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Datenreport

2018
Ein Sozial-
bericht für die
Bundesrepublik
Deutschland

Statistisches Bundesamt WZB


Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
Datenreport
2018
Ein Sozial-
bericht für die
Bundesrepublik
Deutschland
Datenreport
2018
Ein Sozial-
bericht für die
Bundesrepublik
Deutschland

Herausgeber:

Statistisches Bundesamt (Destatis)


Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

in Zusammenarbeit mit

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP)


am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
Rundungen
Die genannten Prozentwerte im Text sind größtenteils gerundet.
Abweichungen in den Summen ergeben sich durch Runden
der Zahlen.

Erläuterungen und Fußnoten


Zusatzangaben, die sich auf die gesamte Tabelle oder Abbil-
dung beziehen, ­stehen als Anmerkung direkt unter der Tabelle
beziehungsweise Abbildung. Angaben, d ­ ie sich nur auf einzelne
Merkmale beziehungsweise Zahlen beziehen, stehen als
Fußnoten.

Bonn 2018 in der Reihe Zeitbilder


Copyright dieser Ausgabe:
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb,
Adenauerallee 86, 53113 Bonn
www.bpb.de

Redaktionell verantwortlich
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb):
Benjamin Weiß
Statistisches Bundesamt (Destatis):
Redaktionsleitung: Marlene Nowack, Redaktion: Marion Petter
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB):
Redaktionsleitung: Dr. Mareike Bünning, Redaktion: Tobias Brück
unter Mitarbeit von Dr. Jürgen Schupp, Deutsches Institut für
Wirtschafts­forschung (DIW)

Lektorat: Eik Welker, Münster

Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung


der ­Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autorinnen und
­Autoren die Verantwortung.

Grafische Konzeption und Layout, Umschlaggestaltung:


­Leitwerk. Büro für Kommunikation

ISBN 978-3-8389-7179-7

Die elektronische Fassung ist auf den Webseiten


der beteiligten Institutionen zu finden:
www.bpb.de/datenreport
www.destatis.de/datenreport
www.wzb.eu/datenreport
Vorwort Datenreport 2018

Vorwort
Der Datenreport Der Datenreport, den die Bundeszentrale
für politische Bildung / bpb in bewährter
tive Fakten«), erscheint es umso wichtiger,
messbare Entwicklungen in den Mittel-
als wichtiges Kooperation mit dem Statistischen Bun- punkt zu rücken und diese sachlich und
In­strument zur desamt (Destatis), dem Wissenschaftszen-
trum Berlin (WZB) und dem Sozio-oeko-
wissenschaftlich fundiert einzuordnen.
2018 legt der Datenreport einen beson-
politischen Bildung nomischen Panel (SOEP) des Deutschen deren Schwerpunkt auf die Lebensbedin-
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW gungen für Familien und insbesondere für
Berlin) im Jahr 2018 in der 16. Auflage he- Kinder und Jugendliche. Etwa 13,5 Millio-
Thomas Krüger
rausgibt, gehört seit Jahrzehnten zu den nen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
Standardwerken für all jene, die sich leben in Deutschland, ihre Lebensverhält-
Der Präsident der Bundeszentrale schnell und verlässlich über statistische nisse sind dabei hochgradig unterschied-
für politische Bildung Daten und sozialwissenschaftliche Analy- lich. Lebens- und Bildungschancen hängen
sen zu den aktuellen gesellschaftlichen von zahlreichen Faktoren ab, dennoch hat
Entwicklungen in Deutschland informie- der sozioökonomische Status der Eltern
ren wollen. nach wie vor zentralen Einfluss darauf,
Die Statistik ermöglicht es, sich einen was Kinder und Jugendliche im Lauf ihres
Überblick etwa über die Bevölkerungs- ­Lebens erreichen können.
entwicklung, den Arbeitsmarkt, den Ge- Journalisten, Studierende, Fachleute
sundheitssektor sowie auch zu Fragen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und
politischer Partizipation zu verschaffen. Verwaltung sowie alle an unserem Ge-
Durch die wissenschaftliche Einordnung meinwesen Interessierte erhalten mit dem
ergibt sich ein Gesamtbild der Lebens­ Datenreport 2018 ein übersichtlich gestal-
verhältnisse unserer freiheitlichen Ge­ tetes Handbuch, das sie mit fundierten
sellschaft. Damit sind die notwendigen Zahlen, Fakten und Argumenten versorgt,
Grundlagen für einen rationalen und öf- um an den öffentlichen Debatten zu den
fentlichen politischen Diskurs gelegt. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen
Lösungen gesellschaftlicher Probleme Trends in unserem Land teilzunehmen.
müssen im demokratischen Willensbil- Der Datenreport ist damit nicht nur
dungsprozess gefunden werden. ein veritabler Sozialbericht über den Zu-
Das Werk bleibt dem Prinzip ver- stand der Republik, sondern ein wichti-
pf lichtet, dass Fakten und Zahlen die ges Instrument politischer Bildung. Er
Grundlage für diese Debatten und Willens- stellt den Nutzerinnen und Nutzern Ma-
bildungsprozesse darstellen. In Zeiten, in terial zur Verfügung, das sie benötigen,
denen faktenbasiertes Wissen bisweilen um sich ein eigenes, begründetes Urteil
infrage gestellt wird (Stichwort: »alterna- bilden zu können.

5
Datenreport 2018 Einleitung

Einleitung
Statistische Der Datenreport 2018 befasst sich – wie
auch seine Vorgänger – mit den Lebens-
an Hauptschulen und desto höher die
Schüleranteile an Gymnasien. Ein Grund
Daten und sozial- bedingungen der Menschen in Deutsch- hierfür dürften die höheren Einkommen
wissenschaftliche land. Dieses Mal stehen Familien und ins-
besondere Kinder im Vordergrund. Die
sein, die in der Regel mit höheren Ab-
schlüssen der Eltern einhergehen. Gene-
Analysen Kinder von heute werden als Erwachsene rell hat die finanzielle Situation Einfluss
in der Zukunft unsere Gesellschaft prä- auf die Bildungschancen. Untersuchun-
gen. Deshalb lohnt es, sich intensiv mit gen über die Konsumausgaben für Kin-
Die Herausgeber
ihren Startchancen in ein möglichst be- der belegen eindrucksvoll, wie wenig
hütetes, gesundes und diskriminierungs- Geld beispielsweise für Bildungsausgaben
Statistisches Bundesamt freies Leben auseinanderzusetzen. in Haushalten mit geringen Einkommen
(Destatis) / Von den 82,5 Millionen Menschen, die übrig bleibt.
Wissenschaftszentrum Berlin Ende 2016 in Deutschland lebten, ­waren Befragt man die Kinder und Jugend­
für Sozialforschung (WZB) 13,5 Millionen (16 %) Kinder und Jugend- lichen, wie sie ihre Situation in der Schu-
liche unter 18 Jahren. Diese wachsen un- le wahrnehmen, so zeigt sich unabhängig
ter sehr heterogenen Lebensbedingungen von der besuchten Schulform, dass die
auf: Die Mehrzahl der Kinder und Ju- überwiegende Mehrheit der Schülerinnen
gendlichen lebt in einer Familie mit Mut- und Schüler gern zur Schule geht. Aber
ter, Vater und Geschwistern zusammen, insbesondere Schülerinnen und Schüler
die Eltern gehen einem Beruf nach. Doch an Gymnasien und Hauptschulen geben
eines von sechs Kindern wächst bei einem auch häufig an, nach der Schule meistens
alleinerziehenden Elternteil auf und jedes erschöpft zu sein und aufgrund der Schu-
elfte Kind lebt in einem Haushalt, in dem le kaum Zeit für ihre Freunde zu haben.
niemand erwerbstätig ist. Hauptschülerinnen und Hauptschüler
Die Lebenschancen von Kindern hän- beklagen darüber hinaus überdurch-
gen stark vom sozioökonomischen Hin- schnittlich oft, dass es in der Schule nur
tergrund der Eltern ab. Dies zeigt sich wenige Dinge gebe, die ihnen wirklich
zum Beispiel im Gesundheitsverhalten. Spaß machten, und dass die Schule eine
Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem große Belastung sei.
sozioökonomischem Status treiben selte- Diese Daten und Fakten sind ein klei-
ner Sport, ernähren sich weniger gesund ner Auszug aus dem »Datenreport 2018 –
und sind häufiger übergewichtig. Zudem Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik
treten psychische und Verhaltens­ Deutschland«. Er ist gut geeignet, um
auffälligkeiten bei diesen Kindern häufi- sich ein differenziertes Urteil über den
ger auf. Zustand und die Entwicklung unserer
Auch die Bildungsbeteiligung von Gesellschaft zu bilden. Dazu bedarf es
Kindern ist stark durch den sozioökono- ­e iner spezifischen Kombination unter-
mischen Hintergrund des Elternhauses schiedlicher Datenquellen: Um die Le-
geprägt. Je höher der allgemeinbildende bensbedingungen und die Lebensqualität
oder beruf liche Abschluss der Eltern, in Deutschland auf der Grundlage der
desto geringer sind die Schüleranteile besten zur Verfügung stehenden empiri-

6
Einleitung Datenreport 2018

schen Informationen umfassend zu unter- Sorgen der Menschen in Deutschland, Als Sozialbericht hat der Datenreport
suchen, vereinigt der Datenreport die Er- mit der Lebenssituation von Geflüchteten, insbesondere die Aufgabe, dem Informa-
gebnisse der amtlichen Statistik und die dem Mindestlohn und der subjektiven tionsbedürfnis einer interessierten Öf-
Befunde der sozialwissenschaftlichen So- Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen fentlichkeit in einer demokratischen Ge-
zialberichterstattung. Die amtliche Statis- sowie mit der Zufriedenheit mit der sellschaft gerecht zu werden. Mit seiner
tik ist mit ihren umfangreichen, vielfälti- ­öffentlichen Verwaltung. umfassenden Bilanzierung der Lebens-
gen und kontinuierlich durchgeführten Obwohl seit der deutschen Vereini- verhältnisse in Deutschland zielt er zu-
Erhebungen nach wie vor der wichtigste gung inzwischen fast 30 Jahre vergangen dem darauf ab, den Entscheidungsträge-
Anbieter von Informationen über die Le- sind, ist die Frage des Zusammenwach- rinnen und -trägern in Politik und Wirt-
bensverhältnisse und die Entwicklung sens und der Herstellung gleichwertiger schaft handlungsrelevante Informationen
der deutschen Gesellschaft. Die Erfahrung Lebensverhältnisse in Ost- und West- zur Verfügung zu stellen.
hat aber auch gezeigt, dass eine leistungs- deutschland weiterhin von Interesse. Der Es wäre vermessen, Daten als »wahr«
fähige sozialwissenschaftliche Daten- Datenreport informiert daher über noch zu bezeichnen. Aber gute Fakten sind die
grundlage für eine aktuelle und differen- vorhandene Disparitäten in verschiede- bestmögliche An­näherung an die Wahr-
zierte Sozialberichterstattung ebenso nen Bereichen der Lebensbedingungen heit. Der Datenreport vermittelt ein Ge-
notwendig ist. Mit ihren speziell für die sowie über Unterschiede in Verhaltens- sellschaftsbild aus nachprüfbaren, metho-
gesellschaftliche Dauerbeobachtung kon- weisen, Einstellungen und Wertorientie- disch sauber erhobenen Zahlen und bietet
zipierten sozialwissenschaftlichen Erhe- rungen, aber auch über die bisher erziel- im Gegensatz zur persönlichen Alltagser-
bungen stellt die wissenschaftliche Sozial- ten Erfolge des Vereinigungsprozesses fahrung objektivierbare Informationen.
berichterstattung nicht nur Informatio- und die sukzessive Angleichung der Le- Neben der vorliegenden Buchausgabe
nen zu Themen und Fragestellungen benslagen in Ost- und Westdeutschland. steht der Datenreport 2018 auf den Inter-
bereit, die außerhalb des gesetzlich fest- Zunehmend gerät dabei auch die gerechte netseiten der beteiligten Institutionen in
gelegten Erhebungsprogramms der amt- Verteilung von Ressourcen in ganz elektronischer Form ganz oder kapitel-
lichen Statistik liegen, zum Beispiel sub- Deutschland in den Blick, da sich regiona- weise zum Download zur Verfügung. Wei-
jektive Wahrnehmungen, Einstellungen le Disparitäten nicht auf den Unterschied terführende Informationen zu den Daten,
und Bewertungen. Sie ergänzt und be­ zwischen Ost und West beschränken. So die der Veröffentlichung zugrunde liegen,
reichert das Informations- und Analyse­ bringt der anhaltende Zuzug in die Groß- befinden sich im Anhang.
potenzial auch in konzeptioneller und städte zahlreiche Veränderungen auf dem
methodischer Hinsicht. Wohnungs- und Arbeitsmarkt mit sich
Die Kapitel des Datenreports sind und hat Auswirkungen auf Verkehrsströ-
thematisch gegliedert. Die institutionelle me und Infrastruktur. Diese Entwicklun-
Einbindung der Kapitel wird durch eine gen und ihre sozialen Folgen sind auf-
farbige Zuordnung zu amtlicher Statistik merksam zu beobachten.
(blau) und wissenschaftlicher Sozialbe- Der Datenreport, der seit 1985 alle zwei
richterstattung (orange) unterstützt. Die bis drei Jahre erscheint, ist ein einzigarti-
vorliegende Ausgabe 2018 enthält neue ges Gemeinschaftsprojekt von amtlicher
Kapitel zu den Lebenswelten von Kindern- Statistik und wissenschaftlicher Sozialbe-
und Jugendlichen, zur Kinder- und Ju- richterstattung, das im Veröffentlichungs-
gendhilfe und zur Jugendkriminalität. programm der Bundeszentrale für politi-
Des Weiteren befassen sich neue Kapitel sche Bildung einen ganz besonderen Stel-
mit der Lebenszufriedenheit und den lenwert einnimmt.

7
Datenreport 2018 Inhalt

Inhalt

Vorwort 5 Statistisches Bundesamt


(Destatis)
Einleitung 6
Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung (WZB) /
Sozio-oekonomisches Panel
1 Bevölkerung und Demografie (SOEP)

1.1 Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung 11


1.2 Bevölkerung mit Migrations­hintergrund 28
1.3 Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit 43

2 Familie, Lebensformen und Kinder


2.1 Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder 51
2.2 Kindertages­betreuung 66
2.3 Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen 69
2.4 Kinderlosigkeit 79
2.5 Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen 86
2.6 Im Alter ohne Kinder 93

3 Bildung
3.1 Bildungs­beteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget 103
3.2 Weiterbildung 124

4 Wirtschaft und öffentlicher Sektor


4.1 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen 129
4.2 Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst 138

5 Arbeitsmarkt und Verdienste


5.1 Arbeitsmarkt 149
5.2 Verdienste 166
5.3 Mindestlohn 177
5.4 Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen 185

6 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen


6.1 Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte,
private Überschuldung 195
6.2 Wohnen 217
6.3 Armutsgefährdung und materielle Entbehrung 231
6.4 Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik 239

8
Inhalt Datenreport 2018

7 Sozialstruktur und soziale Lagen


7.1 Soziale Lagen und soziale Schichtung 255
7.2 Soziale Mobilität 262
7.3 Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen 272
7.4 Lebenssituation von Geflüchteten 280
7.5 Jugendkriminalität 286

8 Gesundheit und soziale Sicherung


8.1 Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen
der Gesundheitsversorgung 291
8.2 Gesundheitliche Ungleichheit 302
8.3 Soziale Sicherung 314
8.4 Sozialversicherungssysteme 328
8.5 Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland 333

9 Politische und gesellschaftliche Partizipation


9.1 Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen 341
9.2 Politische Integration und politisches Engagement 350
9.3 Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat 358
9.4 Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung 366
9.5 Zivilgesellschaftliches Engagement 373

10 Werte und Einstellungen


10.1 Lebenszufriedenheit und Sorgen 383
10.2 Einstellungen zu Familie und Lebensformen 393
10.3 Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes 397
10.4 Einstellungen und Kontakte zu Ausländern 403

11 Deutschland in Europa
11.1 Leben in der Europäischen Union 413
11.2 Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union 433

Nachruf 441
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren 443
Stichwortverzeichnis 451
Abkürzungsverzeichnis 460

9
1
Bevölkerung
und Demografie
1.1 Wie viele Menschen leben in Deutsch-
land? Wo wohnen sie und wie alt sind
die Bildungs- und Beschäftigungsmöglich-
keiten der Bevölkerung und beeinflusst
Bevölkerungs- sie? Daten über Struktur und Entwick- daher unmittelbar ihre Lebensweise. u Info 1
stand und lung der Bevölkerung gehören zum
grundlegenden Informationsbedarf für
Weitere Informationen zur Bevölke-
rung mit Migrationshintergrund bietet
Bevölkerungs­ fast alle Bereiche von Staat, Wirtschaft Kapitel 1.2, Seite 28. Daten zur Lebenssitu-
entwicklung und Gesellschaft. Die Politik benötigt sie,
weil viele Entscheidungen – beispielswei-
ation von Geflüchteten enthält Kapitel 7.4,
Seite 280.
se im Bildungs- und Gesundheitswesen –
Claire Grobecker, Elle Krack-Roberg, nur auf der Grundlage gesicherter bevöl- 1.1.1 Bevölkerungsstand
Olga Pötzsch, Bettina Sommer kerungsstatistischer Angaben getroffen Nach den Ergebnissen der Bevölkerungs-
werden können. Für das wirtschaftliche fortschreibung lebten Ende 2016 in
Geschehen sind demografische Daten Deutschland rund 82,5 Millionen Men-
Statistisches Bundesamt
von Bedeutung, weil sie Grundinforma- schen, davon waren 49 % männlich und
(Destatis)
tionen über die Menschen als Arbeits- 51 % weiblich. Gegenüber 2015 ist die Be-
kräfte, Einkommensbezieher und Kon- völkerung damit um 346 000 Einwohne-
sumenten liefern. In der Öffentlichkeit rinnen und Einwohner beziehungsweise
werden Bevölkerungszahlen und demo- um 0,4 % gewachsen. Rund 66,4 Millio-
grafische Entwicklungen aufmerksam nen Personen (80 %) lebten in den alten
verfolgt. Bundesländern, 12,6 Millionen (15 %) in
Hinter den Zahlen verbergen sich den neuen Bundesländern und 3,6 Milli-
aber auch Werthaltungen und Lebens­ onen (4,3 %) in Berlin. Die bevölkerungs-
einstellungen, die ihrerseits wieder Rück- reichsten Länder waren Nordrhein-West-
wirkungen auf die Bevölkerungsstruktur falen (17,9 Millionen Personen), Bayern
haben. So spiegeln sich zum Beispiel in (12,9 Millionen) und Baden-Württem-
den Zahlen der Eheschließungen und berg (knapp 11,0 Millionen). In diesen
-scheidungen sowie der Lebenspartner- drei Bundesländern lebten rund 51 % der
schaften, der Geburtenentwicklung und ­B evölkerung Deutschlands. Die Hälfte
der Familiengröße die Einstellungen der der Bundesländer hatte dagegen weniger
Gesellschaft zur Familie und zu Kindern als 3 Millionen Einwohnerinnen und
wider. Der Altersaufbau wird von diesen Einwohner. u Tab 1
Lebenseinstellungen mitbestimmt und Mit 82,5 Millionen hatte Deutschland
hat zugleich direkte Auswirkungen auf Ende 2016 rund 13,2 Millionen Einwoh-

11
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Info 1 nerinnen und Einwohner mehr als 1950. mit Ausnahme der Jahre 2006 bis 2009 –
Datenquellen der Bevölkerungs­ In West- und Ostdeutschland hat sich zu. Die neuen Bundesländer verzeichneten
statistik und Gebietsstände die Bevölkerungszahl seit 1950 jedoch seit 1990 – mit Ausnahme der Jahre 2014
Die Bevölkerungszahl wird mittels der Be­ sehr unterschiedlich entwickelt. Im frü- und 2015 – durchgehend einen Bevölke-
völkerungsfortschreibung nachgewiesen. heren Bundesgebiet stieg sie zwischen rungsrückgang. In Berlin gab es bis 2005
Auf den Ergebnissen des letzten Zensus auf-
bauend führen die statistischen Ämter auf 1950 und 1973 infolge des sogenannten abwechselnde Phasen von Zuwachs und
Gemeindeebene die Fortschreibung des Babybooms und der Zuwanderung von Rückgang und ab 2005 eine stetige Bevöl-
­Bevölkerungsstandes durch Bilanzierung der
51,0 Millionen auf 62,1 Millionen Men- kerungszunahme. u Tab 2
Ergebnisse der Statistiken über Geburten
und Sterbefälle sowie der Wanderungsstatis- schen. Gleichzeitig ging sie in der ehe-
tik durch. Die Bevölkerungszahlen werden maligen DDR von 18,4 Millionen auf Besiedlungsdichte und regionale
nach jedem Zensus (zuletzt Zensus vom
9. Mai 2011) ab dem Zensusstichtag umge-
17,0 Millionen Menschen zurück. Die Be- Bevölkerungsverteilung
stellt. Die Bevölkerungsfortschreibung liefert völkerungszahl stabilisierte sich danach Der Bevölkerungszahl entsprechend än-
demografische Grunddaten über die ge­ zwischen 61 Millionen und 62 Millionen derte sich auch die Bevölkerungsdichte
samte Bevölkerung wie Geschlecht, Alter,
Familienstand und Staatsangehörigkeit.
Menschen im Westen sowie zwischen in beiden Teilen Deutschlands. Im frühe-
16 Millionen und 17 Millionen Menschen ren Bundesgebiet und Berlin-West stieg
Für die ehemalige DDR liegen in der Bevölke-
rungsstatistik im Wesentlichen vergleichbare im Osten. die Einwohnerzahl je Quadratkilometer
Angaben vor. Seit 2001 werden in der amt­ Seit der deutschen Vereinigung Ende im Zeitraum von 1950 bis 1973 von 202
lichen Statistik grundsätzlich nur noch Daten 1990 nahm die Bevölkerung Deutschlands auf 250 an, ging danach bis 1984/1985
für Berlin insgesamt nachgewiesen. Soweit
bei Bevölkerungsangaben noch ein getrennter bis Ende 2002 von 79,8 Millionen auf auf 245 leicht zurück und stieg nach der
Nachweis für das frühere Bundesgebiet und 82,5 Millionen Personen zu (+ 2,8 Millio- deutschen Vereinigung bis auf 270 Ein-
für die neuen Länder erfolgt, ist Berlin nicht
nen Personen). Bis 2010 folgte dann ein wohner je Quadratkilometer im Jahr
enthalten.
Rückgang der Bevölkerungszahlen. Ab 2000. Seit 2001 stagnierte die Bevölke-
Die Bevölkerungsstatistik gehört zu den tradi-
tionsreichsten Arbeitsgebieten der amtlichen
2011 stieg die Bevölkerung wieder an, rungsdichte im früheren Bundesgebiet
Statistik. Die Statistiken werden seit 1950 ­a llerdings führte der Zensus im Jahr 2011 (ohne Berlin-West) zwischen 263 und
in der jetzigen Form geführt, die Zeitreihen ge- zu einer Revision der Bevölkerungszahl 264 Einwohner je Quadratkilometer.
hen teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurück.
um 1,5 Millionen Personen nach unten. Für 2016 wurde im früheren Bundesge-
Die Entwicklung des Bevölkerungsstandes Die Jahre 2014 bis 2016 verzeichneten auf- biet (ohne Berlin-West) eine Einwohner-
2016 ist aufgrund methodischer Änderungen
bei der Wanderungsstatistik, technischer grund der sehr starken Zuwanderung dichte von 267 ermittelt. Im Gebiet der
Weiterentwicklungen der Datenlieferungen einen hohen Bevölkerungszuwachs mit neuen Länder und Berlin-Ost verringer-
aus dem Meldewesen sowie der Umstellung einem Spitzenwert im Jahr 2015 (2014: te sich dieser Wert zwischen 1950 und
auf ein neues statistisches Aufbereitungs­
verfahren nur bedingt mit den Vorjahreswerten + 430 000 Per­s onen; 2015: + 978 000 Per- 1990 von 171 auf 148 Einwohner je Qua-
vergleichbar. Die Genauigkeit der Ergebnisse sonen; 2016: + 346 000 Personen). dratkilometer. Seit 2001 verringerte sich
ist aufgrund von Unstimmigkeiten unter an-
Zwischen West und Ost war die Ent- die Bevölkerungsdichte in den neuen
derem im Zusammenhang mit der melderecht-
lichen Behandlung von Schutzsuchenden wicklung seit der deutschen Vereinigung Ländern (ohne B ­ erlin-Ost) von 127 auf
eingeschränkt. Ausführliche Erläuterungen allerdings unterschiedlich: In den alten 116 Einwohner je Quadratkilometer im
dazu finden sich unter www.destatis.de
> Bevölkerung > Bevölkerungsstand.
Bundesländern nahm die Bevölkerung – Jahr 2016.

12
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

u Tab 1 Bundesländer mit Regierungssitz nach Fläche, Bevölkerung und Bevölkerungsdichte 2016

Bevölkerung
Fläche
insgesamt Männer Frauen
je km ²
in 1 000 km ² in 1 000

Baden-Württemberg (Stuttgart) 35,7 10 952 5 436 5 516 306

Bayern (München) 70,5 12 931 6 401 6 530 183

Berlin (Berlin) 0,9 3 575 1 756 1 819 4 012

Brandenburg (Potsdam) 29,7 2 495 1 232 1 263 84

Bremen (Bremen) 0,4 679 335 343 1 617

Hamburg (Hamburg) 0,8 1 810 886 924 2 397

Hessen (Wiesbaden) 21,1 6 213 3 067 3 146 294

Mecklenburg-Vorpommern (Schwerin) 23,3 1 611 795 815 69

Niedersachsen (Hannover) 47,7 7 946 3 923 4 022 167

Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf) 34,1 17 890 8 777 9 113 524

Rheinland-Pfalz (Mainz) 19,9 4 066 2 007 2 060 205

Saarland (Saarbrücken) 2,6 997 489 507 388

Sachsen (Dresden) 18,4 4 082 2 010 2 072 221

Sachsen-Anhalt (Magdeburg) 20,5 2 236 1 102 1 134 109

Schleswig-Holstein (Kiel) 15,8 2 882 1 413 1 469 182

Thüringen (Erfurt) 16,2 2 158 1 068 1 090 133

Deutschland (Berlin) 357,6 82 522 40 697 41 825 231

Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung (Bevölkerung) und aus dem Gemeindeverzeichnis-Informationssystem GV-ISys (Fläche, Bevölkerung je km²).
Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen 2016 ist nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und es kommt zu Einschränkungen bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 1 sowie die Erläuterungen
unter www.destatis.de > Bevölkerungsstand.

u Tab 2 Bevölkerungsentwicklung — in Tausend

Früheres
Deutschland Neue Länder ² Berlin
Bundesgebiet ¹

1950 69 346 50 958 18 388 –

1960 73 147 55 958 17 188 –

1970 78 069 61 001 17 068 –

1980 78 397 61 658 16 740 –

1990 79 753 63 726 16 028 3 434

2000 82 260 67 140 15 120 3 382

2010 81 752 65 426 12 865 3 461

2011 ³ 80 328 64 429 12 573 3 326

2012 80 524 64 619 12 530 3 375

2013 80 767 64 848 12 498 3 422

2014 81 198 65 223 12 505 3 470

2015 82 176 66 057 12 598 3 520

2016 ⁴ 82 522 66 365 12 581 3 575

Ergebnisse aus der Bevölkerungsfortschreibung am 31.12. des jeweiligen Jahres. Seit Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011.
1 Seit 2001 ohne Berlin-West.
2 Seit 2001 ohne Berlin-Ost.
3 Umstellung der Bevölkerungsfortschreibung auf die Grundlage des Zensus 2011.
4 Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen 2016 ist nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und es kommt zu Einschränkun-
gen bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 1 sowie die Erläuterungen unter www.destatis.de > Bevölkerungsstand.
– Nichts vorhanden.

13
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Tab 3 Großstädte mit den höchsten Bevölkerungszahlen und lichkeit auch auf die Stärke der jeweiligen
der höchsten Bevölkerungsdichte 2016 Jahrgänge aus. Langfristig führen solche
Stadt Bevölkerung in 1 000 Stadt Bevölkerung je km ²
Veränderungen zu einer Verschiebung
der Anteile der einzelnen Altersgruppen
1 Berlin 3 575 München 4 713
an der Gesamtbevölkerung. Ein zusätz­
2 Hamburg 1 810 Berlin 4 012
licher Faktor ist die Zu- und Abwande-
3 München 1 464 Herne 3 049
rung, da meist junge Erwachsene zu-
4 Köln 1 076 Stuttgart 3 029
oder abwandern. In Deutschland führen
5 Frankfurt am Main 736 Frankfurt am Main 2 966
diese verschiedenen Faktoren dazu, dass
6 Stuttgart 628 Düsseldorf 2 821
die Gruppe der Kinder und Jugendlichen
7 Düsseldorf 613 Offenbach am Main 2 775
kleiner wird und die Gruppe der Men-
8 Dortmund 586 Essen 2 772
schen im Rentenalter wächst, während
9 Essen 583 Nürnberg 2 744
sich der Anteil der Personen im erwerbs-
10 Leipzig 571 Oberhausen 2 742
fähigen Alter – derzeit – wenig verändert.
11 Bremen 566 Köln 2 657
Entgegen diesem Trend erhöhte sich 2015
12 Dresden 547 Hannover 2 608
und 2016 infolge der massiven Zuwande-
13 Hannover 533 Bochum 2 505
rung von jungen Menschen der Anteil
14 Nürnberg 512 Gelsenkirchen 2 502 der Kinder und Jugendlichen leicht.
15 Duisburg 500 Hamburg 2 397 Den Altersauf bau der Bevölkerung
Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung (Bevölkerung) und aus dem Gemeindeverzeichnis-Informationssystem GV-ISys und dessen Veränderungen veranschau­
(Bevölkerung je km²).
Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen 2016 ist nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und es kommt zu Einschränkungen lichen Abbildung 1 sowie Tabelle 4. Da-
bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 1 sowie die Erläuterungen unter www.destatis.de > Bevölkerungsstand.
bei zeigt sich deutlich, wie die Basis der
Pyramide – also die neuen Generationen –
schmaler wird, während die stärksten
Für Deutschland insgesamt lag die bis unter 20 000 Einwohnern und 27 % in Jahrgänge zwischen 50 und 60 Jahre alt
Einwohnerdichte Ende 2016 bei 231 Ein- Gemeinden mit 20 000 bis unter 100 000 sind. u Abb 1, Info 2
wohnern je Quadratkilometer. Am dich- Einwohnern lebten. Auf Großstädte Im Jahr 2016 betrug in Deutschland
testen besiedelt waren die Stadtstaaten (Gemeinden mit 100 000 oder mehr
­ der Anteil der Heranwachsenden (unter
(Berlin: 4 012 Personen je Quadratkilome- ­Einwohnern) entfielen 32 % der Bevölke- 20-Jährige) 18 %. Auf die Bevölkerung im
ter, Hamburg: 2 397, Bremen: 1 617). Die rung. Die Städte mit den höchsten Ein- erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre)
geringste Besiedlung je Quadratkilometer wohnerzahlen waren in abnehmender entfielen 60 % und der Seniorenanteil
wiesen die Bundesländer Mecklenburg- Reihenfolge Berlin, Hamburg und Mün- (65-Jährige und Ältere) lag bei 21 %.
Vorpommern (69 Personen), Brandenburg chen. Betrachtet man die Städte mit der Rund 6 % der Bevölkerung waren hoch-
(84 Personen) und Sachsen-Anhalt (109 höchsten Bevölkerungsdichte, lagen an betagt, das heißt 80 Jahre oder älter. Der
Personen) auf (siehe Tab 1). vorderster Stelle München, Berlin und Jugendquotient (Zahl der unter 20-Jähri-
Ende 2016 gab es in Deutschland Herne. u Tab 3 gen je 100 Personen zwischen 20 und
11 059 politisch selbstständige Gemein- 64 Jahren) lag bei 31 und somit unter
den und damit 33 oder 0,3 % weniger als 1.1.2 Altersaufbau, Geburtenent- dem Altenquotienten (Zahl der 65-Jähri-
Ende 2015. Davon lagen – abgesehen von wicklung und Lebenserwartung gen und Älteren je 100 Personen zwi-
Berlin – 8 395 Gemeinden im früheren schen 20 und 64 Jahren) mit 35. Im Jahr
Bundesgebiet und 2 663 Gemeinden in Altersaufbau 1950 lag der Jugendquotient noch bei 51
den neuen Bundesländern. Aufgrund von Die Zahl der Geburten beeinf lusst un- und der Altenquotient bei 16. Seit 2006
Gebietsreformen hat sich vor allem im mittelbar den Altersaufbau der Bevölke- übersteigt der Altenquotient jedoch den
früheren Bundesgebiet die Gemeindean- rung. Außerdem besteht eine Wechsel- Jugend­quotienten (siehe auch Abschnitt
zahl verringert: Sie sank von 8 422 seit wirkung zwischen der Stärke eines Alters- 1.1.4, Seite 26). u Tab 4, Info 3
Ende 2015 um 27 Gemeinden (– 0,3 %). jahrgangs und den Geburten sowie Beim Altersaufbau gibt es ebenfalls
Aus der Verteilung der Einwohnerin- Sterbezahlen: Zum einen beeinflusst die deutliche Unterschiede zwischen den al-
nen und Einwohner auf Gemeinde­ Stärke der einzelnen Altersjahrgänge die ten und den neuen Bundesländern. So lag
größenklassen ergibt sich für 2016, dass Zahl der Geburten und Sterbefälle in 2016 der Anteil der Seniorinnen und Seni-
6 % der Bevölkerung Deutschlands in ­bestimmten Zeiträumen, gleichzeitig wir- oren in den neuen Bundesländern (ohne
Gemeinden mit weniger als 2 000 Ein- ken sich aber wiederum die Veränderun- Berlin) bereits bei 25 % (21 % in den alten
wohnern, 35 % in Gemeinden mit 2 000 gen von Geburtenhäufigkeit oder Sterb- Bundesländern), der Anteil der Kinder

14
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

u Abb 1 Bevölkerung nach Altersjahren und Geschlecht 2016 — in Tausend je Altersjahr u Info 2
Bevölkerungspyramide
Männer Alter Frauen Um den Altersaufbau der Bevölke-
100 rung zu veranschaulichen, ver­
wendet die Statistik eine grafische
Darstellungsform, die als Alters­
Frauenüberschuss
90 pyramide bezeichnet wird, auch
Geburtenausfall
wenn sie – für Deutschland betrach-
während der tet – längst keine Pyramidenform
80
Wirtschaftskrise mehr hat. So gleicht sie heute op-
um 1930
tisch eher einer »zerzausten Wetter-
tanne«, wie sie einmal bildhaft
70
Geburtenausfall ­b eschrieben wurde.
Ende des
Zweiten Weltkrieges
Eine interaktive Bevölkerungspyra-
mide auf www.destatis.de ermög-
60
Babyboom und
licht es, die Veränderung der
anschließender ­A ltersstruktur im Zeitraum zwischen
Geburtenrückgang 1950 und 2060 zu verfolgen und
50
­dabei einen bestimmten Geburtsjahr-
gang zu beobachten. Die Anwen-
dung basiert auf den Ergebnissen
40
der 13. koordinierten Bevölkerungs-
vorausberechnung für Deutschland.
30
Geburtentief in den
neuen Ländern
20

u Info 3

Männerüberschuss 10 Jugendquotient, Altenquotient


und Gesamtquotient
Neben der absoluten Zahl der Be-
800 600 400 200 0 0 200 400 600 800 völkerung in einem bestimmten
Alter ist die Beziehung zwischen den
Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung.
Zu den Ergebnissen 2016 siehe Info 1 sowie die Erläuterungen unter www.destatis.de > Bevölkerungsstand.
verschiedenen Altersgruppen ein
Charakteristikum des Alterungs­
prozesses. Wird der Bevölkerung
im erwerbsfähigen Alter die jüngere
Bevölkerung – für deren Aufwach-
u Tab 4 Entwicklung der Altersstruktur sen, Erziehung und Ausbildung
­gesorgt werden muss – gegenüber-
Davon im Alter von … bis … Jahren gestellt, so ergibt sich der Jugend-
Bevölkerung Jugend- Alten- quotient. Wird die Zahl der Personen
unter 20 20 – 64 65 –79 80 und älter quotient ¹ quotient ² im Rentenalter, also der potenziellen
in 1 000 in % Empfänger von Leistungen der
1950 69 346 30,4 59,9 8,7 1,0 50,8 16,3 ­R entenversicherung oder anderer
Alterssicherungssysteme, auf die
1960 73 147 28,4 60,0 10,0 1,6 47,3 19,3
Zahl der Personen im Erwerbsalter
1970 78 069 30,0 56,2 11,8 2,0 53,4 24,6 bezogen, ergibt sich der Alten­
1980 78 397 26,8 57,7 12,8 2,7 46,3 26,9 quotient. Beide Quotienten zusam-
men addieren sich zum Gesamt­
1990 79 753 21,7 63,4 11,2 3,8 34,2 23,6
quotienten, der aufzeigt, in welchem
2000 82 260 21,1 62,2 12,9 3,8 34,0 26,8 Ausmaß die mittlere Altersgruppe
2010 81 752 18,4 60,9 15,3 5,3 30,3 33,8 sowohl für die jüngere als auch
für die ältere Bevölkerung, die beide
2011³ 80 328 18,4 60,9 15,4 5,3 30,3 33,9
nicht im Erwerbsleben stehen, im
2012 80 524 18,3 61,0 15,4 5,4 30,0 34,1 weitesten Sinne zu sorgen hat. Für
2013 80 767 18,2 61,0 15,5 5,4 29,8 34,2 die Abgrenzung des erwerbsfähigen
Alters wird hier die Altersspanne
2014 81 198 18,2 60,8 15,4 5,6 29,9 34,6
von 20 bis 64 Jahren gewählt, da in
2015 82 176 18,3 60,6 15,3 5,8 30,3 34,7 dieser Lebensphase die meisten
2016 ⁴ 82 522 18,4 60,3 15,2 6,0 30,6 35,2 Menschen erwerbstätig sind.

Ergebnisse aus der Bevölkerungsfortschreibung am 31.12. des jeweiligen Jahres.


1 Altersgruppe der unter 20-Jährigen bezogen auf die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.
2 Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren bezogen auf die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.
3 Umstellung der Bevölkerungsfortschreibung auf die Grundlage des Zensus 2011.
4 Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen 2016 ist nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und es kommt zu Einschränkungen
bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 1 sowie die Erläuterungen unter www.destatis.de > Bevölkerungsstand.

15
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

und Jugendlichen unter 20 Jahren fiel mit u Tab 5 Entwicklung der Altersstruktur bei Kindern und Jugendlichen
17 % dagegen niedriger aus (19 % in den Bevölkerung Davon im Alter von … bis … Jahren
alten Bundesländern). In Berlin lebten unter
20 Jahren unter 3 3–5 6–9 10 – 14 15 – 19
Ende 2016 verhältnismäßig weniger Seni-
in 1 000 in %
orinnen und Senioren (19 %), dagegen war
1950 21 084 14,3 11,6 20,4 29,9 23,8
der Anteil der unter 20-Jährigen mit 18 %
1960 20 760 17,1 15,8 20,2 22,6 24,2
durchschnittlich.
1970 23 413 14,1 16,2 22,1 24,7 22,8
Die Zahl der jungen Menschen unter
20 Jahren war bundesweit ab Mitte der 1980 20 972 11,8 11,2 16,6 28,5 31,9

1990er-Jahre (1996: 17,7 Millionen) bis 1990 17 307 15,7 15,1 19,9 24,0 25,2

2013 (14,7 Millionen) rückläufig. Seit 2014 2000 17 390 13,4 13,7 19,0 27,4 26,5

wird infolge der verstärkten Zuwande- 2010 15 082 13,5 13,7 19,1 26,3 27,5

rung und von mehr Geburten wieder ein 2011¹ 14 801 13,6 13,9 19,1 26,3 27,2

Zuwachs verzeichnet (2016: 15,2 Millio- 2012 14 721 13,8 14,0 18,9 25,9 27,4
nen). Am stärksten ist dabei die Gruppe 2013 14 683 13,9 14,1 19,0 25,5 27,5
der 15- bis 19-Jährigen, da die Zuwande- 2014 14 754 14,3 14,0 19,0 25,1 27,6
rung ab einem Alter von 17 bis 18 Jahren 2015 15 071 14,6 14,1 18,9 24,5 27,8
deutlich höher ausfällt als bei jüngeren 2016 ² 15 221 15,1 14,2 19,1 24,2 27,4
Kindern und Jugendlichen. u Tab 5
Ergebnisse aus der Bevölkerungsfortschreibung am 31.12. des jeweiligen Jahres.
In Deutschland werden etwa 5 % mehr 1 Umstellung der Bevölkerungsfortschreibung auf die Grundlage des Zensus 2011.
2 Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen 2016 ist nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und es kommt zu Einschränkungen
Jungen als Mädchen geboren. Im Jahr 2016 bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 1 sowie die Erläuterungen unter www.destatis.de > Bevölkerungsstand.

kamen im Durchschnitt auf 100 neugebo-


rene Mädchen 105 Jungen. Da Männer
statistisch gesehen nicht so alt werden wie
Frauen, verändern sich die Anteile von
Frauen und Männern mit den Altersgrup- Geburtenentwicklung Besonders groß war die Differenz zwi-
pen. Einen weiteren Faktor stellt die Zu- Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schen den Geburten- und Sterbefällen
wanderung dar, weil junge Männer im waren in Deutschland durch hohe Ge- mit 212 000 Personen im Jahr 2013. In
Vergleich zur in Deutschland lebenden burtenzahlen geprägt. Ab 1947 wurden den letzten Jahren hat sich diese allmäh-
Bevölkerung unter den Zuwanderern deutlich mehr Geburten als Sterbefälle lich reduziert, da die Zahl der Geburten
überrepräsentiert sind. Dies führt dazu, registriert. Der darauffolgende Baby- angestiegen ist und die Sterbefälle relativ
dass bis zu einem Alter von etwa 55 Jahren boom wandelte sich Ende der 1960er-­ stabil waren. Im Jahr 2016 war die An-
der Männeranteil überwiegt und der Män- Jahre zu einem starken Rückgang der zahl der Geborenen »nur« um 118 000
nerüberhang am stärksten in der Gruppe Geburten. Die Zahl der ­lebend gebore- kleiner als die Zahl der Sterbefälle.
der 16- bis 30-Jährigen ist. In der Alters- nen Kinder ging vom Höchststand im
gruppe der 55- bis 59-Jährigen befinden Ja hr 1964 (1,36 Millionen) bis auf Geburtenhäufigkeit im Zeitverlauf
sich ungefähr gleich viele Männer wie 782 000 im Jahr 1975 zurück. Danach Die Zahl der geborenen Kinder hängt
Frauen. In den höheren Altersgruppen gab es von 1976 bis 1990 einen Anstieg ­e inerseits von der Anzahl potenzieller
überwiegen dann zunehmend Frauen: In der jährlichen Geburtenzahlen von Eltern – welche sich aus der Bevölke-
der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen sind 798 000 auf 906 000. Seit 1997 (812 000 rungsentwicklung ergibt – und anderer-
es 52 %, bei den 70- bis 79-Jährigen 55 % Geburten) war wieder ein kontinuierli- seits von der relativen Geburtenhäufig-
und bei den 80-jährigen oder älteren Per- cher Geburtenrückgang zu beobachten. keit (Fertilität) der Frauen ab. Die Verän-
sonen sogar 64 %. Gründe für den geringe- Im Jahr 2005 wurden erstmals unter derung der Geburtenhäufigkeit von Jahr
ren Männeranteil in den höchsten Alters- 700 000 Kinder geboren und im Jahr 2011 zu Jahr wird mit der zusammengefassten
gruppen sind neben der höheren Lebens- wurde mit 663 000 Neugeborenen die Geburtenziffer (total fertility rate, TFR)
erwartung von Frauen auch heute noch niedrigste ­G eburtenzahl seit 1946 re­ gemessen. In Westdeutschland verringer-
die starken Männerverluste durch den gistriert. Im Jahr 2016 lag die Zahl der te sich diese ab Mitte der 1960er-Jahre
Zweiten Weltkrieg. Mit den nachlassen- ­G eburten mit 792 000 wieder deutlich stark und stabilisierte sich ab Ende
den demografischen Auswirkungen des höher. u Abb 2 der 1970er-Jahre, jedoch auf niedrigem
Krieges steigt mittlerweile aber auch der Der Geburtenrückgang bewirkte, Niveau. Die zusammengefasste Geburten-
Anteil der Männer an den Hochbetagten dass seit 1972 jedes Jahr weniger Kinder ziffer betrug hier fast 40 Jahre lang rech-
(27 % im Jahr 2000; 36 % im Jahr 2016). geboren wurden als Menschen starben. nerisch 1,3 bis 1,4 Kinder je Frau; im

16
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

u Abb 2 Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland 1946–2016 — in Tausend

1 400

1 200

1 000

800

600

0
1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Lebendgeborene Sterbefälle

Jahr 2014 erreichte sie erstmals wieder


knapp 1,5 Kinder je Frau. In der ehema-
ligen DDR war es in den 1970er-Jahren
Mütter im Teenageralter
auch zu einem starken Rückgang der Ge-
und ab 40 Jahren
burtenhäufigkeit gekommen, dem aber
Junge Frauen, die vor ihrem 20. Ge- Die Zahl der erstgeborenen Kinder
bald ein Anstieg folgte. Bis Mitte der
burtstag ihr erstes Kind zur Welt brin- mit einer Mutter ab 40 Jahren erhöhte
1980er-Jahre nahm die Geburtenhäufig-
gen, werden in Deutschland und der sich in Deutschland zwischen 2010 und
keit hier wieder ab. Anfang der 1990er-
Europäischen Union (EU) immer sel- 2016 von rund 8 500 auf rund 9 200.
Jahre kam es nach der deutschen Verei-
tener. Die Zahl der Erstgeborenen mit Das waren im Jahr 2016 rund 2,4 % der
nigung zu einem vorübergehend starken
einer Mutter unter 20 Jahren sank in Erstgeborenen. Der Anteil blieb gegen-
Einbruch der Geburtenzahlen in den
Deutschland von 2010 bis 2016 von über 2010 (2,5 %) relativ stabil.
neuen Ländern, der mit den Unsicher-
rund 16 600 auf rund 15 800. Der An- In elf EU-Staaten war der Anteil der
heiten des Transformationsprozesses zu-
teil an allen Erstgeborenen ging von Erstgeborenen von Müttern im höhe-
sammenhing. Seit 1995 nimmt die zu-
5,0 % auf 4,1 % zurück. ren gebärfähigen Alter größer als in
sammengefasste Geburtenziffer in den
Im EU-Durchschnitt hatten 2016 Deutschland. In Italien hatten 2016 be-
ostdeutschen Flächenländern fast konti-
laut dem Statistischen Amt der Euro- reits 7,2 % der Erstgeborenen eine Mutter
nuierlich zu und ist seit 2008 höher als
päischen Union (Eurostat) 4,9 % aller ab 40 Jahren. In Spanien waren es 6,6 %
im früheren Bundesgebiet. u Abb 3
Erstgeborenen eine Mutter unter und in Griechenland 5,3 %. Am gerings-
Seit 2012 steigt die Fertilität in
20 Jahren. Den EU-weit höchsten An- ten war der Anteil in Litauen mit 1,0 %.
Deutschland. Im Jahr 2016 betrug die zu-
teil von Teenagermüttern gab es 2016 Der EU-Durchschnitt lag bei 3,2 %.
sammengefasste Geburtenziffer 1,59 Kin-
in Rumänien mit 14,2 % und Bulgari- Das durchschnittliche Alter der
der je Frau, das war das höchste Fertili-
en mit 13,6 %. Unter 2 % lag der An- Mütter 2016 bei der Geburt des ersten
tätsniveau seit 42 Jahren. In Westdeutsch-
teil in Slowenien, Italien, den Nieder- Kindes in der Europäischen Union
land war die Geburtenhäufigkeit mit
landen, Dänemark und Schweden. zeigt Kapitel 11.1, Seite 416, Abb 3.
1,60 Kindern je Frau geringer als in den
ostdeutschen Flächenländern (1,64 Kin-
der je Frau).

17
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Abb 3 Zusammengefasste Geburtenziffer 1950 –2016 — Kinder je Frau Entwicklung der Kohortenfertilität
Welche Prozesse sich hinter diesen Ver-
3,0
änderungen vollziehen, zeigen die Indi-
katoren des Geburtenverhaltens der
Frauen in der Lebensperspektive, die so-
2,5 genannte Kohortenfertilität. Die wesent-
lichen Charakteristika sind dabei die
2,0
Kinderzahl je Frau eines Jahrgangs, das
Alter der Frauen bei Geburt, die Kinder-
losenquote sowie die Zahl der Kinder
1,5 ­einer Mutter und die Abstände zwischen
deren Geburten.
1,0 Die in den 1930er-Jahren geborenen
Frauen – im Wesentlichen die Mütter der
Babyboom-Generation – haben durch-
0,5
schnittlich mehr als zwei Kinder geboren.
Ihre Familiengründungsphase fiel in die
0,0
Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 der 1950er- und 1960er-Jahre. Bereits in-
früheres Bundesgebiet¹ neue Länder¹ Deutschland
nerhalb der 1930er-Jahrgänge deutete sich
jedoch an, dass die endgültige Kinder-
1 Seit 2001 ohne Berlin. zahl kontinuierlich abnimmt. Besonders
schnell sank sie zwischen den Kohorten

u Abb 4 Kohortenfertilität insgesamt sowie im Alter unter beziehungsweise ab 30 Jahren 2016 — Kinder je Frau

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0
1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985

im Alter von 15 bis 29 Jahren im Alter von 30 bis 49 Jahren

Die Werte zur Fertilität der Jahrgänge 1968 bis 1974 im Alter von 30 bis 49 Jahren beruhen auf einer Schätzung.
Ergebnisse der Geburtenstatistik 2016.

18
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

1934 und 1944 aufgrund des Rückgangs ren bei der ersten Geburt bis zum Ende und der dritten Geburt beträgt gut sie-
des Anteils der Mütter mit vier oder mehr der 1980er-Jahre im Durchschnitt mit ben Jahre. Da immer mehr Frauen erst in
Kindern. Anschließend stabilisierte sich 23 Jahren sehr jung. Nach der deutschen ihren Dreißigern das erste Kind bekom-
die Verteilung der Mütter nach der Zahl Vereinigung stieg das Alter bei der Fami- men, wäre es für einen stabilen Anteil
der geborenen Kinder weitgehend, wobei liengründung in den neuen Ländern der Mütter mit mehr als zwei Kindern
die Kinderlosigkeit kontinuierlich zu- umso schneller. Im Jahr 2016 bekamen erforderlich, dass sich die mittleren Ab-
nahm. Dies führte zu einem weniger ra- die Frauen in Ostdeutschland ihr erstes stände zwischen den Geburten verrin-
santen, jedoch beständigen Rückgang der Kind durchschnittlich im Alter von rund gern. Bisher ist jedoch eine solche Verän-
Kohortenfertilität bis zu den späten 29 Jahren, also sechs Jahre später als noch derung nicht sichtbar. Die seit 2009 ver-
1960er-Jahrgängen. Der jüngste Jahrgang, im Jahr 1989 (23 Jahre). Im bundesdeut- fügbaren Angaben über die vollständige
der das fünfzigste Lebensjahr erreichte schen Durchschnitt waren 2016 die Geburtenfolge der Mütter zeigen, dass
und dessen kumulierte Geburtenziffer ­Mütter beim ersten Kind fast 30 Jahre alt. die Intervalle zwischen den Geburten
daher statistisch als endgültig gilt, ist der Damit verengt sich zunehmend die Le- von 2009 bis 2016 unverändert geblieben
Jahrgang 1967 mit insgesamt 1,50 Kin- bensphase, in der Frauen Familien grün- sind. In 50 % der Fälle kommt ein zwei-
dern je Frau. u Abb 4 den und weitere Kinder zur Welt bringen tes Kind innerhalb von 3,1 Jahren nach
Die endgültige Kinderzahl wird of- können. Eine der Folgen dieser Entwick- dem Erstgeborenen zur Welt. Die ande-
fenbar bei den Jahrgängen 1967 und 1968 lung ist die Zunahme der Geburten bei ren 50 % der zweitgeborenen Kinder ha-
ihren tiefsten Stand erreichen. Danach ist Frauen im Alter ab 40 Jahren. Zwischen ben einen größeren Abstand zum älteren
eine leichte Erholung der Kohortenfertili- 2000 und 2016 stieg der Anteil der Babys Geschwisterkind. Die dritten Kinder fol-
tät zu erwarten. Zu dieser Erholung trägt mit Müttern im Alter ab 40 Jahren von gen in der ­Regel mit einem noch größe-
einerseits bei, dass sich die kumulierte 2,1 % auf 4,0 %. Erste Geburten sind aber ren zeitlichen Intervall nach der Geburt
Kohortenfertilität bis zum Alter von im Alter ab 40 Jahren immer noch relativ des zweiten Kindes: Die Hälfte aller drit-
29 Jahren bei den Jahrgängen 1969 bis selten. Lediglich 2,4 % der ersten Kinder ten Geburten ereignet sich innerhalb von
1973 stabilisierte. Außerdem nahm bei wurden 2016 von Frauen im Alter ab 3,8 Jahren, die andere Hälfte erfolgt noch
Frauen dieser Jahrgänge die Fertilität 40 Jahren geboren. Ab dem Alter von später.
im Alter ab 30 Jahren kontinuierlich zu. 42 Jahren waren es lediglich 0,9 %. Im
Zusammen haben diese beiden Effekte Hinblick auf Kinderlosigkeit bedeutet Zunahme der Geburten durch
für eine günstige Konstellation gesorgt, dies, dass die Kinderlosenquote ab dem ausländische Mütter
die sich jedoch ab dem Jahrgang 1974 Alter von 42 Jahren statistisch als quasi Neben den Veränderungen im Geburten-
nicht mehr fortsetzt. Zwischen den Jahr- endgültig betrachtet werden kann (zur verhalten allgemein beeinf lusst zuneh-
gängen 1974 und 1984 nahm die kumu- Entwicklung der Kinderlosigkeit siehe mend auch die Fertilität der Zuwanderin-
lierte Fertilität bis zum Alter von 29 Jah- Kapitel 2.4, Seite 79). nen das Geburtengeschehen in Deutsch-
ren wieder kontinuierlich ab. Ob der ge- Durchschnittlich zwei Kinder bekom- land (hier: Frauen mit ausländischer
genwärtige Fertilitätsanstieg im Alter ab men Mütter in Deutschland im Lauf­ Staats­a ngehörigkeit). Der Anteil der aus-
30 Jahren dafür ausreicht, die sinkende ihres Lebens. Zwischen den 1930er- und ländischen Frauen an den Frauenjahr-
Geburtenhäufigkeit im jüngeren gebärfä- 1940er-Kohorten sank die durchschnitt­ gängen war bei den frühen 1960er-Jahr-
higen Alter zu kompensieren oder sogar liche Kinderzahl je Mutter von 2,3 auf gängen mit etwa 9 % halb so hoch wie bei
die endgültige Kinderzahl zu erhöhen, ist 2,0. Dazu trug insbesondere der Rück- den 1970er-Jahrgängen mit 18 %. Seit
noch offen. gang der kinderreichen Mütter bei. Der 2014 stieg außerdem die Anzahl der
Anteil der Mütter mit vier oder mehr Kin- poten­ziellen Mütter aus den Ländern mit
Zeitpunkt der Familiengründung dern hatte sich in diesen Jahrgängen von traditionell relativ hoher Kinderzahl je
Der Trend zur späteren Familiengrün- 12 % auf 6 % halbiert. Anschließend stabi- Frau. Im Jahr 2016 betrug die zusammen-
dung kennzeichnet wesentlich das Ge- lisierte sich die Verteilung nach der Zahl gefasste Geburtenziffer der ausländi-
burtenverhalten der letzten vier Jahr- der geborenen Kinder. Die zwischen Mit- schen Frauen 2,28 Kinder je Frau und
zehnte. Der Anteil der Frauen, die noch te der 1940er- und Anfang der 1970er- war ­damit deutlich höher als im Jahr 2011
vor ihrem 30. Geburtstag das erste Kind Jahre geborenen Mütter hatten etwa zu (1,82 Kinder je Frau, Stand nach der
bekommen, nimmt dadurch weiter ab. 31 % »nur« ein Kind, zu 48 % zwei Kinder, durch den Zensus 2011 bedingten Kor-
Anfang der 1970er-Jahre waren Frauen zu 15 % drei Kinder und zu 6 % vier oder rektur der Bevölkerungszahlen). Ausge-
im früheren Bundesgebiet bei der ersten mehr Kinder zur Welt gebracht. hend von den Erfahrungen der früheren
Geburt durchschnittlich gut 24 Jahre alt. Weiterer Familienzuwachs folgt Wanderungsbewegungen ist damit zu
Im Jahr 2016 waren sie mit fast 30 sechs meistens erst nach einigen Jahren. Der rechnen, dass die Fertilität in den ersten
Jahre älter. Die ostdeutschen Frauen wa- mittlere Abstand zwischen der ersten Jahren nach der Flucht aus Kriegs- und

19
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
Abb 5 Wanderungssaldo nach Bundesländern 2016

u Tab 6 Durchschnittliche Lebenserwartung — in Jahren u Abb 5a Wanderungssaldo nach Bundesländern 2016


— Personen insgesamt
Jungen / Männer Mädchen / Frauen

1871/1881 2014/2016 1871/1881 2014/2016 Insgesamt Deutsc


Vollendetes Alter
in Jahren
– 7 724 Thüringen – 18 656
0 35,6 78,3 38,5 83,2
1 46,5 77,6 48,1 82,5 – 6 929 Sachsen-Anhalt

5 49,4 73,6 51,0 78,5


– 4 998 Hessen
10 46,5 68,7 48,2 73,5
– 4 388 Baden-Württemberg
20 38,4 58,8 40,2 63,6
30 31,4 49,1 33,1 53,7 – 4 264 Mecklenburg-Vorpommern

40 24,5 39,4 26,3 43,9


– 3 621 Saarland
50 18,0 30,1 19,3 34,4
– 1 741 Bayern
60 12,1 21,6 12,7 25,3
70 7,3 14,2 7,6 16,9 – 650 Hamburg

80 4,1 7,9 4,2 9,4


Bremen 920
90 2,3 3,7 2,4 4,3
Niedersachsen 1 617
1871/1881: Deutsches Reich; 2014/2016: Deutschland.
Rheinland-Pfalz 1 875

Sachsen 2 188

u Info 4 Nordrhein-Westfalen 3 196


Wanderungsstatistik
Schleswig-Holstein 6 604
Die Wanderungsstatistik erfasst Zu- und Fortzüge, die die Meldebehör-
den den statistischen Ämtern melden. Der Wanderungssaldo ergibt Berlin 7 891
sich aus der Differenz der Zu- und Fortzüge. Das Wanderungsvolumen
bezeichnet die Summe aus der Binnen- und Außenwanderung. Brandenburg 9 873
Zuzüge »von unbekannt« und Fortzüge »nach unbekannt« zählen dabei
zur Außenwanderung.

Die Wanderungsstatistik weist Wanderungsfälle nach, also die Zu- oder


Die Ergebnisse ab Berichtsjahr 2016 sind nur bedingt mit den Vorjahreswerten
Fortzüge über die Gemeindegrenzen, nicht die wandernden Personen. vergleichbar und es kommt zu Einschränkungen bei der Genauigkeit der Ergebnisse,
Durch die Binnenwanderung ändert sich die regionale Verteilung siehe Info 5 sowie die ausführlichen Erläuterungen unter www.destatis.de
> Wanderungen.
der Bevölkerung, aber im Gegensatz zur Außenwanderung nicht die Ein-
wohnerzahl Deutschlands.

Krisengebieten besonders stark ansteigen hatten eine weitere Lebenserwartung 10,0 Jahren, so konnten 65-jährige Frau-
und nach einigen Jahren sinken wird. von 46,5 Jahren (Jungen) beziehungswei- en 2014/2016 durchschnittlich 21,0 wei-
se 48,2 Jahren (Mädchen). Nach den Er- teren Lebensjahren entgegensehen. Von
Lebenserwartung gebnissen der auf die aktuellen Überle- den Frauen, die 2016 starben, war über
Die Lebenserwartung ist in den letzten bensverhältnisse bezogenen Sterbetafel ein Viertel 90 Jahre oder älter. Mindes-
hundert Jahren beträchtlich gestiegen. 2014/2016 betrug die Lebenserwartung tens 100 Jahre alt waren rund 5 700 der
Hierbei spielte die Verringerung der neugeborener Jungen 78,3 und die der gestorbenen Frauen und etwa 900 ver-
Säuglings- und Kindersterblichkeit lange Mädchen 83,2 Jahre. Auch die fernere storbene Männer. u Tab 6
eine entscheidende Rolle. Im Deutschen Lebenserwartung in h ­ öheren Altersjah-
Reich betrug die durchschnittliche Le- ren ist stark gestiegen. So hatten bei- 1.1.3 Wanderungsbewegungen
benserwartung im Zeitraum 1871/1881 spielsweise 65-jährige ­Männer 1871/1881 Neben der natürlichen Bevölkerungs­
für neugeborene Jungen 35,6 Jahre und im Durchschnitt noch 9,6 Jahre zu leben. bewegung (Geburten und Sterbefälle)
für neugeborene Mädchen 38,5 Jahre. In den Jahren 2014/2016 waren es bereits kommt bei der Beobachtung und Analyse
Aber schon Zehnjährige, die das Säug- 17,8 Jahre. Bei den Frauen ist diese Ent- der Einwohnerzahl den sogenannten
lings- und Kleinkindalter mit besonders wicklung noch stärker ausgeprägt: Lag Wanderungen (räumliche Bevölkerungs-
hohen Sterberisiken hinter sich ließen, der Wert für den Zeitraum 1871/1881 bei bewegung) eine zentrale Bedeutung zu.

20
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

u Abb 5b Wanderungssaldo nach Bundesländern 2016 uAbb 5c Wanderungssaldo nach Bundesländern 2016
— deutsche Personen — ausländische Personen

Deutsche Personen Ausländische Personen Ausländische Personen

– 18 656
Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfalen – 7 917 – 7 917
Mecklenburg-Vorpommern Mecklen

– 4 561 Hessen – 4 561 Hessen – 4 710 Sachsen-Anhalt – 4 710 Sachse

– 4 557 Baden-Württemberg – 4 557 Baden-Württemberg – 4 612 Bayern – 4 612 Bayern

– 3 898 Thüringen – 3 898 Thüringen – 3 883 Sachsen – 3 883 Sachse

ern– 2 614 Saarland – 2 614 Saarland – 3 826 Thüringen – 3 826 Thüring

– 2 219 Sachsen-Anhalt – 2 219 Sachsen-Anhalt – 3 457 Brandenburg – 3 457 Brande

– 619 Hamburg – 619 Hamburg – 1 007 Saarland – 1 007 Saarlan

– 567 Bremen – 567 Bremen – 437 Hessen – 437 Hessen

Rheinland-Pfalz 407 Rheinland-Pfalz 407 – 34 Niedersachsen – 34 Nieders

Niedersachsen 1 651 Niedersachsen 1 651 – 31 Hamburg – 31 Hambu

Bayern 2 871 Bayern 2 871 Baden-Württemberg 169 Baden-Württemberg 169

Berlin 3 377 Berlin 3 377 Schleswig-Holstein 340 Schleswig-Holstein 340

g-Vorpommern 3 653 Mecklenburg-Vorpommern 3 653 Rheinland-Pfalz 1 468 Rheinland-Pfalz 1 46

Sachsen 6 071 Sachsen 6 071 Bremen 1 487 Bremen 1 48

eswig-Holstein 6 264 Schleswig-Holstein 6 264 Berlin 4 514 Berlin

Brandenburg 13 330 Brandenburg 13 330 Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfalen


21 852

Die Ergebnisse ab Berichtsjahr 2016 sind nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar Die Ergebnisse ab Berichtsjahr 2016 sind nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar
und es kommt zu Einschränkungen bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 5 sowie und es kommt zu Einschränkungen bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 5 sowie
die ausführlichen Erläuterungen unter www.destatis.de > Wanderungen. die ausführlichen Erläuterungen unter www.destatis.de > Wanderungen.

Die Wanderungen bilden aber auch die Binnenwanderung anschließend nach festen Quoten (König-
Mobilität der Bevölkerung ab. Die Mobi- Die Wanderungsströme innerhalb Deutsch- steiner Schlüssel) in die Bundesländer
lität ist stark altersabhängig und ist am lands resultieren aus verschiedenen Fak- weitergeleitet. Schutzsuchende werden
höchsten bei jungen Erwachsenen, die toren. Zum einen spiegeln sie die wirt- ebenfalls vor dem Asylantragsverfahren
bedingt durch Ausbildung, Studium oder schaftliche Stärke von Ländern und Regi- nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt.
Einstieg ins Berufsleben oder aufgrund onen wider. Bei Ausländerinnen und Im Jahr 2016 wechselten 4,4 Millio-
einer Partnerschaft häufiger umziehen. Ausländern können Netzwerke eine Rolle nen Menschen ihren Wohnsitz über die
Bei den Wanderungen wird zwischen spielen, sodass sie bevorzugt dort hinzie- Gemeindegrenzen innerhalb Deutsch-
den Wohnsitzwechseln von Personen hen, wo Menschen gleicher Herkunft be- lands. In den meisten Fällen blieben
in eine andere Gemeinde innerhalb reits leben. Darüber hinaus gibt es Vertei- die Personen in ihrem Bundesland. Gut
Deutschlands (Binnenwanderung) und lungsquoten für Personen, die als Spät- 27 % aller Binnenwanderungen (rund
solchen über die Grenzen Deutschlands aussiedlerinnen und -aussiedler oder als 1,2 Millionen Umzüge) fanden zwischen
(Außenwanderung) unterschieden. Die Schutzsuchende aufgenommen werden. Bundesländern statt. Diese Wanderun-
Außenwanderung und die Binnenwande- So reisen beispielsweise Aussiedlerinnen gen tragen zur unterschiedlichen Bevöl-
rung bilden zusammen die Gesamtwan- und Aussiedler über eine zentrale Aufnah- kerungsentwicklung in den Ländern
derung. u Info 4 mestelle in Niedersachsen ein und werden bei. u Abb 5

21
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Abb 6 Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und rungsverlust war für Deutsche am höchs-
den neuen Bundesländern sowie Berlin-Ost 1957–2016 — in Tausend ten in Nordrhein-Westfalen (– 18 700 Per-
sonen) und für ausländische Personen in
Mecklenburg-Vorpommern (– 7 900 Per-
450
sonen).
400 Aus historischen Gründen kommt
den Wanderungsströmen zwischen dem
350 früheren Bundesgebiet und den neuen
Ländern und Berlin-Ost bei der Binnen-
300
wanderung eine besondere Bedeutung zu.
Zwischen 1989 und 1991 war eine hohe
250
Abwanderung von Ost nach West festzu-
200 stellen. In den Folgejahren bis 1996 war
die Entwicklung der Wanderungen zwi-
150 schen dem früheren Bundesgebiet und
den neuen Ländern gegenläufig: Die Zu-
100
züge aus den neuen Ländern verringerten
50
sich, die Wanderungen nach Osten stie-
gen an, sodass der Wanderungssaldo
0 1997 nur noch 10 400 Personen betrug.
1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Ab 1998 begann eine neue Wanderungs-
Zuzüge aus den neuen Fortzüge nach den neuen Überschuss an Zuzügen welle von Ost nach West (Wanderungs-
Ländern und Berlin-Ost Ländern und Berlin-Ost saldo 2001: 98 000 Personen), die nach
in das frühere Bundes- aus dem früheren Bundes-
gebiet gebiet 2001 langsam zurückging. Mit einem Ab-
wanderungsüberschuss von 3 300 Perso-
Ab 2000 ohne Berlin. nen im Jahr 2014 wurde ein bisheriger
Die Ergebnisse ab Berichtsjahr 2016 sind nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und es kommt zu
Einschränkungen bei der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 5 sowie die ausführlichen Erläuterungen unter Tiefpunkt beim Ost-West-Wanderungs-
www.destatis.de > Wanderungen.
saldo erreicht. Zuletzt wurde jedoch wie-
der ein Anstieg der Umzüge von Ost
nach West in Relation zu den Umzügen
von West nach Ost verzeichnet: Im Jahr
Dabei verzeichneten Brandenburg, burg eine entscheidende Rolle spielen. 2016 lag der Abwanderungsüberschuss
Berlin und Schleswig-Holstein im Jahr Berlin und insbesondere Nordrhein- bei der Ost-West-Wanderung bei 14 900
2016 die größten Wanderungsgewinne Westfalen waren 2016 bei Umzügen zwi- Personen. Dieser Anstieg wurde wieder-
mit Wanderungssalden von 9 900 Personen schen den Bundesländern beliebte Ziel- um maßgeblich durch die Binnenwande-
(Brandenburg), 7 900 Personen (Berlin) länder für ausländische Personen: Für rung der ausländischer Personen geprägt:
und 6 600 Personen (Schleswig-Holstein). Berlin ergab sich ein Wanderungssaldo – 19 000 Zuzügen von ausländischen Perso-
Die hohen Zuwanderungsüberschüsse also die ­D ifferenz zwischen den Zuzü- nen in die neuen Länder (ohne Berlin) im
von Brandenburg und Schleswig-Hol- gen und Fortzügen – von 4 500 Personen, Jahr 2016 standen 40 300 Fortzüge in die
stein sind insbesondere auf Zuzüge von für Nordrhein-Westfalen ein Saldo von alten Bundesländer gegenüber. Bei den
Deutschen zurückzuführen. So betrug 21 900 Personen. Deutschen standen 80 100 Zuzügen in die
der Wanderungsüberschuss für Zuzüge Die höchsten Abwanderungsverluste neuen Länder (ohne Berlin) 74 000 Fort-
von Deutschen aus anderen Bundes­ bei Umzügen zwischen den Bundes­ züge in die alten Bundesländer gegen-
ländern nach Brandenburg 13 300 Per­ ländern wiesen Thüringen (Saldo: – 7 700 über. Somit verzeichneten die neuen
sonen und nach Schleswig-Holstein Personen) und Sachsen-Anhalt (Saldo: Bundesländer einen Wanderungsüber-
6 300 Personen. Sachsen verzeichnete – 6 900 Personen) auf. In beiden Bundes- schuss von etwa 6 100 Deutschen. u Abb 6
ebenfalls einen Wanderungsgewinn von ländern ergab sich sowohl für Deutsche
etwa 6 100 Deutschen. Bereits 2015 wie- als auch für Personen ohne deutsche Außenwanderung
sen Brandenburg und Schleswig-Holstein Staatsangehörigkeit ein negativer Wande- Die Außenwanderung war kurz nach dem
die höchsten Wanderungsgewinne in der rungssaldo. Allerdings gibt es auch hier Zweiten Weltkrieg vor allem durch die
Binnenwanderung auf. Dabei dürfte die unterschiedliche Muster für deutsche Aufnahme von Vertriebenen aus den
Nähe zu Berlin beziehungsweise Ham- und ausländische Personen: Der Wande- ­O stgebieten des ehemaligen Deutschen

22
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

Reiches und den deutschen Siedlungs­ u Tab 7 Zuzüge von Aussiedlerinnen und Aussiedlern
gebieten im Ausland geprägt. Zwischen Darunter aus
1950 und 1961 folgte eine Zuwanderung Insgesamt
der ehemaligen
aus der ehemaligen DDR: So wurden von Sowjetunion ¹
Polen Rumänien
1950 bis zum Mauerbau am 13. August 1950 –1959 438 225 13 604 292 157 3 454
1961 rund 2,6 Millionen Menschen aus
1960 –1969 221 516 8 571 110 618 16 294
Ostdeutschland als Übersiedlerinnen und
1970 –1979 355 381 56 583 202 718 71 417
Übersiedler im früheren Bundesgebiet
aufgenommen. Ferner kamen zwischen 1980 –1989 984 087 176 565 632 803 151 161

1950 und 2006 rund 4,5 Millionen (Spät-) 1990 –1994 1 291 112 911 473 199 623 171 914
Aussiedlerinnen und Aussiedler in das 1995 –1999 738 064 718 634 4 455 14 440
frühere Bundesgebiet beziehungsweise 2000 – 2004 417 493 413 596 2 382 1 396
seit 1990 nach Deutschland. Davon waren
2005 –2009 56 783 56 310 319 139
rund 2,3 Millionen Menschen aus der
2010 –2014 14 391 14 170 113 101
ehemaligen Sowjetunion sowie deren
Nachfolgestaaten, 1,4 Millionen kamen 2015 6 118 6 096 13 7

aus Polen und weitere 430 000 aus Ru­ 2016 6 588 6 572 9 7
mänien. Im Jahr 1990 wurde mit rund
Seit 1993 einschließlich ausländischer Angehöriger von Aussiedlerinnen und Aussiedlern.
397 000 Personen die mit Abstand höchs- 1 Beziehungsweise Nachfolgestaaten.
Quelle: Bundesverwaltungsamt
te Zahl von Aussiedlerinnen und Aus-
siedlern aufgenommen. In den folgenden
Jahren bis 1995 waren es jährlich zwi-
schen 220 000 und 230 000 Personen.
­Danach gingen die Zahlen stetig zurück.
Seit 2006 werden weniger als 10 000 Aus-
siedlerinnen und Aussiedler jährlich auf-
genommen. Bei diesem Rückgang dürften
zum einen geänderte Einreisebedingun-
gen ab 2005 für Spätaussiedlerinnen und
Spätaussiedler und ihre Familienange­
hörigen eine Rolle spielen. Zum anderen
gibt es in den Herkunftsländern weniger
Personen mit Aussiedlerhistorie. u Tab 7
Durch die Zuwanderung aus dem Os-
ten (aus den früheren deutschen Gebieten
im Osten, der ehemaligen DDR sowie
durch Aussiedlerinnen und Aussiedler)
gab es für die Bundesrepublik Deutsch-
land seit Gründung bis Anfang des neuen
Jahrtausends einen Zuwanderungsge-
winn von Deutschen. Seit 2005 werden
allerdings Wanderungsverluste beobach-
tet: Es wandern also mehr Deutsche ins
Ausland ab, als Deutsche nach Deutsch-
land ziehen. Ein wesentlicher Grund da-
für ist der oben beschriebene Rückgang
der Spätaussiedlerinnen und Spätaussied-
ler, die nach Deutschland kamen. Zeit-
gleich stiegen die Fortzüge deutscher Per-
sonen ins Ausland. So gab es in den
1990er-Jahren rund 110 000 Fortzüge von
Deutschen pro Jahr, im Jahr 2008 lagen

23
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Info 5 uAbb 7 Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland 1954–2016


Methodische Hinweise zu den Ergeb- — in Tausend
nissen der Wanderungsstatistik 2016
Die Ergebnisse der Wanderungsstatistik ab
Außenwanderung Deutsche
Berichtsjahr 2016 sind aufgrund metho­
discher Änderungen, technischer Weiter­ 2 000 Außenwanderung Deutsche
entwicklungen der Datenlieferungen aus dem 2 000
Meldewesen an die Statistik sowie der Um-
stellung auf ein neues statistisches Auf­ 1 500
bereitungsverfahren nur bedingt mit den Vor- 1 500
jahreswerten vergleichbar. Insbesondere
werden seit dem 1. Januar 2016 Zu- und
Fortzüge von Deutschen von beziehungs­ 1 000
weise nach »unbekannt / ohne Angabe« in der 1 000
Wanderungsstatistik unter der Außenwande-
rung verbucht. Zuvor blieben sie weitgehend 500
unberücksichtigt. Daher werden Meldungen 500
von Personen, die zuvor »nach unbekannt«
abgemeldet waren und sich wieder an­
melden, statistisch nur dann als Zuzug »von 0
unbekannt« verarbeitet, wenn die vorherige 01950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Abmeldung »nach unbekannt« in der Statistik 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
berücksichtigt wurde (das heißt seit 2016
stattfand). Da im Gegenzug alle Abmeldungen Außenwanderung Ausländerinnen und Ausländer
von Deutschen »nach unbekannt« ohne Ein- 2 000 Außenwanderung Ausländerinnen und Ausländer
schränkung berücksichtigt wurden, wird eine 2 000
zu niedrige Zahl von Anmeldungen »von un-
bekannt« im Verhältnis zu den Abmeldungen
1 500
»nach unbekannt« und somit eine erhöhte
1 500
Nettoabwanderung von deutschen Personen
nachgewiesen. Dieser methodisch unver-
meidbare Effekt trifft insbesondere auf die 1 000
Ergebnisse 2016 zu und dürfte in den Folge- 1 000
jahren nachlassen. Die sonstigen Ergebnisse
zur Außenwanderung von Deutschen nach
500
Herkunfts- / Zielländern sind von dieser metho-
dischen Änderung nicht betroffen. 500

Darüber hinaus kommt es zu Einschränkun-


0
gen bei der Genauigkeit der Ergebnisse.
01950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
­D iese können zum einen aus der erhöhten
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Zuwanderung und den dadurch bedingten Zuzüge Fortzüge
Problemen bei der melderechtlichen Er­ Zuzüge Fortzüge
fassung Schutzsuchender resultieren. Zum
anderen handelt es sich um Folgeprobleme, Von 1950 bis 1956: ohne Saarland
die sich nach den technischen Umstellungen Von 1950
Von 1954 bis 1956: bis 1956: ohne Saarland
ohne Saarland.
in den Datenlieferungen aus dem Melde­ Von 2008
Von 2008 bis 2010: Die denbis 2010: Die denzugrunde
Wanderungsdaten Wanderungsdaten zugrunde
liegenden Meldungen liegenden
der M Meldungen
eldebehörden enthalten der
wesen und im neuen statistischen Aufberei- Meldebehörden
Von 2008 bis 2010:
­durchgeführt worden sind.
enthalten
zahlreiche Melderegisterbereinigungen, dieden
Die zahlreiche
infolge Melderegisterbereinigungen,
der Einführung
Wanderungsdaten d
 er persönlichen dieMeldungen
infolge derder
Steuer-Identifikationsnummer
zugrunde liegenden Einführung
tungsverfahren ergaben. der
Die Ergebnisse ab persönlichen
Meldebehörden Steuer-Identifikationsnummer
enthalten
Berichtsjahr 2016 sind nur zahlreiche durchgeführt
Melderegisterbereinigungen,
bedingt mit den Vorjahreswerten worden
vergleichbar dieesind.
und infolge
s kommtderzu Einführung
der bei
Einschränkungen persönlichen Steuer-Identifikationsnummer
der Genauigkeit der Ergebnisse, siehe Info 5 sowie durchgeführt worden
die ausführlichen sind. unter
Erläuterungen
Ausführliche methodische Erläuterungen www.destatis.de > Wanderungen.
Die Ergebnisse ab Berichtsjahr 2016 sind nur bedingt mit den Vorjahreswerten vergleichbar und
finden sich unter www.destatis.de es kommt
Die zu Einschränkungen
Ergebnisse bei der
ab Berichtsjahr 2016 Genauigkeit
sind dermit
nur bedingt Ergebnisse, siehe Info Xvergleichbar
den Vorjahreswerten sowie die und
> Wanderungen. ausführlichen
es Erläuterungen unter
kommt zu Einschränkungen beiwww.destatis.de bei den
der Genauigkeit der Wanderungen.
Ergebnisse, siehe Info X sowie die
ausführlichen Erläuterungen unter www.destatis.de bei den Wanderungen.

sie bei 175 000 Personen. Allerdings hat Jahr 2016 wurden rund 146 000 Zuzüge tigt werden (siehe Info 5). Rechnet man
sich die Abwanderung mit Beginn der Fi- und 281 000 Fortzüge von deutschen Per- diese Effekte heraus, werden 2016 sowohl
nanzmarkt- und Wirtschaftskrise im Jahr sonen verzeichnet. Hintergrund dieser bei den Zuzügen (115 000 Personen) als
2008 wieder reduziert und blieb bis 2015 starken Veränderung sind methodische auch bei den Fortzügen (131 000 Perso-
mit jährlich 130 000 bis 140 000 Fortzü- Änderungen, wodurch die Zu- und Fort- nen) keine wesentlichen Veränderungen
gen konstant. Demgegenüber standen züge deutscher Personen, deren bisheri- gegenüber den Vorjahren verzeichnet.
Zuzüge aus dem Ausland von Deutschen ger ­b eziehungsweise neuer Wohnort Hauptzielländer von auswandernden
in der Größenordnung 115 000 bis knapp nicht bekannt war, seit 2016 in der Wan- Deutschen waren im Jahr 2016 die Schweiz
über 120 000 zwischen 2009 und 2015. Im derungsstatistik zusätzlich berücksich- mit 17 700 Personen, die Vereinigten

24
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

Staaten mit 12 800 Personen und Öster- aus Ländern, die 2004, 2007 beziehungs- u Info 6

reich mit 10 300 Personen. u Info 5, Abb 7 weise 2013 der EU beigetreten sind (siehe Erfassung der Schutzsuchenden
Ab Anfang der 1960er-Jahre hatte die Kapitel 11.1, Seite 414, Abb 1). Auch in der Wanderungsstatistik
Zu- und Abwanderung von ausländi- ­haben 2011 – nach Ablauf der letzten Ein- Schutzsuchende Personen sind grundsätz-
schen Personen durch die Anwerbung schränkungen zum Arbeitsmarktzugang lich meldepflichtig, sobald sie in Deutsch-
land angekommen sind, und damit grund-
ausländischer Gastarbeiter erheblich an für die 2004 beigetretenen Länder – die sätzlich bei ihrer Ankunft in Deutschland
Bedeutung gewonnen. Die Wanderungs- Zuzüge von dort stark zugenommen. Das in der Wanderungsstatistik enthalten. Der
Status als Schutzsuchende beziehungs­
ströme ausländischer Staatsangehöriger gleiche gilt seit 2013 für Rumänien und
weise Schutzsuchender wird in der Wande-
zwischen dem früheren Bundesgebiet Bulgarien. rungsstatistik nicht erfasst. Im Herbst 2015
und dem Ausland verzeichneten ein rela- Im Jahr 1992 hatte die Zuwanderung konnten allerdings nicht alle Schutzsuchen-
den zeitnah erfasst werden und w ­ urden
tiv hohes Wanderungsvolumen mit jähr- ausländischer Staatsangehöriger mit ­teilweise nacherfasst. Zur Abschätzung der
lich hohen Zu- und Fortzugszahlen. Da- 1,2 Millionen Personen einen ersten Hö- Wanderungsbewegungen von Schutzsuchen-
bei war der Wanderungssaldo zeitweilig hepunkt erreicht. Gründe waren die Öff- den werden die Wanderungsfälle von Staats-
angehörigen von Staaten mit einem hohen
positiv und zeitweilig negativ und spie- nung der Grenzen zu Osteuropa und die Anteil an Schutzsuchenden wie Syrien oder
gelte den Konjunkturverlauf in Deutsch- Flucht vieler Menschen vor dem Bürger- Irak betrachtet.
land wider. krieg im ehemaligen Jugoslawien. Danach
Seit Mitte der 1970er-Jahre wird das war die Tendenz mit einigen Schwankun-
Wanderungsverhalten der Ausländerin- gen bis 2006 eher rückläufig. So kamen
nen und Ausländer von anderen Faktoren 2006 rund 558 000 Menschen nach
beeinflusst, zum Beispiel dem Familien- Deutschland. In den Folgejahren stieg die
nachzug oder der politischen, wirtschaft- Zuwanderung wieder erheblich an. Infol- Die Abwanderung von Ausländerin-
lichen oder sozialen Situation in den Her- ge der Wirtschaftskrise in den südeuropä- nen und Ausländern erreichte 1993 mit
kunftsländern. Insbesondere politische ischen Ländern sowie des Beitritts vieler 711 000 Personen einen ersten Höhe-
Umbrüche, Öffnung von Grenzen sowie osteuropäischer Länder zur EU 2004 be- punkt. Danach war die Tendenz bis 2007
Krisen können Auswanderungswellen ziehungsweise 2007 nahm die Zuwande- rückläufig, abgesehen von einem vorü-
nach Deutschland auslösen. Zudem wir- rung aus diesen Ländern sprunghaft zu. bergehenden Anstieg in den Jahren 1997,
ken sich Maßnahmen der Bundesregie- Ab 2014 kam infolge der temporären Öff- 1998 und 2004 infolge der Rückkehr
rung zur Steuerung der Wanderungs­ nung der Grenzen (Balkanroute) der ­bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge.
ströme aus. Von besonderer Bedeutung Strom von Schutzsuchenden aus den von Die Fortzugszahlen zwischen 2008
sind in diesem Zusammenhang der 1973 Krieg gezeichneten Ländern (vor allem und 2010 sind durch bundesweite Berei-
erlassene Anwerbestopp, das Rückkehr- Syrien, Afghanistan, Irak) dazu. So wur- nigungen der Melderegister überhöht
hilfegesetz von 1983 sowie asylrechtliche den im Jahr 2014 rund 1,3 Millionen Zu- und mit den Vor- und Folgejahren nicht
Neuregelungen wie die Änderung des züge ausländischer Personen verzeichnet vergleichbar. Die Bereinigungen führten
Grundgesetzes (Artikel 16a) im Jahr 1993. und im Jahr 2015 wurde mit über 2 Milli- zu zahlreichen Abmeldungen von Amts
Diese Regelungen bewirkten zum Beispiel, onen Zuzügen der bisherige höchste wegen, die sich in den Fortzugszahlen
dass Einreisen zum Zweck der Asylsuche Stand erreicht. Rund 43 % der Personen niedergeschlagen haben.
nach 1993 erheblich zurückgingen. In den (865 000) kamen dabei aus der EU, 41 % Seit 2011 steigt die Zahl der Fortzüge
Jahren 2015 und 2016 wurden auch politi- (833 700 Personen) aus dem außereuropä- von Ausländerinnen und Ausländern
sche Maßnahmen ergriffen, die die massi- ischen Ausland und 14 % aus einem sons- wieder an und lag 2016 bei 1 084 000 Fäl-
ve Zuwanderung von Schutzsuchenden tigen Land aus Europa (284 900 Perso- len. Da viele Zugewanderte, vor allem aus
zuerst ermöglicht und danach durch das nen). Eine große Rolle bei diesem Anstieg der EU, nicht dauerhaft in Deutschland
EU-Abkommen mit der Türkei oder das dürfte die Zuwanderung von Schutz­ bleiben und nach einer kürzeren oder
Aussetzen des Familiennachzugs einge- suchenden spielen (Syrien: 326 000 Zuzü- längeren Zeit in ihr Herkunftsland zu-
dämmt haben. Zunehmend wird die Zu- ge; Afghanistan: 94 600; Irak: 71 700). Im rückkehren beziehungsweise in ein ande-
wanderung auch durch Beschlüsse auf Jahr 2016 war die Zuwanderung von res Land weiterziehen, geht eine hohe Zu-
Ebene der Europäischen Union (EU) be- Nichtdeutschen wieder leicht rückläufig, wanderung zeitversetzt mit einer hohen
einflusst, unter anderem durch EU-Erwei- allerdings mit über 1,7 Millionen Zuzü- Abwanderung einher.
terungen, Freizügigkeitsregelungen, Ab- gen immer noch auf einem sehr hohen Der Wanderungssaldo war seit Beginn
kommen mit Ländern der Europäischen Niveau. Die Haupt­herkunftsländer 2016 der Statistik in den 1950er-Jahren über-
Freihandelszone (EFTA-Ländern) oder waren Rumänien (212 200 Zuzüge), Polen wiegend positiv. Lediglich in konjunktu-
veränderten Visaregelungen. Dies zeigt (159 400 Zuzüge) und Syrien (155 200 Zu- rell schlechten Zeiten der 1960er- und
sich beispielsweise im Anstieg der Zuzüge züge). u Info 6 1970er-Jahre, in der Zeit des Rückkehr­

25
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Info 7 1.1.4 Auswirkungen des · Abflachen der anfangs sehr hohen jähr-
Bevölkerungsvorausberechnung ­demografischen Wandels lichen Nettozuwanderung von 750 000
Die langfristigen Bevölkerungsvorausberech- Ein Vergleich des Altersaufbaus der Be- Personen auf 200 000 Personen inner-
nungen zeigen, wie sich Bevölkerungszahl völkerung im Jahr 2016 und im Jahr der ha lb von fünf Jahren bis zum
und -struktur unter bestimmten Annahmen
zum Geburtenverhalten, zur Sterblichkeit
deutschen Vereinigung 1990 zeigt an- Jahr 2021; Wanderungssaldo anschlie-
und zu den Wanderungen entwickeln werden. schaulich, dass sich Deutschland bereits ßend bei 200 000 Personen pro Jahr.
Sie liefern somit »Wenn-dann-Aussagen« mitten im demografischen Wandel befin- Trotz einer verbesserten Ausgangslage, die
und helfen, den Einfluss der demografischen
Prozesse auf die Bevölkerungsdynamik zu det. Zwischen 1990 und 2011 hat die Zahl durch den bereits vorangeschrittenen de-
verstehen. der Geborenen fast stetig abgenommen. mografischen Wandel, eine starke Netto-
Da sich demografische Prozesse nur sehr all- Seit 2012 nahmen die Geburten zwar et- zuwanderung und gestiegene Geburten-
mählich vollziehen, entfaltet sich das volle was zu, die jüngeren Jahrgänge sind aber zahlen bedingt ist, ist ein Bevölkerungs-
Ausmaß ihres Einflusses erst nach mehreren
immer noch relativ gering besetzt. Die rückgang in Deutschland auf lange Sicht
Jahrzehnten. Deshalb kann eine Bevölke-
rungsvorausberechnung nur dann ihren Zweck stark besetzten Jahrgänge der 1950er- kaum zu vermeiden. Die wesentliche Ur-
erfüllen, wenn sie entsprechend lange Zeit- und 1960er-Jahre sind in das höhere sache des Bevölkerungsrückgangs – weni-
räume umfasst. Um neuere Entwicklungen
zu berücksichtigen, aktualisieren die statisti-
­Erwerbsalter gekommen. Die Anzahl der ger Neugeborene als Sterbefälle – besteht
schen Ämter ihre Bevölkerungsvorausberech- ab 70-Jährigen ist von 8,1 Millionen auf weiter fort und wird sich langfristig noch
nungen regelmäßig. 12,9 Millionen Personen gestiegen. Das stärker als in der Vergangenheit auswirken.
In der Regel werden mehrere Varianten der Medianalter – also das Alter, das die Be- Die Zahl der Geborenen wird voraus-
künftigen Entwicklung berechnet. Damit völkerung in eine jüngere und eine ä­ ltere sichtlich bis zum Jahr 2020 stabil bleiben.
­werden einerseits unterschiedliche Tenden-
zen in den demografischen Prozessen be- Hälfte teilt – hat sich infolgedessen um Dafür sorgt eine derzeit günstige Alters-
rücksichtigt und andererseits Unsicherheiten acht Jahre von 37 auf 45 Jahre erhöht. struktur in Bezug auf potenzielle Mütter:
der Zukunftsannahmen verdeutlicht. Gleichzeitig ist die »Bevölkerungspyra- Die r­ elativ gut besetzten 1980er-Jahrgän-
Eine ausführliche Darstellung der Annahmen mide« symmetrischer geworden. Insbe- ge (Kinder der sogenannten Babyboom-­
und Ergebnisse der 13. koordinierten Be­
sondere bei den oberen Altersklassen Generation) sind noch einige Jahre im
völkerungsvorausberechnung sowie der auf
Basis des Jahres 2015 aktualisierten Rech- macht sich bemerkbar, dass mittlerweile ­A lter von Mitte 20 bis Mitte 30, in dem die
nung (Variante 2A »Kontinuierliche Entwick- nicht nur Frauen, sondern auch Männer Geburtenhäufigkeit besonders hoch ist.
lung bei stärkerer Zuwanderung«) ist unter
www.destatis.de abrufbar. Die Veränderun-
ein höheres Lebensalter erreichen. Der Anschließend wird aber die Zahl der po-
gen im Altersaufbau der Bevölkerung werden aktuelle Altersaufbau wird für die künf­ tenziellen Mütter deutlich sinken, da die
anhand der animierten Bevölkerungspyra­ tige Bevölkerungsentwicklung – trotz schwach besetzten Jahrgänge der 1990er-
miden veranschaulicht. Die interaktive An-
wendung bietet auch die Möglichkeit, die
Zuwanderung und Geburtenanstieg der Jahre dieses wichtige gebärfähige Alter
Ver­ä nderungen gleichzeitig in drei verschie- letzten Jahre – große Herausforderungen erreichen werden. Die Zahl der Gebore-
denen Bundesländern zu verfolgen. für Wirtschaft und soziale Sicherungs- nen wird dadurch auch bei einer stabilen
Die 14. koordinierte Bevölkerungsvoraus­ systeme mit sich bringen. Geburtenziffer zurückgehen und im Jahr
berechnung ist für 2019 geplant. Eine Vorstellung darüber, wie sich 2060 voraussichtlich gut 600 000 betragen.
die Bevölkerung künftig entwickeln Die Zahl der Sterbefälle wird dagegen
wird, kann mithilfe von Bevölkerungs- steigen, da die geburtenstarken Jahrgän-
vorausberechnungen gewonnen wer- ge, die heute im mittleren Alter sind, im
den. u Info 7 Vorausberechnungszeitraum in das hohe
hilfegesetzes in den 1980er-Jahren und Eine aktualisierte Variante der 13. ko- Alter aufrücken, in dem die Sterblichkeit
nach Kriegsende in Bosnien 1997/1998 ordinierten Bevölkerungsvorausberech- natürlicherweise größer ist. Diesem Effekt
fiel der Saldo negativ aus. Die bis dahin nung geht vom Bevölkerungsstand am der aktuellen Altersstruktur steht die zu-
höchsten Wanderungsüberschüsse (mehr Ende des Jahres 2015 aus und nimmt nehmende Lebenserwartung der Bevöl-
als 600 000 Personen Zugewinn pro Jahr) auch eine kontinuierliche demografische kerung gegenüber. Sie verlangsamt den
wurden zur Zeit der Wende im ehema­ Entwicklung an. Im Einzelnen beruht sie Anstieg der Sterbefälle. Die Zahl der Ge-
ligen Ostblock und des jugoslawischen auf den folgenden Hypothesen: storbenen wird demnach von 925 000 im
Bürgerkrieges zwischen 1989 und 1992 · zusammengefasste Geburtenziffer von Jahr 2015 auf fast 1,1 Millionen Personen
verzeichnet – als Folge der hohen Zu­ 1,5 Kindern je Frau bei einem steigen- Anfang der 2050er-Jahre steigen und an-
wanderung in diesen Jahren. Seit 2011 den durchschnittlichen Alter der Frau schließend bis zum Jahr 2060 auf etwa
werden wieder hohe Wanderungsüber- bei der Geburt des ersten Kindes, 1,05 Millionen Personen sinken.
schüsse mit einem Höchstwert im Jahr · Zunahme der Lebenserwartung um Das Geburtendefizit wird sich infolge
2015 verzeichnet (2014: + 577 000 Perso- 6,5 Jahre bei Männern beziehungswei- dieser Entwicklung der Geburten und
nen; 2015: + 1 157 000; 2016: + 635 000). se 5,5 Jahre bei Frauen, Sterbefälle erheblich vergrößern. Im Jahr

26
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1

2015 betrug es 188 000 Personen. Es wird Jahre. Im Jahr 2015 waren 49,8 Millionen werbsalter, das dann von 20 bis 66 Jahren
sich bis 2060 auf gut 400 000 Personen Menschen im Alter zwischen 20 und reicht. Die Anhebung führt damit zu
mehr als verdoppeln. Die Nettozuwande- 64 Jahren. Ihre Zahl wird demnach ab ­einem niedrigeren Altenquotienten im
rung wird diese immer stärker aufklaf- 2020 deutlich zurückgehen und 2035 Jahr 2060 von 52.
fende Lücke auf Dauer kaum schließen etwa 44 Millionen Personen betragen. Im Der Jugendquotient (siehe Info 3) wird
können und die Bevölkerungszahl wird Jahr 2060 werden dann etwa 40 Millio- im Vorausberechnungszeitraum zwischen
ab den 2030er-Jahren spürbar sinken. nen Menschen im Erwerbsalter sein 29 und 32 liegen.
Die Relation zwischen Alt und Jung (– 20 %). Wird das Erwerbsalter mit 67 Der Gesamtquotient – als Summe des
wird sich stark verändern. Ende 2015 statt mit 65 Jahren abgegrenzt, so werden Jugend- und Altenquotienten – wird un-
­waren noch 18 % der Bevölkerung jünger 2035 noch etwa 46 Millionen Personen ter Voraussetzung einer stabilen Gebur-
als 20 Jahre und auf die 65-Jährigen und und 2060 noch knapp 42 Millionen Per- tenrate von der Entwicklung des Alten-
Älteren entfielen 21 %. Die Personen im sonen dazugehören. Das wären 2060 quotienten dominiert. Unter den getrof-
sogenannten Erwerbsalter (hier von 20 dann rund 2 Millionen Personen mehr fenen Annahmen wird er von 65 im Jahr
bis 64 Jahre, siehe Info 3) stellten 61 % der als bei der Altersgrenze 65 Jahre. 2015 bis zum Jahr 2036 auf 87 steigen,
Bevölkerung. Im Jahr 2060 werden dage- Die Anzahl der ab 65-Jährigen wird sich danach bis Mitte der 2040er-Jahre
gen 17 % unter 20 Jahre alt sein und 31 % besonders deutlich in den kommenden stabilisieren und anschließend bis zum
65 Jahre oder älter. Im Erwerbsalter wird Jahrzehnten bis zum Jahr 2036 wachsen. Jahr 2060 auf 93 klettern.
sich dann nur etwa die Hälfte der Bevöl- Bei einer kontinuierlichen demografi- Die 13. koordinierte Bevölkerungs­
kerung (52 %) befinden. schen Entwicklung entsprechend den ge- vorausberechnung zeigt, dass die Alte-
Die Gesamtzahl der unter 20-Jährigen troffenen Annahmen wird sie 2037 gut rung der Bevölkerung in den nächsten
war im Ausgangsjahr 2015 mit 15,1 Milli- 23,5 Millionen Personen betragen und Jahrzehnten unabwendbar ist. Die aktu-
onen Kindern und Jugendlichen nahezu damit um etwa 36 % höher sein als im elle Altersstruktur führt dazu, dass ab
um 2,6 Millionen geringer als noch vor Jahr 2015 (17,3 Millionen Personen). Zwi- Mitte der 2020er-Jahre immer mehr
20 Jahren (1995: 17,6 Millionen Personen). schen 2036 und 2060 wird diese Alters- Menschen im Rentenalter verhältnis­
Sie wird bis zum Jahr 2060 bei einer kon- gruppe – trotz einer voraussichtlich sin- mäßig schwach besetzten Jahrgängen im
tinuierlichen demografischen Entwick- kenden Zahl der Gesamtbevölkerung – Erwerbsalter gegenüberstehen. Im Jahr
lung auf 13,2 Millionen sinken. Die An- fast unverändert bleiben. 2030 werden die Angehörigen des Jahr-
zahl der Kinder unter 6 Jahren wird von Die Entwicklungen bei den 65- bis gangs 1964, des geburtenstärksten Jahr-
der Geburtenentwicklung bestimmt. Sie 79-Jährigen und bei den ab 80-Jährigen gangs der Nachkriegszeit, 66 Jahre alt.
wird von 4,3 Millionen Kindern im Jahr unterscheiden sich indessen deutlich. Die Von diesen Veränderungen werden viele
2015 bis Anfang der 2020er-Jahre voraus- jüngere Seniorengruppe wird vor allem Lebensbereiche betroffen sein. Sie werden
sichtlich auf 4,6 Millionen zu­nehmen zwischen 2025 und 2035 deutlich wach- nicht erst in 50 Jahren spürbar sein, son-
und dann allmählich bis 2040 auf 3,9 Mil- sen, bis die stark besetzten Jahrgänge dern auch schon in den nächsten zwei
lionen Kinder abnehmen und anschlie- ­a llmählich ins höhere Alter wechseln. Jahrzehnten eine große Herausforderung
ßend relativ stabil bleiben. Die Anzahl Die Zahl der Hochbetagten – also der ab darstellen.
der 6- bis 17-Jährigen wird von 9 Millio- 80-Jährigen – wird dagegen fast kontinu-
nen im Jahr 2015 bis Anfang der 2030er- ierlich bis 2050 zunehmen. Um 2050 wird
Jahre um etwa 400 000 junge Menschen sie ihr Höchstniveau mit knapp 10 Milli-
steigen und anschließend bis 2050 auf onen Personen erreichen. Dann wird sie
8 Millionen sinken. mehr als doppelt so groß sein wie im Jahr
Die Bevölkerungszahl im erwerbs­ 2015 (4,7 Millionen Menschen).
fähigen Alter (hier: von 20 bis 64 Jahren) Der Bevölkerung im Erwerbsalter
wird in den nächsten Jahrzehnten vo­ werden künftig immer mehr Senioren ge-
raussichtlich fast kontinuierlich abneh- genüberstehen. Im Jahr 2015 entfielen
men. Denn die stark besetzten Jahrgänge auf 100 Personen im Erwerbsalter (20 bis
der Babyboomer, die derzeit die ältere 64 Jahre) 35 Ältere (65 oder mehr Jahre).
Hälfte der Bevölkerung im Erwerbsalter Im Jahr 2060 werden es bei einer konti-
stellen, werden in den kommenden zwei nuierlichen demografischen Entwicklung
Jahrzehnten schrittweise aus dem Er- 60 ältere Menschen sein.
werbsleben ausscheiden. Ihnen folgen Eine Heraufsetzung des Rentenein-
dann die deutlich geringer besetzten Ge- trittsalters auf 67 Jahre bedeutet weniger
burtsjahrgänge der 1970er- und 1980er- Menschen im Renten- und mehr im Er-

27
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

1.2 Wie viele Menschen mit ausländischen


Wurzeln leben in Deutschland? Welche
Eine reine Auswertung der Staatsan-
gehörigkeit würde diese Bevölkerungs-
Bevölkerung Auswirkungen hat die Einwanderung auf gruppen unsichtbar bleiben lassen. Durch
mit Migrations- die Bevölkerungsstruktur? Wo gelingt
die Integration dieser Menschen und wo
das Konzept des Migrationshintergrunds
können für diese Menschen zum Beispiel
­hintergrund gibt es Nachholbedarf? Um den Blick auf die demografischen Merkmale erfasst und
diese Fragen zu richten, verwendet die ihre Integration in die deutsche Gesell-
amtliche Statistik seit 2005 das Konzept schaft analysiert werden. u Info 1
Florian Göttsche
der »Bevölkerung mit Migrationshinter-
grund«. Es umfasst Menschen, die nicht 1.2.1 Historische Entwicklung
Statistisches Bundesamt als deutsche Staatsbürger in Deutschland der Zuwanderung
(Destatis) geboren sind oder bei denen mindestens Im Jahr 2017 lebten in Deutschland
ein Elternteil nicht als deutscher Staats- 19,3 Millionen Menschen mit einem Mi­
bürger in Deutschland geboren wurde. g rat ionshinterg r u nd, davon wa ren
Das betrifft alle Ausländerinnen und Aus- 6,1 Millionen Menschen, die in Deutsch-
länder, alle Eingebürgerten, alle (Spät-) land geboren sind und 13,2 Millionen
Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler so- Zuwanderinnen und Zuwanderer. Diese
wie die mit deutscher Staatsangehörigkeit Personen sind im Ausland geboren und
geborenen Kinder dieser drei Gruppen. im Lauf ihres Lebens nach Deutschland
Damit wird die zuvor verwendete Unter- zugewandert; daher besitzen sie eigene
scheidung nach deutscher und ausländi- Migrationserfahrung. Die Zuwanderung
scher Bevölkerung stärker differenziert. nach Deutschland begann bereits Anfang
Diese Unterscheidung wurde notwendig, der 1950er-Jahre mit dem Zuzug von
weil es mehrere Gruppen gibt, die zwar Aussiedlerinnen und Aussiedlern. Diese
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, Menschen sind Angehörige deutscher
jedoch Wurzeln im Ausland haben: Minderheiten aus mehreren Ländern
· Seit 1950 hat Deutschland insgesamt Mittel- und Osteuropas und teilweise
gut 4,5 Millionen Aussiedlerinnen und Zentralasiens, darunter vor allem aus den
Aussiedler sowie Spätaussiedlerinnen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion so-
und Spätaussiedler aufgenommen, da­ wie aus Polen und Rumänien. Sie sind
runter allein von 1988 bis 1999 mehr Nachkommen von Deutschen, die vor
als 2,6 Millionen. mehreren Jahrhunderten in diese Länder
· Seit 1950 wurden in Deutschland mehr ausgewandert waren und dort über Gene-
als 5,5 Millionen Menschen eingebürgert. rationen hinweg ihre Sprache und Kultur
Im Zeitraum von 1990 bis 2007 erfolgten beibehalten hatten. Die Bundesrepublik
insgesamt knapp 3,5 Millionen Einbür- Deutschland hatte 1953 mit dem Bundes-
gerungen; das sind durchschnittlich über vertriebenengesetz eine rechtliche Grund-
192 000 pro Jahr. Danach schwankte lage für die Rückkehr dieser Menschen
die jährliche Zahl von Einbürgerungen geschaffen. Von 1950 bis 2017 kamen mehr
zwischen 95 000 und 112 000. als 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedlerinnen
· Seit 2000 wurden 551 000 sogenannte und (Spät-)Aussiedler, der Großteil von
»Optionskinder« geboren, die über die 1985 bis 2004.
deutsche Staatsangehörigkeit verfügen, Die Ankunft der Gastarbeiterinnen
obwohl dies bei beiden Elternteilen und Gastarbeiter in den 1950er- und
nicht der Fall ist. 1960er-Jahren unter anderem aus Italien,
· Laut Mikrozensus hatte im Jahr 2017 Spanien, Griechenland, der Türkei, Por-
mehr als jedes dritte der 755 000 Neuge- tugal und dem ehemaligen Jugoslawien
borenen Eltern(teile) mit ausländischen war das zweite bedeutsame Ereignis in
Wurzeln. Das waren 303 000 Babys, von der Zuwanderungsgeschichte Deutsch-
denen geschätzt 214 000 mit deutscher lands. Durch die lange Aufenthaltsdauer
Staatsangehörigkeit geboren wurden. dieser Menschen sind aus dieser Zuwan-

28
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

derung in der Zwischenzeit neue Genera-


tionen entstanden. Ehemalige Gastarbei-
terinnen und Gastarbeiter haben in
Deutschland Kinder und teilweise sogar
bereits Enkel bekommen. Daher bilden
auch heute noch Menschen mit Wurzeln
in diesen sogenannten Gastarbeiter-An-
werbeländern eine sehr bedeutende
Gruppe der Bevölkerung mit Migrations-
hintergrund in Deutschland (6,6 Millio-
nen Menschen).
Die Europäische Union (EU) war für
die Bundesrepublik Deutschland schon
immer eine der wichtigsten Herkunftsre-
gionen der Zuwanderinnen und Zuwan-
derer. Beispielsweise konnte auch in jün-
gerer Vergangenheit auf dem Höhepunkt
der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
2008/2009 ein verstärkter Zuzug über-
durchschnittlich gut gebildeter Personen
aus den betroffenen Krisenländern wie
Spanien registriert werden. Zusammen
5,1 Millionen der insgesamt 13,2 Millio- u Info 1

nen in Deutschland lebenden Zuwande- Definition des Migrationshintergrunds


rinnen und Zuwanderer kamen aus einem Der Migrationsstatus einer Person wird aus ihren persönlichen Merkmalen zu Zuzug, Einbürge-
Mitgliedstaat der EU. Es ist sinnvoll, die rung und Staatsangehörigkeit bestimmt sowie aus den entsprechenden Merkmalen ihrer Eltern.
Beim Nachweis des Migrationsstatus wird zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
Zuwanderung aus EU-Mitgliedstaaten unterschieden.
danach zu unterscheiden, in welchem
Angaben zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund ermöglicht seit 2005 der Mikrozensus
Jahr der EU-Beitritt erfolgte (siehe hierzu durch einen erweiterten Fragenkatalog. Hierbei handelt es sich um Personen, die entweder selbst
Kapitel 11.1, Seite 414, Abb 1). Grund da- nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind oder aber mindestens einen Elternteil
für ist, dass die 3,4 Millionen Zuwande- haben, der nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Daher haben folgende Perso-
nengruppen nach dieser Definition einen Migrationshintergrund:
rer aus den seit 2004 beigetretenen EU-
‧‧ Ausländerinnen und Ausländer
Mitgliedstaaten für die Einwanderung in
‧‧ Eingebürgerte
Deutschland bedeutsamer sind und einer ‧‧ (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler
größeren Dynamik unterliegen als die ‧‧ Kinder dieser drei Gruppen
1,7 Millionen Zuwanderer aus den alten Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche einen Migrationshintergrund haben können,
Mitgliedstaaten. Europa als Kontinent – wenn wenigstens ein Elternteil ausländisch, eingebürgert oder (Spät-)Aussiedler ist. Dieser Migra­
tionshintergrund leitet sich dann ausschließlich aus den Eigenschaften der Eltern ab. Die Betroffenen
das heißt die EU-Staaten und die sonsti- können diesen Migrationshintergrund aber nicht an ihre Nachkommen »vererben«, weil sie selbst
gen europäischen Staaten – ist weiterhin mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind.
die wichtigste Herkunftsregion der Die deutsche Staatsangehörigkeit wird im Regelfall kraft Gesetzes, ohne Antrag oder behördliches
Z uwanderinnen und Zuwanderer in
­ Zutun mit der Geburt erworben. Dies gilt für Kinder eines deutschen Elternteils (sogenanntes
Deutschland. Rund 67 % der insgesamt Abstammungs- oder ius-sanguinis-Prinzip) und für in Deutschland geborene Kinder ausländischer
Eltern, wenn wenigstens ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes zum Daueraufenthalt
13,2 Millionen Menschen dieser Perso- in Deutschland berechtigt ist und sich seit mindestens acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhält (soge-
nengruppe stammten aus einem europä- nanntes Territorial- oder ius-soli-Prinzip).
ischen Staat. Seit dem Jahr 2000 erwerben »ius-soli-Kinder« – auch Optionskinder genannt – mit der Geburt
Seit dem Jahr 2014 rückte der Zuzug die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren in Deutschland gelebt hat
und zum Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Daneben haben sie die
von Schutzsuchenden stark in den Fokus ausländische Staatsbürgerschaft ihrer Eltern, also eine doppelte Staatsbürgerschaft. Mit Erreichen
des öffentlichen Interesses. Diese Perso- der Volljährigkeit mussten sie sich jedoch früher bis zu ihrem 23. Geburtstag für eine Staats­
nengruppe kommt insbesondere aus den bürgerschaft entscheiden (Optionspflicht). Im Jahr 2014 wurde die Optionspflicht neu geregelt.
Die Regelungen zum Erwerb der Staatsangehörigkeit selbst bleiben unverändert, es entfällt jedoch
Staaten des Nahen und Mittleren Ostens die Optionspflicht für in Deutschland aufgewachsene ius-soli-Kinder, das heißt, diese Kinder müssen
(zum Beispiel Syrien, Iran, Irak) und Nord- sich nicht mehr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden.

29
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Info 2 u Abb 1 Bevölkerung mit Migrationshintergrund — in Millionen


Methodischer Hinweis
zur korrigierten Hochrechnung
Der Mikrozensus 2005 bis einschließlich 24
2010 nutzt für die Hochrechnung der Ergeb-
nisse Hochrechnungsfaktoren, die auf den 22
fortgeschriebenen Ergebnissen der Volks-
zählung 1987 basieren. Der Zensus 2011 hat 20
jedoch gezeigt, dass diese fortgeschriebenen
Ergebnisse verzerrt waren: Es lebten zum 18
Stichtag des Zensus 2011 etwa 400 000 Deut-
sche und rund 1,1 Millionen Ausländerinnen 16
und Ausländer weniger in Deutschland als bis-
her angenommen. Die Jahrgänge vor 2011 14
wurden jedoch nicht offiziell revidiert und neu
hochgerechnet. Die Ergebnisse der Mikrozen- 12
sus-Jahrgänge 2005 bis 2010 sind daher nicht
ohne Weiteres mit denen ab 2011 vergleichbar. 10

Im Jahr 2017 hat das Statistische Bundesamt 8


jedoch aufgrund einer Anforderung des Sta-
tistischen Amtes der Euro­päischen Union 6
(Eurostat) Bevölkerungseckzahlen auf Basis
des Zensus 2011 bis einschließlich 1990 zu- 4
rückgerechnet. Diese Eckzahlen wurden
nach Bundesländern, Nationalität (deutsch/ 2
ausländisch), Geschlecht und Altersgruppen
berechnet und bilden die Ausgangslage für
0
die Neuberechnung der Hochrechnungs­ 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
faktoren. Die bestehenden Hochrechnungs-
faktoren wurden so mit Korrekturwerten
­versehen, dass der Mikrozensus die Eckzah- mit Migrationshintergrund Deutsche mit Migrations- Deutsche ohne Migrations-
len in jedem Berichtsjahr exakt trifft. Die in insgesamt erfahrung (zugewandert) erfahrung (nicht zugewandert)
diesem Kapitel berechneten Daten für die Ausländer/-innen mit Migrations- Ausländer/-innen ohne Migrations-
Jahre vor 2011 basieren auf diesen korrigier- erfahrung (zugewandert) erfahrung (nicht zugewandert)
ten Hochrechnungsfaktoren. Damit sind un-
unterbrochene Zeitreihen ab 2005 verfügbar.
Die neuen Ergebnisse der Jahre 2005 bis Migrationserfahrung besitzen Personen, die im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert sind.
2010 für die Bevölkerung mit Migrationshinter- Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.
grund wurden zudem in einer Sonderreihe der
Fachserie 1 »Bevölkerung und Erwerbstätig-
keit«, Reihe 2.2 »Bevölkerung mit Migrations-
hintergrund« auf www.destatis.de veröffentlicht.

afrikas (Marokko, Algerien, Tunesien, prüfen hat, in den die Asylbewerberin 1.2.2 Entwicklung der Bevölkerung
Ägypten) sowie Afghanistan und Pakistan. oder der Asylbewerber zuerst eingereist mit Migrationshintergrund seit 2005
Allerdings gab es bereits in den 1990er- ist. Seit 2008 kamen wieder mehr Asyl­ Die seit Jahrzehnten andauernde, sehr
Jahren bedingt durch die kriegerischen bewerberinnen und Asylbewerber nach heterogene Zuwanderung hat dazu ge-
Auseinandersetzungen auf dem Balkan Deutschland. Im Jahr 2014 wurden von führt, dass ein steigender Anteil der Be-
einen starken Zuzug von Schutzsuchen- 173 100 Personen neue Asylanträge ge- völkerung in Deutschland ausländische
den. Mit rund 438 200 Personen erreich- stellt. Das Jahr 2015 stellte mit 441 900 An­ Wurzeln hat. Ab dem Jahr 2005 stehen für
te die Zahl der Asylbewerberinnen und trägen sogar einen neuen Rekord dar, der die Bevölkerung mit Migrationshinter-
Asylbewerber in Deutschland 1992 einen 2016 mit 722 400 Anträgen nochmals grund durchgehende Zeitreihen zur Ver-
ersten Höchststand. Danach ging sie übertroffen wurde. Die Zahlen für 2017 fügung. u Info 2
kontinuierlich bis auf 19 200 Personen waren mit 198 300 Personen wieder rück- Die Bevölkerung mit Migrationshin-
im Jahr 2007 zurück. Dies vor allem, weil läufig, aber historisch gesehen noch im- tergrund stieg von 14,1 Millionen Perso-
seit 1997 innerhalb der Europäischen mer auf einem hohen Niveau. nen im Jahr 2005 um 36 % auf 19,3 Milli-
Union im Rahmen der sogenannten Eine ausführlichere Beschreibung der onen Personen im Jahr 2017 an. Die Be-
Dublin-Verordnung grundsätzlich der­ historischen Entwicklung der Zuwande- völkerung ohne Migrationshintergrund
jenige Mitgliedstaat den Asylantrag zu rung befindet sich in Kapitel 1.1.3, Seite 20. ging dagegen im gleichen Zeitraum von

30
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

66,4 Millionen Menschen um rund 6 % auf Menschen mit eigener Migrationserfah- anteil in der ausländischen Bevölkerung
62,5 Millionen Menschen zurück. u Abb 1 rung – die Gruppe der 25- bis 49-Jähri- (53,5 % gegenüber 49,0 % bei der Bevölke-
Von 2005 bis 2010 war die Zahl der zu- gen besonders stark vertreten ist. Rund rung ohne Migrationshintergrund) resul-
gewanderten Ausländerinnen und Aus- 49 % aller Personen mit Migrationserfah- tiert zumindest teilweise aus dem niedrige-
länder nahezu unverändert. Danach stieg rung gehörten 2017 dieser Altersgruppe ren Durchschnittsalter und dem generellen
sie infolge der hohen Nettozuwanderung an. Bei Personen ohne eigene Migrations- Männerüberschuss in jüngeren Alters-
ab 2011 vor allem aus den Staaten der EU- erfahrung – also den in Deutschland Ge- gruppen. Auch die überproportionale Zu-
Osterweiterung und aus den sogenannten borenen – waren die unter 15-Jährigen wanderung von ledigen Männern im er-
Euro-Krisenländern (beispielsweise Spa- mit 55 % aller Personen ohne Migrations- werbsfähigen Alter trug zum Männer­
nien) an. Die hohe Zuwanderung von erfahrung die stärkste Gruppe. u Abb 2 überschuss bei. Insgesamt gibt es große
Schutzsuchenden ab 2014 gab dieser Ent- Das niedrigere Durchschnittsalter der Unterschiede im Geschlechterverhältnis
wicklung eine weitere Dynamik. Migrantinnen und Migranten beeinflusst nach Herkunftsländern. Am höchsten
Die Zahl der in Deutschland gebore- viele soziodemografische Eigenschaften war 2017 der Männeranteil bei Personen
nen Ausländerinnen und Ausländer ist dieser Bevölkerungsgruppe: Es gibt mehr aus Israel (68 %), gefolgt von den nord­
seit 2005 um 6 % zurückgegangen. Dies ist Ledige, mehr Menschen in schulischer afrikanischen Staaten Ägypten, Algerien,
zum einen auf die erfolgten Einbürgerun- oder beruflicher Ausbildung und weniger Libyen und Tunesien (jeweils 65 %) sowie
gen zurückzuführen, zum anderen auf Rentnerinnen und Rentner. Dies muss bei Syrien (63 %); am niedrigsten bei Perso-
die Änderung des Ausländergesetzes im der Interpretation von Statistiken berück- nen aus Thailand (25 %), den Philippinen
Jahr 2000. Seit dieser Änderung werden sichtigt werden. Auch der höhere Männer­ (27 %) und Finnland (35 %).
sehr viel weniger Kinder mit ausschließ-
lich ausländischer Staatsangehörigkeit in
Deutschland geboren als zuvor. Unter be- Abb21 Altersaufbau
u Abb Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands
der Bevölkerung 2011,
mit und in 1000 je Altersjahr

stimmten Voraussetzungen erhalten Kin- ohne Migrationshintergrund 2017 — in Tausend je Altersjahr


der ausländischer Eltern bei Geburt die
deutsche Staatsbürgerschaft. Die Zahl der Männer Alter Frauen

zugewanderten Deutschen mit Migrati- 100


onshintergrund hat sich im gesamten
Zeitraum zahlenmäßig nur leicht erhöht 90
(+ 10 %), vor allem weil nur noch wenige
Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler
80
nach Deutschland zuwandern.
Dagegen stieg die Zahl der in Deutsch-
70
land geborenen Deutschen mit Migrati-
onshintergrund seit 2005 um 55 %; dies ist
60
die größte strukturelle Veränderung ins-
gesamt. Die Zunahme lag weniger an ver-
mehrten Einbürgerungen von in Deutsch- 50

land geborenen Ausländerinnen und Aus-


ländern. Wesentlich bedeutsamer war, 40
dass Eltern mit Migrationshintergrund in
diesem Zeitraum Kinder bekamen, die mit 30
deutscher Staatsangehörigkeit in Deutsch-
land geboren wurden. 20

1.2.3 Alters- und


10
Geschlechtsstruktur
Menschen mit Migrationshintergrund wa-
ren 2017 im Durchschnitt 35,4 Jahre alt 600 400 200 0 0 200 400 600
und damit wesentlich jünger als Menschen
ohne Migrationshintergrund mit Migrationserfahrung ohne Migrationserfahrung
ohne Migrationshintergrund (46,7 Jahre).
Die Alterspyramide zeigt, dass bei Zuwan- Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.

derinnen und Zuwanderern – also bei

31
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Abb. 3 Anteil der Personen mit Migrationshintergrund 2016


1.2.4 Regionale Verteilungin (ehemaligen) Regierungsbezirken
u Abb 3 Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung
in %
und Herkunftsländer nach Regierungsbezirken 2017 — in Prozent
Aus geografischer Perspektive ist Migrati-
on vor allem ein Phänomen, das die alten
Bundesländer betrifft. Westdeutsche
Großstädte und alte industrielle Zentren
weisen historisch bedingt höhere Anteile
an Migrantinnen und Migranten auf. In Schleswig-
Holstein Mecklenburg-
den genannten Regionen im Westen war Hamburg Vorpommern
der Bedarf an Gastarbeiterinnen und
Gastarbeitern infolge des Wirtschaftsauf- Nieder-
Bremen sachsen
schwungs ab den 1950er-Jahren beson- Berlin
ders groß. Dieses räumliche Verteilungs- Branden-
muster besteht bis heute, wie ein Ver- burg
Sachsen-
gleich der Bundesländer zeigt. Im Jahr Anhalt
Nordrhein-
2017 war der Anteil der Bevölkerung mit Westfalen
Sachsen
ausländischen Wurzeln am höchsten in
Thüringen
den Stadtstaaten Bremen (32 %), Ham- Hessen
burg (31 %) und Berlin (29 %) sowie in
Rheinland-
den Flächenländern Hessen, Baden- Pfalz
Württemberg (jeweils 31 %) und Nord-
Saarland
rhein-Westfalen (28 %). In den neuen
Bayern
Ländern (ohne Berlin) waren es hingegen unter 14
nur 7 %. In den westlichen Flächenlän- Baden-
14 bis unter 20
Württemberg 20 bis unter 24
dern gab es je nach Regierungsbezirk teil-
u Abb 3 24 bis unter 28
weise große regionale Unterschiede.
28 bis unter 30
Im Jahr 2017 stammten rund 36 % der 30 und mehr
19,3 Millionen Menschen mit Migrati-
onshintergrund aus den Ländern der Eu- Kartengrundlage © GeoBasis-DE / BKG 2014
ropäischen Union; hier lag Polen mit
2,1 Millionen Menschen (11 %) vorn. Wei-
tere 32 % kamen aus den übrigen europä­
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.
ischen Staaten, darunter vor allem aus
der Türkei (2,8 Millionen Menschen be-
ziehungsweise 14 %) und der Russischen
Föderation (1,4 Millionen Menschen be-
ziehungsweise 7 %). Der Nahe und Mitt-
lere Osten ist ebenfalls eine bedeutsame sien hatten zusammen 393 000 Menschen lich mit dem Herkunftsland beziehungs-
Herkunftsregion (3,0 Millionen Menschen ihre Wurzeln. weise der Herkunftsregion. Menschen
beziehungsweise 15 %). Vor allem der Spit- Je nach Herkunftsland beziehungs- mit Wurzeln in einem EU-Staat sind
zenreiter Kasachstan, eines der Haupt­ weise Herkunftsregion variierten der An- meist besser inte­g riert. Dazu gibt es deut-
herkunftsländer der (Spät-)Aussiedlerin- teil der Zuwanderinnen und Zuwanderer – liche Hinweise beispielsweise in den Inte-
nen und (Spät-)Aussiedler, machte mit also der Anteil der im Ausland gebore- grationsindikatoren.
rund 1,2 Millionen Menschen den größten nen Menschen – sowie der Ausländeran­
Anteil aus. Es folgten Syrien (706 000 Per- teil, das heißt der Anteil der Menschen 1.2.5 Entwicklung der
sonen), Irak (249 000 Personen) und der ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Bei- Integration seit 2005
Iran (197 000 Personen). Aus den übrigen spielsweise waren 79 % der Personen mit Hinsichtlich der Integration zeigen sich
Regionen Asiens kamen weitere 1,2 Milli- Wurzeln im Nahen und Mittleren Osten in einigen wichtigen Indikatoren seit
onen Personen, darunter war Afghanistan zugewandert, während dies nur auf 61 % 2005 relativ stabile Unterschiede zwi-
mit 233 000 Menschen besonders relevant. der Personen nordafrikanischer Her- schen der Bevölkerung mit und ohne
In den nordafrika­nischen Staaten Marok- kunft zutraf. Darüber hinaus variieren ­M igrationshintergrund, wie Tabelle 1
ko, Ägypten, Algerien, Libyen und Tune- die bisherigen Integrationserfolge deut- zeigt. Personen mit Migrationshinter-

32
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

u Tab 1 Ausgewählte Integrationsindikatoren

2005 2008 2011 2014 2016

in %
Anteil der 18- bis 24-jährigen Personen
ohne Schulabschluss
Personen ohne Migrationshintergrund 4,0 3,8 4,1 4,2 3,6
Personen mit Migrationshintergrund 10,6 10,2 8,3 9,5 12,1
Anteil der 25- bis 34-jährigen Personen
mit (Fach-)Hochschulabschluss

Personen ohne Migrationshintergrund 17,6 20,4 20,6 24,3 26,1

Personen mit Migrationshintergrund 13,9 16,0 17,6 24,0 26,1

Anteil der Erwerbslosen in der Erwerbs­-


bevöl­kerung zwischen 15 und 64 Jahren

Personen ohne Migrationshintergrund 9,8 6,6 5,2 4,4 3,4

Personen mit Migrationshintergrund 17,9 12,2 9,3 8,1 7,1

in Prozentpunkten
Beschäftigungslücke zur Bevölkerung
ohne Migrationshintergrund

Personen ohne Migrationshintergrund X X X X X

Personen mit Migrationshintergrund – 11,6 – 11,7 – 11,0 – 11,4 – 12,7

in %
Anteil der armutsgefährdeten Erwerbstätigen
(»Working Poor«)

Personen ohne Migrationshintergrund 6,0 6,2 6,5 6,2 6,2

Personen mit Migrationshintergrund 13,8 13,3 13,9 13,8 13,6

Working Poor sind Personen, die armutsgefährdet sind, obwohl sie erwerbstätig sind.
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.

grund haben weiterhin häufiger keinen terschied in der Erwerbsbeteiligung zwi- 2011 von rund 11 % auf 8 %; anschlie-
allgemeinbildenden Schulabschluss und schen Personen mit und ohne Migrati- ßend stieg er bis 2016 wieder auf 12 %.
häufiger keinen berufsqualifizierenden onshintergrund. Die Beschäftigungslücke Dieser Anstieg ist ausschließlich bei Zu-
Abschluss, sind eher erwerbslos und sind ist zwischen 2005 (– 11,6 Prozentpunkte) wanderinnen und Zuwanderern zu ver-
als Erwerbstätige deutlich häufiger ar- und 2016 (– 12,7 Prozentpunkte) tenden- zeichnen. u Tab 1
mutsgefährdet (»Working Poor«) als Per- ziell sogar etwas größer geworden. Posi-
sonen ohne Migrationshintergrund. Bei tiv ist, dass der Anteil der Hochschulab- 1.2.6 Kinder mit
manchen Indikatoren, wie der Erwerbs- solventen in beiden Gruppen mittlerwei- Migrationshintergrund
losenquote, haben sich absolut gesehen le gleich hoch ist. Einschränkend muss In Deutsch la nd lebten 2017 r u nd
Verbesserungen für die Bevölkerung mit jedoch erwähnt werden, dass die im Aus- 13,4 Millionen Kinder, davon hatten
ausländischen Wurzeln eingestellt. Die land erworbenen Bildungsabschlüsse 4,9 Millionen einen Migrationshinter-
Bevölkerung mit Migrationshintergrund nicht immer den deutschen oder europä- grund (36 %). In den jüngeren Altersgrup-
profitierte demnach ebenfalls von der gu- ischen Standards entsprechen. Bei der In- pen war dieser Anteil am höchsten: Bei
ten konjunkturellen Entwick lung in terpretation der Integrationsindikatoren den unter 3-Jährigen lag der Anteil bei
Deutschland in den vergangenen Jahren. im Zeitverlauf ist es wichtig zu erkennen, 39 %. Die überwiegende Mehrheit der
Im Vergleich zur Bevölkerung ohne Mi­ dass manche positive Entwicklung durch Kinder mit Migrationshintergrund hat
grationshintergrund hat sie jedoch noch die zuletzt vermehrte Zuwanderung rela- ­einen deutschen Pass (72 %). Nur jedes
immer schlechtere Arbeitsmarktchancen. tiv schlecht qualifizierter Personen sprung- fünfte Kind mit Migrationshintergrund
Auch der Integrationsindikator zur soge- haft revidiert wurde. So verringerte sich hat eigene Migrationserfahrung, ist also
nannten Beschäftigungslücke legt diese beispielsweise der Anteil der Personen im Ausland geboren und dann zugewan-
Schlussfolgerung nahe: Er misst den Un- ohne Schulabschluss zwischen 2005 und dert (20 %). Im Durchschnitt waren diese

33
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Tab 2 Kinder unter 18 Jahren nach ausgewählten soziodemografischen Merkmalen und Migrationsstatus 2017

Deutsche
Ohne Migrations- Mit Migrations­
Insgesamt mit Migrations­ Ausländer /-innen
hintergrund hintergrund
hintergrund

in 1 000 in %

Kinder insgesamt 13 404 64 36 26 10

 m
 ännlich 6 908 63 37 26 11

 w
 eiblich 6 495 64 36 26 10

Alter von … bis … Jahre

unter 3 2 271 61 39 28 11

3–6 2 878 62 38 27 11

7 – 12 4 398 63 37 27 11

13 – 15 2 271 66 34 25 9

16 – 17 1 585 69 31 22 9

Herkunftsregionen

EU-Staaten 1 416 X 100 61 39

sonstige europäische Staaten 1 547 X 100 81 19

Nordafrika 129 X 100 81 19

sonstiges Afrika 128 X 100 66 34

Naher und Mittlerer Osten 786 X 100 58 42

sonstiges Asien 309 X 100 62 38

X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.


Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.

zugewanderten Kinder mit sechs Jahren


nach Deutschland gekommen. Die wich-
tigste Herkunftsregion der Kinder mit
Migrationshintergrund war Europa
(3,0 Millionen Kinder), darunter führten
sogar die Nicht-EU-Staaten gegenüber
den Mitgliedstaaten der EU. Asien war
die zweitwichtigste Herkunftsregion, da-
runter dominierte der Nahe und Mittlere
Osten deutlich gegenüber den sonstigen
Regionen in Asien. In Afrika war der
Norden mit Ägypten und den sogenann-
ten Ma­g hrebstaaten Marokko, Tunesien,
Libyen und Algerien als Herkunftsregion
besonders bedeutsam; die Hälfte der afri-
kanischstämmigen Kinder kam aus die-
sem Gebiet. Die Nationalität der Kinder
hing auch von der Herkunftsregion ab:
Während 39 % der Kinder aus EU-Staaten
ausländisch waren, besaßen nur 19 % der
Kinder aus Nordafrika die deutsche
Staatsangehörigkeit nicht. u Tab 2

34
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

u Abb 4 Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund nach Bundesländern Der Anteil der Kinder mit Migrations-
und Gemeindegröße 2017 — in Prozent hintergrund war zwischen den Bundes-
ländern verschieden: In den östlichen
Bundesländern mit Ausnahme von Berlin
Bremen 34,0 19,8 war er unterdurchschnittlich, während er
in Bremen, Berlin, Hessen und Hamburg
Berlin 32,6 14,6 besonders hoch war. Je dichter besiedelt
eine Region ist, desto höher ist in der Re-
Hessen 34,3 12,5
gel auch der Anteil der Kinder mit Migra-
tionshintergrund: Während in Gemein-
Hamburg 34,6 11,5
den mit weniger als 10 000 Einwohnern
Baden-Württemberg 33,0 11,2
nur 20 % der Kinder einen Migrationshin-
tergrund hatten, waren es in Städten ab
Nordrhein-Westfalen 32,3 11,6 500 000 Einwohnern 49 %. Je mehr Men-
schen in einer Gemeinde lebten, desto
Rheinland-Pfalz 28,2 9,7 größer war auch der Anteil ausländischer
Kinder. In Gemeinden mit mindestens
Deutschland 26,1 10,4 500 000 Einwohnern besaßen 15 % aller
Kinder keinen deutschen Pass. u Abb 4
Bayern 24,8 10,1
Rund 12 % aller Kinder hatten einen
sogenannten einseitigen Migrationshin-
Saarland 24,8 9,0
tergrund. Das bedeutet, dass ein Eltern-
teil Spätaussiedlerin/Spätaussiedler, aus-
Niedersachsen 23,6 9,8
ländisch oder eingebürgert ist, während
Schleswig-Holstein 17,2 8,4
das andere Elternteil keinen Migrations-
hintergrund besitzt. Rund 25 % aller Kin-
Sachsen 7,2 5,9 der hatten einen beidseitigen Migrations-
hintergrund, ihre beiden Eltern besaßen
Brandenburg 6,6 5,5 Wurzeln im Ausland. Die meisten Eltern
von Kindern mit beidseitigem Migrati-
Mecklenburg-Vorpommern 5,5 6,4 onshintergrund stammten aus dem glei-
chen Land (75 %), während die verblei-
Sachsen-Anhalt 4,7 7,0 benden 25 % der Kinder Eltern hatten,
die ihre Wurzeln in verschiedenen Staa-
Thüringen 4,7 6,0
ten hatten. In diesen Fällen stammten die
Eltern sogar mehrheitlich von verschiede-
unter 10 000 Einwohner
nen Kontinenten (68 %).
14,4 5,8

10 000 bis unter


25,7 9,9 1.2.7 Die Lebenssituation der
50 000 Einwohner
Kinder mit Migrationshintergrund
50 000 bis unter
31,3 10,8 Kinder mit und ohne Migrationshinter-
100 000 Einwohner
grund unterscheiden sich teilweise deut-
100 000 bis unter
200 000 Einwohner
37,8 14,0 lich hinsichtlich ihrer Lebenslagen. Das
betrifft sowohl die Größe des Haushalts,
200 000 bis unter
33,5 14,3 in dem sie wohnen, als auch den Bildungs-
500 000 Einwohner

500 000 und


stand des Elternhauses und ihre bisherige
34,3 15,1
mehr Einwohner Laufbahn im Bildungssystem. Innerhalb
der Gruppe der Kinder mit Migrations-
hintergrund sind weitere Unterschiede er-
deutsche Kinder mit Migrationshintergrund ausländische Kinder
kennbar, wenn diese nach der Nationalität
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus. (deutsch gegenüber ausländisch) oder der
Herkunftsregion gegliedert werden. Eben-

35
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Tab 3 Haushalts- und Wohnsituation der Kinder nach Migrationsstatus

Personen pro Kinder pro Wohnfläche pro


Wohnfläche ² Eigentumsquote ²
Haushalt ¹ Haushalt ¹ Kopf ²

Anzahl in m ² in %

Kinder insgesamt 4,0 2,0 90,5 25,0 51,3

Ohne Migrationshintergrund zusammen 3,9 1,9 94,0 27,3 58,2

Mit Migrationshintergrund zusammen 4,3 2,2 85,7 21,7 36,9

 EU-Staaten 4,0 2,0 86,7 23,6 40,7

 s onstige europäische Staaten 4,4 2,2 83,9 20,7 36,5

 N ordafrika 4,7 2,6 80,5 19,0 16,6

 s onstiges Afrika 4,2 2,4 81,9 20,2 14,2

 N aher und Mittlerer Osten 4,7 2,6 86,9 20,4 30,6

 s onstiges Asien 4,3 2,2 81,5 20,8 29,8

 d
 eutsche Kinder mit Migrations-
4,2 2,1 87,0 22,2 41,4
­h intergrund zusammen

 EU-Staaten 3,9 1,9 90,8 25,0 49,4

 s onstige europäische Staaten 4,4 2,2 84,2 21,1 39,2

 N ordafrika 4,7 2,6 81,3 19,2 18,8

 s onstiges Afrika 4,2 2,3 83,2 21,1 18,5

 N aher und Mittlerer Osten 4,4 2,3 87,8 21,3 36,5

 s onstiges Asien 4,2 2,2 83,2 21,3 35,6

 a usländische Kinder zusammen 4,5 2,4 82,0 20,2 19,6

 EU-Staaten 4,1 2,1 80,8 21,6 21,5

 s onstige europäische Staaten 4,6 2,4 83,1 19,4 24,9

 N ordafrika 4,5 2,5 75,9 17,4 /

 s onstiges Afrika 4,2 2,5 79,2 18,5 /

 N aher und Mittlerer Osten 5,1 2,9 84,2 17,6 /

 s onstiges Asien 4,4 2,3 78,2 19,8 14,1

Angaben zur Wohnfläche nur von Kindern in Mietwohnungen und mit gültigen Angaben zur Wohnfläche.
1 2017.
2 2014.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.

so wie Erwachsene sind Kinder mit Mi­ durchschnittlich 5,1 Personen in den Bei Kindern mit Migrationshintergrund
grationshintergrund keine homogene größten Haushalten aller hier dargestell- waren es 2,2 Kinder, bei ausländischen
Gruppe, sondern setzen sich vielmehr aus ten Gruppen. Rund 61 % dieser Kinder Kindern sogar 2,4. Ebenso wie bei der
vielfältigen Teilgruppen zusammen. lebten mit fünf oder mehr Personen zu- Zahl der Personen im Haushalt ragten
Kinder mit Migrationshintergrund sammen, bei Kindern mit deutscher die Kinder aus Nordafrika und dem Na-
leben in größeren Haushalten als Kinder Staatsangehörigkeit aus dieser Region hen und Mittleren Osten heraus. Sie leb-
ohne Migrationshintergrund. Während waren es hingegen nur 35 %. u Tab 3 ten in Haushalten mit den meisten Ge-
Kinder mit Migrationshintergrund im Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich bei schwistern. Dagegen lebten rund 34 % der
Durchschnitt mit 4,3 Personen in einem der Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder ohne Migrationshintergrund als
Haushalt lebten, waren es bei Kindern Kinder. Im Durchschnitt lebten Kinder Einzelkinder und nur 4 % lebten mit min-
ohne Migrationshintergrund nur 3,9 Per- in Haushalten mit 2,0 Kindern, das heißt, destens drei weiteren Geschwistern zu-
sonen. Ausländische Kinder aus dem Na- dass sie noch einen Bruder oder eine sammen. Kinder mit Migrationshinter-
hen und Mittleren Osten wohnten mit Schwester im gleichen Haushalt hatten. grund waren hingegen seltener das einzi-

36
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

u Tab 4 Kinder nach Migrationsstatus und Zahl der Erwerbstätigen pro Haushalt 2017 Kinder mit Migrationshintergrund
Haushalte mit … Erwerbstätigen lebten zudem wesentlich seltener mit ih-
ren Eltern in Wohneigentum (37 %) als
2 oder Durch-
0 1 Kinder ohne Migrationshintergrund
mehr schnitt
in % Anzahl (58 %). Kinder mit afrikanischen Wur-
zeln waren hier ebenfalls schlechter ge-
Kinder insgesamt 9 31 60 1,6
stellt mit 14 % beziehungsweise 17 % im
O hne Migrationshintergrund zusammen 5 28 67 1,7
Fall von Nordafrika.
Mit Migrationshintergrund zusammen 16 37 47 1,4
Die Entwicklungschancen von Kin-
 EU-Staaten 7 37 56 1,6 dern werden maßgeblich von den Eltern-
 s onstige europäische Staaten 12 40 47 1,5 häusern geprägt und mitbestimmt. Daher
 N ordafrika 18 50 32 1,2 ist ein Blick auf die sozioökonomische
 s onstiges Afrika 31 38 30 1,1
Ausstattung der Elternhäuser von beson-
derer Bedeutung. Tabelle 4 zeigt die Zahl
 N aher und Mittlerer Osten 40 29 31 1,0
der im Haushalt lebenden Erwerbstätigen.
 s onstiges Asien 21 43 36 1,2
Kinder lebten im Durchschnitt mit 1,6 Er-
 d
 eutsche Kinder mit Migrations-
9 37 54 1,5 werbstätigen in einem Haushalt; bei Kin-
­h intergrund zusammen
dern mit Migrationshintergrund fiel die-
 EU-Staaten 5 31 64 1,7
ser Wert geringer aus (1,4 Erwerbstätige).
 s onstige europäische Staaten 10 40 50 1,5 Rund 16 % dieser Kinder lebten in einem
 N ordafrika 15 50 34 1,2 Haushalt ohne Erwerbstätige. Ein deut­
 s onstiges Afrika 22 38 40 1,3 liches Gefälle innerhalb der Gruppe der
 N aher und Mittlerer Osten 14 37 49 1,5
Kinder mit Migrationshintergrund be-
stand zwischen deutschen (9 %) und aus-
 s onstiges Asien 12 41 47 1,4
ländischen Kindern (33 %). Die Variation
 a usländische Kinder zusammen 33 38 29 1,0
zwischen den Herkunftsregionen erweist
 EU-Staaten 11 46 43 1,4 sich erneut als sehr bedeutsam. Während
 s onstige europäische Staaten 25 40 35 1,2 es zwischen Kindern mit Wurzeln in ei-
 N ordafrika 29 50 / 0,9 nem EU-Staat und Kindern ohne Migrati-
 s onstiges Afrika 49 42 / 0,6
onshintergrund kaum Unterschiede gab,
waren Kinder aus anderen Regionen deut-
 N aher und Mittlerer Osten 77 18 5 0,3
lich benachteiligt: Ausländische Kinder
 s onstiges Asien 36 46 19 0,9
aus dem Nahen und Mittleren Osten leb-
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug. ten zu 77 % in einem Haushalt ohne eine
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.
erwerbstätige Person. Diese Kinder und
ihre Eltern waren zum Großteil auf Trans-
ferleistungen angewiesen. u Tab 4
Ein sehr ähnliches Bild ergab sich bei
dem verfügbaren Haushaltsnettoeinkom-
ge Kind im Haushalt (27 %) und hatten waren die Unterschiede bei der verfügba- men pro Kopf. Kinder in Deutschland
vergleichsweise oft drei oder mehr Brüder ren Wohnfläche pro Kopf deutlich größer: lebten in Haushalten, die im Durch-
oder Schwestern (11 %). Kinder mit Migrationshintergrund lebten schnitt pro Kopf 991 Euro netto zur Ver-
Die größeren Haushalte wirken sich in Mietwohnungen, in denen jede Bewoh- fügung hatten. Kinder ohne Migrations-
negativ auf die Wohnsituation aus. Bei Be- nerin/jeder Bewohner im Durchschnitt hintergrund lebten in Haushalten, die
trachtung der Mietwohnungen fällt auf, 21,7 Quadratmeter Wohnfläche zur Ver- über mehr finanzielle Mittel verfügten
dass deutschstämmige Kinder in Miet- fügung hatte. Deutschstämmige Kinder (1 101 Euro pro Kopf) als Kinder mit Mi­
wohnungen lebten, die im Schnitt 94,0 Qua- bewohnten dagegen Mietwohnungen, die grationshintergrund (802 Euro pro Kopf).
dratmeter groß waren, während Kinder pro Kopf 27,3 Quadratmeter boten; das Ausländische Kinder waren abermals
mit Migrationshintergrund in etwa 8 Qua- waren rund 26 % mehr. Den wenigsten schlechter gestellt als deutsche Kinder
dratmeter kleineren Wohnungen aufwuch- Platz hatten ausländische Kinder aus dem mit Migrationshintergrund und die Her-
sen. Da Kinder mit Migrationshintergrund nordafrikanischen Raum mit 17,4 Qua­ kunftsregionen zeigten das bisher be-
zusätzlich in größeren Haushalten lebten, dratmetern pro Kopf. kannte Muster: Kinder aus EU-Staaten

37
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Tab 5 Monatliches Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf nach Migrationsstatus der Kinder 2017
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf
von … bis unter … Euro
Durchschnitt
unter 500 500 – 1 000 1 000 – 1 500 1 500 und mehr
in % in Euro
Kinder insgesamt 16 46 25 12 991
Ohne Migrationshintergrund zusammen 9 45 31 15 1 101
Mit Migrationshintergrund zusammen 29 49 15 7 802
 EU-Staaten 19 49 21 11 947
 s onstige europäische Staaten 29 54 12 4 740
 N ordafrika 41 47 9 / 646
 s onstiges Afrika 43 42 11 4 673
 N aher und Mittlerer Osten 48 41 9 3 624
 s onstiges Asien 37 39 15 9 785

 d
 eutsche Kinder mit Migrations-
21 53 18 8 865
­h intergrund zusammen

 EU-Staaten 10 47 28 15 1 075
 s onstige europäische Staaten 25 57 13 5 769
 N ordafrika 39 48 10 / 658
 s onstiges Afrika 34 47 14 / 745
 N aher und Mittlerer Osten 27 56 14 4 762
 s onstiges Asien 29 47 16 9 817
 a usländische Kinder zusammen 48 39 8 4 642
 EU-Staaten 32 52 11 5 746
 s onstige europäische Staaten 46 44 8 2 617
 N ordafrika 48 43 / / 594
 s onstiges Afrika 62 31 / / 530
 N aher und Mittlerer Osten 78 19 2 / 426
 s onstiges Asien 51 27 14 8 733

Nur Kinder mit einer gültigen Angabe zum Haushaltsnettoeinkommen.


/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.

u Abb 5 Armutsgefährdungsquote der Kinder nach Migrationsstatus 2017 — in Prozent


u Info 3
Armutsgefährdungsquote
Für die Berechnung von Armutsgefährdungs- Gesamtbevölkerung 15,8
quoten kommen mehrere Datenquellen der
amtlichen Statistik in Betracht. Auf europäischer
Ebene und auf Bundesebene (insbesondere Kinder insgesamt 20,3
im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes­
regierung) wird zur Berechnung von Indikato-
Kinder ohne
ren, die die Einkommensarmut und -verteilung Migrationshintergrund
12,7
betreffen, die Statistik LEBEN IN EUROPA
(EU-SILC) als Datengrundlage herangezogen
Kinder mit
(siehe Kapitel 6.3, Seite 231). Armutsgefähr- 33,3
Migrationshintergrund
dungsquoten für Personen mit Migrationshinter­
grund ermittelt ausschließlich der Mikrozensus. deutsche Kinder mit
25,4
Dabei ist zu beachten, dass sich Mikrozensus Migrationshintergrund
und EU-SILC sowohl hinsichtlich des zugrunde
liegenden Einkommenskonzepts und der Ein-
ausländische Kinder 53,5
kommenserfassung als auch hinsichtlich des
Stichprobendesigns unterscheiden.

Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.

38
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

hatten die geringsten Nachteile, während klassifiziert. Für eine übersichtlichere In- dern mit Migrationshintergrund war die
Kinder aus dem afrikanischen Raum und terpretation wurde die Skala hier in vier Streuung beim Bildungsstand des Eltern-
dem Nahen und Mittleren Osten in Kategorien zusammengefasst (siehe Kapi- hauses größer. Dies ist damit zu erklären,
Haushalten wohnten, die Bildungsabschluss
Abb 6 Höchster mit den ge-des tel 2.1, Seite
Elternhauses 53,- inInfo
2016 2).
Prozent dass sich unter den Zuwanderinnen und
ringsten Einkommen pro Kopf auskom- Kinder in Deutschland lebten 2017 zu Zuwanderern nach Deutschland zum ei-
men mussten. Die finanziellen Schwierig- rund 96 % in Haushalten, in denen we- nen verhältnismäßig viele hoch gebildete
keiten für diese Kinder stiegen nochmals nigstens ein Elternteil einen Bildungsab- Personen befinden, andererseits aber auch
deutlich, wenn sie nicht die deutsche schluss erworben hatte; nur 4 % der Kin- überproportional viele gering gebildete
Staatsangehörigkeit besaßen. u Tab 5 der hatten Eltern, die über keinen Ab- Menschen. Diese Variation spiegelt sich im
Eine Zusammenfassung der sozioöko- schluss verfügten. Deutlich mehr als ein Bildungsgrad der Elternhäuser wider. u Abb 6
nomischen Situation von Kindern mit Mi­ Drittel der Kinder, nämlich 39 %, lebte in Bisher haben die verschiedenen Aus-
gr­ationshintergrund ermöglicht die Ar- hoch gebildeten Elternhäusern. Der Mi­ wertungen nur den familiären Hinter-
mutsgefährdungsquote nach dem Mikro- grationshintergrund bestimmt maßgeb- grund der Kinder betrachtet. Aber wie se-
zensus, die in Abbildung 5 dargestellt ist. lich mit, ob die Kinder in einem eher hen die bisher verwirklichten Zukunfts-
Kinder mit Migrationshintergrund waren hoch gebildeten oder eher gering gebilde- chancen der Kinder aus? Um diese Frage
fast dreimal so häufig armutsgefährdet wie ten Elternhaus aufwachsen. Bei Kindern zu beantworten, zeigt Tabelle 6 die im
Kinder mit Wurzeln in Deutschland; aus- ohne Migrationshintergrund lag der An- Jahr 2017 besuchte weiterführende Schule
ländische Kinder waren sogar mehrheitlich teil der Elternhäuser ohne einen Ab- für Kinder nach Migrationsstatus. u Tab 6
einem Armutsrisiko ausgesetzt. u Abb 5, Info 3 schluss bei nur 1 %, während er bei Kin- Während 44 % aller Kinder 2017 an ei-
Nicht nur die Ausstattung des Eltern- dern mit Migrationshintergrund bei 11 % nem Gymnasium waren, ist der Besuch
hauses mit finanziellen Ressourcen ist für lag. Ausländische Kinder waren hier der Hauptschule mittlerweile eher zu ei-
die Zukunftschancen der Heranwachsen- ebenfalls wieder besonders benachteiligt nem Randphänomen geworden (7 %). Das
den von erheblicher Bedeutung, auch das (22 %). Im Gegensatz dazu war der Anteil liegt insbesondere daran, dass die Haupt-
sogenannte kulturelle Kapital spielt eine der Kinder in hoch gebildeten Elternhäu- schule als Schulform bundesweit immer
wichtige Rolle. Abbildung 6 betrachtet da- sern je nach Migrationsstatus nicht ganz seltener wird und nur noch in fünf Bun-
her den höchsten Bildungsabschluss des so groß: Auch ausländische Kinder lebten desländern existiert, nämlich in Baden-
Elternhauses. Hierfür wurde die ISCED- zu 26 % mit wenigstens einem hoch gebil- Württemberg, Bayern, Hessen, Nieder-
Skala verwendet, die die erreichten schuli- deten Elternteil zusammen (Kinder ohne sachsen und Nordrhein-Westfalen. Kin-
schen und beruflichen Bildungsabschlüsse Migrationshintergrund: 45 %). Bei Kin- der mit Migrationshintergrund besuchten
2017 seltener das Gymnasium und häufi-
ger die Hauptschule als Kinder mit Wur-
zeln ausschließlich in Deutschland. Ein
deutliches Gefälle innerhalb der Gruppe
u Abb 6 Höchster Bildungsabschluss des Elternhauses 2017 — in Prozent
der Kinder mit Migrationshintergrund
besteht auch beim Schulbesuch zwischen
Kindern mit deutscher Staatsangehörig-
Kinder insgesamt 4 8 48 39 keit und ausländischen Kindern. Eine Be-
Kinder ohne
sonderheit fällt bei den Kindern mit asia-
Migrationshintergrund 1 5 50 45
tischen Wurzeln jenseits des Nahen und
Kinder mit Mittleren Ostens (zum Beispiel China und
11 15 44 30
Migrationshintergrund Vietnam) auf: Während sie beim sozio-
deutsche Kinder mit
6 13 49 32
ökonomischen Status des Haushalts
Migrationshintergrund
Nachteile gegenüber Kindern mit Wur-
ausländische Kinder 22 19 33 26
zeln in einem EU-Staat hatten, besuchten
sie von allen untersuchten Herkunftsregi-
onen am häufigsten das Gymnasium
kein Abschluss (ISCED-Stufen 0 und 1)
(48 %). Wenn diese Kinder die deutsche
niedriger Abschluss (ISCED-Stufe 2)
mittlerer Abschluss (ISCED Stufen 3 und 4)
Staatsangehörigkeit besaßen, waren sie
hoher Abschluss (ISCED-Stufen 5 bis 8) anteilsmäßig sogar häufiger auf Gymna-
sien anzutreffen (53 %) als Kinder ohne
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus. Migrationshintergrund (47 %). Dieser Be-
fund ist jedoch nicht allzu überraschend.

39
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

uTab 6 Kinder an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen nach 1.2.8 Schutzsuchende


Migrationsstatus 2017 — in Prozent in Deutschland
Das Statistische Bundesamt hat im No-
Gesamtschule
Hauptschule Realschule Gymnasium vember 2017 erstmals Zahlen zu den in
und Ähnliches

Kinder insgesamt 7 24 25 44
Deutschland lebenden Schutzsuchenden
veröffentlicht. Damit wurde von der amt­
Ohne Migrationshintergrund
5 24 25 47
zusammen lichen Statistik ein Beitrag geleistet, um
Mit Migrationshintergrund die politische und gesellschaftliche Debat-
11 26 26 36
zusammen te, die seit der vermehrten Zuwanderung
 EU-Staaten 11 25 24 40 Schutzsuchender im Jahr 2015 begonnen
 s onstige europäische
12 28 28 32
hatte, zu versachlichen. Die Daten stam-
Staaten
men aus dem Ausländerzentralregister
 N ordafrika / 25 30 35
(AZR) im Bundesverwaltungsamt, das alle
 s onstiges Afrika / 31 28 33
notwendigen Informationen über den auf-
 N aher und Mittlerer Osten 14 27 31 29
enthaltsrechtlichen Status der in Deutsch-
 s onstiges Asien 9 18 25 48
land registrierten Ausländerinnen und
 d
 eutsche Kinder mit Migrations­
hintergrund zusammen
8 26 25 40 Ausländer enthält.
Zum Jahresende 2016 waren 1,6 Millio-
 EU-Staaten 7 25 22 47
nen Schutzsuchende in Deutschland regis-
 s onstige europäische
11 28 27 34 triert, das waren 16 % der ausländischen
Staaten

 N ordafrika / 24 29 35 Bevölkerung. Schutzsuchende sind auslän-


 s onstiges Afrika / 31 27 38 dische Personen, die sich unter B ­ erufung
 N aher und Mittlerer Osten 9 29 27 36 auf humanitäre Gründe in Deutschland
 s onstiges Asien / 17 24 53 aufhalten. Dazu zählen Personen, die sich
 a usländische Kinder
vor oder im Asylverfahren befinden, Perso-
20 25 30 25
zusammen nen mit anerkanntem Schutzstatus wie
 EU-Staaten 20 27 27 25 Flüchtlinge nach der Genfer Konvention
 s onstige europäische
19 26 30 25
oder subsidiär Schutzberechtigte sowie ab-
Staaten
gelehnte Asylbewerberinnen und Asyl­
 N ordafrika / / / / bewerber, die sich weiterhin in Deutsch-
 s onstiges Afrika / / / / land aufhalten. u Info 4
 N aher und Mittlerer Osten 24 21 38 17
Schutzsuchende lassen sich nach dem
 s onstiges Asien / 22 27 35
sogenannten Schutzstatus unterscheiden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug. Personen, über deren Asylantrag noch
Bevölkerung in Privathaushalten. Ergebnisse des Mikrozensus.
nicht entschieden wurde, haben einen offe-
nen Schutzstatus. Am Jahresende 2016 war
dies bei 572 500 Schutzsuchenden der Fall
Untersuchungen in verschiedenen Ein- nen Bildungsabschluss verfügten, be- (36 %). Bei 872 300 Schutzsuchenden (54 %)
wanderungsgesellschaften belegen, dass suchten ein Gymnasium, während 64 % wurde das Gesuch auf Schutz positiv ent-
Zuwanderinnen und Zuwanderer aus dem der Kinder aus Elternhäusern mit einem schieden – sie verfügten Ende 2016 über
asiatischen Raum einen überdurchschnitt- hohen Bildungsabschluss die höchste all- ­einen anerkannten Schutzstatus. Beim
lichen Bildungserfolg haben. Dieser Bil- gemeinbildende Schulform in Deutsch- überwiegenden Teil von ihnen war diese
dungserfolg wird häufig damit begründet, land besuchten. Kinder aus hoch gebilde- Anerkennung jedoch nur befristet (599 900
dass Bildung für diese Gruppe einen be- ten Elternhäusern besuchten das Gymna- Menschen). Bei 157 700 Schutzsuchenden
sonders hohen Stellenwert habe, der auch sium etwas seltener, wenn sie einen wurde der Antrag auf Asyl abgelehnt. Die-
sonstige Benachteiligung zumindest zum Migrationshintergrund hatten (61 %) als se Personen waren daher ohne Schutzsta-
Teil wettmachen könne (siehe Tab 6). wenn sie diesen nicht hatten (65 %). Be- tus und grundsätzlich ausreisepflichtig.
Der Bildungsstand des Elternhauses sonders verschärft tritt dieser Effekt wie- Bei 75 % (118 100 Menschen) war diese
bestimmt sehr deutlich, ob ein Kind nach der bei ausländischen Kindern auf: Ein Ausreisepflicht aufgrund einer Duldung
der Grundschule seine Laufbahn auf dem vergleichsweise geringer Anteil von 51 % jedoch vorübergehend ausgesetzt. u Abb 7
Gymnasium fortsetzt oder nicht. Nur besuchte ein Gymnasium, obwohl das El- Unter den 1,6 Millionen Schutzsuchen-
14 % aller Kinder, deren Eltern über kei- ternhaus hoch gebildet war. den befanden sich am Jahresende 2016

40
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1

u Info 4 rund 400 800 Kinder unter 18 Jahren,


Schutzsuchende nach dem Ausländerzentralregister 265 100 dieser Kinder waren im schul-
Um die humanitäre Immigration nach Deutschland abzubilden, hat das Statistische pflichtigen Alter ab 6 Jahren. Damit war
­B undesamt mithilfe des im Ausländerzentralregister gespeicherten Aufenthaltsstatus die der Kinderanteil in der schutzsuchenden
Schutzsuchenden identifiziert. Schutzsuchende sind Ausländerinnen und Ausländer,
die sich unter Berufung auf humanitäre Gründe in Deutschland aufhalten. Der Begriff
Bevölkerung deutlich größer (25 %) als in
»Schutzsuchende« wurde bewusst gewählt, um sich von den Alter­n ativen – Flüchtlinge, der gesamten ausländischen Bevölkerung
Asylbewerber oder Asylberechtigte – abzugrenzen. Während diese Begriffe oftmals als (14 %). Rund 24 % der schutzsuchenden
Synonyme für geflüchtete Menschen genutzt werden, beschreiben sie im Ausländer- und
Asylrecht jeweils nur eine spezifische Teilmenge der Schutzsuchenden. Kinder hatten einen noch offenen Schutz-
status, weitere 65 % waren anerkannt und
Der Schutzstatus der Schutzsuchenden kann sehr differenziert nachgewiesen werden:
11 % hatten einen abgelehnten Schutzstatus.
‧‧ Ein offener Schutzstatus gibt an, dass über den Asylantrag der Person noch nicht
Fast alle Kinder (95 %) mit einem aner-
­a bschließend entschieden wurde.
‧‧ Personen mit anerkanntem Schutzstatus besitzen einen befristeten oder unbefristeten kannten Status besaßen diesen nur zeitlich
Aufenthaltstitel aus dem humanitären Bereich des Aufenthaltsgesetzes. Darunter be­ befristet. Zu den unbegleitet nach Deutsch-
finden sich unter anderem die Flüchtlinge nach der Genfer Konvention, Asylberechtigte
nach dem Grundgesetz sowie subsidiär Schutzberechtigte.
land eingereisten schutzsuchenden Kin-
‧‧ Schutzsuchende mit abgelehntem Schutzstatus halten sich nach Ablehnung im Asyl­ dern siehe auch Kapitel 2.3, Seite 76.
verfahren oder nach Verlust ihres humanitären Aufenthaltstitels als Ausreisepflichtige in Etwa die Hälfte aller Schutzsuchenden
Deutschland auf. Bei diesen Schutzsuchenden kann weiter unterschieden werden,
ob sie noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen können oder nicht oder ob
kam aus drei Herkunftsländern: Syrien
ihre Abschiebung zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend ausge- (454 800 Personen), Afghanistan (190 900
setzt ist (Duldung). Menschen) und dem Irak (165 500 Perso-
Die veröffentlichten Zahlen liefern eine konservative Schätzung der Zahl der Schutz­ nen). Die meisten Schutzsuchenden mit
suchenden in Deutschland, da Datensätze, bei denen der aufenthaltsrechtliche Status aus offenem Schutzstatus kamen aus Afgha-
dem Ausländerzentralregister nicht eindeutig nachvollzogen werden kann, nicht berück-
sichtigt werden.
nistan (129 100 Personen), die meisten
mit befristeter Anerkennung aus Syrien
Weiterführende Informationen finden sich in der Fachserie 1 »Bevölkerung und Erwerbs­
tätigkeit«, Reihe 2.4 »Schutzsuchende« (siehe www.destatis.de). (346 900 Menschen). Bei den unbefriste-
ten Anerkennungen lag die Russische Fö-
deration (31 100 Personen) knapp vor
dem Irak (30 800 Menschen). Die meisten
u Abb 7 Schutzsuchende nach Schutzstatus — in Tausend
Schutzsuchenden mit abgelehntem An-
trag kamen aus Serbien (17 100 Personen)
1 800
und Albanien (15 000 Menschen).
Bei den Schutzsuchenden dominieren
1 600 junge Männer: Der Anteil der Männer un-
ter den Schutzsuchenden lag bei 64 %. Ins-
1 400 besondere in den jüngeren Altersgruppen
waren Männer überrepräsentiert. u Abb 8
1 200
Wie eingangs erwähnt, ist die Zuwan-
derung von Schutzsuchenden kein allei-
1 000
niges Phänomen der Jahre 2015 und 2016.
800
Bereits vor diesem Zustrom lebten Aus-
länderinnen und Ausländer aus humani-
600 tären Gründen in Deutschland, die zum
Beispiel in der Zeit der kriegerischen Aus-
400 einandersetzungen auf dem Gebiet des
ehemaligen Jugoslawien nach Deutsch-
200 land geflohen sind. Diese Menschen leben
teilweise bereits seit gut zwei Jahrzehnten
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 in der Bundesrepublik Deutschland. Rund
336 200 (21 %) der heutigen Schutzsuchen-
offen unbefristet befristet abgelehnt
den sind zwischen 2010 und 2014 erstmals
nach Deutschland eingereist, zwischen
Quelle: Ausländerzentralregister
2000 und 2009 kamen 156 700 Menschen
(10 %), zwischen 1990 und 1999 waren es

Quelle: Ausländerzentralregister
41
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Abb 8 Altersaufbau der Schutzsuchenden 2016 nach Geschlecht – in Tausend

u Abb 8 Altersaufbau der Schutzsuchenden 2016 — in Tausend je Altersjahr ner das Gymnasium. In der Regel sind in-
nerhalb der Gruppe der Kinder mit Mi­
Männer Alter Frauen grationshintergrund die Nachteile von
ausländischen Kindern ohne deutsche
100
Staatsangehörigkeit noch größer als die
der Kinder mit Migrationshintergrund
90
und deutscher Staatsangehörigkeit. Be-
sonders schwierig ist es zudem für Kinder
80 aus Afrika – insbesondere Nordafrika –
und dem Nahen und Mittleren Osten,
70 während vor allem Kinder aus EU-Staaten
vergleichsweise geringere Benachteiligun-
60 gen haben.
Durch die noch immer hohe Nettozu-
50 wanderung wird sich in den kommenden
Jahren die Zahl der Menschen mit Migra-
40 tionshintergrund wahrscheinlich weiter
erhöhen. Insbesondere der Zuzug der
30
Schutzsuchenden wird innerhalb der Be-
völkerung mit Migrationshintergrund zu
demografischen und sozioökonomischen
20
Verschiebungen führen. Diese Verände-
rungen sind im Mikrozensus 2017 noch
10
nicht vollständig sichtbar. Das liegt vor
allem daran, dass Schutzsuchende im
40 30 20 10 0 0 10 20 30 40
Mikrozensus weiterhin unterrepräsen-
tiert sind, da ab dem Mikrozensus 2017
Quelle: Ausländerzentralregister nur für die Bevölkerung in Privathaus-
halten alle Merkmale erhoben werden.
Für Schutzsuchende, die in Gemeinschafts-
unterkünften leben, sind daher beispiels-
weise keine Informationen zur Bildung
189 500 Personen (12 %) und immerhin Erwerbsbeteiligung liegen unter dem oder zur Erwerbstätigkeit verfügbar. Aller-
37 900 (2Ausländerzentralregister
Quelle: %) der heutigen Schutzsuchen- Durchschnitt und ihre Armutsgefähr- dings zeichnen sich schon jetzt in den In-
den sind vor 1990 eingereist. dung ist hoch. Auch wenn sich seit 2005 tegrationsindikatoren Effekte ab, die auf
die Lage absolut gesehen in mancher die Zuwanderung der Schutzsuchenden
1.2.9 Ausblick Hinsicht – wie auf dem Arbeitsmarkt – zurückzuführen sind. Beispielsweise steigt
Mehr als jeder fünfte Mensch in Deutsch- verbessert hat, so existieren weiterhin seit 2014 der Anteil der Personen mit Mi-
land hat seine Wurzeln im Ausland. Die- deutliche Nachteile gegenüber der einhei- grationshintergrund ohne Schulabschluss
se Bevölkerungsgruppe ist überdurch- mischen Bevölkerung. wieder an. Das zeigt einmal mehr, dass
schnittlich jung. Sie wird in Zukunft Diese Nachteile haben direkten Ein- die Bevölkerung mit Migrationshinter-
noch weiter wachsen, zumindest wenn fluss auf die Entwicklungschancen der grund keine homogene Gruppe darstellt.
Deutschland weiterhin für so viele Men- Kinder. Kinder mit Migrationshinter- Ohne dieses Wissen wäre ein flüchtiger
schen in der Welt ein attraktives Zuwan- grund leben überwiegend in größeren Blick auf die Statistik verzerrt. Auch des-
derungsland bleibt. Mittlerweile haben Haushalten mit mehr Kindern, weniger halb ist eine differenzierte Betrachtung
36 % aller Kinder in Deutschland Wur- Wohnfläche und geringerem Einkommen dieser Thematik so wichtig.
zeln im Ausland, in manchen Regionen pro Kopf als Kinder mit Wurzeln in
sind es bereits mehr als die Hälfte. Deutschland. Sie leben häufiger in Haus-
Die Integration der derzeit in Deutsch- halten ohne einen einzigen Erwerbstäti-
land lebenden Menschen mit Migrations- gen und häufiger in Elternhäusern ohne
hintergrund lässt aber durchaus Wün- einen Bildungsabschluss. Sie besuchen
sche offen. Das Bildungsniveau und die auch häufiger die Hauptschule und selte-

42
Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1

1.3 Demografischer Wandel ist auch in


Deutschland mit der Alterung und
gab es eine Zunahme von elf Lebensjah-
ren. Die Veränderung der Sterblichkeit ist
Demografischer Schrumpfung der Bevölkerung verbunden. das Resultat eines verbesserten Lebensni-
Wandel: Beide Entwicklungen werden hauptsäch-
lich durch das anhaltend niedrige Fertili-
veaus und des medizinischen Fortschrit-
tes. Die allmähliche Angleichung der Le-
Lebenserwartung, tätsniveau (etwa 1,4 Kinder je Frau) verur- bensbedingungen zwischen Ost- und
Hochaltrigkeit sacht (siehe Kapitel 1.1.2, Seite 14). Seit
etwa 40 Jahren wird die Elterngeneration
Westdeutschland bildet sich auch in der
Angleichung der Lebenserwartung ab.
und Sterblichkeit nur zu zwei Dritteln durch Geburten er- Frauen aller Altersgruppen und Männer
setzt. Somit verschiebt sich die Alters- im Alter über 60 Jahre haben von den
struktur der Bevölkerung in das höhere Al- Veränderungen nach der Wende am
Rembrandt Scholz
ter. Eine weitere Ursache der Alterung der stärksten profitieren können.
Berliner Institut für Sozialforschung
Bevölkerung ist die Lebensverlängerung Die wesentlichen Gründe für die Stei-
und Max-Planck-Institut für
durch ein höheres Sterbealter. Die Zunah- gerung der Lebenserwartung sind bessere
demografische Forschung, Rostock
me der Lebenserwartung und die Zunah- Ernährung, gesündere Wohnsituationen,
me von Hochaltrigen, das heißt Menschen Verbesserung der sozialen Sicherheit und
WZB / SOEP im Alter ab 80 Jahren, in der Bevölkerung der medizinischen Versorgung. Trotz der
ist das Thema des folgenden Beitrages. relativ einheitlichen Trends im internatio-
Die Lebenserwartung ist ein demogra- nalen Vergleich gibt es Niveauunterschie-
fischer Indikator, der die Sterblichkeit de zu verschiedenen Zeitpunkten. Es zeigt
mithilfe von Sterbetafeln bewertet. Mit der sich, dass die Lebensdauer auch fallen
Sterbetafel werden die kumulative Wir- kann, wenn sich die Lebensbedingungen
kung der Einflüsse der Vergangenheit und verschlechtern. Es gibt keine Garantie für
die aktuelle Wirkung der Sterblichkeit auf langes Leben. Die individuelle Lebens-
die Lebenserwartung abgebildet. u Info 1 spanne ist das Ergebnis eines komplexen
In den letzten 100 Jahren hat sich die ­Zusammenspiels individueller Faktoren,
Lebenserwartung in Deutschland ver- zum Beispiel die genetische Disposition,
doppelt; in den letzten 50 Kalenderjahren die aktuelle Lebens- und Verhaltensweise

u Info 1
Sterbetafel
Die Sterbetafel zeigt die Altersverläufe der Sterblichkeit in einer Modellbevölkerung, die nicht mehr
von der realen Altersstruktur der Bevölkerung abhängig ist (Standardisierung). Mit der Sterbetafel
werden standardisierte Alterungsmaße berechnet (zum Beispiel mittlere Lebenserwartung, normale
Lebensdauer, wahrscheinliche Lebensdauer).

Das Rechenprinzip: Ein Anfangsbestand von 100 000 Personen wird der altersspezifischen Sterb-
lichkeit der realen Bevölkerung ausgesetzt. Für jedes Altersjahr werden die Gestorbenen durch
Multiplikation der Sterbewahrscheinlichkeiten (der realen Bevölkerung) mit dem Anfangsbestand
berechnet. Die jeweils überlebenden Personen sind der Anfangsbestand des nächsten Altersjahres.
Daraus ergibt sich die Altersverteilung der Überlebenden, der Gestorbenen und der verlebten Zeit.
Mit steigendem Alter verringert sich die Zahl der Überlebenden, bis der gesamte Anfangsbestand
gestorben ist.

Beziehen sich die Sterbewahrscheinlichkeiten auf ein Kalenderjahr (oder mehrere Jahre), spricht
man von einer Periodensterbetafel (Querschnitt); beziehen sie sich auf Geburtsjahrgänge, spricht
man von einer Generationen- oder Kohortensterbetafel (Längsschnitt).

Während die Beobachtung der Sterblichkeit der Periodensterbetafel sich auf den Querschnitt be-
zieht, hat die Kohortensterbetafel einen Beobachtungszeitraum von über 100 Jahren. Nicht voll-
ständig beobachtete Geburtsjahrgänge werden durch Modellrechnungen und Annahmen ergänzt.
Eine vollständige Generationensterbetafel liegt erst vor, wenn der gesamte Geburtsjahrgang tat-
sächlich verstorben ist.

43
1 / Bevölkerung und Demografie 1.3 / Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit

Abb 1 Trend der mittleren Lebenserwartung (e0) in Ost- und Westdeutschland


nach Geschlecht 1956-2015 — in Jahren

oder die allgemeine Lebens- und Umwelt- uAbb 1 Trend der mittleren Lebenserwartung bei Geburt in
bedingungen. Es gibt Hinweise, dass Bil- Ost- und Westdeutschland nach Geschlecht 1956 – 2015 — in Jahren
dung eine wesentliche Rolle spielt. Men-
schen mit einem hohen Bildungsniveau
85
haben größere Chancen, bessere Lebens-
bedingungen und ein höheres Alter bei 83
besserer Gesundheit zu erreichen (siehe
81
Kapitel 10.3, Seite 397). Es ist auch be-
kannt, dass Frauen eine höhere Lebenser- 79
wartung haben als Männer. Dieser Sach-
verhalt führt zu einem höheren Anteil von 77

Frauen im hohen Alter in Deutschland.


75
Im Alter von 80 Jahren und älter kommen
auf einen Mann etwa drei Frauen und im 73
Alter von 100 Jahren und älter 7,5 Frauen.
71
Ursache für die unterschiedliche Sterb-
lichkeit sind verschiedene biologische 69
und soziale Risiken im Lebensverlauf.
Die Sterblichkeit unterliegt weltweit 67

einem stetigen Trend, bei dem die »Re-


65
kordlebenserwartung« linear ansteigt. Die 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Sterblichkeit verschiebt sich bei Lebens­
Frauen (West) Frauen (Ost) Männer (West) Männer (Ost)
verlängerung systematisch in höhere Al-
tersgruppen. Dieser Prozess begann bei
Datenbasis: Human Mortality Database 2018.
der Säuglings- und Kindersterblichkeit
und setzte sich nach und nach bis in die Datenbasis: Human Mortality Database 2018, http://www.mortality.org.
höheren Altersgruppen fort. Heute ist das
Potenzial der weiteren Lebensverlänge-
rung im jungen und mittleren Alter weit-
gehend ausgeschöpft, sodass die Lebens- Westdeutschen. Nach der Vereinigung des Ausländeranteiles und der sozioöko-
erwartung nunmehr vor allem durch die glich sich die Sterblichkeit bis 2003 wie- nomischen Faktoren (Beschäftigungssta-
verringerte Sterblichkeit im hohen und der an und liegt seitdem in beiden Landes- tus, Arbeitslosigkeit, Art der Tätigkeit).
höchsten Alter steigt. Seit den 1960er-Jah- teilen auf ähnlichem Niveau. Bei Män- Werden diese Merkmale berücksichtigt,
ren ist die Zunahme der Bevölkerung im nern waren die Lebenserwartungswerte kann nahezu die gesamte Differenz in den
höchsten Alter empirisch sichtbar. Bislang im Zeitraum zwischen 1961 und 1976 im Mortalitätsraten der Männer zwischen den
sind für die menschliche Alterung keine Osten Deutschlands günstiger, seit 1977 beiden Regionen erklärt werden.
biologischen Grenzen erkennbar. Für die kehrte sich dieses Verhältnis um. Nach In Ost- und Westdeutschland haben
zukünftige Entwicklung werden stetige 1991 glichen sich die Werte wieder zuneh- offensichtlich verschiedene Arbeitsmarkt-
Verläufe vorausgesagt, sodass in 100 Jahren mend an, von 2003 bis 2015 verblieb eine lagen, selektive Zuwanderung aus dem
über die Hälfte eines Geburtsjahrganges konstante Differenz von einem Lebens- Ausland sowie die Ost-West-Wanderun-
das Alter von 100 Jahren erreichen könnte. jahr. u Abb 1 gen einen Einfluss auf die unterschied­
Berücksichtigt man die Merkmale Be- liche Sterblichkeit. Arbeitslose Männer
1.3.1 Entwicklung schäftigung, Arbeitslosigkeit, Kranken- haben ein zweifach höheres Sterberisiko.
der Lebenserwartung versicherung und Staatsbürgerschaft, lässt Wenn sich die Arbeitsmarktsituation in
In Abbildung 1 sind die Trends der durch- sich eine bis zu 50 % erhöhte Sterblichkeit Ost- und Westdeutschland angleicht, wird
schnittlichen Lebenserwartung bei Geburt der ostdeutschen Männer im Altersbe- daher auch eine sukzessive Angleichung
in Deutschland nach Geschlecht und Regi- reich von 35 bis 54 Jahre erklären. Die hö- der Mortalität bei Männern erwartet.
on dargestellt. Bis Mitte der 1960er-Jahre here Sterblichkeit in den ostdeutschen Die Rahmenbedingungen der medizi-
bestanden kaum Unterschiede zwischen Ländern ist die Konsequenz einer im Ver- nischen Versorgung waren in Ost- und
Ost- und Westdeutschland. Bei Frauen gleich zu den westdeutschen Ländern un- Westdeutschland sehr unterschiedlich
weitete sich zwischen Mitte der 1970er- günstigeren Zusammensetzung der Be- und haben sich erst nach 1990 angegli-
Jahre und 1990 eine Schere zugunsten der völkerung hinsichtlich der Altersstruktur, chen, was die Ausstattung des ambulan-

44
Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1

u Abb 2 Sterbewahrscheinlichkeiten von Männern nach Alter 1871– 2015


und Modellrechnungen für die Geburtsjahrgänge 1958 und 2017

0,5

0,4

0,3

0,2

0,1

0
50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100

1871 1924 1970 1990 2000 2015 Geburtsjahr 1958 Geburtsjahr 2017 Verschiebung der Sterbeverhältnisse

Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2018, Periondensterbetafel und Generationensterbetafel 1958 und 2017; Human Mortality Database 2018.

ten und stationären Bereiches, die Er- 1.3.2 Verschiebung von Geburtsjahrgang 1958 voraussichtlich im
bringung ärztlicher Leistungen, die me- Sterblichkeit in das höhere Alter Kalenderjahr 2051 im Alter von 93 Jah-
dizintechnologischen Möglichkeiten und In Abbildung 2 werden die Sterbewahr- ren erreicht. u Abb 2
das Finanzierungsvolumen betrifft. Vor scheinlichkeiten von Männern ab dem Tabelle 1 fasst die verschiedenen Mit-
1990 hatten die begrenzten ökonomi- Alter von 50 Jahren aus sogenannten Pe- telwerte von Sterbetafelfunktionen zusam-
schen Ressourcen im Osten Deutsch- riodensterbetafeln zu verschiedenen men, die geeignet sind, die Sterblichkeit
lands vor allem für Personen im höheren Zeitpunkten für Deutschland (1871 bis und die Lebensdauer einer Bevölkerung
Alter ungünstige Folgen. Inzwischen sind 2015) dargestellt, und zusätzlich für die zu beschreiben: die mittlere Lebenserwar-
die Unterschiede im Bereich der medizi- Geburtsjahrgänge 1958 und 2017 die Ge- tung, die wahrscheinliche Lebensdauer
nischen Versorgung vollständig ausgegli- nerationensterbetafel (Statistisches Bun- und die normale Lebensdauer. Die Para-
chen. Weitere Merkmale, die die Lebens- desamt Variante 2). Mit dieser Darstel- meter der Sterbetafel hängen nicht von
erwartung beeinf lussen, sind Bildung, lung kann man die Sterbeverhältnisse der Altersstruktur der Bevölkerung ab.
Einkommen und damit zusammenhän- einzelner Altersjahre über den Zeitraum Dies gilt auch für die bereinigte Sterblich-
gend die Rentenhöhe. Bei Männern, die von 1871 bis heute nachzeichnen. Dabei keit, das heißt die Sterblichkeit der Ster-
mindestens 32 Entgeltpunkte der gesetz- zeigt sich zum Beispiel für das Alter von betafelbevölkerung (Gestorbene geteilt
lichen Rentenversicherung erworben ha- 60 Jahren, dass sich die Sterbeverhältnis- durch die mittlere Bevölkerung, gemessen
ben (siehe Kapitel 8.5, Seite 333), ergibt se zwischen 1871 und 2015 um 16 Jahre je 1 000 Personen der Bevölkerung). u Tab 1
sich ein linearer Zusammenhang mit der verschoben haben; bei der Berücksichti- Der arithmetische Mittelwert der Ge-
Lebenserwartung: Je mehr Entgeltpunkte gung der erwarteten künftigen Sterblich- storbenen nach dem Alter ist die mittlere
erreicht wurden, desto höher ist die keitsreduktion für den Geburtsjahrgang beziehungsweise durchschnittliche Le-
­L ebenserwartung. Diesbezüglich gibt es 1958 sind es insgesamt 19 Jahre. Die al- benserwartung. Mit der normalen Lebens-
keinen Unterschied zwischen Ost- und tersspezifischen Sterbeverhältnisse der dauer ist das Alter gemeint, in dem die
Westdeutschen im Alter ab 65 Jahren. 80-Jährigen von 1871 werden von dem meisten Personen des Anfangsbestandes

45
1 / Bevölkerung und Demografie 1.3 / Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit

u Tab 1 Kennziffern zur Beschreibung u Abb 3 Altersverteilung der Überlebenden von 100 000 der Sterbetafel
von Lebensverlängerung in Deutsch-­ und der Mittelwert der wahrscheinlichen Lebensdauer von Frauen in Deutschland
land nach Geschlecht 2013/2015 1900 – 2015, Schweden 1770/1774 und Japan 2014

Männer Frauen
100 000
in Jahren
90 000
Mittlere
78,2 83,1
Lebenserwartung
80 000
Wahrscheinliche
81,3 86,0 70 000
­Lebensdauer

Normale 60 000
85,0 89,0
Lebensdauer
50 000
je 1 000 Personen
Bereinigte 40 000
12,8 12,0
Sterblichkeit
30 000

Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2017, 20 000


Periodensterbetafel 2013/15.

10 000

0
1 5 15 25 35 45 55 65 75 85 95 105

Japan 2014 Deutschland 2013 /2015 Deutschland 1962


(100 000 Personen) versterben. Die wahr-
Deutschland 1924 /1926 Deutschland 1900 /1910 Schweden 1770/1774
scheinliche Lebensdauer schließlich ist das wahrscheinliche Lebensdauer
Alter, bei dem 50 % des Anfangsbestandes
verstorben sind. Über 50 % aller Sterbefälle Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2015; Human Mortality Data Base 2018.

finden heute im Alter ab 81,3 Jahren für Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2015; Human Mortality Data Base 2018.

Männer und 86 Jahren für Frauen statt.


Die letztgenannte Kennziffer ist in Abbil-
dung 3 für Deutschland von 1900 bis 2015 u Abb 4 Alterverteilung der Gestorbenen und der Mittelwert
dargestellt, ergänzt um je eine Kurve für der normalen Lebensdauer von Frauen in Deutschland 1900 − 2015,
Schweden 1770/1774 und Japan 2014. Im Schweden 1770/1774 und Japan 2014 (auf 100 000 normiert)
historischen Vergleich verschiedener Zeit-
räume lassen sich so die Veränderungen
25 000
der Sterblichkeit durch die Änderung in
der Altersverteilung anhand der Mittel-
werte nachvollziehen. Der historische Pro- 20 000
zess der Lebensverlängerung gestaltet sich
in allen Ländern sehr ähnlich. Schweden
mit den historisch ältesten Daten zeigt den 15 000

Beginn der Entwicklung und Japan mit der


weltweit höchsten Lebenserwartung die 10 000
mögliche zukünftige Verteilung nach dem
Alter. Bislang gibt es keine Anzeichen,
dass sich diese Dynamik des Lebensver- 5 000
längerungsprozesses abschwächen wird.
Man kann durchaus davon ausgehen, dass
0
sich die wahrscheinliche Lebensdauer im
1 5 15 25 35 45 55 65 75 85 95 105
Durchschnitt in den nächsten 100 Kalen-
Japan 2014 Deutschland 2013/2015 Deutschland 1962
derjahren für Frauen in ein Alter von über
Deutschland 1924/1926 Deutschland 1900 /1910 Schweden 1770 /1774
100 Lebensjahren verschieben wird. u Abb 3 normale Lebensdauer
In Abbildung 4 wird die Altersvertei-
lung der Sterbefälle in den verschiedenen Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2018; Human Mortality Data Base 2018.

Zeiträumen gegenübergestellt. Es zeigen

46
Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1

sich deutliche Verschiebungen der Ster- Bis Mitte der 1990er-Jahre war über weise. Heute stehen diese Bevölkerungs­
befälle in ein immer höheres Alter, was die Sterblichkeit von Personen über daten für das Alter bis 110 + zur Verfügung
einem Anstieg der normalen Lebenser- 80 Jahre sehr wenig bekannt. Mit Modell- (www.mortality.org).
wartung entspricht. u Abb 4 annahmen des Sterblichkeitsverlaufes hat Abbildung 5 stellt die Entwicklung
Mit der Alterung der Bevölkerung man sich über die empirische Ungenauigkeit der Personen im Alter von 80 Jahren und
steigt der Bedarf an verlässlichen Daten hinweggeholfen. Erst durch die systemati- älter in Relation zum Bestand von 1960
für das hohe Alter. Die Fortschreibung des schen Sammlungen der Bevölkerungs­ dar. Es zeigen sich für alle Länder starke
Bevölkerungsbestandes wird schnell un- daten von Väinö Kannisto und Roger Zunahmen. Für einige Länder sind auch
genau, wenn nicht in regelmäßigen Ab- Thatcher erfolgte eine international ver- die Auswirkungen der Weltkriege sicht-
ständen Volkszählungen durchgeführt gleichbare Sammlung und Aufbereitung bar. Die wichtigste Ursache für den An-
werden (siehe Kapitel 1.1, Seite 11). Die ho- von Daten für den hohen Altersbereich. stieg der Bevölkerungsanteile im höheren
hen Altersklassen sind auch heute noch Die Bemühungen zielen darauf, den un­ ­A lter ist der Sterblichkeitsrückgang, be-
sehr schwach besetzt und daher anfällig genauen Bestand der Bevölkerung im sonders nach 1980. Bei den 100-Jährigen
für Fortschreibungsfehler. Da die Bevölke- höchsten Alter durch systematische Schät- und Älteren ist die relative Zunahme am
rungsstatistik mit einer großen, nach oben zungen zu ersetzen, die auf den Altersan- stärksten. Das extrem hohe Alter ist nach
offenen Altersklasse arbeitet, können Ent- gaben der Sterbefälle beruhen. Die hohe wie vor sehr selten und der Anteil dieser
wicklungen der Sterblichkeit, die zum Qualität der Bevölkerungsregister bei- Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung
größten
Abb. TeilZunahme
5: Relative in dieser
der hohen im Alter von 80 Jahrenspielsweise
PersonenAltersgruppe und älter in den skandinavischen Län- entsprechend gering: Er beträgt weniger
für ausgewählter Länder in Europa, Relation bezogen auf das Jahr
stattfinden,
1960=1. nicht abgebildet werden. dern zeigt die Validität dieser Vorgehens- als 0,5 %. u Abb 5

uAbb 5 Relative Zunahme der Personen im Alter ab 80 Jahren in ausgewählten Ländern 1960 – 2016
— bezogen auf das Jahr 1960 = 1

16 Japan
Spanien
Italien
Niederlande
14
Frankreich
Deutschland
Schweiz
12 Schweden
Belgien
Österreich
Dänemark
10 Vereinigtes
Königreich

0
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Datenbasis: Kannisto-Thatcher-Database. Eigene Berechnungen


Datenbasis: Human Mortality Database 2018.

47
1 / Bevölkerung und Demografie 1.3 / Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit

Bei beiden Geschlechtern gehen die heute länger gesund und ihr Wohlbefin- langen Zeitraum getroffen werden. Bei
Sterblichkeitsentwicklungen systema- den hat sich erhöht. Auch künftig ist zu Personen im höheren Alter sind die Vor-
tisch vom hohen Alter in ein noch höhe- erwarten, dass die gesunden Lebensjahre hersagen besonders sicher, weil sie fast
res Alter über. Im Jahr 1960 erreichten und die behinderungsfreie Lebenserwar- nur von der heutigen Altersstruktur und
20 % der Frauen und 15 % der Männer, tung zunehmen werden. Da gleichzeitig von der Entwicklung der Mortalität ab-
die den 80. Geburtstag feiern konnten, jedoch mehr Menschen ein höheres Alter hängen und kaum von Migrationsbewe-
das Alter von 90 Jahren. 40 Jahre später erreichen, wird es voraussichtlich mehr gungen. Da die tatsächliche empirische
waren es 45 % der Frauen und 30 % der Pflegebedürftige geben. Der Vergleich der Entwicklung der Einflussgrößen über den
Männer. Die Anteile derer, die sogar das Jahre 2001 und 2015 lässt eine steigende Vorausberechnungszeitraum nicht be-
100. Lebensjahr erreichen, sind deutlich Lebenserwartung erkennen, die auf einer kannt ist, werden meist mehrere Annah-
geringer. In absoluten Zahlen gemessen Zunahme der Lebenszeit sowohl inner- men zum Verlauf einzelner Komponen-
ist das höchste Alter in der Bevölkerung halb als auch außerhalb der Pflege beruht. ten getroffen. Die Ergebnisse einer Vo­
sehr gering besetzt, hat sich aber stetig Der größte absolute Zuwachs an Lebens- rausberechnung lassen sich immer nur
vervielfacht und wird voraussichtlich jahren erfolgt bei beiden Geschlechtern im Zusammenhang der jeweils getroffe-
auch in Zukunft weiter ansteigen. außerhalb der Pflege, die relative Zunah- nen Annahmen interpretieren. Da nicht
Das individuelle Interesse, alt zu wer- me ist bei der Pf legedauer besonders sicher ist, wie sich Zu- und Abwanderung
den, und die Vermeidung von gesund- hoch. u Tab 2 in Deutschland entwickeln, werden hier
heitlichen Risiken erhöhen die Lebenser- nur Trendaussagen ohne Wanderungen
wartung. Allerdings gibt es eine Reihe 1.3.3 Bevölkerungsvorausberech- getroffen (Variante: mittleres Szenario,
von Verhaltensweisen und Gesundheits- nungen und zukünftige Entwicklung ohne Wanderungen).
risiken, die von Teilen der Bevölkerung In der realen Bevölkerungsentwicklung Die unterschiedliche Besetzung der
als erhöhtes Sterberisiko in Kauf genom- sind die Prozesse der Alterung nicht deut- Altersklassen im Prognosezeitraum 2015
men werden (Alkohol, Rauchen, Überge- lich sichtbar, da die einzelnen Geburts- bis 2060 in Deutschland sind in Abbil-
wicht). Sofern sich diese gesundheitsge- jahrgänge unterschiedlich stark besetzt dung 6 dargestellt (siehe auch Kapitel
fährdenden Verhaltensweisen innerhalb sind. Die Alterspyramide einer Bevölke- 1.1.4, Seite 26). Sie verdeutlicht, dass dem
der Bevölkerung nicht verbreiten, ist rung wird sowohl durch die Bewegungs- Bevölkerungsrückgang im Alter von 20
auch in Zukunft von einem weiteren Zu- mengen Geburt, Migration und Tod beein- bis 59 Jahren ein Zuwachs im Alter von
wachs der Lebenserwartung auszugehen. flusst als auch durch epochale Ereignisse 60 bis 79 Jahren und im Alter von 80 Jah-
Die sozialen Fortschritte werden sich wie Kriege und Änderungen des sozialen ren und älter gegenüberstehen wird.
auch in einer Verbesserung des Gesund- Systems. Die Schwankungen in den Be- Während die Altersklasse ab 80 Jahren
heitszustandes umsetzen. Es erreichen völkerungszahlen im Altersverlauf kön- besonders in den Zeiträumen 2015 bis
mehr Personen ein höheres Alter mit ei- nen daher verschiedene Ursachen haben. 2020 und 2030 bis 2050 wachsen wird, ist
nem besseren Gesundheitszustand. Die Bevölkerungsvorausberechnun- der Zuwachs in der Altersklasse von 60
Wer sehr lange lebt, unterliegt mit gen (siehe Kapitel 1.1.4, Seite 26, Info 7) bis 79 Jahren vor allem im Zeitraum 2020
steigender Lebensdauer verstärkt Risiken ermöglichen es, künftige Veränderungen bis 2030 zu verzeichnen. Der Anteil der
körperlicher und kognitiver Einschrän- im Altersaufbau der Bevölkerung darzu- Bevölkerung ab 80 Jahren wird sich von
kungen und Erkrankungen. Es liegen oft stellen. Aufgrund der gleichmäßigen Be- knapp 10 % auf fast 15 % erhöhen. Im Ge-
mehrere Krankheiten (Multimorbidität) völkerungsentwicklung können Aussa- samtzeitraum kommt es zu einem steti-
vor. Generell bleiben ältere Menschen gen mit großer Genauigkeit über einen gen Rückgang der Bevölkerung im Alter

u Tab 2 Aufteilung der Lebenserwartung in pflegefreie Lebenszeit und


die Lebenszeit in Pflege nach Geschlecht 2001 und 2015

Männer Frauen

2001 2015 Änderung der Lebensdauer 2001 2015 Änderung der Lebensdauer
in Jahren in Jahren in % in Jahren in Jahren in %

Lebensdauer ohne Pflege 73,6 75,9 2,3 3,1 78,2 79,2 1 1,3

Pflegedauer 1,7 2,2 0,5 29,4 3,1 3,8 0,7 22,6

Lebenserwartung 75,3 78,1 2,8 3,7 81,3 83,0 1,7 2,1

Datenbasis: Pflegestatistik Deutschland 2017; Human Mortality Database 2018; eigene Berechnungen.

48
Abb. 5: Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter für
ausgewählter Länder in Europa, Relation bezogen auf das Jahr 1960=1.
Demografischer Wandel: Lebenserwartung, Hochaltrigkeit und Sterblichkeit / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1

u Abb 6 Anteil der Personen nach Altersgruppen 2015 – 2060 — in Prozent von 0 bis 19 Jahren, da die Elterngenerati-
on zahlenmäßig nicht durch deren Kinder
60
ersetzt wird. Nach dem Kalenderjahr 2055
werden die Strukturveränderungen weit-
gehend abgeschlossen sein. u Abb 6
50
Die Aufteilung der Personen ab 80
Jahren nach Altersklassen zeigt, dass die
40
jüngeren Altersklassen stärker besetzt
sind als die älteren. Die in der Alters-
30
struktur vorhandene Variation in der
Besetzung wird in immer höhere Alters-
20 gruppen verschoben. Die Alters­g ruppe
der 95- bis 99-Jährigen wird im Jahr
10 2055 einen Anteil von 1 % der Gesamtbe-
völkerung erreichen, der Anteil der Al-
0 tersgruppe ab 100 Jahren wird im Jahr
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 2060 noch unter 0,5 % liegen.
0 –19 Jahre 20–59 Jahre 60 –79 Jahre ab 80 Jahren Wenn man die relative Veränderung
der einzelnen Altersgruppen untersucht,
Datenbasis: Kannisto-Thatcher-Database.
Datenbasis: Eigene
Amtliche Statistik des Bundes Berechnungen
und der Länder 2015, 13. koordinierte Bevölkerungsprognose, zeigt sich, dass die besonders schwach
mittlere Variante W0.
besetzten höchsten Altersgruppen die
größten Veränderungen zu erwarten ha-
ben. 2060 sind im Vergleich zu heute
Abb 7 Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter nach
Altersgruppen in Deutschland 2015-2060 — bezogen auf das Jahr 2015 = 1
zwölfmal mehr Menschen im Alter ab
100 Jahren zu erwarten, bei der Alters-
u Abb 7 Relative Zunahme der Personen im Alter ab 80 Jahren nach klasse der 90- bis 99-Jährigen wird sich
Altersgruppen 2015 – 2060 — bezogen auf das Jahr 2015 = 1 die Anzahl um den Faktor 7 vergrößern.
Diese Befunde ergeben sich aus der Ge-
genüberstellung der aktuellen Alters-
12
struktur mit den ­P rognosen der aktuel-
len 13. koordinierten Bevölkerungsvo­
10 rausberechnung für Deutschland. u Abb 7

0
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060

80 – 84 Jahre 85 – 89 Jahre 90 –94 Jahre 95 – 99 Jahre ab 100 Jahren

Datenbasis: Amtliche Statistik des Bundes und der Länder 2015, 13. koordinierte Bevölkerungsprognose,
Datenbasis:
mittlere Variante W0.Amtliche Statistik des Bundes und der Länder 2015, 13. koordinierte
Bevölkerungsprognose, mittlere Variante W0.

49
2
Familie, Lebensformen
und Kinder
2.1 Die gegenwärtige Entwicklung im Zu-
sammenleben von Menschen wird gern
situation von Kindern. Die Vereinbarkeit
von Familie und Erwerbstätigkeit für
Lebensformen in mit dem Begriff »Pluralisierung« beschrie- Mütter und Väter wird in Abschnitt 2.1.5
der Bevölkerung ben. Damit ist gemeint, dass Menschen
sich in zunehmendem Maße frei für ein
untersucht. u Info 1, Abb 1

und Kinder von ihnen bevorzugtes Lebensmodell 2.1.1 Formen des


entscheiden. Zusammenlebens
Vor einigen Jahrzehnten lebte ein sehr Grundlage für die Bestimmung einer Le-
Thomas Baumann, Tim Hochgürtel,
großer Teil der Bevölkerung im mittleren bensform im Mikrozensus sind die
Bettina Sommer
Lebensalter in einer Ehe mit Kindern. ­sozialen Beziehungen zwischen den
Seither haben andere Lebensformen an ­M itgliedern eines Haushalts. Im Jahr
Statistisches Bundesamt Bedeutung gewonnen. Die Ehe ist zwar 2017 lebten 17,6 Millionen Ehepaare und
(Destatis) nach wie vor die häufigste Form, in der 3,2 Millionen gemischt- oder gleich­
Paare zusammenleben, hat aber deutlich geschlechtliche Lebensgemeinschaften
an Bedeutung eingebüßt. Paare leben zu- in Deutschland, zusammen also rund
nehmend unverheiratet als Lebensgemein- 20,8 Millionen Paare. Daneben gab es
schaft zusammen. Auch die Geburt von 18,5 Millionen alleinstehende Personen,
Kindern ist für viele Paare kein Anlass die ganz überwiegend (91 %) allein wohn-
mehr für eine Heirat. ten (Alleinlebende). Rund 2,6 Millionen
Die Zahl der Menschen, die als Allein- Menschen waren als Mütter oder Väter
stehende ohne Partner und Kinder woh- alleinerziehend.
nen, steigt. Auch die Zahl der Alleinerzie- Im Vergleich zu 2007 haben sich die
henden, die zwar mit Kindern, aber ohne Relationen zwischen den Lebensformen
Partner leben, wächst. verändert. So erhöhte sich die Zahl der
In Abschnitt 2.1.1 wird zunächst die Lebensgemeinschaften um 767 000 oder
Entwicklung der unterschiedlichen For- 31 %, während es 2017 in Deutschland
men des Zusammenlebens in den Jahren rund 1,1 Millionen weniger Ehepaare gab
2007 bis 2017 beschrieben. Anschließend als noch vor zehn Jahren (– 6 %). Die Zahl
werden in Abschnitt 2.1.2 Eheschließun- der Alleinlebenden stieg von 2007 bis
gen und Scheidungen im Zeitverlauf be- 2017 um knapp 1,9 Millionen (+ 12 %) auf
leuchtet. In Abschnitt 2.1.3 und 2.1.4 16,8 Millionen Personen an, die der Allein-
richtet sich der Fokus auf Familien mit erziehenden blieb mit 2,6 Millionen na-
minderjährigen Kindern und die Lebens- hezu unverändert. u Tab 1

51
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

u Info 1 u Abb 1 Familien- und Lebensformen im Mikrozensus


Was ist der Mikrozensus?
Die Datenbasis für die Abschnitte 2.1.1, 2.1.3,
2.1.4, 2.1.5 und Kapitel 2.4 bildet der Mikro-
zensus, die größte jährlich durchgeführte
Haushaltsbefragung Europas, an der 1 %
der Haushalte in Deutschland teilnehmen.
Die hier dargestellten Ergebnisse beziehen
sich auf Familien beziehungsweise andere
Lebensformen am Hauptwohnsitz. Familien
und Lebensformen am Nebenwohnsitz
und Menschen in Gemeinschaftsunterkünf-
ten (zum Beispiel Wohnheimen) werden
hier nicht berücksichtigt.

Da sich der Mikrozensus als Haushaltsbefra-


gung auf das Beziehungsgefüge der befrag-
ten Menschen in den »eigenen vier Wänden«,
also auf e­ inen gemeinsamen Haushalt kon-
zentriert, ­bleiben Eltern-Kind-Beziehungen,
die über Haushaltsgrenzen hinweg bestehen,
oder Partnerschaften mit getrennter Haus-
haltsführung, das »living apart together«,
Als Kind zählen ledige Personen (ohne Altersbegrenzung) mit mindestens einem Elternteil und
unberücksichtigt. ohne Lebenspartner /-in beziehungsweise eigene ledige Kinder im Haushalt. Lebensgemeinschaften
sind gemischtgeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.
Die Ergebnisse ab dem Mikrozensus 2011
­ urden auf einen neuen Hochrechnungs­
w
rahmen umgestellt, basierend auf den fortge-
schriebenen Daten des Zensus 2011. Die u Tab 1 Lebensformen der Bevölkerung
Mikrozensus-­Hochrechnung für die hier dar-
gestellten Vergleichs­jahre vor 2011 basiert Veränderung
2007 2017
hingegen auf den fortgeschriebenen Ergeb- gegenüber 2007
nissen der Volkszählung 1987 beziehungs-
in 1 000 in %
weise auf Fortschreibungsergebnissen
der Daten des zentralen Einwohnerregisters Paare 21 171 20 843 – 1,5
der ehemaligen DDR vom 3. Oktober 1990.
 Ehepaare 18 691 17 597 – 5,9
Ab dem Berichtsjahr 2016 wurde die Stich-  Lebensgemeinschaften 2 479 3 246 + 30,9
probe des Mikrozensus auf eine neue Grund-
 gemischtgeschlechtlich 2 411 3 134 + 30,0
lage, basierend auf den Daten des Zensus
2011, umgestellt. Die Ergebnisse im Berichts-  gleichgeschlechtlich 68 112 + 63,3
jahr 2016 sind ebenso beeinflusst von der Alleinerziehende 2 628 2 619 – 0,4
ungewöhnlich starken Zu­wanderung, insbe-
Alleinstehende 16 470 18 483 + 12,2
sondere durch Schutzsuchende. Bei der
überwiegenden Mehrheit der Aufnahmeein-  Alleinlebende ¹ 14 930 16 789 + 12,4
richtungen handelte es sich nicht um Wohn­
1 Einpersonenhaushalte.
gebäude, sodass die dort lebenden Men- Ergebnisse 2017 auf Basis des Zensus 2011, für 2007 auf Basis früherer Zählungen.
schen für den Mikrozensus nicht befragt Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
wurden. B­ ei der Interpretation der Ergebnis-
se zur Bevölkerung ohne deutsche Staats­
angehörigkeit ist deshalb zu berücksichtigen,
dass diese auf den Angaben der in Privat-
haushalten lebenden Ausländerinnen und Gemischtgeschlechtliche Paare Lebensgefährten mit einem gleichen oder
Ausländer beruhen. Bei gemischtgeschlechtlichen Paaren ähnlichen Bildungsabschluss. Wenn sich
Seit dem Jahr 2017 wird die Frage nach zeigt sich eine Präferenz für Partner mit das Bildungsniveau unterscheidet, dann
­unverheirateten Paaren im Haushalt mit Aus- ähnlichen Eigenschaften. So weisen beide verfügt meist der Mann über einen hö­
kunftspflicht erhoben. Die erfasste Anzahl
der unverheirateten Paare steigt damit
Partner in der Regel einen ähnlichen Bil- heren Abschluss. Das war bei 27 % der
­geringfügig an, da mit der Auskunftspflicht dungsstand, ein ähnliches Alter und die Paare der Fall. Die umgekehrte Situation –
unverheiratete Paare näherungsweise gleiche Nationalität auf. die Frau hat einen höheren Bildungsstand –
­vollständig erfasst werden. Im Gegenzug
sinkt die Anzahl der Alleinerziehenden und gab es lediglich bei etwa jedem zehnten
Alleinstehenden. Bildungsstand Paar (10 %). Im Vergleich zu 2007 hat sich
Die meisten Menschen wählen eine Part- hier wenig verändert: Damals hatte bei
nerin oder einen Partner mit gleichem 9 % der Paare die Frau e­ inen höheren Bil-
Bildungsniveau. So hatten 2017 fast zwei dungsabschluss als der Mann. u Abb 2, Info 2
Drittel (63 %) der 20,7 Millionen gemischt- Unterschiede zeigen sich bei einer
geschlechtlichen Paare in Deutschland ­separaten Betrachtung der Ehepaare und

52
Abb 2 Paare nach Bildungsstand 2016 - in Prozent Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Abb 2 Paare nach Bildungsstand 2017 — in Prozent u Info 2


Bildungsstand
Frau hat höhere Bildung Der Bildungsstand basiert auf der internatio-
als Mann beide nal v­ ergleichbaren Klassifikation für das
15
hohe Bildung Bildungs­wesen »International Standard Clas-
10
sification of Education« (ISCED). Der höchste
erreichte ­B ildungsstand wird danach aus
Mann hat höhere Bildung
den Merkmalen »allgemeiner Schulab-
20,7 schluss« und »beruflicher Bildungsab-
als Frau
Millionen beide schluss« kom­biniert. Grundsätzlich wird zwi-
27 Paare 40 mittlere Bildung
schen drei K ­ ategorien unterschieden: »hoch«,
»mittel« und »niedrig«. Personen mit ­e inem
hohen ­B ildungsstand verfügen über einen
Partner mit akademischen Abschluss oder einen Meister- /
gleicher Bildung Techniker- oder Fachschulabschluss (ISCED-­
beide
7 Stufen 5 bis 8). Berufsqualifizierende Ab-
63 niedrige Bildung
schlüsse und / oder das Abitur beziehungs-
Paare: Ehepaare und gemischtgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. weise die Fachhochschulreife gehören zur
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
­K ategorie mittlerer Bildungsstand (ISCED-
Stufen 3 und 4). Personen mit ausschließlich
einem Haupt- / Realschul­a bschluss oder
ohne schulischen oder beruflichen Ab-
u Abb 3 Paare nach Bildungsstand der Partner 2017 — in Prozent
schluss fallen in die Kategorie niedriger Bil-
1 Paare: Ehepaare und gemischtgeschlechtliche Lebensgemeinschaften dungsstand (ISCED-Stufen 0, 1 und 2).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Ehepaare 62 28 10

gemischt-
geschlechtliche 66 20 15
Lebensgemein-
schaften
Altersunterschied von mehr als zehn Jah-
Partner mit gleicher Bildung Mann hat höhere Bildung Frau hat höhere Bildung
ren. Fast die Hälfte (47 %) hatte nur einen
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. geringen Altersunterschied zwischen
­einem und drei Jahren. Genau gleich alt
war immerhin jedes zehnte Paar (10 %).
u Abb 4 Paare nach Altersunterschied 2017 — in Prozent Unabhängig von der Höhe des Altersun-
terschiedes gilt jedoch im Großen und
Ganzen die traditionelle Altersverteilung –
Ehepaare 10 73 17 der Mann ist älter als die Frau. Bei rund
gemischt-
drei Vierteln (72 %) traf dies zu, nur bei
geschlechtliche 10 67 24 18 % der Paare war es umgekehrt.
Lebensgemein-
schaften Betrachtet man verheiratete und nicht
kein Altersunterschied Mann älter als Frau Frau älter als Mann
verheiratete Paare getrennt voneinander
hinsichtlich des Alters in der Paarkon­
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
stellation, zeigt sich noch einmal eine an-
dere Struktur. Zwar herrschte im Jahr
2017 auch bei unverheirateten Paaren
überwiegend (67 %) eine traditionelle
­A ltersverteilung, doch in fast jeder vier-
der Lebensgemeinschaften. Bei 28 % der Paaren verfügte der Mann nur in 20 % ten Beziehung war die Frau älter als ihr
Ehepaare hatte der Mann einen höheren der Fälle über einen höheren Bildungsab- Partner (24 %). Rund 10 % dieser Paare
Bildungsstand als seine Frau und nur bei schluss als die Frau, wohingegen in 15 % waren gleich alt. Unter den Verheirateten
10 % war dies umgekehrt. Die dem klassi- der Fälle der Abschluss der Frau ­höher war die klassische Verteilung der Alters-
schen Rollenbild entsprechende Bil- war als der des Mannes. u Abb 3 konstellation etwas stärker ausgeprägt:
dungskonstellation – der Mann ist höher Bei knapp drei von vier Ehepaaren (73 %)
gebildet als die Frau – ist bei den Lebens- Alter war der Mann älter als seine Frau. In
gemeinschaften, die ohne Trauschein in In den meisten Partnerschaften weisen ­jeder zehnten Ehe waren beide Partner
einem Haushalt zusammenleben, schwä- die Partner ein ähnliches Lebensalter auf. gleich alt (10 %) und in 17 % der Ehen war
cher ausgeprägt. Bei den unverheirateten Lediglich 6 % aller Paare trennte 2017 ein die Frau älter. u Abb 4

53
Abb 5 Paare nach Staatsangehörigkeit 2016 - in Prozent
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

u Abb 5 Paare nach Staatsangehörigkeit 2017 — in Prozent u Info 3


Gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften
deutsch-ausländisch deutsch-deutsch Eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft
7 85 ist im Mikrozensus eine Lebenspartnerschaft, ­
bei der zwei Lebenspartner gleichen Geschlechts
ausländisch-ausländisch unverheiratet in einem Haushalt zusammenleben
und gemeinsam wirtschaften.
8
Entscheidend für die Klassierung als Lebens­
gemeinschaft im Mikrozensus – egal ob ­­
20,7
gleich- oder ­g emischtgeschlechtlich – ist die
Millionen
­Einstufung der Befragten selbst. Eine dahin
Paare
­g ehende Frage wird seit 1996 gestellt. Ihre
­Be­antwortung war den befragten Personen bis
2016 freigestellt, seit dem Berichtsjahr 2017
­besteht Auskunftspflicht.

Paare: Ehepaare und gemischtgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.


Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Paare: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften.


Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

u Tab 2 Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften — in Tausend Männern geführt. Rund 53 000 (48 %) aller
gleichgeschlechtlichen Lebensgemein-
Insgesamt Männer Frauen
schaften waren 2017 zugleich eingetrage-
2007 Insgesamt 68 44 24 ne Lebenspartnerschaften, 55 % davon
 mit ledigen Kindern ¹ / / / wurden von Männern geführt. Im Zeit-
2017 Insgesamt 112 62 50 verlauf lässt sich ein konstanter Anstieg
 mit ledigen Kindern ¹ 11 / 11 der gleichgeschlechtlichen Lebensge-
meinschaften erkennen. Seit 2007 hat
1 Ohne Altersbegrenzung.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug. sich ihre Anzahl von 68 000 um fast zwei
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Drittel (65 %) erhöht. u Info 3, Tab 2
Im Jahr 2017 lebten 11 000 gleichge-
schlechtliche Paare mit Kindern zusam-
men. Davon entfielen 96 % auf gleichge-
Staatsangehörigkeit Paaren überwiegen ebenfalls deutlich schlechtliche Partnerschaften von Frauen.
Studium und Urlaub im Ausland, der Zu- diejenigen Partnerschaften, in denen bei- Insgesamt lebten so 16 000 Kinder mit
zug von Ausländerinnen und Ausländern de Partner die gleiche Staatsangehörig- ­einem gleichgeschlechtlichen Elternpaar
nach Deutschland – mit zunehmender keit besitzen (89 %). u Abb 5 zusammen. Davon waren 14 000 Kinder
Globalisierung und Mobilität im privaten Wenn deutsche Männer eine auslän- unter 18 Jahren.
und beruf lichen Umfeld der Menschen dische Partnerin gewählt hatten, dann
könnte man vermuten, dass auch Paar­ hatte diese häufig eine türkische (12 %), Bildungsstand
beziehungen immer internationaler wer- polnische (9 %) oder eine russische (7 %) Bei den gleichgeschlechtlichen Paaren
den. Zwar steigt der Anteil von Paaren Staatsangehörigkeit. Deutsche Frauen verfügten die Partner ebenfalls häufig
mit verschiedenen Staatsangehörigkeiten, lebten 2017 vor allem mit Türken (17 %), über ein ähnliches Bildungsniveau. Auch
dennoch haben nach wie vor die meisten Italienern (12 %) und Österreichern (6 %) hier waren 63 % der Paare auf dem glei-
Paare den gleichen Pass. So überwogen zusammen. chen Bildungsstand. Im Vergleich zu den
unter den Paaren 2017 in Deutschland gemischtgeschlechtlichen Paaren fällt auf,
klar die deutsch-deutschen Verbindun- Gleichgeschlechtliche Paare dass bei gleichgeschlechtlichen Paaren
gen (85 %), auch wenn ihr Anteil im Anhand der Frage zur Lebenspartner- anteilig mehr Paare über eine hohe Bil-
10-Jahres-Vergleich etwas zurückge­ schaft weist der Mikrozensus für das Jahr dung verfügen. So waren bei 23 % der
gangen ist (2007: 87 %). Im Jahr 2017 2017 rund 112 000 gleichgeschlechtliche gleichgeschlechtlichen Paare beide Part-
machten deutsch-ausländische Paare Lebensgemeinschaften aus. Etwas mehr ner hoch gebildet. Unter gemischtge-
7 % (2007: 7 %) und ausländische Paare als die Hälfte (55 %) der gleichgeschlecht- schlechtlichen Partnerschaften traf dies
8 % (2007: 6 %) aus. Unter ausländischen lichen Lebensgemeinschaften wurde von nur auf 11 % der Paare zu.

54
Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

Alter ziehenden Vätern waren 26 % ledig. Aller- Alleinstehende


Gleichgeschlechtliche Paare weisen zu- dings waren sie mit 9 % doppelt so häufig Als Alleinstehende werden im Mikrozen-
sätzlich einen etwas größeren Altersunter- bereits verwitwet wie die alleinerziehen- sus ledige, verheiratet getrennt lebende,
schied zwischen den Partnern auf, als den Mütter. u Abb 6 geschiedene oder verwitwete Personen
dies in gemischtgeschlechtlichen Partner- Rund ein Drittel (32 %) der alleinerzie- bezeichnet, die ohne Lebenspartner /
schaften der Fall ist. Während ein Groß- henden Väter betreute Kinder im Alter -partnerin und ohne Kinder in einem
teil der gemischtgeschlechtlichen Paare von 15 bis 17 Jahren. Alleinerziehende Müt- ­P rivathaushalt wohnen. Diesen können
keinen beziehungsweise nur einen gerin- ter versorgten – relativ betrachtet – deut- sie sich jedoch mit anderen Menschen
gen Altersunterschied bis zu drei Jahren lich seltener Kinder dieses Alters (20 %). (zum Beispiel Geschwistern, Freunden,
aufwies, trennten gleichgeschlechtliche Sie waren häufiger für jüngere Kinder ver- Arbeitskollegen) teilen oder dort allein
Paare in den meisten Fällen (67 %) vier antwortlich. So lebten bei 30 % der allein- wohnen. Im Jahr 2017 war nahezu jede
Jahre und mehr. Dabei bestand bei 21 % erziehenden Mütter Kinder im Krippen- vierte Person (23 %) in Deutschland al-
der Paare ein Altersabstand von mehr als oder Vorschulalter von unter sechs Jahren. leinstehend (18,5 Millionen). Seit 2007
zehn Jahren. Bei den gemischtgeschlecht- Nur 14 % der alleinerziehenden Väter be- ist die Zahl der Alleinstehenden um 12 %
lichen Paaren war dieser Anteil mit 6 % treuten Kinder dieser Altersgruppe. u Abb 7 gestiegen.
wesentlich niedriger.

Alleinerziehende
Es gibt immer mehr Alleinerziehende in
Deutschland. Im Jahr 2017 lebten insge- u Abb 6 Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren
samt 2,6 Millionen Menschen als allein- nach Familienstand 2017 — in Prozent
erziehende Mütter oder Väter, von denen
59 % minderjährige Kinder hatten. Die
nachfolgenden Ergebnisse beziehen sich Mütter 43 15 38 4
ausschließlich auf diese Gruppe: die al-
leinerziehenden Mütter und Väter, die Väter 26 22 44 9
mindestens ein im Haushalt lebendes,
minderjähriges Kind betreuten. Zu den ledig verheiratet getrennt lebend geschieden verwitwet
alleinerziehenden Elternteilen zählen im
Mikrozensus alle Mütter und Väter, die
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
ohne Ehe- oder Lebenspartner /-partnerin
mit ledigen Kindern im Haushalt zusam-
menleben. Unerheblich ist dabei, wer im
juristischen Sinn für das Kind sorge­ u Abb 7 Alleinerziehende nach Alter des jüngsten Kindes 2017 — in Prozent
berechtigt ist. Im Vordergrund steht der
aktuelle und alltägliche Lebens- und
Haushaltszusammenhang. 15 –17 unter 15 –17 unter
Alleinerziehen betrifft zum größten Jahre 6 Jahren Jahre 6 Jahren

Teil Frauen. Im Jahr 2017 waren 1,4 Milli- 20 30 32 14


onen Mütter und 190 000 Väter alleiner-
ziehend. Damit war in knapp neun von 6 –9
zehn Fällen (88 %) der alleinerziehende Jahre

Elternteil die Mutter. Am häufigsten wer- 1,4 Millionen 190 000 20


den Mütter und Väter mit minderjähri- 10 –14 Mütter Väter
Jahre
gen Kindern infolge einer Scheidung zu
28
Alleinerziehenden. Im Jahr 2017 waren
53 % dieser Frauen und 66 % dieser Män- 6 –9 10 –14
ner geschieden oder noch verheiratet, Jahre Jahre

­lebten aber bereits getrennt vom Ehepart- 22 33

ner beziehungsweise von der Ehepartnerin.


Ledig waren 43 % der alleinerziehenden Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Mütter, verwitwet 4 %. Von den alleiner-

55
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

u Abb 8 Alleinstehende
Abb 8 Alleinstehendenach Familienstand
nach Familienstand — in Prozent
und Geschlecht - in Prozent Etwas mehr als die Hälfte (51 %) der
Alleinstehenden 2017 waren Frauen, ins-
gesamt rund 9,5 Millionen. Ihre Zahl ist
38 4 19 39 2017 seit 2007 um 6 % gestiegen, die Zahl der
Frauen
37 4 16 44
alleinstehenden Männer erhöhte sich je-
2007
doch um 20 %.
Unterschiede zwischen alleinstehen-
65 7 18 10 2017 den Frauen und Männern zeigen sich un-
Männer
63 7 19 11 2007 ter anderem beim Familienstand. Im Jahr
2017 waren 39 % der alleinstehenden
ledig verheiratet getrennt lebend geschieden verwitwet
Frauen verwitwet, 38 % ledig, 19 % geschie-
den und 4 % verheiratet, aber getrennt le-
Abb 9
Ergebnisse Alleinstehende
2017 nach 2011, für 2007 auf Basis früherer Zählungen.
auf Basis des Zensus bend. Im Jahr 2007 waren alleinstehende
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Haushaltsform 2016 – in Prozent Frauen noch deutlich häufiger verwitwet
(44 %). Seitdem gestiegen ist damit der
Ergebnisse 2016 auf Basis des Zensus 2011, für 2006 auf Basis früherer Zählungen. Anteil der Ledigen und der Geschiedenen
u Abb 9 Alleinstehende nach Haushaltsform
Ergebnisse des Mikrozensus 2017 — in Prozent
– Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
an allen alleinstehenden Frauen. Bei den
alleinstehenden Männern war die Rei-
in Mehrpersonenhaushalten
nur mit Familienfremden henfolge eine andere: Hier überwogen
Alleinlebende
4 (Einpersonenhaushalte)
2017 deutlich mit 65 % die Ledigen, mit
in Mehrpersonenhaushalten großem Abstand gefolgt von den Ge-
91
mit Verwandten 1 schiedenen (18 %), den Verwitweten mit
5 10 % und den verheiratet Getrenntleben-
den mit 7 %. Im Betrachtungszeitraum
gab es bei den Männern nur geringfügige
18,5 Millionen
Alleinstehende
Veränderungen. u Abb 8
Von den Alleinstehenden des Jahres
2017 lebten 91 % allein in einem Ein­
personenhaushalt. Die anderen lebten
­zusammen mit anderen Menschen unter
1 Sowie Verschwägerten und gegebenenfalls Nichtverwandten.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Abb 10 Alleinlebende nach Alter und Geschlecht 2013


- in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe
u Abb 10 Alleinlebende nach Alter 2017 — in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe
1 Sowie Verschwägerten und
gegebenenfalls Nichtverwandten.
60
Ergebnisse des Mikrozensus –-
Bevölkerung in Familien/Lebensformen
am Hauptwohnsitz.

40

20

0
unter 25 25 –29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70 –74 75 und älter

Frauen Männer im Alter von … bis … Jahren

Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

56
Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

einem Dach: Rund 5 % teilten sich den


Haushalt mit Verwandten, beispielsweise Eingetragene
der Schwester oder dem Bruder, und ge- Lebenspartnerschaften
gebenenfalls weiteren nicht verwandten Rund 44 000 gleichgeschlechtliche künftig: »Die Ehe wird von zwei Perso-
Personen. Weitere 4 % wohnten in Haus- Paare lebten 2016 in Deutschland als nen verschiedenen oder gleichen Ge-
halten mit ausschließlich nicht verwand- eingetragene Lebenspartnerschaften schlechts auf Lebenszeit geschlossen.«
ten oder verschwägerten Haushaltsmit- in einem Haushalt zusammen. Das Mit der Öffnung der Ehe für gleichge-
gliedern, beispielsweise in einer Wohn­ 2001 verabschiedete Lebenspartner- schlechtliche Paare seit dem 1. Okto-
gemeinschaft von Studierenden. u Abb 9 schaftsgesetz ermöglichte es zwei ber 2017 ist die Neueintragung der Le-
Menschen gleichen Geschlechts, ihrer benspartnerschaft nicht mehr möglich.
Alleinlebende Beziehung einen rechtlichen Rahmen Die schon eingetragenen Lebenspart-
Alleinlebende sind Alleinstehende, die zu geben. Seit 2006 wird dieser Fami- nerschaften können bestehen bleiben
­a llein in einem Einpersonenhaushalt lienstand im Mikrozensus erhoben. oder in eine Ehe umgewandelt werden.
wohnen und wirtschaften. Sie sind im Damals hatte es knapp 12 000 einge- In der Vergangenheit wurden
Durchschnitt älter als Alleinstehende:­ tragene Lebenspartnerschaften in Ehen und eingetragene Partnerschaf-
So waren 2017 in Deutschland von den Deutschland gegeben. ten bereits weitgehend rechtlich gleich-
16,8 Millionen Alleinlebenden 34 % älter Im Jahr 2016 wurden 7 733 Lebens­ gestellt. So wurde beispielsweise 2005
als 65 Jahre. Bei den Alleinstehenden in partnerschaften begründet, 4,5 % mehr das Unterhaltsrecht fast vollständig
Mehrpersonenhaushalten betrug dieser als 2015. Ähnlich wie eine Scheidung angeglichen, die Stief kindadoption
Anteil lediglich 23 %. Hingegen waren nur gibt es auch Aufhebungen von einge- zugelassen und die Lebenspartner wur-
8 % der Alleinlebenden jünger als 25 Jah- tragenen Lebenspartnerschaften: 2016 den in die Hinterbliebenenversorgung
re, bei den Alleinstehenden in Mehrper- beendeten 1 238 Paare diese Partner- einbezogen. Durch die Ehe für alle
sonenhaushalten waren es 19 %. schaft, 9,0 % mehr als im Jahr davor. ­haben gleichgeschlechtliche Ehepaare
Alleinstehende und Alleinlebende un- Der Bundestag verabschiedete im jetzt auch das gleiche Recht, Kinder zu
terscheiden sich auch in anderen sozial- Juni 2017 den Gesetzentwurf »zur Ein- adoptieren wie andere Ehepaare.
strukturellen Merkmalen. So waren Al- führung des Rechts auf Eheschließung Die Angaben in Abschnitt 2.1.2
leinstehende in Mehrpersonenhaushalten für Personen gleichen Geschlechts«. beziehen sich noch auf das Berichts-
zu 60 % ledig und zu 18 % verwitwet, Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es jahr 2016.
bei Alleinlebenden betrugen die entspre-
chenden Anteile 50 % beziehungsweise
25 %. Der Frauenanteil bei den Alleinste-
henden in Mehrpersonenhaushalten war
mit 48 % zudem etwas niedriger als bei
den Alleinlebenden (52 %). 2.1.2 Eheschließungen und Unter den standesamtlich geschlosse-
Jüngere Frauen und Frauen mittleren Scheidungen nen Ehen des Jahres 2016 waren bei 86 %
Alters (25 bis 59 Jahre) lebten 2017 selte- Die folgenden Angaben sind der Statistik der Ehen beide Ehepartner deutscher
ner allein als gleichaltrige Männer. So lag der Eheschließungen und der Statistik ­Nationalität. Von den Ehen mit ausländi-
die Quote der Alleinlebenden bei Frauen der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauf- schen Partnerinnen und Partnern schlos-
dieser Altersgruppe mit 17 % deutlich lösungssachen (Scheidungsstatistik) ent- sen bei 45 % der Ehen deutsche Männer
­u nter der entsprechenden Quote für nommen. Die Standesämter melden die mit einer ausländischen Frau den »Bund
Männer (26 %). Umgekehrt ist es in der Eheschließungen an die Statistik und die fürs Leben«, und bei 36 % heirateten deut-
Altersgruppe ab 60 Jahren: Frauen in die- Justizgeschäftsstellen der Familiengerichte sche Frauen einen Mann mit ausländi-
ser Altersgruppe lebten wesentlich häufi- die Scheidungsfälle. scher Staatsangehörigkeit. Bei den ver-
ger allein als gleichaltrige Männer. Bei In Deutschland heirateten im Jahr bleibenden 19 % besaßen beide Partner
­ä lteren Frauen steigt der Anteil der Al- 2016 insgesamt 410 000 Paare. Damit stieg eine ausländische Staatsangehörigkeit,
leinlebenden mit zunehmendem Alter die Zahl der Eheschließungen gegenüber davon hatten Mann und Frau meistens
rasch und stark an. Hier wirkt sich unter dem Vorjahr um 3 %. Mehr Eheschlie- die gleiche Staatsangehörigkeit (69 %).
anderem die deutlich höhere Lebenser- ßungen als 2016 hatte es zuletzt im Jahr Mit der Eheschließung warten junge
wartung von Frauen aus. Bei den Män- 2000 gegeben. Anfang der 1960er-Jahre Menschen immer länger: Seit Mitte der
nern sinkt die Alleinlebendenquote bis lag die Zahl der jährlichen Eheschließun- 1970er-Jahre ist in Deutschland das
zum 75. Lebensjahr und nimmt erst dann gen noch deutlich höher, beispielsweise durchschnittliche Heiratsalter Lediger
wieder zu. u Abb 10 1961 mit fast 700 000. u Tab 3 kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2016

57
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

u Tab 3 Eheschließungen und Scheidungen Wie das durchschnittliche Alter der


Eheschließungen Scheidungen Eheschließenden steigt auch das Alter von
insgesamt je 1 000 insgesamt je 1 000
Menschen, die sich scheiden lassen, konti-
in 1 000 Einwohner in 1 000 Einwohner nuierlich: Im Jahr 2016 waren Männer im
1950 750 11,0 135 2,0 Schnitt 46 Jahre und 7 Monate alt, Frauen
1960 689 9,5 73 1,0 43 Jahre und 7 Monate; 1996 hatte das
1970 575 7,4 104 1,3 durchschnittliche Alter bei der Scheidung
1980 497 6,3 141 1,8 für Männer noch etwa 7 Jahre und für
1990 516 6,5 155 2,0 Frauen 6 Jahre weniger betragen.
2000 419 5,1 194 2,4 Von einer Scheidung sind häufig neben
2010 382 4,7 187 2,3 den Ehepartnern auch deren gemeinsame
2015 400 4,9 163 2,0 Kinder betroffen. Etwa die Hälfte der im
2016 410 5,0 162 2,0 Jahr 2016 geschiedenen Ehepaare hatte
Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt erleb-
Berechnungen je 1000 Einwohner ab dem Jahr 2015 auf Basis des Zensus 2011.
ten rund 132 000 minderjährige Kinder
die Scheidung ihrer Eltern. Ihren Höchst-
stand hatte die Zahl der betroffenen
­K inder im Jahr 2003 mit 170 300 erreicht.
waren ledige Männer bei der Hochzeit im Formale Voraussetzung für eine Ehe- Bei fast allen Scheidungen (97 %) des
Durchschnitt genau 34 Jahre und ledige scheidung ist in der Regel, dass die Part- Jahres 2016, bei denen gemeinsame
Frauen 31 Jahre und 6 Monate alt. Das ner mindestens seit einem Jahr getrennt ­m inderjährige Kinder betroffen waren,
sind jeweils 4 Jahre mehr als noch vor leben. Dementsprechend trifft dies auf blieb das Sorgerecht bei beiden Eltern­
20 Jahren. Bei insgesamt 68 % der Hoch- den größten Teil aller Ehescheidungen teilen (60 000 Verfahren), da weder Vater
zeiten waren beide Personen zuvor ledig. zu: 83 % der Ehen wurden 2016 nach die- noch Mutter einen Antrag auf das allei­
Bei 13 % der Ehen war es für beide bereits ser Trennungszeit geschieden, 16 % aller nige Sorgerecht gestellt hatten. In rund
der (mindestens) zweite Versuch: Sie Scheidungen erfolgten nach dreijähriger 1 700 Verfahren wurde hingegen das Sor-
wurden zwischen einem geschiedenen Trennung. In 1 500 Fällen oder 1 % aller gerecht vom Familiengericht übertragen,
Mann und einer geschiedenen Frau ge- Scheidungen hatten die Partner vor dem darunter bei 70 % der Verfahren (rund
schlossen. Am häufigsten geheiratet wur- Scheidungsurteil weniger als ein Jahr ge- 1 200) auf die Mutter.
de 2016 im Juni und Juli, am seltensten trennt gelebt und waren somit nach Aus-
im Januar. nahmeregelungen von der üblicherweise 2.1.3 Familien und ihre Strukturen
Seit dem 1. Oktober 2017 können Ehen vorgesehenen Trennungszeit geschieden Als Familie definiert der Mikrozensus alle
zwischen Personen gleichen Geschlechts worden. Die 2016 geschiedenen Ehen hat- Eltern-Kind-Gemeinschaften. Im Einzelnen
geschlossen werden. Zuvor hatte es für ten im Durchschnitt 15 Jahre bestanden. sind das Ehepaare, Lebensgemeinschaften
sie die Möglichkeit gegeben, eine ein­ Der Scheidungsantrag wurde meist von sowie alleinerziehende Mütter und Väter
getragene Lebenspartnerschaft zu be- der Frau gestellt (51 %), der Mann reichte mit ledigen Kindern im Haushalt. In die-
gründen. Davon machten 2016 rund den Antrag nur in 41 % der Fälle ein. In sem Abschnitt liegt der Schwerpunkt auf
7 700 Paare Gebrauch. den verbleibenden Fällen beantragten Familien mit minderjährigen Kindern.
Das Auflösen einer Ehe erfolgt ent- beide Ehegatten gemeinsam die Schei- Das bedeutet, dass mindestens ein min-
weder durch gerichtliche Scheidung, dung (8 %). derjähriges Kind im elterlichen Haushalt
­gerichtliche Auf hebung oder den Tod Von den gerichtlichen Ehescheidungen aufwächst, gegebenenfalls gemeinsam mit
des Ehepartners, wobei der letzte Fall 2016 besaßen in 85 % der Fälle beide Ehe- minder- oder volljährigen Geschwistern.
überwiegt (2016: 69 %). Die Zahl der partner die deutsche Staatsangehörigkeit, Dabei ist es unerheblich, ob es sich um
gericht­lichen Scheidungen lag 2016 bei bei 15 % war mindestens ein ausländischer leibliche Kinder, Stief-, Pf lege- oder
162 400 oder 31 % aller Ehelösungen. Auf Ehepartner beteiligt. Bei Scheidungen ­Adoptivkinder handelt (siehe Abb 1).
je 1 000 Einwohner kamen 2016 damit mit ausländischen Partnern ließen sich Im Jahr 2017 gab es in Deutschland
2,0 Ehescheidungen. Nach den derzeiti- 9 000 deutsche Frauen von einem auslän- 8,2 Millionen Familien mit minder­
gen Scheidungsverhältnissen werden dischen Mann und 8 000 deutsche Männer jährigen Kindern; 2007 waren es noch
etwa 35 % a­ ller in einem Jahr geschlosse- von einer ausländischen Frau scheiden. In 8,6 Millionen Familien. Innerhalb von
nen Ehen im Lauf der nächsten 25 Jahre den restlichen 7 000 Fällen hatten beide zehn Jahren ist die Zahl der Familien um
­w ieder ­geschieden, also mehr als jede Ehepartner eine ausländische Staatsan­ rund 368 000 gesunken. Das entspricht
dritte Ehe. gehörigkeit, darunter 4 000 die gleiche. einem Rückgang von 4 %. u Tab 4

58
Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Tab 4 Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach Lebensformen u Info 4


Familien mit Migrationshintergrund
Veränderung
2007 2017
gegenüber 2007 Zu den Familien mit Migrationshintergrund
in 1 000 in % zählen alle in einem Haushalt zusammen­
lebenden Eltern-Kind-Gemeinschaften, b ­ ei
Familien 8 572 8 204 – 4,3 denen mindestens ein Elternteil eine aus­
 Familien ohne ländische Staatsangehörigkeit besitzt oder
6 242 5 359 – 14,1 die deutsche Staatsangehörigkeit durch
Migrationshintergrund
­E inbürgerung oder – wie im Fall der Spät­
 Familien mit
2 330 2 845 + 22,1 aussiedler – durch einbürgerungsgleiche
Migrationshintergrund
Maßnahmen erhalten hat.
Ehepaare 6 327 5 721 – 9,6
Lebensgemeinschaften 675 934 + 38,4
Alleinerziehende 1 570 1 549 – 1,3

Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. Familienformen


Hinter den rückläufigen Familienzahlen
stehen unterschiedliche Entwicklungen
u Familien
Abb 11 Abb mit
11 Familien mitKind(ern) unter
Kind(ern) unter 18 Jahren
18 Jahren nach Familienform — in Prozent
nach Familienform der einzelnen Familienformen. Während
die Zahl der Ehepaare mit Kindern konti-
nuierlich gesunken ist, stieg die Zahl der
2017 70 11 19 Alleinerziehenden und der unverheirate-
2007
ten Lebensgemeinschaften mit Kindern.
74 8 18
Gab es 2007 noch 6,3 Millionen Ehepaare
1997 81 5 14 mit minderjährigen Kindern, so waren es
zehn Jahre später nur noch 5,7 Millionen
Ehepaare Lebensgemeinschaften Alleinerziehende (– 10 %). Umgekehrt hat sich die Zahl der
Lebensgemeinschaften mit minderjähri-
gen Kindern von 675 000 im Jahr 2007 auf
Ergebnisse 2017 auf Basis des Zensus 2011, für 2007 und 1997 auf Basis früherer Zählungen.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. 934 000 im Jahr 2017 erhöht (+ 38 %). Die
Zahl der Alleinerziehenden stieg in die-
Ergebnisse 2016 auf Basis des Zensus 2011, für 2006 auf Basis früherer Zählungen.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. sem Zeitraum ebenfalls leicht an. Die
wachsende Bedeutung unverheirateter be-
u Abb 12 Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach Familienform ziehungsweise alleinerziehender Famili-
und Migrationsstatus 2017 — in Prozent enformen führte zu einer Verschiebung
der Familienstrukturen, bei der aller-
dings nach wie vor die Ehepaare mit Kin-
mit Migrations-
78 7 14
dern deutlich überwiegen. Im Jahr 2017
hintergrund
waren sieben von zehn Familien (70 %)
ohne Migrations-
hintergrund
65 14 21 Ehepaare (2007: 74 %). Alleinerziehende
Mütter oder Väter machten 19 % aller
Ehepaare Lebensgemeinschaften Alleinerziehende ­Familien aus (2007: 18 %). Weitere 11 % al-
ler Familien waren Lebensgemeinschaften
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. mit Kindern (2007: 8 %). u Abb 11
Unter den Familien mit Migrations-
hintergrund war 2017 die Familienform
Ehepaar mit Kindern mit 78 % deutlich
weiter verbreitet als unter den Familien
ohne Migrationshintergrund (65 %). Nur
Bei einigen Familien in Deutschland Deutschland. Im Vergleich zu 2007 hat 14 % der Familien mit Migrationshinter-
besitzt mindestens ein Elternteil einen sich die Zahl der Familien mit Migrations- grund waren alleinerziehende Mütter oder
Migrationshintergrund. Im Jahr 2017 wa- hintergrund um 22 % erhöht. Die Zahl Väter (ohne Migrationshintergrund: 21 %).
ren das 2,8 Millionen Familien. Das ent- der Familien ohne Migrationshintergrund Weitere 7 % waren Lebensgemeinschaften
spricht einem Anteil von 35 % an allen war hingegen rückläufig und ist in dieser mit minderjährigen Kindern (ohne Migra-
Familien mit Kindern unter 18 Jahren in Zeit um 14 % gesunken. u Info 4 tionshintergrund: 14 %). u Abb 12

59
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

Familiengröße u Abb 13 Familien nach Zahl der Kinder unter 18 Jahren

Etwas mehr als die Hälfte (51 %) der Fami- und Migrationsstatus 2017 — in Prozent
lien betreute 2017 genau ein minderjähri-
ges Kind (und gegebenenfalls weitere voll-
mit Migrations-
47 37 12 4
jährige Kinder). Zwei minderjährige hintergrund
­K inder lebten in 37 % der Familien. Drei ohne Migrations-
54 37 8 2
hintergrund
minderjährige Kinder wuchsen in 9 % der
Familien auf und in 3 % der Familien leb-
mit einem minderjährigen Kind
ten vier oder mehr Kinder unter 18 Jahren.
mit zwei minderjährigen Kindern
In den vergangenen zehn Jahren hat mit drei minderjährigen Kindern
sich die Verteilung der Familien nach der mit vier und mehr minderjährigen Kindern
Zahl der Kinder fast nicht verändert. Die-
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
se Entwicklung zeigt sich auch an der
durchschnittlichen Kinderzahl je Fami-
lie: Rein rechnerisch zogen die Familien
u Tab 5 Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach monatlichem
2007 durchschnittlich 1,61 minderjährige
Nettoeinkommen und Migrationsstatus 2017
Kinder groß. Im Jahr 2017 lag der Durch-
Ohne Migrations- Mit Migrations-
schnitt bei 1,64 minderjährigen Kindern. Insgesamt
hintergrund hintergrund
Deutliche Unterschiede hinsichtlich
in 1 000
der Kinderzahl zeigen sich zwischen Fami-
Insgesamt 8 204 5 359 2 845
lien mit und ohne Migrationshintergrund.
Monatliches Netto­e inkommen der
Bei Familien mit Migrationshintergrund Familie von ... bis unter ... Euro
lebten 2017 häufiger mehr als zwei minder- mit Angabe 7 986 5 215 2 771
jährige Kinder im Haushalt: In 12 % die-  unter 1 300 539 318 221
ser Familien lebten drei minderjährige  1 300 – 2 600 2 215 1 188 1 027
Kinder und in 4 % mindestens vier Kin-  2 600 – 4 500 3 276 2 200 1 076
der unter 18 Jahren. Die ent­sprechenden  4 500 und mehr 1 956 1 509 447
Anteile bei Familien ohne Migrationshin- Sonstige ¹ 218 144 74
tergrund lagen bei 8 % beziehungsweise in %
2 %. Demgegenüber versorgten 54 % der mit Angabe 100 100 100
Familien ohne Migrationshintergrund  unter 1 300 6,8 6,1 8,0
ein minderjähriges Kind im Haushalt,  1 300 – 2 600 27,7 22,8 37,1
während es bei den Familien mit Migrati-  2 600 – 4 500 41,0 42,2 38,8
onshintergrund nur 47 % waren. u Abb 13  4 500 und mehr 24,5 28,9 16,1

Abweichungen in den Summen ergeben sich durch Runden der Zahlen.


Familiennettoeinkommen 1 »Sonstige« sind Familien, in denen mindestens eine Person in ihrer Haupttätigkeit selbstständige Landwirtin/
selbstständiger Landwirt ist sowie Familien ohne Angabe oder ohne Einkommen.
Nach den Ergebnissen des Mikrozensus Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

hatten 2017 in Deutschland 7 % aller Fa-


milien ein monatliches Familiennetto­
einkommen von weniger als 1 300 Euro.
Rund 28 % der Familien verfügten monat- den beiden oberen Einkommensklassen 1 300 und 4 500 Euro zur Verfügung. Bei
lich über 1 300 bis unter 2 600 Euro, 41 % höher (2 600 bis unter 4 500 Euro: 42 %; den Alleinerziehenden zeigt sich ein ande-
über 2 600 bis unter 4 500 Euro und 25 % 4 500 Euro und mehr: 29 %) als bei den res Bild: Zwar verfügten 70 % der allein­
über 4 500 Euro und mehr. Bei den Fa­ Familien mit Migrationshintergrund erziehenden Mütter und 73 % der allein­
milien mit Migrationshintergrund lagen (39 % beziehungsweise 16 %). u Tab 5 erziehenden Väter ebenfalls über ein
die Anteile der Familien in den beiden Ehepaare mit minderjährigen Kindern ­m ittleres Familiennettoeinkommen. Im
unteren Einkommensstufen höher (unter wiesen 2017 in Deutschland eine ähnliche Gegensatz zu den Paargemeinschaften
1 300 Euro: 8 %; 1 300 bis unter 2 600 Euro: Einkommensverteilung auf wie Lebensge- mussten Alleinerziehende aber deutlich
37 %) als bei den Familien ohne Migra­ meinschaften mit Kindern unter 18 Jahren. häufiger mit einem Monatseinkommen
tionshintergrund (6 % beziehungsweise Sie hatten mehrheitlich (Ehepaare: 67 %; von weniger als 1 300 Euro auskommen
23 %). Umgekehrt waren die Anteile der Lebensgemeinschaften: 77 %) ein monatli- (Mütter: 28 %, Väter: 20 %). Hingegen ver-
Fami­lien ohne Migrationshintergrund in ches Familiennettoeinkommen zwischen fügten Paargemeinschaften häufiger als

60
Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Abb 14 Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach monatlichem Netto­ Alleinerziehende über ein monatliches
einkommen und Familienform 2017 — in Prozent Familiennettoeinkommen von mehr als
4 500 Euro (Ehepaare: 31 %, Lebensge-
meinschaften: 21 %). u Abb 14
Ehepaare 2 20 47 31
2.1.4 Lebenssituation von Kindern
Lebens- Im Jahr 2017 lebten 19,0 Millionen min-
3 27 50 21
gemeinschaften
der- und volljährige Kinder in den priva-
alleinerziehende
Mütter
28 56 14 2 ten Haushalten Deutschlands; 13,4 Milli-
onen beziehungsweise 71 % waren unter
alleinerziehende 20 47 26 7
Väter 18 Jahre alt. Vor zehn Jahren war die Zahl
der Kinder noch deutlich höher: Damals
monatliches Nettoeinkommen der Familie von ... bis unter ... Euro gab es 20,1 Millionen minder- und voll-
unter 1 300 1 300 – 2 600 2 600 – 4 500 4 500 und mehr jährige Kinder, davon 13,8 Millionen
Minderjährige (69 %).
Familien mit Angabe zum monatlichen Nettoeinkommen. Zu den Kindern gehören im Mikro-
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
zensus alle ledigen Personen, die ohne
Lebenspartner /-partnerin und ohne eige-
nes Kind mit mindestens einem Elternteil
in einem Haushalt zusammenleben.
u Abb 15 Minderjährige Kinder nach Familienform — in Prozent
­Neben leiblichen Kindern zählen auch
Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder dazu.
Eine allgemeine Altersbegrenzung für die
2017 74 10 17 Zählung als Kind besteht nicht. Da die
Lebenssituation von Kindern unter 18 Jah-
2007 77 7 16
ren aus familien- und sozialpolitischer
1997 83 4 12 Sicht besonders interessant ist, werden
hier vorrangig Daten zu minderjährigen
bei Ehepaaren bei Lebensgemeinschaften bei Alleinerziehenden Kindern untersucht.
Knapp drei Viertel (74 %) der minder-
Ergebnisse 2017 auf Basis des Zensus 2011, für 2007 und 1997 auf Basis früherer Zählungen. jährigen Kinder wurden 2017 bei Ehepaa-
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
ren groß, rund 17 % wuchsen bei einem
alleinerziehenden Elternteil auf und 10 %
lebten bei einem unverheirateten Eltern-
paar. Vor zehn Jahren wuchsen mit 77 %
noch etwas mehr minderjährige Kinder
bei verheirateten Eltern auf, 1997 waren
es sogar 83 %. u Abb 15

61
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

Geschwisterzahl u Abb 16 Minderjährige Kinder nach Familienform


Die meisten minderjährigen Kinder leben und Zahl der Geschwister 2017 — in Prozent
mit mindestens einem minder- oder voll-
jährigen Geschwisterkind gemeinsam in
einem Haushalt. Da sich der Mikrozen- bei Ehepaaren 20 50 31
sus bei der Befragung auf die aktuellen
Verhältnisse im Haushalt konzentriert, bei Lebens-
42 41 17
gemeinschaften
bleiben Geschwister, die bereits ausge­
bei Allein-
zogen sind, außer Acht. Fast die Hälfte erziehenden
40 40 21
der minderjährigen Kinder (47 %) wuchs
2017 gemeinsam mit einem minder- oder ohne Geschwister
volljährigen Geschwisterkind heran. Gut mit einem Geschwisterkind
ein Viertel (28 %) hatte mindestens zwei mit zwei und mehr Geschwistern

Geschwister und ein weiteres Viertel


(25 %) lebte 2017 ohne weitere Geschwis- Geschwister ohne Altersbegrenzung.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
ter im Haushalt.
Mit Geschwistern im Haushalt wach-
sen minderjährige Kinder vor allem dann
auf, wenn sie bei ihren verheiratet zusam-
u Abb 17 Minderjährige Kinder nach Altersgruppen
menlebenden Eltern leben. Vier von fünf
und Familienform 2017 — in Prozent
minderjährigen Kindern bei Ehepaaren
(80 %) hatten 2017 minder- oder volljähri-
ge Geschwister. Demgegenüber wurden
42 % der minderjährigen Kinder bei Le- insgesamt 33 49 18
bensgemeinschaften ohne Geschwister
groß, und damit noch etwas mehr als bei bei Ehepaaren 33 50 17
Alleinerziehenden (40 %). u Abb 16
bei Lebens-
50 40 11
gemeinschaften
Altersstruktur der Kinder
Rund 33 % der minderjährigen Kinder in bei Allein- 23 54 23
erziehenden
Deutschland waren 2017 jünger als sechs
Jahre, 49 % der Minderjährigen waren im unter 6 Jahren
Alter von 6 bis 14 Jahren und 18 % bereits 6 –14 Jahre
15 –17 Jahre
15 Jahre oder älter.
Während diese Verteilung für Kinder,
die bei Ehepaaren lebten, nahezu iden- Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

tisch zutrifft, unterscheidet sie sich von


der Altersstruktur der Kinder in Lebens-
gemeinschaften beziehungsweise bei Al-
leinerziehenden. So lebten in Lebensge-
meinschaften eher jüngere Kinder, bei
Alleinerziehenden dagegen eher ältere.
Von den minderjährigen Kindern in Le- stand, dass die Trennung vom Partner und Mitte des vierten Lebensjahrzehnts.
bensgemeinschaften war die Hälfte (50 %) oder der Verlust des Partners in der Re- Im Jahr 2017 wohnten beispielsweise von
jünger als sechs Jahre, während es bei gel erst ­einige Zeit nach der Geburt der den 25-Jährigen noch 28 % im Haushalt
den Minderjährigen, die von Alleinerzie- Kinder stattfindet. u Abb 17 der Eltern.
henden betreut wurden, lediglich 23 % Junge Frauen verlassen den elter­
waren. Bei den Alleinerziehenden über- Auszug der Kinder aus lichen Haushalt dabei früher als ihre
wogen die 6- bis 14-Jährigen mit einem dem Elternhaus männlichen Altersgenossen. Mit 25 Jah-
Anteil von 54 %. Der größere Anteil der Der Auszug von Kindern aus dem eigenen ren wohnte 2017 nur noch jede fünfte
Kinder im Alter ab sechs Jahren bei Al- Elternhaus erfolgt in der Regel zwischen junge Frau (21 %) als lediges Kind bei den
leinerziehenden resultiert aus dem Um- der Mitte des zweiten Lebens­jahrzehnts Eltern. Mit 30 Jahren waren es noch 6 %

62
Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

uAbb 18 Abb Kinder im im


19 Kinder elterlichen Haushalt
elterlichen Haushalt nachnach Alter
Alter und 2017 2013
Geschlecht Mütter – deutlich. Mehr als ein Drittel
- in Prozent
— in Prozent der Bevölkerung des
der Bevölkerung desjeweiligen AltersAlters
jeweiligen (36 %) der Mütter, deren jüngstes Kind im
Krippenalter von unter drei Jahren war,
war berufstätig. Erreichte das jüngste
100 Kind das Kleinkindalter von drei bis fünf
Jahren, gingen bereits doppelt so viele
(72 %) einer Erwerbstätigkeit nach. Die
80
höchste Erwerbstätigenquote von 83 %
wurde bei Müttern mit einem jüngsten
60 Kind im Alter von 10 bis 14 Jahren er-
reicht. Bei den Vätern ist die Beteiligung
40 am Erwerbsleben weitgehend unabhängig
vom ­Heranwachsen der Kinder. Sie lag
im Jahr 2017 – je nach Alter des jüngsten
20
Kindes – z­ wischen 88 % und 93 %. Mit
der Familiengründung gibt somit ein
0 ­b eträchtlicher Teil der in Deutschland
unter 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 45 und
15 älter
­lebenden Mütter ihren Beruf vorüberge-
hend auf und kehrt erst mit zunehmen-
weiblich männlich
dem Alter der Kinder wieder in das Er-
Ergebnisse
Ergebnisse des Mikrozensus
des Mikrozensus - Bevölkerung
– Bevölkerung in Familien/Lebensformen
in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. am Hauptwohnsitz. werbsleben zurück. u Abb 19
Dieser Trend lässt sich sowohl für
Mütter in Westdeutschland als auch für
Mütter in Ostdeutschland feststellen. Al-
lerdings sind Mütter in Ostdeutschland
tendenziell etwas häufiger erwerbstätig
als Mütter in Westdeutschland. Sie
und mit 40 Jahren nur noch 1 % der Frau- sind es vor allem Frauen, die infolge der schränken ihre Erwerbsbeteiligung auch
en. Bei den jungen Männern ver­z ögert Geburt von Kindern den Umfang der Er- mit jüngeren Kindern nicht so stark ein
sich im Vergleich das durchschnittliche werbstätigkeit der veränderten familiären wie Mütter im Westen. So waren 2017
Auszugsalter: Mit 25 Jahren lebten noch Situation anpassen. rund 44 % der Mütter im Osten mit ei-
34 % der männlichen Bevölkerung als le- Im Jahr 2017 gab es in Deutschland nem Kind unter drei Jahren berufstätig,
diges Kind im Haushalt der Eltern. Mit 6,8 Millionen Mütter und 5,9 Millionen bei den Müttern im Westen lag dieser
30 Jahren gehörten noch 12 % und mit Väter im erwerbsfähigen Alter (von 15 bis Wert bei 34 %. Die Unterschiede in der Er-
40 Jahren noch 4 % der Männer als lediges 64 Jahren), die mit mindestens einem werbsbeteiligung von Müttern im O ­ sten
Kind dem Haushalt der Eltern an. u Abb 18 leiblichen Kind oder einem Stief-, Pflege- und im Westen sind im Wesentlichen auf
Langfristig gesehen verlassen Kinder oder Adoptivkind unter 15 Jahren in ei- die unterschiedliche Betreuungssituation
heute später das Elternhaus. Lebten 1972 nem gemeinsamen Haushalt lebten. Kin- in Ost- und Westdeutschland zurückzu-
zwei von zehn (20 %) der 25-Jährigen der, die jünger als 15 Jahre sind, bedür- führen (siehe Kapitel 2.2, Seite 66). u Abb 20
im früheren Bundesgebiet und Berlin- fen in höherem Maß einer Betreuung als Die Ausübung einer beruf lichen
West noch bei den Eltern, waren es 2017 ältere Kinder. Dementsprechend werden ­Tätigkeit ist nicht nur für die finanzielle
­deutlich mehr, nämlich drei von zehn in diesem Abschnitt nur Mütter und Situation der Familie von großer Bedeu-
(29 % für das frühere Bundesgebiet ohne ­Väter mit mindestens einem Kind unter tung. Sie bestimmt auch den zeitlichen
Berlin). 15 Jahren betrachtet. Rahmen, der für das Familienleben zur
Rund 65 % dieser Mütter und 91 % Verfügung steht. Bei der Erwerbsbeteili-
2.1.5 Vereinbarkeit von Familie dieser Väter sind 2017 einer realisierten gung zeigen sich zunächst keine großen
und Beruf Erwerbstätigkeit nachgegangen, das heißt, Unterschiede zwischen alleinerziehen-
Arbeit und Karriere auf der einen, Fami- sie haben ihre Beschäftigung nicht auf- den Müttern und Müttern in Paarfami­
lienleben und Kinderbetreuung auf der grund von Elternzeit oder Mutterschutz lien. Eine Betrachtung der Erwerbstätig-
anderen Seite: Beides miteinander zu ver- unterbrochen. Abhängig vom Alter des keit von Müttern zeigt, dass Ehefrauen
binden, stellt für viele Eltern eine beson- jüngsten Kindes verändert sich die Er- und Lebenspartnerinnen mit Kindern
dere Herausforderung dar. Nach wie vor werbstätigenquote – insbesondere der ­unter 15 Jahren 2017 jeweils zu 65 % einer

63
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder

u Abb 19 Erwerbstätigenquoten von Müttern und Vätern nach Alter realisierten Erwerbstätigkeit nachgingen.
des jüngsten Kindes 2017 — in Prozent ­ lleinerziehende Mütter mit Kindern un-
A
ter 15 Jahren waren mit 67 % etwas häufi-
Mütter Väter ger berufstätig. Deutliche Unterschiede
zeigen sich hingegen beim Umfang der
36 unter 3 88 ausgeübten Tätigkeit. Ehefrauen waren
von allen Müttern am seltensten Vollzeit
72 3–5 93
berufstätig. Nur 26 % der Ehefrauen üb-
78 6–9 93 ten ihre Erwerbstätigkeit in Vollzeit aus.
Deutlich höher waren die Vollzeitquoten
83 10 –14 93 der alleinerziehenden Mütter (39 %) und
der Lebenspartnerinnen (41 %). Bei der
Alter des jüngsten Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung ist
Kindes von … bis … Jahren
das entsprechend umgekehrt. u Abb 21
Elternteile im erwerbsfähigen Alter mit realisierter Erwerbstätigkeit (das heißt Erwerbstätige ohne Personen Väter sind nicht nur häufiger erwerbs-
in Mutterschutz und Elternzeit).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. tätig, sie üben ihre berufliche Tätigkeit
auch öfter in Vollzeit aus als Mütter.
­Dennoch gibt es auch hier Unterschiede
je nach Familienform: Ehemänner waren
Erwerbstätigenquoten
Abb2120Erwerbstätigenquoten
u Abb von Mütternvon Müttern
in Ost- in Ost- und nach
und Westdeutschland Westdeutschland
mit 92 % am häufigsten realisiert erwerbs-
nach
Alter Alter des jüngsten
des jüngsten Kindes 2013Kindes 2017 — in Prozent
- in Prozent
tätig. Von den Lebenspartnern übten
90 % eine berufliche Tätigkeit aus. Mit
früheres Bundesgebiet neue Länder und Berlin
78 % waren alleinerziehende Väter am
seltensten von allen Vätern mit Kindern
34 unter 3 44
unter 15 Jahren berufstätig. Die Reihen-
70 3–5 78 folge ist unverändert, vergleicht man die
Vollzeitquoten der Väter: 94 % der er-
77 6–9 83 werbstätigen Ehemänner waren Vollzeit
82 86
tätig, 92 % der Lebenspartner und 85 %
10 –14
der alleinerziehenden Väter.
Für Mütter und Väter, die als Paar zu-
Alter des jüngsten
Kindes von … bis … Jahren sammenleben, stellt sich nicht nur die
Frage, wie beide Elternteile für sich be-
Mütter im erwerbsfähigen Alter mit realisierter Erwerbstätigkeit (das heißt Erwerbstätige ohne Mütter
Mütter im erwerbsfähigen
in Mutterschutz und Elternzeit) undAlter (ohne
jüngstem vorübergehend
Kind unter 15 Jahren.Beurlaubte). trachtet Familie und Beruf vereinbaren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. Von hohem Interesse ist bei Paaren mit
Kindern zudem das Zusammenspiel der
Partner bei der Balance von Familie und
u Abb 21 Vollzeitquoten von Müttern und Vätern nach Familienform 2017 — in Prozent Beruf. Die dargestellten Ergebnisse be­
ziehen sich dabei auf Ehepaare und ge-
mischtgeschlechtliche Lebensgemein-
schaften. Insbesondere der Zeitumfang
94
Ehepaare der Erwerbsbeteiligung unterscheidet
26
gemischt- sich hier deutlich. Bei fast drei Vierteln
geschlechtliche 92 (72 %) der Ehepaare mit Kindern unter
Lebensgemein- 41
schaften 15 Jahren waren der Vater Vollzeit und
Allein- 85 die Mutter Teilzeit erwerbstätig. Auch
erziehende 39 über die Hälfte der Paare, die in gemischt-
geschlechtlicher Lebensgemeinschaft
Mütter Väter ­lebten, wählte diese traditionelle Arbeits-
zeitkombination (54 %). Bei 22 % der
Elternteile im erwerbsfähigen Alter mit realisierter Erwerbstätigkeit (das heißt Erwerbstätige ohne Personen ­E hepaare gingen beide Elternteile einer
in Mutterschutz und Elternzeit) und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz. Vollzeittätigkeit nach, bei den Lebensge-

64
Lebensformen in der Bevölkerung und Kinder / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

uAbb 22 Paarfamilien nach Vollzeit- / Teilzeittätigkeit der Partner 2017


— in Prozent

Ehepaare 22 72 23

gemischtgeschlecht-
liche Lebens- 38 54 3 5
gemeinschaften

Mutter und Vater Vollzeit tätig


Mutter Teilzeit, Vater Vollzeit tätig
Mutter Vollzeit, Vater Teilzeit tätig
Mutter und Vater Teilzeit tätig

Paare mit zwei erwerbstätigen Partnern mit realisierter Erwerbstätigkeit (das heißt Erwerbstätige ohne Personen
in Mutterschutz und Elternzeit) und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

u Abb 23 Paarfamilien nach Migrationsstatus und Erwerbsbeteiligung


der Partner 2017 — in Prozent

mit Migrations-
48 38 3 11
hintergrund

ohne Migrations-
71 24 22
hintergrund

Mutter und Vater aktiv erwerbstätig


nur Vater aktiv erwerbstätig
nur Mutter aktiv erwerbstätig
weder Mutter noch Vater aktiv erwerbstätig

Elternteile im erwerbsfähigen Alter mit realisierter Erwerbstätigkeit (das heißt Erwerbstätige ohne Personen
in Mutterschutz und Elternzeit) und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

meinschaften lag dieser Anteil mit 38 % Erwerbsbeteiligung des Vaters mit 38 %


fast doppelt so hoch. Andere mögliche deutlich häufiger verbreitet als bei den
Arbeitszeitaufteilungen spielten eine eher Paarfamilien ohne Migrationshinter-
untergeordnete Rolle. u Abb 22 grund (24 %). Ebenfalls höher war bei
Unterschiede in der Vereinbarung den Paaren mit Migrationshintergrund
von Familie und Beruf finden sich auch der Anteil derjenigen Paare, bei denen sich
bei Paarfamilien mit Migrationshinter- ­weder Mutter noch Vater am Erwerbs­
grund im Vergleich zu Paarfamilien ohne leben beteiligten (11 % gegenüber 2 %
Migrationshintergrund. Während bei bei den Paaren ohne Migrationshinter-
71 % der Paarfamilien ohne Migrations- grund). u Abb 23
hintergrund Mutter und Vater 2017 er-
werbstätig waren, traf das auf 48 % der
Paare mit Migrationshintergrund zu. Bei
ihnen war hingegen die ausschließliche

65
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.2 / Kindertages­betreuung

2.2 Der Ausbau der Kindertagesbetreuung


steht seit Jahren im Mittelpunkt der öffent-
2013 gibt es einen Rechtsanspruch auf
­einen Betreuungsplatz für Kinder ab Voll-
Kindertages­ lichen Diskussion. Eine gute Kinderbe- endung des ersten Lebensjahres.
betreuung treuung und damit eine frühe Förderung
für alle Kinder gehören zu den zentralen
Das Kinderförderungsgesetz enthält
zudem die gesetzlichen Grundlagen für
Zukunftsaufgaben in Deutschland. Sie Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau der
Stefan Rübenach sind wichtige Faktoren für die Entwick- Kindertagesbetreuung (Errichtung eines
lung und auch die Chancengleichheit der Sondervermögens »Kinderbetreuungsaus-
Kinder. Ein bundesweit bedarfsgerechtes bau«). Im Rahmen dieser Regelungen hat
Statistisches Bundesamt
und qualitativ gutes Angebot an Betreu- der Bund die Länder und Kommunen seit
(Destatis)
ungsplätzen zu schaffen – insbesondere 2008 durch mehrere Investitionspro-
für Kinder unter drei Jahren – ist gemein- gramme mit insgesamt 5,95 Milliarden
sames Ziel von Bund, Ländern und Kom- Euro beim Ausbau unterstützt. Weitere
munen. Neben anderen familienpoliti- 845 Millionen Euro werden nach Anga-
schen Leistungen (unter anderem Eltern- ben des Bundesministeriums für Familie,
geld, Kindergeld) ist dies eine wesentliche Senioren, Frauen und Jugend seit 2015
Voraussetzung für eine zufriedenstellende jährlich vom Bund für die Betriebskosten
Vereinbarkeit von Familie und Beruf (siehe zur Verfügung gestellt; in den Jahren
Kapitel 2.1.5, Seite 63). Ein bedarfsorien- 2017 sowie 2018 erhöht der Bund diese
tiertes Angebot an Betreuungsmöglichkei- Unterstützung jeweils noch einmal um
ten unterstützt Paare bei dem Entschluss, 100 Millionen Euro auf 945 Millionen
Kinder zu bekommen, und ermöglicht gut Euro pro Jahr. In einem weiteren Investi-
ausgebildeten und qualifizierten Müttern tionsprogramm stellt der Bund zwischen
und Vätern, ihre Chancen auf dem Arbeits- 2017 und 2021 noch einmal 1,13 Milliar-
markt zu nutzen und damit Familie und den Euro bereit.
Beruf zu vereinbaren.
Die gesetzlichen Grundlagen für den 2.2.1 Betreute Kinder
beschleunigten Ausbau eines bedarfsge- Die unternommenen Anstrengungen
rechten Betreuungsangebots wurden spiegeln sich in den jährlich zum 1. März
durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz erhobenen Daten im Rahmen der Statisti-
(TAG) im Jahr 2005 sowie das Kinderför- ken zur Kindertagesbetreuung wider. Der
derungsgesetz (KiföG) im Jahr 2008 ge- Zuwachs an Kindern in Kindertagesbe-
legt. Auf dem sogenannten Krippengipfel treuung hält seit gut einem Jahrzehnt stetig
von Bund, Ländern und Kommunen 2007 an. Von den knapp 2,8 Millionen Kindern
wurde vereinbart, bis zum Jahr 2013 bun- unter sechs Jahren in Tagesbetreuung
desweit für 35 % der Kinder unter drei wurden zum Stichtag 1. März 2017 in der
Jahren ein Angebot zur Betreuung in ei- Altersgruppe der unter 3-Jährigen bundes-
ner Kindertageseinrichtung oder durch weit gut 760 000 Kinder in einer Kinderta-
eine Tagesmutter beziehungsweise einen geseinrichtung oder durch eine Tagespfle-
Tagesvater (sogenannte Tagespflege) zu geperson betreut. Dies entspricht einem
schaffen. Die damalige Planungsgröße lag Anteil von 33 % an allen Kindern in dieser
bei 750 000 Plätzen. Elternbefragungen Altersgruppe (Betreuungsquote). Die Be-
des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus treuungsquote bezeichnet den Anteil der
den Jahren 2011 und 2012 ergaben jedoch betreuten Kinder an allen Kindern dieser
einen etwas höheren Betreuungsbedarf Altersgruppe. Im März 2007 lag die Be-
von rund 780 000 Plätzen, was einer Be- treuungsquote bei den unter 3-Jährigen
treuungsquote von gut 39 % entspricht. noch bei 15 % (320 000 Kinder).
Da der Bedarf regional unterschiedlich Regional gibt es große Unterschiede
hoch ist, kommt es in einzelnen Regionen hinsichtlich der Betreuungsquote (bei
zu deutlichen Abweichungen nach oben den nachfolgenden Ausführungen zu Ost-
oder auch nach unten. Seit dem 1. August und Westdeutschland ist Berlin in den

66
Kindertages­betreuung / 2.2 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

Daten von Ostdeutschland enthalten): nämlich um rund 20 Prozentpunkte von den Ausbau der Tagespflege die Erhöhung
Während die Betreuungsquote 2017 in den 2007 bis 2017. u Abb 1 der Betreuungsquote erreicht.
westdeutschen Bundesländern bei 29 % In Ostdeutschland besuchte der über- Die Betreuung in einer Tageseinrich-
lag, war sie in den ostdeutschen Bundes- wiegende Anteil der betreuten Kinder un- tung begannen Kinder im Jahr 2017
ländern mit 51 % bedeutend höher. Die ter drei Jahren (91 %) eine Kindertages- durchschnittlich im Alter von 2,4 Jahren,
höchste Betreuungsquote für Kinder un- einrichtung. Dieser Anteil lag in West- beim Beginn der Betreuung durch eine
ter drei Jahren gab es mit 57 % in Sachsen-­ deutschland mit 82 % etwas darunter. Tagespflegeperson waren sie im Schnitt
Anhalt, die niedrigste Quote in Nord- Hier hat die Kindertagespflege als Betreu- 1,4 Jahre alt.
rhein-Westfalen (26 %). u Tab 1 ungsform (18 %) eine größere Bedeutung Gut 2,0 Millionen Kinder im Alter von
Die westdeutschen Länder haben al- als in Ostdeutschland. Besonders Nieder- drei bis unter sechs Jahren wurden zum
lerdings in den letzten zehn Jahren viel sachsen hat die Betreuung in Tagespflege Stichtag 1. März 2017 in Kindertagesstät-
für den Ausbau geleistet. So gehören für die unter 3-Jährigen in den letzten ten oder in Kindertagespflege betreut. Die
Schleswig-Holstein, Hamburg und Nie- zehn Jahren stark ausgebaut. Von 1 700 Zahl der betreuten Kinder in dieser Al-
dersachsen zu den Bundesländern mit betreuten Kindern im Jahr 2007 stieg die tersgruppe stieg im Vergleich zum März
dem größten Anstieg der Betreuungs- Zahl auf 14 300 im Jahr 2017. Auch Nord- 2007 um rund 82 000 Kinder und die
quoten für Kinder unter drei Jahren: rhein-Westfalen hat insbesondere durch ­Betreuungsquote um gut 4 Prozentpunkte

u Tab 1 Kinder unter sechs Jahren in Tagesbetreuung 2017


Davon im Alter von … Jahren

unter 3 3 bis unter 6


Insgesamt
Betreuungsquote Ganztagsquote Betreuungsquote Ganztagsquote
Anzahl Anzahl
in % in %

Baden-Württemberg 366 207 89 230 28,6 10,8 276 887 95,0 23,9

Bayern 416 099 100 121 27,4 10,4 315 978 92,7 35,2

Berlin 148 825 51 636 44,4 29,9 97189 93,6 60,2

Brandenburg 95 728 35 349 55,8 37,8 60 379 94,9 62,5

Bremen 20 374 5 272 26,4 16,2 15 102 87,5 38,3

Hamburg 72 516 26 483 44,7 25,2 46 033 90,5 48,6

Hessen 206 913 53 406 30,2 18,6 153 507 92,5 50,6

Mecklenburg-Vorpommern 61 316 22 777 56,0 42,1 38 539 95,2 68,2

Niedersachsen 254 116 64 067 29,6 12,2 190 049 93,2 30,4

Nordrhein-Westfalen 562 924 132 194 26,3 13,1 430 730 92,1 45,7

Rheinland-Pfalz 133 450 33 761 30,7 16,5 99 689 96,4 52,3

Saarland 27 796 6 761 28,3 22,4 21 035 93,1 49,4

Sachsen 160 975 56 871 50,5 42,6 104 104 95,6 82,0

Sachsen-Anhalt 81 195 30 992 56,9 46,6 50 203 93,4 80,9

Schleswig-Holstein 90 456 23 882 31,9 14,2 66 574 91,6 34,6

Thüringen 82 280 29 469 53,2 49,5 52 811 96,5 91,8

Deutschland 2 781 170 762 361 33,1 18,5 2 018 809 93,4 45,5

Früheres Bundesgebiet
2 150 851 535 267 28,8 13,4 1 615 584 93,0 38,6
ohne Berlin-West

Neue Länder und Berlin 630 319 227 094 51,3 39,9 403 225 94,8 73,6

Kinder am 1.3.2017 in Kindertageseinrichtungen zuzüglich der Kinder in öffentlich geförderter Kindertagespflege, die nicht zusätzlich eine Kindertageseinrichtung besuchen.
Betreuungsquote: Anteil der Kinder in Tagesbetreuung an allen Kindern derselben Altersgruppe.
Ganztagsquote: Anteil der Kinder mit einem Betreuungsumfang von mehr als 7 Stunden pro Betreuungstag an allen Kindern derselben Altersgruppe.
Die bei der Quotenberechnung verwendeten Bevölkerungszahlen beruhen auf Ergebnissen der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des Zensus 2011 zum 31.12.2016.

67
Abb Kinder unter drei Jahren in Tagesbetreuung - Anteil an der entspre-
2 / Familie, Lebensformen und Kinder
chenden Altersgruppe 2.2 / Kindertages­betreuung
in Prozent

u Abb 1 Kinder unter drei Jahren in Tagesbetreuung — Anteil an der entsprechenden (40 %) in dieser Altersgruppe in Ganz-
Altersgruppe in Prozent tagsbetreuung. Die Ganztagsbetreuungs-
quote im Osten ist damit mehr als drei-
mal so hoch wie im Westen Deutschlands.
Für die Altersgruppe der 3- bis unter
6-Jährigen wird die Ganztagsbetreuung
Nordrhein-Westfalen 6,9 26,3
bundesweit wesentlich häufiger in An-
Bremen 10,5 26,4 spruch genommen als bei den unter 3-Jäh-
Bayern 10,7 27,4
rigen. Im März 2017 lag die Quote bei
über 45 %, im Jahr 2007 waren es noch
Saarland 12,1 28,3 24 %. In den ostdeutschen Bundesländern
Baden-Württemberg 11,5 28,6 stieg die Ganztagsbetreuungsquote im
gleichen Zeitraum von 58 % auf 74 %. In
Niedersachsen 6,9 29,6
den westdeutschen Bundesländern erhöh-
Hessen 12,4 30,2 te sie sich von 17 % auf knapp 39 %.
Rheinland-Pfalz 12,0 30,7
2.2.3 Kinder mit Migrationshinter-
Schleswig-Holstein 8,2 31,9 grund in Kindertagesbetreuung
Rund 760 000 der bundesweit knapp
Deutschland 15,5 33,1
2,8 Millionen Kinder unter sechs Jahren
Berlin 39,8 44,4 in Kindertagesbetreuung (27 %) hatten
Hamburg 22,0 44,7 2017 einen Migrationshintergrund, das
heißt, sie hatten mindestens ein Elternteil
Sachsen 34,6 50,5
mit ausländischer Herkunft. In den west-
Thüringen 37,5 53,2 deutschen Bundesländern hatte fast jedes
dritte Kind (31 % oder 674 000 Kinder)
Brandenburg 43,4 55,8
dieser Altersgruppe in Kindertagesbe-
Mecklenburg-Vorpommern 44,1 56,0 treuung einen Migrationshintergrund, in
Ostdeutschland waren es nur 14 % der
Sachsen-Anhalt 51,8 56,9
unter 6-Jährigen (86 000 Kinder). Der
höchste Anteil findet sich mit 44 % in
2007 2017
Bremen, der niedrigste mit 7 % in Meck-
Die bei der Quotenberechnung für 2017 verwendeten Bevölkerungszahlen beruhen auf Ergebnissen der Bevölkerungs- lenburg-Vorpommern und Sachsen-­
fortschreibung auf Basis des Zensus 2011 zum 31.12.2016, für 2007 auf Basis früherer Zählungen.
Anhalt. Seit März 2012 ist die Zahl der
Kinder mit Migrationshintergrund in
Kindertagesbetreuung deutschlandweit
um 109 000 gestiegen (+ 17 %); der Anteil
der Kinder mit Migrationshintergrund
auf aktuell mehr als 93 % an. Gleichzeitig hend mehr als sieben Stunden pro Tag in an allen Kindern unter sechs Jahren in
ging bundesweit die Zahl aller Kinder in einer Tageseinrichtung oder bei einer Kindertagesbetreuung lag damals bei gut
dieser Altersgruppe um 13 000 Kinder zu- ­Tagespflege verbringen können. Bei Kin- 26 %. In Ostdeutschland fiel der Anstieg
rück. Die Kindertagespflege spielt in die- dern im Alter von unter drei Jahren ist die prozentual etwas stärker aus: Von gut
ser Altersgruppe, anders als bei den unter Ganztagsbetreuung nach wie vor wenig 11 % im Jahr 2012 stieg der Anteil auf 14 %
3-Jährigen, kaum eine Rolle. verbreitet. So wurden im März 2017 im im Jahr 2017. Der Anteil in Westdeutsch-
bundesweiten Durchschnitt nur etwa 19 % land blieb im betrachteten Zeitraum
2.2.2 Ganztagsbetreuung der Kinder unter drei Jahren (426 000) ­nahezu unverändert bei 31 %.
Neben dem generellen Angebot an Kin- ganztags betreut. Das waren jedoch mehr
derbetreuungsplätzen ist die Möglichkeit, als doppelt so viele wie 2007 (7 %).
Kinder auch ganztags betreuen zu lassen, Während in Westdeutschland die
ein wichtiger Beitrag für die Vereinbar- Ganztagsbetreuungsquote bei 13 % aller
keit von Familie und Beruf. Ganztags­ Kinder unter drei Jahren lag, war in Ost-
betreuung bedeutet, dass Kinder durchge- deutschland mehr als jedes dritte Kind

68
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

2.3 Ob in der Kinderkrippe, in der Gruppen-


stunde der Pfadfinderschaft, bei der An-
Volljährigen bis 21 Jahre, in begründeten
Einzelfällen sogar bis 27 Jahre in An-
Kinder- und nahme eines Pflegekindes oder bei Strei- spruch genommen werden. In dieser wei-
Jugendhilfe, tigkeiten rund um das Sorgerecht – im-
mer spielt die Kinder- und Jugendhilfe
ten Abgrenzung umfasste die Zielgruppe
der Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2016
Adoptionen eine Rolle. Als Kind in Deutschland auf- insgesamt rund 21,8 Millionen junge
zuwachsen, ohne mindestens einmal mit Menschen oder 27 % der Bevölkerung.
ihr in Berührung zu kommen, wäre eher Hinzu kommen die Leistungen, die sich
Manuela Nöthen
ungewöhnlich, nur: Den Beteiligten ist an Familien als Ganzes wenden – dafür
dies oft nicht bewusst. kamen im Jahr 2016 rund 8,2 Millionen
Statistisches Bundesamt Familien mit minderjährigen Kindern
(Destatis) 2.3.1 Kinder- und Jugendhilfe in Betracht (siehe Kapitel 2.1, Seite 52,
Die vielfältigen – teils direkten, teils indi- Abb 1). Wahrgenommen werden die Auf-
rekten − Leistungen und Aufgaben der gaben der Kinder- und Jugendhilfe von
Kinder- und Jugendhilfe sind im Achten den öffentlichen Trägern der Jugendhilfe
Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) gesetz- (wie den Jugendämtern) und teilweise zu-
lich verankert. Sie reichen von der finan- sätzlich von freien Trägern der Jugend-
ziellen Förderung der Jugendarbeit über hilfe (beispielsweise Kirchen und Wohl-
die Gewährung von sozialpädagogischen fahrtsverbänden).
Familienhilfen, die Einleitung von Heim­
erziehungen bis hin zu Inobhutnahmen Hilfe zur Erziehung oder bei
von Kindern oder Jugendlichen zum seelischer Behinderung
Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung Einer der Leistungssektoren, der – neben
oder Missbrauch. Damit sind die Ziele der Kindertagesbetreuung (siehe Kapitel
der Kinder- und Jugendhilfe bereits um- 2.2, Seite 66) – relativ oft in Anspruch ge-
rissen. Kurz gefasst, dient sie dem Schutz nommen wird, ist der Bereich »Hilfen zur
des Kindeswohls, der Förderung der Ent- Erziehung«. Eltern haben einen Rechts-
wicklung, dem Abbau von Benachteili- anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn
gungen, der Beratung und Unterstützung eine dem Kindeswohl entsprechende
der Eltern und der Schaffung positiver ­E rziehung nicht gewährleistet ist und
Lebensbedingungen für junge Menschen die Hilfe für die Entwicklung geeignet
und deren Familien. Auch wenn der Fo- und notwendig ist. Dieser Fall muss nicht
kus auf Förderung, Hilfe und Unterstüt- selbst verschuldet sein, sondern kann
zung liegt, sind die Jugendämter zu Ein- ­i nfolge von Trennung, Erkrankung, Ar-
griffen in das Elternrecht im Rahmen des beitslosigkeit oder anderen Belastungen
sogenannten Staatlichen Wächteramtes eintreten. Der Rechtsanspruch besteht
verpflichtet. Das gilt jedoch nur für akute auch für junge Volljährige, wenn und
Krisensituationen, in denen das Kindes- ­solange die Hilfe für die Persönlich­
wohl gefährdet ist oder bereits Schaden keitsentwicklung beziehungsweise eigen-
genommen hat, und dann in der Regel verantwortliche Lebensführung auf-
auch nur mit vorheriger Beteiligung grund ihrer individuellen Situation not-
­eines Familiengerichts. u Abb 1 wendig ist.
Mit den Leistungen beziehungsweise Bundesweit wurden im Jahr 2016 gut
Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe 1,08 Millionen junge Menschen unter
variieren auch ihre jeweiligen Zielgruppen: 27 Jahren durch eine der rund 956 000
Im Kern richten sie sich an Kinder und ­erzieherischen Hilfen erreicht. In rund
Jugendliche unter 18 Jahren − dazu zählten 812 000 Fällen handelte es sich dabei um
im Jahresdurchschnitt 2016 rund 13,4 Mil- Einzelhilfen und in 144 000 Fällen um Fa-
lionen Menschen beziehungsweise 16 % milienhilfen, die teilweise mehreren Kin-
der Bevölkerung. Bestimmte Leistungen dern zugutekamen. Mit anderen Worten:
können bei Bedarf aber auch von jungen Im Jahr 2016 hatte rein rechnerisch etwa

69
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen

u Abb 1 Das Kinder- und Jugendhilfegesetz und seine Bezüge zu den Kinder- und Jugendhilfestatistiken

Die Abbildung zeigt eine Auswahl des SGB VIII. Mehr Informationen dazu zum Beispiel unter: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/

jeder 20. junge Mensch allein oder ge- zende (vorrangig ambulante), familiener- ren, Belastungen in der Familie abbauen
meinsam mit der Familie eine erzieheri- gänzende (teilstationäre) und familiener- oder die Erziehungsfähigkeit stärken. Im
sche Hilfe in Anspruch genommen. u Abb 2 setzende (stationäre) Hilfen unterscheiden Jahr 2016 fielen darunter gut 639 000 Ein-
Die Hilfen zur Erziehung werden übli- lassen. Mit den flexiblen Hilfen hat der zel- oder Familienhilfen (67 %). Dabei
cherweise in einem Hilfeplanverfahren Gesetzgeber zusätzlichen Gestaltungs- spielten die 449 000 Erziehungsberatun-
unter Beteiligung der betroffenen Kinder spielraum geschaffen, um bei Bedarf wei- gen eine Hauptrolle und machten fast die
und ihrer Sorgeberechtigten mit dem Ju- tere maßgeschneiderte Hilfeformen für Hälfte aller erzieherischen Hilfen aus.
gendamt besprochen und festgelegt – da- den Einzelfall zu entwickeln. Am häufigsten wurden diese Beratungs-
bei sind auch Kombinationen möglich. Von den erzieherischen Hilfen werden angebote zwar von den Eltern allein
Das Gesetz unterscheidet dazu idealty- mit Abstand am häufigsten familien­ wahrgenommen (54 %), in einem Drittel
pisch acht gleichwertige Hilfearten, die unterstützende Angebote genutzt. Dazu der Fälle (33 %) nutzten Eltern und Kin-
sich – auch als Ausdruck des Subsidiari- zählen vor allem niedrigschwellige am- der sie jedoch gemeinsam und in immer-
tätsprinzips − grob in familienunterstüt- bulante Hilfen, die Klärungen herbeifüh- hin 12 % aller Fälle ließen sich die Kinder

70
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Abb 2 Hilfen zur Erziehung einschließlich Hilfen für junge Volljährige nach Angebotsformen 2016

Am Jahresende bestehende und im Jahr beendete Hilfen.


1 Einschließlich ergänzender beziehungsweise sonstiger Einzelhilfen.
Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2014, eigene Bearbeitung

oder jungen Menschen allein beraten. hungsbeistände oder Betreuungshelfe- Die Hintergründe für die familienerset-
Verstärkt wurde von den familienunter- rinnen und -helfer (6,2 %) sowie soziale zenden Hilfen sind oft tragisch: In fast je-
stützenden Angeboten auch die sozialpä- Gruppenarbeit (1,7 %). dem dritten Fall (31 %) hatte das Famili-
dagogische Familienhilfe in Anspruch In rund 241 000 Fällen (25 %) führten engericht den Personensorgeberechtigten
genommen (12 %). Im Rahmen einer sol- die Jugendämter im Jahr 2016 familiener- zuvor die elterliche Sorge aufgrund einer
chen Familienhilfe wird die gesamte Fa- setzende Hilfen außerhalb des Elternhau- Kindeswohlgefährdung teilweise oder
milie durch eine Fachkraft aufgesucht ses durch. Dabei standen Heimerziehun- vollständig entzogen.
und über einen längeren Zeitraum mit gen und betreute Wohnformen im Vorder- Schließlich zählte die Statistik noch
dem Ziel begleitet, Problemsituationen grund (15 %). Während Unterbringungen rund 24 000 familienergänzende Hilfen
und Alltag künftig (wieder) allein bewäl- in Pflegefamilien hier ebenfalls von Be- (2,5 %), bei denen die Kinder und Jugend-
tigen zu können. Weitere familienunter- deutung waren (9,4 %), wurden intensive lichen zwar prinzipiell in ihren Familien
stützende Hilfen, die zum Einsatz kamen, sozialpädagogische Einzelbetreuungen verblieben, die Wochentage aber zeitwei-
waren Einzelbetreuungen durch Erzie- eher selten in Anspruch genommen (1,0 %). se in einer Tagesgruppe verbrachten. Als

71
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen

Ergänzung zu diesem Hilfespektrum hat sind zum Beispiel Ängste, Depressivität, spektrum der erzieherischen Hilfen. Im
der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaf- Traumatisierungen oder Essstörungen, Jahr 2016 beendeten 303 000 junge Men-
fen, je nach Bedarf und individueller Si- unter bestimmten Umständen auch schu- schen eine Erziehungsberatung. Gegen-
tuation, flexible Hilfen für den Einzelfall lische Teilleistungsstörungen. Anders als über 1991, dem Jahr des Inkrafttretens des
zu entwickeln – seien sie ambulant oder bei den erzieherischen Hilfen hat der Ge- Kinder- und Jugendhilfegesetzes, ist die
stationär, als Einzel- oder Familienhilfe setzgeber den betroffenen Kindern oder Nachfrage nach dieser Hilfe nahezu konti-
konzipiert. Flexible Hilfen wurden im Jugendlichen hier einen eigenen Rechts- nuierlich gestiegen und hat sich bis 2016
Jahr 2016 in rund 52 000 Fällen genutzt anspruch eingeräumt. Voraussetzung da- mehr als verdoppelt. Die Beratungsquote
(5,5 %). Dabei handelte es sich am häu- für ist nicht nur der Nachweis einer (dro- nahm von 5,9 auf 13,9 Beratungen je 1 000
figsten um Familienhilfen (3,0 %) oder henden) Beeinträchtigung der seelischen junger Menschen unter 27 Jahren zu. Hilfe
um ambulante beziehungsweise teilstati- Gesundheit, sondern auch, dass dadurch für einzelne junge Menschen in Problem-
onäre Angebote (2,0 %). die Teilhabe am sozialen Leben einge- und Konfliktsituationen wird durch Er-
Die Gründe für die Gewährung einer schränkt wird. Im Jahr 2016 wurden sol- ziehungsbeistände beziehungsweise Be-
erzieherischen Hilfe sind vielfältig: Wäh- che Eingliederungshilfen rund 94 000 treuungshelferinnen und -helfer oder in
rend bei der Erziehungsberatung mit 31 % mal in Anspruch genommen. Zum Ver- Form von sozialer Gruppenarbeit ge­
die Belastungen des jungen Menschen gleich: Rein zahlenmäßig entspricht das leistet. Im Jahr 2016 haben 74 700 junge
durch familiäre Konflikte im Vordergrund in etwa dem Niveau an Kindern bezie- Menschen eine der vorgenannten indivi-
stehen, war es bei der sozialpädagogischen hungsweise jungen Menschen, die im duellen Betreuungsleistungen erhalten
Familienhilfe mit 28 % die eingeschränkte gleichen Jahr in Pflegefamilien unterge- (beendete und über den Jahreswechsel
Erziehungskompetenz der Eltern oder Per- bracht waren. Auffallend ist der Unter- andauernde Hilfen). Dies bedeutet gegen-
sonensorgeberechtigten. Dagegen führte schied zwischen den Geschlechtern: Ein- über 1991 eine Steigerung um 268 %.
die Unversorgtheit des jungen Menschen, gliederungshilfen wurden zu 71 % von Eine Sonderstellung unter den ambu-
beispielsweise aufgrund von Krankheit, Jungen oder jungen Männern und zu lanten Hilfearten nehmen die sozialpäda-
stationärer Unterbringung, Inhaftierung 29 % von Mädchen beziehungsweise jun- gogische und die flexible Familienhilfe
oder dem Tod der Bezugsperson, in mehr gen Frauen in Anspruch genommen. Die- ein, weil hier die ganze Familie Adressat
als einem Viertel der Fälle (27 %) zur Auf- ses Geschlechterverhältnis war auch der Hilfe ist. Im Jahr 2016 wurden rund
nahme in einem Heim oder einer sonsti- deutlich ausgeprägter als bei den erziehe- 144 000 Familien durch eine sozialpäda-
gen betreuten Wohnform. rischen Hilfen mit 58 % männlichen zu gogische oder flexible Familienhilfe un-
Eine Sonderrolle nehmen in diesem 42 % weiblichen jungen Menschen. terstützt (beendete und am Jahresende
Kontext die Eingliederungshilfen bei Unter den ambulanten Hilfen wird die bestehende Hilfen). Im Jahr 1991 hatten
drohender oder bereits vorliegender see- Erziehungsberatung am häufigsten in An- nur 13 000 Familien eine familienorien-
lischer Behinderung ein. Seelische Stö- spruch genommen. Sie ist auch die zahlen- tierte Hilfe in Anspruch genommen.
rungen, die einen Anspruch begründen, mäßig bedeutendste Hilfeart im Gesamt- Auch die Hilfen außerhalb des Eltern-
hauses sind gestiegen: Während Ende
1991 insgesamt 125 000 bestehende Hil-
fen außerhalb des Elternhauses registriert
wurden, lag die Zahl am Jahresende 2016
bei 191 000. Dies bedeutet einen Anstieg
um rund 53 %. Die einzelnen Hilfearten
nahmen während dieses Zeitraums eine
deutlich unterschiedliche Entwicklung:
Während sich die Zahl der Hilfen in einer
Tagesgruppe von knapp 8 000 auf knapp
16 000 verdoppelt hat, erhöhte sich die
Zahl der jungen Menschen in Vollzeit-
pflege um 54 % von 48 000 auf 74 000. Die
Zahl der im Heim oder einer sonstigen
betreuten Wohnform untergebrachten
jungen Menschen erhöhte sich um 40 %
auf 95 600. Die Steigerung bei der Heimer-
ziehung ist vermutlich auch eine Folge des
Aufkommens an unbegleitet eingereisten

72
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

Abb 3 Begonnene Erziehungsberatungen, ambulante Hilfen und Hilfen außerhalb des


Elternhauses 2016 - je 1 000 junger Menschen unter 27 Jahren

uAbb 3 Begonnene Erziehungsberatungen, ambulante Hilfen und Hilfen außerhalb des Elternhauses 2016
— je 1 000 junger Menschen unter 27 Jahren

Erziehungsberatungen ambulante Hilfen (teil-)stationäre Hilfen


(ohne Erziehungsberatungen)

Deutschland Deutschland Deutschland


14,0 6,7 4,4

Schleswig-Holstein 20,9 7,9 4,7

Thüringen 18,6 5,4 5,1

Sachsen 18,4 6,3 4,9

Brandenburg 16,4 10,8 6,1

Berlin 16,1 6,5 3,3

Nordrhein-Westfalen 16,1 7,7 5,3

Sachsen-Anhalt 15,8 8,1 6,0

Niedersachsen 13,8 7,3 4,4

Rheinland-Pfalz 13,2 8,0 4,7

Baden-Württemberg 12,5 5,3 3,6

Hessen 11,7 4,4 3,4

Bayern 11,5 4,2 2,9

Hamburg 8,9 14,6 7,7

Bremen 8,6 8,7 9,4

Mecklenburg-Vorpommern 8,3 11,0 5,5

Saarland 7,5 7,2 5,3

Bei den familienorientierten ambulanten Hilfen wurde die Anzahl der jungen Menschen
in den Familien für die Berechnung zugrunde gelegt.

Minderjährigen in den vergangenen Jah- mäßig mit 2,7 % eine vergleichsweise ge- 2016 die höchste Inanspruchnahmequote
ren. Die intensive sozialpädagogische Ein- ringe Rolle. mit 20,9 begonnenen Beratungen je 1 000
zelbetreuung verzeichnete prozentual ge- Differenziert nach Bundesländern er- junger Menschen unter 27 Jahren, wäh-
sehen den größten Zuwachs (+ 467 %) auf geben sich deutliche Unterschiede in der rend Mecklenburg-Vorpommern mit einer
5 100 Hilfen, bei einer Ausgangszahl von Inanspruchnahme der verschiedenen Hil- Quote von 8,3 und das Saarland mit einer
knapp 900 Hilfen am Jahresende 1991. fearten, beispielsweise bei den Erziehungs- Quote von 7,5 bei neu gewährten Beratun-
Diese Hilfeart spielt allerdings anteils- beratungen: Schleswig-Holstein erreichte gen weit dahinter lagen. u Abb 3

73
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen

Die höchste Inanspruchnahme von u Abb 4 Gefährdungseinschätzungen nach Ergebnis und

ambulanten Hilfen (ohne Erziehungsbe- Art der Kindeswohlgefährdung 2016


ratung) war in Hamburg zu beobachten:
Mit 14,6 Hilfen je 1 000 junger Menschen 136 900
Gefährdungsein-
unter 27 Jahren war die Quote hier 3,5- schätzungen
mal so hoch wie in Bayern, wo mit 4,2 be-
4 % sexuelle Gewalt
gonnenen Hilfen je 1 000 junger Men- akute oder latente
Kindeswohlgefährung
schen unter 27 Jahren am seltensten am- 26 %
körperliche
45 777 Misshandlung
bulante Hilfen gewährt wurden.
Bei den neu gewährten Hilfen außer-
keine Kindeswohl- psychische
halb des Elternhauses wies Bremen mit 28 %
gefährdung, Misshandlung
einer Quote von 9,4 Hilfen je 1 000 junger aber Hilfebedarf

Menschen unter 27 Jahren die höchste 46 623

und Bayern mit 2,9 Hilfen die geringste


Inanspruchnahme auf. In allen Bundes- weder Kindeswohl- 61% Vernachlässigung
gefährdung noch
ländern außer in Bremen lag die Quote (weiterer) Hilfebedarf
außerhalb des Elternhauses in Anspruch 44 525
genommener Hilfen niedriger als die
Quote der ambulanten Hilfen (ohne Er- Einschließlich Mehrfachnennungen.

ziehungsberatung).

Aktiver Kinderschutz
Seit der Jahrtausendwende haben Kinder
in Deutschland ein Recht auf gewaltfreie
Erziehung. Körperliche Bestrafungen, Anhaltspunkten für eine Kindeswohlge- dem Ergebnis, dass zwar keine Kindes-
seelische Verletzungen und andere ent- fährdung dazu verpflichtet, das Gefähr- wohlgefährdung vorlag, aber ein weiterer
würdigende Maßnahmen sind danach dungsrisiko im Zusammenwirken meh- Hilfe- oder Unterstützungsbedarf. Und
verboten und stellen darüber hinaus ei- rerer Fachkräfte abzuschätzen. Bestand- in gut 44 500 Fällen (33 %) wurden weder
nen Verstoß gegen die von Deutschland teil dieser Gefährdungseinschätzung ist eine Kindeswohlgefährdung noch ein
ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention unter anderem, sich bei fachlicher Not- weiterer Hilfebedarf festgestellt. u Abb 4
dar. Bei akuten Kindeswohlgefährdun- wendigkeit einen unmittelbaren Ein- Die meisten der rund 45 800 Kinder,
gen – sei es durch Vernachlässigung, druck vom Kind und seiner Umgebung bei denen eine akute oder latente Kindes-
massive körperliche, psychische oder se- zu verschaffen (Hausbesuch). Dazu ge- wohlgefährdung vorlag, wiesen Anzei-
xualisierte Gewalt – ist der Staat im Rah- hört auch, die Problemsituation – sofern chen von Vernachlässigung auf (61 %). In
men seines Wächteramtes verpf lichtet, vertretbar, gemeinsam mit den Sorgebe- 28 % der Fälle gab es Anhaltspunkte für
Kinder wirksam zu schützen. Auch hier rechtigten und dem Kind – zu erörtern psychische Misshandlungen, wie Demü-
stehen zunächst einmal Hilfs- und Un- und bei Bedarf Hilfen und Unterstützung tigungen, Ausgrenzung, Einschüchte-
terstützungsangebote für Eltern, Kinder anzubieten. rung, Bloßstellung, Isolierung und emo-
und Familien zur Behebung von Miss- Im Jahr 2016 haben die Jugendämter tionale Kälte. Bei 26 % aller Verfahren
ständen im Vordergrund. Insbesondere insgesamt rund 136 900 Gefährdungsein- wurden Hinweise auf körperliche Miss-
wenn die Eltern aber nicht bereit oder in schätzungen vorgenommen − das waren handlung gefunden. Anzeichen für sexu-
der Lage sind, mit dem Jugendamt zu ko- 6 % mehr als im Vorjahr. In rund 21 600 elle Gewalt gab es in 4,4 % der Fälle von
operieren, muss der Kinderschutz unter Fällen (16 %) stellten sie eine akute Kin- akuter oder latenter Kindeswohlgefähr-
Umständen auch gegen den Willen der deswohlgefährdung fest. Bei 24 200 Ver- dung, wobei Experten gerade hier immer
Sorgeberechtigten durchgesetzt werden – fahren (18 %) konnte eine Kindeswohlge- wieder auf das große Dunkelfeld hinwei-
gegebenenfalls unter Beteiligung eines fährdung nicht sicher ausgeschlossen sen. Berücksichtigt wurden hier also nur
Familiengerichts. Der Gesetzgeber hat werden, sodass ein ernstzunehmender Anzeigen von Kindeswohlgefährdungen,
in diesem Zusammenhang den Kinder- Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung die dem Jugendamt bekannt geworden
schutzauftrag der öffentlichen und freien verblieb; dieser Fall wird als latente Kin- sind. Da es an dieser Stelle Mehrfachbe-
Träger der Jugendhilfe im Jahr 2012 kon- deswohlgefährdung bezeichnet. Bei wei- troffene der unterschiedlichen Formen
kretisiert (§ 8a SGB VIII). Demzufolge teren rund 46 600 Verfahren (34 %) ka- von Gewalt gab, waren in der Statistik
sind die Jugendämter bei gewichtigen men die Fachkräfte des Jugendamtes zu auch Mehrfachnennungen möglich.

74
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

Als besonders vulnerabel (verletzlich) u Abb 5 Gefährdungseinschätzungen nach Alter der Kinder und

gilt in diesem Kontext die Altersgruppe Ergebnis der Gefährdungseinschätzung 2016


der Säuglinge und Kleinkinder: Die Sta-
tistik zeigt, dass Vernachlässigungen und
Gewalt für eine beträchtliche Zahl der
5 019 4 962
Kinder bereits in diesem Alter Realität unter 3 10 708
sind. Danach waren fast 10 000 Säuglinge 11 135
und Kleinkinder im Jahr 2016 von einer 4 475 3 462
akuten oder latenten Kindeswohlgefähr- 3–5 8 961
dung betroffen. Ein besonderes Problem 9 608

stellten in diesem Alter Vernachlässigun- 4 452 3 186


gen (71 %) und psychische Misshandlun- 6– 8 8 435
7 877
gen (24 %) dar. Aber auch körperliche
Misshandlungen (18 %) waren bereits bei 3 796 3 000
9 –11 7 035
den Kleinkindern von Relevanz. Beson- 6 351
ders bedrückend ist die Tatsache, dass
bereits in diesem Alter akute oder latente 3 626 3 528
12 –14 6 412
Kindeswohlgefährdungen durch sexuelle 5 362
Gewalt auftraten (1,3 %). Auch wenn der
2 838 3 433
entsprechende Anteil in dieser Alters- 15 –17 5 072
gruppe unterdurchschnittlich war, bedeu- 4 192
tet das konkret für 2016: Bei 126 Klein-
kindern (bis 3 Jahre) wurden im Rahmen im Alter von … bis … Jahren
einer Gefährdungseinschätzung gewichti-
Abb 6 Vorläufige Schutzmaßnahmen nach Institutionen/Per-
sonen, die auf die Problemlage aufmerksam gemacht haben
akute Kindeswohlgefährdung
ge Anhaltspunkte für sexuelle Gewalt2016 - ge-
in Prozent latente Kindeswohlgefährdung
funden, darunter waren 34 Säuglinge (bis keine Kindeswohlgefährdung, aber Hilfebedarf
1 Jahr). u Abb 5 weder Kindeswohlgefährdung noch (weiterer) Hilfebedarf

Insgesamt haben die Jugendämter


nach der Feststellung einer akuten oder
latenten Kindeswohlgefährdung rund
47 300 (weitere) Hilfen oder andere Maß-
u Abb 6 Vorläufige Schutzmaßnahmen nach Institutionen / Personen, die auf die
nahmen gewährt. In knapp jedem fünf-
Problemlage aufmerksam gemacht haben 2016 — in Prozent
ten (19 %) der insgesamt rund 45 800 Fäl-
le von akuter oder latenter Kindeswohl-
gefährdung wurde das Familiengericht
angerufen. Das Familiengericht wird ein- Sozialer Dienst,
55
Jugendamt
geschaltet, wenn aus Sicht des Jugend-
amts ein Eingriff in das elterliche Sorge- Kind, Jugendliche/r selbst 19
recht erforderlich ist. Es entscheidet dann
gegebenenfalls über Auflagen, Gebote, Polizei,
15
Ordnungsbehörde
Verbote oder auch den teilweisen oder
vollständigen Entzug des Sorgerechts.
Eltern /-teil 4
Besteht eine dringende Gefahr für das
Kindeswohl, sodass die Entscheidung
Nachbarn, Verwandte 1
­eines Familiengerichts nicht abgewartet
werden kann, ist das Jugendamt verpflich- Arzt, Ärztin,
1
tet, die betroffenen Kinder oder Jugend­ Lehrer /-in, Erzieher /-in

lichen zu ihrem Schutz vorübergehend


sonstige 5
in Obhut zu nehmen. Diese sogenannten
vorläufigen Schutzmaßnahmen – oder
kurz: Inobhutnahmen – sind als sozialpä-
dagogische Hilfe für akute Krisen- oder

75
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen

Gefahrensituationen gedacht. Vorläufige


Schutzmaßnahmen werden nicht nur in
Unbegleitete Einreisen Minderjähriger dringenden Fällen von Kindeswohlge-
Die Jugendämter sind berechtigt und Inobhutnahmen aufgrund unbegleite- fährdung durchgeführt, sondern auch
verpf lichtet, vorläufige Maßnahmen ter Einreisen durchgeführt wurden wenn Kinder oder Jugendliche das Ju-
zum Schutz von Kindern und Jugend- (54 %) als aus anderen Gründen, etwa gendamt aus eigener Initiative um Inob-
lichen (kurz: Inobhutnahmen) durch- zum Schutz vor Gewalt. Von 2015 auf hutnahme bitten sowie bei unbegleiteten
zuführen. Nach dem Kinder- und Ju- 2016 setzte sich dieser Anstieg fort, Einreisen Minderjähriger aus dem Aus-
gendhilfegesetz können diese unter wenn auch in deutlich abgeschwächter land. Im Jahr 2016 führten die Jugendäm-
anderem nach einer unbegleiteten Form. Als Ergebnis dieser Entwick- ter in Deutschland insgesamt rund 84 200
Einreise aus dem Ausland eingeleitet lung lag die Zahl der Inobhutnahmen vorläufige Schutzmaßnahmen durch. In
werden. Bis eine Lösung für die Pro­ von unbegleitet eingereisten Kindern knapp jedem fünften Fall (19 %) hatten
blemsituation gefunden ist, werden und Jugendlichen mit rund 44 900 Be- die betroffenen Jungen oder Mädchen
die jungen Menschen zu ihrem Schutz troffenen im Jahr 2016 fast viermal so selbst um Inobhutnahme gebeten. u Abb 6
vom Jugendamt vorübergehend in hoch wie im Jahr 2014 (11 600). Rund 21 700 aller Minderjährigen, die
Obhut genommen. Bei dem Großteil der betroffenen 2016 in Obhut genommen wurden, waren
In den letzten Jahren – insbeson- Minderjährigen handelt es sich um jünger als 14 Jahre. In diesem Alter wur-
dere aber ab dem Jahr 2014 − hat der männliche Jugendliche: So waren im den die Kinder am häufigsten wegen
Zuzug von Schutzsuchenden stark zu- Jahr 2016 rund 92 % der unbegleitet Überforderung der Eltern beziehungswei-
genommen. Dabei stieg auch die Zahl eingereisten Minderjährigen männ- se eines Elternteils (45 %) und zum Schutz
der Kinder und Jugendlichen, die in- lich, 67 % aller unbegleitet eingereis- vor Vernachlässigung (19 %) in Obhut ge-
folge einer unbegleiteten Einreise aus ten Minderjährigen waren junge nommen. Auch die unbegleitete Einreise
dem Ausland in Deutschland in Obhut Männer im Alter von 16 oder 17 Jah- (15 %) und der Schutz vor Misshandlung
genommen wurden, deutlich an. Der ren. Zum Vergleich: Nur in 5 % aller (13 %) spielten hier eine größere Rolle.
Zuwachs fiel von 2014 auf 2015 so hoch Fälle handelte es sich um junge Frau- Bei den 62 500 Jugendlichen von 14
aus, dass in diesem Jahr erstmals mehr en im Alter von 16 oder 17 Jahren. bis 17 Jahren, die in Obhut genommen
wurden, stand dagegen mit Abstand die
unbegleitete Einreise aus dem Ausland
Inobhutnahmen insgesamt und Anteil wegen im Vordergrund (67 %). Weitere bedeu-
unbegleiteter Einreisen tende Anlässe waren in diesem Alter die
Überforderung der Eltern beziehungs-
weise eines Elternteils (12 %) und Bezie-
84 230
hungsprobleme (6 %).
77 645 Auch bei der Dauer der vorläufigen
Schutzmaßnahmen gab es altersspezifi-
sche Unterschiede: Während bei den un-
ter 14-jährigen Kindern 46 % der Inob-
hutnahmen nach spätestens zwei Wochen
48 059 beendet werden konnten, traf dies nur
auf 34 % der Inobhutnahmen von 14- bis
41 222
39 365 17-jährigen Jugendlichen zu.
37 675
35 418
31 890 33 400 Die meisten Inobhutnahmen endeten
27 757 bei den Kindern unter 14 Jahren mit der
25 847
Rückkehr zu den Sorgeberechtigten (41 %)
oder der Einleitung einer erzieherischen
Hilfe außerhalb des Elternhauses, also in
einer Pf legefamilie oder einem Heim
(28 %). Die Jugendlichen von 14 bis 17 Jah-
2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
ren kehrten dagegen deutlich seltener zu
unbegleitete Einreise aus dem Ausland sonstige Gründe den Sorgeberechtigten zurück (13 %): Hier
leitete das Jugendamt am häufigsten eine
Ergebnisse der Kinder- und Jugendhilfestatistiken. erzieherische Hilfe in einer Pflegefamilie,

76
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

einem Heim beziehungsweise einer be- (siehe auch Kapitel 2.4, Seite 80), aber Voraussetzungen vom Familiengericht er-
treuten Wohnform ein (26 %) oder ver- auch rechtliche Entwicklungen wie die setzt werden. Das trifft vor allem bei
mittelte den Jugendlichen eine sonstige Ratifizierung des Haager Übereinkom- Gleichgültigkeit oder groben Pflichtver-
stationäre Hilfe, zum Beispiel einen Auf- mens zum Schutz von Kindern bei inter- letzungen der leiblichen Eltern gegenüber
enthalt in der Jugendpsychiatrie oder ei- nationalen Adoptionen, um nur einige zu dem Kind zu; ein Beispiel dafür sind
nem Krankenhaus (24 %). nennen. u Tab 1 schwere Kindeswohlgefährdungen durch
Besonders häufig wurden Kinder oder sämtliche Formen von Gewalt. Im Jahr
2.3.2 Adoptionen Jugendliche im Jahr 2016 von der Stief- 2016 wurde bei 251 Kindern eine Einwil-
Eine Adoption ist eine einschneidende mutter beziehungsweise dem Stiefvater – ligung durch das Familiengericht ersetzt –
und weitreichende Entscheidung – so- also der neuen Partnerin/dem neuen also bei 6 % aller Adoptionen. Dieser An-
wohl für die abgebenden als auch für die Partner des leiblichen Elternteils − adop- teil bewegt sich seit Anfang der 1990er-
annehmenden Eltern und natürlich nicht tiert (62 %). In gut einem Drittel aller Fäl- Jahre auf diesem Niveau, mit nur leichten
zuletzt für die betroffenen Kinder selbst. le (35 %) fand die Adoption durch Nicht- Schwankungen zwischen 5 % (1992) und
Bundesweit ist die Zahl der Adoptionen verwandte statt und am seltensten (3 %) 9 % (1999).
seit der ersten Hälfte der 1990er-Jahre wurden die Kinder durch andere Ver- Neben den insgesamt knapp 4 000
rückläufig und stagniert seit 2009. Wur- wandte adoptiert, etwa durch Großeltern, ausgesprochenen Adoptionen befanden
den im Jahr 1993 – auf dem Höchststand Onkel oder Tanten. Rechtlich gesehen sich zum Jahresende 2016 weitere 2 147
der Entwicklung – noch 8 687 Mädchen müssen immer beide leiblichen Elterntei- Minderjährige in Adoptionspflege. Die
oder Jungen adoptiert, so waren es im le und mit Erreichen des 14. Lebensjahrs Adoptionspflege ist vom Gesetzgeber vor-
Jahr 2016 weit weniger als die Hälfte, auch die betroffenen Jugendlichen in eine geschrieben und dient der Vorbereitung
nämlich 3 976 Minderjährige. Die Litera- Adoption einwilligen. Um erhebliche einer späteren Adoption. Sie soll eine Pro-
tur führt für den Rückgang unterschied- Nachteile durch die Nichtzustimmung ei- gnose dahingehend erleichtern, ob ein El-
liche Gründe an: den Wandel in den Fa- nes Elternteils für die betroffenen Jungen tern-Kind-Verhältnis zwischen den Betei-
milienentwürfen ebenso wie die Fort- oder Mädchen auszuschließen, können ligten entstehen kann und die Kindesan-
schritte in der Reproduktionsmedizin Einwilligungen aber unter bestimmten nahme dem Kindeswohl entspricht. Sie

u Tab 1 Adoptierte Kinder und Jugendliche nach persönlichen Merkmalen,


Verwandtschaftsverhältnis zu den Adoptiveltern und deren Staatsangehörigkeit 2016

Verwandtschaftsverhältnis Staatsangehörigkeit
zu den Adoptiveltern der Adoptiveltern
Insgesamt
Stiefvater / nicht nicht deutsch /
verwandt deutsch
Stiefmutter verwandt deutsch nicht deutsch

Insgesamt 3 976 114 2 474 1 388 3 593 94 289

im Alter von … bis ... Jahren

unter 3 1 582 21 633 928 1 482 32 68

3–5 494 20 229 245 447 8 39

6–8 506 15 389 102 449 11 46

9 –11 511 19 450 42 447 18 46

12 –14 444 22 393 29 383 13 48

15 –17 439 17 380 42 385 12 42

Kinder und Jugendliche


nach Staatsangehörigkeit

Deutsche 3 413 56 2 282 1 075 3 229 57 127

Nichtdeutsche 563 58 192 313 364 37 162

77
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen

u Abb 7 Staatsangehörigkeiten der nicht deutschen Kinder, die im Rahmen


einer Adoption nach Deutschland geholt wurden 2016

Afrika oder übrige Welt Asien


42 78

Amerika
257
62 Adoptivkinder 31 EU-Staaten

sonstige
44 europäische
Staaten
Europa
75

beginnt mit dem Tag, an dem die künfti- Seit Inkrafttreten des Haager Adop­
gen Adoptiveltern das künftige Adoptiv- tionsübereinkommens in Deutschland im
kind bei sich aufnehmen, und endet, so- Jahr 2002 ist die Zahl der nicht deutschen
bald das Familiengericht die Adoption Kinder, die im Rahmen einer Adoption
rechtskräftig ausgesprochen hat. Abbrü- ins Land geholt wurden, von 960 auf
che sind zwar selten, kommen aber 257 Fälle zurückgegangen (– 73 %) – und
durchaus vor: So war 2016 in 133 Fällen zwar obwohl in diesem Zeitraum sogar
eine Adoptionspflege abgebrochen wor- eine gewisse Ausweitung der Erhebung
den. Für eine Adoption vorgemerkt wa- stattgefunden hat. Zur Orientierung: Ins-
ren 826 Kinder und Jugendliche am Jah- gesamt ging die Zahl der Adoptionen im
resende 2016. Gleichzeitig gab es 5 266 gleichen Zeitraum um 30 % zurück. Von
Bewerbungen von Familien, die gern ein den 257 nicht deutschen Adoptivkindern,
Kind im Rahmen einer Adoption anneh- die im Zusammenhang mit einer Adopti-
men wollten. Rechnerisch standen damit on nach Deutschland kamen, stammten
jedem zur Adoption vorgemerkten Jun- 78 aus Asien, 75 aus Europa, 62 aus Ame-
gen oder Mädchen sechs potenzielle rika und 42 aus Afrika oder der übrigen
Adop­t ivfamilien gegenüber. Welt. u Abb 7

78
Kinderlosigkeit / 2.4 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

2.4 Kinderlosigkeit gehörte schon immer


zum sozialen Gefüge dazu, da nicht alle
Staat den Eltern, berufliche und familiä­
re Pflichten besser zu vereinbaren. In
Kinderlosigkeit Frauen – gewollt oder ungewollt – im Kombination mit einer guten wirtschaft­
Lauf ihres Lebens ein Kind zur Welt ge­ lichen Lage und einer günstigen Arbeits­
bracht haben. In den letzten zwei Jahr­ marktentwicklung haben diese Maß­
Olga Pötzsch
zehnten ist sie jedoch immer stärker in nahmen die Rahmenbedingungen für
den Fokus gerückt. Zum einen blieben werdende Eltern deutlich verbessert.
Statistisches Bundesamt immer mehr Menschen aufgrund ihrer Trotzdem führen die immer noch langen
(Destatis) Lebensumstände kinderlos oder entschie­ Ausbildungszeiten sowie die Suche nach
den sich bewusst gegen das Leben in einer einem sicheren Arbeitsplatz und einer
traditionellen Familie. Dadurch wurde verlässlichen Partnerschaft zum Auf­
die Kinderlosigkeit allmählich zu einem schieben des Kinderwunsches bei vielen
verbreiteten und weitgehend akzeptierten potenziellen Eltern. Dadurch verengt
Phänomen. Zum anderen führt das Auf­ sich vor allem für Frauen das biologische
schieben der Familiengründung im Le­ Fenster zunehmend und die Erfüllung
benslauf dazu, dass immer mehr Paare des Kinderwunsches hängt immer stär­
mit Unfruchtbarkeit konfrontiert werden ker von biomedizinischen Vorausset­
und Reproduktionsmedizin in Anspruch zungen ab.
nehmen. Vor dem Hintergrund eines oh­ Belastbare empirische Erkenntnisse
nehin relativ niedrigen Geburtenniveaus zum Ausmaß der Kinderlosigkeit von
in Deutschland stieg infolge dieser Ent­ Frauen bietet die amtliche Statistik seit
wicklungen der Einfluss der Kinderlosig­ der Mikrozensusbefragung im Jahr 2008.
keit auf die Geburtenraten. Die entsprechenden Angaben werden
Um Frauen beziehungsweise Paaren im Mikrozensus alle vier Jahre erfragt.
die Realisierung ihres Kinderwunsches Inzwischen liegen die Ergebnisse zur
zu erleichtern, wurden seit 2007 zusätz­ Zahl der geborenen Kinder aus der drit­
liche familienpolitische Maßnahmen ten Mikrozensusbefragung im Jahr 2016
eingeführt. Das Elterngeld und Eltern­ vor. Diese Daten haben die Befunde aus
geldPlus reduzieren die Opportunitäts­ den ersten Befragungswellen weitestge­
kosten, also den Einkommensverlust der hend bestätigt und neue Erkenntnisse
Eltern aufgrund von Unterbrechung der über die Entwicklung der Kinderlosig­
Erwerbstätigkeit. Durch den Ausbau der keit bei jüngeren Frauenjahrgängen ge­
Kleinkinderbetreuung ermöglicht der bracht. u Info 1

u Info 1
Datenquellen zur Kinderlosigkeit
Die Daten zur Kinderlosigkeit in Deutschland werden bei den Mikrozensusbefragungen gewon-
nen (siehe Kapitel 2.1, Seite 52, Info 1). Im Mikrozensus werden zwei Fragen zur Geburt von leib-
lichen Kindern an Frauen im ­A lter zwischen 15 und 75 Jahren gestellt: 1) Haben Sie Kinder ge-
boren? 2) Falls ja: Wie viele Kinder haben Sie insgesamt geboren? Diese Angaben sind
­freiwillig und werden seit 2008 alle vier Jahre erhoben. Methodische Hinweise und ausführliche
Ergebnisse enthält der Tabellenband »Daten zu Kinderlosigkeit, Geburten und Familien –
­Ergebnisse des Mikrozensus 2016 – Ausgabe 2017«: www.destatis.de

International vergleichbare Daten zur Kinderlosigkeit sind nur begrenzt verfügbar. Auf Grund­
lage von einheitlichen Methoden berechnete Kinderlosenquoten bietet für einige Länder die
»Human Fertility Database« (www.humanfertility.org). Darüber hinaus veröffentlichte der Demo-
grafieforscher Tomas Sobotka eine Gesamtschau zur Entwicklung der Kinderlosigkeit in Euro-
pa, wobei er unterschiedliche Datenquellen verwendete (Tomas Sobotka, Childlessness in
­Europe: Reconstruction long-term trends among women born 1900 –1972, in: Michaela Kreyenfeld /
Dirk Konietzka [Herausgeber]: Childlessness in Europe: contexts, causes, and consequences,
Wiesbaden 2017).

79
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.4 / Kinderlosigkeit

Reproduktionsmedizin in Deutschland
Jasmin Passet-Wittig, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Im Jahr 1982 wurde in Deutschland erst­ dem steigenden Behandlungsbedarf und Kosten für maximal drei solcher Behand­
mals ein mittels künstlicher Befruchtung dem anhaltenden Aufschub von Gebur­ lungen zur Hälfte übernommen. Die Be­
gezeugtes Kind geboren. Seitdem hat sich ten in ein höheres Alter besteht. Denn handlungszahlen und damit auch die
die Reproduktionsmedizin stetig weiter­ insbesondere mit dem Alter der Frau Zahl der geborenen Kinder nach künstli­
entwickelt. Zu den wichtigsten Behand­ steigt das Risiko von Problemen bei der cher Befruchtung gingen deutlich zurück.
lungsverfahren der sogenannten assistier­ Umsetzung eines Kinderwunsches. In den letzten Jahren gibt es einen Trend,
ten Reproduktion zählen heute die In-­ Die steigende Zahl von Kinder­ dass die gesetzlichen Krankenkassen wie­
Vitro-Fertilisation (IVF) und die Intra­ wunschbehandlungen spiegelt sich auch der mehr Behandlungen finanzieren oder
zytoplasmatische Spermieninjektion in steigenden Geburtenzahlen wider. Im einen höheren Kostenanteil übernehmen.
(ICSI). Bei beiden Verfahren werden Ei­ Jahr 2001 wurden in Deutschland 12 456 In manchen Bundesländern beteiligen
zellen im Labor befruchtet. Darüber hi­ Kinder geboren, die mithilfe der Repro­ sich darüber hinaus Bund und Länder
naus stehen weitere weniger invasive Ver­ duktionsmedizin gezeugt wurden. Diese anteilig an den Behandlungskosten ge­
fahren wie die Insemination und die Hor­ Zahl hat sich bis 2015 fast verdoppelt. Der setzlich Versicherter. Maßgeblich dafür
monbehandlung zur Verfügung. Anteil der mithilfe von IVF, ICSI und ist eine Bundesförderrichtlinie des Bun­
Paare mit unerfülltem Kinderwunsch mittels Kryo-Behandlungen gezeugten desministeriums für Familie, Senioren,
wenden sich immer häufiger an speziali­ Kinder an allen Geburten lag 2015 bei Frauen und Jugend aus dem Jahr 2012.
sierte Kinderwunschpraxen. Für das Jahr 2,8 %. Gäbe es belastbare Zahlen zu Ge­ Für die demografische Entwicklung
2015 sind in Deutschland insgesamt burten nach Inseminationen und Hor­ spielt die Reproduktionsmedizin nur
99 728 Behandlungen dokumentiert. Mit monbehandlungen, wäre der Anteil der eine vergleichsweise geringe Rolle. Das
Abstand am häufigsten werden ICSI-Be­ Geburten nach medizinischer Behand­ hängt unter anderem mit den begrenzten
handlungen durchgeführt, gefolgt von so­ lung vermutlich noch etwas höher. Erfolgsaussichten der Behandlung zu­
genannten Kryo-Behandlungen, bei de­ An dem besonders starken Anstieg sammen. Auch die damit verbundenen
nen eingefrorene befruchtete Eizellen des der Geburten im Jahr 2003 und dem ab­ psychologischen, körperlichen und fi­
Paares verwendet werden, und IVF-Be­ rupten Rückgang im darauffolgenden nanziellen Belastungen halten manchen
handlungen. Besonders häufig wenden Jahr werden die Auswirkungen einer Re­ Betroffenen von einer Behandlung ab.
sich Kinderlose an die Reproduktionsme­ form der Kostenerstattung in der gesetzli­ Andererseits belastet viele das Ausbleiben
dizin, aber auch Paare, die bereits Kinder chen Krankenkasse deutlich. Im Jahr einer Schwangerschaft sehr, schließlich
haben, gehören zur Zielgruppe. Die be­ 2003 wurden die relativ hohen Behand­ ist Elternschaft für viele ein zentrales Le­
handelten Frauen und Männer werden lungskosten noch für bis zu vier repro­ bensziel. Die Reproduktionsmedizin ist
zudem immer älter. Es ist davon auszuge­ duktionsmedizinische Behandlungen deshalb für akut betroffene Paare von
hen, dass ein Zusammenhang zwischen vollständig erstattet. Seit 2004 werden die nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Reproduktionsmedizinische Geborene Kinder nach künstlicher Befruchtung


Behandlungen im Jahr 2015 und ihr Anteil an allen Geburten

25 000 2,8 2,8 Anteil geborener Kinder


ICSI 48 532 2,7
2,5 nach IVF, ICSI, IVF/ICSI
und Kryo-Behandlungen
Kryo- 20 000 2,2 2,3
23 226 an allen Geburten (in %)
Behandlung 2,0 1,9
1,9 1,8 1,9
1,7 geborene Kinder nach
15 000 1,6
IVF 15 105 1,5 1,6 IVF, ICSI, IVF/ICSI und
Kryo-Behandlungen
10 000
IVF/ICSI 1 194
Quelle:
abge- 5 000 Deutsches IVF
brochene 11 671 Register 2016
Behandlung
0
2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015

80
Kinderlosigkeit / 2.4 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Abb 1 Kinderlosenquote – Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen des jeweiligen Geburtsjahrgangs 1937–1981 — in Prozent

endgültig vorläufig
35

30

25

früheres Bundesgebiet
20
ohne Berlin-West

15
Deutschland

10 neue Länder
ohne Berlin-Ost

0
1937 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980
Geburtsjahr

Datenbasis: Mikrozensus 2008, 2012 und 2016 für die Jahrgänge 1937 bis 1967;
Mikrozensus 2016 für die Jahrgänge ab 1968.

Das Kinderlosigkeitsniveau wird an­ lich zugenommen: Zwischen den Jahrgän­ derlosenquote haben als die in Deutsch­
hand der sogenannten Kinderlosenquote gen 1937 und 1967 hatte sie sich von 11 % land aufgewachsenen Frauen, trug dieser
gemessen, das heißt des Anteils der Frau­ auf 21 % fast verdoppelt. Bei den Jahrgän­ strukturelle Effekt zusätzlich zur Stabi­
en, die kein Kind geboren haben, an allen gen 1967 bis 1974 setzte sich dieser Trend lisierung des gesamten Kinderlosigkeits­
Frauen des jeweiligen Geburtsjahrgangs. nicht mehr fort und die Kinderlosenquote niveaus bei.
Adoptiv- oder Pflegekinder werden dabei scheint sich auf dem Niveau von 20 % bis Die künftige Entwicklung der Kinder­
nicht berücksichtigt. Statistisch gesehen 21 % verfestigt zu haben. u Abb 1 losigkeit bei den jüngeren Frauenjahrgän­
verändert sich die durchschnittliche Kin­ Die vorläufigen Anteile der (noch) gen, die in den 1980er- und 1990er-Jahren
derlosenquote bereits nach dem Alter von kinderlosen Frauen im Alter zwischen 35 geboren sind, ist allerdings noch offen.
42 Jahren kaum noch (siehe Kapitel 1.1, und 41 Jahren zeigen außerdem, dass vo­
Seite 19). Für die Beschreibung der aktu­ raussichtlich auch in den nächsten Jahren 2.4.2 Regionale Unterschiede
ellen Verhältnisse ist somit die quasi end­ mit einem relativ stabilen Niveau der Regional ist die Kinderlosigkeit unter­
gültige Kinderlosenquote der Frauen aus­ endgültigen Kinderlosigkeit zu rechnen schiedlich stark ausgeprägt. In den west­
schlaggebend, die bei der Befragung im ist. Im Jahr 2016 war die temporäre (vor­ lichen Flächenländern betrug 2016 die
Jahr 2016 das Alter von 41 überschritten läufige) Kinderlosigkeit der Frauen im endgültige Kinderlosenquote der Frauen
hatten. Eine Ausnahme bilden dabei Alter zwischen 35 und 41 Jahren sogar im Alter zwischen 45 und 49 Jahren
Frauen mit höheren (akademischen) Bil­ niedriger als 2012. durchschnittlich 21 % und war damit auf
dungsabschlüssen, die tendenziell später Der Rückgang basiert vor allem auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2012. In
eine Familie gründen als der Durch­ den gesunkenen temporären Quoten der den ostdeutschen Flächenländern war
schnitt aller Frauen. Bei einigen Verglei­ Frauen, die in Deutschland geboren oder zwar die Kinderlosigkeit mit 12 % deut­
chen wird deshalb die Kinderlosenquote aufgewachsen sind. Durch die starke Zu­ lich geringer als im Westen, nahm aber
der ab 45-Jährigen zugrunde gelegt. wanderung der Jahre 2014 bis 2016 stieg im Vergleich zu 2012 leicht zu. Besonders
außerdem der Anteil der im Ausland auf­ hoch war der Anteil der Frauen ohne
2.4.1 Langjähriger Trend gewachsenen Zuwanderinnen an den Kind mit durchschnittlich 28 % in den
In den vergangenen 30 Jahren hatte die Frauenjahrgängen. Da diese Zuwanderin­ Stadtstaaten. Diese Quote hat sich seit
endgültige Kinderlosenquote kontinuier­ nen im Durchschnitt eine niedrigere Kin­ 2012 nicht verändert.

81
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.4 / Kinderlosigkeit Abb 2 Kinderlosenquote im Alter von 45 bis 49 Jahren nach
Bundesländern 2016 - in Prozent

Der Spitzenreiter unter den Bundes­ u Abb 2 Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen im Alter
ländern war 2016 Hamburg mit 31 %. In von 45 bis 49 Jahren 2016 — in Prozent
den westlichen Flächenländern war der
Anteil der Frauen ohne Kind in Schles­ Bundesdurchschnitt
20
wig-Holstein mit 24 % am höchsten, in
Baden-Württemberg und im Saarland Hamburg 31

mit jeweils 19 % am geringsten. In den Berlin 27


ostdeutschen Flächenländern variierte
Bremen 26
die Kinderlosenquote zwischen 11 % und
13 % und war damit relativ gleich ver­ Schleswig-Holstein 24
teilt. u Abb 2
Nordrhein-Westfalen 22
In allen Bundesländern ist die Kin­
derlosigkeit in den urbanen Regionen Niedersachsen 22

durchweg höher als in den ländlichen. Hessen 22


Besonders auffallend waren diese Unter­
Rheinland-Pfalz 21
schiede 2016 in Bayern: mit 15 % kinder­
losen Frauen auf dem Land und 30 % in Bayern 20
den Städten.
Saarland 19

2.4.3 Kinderlosigkeit und Baden-Württemberg 19

Bildungsstand Sachsen-Anhalt 13
Das Niveau der Kinderlosigkeit unter­
Mecklenburg-Vorpommern 13
scheidet sich nach dem Bildungsab­
schluss der Frauen. In Deutschland be­ Thüringen 11
trug 2016 die Kinderlosenquote der­ Sachsen 11
45- bis 49-jährigen Frauen mit beruf li­
chem Ausbildungsabschluss 21 % und Brandenburg 11

war damit höher als die der Frauen ohne


berufliche Ausbildung (17 %). Die Frauen
Datenbasis: Mikrozensus.
mit akademischen Abschlüssen, beispiels­
weise Fachhochschu l-/Hochschu lab­ Ergebnisse des Mikrozensus.

schluss oder Promotion, waren deutlich


öfter kinderlos (26 %) als die Frauen mit
einem Lehr- oder Fachschulabschluss u Tab 1 Kinderlosenquote nach Bildungsstand — in Prozent
(20 %).
2012 2016
Im Vergleich zu 2012 haben sich die
Unterschiede nach Bildungsabschlüssen Insgesamt 20 20
reduziert. Während die Kinderlosenquote Mit beruflichem Ausbildungsabschluss 20 21
bei den Frauen mit Lehr- oder Anlern­
 Lehr- / Anlernausbildung ¹ 18 20
ausbildung zunahm, sank sie bei den
Akademikerinnen geringfügig. u Tab 1  Fachschulabschluss ² 20 20

Eine Annäherung in den Kinderlosen­  Fachhochschul- / Hochschulabschluss, Promotion ³ 27 26


quoten der Akademikerinnen und Frauen
Ohne beruflichem Ausbildungsabschluss ⁴ 18 17
ohne akademische Ausbildung lässt sich
auch beim Vergleich zwischen den Jahr­ Frauen im Alter von 45 bis 49 Jahren zum Zeitpunkt der Befragung.
1 Lehre /Berufsausbildung im dualen System einschließlich eines gleichwertigen Berufsabschlusses, Vorbereitungsdienst
gangsgruppen für die einzelnen Regio­ für den mittleren Dienst in der öffentlichen Verwaltung, Abschluss einer einjährigen Schule des Gesundheitswesens.
2 Einschließlich Meister-/Technikerausbildung, Abschluss einer zwei- oder dreijährigen Schule des Gesundheitswesens,
nen feststellen. Während zwischen den einer Fach- oder Berufsakademie beziehungsweise Abschluss einer Fachschule der ehemaligen DDR.
3 Auch Ingenieurschulabschluss, Abschluss einer Verwaltungsfachhochschule, Abschluss einer Universität,
1950er- und 1960er-Jahrgängen die Kin­ wissenschaftlichen Hochschule, auch Kunsthochschule.
4 Einschließlich Berufsvorbereitungsjahr und berufliches Praktikum, da durch diese keine berufsqualifizierenden Abschlüsse
derlosigkeit in beiden Bildungsgruppen erlangt werden.
Datenbasis: Mikrozensus.
stieg, setzte sich anschließend der stei­
gende Trend nur bei den Nichtakademi­
kerinnen fort. Bei den Akademikerinnen

82
Kinderlosigkeit / 2.4 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Info 2 der jüngeren Jahrgänge stagnierte die


Berufliche Bildungsabschlüsse Kinderlosigkeit in den Flächenländern
Die Kategorien »Akademikerinnen« und »Nichtakademikerinnen« werden entspre- oder nahm sogar ab. u Info 2, Abb 3
chend dem höchsten beruflichen Bildungsabschluss der Frau gebildet. Zum akade- In den westdeutschen Flächenländern
mischen Abschluss zählen hier Diplom, Bachelor, Master, Magister, ­Staatsprüfung,
Lehramtsprüfung an (Verwaltungs-)Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten
sank die Kinderlosenquote der Akademi­
sowie die Promotion. kerinnen bereits innerhalb der 1960er-
Jahrgänge von 28 % auf 25 % und verharrte
dann auf diesem Niveau. Da zugleich die
Kinderlosigkeit bei den Nichtakademike­
u Abb 3 Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen der Geburtsjahrgänge rinnen weiter stieg, verringerte sich die
nach höchstem beruflichem Bildungsabschluss — in Prozent Differenz in den Kinderlosenquoten zwi­
schen den beiden Bildungsgruppen von
11 Prozentpunkten bei den 1950er-Jahr­
40 gängen auf 4 Prozentpunkte bei den
1970er-Jahrgängen.
In den ostdeutschen Flächenländern
35
stiegen die Kinderlosenquoten nach der
deutschen Vereinigung bei beiden Bil­
30 dungsgruppen bis in die späten 1960er-
Jahrgänge, und zwar bei den Akademike­
25 rinnen stärker als bei den Nichtakade­
mikerinnen. Bei den zwischen 1972 und
1976 geborenen Frauen mit akademischer
20
Bildung setzte sich dieser Trend aller­
dings nicht mehr fort. Ihre Kinderlosen­
15 quote war mit 14 % niedriger als bei den
fünf Jahre älteren Akademikerinnen
(16 %) und sogar niedriger als bei den
10
gleichaltrigen Nichtakademikerinnen
(15 %). Bei Letzteren nahm die Kinderlo­
5 sigkeit inzwischen weiter zu.
In den Stadtstaaten schwankte die
Kinderlosigkeit bei den Akademikerin­
0
1952 –1956 1957–1961 1962 –1966 1967–1971 1972–1976 nen zwischen 30 % und 35 %. Bei den
(60 – 64) (55 – 59) (50 – 54) (45 – 49) (40 – 44)
Nichtakademikerinnen stieg sie dagegen
Geburtsjahrgänge (im Jahr 2016 erreichtes Alter) kontinuierlich. Bei den Jahrgängen 1972
bis 1976 betrug sie 27 % und war somit
akademisch, Stadtstaaten höher als bei den Akademikerinnen im
nicht akademisch, Stadtstaaten
bundesdeutschen Durchschnitt (26 %).
akademisch, Flächenländer West
nicht akademisch, Flächenländer West 2.4.4 Kinderlosigkeit und
akademisch, Flächenländer Ost berufliche Stellung
nicht akademisch, Flächenländer Ost Bei den berufstätigen Frauen insgesamt
veränderte sich die Kinderlosenquote
Nur Frauen mit Antwort auf die Frage zur Geburt. zwischen 2012 und 2016 geringfügig von
Datenbasis: Mikrozensus 2012 und 2016 für die Jahrgänge 1952 bis 1966;
Mikrozensus 2016 für die Jahrgänge nach 1966. 21 % auf 22 %. Die Differenzen in der
Kinderlosigkeit zwischen Frauen in unter­
schiedlichen beruflichen Stellungen ha­
ben sich dabei reduziert. Die niedrigste
Kinderlosenquote bei der zweitgrößten
Beschäftigtengruppe, den Arbeiterinnen,
stieg von 14 % auf 16 %. Zugleich sank

83
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.4 / Kinderlosigkeit

die höchste Quote bei den Beamtinnen u Tab 2 Kinderlosenquote der Frauen im Alter von 42 bis 49 Jahren nach Stellung
deutlich von 30 % auf 25 %. Bei der größ­ im Beruf und beruflichem Bildungsabschluss
ten Beschäftigtengruppe, den Angestell­ Anteil der Frauen ohne
Gesamtzahl
ten, sowie bei den Selbstständigen und Kind an allen Frauen der
der Frauen
jeweiligen Gruppe
Freiberuflerinnen blieb die Kinderlosen­
quote relativ stabil bei 22 % beziehungs­ 2012 ¹ 2016 ² 2012 ¹ 2016 ²
weise bei 23 %. u Tab 2 in % in 1 000
Bemerkenswert ist, dass nur bei den
Frauen insgesamt 20 21 5 015 4 466
Beamtinnen die Kinderlosenquote bei
Nichtakademikerinnen höher ist als bei Erwerbstätige Frauen insgesamt 21 22 4 082 3 727
den Akademikerinnen. Bei beiden Bil­  Angestellte 22 22 2 801 2 640
dungsgruppen ist sie allerdings zwischen
 Arbeiterinnen 14 16 620 458
2012 und 2016 deutlich gesunken: von
 Beamtinnen ³ 30 25 181 214
32 % auf 29 % bei den Nichtakademike­
rinnen sowie von 29 % auf 24 % bei den  Selbstständige, Freiberuflerinnen 23 23 364 301
Akademikerinnen.  ohne Beschäftigte 24 24 234 192

 mit Beschäftigten 21 21 130 109


2.4.5 Kinderlosigkeit nach
Berufsfeldern Erwerbstätige ohne akademischen
20 20 3 422 3 009
Bildungsabschluss ⁴
Die Kinderlosenquote variiert immer
noch sehr stark nach dem jeweiligen Be­  Angestellte 21 21 2 401 2 204
rufsfeld der Frau. Die Spanne reichte im  Arbeiterinnen 15 16 607 448
Jahr 2016 von 9 % in Reinigungsberufen
 Beamtinnen ³ 32 29 61 58
bis 40 % in den Berufen der Informa­
tions- und Kommunikationsbranche  Selbstständige, Freiberuflerinnen 21 21 244 193

(IKT). In medizinischen, sozialen und  ohne Beschäftigte 22 21 156 121


ausbildenden Berufen war 2016 die Kin­  mit Beschäftigten 19 20 89 71
derlosigkeit mit 16 % bis 21 % geringer
Erwerbstätige mit akademischem
als im Bereich Unternehmensorganisati­ Bildungsabschluss ⁴
28 27 660 718
on, Buchhaltung, Recht und Verwaltung
 Angestellte 30 28 400 436
(25 % bis 26 %). Besonders hoch war die
Kinderlosenquote trotz Stabilisierungs­  Arbeiterinnen / / 12 10
tendenzen in den Bereichen Geisteswis­  Beamtinnen ³ 29 24 120 156
senschaften, Kultur, Gestaltung sowie
 Selbstständige, Freiberuflerinnen 27 27 120 108
Naturwissenschaften, Mathematik, Geo­
grafie und Informatik (zwischen 30 %  ohne Beschäftigte 27 30 78 71

und 40 %). u Tab 3  mit Beschäftigten 26 23 42 38


Es zeigt sich zudem, dass sich vor al­
1 Jahrgänge 1963 bis 1970.
lem die noch stark männlich dominier­ 2 Jahrgänge 1967 bis 1974.
3 Einschließlich Richterinnen und Soldatinnen.
ten Berufsfelder offenbar langsamer an 4 Zum akademischen Bildungsabschluss zählt hier: Bachelor, Master, Diplom, Promotion.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
die Vereinbarkeitsanforderungen von Fa­ Datenbasis: Mikrozensus.

milie und Beruf anpassen, als es zum Bei­


spiel in den kaufmännischen oder sozia­
len und lehrenden Berufen der Fall ist.

2.4.6 Kinderlosigkeit weltweit


Im internationalen Vergleich ist die Kin­ Finnland und in der Schweiz – zwischen (Datenquellen: Human Fertility Database;
derlosenquote in Deutschland mit am 20 % und 21 %. Im europäischen Durch­ Sobotka 2017 – siehe Info 1).
höchsten. Höher ist sie nur noch in Japan, schnitt liegt die Kinderlosigkeit bei den In diesem Kapitel standen Frauen
wo jede vierte Frau des Jahrgangs 1967 Ende der 1960er-Jahre geborenen Frauen ohne leibliche Kinder im Fokus. Über
kinderlos geblieben ist. Ähnlich hoch wie bei rund 15 %. Das ist auch etwa das Ni­ die Adoptionen informiert Kapitel 2.3.2,
in Deutschland ist die Quote in Italien, veau von Spanien, Frankreich und Polen Seite 77.

84
Kinderlosigkeit / 2.4 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Tab 3 Kinderlosenquote nach Berufsbereichen


und Berufshauptgruppen 2016

Anzahl der
Kinderlosen-
beschäftigten
quote
Frauen

in % in 1 000

Erwerbstätige Frauen insgesamt 22 3 727

Unternehmensorganisation,
25 1 103
Buchhaltung, Recht, Verwaltung

 Unternehmensführung und -organisation 25 640

 Berufe in Recht und Verwaltung 26 245

 F inanzdienstleistungen, Rechnungswesen,
26 218
Steuerberatung

Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung 18 1 088

 n ichtmedizinische Gesundheit, Körperpflege,


16 175
Medizintechnik

 E rziehung, soziale, hauswirtschaftliche


17 290
Berufe, Theologie

 medizinische Gesundheitsberufe 18 434

 lehrende und ausbildende Berufe 21 188

Kaufmännische Dienstleistungen, Handel,


20 573
Vertrieb, Tourismus

 Verkaufsberufe 18 387

 Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufe 21 120

 Einkaufs-, Vertriebs- und Handelsberufe 31 66

Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit 16 403

 Reinigungsberufe 9 219

 Schutz-, Sicherheits-, Überwachungsberufe 29 34

Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung 24 297

 Lebensmittelherstellung und -verarbeitung 16 85

 technische Entwicklung, Produktionssteuerung 23 50

 Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe 28 49

 Papier-, Druckberufe, technische


39 31
Mediengestaltung

Geisteswissenschaften, Kultur, Gestaltung 31 114

 Werbung, Marketing, kaufmännische,


33 65
redaktionelle Medienberufe

Naturwissenschaft, Geografie, Informatik 35 63

 M athematik-, Biologie-, Chemie-, Physikberufe 30 31

 Informatik- und andere IKT-Berufe 40 30

Land-, Forst-, Tierwirtschaft, Gartenbau 19 51

Bau, Architektur, Vermessung,


28 35
Gebäudetechnik

Erwerbstätige Frauen im Alter von 42 bis 49 Jahren (Jahrgänge 1967 bis 1974). Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010):
alle 1-Steller sowie 20 Berufsfelder (2-Steller) mit den meisten beschäftigten Frauen in dieser Altersgruppe. IKT = Informations-
und Kommunikationstechnologien.
Datenbasis: Mikrozensus.

85
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.5 / Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen

2.5 In der Altersphase von Kindheit und Ju-


gend finden Übergänge von der Primar-
ten Interessen nachzugehen, indem sie
sich beispielsweise kulturell, sportlich
Lebenswelten in die Sekundarstufe und später dann oder medial betätigen oder auch einfach
von Kindern und auch von der Schule in die Ausbildung
statt. Hier sind Kinder und Jugendliche
mal nichts tun. Die folgenden Analysen
zeigen, welchen Freizeitaktivitäten junge
Jugendlichen gefordert, den jeweiligen Leistungsanfor- Menschen häufig nachgehen, wie sich
derungen und gesellschaftlichen Erwar- diese im Lauf der Kindheits- und Jugend-
tungen an sie gerecht zu werden. Heutzu- phase verändern und welche Rolle die
Anne Berngruber, Nora Gaupp,
tage spielen Schule und Ausbildung eine Schulform dabei spielt.
Alexandra N. Langmeyer
zentrale und zunehmend größere Rolle Über das Lebensalter der Kinder und
Deutsches Jugendinstitut
im Aufwachsen von Kindern und Ju- Jugendlichen hinweg bleiben Aktivitäten
gendlichen. Doch auch außerhalb der wie Sport treiben, Freunde treffen und
WZB / SOEP Schule sind Kinder und Jugendliche in fernsehen auf einem konstant hohen Ni-
weitere zentrale Kontexte wie Familie veau. Rund neun von zehn Kindern und Ju-
und Freundschaftsbeziehungen einge- gendlichen gingen diesen Aktivitäten min-
bunden, entwickeln in dieser Phase ihre destens ein- bis zweimal die Woche nach.
eigene Identität und vollziehen diverse Ein besonders starker Anstieg ist für
Entwicklungsaufgaben. Nicht zu verges- die Nutzung des Internets zu beobachten.
sen ist neben dem schrittweisen Erwach- Während nur rund 40 % der 9-Jährigen
senwerden aber auch, dass junge Men- mindestens ein- bis zweimal die Woche
schen in dieser Zeit einfach »nur« Kinder im Internet waren, waren dies fast alle 14-
und Jugendliche mit vielfältigen Interes- bis 17-Jährigen. Diese Entwicklung weist
sen, Wünschen und Zielen sind. darauf hin, dass das Internet aus der Le-
Der folgende Beitrag konzentriert bensrealität von Jugendlichen heutzutage
sich auf ausgewählte Alltagskontexte von nicht mehr wegzudenken ist. Ein eher
Kindern und Jugendlichen wie das Frei- glockenförmiger Verlauf ist bezogen auf
zeitverhalten, subjektiv wahrgenommene die Altersgruppen beim Spielen am Com-
Belastungen durch die Schule, die zuneh- puter, auf dem Handy oder an der Spiel-
mend als Lern- und Lebensort verstanden konsole zu beobachten: Die 11- und
wird, sowie die Beziehungen zu Freun- 12-Jährigen spielten mit etwa 80 % am
dinnen und Freunden und in der Familie. häufigsten digital, die 9- und 17-Jährigen
Hierzu richtet sich der Blick auf die Aus- mit etwa 65 % am seltensten. u Abb 1
künfte und Selbsteinschätzungen und da- Beim Übertritt in die Sekundarstufe
mit subjektiven Perspektiven von 9- bis nahmen das Nichtstun, Rumhängen und
17-Jährigen. Grundlage der Analysen sind Chillen an Bedeutung zu, das sich dann
Daten der zweiten Welle der bevölke- für die folgenden Altersstufen auf dem
rungsrepräsentativen Befragung »Auf- Niveau von um die 70 % der Jugendlichen,
wachsen in Deutschland: Alltagswelten« die das mindestens ein- bis zweimal die
(AID:A II) des Deutschen Jugendinstituts Woche taten, einpendelte. Mit zunehmen-
e. V. (DJI). Zur Verfügung stehen hierbei dem Alter nahmen Aktivitäten wie Bü-
Selbstauskünfte von insgesamt 4 911 Kin- cher lesen, ein Musikinstrument spielen
dern und Jugendlichen im Alter von 9 bis sowie singen kontinuierlich ab. Dies weist
17 Jahren, die in den Jahren 2014 und auf veränderte Interessen beim Übergang
2015 zu ihrer Lebenssituation in Deutsch- vom Kindheits- zum Jugendalter hin. Mit
land befragt wurden. zunehmender Ablösung von der Familie
im Jugendalter werden auch die gemein-
2.5.1 Freizeitaktivitäten von Kindern samen Unternehmungen mit Eltern oder
und Jugendlichen Geschwistern seltener. Stattdessen sind
In ihrer Freizeit außerhalb von Schule Aktivitäten wie das Ausgehen in Clubs,
und Ausbildung haben Kinder und Ju- Discos oder Kneipen von steigendem In-
gendliche die Möglichkeit, selbst gewähl- teresse für die Jugendlichen. Während

86
Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen / 2.5 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

dies – sicherlich auch aufgrund gesetzli- Schule durch einen steigenden Erwerb Vergleich von Grundschule und Sekundar-
cher Regelungen – bei den 12- und höherer Bildungsabschlüsse. In diesem stufe (differenziert nach Hauptschule,
13-Jährigen so gut wie noch gar keine Kontext stellt sich die Frage, ob und in- Realschule und Gymnasium) – werden
Rolle spielte, gingen immerhin fast 30 % wiefern die Schulform beeinflusst, wie einerseits Alterseffekte implizit mit abge-
der 17-Jährigen mindestens ein- bis häufig Kinder und Jugendliche verschie- bildet, andererseits wird so auch kontrol-
zweimal die Woche aus. Beim Shoppen denen Freizeitaktivitäten nachgehen, liert, welchen Schulabschluss die Jugend-
oder Bummeln gehen zeigte sich zu- oder ob ihnen die Schule mit ihren An- lichen anstreben. Es wird an dieser Stelle
nächst ein leichter Anstieg im Alter zwi- forderungen womöglich keine Zeit dafür darauf hingewiesen, dass durchgängig
schen 9 und 12 Jahren (von rund 10 % lässt. Für die Interpretation der Ergeb- von Hauptschule, Realschule und Gym-
auf rund 20 %), wobei der Anteil dann nisse ist anzumerken, dass bei den Frei- nasium die Rede ist, auch wenn sich die
für die 12- bis 17-Jährigen auf diesem Ni- zeitaktivitäten nicht danach gefragt wur- Schulformen inzwischen deutlich aus­
veau konstant blieb. de, wo diese ausgeübt werden. Es kann differenziert haben und auch anders be-
Der Scholarisierungs-These zufolge also durchaus sein, dass diese – zumin- nannt werden.
verbringen Kinder und Jugendliche auf- dest teilweise – auch im (Ganztags-) Am häufigsten treiben Grundschüle-
grund des Ausbaus von Ganztagsschulen Schulkontext stattfinden. Durch die Dif- rinnen und Grundschüler sowie Gymnasi-
täglich mehr Zeit in der Schule. Des Wei- ferenzierung nach der momentan besuch- astinnen und Gymnasiasten Sport. Wäh-
teren verlängert sich die Lebenszeit in der ten Schulform – insbesondere durch den rend weniger als die Hälfte der Grund-

u Abb 1 Freizeitaktivitäten nach Alter 2014/2015 — in Prozent

100
im Internet sein
Freunde treffen
90 fernsehen
Sport treiben
nichts tun, rumhängen,
80
chillen
an Computer, Handy
70 oder Spielkonsole spielen
etwas mit Eltern oder
Geschwistern unternehmen ¹
60 Bücher lesen
Musikinstrument spielen,
singen
50
ausgehen in Clubs,
Discos oder Kneipen ¹

40 shoppen oder
bummeln gehen

30

20

10

9 10 11 12 13 14 15 16 17

Anteil »mindestens 1–2 mal pro Woche«.


1 Für 9- bis 11-Jährige nicht erhoben.
Datenbasis: AID:A II, 2014/15, Kinder und Jugendliche im Alter von 9–17 Jahren.

87
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.5 / Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen

u Abb 2 Freizeitaktivitäten nach Schulform 2014/2015 — in Prozent schülerinnen und Grundschüler mindes-
tens ein- bis zweimal die Woche im
Internet waren, waren es bereits neun
94 von zehn Realschülerinnen und Real-
Sport treiben
86 schüler sowie Gymnasiastinnen und
81
94
Gymnasiasten. Kaum schulformspezifi-
sche Unterschiede zeigen sich bei der
92 Häufigkeit fernzusehen und Freunde zu
im Internet sein
91 treffen. Das Spielen am Computer, Han-
84
49
dy oder der Spielkonsole wurde etwas
häufiger von Hauptschülerinnen und
90 Hauptschülern im Vergleich zu Schüle-
fernsehen
93 rinnen und Schülern anderer Schulfor-
87
90 men benannt. Nichts tun, rumhängen
und chillen wurde unabhängig von der
90 Schulform mit Übertritt in die Sekun-
92 darstufe zunehmend wichtiger für die
Freunde treffen
86
90 Jugendlichen. u Abb 2
Keinerlei schulformspezifische Un-
73 terschiede zeigten sich bei der Häufigkeit
an Computer, Handy 74 von Unternehmungen mit Eltern oder
oder Spielkonsole spielen 79
70 Geschwistern. Auffällig ist, dass eher bil-
dungsorientierte Freizeitaktivitäten wie
69 Bücher lesen, ein Musikinstrument spie-
nichts tun, 65
rumhängen, chillen len oder singen besonders häufig von
65
54 Grundschülerinnen und Grundschülern
sowie Gymnasiastinnen und Gymnasias-
etwas mit Eltern oder
68 ten ausgeübt wurden. Während es sich
68
Geschwistern unternehmen ¹
69
bei den Grundschülerinnen und Grund-
schülern vermutlich um einen Alters­
63 effekt handelt, sind die höheren Aktivitä-
Bücher lesen
47 ten der Gymnasiastinnen und Gymnasi-
44
84
asten mitunter auch ein Effekt elterlicher
Bildungsaspirationen, das heißt leistungs-
52 orientierter Einstellungen der Eltern. Ins-
Musikinstrument 34 gesamt deutlich seltener, aber auch relativ
spielen, singen 30
62 bildungsunabhängig gingen Schülerin-
nen und Schüler shoppen oder bummeln.
18 Von den Jugend­lichen am seltensten be-
shoppen oder 20 nannt, mit leichter Tendenz zu höherer
bummeln gehen 21
15 Bildung, ist das Ausgehen in Clubs, Discos
und Kneipen.
9
ausgehen in Clubs,
Discos oder Kneipen ¹ 7 2.5.2 Subjektiv wahrgenommene
5
Belastungen durch die Schule
Neben den tatsächlichen Alltagspraxen
Gymnasium/gymnasialer Zweig Hauptschule/Hauptschulzweig
ist auch die subjektive Sicht der Kinder
Realschule/Realschulzweig Grundschule (auch Primarschule)
und Jugendlichen auf die Schule von In-
teresse. Die 9- bis 17-jährigen Kinder
Anteil »mindestens 1–2 mal pro Woche«.
1 Für Grundschulalter nicht erhoben. und Jugendlichen wurden gefragt, wie
Datenbasis: AID:A II, 2014/15, Kinder und Jugendliche im Alter von 9–17 Jahren.
sie ihre Situation in der Schule hinsicht-
lich Leistungsanforderungen, Kontakt zu

88
Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen / 2.5 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

Mitschülerinnen und Mitschülern sowie u Abb 3 Aussagen zur Schule nach Schulform 2014/2015 — in Prozent
Lehrerinnen und Lehrern, Lernfreude
und Belastung einschätzten. Abbildung 3
zeigt die Häufigkeit der Aussagen diffe- 97
»Mit den Mitschülern in
renziert nach der jeweiligen Schulform. meiner Klasse verstehe
95
92
Insgesamt zeigt sich zunächst ein positi- ich mich gut.«
91
ves Bild, was den Schulbesuch und die
damit verbundenen sozialen Beziehun- 96
gen betrifft: Mit nur geringen Unter- »Meine Lehrer 94
nehmen mich ernst.« 92
schieden zwischen den einzelnen Schul- 94
formen stimmten insgesamt über 90 %
der Schülerinnen und Schüler den bei- 89
den Aussagen zu, dass sie sich mit ihren »Alles in allem gehe ich 86
gern zur Schule.« 79
Mitschülerinnen und Mitschülern gut 86
verstünden und ihre Lehrerinnen und
Lehrer sie ernst nähmen. Die überwie- 61
»Es fällt mir leicht,
gende Mehrheit der Schülerinnen und schwierigere Aufgaben 49
zu lösen.« 45
Schüler gab zudem an, dass sie alles in 68
allem gern zur Schule gingen, wobei
Hauptschülerinnen und Hauptschüler 59
»Ich weiß die Antwort auf
hier etwas seltener zustimmten als Schü- 57
eine Frage meistens
früher als die anderen.« 55
lerinnen und Schüler anderer Sekundar- 68
schulformen. u Abb 3
Bei der Frage, wie gut Kinder und 57
»Nach der Schule fühle
45
­Jugendliche in der Schule mithalten kön- ich mich meistens
erschöpft.« 49
nen, ist ein differenzierterer Blick hin- 41
sichtlich der besuchten Schulform not-
wendig. Vor allem die Grundschülerin- »Für gute Noten
41
31
nen und Grundschüler stechen hier brauche ich mich nicht
30
anzustrengen.«
deutlich hervor: Jeweils über zwei Drittel 49
sagten, dass es ihnen leicht falle, schwie-
rigere Aufgaben zu lösen, und dass sie die »Die Schule lässt mir 33
kaum Zeit, mich mit 18
Antwort auf eine Frage meistens früher meinen Freunden 29
als die anderen wüssten. Gymnasiastin- zu treffen.« 14
nen und Gymnasiasten bejahten dies
auch häufiger im Vergleich zu Schülerin- 23
»In meiner Schule gibt es
30
nen und Schülern formal niedrigerer nur wenige Dinge, die mir
43
wirklich Spaß machen.«
Schulformen. Zudem betonten über 40 % 24
der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten,
sich für gute Noten nicht anstrengen zu »Die Anforderungen der
18
16
müssen. Während diese Aussage von den Schule sind für mich eine
24
große Belastung.«
Grundschülerinnen und Grundschülern 13

übertroffen wurde (49 %), stimmten dem


nur 30 % beziehungsweise 31 % der Haupt- Gymnasium/gymnasialer Zweig
und Realschülerinnen- und -schüler zu. Realschule/Realschulzweig
Hauptschule/Hauptschulzweig
Nichtsdestotrotz gehen die Anstren-
Grundschule (auch Primarschule)
gungen, die die Schule mit sich bringt,
häufig nicht spurlos an den Schülerinnen
und Schülern vorbei. Ein großer Teil der
Schülerinnen und Schüler fühlte sich Anteil »trifft voll und ganz zu« oder »trifft eher zu«.
Datenbasis: AID:A II, 2014/15, Kinder und Jugendliche im Alter von 9–17 Jahren.
nach der Schule meistens erschöpft. Auf-
fällig ist hierbei, dass dies sowohl mehr

89
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.5 / Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen

als die Hälfte der Gymnasiastinnen und 2.5.3 Peerbeziehungen von Kindern Analysen, nach der momentan besuchten
Gymnasiasten als auch knapp die Hälfte und Jugendlichen Schulform unterschieden.
der Hauptschülerinnen und Hauptschüler Für das Aufwachsen von Kindern und Ju- Besonders hervorzuheben ist, dass
angaben – und damit mehr Kinder und gendlichen spielt die Beziehung zu den die Mehrheit der guten Freundinnen und
Jugendliche als in der Grund- (41 %) und Gleichaltrigen eine zentrale Rolle. In die- Freunde auf dieselbe Schule ging wie die
Realschule (45 %). Es ist Fakt, dass die ser Lebensphase, in der sich junge Men- befragten Kinder und Jugendlichen
Schule einen großen Teil des Tages ein- schen vermehrt ausprobieren, eine eigene selbst. Die Schule und der Klassen­
nimmt. Entgegen der allgemeinen An- Identität entwickeln, ihren Platz in der verbund boten damit durch das tägliche
nahme, dass vor allem Gymnasiastinnen Gesellschaft finden müssen sowie sich zu- Z usammensein Gelegenheiten, enge
­
und Gymnasiasten zeitlich besonders ein- nehmend von ihren Eltern ablösen, orien- Freundschaften zu schließen. 83 % der
gespannt sind, bedauerten auch Haupt- tieren sich junge Menschen verstärkt an Grundschülerinnen und Grundschüler
schülerinnen und Hauptschüler ver- ihren Peers. Im weiteren Sinne werden sagten, dass (fast) alle ihrer guten Freun-
gleichsweise oft, dass die Schule ihnen darunter Freunde, Gleichaltrige und dinnen und Freunde zur selben Schule
kaum Zeit ließe, sich mit ihren Freundin- Gleichgesinnte verstanden. Im Folgenden gingen wie sie selbst. Die Differenzie-
nen und Freunden zu treffen. In eine ähn- ist hier von »guten Freundinnen und rung von Sekundarschülerinnen und
liche Richtung gehen auch die beiden fol- Freunden« die Rede. ­S ekundarschülern zeigt, dass dies wiede-
genden Aussagen: Am häufigsten sagten Die 9- bis 17-Jährigen wurden in rum etwas häufiger bei Kindern und Ju-
Hauptschülerinnen und Hauptschüler, AID:A II gefragt, wie sich ihr Freundes- gendlichen am Gymnasium der Fall war
dass es in ihrer Schule nur wenige Dinge kreis zusammensetzt. Sie wurden gebe- als auf der Haupt- oder Realschule. u Abb 4
gebe, die ihnen wirklich Spaß machten, ten, anzugeben, wie viele ihrer guten Während Grundschülerinnen und
und dass sie die Anforderungen der Schu- Freundinnen und Freunde zur selben Grundschüler zu zwei Dritteln angaben,
le als große Belastung empfänden. Schule gehen, gute Schulnoten haben, ein dass (fast) alle ihrer guten Freundinnen
Die Ergebnisse lassen die Schlussfol- Musikinstrument spielen sowie einen und Freunde gute Noten in der Schule
gerung zu, dass zwar der Schulbesuch an ­M igrationshintergrund haben. Dadurch hätten, benannten dies nur etwas mehr
sich generell positiv bewertet wird, so- lassen sich beispielsweise Rückschlüsse als die Hälfte der Schülerinnen und
wohl Hauptschülerinnen und Haupt- auf ähnliche Ressourcen im Freundes- Schüler der Sekundarstufe – mit gering-
schüler als auch Gymnasiastinnen und kreis, aber auch auf die Verteilung inter­ fügig höheren Anteilen bei Schülerinnen
Gymnasiasten die Schule aber teilweise ethnischer Freundschaften ziehen. Auch und Schülern mit gymnasialer Ausrich-
auch als belastend empfinden. hier wird, wie bereits bei den vorherigen tung. Wie bereits bei den Freizeitaktivitä-

90
Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen / 2.5 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

ten erkennbar, wird auch bei den Freun- u Abb 4 Zusammensetzung des Freundeskreises 2014/2015 — in Prozent
dinnen und Freunden deutlich, dass
Grundschülerinnen und Grundschüler »Wie viele Deiner guten Freundinnen und Freunde …

am häufigsten ein Musikinstrument spie-


72
len, wohingegen dies im Jugendalter ab- … gehen zur selben 70
nimmt. Mehr als die Hälfte der Grund- Schule wie Du?« 65
83
schülerinnen und Grundschüler sagte,
dass (fast) alle ihrer guten Freundinnen 56
und Freunde ein Musikinstrument spiel- … haben gute Noten 54
in der Schule?« 53
ten. Dies war auch bei immerhin fast ei- 66
nem Drittel der Gymnasiastinnen und
29
Gymnasiasten der Fall. Im Vergleich dazu … spielen ein 12
lag der Anteil bei Haupt- und Realschüle- Musikinstrument?« 12
54
rinnen und -schülern bei nur 12 %.
Geht es hingegen um den Anteil guter 5
Freundinnen und Freunde mit einem Mi- … haben einen 10
Migrationshintergrund?« 26
grationshintergrund, das heißt, sind diese 7
selbst oder ihre Eltern nicht in Deutsch-
land geboren, so gab etwa ein Viertel der Gymnasium/gymnasialer Zweig Hauptschule/Hauptschulzweig
Hauptschülerinnen und Hauptschüler an, Realschule/Realschulzweig Grundschule (auch Primarschule)
dass dies bei (fast) allen ihrer guten Freun-
Anteil »alle« oder »fast alle«.
dinnen und Freunden der Fall sei. Bei al- Datenbasis: AID:A II, 2014/15, Kinder und Jugendliche im Alter von 9–17 Jahren.

len anderen Schulformen lag der Anteil


nur zwischen 5 % und 10 %.
Die Daten machen ebenfalls deutlich, u Abb 5 Qualität der Beziehungen zu guten Freundinnen und Freunden

dass die eigenen Peers wichtige Vertrau- nach Geschlecht 2014/2015 — in Prozent
enspersonen und Ratgeber bei Problemen
sind. Welche Rolle die Peers übernehmen, »Wenn du an deine guten Freunde und Freundinnen denkst: …
ist teilweise deutlich vom Geschlecht der … Wie oft erzählst Du
58
Kinder und Jugendlichen abhängig. Ein Deinen Freunden alles,
84
Großteil der Mädchen erzählte ihren gu- was Dich beschäftigt?«

ten Freundinnen und Freunden (sehr) oft … Wie oft vertraust Du Deinen
60
alles, was sie beschäftigte. Außerdem ver- Freunden Geheimnisse an, die
78
sonst niemand wissen darf?«
trauten sie ihnen Geheimnisse an, die
sonst niemand wissen durfte. Der Anteil … Wie oft gibst Du lieber nach,
63
damit es keinen Streit mit
der Jungen, die dies jeweils taten, war Deinen Freunden gibt?«
62
deutlich geringer. u Abb 5
Des Weiteren gestalten sich Freund- 5
… Wie oft streitet Ihr Euch?«
schaften häufig sehr harmonisch. Hier 5

scheint es auch keine nennenswerten Unter-


männlich weiblich
schiede zwischen Mädchen und Jungen zu
Anteil »sehr oft« oder »oft«.
geben. Zum einen sagten insgesamt etwas Datenbasis: AID:A II, 2014/15, Kinder und Jugendliche im Alter von 9–17 Jahren.

weniger als zwei Drittel der Kinder und


Jugendlichen, dass sie lieber nachgäben,
damit es keinen Streit gebe. Zum anderen
gab nur ein sehr geringer Anteil von 5 % Geheimnissen) mit steigendem Niveau Jugendlichen spielen, so heißt das nicht
an, dass sie (sehr) oft miteinander stritten. des Schultyps etwas häufiger werden, ne- zwangsläufig, dass die Eltern nicht wei-
Bezogen auf die Schulform zeigt sich gative (zum Beispiel Streit) etwas seltener. terhin wichtige Bezugspersonen bleiben.
eine leichte Tendenz in der Art, dass po- Mit ihnen können sich die Kinder und
sitive Qualitäten von Gleichaltrigenbezie- 2.5.4 Die Beziehung zu den Eltern Jugendlichen über unmittelbar Erlebtes
hungen (zum Beispiel Gespräche über Auch wenn die eigenen Peers eine bedeu- und alltägliche Sorgen austauschen. Die
persönliche Themen oder Austausch von tende Rolle im Leben von Kindern und Mutter war dabei laut ihren Aussagen als

91
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.5 / Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen

u Abb 6 Beziehung zu Mutter und Vater nach Geschlecht 2014/2015 — in Prozent

Mutter

92
männlich 87
71

94
weiblich 89
79

Vater

77
männlich 84
55

74
weiblich 83
54

»Wie oft spricht Deine Mutter/ »Wie oft spricht Deine Mutter/
Dein Vater mit Dir über das, Dein Vater mit Dir über Dinge,
was Du tust oder erlebt hast?« die Dich ärgern oder belasten?«

»Wie oft fragt Deine Mutter/Dein Vater


Dich nach Deiner Meinung, bevor sie/er
etwas entscheidet, was Dich betrifft?«

Anteil »immer« oder »häufig«.


Datenbasis: AID:A II, 2014/15, Kinder und Jugendliche im Alter von 9–17 Jahren.

Ansprechpartnerin hinsichtlich alltägli- Mädchen. Während fast 80 % der Mäd-


cher Dinge insgesamt deutlich wichtiger chen mit ihrer Mutter über ihre Probleme
als der Vater. Mehr als 90 % der 9- bis sprachen, taten dies nur etwas mehr als
17-Jährigen sagten, dass ihre Mutter mit die Hälfte mit ihrem Vater. Auch Jungen
ihnen häufig über das rede, was sie täten gaben an, dass Mütter häufiger Ansprech-
oder erlebt hätten. Beim Vater sagten dies personen in schwierigen Momenten seien
etwa drei Viertel der Kinder und Jugend- als Väter. Dennoch nutzten Jungen Mütter
lichen. u Abb 6 seltener als Ansprechpersonen für Proble-
Wenn es um Mitsprachemöglichkei- me als Mädchen.
ten bei Entscheidungen geht, die das Die Ergebnisse zu den unterschied­
Kind selbst betreffen, war der Unter- lichen Schultypen zeigen eine vergleich-
schied zwischen Mutter und Vater deut- bare Tendenz wie bei den Peerbeziehun-
lich geringer ausgeprägt, wobei auch hier gen. Je höher die Schulform, desto eher
die Mutter etwas häufiger das Kind in beziehen Eltern ihre jugendlichen Kinder
Entscheidungsprozesse mit einbezog. Die in Entscheidungsprozesse ein und spre-
Mutter-Kind- und Vater-Kind-Beziehung chen mit ihnen über persönliche Erleb-
wurde kaum dadurch bestimmt, ob das nisse. Nach dem Alter gab es kaum nen-
Kind ein Mädchen oder Junge ist. nenswerte Unterschiede in der Bezie-
Wenn es allerdings darum geht, wie oft hung zu den Eltern. Eine Ausnahme
die Kinder und Jugendlichen mit ihren El- bildet eine leicht sinkende Häufigkeit
tern über Dinge sprechen, die sie ärgern von Gesprächen zwischen Vätern und
oder belasten, so werden nicht nur Unter- ihren Kindern über ärgerliche oder be-
schiede zwischen Mutter und Vater deut- lastende Alltagserlebnisse mit steigen-
lich, sondern auch zwischen Jungen und dem Alter der Jugendlichen.

92
Im Alter ohne Kinder / 2.6 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

2.6 Die Frage nach der sozialen Qualität des


Alterns und nach dem Wohlbefinden im
In den ostdeutschen Ländern erfolgte
diese Entwicklung wesentlich moderater.
Im Alter ohne Alter wird vielfach mit der Existenz eige- Nach einem eher stabilen Verlauf auf
Kinder ner Kinder und Enkelkinder assoziiert.
Kindern wird heutzutage ein hoher emo-
r elativ niedrigem Niveau unter 10 %
­
stieg die Kinderlosenquote von Frauen
tionaler Wert zugesprochen. Sie geben erst seit der Geburtskohorte 1962 deut-
Elke Hoffmann, Laura Romeu Gordo dem Leben einen Sinn, weil sie eine er- lich schneller auf den bisher höchsten
DZA Berlin strebenswerte Lebensaufgabe sind und Wert von rund 11 % des Geburtsjahr­
den Eltern das Gefühl vermitteln, ge- ganges 1967.
braucht zu werden. Sie bilden aber auch Insgesamt ist ein starker Kohortenef-
WZB / SOEP
eine wichtige funktionale und emotiona- fekt erkennbar: Die Kinderlosenquote ist
le Ressource, wenn im Alter Hilfe und umso höher und ihr Anstieg umso steiler,
Unterstützung erforderlich werden. je jünger die Frauen sind. Auch die Daten
Doch eigene Kinder gehören nicht des Deutschen Alterssurveys (DEAS) be-
selbstverständlich zur Lebensplanung stätigen das.
junger Menschen beziehungsweise wird Die Ende der 1960er-Jahre geborenen
oder kann diese Planung nicht in jedem Frauen und Männer mit der bisher
Fall wie gewünscht realisiert werden, wie höchsten Kinderlosigkeit sind gegen­
die zunehmende Anzahl Kinderloser em- wärtig etwa 50 Jahre alt und damit noch
pirisch belegt. Gegenwärtig zeigen die für relativ jung. Die Schwelle zum Altersruhe-
Deutschland aktuellsten Daten (Mikro- stand haben sie noch nicht erreicht. Die
zensus 2016; nur für Frauen) einen mit zunehmende Verbreitung von Kinder­
den Frauen der Geburtskohorte ab 1950 losigkeit im Altersruhestand, von der in
einsetzenden besonders starken Anstieg etwa 15 Jahren nahezu jede fünfte west-
der Kinderlosigkeit. Dieser verlief in Ost- deutsche und jede zehnte ostdeutsche
und Westdeutschland zeitversetzt und Person betroffen sein wird, ist also vor
auf unterschiedlichen Niveaus (siehe Ka- ­a llem ein Phänomen der nächsten Jahr-
pitel 2.4, Seite 81, Abb 1). zehnte. Hinzu kommt, dass diese Perso-
Im früheren Bundesgebiet wurde zu- nen die zahlenmäßig stark besetzte Baby-
nächst eine eher mäßige Zunahme der boomer-Generation repräsentieren.
Kinderlosenquote von knapp 11 % von Welche Lebenswege in die Kinder­
Frauen in der Geburtskohorte 1939 auf losigkeit führen, ist bisher noch nicht sys-
rund 14 % in der Geburtskohorte 1950 tematisch erforscht. Vielschichtige Fakto-
gemessen. Danach beschleunigte sich ren beeinf lussen die Entscheidung für
dieser Anstieg und die Kinderlosigkeit ­bestimmte Familienstrukturen und sind
erreichte unter den 1967 geborenen Frau- in unterschiedlicher Weise verhaltens­
en den bisher höchsten Anteil von 22 %. relevant. Die Literatur verweist vor allem

u Info 1
Kinderlose ältere Menschen
Die Festlegung der Untersuchungseinheit »ältere Menschen« orientiert sich aufgrund der bio-
logischen Konstitution an den Frauen. Für diese ist in der Regel im Alter von 50 Jahren die
Phase der Familiengründung beendet. Wurden bis dahin keine Kinder geboren, kann von einer
endgültigen biologischen Kinderlosigkeit gesprochen werden. Wenngleich eine solche Fest-
legung für Männer aufgrund ihrer lebenszeitlich nahezu unbegrenzten Zeugungsfähigkeit
nicht immer zutreffend ist, werden hier sowohl Frauen als auch Männer betrachtet, die ihr
50. Lebensjahr erreicht oder überschritten haben. Die Analysen beziehen sich auf die Geburts-
kohorten 1941 bis 1966.

93
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.6 / Im Alter ohne Kinder

auf die Partnerschafts- und Bildungsbio- source ein selbstbestimmtes Leben im der oder bei ihnen aufgewachsene Kinder
grafien, nennt aber auch Erwerbsverläufe, Alter beeinträchtigt. haben, sind 98 % entweder nur biologi-
materielle Ressourcen und individuelle sche oder sowohl biologische wie auch
Lebensziele. 2.6.1 Kinderlosigkeit nach soziale Eltern. Die restlichen zwei Pro-
Der Fokus des Kapitels liegt nicht auf soziodemografischen Merkmalen zent sind ausschließlich soziale Eltern
den Ursachen für Kinderlosigkeit, gleich- Analysen zur Kinderlosigkeit beziehen nicht leiblicher Kinder.
wohl diese nicht ohne Einfluss darauf sich häufiger auf Frauen. Für sie lässt sich Im Folgenden werden im Interesse
sein dürften, wie kinderlose Personen Kinderlosigkeit anhand der ausbleiben- der Vergleichbarkeit die Kriterien von
diesen Umstand im Alter erleben und den Geburt von Kindern in einem klaren Kinderlosigkeit im DEAS zunächst an
welche sozialen Konsequenzen das für sie biologischen Zeitfenster messen. die des Mikrozensus angepasst. Die Da-
im Alter hat. Neben der Schwierigkeit, statistisch ten berichten damit über eine Kinder­
Kinderlosigkeit soll hier aus einer al- belastbare Daten für Männer zu finden, losigkeit, die auf der biologischen Kin-
terswissenschaftlichen Perspektive the- besteht ein weiteres Problem in der be- derlosigkeit basiert, aber eine soziale
matisiert werden. Der Blick wird auf die grifflichen Deutung von »kinderlos«. Mit ­E lternschaft einschließen kann: Kinder-
Lebenssituation älterer Menschen gerich- der Frage nach der Geburt oder nach der los ist, wer keine leiblichen Kinder hat,
tet, die – freiwillig oder unfreiwillig – Zeugung von Kindern kann nur die biolo- aber bei dem nicht leibliche, Adoptiv-
kinderlos geblieben sind. u Info 1 gische Kinderlosigkeit gemessen werden. oder Pf legekinder aufgewachsen sein
Im ersten Teil wird die Ausprägung Eine Familiengründung ist aber ebenso können.
von Kinderlosigkeit in Abhängigkeit von mit Adoptiv- oder Pflegekindern denkbar Im Kontext der Familiengründung
soziodemografischen Faktoren beschrie- oder mit nicht leiblichen Kindern, die betont die Literatur die zentrale Bedeu-
ben. Im zweiten Teil werden die Netzwer- zum Beispiel der Partner oder die Partne- tung partnerschaftlicher Lebensformen.
ke und Unterstützungspotenziale kinder- rin in die Familie mitbringt. Wird im entsprechenden biografischen
loser älterer Personen analysiert. Der Diese Möglichkeiten erfragt der Zeitfenster kein passender Partner für
dritte Teil befasst sich mit Faktoren der DEAS, indem er leibliche, nicht leibliche, eine stabile, zukunftsfähige Partner-
subjektiven Lebensqualität dieser Perso- Adoptiv- und Pflegekinder erfasst. Damit schaft gefunden, ist eine Familiengrün-
nen. Analysiert wird, ob Unterschiede kann zwischen einer biologischen Eltern- dung eher unwahrscheinlich. Im Kontext
zwischen Eltern und Kinderlosen auf schaft (ausschließlich eigene leibliche von Kinderlosigkeit werden eher fehlen-
das Fehlen von Kindern an sich oder auf Kinder) und einer sozialen Elternschaft de Partnerschaften sowie fragmentierte,
soziodemografische Merkmale zurückzu- (nicht leibliche, Adoptiv- und Pflegekin- unstete Paarbeziehungen nachgewiesen.
führen sind. So lässt sich feststellen, ob der) unterschieden werden. Der DEAS Dieser Zusammenhang lässt sich auch
das Fehlen von Kindern als einer wichti- zeigt: Von jenen Personen der Geburts- noch bei älteren Frauen und Männern
gen funktionalen und emotionalen Res- kohorten 1941 bis 1966, die leibliche Kin- nachweisen: Sie sind dann am häufigsten

94
Im Alter ohne Kinder / 2.6 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

kinderlos, wenn sie als ledige Person al- in einem gemeinsamen Haushalt l­eben. bei partnerlosen Frauen und Männern
lein im Haushalt leben. Laut Mikrozensus Von den in einer Partnerschaft lebenden erkennbar, sowie bei Frauen und Män-
waren 2016 etwa 70 % bis 75 % der älteren ledigen Frauen hatte etwa die Hälfte kei- nern, die in nicht ehelichen Lebensge-
allein lebenden ledigen Frauen kinderlos. ne Kinder geboren (Mikrozensus). Am meinschaften leben. Insgesamt zeigen
Die anderen 25 % bis 30 % dieser Gruppe seltensten ist Kinderlosigkeit bei verhei- diese Daten, wie stark Kinderlosigkeit
hatten Kinder. Der DEAS verweist auf rateten Partnern zu finden. Sie betraf nur und Partnerschaftsstatus auch im Alter
67 % bis 70 % kinderlose allein lebende etwa 10 % der verheirateten Frauen und noch verknüpft sind.
­ledige Frauen und auf 83 % bis 94 % kin- Männer. Die größte Aufmerksamkeit in der
derlose allein lebende ledige Männer. u Tab 1 Vergleicht man die Geburtsjahrgänge Diskussion um die Ursachen steigender
Die Kinderlosenquoten sind dann et- 1941 bis 1951 mit den Jahrgängen 1952 Kinderlosigkeit erlangt zweifellos das Bil-
was geringer, wenn die älteren Personen bis 1966, so sind Kohorteneffekte bei der dungsniveau. Der Zusammenhang zwi-
zwar ledig sind, jedoch mit einem Partner Zunahme von Kinderlosigkeit besonders schen Familiengründung, Bildungs- und

u Tab 1 Anteil kinderloser Frauen und Männer nach Geburtskohorten


und soziodemografischen Merkmalen — in Prozent

Mikrozensus 2016 DEAS 2008 und 2014

Frauen Frauen Männer

Geburtsjahrgänge Geburtsjahrgänge Geburtsjahrgänge

1941 –1951 1952 –1966 1941 –1951 1952 –1966 ¹ 1941 –1951 1952 –1966 ¹

Anteil Kinderloser insgesamt 13 18 13 16 15 21

Nach Partnerschaft und Familienstand

Mit Partner / in im Haushalt 10 13 11 12 11 14

 Ehefrauen / Ehemänner ² 10 12 10 10 11 12

 Lebenspartner / innen ³ 16 26 9 19 8 18

 ledige Lebenspartner / innen 54 53 / / / /

Ohne Partner / in im Haushalt 18 29 17 29 37 50

 Ledige 75 70 67 70 94 83

 Nichtledige ⁴ 11 13 11 12 12 17

Nach höchstem beruflichen oder allgemeinen


Bildungsabschluss (ISCED 2011) ⁵

Niedrig ⁶ 10 15 7 10 21 26

Mittel ⁷ 13 17 12 15 16 23

Hoch ⁸ 18 22 17 18 14 19

Nach Erwerbstyp

Erwerbstätige X 18 X 14 X 18

 Erwerbstätige in Vollzeit X 25 X 21 X 19

 Erwerbstätige in Teilzeit X 11 X 7 X /

Nichterwerbstätige X 17 X 13 X 28

1 Für die Stichprobe des DEAS 2008 die Geburtskohorten 1952–1963.


2 Verheiratet Zusammenlebende.
3 In nicht ehelichen und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.
4 Geschiedene, verheiratet Getrenntlebende und Verwitwete.
5 ISCED 2011: Nach der International Standard Classification of Education 2011 wird der höchste erreichte Bildungsstand kombiniert aus den Merkmalen allgemeiner Schulabschluss
und beruflicher Bildungs­abschluss nachgewiesen.
6 Niedrige Bildung: zum Beispiel ein Haupt-/Realschulabschluss, Polytechnische Oberschule und ohne beruflichen Abschluss beziehungsweise ohne Bildungsabschluss.
7 Mittlere Bildung: zum Beispiel ein berufsqualifizierender Abschluss und/oder das Abitur beziehungsweise die Fachhochschulreife, Schule des Gesundheitswesens.
8 Hohe Bildung: zum Beispiel ein akademischer Abschluss oder ein Meister-/Techniker- beziehungsweise Fachschulabschluss.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
X Tabellenfach gesperrt, da Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: Mikrozensus 2016. DEAS 2008, 2014, gewichtete Angaben.

95
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.6 / Im Alter ohne Kinder

diesen Daten konnten keine Bildungsef-


fekte beim Anstieg der kohortenspezifi-
schen Kinderlosenquoten gemessen wer-
den. Der Anstieg wurde sowohl bei den
Frauen als auch bei den Männern von al-
len Bildungsgruppen getragen.
Die jüngere der hier betrachteten Ko-
horten, also die 1952 bis 1966 geborenen
Personen, befindet sich gegenwärtig noch
im erwerbsfähigen Alter. Es sind keine
Unterschiede in der Kinderlosenquote bei
nicht erwerbstätigen und erwerbstätigen
Frauen dieser Altersgruppe zu finden: Sie
lag zwischen 17 % und 18 % im Mikro-
zensus, bei 13 % bis 14 % im DEAS. Aller-
dings sind deutliche Unterschiede hin-
sichtlich des gewählten Beschäftigungstyps
erkennbar: Die Kinderlosenquote der er-
werbstätigen Frauen war bei Vollzeitbe-
schäftigten fast doppelt so hoch wie bei
Teilzeitbeschäftigten. Das heißt, kinder-
lose ältere Frauen unterschieden sich
zwar nicht hinsichtlich der Erwerbsbe-
teiligung von gleichaltrigen Müttern, sie
waren jedoch hinsichtlich der Arbeits-
zeitmodelle intensiver in den Arbeits-
markt integriert. Bei den Männern ist
die Situation umgekehrt: Nicht erwerbs-
Erwerbsbiografien von Frauen ist mittler- Hinsichtlich des Bildungsniveaus fin- tätige Männer der hier betrachteten Ko-
weile relativ gut erforscht. Es gilt als em- den sich im DEAS für Frauen und Män- horte waren zu 28 % kinderlos. Unter
pirisch nachgewiesen, dass hohe Bil- ner gegensätzliche Befunde. Während den Erwerbstätigen waren es nur 18 %.
dungsambitionen und erreichte hohe Bil- Frauen mit höherer Bildung häufiger kin- Dieses Ergebnis stützt die oben erwähnte
dungsabschlüsse die Familiengründung derlos blieben als Frauen mit einem nied- These der hinsichtlich ihrer Bildungs-,
verzögern und zunehmend verhindern. rigen beruflichen oder allgemeinen Bil- Erwerbs- und Familienbiografien benach-
Der Mikrozensus macht diesen Effekt dungsabschluss, gilt für Männer das Ge- teiligten Männer.
auch bei älteren Frauen sichtbar: Höher genteil: Bei älteren Männern war die
gebildete Frauen waren auch im Alter höchste Kinderlosigkeit in der Gruppe der 2.6.2 Soziale Netzwerke und
noch deutlich häufiger kinderlos. Niedriggebildeten zu finden. Die Literatur Unterstützungspotenzial
Aus diesen Daten kann allerdings verweist hier auf sozioökonomisch be- Der anhaltende Trend zur Kinderlosig-
nicht abgeleitet werden, ob die Bildungs- nachteiligte Männer, die teilweise arbeits- keit provoziert die Frage, ob kinderlose
karrieren kinderloser Frauen seit dem los oder in prekären Beschäftigungsver- ältere Menschen über kleinere Netzwer-
Ende der Familiengründungsphase an- hältnissen des Niedriglohnsektors zu fin- ke verfügen, was ihr Hilfe- und Unter-
ders verliefen als bei Frauen mit Kindern. den sind. Diese Männer haben oft auch stützungspotenzial beschränken könnte.
Einerseits beeinflusst hohe Bildung die auf dem Heiratsmarkt geringere Chancen Zumal nicht nur die Kinder fehlen, son-
Familiengründung und begünstigt Kin- und bleiben ohne Partnerin, weil niedrige dern zum Teil auch die Partner, da Kin-
derlosigkeit. Andererseits kann endgülti- Einkommen keine günstige Vorausset- derlose zugleich auch öfter partnerlos
ge Kinderlosigkeit weitere Bildungschan- zung für eine Familiengründung sind. sind. Als kinderlos gilt hier im Gegen-
cen eröffnen, da kein Vereinbarkeitskon- Der eingangs beschriebene Kohorten- satz zu den Analysen unter 2.6.1 die bio-
f likt mit dem Familienleben besteht, effekt zwischen den 1941 bis 1951 und logische und soziale Kinderlosigkeit.
sodass Bildungsunterschiede in späteren den 1952 bis 1966 Geborenen war sowohl Abbildung 1 zeigt, mit wie vielen Per-
Lebensphasen neu entstehen oder ver- im Mikrozensus als auch im DEAS in al- sonen ältere Menschen mit und ohne
stärkt werden können. len drei Bildungsniveaus zu finden. Mit Kinder enge und sehr enge Beziehungen

96
Im Alter ohne Kinder / 2.6 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Abb 1 Größe der Netzwerke mit Personen, zu denen enge und u Info 2
sehr enge Beziehungen bestehen — durchschnittliche Personenzahl Matching
im gesamten und im außerfamilialen Netzwerk Das statistische Matching wird hier als Methode
eingesetzt, um kinderlose und nicht kinderlose
Frauen und Männer mit denselben soziodemo-
gesamtes Netzwerk grafischen Merkmalen vergleichen zu können.
Damit soll der Einfluss dieser Merkmale auf die
4,0 Netzwerkstruktur und auf Ausprägungen subjek-
Frauen
3,9 tiver Befindlichkeiten ausgeblendet werden.
­Bleiben Unterschiede zwischen Eltern und Kinder-
3,7 losen nach dem Matching bestehen, so lassen
Männer
3,9 sich diese direkt auf das Fehlen von Kindern
­zurückführen. Verschwinden die Unterschiede
­hingegen nach dem Matching, sind sie nicht auf
das Fehlen von Kindern an sich zurückzuführen,
außerfamiliales Netzwerk ¹
sondern auf die unterschiedliche soziodemogra­
fische Zusammensetzung der beiden Gruppen.
2,7
Frauen
3,3 Das Matching wurde für sechs Gruppen vor­
genommen: jeweils Frauen und Männer mit nied-
2,5 rigem / mittlerem / höherem Bildungsniveau. Die
Männer für das Matching angewendeten Merkmale sind
3,0
Partnerstatus und Alter.

mit Kind kinderlos Anhand des Matchings konnten 957 kinderlose


Frauen und Männer mit 957 nicht kinderlosen
Nur Personen, die mindestens eine enge oder sehr enge Beziehung pflegen.
Frauen und Männern gleicher Bildungsniveaus,
1 Fernere Verwandte, Freundinnen/Freunde, Bekannte und sonstige Personen. ähnlichen Alters und ähnlichen Partnerschafts-
Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.
status verglichen werden.

pflegen. Das sind bei allen Gruppen im Doch sind diese Besonderheiten pri- gen im Alter durch andere Kontakte er-
Durchschnitt etwa vier Personen. Unter- mär mit dem Fehlen von Kindern oder setzen. Vielmehr gestalten sie ihre
schiede werden sichtbar, wenn nach durch die nachgewiesenen soziodemo- Netzwerke im Lebensverlauf anders und
­B eziehungen zu Personen gefragt wird, grafischen Unterschiede zwischen Eltern auch so, dass notwendige Hilfestruktu-
die nicht zum engeren Familienkreis und Kinderlosen zu erklären? Die Ant- ren im Alter zur Verfügung stehen.
(Kinder, Enkel, Partner) gehören. Sowohl wort auf diese Frage wird mit einem Mat- Das bestätigen weitere Analysen mit
kinderlose ältere Frauen (87 %) als auch ching-Verfahren möglich, bei dem nur DEAS-Daten zu der Frage, welche Perso-
Männer (76 %) berichteten öfter als El- kinderlose und nicht kinderlose Frauen nen mit Ratschlägen für wichtige per-
tern (69 % der Mütter und 58 % der Väter) beziehungsweise Männer gleichen Alters sönliche Entscheidungen, für emotionale
über enge oder sehr enge Beziehungen zu verglichen werden, die auch das gleiche Aufmunterung und für Hilfen bei Arbei-
außerfamilialen Personen. Gemeint sind Bildungsniveau und den gleichen Part- ten im Haushalt zur Verfügung stünden.
damit fernere Verwandte, Freunde, Be- nerschaftsstatus haben. u Info 2 Gut die Hälfte der kinderlosen Frauen
kannte und sonstige Personen. Auch Die Unterschiede in der Netzwerk- und Männer würde den Partner bezie-
zahlenmäßig berichteten kinderlose Per- größe und -struktur sind auch nach dem hungsweise die Partnerin um Rat bei
sonen über größere außerfamiliale Netz- Matching bei Frauen und bei Männern wichtigen persönlichen Entscheidungen
werke als Eltern. u Abb 1 vorhanden. Das heißt, soziodemografi- bitten. Fast genauso viele würden sich Rat
Diese Ergebnisse bestätigen, dass die sche Differenzierungen haben hier kei- bei Freundinnen und Freunden oder Be-
Netzwerke kinderloser Personen nicht nen Einf luss, sondern Kinderlosigkeit kannten sowie bei ferneren Verwandten
kleiner sind, sich jedoch in ihrer Struk- prägt die Bildung von Netzwerken bis ins holen. Mütter und Väter würden sich zu
tur unterscheiden. Anstelle familialer Alter. Kinderlose agieren in anderen per- 70 % bis 80 % an den Partner beziehungs-
Beziehungen werden deutlich umfang- sönlichen Netzwerken als Personen mit weise an die Partnerin wenden, was nicht
reichere Netzwerke mit Freundinnen Kindern. Es ist nicht die Frage, ob kin- verwundert, da Eltern häufiger in einer
und Freunden, Bekannten und ferneren derlose Personen fehlende familiale Netz- Partnerschaft leben als Kinderlose. Auch
Verwandten gepflegt. werke und intergenerationale Beziehun- Kinder sind für ihre Eltern – insbesondere

97
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.6 / Im Alter ohne Kinder

u Abb 2 Unterstützungspotenzial für Ratschläge bei wichtigen persönlichen Entscheidungen — in Prozent

44
70
31
Mütter
41
3
6

56
46
kinderlose
56
Frauen
7
9

28
80
24
Väter
34
3
10

51
44
kinderlose
Männer 48
7
13

Kinder/Enkel (Ex-)Partner/in fernere Verwandte Freunde/Bekannte andere Personen keine Person

»Wenn Sie wichtige persönliche Entscheidungen zu treffen haben: Hätten Sie da jemanden,
den Sie um Rat fragen können? Welche Person ist oder welche Personen sind das?«
Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.

u Abb 3 Unterstützungspotenzial für Trost und Aufmunterung — in Prozent

42
62
28
Mütter
45
3
7

49
48
kinderlose
62
Frauen
3
8

24
85
Väter 17
24
2
11

61
kinderlose 37
Männer 41
4
18

Kinder/Enkel (Ex-)Partner/in fernere Verwandte Freunde/Bekannte andere Personen keine Person

»An wen könnten Sie sich wenden, wenn Sie einmal Trost oder Aufmunterung brauchen, zum Beispiel wenn Sie traurig sind:
Hätten Sie da jemanden? Welche Person ist oder welche Personen sind das?«
Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.

98
Im Alter ohne Kinder / 2.6 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

für Mütter – wichtige Ansprechpartner. emotionale Zuwendung bei ihrer Partne- source ausgeblendet, standen bei kinder-
An Freundinnen und Freunde, Bekannte rin suchen (85 %). Kinderlose Männer ga- losen Personen in sehr viel größerem
und fernere Verwandte würden sich El- ben am häufigsten an, keine Person für Ausmaß fernere Verwandte und Freunde
tern hingegen seltener wenden als Kin- emotionale Zuwendung zu finden (18 %), zur Verfügung als bei Eltern. Auffällig ist
derlose. Der Anteil der Personen, die nie- Mütter am seltensten (7 %). u Abb 3 auch, dass kinderlose Frauen von Freun-
manden um Rat fragen könnten, lag bei Geht es um eher praktische Hilfen im den und von anderen Personen gleicher-
Kinderlosen mit 9 % (Frauen) und Haushalt wie beim Saubermachen, bei maßen Unterstützung erhielten, kinder-
13 % (Männer) etwas höher als bei Eltern kleineren Reparaturen oder beim Ein- lose Männer dagegen am häufigsten von
(6 % beziehungsweise 10 %). u Abb 2 kaufen durch nicht im eigenen Haushalt ferneren Verwandten. u Abb 5
Ist emotionale Zuwendung erwünscht, lebende Personen, waren Freunde und Insgesamt zeigen diese Ergebnisse,
finden sich ähnliche Strukturen. Wenn Bekannte für alle Gruppen besonders dass kinderlose Frauen und Männer im
Trost oder Aufmunterung gebraucht wer- hilfreich. Das von Kindern fehlende Poten- Alter für praktische Hilfen und für emoti-
den, könnten sich kinderlose Frauen und zial fanden Kinderlose vor allem bei nicht onalen Beistand häufiger auf den wei­teren
Männer häufiger an Freunde oder fernere näher bezeichneten anderen Personen Verwandtschaftskreis sowie auf Freunde,
Verwandte wenden als Eltern. Beispiels- und bei ferneren Verwandten. u Abb 4 Bekannte und nicht näher benannte sons-
weise würden 62 % der kinderlosen Frau- Waren Personen gesundheitlich so tige Personen zurückgreifen. Ein Mangel
en Trost und Aufmunterung bei Freun- eingeschränkt, dass sie regelmäßig Hilfe an Unterstützung ist für diese Personen
den oder Bekannten suchen, während das und Pflege benötigten, bekamen sie diese größtenteils nicht sichtbar. Die empiri-
nur bei 45 % der Mütter infrage käme. Die (mit Ausnahme der kinderlosen Männer) sche Literatur zeigt darüber hinaus, dass
Partner spielen auch hier für Frauen und in erster Linie durch ihre Partnerin oder Kinderlose bei akutem Hilfebedarf auch
Männer mit Kindern eine herausragende ihren Partner. Werden Kinder und Part- stärker Angebote professioneller Dienste
Rolle. Besonders häufig würden Väter ner beziehungsweise Partnerin als Res- nutzen.

u Abb 4 Unterstützung für Hilfen bei Arbeiten im Haushalt durch haushaltsfremde Personen — in Prozent

41
7
Mütter 25
45
15

10
kinderlose 30
Frauen 44
30

27
12
Väter 17
28
25

8
kinderlose 33
Männer 47
32

Kinder/Enkel (Ex-)Partner/in fernere Verwandte Freunde/Bekannte andere Personen

»Hat Ihnen in den letzten 12 Monaten jemand, der nicht hier im Haushalt lebt, bei Arbeiten im Haushalt, zum Beispiel beim Saubermachen,
bei kleineren Reparaturen oder beim Einkaufen geholfen? Welche Person ist oder welche Personen sind das?«
Nur Personen, denen bei Arbeiten im Haushalt von haushaltsfremden Personen geholfen wird.
Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.

99
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.6 / Im Alter ohne Kinder

2.6.3 Einsamkeit, Depressivität uAbb 5 Unterstützung bei regelmäßigem Hilfe- und Pflegebedarf
und Lebenszufriedenheit wegen gesundheitlichen Beeinträchtigungen — in Prozent
Die Analyse der Struktur und Qualität
der sozialen Netzwerke von älteren kin-
55
derlosen Frauen und Männern hat gezeigt, 65
dass eine einseitig negative Sicht auf kin- Mütter 8
8
derlose Erwachsene als sozial isoliert und 24
mit einem Mangel an Unterstützung nicht
48
der Realität entspricht. Doch wie sieht es kinderlose 20
mit den emotionalen Ressourcen im Alter Frauen 28
aus, die sich viele Erwachsene seitens 27

­i hrer Kinder erhoffen? Bedeutet kinderlos 28


zu sein auch, einsam zu altern? 67
Väter 5
Zunächst wird sichtbar, dass insge- 13
samt nur eine Minderheit der älteren 24

Frauen (8 %) und Männer (10 %) berichte- 38


te, einsam zu sein. Die Messungen bele- kinderlose 43
Männer 24
gen leichte Unterschiede zwischen Eltern 15
und Kinderlosen: Mütter und Väter fühl-
ten sich seltener einsam als kinderlose
Kinder / Enkel (Ex-)Partner/in fernere Verwandte
Frauen und Männer, wobei diese Diffe- Freunde / Bekannte andere Personen
renz nur für Männer signifikant ist. u Abb 6
»Sind Sie derzeit selbst gesundheitlich so eingeschränkt, dass Sie deshalb regelmäßig Hilfe, Pflege oder andere
Einsamkeit im Alter wird oft auch mit Unter­stützung benötigen? Von welcher Person oder welchen Personen werden Sie in diesem Sinne unterstützt?«
Nur Personen, die gesundheitlich eingeschränkt und auf Hilfe, Pflege und Unterstützung angewiesen sind.
Depressivität verbunden. Besteht dieser Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.

Zusammenhang, sollten vor allem kinder-


lose Männer Symptome von Depressivität
aufweisen, da sie von Einsamkeit beson- u Abb 6 Anteil einsamer älterer Frauen und Männer an der
ders betroffenen sind. Das bestätigt sich jeweiligen Bevölkerungsgruppe — in Prozent
jedoch zunächst nicht, denn im Durch-
schnitt lagen die Werte auf der Depressi-
vitätsskala bei den Frauen höher. Aller- 7,5
Frauen
10,4
dings zeigten die kinderlosen Männer sig-
nifikant häufiger Symptome von Depressi- 9,5
Männer
12,4
vität als gleichaltrige Väter. u Abb 7
Nach dem Matching bestanden diese
mit Kind kinderlos
Unterschiede in der Ausprägung von Ein-
samkeit und Depressivität zwischen kin- Anteil jener Personen, die oberhalb des Richtwertes von 2,6 auf einer Skala von 1 bis 4 mit sechs Items liegen
(nach Jenny de Jong Gierveld/Theo van Tilburg, A 6-item scale for overall, emotional and social loneliness:
derlosen Männern und Vätern nicht mehr. confirmatory tests on survey data, in: Research on Aging, 28 [2006] 5, S. 582– 598, modifiziert).
Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.
Bei Müttern war nach dem Matching Ein-
samkeit sogar signifikant höher ausgeprägt
als bei kinderlosen Frauen. Das bedeutet,
u Abb 7 Durchschnittliche Depressivität älterer Frauen und Männer — Mittelwerte
dass die unterschiedlichen soziodemografi-
schen Merkmale der Vergleichsgruppen für
eine geringere subjektive Lebensqualität 7,0
Frauen
bei kinderlosen Personen verantwortlich 7,1

sind und nicht das Fehlen von Kindern. 5,8


Männer
Schließlich stellt sich die Frage nach 6,6
der Lebenszufriedenheit von Eltern und
von kinderlosen Personen. Kinderlose mit Kind kinderlos
Frauen und Männer sind signifikant we-
Nach der allgemeinen Depressionsskala mit 15 Items.
niger zufrieden mit ihrem Leben als Müt- Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.

ter und Väter. Allerdings sind die Unter-

100
Im Alter ohne Kinder / 2.6 Familie, Lebensformen und Kinder / 2

u Abb 8 Durchschnittliche Lebenszufriedenheit älterer Frauen und Männer mit und ohne
Berücksichtigung der soziodemografischen Unterschiede durch Matching — Mittelwerte

ohne Matching

3,8
Frauen
3,7

3,7
Männer
3,5

mit Matching

3,6
Frauen
3,7

Männer 3,5
3,5

mit Kind kinderlos

Skala von 1 »niedrig« bis 5 »hoch« mit fünf Items (William Pavot/Ed Diener, Review of the satisfaction with life scale,
in: Psychological Assessment, [1993] 5, S. 164–172).
Datenbasis: DEAS 2008, 2014. Gewichtete Angaben.

schiede nicht sehr groß. Auch diese Un- durch die spezifische soziodemografische
terschiede sind nach dem Matching nicht Zusammensetzung beider Gruppen zu er-
mehr sichtbar: Sowohl für Männer als klären sind und nicht durch die Kinder­
auch für Frauen konnten in gleichen sozi- losigkeit an sich. Die Literatur verweist da-
odemografischen Gruppen keine signi­ rauf, dass jene Personen, die mit größeren
fikanten Unterschiede bei der Lebenszu- Ressourcen ausgestattet sind (zum Bei-
friedenheit beobachtet werden. Sie war spiel durch höhere Bildung, stabile Part-
bei Frauen und Männern mit Kindern nerschaften, höheres persönliches und
nach dem Matching zwar etwas niedriger berufliches Prestige) unabhängig von der
als ohne Matching, aber jener der Kinder- Kinderzahl weniger Defizite hinsichtlich
losen ähnlicher. u Abb 8 der Unterstützungspotenziale und sub-
Insgesamt ergeben die Analysen, dass jektiver Befindlichkeiten im Alter haben.
die ohne Matching gemessenen Unter- Die Gestaltung der persönlichen sozi-
schiede in der Einsamkeit, der Depressi- alen Netzwerke ist allerdings davon be-
vität und der Lebenszufriedenheit älterer einflusst, ob sich ein Leben mit oder ohne
Kinderloser und gleichaltriger Eltern Kinder ergibt.

101
3
Bildung
3.1 Bildung ist aus individueller sowie gesell-
schaftlicher Sicht von zentraler Bedeu-
Lebens einen mittleren Abschluss oder
die Hochschulzugangsberechtigung.
Bildungs­ tung. Dem Einzelnen ermöglicht ein gu- Auch der Anteil der Bevölkerung, der
beteiligung, ter Bildungsabschluss bessere Chancen
auf dem Arbeitsmarkt, bei der gesell-
studiert, hat sich deutlich erhöht, wie
die stark g­ estiegenen Studierendenzahlen
Bildungsniveau schaftlichen Teilhabe und der Gestaltung in den letzten zehn Jahren zeigen. Auf
und Bildungs- der individuellen Lebensführung. Aus
Unternehmersicht sind gut ausgebildete
der anderen Seite nimmt der Anteil der
Personen stetig ab, die maximal einen
budget Fachkräfte ein wichtiger Standortfaktor, Hauptschulabschluss erwerben (siehe Ab-
um im internationalen Wettbewerb um schnitt 3.1.6, Seite 120).
Marktanteile und Innovationen bestehen Auf ihrem Lebensweg durchlaufen die
Hans-Werner Freitag,
zu können. Auch für den Staat rentiert Menschen verschiedene Bildungsetappen.
Andreas Schulz
sich eine gut ausgebildete Bevölkerung: Bildung beginnt für einige Kinder schon
Qualifizierte Arbeitskräfte werden auch in den ersten Lebensjahren durch den
Statistisches Bundesamt für die öffentliche Verwaltung gesucht ­Besuch einer Kindertageseinrichtung. Für
(Destatis) und eine gute wirtschaftliche Entwick- die meisten Kinder startet im Alter zwi-
lung führt zu höheren Steuereinnahmen schen 6 und 7 Jahren die Schulzeit. Zu-
bei gleichzeitig niedrigen Sozialausgaben. nächst wird die Primarstufe (zum Beispiel
Für Staat und Gesellschaft ist es daher Grundschule) und anschließend die
wichtig, jeder Person den Zugang zu Bil- ­S ekundarstufe I (beispielsweise Haupt-
dung zu ermöglichen – unabhängig vom schule, Realschule, Gymnasium) absol-
eigenen Einkommen oder dem Einkom- viert. Am Ende der Sekundarstufe I er-
men der Eltern. Hierfür hat der Staat ver- wirbt ein Teil der Schülerinnen und Schü-
schiedene Förderprogramme geschaffen ler einen Hauptschulabschluss oder einen
(siehe Abschnitt 3.1.5, Seite 119). mittleren Abschluss. Für andere geht es
Betrachtet man die Entwicklung des nahtlos in der Sekundarstufe II weiter,
Bildungsstandes der Bevölkerung, dann um das Abitur zu erlangen. Nach Ab-
gibt es signifikante Unterschiede zwischen schluss der allgemeinbildenden Schulzeit
den jüngeren und den älteren Kohorten. gibt es verschiedene Möglichkeiten für
In den letzten Jahrzehnten ist ein klarer den weiteren Bildungsverlauf. Ein Teil der
Trend zu höheren Bildungsabschlüssen jungen Menschen entscheidet sich für
zu erkennen. Immer mehr Personen eines eine beruf liche Ausbildung im dualen
Altersjahrgangs erwerben im Lauf ihres System oder an einer Berufsschule. Hier

103
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Abb 1 Das Bildungssystem in Deutschland

1 Durch die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Schuljahre ist die Zahl der Bildungsteilnehmenden, die 18 Jahre oder jünger sind, an Hochschulen und Berufsakademien gestiegen.
2 Durch die Einführung von G8 an Gymnasien und Gesamtschulen beginnen die Klassenstufen im Sekundarbereich II ein Jahr früher, diese Schüler/-innen sind ein Jahr jünger.
Bei G8 bedeutet dies zum Beispiel, dass die Einführungsstufe (E1) in der 10. Klassenstufe mit einem Alter von durchschnittlich 15 Jahren beginnt.
3 In Berufsschule und Betrieb (duales System).
4 Einschließlich Bildungsgangübergreifende Klassen, Mittelschulen, Sekundarschulen und Erweiterte Realschulen, Kombinierte Klassen an Sekundarschulen, Regelschulen,
Regionale Schulen und Duale Oberschulen.

104
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

u Info 1 u Abb 2 Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen


Integrierte Gesamtschulen nach Bildungsbereichen — in Millionen
Integrierte Gesamtschulen (IGS) sind Einrichtun-
gen, bei denen die verschiedenen Schularten
zu einer integrierten Schulart zusammengefasst 10
sind. Diese Gesamtschulen umfassen im Regel-
fall die Sekundarstufe I (Klassenstufen 5 bis 9/10)
und die gymnasiale Oberstufe (Einführungs- und
Qualifikationsphasen 1 und 2). Sie können auch 8
die Primarstufe (Klassenstufen 1 bis 4) f­ühren.
In der Bundesstatistik erfolgt eine länderspezifi-
sche institutionelle Zuordnung. Bei­s pielsweise
6
werden Stadtteilschulen, Gemeinschaftsschulen
oder Oberschulen den Integrierten Gesamtschu-
len zugeordnet.
4

2
können teilweise auch allgemeinbildende
Schulabschlüsse – wie die Fachhochschul-
reife – erworben werden. Für ein Studium 0
entscheiden sich viele Jugendliche direkt 2006 2008 2010 2012 2014 2016

nach der Schulzeit, andere erst nach einer Primarbereich Sekundarbereich I Sekundarbereich II Förderschulen
beruflichen Ausbildung. Personen, die
keinen allgemeinbildenden Schulab-
schluss erworben haben oder einen höhe-
ren nachträglich erwerben möchten,
­können – auch nach Ende der regulären
Schulzeit – an Abendschulen ihren ange-
strebten Abschluss nachholen. u Abb 1 3.1.1 Allgemeinbildende und an Grundschulen, 3,0 % an Förderschu-
Dieses Kapitel zeigt die Zahlen der ­berufliche Schulen len, 2,5 % an Integrierten Gesamtschulen
Bildungsteilnehmerinnen und Bildungs- Das Grundgesetz überlässt den Ländern und 0,9 % an Freien Waldorfschulen. Der
teilnehmer für allgemeinbildende und im föderalen System die Gesetzgebungs- Trend zum längeren gemeinsamen Ler-
berufliche Schulen sowie Hochschulen. kompetenz für das Schulwesen. Im Rah- nen hat dazu geführt, dass mehrere Län-
Ergänzend enthält es auch Daten zu den men ihrer Kulturhoheit gestalten die der an Integrierten Gesamtschulen seit
Lehrkräften, den Bildungsausgaben so- Länder ihr Bildungssystem entsprechend 2012 auch einen Primarbereich (Klassen-
wie zur Bildungsförderung. Über Kinder den regionalen Erfordernissen sowie den stufen 1 bis 4) anbieten. Zehn Jahre zu-
in Kindertagesbetreuung berichtet Kapi- gesellschaftlichen und politischen Wert- vor lag der Anteil der Einschulungen
tel 2.2, Seite 66. vorstellungen. an Integrier ten Gesamtschulen bei
Die Bildungsdaten dieses Kapitels 0,3 %. u Info 1
stammen aus der amtlichen Schulstatis- Schülerinnen und Schüler Die Einschulungen wirken sich ent-
tik (Schülerinnen und Schüler, Absolven- Zu Beginn des Schuljahres 2016/2017 sprechend zeitversetzt auf die Schüler-
tinnen und Absolventen, Abgängerinnen wurden in Deutschland 720 700 Kinder zahlen in allen Bildungsbereichen aus.
und Abgänger sowie Lehrkräfte), der Be- eingeschult. Dies entspricht einer Zunah- Die Anzahl der Schülerinnen und Schü-
rufsbildungsstatistik (Auszubildende, me um 2,4 % im Vergleich zum Vorjahr. ler an allgemeinbildenden Schulen sank
Abschlussprüfungen), der Hochschulsta- Gegenüber 2006 ging die Zahl der Schul- in den vergangenen zehn Jahren kontinu-
tistik (Studierende, Studienanfängerin- anfängerinnen und Schulanfänger in ierlich von 9,4 Millionen im Jahr 2006
nen und Studienanfänger, Hochschulab- Deutschland um 9,1 % zurück. Hinter- auf 8,4 Millionen im Jahr 2016. Während
solventinnen und Hochschulabsolventen grund hierfür sind demografische Ent- 34 % der Schülerschaft auf eine Schule
sowie Hochschulpersonal), dem Bericht wicklungen: Ende 2006 lag die Zahl des Primarbereichs gingen, besuchten
Deutsche Studierende im Ausland, dem der Fünf- bis Sechsjährigen in Deutsch- 50 % aller Schülerinnen und Schüler den
Mikrozensus (Bildungsstand der Bevöl- land insgesamt bei 741 000, Ende 2016 Sekundarbereich I. Der Anteil der Schü-
kerung) sowie der Finanzstatistik und bei nur noch 710 000. Bundesweit be­ lerinnen und Schüler im Sekundarbe-
der Hochschulfinanzstatistik (Bildungs- gannen 94 % der Schulanfängerinnen reich II lag bei 12 %. Eine Förderschule
ausgaben). und Schulanfänger ihre Schullaufbahn besuchten 3,8 %. u Abb 2

105
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Tab 1 Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen nicht mehr zum Angebot in allen Bun-
nach Schularten — in Tausend desländern und die Schülerschaft hat
2006 2011 2014 2015 2016
sich mehr als halbiert. Deutlich zurück
ging auch der Anteil der Schülerinnen
Vorklassen und Schulkindergärten 29 28 27 27 28
und Schüler, die eine Realschule besuch-
Primarbereich 3 193 2 832 2 789 2 807 2 868
ten. Demgegenüber stieg im Zeitverlauf
 Grundschulen 3 157 2 790 2 709 2 715 2 769
der Anteil für die Integrierten Gesamt-
Sekundarbereich I 4 838 4 392 4 189 4 150 4 139
schulen um rund 10 Prozentpunkte und
 Schulartunabhängige Orientierungsstufe 100 101 99 101 104
für die Schularten mit mehreren Bil-
 Hauptschulen 953 657 508 466 428
dungsgängen um 6 Prozentpunkte. Der
 Schularten mit mehreren Bildungsgängen 312 400 477 499 520
Anteil der Gymnasiastinnen und Gym-
 Realschulen 1 301 1 130 951 900 853
nasiasten in der Sekundarstufe I fiel
 Gymnasien 1 691 1 517 1 432 1 418 1 417
im Zeitverlauf um knapp 1 Prozent-
 Integrierte Gesamtschulen 421 524 660 705 759
punkt. u Tab 1
Sekundarbereich II 888 1 061 1 027 1 023 1 003
Neben den bereits genannten Schul-
 Gymnasien 758 916 872 863 836
arten gibt es Förderschulen, an denen
 Integrierte Gesamtschulen 77 92 106 113 121
körperlich, geistig oder seelisch benach-
Förderschulen 408 366 335 322 318
teiligte oder sozial gefährdete Kinder un-
Insgesamt 9 356 8 678 8 367 8 335 8 370
terrichtet werden. Im Jahr 2016 besuch-
ten 317 600 Kinder eine Förderschule,
u Tab 2 Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen dies sind 3,8 % der Schülerinnen und
nach Schularten — in Tausend Schüler an allgemeinbildenden Schulen.
2006 2011 2014 2015 2016
In den vergangenen zehn Jahren hat sich
die Zahl der Schülerinnen und Schüler
Teilzeit-Berufsschulen 1 669 1 559 1 444 1 424 1 415
mit sonderpädagogischem Förderbedarf,
Berufsvorbereitungsjahr 72 49 53 81 122 die außerhalb von Förderschulen an den
Berufsgrundbildungsjahr in
48 30 30 7 7 übrigen allgemeinbildenden Schulen –
vollzeitschulischer Form
insbesondere an Grundschulen – unter-
Berufsfachschulen ¹ 567 456 426 432 425
richtet werden, mehr als verdoppelt.
 Berufsausbildung 283 244 234 233 224
Während 2006 bundesweit lediglich
Fachoberschulen 130 137 140 140 139 72 900 sogenannte Integrationsschülerin-
Fachgymnasien 124 168 190 195 193 nen und Integrationsschüler sonstige all-
Berufsoberschulen/
19 25 21 19 17
gemeinbildende Schulen besuchten, waren
Technische Oberschulen
es 2016 bereits 179 800. Insgesamt wurde
Fachschulen und Fachakademien 152 189 202 200 197 somit im Schuljahr 2016/2017 in Deutsch-
Insgesamt 2 782 2 612 2 506 2 497 2 515 land bei knapp 497 400 Schülerinnen und
nachrichtlich:
123 135 153 153 155
Schülern von einem sonderpädagogischen
Schulen des Gesundheitswesens
Förderbedarf ausgegangen. Das waren
1 Einschließlich Berufsaufbauschulen in Baden-Württemberg. 7,1 % der gesamten Schülerschaft in den
Klassenstufen 1 bis 10, vor zehn Jahren
waren es 5,9 %.
An den Grundschulen, an denen in
Der größte Teil der Schülerinnen und gen. Nur ein geringer Anteil der Schüler- der Regel alle Kinder gemeinsam unter-
Schüler an weiterführenden Schulen des schaft der Sekundarstufe I besuchte die richtet werden, waren Mädchen (49 %)
Sekundarbereichs I besuchte ein Gymna- Schulartunabhängige Orientierungsstufe und Jungen (51 %) etwa gleich verteilt. An
sium, im Jahr 2016 waren dies 34 %. Der und die Freien Waldorfschulen. Im Ver- den weiterführenden Schularten war der
Anteil der Realschülerinnen und Real- lauf der letzten zehn Jahre hat sich der Mädchenanteil unterschiedlich: Die Span-
schüler lag bei 21 %, und 10 % besuchten Anteil der Schülerinnen und Schüler, die ne reichte 2016 von 53 % an Gymnasien
eine Hauptschule. Rund 18 % der Schü- eine Hauptschule besuchen, um knapp über 49 % an Realschulen, 48 % an Inte­
lerschaft der Sekundarstufe I waren an 9 Prozentpunkte verringert. Da viele grierten Gesamtschulen bis zu 43 % an
einer Integrierten Gesamtschule, 13 % an Länder Hauptschulen abgeschafft haben Hauptschulen. An Förderschulen betrug
Schularten mit mehreren Bildungsgän- oder abschaffen, gehört diese Schulart der Anteil der Schülerinnen 35 %.

106
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

Abb 3 Schülerinnen und Schüler in Berufsausbildung nach Schularten


Ein großer Teil der Jugendlichen be- u Abb 3 Schülerinnen und Schüler in Berufsausbildung

ginnt nach dem Verlassen der allgemein- nach Schularten — in Prozent


bildenden Schulen eine Berufsausbildung
im dualen System von Teilzeit-Berufs-
schule und Betrieb. Die Berufsschule
2016 79 12 9
­e rgänzt im dualen Ausbildungssystem
die gleichzeitige praktische Ausbildung 2006 80 14 6
im Betrieb. Daneben wird die Teilzeit-­
Berufsschule auch von Jugendlichen un-
Teilzeit-Berufsschulen Berufsausbildung Schulen des
ter 18 Jahren ohne Ausbildungsvertrag (einschließlich Schülerinnen und an Berufsfachschulen Gesundheitswesens
Schüler ohne Ausbildungsvertrag)
besucht, die noch der Schulpflicht unter-
liegen und keine andere Schule besuchen.
Insgesamt wurden 2016 in Deutschland
1,4 Millionen Jugendliche an Teilzeit-­
Berufsschulen unterrichtet. In den ver-
gangenen zehn Jahren sank ihre Zahl um u Abb 4 Anteil
Abbder Privatschülerinnen
4 Anteil der Privatschülerinnenund Privatschüler
und -schüler — in Prozent
– in Prozent
15 %. u Tab 2
Neben den Berufsausbildungen im
dualen System gibt es weitere Formen
der schulischen Berufsausbildung, die 9,3 9,4 9,5 9,6 9,5
9,2
im Wesentlichen an Berufsfachschulen 8,7
9,0
8,7 8,8 8,9 9,0
8,5 8,5 8,4 8,4 8,5
und Schulen des Gesundheitswesens an- 8,2
7,9
geboten werden. Dabei handelt es sich 7,7
7,3
neben den Sozial- und Gesundheits- 7,0
dienstberufen vor allem um Assistenz­
berufe wie Kaufmännische Assistentin
beziehungsweise Kaufmännischer Assis-
tent. Rund 379 200 Jugendliche befanden
sich 2016 in einer schulischen Berufsaus-
bildung. Das waren 21 % aller Jugendli-
chen, die eine Berufsausbildung absol-
vierten. u Abb 3
In den letzten Jahren ist das Interesse
an Privatschulen deutlich gestiegen. Den
rechtlichen Rahmen für die Gründung
und den Betrieb von Privatschulen legen 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
die jeweiligen Schulgesetze der Länder allgemeinbildende Schulen berufliche Schulen
fest. Privatschulen können von natürli-
chen und juristischen Personen (wie Kir-
chen, Vereinen) errichtet und betrieben
werden. Im Jahr 2016 besuchten 750 600
Schülerinnen und Schüler private all­
gemeinbildende Schulen und 239 800 pri-
vate berufliche Schulen. Das entsprach Allgemeinbildende und berufliche meine Hochschulreife. Diese Struktur hat
­einem Anteil von 9,0 % der Schülerinnen Abschlüsse sich in den vergangenen Jahren verändert.
und Schüler an allgemeinbildenden und Im Jahr 2016 wurden 855 600 junge Men- Vor zehn Jahren verließen noch 7,8 % der
9,5 % an beruf lichen Schulen. Im Ver- schen (mit und ohne Schulabschluss) aus Jugendlichen die allgemeinbildenden
gleich dazu lagen 2006 die Anteile der den allgemeinbildenden Schulen entlas- Schulen ohne einen Abschluss und 24 %
Privatschülerinnen und Privatschüler an sen. Das sind 12 % weniger als 2006. Von mit einem Hauptschulabschluss. Ledig-
allen Schülerinnen und Schülern der all- den Schulentlassenen 2016 blieben 5,7 % lich 25 % erwarben 2006 die allgemeine
gemeinbildenden Schulen bei 7,0 % und ohne Abschluss, 16 % erwarben den Hochschulreife. Im Bereich der mittleren
der beruflichen Schulen bei 8,5 %. u Abb 4 Hauptschulabschluss und 35 % die allge- Abschlüsse ist zwischen 2006 und 2016

107
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
Abb 5 Absolventinnen/Absolventen und Abgängerinnen/Abgänger nach Abschlussarten – in Tausend

u Abb 5 Absolventinnen /Absolventen und Abgängerinnen / Abgänger ben werden. Rund 33 900 Jugendliche be-
nach Abschlussarten — in Tausend standen 2016 an beruflichen Schulen den
Hauptschulabschluss und 156 000 Ju-
gendliche erlangten die Studienberechti-
2016 ¹ 49 139 369 1 297
gung. Im Vergleich dazu erwarben an
allgemeinbildenden Schulen im Jahr
2006 76 237 398 14 244
2016 rund 297 200 Absolventinnen und
Absolventen die Berechtigung, ein Hoch-
ohne Hauptschul- mit Hauptschul- mit mittlerem
abschluss abschluss Schulabschluss schulstudium aufzunehmen. Somit be-
trug die Studienberechtigtenquote, die
mit Fachhoch- mit allgemeiner
schulreife Hochschulreife den Anteil der Studienberechtigten an
der gleichaltrigen Bevölkerung zeigt,
Einschließlich Externe. 52 %. Die Studienberechtigtenquote 2006
1 Nachweis des schulischen Teils der Fachhochschulreife unter mittlerem Schulabschluss.
Einschließlich Externe.
lag damals noch bei 43 %. Hier zeigt sich
1 Nachweis des schulischen Teils der Fachhochschulreife unter mittlerem Schulabschluss. ein deutlicher Trend zur Höherqualifi-
zierung. Teilweise schlagen sich in die-
uAbb 6 Ausgaben je Schülerin und Schüler nach Schularten 2015
Abb 6 Ausgaben je Schülerin und Schüler nach Schularten 2015 – in Tausend Euro sem Wert allerdings auch doppelte Abi-
— in Tausend Euro
turjahrgänge nieder – infolge der Um-
stellung von G9 auf G8, der Verkürzung
der Gymnasialzeit von neun auf acht
Hauptschulen 8,9
Jahre.
Schulen mit mehreren
8,0
Bildungsgängen Lehrkräfte
Im Jahr 2016 unterrichteten in Deutsch-
Integrierte
8,0 land 673 000 hauptberufliche Lehrkräfte
Gesamtschulen
an allgemeinbildenden Schulen und
Gymnasien 7,9 125 000 an beruflichen Schulen. An allge-
meinbildenden Schulen waren 38 % der
allgemeinbildende
Schulen insgesamt
7,5 hauptberuflichen Lehrerinnen und Leh-
rer in Teilzeit beschäftigt. An beruflichen
Realschulen 6,4 Schulen betrug dieser Anteil nur 31 %.
Auch die Geschlechterverteilung ist bei
Grundschulen 6,0 allgemeinbildenden und beruf lichen
Schulen unterschiedlich: Rund 73 % der
berufliche Schulen
4,7 alle Schularten
hauptberuf lichen Lehrkräfte an allge-
insgesamt
6,9 meinbildenden Schulen waren Frauen, an
Berufsschulen im
3,0
beruflichen Schulen betrug dieser Anteil
dualen System
nur 52 %. Den höchsten Frauenanteil hat-
ten Schulkindergärten mit 95 %, Grund-
schulen mit 89 % sowie Vorklassen mit
85 %. Mit steigendem Bildungsziel der
Schularten sank der Frauenanteil an den
Lehrkräften, lag aber dennoch stets über
eine leichte prozentuale Zunahme von als junge Frauen: 7,2 % der männlichen 50 %. An Gymnasien betrug der Anteil
41 % auf 43 % zu verzeichnen. Diese ist je- Schulentlassenen erreichten keinen Ab- im Jahr 2016 rund 60 %, an Abendschu-
doch überwiegend methodisch begrün- schluss, gegenüber 4,8 % bei den jungen len und Kollegs 57 %.
det, da seit 2014 der schulische Teil der Frauen. Von den männlichen Absolven- Im Schuljahr 2016/2017 waren insge-
Fachhochschulreife zu den mittleren ten erhielten 31 % die Studienberechti- samt 14 % der Lehrkräfte an allgemeinbil-
Schulabschlüssen gezählt wird. u Abb 5 gung, bei den Frauen waren es 39 %. denden Schulen 60 Jahre und älter. Die
Junge Männer verließen 2016 die allge- Seit der Bildungsreform in den 1970er- größte Altersgruppe der Lehrkräfte bilde-
meinbildenden Schulen im Durchschnitt Jahren können auch an beruflichen Schu- ten die 40- bis 49-Jährigen mit fast 27 %,
mit einem niedrigeren Abschlussniveau len allgemeinbildende Abschlüsse erwor- gefolgt von den 50- bis 59-Jährigen und

108
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

den 30- bis 39-Jährigen mit jeweils 26 %. nehmenden Technologisierung, Digita­ Die Verteilung der Kinder und Ju-
Unter 30 Jahre waren lediglich 7,2 % der lisierung und Globalisierung rechnen gendlichen auf die Schularten macht den
Lehrkräfte. Der geringe Anteil jüngerer viele Expertinnen und Experten in naher Einf luss des familiären Hintergrunds
Lehrkräfte ist zum einen auf die Länge Zukunft mit einem Fachkräftemangel in deutlich. Generell gilt: Je höher der allge-
der Hochschulausbildung zurückzufüh- Deutschland. Diesem kann nur begegnet meinbildende oder berufliche Abschluss
ren. Zum anderen wurden aufgrund des werden, wenn das Bildungsniveau der der Eltern, desto geringer waren die
Schülerrückgangs in den letzten zehn ­B evölkerung weiter ansteigt und die Be- Schüleranteile an Hauptschulen und des-
Jahren weniger Lehrkräfte eingestellt. gabungsreserven ausgeschöpft werden, to höher waren die Schüleranteile an
indem alle gesellschaftlichen Schichten Gymnasien.
Ausgaben je Schülerin die gleichen Zugangschancen zur Bildung Nur 8,7 % der Gymnasiastinnen und
und Schüler erhalten. Gymnasiasten wuchsen in Familien auf,
Die Ausgaben je Schülerin und Schüler Internationale Vergleichsstudien wie in denen die Eltern einen Hauptschul­
an öffentlichen Schulen sind ein Maß da- PISA (Programme for International Stu- abschluss als höchsten Schulabschluss
für, wie viele Mittel der Staat jährlich im dent Assessment) und IGLU (Internatio- oder keinen allgemeinbildenden Schul-
Durchschnitt für die Ausbildung zur nale Grundschul-Lese-Untersuchung) abschluss besaßen. An Hauptschulen
Verfügung stellt. Die Ausgaben setzen haben jedoch gezeigt, dass in Deutsch- war der Anteil der Schülerinnen und
sich aus Personalausgaben (einschließlich land der Bildungserfolg und die Bil- Schüler mit diesem sozialen Status mit
unterstellter Sozialausgaben für verbe- dungschancen von Kindern stark von ih- 56 % sechsmal so hoch. Dagegen fanden
amtete Lehrkräfte sowie Beihilfeaufwen- rer sozialen Herkunft beziehungsweise sich an Gymnasien hauptsächlich Kinder,
dungen), laufendem Sachaufwand und dem Migrationshintergrund abhängen ­d eren Eltern die Fachhochschul- oder
Investitionsausgaben zusammen, wobei (Migration siehe Kapitel 2.1, Seite 59, Hochschulreife aufwiesen (64 %). An
die Personalausgaben die dominierende Info 4). Auch die Schulwahl wird stark Hauptschulen war diese Schülergruppe
Ausgabenkomponente sind. vom familiären Hintergrund bestimmt. mit nur 15 % vertreten.
Die öffentlichen Haushalte gaben 2015 Ein wichtiger Indikator für den sozioöko- Ähnliche herkunftsbedingte Muster
bundesweit durchschnittlich 6 900 Euro nomischen Status von Kindern ist der zeigt auch die Verteilung der Kinder und
für die Ausbildung einer Schülerin be­ Bildungsabschluss der Eltern. Informati- Jugendlichen auf die Schularten anhand
ziehungsweise eines Schülers an öffent­ onen hierzu liefert der Mikrozensus, eine des höchsten beruf lichen Bildungsab-
lichen Schulen aus – das waren rund jährlich durchgeführte Haushaltsbe­ schlusses in der Familie.
2 000 Euro mehr als im Jahr 2005. Die fragung (Mikrozensus siehe Kapitel 2.1, Neben dem elterlichen Bildungsab-
Ausgaben je Schülerin und Schüler Seite 52, Info 1). schluss hat auch der Migrationshinter-
schwankten stark nach Schularten: Die Im Jahr 2016 lebten 43 % der Kinder grund einen großen Einfluss auf die Art
allgemeinbildenden Schulen waren mit und Jugendlichen, die eine allgemeinbil- der besuchten Schule. Im Jahr 2016 wie-
7 500 Euro teurer als die beruf lichen dende oder berufliche Schule besuchten, sen insgesamt 33 % der Schülerinnen
Schulen mit 4 700 Euro. in Familien mit mindestens einem El- und Schüler einen Migrationshinter-
Innerhalb der allgemeinbildenden ternteil, der Abitur oder Fachhochschul- grund auf. Die größte Herkunftsgruppe
Schulen lagen Grundschulen (6 000 Euro) reife besaß. Ein knappes Fünftel (18 %) (6,3 %) waren türkischstämmige Kinder
und Realschulen (6 400 Euro) unter dem der Eltern wies einen Hauptschulab- und Jugendliche. Die deutlichsten Unter-
Durchschnitt, Gymnasien (7 900 Euro), schluss als höchsten allgemeinbildenden schiede in der Zusammensetzung der
Integrierte Gesamtschulen (8 000 Euro), Abschluss auf. Rund 4,2 % der Schülerin- Schülerschaft fanden sich erneut zwi-
Schulen mit mehreren Bildungsgängen nen und Schüler lebten in Familien, in schen Hauptschulen und Gymnasien:
(8 000 Euro) und Hauptschulen (8 900 denen kein Elternteil einen allgemein­ Der Anteil der Schülerinnen und Schüler
Euro) darüber. Die vergleichsweise nied- bildenden Schulabschluss vorweisen mit Migrationshintergrund war mit 55 %
rigen Aufwendungen von 3 000 Euro je konnte. Betrachtet man den höchsten be- an Hauptschulen doppelt so hoch wie an
Schülerin und Schüler bei den Berufs- ruflichen Bildungsabschluss in der Fami- Gymnasien (27 %). Die Zusammenset-
schulen im dualen Ausbildungssystem lie, so wuchs mehr als ein Viertel (27 %) zung der Kinder mit Migrationshinter-
sind auf den dort praktizierten Teilzeit- der Schülerinnen und Schüler in Famili- grund nach Herkunftsgruppen unter-
unterricht zurückzuführen. u Abb 6 en auf, in denen mindestens ein Elternteil scheidet sich auch zwischen den Schul­
einen Bachelor oder Master, ein Diplom arten deutlich. Schülerinnen und Schüler
3.1.2 Der sozioökonomische Status oder eine Promotion besaß. Rund 14 % mit türkischen Wurzeln (11 %) bildeten
der Schülerinnen und Schüler der Kinder lebten in Familien, in denen an Hauptschulen mit Abstand die größte
Aufgrund der demografischen Entwick- kein beruflicher Bildungsabschluss vor- Herkunftsgruppe, an Gymnasien betrug
lung, des Strukturwandels sowie der zu- handen war. u Tab 3 ihr Anteil 4,4 %. u Tab 4

109
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Tab 3 Schülerinnen und Schüler nach besuchter Schulart und höchstem allgemeinbildenden Schulabschluss der Eltern 2016

Höchster allgemeinbildender Schulabschluss der Eltern ² Ohne


allgemein­-
Insgesamt ¹ Abschluss der Fachhochschul- bildenden
Haupt-(Volks-) mittlerer Schul-
polytechnischen oder Hochschul-
schulabschluss Abschluss abschluss³
Oberschule reife

in 1 000 in %

Grundschule 2 878 15,6 3,2 28,3 47,8 4,5

Hauptschule 386 43,4 1,9 26,8 14,9 12,2

Realschule 1 274 21,8 6,1 38,6 29,0 4,0

Gymnasium 2 552 7,1 4,3 22,6 64,2 1,6

Sonstige allgemeinbildende
1 542 21,7 6,5 31,0 34,1 5,8
Schule ⁴

Berufliche Schule, die einen


50 36,4 / 29,9 18,6 10,9
mittleren Abschluss vermittelt

Berufliche Schule, die zur Fach-


291 18,2 4,6 35,0 37,7 3,7
hochschul- / Hochschulreife führt

Berufsschule 1 069 28,0 8,0 35,6 23,8 4,1

Sonstige berufliche Schule ⁵ 274 27,2 8,4 32,4 26,9 4,4

Insgesamt 10 316 18,0 5,0 29,6 42,8 4,2

Personen im Alter von 15 Jahren und mehr.


1 Einschließlich 38000 Kinder, deren Eltern keine Angaben zum höchsten allgemeinbildenden Schulabschluss gemacht haben, sowie 19000 Kinder, deren Eltern keine Angabe zur Art des Abschlusses gemacht haben.
2 Bei abweichendem Schulabschluss der Eltern wird der Elternteil mit dem höchsten Abschluss nachgewiesen.
3 Einschließlich Eltern mit Abschluss nach höchstens sieben Jahren Schulbesuch, beziehungsweise einer geringen Anzahl von Eltern, die sich noch in schulischer Ausbildung befinden.
4 Schulartunabhängige Orientierungsstufe, Schularten mit mehreren Bildungsgängen, Gesamtschule, Waldorfschule, Förderschule.
5 Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsfachschule, die einen Berufsabschluss vermittelt, Schule für Gesundheits- und Sozialberufe.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

u Tab 4 Schülerinnen und Schüler nach besuchter Schulart und Migrationshintergrund 2016

Mit Migrationshintergrund

Ohne Herkunftsregion
Insgesamt Migrations-
     

hintergrund ins-
gesamt ¹ sonstige Staaten sonstige sonstige nicht
sonstige ehemalige
Türkei der Europäischen europäische europäische
Anwerbestaaten ²
Union Länder Länder

in 1 000 in %

Grundschule 2 878 62,5 37,5 6,1 6,1 7,0 3,4 10,5

Hauptschule 386 45,2 54,8 11,0 13,2 9,1 4,0 14,3

Realschule 1 274 65,1 34,9 7,4 6,3 5,9 3,8 8,1

Gymnasium 2 552 73,0 27,0 4,4 3,8 5,8 2,9 6,8

Sonstige allgemeinbildende
1 542 66,7 33,3 7,2 5,8 5,4 2,9 9,2
Schule 3

Berufliche Schule, die einen


50 54,0 46,0 13,6 / / / 11,8
mittleren Abschluss vermittelt

Berufliche Schule, die zur Fach-


291 68,1 31,9 8,5 5,9 5,2 3,2 6,4
hochschul- / Hochschulreife führt

Berufsschule 1 069 73,3 26,7 6,9 5,8 4,4 2,6 5,1

Sonstige berufliche Schule 4 274 71,4 28,6 5,4 5,9 5,6 3,3 6,7

Insgesamt 10 316 66,9 33,1 6,3 5,8 6,1 3,2 8,4

Personen im Alter von 15 Jahren und mehr.


1 Einschließlich 344000 Personen ohne Angabe zur Herkunftsregion.
2 Das ehemalige Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien sowie Griechenland, Italien, Portugal und Spanien.
3 Schulartunabhängige Orientierungsstufe, Schularten mit mehreren Bildungsgängen, Gesamtschule, Waldorfschule, Förderschule.
4 Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsfachschule, die einen Berufsabschluss vermittelt, Schule für Gesundheits- und Sozialberufe.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

110
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

3.1.3 Betriebliche Berufsausbildung u Abb 7 Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen — in Tausend
Im dualen Ausbildungssystem besuchen
Jugendliche die Berufsschule und werden
700
zusätzlich im Betrieb auch praktisch am
Arbeitsplatz ausgebildet. Dadurch wird
theoretischer und praktischer Lernstoff
600
verknüpft. Außerdem sichern sich die Un-
ternehmen durch die Ausbildung von Ju-
gendlichen auch den eigenen Fachkräfte­
nachwuchs. Im Jahr 2016 haben rund 500

510 000 Jugendliche einen Ausbildungs-


vertrag neu abgeschlossen. Die weltweite
Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise führ- 0
2006 2008 2010 2012 2014 2016
te in Deutschland 2009 zu einem Rück-
gang des Ausbildungsplatzangebotes. Nachfrage nach Ausbildungsplätzen
Angebot an Ausbildungsplätzen
Da gleichzeitig demografisch bedingt
die Zahl der Jugendlichen sank, die an ei-
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
ner Ausbildungsstelle interessiert waren,
führte dies im Ergebnis zu einer Entspan-
nung auf dem Ausbildungsmarkt. u Abb 7
Die Chancen der Jugendlichen hängen Quelle: Bundesagentur für Arbeit
neben der regionalen Wirtschaftsstruk-
tur und -entwicklung auch von individu-
ellen Qualifikationen ab, unter anderem Pflegeberufe
von den erreichten Schulabschlüssen. Rund 63 200 junge Menschen haben bildungsanfänger im Pf legebereich
Von den Jugendlichen, die 2016 einen im Herbst 2016 eine Berufsausbildung um 43 % gestiegen. Bei den Frauen be-
neuen Ausbildungsvertrag abgeschlossen in einem Pflegeberuf begonnen. Pflege­ trug der Anstieg 40 %, bei den Män-
haben, besaßen 28 % Abitur oder Fach- berufe werden nach wie vor in erster nern 54 %.
hochschulreife; 42 % verfügten über einen Linie von Frauen erlernt, auch wenn Zu den Pflegeberufen zählen die
mittleren Abschluss und 29 % blieben mit der Anteil der Männer leicht angestie- Ausbildungen zum / zur Gesundheits-
ihrem erreichten Abschluss darunter. Ei- gen ist. So waren 2016 von den neuen und Krankenpfleger /-pflegerin, Kinder­
ner beziehungsweise eine von elf Jugend- Auszubildenden 49 200 Frauen (79 %) krankenpfleger /-pflegerin oder Alten-
lichen (8,9 %) mit neu abgeschlossenem und 14 000 Männer (21 %). pfleger /-pflegerin sowie die nur ein Jahr
Ausbildungsvertrag hatte vor Abschluss Gegenüber 2006 ist die Zahl der dauernde Ausbildung als Pflegehelfer /
des Vertrages an einer berufsvorbereiten- Ausbildungsanfängerinnen und Aus- -helferin.
den Qualifizierung oder beruf lichen
Grundbildung teilgenommen. Dabei be-
suchen Jugendliche zum Beispiel eine Be-
rufsfachschule, ein Berufsgrundbildungs-
jahr oder ein Berufsvorbereitungsjahr,
um die Chancen auf einen Ausbildungs-
platz durch ­einen höherwertigen Schul- ten Ausbildungsberufen. Bei den jungen (6,2 %) am stärksten besetzt. Frauen er-
abschluss zu verbessern oder die Zeit bis Männern rangierte der Beruf des Kraft- lernen neben den Berufen im dualen
zur nächsten Bewerbungsrunde im fol- fahrzeugmechatronikers mit 7,4 % der Ausbildungssystem häufig auch Berufe
genden Jahr zu überbrücken. männlichen Auszubildenden bei den am im Sozial- und Gesundheitswesen – bei-
Die Verteilung der Auszubildenden stärksten besetzten Berufen eindeutig an spielsweise Gesundheits- und Kranken-
auf die Ausbildungsberufe im Jahr 2016 erster Stelle. Dann folgten die Berufe In- pf legerin oder Altenpf legerin –, deren
ließ – wie in den vergangenen Jahren – dustriemechaniker (5,1 %) und Elektroni- Ausbildung meistens rein schulisch er-
deutliche Schwerpunkte erkennen: 38 % ker (4,4 %). Bei den jungen Frauen waren folgt. Da die Wahl des Ausbildungsberu-
der männlichen und 54 % der weiblichen die Berufe Kauffrau für Büro­management fes stark von den am Ausbildungsmarkt
Auszubildenden konzentrierten sich auf (10,7 %), Medizinische Fachangestellte vorhandenen Stellen abhängt, kann man
jeweils 10 von insgesamt 327 anerkann- (7,5 %) und Kauffrau im Einzelhandel bei den genannten, am stärksten besetzten

111
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

Berufen, nicht zwingend von den »belieb- des früheren Jugoslawiens, 8,5 % die italie- vertrag im Jahr 2016 vorzeitig lösten,
testen Berufen« sprechen. u Abb 8 nische und 4,1 % die polnische Staatsange- ­w aren es 15 % der Auszubildenden mit
Von den 1,3 Millionen Jugendlichen, hörigkeit. In der Statistik über die Berufs- Fachhochschul- beziehungsweise Hoch-
die sich 2016 in einer Berufsausbildung bildung und in der Schulstatistik werden schulreife. Bei diesem Vergleich ist zu
im dualen Ausbildungssystem befanden, Menschen mit doppelter Staatsangehörig- berücksichtigen, dass mit niedrigerem
waren rund 96 500 Ausländerinnen be- keit als Deutsche nachgewiesen. Schulabschluss Nachteile bei der Ausbil-
ziehungsweise Ausländer. Ihr Anteil an Nicht alle Jugendlichen, die eine Aus- dungsplatzsuche verbunden sind. So ent-
den Auszubildenden ist in den vergange- bildung beginnen, bringen diese auch sprechen Kompetenzen häufiger nicht
nen zehn Jahren kontinuierlich von 4,2 % zum Abschluss. Ein gutes Viertel (26 %) den Anforderungen oder Auszubildende
im Jahr 2006 auf 7,3 % im Jahr 2016 ange- löste den Ausbildungsvertrag 2016 vor müssen einen Beruf ergreifen, der ihnen
stiegen. Im Vergleich zum Ausländeran- Erreichen der Abschlussprüfung auf. Die weniger liegt. Ebenso gibt es auf Aus­
teil an den Absolventinnen und Absol- Gründe für diese vorzeitigen Lösungen bilderseite Gründe, den Ausbildungs­
venten allgemeinbildender Schulen (2016: können bei dem beziehungsweise der vertrag vorzeitig zu lösen, etwa bei Auf-
8,1 %) waren Ausländerinnen und Aus- Auszubildenden liegen, bedingt zum Bei- gabe des Betriebes oder Wegfall der
länder im dualen System unterrepräsen- spiel durch einen Betriebs- oder Berufs- Ausbildereignung. Ein großer Teil der Ju-
tiert. Von den ausländischen Auszubil- wechsel. Deutliche Unterschiede zeigen gendlichen, der einen Ausbildungsver-
Abb.8 Männer nach Berufen
denden besaßen im Jahr 2016 etwa 28 % sich nach schulischer Vorbildung: Wäh- trag vorzeitig gelöst hat, beginnt an-
einen türkischen Pass, 13 % die Staatsan- rend etwa 39 % der Auszubildenden ohne schließend erneut eine Ausbildung im
gehörigkeit eines der Nachfolgestaaten Hauptschulabschluss ihren Ausbildungs- dualen System.

u Abb 8 Auszubildende in den zehn am stärksten besetzten Berufen — in Tausend

Männer nach Berufen: Frauen nach Berufen:

61 Kauffrau für 54
Kraftfahrzeugmechatroniker
61 Büromanagement 65

42 Medizinische 38
Industriemechaniker
46 Fachangestellte 39

36 31
Elektroniker Kauffrau im Einzelhandel
34 38

Anlagenmechaniker für
32 Zahnmedizinische 31
Sanitär-, Heizungs- und
32 Fachangestellte 30
Klimatechnik

28 30
Kaufmann im Einzelhandel Industriekauffrau
30 32

28 24
Fachinformatiker Verkäuferin
23 30

25 19
Mechatroniker Friseurin
24 27

Kaufmann im Groß- 22 16
und Außenhandel Bankkauffrau
22 20

Fachkraft für 22 Kauffrau im Groß- 15


Lagerlogistik 21 und Außenhandel 17

Elektroniker für 20 14
Hotelfachfrau
Betriebstechnik 20 19

2016 2011

112
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

Abb 9 Ausbildungsverträge und bestandene Abschlussprüfungen – in Tausend

Mit einer bestandenen Abschlussprü- u Abb 9 Ausbildungsverträge und

fung beendeten 2016 rund 400 000 Ju- bestandene Abschlussprüfungen — in Tausend
gendliche erfolgreich ihre Ausbildung.
Im dualen Ausbildungssystem können
diese Prüfungen zweimal wiederholt wer- 2016 510 146 400
den. Rund 90 % der Prüfungsteilneh-
merinnen und Prüfungsteilnehmer be- 2011 566 150 477
standen die Prüfung. u Abb 9
neu abgeschlossene vorzeitig gelöste bestandene
3.1.4 Hochschulen Ausbildungsverträge Ausbildungsverträge Abschlussprüfungen
Der Hochschulbereich ist der Teil des Bil-
dungssystems, der eine akademische
Ausbildung vermittelt. Die Hochschulen
sind von besonderer Bedeutung für die
wirtschaftliche Entwicklung und die Stel- u Tab 5 Studierende, Studienanfängerinnen und Studienanfänger — in Tausend
lung Deutschlands im internationalen Insgesamt Universitäten ¹ Fachhochschulen ²
Wettbewerb, da sie wissenschaftlichen
Nachwuchs qualifizieren und mit ihren Studierende 1. HS Studierende 1. HS Studierende 1. HS

Forschungsergebnissen die Grundlagen 2006 1 979 345 1 409 228 571 117
für Innovationen schaffen. Im Winterse- 2011 2 381 519 1 605 320 776 199
mester 2016/2017 gab es in Deutschland
2014 2 699 505 1 768 294 931 211
insgesamt 428 staatlich anerkannte
2015 2 758 507 1 792 297 966 210
Hochschulen, darunter 181 Universitäten
2016 2 807 510 1 811 297 996 213
(einschließlich Theologischer und Päda-
gogischer Hochschulen sowie Kunst- Studierende im Wintersemester, Studienanfänger/-innen im 1. Hochschulsemester (1. HS) im Studienjahr (Sommer- und
nachfolgendes Wintersemester).
hochschulen) und 247 Fachhochschulen 1 Universitäten einschließlich Kunsthochschulen, Pädagogischen und Theologischen Hochschulen.
2 Fachhochschulen einschließlich Verwaltungsfachhochschulen.
(einschließlich Verwaltungsfachhoch-
schulen). Wegen der stärker praxisbezo-
genen Ausbildung nennen sich Fach-
hochschulen heute häufig Hochschulen
der angewandten Wissenschaften.
reichte mit rund 510 000 erneut einen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Die meisten
Studierende, Studienanfängerinnen sehr hohen Wert. Insgesamt stieg die »Erstsemester« (38 %) schrieben sich 2016
und Studienanfänger Zahl der Studienanfängerinnen und Stu- in der Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts-
Im Wintersemester 2016/2017 waren et- dienanfänger um 48 % verglichen mit und Sozialwissenschaften ein. Dies war
was mehr als 2,8 Millionen Studierende dem Studienjahr 2006. Dabei war der bereits vor zehn Jahren mit 36 % der Erst-
an deutschen Hochschulen eingeschrie- Zuwachs an Fachhochschulen mit + 82 % semestereinschreibungen der Fall. Im
ben – so viele wie nie zuvor. Verglichen deutlich höher als an Universitäten mit Jahr 2016 betrug der Anteil der Studien-
mit dem Wintersemester 2006/2007 hat + 30 %. u Tab 5 anfängerinnen und Studienanfänger in
sich ihre Zahl um 42 % erhöht. Dieser Die Wahl eines Studienfaches wird den Ingenieurwissenschaften 28 %, was
Anstieg ist auf einen längerfristigen von unterschiedlichen Faktoren beein- einen Anstieg um rund 4 Prozentpunkte
Trend zur Höherqualifizierung zurück- flusst: von den persönlichen Interessen der im Vergleich zu 2006 bedeutet. Auf die
zuführen. Insgesamt waren 65 % der Stu- Studienanfängerinnen und Studienanfän- Geisteswissenschaften und die Fächer-
dierenden im Wintersemester 2016/2017 ger, vom Studienangebot der Hochschu- gruppe Mathematik / Naturwissenschaf-
an Universitäten und 35 % an Fachhoch- len oder von Zulassungsbeschränkungen ten entfiel 2016 jeweils ein Anteil von
schulen eingeschrieben. (zum Beispiel Numerus-Clausus-Rege- 11 % der Studienanfängerinnen und Stu-
Die Zahl der »Erstis«, der Studienan- lungen und hochschulinterne Zulas- dienanfänger. Gegenüber 2006 ist der
fängerinnen und Studienanfänger, die sungsverfahren). Eine wichtige Rolle bei Anteil der Geisteswissenschaften um gut
im Studienjahr 2016 (Sommersemester der Wahl des Studiengangs spielen auch 5 Prozentpunkte und damit stärker ge-
2016 und Wintersemester 2016/2017) die zum Zeitpunkt der Einschreibung sunken als der Anteil der Mathematik
erstmals ein Studium an einer deutschen wahrgenommenen und künftig erwarte- und Naturwissenschaften (– 1,5 Prozent-
Hochschule aufgenommen haben, er- ten Chancen, die ein Studienabschluss punkte).

113
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

Abb. 10: Studienanfängerinnen und -anfänger (erstes


u Abb 10 Studienanfängerinnen
Hochschulsemester) und Studienanfänger
nach Fächergruppen im Studienjahr 2016 im ersten Hochschulsemester u Info 2
nach Fächergruppen im Studienjahr 2016 Der Bologna-Prozess
Im Juni 1999 unterzeichneten die Wissen-
schaftsministerinnen und -minister aus ­
29 europäischen Ländern die sogenannte
Rechts-, Wirtschafts- und 195 489 Bologna-Erklärung zur Schaffung eines ein-
Sozialwissenschaften 59,2 heitlichen europäischen Hochschulraums.
Wichtigstes Ziel dieses Reformprozesses
Ingenieur- 143 374 war die Einführung des zweistufigen Studien-
wissenschaften 24,8 systems mit den Abschlüssen Bachelor
und Master, welche die herkömmlichen Ab-
57 545 schlüsse an Universitäten und Fachhoch-
Geisteswissenschaften
70,9 schulen bis 2010 (bis auf wenige Ausnahmen)
ablösen sollten. Durch die internationale
Mathematik / 54 514
­Vereinheitlichung der Studienabschlüsse
Naturwissenschaften 50,9
­sollten Studierende sowie Absolventinnen
Humanmedizin/Gesundheits- 26 449 und Ab­solventen innerhalb Europas mobiler
wissenschaften 69,7 und die Attraktivität der Hochschulen
über die europäischen Grenzen hinaus
Kunst / 15 385 ­gesteigert werden.
Kunstwissenschaft 64,4

17 004
übrige Fächer 1
54,9

insgesamt
Im Jahr 2016 war etwas mehr als die
Hälfte (51 %) der Studienanfänger weib-
9 Frauenanteil in Prozent
lich. Der Frauenanteil variierte allerdings
je nach fachlicher Ausrichtung des Studi-
1 Sport, Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften, Veterinärmedizin, sonstige Fächer.
1 Sport, Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften, ums. In den Fächergruppen Geisteswis-
Veterinärmedizin, sonstige Fächer
senschaften (71 %), Humanmedizin / Ge-
sundheitswissenschaften (70 %), Kunst /
Kunstwissenschaft (64 %), Agrar-, Forst-
u Abb 11 Studienanfängerinnen und Studienanfänger im ersten Hochschulsemester
und Ernährungswissenschaften / Veteri-
nach angestrebtem Abschluss im Studienjahr 2016 — in Prozent
närmedizin (60 %) sowie Rechts-, Wirt-
schafts- und Sozialwissenschaften (59 %)
waren die Studienanfängerinnen deutlich
Promotionen in der Mehrheit. In der Fächergruppe
0,7
Mathematik / Naturwissenschaften stellte
sich das Geschlechterverhältnis mit einem
Fachhochschulabschluss ¹
Frauenanteil von 51 % nahezu ausge­
1,3
glichen dar. In der Fächergruppe Ingeni-
Lehramtsprüfungen eurwissenschaften (25 %) waren Studien-
5,8 anfängerinnen hingegen deutlich unter-
repräsentiert. u Abb 10
Masterabschluss
Die Umstellung des Studienangebots
6,2
im Zuge des Bologna-Prozesses zeichnete
universitärer Abschluss (ohne
Bachelorabschluss sich zunächst in den Studienanfänger-
Lehramtsprüfungen) ²
zahlen ab, setzte sich bei der Zahl der
14,6 71,4
Studierenden fort und wirkte sich zeit-
verzögert auf die Absolventenzahlen aus.
Die Bologna-Reform hat vor allem dazu
geführt, dass seit 1999 die traditionellen
Diplomabschlüsse an Universitäten und
Fachhochschulen gegenüber den neu ein-
1 Ohne Bachelor- und Masterabschlüsse.
2 Einschließlich der Prüfungsgruppen »Künstlerischer Abschluss« und »Sonstiger Abschluss«; geführten Bachelor- und Masterabschlüs-
ohne Bachelor- und Masterabschlüsse.
sen kontinuierlich an Bedeutung verloren
haben u Info 2

114
Studierenden insgesamt - in Prozent

Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

Im Studienjahr 2016 begannen 78 % u Abb 12 Anteil ausländischer Studierender an den


der Studienanfängerinnen und Studienan- Studierenden insgesamt — in Prozent
fänger ein Bachelor- oder Masterstudium
(ohne Lehramts-Bachelor und -Master).
Zehn Jahre zuvor waren es rund 42 %.
Rund 15 % der Studienanfängerinnen
und Studienanfänger strebten im Studien-
jahr 2016 einen universitären Abschluss
(zum Beispiel Diplom [Uni], Magister),
5,8 % eine Lehramtsprüfung, 1,3 % einen 9,5 9,2 8,9 8,5 8,3 8,1 8,2 8,4 8,7 9,1 9,5
Fachhochschulabschluss und 0,7 % eine
Promotion an. Von den Studienanfänge-
rinnen und Studienanfängern in Lehr-
amtsstudiengängen studierten rund 44 %
2,9 2,9 2,9 3,0 3,0 3,0 3,1 3,2 3,2 3,2 3,3
die Fächergruppe Geisteswissenschaften,
24 % Mathematik / Naturwissenschaften 2006/2007 2008/2009 2010/2011 2012/2013 2014/2015 2016/2017
und 21 % Rechts-, Wirtschafts- und Sozial­
Bildungsinländerinnen und -inländer Bildungsausländerinnen und -ausländer
wissenschaften. u Abb 11
Studierende im jeweiligen Wintersemester.

Ausländische Studierende
Im Wintersemester 2016/2017 waren an Abb 13 Bildungsinländerinnen und -inländer nach Herkunftsländern im
Wintersemester 2016/2017
deutschen Hochschulen insgesamt 358 900
uAbb 13 Bildungsinländerinnen und Bildungsinländer nach
Studierende mit ausländischer Nationali-
Herkunftsländern im Wintersemester 2016/2017
tät immatrikuliert. Im Wintersemester
2006/2007 lag der Ausländeranteil an der
Gesamtzahl der Studierenden bei 12 %, Türkei 31 356
sank dann leicht ab und erreichte mit
Italien 5 488
13 % einen neuen Höchststand im Win-
tersemester 2016/2017. u Abb 12 Griechenland 4 199
Von den Studierenden mit ausländi-
Kroatien 3 831
scher Nationalität waren 26 % sogenannte
Bildungsinländer, die ihre Hochschul­ Russische Föderation 3 644

zugangsberechtigung im deutschen Bil- Polen 2 921


dungssystem erworben haben. Hier han-
Ukraine 2 638
delt es sich meist um Kinder von Zuwan-
derinnen und Zuwanderern, die teilweise China 2 606
bereits in der zweiten oder dritten Genera- Bosnien und Herzegowina 2 525
tion in Deutschland leben und die Staats-
angehörigkeit ihres Herkunftslandes be- Vietnam 2 468

halten haben, sowie Kriegsflüchtlinge und Serbien 2 149


Asylsuchende. Die mit Abstand größte
Gruppe unter den Bildungsinländern bil-
deten im Wintersemester 2016/2017 Stu-
dierende mit türkischer Staatsangehörig-
keit (34 %), gefolgt von denen mit italieni- zugangsberechtigung außerhalb Deutsch- mester 2016/2017 studierten 265 500 Bil-
scher Herkunft (5,9 %) und denen mit lands erworben hat. Im Wintersemester dungsausländerinnen und Bildungsaus-
griechischen Wurzeln (4,5 %). u Abb 13 2006/2007 betrug der Anteil der Bil- länder an deutschen Hochschulen, 41 %
Bei den sogenannten Bildungsaus­ dungsausländerinnen und Bildungsaus- mehr als im Wintersemester 2006/2007.
länderinnen und Bildungsausländern länder an der Gesamtzahl der Studieren- Die Anteile der Bildungsausländerinnen
handelt es sich um die Gruppe der auslän- den rund 9,5 %, sank dann leicht ab und und Bildungsausländer variierten je nach
dischen Studierenden, die grenzüber- stieg bis zum Wintersemester 2016/2017 fachlicher Ausrichtung des Studiums: So
schreitend mobil ist und ihre Hochschul- wieder auf rund 9,5 % an. Im Winterse- studierten im Winter­semester 2016/2017

115
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

Abb 14 Bildungsausländerinnen und -ausländer nach


Herkunftsländern im Wintersemester 2016/2017
uAbb 14 Bildungsausländerinnen und Bildungsausländer nach samtstudiendauer von 11,7 Semestern.
Herkunftsländern im Wintersemester 2016/2017 Im Vergleich dazu betrug die mittlere
Gesamtstudiendauer bei Universitäts­
diplomen und vergleichbaren Abschlüs-
China 34 997 sen 12,3 Semester.
Indien 15 308
Personelle und finanzielle
Russische Föderation 11 295
Ressourcen
Österreich 10 575 Rund 691 400 Menschen waren 2016 an
deutschen Hochschulen beschäftigt. Zu
Italien 8 550
beachten ist, dass das Hochschulperso-
Kamerun 7 425 nal nicht nur lehrt, sondern in einem
Frankreich 7 335 ­beträchtlichen Umfang Aufgaben in den
Iran, Bereichen Krankenbehandlung (Uni­
7 123
Islamische Republik versitätskliniken) sowie Forschung und
Ukraine 7 000 Entwicklung wahrnimmt. Rund 56 %
des Hochschulpersonals zählten zum
Türkei 6 953
wissenschaftlichen und künstlerischen
Personal und rund 44 % der Beschäftig-
ten waren in der Hochschulverwaltung
oder in technischen und sonstigen Berei-
chen tätig.
Nahezu zwei Drittel (63 %) des wissen-
rund 37 % von ihnen Ingenieurwissen- 491 70 0 Pr ü f u ngen den bisherigen schaftlichen und künstlerischen Personals
schaften, 26 % Rechts-, Wirtschafts- und Höchststand. Frauen haben mehr als die waren im Jahr 2016 hauptberuflich be-
Sozialwissenschaften, 12 % Geisteswissen- Hälfte (51 %) der im Jahr 2016 bestande- schäftigt. Zum hauptberuflichen wissen-
schaften und 11 % ­M athematik / Natur­ nen Hochschulabschlüsse erworben. schaftlichen und künstlerischen Personal
wissenschaften. Die meisten ausländischen Von den Absolventinnen und Absol- zählen Professorinnen und Professoren,
Nachwuchsakademikerinnen und Nach- venten des Jahres 2016 erwarben 51 % ei- Dozentinnen und Dozenten, Assistentin-
wuchsakademiker kamen aus China (13 %), nen Bachelorabschluss und weitere 25 % nen und Assistenten, wissenschaftliche
gefolgt von Indien mit 5,8 % und der Rus- einen Masterabschluss. Eine Lehramts- und künstlerische Mitarbeiterinnen und
sischen Föderation mit 4,3 %. u Abb 14 prüfung legten 8,9 % ab und 7,0 % ver­ Mitarbeiter sowie Lehrkräfte für beson­
Gleichzeitig lernen deutsche Studie- ließen die Hochschule mit einem Univer- dere Aufgaben. Weitere 37 % der Beschäf-
rende an ausländischen Hochschulen; im sitätsdiplom. Den Doktortitel erlangten tigten gehörten dem nebenberuf lichen
Jahr 2015 waren es rund 137 700. Das be- 6,0 % der Absolventinnen und Absolven- wissenschaftlichen und künstlerischen
liebteste Zielland war Österreich mit 20 %ten und 2,0 % einen traditionellen Fach- Per­s onal an, das aus Lehrbeauftragten,
aller deutschen Auslandsstudierenden, hochschulabschluss. u Tab 6 wissenschaftlichen Hilfskräften sowie
gefolgt von den Niederlanden mit 16 %, Das mittlere Alter (Median) der Gastprofessorinnen und Gastprofessoren
dem Vereinigten Königreich und der Hochschulabsolventinnen und Hoch- besteht.
Schweiz mit jeweils 11 % sowie den Ver­ schulabsolventen, die 2016 ihr Erststudi- Steigende Studierendenzahlen erfor-
einigten Staaten mit 7,4 %. In jedem die- um erfolgreich abgeschlossen haben, lag dern einen Personalzuwachs: In den letz-
ser Länder studierten 2015 mehr als bei 24 Jahren. Die Studiendauer ist ab- ten zehn Jahren stieg die Zahl der ins­
10 000 Deutsche. Der Großteil der deut- hängig von der Art des erworbenen aka- gesamt an Hochschulen in Deutschland
schen Auslandsstudierenden (69 %) blieb demischen Grades. Bei Bachelorabschlüs- Beschäftigten um 37 %. Das wissenschaft-
innerhalb der Europäischen Union. u Abb 15sen betrug die mittlere Fachstudiendauer liche und künstlerische Personal wuchs
im Prüfungsjahr 7,0 Semester. Das Mas- im gleichen Zeitraum sogar um insge-
Hochschulabsolventinnen und terstudium baut auf ein vorangegangenes samt 55 %. Dabei war im 10-Jahres-Ver-
Hochschulabsolventen Studium – in der Regel ein Bachelor­ gleich der Anstieg beim nebenberuf li-
Zwischen 2006 und 2016 stieg die Zahl studium – auf. Für einen Masterabschluss chen wissenschaftlich-künstlerischen
der bestandenen Prüfungen an Hoch- benötigten Studierende 2016, einschließ- Personal deutlich stärker (+ 81 %) als
schulen – auch aufgrund der Bologna-­ lich der im vorangegangenen Studium beim hauptberuf lichen (+ 43 %). Wäh-
Reform – stetig an und erreichte 2016 mit verbrachten Semester, eine mittlere Ge- rend im Jahr 2006 noch 79 700 Menschen

116
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

u Abb 15 Deutsche Studierende im Ausland nach Studienland 2015

 bis 99
100 bis 499
500 bis 999
1 000 bis 4 999
5 000 und mehr
keine Werte

1 Kosovo
2 Liechtenstein
3 Montenegro
4 Vatikanstadt

Vereinigte Staaten: 10 145


China: 7 536
Kanada: 1 809
Australien: 1 147
Neuseeland: 983
Südafrika: 862
Japan: 777

Islamische
Republik Iran
Die Anzahl der deutschen Studierenden in Belgien
bezieht sich nur auf die Flämische Gemeinschaft.
Kartengrundlage: Europäische Kommission

in der Gruppe des nebenberuf lichen u Tab 6 Bestandene Prüfungen an Hochschulen — in Tausend
wissenschaft­lichen und künstlerischen Darunter
Personals beschäftigt waren, stieg die Ins-
gesamt universitärer Promo- Lehramts- Fachhochschul- Bachelor- Master-
Zahl bis zum Jahr 2016 auf 144 400 Be- Abschluss ¹ tionen prüfungen abschluss ² abschluss abschluss
schäftigte an. Der Zuwachs ist vor allem 2006 266 106 24 26 82 15 11
auf die Lehrbeauftragten zurückzufüh- 2011 392 94 27 39 39 152 41
ren, deren Zahl von 60 300 im Jahr 2006 2014 461 51 28 43 12 229 97
auf 99 100 im Jahr 2016 gestiegen ist. 2015 482 39 29 44 10 246 114
Aber auch die Zahl der wissenschaftli- 2016 492 35 29 44 10 250 124
chen Hilfskräfte hat sich mehr als ver-
Abb 161 
Wissenschaftliches und künstlerisches
Einschließlich der Prüfungsgruppen Hochschulpersonal
»Künstlerischer — in Tausend
Abschluss« und »Sonstiger Abschluss«;
doppelt: von 18 000 im Jahr 2006 auf 43 ohne Lehramts-, Bachelor- und Masterabschlüsse.
2 Ohne Bachelor- und Masterabschlüsse.
400 im Jahr 2016. u Abb 16
Der Anstieg der Beschäftigten in der
u Abb 16 Wissenschaftliches und künstlerisches Hochschulpersonal — in Tausend
Hochschulverwaltung oder in techni-
schen und sonstigen Bereichen fiel mit
+ 19 % vergleichsweise moderat aus.
2016 47 3 182 10 144
Die Hochschulen in öffentlicher und
privater Trägerschaft in Deutschland ga- 2006 38 8 117 7 80
ben im Jahr 2016 für Lehre, Forschung
und Krankenbehandlung insgesamt Professoren Dozenten und wissenschaftliche und Lehrkräfte für
52,1 Milliarden Euro aus. Dieser Betrag Assistenten künstlerische Mitarbeiter besondere Aufgaben
setzt sich zusammen aus den Ausgaben nebenberufliches wissenschaftliches
und künstlerisches Personal
für das Personal, für den laufenden Sach-
aufwand sowie für Investitionen. Die

117
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

schaften zusammen etwa die Hälfte (rund


u Abb Abb Laufende
17 17 Ausgaben
Laufende Ausgaben (Grundmittel)
(Grundmittel) je Studierenden
je Studierenden nach Fächergruppen 2015 – in Tausend Euro
49 %) aller Studierenden eingeschrieben.
nach Fächergruppen 2016 — in Tausend Euro
Ihr Anteil an den gesamten Ausgaben im
Hochschulbereich betrug allerdings le-
Humanmedizin / Gesundheits- diglich gut 11 %.
19,8
wissenschaften 1 Die Finanzierung dieser Ausgaben er-
Mathematik / folgt einerseits durch die Finanzausstat-
11,5
Naturwissenschaften tung, die die Hochschulen vonseiten des
Trägers erhalten (sogenannte Trägermit-
Ingenieurwissenschaften 6,5
tel), andererseits große Teile durch Ver-
Geisteswissenschaften
waltungseinnahmen (beispielsweise Ein-
5,7
nahmen aus Krankenbehandlungen, Bei-
Rechts-, Wirtschafts- und
4,2
träge der Studierenden) sowie durch
Sozialwissenschaften
Drittmittel, die primär für Forschungs-
zwecke eingeworben werden. Seit 2006
1 Einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken. haben sich die Drittmitteleinnahmen
Abb 18 Frauenanteile in verschiedenen Stadien der akademischen Laufbahn – in Prozent von 3,9 Milliarden Euro auf 7,5 Milliar-
1 Einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken.
den Euro annähernd verdoppelt. Im glei-
u Abb 18 Frauenanteile in verschiedenen Stadien chen Zeitraum stiegen die Trägermittel
der akademischen Laufbahn — in Prozent um 50 % (von 16,5 Milliarden Euro auf
24,7 Milliarden Euro).
Bei den laufenden Ausgaben (Grund-
C4/W3-Professorinnen 19,4
und -Professoren 1 11,0 mittel) für Lehre und Forschung handelt
es sich um den Teil der Hochschulaus­
Professorinnen und 23,4 gaben, den der Einrichtungsträger den
Professoren 15,2
Hochschulen für laufende Zwecke zur
hauptberufliches 39,0 Verfügung stellt. Im Jahr 2016 betrugen
wissenschaftliches und
künstlerisches Personal
31,4 die laufenden Ausgaben (Grundmittel)
an deutschen Hochschulen durchschnitt-
Hochschulpersonal 52,6
insgesamt 51,3 lich 7 200 Euro je Studierenden.
Die laufenden Ausgaben (Grundmit-
Promotionen
45,2 tel) waren aufgrund des Ausgabenver-
40,9
hältnisses zu den Studierenden in den
Absolventinnen und 50,6 ­Fächergruppen unterschiedlich. Sie diffe-
Absolventen 50,5 rierten im Jahr 2016 zwischen 4 200 Euro
je Studierenden der Rechts-, Wirtschafts-
48,2
Studierende und Sozialwissenschaften bis zu 19 800
47,8
Euro je Studierenden der Humanmedi-
Studienanfängerinnen 50,5 zin / Gesundheitswissenschaften. u Abb 17
und -anfänger 49,4

Frauen auf der akademischen


2016 2006
Karriereleiter
1 C4/W3 ist die höchste Besoldungsstufe. Die Verwirklichung von Chancengleich-
heit von Männern und Frauen in Wissen-
1 C4 / W3 sind die höchsten Besoldungsstufen. schaft und Forschung ist nach wie vor ein
wichtiges Thema in der deutschen Bil-
­ ächerstruktur bestimmt in besonderem
F Humanmedizin / Gesundheitswissenschaf- dungspolitik. Auf den ersten Blick schei-
Maße die Hochschulausgaben: Rund 47 % ten lag im Wintersemester 2016/2017 aber nen die Barrieren für den Zugang junger
entfielen auf die medizinischen Einrich- nur bei etwas über 6 %. Demgegenüber Frauen zur akademischen Ausbildung ab-
tungen (einschließlich zentrale Einrich- waren im gleichen Zeitraum in den Fächer- gebaut: Jeweils etwas mehr als die Hälfte
tungen der Hochschulkliniken). Der An- gruppen Rechts-, Wirtschafts- und Sozi- (51 %) der Studierenden im ersten Hoch-
teil der eingeschriebenen Studierenden in alwissenschaften sowie Geisteswissen- schulsemester und der Hochschulabsol-

118
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

ventinnen und Hochschulabsolventen im u Info 3

Jahr 2016 waren Frauen. Auch der Frau- Ausbildungsförderung – »BAföG«


enanteil auf weiterführenden Qualifikati- Die Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) soll zusam-
onsstufen ist in den vergangenen Jahren men mit anderen direkten Leistungen (zum Beispiel Kindergeld, Leistungen nach dem Arbeits-
förderungsgesetz) sowie den ausbildungsbezogenen indirekten steuerlichen Entlastungen
gestiegen. Allerdings nimmt er mit stei- ­dazu dienen, die u
­ nterschiedlichen Belastungen der Familien auszugleichen. Durch diese För-
gendem Qualifikationsniveau und Status derung sollen junge M­ enschen aus Familien mit geringem Einkommen Zugang zu einer Aus­
der einzelnen Positionen auf der akade- bildung nach ihrer Neigung, Eignung und Leistung erhalten.

mischen Karriereleiter kontinuierlich ab. Derzeit wird Ausbildungsförderung für den Besuch von weiterführenden allgemeinbildenden
Während im Jahr 2016 bereits 45 % der Schulen und Berufsfachschulen ab Klasse 10 und von Fach- und Fachoberschulklassen, deren
Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, nur an auswärts (nicht bei
Doktortitel von Frauen erworben wurden, den Eltern) untergebrachte Schülerinnen und Schüler geleistet. »Schüler-BAföG« gibt es ferner
lag die Frauenquote bei den Habilitationen für den Besuch von Abendschulen, Kollegs, Berufsaufbauschulen oder Fach- und Fachober-
schulklassen, die eine ­a bgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen. Im Schulbereich wird
erst bei 30 %.
die Ausbildungsförderung vollständig als Zuschuss geleistet.
Rund 53 % der im Jahr 2016 an deut-
Ausbildungsförderung für Studierende nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten
schen Hochschulen Beschäftigten waren junge Erwachsene, die höhere Fachschulen, Akademien und Hochschulen besuchen. Im
Frauen, was in etwa dem Frauenanteil Hochschulbereich wird die Ausbildungsförderung je zur Hälfte als Zuschuss und als unverzins-
(51 %) an der Gesamtbevölkerung ent- liches D
­ arlehen geleistet. In bestimmten Fällen wird anstelle von Zuschuss und unverzinslichem
Darlehen ein verzinsliches Darlehen gewährt, zum Beispiel nach Überschreiten der
spricht. Im Bereich Forschung und Lehre Förderungshöchstdauer.
sind Frauen allerdings immer noch
­u nterrepräsentiert: Ihr Anteil lag in der
Gruppe des hauptberuf lichen wissen-
schaftlichen und künstlerischen Perso-
nals bei 39 %. In der Professorenschaft
ist der Frauenanteil traditionell niedrig. Ausbildungsförderung und 18 000 eine Fachschule, deren Besuch
In den vergangenen zehn Jahren ist er für Studierende eine abgeschlossene Berufsaus­b ildung
aber deutlich angestiegen und erreichte Durchschnittlich 364 000 Studierende wur- voraussetzt. Zwei Drittel aller Schülerin-
2016 mit 23 % seinen bisherigen Höchst- den im Jahr 2017 durch das Bundesaus- nen und Schüler, die »Schüler-BAföG«
stand. In den bestbezahlten Besoldungs- bildungsförderungsgesetz (BAföG) geför- erhielten, bekamen eine Vollförderung,
stufen der Professoren (C4 und W3) dert. Davon waren 242 000 an Universitä- also den Förderungshöchstbetrag. Ein
lag der Anteil der Professorinnen bei ten und 119 000 an Fachhochschulen Drittel erhielt eine Teilförderung. Insge-
19 %. u Abb 18 eingeschrieben. Rund 59 % aller geförder- samt wendete der Bund 758 Millionen
Bei der Interpretation der Daten ist zu ten Studierenden erhielten nur eine Teil- Euro für die Schülerförderung auf. Im
beachten, dass sich selbst ein starker An- förderung, die geleistet wird, wenn die Durchschnitt bekam ein unterstützter
stieg des Frauenanteils bei den Hoch- Einkommen der Begünstigten oder ihrer Schüler beziehungsweise eine Schülerin
schulabsolventinnen und Hochschulab- Eltern festgelegte Grenzen über­s teigen. 456 Euro im Monat (siehe Tab 7).
solventen zunächst nicht direkt auf den Eine Vollförderung – also den maxima-
Anteil bei den Habilitationen oder Pro- len Betrag – bekamen rund 41 % der Un- Aufstiegsfortbildungsförderung
fessuren auswirkt, da der Erwerb von terstützten. u Info 3, Tab 7 Leistungen nach dem Aufstiegsfortbil-
akademischen Abschlüssen sehr zeitin- Insgesamt wurden vom Bund für die dungsförderungsgesetz (AFBG) – auch
tensiv ist. So liegen zwischen dem Zeit- Studierendenförderung 2,2 Milliarden kurz »Aufstiegs-BAföG« genannt – wurden
punkt der Ersteinschreibung und der Euro aufgewendet. Seit dem 1. Januar 2017 an 165 000 Personen gezahlt. Das
Erstberufung zur Professorin bezie- 2015 hat der Bund die vollständige Finan- »Aufstiegs-BAföG« unterstützt Personen,
hungsweise zum Professor in Deutsch- zierung der Förderung übernommen. Im die sich nach abgeschlossener Erstausbil-
land etwa 20 Jahre. Durchschnitt erhielt in Deutschland eine dung auf einen Fortbildungsabschluss
geförderte Studentin beziehungsweise ein vorbereiten, zum Beispiel zur Hand-
3.1.5 Bildungsförderung Student 499 Euro im Monat. werksmeisterin beziehungsweise zum
Um jeder Person den Zugang zu Bildung Handwerksmeister, Fachwirtin bezie-
zu ermöglichen – unabhängig vom eige- Ausbildungsförderung für hungsweise Fachwirt oder zur Erzieherin
nen Einkommen oder dem Einkommen ­Schülerinnen und Schüler beziehungsweise zum Erzieher. Knapp
der Eltern –, hat der Staat verschiedene Im Jahr 2017 erhielten durchschnittlich zwei Drittel der geförderten Personen
Förderprogramme geschaffen. Dieser Ab- 139 000 Schülerinnen und Schüler eine waren Männer und etwas mehr als ein
schnitt stellt die drei zahlenmäßig bedeu- Ausbildungsförderung. Rund 73 000 von Drittel Frauen. Der finanzielle Aufwand
tendsten Programme vor. ihnen besuchten eine Berufsfachschule betrug 2017 insgesamt 641 Millionen

119
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Info 4 uTab 7 Ausbildungsförderung nach dem


Aufstiegsförderung – Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
»Aufstiegs-BAföG«
Geförderte Durchschnittlicher
Finanzieller
­ ie Aufstiegsförderung nach dem Aufstiegs-
D (durchschnittlicher Förderungsbetrag
Aufwand
fortbildungsförderungsgesetz (AFBG) soll Monatsbestand) je Person
Nachwuchskräften helfen, ihre Weiterbildung Anzahl in 1 000 Euro in Euro je Monat
für einen Fortbildungsabschluss zu finanzieren,
der einen beruf­lichen Aufstieg ermöglicht. Schülerinnen und Schüler
Diese Förderung, auch »Aufstiegs-BAföG« 2007 193 334 697 275 301
genannt, wurde 1996 ein­geführt. Das Gesetz
gewährt allen Fachkräften einen Rechtsan- 2012 189 936 912 949 401
spruch auf staatliche Unterstützung für alle 2015 161 004 814 010 421
Formen der beruflichen Aufstiegsfortbildung.
2016 147 471 770 675 435
Der angestrebte Abschluss muss über
dem Niveau einer Facharbeiter-, Gesellen-, 2017 138 580 758 489 456
Gehilfenprüfung oder eines Berufsfachschul-
Studierende
abschlusses ­liegen. Damit erstreckt sich
die Förderung auf alle Bildungsmaßnahmen 2007 331 141 1 490 718 375
im Bereich der gewerb­lichen Wirtschaft, 2012 440 228 2 365 026 448
der Freien Berufe, der Hauswirtschaft und
der Landwirtschaft, die gezielt auf anerkann- 2015 401 166 2 157 626 448
te Prüfungen, zum Beispiel nach der Hand- 2016 377 304 2 099 110 464
werksordnung oder anderen öffentlich recht-
2017 364 097 2 181 049 499
lichen Prüfungsordnungen, vorbereiten.
­Hierzu gehören auch Fortbildungen in den BAföG-Empfängerinnen und -empfänger insgesamt
Gesundheits- und Pflegeberufen sowie an 2007 524 490 2 188 065 348
staatlich anerkannten Ergänzungsschulen.
Die Leistungen für alle Teilnehmenden be­ 2012 630 164 3 277 975 433
stehen aus einem sogenannten Maßnahme- 2015 562 170 2 971 636 441
beitrag (für Lehrgangs- und Prüfungsge­
2016 524 775 2 869 785 456
bühren) bis zu einer Höhe von 15 000 Euro,
der mit einem Anteil von 40 % als Zuschuss 2017 502 677 2 939 538 487
und im Übrigen als Darlehen gewährt wird.
Ferner werden im Bedarfsfall Leistungen
zum »Prüfungsstück« bis zu einer Höhe von
2 000 Euro, darunter 40 % als Zuschuss,
­gewährt. Geförderte in Vollzeitform können uTab 8 Aufstiegsförderung nach dem
darüber hinaus monatliche Zuschüsse
Aufstiegsfortbildungs­förderungsgesetz (AFBG)
und Darlehen für den Lebensunterhalt und
die Kinderbetreuung erhalten. Finanzieller Aufwand
Geförderte
insgesamt Zuschuss Darlehen
Anzahl in 1 000 Euro
2007 133 592 356 024 105 580 250 444
Euro. Jeweils rund die Hälfte der Unter- 2012 168 284 545 920 176 203 369 717
stützten besuchten eine Vollzeitfortbil- 2015 162 013 558 032 181 439 376 594
dung (49 %) oder eine Teilzeitfortbildung 2016 161 725 576 153 215 802 360 351
(51 %). Beide Fortbildungsarten weisen 2017 164 537 640 641 269 900 370 741
für die Frauen mit rund einem Drittel
und für die Männer mit zwei Dritteln
eine nahezu identische Verteilung auf.
Die Geförderten waren überwiegend zwi-
schen 20 und 35 Jahre alt. Die häufigsten
Fortbildungsberufe nach dem »Aufstiegs- 3.1.6 Bildungsniveau der die Erwerbschancen sowie die Chancen
BAföG« waren 2017 bei den Männern In- Bevölkerung auf eine individuelle Lebensführung und
dustriemeister Metall, gefolgt vom staat- Die Qualifikation der Bevölkerung ist von die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen
lich geprüften Maschinenbautechniker großer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, Leben. Aktuelle Angaben über den Bil-
und vom staatlich ­geprüften Elektrotech- da vor allem die Qualität der mensch­ dungsstand der Gesamtbevölkerung werden
niker. Die gefragtesten Berufe bei den lichen Arbeitskraft (sogenanntes Human­ jährlich aus dem Mikrozensus gewonnen,
Frauen waren ­Erzieherin, gefolgt von der kapital) das Leistungsvermögen einer der größten jährlich durchgeführten
geprüften Wirtschaftsfachwirtin und der Volkswirtschaft bestimmt. Für den Einzel- Haushaltsbefragung Europas (siehe Kapi-
Friseur­meisterin. u Info 4, Tab 8 nen verbessert ein hoher Bildungsstand tel 2.1, Seite 52, Info 1).

120
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

u Tab 9 Allgemeinbildender Schulabschluss der Bevölkerung 2016


Mit allgemeinbildendem Schulabschluss Ohne
Noch in
Insgesamt ¹ schulischer Abschluss der Fachhoch- ohne An­gabe allgemeinbil-
Haupt-(Volks-) mittlerer
Ausbildung Polytechnischen schul- oder zur Art des denden Schul-
schulabschluss Abschluss
Oberschule Hochschulreife Abschlusses abschluss ²
Im Alter von … bis … Jahren

in 1 000
25 – 29 5 368 22 909 – 1 528 2 691 6 189
30 – 39 10 309 13 2 021 – 3 166 4 622 21 429
40 – 49 11 413 / 2 646 1 101 3 110 3 999 24 490
50 – 59 13 132 / 3 875 1 848 3 057 3 762 30 515
60 und älter 22 677 / 11 998 1 866 3 368 4 225 61 915
Zusammen 62 900 43 21 449 4 816 14 230 19 299 142 2 537
in %
25 – 29 100 0,4 16,9 – 28,5 50,1 0,1 3,5
30 – 39 100 0,1 19,6 – 30,7 44,8 0,2 4,2
40 – 49 100 / 23,2 9,6 27,2 35,0 0,2 4,3
50 – 59 100 / 29,5 14,1 23,3 28,6 0,2 3,9
60 und älter 100 / 52,9 8,2 14,9 18,6 0,3 4,0
Zusammen 100 0,1 34,1 7,7 22,6 30,7 0,2 4,0

1 Einschließlich 383000 Personen, die keine Angaben zur allgemeinen Schulausbildung gemacht haben.
2 Einschließlich Personen mit Abschluss nach höchstens sieben Jahren Schulbesuch.
– Nichts vorhanden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

u Tab 10 Beruflicher Bildungsabschluss der Bevölkerung 2016


Mit beruflichem Bildungsabschluss ² Davon
Ohne
Lehre/Berufs- Fachschul- beruf- nicht in
Ins- Fach- in schulischer
ausbildung abschluss lichen schulischer
gesamt ¹ schulab- Bachelor Master Diplom ⁶ Promotion Bildungs- oder beruflicher
im dualen in der ehema- oder beruf-
schluss ⁵ abschluss  ³ Bildung
System ⁴ ligen DDR licher Bildung
Im Alter von …
bis … Jahren
in 1 000
25 – 29 5 368 2 373 446 – 536 337 362 16 1 262 483 779
30 – 39 10 309 4 801 909 – 432 346 1 838 173 1 739 127 1 612
40 – 49 11 413 6 031 1 060 74 103 86 2 016 179 1 782 17 1 765
50 – 59 13 132 7 238 1 312 194 47 35 2 060 185 1 959 / 1 955
60 und älter 22 677 11 869 1 647 417 31 20 2 817 276 5 208 / 5 206
Zusammen 62 900 32 311 5 375 685 1 148 824 9 093 829 11 950 633 11 317
in %
25 – 29 100 44,2 8,3 – 10,0 6,3 6,7 0,3 23,5 9,0 14,5
30 – 39 100 46,6 8,8 – 4,2 3,4 17,8 1,7 16,9 1,2 15,6
40 – 49 100 52,8 9,3 0,7 0,9 0,8 17,7 1,6 15,6 0,1 15,5
50 – 59 100 55,1 10,0 1,5 0,4 0,3 15,7 1,4 14,9 / 14,9
60 und älter 100 52,3 7,3 1,8 0,1 0,1 12,4 1,2 23,0 / 23,0
Zusammen 100 51,4 8,5 1,1 1,8 1,3 14,5 1,3 19,0 1,0 18,0

1 Einschließlich 557000 Personen, die keine Angaben zum beruflichen Bildungsabschluss gemacht haben sowie 128000 Personen ohne Angabe zur Art des Abschlusses.
2 Abschlüsse an Fachhochschulen (einschließlich Verwaltungsfachhochschulen) und Hochschulen werden nach ihrem Grad (Bachelor, Master, Diplom) unterschieden. Die bisher unter »Fachschulabschluss«
enthaltenen akademischen Abschlüsse an Berufsakademien werden ebenfalls Bachelor, Master und Diplom zugeordnet.
3 Einschließlich Berufsvorbereitungsjahr und berufliches Praktikum, da durch diese keine berufsqualifizierenden Abschlüsse erworben werden.
4 Einschließlich eines gleichwertigen Berufsfachschulabschlusses, Vorbereitungsdienst für den mittleren Dienst in der öffentlichen Verwaltung, 1-jährige Schule für Gesundheits- und Sozialberufe sowie
330000 Personen mit Anlernausbildung.
5 Einschließlich einer Meister-/Technikerausbildung, Abschluss einer 2- oder 3-jährigen Schule für Gesundheits- und Sozialberufe sowie Abschluss an einer Schule für Erzieher/-innen.
6 Einschließlich Lehramtsprüfung, Staatsprüfung, Magister, künstlerischer Abschluss und vergleichbare Abschlüsse.
– Nichts vorhanden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

121
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

Dem Mikrozensus 2016 zufolge hat- jahrgängen ab 60 Jahren hatten dagegen schluss beziehungsweise einen Fach-
ten 53 % der Befragten ab 25 Jahren einen lediglich 15 % einen mittleren Abschluss schulabschluss der ehemaligen DDR.
sogenannten höherwertigen Schulab- und 19 % die Fachhochschul- oder Hoch- Weitere 18 % hatten (noch) keinen beruf-
schluss: Einen mittleren Abschluss besa- schulreife. u Tab 9 lichen Abschluss und waren auch nicht in
ßen 23 %, und 31 % Abitur oder Fach- Als höchsten beruflichen Bildungsab- Ausbildung. u Tab 10
hochschulreife. In der Gruppe der 25- schluss besaßen im Jahr 2016 rund 51 % Heute werden die Angebote des allge-
bis 29-Jährigen konnten gut 79 % einen der Bevölkerung ab 25 Jahren eine Lehre. meinen Bildungssystems von Frauen und
solchen Abschluss vorweisen (28 % mitt- Über einen akademischen Abschluss Männern gleichberechtigt wahrgenom-
leren Abschluss, 50 % Fachhochschul- (einschließlich Promotion) verfügten men, sodass bei der jüngeren Generation
oder Hochschulreife). Von den Alters- 19 %, und 10 % über einen Fachschulab- mittlerweile mehr Frauen als Männer

u Info 5
Wie setzen sich die Ausgaben im Rahmen
Bildungsstand von Personen mit Migrationshintergrund des Bildungsbudgets zusammen?
nach Zeitpunkt des Zuzugs Sie umfassen die Ausgaben für das formale
Der Bildungsstand der Bevölkerung sind (33 %). Dabei handelte es sich ­B ildungssystem in Abgrenzung der Internationa-
len Standardklassifikation des Bildungswesens
ab 25 Jahren unterscheidet sich zwi- überwiegend um gut ausgebildete (ISCED-2011-Level). Dazu zählen direkte Aus­
schen Personen mit und ohne Migrati- Menschen, die nach der Finanzmarkt- gaben für Bildungseinrichtungen, Ausgaben
für Bildungsdienste und Güter außerhalb von
onshintergrund. Im Jahr 2016 besaßen und Wirtschaftskrise aus den südeu-
Bildungseinrichtungen und Ausgaben für die
33 % der Personen mit Migrationshin- ropäischen EU-Ländern Spanien, Por- ­Förderung der Teilnehmenden an formalen
tergrund dieser Altersgruppe die Hoch- tugal, Italien und Griechenland nach Bildungsprogrammen.
schulreife, während es bei den Perso- Deutschland zugewandert sind. Bei den direkten Ausgaben für formale Bildungs-
nen ohne Migrationshintergrund 30 % Ein anderes Bild zeigt sich bei den einrichtungen (Krippen, Kindergärten, Schulen,
Ausbildungsbetriebe, Hochschulen) handelt
waren. Beim Hochschulabschluss lag Personen ohne Berufsabschluss. Hier es sich um Ausgaben für das Lehr- und sonstige
der Anteil für beide Bevölkerungs- lag 2016 der Anteil bei den Zugewan- ­Personal, für die Beschaffung von Lehr- und
gruppen bei jeweils 19 %. derten ab 25 Jahren in allen Zuzugs- Lernmitteln, für Heizung, Elektrizität, die Reini-
gung und Erhaltung von Schulgebäuden sowie
Bei Personen mit Migrationshin- jahren über 37 % und damit deutlich die Ausgaben für den Bau von Schulgebäuden
tergrund unterscheidet sich der Bil- über dem Bevölkerungsdurchschnitt und für andere Investitionsgüter. Entsprechend
dungsstand zudem stark nach Her- von 19 %. In den Zuzugsjahren von internationaler Konventionen enthalten die
­Ausgaben für formale Bildungseinrichtungen
kunftsland und Zuzugsjahr. Unter den 2014 bis 2016 lag der Anteil mit 43 % auch die Ausgaben an Hochschulen für For-
zwischen 2000 und 2009 Zugezogenen noch einmal deutlich höher als in den schung und Entwicklung.
ab 25 Jahren (vor allem Zuwanderung Vorjahren. Dies ist darauf zurückzu- Bei den Ausgaben außerhalb formaler Bildungs-
aus Osteuropa infolge des EU-Beitritts führen, dass der Anteil der Personen einrichtungen handelt es sich beispielsweise
um Ausgaben, die von den Lernenden zur Vor­
2004) finden sich mehr Hochschulab- ohne Berufsausbildung in der Mehr- bereitung, zum Besuch und zur Nachbereitung
solventinnen und Hochschulabsolven- zahl der wichtigsten Herkunftsländer des Unterrichts geleistet werden (wie Nachhilfe-
ten (26 %) als im Bevölkerungsdurch- in diesen Jahren höher lag als üblich. unterricht, Anschaffung von Büchern, Taschen-
rechnern und Schreibwaren). Zur Förderung
schnitt (19 %). Bei den Neuzuwande- Während sich die Zahl der Zuwanderer von Teilnehmenden an formalen Bildungspro-
rungen ab 2014 (vor allem Zuwanderung ohne Berufsabschluss für die meisten grammen zählt zum Beispiel das »BAföG«.
von Schutzsuchenden aus den Staaten Herkunftsländer ab 2014 nur gering­
Zusätzliche bildungsrelevante Ausgaben
des Nahen und Mittleren Ostens, Af- fügig verändert hat, stieg die Zahl der
in nationaler Abgrenzung
ghanistan und Pakistan) lag dieser Zuwanderer mit einen hohem Anteil
Sie umfassen Ausgaben für nicht formale Bil-
Anteil mit 29 % wieder unter dem An- an Personen ohne Berufsabschluss aus dungseinrichtungen wie Horte, betriebliche
teil der Personen mit Hochschulab- den Ländern Syrien, Irak und Afgha- Weiter­b ildungskurse, die Förderung von Teil­
schluss, die im Zeitraum von 2010 bis nistan im Vergleich zu den Vorjahren nehmenden an Weiterbildungsmaßnahmen,
Volkshochschulen, Einrichtungen der Lehrer­
2013 nach Deutschland zugewandert sehr stark an. fortbildung sowie der Jugendarbeit.

Das Bildungsbudget basiert auf der Auswertung


zahlreicher Erhebungen. Dabei sind die Finanz­
statistiken der Gebietskörperschaften (Bund,
Länder, Kommunen) die wichtigsten Datenquellen.

122
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3

u Tab 11 Bildungsausgaben und deren Anteile am Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Bildungsausgaben Anteile am BIP

2015 2016 ¹ 2015 2016 ¹

in Milliarden Euro in % des BIP

A Bildungsbudget in internationaler Abgrenzung nach der ISCED-Gliederung ² 175,9 179,7 5,8 5,7

A 30 Ausgaben für Bildungseinrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft 157,1 160,4 5,2 5,1

A 31 ISCED 0 – Elementarbereich 26,3 27,3 0,9 0,9

A 32 ISCED 1 bis 4 – Schulen und schulnaher Bereich 91,2 93,1 3,0 3,0

A 33 ISCED 5 bis 8 – Tertiärbereich 37,2 37,7 1,2 1,2

A 34 Sonstiges (keiner ISCED-Stufe zugeordnet) 2,3 2,4 0,1 0,1

A 40/50 Übrige Ausgaben in internationaler Abgrenzung 18,8 19,3 0,6 0,6

B Zusätzliche bildungsrelevante Ausgaben in nationaler Abgrenzung 19,0 20,4 0,6 0,7

B 10 Betriebliche Weiterbildung 11,1 11,2 0,4 0,4

B 20 Ausgaben für weitere Bildungsangebote 6,9 7,5 0,2 0,2

B 30 Förderung von Teilnehmenden an Weiterbildung 1,0 1,6 0,0 0,1

A+B Bildungsbudget insgesamt 194,9 200,1 6,4 6,4

1 Vorläufige Angaben.
2 ISCED-2011-Level.

­einen höheren Bildungsabschluss nach- Altersgruppe der 35- bis 39-Jährigen be- Die Ausgaben für formale Bildungs-
weisen. In der Altersgruppe der 25- bis trug der Anteil 27 % beziehungsweise 23 %. programme nach internationaler Abgren-
29-Jährigen hatten im Jahr 2016 knapp zung lagen 2016 bei 179,7 Milliarden
48 % der Männer und 53 % der Frauen Abi­ 3.1.7 Das Bildungsbudget für Euro. Knapp 90 % dieser Gelder wurden
tur oder Fachhochschulreife. Betrachtet Deutschland für öffentliche und private Bildungsein-
man den Migrationshintergrund der Be- Die Höhe der Bildungsausgaben beein- richtungen verwendet (unter anderem
völkerung, so verläuft die Entwicklung des f lusst die Entwicklung des Bildungswe- Kindertageseinrichtungen, Schulen, Hoch-
Bildungsstandes unterschiedlich: Bei Per- sens entscheidend. Einen Überblick zur schulen). Die Ausgaben für die Förderung
sonen ohne Migrationshintergrund steigt Ressourcenausstattung des Bildungswe- von Bildungsteilnehmenden in ISCED-
der Anteil der Personen mit Hochschulrei- sens gibt das Bildungsbudget. Es orien- Programmen sowie die Ausgaben der pri-
fe bei den jüngeren Jahrgängen an. Bei der tiert sich an der Konzeption des Lebens- vaten Haushalte für Nachhilfeunterricht,
Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen lag langen Lernens. Der größte Teil des Bil- Lernmittel und dergleichen betrugen
der Anteil bei 54 % und bei den 25- bis dungsbudgets entfällt auf die Ausgaben 2016 rund 19,3 Milliarden Euro.
29-Jährigen betrug er 51 %. Bei den Perso- für formale Bildungsprogramme nach Die Ausgaben für nicht formale Bil-
nen mit Migrationshintergrund lag der der Internationalen Standardklassifikati- dung lagen im Jahr 2016 bei 20,4 Milliar-
Anteil bei den 20- bis 24-Jährigen bei 45 %, on des Bildungswesens (ISCED). Als nati- den Euro. Davon entfiel mit 11,2 Milliar-
während der Anteil bei den 25- bis 29-Jäh- onale Ergänzung umfasst das Bildungs- den Euro über die Hälfte auf die betrieb-
rigen bei 48 % lag. Bei den Hochschulab- budget zusätzlich Ausgaben für nicht for- liche Weiterbildung. Für die Förderung
schlüssen ist dieser Unterschied nicht zu male Bildung. u Info 5 von Teilnehmenden an Weiterbildungs-
beobachten: Hier steigt der Anteil bei bei- Die Ausgaben für formale und nicht maßnahmen wurden 1,6 Milliarden Euro
den Personengruppen – mit und ohne Mi- formale Bildung zusammen betrugen im ausgegeben. Die Mittel für weitere Bil-
grationshintergrund – zu den jüngeren Jahr 2016 nach vorläufigen Berechnungen dungsangebote betrugen 7,5 Milliarden
Jahrgängen hin an. Im Jahr 2016 verfügten 200,1 Milliarden Euro und lagen damit Euro. u Tab 11
29 % der 30- bis 34-Jährigen ohne Migrati- um 2,7 % über dem Wert des Vorjahres.
onshintergrund und 26 % der 30- bis Der Anteil der Bildungsausgaben gemes-
34-Jährigen mit Migrationshintergrund sen am Bruttoinlandsprodukt betrug
über einen Hochschulabschluss. Bei der 2016 – wie im Vorjahr – rund 6,4 %.

123
3 / Bildung 3.2 / Weiterbildung

3.2 Für viele Menschen in Deutschland und


Europa werden der Alltag und das Be-
Schulungen, Seminare oder auch Privat-
unterricht. Falls es ein Zertifikat für die
Weiterbildung rufsleben zunehmend komplex. Die sich Teilnahme gibt, ist dies kein allgemein
rasant entwickelnde Digitalisierung und anerkannter Bildungsabschluss. Infor-
die weiter voranschreitende Internationa- melles Lernen schließlich umfasst alle
Reinhard Pollak
lisierung verschiedener Lebensbereiche absichtsvollen Lerntätigkeiten, bei denen
WZB
machen die Teilhabe am beruflichen und es keine klare Lehrenden / Lernenden-­
gesellschaftlichen Leben anspruchsvoller. Beziehung und keine klare Kursstruktur
WZB / SOEP Das einst erlernte Wissen reicht in vielen gibt, etwa beim Lesen von Fachbüchern,
Bereichen nicht mehr aus, um mit den ge- beim Austausch mit Kolleginnen und
stiegenen Anforderungen Schritt halten Kollegen oder bei der Nutzung von Lern-
zu können. Der Schlüssel für eine erfolg- programmen.
reiche gesellschaftliche Teilhabe liegt in Auch in Deutschland wird diese Un-
einer kontinuierlichen Weiterbildung be- terscheidung zwischen formalem Lernen,
ziehungsweise im lebenslangen Lernen. nonformalem Lernen und informellem
Dies gilt aufgrund der gestiegenen Le- Lernen zunehmend wichtiger in der Be-
benserwartung mehr denn je auch für richterstattung zu Weiterbildung. Daher
Menschen jenseits des Rentenalters. Doch werden im Folgenden diese drei Lernfor-
wie viele Menschen in Deutschland neh- men für Erwachsene dargestellt.
men an Weiterbildung teil? Welche Per- Die Bildungsbeteiligung von Erwach-
sonen bilden sich häufig weiter, welche senen erfolgt in sehr unterschiedlichen
mitunter gar nicht? Aus welchen Grün- Kontexten, unter anderem in Betrieben,
den nehmen die Menschen an Weiterbil- Meisterschulen, Hochschulen, Volkshoch-
dung teil und wer bietet sie an? Bevor in schulen oder bei privaten Weiterbildungs-
diesem Kapitel auf die einzelnen Ent- anbietern. Die Erfassung von Weiterbil-
wicklungen eingegangen wird, gilt es zu- dungsaktivitäten kann daher – anders als
nächst zu klären, was überhaupt unter bei der Erstausbildung – nicht über Bil-
Weiterbildung und lebenslangem Lernen dungsstatistiken von Schulen oder Hoch-
verstanden wird. schulen erfolgen. Üblicherweise werden
In Deutschland wird Weiterbildung in Bevölkerungsumfragen die Menschen
oft verstanden als »die Fortsetzung oder direkt danach gefragt, ob sie in den ver-
Wiederaufnahme organisierten Lernens gangenen zwölf Monaten an formalem,
nach Abschluss einer unterschiedlich nonformalem oder informellem Lernen
ausgedehnten ersten Bildungsphase und teilgenommen haben. Für Deutschland
in der Regel nach Aufnahme einer Er- gibt es diesbezüglich zwei wichtige Da-
werbs- oder Familientätigkeit« (Definiti- tenquellen: Der Adult Education Survey
on Kultusministerkonferenz 2001). Im ist eine repräsentative, im zweijährigen
internationalen Kontext hat sich die Un- Rythmus durchgeführte Befragung, die
terscheidung in drei verschiedene Lern- auch in anderen europä­ischen Ländern
aktivitäten durchgesetzt: Formales Ler- durchgeführt wird. Dieser Datensatz ist
nen meint Lernaktivitäten im Rahmen eine gute Grundlage, um Aussagen über
des üblichen Bildungssystems, an deren Trends in der Weiterbildungsbeteiligung
Ende eine formale Qualifikation steht, der Bevölkerung treffen zu können. Das
etwa ein Schul- oder Berufsabschluss Nationale Bildungspanel (NEPS) befragt
oder ein Meister- oder Technikerabschluss jährlich immer wieder die gleichen Per-
(abschlussbezogene Fortbildungen). Non- sonen. Der Vorteil hierbei ist, dass man
formales Lernen findet außerhalb von das individuelle Weiterbildungsverhalten
Schulen und Hochschulen statt. Es gibt von Menschen über lange Zeit beobach-
dabei aber eine klar strukturierte Bezie- ten kann und somit mehr über Gründe
hung zwischen Lehrenden und Lernen- und Erträge von lebenslangem Lernen er-
den. Beispiele sind Kurse und Lehrgänge, fährt.

124
Weiterbildung / 3.2 Bildung / 3

3.2.1 Teilnahme an Weiterbildung gruppen: 56 % der Erwerbstätigen nahmen u Abb 1 Beteiligung von 25- bis

Wie viele Personen nehmen an Weiterbil- mindestens einmal im Jahr an einem Kurs 64-Jährigen an formalem und
dung in Deutschland teil? Die Auswer- oder Lehrgang teil. Hingegen nahmen nonformalem Lernen in Deutschland
tungen des Adult Education Survey zeigen, Arbeitslose oder Nichterwerbspersonen 2012 – 2016 — in Prozent
dass jährlich etwas über die Hälfte der 25- (das heißt nicht arbeitend und nicht aktiv
bis 64-Jährigen in Deutschland an forma- arbeitsuchend) mit 27 % beziehungsweise
lem und /oder nonformalem Lernen teil- 29 % nur halb so oft an nonformaler 50 51 52 50
52
nimmt (52 % im Jahr 2016). Sehr auffällig Weitbildung teil wie Erwerbstätige. Ein 48

ist, dass in der hier dargestellten Alters- Grund hierfür ist, dass Kurse und Lehr-
spanne das nonformale Lernen bei Wei- gänge häufig über den Arbeitgeber ange-
tem das formale Lernen übersteigt, das boten werden. Das bedeutet aber auch,
heißt, die Weiterbildung in allererster Li- dass Arbeitslose und Nichterwerbsperso-
nie über Kurse und Lehrgänge und nicht nen, denen Weiterbildung vermutlich viel
über zusätzliche Bildungszertifikate ge- für den Wiedereinstieg in den Arbeits-
schieht. Bei den 25- bis 64-Jährigen markt bringen würde, nur bedingt Zu-
strebten 2016 nur 3 % einen weiteren Bil- gang zu denjenigen Kursen und Lehrgän- 4 4 3
dungs- oder Berufsabschluss an. Dieser gen haben, die für Arbeitgeber relevant
Anteil ist nahezu unverändert über die sind. u Tab 1 2012 2014 2016
Zeit, ein Trend zu mehr formalem Lernen Ähnlich deutlich sind die Unterschie- formales Lernen
ist nicht zu erkennen. Beim nonformalen de nach dem höchsten beruflichen Ab- nonformales Lernen
Bildungsbeteiligung formal /nonformal
Lernen ist ebenfalls kein Trend erkenn- schluss. Während ungefähr zwei Drittel
bar, jeweils rund 50 % der Befragten be- (68 %) der Menschen mit Hochschulab- Quelle: Friederike Behringer/Gudrun Schönfeld,
Bildungsbeteiligung Erwachsener, in: Frauke Bilger/
richteten, in den letzten zwölf Monaten schluss in den vergangenen zwölf Mona- Friederike Behringer/Harm Kuper/Josef Schrader
(Hrsg.), Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2016.
Kurse, Lehrgänge oder Seminare besucht ten an Kursen oder Lehrgängen teilge- Ergebnisse des Adult Education Survey (AES),
Wiesbaden 2017.
zu haben. Für informelles Lernen sind nommen hatten, tat dies nur ein Drittel
die Zahlen des Adult Education Survey der Menschen ohne Berufsabschluss
über die Zeit nicht vergleichbar. Im Jahr (34 %). Bei Personen mit abgeschlossener
2016 gaben von den 25- bis 64-jährigen Lehre war es knapp die Hälfte (46 %).
Befragten 43 % an, dass sie sich an infor- Weitergehende Analysen mit den Daten
mellen Lernaktivitäten beteiligt hätten. des Nationalen Bildungspanels zeigen, haben als Menschen ohne Migrationshin-
Häufig waren dies Menschen, die auch dass dieser Vorsprung von Menschen mit tergrund, wirken zum Teil die gleichen
über formale oder nonformale Lernakti- hohen Bildungsabschlüssen in erster Mechanismen über den Beruf. Der Unter-
vitäten berichteten. u Abb 1 ­L inie mittelbar über den ausgeübten Be- schied nimmt jedoch über die Zeit hin-
Wie ungleich ist die Weiterbildungs- ruf zustande kommt. Personen mit hohen weg leicht ab.
teilnahme in der Bevölkerung verteilt? Abschlüssen üben Berufe aus, die viel Die früher häufig gefundenen und dis-
Gibt es Unterschiede nach Geschlecht, Weiterbildung erfordern (zum Beispiel kutierten Unterschiede im Weiterbil-
Alter, Bildung und Erwerbsstatus sowie Ärztinnen und Ärzte, Juristinnen und Ju- dungsverhalten zwischen Männern und
zwischen Ost- und Westdeutschland? risten, Steuerberaterinnen und -berater Frauen einerseits und zwischen Ost und
Wegen der zahlenmäßig besonderen oder Lehrerinnen und Lehrer). Dagegen West andererseits haben sich bereits vor
­B edeutung von nonformalem Lernen haben Menschen ohne oder mit einem einiger Zeit eingeebnet. Im Jahr 2016 wa-
werden im Folgenden vor allem Ergeb­ niedrigen Abschluss eher Berufe, in de- ren die Unterschiede praktisch nicht mehr
nisse für diese Form der Weiterbildung nen sehr wenig Weiterbildung angeboten existent. Dagegen findet man weiterhin
dargestellt. Hierfür werden Ergebnisse wird, unter anderem in der Gastronomie deutliche Unterschiede in der Weiterbil-
für alle Erwachsenen im Alter von 18 bis oder im Reinigungsgewerbe. dungsbeteiligung nach Alter. Am häufigs-
64 Jahren gezeigt. Für Menschen mit und ohne Migrati- ten nahmen Menschen zwischen 30 und
In der erwachsenen Bevölkerung bis onshintergrund findet man ebenfalls merk- 49 Jahren an Weiterbildung teil (54 % bis
64 Jahre berichtete 2016 jeder Zweite über liche Unterschiede. Menschen mit Migra- 56 % im Jahr 2016). Für jüngere Menschen
eine nonformale Lernaktivität in den ver- tionshintergrund nahmen in Deutschland sind die R­ aten etwas niedriger, da viele
gangenen zwölf Monaten. Deutliche Un- seltener an nonformaler Weiterbildung noch in Ausbildung oder Studium sind
terschiede gab es im Ausmaß der Beteili- teil. Da diese Menschen häufig einen (46 % bis 48 %). Im gehobenen Alter (60 bis
gung zwischen verschiedenen Erwerbs- ­geringeren formalen Bildungsabschluss 64 Jahre) lag die Weiterbildungsbeteili-

125
3 / Bildung 3.2 / Weiterbildung

uTab 1 Beteiligung an nonformalem Lernen für unterschiedliche nicht (nonformal) weiter. Dies betrifft
Bevölkerungsgruppen 2012 – 2016 — in Prozent auch hier vor allem Geringqualifizierte
2012 2014 2016
und tendenziell eher Männer als Frauen.
Zudem gibt es deutliche Hinweise, dass
Alle Personen (18 – 64 Jahre) 49 51 50
diese Personen über die Zeit hinweg auch
Erwerbsstatus
das Lernen selbst verlernen, also zum Teil
Erwerbstätige 56 58 56
gar nicht mehr in der Lage sind, sich
Arbeitslose 29 32 27
Wissen über Weiterbildung anzueignen.
Personen in schulischer / beruflicher Bildung 51 54 42
Es wird eine gesamtgesellschaftliche Auf-
sonstige Nichterwerbspersonen 24 25 29
gabe sein, im aktuell stattfindenden Wan-
Beruflicher Abschluss
del der Arbeitswelt diese Personengruppe
kein Berufsabschluss 37 39 34
nicht gänzlich abzuhängen.
Lehre / Berufsfachschule 44 47 46
Bei der Teilnahme an formalen und
Meister- / Fachschule 65 66 64
informellen Lernaktivitäten gibt es eben-
Hochschule / Universität 68 67 68
falls Unterschiede je nach Personengrup-
Migrationshintergrund ¹
pe. Während die Teilnahme an formalen
deutsch ohne Migrationshintergrund 52 51
53 Lernaktivitäten insbesondere von der
deutsch mit Migrationshintergrund 33 43
­Bildungsprägung des Elternhauses ab-
ausländische Staatsangehörigkeit 34 32 40
hängt, findet man bei informellen Lern­
Geschlecht
aktivi­täten ähnliche Unterschiede wie
Frauen 47 50 50
bei der Teilnahme an nonformaler Wei-
Männer 51 52 49
terbildung.
Region
Ost 53 54 51
3.2.2 Gründe für die
West 48 50 49
Weiterbildungsteilnahme
Altersgruppen
Der Adult Education Survey unterschei-
18 – 24 Jahre 49 50 46
det drei Gründe, warum Personen an
25 – 29 Jahre 50 58 48
nonformaler Weiterbildung teilnehmen:
30 – 34 Jahre 53 58 54
Bei betrieblichen Weiterbildungen findet
35 – 39 Jahre 50 54 54
die Weiterbildung in der Regel während
40 – 44 Jahre 53 53 54
der bezahlten Arbeitszeit statt oder der
45 – 49 Jahre 54 51 56
Arbeitgeber beteiligt sich finanziell an
50 – 54 Jahre 49 54 48
den Kurskosten. Bei individuellen berufs-
55 – 59 Jahre 44 42 49
bezogenen Gründen ist dies nicht der
60 – 64 Jahre 32 36 38
Fall; die Person belegt den Kurs oder
1 2014 wurde nur die Staatsbürgerschaft, nicht aber der Migrationshintergrund erhoben. Lehrgang jedoch auch hier hauptsächlich
Quelle: Frauke Bilger/Alexandra Strauß, Beteiligung an non-formaler Weiterbildung, in: Frauke Bilger/Friederike Behringer/
Harm Kuper/Josef Schrader (Hrsg.), Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2016. Ergebnisse des Adult Education Survey (AES), aus beruf lichen Gründen. Bei nicht be-
Wiesbaden 2017.
rufsbezogener Weiterbildung erfolgt die
Teilnahme eher aus privaten Gründen.
In Deutschland findet die Teilnahme
an Kursen und Lehrgängen in erster Linie
gung deutlich niedriger (38 %). Ein Grund befragt. Im Rahmen des Nationalen Bil- im betrieblichen Kontext statt. Rund 70 %
hierfür ist der vorzeitige Ausstieg aus dem dungspanels hingegen gibt es Informatio- aller nonformalen Weiterbildungsaktivitä-
Erwerbsleben; es gibt für diese Personen nen über die gleichen Personen über viele ten fanden 2016 während der Arbeitszeit
seltener die Chancen und Notwendigkei- Jahre hinweg. Dadurch kann untersucht statt und/oder der Betrieb übernahm ei-
ten für Weiterbildung. Jedoch erhöhte werden, ob es Personengruppen gibt, die nen Teil der Kosten für die Weiterbildung.
sich der Anteil für diese Altersgruppe dauerhaft nicht an Weiterbildung teil- Knapp 30 % der Weiterbildungen gingen
kontinuierlich über die Zeit, was auch mit nehmen. In der Tat hatten zwischen 2010 auf Eigeninitiativen jenseits des Betriebs
der gestiegenen Erwerbsbeteiligung im und 2016 etwa 18 % der Befragten an zurück. Hierbei waren 10 % individuell be-
Alter zusammenhängt. ­keinem Kurs oder Lehrgang teilgenom- rufsbezogen, knapp 20 % hatten eher pri-
Im Rahmen des Adult Education Sur- men. Das heißt, ein Sechstel der erwach- vate Gründe. Bei diesen Anteilen zeigt sich
vey werden Personen immer nur einmal senen Bevölkerung bildet sich dauerhaft über die letzten Jahre hinweg kein eindeu-

126
Weiterbildung / 3.2 Bildung / 3

tiger Trend. Bestenfalls kommt es zu einer 3.2.3 Anbieter von Weiterbildung von jüngeren Teilnehmerinnen und Teil-
leichten Zunahme der betrieblich beding- Den zunehmenden Bedarf an Weiterbil- nehmern. Die Struktur der Kursangebote
ten Weiterbildung über die Zeit. Man fin- dung erkennt man jedoch an den Betrie- zeigt, dass nur zu einem kleineren Teil
det bisher keine Hinweise darauf, dass ben selbst. Im Zeitverlauf nimmt der An- unmittelbar berufsrelevante Inhalte ver-
Personen zunehmend selbst und unabhän- teil der Betriebe, die Lehrveranstaltungen mittelt werden – wobei die Sprachkurse
gig vom Betrieb ihre berufliche Weiterbil- oder andere Formen der betrieblichen einen höchst bedeutenden Beitrag zur In-
dung und damit ihre beruflichen Karrie- Weiterbildung anbieten, zu. Zwischen 2005 tegration in den Arbeitsmarkt und damit
ren in die Hand nehmen. u Abb 2 und 2015 stieg der Anteil an Betrieben in die Gesellschaft leisten. Für diejenigen
Dieser Befund wird auch durch wei- von 70 % auf 77 % – es boten zuletzt also Menschen, die dauerhaft einer Weiterbil-
tergehende Analysen mit Daten des Nati- mehr als drei Viertel der Betriebe Weiter- dungsaktivität fernbleiben, scheinen aber
onalen Bildungspanels gestärkt. Je nach bildungsmöglichkeiten für ihre Beleg- auch die Volkshochschulen bisher nicht
Motivation zur Weiterbildungsteilnahme schaft an. Vor dem Hintergrund eines zu- der geeignete Anbieter von Kursen und
werden unterschiedliche Formen des Ler- nehmenden Fachkräftemangels erscheint Lehrgängen zu sein. Ob und wie es ge-
nens gewählt. Die Personen, die sich be- dies sowohl sinnvoll als auch notwendig. lingt, dieses Sechstel der erwachsenen
ruf lich deutlich verändern möchten, Allerdings spiegeln die Zahlen auch die Bevölkerung wieder an das Lernen heran-
wählen eher formale Lernaktivitäten und konjunkturelle Lage der Betriebe wider. zuführen, wird sich in den kommenden
erwerben einen weiteren Schul- oder Be- Neben den Betrieben sind Volkshoch- Jahren zeigen müssen.
rufsabschluss. Aus betrieblichen Grün- schulen die größten Anbieter von Weiter-
den werden in erster Linie nonformale bildung. Im Jahr 2016 verzeichneten die
Weiterbildungsaktivitäten (von den Be- Volkshochschulen über 9,1 Millionen
trieben) gewählt. Beruflich bedingte An- Teilnahmen an Kursen und Fahrten und
passungsweiterbildungen (zum Beispiel damit einen leichten Anstieg im Ver-
für Ärztinnen und Ärzte, Steuerberate- gleich zum Vorjahr. Die meisten Teil-
rinnen und Steuerberater) erfolgen eher nahmen gab es in den Bereichen Gesund-
informell durch Kongressbesuche oder heit und Sprache (jeweils etwa 35 % aller
Fachliteratur. Da es weder bei formalen Teilnahmen). Das Angebot der Volks-
noch bei nonformalen Lernaktivitäten hochschulen wird laut Volkshochschul-
eine Zunahme über die Zeit gibt, deutet Statistik sehr viel häufiger von Frauen als
auch nichts auf ein zunehmend individu- von Männern wahrgenommen (74 % zu
alisiertes Weiterbildungsverhalten hin. 26 %) und tendenziell eher von älteren als

Anteil an Weiterbildungsaktivitäten nach Grund der Weiterbildungsteilnahme 2012–2016 – in Prozent

u Abb 2 Anteil an Weiterbildungsaktivitäten nach Grund


der Weiterbildungsteilnahme 2012 – 2016 — in Prozent

2012 69 13 18

2014 70 13 17

2016 71 10 20

betriebliche individuelle berufsbezogene nicht berufsbezogene


Weiterbildung Weiterbildung Weiterbildung

Quelle: Frauke Bilger/Alexandra Strauß, Beteiligung an non-formaler Weiterbildung, in: Frauke Bilger/Friederike Behringer/
Harm Kuper/Josef Schrader Josef (Hrsg.), Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2016. Ergebnisse des Adult Education
Quelle: Frauke
Survey (AES), Bilger/Alexandra
Wiesbaden 2017. Strauß, Beteiligung an non-formaler Weiterbildung, in: Frauke
Bilger/Friederike Behringer/Harm Kuper/Josef Schrader Josef (Hrsg.), Weiterbildungsverhalten in
Deutschland 2016. Ergebnisse des Adult Education Survey (AES), Wiesbaden 2017.

127
4
Wirtschaft und
öffentlicher Sektor
4.1 Die deutsche Wirtschaft boomt. Auch im
Lauf des Jahres 2017 konnte sie den
lich. Damit ist sichergestellt, dass europa-
weit harmonisierte Ergebnisse für politi-
Volkswirt­ Wachstumskurs weiter fortsetzen. Aber sche und wirtschaftliche Entscheidungen
schaftliche wer stellt dieses Wachstum fest? Wie wird
es berechnet? Und was sagt es aus? Steigt
zur Verfügung stehen.
Auf die Angaben der VGR stützen
Gesamt­ mit dem Wirtschaftswachstum auch die sich Politik, Wirtschaft und Verwaltung.
rechnungen Lebensqualität?
Das wichtigste statistische Instrumen-
Sie dienen unter anderem als Grundlage
für Wachstumsprognosen, Rentenanpas-
tarium für die Wirtschaftsbeobachtung sungen und Tarifverhandlungen. Nationa-
Tanja Mucha sind die Volkswirtschaftlichen Gesamt- le Nutzer sind in erster Linie die Bundes-
rechnungen (VGR). Mit ihrer Hilfe lässt ministerien, der Sachverständigenrat zur
sich für einen bestimmten abgelaufenen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Statistisches Bundesamt
Zeitraum (Jahre und Quartale) ein mög- Entwicklung, die Wirtschaftsforschungs-
(Destatis)
lichst umfassendes, hinreichend geglie- institute, Banken sowie Wirtschaftsver-
dertes, quantitatives Gesamtbild des wirt- bände, Gewerkschaften, Universitäten
schaftlichen Geschehens in einer Volks- und Medien.
wirtschaft geben. u Info 1 International werden VGR-Ergebnisse
Die deutschen Volkswirtschaftlichen vor allem von der Europäischen Zentral-
Gesamtrechnungen folgen den Vorgaben bank (EZB), der Organisation für wirt-
des Europäischen Systems Volkswirt- schaftliche Zusammenarbeit und Ent-
schaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG). wicklung (OECD) und dem Internationa-
Dort werden unter anderem Definitionen, len Währungsfonds (IWF) genutzt. Eine
Konzepte sowie Zeitpunkt und Häufig- besondere Bedeutung haben die Ergebnis-
keit der Lieferung von VGR-Ergebnissen se für die Europäische Kommission: Das
an die europäische Statistikbehörde, das Bruttonationaleinkommen (BNE) als Teil
Statistische Amt der Europäischen Union der VGR ist Grundlage für die Berech-
(Eurostat), geregelt. Das ESVG wird in nung der EU-Eigenmittel, also der Mit-
mehrjährlichen Abständen aktualisiert; gliedsbeiträge der einzelnen Mitgliedstaa-
die aktuelle Version ESVG 2010 ist seit ten an die Europäische Union. Darüber
September 2014 rechtswirksam. Als Ver- hinaus werden VGR-Daten für die Über-
ordnung der Europäischen Union (EU) wachung und Steuerung der europäischen
hat das ESVG Gesetzescharakter und ist Wirtschafts- und Währungspolitik benötigt.
daher für alle Mitgliedstaaten verbind- So basieren die sogenannten Konvergenz-

129
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

beziehungsweise Maastricht-Kriterien, u Info 1

die für einen Beitritt zur beziehungsweise Das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen
die Teilnahme an der Europäischen Wäh- Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) erfassen die wirtschaftlichen Tätigkeiten aller
rungsunion erfüllt sein müssen, im We- Wirtschaftseinheiten, die – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – ihren ständigen Sitz im Wirt-
schaftsgebiet haben. Ein Wirtschaftsgebiet kann die gesamte Volkswirtschaft (zum Beispiel
sentlichen auf Größen der Volkswirtschaft- Deutschland) oder ein Teil davon (zum Beispiel ein Bundesland) sein. Wirtschaftseinheiten sind alle
lichen Gesamtrechnungen. Personen und Institutionen, die produzieren, konsumieren, investieren, verteilen oder finanzieren.
Sie werden zur Darstellung der Wirtschaftsstruktur zu Wirtschafts- beziehungsweise Produktions-
bereichen oder (entsprechend ihres wirtschaftlichen Verhaltens) zu sogenannten Sektoren zu­
4.1.1 Das Bruttoinlandsprodukt sammengefasst (nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften, finanzielle Kapitalgesellschaften, Staat,
Eine zentrale Größe der Volkswirtschaft- ­private Haushalte, private Organisationen ohne Erwerbszweck). Der Sektor »Übrige Welt« bezeich-
lichen Gesamtrechnungen ist das Brutto- net alle Einheiten beziehungsweise Aktivitäten außerhalb des jeweiligen Wirtschaftsgebietes.

inlandsprodukt (BIP). Es ist ein Maß Die Ergebnisse der amtlichen VGR werden in Form eines geschlossenen Kontensystems aller nach-
gewiesenen Vorgänge ermittelt. Dabei gilt das Prinzip der doppelten Buchführung: Jede Trans­
für die in einem bestimmten Zeitraum in
aktion wird mindestens zweimal gebucht, einmal auf der Entstehungs- und einmal auf der Ver­
einer Volkswirtschaft erbrachte gesamt- wendungsseite. In ergänzenden Tabellen werden die Kontenpositionen tiefer untergliedert, teilweise
wirtschaftliche Leistung. nach besonderen Gesichtspunkten zusammengefasst oder in sonstiger Hinsicht erweitert (zum
Beispiel um preisbereinigte Angaben, Angaben pro Kopf, je Stunde oder Quoten). Darüber hinaus
Bei der Berechnung stehen die Pro- werden in speziellen Input-Output-Tabellen die produktions- und gütermäßigen Verflechtungen in
duktion von Waren und Dienstleistungen der Volkswirtschaft gezeigt.
sowie die dabei entstandene Wertschöp- Für die Aufstellung der deutschen VGR werden alle geeigneten laufenden wirtschaftsstatistischen
fung im Vordergrund. Prinzipiell kann Erhebungen verwendet, die zum jeweiligen Veröffentlichungs- beziehungsweise Rechentermin
das BIP auf drei Wegen berechnet und ­vorliegen. Darüber hinaus werden administrative Daten (zum Beispiel Finanzstatistiken, Zahlen der
Bundesagentur für Arbeit), Haushaltsbefragungen, Geschäftsstatistiken und Jahresabschlüsse
dargestellt werden: u Abb 1 ­großer Unternehmen sowie Informationen von Verbänden ausgewertet. Je aktueller die Berech­
· Die Entstehungsrechnung zeigt, wie nungen sind, desto unvollständiger ist in der Regel die Datenbasis und desto höher ist der Schätz-
die wirtschaftliche Leistung von der anteil. Dies führt zu regelmäßigen Revisionen der VGR-Ergebnisse, wenn neue statistische Aus-
gangsdaten verfügbar sind, die in die Berechnungen einbezogen werden können.
Produktionsseite her entstanden ist. Sie
ermittelt die Wertschöpfung der einzel-
nen Wirtschaftsbereiche und verdeut-
licht, wie diese zum gesamtwirtschaft- u Abb 1 Bruttoinlandsprodukt
lichen Ergebnis beigetragen haben (sie-
he Abschnitt 4.1.2).
· Die Verwendungsrechnung beschreibt,
wofür das erarbeitete gesamtwirtschaft-
liche Ergebnis verwendet wurde. Es
kann konsumiert, investiert oder ex-
portiert werden. Das BIP lässt sich da-
her auch als Summe aus Konsum, In-
vestitionen und Außenbeitrag (Exporte
minus Importe) errechnen (siehe Ab-
schnitt 4.1.3).
· Die Verteilungsrechnung zeigt, welche
Einkommen im Wirtschaftsprozess ent-
standen sind und wie diese auf die Wirt-
schaftsteilnehmer verteilt wurden. Es
wird dabei nach Einkommensarten, zum
Beispiel Arbeitnehmerentgelt, Unter­
nehmens- und Vermögenseinkommen,
unterschieden (siehe Abschnitt 4.1.4). zahl der verfügbaren Arbeitstage in einem Transaktionen in tiefer Gliederung mit
Jahr Einfluss auf das Ergebnis hat. spezifischen Preisindizes aus dem gesam-
Darstellung des Das BIP in jeweiligen Preisen wird so- ten Datenangebot der Preisstatistiken de-
Bruttoinlandsprodukts wohl durch die Veränderung des Volu- flationiert (bereinigt). Das preisbereinigte
Das jährliche BIP kann in jeweiligen Prei- mens als auch durch die Preisentwicklung BIP wird auf der Grundlage einer jährlich
sen oder preisbereinigt dargestellt werden. beeinf lusst. Bei einer preisbereinigten wechselnden Preisbasis (Vorjahrespreis­
Darüber hinaus ist auch eine kalenderbe- Rechnung wird der Einfluss der Preisent- basis) berechnet und anschließend ver­
reinigte Darstellung sinnvoll, weil die An- wicklung ausgeschaltet. Dabei werden alle kettet. Diese im Jahr 2005 eingeführte

130
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Abb 2 Preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt — Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent

8,2

5,3 5,1

4,4
4,1
3,7 3,9 3,7 3,7
3,3
2,9 2,8 3,0
2,5
2,3 2,3 2,2
2,6
1,6
1,9
1,7 1,8 2,0 2,0 1,7
1,9
1,7
1,9
1,4 1,4
1,2 1,1
1,6 0,8
0,5 0,7
0,9 0,5 0,5
0,0
Durchschnitt 1950 –1960
Durchschnitt 1960 –1970
Durchschnitt 1970 –1980

– 0,4
– 0,7
– 1,0

– 5,6

1980 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Die Ergebnisse von 1950 bis 1970 (früheres Bundesgebiet) sind wegen konzeptioneller und definitorischer Unterschiede nicht voll mit den Ergebnissen von 1970 bis 1991 (früheres Bundesgebiet)
und den Angaben ab 1991 (Deutschland) vergleichbar. Die preisbereinigten Ergebnisse von 1950 bis 1970 (früheres Bundesgebiet) sind in Preisen von 1991 berechnet.
Die Ergebnisse von 1970 bis 1991 (früheres Bundesgebiet ) sowie die Angaben ab 1991 (Deutschland) werden in Preisen des jeweiligen Vorjahres als Kettenindex nachgewiesen.
Bei der VGR-Revision 2014 wurden zudem nur die Ergebnisse für Deutschland bis 1991 zurückgerechnet; Angaben vor 1991 sind unverändert geblieben.

Methode gewährleistet, dass stets die ak- markt-und Wirtschaftskrise regelrecht Produzenten ermittelt. Man spricht daher
tuellen Preisrelationen in der Rechnung einbrach und die schlimmste Rezession auch vom Produktionsansatz. Vom Wert
berücksichtigt werden. Die jährlichen der Nachkriegszeit erlebte. Im Jahr 2017 der von allen Wirtschaftseinheiten in einer
­Veränderungsraten des preisbereinigten war die konjunkturelle Lage in Deutsch- Periode produzierten Waren und Dienst-
BIP können als Maßstab der (realen) Wirt- land durch ein kräftiges Wirtschafts- leistungen (Produktionswert) wird der
schaftsentwicklung betrachtet werden. wachstum gekennzeichnet: Das preisbe- Verbrauch an Vorleistungen abgezogen
reinigte BIP war um 2,2 % höher als im und so die Bruttowertschöpfung ermittelt.
Entwicklung des Vorjahr. Im Vergleich zu den vorangegan- Vorleistungen sind Waren und Dienstleis-
Bruttoinlandsprodukts genen Jahren hat sich das Wirtschafts- tungen, die im Zuge der Produktion ver-
In Deutschland hat sich das reale BIP wachstum nochmals beschleunigt: Im braucht, verarbeitet oder umgewandelt
zwischen 1991 und 2017 im Durchschnitt Jahr 2016 war das BIP bereits deutlich um werden. Sie umfassen unter anderem Roh-,
um 1,4 % pro Jahr erhöht. In dieser Zeit 1,9 % und 2015 um 1,7 % gestiegen. u Abb 2 Hilfs- und Betriebsstoffe, Brenn- und
gab es lediglich drei sogenannte rezessive Treibstoffe sowie Reparaturleistungen.
Jahre, in denen das reale BIP im Ver- 4.1.2 Die Entstehungsrechnung Die Bruttowertschöpfung eignet sich
gleich zum Vorjahr gesunken ist: 1993 des Bruttoinlandsprodukts besonders, um die Wirtschaftskraft ver-
(– 1,0 %), 2003 (– 0,7 %) sowie zuletzt 2009 Im Rahmen der Entstehungsrechnung schiedener Wirtschaftsbereiche zu verglei-
(– 5,6 %), als die deutsche Wirtschaft wird die wirtschaftliche Leistung einer chen. Die Grundlage für ihre Berechnung
durch die Folgen der weltweiten Finanz- Volkswirtschaft aus dem Blickwinkel der bilden die einzelnen Wirtschaftseinheiten,

131
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

die zu Wirtschaftsbereichen zusammen- u Tab 1 Ergebnisse der Entstehungsrechnung nach Wirtschaftsbereichen 2017
gefasst werden. Die Wirtschaftsbereiche Bruttowert-
Produktionswert Vorleistungen
sind entsprechend der jeweils gültigen schöpfung
Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ)
in jeweiligen Preisen, in Milliarden Euro
gegliedert. In den Volkswirtschaftlichen
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 54,4 33,7 20,7
Gesamtrechnungen wird die WZ 2008
Produzierendes Gewerbe ohne ­B augewerbe 2 127,9 1 372,8 755,1
verwendet. In tiefer Gliederung werden
 Verarbeitendes Gewerbe 1 925,3 1 250,9 674,3
Angaben nach bis zu 64 Wirtschaftsberei-
Baugewerbe 307,5 161,9 145,5
chen veröffentlicht.
Handel, Verkehr, Gastgewerbe 931,4 456,9 474,6
Information und Kommunikation 266,4 127,9 138,5
Verschiebungen in der
Finanz- und Versicherungsdienstleister 261,6 150,5 111,1
Wirtschaftsstruktur
Grundstücks- und Wohnungswesen 409,6 92,2 317,4
Anhand der nominalen Bruttowert­schöp­
fung der zusammengefassten Wirtschafts- Unternehmensdienstleister 543,5 220,3 323,2

bereiche lässt sich die Struktur der Wirt- Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit 774,7 238,5 536,2

schaft und ihre Veränderung im Zeitverlauf Sonstige Dienstleister 168,9 50,0 118,8

darstellen: Während das Produzierende Alle Wirtschaftsbereiche 5 845,9 2 904,6 2 941,3

Gewerbe (ohne Baugewerbe) in Deutsch- preisbereinigt, verkettet, Veränderung zum Vorjahr in %


land 1991 noch knapp ein Drittel der ge- Land- und Forstwirtschaft, Fischerei – 1,4 – 1,5 – 1,2
samten nominalen Wertschöpfung (31 %) Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe 2,7 2,6 2,7
produzierte, war es 2017 nur noch gut ein  Verarbeitendes Gewerbe 2,9 2,9 3,0
Viertel (26 %). Dagegen wurden im Jahr Baugewerbe 2,5 2,7 2,3
2017 rund 69 % der gesamtwirtschaftlichen Handel, Verkehr, Gastgewerbe 3,0 3,0 2,9
Bruttowertschöpfung von den Dienst­ Information und Kommunikation 3,7 3,6 3,9
leistungsbereichen erbracht. Im Jahr 1991 Finanz- und Versicherungsdienstleister – 0,2 – 0,3 – 0,1
waren es etwa 62 %. u Tab 1, Abb 3 Grundstücks- und Wohnungswesen 1,1 0,9 1,1
Die Zahlen verdeutlichen, wie weit Unternehmensdienstleister 2,4 2,4 2,4
die sogenannte Tertiarisierung der deut-
Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit 2,3 2,6 2,2
schen Wirtschaft – also der Strukturwan-
Sonstige Dienstleister 1,0 0,4 1,3
del von einer Industrie- zu einer Dienst-
Alle Wirtschaftsbereiche 2,4 2,4 2,3
leistungsgesellschaft – seit der deutschen
Vereinigung fortgeschritten ist. Bei der
Interpretation der Zahlen ist allerdings u Tab 2 Ableitung des Bruttoinlandsprodukts, in jeweiligen Preisen

zu berücksichtigen, dass sich die Gewich- — in Milliarden Euro


te zwischen den Wirtschaftsbereichen 2014 2015 2016 2017
zum Beispiel durch Auslagerungsprozesse
Produktionswert 5 367,1 5 497,8 5 602,5 5 845,9
oder den Einsatz von Leiharbeiterinnen
– Vorleistungen 2 727,3 2 757,6 2 770,6 2 904,6
und -arbeitern (der zum Wirtschaftsbe-
= Bruttowertschöpfung 2 639,8 2 740,2 2 831,9 2 941,3
reich der Unternehmensdienstleister
zählt) verschieben können. + Gütersteuern 299,4 311,0 319,3 329,3

Aus der Summe der Bruttowertschöp- – Gütersubventionen 6,8 7,6 7,2 7,3

fung aller Wirtschaftsbereiche ergibt sich = Bruttoinlandsprodukt 2 932,5 3 043,7 3 144,1 3 263,4

das BIP, indem die Gütersteuern hinzu-


gefügt und die Gütersubventionen abge-
zogen werden. Letzteres ist notwendig,
weil die Bruttowertschöpfung (und die sind solche Abgaben beziehungsweise der Verwendungsseite her gleich ist,
Produktionswerte) der Wirtschaftsberei- Zuschüsse, die mengen- oder wertabhän- schließt es die Nettogütersteuern ein.
che ohne die auf den Gütern lastenden gig von den produzierten Gütern sind Aus diesem Grund müssen die Gütersteu-
Steuern (Gütersteuern), aber einschließ- (zum Beispiel Tabak-, Mineralöl- oder ern abzüglich der Gütersubventionen der
lich der empfangenen Gütersubventionen Mehrwertsteuer). Bruttowertschöpfung (zu Herstellungs-
dargestellt wird (Konzept zu Herstellungs- Damit das BIP (zu Marktpreisen) so- preisen) hinzugefügt werden, um das BIP
preisen). Gütersteuern und -subventionen wohl von der Entstehungs- als auch von zu errechnen. u Tab 2

132
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Abb 3 Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen — in Prozent

1991 Land- und 2017 Land- und


Forstwirtschaft, Forstwirtschaft,
Fischerei Fischerei

1,2 0,7

Produzierendes Produzierendes
Gewerbe ohne Gewerbe ohne
Dienstleistungen Dienstleistungen
Baugewerbe Baugewerbe
61,9 30,9 68,7 25,7
BWS BWS
1 437,0 2 941,3
Milliarden Milliarden Baugewerbe
Euro Euro
4,9
Baugewerbe

6,0

BWS = Bruttowertschöpfung.

Wirtschaftliche Entwicklung wiederherstellen. Schließlich sind im Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission vom


und Wohlfahrtsmessung BIP ebenso nicht die in privaten Haus- September 2009 enthaltenen Empfeh-
Das Bruttoinlandsprodukt ist eine halten erbrachten unentgeltlichen Ver- lungen und die Ergebnisse der En-
Größe zur Messung der Wirtschafts- sorgungs-, Erziehungs- oder Pf lege­ quete-Kommission des Deutschen
leistungen einer Volkswirtschaft. Die leistungen sichtbar, die nicht über den Bundestages »Wachstum, Wohlstand,
in ihm erfasste Güterversorgung liefert Markt vermittelt werden, sowie ehren- Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem
einen wesentlichen Beitrag für die amtliches Engagement der Bürgerin- Wirtschaften und gesellschaft­lichem
­B etrachtung des materiellen Wohl- nen und Bürger (siehe Unbezahlte Ar- Fortschritt in der Sozialen Marktwirt-
standes. Andererseits erfasst das BIP beit, Seite 136). schaft«. In ihrem Abschlussbericht
nicht die unbezahlte Arbeit der priva- Um solche Felder besser zu be- vom Juni 2013 hat die Enquete-Kom-
ten Haushalte, die ökologische Nach- leuchten, werden verschiedene Daten mission einen Indikatorensatz mit
haltigkeit und die soziale Entwicklung. herangezogen. Notwendig sind Indi- zehn Leitindikatoren und weiteren
So sagt das BIP nichts über die Vertei- katoren, die sowohl die sozialen und ­Zusatzindikatoren vorgeschlagen, um
lung des Wohlstandes auf gesellschaft- ökologischen Verbesserungen (bei- den wirtschaftlichen, gesellschaft­
liche Gruppen und Individuen aus. spielsweise besserer sozialer Zusam- lichen und ökologischen Fortschritt
Auch durch wirtschaftliche Aktivitä- menhalt, Erschwinglichkeit von laufend zu erfassen. Auf internatio­
ten ausgelöste Schäden oder Beein- grundlegenden Gütern und Diensten, naler Ebene wurden unter dem Dach
trächtigungen der Umwelt (sogenann- besserer Bildungsstand, steigende Le- der Vereinten Nationen im Jahr 2015
te externe Kosten) werden durch das benserwartung sowie höhere Luft- ein Indikatorensystem mit insgesamt
BIP zumeist nicht oder nicht ausrei- und Wasserqualität) als auch deren 17 »Sustainable Development Goals«
chend abgebildet. Vielmehr erhöhen Verschlechterung (wie zunehmende Ar- (Ziele nachhaltiger Entwicklung) bezie-
wirtschaftliche Aktivitäten zur Be­ mut, steigende Kriminalität, Klimaver- hungsweise 169 »Targets« (Zielgrößen)
seitigung von Schäden durch haus­ änderungen, erschöpfte Naturressour- und dazugehörige Indikatoren ausge-
gemachte Umweltzerstörungen oder cen, verseuchte Böden) anzeigen. arbeitet.
durch Naturkatastrophen und Unfälle In den letzten Jahren wurden eini-
das BIP, obwohl sie bestenfalls das zu- ge Vorschläge hierzu gemacht. Dazu
vor schon erreichte Wohlstandsniveau zählen die im Bericht der sogenannten

133
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

u Info 2^ u Tab 3 Ergebnisse der Verwendungsrechnung


Ansätze der Verwendungsrechnung
2014 2015 2016 2017
Zur Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts
über die Verwendungsseite kommen grund- in jeweiligen Preisen, in Milliarden Euro
sätzlich drei Ansätze in Betracht: Die Käufer
Konsumausgaben 2 157,1 2 217,5 2 289,8 2 370,7
beziehungsweise Verwender der Güter
­können nach ihren Ausgaben gefragt werden. Private Haushalte 1 540,6 1 577,2 1 619,1 1 675,4
Es ist aber auch möglich, die Produzenten
Private Organisationen
der Waren und Dienstleistungen über ihre 52,6 53,3 55,3 57,4
ohne Erwerbszweck
Lieferungen an Konsumenten, Investoren
und die übrige Welt zu befragen. Schließlich Staat 563,9 587,1 615,4 637,9
können mithilfe der Güterstrommethode + Bruttoinvestitionen 572,3 582,8 603,6 645,5
die Verwendungsstrukturen für Waren und
Bruttoanlageinvestitionen 586,6 604,3 630,0 663,1
Dienstleistungen geschätzt werden. Theore-
tisch führen diese drei Ansätze zum gleichen Ausrüstungen 191,7 200,8 205,8 214,6
Ergebnis, sodass die Entscheidung darüber,
Bauten 289,7 291,0 304,5 323,0
welcher Weg in der Praxis beschritten wird,
vor allem von den statistischen Gegeben­ Sonstige Anlagen 105,1 112,5 119,7 125,4
heiten und den Nutzer­a nforderungen an die Vorratsveränderungen und
Aktualität abhängt. – 14,2 – 21,5 – 26,4 – 17,5
Nettozugang an Wertsachen

= Inländische Verwendung 2 729,5 2 800,3 2 893,4 3 016,2


+ Außenbeitrag 203,0 243,3 250,6 247,2
u Abb 4 Struktur der Verwendung 2017 —
Exporte 1 340,3 1 426,7 1 450,0 1 541,5
in Prozent des Bruttoinlandsprodukts
abzüglich: Importe 1 137,3 1 183,4 1 199,4 1 294,3
= Bruttoinlandsprodukt 2 932,5 3 043,7 3 144,1 3 263,4
Private
Konsum- preisbereinigt, verkettet, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
Außenbeitrag ausgaben Konsumausgaben 1,1 2,0 2,5 1,7
7,6 53,1 Private Haushalte 0,9 1,8 2,1 1,8

Private Organisationen
1,2 – 0,1 2,5 0,5
ohne Erwerbszweck
Konsum-
ausgaben Staat 1,5 2,9 3,7 1,5
des Staates Bruttoinvestitionen 2,1 0,2 2,1 4,3
19,5 Bruttoanlageinvestitionen 3,7 1,5 3,1 3,3
BIP
3 263,4 Ausrüstungen 5,9 3,9 2,2 4,0
Milliarden
Euro Bauten 2,3 – 1,4 2,7 2,7
Sonstige Anlagen 4,0 5,5 5,5 3,5

Vorratsveränderungen und
X X X X
Nettozugang an Wertsachen

Inländische Verwendung 1,3 1,6 2,4 2,2


Brutto-
investitionen Außenbeitrag X X X X

19,8 Exporte 4,6 5,2 2,6 4,6


abzüglich: Importe 3,6 5,6 3,9 5,2
Bruttoinlandsprodukt 1,9 1,7 1,9 2,2

X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.

4.1.3 Die Verwendungsrechnung Verwendungsstruktur des anlageinvestitionen und den Vorratsver-


des Bruttoinlandsprodukts Bruttoinlandsprodukts änderungen bestehen. u Abb 4
Die Verwendungsrechnung, auch Ausga- Das BIP setzt sich aus der inländischen In den vergangenen Jahren entfiel in
benansatz genannt, zeigt als zweite Säule Verwendung und dem Außenbeitrag zu- Deutschland jeweils über die Hälfte des
der Inlandsproduktberechnung, wie die sammen. Die inländische Verwendung nominalen BIP auf die privaten Konsum-
inländischen Waren und Dienstleistungen umfasst die privaten und staatlichen ausgaben. Darunter wird im Wesentlichen
verwendet werden. Sie können konsumiert, Konsumausgaben sowie die Bruttoinves- der Kauf von Waren und Dienstleistun-
investiert oder exportiert werden. u Info 2 titionen, die wiederum aus den Brutto- gen durch inländische private Haushalte

134
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Tab 4 Ergebnisse der Verteilungsrechnung über die entstandenen ebenfalls auf knapp ein Fünftel. Dazu ge-
und verteilten Einkommen — in Milliarden Euro hören die Aufwendungen des Staates für
2014 2015 2016 2017 allgemeine Verwaltungsleistungen, Sicher-
Bruttonationaleinkommen 2 990,4 3 099,8 3 197,2 3 323,6
heit, Bildung, Gesundheitswesen und
+ Primäreinkommen an die
Ähnliches, soweit sie der Allgemeinheit
130,8 135,0 135,0 132,1
übrige Welt ohne ein zu entrichtendes Entgelt zur
– Primäreinkommen aus der
188,7 191,2 188,1 192,4
Verfügung gestellt werden.
übrigen Welt
Zur Nachfrageseite des BIP gehört ne-
= Bruttoinlandsprodukt 2 932,5 3 043,7 3 144,1 3 263,4
ben der inländischen Verwendung auch
+ Gütersubventionen 6,8 7,6 7,2 7,3
der Außenbeitrag. Er stellt den Saldo aus
– Gütersteuern 299,4 311,0 319,3 329,3 Exporten und Importen von Waren und
= Bruttowertschöpfung 2 639,8 2 740,2 2 831,9 2 941,3 Dienstleistungen an die beziehungsweise
– Abschreibungen 520,6 536,1 552,3 572,2 aus der übrigen Welt dar. Die Bundes­
= Nettowertschöpfung 2 119,2 2 204,1 2 279,7 2 369,1 republik Deutschland hat eine stark
+ Sonstige Subventionen 25,0 24,1 26,1 25,8 export­a bhängige Wirtschaft: Seit dem
– Sonstige Jahr 1993 wurden stets Exportüberschüs-
20,1 21,8 22,3 21,9
Produktionsabgaben
se erzielt, wovon entsprechend positive
– Arbeitnehmerentgelt
(Inland)
1 482,8 1 540,2 1 598,2 1 666,9 Impulse für das Wirtschaftswachstum
= Betriebsüberschuss/Selbst-
ausgingen. u Tab 3
641,3 666,2 685,3 706,0
ständigeneinkommen
4.1.4 Die Verteilungsrechnung des
Bruttoinlandsprodukts
u Tab 5 Ergebnisse der Verteilungsrechnung über die
Die Verteilungsrechnung stellt – neben
empfangenen Einkommen — in Milliarden Euro
der Entstehungs- und Verwendungsrech-
2014 2015 2016 2017 nung – einen dritten Weg dar, um das
Bruttoinlandsprodukt 2 932,5 3 043,7 3 144,1 3 263,4 Bruttoinlandsprodukt (BIP) und das
– Primäreinkommen an die Bruttonationaleinkommen (BNE) zu er-
130,8 135,0 135,0 132,1
übrige Welt
mitteln. Anders als bei den anderen bei-
+ Primäreinkommen aus der
188,7 191,2 188,1 192,4 den Berechnungsarten knüpft die Vertei-
übrigen Welt
= Bruttonationaleinkommen 2 990,4 3 099,8 3 197,2 3 323,6 lungsrechnung nicht an der Güterseite an,
– Abschreibungen 520,6 536,1 552,3 572,2 sondern an der Entlohnung der Produk-
= Nettonationaleinkommen 2 469,8 2 563,7 2 644,9 2 751,4 tionsfaktoren Arbeit und Kapital. Ausge-
+ Subventionen des Staates 26,4 27,0 27,8 27,8 hend von den Einkommensarten wird
– Produktions- und Import­-
314,9 325,7 334,7 344,5
das BIP beziehungsweise das BNE im
abgaben an den Staat
Rahmen der Verteilungsrechnung entwe-
= Volkseinkommen 2 181,3 2 264,9 2 338,0 2 434,7
der über die im Inland entstandenen (ge-
– Arbeitnehmerentgelt
der ­Inländer
1 485,1 1 542,3 1 600,3 1 668,9 leisteten beziehungsweise gezahlten) Ein-
= Unternehmens- und
kommen oder über die von Inländern
696,2 722,6 737,7 765,8
Vermögenseinkommen empfangenen Einkommen aus Produk­
tionstätigkeit berechnet. u Tab 4, Tab 5
In der Bundesrepublik Deutschland ist
eine eigenständige und in sich geschlossene
Verteilungsrechnung nicht möglich, weil
über den Betriebsüberschuss beziehungs-
verstanden. Dazu zählen beispielsweise Knapp ein Fünftel des nominalen BIP weise über die Unternehmenseinkommen
die Ausgaben für Lebensmittel, Bekleidung wird investiert und erhöht damit den Be- nur lückenhafte basisstatistische Informa-
und Haushaltsgeräte, für Wohnungsmie- stand an Anlagen (Ausrüstungen, Bauten, tionen vorliegen. Diese Größen werden
ten und Energie sowie für Freizeit und sonstige Anlagen einschließlich For- daher als Saldengrößen aus dem gesamt-
Unterhaltung. Die Konsumausgaben der schung und Entwicklung) oder verändert wirtschaftlichen Kreislauf abgeleitet.
privaten Organisationen ohne Erwerbs- die Vorrats- und Wertsachenbestände. Der umfassendste Einkommensbe-
zweck sind ebenfalls Teil der privaten Kon- Der Anteil der Konsumausgaben des griff der Volkswirtschaftlichen Gesamt-
sumausgaben. Staates am nominalen BIP beläuft sich rechnungen ist das Bruttonationalein-

135
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

uTab 6 Arbeitnehmerentgelt, Löhne und Gehälter der Inländer kommen (BNE). Das BNE ist an die Stelle
— in Milliarden Euro des früher benutzten Begriffs des Brutto-
2014 2015 2016 2017
sozialprodukts (BSP) getreten und stimmt
mit diesem konzeptionell überein. Das
Arbeitnehmerentgelt
der Inländer
1 485,1 1 542,3 1 600,3 1 668,9 BNE errechnet sich, indem vom BIP die
– Sozialbeiträge der Arbeitgeber 272,4 281,5 288,9 299,4
Primäreinkommen abgezogen werden,
die an die übrige Welt geflossen sind, und
= Bruttolöhne und -gehälter 1 212,7 1 260,8 1 311,5 1 369,5
umgekehrt die Primäreinkommen hin­
–S
 ozialbeiträge der Arbeit-
nehmer
209,3 217,1 227,8 238,3 zugefügt werden, die inländische Wirt-
schaftseinheiten von der übrigen Welt be-
– Lohnsteuer der Arbeitnehmer 196,6 207,1 214,6 225,2
zogen haben. Es hat insbesondere als
= Nettolöhne und -gehälter 806,9 836,6 869,1 906,0
Grundlage für die Berechnung der EU-Ei-
genmittel eine herausragende Bedeutung.
Eine wichtige Größe der Verteilungs-
rechnung ist das Volkseinkommen. Es ist
die Summe der Erwerbs- und Vermögens­
einkommen, die die inländischen Wirt-
schaftseinheiten in einer bestimmten
Unbezahlte Arbeit nicht Stundenlohnsatz von 9,25 Euro – dem ­Periode empfangen haben. Das Volksein-
im BIP enthalten im Jahr 2013 tatsächlich gezahlten kommen setzt sich aus dem Arbeitnehmer­
Das BIP erfasst nur die Wertschöp- durchschnittlichen Nettostundenlohn entgelt der Inländer und den Unterneh-
fung aus bezahlter Arbeit. Die unbe- von Haushaltshilfen – ergibt einen mens- und Vermögenseinkommen zu-
zahlte Arbeit wird mit ganz wenigen Wert der unbezahlten Arbeit von sammen.
Ausnahmen, wie der Produktion in 826 Milliarden Euro. Dieser Wert ist Das Arbeitnehmerentgelt umfasst ne-
Haus- und Kleingärten, nicht berück- höher als die Summe der tatsächlich ben den Bruttolöhnen und -gehältern
sichtigt. Jedoch ist die unbezahlte gezahlten Nettolöhne und -gehälter im auch die Sozialbeiträge der Arbeitgeber
­A rbeit unverzichtbar für das gesell- Jahr 2013 (778 Milliarden Euro). und Arbeitnehmer sowie deren Lohn-
schaftliche und persönliche Wohlbe- Das Einbeziehen der unbezahlten steuer. Im Jahr 2017 entfielen 18 % des
finden wie auch für die materielle Arbeit in das BIP ist allerdings nicht Arbeitnehmerentgelts auf die Sozialbei-
Versorgung der Haushalte mit Waren sinnvoll. Zum einen ist das BIP vor träge der Arbeitgeber und 28 % auf die
und Dienstleistungen. Häufig ist be- allem ein Maß für die wirtschaftliche Abzüge der Arbeitnehmer, die sich etwa je
zahlte Arbeit nur möglich, wenn an Entwicklung und weniger ein Maß für zur Hälfte aus Sozialabgaben und Lohn-
anderer Stelle Tag für Tag vielfältige die Betrachtung der Wohlfahrt einer steuer zusammensetzten. In gesamtwirt-
unbezahlte Tätigkeiten im Haushalt, Gesellschaft. Die aus dem BIP und schaftlicher Betrachtung blieben 2017
beim Betreuen von Kindern, von Pfle- seinen Komponenten abgeleiteten vom Arbeitnehmerentgelt etwa 54 % als
gebedürftigen oder im Ehrenamt er- Analysen dienen beispielsweise der Nettolöhne und -gehälter bei den Arbeit-
bracht werden. Konjunkturbetrachtung, der Prognose nehmerinnen und Arbeitnehmern. Im
Die Messung der unbezahlten Ar- künftiger Steuereinnahmen und der Jahr 1991 waren es noch knapp 58 %. u Tab 6
beit basiert auf dem Erfassen und Be- Analyse längerfristiger wirtschaftli-
werten der für sie aufgewendeten Zeit. cher Entwicklungen wie der Produk- 4.1.5 Gesamtwirtschaftliche Quoten
Aus den Ergebnissen der letzten Zeit- tivitäts- und der Einkommensent- Das Arbeitnehmerentgelt pro Kopf be­
verwendungsstudie aus dem Jahr 2013 wicklung. Zum anderen ist insbeson- ziehungsweise je geleisteter Arbeitneh-
(siehe auch Kapitel 12.1 des Datenre- dere die Bewertung der unbezahlten merstunde ist ein wichtiges Maß für
ports 2016) geht hervor, dass die priva- Arbeit nur modellmäßig möglich, da die Kosten des Faktors Arbeit in einer
ten Haushalte für die unbezahlte keine tatsächlichen Löhne gezahlt Volkswirtschaft. Als Maß für das durch-
­A rbeit insgesamt 35 % mehr an Zeit werden. Für Analysezwecke reicht es schnittliche Einkommen werden häufig
aufgewendet haben als für die bezahlte daher aus, die unbezahlte Arbeit in die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit-
Erwerbsarbeit. Der Vergleich mit Ma- mehrjährigen Abständen – bisher alle nehmerin beziehungsweise Arbeitnehmer
krogrößen der Volkswirtschaftlichen zehn Jahre – zu erfassen und ange- oder je geleisteter Arbeitnehmerstunde
Gesamtrechnungen erfordert eine mo- lehnt an die Methoden der Volkswirt- herangezogen. Eine andere vielfach ge-
netäre Bewertung der aufgewendeten schaftlichen Gesamtrechnungen zu nutzte gesamtwirtschaftliche Quote ist
Zeit. Schon eine Bewertung mit einem bewerten. die Arbeitsproduktivität, also das (preis-

136
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Tab 7 Arbeitsproduktivität, Durchschnittslöhne und


Lohnstückkosten im Inland

Arbeitsproduktivität 1 Arbeitnehmerentgelt Bruttolöhne und -gehälter Lohnstückkosten 2

je geleisteter je je geleisteter je je geleisteter


je Erwerbs- Personen- Stunden-
Erwerbstätigen- Arbeitnehmer Arbeitnehmer- Arbeitnehmer Arbeitnehmer-
tätigen konzept konzept
stunde monatlich stunde monatlich stunde
Index (2010 = 100) in Euro Index (2010 = 100)

2014 102,57 104,28 3 230 29,83 2 636 24,34 107,67 106,75

2015 103,39 105,04 3 316 30,57 2 709 24,98 109,67 108,63

2016 104,03 106,42 3 388 31,46 2 775 25,77 111,39 110,33

2017 104,82 107,42 3 475 32,23 2 850 26,43 113,37 111,98

1 Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt, Kettenindex) je Erwerbstätigen beziehungsweise je geleisteter Erwerbstätigenstunde (jeweils umgerechnet auf Index 2010 =100).
2 Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer beziehungsweise je geleisteter Arbeitnehmerstunde (jeweils umgerechnet auf Index 2010 = 100) in Relation zur Arbeitsproduktivität
(je Erwerbstätigen beziehungsweise je geleisteter Erwerbstätigenstunde).
Quelle für geleistete Arbeitsstunden: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)

bereinigte) BIP beziehungsweise die Andere Aspekte, zum Beispiel die Kapi-
Bruttowertschöpfung (für Wirtschafts­ talproduktivität, werden dabei nicht be-
bereiche) je Erwerbstätigen oder je geleis- rücksichtigt.
teter Erwerbstätigenstunde. Die Arbeits- Die Lohnstückkosten ergeben sich,
produktivität wird häufig als Maß für wenn das Arbeitnehmerentgelt pro Kopf
die Produktivität einer Volkswirtschaft beziehungsweise je geleisteter Arbeit­
oder eines Wirtschaftsbereichs verwendet. nehmerstunde in Relation zur Arbeits-
Dabei muss aber beachtet werden, dass produktivität gesetzt wird. Aus der Ent-
hier die gesamte Wirtschaftsleistung wicklung der Lohnstückkosten kann ab-
rechnerisch lediglich zum Produktions- geleitet werden, wie sich die Arbeitskosten
faktor Arbeit in Beziehung gesetzt wird. je Produkteinheit verändert haben. u Tab 7

137
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

4.2 In Deutschland existiert ein föderaler, für-


sorglicher Staat. Dieser sorgt für die wirt-
len die Finanz- und Personalstatistiken
eine wichtige Rolle. Sie bilden Daten über
Öffentliche schaftlichen und sozialen Rahmenbedin- die öffentlichen Ausgaben und Einnah-
Finanzen und gungen und kümmert sich mit seinen viel-
fältigen, von den verschiedenen staatlichen
men, über den Stand der öffentlichen
Schulden und das öffentliche Finanzver-
öffentlicher Ebenen durchgeführten Maßnahmen um mögen in Deutschland ab.
Dienst seine Bürgerinnen und Bürger. In welchen
Aufgabenfeldern setzt der deutsche Staat
Die finanzstatistischen Daten zeigen,
welche Einnahmen den Kern- und Extra-
dabei seine Finanzmittel ein und welche haushalten des Öffentlichen Gesamt-
Renate Schulze-Steikow sind ihm besonders wichtig? Aus welchen haushalts zugeflossen sind, welche Aus-
Quellen finanziert er sich und welche Aus- gaben damit finanziert wurden und in
wirkungen haben die öffentlichen Ausga- welchem Umfang auf Fremdmittel
Statistisches Bundesamt
ben, Einnahmen und Schulden auf Wirt- (Schulden beim nicht öffentlichen Be-
(Destatis)
schaft und Gesellschaft? Wie viel Personal reich) oder Rücklagen zur Deckung eines
beschäftigt der öffentliche Dienst und wie etwaigen Finanzierungsdefizits (Ausga-
viele Pensionärinnen und Pensionäre sind ben größer als Einnahmen) zurückgegrif-
auf der Grundlage der öffentlich-rechtli- fen werden musste. Sind die öffentlichen
chen Alterssicherungssysteme zu versor- Einnahmen höher als die öffentlichen
gen? Detaillierte Informationen darüber Ausgaben, entsteht ein Finanzierungs-
sind eine unabdingbare Grundlage für überschuss und es können Rücklagen ge-
wichtige politische Entscheidungen auf bildet oder Schulden getilgt werden. Im
Bundes- und Landesebene. Hierfür spie- Zeitraum seit 1992, für den Daten über

u Info 1
Relevanz finanzstatistischer Daten
Die Daten über die öffentliche Finanzwirtschaft sollen möglichst aktuell und zugleich qualitativ gut
und belastbar sein. Die Ansprüche an die Qualität finanzstatistischer Daten sind aufgrund ihrer Be-
deutung hoch, beispielsweise für die Überwachung der sogenannten Schuldenbremse. Die Schulden­
bremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus
Krediten auszugleichen sind. Diese Regelung ist in Artikel 109 Grund­gesetz verankert. Infolge der
Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sind auch die Anforderungen für die Stabilitätsbe-
richterstattung an die Europäische Union gestiegen. Finanzstatistische Daten des Öffentlichen Gesamt-
haushalts sind die Basis für die Darstellung der Finanzen des Staates im Rahmen der Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnungen, die den öffentlichen Überschuss beziehungsweise das öffentliche
Defizit Deutschlands im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts berechnen.

Seit den 1980er-Jahren war die verstärkte Verlagerung öffentlicher Aufgaben auf Einheiten mit
eigenem Rechnungswesen außerhalb der Kernverwaltung zu beobachten. Sofern die Kernhaushal-
te mit mehr als 50 % des Nennkapitals oder des Stimmrechts beteiligt sind, werden sie als öffent­
liche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen bezeichnet. Eine Folge hiervon ist, dass Einnahmen
und Ausgaben nicht mehr in den Kernhaushalten von Bund, Ländern, Gemeinden / Gemeindever-
bänden und Sozialversicherung enthalten sind. Dies gilt auch für öffentliche Schulden, öffentliches
Finanzvermögen und Personal. Da das Ausmaß dieses Prozesses unterschiedlich ausgeprägt ist,
waren die öffentlichen Kernhaushalte – zum Beispiel die der Länder untereinander – nicht mehr
vergleichbar.

Für die umfassende Darstellung der gesamten öffentlichen Finanzwirtschaft werden deshalb ab
dem Berichtsjahr 2011 die Kernhaushalte und die öffent­lichen Fonds, Einrichtungen und Unter­
nehmen des Staatssektors, die sogenannten Extrahaushalte, einschließlich der Finanzanteile der
Europäischen Union zum Öffentlichen Gesamthaushalt zusammengeführt. Somit wird der dynami-
sche Prozess der wirtschaftlichen Umstrukturierung und Ausgliederung öffentlicher Einrichtungen
­lückenlos erfasst, die Ausgaben- und Einnahmenströme sowie die Schulden vollständig abgebildet
und damit ein konsistenter Vergleich der öffentlichen Finanzen weiterhin ermöglicht.

Der Berichtskreis des Öffentlichen Gesamthaushalts in der Finanzstatistik entspricht damit auch
dem Sektor Staat in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.

138
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

die öffentlichen Finanzen des vereinigten u Tab 1 Ausgaben und Einnahmen des Öffentlichen Gesamthaushalts 2017
Deutschland vorliegen, wiesen die Ein- Veränderung
In Millionen Euro
heiten des Öffentlichen Gesamthaushalts zum Vorjahr in %
sechsmal einen Finanzierungsüberschuss Bereinigte Ausgaben 1 367 850 + 3,1
aus. Im Jahr 2000 war dies wegen einma-
 Personalausgaben 282 147 + 4,2
liger Einnahmen aus der Versteigerung
 L
 aufender Sachaufwand 392 916 + 4,9
von Mobilfunklizenzen der Fall. Damals
betrug der Überschuss 18,6 Milliarden  Z insausgaben 41 120 – 12,1

Euro. Weitere Überschüsse wurden 2007  S oziale und ähnliche Leistungen 447 386 + 3,3
sowie in den Jahren 2014 bis 2017 erwirt-  S achinvestitionen 52 919 + 7,4
schaftet. Gründe hierfür waren gestiege-  B aumaßnahmen 36 908 + 4,3
ne Einnahmen aus Steuern und steuer-
Bereinigte Einnahmen 1 429 711 + 5,8
ähnlichen Abgaben infolge der guten
 S
 teuern und steuerähnliche Abgaben 1 248 846 + 4,4
wirtschaftlichen Entwicklung. u Info 1
 E
 innahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit 21 726 – 13,4

4.2.1 Ausgaben und Einnahmen des  Z inseinnahmen 12 101 – 2,8


Öffentlichen Gesamthaushalts  G
 ebühren und ähnliche Entgelte 72 273 + 9,9
Die soziale Sicherung ist der wichtigste
staatliche Aufgabenbereich, der regelmä-
ßig den größten Anteil der öffentlichen
Ausgaben ausmacht. Kinder- und Eltern-
geld sowie der Ausbau der Kindertagesbe-
treuung sind Beispiele für Sozialleistun-
gen und Maßnahmen, die der jüngeren Doppelzählungen und ist deshalb größer die in großem Umfang für die Durchfüh-
Generation zugutekommen. Weitere wich- als die Summe der bereinigten Ausgaben. rung und Finanzierung personalintensi-
tige staatliche Aufgaben sind die Bereit- Im Zeitraum 1992 bis 2017 sind die ver öffentlicher Aufgaben zuständig sind,
stellung einer Justiz sowie der Polizei, um Ausgaben der Sozialversicherung mit 94 % erreichten die Personalausgaben im Jahr
für öffentliche Sicherheit und Ordnung zu überproportional angestiegen. Wesentli- 2017 einen Anteil von 38 % des Ausga-
sorgen. In den Bereich der Bildung fließen che Gründe für diese Entwicklung waren benvolumens. Im kommunalen Bereich
ebenfalls umfangreiche öffentliche Gelder. die deutsche Vereinigung, die Einführung machten sie einen Anteil von 27 % aus.
Insgesamt lagen die (um Zahlungen der sozialen Pflegeversicherung 1995 so- Am niedrigsten waren sie beim Bund mit
zwischen den Ebenen bereinigten) Aus- wie zusätzliche Ausgaben, zum Beispiel einem Anteil von etwa 13 % der Gesamt-
gaben der Kern- und Extrahaushalte des bei der Bundesagentur für Arbeit wegen ausgaben. u Tab 1
Öffentlichen Gesamthaushalts im Jahr zeitweise gestiegener Arbeitslosenzahlen. Für Baumaßnahmen und sonstige
2017 bei rund 1 368 Milliarden Euro. Ge- Viele Dienstleistungen der öffentli- Sach­investitionen wurden in Deutschland
genüber dem Vorjahr entspricht dies ei- chen Hand sind sehr personalintensiv, so 2017 öffentliche Ausgaben in Höhe von
ner Erhöhung von 3,1 %. Der größte Aus- beispielsweise Schulen, Hochschulen, Po- insgesamt 52,9 Milliarden Euro getätigt.
gabenblock entfiel mit 624,9 Milliarden lizei und Rechtsschutz (Gerichtswesen, Rund 50 % hiervon entfielen allein auf
Euro auf die Sozialversicherung. Diese Justizvollzugsanstalten), Gesundheitswe- den kommunalen Bereich. Rund 3,5 Mil-
umfasst die gesetzliche Kranken-, Renten- sen, aber auch Verteidigung und die Bau-, liarden Euro wendeten die Gemeinden
und Unfallversicherung, die soziale Pfle- Steuer- und Zollverwaltung. Die hohen im Jahr 2017 für Baumaßnahmen, das
geversicherung, die Alterssicherung für Anforderungen an das Dienstleistungs- heißt für den Neubau und Sanierungs-
Landwirte sowie die Arbeitslosenversi- angebot des Staates erfordern entspre- maßnahmen im Bereich der allgemein-
cherung. Der zweitgrößte Anteil der öf- chendes Fachpersonal; daher fallen diese bildenden und beruflichen Schulen auf.
fentlichen Ausgaben lag bei den 13 Flä- öffentlichen Ausgaben besonders ins Ge- Auch der Bau von Tageseinrichtungen für
chenländern sowie den drei Stadtstaaten wicht. Die Kern- und Extrahaushalte des Kinder gewinnt für Gemeinden zuneh-
in Höhe von 383,3 Milliarden Euro. Wei- Öffentlichen Gesamthaushalts wendeten mend an Bedeutung. u Tab 2
tere 376,1 Milliarden Euro wurden vom 2017 einen Betrag von 282,1 Milliarden Die Zinsausgaben erreichten ein Vo-
Bund und 247,7 Milliarden Euro von der Euro für Personal (einschließlich Pensio- lumen von 41,1 Milliarden Euro, wobei
kommunalen Ebene ausgegeben. Hin- nen und Ähnlichem) auf. Das waren 21 % 57 % der Ausgaben zu Lasten des Bundes
weis: Die Addition der Ebenen enthält ihrer Gesamtausgaben. In den Ländern, gingen. Ein wichtiger Ausgabenposten

139
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

u Tab 2 Investitionen in Baumaßnahmen nach Aufgabenbereichen 2017 Zur Finanzierung seiner Aufgaben be-
In Millionen Euro
nötigt der Staat Einnahmen, die er haupt-
sächlich durch die Erhebung von Steuern,
Straßen 12 369
aber auch aus anderen Quellen erhält. Im
Allgemeinbildende und berufliche Schulen 3 635
Jahr 2017 standen den öffentlichen Kassen
Hochschulen 1 982
bereinigte Einnahmen aus Steuern, steu-
Verwaltungssteuerung und -service 1 619
erähnlichen Abgaben und anderen Ein-
Abwasserbeseitigung 1 196
nahmequellen (zum Beispiel Gebühren,
Räumliche Planungs- und Entwicklungsmaßnahmen 879 Mieten, Verkaufserlöse für Beteiligungen
Sportstätten und Bäder 632 und Sachvermögen, Zinsen) von insge-
Allgemeines Grundvermögen 327 samt rund 1 430 Milliarden Euro zur Er-
Wasserwirtschaft, Hochwasser- und Küstenschutz 284 füllung ihrer Aufgaben zur Verfügung.
Versorgungsunternehmen 274 Die Einnahmen des Öffentlichen Ge-
Sonstiger Personen- und Güterverkehr 182 samthaushalts stiegen damit gegenüber
Übrige Aufgabenbereiche 13 359 dem Vorjahr um 5,8 %. Grund dafür war
Baumaßnahmen insgesamt 36 908 der Anstieg der Einnahmen aus Steuern
und steuerähnlichen Abgaben infolge der
verbesserten Wirtschaftsentwicklung mit
einem Volumen von rund 1 249 Milliar-
den Euro. Steuern sind die originäre Ein-
nahmequelle der Gebietskörperschaften,
ihre Bedeutung für die einzelnen Ebenen
Solidaritätszuschlag ist jedoch sehr unterschiedlich. Während
Zur Finanzierung der Kosten infolge kommen- und Körperschaftsteuer (Be- sich Bund und Länder (mit rund 83 % be-
der deutschen Vereinigung wird durch messungsgrundlage) erhoben. Der Er- ziehungsweise 71 %) überwiegend aus
das Gesetz zur Umsetzung des Födera- hebungszeitraum ist nicht befristet. In dieser Einnahmequelle finanzierten, be-
len Konsolidierungsprogramms mit den Jahren seit 1995 wurden aus dem trug der Anteil der Einnahmen aus Steu-
Wirkung ab 1. Januar 1995 von allen Solidaritätszuschlag jährliche Einnah- ern und steuerähnlichen Abgaben bei
Steuerpf lichtigen ein Zuschlag zur men zwischen 10,1 Milliarden Euro den Kommunen lediglich 37 %. Auf kom-
Einkommen-, Lohn-, Kapitalertrag-, und 18,0 Milliarden Euro erzielt. munaler Ebene spielen Länderzuweisun-
Abgeltung- (seit 1. Januar 2009) und Rechtsgrundlage für die Erhebung gen, vor allem Schlüsselzuweisungen im
Körperschaftsteuer erhoben. Gleiches und Festsetzung ist das Solidaritäts- Rahmen des kommunalen Finanzaus-
gilt für die Abzugsteuer bei beschränkt zuschlaggesetz von 1995. Der Solida- gleichs, eine bedeutendere Rolle. Die Bei-
Steuerpflichtigen. ritätszuschlag wird als Ergänzungsab- tragseinnahmen der Sozialversicherung,
Der Zuschlag belastet grundsätzlich gabe nach Artikel 106 Absatz 1 Num- die finanzstatistisch zu den steuerähnli-
alle Steuerzahler gleichmäßig entspre- mer 6 Grundgesetz erhoben. Er wird chen Abgaben zählen, betrugen 511,7 Mil-
chend ihrer steuerlichen Leistungs­ von den Ländern verwaltet, das Auf- liarden Euro. Bei den übrigen Haushalts­
fähigkeit. kommen steht dem Bund zu. ebenen bestehen die steuerähnlichen Ab-
Der Solidaritätszuschlag wird in gaben vor allem aus Münzeinnahmen
Höhe von 5,5 % der festgesetzten Ein- (beim Bund) und Spielbankabgaben (bei
den Ländern).
Die Steuereinnahmen betrugen im Jahr
2017 insgesamt 734,5 Milliarden Euro und
waren damit 28,7 Milliarden Euro bezie-
hungsweise 4,1 % höher als 2016. Sie lassen
des Öffentlichen Gesamthaushalts war fungen. Ebenfalls bedeutend waren Zu- sich nach der Ertragskompetenz aufgliedern,
der laufende Sachaufwand mit 392,9 Mil- schüsse an private Haushalte (in erster das heißt nach der Verteilung der Steuer-
liarden Euro. Dies waren zum Beispiel Linie soziale Leistungen), an Unterneh- einnahmen auf die Gebietskörperschaften.
Ausgaben für Heiz-, Energie- und Be- men (Subventionen) sowie an soziale und Den größten Teil der Steuern 2017
triebskosten, für die Unterhaltung des sonstige Einrichtungen im In- und Aus- machten die gemeinschaftlichen Steuern
unbeweglichen Vermögens, für Ver- land in Höhe von zusammen 552,4 Milli- aus (538,8 Milliarden Euro). Das sind
brauchsmittel und militärische Anschaf- arden Euro. Steuern, die auf mehrere Gebietskörper-

140
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

schaften aufgeteilt werden. Innerhalb der u Tab 3 Die ergiebigsten Steuern — in Millionen Euro
gemeinschaftlichen Steuern waren die
Ertrag steht zu ¹ 2015 2016 2017
Lohn- und veranlagte Einkommensteuer
mit 255,0 Milliarden Euro und die Um- Lohnsteuer B/L/G 178 891 184 826 195 524

satzsteuer (einschließlich Einfuhrum- Umsatzsteuer B / L / G / EU 159 015 165 932 170 498
satzsteuer) mit 226,4 Milliarden Euro am Veranlagte Einkommensteuer B/L/G 48 580 53 833 59 428
ertragreichsten. Bei den reinen Bundes- Einfuhrumsatzsteuer B / L / EU 50 905 51 157 55 856
steuern (99,9 Milliarden Euro) erbrachte
Gewerbesteuer G/B/L 45 737 50 097 52 872
die Energiesteuer die höchsten Einnah-
Energiesteuer B 39 594 40 091 41 022
men (41,0 Milliarden Euro), gefolgt von
den Einnahmen aus dem Solidaritätszu- Körperschaftsteuer B/L 19 583 27 442 29 259

schlag (18,0 Milliarden Euro). Von den Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag B/L 17 945 19 452 20 918

Gemeindesteuern (68,5 Milliarden Euro) Solidaritätszuschlag B 15 930 16 855 17 953


hatte die Gewerbesteuer mit 52,9 Milliar- Tabaksteuer B 14 921 14 186 14 399
den Euro und bei den Landessteuern
Grundsteuer für Grundstücke G 13 215 13 654 13 965
(22,2 Milliarden Euro) die Grunderwerb-
Versicherungsteuer B 12 419 12 763 13 269
steuer mit 13,1 Milliarden Euro den
größten Stellenwert. Gegenüber dem Vor- 1 B = Bund; EU = Europäische Union; G = Gemeinden; L = Länder.

jahr stieg das Aufkommen an der Lohn-


und veranlagten Einkommensteuer um
16,3 Milliarden Euro (+ 6,8 %), an der uAbb 1 Ausgaben und Einnahmen des Öffentlichen Gesamthaushalts
Umsatzsteuer (einschließlich Einfuhr- — in Milliarden Euro
umsatzsteuer) um 9,3 Milliarden Euro
(+ 4,3 %) und an der Gewerbesteuer um
2,8 Milliarden Euro (+ 5,5 %). Die sechs 1 500

auf kommensstärksten Steuern (Lohn-


und veranlagte Einkommensteuer, Um- 1 400
satz-, Einfuhrumsatz-, Gewerbe- und
Energiesteuer) erbrachten somit mehr als
drei Viertel aller Steuereinnahmen. Das 1 300

Aufkommen der einzelnen Steuern vari-


iert im Zeitverlauf insbesondere durch 1 200
Gesetzesänderungen und die Wirtschafts-
entwicklung, aber auch aufgrund verän-
derten Konsumverhaltens der Steuer- 1 100

pflichtigen. u Tab 3
Aus der Differenz zwischen Einnah- 1 000
men und Ausgaben errechnet sich der
­Finanzierungssaldo (Defizit oder Über-
schuss) des Öffentlichen Gesamthaushalts. 900

Da seit den 1950er-Jahren die öffentlichen


Ausgaben mehrheitlich die Einnahmen 800
übertrafen, wurden die erforderlichen
Mittel zur Finanzierung des Defizits über-
700
wiegend durch Schuldenaufnahmen am
Kreditmarkt gedeckt. Die Summierung
0
dieser jährlichen Schuldenzuwächse führ-
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
te Ende 2017 zu einem Schuldenstand in
Einnahmen
Höhe von rund 1 967 Milliarden Euro.
Ausgaben
Daraus resultierende Zins- und Tilgungs- einmalige Einnahmen aus Versteigerung der Mobilfunklizenzen
ansprüche werden die öffentliche Hand
auch in Zukunft belasten. u Abb 1, Abb 2

141
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

u Abb 2 Finanzierungssaldo des Öffentlichen Gesamthaushalts — in Milliarden Euro

61,9

29,1 25,8
18,6
9,0 8,1

– 4,2 – 6,4 – 7,2


– 11,0
– 14,7
– 22,0
– 26,0

– 45,6
– 49,8
– 58,7– 60,9 – 55,8
– 62,6 – 64,3 – 63,8
– 68,2 – 68,0
– 74,0 – 75,0

– 101,7

1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

In finanzstatistischer Abgrenzung.

4.2.2 Länderfinanzausgleich entsprächen die Einnahmen den durch- Netto-ODA am Bruttonationaleinkom-


Aufgabe des Länderfinanzausgleichs ist schnittlichen Einnahmen der Länder je men bis 2015 auf 0,70 % zu erhöhen, ver-
es, die unterschiedliche Finanzkraft der Einwohner. Die Finanzkraftmesszahl fehlte Deutschland im Berichtsjahr 2015
Bundesländer durch Finanzhilfen ange- stellt die tatsächlichen Einnahmen des je- (0,52 %). Im Rahmen der internationalen
messen auszugleichen. Dies geschieht weiligen Landes dar (einschließlich eines Ziele für nachhaltige Entwicklung ver-
zum einen durch Ausgleichszahlungen Anteils der Gemeindesteuern). Um die pflichtete sich Deutschland im Jahr 2015,
von ­L ändern mit hohen Steuereinnah- Höhe der Ausgleichszahlungen zu be- die ODA-Quote bis 2030 auf 0,70 % zu er-
men im Verhältnis zu ihrer Einwohner- stimmen, werden beide Messzahlen ver- höhen. Im Berichtsjahr 2016 erreichte
zahl an Länder mit niedrigeren Einnah- glichen. Liegt die Finanzkraftmesszahl Deutschland dieses Ziel – die ODA-Quo-
men. Dies wird als »Länderfinanzaus- unter der Ausgleichsmesszahl, erhält ein te betrug 0,70 %. Das entspricht in abso-
gleich im engeren Sinne« bezeichnet Land Geld aus dem Länderfinanzaus- luten Zahlen ausgedrückt Netto-ODA-
(horizontaler Finanzausgleich). Das hori- gleich, liegt der Wert darüber, so muss Leistungen in Höhe von 22,4 Milliarden
zontale Ausgleichsvolumen erreichte im das Land in den Länderfinanzausgleich Euro, wobei sich 17,8 Milliarden Euro auf
Jahr 2017 einen Wert von fast 11 Milliar- einzahlen. u Abb 3 die bilaterale und 4,6 Milliarden Euro auf
den Euro. Zum anderen leistet der Bund die multilaterale Zusammenarbeit bezie-
direkte Zahlungen an finanzschwache 4.2.3 Öffentliche hen. Den größten Anteil an den Ausga-
Länder (vertikaler Finanzausgleich). Das Entwicklungszusammenarbeit ben hatte mit 7,3 Milliarden Euro (33 %)
vertikale Ausgleichsvolumen, das auch Die Aufmerksamkeit der deutschen Poli- das Bundesministerium für wirtschaftli-
als Bundesergänzungszuweisungen be- tik und Öffentlichkeit richtete sich in den che Zusammenarbeit und Entwicklung.
zeichnet wird, lag im Jahr 2017 bei knapp vergangenen Jahren verstärkt auf die Die im Vergleich zum Vorjahr nochmals
10 Milliarden Euro. Ausgaben der öffentlichen Entwicklungs- stark gestiegenen ODA-anrechenbaren
Der Länderfinanzausgleich basiert zusammenarbeit (Official Development Flüchtlingskosten in Deutschland mach-
auf zwei Kennzahlen: Die Ausgleichs- Assistance = ODA). Das im Rahmen des ten mit 6,0 Milliarden Euro den zweit-
messzahl gibt den fiktiven Wert an, wie ODA-Stufenplans der Europäischen Uni- größten Anteil an den Ausgaben aus
viel ein Land an Einnahmen erzielt hätte, on verabschiedete Ziel, den Anteil der (27 %). u Info 2, Tab 4

142
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Abb 3 Länderfinanzausgleich 2017 — in Millionen Euro


u Info 2 Öffentliche Entwicklungszu-
sammenarbeit (ODA)

– 5 887 Bayern Zur öffentlichen Entwicklungszusammenar-


beit (ODA = Official Development Assistance)
– 2 779 Baden-Württemberg zählen vor allem die Ausgaben für die techni-
sche und die finanzielle Zusammenarbeit mit
– 2 480 Hessen Entwicklungsländern sowie für Nahrungsmit-
tel-, Not- und Flüchtlingshilfe im Ausland. Zu-
– 40 Hamburg dem sind bestimmte Aufwendungen der so-
zialen Grundversorgung von Flüchtlingen aus
Saarland + 198 Entwicklungsländern innerhalb der ersten
zwölf Monate ihres Aufenthaltes im Geber-
Schleswig Holstein + 239 land als ODA anrechenbar. Ebenso gehören
Beiträge an multilaterale Institutionen für Ent-
Rheinland-Pfalz + 392
wicklungszusammenarbeit (zum Beispiel Ver-
Mecklenburg-Vorpommern
einte Nationen) und Schuldenerlasse dazu.
+ 523
Neben der ODA werden auch noch sonstige
Sachsen-Anhalt + 539 öffentliche und private Leistungen an Ent-
wicklungsländer erbracht, wie Leistungen
Brandenburg + 607 aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen, Direkt­
investitionen und Exportkredite.
Thüringen + 641

Bremen + 692

Niedersachsen + 696 uTab 4 Öffentliche


Entwicklungs­zusammenarbeit
Sachsen + 1 184
Anteil am
ODA-Leistungen
Nordrhein-Westfalen + 1 243 Bruttonational­
insgesamt
einkommen
Berlin + 4 233 in Millionen Euro in %
2006 8 313 0,36
ausgleichspflichtig ( – ), Geberländer ausgleichsberechtigt (+), Nehmerländer 2011 10 136 0,39
2014 12 486 0,42
2015 16 173 0,52
Vorläufiges Ergebnis.
Quelle: Bundesministerium der Finanzen 2016 22 368 0,70

ODA = Official Development Assistance.

143
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

uAbb 4 Entwicklung der Verschuldung des Öffentlichen Gesamthaushalts veranschaulicht, dass sich diese Effekte
— in Milliarden Euro einschließlich der Umstellung des Er­
hebungskatalogs zum Berichtsjahr 2010
vergleichsweise gering auf den Schulden-
2 200
stand auswirkten. Während im Jahr 2013
erstmals ein rückläufiger Schuldenstand
gegenüber dem Vorjahr zu beobachten
war, stieg dieser im Jahr 2014 wieder
2 000
Effekt der Berichts- leicht an. In den Jahren 2015 bis 2017 er-
kreisanpassung 2010 folgte ein verstärkter Rückgang des
Schuldenstandes.
Neben der Schuldenstatistik und der
1 800
Statistik der Einnahmen und Ausgaben
des Öffentlichen Gesamthaushalts bildet
die Statistik über das Finanzvermögen
1 600
eine weitere Säule der Stabilitätsbericht-
erstattung an die Europäische Kommissi-
on. Den Schulden stand im Jahr 2016 ein
Finanzvermögen in Höhe von 884,4 Mil-
1400
liarden Euro gegenüber. Davon entfielen
320,7 Milliarden Euro auf den Bund,
230,9 Milliarden Euro auf die Länder und
0
191,6 Milliarden Euro auf die kommuna-
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 le Ebene sowie 141,2 Milliarden Euro auf
die Sozialversicherung.
Bis 2009 als Kreditmarktschulden einschließlich Kassenkredite, ab 2010 als Schulden beim nicht öffentlichen Bereich.
4.2.5 Öffentliche Fonds,
Einrichtungen und Unternehmen
Als öffentliche Fonds, Einrichtungen und
Unternehmen werden alle Einheiten be-
zeichnet, an denen die Kernhaushalte
(Bund, Länder, Gemeinden / Gemeindever-
4.2.4 Schulden und Finanzvermögen arden Euro und die Sozialversicherung bände und Sozialversicherungen) mit mehr
des Öffentlichen Gesamthaushalts 404 Millionen Euro Schulden beim nicht als 50 % am Stimmrecht oder Nennkapital
Soweit bei der Wahrnehmung öffentlicher öffentlichen Bereich. beteiligt sind. Sie können sowohl öffent-
Aufgaben die Ausgaben nicht durch Ein- In Abbildung 4 ist die Entwicklung lich-rechtlich als auch privatrechtlich or-
nahmen der laufenden Periode oder durch des nationalen Schuldenstandes für den ganisiert sein.
in früheren Jahren gebildete Rücklagen ge- Zeitraum 2007 bis 2017 abgebildet. Bis Die öffentlichen Fonds, Einrichtungen
deckt werden können, verschuldet sich der zum Berichtsjahr 2010 ist die Schulden- und Unternehmen entstehen durch Aus-
Öffentliche Gesamthaushalt. Die Verschul- entwicklung durch einen starken Anstieg gliederungen öffentlicher Aufgaben aus
dung setzt sich hierbei zusammen aus gekennzeichnet, insbesondere im Jahr den Kernhaushalten, durch Neugründun-
· den Krediten des Öffentlichen Gesamt- 2010 (+ 317,3 Milliarden Euro gegenüber gen oder durch den Erwerb von Mehr-
haushalts beim nicht öffentlichen Be- dem Vorjahr). Diese Erhöhung des Schul- heitsbeteiligungen der öffentlichen Hand
reich, denstandes resultierte überwiegend aus bei bestehenden Einheiten. Sie verfügen
· den Kassenkrediten beim nicht öffent- den Folgen der Finanzmarkt- und Wirt- über ein eigenes, kaufmännisch oder ka-
lichen Bereich sowie schaftskrise. u Abb 4 merales Rechnungswesen beziehungswei-
· den Wertpapierschulden. Mit den Berichtskreiserweiterungen se doppelte Buchführung nach kommuna-
Zum 31. Dezember 2017 lag die Staatsver- in den Jahren 2006 und 2010 reagierte die lem Haushaltsrecht (Doppik), sodass ihre
schuldung bei 1 967,2 Milliarden Euro. amtliche Statistik auf den zunehmenden Einnahmen und Ausgaben nicht mehr im
Der Bund verzeichnete gut 1 242,5 Milli- Ausgliederungsprozess von öffentlichen jeweiligen Kernhaushalt enthalten sind.
arden Euro, die Länder 586,2 Milliarden Aufgaben (und Schulden) auf Einheiten Die Bandbreite der öffentlichen Fonds,
Euro, die kommunale Ebene 138,0 Milli- außerhalb der Kernhaushalte. Abbildung 4 Einrichtungen und Unternehmen (kurz:

144
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

öffentliche Unternehmen) reicht von Woh- serversorgung« (11 %) und »Abwasserent- gen verzeichneten die öffentlichen Fonds,
nungsbaugesellschaften, Krankenhäusern, sorgung« (9 %), gefolgt von den Bereichen Einrichtungen und Unternehmen im Be-
Versorgungsunternehmen, Hochschulen »Verwaltung und Führung von Unter- reich »Öffentliche Verwaltung, Vertei­
bis hin zu den in der Finanzmarkt- und nehmen und Betrieben, Unternehmens- digung, Sozialversicherung« mit einem
Wirtschaftskrise 2008/2009 entstande- beratung« (7 %) sowie »Öffentliche Ver- Minus von rund 1,2 Milliarden Euro.
nen Abwicklungsanstalten öffentlicher waltung, Verteidigung, Sozialversiche-
Banken. rung« (7 %). u Tab 5 4.2.6 Personal im
Die dargestellten Ergebnisse basieren Die höchsten Umsatzerlöse im Jahr öffentlichen Dienst
auf der Jahresabschlussstatistik, die aus- 2015 erzielten die öffentlich bestimmten Die öffentlichen Arbeitgeber (öffentlicher
schließlich die Erhebung der öffentlichen Energieversorger mit fast 163 Milliarden Dienst und Einrichtungen in privater
Fonds, Einrichtungen und Unternehmen Euro (38 %) mit weitem Abstand vor den Rechtsform mit überwiegend öffentlicher
mit kaufmännischem Rechnungswesen öffentlichen Unternehmen der Bereiche Beteiligung) beschäftigten Mitte 2017 in
umfasst. Im Berichtsjahr 2015 gab es »Gesundheitswesen« (47 Milliarden Euro Deutschland insgesamt rund 6,0 Millio-
16 206 öffentliche Fonds, Einrichtungen beziehungsweise 11 %) und »Grundstücks- nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und Unternehmen mit kaufmännischem und Wohnungswesen« (27 Milliarden (einschließlich Berufs- und Zeitsoldatin-
Rechnungswesen, davon 14 252 (88 %) auf Euro beziehungsweise 6 %). nen und -soldaten). Davon übten 4,1 Milli-
der kommunalen Ebene. Der Rest verteil- Die Zahlen der Gewinn- und Verlust- onen eine Vollzeit- und 1,9 Millionen eine
te sich auf Beteiligungen der Länder rechnung wiesen für das Berichtsjahr Teilzeitbeschäftigung aus. Gegenüber dem
(10 %) und des Bundes (2 %). Die Mehr- 2015 einen Jahresüberschuss von rund Vorjahr wurden 47 500 (1,2 %) mehr Voll-
zahl der öffentlichen Unternehmen wur- 6 Milliarden Euro für alle öffentlichen zeitkräfte beschäftigt. Die Zahl der Teil­
de in der Rechtsform einer Gesellschaft Unternehmen aus. Zu diesem positiven zeitkräfte hat sich um 51 700 Personen oder
mit beschränkter Haftung (GmbH; 59 %) Ergebnis trugen wesentlich die Wirt- 2,8 % erhöht. Der Anteil der Frauen an
oder eines Eigenbetriebs (22 %) geführt. schaftszweige »Erbringung von Finanz- den Vollzeitbeschäftigten betrug 42 %, bei
Rund 7 % der öffentlichen Unternehmen dienstleistungen« (rund 1,9 Milliarden den Teilzeitbeschäftigten waren es 84 %.
waren Zweckverbände. Die meisten öf- Euro), »Energieversorgung« (1,7 Milliar- Die Bedeutung der öffentlichen Ar-
fentlichen Fonds, Einrichtungen und Un- den Euro) sowie »Versicherungen, Rück- beitgeber für die Erwerbstätigkeit zeigt
ternehmen gab es 2015 in den Bereichen versicherungen und Pensionskassen sich, wenn das durch die öffentliche
»Grundstücks- und Wohnungswesen« (ohne Sozialversicherung)« (1,5 Milliar- Hand bezahlte Personal in Beziehung zur
(12 %), »Energieversorgung« (11 %), »Was- den Euro) bei. Deutliche Verluste hinge- Gesamtzahl der abhängig Erwerbstätigen

u Tab 5 Ausgewählte Daten der Jahresabschlüsse kaufmännisch buchender öffentlicher Fonds,


Einrichtungen und Unternehmen 2015

Fonds, Einrich- Material- Personal-


Umsatz- Jahres- Bilanz-
tungen und aufwand aufwand
erlöse ergebnis summe
Unternehmen zusammen zusammen

Anzahl in Millionen Euro

Insgesamt 16 206 426 898 248 232 108 970 5 989 1 929 849

 G rundstücks- und Wohnungswesen 1 959 27 156 12 268 2 865 312 181 566

 E nergieversorgung 1 795 162 763 138 351 9 249 1 676 164 764

 Wasserversorgung 1 717 9 555 4 218 1 901 615 46 684

 A bwasserentsorgung 1 410 10 281 3 436 1 825 569 76 965

 Verwaltung und Führung von Unter­


nehmen und Betrieben, Unternehmens- 1 195 8 454 6 647 2 059 – 122 124 396
beratung

 Ö
 ffentliche Verwaltung, Verteidigung,
1 161 16 430 4 595 10 817 – 1 157 315 215
Sozialversicherung

 G esundheitswesen 877 47 101 15 327 32 727 128 65 727

Die Sortierung erfolgt anhand der Unternehmensanzahl.

145
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

gesetzt wird. Gemessen an den 37,0 Milli- u Abb 5 Entwicklung des Personalstandes im öffentlichen Dienst

onen abhängig Erwerbstätigen ergibt sich zum Stichtag 30. Juni — in Millionen
für den Bereich der öffentlichen Arbeit-
geber ein Anteil von rund 16 %. 7
Seit der deutschen Vereinigung ist die
Zahl der Beschäftigten im öffentlichen
Dienst, das heißt das Personal öffentli-
cher Arbeitgeber, das nicht bei privat-
rechtlichen Einrichtungen beschäftigt ist,
6
deutlich gesunken: Zwischen 1991 und
2008 ist die Zahl der Beschäftigten von
über 6,7 Millionen auf 4,5 Millionen zu-
rückgegangen. Der massive Personalab-
bau im öffentlichen Dienst in den 1990er-
Jahren resultierte in erster Linie aus der 5
Notwendigkeit, die Personalausstattung
der neuen Länder und der dortigen Kom-
munen an die Verhältnisse des früheren
Bundesgebiets anzupassen. Ungefähr die
Hälfte des Personalabbaus im öffentli-
chen Dienst ist zudem auf die Privatisie- 4

rung der Deutschen Bundesbahn und


Reichsbahn sowie der Deutschen Bundes- 0
post zurückzuführen. Umfangreiche Pri- 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
vatisierungen gab es darüber hi­naus auch
im kommunalen Bereich. Seit dem Jahr
2009 ist ein nahezu kontinuierlicher Per-
sonalanstieg im öffentlichen Dienst zu u Abb 6 Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst
verzeichnen. u Abb 5 nach Aufgabenbereichen 2017 — in Prozent
Der Personalanstieg resultiert im We-
sentlichen aus dem Ausbau des Angebots
an Kinderbetreuungsplätzen und aus Per- allgemeinbildende und 20
berufliche Schulen
sonalzuwächsen im Bildungsbereich. Mitte
2017 waren rund 212 000 Personen in kom- soziale Sicherung 1 17

munalen Kindertageseinrichtungen be-


öffentliche Sicherheit und
schäftigt. Seit dem Jahr 2008 ist die Zahl 14
Ordnung, Rechtsschutz
der Beschäftigten in diesem Bereich des
Hochschulen 11
öffentlichen Dienstes um 55 % gestiegen.
Die Schwerpunkte des Personaleinsat-
politische Führung 2 10
zes im öffentlichen Dienst lagen 2017 bei
den allgemeinbildenden und beruflichen Gesundheit, Umwelt,
5
Sport und Erholung
Schulen (20 %), der sozialen Sicherung
(17 %), der öffentlichen Sicherheit und Ord- Verteidigung 3 5
nung einschließlich Rechtsschutz (14 %)
und bei den Hochschulen (11 %). u Abb 6 Finanzverwaltung 4
Die Gesamtzahl der Versorgungsemp-
fängerinnen und -empfänger, also der übrige Bereiche 13

pensionierten Beamtinnen und Beamten,


Richterinnen und Richter sowie Berufs-
Stichtag: 30.06.
soldatinnen und -soldaten und ihrer Hin- 1 Einschließlich gesetzliche Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Bundesagentur für Arbeit.
2 Einschließlich zentraler Verwaltung und auswärtiger Angelegenheiten.
terbliebenen, ist seit der deutschen Verei- 3 Einschließlich Berufs-/Zeitsoldatinnen und -soldaten, ohne freiwillig Wehrdienstleistende.

nigung erheblich gestiegen. Im Zeitraum

146
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Abb 7 Pensionierungsgründe bei den Neupensionären


im öffentlichen Dienst 2016 — in Prozent

sonstige Gründe allgemeine Antragsaltersgrenze

1 31

Vorruhestandsregelung

Antragsaltersgrenze bei Schwerbehinderung


oder bei besonderer Altersgrenze

besondere Altersgrenze 66 000


Neupensionäre
12

Dienstunfähigkeit gesetzliche Regelaltersgrenze

16 23

von 1992 bis 2017 ist dieser Personenkreis 273 000 Personen. Die Zahl ehemaliger,
um rund 34 % gewachsen. Dies ist vor al- nach dem Krieg nicht übernommener
lem auf den Aufbau von Personal im Bil- ­Bediensteter des Deutschen Reiches und
dungsbereich in den 1960er- und 1970er- ihrer Hinterbliebenen betrug 2017 rund
Jahren im früheren Bundesgebiet zurück- 6 000 Personen.
zuführen, das nun seit einigen Jahren aus Für den Eintritt des aktiven Personals
dem Erwerbsleben ausscheidet. Insgesamt in den Ruhestand gibt es im Wesentli-
erhielten am 1. Januar 2017 rund 1,6 Mil- chen drei verschiedene Gründe: Entwe-
lionen Personen Leistungen des öffent- der das Erreichen einer gesetzlich fest­
lich-rechtlichen Alterssicherungssystems. gelegten Altersgrenze, eine festgestellte
Leistungen nach dem Beamten- und Dienstunfähigkeit oder die Inanspruch-
Soldatenversorgungsrecht erhielten An- nahme einer Vorruhestandsregelung.
fang 2017 beim Bund 184 000 ehemalige Insgesamt lag die Zahl der im Lauf des
Bedienstete oder ihre Hinterbliebenen, Jahres 2016 nach Beamten- und Soldaten-
bei den Ländern 879 000, im kommuna- versorgungsrecht in den Ruhestand ver-
len Bereich 123 000 sowie bei der Sozial- setzten Personen bei rund 66 000. Eine
versicherung 23 000 Personen. Beim Bun- Mehrheit von 75 % der Neupensionierun-
deseisenbahnvermögen (ehemals Deut- gen erfolgte aufgrund des Erreichens ei-
sche Bundesbahn) gab es im Januar 2017 ner gesetzlichen Altersgrenze. Der Anteil
rund 154 000 Versorgungsempfängerin- der Pensionierungen wegen Dienstunfä-
nen und -empfänger sowie bei der Bun- higkeit unter den Neupensionären betrug
desanstalt für Post und Telekommunika- 16 %, weitere 8 % nahmen eine Vorruhe-
tion (ehemals Deutsche Bundespost) standsregelung in Anspruch. u Abb 7

147
5
Arbeitsmarkt
und Verdienste
5.1 Erwerbsarbeit spielt in Deutschland so­
wohl in gesellschaftlicher als auch in in­
Erwerbsbeteiligung. Für materiellen Wohl­
stand sind das Schaffen und Erhalten von
Arbeitsmarkt dividueller Hinsicht eine zentrale Rolle. Arbeitsplätzen eine wichtige Vorausset­
Unbestritten wird Arbeit als Hauptquelle zung. Dementsprechend groß ist auch die
zur Sicherung des Lebensunterhalts gese­ öffentliche und politische Diskussion um
Anja Crößmann, Lisa Günther
hen. Nicht minder wichtig ist die Bedeu­ die Zukunft der Arbeitswelt.
tung, die der ausgeübte Beruf und die be­ Die weiterhin rasante technische Ent­
Statistisches Bundesamt ruf liche Stellung für das persönliche wicklung, die zunehmende Globalisie­
(Destatis) Selbstverständnis und die gesellschaft­ rung und Digitalisierung der Arbeitswelt,
liche Position haben. Für viele ist Arbeit der demografische Wandel, veränderte
ein wichtiger Teil der persönlichen Beschäftigungsformen, aber auch persön­
Selbstentfaltung. Immer mehr Frauen liche Ansprüche der Menschen an ihre
sind erwerbstätig und die Erwerbsbeteili­ Arbeit und deren Vereinbarkeit mit dem
gung älterer Menschen steigt. Damit ist Privatleben werfen viele Fragen auf. Im
für einen noch größeren Teil der Bevöl­ Vordergrund stehen heute auf der einen
kerung Erwerbsarbeit ein wesentlicher Seite die zunehmende Heterogenität der
Teil des Alltags. Erwerbslosigkeit ist um­ Erwerbsformen, deren Auswirkung auf
gekehrt nicht nur in finanzieller Hinsicht, die Normalarbeitsverhältnisse und die
sondern auch wegen der gesellschaft­ Frage, inwieweit Erwerbsarbeit noch
lichen Stigmatisierung ein Problem. Die existenzielle Absicherung garantieren
mit ihr einhergehenden Einkommensver­ kann. Auf der anderen Seite wird vor
luste zwingen meist nicht nur zum Kon­ dem Hintergrund des demografischen
sumverzicht, sondern führen zu einer Wandels ein zunehmender Fachkräfte­
eingeschränkten Teilnahme am gesell­ mangel befürchtet und diskutiert, inwie­
schaftlichen Leben für die Erwerbslosen weit ungenutztes beziehungsweise zusätz­
und alle von ihnen abhängigen Personen. liches Arbeitskräftepotenzial aktiviert
Eine auf den Arbeitsmarkt bezogene werden könnte.
­Perspektivlosigkeit kann darüber hinaus
persönliche Krisen auslösen. 5.1.1 Die amtliche
Ebenso groß ist die Bedeutung der Arbeitsmarktstatistik
Erwerbsarbeit auf gesellschaftlicher Ebe­ Das Statistische Bundesamt erstellt Statis­
ne. Das Steuersystem und die Sozialver­ tiken, mit denen das erwerbsstatistische
sicherungssysteme finanzieren sich über Gesamtsystem betrachtet und analysiert

149
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

werden kann. Es berechnet beziehungs­ u Info 1

weise erhebt dazu unter anderem die Zahl Arbeitsmarkt: Statistische Begriffe und Konzepte
der Erwerbstätigen und der Erwerbslosen Die Arbeitsmarktstatistik des Statistischen Bundesamtes folgt dem Labour-Force-Konzept
nach dem Konzept der Internationalen der International Labour Organization (ILO), das internationale Vergleiche von Arbeits-
marktdaten ermöglicht. Erwerbstätig im Sinne der ILO-Definition ist jede Person ab 15 Jah-
Arbeitsorganisation (ILO). Dazu führt es ren, die in einem Berichtszeitraum gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen
jährlich gemeinsam mit den Statistischen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet hat, unabhängig vom zeitlichen Umfang. Auch wer
Ämtern der Länder die Haushaltsbefra­ sich in einem Beschäftigungsverhältnis befindet, im Berichtszeitraum diese Beschäftigung
aber vorübergehend nicht ausgeübt hat, oder in einem Familienbetrieb mitgeholfen hat,
gung Mikrozensus mit der integrierten gilt als erwerbstätig.
Arbeitskräfteerhebung durch. Die Daten
Erwerbstätige in Vollzeit sind Personen, deren regelmäßige Arbeitszeit die im Betrieb
aus dem Mikrozensus sind eine wichtige ­b eziehungsweise Wirtschaftszweig übliche volle Wochenarbeitsstundenzahl beträgt.
Grundlage der Arbeitsmarktstatistik und ­Teilzeit ist jede Arbeitszeit, die weniger Arbeitsstunden als die Arbeitszeit der Vollzeitkräfte
im gleichen Betrieb oder Wirtschaftszweig umfasst.
fließen in die Bestimmung der Erwerbs­
tätigenzahlen ein. Sie ermöglichen tiefer­ Als erwerbslos gilt jede Person im Alter von 15 bis 74 Jahren, die im Berichtszeitraum
nicht erwerbstätig war und in den letzten vier Wochen vor der Befragung aktiv nach einer
gehende Untersuchungen zum Erwerbs­ Tätigkeit gesucht hat. Auf den zeitlichen Umfang der gesuchten Tätigkeit kommt es
status und zur Arbeitssuche nach soziode­ dabei nicht an. Die Person muss in der Lage sein, eine neue Arbeit innerhalb von zwei
mografischen Merkmalen wie Geschlecht, ­Wochen aufzunehmen. Die Einschaltung einer Agentur für Arbeit oder eines kommunalen
Trägers in die Suchbemühungen ist für die Einstufung nicht erforderlich. Fasst man
Alter oder Bildungsstand. Die Statistiken ­Erwerbslose und Erwerbstätige zusammen, spricht man von Erwerbspersonen. Die
der Bundesagentur für Arbeit basieren ­verbleibende Gruppe, die nach diesem Konzept weder erwerbstätig noch erwerbslos ist,
vorwiegend auf Verwaltungsdaten, die im wird Nichterwerbspersonen genannt.

Zusammenhang mit ihren Aufgaben der Arbeitslose sind Personen, die bei der Bundesagentur für Arbeit als solche registriert sind
Arbeitsvermittlung und Leistungserbrin­ und sozialgesetzlichen Vorgaben entsprechen. Dadurch beeinflussen auch Änderungen
im Sozialgesetzbuch die Zahl der Arbeitslosen. Registrierte Arbeitslose dürfen bis zu
gung für Arbeitslose und Kurzarbeiter 15 Stunden pro Woche arbeiten, ohne ihren Status zu verlieren. Aus den unterschiedlichen
anfallen. Konzepten folgt, dass es Personen gibt, die zwar im Sinne der ILO-Definition erwerbslos
sind, bei der Bundesagentur für Arbeit aber nicht als arbeitslos zählen. Zum anderen
Die einzelnen Statistiken unterschei­
­g elten in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit bestimmte Personen als arbeitslos,
den sich nicht nur in den angewandten die nach der Definition der ILO nicht erwerbslos sind.
Erhebungsmethoden, sondern auch in
den zugrunde liegenden Konzeptionen
und Begriffsabgrenzungen. Oftmals wer­
u Info 2
den in der Öffentlichkeit beispielsweise
Erwerbstätigenrechnung und Mikrozensus
die Begriffe Erwerbslose und Arbeitslose
Die Erwerbstätigenrechnung betrachtet die Beschäftigung im Kontext der gesamtwirt-
synonym verwendet. Tatsächlich stecken schaftlichen Entwicklung. Dabei wird zwischen Erwerbstätigen mit Wohnort in Deutsch-
dahinter im Sprachgebrauch der amt­ land (Inländerkonzept) und Erwerbstätigen mit Arbeitsort in Deutschland (Inlandskonzept)
lichen Statistik unterschiedliche Konzep­ unterschieden.
te, mit denen Personengruppen beschrie­ Bei der Berechnung der Erwerbstätigenzahl stützt sich die Erwerbstätigenrechnung auf
ben werden, die nur teilweise identisch ­e ine Vielzahl von Daten, um möglichst alle verfügbaren Informationen in die Schätzung
­e infließen zu lassen. Im Rahmen des Mikrozensus wird eine repräsentative Stichprobe von
sind. u Info 1, Abb 1 Haushalten in Deutschland befragt. Die Ergebnisse des Mikrozensus eignen sich zur
Die in diesem Kapitel vorgestellten ­Beantwortung sozialpolitischer und sozialwissenschaftlicher Fragen. Obwohl im Mikrozen-
Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes sus und in der Erwerbstätigenrechnung das ILO-Konzept zur Bestimmung der Erwerbs­
tätigen angewendet wird, entstehen bei den Ergebnissen Abweichungen. Diese sind
stützen sich auf zwei Quellen: die Er­ vor allem auf die methodischen und organisatorischen Unterschiede zwischen beiden
werbstätigenrechnung im Rahmen der ­Statistiken zurückzuführen. Zum einen ist die Arbeitskräfteerhebung als Teil des Mikrozen-
sus durch die Stichprobenerhebung mit einer gewissen Unschärfe belastet. Zum anderen
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen
weicht die Definition der Internationalen Arbeitsorganisation zur Erwerbstätigkeit deutlich
(VGR) und den Mikrozensus. u Info 2 vom Alltagsverständnis der Befragten ab, da zum Beispiel bezahlte Tätigkeiten bereits ­
ab einem Umfang von einer Stunde pro Woche als Erwerbstätigkeit zu erfassen sind. Im
Mikrozensus kann dies zu einer Untererfassung führen, wenn Befragte zum Beispiel kleinere
5.1.2 Entwicklung der Erwerbstätig- Nebentätigkeiten nicht angeben, weil sie sich hauptsächlich als Rentner, Arbeitslose,
keit und Erwerbslosigkeit Hausfrauen oder Studierende verstehen.
Im Jahr 2017 gab es in Deutschland Die Erwerbstätigenrechnung geht methodisch anders vor und greift im Bereich kleinerer
durchschnittlich rund 45,9 Millionen Er­ Tätigkeiten überwiegend auf die Angaben aus den gesetzlich vorgeschriebenen Mel­
werbspersonen mit Wohnort in Deutsch­ dungen zur geringfügigen Beschäftigung (Minijob) zurück. Aufgrund dieser erhebungs­
methodischen Unterschiede zwischen beiden Statistiken liegen die Ergebnisse für
land. Von ihnen waren 44,2 Millionen er­ ­Erwerbspersonen und Erwerbstätige aus dem Mikrozensus auf einem insgesamt niedri­
werbstätig und 1,7 Millionen erwerbslos. geren Niveau. Längerfristige Trends beider Statistiken zeigen dabei jedoch in die
Im Vergleich zu 1991 ist die Zahl der Er­ gleiche Richtung.

werbspersonen um etwa 4,9 Millionen

150
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Abb 1 Ausgewählte Begriffe und Datenquellen zum Arbeitskräfteangebot und zur Arbeitskräftenachfrage

ETR = Erwerbstätigenrechnung, VGR = Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, BA = Statistik der Bundesagentur für Arbeit, IAB = Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA.
1 Daten zum Personal des öffentlichen Dienstes.
2 Zum Beispiel Monatsbericht im Bauhauptgewerbe.
3 Zum Beispiel Geschäftsstatistiken über den Personalbestand von Deutsche Bahn AG oder Deutsche Post AG.

u Tab 1 Erwerbspersonen, Erwerbstätige und Erwerbslose gestiegen. Kontinuierliche Zuwächse gab


Erwerbspersonen Erwerbstätige Erwerbslose Erwerbslosenquote ¹
es vor allem im Zeitraum 1996 bis 2005,
während die Zahl der Erwerbspersonen
in Millionen in %
davor weitestgehend stagniert hatte. Seit
1991 41,02 38,85 2,17 5,3 2011 ist wieder eine etwas stärkere Zu­
1997 41,63 37,86 3,76 9,0 nahme zu beobachten. u Tab 1
2007 43,73 40,26 3,47 7,9 Betrachtet man allein die Erwerbstä­
2012 44,23 42,01 2,22 5,0 tigen, zeigen sich konjunkturelle Entwick­
2015 44,94 42,99 1,95 4,3 lungen deutlicher: Nach der deutschen
2016 45,32 43,54 1,77 3,9 Vereinigung war die Zahl der Erwerbs­
2017 45,87 44,17 1,70 3,7 tätigen mit Arbeitsort in Deutschland
1 Erwerbslosenquote: Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen. (Inlandskonzept) rückläufig, bis sie 1993
Erste Jahresergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Inländerkonzept, Stand Januar 2017.
Erwerbslose: Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung. auf einen Tiefstand von 37,8 Millionen

151
insgesamt und je Erwerbstätigen

5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

sank. Nach einem Hoch im Jahr 2000 mit u Abb 2 Erwerbstätige, geleistete Arbeitsstunden insgesamt
39,9 Millionen ging die Erwerbstätigen­ und je Erwerbstätigen — 1991 = 100
zahl parallel zur konjunkturellen Ent­
wicklung erneut leicht zurück, blieb aber 120
deutlich über dem Niveau von 1993. Seit
2006 ist wieder ein klarer Aufwärtstrend
erkennbar. Selbst die deutlich negative
konjunkturelle Entwicklung in Deutsch­
land nach der Finanzmarkt- und Wirt­ 100
schaftskrise im Jahr 2008/2009 führte
­lediglich zu einer verlangsamten Zunah­
me der Erwerbstätigenzahl.
Der Anstieg der Zahl der Erwerbstäti­
gen relativiert sich, wenn man sie mit der 80
Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017
dem sogenannten Arbeitsvolumen, ver­
Erwerbstätige Arbeitsvolumen Arbeitsstunden je Erwerbstätigen
gleicht. Im Jahr 2017 leisteten die Er­
werbstätigen in Deutschland 60,0 Milli­ Erste Jahresergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Inlandskonzept, Stand Januar 2017.
Quelle für geleistete Arbeitsstunden: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
arden Arbeitsstunden. Diese Zahl hat im der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA)

Lauf der letzten Jahre zugenommen – Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Stand Februar 2015.
Quelle: Arbeitszeit- und Arbeitsvolumenrechnung, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der
2007 lag sie noch bei 57,4 Milliarden Bundesagentur für Arbeit (BA)
­A rbeitsstunden. Im Jahr 1991 allerdings
hatte das geleistete Arbeitsvolumen noch
u Abb 3 Erwerbslosenquote — in Prozent
bei 60,3 Milliarden Stunden gelegen und
ist dann, teilweise bedingt durch Um­
strukturierungsprozesse der Wirtschaft 12
in Ostdeutschland, nach und nach zu­
10
rückgegangen. Ein anderer wesentlicher
Faktor für den Rückgang des Arbeits­ 8
volumens sind die je Erwerbstätigen pro
6
Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Diese
sind in den zurückliegenden 25 Jahren 4

fast kontinuierlich gesunken. Im Jahr 2


1991 leistete ein Erwerbstätiger rund
1 554 Arbeitsstunden pro Jahr, während 0
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017
es 2017 nur noch 1 356 Stunden waren.
Dies war seitdem die niedrigste Zahl an Erwerbslosenquote: Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen.
Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung.
Arbeitsstunden je Erwerbstätigen und
entspricht einem Rückgang von fast 13 %.
Ein wesentlicher Grund für diese Ent­
wicklung war die zunehmende Zahl der
Teilzeit arbeitenden Erwerbstätigen –
­darunter insbesondere Frauen. u Abb 2
Die Zahl der Erwerbslosen (siehe ursprüngliches Niveau von Anfang der Damit ist das Niveau von 1991 deutlich
Tab 1) verzeichnete in den letzten 25 Jah­ 1990er-Jahre zurück. Seit 2006 sank die unterschritten. Die Erwerbslosenquote
ren zwei Phasen deutlicher Anstiege: Zwi­ Erwerbslosenzahl jährlich, lediglich unter­ sank 2017 auf den tiefsten Stand seit der
schen 1991 und 1997 stieg sie von 2,2 Mil­ brochen durch einen gering­fügigen An­ deutschen Vereinigung, im Jahresdurch­
lionen auf 3,8 Millionen und zwischen stieg im Jahr 2009. Im Jahr 2010 lag die schnitt lag sie bei 3,7 %. Die Zahl der re­
2001 und 2005 von 3,1 Millionen auf durchschnittliche Erwerbs­losenzahl erst­ gistrierten Arbeitslosen wies im Vergleich
4,5 Millionen Personen. Die dazwischen­ mals seit 1992 wieder unter 3 Millionen. zur Zahl der Erwerbslosen einen ähn­
liegende konjunkturelle Aufschwungspha­ Bis 2017 hat sie sich weiter deutlich verrin­ lichen Verlauf auf, allerdings auf einem
se führte die Erwerbslosigkeit nicht auf ihr gert und lag bei 1,7 Millionen Personen. höheren Niveau (siehe auch Tab 5). u Abb 3

152
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

uAbb 4 Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren Am stärksten zurückgegangen ist die


— in Prozent Zahl der Erwerbstätigen in den letzten
eineinhalb Jahrhunderten im primären
Sektor: Im Jahr 2017 waren laut Erwerbs­
73,2 73,7 74,1 74,4 74,5
67,5 tätigenrechnung nur noch 1,4 % aller Er­
61,3 werbstätigen dort beschäftigt. Im sekun­
dären Sektor arbeiteten 24,1 %, im tertiären
Sektor dagegen 74,5 % der Erwerbstäti­
35,7
30,4 gen. u Abb 4
25,2 24,7 24,4 24,2 24,1 Die Zahl der Erwerbstätigen im Pro­
duzierenden Gewerbe stieg im Zuge der
3,0 2,1 1,7 1,6 1,5 1,4 1,4
Industrialisierung parallel zur Abnahme
im Agrarbereich. Im Jahr 2017 arbeiteten
1991 1997 2007 2012 2015 2016 2017
10,7 Millionen Erwerbstätige im Pro­
primärer Sektor sekundärer Sektor tertiärer Sektor
duzierenden Gewerbe, darunter 7,6 Mil­
lionen im Verarbeitenden Gewerbe und
Erste Jahresergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Inlandskonzept, Stand Januar 2017.
2,5 Millionen im Baugewerbe. Im Dienst­
leistungssektor waren 2017 mit 33,0 Mil­
lionen mehr als dreimal so viele Perso­
nen tätig wie im sekundären Sektor. Seit
u Abb 5 Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen 2017 — in Prozent 2007 ist die Zahl der im Dienstleistungs­
sektor Tätigen um 3,5 Millionen ange­
stiegen.
Land- und Forst-
wirtschaft, Fischerei Innerhalb des Dienstleistungssektors
sonstige 1,4 kam 2017 den Wirtschaftsbereichen Öf­
Dienstleister
fentliche Dienstleistungen, Erziehung
6,8 Produzierendes Gewerbe
ohne Baugewerbe
und Gesundheit mit 10,9 Millionen Er­
Öffentliche Dienstleister, werbstätigen die größte Bedeutung zu.
18,5
Erziehung, Gesundheit Dazu zählen unter anderem die öffentli­
Baugewerbe
24,7
44,3 Millionen
che Verwaltung, Mitarbeiterinnen und
Erwerbstätige 5,6 Mitarbeiter von Polizei oder Feuerwehr,
Finanzierung, Immobilien, Handel, Verkehr, bei einer Sozialversicherung Tätige, alle
Unternehmensdienstleister Gastgewerbe Beschäftigten an Bildungseinrichtungen
17,4 22,8 oder das Personal im Gesundheits- und
Information und Sozialwesen. Annähernd genauso viele
Kommunikation
Erwerbstätige (10,1 Millionen) arbeiteten
2,9
Erste Jahresergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, in den Wirtschaftsbereichen Handel,
Inlandskonzept, Stand Januar 2017.
Verkehr und Gastgewerbe. Zum Handel
zählen sowohl Groß- als auch Einzelhan­
del. Der Abschnitt Verkehr umfasst alle
Erwerbstätigen, die mit dem Verkehr zu
Lande, auf dem Wasser oder in der Luft
zu tun haben, aber auch Speditionen,
5.1.3 Erwerbstätige nach fristigen Zeitverlauf die großen struktu­ Post- und Kurierdienste. u Abb 5
­Wirtschaftsbereichen und rellen Veränderungen. Neue Produktions- Der Wandel der Wirtschaftsstruktu­
Berufsgruppen und Fertigungsverfahren, zunehmende ren, aber auch neue Produktions- und
Die Verteilung der Erwerbstätigen mit Automatisierung und Rationalisierung Fertigungsverfahren haben viele Berufe
Arbeitsort in Deutschland auf die Wirt­ sowie die veränderte Nachfrage nach Gü­ und Berufsfelder im Lauf der Zeit verän­
schaftsbereiche des primären (Land- und tern und Dienstleistungen haben zu einer dert. Die zehn am stärksten besetzten Be­
Forstwirtschaft, Fischerei), sekundären erheblichen Umverteilung der Erwerbs­ rufsgruppen von erwerbstätigen Männern
(Produzierendes Gewerbe) und tertiären tätigen und damit auch zu einem gesell­ und Frauen unterscheiden sich bis heute
Sektors (Dienstleistungen) zeigt im lang­ schaftlichen Wandel geführt. stark voneinander. u Tab 2

153
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

u Tab 2 Erwerbstätige Männer und Frauen in den zehn am stärksten 5.1.4 Beteiligung am Erwerbsleben
besetzten Berufsgruppen 2016 Längere Ausbildungszeiten und das frü­
Erwerbstätige in 1 000
here Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
führten ab den 1990er-Jahren zu stetig
Männer
sinkenden Erwerbsquoten. Dieser Trend
1 Maschinenbau- und Betriebstechnik 1 388
hat sich mittlerweile umgekehrt. Im Jahr
2 Lagerwirtschaft, Post, Zustellung, Güterumschlag 1 086 2016 lag die Erwerbsquote, das heißt der
3 Unternehmensorganisation und -strategie 1 048 Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstäti­
4 Fahrzeugführung im Straßenverkehr 920 ge und Erwerbslose) an der Bevölkerung
5 Elektrotechnik 596 ab 15 Jahren, in Deutschland bei 60 %.
6 Fahrzeug-, Luft-, Raumfahrt-, Schiffbautechnik 571 Dies war 1 Prozentpunkt mehr als 2006
7 Metallbearbeitung 502 und damit war die Erwerbsquote so hoch
8 Geschäftsführung und Vorstand 493 wie seit 1991 (59 %) nicht mehr. Dieser
9 Verkauf (ohne Produktspezialisierung) 487
Anstieg resultierte vorwiegend aus einer
gestiegenen Erwerbsquote der Frauen,
10 Hochbau 481
die seit 2006 um 4 Prozentpunkte ange­
Frauen
wachsen ist und 2016 bei 55 % lag. Die Er­
1 Büro und Sekretariat 1 550
werbsquote der Männer war im Zeitraum
2 Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege 1 272
seit 1991 (71 %) teilweise sogar rückläufig,
3 Verkauf (ohne Produktspezialisierung) 1 218 hat jedoch wieder leicht zugelegt und lag
4 Unternehmensorganisation und -strategie 1 197 2016 bei 66 %.
5 Reinigung 1 001 Betrachtet man nur die Bevölkerung
6 Verwaltung 897 im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jah­
7 Gesundheit, Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe 884 ren, lag die Erwerbsbeteiligung 2016 bei
8 Arzt- und Praxishilfe 672 78 %. Der entsprechende Wert lag 2006
9 Lehrtätigkeit an allgemeinbildenden Schulen 603 noch bei 75 %. Auch die höhere Erwerbs­
10 Altenpflege 546
beteiligung älterer Personen hatte einen
maßgeblichen Anteil an der insgesamt
Ergebnisse des Mikrozensus.
gestiegenen Erwerbsquote. Ein differen­
zierter Blick auf die Erwerbsbeteiligung
u Tab 3 Erwerbsquoten nach Altersgruppen — in Prozent einzelner Altersgruppen zeigt eine deut­
Früheres Bundes­gebiet Neue Länder liche Zunahme der Erwerbsquoten für
Deutschland
ohne Berlin und Berlin die 55- bis 59-Jährigen sowie die 60-
2006 2016 2006 2016 2006 2016 bis 64-Jährigen. Sie stiegen zwischen
2006 und 2016 um 8 beziehungsweise
im Alter von … bis … Jahren
25 Prozentpunkte, was vermutlich die
15 – 64 74,8 77,6 74,3 77,3 76,9 79,0
deutlich reduzierten Möglichkeiten einer
15 – 19 30,9 28,7 30,6 29,3 31,9 25,2
frühen Verrentung widerspiegelt. Die am
20 – 24 70,7 67,9 70,3 68,5 72,0 64,4 Arbeitsmarkt aktivste Altersgruppe im
25 – 29 81,1 82,3 80,8 82,2 82,0 82,6 Jahr 2016 waren die 45- bis 49-Jährigen
30 – 34 86,2 86,0 85,4 85,4 89,9 88,3 mit einer durchschnittlichen Erwerbs­
35 – 39 88,3 87,2 87,4 86,6 92,3 89,4 quote von 90 %. u Tab 3
40 – 44 90,1 89,1 89,3 88,6 93,5 91,1 Die Erwerbsbeteiligung in den neuen
45 – 49 88,9 90,1 88,2 89,8 91,9 91,3 Ländern und Berlin lag 2006 mit rund
50 – 54 84,9 87,5 83,6 87,4 89,4 87,9 77 % für die 15- bis 64-Jährigen noch
55 – 59 73,7 81,9 72,3 81,6 79,4 83,4
rund 3 Prozentpunkte über derjenigen
im früheren Bundesgebiet (rund 74 %).
60 – 64 33,2 58,3 34,3 58,6 29,6 57,2
Im Jahr 2016 hatte sich diese geringfügig
65 – 69 6,7 15,5 7,4 16,3 4,0 12,5
weiter angeglichen und lag bei 79 % in
70 – 74 3,0 6,5 3,4 7,1 1,4 4,7
den neuen Ländern und Berlin sowie bei
75 und älter 0,9 1,8 1,0 2,0 0,3 1,0
77 % im früheren Bundesgebiet. Ursache
Ergebnisse des Mikrozensus. für die langfristige Angleichung war vor

154
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

allem die steigende Erwerbsbeteiligung u Abb 6 Bevölkerung nach Alter und Beteiligung am Erwerbsleben 2016 — in Millionen
von Frauen in Westdeutschland. Ihre Er­
werbsquote ist im Alter von 15 bis 64 Jah­
ren in dem Zehnjahreszeitraum in Früheres Bundesgebiet ohne Berlin
­Ostdeutschland um 3 Prozentpunkte auf Männer Frauen
76 %, in Westdeutschland um rund 6 Pro­
zentpunkte auf 73 % gestiegen. Die Er­ 75 und älter
werbsbeteiligung von Männern befand 70 –74
sich in Ost- und Westdeutschland bereits
65–69
2006 auf einem ähnlichen Niveau (Ost:
60– 64
80 %; West: 81 %) und hat sich seitdem
kaum verändert (2016: im Osten mit 81 % 55–59

und im Westen mit 82 %). u Abb 6 50–54

Unterscheidet man die Bevölkerung 45–49


nach ihrer Staatsangehörigkeit, so zeigt 40–44
sich ein differenziertes Bild der Erwerbs­
35–39
beteiligung. Die Erwerbsquote der Perso­
30–34
nen mit deutscher Staatsangehörigkeit
ab 15 Jahren lag 2016 mit 60 % unter der 25–29

Erwerbsquote der ausländischen Bevölke­ 20–24

rung (61 %). Die etwas stärkere Erwerbs­ 15 –19


beteiligung der ausländischen Bevölke­
rung ist auf Personen aus anderen EU- 3 2 1 0 0 1 2 3 4

Mitgliedstaaten zurückzuführen, deren im Alter von ... bis ... Jahren


Erwerbsquote bei 72 % lag. Während die
Quote der deutschen Frauen mit 55 % hö­
her lag als die der ausländischen Frauen
Neue Länder und Berlin
(52 %), lag die Erwerbsquote der deut­
Männer Frauen
schen Männer (66 %) niedriger als die der
ausländischen Männer mit 69 %.
Unterschiede zwischen den Bevölke­ 75 und älter

rungsgruppen nach der Staatsangehörig­ 70 –74


keit zeigen sich auch bei der Erwerbs­ 65–69
losigkeit. Die Erwerbslosenquote von 60– 64
Personen mit ausländischer Staatsange­
55–59
hörigkeit war 2016 mit 8,5 % mehr als
50–54
doppelt so hoch wie die Quote der deut­
schen Bevölkerung (3,6 %). Unter den 45–49

Ausländerinnen und Ausländern aus 40–44


a nderen EU-Mitgliedstaaten war die
­ 35–39
E rwerbslosigkeit niedriger. Hier lag
­ 30–34
die Quote mit 5,4 % näher an dem Wert
25–29
der deutschen Bevölkerung. Sowohl bei
20–24
der deutschen als auch bei der ausländi­
schen Bevölkerung sind Männer etwas 15 –19

stärker von Erwerbslosigkeit betroffen 3 2 1 0 0 1 2 3 4


als Frauen. Während 3,8 % der deutschen
im Alter von ... bis ... Jahren
Männer erwerbslos waren, traf dies nur
Nichterwerbspersonen Erwerbslose Erwerbstätige
auf 3,3 % der deutschen Frauen zu. In
der ausländischen Bevölkerung waren
8,9 % der Männer und 8,0 % der Frauen
erwerbslos. Ergebnisse des Mikrozensus.

155
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

u Abb 7 Erwerbsquote nach Alter und Bildungsstand 2016 — in Prozent u Info 3


Ungenutztes Arbeitskräftepotenzial

Bildungsstand hoch Die vom Statistischen Bundesamt veröffent-


(Meister-/ Technikerausbildung, 92,7 lichten Zahlen zum ungenutzten Arbeits­
Fachhochschul-/ Universitäts- kräftepotenzial orientieren sich an einer EU-
82,2
abschluss, Promotion) weit gültigen Konzeption. Zum ungenutzten
Arbeitskräftepotenzial z­ ählen nicht nur
­Erwerbslose, sondern auch Erwerbstätige,
Bildungsstand mittel
die mehr arbeiten möchten und als Unter­
(abgeschlossene Lehr- 90,2
beschäftigte erfasst werden. Hinzu kommen
ausbildung, berufs- 70,0 Nichterwerbs­personen, die gern arbeiten
qualifizierender Abschluss)
würden, ­gemäß ILO-Konzept aber nicht
­e rwerbslos sind und zur sogenannten Stillen
­Reserve zählen (siehe auch Abb 1). Der von
Bildungsstand niedrig
68,8 der Statistik der Bundesagentur für Arbeit
(ohne anerkannten
beruflichen Abschluss) 56,2 verwendete Begriff der Unterbeschäftigung
unterscheidet sich vom hier verwendeten
Konzept. Dabei werden registrierte Arbeitslose
25- bis 54-Jährige 55- bis 64-Jährige sowie Teil­nehmerinnen und Teilnehmer an
Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik, die in
Nach dem höchsten beruflichen Abschluss. Bildungsstand siehe Kapitel 2.1, Seite 53, Info 2. der Beschäftigungsstatistik nicht als arbeits-
Ergebnisse des Mikrozensus. los gezählt werden, zusammengefasst.

Nach dem höchsten beruflichen Abschluss. Bildungsstand siehe Kapitel 2.1, Seite xx, Info 2.

Neben Geschlecht, Alter und Staats­ zwischen 56 % für diejenigen ohne einen Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial
angehörigkeit spielt der Bildungsstand beruf lichen Abschluss und 82 % für als Summe der Erwerbslosen, Unterbe­
(siehe Kapitel 2.1, Seite 53, Info 2) eine Hochschulabsolventen. Die niedrige Er­ schäftigten und der Stillen Reserve betrug
wichtige Rolle bei der Erwerbsbeteili­ werbsbeteiligung älterer Personen ohne im Jahr 2016 nach Ergebnissen der Arbeits­
gung. Von den 25- bis 54-jährigen Per­ anerkannten beruflichen Abschluss ging kräfteerhebung insgesamt 5,4 Millionen
sonen ohne anerkannten beruflichen Ab­ einher mit einer höheren Erwerbslosen­ Personen. Es setzte sich neben 1,8 Millio­
schluss waren 2016 mehr als zwei Drittel quote von 6,6 % im Vergleich zu Personen nen Erwerbslosen aus 2,6 Millionen Un­
(69 %) auf dem Arbeitsmarkt aktiv. Per­ mit Hochschulabschluss, deren Erwerbs­ terbeschäftigten und 1,0 Millionen Perso­
sonen, die ein mittleres berufliches Bil­ losenquote bei nur 2,3 % lag. nen in der Stillen Reserve zusammen.
dungsniveau aufwiesen (zum Beispiel Der grundlegende Zusammenhang Ein Blick auf die sogenannten Unter­
eine abgeschlossene Lehrausbildung), von Bildung und Erwerbsbeteiligung ist beschäftigten zeigt, dass auch bei den Er­
hatten eine Erwerbsquote von 90 %. Die­ für Frauen und Männer dieser Altersgrup­ werbstätigen noch ungenutztes Arbeits­
jenigen mit einem hohen beruflichen Bil­ pe gleich, auch wenn sich die Erwerbsbe­ kräftepotenzial vorhanden ist. Personen
dungsniveau (tertiäre Abschlüsse, zum teiligung der Frauen auf einem insgesamt in Unterbeschäftigung sind definiert
Beispiel Meister-, Fachhochschul- oder niedrigeren Niveau befindet. Je höher die als erwerbstätig, mit dem Wunsch nach
Hochschulabschluss) beteiligten sich zu berufliche Qualifikation, desto geringer zusätzlichen Arbeitsstunden, die für eine
93 % am Erwerbsleben. u Abb 7 der Unterschied in der Erwerbsbeteiligung. zusätzliche Arbeit innerhalb von zwei
Bei den Erwerbslosenquoten gab es Wochen verfügbar wären.
ähnlich deutliche Unterschiede je nach 5.1.5 Ungenutztes Von den insgesamt 2,6 Millionen un­
Bildungsstand: Bezogen auf die 25- bis Arbeitskräftepotenzial terbeschäftigt Erwerbstätigen übten
54-Jährigen waren die Erwerbslosen­ Im Zusammenhang mit den Diskussio­ 1,4 Millionen eine Teilzeit- und 1,2 Milli­
quoten von Personen ohne anerkannten nen um mögliche Folgen des demogra­ onen eine Vollzeittätigkeit aus. Unterbe­
beruf lichen Abschluss 2016 deutlich fischen Wandels für den Arbeitsmarkt schäftigung bei einer Vollzeittätigkeit ist
­höher als die Quoten von Personen mit rücken Arbeitsmarktstatistiken in den eine Männerdomäne. Von den 1,2 Millio­
tertiären Abschlüssen. So waren 9,8 % der Vordergrund, die das gegenwärtig unge­ nen Unterbeschäftigten in Vollzeit waren
Personen ohne berufliche Qualifikation nutzte Arbeitskräftepotenzial möglichst 74 % männlich. Bei den Unterbeschäftig­
erwerbslos, aber nur 2,2 % derjenigen mit vollständig abbilden. Neben »Erwerbs­ ten in Teilzeit hingegen dominieren die
einem Hochschul- oder sonstigen tertiä­ losigkeit« sind »Unterbeschäftigung« und Frauen: Hier waren von 1,4 Millionen be­
ren Abschluss. In der Altersgruppe der »Stille Reserve« zusätzliche neue Indi­ troffenen Personen 72 % weiblich.
55- bis 64-Jährigen unterschieden sich katoren innerhalb des Labour-Force- Personen in der Stillen Reserve gehen
die Erwerbsquoten noch deutlicher nach Konzeptes, die im Jahr 2011 auf EU-Ebene ebenso wie Erwerbslose überhaupt keiner
Bildungsstand. Sie bewegten sich 2016 festgelegt wurden (siehe Abb 1). u Info 3 Erwerbsarbeit nach. Sie zählen nach den

156
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

Kriterien der Internationalen Arbeitsor­ Alter ab 15 Jahren in Teilzeit ­t ätig (47 %). weitere Gründe für eine Teilzeitbeschäfti­
ganisation nicht zu den Erwerbslosen, Unter den Männern betrug dieser Anteil gung. Ein großer Teil der Erwerbstätigen
wünschen sich aber grundsätzlich eine nur 11 %. arbeitet aus familiären Gründen in Teil­
Arbeit. Zur Stillen Reserve gehören Nicht alle Teilzeitbeschäftigten arbei­ zeit: Im Jahr 2016 nannten 23 % die Be­
Personen, die zwar Arbeit suchen, jedoch ten freiwillig verkürzt. Teilzeittätige, die treuung von Kindern oder anderen Ange­
im Moment kurzfristig für eine Arbeits­ gern Vollzeit arbeiten würden, aber auf hörigen als Grund, 16 % sonstige familiäre
aufnahme nicht zur Verfügung stehen. dem Arbeitsmarkt keine entsprechende Verpflichtungen. Frauen übten deutlich
Ebenfalls dazu zählen Personen, die aus Stelle finden, werden auch als »unfreiwil­ häufiger eine Teilzeitbeschäftigung aus
verschiedenen Gründen gerade keine lig« Teilzeitbeschäftigte bezeichnet. Im familiären Gründen aus als Männer. Bei
­A rbeit suchen, aber grundsätzlich gern Jahr 2016 gaben 11 % als Hauptgrund für den Frauen nannten 47 % eine der beiden
arbeiten würden und für diese Arbeit die Teilzeitarbeit an, dass sie keinen ganz­ erwähnten Ursachen, aber gerade einmal
auch verfügbar sind. Unter den gut tägigen Arbeitsplatz finden konnten. 10 % der Männer. Ein großer Teil der
1,0 Millionen Personen in Stiller Reserve Knapp 10 % der Teilzeit beschäftigten Männer nannte hingegen als Hauptgrund
im Jahr 2016 waren Frauen und Männer Frauen und 15 % der Männer waren für die Teilzeitarbeit eine parallel laufen­
zu etwa gleichen Teilen vertreten. ­eigentlich auf der Suche nach einem Voll­ de Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme
Bei den Menschen, die sich nicht am zeitjob. Da Frauen jedoch sehr viel häufi­ (23 %), bei Frauen traf dies lediglich bei
Erwerbsleben beteiligten, gab es deutlich ger in Teilzeit arbeiten, war hier die abso­ 6,5 % zu. Aus anderen Gründen wünsch­
mehr Frauen (11,0 Millionen) als Männer lute Zahl der Frauen deutlich höher als ten sich 36 % der Teilzeitbeschäftigten
(8,2 Millionen). Der Wunsch nach Arbeit die der Männer. Der Anteil der unfreiwil­ keine Vollzeittätigkeit. Inwiefern bei
ist unter den Männern auch etwas ausge­ lig Teilzeitbeschäftigten insgesamt ging ­d iesen Gruppen Teilzeitarbeit freiwillig
prägter: So gehörten 6,3 % der männli­ von 2006 bis 2016 um 11 Prozentpunkte ausgeübt wird, kann nicht abschließend
chen Nichterwerbspersonen zur Stillen zurück: Bei den Männern fiel er zwischen geklärt werden. Es ist jedoch davon aus­
Reserve, während es bei den weiblichen 2006 und 2016 um 19 Prozentpunkte, bei zugehen, dass Veränderungen bei Ange­
Nichterwerbspersonen 4,7 % waren. den Frauen um 10 Prozentpunkte. boten für Kinderbetreuung und Pflege
Neben dem Umstand, keine Vollzeit­ Wünsche nach Vollzeit- oder Teilzeit­
5.1.6 Teilzeitbeschäftigung stelle gefunden zu haben, gibt es noch arbeit beeinflussen. u Abb 8
Eine Teilzeitbeschäftigung ermöglicht es
in der Regel, Familie und Beruf zeitlich
besser miteinander zu vereinbaren. Eine
u Abb 8 Hauptgrund für Teilzeitbeschäftigung 2016— in Prozent
reduzierte Arbeitszeit bedeutet jedoch
häufig, auf Teile des Verdienstes und der
Altersvorsorge zu verzichten sowie einge­
47,2
schränkte Karrieremöglichkeiten in Kauf Erwerbstätige in Teilzeit
11,1
zu nehmen. In der Arbeitskräfteerhebung
gilt als Teilzeit jede Arbeitszeit, die weni­ davon mit Hauptgrund:

ger Arbeitsstunden als die Arbeitszeit der Betreuung von Kindern oder 28,5
pflegebedürftigen Personen 3,7
Vollzeitkräfte im gleichen Betrieb bezie­
hungsweise in der gleichen Branche um­ sonstige persönliche oder 18,6
fasst. Sie wird anhand der Selbsteinstu­ familiäre Verpflichtungen 6,1

fung der Befragten erhoben. Im Jahr 2016


10,1
waren in Deutschland 11,5 Millionen Vollzeittätigkeit nicht zu finden
15,4
Personen im Alter von 15 Jahren und älter
in Teilzeit beschäftigt. Ihr Anteil an allen in Ausbildung oder in 6,5
beruflicher Fortbildung 22,6
Erwerbstätigen lag 2016 bei 28 %. Seit
2006 ist der Anteil um 2,1 Prozentpunkte Krankheit, Unfallfolgen, 2,8
gestiegen. Das realisierte Angebot an Behinderungen 7,0

­A rbeit – gemessen am Arbeitsvolumen –


33,6
wurde im Lauf der Jahre auf mehr Schul­ sonstige Gründe
45,1
tern verteilt. Dadurch arbeiten mehr Per­
sonen in einer Teilzeitbeschäftigung, vor­
Frauen Männer
wiegend sind dies Frauen. Im Jahr 2016
Erwerbstätige 15 Jahre und älter.
war fast jede zweite erwerbstätige Frau im Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung.

157
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

5.1.7 Atypische Beschäftigung, einer Arbeitsstelle ist eine unbefristete Selbstständige Tätigkeiten werden
­Normalarbeitsverhältnis und abhängige Beschäftigung. Sie geht von nicht arbeitsvertraglich geregelt und brin­
Selbstständigkeit ­einer Vollzeittätigkeit aus, bei der Arbeit­ gen allein dadurch vielfältigere Arbeits­
Die Zahl der Erwerbstätigen sagt zwar et­ nehmerinnen und Arbeitnehmer unmit­ bedingungen mit sich. Einkommen, Ar­
was darüber aus, wie viele Menschen zu telbar bei oder direkt im Auftrag für beitsumfang und ob eine Geschäftsbasis
einem bestimmten Zeitpunkt gearbeitet ­einen Arbeitgeber arbeiten, und davon, längerfristig die Existenz sichern kann,
haben, aber noch nichts über den Um­ dass ein Arbeitsvertrag zwischen den bei­ variieren stark. Aus diesem Grund wird
fang und die Dauerhaftigkeit der Er­ den geschlossen wurde. In der Realität ist Selbstständigkeit gesondert von Normal-
werbstätigkeit. Der deutsche Arbeits­ das auch nach wie vor der am häufigsten und atypischer Beschäftigung betrachtet.
markt ist in den letzten 25 Jahren hetero­ anzutreffende Fall. Dieses sogenannte Von den 37,1 Millionen Erwerbstä­
gener geworden. Arbeitsverträge werden Normalarbeitsverhältnis erhält seine tigen im Alter von 15 bis 64 Jahren, die
in geringerem Umfang auf Basis von ­B edeutung durch seine ungebrochene sich nicht in Bildung oder Ausbildung
­F lächentarifverträgen geregelt. Teilzeit­ Dominanz auf dem Arbeitsmarkt und der befanden (sogenannte Kernerwerbstätige,
beschäftigung und geringfügige Beschäf­ damit verbundenen Ausrichtung der siehe Info 4), waren 2016 rund 25,6 Milli­
tigung (Minijobs) haben zugenommen. ­S ozialsysteme auf diesen »Normalfall«. onen Personen normalerwerbstätig und
Erwerbsformen, die Unternehmen mehr Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass 7,7 Millionen atypisch beschäftigt. Damit
Flexibilität geben, wie befristete Beschäf­ Beschäftigungsformen, die der Sammel­ befand sich mehr als jeder fünfte Er­
tigung oder Leiharbeit, haben an Bedeu­ begriff »atypische Beschäftigung« zusam­ werbstätige (21 %) in einem atypischen
tung gewonnen. Sie bringen für die so menfasst, an Bedeutung zugenommen Beschäftigungsverhältnis, das mindes­
Tätigen andere Beschäftigungsbedingun­ haben. Sie prägen das Arbeitsleben für tens eines der folgenden Elemente auf­
gen mit sich als ein Normalarbeitsver­ eine nicht unwesentliche Zahl von Er­ wies: eine Befristung (2,7 Millionen Per­
hältnis. Die klassische Vorstellung von werbstätigen. u Info 4, Abb 9 sonen), eine Teilzeitbeschäftigung mit

u Abb 9 Erwerbsformen
u Info 4
Erwerbsformen
Um ein besseres Verständnis für die Rahmenbe-
dingungen zu erlangen, unter denen die Menschen
erwerbstätig sind, berichtet das Statistische
­Bundesamt zusätzlich über die Erwerbsformen,
in denen sie arbeiten, also ob Erwerbstätige
selbstständig sind, sich in einem Normalarbeits-
verhältnis befinden oder in einer Form atypischer
Beschäftigung. Zu den atypisch Beschäftigten
zählen befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte
mit bis zu 20 Wochenstunden, geringfügig Be-
schäftigte (unter anderem sogenannte 450-Euro-
Jobs, Minijobs) sowie Personen in Leiharbeit.
Ein Normalarbeitsverhältnis ist ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis, das in Vollzeit bezie-
hungsweise Teilzeit mit über 20 Wochenstunden
und unbefristet ausgeübt wird. Ein Normalarbeit-
nehmer arbeitet zudem direkt in dem Unterneh-
men, mit dem er einen Arbeitsvertrag hat. Ergeb-
nisse zur atypischen Beschäftigung beziehen
sich auf Kernerwerbstätige, das heißt auf Perso-
nen im Alter von 15 bis 64 Jahren, soweit sie
nicht in Bildung oder Ausbildung sind. Diese
Gruppe der Kernerwerbstätigen befindet sich in
einem Lebensabschnitt, in dem Erwerbsarbeit
in deutlich stärkerem Maße als Schwerpunkt der
Lebensgestaltung gesehen wird als beispiels­
weise während der Ausbildung oder im Ruhestand.
Sie gilt daher, vor allem im Rahmen der Bericht­
erstattung zur atypischen Beschäftigung, als
­B ezugsgröße für die Berechnung von Quoten.

158
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Tab 4 Kernerwerbstätige in einzelnen Erwerbsformen — in Millionen


Selbst­ständige Abhängig Beschäftigte
atypisch Beschäftigte
darunter Normal-
Insgesamt ¹ und zwar ²
Solo-­ arbeit-
zusammen zusammen
Selbst- nehmer/ zusammen Teilzeit- Zeitarbeit-
ständige -innen befristet geringfügig
beschäf- nehmer /
Beschäftigte Beschäftigte
tigte ³ -innen
1991 34,68 2,86 1,28 31,39 28,67 4,44 1,97 2,56 0,65 –
1996 33,26 3,21 1,52 29,75 24,76 4,99 1,90 3,19 1,10 –
2001 33,71 3,41 1,68 29,94 23,83 6,11 2,21 4,13 1,82 –
2006 33,88 3,83 2,13 29,75 22,17 7,57 2,73 4,86 2,66 0,56
2011 35,11 3,92 2,19 31,04 23,19 7,86 2,81 4,97 2,61 0,75
2014 35,88 3,74 2,05 32,02 24,52 7,51 2,46 4,87 2,34 0,67
2015 36,16 3,69 1,99 32,37 24,83 7,53 2,53 4,84 2,34 0,67
2016 37,05 3,65 1,99 33,30 25,64 7,66 2,66 4,81 2,17 0,74

Nur Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64 Jahren, nicht in Bildung, Ausbildung oder einem Wehr-/Zivil- sowie Freiwilligendienst.
Bis 2004 Ergebnisse einer Berichtswoche im Frühjahr; ab 2005 Jahresdurchschnittswerte sowie geänderte Erhebungs- und Hochrechnungsverfahren.
Ab 2011 geänderte Erfassung des Erwerbsstatus; Hochrechnung anhand der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des Zensus 2011.
Ab 2016 aktualisierte Auswahlgrundlage der Stichprobe auf Basis des Zensus 2011.
1 Umfasst auch mithelfende Familienangehörige, die in der Tabelle nicht gesondert ausgewiesen sind.
2 Angaben lassen sich nicht aufsummieren, da sich die Gruppen überschneiden.
3 Mit höchstens 20 Arbeitsstunden pro Woche.
– Nichts vorhanden.
Ergebnisse des Mikrozensus.

maximal 20 Wochenstunden (4,8 Millio­ schäftigt. Während hoch qualifizierte Er­ es Anfang der 1990er-Jahre noch mehr
nen Personen), Geringfügigkeit im Sinne werbstätige dabei am häufigsten befristet Selbstständige mit Beschäftigten als ohne
des Sozialrechts (2,2 Millionen Personen) oder in Teilzeit bis 20 Wochenstunden be­ gegeben, hat sich dies mittlerweile umge­
oder Zeit- beziehungsweise Leiharbeit schäftigt waren, befanden sich Geringqua­ kehrt. Diese Entwicklung bei den Solo-
(0,7 Millionen Personen). Im Jahr 2006 lifizierte überdurchschnittlich häufig in Selbstständigen könnte ein Hinweis da­
hatte der Anteil atypischer Beschäftigung allen Formen atypischer Beschäftigung. rauf sein, dass abhängig Beschäftigte ver­
bei 22 % gelegen. u Tab 4 Am häufigsten arbeiteten sie in einer Teil­ stärkt in die Selbstständigkeit drängten
Die Verschiebung der Anteile zwi­ zeitbeschäftigung bis 20 Wochenstunden oder gedrängt wurden, es also Substitu­
schen Normalbeschäftigung und atypi­ oder in geringfügiger Beschäftigung. tionsprozesse von abhängiger Beschäfti­
scher Beschäftigung zeichnete sich bereits Von den 37,1 Millionen Kernerwerbs­ gung durch Selbstständigkeit gab. Auch
1996 ab. Damals lag der Anteil atypisch tätigen im Jahr 2016 waren 3,7 Millionen die von den Arbeitsagenturen geförderten
Beschäftigter bei 15 %. Er stieg kontinu­ selbstständig. Knapp 1,7 Millionen von Selbstständigkeiten (Existenzgründungs­
ierlich an und lag zwischen 2006 und ihnen führten ein Unternehmen mit zuschüsse, Ich-AG, Einstiegsgelder) tru­
2010 in etwa auf dem gleichen Niveau von mindestens einem Beschäftigten und gen zu dieser Entwicklung bei. Seit 2012
rund 22 %. Seit 2011 ist eine leicht rück­ 2,0 Millionen waren als sogenannte Solo- sind die Anteile der Selbstständigen an
läufige Tendenz zu verzeichnen. Selbstständige ohne Beschäftigte unter­ den Kernerwerbstätigen jedoch wieder
Bei der Normalbeschäftigung kehrte nehmerisch tätig. Damit waren von den rückläufig.
sich der Trend eines immer weiter sin­ Kernerwerbstätigen rund 4,5 % Selbst­
kenden Anteils ab dem Jahr 2006 um. ständige mit Beschäftigten und 5,4 % 5.1.8 Erwerbstätigkeit
Dieser ist seitdem bis auf 69 % im Jahr solo-­selbstständig. als Unterhaltsquelle
2016 gestiegen. In den zurückliegenden 20 Jahren stag­ Rund 53 % der Personen im Alter von 15
Personen mit einer geringeren berufli­ nierte der Anteil der Selbstständigen mit und mehr Jahren bestritten 2016 ihren
chen Qualifikation sind deutlich häufiger Beschäftigten weitestgehend und lag mit Lebensunterhalt überwiegend aus eigener
atypisch beschäftigt. Im Jahr 2016 waren 5,1 % im Jahr 1996 nur um 0,6 Prozent­ Erwerbstätigkeit. Dieser Anteil hat sich
36 % der Erwerbstätigen ohne eine aner­ punkte höher als 2016 (4,5 %). Der Anteil gegenüber 2006 erhöht. Damals lag er bei
kannte Berufsausbildung atypisch be­ der Solo-Selbstständigen ist im selben rund 48 %. Die Relevanz anderer Quellen
schäftigt; damit lag der Anteil deutlich Zeitraum um 0,8 Prozentpunkte von des überwiegenden Lebensunterhaltes hat
über dem aller Erwerbstätigen (21 %). Er­ 4,6 % auf 5,4 % gestiegen, auch wenn der sich in den vergangenen zehn Jahren nur
werbstätige mit einem (Fach-)Hochschul­ Anstieg nicht konstant und der Anteil in wenig verändert. Im Jahr 2016 lebten zum
abschluss waren nur zu 14 % atypisch be­ den letzten Jahren rückläufig war. Hatte Beispiel 7 % der Bevölkerung ab 15 Jahren

159
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

u Abb 10 Bevölkerung nach überwiegendem Lebensunterhalt 2016 und 46 % der Frauen ihren überwiegen­
— in Prozent den Lebensunterhalt durch Erwerbstätig­
keit. Im Vergleich zu 2006 (58 %) verän­
derte sich für die Männer dieser Anteil
Männer
nur wenig. Der Anteil der Frauen, die ih­
ren Lebensunterhalt vorwiegend durch
59,6
Erwerbstätigkeit die eigene Erwerbstätigkeit finanzierten,
56,1
ist jedoch um 7 Prozentpunkte gestiegen;
Rente, Pension, 24,3 er hatte 2006 lediglich bei rund 39 % ge­
eigenes Vermögen 28,0
legen. Trotzdem blieben westdeutsche
ALG I, ALG II, 7,1 Frauen deutlich – mit einem Unterschied
Sozialhilfe, BAföG usw. 10,0 von 14 Prozentpunkten – hinter den
westdeutschen Männern zurück. Frauen
Einkünfte von 9,0
Angehörigen 5,9 in Westdeutschland sind auch weiterhin
häufiger auf andere Finanzierungsquellen
0,0 angewiesen als Frauen im Osten. Dort
Elterngeld
0,1
lebten 48 % der Frauen hauptsächlich von
der eigenen Erwerbstätigkeit und der Un­
terschied zum entsprechenden Anteil der
Frauen
Männer (56 %) war mit 8 Prozentpunkten
46,0
geringer. u Abb 10
Erwerbstätigkeit
47,7 Bei den Anteilen anderer Unterhalts­
quellen zeigten sich zwischen den Ge­
Rente, Pension, 26,2
schlechtern, aber auch im Vergleich von
eigenes Vermögen 35,4
Ost- und Westdeutschland geringere Un­
ALG I, ALG II, 6,1 terschiede. Die Bedeutung des Arbeits­
Sozialhilfe, BAföG usw. 8,8
losengeldes und anderer Sozialleistungen
Einkünfte von 21,7
als überwiegende Unterhaltsquelle hat
Angehörigen 8,1 in Ostdeutschland im betrachteten Zeit­
raum abgenommen und ist von 15 %
0,8
Elterngeld
1,2
(2006) auf 9 % im Jahr 2016 gesunken.
Der Anteil der Personen mit Renten und
eigenem Vermögen als Haupteinkom­
früheres Bundesgebiet neue Länder und Berlin mensquelle hat sich seit 2006 (26 %) in
Deutschland insgesamt kaum verändert
Bevölkerung 15 Jahre und älter. und lag 2016 bei rund einem Viertel
Ergebnisse des Mikrozensus.
(Männer: 25 %; Frauen: 28 %). Auffallend
ist der hohe Anteil an Frauen in Ost­
Bevölkerung 15 Jahre und älter.
Ergebnisse des Mikrozensus. deutschland, die zu 35 % überwiegend
von Renten, Pensionen oder eigenem Ver­
mögen lebten. Dies kann auf die stärkere
hauptsächlich von Sozialleistungen wie geld, das 2016 für 0,5 % der Bevölkerung Erwerbsbeteiligung von Frauen in der
Arbeitslosengeld, Leistungen nach Sozial­ ab 15 Jahren die wichtigste Quelle des Le­ ehemaligen DDR – und dem damit ver­
gesetzbuch II (Hartz IV) oder BAföG, bensunterhalts darstellte. bundenen weiter verbreiteten Anspruch
2006 waren es 9 %. Durch Rente, Pension Während sich im gesamten Bundes­ auf Rente – zurückgeführt werden.
oder eigenes Vermögen finanzierten sich gebiet im 10-Jahres-Vergleich kaum Än­
27 % im Jahr 2016, ähnlich hoch lag der derungen bei den Unterhaltsquellen zeig­ 5.1.9 Registrierte Arbeitslose
Anteil vor zehn Jahren (26 %). Der Anteil ten, waren zwischen Ost- und West­ und gemeldete Arbeitsstellen
derjenigen, deren Unterhalt hauptsäch­ deutschland und zwischen Männern und Dieser Abschnitt stellt Ergebnisse für die
lich von Angehörigen finanziert wurde, Frauen unterschiedliche Trends zu beob­ nationale Arbeitsmarktbeobachtung aus
sank von 17 % (2006) auf 14 % (2016). Neu achten. Im Jahr 2016 verdienten im frü­ der Statistik der Bundesagentur für Arbeit
hinzugekommen ist seit 2007 das Eltern­ heren Bundesgebiet 60 % der Männer (BA) dar.

160
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Tab 5 Registrierte Arbeitslose, offene Stellen und Arbeitslosenquoten


Registrierte Arbeitslose Gesamt- Arbeitslosenquote 3
Gemeldete
wirtschaftliches
insgesamt Männer Frauen Arbeitsstellen 1 insgesamt Männer Frauen
Stellenangebot 2
in 1 000 in %
1991 2 602,2 1 280,6 1 321,6 362,8 . . . .
1997 4 384,5 2 342,4 2 042,1 337,1 . 11,4 10,8 12,2
2005 4 860,9 2 603,0 2 257,6 255,8 . 11,7 11,7 11,8
2007 3 760,6 1 893,7 1 866,9 423,4 . 9,0 8,5 9,6
2012 2 897,1 1 550,4 1 346,7 477,5 812,3 6,8 6,9 6,8
2015 2 794,7 1 517,2 1 277,5 568,7 933,0 6,4 6,6 6,2
2016 2 691,0 1 482,7 1 208,3 655,5 988,0 6,1 6,4 5,8
2017 2 532,8 1 398,1 1 134,7 730,6 1 110,9 5,7 5,9 5,4

1 Bis 1999 einschließlich geförderter Stellen (Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). Grundlage ist die Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit.
2 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)-Stellenerhebung: Gesamtwirtschaftliches Stellenangebot (sofort zu besetzende Stellen). Jahresdurchschnitt auf Basis der publizierten Quartalswerte.
3 Arbeitslosenquoten bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen.
. Zahlenwert unbekannt.
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)

Aufgrund verwaltungsrechtlicher Maß­ Statistik der Bundesagentur für Arbeit von 17,8 % entsprach, und bewegte sich
nahmen und Reformen ist die Aussage­ führt die bisherige Arbeitsmarktstatistik danach konstant auf relativ hohem
kraft der Zeitreihen zu den Arbeitslosen unter Einbeziehung der Grundsicherung N iveau zwischen 17,3 % und 18,7 %.
­
eingeschränkt. An dieser Stelle kann nur für Arbeitsuchende weiter. Erst seit 2006 ist die Arbeitslosenzahl in
kurz auf die bedeutendsten Änderungen Die nachfolgend dargestellten Ar­ Ostdeutschland wieder merklich rück­
eingegangen werden. Mit der Überarbei­ beitslosenquoten beziehen sich auf alle läufig und sank 2017 auf eine Quote von
tung des Zweiten Buches des Sozial­ zivilen Erwerbspersonen. Diese Quoten­ 7,6 % beziehungsweise knapp 639 000 Ar­
gesetzbuches (SGB II) haben sich in berechnung steht seit 2009 im Vorder­ beitslose.
Deutschland seit dem 1. Januar 2005 die grund der Berichterstattung, Ergebnisse Die gesamtdeutsche Entwicklung war
Grundlagen der Arbeitsmarktstatistik ge­ liegen für Deutschland insgesamt ab in den Jahren 1996 bis 2006 durch meist
ändert. Aus der Zusammenlegung von 1992 und für die Teilgebiete Ost- und zweistellige Arbeits­losenquoten gekenn­
Arbeitslosen- und Sozialhilfe folgte zum Westdeutschland ab 1994 vor. zeichnet; nur während einer positiven
einen eine deutliche Ausweitung der Zahl Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen Phase zwischen 2000 und 2002 fielen die
der Arbeitslosen, auch wenn die Definiti­ nach der deutschen Vereinigung ist nicht Quoten leicht unter 10 %. Die Zahl der
on von Arbeitslosigkeit im SGB III un­ allein auf die wirtschaftlich schwache Arbeits­losen bewegte sich in diesem Zeit­
verändert blieb. Seit der Reform gelten ­Situation in den neuen Bundesländern raum in der Größenordnung von 4 Milli­
prinzipiell alle Personen ohne Arbeit als zurückzuführen. Auch in Westdeutsch­ onen Personen. Ab dem Jahr 2007 blieb
arbeitslos, die staatliche Hilfe beanspru­ land sind ab 1992 die Arbeitslosenquoten die Quote dann stetig unter der 10-Prozent-
chen, erwerbsfähig sind und deren Alter merklich gestiegen. Im Jahr 1997 lag die Marke. Nach einem leichten ­A nstieg im
zwischen 15 und dem Renteneintrittsal­ Arbeitslosenquote im Westen bei 9,6 % Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschafts­
ter liegt. Ausgenommen von dieser Regel und erreichte nach einem Rückgang krise 2008/2009 und eines schwächeren
sind nur Personen, die dem Arbeitsmarkt durch die folgende konjunkturelle Bele­ Wachstums 2013 sank die Arbeitslosen­
nicht zur Verfügung stehen (zum Beispiel bung dann 2005 einen neuen Höchstwert quote im Jahr 2017 auf einen neuen Tief­
durch Krankheit oder weil sie Schüler be­ von 9,9 %. stand von 5,7 % beziehungsweise 2,5 Mil­
ziehungsweise Schülerinnen oder Studie­ Im Osten ist die hohe Arbeitslosig­ lionen Personen. u Tab 5
rende sind oder weil sie sich in arbeits­ keit hauptsächlich auf die Anpassung Die Zahl der gemeldeten Arbeitsstel­
marktpolitischen Maßnahmen befinden). der Wirtschaftsstruktur zurückzufüh­ len lag 2017 durchschnittlich bei 730 600.
Durch diese Umstellung sind die Arbeits­ ren. Dadurch wurden zunächst mehr Ar­ Das waren deutlich mehr Stellen als im
agenturen nur noch für einen Teil der beitskräfte freigesetzt als neu eingestellt. Jahr der Wirtschaftskrise 2009 (300 600
Arbeitslosen zuständig. Für die Grundsi­ Im Jahresdurchschnitt 1991 hatten sich gemeldete Arbeitsstellen) und gleich­
cherung für Arbeitsuchende nach SGB II 1,0 Millionen Personen arbeitslos ge­ zeitig der höchste Wert seit Beginn der
sind neben den Arbeitsagenturen auch meldet. Bis zum Jahr 1998 stieg die Zahl Darstellung. Analog zu den Zahlen über
kommunale Träger verantwortlich. Die auf 1,5 Millionen an, was einer Quote registrierte Arbeitslose handelt es sich bei

161
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

der Zahl gemeldeter Arbeitsstellen aus­ beitsagentur gemeldet werden. Die Melde­ Deutschland 1 von 100 000 erwerbstätigen
schließlich um bei der Arbeitsvermitt­ quote lag 2017 bei 66 %. Personen Opfer eines tödlichen Arbeits­
lung gemeldete Stellen mit Vermittlungs­ unfalls wurde. Als tödlicher Unfall wird
auftrag. Sie stellt somit nur einen Aus­ 5.1.10 Sicherheit am Arbeitsplatz hier gezählt, wenn dieser innerhalb eines
schnitt des gesamtwirtschaftlichen Ein »guter Job« ist für viele Menschen Jahres nach dem Unfall zum Tod des
Stellenangebots dar. Ab dem Jahr 2000 eine wichtige Voraussetzung für Zufrie­ ­O pfers führt. Dabei ist ein deutlicher
werden ausschließlich ungeförderte Stel­ denheit und Lebensqualität. Viele Aspek­ Rückgang gegenüber 1995 (3 von 100 000)
lenangebote am sogenannten ersten Ar­ te machen die Qualität der Arbeit aus: zu verzeichnen. Rund 95 % der Unfälle
beitsmarkt (ohne Arbeitsgelegenheiten Neben dem Einkommen spielen unter mit tödlichem Ausgang betrafen Männer.
oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) anderem die Arbeitszeit, die Zusammen­ Dies ist vor allem darauf zurückzuführen,
dargestellt. arbeit mit Kolleginnen und Kollegen so­ dass Männer häufiger in Branchen mit
Um das Stellenangebot umfassender wie Qualifikations-, Weiterbildungs- und höheren Unfallgefahren arbeiten. Am
abbilden zu können, führt das Institut Aufstiegsmöglichkeiten dabei eine Rolle, häufigsten kamen tödliche Arbeitsunfäl­
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wie die Erwerbstätigen ihre Arbeitsbe­ le in den Bereichen Verkehr und Lagerei,
der Bundesagentur für Arbeit quartals­ dingungen wahrnehmen (zur subjektiven Baugewerbe sowie bei der Wasserversor­
weise eine Betriebsbefragung durch. Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen gung, Abwasser- und Abfallentsorgung
­Diese liefert vergleichbare Ergebnisse ab siehe Kapitel 5.4, Seite 185). vor. Die Anzahl nicht tödlicher Arbeits­
dem Jahr 2011 und ist repräsentativ für Eine grundlegende Voraussetzung für unfälle, die einen Ausfall von mehr als
alle Betriebe mit mindestens einem sozi­ eine »gute« Arbeit ist, ob man diese unter drei Arbeitstagen nach sich ziehen, ist
alversicherungspflichtigen Angestellten. sicheren Bedingungen ausführen kann. seit Anfang der 1990er-Jahre ebenfalls
Im Jahr 2017 gab es demnach im Durch­ Je seltener Arbeitsunfälle auftreten, desto rückläufig. Im Jahr 2015 hatten von
schnitt etwas mehr als 1,1 Millionen zu besser ist die Sicherheit am Arbeitsplatz 100 000 Erwerbstätigen 1 800 Menschen
besetzende Stellen auf dem ersten Ar­ gewährleistet. Die Europäische Statistik einen Arbeitsunfall ohne tödlichen Aus­
beitsmarkt. Damit wird deutlich, dass der Arbeitsunfälle (ESAW) erhob auf gang. Wie bei den tödlichen Arbeits­
es gesamtwirtschaftlich wesentlich mehr ­Basis der Meldungen an die gesetzlichen unfällen, waren Männer auch bei nicht
zu besetzende Stellen gibt, als der Ar­ Unfallversicherungen, dass 2015 in tödlichen Arbeitsunfällen häufiger be­
troffen als Frauen: Auf 100 000 erwerbs­
tätige Frauen kamen rund 1 000 Unfälle,
bei Männern rund 2 600. Der Wirt­
schaftszweig Wasserversorgung und Ab­
Rund 5 % aller Erwerbstätigen fallentsorgung war 2015 am häufigsten
haben mindestens zwei Jobs von nicht tödlichen Unfällen betroffen
Im Jahr 2016 hatten nach Ergebnissen dagegen geringere Unterschiede: 6,0 % (5 000 Unfälle je 100 000 Erwerbstätige).
der Arbeitskräfteerhebung 5,3 % aller der erwerbstätigen Frauen und 4,8 % Auch im Bereich Baugewerbe traten nicht
Erwerbstätigen in Deutschland neben der erwerbstätigen Männer gingen ei­ ­tödliche Arbeitsunfälle mit rund 4 900 je
ihrer Haupttätigkeit mindestens eine ner weiteren Beschäftigung nach. 100 000 Erwerbstätigen vergleichsweise
weitere Tätigkeit. Dies waren rund ­H intergrund für den höheren Anteil häufig auf.
2,0 Millionen Personen; ihre Zahl hat bei den Frauen ist, dass Mehrfach­
sich seit 2011 um knapp 0,8 Prozent­ beschäftigungen häufiger bei Teilzeit­ 5.1.11 Arbeitszeiten
punkte erhöht. erwerbstätigen vorkommen, bei denen Die Arbeitszeit hat einen bedeutenden
Am häufigsten waren Mehrfachbe­ wiederum der Frauenanteil deutlich Einf luss auf die Lebensqualität der Er­
schäftigungen bei Erwerbstätigen in höher ist. werbstätigen. Überlange Arbeitszeiten,
mittleren Altersgruppen: So betrug der Im Nebenjob arbeiteten Erwerbs­ Abend-, Nacht- oder Wochenendarbeit
Anteil der Personen mit einer weiteren tätige im Durchschnitt 8,2 Stunden können sowohl die Gesundheit als auch
Tätigkeit bei den 35- bis 44-Jährigen pro Woche. Dabei war die Arbeitszeit das Privatleben negativ beeinträchtigen.
6,3 % und bei den 45- bis 54-Jährigen im Zweitjob bei Selbstständigen mit Als Erwerbstätige mit überlangen
5,9 %. Junge Menschen unter 25 Jahren Beschäftigten (13,3 Stunden) deutlich ­A rbeitszeiten gelten alle Personen, die in
(3,7 %) und Personen über 65 Jahre länger als bei Arbeitnehmerinnen und der Regel mehr als 48 Stunden in der
(2,4 %) hatten seltener zwei oder mehr Arbeitnehmern (7,6 Stunden) oder ­Woche arbeiten. Rund jede neunte Voll­
Tätigkeiten. Nach Geschlecht gab es Solo-Selbstständigen (8,5 Stunden). zeit ­erwerbstätige Person ab 15 Jahren
(11 %) gab 2016 an, gewöhnlich mehr als
48 Stunden pro Woche zu arbeiten. Sol­

162
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

che langen Arbeitszeiten betreffen vor u Abb 11 Erwerbstätige, die samstags und sonntags arbeiten
­a llem Männer: 14 % der Männer, aber nach Wirtschaftssektoren 2016 — in Prozent
nur 7 % der Frauen gaben an, überlange
Arbeitszeiten zu haben. Mit zunehmen­
dem Alter steigt der Anteil. Während nur 57,4
Land- und Forstwirt-
2 % der Vollzeiterwerbstätigen im Alter schaft, Fischerei 44,7
44,2
von 15 bis 24 Jahren mehr als 48 Stunden
wöchentlich arbeiteten, lag dieser Anteil Produzierendes Gewerbe
bei Vollzeittätigen zwischen 55 und
64 Jahren bei 14 %. Einer der Gründe für Produzierendes Gewerbe 17,1
ohne Baugewerbe 9,4
die deutlichen Altersunterschiede ist der 8,3
hohe Anteil überlanger Arbeitszeiten bei
Führungskräften, die eher in den höhe­ Baugewerbe 11,4
3,0
ren Altersgruppen zu finden sind. Rund 2,8
35 % der Vollzeiterwerbstätigen in Lei­
tungs- und Führungspositionen arbei­ 28,5
teten 2016 gewöhnlich mehr als 48 Stun­ Dienstleistungen 16,0
15,1
den – bei Hilfsarbeitskräften lag dieser
Anteil mit 3 % deutlich niedriger.
Als Abendarbeit gilt die Zeit zwischen samstags sonntags samstags und sonntags

18:00 Uhr und 23:00 Uhr, Nachtarbeit fin­


Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung.
det zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr
morgens statt. Der Anteil der Erwerbstäti­
gen, die abends arbeiten, ist zwischen
1996 (18 %) und 2016 (25 %) um 7 Prozent­
punkte gestiegen. Dazu hat vermutlich
auch die Liberalisierung der Ladenöff­ war auch sonntags im Einsatz (24 %), bei Die seit 2004 gestiegene Zahl der zur
nungszeiten beigetragen. Fast die Hälfte den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh­ Arbeitsstelle pendelnden Beschäftigten ist
der Selbstständigen mit Beschäftigten mern nur gut jede achte (13 %). Personen, nicht einhergegangen mit größeren Pen­
(44 %) hat 2016 ständig oder regelmäßig die sonntags arbeiten, tun dies auch häu­ deldistanzen: Die Anteile der Pendlerin­
zwischen 18:00 Uhr und 23:00 Uhr ge­ fig am Samstag. Rund 13 % der Erwerbs­ nen und Pendler nach Entfernung blieben
arbeitet. Bei den Arbeitnehmerinnen und tätigen arbeiten ständig oder regelmäßig in den letzten Jahren nahezu unverändert.
Arbeitnehmern war es hingegen nur an beiden Tagen des Wochenendes. u Abb 11 Im Jahr 2016 hatten knapp 4 % der Er­
knapp jede vierte Person (24 %). Der An­ werbstätigen keinen Arbeitsweg, da sie
teil derjenigen, die ständig beziehungs­ 5.1.12 Berufspendler auf demselben Grundstück wohnten und
weise regelmäßig nachts arbeiten, hat da­ Deutschland erlebt seit 2005 einen Be­ arbeiteten. In einem Umkreis von weniger
gegen nur leicht von 7 % auf 9 % zugenom­ schäftigungsboom. Mit dem starken Be­ als 10 Kilometern zu ihrer Wohnung lag
men. Männer arbeiteten dabei fast doppelt schäftigungszuwachs hat auch die Zahl die Arbeitsstätte für fast die Hälfte (48 %)
so häufig nachts (11 %) wie Frauen (6 %). der Pendlerinnen und Pendler zugenom­ der Beschäftigten. Rund 28 % hatten täg­
Auch Wochenendarbeit hat zugenom­ men. Ergebnisse hierzu liefert der Mikro­ lich 10 bis 24 Kilometer in eine Richtung
men. Der Anteil der Erwerbstätigen, die zensus, der alle vier Jahre (zuletzt 2016) zu pendeln und 18 % mussten täglich ei­
samstags arbeiten, stieg von 23 % (1996) die Erwerbstätigen nach ihrem Arbeits­ nen mindestens 25 Kilometer langen Weg
auf 25 % (2016). Mehr als die Hälfte der weg befragt (zum Mikrozensus siehe Ka­ zur Arbeit zurücklegen. Davon waren 4 %
Selbstständigen mit Beschäftigten (51 %) pitel 2.1, Seite 52, Info 1). Der Zuwachs Fernpendlerinnen und Fernpendler mit
arbeitete 2016 am Samstag. Bei den Ar­ bei den Pendlerinnen und Pendlern kann einer einfachen Wegstrecke von mindes­
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern jedoch nur näherungsweise geschätzt tens 50 Kilometern. u Abb 12
waren es 23 %. Sonntags arbeiten wesent­ werden, da die Beantwortung der Frage Der Zeitaufwand für den täglichen
lich weniger Menschen. Der Anteil der im Mikrozensus freiwillig ist und nicht Weg zur Arbeit hat sich im Vergleich zu
Personen, die sonntags arbeiten, stieg von alle Betroffenen erfasst werden. Schätzt 2004 etwas erhöht – trotz unveränderter
11 % (1996) auf 14 % (2016). Es zeigten sich man die Veränderung zwischen 2004 und durchschnittlicher Distanzen. Knapp 70 %
ähnliche Strukturen: Fast jede vierte 2016, so hat sich die Zahl der pendelnden der Erwerbstätigen in Deutschland benö­
selbstständige Person mit Beschäftigten Personen um rund 12 % erhöht. tigten 2016 weniger als 30 Minuten für ih­

163
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt

u Abb 12 Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte 2016 — in Prozent tens 25 Kilometern je Wegstrecke. Ent­
sprechend benötigten Brandenburger mit
einem Anteil von 37 % häufiger als Er­
wechselnde Arbeitsstätten Arbeitsstätte auf
demselben Grundstück
werbstätige aus anderen Ländern eine
3,2
halbe Stunde und länger für den Weg zur
50 km und mehr 3,9
Arbeit. Im Bundesdurchschnitt traf dies
4,5 nur auf gut ein Viertel (27 %) zu. Von den
25 bis 49 km baden-württembergischen Erwerbstä­
13,1 unter 10 km tigen mussten nur 23 % mindestens eine
47,8
halbe Stunde pendeln, obwohl sie in ei­
10 bis 24 km nem großen Flächenland leben. Hier sind
27,5 die Arbeitsplätze nicht auf einen Stand­
ort konzentriert, sondern auf mehrere
Zentren über das Land verteilt (Stuttgart,
Ergebnisse des Mikrozensus.
Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Ulm).
Auch bei der Verkehrsmittelwahl wer­
den Unterschiede deutlich: In den Stadt­
staaten Berlin und Hamburg mit ihrem
ren Weg zur Arbeit (2004: 77 %), 22 % da­ beit zu kommen. Bei der Verkehrsmittel­ gut ausgebauten Netz an öffentlichen Ver­
von sogar weniger als 10 Minuten (2004: wahl kam es in den betrachteten zwölf kehrsmitteln nutzten immerhin 43 % be­
28 %). Ebenfalls 22 % waren zwischen 30 Jahren nur zu marginalen Veränderun­ ziehungsweise 41 % der Pendlerinnen und
und 60 Minuten unterwegs zu ihrem Ar­ gen. Ein Trend weg vom motorisierten Pendler diese Möglichkeit. Umgekehrt
beitsplatz. Der Anteil dieser Personen ist Individualverkehr und hin zu umwelt­ fuhren vier von fünf saarländischen Er­
etwas gestiegen, 2004 hatte er noch bei freundlicheren Alternativen lässt sich werbstätigen (83 %) mit dem Auto oder
18 % gelegen. Nur 5 % der Erwerbstätigen nicht beobachten. Rund 14 % der Erwerbs­ dem Kraftrad zur Arbeit. Besonders fahr­
benötigten täglich mindestens eine Stun­ tätigen nutzten 2016 ein öffentliches Ver­ radbegeistert waren die Bremerinnen und
de auf dem einfachen Weg zur Arbeit; die­ kehrsmittel, 68 % fuhren im Auto, 9 % Bremer, von denen 20 % dieses Verkehrs­
ser Anteil war ebenso hoch wie 2004. Die nahmen das Rad und 8 % gingen zu Fuß. mittel für den Arbeitsweg wählten.
Dauer für den Weg zum Arbeitsplatz un­ Weitere 1 % nutzten Krafträder oder an­ Will man das Pendelverhalten regio­
terscheidet sich zwischen Voll- und Teil­ dere Verkehrsmittel. nal differenziert betrachten und zusätz­
zeiterwerbstätigen. Um zum Arbeitsplatz Möglicherweise ist die regionale In­ lich einen genaueren Blick auf Stadt-
zu gelangen, brauchten Vollzeiterwerbstä­ frastruktur sowohl an Arbeitsplätzen als Land-Unterschiede werfen, so bietet sich
tige im Jahr 2016 länger als Erwerbstätige auch an Verkehrsmitteln und Verkehrs­ hierzu die Verwendung einer Gliede­
in Teilzeit. Rund 30 % der Teilzeiterwerbs­ wegen für das Pendelverhalten ausschlag­ rungssystematik des Bundesinstituts für
tätigen hatten einen kurzen Arbeitsweg gebender als zeitliche Faktoren. So muss­ Bau-, Stadt- und Raumforschung aus dem
von weniger als 10 Minuten. Bei den in ten weniger als 10 % der Erwerbstätigen Jahr 2011 an, die dem Mikrozensus 2016
Vollzeit Tätigen waren dies nur 19 %. Eine in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg hinterlegt ist. Die Systematik unterteilt
lange Pendelstrecke bei kürzerer Arbeits­ täglich mehr als 25 Kilometer zur Arbeit Regionen anhand der Einwohnerdichte
zeit ist verhältnismäßig aufwendig und fahren (Bundesdurchschnitt: 18 %). Den­ und des Bevölkerungsanteils der jeweili­
wird daher eher vermieden. Da Frauen noch benötigten über 40 % der jeweiligen gen Zentren in vier siedlungsstrukturelle
häufiger in Teilzeit arbeiten, sind sie im Stadtbewohner mindestens eine halbe Kreistypen. Dabei lassen sich die kreis­
Durchschnitt auch eine kürzere Zeit zur Stunde für den Weg zur Arbeit, obwohl freien Großstädte und die städtischen
Arbeit unterwegs als Männer: Während sie mehrheitlich eher kürzere Strecken Kreise zu städtischen Räumen bezie­
24 % der Frauen mindestens 30 Minuten zurücklegten (Bundesdurchschnitt: 27 %). hungsweise ländliche Kreise mit Verdich­
für ihren Arbeitsweg benötigten, lag der Umgekehrt zeigt sich die Sogwirkung tungsansätzen sowie dünn besiedelte
Anteil für Männer bei 29 %. des großen Arbeitsplatzangebotes einer ländliche Kreise zu ländlichen Räumen
Der insgesamt durchschnittlich län­ Großstadt wie Berlin: Rund ein Viertel zusammenfassen. Durch diese Unterschei­
gere Zeitaufwand bei gleichbleibender der in Brandenburg lebenden Erwerbs­ dung wird klar, welche Bedeutung die
Entfernung könnte das Resultat stärker tätigen musste täglich das Bundesland Nähe eines städtischen Zentrums und die
ausgelasteter Verkehrswege sein oder wechseln (Bundesdurchschnitt: 6 %). Siedlungsdichte für die regionale Vernet­
­eines Umstiegs auf Verkehrsmittel, mit Etwa 28 % von ihnen hatten deshalb zung des Arbeitsmarktes und die vorhan­
denen man länger braucht, um zur Ar­ ­einen täglichen Arbeitsweg von mindes­ dene Verkehrsinfrastruktur hat. u Info 5

164
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Info 5 u Abb 13 Verkehrsmittelwahl der Erwerbstätigen 2016 — in Prozent


Siedlungsstrukturelle Kreistypen
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung unterscheidet insgesamt vier kreisfreie Großstädte 28,5 50,9 12,5 7,8
siedlungsstrukturelle Kreistypen. Die Diffe-
renzierung dieser Kreistypen erfolgt anhand
dreier Siedlungsstrukturmerkmale: dem städtische Kreise 10,1 74,5 7,0 8,1
­Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten,
der Einwohnerdichte der Kreisregion sowie ländliche Kreise mit
6,2 77,0 7,6 8,8
der Einwohnerdichte der Kreisregion ohne Verdichtungsansätzen
­Berücksichtigung der Groß- und Mittelstädte.
dünn besiedelte
Auf diese Weise können vier Gruppen unter- 5,0 76,3 9,3 8,9
ländliche Kreise
schieden werden.

Kreisfreie Großstädte umfassen kreisfreie


öffentlicher Personenverkehr motorisierter Individualverkehr ¹
Städte mit mindestens 100 000 Einwohnern.
Städtische Kreise verfügen über einen Be­ Fahrrad zu Fuß sonstige
völkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten
von mindestens 50 % und einer Einwohner- 1 Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer und Krafträder.
Ergebnisse des Mikrozensus.
dichte von mindestens 150 Personen je
Quadrat­k ilometer. Darüber hinaus gehören
Kreise mit einer Einwohnerdichte ohne Groß-
und M ­ ittelstädte von mindestens 150 Per­
sonen je Quadratkilometer ebenfalls zu den
städtischen Kreisen. Ländliche Kreise mit Bei der Verkehrsmittelwahl heben drei Monaten vor der Befragung haupt­
Verdichtungsansätzen weisen einen Bevölke- sich die kreisfreien Großstädte von den sächlich oder manchmal von zu Hause aus.
rungsanteil in Groß- und Mittelstädten von
mindestens 50 %, aber eine Einwohnerdichte städtischen Kreisen und den ländlichen Der Anteil der Frauen, die mobil arbeite­
unter 150 Personen je Quadratkilometer, Wohnregionen deutlich ab. In den kreis­ ten, lag 2016 mit 10 %, wie schon die Jahre
­sowie Kreise mit einem Bevölkerungsanteil in freien Großstädten nutzte nur rund jeder zuvor, leicht unter dem der Männer (12 %).
Groß- und Mittelstädten unter 50 % mit einer
Einwohnerdichte ohne Groß- und Mittelstädte Zweite ein Auto oder Kraftrad auf dem Der Unterschied zwischen Frauen
von mindestens 100 Personen je Quadrat­ Weg zur Arbeit. In den sonstigen Gebie­ und Männern könnte vor allem daran lie­
kilometer auf. Dünn besiedelte ländliche Kreise
ten fuhren drei Viertel der Erwerbstäti­ gen, dass wesentlich mehr Selbstständige
ver­f ügen über einen Bevölkerungsanteil in
Groß- und Mittelstädten von unter 50 % und gen mit dem Pkw oder dem Kraftrad zur ihre Tätigkeit ab und zu oder ausschließ­
eine Einwohnerdichte ohne Groß- und Mittel- Arbeit, unabhängig davon, wie weit dieser lich von zu Hause ausübten (42 %), wäh­
städte unter 100 Personen je Quadratkilometer.
Weg war. Erwerbstätige in den kreisfreien rend der Anteil bei den Arbeitnehmerin­
Großstädten nutzten mit 29 % dafür die nen und Arbeitnehmern lediglich 8 % be­
öffentlichen Verkehrsmittel deutlich häu­ trug. Der Anteil der Männer an den
figer als in den übrigen Regionen. In den selbstständigen Erwerbstätigen lag 2016
Beim Zeitaufwand für das tägliche städtischen Kreisen wurden zwar mit bei zwei Dritteln (67 %).
Pendeln fällt der deutliche Unterschied 10 % auch häufiger öffentliche Verkehrs­ Die Möglichkeit des mobilen Arbei­
zwischen städtischen und ländlichen mittel genutzt als in den ländlichen Re­ tens ist besonders für Familien mit Kin­
Wohnregionen auf: Rund 28 % der in gionen (6 %), sie spielten aber keine so he­ dern attraktiv. Im Jahr 2016 nutzten dies
städtischen Regionen wohnhaften Er­ rausragende Rolle. u Abb 13 in Deutschland erwerbstätige Mütter und
werbstätigen brauchten 30 Minuten und Väter im Alter von 25 bis 54 Jahren jedoch
mehr für eine Strecke. In den ländlichen 5.1.13 Mobiles Arbeiten relativ selten. Ihr Anteil lag in der ent­
Wohngebieten lag der entsprechende An­ Der technische Fortschritt macht es mög­ sprechenden Altersgruppe für Erwachse­
teil nur bei 24 %. Sehr kurze Pendelzeiten lich, dass viele Erwerbstätige ihre Arbeit ne mit Kindern insgesamt bei 13 %. Erst
unter 10 Minuten sind überraschender­ von zu Hause aus erledigen können. Da­ ab zwei Kindern nahm der Anteil der
weise hingegen eher in ländlichen Räu­ durch kann die Arbeitszeit flexibler ein­ Heimarbeit mit 14 % etwas zu und lag ab
men verbreitet. Dort benötigten knapp geteilt, Familienverpf lichtungen besser drei Kindern und mehr bei 16 %. Erwach­
27 % der Erwerbstätigen maximal 10 Mi­ wahrgenommen oder die Belastung für sene ohne Kind waren mit 11 % nur un­
nuten zum Arbeitsplatz. In den städti­ Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer re­ wesentlich seltener von zu Hause aus tätig.
schen Regionen hatte dagegen nur ein duziert werden, die sonst täglich eine grö­ Auch das Alter der Kinder hatte lediglich
Fünftel (20 %) solch kurze Pendelzeiten. ßere räumliche Distanz zwischen Wohn- geringen Einfluss darauf, ob die Eltern
In den kreisfreien Großstädten betrug der und Arbeitsort überwinden müssten. Nach von zu Hause aus arbeiteten. War das
Anteil der Erwerbstätigen, die weniger als Ergebnissen der Arbeitskräfteerhebung jüngste Kind bis 11 Jahre alt, lag der An­
10 Minuten zu ihrer Arbeitsstätte unter­ 2016 arbeiteten 11 % der Erwerbstätigen im teil der gewöhnlich oder manchmal von
wegs waren, sogar nur 15 %. Alter von 15 Jahren und älter in den letzten zu Hause aus tätigen Eltern bei 14 %.

165
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste

5.2 Für viele Menschen ist der Verdienst der


wichtigste Teil ihres Einkommens. Ver-
(27,3 %), im Einzelhandel (23,0 %), bei Fi-
nanz- und Versicherungsdienstleistun-
Verdienste dienste sind Arbeitseinkommen, die Ar- gen (23,0 %) sowie im Bereich Gebäude-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer für betreuung, Garten- und Landschaftsbau
ihre Tätigkeiten regelmäßig beziehen. Sie (21,1 %). Betrachtet wurden regelmäßig
Sandra Klemt, Sabine Lenz
entscheiden wesentlich über den Lebens- gezahlte Grundvergütungen ohne Son-
standard und die Möglichkeiten der sozi- derzahlungen.
Statistisches Bundesamt alen Sicherung von Familien und Allein-
(Destatis) stehenden. Tarifrunde 2017
Die Tarif verdienste stiegen 2017 in
5.2.1 Tarifverdienste Deutschland durchschnittlich um 2,8 %
Für rund die Hälfte der Arbeitnehmerin- gegenüber dem Vorjahr. Damit lagen die
nen und Arbeitnehmer in Deutschland durchschnittlichen Tarifsteigerungen
regeln Tarifverträge Verdienste und Ar- über denen aus dem Jahr 2016 mit 2,1 %
beitsbedingungen. Tarifverträge werden und aus dem Jahr 2015 mit 2,4 %.
von einem oder mehreren Arbeitgebern Viele Tariferhöhungen des Jahres
oder Arbeitgeberverbänden mit einer 2017 wurden bereits im Jahr 2016 be-
oder mehreren Gewerkschaften abge- schlossen. So einigten sich beispielsweise
schlossen. Sie sind ausschließlich für ihre die Tarifparteien im öffentlichen Dienst
Mitglieder bindend (Tarifbindung). Aber bei Bund und Gemeinden im ­April 2016
auch viele nicht tariflich gebundene Un- auf eine Tariferhöhung von 2,35 % ab Fe-
ternehmen sowie Arbeitnehmerinnen bruar 2017. In der Metall- und Elektro­
und Arbeitnehmer orientieren sich an be- industrie in Nordrhein-Westfalen wurde
stehenden Tarifverträgen. im Mai 2016 eine Erhöhung der tarifli-
chen Entgelte von 2,0 % ab April 2017
Tarifverdienste 2007 bis 2017 vereinbart. Für das Baugewerbe Ost
Die tariflichen Monatsverdienste der Ar- konnte im Juni 2016 eine Erhöhung von
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer im 2,4 % ab Mai 2017 vereinbart werden.
Produzierenden Gewerbe und im Dienst- Ebenfalls im Juni 2016 wurde für die
leistungsbereich in Deutschland erhöhten chemische Industrie in Hessen eine Er-
sich von 2007 bis 2017 durchschnittlich höhung von 2,3 % ab September 2017
um 28,4 %. Die Verbraucherpreise stiegen vereinbart.
im gleichen Zeitraum um 13,7 %. Die Ta- Im öffentlichen Dienst der Länder ei-
rifverdienste der Arbeitnehmerinnen und nigte man sich im Februar 2017 auf ein
Arbeitnehmer sind jedoch nicht gleich- Plus von 2,0 % rückwirkend ab Januar
mäßig gestiegen: In den Jahren 2007, 2009 2017. Die Tariferhöhungen von 2,5 % ab
und 2011 stiegen die Verbraucherpreise Juli 2017 im Groß- und Außenhandel in
stärker als die durchschnittlichen Tarif- Bayern sowie 2,3 % ab Juli 2017 im Einzel-
verdienste, in den Jahren 2008, 2010 sowie handel in Niedersachsen wurden im Juni
2012 bis 2017 war es umgekehrt. beziehungsweise rückwirkend im August
Von den Tariferhöhungen profitierten 2017 ausgehandelt. Im privaten Versiche-
nicht alle Beschäftigten gleichermaßen. rungsgewerbe in Deutschland wurde im
In den Jahren 2008 bis 2017 gab es bei- August 2017 eine Erhöhung von 2,0 % ab
spielsweise für die Arbeitnehmerinnen November 2017 vereinbart. u Tab 1
und Arbeitnehmer bei Bund, Ländern
und Gemeinden, in der chemischen In- Tarifverdienste nach
dustrie, im Metallgewerbe und im Ma- Branchen und Regionen
schinenbau überdurchschnittliche Tarif- Je nach Branche und Region unterschei-
erhöhungen von mehr als 30 %. Deutlich den sich die Tarifverdienste erheblich. In
niedriger waren die Tariferhöhungen in der chemischen Industrie, der Metallin-
anderen Bereichen wie dem Baugewerbe dustrie sowie bei Banken und Versiche-

166
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

rungen erhalten die Beschäftigten in der u Tab 1 Ausgewählte Tariferhöhungen mit Wirkung im Jahr 2017
Regel höhere Tarifverdienste als im Han-
Tarifbereich Tariferhöhungen
del oder der Bekleidungs- und der Ernäh-
rungsindustrie. Abschluss
Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 2,6 % ab Januar 2016
Oktober 2015 Gebäudereinigung West
mit einer abgeschlossenen dreijährigen Be- 2,0 % ab Januar 2017
rufsausbildung lag das unterste tarifliche
Öffentlicher Dienst Bund 2,4 % ab März 2016
Monatsentgelt Ende 2017 beispielsweise April 2016
und Gemeinden (TVöD) 2,35 % ab Februar 2017
in der chemischen Industrie zwischen
2 899 Euro in Bayern und 3 064 Euro in 2,8 % ab Juli 2016
Metall- und Elektroindustrie 2,0 % ab April 2017
Baden-Württemberg. Im privaten Bank- Mai 2016
Nordrhein-Westfalen 150 Euro Pauschalzahlung
gewerbe waren es deutschlandweit für April bis Juni 2016

2 449 Euro. Angestellten im Einzelhandel


Chemische Industrie 3,0 % ab August 2016
standen nach Abschluss ihrer Ausbildung Juni 2016
Hessen 2,3 % ab September 2017
laut Tarifvertrag zwischen 1 719 Euro
(Bremen) und 1 993 Euro (Berlin und Bran- Druckindustrie 2,0 % ab Juli 2016
Juni 2016
Deutschland 1,8 % ab August 2017
denburg) im Monat zu. In der Druckin-
dustrie betrug der Tariflohn für Fachar- 2,9 % ab Mai 2016
Juni 2016 Baugewerbe Ost
beiterinnen und Facharbeiter im Westen 2,4 % ab Mai 2017

pro Stunde mindestens 17,87 Euro und


Privates Bankgewerbe 1,5 % ab Oktober 2016
im Osten 16,46 Euro, in der Bauindustrie Juli 2016
Deutschland 1,1 % ab Januar 2018
waren es 17,87 Euro im früheren Bundes-
Ärztinnen und Ärzte an 2,3 % ab September 2016
gebiet, 16,65 Euro in den neuen Ländern Oktober 2016 kommunalen Krankenhäusern 2,0 % ab September 2017
und in Berlin 17,68 Euro. (TV-Ärzte) Deutschland 0,7 % ab Mai 2018
Deutlich niedrigere Tarifverdienste
Dienstleistungsbetriebe 4,0 % ab März 2017
galten für ausgebildete Fachkräfte im Ho- November 2016 der Arbeitnehmerüberlassung 4,0 % ab April 2018
tel- und Gastgewerbe (Hessen: 2 168 Euro (Zeitarbeit) Ost 3,5 % ab April 2019

monatlich, Mecklenburg-Vorpommern: Wach- und Sicherheitsgewerbe 3,1 % ab Februar 2017


Dezember 2016
1 584 Euro monatlich); Berufskraftfahrer Nordrhein-Westfalen 1,6 % ab Januar 2018
im privaten Verkehrsgewerbe (Hessen:
Öffentlicher Dienst der Länder 2,0 % ab Januar 2017
12,58 Euro pro Stunde, Niedersachsen: Februar 2017
(TV-L) ohne Hessen 2,35 % ab Januar 2018
9,67 Euro pro Stunde) und für ausgelern-
te Friseurinnen und Friseure im ersten April 2017 Textilindustrie Ost
2,9 % ab Juni 2017
1,9 % ab September 2018
Berufsjahr (Bayern: 9,01 Euro pro Stunde,
Schleswig-Holstein: 9,25 Euro pro Stunde). 2,4 % beziehungsweise
Wohnungs- und Immobilien­-
Eine ähnliche Verteilung ergibt sich Juni 2017
wirtschaft Deutschland
mindestens 65 Euro ab Juli 2017
2,2 % ab Juli 2018
auch bei Betrachtung der tariflichen Ver-
dienste der Arbeitnehmerinnen und Ar- Papiererzeugende Industrie 2,4 % ab Juli 2017
Juni 2017
beitnehmer ohne abgeschlossene Berufs- Rheinland-Pfalz 1,2 % ab August 2018

ausbildung. So standen ungelernten be-


2,9 % ab August 2017
Kraftfahrzeuggewerbe
ziehungsweise angelernten Angestellten Juni 2017 und Kraftfahrzeughandel
2,9 % ab November 2018
200 Euro Pauschalzahlung
der untersten Tarifgruppe im Jahr 2017 Baden-Württemberg
für Juni und Juli 2017
in der chemischen Industrie Stundenlöh-
ne zwischen 14,49 Euro (neue Länder Juni 2017
Groß- und Außenhandel 2,5 % ab Juli 2017
Bayern 2,0 % ab April 2018
und Berlin-Ost) und 15,98 Euro (Baden-
Württemberg) zu. Im Bankgewerbe wa- Privates Versicherungsgewerbe 2,0 % ab November 2017
August 2017
ren es deutschlandweit 12,75 Euro pro Deutschland 1,7 % ab Dezember 2018

Stunde, im Einzelhandel zwischen


2,3 % ab Juli 2017
11,02 Euro (Mecklenburg-Vorpommern) Einzelhandel 2,0 % ab Mai 2018
August 2017
und 12,59 Euro pro Stunde (Hamburg). Niedersachsen 50 Euro Einmalzahlung
im März 2018
Deutlich niedriger waren 2017 die tarif­

167
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste

lichen Stundenverdienste eines Türste- u Tab 2 Bruttomonatsverdienste Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmerinnen

hers / Doorman sowie einer Hilfskraft in und Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich 2017
Küche, Service oder am Bankett im Hotel- Anteile der Arbeitnehmer Durchschnittlicher Bruttomonats-
und Gaststättengewerbe in Nordrhein- in Leistungsgruppen verdienst (ohne Sonderzahlungen)
Westfalen mit 9,25 Euro. insgesamt Frauen Männer insgesamt Frauen Männer
in % in Euro
5.2.2 Bruttoverdienste
Deutschland
Die Daten über die Bruttoverdienste der Insgesamt 100 100 100 3 771 3 330 3 964
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Arbeitnehmer /-innen
zeigen tatsächlich gezahlte Bruttolöhne 11,8 9,4 12,9 6 911 5 792 7 269
in leitender Stellung
und -gehälter, die sich zum Teil deutlich Herausgehobene
23,7 24,7 23,3 4 498 4 035 4 714
von den Tarifverdiensten unterscheiden. Fachkräfte
So werden beispielsweise nicht alle Ar-
Fachkräfte 45,1 48,2 43,8 3 132 2 896 3 246
beitnehmer in Deutschland nach Tarif
bezahlt oder das Tarifniveau wird auf- Angelernte Arbeit-
13,6 11,3 14,7 2 562 2 310 2 648
nehmer /-innen
grund der wirtschaftlichen Lage des Be-
triebes über- oder unterschritten. Die Er- Ungelernte Arbeit-
5,7 6,3 5,4 2 156 2 049 2 212
nehmer /-innen
gebnisse der Vierteljährlichen Verdienst-
Früheres Bundesgebiet und Berlin
erhebung zeigen, wie sich die tatsächlich
Insgesamt 100 100 100 3 885 3 394 4 095
gezahlten Bruttoverdienste von Arbeit-
Arbeitnehmer /-innen
nehmerinnen und Arbeitnehmern ent- in leitender Stellung
12,2 9,4 13,4 7 048 5 899 7 391
wickeln.
Herausgehobene
24,3 24,8 24,1 4 599 4 106 4 816
Fachkräfte
Bruttoverdienste 2017
Fachkräfte 44,2 48,0 42,6 3 227 2 957 3 357
Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer im Produzierenden Ge- Angelernte Arbeit-
13,5 11,2 14,5 2 632 2 370 2 718
werbe und im Dienstleistungsbereich ver- nehmer /-innen

dienten in Deutschland 2017 durchschnitt- Ungelernte Arbeit-


5,8 6,6 5,4 2 189 2 077 2 247
lich 3 771 Euro brutto im Monat. Im frü- nehmer /-innen

heren Bundesgebiet und Berlin lag der Neue Länder ohne Berlin
durchschnittliche Bruttomonatsverdienst Insgesamt 100 100 100 3 049 2 985 3 084

bei 3 885 Euro, in den neuen Ländern wa- Arbeitnehmer /-innen


9,8 9,7 9,8 5 836 5 240 6 151
in leitender Stellung
ren es 3 049 Euro. In diesen Verdienstan-
gaben sind Sonderzahlungen nicht enthal- Herausgehobene
20,1 24,1 18,0 3 730 3 639 3 794
Fachkräfte
ten. Sonderzahlungen sind Vergütungen,
die nicht regelmäßig erfolgen, wie Weih- Fachkräfte 50,8 49,3 51,5 2 610 2 573 2 629

nachts- oder Urlaubsgeld, Gewinnbeteili-


Angelernte Arbeit-
gungen, Prämien für Verbesserungsvor- 14,3 11,8 15,7 2 149 1 998 2 209
nehmer /-innen
schläge sowie jährlich einmalig gezahlte Ungelernte Arbeit-
5,0 5,1 5,0 1 921 1 849 1 960
Provisionen oder Boni. u Tab 2 nehmer  -innen

Bruttomonatsverdienste nach
Leistungsgruppen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer u Info 1

werden zur besseren Analyse der Durch- Leistungsgruppen


schnittsverdienste in die Leistungsgrup- Die Leistungsgruppen stellen eine grobe Abstufung der Arbeitnehmertätigkeiten nach dem
pen 1 bis 5 eingeteilt. Arbeitnehmer in Quali­fikationsprofil des Arbeitsplatzes dar. Es wird unterschieden zwischen
leitender Stellung verdienten 2017 mit ‧‧ Leistungsgruppe 1: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in leitender Stellung,
durchschnittlich 6 911 Euro mehr als ‧‧ Leistungsgruppe 2: Herausgehobene Fachkräfte,
‧‧ Leistungsgruppe 3: Fachkräfte,
dreimal so viel wie ungelernte Arbeitneh- ‧‧ Leistungsgruppe 4: Angelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
mer (2 156 Euro). Im Durchschnitt aller ‧‧ Leistungsgruppe 5: Ungelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
beobachteten Wirtschaftszweige gehör-

168
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Abb 1 Branchen mit den höchsten und niedrigsten Verdiensten 2017 — in Euro tisches Mittel). Wichtig für die Interpreta-
tion dieser Werte ist eine Vorstellung über
die Verteilung der Beschäftigten um diesen
Gewinnung von
Erdöl und Erdgas
6 719 Mittelwert: Aus der Verdienststruktur­
erhebung 2014 ist bekannt, dass knapp
Kokerei und
5 848 zwei Drittel der Vollzeitbeschäftigten (62 %)
Mineralölverarbeitung
weniger verdienen als den gesamtwirt-
Luftfahrt 5 551
schaftlichen Durchschnittswert; nur ein
Produzierendes Gewerbe und gutes Drittel hat höhere Bruttoverdienste.
3 771
Dienstleistungsbereich insgesamt Dieses Drittel hat so hohe Verdienste,
Beherbergung 2 351
dass der Durchschnittswert für alle Be-
schäftigten »nach oben gezogen« wird.
Gastronomie 2 257
Bruttostundenverdienste
Vermittlung und Überlassung 2 193 nach Bundesländern
von Arbeitskräften
Voll- und Teilzeitbeschäftigte (ohne ge-
ringfügig Beschäftigte, das heißt ohne so-
Bruttomonatsverdienst von Vollzeitbeschäftigten. Ohne Sonderzahlungen.
genannte Minijobs) verdienten im Jahr
2017 im Produzierenden Gewerbe sowie
im Dienstleistungsbereich in Deutsch-
land pro Stunde 21,31 Euro brutto. Son-
derzahlungen wurden in diesem Durch-
ten 12,9 % der Männer in Deutschland den Unterpositionen war die Spannweite schnittswert nicht berücksichtigt. Bei
dieser Leistungsgruppe 1 an, aber nur bei den Verdiensten noch ausgeprägter: den Bundesländern führte Hamburg
9,4 % der Frauen. In Leistungsgruppe 5 Die Branche »Gewinnung von Erdöl und (23,76 Euro) das Ranking vor Hessen
kehrt sich dieses Verhältnis um: 6,3 % Erdgas« (6 719 Euro) führte hier das Ran- (23,42 Euro) und Baden-Württemberg
ungelernte Arbeitnehmerinnen stehen king an, vor »Kokerei und Mineralölver- (23,10 Euro) an. Den niedrigsten Stun-
hier 5,4 % ungelernten Arbeitnehmern arbeitung« (5 848 Euro) und »Luftfahrt« denlohn der Länder im früheren Bundes-
gegenüber. u Info 1 (5 551 Euro). Die niedrigsten Verdienste gebiet verzeichnete Schleswig-Holstein
Im früheren Bundesgebiet und Berlin verzeichneten die Bereiche »Vermittlung mit 19,60 Euro. Die geringsten Brutto-
waren 13,4 % der vollzeitbeschäftigten und Überlassung von Arbeitskräften« stundenverdienste wurden in Mecklen-
Männer in Leistungsgruppe 1, aber nur (2 193 Euro), »Gastronomie« (2 257 Euro) burg-Vorpommern (16,61 Euro) sowie in
9,4 % der Frauen. Rund 5,4 % der männli- sowie »Beherbergung« (2 351 Euro). Diese Sachsen-Anhalt (17,05 Euro) und Thürin-
chen Beschäftigten waren ungelernte Ar- Angaben beziehen sich auf den regelmä- gen (17,07 Euro) gezahlt. u Abb 2
beitnehmer (Frauen: 6,6 %). In den neuen ßig monatlich gezahlten Verdienst ohne Ein wichtiger Grund für die Ver-
Ländern ist diese Verteilung deutlich aus- Sonderzahlungen. Die Verdienstunter- dienstabstände zwischen den Bundeslän-
gewogener: Auf leitende Arbeitnehmer schiede zwischen den Branchen vergrö- dern sind die unterschiedlichen Produkti-
entfielen hier 9,8 % der Männer und 9,7 % ßern sich tendenziell noch, wenn die Son- vitätsniveaus. Je höher der Wert der von
der Frauen, ungelernt waren 5,0 % der derzahlungen berücksichtigt werden. So den Erwerbstätigen hergestellten Waren
Männer und 5,1 % der Frauen (siehe Tab 2). lag beispielsweise der Anteil der Sonder- und erbrachten Dienstleistungen ist, des-
zahlungen an der Grundvergütung im to höhere Verdienste können den Beschäf-
Bruttomonatsverdienste Gastgewerbe mit 4,4 % deutlich unter dem tigten gezahlt werden. Das Bruttoinlands-
nach Branchen bei Betrieben der Erbringung von Finanz- produkt je Erwerbstätigen lag im Jahr
Zwischen den einzelnen Branchen im und Versicher ungsdienst leistungen 2017 in den alten Bundesländern und Ber-
Produzierenden Gewerbe und im Dienst- (20,6 %). Im Durchschnitt wurden 10,1 % lin 27,5 % über dem Durchschnitt der
leistungsbereich bestehen große Ver- Sonderzahlungen erreicht. Tendenziell neuen Länder ohne Berlin. Der Verdienst-
dienstunterschiede. Die Spanne reichte war der Anteil der Sonderzahlungen an abstand zwischen West- und Ostdeutsch-
2017 für die Vollzeitbeschäftigten in der Gesamtvergütung in Branchen mit land betrug ebenfalls mehr als ein Viertel
Deutschland von 5 124 Euro für Beschäf- hohen Verdiensten höher als in Branchen (28,1 % oder 4,83 Euro pro Stunde) und ist
tigte im Bereich Erbringung von Finanz- mit niedrigen Verdiensten. u Abb 1, Tab 3 fast vollständig durch die unterschied­
und Versicherungsdienstleistungen bis Alle hier veröffentlichten Verdienstan- lichen Produktivitätsniveaus erklärbar.
2 300 Euro im Bereich Gastgewerbe. Bei gaben sind Durchschnittswerte (arithme- Bei der Produktivität und auch bei den

169
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste

u Tab 3 Verdienste und Arbeitszeiten Vollzeit beschäftigter


Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2017

Bruttomonats- Anteil der


Anteil der Bezahlte
Bruttostunden­ verdienst ohne Sonder­- Sonder­
Arbeitnehmer / Wochen-­
verdienst ¹ Sonderzahlungen zahlungen zahlungen an der
-innen arbeitszeit
(Grundvergütung) Grundvergütung

in % in Euro in % in Stunden

Produzierendes Gewerbe
100 22,16 3 771 379 10,1 39,2
und Dienst­leistungsbereich

Produzierendes Gewerbe 35,9 23,30 3 909 461 11,8 38,6

 B ergbau und Gewinnung


0,2 22,99 4 069 462 11,4 40,7
von Steinen und Erden

 Gewinnung von Erdöl und Erdgas 0,0 40,82 6 719 914 13,6 37,9

 Verarbeitendes Gewerbe 27,7 24,24 4 043 509 12,6 38,4

 Kokerei und Mineralölverarbeitung 0,1 34,91 5 848 (1 080) 18,5 38,6

 Energieversorgung 0,9 29,23 4 881 710 14,5 38,4

 Wasserversorgung ² 1,1 19,21 3 364 280 8,3 40,3

 Baugewerbe 6,0 18,93 3 230 232 7,2 39,3

Dienstleistungsbereich 64,1 21,53 3 693 333 9,0 39,5

 Handel ³ 12,4 20,20 3 464 388 11,2 39,5

 Verkehr und Lagerei 5,6 17,09 3 009 247 8,2 40,5

 Gastgewerbe 2,2 13,38 2 300 (101) 4,4 39,6

 Beherbergung 1,0 13,65 2 351 (122) 5,2 39,6

 Gastronomie 1,2 13,14 2 257 (82) 3,6 39,5

 Information und Kommunikation 3,4 28,77 4 904 558 11,4 39,2

 E rbringung von Finanz- und


2,8 30,45 5 124 1055 20,6 38,7
Versicherungsdienstleistungen

 G rundstücks- und Wohnungswesen 0,7 23,43 3 957 (587) 14,8 38,9

 E rbringung von freiberuflichen,


wissenschaft­lichen und technischen 5,9 26,83 4 584 (685) 14,9 39,3
Dienstleistungen

 Verwaltung und Führung von



­U nternehmen und Betrieben; 1,7 31,02 5 298 / / 39,3
­U nternehmensberatung

 E rbringung von sonstigen wirtschaftlichen


6,4 15,02 2 517 142 5,6 38,6
Dienstleistungen

 Vermittlung und Überlassung



3,4 13,62 2 193 (80) 3,6 37,1
von Arbeitskräften

 Ö
 ffentliche Verwaltung, Verteidigung;
8,5 21,73 3 771 144 3,8 39,9
Sozialversicherung

 E rziehung und Unterricht 5,1 24,39 4 217 147 3,5 39,8

 G esundheits- und Sozialwesen 8,8 21,86 3 747 232 6,2 39,4

 Kunst, Unterhaltung und Erholung 0,7 22,05 3 784 308 8,1 39,5

 Erbringung von sonstigen Dienstleistungen 1,6 20,93 3 569 (290) 8,1 39,2

1 Ohne Sonderzahlungen.
2 Einschließlich Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen.
3 Einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
() Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.

170
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

Durchschnittliche Bruttostundenverdienste nach Bundesländern 2017 – in Euro

u Abb 2 Durchschnittliche Bruttostundenverdienste Stundenverdienste gedrückt. Entspräche


nach Bundesländern 2017 — in Euro die Verteilung der Teilzeitbeschäftigten
auf die Leistungsgruppen der von Voll-
zeitbeschäftigten, ergäbe sich nur noch
ein Verdienstunterschied von 12 %. Ein
Schleswig- weiterer Grund für die Unterschiede
Holstein
19,60
Mecklenburg- beim Bruttostundenverdienst Vollzeit-
Vorpommern
Hamburg 16,61 und Teilzeitbeschäftigter liegt in der Ver-
23,76 teilung der jeweiligen Beschäftigungs­
Nieder-
Bremen sachsen arten auf einzelne Branchen. Teilzeit­
20,32 Berlin
22,26 beschäftigte finden sich verstärkt in
20,82
Branden- Branchen mit niedrigeren Verdiensten.
Sachsen- burg
Anhalt 17,26 Berechnet man einen Stundenverdienst
Nordrhein- 17,05 mit den Verdiensten der Teilzeitbeschäf-
Westfalen
21,81 Sachsen tigten und der Branchenstruktur der
17,44
Thüringen
Vollzeitbeschäftigten, beträgt die Abwei-
Hessen
23,42
17,07 chung nur noch 15 %. Beide Effekte zu-
Rheinland- sammengenommen erklären knapp zwei
Pfalz
20,88 Drittel des Verdienstabstandes zwischen
Saarland
Voll- und Teilzeitbeschäftigten.
20,62 Bayern
22,34 Verdienstunterschied zwischen
Baden-
Bundes- Männern und Frauen
durchschnitt 21,31
Württemberg Seit einigen Jahren wächst das Interesse
23,10 unter 20
20 bis unter 22 an den bestehenden Verdienstunterschie-
22 und mehr den zwischen Männern und Frauen, dem
»Gender Pay Gap«. Um geschlechtsspezi-
Ohne Sonderzahlungen.
Vollzeit und Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer/-innen Kartengrundlage © GeoBasis-DE / BKG 2017 fische Lohnunterschiede zu analysieren,
(einschließlich Beamtinnen und Beamte) im Produzierenden
Gewerbe und im Dienstleistungsbereich. stehen zwei Indikatoren zur Verfügung:
Der bereinigte Gender Pay Gap ermittelt
die Höhe des Verdienstunterschiedes von
Frauen und Männern mit vergleichbaren
Eigenschaften (zum Beispiel: Tätigkeit,
Sonderzahlungen.Verdiensten belegten Hamburg und Hes- im Jahr 2017 mit 17,76 Euro einen um 20 % Ausbildung, Berufserfahrung) und wird
it und Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer (einschließlich Beamte)
sen die vorderen Plätze der Rangfolge. In niedrigeren durchschnittlichen Brutto- nur in mehrjährlichen Abständen errech-
oduzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.
Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen stundenverdienst auf als Vollzeitbeschäf- net. Der jährlich ermittelte unbereinigte
und Sachsen war die Produktivität am ge- tigte (22,16 Euro). Woran liegt das? Ein Gender Pay Gap betrachtet den ge-
ringsten. Eine ähnliche Struktur zeigt Vergleich der Verdienste von Vollzeit- und schlechtsspezifischen Verdienstunter-
sich seit mehreren Jahren und kann daher Teilzeitbeschäftigten nach Leistungsgrup- schied in allgemeiner Form, das heißt
als Erklärung für den Verdienstabstand pen macht deutlich, dass 11,8 % der Voll- ohne Berücksichtigung struktureller Un-
zwischen Ost- und Westdeutschland he­ zeitbeschäftigten leitende Arbeitnehmer terschiede in den Beschäftigungsverhält-
rangezogen werden. u Tab 4 waren. Bei den Teilzeitbeschäftigten wa- nissen von Männern und Frauen. Auf
ren es lediglich 6,3 %. Demgegenüber ge- diese Weise wird auch der Teil des Lohn-
Verdienste von Vollzeit- und hörten 5,7 % der Vollzeit-, aber 13,8 % der abstands erfasst, der beispielsweise durch
Teilzeitbeschäftigten Teilzeitbeschäftigten zu den ungelernten unterschiedliche Zugangschancen beider
Gibt es Unterschiede im Bruttostunden- Arbeitnehmern. u Tab 5 Geschlechtergruppen auf bestimmte Tä-
verdienst bei Vollzeit- und Teilzeitbeschäf- Da der Verdienst mit dem am Ar- tigkeitsfelder oder Leistungsgruppen ver-
tigten? Als Teilzeitbeschäftigte gelten hier beitsplatz erforderlichen Qualifikations- ursacht wird, die möglicherweise eben-
alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- niveau entsprechend ansteigt, wird der falls das Ergebnis benachteiligender
mer, deren regelmäßige Wochenarbeitszeit durchschnittliche Bruttostundenver- Strukturen sind.
kürzer ist als die vergleichbarer Vollzeit- dienst von Teilzeitbeschäftigten demnach Im Jahr 2017 lag der unbereinigte
beschäftigter. Teilzeitbeschäftigte wiesen durch einen höheren Anteil »niedriger« Gender Pay Gap in Deutschland bei 21 %,

171
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste

u Tab 4 Bruttostundenverdienste und Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen 2017


Bruttostundenverdienst Bruttoinlands­produkt in jeweiligen Preisen je Erwerbstätigen

in Euro Deutschland = 100


Deutschland 21,31 100 100
Früheres Bundesgebiet und Berlin 22,00 103,2 103,0
Neue Länder ohne Berlin 17,17 80,6 80,8
Hamburg 23,76 111,5 128,0
Hessen 23,42 109,9 110,3
Bayern 22,34 104,8 107,0
Baden-Württemberg 23,10 108,4 106,9
Bremen 22,26 104,5 106,5
Nordrhein-Westfalen 21,81 102,3 99,6
Rheinland-Pfalz 20,88 98,0 96,9
Niedersachsen 20,32 95,4 96,1
Berlin 20,82 97,7 95,0
Schleswig-Holstein 19,60 92,0 90,5
Saarland 20,62 98,2 90,3
Brandenburg 17,26 81,0 84,0
Sachsen-Anhalt 17,05 80,0 81,5
Sachsen 17,44 81,8 80,4
Thüringen 17,07 80,1 80,0
Mecklenburg-Vorpommern 16,61 77,9 77,3

Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen von Voll- und Teilzeitbeschäftigten im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich. Geringfügig Beschäftigte sind nicht enthalten.
Quelle: Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«

u Tab 5 Bruttostundenverdienste bei Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten 2017


Teilzeitbeschäftigte
Vollzeitbeschäftigte
(ohne geringfügig Beschäftigte)

Anteil in % in Euro Anteil in % in Euro


Insgesamt 65,2 ¹ 22,16 24,0 ¹ 17,76
Arbeitnehmer /-innen in leitender Stellung 11,8 40,14 6,3 32,91
Herausgehobene Fachkräfte 23,7 26,42 16,9 23,84
Fachkräfte 45,1 18,42 44,8 17,01
Angelernte Arbeitnehmer /-innen 13,6 15,07 18,3 12,82
Ungelernte Arbeitnehmer /-innen 5,7 12,88 13,8 11,44

Ohne Sonderzahlungen.
1 Anteil an allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.

das heißt, der durchschnittliche Brutto- ner unterschiedliche Leistungsgruppen ger als Männer verdienten, auch unter
stundenverdienst von Frauen fiel um besetzten und sich hinsichtlich der Be- der Voraussetzung, dass sie
21 % geringer aus als der von Männern. rufs- beziehungsweise Branchenwahl un- · die gleiche Tätigkeit ausübten,
Analysen auf Grundlage der in mehr- terschieden. Schließlich waren Frauen · über einen äquivalenten Ausbildungs-
jährlichen Abständen durchgeführten eher in Teilzeit beschäftigt und teilweise hintergrund verfügten,
Verdienststrukturerhebung für 2014 zei- schlechter ausgebildet. Rund ein Viertel · in einem vergleichbar großen privaten
gen, dass in Deutschland drei Viertel (26 %) des unbereinigten Verdienstunter- beziehungsweise öffentlichen Unter-
(74 %) des unbereinigten Gender Pay Gap schieds konnte nicht mithilfe derartiger nehmen tätig waren, das auch regional
auf Strukturunterschiede zwischen Ar- Unterschiede erklärt werden. Der berei- ähnlich zu verorten war (Ost / West, Bal-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern nigte Verdienstunterschied lag demnach lungsraum / kein Ballungsraum),
zurückzuführen waren. Wichtigste Un- bei rund 6 %. Dies bedeutet, dass weib­ · einer vergleichbaren Leistungsgruppe
terschiede waren, dass Frauen und Män- liche Arbeitnehmer pro Stunde 6 % weni- angehörten,

172
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

· einen ähnlich ausgestalteten Arbeits- u Abb 3 Zerlegung des Gender Pay Gap 2014 — Bruttostundenverdienst in Euro
vertrag (befristet / unbefristet, mit /ohne
Tarifbindung, Altersteilzeit ja /nein, Zu-
lagen ja /nein) hatten, Gründe für den Unterschied:
· das gleiche Dienstalter und die gleiche
potenzielle Berufserfahrung aufwiesen 4,43
sowie 0,13 Bildung und Berufserfahrung

· einer Beschäftigung vergleichbaren 0,42 Beschäftigungsumfang


Umfangs (Vollzeit / Teilzeit) nach­gingen.
In diesem Zusammenhang sollte jedoch
berücksichtigt werden, dass der berei- 0,94 Leistungsgruppe
nigte Gender Pay Gap möglicherweise
geringer ausfallen würde, wenn weitere
lohnrelevante Eigenschaften für die Ana-
lysen zur Verfügung gestanden hätten.
So konnte beispielsweise im Rahmen der Berufs- und
1,33
Auswertungen weder der Familienstand 19,87 15,44 Branchenwahl

oder die tatsächliche Berufserfahrung


noch das individuelle Verhalten in Lohn-
verhandlungen einbezogen werden. u Abb 3
sonstige
0,46 Arbeitsplatzfaktoren
Nominal- und Reallohn
Beim Nominallohn handelt es sich um
den Bruttomonatsverdienst einschließ- »unerklärter Rest«
1,16 (bereinigter
lich Sonderzahlungen, den die Beschäf- Gender Pay Gap)
tigten tatsächlich für ihre Arbeit erhalten.
Der Reallohn entspricht dem um die In-
flation bereinigten Verdienst. Somit ist
der Reallohn ein Indikator für die Kauf-
kraft des Nominallohns.
Von 2007 bis 2017 stiegen die Reallöh- Männer Frauen
ne, das heißt die preisbereinigten Brutto-
Verdienststrukturerhebung 2014.
monatsverdienste, um insgesamt 10,6 %. Abb 18 Geförderte nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) -
in Tausend
Die nominale Verdienstentwicklung von
Vollzeit-, Teilzeit- und geringfügig Be-
schäftigten betrug 25,8 %, die Verbrau- u Abb 4 Nominale und reale Verdienstentwicklung

cherpreise verzeichneten im gleichen — Veränderung zum Vorjahr in Prozent


Zeitraum einen Anstieg von 13,7 %. Bei
Betrachtung der einzelnen Jahre konnten 4
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer fast durchweg Reallohngewinne im 3
Vergleich zum Vorjahr verzeichnen. Die
Verdienste einschließlich der Sonderzah- 2
lungen stiegen also stärker als die Ver-
braucherpreise. u Abb 4 1
Eine Auswertung nach den sogenann-
ten Leistungsgruppen (siehe Info 1), also 0
den Anforderungen des Arbeitsplatzes
hinsichtlich Führung und Qualifikation, –1
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
zeigt, dass im Jahr 2017 die nominalen
Verdienststeigerungen der leitenden Arbeit- Reallohnindex Nominallohnindex Verbraucherpreisindex

nehmerinnen und Arbeitnehmer (+ 2,9 %)

173
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste

überdurchschnittlich hoch waren, dicht ge- kräfte und ungelernte Arbeitnehmerinnen Die Angaben zum Niedriglohn stam-
folgt von denen der ungelernten Arbeit- und Arbeitnehmer für sich verzeichnen men aus der Verdienststrukturerhebung,
nehmerinnen und Arbeitnehmer (+ 2,8 %). (+ 33 % beziehungsweise jeweils + 26 %). die alle vier Jahre durchgeführt wird. Ak-
Herausgehobene Fachkräfte hatten mit Bei Betrachtung der Verdienstent- tuell stehen Ergebnisse aus der Erhebung
+ 2,3 % den geringsten Verdienstzuwachs. wicklung in beiden Landesteilen zeigt von 2014 zur Verfügung, auf die sich die
Ferner hatten innerhalb der betrachteten sich, dass die Nominallöhne in den neu- folgenden Ausführungen beziehen.
Beschäftigungsarten die geringfügig Be- en Ländern mit + 31 % stärker gestiegen Die wie oben beschrieben definierte
schäftigten mit + 1,6 % deutlich geringere sind als im früheren Bundesgebiet und Niedriglohngrenze lag 2014 in Deutsch-
Verdienstzuwächse als Teilzeit- (+ 2,9 %) Berlin mit + 25 %. land bei 10,00 Euro brutto pro Stunde.
und Vollzeitbeschäftigte (+ 2,5 %). Fast 21 % aller Beschäftigten im Alter zwi-
Insgesamt stiegen die nominalen Ver- Niedriglöhne schen 15 und 64 Jahren (ohne Auszubil-
dienste von geringfügig Beschäftigten In den letzten Jahren wurde immer wie- dende) erhielten einen Verdienst unter-
zwischen 2007 und 2017 um rund 32 %. der über Niedriglöhne und das damit halb dieser Grenze. Bei den sogenannten
Damit fielen die Lohnsteigerungen stärker einhergehende Armutsrisiko für die atypisch Beschäftigten (Teilzeitbeschäftig-
aus als bei den Vollzeitbeschäftigten ­B eschäftigten diskutiert. Dabei wird der te mit 20 Stunden oder weniger, gering­
(+ 25 %) und den Teilzeitbeschäftigten Begriff »Niedriglohn« unterschiedlich fügig Beschäftigte, befristet Beschäftigte
(+ 30 %). Angelernte Arbeitnehmerinnen ­d efiniert. Das Statistische Bundesamt sowie Zeitarbeiter; siehe Kapitel 5.1, Seite
und Arbeitnehmer verzeichneten im sel- verwendet eine unter anderem bei der 158, Info 4, Abb 9) war der Anteil sogar
ben Zeitraum ein Plus von 26 %. Bei den Organisation für wirtschaftliche Zusam- doppelt so hoch. Dabei unterschieden sich
Fachkräften belief sich der Lohnzuwachs menarbeit und Entwicklung (OECD) und die Anteile der Niedrigentlohnten je nach
auf 23 %. Die höchsten Verdienststeige- der Internationalen Arbeitsorganisation Beschäftigungsform deutlich: So arbeite-
rungen in den letzten zehn Jahren konn- (ILO) übliche Definition. Demnach liegt ten fast zwei Drittel der geringfügig Be-
ten leitende Arbeitnehmerinnen und Ar- die Niedriglohngrenze bei zwei Dritteln schäftigten (65 %) für einen Niedriglohn.
beitnehmer sowie herausgehobene Fach- des Medianverdienstes. u Info 2 Für Teilzeitbeschäftigte mit maximal
20 Arbeitsstunden pro Woche (47 %), für
Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeiter (39 %)
und befristet Beschäftigte (33 %) waren die
Anteile zwar geringer, aber immer noch
deutlich über dem Niveau von Normalar-
u Info 2
beitnehmerinnen und -arbeitnehmern mit
Was sind Niedriglöhne?
10 %. Als Normalarbeitsverhältnisse gelten
Der Begriff »Niedriglöhne« wird unterschiedlich verwendet. Das Statistische Bundesamt
unbefristete, voll sozialversicherungs-
berechnet die Niedriglohngrenze, unterhalb derer alle Verdienste als Niedriglohn gelten, nach
einem Ansatz, der unter anderem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit pflichtige Beschäftigungen mit über 20
und Entwicklung (OECD) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) angewandt wird. Wochenstunden, die nicht als Zeitarbeit
Diese grenzt den Niedriglohnbereich relativ zur Verteilung der Verdienste aller betrachteten ausgeübt werden. u Tab 6
Beschäftigten ab. Dazu wird zunächst der Medianverdienst berechnet: Dieser teilt die betrach- Das bedeutet, dass von den gut
teten Verdienste in genau zwei Hälften, das heißt, die eine Hälfte der Beschäftigten verdient
weniger und die andere Hälfte mehr als diesen Wert. Nach der Definition wird von Niedriglohn
34,7 Millionen Beschäftigten im Alter von
gesprochen, wenn der Verdienst eines Beschäftigten kleiner als zwei Drittel des Medianver- 15 bis 64 Jahren (ohne Auszubildende),
dienstes ist. über die die Verdienststrukturer­hebung
Die Daten zu Niedriglöhnen basieren auf der Verdienststrukturerhebung, die alle vier Jahre repräsentative Aussagen macht, 2,2 Mil-
detaillierte Informationen zu den Erwerbseinkommen abhängig Beschäftigter bereitstellt. Aktuell lionen Normalbeschäftigte und rund
stehen die Ergebnisse der Verdienststrukturerhebung 2014 für Analysen zum Niedriglohnsektor
zur Verfügung. 4,9 Millionen atypisch Beschäftigte einen
Niedriglohn erhielten.
Mit den letzten beiden Erhebungen wurde der Berichtskreis der Verdienststrukturerhebung
zweistufig erweitert: im Jahr 2010 um die Branchen der nicht marktbestimmten Dienstleistungen Je jünger Beschäftigte sind, desto hö-
und 2014 um Betriebe der Land- und Forstwirtschaft. Zudem wurden mit der Erhebung 2014 her ist die Wahrscheinlichkeit, dass
auch Klein- und Kleinstbetriebe (Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten) einbezogen.
Niedriglöhne bezogen werden. Rund 46 %
Aussagen zu Erwerbseinkommen von Selbstständigen sowie zu privaten Haushalten mit ­Haus­- der Beschäftigten im Alter von 15 bis
personal können auch weiterhin mithilfe dieser Erhebung nicht getroffen werden. Mit der Ver-
änderung des Berichtskreises sind auch Zeitvergleiche mit vorangegangenen Erhebungen nur
24 Jahren bekamen 2014 einen Niedrig-
bedingt möglich. Im Jahr 2014 betrug der Schwellenwert für den Niedriglohn 10,00 Euro pro lohn. Dies sind deutlich mehr als doppelt
Stunde und bezog sich auf den Bruttostundenverdienst. Der Bruttostunden­verdienst ist am besten so viele wie in jeder anderen Altersgrup-
geeignet, da so festgestellte Verdienstunterschiede nicht aus unterschiedlich langen Arbeits-
zeiten resultieren können und Einflüsse von Steuern und Abgaben ­außen vor bleiben. In der Analyse pe. Bei den atypisch in Teilzeit bezie-
wurden Beschäftigte im Alter von 15 bis 64 Jahren ohne Auszubildende berücksichtigt. hungsweise geringfügig Beschäftigten lag

174
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Tab 6 Beschäftigte mit Niedriglohn 2014 — in Prozent

Und zwar
Normalarbeit- Atypisch
Insgesamt
nehmer /-innen Beschäftigte befristet Teilzeit­ geringfügig Zeitarbeiter/
Beschäftigte beschäftigte ¹ Beschäftigte -innen

Insgesamt 20,5 9,6 41,1 33,3 47,4 65,5 39,5

Männer 14,8 6,9 39,0 27,6 52,2 63,1 35,5

Frauen 26,4 13,6 42,3 38,4 45,5 66,7 50,4

im Alter von … bis … Jahren

15 – 24 45,8 22,7 57,7 45,3 70,4 74,9 47,2

25 – 34 20,3 11,6 34,4 23,2 48,3 61,6 36,0

35 – 44 17,7 8,6 37,5 30,4 42,7 62,7 36,9

45 – 54 17,6 8,1 41,5 37,9 44,4 63,2 41,5

55 – 64 20,0 9,4 41,9 47,8 42,7 66,2 42,0

Früheres Bundesgebiet und Berlin 18,4 6,8 39,5 31,3 45,8 63,9 36,3

Neue Länder 33,7 25,8 55,4 46,8 64,8 81,6 54,5

Ohne Berufsausbildung 45,8 20,7 61,1 56,5 65,3 74,5 54,0

Mit Berufsausbildung 19,9 11,0 38,8 31,8 44,5 63,5 33,4

Hochschulabschluss 4,2 1,2 14,1 9,1 19,9 40,4 9,7

Wirtschaftsabschnitte

Land- und Forstwirtschaft,


53,8 44,5 66,7 77,3 63,1 69,1 –
Fischerei

Bergbau und Gewinnung


3,0 1,0 15,8 6,5 23,4 48,4 –
von Steinen und Erden

Verarbeitendes Gewerbe 10,2 5,9 30,4 20,8 39,5 60,7 –

Energieversorgung 2,1 0,6 9,5 9,8 12,8 75,1 –

Wasserversorgung ² 12,0 7,7 30,3 27,6 34,1 50,5 –

Baugewerbe 10,9 6,3 29,9 16,7 34,2 39,2 –

Handel ³ 26,7 13,1 49,8 44,5 54,2 70,3 –

Verkehr und Lagerei 29,6 16,8 53,7 36,7 63,0 78,6 –

Gastgewerbe 66,8 49,8 76,2 67,5 78,7 82,5 –

Information und Kommunikation 13,2 3,0 41,5 30,8 49,0 67,6 –

Erbringung von Finanz- und


5,1 1,5 17,3 9,1 19,5 46,9 –
Versicherungsdienstleistungen

Grundstücks- und
29,6 10,6 47,5 33,8 49,6 57,1 –
Wohnungswesen

Erbringung von freiberuflichen,


wissenschaftlichen und 13,9 5,6 31,4 24,4 35,8 51,0 –
technischen Dienstleistungen

Erbringung von sonstigen wirt-


47,7 30,0 57,0 58,7 71,1 75,4 39,5
schaftlichen Dienstleistungen

Öffentliche Verwaltung, Ver-


2,7 0,2 12,2 20,3 19,9 77,0 –
teidigung; Sozialversicherung

Erziehung und Unterricht 6,1 1,2 15,0 15,8 18,9 38,7 –

Gesundheits- und Sozialwesen 16,2 9,8 25,5 21,8 29,0 50,5 –

Kunst, Unterhaltung und Erholung 43,2 22,0 57,0 49,2 61,1 68,8 –

Erbringung von sonstigen


32,4 23,2 42,2 36,3 44,5 57,1 –
Dienstleistungen

Beschäftigte im Alter von 15 bis 64 Jahren, ohne Auszubildende. Niedriglohngrenze bei zwei Dritteln des Medians vom Bruttostundenverdienst (10,00 Euro).
1 Mit höchstens 20 Arbeitsstunden pro Woche.
2 Einschließlich Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen.
3 Einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
– Nichts vorhanden.

175
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste

Abb 5 Anteil des Nettoverdienstes am Bruttomonatsverdienst 2017 – in Prozent

u Abb 5 Anteil des Nettoverdienstes am Bruttomonatsverdienst 2017 — in Prozent dienst ist der durchschnittliche Brutto-
monatsverdienst (einschließlich Sonder-
zahlungen) Vollzeit beschäftigter Frauen
59,2 und Männer im Produzierenden Gewer-
lediger Mann ohne Kind 63,0
be und im Dienstleistungsbereich abzüg-
61,7
lich der Steuern (Lohnsteuer und Solida-
ledige Frau ohne Kind
63,6 ritätszuschlag) sowie der Arbeitnehmer-
beiträge zur Sozialversicherung. Zu
Ehepaar: 60,3
Doppelverdiener ohne Kind 63,3
Letzterem zählen beispielsweise die Bei-
träge zur gesetzlichen Kranken-, Renten-
Ehepaar: alleinverdienender 67,8 und Pflegeversicherung. Die Zahlung von
Ehemann, zwei Kinder 71,8
Kindergeld beziehungsweise die steuerli-
alleinerziehende Frau, 63,5
che Berücksichtigung von Kinderfreibe-
zwei Kinder 65,6 trägen bleiben bei der Berechnung der
Nettoverdienste unberücksichtigt. Die
früheres Bundesgebiet und Berlin neue Länder Modellrechnung stellt dar, wie sich Lohn-
steuer, Solidaritätszuschlag und Arbeit-
Modellrechnung. Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nehmerbeiträge zur Sozialversicherung
im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.
auf die Höhe der Nettoverdienste ver-
Modellrechnung. Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im
Dienstleistungsbereich. schiedener Haushaltstypen auswirken,
wenn die Allein- oder Doppelverdiener
jeweils den durchschnittlichen Brutto-
monatsverdienst aller Vollzeit beschäftig-
der Anteil der Personen unter der Nied- rund 17 % der atypisch Beschäftigten einen ten Frauen und Männer erzielen.
riglohnschwelle bei den 15- bis 24-Jähri- Niedriglohn. Im Handel war der Anteil der Der Anteil des Bruttomonatsver-
gen sogar über 70 %. niedrig entlohnten atypisch Beschäftigten dienstes, über den die Haushaltstypen
In den einzelnen Wirtschaftszweigen mit 50 % rund 37 Prozentpunkte höher als frei verfügen können, schwankt erheb-
sind Niedriglöhne unterschiedlich stark der entsprechende Anteil für die Normal- lich. Die höchsten Abzüge hatten ledige
verbreitet. Beschäftigte der Land- und beschäftigten. Männer ohne Kind im früheren Bundes-
Forstwirtschaft und des Gastgewerbes be- Auch die berufliche Qualifikation ist gebiet und Berlin: Ihnen blieben im Jahr
kommen häufiger als in allen anderen ein bedeutender Faktor, der die Verdienst- 2017 noch 59 % netto. Zum Vergleich:
Wirtschaftsabschnitten Bruttostundenver- höhe beeinflusst. Je höher die persönliche Ehepaaren mit zwei Kindern und allein-
dienste unterhalb der Niedriglohngrenze. berufliche Qualifikation, desto niedriger verdienendem Ehemann in den neuen
So bezogen in diesen Branchen rund 54 % ist die Wahrscheinlichkeit eines Niedrig- Ländern blieben 72 %. u Abb 5
beziehungsweise 67 % aller Beschäftigten lohns. Insgesamt bezogen 46 % der Arbeit-
einen Niedriglohn. Diese beiden Wirt- nehmerinnen und Arbeitnehmer ohne ei-
schaftsabschnitte weisen im Vergleich mit nen beruflichen Bildungsabschluss einen
den anderen Wirtschaftsabschnitten auch Niedriglohn. Bei Beschäftigten mit einer
bei den Normalbeschäftigten den höchs- abgeschlossenen Berufsausbildung waren
ten Anteil unter dem Niedriglohn (45 % es 20 % und bei Beschäftigten mit Hoch-
beziehungsweise 50 %) aus. schulabschluss 4,2 %.
In den anderen Wirtschaftsabschnitten Über den in Deutschland seit 2015
war der Anteil der Niedriglohnbeziehe- geltenden Mindestlohn informiert Kapi-
rinnen und -bezieher unter den Normal- tel 5.3, Seite 177.
beschäftigten wesentlich geringer. Aller-
dings überstiegen in allen Wirtschafts­ 5.2.3 Nettoverdienste nach
abschnitten die Anteile der niedrig Haushaltstypen
entlohnten atypisch Beschäftigten deutlich Das Statistische Bundesamt berechnet
die der Normalbeschäftigten. So erhielten mittels einer Modellrechnung Nettover-
beispielsweise im Bereich Erbringung von dienste für verschiedene Haushaltstypen
Finanz- und Versicherungsdienstleistun- im früheren Bundesgebiet und Berlin so-
gen 1,5 % der Normalbeschäftigten, aber wie in den neuen Ländern. Der Nettover-

176
Mindestlohn / 5.3 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

5.3 Mit dem Mindestlohngesetz, das der


Deutsche Bundestag am 3. Juli 2014 ver-
schäftigung nicht eindeutig. Je nach zu-
grunde gelegtem Modell beziehungsweise
Mindestlohn* abschiedet hat, wurde in Deutschland den Modellannahmen können Mindest-
*D
 er Beitrag gibt ausschließlich die Meinung der Autoren zum 1. Januar 2015 erstmals ein allgemei- löhne sowohl negative als auch positive
und nicht die der Mindestlohnkommission wieder.
ner gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. oder neutrale Effekte haben. Wie sich die
Insgesamt haben einschließlich Deutsch- Einführung oder Anpassung des gesetz-
Oliver Bruttel land 22 Länder in der EU einen gesetzli- lichen Mindestlohns auswirkt, ist somit
Geschäfts- und Informationsstelle chen Mindestlohn (siehe Kapitel 11.1.6, letztlich eine empirische Frage. u Info 2
für den Mindestlohn Seite 426). Die Einführung des Mindest-
Ralf Himmelreicher lohns gilt als die bedeutendste arbeits- 5.3.1 Steigende Stundenlöhne
Privatdozent am Institut für Soziologie marktpolitische Maßnahme seit den soge- im unteren Lohnbereich
der FU Berlin und Geschäfts- und nannten Hartz-Reformen. Der Mindest- Häufig wird zwischen Mindest- und
Informationsstelle für den Mindestlohn lohn gilt, von wenigen Ausnahmen Niedriglohn unterschieden (siehe Kapitel
abgesehen, für nahezu alle Arbeitneh- 5.2.2, Seite 168). Der Mindestlohn ist eine
merinnen und Arbeitnehmer. Mit der gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze.
WZB / SOEP
Einführung des allgemeinen gesetzlichen Die Niedriglohnschwelle wird hingegen
Mindestlohns in Deutschland verband relativ zu anderen Löhnen definiert,
sich neben anderen Zielen vor allem die nämlich als zwei Drittel des Median-
Hoffnung, die Einkommenslage von nied- lohns. Der Medianlohn ist dabei der
rig entlohnten Erwerbstätigen zu verbes- Lohn, der sich genau in der Mitte der be-
sern. Seit Beginn des Jahres 2017 wurde trachteten und nach Größe sortierten
der Mindestlohn auf Vorschlag der Min- Löhne befindet, weshalb er häufig auch
destlohnkommission auf 8,84 Euro erhöht, als mittlerer Lohn bezeichnet wird – eine
zum 1. Januar 2019 soll der Mindestlohn Hälfte der Beschäftigten verdient weniger,
auf 9,19 Euro und zum 1. Januar 2020 auf die an­dere Hälfte mehr als den Median-
9,35 Euro angepasst werden. u Info 1 lohn. Die Niedriglohnschwelle liegt der-
Wie sich der Mindestlohn auf Löhne zeit, je nach Datenbasis, bei rund 10 Euro
und Beschäftigungszahlen auswirkt, steht pro Stunde.
im Mittelpunkt der Mindestlohnfor- Geringe Stundenverdienste, egal ob
schung. In der internationalen Forschung im Mindest- oder im Niedriglohnbereich,
werden aber zunehmend auch die Aus- sind überdurchschnittlich häufig in Ost-
wirkungen des Mindestlohns auf Arbeits- deutschland, bei geringfügig Beschäftig-
zeiten, Produktivität, Verbraucherpreise ten (»Minijobs«), un- oder angelernten
oder die Ertragslage beziehungsweise Ge- Beschäftigten, Frauen sowie Beschäftigten
winne von Unternehmen untersucht. Aus in kleineren sowie nicht tarifgebundenen
theoretischer Perspektive ist die Wirkung Unternehmen anzutreffen. Zudem gibt es
von Mindestlöhnen vor allem auf die Be- bestimmte Branchen, in denen niedrige

u Info 1
Geltungsbereich des Mindestlohns
Der gesetzliche Mindestlohn gilt für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer. Ausgenommen sind Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung,
Auszubildende in betrieblicher Ausbildung, Praktikantinnen und Praktikanten (soweit es sich um
ein Pflichtpraktikum oder ein freiwilliges Praktikum mit einer Dauer von maximal drei Monaten
­handelt, das vor oder während einer Berufs- oder Hochschulausbildung stattfindet), Langzeitarbeits-
lose in den ersten sechs Monaten nach Aufnahme einer Beschäftigung sowie ehrenamtlich Tätige.
Für einen Übergangszeitraum bis längstens zum 31. Dezember 2017 gab es zudem eine Reihe
von tarifvertraglich vereinbarten Übergangsregelungen für bestimmte Branchen wie beispielsweise
im Friseurhandwerk, in der Leiharbeit oder der Landwirtschaft.

177
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.3 / Mindestlohn

u Info 2 Löhne besonders häufig verbreitet sind.


Datenbasis und deren Besonderheiten Im Jahr 2014, vor Einführung des gesetz-
Dieses Kapitel stützt sich insbesondere auf zwei verschiedene Datenquellen. Erstens die Ver- lichen Mindestlohns, wiesen vor allem
diensterhebungen des Statistischen Bundesamtes, die auf Befragungen von Betrieben be­ folgende Branchen hohe Anteile von
ziehungsweise Angaben aus deren Lohnbuchhaltungen basieren. Konkret werden die Verdienst-
strukturerhebung (VSE) 2014, die Verdiensterhebungen (VE) 2015, 2016 und 2017 sowie die
Stundenlöhnen auf, die unterhalb von
Vierteljährliche Verdiensterhebung (VVE) ausgewertet. Zweitens wird das Sozio-oekonomische 8,50 Euro lagen: das Taxigewerbe, in dem
Panel (SOEP) herangezogen, bei dem Beschäftigte selbst zu ihren Verdiensten und Arbeits­ rund 70 % der Beschäftigten weniger als
zeiten befragt werden.
8,50 Euro erhielten, das Gastronomiege-
Berechnung der Bruttostundenlöhne werbe (52 %), Friseur- und Kosmetiksalons
Weder in VSE / VE / VVE noch im SOEP liegen direkte Angaben zu Bruttostundenlöhnen vor. (44 %), die Landwirtschaft (36 %), das Be-
Diese werden berechnet, indem die auf Monatsbasis abgefragten Verdienste durch die herbergungsgewerbe (33 %), private Wach-
auf ­Wochenbasis abgefragte und auf den Monat hochgerechnete Arbeitszeit dividiert werden.
und Sicherheitsdienste (32 %), Call Center
Was genau zum Lohn und zur Arbeitszeit zählt, ist jedoch nicht immer eindeutig. So ist zum
Beispiel unklar, wie Zuschläge (etwa für Vorarbeiterinnen und Vorarbeiter oder Ausbilderinnen (30 %) sowie der Einzelhandel (22 %).
und Ausbilder) und Sonderzahlungen (zum Beispiel Urlaubs- oder Weihnachtsgeld) bei der Seit der Einführung des Mindestlohns
­B erechnung des Mindestlohns genau b ­ erücksichtigt werden müssen. Dies war auch schon
­Gegenstand von Gerichtsentscheidungen. Die genaue Arbeitszeit ist schwierig zu ermitteln,
stiegen die Stundenlöhne von Beschäftig-
weil zum ­Beispiel Pausen nicht dazugerechnet werden dürfen. Auch die Berechnung bei Über- ten, die zuvor unter 8,50 Euro pro Stunde
stunden ist kompliziert und variiert je nachdem, ob diese in Geld, Freizeit oder einer Mischung verdienten, deutlich an. Dies wird beson-
aus beidem abgegolten werden.
ders deutlich, wenn man innerhalb der
Abweichungen zwischen Betriebserhebungen vom Mindestlohn hoch betroffenen Bran-
und Beschäftigtenbefragungen chen Männer und Frauen sowie verschie-
Beschäftigtenbefragungen wie das SOEP kommen regelmäßig zu einer (deutlich) höheren Zahl dene Qualifikationsgruppen getrennt
an Personen, die auch nach Einführung des Mindestlohns unterhalb der neuen Lohngrenze ­betrachtet. Bei An- und vor allem Unge­­
verdienen, als dies in Betriebsbefragungen wie der VSE / VE der Fall ist. Dies kann eine Vielzahl
von Ursachen haben. Die Angaben von Beschäftigten sind häufiger gerundet und damit
lernten waren für das Jahr 2015 weit
­tendenziell ungenauer als die Angaben der Betriebe. Außerdem überschätzen Beschäftigte überdurchschnittliche Lohnsteigerungen
möglichweise teilweise ihre tatsächlichen Arbeitszeiten oder haben Erinnerungslücken. Umge- erkennbar. In Ostdeutschland stieg der
kehrt ist denkbar, dass Betriebe die Arbeitsstunden dergestalt melden, dass die Mindestlohn-
grenze eingehalten wird. Insofern können die hier dargestellten Daten der VSE / VE nur ein Bruttostundenverdienst von ungelernten
­A bbild der in den Betrieben dokumentierten Angaben liefern, nicht aber Aufschluss darüber Männern im Jahr 2015 um 13,5 %, von
geben, inwiefern Betriebe unabhängig davon versuchen, den Mindestlohn, beispielsweise ungelernten Frauen um 12,6 %. Für ange-
durch nicht deklarierte, unbezahlte Mehrarbeit, zu umgehen. Dass es solche Fälle gibt, zeigen
die Kontrollen des Zolls. lernte Männer und Frauen waren es 9,4 %
beziehungsweise 9,9 %. Auch in West-
deutschland stiegen bei an- und ungelern-
ten Arbeitskräften in den vom Mindest-
lohn hoch betroffenen Branchen die Löh-
ne überdurchschnittlich an, wenngleich
auf deutlich niedrigerem Niveau. Bei un-
gelernten Männern waren es im Jahr 2015
4,0 %, bei ungelernten Frauen 4,2 %; bei
angelernten Männern und Frauen jeweils
2,6 %. Nach Anpassung des Mindestlohns
zum Januar 2017 verzeichneten in den
vom Mindestlohn hoch betroffenen Bran-
chen vor allem ungelernte Frauen und
Männer in Ostdeutschland mit etwa 5 %
im Vergleich zu den anderen Leistungs-
gruppen stärkere Erhöhungen ihrer Stun-
denverdienste. u Abb 1
Geringfügig Beschäftigte sind eine
weitere Gruppe, die vor der Einführung
des Mindestlohns besonders häufig Stun-
denlöhne unterhalb von 8,50 Euro auf-
wiesen. Auch in dieser Gruppe stiegen
die Löhne in den letzten Jahren deutlich

178
Mindestlohn / 5.3 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Abb 1 Veränderung der Stundenlöhne gegenüber dem Vorjahr in


vom Mindestlohn hoch betroffenen Branchen 2014–2017 — in Prozent

Frauen Westdeutschland Männer Westdeutschland

4,2
4,0
3,1 2,6 2,5 2,4 2,6 3,2 2,5 2,5 2,7
2,6 2,3 2,6 2,0 2,4 2,2 2,3
1,5 1,4 1,5 1,5
2,1 2,0 1,9
2,2 2,3 1,92,1
1,8 1,9 1,6 1,5 0,6 1,8
0,3 1,6
0,8

–0,3 –0,6

2014 2015 2016 2017 2014 2015 2016 2017

Frauen Ostdeutschland Männer Ostdeutschland


13,5
12,6

9,9
9,4
7,8

5,2 5,1 5,6


4,4 5,0
3,3 3,3 4,0 4,1 3,8 4,3
2,8 2,4 3,1 2,8 2,6 3,0
2,7 2,7 2,3 2,5
2,0 1,9 1,8 2,4 2,2 1,9
1,4 1,2 0,3
1,1 1,3
0,6 0,6

–2,8
2014 2015 2016 2017 2014 2015 2016 2017

in leitender Stellung herausgehobene Fachkräfte Fachkräfte Angelernte Ungelernte

Index der Bruttostundenverdienste ohne Sonderzahlungen für Voll- und Teilzeitbeschäftigte.


Als vom Mindestlohn hoch betroffene Branchen gelten die 20 Branchen mit den höchsten Anteilen von Beschäftigungsverhältnissen mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro im Jahr 2014, ­
ausgenommen Branchen – wie das Friseurhandwerk oder die Landwirtschaft –, für die tarifliche Übergangsregelungen gelten (siehe Tabelle 2.1 im Zweiten Bericht der Mindestlohnkommission).
Datenbasis: Vierteljährliche Verdiensterhebung (VVE), eigene Berechnungen.

an. Erneut zeigen sich die mit der Ein- Jahr 2014 – im Vorfeld der Mindestlohn- wicklung geringfügig Beschäftigter der
führung des Mindestlohns verbundenen einführung – um 13 %, im Jahr 2015 um Entwicklung bei Voll- und Teilzeitbe-
Veränderungen vor allem in Ostdeutsch- 16 % und im Jahr 2016 um 11 %, während schäftigten an. In Westdeutschland (ein-
land (ohne Berlin). Dort stiegen, berech- die Lohnsteigerung von Voll- und Teil- schließlich Berlin) stiegen die Verdienste
net als Mittelwert der einzelnen Quartale, zeitbeschäftigten in dieser Zeit rund geringfügig Beschäftigter in den Jahren
die durchschnittlichen Bruttomonats­ 3 % pro Jahr betrug. Zu Beginn des Jahres 2013 bis 2016 ebenfalls etwas stärker als
löhne von geringfügig Beschäftigten im 2017 näherte sich die Verdienstent­ die von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftig-

179
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.3 / Mindestlohn

u Abb 2 Veränderung der Monatslöhne gegenüber dem Vorjahresquartal ten, im Vergleich zu Ostdeutschland war
nach Beschäftigungsform 2011–2017 — in Prozent dieser Anstieg jedoch deutlich schwächer
ausgeprägt. Der augenfällig starke An-
stieg im Jahr 2013 dürfte in Zusammen-
Westdeutschland
hang mit der Anhebung der Geringfügig-
18
keitsgrenze von 400 auf 450 Euro stehen.
Im Jahr 2015 stiegen die Bruttomonats-
16
löhne von geringfügig Beschäftigten in
Westdeutschland um 3,8 %, im Jahr 2016
14
um 3,7 %. Vollzeitbeschäftigte erhielten
12
im gleichen Zeitraum Verdienststeige-
rungen von 2,3 % beziehungsweise 2,2 %,
10
Teilzeitbeschäftigte von 2,7 % beziehungs-
weise 3,0 %. u Abb 2
8
5.3.2 Veränderung der
6 Lohnverteilung
Einhergehend mit den beschriebenen
4 Verdienstanstiegen ist seit Einführung
des gesetzlichen Mindestlohns im Be-
2 reich niedriger Löhne eine Verschiebung
der Lohnverteilung hin zu höheren Stun-
0 denlöhnen erkennbar. Diese Entwicklung
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
zeigt sich sowohl auf Basis der VSE / VE
als auch im SOEP. In den VSE / VE-Daten
Ostdeutschland ist zwischen 2014 und 2015 eine deutliche
18 Verschiebung im unteren Lohnsegment
zu beobachten, die 2015 zu einer starken
16
Ballung im Mindestlohnbereich geführt
hat. Die SOEP-Daten hingegen zeigen
14
nach Einführung des Mindestlohns le-
diglich sukzessive Lohnsteigerungen im
12
unteren Lohnsegment, eine Ballung im
Mindestlohnbereich ist nicht zu erken-
10
nen. Dies könnte darauf zurückzuführen
8
sein, dass sowohl Lohnsteigerungen als
auch gegebenenfalls Stundenreduzierun-
6 gen von den Lohnbuchhaltungen genauer
gemeldet werden als von den Beschäftig-
4 ten selbst. Die Ballung der Löhne genau
auf den Mindestlohn in den VE-Daten
2 dürfte auch damit zusammenhängen,
dass in den Lohnbuchhaltungen verwen-
0 dete gängige Softwarepakete standard-
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 mäßig überprüfen, ob der Mindestlohn
Vollzeitbeschäftigte Teilzeitbeschäftigte geringfügig Beschäftigte
bezahlt wird. u Abb 3
Verbunden mit dem Rückgang von
Stundenlöhnen unter 8,50 Euro weisen
Analysen auf Basis des SOEP einen Rück-
Index der Bruttomonatsverdienste ohne Sonderzahlungen (2015=100).
Für geringfügig Beschäftigte liegen nur Zahlen mit Sonderzahlungen vor. gang der Ungleichheit der vertraglichen
Datenbasis: Vierteljährliche Verdiensterhebung (VVE), eigene Berechnungen.
Stundenlöhne aus. Allerdings lässt sich
Ähnliches auf Basis von Monatslöhnen

180
Mindestlohn / 5.3 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

uAbb 3 Verteilung von nominalen Stundenlöhnen


— Anteile in Prozent

VSE / VE

12
Mindestlohnbereich
10

0
0 –1 1–2 2–3 3–4 4–5 5–6 6 –7 7– 8 8–9 9 – 10 – 11– 12– 13– 14– 15– 16– 17– 18– 19– 20– 21– 22– 23– 24– 25– 26– 27– 28– 29–
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

SOEP

12
Mindestlohnbereich
10

0
0 –1 1–2 2–3 3–4 4–5 5–6 6 –7 7– 8 8–9 9 – 10 – 11– 12– 13– 14– 15– 16– 17– 18– 19– 20– 21– 22– 23– 24– 25– 26– 27– 28– 29–
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Stundenlohn von … bis unter … Euro

2014 2015 2016

Nur Beschäftigungsverhältnisse ab 18 Jahren, ohne Auszubildende, Praktikantinnen und Praktikanten, Altersteilzeit, Personen in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Werkstätten für Behinderte
und in »Ein-Euro-Jobs«. Im SOEP nur hauptberufliche Tätigkeiten; die Entlohnung in nebenberuflichen Tätigkeiten bleibt unberücksichtigt. Bruttostundenlöhne im SOEP sind auf Basis der vertraglichen
Arbeitszeit berechnet. Die Angaben basieren auf Lohnintervallen in 1-Euro-Schritten. Der Wert von 8,50 Euro liegt somit im Intervall von 8,00 Euro bis 8,99 Euro.
Datenbasis: Verdienststrukturerhebung (VSE) 2014, Verdiensterhebungen (VE) 2015, 2016, 2017, Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) v33, eigene Berechnungen.

nicht beobachten. Dies ist darauf zurück- Abbildung 3 lässt erkennen, dass es lohngrenze aus. Hochrechnungen auf Ba-
zuführen, dass mit der Einführung des in beiden Befragungen, auch nach Ein- sis des SOEP kommen zu einer Größen-
Mindestlohns die wöchentlichen Arbeits- führung des gesetzlichen Mindestlohns, ordnung von rund 1,8 Millionen Beschäf-
zeiten zurückgingen (siehe Abschnitt eine nennenswerte Zahl von Fällen mit tigten, die in ihrem Hauptberuf einen
5.3.4). Da sich der Monatslohn durch die Stundenlöhnen unter 8,50 Euro gibt. Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro
Multiplikation von Stundenlohn und be- Das Statistische Bundesamt weist auf erhalten.
zahlter Arbeitszeit ergibt, hebt der Rück- Basis der VE 2016 einen Kreis von rund Zudem hat sich trotz des Anstiegs der
gang der Arbeitszeit den Anstieg der Stun- 750 000 Beschäftigungsverhältnissen mit Stundenlöhne für Beschäftigte, die zuvor
denlöhne teilweise wieder auf. Stundenlöhnen unterhalb der Mindest- weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdien-

181
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.3 / Mindestlohn

ten, die Zahl der Niedriglohnempfänger u Tab 1 Entwicklung der Beschäftigung seit Einführung

kaum verändert. Die Einführung des Min- des gesetzlichen Mindestlohns


destlohns führte somit nicht dazu, dass Bestand im Veränderung April 2015 Veränderung April 2017
auch die Löhne oberhalb der Niedrig- April 2014 gegenüber April 2014 gegenüber April 2014
lohngrenze von rund 10 Euro pro Stunde in 1000 in 1000 in % in 1000 in %
anstiegen. Es gab also keinen ausgepräg- Alle Branchen
ten »Spillover«- oder »Kaminzug«-Effekt
Insgesamt 33 528 462 1,4 631 1,8
des Mindestlohns auf Stundenlöhne, die
Sozialversicherungspflichtige
zuvor bereits über 10 Euro lagen. Beschäftigte
28 581 615 2,2 692 2,3

Ausschließlich geringfügig
5.3.3 Bedürftigkeit und Beschäftigte
4 947 – 153 – 3,1 – 60 – 1,3

Armutsgefährdung Vom gesetzlichen Mindestlohn


Mit der Einführung des Mindestlohns hoch betroffene Branchen ¹
war auch die Erwartung verbunden, dass Insgesamt 6 482 118 1,8 101 1,5
dadurch die Zahl der Beschäftigten, die
Sozialversicherungspflichtige
4 461 193 4,3 129 2,7
trotz Arbeit auf ergänzendes Arbeitslo- Beschäftigte
sengeld II angewiesen sind (»Aufstocke- Ausschließlich geringfügig
2 021 – 76 -3,7 – 27 – 1,4
rinnen und Aufstocker« nach dem Zwei- Beschäftigte

ten Buch Sozialgesetzgebung, SGB II), zu- Vom gesetzlichen Mindestlohn


rückgehen würde. Das ist bislang kaum weniger betroffene Branchen ¹

der Fall. Die Zahl der sogenannten Auf- Insgesamt 27.046 344 1,3 530 1,9
stockerinnen und Aufstocker ist mit Ein- Sozialversicherungspflichtige
24 120 421 1,7 563 2,2
führung des gesetzlichen Mindestlohns Beschäftigte

nur geringfügig mehr als im Durch- Ausschließlich geringfügig


2 926 – 77 – 2,6 – 33 – 1,2
Beschäftigte
schnitt der Vorjahre zurückgegangen.
Dass es zu keiner deutlicheren Reduzie- In Annäherung an den Geltungsbereich des gesetzlichen Mindestlohns wird die Entwicklung der Beschäftigten
ohne Auszubildende und ohne Beschäftigte unter 18 Jahren betrachtet.
rung dieser Personengruppe kam, ist ins- 1 Zur Abgrenzung der vom gesetzlichen Mindestlohn hoch betroffenen Branchen siehe Anmerkung bei Abbildung 1.
Datenbasis: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.
besondere darauf zurückzuführen, dass
der ergänzende Arbeitslosengeld-II-Bezug
oft aus einer geringen Wochenarbeitszeit
sowie der Zahl nicht erwerbstätiger Haus-
haltsmitglieder (zumeist Kinder) resul-
tiert. Zudem können hohe Wohnkosten nen aus armutsgefährdeten Haushalten im April 2017 im Vergleich zum April
insbesondere in Ballungsgebieten ver­ nur rund ein Viertel erwerbstätig und 2014 um 1,8 % beziehungsweise rund
hindern, dass der Mindestlohn aus e­ iner kann damit potenziell vom Mindestlohn 630 000 Beschäftigte. Auch in den vom
Bedürftigkeit herausführt. Nur rund 3 % profitieren. Zweitens lebt nur ein Teil der Mindestlohn besonders stark betroffenen
aller erwerbstätigen Arbeitslosengeld-II- Mindestlohnbezieherinnen und -bezieher Branchen zeigt sich eine positive Ent-
Bezieherinnen und -Bezieher sind allein- in armutsgefährdeten Haushalten. Von wicklung von 1,5 % beziehungsweise
stehende Vollzeitbeschäftigte, für die der den Beschäftigten, die vor Einführung rund 100 000 Beschäftigten. Dabei gab
Mindestlohn seiner Bemessung nach des Mindestlohns unter 8,50 Euro pro es zwei gegenläufige Trends: Während
dazu geeignet ist, aus dem B ­ ezug von Ar- Stunde verdienten, lebte rund jeder vierte die Anzahl ausschließlich gering­fügig
beitslosengeld II heraus­zuführen. in armutsgefährdeten Haushalten. Und Beschäftigter (»Minijobber«) rückläufig
In Hinblick auf die Armutsgefähr- drittens resultiert eine Armutsgefähr- war, nahmen die sozialversicherungs-
dung zeigt sich ein ähnliches Muster. Ein dung von Erwerbstätigen wie bei der pf lichtigen Beschäftigungsverhältnisse
Haushalt gilt als armutsgefährdet, wenn ALG-II-Bedürftigkeit häufig nicht aus deutlich zu. u Tab 1
sein insgesamt zur Verfügung stehendes ­einem geringen Stundenverdienst, sondern Die Anzahl der ausschließlich gering-
Einkommen weniger als 60 % des Medi- aus einer geringen Wochenarbeitszeit. fügig Beschäftigten ging vor allem un-
aneinkommens der Gesamtbevölkerung mittelbar nach Einführung des Mindest-
beträgt (siehe Kapitel 6.2.2, Seite 222). Der 5.3.4 Beschäftigungsentwicklung lohns Anfang des Jahres 2015 zurück.
Mindestlohn ist aus mehreren Gründen Die Gesamtbeschäftigung hat sich auch Ausschließlich geringfügig Beschäftigte
nur begrenzt geeignet, die Armutsrisiken nach Einführung des gesetzlichen Mindest- erhielten vor der Einführung des Min-
zu reduzieren. Erstens ist von den Perso- lohns weiter positiv entwickelt. Sie stieg destlohns besonders häufig Stundenlöh-

182
Mindestlohn / 5.3 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

Abbildung 4: Preisentwicklung in ausgewählten Branchen 2014 bis 2016 — in Prozent

u Abb 4 Preisanstiege in ausgewählten Branchen 2016 gegenüber 2014 — in Prozent deutlich zurückgegangen. Bei der tatsäch-
lich geleisteten Arbeitszeit gab es nach
Inflation Gesamtwirtschaft 0,8
Auskunft der Beschäftigten im SOEP hin-
Taxifahrt 15,2 gegen keine beziehungsweise lediglich
leichte Veränderungen; die VSE / VE weist
Personenbeförderung
11,9 auf Basis von Angaben der Betriebe vor
im Schiffsverkehr
allem für Vollzeitbeschäftigte deutliche
Zeitungen und Zeitschriften 10,1
Rückgänge der bezahlten Arbeitszeit aus.
Post- und Kurierdienstleistungen 7,0 Ein weiterer Anpassungskanal war
Restaurants, Cafés,
die Erhöhung von Preisen. In zahlreichen
5,0
Straßenverkauf und Ähnliches Branchen, die vom gesetzlichen Mindest-
Kantinen und Mensen 4,1
lohn besonders betroffen waren, stiegen
laut Verbraucherpreis­statistik die Preise
Beherbergungsdienstleistungen 3,8 für Waren und Dienstleistung über-
durchschnittlich stark an. Beispiele hier-
Gebühr für Fitnessstudio 2,3
für sind Taxifahrten (15,2 %), Zeitungen
Brot und Getreideerzeugnisse 2,1 und Zeitschriften (10,1 %), oder die Preise
in Restaurants, Cafés, Straßenverkauf
und Ähnlichem (5,0 %) oder von Beher-
Datenbasis: Statistisches
Datenbasis: Bundesamt, Verbraucherpreisindex,
Statistisches eigene Berechnungen.
Bundesamt, Verbraucherpreisindex, eigene Berechnungen.
bergungsdienstleistungen (3,8 %). Der
Anstieg in den ersten zwei Jahren nach
Einführung des Mindestlohns fällt insbe-
sondere im Vergleich zur geringen Infla-
tion in der Gesamtwirtschaft deutlich
aus, nach der die Preise zwischen 2014
und 2016 nur um 0,8 % ­gestiegen sind.
ne unter 8,50 Euro und waren somit von Arbeitsplätze neu entstanden, als dies in Auf den gesamten Verbraucherpreisindex
der Einführung des Mindestlohns am einer Situation ohne Mindestlohn der wirkte sich die Einführung des Mindest-
stärksten betroffen. Auch die mit dem Fall gewesen wäre. lohns also kaum aus. u Abb 4
Mindestlohngesetz eingeführte Pf licht, Die dritte sichtbare Auswirkung in
die Arbeitszeiten für alle geringfügigen 5.3.5 Betriebliche den Betrieben war ein Rückgang der Ge-
Beschäftigungsverhältnisse zu dokumen- Anpassungsmaßnahmen winne. Das IAB-Betriebspanel, eine jährli-
tieren, trug unter Umständen dazu bei, Für die Betriebe stellen höhere Stunden- che repräsentative Befragung von rund
dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber löhne steigende Arbeitskosten dar, auf 16 000 Betrieben mit mindestens einem
diese Beschäftigungsform seltener wähl- die die Arbeitgeberinnen und Arbeitge- sozialversicherungspflichtig Beschäftigten,
ten. Ein Teil der geringfügigen Beschäf­ ber mit einer Reihe von Maßnahmen re- weist für die vom Mindestlohn betroffe-
tigung wurde in sozialversicherungs- agierten. Beispielsweise reduzierten sie nen Betriebe einen Gewinnrückgang von
pf lichtige Beschäftigungsverhältnisse die Arbeitszeiten, was teilweise bedeutet, rund 9 Prozentpunkten im Vergleich zu
umgewandelt, ein Teil der sogenannten dass Beschäftigte die gleiche Arbeit in ähnlichen, nicht betroffenen Betrieben
Minijobber hat sich vom Arbeitsmarkt kürzerer Zeit bewältigen müssen, oder aus. Trotz dieses Gewinnrückgangs ist
zurückgezogen. Die inzwischen vorlie- hoben die Preise an. Zudem sind teilwei- ­a llerdings weder gesamtwirtschaftlich
genden kausalen Wirkungsanalysen deu- se die Gewinne der betroffenen Betriebe noch in den vom gesetzlichen Mindest-
ten darauf hin, dass sich die Gesamt­ zurückgegangen. lohn besonders betroffenen Branchen eine
beschäftigung im Vergleich zu einer Die größten Auswirkungen hatte die veränderte Unternehmensdynamik und
S i­
­ t uation ohne Mindestlohn etwas Einführung des gesetzlichen Mindest- Wettbewerbsintensität zu beobachten. Es
schwächer entwickelt hat. Diese negati- lohns auf die durchschnittliche wöchent- ist weder ein Anstieg von Marktaustrit-
ven Beschäf­tigungseffekte speisen sich liche Arbeitszeit. Bei Beschäftigten, die ten in Form von Gewerbeabmeldungen
zum einen aus einem leichten Abbau von vor Einführung des gesetzlichen Mindest- oder Insolvenzen noch eine Zunahme an
Arbeitsplätzen im Bereich der gering­ lohns weniger als 8,50 Euro pro Stunde Gewerbeanmeldungen erkennbar. Aller-
fügigen Beschäftigung. Zum anderen verdient haben, ist die vertraglich verein- dings lassen sich Veränderungen im
deuten die Analysen darauf hin, dass et- barte Arbeitszeit unmittelbar nach Ein- Wettbewerbsumfeld mitunter erst mittel-
was ­weniger sozialversicherungspflichtige führung des gesetzlichen Mindestlohns bis langfristig beobachten. u Abb 5

183
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.3 / Mindestlohn

u Abb 5 Gewerbean- und -abmeldungen 2011– 2017 — in Tausend

Gewerbeanmeldungen
120

100

80

60

40

20

0
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Gewerbeabmeldungen
120

100

80

60

40

20

0
2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

insgesamt vom gesetzlichen Mindestlohn hoch betroffene Branchen ¹ Trendlinie

1 Die Auswahl der vom gesetzlichen Mindestlohn hoch betroffenen Branchen weicht geringfügig von der in Abbildung 1
und Tabelle 1 ab (siehe ausführlich Zweiter Bericht der Mindestlohnkommission: Randnummer 247).
Datenbasis: Statistisches Bundesamt, Gewerbeanzeigenstatistik.

5.3.6 Fazit Personen überhaupt erwerbstätig ist und


Die Einführung des Mindestlohns hat zu andererseits nur ein Teil der Mindest-
einer deutlichen Steigerung der Brutto- lohnbeziehenden aus armutsgefährdeten
stundenverdienste bei Personengruppen Haushalten stammt.
geführt, die vor der Einführung der neu- Vom Mindestlohn sind bislang kaum
en gesetzlichen Lohnuntergrenze weniger negative Beschäftigungseffekte ausgegan-
als 8,50 Euro pro Stunde verdienten. gen, die sich – wenn überhaupt – vorrangig
Gleichzeitig scheint es nach wie vor eine auf geringfügige Beschäftigungsverhält-
nennenswerte Zahl von Beschäftigten zu nisse konzentriert haben. Betriebe haben
geben, die den Mindestlohn nicht erhal- eine Vielzahl anderer Anpassungsmög-
ten. Als Instrument zur Vermeidung oder lichkeiten wie beispielsweise Arbeitszeit-
Reduzierung von Armut scheint der Min- verkürzungen und Preiserhöhungen ge-
destlohn nur begrenzt geeignet, da einer- nutzt, um gestiegene Lohnkosten auszu-
seits nur ein Teil der armutsgefährdeten gleichen.

184
Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen / 5.4 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

5.4 Die Situation auf dem Arbeitsmarkt befin-


det sich im Wandel. Weniger Menschen
beitsbedingungen bewerten: Welche An-
sprüche haben sie an ihren Arbeitsplatz?
Subjektive können davon ausgehen, vom Berufsein- Inwieweit lassen sich diese Ansprüche
­Wahrnehmung stieg bis zur Rente beim gleichen Arbeitge-
ber zu verbleiben. Viele arbeiten zumindest
umsetzen? Wie haben sich spezifische Res-
sourcen und Belastungen am Arbeitsplatz
von Arbeits- zeitweise in atypischen Beschäftigungs- entwickelt, wie die Möglichkeiten zur Ver-
bedingungen formen wie geringfügiger Beschäftigung,
befristeter Beschäftigung, Zeitarbeit und
einbarkeit von Familie und Beruf und wie
die Arbeitszufriedenheit ins­gesamt? Ne-
Solo-Selbststän­d igkeit, die teilweise mit ben allgemeinen Trends hin zu besseren
Mareike Bünning erhöhten Unsicher­heiten verbunden sind oder schlechteren Arbeitsbedingungen
WZB (siehe Kapitel 5.1.7, Seite 158). wird in diesem Kapitel auch die Frage
Neue Informations- und Kommunika- nach der sozialen Ungleichheit betrachtet:
tionstechnologien verändern die Arbeits- Gibt es bestimmte Gruppen, die besonders
WZB / SOEP
abläufe. Einerseits schaffen sie mehr Mög- günstige Arbeitsbedingungen vorfinden,
lichkeiten für Flexibilität, was Arbeitszeit während andere Gruppen überproportio-
und Arbeitsort angeht. Andererseits tra- nal von Belastungen betroffen sind?
gen sie zu einer höheren Arbeitsintensität
bei und erhöhen den Druck auf Arbeit- 5.4.1 Ansprüche und Realität
nehmerinnen und Arbeitnehmer, ständig am Arbeitsplatz
erreichbar zu sein und ihre Arbeit eigen- Betrachtet man, welche Arbeitsplatzmerk-
verantwortlich zu organisieren. male erwerbstätigen Frauen und Män-
Zudem nimmt die Diversität unter nern besonders wichtig sind, so zeigt sich,
den Arbeitnehmern zu, da immer mehr dass eine sichere und interessante Arbeit
Frauen, Menschen mit Migrationshinter- den größten Stellenwert hat. Gut die
grund und ältere Menschen erwerbstätig Hälfte der Befragten fanden diese beiden
sind (siehe Kapitel 5.1.4, Seite 154). Damit Merkmale 2015 sehr wichtig. Zählt man
gehen veränderte Ansprüche an den Ar- auch noch diejenigen hinzu, die diese
beitsplatz einher, beispielsweise größere Merkmale wichtig finden, so gaben nahe-
Bedürfnisse nach einer guten Vereinbar- zu 100 % der Befragten an, dass ihnen
keit von Familie und Beruf. eine sichere und interessante Arbeit
Vor diesem Hintergrund wird in die- wichtig oder sehr wichtig sei. u Tab 1
sem Kapitel der Frage nachgegangen, wie Die nächstwichtigsten Merkmale wa-
die Menschen in Deutschland ihre Ar- ren mit einigem Abstand Unabhängigkeit

u Tab 1 Wichtigkeit von Arbeitsplatzmerkmalen 1997 – 2015 — in Prozent

Männer Frauen

1997 2005 2015 1997 2005 2015


Sicherer Arbeitsplatz 65 70 55 70 66 56
Interessante Arbeit 50 51 55 54 45 54
Unabhängige Arbeit 43 44 45 43 38 39
Kontakt mit Menschen . . 32 . . 39
Nutzen für Gesellschaft 12 17 20 15 21 21
Anderen helfen 14 21 18 22 23 22
Aufstiegsmöglichkeiten 13 18 16 13 14 13
Hohes Einkommen 16 21 15 13 15 8
Flexible Arbeitszeiten 11 15 14 15 13 14

Anteil »sehr wichtig« (höchste Kategorie auf einer fünfstufigen Skala).


. Nicht erhoben.
Datenbasis: ISSP 1997, 2005, 2015, erwerbstätige Befragte.

185
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.4 / Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen

u Tab 2 Wichtigkeit von Arbeitsplatzmerkmalen nach soziodemografischen Merkmalen 2015 — in Prozent


Sicherer Interessante Unabhängige Kontakt mit Nutzen für Anderen Aufstiegs­ Hohes Flexible
Arbeitsplatz Arbeit Arbeit Menschen Gesellschaft helfen möglichkeiten Einkommen Arbeitszeiten

Männer
West 54 55 47 33 21 19 16 14 14
Ost 57 53 36 27 18 16 13 22 13
Kein Migrations­
54 57 45 30 19 17 13 13 11
hintegrund ¹
Migrationshintergrund ¹ 58 45 46 42 27 25 27 27 26
Hauptschulabschluss 64 48 52 33 22 21 22 20 14
Mittlere Reife 66 48 36 34 21 19 17 20 12
Abitur 44 63 49 31 20 16 12 9 15
Unbefristete Stelle 56 55 49 33 20 18 15 15 16
Befristete Stelle 54 46 24 21 10 15 21 21 6
18–34 Jahre 58 64 43 37 20 19 24 18 10
35–49 Jahre 55 51 43 29 21 15 12 13 16
Ab 50 Jahren 52 51 49 31 21 21 12 16 15
Keine Kinder 56 56 46 33 20 18 16 17 15
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 58 53 39 28 18 14 12 11 11
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 51 53 45 34 24 23 15 13 12
Frauen
West 56 54 40 39 21 22 14 7 14
Ost 59 53 34 41 24 22 12 16 12
Kein Migrations­
56 54 40 40 22 22 13 9 15
hintegrund ¹
Migrationshintergrund ¹ 61 53 35 33 16 22 15 6 8
Hauptschulabschluss 51 25 37 40 20 20 11 17 13
Mittlere Reife 59 45 26 33 18 18 11 8 10
Abitur 56 69 50 43 24 26 16 6 17
Unbefristete Stelle 58 54 41 38 21 22 12 8 14
Befristete Stelle 56 50 30 35 31 27 22 9 8
18 – 34 Jahre 58 60 38 44 27 25 21 9 12
35 – 49 Jahre 50 52 33 35 15 20 9 7 19
Ab 50 Jahren 62 52 47 39 23 22 12 9 10
Keine Kinder 59 52 42 40 23 23 13 9 12
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 49 70 49 46 26 24 13 5 20
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 53 50 29 31 15 20 14 7 17

Anteil »sehr wichtig«.


1 Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien zutrifft: Geburt im Ausland,
ausländische Staatsangehörigkeit, Selbstzuordnung zu einer anderen Bevölkerungsgruppe als »den Deutschen«.
Datenbasis: ISSP 2015, erwerbstätige Befragte.

und Kontakt zu anderen Menschen. Deut- der Arbeitsplatzmerkmale. Eine unab- schen Segregation am Arbeitsmarkt
lich weniger wichtig war den Befragten hängige Arbeit und ein hohes Einkom- überrascht es dennoch, wie sehr sich
eine Arbeit, die nützlich für die Gesell- men waren Männern mit 45 % bezie- Frauen und Männer insgesamt in der Be-
schaft ist, und eine Arbeit, bei der man hungsweise 15 % etwas wichtiger als wertung der verschiedenen Arbeitsplatz-
anderen helfen kann. Den geringsten Frauen (39 % und 8 %). Frauen legten da- merkmale gleichen.
Stellenwert hatten ein hohes Einkommen, für etwas mehr Wert auf Kontakt zu an- Trotz großer Veränderungen auf dem
gute Aufstiegsmöglichkeiten und flexible deren Menschen (39 % im Vergleich zu Arbeitsmarkt erweist sich die Bewertung
Arbeitszeiten. Flexible Arbeitszeiten etwa 32 % bei Männern). Dass Frauen eher so- der Arbeitsplatzmerkmale in den letzten
waren nur einem von sieben Erwerbstäti- ziale Berufe ergreifen und im Durch- 20 Jahren als sehr stabil. Am auffälligsten
gen (14 %) sehr wichtig. schnitt weniger verdienen als Männer, ist, dass die Erwerbstätigen 2015 einen si-
Interessanterweise gibt es kaum Ge- stimmt mit diesen Mustern überein. An- cheren Arbeitsplatz seltener als sehr wich-
schlechterunterschiede in der Bewertung gesichts der starken geschlechtsspezifi- tig ansahen als noch 2005 und 1997. Zu-

186
Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen / 5.4 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Tab 3 Tatsächliche Arbeitsplatzmerkmale 1997 – 2015 — in Prozent tatsächlich die Bedingungen vorfindet,
Männer Frauen
die sie als besonders wichtig erachtet:
Über 80 % gaben an, einen sicheren Ar-
1997 2005 2015 1997 2005 2015
beitsplatz zu haben, einer interessanten
Sicherer Arbeitsplatz 63 66 83 66 70 83 und unabhängigen Arbeit nachzugehen
Interessante Arbeit 85 84 87 80 82 84 und Kontakt zu anderen Menschen
Unabhängige Arbeit 86 88 91 85 86 91 zu haben. Zudem sahen über die Hälfte
Kontakt mit Menschen . . 91 . . 93 der Erwerbstätigen ihre Arbeit als nütz-
Nutzen für Gesellschaft 64 68 69 65 72 70 lich für die Gesellschaft an und gaben an,
Anderen helfen 50 58 57 51 64 65
anderen Menschen zu helfen. Am we-
nigsten verbreitet sind laut Selbstein-
Aufstiegsmöglichkeiten 20 25 38 14 20 29
schätzung der Beschäftigten gute Auf-
Hohes Einkommen 28 28 40 20 19 31
stiegsmöglichkeiten und ein hohes Ein-
Anteil »stimme sehr zu« und »stimme zu« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala). kommen. Diese beiden Merkmale fanden
. Nicht erhoben.
Datenbasis: ISSP 1997, 2005, 2015, erwerbstätige Befragte. nur rund 40 % der Männer und 30 % der
Frauen vor. Frauen sind somit hinsicht-
lich dieser beiden Merkmale deutlich
schlechter gestellt als Männer, ansonsten
dem verlor ein hohes Einkommen für Frau- unbefristet Beschäftigten wichtiger als fallen die Geschlechterunterschiede eher
en wie für Männer im Vergleich zu 2005 Befristeten. Bezüglich flexibler Arbeits- gering aus. u Tab 3
an Bedeutung. Darin spiegeln sich die Ent- zeiten zeigen sich vor allem bei den Frau- Die Bewertung des eigenen Arbeits-
wicklungen auf dem Arbeitsmarkt wider: en Gruppenunterschiede. Wie man in platzes hat sich in den letzten zwei Jahr-
1997 und 2005 entwickelten sich die Real- Hinblick auf die Vereinbarkeit von Fami- zehnten zum Positiven entwickelt. Im
löhne negativ, 2015 hingegen positiv (siehe lie und Beruf erwarten würde, waren fle- Vergleich zu 1997 und 2005 bezeichneten
Kapitel 5.2.2, Seite 168). Zudem lag die xible Arbeitszeiten für Frauen der mittle- mehr Personen ihre Arbeit als sicher, was
Arbeitslosenquote 1997 und 2005 deutlich ren Altersgruppe, mit Abitur und mit sich mit der Verringerung der Arbeitslosig-
höher als 2015 (siehe Kapitel 5.1.9, Sei- Kindern vergleichsweise wichtig. keit deckt (siehe Kapitel 5.1.9, Seite 160).
te 160). Eine sichere Arbeit und ein hohes Gute Aufstiegsmöglichkeiten waren Die Zunahme atypischer Beschäftigungs­
Einkommen gewinnen also bei schlechter für die jüngste Altersgruppe wichtiger als formen scheint im Vergleich dazu weni-
wirtschaftlicher Lage an Bedeutung. für ältere Erwerbstätige und hatten für ger bedeutend für die wahrgenommene
Betrachtet man Unterschiede nach befristet Beschäftigte einen vergleichs- Arbeitsplatzunsicherheit zu sein. Auch
soziodemografischen Merkmalen, so zeigt weise hohen Stellenwert. Männer mit Mi- das Einkommen und die Aufstiegsmög-
sich, dass die Bedeutung eines sicheren grationshintergrund erachteten gute Auf- lichkeiten bewerteten die Erwerbstätigen
Arbeitsplatzes relativ gleichmäßig über stiegschancen und ein hohes Einkommen 2015 besser als in der Vergangenheit. Bei
die verschiedenen Gruppen hinweg ver- häufiger als sehr wichtig als Männer den anderen Merkmalen gab es weniger
teilt ist. Ältere und jüngere Frauen hatten ohne Migrationshintergrund. Zudem Veränderungen im Zeitverlauf.
allerdings ein größeres Bedürfnis nach ­w aren bei den Männern diejenigen mit Die für die Erwerbstätigen wichtigs-
sicherer Arbeit als die mittlere Alters- Hauptschulabschluss am stärksten auf- ten Arbeitsplatzmerkmale sind unter al-
gruppe. Bei den Männern fällt auf, dass stiegsorientiert, die mit Abitur am wenigs- len Bevölkerungsgruppen relativ gleich-
diejenigen mit Haupt- oder Realschulab- ten. Auch das Einkommen sahen Erwerbs- mäßig verteilt. Dies gilt insbesondere
schluss einen sicheren Arbeitsplatz als tätige mit niedrigeren Bildungsabschlüs- für eine unabhängige Tätigkeit und den
wichtiger erachteten als diejenigen mit sen häufiger als sehr wichtig an als Kontakt zu anderen Menschen. Auch
Abitur. u Tab 2 Erwerbstätige mit höheren Abschlüssen. hinsichtlich einer interessanten Tätigkeit
Eine interessante Arbeit war für jün- Zudem war ein hohes Einkommen den und eines sicheren Arbeitsplatzes gibt es
gere Erwerbstätige und diejenigen mit Ostdeutschen wichtiger als den West- kaum Unterschiede nach Region, Alter
Abitur besonders wichtig. Auch bei Frau- deutschen. Ein hohes Einkommen ist da- oder Schulabschluss. Allerdings hatten
en mit Kindern im Vorschulalter nahm mit für die Gruppen besonders wichtig, Erwerbstätige mit Migrationshintergrund
eine interessante Tätigkeit einen beson- die vergleichsweise geringe Chancen ha- vergleichsweise selten eine aus ihrer Sicht
ders hohen Stellenwert ein. Eine unab- ben, es auch zu erzielen. interessante Arbeit und Männer mit Mi­
hängige Arbeit war Westdeutschen wich- Doch wie sehen die realen Arbeits- grationshintergrund deutlich seltener
tiger als Ostdeutschen, älteren Erwerbs­ platzmerkmale aus? Hier zeigt sich, dass ­einen sicheren Arbeitsplatz als Männer
tätigen wichtiger als jüngeren und eine große Mehrheit der Erwerbstätigen ohne Migrationshintergrund. Zudem

187
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.4 / Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen

u Tab 4 Tatsächliche Arbeitsplatzmerkmale nach soziodemografischen Merkmalen und Wichtigkeit 2015 — in Prozent
Sicherer Interessante Unabhängige Kontakt mit Nutzen für Anderen Aufstiegs­ Hohes
Arbeitsplatz Arbeit Arbeit Menschen Gesellschaft helfen möglichkeiten Einkommen

Männer
West 83 86 90 91 67 56 38 41
Ost 82 88 93 90 78 63 34 34
Kein Migrations­
86 89 92 91 69 56 38 43
hintergrund ¹
Migrationshintergrund ¹ 70 74 82 90 67 59 37 29
Hauptschulabschluss 80 82 90 90 68 56 32 27
Mittlere Reife 85 89 90 90 71 58 38 30
Abitur 83 87 92 91 67 55 40 53
Unbefristete Stelle 86 88 93 91 69 58 37 44
Befristete Stelle 62 80 79 86 69 49 33 28
18 – 34 Jahre 83 87 86 87 66 53 55 35
35 – 49 Jahre 82 84 92 91 70 59 31 45
Ab 50 Jahren 84 89 93 93 69 58 28 40
Keine Kinder 84 88 91 89 68 56 38 35
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 80 81 86 92 62 53 35 53
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 81 87 93 94 72 61 37 50
Merkmal weniger wichtig ² 78 82 86 87 64 51 34 40
Merkmal sehr wichtig ³ 87 91 96 98 87 82 56 42
Frauen
West 84 83 91 93 68 63 30 31
Ost 80 90 91 99 81 77 26 28
Kein Migrations­
84 86 92 93 69 62 30 30
hintergrund ¹
Migrationshintergrund ¹ 82 77 86 94 74 76 27 31
Hauptschulabschluss 83 85 93 95 71 67 26 7
Mittlere Reife 86 83 91 93 69 62 27 23
Abitur 81 85 91 93 72 67 31 44
Unbefristete Stelle 88 86 93 94 72 67 29 34
Befristete Stelle 66 87 87 89 85 66 45 23
18 – 34 Jahre 80 81 87 92 73 62 46 36
35 – 49 Jahre 86 84 92 93 67 62 26 32
Ab 50 Jahren 83 86 93 95 72 70 20 25
Keine Kinder 81 84 90 94 69 63 28 28
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 84 86 90 95 76 67 40 41
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 89 84 94 92 71 67 25 31
Merkmal weniger wichtig ² 78 78 89 90 64 59 26 30
Merkmal sehr wichtig ³ 87 90 95 99 92 85 48 41

Anteil »stimme sehr zu« und »stimme zu« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
1 Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien zutrifft: Geburt im Ausland, ausländische Staatsangehörigkeit, Selbstzuordnung zu einer anderen Bevölkerungsgruppe
als »den Deutschen«.
2 Antworten »wichtig« bis »überhaupt nicht wichtig« (vier niedrigste Kategorien auf einer fünfstufigen Skala) auf die Frage, wie wichtig einem das jeweilige Arbeitsplatzmerkmal ist.
3 Antwort »sehr wichtig« (höchste Kategorie auf einer fünfstufigen Skala) auf die Frage, wie wichtig einem das jeweilige Arbeitsplatzmerkmal ist.
Datenbasis: ISSP 2015, erwerbstätige Befragte.

g­ aben befristet Beschäftigte erwartungs- lichkeiten zu haben. Erwartungsgemäß dafür bezüglich der Aufstiegsmöglichkei-
gemäß seltener als unbefristet Beschäftig- berichteten Erwerbstätige mit höheren ten deutlich gegenüber Männern mit hö-
te an, dass ihr Arbeitsplatz sicher sei. u Tab 4 Schulabschlüssen eher über ein hohes heren Bildungsabschlüssen benachteiligt.
Deutliche Gruppenunterschiede zei- Einkommen. Insbesondere Frauen mit Im Vergleich zu Männern ohne Migrati-
gen sich jedoch hinsichtlich der wahrge- Hauptschulabschluss gaben sehr selten onshintergrund bewerteten Männer mit
nommenen Chancen, ein hohes Einkom- an, ein hohes Einkommen zu haben. Migrationshintergrund ihr Einkommen
men zu erzielen und gute Aufstiegsmög- Männer mit Hauptschulabschluss waren deutlich seltener als hoch. Zudem hatten

188
Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen / 5.4 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

Ostdeutsche laut Selbsteinschätzung sel- haben. Dies deutet darauf hin, dass sich schwere körperliche Arbeit ausgesetzt.
tener ein hohes Einkommen als West- der ungleiche Zugang zu bestimmten Ar- Psychische Belastungen durch dauerhaf-
deutsche, befristet Beschäftigte seltener beitsplatzmerkmalen teilweise auch auf ten Stress traten noch häufiger auf und
als Unbefristete. Befristet beschäftigte unterschiedliche Neigungen und Priori- betrafen 41 % der Männer und 34 % der
Frauen schätzten jedoch ihre Aufstiegs- täten zurückführen lässt. Frauen. Es finden sich in den Daten je-
möglichkeiten besonders oft als gut ein. doch keine Hinweise darauf, dass das
Bei den Männern berichtete die jüngs- 5.4.2 Belastungen und Ressourcen Ausmaß an Stress – etwa durch neue
te Altersgruppe am seltensten über ein am Arbeitsplatz Kommunikationstechnologien und zu-
hohes Einkommen, schätzte aber ihre Wie Erwerbstätige ihre Arbeitsplatzquali- nehmenden Druck, ständig erreichbar zu
Aufstiegsmöglichkeiten besonders oft gut tät einschätzen, hängt auch davon ab, wie sein – in den letzten 20 Jahren zugenom-
ein. Bei den Frauen waren die Jüngeren stark sie Belastungen am Arbeitsplatz men hat. u Tab 5
hinsichtlich beider Merkmale besser ge- ausgesetzt sind und inwiefern sie über Hinsichtlich der Ressourcen, die Er-
stellt als die Älteren. Überraschenderweise Ressourcen verfügen, die ihnen bei der werbstätige zur Verfügung hatten, sieht
hatten Frauen mit Kindern unter sechs Bewältigung ihrer Arbeitsanforderungen man, dass die überwiegende Mehrheit
Jahren eigenen Angaben zufolge über- helfen. Im Folgenden werden schwere von 84 % der Erwerbstätigen zumindest
durchschnittlich oft ein hohes Einkom- körperliche Arbeit und Stress als zentrale gewisse Freiräume bei der Organisation
men und gute Aufstiegsmöglichkeiten. physische und psychische Belastungen der täglichen Arbeit hatte. Der Anteil
Dies lässt sich vermutlich darauf zurück- betrachtet. Bezüglich der Ressourcen derjenigen, die gar keine Freiheiten hat-
führen, dass viele Mütter kleiner Kinder wird erstens in den Blick genommen, wie ten, ging im Vergleich zu 2005 zudem et-
ihre Erwerbstätigkeit für längere Zeit un- viele Freiräume Erwerbstätige hinsicht- was zurück.
terbrechen (siehe Kapitel 2.1, Seite 51). lich der täglichen Organisation ihrer Ar- Eine knappe Mehrheit der Erwerbstä-
Diejenigen mit guten Arbeitsbedingun- beit und der Arbeitszeiten haben, und tigen hatte auch gewisse Freiräume bei
gen kehren tendenziell schneller ins Er- damit, inwiefern sie über strukturelle der Gestaltung der Arbeitszeiten. Mit
werbsleben zurück und sind daher in die- Rahmenbedingungen verfügen, die die 62 % waren Männer etwas öfter als Frau-
ser Stichprobe überrepräsentiert. Arbeitsbewältigung erleichtern. Zweitens en (54 %) in der Lage, Einfluss auf ihre
Vergleicht man gewünschte und tat- ist soziale Unterstützung am Arbeitsplatz Arbeitszeiten zu nehmen. Im Zeitverlauf
sächliche Arbeitsplatzmerkmale, zeigt sich, eine zentrale Voraussetzung für eine gute verbesserten sich die Möglichkeiten zur
dass diejenigen Gruppen, die am meisten Arbeitsplatzqualität. Ein Indikator hier- Arbeitszeitgestaltung für Männer konti-
Wert auf ein hohes Einkommen legen für ist, ob Erwerbstätige ein gutes Ver- nuierlich, während es bei den Frauen
(Niedriggebildete, Ostdeutsche, Männer hältnis zu Vorgesetzten und Kolleginnen schwankende Entwicklungen gab.
mit Migrationshintergrund), vergleichs- und Kollegen haben. Besonders gut sieht es hinsichtlich
weise schlechte Chancen haben, dies auch Etwa jeder vierte Mann und jede der sozialen Unterstützung am Arbeits-
zu erzielen. Bei Männern mit Hauptschul- fünfte Frau war 2015 am Arbeitsplatz re- platz aus. Fast 90 % der Erwerbstätigen
abschluss zeigt sich auch eine Diskrepanz gelmäßig physischen Belastungen durch berichteten von einem guten Verhältnis
zwischen vergleichsweise stark ausgepräg-
ten Wünschen nach Aufstiegsmöglich­
keiten und eher geringen Aussichten, die-
u Tab 5 Belastungen und Ressourcen am Arbeitsplatz 1997 – 2015 — in Prozent
se zu realisieren. Andere Gruppen, denen
gute Aufstiegsmöglichkeiten wichtig sind Männer Frauen

(Jüngere, befristet beschäftigte Frauen), 1997 2005 2015 1997 2005 2015
finden hingegen vergleichsweise oft gute Schwere
23 28 25 17 22 21
Aufstiegsmöglichkeiten vor. körperliche Arbeit ¹

Wunsch und Wirklichkeit lassen sich Stress ¹ 40 40 41 36 31 34

aber auch direkt vergleichen. Für alle Freiräume Arbeits­


. 79 84 . 77 84
organisation ²
acht Merkmale gilt: Diejenigen Befragten,
Freiräume Arbeitszeiten ² 51 55 62 54 46 54
denen ein Merkmal sehr wichtig war,
Gutes Verhältnis zu
fanden es auch häufiger vor als diejenigen, 79 85 86 82 87 88
Vorgesetzten ³
denen es weniger wichtig war. Deutliche Gutes Verhältnis zu
91 91 93 92 93 94
Unterschiede zeigen sich insbesondere Kolleginnen / Kollegen ³

bezüglich der Wahrscheinlichkeit ande- 1 Anteil »immer« und »oft« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
2 Anteil »innerhalb gewisser Grenzen« und »völlig frei«.
ren helfen zu können, eine nützliche Ar- 3 Anteil »sehr gut« und »ziemlich gut« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
. Nicht erhoben
beit und gute Aufstiegsmöglichkeiten zu Datenbasis: ISSP 1997, 2005, 2015, erwerbstätige Befragte.

189
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.4 / Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen

u Tab 6 Belastungen und Ressourcen nach soziodemografischen Merkmalen 2015 — in Prozent

Gutes Verhältnis
Schwere Freiräume Arbeits- Freiräume Gutes Verhältnis zu
Stress ¹ zu Kolleginnen /
körperliche Arbeit ¹ organisation ² Arbeitszeiten ² Vorgesetzten ³
Kollegen ³

Männer
West 24 40 86 63 85 93
Ost 33 46 78 56 89 94
Kein Migrationshintergrund ⁴ 25 41 86 64 87 94
Migrationshintergrund ⁴ 25 43 76 56 81 92
Hauptschulabschluss 45 44 76 44 87 91
Mittlere Reife 34 40 82 49 86 95
Abitur 11 42 90 79 85 93
Unbefristete Stelle 24 44 88 67 85 93
Befristete Stelle 39 33 68 44 81 90
18 – 34 Jahre 32 40 81 53 87 95
35 – 49 Jahre 25 43 85 71 82 89
Ab 50 Jahren 20 40 87 62 87 96
Keine Kinder 28 39 85 60 86 95
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 27 56 84 69 84 87
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 16 39 83 65 85 93
Frauen
West 20 33 85 55 88 94
Ost 25 43 82 50 88 95
Kein Migrationshintergrund ⁴ 19 35 86 54 89 95
Migrationshintergrund ⁴ 27 32 79 57 84 86
Hauptschulabschluss 35 26 70 27 90 91
Mittlere Reife 29 34 84 52 89 94
Abitur 11 37 89 64 87 94
Unbefristete Stelle 22 37 85 56 88 94
Befristete Stelle 18 35 80 52 84 90
18 – 34 Jahre 23 35 84 48 85 95
35 – 49 Jahre 16 30 89 61 90 92
Ab 50 Jahren 24 38 80 53 88 94
Keine Kinder 23 34 81 53 88 95
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 12 25 91 60 88 92
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 19 39 89 56 89 92

1 Anteil »immer« und »oft« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
2 Anteil »innerhalb gewisser Grenzen« und »völlig frei«.
3 Anteil »sehr gut« und »ziemlich gut« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
4 Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien zutrifft: Geburt im Ausland,
ausländische Staatsangehörigkeit, Selbstzuordnung zu einer anderen Bevölkerungsgruppe als »den Deutschen«.
Datenbasis: ISSP 2015, erwerbstätige Befragte.

zu ihren Vorgesetzten, nahezu alle hat- malen. Ostdeutsche waren hinsichtlich land – nicht nur in Hinblick auf Einkom-
ten ein gutes Verhältnis zu ihren Kolle- der Arbeitsbedingungen schlechter gestellt men und Arbeitslosigkeit (siehe Kapitel
ginnen und Kollegen. als Westdeutsche. Sie waren eher physi- 5.2.2, Seite 168, und 5.1.8, Seite 159), son-
Während ein gutes Verhältnis zu Kol- schen und psychischen Belastungen aus- dern auch was Belastungen und Ressour-
leginnen und Kollegen sowie Vorgesetz- gesetzt und hatten seltener Einfluss auf die cen am Arbeitsplatz betrifft. u Tab 6
ten relativ gleichmäßig über die verschie- tägliche Organisation ihrer Arbeit und Menschen mit Migrationshintergrund
denen Bevölkerungsgruppen verteilt ist, auf ihre Arbeitszeiten. Die Situation auf waren gegenüber Menschen ohne Migra-
gibt es hinsichtlich der anderen Ressour- dem Arbeitsmarkt war in Ostdeutschland tionshintergrund teilweise schlechter ge-
cen und Belastungen deutliche Unter- 25 Jahre nach der Vereinigung also immer stellt. Männer und Frauen mit Migrati-
schiede nach soziodemografischen Merk- noch ungünstiger als in Westdeutsch- onshintergrund konnten vergleichsweise

190
Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen / 5.4 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

selten beeinflussen, wie ihre Arbeit orga- 5.4.3 Konflikte bei der Vereinbarkeit ten 17 % der Männer und 16 % der Frauen
nisiert ist. Männer mit Migrationshin­ von Familie und Beruf regelmäßig Beeinträchtigungen des Fa-
tergrund hatten auch seltener f lexible Wie gut sich Arbeit mit dem Familienle- milienlebens durch den Beruf. Bei denje-
­Arbeitszeiten als Männer ohne Migrations- ben in Einklang bringen lässt, ist ein zen- nigen mit überlangen Arbeitszeiten (über
hintergrund. Frauen mit Migrationshin- trales Kriterium für gute Lebensqualität – 48 Wochenstunden) waren sogar 34 % der
tergrund verrichteten überdurchschnitt- insbesondere für Eltern oder Menschen, Männer und 33 % der Frauen von Beein-
lich oft schwere körperliche Arbeit. die Angehörige pf legen. Während eine trächtigungen betroffen. Unter Teilzeit-
Noch stärker ausgeprägt sind die Un- gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschäftigen waren Beeinträchtigungen
gleichheiten nach Schulabschluss. Je hö- in der Vergangenheit eher als Thema für des Familienlebens durch den Beruf mit
her der Schulabschluss, desto seltener Frauen galt, äußern inzwischen auch im- 9 % bei den Männern und 11 % bei den
verrichteten Erwerbstätige schwere kör- mer mehr Männer den Wunsch, Beruf Frauen hingegen deutlich seltener. Eine
perliche Arbeit und desto öfter hatten sie und Familie besser miteinander verbin- Beeinträchtigung des Berufs- durch das
Gestaltungsspielräume hinsichtlich ihrer den zu können. Familienleben trat bei Frauen wie bei
Arbeitszeiten und der täglichen Organi- Vereinbarkeitskonflikte können zeit- Männern nur sehr selten auf. u Tab 7
sation der Arbeit. Belastungen durch basiert sein, etwa wenn die Zeit, die eine Männer mit Abitur erlebten seltener,
Stress waren hingegen gleichmäßiger Person in ihre Arbeit oder Familie inves- dass ihr Beruf das Familienleben beein-
über die Bildungsgruppen verteilt. tiert, zu Schwierigkeiten führt, die An- trächtigte als Männer mit Haupt- oder
Jüngere Männer verrichteten eher forderungen im jeweils anderen Bereich Realschulabschluss. Bei den Frauen war
schwere körperliche Arbeit als ältere und zu erfüllen. Sie können aber auch belas- eine Beeinträchtigung des Familienle-
konnten ihre Arbeitszeiten und Arbeits­ tungsbasiert sein, wenn jemand durch bens durch den Beruf bei Hauptschulab-
organisation seltener beeinflussen. Die die Belastungen in Beruf oder Familie solventinnen besonders selten. Männer
mittlere Altersgruppe hatte am häufigs- beispielsweise zu erschöpft oder zu ange- mit Migrationshintergrund berichteten
ten Freiräume bezüglich der Arbeitszeiten. spannt ist, um die Anforderungen des je- deutlich häufiger, dass ihr Familienleben
Bei den Frauen waren die Arbeitsbedin- weils anderen Bereichs zu erfüllen. den Beruf beeinträchtigte, als Männer
gungen für die mittlere Altersgruppe ins- 2015 gaben mit 21 % mehr Männer als ohne Migrationshintergrund. u Tab 8
gesamt am günstigsten: Sie waren seltener Frauen (15 %) an, dass ihre Berufstätig- Männer der mittleren Altersgruppe
psychischen und physischen Belastungen keit ihr Familienleben beeinträchtigte. erlebten besonders häufig eine Beeinträch-
ausgesetzt als ältere oder jüngere Frauen Dies ist darauf zurückzuführen, dass tigung des Familienlebens durch Anfor-
und hatten öfter Freiräume bei der Organi- Frauen ihre Arbeitszeiten eher als Män- derungen im Beruf. Frauen dieser Alters-
sation ihrer Arbeit und den Arbeitszeiten. ner an familiäre Anforderungen anpas- gruppe berichteten hingegen vergleichs-
Männer mit kleinen Kindern hatten sen und somit Vereinbarkeitskonflikte weise oft, dass ihr Beruf durch das
vergleichsweise häufig stressige Arbeits- reduzieren. Zusätzliche Analysen zeigen, Familienleben beeinträchtigt werde. Vä-
bedingungen. Väter hatten aber auch öf- dass Männer und Frauen die in ähnli- ter erlebten zudem Konf likte in beide
ter flexible Arbeitszeiten als kinderlose chem Stundenumfang erwerbstätig sind, Richtungen häufiger als kinderlose Män-
Männer. Auch Mütter hatten etwas mehr auch etwa gleich oft Vereinbarkeitskon- ner, Mütter hingegen nur eine stärkere
Gestaltungsspielräume hinsichtlich der flikte erleben. Unter den Vollzeiterwerbs- Beeinträchtigung des Berufs durch das
Arbeitszeiten und Arbeitsorganisation als tätigen (30 bis 48 Wochenstunden) erleb- Familienleben als kinderlose Frauen.
kinderlose Frauen. Mütter mit Kindern
im Vorschulalter erlebten zudem beson-
ders selten physische und psychische Be- uTab 7 Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Arbeitszufriedenheit 1997 – 2015
lastungen am Arbeitsplatz. — in Prozent
Bei den Männer zeigen sich auch star- Männer Frauen
ke Ungleichheiten nach Art des Arbeits-
1997 2005 2015 1997 2005 2015
verhältnisses: Befristet Beschäftigte hat-
Beeinträchtigung des
ten zwar seltener stressige Arbeitsbe­ Familienlebens durch . 25 21 . 16 15
dingungen, übten aber eher schwere den Beruf ¹

körperliche Arbeit aus und hatten weni- Beeinträchtigung des


Berufslebens durch . 5 5 . 5 6
ger Freiräume hinsichtlich Arbeitsorga- Familie ¹
nisation und Arbeitszeiten. Bei den Frau- Arbeitszufriedenheit ² 37 49 50 39 46 47
en fielen die Unterschiede zwischen be-
1 Anteil »immer« und »oft« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
fristet und unbefristet Beschäftigten 2 Anteil »voll und ganz zufrieden« und »sehr zufrieden« (höchste zwei Kategorien auf einer siebenstufigen Skala).
. Nicht erhoben
deutlich geringer aus. Datenbasis: ISSP 1997, 2005, 2015, erwerbstätige Befragte.

191
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.4 / Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen

u Tab 8 Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Arbeitszufriedenheit Westdeutsche waren etwas zufriede-
nach soziodemografischen Merkmalen 2015 — in Prozent ner als Ostdeutsche, Menschen ohne Mi-
Beeinträchtigung Beeinträchtigung
grationshintergrund etwas zufriedener
Arbeits-
des Familienlebens des Berufslebens
zufriedenheit ²
als Menschen mit Migrationshintergrund
durch den Beruf ¹ durch Familie ¹
und unbefristet Beschäftigte zufriedener
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen als Befristete (siehe Tab 8). Hinsichtlich
West 20 15 6 6 52 48 Alter, Bildung und Kinder zeigen sich
Ost 21 16 2 2 43 41 ­G eschlechterunterschiede. Während
Kein Migrations­h intergrund ³ 21 16 4 6 51 48 Männer in der jüngsten Altersgruppe am
Migrationshintergrund ³ 18 12 12 4 47 45 zufriedensten waren, waren Frauen die-
Hauptschulabschluss 23 9 10 6 43 50 ser Altersgruppe etwas weniger zufrieden
Mittlere Reife 24 17 5 5 52 41 als ältere Frauen. Männer mit Haupt-
Abitur 18 16 4 7 51 52 schulabschluss waren mit ihrer Arbeit
Unbefristete Stelle 22 17 6 7 50 49 seltener sehr zufrieden als Männer mit
Befristete Stelle 17 11 2 4 44 42 Realschulabschluss oder Abitur. Bei
18 – 34 Jahre 16 17 5 5 59 44 den Frauen waren diejenigen mit Real-
35 – 49 Jahre 29 15 6 8 45 49 schulabschluss am wenigsten zufrieden.
Ab 50 Jahren 17 15 5 4 48 48 Frauen mit kleinen Kindern waren ver-
Keine Kinder 18 16 4 3 50 46 gleichsweise zufrieden mit ihrer Arbeit,
Jüngstes Kind 0 – 6 Jahre 26 9 11 12 46 50 Männer hingegen vergleichsweise un­
Jüngstes Kind 7 –17 Jahre 25 17 7 9 53 48 zufrieden.
1 Anteil »immer« und »oft« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala). Stärker als nach soziodemografischen
2 Anteil »voll und ganz zufrieden« und »sehr zufrieden« (höchste zwei Kategorien auf einer siebenstufigen Skala).
3 Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien zutrifft: Geburt im Ausland, Merkmalen der Befragten variiert die
ausländische Staatsangehörigkeit, Selbstzuordnung zu einer anderen Bevölkerungsgruppe als »den Deutschen«.
Datenbasis: ISSP 2015, erwerbstätige Befragte. ­A rbeitszufriedenheit jedoch nach wahr-
genommenen Arbeitsplatzmerkmalen,
Belastungen und Ressourcen am Arbeits-
Wie hängen Arbeitsbedingungen, Be- Schwere körperliche Arbeit und Stress platz (siehe Tab 9). Erwerbstätige, die ihre
lastungen und Ressourcen am Arbeits- im Beruf beeinträchtigten das Familien- Arbeit nicht interessant fanden, waren
platz mit Vereinbarkeitskonf likten zu- leben für Männer wie für Frauen. Ent- besonders selten sehr zufrieden (17 % der
sammen? Männer nahmen eher Beein- sprechend dem Befund, dass flexible Ar- Frauen und 13 % der Männer im Ver-
trächtigungen des Familienlebens durch beitszeiten Frauen in der Familienphase gleich zu 53 % der Frauen und 56 % der
den Beruf wahr, wenn sie ihren Arbeits- vergleichsweise wichtig sind (siehe Ab- Männer, die ihre Arbeit interessant fan-
platz als unsicher und ihre Arbeit als schnitt 5.4.1), nahmen Frauen eine gerin- den). Auch ein sicherer Arbeitsplatz und
­wenig interessant und unabhängig ein- gere Beeinträchtigung des Familienlebens eine unabhängige Arbeit waren wichtige
stuften sowie wenn sie geringe Aufstiegs- wahr, wenn sie Einfluss auf ihre Arbeits- Kriterien für eine hohe Arbeitszufrieden-
möglichkeiten wahrnahmen. Hierbei han- zeiten hatten. Ansonsten ist der Zusam- heit. Für Frauen war zudem der Kontakt zu
delt es sich vermutlich um belastungsba- menhang zwischen Freiräumen bei der anderen Menschen für eine hohe Arbeits-
sierte Vereinbarkeitskonflikte, bei denen Organisation der täglichen Arbeit und zufriedenheit von Bedeutung, Männern
sich die Unzufriedenheit und Anspan- der Arbeitszeiten auf der einen und der war dies hingegen weniger wichtig. Dies
nung, die mit solchen Arbeitsbedingun- Vereinbarkeitssituation auf der anderen unterstreicht die Wichtigkeit, die die Er-
gen einhergehen, negativ auf das Familien- Seite eher gering. Wichtiger als diese for- werbstätigen diesen Merkmalen selbst
leben auswirken. Bei den Frauen zeigten malen Gestaltungsspielräume ist die so­ beimessen (siehe Abschnitt 5.4.1). Wäh-
sich hingegen größere Beeinträchtigun- ziale Unterstützung durch Vorgesetzte rend bei den Arbeitsplatzmerkmalen je-
gen des Familienlebens, wenn ihre Arbeit ­sowie Kolleginnen und Kollegen. doch vergleichsweise wenige Männer und
interessant und nützlich für die Gesell- Frauen ein hohes Einkommen und gute
schaft war, wenn es Teil der Arbeit war, 5.4.4 Arbeitszufriedenheit Aufstiegsmöglichkeiten für sehr wichtig
anderen zu helfen und wenn die Arbeit Jeweils etwa die Hälfte der erwerbstätigen hielten, zeigt sich hier, dass beides den-
gute Aufstiegschancen bot. Hier scheinen Männer und Frauen war 2015 mit ihrer noch bedeutsam für die Arbeitszufrie-
es eher die positiven Aspekte der Arbeit Arbeit voll und ganz oder sehr zufrieden denheit ist. Über 60 % der Männer und
zu sein, die die Frauen vereinnahmten (siehe Tab 7). Während die Arbeitszufrie- Frauen, die ein hohes Einkommen und
und dazu beitrugen, dass diese das Fami- denheit 2005 bereits ähnlich hoch war, gute Aufstiegschancen wahrnahmen,
lienleben öfter hintanstellten. u Tab 9 verbesserte sie sich im Vergleich zu 1997. ­w aren mit ihrer Arbeit sehr zufrieden,

192
Subjektive Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen / 5.4 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5

u Tab 9 Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Arbeitszufriedenheit nach Arbeits­ aber nur etwa 40 % derjenigen, die diese
platzmerkmalen, Belastungen und Ressourcen am Arbeitsplatz 2015 — in Prozent beiden Merkmale nicht vorfanden.
Bezüglich der Belastungen und Res-
Beeinträchtigung des Familien­
Arbeitszufriedenheit ² sourcen am Arbeitsplatz zeigt sich, dass
lebens durch den Beruf ¹

Männer Frauen Männer Frauen


ein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten
von zentraler Bedeutung ist. War dies
Wahrgenommene Arbeitsplatzmerkmale nicht gegeben, waren nur 11 % der Män-
Arbeitsplatzsicherheit: nein ³ 25 15 27 22 ner und 14 % der Frauen mit ihrer Arbeit
Arbeitsplatzsicherheit: ja ⁴ 20 16 55 52 sehr zufrieden, ansonsten 57 % der Män-
Interessante Arbeit: nein ³ 31 11 13 17 ner und 52 % der Frauen. Bei den Frauen
Interessante Arbeit: ja ⁴ 19 16 56 53 hatte das Verhältnis zu den Kolleginnen
Unabhängige Arbeit: nein ³ 25 19 26 29 und Kollegen einen ähnlich hohen
Unabhängige Arbeit: ja ⁴ 20 15 53 49 ­Stellenwert für die Arbeitszufriedenheit,
Kontakt mit Menschen: nein ³ 19 15 44 19 bei den Männern war es hingegen nicht
Kontakt mit Menschen: ja ⁴ 21 15 51 49 ganz so wichtig.
Anderen helfen: nein ³ 21 11 41 33 Stress und – bei den Frauen – schwere
Anderen helfen: ja ⁴ 21 18 57 55 körperliche Arbeit gingen mit einer ge-
Nutzen für Gesellschaft: nein ³ 22 12 39 37 ringeren Arbeitszufriedenheit einher. Sie
Nutzen für Gesellschaft: ja ⁴ 20 16 56 51 waren aber weniger bedeutsam für die
Aufstiegsmöglichkeiten: nein ³ 23 14 38 41
Arbeitszufriedenheit als die soziale Un-
Aufstiegsmöglichkeiten: ja ⁴ 17 19 69 63
terstützung am Arbeitsplatz. Unter Er-
Hohes Einkommen: nein ³ 20 16 43 40
werbstätigen, die selten Stress am Arbeits-
platz erlebten, war über die Hälfte sehr
Hohes Einkommen: ja ⁴ 22 12 62 62
zufrieden mit der Arbeit, bei denjenigen,
Belastungen und Ressourcen
die oft Stress erlebten, nur gut ein Drittel.
Schwere körperliche Arbeit:
16 13 51 51 Freiräume bei der Arbeitsorganisation
selten ⁵
Schwere körperliche Arbeit:
34 23 48 32
und flexible Arbeitszeiten wirkten sich
regelmäßig ⁶
­positiv auf die Arbeitszufriedenheit aus,
Stress: selten ⁵ 10 9 59 53
hatten aber im Vergleich zu den anderen
Stress: regelmäßig ⁶ 35 27 37 34
Merkmalen eine eher geringe Bedeutung:
Freiräume Arbeits-
organisation: nein
19 18 42 35 Der Anteil der sehr Zufriedenen lag unter
Freiräume Arbeits­- Erwerbstätigen mit Freiräumen um etwa
20 15 52 50
organisation: ja ⁷ 10 Prozentpunkte höher als bei Erwerbs-
Flexible Arbeitszeiten: nein 23 19 44 42 tätigen ohne Freiräume.
Flexible Arbeitszeiten: ja ⁷ 20 12 54 51 Schließlich zeigt sich, dass eine gute
Gutes Verhältnis zu
36 26 11 14 Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit
Vorgesetzten: nein ³
einer hohen Arbeitszufriedenheit einher-
Gutes Verhältnis zu
18 14 57 52 geht. Über die Hälfte derjenigen, die kei-
Vorgesetzten: ja ⁴
Gutes Verhältnis zu
32 29 36 14
ne Beeinträchtigung des Familienlebens
Kolleginnen / Kollegen: nein ³
durch den Beruf wahrnahmen, war mit
Gutes Verhältnis zu
Kolleginnen / Kollegen: ja ⁴
20 15 51 49 ihrer Arbeit sehr zufrieden. Dagegen war
Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur ein Drittel derjenigen mit ihrer Ar-
Beeinträchtigungen des
beit zufrieden, deren Beruf das Familien-
­Familienlebens durch den X X 55 50 leben beeinträchtigte. Interessanterweise
Beruf: selten ⁵
ist dieser Zusammenhang bei den Män-
Beeinträchtigungen des
­ amilienlebens durch den
F X X 32 35 nern sogar noch stärker ausgeprägt als
Beruf: regelmäßig ⁶ bei den Frauen. Dies unterstreicht, dass
1 Anteil »immer« und »oft« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala). Männer wie Frauen ihre Arbeit nicht iso-
2 Anteil »voll und ganz zufrieden« und »sehr zufrieden« (höchste zwei Kategorien auf einer siebenstufigen Skala).
3 »Weder noch« bis »stimme gar nicht zu« (niedrigste drei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala). liert bewerten. Eine wichtige Vorausset-
4 »Stimme sehr zu« und »stimme zu« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
5 »Manchmal«, »selten« und »nie« (niedrigste drei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala). zung für eine hohe Arbeitszufriedenheit
6 »Immer« und »oft« (höchste zwei Kategorien auf einer fünfstufigen Skala).
7 »Innerhalb gewisser Grenzen« und »völlig frei«. ist auch, dass die Arbeit Freiräume für
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: ISSP 2015, erwerbstätige Befragte. andere Lebensbereiche lässt.

193
6
Private Haushalte –
Einkommen, Konsum, Wohnen
6.1 Wie unterscheiden sich die Lebensbedin-
gungen in Deutschland? Auskunft hierzu
6.1.1 Bruttoeinkommen
privater Haushalte
Einnahmen, Aus- geben die Einnahmen, Ausgaben und die Ein erster Indikator für die Einkommens-
gaben und Aus- Ausstattung privater Haushalte in Ver-
bindung mit sozioökonomischen Merk-
und Ausgabensituation privater Haushal-
te ist das Haushaltsbruttoeinkommen,
stattung privater malen. Wie hoch sind die Einkommen das sich aus verschiedenen Einkommens-
Haushalte, private und Einnahmen privater Haushalte und
aus welchen Quellen stammen sie? Wofür
arten zusammensetzt. u Info 2

Überschuldung wird das Geld verwendet? Das folgende Struktur und regionaler Vergleich
Kapitel zeigt auch, inwieweit sich die Ein- Das durchschnittliche monatliche Brut-
kommens- und Ausgabenstrukturen ver- toeinkommen der in den Laufenden
Sylvia Behrends, Walter Engel,
schiedener Haushaltsgruppen unter- Wirtschaftsrechnungen erfassten Privat-
Kristina Kott, Jenny Neuhäuser
scheiden und welche traditionellen und haushalte in Deutschland belief sich 2016
neuen technischen Gebrauchsgüter die auf 4 337 Euro. Wichtigste Einnahme-
Statistisches Bundesamt Haushalte besitzen. quelle mit einem Anteil von 63 % waren
(Destatis) Die Datenbasis für die Angaben in die Einkünfte aus Erwerbstätigkeit:
den Abschnitten 6.1.1 bis 6.1.4 sowie Durchschnittlich 2 751 Euro im Monat
6.1.6 stammt aus den Laufenden Wirt- stammten aus unselbstständiger und
schaftsrechnungen (LWR). Die Konsum- selbstständiger Tätigkeit. Rund 22 % ih-
ausgaben für Kinder in Abschnitt 6.1.5 res Bruttoeinkommens beziehungsweise
basieren auf Ergebnissen der letzten Ein- durchschnittlich 961 Euro im Monat er-
kommens- und Verbrauchsstichprobe hielten die privaten Haushalte aus öffent-
(EVS). u Info 1 lichen Transferzahlungen wie Renten der
Ein weiteres Thema dieses Kapitels ist gesetzlichen Rentenversicherung, staat­
die private Überschuldung. Hier liefert lichen Pensionen, Kindergeld und Kin-
die amtliche Statistik Informationen zur derzuschlag, Elterngeld, Arbeitslosengeld I
Situation privater Schuldner, die ein In- und II, Sozialhilfe, Beihilfen im öffent­
solvenzverfahren oder die Hilfestellung lichen Dienst. Aus Vermögensein­nahmen
einer Schuldnerberatungsstelle in An- stammten 10 % des Bruttoeinkommens.
spruch nehmen. Die Daten in Abschnitt Den geringsten Anteil hatten mit durch-
6.1.8 beruhen auf den Auskünften der In- schnittlich 4,7 % die Einkommen aus
solvenzgerichte und den Angaben der nicht öffentlichen Transferzahlungen und
Schuldnerberatungsstellen. aus Untervermietung. u Abb 1

195
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Info 1 u Info 2
Was sind private Haushalte? Haushaltsbruttoeinkommen
Als Privathaushalt gelten Personen, die zusammen wohnen und wirtschaften, die in der Regel ihren Alle Einnahmen der Haushalte aus (selbst-
­Lebensunterhalt gemeinsam finanzieren beziehungsweise die Ausgaben für den Haushalt teilen. Zu einem ständiger und unselbstständiger) Erwerbs­
Privathaushalt gehören auch die vorübergehend abwesenden Personen, beispielsweise Berufspendler, tätigkeit, aus Vermögen, aus öffentlichen
Studierende, Auszubildende, Personen im Krankenhaus und im Urlaub. Entscheidend ist, dass die Per- und nicht öffentlichen Transferzahlungen
son nur vorübergehend abwesend ist und normalerweise im Haushalt wohnt und lebt beziehungsweise ­s owie aus Untervermietung bilden das
mit ­ihrem ersten Wohnsitz an der Adresse des Haushalts gemeldet ist. Personen, die in einem Haushalt Haushaltsbruttoeinkommen.
nur für sich selbst wirtschaften (Alleinlebende oder Wohngemeinschaften ohne gemeinsame Haushalts-
führung), gelten als eigenständige Privathaushalte. Untermieter, Gäste und Hausangestellte gehören Zum Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit
nicht zum Haushalt. zählen auch Sonderzahlungen, Weihnachts-
geld, zusätzliche Monatsgehälter sowie
Darstellung der Ergebnisse ­Urlaubsgeld. Das Einkommen aus unselbst-
ständiger Erwerbstätigkeit enthält keine Arbeit-
Die Ergebnisse werden standardmäßig für unterschiedliche Haushaltsgruppen dargestellt. Die Gruppie- geberbeiträge zur Sozialversicherung. Ein-
rung der Haushalte erfolgt dabei beispielsweise nach Haushaltsgröße (Anzahl der Personen im Haus- künfte aus nicht öffentlichen Transferzahlun-
halt), Haushaltstyp (Alleinlebende, Alleinerziehende, Paare ohne und mit Kind[ern], sonstige Haushalte), gen (außer Betriebs- und Werksrenten),
monatlichem Haushaltsnettoeinkommen sowie Alter der Haupteinkommensperson, also derjenigen Per- aus Vermögen (darunter auch aus Vermietung
son, die den größten Beitrag zum Haushaltsnettoeinkommen beisteuert. Als Kinder zählen alle l­edigen und Verpachtung) werden nicht personenbe-
Kinder unter 18 Jahren (auch Adoptiv- und Pflegekinder) der Haupteinkommenspersonen oder deren zogen, sondern für den Haushalt insgesamt
(Ehe-)Partnerinnen und (Ehe-)Partner beziehungsweise gleichgeschlechtlichen Lebenspartne­r innen und erfasst. Die Einnahmen aus Vermögen be­
-partner. Gehören volljährige Kinder oder andere Personen ab 18 Jahren zum Haushalt, dann zählt die- inhalten (nach internationalen Konventionen)
ser Haushalt zu den sonstigen Haushalten. Da dieser Haushaltstyp sehr heterogen ist, wird er in dieser eine sogenannte unterstellte Eigentümer­
Publikation beim Vergleich mit anderen Haushaltstypen nicht mit berücksichtigt. Einige der Merkmale miete. Hierbei wird deren Nettowert berück-
(zum Beispiel das Alter) sind personengebunden und beziehen sich auf die Haupt­e in­kommensperson. sichtigt, das heißt, Aufwendungen für die
Dabei ist zu beachten, dass die Ergebnisse dennoch immer für den Haushalt als Ganzes und nicht für ­Instandhaltung des selbstgenutzten Wohn­
die Einzelperson ausgewiesen werden. eigentums werden von der errechneten
­Eigentümermiete ab­gezogen. Hierbei können
Laufende Wirtschaftsrechnungen in Einzelfällen bei ­e ntsprechend hohen In-
standhaltungsaufwendungen negative Eigen-
Bei dieser freiwilligen amtlichen Haushaltserhebung werden rund 8 000 private Haushalte jährlich unter an- tümermietwerte beziehungsweise Vermögens-
derem zu ihren Einnahmen und Ausgaben sowie zu ihrer Ausstattung mit Gebrauchsgütern befragt. Haus- einnahmen entstehen.
halte aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten nehmen an den Laufenden Wirtschaftsrechnungen
(LWR) teil. Ausgenommen sind Haushalte von Selbstständigen und Landwirten beziehungsweise Land-
wirtinnen sowie Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 18 000 Euro und mehr. Haushaltsnettoeinkommen
Subtrahiert man vom Haushaltsbruttoein-
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe kommen die Einkommensteuer, Lohnsteuer,
Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag
Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ist mit einem Erhebungsumfang von rund 60 000 Haus­ sowie die Pflichtbeiträge zur Sozialversiche-
halten die größte freiwillige Haushaltserhebung. Sie findet alle fünf Jahre statt und ist aufgrund des rung, erhält man das Haushaltsnettoein­
­großen Stichprobenumfangs in besonderem Maße geeignet, tief gegliederte Ergebnisse über die Ein- kommen. Zu den Pflichtbeiträgen zur Sozial-
nahmen und Ausgaben, die Vermögensbildung, die Ausstattung mit Gebrauchsgütern und die Wohn­ versicherung zählen die Beiträge
situation für die unterschiedlichen Haushaltsgruppen abzubilden. Ergebnisse für Haushalte, deren
­monatliches Nettoeinkommen 18 000 Euro und mehr beträgt, bleiben unberücksichtigt, da diese nicht ‧‧ zur Arbeitslosenversicherung,
beziehungsweise in viel zu geringer Zahl an der Erhebung teilnehmen. ‧‧ zur gesetzlichen Rentenversicherung,
‧‧ zur gesetzlichen, freiwilligen und
privaten Krankenversicherung sowie
‧‧ zur sozialen und privaten
u Abb 1 Struktur des monatlichen Haushaltsbruttoeinkommens Pflegeversicherung.
­privater Haushalte 2016 — in Prozent
Zum Haushaltsbruttoeinkommen hinzu­
addiert werden die Arbeitgeberzuschüsse
zur freiwilligen und privaten Krankenver­
Einkommen aus nicht öffentlichen
Transferzahlungen und aus Untervermietung Erwerbseinkünfte sicherung und zur Pflegeversicherung
sowie die Zuschüsse der Rentenversiche-
4,7 63,4 rungsträger zur freiwilligen und privaten
Krankenversicherung.
Einnahmen aus Vermögen

9,7

Einkommen aus
öffentlichen Transferzahlungen 4 337 Euro

22,2

Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

196
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 1 Einkommen, Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte 2016 — je Haushalt und Monat in Euro
Früheres Bundesgebiet Neue Länder
Deutschland
ohne Berlin-West und Berlin
Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit 2 751 2 893 2 214
 unselbstständige Arbeit 2 718 2 857 2 193
 selbstständige Arbeit 33 36 (21)
+ Einnahmen aus Vermögen 421 471 230
+ Einkommen aus öffentlichen Transferzahlungen 961 963 953
+ Einkommen aus nicht öffentlichen Transferzahlungen und aus
205 227 117
Untervermietung
= Haushaltsbruttoeinkommen 4 337 4 555 3 515

– Steuern und Sozialabgaben 1 058 1 124 810


 Einkommen- / Lohn-, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag 475 514 329
 Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung 583 610 481
+ Zuschüsse der Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger 35 40 19

= Haushaltsnettoeinkommen 3 314 3 470 2 724

+ Einnahmen aus dem Verkauf von Waren und sonstige Einnahmen 60 65 43

= Ausgabefähige Einkommen und Einnahmen 3 374 3 535 2 768


Private Konsumausgaben 2 480 2 587 2 078

( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Abb 2 Monatliches Bruttoeinkommen privater Haushalte Bruttoeinkommen nach


nach Haushaltstyp 2016 — in Euro Haushaltstyp
Die Höhe der durchschnittlichen Brutto-
einkommen privater Haushalte unter-
scheidet sich je nach Haushaltstyp. Die
Paare mit Kind(ern) 6 368
höchsten monatlichen Bruttoeinkommen
hatten 2016 die Haushalte von Paaren mit
Paare ohne Kind 5 133
Kind(ern) unter 18 Jahren (6 368 Euro) und
Paaren ohne Kind (5 133 Euro). Alleiner-
Alleinerziehende 2 876
ziehende verfügten über ein Haushalts-
bruttoeinkommen von durchschnittlich
Alleinlebende 2 624 Haushalte insgesamt 2 876 Euro. Alleinlebende hatten mit
4 337
durchschnittlich 2 624 Euro das niedrigste
Bruttoeinkommen. u Abb 2
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

6.1.2 Nettoeinkommen
privater Haushalte
Die Bruttoeinkommen lassen nur be-
grenzt auf die den Haushalten tatsächlich
Höhe und Zusammensetzung des öffentlichen Transferzahlungen am ge- zur Verfügung stehenden Einkommen
Bruttoeinkommens sind in Ost und West samten Bruttoeinkommen war in den schließen, da sie noch die abzuführenden
unterschiedlich: Die Haushalte im neuen Ländern und Berlin mit 27 % um Steuern und Sozialversicherungsbeiträge
­Westen verfügten 2016 über ein monat­ 6 Prozentpunkte höher als im früheren enthalten. Diese Abgaben werden vom
liches Bruttoeinkommen von durch- Bundesgebiet ohne Berlin-West (21 %). Bruttoeinkommen abgezogen und die
schnittlich 4 555 Euro, den Haushalten Dagegen war im Osten der durchschnitt- Zuschüsse der Arbeitgeber sowie der
im Osten standen mit 3 515 Euro rund liche Anteil der Einnahmen aus Vermö- Rentenversicherungsträger hinzuaddiert
77 % des Westniveaus zur Verfügung. gen (6,5 %) niedriger als im Westen um das Haushaltsnettoeinkommen zu er-
Der mittlere Anteil der Einkommen aus (10,3 %). u Tab 1 rechnen (siehe Info 2).

197
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

uAbb 3 Einkommensverteilung nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen


Haushaltsnettoeinkommen 2016 — in Prozent und Verteilung
Durchschnittlich verfügten die Haushal-
te 2016 über ein Nettoeinkommen von
unter 1 300 16,3 3 314 Euro im Monat (siehe Tab 1). Etwa
16 % der Haushalte mussten mit einem
1 300 –1 700 9,1 monatlichen Nettoeinkommen von weni-
ger als 1 300 Euro auskommen. In der
1 700 – 2 600 20,6
höchsten erfassten Einkommensklasse
von 5 000 bis unter 18 000 Euro waren
2 600 – 3 600 17,8
knapp 19 % aller Privathaushalte. u Abb 3
3 600 – 5 000 17,5
Haushaltsnettoeinkommen
5 000 –18 000 18,6
nach Haushaltstyp
Die Höhe des Haushaltsnettoeinkom-
mens hängt entscheidend davon ab, ob je-
monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
mand allein wohnt, alleinerziehend ist
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen. oder als Paar ohne oder mit Kind(ern) in
einem Haushalt lebt. Paare mit einem
oder mehreren Kindern unter 18 Jahren
u Abb 4 Monatliches Haushaltsnettoeinkommen hatten nach den Laufenden Wirtschafts-
nach Haushaltstyp 2016 — in Euro rechnungen im Jahr 2016 mit durch-
schnittlich 4 761 Euro die höchsten mo-
natlichen Nettoeinkommen unter den
Paare
4 761
verschiedenen Haushaltstypen. Paare
mit Kind(ern)
ohne Kind – dazu gehören beispielsweise
Paare
3 969 sowohl das gutsituierte Doppelverdiener-
ohne Kind
paar als auch das Seniorenpaar mit klei-
Alleinerziehende 2 357 ner Rente – verfügten über durchschnitt-
lich 3 969 Euro im Monat. Bei den Haus-
Alleinlebende 2 013
Haushalte insgesamt
halten von Alleinerziehenden betrug das
3 314 monatliche Nettoeinkommen im Durch-
schnitt 2 357 Euro – das waren knapp
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen. 1 000 Euro weniger als das Nettoeinkom-
men des Durchschnittshaushaltes. Allein-
lebende – wie der gut verdienende Single
oder auch die Rentnerin – hatten ein
durchschnittliches Nettoeinkommen von
2 013 Euro im Monat. Im Schnitt lebten
Erbe und Schenkung in einem Paarhaushalt mit Kind(ern)
Im Jahr 2016 betrug das geerbte und einiges höher ausfallen, da ein großer 3,8 Personen, im Alleinerziehendenhaus-
geschenkte Vermögen nach den Ergeb- Teil der Vermögensübergänge wegen halt 2,3 Personen. u Abb 4
nissen der Steuerstatistiken 108,8 Mil- hoher persönlicher Freibeträge inner-
liarden Euro. Die von den Finanzver- halb der Kernfamilie, weiteren sachli- 6.1.3 Verfügbares Einkommen
waltungen veranlagten Vermögens- chen Steuerbefreiungen und besonde- ­privater Haushalte und Verwendung
übertragungen aus Erbschaften und ren Verschonungsregelungen für be- Zur Berechnung der »ausgabefähigen
Vermächtnissen beliefen sich auf stimmte Vermögensarten steuerfrei Einkommen und Einnahmen« werden
43,6 Milliarden Euro und aus Schen- bleibt und daher in den Steuerstatisti- zum Haushaltsnettoeinkommen die
kungen auf 65,2 Milliarden Euro. Das ken nicht enthalten ist. ­E inkünfte aus dem Verkauf von Waren
übertragene Volumen dürfte aber um (beispielsweise Gebrauchtwagen) und
sonstige Einnahmen (wie Dosen- und
Flaschenpfand, Energiekostenrückerstat-

198
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

tungen) addiert. Diese Summe steht den u Abb 5 Struktur der Konsumausgaben privater Haushalte 2016 — in Prozent
Haushalten als Einkommen zum Wirt-
schaften und zur Lebensführung zur Ver-
fügung. Im Jahr 2016 lag das verfügbare Wohnen, Energie,
35,3
Wohnungsinstandhaltung
Einkommen der Haushalte bei durch-
schnittlich 3 374 Euro im Monat. Nahrungsmittel,
13,8
Getränke, Tabakwaren
Den größten Teil ihres ausgabefähigen
Einkommens verwenden die Haushalte Verkehr 13,5
für private Konsumausgaben. Das sind im
Freizeit, Unter-
Einzelnen die Ausgaben für Essen, Woh- 10,4
haltung, Kultur
nen, Bekleidung, Gesundheit, Freizeit, Innenausstattung, Haushalts-
6,1
Bildung, Kommunikation, Verkehr sowie geräte und -gegenstände
Gaststätten- und Beherbergungsdienst- Gaststätten- und Beherber-
gungsdienstleistungen 5,7
leistungen. Fast drei Viertel (74 %) des
ausgabefähigen Einkommens gaben pri-
Bekleidung und Schuhe 4,4
vate Haushalte im Jahr 2016 dafür aus,
das waren durchschnittlich 2 480 Euro Gesundheit 4,0
im Monat (siehe Tab 1).
Post und
2,5
Telekommunikation
6.1.4 Struktur der Konsumausgaben
Wofür verwendeten die privaten Haushal- Bildungswesen 0,7
te ihre monatlichen Konsumausgaben
andere Waren und
von durchschnittlich 2 480 Euro? Den 3,6
Dienstleistungen
größten Teil ihres Konsumbudgets (35 %
beziehungsweise 877 Euro) gaben die
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
Haushalte für Wohnen, Energie und
Wohnungsinstandhaltung aus. Mit einem
Anteil von jeweils 14 % folgten die Auf-
wendungen für Nahrungsmittel, Geträn- u Abb 6 Monatliche Konsumausgaben privater Haushalte

ke und Tabakwaren (342 Euro) und die nach Haushaltstyp 2016 — in Euro
Verkehrsausgaben (335 Euro). Für Freizeit,
Unterhaltung und Kultur wurden anteilig
10 % (258 Euro) ausgegeben. u Abb 5
Für den Bereich Innenausstattung, Paare mit Kind(ern) 3 389

Haushaltsgeräte und -gegenstände wen-


Paare ohne Kind 2 963
deten die Haushalte 6,1 % (150 Euro) auf,
für Gaststätten- und Beherbergungs-
Alleinerziehende 1 936
dienstleistungen 5,7 % (142 Euro). Für die
Bereiche Bekleidung und Schuhe gaben Alleinlebende 1 590
Haushalte insgesamt
die Haushalte einen Anteil von 4,4 % 2 480
(108 Euro) ihres Budgets aus, für die Ge-
sundheitspflege 4,0 % (99 Euro). Auf Post
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
und Telekommunikation entfielen 2,5 %
(62 Euro). Die Ausgaben für das Bildungs-
wesen betrugen 0,7 % (18 Euro).

Konsumausgaben nach Jahr 2016 Paarhaushalte mit Kind(ern) mit weit unter dem Bundesdurchschnitt von
Haushaltstyp durchschnittlich 3 389 Euro, gefolgt von 2 480 Euro im Monat. u Abb 6
Deutliche Unterschiede in Niveau und den Paaren ohne Kind mit 2 963 Euro mo- Für den Ausgabenblock »Wohnen, Er-
Struktur zeigen sich bei den Konsumaus- natlich. Die Konsumausgaben der Haus- nährung und Bekleidung« wendeten allein-
gaben ausgewählter Haushaltstypen. Die halte von Alleinerziehenden (1 936 Euro) erziehende Mütter oder Väter mit 59 %
höchsten Konsumausgaben tätigten im und Alleinlebenden (1 590 Euro) lagen den größten Teil ihres Konsumbudgets

199
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

Verbraucherpreisindex für Deutschland


Julia Koch, Sigrun Krämer

Der Verbraucherpreisindex für Deutsch- tionsrate mit + 0,3 % und + 0,5 % noch Fleisch und Fleischwaren (+ 2,1 %) sowie
land misst die durchschnittliche Preis- deutlich geringer ausgefallen. Brot und Getreideerzeugnisse (+ 0,4 %) –
entwicklung aller Waren und Dienst- Vor allem die Preisentwicklungen im Jahr 2017 eine unterdurchschnitt­
leistungen, die private Haushalte für bei Energieprodukten und Nahrungs- liche Preisentwicklung auf. Speisefette
Konsumzwecke kaufen. Darunter fallen mitteln waren für den deutlichen An- und Speiseöle hatten mit + 21 % die
zum Beispiel Nahrungsmittel, Beklei- stieg der Jahresteuerungsrate im Jahr deutlichste Preissteigerung. Spürbar
dung und Kraftfahrzeuge ebenso wie 2017 verantwortlich. Nach starken teurer waren zudem Molkereiprodukte
Mieten, Reinigungsdienstleistungen Preisrückgängen in den Vorjahren ver- und Eier (+ 8,7). Für diese hohen Ver-
oder Reparaturen. Es werden alle Aus- teuerte sich Energie 2017 insgesamt ge- änderungsraten waren insbesondere
gaben berücksichtigt, die in Deutsch- genüber dem Vorjahr um 3,1 %. Am die kräftigen Preisanstiege von Milch-
land getätigt werden, das heißt neben stärksten stiegen die Preise für leichtes produkten sowie von Butter verant-
den Ausgaben von beispielsweise Sin­ Heizöl (+ 16 %). An der Tankstelle muss- wortlich.
glehaushalten, (Rentner-)Ehepaaren ten Autofahrerinnen und -fahrer zum Wie stark ein einzelner Haushalt
oder Familien auch die Ausgaben aus- Beispiel für Kraftstoffe im Durch- von der Inflation betroffen ist, hängt
ländischer Touristinnen und Touristen. schnitt 6,0 % mehr ausgeben, und auch von seinem individuellen Konsumver-
Die Veränderung des Verbraucherpreis- für Strom (+ 1,7 %) mussten die Ver- halten ab, das heißt, wie viel Geld die
index zum Vorjahresmonat beziehungs- braucherinnen und Verbraucher mehr Haushaltsmitglieder für welche Güter
weise zum Vorjahr wird als Teuerungs- zahlen als ein Jahr zuvor. Gas hingegen ausgeben. Um den Einfluss der Gewich-
rate oder umgangssprachlich auch als wurde das vierte Jahr in Folge günsti- tung der Ausgabenstruktur auf einfa-
In­flationsrate bezeichnet. ger (– 2,8 %). che Weise zu veranschaulichen, hat das
Im Jahresdurchschnitt 2017 erhöh- Die Preise für Nahrungsmittel stie- Statistische Bundesamt einen »persön-
ten sich die Preise aller Waren und gen im Jahr 2017 mit 3,0 % gegenüber lichen Inf lationsrechner« entwickelt.
Dienstleistungen für den privaten Ver- 2016 deutlicher als in den Vorjahren. Mit ihm können Nutzerinnen und
brauch in Deutschland durchschnitt- Sie wirkten sich somit wie die Energie- Nutzer beispielhaft einige Gewichte
lich um 1,8 % gegenüber dem Vorjahr. preise erhöhend auf die Gesamtteue- des sogenannten Wägungsschemas an
Das ist die höchste Jahresteuerungsrate rung aus. Innerhalb der Nahrungs­ ihre eigenen Konsumgewohnheiten
seit dem Jahr 2012 (+ 2,0 %). In den mittel wiesen die beiden Güterbereiche ­a npassen und so ihre persönliche Infla­
Jahren 2015 und 2016 war die Infla­ mit der größten Verbrauchsbedeutung – tionsrate ermitteln: www.destatis.de

Inflationsrate – gemessen am Verbraucher- Verbraucherpreisindex für Deutschland insgesamt


preisindex für Deutschland — Veränderung und für ausgewählte Produkte — 2010 = 100
gegenüber dem Vorjahr in Prozent

2,0
120 Nahrungsmittel
1,8
Nettokaltmiete
115 Gesamtindex
1,5
Energie
110 Langlebige
Gebrauchsgüter
0,9 105

100
0,5
0,3 95

90
2012 2013 2014 2015 2016 2017 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018

200
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 2 Konsumausgaben privater Haushalte nach ausgewählten Haushaltstypen 2016

Paare
Haushalte Allein-
Alleinlebende
insgesamt erziehende
mit Kind(ern) ohne Kind

in Euro
Private Konsumausgaben 2 480 3 389 2 963 1 936 1 590

in %
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 35,3 32,3 34,2 37,4 40,6

Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 13,8 15,0 13,6 15,9 12,5

Verkehr 13,5 14,7 13,0 9,2 11,3

Freizeit, Unterhaltung, Kultur 10,4 10,2 10,6 9,8 10,4

Bekleidung, Schuhe 4,4 5,3 4,0 5,7 3,8

Sonstige ¹ 22,6 22,5 24,6 22,1 21,6

 Bildungswesen 0,7 1,9 0,2 (2,0) 0,4

1 Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen, Gesundheit, Post und Telekommunikation, Bildungswesen sowie andere Waren und Dienstleistungen.
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

auf. Am niedrigsten war dieser Anteil


bei den Paarhaushalten ohne Kind (52 %)
sowie mit Kind(ern) (53 %). In der an- Einkommensmillionäre
teilsmäßigen Zusammensetzung der Im Jahr 2014 hatten 19 000 der in wurden Einkommen ab 250 731 Euro
­B ereiche Wohnen, Ernährung und Be- Deutschland erfassten Lohn- und Ein- (beziehungsweise 501 462 Euro bei ge-
kleidung weisen die einzelnen Haus- kommensteuerpflichtigen Einkünfte meinsam veranlagten Personen) mit
haltstypen folgende Unterschiede auf: von mindestens einer Million Euro, 45 % besteuert. Auf die 87 000 Steuer-
Während Paarhaushalte mit Kind(ern) knapp 1 600 Steuerpflichtige mehr als pf lichtigen, bei denen dieser soge-
15 % und Alleinerziehende 16 % ihres ge- noch 2013. Das Durchschnittseinkom- nannte Reichensteuersatz zum Tragen
samten Konsums für Nahrungsmittel, men dieser Gruppe betrug 2,7 Millio- kam, entfielen mit 87 Milliarden Euro
Getränke und Tabakwaren ausgaben, wa- nen Euro. Dies sind Ergebnisse der 5,9 % der gesamten Einkünfte und
ren es bei den Alleinlebenden nur rund Lohn- und Einkommensteuerstatistik und mit 31 Milliarden Euro 11,8 % der
12 %. Diese hatten aber mit 41 % den 2014, die aufgrund der langen Fristen Steuersumme.
höchsten Ausgabenanteil für Wohnen, zur Steuerveranlagung erst etwa drei- Aus den freiwilligen Erhebungen
gefolgt von den Alleinerziehenden mit einhalb Jahre nach Ende des Veranla- Einkommens- und Verbrauchsstich-
37 %. Paarhaushalte mit Kind(ern) hatten gungsjahres verfügbar ist. probe sowie Laufende Wirtschafts-
dagegen den geringsten Wohnkostenan- In Deutschland wird ein progres- rechnungen liegen keine näheren An-
teil mit 32 %. u Tab 2 siver Steuersatz angewendet, das gaben über Haushalte mit einem mo-
Für den Bereich Verkehr verwendeten heißt, der Steuersatz steigt mit zuneh- natlichen Haushaltsnettoeinkommen
Paarhaushalte mit Kind(ern) 15 % ihrer mendem Einkommen an. Dadurch von 18 000 Euro und mehr vor und
Ausgaben, Paare ohne Kind 13 %, Allein- werden die Steuerpf lichtigen unter- somit auch nicht über Millionärs-
lebende 11 % und Alleinerziehende 9 %. schiedlich stark belastet. Im Jahr 2014 haushalte.
Bei den Ausgaben für den Bereich Frei-
zeit, Unterhaltung und Kultur gab es
­z wischen den einzelnen Haushaltstypen
kaum Unterschiede. Bei den Paaren
ohne Kind betrugen diese anteilig knapp
11 % und bei allen anderen Haushalten Daraus erklärt sich der Unterschied zwi- Konsumausgaben nach
rund 10 %. schen dem Ausgabenanteil von Paaren Haushaltsnettoeinkommen
Bei den Ausgaben für das Bildungs- mit Kind(ern) (1,9 %) zu dem von Paaren Je mehr Geld den Haushalten monatlich
wesen machen die Aufwendungen für die ohne Kind (0,2 %) für diesen Ausgaben- zum Ausgeben zur Verfügung steht,
Kinderbetreuung den größten Anteil aus. bereich. umso höher sind auch deren Konsumaus-

201
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Tab 3 Konsumausgaben privater Haushalte nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen 2016

Monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro

unter 1 300 1 300 – 1 700 1 700 – 2 600 2 600 – 3 600 3 600 – 5 000 5 000 – 18 000

in Euro
Private Konsumausgaben 1 025 1 368 1 819 2 417 3 124 4 479
in %
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 46,7 43,6 38,7 37,4 34,7 29,7
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 17,0 16,7 15,1 14,5 13,7 11,8
Verkehr 9,4 8,1 11,5 12,5 14,3 16,0
Freizeit, Unterhaltung, Kultur 7,2 8,9 10,5 10,1 10,5 11,3
Bekleidung, Schuhe 3,2 4,0 4,2 4,2 4,3 4,8
Sonstige ¹ 16,6 18,8 20,1 21,3 22,5 26,3
 Bildungswesen (0,4) (0,5) 0,4 0,7 0,9 0,9

1 Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände, Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen, Gesundheit, Post und Telekommunikation, Bildungswesen sowie andere Waren und Dienstleistungen.
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Abb 7 Ausgaben privater Haushalte für die Bereiche Wohnen, Ernährung die Anteile der anderen Konsumbereiche
und Bekleidung nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen 2016 mit steigendem Einkommen zu. Beson-
— Anteil an den Konsumausgaben in Prozent ders deutlich ist dies bei den Verkehrs-
ausgaben: Mit 718 Euro im Monat (16 %)
gaben die Haushalte der höchsten Ein-
unter 1 300 67 kommensgruppe mehr als das Sieben­
1 300 –1 700 64 fache der Haushalte der niedrigsten
­E inkommensgruppe mit 96 Euro (9,4 %)
1 700 – 2 600 58
aus. Für Freizeit, Unterhaltung und Kul-
2 600 – 3 600 56 tur betrug der Ausgabenanteil der Haus-
3 600 – 5 000 53
halte mit dem höchsten monatlichen
Nettoeinkommen mehr als das Sechs­
5 000 –18 000 46 Haushalte insgesamt
54 fache (507 Euro beziehungsweise 11 %)
dessen, was die Haushalte mit einem
monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro Einkommen unter 1 300 Euro monatlich
dafür aufwendeten (74 Euro beziehungs-
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
weise 7,2 %).

6.1.5 Konsumausgaben von ­


Familien für Kinder
gaben. Haushalte mit einem monatlichen das waren 67 % ihrer gesamten Konsum- Auf der Grundlage der Ergebnisse der
Nettoeinkommen von unter 1 300 Euro ausgaben. Haushalte der höchsten Ein- fünfjährlichen Einkommens- und Ver-
gaben im Jahr 2016 durchschnittlich kommensklasse wendeten dafür mit 2 076 brauchsstichprobe (EVS) werden regelmä-
1 025 Euro im Monat für den privaten Euro dreimal so viel auf. Ihr Anteil für ßig im Rahmen von Sonderauswertungen
Konsum aus. Mehr als viermal so viel den Bereich war mit 46 % deutlich gerin- die Konsumausgaben von Familienhaus-
(4 479 Euro) wendete die Haushaltsgruppe ger. Im Durchschnitt gaben die privaten halten für ihre Kinder berechnet. Dazu
mit dem höchsten monatlichen Nettoein- Haushalte etwas mehr als die Hälfte werden die Konsumausgaben der Haus-
kommen von 5 000 bis unter 18 000 Euro (54 %) ihrer Konsumausgaben zur De- halte anhand komplexer Aufteilungs-
für ihren Konsum auf. u Tab 3 ckung der Ausgaben für Wohnen, Ernäh- schlüssel in die Ausgaben für Erwachsene
Für Wohnen, Ernährung und Beklei- rung und Bekleidung aus. u Abb 7 und Kinder aufgeteilt. Die folgenden
dung gaben die Haushalte mit einem mo- Mit steigendem Einkommen nehmen ­Daten stammen aus der EVS 2013. Die ab-
natlichen Einkommen unter 1 300 Euro die Ausgabenanteile für Wohnen, Ernäh- soluten Aufwendungen dürften mittler-
monatlich im Durchschnitt 685 Euro aus; rung und Bekleidung ab, dafür nehmen weile leicht gestiegen sein; die Struktur der

202
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Info 3 u Tab 4 Monatliche Konsumausgaben für Kinder


Konsumausgaben für Kinder
2008 2013
Die errechneten Ergebnisse für die Konsumaus-
gaben für Kinder können keinesfalls gleichgesetzt darunter darunter
werden mit den Lebenshaltungskosten für Kinder Haushalt der Anteil für Haushalt der Anteil für
das Kind/die Kinder das Kind/die Kinder
insgesamt. Dafür fehlen alle über den privaten
Konsum hinaus anfallenden Aufwendungen für in Euro in % in Euro in %
Kinder, beispielsweise für Versicherungsschutz
und Vorsorge. Auch die öffentlichen Aufwendun- Paare mit einem Kind 2 730 584 21,4 3 065 660 21,5
gen für Kinder, wie die Ausgaben für Schulbil-
dung oder für den Bau von Kindergärten, sind Paare mit zwei Kindern 3 145 1 029 32,7 3 559 1 165 32,7
nicht berücksichtigt. Ebenso werden Zeitaufwen- Paare mit drei Kindern 3 426 1 451 42,3 4 052 1 693 41,8
dungen für Kinder und sogenannte Opportuni-
tätskosten, die beispielsweise durch den Verzicht Alleinerziehende mit
1 617 558 34,5 1 746 612 35,0
eines Elternteils auf Erwerbstätigkeit wegen der einem Kind
Kindererziehung entstehen, aufwandsmäßig nicht Alleinerziehende mit
betrachtet. Hier geht es allein um die Ausgaben, 2 011 936 46,5 2 235 1 013 45,3
zwei Kindern
die in den Familien für den privaten Konsum der
Kinder anfallen. Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

Ausgaben lässt dennoch auch für die ge- u Abb 8 Durchschnittliche monatliche Konsumausgaben
genwärtigen Verhältnisse eine realistische je Kind nach Haushaltstyp — in Euro
Einschätzung der finanziellen Belastung
von Familien mit Kindern durch deren
Konsumausgaben zu. u Info 3 Paare mit 660
einem Kind 584

Höhe der Konsumausgaben Paare mit 583


für Kinder zwei Kindern 515
Für den privaten Konsum des Haushalts Paare mit 564
insgesamt gaben Paare mit einem Kind drei Kindern 484
im Jahr 2013 durchschnittlich 3 065 Euro
Alleinerziehende mit 612
im Monat aus. Davon verwendeten sie einem Kind 558
660 Euro (22 %) für die Konsumausgaben
Alleinerziehende mit 507
des Kindes. Alleinerziehende mit einem zwei Kindern 468
Kind gaben mit 612 Euro monatlich et-
was weniger für ihr Kind aus. Der Anteil
2013
an deren gesamten Konsumausgaben in 2008
Höhe von durchschnittlich 1 746 Euro im
Monat war mit 35 % allerdings um eini- Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

ges höher. Im Vergleich zu 2008 waren


die anteiligen Konsumausgaben für den
Nachwuchs bei den Paaren mit einem
Kind nahezu unverändert, während sie
bei den Alleinerziehenden mit einem Die Pro-Kopf-Ausgaben für die Kin- für das einzelne Kind sind umso niedri-
Kind leicht gestiegen sind. u Tab 4 der waren in den Paarhaushalten mit ger, je mehr Kinder in einem Haushalt
Paarhaushalte mit zwei Kindern zahl- ­einem Kind am höchsten. Beim Einzel- ­leben. Paare mit zwei Kindern können
ten 1 165 Euro (33 %) im Monat für den kind sind in der Regel höhere Ausgaben sich höhere Ausgaben für ihren Nach-
Konsum der Kinder. Im Vergleich dazu für Erstanschaffungen nötig – beispiels- wuchs leisten als Alleinerziehende mit
gaben Alleinerziehende mit zwei Kindern weise für den Erwerb einer Babyerst­ zwei Kindern. Die geringsten Aufwen-
1 013 Euro (45 %) für ihren Nachwuchs ausstattung, eines Kinderwagens, Beklei- dungen je Kind finden sich mit durch-
aus. Paare mit drei Kindern wendeten im dung und Ähnlichem –, die Mehrkinder- schnittlich 507 Euro monatlich in Haus-
Durchschnitt 1 693 Euro monatlich (42 %) haushalte häufig für das zweite und dritte halten von Alleinerziehenden mit zwei
für ihre Kinder auf. Kind erneut nutzen. Die Aufwendungen Kindern. u Abb 8

203
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Tab 5 Struktur der Konsumausgaben für Kinder nach Haushaltstyp 2013 — in Prozent

Paare mit … Alleinerziehende mit …

einem Kind zwei Kindern drei Kindern einem Kind zwei Kindern

Wohnen, Energie und Wohnungs­instandhaltung 22,9 23,9 24,4 32,2 30,7

Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 18,1 19,1 18,6 20,6 21,0

Bekleidung und Schuhe 8,9 8,3 7,8 8,1 8,0

Innenausstattung, Haushaltsgeräte
5,1 4,9 5,2 3,5 4,6
und -gegenstände
Gesundheitspflege 4,6 4,4 4,4 3,4 3,5

Verkehr 7,4 6,5 9,4 6,1 5,4

Post und Telekommunikation 4,0 3,3 2,9 4,8 4,4

Freizeit, Unterhaltung, Kultur 13,8 14,7 14,7 11,1 12,2

Bildungswesen 4,7 4,9 3,9 2,3 2,3


Gaststätten- und Beherbergungs­
4,9 5,3 5,1 3,7 3,6
dienstleistungen
Andere Waren und Dienstleistungen 5,5 4,7 3,6 4,1 4,2

Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

u Tab 6 Monatliche Konsumausgaben nach dem Alter des Kindes u Info 4


Einkommensdezile
2008 2013
Einkommensverteilungen lassen
darunter Anteil darunter Anteil sich unter anderem durch Vertei-
Haushalt Haushalt
für das Kind für das Kind
lungsdezile beschreiben. Als Grund-
in Euro in % in Euro in % lage der Dezilbetrachtungen werden
die privaten Haushalte aufsteigend
Paare mit einem Kind
2 730 584 21,4 3 065 660 21,5 nach der Höhe ihrer Haushalts­
insgesamt
nettoeinkommen sortiert und in zehn
Alter des Kindes
gleich große Gruppen unterteilt.
von … bis … Jahren
Im ersten Dezil sind dann die 10 %
unter 6 2 601 519 19,9 2 947 587 19,9 der privaten Haushalte mit den
6 –11 2 817 604 21,4 3 161 686 21,7 ­niedrigsten Haushaltsnettoeinkom-
men enthalten. Das zehnte Dezil
12 –17 2 906 700 24,1 3 223 784 24,3
enthält die 10 % der privaten Haus-
Alleinerziehende mit halte mit den höchsten Haushalts-
1 617 558 34,5 1 746 612 35,0
einem Kind insgesamt nettoeinkommen.
Alter des Kindes
von … bis … Jahren
unter 6 1 483 494 33,3 1 553 503 32,4
6 –11 1 558 523 33,6 1 706 576 33,8
12 –17 1 748 626 35,8 1 871 691 36,9

Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

Struktur der Konsumausgaben Konsumausgaben für Kinder wurden da- Konsumausgaben für Kinder
für Kinder für getätigt. Paare mit Kind(ern) setzten nach Alter
Bei allen Familien – ob Alleinerziehende nur bis zu 51 % ihrer Konsumausgaben für Im Jahr 2013 gaben Paarhaushalte mit ei-
oder Paare mit Kind(ern) – belegte der Be- den Nachwuchs für diesen Ausgabenblock nem Kind unter 6 Jahren 587 Euro im
reich Wohnen, Energie und Wohnungsin- ein. Sie hatten dementsprechend mehr Monat für den Nachwuchs aus. Für 6- bis
standhaltung den größten Anteil an den Geld für Ausgaben zur Verfügung, die 11-Jährige lagen die Konsumausgaben bei
Konsumausgaben für Kinder. Bei Allein- über die materielle Versorgung für Ernäh- 686 Euro und bei den Jugendlichen im
erziehenden stand der gesamte Ausgaben- rung, Bekleidung und Wohnen hinaus- Alter von 12 bis 17 Jahren bei 784 Euro.
block für Ernährung, Bekleidung und gingen, wie Restaurantbesuche oder kul- Bei Jugendlichen waren Nahrungsmittel,
Wohnen im Vordergrund: Bis zu 61 % der turelle Aktivitäten in der Freizeit. u Tab 5 Bekleidung und die Verpf legung außer

204
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

uTab 7 Konsumausgaben der ersten und zehnten Dezilgruppe des Haushaltsnettoeinkommens 2013
— Durchschnitt je Haushalt und Monat in Euro

Paare mit einem Kind Paare mit zwei Kindern

Haushalte des ... Dezils des Haushaltsnettoeinkommens


1. 10. 1. 10.
darunter für darunter für darunter für darunter für
Haushalt Haushalt Haushalt Haushalt
das Kind das Kind die Kinder die Kinder
Wohnen, Energie und Wohnungs­
663 103 1 350 210 761 186 1 474 369
instandhaltung
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 357 94 542 151 429 176 613 265
Bekleidung und Schuhe 73 29 310 100 107 54 360 149

Innenausstattung, Haushaltsgeräte
75 13 361 74 92 25 387 123
und -gegenstände
Gesundheitspflege 27 9 279 93 31 15 259 129
Verkehr 161 23 846 73 284 38 942 137
Post und Telekommunikation 75 23 106 30 76 34 100 44
Freizeit, Unterhaltung, Kultur 115 35 619 184 149 68 695 307
 B ücher, Zeitungen, Zeitschriften,
22 7 82 27 28 14 91 46
Schreibwaren
Bildungswesen (24) (12) 80 47 41 32 133 80
Gaststätten- und Beherbergungs-­
49 9 341 73 63 20 359 126
dienstleistungen
Andere Waren und Dienstleistungen 67 14 242 65 85 30 259 88
Private Konsumausgaben 1 685 364 5 075 1 101 2 118 679 5 580 1 817
nachrichtlich:
Haushaltsnettoeinkommen 1 550 X 8 642 X 2 067 X 9 518 X

( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

Haus – wie das Schulessen – wichtige Kind des untersten Einkommensdezils ein Drittel (32 %) ihrer Konsumausgaben
Ausgabeposten. Bei den kleinen Kindern nur 55 % der durchschnittlichen monat­ (2 118 Euro) für die Kinder (679 Euro im
hatten die Ausgaben für die Kinderbe- lichen Konsumausgaben für Kinder die- Monat). Bei Paaren mit drei Kindern stieg
treuung den größten Anteil am Konsum- ses Haushaltstyps. Alleinerziehende mit der Anteil der Kinderausgaben am Kon-
budget. u Tab 6 einem Kind im untersten Einkommens- sum auf 43 %. In der untersten Einkom-
Alleinerziehende in Deutschland ga- dezil gaben 69 % und mit zwei Kindern mensgruppe gilt generell sowohl für Paare
ben für ihren Nachwuchs in allen Alters- 57 % des Gesamtdurchschnitts für den mit Kind(ern) also auch für Alleinerzie-
gruppen insgesamt weniger aus als Paare. Nachwuchs aus. u Info 4 hende: Das Haushaltseinkommen reicht
Dies betrifft fast alle Bedarfsbereiche Paare mit einem Kind der untersten nicht aus, um die Konsumausgaben der
außer den Bereichen Wohnen, Energie Einkommensgruppe mussten mit einem Familie zu decken. Wo das Anzapfen von
und Wohnungsinstandhaltung sowie monatlichen Haushaltsnettoeinkommen Ersparnissen nicht möglich ist, bleibt nur
Post und Telekommunikation. Typisch von 1 550 Euro auskommen, Paare mit zwei die Kreditaufnahme, um alle Ausgaben
für Alleinerziehende ist, dass fast das Kindern konnten über 2 067 Euro monat- tätigen zu können. Wie viele Personen
komplette Haushaltsnettoeinkommen für lich verfügen. Ein gutes Fünftel (22 %) ih- überschuldet sind, zeigt der Abschnitt
den privaten Konsum verwendet wird. rer Konsumausgaben (1 685 Euro) verwen- 6.1.8, Seite 214.
deten Paare mit einem Kind der untersten
Einkommensschwache Haushalte Einkommensgruppe für ihr Kind (364 Euro Einkommensstarke Haushalte
mit Kind(ern) im Monat). Für Bücher oder Schreibwaren mit Kind(ern)
Einkommensschwache Haushalte geben wurden nur 7 Euro im Monat für den Nach­ Familienhaushalte des obersten Einkom-
für den Konsum ihrer Kinder sehr viel wuchs ausgegeben. u Tab 7 mensdezils hatten im Schnitt ein Netto-
weniger aus als der Gesamtdurchschnitt. Paare mit zwei Kindern der untersten einkommen, das mehr als viermal so hoch
Im Jahr 2013 erreichten Paare mit einem Einkommensgruppe verwendeten knapp war wie das der Haushalte des untersten

205
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Info 5 uAbb 9 Ausstattung privater Haushalte mit einem oder


Ausstattungsgrad und mehreren Fahrrädern 2017 — in Prozent
Ausstattungsbestand
Der Ausstattungsgrad ist das statistische
private Haushalte private Haushalte
Maß dafür, wie viele Haushalte ein bestimm- mit drei und mehr Fahrrädern mit einem Fahrrad
tes Gebrauchsgut besitzen. Beispielsweise
bedeutet ein Ausstattungsgrad von 96 % 34,2 32,1
­M obiltelefonen, dass 96 von 100 Haushalten
mindestens ein Mobiltelefon haben. Rechne-
risch wird der Ausstattungsgrad ermittelt
durch die Zahl der Haushalte mit einem
­entsprechenden Gebrauchsgut, bezogen auf 29,9 Millionen
die Zahl der hochgerechneten Haushalte Rad-Haushalte
multipliziert mit 100.

Der Ausstattungsbestand ist das statistische


Maß dafür, wie viele Gebrauchsgüter in
private Haushalte
100 Haushalten vorhanden sind. Beispiels- mit zwei Fahrrädern
weise bedeutet ein Ausstattungsbestand von
179 Mobiltelefonen je 100 Haushalte, dass 33,7
­einige Haushalte mehr als ein Handy besitzen. Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
Rechnerisch wird der Ausstattungsbestand
ermittelt durch die Zahl des in den Haushal-
ten vorhandenen jeweiligen Gebrauchsgutes,
bezogen auf die Zahl der hochgerechneten
Haushalte multipliziert mit 100. uTab 8 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit
Personenkraftwagen 2017 — in Prozent

Und zwar
Personen­
kraftwagen gebraucht
Einkommensdezils. Wohlhabende Paare neu gekauft geleast ¹
gekauft
mit einem Kind gaben für ihren Spröss- Insgesamt 78,4 33,9 50,1 4,2
ling ebenfalls ein gutes Fünftel (22 %) ih- Haushaltsnettoeinkommen von …
rer Konsumausgaben aus. Allerdings lag bis unter … Euro

dieser Betrag mit 1 101 Euro monatlich auf unter 1 300 44,3 13,5 29,5 /

einem deutlich höheren Niveau als bei 1 300 –1 700 68,6 26,8 41,7 /

Paaren mit einem Kind im untersten Ein- 1 700 – 2 600 86,5 37,1 51,5 (2,6)

kommensdezil. Paarhaushalte mit hohem 2 600 – 3 600 94,5 43,9 60,6 (4,4)

Einkommen hatten wesentlich größere 3 600 – 5 000 96,7 44,4 67,4 7,2

­fi nanzielle Spielräume beispielsweise für 5 000 –18 000 98,5 53,0 65,6 16,8

Reisen und Restaurantbesuche. Entspre- Alter der Haupteinkommensperson


von … bis … Jahre
chend kauften Paare mit einem Kind dem
18 – 24 / / / /
Nachwuchs auch für 27 Euro im Monat 25 – 34 67,5 (15,4) 53,8 (4,3)
Bücher und Schreibwaren. 35 – 44 83,4 28,5 61,9 (4,7)
45 – 54 83,9 34,1 57,5 5,9
6.1.6 Ausstattung privater Haus­ 55 – 64 78,8 36,8 49,5 4,9
halte mit Gebrauchsgütern 65 – 69 79,5 39,7 43,9 (1,9)
Aus der Verfügbarkeit ausgewählter Ge- 70 – 79 76,0 41,0 36,1 (2,1)
brauchsgüter in den privaten Haushalten 80 und älter 58,1 33,4 (25,5) /
Deutschlands lassen sich in gewisser Haushaltstyp
Weise auch Aussagen über den materiel- Paare mit Kind(ern) 94,8 32,6 72,5 (6,2)
len Lebensstandard dieser Haushalte tref- Paare ohne Kind 92,0 45,8 54,2 5,8
fen. Zu den ausgewählten Gebrauchsgü- Alleinerziehende 71,2 (15,3) 51,2 /
tern gehören beispielsweise Fahrzeuge, Alleinlebende 60,9 26,0 33,7 (1,9)
Haushaltsgeräte, Güter der Unterhal-  Frauen 59,2 26,2 31,4 (2,1)
tungselektronik sowie Produkte der In-  Männer 64,2 25,6 38,1 /
formations- und Kommunikationstech-
1 Einschließlich Firmenwagen, die auch privat genutzt werden dürfen. Keine Ratenkäufe.
nik wie Personal Computer (PC) und / Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
Mobiltelefone. u Info 5 Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

206
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

uTab 9 Ausstattungsbestand privater Haushalte mit Rolle für den Ausstattungsgrad mit Fahr-
Personenkraftwagen 2017 — je 100 Haushalte rädern. Haushalte mit 35- bis 44-jährigen
Und zwar Haupteinkommenspersonen hatten einen
Personen­ Ausstattungsgrad von 88 %. Haushalte
kraftwagen gebraucht
neu gekauft geleast ¹
gekauft mit jüngeren oder älteren Haupteinkom-
Insgesamt 108,2 38,9 64,5 4,7 menspersonen wiesen jeweils niedrigere
Haushaltsnettoeinkommen von … Ausstattungsgrade auf. Aber selbst in
bis unter … Euro
den Haushalten mit 70- bis 79-jährigen
unter 1 300 46,4 13,6 31,1 /
Haupteinkommenspersonen betrug der
1 300 –1 700 72,2 27,2 43,8 /
Anteil der Haushalte mit mindestens ei-
1 700 – 2 600 104,0 39,9 61,3 (2,8)
nem Fahrrad noch 71 %. Auch in den
2 600 – 3 600 137,6 51,3 81,4 (4,9)
3 600 – 5 000 166,5 55,1 103,7 7,7
Haushalten von 80-Jährigen und Älteren
5 000 –18 000 196,0 72,2 103,3 20,4
ist der Besitz eines Fahrrads durchaus
Alter der Haupteinkommensperson keine Seltenheit: Rund 49 % besaßen
von … bis … Jahre mindestens ein Fahrrad – wobei die Aus-
18 – 24 / / / / stattung nichts über die tatsächliche Nut-
25 – 34 89,4 (17,4) 67,2 (4,7) zung verrät.
35 – 44 120,0 32,4 82,0 (5,6) Mindestens ein Auto stand Anfang
45 – 54 124,9 40,1 78,2 6,6
2017 in 78 % der privaten Haushalte in
55 – 64 115,3 43,7 66,1 5,5
Deutschland. Neu oder gebraucht? Rund
65 – 69 96,8 44,7 50,1 (2,0)
50 % der Privathaushalte besaßen einen
70 – 79 86,4 44,0 40,3 (2,2)
oder mehrere Gebrauchtwagen, in 34 %
80 und älter 64,4 35,5 (27,7) /
der Haushalte stand mindestens ein Neu-
Haushaltstyp
wagen, das heißt ein Auto, das zum Zeit-
Paare mit Kind(ern) 149,4 38,7 103,2 (7,5)
punkt des Kaufs fabrikneu war. Der An-
Paare ohne Kind 128,6 53,7 68,6 6,4
teil der Haushalte mit geleasten Pkw lag
Alleinerziehende 73,3 (15,3) 53,3 /
bei 4,2 %. u Tab 8
Alleinlebende 63,4 26,4 35,0 (1,9)
 Frauen 60,9 26,5 32,3 (2,1)
Die Entscheidung zwischen »neu«
 Männer 68,2 26,3 40,4 /
oder »gebraucht« beim Kauf eines Pkw ist
unter anderem abhängig von der Höhe
1 Einschließlich Firmenwagen, die auch privat genutzt werden dürfen. Keine Ratenkäufe.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug. des monatlichen Haushaltsnettoeinkom-
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen. mens. Mit steigendem Nettoeinkommen
kaufen die Haushalte eher Neuwagen. Bei
einem monatlichen Haushaltsnettoein-
Fahrzeuge ­ lleinerziehende und Paare mit Kind(ern)
A kommen von 5 000 bis unter 18 000 Euro
Die Laufenden Wirtschaftsrechnungen waren zu 88 % beziehungsweise 95 % mit lag der Ausstattungsgrad mit Neuwagen
liefern Informationen über die Ausstat- Fahrrädern ausgestattet. Paare ohne Kind mit 53 % weit über dem Durchschnitts-
tung der Privathaushalte in Deutschland lagen mit 83 % leicht über dem Durch- wert aller privaten Haushalte (34 %). Im
mit Fahrrädern und Personenkraftwagen schnitt von 80 %. Von den Einpersonen- Gegensatz dazu lag der Neuwagenanteil
(Pkw) und damit über die Mobilitäts- haushalten verfügten 69 % über mindestens in Haushalten der beiden untersten Ein-
möglichkeiten der Haushalte. ein Fahrrad (Männer: 70 %, Frauen: 68 %). kommensgruppen (unter 1 300 Euro sowie
Zu Beginn des Jahres 2017 standen Fahrräder sind in den Haushalten 1 300 bis unter 1 700 Euro) bei 14 % bezie-
69,5 Millionen Fahrräder in privaten meist mehrfach vorhanden. Von den hungsweise bei 27 %.
Haushalten. Der Ausstattungsgrad liegt 29,9 Millionen Haushalten mit Fahrrä- Eine Betrachtung der Anzahl der Pkw
seit dem Jahr 2003 konstant bei rund 80 % dern verfügte etwa ein Drittel über genau in den privaten Haushalten zeigt die ein-
(2017: 79,9 %). Elektrofahrräder, kurz E- ein Fahrrad. Ein weiteres Drittel besaß kommensabhängigen Unterschiede noch
Bikes, sind im Kommen: Privathaushalte zwei Fahrräder und ebenfalls ein Drittel deutlicher: In 100 Haushalten der unters-
besaßen insgesamt 3,1 Millionen E-Bikes. drei und mehr Fahrräder. Rein rechne- ten Nettoeinkommensklasse waren 46 Pkw
In 6,1 % der Haushalte stand ein solches risch besaß somit ein Fahrradhaushalt zu finden, die Haushalte der höchsten
»elektrisches« Fahrrad. im Durchschnitt 2,3 Fahrräder. u Abb 9 Einkommensklasse besaßen mit 196 Pkw
Haushalte, in denen Kinder leben, sind Auch das Alter der Haupteinkom- je 100 Haushalte rund viermal so viele
am besten mit Fahrrädern ausgestattet. menspersonen der Haushalte spielt eine Autos. u Tab 9

207
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

Bei der Ausstattung mit Pkw spielt uAbb 10 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit ausgewählten
auch das Alter der Haupteinkommens- Haushaltsgeräten 2017 — in Prozent
person eine Rolle. Haushalte, in denen
diese Person 35 bis 44 Jahre alt war, sowie
Haushalte mit 45- bis 54-jährigen Haupt­ Kühlschrank , Kühl- und
Gefrierkombination 99,9
einkommenspersonen wiesen mit einem
Ausstattungsgrad von 83 % beziehungs- Waschmaschine 96,4
weise 84 % die höchste Ausstattung auf.
In Haushalten der anderen Altersgrup- Kaffeemaschine (insgesamt) 84,7
pen waren Autos rarer. Haushalte mit
9 Filterkaffeemaschine 60,4
80-jähriger und älterer Haupteinkom-
Pad- oder Kapselmaschine 32,9
mensperson besaßen mit 58 % am sel- 9

tensten einen Pkw. 9 Kaffeevollautomat 15,1


Bei Haushalten von Paaren mit
Kind(ern) lag 2017 der Ausstattungsgrad Mikrowellengerät 73,9

mit Pkw (95 %) sehr viel höher als bei


Haushalten von Alleinerziehenden (71 %) Geschirrspülmaschine 71,5

und Alleinlebenden (61 %). Rund 92 %


Gefrierschrank, Gefriertruhe 51,6
der Haushalte von Paaren ohne Kind be-
saßen ein Auto (siehe Tab 8).
Wäschetrockner 42,2

Elektrische Haushaltsgeräte Heimtrainer 25,3


Elektrische beziehungsweise elektroni-
sche Haushaltsgeräte zählen zu den klas-
sischen Ausstattungsgütern, die seit vie- Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

len Jahren im Rahmen der Laufenden


Wirtschaftsrechnungen erfragt werden.
So fanden sich »klassische« Haushaltsge-
räte wie Kühlschrank und Waschmaschi- u Tab 10 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit Unterhaltungselektronik
ne 2017 in nahezu jedem Haushalt (100 % nach Haushaltstyp 2017 — in Prozent
beziehungsweise 96 %). Mikrowellenge­
Haushalte Paare mit Paare Allein­ Allein-
räte (74 %), Geschirrspülmaschinen (72 %) insgesamt Kind(ern) ohne Kind erziehende lebende
und Wäschetrockner (42 %) wurden
Fernseher 97,8 98,7 99,6 97,5 95,9
­d agegen (noch) nicht überall eingesetzt.
Paarhaushalte mit Kind(ern) waren bei  F lachbildfernseher 86,9 93,9 93,1 90,6 78,6

Geschirrspülmaschinen (91 %) und bei Pay-TV-Receiver 19,0 22,4 24,0 (11,0) 13,8
Mikrowellengeräten (82 %) am besten DVD- und Blu-ray-Geräte 64,5 84,8 67,0 74,3 52,2
ausgestattet. Auch bei den Wäschetrock-  B lu-ray-Gerät 22,0 41,9 22,0 (22,6) 12,8
nern hatten sie mit 62 % die höchste
Videokamera (Camcorder) 17,3 33,1 18,8 (20,6) 7,5
­Ausstattung im Vergleich zu den anderen
 a nalog 7,2 11,7 7,8 / (3,7)
Haushaltstypen. u Abb 10
 d igital 11,5 23,6 12,9 (12,8) 4,4
Im Jahr 2017 gab es in 85 % aller
Haushalte eine oder mehrere Kaffeema- Fotoapparat 81,9 92,2 88,1 82,4 72,4

schinen: Am häufigsten verfügten die  a nalog 30,4 20,9 36,5 (20,3) 29,3
Haushalte über »traditionelle« Kaffeema-  d igital 72,1 89,5 79,1 76,2 58,4
schinen (60 %), Pad- oder Kapselmaschi-
MP3-Player 37,7 59,2 32,3 (41,8) 28,3
nen gab es in 33 % der Haushalte. Die in
Spielkonsolen 26,1 66,3 14,1 66,2 8,8
der Anschaffung immer noch vergleichs-
weise teuren Kaffeevollautomaten stan- ( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
den Anfang 2017 in 15 % der Privathaus- Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

halte. Während bei den Filterkaffee­


maschinen die Paarhaushalte ohne Kind

208
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Abb 11 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit PC und Internetanschluss den und Paarhaushalten mit Kind(ern)
— in Prozent verfügten über ein solches Gerät.

PC und Telefon
Auch die Ausstattung mit Gütern der In-
100
formations- und Kommunikationstech-
90 nologie nahm in den privaten Haushalten
80
in Deutschland in den zurückliegenden
Jahren deutlich zu. Eine große Dynamik
70
gab es in der Haushaltsausstattung mit
60 PC. In 90 % der privaten Haushalte stand
Anfang 2017 mindestens ein PC, zehn
50
Jahre zuvor war dies in 73 % der Haus­
40 halte der Fall. Mit mobilen Computern
30
(Laptop / Notebook, Netbook, Tablet) wa-
ren Anfang 2007 erst 25 % der Haushalte
20
ausgestattet, während in 64 % der Haus-
10 halte stationäre Computer standen. Die-
ses Verhältnis hatte sich Anfang 2017 zu-
0
2007 2009 2010 2011 2012 2014 2015 2016 2017
gunsten der mobilen Geräte verändert:
Jetzt besaßen 79 % der Haushalte mobile
PC insgesamt PC mobil (Laptop/ Notebook, Netbook,Tablet)
PC und nur noch 49 % stationäre Com­
PC stationär Internetanschluss
puter. u Abb 11
Der Ausstattungsgrad mit PC wächst
Keine LWR-Erhebung 2008 und 2013.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen. mit steigender Zahl der Haushaltsmit-
glieder: Während 82 % der Singlehaus-
halte Anfang 2017 mindestens einen PC
besaßen, standen bereits in 93 % der
Zweipersonenhaushalte Computer. Fünf-
mit 70 % die höchste Ausstattung aufwie- Geräte der modernen Unterhaltungs- personenhaushalte konnten eine Vollaus-
sen, waren Pad- und Kapselmaschinen elektronik wie DVD- und Blu-ray-Geräte, stattung (100 %) mit Computern ver-
(45 %) und Kaffeevollautomaten (25 %) MP3-Player und Spielkonsolen finden zeichnen. u Tab 11, Tab 12
bei Paaren mit Kind(ern) am weitesten sich vor allem in Haushalten mit Dagegen nimmt der Ausstattungs-
verbreitet. Kind(ern). Während Anfang 2017 der An- grad mit PC mit zunehmendem Alter der
teil der Haushalte, die im Besitz eines Haupteinkommensperson im Haushalt
Güter der Unterhaltungselektronik DVD- oder Blu-ray-Gerätes waren, insge- ab. Als Haupteinkommensperson gilt
Für Fernseher galt Anfang des Jahres samt bei 65 % lag, waren Alleinerziehende grundsätzlich die Person ab 18 Jahren
2017 nahezu Vollausstattung: 98 % der (74 %) und Paare mit Kind(ern) (85 %) mit dem höchsten Beitrag zum Haus-
privaten Haushalte in Deutschland besa- weit überdurchschnittlich damit ausge- haltsnettoeinkommen. In Haushalten mit
ßen mindestens einen Fernsehapparat. stattet. Bei MP3-Playern und Spielkonso- Haupteinkommenspersonen in den Al-
Einen Flachbildfernseher besaßen 87 % len zeigt sich der überdurchschnittliche tersklassen von 18 bis 44 Jahren lag der
der Haushalte. Bei der erstmaligen Frage Ausstattungsgrad von Haushalten mit Ausstattungsgrad mit PC durchgängig
nach den »Flachen« im Jahr 2006 stand Kind(ern) noch deutlicher: Während An- bei 99 %. In den Altersklassen von 45 bis
lediglich in 5,0 % der Haushalte ein sol- fang 2017 im Durchschnitt 38 % der Haus- 64 Jahren betrug die Ausstattung immer
ches Gerät. Der Ausstattungsbestand von halte einen MP3-Player besaßen, konnte noch über 90 %. Erst in den Altersklassen
Flachbildfernsehern ist im gleichen Zeit- in 42 % der Haushalte von Alleinerziehen- ab 65 Jahren sank die Ausstattung mit
raum ebenfalls stark angestiegen: Im Jahr den und in 59 % der Haushalte von Paa- PC, und zwar bis auf 50 % in Haushalten
2006 kamen 6 Flachbildfernseher auf ren mit Kind(ern) Musik über dieses mit Haupteinkommenspersonen von
100 Haushalte, Anfang 2017 waren es ­Medium abgespielt werden. Spielkonsolen 80 Jahren und älter.
141 Geräte je 100 Haushalte. Rund 38 % waren durchschnittlich in 26 % der Haus- Auch die Ausstattung mit Internet­
aller Haushalte in Deutschland besaßen halte in Deutschland vorhanden. Rund anschlüssen entwickelte sich sehr dy­
mehr als einen Flachbildfernseher. u Tab 10 66 % der Haushalte von Alleinerziehen- namisch. Anfang 2017 hatten 91 % der

209
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Tab 11 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit PC und Internetanschluss 2017 — in Prozent


Und zwar
Internet- und zwar
PC
anschluss PC stationär PC mobil Laptop / Note-­
Tablet
book, Netbook
Insgesamt 91,1 90,0 48,6 79,0 70,8 42,6
Alter der Haupteinkommensperson
von … bis … Jahre
18 – 24 (100) (99,4) / (99,4) (97,3) /
25 – 34 99,8 98,8 44,9 94,7 87,9 52,5
35 – 44 99,6 99,0 45,8 94,7 85,3 61,6
45 – 54 97,5 96,0 52,5 89,4 80,7 53,7
55 – 64 93,4 91,5 52,1 78,6 70,8 39,8
65 – 69 88,1 88,3 51,4 69,9 61,5 30,7
70 – 79 75,4 75,1 44,0 55,5 46,5 23,0
80 und älter 52,5 50,3 26,7 36,5 30,6 (12,4)
Haushaltsgröße Haushalte mit …
1 Person 84,1 81,7 34,6 67,2 59,6 25,6
2 Personen 93,6 93,4 55,6 82,1 72,3 45,5
3 Personen 99,5 99,1 61,1 94,6 87,9 65,1
4 Personen 100 99,6 64,8 94,8 87,1 72,6
5 und mehr Personen 99,6 100 62,5 97,5 89,5 65,7
Haushaltstyp
Paare mit Kind(ern) 100 99,9 57,2 96,9 86,6 72,9
Paare ohne Kind 92,8 92,7 57,1 80,4 70,2 46,3
Alleinerziehende 100 97,8 (38,7) 94,9 86,6 (44,8)
Allein lebende Frauen 83,0 81,0 29,1 66,3 58,5 23,9
Allein lebende Männer 86,3 83,1 45,4 69,0 61,7 28,9

( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

Haushalte Anschluss an das Internet, durchschnittlich 126 Festnetztelefone waren Anfang 2017 fast vollständig mit
während es zehn Jahre zuvor 60 % waren. und 141 Handys. Dieses Verhältnis hat Mobiltelefonen ausgestattet. Immerhin
Das Mobiltelefon (Handy / Smartpho- sich Anfang 2017 stark zugunsten der 96 % der Haushalte von 55- bis 64-Jähri-
ne) gehört heute bereits ganz selbstver- »Mobilen« gewandelt: In 100 Haushalten gen besaßen ein solches Gerät und von
ständlich zum Leben: In 96 % aller priva- gab es durchschnittlich 123 Festnetz­ den Haushalten der 80-Jährigen und Älte-
ten Haushalte konnte Anfang 2017 mobil telefone und 179 Mobiltelefone. Rein ren waren es 80 %.
telefoniert werden. Zehn Jahre zuvor war rechnerisch waren das 1,9 Handys in je- Ob und wie viele Mobiltelefone bezie-
das erst in 82 % der Haushalte der Fall. dem Handybesitzer-Haushalt. hungsweise Festnetztelefone in den
Die Gesamtzahl der in den Privathaus- Auch das Alter der Haupteinkom- Haushalten vorhanden sind, wird auch
halten vorhandenen Mobiltelefone stieg mensperson spielt eine Rolle beim Besitz deutlich vom Haushaltstyp beeinflusst,
in diesem Zeitraum von 51 Millionen im von Festnetz- oder Mobiltelefonen. Mit das heißt, ob eine oder mehrere Personen
Jahr 2007 auf 67 Millionen Anfang 2017. steigendem Alter der Haupteinkommens- und ob Kinder in den Haushalten leben.
Im Jahr 2007 verfügten 95 % der privaten personen in den Haushalten war auch der Alle Haushaltstypen – mit Ausnahme der
Haushalte über ein Festnetztelefon; An- Ausstattungsgrad dieser Haushalte mit allein lebenden Männer – zeigten Anfang
fang 2017 waren es nur noch 91 %. u Tab 13 Festnetztelefonen höher, während der 2017 einen Ausstattungsgrad mit Fest-
Die Entwicklung des Ausstattungsbe- Ausstattungsgrad mit Mobiltelefonen mit netztelefonen von 86 % und mehr. Die
standes zeigt deutlich den technologi- zunehmendem Alter stetig abnahm. Haus- Verfügbarkeit von Mobiltelefonen unter-
schen Wandel in der Telekommunikation. halte mit Haupteinkommenspersonen in schied sich bei den einzelnen Haus-
Auf 100 Haushalte kamen Anfang 2007 den Altersklassen von 18 bis 54 Jahren haltstypen erheblich. Haushalte mit

210
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 12 Ausstattungsbestand privater Haushalte mit PC 2017 — je 100 Haushalte


Und zwar

PC und zwar
PC stationär PC mobil Laptop / Note-
Tablet
book, Netbook
Insgesamt 214,9 60,7 154,2 98,4 55,8
Alter der Haupteinkommensperson von … bis … Jahre
18 – 24 (214,1) / (174,5) (122,6) /
25 – 34 241,0 52,9 188,0 124,1 63,9
35 – 44 259,6 56,1 203,6 117,3 86,2
45 – 54 271,2 71,7 199,5 123,3 76,2
55 – 64 213,0 64,9 148,1 98,5 49,6
65 – 69 171,6 60,2 111,4 75,3 36,2
70 – 79 132,0 51,1 80,9 55,1 25,8
80 und älter 80,2 31,6 48,6 34,7 (13,9)
Haushaltsgröße Haushalte mit …
1 Person 130,3 37,0 93,3 66,1 27,2
2 Personen 222,5 66,6 155,9 99,4 56,5
3 Personen 325,0 83,6 241,4 147,3 94,1
4 Personen 362,8 98,4 264,4 150,6 113,8
5 und mehr Personen 413,9 116,9 297,0 180,7 116,3
Haushaltstyp
Paare mit Kind(ern) 320,1 76,7 243,4 132,9 110,4
Paare ohne Kind 221,0 68,3 152,7 95,4 57,2
Alleinerziehende 217,4 (43,3) 174,1 117,5 (56,6)
Allein lebende Frauen 117,6 29,4 88,2 63,3 24,9
Allein lebende Männer 155,1 51,9 103,2 71,5 31,8

Internetanschluss kann nicht ausgewiesen werden, da die Anzahl von Anschlüssen nicht erfragt wird.
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Tab 13 Ausstattung privater Haushalte mit Festnetz- und Mobiltelefon 2017


Ausstattungsgrad in % Ausstattungsbestand je 100 Haushalte

Festnetztelefon Mobiltelefon Festnetztelefon Mobiltelefon


Insgesamt 90,9 95,5 122,8 179,1
Alter der Haupteinkommensperson von … bis … Jahre
18 – 24 (77,5) (100) (89,2) (152,7)
25 – 34 77,5 99,5 88,3 171,6
35 – 44 88,9 99,6 114,6 215,6
45 – 54 90,4 97,1 124,2 219,2
55 – 64 92,2 95,9 127,2 175,2
65 – 69 93,1 93,1 133,4 143,5
70 – 79 95,3 91,7 129,2 133,9
80 und älter 99,1 79,7 133,3 107,6
Haushaltstypen
Paare mit Kind(ern) 92,8 99,5 131,8 278,7
Paare ohne Kind 97,6 97,1 145,7 186,1
Alleinerziehende 86,3 100 95,9 199,6
Alleinlebende 84,5 91,5 97,0 103,1
 Frauen 88,7 90,6 98,7 98,8
 Männer 76,2 93,3 93,6 111,6

( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

211
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

Kind(ern) erreichten hier die höchsten Im Jahr 2017 hatten neun von zehn erfreuten sich Handys und Smartphones
Ausstattungsgrade: Paare mit Kind(ern) privaten Haushalten in Deutschland einen großer Beliebtheit: 80 % der Kinder zwi-
und Alleinerziehende waren mit rund Internetzugang – das sind fast 36 Millio- schen 10 und 15 Jahren und 95 % der 16-
100 % nahezu vollausgestattet. Auch 97 % nen Haushalte. Während Einpersonen- bis 24-Jährigen gingen unterwegs mit
der Haushalte von Paaren ohne Kind be- haushalte etwas seltener über Internet Handy oder Smartphone ins Netz.
saßen ein Mobiltelefon und waren damit verfügten, betrug der Anteil bei Haushal-
überdurchschnittlich ausgestattet. Bei den ten von zwei Erwachsenen ohne Kind Aktivitäten im Netz
Alleinlebenden dagegen waren Mobiltele- 89 %. Bei fast allen Haushalten mit Kin- Neben dem Versand und dem Empfang
fone unterdurchschnittlich verbreitet. dern war Vollausstattung erreicht. von E-Mails und der Suche im Netz nach
Rund 93 % der allein lebenden Männer Im ersten Quartal 2017 waren in Waren oder Dienstleistungen finden zu-
verfügten Anfang 2017 über ein Mobil­ Deutschland 84 % aller Menschen im In- nehmend soziale Aktivitäten online statt.
telefon; bei den allein lebenden Frauen ternet aktiv – das entspricht rund 63 Mil- Gut jede / jeder Zweite führte Telefonate
waren es knapp 91 %. lionen Nutzerinnen und Nutzern. Darun- über Internet und mehr als die Hälfte
Haushalte mit Kind(ern) besaßen ge- ter waren etwa 4 Millionen Kinder zwi- war in sozialen Netzwerken wie Facebook
nerell mehr als ein Mobiltelefon. Bei den schen 10 und 15 Jahren und knapp unterwegs.
Paarhaushalten mit Kind(ern) kamen An- 8 Millionen Jugendliche und junge Er- Bezogen auf Altersklassen zeigen sich
fang 2017 durchschnittlich knapp 279 Ge- wachsene zwischen 16 und 24 Jahren. Täg- allerdings Unterschiede in der Art und
räte auf 100 Haushalte. Bei den Alleiner- lich online waren unter den 10- bis 15-Jäh- Häufigkeit der bevorzugten Internetakti-
ziehenden war der Ausstattungsbestand rigen etwa 80 %, was unter dem Durch- vitäten. So telefonierten 70 % der Kinder
mit durchschnittlich knapp 200 Mobilte- schnitt über alle Altersgruppen lag. Die zwischen 10 und 15 Jahren über das In-
lefonen je 100 Haushalte ebenfalls sehr 16- bis 24-Jährigen dagegen waren fast alle ternet und 64 % waren in sozialen Netz-
hoch. Bei den Alleinlebenden lag die täglich im Internet unterwegs. u Tab 14 werken aktiv. Bei 16- bis 24-Jährigen la-
durchschnittliche Ausstattung bei 103 Mo- gen diese Anteile sogar noch darüber:
biltelefonen je 100 Haushalte. Mobile Nutzung Gut drei Viertel von ihnen führten Inter-
Um auch unterwegs online sein zu können, nettelefonate und rund neun von zehn
6.1.7 Internetnutzung verwendeten 78 % der Internetnutzer ein nahmen online an sozialen Netzwerken
Wie nutzen die Menschen in Deutsch- Handy oder Smartphone, 41 % einen trag- teil. Junge Menschen nutzten auch häufig
land das Internet? Darüber informiert baren Computer (zum Beispiel Laptop, Online-Lernmaterial, und zwar rund ein
jährlich die amtliche Erhebung über die ­Tablet) und 7 % andere mobile Endgeräte Viertel der Personen im Alter zwischen
private Nutzung von Informations- und (beispielsweise E-Book-Reader, Media- 10 und 15 Jahren und ein Drittel der Per-
Kommunikationstechnologien. Player). Insbesondere bei jungen Menschen sonen im Alter von 16 bis 24 Jahren. Im
Gegensatz zu Jüngeren suchten fast drei
Viertel der 65-Jährigen und Älteren im
Internet häufig nach Informationen zu
Gesundheitsthemen, aber nur etwa jede /
jeder Fünfte unter ihnen war in sozialen
Netzwerken aktiv. Verglichen mit den üb-
rigen Altersklassen waren Personen zwi-
schen 25 und 64 Jahren diejenigen, die
im Netz am häufigsten nach Waren und
Dienstleistungen suchten. Sie nutzten
auch recht häufig soziale Netzwerke: Die
Anteile betrugen 71 % in der Altersklasse
25 bis 44 Jahre und 40 % in der Alters-
klasse 45 bis 64 Jahre.

Onlineeinkäufe
Dass Waren und Dienstleistungen über
das Internet gekauft werden, ist aus unse-
rer heutigen Gesellschaft mittlerweile
nicht mehr wegzudenken. Rund 77 % der
Personen, die in den letzten zwölf Mona-

212
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 14 Internetaktivitäten 2017


Suche nach
Suche nach
Internetnutzer / Versand / Teilnahme Nutzung Informationen
Telefonieren Informationen
-innen Empfang von an sozialen von Online- über Waren /
über Internet über Gesund-
insgesamt E-Mails Netzwerken Lernmaterial Dienst-
heitsthemen
leistungen
in 1 000 in %

Im Alter von … bis … Jahren

10 –15 4 350 52,5 63,9 70,2 27,0 60,8 20,5

16 – 24 7 627 93,1 88,4 76,5 32,5 89,4 56,4

25 – 44 20 310 96,2 70,6 56,2 18,8 95,6 76,1

45 – 64 22 023 90,6 39,7 47,6 8,6 92,0 70,2

65 oder älter 8 341 90,5 21,0 38,1 4,4 85,9 71,5

Insgesamt 62 651 90,1 54,9 54,3 15,5 89,9 67,1

Personen ab 10 Jahren. Private Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im ersten Quartal 2017.

u Abb 12 Personen mit Onlineeinkäufen im ersten Quartal 2017 — in Prozent


ten vor der Erhebung das Internet nutzten,
haben in diesem Zeitraum Onlineein­ insgesamt
77
käufe getätigt. Nahezu alle Internetnut-
zerinnen und -nutzer zwischen 25 und 10 –15 30
44 Jahren (92 %) sowie 78 % der 45- bis
16–24 79
64-­Jährigen und 61 % der 65-Jährigen
und Älteren kauften online ein. u Abb 12 25–44 92

Kinder und Jugendliche wurden eben- 45–64 78


falls zum Onlineshopping befragt. Noch
65 oder älter 61
nicht Volljährige durften ent­sprechende
Angaben machen, wenn die Erlaubnis
im Alter von ... bis ... Jahren
zum Onlinekauf seitens der ­E ltern oder
Erziehungsberechtigten vorgelegen hatte
und wenn die Bezahlung aus eigenen
Mitteln des Kindes oder des Jugendlichen
erfolgt ist. Demnach kaufte etwa ein
Drittel der 10- bis 15-Jährigen (30 %) im Kleidung und Sportartikel über das In- dass Personen, die ihre Freizeit am Com-
Internet ein, bei den 16- bis 24-Jährigen ternet, gefolgt von Filmen und Musik puter und mit dem Smartphone ver-
waren es rund acht von zehn (79 %). ­s owie Computersoftware einschließlich brachten (ohne Anschauen von Videos,
Mehr als zwei Drittel der Onlineein- Videospielen und Software-Upgrades. Hören von Musik, Lesen von Zeitungen
käuferinnen und -einkäufer besorgten Von der jungen Onlinekundschaft zwi- und Büchern), durchschnittlich etwa eine
sich Kleidung und Sportartikel über schen 16 und 24 Jahren bestellten knapp Stunde und 15 Minuten pro Tag dafür
das Internet. Gut die Hälfte erwarb Ge- drei Viertel Kleidung und Sportartikel, aufwendeten. Kinder und Jugendliche
brauchsgüter wie Möbel oder Werkzeug die Hälfte Filme und Musik sowie knapp zwischen 10 und 17 Jahren investierten
und knapp jede / jeder Zweite kaufte die Hälfte Computersoftware oder auch noch eine Viertelstunde mehr, um bei-
­B ücher und Zeitungen online. Jeweils Eintrittskarten und ein Viertel Elektro- spielsweise über das Internet zu kommu-
42 % der Onlinekundschaft buchten Ur- nikartikel. nizieren oder dort nach Informationen
laubsunterkünfte über das Internet oder zu suchen. Computerspielerinnen und
bestellten Eintrittskarten im Netz. Mehr Freizeit mit PC und Smartphone -spieler im Alter von 10 bis 17 Jahren ver-
als ein Drittel kaufte auch Filme und Etwa alle zehn Jahre findet eine Zeitver- brachten täglich zwei Stunden vor dem
Musik online. Über die Hälfte der Kin- wendungserhebung statt (siehe auch Da- Bildschirm oder Display mit »gaming«,
der zwischen 10 und 15 Jahren, die on- tenreport 2016, Kapitel 12). Die Ergebnis- 18- bis 29-Jährige sogar zwei Stunden
line einkaufen durften, besorgten sich se der Erhebung 2012/2013 haben gezeigt, und 39 Minuten.

213
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Abb 13 Entwicklung der Verbraucherinsolvenzen — in Tausend

108,8
105,2 103,3
101,1
96,6 98,1 97,6
91,2
86,3
80,1
77,2
71,9
68,9

49,1

33,6

21,4
13,3
10,5
3,4

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Ohne ehemals selbstständig Tätige.

6.1.8 Überschuldung und 2017 rund 1,3 Millionen Privatpersonen, führt haben. Um Aussagen zu den so­
Privatinsolvenz die als Verbraucher in eine Notlage gera- zioökonomischen Strukturen der über-
Überschuldung ist mehr als ein gesell- ten sind, ein Verbraucherinsolvenzver- schuldeten Personen treffen zu können
schaftliches Randphänomen. Bei Personen, fahren, um von ihren restlichen Schulden sowie die Ursachen und Hauptgläubiger
die als absolut überschuldet gelten, sind befreit zu werden. Durch das Scheitern statistisch zu belegen, werden seit dem
die Zahlungsrückstände so gravierend, einer selbstständigen Tätigkeit wurden Jahr 2006 zusätzlich Schuldnerbera-
dass als letzter Ausweg nur die Privatin- weitere rund 632 000 Personen zahlungs- tungsstellen nach ihrer Klientel befragt.
solvenz bleibt. Die Insolvenzordnung er- unfähig. Sie gelten in diesem Fall eben- Mit dieser freiwilligen Erhebung kann
öffnet Privatpersonen seit 1999 die Mög- falls als absolut überschuldet und haben über die Insolvenzstatistik hinaus ein
lichkeit, nach einer sogenannten Wohl- die Möglichkeit, ihre Schulden gericht- wesentlicher Beitrag zur Darstellung der
verhaltensphase von ihren Restschulden lich regulieren zu lassen. Mit Ausnahme Schuldensituation von Privatpersonen
befreit zu werden. Die Insolvenzgerichte von 2008 stieg die Gesamtzahl der Pri- geleistet werden.
liefern Daten zur absoluten Überschul- vatinsolvenzen bis 2010 von Jahr zu Jahr Schuldnerberatungsstellen haben die
dung von Privatpersonen – nicht Haus- an; seit 2011 sinkt sie jedes Jahr. Im Jahr Aufgabe, den Menschen, die in wirtschaft-
halten –, die das Insolvenzverfahren in 2017 gab es rund 72 000 Verbraucherin- liche oder existenzielle Not geraten sind
Anspruch nehmen. Darüber hinaus stellt solvenzen. Dabei muss der Auslöser für oder zu geraten drohen, eine angemesse-
die Überschuldungsstatistik Informatio- die Überschuldung nicht in der Gegen- ne Hilfestellung zu leisten. Diese zielt
nen zu den sozioökonomischen Struktu- wart liegen, sondern kann viele Jahre zu- auf eine Sanierung der wirtschaft­lichen
ren überschuldeter Personen bereit und rückreichen. u Abb 13 Verhältnisse der Betroffenen ab. Darüber
gibt einen Überblick über die Auslöser Die gerichtlichen Akten informieren hinaus gehört auch die Erörterung von
der finanziellen Notlage ­s owie über die zwar vollständig über die Zahl der Pri- Präventionsmaßnahmen zum Beratungs-
Art und Anzahl der Hauptgläubiger. Die vatinsolvenzen, nicht jedoch über die angebot. Durch ihre Tätigkeit verfügen
Daten hierzu beruhen auf den Angaben Gesamtzahl aller überschuldeten Perso- die Beratungsstellen über einen großen
der Schuldnerbe­ratungsstellen. nen. Sie enthalten auch keine Informati- Datenpool zur Überschuldungs­situation,
Seit Einführung der neuen Insolvenz- onen zum Personenkreis und zu den der sich auch für statistische Zwecke nut-
ordnung im Jahr 1999 nutzten bis Ende Umständen, die zur Überschuldung ge- zen lässt. Für das Jahr 2017 übermittelten

214
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

528 der rund 1 400 Beratungsstellen, die u Abb 14 Beratene Personen nach dem Hauptauslöser

unter der Trägerschaft der Verbrau­cher- der Überschuldung 2017 — in Prozent


und Wohlfahrtsver­bände sowie der Kom-
munen stehen, Daten von etwa 127 000
Personen. Allerdings müssen diese Perso- Arbeitslosigkeit 20,6
nen nicht zwangsläufig überschuldet sein:
Erkrankung, Sucht,
Teilweise ist auch nur eine vorübergehen- Unfall
15,1
de Zahlungs­störung eingetreten oder die
Trennung, Scheidung,
Folgen einer Zahlungsunwilligkeit sollen 13,3
Tod des Partners
ausgeräumt werden. unwirtschaftliche
12,2
Menschen, die – verschuldet oder un- Haushaltsführung
verschuldet – in finanzielle Not geraten, gescheiterte
8,3
verlieren häufig ihren sozialen Status. Selbstständigkeit

Nicht selten kommt es zur gesellschaftli- längerfristiges


7,2
Niedrigeinkommen
chen Ausgrenzung, denn Arbeitslosigkeit
und unerwartete gravierende Änderun-
gen der Lebensumstände stellen für sich Ergebnis der Überschuldungsstatistik für das Beratungsjahr 2017.

genommen schon eine schwere Belastung


dar, auch ohne die damit verbundenen fi-
nanziellen Folgen. Auslöser der Misere
waren bei über einem Viertel (28 %) der
überschuldeten Personen, die im Jahr
2017 die Hilfe einer Beratungsstelle in
Anspruch genommen hatten, kritische
Lebensereignisse – wie eine Scheidung,
der Tod des Partners, eine Krankheit
oder ein Unfall. Arbeitslosigkeit nannten
21 % der beratenen Personen als Haupt-
grund für ihre finanziellen Schwierig­keiten.
Selbstverschuldete Zahlungsschwierigkei-
ten wegen unwirtschaftlicher Haushalts-
führung oder gescheiterter Selbstständig-
keit waren bei etwa 21 % der beratenen
Personen ausschlaggebend für die Inan-
spruchnahme des Dienstes einer Bera-
tungsstelle. Bei rund 7 % der beratenen
Personen lag die Überschuldung haupt-
sächlich an einem längerfristig unzurei-
chenden Einkommen. u Abb 14
Das Risiko, in eine Überschuldungs-
situation zu geraten, ist über die verschie-
denen Haushaltskonstellationen ungleich
verteilt. Es lässt sich durch den Anteil eines
Haushaltstyps an der Gesamtbevölke-
rung einerseits und den entsprechenden
Anteil an den Personen in Schuldnerbe­
ratung andererseits ausdrücken. Es zeigt
sich, dass insbesondere alleinerziehende
Frauen und allein lebende Männer über-
proportional von Überschuldung betrof-
fen sind. Während Erstgenannte einen
Anteil an der Gesamtbevölkerung von

215
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

die Verbindlichkeiten bei Paaren ohne


Kind mit rund 47 800 Euro und bei al-
leinerziehenden Männern mit etwas un-
Überschuldete im Durchschnitt mit dem 28-Fachen ter 42 000 Euro. In diesen beiden Haus-
ihres Monatseinkommens im Minus haltstypen belaufen sich die Schulden auf
Die durchschnittlichen Verbindlich- wenn er all seine regelmäßigen Einkünf- das 45- beziehungsweise 33-Fache des
keiten einer überschuldeten Person, te für den Schuldendienst einsetzen durchschnittlichen monatlichen Netto-
die im Jahr 2017 die Hilfe einer Bera- könnte (Überschuldungsintensität). einkommens. Aber auch eine Schulden-
tungsstelle in Anspruch genommen Dabei müssten überschuldete Män- höhe von rund 20 500 Euro reicht bei
hat, betrugen 30 170 Euro. Das war ner in diesem hypothetischen Modell ­a lleinerziehenden Frauen aus, um die
knapp das 28-Fache des durchschnitt- 32 Monatseinkommen für die Rück- ­fi nanzielle Lage ins Ungleichgewicht zu
lichen monatlichen Einkommens die- zahlung aufwenden. Bei überschulde- bringen: Hier machen die Schulden im-
ses Personenkreises (1 072 Euro). Ein ten Frauen wäre diese Zeit mit 24 Mo- mer noch das 16-Fache des Monatsein-
durchschnittlicher Schuldner bräuchte naten kürzer, aber auch noch zwei kommens aus. u Abb 15
demnach 28 Monate, um seine Verbind- volle Jahre. Dies liegt vor allem an den Betrachtet man alle Überschuldeten,
lichkeiten komplett zurückzuzahlen, höheren Schulden von Männern. so stehen Personen, die ihren Verpflich-
tungen für beanspruchte Ratenkredite
nicht mehr nachkommen können, bei
­i hren Banken mit durchschnittlich rund
23 000 Euro im Soll. Hat eine Person
Schulden bei anderen Privatpersonen, so
u Abb 15 Durchschnittliche Schulden der beratenen Personen belaufen sich diese im Durchschnitt auf
nach Haushaltstyp 2017 — in Euro etwa 10 000 Euro. Für nicht geleistete Un-
terhaltsverpf lichtungen ergibt sich ein
durchschnittlicher Rückstand von rund
9 000 Euro.
Paare mit Kind(ern) 34 069 Je nach Alter und Lebensform gibt es
unterschiedliche Schwerpunkte, was die
Paare ohne Kind 47 816
Art und die Höhe der Schulden anbe-
alleinerziehende langt. Aus den Erkenntnissen, die die
Frau 20 481
Überschuldungsstatistik bietet, sind eini-
allein lebende
24 258
ge beispielhaft herausgegriffen: So sind
Frau
die 20- bis 24-jährigen Überschuldeten
alleinerziehender zwar mit der niedrigsten Summe an Ra-
Mann 41 961
tenkrediten in Rückstand (durchschnitt-
allein lebender Mann 28 255 lich rund 6 500 Euro), weisen allerdings
mit durchschnittlich etwa 2 500 Euro
die höchsten nicht beglichenen Telefon-
rechnungen auf. Die Altersgruppe der
über 70-Jährigen weist die höchsten
durchschnittlichen Mietrückstände mit
über 5 000 Euro auf. Schulden aus Unter-
nur 6 % haben, machen sie 14 % der bera- sich vermutlich bedingen. Auf der ande- haltsverpf lichtungen haben vor allem
tenen Überschuldeten aus. Bei allein le- ren Seite suchen Paare ohne Kind mit Männer: Allein lebende Männer sind da-
benden Männern zeigt sich mit einem ­einem Anteil an den Ratsuchenden von bei durchschnittlich mit rund 9 000 Euro
Bevölkerungsanteil von 18 % und einem gerade einmal 13 % nur sehr selten die verschuldet.
Anteil bei den Überschuldeten von 30 % Hilfe einer Schuldnerberatung, verglichen
ein ähnliches Bild. Zusammen mit der mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölke-
Tatsache, dass jeder zehnte überschuldete rung von 28 %.
allein lebende Mann Schulden aus Unter- Die Schulden aller Personen in Bera-
haltsverpflichtungen hat, lässt sich schlie- tung beliefen sich durchschnittlich auf
ßen, dass diese beiden Personengruppen gut 30 200 Euro. Besonders hoch waren

216
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

6.2 Ein kurzer Blick in die Presse genügt, um


zu erahnen, welche Bedeutung das Thema
Die amtliche Statistik bietet Informa-
tionen zu den Kernaspekten des Woh-
Wohnen »Wohnen« gegenwärtig in Deutschland nens in verschiedenen Erhebungen an. In
hat. Nachrichten über Mietpreise und diesem Kapitel soll ein möglichst umfas-
Wohnungsverfügbarkeiten in Großstäd- sendes und aktuelles Bild dieses Lebens-
Daniel Zimmermann
ten haben die öffentliche Diskussion der und Wirtschaftsbereiches entstehen.
letzten Jahre ebenso angeregt wie der An- Im Kapitel wird nach ost- und west-
Statistisches Bundesamt stieg der Immobilienpreise. deutschen Flächenländern und Stadt-
(Destatis) Von den Entwicklungen im Bereich staaten differenziert und damit der Tat-
des Wohnungsmarktes hängt die wahrge- sache Rechnung getragen, dass diese
nommene Lebensqualität vieler Menschen ­Gebiete beim Thema Wohnen verschiede-
ab, da ein »Dach über dem Kopf« ein ne Strukturen aufweisen. So ist in den
menschliches Grundbedürfnis darstellt. Stadtstaaten – insbesondere in Berlin –
Neben der Bedeutung für den Einzelnen beispielsweise von einem stärkeren Be-
und der damit verbundenen Rolle für völkerungszuwachs und einer anderen
die Gesellschaft ist Wohnen auch für die Wohnraumstruktur mit vielen kleinen
Gesamtwirtschaft relevant, da viele Wirt- Haushalten auszugehen als in stärker
schaftszweige an der Entwicklung des ländlich geprägten Flächenländern.
Wohnungsmarktes mitwirken. Auch die
öffentliche Hand ist in diesem Bereich ak- 6.2.1 Struktur des Gebäude-
tiv, sei es durch den Bau von Wohnungen und Wohnungsbestandes
oder in Form von Zuschüssen zu den Um die gegenwärtige Wohnungsmarktsi-
Wohnkosten durch Transferleistungen wie tuation beurteilen sowie künftige Ent-
Wohngeld (siehe Kapitel 8.3, Seite 321). wicklungen abschätzen zu können, bedarf

u Info 1
Ausgewählte Datenquellen
Die bedeutendste Erhebung zum Thema Wohnen ist die Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ).
Diese Totalzählung findet in der Regel im Zuge eines Zensus statt und erlaubt Analysen zum
­Gebäude- und Wohnungsbestand in tiefster fachlicher wie regionaler Gliederung. Die nächste GWZ
wird im Zuge des Zensus 2021 durchgeführt. Die Ergebnisse der letzten GWZ wurden im Kapitel 9
des Datenreports 2016 ausführlich dargestellt.

Zwischen den Gebäude- und Wohnungszählungen wird die Struktur des Gebäude- und Wohnungs-
bestands mittels der Bautätigkeitsstatistiken ermittelt. Auf Basis des Ergebnisses der GWZ
wird der Bestand an Gebäuden beziehungsweise Wohnungen des Vorjahres durch Fertigstellung
neuer Gebäude und darin enthaltener Wohnungen, durch Fertigstellung von Wohnungen in be­
stehenden Gebäuden oder sonstigen Zugängen von Wohnungen erhöht. Sonstige Zugänge liegen
beispielsweise vor, wenn gewerblich genutzte Flächen eine Nutzungsänderung hin zur »wohn­
lichen« Nutzung erfahren. Der Bestand wird gemindert durch Abgänge von Gebäuden und Woh-
nungen ­infolge von Abbruch, Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder sonstigen
­A bgängen. Der Saldo dieses Rechenwerks ergibt das fortgeschriebene Ergebnis zum Gebäude-
und Wohnungsbestand.

Eine weitere wichtige Datenquelle ist der Mikrozensus, eine Haushaltserhebung, bei der jährlich
etwa 1 % der Haushalte befragt werden. Im Jahr 1980 wurde dabei erstmals eine Zusatzerhebung
zum Thema »Mietbelastung und Unterbringung der Haushalte« durchgeführt. Nach zunächst
un­regelmäßigen Abständen wird seit 1998 alle vier Jahre eine Zusatzerhebung zum Thema »Wohnen«
durchgeführt. Dies ermöglicht, Angaben über die Wohnsituation mit ­soziodemografischen und
ökonomischen Merkmalen der Haushalte zu verknüpfen und aufgrund der Größe der Stich­probe in
tiefer fachlicher und regionaler Differenzierung auszuwerten.

Haushaltserhebungen wie der Mikrozensus ermöglichen Struktur und Bevölkerung zusammen­


zubringen, also festzustellen, welche Leute in welchen Wohnungen zu welchen Konditionen leben.
In diesem Kapitel sind Eigentümerhaushalte solche Haushalte, die angeben, Eigentümer der Woh-
nung zu sein, in der sie zum Befragungszeitpunkt gelebt haben.

217
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

es möglichst aktueller und umfassender Da es zu aufwendig ist, jedes Jahr eine schen Flächenländern nur geringfügig
Informationen über die Struktur des Ge- Gebäude- und Wohnungszählung durch- veränderte. u Tab 1
bäude- und Wohnraumbestandes. Die zuführen, wird zwischen solchen Total- Wie in der GWZ 2011 festgestellt, gilt
Ergebnisse einer vollständigen Gebäude- zählungen auf das Mittel der Wohnungs- weiterhin: Deutschland ist ein Land der
und Wohnungszählung (GWZ) lagen mit fortschreibung zurückgegriffen. Die Er- Ein- und Zweifamilienhäuser. Ende 2016
dem Zensus 2011 zum Zeitpunkt des Da- gebnisse der Bautätigkeitsstatistiken hatten 83 % der Wohngebäude nur eine
tenreports 2016 vor und wurden dort aus- ermöglichen es im Folgenden, die Ent- oder zwei Wohnungen, wobei es zwi-
führlich beschrieben. u Info 1 wicklungen des Wohngebäude-, Wohn- schen den ostdeutschen Flächenländern
f lächen- und Wohnungsbestandes in (82 %) und den westdeutschen Flächen-
Wohngebäuden im Zeitverlauf zu analy- ländern (84 %) nur geringe Unterschiede
sieren. u Info 2 gab. Selbst in den Stadtstaaten waren es
mit 65 % noch mehr als die Hälfte der
Bestand an Wohngebäuden Wohngebäude. Mehr als 50 % der Wohn-
Zum Jahresende 2016 gab es in Deutsch- gebäude in den westdeutschen Flächen-
land 18,8 Millionen Wohngebäude und ländern wurden zwischen 1949 und 1990
u Info 2
damit rund eine halbe Million mehr als errichtet. In den ostdeutschen Flächen-
Wohn- und Nichtwohngebäude
sowie Wohnheime am 31. Dezember 2011. ländern hingegen stammten nur 26 % des
Die prozentual größten Zuwächse Wohngebäudebestandes aus dieser Zeit,
Ein Gebäude wird dann als Wohngebäu-
de bezeichnet, wenn mindestens 50 % sind bei den Wohngebäuden mit einer fast 50 % der noch bewohnten Gebäude
der ­Fläche zu Wohnzwecken verwendet Wohnung zu beobachten, bei denen es waren älter und vor 1949 gebaut worden.
werden. Um die Gesamtheit aller Woh- sich im Regelfall um Einfamilienhäuser Hinsichtlich der Renovierungsbedürftig-
nungen zu b ­ etrachten, müssen diese
­s owohl in Wohn- und Nichtwohngebäu- handelt. Deren Bestand stieg prozentual keit und der Klimarelevanz des Wohnens
den analysiert werden. Im Jahr 2016 stärker an als der Bestand an Wohnge- bleibt dies bedeutsam.
­lagen 96 % der Wohnungen in Wohnge-
bäuden mit mehr als einer Wohnung,
bäuden (ohne Wohnheime). Das Kapitel
zum Wohnen fokussiert daher die Ent- unabhängig von der betrachteten Region. Wohnflächenentwicklung
wicklung in Wohngebäuden, da dies die Besonders bemerkenswerte regionale Die Wohnflächen zeigen die Entwicklung
Regelform des Wohnens darstellt.
Unterschiede sind bei der Entwicklung der durchschnittlichen Wohnungsgrößen
Wohnheime bezieht diese Darstellung von Wohngebäuden mit drei und mehr sowie der Wohnf läche pro Person auf
nicht ein, da diese sich in der Regel
grundlegend von anderen Wohngebäu-
Wohnungen zu beobachten. In den west- ­Basis einer einfachen Maßzahl. Im Beob-
den unterscheiden. Die Zahl der Wohn- deutschen Flächenländern gab es bei achtungszeitraum 2011 bis 2016 korres-
heime ist in den letzten beiden Jahren ­d ieser Wohngebäudeform von 2011 bis pondiert der Zuwachs von einer halben
zwar gestiegen, sie machen zurzeit
­dennoch lediglich 1 % des Wohnungs­ 2016 einen deutlichen Zuwachs, wohin- Million Wohngebäuden mit einer Zunah-
bestandes aus. gegen sich der Bestand in den ostdeut- me der verfügbaren Wohnfläche um etwa

u Tab 1 Wohngebäude nach Gebäudegrößen

Deutschland Flächenländer West Flächenländer Ost Stadtstaaten

Veränderung Veränderung Veränderung Veränderung


2011 2016 gegenüber 2011 2016 gegenüber 2011 2016 gegenüber 2011 2016 gegenüber
2011 2011 2011 2011

in 1 000 in % in 1 000 in % in 1 000 in % in 1 000 in %

Gebäude mit einer Wohnung 12 151 12 551 + 3,3 9 787 10 107 + 3,3 1 972 2 037 + 3,3 392 408 + 4,0

Gebäude mit zwei Wohnungen 3 051 3 106 + 1,8 2 606 2 655 + 1,9 395 400 + 1,2 50 51 + 1,9

Gebäude mit drei und


3 102 3 162 + 1,9 2 327 2 380 + 2,3 528 530 + 0,4 247 251 + 1,7
mehr Wohnungen

Insgesamt 18 303 18 819 + 2,8 14 720 15 142 + 2,9 2 895 2 967 + 2,5 689 710 + 3,0

Ohne Wohnheime.

218
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

119 Millionen Quadratmeter. Hierdurch u Info 3

erhöhte sich auch die Pro-Kopf-Wohn­ Wohnfläche pro Kopf und je Wohnung
f läche im Vergleich zu Ende 2011 um Die einfache Pro-Kopf-Wohnfläche ergibt sich aus einer Teilung der gesamten in Deutschland
rund 0,5 Quadratmeter. Zusätzlich stieg verfügbaren Wohnfläche laut Bautätigkeitsstatistiken durch die Gesamtbevölkerung zum
31. Dezember des Berichtsjahres. Bei der Interpretation dieser einfachen Zahl sollte berück­
auch die durchschnittliche Fläche je sichtigt werden, dass in die gesamte zur Verfügung stehende Wohnfläche auch Leerstände,
Wohnung in allen beobachteten Regio- Zweitwohnungen oder gegebenenfalls noch nicht fertiggestellte Bauten eingehen. Daher
nen an, was bedeutet, dass neu gebaute ist diese Zahl in der Regel höher als die bei den Haushaltserhebungen ermittelte Fläche. Bei
diesen Erhebungen wird anhand der zum Befragungszeitpunkt bewohnten Wohnungen mithilfe
Wohnungen insgesamt betrachtet ten- der hochgerechneten Quadratmeterwohnflächen und der Bevölkerungszahl dieselbe Maßzahl
denziell größer werden. berechnet. Bei dieser Berechnung verringert sich die Pro-Kopf-Wohnfläche um durchschnitt-
Bemerkenswert dabei ist die regionale lich etwa zwei Quadratmeter.

Differenzierung dieses Wachstums: In Die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung ergibt sich aus Division der Gesamtwohn­
fläche durch die Gesamtzahl der Wohnungen in Wohngebäuden für die ausgewählte Region.
den Flächenländern im Osten wuchs die
durchschnittliche Fläche je Wohnung um
fast einen Quadratmeter. Hierbei ist
­a llerdings das im Vergleich zu den west-
deutschen Flächenländern geringere u Tab 2 Wohnflächen in Wohngebäuden
Ausgangsniveau der Wohnfläche zu be-
Veränderung
rücksichtigen: Wohnungen in den ost- 2011 2016
gegenüber 2011
deutschen Flächenländern waren im
Deutschland
Durchschnitt insgesamt immer noch fast
17 Quadratmeter kleiner als im Westen. Wohnfläche in 1 000 m ² 3 558 130 3 677 883 + 119 753

Der Grund für die starke Zunahme der Fläche je Person in m ² 44,3 44,8 + 0,5
Fläche je Wohnung im Osten dürfte mit Fläche je Wohnung in m ² 91,6 92,3 + 0,7
der Struktur der neu gebauten Wohn­ Flächenländer West
flächen zusammenhängen. Wie oben ge-
Wohnfläche in 1 000 m ² 2 803 401 2 902 817 + 99 416
zeigt, wurden vor allem Ein- und Zwei­
Fläche je Person in m ² 45,2 45,6 + 0,4
familienhäuser gebaut. Diese weisen ten-
denziell eine größere Wohnf läche pro Fläche je Wohnung in m ² 96,2 96,9 + 0,3

Wohnung auf. Flächenländer Ost


Auch in den Stadtstaaten wuchs die Wohnfläche in 1 000 m ² 528 548 541 004 + 12 456
insgesamt verfügbare Wohnfläche. Die Fläche je Person in m ² 42,0 42,9 + 0,9
Fläche pro Person nahm hier allerdings
Fläche je Wohnung in m ² 79,1 80,0 + 0,9
um durchschnittlich 0,6 Quadratmeter
Stadtstaaten
ab, was die – verglichen mit den Flächen-
ländern – ohnehin schon geringe Pro- Wohnfläche in 1 000 m ² 226 184 234 066 + 7 882

Kopf-Wohnfläche weiter reduzierte. Eine Fläche je Person in m ² 39,7 39,1 – 0,6

wahrscheinliche Ursache ist die gestiege- Fläche je Wohnung in m ² 74,5 75,2 + 0,7
ne Bevölkerungszahl. u Info 3, Tab 2
Ohne Wohnheime.

Bestand an Wohnungen
Wohngebäude und Wohnf lächen sind
Grundelemente zur Beobachtung der
strukturellen Entwicklung des Wohnungs- u Info 4

marktes. Kerneinheit zur Betrachtung der Wohnung


Wohnstruktur ist aber die Wohnung. u Info 4 Wohnungen sind nach außen abschließbare, zu Wohnzwecken in der Regel zusammen­
Im Vergleich zu 2011 wuchs die Ge- hängende Räume, die das Führen eines eigenen Haushalts ermöglichen. Wohnungen liegen in
Wohn- oder Nichtwohngebäuden und teilen Gesamtwohnflächen auf. Besteht ein Gebäude
samtzahl der Wohnungen in Wohngebäu- aus einer Wohnung, wird im allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel von einem Einfamilien-
den um 1 Million auf insgesamt 39,8 Mil- haus gesprochen – die Wohnung nimmt also das gesamte Gebäude und die gesamte
lionen zum Jahresende 2016. Den größten ­Wohnfläche ein. In Gebäuden mit mehreren Wohnungen teilt sich die Wohnfläche auf diese
Wohnungen auf.
Zuwachs verbuchten die westdeutschen
Flächenländer, wo es nach Abzug des
Wohnungsabgangs im Jahr 2016 in der

219
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

u Tab 3 Wohnungen nach Gebäudegrößen

Deutschland Flächenländer West Flächenländer Ost Stadtstaaten

Veränderung Veränderung Veränderung Veränderung


2011 2016 gegenüber 2011 2016 gegenüber 2011 2016 gegenüber 2011 2016 gegenüber
2011 2011 2011 2011
in 1 000 in % in 1 000 in % in 1 000 in % in 1 000 in %
Gebäude mit einer Wohnung 12 151 12 551 + 3,3 9 787 10 107 + 3,3 1 972 2 037 + 3,3 392 408 + 4,0

Gebäude mit zwei Wohnungen 6 102 6 211 + 1,8 5 212 5 310 + 1,9 790 800 + 1,2 99 101 + 1,9

Gebäude mit drei und


20 596 21 086 + 2,4 14 133 14 554 + 3,0 3 918 3 927 + 0,2 2 544 2 605 + 2,4
mehr Wohnungen

Insgesamt 38 849 39 849 + 2,6 29 133 29 970 + 2,9 6 680 6 764 + 1,3 3 036 3 114 + 2,6

u Abb 1 Baufertigstellungen von Wohnungen — in Tausend


Differenz 837 000 Wohnungen mehr gab
600
als im Jahr 2011. Das entspricht einem
Zuwachs von 2,9 %, während die Anzahl
der Wohnungen in den Flächenländern
500
im Osten lediglich um 1,3 % und in den
Stadtstaaten – wie im Bundesdurch-
400
schnitt – um 2,6 % gewachsen ist. Mehr
als 53 % des deutschen Wohnungsbestan-
300 des befinden sich in Gebäuden mit drei
oder mehr Wohnungen. Das liegt ins­
200 besondere an den hohen Anteilen von
Wohnungen in Mehrfamilienhäusern in
100 den ostdeutschen Flächenländern (58 %)
und den Stadtstaaten (84 %). u Tab 3
0
1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017
Versorgung der Bevölkerung
mit Wohnraum
Zwischen 2011 und 2016 gab es hinsicht-
lich der Wohnungsnachfrage positive
Entwick lungen: Es entstanden mehr
u Abb 2 Wohnungsversorgung — Anzahl der verfügbaren Wohnungen
Wohngebäude, mehr Wohnungen und
je 100 Haushalte
mehr Wohnfläche. Gleichzeitig lässt sich
eine verstärkte Zunahme von Kleinst-
105
103 103
wohnungen (1 Raum) und Großwohnun-
gen (6 oder mehr Räume) beobachten.
100
Zur Beantwortung der Frage, ob diese
98
97 97 Beobachtungen eine besonders starke
96
95 Bautätigkeit bedeuten, ist die Entwick-
95 94
lung über einen längeren Zeitraum zu be-
trachten.
90 Die Anzahl der jährlich fertiggestell-
ten Wohnungen ist von 1997 bis 2009
0 deutlich sichtbar gesunken. Als Grund
Deutschland Flächenländer Flächenländer Stadtstaaten für diese Entwicklung nannte das Bun-
West Ost
desinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfor-
2016 2011
schung in seinem 2016er-Bericht zu den
Wohn- und Immobilienmärkten vor al-

220
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

lem die Annahme, dass die Bevölkerung u Tab 4 Anteil unbewohnter Wohnungen nach dem Mikrozensus

in Deutschland sich mittelfristig ver­ und Leerstand nach der Gebäude- und Wohnungszählung — in Prozent
ringern würde. Ihren Tiefpunkt erreich-
Gebäude-
ten die Baufertigstellungen dann mit Mikrozensus Mikrozensus
und Wohnungs­
2010 2014
zählung 2011
der ­Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
2008/2009. Seitdem ist allerdings ein ste- Deutschland 8,6 4,4 8,0
tiges Wachstum an Baufertigstellungen
Flächenländer West 7,9 3,8 7,2
zu verzeichnen. Im Jahr 2016 lag die Zahl
Flächenländer Ost 12,6 8,0 12,3
der Baufertigstellungen von Wohnungen
wieder auf dem Niveau von 2004. u Abb 1 Stadtstaaten 6,6 2,9 6,3
Um die Versorgung der Bevölkerung
mit Wohnraum zu beurteilen, kann die
Anzahl der verfügbaren Wohnungen in
Wohngebäuden je 100 Haushalte als Indi-
kator herangezogen werden. Dieses Ver-
hältnis blieb über den Zeitraum 2011 bis den Eigentümerinnen und Eigentümern den Wohnungen möglicherweise nicht
2016 relativ stabil auf hohem Niveau, beziehungsweise Verwaltungen einge- modernen Ansprüchen genügt. Dies kor-
schwankte aber in der regionalen Be- holt. Wohnungen, die beispielsweise we- respondiert mit dem bereits erwähnten
trachtung stark. u Abb 2 gen Umbau oder Modernisierung zum Befund, dass der Bestand an Wohngebäu-
Aus den Zahlen lässt sich nicht gene- Stichtag nicht bewohnt, aber weiter ver- den in den ostdeutschen Flächenländern
rell auf einen Wohnungsmangel schlie- mietet sind, gelten hier nicht als leer ste- oft sehr viel älter ist als in den westdeut-
ßen, da sich beispielsweise mehrere Haus- hend. Wohnungen gelten nur dann als schen Flächenländern.
halte eine Wohnung teilen können und leer stehend, wenn dies explizit vom Ei- In den westdeutschen Flächenländern
Wohnheime aus der Betrachtung heraus- gentümer angegeben wurde. In der Zu- und den Stadtstaaten ist hingegen eine
gelassen werden. Wohnungsmangel tritt satzerhebung des Mikrozensus dagegen Verringerung beim Leerstand bei gleich-
also vor allem dann auf, wenn Wohnun- werden alle Wohnungen gezählt, die zeitig konstanter Bautätigkeit zu beob-
gen nicht dort verfügbar sind, wo sie ge- zum Zeitpunkt der Erhebungsdurchfüh- achten – vermutlich bedingt durch die
braucht werden, beziehungsweise nicht da rung nicht bewohnt sind (also auch kurz- starke Nachfrage nach Wohnraum.
gesucht werden, wo sie vorhanden sind. fristig wegen Umzugs und so weiter),
aber gegebenenfalls zu diesem Zeitpunkt Eigentümer und Mieter
Leerstand vermietet sind. Durch diese methodi- Neben dem Blick auf die Infrastruktur
Beim Beobachten des Wohnungsmarktes schen Unterschiede ergeben sich abwei- sind für eine Betrachtung des Themas
richtet sich der Fokus neben der Neubau- chende Leerstandskonzepte, die nicht »Wohnen in Deutschland« die Eigen-
tätigkeit auch auf die Nutzung des ver- miteinander vergleichbar sind. u Tab 4 tumsverhältnisse des Gebäude- und Woh-
fügbaren Wohnraums. Wird dieser nicht Unabhängig von der methodischen nungsbestandes wichtig, da für viele
vollständig genutzt, so ist die Rede von Abgrenzung ist aber sichtbar, dass der Menschen das Ziel, einmal »in den eige-
Leerstand. Hierbei ist zu beachten, dass Leerstand in den ostdeutschen Flächen- nen vier Wänden« zu leben, einen hohen
der Leerstand für einen funktionalen ländern höher ausfällt als in den west- Stellenwert hat.
Wohnungsmarkt nicht bei 0 % liegen soll- deutschen Flächenländern. Dennoch In Deutschland werden lediglich etwa
te, sondern immer eine sogenannte Leer- wird im Osten Deutschlands auch weiter 45 % der Wohnungen von Eigentümern
standsreserve benötigt wird. gebaut. Es existiert zwar eine Nachfrage, bewohnt, was Deutschland eher zu einem
Bei den amtlichen Zahlen zum The- diese richtet sich aber scheinbar nicht auf Land der Mieterinnen und Mieter macht.
ma Leerstand aus der Gebäude- und die bereits leer stehenden/unbewohnten Es gibt allerdings beträchtliche regionale
Wohnungszählung (GWZ) 2011 und dem Wohnungen. Hinsichtlich der neu gebau- Unterschiede bei dieser Kennzahl, denn
Mikrozensus unterscheidet sich die Defi- ten Wohngebäude betrifft diese Nach­ das Verhältnis beträgt in den westdeut-
nition des Begriffs Leerstand in den bei- frage offenbar Einfamilienhäuser, wo­ schen Flächenländern beinahe 50 zu 50,
den Erhebungen. Nach der GWZ 2011 hingegen die Nachfrage nach Mehrfami- wohingegen in den Stadtstaaten 81 % der
ergab sich eine Leerstandsquote von liengebäuden stagniert oder abnimmt. Wohnungen vermietet sind. Auch in den
4,4 %, beim Mikrozensus von 8,6 % Außerdem ist die durchschnittliche ostdeutschen Flächenländern sind deut-
(2010) beziehungsweise 8,0 % (2014). Die Wohnfläche in den Bestandswohnungen lich mehr Wohnungen vermietet (60 %) als
Infor­mationen über die Leerstände wur- hier vergleichsweise geringer als im Wes- in den westdeutschen Flächenländern.
den bei der GWZ zu einem Stichtag von ten, sodass auch die Größe der bestehen- Dies ist vermutlich historisch bedingt, da

221
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

Wohneigentum in der ehemaligen DDR Drei Fünftel der Eigentümerwohnun- Nachfrage und Angebot über den Preis
eher unüblich war. u Tab 5 gen, also vom Eigentümer beziehungs- zusammengebracht. Bei einem so alltags-
Von Eigentümern bewohnte Wohnun- weise der Eigentümerin bewohnte Woh- relevanten Gut wie dem Wohnen sind der
gen (hierunter fallen auch Einfamilienhäu- nungen, befinden sich in Gebäuden mit Preis und dessen Entwicklung für Politik
ser) unterscheiden sich auch strukturell nur einer Wohnung, ein Fünftel in Ge- und Gesellschaft sehr wichtig. Die amt­
von gemieteten Wohnungen. In selbst ge- bäuden mit zwei Wohnungen und nur liche Statistik liefert hierzu wesentliche
nutztem Eigentum wohnen in der Regel ein Fünftel in Gebäuden mit drei oder Informationen in unterschiedlichen Sta-
mehr Personen je Wohnung als in gemiete- mehr Wohnungen. Exakt umgekehrt ist tistiken.
ten Wohneinheiten. Trotz der höheren Be- die Situation bei den Mietwohnungen:
legungsdichte steht den Bewohnerinnen Nur ein Fünftel der Wohnungen befindet Eigentümerkosten
und Bewohnern von Wohneigentum sich in Gebäuden mit nur ein oder zwei Eigentümerinnen und Eigentümer, die
durchschnittlich mehr Fläche je Person zur Wohnungen, wohingegen sich hier vier ihre Immobilie selbst nutzen, zahlen
Verfügung, unabhängig davon, wie viele Fünftel in Gebäuden mit drei oder mehr zwar keine Miete, haben aber Kosten, die
Wohnungen das Gebäude beinhaltet. Deut- Wohnungen befinden. sich aus Anschaffung und Besitz der Im-
lich wird dieser Unterschied besonders, mobilie ergeben. Die beim Bauen oder
wenn gemietete und eigentümerbewohnte 6.2.2 Preise und Wohnkosten Kaufen von selbst genutzten Wohnimmo-
Einfamilienhäuser verglichen werden: Beim Wohnen stellt der Blick auf die bilien anfallenden Kosten unterliegen der
Zwar leben im Schnitt ähnlich viele Perso- Struktur des Wohnungsbestandes die Wirtschaftslage, sind abhängig von poli-
nen je Wohneinheit, jedoch verfügen die Angebotsseite dar. Die Nachfrageseite tischen Maßnahmen sowie der Entwick-
Personen in gemietetem Wohnraum durch- bilden die Kauf- oder Mietinteressierten. lung von Material- beziehungsweise Ar-
schnittlich über weniger Fläche. u Tab 6 Stark vereinfacht ausgedrückt werden beitskosten. u Info 5
Die Preise für neu erstellte wie auch
bestehende Wohnimmobilien stiegen in
den vergangenen Jahren beinahe konti-
nuierlich an. So verzeichnete der Häuser-
u Tab 5 Nutzungsart bewohnter Wohnungen 2014 preisindex insgesamt im Zeitraum von
2010 bis 2017 einen Preisanstieg um 32 %,
Vom Eigentümer bewohnt Vermietet
wobei in diesem Zeitraum der Preis für
in 1 000 in % in 1 000 in % bestehende Immobilien stärker stieg als
Deutschland 16 413 45,5 19 695 54,5 der für neue Wohnimmobilien. u Abb 3
Flächenländer West 13 488 49,3 13 862 50,7 Auch für den Erwerb von Wohneigen-
tum insgesamt sind durchgängig Preisan-
Flächenländer Ost 2 367 40,2 3 518 59,8
stiege von 2010 bis 2017 zu beobachten.
Stadtstaaten 558 19,4 2 316 80,6
Dies ergibt sich unter anderem aus dem

u Tab 6 Wohnungen nach Gebäudegröße, Fläche je Person und Personen je Wohnung 2014

Eigentümerwohnungen Mietwohnungen

Fläche Fläche Fläche Fläche


Personen Personen
Anteil in % je Person je Wohnung Anteil in % je Person je Wohnung
je Wohnung je Wohnung
in m ² in m ² in m ² in m ²

Anzahl der Wohnungen im Gebäude

1 61,1 51,8 2,6 132,1 7,4 41,6 2,5 105,3

2 19,1 50,6 2,2 112,4 12,8 43,7 1,8 81,5

3–6 11,8 45,7 2,0 91,2 35,8 38,1 1,8 69,7

7 –12 6,7 42,5 1,9 80,2 36,5 36,0 1,8 64,4

13 – 20 0,6 43,6 1,8 78,3 3,0 36,5 1,6 59,3

21 und mehr 0,8 41,6 1,8 73,0 4,5 34,4 1,5 51,4

Insgesamt 100 50,4 2,4 119,4 100 38,3 1,8 70,7

222
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Info 5 u Abb 3 Häuserpreisindex — 2015 = 100


Indizes zu Bau- und
Immobilienpreisen
Mithilfe eines Index kann die Entwicklung
von Preisen für festgelegte Güter oder
Dienstleistungen beobachtet werden. 110
Die Preisentwicklung des Neubaus kon-
ventionell gefertigter Wohnge­bäude,
der Instandhaltung von Wohngebäuden
und der Errichtung von Außenanlagen
für Wohngebäude wird über die Bau-
100
preisindizes abgebildet. Der sogenannte
Warenkorb für diese Indizes setzt sich
aus ausgewählten Bauleistungen zusam-
men, die für den Bau eines Standard-
hauses verwendet werden.
90
Der Häuserpreisindex misst die durch-
schnittliche Preisentwicklung aller
­t ypischen Markttransaktionen für Wohn­
immobilien (Eigentumswohnungen
sowie Ein-/Zweifamilienhäuser), die als
»Gesamtpaket« aus Grundstück und 80
­G ebäude verkauft beziehungsweise 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
­e rworben werden. Dazu zählt sowohl
der Erwerb von neu erstellten als auch Häuserpreisindex neu erstellte Wohnimmobilien bestehende Wohnimmobilien
der Erwerb von bestehenden Wohn­
immobilien, unabhängig vom Veräußerer
und vom Verwendungszweck.

Die Preisindizes für selbst genutztes


Wohneigentum messen die durch-
schnittliche Preisentwicklung für neue,
selbst genutzte Wohngebäude und
Wohnungen sowie die Ausgaben, die
mit dem Erwerb oder Besitz von Wohn-
eigentum entstehen. Der Erwerb von
Wohneigentum umfasst den Kauf und
die Erwerbsnebenkosten (zum Beispiel
Makler, Grunderwerbssteuer). Der ­
Besitz von Wohneigentum beinhaltet
­Instandhaltungen, Versicherungen und
Hausverwaltung.

Gegenstand der Statistik der Kauf­


werte für Bauland sind alle Kauffälle
von Bauland von 100 Quadratmetern
und mehr. Diese werden von den Finanz-
ämtern und Gutachterausschüssen
­direkt eingeholt. Baulandpreise schwan-
ken je nach Art des Baulands, Baureife
und Ort sehr stark. Außerdem kann
es große Unterschiede darin geben,
­welche Qualität das in einem gegebenen
Zeitraum gekaufte Bauland hat, sodass
sich nicht tatsächlich die Baulandpreise
­geändert haben, sondern lediglich
­Bauland bestimmter Art verkauft wurde.
Die tatsächliche Entwicklung der Kauf-
werte lässt sich daher erst in längeren
Zeitreihen gut einschätzen. Der Preis­
index für Bauland stützt sich auf aggre-
gierte Daten der Statistik der Kaufwerte
für Bauland. Er ist robuster gegenüber
den genannten Strukturveränderungen.

223
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

u Abb 4 Preisindizes für selbstgenutztes Wohneigentum — 2015 = 100 fem Land werden Grundstücke verstan-
den, die rechtlich zum Bau nutzbar und
110
von den Gemeinden für den Bau vorgese-
hen sind und in der Regel Zugang zu aus-
gebauten Straßen bieten. Im Vergleich zu
den Häuser- und Baupreisen stiegen die
100
Baulandpreise zwischen 2007 und dem
vorläufigen Wert für 2017 mit 54 % am
kräftigsten an. u Abb 6
90

Mietkosten
Wie im vorhergehenden Abschnitt bereits
80
gezeigt, stellt die Gruppe der Mieterin-
nen und Mieter die anteilsmäßig größere
Gruppe auf dem deutschen Wohnungs-
70
markt dar. Gerade im städtischen Bereich
ist das Wohnen zur Miete deutlich weiter
verbreitet als der Kauf von Wohneigen-
60
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
tum. Mieten haben außerdem einen rela-
tiv hohen Anteil an den Ausgaben der
Preisindex für selbst 9 Nebenkosten beim
genutztes Wohneigentum Erwerb von Wohneigentum privaten Haushalte. Daraus folgt ein
­g roßes Interesse der Öffentlichkeit, der
Medien und der Politik an der Höhe und
Entwicklung der Mietkosten.
Wie die Mikrozensus-Zusatzerhebung
2014 zeigt, lag die durchschnittliche Brutto-
zugrunde liegenden Verlauf des Häuser- Während sich durch die Indizes zu kaltmiete in Deutschland bei 6,70 Euro
preisindex und der Baupreisindizes. Der selbst genutztem Wohneigentum und den je Quadratmeter. Für Wohnungen unter
stärkste Anstieg bei den Teilindizes war Häuserpreisindex die Preisänderungen für 40 Quadratmetern sind die höchsten qua-
mit + 50 % jedoch bei den Erwerbsneben- Erwerb und Besitz von Wohngebäuden be- dratmeterbezogenen Bruttokaltmieten zu
kosten zu beobachten, da sich die darin trachten lassen, geben die Baupreisindizes beobachten, und zwar unabhängig von
enthaltene Grunderwerbsteuer in 13 von auch die Entwicklung der Kosten für den der betrachteten Region. Mit steigender
16 Bundesländern von 3,5 % auf bis zu Bau von Wohngebäuden an. Es zeigt sich, Wohnungsgröße sinken die Quadratme-
6,5 % erhöhte. Zudem stiegen die Auf- dass die Preise relativ kontinuierlich an- terpreise in der Regel ab. u Info 6, Abb 7
wendungen für die weiteren erfassten stiegen. Die Preise für Ausbauarbeiten Im regionalen Vergleich heben sich
Kaufnebenkosten: Maklergebühren so- stiegen dabei etwas schneller als für Roh- die deutlich höheren Mietdurchschnitte
wie Grundbuch- und Notarkosten. u Abb 4 bauarbeiten. Dies liegt unter anderem da- über alle Wohnungsgrößen in den Stadt-
Nach dem Erwerb von Wohneigen- ran, dass Ausbauarbeiten arbeitsintensiver staaten von den Mieten in den Flächen-
tum entstehen weitere Kosten für Eigen- sind als Rohbauarbeiten und es weniger ländern ab. Im Vergleich zum Durch-
tümerinnen und Eigentümer. Die Kosten Potenzial zur Automatisierung und Opti- schnitt in den ostdeutschen Flächen­
für den Besitz setzen sich dabei aus mierung der Arbeit gibt. Zwischen 2007 ländern werden in den Stadtstaaten
­Kosten für Instandhaltung, Versicherung und 2017 ist der Preis für den Neubau von knapp 2 Euro mehr Bruttokaltmiete für
und Hausverwaltung zusammen. Der Be- Wohngebäuden um 22 % gestiegen und den Quadratmeter bezahlt. Neben dem
sitz von Wohneigentum verzeichnete im damit weniger stark als die Indizes für höheren Durchschnitt fällt ebenfalls
Zeitraum 2010 bis 2017 Preissteigerungen, den Kauf bestehender oder neu erstellter auf, dass das beobachtbare Preisgefälle
vor allem aufgrund der Kostenzunahme Wohnimmobilien. u Abb 5 zwischen den Wohnungsgrößen in den
bei Instandhaltungen und durch den An- Wer ein Haus bauen möchte, für den Stadtstaaten weniger stark ausgeprägt ist
stieg der Versicherungskosten für Wohn- ist auch der Preis für das Grundstück re- als in den Flächenstaaten. Bemerkens-
gebäude. Für Instandhaltung haben sich levant. Abbildung 6 zeigt den Preisindex wert ist zudem, dass die Quadratmeter-
die Preise von 2010 bis 2017 um 21 % er- von baureifem Land mit mindestens mieten für Wohnungen unter 40 Quad-
höht, für Versicherungen betrug der 100 Quadratmetern, das in den Baugebie- ratmetern in Westdeutschland gleich
Preisanstieg in diesem Zeitraum 19 %. ten der Gemeinden liegt. Unter baurei- hoch sind wie in den Stadtstaaten.

224
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Abb 5 Preisindizes für den Neubau von Wohngebäuden — 2010 = 100 u Info 6
Bruttokaltmiete
Zum Vergleich der Mieten wird in der
­Regel die Bruttokaltmiete genutzt. Die
120
Bruttokaltmiete setzt sich aus der Netto-
kaltmiete und den sogenannten kalten
Nebenkosten (auch Betriebskosten)
­zusammen. Die Nettokaltmiete (häufig
115
auch Nettomiete, Grundmiete) be­
zeichnet den monatlichen Betrag, der
mit der Vermieterin beziehungsweise
dem Vermieter als Entgelt für die Über-
110 lassung der ganzen Wohnung vereinbart
wurde. Die kalten Nebenkosten sind
die monatlich auf die Mieterinnen und
Mieter umgelegten Betriebskosten
105 der Wohnung, also alle anfallenden
­Kosten abzüglich von Heizung und
Warmwasser (beispielsweise Wasser­
anschluss, Abfall- und Abwasserent­
100 sorgung). Werden die warmen Neben-
kosten ­(verbrauchsabhängige Kosten
wie Heizungskosten und Warmwasser-
versorgung) dazuaddiert, ergibt sich
die Bruttowarmmiete. Da aber die
95
­warmen Nebenkosten stark vom indivi-
duellen Konsum und den verwendeten
Energiearten und -quellen a ­ bhängen,
90 eignet sich die Bruttokaltmiete eher
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
für einen aussagekräftigen Vergleich der
Mietkosten – auch weil die kalten
insgesamt 9 Rohbauarbeiten 9 Ausbauarbeiten ­Nebenkosten im Regelfall ­a nteilig nach
Flächengröße der Wohnung auf die
­Mieter umgelegt werden.

u Abb 6 Preisindex für baureifes Bauland — 2010 = 100

160

150

140

130

120

110

100

90
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

2015 bis 2017 vorläufige Ergebnisse.

225
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

uAbb 7 Durchschnittliche Bruttokaltmiete nach Fläche der Wohnung 2014 Spätestens seit Einführung der soge-
— in Euro je Quadratmeter nannten Mietpreisbremse richtet sich die
öffentliche und mediale Aufmerksamkeit
besonders auf die Entwicklung der Miet-
preise. Die amtliche Statistik weist die
Deutschland Stadtstaaten
Mietpreisentwicklung im Verbraucher-
9 preisindex als Teilindex aus. Bei der In-
terpretation dieses Index ist allerdings
8
zu berücksichtigen, dass neben der Ent-
wicklung der tatsächlichen Mieten der
angenommene Mietwert von selbst be-
7 wohnten Eigentumswohnungen in die
Berechnung eingeht.
6 Die Nettokaltmieten sind in den ver-
gangenen beiden Jahrzehnten relativ kon-
tinuierlich gestiegen, um durchschnittlich
5
1,2 % pro Jahr. Den kräftigsten Anstieg
seit vielen Jahren verzeichneten die Miet-
4 preise im Jahr 2017 mit + 1,6 % im Vorjah-
resvergleich.
Auch hier gibt es große regionale Un-
0
<40 40 – 60 – 80 – 100 – 120 – >150 <40 40 – 60 – 80 – 100 – 120 – >150 terschiede. In Sachsen-Anhalt und Thü-
60 80 100 120 150 60 80 100 120 150 ringen erhöhten sich die Nettokaltmie-
Wohnfläche von … bis unter … m² ten im Jahr 2017 lediglich um 0,8 % und
0,9 % im Vergleich zum Vorjahr. Hier wa-
ren auch in den Jahren davor vergleichs-
weise geringe Mietpreissteigerungen zu
verzeichnen. In Mecklenburg-Vorpom-
Flächenländer West Flächenländer Ost mern stiegen die Nettokaltmieten um
9 2,4 %. Da sie in den vorherigen Jahren
aber kaum gestiegen waren, liegt die
durchschnittliche Steigerung bei Betrach-
8
tung längerer Zeiträume immer noch
unter dem bundesdeutschen Durch-
7 schnitt. Abgesehen von Mecklenburg-
Vorpommern waren die höchsten Miet-
preissteigerungen im Jahr 2017 in Hes-
6
sen (2,2 %), Bremen (2,0 %) und Berlin
(1,9 %) zu beobachten. Die Preissteige-
5 rungen scheinen dabei vor allem bei der
Neu- und Wiedervermietung von Woh-
4 nungen zu entstehen.
Ein Vergleich des Mikrozensus von
2010 und 2014 unterstützt den Befund des
0
<40 40 – 60 – 80 – 100 – 120 – >150 <40 40 – 60 – 80 – 100 – 120 – >150
Mietpreisindex über die Gesamtentwick-
60 80 100 120 150 60 80 100 120 150 lung der Mieten. Die bruttokalten Qua­
Wohnfläche von … bis unter … m² dratmeterpreise lagen 2014 bei allen Woh-
nungsgrößen durchschnittlich um
Preis je m² Durchschnitt 0,35 Euro höher als 2010. Regional be-
trachtet sind vor allem in den Stadtstaaten
höhere Quadratmeterpreise zu beobach-
ten: Diese stiegen im Vergleich zu 2010 in

226
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

den für urbanes Wohnen vor allem rele­ u Tab 7 Haushaltstypen nach Nutzungsart der Wohnung
vanten Wohnungsgrößenkategorien bis und Wohnflächen 2014
100 Quadratmeter um mindestens
Durchschnittliche
0,75 Euro je Quadratmeter. Dabei ist zu Eigentümer- Mieter­ Wohnfläche je …
haushalte haushalte
bedenken, dass die tatsächliche Belastung
Wohnung Person
der Mieterinnen und Mieter sich noch
in % in m ²
weiter erhöhte, da sich auch die für die
Deutschland 44 56 92,5 43,6
verbrauchsabhängigen Bestandteile der
Miete (warme Nebenkosten) aufgewende- Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren

ten Kosten deutschlandweit im Mittel um  Ehepaare 61 39 120,0 29,8

0,08 Euro je Quadratmeter erhöht haben.  Lebensgemeinschaften 32 68 101,1 28,0

 Alleinerziehende 20 80 85,8 32,0


6.2.3 Wohnverhältnisse Haushalte ohne Kind
Beim Thema Wohnen bestehen über die  Ehepaare, Lebensgemeinschaften 60 40 104,8 45,1
Angebots- und Kostenaspekte hinaus  Alleinstehende/-lebende ¹ 29 71 74,5 59,5
Verknüpfungen zu gesellschaftlichen Fra-
Flächenländer West 48 52 96,8 44,8
gen, die nur durch die Befragung der
Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren
Wohnenden selbst zu beantworten sind.
 Ehepaare 62 38 122,6 30,4
Ansatzweise wird dies bereits beim Blick
 Lebensgemeinschaften 33 67 105,6 29,1
auf die Eigentümerstruktur ersichtlich.
Zwar können hiermit Aussagen über die  Alleinerziehende 22 78 89,2 32,9

Verteilung von Wohneigentum gemacht Haushalte ohne Kind

werden, für eine tiefergehende Analyse  Ehepaare, Lebensgemeinschaften 63 37 109,3 46,6


ist es aber bedeutsam, wie sich Haushalte,  Alleinstehende/-lebende ¹ 33 67 77,8 62,0
die im Eigentum wohnen, typischerweise Flächenländer Ost 39 61 82,1 40,4
von solchen unterscheiden, die zur Miete Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren
wohnen.  Ehepaare 61 39 111,4 28,2

 Lebensgemeinschaften 36 64 97,1 27,0


Wohnverhältnisse von Haushalten
 Alleinerziehende 17 83 78,4 30,0
Die statistische Differenzierung der Be-
Haushalte ohne Kind
wohnerinnen und Bewohner von Woh-
 Ehepaare, Lebensgemeinschaften 55 45 92,0 40,5
nungen kann nach ganz unterschied­
lichen Gesichtspunkten erfolgen, beispiels-  Alleinstehende/-lebende ¹ 23 77 66,3 54,3

weise nach Einkommen, Bildungsstand Stadtstaaten 19 81 73,5 38,6

oder Erwerbsstatus. Im Hinblick auf die Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren
Wohnsituation von Familien und Kin-  Ehepaare 31 69 97,9 24,6
dern wird hier unterschieden zwischen  Lebensgemeinschaften 12 88 85,7 24,5
Ehepaaren, Lebensgemeinschaften und  Alleinerziehende 10 90 76,9 28,7
Alleinerziehenden mit (ledigen) Kindern Haushalte ohne Kind
unter 18 Jahren sowie Ehepaaren und
 Ehepaare, Lebensgemeinschaften 33 67 85,5 38,7
­L ebensgemeinschaften ohne Kind. Die
 Alleinstehende/-lebende ¹ 12 88 63,0 49,3
für die Verknüpfung von Struktur- und
Haushaltsmerkmalen maßgebliche Quelle 1 Da mehrere Alleinstehende/-lebende gleichzeitig in einer Wohnung wohnen können, ohne einen gemeinsamen Haushalt zu bilden,
entspricht die durchschnittliche Fläche pro Person nicht der durchschnittlichen Fläche der Wohnung.
ist – sofern nicht anders erwähnt – die
vierjährlich stattfindende Zusatzerhe-
bung »Wohnen« des Mikrozensus, die
zuletzt 2014 stattfand (siehe Mikrozen- 18 Jahren. Am stärksten ausgeprägt war Untergliederung. Überhaupt ähnelten
sus Info 1). die Eigentümerquote bei Paaren (Ehe­ sich die Strukturen der Verteilung von
Im Jahr 2014 gab es in Deutschland paaren und Lebensgemeinschaften) mit Eigentum auf die Haushaltstypen zwi-
hochgerechnet 40,2 Millionen Haushalte. und ohne Kind, am schwächsten bei Al- schen den regionalen Vergleichsgruppen
In rund 8 Millionen (20 %) dieser Haus- leinerziehenden und Alleinlebenden – auffallend, wenn auch auf unterschied­
halte lebte mindestens ein Kind unter dies galt unabhängig von der regionalen lichen Niveaus. u Tab 7

227
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

Ehepaare und Lebensgemeinschaften Wohnkosten vor, wenn ein Haushalt war 2016 der Anteil von überbelasteten
wiesen 2014 auch im Durchschnitt die mehr als 40 % seines verfügbaren Ein- Eigentümerinnen und Eigentümern, die
größten Wohnungen auf, unabhängig kommens für Wohnkosten aufwendet. noch Hypotheken oder Darlehen abzahl-
­d avon, ob Kinder unter 18 Jahren im Mit Blick auf die Preisentwicklungen für ten, mit 10 % gerade einmal 1 Prozent-
Haushalt lebten. Dies kann daran liegen, Wohneigentum und Mieten wurde be- punkt höher als bei solchen, die keinerlei
dass die Gruppe der Ehepaare und Le- reits herausgestellt, dass Eigentümer und Zahlungen mehr leisten mussten. Deut-
bensgemeinschaften ohne Kind unter Mieter unterschiedlichen Kosten ausge- lich anders sah die Situation bei den Mie-
18 Jahren auch diejenigen Paare enthielt, setzt sind. terinnen und Mietern aus: Wenn die
bei denen erwachsene Kinder im Haus- Selbst wenn keine Miete gezahlt wird, Wohnung zu Marktpreisen vermietet
halt lebten, oder deren Kinder bereits fallen im Regelfall Nebenkosten an: für wurde, war beinahe ein Viertel der Haus-
ausgezogen waren. Demgegenüber hatten Versicherungen und Instandhaltung, halte durch Wohnkosten überbelastet.
die Alleinstehenden durchschnittlich Grundsteuer, Wasser, Kanalisation, Stra- Nur geringfügig anders war die Situation,
die geringsten Wohnungsflächen. Aller- ßenreinigung, Müllabfuhr, Schornstein- wenn die Wohnung vergünstigt oder
dings verfügte diese Gruppe durch- reinigung und mehr. Hinzu kommen sogar kostenfrei vermietet wurde, denn
schnittlich pro Kopf gesehen über den meist abzubezahlende Hypotheken oder dann betrug der Anteil immer noch nahe-
größten Wohnraum, da Paare ihre Wohn­ Darlehen für Wohnimmobilien. Durch zu ein Fünftel. u Tab 8
fläche mit mindestens einer weiteren Per- diese Kosten können auch Eigentümerin- Unabhängig von der offiziellen Defi-
son teilen. nen und Eigentümer von einer Überbe­ nition von Überbelastung durch Wohn-
lastung durch Wohnkosten betroffen sein. kosten kann diese Belastung unterschied-
Belastung durch die Wohnkosten Menschen in Wohneigentum empfin- lich durch die Haushalte empfunden
Nach der Definition des Statistischen den im Vergleich dennoch deutlich selte- ­werden. Je nach Lebenssituation und Ver-
Amtes der Europäischen Union (Euro­ ner eine Überbelastung durch Wohnkos- pflichtungen kann auch eine scheinbar
stat) liegt eine Überbelastung durch ten als jene, die zur Miete wohnen. Dabei überschaubare Mietbelastung eine große

u Tab 8 Überbelastung durch Wohnkosten nach Wohnstatus — in Prozent u Info 7


der jeweiligen Gruppe Mietbelastungsquote

Eigentümer Eigentümer Mieter mit Die Mietbelastungsquote ist der An-


Mieter mit teil des verfügbaren Einkommens
mit Hypothek ohne Hypothek ­ermäßigter Miete
Markt­preismiete
oder Darlehen oder Darlehen oder unentgeltlich ­eines Haushalts, der ­monatlich für die
Bruttokaltmiete aufgewendet wird.
2014 11,3 9,6 23,1 16,6
Im Mikrozensus wird das verfügbare
2015 10,7 9,2 22,8 16,1
Haushaltsnettoeinkommen in Kate-
2016 10,3 9,2 23,0 19,1 gorien abgefragt, beispielsweise in
der Einkommensklasse 2 000 bis
unter 2 300 Euro. Der Einkommens-
teil der Mietbelastungsquote bezieht
uTab 9 Subjektiv wahrgenommene Belastung durch die monatlichen sich daher auf die Klassenmitte
Wohnkosten 2016 — in Prozent der Kategorie, im obigen Beispiel
­a lso 2 150 Euro.
Anteil der Haushalte, der die finanzielle Belastung
durch Wohnkosten als ... empfindet

keine Belastung gewisse Belastung große Belastung

Haushalte ohne Kind 34,0 54,8 11,2

Alleinlebende 35,3 51,2 13,6

zwei Erwachsene ohne Kind 35,1 56,0 8,9

drei oder mehr Erwachsene ohne Kind 25,2 60,0 14,8

Haushalte mit Kindern 21,9 61,5 16,6

Alleinerziehende 19,1 59,4 21,5

zwei Erwachsene mit Kind(ern) 22,0 62,5 15,5

drei oder mehr Erwachsene mit Kind(ern) 24,9 55,7 19,5

228
Wohnen / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

Bürde sein. Ebenso ist es möglich, dass So wies 2014 mehr als jeder fünfte Ein- westdeutschen Flächenländern. Bei den
Mieterinnen oder Mieter bewusst einen personenhaushalt eine Mietbelastungs- in Abbildung 8 dargestellten Haushalts­
großen Anteil ihres Einkommens für quote von mehr als 40 % auf. Dieser An- typen wirken sich diese Unterschiede in
Wohnkosten aufwenden, ohne sich da- teil reduzierte sich für alle Haushaltsfor- den Mietniveaus aber nicht auf gleiche
durch finanziell belastet zu fühlen. men mit mehr Mitgliedern auf einen von Weise auf die Mietbelastungsquote aus.
Ein Großteil aller Haushalte empfand zehn Haushalten. u Info 7 Die Mietbelastungsquoten für Ehepaare
2016 subjektiv eine gewisse Belastung Wie aufgrund der Beobachtungen zu ohne minderjähriges Kind sowie Allein-
durch die Wohnkosten. Verhältnismäßig den Haushaltsgrößen zu erwarten war, erziehende und Lebensgemeinschaften
am wenigsten belastet sahen sich Haus- haben Alleinerziehende und Allein­ mit Kind(ern) unterscheiden sich kaum
halte ohne Kind und hier vor allem die stehende/-lebende deutlich höhere Miet- zwischen westdeutschen Flächenländern
Alleinlebenden. Am stärksten wurde die belastungsquoten als andere Haushalts­ und Stadtstaaten.
Belastung von Alleinerziehenden emp- typen. Über alle Vergleichsgruppen hin-
funden, von denen mehr als ein Fünftel weg besteht bei den Mietbelastungsquoten Bewertung des Wohnumfeldes
angab, unter großer Belastung durch die ein deutlicher Niveauunterschied zwi- Für eine abschließende Bewertung der
Wohnkosten zu leiden. u Tab 9 schen den ostdeutschen Flächenländern Wohnverhältnisse werden auch Aspekte
Die messbare Mietbelastungsquote auf der einen und den Flächenländern zum Zustand der Wohnung und zum
sinkt mit dem verfügbaren Einkommen Westdeutschlands sowie den Stadtstaaten Wohnumfeld dargestellt. Für diesen
und der Anzahl der Einkommensbezie- auf der anderen Seite. u Abb 8 Zweck wird die Erhebung LEBEN IN
henden im Haushalt deutlich. Entspre- Im Abschnitt Mietkosten wurde ge- EUROPA des Statistischen Amtes der
chend ist die Mietbelastung vor allem für zeigt, dass in den Stadtstaaten die Mieten Europä­ischen Union herangezogen und
Einpersonenhaushalte beziehungsweise je Quadratmeter bei allen Wohnungs­ es werden die dort ausgewählten Kriterien
Haushalte mit nur einer oder einem Ein- größen über 40 Quadratmetern höher verwendet. Die Kriterien werden in Form
kommensbeziehenden stärker ausgeprägt. sind als in den ostdeutschen wie auch den von wahrgenommenen Mängeln in der

u Abb 8 Mietbelastungsquoten verschiedener Haushaltstypen 2014 — in Prozent

34,5 34,2
33,5
32,6
31,1 31,4
29,6 29,9
29,0
27,9 28,3
25,5
24,8
23,8 23,7
23,0 23,2 22,5 22,6
21,8 22,4
19,6 19,7 19,5

Ehepaare Lebens- Alleinerziehende Ehepaare, Alleinstehende/


gemeinschaften Lebensgemeinschaften -lebende

insgesamt mit Kindern unter 18 Jahren ohne Kinder unter 18 Jahren

Deutschland Flächenländer West Flächenländer Ost Stadtstaaten

229
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.2 / Wohnen

u Info 8 u Tab 10 Empfundene Mängel im Wohnumfeld und in der Wohnung


EU-SILC nach Haushaltstypen und Ländern 2016 — in Prozent
EU-SILC ist eine jährlich europaweit Es gibt … im Wohnumfeld.
durchgeführte Befragung zu Einkommen Es gibt in der
und Lebensbedin­gungen der Haushalte Verschmut- Wohnung
Lärm- Krimina- Feuchtigkeits-
(European Union Statistics on Income zung, Ruß,
belästigung lität, Gewalt, schäden.
and Living Conditions, mit der deut­schen andere Umwelt­
von außerhalb Vandalismus
Bezeichnung »LEBEN IN EUROPA«). belastungen
­EU-SILC ist die zentrale amtliche Daten- Insgesamt
quelle für die europäische Sozialbericht-
erstattung mit dem Schwerpunkt der EU-28 17,9 14,0 13,0 15,4
Messung von Armuts­gefährdung, materi- Dänemark 18,2 6,8 8,4 15,9
eller Entbehrung und sozialer Aus­
grenzung (siehe Kapitel 6.3, Seite 231). Deutschland 25,1 23,2 14,1 13,1
Im Rahmen der Erhebung werden auch Frankreich 17,7 14,1 14,8 14,0
Fragen zur subjektiven Einschätzung
der Wohnsituation ­g estellt, wie die Be- Österreich 17,3 10,7 12,4 11,2
lastung privater Haushalte durch die Polen 13,0 11,4 5,6 11,6
Wohnkosten, die wahrgenommenen Pro-
bleme im Wohnumfeld sowie Fragen Haushalte ohne
abhängiges Kind
nach Wohnungsmängeln. Durch das
­e uropaweit ­a bgestimmte Fragenpro- EU-28 18,4 14,2 12,9 13,9
gramm sind die Ergebnisse auf europä­
Dänemark 21,0 7,4 9,9 13,5
ischer Ebene vergleichbar.
Deutschland 26,9 23,5 14,6 11,5

Frankreich 16,6 13,6 13,9 11,0

Österreich 19,0 11,5 13,2 10,3

Polen 14,4 11,3 6,0 11,2

Haushalte mit
abhängigen Kindern

EU-28 17,5 13,8 13,2 16,9

Dänemark 15,2 6,1 6,8 18,5

Deutschland 22,5 22,8 13,4 15,3

Frankreich 18,7 14,6 15,7 16,9

Österreich 15,3 9,8 11,5 12,1

Polen 11,9 11,5 5,3 12,0

Anteil der Bevölkerung, der in Haushalten lebt, in deren Wohnung oder Wohnumfeld es Belastungen gibt.
1 Wohnung mit undichtem Dach oder feuchten Wänden, Fußböden, Fundamenten oder Fäulnis in Fenstern oder Fußböden.

Wohnung und im Wohnumfeld abgefragt reiche Lärmbelästigung und Umweltbe- tens einem Elternteil zusammenleben)
und sind dementsprechend subjektiv. u Info 8 lastungen. Im Bereich der wahrgenom- zeigt sich, dass sich die Bevölkerung in
Tabelle 10 zeigt den Anteil der Bevöl- menen Belastung durch Kriminalität im Haushalten ohne abhängiges Kind häufi-
kerung in Deutschland, bei dem der dar- Wohnumfeld lag der Anteil von rund ger durch Mängel im Wohnumfeld belas-
gestellte subjektive Mangel an der Woh- 14 % etwa 1 Prozentpunkt über dem EU- tet fühlt als solche mit abhängigen Kin-
nung beziehungsweise dem Haus oder 28-Durchschnitt, allerdings weit über dern. Hingegen nahm die Bevölkerung
im Wohnumfeld wahrgenommen wird. dem Wert für beispielsweise Dänemark mit abhängigen Kindern häufiger Mängel
Dieser wird mit dem entsprechenden oder Polen. Mängel in der Wohnung gibt in der Wohnung selbst wahr als die
Anteil der Bevölkerung in ausgewählten immerhin gut jeder achte Haushalt in Gruppe ohne abhängiges Kind. Diese Be-
Anrainerländern beziehungsweise dem Deutschland an. u Tab 10 funde trafen so im Allgemeinen auch für
EU-28-Durchschnitt verglichen. Hierbei Unterscheidet man die Kennzahlen die dargestellten Anrainerstaaten wie
fällt auf, dass in Deutschland generell nach der Bevölkerung in Haushalten mit auch im EU-Durchschnitt zu.
häufiger Mängel im Wohnumfeld emp- und ohne abhängige Kinder (Kinder unter
funden werden als von den Anrainern 18 Jahren sowie Kinder zwischen 18 und
beziehungsweise dem EU-28-Durch- 24 Jahren, sofern sie nicht erwerbstätig
schnitt. Insbesondere betraf dies die Be- oder arbeitsuchend sind und mit mindes-

230
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

6.3 Die Verminderung von Armut und sozia-


ler Ausgrenzung ist eines der Kernziele
Zudem wird angenommen, dass
· alle Haushaltsmitglieder ihre Einkünf-
Armuts- der Wachstumsstrategie »Europa 2020«, te zur Verfügung stellen,
gefährdung die der Rat der Europäischen Union im
Jahr 2010 für den Zeitraum bis 2020 be-
· alle Haushaltsmitglieder das gleiche
Wohlfahrtsniveau erreichen,
und materielle schlossen hat. Die Sozialindikatoren zur · Mehrpersonenhaushalte gegenüber
Entbehrung Messung der Armutsgefährdung, der ma-
teriellen Entbehrung und der sozialen
Einpersonenhaushalten Einspareffekte
aufgrund des gemeinsamen Wirtschaf-
Ausgrenzung haben dabei eine herausge- tens haben.
Kristina Kott hobene Bedeutung. Die Europäische Ge- Anschließend wird das Haushaltsnetto-
meinschaftsstatistik über Einkommen einkommen in ein gewichtetes Pro-Kopf-
und Lebensbedingungen der Bevölke- Einkommen, das sogenannte Nettoäqui-
Statistisches Bundesamt
rung (European Union Statistics on In- valenzeinkommen, umgewandelt. u Info 3
(Destatis)
come and Living Conditions – EU-SILC) Wie hoch sind die durchschnittlichen
ist die zentrale amtliche Datenquelle für Einkommen und die Einkommensunter-
die europäische Sozialberichterstattung. schiede zwischen den verschiedenen so-
Auf der Grundlage dieser Erhebung er- zialen Gruppen?
mittelt das Statistische Amt der Europä­ Im Jahr 2016 betrug der Median
ischen Union (Eurostat) jährlich Kenn- des Nettoäquivalenzeinkommens in
zahlen zur aktuellen Einkommens- und Deutschland 21 275 Euro. Danach hatte
Lebenssituation der Bevölkerung in den die eine Hälfte der Bevölkerung mindes-
Mitgliedstaaten. tens 21 275 Euro zur Verfügung, die an-
Die Bezeichnung der deutschen dere Hälfte weniger. Der Mittelwert des
­EU-SILC-Erhebung lautet »LEBEN IN Nettoäquivalenzeinkommens belief sich
EUROPA«. Im vorliegenden Kapitel wer- dagegen auf 24 020 Euro. Im Jahr 2015
den die wichtigsten Sozialindikatoren zur hatte das Medianeinkommen noch
Messung der Armutsgefährdung, der ma- 20 668 Euro und das Durchschnittsein-
teriellen Entbehrung und der sozialen kommen 23 499 Euro betragen; 2008
Ausgrenzung auf Basis der EU-SILC-Er- ­lagen die Werte bei 18 309 Euro (Median-
hebung 2016 vorgestellt. u Info 1 wert) sowie 21 086 Euro (Durchschnitts-
wert). u Info 4
6.3.1 Einkommensverteilung Auf europäischer Ebene werden als
Grundlage für die Ermittlung des Ein- Maß für die Einkommensungleichheit die
kommens einer Person ist die möglichst
umfassende Messung des verfügbaren
jährlichen Nettoeinkommens des Haus-
halts, in dem die Person lebt. Berichts-
u Info 1
zeitraum für die Einkommensmessung
LEBEN IN EUROPA
in EU-SILC ist das gesamte, der Erhe-
In Deutschland wird die amtliche Erhe-
bung vorangegangene Kalenderjahr. Ne- bung EU-SILC (European Union Statistics
ben den regelmäßigen monatlichen Ein- on Income and Living Conditions) unter
künften werden auch jene Einkünfte be- der Bezeichnung »LEBEN IN EUROPA« seit
2005 jährlich durchgeführt und liefert eine
rücksichtigt, die unregelmäßig oder nur Vielzahl von Sozialindikatoren für Deutsch-
einmal im Jahr (wie das Weihnachtsgeld land. Die Befragung erfolgt schriftlich in
oder Urlaubsgeld) gezahlt werden. Das vier aufeinanderfolgenden Jahren und be-
steht aus einem Haushaltsfragebogen
Haushaltseinkommen setzt sich aus den und einem Personenfragebogen für Haus-
Einkünften aller Haushaltsmitglieder zu- haltsmitglieder ab 16 Jahren. An LEBEN
sammen, die im Lauf eines Jahres ge- IN EUROPA nehmen jedes Jahr zwischen
13 000 und 14 000 Privathaushalte teil,
zahlt wurden und somit Einfluss auf die wobei jedes Jahr ein Viertel der Stichprobe
allgemeine finanzielle Situation des ersetzt wird (Rotationspanel).
Haushalts hatten. u Info 2

231
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.3 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

u Info 2 u Info 3
Haushaltsnettoeinkommen Nettoäquivalenzeinkommen
Grundlage für Einkommens- und Armutsanalysen bei LEBEN IN EUROPA Das Nettoäquivalenzeinkommen ist ein Pro-Kopf-Einkommen, das berück-
ist das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen aus dem Jahr vor der sichtigt, in welcher Art von Haushalt die Menschen leben, um das Wohl-
­Erhebung (Einkommensbezugsjahr). Es ergibt sich aus dem Bruttoein- standsniveau von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammenset-
kommen eines Haushalts nach Abzug von: zung vergleichbar zu machen.

‧‧ Steuern, Es ist eine fiktive Rechengröße, die aus der Haushaltszusammensetzung und
‧‧ Sozialversicherungsbeiträgen, dem Haushaltsnettoeinkommen abgeleitet wird. Dazu wird das Haushaltsnetto-
‧‧ regelmäßigen Vermögensteuern und einkommen nicht durch die Zahl der Personen im Haushalt geteilt, sondern
‧‧ regelmäßig zwischen Privathaushalten geleisteten Zahlungen. durch einen kleineren Wert, da angenommen wird, dass beispielsweise bei
­einem Zweipersonenhaushalt aufgrund von Einspareffekten durch das gemein-
Das Bruttoeinkommen eines Haushalts besteht aus haushalts- und same Wirtschaften weniger als das doppelte Einkommen benötigt wird, um
­personenbezogenen Komponenten. Zum haushaltsbezogenen Bruttoein- gegenüber einem Einpersonenhaushalt einen vergleichbaren Lebensstandard
kommen zählen: zu erzielen. Für die Äquivalenzgewichtung muss eine Annahme darüber getrof-
fen werden, wie groß die Einspareffekte durch das gemeinsame Wirtschaften
‧‧ Einkommen aus Vermietung und Verpachtung, sind. Nach EU-Konvention wird die neue OECD-Skala zur Äquivalenzgewich-
‧‧ Familienleistungen (Kindergeld, Elterngeld/ElterngeldPlus) und tung herangezogen. Diese nimmt für die erste erwachsene Person im Haushalt
Wohnungsbeihilfen, ein Bedarfsgewicht von 1,0 an und für jede weitere Person im Alter ab 14 Jah-
‧‧ Sozialgeld, Sozialhilfe, bedarfsorientierte Grundsicherung, ren ein Bedarfsgewicht von 0,5 sowie für Haushaltsmitglieder unter 14 Jahren
‧‧ regelmäßig empfangene Geldtransfers zwischen privaten Haushalten ein Bedarfsgewicht von 0,3. Das Haushaltsnettoeinkommen wird durch die
(zum Beispiel Unterhaltszahlungen), Summe der Bedarfsgewichte (Gesamtbedarfsgewicht) geteilt und der sich da-
‧‧ Zinsen, Dividenden und Gewinne aus Kapitalanlagen, raus ergebende Betrag jedem Haushaltsmitglied als sein persönliches Netto-
‧‧ Einkünfte von Haushaltsmitgliedern unter 16 Jahren. äquivalenzeinkommen beziehungsweise Pro-Kopf-Einkommen zugewiesen.
Durch diese Äquivalenzgewichtung ist die Einkommenssituation einer Person
Hinweis: Schätzwerte für unterstellte Mieten bei selbst genutztem aus einem Einpersonenhaushalt nun direkt vergleichbar mit der Einkommens-
Wohneigentum (sogenannte Eigentümermietwerte) werden hier, anders situation einer Person aus einem Mehrpersonenhaushalt. Zugleich kann die
als in anderen amtlichen Statistiken (zum Beispiel der Einkommens- Einkommensverteilung in der Gesamtbevölkerung betrachtet werden.
und Verbrauchsstichprobe), nicht zum verfügbaren Haushaltseinkom-
men hinzugerechnet. Ein Beispiel: Zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren erhalten
ein Gesamtbedarfsgewicht von 2,1 (1,0 + 0,5 + 0,3 + 0,3). Beläuft sich das
Zum personenbezogenen Bruttoeinkommen zählen: verfügbare Nettoeinkommen eines solchen Haushalts auf 2 000 Euro monat-
‧‧ Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Tätigkeit in Form von lich, so ergibt sich als Nettoäquivalenzeinkommen 952,38 Euro monatlich ­
Geld oder geldwerten Sachleistungen und/oder Sachleistungen (= 2 000 Euro geteilt durch 2,1), das jedem Haushaltsmitglied zugewiesen
(zum Beispiel Firmenwagen), wird. Es wird also nicht die Zahl der Köpfe zugrunde gelegt, sondern das Ge-
‧‧ Bruttogewinne und -verluste aus selbstständiger Tätigkeit in samtbedarfsgewicht. Dies ist – mit Ausnahme von Einpersonenhaushalten –
Form von Geldleistungen (einschließlich Lizenzgebühren), immer niedriger als die tatsächliche Anzahl der Personen im Haushalt, da in
‧‧ Arbeitslosengeld I und II, Übertragungen der Arbeitsförderung, größeren Haushalten wirtschaftliche Einspareffekte auftreten (wie durch ge-
‧‧ Alters- und Hinterbliebenenleistungen, meinsame Nutzung von Wohnraum und Haushaltsgeräten). Der Vier-Perso-
‧‧ Krankengeld und Invaliditätsleistungen, nen-Beispielhaushalt mit zwei erwachsenen Personen und zwei Kindern unter
‧‧ ausbildungsbezogene Leistungen. 14 Jahren benötigt bei der Berechnung also deshalb nicht das 4-Fache, son-
dern nur das 2,1-Fache des Einkommens eines Einpersonenhaushalts, um
das gleiche Wohlstandsniveau wie der Einpersonenhaushalt zu erreichen.

S80/S20-Rate und der Gini-Koeffizient Ratsbeschluss der Europäischen Union 12 765 Euro (60 % vom Medianeinkommen).
herangezogen. Danach stand den reichs- von 1984 über gezielte Maßnahmen zur Umgerechnet auf das monatliche Ein-
ten 20 % der Bevölkerung im Jahr 2016 in Bekämpfung der Armut auf Gemein- kommen bedeutet dies, dass in Deutsch-
der Summe 4,6-mal so viel Einkommen schaftsebene. Danach gelten Personen als land im Jahr 2016 eine Person als armuts-
zur Verfügung wie den ärmsten 20 % der »verarmt«, »wenn sie über so geringe (ma- gefährdet galt, wenn ihr Nettoäquiva-
Bevölkerung (2015: 4,8; 2008: 4,8). Der terielle, kulturelle und soziale) Mittel ver- lenzeinkommen weniger als 1 064 Euro
Gini-Koeffizient wies für Deutschland im fügen, dass sie von der Lebensweise aus- im Monat betrug; 2015 lag dieser Schwel-
Jahr 2016 einen Wert von 0,295 auf (2015: geschlossen sind, die in dem Mitglied- lenwert bei 1 033 Euro im Monat.
0,301; 2008: 0,302). Die Ungleichheit in staat, in dem sie leben, als Minimum Im Jahr 2016 lag das Nettoäquiva-
der Einkommensverteilung ist damit annehmbar ist«. Ausgehend von dieser lenzeinkommen für 16,5 % der Bevölke-
ganz leicht zurückgegangen. u Info 5, Tab 1 Sichtweise gilt in EU-SILC eine Person als rung in Deutschland unter dem Schwel-
armutsgefährdet, wenn ihr Nettoäqui­ lenwert. Das ist ein ganz leichter Rück-
6.3.2 Armutsgefährdung valenzeinkommen weniger als 60 % des gang im Vergleich zum Jahr 2015 (16,7 %).
Die Messung der Armutsgefährdung in nationalen Medianeinkommens beträgt. Zuvor war der Anteil der von relativer
der europäischen Sozialberichterstattung Bei einem Medianeinkommen von Armut bedrohten Bevölkerung seit dem
orientiert sich an einer relativen Definiti- 21 275 Euro im Jahr 2016 lag der Schwel- Jahr 2008 (15,2 %) bis zum Jahr 2014
on von Armut. Sie folgt damit einem lenwert für die Armutsgefährdung bei (16,7 %) stetig angestiegen. u Abb 1

232
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Info 4 u Info 5
Medianeinkommen und Mittelwert Quintile, S80/S20-Verhältnis und Gini-Koeffizient
Das durchschnittliche Einkommen in der Um den relativen Einkommensabstand zwischen dem oberen und unteren Rand der Einkommens-
Bevölkerung wird in der Regel durch verteilung (das sogenannte S80/S20-Verhältnis) zu beschreiben, wird das Nettoäquivalenzein­
das Medianeinkommen oder durch den kommen der Personen der Höhe nach geordnet und in Quintile (fünf gleich große Teile) geteilt. Das
Mittelwert dargestellt. Bei der Ermittlung unterste Quintil repräsentiert dabei das Fünftel der Bevölkerung mit den niedrigsten Einkommen,
des Medianeinkommens werden die das oberste Quintil das Fünftel der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen. Die Summe der Ein-
­Einkommen der Personen der Höhe nach kommen aus dem obersten Quintil, dividiert durch die Summe der Einkommen aus dem untersten
angeordnet. Das Medianeinkommen Quintil, ergibt dann den Wert für das S80/S20-Verhältnis. Dieser Wert beschreibt, um wie viel höher
präsentiert hierbei den Einkommensbe- das Einkommen des obersten Fünftels im Vergleich zum untersten Fünftel ist. Allerdings ist diese
trag, der die Bevölkerung in zwei Hälften Darstellung empfindlich gegenüber Ausreißern, weil hier nicht die Quintilsgrenzen, sondern die
teilt: Die untere Hälfte der Bevölkerung Summe der Einkommen aus dem untersten Quintil mit der Summe der Einkommen aus dem obers-
hat weniger als das Medianeinkommen ten Quintil verglichen wird. Die Angaben einer einzelnen Person können die jeweilige Summe und
zur Verfügung; die obere Hälfte verfügt damit das Ergebnis stark beeinflussen.
über mehr als das Medianeinkommen.
Ein anderes, häufig benutztes Verteilungsmaß ist der Gini-Koeffizient, ein statistisches Konzentra­
Bei der Ermittlung des Mittelwerts tionsmaß. Auf Einkommensdaten angewendet zeigt der Gini-Koeffizient, wie gleich oder ungleich
­(arithmetisches Mittel, Durchschnitt) wird Einkommen über eine Personengruppe verteilt sind. Bei der Berechnung wird die Ungleichheit in
die Summe der Einkommen von ­a llen der Einkommensverteilung auf Basis aller individuellen Nettoäquivalenzeinkommen einer Personen-
Personen gebildet. Diese Summe wird gruppe ermittelt. Der Gini-Koeffizient kann Werte zwischen 0 (absolute Gleichheit) und 1 (abso­lute
anschließend durch die Anzahl der Per- Konzentration) annehmen. Je näher der Wert an 1 liegt, desto größer ist die Ungleichheit in der
sonen geteilt. Einkommensverteilung.

u Abb 1 Ausgewählte Indikatoren zur Messung von Armut und


u Tab 1 Einkommensverteilung materieller Entbehrung — in Prozent

2008 2015 2016


24
Median des
Nettoäquivalenz-
18 309 20 668 21 275 20
einkommens
in Euro

Arithmetisches 16
Mittel des Netto-
21 086 23 499 24 020
äquivalenzein-
kommens in Euro 12

S80/S20-Rate 4,8 4,8 4,6


8
Gini-Koeffizient 0,302 0,301 0,295

0
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
Für Personen unter 18 Jahren lag die
von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Bevölkerung (AROPE-Indikator)
Armutsgefährdungsquote im Jahr 2016
Armutsgefährdungsquote
bei 15,4 % und damit etwas geringer als
Bevölkerung in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung
für die Bevölkerung insgesamt. Im Jahr von erheblicher materieller Entbehrung betroffene Bevölkerung (EU-SILC)
2016 waren 14,3 % der Kinder unter
sechs Jahren armutsgefährdet. Für Kin-
der im Alter von sechs bis elf Jahren lag
dieser Anteil bei 14,1 %. Kinder und Ju-
gendliche von 12 bis 17 Jahren waren mit wenig darunter. Insgesamt betrachtet pen von einer höheren Armutsgefähr-
17,9 % überdurchschnittlich armutsge- hatten Personen in Haushalten ohne dung betroffen als Männer.
fährdet. u Tab 2 Kind mit 18,7 % eine höhere Armutsge- Der Erwerbsstatus von Personen wird
Bezogen auf die unterschiedlichen fährdungsquote als Personen in Haushal- in der EU-SILC-Erhebung im Rahmen ei-
Haushaltstypen zeigt sich für das Jahr ten mit Kind(ern) (13,5 %). ner Selbsteinschätzung erfragt. Dort ge-
2016, dass die Alleinlebenden mit 32,9 % Insgesamt war die Armutsgefähr- ben die Personen an, welcher Erwerbssta-
weit überdurchschnittlich von Armut be- dungsquote von Frauen 2016 mit 17,8 % tus beziehungsweise welche Lebenssitua-
droht waren. Mit 32,6 % lag dieser Anteil höher als die von Männern (15,2 %). Und tion derzeit auf sie zutrifft. Die Analyse
in Haushalten von Alleinerziehenden nur zwar waren Frauen in allen Altersgrup- nach dem Merkmal »Erwerbsstatus« von

233
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.3 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

u Tab 2 Schwellenwert für Armutsgefährdung und Armutsgefährdungsquote u Info 6


Erwerbsintensität (work intensity)
2008 2016
Die Erwerbsintensität ist ein Haushaltsmerk-
Schwellenwert für Armutsgefährdung (Euro / Jahr) 10 986 12 765 mal, bei dem jedes Haushaltsmitglied
­z wischen 18 und 59 Jahren als potenziell
Armutsgefährdungsquote in % ­erwerbsfähig betrachtet wird. Die Ergebnisse
Insgesamt 15,2 16,5 sollen sich nur auf Haushalte beziehen, in
Geschlecht und Altersgruppen
denen Personen wohnen, die sich noch in
der Erwerbsphase befinden. Reine Rentner-
männlich 14,2 15,2 haushalte sind bei dieser Analyse ausge-
weiblich 16,2 17,8 schlossen beziehungsweise werden hier
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren 15,2 15,4 nicht berücksichtigt. Ein Haushalt erzielt bei
 männlich 15,5 14,0
der Erwerbsintensität 100 %, wenn alle
­e rwerbsfähigen Haushaltsmitglieder auch
 weiblich 14,8 17,2 vollzeiterwerbstätig sind. Ist dagegen keines
 unter 6 Jahren 15,1 14,3 der potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmit-
 6 –11 Jahre 13,6 14,1 glieder im Haushalt erwerbstätig, beträgt die
Erwerbsintensität in diesem Haushalt 0 %.
 12 –17 Jahre 16,9 17,9
Auf diese Weise wird einem Zweipersonen-
18 – 24 Jahre 20,2 21,0 haushalt mit zwei Vollzeit erwerbstätigen
 Männer 18,0 18,6 ­Personen eine Erwerbsintensität von 100 %
 Frauen 22,4 23,7 zugewiesen, während ein Zweipersonen-
haushalt mit einer Vollzeit erwerbstätigen
25 – 54 Jahre 13,8 14,5
­Person und einer nicht erwerbstätigen, aber
 Männer 13,1 14,0 erwerbsfähigen Person eine Erwerbsinten­
 Frauen 14,4 14,9 sität von insgesamt 50 % erhält. Arbeitet
55 – 64 Jahre 17,7 19,7 in einem Zweipersonen­haushalt die einzige
erwerbstätige Person nur die Hälfte der
 Männer 17,2 18,6
­A rbeitszeit, so sinkt die Erwerbs­intensität
 Frauen 18,1 20,7 für diesen Haushalt auf 25 %.
65 Jahre oder älter 14,9 17,7
 Männer 12,0 14,9
 Frauen 17,4 20,1
Personen über 18 Jahren zeigt, dass von
Haushaltstypen
den erwerbstätigen Personen nur 9,5 % in
Haushalte ohne Kind 17,0 18,7
Haushalten lebten, in denen die Personen
 Alleinlebende 29,2 32,9
 zwei Erwachsene ohne Kind 12,3 11,9
als armutsgefährdet galten. Bei den ar-
Haushalte mit Kind(ern) 13,1 13,5
beitslosen Personen waren es dagegen
 Alleinerziehende 35,9 32,6 70,5 %. Von den Personen im Ruhestand
 zwei Erwachsene mit Kind(ern) 10,0 11,0 lebten 18,0 % in Haushalten, in denen die
 zwei Erwachsene mit 1 Kind 9,3 10,7 Personen als armutsgefährdet galten.
 zwei Erwachsene mit 2 Kindern 8,3 7,8 Da bei dieser Betrachtung der Er-
 zwei Erwachsene mit 3 und mehr Kindern 15,2 18,2 werbsstatus der anderen Erwachsenen
Überwiegender Erwerbsstatus ¹ und somit potenziell erwerbsfähigen
erwerbstätig 7,1 9,5 Haushaltsmitglieder unberücksichtigt
arbeitslos 56,8 70,5
bleibt, ist es sinnvoll, zusätzlich die Ar-
im Ruhestand 15,0 18,0
beitsmarktbeteiligung beziehungsweise
sonstige Nichterwerbstätige 21,7 27,5
Erwerbsintensität (work intensity) des ge-
Erwerbsintensität im Haushalt
samten Haushalts einzubeziehen. u Info 6
Personen ² in Haushalten mit …
… sehr geringer Erwerbsintensität (weniger als 20 %) 64,2 66,8
Danach hatten Personen aus Haushal-
… geringer Erwerbsintensität (20 – 44 %) 26,8 36,9
ten mit einer sehr geringen Erwerbsinten-
… mittlerer Erwerbsintensität (45 – 54 %) 11,9 12,8 sität (weniger als 20 %) ein Armutsgefähr-
… hoher Erwerbsintensität (55 – 84 %) 7,6 8,3 dungsrisiko von 66,8 %. Lag die Arbeits-
… sehr hoher Erwerbsintensität (85 –100 %) 4,3 5,5 marktbeteiligung des Haushalts insgesamt
Bildungsstatus ³ höher, aber noch unter 45 % (geringe Er-
ISCED 1 bis 2 – niedrig 21,9 29,4 werbsbeteiligung), so war das Armutsge-
ISCED 3 bis 4 – mittel 13,7 16,1 fährdungsrisiko der Personen etwas mehr
ISCED 5 bis 8 – hoch 8,6 9,3 als halb so hoch (36,9 %) im Vergleich zu
1 Personen ab 18 Jahren. Selbsteinschätzung. den Personen in Haushalten mit sehr ge-
2 Personen unter 60 Jahren.
3 Personen ab 18 Jahren. Bildungsstatus nach der internationalen Standardklassifikation im Bildungswesen (ISCED-2011). ringer Erwerbsbeteiligung. Wie erwartet

234
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

wiesen Personen aus Haushalten mit einer dard bekannt sein und es muss bei der Gesellschaften berücksichtigen. Aus diesen
Erwerbsintensität von mindestens 85 % Messung der materiellen Entbehrung si- Gründen erfolgt die Messung der materi-
das geringste Armutsgefährdungsrisiko chergestellt sein, dass zwischen einem ellen Entbehrung auf der Grundlage von
auf (5,5 %). Je höher also die Arbeits- freiwilligen Verzicht (zum Beispiel auf neun sogenannten Deprivationskriterien.
marktbeteiligung der potenziell erwerbs- ein Auto) und einem unfreiwilligen Ver- Eines dieser Kriterien bezieht sich auf
fähigen Haushaltsmitglieder und damit zicht unterschieden wird. Andernfalls Zahlungsrückstände bei Wohnkosten und
des Haushalts insgesamt ist, desto geringer besteht die Gefahr, dass hier eher ver- Krediten. Vier Kriterien beziehen sich auf
ist folglich auch das Armutsgefährdungs- schiedene Lebensstile anstelle von mate- die Einschätzung des Haushalts, was er sich
risiko der Personen in diesen Haushalten. rieller Entbehrung abgebildet werden. aus seiner Sicht »leisten kann«. Vier wei-
Neben dem Erwerbsstatus werden die Ferner muss zwischen Ressourcen unter- tere Kriterien beziehen sich direkt auf die
Personen auch zu ihrem erreichten Bil- schieden werden, über die ein Haushalt Ausstattung des Haushalts mit den Kon-
dungsabschluss befragt. Mit Blick auf das autonom verfügen kann beziehungsweise sumgütern Auto, Waschmaschine, Farb-
Armutsgefährdungsrisiko waren 9,3 % die er kaufen kann, und Ressourcen, bei fernseher und Telefon. Verneint der Haus-
der Personen mit einem hohen Bildungs- denen dies nicht der Fall ist (zum Beispiel halt das Vorhandensein eines Konsum­
stand, 16,1 % der Personen mit einem die Infrastruktur in seiner Wohnumge- gutes, wird er gefragt, ob finanzielle oder
mittleren Bildungsstand und 29,4 % der bung: Gesundheitsversorgung am Ort, sonstige Gründe dafür ausschlaggebend
Personen mit einem niedrigen Bildungs- Zugang zum öffentlichen Nahverkehr). sind. Auf diese Weise kann zwischen ei-
stand armutsgefährdet. Aus Sicht einer kontinuierlichen euro- nem freiwilligen und einem unfreiwilli-
päischen Sozialberichterstattung ergeben gen Verzicht unterschieden werden. Bei
6.3.3 Materielle Entbehrung sich weitere Anforderungen an die Mes- der Messung der materiellen Entbehrung
sung der materiellen Entbehrung: Die Er- wird nur der unfreiwillige Verzicht be-
Messung der materiellen gebnisse zwischen den Mitgliedstaaten rücksichtigt. Des Weiteren unterscheidet
Entbehrung der EU sollen vergleichbar sein, aber auch die europäische Sozialberichterstattung
Während für die Definition von Armuts- die unterschiedlichen Lebensbedingungen zwischen materieller Entbehrung und er-
gefährdung die finanziellen Ressourcen sowie die Entwicklungen in den jeweiligen heblicher materieller Entbehrung. u Info 7
bei der Beschreibung der Lebenslage aus-
schlaggebend sind, geht es bei der Mes-
sung der materiellen Entbehrung vor
­a llem um eine Bewertung der eigenen u Info 7

­Situation in den verschiedenen Lebensbe- Materielle Entbehrung


reichen. Dieser in der europäischen Sozi- Die materielle Entbehrung umfasst einerseits verschiedene Formen wirtschaftlicher Belastung wie
alberichterstattung verwendete Ansatz Hypotheken- oder Mietschulden, Zahlungsrückstände oder Probleme, die Rechnungen von Ver­
sorgungsbetrieben zu begleichen. Andererseits umfasst sie einen aus finanziellen Gründen erzwun-
geht auf den relativen Deprivationsansatz genen Mangel an Gebrauchsgütern, wobei der Mangel durch die unfreiwillige Unfähigkeit – im
von Peter Townsend zurück, der davon ­Unterschied zur Wahlfreiheit – bedingt ist, für gewisse Ausgaben aufkommen zu können. Materielle
ausging, dass es in einer Gesellschaft – Entbehrung liegt nach der EU-Definition für EU-SILC dann vor, wenn aufgrund der Selbsteinschätzung
des Haushalts mindestens drei der folgenden neun Kriterien erfüllt sind:
trotz der Pluralität von Lebensstilen und
der unterschiedlichen Bedürfnisse von 1. Zahlungsrückstände (in den letzten zwölf Monaten) bei Hypotheken, Miete, Konsumentenkrediten
oder Rechnungen von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel Stromrechnung, Gasrechnung);
Haushalten unterschiedlicher Größe und
2. finanzielles Problem, die Wohnung angemessen heizen zu können;
Struktur – so etwas wie einen messbaren
allgemeinen Lebensstil oder allgemeinen 3. finanzielles Problem, unerwartete Ausgaben in einer bestimmten Höhe aus eigenen finanziellen
Mitteln bestreiten zu können;
Lebensstandard gibt. Je weniger eine Per-
son an diesem allgemeinen Lebensstan- 4. finanzielles Problem, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine gleichwertige vegetarische Mahl-
zeit einnehmen zu können;
dard teilhaben kann, umso höher ist das
Ausmaß ihrer materiellen Entbehrung 5. finanzielles Problem, jährlich eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen;

oder Deprivation. Ähnlich wie bei der 6. F


 ehlen eines Personenkraftwagens im Haushalt aus finanziellen Gründen;
Messung der Armutsgefährdung wird da- 7. F
 ehlen einer Waschmaschine im Haushalt aus finanziellen Gründen;
bei ein Schwellenwert zugrunde gelegt, 8. F
 ehlen eines Farbfernsehgeräts im Haushalt aus finanziellen Gründen;
ab dem von materieller Entbehrung be-
9. Fehlen eines Telefons im Haushalt aus finanziellen Gründen.
ziehungsweise einem unfreiwilligen Aus-
schluss vom aktuellen allgemeinen Le- In der europäischen Sozialberichterstattung wird zwischen materieller Entbehrung und erheblicher
materieller Entbehrung unterschieden. Materielle Entbehrung liegt vor, wenn für einen Haushalt
bensstandard ausgegangen wird. Dafür mindestens drei der neun aufgeführten Kriterien zutreffen. Erhebliche materielle Entbehrung wird
muss der aktuelle allgemeine Lebensstan- dagegen bei Haushalten angenommen, bei denen mindestens vier der neun Kriterien zutreffen.

235
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.3 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

Ähnlich wie bei der Armutsgefähr- uTab 3 Materielle Entbehrung nach ausgewählten Einzelkriterien
dungsmessung wird das ermittelte Ergeb- — in Prozent der Bevölkerung
nis allen Haushaltsmitgliedern in einem
2008 2016
Haushalt zugeordnet und bei der Ergeb-
nisdarstellung als Ergebnis für die Ge- Zahlungsrückstände bei Hypotheken, Konsumentenkrediten,
5,6 4,2
Miete, Rechnungen von Versorgungsbetrieben
samtbevölkerung ausgewiesen. Der Haushalt kann es sich finanziell nicht leisten, …
… die Wohnung angemessen warm zu halten. 5,9 3,7
Materielle Entbehrung nach … u nerwartet anfallende Ausgaben in Höhe von mindestens
34,9 30,0
ausgewählten Einzelkriterien 780 Euro (2008)/985 Euro (2016) aus eigenen Mitteln zu bestreiten.
… jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch,
Im Jahr 2016 gaben 4,2 % der Bevölke- Geflügel oder Fisch (oder eine entsprechende vegetarische 10,9 6,5
rung Zahlungsrückstande in den letzten Mahlzeit) ­e inzunehmen.
… jedes Jahr eine Woche Urlaub woanders als zu Hause
zwölf Monaten bei Hypotheken, Konsu- zu verbringen.
25,2 18,4
mentenkrediten, Miete oder Rechnungen
Selbsteinschätzung der Haushalte.
von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel
Stromrechnung, Gasrechnung) an. Etwa
3,7 % der Bevölkerung gaben an, ihre
Wohnung aus finanziellen Gründen nicht der hier betrachteten Aspekte des allge- ren Einkommensschicht (zweites Quintil)
angemessen heizen zu können. Rund meinen Lebensstandards aus finanziellen traf dies für 2,9 % zu. In den Einkommens-
30 % der Bevölkerung konnten unerwar- Gründen einschränken. Bei rund 15 % schichten des dritten, vierten und fünften
tet anfallende Ausgaben in einer be- der Bevölkerung traf genau ein Kriterium Quintils kam erhebliche materielle Ent-
stimmten Höhe (2016: 985 Euro) nicht zu; bei weiteren 10 % trafen bereits zwei behrung kaum vor. u Abb 3
aus eigenen Finanzmitteln bestreiten. Für Kriterien zu. u Abb 2
6,5 % der Bevölkerung war es aus finanzi- Wie bereits erwähnt, liegt materielle 6.3.4 Armut oder soziale Aus­
ellen Gründen nicht möglich, jeden zwei- Entbehrung vor, wenn mindestens drei grenzung: der AROPE-Indikator
ten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Geflü- der neun Einzelkriterien zutreffen. Von Auf der Basis der bisher vorgestellten bei-
gel oder Fisch oder eine hochwertige ve- materieller Entbehrung waren danach den Sozialindikatoren zur Armutsgefähr-
getarische Mahlzeit zu essen. Jährlich 9,7 % der Bevölkerung betroffen; auf 3,7 % dung und erheblichen materiellen Ent-
eine Woche Urlaub woanders als zu Hau- traf erhebliche materielle Entbehrung behrung wurde ein weiterer Sozialindi­
se zu verbringen, war für 18 % der Bevöl- (mindestens vier von neun Kriterien) zu. kator gebildet, der heute als die zentrale
kerung aufgrund ihrer finanziellen Lage Der Anteil der von erheblicher materiel- statistische Kennziffer für die Messung
nicht möglich. u Tab 3 ler Entbehrung betroffenen Bevölkerung von Armutsgefährdung oder sozialer Aus-
Diese Ergebnisse zeigen einerseits, dass schwankt im Zeitverlauf. Im Jahr 2008 grenzung gilt: der AROPE-Indikator (At
für eine deutliche Mehrheit der Bevölke- lag er bei 5,5 %, wies aber durchaus in risk of poverty or social exclusion). Beim
rung die erfragten Kriterien zum allgemei- den Jahren 2010 (4,5 %), 2012 (4,9 %) und AROPE-Indikator handelt es sich um ei-
nen Lebensstandard gehören. Andererseits 2015 (4,4 %) bereits Werte von unter 5 % nen zusammengesetzten Indikator, in
wird auch deutlich, dass das Bestreiten auf (siehe Abb 1). dem neben Aspekten wie Armutsgefähr-
von unerwartet anfallenden Ausgaben Der enge Zusammenhang zwischen dung und materielle Entbehrung zusätz-
(30 %) und die finanziellen Möglichkeiten den finanziellen Ressourcen eines Haus- lich die gemessene Erwerbsintensität des
für eine jährliche Fahrt in den Urlaub halts und der Teilhabe am allgemeinen Haushalts berücksichtigt wird. Wie be-
(18 %) für einen relativ hohen Anteil in der Lebensstandard wird deutlich, wenn die reits dargestellt, weisen Personen aus
Bevölkerung nicht selbstverständlich sind. Einkommenssituation der Personen und Haushalten mit einer sehr geringen Er-
das Vorhandensein von erheblicher mate- werbsintensität auch ein überdurch-
Materielle Entbehrung und rieller Entbehrung zusammen betrachtet schnittlich hohes Armutsgefährdungsri­
erhebliche materielle Entbehrung werden. Hierfür wurde das Nettoäquiva- siko auf. Insofern wird hier angenommen,
Werden alle neun Kriterien für die Mes- lenzeinkommen der Personen der Höhe dass Haushalte mit einer sehr geringen
sung der materiellen Entbehrung betrach- nach angeordnet und die Bevölkerung Erwerbsbeteiligung der Haushaltsmitglie-
tet, so ergibt sich für das Jahr 2016 fol- schließlich in fünf gleich große Teile der – ob freiwillig oder unfreiwillig (zum
gendes Bild: Für 65 % der Bevölkerung (Quintile; siehe Info 5) unterteilt. Danach Beispiel aufgrund von Arbeitslosigkeit
traf keines der neun Kriterien zu. Diese waren im Jahr 2016 bei den einkommens- oder Krankheit) – sich in einer eher pre-
Personen hatten weder Zahlungsrück- ärmsten 20 % der Bevölkerung (erstes kären Lebenslage befinden und damit
stände bei Wohnkosten und Kreditzah- Quintil) 14 % von erheblicher materieller eher von sozialer Ausgrenzung bedroht
lungen, noch mussten sie sich in e­ inem Entbehrung betroffen. In der nächsthöhe- sind als Haushalte mit einer hohen Er-

236
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Abb 2 Materielle Entbehrung u Abb 3 Erhebliche materielle Entbehrung nach Einkommensquintilen 2016
nach der Anzahl der Kriterien 2016 — in Prozent
— in Prozent der Bevölkerung

Haushalte insgesamt
3,7

1. Quintil 14,3

2. Quintil 2,9

3. Quintil 0,9

4. Quintil 0,2

erhebliche
materielle 3,7 5. Quintil 0,2
65,0
Entbehrung materielle
6,0 Entbehrung

10,1

uTab 4 AROPE-Indikator und seine Teilaspekte


— in Prozent der Bevölkerung

15,3
2008 2016

Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung


20,1 19,7
kein Kriterium Anzahl der bedrohten Personen (AROPE-Indikator)
trifft zu = keine Kriterien,
Entbehrung die zutreffen  Anteil der Personen mit Armutsgefährdung 15,2 16,5

 Anteil der Personen mit erheblicher materieller Entbehrung ¹ 5,5 3,7


1 2 3 4 und mehr (= erhebliche
materielle Entbehrung)  A nteil der Personen aus Haushalten mit sehr geringer
11,7 9,6
Erwerbsintensität
Selbsteinschätzung der Haushalte.
AROPE=At risk of poverty or social exclusion.
1 Selbsteinschätzung der Haushalte.

werbsbeteiligung. Rentnerhaushalte, für · Die Person lebt in einem Haushalt mit nächsthöheren Einkommensschicht – gab
die eine Erwerbsbeteiligung in der Regel einer sehr geringen Erwerbsbeteiligung es dagegen nur noch 7,7 % der Personen,
nicht mehr relevant ist, bleiben hier un- (unter 20 %) der erwerbsfähigen Haus- die armutsgefährdet oder von sozialer
berücksichtigt. Im Jahr 2016 lebten knapp haltsmitglieder. Ausgrenzung bedroht waren. In den hö-
10 % der Bevölkerung in einem Haushalt Trifft mindestens einer dieser drei Aspekte heren Einkommensschichten war der An-
mit sehr geringer Erwerbsintensität. Die- auf eine Person zu, so gilt diese Person als teil wesentlich geringer und verdeutlicht
ser Anteil ist trotz leichter Schwankungen »armutsgefährdet oder von sozialer Aus- damit den engen Zusammenhang zwi-
seit 2008 (12 %; siehe Abb 1) stetig leicht grenzung bedroht«. Auf der Grundlage schen Einkommenslage, Erwerbssituation
zurückgegangen. u Tab 4 des AROPE-Indikators war im Jahr 2016 und materieller Entbehrung. u Tab 5
Beim AROPE-Indikator werden alle in Deutschland knapp jeder Fünfte (19,7 %) Im Zeitverlauf ist der Anteil der von
Personen gezählt, für die mindestens eine armutsgefährdet oder von sozialer Aus- Armut oder sozialer Ausgrenzung be-
der drei folgenden Bedingungen zutrifft: grenzung bedroht. Bei den einkommens- drohten Bevölkerung leichten Schwan-
· Das Einkommen der Person liegt unter ärmsten 20 % (erstes Quintil) der Bevöl- kungen unterworfen. Während er im Jahr
der Armutsgefährdungsgrenze. kerung traf dies für die deutliche Mehrheit 2008 bei 20,1 % lag, wies er 2010 und 2012
· Die Person lebt in einem Haushalt, für zu: Hier waren 86 % der Personen armuts- mit 19,7 % und 19,6 % die niedrigsten
den erhebliche materielle Entbehrung gefährdet oder von sozialer Ausgrenzung Werte auf und lag auch 2016 mit 19,7 %
zutrifft. bedroht. Im zweiten Quintil – also der bei einem niedrigen Wert (siehe Abb 1).

237
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.3 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

u Tab 5 Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Bevölkerung Die Analyse nach Haushaltstypen
(AROPE-Indikator) nach Einkommensquintilen — in Prozent zeigt ähnliche Ergebnisse wie bei der aus-
schließlichen Betrachtung der monetären
2008 2016
Armutsgefährdung. Mit 43 % lebten im
Personen des … Jahr 2016 die meisten von Armut oder so-
… 1. Quintils 81,3 86,0 zialer Ausgrenzung bedrohten Personen
… 2. Quintils 9,8 7,7 in Haushalten von Alleinerziehenden.
… 3. Quintils 5,1 2,6 Dicht gefolgt von den Alleinlebenden:
… 4. Quintils 2,7 1,1 Hier war mit knapp 37 % mehr als ein
… 5. Quintils 1,6 1,0 Drittel von Armut oder sozialer Ausgren-
AROPE=At risk of poverty or social exclusion. zung bedroht. Es zeigt sich, dass insbe-
sondere bei Personen in Haushalten von
zwei Erwachsenen mit mindestens drei
u Abb 4 Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Bevölkerung
Kindern der Anteil mit rund 20 % leicht
(AROPE-Indikator) nach Haushaltstyp 2016 — in Prozent
überdurchschnittlich war. Bei Personen
aus anderen Haushaltskonstellationen lag
Haushalte insgesamt
19,7 der Anteil der von Armut oder sozialer
Ausgrenzung bedrohten Personen dage-
Haushalte ohne Kind 21,8 gen unter dem Durchschnitt. u Abb 4
Personen der Altersgruppen 55 bis 64
Alleinlebende 36,7
Jahre sowie 18 bis 24 Jahre waren mit je-
zwei Erwachsene
weils 23,8 % am stärksten von Armut
14,6
ohne Kind oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Gleich danach folgten mit einem Anteil
Haushalte mit Kind(ern) 16,8
von 20,3 % Jugendliche im Alter von 12
Alleinerziehende 43,0
bis 17 Jahren. In den Altersklassen der
65-Jährigen und Älteren, der 25- bis
zwei Erwachsene 54-Jährigen sowie der 6- bis 11-Jährigen
13,3
mit einem Kind
betrug der Anteil der von Armut oder so-
zwei Erwachsene 10,1 zialer Ausgrenzung bedrohten Bevölke-
mit zwei Kindern
rung zwischen 18,3 % und 18,5 %. Bei
zwei Erwachsene mit
mindestens drei Kindern
20,4 Kindern unter 6 Jahren lag der Anteil bei
18,9 %. u Tab 6
AROPE=At risk of poverty or social exclusion.

u Tab 6 Von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Bevölkerung


(AROPE-Indikator) nach Alter — in Prozent

2008 2016

Insgesamt 20,1 19,7


Altersgruppen von … bis … Jahren
unter 18 20,1 19,3
 unter 6 20,0 18,9
 6 –11 18,9 18,5
 12 –17 21,6 20,3
18 – 24 25,1 23,8
25 – 54 19,4 18,4
55 – 64 26,5 23,8
65 oder älter 15,5 18,3

AROPE=At risk of poverty or social exclusion.

238
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

6.4 Die Einkommen der privaten Haushalte


bilden die zentralen Ressourcen der Be-
reseinkommen werden hier – soweit nicht
anders ausgewiesen – nur rein monetäre
Einkommens­ völkerung für die Sicherung des individu- Einkünfte betrachtet; Einkommensvor­
entwicklung – ellen Lebensstandards und haben auch
direkten Einfluss auf die subjektiv wahr-
teile durch selbstgenutztes Wohneigen-
tum bleiben hierbei ebenso unberück-
Verteilung, genommene Lebensqualität. Die Vertei- sichtigt wie Unterhaltsleistungen und
Angleichung, lung der Einkommen in einer Gesell-
schaft gibt somit darüber Auskunft, ob
Ähnliches. Neben der allgemeinen Ein-
kommensentwicklung werden dabei auch
Armut und inwieweit einzelne Bevölkerungs- der Verlauf der Angleichung der Einkom-
und Dynamik gruppen von der gesellschaftlichen Teil-
habe ausgeschlossen oder von einem Aus-
men zwischen Ost- und Westdeutschland
sowie die Verteilung der Einkommen von
schluss gefährdet sind. Bei langjähriger Personen mit Migrationshintergrund do-
Jan Goebel, Peter Krause Betrachtung sind vor allem in den letzten kumentiert. Die Einkommensungleich-
DIW Berlin Jahren zwar Einkommenszugewinne in heit und die Betroffenheit von Niedri-
allen Einkommensgruppen zu verzeich- geinkommen und Einkommensarmut ge-
nen, die Ungleichheit in der Verteilung ben darüber hinaus Auskunft über die
WZB / SOEP
der verfügbaren Einkommen der privaten relative Schichtung der Einkommen so-
Haushalte hat sich dabei in Deutschland wie über die Polarisierung zwischen Arm
aber langfristig erhöht und der Abstand und Reich. Das Ausmaß der Einkom-
zwischen Armen und Reichen ist auch in mens- und Armutsdynamik in Deutsch-
den letzten Jahren weiterhin hoch. land, das hier ebenfalls im zeitlichen Ver-
In diesem Kapitel werden mit den Da- lauf dargestellt wird, gibt Hinweise auf
ten des Sozio-oekonomischen Panels die Chancen von Einkommensaufstiegen
(SOEP) die langjährigen Einkommens- und Risiken von Einkommensverlusten
entwicklungen in Deutschland insbeson- und beschreibt so auch die Durchlässig-
dere für den Zeitraum 1995 bis 2016 be- keit und Offenheit der Einkommens-
schrieben. Bei der Berechnung der Jah- schichtung. u Info 1

u Info 1
Daten und Methoden
Die Einkommen werden im SOEP im Rahmen der jährlichen Befragungen detailliert erfasst: Zum einen
wird das monatliche Haushaltsnettoeinkommen erfragt, also die regelmäßigen Einkünfte nach Abzug
von Steuern und Sozialabgaben zuzüglich erhaltener Sozialtransfers. Zum anderen werden jeweils
für das zurückliegende Jahr alle individuellen (Brutto-)Einkommen aller aktuell im Haushalt befragten
Personen erhoben. Diese individuellen Einkommenskomponenten werden über den Haushalt auf-
summiert und liefern so, mithilfe einer Schätzung der Steuer- und Sozialabgaben, die Jahresnetto-
einkommen des Vorjahres. Bei den Jahreseinkommen werden neben einmaligen Sonderzahlungen
(zum Beispiel 13., 14. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld) auf diese Weise auch Steuerrück-
zahlungen implizit berücksichtigt.

Die erhobenen Monatseinkommen bilden die zum Interviewmonat aktuell verfügbaren ökonomischen
Ressourcen für alle zu diesem Zeitpunkt im Haushalt lebenden Personen ab. Die Jahreseinkommen
beschreiben demgegenüber die von jeder aktuell im Haushalt lebenden Person im Vorjahr erzielten
Markt- und Nettoeinkünfte. Beide Einkommenskonzepte unterscheiden sich damit nicht nur hin-
sichtlich des zeitlichen Bezugsrahmens, sondern auch bezüglich der berücksichtigten Komponenten.
Im Folgenden werden deshalb Daten zu beiden Konzepten präsentiert.

Um die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung ver-


gleichbar zu machen, werden alle Haushaltseinkommen entsprechend dem inzwischen EU-weit
standardisierten Vorgehen unter Verwendung der neuen (revidierten) OECD-Skala in sogenannte
»Äquivalenzeinkommen« – das sind unter Bedarfsgesichtspunkten modifizierte Pro-Kopf-Einkommen –
umgerechnet. Alle Einkommensangaben werden in Euro ausgewiesen. Die Analysen erfolgen auf
Personenebene und repräsentieren – soweit nicht anders ausgewiesen – die in privaten Haushalten
lebende gesamte Bevölkerung in Deutschland. Die Anstaltsbevölkerung (zum Beispiel in Altersheimen)
bleibt unberücksichtigt. Bei der Darstellung der Einkommenssituation von Asylsuchenden und Ge-
flüchteten werden auch Personen in Gemeinschaftsunterkünften berücksichtigt.

239
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

6.4.1 Einkommensentwicklung u Abb 1 Entwicklung der Median-Äquivalenzeinkommen der privaten Haushalte


und -verteilung in Deutschland 1985 – 2016 — in Euro
Die verfügbaren durchschnittlichen Äqui-
valenzeinkommen (Median) der privaten
Vorjahres- Monats-
Haushalte sind nach den Daten des einkommen einkommen
SOEP in Deutschland nominal von monat- 25 000
lich 901 Euro im Jahr 1992 auf 1 600 Euro
im Jahr 2016 gestiegen, real (zu Preisen
von 2016) haben sich die Monatsein­ 20 000
1 500
kommen im selben Zeitraum von 1 326
auf 1 600 Euro erhöht. Die entsprechen-
den Vorjahreseinkommen lagen nominal 15 000 1 000
im Jahr 2016 bei 20 477 Euro und real bei
20 580 Euro.
Während die Nominaleinkommen 10 000
500
durchgehend stiegen, zeigten sich bei den
Realeinkommen seit Beginn der 1990er-
Jahre längere Phasen mit einem eher ge- 0 0

ringen Einkommenswachstum bei deut­ 1986 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014

lichen konjunkturellen Schwankungen. im Vorjahr: real¹ im Monat: real¹


im Vorjahr: nominal im Monat: nominal
Nach dem mit der deutschen Vereinigung
eingetretenen Boom und den zunächst
­hohen Einkommenszuwächsen in Ost- Vor 1989 (Äquvalenzeinkommen im Monat) beziehungsweise 1992 (Äquivalenzeinkommen im Vorjahr) nur Westdeutschland.
1 Zu Preisen von 2016.
deutschland erhöhten sich die Einkommen Datenbasis: SOEPv33l.

in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre nur


wenig. Zur Jahrtausendwende erfolgte er-
neut ein Einkommensanstieg, gefolgt
von einer längeren Phase wirtschaftlicher
Rezession mit zum Teil sogar rückläu­
figen Einkommensentwicklungen. Die
Darstellung der (realen) Einkommensent- sende Ungleichheitsmaße wie der Gini- zogen auf die monatlich verfügbaren
wicklung weist zwischen 2010 und 2015 Koeffizient. Hier zeigt sich, dass die ärms- Einkommen von einem mittleren Wert
mehrere methodische Anpassungen auf ten 20 % der Bevölkerung (das unterste von 0,24 in den Jahren 1995 bis 1999 auf
(Zensusbruch, stufenweise Anpassung der Quintil) bis zum Jahr 2000 über knapp 0,27 in den Jahren 2010 bis 2014 und wies
Hochrechnungsrahmen an detailliertere 10 % des monatlichen Gesamteinkommens für das Jahr 2016 weiterhin einen Wert
Informationen zum Migrationshinter- verfügten. Nach dem Jahr 2000 ging der von 0,28 auf. Die vorjahresbezogenen
grund), sodass die dargestellte Zunahme Einkommensanteil des ärmsten Quintils Einkommen der privaten Haushalte sind
der Einkommen in diesem Zeitraum stetig zurück und lag im Jahr 2016 nur im Allgemeinen etwas ungleicher verteilt
wahrscheinlich eher ­geringer ist als die noch bei etwa 9 %. Die reichsten 20 % als die enger gefassten monatlichen, da
tatsächliche. Von 2014 bis 2016 stiegen (das oberste Quintil) hatten demgegen- sie auch unregelmäßige Einkünfte oder
die Einkommen weiter an. u Abb 1 über bis 2000 etwa 35 % des monatlichen unterjährige Sonderzahlungen wie Boni
Die Betrachtung von mittleren Ein- Gesamteinkommens zur Verfügung, von beinhalten. Die Ungleichheit der verfüg­
kommenswerten sagt allerdings noch Beginn der 2000er-Jahre stieg bis zu den baren Vorjahreseinkommen stieg von
nichts darüber aus, wie gleich oder un- Jahren 2005 bis 2009 der Anteil allmählich ­einem mittleren Wert von 0,25 in den
gleich die Einkommen in der Bevölkerung auf fast 37 % an, für das Jahr 2016 lag der Jahren 1995 bis 1999 auf 0,29 in den Jah-
verteilt sind. Allgemeine Indikatoren zur Wert weiterhin bei 36,6 %. Der Abstand ren 2010 bis 2014 und verharrte weiter bis
Beschreibung der Einkommensungleich- zwischen Arm und Reich hat sich damit 2016 auf hohem Niveau. Übereinstim-
heit sind die Anteile am Gesamteinkom- im langjährigen Verlauf vergrößert. mend weisen alle Ungleichheitsindizes
men nach Einkommensschichten und de- Dies geht auch aus dem Gini-Koeffizi- ­einen Anstieg gegenüber den zurück­
ren Verhältnisse (Quintilsverhältnisse, enten, einem zusammenfassenden Un- liegenden Dekaden auf. Die Ungleich-
Palma-Ratio), die Verhältnisse von Ein- gleichheitsmaß (siehe Kapitel 6.3, Sei- heitsentwicklung zwischen 2010 und 2016
kommensschwellen sowie zusammenfas- te 233, Info 5), hervor: Dieser stieg be­ lässt sich zwar infolge der methodischen

240
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 1 Haushaltsnettoeinkommen der privaten Haushalte in Deutschland 1995 – 2016

Perioden Jahre

1995 – 1999 2000 – 2004 2005 – 2009 2010 – 2014 1996 2015 2016
Mittelwert des Äquivalenzeinkommens
(real, zu Preisen von 2016, in Euro)
im Monat 1 548 1 619 1 612 1 692 1 557 1 761 1 784
im Vorjahr 21 055 22 225 22 629 23 017 20 994 23 071 23 524
Änderungsrate (in %) ¹
im Monat . 4,6 – 0,5 5,0 . 13,1 1,3
im Vorjahr . 5,6 1,8 1,7 . 9,9 2,0
Median des Äquivalenzeinkommens
(real, zu Preisen von 2016, in Euro)
im Monat 1 389 1 447 1 416 1 492 1 399 1 546 1 600
im Vorjahr 18 832 19 801 19 718 20 083 18 828 20 103 20 580
Änderungsrate (in %) ¹
im Monat . 4,2 – 2,2 5,4 . 10,5 3,5
im Vorjahr . 5,1 – 0,4 1,9 . 6,8 2,4
Einkommensanteile
(Äquivalenzeinkommen im Monat)
der reichsten 10 % 20,8 21,6 22,5 22,3 21,2 22,1 22,0
der reichsten 20 % 34,8 35,6 36,7 36,7 35,0 36,7 36,6
der ärmsten 40 % 24,8 24,3 23,4 23,0 24,6 22,7 22,7
der ärmsten 20 % 10,1 9,8 9,4 9,2 10,0 9,0 8,9
Einkommensungleichheit
(Äquivalenzeinkommen im Monat)
Gini-Koeffizient 0,245 0,256 0,271 0,274 0,249 0,277 0,276
Verhältnis der Einkommensanteile (Q5 / Q1) ² 3,45 3,64 3,92 3,97 3,52 4,09 4,11
Verhältnis der Dezilschwellen (P90 / P10) ³ 2,95 3,07 3,28 3,39 2,98 3,57 3,50
Einkommensungleichheit
(Äquivalenzeinkommen im Vorjahr)
Gini-Koeffizient 0,254 0,261 0,286 0,285 0,256 0,288 0,293
Palma-Ratio ⁴ 0,871 0,912 1,039 1,028 0,884 1,030 1,064
Preisinidizes ⁵
Westdeutschland 77,1 82,4 89,4 96,6 76,1 99,5 100
Ostdeutschland 77,0 82,4 89,4 96,6 75,8 99,5 100

1 Prozentuale Steigerung gegenüber dem in der Vorspalte angegebenen Zeitraum beziehungsweise Zeitpunkt.
2 Verhältnis der Einkommenssumme im 5. Quintil (reichste 20%) zur Einkommenssumme im 1. Quintil (ärmste 20%).
3 Die jeweilige Dezilschwelle teilt die nach steigendem Einkommen sortierten Beobachtungen, so ist P10 derjenige Einkommenswert, bei dem 10% der Bevölkerung unterhalb dieses Wertes liegen und 90% darüber.
4 Verhältnis der Einkommensanteile (reichste 10%/ärmste 40%).
5 Die Preisindizes werden bis 1998 für Ost und West getrennt. Sie beziehen sich bei (Vor-)Jahresangaben jeweils auf das Einkommens(vor)jahr.
. Zahlenwert unbekannt.
Datenbasis: SOEPv33l; Destatis 2017; eigene Berechnungen.

Umstellungen im SOEP und in der amtli- also noch ohne Berücksichtigung von di- erhöht und verharrte bis 2016 auf hohem
chen Statistik nicht exakt beschreiben, die rekten Steuern und Sozialtransfers. Hieran Niveau. Diese erhebliche Zunahme an
verschiedenen Indikatoren lassen aber wird deutlich, dass die Ungleichheit der in Ungleichheit der überwiegend aus Er-
keine Umkehr im Trend anhaltend hoher den privaten Haushalten jeweils erwirt- werbstätigkeit erzielten Markteinkom-
Ungleichheitswerte erkennen. u Tab 1 schafteten Markteinkommen (mit und men hat bis 2005 maßgeblich zu einer zu-
Anhand des jahresbezogenen Ein- ohne Renten) noch erheblich stärker ge- nehmend größeren Ungleichheit der dar-
kommenskonzeptes lassen sich zudem stiegen ist als bei den daraus hervorgehen- aus abgeleiteten Nettoeinkommen der
auch Ungleichheitsziffern für die zugrun- den Haushaltsnettoeinkommen: Der Gini- privaten Haushalte beigetragen. u Abb 2
de liegenden Markteinkommen (brutto) Koeffizient der in den privaten Haushalten Die Ungleichheit der haushaltsbezo-
berechnen, die in den privaten Haushal- erzielten Markteinkommen hat sich seit genen Markt- und Nettoeinkommen wird
ten vor Eingriff des Staates erzielt werden, der deutschen Vereinigung bis 2006 stetig von den Entwicklungen am Arbeitsmarkt,

241
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

Entwicklung der Einkommensungleichheit (Gini) bei Haushaltsnetto- und Markteinkommen


u Abb 2 Entwicklung der Einkommensungleichheit bei Haushaltsnetto- und -markteinkommen (Gini)
und der Umverteilungsraten 1988 – 2016 — in Prozent

Gini- Umverteilungs-
Koeffizient raten in %

0,55 50

0,50 45

0,45 40

0,40 35

0,35 30

0,30 25

0,25 20

0,20 15
1990 1995 2000 2005 2010 2015

Umverteilungsraten Umverteilungsraten Gini-Koeffizient Gini-Koeffizient Gini-Koeffizient Gini-Koeffizient


(ohne Renten) (mit Renten) Nettoeinkommen Nettoeinkommen Markteinkommen im Markteinkommen
im Monat im Vorjahr Vorjahr und Rente im Vorjahr

Bei Monatseinkommen von 1985 bis 1989 nur Westdeutschland; bei Vorjahreseinkommen von 1985 bis 1991 nur Westdeutschland.
Datenbasis: SOEPv33l.

1 Bei Monatseinkommen von 1985 bis 1989 nur Westdeutschland; bei den Vorjahreseinkommen von 1985 bis 1991 nur Westdeutschland
Datenbasis: SOEPv28

von soziodemografischen Veränderungen wieder etwas, sie lag auch nach Einschluss Die Berechnung der Einkommensschich-
sowie von Maßnahmen im Bereich der der Rentenleistungen zuletzt wieder auf ten erfolgt auf Grundlage der gesamt-
sozialstaatlichen Sicherung bestimmt. dem Niveau der frühen und mittleren deutschen Einkommensverteilung an-
Die relative Differenz der beiden Un- 1990er-Jahre. hand der Realeinkommen zu Preisen
gleichheitskoeffizienten (Ungleichheit von 2016.
des Brutto- und Nettohaushaltseinkom- 6.4.2 Einkommensschichtung Die beiden untersten Einkommens-
mens) illustriert, inwieweit sozialstaat­ und relative Armut schichten mit weniger als 60 % bezie-
liche Eingriffe in Form von direkten Die Zunahme der Ungleichheit geht mit hungsweise 50 % der mittleren bedarfsge-
Steuern und Transfers die Ungleichheit einer Veränderung der Einkommens- wichteten Medianeinkommen leben in
reduzieren. Im Zuge der deutschen Ver­ schichtung einher. Bei der Schichtung relativer Einkommensarmut (unter 60 %
einigung stieg der Einf luss der sozial- der Bevölkerung nach Einkommen wer- des Medianeinkommens) oder strenger
staatlichen Umverteilung in den 1990er- den verschiedene Einkommensklassen in Einkommensarmut (unter 50 % des Me-
Jahren stark an. Die durch staatliche prozentualer Relation zu einem Referenz- dianeinkommens), die höchsten Einkom-
Maßnahmen erfolgte Reduzierung an wert, hier dem mittleren Wert der Ein- mensklassen ab dem Doppelten der mitt-
Ungleichheit verringerte sich seit 2006 kommensverteilung (Median), betrachtet. leren bedarfsgewichteten Einkommen

242
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 2 Einkommensschichtung und Einkommensarmut 1995 – 2016


— in Prozent

Perioden Jahre

1995 – 1999 2000 – 2004 2005 – 2009 2010 – 2014 1996 2015 2016

Äquivalenzeinkommen im Monat (real)


Bevölkerungsanteile nach Einkommensschichten
(Median = 100 %)
≥ 300 % 1,0 1,3 1,8 1,6 1,0 1,5 1,3

200 – < 300 % 4,5 5,0 5,8 5,8 4,6 5,7 5,8

150 − < 200 % 10,8 10,8 11,6 11,5 10,7 13,3 12,1

125 − < 150 % 12,6 12,6 11,8 12,6 12,9 12,8 13,3

100 − < 125 % 21,8 21,3 19,6 19,1 20,9 16,9 18,6

75 − < 100 % 26,3 25,4 24,5 22,4 26,1 23,0 22,0

60 – < 75 % 12,2 11,9 12,0 12,9 12,9 11,8 11,2

50 − < 60 % 5,2 6,0 6,4 7,0 4,9 7,3 7,4

< 50 % 5,5 5,8 6,5 7,1 6,1 7,8 8,3

Armutsschwelle: 60 % des Medians

FGT (0) (Armutsquote) 10,7 11,7 12,9 14,1 10,9 15,1 15,7

FGT (1) (Armutslücke) 2,2 2,5 2,8 3,0 2,4 3,2 3,7

FGT (2) (Armutsintensität) 0,7 0,9 1,0 1,0 0,9 1,1 1,4

Äquivalenzeinkommen im Vorjahr (real)

Armutsschwelle: 60 % des Medians

FGT (0) (Armutsquote) 11,3 11,9 14,1 14,4 11,5 15,2 15,9

FGT (1) (Armutslücke) 2,8 2,9 3,4 3,4 3,0 3,7 4,1

FGT (2) (Armutsintensität) 1,1 1,2 1,3 1,3 1,3 1,5 1,7

Datenbasis: SOEPv33l.

(ab 200 % des Medianeinkommens) kenn- Der hier verwendete Armutsbegriff nannten FGT-Maßes (nach den Autoren
zeichnen den Bevölkerungsanteil mit aus- beruht auf dem sogenannten relativen Ar- Foster, Greer und Thorbecke) weiter diffe-
geprägtem materiellen Wohlstand. mutskonzept und orientiert sich an der renziert: Neben der Armutsquote FGT (0),
Anhand der relativen Einkommens- Definition der Europäischen Union. Ge- die den Umfang der Armutspopulation in
schichtung lassen sich die bei der Einkom- mäß den vom Statistischen Amt der EU Prozent ausweist, werden dabei auch die
mensungleichheit beschriebenen Trends (Eurostat) empfohlenen Schwellenwerten Armutsintensität und die Armutsun-
differenzierter abbilden. Es lässt sich able- gilt demnach als arm, wer in einem Haus- gleichheit berücksichtigt. Die Kennziffer
sen, inwieweit alle Bevölkerungsteile in halt lebt, dessen Nettoäquivalenzeinkom- FGT (1) entspricht der Armutslücke, das
gleicher Weise an der Wohlstandsent- men weniger als 60 % des Medians der heißt dem relativen Einkommensbetrag
wicklung des Landes teilhaben. Die Bevöl- Einkommen in der gesamten Bevölkerung (in Prozent des Schwellenwertes), der er-
kerungsanteile am unteren Rand der Ein- beträgt. Genau genommen wird ab dieser forderlich wäre, um die Armutsgrenze zu
kommensverteilung erhöhten sich in den Schwelle von einem deutlich erhöhten überwinden. Die erweiterte Armutsin-
letzten Dekaden. Auch die Bevölkerungs- Armutsrisiko gesprochen, da das Einkom- tensität FGT (2) berücksichtigt zudem
anteile am oberen Rand erhöhten sich bis men nur einen indirekten Indikator für die Ungleichheit innerhalb der Armut-
2009 und blieben seitdem relativ stabil. Armut darstellt. Deshalb wird im EU- spopulation und gewichtet Personen in-
Entsprechend gingen die Anteile in den Kontext eher der Begriff »Armutsrisiko- nerhalb der Armutspopulation stärker,
dazwischenliegenden mittleren Einkom- quote« genutzt; in diesem Kapitel werden je weiter sie von der Armutsgrenze ent-
mensschichten insgesamt zurück. Der die Begriffe »Armutsquote« und »Armuts- fernt sind; besonders niedrige Einkom-
Rückgang der mittleren Einkommens- risikoquote« synonym verwendet. men fallen also stärker ins Gewicht als
gruppen erfolgte aber nicht linear für alle Die auf dem Median basierenden Ar- Einkommen die knapp unter der 60-Pro-
Teilgruppen gleichermaßen. u Tab 2 mutsquoten werden anhand des soge- zent-Schwelle liegen.

243
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

Im Jahr 2016 lebten auf Grundlage der u Abb 3 Entwicklung der Bevölkerungsanteile in Armut
monatlichen Haushaltsnettoeinkommen nach unterschiedlichen Indikatoren 1992 – 2016 — in Prozent
15,7 % der gesamtdeutschen Bevölkerung
in relativer Einkommensarmut und bei
25
Verwendung entsprechender Vorjahres-
einkommen 15,9 %. Damit hat sich die Ar-
mutsrisikoquote im Vergleich zum Vor-
jahr (15,1 % bei Monats- und 15,2 % bei
Vorjahreseinkommen) jeweils nur leicht
erhöht. Die Armutslücke FGT (1) betrug 20
3,7 % gemessen am Monatseinkommen
und 4,1 % bei Zugrundelegen des Jahres-
einkommens. Das heißt, im Durchschnitt
wäre eine Einkommenssteigerung um gut
4 % erforderlich gewesen, um die Armuts-
15
schwelle zu überwinden. Die längerfristi-
ge Entwicklung belegt eine deutliche Zu-
nahme des Armutsrisikos gegenüber den
zurückliegenden Dekaden. Übereinstim-
mend weisen Monats- und Jahreseinkom-
men auch bei Betrachtung der Armuts­ 10
lücke (FGT1) und der erweiterten Armuts-
intensität (FGT2) innerhalb der letzten
20 Jahre eine deutliche Erhöhung auf.
Die amtliche Sozialberichterstattung
der EU weist darüber hinaus noch weite-
5
re Armutsindikatoren aus. Diese alterna-
tiven Armutsmessungen – zum Beispiel
auf Basis der monatlichen Einkommen
nach Abzug von Wohnkosten oder auf
Basis der Vorjahreseinkommen vor Steu-
ern und Sozialabgaben oder mit Einkom- 0
menszuschlag für selbstgenutztes Wohn- 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
eigentum – wiesen innerhalb der letzten Vorjahreseinkommen Vorjahreseinkommen vor
Jahre ebenfalls leichte bis mäßige Anstie- (60% des Medians) Steuern und Sozialabgaben,
einschließlich Renten ¹
ge der Armutsrisiken auf. Ein weiterer
Indikator ist die zeitversetzte Armutsrisi- Vorjahreseinkommen inklusive Vorjahreseinkommen
Einkommensvorteil aus (permanente Armut) ²
koquote, bei der als Armutsschwelle die
selbstgenutztem Wohneigentum
mittleren Werte der beiden vorausgehen-
den Armutsschwellen verwendet wurden. Monatseinkommen Monatseinkommen
(60% des Medians) mit zeitlich versetzter
Diese zeitversetzte Armutsrisikoquote Armutsgrenze ³
war seit 2014 rückläufig – die zuletzt be-
Monatseinkommen nach
obachteten Armutszuwächse sind dem- Abzug von Wohnkosten ⁴
zufolge auf allgemeine Einkommensan-
stiege zurückzuführen, an denen die un- 1 Die Armutsgefährdungsquote vor Sozialtransfers zählt zu den EU-Sekundärindikatoren. Hierbei wird dieselbe Schwelle wie
bei den verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen (nach Sozialtransfers) verwendet.
tersten Einkommensschichten nicht oder 2 Die permanente Armutsquote wird entsprechend dem EU-Primärindikator (Quote der dauerhaften Armutsgefährdung
[60% des Medians]) berechnet. Sie bezeichnet den Anteil der Personen mit einem Einkommen unter
nur unterdurchschnittlich teilhatten. Der der Armutsgefährdungsschwelle im laufenden Jahr und in mindestens zwei der drei vorausgehenden Jahre.
3 Die zeitversetzte Armutsrisikoquote zählt ebenfalls zu den EU-Sekundärindikatoren (Armutsgefährdungsquote
ebenfalls zu beobachtende (leichte) An- bei zeitlicher Verankerung der Armutsgefährdungsschwelle). Als Armutsschwelle wurden hierbei jeweils
die mittleren Werte (preisbereinigt) der beiden vorausgehenden Armutsschwellen (t-1 und t-2) verwendet.
stieg an permanenter Armut deutet indes 4 Bei dem Verfahren werden – ähnlich wie beim imputed-rent-Ansatz – für Haushalte mit unterschiedlicher Ausstattung
und Zusammensetzung jeweils regionale Vergleichsmieten geschätzt. Die verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen werden
darauf hin, dass derzeit noch keine An- dann bei Mietern und Eigentümern unter Berücksichtigung der Vergleichsmieten um die tatsächlichen Wohnkosten bereinigt.
Datenbasis: SOEPv33l.
zeichen für eine grundlegende Umkeh-
rung des Trends anhaltend hoher Armuts-

244
Entwicklung des monatlichen Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens

Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Abb 4 Entwicklung der monatlichen Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen (real) der Bevölkerung abgrenzen; sie beschrei-
in West- und Ostdeutschland 1984 – 2016 — in Euro ben also die Einkommensspanne, die das
Wohlstandsniveau von 80 % der jeweili-
3 000
gen Bevölkerung ohne die jeweils reichs-
ten und ärmsten 10 % umfasst, und kenn-
zeichnen so auch das Ausmaß an Einkom-
mensungleichheit. u Abb 4
2 500
Die Einkommen in Ostdeutschland
lagen in allen Jahren bei allen Einkom-
mensniveaus unter den vergleichbaren
2 000 Schwellen in Westdeutschland. Im Zeit-
verlauf glich sich die Verteilung der Real-
einkommen in Ostdeutschland bei allen
1500 Einkommensgruppen schrittweise an die
Entwicklung der Westeinkommen an. Die
unteren Einkommensgruppen (10-Pro-
zent-Schwelle und 25-Prozent-Schwelle)
1 000
schlossen unmittelbar nach der deutschen
Vereinigung zunächst sehr schnell zu den
höheren Westschwellen auf. Im Zuge der
500 wirtschaftlichen Rezessionsphasen nach
der Jahrtausendwende haben sich die Ost-
West-Abstände hier aber bis 2005 zwi-
0 schenzeitlich wieder vergrößert und
1984/89 1990/94 1995/99 2000/04 2005/09 2010/14 2015/16 2015/2016 lagen die Ost-West-Relationen
Westdeutschland Ostdeutschland wiederum bei etwa 87 %. Die mittleren
und höheren Einkommen (50-Prozent-
Zu Preisen von 2016.
Datenbasis: SOEP v33l. Schwelle und 75-Prozent-Schwelle) haben
sich langsamer an die höheren Westein-
kommen angenähert. Im Jahr 2016 erziel-
ten Ostdeutsche dieser Einkommens-
schwellen 87 % beziehungsweise 84 % der
risiken zu erkennen sind. Über die ver- lung der verschiedenen Einkommens- jeweiligen Westeinkommen. Bei den Top­
schiedenen Indikatoren zeigt sich daher schwellen der verfügbaren Haushaltsein- einkommen (90-Prozent-Schwelle) lag die
im längerfristigen Trend konsistent eine kommen dokumentieren. Die jährlichen Einkommensrelation 2015/2016 bei 80 %.
Zunahme der gemessenen Armut. Dies Angaben werden dazu in Perioden zu- Stellt man weiterhin bestehende Kauf-
gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass sammengefasst. Bei dieser Darstellung kraftvorteile in Ostdeutschland in Rech-
die Armutszuwächse wegen der erforder- werden Niveau und Verteilung der Ein- nung, so verringern sich bei fast allen
lichen methodischen Anpassungen bei kommen gleichzeitig betrachtet: Die Einkommensgruppen die Einkommens-
einzelnen Messungen seit 2010 wahr- mittlere Linie der Blöcke in Abbildung 4 diskrepanzen auf weniger als 10 %. In der
scheinlich leicht überzeichnet sind. u Abb 3 stellt den jeweiligen Median dar, also den letzten Dekade setzte sich die Annähe-
Einkommensschwellenwert, der von je- rung insbesondere der höheren Einkom-
6.4.3 Angleichung der weils der Hälfte der Bevölkerung unter- men weiter fort, zugleich blieben aber im
Einkommen zwischen Ost- beziehungsweise überschritten wird. In untersten Einkommensbereich die Ab-
und Westdeutschland analoger Form geben die Ober- und Un- stände zwischen Ost und West erhalten –
Bei der differenzierten Betrachtung der tergrenzen der Blöcke die Einkommens- Ostdeutsche sind weiterhin stärker von
gesamtdeutschen Einkommensverteilung schwellen wieder, die zusammen die Niedrigeinkommen und Einkommensar-
sind weiterhin Unterschiede zwischen mittleren 50 % der Einkommen in der Be- mut betroffen.
Ost- und Westdeutschland zu beobach- völkerung umfassen; die äußeren Linien In Westdeutschland erhöhten sich die
ten. Die Angleichung der Einkommens- veranschaulichen schließlich die soge- Abstände zwischen unteren und höheren
verhältnisse zwischen Ost und West lässt nannten Dezilschwellen, die die jeweils Einkommen über einen langen Zeitraum
sich anschaulich anhand der Entwick- reichsten beziehungsweise ärmsten 10 % stufenweise. In Ostdeutschland waren

245
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

die Einkommen von vornherein weit we- Tab 3a); insbesondere bei den Stadtstaaten 6.4.4 Einkommensunterschiede
niger ungleich verteilt. Die Ungleichheit waren erhöhte Einkommensrisiken mit bei Personen mit
der Osteinkommen hat sich langfristig gestiegenen Armutsquoten zu beobachten. Migrationshintergrund
aber deutlich erhöht. In den Jahren Dazu wurden die westlichen Bundeslän- Die Bevölkerung mit direktem (selbst
2015/2016 entsprach der Gini-Koeffizient der nach Nord (Hessen, Niedersachsen, ­e ingewandert) oder indirektem (Eltern
für Ostdeutschland etwa dem Ungleich- Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Hol- eingewandert) Migrationshintergrund
heitsniveau der Westeinkommen zum stein) und Süd (Bayern, Baden-Württem- variiert sehr stark hinsichtlich der Her-
Zeitpunkt der deutschen Vereinigung. berg, Rheinland-Pfalz, Saarland) unter- kunftsländer und dem jeweiligen Ausbil-
Die Dezil-Ratios erreichten in den Jahren teilt und die Stadtstaaten (Berlin, Bremen, dungsgrad (siehe Kapitel 7.3, Seite 272).
2015/2016 bereits das Westniveau der Hamburg) als eigene Kategorie erfasst. Entsprechend breit streuen auch die Ein-
Jahre 2005 bis 2009. Die hier betrachteten Die regionale Differenzierung auf der kommen. Die Einkommen der Bevölke-
Haushaltsnettoeinkommen sind in Ost- Ebene der Bundesländer zeigt zwar weite- rung ohne Migrationshintergrund lagen
deutschland infolge der stärkeren sozial- re Variationen in der Einkommensvertei- im Jahr 2016 bei allen Einkommens-
staatlichen Umverteilung auch weiterhin lung und im Armutsrisiko, es wird aber schichten über den Vergleichswerten der
noch weniger ungleich verteilt, die Un- deutlich, dass in Ostdeutschland das Ein- Gesamtbevölkerung, im unteren Ein-
gleichheit der zugrunde liegenden Haus- kommensniveau und die Einkommen- kommensbereich bei 8 % bis 12 %, im
haltsmarkteinkommen ist bereits seit sungleichheit nie­d riger und das Armuts- mittleren und oberen Einkommensbe-
Mitte der 1990er-Jahre höher als in West- risiko der Be­völkerung wesentlich höher reich bei 3 % bis 5 % über dem jeweiligen
deutschland. waren als in den meisten westdeutschen Vergleichswert.
Weiterführende Analysen zeigen, dass Regionen – wobei innerhalb Ostdeutsch- Die Medianeinkommen von Personen
bei einer regional differenzierteren Be- lands sich die Armutsrisiken zwischen mit indirektem Migrationshintergrund
trachtung auch innerhalb Westdeutsch- Stadt und Land in den Jahren 2015/2016 sowie Personen mit direktem Migrations-
lands Unterschiede zutage treten (siehe nicht unterschieden. hintergrund und längerer Aufenthalts-

246
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

dauer (über 10 Jahre) lagen im Jahr 2016 zur Gesamtbevölkerung in den unteren über verschiedene Jahre gemittelt − dazu
bei 83 % bis 88 % des Vergleichswertes der und mittleren Einkommensklassen 33 % werden neben der letzten Zweijahresperi-
Gesamtbevölkerung. An den unteren und bis 44 %, in der oberen Einkommenshälf- ode (2015/2016) auch die zurückliegen-
oberen Rändern lagen die Einkommen te sogar nur 28 %. Bei Schutzsuchenden den Fünfjahresperioden für die Zeit­
dieser Personen mit 92 % bis 93 % (untere in Gemeinschaftsunterkünften lagen räume (2005 bis 2009) und (2010 bis 2014)
Ränder) beziehungsweise 87 % bis 90 % die Einkommensrelationen bei allen betrachtet.
(obere Ränder) etwas näher an den Ver- Schwellen noch niedriger (zumeist zwi- Im Folgenden wird gezeigt, welche
gleichswerten in der Gesamtbevölkerung. schen 20 % und 30 % der Gesamtbevölke- Bevölkerungsgruppen, Familien- und
Bei Menschen mit direktem Migrations- rung). u Abb 5 Haushaltsformen über- oder unterdurch-
hintergrund und kürzerer Aufenthalts- schnittlich von Armut betroffen sind. Die
dauer waren die Einkommen in der unte- 6.4.5 Armut in verschiedenen Armutskennziffern beziehen sich auf die
ren Einkommenshälfte niedriger (75 % Bevölkerungsgruppen Verteilung des monatlichen Haushalts-
bis 76 % der Gesamtbevölkerung), höhere Die Armutsrisiken unterscheiden sich er- nettoeinkommens innerhalb der gesam-
Einkommen variierten demgegenüber heblich zwischen sozialen Gruppen und ten Bevölkerung. Neben der gesamtdeut-
weit weniger mit der Integrationsdauer. variieren im zeitlichen Verlauf, sowohl schen Darstellung im zeitlichen Verlauf
Asylsuchende und Geflüchtete, die in- hinsichtlich der Armutsbetroffenheit als werden die Armutsrisiken der jeweiligen
nerhalb der letzten drei Jahre nach auch hinsichtlich des Bevölkerungsan- Bevölkerungsgruppen hier für die Perio-
Deutschland zugezogen sind, wiesen im teils spezifischer Risikogruppen. Um de 2015/2016 auch in regionaler Differen-
Jahr 2016 erwartungsgemäß deutlich die Differenzierungen und Trends auch zierung dargestellt. Dazu werden Bevöl-
niedrigere Einkommen auf (siehe auch für kleine Bevölkerungsgruppen, die von kerungsanteile und Armutsrisiken in
Kapitel 7.4, Seite 280). Bei denjenigen, Armut betroffen sind, in robuster Weise Ostdeutschland sowie für den ländlichen
die in Privathaushalten lebten, betrug abzubilden, werden die Armutsquoten zu Raum (im gesamten Bundesgebiet) je-
die Einkommensrelation im Vergleich den ausdifferenzierten Personengruppen weils separat ausgewiesen.
Die Armutsrisiken haben sich in der
Gesamtbevölkerung erhöht, von 12,9 %
in den Jahren 2005 bis 2009 und 14,1 % in
den Jahren 2010 bis 2014 auf 15,4 % in den
u Abb 5 Verteilung der monatlichen Haushaltsnettoäquivalenzeinkommen
Jahren 2015/2016. Die bereits angespro-
bei Personen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten 2016 — in Euro
chenen methodischen Anpassungen kön-
nen sich dabei auch auf die Veränderung
von Bevölkerungsanteilen im Perioden-
verlauf bei spezifischen Risikogruppen
Gesamtbevölkerung
niederschlagen. Die Armutsrisikoquoten
in Ostdeutschland lagen 2015/2016 bei
ohne Migrations-
hintergrund¹ 21,5 % und damit deutlich über dem ge-
samtdeutschen Wert. Die Armutsrisiko-
mit indirektem quoten im ländlichen Raum lagen
Migrationshintergrund ¹
2015/2016 bei 16,6 % und damit eher ge-
mit direktem ringfügig über dem gesamtdeutschen
Migrationshintergrund ¹,
>10 Jahre in Deutschland Vergleichswert. u Tab 3a
mit direktem Frauen wiesen in Gesamtdeutschland
Migrationshintergrund ¹, in den Jahren 2015/2016 keine höheren
≤10 Jahre in Deutschland
Armutsrisiken mehr als Männer auf. In
Asylsuchende und Geflüchtete
in Privathaushalten, Ostdeutschland wie auch in den ländli-
≤3 Jahre in Deutschland chen Gebieten lagen die Armutsrisiken
Asylsuchende und Geflüchtete bei den Männern etwas höher. Das Ar-
in Gemeinschaftsunterkünften,
≤3 Jahre in Deutschland mutsrisiko von Kindern, Jugendlichen
und mittleren Altersgruppen erhöhte
500 1 000 1 500 2 000 2 500 3 000 sich im Zeitverlauf. Zudem ergaben sich
Verschiebungen bei den höheren Alters-
1 In Privathaushalten.
Datenbasis: SOEPv33l, Gewichtung unter Einschluss der Erst-Samples für Asylsuchende und Geflüchtete. gruppen: So haben sich die Armutsrisi-
ken der Personen im höheren Erwerbs­

247
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

u Tab 3a Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Bevölkerungsgruppen 2005 – 2016 — in Prozent

Deutschland (gesamt) Ostdeutschland ¹ Ländlicher Raum ²

Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke- Bevölke-


Armutsquote Armutsquote Armutsquote
60 % des Medians rungsanteil rungsanteil rungsanteil

2015 – 2016 2005 – 2009 2010 – 2014 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016

Bevölkerung insgesamt 100 12,9 14,1 15,4 100 21,5 100 16,6

Geschlecht

männlich 49,4 12,2 13,5 15,4 49,1 22,8 49,7 16,9

weiblich 50,7 13,5 14,6 15,5 50,9 20,3 50,3 16,3

Alter

Bevölkerung ab 18 Jahren 84,3 12,5 13,8 14,8 85,4 21,4 84,5 16,2

0 –10 Jahre 9,1 12,9 15,4 18,1 8,5 23,0 8,9 18,5

11– 20 Jahre 9,7 18,6 17,7 20,8 8,3 25,3 9,8 20,8

21– 30 Jahre 11,8 18,4 20,7 22,9 11,2 35,0 10,3 27,5

31– 40 Jahre 12,4 10,0 10,7 13,9 13,2 22,5 11,2 15,6

41– 50 Jahre 14,4 12,3 11,9 12,8 13,5 17,9 14,4 14,0

51– 60 Jahre 15,7 12,7 14,3 12,7 17,1 20,9 17,6 14,2

61–70 Jahre 11,6 9,1 12,7 15,3 12,4 25,5 13,2 17,6

ab 71 Jahren 15,3 10,4 11,7 11,4 15,9 9,1 14,6 10,3

Migrationshintergrund

ohne Migrationshintergrund 74,9 11,2 12,1 12,4 92,4 20,4 83,4 15,3

direkter Migrationshintergrund 14,7 22,3 23,8 25,7 3,7 44,0 10,0 23,8

indirekter Migrationshintergrund 10,4 16,6 18,0 22,7 3,8 27,2 6,6 21,9

Region ³

Region Nord-West 42,8 11,7 13,7 15,5 X X 31,5 15,3

Region Süd-West 34,3 10,9 11,4 11,9 X X 33,8 12,5

Stadtstaaten 7,3 13,2 15,6 19,2 9,9 22,8 X X

Region Ost 15,6 19,9 20,5 21,4 90,1 21,4 34,8 21,7

Regionstyp ²

städtisch 68,9 11,6 13,0 14,9 37,5 21,2 X X

ländlich 31,2 15,6 16,5 16,6 62,5 21,7 X X

Gemeindegrößenklasse

< 2 000 Einwohner 5,2 14,8 13,8 14,7 8,3 20,5 12,8 14,9

2 000 bis < 20 000 Einwohner 34,5 12,2 13,2 13,7 37,9 21,6 58,8 16,0

20 000 bis < 100 000 Einwohner 27,6 12,8 14,3 14,9 26,1 22,1 28,3 18,7

100 000 bis < 500 000 Einwohner 15,4 14,3 16,4 19,4 10,3 25,3 X X

> 500 000 Einwohner 17,2 12,2 13,7 16,7 17,5 18,8 X X

Mieterstatus

Eigentümerhaushalt 48,9 6,7 6,7 7,0 40,2 10,6 54,5 8,2

Mieterhaushalt 51,1 18,4 21,5 23,5 59,9 28,9 45,5 26,7

1 Ostdeutschland inklusive Berlin-Ost (unterschieden von Region Ost [ohne Berlin]).


2 Die Abgrenzung orientiert sich an der BBSR-Abgrenzung zum ländlichen Raum. Alle kreisfreien Großstädte sowie die städtischen Kreise bilden den städtischen Raum, alle ländlichen Kreise bilden
den ländlichen Raum.
3 Nord-West: Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein; Süd-West: Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland; Stadtstaaten: Berlin, Bremen, Hamburg;
Ost: Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern.
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEPv33l.

248
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

alter (51 bis 60 Jahre) verringert, die in den Jahren 2015/2016 hingegen unter land, 80 % in Ostdeutschland und 72 % im
­ rmutsrisiken beim Übergang in den
A den (hohen) Werten in Deutschland ins- ländlichen Raum die Bevölkerungsgrup-
Ruhestand (61 bis 70 Jahre) aber erhöht. gesamt, bei einem etwas geringeren Be- pe mit der höchsten Armutsbetroffenheit.
In Ostdeutschland wiesen alle Alters- völkerungsanteil als in der Gesamtbevöl- Auch in den anderen Erwerbsgruppen
gruppen mit Ausnahme der Älteren (ab kerung, aber einem höheren als in Ost- hatten jeweils nicht alle Personen an der
71 Jahren) überdurchschnittliche Armuts- deutschland. allgemeinen Wohlstandsentwicklung teil
risiken auf, insbesondere junge Erwach- Die regionale Differenzierung verdeut- und die Armutsrisiken erhöhten sich im
sene (21 bis 30 Jahre) sowie auch Perso- licht nochmals, dass die Armutsrisiken in Zeitverlauf jeweils etwas. Die Differen­
nen im weiteren Erwerbsalter. Zudem Ostdeutschland weiterhin höher sind als zierung der Armutsrisiken nach der Er-
waren Ältere in Ostdeutschland beim in den anderen Landesteilen. Allerding werbsbeteiligung gilt in gleicher Weise für
Übergang in den Ruhestand (61 bis wiesen die Stadtstaaten zuletzt hohe Zu- Ostdeutschland wie auch für den ländli-
70 Jahre) weit überdurchschnittlichen wächse bei den Armutsrisikoquoten auf, chen Raum.
Armutsrisiken ausgesetzt. Die ältere ost- mit deutlich überdurchschnittlichen Innerhalb der beruflichen Statusgrup-
deutsche Rentnergeneration profitierte Werten. Auch in den nordwestlichen Flä- pen fanden sich, von den Auszubildenden
dabei noch von systembedingten Unter- chenländern stiegen die Armutsrisiko- sowie Volontärinnen und Volontären, die
schieden in der Arbeitsmarktbeteiligung quoten. Die Bundesländer im Südwesten erwartungsgemäß erhöhten Armutsrisi-
mit durchgehenden Beschäftigungsver- Deutschlands wiesen weiterhin die ge- ken unterliegen, einmal abgesehen, die
hältnissen bei Männern und Frauen aus ringsten Armutsrisiken auf. Die Armuts- höchsten Armutsquoten unter den un-
der Zeit vor der deutschen Vereinigung. risiken im ländlichen Raum lagen etwas und angelernten Arbeiterinnen und Ar-
Bei der nachwachsenden Rentnerge­ über denen der Gesamtbevölkerung und beitern mit im Zeitverlauf steigender
neration kommen hingegen bereits die variierten wie diese nach Regionen. Tendenz. Insbesondere in Ostdeutsch-
Anpassungsbrüche in den Erwerbskarri- Die Armutsrisiken stiegen zuletzt ins- land befanden sich un- und angelernte
eren nach der Vereinigung mit erhöhter besondere in mittleren und größeren Arbeiterinnen und Arbeiter in erhebli-
Altersarmut zum Tragen. Im ländlichen Städten. In Ostdeutschland waren städti- chem Ausmaß in prekären Lebenslagen.
Raum waren insbesondere junge Er- sche und ländliche Gebiete gleicher­ Bei einfachen und qualifizierten Ange-
wachsene (21 bis 30 Jahre) stärker von maßen von hohen Armutsrisiken betrof- stellten stieg das Armutsrisiko im Unter-
Einkommensarmut betroffen. fen. Mieterhaushalte waren erwartungs- schied zu den Facharbeiterinnen und
Personen mit Migrationshintergrund gemäß weitaus stärker von Armutsrisiken Facharbeitern sowie Meisterinnen und
waren in allen Zeitabschnitten einem betroffen als Eigentümerhaushalte; dies Meistern im Zeitverlauf an, wohingegen
h öheren Armutsrisiko ausgesetzt als
­ gilt in gleicher Weise auch für Ost- Beamtinnen und Beamte sowie hoch qua-
die Bevölkerung ohne Migrationshinter- deutschland und den ländlichen Raum. lifizierte Angestellte 2015/2016 unverän-
grund. Personen mit direktem Migrati- Verheiratet Zusammenlebende sind dert ein sehr geringes Armutsrisiko tru-
onshintergrund, sprich mit eigener Mi­ nach wie vor am geringsten von Armut gen. Selbstständige wiesen insgesamt ein
grationserfahrung, wiesen darunter hö- betroffen. Getrenntlebende, Ledige und eher unterdurchschnittliches Armuts­
here Armutsrisiken auf als Personen mit Geschiedene tragen ein deutlich erhöhtes risiko auf, mit allerdings etwas höheren
indirektem Migrationshintergrund, die Armutsrisiko. Dies gilt in gleicher Weise Armutsquoten in Ostdeutschland sowie
in Deutschland geboren wurden. Der auch für Ostdeutschland und den länd­ im ländlichen Raum. Die im Zeitverlauf
starke Anstieg der ausgewiesenen Ar- lichen Raum. Für Personen mit Haupt- gestiegenen Armutsquoten betrafen in-
mutsrisiken bei Personen mit indirektem schulabschluss ohne beruf lichen Ab- nerhalb der erwerbstätigen Bevölkerung
Migrationshintergrund geht auch mit schluss oder mit sonstigem Bildungshin- demzufolge insbesondere gering qualifi-
der genaueren methodischen Erfassung tergrund erhöhten sich die Armutsrisiken zierte Arbeiterinnen und Arbeiter und
dieser Personengruppen einher. In Ost- im Zeitverlauf. Diese Personen wiesen in einfache Angestellte.
deutschland ist die Armutsbetroffenheit Deutschland insgesamt wie auch in Ost- Bei der Betrachtung nach Haushaltsty-
bei Migrantinnen und Migranten – ins- deutschland oder dem ländlichen Raum pen zeigte sich im Zeitverlauf ein Anstieg
besondere mit direktem Migrations­ jeweils eine weit überdurchschnittliche der Armutsquoten bei Einpersonenhaus-
hintergrund − deutlich höher als in Betroffenheit von Armut auf. u Tab 3b halten und Mehrpersonenhaushalten ab
Deutschland insgesamt, allerdings ist ihr Arbeitslose tragen nach wie vor ein 5 Personen sowie bei jüngeren Haushal-
Bevölkerungsanteil hier weit geringer als sehr hohes Armutsrisiko, das sich im ten. In Ostdeutschland waren zudem die
in Westdeutschland. Im ländlichen zeitlichen Verlauf (ungeachtet der zuletzt Armutsquoten von Haushalten beim Ein-
Raum lagen die Armutsrisiken bei Mi­ sinkenden Bevölkerungsanteile) noch tritt in den Ruhestand (Haushaltsvor-
grantinnen und Migranten mit direktem weiter erhöht hat. Sie waren in den Jahren stand 55 bis 74 Jahre) überdurchschnitt­
oder indirektem Migrationshintergrund 2015/2016 mit 65 % in Gesamtdeutsch- lich hoch. u Tab 3c

249
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

u Tab 3b Betroffenheit von Armut in Deuschland nach Bildungs- und Beschäftigungsmerkmalen 2005 – 2016 — in Prozent
Deutschland (gesamt) Ostdeutschland ¹ Ländlicher Raum
Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke- Bevölke-
Armutsquote Armutsquote Armutsquote
60 % des Medians rungsanteil rungsanteil rungsanteil
2015 – 2016 2005 – 2009 2010 – 2014 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016
Bevölkerung ab 18 Jahren 100 12,5 13,8 14,8 100 21,4 100 16,2
Familienstand
verheiratet / zusammen lebend 49,9 8,4 9,4 9,8 46,1 13,1 51,0 9,7
verheiratet / getrennt lebend 2,4 21,2 21,3 23,3 2,4 28,3 2,3 27,4
ledig 29,9 17,7 18,8 20,7 31,6 33,3 27,3 25,0
geschieden 10,0 21,7 22,3 23,5 10,8 32,7 11,0 26,6
verwitwet 7,8 10,4 12,5 11,7 9,1 7,1 8,4 11,1
Bildungsabschluss
Hausptschule ohne beruflichen
8,7 25,0 29,5 31,7 6,0 44,8 9,1 29,2
­A bschluss
Realschule, Gymnasium
3,9 14,6 17,6 16,8 2,6 28,8 3,1 20,2
ohne beruflichen Abschluss
Hauptschule mit beruflichem Abschluss 21,5 10,7 12,5 13,2 17,1 23,4 24,2 15,4
Realschule mit beruflichem Abschluss 23,5 10,2 11,0 12,5 38,7 20,7 30,0 13,8
Gymnasium mit beruflichem Abschluss 10,2 11,0 12,5 11,8 8,0 20,1 7,5 11,6
Fachhochschule, Universität 22,4 4,8 5,3 6,6 23,3 8,8 17,6 8,8
in Lehre, Schule, Studium 1,5 18,2 20,0 22,3 1,0 22,7 1,5 25,6
Sonstige 8,5 22,2 25,2 27,9 3,4 53,8 6,9 26,6
Erwerbsstatus
erwerbstätig Vollzeit 38,5 4,4 4,6 4,8 39,1 7,0 38,5 5,8
erwerbstätig Teilzeit / gering 19,7 12,6 13,8 15,2 16,4 24,2 20,2 17,3
arbeitslos 6,1 51,8 61,3 65,3 9,9 79,7 6,5 72,0
in Ausbildung 3,7 22,7 27,1 28,3 2,8 33,5 3,0 30,1
nicht erwebstätig 32,1 11,7 14,2 15,4 31,8 18,5 31,9 15,3
Berufliche Stellung
un- / angelernte Arbeiter /-innen 11,8 16,1 20,0 20,1 11,1 34,6 14,7 20,7
Facharbeiter /-innen, Meister /-innen 10,9 5,8 6,8 5,9 15,7 6,4 14,3 6,1
Selbstständige 9,7 8,9 10,9 10,7 10,8 19,6 9,5 14,1
Auszubildende, Volontärinnen /
4,5 23,1 23,8 27,2 4,4 40,7 4,7 26,2
Volontäre
einfache Angestellte 15,9 10,2 11,6 14,8 16,4 18,4 16,6 16,4
qualifizierte Angestellte 25,3 2,5 3,2 4,4 23,5 7,3 22,9 5,9
leitende Angestellte 15,8 1,2 1,1 1,2 14,1 4,1 11,6 2,5
einfache / mittlere Beamtenschaft 1,6 0,8 1,0 2,2 1,6 0,0 1,9 2,5
gehobene / höhere Beamtenschaft 4,6 0,6 1,2 0,9 2,4 0,0 3,8 0,0

1 Ostdeutschland inklusive Berlin-Ost.


Datenbasis: SOEPv33l.

Ordnet man die unterschiedlichen gere Alleinlebende inzwischen ähnlich dig innerhalb der Älteren vermehrt
Haushaltstypen nach dem Ablauf im stark von Armut betroffen wie Alleiner- Gruppen mit wachsenden Armutsrisiken.
­L ebenszyklus, so fällt zuerst der starke ziehende. Auch Paarhaushalte mit drei Die niedrigsten Armutsquoten hatten
Anstieg der Armutsquoten bei jungen und mehr Kindern waren überdurch- Paarhaushalte ohne Kinder.
­A lleinlebenden ins Auge. In den Jahren schnittlich stark von Armut betroffen.
2015/2016 waren jeweils mehr als ein Bei Singlehaushalten im Alter von 55 bis 6.4.6 Dynamik von
Drittel aller jungen Einpersonenhaus­ 74 Jahren war das Armutsrisiko in den Einkommen und Armut
halte von Einkommensarmut (36 %) be- Jahren 2015/2016 in Ostdeutschland Die Stabilität beziehungsweise die Dyna-
troffen; sogar noch höher lagen die Antei- überdurchschnittlich ausgeprägt. Unge- mik von Einkommen und Armut gibt
le in Ostdeutschland (49 %) wie auch im achtet der insgesamt noch weiterhin eher Auskunft über die Chancen und Risiken
ländlichen Raum (46 %). Damit sind jün- niedrigen Altersarmut gab es offenkun- zur Verbesserung beziehungsweise Ver-

250
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

u Tab 3c Betroffenheit von Armut in Deuschland nach Haushaltsmerkmalen 2005 – 2016 — in Prozent
Deutschland (gesamt) Ostdeutschland ¹ Ländlicher Raum
Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke- Bevölke-
Armutsquote Armutsquote Armutsquote
60 % des Medians rungsanteil rungsanteil rungsanteil
2015 – 2016 2005 – 2009 2010 – 2014 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016 2015 – 2016
Bevölkerung insgesamt 100 12,9 14,1 15,4 100 21,5 100 16,6
Haushaltsgröße
1-Personen-Haushalt 21,0 17,7 19,8 22,1 25,2 31,4 19,8 24,6
2-Personen-Haushalt 33,9 9,4 10,3 10,3 35,2 15,4 35,4 11,7
3-Personen-Haushalt 18,1 12,7 14,0 13,8 20,7 19,5 19,1 17,2
4-Personen-Haushalt 18,1 9,8 10,6 12,6 12,6 16,1 17,4 12,0
ab 5-Personen-Haushalt 8,9 21,9 22,9 28,7 6,3 33,9 8,4 27,0
Alter des Haushaltsvorstands
16 – 34 Jahre 15,2 17,1 20,3 23,4 16,3 36,3 13,6 27,5
35 – 54 Jahre 44,0 13,0 12,8 14,8 40,4 18,6 43,9 14,9
55 – 74 Jahre 28,9 11,1 13,9 13,6 30,8 22,4 31,2 16,4
ab 75 Jahren 11,9 10,9 12,2 12,0 12,5 9,4 11,3 10,8
Personengruppen
Haushaltsvorstand 54,3 13,5 14,8 16,0 57,0 23,4 53,7 17,5
(Ehe-)Partner 21,5 8,7 9,6 9,9 22,1 14,7 22,4 11,1
Kind(er) bis 17 Jahre 15,4 14,5 15,4 18,6 14,3 22,5 15,2 19,1
Kind(er) ab 18 Jahren 7,7 17,5 18,5 18,4 5,7 25,2 8,0 20,5
weitere Haushaltsmitglieder 1,1 / / / 0,8 / 0,8 /
Haushaltstypen
Singlehaushalt 21,0 17,7 19,8 22,1 25,2 31,4 19,8 24,6
Partnerhaushalt 29,7 7,1 7,9 8,0 31,4 13,2 31,3 9,2
Familienhaushalt 29,8 11,4 12,0 14,4 25,9 17,8 29,7 14,4
Ein-Eltern-Haushalt 4,8 34,1 33,7 37,2 6,2 35,9 5,0 41,4
Post-Eltern-Haushalt ² 13,5 14,4 16,2 14,3 10,5 21,8 13,5 16,8
anderer Haushalt 1,3 / / / 0,8 / 0,8 /
Haushalts- / Lebenszyklus
Haushaltsvorstand 16 – 34 Jahre
Singlehaushalt 3,9 25,1 28,2 35,9 5,7 48,6 2,9 46,0
Paarhaushalt (ohne Kind) 4,1 9,0 7,2 7,2 3,1 16,6 3,1 9,4
Haushaltsvorstand 35 – 54 Jahre
Singlehaushalt 5,4 17,0 17,0 20,1 6,2 30,1 5,2 20,3
Paarhaushalt (ohne Kind) 5,6 6,1 4,5 5,0 5,1 13,8 5,7 9,5
Haushalt mit Kind(ern)
Paarhaushalt mit 1 Kind 12,7 11,0 10,7 11,7 12,9 15,6 13,1 13,7
Paarhaushalt mit 2 Kindern 12,1 9,5 9,9 12,0 8,8 15,1 12,0 10,3
Paarhaushalt ab 3 Kinder 5,0 17,7 20,5 27,0 4,2 30,4 4,6 27,3
Ein-Eltern-Haushalt mit 1 Kind 2,7 35,7 32,0 36,8 3,0 30,7 2,9 41,3
Ein-Eltern-Haushalt ab 2 Kinder 2,0 32,1 36,0 37,7 3,2 40,8 2,2 41,4
Haushalt mit Kind(ern) ab 18 Jahren 13,5 14,4 16,2 14,3 10,5 21,8 13,5 16,8
Haushaltsvorstand 55 – 74 Jahre
Paarhaushalt (ohne Kind) 13,9 6,9 9,2 8,7 16,8 14,9 17,2 10,5
Singlehaushalt 6,6 16,2 19,8 21,5 7,5 34,8 6,5 25,2
Haushaltsvorstand ab 75 Jahren
Paarhaushalt (ohne Kind) 6,1 7,8 9,0 9,6 6,4 6,4 5,3 4,8
Singlehaushalt 5,1 13,9 15,7 14,1 5,8 11,3 5,1 15,9
Sonstige Haushalte ³ 1,3 / / / 0,8 / 0,8 /
1 Ostdeutschland inklusive Berlin-Ost.
2 Haushalt mit Kind(ern) ab 18 Jahren.
3 Haushalte, in denen weitere Personen (zum Beispiel Großeltern, Freunde) leben.
/ keine Angabe, da Zellenbesetzung zu gering.
Datenbasis: SOEPv33l.

251
6 / Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen 6.4 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

schlechterung der materiellen Grund­ uTab 4 Einkommensdynamik: Quintilsmatrizen im Zeitverlauf, stabiler / mobiler
lagen in einer Gesellschaft. Die Verände- Bevölkerungsanteil gegenüber Ausgangszeitpunkt 1992–2016 — in Prozent
rung von Einkommenspositionen im
Zeitverlauf ist deshalb auch ein entschei- Ausgangsquintil Periode Verbleib Aufstiege Abstiege

dender Hinweis dafür, inwieweit es Per- 1. Quintil 1992 – 1996 52,0 48,1 X
sonen und Haushalten gelingt, defizitäre
2002 – 2006 58,7 41,3 X
Positionen zu überwinden, und welchem
2012 – 2016 58,1 41,9 X
Risiko sie ausgesetzt sind, in unzurei-
chende Einkommenslagen zu gelangen. 2. Quintil 1992 – 1996 35,6 40,6 23,8

Diese Mobilität zwischen verschiedenen 2002 – 2006 41,1 36,3 22,6


Einkommenspositionen im zeitlichen 2012 – 2016 44,6 38,5 17,0
Verlauf kann unter anderem durch soge- 3. Quintil 1992 – 1996 34,0 31,2 34,8
nannte Mobilitätsmatrizen berechnet
2002 – 2006 39,9 29,6 30,5
und dargestellt werden. Hierbei wird be-
2012 – 2016 43,9 28,3 27,8
rechnet, welcher Bevölkerungsanteil zu
zwei Zeitpunkten in denselben Einkom- 4. Quintil 1992 – 1996 36,5 22,7 40,9

mensschichten (Quintilen) geblieben be- 2002 – 2006 40,8 19,1 40,0


ziehungsweise in höhere oder niedrigere 2012 – 2016 43,7 23,0 33,3
Einkommensschichten gewechselt ist. 5. Quintil 1992 – 1996 60,7 X 39,4
Um die Mobilitätsmuster über länge-
2002 – 2006 58,5 X 41,5
re Zeitabstände vergleichend darzustel-
2012 – 2016 68,8 X 31,2
len, wurden Verbleib und Übergänge in
und aus Einkommensquintilen in einem Lesehilfe: Von der Bevölkerung im Ausgangsquintil im Jahr A waren vier Jahre später, im Jahr B, X% der Bevölkerung im selben Quintil
(Verbleib), sind auf- oder abgestiegen (Auf-, Abstiege).
vierjährigen Abstand zu drei verschiede- Quintil = 20 % der nach der Höhe des Einkommens geschichteten Bevölkerung. 1. Quintil = unterstes (ärmstes) Quintil; 5. Quintil =
oberstes (reichstes) Quintil.
nen Perioden betrachtet: 1992 bis 1996, X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEPv33l.
2002 bis 2006 sowie 2012 bis 2016. Das
Risiko, während der vier Folgejahre im
untersten Quintil zu verbleiben, erhöhte
sich deutlich von 52 % in den 1990er-Jah- diese individuellen Armutserfahrungen re arm. Insgesamt 30 % erlebten in den
ren auf 59 % in der Periode 2002 bis 2006 zuvor im selben oder in einem anderen zurückliegenden vier Jahren transitori-
und verharrte von 2012 bis 2016 auf ähn- Haushalt gemacht wurden. Abbildung 6 sche Verläufe mit Ein- und Ausstiegen in
lichem Niveau. Der Anteil an Aufstiegen weist die zurückliegenden individuellen und aus Armut, darunter jeweils 15 % mit
von der untersten in höhere Einkom- Armutserfahrungen für die Ausgangsjah- ein- oder zweimaligen Armutserfahrun-
menslagen verringerte sich entsprechend. re 1996, 2006 und 2016 aus; für das Jahr gen in den zurückliegenden vier Jahren;
In allen weiteren Quintilen erhöhte sich 2016 werden diese zudem für die jüngste weitere 14 % waren Neuzugänge bei der
der Verbleib in der Periode 2012 bis 2016 Altersgruppe bis 30 Jahre und für die Älte- Armutspopulation.
im Vergleich zu den Jahren 2002 bis 2006. ren ab 60 Jahren getrennt dargestellt. u Abb 6 Im Vergleich dazu setzte sich die Ein-
Die Risiken des Abstiegs in untere Ein- Von den Personen, die im Jahr 2016 in kommensschichtung im Jahr 2006 noch
kommenslagen sanken. Die Mobilität der untersten Einkommensschicht und in folgender Weise zusammen: Nur 49 %
zwischen den Einkommensschichten ver- damit in relativer Einkommensarmut aller Personen in dieser Einkommens-
ringerte sich demnach im Zeitverlauf. lebten, waren 85 % bereits in den vier schicht waren dauerhaft (in mindestens
Weiterführende Analysen mit zusätzli- Vorjahren (2012 bis 2015) zumindest ein- drei Jahren) arm, 33 % hatten einen tran-
chen zusammenfassenden Mobilitäts- mal von Armut betroffen, darunter war sitorischen Armutsverlauf mit ein oder
kennziffern bestätigen, dass die Einkom- mehr als die Hälfte (55 %) in diesem Zeit- zwei Armutsepisoden in den vier Jahren
mensschichten weniger durchlässig ge- raum dauerhaft arm mit Armutsepisoden zuvor und weitere 18 % hatten zuvor kei-
worden sind. u Tab 4 von mindestens drei Jahren. Die Bevölke- nerlei Armutserfahrung. Im Ausgangs-
Abschließend wird der Frage nachge- rung in relativer Einkommensarmut setz- jahr 1996 war der Anteil mit permanenter
gangen, in welchem Umfang die Bevölke- te sich im Jahr 2016 demnach in folgender Armutserfahrung noch geringer (36 %)
rung in verschiedenen Einkommens- Weise zusammen: 37 % aller Personen in und der Anteil mit transitorischen Ar-
schichten eines Jahres in den zurücklie- dieser Einkommensschicht waren auch mutserfahrungen sowie die Neuzugänge
genden vier Jahren Einkommensarmut in allen vier Jahren zuvor sowie weitere in Armut höher (38 % beziehungsweise
erfahren hat. Dabei bleibt unbeachtet, ob 18 % in drei der vier vorausgehenden Jah- 26 %). Der Anteil an Personen, die im zu-

252
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Konsum, Wohnen / 6

Armutsdynamik im zeitlichen Verlauf

rückliegenden Zeitraum von vier Jahren u Abb 6 Armutsdynamik verschiedener Einkommensschichten

mindestens einmal unter der Armuts- im zeitlichen Verlauf 1996–2016 — in Prozent


grenze lagen, nahm innerhalb der letzten
beiden Dekaden stark zu, wobei ins­ Wie oft arm 1992 –1995? (alle Personen)
relative Position in % des Medianeinkommens 1996
besondere mehrfache und dauerhafte
­A rmutsepisoden weiter anstiegen. ≥150% 97

Mit zunehmender Höhe der Einkom- 125 bis <150% 4 96


men nimmt der Personenkreis mit Ar- 100 bis <125% 7 91
mutserfahrungen erwartungsgemäß ab. 75 bis <100% 2 5 12 80
Im Bereich des prekären Wohlstands un-
60 bis <75% 2 9 13 21 55
mittelbar oberhalb der Armutsschwelle
<60% 23 13 22 16 26
(60 % bis 75 % des Medianeinkommens)
lebten 2016 etwa 45 % der Personen zu- Wie oft arm 2002 –2005? (alle Personen)
mindest einmal innerhalb der zurücklie- relative Position in % des Medianeinkommens 2006
genden vier Jahre unterhalb der Armuts- ≥150% 4 96
grenze − mit im Vergleich zu 2006 leicht
125 bis <150% 4 95
rückläu­figer Tendenz bei den permanen-
100 bis <125% 6 93
ten Armutserfahrungen. Kurzfristige
­A rmutserfahrungen reichten bis in die 75 bis <100% 2 5 12 80

mittleren Einkommenslagen hinein. 60 bis <75% 3 7 14 23 53


Selbst im Bereich überdurchschnittlicher ≤60% 28 21 15 18 18
Einkommen fanden sich noch rund 3 %,
Wie oft arm 2012 –2015? (alle Personen)
die zumindest kurzfristige Armutserfah-
relative Position in % des Medianeinkommens 2016
rungen gemacht hatten. Insgesamt erhöh-
≥150% 2 97
ten sich insbesondere die Risiken anhal-
tender ­A rmutsepisoden, folglich verrin- 125 bis <150% 2 3 95

gerten sich die Chancen, Armutsepisoden 100 bis <125% 2 6 91


zu überwinden. 75 bis <100% 2 4 10 83
Die Muster der Armutsdauer variie- 60 bis <75% 4 8 13 20 56
ren mit dem Lebensalter. Kinder, Jugend-
≤60% 37 18 15 15 14
liche und junge Erwachsene (im Alter bis
30 Jahre) wiesen im Vergleich zur Ge- Wie oft arm 2012 –2015? (bis 30 Jahre)
samtbevölkerung höhere Anteile an tran- relative Position in % des Medianeinkommens 2016

sitorischen Armutserfahrungen auf. Dies ≥150% 3 5 90


gilt auch für die mittleren und höheren 125 bis <150% 3 5 91
Einkommensschichten, die möglicher-
100 bis <125% 3 10 85
weise nach Abschluss der für diese Alters-
75 bis <100% 4 6 16 74
gruppe typischen Ausbildungsphasen
60 bis <75% 3 10 12 25 50
temporäre Armutsphasen überwinden
konnten. Der Anteil junger Menschen im ≤60% 28 19 16 22 15

untersten Einkommensbereich, der sich


Wie oft arm 2012 –2015? (ab 60 Jahren)
permanent in Armut befand, lag dagegen relative Position in % des Medianeinkommens 2016
unterhalb des Werts in der Gesamtbe­
≥150% 98
völkerung. Ältere im untersten Einkom-
125 bis <150% 2 98
mensbereich trugen indes ein besonders
hohes Risiko, länger im prekären Ein- 100 bis <125% 2 4 94

kommensbereich zu verbleiben. 75 bis <100% 2 6 91

60 bis <75% 3 4 11 17 66

≤60% 47 17 12 11 12

4 mal arm 3 mal arm 2 mal arm 1 mal arm 0 mal arm
Datenbasis: SOEPv33l.

Datenbasis: SOEPv33l. 253


7
Sozialstruktur und
soziale Lagen
7.1 Probleme der sozialen Ungleichheit und der
Verteilung des gesellschaftlichen Wohl-
damit auch eine emotionale Komponente
einhergeht und sich insbesondere in Ost-
Soziale Lagen standes finden in den letzten Jahren wieder deutschland immer mehr Menschen ab-
und soziale große Aufmerksamkeit in der öffentlichen
Debatte. Während sich die wirtschaftliche
gehängt beziehungsweise nicht mehr »mit-
genommen« fühlen. Vor diesem Hinter-
Schichtung * Lage der Bundesrepublik insgesamt positiv grund wird in diesem Kapitel die ungleiche

 berarbeitung der Version, die 2013 entwickelt hat, kommt dies nicht allen Verteilung der Lebenschancen zwischen
von Roland Habich erstellt wurde.
Menschen gleichermaßen zugute. Die sozi- verschiedenen Bevölkerungsgruppen in
ale Ungleichheit nimmt zu, immer mehr der gesellschaftlichen Statushierarchie be-
Mareike Bünning Menschen in Deutschland sind armutsge- trachtet. Dabei steht die Frage im Mittel-
WZB fährdet (siehe Kapitel 6.2.2, Seite 222, sowie punkt, inwieweit sich die Sozialstruktur
6.4.1, Seite 240, und 6.4.2, Seite 242) und und die damit einhergehenden Lebensbe-
die Schere zwischen Arm und Reich geht dingungen in West- und Ostdeutschland
WZB / SOEP
weiter auseinander. Im öffentlichen Dis- fast ­30 Jahre nach der deutschen Vereini-
kurs wird vielfach die Sorge geäußert, dass gung immer noch unterscheiden. u Info 1

u Info 1
Soziale Lagen und soziale Schichten
Konzepte wie soziale Lagen und soziale Schichtung beziehen sich auf die vertikale Gliederung der
Gesellschaft und werden zur Analyse von Strukturen sozialer Ungleichheit verwendet. Damit können
die Positionen von Personen in einer Statushierarchie erfasst werden. Demnach ergeben sich
­aufgrund materieller Lebensbedingungen verschiedene typische Erwerbs- und Lebenschancen, die
sich in einer sozialen Lage oder sozialen Schicht verdichten. Unterschiedliche soziale Lagen und
soziale Schichten bieten also unterschiedliche und ungleich verteilte Lebensgestaltungschancen.

Soziale Schichtung bezeichnet generell eine strukturelle Ungleichheit zwischen sozialen Positionen,
die sich zum Beispiel in Einkommens-, Prestige- und Einflussdifferenzen ausdrückt. Das Konzept
der sozialen Lagen bezieht neben klassischen Ungleichheitsdimensionen wie dem Erwerbsstatus
weitere Indikatoren objektiver und subjektiv wahrgenommener Lebensbedingungen mit in eine
­multidimensionale Analyse sozialer Ungleichheit ein. Zunächst werden soziale Lagen nach dem
­Erwerbsstatus beziehungsweise Status der Nichterwerbstätigkeit unterschieden. Anschließend
­werden die sozialen Lagen in Bezug auf objektive Merkmale wie dem Einkommen und subjektive
Merkmale wie der Lebenszufriedenheit verglichen.

255
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung

u Abb 1 Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 2016 — in Prozent


Abb. 1: Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 2016 – in Prozent

Frauen Männer

2 leitende Angestellte/ 3
1 höhere Beamtenschaft 2

hoch qualifizierte
14 16
Angestellte/gehobene
11 12
Beamtenschaft

19 qualifizierte Angestellte/ 11
17 mittlere Beamtenschaft 8

6 einfache Angestellte/ 3
7 Beamtenschaft 2

0 Meister/-innen / 3
1 Vorarbeiter/-innen 3

2 7
Facharbeiter/-innen
3 13

3 un-, angelernte 4
3 Arbeiter/-innen 2

3 Selbstständige, 7
3 freie Berufe 6

2 2
Arbeitslose
5 4

8 Hausfrauen / 0
1 -männer 0

7 8
Studium, Lehre
6 5

1 2
Vorruhestand
2 2

5 noch nie / 2
4 nicht erwerbstätig 1 bis 60 Jahre

3 noch ab 61 Jahren
5
3 erwerbstätig
4

1 noch nie 0
0 erwerbstätig 0

Rentner/-innen
4 7
(ehemalige
7 Arbeiter/-innen) 13

19 Rentner/-innen 16
24 (ehemalige Angestellte) 15

Rentner/-innen
1 3
(ehemalige
2 Selbstständige) 5

West Frauen West Männer


Ost Frauen Ost Männer

Datenbasis: ALLBUS 2016.

Datenbasis: ALLBUS 2016.


256
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 7.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 1 Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 1990 / 1991 und 2016 — in Prozent
West Ost West Ost
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen
1990 1991 2016

bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / höhere Beamtenschaft 3 1 2 1 3 2 2 1
Hoch qualifizierte Angestellte / gehobene
16 7 13 14 16 14 12 11
Beamtenschaft
Qualifizierte Angestellte / mittlere Beamtenschaft 11 14 5 22 11 19 8 17
Einfache Angestellte / Beamtenschaft 3 8 4 9 3 6 2 7
Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 4 0 10 2 3 0 3 1
Facharbeiter /-innen 15 1 28 10 7 2 13 3
Un-, angelernte Arbeiter /-innen 4 2 3 2 4 3 2 3
Selbstständige, freie Berufe 8 4 7 5 7 3 6 3
Arbeitslose 2 2 7 10 2 2 4 5
Hausfrauen / -männer 0 25 0 3 0 8 0 1
Studium, Lehre 11 5 3 1 8 7 5 6
Vorruhestand 2 2 4 7 2 1 2 2
Noch nie / nicht erwerbstätig 1 5 0 0 2 5 1 4
ab 61 Jahren
Noch erwerbstätig 3 1 3 1 5 3 4 3
Noch nie erwerbstätig 0 6 0 1 0 1 0 0
Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 3 5 2 4 7 4 13 7
Rentner /-innen (ehemalige Angestellte) 10 11 8 10 16 19 15 24
Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 4 2 2 2 3 1 5 2

Datenbasis: ALLBUS 1980–2012 kumuliert, ALLBUS 2016.

7.1.1. Soziale Lagen in Deutschland werden. Dabei richtet sich das Interesse nur leicht. Die einzige Ausnahme stellt die
Im Folgenden wird ein übergreifendes vor allem darauf, inwieweit soziale Lagen gestiegene Beteiligung von Frauen am Er-
Bild der Sozialstruktur der Bundesrepub- einerseits mit objektiven Lebensbedin- werbsleben dar: Der Anteil der Hausfrau-
lik präsentiert, das auf die Konzepte der gungen einhergehen und andererseits mit en ging seit 1990 um zwei Drittel zurück.
sozialen Lagen und der subjektiven subjektiven Wahrnehmungen und Bewer- Parallel dazu stieg der Anteil von Frauen
Schichteinstufung zurückgreift. Für die tungen verbunden sind. u Abb 1 in qualifizierten und hoch qualifizierten
Unterscheidung von sozialen Lagen wird Die massiven Umwälzungen, die nach Angestelltenpositionen deutlich an. Die
die erwachsene Bevölkerung in unter 1990 auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt Hausfrauenrolle ist aber auch heute noch
und über 60-Jährige sowie nach ihrer stattfanden, brachten weitreichende Kon- in Westdeutschland wesentlich weiter ver-
Stellung zum und im Erwerbsleben auf- sequenzen für die Sozialstruktur mit sich. breitet als in Ostdeutschland. u Tab 1
gegliedert. Daraus ergeben sich insge- Während sich die DDR als vollbeschäftigte In Westdeutschland sowie bei ost-
samt 18 soziale Lagen von Erwerbstätigen Arbeitsgesellschaft charakterisieren ließ, deutschen Frauen dominieren unter den
und Nichterwerbstätigen, die zunächst folgten für einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen die Angestellten und Be-
für Männer und Frauen getrennt darge- ehemals Erwerbstätigen im Verlauf der amten. Während die alte Bundesrepublik
stellt werden. Im Blickpunkt dieses Kapi- gesellschaftlichen Transformation nach bereits über einen längeren Zeitraum als
tels steht die Sozialstruktur im Jahr 2016 der deutschen Vereinigung ungewollte eine »Angestelltengesellschaft« bezeichnet
in West- und Ostdeutschland. Durch den Lebensphasen in Arbeitslosigkeit, Vorruhe- wurde, hat sich die ausgeprägte »Fachar-
Vergleich mit dem Jahr 1990 beziehungs- stand und Hausfrauenrolle. Im Zeitver- beitergesellschaft« der damaligen DDR
weise 1991 können zudem die Richtung lauf näherten sich die Beschäftigungs- mittlerweile weitgehend aufgelöst, wenn-
des sozialen Wandels insgesamt sowie strukturen in Ostdeutschland denen in gleich bei den Männern Facharbeiterpo-
insbesondere die sozialstrukturellen Ver- Westdeutschland an. sitionen immer noch stärker und Ange-
änderungen in Ostdeutschland in der Zeit Die Sozialstruktur Westdeutschlands stelltenpositionen weniger verbreitet sind
seit der deutschen Vereinigung betrachtet veränderte sich im Vergleich dazu seit 1990 als in Westdeutschland.

257
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung

u Tab 2 Indikatoren der objektiven Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2016 — in Prozent
Eigene wirtschaft-
Quintile des Haushaltseinkommens pro Kopf ¹ Wohneigentum ²
liche Lage
West Ost ist sehr gut / gut
West Ost
unterstes mittleres oberstes unterstes mittleres obestes West Ost

bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / höhere Beamtenschaft 4 8 64 / / / 58 / 88 /
Hoch qualifizierte Angestellte / gehobene
2 17 46 3 21 34 63 52 87 82
Beamtenschaft
Qualifizierte Angestellte / mittlere Beamtenschaft 5 23 24 10 25 21 56 51 72 70
Einfache Angestellte / Beamtenschaft 34 17 7 23 35 5 46 60 52 47
Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 8 27 28 5 33 5 62 67 71 88
Facharbeiter /-innen 11 32 7 13 37 2 57 67 60 58
Un-, angelernte Arbeiter /-innen 26 20 10 40 28 0 40 39 54 48
Selbstständige, freie Berufe 13 8 44 18 18 18 58 63 61 57
Arbeitslose 70 12 0 81 2 0 25 29 13 19
Hausfrauen / -männer 37 14 6 / / / 58 / 59 /
Studium / Lehre 40 22 11 68 7 0 60 36 67 58
Vorruhestand 35 14 14 52 19 7 66 57 51 50
Noch nie / nicht erwerbstätig 47 9 7 68 7 4 43 22 45 44

ab 61 Jahren
Noch erwerbstätig 8 18 37 13 23 23 64 67 78 64
Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 24 21 3 38 19 0 60 61 66 58
Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 15 20 24 17 25 4 73 51 81 80
Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 31 17 13 44 6 0 91 65 68 58

1 Bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf. Zu Quintilen siehe Kapitel 6.3, Seite 233, Info 5.
2 Anteil der Personen, die angaben, dass sie im eigenem Haus/in der eigenen Wohnung (auch Familienbesitz) wohnen.
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2016.

Ein Zeitvergleich (1990/1991 bis 2016) Dabei zeigt sich, dass mit einer höheren gab es nur geringe Unterschiede zwi-
verdeutlicht die Unterschiede zwischen Position in der hierarchischen Gesell- schen den beiden Landes­teilen. u Tab 2
den vielfältigen Umbrüchen während der schaftsstruktur erwartungsgemäß auch Wohneigentum verdeutlicht als rele-
Transformation in Ostdeutschland und eine vorteilhaftere materielle Situation vanter Indikator für den allgemeinen
der eher kontinuierlichen Entwicklung verbunden ist. Hoch qualifizierte oder lei- ­L ebensstandard, dass mit den differen-
im Westen Deutschlands. Insbesondere tende Angestellte und Beamte sowie zierten sozialen Lagen auch Unterschiede
der etwas höhere Bestand an Arbeitslosen Selbstständige befanden sich überdurch- in den Möglichkeiten der Ressourcenver-
sowie die vergleichsweise hohen Anteile schnittlich oft im oberen Segment der wendung einhergehen: In Ost- und West-
der Rentnerinnen und Rentner sind als Einkommensverteilung, während die Zu- deutschland fanden sich unterdurch-
Folge des Arbeitsplatzabbaus im Osten gehörigkeit zu Arbeiterpositionen eher schnittliche Eigentümerquoten vor allem
Deutschlands weiterhin sichtbar. mit einem mittleren oder niedrigen Ein- bei wenig qualifizierten Arbeitern, Arbeits-
Je nach sozialer Lage bieten sich unter- kommen verbunden war. Vergleicht man losen und Nichterwerbstätigen, in West-
schiedliche Chancen zur Lebensgestaltung. die finanzielle Situation in Ost- und West- deutschland auch bei einfachen Ange-
Die Ungleichheit in den objektiven Lebens- deutschland, zeigt sich, dass Ostdeutsche stellten und Beamten.
bedingungen, die sich aus der Zugehörig- in nahezu ­a llen sozialen Lagen gegenüber Die ungleichen materiellen Verhält-
keit zu den hier unterschiedenen sozialen Westdeutschen deutlich schlechter ge- nisse, die mit diesen sozialen Lagen ver-
Lagen ergibt, äußert sich unter anderem in stellt waren. Lediglich einfache Ange- bunden sind, spiegeln sich auch in der
Einkommensunterschieden, im allgemei- stellte und Beamte in Ostdeutschland subjektiven Beurteilung der eigenen wirt-
nen Lebensstandard – zum Beispiel gemes- waren finanziell besser gestellt als in schaftlichen Situation wider. Während
sen am Wohneigentum – sowie in der Be- Westdeutschland. Bei Facharbeitern und Personen in privilegierten sozialen Lagen
wertung der eigenen wirtschaftlichen Lage. qualifizierten Angestellten und Beamten ihre wirtschaftliche Situation vorwiegend

258
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 7.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 3 Indikatoren der subjektiven Wohlfahrt in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2016
Einstufung Allgemeine Bei dieser
Gerechter Anteil am Lebensstandard
auf der Oben- Lebens- Zukunft keine
Anteil »gerecht / mehr als gerecht«
Unten-Skala ¹ zufriedenheit ² Kinder mehr ³
West Ost West Ost West Ost West Ost
in % Durchschnittswert Durchschnittswert in %

bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / höhere Beamtenschaft 81 / 7,6 / 8,3 / 16 /
Hoch qualifizierte Angestellte / gehobene
84 68 7,2 6,8 8,3 8,2 13 17
Beamtenschaft
Qualifizierte Angestellte / mittlere Beamtenschaft 71 57 6,6 6,5 8,0 7,7 22 26
Einfache Angestellte / Beamtenschaft 49 40 5,9 5,6 7,3 7,2 31 53
Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 61 38 6,7 6,2 8,1 7,8 33 52
Facharbeiter /-innen 56 35 6,3 6,0 7,7 7,2 25 49
Un-, angelernte Arbeiter /-innen 47 34 5,6 6,0 7,1 6,8 50 52
Selbstständige, freie Berufe 67 55 6,8 6,2 8,0 7,2 19 34
Arbeitslose 32 21 4,7 4,8 5,2 5,9 54 62
Hausfrauen / -männer 65 / 6,5 / 7,9 / 30 /
Studium / Lehre 77 59 6,7 6,2 8,1 7,8 19 10
Vorruhestand 46 57 5,7 5,2 6,4 6,3 41 44
Noch nie / nicht erwerbstätig 48 44 5,7 4,8 7,1 6,6 13 47
ab 61 Jahren
Noch erwerbstätig 68 48 6,8 6,4 8,2 7,6 30 37
Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 52 33 5,6 5,6 7,8 7,0 39 51
Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 79 53 6,5 6,4 8,2 7,7 22 34
Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 72 39 6,6 6,0 7,8 7,5 11 34

1 Mittelwerte auf der Oben-Unten-Skala von 1 bis 10.


2 Mittelwerte auf Zufriedenheitsskala von 0 bis 10.
3 Zustimmung zur Aussage »So wie die Zukunft aussieht, kann man es kaum noch verantworten, Kinder auf die Welt zu bringen.«
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2016.

als »sehr gut« oder »gut« bewerteten, fiel Die einzelnen sozialen Lagen reprä- punkte in Ostdeutschland und sogar fast
die Bewertung bei Personen in schlechte- sentieren auch unterschiedliche soziale drei Skalenpunkte in Westdeutschland.
ren sozialen Lagen erwartungsgemäß we- Positionen in der subjektiv wahrgenom- Ostdeutsche stuften sich zudem in nahe-
niger günstig aus. menen vertikalen Gliederung der Gesell- zu allen sozialen Lagen niedriger ein als
Die subjektive Beurteilung des eigenen schaft, wie an der Selbsteinstufung auf Westdeutsche.
Anteils am allgemeinen Lebensstandard als der »Oben-Unten-Skala« (1 bis 10) abzu- Die allgemeine Lebenszufriedenheit ist
gerecht (beziehungsweise ungerecht) vari- lesen ist. Am höchsten ordneten sich er- das bilanzierende Maß der Bewertung
iert ebenfalls nach sozialer Lage. Es zeigt wartungsgemäß leitende und höhere An- ­a ller Lebensumstände. Hier wird noch
sich, dass vor allem Arbeitslose, aber auch gestellte und Beamte sowie Selbstständige deutlicher als bei der wahrgenommenen
Personen in einfachen Arbeiter- oder An- ein, aber auch diejenigen, die in ihrem sozialen Position in der gesellschaftlichen
gestelltenpositionen sowie Facharbeiter zurückliegenden Erwerbsleben eine solche Hierarchie, dass mit den verschiedenen
und Meister in Ostdeutschland seltener Position ausgeübt hatten (Rentner) oder sozialen Lagen auch ein unterschiedlich
als andere einen gerechten Anteil am ge- den Aufstieg in eine entsprechende Posi- hohes Niveau an Lebensqualität verbun-
sellschaftlichen Wohlstand zu erhalten tion für die Zukunft erwarten (noch in den ist. Auch hier betrug die Differenz
glaubten. Nur 32 % der Arbeitslosen in Ausbildung). Ganz unten ordneten sich zwischen den sozialen Lagen mit der
Westdeutschland und 21 % in Ostdeutsch- dagegen einfache Angestellte, (ehemalige) höchsten und niedrigsten Einstufung gut
land betrachteten ihren Anteil am Lebens- un- und angelernte Arbeiter sowie Arbeits- zwei Skalenpunkte in Ostdeutschland und
standard als gerecht. Grundsätzlich sahen lose, Nichterwerbstätige und Personen im gut drei Skalenpunkte in Westdeutsch-
Ostdeutsche über fast alle Lagen hinweg Vorruhestand ein. Die Differenz zwischen land. Zudem ist auch hier darauf hin­
ihren Lebensstandard im Vergleich zu den sozialen Lagen mit der höchsten und zuweisen, dass die ostdeutsche Bevölke-
Westdeutschen seltener als gerecht an. u Tab 3 niedrigsten Einstufung betrug zwei Skalen- rung im Jahr 2016 immer noch in nahezu

259
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung

allen sozialen ­L agen über ein geringeres Studierende und Auszubildende teilten henden Bildes der sozialen Lagen liefern
subjektives Wohlbefinden verfügte. diese Ansicht hingegen eher selten. Zu- Informationen über die subjektive
Auch bezüglich der Erwartungen an dem war Zukunftspessimismus in Ost- Schichteinstufung. Angaben darüber, wie
zukünftige Entwicklungen zeigen sich deutschland über nahezu alle sozialen La- sich Personen in eine vorgegebene Rang-
deutliche Unterschiede nach sozialer Po- gen hinweg weiter verbreitet als in West- ordnung sozialer Schichten einstufen,
sition. Insbesondere einfache Arbeiter deutschland. Nur Studierende und bieten vor allem Aufschlüsse darüber,
und Arbeitslose – in Ostdeutschland Auszubildende im Osten schätzten die wie verschiedene Bevölkerungsgruppen
auch einfache Angestellte, Facharbeiter Zukunft optimistischer ein als im Westen. innerhalb der Gesellschaft ihren eigenen
und Meister – blickten pessimistisch in Status und ihre Chancen auf gesellschaft-
die Zukunft. Sie waren zu großen Teilen 7.1.2 Subjektive lichen Teilhabe im Vergleich zu anderen
der Ansicht, so wie die Zukunft aussehe, Schichtzugehörigkeit wahrnehmen und bewerten und welchem
könne man es kaum noch verantworten, Eine relevante Ergänzung des im Wesent- sozialen Milieu sie sich zuordnen – Fragen,
Kinder auf die Welt zu bringen. Personen lichen auf objektiven Informationen zur die auch für das Jahr 2016 im Vergleich
in höheren Angestelltenpositionen sowie Stellung zum und im Erwerbsleben beru- von Ost- und Westdeutschland von erheb-
lichem Interesse sind.
In Westdeutschland ordnete sich im
Jahr 2016 ein Viertel der erwachsenen Be-
u Abb 2 Subjektive Schichtzugehörigkeit 1990 / 1991 und 2016 — in Prozent völkerung der Unter- oder Arbeiter-
schicht zu, knapp zwei Drittel der Mittel-
schicht und ein Siebtel der oberen Mittel-
Westdeutschland Ostdeutschland
oder Oberschicht. Im Vergleich zu 1990
11 obere Mittel-, 2 stuften sich etwas mehr Personen in die
15 Oberschicht 7 obere Mittel- und Oberschicht ein, etwas
weniger Personen in die Arbeiterschicht.
60 37
Mittelschicht Die Veränderungen in Ostdeutschland
60 54
sind deutlich stärker. 1991 ordnete sich
27 57 noch über die Hälfte der Bevölkerung der
Arbeiterschicht
22 35
Arbeiterschicht zu, nur ein gutes Drittel
2 3 fühlte sich der Mittelschicht zugehörig.
Unterschicht
2 5 Inzwischen hat sich dieses Verhältnis
umgekehrt. Mit 7 % identifizierten sich
1990 1991 2016 zudem etwas mehr Ostdeutsche mit
2016 2016
der oberen Mittel- und Oberschicht als
noch 1991. Der Unterschicht im engeren
Datenbasis: ALLBUS 1980−2012 kumuliert, ALLBUS 2016.
Sinne ordnete sich in West- wie Ost-
deutschland 2016 mit 2 beziehungsweise
5 % nur ein sehr kleiner Teil der Bevölke-
u Tab 4 Subjektive Schichtzugehörigkeit in Deutschland 1980 – 2016 — in Prozent rung zu. u Abb 2
obere Mittel-/ Die Unterschiede in der Struktur der
Unterschicht Arbeiterschicht Mittelschicht
Oberschicht sozialen Schichtung, die sich auf der Basis
Westdeutschland
der subjektiven Einstufung der Befragten
1980 1 30 59 10
im Vergleich von West- und Ostdeutsch-
1991 1 24 62 13 land ergeben, sind damit auch heute noch
2000 1 30 59 10 bemerkenswert, obwohl sie sich deutlich
2010 3 23 62 13 verringert haben. Die in den früheren Jah-
2016 2 22 60 15 ren in Ostdeutschland zu beobachtende
Ostdeutschland pyramidenförmige Schichtstruktur einer
1991 3 57 37 2 Arbeitergesellschaft näherte sich allmäh-
2000 2 49 45 3 lich der zwiebelförmigen – für Mittel-
2010 4 38 51 6 schichtgesellschaften charakteristischen –
2016 5 35 54 7 Verteilung in Westdeutschland an. Die
Datenbasis: ALLBUS 1980–2012 kumuliert, ALLBUS 2016. Entwicklungen deuten für Ostdeutsch-

260
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 7.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

land somit auf einen signifikanten Wan- von dem jeweils zugrunde liegenden und Beamte ein, in Westdeutschland da­
del in der Wahrnehmung der eigenen Po- ­Bezugsrahmen und den verwendeten Ver- rüber hinaus auch Selbstständige. u Tab 5
sition in der hierarchischen Struktur der gleichs- und Bewertungsmaßstäben ab. Ostdeutsche identifizierten sich im
Gesellschaft hin. Dennoch bestimmt der faktische sozio- Vergleich zu Westdeutschen auch im Jahr
Betrachtet man die Entwicklung der ökonomische Status beziehungs­weise die 2016 noch über nahezu alle sozialen La-
subjektiven Schichteinstufung in West- soziale Lage maßgeblich die subjektive gen hinweg zu größeren Anteilen mit der
deutschland seit 1980, zeigt sich hingegen, Schichteinstufung. Personen, die eine Arbeiterschicht und zu geringeren Teilen
dass die subjektive Schichteinstufung hier ­A rbeiterposition einnahmen oder früher mit der Mittel- oder gar der Oberschicht.
über die vergangenen 36 Jahre weitgehend eingenommen hatten (Rentner), identifi- Dieser Befund deutet darauf hin, dass
unverändert blieb und außer zyklischen zierten sich – insbesondere in Ost- sich die weiterhin bestehenden auffälligen
Schwankungen kein Trend zu beobachten deutschland – auch subjektiv tendenziell Ost-West-Differenzen in der subjektiven
ist. Aktuelle Thesen über das Entstehen ei- mit der Arbeiterschicht. Personen mit Schichteinstufung nur partiell durch Un-
ner »neuen Unterschicht« und ein erhebli- ­einem Angestellten- oder Beamtenstatus terschiede in der Verteilung auf die ver-
ches Schrumpfen der Mittelschicht finden sowie Selbstständige ordneten sich dage- schiedenen Statuslagen erklären lassen.
somit zumindest auf der Grund­lage der gen mit überwiegender Mehrheit der Mit- Es ist vielmehr davon auszugehen, dass
subjektiven Schichtidentifikation weder telschicht zu. Eine Ausnahme bilden le- sich die ostdeutsche Bevölkerung inner-
für Ost- noch für Westdeutschland empi- diglich die einfachen Angestellten, die halb des gesamtgesellschaftlichen Schich-
rische Bestätigung. u Tab 4 sich in Ostdeutschland eher der Arbeiter- tungsgefüges deshalb tendenziell niedri-
Die subjektive Schichtzugehörigkeit schicht zugehörig fühlten. In die obere ger einstuft, weil sie sich nach wie vor mit
wird nicht nur von objektiven Faktoren Mittel- und Oberschicht stuften sich ins- der westdeutschen vergleicht und aus die-
bestimmt, sondern hängt darüber hinaus besondere leitende und höhere Angestellte ser Perspektive Statusdefizite wahrnimmt.

u Tab 5 Subjektive Schichtzugehörigkeit nach sozialen Lagen 2016 — in Prozent


Subjektive Schichtzugehörigkeit
Westdeutschland Ostdeutschland
Unter- / Unter- /
obere Mittel- / obere Mittel- /
Arbeiter- Mittelschicht Arbeiter- Mittelschicht
Oberschicht Oberschicht
schicht schicht

bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / höhere Beamtenschaft 5 51 44 / / /
Hoch qualifizierte Angestellte / gehobene
6 67 28 16 63 21
Beamtenschaft
Qualifizierte Angestellte / mittlere Beamtenschaft 18 70 12 28 66 6
Einfache Angestellte / Beamtenschaft 43 53 4 60 38 2
Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 45 50 5 58 38 4
Facharbeiter /-innen 53 43 4 68 30 2
Un-, angelernte Arbeiter /-innen 63 34 2 66 34 0
Selbstständige, freie Berufe 18 60 22 29 59 13
Arbeitslose 59 41 0 73 27 0
Hausfrauen / -männer 32 48 20 / / /
Studium / Lehre 17 59 24 15 73 12
Vorruhestand 37 61 3 48 48 4
Noch nie / nicht erwerbstätig 45 43 12 65 35 0

ab 61 Jahren
Noch erwerbstätig 19 70 11 29 67 5
Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 48 51 1 68 33 0
Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 15 69 16 26 68 5
Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 18 70 13 39 61 7

/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2016.

261
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität

7.2 Die soziale Lage, in der sich Menschen


befinden, bestimmt zentrale Bereiche des
beziehungsweise früheren beruf lichen
­ osition der Person ab. Sie wirkt sich
P
Soziale Mobilität Lebens dieser Menschen, wie etwa das nicht nur auf die eigene Lebensführung
Einkommen, die Gesundheit, die Lebens­ aus, sondern beeinflusst – insbesondere
erwartung oder die gesellschaftliche und in Deutschland – in hohem Maße die Bil­
Reinhard Pollak
politische Teilhabe. Warum aber befin­ dungs- und Berufschancen der eigenen
WZB
den sich Menschen in unterschiedlichen Kinder und damit deren spätere Klassen­
sozialen Lagen? Wie kommen sie in diese position. Eltern mit einer vorteilhaften
WZB / SOEP unterschiedlichen sozialen Lagen? Für Klassenposition gelingt es viel häufiger,
Deutschland gilt, dass die eigenen An­ ihren Kindern durch gute Bildung und
strengungen im Erwachsenenalter nur durch zusätzliche Unterstützung den Zu­
­e inen kleinen Teil dieser unterschiedli­ gang zu vorteilhaften Klassenpositionen
chen Lagen in der Gesellschaft erklären. zu ermöglichen (siehe Kapitel 3.1.2, Seite
Es sind vielmehr die familienbedingten 109). Eltern in eher nachteiligen Klassen­
Startchancen von Kindern und Jugend­ positionen können ihren Kindern nicht
lichen, die ausschlaggebend sind für die so viele Ressourcen mit auf den Lebens­
eigene soziale Lage im späteren Leben. weg geben. Ihre Kinder nehmen später
Entsprechend wichtig ist es zu untersu­ selbst eher benachteiligte Klassenpositio­
chen, wie es um diese Startchancen in nen ein. ­Dadurch kommt es zwischen den
unserer Gesellschaft bestellt ist. Wie groß Generationen nur in begrenztem Umfang
sind die Chancen, aus einem weniger vor­ zu sozialen Auf- oder Abstiegen.
teilhaften Elternhaus aufzusteigen? Wie Im Folgenden werden vier Aspekte
groß ist das Risiko, im Vergleich zu den der sozialen Mobilität in Deutschland
Eltern abzusteigen? Wie verändert sich näher untersucht: Hatten die Eltern be­
dies in unserer Gesellschaft über die Zeit? reits die gleiche Klassenposition, die
Die gesellschaftspolitische Bedeutung ihre Kinder heute einnehmen? In wel­
von sozialen Auf- und Abstiegen wird in chem Ausmaß werden Klassenpositionen
der öffentlichen Diskussion der letzten der Eltern an ihre Kinder weitervererbt?
Jahre immer stärker erkannt und betont – Wie hoch ist das Ausmaß der Auf- und
insbesondere die Auf- und Abstiege zwi­ Abstiege in Deutschland? Und was be­
schen den Generationen. Sie sind Aus­ deuten diese Auf- und Abstiege für die
druck der intergenerationalen sozialen Chancengleichheit in der deutschen Ge­
Mobilität in einer Gesellschaft. Soziale sellschaft? Bei der Beantwortung dieser
Mobilität beschreibt somit das Ausmaß, Fragen wird ein besonderes Augenmerk
in dem sich Kindergenerationen in einer auf die zeit­liche Entwicklung der sozia­
anderen sozialen Lage befinden als ihre len Mobilität, auf den Vergleich zwischen
Elterngeneration. Das heißt, soziale Mobi­ Ost- und Westdeutschland und auf die
lität zeigt an, wie gut es Kindern aus we­ Unterschiede zwischen Männern und
niger vorteilhaften sozialen Lagen gelingt, Frauen gerichtet.
für sich selbst vorteilhafte soziale Lagen
zu erreichen, oder umgekehrt, wie hoch 7.2.1 Besetzung von Klassen­
das Risiko von Kindern mit vorteilhafter positionen nach sozialer Herkunft
Familienherkunft ist, später eine weniger Die folgenden Ergebnisse basieren auf
vorteilhafte soziale Lage zu erreichen. verschiedenen repräsentativen Bevölke­
Zur Beschreibung der sozialen Lagen rungsumfragen aus den Jahren 1976 bis
können verschiedene Maße herangezogen 2016. Die Befunde früherer Datenreport-
werden. Ein international gebräuchliches Beiträge werden durch neuere Daten er­
Maß für die Gliederung von Lebens­ gänzt und fortgeschrieben. Die betrach­
chancen ist die Klassenlage beziehungs­ teten Personen der Kindergeneration
weise Klassenposition einer Person. Die ­w aren zum Zeitpunkt der Befragung
Klassenlage leitet sich aus der aktuellen zwischen 18 und 64 Jahre alt, entweder

262
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 1 Selbstrekrutierungsraten 1976–2016 — in Prozent


Westdeutschland Ostdeutschland

1976 –1980 1981–1990 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2016 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2016

Männer
Obere Dienstklasse 28 23 28 25 29 19 31 38

Untere Dienstklasse 18 17 16 16 18 20 19 18

Einfache Büroberufe 12 17 14 14 11 / / /

Selbstständige 36 36 24 21 20 17 / /

Landwirte 91 92 92 79 63 / / /

Facharbeiter / Meister 46 48 54 49 54 55 58 61

Ungelernte Arbeiter / Angestellte 38 33 36 39 38 32 32 29

Frauen
Obere Dienstklasse 31 32 32 36 37 24 32 39

Untere Dienstklasse 18 17 16 15 14 16 19 17

Einfache Büroberufe 13 15 12 13 11 / 7 /

Selbstständige 21 20 23 18 15 20 / /

Landwirtinnen 76 63 65 59 / / / /

Facharbeiterinnen / Meisterinnen 43 43 47 47 45 51 59 56

Ungelernte Arbeiterinnen / Angestellte 27 30 27 30 31 31 22 26

Anteil von Männern und Frauen, deren Väter bereits eine identische berufliche Position innehatten.
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS, SOEP, ZUMA-Standarddemographie, ISJP, NEPS, 1976–2016.

berufstätig oder arbeitsuchend und hat­ rinnen und Buchhalter), Selbstständige Facharbeiter zum Vater. Dieser Anteil ist
ten aus Vergleichsgründen alle die mit bis zu 49 Mitarbeitern (in Handel in der Tendenz eher höher als in früheren
­d eutsche Staatsangehörigkeit. Für Ost­ und Handwerk), Landwirtinnen und Jahrzehnten, das heißt, die Klasse der
deutschland werden Bevölkerungsumfra­ Landwirte, Facharbeiterinnen und Fach­ heutigen Facharbeiter wird bezüglich ih­
gen ab 1990 berücksichtigt. Als Maß für arbeiter (auch Meisterinnen und Meister rer sozialen Herkunft zunehmend homo­
die soziale Herkunft, das heißt für die sowie Technikerinnen und Techniker) gener. Die Gruppe der Selbstständigen ist
Position der Elterngeneration, wird die und schließlich die Klasse der ungelern­ dagegen deutlich heterogener geworden:
Klassenposition des Vaters zu dem Zeit­ ten Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Hatten die Selbstständigen in den 1970er-
punkt herangezogen, als die jeweiligen Angestellten. und 1980er-Jahren noch Selbstrekrutie­
Befragten ungefähr 15 Jahre alt waren. Am anschaulichsten kann das Aus­ rungsraten von 36 %, so sank der Anteil
Angaben zur Klassenposition der Mutter maß an Selbstrekrutierung anhand der im aktuellen Jahrzehnt auf 20 %. Bei allen
wurden leider nicht oder nur lückenhaft Betrachtung der Landwirte (Männer) in anderen Klassen zeigen sich zwar leichte
erhoben. Westdeutschland dargestellt werden: Bis Schwankungen, ein deutlicher Trend be­
In Tabelle 1 wird der Anteil der Be­ zur Jahrtausendwende hatten gut 90 % züglich der Selbstrekrutierungsraten ist
fragten dargestellt, deren Väter bereits der Landwirte einen Vater, der ebenfalls jedoch für diese Klassen nicht zu beob­
eine identische Klassenposition inne­ Landwirt war. Fast alle Landwirte kamen achten. Interessant ist, dass knapp 40 %
hatten. Für dieses Ausmaß der Selbstrek­ folglich aus einer Bauernfamilie. Dies än­ der ungelernten Arbeiter und Angestell­
rutierung der sozialen Klassen werden derte sich jedoch im neuen Jahrtausend ten ebenfalls einen ungelernten Arbeiter
sieben Klassenpositionen unterschieden: deutlich. Im aktuellen Jahrzehnt sind oder Angestellten als Vater hatten. Bei
obere Dienstklasse (zum Beispiel leitende nur noch 63 % der heutigen Landwirte der oberen Dienstklasse waren die Selbst­
Angestellte, freie Berufe), untere Dienst­ Söhne von Bauern. Eine beachtliche rekrutierungsraten dagegen mit 29 %
klasse (zum Beispiel hoch qualifizierte Selbstrekrutierungsquote findet man deutlich geringer. Dies ist ein erster Hin­
Angestellte, gehobene Beamtenschaft), ebenfalls bei Facharbeiterpositionen. Gut weis darauf, dass es mehr Auf- als Abstie­
qualifizierte Büroberufe (zum Beispiel die Hälfte der heutigen Facharbeiter in ge bei westdeutschen Männern geben
Sekretärinnen und Sekretäre, Buchhalte­ Westdeutschland (54 %) hatte auch einen könnte. u Tab 1

263
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität

Für Frauen in Westdeutschland sind Arbeitern und Angestellten war diese Ostdeutschland wird auch die Facharbei­
hohe Selbstrekrutierungsraten unter den Rate nur halb so hoch und zeigte auch terklasse zunehmend homogener.
Landwirtinnen, den Facharbeiterinnen keinen eindeutigen Trend über die Zeit. Nicht nur die eigene Klassenlage, son­
und in der oberen Dienstklasse zu finden. Ostdeutsche Frauen in der oberen dern auch das Risiko, arbeitslos zu wer­
Während diese Raten für westdeutsche Dienstklasse hatten ähnliche Selbstrekru­ den, steht in Zusammenhang mit der
Landwirtinnen und Facharbeiterinnen tierungsraten wie ostdeutsche Männer. ­sozialen Herkunft. Auch wenn die Ar­
etwas geringer waren als bei westdeut­ Diese Frauen kamen immer häufiger aus beitslosigkeit in Ost und West in den ver­
schen Männern, rekrutierten sich west­ einem Elternhaus, in dem bereits der Va­ gangenen Jahren merklich gesunken ist,
deutsche Frauen in der oberen Dienst­ ter der oberen Dienstklasse angehörte. gibt es anteilig nach wie vor mehr ar­
klasse viel häufiger aus dieser Klasse als Für die untere Dienstklasse, für die Klas­ beitslose Menschen in Ostdeutschland
westdeutsche Männer, mit steigender se der Facharbeiterinnen und für die als in Westdeutschland. Aus welchen
Tendenz. Frauen in Selbstständigkeit Klasse der ungelernten Arbeiterinnen Herkunftsklassen kommen die Arbeits­
in Westdeutschland hatten in den und Angestellten zeigen sich hingegen losen und zeigen sich hier auch unter­
2000er-Jahren hingegen nur selten einen keine langfristigen Trends. Bei der unte­ schiedliche Muster zwischen Ost und
selbstständigen Vater. Auch bei der unte­ ren Dienstklasse gibt es kaum Verände­ West? Zusätzliche – hier nicht im Einzel­
ren Dienstklasse deutet sich ein Trend rungen, bei Facharbeiterinnen scheint nen dargestellte – Analysen zeigen, dass
zu einer geringeren Selbstrekrutierung sich die Selbstrekrutierung aus der Fach­ von den heute arbeitslosen Männern und
an. Bei den übrigen Klassenpositionen arbeiterklasse nach einem Anstieg An­ Frauen in Westdeutschland ungefähr
ergeben sich wenige Veränderungen über fang des Jahrtausends wieder abzuschwä­ zwei Drittel einen Vater aus der Fachar­
die Zeit. chen, bei Frauen aus der Klasse der unge­ beiterklasse oder der Klasse der unge­
Die Ergebnisse für Ostdeutschland lernten Arbeiterinnen und Angestellten lernten Arbeiter und Angestellten hatten.
sind aufgrund der Fallzahlen und der be­ ist es umgekehrt: Die Rate stieg zuletzt In Ostdeutschland entstammten sogar
sonderen Umbruchsituation in den ers­ wieder an, nachdem es einen massiven knapp vier Fünftel der Arbeitslosen ei­
ten Jahren nach der deutschen Vereini­ Rückgang im ersten Jahrzehnt des nem solchen Haushalt. Der durchschnitt­
gung mit Vorsicht zu interpretieren. Es 21. Jahrhunderts gegeben hatte. liche Anteil an Menschen, deren Vater
werden daher in den Tabellen nur solche Auffallend ist, dass ostdeutsche Frau­ aus einer der beiden Arbeiterklassen kam,
Werte ausgewiesen, die auf belastbaren en in der Facharbeiterklasse eine deutlich ist in beiden Teilen Deutschlands wesent­
Fallzahlen basieren. Die meisten Beschäf­ stärkere Selbstrekrutierung aufwiesen als lich geringer (54 % beziehungs­ w eise
tigten in Ostdeutschland befinden sich in westdeutsche Facharbeiterinnen (56 % im 63 %). In beiden Landesteilen r­ ekrutiert
vier Klassenpositionen: in der oberen und Vergleich zu 45 % im aktuellen Jahrzehnt). sich die Gruppe der arbeits­losen Männer
in der unteren Dienstklasse sowie in der Bei den beiden Dienstklassen gibt es kei­ und Frauen damit über­pro­portional aus
Facharbeiterklasse und der Klasse der ne großen Unterschiede zwischen Frauen den beiden Arbeiter­ k lassen, in Ost­
ungelernten Arbeiter sowie Angestellten. in Ost und West, bei der Klasse der unge­ deutschland ist dies noch etwas stärker
Bei den Männern findet man für die obe­ lernten Arbeiterinnen und Angestellten ausgeprägt als in West­deutschland.
re Dienstklasse eine deutliche Zunahme wiesen die ostdeutschen Frauen eine
der Selbstrekrutierungsrate: Während ­etwas geringere Selbstrekrutierung auf. 7.2.2 Vererbung von Klassen­
kurz nach der Wende nur 19 % der Mit­ Bei allen genannten Unterschieden positionen nach sozialer Herkunft
glieder dieser Klasse auch aus einem sol­ im Detail zeigt sich für Ost- und West­ In Tabelle 2 wird die Sichtweise auf sozia­
chen Elternhaus kamen, waren es in dem deutschland eher eine hohe Stabilität le Mobilität umgedreht. Die Zahlen ge­
Zeitraum 2000 bis 2009 bereits 31 % und in den Selbstrekrutierungsraten. Eine ben nun ausgehend von der Klassenposi­
im aktuellen Jahrzehnt 38 %. Diese Werte wichtige Ausnahme hiervon ist die zuneh­ tion der Väter an, wie viele Kinder wieder
sind damit sogar höher als in West­ mende Selbstrekrutierung der oberen in die gleiche Klassenposition gelangen.
deutschland. Bei der unteren Dienstklas­ Dienstklasse insbesondere in Ostdeutsch­ Bei diesen Vererbungsraten ist nun nicht
se blieben die Raten für Männer weitge­ land. Das bedeutet, dass die höchsten ge­ mehr die Klassenposition der Befragten
hend konstant. Die Facharbeiterklasse sellschaftlichen Positionen in zunehmen­ die Prozentuierungsgrundlage für die Er­
ist in Ostdeutschland sogar noch homo­ dem Maße von Personen besetzt werden, gebnisse, sondern die Klassenposition
gener als in Westdeutschland, und der deren Eltern bereits diese vorteilhaften des Vaters. Deutlich wird dieser Unter­
Trend zur gleichen Herkunft in dieser Positionen innehatten. Die Gruppe wird schied bei den Landwirten: Wie oben ge­
Klasse zeigt sich auch für diesen Teil homogener und es gibt anteilig weniger zeigt, hatten die meisten heutigen Land­
Deutschlands. 61 % der derzeitigen ost­ Personen, die es auch mit einem anderen wirte auch einen Landwirt zum Vater.
deutschen Facharbeiter hatten bereits ei­ familiären Hintergrund in die vorteil­ Allerdings ist die Vererbungsrate deutlich
nen Facharbeiter als Vater. Bei ungelernten hafteste Klasse schaffen. Für Männer in geringer. Nur gut jeder fünfte Sohn eines

264
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 2 Vererbungsraten 1976–2016 – in Prozent


Westdeutschland Ostdeutschland

1976 –1980 1981–1990 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2016 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2016

Männer Männer
Obere Dienstklasse 44 49 46 41 46 26 29 36

Untere Dienstklasse 37 31 31 29 32 19 23 23

Einfache Büroberufe 11 16 13 15 14 / / /

Selbstständige 21 26 21 20 20 22 / /

Landwirte 21 21 25 18 22 / / /

Facharbeiter / Meister 49 48 50 40 39 63 53 53

Ungelernte Arbeiter / Angestellte 25 22 24 30 26 18 29 26

Frauen
Obere Dienstklasse 15 26 28 31 33 21 26 27

Untere Dienstklasse 41 33 38 39 36 37 39 45

Einfache Büroberufe 38 46 38 41 37 / 33 /

Selbstständige 12 11 15 13 10 24 / /

Landwirtinnen 76 10 / 10 / / / /

Facharbeiterinnen / Meisterinnen 43 8 11 8 8 22 17 13
Ungelernte Arbeiterinnen /
27 45 38 40 37 36 34 32
Angestellte

Anteil von Männern und Frauen, die die gleiche berufliche Position einnehmen wie ihr Vater.
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS, SOEP, ZUMA-Standarddemographie, ISJP, NEPS, 1976-2016.

Landwirtes in Westdeutschland wurde sen. Nur in der Facharbeiterklasse zeigt aktuellen Jahrzehnt nur 14 %. Ähnlich
später ebenfalls Landwirt (22 % im aktu­ sich nach der Jahrtausendwende eine hoch sind die Vererbungsraten für west­
ellen Jahrzehnt). Das bedeutet, dass die merkliche Abnahme der Vererbungs­ deutsche Frauen in der unteren Dienst­
meisten Bauernsöhne heute eine andere raten. u Tab 2 klasse und bei ungelernten Arbeiter- und
Klassenposition haben als ihre Väter und Die Vererbungsraten von Vätern auf Angestelltenpositionen. Knapp zwei
damit sozial mobil waren. Ähnliche Ver­ ihre Töchter sind in der Tendenz niedri­ Fünftel (36 % beziehungs­weise 37 %) der
erbungsraten findet man in der Klasse ger als die Vererbungsraten von Vätern Töchter nahmen die gleiche Klassenposi­
der Selbstständigen und etwas stärker in auf ihre Söhne. Dies liegt vor allem an tion ein wie ihre Väter. Doch während
der Klasse der ungelernten Arbeiter und geschlechtsbedingten Ungleichheiten auf es bei der unteren Dienstklasse und bei
Angestellten. Die höchsten Vererbungsra­ dem Arbeitsmarkt. Frauen und Männer den qualif izierten Büro­ t ätigkeiten
ten gibt es in Westdeutschland in der besetzen typischerweise unterschiedliche Schwankungen über die Zeit gibt, findet
oberen Dienstklasse und in der Klasse Berufsfelder (zum Beispiel Arzthelferin, man bei den ungelernten Arbeiter- und
der Facharbeiter: Etwa 46 % der Väter in KFZ-Mechatroniker) und finden sich so­ Angestelltenpositionen eine merkliche
der oberen Dienstklasse konnten im mit auch in unterschiedlichen Klassen­ Abnahme der Vererbungsraten von 47 %
jüngsten Beobachtungszeitraum ihre positionen wieder. Ausnahmen von dem auf 37 %. Genau entgegengesetzt ist der
­vorteilhafte Position an ihre Söhne wei­ typischen Vererbungsmuster von Vater- Trend in der oberen Dienstklasse. In den
tergeben; von den Facharbeitervätern Sohn und Vater-Tochter gibt es für west­ 1970er-Jahren gelang es nur 15 % der
­waren es 39 %, die ihre Arbeiterposition deutsche Frauen bei der unteren Dienst­ Töchter aus dieser Klasse, ebenfalls eine
an ihren Sohn vermachten. Die niedrigs­ klasse, bei ungelernten Arbeiter- und An­ solche vorteilhafte Position zu erreichen.
te Ver­ e rbu ngsrate f i ndet ma n bei gestelltenpositionen und vor allem in der Bis zur aktuellsten Beobachtung hat sich
­Männern in der Klasse der qualifizierten Klasse der qualifizierten Büroberufe. Im dieser Anteil mehr als verdoppelt: Im ak­
Büroberufe (14 %). Für die meisten Klas­ Schnitt nahmen etwa 37 % der Töchter ei­ tuellsten Beobachtungszeitraum schaffte
sen haben sich Vererbungsraten in den nes Vaters aus dieser Klasse eine Position es ein Drittel der Frauen, diese vorteil­
vergangenen Jahrzehnten für westdeut­ in der Klasse der qualifizierten Bürotätig­ hafte Position aus dem Elternhaus zu be­
sche Männer als weitgehend stabil erwie­ keiten ein. Bei den Söhnen waren es im haupten.

265
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität

Die übrigen Klassen der Selbstständi­ rate deutet auf ein deutliches Schrumpfen klasse bei ostdeutschen Frauen höher ist,
gen, Landwirte und Facharbeiter wurden solcher Positionen in Ostdeutschland hin. stellt sich dies bei der oberen Dienstklas­
in Westdeutschland selten an die Töchter Bei den ungelernten Arbeiter- und An­ se umgekehrt dar.
weitergegeben (knapp 10 %), und dies gestelltenpositionen hingegen kam es zu Die Betrachtung einzelner Klassenpo­
veränderte sich auch nicht über die Zeit. e inem deutlichen Anstieg der Verer­
­ sitionen lässt keine Schlüsse darauf zu,
Die entscheidenden Entwicklungen fin­ bungsraten. Während in den 1990er-­ welche Klassenpositionen die Söhne und
den also am oberen und unteren Ende der Jahren 18 % der Söhne aus der Klasse der Töchter einnehmen, wenn sie nicht in die
Klassenskala statt. Westdeutschen Frauen ungelernten Arbeiter- und Angestellten­ Fußstapfen ihrer Väter getreten sind. Da­
gelingt es in zunehmendem Maße, eben­ positionen mit der gleichen ­Position her sollen im Folgenden nicht die einzel­
so gute Positionen wie ihre Väter einzu­ vorliebnehmen mussten, ist dieser Anteil nen Klassenpositionen betrachtet werden,
nehmen. Gleichzeitig gelingt es ihnen zu Beginn des Jahrtausends deutlich an­ sondern es wird versucht, ein Gesamtbild
häufiger, die weniger vorteilhafte Klasse gestiegen. Im aktuellen Jahrzehnt nahm der sozialen Mobilität aufzuzeigen. Eine
der ungelernten Arbeiter und Angestell­ ein gutes Viertel (26 %) der Söhne von un­ solche Gesamtbetrachtung ermöglicht
ten zu verlassen. gelernten Arbeitern und Angestellten auch eine Aussage darüber, ob diejenigen,
Für Ostdeutschland können aufgrund wiederum eine solche Klassenposition ein. die nicht die Klassenposition ihrer Väter
der Fallzahlen für einige Klassenpositio­ Die Befunde für ostdeutsche Frauen übernehmen, eher vorteilhaftere oder eher
nen keine gesicherten Aussagen getroffen zeigen ein eigenständiges Muster. In der weniger vorteilhafte Klassenpositionen
werden. Bei den Klassen, für die gesicher­ oberen Dienstklasse stieg die Verer­ erreichen als ihre Väter.
te Erkenntnisse vorliegen, fällt auf, dass bungsrate wie bei den ostdeutschen Män­
für ostdeutsche Männer die Vererbungs­ nern über die Zeit an, von 21 % in den 7.2.3 Ausmaß von sozialen
raten in den beiden Dienstklassen gerin­ 1990er-Jahren auf 27 % im aktuellen Jahr­ Auf- und Abstiegen
ger sind als für westdeutsche Männer. zehnt. Der Trend ist für beide Geschlech­ Um Auf- und Abstiege zu untersuchen,
Insbesondere in der oberen Dienstklasse ter ähnlich, allerdings gelang es Männern ist es erforderlich, die einzelnen Klassen­
gelang es ostdeutschen Männern seltener, besser, die Positionen ihrer Väter zu positionen in einer Rangfolge anzuordnen.
eine ebenso vorteilhafte Position wie die übernehmen (36 % im Vergleich zu 27 % Die vorteilhafteste Klassenlage erfahren
ihrer Väter einzunehmen. 36 % der ost­ der Frauen im aktuellen Jahrzehnt). Bei diejenigen, die eine Position in der oberen
deutschen Männer vermochten in der der unteren Dienstklasse gibt es – anders Dienstklasse einnehmen. Etwas weniger
jüngsten Zeit die oberste Klassenposition als bei Männern – für Frauen einen gut, aber immer noch mit vielen Vorteilen
zu behaupten, im Westen waren es dage­ Trend zu höheren Vererbungsraten. Die ausgestattet (zum Beispiel Arbeitsplatzsi­
gen 46 %. Die Vererbungsrate in der unte­ Vererbungsraten waren generell bei Frau­ cherheit, Einkommen, Karriereaussich­
ren Dienstklasse war in Ostdeutschland en deutlich höher als bei Männern in die­ ten) sind Positionen in der unteren
mit zuletzt 23 % deutlich geringer als die ser Klasse (45 % im Vergleich zu 23 % im Dienstklasse. Am unteren Ende der Klas­
Vererbungsrate in der oberen Dienstklas­ aktuellen Jahrzehnt). Genau umgekehrt senhierarchie befinden sich ungelernte
se. Während die Väter in Ostdeutschland verhält es sich für die Klasse der Fachar­ Arbeiter- beziehungsweise Angestellten­
ihre obere Dienstklassenposition in zu­ beiter: Die Vererbungsraten waren hier positionen. In solchen Positionen sind
nehmendem Maße an ihre Söhne weiter­ bei ostdeutschen Frauen deutlich gerin­ die Menschen eher schlecht gegen Ar­
geben konnten (Steigerung von rund ei­ ger als bei ostdeutschen Männern und sie beitsplatzverlust abgesichert und es wer­
nem Viertel in den 1990er-Jahren auf nahmen über die Zeit kontinuierlich ab. den ihnen kaum Karrieremöglichkeiten
mehr als ein Drittel im aktuellen Jahr­ Zuletzt hatten nur 13 % der Facharbeiter­ geboten. Die verbleibenden Klassenlagen
zehnt), pendelten die Vererbungsraten in töchter wiederum eine Facharbeiterposi­ (qualifizierte Büroberufe, Selbstständige
der unteren Dienstklasse um ein Fünftel. tion. Bei den ungelernten Arbeiter- und mit bis zu 49 Mitarbeitern, Landwirtin­
Deutliche Veränderungen sind in der Angestelltenpositionen sank die Verer­ nen und Landwirte sowie Facharbeiterin­
Facharbeiterklasse und der Klasse der bungsrate leicht von 36 % auf 32 %. Ost­ nen und Facharbeiter) lassen sich nur
ungelernten Arbeiter- und Angestellten­ deutsche Frauen konnten folglich – an­ sehr schwer in eine Rang­folge bringen.
positionen zu verzeichnen. Während im ders als Männer – diese Klassenposition Sie werden daher in einer großen – recht
ersten Jahrzehnt nach der Vereinigung zunehmend vermeiden. Jedoch ist die heterogenen – Gruppe zusammengefasst,
knapp zwei Drittel der ostdeutschen Vererbung bei den Frauen insgesamt die in der Mitte der Klassenverteilung
Facharbeitersöhne ebenfalls eine Positi­ ­höher als bei den ostdeutschen Männern. angesiedelt ist. Diese Klassenlagen sind
on in der Facharbeiterklasse einnahmen, Bei den beiden Dienstklassen gibt es zwi­ weniger vorteilhaft als ­Positionen in der
ist dieser Anteil auf 53 % gesunken. Die schen Frauen in Ost- und Westdeutsch­ unteren Dienstklasse, aber vorteilhafter
abnehmende Vererbungsrate bei gleich­ land noch Unterschiede: Während die als ungelernte Arbeiter- und Angestellten­
zeitiger Zunahme der Selbstrekrutierungs­ Vererbungsraten bei der unteren Dienst­ positionen. Es werden daher insgesamt

266
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

vier verschiedene Hierarchiestufen unter­ en waren die Gesamtmobilitätsraten in mehr als viermal so häufig vor wie hori­
schieden: obere Dienstklasse, untere Ost und West gleich hoch. Bei den Män­ zontale Mobilität. In Ostdeutschland gibt
Dienstklasse, eine heterogene Gruppe mit nern waren sie in Ostdeutschland deut­ es bei den Männern weniger vertikale
mittleren Klassenpositionen und die lich niedriger als in Westdeutschland und weniger horizontale Mobilität. Das
Klasse der ungelernten Arbeiter- und An­ (zuletzt 61 % im Vergleich zu 67 %). Teilt Verhältnis zwischen den beiden Größen
gestelltenpositionen. man die Gesamtrate auf in vertikale Mobi­ schwankt und war im aktuellen Jahr­
Die jeweils oberste Zeile in Tabelle 3 lität (Auf- und Abstiege) und in horizon­ zehnt etwas höher als in Westdeutsch­
beschreibt das Ausmaß der Gesamtmobi­ tale Mobilität (Mobilität auf der gleichen land (gut fünfmal so viel vertikale wie
lität, das heißt, wie groß der Anteil der Hierarchieebene, zum Beispiel von Fach­ horizontale Mobilität). u Tab 3
Personen ist, die eine andere Position arbeitern zu qualifizierten Büroberufen), Bei den ostdeutschen Frauen ist die
einnehmen als ihre Väter. Es fällt auf, so zeigen sich jedoch Unterschiede über Zunahme der Gesamtmobilität auf die
dass Töchter aufgrund spezifischer Be­ die Zeit. Bei den westdeutschen Männern Zunahme horizontaler Mobilität zurück­
rufspräferenzen und Erwerbsmöglichkei­ stieg der Anteil an vertikaler Mobilität in zuführen. Nicht nur bei der Gesamtmobi­
ten im Vergleich zu ihren Vätern generell den letzten 40 Jahren etwas (von 51 % auf lität, auch bei dem Ausmaß von vertikaler
eine höhere Gesamtmobilität aufweisen 55 %), während die horizontale Mobilität und horizontaler Mobilität gibt es prak­
als Söhne. In Westdeutschland blieben um 3 Prozentpunkte abnahm. Somit er­ tisch keine Unterschiede zwischen ost-
die Gesamtmobilitätsraten im Zeitver­ höhte sich das Verhältnis zwischen die­ und westdeutschen Frauen. Ostdeutsche
gleich weitgehend konstant, in Ostdeutsch­ sen beiden Größen von 3,3 auf 4,6 zu­ Frauen waren allerdings in beiden Teilbe­
land stiegen sie bei Frauen im Vergleich gunsten der vertikalen Mobilität. Das reichen deutlich mobiler als ostdeutsche
zu den 1990er-Jahren leicht an. Bei Frau­ heißt, vertikale Mobilität kommt heute Männer. Die Zunahme der horizontalen

u Tab 3 Gesamtmobilität, vertikale und horizontale Mobilität, Auf- und Abstiegsraten 1976 – 2016
Westdeutschland Ostdeutschland
1976 –1980 1981–1990 1991–1999 2000 – 2009 2010 –2016 1991–1999 2000 – 2009 2010 –2016

Männer
Gesamtmobilität (%) 66 66 64 68 67 60 62 61

Gesamtmobilität umfasst:

vertikale Mobilität (%) 51 50 51 54 55 51 50 51

horizontale Mobilität (%) 15 16 13 13 12 10 12 10

Verhältnis vertikale /
3,3 3,1 4,0 4,0 4,6 5,2 4,0 5,2
horizontale Mobilität

Vertikale Mobilität umfasst:

Aufwärtsmobilität (%) 36 35 35 36 38 31 25 26

Abwärtsmobilität (%) 15 15 16 18 17 20 24 25

Verhältnis Aufstiege / Abstiege 2,4 2,4 2,2 2,0 2,2 1,5 1,1 1,1

Frauen
Gesamtmobilität (%) 77 77 78 77 78 74 77 78

Gesamtmobilität umfasst:

vertikale Mobilität (%) 59 55 58 59 61 63 59 62

horizontale Mobilität (%) 18 22 19 19 17 11 18 16

Verhältnis vertikale /
3,3 2,5 3,0 3,2 3,5 5,8 3,3 4,0
horizontale Mobilität

Vertikale Mobilität umfasst:

Aufwärtsmobilität (%) 26 26 31 31 33 36 30 33

Abwärtsmobilität (%) 33 28 27 27 27 28 29 28

Verhältnis Aufstiege / Abstiege 0,8 0,9 1,2 1,1 1,2 1,3 1,0 1,2

Datenbasis: ALLBUS, SOEP, ZUMA-Standarddemographie, ISJP, NEPS, 1976–2016.

267
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität

Mobilität in Ostdeutschland hat ihre Ur­ Trend bei den Abstiegen im aktuellen die Zeit jedoch nachhaltig geändert;
sachen vor allem in dem Schrumpfen der Jahrzehnt nicht fortsetzte. Es gibt im ­ eute kommen Aufstiege etwas häufiger
h
Facharbeiterpositionen. Töchter von ost­ heutigen Jahrzehnt nach wie vor noch gut vor als Abstiege. Setzt man die Auf- und
deutschen Facharbeitern nehmen heute doppelt so viele Aufstiege wie Abstiege Abstiege ins Verhältnis zueinander, so
verstärkt Positionen in qualifizierten Bü­ (Verhältnis 2,2 zu 1), jedoch ist dieses veränderte sich dieses Verhältnis von
roberufen ein, die Söhne machen sich Verhältnis in den vergangenen 40 Jahren 0,8 auf 1,2. Frauen im Westen näherten
selbstständig oder tendieren auch zu für westdeutsche Männer geringfügig sich bei der Zahl der Aufstiege allmäh­
­qualifizierten Büroberufen. Bei westdeut­ ungünstiger geworden. Bei westdeut­ lich den Männern an. Die deutlich häufi­
schen Frauen nahm in den vergangenen schen Frauen ist ein durchweg positiver geren Abstiege lassen sie jedoch den
Jahrzehnten die vertikale Mobilität etwas Trend zu beobachten. Den Frauen gelingt Männern gegenüber noch etwas benach­
zu (von 59 % auf 61 %), während die hori­ es heute häufiger als früher, eine bessere teiligt erscheinen. Der Trend deutet für
zontale Mobilität zuletzt bei 17 % lag. Klassenposition einzunehmen als ihre Westdeutschland jedoch auf eine weitere
Die jeweils unteren Hälften der Teil­ Väter. Während in den 1970er-Jahren nur Angleichung hin.
tabellen zeigen an, ob es sich bei den ver­ 26 % der westdeutschen Frauen eine bes­ Für Ostdeutschland ist der Befund
tikalen Bewegungen um Auf- oder Ab­ sere Klassenposition hatten als ihre Väter, weniger vorteilhaft. Während im Nach­
stiege im Klassengefüge handelt. Der zu­ stieg dieser Anteil bis heute auf 33 %. wendejahrzehnt knapp jeder dritte Sohn
nehmende Anteil an vertikaler Mobilität Gleichzeitig sank die Häufigkeit von eine bessere Klassenposition erreichte als
für westdeutsche Männer resultiert so­ ­A bstiegen deutlich von 33 % auf 27 %. sein Vater, gelang dies im aktuellen Jahr­
wohl aus einer leichten Zunahme von Für westdeutsche Frauen waren in den zehnt nur noch rund jedem vierten Sohn
Aufstiegen als auch aus einer leichten 1970er-Jahren Abstiege im Klassengefüge (26 %). Gleichzeitig nahmen Abstiege
­Zunahme der Abstiege, wobei sich der häufiger als Aufstiege. Dies hat sich über deutlich zu. In den 1990er-Jahren nahm
nur jeder fünfte Sohn (20 %) eine schlech­
tere Position ein als sein Vater. Zuletzt
­betraf das jeden vierten Sohn (25 %). Auf-
und Abstiege kommen mittlerweile im
Osten praktisch gleich häufig vor, der
Quotient zwischen Auf- und Abstiegen
sank von 1,5 im ersten Jahrzehnt auf
1,1 im letzten Jahrzehnt. Die deutlichen
Unterschiede resultieren allerdings vor
allem aus den Veränderungen zwischen
dem ersten und zweiten Jahrzehnt nach
der Vereinigung. Der negative Trend
schwächte sich im jüngsten Jahrzehnt
z­ umindest ab.
Bei den ostdeutschen Frauen ging die
Entwicklung im ersten Jahrzehnt des
Jahrtausends in die gleiche Richtung wie
bei ostdeutschen Männern. Jedoch hat
sich hier der negative Trend nahezu ge­
dreht. Jede dritte Frau in Ostdeutschland
hatte zuletzt eine höhere Klassenposition
als ihr Vater (bei ostdeutschen Männern
war es nur jeder Vierte). Das Ausmaß der
Abstiege ist bei beiden Geschlechtern im
Osten ähnlich (28 % für Frauen, 26 % für
Männer). Das Verhältnis zwischen sozia­
len Auf- und Abstiegen bei ostdeutschen
Frauen ist wie bei den Männern nahezu
ausgeglichen (zuletzt 1,2 zu 1).
Sowohl in Ostdeutschland als auch
in Westdeutschland gibt es somit etwas

268
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

mehr Aufstiege als Abstiege. Bei west­ Diese strukturell bedingte soziale Modell zusammengefasst. Die Ergebnis­
deutschen Männern gibt es gar mehr als Mobilität muss man aber herausrechnen, se sind in den Abbildungen 1 und 2 dar­
doppelt so viele Aufstiege wie Abstiege. wenn man generell eine Aussage über die gestellt.
Deutschland ist folglich nach wie vor Chancengleichheit in der Gesellschaft Beide Abbildungen zeigen die Ent­
eine Aufstiegsgesellschaft. Es deutet sich treffen möchte. Daher vergleicht man die wicklung der Stärke des Zusammenhangs
auf der vorliegenden Datengrundlage Auf- und Abstiegschancen einer Person zwischen der sozialen Herkunft und der
auch kein Trend an, der einen gegenteili­ aus einer bestimmten Herkunftsklasse eigenen Klassenposition. Die Stärke des
gen Befund nahelegen würde. Zwar ha­ in Relation mit den Auf- und Abstiegs­ Zusammenhangs ist auf der y-Achse dar­
ben bei ost- und westdeutschen Männern chancen einer Person aus einer anderen gestellt. Für das erste Jahr der Analyse,
die Anteile an Abstiegen zugenommen. Herkunftsklasse. Man kann zum Beispiel 1976, wurde dieser Zusammenhang auf
Sie werden aber von den positiven Ent­ fragen, um wie viel geringer die Chancen den Wert 0 als Ausgangsniveau festge­
wicklungen bei den Aufstiegen mehr als für Personen aus der Facharbeiterklasse setzt. Die Abweichung zu diesem Wert
kompensiert. Der negative Trend, der sind, eine Position in der oberen Dienst­ gibt dann die prozentuale Veränderung
sich bis Ende des letzten Jahrzehnts abge­ klasse zu erreichen, als für Personen, die zu diesem Ausgangsniveau an, wobei ne­
zeichnet hat, setzt sich in beiden Landes­ bereits in der oberen Dienstklasse groß gative Werte bedeuten, dass der Zusam­
teilen nicht fort. geworden sind – und inwieweit sich diese menhang schwächer wird. Die dargestell­
Chancen über die Zeit verändert haben. te Trendlinie ist eine an die einzelnen
7.2.4 Chancengleichheit Es ist denkbar, dass sich für beide die Jahresbeobachtungen angepasste Regres­
in der Gesellschaft Chancen erhöht haben, eine Position in sionskurve. Die Trendkurve kann sich
Die bisher dargestellten Ergebnisse bezie­ der oberen Dienstklasse zu erreichen, da somit durch Hinzufügen neuer Daten
hen sich auf die Mobilitätserfahrungen die Zahl entsprechender Positionen zu­ ­jeweils leicht verändern. Aufgrund der
von Männern und Frauen seit Mitte der genommen hat. Wenn sich aber die Fallzahlen wurden einige Jahresbeobach­
1970er-Jahre in Westdeutschland und Chancen für Personen aus Facharbeiter­ tungen zusammengefasst, um die Befun­
seit der deutschen Vereinigung in Ost­ familien im genau gleichen Ausmaß er­ de robuster darstellen zu können.
deutschland. Ein wesentlicher Faktor für höhen wie die Chancen der Personen aus Für Männer in Westdeutschland
die soziale Mobilität in dieser Zeit waren der oberen Dienstklasse, dann bleibt sieht man, dass die Stärke des Zusam­
die Veränderungen in der Beschäftigten­ die Chancengleichheit beziehungsweise menhangs über den gesamten Zeitraum
struktur. Die Anzahl der Facharbeiter­ Chancenungleichheit zwischen den bei­ hinweg abnahm. Für die jüngste Zeit
positionen ist in dieser Zeit gesunken, den Herkunftsklassen unverändert. zeigt die Trendkurve eine Abnahme des
während zusätzliche Positionen vor allem Abschließend werden daher die ursprünglichen Zusammenhangs zwi­
bei qualifizierten Büroberufen und in der Chancengleichheiten beziehungsweise schen der Herkunftsklasse und der eige­
oberen Dienstklasse geschaffen wurden. Chancenungleichheiten zwischen Perso­ nen Klassenposition um etwa 30 % an.
Im Vergleich zu den Klassenpositionen nen mit unterschiedlicher Klassenher­ Der Wert an sich ist mit Bedacht zu in­
der Väter ist dieser Wandel noch aus­ kunft untersucht. Für die 1970er-Jahre in terpretieren, die Trendkurve kann die
geprägter: Facharbeiterpositionen und Westdeutschland zeigt sich, dass Perso­ Entwicklung etwas überzeichnen. Aber
Positionen in der Landwirtschaft haben nen aus der oberen Dienstklasse etwa klar ist, dass der Einfluss der sozialen
stark abgenommen. Gleichzeitig gab es 26-mal so große Chancen hatten, die Herkunft auf die eigene Klassenposition
zunehmend mehr Positionen in den bei­ ­obere Dienstklasse statt die Facharbeiter­ sich seit 1976 deutlich abgeschwächt hat.
den Dienstklassen und der Klasse der klasse zu erreichen, wie Personen aus der Die Chancengleichheit für Männer in
qualifizierten Büroberufe. Dieser struk­ Facharbeiterklasse. Diese großen Chan­ Westdeutschland hat sich entsprechend
turell bedingte Wandel beeinflusst die in­ cenungleichheiten sind charakteristisch in ­d iesem Zeitraum stark erhöht. Für
dividuellen Mobilitätsmöglichkeiten. für Deutschland. Im Vergleich mit ande­ ostdeutsche Männer ist dagegen eine
Wenn zum Beispiel Facharbeitersöhne ren industrialisierten Ländern weist umge­kehrte Entwicklung zu beobachten.
aufgrund der abnehmenden Nachfrage Deutschland mit die höchsten Chancen­ Ausgehend von einem deutlich geringe­
nach Facharbeitern nicht mehr die glei­ ungleichheiten auf. ren Zusammenhang zwischen sozialer
che Position wie ihre Väter einnehmen Die folgende Analyse beschreibt die Herkunft und eigener Klassenposition
können, müssen sie zwangsläufig in Entwicklung der Chancenungleichheiten im Ausgangsjahr 1990 hat sich der Zu­
­a ndere Positionen ausweichen. Ein Teil in Deutschland in den vergangenen sammenhang im Zeitverlauf verstärkt,
der sozialen Mobilität – und damit auch 40 Jahren. Hierzu wurden für sämtliche die Bedeutung der Herkunftsklasse für
mancher Auf- und Abstieg – beruht somit Kombinationen aus den sieben Klassen­ die eigene spätere Klassenposition hat im
auf den Veränderungen in der Erwerbs­ positionen die oben dargestellten Chan­ Osten zugenommen. Die beiden Kurven
struktur. cenverhältnisse berechnet und in einem haben sich seit der Vereinigung aufei­

269
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität

u Abb 1 Relative Veränderung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft


und eigener Klassenposition für Männer 1976 – 2016

–1

–2

–3

–4

–5

1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: ALLBUS, SOEP, ZUMA-Standarddemographie, ISJP, NEPS, 1976–2016.

nander zubewegt. Im Jahr 2016 war der mig in Ost und West verlaufen wird. Die sondere für die Klassen der Landwirte
Zusammenhang zwischen Herkunft und Kennzahlen aus den Tabellen 1, 2 und 3 und Facharbeiter zu, aber auch abge­
eigener Klassenposition in Ost und West unterstreichen diesen Befund eines ähn­ schwächt für die obere Dienstklasse und
praktisch gleich stark ausgeprägt. Die lichen Mobilitätsraums in Ost und West die Klasse der ungelernten Arbeiter und
höhere Chancengleichheit, die typisch für Frauen. Bei den Männern bleibt abzu­ Angestellten. Über die Zeit gab es hier
für den ostdeutschen Landesteil war, ist warten, ob sich die Kurven zukünftig nur wenige Veränderungen, die insbe­
verschwunden. u Abb 1 ­p arallel weiterentwickeln werden oder sondere die Facharbeiterpositionen und
Bei den Frauen zeigen sich unmittel­ ob sich die Chancenverhältnisse weiter­ vor allem im Osten die oberen Dienst­
bar nach der Vereinigung ebenfalls deut­ hin in unterschiedliche Richtungen ent­ klassenpositionen betreffen. Die oberen
liche Unterschiede zwischen Ost und wickeln werden. u Abb 2 Dienstklassen rekrutieren sich zuneh­
West. Jedoch nahm wie bei den Männern mend aus sich selbst.
die Chancenungleichheit in Ostdeutsch­ 7.2.5 Zusammenfassung Bei der Vererbung von Klassenpositi­
land über die Zeit deutlich zu. Gleichzei­ Die Herkunft aus einer bestimmten sozi­ onen zeigen sich etwas häufiger Trends.
tig schwächte sich bei westdeutschen alen Klassenlage hat trotz der Betonung Die Vererbungsraten in der oberen Dienst­
Frauen der Zusammenhang zwischen von Chancengleichheit im Bildungs­ klasse nehmen zu, für Männer und Frau­
Herkunft und eigener Position über die wesen und der Hervorhebung des Leis­ en in Ost und West. Die Raten bei der
Zeit hinweg ab. Die Folge ist, dass sich tungsgedankens in der Berufswelt nach Klasse der ungelernten Arbeiter und An­
auch die beiden Kurven für Frauen aufei­ wie vor einen starken Einf luss auf die gestellten nehmen bei Frauen ab, bei
nander zubewegen und im Jahr 2016 von spätere Klassenposition von Männern Männern dagegen tendenziell leicht zu.
der gleichen Stärke des Zusammenhangs und Frauen in Deutschland. Viele Perso­ Zudem sind in Ostdeutschland die gerin­
in Ost und West auch für Frauen ausge­ nen, die heute eine bestimmte Klassen­ ger werdenden Vererbungsraten bei Fach­
gangen werden kann. Die Trendkurven position innehaben, kommen aus Familien, arbeiterpositionen deutlich. Insgesamt
legen auch nahe, dass zumindest für in denen bereits der Vater die gleiche gibt es eine etwas stärkere Polarisierung
Frauen die Entwicklung fortan gleichför­ Klassenposition hatte. Dies trifft insbe­ für Männer in Ost und West, während die

270
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Abb 2 Relative Veränderung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft


und eigener Klassenposition für Frauen 1976 – 2016

–1

–2

–3

–4

–5

1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: ALLBUS, SOEP, ZUMA-Standarddemographie, ISJP, NEPS, 1976–2016.

Frauen zunehmend schlechtere Positionen Klassenposition. Den gleichen Trend kann


vermeiden und bessere Positionen errei­ man für westdeutsche Frauen beobachten,
chen können. wenn auch weniger stark ausgeprägt. Im
Der Trend zu mehr Abstiegen und Osten dagegen nimmt der Einfluss der
weniger Aufstiegen, wie er sich im ersten sozialen Herkunft deutlich zu. Die ehe­
Jahrzehnt des Jahrtausends andeutete, mals deutlich höhere Chancengleichheit
hat sich im aktuellen Jahrzehnt nicht für Männer und Frauen im Osten hat
fortgesetzt. Es gibt wieder mehr Auf­ stark abgenommen, es kommt bei beiden
stiege, das Ausmaß an Abstiegen bleibt Geschlechtern zu einer Verschmelzung
nahezu gleich. Insgesamt überwiegen der Mobilitätschancen in Ost und West.
weiterhin die Aufstiege, insbesondere für Inwieweit es fortan zu einem gemeinsa­
westdeutsche Männer. Im Osten über­ men Trend kommt oder ob die nach wie
wiegen die Aufstiege nur leicht. Das Aus­ vor ungünstigeren Rahmenbedingungen
maß an so­zialer Mobilität ist für Frauen in Ostdeutschland dazu führen, dass der
zwischen Ost und West mittlerweile sehr Einf luss der sozialen Herkunft auf die
ähnlich, bei Männern sind die Unter­ ­eigene Klassenposition in den kommen­
schiede zwischen Ost und West sehr viel den Jahren noch wichtiger wird, werden
deutlicher ausgeprägt. die kommenden Jahre zeigen.
Die Betrachtung der tatsächlichen
Chancengleichheit – bereinigt um struk­
turelle Einflüsse – zeigt für westdeutsche
Männer einen klaren kontinuierlichen
Trend hin zu einem abnehmenden Ein­
fluss der sozialen Herkunft auf die eigene

271
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen

7.3 Im Jahr 2017 lebten rund 19,3 Millionen


Menschen mit Migrationshintergrund in
grund der Eskalation des Bosnienkriegs,
zahlreiche Geflüchtete aus den Balkange-
Lebenssituation Deutschland, was etwa 24 % der Gesamt- bieten Asylanträge in Deutschland. Seit
von Migrantinnen bevölkerung ausmacht (siehe dazu Kapitel
1.2, Seite 28). Die Bevölkerung mit Migra-
den EU-Osterweiterungen (ab 2004)
kommt ein großer Anteil der Migrantin-
und Migranten tionshintergrund stellt jedoch keine ho- nen und Migranten aus osteuropäischen
und deren mogene Gruppe dar. Vielmehr handelt es
sich sogar um eine äußerst heterogene
EU-Ländern nach Deutschland, etwa aus
Polen oder der Slowakei. Zudem steigt
­N achkommen Gruppe von Menschen, die aus einer Viel- seit 2011 auch die Zahl der Asylanträge
zahl von Ländern nach Deutschland ge- (siehe dazu Kapitel 7.4, Seite 280). Um die
kommen sind. Besonders auffällig sind Heterogenität dieser verschiedenen Mi­
Diana Schacht, Maria Metzing
die Unterschiede zwischen Migrantinnen grantengruppen besser berücksichtigen zu
DIW Berlin
und Migranten, die selbst einmal nach können, werden im Folgenden Migran-
Deutschland eingewandert sind (soge- tinnen und Migranten und deren Nach-
WZB / SOEP nannte erste Generation), und der zweiten kommen aus fünf Herkunftsgruppen un-
Generation, deren Eltern eingewandert terschieden: (1) aus der Türkei, (2) aus
sind, die aber selbst in Deutschland gebo- den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens,
ren wurde. Neben diesen Generationsun- (3) aus den ehemaligen Anwerbestaaten
terschieden gibt es einen engen Zusam- Südeuropas, die heute zur EU gehören
menhang zwischen der Zugehörigkeit von (Griechenland, Italien, Portugal, Spanien),
Personen zu unterschiedlichen Herkunfts- (4) (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)
gruppen und der Art und Weise an der Aussiedler sowie (5) Personen aus osteuro-
deutschen Gesellschaft teilzuhaben. u Info 1 päischen Ländern.
Betrachtet man die Zeit nach dem In diesem Kapitel werden ausgewählte
Zweiten Weltkrieg, so verlagerten zahlrei- Bereiche des Lebens von Migrantinnen
che Migrantinnen und Migranten aus den und Migranten und deren Nachkommen
sogenannten Gastarbeiterländern, zu de- mit den Daten des Sozio-oekonomischen
nen auch das frühere Jugoslawien sowie Panels (SOEP) für 2016 beschrieben. Da-
die Türkei zählen, ihren Lebensmittel- bei werden die Unterschiede zwischen
punkt in die Bundesrepublik Deutschland verschiedenen Herkunftsgruppen und
und holten anschließend ihre Familien Generationen dargestellt, aber auch un-
nach. Nach 1990 siedelten viele (Spät-) terschiedliche Lebensbereiche genauer
Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler aus betrachtet, etwa die allgemeinen Lebens-
Rumänien, Polen und den Gebieten der bedingungen, Bildungs- und Ausbildungs-
ehemaligen Sowjetunion in das vereinigte situation, Beschäftigungsstruktur und
Deutschland über. Darüber hinaus stellten Einkommen, soziale sowie sprach­liche In-
zu Beginn der 1990er-Jahre, auch auf- tegration und kulturelle Orientierungen.

u Info 1
Definitionen
Personen mit Migrationshintergrund sind entweder selbst zugewandert oder haben mindestens einen
zugewanderten Elternteil. Gesondert ausgeführt werden die 17- bis 45-jährigen Migrantennachkommen,
die entweder schon in Deutschland geboren wurden oder vor dem siebten Lebensjahr nach Deutsch-
land zugewandert sind und dementsprechend in Deutschland die Schule besucht haben. Die Zugehörig-
keit zu einer Herkunftsgruppe wurde von dem Geburtsland der Befragten oder deren Eltern abhängig
gemacht. Falls keine eindeutige Zuordnung zu einer Herkunftsgruppe möglich war, wurden die Befragten
nur der Gesamtgruppe der Migrantinnen und Migranten zugeordnet, etwa wenn die Mutter in Griechen-
land und der Vater in der Türkei geboren wurde. Insofern umfasst die G­ ruppe der Personen mit Migrati-
onshintergrund nicht nur die fünf differenzierten Herkunftsgruppen. Geflüchtete und deren Nachkommen
bleiben in diesem Kapitel unberücksichtigt (siehe dazu Kapitel 7.4, Seite 280), genauso wie Personen,
die 2016 jünger als 17 Jahre alt waren. Insgesamt wurden rund 17 900 Personen ohne und rund 7 000
Personen mit Migrationshintergrund befragt. Je nach Item kann die Zahl der Personen variieren.

272
Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 1 Ausgewählte Merkmale der Lebenssituation 2016

Personen ohne Personen mit Migrationshintergrund


Migrations- Länder des ehemaligen Süd- (Spät-)Aussiedler/ Ost-
hintergrund Gesamt Türkei
Jugoslawiens europa -innen europa
Deutsche Nationalität (in %) 100 57 24 23 10 95 32
Mittelwert Aufenthaltsdauer (in Jahren) X 26 33 29 35 27 14
In Deutschland geboren (in %) X 33 32 23 20 7 1
Alter bei Einwanderung (Durchschnitt) X 23 18 21 21 24 26
Einkommensverteilung (in %)
< 60 % des Medianeinkommens
13 20 38 20 32 27 30
(Armutsrisikoquote)
60 % − 100 % des Medianeinkommens 33 34 39 38 42 34 38
100 % − 150 % des Medianeinkommens 33 29 19 34 22 27 23
> 150 % des Medianeinkommens 21 17 4 8 5 12 9
Einkommenssituation
Haushaltsäquivalenzeinkommen
1 667 1 500 1 090 1 430 1 200 1 333 1 305
(Median in Euro)
Wohnsituation ¹
Miethöhe pro Quadratmeter
7,1 7,7 7,5 8,5 7,9 6,9 8,2
(Mittelwert in Euro)
Durchschnittliche Haushaltsgröße
1,9 2,3 2,7 2,0 1,8 1,7 2,0
(Anzahl Personen)
Wohnfläche pro Person
60 47 33 49 45 56 40
(Mittelwert in Quadratmetern)

1 Diese Indikatoren beziehen sich auf private Haushalte.


X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

7.3.1 Lebensbedingungen von europa (32 %), Osteuropa (30 %) und den päischer Herkunft (1 200 Euro) erzielten
­Personen mit Migrationshintergrund (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aus- im Vergleich zur Bevölkerung ohne Mig-
Im Jahr 2016 besaßen 57 % der Menschen siedlern (27 %). In höheren Einkommens- rationshintergrund unterdurchschnittli-
mit Migrationshintergrund die deutsche bereichen (etwa über 100 % oder 150 % che Einkommen. Trotz vergleichsweise
Staatsangehörigkeit, wobei dieser Anteil je des Medianeinkommens) waren Personen niedrigerer Einkommen hatten Migran-
nach Herkunftsgruppe variierte. Während mit Mi­g rationshintergrund stark unterre- tenhaushalte höhere Mietkosten als Haus-
die deutsche Staatsangehörigkeit unter präsentiert. Personen türkischer Herkunft halte, in denen nur Personen ohne Migra-
den (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-) wiesen mit 4 % den niedrigsten Anteil im tionshintergrund lebten (7,70 Euro gegen-
Aussiedlern (95 %) sehr verbreitet war, be- oberen Einkommensbereich (über 150 %) über 7,10 Euro pro Quadratmeter). Sie
trug dieser Anteil innerhalb der Populati- auf, (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-) verfügten zudem im Durchschnitt über
on türkischer und südeuropäischer Her- Aussiedler mit 12 % den höchsten unter deutlich weniger Wohnfläche pro Person.
kunft lediglich 24 % beziehungsweise 10 %. den hier verglichenen Herkunftsgruppen. Die Tatsache, dass ein Großteil der Zu-
Letztere besitzen aufgrund ihrer EU-Mit- Personen mit Migrationshintergrund wandererfamilien in größeren Städten
gliedschaft weniger Anreize, die deutsche verfügten 2016 durchschnittlich über lebt, trägt höchstwahrscheinlich zu dem
Staatsangehörigkeit zu erwerben. u Tab 1 deutlich geringere finanzielle Ressourcen erschwerten Zugang zu bezahlbarem und
Bei den untersuchten Herkunftsgrup- als Personen ohne Migrationshinter- geeignetem Wohnraum bei. Zudem ist
pen variierte auch die Einkommenssitua- grund. Menschen mit Migrationshinter- von einer Diskriminierung von Men-
tion, vor allem im Hinblick auf das Ar- grund verfügten über ein durchschnittli- schen mit Migrationshintergrund auf
mutsrisiko (für die Definition von Ar- ches Haushaltsäquivalenzeinkommen dem Wohnungsmarkt auszugehen.
mutsgefährdung siehe Kapitel 6.2.2, Seite (Median, siehe dazu Kapitel 6.3.1, Seite 232,
222). Türkischstämmige Personen waren Info 3) von 1 500 Euro, wohingegen Men- 7.3.2 Schulische Bildung und
2016 mit einer Risikoquote von 38 % im schen ohne Migrationshintergrund ein ­berufliche Ausbildung
Vergleich der hier betrachteten Her- durchschnittliches Einkommen von 1 667 Hinsichtlich des höchsten Bildungsab-
kunftsgruppen am stärksten von Armut Euro verzeichneten. Insbesondere Perso- schlusses (nach ISCED »International
betroffen, gefolgt von Personen aus Süd- nen türkischer (1 090 Euro) und südeuro- Standard Classification of Education«)

273
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen

u Tab 2 Bildungsniveau nach ISCED 2016 — in Prozent

Personen Personen mit Migrationshintergrund 17- bis 45-Jährige


ohne
Länder des (Spät-) ohne Migranten-
Migrations- Süd- Ost-
Gesamt Türkei ehemaligen Aussiedler/ Migrations- nach-
hintergrund ­europa europa
Jugoslawiens -innen hintergrund kommen
ISCED 0 weniger als Primarbereich 1 1 3 3 1 0 1 2 4
ISCED 1 Primarbereich 1 4 10 12 5 2 3 1 2
ISCED 2 Sekundarbereich I 10 19 35 20 30 18 16 10 17
ISCED 3 Sekundarbereich II 50 38 35 38 35 43 31 41 40
ISCED 4 postsekundärer
7 10 3 10 7 14 18 11 7
nicht tertiärer Bereich
ISCED 5 kurzes tertiäres
5 2 2 3 1 2 4 4 3
­B ildungsprogramm
ISCED 6 und 7 Bachelor oder Master
beziehungsweise gleichwertiges 22 21 5 9 13 19 25 22 17
Bildungsprogramm
ISCED 8 Promotion 1 1 0 0 1 0 2 1 0
ISCED fehlende Angaben 3 5 8 5 7 1 2 8 9

ISCED: International Standard Classification of Education.


Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

lassen sich starke Unterschiede zwischen tiären Bildungsabschluss. Personen aus grantennachkommen durchschnittlich
der Bevölkerung mit und ohne Migrati- den ehemaligen »Gastarbeiterländern« niedrigere Bildungsabschlüsse erreichen als
onshintergrund feststellen. Personen mit wiesen hingegen ein niedrigeres Qualifi- Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund.
Migrationshintergrund verfügen deut- kationsniveau auf. Rund jede zehnte Per-
lich häufiger nur über einen Abschluss son türkischer Herkunft besaß nur einen 7.3.3 Erwerbsstatus und -einkommen
der Sekundarstufe I als höchsten Bil- Grundschulabschluss. Dieses Muster ist sowie berufliche Stellung
dungsabschluss. Während fast jede fünf- jedoch auf die spezifische türkische Mi­ Dem Arbeitsmarkt kommt eine zentrale
te Person mit Migrationshintergrund nur grationsgeschichte in Deutschland zu- Rolle für die gesellschaftliche Integration
solch einen niedrigen Bildungsabschluss rückzuführen und darauf, dass die Bil- aller Bevölkerungsgruppen zu. Ein Ver-
hatte, traf dies nur auf jede zehnte Per- dungssituation weiterhin stark durch die gleich des Erwerbsstatus nach Migrations-
son ohne Migrationshintergrund zu soziale Herkunft geprägt ist. hintergrund zeigt auf, dass sich diesbe-
(19 % gegenüber 10 %). Bei den Personen, Auch die zweite Generation von Mi­ züglich starke Unterschiede zwischen der
deren höchster Abschluss im Sekundar- grantinnen und Migranten verfügt im Bevölkerung mit und ohne Migrations-
bereich II liegt, sind Personen mit Mi­ Durchschnitt weniger häufig über tertiäre hintergrund ergeben. In Abbildung 1 ist
grationshintergrund hingegen deutlich Bildungsabschlüsse und wesentlich häufi- zunächst der Erwerbsstatus für die Ge-
unterrepräsentiert. So verfügte jede zwei- ger über niedrigere Bildungsabschlüsse samtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter
te Person ohne Migrationshintergrund im Sekundarbereich I als die gleichaltrige abgebildet. Etwas mehr als die Hälfte der
über einen derartigen Bildungsabschluss, Population ohne Migrationshintergrund. Personen ohne Migrationshintergrund
während dies nur auf 38 % der Personen Dieser Vergleich der Bildungslagen ist je- war 2016 Vollzeit erwerbstätig, während
mit Migrationshintergrund zutraf. Ge- doch verzerrt, solange nicht der sozioöko- dies auf nur 46 % der Personen mit Migra-
ringe Unterschiede zwischen Personen nomische Hintergrund der 17- bis 45-Jäh- tionshintergrund zutraf. Bei den Männern
mit und ohne Migrationshintergrund rigen sowie institutionelle Diskriminie- waren 68 % ohne Migrationshintergrund
fanden sich hingegen bei den tertiären rung, soziale und ethnische Segregation und 63 % mit Migrationshintergrund in
Bildungsabschlüssen (ISCED 6/7/8). u Tab 2 oder auch familiäre Verhältnisse mit in Vollzeit beschäftigt, bei den Frauen war
Bei einer Betrachtung der Bildungs- die Betrachtung einbezogen werden. In der Unterschied ähnlich (37 % ohne und
abschlüsse nach den Herkunftsgruppen Deutschland hängen die Bildungschancen 31 % mit Migrationshintergrund). Frauen
fallen die durchschnittlich höheren Bil- von Kindern stark vom Bildungsniveau mit Migrationshintergrund wiesen einen
dungsabschlüsse bei Personen aus Osteu- des Elternhauses ab (siehe Kapitel 3.1.2, höheren Anteil an Nichterwerbstätigen
ropa auf. Beispielsweise verfügte 2016 Seite 109). Da ihre Eltern vergleichsweise auf, insbesondere unter den Frauen aus
etwa ein Viertel der Personen aus den niedrige Bildungsabschlüsse erzielten, ist den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens
osteuropäischen Ländern über einen ter- es daher nicht überraschend, dass die Mi- (25 %) und aus der Türkei (14 %). u Abb 1

274
Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Abb 1 Erwerbsstatus nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2016 — in Prozent

Gesamt
Personen ohne
Migrationshintergrund ¹ 53 21 1 7 3 5 10

Personen mit Migrations-


hintergrund (gesamt) ¹ 46 21 2 10 3 6 11

Türkei ¹ 36 19 3 15 3 10 12

Länder des ehemaligen


Jugoslawiens ¹ 45 20 2 8 5 6 16

Südeuropa ¹ 54 18 1 10 3 4 8

(Spät-) Aussiedler /-innen¹ 53 24 2 10 4 2 8

Osteuropa ¹ 43 24 3 9 1 7 11

17- bis 45-Jährige ohne


49 19 3 7 7 9 6
Migrationshindergrund
17- bis 45-jährige
41 18 3 8 8 15 8
Migrantennachkommen

Frauen
Personen ohne
Migrationshintergrund ¹ 37 35 3 6 3 4 12

Personen mit Migrations-


hintergrund (gesamt) ¹ 31 33 4 10 3 5 14

Türkei ¹ 20 32 7 13 6 8 14

Länder des ehemaligen


Jugoslawiens ¹ 28 31 4 7 3 3 25

Südeuropa ¹ 36 31 3 11 4 5 10

(Spät-) Aussiedler /-innen¹ 37 37 3 9 1 3 11

Osteuropa ¹ 31 36 5 9 2 5 12

17- bis 45-Jährige ohne


37 29 5 6 5 9 8
Migrationshindergrund
17- bis 45-jährige
31 25 6 7 8 13 9
Migrantennachkommen

Männer
Personen ohne
Migrationshintergrund ¹ 68 8 7 4 5 8

Personen mit Migrations-


hintergrund (gesamt) ¹ 63 8 11 4 7 8

Türkei ¹ 50 7 16 4 12 10

Länder des ehemaligen


Jugoslawiens ¹ 64 8 10 4 9 6

Südeuropa ¹ 70 7 8 4 4 6

(Spät-) Aussiedler /-innen¹ 72 9 11 2 2 4

Osteuropa ¹ 58 9 9 6 9 10

17- bis 45-Jährige ohne


61 10 8 8 9 5
Migrationshindergrund
17- bis 45-jährige
50 11 9 8 16 6
Migrantennachkommen

Vollzeit erwerbstätig Teilzeit erwerbstätig temporär nicht erwerbstätig ² arbeitslos


Lehre /Ausbildung Schule / Studium nicht erwerbstätig

1 Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren.


2 Unter anderem Personen in Elternzeit oder Mutterschutz.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

275
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen

u Tab 3 Monatliches Nettoerwerbseinkommen nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2016 — in Euro (Median)
Individuelles Nettoerwerbseinkommen pro Monat Individuelles Nettoerwerbseinkommen pro Stunde

Gesamt Frauen Männer Gesamt Frauen Männer


Personen ohne Migrationshintergrund ¹ 1 680 1 300 2 000 12 11 13
Personen mit Migrationshintergrund ¹ 1 500 1 070 1 900 11 10 12
Türkei 1 200 710 1 800 10 8 12
Länder des ehemaligen Jugoslawiens 1 450 1 000 1 700 10 9 11
Südeuropa 1 700 1 100 1 900 12 10 13
(Spät-)Aussiedler/-innen 1 510 1 200 1 940 11 10 13
Osteuropa 1 300 900 1 800 10 10 11
17- bis 45-Jährige
ohne Migrationshintergrund 1 500 1 300 1 700 11 11 10
Migrantennachkommen 1 450 1 200 1 700 10 11 10

1 Erwerbstätige Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren.


Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

Insgesamt waren Personen mit Mi­ zielten (etwa 1 200 Euro). Wenn man die- Migrationshintergrund besetzten vor al-
grationshintergrund häufiger von Arbeits- se monatlichen Nettoerwerbseinkommen lem Mi­g rantinnen und Migranten aus
losigkeit betroffen als Personen ohne Mi- in entsprechende Stundenlöhne umrech- Südeuropa, Osteuropa und (Spät-)Aus-
grationshintergrund (10 % gegenüber net, ergibt sich eine Differenz von unge- siedler höhere und mittlere Angestellten-
7 %). Dies traf 2016 insbesondere auf Mi- fähr 2 Euro pro Stunde zwischen Perso- positionen. Darüber hinaus waren Perso-
grantinnen und Migranten aus der Tür- nen ohne Migrationshintergrund und nen mit Mi­g rationshintergrund nur sel-
kei zu, von denen 15 % arbeitslos waren. Migrantinnen und Migranten aus der ten in den Beamtenberufen vorzufinden,
Besonders interessant ist auch der Ver- Türkei. Frauen aus der Türkei und aus da diese die deutsche Staatsbürgerschaft
gleich zwischen den 17- bis 45-Jährigen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens er- voraussetzen.
mit und ohne Migrationshintergrund. zielten besonders niedrige Stundenlöhne. Für Personen mit und ohne Migrati-
Migrantennachkommen besuchten häufi- Derartig starke Unterschiede lassen sich onshintergrund zeigen sich ähnliche ge-
ger eine Schule oder studierten als die jedoch nicht mehr beim Vergleich zwi- schlechtsspezifische Unterschiede in der
gleichaltrige Population ohne Migrati- schen Migrantennachkommen und Verteilung der beruflichen Stellungen. So
onshintergrund (15 % gegenüber 9 %), Gleichaltrigen ohne Migrationshinter- waren Männer mit und ohne Migrations-
gleichzeitig waren sie seltener Vollzeit er- grund feststellen (1 450 Euro pro Monat hintergrund häufiger Facharbeiter und
werbstätig (41 % gegenüber 49 %). Weibli- und 10 Euro pro Stunde gegenüber Meister (20 % beziehungsweise 19 % ge-
che Migrantennachkommen waren auch 1 500 Euro und 11 Euro). u Tab 3 genüber 4 % beziehungsweise 3 % der
seltener in Teilzeit beschäftigt als gleich- Ein Grund für das vergleichsweise Frauen), während Frauen mit und ohne
altrige Personen ohne Migrationshinter- niedrige Nettoerwerbseinkommen von Migrationshintergrund häufiger eine
grund (25 % gegenüber 29 %). Migrantinnen und Migranten und deren Stellung als einfache Angestellte besetz-
Neben dem Erwerbsstatus ist auch die Nachkommen liegt in ihrer durch- ten (21 % beziehungsweise 30 % gegen-
Höhe des erzielten Erwerbseinkommens schnittlich geringer qualifizierten beruf- über 9 % beziehungsweise 15 % der Män-
ein zentraler Indikator für die Qualität lichen Stellung. So waren sie häufiger als ner). Die Verteilung der beruflichen Stel-
eines Arbeitsplatzes. Das monatliche un- oder angelernte Arbeiterinnen und lungen fiel bei den Migrantennachkom-
Nettoerwerbseinkommen von Personen Arbeiter tätig als Personen ohne Migrati- men etwas besser aus als bei den
mit Migrationshintergrund lag im Jahr onshintergrund (21 % gegenüber 11 %), Personen mit Migrationshintergrund ins-
2016 rund 180 Euro unterhalb des Durch- wobei dies insbesondere auf Personen gesamt. So waren 17- bis 45-jährige Mi­
schnitts der Erwerbstätigen ohne Migra- aus der Türkei (34 %) und auf Personen grantennachkommen seltener als Arbei-
tionshintergrund. Neben Personen ohne aus den Ländern des ehemaligen Jugos­ terinnen und Arbeiter beschäftigt und
Migrationshintergrund (1 680 Euro im lawiens (29 %) zutraf. Gleichzeitig waren besetzten dafür häufiger höhere beruf­
Monat) wiesen Personen aus Südeuropa Personen mit Migrationshintergrund sel- liche Stellungen. Insofern ist eine leichte
mit durchschnittlich etwa 1 700 Euro die tener in mittleren und höheren Ange- Aufstiegstendenz zu beobachten, die im
höchsten Einkommen auf, während Per- stelltenberufen beschäftigt als Personen Besonderen auf Frauen zutrifft, von de-
sonen aus der Türkei die geringsten mo- ohne Mi­g rationshintergrund (36 % ge- nen nur noch 12 % als Arbeiterinnen be-
natlichen Nettoerwerbseinkommen er- genüber 45 %). Unter den Menschen mit schäftigt waren. u Tab 4

276
Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 4 Berufliche Stellung nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2016 — in Prozent

Personen Personen mit Migrationshintergrund ¹ 17- bis 45-Jährige


ohne Länder des (Spät-) ohne
Migrations- Süd- Ost­- Migranten-
Gesamt Türkei ehemaligen Aussiedler/ Migrations­
hintergrund ¹ ­europa europa nachkommen
Jugoslawiens -innen hintergrund
Gesamt
Arbeiter /-innen 11 21 34 29 18 21 26 12 17
Facharbeiter /-innen /
13 11 11 12 22 14 9 11 10
Meister /-innen
Einfache Angestellte 15 22 29 27 21 22 23 17 24
Mittlere Angestellte 28 21 15 20 20 20 22 28 25
Höhere Angestellte 17 15 4 4 13 13 11 19 16
Selbstständige 8 8 6 5 5 7 8 6 5
Beamtinnen / Beamte 8 2 0 0 0 2 1 7 3
Männer
Arbeiter 12 20 35 27 18 22 24 15 22
Facharbeiter/Meister 20 19 18 22 28 27 16 17 16
Einfache Angestellte 9 15 18 19 14 13 19 12 17
Mittlere Angestellte 19 16 13 15 18 16 14 19 20
Höhere Angestellte 21 16 4 7 13 11 15 24 16
Selbstständige 11 11 10 8 6 8 10 7 6
Beamte 8 3 1 0 0 3 1 6 3
Frauen
Arbeiterinnen 10 22 34 32 26 21 27 8 12
Facharbeiterinnen/
4 3 1 1 13 2 3 4 3
Meisterinnen
Einfache Angestellte 21 30 42 36 28 30 27 23 32
Mittlere Angestellte 38 25 16 25 21 23 28 37 30
Höhere Angestellte 11 12 5 1 12 13 8 14 16
Selbstständige 7 6 2 3 2 9 7 4 3
Beamtinnen 8 2 0 1 0 1 1 9 3

1 Erwerbstätige Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren.


Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

u Tab 5 Deutsche Sprachkenntnisse 2015 — in Prozent


Sprechen Schreiben Lesen gut ein (jeweils 80 %). Ein ähnliches
Bevölkerung mit Migrationshintergrund 75 65 76
Muster ergibt sich auch in Bezug auf die
Türkei 73 62 69
deutschen Lesekenntnisse (insgesamt
Länder des ehemaligen Jugoslawiens 80 64 78
76 % »gut« bis »sehr gut«), während Per-
Südeuropa 71 55 70
sonen mit Migrationshintergrund ihre
(Spät-)Aussiedler /-innen 80 73 84
deutschen Schreibkenntnisse wesentlich
Osteuropa 67 57 70
seltener als »gut« bis »sehr gut« ein-
Migrantennachkommen 99 97 99
schätzten (65 %). Besonders auffällig ist,
dass nur 55 % der Personen aus Südeuro-
Antworten »gut« und »sehr gut«.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet. pa ihre deutschen Schreibkenntnisse als
derart gut beschrieben. Fast alle Migran-
tennachkommen gaben an, die deutsche
7.3.4 Deutsche Sprachkenntnisse nisse als »gut« oder »sehr gut« ein (75 %). Sprache »gut« bis »sehr gut« sprechen,
Die Sprachkenntnisse wurden differen- Besonders häufig stuften Migrantinnen schreiben und lesen zu können. Die deut-
ziert nach Sprech-, Lese- und Schreibfä- und Migranten aus den Ländern des ehe- schen Sprachkenntnisse werden in der
higkeiten erfasst. Rund drei Viertel der maligen Jugoslawiens und (Spät-)Aus- zweiten Generation also häufiger als
Personen mit Migrationshintergrund siedlerinnen und (Spät-)Aussiedler ihre »gut« oder »sehr gut« eingeschätzt als in
schätzten ihre deutschen Sprechkennt- deutschen Sprechkenntnisse als derartig der ersten Generation. u Tab 5

277
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen

u Tab 6 Erfahrung von Benachteiligung aufgrund der Herkunft, Sorgen um die Ausländerfeindlichkeit,
Bleibeabsicht und Überweisungen ins Ausland 2016

Sorgen um Sorgen um
Wahrgenommene In Deutschland Über- Durchschnitt-
die Ausländer­ ­wirtschaftliche
Benachteiligung für immer weisungen licher Betrag
feindlichkeit Situation
wegen der Herkunft bleiben ins Ausland der Zahlungen
(Anteil »große (Anteil »große
(Anteil »häufig«) ¹ (Anteil »ja«) ¹ (Anteil »ja«) ins Ausland
Sorgen«) Sorgen«)

in % in Euro

Bevölkerung ohne Migrationshintergrund X 48 12 X 1 4 900

Bevölkerung mit Migrationshintergrund 4 43 19 85 9 2 100

Türkei 8 49 27 74 7 1 190

Länder des ehemaligen Jugoslawiens 5 33 17 89 17 1 340

Südeuropa 2 47 18 78 5 1 430

(Spät-)Aussiedler /-innen 2 40 18 96 6 2 170

Osteuropa 6 36 23 89 20 1 590

Migrantennachkommen 5 47 15 85 2 890

1 Benachteiligung wegen der Herkunft und die Bleibeabsicht wurden nicht 2016 erhoben. Dementsprechend werden Informationen für 2015 ausgegeben.
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

7.3.5 Erfahrung von Benachtei­ Diese Unterschiede zwischen den Durchschnittlich ergaben sich in Bezug
ligung, Sorgen, Bleibeabsicht Herkunftsgruppen lassen sich auch in Be- auf die Bleibeabsicht keine Generations-
und Überweisungen zug auf die Sorgen um die wirtschaftliche unterschiede (beide 85 %).
Im Jahr 2015 gaben 4 % der Personen mit Situation feststellen. Personen türkischer Ungefähr 9 % der Bevölkerung mit Mi-
Migrationshintergrund und darunter 5 % Herkunft machten sich am häufigsten grationshintergrund hatte im Jahr 2016
der Migrantennachkommen an, häufig Si- große Sorgen (27 %) und Personen aus Geld ins Ausland, also in der Regel in
tuationen erlebt zu haben, in denen sie den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens ihre Herkunftsländer, überwiesen. Dies
aufgrund ihrer Herkunft abgewiesen be- am seltensten (17 %). Insgesamt machten gaben vor allem Personen aus Ländern
ziehungsweise benachteiligt wurden. sich jedoch deutlich weniger Personen des ehemaligen Jugoslawiens und aus Ost-
Über solche Erfahrungen berichteten die große Sorgen um die wirtschaftliche Situ- europa (17 % und 20 %) an. Am seltensten
Herkunftsgruppen in unterschiedlichem ation als um Ausländerfeindlichkeit – dies hatten Südeuropäerinnen und Südeuro-
Ausmaß. Dabei gaben Personen türki- gilt sowohl für Personen mit als auch päer Geld über­w iesen (5 %). Auch die Mi-
scher Herkunft am häufigsten an, dass sie ohne Migrationshintergrund (19 % bezie- grantennachkommen hatten vergleichs-
bereits Situationen erlebt hätten, in denen hungsweise 12 %) und Migrantennach- weise selten Zahlungen ins Ausland getä-
sie sich benachteiligt fühlten (8 %), wäh- kommen (15 %). tigt (2 %). Konkret handelte es sich dabei
rend dies nur 2 % der Personen aus Süd- Hinsichtlich der Bleibeperspektiven auch um äußerst unterschiedliche Sum-
europa und 2 % der (Spät-)Aussiedlerin- in Deutschland äußerten 85 % der Per­ men. Personen mit Migrationshinter-
nen und (Spät-)Aussiedler angaben. u Tab 6 sonen mit Migrationshintergrund den grund hatten insgesamt durchschnittlich
Personen mit Migrationshintergrund Wunsch, für immer in Deutschland zu 2 100 Euro während des vorherigen Jah-
machten sich insgesamt etwas seltener bleiben. Die größten Anteile wiesen (Spät-) res an Verwandte und Freunde ins Aus-
große Sorgen um Ausländerfeindlichkeit Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler land überwiesen, Migrantennachkommen
als Personen ohne Migrationshintergrund (96 %) und Personen aus den Ländern des durchschnittlich 890 Euro.
(43 % gegenüber 48 %) und Migranten- ehemaligen Jugoslawiens sowie aus Ost-
nachkommen (47 %) (siehe auch Kapitel europa (jeweils 89 %) auf. Die Absicht in 7.3.6 Zufriedenheit
7.4.5 zum Vergleich mit Geflüchteten). Am Deutschland zu bleiben war bei Personen Die durchschnittliche Lebenszufrieden-
seltensten machten sich Personen aus Län- türkischer Herkunft (74 %) am niedrigs- heit war bei Personen mit Migrationshin-
dern des ehemaligen Jugoslawiens Sorgen ten. Die schwierigere soziale Situation tergrund unwesentlich höher als bei Per-
über dieses Thema (33 %), unter Personen dieser Gruppe und die stärker verbreitete sonen ohne Migrationshintergrund. Da-
mit türkischer Herkunft waren diese Sor- subjektive Erfahrung von Benachteili- bei waren (Spät-)Aussiedlerinnen und
gen am weitesten verbreitet (49 %). gung könnten dieses Ergebnis erklären. (Spät-)Aussiedler sowie Personen aus Ost-

278
Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 7 Lebens- und Bereichszufriedenheit 2016 — in Prozent

Personen Personen mit Migrationshintergrund 17- bis 45-Jährige


ohne
Migrations- Länder des (Spät-) ohne
Süd- Ost- Migranten-
hintergrund Gesamt Türkei ehemaligen Aussiedler/ Migrations­
­europa europa nachkommen
Jugoslawiens -innen hintergrund

Mit dem Leben heute 7,3 7,4 7,0 7,4 7,0 7,5 7,4 7,5 7,5

Mit dem persönlichen


6,5 6,1 5,3 5,9 6,1 6,4 5,8 6,3 6,0
Einkommen

Mit der Wohnung 8,0 7,7 7,1 7,4 7,7 8,0 7,6 7,7 7,6

Gemessen auf einer Skala von 0 (niedrig) bis 10 (hoch).


Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

europa und aus den Ländern des ehemali- sonen aus der Türkei waren mit ihrem gere Werte als Personen ohne Migrati-
gen Jugoslawiens vergleichsweise zufrieden persönlichen Einkommen weniger zu- onshintergrund auf (7,7 gegenüber 8,0).
mit ihrem Leben heute, während Personen frieden (5,3). Dies ist nicht verwunderlich Dabei könnte die geringere Zufrieden-
aus der Türkei und Süd­europa vergleichs- angesichts der Tatsache, dass sie über ein heit bei Personen mit Migrationshinter-
weise unzufrieden waren (7,5 beziehungs- deutlich niedrigeres Haushaltseinkom- grund auf ihre durchschnittlich kleine-
weise 7,4 gegenüber jeweils 7,0 auf einer men verfügen und häufiger von Armut ren Wohnungen bei gleichzeitig höheren
Skala von 0 bis 10). Vergleichsweise zu- betroffen sind als andere Gruppen. Ver- Mieten zurückzuführen sein (siehe dazu
frieden mit ihrem derzeitigen Leben wa- gleichsweise unzufrieden mit ihrem per- auch Tab 1). Personen aus der Türkei
ren auch die 17- bis 45-Jährigen sowohl sönlichen Einkommen waren darüber und Ländern des ehemaligen Jugoslawiens
mit als auch ohne Migrationshintergrund ­hinaus die 17- bis 45-jährigen Migranten- waren etwas unzufriedener mit ihrer Woh-
(jeweils 7,5). u Tab 7 nachkommen (6,0), während gleichaltrige nung (7,1 und 7,4) als der Durchschnitt
Mit dem persönlichen Einkommen Personen ohne Migrationshintergrund der Personen mit Migrationshintergrund.
waren Personen mit Migrationshinter- etwas zufriedener waren (6,3). Die 17- bis 45-jährigen Personen mit und
grund durchschnittlich weniger zufrie- Bezüglich der Zufriedenheit mit der ohne Migrationshintergrund waren ähn-
den als Personen ohne Migrationshinter- Wohnung wiesen Personen mit Migrati- lich zufrieden mit ihrer Wohnung (7,6
grund (6,1 gegenüber 6,5). Besonders Per- onshintergrund insgesamt leicht gerin- und 7,7).

279
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Geflüchteten

7.4 In Kapitel 7.3 wurden bereits ausgewählte


Informationen zur Bevölkerung mit Mi­
Deutschland lebten, keine homogene
Gruppe dar. Geflüchtete, die vor 2013
Lebenssituation grationshintergrund insgesamt und ih­ nach Deutschland eingereist waren, ka­
von Geflüchteten rer Lebenssituation in Deutschland auf
Grundlage der Daten des Sozio-oekono­
men mehrheitlich in den 1990er-Jahren
nach Deutschland. Während es sich hier­
mischen Panels (SOEP) präsentiert. In bei meist um Personen aus den Ländern
Maria Metzing, Diana Schacht diesem Kapitel werden ebenfalls anhand des ehemaligen Jugoslawiens sowie Per­
DIW Berlin der SOEP-Daten entsprechende Informa­ sonen aus arabischen und muslimischen
tionen zur Lebenssituation von Geflüch­ Herkunftsländern handelte, kamen Ge­
teten, die vor dem Jahr 2013 und danach flüchtete, die ab 2013 in Deutschland ein­
WZB / SOEP
in Deutschland angekommen sind, dar­ gereist waren, hauptsächlich aus Syrien,
gestellt. u Info 1 Afghanistan, Irak, den ehemaligen Län­
Im Jahr 2015 war in Europa und in dern Jugoslawiens, Eritrea, Somalia, Iran
Deutschland ein großer Anstieg der sowie Pakistan.
Fluchtmigration zu beobachten. Konkret
waren zum Jahresende 2016 rund 1,6 Mil­ 7.4.1 Lebensbedingungen
lionen Schutzsuchende in Deutschland von Geflüchteten
registriert (siehe Kapitel 1.2.8, Seite 40). Im Jahr 2016 besaßen 39 % der Geflüch­
Durch diesen sprunghaften Anstieg von teten, die vor 2013 in Deutschland ange­
Geflüchteten in Deutschland wurde das kommen waren, die deutsche Staatsange­
Thema der Fluchtmigration eines der zen­ hörigkeit. Durchschnittlich wanderte
tralen Themen in der deutschen Politik, diese Bevölkerungsgruppe mit 24 Jahren
Verwaltung und Zivilgesellschaft. ein und lebte 2016 seit rund 20 Jahren in
Wie bereits die Gruppe der Migran­ Deutschland. Die meisten Geflüchteten,
tinnen und Migranten insgesamt stellten die ab 2013 ankamen, wanderten im Jahr
auch Geflüchtete, die im Jahr 2016 in 2015 ein. Sie waren zu diesem Zeitpunkt

u Info 1
Daten und Methoden
Als Geflüchtete werden in diesem Kapitel alle Personen bezeichnet, die nach ihrer Ankunft in
Deutschland ein Asylbegehren / -gesuch geäußert haben. Insofern kann es sich dabei auch um Per-
sonen handeln, die zum Befragungszeitpunkt noch keinen anerkannten Schutzstatus besaßen,
sondern sich noch im Asylverfahren befanden. Geflüchtete, die 2016 unter 17 Jahre alt waren, werden
bei diesen Analysen nicht berücksichtigt. Geflüchtete, die vor 2013 nach Deutschland gekommen
waren, aber im Jahr 2016 nicht mehr in Deutschland lebten, da sie in ihr Herkunftsland zurück- oder
in Drittstaaten gezogen sind, bleiben ebenfalls unberücksichtigt.

Um belastbare Informationen über die in den letzten Jahren nach Deutschland gelangten Geflüch-
teten liefern zu können, befragten das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das
­Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF-FZ) sowie das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschafts­
forschung (DIW Berlin) rund 4 500 erwachsene Geflüchtete, die von Januar 2013 bis Januar 2016
nach Deutschland eingereist waren. Repräsentative Aussagen über frühere Geflüchtete können
­anhand einer Stichprobe vom IAB und dem SOEP gemacht werden, die unter anderem Geflüchtete,
die vor 2013 nach Deutschland gekommen sind, enthält.

Bei Geflüchteten, die sich bereits länger in Deutschland aufhalten, ist eine weiter fortgeschrittene
Integration zu erwarten. Aus diesem Grund werden Zuwanderinnen und Zuwanderer, die vor und
ab dem Jahr 2013 als Geflüchtete erstmals in Deutschland angekommen sind, getrennt betrachtet
und im Folgenden als »neuere« und »frühere« Geflüchtete bezeichnet.

Die in den letzten Jahren nach Deutschland eingewanderten Geflüchteten werden zudem in acht Her-
kunftsgruppen unterteilt, die den Hauptherkunftsländern der Zuwanderung von Geflüchteten zwischen
2013 und 2016 entsprechen: Syrien, Afghanistan, Irak, die ehemaligen Länder Jugo­slawiens, Eritrea,
Somalia, Iran sowie Pakistan. Damit sind Vergleiche zwischen Mitgliedern dieser Herkunftsgruppen
möglich. Insgesamt wurden rund 600 Geflüchtete, die vor 2013 ankamen, und rund 4 000 Geflüchtete,
die seit 2013 ankamen, befragt. Je nach Item kann die Zahl der Personen variieren.

280
Lebenssituation von Geflüchteten / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

durchschnittlich 29 Jahre alt. Zwischen der neueren Geflüchteten. Die Variation pflegeversicherte Leistungen, Wohngeld­
den Mitgliedern der hier betrachteten über die verschiedenen Herkunftsgrup­ bezug). Die geringsten Äquivalenzein­
Herkunftsgruppen ergeben sich diesbe­ pen hinweg war diesbezüglich eher ge­ kommen verzeichneten private Haushal­
züglich kaum Unterschiede. Nur Ge­ ring. Im oberen Einkommens­ b ereich te afghanischer Herkunft (370 Euro).
flüchtete aus Eritrea und Somalia kamen (über 150 % des Medianeinkommens) Von den neueren Geflüchteten lebten
durchschnittlich etwas früher, nämlich ­w aren Geflüchtete nur äußerst selten ver­ 58 % in Gemeinschaftsunterkünften und
bereits im Jahr 2014, nach Deutschland. treten (siehe dazu auch Kapitel 6.4.4, Sei­ 42 % in Privathaushalten. Frühere Ge­
In Anbetracht ihrer kurzen Aufenthalts­ te 246). Auch die durchschnittlichen flüchtete in den vorliegenden Stichproben
dauer ist es nicht überraschend, dass Haushaltsäquivalenznettoeinkommen lebten ausschließlich in Privatunterkünf­
noch niemand von ihnen über die deut­ (inklusive Transferleistungen) waren äu­ ten. Der durchschnittliche Mietpreis
sche Staatsangehörigkeit verfügte. u Tab 1 ßerst gering. Dies traf insbesondere auf pro Quadratmeter lag bei früheren Ge­
Zwischen den Geflüchteten, die vor Geflüchtete zu, die ab 2013 angekommen flüchteten bei etwa 8 Euro. Pro Haushalt
und ab 2013 in Deutschland angekommen waren (400 Euro gegenüber 970 Euro bei wohnten etwa 3 Personen zusammen auf
waren, variierte die Einkommenssituation Geflüchteten, die vor 2013 angekommen durchschnittlich 31 Quadratmetern pro
2016 beträchtlich, vor allem im Hinblick waren). Von diesen bezogen rund 80 % Person. Die durchschnittliche Wohnflä­
auf das Armutsrisiko und das Haushalts­ Transferleistungen (in Bezug auf Leistun­ che von neueren Gef lüchteten war in
äquivalenzeinkommen. Während rund gen aufgrund des Asylbewerberleistungs­ p rivaten Unterkünften etwas kleiner
­
48 % der früheren Geflüchteten von Armut gesetzes, ALG II, Sozialgeld, Hilfe zum (29 Quadratmeter pro Person) und in
betroffen waren, galt dies für über 90 % Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter, ­G emeinschaftsunterkünften wesentlich

u Tab 1 Ausgewählte Merkmale der Lebenssituation von Geflüchteten 2016

Geflüchtete ab 2013 angekommen


Geflüchtete
vor 2013 Länder des
angekommen Eritrea, Iran,
Gesamt Syrien Afghanistan Irak ehemaligen
Somalia Pakistan
Jugoslawiens
Deutsche Nationalität (in %) 39 0 0 0 0 0 0 0
Mittelwert Aufenthaltsdauer (in Jahren) 20 1 1 1 1 1 2 1
Einwanderungsjahr (Median) 1995 2015 2015 2015 2015 2015 2014 2015
Alter bei Einwanderung (Durchschnitt) 24 29 30 27 29 32 25 29
Einkommensverteilung (in %)
< 60 % des Medianeinkommens (Armutsrisikoquote) 48 94 95 94 94 97 92 90
60 % −100 % des Medianeinkommens 40 5 4 4 2 3 5 6
100 % −150 % des Medianeinkommens 10 1 1 1 2 1 0 2
> 150 % des Medianeinkommens 1 1 0 0 1 0 3 2
Einkommenssituation
Haushaltsäquivalenznettoeinkommen
970 400 400 370 360 440 400 330
(Median in Euro)
Wohnsituation
In privaten Unterkünften
 Miethöhe pro Quadrameter
8 / / / / / / /
(Mittelwert in Euro)
 durchschnittliche Haushaltsgröße
3,2 2,6 2,6 2,9 3,1 3,6 1,5 1,7
(Anzahl Personen)
 Wohnfläche pro Person
31 29 30 28 30 20 34 36
(Mittelwert in Quadratmetern)
In Gemeinschaftsunterkünften
 durchschnittliche Haushaltsgröße
X 1,5 1,6 1,5 1,6 2,2 1,1 1,1
(Anzahl Personen)
 Wohnfläche pro Person
X 9 8 10 7 9 9 9
(Mittelwert in Quadratmetern)

X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.


/ keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

281
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Geflüchteten

u Tab 2 Bildungsniveau nach ISCED 2016 — in Prozent


Geflüchtete ab 2013 angekommen
Geflüchtete
vor 2013 Länder des
Eritrea, Iran,
angekommen Gesamt Syrien Afghanistan Irak ehemaligen
Somalia Pakistan
Jugoslawiens
ISCED 0 weniger als Primarbereich 1 0 0 2 1 0 1 0
ISCED 1 Primarbereich 9 32 23 50 40 39 50 17
ISCED 2 Sekundarbereich I 20 20 20 13 21 21 22 24
ISCED 3 Sekundarbereich II 29 19 21 15 11 16 12 36
ISCED 4 postsekundärer nicht
9 4 2 5 1 14 2 5
tertiärer Bereich
ISCED 5 kurzes tertiäres Bildungs­
4 0 0 0 0 0 0 0
programm
ISCED 6 und 7 Bachelor oder Master
beziehungsweise gleichwertiges 22 17 25 8 17 1 6 11
­B ildungsprogramm
ISCED 8 Promotion 0 1 2 0 1 0 0 0
ISCED fehlende Angaben 6 7 6 8 7 9 7 6

ISCED: International Standard Classification of Education.


Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

geringer (9 Quadratmeter pro Person). über 18 % bei neueren Geflüchteten). Un­ Anteil der neueren Geflüchteten, deren
Gleichzeitig war die Haushaltsgröße von ter den neueren Geflüchteten verfügten höchster Abschluss ein Primarschulab­
neueren Geflüchteten in privaten Unter­ Personen aus Syrien und dem Irak ver­ schluss ist, nur noch bei 19 % (zuvor bei
künften etwas ­g rößer als bei Geflüchteten gleichsweise häufig über einen akademi­ 32 %). Auch die Unterschiede im tertiä­
in Gemeinschaftsunterkünften (2,6 gegen­ schen Abschluss (27 % beziehungs­weise ren Bildungsbereich reduzieren sich im
über 1,5 Personen). 18 %). u Tab2 Vergleich zu den älteren Geflüchteten­
Bei einer genaueren Betrachtung der kohorten, wenn die abgebrochenen aus­
7.4.2 Schulische Bildung und Geflüchteten, die ab 2013 nach Deutsch­ ländischen Ausbildungen in die Zuord­
­berufliche Ausbildung land eingereist sind, fällt besonders der nung der Bildungsabschlüsse einbezogen
Der Blick auf das Qualifikationsniveau relativ niedrige Bildungsstand Geflüchte­ werden. Besonders Geflüchtete aus Af­
der Geflüchteten zeigt, dass es hinsicht­ ter aus Afghanistan, Eritrea und Somalia ghanistan, dem Irak und den Ländern
lich des Bildungsniveaus starke Unter­ auf. Die Hälfte der Personen aus diesen des ehemaligen Jugoslawiens befanden
schiede unter den Geflüchteten gibt. Frü­ Ländern hatte einen Bildungsabschluss sich häufig in Ausbildung (30 %, 21 %
here Geflüchtete hatten insgesamt höhere im Primarbereich. Nur wenige hatten und 22 %). u Tab 3
Bildungsabschlüsse als neuere. Während ­einen Abschluss im tertiären Bereich
fast jede / jeder dritte Geflüchtete, die /der (zwischen 6 % und 8 %). Dies ist vermut­ 7.4.3 Erwerbseinkommen
ab 2013 nach Deutschland eingereist war, lich vor allem auf die seit langer Zeit be­ Um ein selbstbestimmtes Leben zu füh­
nur einen Abschluss im Primarbereich stehenden Kriege beziehungsweise Unru­ ren, ist die Integration in den Arbeits­
besaß, gilt dies nur für jede zehnte / jeden hen in Somalia und Afghanistan und die markt wichtig. Während mehr als die
zehnten Geflüchteten, die / der schon vor damit verbundenen Ausbildungsunter­ Hälfte der Personen ohne Migrationshin­
dem Jahr 2013 nach Deutschland einge­ brechungen zurückzuführen. tergrund 2016 Vollzeit erwerbstätig war
reist war. In Bezug auf den Sekundarbe­ Viele der in den letzten Jahren nach (siehe Kapitel 7.3, Seite 275, Abb 1), arbei­
reich I gab es keine Unterschiede in der Deutschland eingewanderten Geflüchte­ teten nur 35 % der früheren Geflüchteten
Verteilung. In beiden Gruppen verfügte ten befanden sich vor ihrer Zuwande­ und 3 % der neueren Gef lüchteten in
ungefähr jede / jeder Fünfte über einen rung nach Deutschland noch in Ausbil­ Vollzeit. Insgesamt waren Gef lüchtete,
derartigen Abschluss. Während nur 19 % dung. Wenn diese unterbrochenen aus­ die erst seit Kurzem in Deutschland
der neuen Gef lüchteten 2016 ­e inen Bil­ ländischen Bildungswege ebenfalls bei ­leben, häufiger nicht erwerbstätig als Ge­
dungsabschluss im Sekundar­b ereich II der Betrachtung der höchsten Bildungs­ flüchtete, die bereits vor dem Jahr 2013
besaßen, traf dies auf 29 % der älteren abschlüsse beachtet werden, relativiert nach Deutschland gekommen waren
Gef lüchteten zu. Außerdem verfügten sich der Unterschied im Bildungsniveau (83 % gegenüber 19 %). Von diesen nicht
frühere Geflüchtete häufiger über einen zwischen den früheren und neueren Ge­ erwerbstätigen neueren Geflüchteten be­
tertiären Bildungsabschluss (22 % gegen­ flüchteten. Dann liegt beispielsweise der suchten 47 % einen Kurs, etwa den Inte­

282
Lebenssituation von Geflüchteten / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 3 Bildungsniveau nach ISCED inklusive begonnener Schul- und Ausbildungszeiten im Ausland 2016 — in Prozent
Geflüchtete ab 2013 angekommen
Länder des
Eritrea, Iran,
Gesamt Syrien Afghanistan Irak ehemaligen
Somalia Pakistan
Jugoslawiens
ISCED 0 weniger als Primarbereich
14 6 30 21 22 18 8
oder in Ausbildung
ISCED 1 Primarbereich 19 18 20 22 17 35 9
ISCED 2 Sekundarbereich I 18 18 11 19 20 20 24
ISCED 3 Sekundarbereich II 25 30 19 16 17 15 40
ISCED 4 postsekundärer nicht tertiärer Bereich 4 4 4 3 14 2 3
ISCED 6 und 7 Bachelor oder Master beziehungs-
11 16 4 11 0 5 8
weise gleichwertiges Bildungsprogramm
ISCED 8 Promotion 1 1 0 1 0 0 0
ISCED fehlende Angaben 8 7 11 7 9 6 8

Abb 1 Erwerbsstatus der Geflüchteten 2016 — in Prozent


ISCED: International Standard Classification of Education.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

u Abb 1 Erwerbsstatus der Geflüchteten 2016 — in Prozent

Geflüchete vor 2013


angekommen ¹ 35 18 1 21 2 4 19

Geflüchete ab 2013
angekommen ¹ 3 5 4 4 42 41

Vollzeit erwerbstätig Teilzeit erwerbstätig temporär nicht erwerbstätig ² arbeitslos


Lehre /Ausbildung Schule / Studium nicht erwerbstätig nicht erwerbstätig,
aber Teilnahme an einem Kurs ³

1 Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren.


2 1 Bevölkerung
Temporär zwischen 17
nicht Erwerbstätige und 64unter
umfassen Jahren.
anderem Personen in Elternzeit, Mutterschutz.
3 Für Geflüchtete, die vor 2013 angekommen sind, nicht erhoben.
2 Temporär nicht Erwerbstätige umfassen unter anderem Personen in Elternzeit,
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.
Mutterschutz.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

grationskurs des Bundesamts für Migra­ heren Geflüchteten ist das sehr wenig (sie­ J­ ahren nach Deutschland gelangten Ge­
tion und Flüchtlinge oder auch Kurse he Kapitel 7.3, Seite 276, Tab 3). Viele die­ flüchteten. Ein Großteil der Geflüchteten,
zum Spracherwerb sowie zur Förderung ser Geflüchteten absolvierten Praktika, die bereits vor dem Jahr 2013 ange­
der Arbeitsmarktintegra­t ion. Es ist auch ­einen Sprachkurs oder befanden sich in ei­ kommen waren, schätzte im Jahr 2016
zu beachten, dass der Zugang zum deut­ ner Ausbildung, wodurch das niedrigere seine deutschen Sprechkenntnisse als
schen Arbeitsmarkt für Geflüchtete nur Einkommen erklärt werden könnte. u Tab 4 »gut« bis »sehr gut« ein (66 %). Die deut­
unter bestimmten Bedingungen möglich sche Schreib- und Lesekompetenz wurde
ist, etwa wenn ihnen im Asylverfahren 7.4.4 Deutsche Sprachkenntnisse ebenfalls von den meisten dieser Gruppe
eine Schutzform wie Asylberechtigung, Neben der Integration in den Arbeits­ als »gut« bis »sehr gut« eingeschätzt (52 %
Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz markt ist insbesondere der Erwerb deut­ beziehungsweise 65 %). Die Geflüchteten,
zugeordnet wurde. u Abb 1 scher Sprachkenntnisse ein wichtiger die ab 2013 in Deutschland angekommen
Geflüchtete, die sich erst seit Kurzem Schritt für eine gelingende Integration in waren, verfügten seltener über derart
in Deutschland befinden, verdienten 2016 die Gesellschaft. Bei einem Vergleich der gute deutsche Sprachkenntnisse (17 %
im Durchschnitt 480 Euro pro M ­ onat Sprachkenntnisse fällt auf, dass frühere Sprech-, 20 % Schreib- und 25 % Leseni­
(Median). Im Vergleich zu Personen ohne Geflüchtete über bessere Deutschkennt­ veau), was größtenteils auf die kurze Auf­
Migrationshintergrund, aber auch zu frü­ nisse verfügten als die in den letzten enthaltsdauer zurückzuführen ist. u Tab 5

283
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Geflüchteten

u Tab 4 Monatliches Nettoerwerbs­einkommen uTab 5 Deutsche Sprachkenntnisse 2016


der Geflüchteten 2016 — in Euro (Median) — in Prozent
Individuelles
Sprechen Schreiben Lesen
Nettoerwerbs­einkommen
Geflüchtete vor 2013 ­a ngekommen 1 250 Geflüchtete vor 2013 angekommen 66 52 65
Geflüchtete ab 2013 a
­ ngekommen 480 Geflüchtete ab 2013 angekommen 17 20 25
Syrien 440 Syrien 21 28 35
Afghanistan 500 Afghanistan 10 12 14
Irak 480 Irak 12 14 20
 Länder des ehemaligen Jugoslawiens 340  Länder des ehemaligen ­Jugoslawien 20 14 17
Eritrea, Somalia 450 Eritrea, Somalia 19 17 25
Iran, Pakistan 800 Iran, Pakistan 11 15 16

Erwerbstätige Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren. Sprachkenntnisse »gut« bis »sehr gut«. Sprachkenntnisse wurden bei den früheren Geflüchteten
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet. im Jahr 2016 nicht erhoben, deshalb werden hierfür Informationen für 2015 angegeben.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

u Tab 6 Erfahrung von Benachteiligung aufgrund der Herkunft, Sorgen um die Ausländerfeindlichkeit,
Bleibeabsicht und Überweisungen ins Ausland 2016

Sorgen um Sorgen um
Wahrgenommene In Deutschland Über- Durchschnitt-
die Ausländer­ ­wirtschaftliche
Benachteiligung für immer weisungen licher Betrag
feindlichkeit Situation
wegen der Herkunft bleiben ins Ausland der Zahlungen
(Anteil »große (Anteil »große
(Anteil »häufig«)  ¹ (Anteil »ja«)  ¹ (Anteil »ja«) ins Ausland
Sorgen«) Sorgen«)

in % in Euro
Geflüchtete vor 2013 angekommen 6 37 39 91 14 1 610
Geflüchtete ab 2013 angekommen 10 8 33 95 0 X
Syrien 5 4 28 92 0 X
Afghanistan 17 11 28 96 0 X
Irak 6 4 31 98 0 X
Länder des ehemaligen Jugoslawiens 12 6 53 99 0 X
Eritrea, Somalia 8 6 32 99 0 X
Iran, Pakistan 18 18 57 100 0 X

1 Benachteiligung wegen der Herkunft und die Bleibeabsicht wurden nicht 2016 erhoben. Dementsprechend werden Informationen für 2015 ausgegeben.
X Tabellenfach gesperrt, da Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

7.4.5 Erfahrung von Benachteili- Herkunft am häufigsten, Benachteiligung Unter neueren Gef lüchteten waren
gung, Sorgen, Bleibeabsicht und erfahren zu haben (17 % beziehungsweise Sorgen bezüglich der wirtschaftlichen
Über­weisungen ins Ausland 18 %), Personen syrischer oder irakischer ­Situation (33 %) deutlich weiter verbreitet
Erfahrungen mit Benachteiligungen auf­ Herkunft am seltensten (5 % beziehungs­ als Sorgen um die Ausländerfeind­lichkeit.
grund der Herkunft geben Auskunft über weise 6 %). u Tab 6 Dabei hatten vor allem Geflüchtete aus
Abweisungen und Diskriminierungser­ Geflüchtete, die bereits vor dem Jahr dem Iran beziehungsweise P ­ akistan und
fahrungen im alltäglichen Leben. Hierbei 2013 nach Deutschland gekommen waren, aus dem ehemaligen Jugo­slawien häufig
haben Gef lüchtete verschiedener Her­ machten sich häufiger große Sorgen große Sorgen in Bezug auf die wirtschaft­
kunftsgruppen unterschiedliche Erfah­ bezüglich der Ausländerfeindlichkeit liche Situation (57 % und 53 %).
rungen gemacht. Dabei gaben 6 % der Ge­ in Deutschland als erst vor Kurzem an­ Ein Großteil der neueren und früheren
flüchteten, die vor 2013 eingereist waren, gekommene Geflüchtete (37 % gegenüber Geflüchteten möchte in Deutschland blei­
und 10 % der Geflüchteten, die ab 2013 8 %). Unter den neueren Gef lüchteten ben (95 % beziehungsweise 91 %). Unter den
eingereist waren, an, häufig persönliche machten sich Personen mit iranischer, pa­ neueren Geflüchteten gaben Personen aus
Erfahrungen mit Benachteiligung auf­ kistanischer und afghanischer Herkunft Syrien am seltensten an, dass sie für im­
grund ihrer Herkunft erlebt zu haben. vergleichsweise oft große Sorgen bezüg­ mer in Deutschland bleiben wollten (92 %).
Hierbei berichteten Personen mit afgha­ lich der Ausländerfeindlichkeit (18 % be­ Während erst in den letzten Jahren in
nischer, iranischer oder pakistanischer ziehungsweise 11 %). Deutschland angekommene Geflüchtete

284
Lebenssituation von Geflüchteten / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 7 Lebens- und Bereichszufriedenheit 2016


Geflüchtete ab 2013 angekommen
Geflüchtete
vor 2013 Länder des
Eritrea, Iran,
angekommen Gesamt Syrien Afghanistan Irak ehemaligen
Somalia Pakistan
Jugoslawiens
Mit dem Leben heute 7,0 6,9 6,9 7,1 6,9 7,0 7,3 6,2
Mit dem persönlichen Einkommen 5,3 5,2 5,4 5,8 4,7 4,6 5,5 6,4
Mit der Wohnung 6,9 . . . . . . .
Mit der Wohnsituation . 6,2 6,6 5,5 6,2 6,1 6,2 6,1

Gemessen auf einer Skala von 0 (niedrig) bis 10 (hoch).


. Nicht erhoben.
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.

u Tab 8 Nachzugspotenzial 2016


Familien- Geflüchtete, die nach der Genfer Flücht­
Familien-
Geflüchtete angehörige pro lingskonvention anerkannt sind, haben
angehörige
Geflüchtetem
in % Anzahl Personen Anzahl Personen
laut Völker- und EU-Recht Anspruch auf
Nachzug ihres Ehepartners / ihrer Ehe­
Nachzugsberechtigte Familien­
14 2,1 0,3
angehörige im Ausland partnerin, ihres / ihrer der Ehe gleichge­
 Ehepartner /-in im Ausland 12 1,0 0,1 stellten eingetragenen Lebenspartners /
 minderjährige Kinder im Ausland 9 2,0 0,2 Lebenspartnerin und ihrer minderjähri­
Erweiterte Kernfamilie im Ausland 19 2,4 0,4 gen Kinder. Als Nachzugspotenzial wer­
 Lebenspartner /-in (unverheiratet)
im Ausland
1 1,0 0,0 den hier zunächst Ehepartner und min­
Kinder im Ausland 13 2,2 0,2 derjährige Kinder gezählt. Dabei wird
nicht weiter differenziert, inwiefern die
Lesehilfe: 14% der Geflüchteten 2016 hatten nachzugsberechtigte Familienangehörige im Ausland. Durchschnittlich waren dies
2,1 Personen. Auf einen Geflüchteten kommen insofern 0,3 nachzugsberechtigte Personen. Geflüchteten das Nachzugspotenzial auch
Datenbasis: SOEP v33.1, gewichtet.
nutzen werden beziehungsweise rechtlich
nutzen dürften.
Im Jahr 2016 hatten 12 % der erwach­
senen Geflüchteten einen Ehepartner, der
im Jahr 2015 nahezu keine Zahlungen ins der Tatsache, dass Geflüchtete über ein im Ausland lebte. Zudem hatten 9 % der
Ausland tätigten, überwiesen 14 % der Ge­ niedrigeres persönliches Einkommen Geflüchteten im Durchschnitt rund zwei
flüchteten, die bereits länger in Deutsch­ ver­f ügten, häufiger unter Armut und un­ minderjährige Kinder, die im Ausland
land lebten, Gelder an Verwandte und ter ­einer schlechteren Wohnsituation lit­ lebten. Insgesamt hatten 14 % der Ge­
Freunde im Ausland. Im Durchschnitt ten, überrascht dieses Ergebnis nicht. flüchteten nachzugsberechtigte Familien­
hatten sie einen Betrag von 1 610 Euro im Vor allem neuere Geflüchtete, die in angehörige. Durchschnittlich sind das
Jahr vor der Befragung überwiesen. Gemeinschaftsunterkünften wohnten, rund 2,1 Familienangehörige. Damit
waren wesentlich unzufriedener mit ihrer kommen auf einen erwachsenen Geflüch­
7.4.6 Zufriedenheit Wohnsituation (die durchschnittliche teten im Durchschnitt 0,3 nachzugsbe­
Mit Blick auf ausgewählte Indikatoren Zufriedenheit von 6,2 setzt sich aus einer rechtigte Personen. u Tab 8
zur Zufriedenheit, mit dem Leben heute, Bewertung von 7,3 in privaten Unter­ Erweitert man den Personenkreis der
dem persönlichen Einkommen und der künften und 5,0 in Gemeinschaftsunter­ nachzugsberechtigten Familienangehöri­
Wohnung (frühere Gef lüchtete) bezie­ künften zusammen). Auch dieses Ergeb­ gen um nicht eingetragene Lebenspartner
hungsweise Wohnsituation (neuere Ge­ nis ist nicht überraschend, da unter ande­ und erwachsene Kinder (erweiterte Kern­
flüchtete), zeigen sich kaum Unterschiede rem die Quadratmeterzahl pro Person in familie), steigt der Anteil der Geflüchteten,
zwischen den neueren und früheren Ge­ Gemeinschaftsunterkünften ein Vielfa­ die entsprechende Familienangehörige
f lüchteten und den Herkunftsgruppen. ches unter der von Privatunterkünften hatten, geringfügig an (19 % gegenüber
Im Vergleich zu Personen ohne Migra­ liegt. u Tab 7 14 %). Im Durchschnitt hatten diese Ge­
tionshintergrund zeigt sich, dass Ge­ flüchteten rund 2,4 Familienangehörige
flüchtete im Durchschnitt weniger zufrie­ 7.4.7 Nachzugspotenzial ihrer erweiterten Kernfamilie im Aus­
den mit ihrem Leben heute und ihrem Abschließend wird das Nachzugspotenzial land. Somit ergeben sich pro erwachse­
persönlichen Einkommen waren (siehe der ab 2013 eingereisten Geflüchteten be­ nen Geflüchteten 0,4 Personen, die als Fa­
Kapitel 7.3, Seite 279, Tab 7). Angesichts trachtet. Asylberechtigte beziehungsweise milienmitglied nachziehen könnten.

285
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.5 / Jugendkriminalität

7.5 Im Vordergrund der öffentlichen Diskus-


sion über Jugendkriminalität stehen oft
hörden bleiben die nicht angezeigten Er-
eignisse aus Sicht der Behörden im
Jugend­ junge Intensiv- und Gewalttäter, insbe- »Dunkelfeld«. Wenn den zuständigen
kriminalität sondere wegen ihrer großen Bedeutung
für das Sicherheitsgefühl der Bevölke-
Strafverfolgungsbehörden in Deutsch-
land Ereignisse bekannt werden, gibt ih-
rung. Über entsprechende Fälle berich- nen insbesondere die Strafprozessord-
Thomas Baumann ten Medien in der Regel ausführlich. Da- nung (StPO) vor, wie sie zu verfahren ha-
rüber hinaus gibt es auch andere Fälle ben. Daher bedeutet die Einleitung eines
der Überschreitung gesellschaftlicher strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens
Statistisches Bundesamt
Normen. Von der Vielzahl der Ereignisse, gegen eine Person nicht automatisch,
(Destatis)
die Opfer oder Tatzeugen wahrnehmen dass die Person tatsächlich »kriminell« im
und als »kriminell« bewerten, melden Sinne des Gesetzes war, sondern nur, dass
diese nur einen Teil den Behörden. In der die Strafverfolgungsbehörden – insbe-
kriminologischen Forschung wird dies sondere Polizei und Staatsanwaltschaft –
als »Hellfeld« bezeichnet. Die Anzeige- aufgrund einer Anzeige oder eigener Be-
wahrscheinlichkeit ist nicht für alle obachtung entsprechend der Gesetze er-
­D elikt- beziehungsweise Tätergruppen mitteln. Dabei steht am Anfang des
gleich hoch und variiert auch nach De- Verfahrens immer ein hinreichender Ver-
liktart und -schwere. Ohne eigene Kon­ dacht, dass eine Straftat im Sinne des
trollaktivitäten der Strafverfolgungsbe- deutschen Strafrechts vorliegen könnte.

u Info 1
Datenquellen
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für die Bundesrepublik Deutschland wird vom Bundes­
kriminalamt auf der Grundlage der von den 16 Landeskriminalämtern gelieferten Landesdaten
­e rstellt. Gegenstand der PKS sind die der Polizei bekannt gewordenen Verdachtsfälle auf das Vor-
liegen von Straftaten und die polizeilichen Ermittlungsergebnisse. Als Straftat zählen in dieser Statistik
Verbrechen und Vergehen einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche entsprechend des deut-
schen Strafrechts. Nicht in der PKS erfasst werden: Staatsschutzdelikte, die meisten Verkehrsdelikte,
Ordnungswidrigkeiten, Delikte, die nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören (wie Finanz- und
Steuerdelikte), sowie Straftaten, die unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden.

Die PKS beruht auf dem Erkenntnisstand bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und bei Über-
gabe der Akten an die Staatsanwaltschaften. Ein von der Polizei eingeleitetes Strafverfahren kann
nur von der Staatsanwaltschaft abgeschlossen werden. Dabei werden Straftaten zum Teil von der
Polizei anders bewertet als von der Staatsanwaltschaft oder den Gerichten, unter anderem wegen
des unterschied­lichen Ermittlungsstandes.

Die gerichtliche Strafverfolgungsstatistik für die Bundesrepublik Deutschland wird vom Statisti-
schen Bundesamt auf der Basis von Landesergebnissen der 14 statis­tischen Ämter der 16 Bundes-
länder aufbereitet. Gegenstand dieser Statistik sind rechtskräftige Aburteilungen. Daher beziehen
sich die jährlichen Ergebnisse auf das jeweilige Jahr der Rechtskraft einer gerichtlichen Entschei-
dung, nicht auf das Jahr der Tatbegehung oder der Erstverurteilung.

Die Strafverfolgungsstatistik erfasst keine Ordnungswidrigkeiten, sondern nur Verbrechen und Ver­
gehen nach dem Strafgesetzbuch (StGB) oder anderen Bundesge­setzen beziehungsweise Verge-
hen nach Landesgesetzen. Anders als die PKS erfasst die gerichtliche Strafverfolgungsstatistik alle
Staatsschutzdelikte und alle Verkehrsdelikte. Ebenfalls erfasst werden auch alle unmittelbar bei
der Staatsanwaltschaft angezeigten Sachverhalte, sofern diese von der Staatsanwaltschaft nach
Abschluss des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens vor Gericht gebracht werden.

Die Gesamtzahl der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen (Aburteilungen) bezieht sich auf
Angeklagte, gegen die Strafbefehle erlassen wurden beziehungsweise Strafverfahren nach Eröffnung
des Hauptverfahrens durch Urteil oder Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden
sind. Ihre Zahl setzt sich zusammen aus den Verurteilten und aus Personen, gegen die andere
Entscheidungen (unter anderem Einstellung, Freispruch) getroffen wurden. Bei der Aburteilung von
Angeklagten, die in Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) mehrere Strafvorschriften
verletzt haben, ist nur der Straftatbestand statistisch erfasst, der nach dem Gesetz mit der schwers-
ten Strafe bedroht ist.

286
Jugendkriminalität / 7.5 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

Die Staatsanwaltschaft als leitende Er- repräsentiert. Etwa neun von zehn in Von den jugendlichen Tatverdächti-
mittlungsbehörde muss dann belastende Deutschland lebende Personen haben die gen im Jahr 2016 waren rund 74 % Män-
und entlastende Aspekte prüfen. Im Er- deutsche Staatsbürgerschaft, bei den Tat- ner und 62 % hatten die deutsche Staats-
gebnis kann die Staatsanwaltschaft in ih- verdächtigen waren dies im Jahr 2016 angehörigkeit. Sieht man von den auf­
rer Abschlussverfügung Anklage gegen rund sechs von zehn. Die Gesamtzahl der enthaltsbezogenen Delikten ab, wurden
Tatverdächtige erheben, sie kann aber Tatverdächtigen war gegenüber dem Vor- sowohl bei deutschen als auch bei auslän-
auch je nach Einzelfall zu einer anderen jahr leicht rückläufig (– 0,3 %), hingegen dischen Jugendlichen häufig Diebstahls-
Bewertung des Ermittlungsstandes ge- gab es bei den ausländischen Tatverdäch- und Körperverletzungsdelikte registriert.
langen. Im Fall einer Anklage entschei- tigen einen Anstieg um 4,6 %. Dies lag Das hier zugrunde gelegte Jahrbuch 2016
den Gerichte über den Fortgang des insbesondere an ausländerrechtlichen des Bundeskriminalamtes (BKA) enthält
Strafverfahrens. Verstößen – beispielsweise unerlaubte auch zusätzliche Informationen zu den
Über die Tätigkeit der Polizei berich- Einreise und unerlaubter Aufenthalt – im ausländischen Tatverdächtigen.
tet jährlich die Polizeiliche Kriminalsta- Zusammenhang mit der Zuwanderung
tistik des Bundeskriminalamtes, über die nach Deutschland. 7.5.2 Verurteilte
Tätigkeit der Justiz berichten jährlich die Hinsichtlich der Alterszusammen­ Bei einem großen Teil der polizeilich er-
Rechtspflegestatistiken der Statistischen setzung wurden 2016 insgesamt rund mittelten strafmündigen Tatverdächtigen
Ämter des Bundes und der Länder. Die 90 600 Kinder, 209 800 Jugendliche (­14 kommt es im weiteren Gang des Strafver-
nachfolgenden Ausführungen zeigen Er- bis 17 Jahre), 232 100 Heranwachsende fahrens nicht zu einer rechtskräftigen
gebnisse dieser Hellfeld-Statistiken mit (18 bis 20 Jahre) und 1 828 300 Erwachsene Verurteilung. Die Diskrepanz zwischen
dem Fokus auf Jugendliche. u Info 1 (ab 21 Jahren) registriert. Junge Menschen der Anzahl polizeilich ermittelter Tatver-
unter 21 Jahren hatten damit einen Anteil dächtiger und der Anzahl rechtskräftig
7.5.1 Tatverdächtige von 23 % an allen im Jahr 2016 polizeilich Verurteilter im selben Kalenderjahr hat
Im Jahr 2016 konnten Polizeidienststellen registrierten Tatverdächtigen und waren verschiedene Gründe. So beging nur etwa
in Deutschland von den insgesamt rund in Relation zu ihrem Anteil an der Be­ ein Drittel der rechtskräftig Verurteilten
6 372 500 registrierten Verdachtsfällen völkerung leicht überrepräsentiert. Die die Tat auch im Verurteilungsjahr, die
auf das Vorliegen einer Straftat 3 584 200 fallbezogene Zählung der Polizeilichen anderen verübten die Tat früher. Bei
Fälle aufklären und für diese insgesamt Kriminalstatistik führt dazu, dass auch ­einem Teil der Tatverdächtigen bestätigte
2 360 800 Tatverdächtige ermitteln. u Tab 1 strafunmündige Kinder unter 14 Jahren sich im Rahmen der staatsanwaltschaft­
Während sich die Wohnbevölkerung als Tatverdächtige registriert werden. In lichen Ermittlung der ursprüngliche Tat-
in Deutschland zu etwa gleichen Anteilen den Justizstatistiken sind sie hingegen verdacht nicht, sodass das Strafverfahren
aus Frauen und Männern zusammensetzt, nicht enthalten, da Gerichte nach dem eingestellt wurde. Darüber hinaus wird
waren Männer bei den polizeilich regis­ Gesetz nur strafmündige Personen für teilweise aus Opportunitätserwägungen,
trierten Tatverdächtigen mit 75 % über­ eine verübte Straftat verurteilen können. insbesondere bei Vergehen mit geringem

u Tab 1 Tatverdächtige

2015 2016 Veränderung gegenüber 2015

Anzahl Anteil in % Anzahl Anteil in % Anzahl Anteil in %

Insgesamt 2 369 036 100 2 360 806 100 – 8 230 – 0,3

Männer 1 781 388 75,2 1 767 739 74,9 – 13 649 – 0,8

Frauen 587 648 24,8 593 067 25,1 + 5 419 + 0,9

Deutsche Staatsangehörige 1 457 172 61,5 1 407 062 59,6 – 50 110 – 3,4

Ausländische Staatsangehörige 911 864 38,5 953 744 40,4 + 41 880 + 4,6

Kinder (0 bis 13 Jahre) 79 371 3,4 90 610 3,8 + 11 239 + 14,2

Jugendliche (14 bis 17 Jahre) 218 025 9,2 209 808 8,9 – 8 217 – 3,8

Heranwachsende (18 bis 20 Jahre) 231 426 9,8 232 082 9,8 + 656 + 0,3

Erwachsene (ab 21 Jahren) 1 840 214 77,7 1 828 306 77,4 – 11 908 – 0,6

Quelle: Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik

287
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.5 / Jugendkriminalität

Strafrahmen und einer geringen Schuld, dann in der Strafverfolgungssta­tistik er- tik verstärkt, da auch bei mehreren Straf-
das Verfahren nicht weitergeführt. fasst, wenn sie sich illegal in Deutschland taten jeweils nur das schwerste Delikt
Im Jahr 2016 trafen deutsche Gerichte aufhalten oder die Straftat als Touristen – ausgewertet wird. u Abb 1
insgesamt rund 900 600 rechtskräftige etwa ein Verkehrsdelikt – begangen haben.
Entscheidungen in Strafsachen. Dabei Der Aufenthaltsstatus wird in der Strafver- 7.5.3 Sanktionsarten
wurden rund 737 900 Personen rechts- folgungsstatistik nicht erfasst. u Tab 2 Wenn Staatsanwaltschaften Strafverfah-
kräftig verurteilt und bei 162 700 Perso- Hinsichtlich der Alterszusammenset- ren nicht einstellen, sondern vor Gericht
nen wurden andere Entscheidungen ge- zung wurden 2016 insgesamt 29 600 Ju- bringen, spielt das Alter der Angeklagten
troffen (unter anderem Freispruch, Ver- gendliche, 52 900 Heranwachsende und zum Zeitpunkt der Tat eine wichtige Rol-
fahrenseinstellung). Ähnlich wie bei den 655 400 Erwachsene rechtskräftig verur- le. Für Jugendliche, das heißt Menschen
polizeilich registrierten Tatverdächtigen teilt. Der Anteil der Jugendlichen und He- im Alter von 14 bis 17 Jahren, muss das
ist statistisch gesehen auch die gerichtlich ranwachsenden an allen Verurteilten lag Gericht das Jugendstrafrecht anwenden.
registrierte Kriminalität ein vorwiegend 2016 bei 11 %. Auch in der gerichtlichen Das Jugendstrafrecht stellt die Erziehung
männliches Phänomen: Vier von fünf der Strafverfolgungsstatistik findet sich so- der Jugendlichen sowie die Verhinderung
im Jahr 2016 Verurteilten waren Männer. mit eine Überrepräsentation von Jugend- weiterer Straftaten in den Vordergrund
Während 11 % der in Deutschland leben- lichen und Heranwachsenden in Relation und bietet dafür ein spezielles, gegenüber
den Personen keine deutsche Staatsbür- zu ihrem Anteil an der Bevölkerung. dem allgemeinen Strafrecht stärker abge-
gerschaft haben, waren es bei den ge- Jugendtypische Straftaten sind Dieb- stuftes Sanktionensystem, das von Erzie-
richtlich rechtskräftig Verurteilten 31 %. stahlsdelikte beziehungsweise Körper- hungsmaßregeln über Zuchtmittel bis zur
Der Anteil der Verurteilten ohne deut- verletzungsdelikte. Im Jahr 2016 wurde Jugendstrafe reicht. Bei der Aburteilung
sche Staatsangehörigkeit an allen Verur- die Hälfte der Jugendlichen wegen dieser von Straftaten Heranwachsender, die zum
teilten ist in den zurückliegenden Jahren Deliktgruppen verurteilt. Die mit hohem Zeitpunkt der Tat bereits 18 Jahre, aber
angestiegen. In den Jahren 2015 und finanziellen Schaden verbundene schwere noch keine 21 Jahre alt waren, prüft das
2016 verzeichnete die Bundesrepublik Vermögenskriminalität sowie die schwe- Strafgericht, ob Jugendstrafrecht an­ge­
Deutschland auch einen starken Zuwachs ren Formen der Gewaltkriminalität oder wandt wird. Wenn sie nach ihrem »Reife-
des ausländischen Bevölkerungsanteils. auch Straftaten im Straßenverkehr wer- grad« oder der Art ihrer Tat noch einem
Ein direkter Vergleich der Ausländeran- den eher von Erwachsenen begangen. Jugendlichen gleichgestellt sind, wird
teile zwischen Verurteilten und der Ge- Wenn Delikte mit geringerem Straf­ nicht nach allgemeinem, sondern nach
samtbevölkerung ist allerdings nur ein- rahmen häufiger eingestellt werden, ver- Jugendstrafrecht verurteilt. Bei Erwach-
geschränkt möglich: Zur Bevölkerung schiebt sich das Deliktspektrum der ge- senen müssen die Gerichte immer das
werden nur die einwohnerrechtlich regis- richtlich registrierten Kriminalität zu allgemeine Strafrecht anwenden. Es sieht
trierten Personen gezählt. Dagegen wer- den schwereren Straftaten. Dies wird durch als Hauptstrafen Freiheits- oder Geld-
den Ausländer bei einer Verurteilung auch die Methodik der Strafverfolgungsstatis- strafen vor.

u Tab 2 Rechtskräftig Verurteilte

2015 2016 Veränderung gegenüber 2015

Anzahl Anteil in % Anzahl Anteil in % Anzahl Anteil in %

Insgesamt 739 487 100 737 873 100 – 1 614 – 0,2

Männer 593 254 80,2 594 952 80,6 + 1 698 + 0,3

Frauen 146 233 19,8 142 921 19,4 – 3 312 – 2,3

Deutsche Staatsangehörige 529 884 71,7 506 311 68,6 – 23 573 – 4,4

Ausländische Staatsangehörige 209 603 28,3 231 562 31,4 + 21 959 + 10,5

Kinder (0 bis 13 Jahre) X X X X X X

Jugendliche (14 bis 17 Jahre) 31 341 4,2 29 620 4,0 – 1 721 – 5,5

Heranwachsende (18 bis 20 Jahre) 54 535 7,4 52 874 7,2 – 1 661 – 3,0

Erwachsene (ab 21 Jahren) 653 611 88,4 655 379 88,8 + 1 768 + 0,3

X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.

288
Jugendkriminalität / 7.5 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Abb 1 Verurteilte 2016 — in Prozent

insgesamt 20,9 9,0 6,0 18,8 21,6 6,1 17,5

Jugendliche 4,9 20,8 5,5 31,9 8,4 12,0 16,6

Heranwachsende 13,7 13,7 5,2 19,7 18,1 8,0 21,6

Erwachsene 22,2 8,0 6,1 18,1 22,5 5,7 17,3

Deutsche 22,2 9,2 6,8 14,8 23,2 5,9 18,0

Ausländer 18,2 8,5 4,4 27,6 18,0 6,8 16,4

Straftaten im Straßenverkehr

Straftaten gegen die Person


Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (ohne Verkehr)
andere Straftaten gegen die Person (ohne Verkehr)

Straftaten gegen das Vermögen


Diebstahl und Unterschlagung
Betrug und Untreue
andere Straftaten gegen das Vermögen
(unter anderem Raub, Erpressung, Urkundenfälschung)

übrige Straftaten

Jugendliche sind Personen im Alter von 14 bis 17 Jahren, Heranwachsende im Alter von 18 bis 20 Jahren.

Im Jahr 2016 wandten deutsche Ge- ­Gerichts Erziehungsmaßregeln nicht aus-


richte insgesamt bei rund 61 700 Verur- reichen, und sind die am häufigsten nach
teilten das Jugendstrafrecht an, darunter Jugendstrafrecht verhängten Sanktionen.
waren 29 600 Jugendliche und 32 100 He- Die übrigen rund 10 000 Jugendlichen
ranwachsende. Von allen nach Jugend- und Heranwachsenden, die 2016 nach
strafrecht Verurteilten erhielten rund ­Jugendstrafrecht verurteilt wurden, er-
7 800 Personen eine Erziehungsmaßregel hielten eine Jugendstrafe, da Zuchtmittel
als mildeste Sanktion des Jugendstraf- zur Erziehung nicht ausreichten, wegen
rechts. Durch Erziehungsmaßregeln wer- der Schwere der Schuld oder wegen Wie-
den Weisungen zur Lebensführung er- derholungstaten. Bei einem Teil der Ver-
teilt, beispielsweise an einem sozialen urteilten wird die Vollstreckung der Ju-
Trainingskurs teilzunehmen. Bei weite- gendstrafe zur Bewährung ausgesetzt,
ren 43 900 Jugendlichen und Heranwach- etwa damit die Straftäter eine begonnene
senden ahndeten die Gerichte die Straftat Ausbildung oder ihre Arbeitstätigkeit
mit Zuchtmitteln, wie gemeinnützige Ar- nicht abbrechen müssen und sich ein Le-
beitsleistungen, Zahlung eines Geld­ ben ohne weitere Straftaten auf bauen
betrags oder Jugendarrest. Zuchtmittel können. Im Jahr 2016 war dies bei rund
werden verhängt, wenn nach Ansicht des 5 900 Personen der Fall.

289
8
Gesundheit und
soziale Sicherung
8.1 Gesundheit ist ein hohes Gut und hat ent-
scheidenden Einfluss auf die Lebensquali-
Gesundheitsdaten gehören zum grund-
legenden Informationsbedarf für alle
Gesundheits­ tät der Menschen. Für den Erhalt, die För- ­B eteiligten im Gesundheitswesen und
zustand der derung und Wiederherstellung unserer Ge-
sundheit werden jährlich hohe finan­zielle
für am Thema interessierte Menschen.
Sie zeichnen ein aktuelles Bild über die
Bevölkerung Mittel aufgewendet. Eine stabile Gesund- Gesundheit unterschiedlicher Altersgrup-
und Ressourcen heit verlangt vom Einzelnen, seine indivi-
duellen Ressourcen zu mobilisieren und Ri-
pen und zeigen Entwicklungen im Zeit-
verlauf. Außerdem liefern sie der Politik
der Gesund- siken zu vermeiden. Durch ent­sprechendes wichtige Informationen und dienen als
heitsversorgung Verhalten, wie regelmäßigen Sport, gesun-
de Ernährung oder Verzicht auf Rauchen,
Grundlage für gesetzliche Regelungen so-
wie das Evaluieren und Steuern von prä-
können Eltern als Vorbild für ihre Kinder ventions- beziehungsweise gesundheits-
Karin Böhm fungieren. Aber auch der Straßenverkehr, politischen Maßnahmen. Auch verschie-
die zunehmende Digitalisierung oder an- dene internationale Institutionen nutzen
dere äußere Einflüsse haben Auswirkungen die Daten, um länderspezifische Verglei-
Statistisches Bundesamt
auf die Gesundheit von Kindern und Ju- che durchzuführen. Die Wirtschaft inter-
(Destatis)
gendlichen. So treten Themen wie Schul- essiert sich für diese Daten, weil sie
wegunfälle, die Zunahme von psychischen Grundinformationen über die Gesund-
Erkrankungen und Internetsucht bei Kin- heit der Menschen als Arbeitskräfte, als
dern und Jugendlichen in den Vorder- Patientinnen und Patienten sowie als
grund: Im Jahr 2016 kam alle 24 Minuten Konsumentinnen und Konsumenten von
ein Kind im Alter von 6 bis 14 Jahren im entsprechenden Produkten und Dienst-
Straßenverkehr zu Schaden. Die Zahl der leistungen bieten.
unter 15-Jährigen, die aufgrund einer De- Die Angaben in diesem Kapitel stam-
pression stationär betreut wurden, hat sich men aus gesundheitsbezogenen Statisti-
zwischen 2007 und 2016 vervierfacht. Die ken der Statistischen Ämter des Bundes
Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- und der Länder. Dabei handelt es sich
klärung hat in ihrer Studie zur Drogen­ um die Krankenhausstatistik, die fallpau-
affinität Jugendlicher 2015 festgestellt, dass schalenbezogene Krankenhausstatistik
sich die Verbreitung computerspiel- und (DRG-Statistik), die Statistik schwerbehin-
internetbezogener Störungen unter 12- bis derter Menschen, die Pflegestatistik, die
17-jährigen Jugendlichen innerhalb von Todesursachenstatistik sowie die Statistik
vier Jahren nahezu verdoppelt hat. der Schwangerschaftsabbrüche.

291
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.1 / Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Info 1
Die Diagnosestatistik und ihre Erweite-
Alkoholmissbrauch bei Kindern rung um die fallpauschalenbezogene
und Jugendlichen Krankenhausstatistik (DRG-Statistik)
Aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs delt. Das waren 1,8 % mehr als 2015.
Die Diagnosen der Krankenhauspatientinnen
wurden 22 309 Kinder und Jugendliche Rund 68 % dieser Kinder und Jugend- und -patienten zeigen das gesamte vollstationäre
im Alter von 10 bis 19 Jahren 2016 sta- lichen waren noch keine 18 Jahre alt. Geschehen in den deutschen Krankenhäusern.
Alle Krankenhäuser in Deutschland sind auskunfts-
tionär in einem Krankenhaus behan- pflichtig und melden jährlich die Diagnosen aller
Patientinnen und Patienten, die im Berichtsjahr
aus der vollstationären Behandlung entlassen
wurden. Bei mehrfach im Berichtsjahr vollstationär
behandelten Personen erfassen sie jeden einzel-
nen Krankenhausaufenthalt als einen Fall (Fallzah-
Geburtshilfe in Krankenhäusern lenstatistik). Nicht nachgewiesen werden die vor-
und nachstationären, teilstationären und
Im Jahr 2016 leisteten insgesamt Der Anteil der Belegkräfte lag bun- ­a mbulanten Behandlungsfälle. Die Diagnosean-
11 077 Hebammen und Entbindungs- desweit bei 16 %. Am geringsten war gaben umfassen die Hauptdiagnosen, Alter, Ge-
pfleger Geburtshilfe in deutschen Kran- der Belegkräfteanteil in Hamburger schlecht, Verweildauer und die Fachabteilungen
des Krankenhauses.
kenhäusern. Davon waren 9 301 festan- Krankenhäusern mit 2,6 %. Die Ge-
Die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik
gestellte Kräfte (9 297 Hebammen und burtshilfe in bayerischen Krankenhäu-
ergänzt die Krankenhausstatistik der Kranken-
4 Entbindungspfleger) sowie 1 776 Be- sern arbeitete dagegen mit einem Be- hauspatientinnen und -patienten. Das auf Fallpau-
legkräfte. legkräfteanteil von 51 %. schalen basierende DRG-Vergütungssystem ent-
stand bei der Novellierung der Kranken­
hausfinanzierung im Jahr 2000 (DRG steht für
»Diagnosis Related Groups«). Die jährliche Statis-
tik umfasst alle Krankenhäuser, die nach dem
DRG-Vergütungssystem abrechnen und dem
­A nwendungsbereich des Krankenhausentgelt­
Schwangerschaftsabbrüche gesetzes unterliegen (ohne psychiatrische und
Im Jahr 2017 wurden 101 209 Schwan- bruch durchführen ließen, waren zwi- psychosomatische Einrichtungen). Das Institut für
das Entgeltsystem im Krankenhaus erhebt die
gerschaftsabbrüche in Deutschland ge- schen 18 und 34 Jahre alt, 17 % zwischen Daten und stellt sie dem Statistischen Bundesamt
meldet, zehn Jahre zuvor waren es 35 und 39 Jahre. Rund 8 % der Frauen zur Verfügung (Sekundärstatistik).
116 871 Eingriffe. Bezogen auf die Zahl waren 40 Jahre und älter. Die unter Gegenstand der DRG-Statistik sind die von den
der Frauen im gebärfähigen Alter von 18-Jährigen hatten einen Anteil von 3 %. berichtspflichtigen Krankenhäusern erbrachten
Leistungen. Die vom Statistischen Bundesamt
15 bis 49 Jahren waren dies 58 Abbrü- Nach der Beratungsregelung wur-
ausgewerteten Daten beziehen ebenfalls alle im
che je 10 000 Frauen im Jahr 2017 ge- den 96 % der gemeldeten Schwanger- Lauf des Berichtsjahres aus den oben genannten
genüber 60 Eingriffen je 10 000 Frauen schaftsabbrüche vorgenommen. Me­ Einrichtungen entlassenen vollstationären Patien-
tinnen und Patienten ein. Nicht nachgewiesen
im Jahr 2007. dizinische und kriminologische Indi- werden vor-, nach-, teilstationär oder ambulant
Knapp drei Viertel (72 %) der Frau- kationen waren in 4 % der Fälle die behandelte Personen.
en, die 2017 einen Schwangerschaftsab- Begründung für den Abbruch.

8.1.1 Diagnose und Behandlung knapp 8,0 Millionen Fällen (2006) auf heiten des Kreislaufsystems die wichtigste
im Krankenhaus 9,6 Millionen Fälle (2016). u Info 1 Diagnosegruppe mit 10 % an allen Be-
Die häufigste Ursache für einen Kran- handlungsfällen dar. Gegenüber 2006 ist
Diagnosen kenhausaufenthalt waren 2016 – wie bereits ihre Zahl im Jahr 2016 um 16 % höher.
Über die Behandlung von Patientinnen in den Vorjahren – Krankheiten des Kreis- An dritter Stelle lagen die Krankheiten
und Patienten im Krankenhaus infor- laufsystems. Rund 15 % aller Fälle waren des Verdauungssystems mit einem Anteil
miert die Krankenhausdiagnosestatistik. dieser Krankheitsgruppe zuzuordnen. Im von ebenfalls rund 10 % an allen Diagno-
Bei Frauen ist die Zahl der Behandlungs- Vergleich zu 2006 ist die Zahl dieser Be- sen. Im Vergleich zu 2006 ist hier die Zahl
fälle von 9,1 Millionen Fällen (2006) handlungsfälle um 14 % angestiegen. An um 15 % gestiegen.
um 15 % auf 10,5 Millionen Fälle (2016) zweiter Stelle folgten Verletzungen und Der höchste Anstieg mit 49 % war im
gestiegen. Bei Männern stieg die Zahl Vergiftungen sowie andere Folgen äußerer Diagnosekapitel »Symptome und abnorme
der Behandlungsfälle sogar um 20 % von Ursachen. Sie stellten nach den Krank- klinische und Laborbefunde, andernorts

292
Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 8.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Abb 1 Durchschnittliche Anzahl der Operationen und Behandlungsmaßnahmen je Krankenhausfall 2016

0
unter 1 1– 4 5 –9 10–14 15–19 20 –24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 80–84 85–89 90–94 95 und älter

männlich weiblich insgesamt im Alter von … bis … Jahren

u Abb 2 Operationen und Behandlungsmaßnahmen der


Krankenhauspatientinnen und -patienten 2016 — in Prozent

Medikamente Operationen
(z. B. bei Krebsimmuntherapie) (z. B. an den Bewegungsorganen)

0,5 28,6 gleich zum Vorjahr entspricht dies einer


ergänzende Maßnahmen
Zunahme um 5,6 %. Auf einen Kranken-
(z. B. geburtsbegleitende Maßnahmen) hausfall, also eine in einem Krankenhaus
5,9 behandelte Person, entfielen damit im
diagnostische Maßnahmen
Durchschnitt 3,1 Maßnahmen dieser Art.
(z. B. Endoskopie) In allen Altersgruppen war die durch-
18,2 58,6 schnittliche Zahl der Operationen und
Millionen nicht operative
therapeutische Prozeduren je Krankenhausfall bei Män-
bildgebende Diagnostik Maßnahmen nern höher als bei Frauen. u Abb 1
(z. B. Computertomografie) (z. B. Patientenmonitoring)
Werden die erfolgten Maßnahmen
21,0 25,7
nach einzelnen Kapiteln des Operationen-
und Prozedurenschlüssels (OPS) diffe-
renziert, lagen die Operationen mit 29 %
an erster Stelle, an zweiter Stelle folgten
mit 26 % nicht operative therapeutische
nicht näher klassifiziert« zu beobachten. gen (Krebs und gutartige Neubildungen) Maßnahmen. An dritter Stelle stand mit
Hierzu gehören zum Beispiel Kreislauf- konstant. Ein Rückgang war nicht zu ver- 21 % die bildgebende Diagnostik, beispiels-
kollaps oder Ohnmacht, Hals- und Brust- zeichnen. weise Computertomografie. u Abb 2
schmerzen. Die Behandlungen im Kapitel Bei den durchgeführten Operationen
Infektionen erhöhten sich innerhalb des Operationen und medizinische lagen auch im Jahr 2016 Operationen an
gleichen Zeitraums um 42 %, die Krank- Behandlungsmaßnahmen den Bewegungsorganen an erster Stelle,
heiten der Haut und Unterhaut haben um Nach den Ergebnissen der fallpauschalen- mit Abstand gefolgt von Operationen am
30 % zugenommen und auch die Muskel- bezogenen Krankenhausstatistik (DRG- Verdauungstrakt sowie Operationen an
Skelett-Erkrankungen stiegen um ein Statistik) führten die Krankenhäuser 2016 Haut und Unterhaut. Eine detailliertere
Viertel (25 %) ihres Wertes von 2006. Im bei den vollstationär versorgten Personen Analyse der Operationsdaten zeigt, dass
direkten Vergleich blieben lediglich die insgesamt 59 Millionen Operationen und bei Frauen am häufigsten die Rekon­
Behandlungen in Bezug auf Neubildun- medizinische Prozeduren durch. Im Ver- struktion weiblicher Geschlechtsorgane

293
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.1 / Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

nach einer Ruptur / Dammriss durchge- u Abb 3 Die zehn häufigsten Operationen von Krankenhauspatientinnen
führt wurde, gefolgt vom Kaiserschnitt und -patienten 2016 — in Tausend
und der Position »andere Operationen
am Darm«.
Andere Operationen am Darm
Bei Männern lag die Position »andere 183 214
(z. B. Lösen von Verwachsungen)
Operationen am Darm« an erster Stelle,
an zweiter Stelle folgte der Verschluss ei- Wiederherstellung weiblicher Geschlechts-
organe nach Riss nach der Geburt 343
nes Leistenbruchs (Hernia inguinalis) so-
wie an dritter Stelle der Zugang zur Len-
Operatives Freilegen eines Zugangs zur
denwirbelsäule, zum Kreuz- oder Steiß- 148 152
Lendenwirbelsäule, zum Kreuz- oder Steißbein
bein. u Abb 3
Endoskopische Operationen
125 143
an den Gallengängen
8.1.2 Schwerbehinderung
Im Unterschied zu einer akuten Krank-
Kaiserschnitt 255
heit oder einer Unfallschädigung mit
kurzer Heilungsdauer ist eine Behinde-
Implantation einer Endoprothese
rung eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Hüftgelenk
90 144

am gesellschaftlichen Leben für längere


Chirurgische Wundtoilette
Zeit, möglicherweise für das ganze Leben. (Wunddebridement) und Entfernung von 135 98
Als schwerbehindert gelten Menschen, erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut

denen ein Grad der Behinderung von Arthroskopische Operation am Gelenkknorpel


125 107
50 oder mehr von den Versorgungsäm- und an den Menisken

tern zuerkannt wurde. Am 31. Dezember Stellungskorrektur eines mehrteiligen (offenen)


2015 waren 7,6 Millionen amtlich aner- Knochenbruches ohne intakte 68 146
Weichteilbedeckung (offene Reposition)
kannte schwerbehinderte Menschen mit
gültigem Ausweis bei den Versorgungs- Gallenblasenentfernung 81 123
ämtern registriert. Das entsprach einem
Anteil von rund 9 % an der Bevölkerung.
Männer Frauen
Etwas mehr als die Hälfte (51 %) waren
Männer. Operationen- und Prozedurenschlüssel, OPS Version 2016.

Behinderungen treten vor allem bei


älteren Menschen auf: So war nahezu ein
Drittel der schwerbehinderten Menschen
u Tab 1 Schwerbehinderte 2015
75 Jahre und älter. Knapp die Hälfte ge-
hörte der Altersgruppe von 55 bis 74 Jah- Davon im Alter von … bis … Jahren
Insgesamt
ren an. Dagegen fielen der Anteil der unter 15 15 – 24 25 – 54 55 – 64 65 – 74 75 und älter
15- bis 24-Jährigen sowie auch der Anteil in 1 000 in %
der unter 15-Jährigen mit jeweils 2 % ge- Männlich 3 867 2,0 2,4 20,1 22,3 24,8 28,4
ring aus. u Tab 1
Weiblich 3 749 1,4 1,8 19,4 20,5 20,5 36,5
Die Schwerbehindertenquote bezie-
Insgesamt 7 616 1,7 2,1 19,7 21,4 22,7 32,4
hungsweise die Wahrscheinlichkeit,
schwerbehindert zu sein, steigt demzu-
folge mit zunehmendem Alter an. Wäh-
rend bei den 25- bis 34-Jährigen knapp
3 % schwerbehindert waren, hatte in der
Gruppe der ab 80-Jährigen jeder Dritte ­ rwerbsleben teilnehmen als Frauen. Da
E Interesse an einer Anerkennung der Be-
einen Schwerbehindertenausweis. u Abb 4 ein Schwerpunkt der Leistungen des hinderteneigenschaft haben als Nichter-
Männer waren – insbesondere in der Schwerbehindertenrechts Regelungen werbspersonen.
Gruppe der ab 55-Jährigen – eher schwer- zur Teilnahme am Arbeitsmarkt oder Die weitaus meisten Behinderungen
behindert als Frauen. Dies ist zu einem für einen früheren Übergang zur Rente (86 % der Fälle) waren krankheitsbedingt.
gewissen Teil dadurch erklärbar, dass betrifft, können Erwerbstätige bezie- In 4 % der Fälle war die Behinderung an-
Männer im Allgemeinen häufiger am hungsweise Arbeitsuchende ein größeres geboren beziehungsweise trat im ersten

294
Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 8.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Abb 4 Schwerbehindertenquote 2015 — in Prozent

40

30

20

10

0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
und mehr
männlich weiblich insgesamt Alter in Jahren

Bevölkerungsstand: 31.12.2015 – Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011.
Schwerbehindertenquote = Anteil der schwerbehinderten Menschen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe.

Lebensjahr auf und bei 2 % wurde dasAbb 5 Schwerbehinderte Menschen 2013


u Abb 5 Schwerbehinderte Menschen 2015 — in Prozent

Leiden durch einen Unfall oder eine Be-


rufskrankheit verursacht. Weitere 0,3 %
der schwerbehinderten Menschen hatten Beeinträchtigung der Funktion innerer Organe
24,9
beziehungsweise Organsysteme
dauernde Schäden im Krieg, im Wehr-
oder im Zivildienst erlitten. Die übrigen Funktionseinschränkung von Gliedmaßen 12,6
Behinderungen (8 %) beruhten auf sonsti-
Geistige Behinderungen,
gen, mehreren oder ungenügend bezeich- seelische Behinderungen
12,1
neten Ursachen.
Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und
Am häufigsten litten schwerbehinder- des Rumpfes, Deformierung des Brustkorbes
11,6

te Menschen unter körperlichen Behinde-


rungen (61 %). Bei 25 % der Personen wa- Zerebrale Störungen 8,9

ren die inneren Organe beziehungsweise


Blindheit und Sehbehinderung 4,7
Organsysteme betroffen. Bei 13 % waren
Arme und/oder Beine in ihrer Funktion Sprach- und Sprechstörungen, Taubheit,
3,9
eingeschränkt, bei weiteren 12 % Wirbel- Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen

säule und Rumpf. In 5 % der Fälle lag Verlust einer Brust oder beider Brüste,
2,4
Entstellungen und anderes
Blindheit beziehungsweise eine Sehbe-
hinderung vor. Rund 4 % litten unter Verlust oder Teilverlust
0,8
von Gliedmaßen
Schwerhörigkeit, Gleichgewichts- oder
Sprachstörungen. Auf geistige oder seeli- Querschnittlähmung 0,2
sche Behinderungen entfielen zusammen
Sonstige und ungenügend
12 % der Fälle, auf zerebrale Störungen bezeichnete Behinderungen
17,8

9 %. Bei den übrigen Personen (18 %) war


die Art der schwersten Behinderung
nicht ausgewiesen. u Abb 5

295
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.1 / Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 6 Pflegequoten von Seniorinnen und Senioren 2015 — Anteil an der 8.1.3 Pflege
Bevölkerung des jeweiligen Alters in Prozent
Pflegebedürftigkeit
70
Die fachgerechte und wertschätzende
Versorgung von pflegebedürftigen Men-
60
schen war ein großes Thema bei der Bun-
destagswahl 2017. Pflegebedürftig im Sin-
ne des Pflegeversicherungsgesetzes (Sozi-
50
algesetzbuch SGB XI) sind Menschen, die
im täglichen Leben auf Dauer – wegen ei-
40
ner Krankheit oder Behinderung – in er-
heblichem oder höherem Maße der Hilfe
30
bedürfen. Die Entscheidung über das
Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit wird
20
von den Pflegekassen beziehungsweise ei-
nem privaten Versicherungsunterneh-
10
men getroffen.
Im Dezember 2015 waren knapp
0 2,9 Millionen Menschen in Deutschland
60 – 64 65 – 69 70 –74 75 –79 80 –84 85 – 89 90 und älter
pflegebedürftig. Vier von fünf Pflegebe-
Männer Frauen im Alter von … bis … Jahren dürftigen waren 65 Jahre und älter. Gut
ein Drittel war sogar älter als 85 Jahre.
Die Pflegequote beschreibt den Anteil der Pflegebedürftigen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe.
Ergebnisse zum 31.12.2015 auf Grundlage des Zensus 2011. Knapp zwei Drittel der Pflegebedürftigen
waren Frauen.
Im Vergleich zu 2005 ist eine Zunah-
me der Zahl der Pflegebedürftigen zu be-
u Abb 7 Pflegebedürftige nach Versorgungsart 2015
obachten: Im Jahr 2005 betrug sie 2,1 Mil-
lionen und stieg auf knapp 2,9 Millionen
im Jahr 2015 an. Ein wichtiger Faktor für
den Anstieg ist die zunehmende Alterung
der Bevölkerung. Im Jahr 2005 waren
3,7 Millionen Menschen 80 Jahre und äl-
ter; 2015 waren es bereits 4,7 Millionen.
Mit zunehmendem Alter sind Men-
schen in der Regel eher pflegebedürftig.
Während bei den 70- bis 74-Jährigen je-
der Zwanzigste (5 %) aller Menschen in
Deutschland dieser Altersgruppe pflege-
bedürftig war, wurde für die ab 90-Jähri-
gen die höchste Pf legequote ermittelt:
Der Anteil der Pflegebedürftigen an allen
Menschen dieser Altersgruppe betrug
66 %. Auffallend ist, dass Frauen etwa ab
dem 80. Lebensjahr eine deutlich höhere
Pflegequote aufwiesen – also eher pflege-
bedürftig waren als Männer dieser Alters-
gruppen. So beträgt zum Beispiel bei den
85- bis 89-jährigen Frauen die Pflegequo-
te 44 %, bei den Männern gleichen Alters
1 Entspricht den Empfängerinnen und Empfängern von ausschließlich Pflegegeld. Empfänger/-innen von Kombinations- hingegen lediglich 31 %. u Abb 6
leistungen sind dagegen in den ambulanten Pflegediensten enthalten. Teilweise mit privat finanzierter Unterstützung.
2 Einschließlich teilstationärer Pflegeheime. Neben Unterschieden in der gesund-
heitlichen Entwicklung bei Frauen und

296
Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 8.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

Männern kann ein Faktor für den unter- weise teilstationäre Pflegeheime. Gut die ­g leichen Zeitraum um 9,5 %. Die Gründe
schiedlichen Verlauf der Pf legequoten Hälfte der Heime befand sich in freigemein- hierfür sind vielfältig und reichen bei-
auch das Antragsverhalten bei Frauen nütziger Trägerschaft. Im Durchschnitt spielsweise von der bei Frauen höheren
und Männern sein: Ältere Frauen leben wurden in einem Pflegeheim 63 Pflegebe- Lebenserwartung über das höhere Ri­
häufiger allein als Männer. Bei Pflegebe- dürftige betreut. Die meisten Heime boten sikoverhalten der Männer bis hin zu
darf kann somit schneller die Notwen- vollstationäre Dauerpflege an. ­e inem unterschiedlichen Gesundheits­
digkeit bestehen, einen Antrag auf Leis- bewusstsein.
tungen zu stellen, während die pflegebe- Personal in Pflegeeinrichtungen Auch bei den Altersgruppen gab es in
dürftigen Männer zunächst häufiger In den Heimen waren zum Jahresende den letzten zehn Jahren große Verschie-
beispielsweise von ihren Frauen versorgt 2015 insgesamt 730 100 Menschen beschäf- bungen: Der Anteil der Verstorbenen,
werden. Insofern könnte zunächst auf tigt. Teilzeitkräfte machten dabei knapp die 90 Jahre und älter waren, stieg seit
eine Antragstellung verzichtet werden. In zwei Drittel aus; die Mehrzahl ­a ller Be- 1995 um 8,3 % an und lag im Jahr 2015
diesem Fall werden sie auch nicht in der schäftigten (84 %) waren Frauen. bei 18 %.
Pflegestatistik erfasst. Rund 40 % der Beschäftigten waren
Knapp drei Viertel der Pflegebedürfti- 50 Jahre und älter. Die meisten Beschäf- Häufigste Todesursachen
gen in Deutschland wurden im Dezem- tigten hatten ihren Arbeitsschwerpunkt Die häufigste Todesursache (Einzeldia­
ber 2015 zu Hause versorgt. Fast die Hälf- im Bereich Pflege und Betreuung. Alten- gnose) war bei Männern wie Frauen
te erhielt ausschließlich Pflegegeld, das pfleger /-pflegerin oder Gesundheits- und gleich: Es handelte sich um die chroni-
bedeutet, sie wurden in der Regel zu Hau- Krankenpfleger/-pflegerin waren dabei sche ischämische Herzkrankheit. Sie war
se allein durch Angehörige gepflegt. In- die wichtigsten Ausbildungsabschlüsse. die meistbenannte Todesursache 2015.
wieweit sich die Angehörigen durch pri- Von den im Bereich Pflege und Betreuung An ihr verstarben 76 000 Personen, da-
vat bezahlte Haushaltshilfen, beispiels- Tätigen hatte zusammen fast jede/jeder von waren 38 800 männlich und 37 200
weise aus Osteuropa, unterstützen lassen, Zweite entweder einen Abschluss als Al- weiblich.
ist nicht bekannt. Bei einem weiteren tenpfleger /-pflegerin, Gesundheits- und Fünf der zehn häufigsten Todesur­
Viertel der Pflegebedürftigen in Privat- Krankenpfleger /-pflegerin oder Gesund- sachen waren dem Bereich der Herz-
haushalten erfolgte die Pflege zusammen heits- und Kinderkrankenpfleger /-pflege- Kreislauf-Erkrankungen zuzuordnen. Es
mit oder vollständig durch ambulante rin. In den im Dezember 2015 insgesamt handelte sich dabei um die chronische
Pflegedienste. Vollstationär in Pflegehei- 13 300 zuge­lassenen ambulanten Pflege- ­ischämische Herzkrankheit, den akuten
men betreut wurden rund 783 400 Be- diensten arbeiteten 355 600 Menschen. Myokardinfarkt, die Herzinsuffizienz,
wohnerinnen und Bewohner. u Abb 7 Etwa zwei Drittel davon waren Teilzeit die hypertensive Herzkrankheit sowie
Pflegebedürftigkeit kommt ebenfalls beschäftigt; der Frauenanteil lag bei 87 % Vorhofflattern und Vorhofflimmern. Al-
in der Altersgruppe der unter 15-Jähri- aller Beschäftigten. Im Alter von 50 Jah- lein an diesen fünf Erkrankungen star-
gen vor. Hier waren im Dezember 2015 ren und mehr waren 38 % der Beschäftig- ben 2015 insgesamt 98 100 Männer und
rund 80 500 Menschen pflegebedürftig, ten. Der Haupteinsatzbereich des Perso- 119 200 Frauen. Weitere wichtige Todes-
davon 62 % Jungen und 38 % Mädchen. nals war die Grundpflege. Hier hatten ursachen waren die Krebsleiden (bösarti-
Gemessen an der Gesamtzahl der Be­ zwei Drittel der Beschäftigten ihren Ar- ge Neubildungen). Bei den Männern wa-
völkerung Deutschlands in dieser Alters- beitsschwerpunkt. ren die bösartigen Neubildungen der
gruppe betrug die Pflegequote 0,7 %. Sie Bronchien und Lunge, der Prostata, des
ist erwartungsgemäß deutlich niedriger 8.1.4 Todesursachen Dickdarms und des Pankreas die Ursache
als bei den Älteren. Die Versorgung Pfle- für 60 300 Sterbefälle. Bei den Frauen wa-
gebedürftiger unter 15 Jahren fand 2015 Allgemeine Sterblichkeit ren es die bösartigen Neubildungen der
fast ausschließlich zu Hause statt, ledig- Im Jahr 2015 verstarben in Deutschland Brustdrüse (Brustkrebs) sowie der Bron-
lich 200 Kinder erhielten vollstationäre insgesamt 925 200 Menschen, davon 49 % chien und Lunge; insgesamt 34 000 Frauen
Pflege in zugelassenen Pflegeheimen. In Männer und 51 % Frauen. Die Zahl der verstarben daran.
3 800 Fällen erfolgte die Pflege zu Hause Sterbefälle insgesamt ist im Vergleich zu
teilweise oder vollständig durch ambu- 2005 um 11,4 % gestiegen. Bei einem Ver- Todesursachen im Zeitvergleich
lante Pf legedienste. Mit einem Anteil gleich der Männer und Frauen zeigt sich, Die Bedeutung bestimmter Krankheits-
von gut 95 % leisteten Angehörige haupt- dass die Geschlechter unterschiedlich gruppen am Sterbegeschehen ist im Zeit-
sächlich die pflegerische Versorgung der stark betroffen sind: Während die Zahl raum 2005 bis 2015 gesunken. Allein der
Kinder. der verstorbenen Frauen im Jahr 2015 Anteil der Krankheiten des Kreislauf­
Bundesweit gab es im Dezember 2015 nur um 0,4 % höher als 1995 lag, stieg systems ist um 5,7 Prozentpunkte zu-
rund 13 600 zugelassene voll- beziehungs- die Anzahl der verstorbenen Männer im rückgegangen. Starben im Jahr 2005

297
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.1 / Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 8 Krankheitsbedingte Todesursachen — in Prozent die Zahl der Todesfälle bezogen auf
1 000 Lebendgeborene dargestellt.
Im Vergleich zu 2005 (3,9 Sterbefälle
Krankheiten des 38,5 je 1 000 Lebendgeborene) ging die Säug-
Kreislaufsystems 44,2
lingssterblichkeit auf 3,3 Sterbefälle je
25,3
1 000 Lebendgeborene im Jahr 2015 zu-
Neubildungen
26,1 rück. Dabei haben Jungen mit 3,4 Sterbe-
fällen schlechtere Überlebenschancen als
Krankheiten des 7,4 Mädchen mit 3,1 Sterbefällen. Im Jahr
Atmungssystems 7,0
2015 starben insgesamt 2 405 Säuglinge
4,3
im ersten Lebensjahr, davon waren 1 297
Krankheiten des
Verdauungssystems 5,2 Jungen und 1 108 Mädchen. Zwischen
den Jahren 2005 und 2015 ist die absolute
Psychische und 4,8 Zahl der Säuglingssterbefälle um 291 zu-
Verhaltensstörungen 1,4
rückgegangen, was einer Minderung von
11 % entspricht. u Abb 9
Verletzungen und 3,9
Vergiftungen 4,0 Auch von Bundesland zu Bundesland
variierte die Säuglingssterblichkeit: von
2015 2005 2,4 gestorbenen Säuglingen je 1 000 Le-
bendgeborenen in Sachsen bis zu
Definition nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheits-
probleme ICD-10. 4,4 Säuglingen in Bremen. Grundsätzlich
konnte sie in jedem Land seit 2005 ge-
senkt werden. Die größten Rückgänge
u Abb 9 Säuglingssterbefälle je 1 000 Lebendgeborene hatten Brandenburg mit 37 % und Thü-
ringen mit fast 32 %.

6 8.1.5 Stationäre Versorgung


Drei große Akteure prägen die medizini-
sche Versorgung in Deutschland: die Er-
5 bringer ambulanter Leistungen (bei-
spielsweise in Praxen niedergelassener
Ärztinnen und Ärzte sowie in Apothe-
4 ken), die Erbringer stationärer Leistun-
gen (in Krankenhäusern, Vorsorge- oder
Rehabilitationseinrichtungen und Pflege-
3 heimen) sowie die Leistungserbringer
vorgelagerter Marktstufen (Hersteller
von medizinisch-technischen Geräten
0 und von Arzneimitteln). Letztere kom-
1995 2000 2005 2010 2015 men dabei in der Regel nicht direkt mit
den Nachfragern gesundheitlicher Güter
und Leistungen in Kontakt.
Der folgende Abschnitt beschreibt
das Leistungsangebot der Krankenhäuser
noch 44 % aller Verstorbenen an einer Säuglingssterblichkeit und Vorsorge- oder Rehabilitationsein-
solchen Erkrankung, betrug der Anteil Die Säuglingssterblichkeit bezeichnet die richtungen im Bereich der stationären
im Jahr 2015 nur noch 39 %. Im gleichen Rate der im ersten Lebensjahr gestor­ Gesundheitsversorgung (Betten und per-
Zeitraum ist der Anteil der psychischen benen Kinder. Sie ist ein wichtiges Maß sonelle Ausstattung) sowie deren Inan-
Erkrankungen an allen Todesursachen für den allgemeinen Lebensstandard und spruchnahme.
von 1,4 % im Jahr 2005 auf 4,8 % ange- die Qualität der medizinischen Versor- Krankenhäuser und Vorsorge- oder
stiegen. Insbesondere die Demenz trug gung eines Landes. Sie wird im folgen- Rehabilitationseinrichtungen sind Ge-
zu diesem Zuwachs bei. u Abb 8 den Abschnitt als absolute Zahl und über genstand der jährlichen Krankenhaus­

298
Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 8.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 2 Krankenhäuser, Betten und Patientenbewegungen u Info 2


Personalbelastungszahl – Vollkräfte
Veränderung
2006 2016 Ein Vergleich der Personalausstattung von
gegenüber 2006 in %
Krankenhäusern und Vorsorge- oder Rehabi-
Krankenhäuser Anzahl 2 104 1 951 – 7,3 litationseinrichtungen in Deutschland basiert
Betten Anzahl 510 767 498 718 – 2,4
auf der Personalbelastungszahl bezogen
auf belegte Betten. Diese Kennziffer gibt an,
 je 100 000 Einwohner ¹           620 606 – 2,3 wie viele belegte Betten eine Vollkraft durch-
Fälle in 1 000 16 833 19 533 + 16,0 schnittlich je Arbeitstag zu versorgen hat.
Durch Einbeziehung der Jahresarbeitszeit
Pflegetage in 1 000 142 251 142 170 – 0,1
­e iner Vollkraft wird dem Umstand Rechnung
Durchschnittliche getragen, dass ein belegtes Bett 24 Stunden
Tage 8,5 7,3 – 13,9
Verweildauer Betreuung je Tag erfordert, eine Vollkraft
Durchschnittliche ­jedoch an durchschnittlich 220 Arbeitstagen
in % 76,3 77,9 + 2,1 im Jahr (nur) acht Stunden täglich zur Ver­
Bettenauslastung
fügung steht. Die Personalbelastungszahl
1 Mit der Durchschnittsbevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 berechnet. ­e rgibt sich entsprechend als Quotient aus
der Anzahl der Stunden, in denen die Betten
in einem Jahr belegt waren (= Belegungs-
stunden der Betten im Jahr) und der Anzahl
u Tab 3 Personal in Krankenhäusern
der Stunden, in denen Vollkräfte für die Be-
treuung der Betten in einem Jahr zur Verfü-
Veränderung
2006 2016 gung standen (= Jahresarbeitsstunden der
gegenüber 2006 in %
Vollkräfte).
Vollkräfte im Jahresdurchschnitt

Ärztlicher Dienst 123 715 158 148 + 27,8


Nichtärztlicher Dienst ¹ 668 200 722 371 + 8,1
 Pflegedienst 299 328 325 119 + 8,6

Personalbelastungszahl je Vollkraft nach Betten ²

Ärztlicher Dienst 15,7 12,3 – 21,8 schäftigten auf die volle tarifliche Ar-
Nichtärztlicher Dienst ¹ 2,9 2,7 – 7,6 beitszeit, das heißt in Vollkräfte, umge-
 Pflegedienst 6,5 6,0 – 8,0 rechnet. u Info 2
Die Personalbelastungszahl wird je-
1 Ohne Personal der Ausbildungsstätten und ohne Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende.
2 Anzahl der durchschnittlich je Vollkraft pro Arbeitstag zu versorgenden belegten Betten. weils für das ärztliche und das nichtärzt-
liche Personal der Krankenhäuser ermit-
telt sowie innerhalb des nichtärztlichen
Personals gesondert für den Pflegedienst.
statistik. Sie erfasst in erster Linie Anga- niedriger, die Anzahl der Krankenhaus- Dem Pflegedienst kommt im Bereich der
ben über die sachliche und personelle betten war um 2,4 % geringer. u Tab 2 Krankenhäuser eine besondere Bedeu-
Ausstattung der Häuser (Anzahl der Je 100 000 Einwohner standen 606 tung zu, da hier 45 % der Vollkräfte im
Häuser, aufgestellte Betten sowie ärztli- Krankenhausbetten zur Verfügung. Das nichtärztlichen Dienst arbeiten.
ches und nichtärztliches Personal). Darü- waren 14 Betten je 100 000 Einwohner In allen genannten Beschäftigten-
ber hinaus ermöglichen patientenbezo­ weniger als im Jahr 2006. Ein Kranken- gruppen ist die Personalbelastung nach
gene Daten (Fallzahl und Berechnungs-/ haus in Deutschland verfügte im Jahr Anzahl der je Arbeitstag zu versorgenden
Belegungstage beziehungsweise Pflege­ 2016 über durchschnittlich 256 Betten belegten Betten zurückgegangen. Dies
tage) Aussagen über leistungsbezogene (2006: 243 Betten). folgt teilweise aus der rückläufigen Ver-
Kennziffern der Einrichtungen (Nutzungs- Informationen zum Personal in weildauer (– 14 %) gegenüber 2006. Zu-
grad der Betten und durchschnittliche Krankenhäusern werden zum einen als gleich nahm die Zahl der Vollkräfte zu:
Verweildauer). Beschäftigtenzahl (sogenannte Kopfzahl) im Pflegedienst um 8,6 % und im nicht-
zum 31. Dezember eines Jahres, zum ärztlichen Dienst insgesamt um 8,1 %.
Ausstattung der Krankenhäuser ­a nderen in Form von Vollzeitäquivalen- Folglich sank die Personalbelastung der
Im Jahr 2016 standen in insgesamt 1 951 ten erhoben. Die Beschäftigtenzahl be- Pflegevollkräfte 2016 gegenüber 2006 um
Krankenhäusern rund 498 700 Betten für rücksichtigt im Unterschied zum Voll- 0,5 Betten (– 8,0 %), die Belastung der
die stationäre Versorgung der Bevölke- zeitäquivalent keine unterschiedlichen Vollkräfte im nichtärztlichen Dienst ins-
rung zur Verfügung. Gegenüber 2006 Beschäftigungsmodelle wie Teilzeit- oder gesamt um 0,2 Betten (– 7,6 %). u Tab 3
war die Zahl der Krankenhäuser infolge geringfügige Beschäftigung. Um dem Im ärztlichen Dienst ist die Personal-
von Schließungen und Fusionen um 7,3 % Rechnung zu tragen, werden die Be- belastung sogar um 3,4 belegte Betten

299
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.1 / Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

(– 22 %) zurückgegangen. Dies ist auf die


parallel zur sinkenden Verweildauer ver-
Rauchen
laufende Zunahme der Vollkräfte im ärzt-
Im Jahr 2017 bekannten sich 22 % der letzung am Befragungstag oder in den
lichen Dienst um 28 % zurückzuführen.
Bevölkerung im Alter von 15 und mehr vier Wochen davor, das Rauchverhalten
Im Durchschnitt hatte eine Vollkraft
Jahren, die im Mikrozensus Auskunft sowie Körpergröße und -gewicht. Aus-
im ärztlichen Dienst 2016 täglich 12,3 be-
zu dieser Frage gaben, zum Rauchen. führliche Ergebnisse lagen bei Redakti-
legte Betten zu betreuen. Im Jahr 2006
Das waren weniger als bei der letzten onsschluss noch nicht vor und sind
waren es noch 15,7 Betten gewesen. Eine
Befragung 2013. Über das Rauchverhal- unter www.destatis.de zu finden. Die
Vollkraft im nichtärztlichen Dienst hatte
ten in Europa informiert Kapitel 11.1, Daten von 2013 enthält das Kapitel 10.1
2016 im Bundesdurchschnitt täglich
Seite 431. des Datenreports 2016.
2,7 Betten (2006: 2,9 Betten) zu versorgen.
Die Frage nach den Rauchgewohn- Daten zur Krankenversicherung
Im Pflegedienst war eine Vollkraft im
heiten ist eine der gesundheitsbezoge- werden auch alle vier Jahre erfragt, zu-
Jahr 2016 im Durchschnitt je Arbeitstag
nen Fragen im Mikrozensus, die den letzt im Jahr 2015. Diese Ergebnisse
für 6,0 belegte Betten zuständig (2006:
Haushalten im vierjährlichen Abstand sind ebenfalls unter www.destatis.de
6,5 Betten).
gestellt werden, zuletzt 2017. Sie bezie- zu finden beziehungsweise die Anga-
hen sich auf Krankheit und Unfallver- ben von 2011 im Datenreport 2016.
Leistungen und Auslastung
der Krankenhäuser
Rund 19,5 Millionen Patientinnen und
Patienten wurden 2016 vollstationär im
Krankenhaus behandelt. Die Zahl der
­B erechnungs-/Belegungstage lag bei Die steigende Zahl der Patientinnen Je 100 000 Einwohner standen hier
142,2 Millionen. Gegenüber 2006 ist die und Patienten ist ein Indiz für den zu- 201 Betten zur Verfügung. Im Jahr 2006
Fallzahl um 16 % gestiegen – zugleich ist nehmenden Anteil älterer Menschen an waren es noch 210 Betten je 100 000 Ein-
die Zahl der Berechnungs-/Belegungs­ der Bevölkerung mit entsprechend er- wohner. Im Durchschnitt verfügte eine
tage um 0,1 % zurückgegangen. höhter Krankheitsanfälligkeit. Die kür- solche Einrichtung 2016 über 144 Betten
Aus der Division von Berechnungs- zere durchschnittliche Verweildauer be- (2006: 138 Betten).
und Belegungstagen durch die Zahl der ruht einerseits auf dem medizinischen Die Belastung sowohl des ärztlichen
Patientinnen und Patienten (Fälle) wird Fortschritt und andererseits auf den als auch des nichtärztlichen Personals be-
die durchschnittliche Verweildauer be- Maßnahmen zur Kostendämpfung im zogen auf die Anzahl der täglich zu ver-
rechnet, die im Jahr 2016 bei 7,3 Tagen lag. Gesundheitsbereich. sorgenden belegten Betten ist in Vorsor-
Die Liegezeiten im Krankenhaus haben Im Jahr 2016 waren die Krankenhaus- ge- oder Rehabilitationseinrichtungen
sich weiter verkürzt: Ein Aufenthalt dau- betten zu 77,9 % ausgelastet. Dieser Wert deutlich höher als im Krankenhausbe-
erte im Jahr 2006 noch durchschnittlich verdeutlicht das Verhältnis aus tatsäch­ reich. Das heißt, in gleicher Zeit versorgt
8,5 Tage. Die Verweildauer im Kranken- licher Bettenbelegung und maximaler die in einer Rehabilitationseinrichtung
haus wird wesentlich von der Diagnose der Bettenbelegung. In allen psychiatrischen tätige Vollkraft mehr Patienten als die
Patientinnen und Patienten und damit der Fachabteilungen lag die Bettenauslastung vergleichbare, in einem Krankenhaus
Fachabteilung, in der sich diese aufhalten, über 90 % (maximal 94 % in der »Psychia- ­t ätige Vollkraft, weil der Pflege- und Be-
beeinflusst. Während ein Aufenthalt in trie und Psychotherapie«). Im Bereich der treuungsaufwand bei Rehabilitationspati-
der Fachabteilung »Augenheilkunde« im allgemeinen Fachabteilungen hatte die enten geringer ist.
Durchschnitt 2,9 Tage dauerte, mussten »Geriatrie« mit rund 90 % die höchste, Im Vergleich zu 2006 ist die Zahl der
Patientinnen und Patienten in der Fachab- die »Nuklearmedizin« mit 48 % die ge- Pflegetage (entspricht der Anzahl der be-
teilung »Herzchirurgie« mit 11,1 Tagen an- ringste Bettenauslastung. legten Betten) 2016 um 6,8 % gestiegen
nähernd viermal so lange im Kranken- (siehe Tab 4). Demgegenüber ist die An-
haus bleiben. Die längste durchschnittliche Ausstattung von Vorsorge- oder zahl der Vollkräfte im nichtärztlichen
Verweildauer in einer allgemeinen Fachab- Rehabilitationseinrichtungen Dienst nur um 0,6 %, die der Pflegekräfte
teilung ­betrug 15,4 Tage in der »Geriatrie«. Im Jahr 2016 gab es in Deutschland 1 149 nur um 2,9 % gestiegen. Deshalb entfielen
Der Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtungen für Vorsorge- oder Reha- auf eine einzelne Vollkraft im nichtärzt­
Fachabteilung dauerte zwischen 23,4 Ta- bilitationsmaßnahmen mit 165 200 Bet- lichen Dienst durchschnittlich 8,3 täglich
gen in der »Psychiatrie und Psychothera- ten. Im Vergleich zu 2006 ist die Anzahl zu versorgende belegte Betten; im Jahr
pie« und 42,7 Tagen in der »Psychothera- der Einrichtungen um 8,4 % und die An- 2006 waren es 7,8 Betten. Eine Pflegevoll-
peutischen Medizin/Psychosomatik«. zahl der Betten um 4,3 % niedriger. u Tab 4 kraft kümmerte sich täglich im Durch-

300
Gesundheits­zustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 8.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 4 Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Betten und Patientenbewegungen

Veränderung
2006 2016
gegenüber 2006 in %

Einrichtungen Anzahl 1 255 1 149 – 8,4


Betten Anzahl 172 717 165 223 – 4,3
 je 100 000 Einwohner ¹          210 201 – 4,3
Fälle in 1 000 1 837 1 984 + 8,0
Pflegetage in 1 000 47 011 50 211 + 6,8
Durchschnittliche
Tage 25,6 25,3 – 1,1
Verweildauer
Durchschnittliche
in % 74,6 83,0 + 11,3
Bettenauslastung

1 Mit der Durchschnittsbevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 berechnet.

u Tab 5 Personal in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen

Veränderung
2006 2016
gegenüber 2006 in %

Vollkräfte im Jahresdurchschnitt
Ärztlicher Dienst 8 117 8 666 + 6,8
Nichtärztlicher Dienst ¹ 82 372 82 828 + 0,6
 Pflegedienst 20 724 21 329 + 2,9
Personalbelastungszahl je Vollkraft nach Betten ²
Ärztlicher Dienst 79,0 79,0 + 0,0
Nichtärztlicher Dienst ¹ 7,8 8,3 + 6,2
 Pflegedienst 30,9 32,1 + 3,8

1 Ohne Personal der Ausbildungsstätten und ohne Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende.
2 Anzahl der durchschnittlich je Vollkraft pro Arbeitstag zu versorgenden belegten Betten.

schnitt um 32,1 Betten (2006: 30,9 Bet- gen. Im Jahr 2006 lag diese noch bei
ten). Die Zahl der Vollkräfte im ärztli- 25,6 Tagen. In der Fachabteilung »Allge-
chen Dienst ist wie die Zahl der Pflegetage meinmedizin« dauerte der Aufenthalt in
um 6,8 % gestiegen; deshalb hatte eine einer Vorsorge- oder Rehabilitationsein-
ärztliche Vollkraft 2016 wie im Vergleichs- richtung 19,8 Tage. Mehr als dreieinhalb
jahr 2006 im Durchschnitt täglich 79,0 Mal so lange (durchschnittlich 70,5 Tage)
belegte Betten zu betreuen. u Tab 5 hielten sich Patientinnen und Patienten in
der Fachabteilung »Psychiatrie und Psy-
Leistungen und Auslastung von chotherapie« auf.
Vorsorge- oder Rehabilitations­- Die Betten waren 2016 zu 83 % ausge-
einrichtungen lastet (2006: knapp 75 %). Die höchste
Die Zahl der Patientinnen und Patienten Bettenauslastung verzeichneten die Fach­
in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrich- abteilungen »Psychiatrie und Psychothe-
tungen lag 2016 bei knapp 2 Millionen rapie« sowie »Neurologie« mit jeweils
und damit um 8,0 % höher als 2006. Ins- 88 %; am geringsten waren die Betten in
gesamt verbrachten die Patientinnen und der Fachabteilung »Kinderheilkunde« mit
Patienten über 50 Millionen Pflegetage in 62 % ausgelastet.
den Einrichtungen, gut 3 Millionen Pfle-
getage mehr als 2006.
Daraus ergibt sich eine rechnerische
Verweildauer von durchschnittlich 25,3 Ta-

301
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.2 / Gesundheitliche Ungleichheit

8.2 Der Begriff »gesundheitliche Ungleich-


heit« beschreibt soziale Unterschiede im
gruppe um den Faktor 3,5 erhöht war.
Bei Frauen betrug das entsprechende Ver-
Gesundheitliche Gesundheitszustand, im Gesundheitsver- hältnis 3,3 zu 1. u Abb 1
Ungleichheit halten und in der Gesundheitsversorgung
der Bevölkerung. Mit der Sozialepidemio-
Bezüglich der Verbreitung chronischer
Krankheiten und Beschwerden lässt sich
logie hat sich in den letzten Jahren eine für die Altersgruppe ab 45 Jahren fest-
Thomas Lampert, eigenständige Forschungsdisziplin etab- stellen, dass viele Erkrankungen in der
Benjamin Kuntz, Jens Hoebel, liert, die den Schwerpunkt auf die Analy- Armutsrisikogruppe vermehrt auftreten,
­Stephan Müters, Lars Eric Kroll se der gesundheitlichen Ungleichheit legt. zum Beispiel Herzinfarkt, Schlaganfall,
Robert Koch-Institut Auch die Gesundheitsberichterstattung Angina pectoris, Hypertonie, Diabetes,
präsentiert mittlerweile regelmäßig Daten chronische Bronchitis, chronische Leber­
und Fakten zur gesundheitlichen Ungleich- erkrankung, Osteoporose, Arthrose und
WZB / SOEP
heit. Im Folgenden wird auf verschiedene Depression. Bei Männern besteht außer-
Datenquellen zurückgegriffen, zum Bei- dem ein Zusammenhang zwischen Ar-
spiel auf das Sozio-oekonomische Panel mutsrisiko und Herzinsuffizienz, Arthritis
(SOEP), den Mikrozensus und das Ge- sowie chronischer Niereninsuffizienz.
sundheitsmonitoring des R ­ obert Koch- Bei Frauen treten neben den zuvor ge-
Instituts, um das Ausmaß und die Ent- nannten Erkrankungen und Beschwer-
wicklung der gesundheitlichen Ungleich- den auch Asthma bronchiale und er­
heit in Deutschland zu beschreiben. höhte Blut­fettwerte in der Armutsrisiko-
gruppe häufiger auf.
8.2.1 Einkommen und Gesundheit Viele chronische Krankheiten und
Das Einkommen vermittelt den Zugang Beschwerden können auf Risikofaktoren
zu den meisten Bedarfs- und Gebrauchs- zurückgeführt werden, die mit dem Ge-
gütern und ist eine wichtige Grundlage sundheitsverhalten in Zusammenhang
der Vermögensbildung, der Vorsorge und stehen. Neben dem Tabak- und Alkohol-
der sozialen Absicherung. Neben den konsum sowie körperlicher Inaktivität
materiellen Aspekten ist das Einkommen und Fehlernährung gilt dies auch für
für die soziale Integration und soziokul- Übergewicht, insbesondere für Adiposi-
turelle Teilhabe sowie für das psychosozi- tas als starker Ausprägungsform. Wie die
ale Wohlbefinden und die gesundheits­ Daten der Studie zur Gesundheit Er-
bezogene Lebensqualität bedeutsam. wachsener in Deutschland (DEGS) deut-
So lässt sich zeigen, dass Personen, die lich machen, waren Männer und Frauen,
­einem Armutsrisiko ausgesetzt sind (sie- die einem Armutsrisiko ausgesetzt sind,
he dazu die entsprechenden Abschnitte in fast allen Altersgruppen deutlich häu-
in Kapitel 6.3 und 6.4.2), ihren allgemei- figer adipös als Männer und Frauen aus
nen Gesundheitszustand häufiger als we- den höheren Einkommensgruppen. Bei
niger gut oder schlecht bewerten. Aller- statistischer Kontrolle des Alterseffektes
dings bestehen in dieser Hinsicht auch hatten Männer aus der niedrigen im Ver-
Unterschiede zwischen den Angehörigen gleich zu Männern aus der hohen Ein-
der mittleren und höheren Einkommens- kommensgruppe ein um den Faktor 2 er-
gruppe. Diese Einkommensabhängigkeit höhtes Risiko, adipös zu sein. Bei Frauen
zeichnete sich bei Männern und Frauen aus der niedrigen Einkommensgruppe
im Jahr 2016 spätestens ab einem Lebens- war das Risiko sogar um den Faktor 3,1
alter von 30 Jahren deutlich ab. Bei statis- erhöht. u Info 1, Abb 2
tischer Kontrolle des Alterseffektes zeigt Aufschluss über Einkommensunter-
sich, dass bei Männern aus der armutsge- schiede in der Mortalität und Lebenser-
fährdeten Gruppe das Risiko eines weni- wartung geben Daten des SOEP. Dem-
ger guten oder schlechten allgemeinen nach hatten Männer und Frauen, deren
Gesundheitszustandes im Verhältnis zu Einkommen unterhalb der Armutsrisi-
Männern aus der hohen Einkommens- kogrenze lag, im Verhältnis zur hohen

302
Gesundheitliche Ungleichheit / 8.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Abb 1 Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes u Info 1


(»weniger gut« oder »schlecht«) nach drei Einkommensgruppen 2016 — in Prozent Übergewicht
Als Übergewicht wird eine Erhöhung des
Männer Frauen Körpergewichts durch eine über das Normal-
maß hinausgehende Vermehrung des
46,6
45,0 ­Körperfettanteils bezeichnet, die mit einer
40,4
Gesundheitsgefährdung verbunden ist und
Folgeerkrankungen nach sich ziehen kann.
34,0 Ist das Übergewicht besonders stark aus­
30,2 geprägt, wird dies als Adipositas bezeichnet.
28,0 26,9 Übergewicht und Adipositas werden in epi-
25,5 demiologischen Studien in der Regel anhand
22,6 22,9
20,1 des sogenannten Body-Mass-Index (BMI)
bestimmt. Dazu wird das Körpergewicht
14,8 14,8 ­(gemessen in Kilogramm) durch das Quadrat
12,5 12,4 12,0
10,3 der Körpergröße (gemessen in Metern)
9,8 9,3
7,3 6,6 ­d ividiert. Nach Klassifikation der Weltge-
4,5 6,8
4,5 sundheitsorganisation (WHO) wird Über­
gewicht bei Erwachsenen durch einen BMI
von 25 und höher definiert. Von Adipositas
18–29 30–44 45–64 ab 65 18–29 30–44 45–64 ab 65
wird bei Erwachsenen ab einem BMI von
Jahre Jahre Jahre Jahren Jahre Jahre Jahre Jahren
30 gesprochen.
< 60 % 60 bis <150% ≥150% ... des mittleren Einkommens
Datenbasis: SOEP 2016.

u Abb 2 Adipositas (BMI ≥ 30) nach Einkommen 2008 – 2011 — in Prozent

Männer Frauen

45,7
40,9 41,0
37,7
34,1 33,4
Einkommensgruppe ein 2,7- beziehungs-
31,8
weise 2,4-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko.
28,2 27,9
24,9 Die mittlere Lebenserwartung von Män-
22,9 22,8 22,1 nern der niedrigen Einkommensgruppe
18,1 18,3 17,6
14,8
lag bei Geburt fast 11 Jahre unter der von
13,6
10,7 Männern der hohen Einkommensgruppe.
7,8 7,5 8,8 7,4 Bei ­Frauen betrug die Differenz rund
2,4 8 Jahre. A­ uffallend ist dabei, dass sich
auch zwischen den mittleren Einkom-
18–29 30–44 45–64 65–79 18–29 30–44 45–64 65–79
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre mensgruppen Unterschiede zeigen, so-
dass von einer graduellen Abstufung der
< 60 % 60 bis <150% ≥150% ... des mittleren Einkommens
Lebenserwartung ausgegangen werden
Datenbasis: DEGS 2008–2011.
kann. u Tab 1
Auch in der ferneren Lebenserwartung
ab einem Alter von 65 Jahren zeichnen
u Tab 1 Lebenserwartung bei Geburt nach Einkommen 1995 − 2005 — Mittelwerte
sich die Unterschiede zwischen den Ein-
Männer Frauen kommensgruppen deutlich ab. Einer Stu-
Einkommen
Lebenserwartung in Jahren die zufolge betrug die Differenz zwischen
< 60 % des mittleren Einkommens 70,1 76,9 der hohen und der niedrigen Einkom-
60 bis < 80 % des mittleren Einkommens 73,4 81,9 mensgruppe bei Männern 5,3 Jahre und
80 bis < 100 % des mittleren Einkommens 75,2 82,0 bei Frauen 3,5 Jahre. Die Differenzen in
100 bis < 150 % des mittleren Einkommens 77,2 84,4 der ferneren Lebenserwartung lassen sich
≥ 150 % des mittleren Einkommens 80,9 85,3 der Studie zufolge zum Teil auf eine er-
Insgesamt 75,3 81,3 höhte psychische und physische Belas-
Datenbasis: SOEP und Periodensterbetafeln 1995–2005. tung im Lebenslauf sowie auf geringere

303
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.2 / Gesundheitliche Ungleichheit

u Abb 3 Zusammenhang zwischen mittlerer Lebenserwartung bei Geburt und Armuts­ u Info 2
risikoquote auf NUTS-2 Ebene (Regierungsbezirke, statistische Regionen) 2014 Bildungsniveau
Zur Ermittlung des Bildungsniveaus wird im
Folgenden auf die CASMIN-Klassifikation
Lebenserwartung in Jahren
(»Comparative Analyses of Social Mobility in
88 Industrial Nations«) zurückgegriffen, die
in den 1970er-Jahren für international ver­
gleichende Analysen zur sozialen Mobilität
86 entwickelt wurde. Im Jahr 2003 wurde eine
überarbeitete Version vorgestellt, die aktuel-
len Entwicklungen der Bildungssysteme,
­insbesondere in Großbritannien, Frankreich
84
und Deutschland, Rechnung trägt. Die
­CASMIN-Klassifikation ist an Bildungszertifi-
katen orientiert, wobei sowohl schulische
82 als auch berufsbildende Abschlüsse berück-
sichtigt werden. Die Bildungsabschlüsse
werden entsprechend ihrer funktionalen
80 Äquivalenz im Ländervergleich neun Kategori-
en zugeordnet, von denen ausgehend
ein niedriges, mittleres und hohes Bildungs-
78 niveau (»primary / low secondary«, »mediate /
high secondary«, »tertiary« education) ­a b-
gegrenzt werden kann.

76

Armuts-
74 risikoquote
8 10 12 14 16 18 20 22 24 in Prozent

Frauen Männer

Datenbasis: INKAR 2018, IT-NRW Ergebnisse des Mikrozensus 2018. Gesundheitliche Probleme und Krank-
heiten, die die Ausübung alltäglicher Ak-
tivitäten dauerhaft einschränken, sind mit
negativen Konsequenzen für die Lebens-
qualität der Betroffenen verbunden, haben
Auswirkungen auf ihr soziales Umfeld
und stellen zudem die sozialen Siche-
materielle, kulturelle und soziale Ressour- 8.2.2 Bildung als Ressource rungssysteme vor große Herausforderun-
cen in der unteren Einkommensgruppe für Gesundheit gen. Nach den Daten der GEDA-Studie
zurückführen. Neben dem Einkommen besitzt auch die 2014/2015 (»Gesundheit in Deutschland
Auf sozialräumlicher Ebene ist der Bildung einen hohen Stellenwert für die aktuell«) gaben Personen mit niedriger
Zusammenhang zwischen Einkommen Gesundheit. Durch den Zusammenhang Bildung in jedem Alter häufiger als Perso-
und Lebenserwartung ebenfalls zu beob- zwischen formalen Bildungsabschlüssen nen mit hoher Bildung an, aufgrund einer
achten. Im Allgemeinen gilt, dass die und der Stellung in der Arbeitswelt erge- chronischen Krankheit in der Alltagsge-
mittlere Lebenserwartung bei Geburt in ben sich Bezüge zu berufsbezogenen Be- staltung erheblich eingeschränkt zu sein.
den Regionen mit den niedrigsten Ar- lastungen und Ressourcen sowie zur Ein- Im Verhältnis zur hohen Bildungsgruppe
mutsrisikoquoten am höchsten ist und kommenssituation. Bildung drückt sich drückte sich dies bei Männern mit nied-
dass dieser Zusammenhang umso stär- außerdem in Wissen und Handlungskom- riger Bildung in einem um das 4,0-fache
ker sichtbar wird, je kleinräumiger die petenzen aus, die eine gesundheitsförder- und bei Frauen in einem um das 3,5-fache
Betrachtung erfolgt. Bei Männern betrug liche Lebensweise und den Umgang mit erhöhten Risiko für funktionelle Ein-
die Differenz in der Lebenserwartung Belastungen und Gesundheitsproblemen schränkungen aus. u Abb 4
auf NUTS-2 Ebene (Regierungsbezirke unterstützen. Eine wichtige Rolle spielen Personen mit niedriger Bildung be-
beziehungsweise statistische Regionen) dabei Einstellungen, Überzeugungen und richten signifikant häufiger, in den letzten
zwischen den Regionen mit den höchs- Werthaltungen, die sich bereits früh im vier Wochen immer oder oft unter starken
ten und niedrigsten Armutsrisikoquoten Leben unter dem Einfluss der elterlichen Schmerzen gelitten zu haben, als Perso-
etwa drei Jahre, bei Frauen etwa ein Erziehung und der Bildungsinstitutionen nen mit mittlerer und hoher Bildung. Der
Jahr. u Abb 3 entwickeln. u Info 2 Zusammenhang zwischen Bildung und

304
Gesundheitliche Ungleichheit / 8.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Abb 4 Erhebliche krankheitsbedingte Einschränkungen in der Schmerzen ist bei Männern und Frauen
Alltagsbewältigung nach Bildung 2014 — in Prozent in allen Altersgruppen zu beobachten.
Kontrolliert man den Alterseinfluss, hat-
ten Männer der niedrigen im Vergleich
Männer Frauen zu denen der hohen Bildungsgruppe ein
3,3-mal so hohes Risiko, von starken kör-
17,4 perlichen Schmerzen betroffen zu sein.
15,5 Bei Frauen betrug das entsprechende Ver-
hältnis 2,8 zu 1. Auch zwischen der mittle-
12,4 ren und hohen Bildungsgruppe sind signi-
11,6
fikante Unterschiede im Vorkommen von
9,2 Schmerzen festzustellen. u Abb 5
8,2 8,0 Die Bedeutung der Bildung für das
7,6
6,8 7,0 6,6 Gesundheitsverhalten lässt sich mit Be-
5,1
4,8
4,2 funden zum Tabakkonsum verdeutlichen.
Personen mit niedriger Bildung rauchen
1,8 1,9 1,9 1,9 2,2
1,5 1,6
0,9
weitaus häufiger als Personen mit mittle-
0,5 0,5
rer Bildung und insbesondere als Perso-
18–29 30–44 45–64 ab 65 18–29 30–44 45–64 ab 65 nen mit hoher Bildung. Bei statistischer
Jahre Jahre Jahre Jahren Jahre Jahre Jahre Jahren
Kontrolle des Alterseffektes war das Risi-
Bildung: niedrig mittel hoch ko zu rauchen bei Männern und Frauen
mit niedriger im Vergleich zu denen mit
Datenbasis: GEDA 2014/2015-EHIS.
hoher Bildung um den Faktor 1,9 bezie-
hungsweise 2,5 erhöht. Am Verhältnis
von ehemaligen und aktuellen Rauche-
rinnen und Rauchern wird zudem deut-
u Abb 5 Starke körperliche Schmerzen in den letzten vier Wochen
lich, dass Personen mit niedriger Bildung
(»immer« oder »oft«) nach Bildung 2016 — in Prozent
seltener beziehungsweise später das Rau-
chen wieder aufgeben. u Tab 2
Auch in Bezug auf gesundheitsförder-
Männer Frauen
31,7 liche körperliche Aktivität in der Freizeit
treten Unterschiede nach dem Bildungs-
27,7 niveau zutage. Personen mit hoher Bil-
dung erreichen deutlich häufiger die von
23,4 der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
22,5
empfohlene Bewegungsempfehlung ent-
19,4 19,4 sprechender Ausdaueraktivitäten von
16,5
17,2 mindestens 2,5 Stunden pro Woche als
Personen mit mittlerer und niedriger Bil-
13,9
13,1 11,8 12,3
dung. Dies gilt für alle betrachteten Al-
11,4 tersgruppen. Während nach den Daten
10,2
9,6 9,2
8,6 der GEDA-Studie 57 % der Männer und
54 % der Frauen mit hoher Bildung die
5,6
4,7 4,9 Bewegungsempfehlung erreichten, waren
3,9
3,2
1,8 es bei Männern und Frauen der niedrigen
0,8 Bildungsgruppe nur 41 % beziehungswei-
18–29 30–44 45–64 ab 65 18–29 30–44 45–64 ab 65 se 34 %. Unter Berücksichtigung der un-
Jahre Jahre Jahre Jahren Jahre Jahre Jahre Jahren terschiedlichen Alterszusammensetzung
Bildung: niedrig mittel hoch der Bildungsgruppen lässt sich feststellen,
dass Männer mit niedriger Bildung im
Datenbasis: SOEP 2016.
Vergleich zu Männern mit hoher Bildung
ein 1,8-mal höheres Risiko aufwiesen, die

305
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.2 / Gesundheitliche Ungleichheit

u Tab 2 Rauchverhalten nach Bildung 2014 — in Prozent 8.2.3 Arbeitsweltbezogene


­ inflüsse auf die Gesundheit
E
Männer Frauen
Krankheits- oder unfallbedingte Fehlzei-
Ex- Nie- ten sind ein zentraler Indikator arbeits-
Ex- Nie- Raucher-
Raucher Raucher- Raucher-
Raucher Raucher innen weltbezogener Einflüsse auf die Gesund-
innen innen

18 – 29 Jahre heit. Sie machen auf Gesundheitsrisiken


und Belastungen aufmerksam, bevor Be-
Niedrige Bildung 48,8 11,0 40,2 37,3 17,4 45,3
rufskrankheiten entstehen oder es zu vor-
Mittlere Bildung 33,2 13,1 53,7 29,1 15,9 55,0
zeitigen krankheitsbedingten Rentenein-
Hohe Bildung 25,7 9,3 65,0 15,6 14,6 69,8
tritten kommt. Die Fehlzeiten lassen sich
30 – 44 Jahre zudem nach Diagnosen differenzieren
Niedrige Bildung 43,7 29,3 27,0 37,9 27,2 34,9 und geben dadurch einen Überblick über
Mittlere Bildung 36,4 30,0 33,6 28,7 26,6 44,7 die Krankheitslast in der erwerbstätigen
Hohe Bildung 25,9 23,1 51,0 13,1 28,0 58,8
Bevölkerung. Im Jahr 2016 gingen nach
Ergebnissen der Bundesanstalt für Arbeits-
45 – 64 Jahre
medizin und Arbeitsschutz (BAuA) 23 %
Niedrige Bildung 34,3 39,4 26,3 27,9 33,9 38,2
der krankheitsbedingten Fehlzeiten in der
Mittlere Bildung 28,8 38,4 32,8 24,9 31,8 43,3 deutschen Wirtschaft auf Muskel- und
Hohe Bildung 17,9 33,4 48,7 13,1 32,3 54,5 Skeletterkrankungen zurück, 16 % auf
Ab 65 Jahren psychische und Verhaltensstörungen,
Niedrige Bildung 8,0 55,5 36,5 6,2 22,4 71,5
14 % auf Atemwegserkrankungen, 10 %
auf Unfälle und Verletzungen sowie jeweils
Mittlere Bildung 11,1 55,7 33,2 7,4 28,4 64,2
5 % auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Hohe Bildung 9,8 54,4 35,9 7,6 32,9 59,5
und Krankheiten des Verdauungssystems.
Datenbasis: GEDA 2014/2015-EHIS. Die Kosten des durch die Arbeitsunfähig-
keit bedingten Produktionsausfalls wer-
den für Deutschland im Jahr 2016 auf
75 Milliarden Euro geschätzt. Die Daten
Empfehlungen zur gesundheitsförder­ niedriger Bildung deutlich weniger der zeigen außerdem, dass Mitglieder der ge-
lichen Ausdaueraktivität nicht einzuhal- typischen Symptome für Schlaganfall setzlichen Krankenversicherung im Jahr
ten. Bei Frauen lag das Verhältnis der bei- und Herzinfarkt als Personen mit mittle- 2016 durchschnittlich 17,2 Tage krank-
den Vergleichsgruppen bei 2,2 zu 1. rer und hoher Bildung. Interessant ist heitsbedingt fehlten.
Bildungsunterschiede zeigen sich da­ auch, dass Diabetikerinnen und Diabeti- Auswertungen auf Basis der Daten zu
rüber hinaus in Bezug auf die Inanspruch- ker mit niedriger Bildung seltener an Di- Fehlzeiten von erwerbstätigen Versicher-
nahme von Präventionsangeboten, das abetikerschulungen teilnehmen und ten der AOK zeigen zudem regelmäßig,
Gesundheitswissen und die Krankheits- weitaus größere Schwierigkeiten haben, dass Männer und Frauen mit manuellen
bewältigung. Beispielsweise nehmen Per- die Behandlung der Erkrankung im All- Tätigkeiten oder in einfachen Dienstleis-
sonen mit niedriger Bildung seltener tag umzusetzen. tungsberufen deutlich häufiger und län-
Krebsfrüherkennungsuntersuchungen Die Relevanz der Bildung für die Ge- ger arbeitsunfähig sind als Männer und
und andere Präventionsangebote wahr, sundheit zeigt sich auch hinsichtlich der Frauen in hoch qualifizierten und wissens-
die größtenteils zum Leistungskatalog Lebenserwartung. Die Ergebnisse eines basierten Berufen. Allerdings ist zu be-
der gesetzlichen Krankenkassen gehören, Vergleichs der Geburtskohorten 1925 und achten, dass in diese Statistik nur Arbeits-
also ohne Zuzahlungen in Anspruch ge- 1955 legen nahe, dass der allgemeine An- unfähigkeitszeiten von mehr als drei
nommen werden können. Dies gilt zum stieg der mittleren Lebenserwartung in ­K alendertagen eingehen, wodurch das
Beispiel für die zahnärztliche Kontroll- engem Zusammenhang mit der Auswei- tatsächliche Ausmaß der Fehlzeiten unter-
untersuchung oder den Gesundheits- tung der Bildungsbeteiligung der Bevöl- schätzt wird.
Check-up ab 35. Dies trifft ebenso auf kerung zu sehen ist. Männer im Alter von Krankheitsbedingte Fehlzeiten stehen
die Teilnahme an Bonusprogrammen der 45 Jahren, die das Abitur oder Fachabitur in engem Zusammenhang mit Arbeitsbe-
gesetzlichen Krankenkassen zu, die zu erworben haben, hatten im Durchschnitt lastungen. Beschäftigte mit niedrigem
­einer gesundheitsbewussten Lebensfüh- eine 5,3 Jahre höhere Lebenserwartung Berufsstatus sind häufiger sowohl körper-
rung und Gesundheitsvorsorge motivie- als gleichaltrige Männer mit Hauptschul- lichen als auch psychosozialen Belastun-
ren sollen. Zudem kennen Personen mit abschluss oder ohne Schulabschluss. gen ausgesetzt als Beschäftigte mit höhe-

306
Gesundheitliche Ungleichheit / 8.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

rem Berufsstatus, was unter anderem auf u Abb 6 Arbeitsbelastung und Zufriedenheit nach Bruttostundenlohn

ein Ungleichgewicht zwischen Veraus­ bei 30- bis 64-jährigen Erwerbstätigen 2016 — in Prozent
gabung und Belohnung bei der Arbeit so-
wie zwischen Arbeitsanforderungen und Männer Frauen
Einf lussmöglichkeiten der Erwerbstäti- 42,5
gen zurückgeführt wird (siehe dazu auch
Kapitel 5.4.2, Seite 189). 37,3
Das Ausmaß der Arbeitsbelastung
und der Unzufriedenheit mit der Arbeit 33,1
von Erwerbstätigen kann für das Jahr
29,5
2016 ihrem Lohn gegenübergestellt wer-
den. Der Lohn der Beschäftigten wird
über den Bruttostundenlohn erfasst und 23,4
nach internationalen Vorgaben ins Ver-
hältnis zum Median der Einkommens­ 19,3
beziehenden gesetzt. Beschäftigte mit we-
niger als zwei Dritteln des Medianlohns 15,2

(etwa 10,36 Euro im Jahr 2016) werden 12,3 12,4


11,1 11,4
als Niedrigeinkommensbeziehende und 10,3 9,9 9,7
solche mit mehr als 150 % als Hochein-
6,9
kommensbeziehende (23,30 Euro) ange-
sehen. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass 3,5 2,3
sowohl die körperliche und psychosozia- 1,2

le Arbeitsbelastung als auch die Unzu-


Niedriglohn mittlerer Lohn hoher Lohn Niedriglohn mittlerer Lohn hoher Lohn
friedenheit mit der eigenen Tätigkeit bei (<66 %) (66–149 %) (≥150 %) (<66 %) (66–149 %) (≥150 %)
Männern und Frauen der niedrigen
körperlich belastet psychosozial belastet unzufrieden mit der Arbeit
Lohngruppe größer sind als in der mittle-
ren und hohen Lohngruppe. u Abb 6 Datenbasis: SOEP 2016.

Gesundheitsschädigende Arbeitsbe-
lastungen entstehen im Wechselspiel zwi-
schen Belastungen und Ressourcen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. u Abb 7 Starke gesundheitliche Belastung durch die Arbeit bei
Die selbst wahrgenommene gesundheit­ Vollzeiterwerbstätigen nach beruflicher Qualifikation 2014 — in Prozent
liche Belastung durch die Arbeit ist ein
guter Indikator, um Gesundheitsrisiken Männer Frauen
von Erwerbstätigen abzubilden. Hierbei
30,8 30,5 31,2
zeigt sich bei Vollzeit erwerbstätigen
Männern ein enger Zusammenhang mit 26,8

der Qualifikation der Beschäftigten. 23,2 22,9


Demnach fühlen sich hoch qualifizierte 20,5 20,2 20,6
19,1
Erwerbstätige deutlich seltener gesund- 15,7
heitlich stark belastet als Erwerbstätige,
die eine Lehre oder Ausbildung an einer 11,0

Berufs- oder Fachschule abgeschlossen


haben. Bei Frauen zeigt sich dagegen kein
signifikanter Zusammenhang zwischen
Qualifikation und Arbeitsbelastung. Ins-
18–29 30–44 45–64 18–29 30–44 45–64
gesamt stieg der Anteil der Erwerbstäti- Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
gen, die ihre Gesundheit durch die Arbeit Berufsausbildung Hochschulabschluss
als stark oder sehr stark gefährdet anse-
hen, von 17 % im Jahr 2010 auf 23 % im Datenbasis: GEDA 2014/2015-EHIS.

Jahr 2014. u Abb 7

307
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.2 / Gesundheitliche Ungleichheit

u Tab 3 Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versicherte nach Diagnose und Versicherungsstatus 2015

Männer Frauen

Diagnosen pflichtver­sicherte pflichtver­sicherte


Arbeitslose ¹ Arbeitslose ¹
Beschäftigte Verhältnis in % Beschäftigte Verhältnis in %
Tage je 100 Tage je 100
Infektiöse und parasitäre Krankheiten 82 41 50 81 43 53
Neubildungen 45 77 170 72 88 121
Endokrine, Ernährungs- und
13 30 228 12 23 183
Stoff­wechsel­k rankheiten
Psychische und Verhaltensstörungen 191 765 401 303 999 330
Krankheiten des Nervensystems 39 68 177 47 65 140
Krankheiten des Auges 13 13 104 12 16 133
Krankheiten des Ohres 15 17 114 16 13 80
Krankheiten des Kreislaufsystems 86 121 140 49 62 125
Krankheiten des Atmungssystems 274 116 42 302 146 48
Krankheiten des Verdauungssystems 99 86 87 81 72 90
Krankheiten der Haut und der Unterhaut 29 29 99 17 25 145
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems
479 644 134 380 618 163
und des Bindegewebes
Krankheiten des Urogenitalsystems 18 20 108 41 37 90
Symptome und abnorme klinische
73 88 120 86 101 117
und Laborbefunde
Verletzungen und Vergiftungen 223 182 82 138 160 116
Faktoren, die den Gesundheitszustand
28 37 133 43 51 118
beeinflussen
Insgesamt 1711 2343 137 1717 2564 149

1 Betrachtet werden Empfänger von ALG I; Verhältnis von Tagen je 100 Versicherte im Vergleich von Arbeitslosen und pflichtversichert Beschäftigten.
Datenbasis: BKK, »Gesundheitsreport 2016«.

8.2.4 Arbeitslosigkeit arbeitslose Versicherte im Berichtsjahr die ihren Arbeitsplatz als gefährdet an­
und Gesundheit 2015 mit durchschnittlich 32,7 Tagen pro sehen, sind häufiger stressbelastet und
Der Verlust des Arbeitsplatzes hat nicht Mitglied deutlich häufiger arbeitsunfähig weisen ein deutlich erhöhtes Risiko für
nur Konsequenzen für die Einkommens- waren als pflichtversicherte Beschäftigte psychische Erkrankungen auf als erwerbs-
situation und den Lebensstandard, son- und freiwillig versicherte Beschäftigte tätige Männer und Frauen in ungefährde-
dern ist auch mit psychosozialen Belas- mit 11,9 beziehungsweise 10,5 Tagen. ten Beschäftigungsverhältnissen.
tungen und einer Verminderung des Eine diagnosespezifische Betrachtung Eine Vielzahl von Studien belegt so-
Selbstwerts verbunden. Auswirkungen verdeutlicht, dass Unterschiede zwischen wohl die negativen gesundheitlichen Fol-
auf die Gesundheit sind vor allem dann arbeitslosen und beschäftigten Versicher- gen von Arbeitslosigkeit als auch schlech-
zu erwarten, wenn die Arbeitslosigkeit ten insbesondere bei Arbeitsunfähigkeits- tere Beschäftigungschancen für gesund-
länger andauert und die Aussichten auf tagen infolge von psychischen und Verhal- heitlich beeinträchtigte Arbeitslose.
eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt gering tensstörungen (inklusive Suchterkrankun- Nach den Ergebnissen der GEDA-Studie
sind. Zudem unterliegen gesundheitlich gen), Stoffwechselkrankheiten, Krankheiten 2014/2015 gaben 25 % der Männer und
eingeschränkte Personen einem höheren des Muskel-Skelett-Systems und Krank- 22 % der Frauen mit Arbeitslosigkeitser-
Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, heiten des Nervensystems hervortreten. fahrungen in den letzten fünf Jahren an,
und haben schlechtere Chancen auf eine Insgesamt wurden im Jahr 2015 für ar- dass ihre beeinträchtigte Gesundheit ein
berufliche Wiedereingliederung. beitslose Versicherte fast 1,5-mal so viele Grund für den Verlust ihres Arbeitsplatzes
Hinweise auf Krankheiten und Be- Arbeitsunfähigkeitstage verzeichnet wie war. Dieser Anteil ist seit 2010 angestie-
schwerden, die bei arbeitslosen Männern für beschäftigte Pflichtversicherte. u Tab 3 gen. Außerdem berichteten 83 % der Män-
und Frauen vermehrt auftreten, liefert die Nicht erst Arbeitslosigkeit, sondern ner und 85 % der Frauen, dass sich ihr
Arbeitsunfähigkeitsstatistik der gesetzli- bereits Arbeitsplatzunsicherheit ist mit Gesundheitszustand nach Eintritt in die
chen Krankenkassen. Dem BKK-Gesund- einem häufigeren Auftreten von Gesund- Arbeitslosigkeit nicht wieder verbessert
heitsreport kann entnommen werden, dass heitsproblemen assoziiert. Beschäftigte, oder sogar noch weiter verschlechtert hat.

308
Gesundheitliche Ungleichheit / 8.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

8.2.5 Kinder- und der Schwangerschaft geraucht haben. Ein 8.2.6 Migration und Gesundheit
Jugendgesundheit ebenso gerichteter Zusammenhang zeigt Menschen mit Migrationshintergrund
Im Kindes- und Jugendalter werden die sich auch mit Blick auf das Stillverhalten: stellen eine überaus heterogene Gruppe
Weichen für die gesundheitliche Entwick- Mit zunehmendem sozioökonomischen dar. Sie unterscheiden sich unter ande-
lung im späteren Leben gestellt. Störungen Status sinkt der Anteil der Kinder, die nie rem in Bezug auf Herkunftsland, Migra-
während der frühen Phasen des Körper- gestillt wurden. u Abb 8 tionserfahrung, Aufenthaltsdauer und
wachstums und der Organreifung machen Darüber hinaus belegen die Ergebnis- soziale Integration (siehe Kapitel 7.3, Seite
sich nicht nur unmittelbar bemerkbar, se der KiGGS-Studie, dass der Anteil der 272). Wenn nach Besonderheiten der ge-
sondern können auch zu langfristigen ge- Eltern, die den allgemeinen Gesundheits- sundheitlichen Situation von Migrantin-
sundheitlichen Einschränkungen führen. zustand ihrer Kinder als »sehr gut« oder nen und Migranten gefragt wird, sind
Gesundheitsbezogene Einstellungen und »gut« einstufen, bei jenen mit hohem so- auch psychosoziale Belastungen, die sich
Verhaltensmuster, die sich im Kindes- und zioökonomischen Status am größten ist. aus der Migrations­erfahrung und Schwie-
Jugendalter ausbilden, haben häufig bis ins Während bei körperlichen Erkrankungen rigkeiten der sozialen Integration ergeben,
Erwachsenenalter hinein Bestand. nur geringe Unterschiede nach dem so- zu berücksichtigen. Außerdem spielen
Insgesamt haben sich die allgemeinen zioökonomischen Status festzustellen kulturelle Unterschiede im Gesundheits-
Lebensbedingungen und die Qualität der sind, treten psychische und Verhaltens­
gesundheitlichen Versorgung von Kin- auffälligkeiten vermehrt bei Kindern und
dern in den letzten Jahrzehnten erheblich Jugendlichen mit niedrigem sozioökono- u Abb 8 Mütterliches Rauchen in
verbessert. Dies lässt sich unter anderem mischen Status auf. der Schwangerschaft und Stillverhalten
an einer historisch niedrigen Säuglings- Mit Blick auf das Gesundheitsverhal- bei 0- bis 6-jährigen Kindern nach
und Kindersterblichkeit, einer verbesser- ten ist unter anderem zu beobachten, ­Sozialstatus — in Prozent
ten Mundgesundheit und einer deutlich dass sozial benachteiligte Kinder und Ju-
geringeren Verbreitung ehemals häufiger gendliche seltener Sport treiben, sich un- 28,4 29,6

Infektionskrankheiten festmachen. Doch gesünder ernähren und zu einem größe-


auch wenn ein Großteil der Kinder und ren Anteil übergewichtig sind. Außerdem 18,5
Jugendlichen in Deutschland gesund rauchen sie häufiger und sind in stärke-
11,1
aufwächst, besteht zwischen ihrer ge- rem Maße Passivrauchbelastungen aus-
7,8
sundheitlichen Lage und der sozialen gesetzt. Hinzu kommt, dass Angebote
2,2
Lage ­i hrer Familie noch immer ein enger wie die Früherkennungsuntersuchungen
Zusammenhang. Ergebnisse aus den von sozial benachteiligten Eltern mit ih- mütterliches Rauchen nie gestillt
Schuleingangsuntersuchungen der Bun- ren Kindern seltener in Anspruch ge- (Schwangerschaft)

desländer belegen, dass frühe Gesund- nommen werden als von sozial besser ge- sozioökonomischer Status:
heitsstörungen und Entwicklungsver­ stellten Familien. u Abb 9 niedrig mittel hoch

zögerungen vermehrt bei sozial benach- Datenbasis: KiGGS Welle 1 (2009–2012).

teiligten Kindern auftreten. Jene weisen


demnach weitaus häufiger körperliche,
psychische, kognitive, sprachliche und u Abb 9 Vollständige Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen
motorische Entwicklungsdefizite auf U3 bis U9 (ohne U7a) bei 7- bis 13-jährigen Kindern nach Sozialstatus — in Prozent
als Kinder aus sozial bessergestellten
­Familien. 110
Bereits rund um die Geburt treten
100
deutlich ausgeprägte soziale Unterschie-
de in der Verbreitung gesundheitsbezoge- 90

ner Risiko- und Schutzfaktoren zutage.


80
Wie die Ergebnisse der Studie zur Ge-
sundheit von Kindern und Jugendlichen 70

in Deutschland (KiGGS) zeigen, besteht


0
hinsichtlich des mütterlichen Rauchens U3 U4 U5 U6 U7 U8 U9
in der Schwangerschaft ein auffälliger so- sozioökonomischer Status: niedrig mittel hoch
zialer Gradient: Je höher der sozioökono-
Vollständige Untersuchungsreihe; ausgeschlossen sind Kinder, die nicht in Deutschland geboren sind.
mische Status, desto geringer ist der An- Datenbasis: KiGGS Welle 1 (2009–2012).

teil der Kinder, deren Mütter während

309
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.2 / Gesundheitliche Ungleichheit

u Abb 10 Kranke und Unfallverletzte nach Migrationshintergrund 2013 — in Prozent und Krankheitsverständnis sowie die Ver-
breitung von Erkrankungen und Risiko-
faktoren im jeweiligen Herkunftsland
Männer
eine Rolle.
0–44 11,9 Vergleichende Aussagen zum Kran-
Jahre 10,2
kenstand von Menschen mit und ohne
45–64 16,0
Migrationshintergrund sind anhand der
Jahre 17,4 Daten des Mikrozensus 2013 möglich. Im
Alter bis 44 Jahre gaben Personen mit Mi-
ab 65 22,5
Jahren 24,9
grationshintergrund etwas seltener als
die übrige Bevölkerung an, in den letzten
vier Wochen krank oder unfallverletzt
Frauen gewesen zu sein. Bei den 45- bis 64-Jähri-
gen sowie den 65-Jährigen und Älteren
0–44 12,9
Jahre 9,9
waren Männer und Frauen mit Migrati-
onshintergrund hingegen etwas häufiger
45–64 15,9 von einer Krankheit oder Unfallverlet-
Jahre 18,2
zung betroffen als die Vergleichsgruppen
ab 65 23,2
ohne Migrationshintergrund. u Abb 10
Jahren 27,2 In einigen Bereichen treten erst bei
­einer nach Herkunftsland differenzierten
ohne Migrationshintergrund mit Migrationshintergrund Betrachtung gesundheitliche Unterschiede
zutage. So berichteten türkischstämmige
Migrantinnen und Migranten deutlich
Datenbasis: Mikrozensus 2013.
häufiger als Personen ohne Migrations-
hintergrund oder Migrantinnen und Mig-
ranten aus anderen Herkunftsländern von
körperlichen Schmerzen in den letzten
u Abb 11 Starke körperliche Schmerzen in den letzten vier Wochen
vier Wochen. Dies zeigt sich insbesondere
(»immer« oder »oft«) nach Migrationshintergrund 2016 — in Prozent
mit Blick auf türkischstämmige Frauen in
der zweiten Lebenshälfte. Nach Kontrolle
Männer für die unterschiedliche Altersstruktur
hatten türkischstämmige Männer und
5,7
18–44 Frauen ein gegenüber Personen ohne Mi­
6,8
Jahre
14,1 grationshintergrund 2,9- beziehungsweise
2,2-fach erhöhtes Risiko, von körperlichen
13,5
ab 45
16,8 Schmerzen betroffen zu sein. Bei Migran-
Jahren
30,5 tinnen und Migranten aus anderen Her-
kunftsländern war hingegen kein erhöh-
tes Risiko für das Auftreten körperlicher
Frauen
Schmerzen festzustellen. u Abb 11
8,3 Unterschiede zwischen Personen mit
18–44
Jahre
11,4 und ohne Migrationshintergrund lassen
13,1
sich auch bei verhaltensbedingten Gesund-
22,1 heitsrisiken beobachten. Dabei zeigt sich,
ab 45
Jahren
24,1 dass Migrantinnen und Migranten häufiger
38,3
adipös sind. Allerdings treten diese Unter-
schiede erst ab einem Alter von 45 Jahren
ohne Migrationshintergrund mit Migrationshintergrund mit Migrationshintergrund und insbesondere bei Frauen zutage. u Abb 12
(nicht türkisch) (türkisch)
Beim Rauchverhalten von Migrantin-
Datenbasis: SOEP 2016. nen und Migranten bestehen ebenfalls
ausgeprägte, aber geschlechtsspezifische

310
Gesundheitliche Ungleichheit / 8.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

Unterschiede zur Bevölkerung ohne Mi­ u Abb 12 Adipositas (BMI ≥ 30) nach Migrationshintergrund 2013 — in Prozent
grationshintergrund. Der Anteil aktuel-
ler Raucher lag bei Männern mit Migra­ Männer
tionshintergrund in fast allen Alters­
gruppen über dem der Männer ohne 18– 44 11,2
Jahre 11,8
Migrationshintergrund (insgesamt 33 %
gegenüber 28 %). Bei Migrantinnen war 45–64 20,4
der Anteil dagegen insgesamt etwas nied- Jahre 22,0

riger als bei Frauen ohne Migrationshin-


ab 65 19,2
tergrund (19 % gegenüber 20 %). Jahren 22,6
Menschen mit Migrationshintergrund
sind eine zunehmend an Bedeutung ge-
winnende Nutzergruppe des medizini- Frauen
schen und pflegerischen Versorgungssys-
18– 44 8,5
tems. Dabei unterscheiden sie sich in ih- Jahre 8,6
rem Inanspruchnahmeverhalten und in
ihren Bedürfnissen von der Mehrheitsbe- 45–64 15,0
Jahre 21,9
völkerung ohne Migrationshintergrund.
Die vorliegenden Studien zeigen, dass Mi- ab 65 17,9
grantinnen und Migranten in bestimm- Jahren 26,8
ten Situationen häufiger Rettungsstellen
als Hausärzte aufsuchen, seltener Vorsor- ohne Migrationshintergrund mit Migrationshintergrund
geleistungen in Anspruch nehmen und
Datenbasis: Mikrozensus 2013.
im Fall eines in der Familie aufgetretenen
Pflegefalls seltener auf ambulante Pflege-
dienste zurückgreifen. Außerdem ist fest-
zustellen, dass Menschen mit ausländischer u Tab 4 Entwicklung der Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes

Staatsangehörigkeit seltener Maßnahmen (»weniger gut« oder »schlecht«) bei 30- bis 64-Jährigen nach drei Einkommens­
der medizinischen Rehabilitation in An- gruppen 1994 – 2013 — in Prozent
spruch nehmen sowie einen geringeren
1994 –1998 1999 – 2003 2004 – 2008 2009 – 2013
Rehabilitationserfolg und höhere Früh-
verentungsquoten aufweisen. Darüber Männer

hinaus stellt die in den letzten Jahren ver- < 60 % des mittleren Einkommens 27,8 28,9 32,5 32,4

stärkte Zuwanderung von Schutzsuchen- 60 bis < 150 % des mittleren Einkommens 16,0 15,4 16,6 15,9

den die bestehenden Strukturen der ge- ≥ 150 % des mittleren Einkommens 11,6 10,5 11,3 11,1
sundheitlichen Versorgung vor große Frauen
Herausforderungen. < 60 % des mittleren Einkommens 27,3 26,3 28,0 31,4
60 bis < 150 % des mittleren Einkommens 19,2 16,6 17,1 17,2
8.2.7 Zeitliche Entwicklungen ≥ 150 % des mittleren Einkommens 14,4 13,0 13,0 12,4
und Trends
Datenbasis: SOEP 1994–2013.
Zeitliche Entwicklungen und Trends der
gesundheitlichen Ungleichheit in Deutsch-
land sind bislang nur vereinzelt unter-
sucht worden. Mit den Daten des SOEP
lassen sich Veränderungen in der Selbst- kommensgruppe der Anteil der Männer Bezüglich des Risikos eines weniger guten
einschätzung des allgemeinen Gesund- und Frauen, die ihren allgemeinen Ge- oder schlechten allgemeinen Gesundheits-
heitszustandes im Zeitraum von 1994 bis sundheitszustand als weniger gut oder zustandes nahm die relative Differenz
2013 analysieren. Für die 30- bis 64-jähri- schlecht beurteilten, im Verlauf der letz- zwischen der niedrigen und der hohen
ge Bevölkerung zeigt sich im Vergleich ten 20 Jahre zunahm. In der hohen Ein- Einkommensgruppe bei Kontrolle des
von vier Beobachtungszeiträumen (1994 kommensgruppe und bei Frauen auch in ­A lterseinflusses – über die vier Zeiträume
bis 1998, 1999 bis 2003, 2004 bis 2008 und der mittleren Einkommensgruppe ist eine betrachtet – bei Männern um 53 % und
2009 bis 2013), dass in der niedrigen Ein- gegenläufige Entwicklung zu beobachten. bei Frauen um 63 % zu. u Tab 4

311
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.2 / Gesundheitliche Ungleichheit

Darüber hinaus können zeitliche Ent- sen nahmen die Unterschiede im Rauch- zeichnet sich diese Entwicklung aber
wicklungen und Trends im Rauchverhal- verhalten der Bildungsgruppen weiter zu, noch deutlicher ab als bei Personen mit
ten und in der sportlichen Aktivität für bezogen auf das alterskontrollierte Risiko mittlerer und niedriger Bildung. Nach
die Altersgruppe der 30- bis 64-Jährigen um 50 % bei Männern und um 83 % bei Kontrolle des Alterseffektes stieg die rela-
untersucht werden. Für den Zeitraum Frauen. u Abb 13 tive Differenz des Risikos für sportliche
2004 bis 2016 weisen die Daten insbeson- Für die Sportbeteiligung ist im Zeit- Inaktivität im Vergleich der niedrigen
dere für die hohe Bildungsgruppe auf raum 1994 bis 2015 eine deutliche Zu- zur hohen Bildungsgruppe bei Männern
­einen deutlichen Rückgang des Rauchens nahme festzustellen. Dabei fällt auf, dass um 101 % und bei Frauen um 87 %. u Abb 14
hin. In der niedrigen Bildungsgruppe in der Altersspanne von 30 bis 64 Jahren
blieb der Anteil der Raucher im Zeitver- der Anteil der Männer und Frauen, die in 8.2.8 Zusammenfassung
lauf nahezu konstant, während sich der den letzten vier Wochen keinen Sport ge- In den letzten Jahren ist die gesundheit­
Anteil der Raucherinnen mit niedriger trieben hatten, in allen Bildungsgruppen liche Ungleichheit zu einem zentralen
Bildung sogar noch erhöhte. Infolgedes- abnahm. Bei Personen mit hoher Bildung Thema der Forschung, Berichterstattung

u Abb 13 Entwicklung des Rauchens bei 30- bis 64-Jährigen nach Bildung 2004 − 2016 — in Prozent

Männer Frauen
50 50

40 40

30 30

20 20

10 10

0 0
2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Bildung: niedrig mittel hoch Bildung: niedrig mittel hoch

Datenbasis: SOEP 2004–2016.

u Abb 14 Entwicklung der sportlichen Inaktivität bei 30- bis 64-Jährigen nach Bildung 1994 − 2015 — in Prozent

Männer Frauen
70 70

60 60

50 50

40 40

30 30

20 20

10 10

0 0
1995 2000 2005 2010 2015 1995 2000 2005 2010 2015

Bildung: niedrig mittel hoch Bildung: niedrig mittel hoch

Datenbasis: SOEP 1994–2015.

312
Gesundheitliche Ungleichheit / 8.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

und Politik geworden. Die präsentierten aus Zukunftssorgen oder Ausgrenzungs- auf eine Verringerung der sozial beding-
Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass vie- erfahrungen resultieren können. ten Unterschiede in der Gesundheit und
le Krankheiten und Beschwerden bei Per- Menschen mit Migrationshintergrund Lebenserwartung hin.
sonen mit geringem Einkommen, nie­ weisen in einigen Bereichen eine schlech- Bezüglich der Frage nach Ansatz-
driger Bildung und niedriger beruflicher tere Gesundheit auf als die übrige Bevöl- punkten zur Verringerung der gesund-
Stellung im Vergleich zu anderen ver- kerung. Auch in Bezug auf die Präventi- heitlichen Ungleichheiten ist der Befund
mehrt vorkommen. Darüber hinaus on und die medizinische und pflegeri- von Bedeutung, dass sich die sozialen
schätzen diese Personen ihren allgemei- sche Versorgung stellt sich die Situation Unterschiede bereits in der gesundheit­
nen Gesundheitszustand und ihre gesund- von Migrantinnen und Migranten zum lichen Entwicklung von Kindern und Ju-
heitsbezogene Lebensqualität schlechter Teil ungünstiger dar als in der Bevölke- gendlichen deutlich abzeichnen. Dies gilt
ein. Ein Grund hierfür dürften die beob- rung ohne Migrationshintergrund. Von sowohl für die körperliche als auch die
achteten Unterschiede im Gesundheits- einer generellen gesundheitlichen Benach- psychische und psychosoziale Gesund-
verhalten sein, zum Beispiel in Bezug auf teiligung von Migrantinnen und Migran- heit. Auch für das Gesundheitsverhalten
Tabakkonsum und körperlich-sportliche ten kann aber nicht gesprochen werden. zeigt sich, dass die Weichen sehr früh ge-
Aktivität sowie zum Teil auch die In­ Die vorliegenden Forschungsergebnisse stellt werden. Entsprechend früh sollten
anspruchnahme von Präventions- und legen eine differenzierte Bewertung nahe, Maßnahmen und Angebote der Präventi-
Versorgungsangeboten. Die stärkere Ver- wobei neben den jeweiligen Lebensbe­ on und Gesundheitsförderung ansetzen.
breitung von Krankheiten, Gesundheits- dingungen und Teilhabechancen auch Aber auch im jungen, mittleren und
problemen und Risikofaktoren findet kulturelle Besonderheiten, die Migra­ ­höheren Erwachsenenalter gibt es zahl-
letztlich in einer höheren vorzeitigen tionserfahrungen sowie die soziale und reiche noch nicht ausgeschöpfte Poten­
Sterblichkeit und einer geringeren Le- gesundheitliche Lage im Herkunftsland ziale für weitere Verbesserungen der Ge-
benserwartung der benachteiligten Ein- berücksichtigt werden sollten. sundheit. Für die Stärkung der gesund-
kommens-, Bildungs- und Berufsgrup- Die vorliegenden Studien zu zeitli- heitlichen Chancengleichheit besonders
pen Ausdruck. Darüber hinaus ist chen Entwicklungen und Trends spre- bedeutsam ist dabei die Verhältnisprä-
Arbeits­losigkeit mit einer schlechteren chen dafür, dass die gesundheitliche Un- vention, die auf eine Verbesserung der
Gesundheit verbunden. Die Auswirkun- gleichheit in den letzten 20 Jahren weit- Lebensbedingungen und sozialen Teil­
gen der Arbeitslosigkeit auf die Gesund- gehend stabil geblieben ist und in einigen habechancen der Menschen zielt und
heit sind zum einen unter materiellen Bereichen sogar zugenommen hat. Dies ­d amit nicht nur Aufgabe der Gesund-
­Aspekten zu sehen, zum Beispiel dem en- lässt sich beispielsweise für den allge­ heitspolitik ist, sondern politikbereichs-
geren finanziellen Handlungsspielraum meinen Gesundheitszustand, das Rauch- übergreifende Anstrengungen, unter
und dem geringeren Lebensstandard. verhalten und die sportliche Aktivität ­E inbeziehung zum Beispiel der Sozial-,
Zum anderen sind psychosoziale Belas- ­belegen. Auch Studien aus anderen Län- Familien-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und
tungen von Bedeutung, die zum Beispiel dern deuten eher auf eine Ausweitung als Umweltpolitik, erfordert.

313
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung

8.3 Ein menschenwürdiges Dasein für alle


Bürgerinnen und Bürger zu sichern, ist
Reformen der Sozialsysteme geführt. Bei­
spiele hierfür sind die schrittweise Er­
Soziale Ziel der Sozialgesetzgebung in Deutsch­ höhung der Regelaltersgrenze für Rent­
Sicherung land. Hierzu gehören das Schaffen glei­
cher Voraussetzungen für die freie Ent­
nerinnen und Rentner seit 2012 oder die
Neuregelung der Eingliederungshilfe für
faltung der Persönlichkeit, insbesondere behinderte Menschen ab 2020 im Neunten
Heiko Pfaff, Johannes Proksch, auch für junge Menschen, sowie der Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) durch
Stefan Rübenach Schutz und die Förderung der Familie. das Bundesteilhabegesetz.
Zudem soll die Sozialgesetzgebung den Auch die Familienpolitik steht weiter­
Erwerb des Lebensunterhalts durch eine hin im Mittelpunkt der gesellschaftlichen
Statistisches Bundesamt
frei gewählte Tätigkeit ermöglichen und Diskussion: So sind neben der Betreu­
(Destatis)
besondere Belastungen des Lebens, auch ungssituation von Kindern auch die ge­
durch Hilfe zur Selbsthilfe, abwenden setzlichen Änderungen zum Elterngeld
oder ausgleichen. (ElterngeldPlus) von großem Interesse.
Ein hoher Anteil der Ausgaben der öf­
fentlichen Haushalte (einschließlich der 8.3.1 Sozialbudget
Sozialversicherungsträger und der Bundes­ Einen Überblick über das System der so­
agentur für Arbeit) fließt daher heute in zialen Sicherung bietet das Sozialbudget
die soziale Sicherung. Seit einigen Jahren der Bundesregierung. Hier werden die
wird jedoch – auch angesichts von Finan­ verschiedenen Leistungen des Sicherungs­
zierungsfragen – eine rege Debatte über systems jährlich zusammengestellt. Außer­

u Info 1
Darstellung im Sozialbudget
Um eine Vergleichbarkeit der einzelnen Bereiche untereinander und mit den umfassenderen Volks­
wirtschaftlichen Gesamtrechnungen (siehe Kapitel 4.1, Seite 129) zu ermöglichen, werden für die
­D ar­stellung im Sozialbudget die Leistungen und deren Finanzierung bereinigt. Beispielsweise werden
im Sozialbudget die Sozialleistungen insgesamt um die Selbstbeteiligung der Leistungsempfängerinnen
und -empfänger und um die Beiträge des Staates zur Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Renten­
versicherung für Empfängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen bereinigt.

Aus diesem Grund und wegen methodischer Unterschiede weichen die Angaben teilweise von den
in den folgenden Abschnitten dargestellten Statistiken ab.

u Abb 1 Finanzierung des Sozialbudgets 2016 — in Prozent

private Organisationen Staat

1,5 40,7

21,3 Bund

Unternehmen
26,7

9,1 Länder

private Haushalte

31,1
10,0 Gemeinden

0,4 Sozialversicherung
Geschätzte Ergebnisse.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Datenstand Mai 2017

314
Soziale Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

dem ist die Höhe der jeweiligen Finanzie­ u Tab 1 Leistungen und Finanzierung des Sozialbudgets 2016
rung durch öffentliche Zuweisungen so­
Finanzierung durch
wie durch die Beiträge der Versicherten Leistungen
und der Arbeitgeber abzulesen. insgesamt Sozial- Sozial­
Zuschüsse
beiträge der beiträge der
des Staates
Die Leistungen des Sozialbudgets be­ Versicherten Arbeitgeber
liefen sich 2016 für Deutschland auf ins­ in Milliarden
in Millionen Euro
gesamt 918,0 Milliarden Euro. Die Sozial­ Euro

leistungsquote – also das Verhältnis die­ Sozialbudget insgesamt 1 918,0 296 226 330 040 326 232

ser Sozialleistungen im Vergleich zum Sozialversicherungssysteme 554,4 244 078 207 814 104 776

Bruttoinlandsprodukt – betrug 2016 für Rentenversicherung 293,3 97 417 98 100 88 414


Deutschland 29 %. u Info 1 Krankenversicherung 220,7 110 488 70 008 15 503
Wer finanziert das soziale Netz? Drei Pflegeversicherung 29,6 18 775 11 548 –
große Beitragszahler sind auszumachen: Unfallversicherung 13,2 1 658 11 499 810
Der Staat (Bund, Länder, Gemeinden und
Arbeitslosenversicherung 26,7 15 740 16 659 50
Sozialversicherung), die privaten Haus­
Sondersysteme 34,2 44 451 3 251 5 156
halte und die Arbeitgeber. u Abb 1
Alterssicherung der Landwirte 2,7 572 – 2 243
Im Jahr 2016 floss der größte Anteil
des Sozialbudgets in die »Sozialversiche­ Versorgungswerke 6,0 8 415 858 31

rungssysteme«. Die Leistungen der Ren­ Private Altersvorsorge 0,5 11 760 – 2 881

ten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosen­ Private Krankenversicherung 23,9 21 983 2 049 –
versicherung sowie der Unfallversiche­ Private Pflegeversicherung 1,2 1 721 344 –
rung beliefen sich dabei zusammen auf Systeme des öffentlichen Dienstes 74,1 251 33 011 37 910
554,4 Milliarden Euro. Die »Förder- und Pensionen 55,2 251 20 979 32 228
Fürsorgesysteme« bildeten mit 175,9 Mil­ Familienzuschläge 3,6 – – 2 744
liarden Euro das zweitgrößte System im
Beihilfen 15,4 – 12 032 2 937
Sozialbudget. Zu diesem Leistungsbereich
Arbeitgebersysteme 83,5 7 447 85 964 466
gehören das Kindergeld und der Familien­
Entgeltfortzahlung 43,3 – 43 324 –
leistungsausgleich sowie das Erziehungs­
geld / Elterngeld. Außerdem sind die Betriebliche Altersversorgung 26,8 5 445 29 788 –

Grundsicherung für Arbeitsuchende, die Zusatzversorgung 12,1 2 002 11 520 466

Arbeitslosenhilfe / sonstige Arbeitsförde­ Sonstige Arbeitgeberleistungen 1,3 – 1 331 –


rung und die Ausbildungs- und Auf­ Entschädigungssysteme 2,5 – – 2 611
stiegsförderung hier zugeordnet, des Wei­ Soziale Entschädigung 1,0 – – 1 031
teren auch die Sozialhilfe, Kinder- und Lastenausgleich 0,0 – – 14
Jugendhilfe sowie das Wohngeld. u Tab 1
Wiedergutmachung 1,1 – – 1 105
Für die »Arbeitgebersysteme« wurden
Sonstige Entschädigungen 0,5 – – 461
insgesamt 83,5 Milliarden Euro aufge­
Förder- und Fürsorgesysteme 175,9 – – 175 314
wendet. Hierzu zählen die Entgeltfort­
Kindergeld und Familien­leistungsausgleich 44,2 – – 44 175
zahlungen zum Beispiel im Krankheits­
fall, die betriebliche Altersversorgung Erziehungsgeld / Elterngeld 6,8 – – 6 777

und die Zusatzversorgung im öffentli­ Grundsicherung für A


­ rbeitsuchende 42,7 – – 42 696

chen Dienst sowie sonstige Arbeitgeber­ Arbeitslosenhilfe / sonstige


0,7 – – 161
­A rbeitsförderung
leistungen (zum Beispiel Bereitstellung
Ausbildungs- und ­Aufstiegsförderung 2,2 – – 2 233
von Betriebswohnungen). Die »Systeme
des öffentlichen Dienstes« hatten 2016 Sozialhilfe 39,5 – – 39 521

mit 74,1 Milliarden Euro einen Anteil Kinder- und Jugendhilfe 38,5 – – 38 511

von 8 % am Sozialbudget. Wie bei den Wohngeld 1,2 – – 1 242


»Sozialversicherungssystemen« steht
Geschätzte Ergebnisse.
auch hier die Altersversorgung, und zwar 1 Konsolidiert um die umgeleiteten Sozialbeiträge für Empfängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen zwischen den Institutionen.
Ohne Beiträge des Staates. Entsprechend sind die Gesamtsummen des Sozialbudgets niedriger als die addierten Werte aus den
die des öffentlichen Dienstes, im Vorder­ einzelnen Institutionen.
– Nichts vorhanden.
grund. Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

315
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung

u Info 2 berechtigte Personen ausgezahlt werden.


Zähl- / Gültigkeitskonzept der Statistik der Bundesagentur für Arbeit Dazu zählen in der Sozialberichterstat­
Im April 2016 wurde das bisherige Zähl- und Gültigkeitskonzept der Statistik der Grundsicherung tung der amtlichen Statistik folgende
für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) rückwirkend ab Einführung Leistungen:
der Statistik im Jahr 2005 revidiert. Durch die Revision der Grundsicherungsstatistik SGB II
wird eine vollständige statistische Abbildung aller Personengruppen im SGB II gewährleistet.
· Gesamtregelleistungen (Arbeitslosen­
geld [ALG] II und Sozialgeld) nach
Nach dem neuen Zähl- und Gültigkeitskonzept werden die Regelleistungsberechtigten klar
­a bgetrennt ausgewiesen. Systematisch getrennt davon werden nun Daten zu weiteren Perso- dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
nen in Bedarfsgemeinschaften wie sonstige Leistungsberechtigte und nicht leistungsberech- (SGB II), u Info 2
tigte Personen in Bedarfsgemeinschaften zur Verfügung gestellt, die zuvor zum Teil mit als · Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb
Leistungsberechtigte ausgewiesen wurden. Zu den Nichtleistungsberechtigten zählen Per­
sonen, die aufgrund gesetzlicher Regelungen vom Leistungsanspruch nach dem SGB II aus- von Einrichtungen (zum Beispiel Wohn-
geschlossen sind, sowie minderjährige Kinder in Bedarfsgemeinschaften ohne individuellen und Pflegeheime) nach dem Zwölften
Leistungsanspruch.
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII),
In der amtlichen Sozialberichterstattung wird rückwirkend ab dem Jahr 2006 nur die Personen- · Grundsicherung im Alter und bei Er­
gruppe der Regelleistungsberechtigten zu den Empfängerinnen und Empfängern sozialer Min-
destsicherungsleistungen gezählt. Diese Gruppe setzt sich aus den erwerbsfähigen
werbsminderung nach dem SGB XII,
­Leistungsberechtigten und den nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zusammen. · Regelleistungen nach dem Asylbewer­
Nicht zu den Empfängerinnen und Empfängern sozialer Mindestsicherungsleistungen gehören
berleistungsgesetz.
in der amtlichen Sozialberichterstattung die nach dem neuen Zähl- und Gültigkeitskonzept Am Jahresende 2016 erhielten in Deutsch­
der Statistik der Bundesagentur für Arbeit ab dem Jahr 2016 (rückwirkend bis 2005) ausge­ land insgesamt 7,9 Millionen Menschen
wiesenen sonstigen Leistungsberechtigten und die Nichtleistungsberechtigten. Da nach der
Revision der Ausweis der Regelleistungsberechtigten nun systematisch bereinigt um diese Per- die oben genannten Transferleistungen,
sonengruppen erfolgt, liegt die Zahl der Regelleistungsberechtigten etwas unter der entspre- um ihren grundlegenden Lebensunter­
chenden Zahl vor der Revision. halt zu bestreiten. Damit waren 9,5 % der
Nähere Informationen zu den Datenquellen der sozialen Mindestsicherung sind unter in Deutschland lebenden Menschen auf
www.amtliche-sozialberichterstattung.de verfügbar.
existenzsichernde finanzielle Hilfen des
Staates angewiesen. u Tab 2
Vor allem Menschen in den Stadtstaa­
u Tab 2 Leistungen der sozialen Mindestsicherung am Jahresende 2016 ten und teilweise in den neuen Ländern
sowie in Nordrhein-Westfalen waren ver­
Empfängerinnen stärkt auf Leistungen der Mindestsiche­
und Empfänger
rung angewiesen. In Berlin war ihr An­
Gesamtregelleistungen nach dem SGB II insgesamt (Dezember) 5 972 889
teil mit 19 % an der Bevölkerung am
 Arbeitslosengeld II 4 322 837
höchsten, gefolgt von Bremen mit 18 %.
 Sozialgeld 1 650 052
Besonders selten bezogen die Menschen
Mindestsicherungsleistungen im Rahmen der Sozialhilfe nach dem SGB XII insgesamt 1 159 292
in den südlichen Bundesländern Leistun­
 Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen (am Jahresende) 133 389 gen der Mindestsicherung. So erhielten
 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Dezember) 1 025 903 Ende 2016 in Bayern 5,1 % und in Baden-
Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Jahresende) 728 239 Württemberg 5,9 % der Einwohnerinnen
Insgesamt 7 860 420 und Einwohner entsprechende Leistun­
gen. u Abb 2
Jahresende ist der Stichtag 31.12. und Dezember beinhaltet den ganzen Monat.
Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (SGB II), Statistische Ämter des Bundes und der Länder

Gesamtregelleistungen
nach dem SGB II
Der mit Abstand größte Anteil an den
Die »Sondersysteme« hatten zusam­ mus (1933 bis 1945) an Gewicht. Im Jahr Empfängerinnen und Empfängern von
men einen Leistungsumfa ng von 2016 wurden 2,5 Milliarden Euro für Mindestsicherungsleistungen entfiel auf
34,2 Milliarden Euro. Dazu zählen die Entschädigungen verschiedener Art aus­ die Gesamtregelleistungen Arbeitslosen­
private Kranken- und Pflegeversicherung, gegeben. geld (ALG II) und Sozialgeld nach dem
die private Altersvorsorge sowie die Ver­ Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
sorgungswerke für freiberuflich Tätige 8.3.2 Mindestsicherungssysteme ALG II erhalten erwerbsfähige Personen,
und die Alterssicherung der Landwirte. Transferleistungen der sozialen Mindest­ die das 15. Lebensjahr vollendet, die Al­
Die Bedeutung der »Entschädigungs­ sicherungssysteme sind finanzielle Hilfen tersgrenze für den Rentenbeginn nach
systeme« verliert mit zunehmendem Ab­ des Staates, die zur Sicherung des grund­ § 7a SGB II noch nicht erreicht haben und
stand von der Zeit des Nationalsozialis­ legenden Lebensunterhalts an leistungs­ ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen

316
Abb 2 Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Mindestsicherung am Jahresende 2016 –
Anteil an der Gesamtbevölkerung in Soziale
Prozent Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

Mitteln bestreiten können. Ihre im Haus­ uAbb 2 Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Mindestsicherung
halt lebenden nicht erwerbsfähigen Fa­ am Jahresende 2016 — Anteil an der Gesamtbevölkerung in Prozent
milienangehörigen (vor allem Kinder) er­
halten Sozialgeld. u Info 3
Die umgangssprachlich mit »Hartz Berlin 18,8

IV« bezeichneten Leistungen der »Grund­ Bremen 18,0


sicherung für Arbeitsuchende« nach dem
Hamburg 13,7
SGB II wurden im Dezember 2016 an ins­
gesamt knapp 6,0 Millionen regelleis­ Sachsen-Anhalt 12,5
tungsberechtigte Personen ausgezahlt. Nordrhein-Westfalen 12,0
Von den rund 6,0 Millionen Regelleis­
tungsberechtigten waren nach Angaben Mecklenburg-Vorpommern 11,8

der Statistik der Bundesagentur für Ar­ Saarland 10,8


beit im Dezember 2016 etwa 1,8 Millio­
Schleswig-Holstein 10,3
nen Ausländerinnen und Ausländer. Be­
zogen auf die ausländische Bevölkerung Brandenburg 10,2
bis unter der Altersgrenze für den Ren­ Niedersachsen 9,7
tenbeginn entsprach dies einem Anteil
Sachsen 9,4
von 21 %. Die Bezugsquote von ausländi­
schen Regelleistungsberechtigten war in Hessen 9,4
den ostdeutschen Bundesländern mit
Thüringen 8,5
29 % deutlich höher als in den westdeut­
schen; dort lag sie bei 20 %. Rheinland-Pfalz 7,6

In den Stadtstaaten und den neuen Baden-Württemberg 5,9


Ländern waren deutlich mehr Personen Deutschland
Bayern 5,1 9,5
auf die Leistungen nach dem SGB II an­
gewiesen als in den westdeutschen Flä­
chenländern. Auch hier war der Anteil an
Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder
der Bevölkerung in Berlin mit 19 % am
höchsten. Deutlich über dem Durch­
schnitt aller Bundesländer (9,1 %) lag Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen der
Bremen mit 18 %, gefolgt von Sachsen- Statistischen Ämter des Bundes und der Länder.

Anhalt mit 14 %. Am seltensten nahmen u Info 3

die Menschen in Bayern (4,2 %) und Arbeitslosengeld


in Baden-Württemberg (5,1 %) SGB-II- Mit der sogenannten Hartz-IV-Reform ist die soziale Sicherung von Arbeitslosen zum Jahres-
Leistungen in Anspruch. u Abb 3 beginn 2005 umstrukturiert worden. Dadurch entstand ein zweigliedriges System der sozialen
Sicherung für arbeitslose beziehungsweise bedürftige Personen, dessen erste Stufe aus einer
Das sogenannte Sozialgeld erhalten lohnabhängigen Versicherungsleistung – dem Arbeitslosengeld, auch ALG I genannt – besteht.
nicht erwerbsfähige Familienangehörige Die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes richtet sich nach der Dauer der vorangegangenen
von ALG-II-Empfängern. Im Dezember Versicherungszeiten und dem Alter der arbeitslosen Personen.

2016 wurden rund 1,7 Millionen Sozial­ Die zweite Stufe der sozialen Absicherung bildet seit Jahresbeginn 2005 eine steuerfinanzierte
geldempfänger registriert. Der Anteil an Fürsorgeleistung im Rahmen der »Grundsicherung für Arbeitsuchende«, das ALG II. Diese
­Leistung konzentriert sich auf erwerbsfähige Hilfebedürftige ohne eigenes Einkommen oder Per-
allen Regelleistungsberechtigten von Leis­ sonen, deren Einkommen und Vermögen nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu b ­ estreiten.
tungen nach dem SGB II lag im Dezem­ Die Anspruchshöhe orientiert sich nicht am letzten Arbeitslohn, sondern am erforderlichen Be-
darf der leistungsberechtigten Personen, um den notwendigen Lebensunterhalt abzusichern.
ber 2016 bei 28 %. Die Sozialgeldempfän­
ger waren zu 97 % Kinder unter 15 Jahren.
Altersgrenze für den Rentenbeginn
Der Anteil der Kinder an allen Beziehe­
Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichten die Altersgrenze mit Ablauf des
rinnen und Beziehern von Regelleistungen
Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendeten. Beginnend mit dem Geburtsjahrgang
nach dem SGB II lag im Bundesdurch­ 1947 wird die Altersgrenze seit dem 1. Januar 2012 schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Für
schnitt bei 27 %. Rund 4,3 Millionen der den Berichtszeitraum Dezember 2016 gilt eine Altersgrenze von 65 Jahren und 5 Monaten. In
Bezug auf die Altersgrenze stehen für die Berechnung von Bezugsquoten Bevölkerungsdaten
insgesamt 6,0 Millionen Regelleistungs­
nach Geburtsmonat grundsätzlich nicht zur Verfügung. Zur Berücksichtigung der Verschiebung
empfänger nach dem SGB II waren im der Altersgrenze von 65 auf 67 Jahre wird bei Berechnungen von Bezugsquoten eine Gleich-
Dezember 2016 erwerbsfähig und erhiel­ verteilung der Geburten über das jeweilige Geburtsjahr unterstellt.

317
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung

Abbildung 3 Empfängerinnen und Empfänger von Gesamtregelleistungen nach dem SGB II im Dezember 2016 –
Anteil an der Bevölkerung bis zur Altersgrenze in Prozent

u Abb 3 Empfängerinnen und Empfänger von Gesamtregelleistungen nach dem SGB II und bei Erwerbsminderung in Einrich­
im Dezember 2016 — Anteil an der Bevölkerung bis zur Altersgrenze in Prozent tungen (nahezu deckungsgleicher Perso­
nenkreis) vermieden.
Rund 19 000 der 133 000 Hilfeemp­
Berlin 18,7
fänger außerhalb von Einrichtungen wa­
Bremen 18,4 ren Ausländerinnen und Ausländer. Von
Sachsen-Anhalt 14,2
allen rund 19 000 ausländischen Hilfebe­
ziehern kamen 25 % aus einem EU-Staat,
Mecklenburg-Vorpommern 12,7 3,4 % waren Asylberechtigte und knapp
Hamburg 12,4 1,7 % waren Bürgerkriegsflüchtlinge.
Am Jahresende 2016 waren rund 16 %
Nordrhein-Westfalen 11,6
der Empfänger von Hilfe zum Lebens­
Saarland 11,5 unterhalt außerhalb von Einrichtungen
Brandenburg
Kinder unter 18 Jahren. Die 133 000 Emp­
10,8
fängerinnen und Empfänger von Hilfe
Sachsen 10,4 zum Lebensunterhalt außerhalb von Ein­
Schleswig-Holstein 9,8 richtungen lebten in 123 000 Personenge­
meinschaften, für die eine gemeinsame
Thüringen 9,3
Bedarfsberechnung erfolgt. Im Durch­
Niedersachsen 9,1 schnitt bestand eine Personengemein­
Hessen 8,4
schaft aus 1,1 Empfängern. Drei Viertel
(75 %) dieser Gemeinschaften waren Ein­
Rheinland-Pfalz 7,1 personenhaushalte, 16 % Zweipersonen­
Baden-Württemberg 5,1 haushalte und 9,3 % waren Haushalte mit
Deutschland
9,1
drei oder mehr Personen.
Bayern 4,2
Die Hilfe zum Lebensunterhalt
­außerhalb von Einrichtungen wird im
Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder Wesentlichen in Form von Regelsätzen,
Mehrbedarfszuschlägen und durch die
Übernahme der Unterkunftskosten ein­
schließlich der Heizkosten gewährt. Da­
rüber hinaus können auch Beiträge zur
ten ALG II. Frauen und Männer waren Die Hilfe zum Lebensunterhalt nach Krankenversicherung, Pflegeversicherung
mit jeweils 50 % in gleichem Maße auf dem Dritten Kapitel des SGB XII »Sozial­ und Alterssicherung übernommen und
entsprechende Leistungen angewiesen. hilfe« soll den Grundbedarf vor allem Bedarfe für Bildung und Teilhabe gewährt
an Nahrung, Kleidung, Unterkunft und werden. Die Summe aus den vorgenann­
Sozialhilfe nach dem SGB XII Heizung decken (sogenanntes soziokul­ ten Bedarfspositionen für alle Angehöri­
Im Rahmen der Sozialhilfe nach dem turelles Existenzminimum). gen der Personengemeinschaft ergibt de­
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB Ende 2016 erhielten in Deutschland ins­ ren Bruttobedarf. Zieht man hiervon
XII) erhielten am Jahresende 2016 rund gesamt rund 374 000 Personen Hilfe zum das angerechnete Einkommen ab, erhält
1,2 Millionen Menschen »Hilfe zum Lebensunterhalt, darunter 133 000 Perso­ man den Nettobedarf. Durchschnittlich
­L ebensunterhalt außerhalb von Einrich­ nen außerhalb von Einrichtungen wie hatte eine Personengemeinschaft mit
tungen« oder »Grundsicherung im Alter Wohn- oder Pflegeheimen. Zu den Bezie­ ­B ezug von Hilfe zum Lebensunterhalt
und bei Erwerbsminderung«. herinnen und Beziehern sozialer Min­ ­außerhalb von Einrichtungen Ende 2016
Die Sozialhilfe bildet das unterste sozi­ destsicherungsleistungen werden aus­ einen monatlichen Bruttobedarf von
ale Auffangnetz für bedürftige Menschen. schließlich Empfängerinnen und Emp­ 795 Euro, wovon – sofern derartige Auf­
Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten Perso­ fänger von Hilfe zum Lebensunterhalt wendungen anfielen – 353 Euro auf die
nen, die ihren notwendigen Lebensunter­ außerhalb von Einrichtungen gezählt. Kosten für Unterkunft und Heizung ent­
halt nicht oder nicht ausreichend aus ih­ Damit werden Überschneidungen und fielen. Im Durchschnitt wurden 491 Euro
rem eigenen Einkommen und Vermögen Doppelzählungen mit den bereits darin je Personengemeinschaft gewährt – das
bestreiten können, sowie deren im Haus­ enthaltenen Empfängerinnen und Emp­ waren 62 % des Bruttobedarfs. Sofern
halt lebende Kinder unter 15 Jahren. fängern von Grundsicherung im Alter Einkommen vorhanden war, wurden

318
Soziale Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8
Abbildung 4 Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter über der
Altersgrenze Dezember 2016 – Anteil an der jeweiligen Bevölkerung in Prozent

durchschnittlich 421 Euro je Personenge­ u Abb 4 Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter über der
meinschaft angerechnet. ­A ltersgrenze Dezember 2016 — Anteil an der jeweiligen Bevölkerung in Prozent
Fast drei Viertel (73 %) der Personen­
gemeinschaften mit Bezug von Hilfe zum
Lebensunterhalt außerhalb von Einrich­ Hamburg 7,5
tungen verfügten über ein oder mehrere
Bremen 6,4
Einkommen. Am häufigsten erhielten
diese Personengemeinschaften Renten Berlin 6,1
wegen Erwerbsminderung (52 %), Alters­
Nordrhein-Westfalen 4,0
rente (22 %) oder öffentlich-rechtliche
Leistungen für Kinder (20 %). Hessen 3,8

Leistungen der Grundsicherung im Saarland 3,7


Alter und bei Erwerbsminderung nach
Niedersachsen 3,1
dem Vierten Kapitel des SGB XII »Sozial­
hilfe« erhalten dauerhaft voll erwerbs­ Schleswig-Holstein 3,1
geminderte Personen ab 18 Jahren sowie
Bayern 2,7
Personen, die die Altersgrenze nach § 41
Absatz 2 SGB XII erreicht haben und ih­ Rheinland-Pfalz 2,6

ren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Baden-Württemberg 2,4


Mitteln aufbringen können (zur Alters­
Mecklenburg-Vorpommern 1,6
grenze siehe Info 3).
Rund 1 026 000 Personen bezogen am Sachsen-Anhalt 1,3
Jahresende 2016 in Deutschland Leistun­
Brandenburg 1,3
gen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung. In der Bevölkerung Sachsen 1,1
Deutschland
ab 18 Jahren waren 1,5 % auf die Grund­ 3,1
Thüringen 0,9
sicherung nach dem SGB XII angewiesen.
Von den 1 026 000 Grundsicherungsemp­
fängerinnen und -empfängern hatten
rund 500 000 Personen die Altersgrenze
noch nicht erreicht (49 %). Sie erhielten
Grundsicherungsleistungen aufgrund ei­
ner dauerhaft vollen Erwerbsminderung. Frauen und 2,9 % der Männer Grundsi­ spruchnahme in Ostdeutschland ist ein
Diese Menschen werden dem allgemei­ cherung im Alter. Während im früheren geringeres Mietenniveau als in West­
nen Arbeitsmarkt voraussichtlich auch Bundesgebiet 3,5 % der Frauen, die die deutschland.
künftig nicht mehr zur Verfügung stehen. Altersgrenze erreicht hatten, Grundsiche­ Der Anteil der Ausländerinnen und
Rund 526 000 Grundsicherungsempfän­ rung erhielten, waren es in den neuen Ausländer an der Gesamtzahl der Emp­
gerinnen und -empfänger (51 %) hatten Ländern und Berlin 2,0 % der Frauen in fänger von Grundsicherungsleistungen
die im Berichtszeitraum Dezember 2016 diesem Alter. Bei den gleichaltrigen Män­ lag Ende 2016 bei 17 %. Drei Viertel (75 %)
gültige Altersgrenze von 65 Jahren und nern lag die In­a nspruchnahme bei 3,1 % der insgesamt 179 000 leistungsberechtig­
5 Monaten erreicht. Sie erhielten Grund­ im Westen Deutschlands und bei 2,2 % ten ausländischen Personen hatten eine
sicherung im Alter. Damit konnten Ende im Osten Deutschlands. Staatsangehörigkeit eines EU-Staates.
2016 deutschlandweit 3,1 % der Einwoh­ Eine Ursache für die geringeren Rund 3,5 % aller leistungsberechtigten
ner, die die Altersgrenze erreicht oder Grundsicherungsquoten der älteren Ausländerinnen und Ausländer waren
überschritten hatten, ihren Lebensunter­ Menschen in den ostdeutschen Bundes­ Asylberechtigte und 2,2 % waren Bürger­
halt lediglich mithilfe von Grundsiche­ ländern kann die höhere Erwerbsbeteili­ kriegsflüchtlinge.
rungsleistungen abdecken. u Abb 4 gung – vor allem auch die der Frauen – in Die monatlichen Leistungen der
Bei den Empfängern von Grundsiche­ der ehemaligen DDR sein. Daraus resul­ Grundsicherung im Alter und bei Er­
rung im Alter gibt es sowohl regionale tieren heute höhere Rentenansprüche, die werbsminderung werden nach Regel­
(West-Ost) als auch geschlechtsspezi­ meist zur Sicherung des Lebensunter­ sätzen erbracht – wie die Leistungen
fische Unterschiede: Ende 2016 bezogen halts im Alter ausreichen. Eine weitere nach dem SGB II und die der Hilfe zum
in Deutschland rechnerisch 3,2 % der mögliche Ursache für die geringere Inan­ Lebensunterhalt. Neben dem Regelsatz

319
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung

u Abb 5 Durchschnittliche Bedarfe der Grundsicherung im Alter und berleistungsgesetz und können im Be­
bei Erwerbsminderung im Dezember 2016 — in Euro darfsfall Sozialhilfe erhalten. Sie werden
in der Statistik über Asylbewerberleistun­
gen nicht berücksichtigt. Am Jahresende
2016 erhielten gut 728 000 Personen Asyl­
786
insgesamt 385
bewerberleistungen (Regelleistungen).
487 Die von der amtlichen Statistik nach­
gewiesenen Leistungen nach dem Asyl­
18 Jahre 770 bewerberleistungsgesetz umfassen die
bis unter die 324
Altersgrenze 546
­sogenannten Regelleistungen und die
­besonderen Leistungen. Die Regelleistun­
800
gen dienen zur Deckung des täglichen
Altersgrenze Bedarfs und werden entweder in Form
431
und älter
431 von Grundleistungen oder als Hilfe zum
Lebensunterhalt gewährt. Die Grundleis­
Bruttobedarf tungen sollen den notwendigen Bedarf an
angerechnetes Einkommen ¹
Ernährung, Unterkunft, Heizung, Klei­
Nettobedarf
dung, Gesundheitspflege und Gebrauchs-
und Verbrauchsgütern des Haushalts
1 auf
1 Bezogen Bezogen auf Leistungsberechtigte
Leistungsberechtigte mitEinkommen.
mit angerechnetem angerechnetem Einkommen
(notwendiger Bedarf) decken. Unter be­
sonderen Umständen können – anstelle
der Sachleistungen – auch Wertgutscheine
oder andere vergleichbare, nicht bare Ab­
rechnungen sowie Geldleistungen er­
werden die angemessenen Kosten für te, die die Altersgrenze bereits erreicht bracht werden. Zusätzlich erhalten die
Unterkunft und Heizung als Bedarf aner­ hatten, verfügten mit 431 Euro über ein Empfängerinnen und Empfänger Leistun­
kannt sowie unter anderem auch eventuell ­d eutlich höheres anzurechnendes Ein­ gen zur Deckung persönlicher Bedürfnis­
anfallende Beiträge für Krankenversi­ kommen als Leistungsberechtigte bis zur se des täglichen Lebens (notwendiger per­
cherung, Pflegeversicherung und Mehr­ Altersgrenze (324 Euro). Letztere hatten sönlicher Bedarf). Die so gewährte indivi­
bedarfszuschläge. Die Gesamtsumme mit durchschnittlich 546 Euro einen duelle Hilfeleistung ist insgesamt geringer
dieser Bedarfspositionen ergibt den deutlich höheren Nettobedarf als Leis­ als die korrespondierenden Leistungen der
Bruttobedarf, also den Betrag, den die tungs­b erechtigte über der Altersgrenze Hilfe zum Lebensunterhalt. In speziellen
antragstellende Person für ihren Lebens­ (431 Euro). u Abb 5 Bedarfssituationen werden besondere
unterhalt monatlich benötigt. Zieht man Leistungen gewährt: Dazu gehören etwa
hiervon das anrechenbare Einkommen Asylbewerberleistungen Leistungen bei Krankheit, Schwanger­
der Person ab, erhält man den Nettobe­ In Deutschland lebende Asylbewerbe­ schaft und Geburt, Leistungen in Form
darf. rinnen und -bewerber erhalten seit 1993 von Bereitstellung von Arbeitsgelegenhei­
Im Durchschnitt errechnete sich für anstelle von Sozialhilfe bei Bedarf Asyl­ ten, insbesondere zur Aufrechterhaltung
einen Empfänger /eine Empfängerin von bewerberleistungen, um ihren Lebens­ und Betreibung der Aufnahmeeinrich­
Grundsicherung im Alter und bei Er­ unterhalt und ihre spezielle Bedarfssitua­ tung beziehungsweise vergleichbaren Ein­
werbsminderung Ende 2016 ein monatli­ tion – beispielsweise bei Krankheit – zu richtung, sowie sonstige Leistungen im
cher Bruttobedarf von 786 Euro. Durch­ sichern. Leistungsberechtigt sind Aus­ Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes.
schnittlich 379 Euro wurden je Monat für länderinnen und Ausländer, die sich im Ende des Jahres 2016 wohnten die
den Regelsatz aufgewendet. Fielen Auf­ Bundesgebiet aufhalten und die im Asyl­ 728 000 Empfängerinnen und Empfän­
wendungen für Unterkunft und Heizung bewerberleistungsgesetz aufgeführten ger von Regelleistungen in insgesamt
an, gingen diese mit durchschnittlich Voraussetzungen erfüllen. u Info 4 443 000 Haushalten. Die Zahl der Leis­
348 Euro in die Bedarfsberechnung ein. Ausländerinnen und Ausländer, die tungsbezieher ging gegenüber dem Vor­
Hatten die Beziehenden ein anrechenba­ vom Bundesamt für Migration und Flücht­ jahr um 25 % zurück. u Abb 6
res Einkommen, so lag dies bei durch­ linge die Zuerkennung der Flüchtlings­ Zwei Drittel (66 %) der Empfänger von
schnittlich 385 Euro. Der Nettobedarf je eigenschaft erhalten oder als Asylberech­ Regelleistungen waren Männer. Über die
Leistungsberechtigten betrug durch­ tigte anerkannt sind, sind hingegen nicht Hälfte aller Bezieherinnen und Bezieher
schnittlich 487 Euro. Leistungsberechtig­ leistungsberechtigt nach dem Asylbewer­ (54 %) war jünger als 25 Jahre. Dezentral

320
Soziale Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

untergebracht waren 44 % der Regelleis­ u Info 4

tungsempfängerinnen und -empfänger, Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz


während die übrigen in Gemeinschafts­ Leistungsberechtigt sind Ausländerinnen und Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet
unterkünften oder Aufnahmeeinrichtun­ aufhalten und eine der in § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) aufgeführten Vo­
raussetzungen erfüllen. Dies sind
gen lebten.
Die meisten Bezieherinnen und Be­ ‧‧ Besitz einer Aufenthaltsgestattung,
‧‧ Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum subsidiären Schutz,
zieher von Regelleistungen stammten aus ‧‧
Abb 6 Empfängerinnen und Empfänger von Regelleistungen nach dem
Besitz einer Duldung,
Asylbewerberleistungsgesetz am Jahresende 1994 bis 2016 – in Tausend
Asien (64 %), gefolgt von Personen aus ‧‧ eine Abschiebungsandrohung, die noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist,
Afrika und Europa (jeweils 17 %). Die ‧‧ Personen, deren Einreise über einen Flughafen nicht oder noch nicht gestattet ist,
‧‧ Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder der genannten Personen, die nicht
knapp 463 000 asiatischen Bezieher von selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, sowie
Regelleistungen kamen vornehmlich aus ‧‧ Personen, die einen Folge- oder Zweitantrag stellen.
Afghanistan (30 %), Syrien (26 %), dem
Irak (18 %), dem Iran (7 %), Pakistan (6 %)
sowie Armenien (2 %). Die rund 124 000
u Abb 6 Empfängerinnen und Empfänger von Regelleistungen nach dem
europäischen Empfängerinnen und Emp­
­Asylbewerberleistungsgesetz am Jahresende 1994–2016 — in Tausend
fänger von Regelleistungen waren mit
33 % überwiegend im Besitz eines serbi­
schen, kosovarischen oder montenegrini­ 1 000

schen Passes oder eines Passes von deren 900


Vorgängerstaaten. Rund 22 % stammten
800
aus der Russischen Föderation und 16 %
aus Albanien. 700

600
8.3.3 Fördersysteme
500

Wohngeld 400
Das Wohngeld ist ein je zur Hälfte vom
300
Bund und von den Ländern getragener
Zuschuss zu den Wohnkosten. Nach den 200

Vorschriften des Wohngeldgesetzes wird 100


es einkommensschwächeren Haushalten
0
gewährt, damit diese die Wohnkosten
1995 2000 2005 2010 2015
für angemessenen und familiengerech­
ten Wohnraum tragen können. Wohn­ insgesamt männlich weiblich
geld wird entweder als Mietzuschuss für
Mietobjekte oder als Lastenzuschuss für
Haus- und Wohnungseigentum geleistet.
Die Höhe des Zuschusses richtet sich
nach der Anzahl der Haushaltsmitglie­
u Info 5
der, deren monatlichem Gesamteinkom­
Änderungen beim Wohngeld
men sowie der zu berücksichtigenden
Mit der Wohngeldnovelle 2016 wurden die sogenannten Tabellenwerte nach 2009 erneut an­
Miete beziehungsweise Belastung. Aus­ gepasst, indem neben dem Anstieg der Bruttokaltmieten und des Einkommens auch der Anstieg
führliche Informationen zum Thema der warmen Nebenkosten und damit insgesamt der Bruttowarmmiete berücksichtigt wurde.
Wohnen und Miete enthält Kapitel 6.2, Zum anderen wurden die Miethöchstbeträge regional gestaffelt angehoben. Die Miethöchst­
beträge bestimmen den Betrag, bis zu dem die Miete durch das Wohngeld bezuschusst wird.
Seite 217. u Info 5 In Regionen mit stark steigenden Mieten sind diese überdurchschnittlich stark angestiegen.
Zum Ja hresende 2016 bezogen
Neben gesetzlichen Änderungen spielen für die Entwicklung des Wohngeldes weitere Faktoren
631 000 Haushalte in Deutschland Wohn­ eine Rolle: Einen wichtigen Einfluss hat unter anderem die konjunkturelle Entwicklung. Prinzipiell
geld. Das waren 1,5 % aller Privathaus­ nimmt die Zahl der Wohngeldhaushalte mit steigender Arbeitslosigkeit zu, bei sinkender
halte. Von den Wohngeldhaushalten wa­ ­A rbeitslosigkeit geht sie zurück. Bei einem Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit kommt es ver-
mehrt zum Wechsel von Haushalten aus der Grundsicherung, die Leistungen für Unterkunft
ren rund 595 000 Haushalte (94 %) soge­ nach SGB II erhielten, in das Wohngeld. Dies führt wiederum dazu, dass die Zahl der Wohngeld-
nannte reine Wohngeldhaushalte und haushalte im Aufschwung nicht mehr – beziehungsweise nicht so stark – sinkt, wie das ohne
eine Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit der Fall wäre.
36 000 Haushalte (6 %) wohngeldrecht­

321
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung
Abb 7 Reine Wohngeldhaushalte nach sozialer Stellung
des Haupteinkommensbeziehers 2016 – in Prozent

uAbb 7 Reine Wohngeldhaushalte nach sozialer Stellung des Die folgenden Ergebnisse beziehen
Haupteinkommensbeziehers 2016 — in Prozent sich, sofern nicht anders erwähnt, aus­
schließlich auf reine Wohngeldhaushalte,
Arbeitslose
die am Jahresende 2016 den überwiegen­
den Teil der Wohngeldhaushalte (94 %)
5
ausmachten.
Studierende / Sonstige ¹ Ende 2016 waren knapp die Hälfte
9 (49 %) der Empfängerinnen und Empfän­
Rentner /-innen,
Erwerbstätige Pensionärinnen / Pensionäre ger von Wohngeld Rentner oder Pensio­
595 000
37 Haushalte 49
näre, etwa ein Drittel (37 %) ging einer
beruf lichen Tätigkeit nach. Rund ein
Zehntel (9 %) der Wohngeldempfänger
studierte noch oder war aus sonstigen
Gründen nicht erwerbstätig. Rund 5 %
Stichtag: 31.12.2016. waren arbeitslos. u Abb 7
1 Mit Einkommen nach § 14 Absatz 2 Nummer 27 bis 29 Wohngeldgesetz (WoGG).
Mehr als die Hälfte (56 %) der reinen
Abb 8 Reine Wohngeldhaushalte nach Art des Wohngeldes und Wohngeldhaushalte waren am Jahresen­
Haushaltsgröße 2016 – in Prozent de 2016 Einpersonenhaushalte. In rund
u Abb 8 Reine Wohngeldhaushalte nach Art des Wohngeldes einem Viertel (24 %) der Haushalte lebten
und Haushaltsgröße 2016 — in Prozent mindestens vier Personen. Rund 12 % der
Wohngeldhaushalte waren Zweiperso­
1 Mit Einkommen nach § 14 Absatz 2 Nummern 27 bis 29 Wohngeldgesetz (WoGG). nenhaushalte und 8 % Dreipersonenhaus­
halte. u Abb 8
reine Wohngeld- Als Mietzuschuss wird das Wohngeld
haushalte insgesamt 56 12 8 24
überwiegend an kleinere Haushalte ge­
Mietzuschuss 59 12 7 21 zahlt, als Lastenzuschuss dagegen eher an
größere Haushalte. So wurde der Mietzu­
Lastenzuschuss 26 13 8 52
schuss am Jahresende 2016 zu 71 % an Ein-
und Zweipersonenhaushalte gezahlt.
1-Personen- 2-Personen- 3-Personen- Haushalte mit 4 Mehr als die Hälfte der Empfängerinnen
Haushalte Haushalte Haushalte und mehr Personen
und Empfänger eines Mietzuschusses
Stichtag: 31.12.2016. (59 %) lebte allein. In den Haushalten mit
Lastenzuschuss wohnten dagegen über­
wiegend (52 %) vier und mehr Personen.
Am 31. Dezember 2016 hatte ein reiner
Wohngeldhaushalt einen durchschnittli­
chen monatlichen Anspruch auf Wohn­
geld in Höhe von 157 Euro. Die Haushal­
liche Teilhaushalte. In reinen Wohngeld­ Teilhaushalten war ein Rückgang von te mit Lastenzuschuss hatten in der Regel
haushalten leben ausschließlich wohn­ 11 % zu verzeichnen, wohingegen die An­ höhere Wohnkosten zu tragen. An sie
geldberechtigte Haushaltsmitglieder. zahl der reinen Wohngeldhaushalte um wurden mit durchschnittlich 227 Euro
­D agegen wohnen in Mischhaushalten 42 % stieg. Die Wohngeldausgaben stie­ deutlich höhere Beträge gezahlt als an die
wohngeldberechtigte und nicht wohn­ gen im gleichen Zeitraum insgesamt um Haushalte mit Mietzuschuss in Höhe von
geldberechtigte Personen zusammen. rund 68 %. 151 Euro. Grundsätzlich ist der Wohn­
Zum wohngeldrechtlichen Teilhaushalt Das Wohngeld kommt in erster Linie geldanspruch umso höher, je größer der
zählen die wohngeldberechtigten Mit­ Mieterinnen und Mietern zugute: Mehr Haushalt ist und je geringer das der Be­
glieder eines Mischhaushalts. als neun von zehn Wohngeldhaushalten rechnung zugrunde liegende Gesamtein­
Im Jahr 2016 gab der Staat für Wohn­ (92 %) erhielten Ende 2016 ihr Wohngeld kommen. u Tab 3
geldleistungen rund 1,1 Milliarden Euro als Mietzuschuss. Der Rest (rund 8 %) Das Wohngeld stellt immer nur einen
aus. Gegenüber dem Jahr 2015 stieg die ­erhielt es als Lastenzuschuss, der Eigen­ Zuschuss zur Miete oder Belastung dar.
Zahl der Wohngeldhaushalte insgesamt tümerinnen und Eigentümern gewährt Ein Teil der Wohnkosten muss in jedem
um 37 %. Bei den wohngeldrechtlichen wird. Fall von der Antragstellerin beziehungs­

322
Soziale Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 3 Reine Wohngeldhaushalte nach Haushaltsgröße und Höhe des monatlichen Wohngeldes 2016

Davon mit einem monatlichen Wohngeld


von ... bis unter ... Euro Durchschnittlicher
Insgesamt
Wohn­geldanspruch/Monat
unter 50 50 –150 150 und mehr
Anzahl in % in % von Spalte 1 in Euro

Insgesamt 595 150 100 13,8 45,2 41,0 157

Mietzuschuss 549 973 92,4 14,3 46,3 39,3 151

Lastenzuschuss 45 177 7,6 7,5 31,4 61,1 227

Haushalte ...

von Alleinstehenden 335 087 56,3 18,5 58,0 23,4 111

mit 2 Haushaltsmitgliedern 73 491 12,3 11,7 40,7 47,6 159

mit 3 Haushaltsmitgliedern 44 956 7,6 10,4 34,2 55,4 183

mit 4 Haushaltsmitgliedern 64 412 10,8 6,6 27,9 65,5 205

mit 5 Haushaltsmitgliedern 45 849 7,7 4,1 18,4 77,4 254

mit 6 und mehr Haushaltsmitgliedern 31 355 5,3 2,1 9,5 88,4 365

Stichtag: 31.12.2016.

weise dem Antragsteller getragen werden. Das hat im Wesentlichen zwei Grün­ Nordrhein-Westfalen mit jeweils 1,7 %
Durch den Bezug von Wohngeld sanken de: Einerseits sind die durchschnittlichen am höchsten, gefolgt von Niedersachsen
die durchschnittlichen tatsächlichen Mieten je Quadratmeter in kleinen Woh­ und Bremen mit jeweils 1,6 %. Am sel­
Wohnkosten je Wohngeldempfänger­ nungen höher als in größeren. Zusätzlich tensten erhielten die Haushalte in Bayern
haushalt von 448 Euro auf 291 Euro. überwiegen unter den Haushalten mit (0,9 %) und im Saarland (1,1 %) sowie in
Die Höhe der Miete beziehungsweise Mietzuschuss Einpersonenhaushalte, die Baden-Württemberg und Hessen (jeweils
der Belastung ist eine zentrale Größe bei in der Regel über eine kleine Wohnfläche 1,3 %) Wohngeld. In den östlichen Flä­
der Festlegung des Wohngeldes. Zur zu­ verfügen. Andererseits leben in Wohn­ chenländern hatte Mecklenburg-Vor­
schussfähigen Miete gehören auch be­ geldhaushalten mit Lastenzuschuss zu­ pommern (3,3 %) den höchsten und Bran­
stimmte Umlagen, Zuschläge und Ver­ meist vier und mehr Haushaltsmitglieder denburg sowie Sachsen-Anhalt (jeweils
gütungen, zum Beispiel die Kosten des in größeren Wohnungen mit mindestens 2,1 %) den niedrigsten Anteil an Wohn­
Wasserverbrauchs, der Abwasser- und 120 Quadratmetern zusammen. Zusätz­ geldhaushalten. In Berlin nahmen 1,3 %
Müllbeseitigung, der Treppenhausbe­ lich ist die Belastung bei Wohngeldhaus­ der Haushalte Wohngeld in Anspruch,
leuchtung und Ähnliches. Außer Be­ halten mit Lastenzuschuss besonders was der Größenordnung der Inanspruch­
tracht bleiben dagegen die Heizungs- und niedrig, wenn für Wohnraum keine Be­ nahme in den alten Bundesländern ent­
Warmwasserkosten; daher wird auch von lastung aus dem Kapitaldienst mehr be­ spricht. u Abb 9
»Bruttokaltmiete« gesprochen. Zur Belas­ steht, sondern nur noch die Belastung Im früheren Bundesgebiet ohne Ber­
tung bei den Eigentümerhaushalten zäh­ aus der Bewirtschaftung (Instandhal­ lin lag dabei der durchschnittliche monat­
len der Kapitaldienst (Zinsen, Tilgung) tungs- und Betriebskosten). liche Wohngeldanspruch von reinen
sowie die Aufwendungen für die Bewirt­ Bei der Wohngeldförderung exis­ Wohngeldhaushalten bei 169 Euro, in den
schaftung des Wohnraums, zu denen In­ tieren in Deutschland ein Ost-West- neuen Ländern und Berlin bei 128 Euro
standhaltungs-, Betriebs- und Verwal­ und ein Nord-Süd-Gefälle. Zum Jahres­ sowie bundesweit bei 157 Euro. Die durch­
tungskosten zu rechnen sind. ende 2016 waren im früheren Bundesge­ schnittliche monatliche Miete bezie­
Die monatliche Bruttokaltmiete rei­ biet ohne Berlin 1,4 % aller privaten hungsweise Belastung von reinen Wohn­
ner Wohngeldhaushalte mit Mietzu­ Haushalte reine Wohngeldhaushalte oder geldhaushalten belief sich auf 7,15 Euro
schuss betrug Ende 2016 durchschnitt­ wohngeldrechtliche Teilhaushalte. In je Quadratmeter Wohnfläche. In den al­
lich 7,39 Euro je Quadratmeter Wohnflä­ den neuen Ländern und Berlin war die­ ten Bundesländern ohne Berlin lagen
che, die monatliche Belastung der ser Anteil mit 2,1 % deutlich höher. In die durchschnittlichen Wohnkosten bei
entsprechenden Haushalte mit Lastenzu­ den alten Bundesländern war der Anteil 7,37 Euro je Quadratmeter, in den neuen
schuss lag mit durchschnittlich 5,77 Euro der Wohngeldhaushalte an den Privat­ Bundesländern und Berlin bei 6,54 Euro
je Quadratmeter Wohnfläche niedriger. haushalten in Schleswig-Holstein und je Quadratmeter.

323
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung
Abb. 13: Wohngeldausgaben und Wohngeldhaushalte nach Ländern 2014

u Abb 9 Wohngeldausgaben und Wohngeldhaushalte nach Ländern 2016 u Info 6


Elterngeld

Wohngeldausgaben Anteil der Wohngeld- Elterngeldbezüge für bis Ende 2012 ge-
je Einwohner — in Euro haushalte an den Privat- borene Kinder erfasste die ab 2008
haushalten ¹ — in Prozent durchgeführte Statistik über die beende-
ten Leistungsbezüge. In dieser inzwi-
Deutschland Deutschland
schen eingestellten Erhebung erfolgte
14,0 1,5
erst nach Abschluss eines Leistungs­
bezuges eine Meldung zur Statistik. Für
25,0 Mecklenburg-Vorpommern 3,3
ab dem 1. Januar 2013 geborene Kinder
melden die Elterngeldstellen alle drei
19,1 Sachsen 2,5
Monate die Leistungsbezüge des jeweils
16,9 Schleswig-Holstein 1,7 vergangenen Quartals (Statistik zum
­Elterngeld [Leistungsbezüge]).
16,7 Nordrhein-Westfalen 1,7
Seit dem dritten Quartal 2015, der Ein-
führung von ElterngeldPlus (für nach
16,4 Thüringen 2,2
dem 30. Juni 2015 geborene Kinder),
16,0 Brandenburg 2,1 werden zusätzlich zu den bisher er­
hobenen Merkmalen auch die Art der
16,0 Bremen 1,6 Leistung (Basis-Elterngeld beziehungs-
weise ElterngeldPlus beziehungsweise
15,3 Sachsen-Anhalt 2,1 Partnerschaftsbonus) für jeden Bezugs-
monat erfasst. Durch die Einführung
14,6 Niedersachsen 1,6 ­dieser neuen Leistungsart kann sich die
­Bezugsdauer nun erheblich verlängern –
14,5 Hamburg 1,4 die Ergebnisse zu abgeschlossenen
­G eburtszeiträumen sind deshalb erst
14,0 Hessen 1,3 später verfügbar. Gültige Rechtsgrund­
lage der Bundesstatistik zum Elterngeld
12,6 Baden-Württemberg 1,3 für ab dem 1. Januar 2013 geborene
Kinder ist das Bundeselterngeld- und
12,0 Berlin 1,3
­Elternzeitgesetz (BEEG) in der Neu­
fassung vom 27. Januar 2015 (BGBl I
11,9 Rheinland-Pfalz 1,4
2015, Seite 33). Die hier dargestellten
8,9 Saarland 1,1
­Ergebnisse beziehen sich auf alle Leis-
tungsbezieher nach dem Sitz der Eltern-
7,6 Bayern 0,9 geldstelle, die im betrachteten Be­
richtsjahr 2017 mindestens einen Monat
Elterngeld bezogen haben.

1 Reine Wohngeldhaushalte und wohngeldrechtliche Teilhaus-


1 Reine Wohngeldhaushalte und wohngeldrechtliche Teilhaushalte bezogen auf die Zahl der Privathaushalte
haltenach
bezogen auf die Zahl
dem Mikrozensus 2016der Privathaushalte
(Jahresdurchschnitt gemäß
/Hochrechnung anhand der Bevölkerungsfortschreibung
Mikrozensus 2016 2011).
auf Basis Zensus (Jahresdurchschnitt/Hochrechnung anhand
der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis Zensus 2011).

Elterngeld Eltern, deren Kinder nach dem 30. Juni Erwerbseinkommen die vollen 14 Monate
Das im Januar 2007 eingeführte Eltern­ 2015 geboren wurden, können zwischen Elterngeld in Anspruch nehmen.
geld löste das bis dahin gewährte Erzie­ dem Bezug von Basis-Elterngeld (bisheri­ Die Höhe des Elterngeldes hängt vom
hungsgeld ab. Es soll die Familien nach ges Elterngeld) und ElterngeldPlus wählen durchschnittlich verfügbaren Erwerbsein­
der Geburt eines Kindes insbesondere oder beides kombinieren. u Info 6 kommen im Jahr vor der Geburt ab und
dann finanziell absichern, wenn durch (Basis-)Elterngeld kann für insgesamt beträgt mindestens 300 Euro und höchs­
die Betreuung des Kindes die Eltern ihre 14 Monate nach der Geburt eines Kindes tens 1 800 Euro monatlich. Bei einem vor
berufliche Arbeit unterbrechen oder ein­ bewilligt werden, wovon ein Elternteil al­ der Geburt verfügbaren Einkommen in
schränken und daher Erwerbseinkom­ lein im Regelfall maximal zwölf Monate Höhe von 1 000 Euro bis 1 200 Euro beträgt
men wegfallen. beanspruchen kann. Zwei weitere Mona­ das Elterngeld 67 % des Voreinkommens.
Elterngeld steht allen Müttern und te gibt es, wenn auch der andere Eltern­ Bei geringerem Einkommen steigt die Er­
Vätern zu, die einen Wohnsitz oder ihren teil Elterngeld für sich beantragt und satzrate schrittweise auf bis zu 100 %. Bei
gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland ­e inem der beiden Elternteile für zwei höherem Einkommen sinkt die Ersatzrate
haben und mit ihrem Kind in einem ­Monate Erwerbseinkommen wegfällt. Al­ auf bis zu 65 % (maximal 1 800 Euro). Der
Haushalt leben. leinerziehende können bei Wegfall von Mindestbetrag in Höhe von 300 Euro wird

324
Soziale Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 4 Elterngeldbeziehende nach Art der Inanspruchnahme und Ländern 2017

Davon Davon Davon

Insgesamt darunter Frauen darunter Männer darunter


mit mit mit
mit Partner- mit Partner- mit Partner-
Elterngeld- Elterngeld- Elterngeld-
schafts- schafts- schafts-
Plus ¹ Plus ¹ Plus ¹
bonus ² bonus ² bonus ²

Anzahl in % Anzahl in % Anzahl in %

Baden-Württemberg 240 290 21,2 6,9 179 558 25,1 4,1 60 732 9,7 28,5

Bayern 291 134 17,9 7,8 216 120 21,1 4,7 75 014 8,6 29,4

Berlin 86 959 21,0 18,3 64 613 21,9 12,7 22 346 18,5 37,6

Brandenburg 47 198 18,1 11,8 36 077 20,3 7,8 11 121 11,2 34,8

Bremen 13 882 27,4 5,6 11 130 30,5 3,3 2 752 14,8 24,3

Hamburg 46 054 16,0 16,4 34 796 17,3 10,7 11 258 11,7 42,7

Hessen 129 428 21,1 6,3 100 816 24,1 3,8 28 612 10,7 26,3

Mecklenburg-Vorpommern 29 033 16,2 7,8 22 981 18,2 4,8 6 052 8,6 32,0

Niedersachsen 166 925 26,9 4,8 131 095 31,3 2,9 35 830 11,0 24,7

Nordrhein-Westfalen 365 791 23,9 6,2 289 489 27,0 3,8 76 302 12,2 27,0

Rheinland-Pfalz 81 775 29,3 3,8 65 673 33,6 2,2 16 102 11,8 22,3

Saarland 17 536 22,5 2,7 14 464 25,3 1,6 3 072 9,4 16,9

Sachsen 89 443 25,6 8,2 65 011 30,4 5,3 24 432 12,7 26,9

Sachsen-Anhalt 39 408 21,0 5,0 30 988 23,9 3,1 8 420 10,4 21,9

Schleswig-Holstein 54 489 23,4 6,9 43 244 26,2 4,2 11 245 12,4 29,1

Thüringen 45 405 31,8 5,8 34 019 38,6 3,5 11 386 11,6 28,3

Deutschland 1 744 750 22,4 7,2 1 340 074 25,9 4,4 404 676 11,2 28,7

Beziehende mit nach dem 30.6.2015 geborenen Kindern (neue Rechtslage).


1 Hierunter werden auch Beziehende gezählt, die nicht über den gesamten Bezugszeitraum, sondern nur zeitweise ElterngeldPlus beziehen. D
­ ie Inanspruchnahme von ElterngeldPlus muss nicht in den aktuellen
Berichtszeitraum fallen.
2 Hierunter werden alle Beziehenden gezählt, die im Rahmen ihres Bezuges die Inanspruchnahme von Partnerschaftsbonus-Monaten vorgesehen haben. Die Inanspruchnahme des Partnerschaftsbonus muss nicht
in den aktuellen Berichtszeitraum fallen.

auch gezahlt, wenn vor der Geburt des nem bisherigen (Basis-)Elterngeldmonat höchsten Väteranteil gab es 2017 in Sach­
Kindes kein Einkommen erzielt wurde. Je werden zwei ElterngeldPlus-Monate. sen mit 28 %, den niedrigsten im Saar­
nach Familiensituation erhöht sich der Be­ Wenn beide Elternteile gleichzeitig für land mit 18 %.
trag um einen Geschwisterbonus und / vier Monate jeweils zwischen 25 und Rund 1,74 Millionen Leistungsbezie­
oder einen Mehrlingszuschlag. 30 Stunden in der Woche arbeiten, gibt es herinnen und -bezieher des Jahres 2017
Mit den Regelungen zum Elterngeld­ außerdem einen Partnerschaftsbonus in hatten ein Kind, das nach dem 30. Juni
Plus sollen insbesondere diejenigen Eltern Form von vier zusätzlichen Elterngeld­ 2015 geboren wurde. Für diesen Personen­
begünstigt werden, die bereits während Plus-Monaten je Elternteil. Dies gilt auch kreis galten bereits die neuen Wahlmög­
des Elterngeldbezuges wieder in Teilzeit für getrennt erziehende Eltern, die als El­ lichkeiten des ElterngeldPlus. Hiervon
arbeiten wollen. Es beträgt monatlich tern gemeinsam in Teilzeit gehen. Allein­ entschieden sich 22 % für die neue Form
­maximal die Hälfte des Elterngeldes, das erziehenden steht der Partnerschaftsbo­ der Leistungsgewährung. Die Inanspruch­
den Eltern bei vollständigem Wegfall des nus ebenfalls zu. nahme ist dabei regional unterschiedlich:
Erwerbseinkommens nach der Geburt Im Jahr 2017 bezogen insgesamt Während in Hamburg und Mecklenburg-
­zustünde. Dementsprechend liegt der 1,76 Millionen Mütter und Väter Eltern­ Vorpommern nur 16 % der Beziehenden
­monatliche Anspruch auf ElterngeldPlus geld. Das Elterngeld wurde deutlich häu­ ElterngeldPlus beantragten, waren es in
zwischen 150 Euro und 900 Euro. figer an Mütter als an Väter ausgezahlt: Thüringen 32 %. u Tab 4
Durch die Einführung dieser neuen Die 1,35 Millionen Empfängerinnen mach­ Das ElterngeldPlus kam vor allem bei
Leistungsart kann sich die Bezugsdauer ten 77 % der Beziehenden aus. Der Anteil Frauen auf Anhieb gut an: Mehr als jede
nun erheblich verlängern, denn aus ei­ der Väter lag entsprechend bei 23 %. Den vierte Mutter (26 %), die im Jahr 2017

325
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.3 / Soziale Sicherung

u Tab 5 Elterngeldbeziehende mit Erwerbseinkommen ­ lterngeld erhielt und die rechtliche Mög­
E
vor der Geburt nach Ländern 2017 lichkeit dazu hatte, plante im Rahmen ih­
Insgesamt Frauen Männer res Elterngeldbezuges ElterngeldPlus ein.
Den höchsten Frauenanteil an Elterngeld­
Anzahl in %
Plus-Bezieherinnen gab es in Thüringen
Baden-Württemberg 188 404 78,4 72,7 95,3
(39 %). Am seltensten bezogen Frauen in
Bayern 235 812 81,0 76,0 95,4
Hamburg (17 %) und in Mecklenburg-
Berlin 64 355 74,0 68,7 89,3
Vorpommern (18 %) ElterngeldPlus.
Brandenburg 38 608 81,8 78,5 92,4
Väter beantragten lediglich zu 11 %
Bremen 8 563 61,7 56,4 83,0
auch ElterngeldPlus-Monate im Rahmen
Hamburg 36 154 78,5 73,5 93,9
ihres Elterngeldbezuges. Am häufigsten
Hessen 95 911 74,1 69,2 91,4
bezogen Männer in Berlin (19 %) Eltern­
Mecklenburg-Vorpommern 22 894 78,9 75,8 90,4
geldPlus; am niedrigsten lag der Anteil
Niedersachsen 123 142 73,8 69,4 89,8
in Mecklenburg-Vorpommern und in
Nordrhein-Westfalen 265 847 72,7 68,1 89,9
Bayern (jeweils 8,6 %). Die – eher weni­
Rheinland-Pfalz 59 197 72,4 67,9 90,7
gen – Väter, die sich für die Inanspruch­
Saarland 11 882 67,8 63,3 88,7
nahme von ElterngeldPlus entschieden,
Sachsen 74 628 83,4 79,7 93,5
nahmen allerdings relativ häufig (29 %)
Sachsen-Anhalt 29 705 75,4 71,7 88,8
auch den Partnerschaftsbonus in An­
Schleswig-Holstein 41 861 76,8 73,8 88,6
spruch. Der Anteil der Bezieher mit vor­
Thüringen 37 047 81,6 78,1 92,1
gesehenen Partnerschaftsbonus-Mona­
Deutschland 1 334 010 76,5 71,7 92,2
ten an den ElterngeldPlus-Beziehern ist
Beziehende mit nach dem 30.6.2015 geborenen Kindern (neue Rechtslage) und für die Elterngeldberechnung relevantem bei den Männern in Hamburg mit 43 %
Erwerbseinkommen.
mit Abstand am höchsten. Von den Frau­
en mit ElterngeldPlus planten bundes­
u Abb 10 Voraussichtliche Bezugsdauer für vor der Geburt erwerbstätige weit lediglich 4,4 % einen Partnerschafts­
Leistungsbeziehende 2017 — in Monaten bonus mit ein. Mit 13 % lag ihr Anteil in
Berlin am höchsten.
Von allen Leistungsbezieherinnen
Rheinland-Pfalz 3,3 14,9
und Leistungsbeziehern mit nach dem
Niedersachsen 3,3 14,4 30. Juni 2015 geborenen Kindern waren
Bremen 4,1 14,2 76 % vor der Geburt erwerbstätig. Bei
Nordrhein-Westfalen 3,6 14,2 den Männern waren etwa neun von zehn
Baden-Württemberg 3,0 14,1 Leistungsbeziehern vor der Geburt des
Thüringen 3,0 14,1
anspruchsbegründenden Kindes er­
werbstätig (92 %), bei den Frauen hinge­
Saarland 3,2 14,1
gen nur etwa sieben von zehn (72 %). Vä­
Hessen 3,4 14,0
ter, die vor der Geburt erwerbstätig wa­
Schleswig-Holstein 3,6 14,0
ren, planten im Durchschnitt 3,3
Deutschland 3,3 13,9 Elterngeldbezugsmonate. Vor der Geburt
Bayern 3,0 13,7 erwerbstätige Mütter bezogen mit im
Sachsen 3,1 13,5 Schnitt 13,9 Bezugsmonaten deutlich
Hamburg 3,5 13,0 länger Elterngeld als ihre erwerbstätigen
Sachsen-Anhalt 3,3 13,0
Partner. u Tab 5, Abb 10
Aufgrund der im Regelfall deutlich
Brandenburg 3,2 12,8
längeren Bezugsdauer ist die Höhe des
Mecklenburg-Vorpommern 3,2 12,8
durchschnittlichen Elterngeldanspruchs
Berlin 4,4 12,7
insgesamt bei Frauen höher als bei Män­
nern. Den Anspruch aller Bezugsmonate
Männer Frauen
aufsummiert, haben Männer im Schnitt
Beziehende mit nach dem 30.6.2015 geborenen Kindern (neue Rechtslage). einen Elterngeldanspruch von 3 545 Euro.
Frauen haben hingegen einen durch­

326
Soziale Sicherung / 8.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 6 Höhe des durchschnittlichen Elterngeldbezugs


für Leistungsbeziehende 2017 — in Euro

Frauen Männer

monatlicher Elterngeld­ monatlicher Elterngeld­


Anspruch im anspruch Anspruch im anspruch
Bezugszeitraum insgesamt Bezugszeitraum insgesamt

Baden-Württemberg 733 9 581 1 331 3 637

Bayern 765 9 810 1 288 3 489

Berlin 738 9 050 1 017 4 051

Brandenburg 755 9 362 1 022 3 096

Bremen 604 7 916 1 036 3 755

Hamburg 831 10 275 1 250 4 015

Hessen 718 9 286 1 218 3 768

Mecklenburg-Vorpommern 705 8 742 998 3 060

Niedersachsen 662 8 749 1 166 3 477

Nordrhein-Westfalen 665 8 734 1 154 3 703

Rheinland-Pfalz 649 8 802 1 184 3 489

Saarland 648 8 461 1 192 3 577

Sachsen 708 9 140 1 002 2 946

Sachsen-Anhalt 672 8 473 974 3 096

Schleswig-Holstein 697 9 070 1 135 3 655

Thüringen 676 9 029 992 2 791

Deutschland 707 9 162 1 183 3 545

Beziehende mit nach dem 30.6.2015 geborenen Kindern (neue Rechtslage).

schnittlichen Elterngeldanspruch von gen der Kinder- und Jugendhilfe erfasst


9 162 Euro. Bei der Höhe des durchschnitt­ (unter anderem Kindertageseinrichtun­
lichen monatlichen Elterngeldanspruchs gen). Die Ausgaben für Einzel- und Grup­
zeigt sich ein umgekehrtes Bild: Aufgrund penhilfen werden gegliedert nach Hilfe­art
des höheren Anteils an Erwerbstätigkeit und Art der Ausgabe erhoben.
vor der Geburt und auch der im Schnitt Für den gesamten Bereich der Kinder-
höheren Einkommen ist der Anspruch je und Jugendhilfe wendeten die öffentlichen
Bezugsmonat bei Männern mit 1 183 Euro Träger im Jahr 2016 brutto 45,1 Milliar­
deutlich höher als der monatliche An­ den Euro auf. Rund 63 % dieser Ausgaben
spruch der Frauen mit 707 Euro. u Tab 6 fielen in den Bereich der Kindertagesbe­
treuung (28,5 Milliarden Euro). Leistun­
Kinder- und Jugendhilfe gen der Hilfe zur Erziehung kosteten die
Die Statistik der Ausgaben und Einnah­ Träger der Kinder- und Jugendhilfe ins­
men der öffentlichen Jugendhilfe weist gesamt 12,2 Milliarden Euro. Davon ent­
Ausgaben nach, die aus öffentlichen Mit­ fielen 6,5 Milliarden Euro (53 %) auf die
teln für Zwecke der Jugendhilfe nach dem Unterbringung junger Menschen außer­
Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) halb des Elternhauses in Vollzeitpflege
»Kinder- und Jugendhilfe« geleistet wer­ und Heimerziehung oder sonstiger betreu­
den, sowie die entsprechenden Einnah­ ter Wohnform.
men. Diese werden getrennt für Einzel- Über die Leistungen und anderen
und Gruppenhilfen und andere Aufgaben Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe in­
nach dem SGB VIII und für Einrichtun­ formiert Kapitel 2.3, Seite 69.

327
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.4 / Sozialversicherungssysteme

8.4 Die Sozialversicherungssysteme sind


wichtige Bausteine des deutschen Sozial-
ner wird immer wieder kritisch disku-
tiert, da sie ähnlich wie das Ehegatten-
Sozial- staats und sollen die Menschen vor den splitting in der Einkommensteuer verhei-
versicherungs- Folgen zentraler Lebensrisiken schützen.
Neben Geld- und Sachleistungen zur
ratete Frauen davon abhalten könnte,
eine sozialversicherungspf lichtige Be-
systeme * Kompensation der direkten Folgen von schäftigung aufzunehmen. Anders als bei

 berarbeitung der Version, die 2013 Ereignissen wie Krankheit oder Arbeits­ privaten Versicherungen hängen die Bei-
von Heiko Pfaff erstellt wurde.
losigkeit umfassen die Leistungen der träge in der Sozialversicherung zudem
­Sozialversicherungssysteme auch präven- nicht vom Risikoprofil der oder des Versi-
Jan Paul Heisig tive Maßnahmen (zum Beispiel Vorsorge- cherten ab. Personen, die zum Beispiel
WZB untersuchungen im Bereich der Kranken- aufgrund ihrer beruf­lichen Tätigkeit er-
versicherung) sowie Maßnahmen, die die höhte Erkrankungs- oder Arbeitslosig-
Ursachen der Hilfsbedürftigkeit direkt be- keitsrisiken haben, zahlen bei sonst glei-
WZB / SOEP
kämpfen sollen (zum Beispiel Rehabilitati- chen Voraussetzungen die gleichen Beiträ-
onsmaßnahmen für Erwerbsgeminderte ge wie Personen mit niedrigeren Risiken.
oder Vermittlungshilfen sowie Aus- und Die nachfolgenden Abschnitte geben
Weiterbildungsangebote für Arbeitslose). einen Überblick über die vier wichtigsten
Ergänzt werden die Sozialversiche- Sozialversicherungssysteme in Deutsch-
rungssysteme durch eine Reihe von Min- land: die gesetzliche Rentenversicherung,
destsicherungssystemen (siehe Kapitel die gesetzliche Krankenversicherung, die
8.3.2, Seite 316). Ein entscheidender Un- soziale Pflegeversicherung und die Ar-
terschied zwischen den Sozialversiche- beitslosenversicherung.
rungs- und den Mindestsicherungssyste-
men besteht darin, dass Leistungsansprü- 8.4.1 Gesetzliche
che im Falle der Versicherungssysteme Rentenversicherung
grundsätzlich durch die Zahlung von Die gesetzliche Rentenversicherung ist
Beiträgen erworben werden. Dabei wird der wichtigste Baustein der Altersvorsor-
dieses »Versicherungsprinzip« in den ge und Hinterbliebenensicherung in
deutschen Sozialversicherungssystemen Deutschland. Auch das Risiko einer lang-
aber durch eine Vielzahl von Regelungen fristigen Erwerbsminderung aufgrund
abgeschwächt, sodass die Koppelung zwi- von psychischen oder physischen Erkran-
schen Beiträgen und Leistungsansprü- kungen wird durch sie abgesichert. Für
chen in der Sozialversicherung teils deut- einige Berufsgruppen werden die Aufga-
lich schwächer ist als auf privaten Ver­ ben der gesetzlichen Rentenversicherung
sicherungsmärkten. So steigen zum Bei- durch andere gesonderte Versicherungs-
spiel die Beiträge der Versicherten in der systeme getragen, wobei diese in der Regel
gesetzlichen Krankenversicherung bis jedoch recht eng an die gesetzliche Ren-
zur sogenannten Beitragsbemessungs- tenversicherung angelehnt sind. Zu nen-
grenze propor­tional mit dem Erwerbs- nen sind hier insbesondere die Alters­
einkommen an, ohne dass dies Unter- sicherung für Landwirte, berufsständi-
schiede in den Leistungsansprüchen zur sche Versorgungswerke (zum Beispiel
Folge hätte. Durch die kostenlose Mitver- für Apothekerinnen und Apotheker oder
sicherung von Kindern und nicht er- Architektinnen und Architekten) sowie
werbstätigen Ehepartnerinnen oder Ehe- die Beamtenversorgung. Ergänzt werden
partnern findet in der Krankenversiche- diese grundständigen Systeme durch
rung zudem eine Umverteilung von Kin- eine Reihe von zusätzlichen Programmen
derlosen zu Personen mit Kindern statt, wie die betriebliche Altersvorsorge, die
für die es in der pri­vaten Krankenversi- Zusatzvorsorge im öffentlichen Dienst
cherung keine Entsprechung gibt. Insbe- und weitere (tarif-)vertragliche und frei-
sondere die Versicherung der nicht er- willige Arbeitgeberleistungen. Mit der
werbstätigen Ehepartnerinnen und -part- Einführung der »Riester-Rente« im Jahr

328
Sozialversicherungssysteme / 8.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 1 Gesetzliche Rentenversicherung 2016 lag der Beitragssatz bei 18,7 % des Brutto-
Rentenbestand ¹ in 1 000
lohns unterhalb der Bemessungsgrenze
von monatlich 6 650 Euro, wobei der Bei-
Insgesamt 25 397
trag je zur Hälfte von Arbeitnehmerin-
Renten wegen verminderter
1 783 nen und Arbeitnehmern sowie Arbeitge-
Erwerbsfähigkeit
Altersrenten 18 004 berinnen und Arbeitgebern getragen
Witwer- / Witwenrenten 5 288 wird. Die Beitragseinnahmen machten
Waisenrenten 314 2016 rund 74 % der Gesamteinnahmen
Einnahmen und Ausgaben in Milliarden Euro
aus (215,7 von 291,9 Milliarden Euro).
Die zweitwichtigste Einnahmequelle der
Einnahmen 291,9
gesetzlichen Rentenversicherung sind
 davon Beiträge 215,7
Ausgaben 293,9
Bundeszuschüsse, deren Höhe im Jahr
2016 insgesamt 69,7 Milliarden Euro be-
durchschnittliche Versichertenrente in Euro pro Monat
trug. Betrachtet man die große Bedeu-
Frauen 673
tung der Beitragszahlungen, so werden
Männer 1063
die viel diskutierten Probleme des Umla-
1 Zum 1.7.2016. geverfahrens deutlich: Solange das Ver-
Datenbasis: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Sozialbericht 2017; Deutsche Rentenversicherung:
Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2017. hältnis zwischen Beitragszahlerinnen
und -zahlern auf der einen und Renten-
empfängerinnen und -empfängern auf
der anderen Seite konstant bleibt oder die
2002 und der »Rürup-Rente« im Jahr 2005 Außerdem haben viele Frauen – vor allem Anzahl der Zahlenden gegenüber den
wurde zudem das System der individuel- aus familiären Gründen – ihre Erwerbs­ Empfängerinnen und Empfängern sogar
len privaten Vorsorge gestärkt. tätigkeit zeitweise unterbrochen oder steigt, funktioniert das Verfahren. Auf-
Dem Sozialbudget der Bundesregie- frühzeitig beendet. Die Berücksichtigung grund der zunehmenden Alterung der
rung zufolge lagen die Ausgaben der ge- von Kindererziehungszeiten kann diese Gesellschaft (siehe Kapitel 1.1, Seite 15,
setzlichen Rentenversicherung im Jahr Effekte nur teilweise kompensieren. Dies Tab 4) müssen in den letzten Jahren je-
2016 bei rund 293,9 Milliarden Euro, was gilt auch nach der Einführung der soge- doch immer weniger Beitragszahlende
32 % des gesamten Sozialbudgets in Höhe nannten Mütterrente, durch die für jedes für die Finanzierung von immer mehr
von 918 Milliarden Euro entspricht (siehe vor 1992 geborene Kind seit dem 1. Juli Renten aufkommen – ein Trend, der sich
Kapitel 8.3.1, Seite 315, Tab 1). Etwa 90 % 2014 ein zusätzlicher sogenannter Entgelt- voraussichtlich auch in den nächsten Jah-
der Ausgaben wurden für Rentenzahlun- punkt gutgeschrieben wird. Die Entgelt- ren fortsetzen wird. Um die Folgen dieser
gen aufgewendet. Der zweitgrößte Aus- punkte sind die Berechnungsgrundlage Entwicklung abzumildern, wird die soge-
gabenposten war mit 18,4 Milliarden für die individuelle Renten­höhe. Zum nannte Regelaltersgrenze für den Bezug
Euro die Krankenversicherung der Rent- 1. Juli 2016 betrug der Wert ­eines Entgelt- abschlagsfreier Altersrenten für die Ge-
nerinnen und Rentner (siehe auch Ab- punkts in Westdeutschland 30,45 Euro burtsjahrgänge ab 1947 seit 2012 schritt-
schnitt 8.4.2). Insgesamt bezogen Mitte und in Ostdeutschland 28,66 Euro (siehe weise erhöht. Für die Geburtsjahrgänge
2016 gut 25,4 Millionen Personen Renten Kapitel 8.5, Seite 333, Info 1). ab 1964 wird die Regelaltersgrenze nach
von der gesetzlichen Rentenversicherung. Die gesetzliche Rentenversicherung aktueller Gesetzeslage 67 Jahre betragen
In 71 % der Fälle handelte es sich dabei finanziert sich seit der Rentenreform von (»Rente mit 67«). Weitere Erhöhungen
um Altersrenten, bei 22 % um Hinterblie- 1957 nach dem sogenannten Umlagever- sind bisher nicht vorgesehen.
benenrenten und bei 7 % um Renten we- fahren. Das bedeutet, dass die Beschäftig-
gen verminderter Erwerbsfähigkeit. u Tab 1 ten im Rahmen eines »Generationenver- 8.4.2 Gesetzliche
Die durchschnittliche monatliche Ver- trages« die Renten der inzwischen ver- Krankenversicherung
sichertenrente lag 2016 für Männer bei 1 renteten, früheren Arbeitnehmerinnen Die gesetzliche Krankenversicherung ist
063 Euro, für Frauen bei 673 Euro. Der und Arbeitnehmer tragen. der zentrale Pfeiler der sozialen Absiche-
Unterschied in der Rentenhöhe ergibt sich Die Beiträge von Arbeitnehmerinnen rung im Bereich der Gesundheit. Eine
unter anderem dadurch, dass die heute und Arbeitnehmern sowie Arbeitgebe- wichtige Rolle spielen außerdem die
anspruchsberechtigten Frauen im Verlauf rinnen und Arbeitgebern sind die wich- ­gesetzliche Unfallversicherung, die Pfle-
ihres Arbeitslebens im Durchschnitt ge- tigste Finanzierungsquelle der gesetzli- geversicherung (siehe Abschnitt 8.4.3),
ringer entlohnte Tätigkeiten ausführten. chen Rentenversicherung. Im Jahr 2016 die Beihilfen im öffentlichen Dienst, die

329
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.4 / Sozialversicherungssysteme

verpflichtende Entgeltfortzahlung durch u Tab 2 Ausgaben und Einnahmen der gesetzlichen Kranken-
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie versicherung 2016 — in Milliarden Euro
die private Krankenversicherung. 2016
Die Leistungen der gesetzlichen Kran-
Ausgaben insgesamt 222,3
kenversicherung werden in Deutschland
Behandlungen durch Ärztinnen / Ärzte und Heilmittelerbringer 43,7
von über 100 teils regionalen, teils über-
Behandlung durch Zahnärztinnen / Zahnärzte und Zahnersatz 13,9
regionalen Krankenkassen angeboten.
Arzneimittel und Hilfsmittel 43,8
Beschäftigte in einem Arbeiter- oder An-
Krankenhaus 71,7
gestelltenverhältnis müssen sich bei einer
Krankengeld 11,7
dieser Krankenkassen versichern, wenn
Sonstige Leistungen 25,2
ihr regelmäßiger Jahresverdienst unter-
Sonstige Ausgaben 1,5
halb der sogenannten Jahresarbeitsent- Verwaltungsaufgaben 9,3
geltgrenze liegt (im Jahr 2016 lag diese Verrechnungen 1,6
bei 56 250 Euro). Abhängig Beschäftigte, Einnahmen insgesamt 223,0
deren Einkommen oberhalb der Jahres- Beiträge 206,7
entgeltgrenze liegt, können sich freiwillig Bundesmittel 15,5
in der gesetzlichen Krankenversicherung Sonstige Einnahmen 0,4
oder bei einer privaten Krankenversiche- Verrechnungen 0,3
rung versichern. Neben der Mehrheit der
Datenbasis: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Sozialbericht 2017.
abhängig Beschäftigten sind die meisten
Rentnerinnen und Rentner (über die
»Krankenversicherung der Rentner«) so-
wie Auszubildende, Studierende und sicherung. Davon waren 32,6 Millionen 1,70 %. Einige regionale und Betriebs-
­A rbeitslose in der gesetzlichen Kranken- (46 %) Pf lichtmitglieder, 5,8 Millionen krankenkassen verlangten geringere Zu-
versicherung pf lichtversichert. Schließ- (8 %) freiwillige Mitglieder und 16,8 Mil- satzbeiträge. u Tab 2
lich sind auch einige Gruppen von Selbst­ lionen (24 %) pflichtversicherte Rentne- Die Gesamtausgaben der gesetzlichen
ständigen, zum Beispiel landwirtschaft­ rinnen und Rentner. Weitere 16,2 Millio- Krankenversicherung beliefen sich im
liche Un t e r n e h m e r i n n e n und nen (23 %) Personen waren im Rahmen Jahr 2016 auf 222,3 Milliarden Euro. Der
Unternehmer, in der gesetzlichen der oben bereits diskutierten Familienver- größte Ausgabenblock waren die Kran-
Krankenver­sicherung pf lichtversichert. sicherung in der gesetzlichen Kranken- kenhausbehandlungen (71,7 Milliarden
Die Mehrheit der Selbstständigen kann versicherung versichert. Euro beziehungsweise 32,3 % der Gesamt-
jedoch unabhängig von ihrem Einkom- Wie im Falle der Rentenversicherung ausgaben), gefolgt von den Kosten für
men zwischen der Versicherung bei einer sind die Beträge von Beschäftigten sowie Arznei und Hilfsmittel (43,8 Milliarden
gesetzlichen und einer privaten Kranken- Arbeitgebern auch für die gesetzliche Euro beziehungsweise 19,7 %) sowie für
kasse wählen. Dabei ist allerdings zu be- Krankenversicherung die bei Weitem Behandlungen durch Ärzte und Heilmit-
achten, dass es nicht immer möglich ist, wichtigste Einnahmequelle. Im Jahr 2016 telerbringer (43,7 Milliarden Euro bezie-
nach einer P­ hase der Versicherung in der machten sie 206,7 Milliarden Euro und hungsweise ebenfalls 19,7 %).
privaten Krankenversicherung in die ge- damit 92,7 % der Gesamteinnahmen von
setzliche Krankenversicherung zu wech- 223,0 Milliarden Euro aus. Seit 2015 be- 8.4.3 Soziale Pflegeversicherung
seln be­ziehungsweise zurückzukehren. trägt der Beitragssatz zur gesetzlichen Im Jahr 1995 wurde das Sozialsystem mit
Grundsätzlich besteht in Deutsch- Krankenversicherung 14,6 % des Brutto- der Pflegeversicherung um eine weitere
land seit dem 1. Januar 2009 eine allge- einkommens unterhalb der Beitragsbe- Säule ergänzt. Sie soll Schutz vor den fi-
meine Krankenversicherungspf licht. messungsgrenze von 4 237,50 Euro mo- nanziellen Folgen der Pflegebedürftigkeit
­Personen, die nicht automatisch in der natlich, wobei die Hälfte des Beitrags bei bieten und den Betroffenen ein möglichst
gesetzlichen Krankenversicherung ver­ abhängig Beschäftigten vom Arbeitge- selbstständiges und selbstbestimmtes
sichert sind, müssen sich also freiwillig ber übernommen wird. Neben diesem ­L eben ermöglichen. Die Pf legeversiche-
in der gesetzlichen Krankenversicherung allgemeinen Beitrag erheben die gesetz­ rung ist eine Pflichtversicherung – gesetz-
oder über eine private Krankenversiche- lichen Krankenkassen Zusatzbeiträge, die lich Versicherte sind in der Regel über
rung absichern. allein von den Beschäftigten getragen ihre Krankenkasse in der zugehörigen
Im Jahresdurchschnitt standen 2016 werden. Für das Jahr 2018 lagen die Zu- Pflegekasse versichert, privat Versicherte
insgesamt 71,4 Millionen Personen unter satzbeiträge bei den bundesweit geöffne- bei ihrem privaten Versicherungsunter-
dem Schutz der gesetzlichen Krankenver- ten Krankenkassen zwischen 0,59 % und nehmen. Seit April 1995 gibt es Leistun-

330
Sozialversicherungssysteme / 8.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

u Tab 3 Ausgaben und Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung 2016 sowie der Arbeitgeberinnen und Arbeiter-
und Schätzung für 2021 — in Milliarden Euro geber. Um den Beitrag von Arbeitgeber-
2016 2021 (Schätzung)
seite zu gewährleisten, fiel mit der Einfüh-
rung der Versicherung im Jahr 1995 in
Ausgaben insgesamt 29,7 41,0
den meisten Bundesländern ein gesetz­
 ambulante Leistungen 14,8 22,3
licher Feiertag weg. Bis Ende Juni 1996 lag
 soziale Sicherung der Pflegepersonen 1,0 1,9
der Beitrag bei 1,0 % des beitragspflichti-
 stationäre Leistungen 12,4 14,9 gen Bruttoarbeitsentgelts. Ab dem 1. Juli
 medizinischer Dienst 0,4 0,5 1996 wurden die stationären Pflegeleistun-
 Verwaltungsausgaben 1,0 1,4 gen eingeführt und der Beitrag auf 1,7 %
 Verrechnungen 0,0 0,0 erhöht. Rentnerinnen und Rentner zahlen
Einnahmen insgesamt 32,0 41,2 seit 2004 den vollen Beitragssatz. Weitere
 Beiträge 31,9 41,1 Beitragserhöhungen erfolgten zum 1. Juli
 sonstige Einnahmen 0,0 0,1 2008 (1,95 %), zum 1. Januar 2013 (2,05 %),
zum 1. Januar 2015 (2,35 %) und zum 1. Ja-
Datenbasis: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Sozialbericht 2017.
nuar 2017 (2,55 %). Seit dem 1. Januar 2005
müssen Kinderlose zudem einen Beitrags-
zuschlag in Höhe von 0,25 % je Monat
gen für die häusliche (ambulante) Pflege, Für den Pflegegrad 2 betrug im Jahr 2017 zahlen. Anders als die gesetzliche Renten-
seit Juli 1996 auch für die stationäre Pflege das monatliche Pflegegeld 316 Euro, für und Krankenversicherung wird die soziale
in Heimen (zur Versorgung von Pflegebe- den Pflegegrad 5 hingegen 901 Euro. Bei Pflegever­sicherung nicht aus öffentlichen
dürftigen siehe Kapitel 8.1.3, Seite 296). den Pf legesachleistungen handelt es Mitteln bezuschusst.
Die Höhe der Zahlungen der sozialen sich nicht um direkte Sachleistungen im
Pflegeversicherung richtet sich nach dem ­eigentlichen Sinne, sondern um eine 8.4.4 Arbeitslosenversicherung
individuellen Hilfebedarf, der bis ein- Übernahme der Kosten für die ambulante Mit der sogenannten Hartz-IV-Reform
schließlich 2016 in drei Pflegestufen ein- Pflege durch externe Pflegedienste. Der wurde die soziale Sicherung von Arbeits-
geteilt wurde. Seit 2017 werden fünf soge- Höchstbetrag für Pf legesachleistungen losen zum Jahresbeginn 2005 umstruk-
nannte Pf legegrade unterschieden. Be- für den Pflegegrad 2 lag im Jahr 2017 bei turiert. Dadurch entstand ein zweiglied-
rücksichtig t wird der Umfang des 689 Euro und für den Pflegegrad 5 bei riges System der sozialen Sicherung für
Hilfebedarfs bei der ­Körperpflege, Ernäh- 1 995 Euro. arbeitslose beziehungsweise bedürftige
rung, Mobilität und zusätzlich bei der Im Jahr 2016 erhielten etwa 2,75 Mil- Personen, dessen erste Stufe aus einer
hauswirtschaftlichen Versorgung. Das lionen Personen Leistungen aus der Pfle- lohnabhängigen Versicherungsleistung –
Vorliegen einer Demenz­erkrankung führt geversicherung. Knapp 2 Millionen von dem Arbeitslosengeld I – besteht. Die
bei sonst gleichen Voraussetzungen zu ihnen (72 %) wurden ambulant versorgt, zweite Stufe der sozialen Absicherung bei
­e iner Erhöhung des Pf legegrades. Die knapp 0,8 Millionen (28 %) stationär. Arbeitslosigkeit bildet seit Jahresbeginn
Höhe der Leistungsansprüche hängt zu- Die Gesamtausgaben beliefen sich auf 2005 die steuerfinanzierte Fürsorgeleis-
dem davon ab, ob ambulante, teilstatio- 29,7 Milliarden Euro, wovon 14,8 Milliar- tung »Grundsicherung für Arbeitsuchen-
näre oder stationäre Pf lege erfolgt. Der den Euro (49,8 %) für ambulante und de«. Kernelement dieser Grundsicherung
Pflegegrad 1 zeigt den niedrigsten Bedarf 12,4 Milliarden Euro (41,8 %) für statio- ist das Arbeitslosengeld II, eine bedarfs-
an, der Pf legegrad 5 den höchsten. Für näre Leistungen verwendet wurden. Die geprüfte Transferleistung, deren Höhe in
den Pflegegrad 2 lag der monatliche Pflege- verbleibenden knapp 10 % verteilten sich erster Linie von der Anzahl und dem Alter
satz für vollstationäre Pflege im Jahr 2017 auf verschiedene kleinere Posten, zum der Personen in der anspruchsberechtig-
zum Beispiel bei 770 Euro, für den Pflege- Beispiel Verwaltungsaufgaben. Für die ten Bedarfsgemeinschaft abhängt. Zu-
grad 5 bei 2 005 Euro. kommenden Jahre ist mit einem deutli- sätzlich zum Arbeitslosengeld II werden
In der häuslichen Pflege wird grund- chen Anstieg der Leistungsausgaben zu weitere zweckgebundene Zahlungen ge-
sätzlich zwischen Pf legegeld und Pf le­ rechnen. Für das Jahr 2021 werden im leistet. So erfolgt insbesondere eine Über-
gesachleistungen unterschieden, wobei Sozialbericht 2017 der Bundesregierung nahme angemessener Wohnkosten (siehe
auch Kombinationen der beiden Leis- bereits Gesamtausgaben von 41 Milliar- dazu Kapitel 8.3.2, Seite 316).
tungstypen möglich sind. Im Falle des den Euro prognostiziert. u Tab 3 Das Arbeitslosengeld I ist im Sozial­
Pflegegelds kann der oder die Betroffene Finanziert wird die Pf legeversiche- gesetzbuch SGB III geregelt. Die Voraus-
die pflegerische Versorgung selbst sicher- rung je zur Hälfte durch die Beiträge der setzungen für einen Anspruch auf Ar-
stellen, zum Beispiel durch Angehörige. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beitslosengeld sind gegeben, wenn man

331
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.4 / Sozialversicherungssysteme

uTab 4 Ausgaben und Einnahmen der Arbeitslosenversicherung 2016 5 Milliarden Euro die »Sonstigen Leis-
— in Milliarden Euro tungen der aktiven Arbeitsförderung«,
zu denen insbesondere Maßnahmen zur
2016
Aktivierung und Weiterbildung, Leistun-
Ausgaben insgesamt ¹ 27,4 gen zur Eingliederung von Menschen mit
Eingliederungstitel ² 3,0 Behinderung und das Kurzarbeitergeld
Sonstige Leistungen der aktiven Arbeitsförderung ³ 5,0 zählen. Weitere Informationen zu den
Arbeitslosengeld 14,5 verschiedenen arbeitsmarktpolitischen
Insolvenzgeld 0,6 Maßnahmen sowie ausführliche Anga-
Verwaltungsausgaben ⁴ 3,7 ben zum Arbeitsmarkt sind in Kapitel 5.1
Verrechnungen 0,7 (Seite 149) enthalten. u Tab 4
Einnahmen insgesamt ¹ 33,1
Beitragseinnahmen ⁵ 32,7 8.4.5 Zusammenfassung
Sonstige Einnahmen 0,4
und Ausblick
Die deutschen Sozia lversicherungs­
1 Ohne Verwaltungsausgaben nach SGB II und Bundeskindergeldgesetz.
2 Maßnahmen und Einmalleistungen zur Aktivierung von Arbeitslosen, zur Vermittlung und zur beruflichen Eingliederung, inklusive systeme leisten wichtige Beiträge zur Al-
Gründungszuschuss und Berufseinstiegsbegleitung; Initiative zur Flankierung des Strukturwandels und Qualifizierung Beschäftigter;
arbeitsmarktpolitische Interventionsreserve. tersvorsorge, zur Verhinderung von fi-
3 Unter anderem Förderung der Berufsausbildung, Leistungen der beruflichen Erst- und Wiedereingliederung von Menschen mit
Behinderung, Kurzarbeitergeld und Leistungen nach dem Altersteilzeitgesetz (ohne Leistungen in Verbindung mit den Einnahmen nanziellen Notlagen und zur Reduzie-
aus der Ausgleichsabgabe).
4 Ohne Verwaltungsausgaben nach SGB II und Bundeskindergeldgesetz und abzüglich Verrechnungen. rung materieller und gesundheitlicher
5 Einschließlich Insolvenzgeld-Umlage und Winterbeschäftigungs-Umlage.
Datenbasis: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Sozialbericht 2017. Ungleichheiten in der Bevölkerung. Auch
aufgrund der anhaltend starken wirt-
schaftlichen Entwicklung sind in den
letzten Jahren keine größeren Schwierig-
keiten bei der Finanzierung der verschie-
arbeitslos ist und sich persönlich bei der er der vorangegangenen Versicherungs- denen Teilsysteme aufgetreten. Dies soll-
Bundesagentur für Arbeit arbeitslos ge- zeiten und dem Alter der arbeitslosen te jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,
meldet hat. Zudem müssen hinreichende Person. Personen, die das 50. Lebensjahr dass die Sozialsysteme vor großen Her-
Anwartschaftszeiten erworben worden noch nicht vollendet haben, haben maxi- ausforderungen stehen. Der demografi-
sein. Nach aktueller Gesetzeslage bedeu- mal zwölf Monate Anspruch auf Arbeits- sche Wandel wird absehbar zu beträcht­
tet dies im Regelfall, dass in den zwei losengeld. Dieser Maximalanspruch be- lichen Ausgabensteigerungen in der
Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit – steht, wenn sie in den zwei Jahren vor ­R enten-, Kranken- und Pf legeversiche-
der sogenannten Rahmenfrist – für insge- Eintritt der Arbeitslosigkeit durchgängig rung führen (siehe Kapitel 1.1.4, Seite 26).
samt mindestens zwölf Monate ein versi- versicherungspflichtig beschäftigt waren. Die notwendigen Anpassungen auf der
cherungspf lichtiges Beschäftigungsver- Wenn dies nicht der Fall war, fällt die An- Einnahmen- und Ausgabenseite sozial-
hältnis bestanden haben muss, wobei spruchsdauer kürzer aus. Personen, die verträglich zu gestalten, wird eine der
auch einige andere Zeiten, zum Beispiel das 50. Lebensjahr vollendet haben, kön- wichtigsten sozialpolitischen Herausfor-
der Bezug von Kurzarbeiter- oder Kran- nen bei Vorliegen hinreichender Versiche- derungen der nächsten Jahrzehnte sein.
kengeld, auf die Anwartschaftszeit ange- rungszeiten auch länger als zwölf Monate
rechnet werden. Elternzeiten vor der Voll- Arbeitslosengeld beziehen. Momentan
endung des dritten Lebensjahres des Kin- liegt die Höchstbezugsdauer nach Voll-
des werden ebenfalls angerechnet, sofern endung des 50. Lebensjahres bei 15 Mona-
diesen eine versicherungspflichtige Be- ten, nach Vollendung des 55. Lebensjah-
schäftigung oder ein Bezug von Arbeits- res bei 18 Monaten und nach Vollendung
losengeld voranging. Die Höhe des Ar- des 58. Lebensjahres bei 24 Monaten.
beitslosengeldes richtet sich nach dem Im Jahresdurchschnitt 2016 erhielten
durchschnittlichen versicherungspflichti- rund 850 000 Menschen Arbeitslosen-
gen Entgelt im letzten Jahr vor Eintritt geld I. Die Gesamtaufwendungen be­
der Arbeitslosigkeit. Arbeitslose mit min- trugen 14,5 Milliarden Euro. Insgesamt
destens einem Kind im Sinne des Steuer- beliefen sich die Aufwendungen für Leis-
rechts erhalten 67 % des letzten Nettoent- tungen der Arbeitslosenversicherung auf
gelts, alle weiteren Arbeitslosen 60 %. Die 27,4 Milliarden Euro. Zweitgrößter Pos-
Anspruchsdauer richtet sich nach der Dau- ten waren nach dem Arbeitslosengeld mit

332
Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 8.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

8.5 Die gesetzliche Rentenversicherung ist die


zentrale Einkommenskomponente der Al-
hältnis. Hinzu kommen weitere Personen,
die im Jahr vor der Altersrente unter an-
Entwicklung tersvorsorge in Deutschland. Der Studie derem als Selbstständige gearbeitet haben,
und Verteilung »Alterssicherung in Deutschland« (ASID)
von 2015 zufolge bezogen insgesamt 91 %
darunter auch Künstler und Publizistin-
nen, sowie Pflegepersonen und sonstige
der Altersrenten der Personen über 65 Jahre eine Rente aus Leistungsempfängerinnen und -empfän-
in Ost- und der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei
westdeutschen Frauen lag der Anteil bei
ger, wie Beziehende einer Unfallrente.
Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes
Westdeutschland 91 %, bei westdeutschen Männern bei in der ehemaligen DDR im Oktober 1990
88 %. In Ostdeutschland bezogen sogar wurden rund 3,8 Millionen Rentnerinnen
99 % der Männer und Frauen eine Rente und Rentner aus Ostdeutschland in die
Ralf Himmelreicher
aus der gesetzlichen Rentenversicherung. gesetzliche Rentenversicherung eingeglie-
FU Berlin und Geschäfts- und Infor-
Im Jahr 2016 lag das durchschnittliche dert. Diese Eingliederung ist Ausdruck
mationsstelle für den Mindestlohn
Rentenzugangsalter bei Frauen bei 64,2 einer enormen kollektiven Solidarität im
Jahren und bei Männern bei 63,9 Jahren. vereinten Deutschland. Für Neurentne-
WZB / SOEP Das Rentenzugangsalter entspricht aller- rinnen und Neurentner werden Löhne
dings nicht dem Erwerbsaustrittsalter, und Erwerbsbiografien zu DDR-Zeiten im
weil viele ältere Menschen ihre Erwerbs- Grundsatz so behandelt, als ob die Per­
tätigkeit zum Teil lange vorher beendet sonen im damaligen Westdeutschland ge-
haben. Im Jahr 2016 waren etwa 36 % aller lebt und gearbeitet hätten.
Personen, die erstmals eine Altersrente In der gesetzlichen Rentenversiche-
bezogen haben, direkt zuvor sozialversi- rung werden die Anwartschaften der Ver-
cherungspf lichtig beschäftigt gewesen. sicherten in Entgeltpunkten (EP) bemes-
Etwa 10 % waren in Altersteilzeit beschäf- sen und für die Berechnung der Renten-
tigt, etwa 6 % erhielten Sozialleistungen, höhe mit dem aktuellen Rentenwert
5 % waren geringfügig beschäftigt und bewertet. Im Folgenden wird die Summe
mehr als ein Drittel der Neurentnerinnen der persönlichen EP von Personen, die
und Neurentner hatte mindestens im Jahr erstmals eine Altersrente beziehen, unter
vor ihrem Rentenzugang kein sozialversi- Berücksichtigung des Zugangsfaktors
cherungspf lichtiges Beschäftigungsver- analysiert. u Info 1

u Info 1
Entgeltpunkte
Entgeltpunkte (EP) werden bestimmt, indem die jährlichen individuellen rentenversicherungspflichtigen
Bruttoeinkommen durch das jährliche Durchschnittsentgelt aller Versicherten dividiert werden. Dadurch
sind sie eine dimensionslose (preisbereinigte) Größe, die man als relative Wohlstandsposition interpretieren
und als objektiven Indikator in die Sozialberichterstattung aufnehmen kann. Die sich über die gesamte
Erwerbsbiografie ergebende Summe dieser EP stellt eine valide Messgröße für die Höhe der Anwart-
schaften der Versicherten gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung dar. Folgende zwei Faktoren
sind bei der Interpretation zu beachten: Erstens wird bei der Berechnung der Entgeltpunkte in diesem
Beitrag der Zugangsfaktor berücksichtigt. Das heißt, wenn eine Person in Rente geht, bevor sie die Regel-
altersgrenze erreicht, reduzieren Abschläge die EP. Ist eine Person hingegen über die Regelaltersgrenze
hinaus erwerbstätig, erhöhen Zuschläge die EP. Dies kommt jedoch vergleichsweise selten vor. Im Jahr
2016 wurden 25 % aller Altersrenten durch Abschläge reduziert und knapp 2 % durch Zuschläge erhöht.
Während Zuschläge die Rentenanwartschaften von 2,6 % der westdeutschen Männer und 2,0 % der
westdeutschen Frauen erhöhten, waren in Ostdeutschland lediglich 0,7 % der Männer und 0,3 % der Frauen
nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterhin rentensteigernd erwerbstätig. Zweitens wird die Spanne
der EP nach unten durch die Geringfügigkeitsgrenze (450 Euro monatlich im Jahr 2016) und nach oben
durch die Beitragsbemessungsgrenze (Ost: 5 400 Euro monatlich, West: 6 200 Euro monatlich im Jahr 2016)
begrenzt. Über der Beitragsbemessungsgrenze liegende Arbeitseinkommen wirken sich in der gesetz­
lichen Rentenversicherung nicht rentenerhöhend aus.

333
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.5 / Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland

u Abb 1 Nominale jährliche Bruttodurchschnittslöhne in West- und Ostdeutschland (linke Skala)


und Höherwertung der Ostlöhne (rechte Skala) 1989 – 2018

40 000 3,5

35 000
3,0

30 000
2,5

25 000

2,0

20 000

1,5
15 000

1,0
10 000

5 000 0,5
1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017

Höherwertungsfaktor Entgelte Ost Westdeutschland Ostdeutschland

Dargestellt ist die Verteilung der EP für Neurentner/-innen im jeweiligen Rentenzugangsjahr.


Quelle: Rentenversicherung in Zeitreihen 2017, DRV-Schriften Band 22, S. 260, eigene Berechnungen.

Die Entgeltpunkte können mit dem je- wartschaften zwischen beiden Landestei- sprüche gegenüber der gesetzlichen Ren-
weiligen aktuellen Rentenwert (ab 1. Juli len unterscheiden. Betrachtet werden in tenversicherung speisen. Die in Entgelt-
2016: West: 30,45 Euro, Ost: 28,66 Euro) Deutschland wohnende Versicherte mit punkten ausgedrückten relativen Löhne
multipliziert werden, um näherungsweise erstmaligem Bezug einer Altersrente, die und die Länge der Erwerbsbiografie be-
die Höhe der jeweiligen monatlichen Al- 60 Jahre und älter sind (sogenannte In- stimmen maßgeblich die Höhe der je­
tersrente zu ermitteln. Würden sich die landsrentnerinnen und -rentner). Von der weiligen Altersrenten. Auf die vor allem
Alterseinkünfte von allein lebenden Frau- Analyse ausgeschlossen wurden Bezie- kurz nach der deutschen Vereinigung be-
en und Männern ausschließlich aus der hende von Teilrenten, Renten mit schei- stehenden stark unterschiedlichen Lohn­
gesetzlichen Rentenversicherung speisen, dungsbedingtem Versorgungsausgleich niveaus in Ost- und Westdeutschland
dann wären je nach Wohnort etwa 30 EP sowie Erwerbsminderungs- und Hinter- w urde im Rentenüberleitungsgesetz
erforderlich, um über die Grundsiche- bliebenenrenten. Die Ergebnisse basieren (RÜG 1991) durch Höherwertung der
rungsschwelle zu kommen. auf anonymisierten Mikrodaten der Ren- Ostlöhne reagiert. u Abb 1
Der Beitrag zeigt auf Basis von Zeit- tenzugangsstatistik der Jahrgänge 1993, Die Höherwertung der Löhne im
reihenanalysen von der deutschen Verei- 1998 und 2003 bis einschließlich 2016, ­O sten mit dem in Abbildung 1 (rechte
nigung bis einschließlich des Jahres 2016, die vom Forschungsdatenzentrum der Skala) ausgewiesenen Faktor ist in Anla-
wie sich die Höhe und Verteilung der EP Rentenversicherung als »Scientific Use ge 10, Sozialgesetzbuch VI dokumentiert
aus abhängiger Beschäftigung im Zeit- Files« zur Verfügung gestellt werden. und wird berechnet, indem die jährlichen
verlauf entwickelt haben. Die Befunde Bruttodurchschnittslöhne (West) durch
werden für Männer und Frauen in West- 8.5.1 Lohnentwicklung entsprechende Löhne (Ost) dividiert wer-
und Ostdeutschland getrennt ausgewie- Löhne stellen neben Lohnfortzahlungen den. Dieser Faktor weist aus, dass in den
sen, weil sich auch mehr als 25 Jahre nach bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit sowie ersten Jahren nach der deutschen Verei-
dem Mauerfall die Löhne und Erwerbs- Kindererziehung und Pflege die zentrale nigung eine schnelle Lohnannäherung
biografien und damit auch die Rentenan- Größe dar, aus der sich individuelle An- erfolgte, jedoch ab Mitte der 1990er-Jahre

334
Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 8.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

bis Ende der 2010er-Jahre die Durch- in Westdeutschland (30,45 Euro). Inso- Mütterrente. Sie sieht für vor 1992 gebo-
schnittslöhne im Westen knapp 20 % hö- fern führen gleich hohe Arbeitsentgelte rene Kinder eine Erhöhung der Kinderer-
her ausfielen als jene im Osten. Mit der in Ost- und Westdeutschland zu deutlich ziehungszeiten – in der Regel bei den
Einführung des gesetzlichen Mindest- höheren Rentenansprüchen im Osten. Müttern – von einem auf zwei Entgelt-
lohns im Jahr 2015 näherten sich die Allerdings liegen die Durchschnittsver- punkte vor. Die Kindererziehungszeiten
Löhne in Ostdeutschland, wo es einen dienste im Westen im Jahr 2016 um etwa für 1992 und später geborene Kinder be-
großen Niedriglohnsektor gibt, denen in 15 % über denen im Osten. Diese unter- tragen drei Entgeltpunkte. Dadurch er-
Westdeutschland leicht an. schiedliche Behandlung von Löhnen und reichen viele Frauen eine Versicherungs-
Erklärungsansätze zur Begründung Rentenanwartschaften in Ost und West zeit von fünf Jahren und erwerben somit
der Lohndifferenzen in Ost und West zie- werden seit einigen Jahren diskutiert. Die erstmals Ansprüche auf eine gesetzliche
len häufig auf unterschiedliche Bran- Große Koalition hat in der letzten (18.) Rente. Dies betrifft überwiegend west-
chenstrukturen und Betriebsgrößen so- Legislaturperiode des Deutschen Bundes- deutsche Frauen im Alter ab 65 Jahren,
wie Produktivitätsunterschiede ab. Letz- tages ein Gesetz zur Angleichung der ge- weil aufgrund längerer Erwerbsbiografien
tere werden auf weniger industrielle setzlichen Renten in Ost- und West- bei den meisten ostdeutschen Frauen be-
Arbeitsplätze im Osten mit wertschöp- deutschland verabschiedet. Danach wird reits zuvor ein Rentenanspruch bestand.
fungsschwächerer Endfertigung und we- in den kommenden Jahren der niedrigere Unabhängig von diesen Veränderungen
niger kapitalstarke Großunternehmen Rentenwert Ost in einem Stufenplan bis im Rentenrecht ist die Summe der per-
zurückgeführt. Insgesamt ist die Wirt- Juli 2024 an den Wert im Westen heran- sönlichen Entgeltpunkte die zentrale
schaftsstruktur im Osten kleinteiliger geführt. Ab diesem Zeitpunkt entfällt Größe zur Bemessung der Höhe der ge-
und hat eine niedrigere Exportquote als dann auch die Höherwertung. Sollten in setzlichen Altersrenten.
im Westen. Zudem befinden sich Hoch- einigen Jahren die Durchschnittslöhne Neben der Mütterrente gab es weitere
lohnabteilungen wie Firmenleitungen im Westen noch immer 15 % über denen Veränderungen, etwa die hohen Zugangs-
und Forschungsabteilungen eher in West- im Osten liegen, würden sich diese Un- zahlen bei der neuen Altersrente für be-
als in Ostdeutschland. Des Weiteren ist terschiede proportional auf die Renten- sonders langjährig Versicherte. Versicher-
eine starke Erosion der Tarifbindung in ansprüche übertragen. te, die mindestens 45 Jahre in der gesetz­
Ostdeutschland festzustellen, selbst im lichen Rentenversicherung versichert
verarbeitenden Gewerbe: In Ostdeutsch- 8.5.2 Entwicklung der Entgeltpunkte waren, können seit dem 1. Juli 2014 bereits
land wird insgesamt nur noch jeder drit- bei Altersrenten ab Vollendung des 63. Lebensjahres ab-
te Beschäftigte nach Tarif bezahlt, im Die Summe der persönlichen Entgelt- schlagsfrei diese Rentenart in Anspruch
Westen mehr als jeder Zweite (siehe Kapi- punkte spiegelt die Anwartschaften der nehmen. Dadurch sank das Rentenein-
tel 5.2.1, Seite 166). Allerdings haben Er- Versicherten gegenüber der gesetzlichen trittsalter von Männern um etwa einen
werbstätige im Osten oftmals höhere tat- Rentenversicherung wider. Sie können als Monat auf unter 64 Jahre.
sächliche Arbeitszeiten als jene im Wes- Bilanz der Erwerbs- beziehungsweise Im Folgenden wird die Entwicklung
ten (siehe Kapitel 5.1.10, Seite 162). Zudem Versicherungsbiografien interpretiert der Entgeltpunkte (EP) separat für vier
arbeiten Menschen in Ostdeutschland sel- werden. Vor dem Hintergrund der unter- Gruppen betrachtet: westdeutsche Män-
tener in Teilzeit und Minijobs als in West- schiedlichen Erwerbsbiografien von ner, ostdeutsche Männer, westdeutsche
deutschland (siehe Kapitel 5.1.6, Seite Frauen und Männern in den jeweiligen Frauen und ostdeutsche Frauen.
157). Umgekehrt liegt die Arbeitslosigkeit Regionen werden die empirischen Befun- Für männliche Neurentner in West-
im Osten nach wie vor deutlich über dem de differenziert nach Geschlecht sowie deutschland zeigt sich im Zeitverlauf ein
Westniveau (siehe Kapitel 5.1.8, Seite 159). für Ost- und Westdeutschland ausgewie- deutlicher Rückgang ihrer EP: Die An-
Durch die sozialpolitische Kompensa- sen. Die Darstellung in Abbildung 2 zeigt wartschaften des Medianrentners sanken
tion der Ost-West-Lohnunterschiede im die Entwicklung der Lebensarbeitsein- im Zeitverlauf von etwa 47 EP im Jahr
Rahmen der Höherwertung erfolgt trotz kommen in Entgeltpunkten beim Ren- 1993 um 6 % auf 44 EP im Jahr 2016. Da-
eines geringeren aktuellen Rentenwertes tenzugang zwischen 1993 und 2016. mit verzeichneten Neurentner des Jahres
im Osten eine Anhebung der durch- Bei der Interpretation der Zeitreihen 2016 im Durchschnitt geringere Anwart-
schnittlichen Rentenanwartschaften über sind seit dem Jahr 2015 einige Besonder- schaften als Rentner, die in früheren
das Westniveau: Multipliziert man den heiten zu berücksichtigen, weshalb die ­Jahren in Rente gingen. Dieser negative
aktuellen Rentenwert für einen Entgelt- Entgeltpunktverläufe wegen unterschied- Trend erfasst insbesondere niedrige bis
punkt von 28,66 Euro für Ostdeutsch- licher rentenrechtlicher Rahmenbedin- mittlere gesetzliche Renten. Die von der
land mit dem Höherwertungsfaktor von gungen nur bedingt miteinander ver- gesetzlichen Rentenversicherung ausbe-
1,1479, so ergibt sich mit 32,90 Euro ein gleichbar sind. Exemplarisch hierfür ist zahlte Median-Bruttorente stieg nominal,
höherer Rentenwert pro Entgeltpunkt als die 2014 in Kraft getretene sogenannte also ohne Berücksichtigung der Preisent-

335
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.5 / Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland

u Abb 2 Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte u Info 2


bei Altersrenten von Männern in Westdeutschland 1993 – 2016 — in Dezilen Medianrentner
Zur besseren Veranschaulichung wird die Verteilung
der Entgeltpunkte (EP) in sogenannten Dezilen
70 dargestellt. Das heißt, aus der Rangordnung nach
der Höhe ihrer EP geordneter Personen werden
zehn gleich große Gruppen gebildet. Die Dezile
60
geben dann die Grenzen an, an denen die jeweils
nächsthöhere Gruppe beginnt. Das erste Dezil
50 grenzt die unteren zehn Prozent der Personen von
den zweiten zehn Prozent ab und so weiter. Der
Median bildet in dieser Rangordnung genau die
40 Mitte: die eine Hälfte aller Personen hat EP in einer
Höhe, die unterhalb des Medians liegt, bei der
anderen Hälfte der Personen liegen die Entgelt-
30
punkte darüber.

20

10

0
1993 1998 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 wicklung, von 1 072 Euro im Jahr 1993
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median
um knapp 100 Euro auf 1 171 Euro im
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil Jahr 2016. Um die Median-Nettorente zu
ermitteln, müssen hiervon noch die selbst
Dargestellt ist die Verteilung der EP für Neurentner im jeweiligen Rentenzugangsjahr. zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-16VXSB; eigene Berechnungen.
Pflegeversicherung sowie gegebenenfalls
Steuern abgezogen werden. u Info 2, Abb 2
Insgesamt hat die Ungleichheit der EP
und damit der Auszahlungen aus der ge-
u Abb 3 Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte setzlichen Rentenversicherung durch sin-
bei Altersrenten von Männern in Ostdeutschland 1993 – 2016 — in Dezilen kende Niedrigrenten und geringfügig
steigende Höchstrenten zugenommen:
Erreichten die untersten 10 % der west-
70
deutschen Neurentner 1993 noch rund
22 % der EP der obersten Rentnergruppe,
60
so lag dieser Anteil im Jahr 2016 mit
rund 9 % deutlich niedriger. Während
50
die Anwartschaften im unteren Segment
40
sanken, lassen sich im oberen Segment
steigende Anwartschaften feststellen. Bei
30
Neurentnern der drei unteren Dezile gin-
gen die Entgeltpunkte zwischen 1993 und
20
2016 um bis zu 10 EP zurück. Sinkende
Anwartschaften sind neben niedrigen
10 Löhnen oftmals auf kurze versicherungs-
pf lichtige Erwerbsbiografien zurückzu-
0 führen, wie sie etwa vormals Selbststän-
1993 1998 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 dige, langjährige Bezieher von Sozial­
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median
leistungen oder erst im höheren Alter
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil nach Deutschland zugewanderte Perso-
nen haben können. Demgegenüber ver-
Dargestellt ist die Verteilung der EP für Neurentner im jeweiligen Rentenzugangsjahr. zeichneten Bezieher von Altersrenten in
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-16VXSB; eigene Berechnungen.
den drei höchsten Dezilen gleichbleiben-
de bis geringfügig zunehmende Anwart-

336
Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 8.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

schaften. Entgeltpunktsummen jenseits 1993 auf 20 EP im Jahr 2016; oder in nomi- Die Anwartschaften von ostdeutschen
von 60 EP verweisen auf langjährige, nalen Rentenzahlbeträgen ausgedrückt: Frauen beim Rentenzugang haben im
weit überdurchschnittlich bezahlte Be- von 261 Euro auf annähernd 537 Euro ­u ntersuchten Zeitraum ebenfalls etwas
schäftigung, zum Beispiel eine nahezu Median-Bruttorente. Auch bei den Frau- zugenommen: 1993 betrugen sie bei der
40 Jahre lange Vollzeitbeschäftigung mit en ist die Ungleichheit der Rentenbezüge Medianrentnerin 31 EP, im Jahr 2016
einem Lohnniveau, das etwa beim ein- in Westdeutschland größer als in Ost- ­waren es 33 EP. In nominalen Bruttobe-
einhalbfachen Durchschnittslohn liegt. deutschland. Im Jahr 2016 erreichten trägen entspricht dies einer Medianrente
Zur Orientierung soll darauf hingewiesen Neurentnerinnen in Westdeutschland im von knapp 450 Euro im Jahr 1993 und
werden, dass der jährliche Bruttodurch- untersten Dezil 6 EP und damit nur 13 % 825 Euro im Jahr 2016. Die Entwicklung
schnittslohn im Jahr 2016 im Westen der Anwartschaften des obersten Dezils der Anwartschaften verlief dabei nicht
36 267 Euro und im Osten 31 594 Euro mit 45 EP. Die Ungleichverteilung der einheitlich: Während die gesetzlichen
betrug. Anzumerken ist an dieser Stelle, ­A ltersrenten bei westdeutschen Frauen Rentenansprüche in den unteren Dezilen
dass Löhne in dieser Größenordnung bei im Beobachtungsfenster hat somit vor auf demselben Niveau verharrten, stiegen
jüngeren Beschäftigten sowie bei Perso- ­a llem deshalb stark zugenommen, weil in sie in den oberen drei Dezilen seit 2011
nen mit reduzierten Arbeitszeiten eher unteren Dezilen kaum Veränderungen tendenziell an. Ähnlich wie bei den
selten vorkommen. festzustellen sind, während zunehmend männlichen Neurentnern im Osten sind
Männliche Neurentner in Ostdeutsch- mehr Frauen höhere Entgeltpunkte errei- auch bei den Frauen die Unterschiede
land weisen im Untersuchungszeitraum chen. Diese Entwicklung basiert einer- zwischen den niedrigsten und höchsten
einen deutlichen Rückgang ihrer An- seits auf zunehmender Frauenerwerbs­ gesetzlichen Renten vergleichsweise ge-
wartschaften auf. Die EP des Median- tätigkeit, gekennzeichnet durch längere ring. Allerdings stiegen die Entgeltpunkte
rentners sanken seit der deutschen Verei- Erwerbsbiografien mit höheren Löhnen, der Frauen im Osten insgesamt an, wäh-
nigung von 51 EP um knapp ein Viertel und andererseits seit dem zweiten Halb- rend die der Männer sanken. Im Ergebnis
auf 39 EP im Jahr 2016. Durch die Ren- jahr 2014 und vor allem seit 2015 auf lagen die Entgeltpunkte 2016 im Osten
tenanpassungen ergibt sich eine nomina- ­einer verbesserten Anerkennung von bei den Männern etwa 5 EP über jenen
le Steigerung der Median-Bruttorente Kindererziehungszeiten (Stichwort: Müt- der Frauen im gleichen Dezil. u Abb 5
von 844 Euro im Jahr 1993 auf 975 Euro terrente) in der Rentenversicherung. Sie Im Westen ist die geschlechtsspezifi-
im Jahr 2016. u Abb 3 zeigt, dass ein zunehmender Anteil west- sche Rentenlücke der Frauen wesentlich
Auch in Ostdeutschland ist bei den deutscher Frauen eine eigenständige Al- höher. Sie lag bei Medianrentnern des
männlichen Neurentnern die Verteilung tersvorsorge aus der gesetzlichen Renten- Jahres 2016 bei 24 EP. Die geschlechtsspe-
der Anwartschaften erkennbar unglei- versicherung erzielt, die die Grundsiche- zifische Rentenlücke, auch »Gender Pensi-
cher geworden: 1993 erreichten Neurent- rungsschwelle für Alleinstehende, die bei on Gap« genannt, ging wegen steigender
ner des untersten Dezils noch fast 60 % näherungsweise 30 EP liegt, übersteigt. Frauenerwerbstätigkeit und der Einfüh-
der EP des obersten Dezils, im Jahr 2016 Rund 70 % der westdeutschen Neurentne- rung der Mütterrente vor allem im Wes-
nur noch 37 %. Die Ungleichheit der An- rinnen verfügten 2016 jedoch nur über ten deutlich zurück. Der Gender Pension
wartschaften der ostdeutschen Neurent- sehr niedrige individuelle Anwartschaf- Gap der Medianrente betrug 2016 im
ner nahm im Zeitverlauf zu und die Höhe ten, die unterhalb der Grundsicherungs- Westen 55 % und im Osten 15 %. Das be-
der Anwartschaften tendenziell ab. An- schwelle liegen. Viele dieser Rentnerin- deutet, dass Frauen in Westdeutschland
ders formuliert: Je kürzer die DDR-ge- nen sind zwar im Haushaltskontext über weniger als halb so viel Rente bekamen
prägten Erwerbsbiografien – mit geringer ihre (Ehe-)Partner sowie weitere Alters- wie Männer, wohingegen Frauen in Ost-
Lohnungleichheit und nahezu ohne Ar- einkünfte hinreichend abgesichert. Den- deutschland im Vergleich zu Männern
beitslosigkeit – desto niedriger sind ten- noch besteht der politische Wille, die nur 15 % weniger Rente erhielten.
denziell die Anwartschaften und umso ­eigenständige Altersvorsorge von (west- Während Männer im Westen und
höher deren Ungleichheit. deutschen) Frauen zu stärken; nicht zu- Frauen in beiden Regionen tendenziell
Eine andere Entwicklung ist bei den letzt wegen zunehmender Scheidungen gleichbleibende bis geringfügig steigende
Frauen beim Übergang in eine Altersren- und meist fehlender Hinterbliebenenver- EP verzeichneten, gingen die Ansprüche
te festzustellen. Die Summe der persön­ sicherung bei der (staatlich geförderten) der Männer in Ostdeutschland sukzessive
lichen EP von Frauen in Westdeutsch- privaten wie betrieblichen Altersvorsorge. zurück, und das trotz einer im Vergleich
land nahm im Beobachtungszeitraum bei Außerdem gehen die Anwartschaften der zu westdeutschen Durchschnittslöhnen
der Medianrentnerin zwar um gut 70 % Männer – wie oben beschrieben – im überproportionalen Aufwertung der ost-
zu, jedoch vollzog sich diese starke relative Zeitverlauf tendenziell zurück, weshalb deutschen Durchschnittslöhne. Je länger
Veränderung vor dem Hintergrund nied- davon abgeleitete Witwenrenten eben- der Zeitraum zwischen deutscher Vereini-
riger absoluter Werte: von 12 EP im Jahr falls tendenziell sinken. u Abb 4 gung und individuellem Rentenzugang ist,

337
8 / Gesundheit und soziale Sicherung 8.5 / Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland

u Abb 4 Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte desto niedriger werden die Anwartschaf-
bei Altersrenten von Frauen in Westdeutschland 1993 – 2016 — in Dezilen ten. Hieran sowie anhand des insbesonde-
re bei älteren Beschäftigten oftmals bezo-
genen Niedriglohns werden die Probleme
70
auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt be-
sonders deutlich. Auf der anderen Seite ist
60
die Ungleichheit der Renten bei ostdeut-
schen Männern vergleichsweise gering.
50
Vom Aufwärtstrend bei den Frauen in
40
beiden Landesteilen profitierte das obere
Drittel stärker als die Bezieherinnen
30
mittlerer und niedriger Altersrenten. Die
Rentenanwartschaften sind bei Neurent-
20
nerinnen in den alten Bundesländern be-
sonders ungleich verteilt.
10
8.5.3 Abschläge beim Zugang
0 in eine Altersrente
1993 1998 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 Die Veränderungen der Ansprüche der
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median
Versicherten an die gesetzliche Renten-
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil versicherung ergeben sich aus den in der
Rentenformel genannten Parametern.
Dargestellt ist die Verteilung der EP für Neurentnerinnen im jeweiligen Rentenzugangsjahr. Dies sind bei Altersrenten und bei gege-
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-16VXSB; eigene Berechnungen.
benem aktuellem Rentenwert die Summe
der Entgeltpunkte und der überwiegend
um Abschläge reduzierte Zugangsfaktor.
Veränderungen in den Ansprüchen resul-
u Abb 5 Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte tieren also teilweise aus veränderten Er-
bei Altersrenten von Frauen in Ostdeutschland 1993 – 2016 — in Dezilen werbsverläufen – seien sie unterbrochen,
diskontinuierlich oder perforiert (soge-
nannte Patchwork-Biografien) – und auf-
70
grund von Zu- und Abschlägen. Für die
Zu- und Abschläge sind Veränderungen
60
in den institutionellen Rahmenbedin-
gungen der gesetzlichen Rentenversiche-
50
rung bedeutsam: Nach dem Rentenre-
40
formgesetz 1992 können Altersrenten
vorgezogen in Anspruch genommen wer-
30
den; allerdings werden pro Monat eines
vorgezogenen Rentenzugangs Abschläge
20
in Höhe von 0,3 % fällig. Wird die Rente
nach der Regelaltersgrenze beantragt,
10
werden Zuschläge in Höhe von 0,5 % pro
Monat ausgezahlt. Bei einem vorgezoge-
0 nen Rentenbeginn fallen zudem die An-
1993 1998 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 wartschaften zugleich niedriger aus, weil
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median
die Versicherten nicht bis zum Erreichen
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil der Regelaltersgrenze weitergearbeitet
und so über einen kürzeren Zeitraum EP
Dargestellt ist die Verteilung der EP für Neurentnerinnen im jeweiligen Rentenzugangsjahr. angespart haben. Beide Effekte zusam-
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-16VXSB; eigene Berechnungen.
mengenommen können die Rente um
mehr als 20 % reduzieren.

338
Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 8.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 8

Der Anteil der von Abschlägen be- deutschland: Während in Westdeutsch- Vor dem Hintergrund der dargestell-
troffenen Neurentnerinnen und Neurent- land der Anteil der Ehepaare mit Haus- ten Entwicklungen wird eine einheit­l iche
ner stieg bis 2010 an und ging in den letz- oder Wohnungseigentum bei 74 % lag, Rentenberechnung die niedrigeren An-
ten Jahren wieder etwas zurück. Dies lässt waren es im Osten 52 %. Alleinstehende wartschaften im Osten längerfristig gese-
sich einerseits auf eine bessere Arbeits- Seniorinnen und Senioren lebten in West- hen zusätzlich verringern, und zwar vor
marktlage vor allem für ältere Beschäftig- deutschland zur Hälfte, in Ostdeutsch- allem dann, wenn sich die Einkommens-
te zurückführen. Andererseits wurde im land nur zu einem Drittel im Wohneigen- verhältnisse nicht weiter angleichen wer-
Jahr 2012 die »Altersrente für besonders tum. Wohneigentum kann sich vor allem den. Aus individueller Perspektive sind
langjährig Versicherte« eingeführt, die es dann positiv auf die Einkommenssituati- es vor allem die sinkenden Rentenan-
Menschen mit besonders langer Erwerbs- on im Alter auswirken, wenn der Wert sprüche von Männern im Osten und die
biografie (45 Versicherungsjahre) ermög- der Immobilie hoch ist. Dies ist vor allem niedrigen Anwartschaften vieler Frauen
licht, ohne Abschläge früher in Rente zu in Ostdeutschland, aber auch in einigen im Westen (aber auch teilweise im Osten),
gehen. Dennoch waren im Jahr 2016 in Regionen Westdeutschlands oftmals die auf zunehmende Alters­a rmutsrisiken
Ostdeutschland rund 54 % der Neurent- nicht der Fall. verweisen. Ein auskömmliches Leben im
ner und 42 % der Neurentnerinnen von Alter gestaltet sich vor allem dann als
rentenmindernden Abschlägen betroffen; 8.5.4 Ausblick schwierig, wenn diese Männer und we-
in Westdeutschland waren es rund 22 % Sowohl in Ost- als auch in Westdeutsch- gen des Gender Pension Gap vor allem
der Neurentner und 23 % der Neurentne- land spielen Erwerbsbiografien, Löhne die Frauen nicht über weitere Personen
rinnen. Diese erheblichen Unterschiede sowie unterschiedliche Chancen auf und andere Alterseinkünfte, zum Beispiel
zwischen den Abschlägen spiegeln regio- dem Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle im Rahmen langjähriger Ehen, im Haus-
nale Besonderheiten auf den Arbeits- für die Anwartschaften bei der gesetzli- haltskontext abgesichert sind. Zudem
märkten für über 60-jährige Versicherte chen Rentenversicherung. Ungleiche weisen zahlreiche Studien nach, dass das
wider. Da die Abschläge die Rentenhöhe Löhne und Erwerbsbiografien in Ost und Vertrauen gegenüber Formen der priva-
lebenslang reduzieren, verstärken sie so- West haben sich verfestigt. Vor allem die ten und betrieblichen Altersvorsorge im
mit das Rentengefälle zwischen Ost- und sinkenden Anwartschaften ostdeutscher Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschafts-
Westdeutschland. Vor allem männliche Männer verweisen auf sich ausbreitende krise 2008/2009 vor allem bei Geringver-
Neurentner in Ostdeutschland sind we- Niedriglöhne in Kombination mit Be- dienenden gesunken ist. Insofern ist da-
gen höheren Abschlägen von sinkenden schäftigungsproblemen, vor allem für von auszugehen, dass Besserverdienende
Anwartschaften betroffen. Dadurch, dass ­ä ltere Erwerbstätige. Grundsätzlich ist eher private und betriebliche Altersvor-
die Höherwertung der Ostrenten bis nicht zu erwarten, dass in den nächsten sorge betreiben, um das sinkende Ren-
Ende 2024 wegfallen soll, stehen diese Jahren eine weitere Angleichung des tenniveau kompensieren zu können. Da­
Renten längerfristig unter zusätzlichem Lohnniveaus zwischen Ost- und West- rüber hinaus weisen Höherqualifizierte
Abwertungsdruck. deutschland erfolgen wird. Die Einfüh- ein geringeres Risiko auf, wegen chroni-
Sinkende Altersrenten sind für Rent- rung des gesetzlichen Mindestlohns im scher Erkrankungen vorzeitig mit Er-
nerinnen und Rentner in Ostdeutschland Januar 2015 und seine Anpassung im werbsminderungsrente aus dem Erwerbs-
besonders problematisch, weil ihre Alters- ­Januar 2017 auf 8,84 Euro pro Stunde leben ausscheiden zu müssen. Die ge-
einkünfte nach Ergebnissen der Studie scheint die Lohnniveaus zwischen Ost- nannten Aspekte machen deutlich, dass
ASID 2015 zu besonders hohen Anteilen und Westdeutschland etwas angeglichen eine konsequente Reorientierung hin zu
aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu haben (siehe Kapitel 5.3, Seite 177). den sozialpolitischen Z­ ielen der Lebens-
stammen. Der Anteil der gesetzlichen Allerdings sind zunehmende regionale standardsicherung und Armutsvermei-
Renten am gesamten Haushaltseinkom- Disparitäten auch innerhalb der beiden dung im Alter notwendig ist. Eine weite-
men betrug im Osten bei älteren Ehepaa- Landesteile festzustellen (beispielsweise re Reduzierung des Rentenniveaus würde
ren 81 % (West: 56 %), bei alleinstehenden Schleswig-Holstein im Vergleich zu Bay- die niedrigen und t­ endenziell sinkenden
Männern über 65 Jahre 89 % (West: 60 %) ern und Mecklenburg-Vorpommern im Anwartschaften vieler älterer Menschen
und bei alleinstehenden Frauen über 65 Vergleich zu Brandenburg). Es existiert zusätzlich entwerten. Dieser Punkt ist
Jahre 94 % (West: 71 %). Neurentnerinnen ein Süd-Nord-Gefälle hinsichtlich der auch Gegenstand des aktuellen Koaliti-
und -rentnern im Osten standen kaum Lohnhöhe, das auf die stärkere Wirt- onsvertrags. CDU/CSU und SPD haben
mehr als 25 Jahre zur Verfügung, um pri- schaftskraft in den südlichen Regionen sich darauf verständigt, die Renten bis
vate und/oder betriebliche Altersvorsorge zurückzuführen ist. Zudem ist das Lohn- 2025 auf dem heutigen Niveau von 48 %
zu betreiben oder Vermögen anzusparen. niveau im Allgemeinen in Städten und zu sichern und bei Bedarf durch Steuer-
Dies zeigt sich auch an den Wohneigen- Ballungsräumen höher als in gering be- mittel sicherzustellen, dass der Beitrags-
tumsquoten in Ost- verglichen mit West- siedelten Gegenden. satz nicht über 20 % steigt.

339
9
Politische und
gesellschaftliche Partizipation
9.1 Ein freier und demokratischer Staat ist auf
die aktive Mitwirkung der Bürgerinnen
in den einzelnen Bundesländern, ergibt
sich ein sehr unterschiedliches Bild. In
Teilnahme am und Bürger angewiesen. Demokratie lebt sieben Ländern lag sie über dem Bundes-
politischen davon, dass viele Menschen von ihren in
der Verfassung garantierten Rechten Ge-
durchschnitt. Am höchsten war sie in Ba-
den-Württemberg, gefolgt von Bayern
Leben durch brauch machen und Einfluss auf die politi- und Rheinland-Pfalz. Die niedrigsten
Wahlen sche Willensbildung nehmen. Die Aus-
übung des Wahlrechts spielt dabei eine
Wahlbeteiligungen gab es in Mecklen-
burg-Vorpommern, Bremen und in Sach-
zentrale Rolle: Sie entscheidet über die Zu- sen-Anhalt. In allen neuen Ländern und
Brigitte Gisart sammensetzung der demokratischen Ver- Berlin-Ost lag die Wahlbeteiligung unter
tretungen in Gemeinde, Land, Bund und dem Bundesdurchschnitt – wie bereits
der Europäischen Union. Da in der Bun- seit der Bundestagswahl 2002. u Tab 1, Abb 1
Statistisches Bundesamt
desrepublik Deutschland keine gesetzliche Bei der Bundestagswahl handelt es
(Destatis)
Wahlpflicht besteht, gilt die Wahlbeteili- sich um eine personalisierte Verhältnis-
gung – unter gewissen Einschränkungen – wahl. Jede Wählerin und jeder Wähler
auch als Gradmesser für das politische In- hat zwei Stimmen. Mit der Erststimme
teresse der Menschen. Sie weist deutliche wählen sie die Wahlkreisabgeordneten in
Unterschiede auf, je nachdem ob es sich 299 Bundestagswahlkreisen, die sie im
um Bundestags-, Landtags-, Kommunal- Deutschen Bundestag vertreten sollen.
wahlen oder Wahlen zum Europäischen Mit der Zweitstimme entscheiden sich
Parlament handelt. u Info 1 die Wählerinnen und Wähler für eine be-
stimmte Partei (Landesliste). Die Zweit-
9.1.1 Bundestagswahlen stimmen sind grundsätzlich für die Ge-
Dem Grundgesetz entsprechend wird der samtzahl der Abgeordneten einer jeden
Bundestag auf vier Jahre gewählt. Die Partei und für das Stärkeverhältnis der
Wahl zum 19. Deutschen Bundestag fand Parteien im Deutschen Bundestag aus-
am 24. September 2017 statt. Wahlberech- schlaggebend.
tigt waren rund 62 Millionen Deutsche, An der Wahl 2017 nahmen so viele
darunter etwa 3 Millionen zum ersten Parteien wie nie zuvor teil. Das Stimm­
Mal. Die Wahlbeteiligung lag bei 76,2 % ver­halten der Wählerinnen und Wähler
und ist damit gegenüber der Bundestags- hatte schließlich zur Folge, dass sieben
wahl 2013 um 4,6 Prozentpunkte gestie- Parteien in den Bundestag einzogen – die
gen. Betrachtet man die Wahlbeteiligung größte Zahl erfolgreicher Parteien, die es

341
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

bei ­gesamtdeutschen Bundestagswahlen u Info 1

bisher gab. Einen in der Geschichte der Wer ist wahlberechtigt?


Bundesrepublik Deutschland neuen Re- Das Recht, sich aktiv an einer Wahl zu beteiligen, steht den Menschen zu, die am Wahltag
kordwert erreichte mit 709 Abgeordneten unter anderem folgende Voraussetzungen erfüllen:
zudem die Zahl der Sitze im Deutschen ‧‧ in der Regel der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit,
Bundestag. u Abb 2 ‧‧ ein Mindestalter und
‧‧ eine Mindestdauer der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet.
Die CDU erreichte im Herbst 2017 ei-
nen Zweitstimmenanteil von 26,8 % und Außerdem darf kein Wahlrechtsausschluss vorliegen. Das Wahlrecht kann beispielsweise durch
richterliche Entscheidung wegen einer schweren Straftat aberkannt werden.
wurde damit stärkste Partei. Gegenüber
der Bundestagswahl 2013 verlor sie Bei der Bundestagswahl sind alle mindestens 18-jährigen Deutschen wahlberechtigt, die im Inland
seit mindestens drei Monaten eine Wohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhalten.
7,4 Prozentpunkte und musste damit den Auch im Ausland lebende Deutsche (sogenannte Auslandsdeutsche) können sich aktiv an Bundes-
größten Zweitstimmenverlust aller zur tagswahlen beteiligen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen und eine Eintragung in ein
Wahl angetretenen Parteien hinnehmen. Wählerverzeichnis beantragen.

In allen Ländern (ohne Bayern, wo die Bei Landtagswahlen sind alle Deutschen wahlberechtigt, die am Wahltag das 18. Lebensjahr
(in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein das 16. Lebensjahr) vollendet haben
CDU nicht zur Wahl stand) waren Ver-
und seit mindestens drei Monaten im jeweiligen Land sesshaft sind.
luste zu verzeichnen – zwischen 4,2 Pro-
Wahlberechtigt zur Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundes­
zentpunkten in Bremen und 15,8 Pro- republik Deutschland sind alle mindestens 18-jährigen Deutschen, die seit mindestens drei Monaten
zentpunkten in Sachsen. Außer in Bre- im Bundesgebiet oder in den übrigen Mitgliedstaaten der EU wohnen oder sich sonst gewöhnlich
men und Sachsen wurde sie in allen aufhalten. Ferner sind die Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der EU mit Wohnsitz oder
gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet (sogenannte Unionsbürgerinnen und -bürger) sowie
Ländern stärkste Partei. u Abb 3, Abb 4 die oben genannten Auslandsdeutschen wahlberechtigt.
Auch die CSU musste im September
Voraussetzung für die Teilnahme an Kommunalwahlen ist ebenfalls das Wohnen oder der sonstige
2017 einen Verlust an Zweitstimmen ver- gewöhnliche Aufenthalt in der jeweiligen Gemeinde. In den meisten Ländern (Baden-Württemberg,
buchen. Der Zweitstimmenanteil sank Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-West­
von 49,3 % (2013) auf 38,8 % der in Bay- falen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) gilt ein Mindestalter von 16 Jahren. Das Grundgesetz
gibt außerdem vor, dass bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden außer Deutschen auch Unions­
ern abgegebenen Stimmen – nur dort ist bürgerinnen und -bürger wahlberechtigt sind.
sie zur Wahl angetreten. Damit erzielte
die CSU 6,2 % aller gültigen Zweitstim-
men im Bundesgebiet; ihr Zweitstimmen-
u Tab 1 Wahlberechtigte und Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen
anteil sank gegenüber der Bundestags-
wahl 2013 um 1,2 Prozentpunkte. Wahlberechtigte Wahlbeteiligung

Die SPD errang bei der letzten Bun- in 1 000 in %


destagswahl 20,5 % aller gültigen Zweit- 1949 ¹ 31 208 78,5
stimmen im Wahlgebiet. Im Vergleich zur 1953 ¹ 33 121 86,0
Bundestagswahl 2013, bei der ihr Zweit- 1957 35 401 87,8
stimmenanteil 25,7 % betragen hatte, ver- 1961 37 441 87,7
lor sie somit 5,2 Prozentpunkte. Auch sie 1965 38 510 86,8
hatte in allen Ländern Verluste zu ver- 1969 38 677 86,7
zeichnen, und zwar zwischen 2,7 Prozent- 1972 41 446 91,1
punkten in Mecklenburg-Vorpommern 1976 42 058 90,7
und 8,9 Prozentpunkten in Hamburg. 1980 43 232 88,6
DIE LINKE gewann 9,2 % der gültigen 1983 44 089 89,1
Zweitstimmen. Das ist gegenüber der Bun- 1987 45 328 84,3
destagswahl 2013 ein Gewinn von 0,6 Pro- 1990 60 437 77,8
zentpunkten. Sie verlor in fünf Ländern 1994 60 452 79,0
Stimmenanteile, und zwar zwischen 1998 60 763 82,2
3,7 Prozentpunkten in Mecklenburg-Vor- 2002 61 433 79,1
pommern und 6,6 Prozentpunkten in 2005 61 871 77,7
Thüringen. In elf Ländern konnte sie Ge- 2009 62 168 70,8
winne zwischen 0,3 (Berlin) und 3,4 Pro- 2013 61 947 71,5
zentpunkten (Hamburg) verzeichnen. 2017 61 688 76,2
Die GRÜNEN erhielten 2017 von allen
Bis 1987 früheres Bundesgebiet (ohne Berlin-West), seit 1990 Deutschland.
gültigen Zweitstimmen 8,9 % und gewan- 1 Ohne Saarland.

342
Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen / 9.1 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Abb 1 Wahlbeteiligung nach Bundesländern bei nen damit gegenüber der vorherigen
der Bundestagswahl 2017 — in Prozent Bundestagswahl 0,5 Prozentpunkte an
Zweitstimmen hinzu. Sie steigerten sich
in sieben Ländern zwischen 0,2 Prozent-
punkten in Berlin und 2,6 Prozentpunk-
ten in Schleswig-Holstein. In allen ande-
Schleswig- ren Ländern erlitten die GRÜNEN Stim-
Holstein meneinbußen. Am niedrigsten waren die
76,3 Mecklenburg-
Vorpommern
Hamburg 70,9 Verluste mit 0,1 Prozentpunkten in
76,0 Mecklenburg-Vorpommern, Niedersach-
Nieder- sen und Rheinland-Pfalz, am höchsten in
Bremen sachsen
70,8 76,4 Berlin Bremen mit 1,1 Prozentpunkten.
75,6 Die FDP, die 2013 mit 4,8 % der gülti-
Branden- gen Zweitstimmen den Einzug in den
Sachsen- burg
Anhalt 73,7 Deutschen Bundestag nur knapp verpasst
Nordrhein- 68,1 hatte, erreichte bei der letzten Bundes-
Westfalen
75,4 Sachsen tagswahl 10,7 % der gültigen Zweitstim-
75,4
men. Damit verbesserte sie ihr Ergebnis
Hessen Thüringen
77,0 74,3 von 2013 um 6,0 Prozentpunkte. Die FDP
Rheinland-
gewann in allen Ländern Zweitstimmen-
Pfalz anteile, und zwar zwischen 3,8 Prozent-
77,7
punkten im Saarland und 7,9 Prozent-
Saarland punkten in Nordrhein-Westfalen.
76,6 Die AfD, die 12,6 % der Zweitstim-
Deutschland 76,2
Bayern
78,1 78 und mehr men erzielte, ist erstmals im Deutschen
Baden- 76 – 78 Bundestag vertreten. Ihr Zuwachs an
Württemberg 74 – 76 Zweitstimmen beträgt gegenüber der
78,3 72 – 74
letzten Bundestagswahl 7,9 Prozentpunk-
70 – 72
unter 70
te. Sie gewann in allen Ländern Zweit-
stimmen hinzu. Den geringsten Zuwachs
Kartengrundlage: © Geobasis-DE / BKG (2017) erzielte sie in Schleswig-Holstein mit
3,6 Prozentpunkten, den größten in Sach-
sen mit 20,3 Prozentpunkten.
Fünf Monate nach der Bundestagswahl
u Abb 2 Zweitstimmenanteile der Parteien bei haben sich erneut CDU, CSU und SPD zu
der Bundestagswahl 2017 — in Prozent einer großen Koalition zusammenge-
schlossen. Von den 709 Sitzen im Deut-
8,9 schen Bundestag entfallen auf die Koaliti-
onsparteien insgesamt 399 Sitze. Die Op-
9,2 26,8
position verfügt dagegen über 310 Sitze.
Frauen sind im Deutschen Bundestag
10,7
weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Ob-
2017 wohl über 2 Millionen mehr Frauen als
6,2 Männer wahlberechtigt waren, stellen sie
im 19. Deutschen Bundestag mit 218 Man-
12,6 daten weniger als ein Drittel (31 %) der
20,5
709 Abgeordneten. Im 18. Deutschen Bun-
destag waren unter den insgesamt 631 Ab-
CDU CSU SPD AfD FDP DIE LINKE GRÜNE geordneten noch 229 Frauen vertreten; die
Frauenquote betrug damals 36 %.
Rechter Halbkreis=Regierungsparteien. Die GRÜNEN und DIE LINKE er-
reichten mit 58 % beziehungsweise 54 %

343
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

u Abb 3 Zweitstimmenanteile der Parteien bei der Abgeordneten die höchsten Frauen-
den Bundestagswahlen 2013 und 2017 —­ in Prozent anteile, gefolgt von der SPD (42 %), der
FDP (23 %) und der CDU (21 %) sowie der
CSU mit 17 %. Den geringsten Frauenan-
40
teil weist mit 12 % die AfD auf.
35 34,1

Die repräsentative Wahlstatistik


30
26,8 Die repräsentative Wahlstatistik zeigt bei
25,7
25 der Altersstruktur der Wahlberechtigten
20,5 sehr deutlich die demografische Entwick-
20 lung der deutschen Bevölkerung. Die Ge-
15
neration der 30- bis 59-Jährigen stellte bei
12,6
10,7
der Bundestagswahl 2017 fast die Hälfte
10 9,2 8,6 8,9 8,4 aller Wahlberechtigten. Die Altersgruppe
7,4
6,2 ab 60 Jahren umfasste gut ein Drittel aller
4,8 4,7
5
potenziellen Wählerinnen und Wähler
0 und damit rund doppelt so viele wie die
CDU SPD DIE LINKE GRÜNE CSU FDP AfD
jüngere Generation unter 30 Jahren. Diese
2017 2013

u Abb 4 Zweitstimmenanteile der Parteien bei Bundestagswahlen — in Prozent

45

40

35

30

25

20

15

10

0
1990 1994 1998 2002 2005 2009 2013 2017

SPD CDU CSU FDP GRÜNE ¹ DIE LINKE ² AfD Sonstige

1 1990 einschließlich Bündnis 90/Grüne.


2 Bis zur Namensänderung durch Parteitagsbeschluss vom 17. Juli 2005: PDS.

344
Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen / 9.1 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

machte nur knapp ein Sechstel aller genheit – nur unterdurchschnittlich häu- gruppen steigt die Wahlbeteiligung jeweils
Wahlberechtigten aus. Bei der Bundes- fig wählen. Der seit der Bundestagswahl an – bis zu den 60- bis 69-Jährigen, die mit
tagswahl 1990 hatten die über 60-Jähri- 2009 bestehende Trend bei den Wahlbe- 81,0 % am häufigsten zur Wahl gingen.
gen nur gut ein Viertel der Wahlberech- rechtigten ab 70 Jahren verfestigte sich Im Hinblick auf die demografische Ent-
tigten gestellt, die unter 30-Jährigen hin- nicht: Während 2009 und 2013 die Wahl- wicklung und im Zusammenspiel mit der
gegen noch knapp ein Viertel. u Info 2, Abb 5 beteiligung in dieser Altersgruppe über- unterdurchschnittlichen Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung lag nach dem durchschnittlich war, lag diese 2017 nur der jüngeren Generationen ist das politi-
amtlichen Endergebnis der Bundestags- noch knapp unter dem Durchschnitt. sche Einflusspotenzial der jüngeren Wähle-
wahl 2017 bei 76,2 %. Sie hat sich bei allen Auch die Wahlbeteiligung der 30- bis rinnen und Wähler gegenüber den Älteren
Bundestagswahlen seit 1953 in den einzel- 39-Jährigen ist gesunken: Bis Anfang der überproportional geschwächt. u Abb 6
nen Altersgruppen weitgehend parallel 1980er-Jahre war sie noch überdurch- Die CDU war durchweg in allen Alters-
zur Gesamtbeteiligung entwickelt, wenn schnittlich hoch, inzwischen liegt sie gruppen die stärkste Partei. Verhältnis-
auch auf unterschiedlichen Niveaus. höchstens im durchschnittlichen Bereich. mäßig knapp war ihr Vorsprung vor der
Überdurchschnittlich hoch war stets die Während die Wahlbeteiligung der SPD nur bei den jüngsten Wählerinnen
Wahlbeteiligung der 40- bis 69-Jährigen, Erstwählerinnen und -wähler 2017 bei und Wählern zwischen 18 und 24 Jahren.
so auch bei der Bundestagswahl 2017. Die 69,9 % lag, hatte die Altersgruppe der 21- Hier erreichte sie mit 19,9 % ihr schlech-
Wahlberechtigten unter 30 Jahren gingen bis 24-Jährigen erneut mit 67,0 % den nied- testes Ergebnis. In allen weiteren Alters-
2017 dagegen – wie auch in der Vergan- rigsten Wert. Bei den folgenden Alters- gruppen bis 69 Jahre schwankte der

u Info 2 u Abb 5 Wahlberechtigte nach Altersgruppen — in Prozent


Was ist die repräsentative Wahlstatistik?
Die repräsentative Wahlstatistik ist eine Stichpro-
benerhebung. In die Auswahl einbezogen werden
bis zu jeweils 5 % aller Urnen- und Briefwahlbezir-
ke im gesamten Bundesgebiet und nicht mehr als
jeweils 10 % aller Urnen- und Briefwahlbezirke in
26,8
einem Land. Dabei müssen die ausgewählten Ur-
nenwahlbezirke mindestens 400 Wahlberechtigte 36,3
umfassen und ausgewählte Briefwahlbezirke min-
destens 400 Brief­wählerinnen und -wähler
bei der vorherigen Wahl umfasst haben. Bei der
Bundestagswahl 2017 waren insgesamt 2,2 Milli-
onen Wahlberechtigte in der Stichprobe; dies
entspricht einem Anteil von 3,6 %.

Im Gegensatz zur allgemeinen Wahlstatistik, bei


der es sich um eine Dokumentation der von den
Wahlorganen festgestellten Wahlergebnisse und
der dort angefallenen Informationen handelt, stellt 50,2
die repräsentative Wahlstatistik fest, in w
­ elchem
­Umfang sich die Wahlberechtigten beziehungs­
weise die Wählerinnen und Wähler aus verschiede- 48,9
nen Altersgruppen an der Wahl betei­ligen und wie
sie stimmen. Damit ermöglicht sie ­bedeutende
Rückschlüsse über deren Wahlverhalten und ihre
Be­teiligung am demokratischen Staatsleben. im Alter von … bis … Jahren

Die repräsentative Wahlstatistik ist eine Besonder- 60 und mehr


heit im deutschen Wahlrecht und weltweit ein­ 30 – 59
malig. Die Ergebnisse interessieren insbesondere 18 – 29
die politischen Parteien und wahlwissenschaft­ 23,0
liche Einrichtungen. 14,8

Bei der Bundestagswahl 2017 wurde zum 16. Mal


seit 1953 eine repräsentative Wahlstatistik
2017 1990
durchgeführt.

345
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

u Abb 6 Abweichung der Wahlbeteiligung nach Altersgruppen von der durchschnittlichen Wahlbeteiligung
bei der Bundestagswahl 2017 — in Prozentpunkten

6
4,7 5,0
4,2
4 3,6 3,8
2,8
2 1,8
1,2

0
– 0,6 – 0,9
–2
– 2,8 – 2,9
–4 – 3,7

–6 – 5,4 – 5,4
– 6,0
– 7,2
–8
– 8,0
– 9,1
–10
– 10,4
–12
18 – 20 21– 24 25–29 30 – 34 35 – 39 40 – 44 45 – 49 50 – 59 60 – 69 70 und mehr

Altersgruppe von ... bis ... Jahren


Frauen Männer

Durchschnittliche Wahlbeteiligung 76,2%.

u Abb 7 Stimmabgabe (Zweitstimmen) nach Altersgruppen bei der Bundestagswahl 2017 —


­ in Prozent

24,6
25 CDU
21,4
19,9 SPD
20 18,4
17,1 DIE LINKE
14,6 15,6 15,4
15 13,2 11,1 12,8 GRÜNE
10,5 10,4 10,9 11,4 11,0 11,4
9,8 9,1 CSU
10 8,0
7,0 FDP
5,1 5,4 5,9
5 AfD
0 Sonstige
18 – 24 25 – 34 35–44

36,5
35

30
27,2
24,8 25,2
25 23,3
19,9
20
15,1
15 13,2
10,5 10,3 10,5 10,3 10,1
10 9,3
8,1 8,3
6,8 6,8
5,6 6,1
5 4,6 3,8
2,6
1,4
0
45 – 59 60 – 69 70 und mehr

Altersgruppe von ... bis ... Jahren

346
Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen / 9.1 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

Stimmenanteil der CDU zwischen 21,4 % den 25- bis 69-Jährigen ein relativ konstan- gen mit 10,9 %. Auch bei ihr wiesen die
und 27,2 %. Bei den Wählern ab 70 Jahren tes Wählerpotenzial von 12,8 % bis 15,4 % Stimmenanteile zwischen den einzelnen
stieg er sprunghaft auf 36,5 % an. u Abb 7 für sich erschließen. Deutlich weniger er- Altersgruppen nur relativ geringe Schwan-
Die CSU schnitt wie ihre Schwester- folgreich war sie sowohl bei der jüngsten kungen auf.
partei besonders gut bei älteren Wählerin- Generation (8,0 %) als auch bei den ältes- Die GRÜNEN erreichten bei der Bun-
nen und Wählern ab. So erreichte sie bun- ten Wählerinnen und Wählern (8,3 %). destagswahl 2017 in allen Altersgruppen
desweit bei den ab 70-Jährigen 8,1 %. Die FDP zeigte prozentual die ge- bis 59 Jahre zweistellige Stimmenanteile.
Die SPD erzielte bei der Bundestags- ringsten Schwankungen in den einzelnen Am erfolgreichsten waren sie mit 14,6 % bei
wahl 2017 mit 25,2 % ihren höchsten Stim- Altersgruppen. Die Wählerinnen und den Jung- und Erstwählern unter 25 Jah-
menanteil ebenfalls bei den Wählerinnen Wähler sind über alle Altersgruppen fast ren. Bei den über 60-Jährigen erreichten sie
und Wählern ab 70 Jahren. Bei den 35- bis gleichmäßig verteilt. Den höchsten Stim- hingegen deutlich schlechtere Ergebnisse,
44-Jährigen hatte sie mit 15,6 % ihren ge- menanteil erreichte sie in der jüngsten bei den ab 70-Jährigen sogar nur 3,8 %.
ringsten Zweitstimmenanteil. Altersgruppe (13,2 %). Die sonstigen Parteien schnitten bei
Die AfD, die insgesamt die größten DIE LINKE erzielte ihren höchsten der jüngsten Generation mit 10,4 % deut-
Gewinne zu verzeichnen hatte, konnte bei Stimmenanteil bei den 25- bis 34-Jähri- lich am besten ab.

Wahlhelferinnen und Wahlhelfer gabe der Stimmzettel. Der Wahlvor- lauf des Wahltages« und »Ablauf der
Bei jeder Bundestagswahl tragen am stand zählt nach Schließung des Wahl- Stimmauszählung und Dokumenta­
Wahltag rund 650 000 ehrenamtliche lokals die Stimmen aus und meldet das tion«, die auf der Internetseite des Bun-
Wahlhelferinnen und -helfer in den Ergebnis an die Kommune weiter. deswahlleiters abrufbar sind:
etwa 88 000 Urnen- und Briefwahlbe- Bei der Tätigkeit als Wahlhelferin
https://www.bundeswahlleiter.de/
zirken zum Gelingen der Wahl bei. oder Wahlhelfer handelt es sich um
bundestagswahlen/2017/
Sie müssen selbst wahlberechtigt sein eine ehrenamtliche Tätigkeit, zu de-
informationen-wahlhelfer.html
und werden von den Gemeindebehör- ren Übernahme jede und jeder Wahl-
den berufen. berechtigte verpflichtet ist. Sie kann Weitere Erläuterungen und Definitio-
In jedem Wahllokal wird ein nur aus wichtigem Grund abgelehnt nen rund um das Thema Wahl, wie
Wahlvorstand eingesetzt. Jeder Wahl- werden. Wichtige Gründe sind: zur Sitzverteilung oder zu den Wahl-
vorstand besteht aus einer Wahlvorste- · dringende berufliche Gründe, kreisen, gibt das Wahl-Lexikon des
herin oder einem Wahlvorsteher, einer · Krankheit oder körperliche Beein- Bundeswahlleiters unter:
Stellvertretung und weiteren drei bis trächtigung,
https://www.bundeswahlleiter.de/
sieben Beisitzerinnen und Beisitzern. · ein anderer wichtiger Grund.
service/glossar.html
Die Wahlvorstände müssen be- Die Entscheidung, ob ein wichtiger
reits vor Öffnung der Wahlräume um Grund vorliegt, trifft die zuständige Das Wahl-Lexikon informiert über die
8:00 Uhr Vorbereitungen treffen. Bis Gemeindebehörde. Der beziehungs- Vorbereitung von Bundestags- und Eu-
18:00 Uhr sind die Wahlräume geöffnet. weise die Wahlberechtigte ist dafür ropawahlen und trägt zum besseren
Während dieser Zeit organisiert und beweispflichtig. Verständnis des Wahlablaufs und der
überwacht der Wahlvorstand die ord- Für ihre Tätigkeit erhalten die Mit- gesetzlichen Regelungen bei.
nungsgemäße Durchführung der Wahl glieder der Wahlvorstände ein Erfri- Außerdem finden sich weitere In-
und erklärt bei Bedarf den Bürgerinnen schungsgeld, unter bestimmten Voraus- formationen in unregelmäßigen Ab-
und Bürgern die Wahlformalitäten. setzungen auch Fahrtkostenerstattung. ständen auf Twitter unter:
Hierzu zählt insbesondere die Überprü- Einen anschaulichen Einblick in die
fung der Wahlberechtigung aufgrund Tätigkeiten der Wahlvorstände bieten @Wahlleiter_Bund
des Wählerverzeichnisses und die Aus- die Videos »Der Wahlvorstand«, »Ab-

347
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

9.1.2 Landtagswahlen die Wahlkreiskandidatinnen und -kan- Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schles-
In den Bundesländern stecken die jewei- didaten und mit der Zweitstimme über wig-Holstein angewandt.
ligen Landesverfassungen den Rahmen eine Parteiliste entscheiden. Unterschie- Die Wahlbeteiligung bei Landtags-
für die Gestaltung des Landeswahlrechts de gibt es bei der Dauer der Wahlperiode, wahlen liegt grundsätzlich niedriger als
ab. Dabei können die Länder unter Ein- die sich in fast allen Ländern über fünf bei Bundestagswahlen. Die Unterschiede
haltung der Wahlgrundsätze (allgemeine, Jahre erstreckt; lediglich Bremen wählt sind jedoch von Land zu Land verschie-
unmittelbare, freie, gleiche und geheime alle vier Jahre. Auch das aktive und das den stark ausgeprägt: Die höchste Wahl-
Wahl) das Wahlverfahren und das Wahl- passive Wahlalter sind vereinzelt unter- beteiligung bei den jeweils letzten Land-
system durch eigene Landeswahlgesetze schiedlich geregelt. tagswahlen wurde in Hessen im Jahr
und Landeswahlordnungen selbst be- Die Sitzzuteilung erfolgt ebenfalls 2013 mit 73,2 % erreicht, die niedrigste
stimmen. nach verschiedenen Verfahren. Manche bei der Wahl 2014 in Brandenburg mit
Eine Gemeinsamkeit mit dem Bun- Länder wenden das Höchstzahlverfahren 47,9 %. u Abb 8
destagswahlrecht ist beispielsweise das nach d’Hondt an, während andere das Nur in Bayern regiert die CSU allein,
von allen Ländern praktizierte Verhält- Verfahren nach Hare/Niemeyer einsetzen. in allen anderen Ländern haben jeweils
niswahlrecht. Die meisten Länder folgen Das bei Bundestags- und Europawahlen zwei oder drei Parteien Koalitionen ge-
dem Prinzip der personalisierten Ver- vorgesehene Verfahren nach Sainte-La- schlossen. In Baden-Württemberg sind
hältniswahl, wonach die Wählerinnen guë/Schepers wird auch in Baden-Würt- die GRÜNEN mit der CDU ein Regie-
und Wähler mit ihren Erststimmen über temberg, Bremen, Hamburg, Nordrhein- rungsbündnis eingegangen. Die SPD ko-

u Abb 8 Wahlbeteiligung und Stimmabgabe bei den letzten Landtagswahlen — in Prozent

Baden-Württemberg Bayern 1 Berlin Brandenburg 2


Wahlbeteiligung 70,4 % Wahlbeteiligung 63,6 % Wahlbeteiligung 66,9 % Wahlbeteiligung 47,9 %
6,6 14,1 9,2 5,6
2,7
8,3 21,6
30,3 6,7 31,9
6,2 3
8,6
12,7 12,2
14,2
2016 9,0 2013 2016 2014
15,6

15,1
27,0 20,6 47,7 17,6 15,2 23,0 18,6

Bremen 4 Hamburg Hessen 2 Mecklenburg-Vorpommern 2


Wahlbeteiligung 50,2 % Wahlbeteiligung 56,5 % Wahlbeteiligung 73,2 % Wahlbeteiligung 61,9 %
4,8 4,2 9,6 16,5
3,2
6,1
5,5 32,8 45,6 5,0 38,3 30,6

6,6 7,4
5,2

13,2
9,5 8,5
2015 2015 2013 2016

22,4 15,9 30,7


15,1 11,1 20,8 19,0
12,3

CDU/CSU 5 SPD FDP GRÜNE DIE LINKE AfD FREIE WÄHLER Bayern SSW BIW BVB /FREIE WÄHLER Sonstige

348
Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen / 9.1 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

aliert mit der LINKEN in Brandenburg Länderparlamenten inne. Während CDU ments aus der Bundesrepublik Deutsch-
und mit den GRÜNEN jeweils in Bremen (in Bayern CSU) und SPD in allen Land- land nach den Grundsätzen der Verhält-
und in Hamburg, mit der CDU in Meck- tagen vertreten sind, haben Abgeordnete niswahl mit nur einer Stimme. Die letzte
lenburg-Vorpommern und in Nieder- der GRÜNEN und der AfD in jeweils Europawahl fand in den Mitgliedstaaten
sachsen, mit der LINKEN und den GRÜ- 14 Landesparlamenten Sitze eingenom- der EU im Zeitraum vom 22. bis 25. Mai
NEN in Berlin sowie mit der FDP und men. DIE LINKE konnte in zehn Landta- 2014 statt, in Deutschland am 25. Mai. Die
den GRÜNEN in Rheinland-Pfalz. In gen Sitze erzielen und Abgeordnete der neunte Direktwahl zum Europäischen
Hessen bildet die CDU gemeinsam mit FDP sind in neun Landtagen vertreten. Parlament wird im Frühsommer 2019
den GRÜNEN die Landesregierung, im stattfinden. Informationen über die Wahl
Saarland und in Sachsen gemeinsam mit 9.1.3 Europawahlen von 2014 bietet Kapitel 13.1 des Datenre-
der SPD. In Nordrhein-Westfalen regiert Seit 1979 wählen die Bürgerinnen und ports 2016. Die Ergebnisse der Europa-
die CDU zusammen mit der FDP und in Bürger der Europäischen Union (EU) in wahl sind unter www.europarl.europa.eu
Sachsen-Anhalt bilden CDU, SPD und fünfjährlichem Abstand die Abgeordneten abrufbar.
GRÜNE zusammen eine Koalition. In des Europäischen Parlaments. Im Gegen-
Thüringen haben sich DIE LINKE, SPD satz zur Wahl zum Deutschen Bundestag
und GRÜNE zusammengeschlossen. mit ihrem Mischsystem aus Mehrheits-
Alle im 19. Deutschen Bundestag ver- und Verhältniswahl erfolgt die Wahl der
tretenen Parteien haben auch Sitze in den Abgeordneten des Europäischen Parla-

Niedersachen 2 Nordrhein-Westfalen 2 Rheinland-Pfalz 2 Saarland


Wahlbeteiligung 63,1 % Wahlbeteiligung 65,2 % Wahlbeteiligung 70,4 % Wahlbeteiligung 69,7 %
7,0 9,5 7,8 10,7

6,2 36,2
36,9 6,4 33,0
12,6 6,2
40,7
7,5
7,4

8,7 12,8
2017 2017 2016 2017

6,2 29,6
33,6 31,2 12,6 31,8
5,3

Sachsen 2 Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein 2 Thüringen 2


Wahlbeteiligung 49,1 % Wahlbeteiligung 61,1 % Wahlbeteiligung 64,2 % Wahlbeteiligung 52,7 %
7,2 9,7

13,8 13,8 3,3


39,4 29,8 32,0 10,6 28,2
5,9
5,7
16,3
9,7
2014 2016 27,3 2017 2014

10,6
18,9 24,3 33,5 12,4
5,2 12,9

12,4 11,5 5,7

Stand: 01.02.2018. 1 Gesamtstimmen = Erst- und Zweitstimmen. 3 GRÜNE/B 90. 5 CSU nur in Bayern.
Rechter Halbkreis = Regierungsparteien. 2 Zweitstimmen. 4 Gesamtstimmen = Personen- und Listenstimmen.

349
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.2 / Politische Integration und politisches Engagement

9.2 In einer sich immer stärker sozial und


kulturell differenzierenden Gesellschaft
der Blick auf jüngere Altersgruppen und
ihr »Hineinwachsen« in die Demokratie
Politische wie der Bundesrepublik Deutschland ist von Interesse. Zudem stellt sich selbst
­Integration und die Frage der Integration und der Teil­
habe von zentraler Bedeutung für den
nach fast drei Jahrzehnten deutscher Ein­
heit die Frage, ob die Bürgerinnen und
politisches Zusammenhalt. In einer demokratischen Bürger in den neuen Bundesländern in
Engagement Gesellschaft gilt das nicht zuletzt für den
Bereich der Politik. Demokratie bedeutet
vergleichbarer Weise politisch integriert
sind und einen ähnlich starken Zugang
die Möglichkeit der gleichen Teilhabe an zum politischen Willensbildungsprozess
Bernhard Weßels den politischen Willensbildungs- und finden wie die der alten Bundesländer.
WZB Entscheidungsprozessen. Durch gleiche
Wahlen bestimmen die Bürgerinnen und 9.2.1 Politisches Interesse
Bürger ihre politischen Repräsentanten, und p ­ olitische Partizipation
WZB / SOEP
durch politische Beteiligung können sie Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger
Einf luss auf die Politik nehmen. Unter an Politik ist ein wichtiger Gradmesser
politischer Integration versteht man den dafür, inwieweit sie das politische Gesche­
Prozess, in dessen Verlauf sich die Bürge­ hen registrieren und an ihm teilnehmen,
rinnen und Bürger durch ihre eigene das heißt, ob Politik für die Bürgerinnen
­p olitische Beteiligung in die politische und Bürger wichtig genug ist, um sich da­
Willensbildung einbringen und dadurch rüber zu informieren und sich gegebenen­
sowohl die demokratischen »Spielregeln« falls dafür zu engagieren. Das politische
anerkennen als auch Loyalitätsbeziehun­ Interesse wird durch die Frage »Wie stark
gen gegenüber den politischen Institutio­ interessieren Sie sich für Politik: sehr stark,
nen und Akteuren entwickeln. Die Frage, stark, mittel, wenig oder überhaupt nicht?«
wie viel Bürgerbeteiligung eine Demo­ bereits seit 1969 in repräsentativen Bevöl­
kratie braucht, bleibt offen und ist letzt­ kerungsumfragen erfasst.
lich nur normativ zu beantworten. In den letzten Jahrzehnten hat sich der
Wenn jedoch eine Gesellschaft hinter Anteil derjenigen, die sich stark oder sogar
ein bereits erreichtes Ausmaß an politi­ sehr stark für Politik interessieren, bestän­
scher Integration und Partizipation zu­ dig und sehr dynamisch verändert. Im
rückfällt, ist dies ein Warnsignal für die Zeitraum um die Vereinigung Deutsch­
Demokratie. Starke regionale oder sozia­ lands 1990 war er in den alten Bundeslän­
le Unterschiede in der Beteiligung der dern am höchsten und sank dann wieder
Bürgerinnen und Bürger an der Politik ab. Allerdings lag das Niveau weiterhin
können darauf verweisen, dass eine höher als Anfang der 1980er-Jahre. Das
gleichmäßige Integration in die Politik politische Interesse stieg in den letzten
nicht gelingt. Die Debatten über die Jahren wieder deutlich, sodass es 2014 den
»Mitgliederkrise« von Großorganisatio­ Stand von 1990 erstmals wieder übertraf.
nen wie Parteien und Gewerkschaften, Auch 2016 lag der Anteil der politisch
über Politik- und Parteienverdrossenheit stark oder sehr stark Interessierten mit
sowie über sozial bedingte politische Un­ 38 % einen Prozentpunkt höher als 1990.
gleichheit legen es nahe, danach zu fra­ Der langfristige Vergleich zeigt, dass heu­
gen, ob sich die Bürgerinnen und Bürger te mehr Bürgerinnen und Bürger am poli­
der Bundesrepublik heute weniger poli­ tischen Geschehen interessiert sind als
tisch beteiligen als früher und ob sich noch Ende der 1960er-Jahre. So waren
Unterschiede zwischen sozialen, demo­ 1969 lediglich 18 % stark oder sogar sehr
grafischen oder regionalen Gruppen er­ stark an Politik interessiert.
geben. Sozial induzierte Ungleichheit in In Ostdeutschland waren die Bürge­
der politischen Teilhabe ist in den letzten rinnen und Bürger bis etwa 2010 etwas
Jahren zunehmend in der Diskussion. In weniger politisch interessiert als in West­
demografischer Hinsicht ist insbesondere deutschland. Ab dem Jahr 2010 ist dieser

350
Politische Integration und politisches Engagement / 9.2 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

Unterschied nahezu verschwunden und Differenz mit 15 Prozentpunkten gerin­ oder Abnahme bildungsbedingter Schich­
auch in Ostdeutschland erreichte das gerem Interesse unter Jüngeren im Jahr tung im politischen I­ nteresse ist seit der
­p olitische Interesse 2014 und 2016 mit 2014 am größten. ersten Allgemeinen Bevölkerungsumfra­
­jeweils 37 % einen Spitzenwert (West­ Noch größer als die Differenz zwi­ ge in den Sozialwissenschaften (ALLBUS)
deutschland: 40 % und 38 %). u Abb 1 schen jüngerer Bevölkerung und Bevöl­ 1980 also nicht festzustellen.
Größer als der Unterschied zwischen kerungsdurchschnitt ist jene zwischen Politisches Interesse ist sicherlich för­
den alten und den neuen Bundesländern Personen ohne und Personen mit Abitur. derlich für politische Beteiligung. Das Re­
ist der Unterschied im Interesse an der Unter den Bürgerinnen und Bürgern mit pertoire der Beteiligungsformen hat sich
Politik zwischen jüngeren und älteren Abitur lag der Anteil derjenigen, die sich über klassische institutionalisierte For­
Bürgerinnen und Bürgern. Die 18- bis stark oder sehr stark für Politik interes­ men wie Wahlen in den vergangenen Jahr­
29-jährigen West- und Ostdeutschen sind sierten, in Westdeutschland 2016 bei 55 % zehnten stark ausgeweitet. Neben organi­
deutlich weniger politisch interessiert als und in Ostdeutschland bei 53 %. Damit satorischen Formen der Beteiligung wie
der Durchschnitt der Bürgerinnen und lag er im Westen wie im Osten etwas der Arbeit in Parteien, Bürgerinitiativen,
Bürger. Dieser Unterschied ist nach 1990 mehr als 15 Prozentpunkte über dem Be­ Vereinen und Organisationen nutzen Bür­
entstanden. Davor interessierten sich völkerungsdurchschnitt. Das politische gerinnen und Bürger vermehrt Formen
Jüngere nur geringfügig weniger für Poli­ Interesse ist also deutlich durch soziale nicht institutionalisierter Beteiligung wie
tik. Im Durchschnitt der Jahre 1994 bis Unterschiede geprägt, wohingegen regio­ die Aufnahme von Kontakt zu Politikerin­
2016 lag das Interesse an der Politik nale Unterschiede zwischen Ost und West nen und Politikern, Unterschriftensamm­
bei den 18- bis 29-Jährigen mit 22 % in kaum festzustellen sind. Jedoch schwank­ lungen und Demonstrationen, um ihren
West- und 21 % in Ostdeutschland etwa 8 ten die Unterschiede im politischen Inte­ Interessen Ausdruck zu verleihen und
bis 9 Prozentpunkte unter dem Bevölke­ resse zwischen Bürgerinnen und Bürgern am politischen Leben teilzuhaben. Diese
rungsdurchschnitt. 2010, 2014 und 2016 mit und ohne Abitur im Zeitverlauf. Die Arten politischer Aktivität haben in
lag die Differenz in Westdeutschland im Differenz lag im Schnitt bei etwas mehr Deutschland seit Ende der 1950er-Jahre
zweistelligen Bereich von 12 bis 14 Pro­ als 20 Prozentpunkten. Ein Trend lässt kontinuierlich zugenommen. In diesem
zentpunkten, in Ostdeutschland war die sich dabei aber nicht feststellen. Eine Zu- Zusammenhang wurde von einer »partizi­
Abb. 1: Politisches Interesse in der Bundesrepublik 1980–2016 – in Prozent

u Abb 1 Politisches Interesse in der Bundesrepublik 1980 – 2016 — in Prozent

70

60

50

40

30

20

10

0
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Westdeutschland insgesamt Westdeutschland Abitur Westdeutschland 18–29 Jahre


Ostdeutschland insgesamt Ostdeutschland Abitur Ostdeutschland 18–29 Jahre

Datenbasis: ALLBUS 1980–2016; Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.

351
Datenbasis: ALLBUS 1980–2016; Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.2 / Politische Integration und politisches Engagement

patorischen Revolution« gesprochen, mit Unterschriftensammlungen und Demons­ wende, ein danach erfolgender leichter
der sich nicht nur in Deutschland, son­ trationen, mitgewirkt zu haben, waren in Rückgang und eine Erholung nach 2010.
dern in allen modernen Demokratien den 1990er-Jahren recht stabil. Seit der Während in Westdeutschland eine stetige
nicht institutionalisierte Formen der poli­ Jahrtausendwende sind Ähnlichkeiten, Zunahme bei den Kontakten zu Politike­
tischen Beteiligung etablierten. Die Antei­ aber auch unterschiedliche Dynamiken in rinnen und Politikern sowie der Beteili­
Abb 2: Nicht institutionalisierte
le derjenigen, die angaben, und an organisatorische
den beiden FormenOst der
undBeteiligung
West 2002–2016
festzustellen. Gemeinsam gung an Unterschriftensammlungen fest­
häufigsten Formen der sogenannten un­ ist beiden Regionen ein hohes Beteili­ zustellen ist, gingen beide Beteiligungsfor­
konventionellen politischen Beteiligung, gungsniveau kurz nach der Jahrtausend­ men in Ostdeutschland zwischenzeitlich

u Abb 2 Nicht institutionalisierte und organisatorische Formen der Beteiligung 2002 – 2016 — in Prozent

Westdeutschland

39

36
33 33
31 32
31 30
29 29
27
24 25
21 20
18 18
16
15 15 15
14
Abb 2: Nicht institutionalisierte und organisatorische Formen der Beteiligung 2002–2016
12
11 11
10 10
8 8 9
8
7
5 5
4 4 4 4 4
3

2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016
Politiker kontaktiert Unterschriftensammlung Demonstration Parteiarbeit, Bürgerinitiative Arbeit in Verein / Organisation

nicht institutionalierte Beteiligung organisatorische Beteiligung


Ostdeutschland
Datenbasis: European Social Survey 1-8 (2002-2016), Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.

35 36
33 33
32
30 30 29
26
25
23
22 22
20 20
19
16 17
15 15
14 13 14 13 13
11 12
9
7 8
7 6
4 5 4
4 3 3 3 3

2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016 2004 2008 2012 2016
Politiker kontaktiert Unterschriftensammlung Demonstration Parteiarbeit, Bürgerinitiative Arbeit in Verein / Organisation

nicht institutionalierte Beteiligung organisatorische Beteiligung

Datenbasis: European Social Survey 1-8 (2002-2016), Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Datenbasis: European Social Survey 1–8 (2002–2016), Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.

352
Politische Integration und politisches Engagement / 9.2 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

deutlich zurück, erreichten aber 2016 u Abb 3 Nicht institutionalisierte und organisatorische Formen der Beteiligung
­ ieder ein ähnlich hohes Niveau wie in
w nach Bildung, Region und Alter 2016 — in Prozent
Westdeutschland. u Abb 2
Größere Unterschiede zwischen Ost
Mit /ohne Hochschulabschluss
und West im Ausmaß der Beteiligung
lassen sich jedoch nicht feststellen. Etwa Politiker 16
eine beziehungsweise einer von sechs kontaktiert 27

Bürgerinnen und Bürgern hatte in den Unterschriften- 35


letzten zwölf Monaten eine Politikerin sammlung 54
oder einen Politiker kontaktiert, mehr als
10
jede oder jeder Dritte hatte sich an einer Demonstration
19
Unterschriftensammlung beteiligt und
etwa jede oder jeder Zehnte an einer De­ Parteiarbeit, 4
Bürgerinitiative 8
monstration. Auch bei den institutionel­
len Beteiligungsformen wie der Arbeit in Arbeit in Verein / 30
Organisation 38
Parteien und Bürgerinitiativen oder Ver­
einen und Organisationen ergaben sich
keine größeren Unterschiede zwischen ohne mit

Ost- und Westdeutschland: Etwa 5 % hat­


ten in einer Partei oder Bürgerinitiative Ost / West
und etwa 30 % in Vereinen und Organisa­
tionen mitgearbeitet. Politiker 18
kontaktiert 17
Werden die Werte zwischen Ost und
West, zwischen Menschen mit und ohne Unterschriften- 39
Hochschulabschluss sowie zwischen Jün­ sammlung 36

geren und Älteren 2016 verglichen, sind


Demonstration 11
die regionalen Unterschiede am gerings­ 13
ten und nahezu vernachlässigbar. Die
Parteiarbeit, 5
­politische Integration und Teilhabe ist in Bürgerinitiative 4
Ost und West gleich hoch ausgeprägt.
Dasselbe lässt sich allerdings nicht für Arbeit in Verein / 32
Organisation 29
die Unterschiede zwischen Bildungs­
gruppen sagen. Hier zeigen sich bei allen
West Ost
Formen der Beteiligung mit Ausnahme
der Arbeit in Parteien und Bürgerinitiati­
ven starke Unterschiede durch eine sehr 18- bis 29-Jährige/ab 30 Jahren
viel stärkere Beteiligung von Menschen
mit Hochschulabschluss. Der Unter­ Politiker 11
kontaktiert 19
schied zwischen den Bildungsgruppen
war bei Unterschriftensammlungen mit Unterschriften- 33
einer Prozentpunktdifferenz von 19 zu­ sammlung 40

gunsten der Akademikerinnen und Aka­


Demonstration 17
demiker am höchsten, gefolgt von der 10
Kontaktauf­n ahme mit Politikerinnen
Parteiarbeit, 5
und Politikern (11 Prozentpunkte), De­ Bürgerinitiative 5
monstrationsteilnahme (9 Prozentpunk­
te) und der Arbeit in Vereinen oder Orga­ Arbeit in Verein / 30
Organisation 32
nisationen (8 Prozentpunkte). Auch bei
der Mitarbeit in Parteien oder Bürgerini­
18- bis 29-Jährige ab 30 Jahren
tiativen lagen Bürgerinnen und Bürger
mit einem Hochschulabschluss 4 Prozent­
punkte vorn. u Abb 3 Datenbasis: European Social Survey 2016, Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.

353
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.2 / Politische Integration und politisches Engagement

Der Vergleich zwischen jüngeren Bür­ formen von Jüngeren und Älteren jedoch wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller
gerinnen und Bürgern im Alter von 18 im Bereich der organisatorischen Beteili­ Interessen. Interessengruppen setzen sich
bis 29 Jahren und Älteren zeigt, dass es gung eher als ausgeglichen. auf verschiedene Weise für die Anliegen
über die verschiedenen Formen der Be­ Was die Ausgeglichenheit der politi­ ihrer Mitglieder ein, zum Beispiel durch
teiligung hinweg keinen allgemeinen Un­ schen Integration und politischen Teilha­ das Einwirken auf Parteien, Parlamente,
terschied zwischen den beiden Gruppen be angeht, ergibt sich damit insgesamt Regierungen und Behörden oder die Öf­
gibt. Es sind nicht immer die Jüngeren, ein gemischtes Bild. Die großen Unter­ fentlichkeit im Allgemeinen. Politische
die sich stärker beteiligen, vielmehr schiede zwischen Ost und West sind ver­ Parteien sind unmittelbare Akteure des
kommt es auf die Art der Beteiligung an. schwunden, auch die Unterschiede zwi­ Regierungssystems. Da die Mitglied­
Demonstrationen als Mittel der Beteili­ schen Jüngeren und Älteren verweisen schaft freiwillig ist, ist der Grad, zu dem
gung wurden in den letzten zwölf Mona­ nicht auf Defizite politischer Integration. Bürgerinnen und Bürger sich in Interes­
ten von 17 % der Jüngeren genutzt, aber Anders zu beurteilen ist das Gefälle in sengruppen und politischen Parteien or­
nur von 10 % der Älteren. Bei der Kon­ der Beteiligung von Menschen mit und ganisieren, ein zentrales Merkmal der
taktaufnahme mit Politikerinnen oder ohne Hochschulbildung. Hier zeigen sich politischen Integration. Anders als die
Politikern lagen hingegen die Älteren über alle Beteiligungsformen hinweg sys­ Wahlbeteiligung oder Formen nicht insti­
ebenso vorn wie bei den Unterschriften­ tematische Unterschiede, die als sozial tutionalisierter Beteiligung, die für den
sammlungen. Bei den organisatorischen induzierte politische Ungleichheit zu be­ Einzelnen singuläre Ereignisse bleiben
Formen der Beteiligung gab es interes­ werten sind. können, zeichnen sich Mitgliedschaften
santerweise keine Unterschiede: Jüngere in Interessengruppen und politischen
und Ältere arbeiteten gleichermaßen zu 9.2.2 Bindung an Interessen­gruppen Parteien dadurch aus, dass sie in der Re­
5 % in Parteien oder Bürgerinitiativen und politische Parteien gel langfristig sind. Verliert die Mitglied­
und zu etwa 30 % in Vereinen und Orga­ Die Mitgliedschaft in Interessengruppen schaft in Interessengruppen und politi­
nisationen mit. Dieser Befund überrascht und politischen Parteien ist ein weiterer schen Parteien für den Einzelnen oder
deshalb, weil die Daten der vergangenen Indikator für die Integration der Bürge­ die Einzelne an Attraktivität, so ist dies
Jahrzehnte stark darauf hingedeutet hat­ rinnen und Bürger in den politischen zunächst ein Warnsignal für die jeweilige
ten, dass die traditionellen Formen der Prozess. Diese Organisationen sind häu­ Organisation. Nehmen die Mitglied­
Beteiligung unter den Jüngeren immer fig durch gesellschaftliche Selbstorganisa­ schaften jedoch in großem Umfang über
weniger Zustimmung finden. 2016 er­ tion entstanden und dienen dem Zweck viele Organisationen hinweg ab, weist
scheint das Repertoire der Beteiligungs­ der Vertretung gemeinsamer politischer, dies darüber hinaus auf generelle Proble­
me der Interessenvermittlung in einem
politischen Gemeinwesen hin.
Im internationalen Vergleich zeich­
net sich Westdeutschland durch einen
recht hohen Organisationsgrad aus. In
Westeuropa sind nur die Bürgerinnen
und Bürger der Niederlande und der
skandinavischen Länder stärker organi­
siert. Ein langfristiger Vergleich ist auf­
grund von Unterschieden in den Befra­
gungsinstrumenten leider nicht möglich.
Eine lange Reihe von Vergleichen von
1986 bis 1998 zeigt, dass der Anteil der
Bürgerinnen und Bürger, die im engeren
Sinne Mitglieder in Interessengruppen
waren, im Westen Deutschlands für die­
se Zeit relativ konstant bei etwa 30 % lag.
Im selben Zeitraum stieg der Anteil der
Bevölkerung, der in Freizeitorganisa­
tionen, allen voran den Sportvereinen,
organisiert war, von 29 % auf 43 %. Der
Anteil derjenigen, die nur in Freizeitver­
einigungen Mitglied waren, erhöhte sich

354
Politische Integration und politisches Engagement / 9.2 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Tab 1 Mitgliedschaft in Organisationen 2010 und 2014 — in Prozent

Deutschland insgesamt Westdeutschland Ostdeutschland

aktives Mitglied / aktives Mitglied / aktives Mitglied /


nur Mitglied ³ nur Mitglied ³ nur Mitglied ³
Ehrenamt ³ Ehrenamt ³ Ehrenamt ³

2010 2014 2010 2014 2010 2014 2010 2014 2010 2014 2010 2014

Arbeit und Wirtschaft ¹

Gewerkschaften ² 12 13 . . 12 14 . . 9 9 . .

Politisch oder wertgebunden ¹

politische Parteien 3 5 . . 2 5 . . 7 2 . .

Menschenrechtsorganisationen 1 2 1 1 2 2 1 1 1 1 0 1

Naturschutzorganisationen 6 6 2 3 7 7 2 3 4 3 2 3

Bürgerinitiativen 1 1 1 1 2 1 1 2 1 0 1 1

Wohltätigkeitsvereine 10 7 5 7 11 8 5 8 6 3 3 4

Elternorganisationen 4 1 3 4 4 1 3 4 3 1 2 4

Selbsthilfe/Gesundheit 5 2 3 3 5 2 3 3 4 2 3 3

Rentner-, Seniorenvereine 2 1 1 2 2 1 1 2 3 1 2 2

Freizeit

Kultur-, Musikvereine 12 4 9 8 14 5 10 8 8 1 6 7

Sportvereine 29 10 22 22 32 11 24 23 22 3 18 20

sonstige Hobbyvereine 10 2 8 9 11 3 8 9 9 1 8 8

Mindestens einmal Mitglied

alle gelisteten Organisationen 56 37 . . 59 40 . . 50 22 . .

alle gelisteten, ohne Parteien und Gewerkschaften 50 26 39 39 53 29 40 43 43 14 34 36

- im Vergleich: Jüngere (18 – 29 Jahre) 47 21 40 41 48 22 41 43 45 15 37 33

- im Vergleich: mit Hochschulabschluss 63 37 48 52 67 41 50 52 58 24 48 51

Freizeitorganisationen 41 14 33 33 45 16 35 34 33 5 28 29

. Nicht erhoben.
1 Als Interessengruppen gelten Organisationen aus den Kategorien »Arbeit und Wirtschaft« sowie »Politisch oder wertgebunden«.
2 Für 2010 Daten von 2008.
3 In »nur Mitglied« sind aktive und ehrenamtliche Mitgliedschaft nicht enthalten. Daten ergeben, wo erfasst, in der Summe den Mitgliedschaftsanteil.
Datenbasis: ALLBUS 2008, 2010 und 2014, Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit.

von knapp 16 % auf 26 %. In den neuen Freizeitbereich stiegen die Mitgliederan­ sengruppen weiter zurückgegangen ist.
Bundesländern lag 1992 der Anteil derje­ teile in Ostdeutschland hingegen um Der Anteil nicht aktiver Mitgliedschaften
nigen, die in Interessengruppen organi­ drei Prozentpunkte. Relativ gesehen ha­ lag 2014 deutlich niedriger als 2010. u Tab 1
siert waren, noch 9 Prozentpunkte über ben sich also politikbezogene und frei­ Regionale Unterschiede zwischen Ost
dem Anteil in Westdeutschland. Der An­ zeitbezogene Mitgliedschaften auseinan­ und West sind im Bereich Freizeit relativ
teil der Mitglieder in Freizeitvereinigun­ derentwickelt. Interessengruppen konn­ konstant – in Westdeutschland liegt der
gen befand sich dagegen 26 Prozent­ ten am generellen Aufwärtstrend der Mitgliedschaftsanteil etwa 10 Prozent­
punkte unter dem westdeutschen Durch­ Mitgliedschaften in Ostdeutschland punkte höher. Bezogen auf Interessen­
schnitt. Bezogen auf die Mitgliedschaft nicht teilhaben. gruppen ist der Abstand zwischen Ost
in Interessengruppen gab es in Ost­ Jüngere Daten für 2010 und 2014 er­ und West von 2010 auf 2014 größer ge­
deutschland eine dramatische Entwick­ lauben, weil sie aufgrund unterschiedli­ worden. Im Altersvergleich existieren
lung, die vor allem zulasten der Gewerk­ cher Erhebungsverfahren nicht mit frü­ bei den Mitgliedschaftsanteilen in Orga­
schaften ging. Zwischen 1992 und 1998 heren Daten vergleichbar sind, keine nisationen ohne Gewerkschaften und
ging der Prozentsatz derjenigen, die in Schlussfolgerungen über die Mitglieder­ ­p olitische Parteien kaum Unterschiede
Interessengruppen organisiert waren, entwicklung. Es liegt aber nahe, zu ver­ zwischen dem Durchschnitt der Bürge­
von knapp 40 % auf 25 % zurück. Im muten, dass die Mitgliedschaft in Interes­ rinnen und Bürger und den Jüngeren.

355
Abb 5 Gewerkschaftsmitgliedschaft 1980–2016 – in Prozent
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.2 / Politische Integration und politisches Engagement

u Abb 4 Gewerkschaftsmitgliedschaft 1980 – 2016 — in Prozent

40

30

20

10

0
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Westdeutschland insgesamt Westdeutschland, 18 –29 Jahre


Ostdeutschland insgesamt Ostdeutschland, 18 –29 Jahre

Datenbasis: ALLBUS 1980–2016; Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.

Datenbasis: ALLBUS 1980-2016; Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, bei Haushaltsstichproben transformationsge-
wichtet.
J­edoch lassen sich nach Bildungsab­ dem scheint sich der gewerkschaftliche knapp 10 % gewerkschaftlich organisiert,
schluss deutliche Differenzen beobachten. Organisationsgrad der erwachsenen Be­ also etwas weniger als der Durchschnitt.
Hier ergeben sich deutlich höhere Anteile völkerung mit leichten Schwankungen auf Bei den Gewerkschaftsmitgliedschaften
für Akademiker und Akademikerinnen gleichem Niveau zu halten. Die Anfang ergeben sich damit zwar keine regionalen,
als für den Bevölkerungsdurchschnitt. der 1990er-Jahre noch stark ausgeprägten sozialen oder demografischen Ungleich­
Auch bezogen auf Organisationsmitglied­ Unterschiede zwischen Ost und West im heiten mehr. Die Integrationskraft hat
schaften verteilt sich die Teilhabe also un­ durchschnittlichen Organisationsgrad aber dennoch stark nachgelassen, weil
gleich zugunsten der besser Gebildeten. sind fast verschwunden. Auch die deutli­ insgesamt nur ein sehr kleiner Teil der
Die langfristige Entwicklung der Mit­ che Kluft zwischen der jüngeren Bevölke­ deutschen Bevölkerung in Gewerkschaften
gliedschaften der Bürgerinnen und Bür­ rung der 18- bis 29-Jährigen und dem organisiert ist. u Abb 4
ger in Deutschland lässt sich aufgrund Durchschnitt, die in Westdeutschland be­ Die Mitgliedschaft in politischen Par­
veränderter Frageformate in den ALLBUS-­ sonders deutlich 2004 und in Ostdeutsch­ teien verzeichnet sogar eine noch drama­
Studien zwar nicht über alle Organisa­ land besonders 2008 zu beobachten war, tischere Entwicklung. Die starken Mit­
tionsbereiche hinweg beurteilen. Aller­ wurde geringer. Bildungsunterschiede im gliederrückgänge bei den Gewerkschaf­
dings ist eine solche Beurteilung hinsicht­ gewerkschaftlichen Organisationsgrad ten seit der Vereinigung fallen im
lich der Gewerkschaftsmitgliedschaften fallen im Unterschied zu politischem In­ Vergleich zu denen der politischen Partei­
möglich. Der massive Rückgang von Ge­ teresse, politischer Beteiligung und ande­ en noch moderat aus. Anhand der von
werkschaftsmitgliedern in Ostdeutsch­ ren Mitgliedschaften leicht zugunsten von den Parteien berichteten Mitgliederzah­
land in den Jahren 1992 bis 1998 schwäch­ Bürgerinnen und Bürgern ohne Hoch­ len lässt sich nachvollziehen, dass diese
te sich zwar im Anschluss deutlich ab, schulabschluss aus. Akademikerinnen innerhalb von zweieinhalb Jahrzehnten
setzte sich aber bis etwa 2008 fort. Seit­ und Akademiker waren 2016 lediglich zu etwa eine Million und damit etwa 40 %

356
Politische Integration und politisches Engagement / 9.2 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Abb 5 Parteimitgliedschaft 1990 – 2016

4,0 2 500

2 250
3,5

2 000

3,0

1 750

2,5
1 500

2,0 1 250

1 000
1,5
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Anteil Parteimitglieder an den Wahlberechtigten in % (linke Skala)


Mitgliederzahlen in 1 000 (rechte Skala)

Datenbasis: Oskar Niedermayer, Parteimitglieder in Deutschland: Version 2017. Arbeitshefte a. d. Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 27, FU Berlin 2017.

ihrer Mitglieder verloren haben. 1990 Beteiligung, allen voran Mitgliedschaften sozial geschichtet sind. Darauf verweisen
­ aren noch 3,8 % der Wahlberech­t igten
w in Gewerkschaften und politischen Par­ die beträchtlichen Unterschiede zwi­
in politischen Parteien organisiert, 2016 teien, in den vergangenen zwei Jahrzehn­ schen Bürgerinnen und Bürgern ohne
waren es nicht einmal mehr 2 %. u Abb 5 ten deutlich zurückgegangen ist. Interes­ und mit Hochschulabschluss. Zusam­
Nimmt man alle Interessenorganisa­ sengruppen und Parteien verlieren an mengenommen mit dem Befund, das tra­
tionen einschließlich Gewerkschaften Mitgliederattraktivität. Andererseits ha­ ditionelle institutionalisierte Formen­
und politischer Parteien zusammen, sind ben nicht institutionalisierte Formen po­ der Politik und politische Beteiligung an
das drastische Entwicklungen, die die litischer Beteiligung nicht an Bedeutung Attraktivität für die Bürgerinnen und
Frage aufwerfen, ob und inwieweit pri­ verloren. Politik spielt für die Bürgerin­ Bürger verlieren und sich das Ausmaß
mär auf die politische Interessenvertre­ nen und Bürger nach wie vor eine große politischer Integration in die institutio­
tung und -vermittlung ausgerichtete Or­ Rolle, ein vollständiger Rückzug findet nalisierte Politik abgeschwächt hat, ist
ganisationen zukünftig noch in der Lage nicht statt. Das politische Interesse er­ das nach wie vor ein Warnsignal für Poli­
sein werden, ihren Beitrag zur politi­ reichte in Ost und West sogar einen tik und Gesellschaft.
schen Willensbildung und politischen In­ Höchststand. Dass die Unterschiede zwi­
tegration zu leisten. schen Ost und West ebenso wie die zwi­
schen Jüngeren und der Gesamtbevölke­
9.2.3 Zusammenfassung rung sich vermindern oder sogar ganz zu
Zusammengefasst verweisen die Ergeb­ verschwinden scheinen, ist positiv zu ver­
nisse einerseits darauf, dass der Grad poli­ merken. Ein negativer Befund ist aller­
tischer Integration bezogen auf die tradi­ dings, dass Teilhabe und Integration in
tionellen, organisatorischen Formen der Organisationen und Aktionsformen stark

357
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

9.3 Die Stabilität und das Funktionieren eines


demokratischen Regierungssystems hän-
Der Sozialstaat ist eine bedeutende
Quelle der Legitimität der Demokratie in
Einstellungen zu gen davon ab, dass die Bürgerinnen und Deutschland. Nach der deutschen Verei-
Demokratie Bürger der Demokratie positiv gegen-
überstehen. Deshalb ist es förderlich,
nigung im Jahr 1990 wurde der Sozial-
staat weiter umgebaut, was neue soziale
und Sozialstaat wenn sie zum einen die Demokratie als Probleme nach sich zog. Mindestens zwei
Staatsform allgemein befürworten und damit verbundene Entwicklungen dürf-
zum anderen die Demokratie im eigenen ten einen Einfluss auf die Einstellungen
Dieter Fuchs
Land positiv beurteilen. In den vergange- der Bürgerinnen und Bürger zum Sozial-
Universität Stuttgart
nen zehn Jahren gab es einige Entwick- staat gehabt haben. Die erste Entwick-
Institut für Sozialwissenschaften
lungen, die Auswirkungen auf die Demo- lung sind die Leistungskürzungen und
Edeltraud Roller
kratiezufriedenheit in den Ländern der Abbaumaßnahmen, die seither die Sozi-
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Europäischen Union (EU) und auch in alpolitik dominieren. Prominenteste
Institut für Politikwissenschaft
Deutschland gehabt haben könnten, zum ­B eispiele sind die Agenda 2010 (2003–
Beispiel die Finanzmarkt-, Wirtschafts- 2005), die ein Bündel verschiedener sozi-
WZB / SOEP und Staatsschuldenkrise 2008/2009, die al- und arbeitsmarktpolitischer Maß-
Flüchtlings- und Immigrationsproblema- nahmen umfasste, sowie die Rente mit
tik 2015 und die Wahlerfolge rechtspopu- 67 (2007). Ausgehend von diesen Refor-
listischer Parteien. men stellt sich die Frage, ob und in wel-
Vor allem wegen des unterschied­lichen chem Ausmaß die Bürgerinnen und Bür-
Wahlverhaltens in West- und Ostdeutsch- ger bereit sind, ihre Ansprüche an die
land und der anhaltenden Diskussion über sinkenden Leistungen des Sozialstaats
eine ostdeutsche Identität sind die Unter- anzupassen. Für die Ostdeutschen stellt
schiede zwischen West- und Ostdeutschen sich diese ­Frage in noch radikalerer Wei-
immer noch ein Thema der öffentlichen se. Denn mehrheitlich waren sie der
Diskussion. Diese Diskussion umfasst ­A nsicht, dass es sich bei der umfassen-
auch die Einstellungen zu Demokratie den sozialen Absicherung um einen der
und Sozialstaat. Da das staatssozialisti- wenigen Vorzüge des sozialistischen
sche System der DDR unter aktiver Betei- ­Systems der DDR handelte (»sozialisti-
ligung der Bürgerinnen und Bürger zu- sche Errungenschaft«). Deshalb hatten
sammengebrochen ist und sich die über- sie noch höhere Erwartungen an die
wältigende Mehrheit der Ostdeutschen für ­R olle des Staates ausge­b ildet als die
die deutsche Vereinigung ausgesprochen Westdeutschen.
hat, wurde er­wartet, dass die Mehrheit der Eine zweite Entwicklung, die die Ein-
Ostdeutschen nicht nur die Demokratie stellungen der Bürgerinnen und Bürger
allgemein, sondern auch die Demokratie beeinflussen dürfte, ist die Zunahme der
in Deutschland ­positiv beurteilen würde. sozialen Ungleichheit, die sich insbeson-
Nach den bisher vor­liegenden Befunden dere seit der Jahrtausendwende in
präferieren die Ostdeutschen zwar mehr- Deutschland beobachten lässt. Indizien
heitlich die Demokratie allgemein, sie ste- sind der Anstieg des Gini-Koeffizienten,
hen jedoch der Demokratie in Deutsch- eines Maßes für Einkommensungleich-
land kritischer ­gegenüber. Eine wichtige heit, und die Zunahme der Armut (siehe
und bislang offene Frage ist, ob die Ost- Kapitel 6.3, Abb 2 und Abb 3, Seite 237).
deutschen mit zunehmender Erfahrung Diese Entwicklung hat zu einer verstärk-
mit der bundesrepublikanischen Demo- ten Diskussion um die soziale Gerechtig-
kratie ein positiveres Verhältnis zur De- keit in Deutschland geführt. Es stellt sich
mokratie in Deutschland entwickelt ha- deshalb die Frage, ob die Bürgerinnen
ben. Diese ­Frage stellt sich insbesondere in und Bürger angesichts der objektiv wach-
Bezug auf die jüngeren Generationen in senden Ungleichheit und der Gerechtig-
Ostdeutschland, die in diesem demokrati- keitsdebatte zunehmend eine staatliche
schen System auf­gewachsen sind. Umverteilung fordern.

358
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 9.3 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

9.3.1 Akzeptanz der Demokratie rinnen und Bürger die Demokratie allge- schen Ost- und Westdeutschland. Über
als Staatsform mein als die beste Staatsform an, nur eine den gesamten Zeitraum von 1991 bis 2017
Die grundlegende Einstellung zur Demo- sehr kleine Minderheit präferierte eine hinweg war im Westen Deutschlands
kratie wird mit der direkten Frage danach andere Staatsform. Dies galt sowohl für durchschnittlich eine klare Mehrheit von
erhoben, ob die Demokratie die beste West- als auch für Ostdeutschland. 67 % der Bürgerinnen und Bürger zufrie-
Staatsform sei oder ob es eine bessere gebe. den, während im Osten durchschnittlich
Alternative Herrschaftsordnungen – zum 9.3.2 Zufriedenheit mit dem lediglich 43 % zufrieden waren. Es gab er-
Beispiel kommunistisch-autoritäre Re- ­ unktionieren der Demokratie
F hebliche Schwankungen im Zeitverlauf,
gime oder die Herrschaft eines starken in Deutschland die parallel in Ost- und Westdeutschland
Mannes – werden hierbei nicht vorgege- Ein etwas anderes Bild zeigt sich bezüg- zu beobachten waren. Das heißt, dass die
ben. Die in Tabelle 1 präsentierten Daten lich der Zufriedenheit mit dem Funktio- Bürgerinnen und ­Bürger in beiden Teilen
dokumentieren, dass kurz nach der Verei- nieren der Demokratie in Deutschland. Deutschlands ganz ähnlich auf bestimm-
nigung im Jahr 1991 die Ostdeutschen Diese Einstellung bezieht sich weniger te Ereignisse reagierten; das aber auf un-
sich mit einer großen Mehrheit von 70 % auf die Verfassungsnorm, das heißt die in terschiedlichem Niveau. Hinsichtlich der
für die Demokratie als beste Staatsform der Verfassung implementierte Form der Struktur dieser Schwankungen ist be-
aussprachen. Die Zustimmung der West- Demokratie, als vielmehr auf die Verfas- merkenswert, dass zu den Bundestags-
deutschen war mit 86 % noch deutlich sungsrealität oder die Wirklichkeit der wahlen mit Ausnahme von 2005 ein An-
­höher. Im Zeitverlauf schwankten die Ur- Demokratie in Deutschland. In die Be­ stieg der Demokratiezufriedenheit er-
teile der Ost- und Westdeutschen um die- urteilung dieser Verfassungsrealität kön- folgte (1994, 1998, 2009, 2013). Die nach
se jeweils hohen Werte. Vor allem in den nen verschiedene Aspekte eingehen. Ins- der Bundestagswahl 2009 im Jahr 2010
Jahren 2005 und 2006 wurden die Unter- besondere das Funktionieren institutio- erfolgte Ab­nahme in der Demokratiezu-
schiede zwischen Ost- und Westdeutschen neller Mechanismen (zum Beispiel der friedenheit dürfte auf die europäische
etwas größer, weil die Zustimmung in Austausch von Regierung und Oppositi- ­Finanzmarkt-, Wirtschafts- und Staats-
Ostdeutschland etwas abnahm. Im Jahr on und die Gewährleistung der Gleich- schuldenkrise zurückgehen. Diese Ab-
2006 betrug die Differenz 26 Prozent- heit vor dem Gesetz), die Handlungen der nahme umfasste in West und Ost aber
punkte. Dabei handelte es sich jedoch um Regierenden (zum Beispiel Berücksich­ weniger als 10 Prozentpunkte und war
keinen längerfristigen Trend, denn ab tigung von Interessen verschiedener Be- nicht von Dauer, denn bis 2014 nahm die
2008 stieg in Ostdeutschland die Zu­ völkerungsgruppen, Amtsmissbrauch) Demokratiezufriedenheit in beiden Lan-
stimmung zur Demokratie als Staatsform und die Ergebnisse dieses Handelns (zum desteilen kontinuierlich wieder zu. u Abb 1
wieder an. Nach den letzten verfügbaren Beispiel wirtschaftliche und sozialpoliti- Nach 2014 war sowohl in West- als
Daten aus dem Jahr 2014 lag die Zustim- sche Leistungen) dürften bei der Beurtei- auch in Ostdeutschland ein Abfall der
mung in Ostdeutschland bei 82 %, in lung des Funktionierens der Demokratie Demokratiezufriedenheit festzustellen.
Westdeutschland bei 90 %. Die Differenz eine Rolle spielen. Besonders deutlich war das in Ostdeutsch-
zwischen Ost- und Westdeutschen redu- Die in Abbildung 1 präsentierten land der Fall, wo die Demokratiezufrie-
zierte sich somit auf 8 Prozentpunkte. u Tab 1 Zeitreihen für die Zufriedenheit mit dem denheit von 59 % (2014) auf 47 % (2015)
Im Jahr 2014 sah also nach wie vor Funktionieren der Demokratie in Deutsch- sank. Dieser Abfall ist vermutlich auf
eine klare Mehrheit der deutschen Bürge- land zeigen eine deutliche Differenz zwi- die hohe Zahl von Geflüchteten zurück-

u Tab 1 Akzeptanz der Demokratie als Staatsform 1991– 2014 — in Prozent

Westdeutschland Ostdeutschland

1991 2000 2005 2006 2008 2014 1991 2000 2005 2006 2008 2014

»D ie Demokratie ist


86 92 85 89 86 90 70 78 64 63 68 82
die beste Staatsform.«

»Es gibt eine andere Staatsform,


3 3 6 3 3 5 7 8 22 12 11 9
die besser ist.«

»Unentschieden.« 11 5 9 8 11 5 23 14 14 25 21 9

Datenbasis: Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie, Band 9: 560 (Jahr 1991); Konsolidierung der Demokratie in Mittel- und Osteuropa 2000; Bürger und Gesellschaft 2005;
European Social Survey – Deutsche Teilstudie 2006, 2008; Everhard Holtmann u. a., Deutschland 2014, Zentrum für Sozialforschung Halle e.V., 2015: 189.

359
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

u Abb 1 Zufriedenheit mit dem Funktionieren Spanien, Italien und vor allem Griechen-
der Demokratie 1991– 2017 — in Prozent land. Interessant ist aber, dass zwei der
Krisenländer, und zwar Irland und Portu-
100
gal, im Frühjahr 2017 eine relativ hohe
Demokratiezufriedenheit aufwiesen, die
90 noch über dem westeuropäischen Durch-
80 schnitt lag. Die in der Abbildung 2 prä-
sentierten Prozentsätze zeigen, dass in der
70
Mehrzahl der westeuropäischen Länder
60 die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
50
trotz der Finanzmarkt-, Wirtschafts- und
Staatsschuldenkrise sowie der Flüchtlings-
40
und Immigrationsproblematik mit dem
30 Funktionieren der Demokratie im eige-
nen Land zufrieden waren. u Abb 2
20
Unter den osteuropäischen EU-Mit-
10 gliedsländern gibt es erhebliche Differen-
0 zen bei der Demokratiezufriedenheit.
1990 1995 2000 2005 2010 2015 Während in Polen, Estland, Tschechien
Westdeutschland Ostdeutschland
und Lettland mehr als die Hälfte der Bür-
gerinnen und Bürger zufrieden mit dem
»Sind Sie mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, alles in allem gesehen sehr zufrieden, Funktionieren der Demokratie des eige-
ziemlich zufrieden, ziemlich unzufrieden oder völlig unzufrieden?«; Anteil »sehr zufrieden« und »ziemlich zufrieden«.
Datenbasis: Eurobarometer 1991–2017. nen Landes war, traf dies in den anderen
osteuropäischen EU-Mitgliedsländern
nur für eine Minderheit zu. Am gerings-
ten war der Wert in Kroatien, wo ledig-
lich 30 % zufrieden waren. Bemerkens-
zuführen. Seit Anfang 2015 wird dieses Erfahrungen der Ostdeutschen mit der wert ist, dass die Demokratiezufrieden-
Thema von den deutschen Bürgerinnen Demokratie die Kluft in der Demokratie- heit in Ostdeutschland höher war als
und Bürgern als das wichtigste Problem zufriedenheit zwischen Ost- und West- im Durchschnitt der osteuropäischen
in Deutschland angegeben (Forschungs- deutschen verringert hat. EU-Mitgliedsländer.
gruppe Wahlen, Politbarometer). 2016 Ein Vergleich mit den anderen 27 Mit-
und 2017 stieg die Demokratiezufrieden- gliedsländern der Europäischen Union 9.3.3 Einstellungen verschie­-
heit in Ostdeutschland wieder an; auch in kann darüber Aufschluss geben, wie die dener Bevölkerungsgruppen
Westdeutschland nahm sie 2017 wieder Zufriedenheit mit dem Funktionieren der zur Demokratie
zu. Obgleich die Flüchtlings- und Immi- Demokratie in Deutschland einzuschät- In Tabelle 2 sind die beiden untersuchten
grationsprobleme weiterhin ein wichti- zen ist. Die Daten stammen aus dem Einstellungen zur Demokratie nach Ge-
ges Thema für die Bürgerinnen und Bür- Frühjahr 2017. Die Demokratiezufrieden- schlecht, Alter, beruflicher Stellung, ideo-
ger sind, haben sie offenbar die Zufrie- heit in Westdeutschland rangierte deut- logischer Orientierung (Links-Rechts)
denheit mit dem Funktionieren der lich über dem westeuropä­ischen Durch- und Parteipräferenz aufgeschlüsselt. Für
Demokratie bislang nicht nachhaltig nega- schnitt. Lediglich in den skandinavischen die Akzeptanz der Demokratie als Staats-
tiv beeinflusst. Ländern, in Luxemburg und in den Nie- form liegen keine aktuellen Daten vor.
Bemerkenswert an den beiden Zeit- derlanden war die Zufriedenheit mit Allerdings sind die Befunde aus dem Jahr
reihen für West- und Ostdeutschland ist, dem Funktionieren der Demokratie noch 2008 bei dieser grundlegenderen Einstel-
dass die Differenz zwischen beiden Teilen höher. Die Zufriedenheit mit dem Funkti- lung, die erfahrungsgemäß relativ stabil
Deutschlands über den gesamten Zeit- onieren der Demokratie in Ostdeutsch- ist, immer noch instruktiv. Sowohl in
raum bestehen blieb. 1991 betrug diese land lag deutlich unter dem Durchschnitt Ost- als auch in Westdeutschland zeigen
Differenz 29 Prozentpunkte, im Jahr 2017 der westeuropäischen Länder. Niedrigere sich einige auffällige Abweichungen vom
lag dieser Wert immer noch bei 29 Pro- Zufriedenheitswerte w ­ iesen lediglich Län- Durchschnitt. Erstens sahen in beiden
zentpunkten. Mehr als 25 Jahre nach der der auf, die von der Finanzmarkt-, Wirt- Landesteilen Arbeitslose sowie Anhän-
deutschen Vereinigung gibt es keine Hin- schafts- und Staatsschuldenkrise beson- gerinnen und Anhänger der Partei DIE
weise darauf, dass sich mit zunehmenden ders stark betroffen waren, wie Zypern, LINKE unterdurchschnittlich oft die

360
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 9.3 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Abb 2 Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie ­ emokratie als die beste Staatsform an.
D
im eigenen Land 2017 — in Prozent Zweitens erwiesen sich die SPD-Anhänge-
rinnen und -Anhänger im Osten Deutsch-
lands als überdurchschnittlich starke Be-
Dänemark 92 fürworter der Demokratie als Staatsform.
Luxemburg 90
Drittens waren ebenfalls die Arbeitslosen
und Anhängerinnen und Anhänger der
Finnland 82
Partei DIE LINKE sowohl in West- als
Niederlande 81 auch in Ostdeutschland weniger zufrieden
mit dem Funktionieren der Demokratie
Schweden 81
als der jeweilige Bevölkerungsdurch-
Westdeutschland 80 schnitt. Bemerkenswert ist viertens, welch
Irland 75
ein geringer Anteil der Anhängerinnen
und Anhänger der Alternative für
Belgien 72
Deutschland (AfD) im Westen und im Os-
Deutschland insgesamt 71 ten zufrieden mit dem Funktionieren der
Demokratie war. Im Westen waren das
Österreich 70
2016 lediglich 15 % und im O ­ sten 16 %.
Portugal 70 Das zeigt, dass das demokratiekritische
Malta 69
Potenzial in Deutschland vor allem bei
den Anhängerinnen und Anhängern der
Vereinigtes Königreich 68
AfD lokalisiert werden kann. Fünftens
Durchschnitt Westeuropa 66 wiesen im Frühjahr 2017 in Ostdeutsch-
land vor ­a llem ideologisch rechtsorien-
Frankreich 60
tierte Bürgerinnen und Bürger eine gerin-
Ostdeutschland 51 gere Demokratiezufriedenheit auf. u Tab 2
Zypern 43
Auffällig ist die Ähnlichkeit zwischen
den verschiedenen Altersgruppen in Ost-
Spanien 38
deutschland. Es wurde erwartet, dass ins-
Italien 37 besondere die nachwachsenden Generati-
onen vom neuen demokratischen System
Griechenland 19
geprägt werden und eine positivere Hal-
Polen 59 tung zu diesem System ausbilden. Diese
Estland 58 positiven Sozialisationseffekte haben sich
bei den beiden Einstellungen zur Demo-
Tschechien 54
kratie – Demokratie als Staatsform allge-
Lettland 52 mein, Zufriedenheit mit der Demokratie
in Deutschland – bislang kaum eingestellt.
Durchschnitt Osteuropa 43
Zusammenfassend kann festgehalten
Ungarn 39 werden, dass in Ost und West sowohl die
Litauen 37 Arbeitslosen als auch die Anhängerinnen
und Anhänger der Partei DIE LINKE der
Slowakei 37
Demokratie als Staatsform allgemein und
Rumänien 36 der Demokratie in Deutschland vergleichs-
Bulgarien
weise kritischer gegenüberstehen. Trotz
34
der unterdurchschnittlichen Werte sieht
Slowenien 34 aber auch eine Mehrheit beider Bevölke-
Kroatien 30 rungsgruppen in Ost- und Westdeutsch-
land die Demokratie als die beste Staats-
form an. Bedenklich ist vor allem die
Datenbasis: Eurobarometer Frühjahr 2017. ­geringe Demokratiezufriedenheit bei den
Anhängerinnen und Anhängern der AfD.

361
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

u Tab 2 Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Demokratie 2008, 2016 und 2017 — in Prozent

»Die Demokratie ist Zufriedenheit mit dem Funktionieren


die beste Staatsform.« der Demokratie in Deutschland ¹

2008 2016 ² 2017 ³


West Ost West Ost West Ost
Insgesamt 86 68 65 43 80 51
Geschlecht
Männer 86 72 68 46 82 52
Frauen 86 64 62 41 79 49
Altersgruppen
18 – 34 Jahre 79 74 65 46 78 49
35 – 59 Jahre 87 65 64 45 79 44
ab 60 Jahren 89 68 66 39 82 55
Berufliche Stellung
Selbstständige 86 61 67 52 71 45
abhängig Beschäftigte 86 70 65 47 82 47
Arbeitslose 73 56 42 13 56 31
Rentner / Pensionäre 89 68 65 37 83 56
Ideologische Orientierung
Links 88 70 68 52 82 56
Mitte 87 68 64 31 83 56
Rechts 87 69 62 48 71 38
Parteipräferenz
DIE LINKE 76 63 45 38 . .
GRÜNE 85 75 78 79 . .
SPD 92 84 75 60 . .
FDP 96 67 77 62 . .
CDU / CSU 91 77 74 63 . .
AfD . . 15 16 . .

1 Zeitvergleich zwischen 2016 und 2017 ist aufgrund der unterschiedlichen Erhebungsverfahren nicht möglich.
2 Antwortkategorien 6–10 auf einer Skala von 0 = »äußerst unzufrieden« bis 10 = »äußerst zufrieden«.
3 Anteil »sehr zufrieden« und »ziemlich zufrieden«.
. Nicht erhoben.
Datenbasis: European Social Survey – Deutsche Teilstudie 2008; European Social Survey 2016; Eurobarometer Frühjahr 2017.

9.3.4 Zuständigkeit des Staates titutionellen Kern des Sozialstaats in bei- staatlichen Zuständigkeit für soziale Ab-
für soziale Absicherung den Teilen Deutschlands über den gesam- sicherung wieder an; sie lag im Jahr 2014
Im Zentrum des bundesrepublikanischen ten Zeitraum von 1991 bis 2014 sehr stark in beiden Landesteilen bei etwa 90 %
Sozialstaats steht die soziale Absicherung, ausgeprägt. Sie lag in Westdeutschland und umfasste damit fast alle Bürgerinnen
die vor allem über Sozialversicherungs- bei durchschnittlich 86 %; in Ostdeutsch- und Bürger. Bis 2010 gab es also Anzei-
systeme wie Renten-, Arbeitslosen-, Un- land wurde dieser Wert mit durch- chen für eine Reduktion der Ansprüche
fall- und Krankenversicherung geregelt schnittlich 93 % sogar noch übertroffen. der Bürgerinnen und Bürger, und zwar
ist. Die Zustimmung zu diesem soge- Von 1991 bis 2010 nahm in beiden Lan- nicht nur im Westen, sondern auch im
nannten institutionellen Kern des Sozial- desteilen die Zustimmung kontinuierlich Osten Deutschlands. Ganz offenbar ha-
staats wird mit der Frage erfasst, ob der etwas ab; im Westen Deutschlands sank ben die Bürgerinnen und Bürger auf die
Staat dafür sorgen solle, dass man bei die Zustimmung von 90 % auf 80 %, im Leistungskürzungen und Abbaumaßnah-
Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Osten von 98 % auf 87 %. Nach 2010 men temporär mit einer zumindest leich-
Alter ein gutes Auskommen hat. Nach ­kehrte sich dieser Trend um. Vor allem ten Reduktion ihrer Ansprüche reagiert.
den in Abbildung 3 präsentierten Befun- in Westdeutschland, aber auch in Ost- Die gegenläufige Entwicklung der An-
den war die Zustimmung zu diesem ins- deutschland stieg die Zustimmung zur sprüche nach 2010 markiert, dass die

362
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 9.3 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Abb 3 Zuständigkeit des Staates für soziale Absicherung 1991– 2014 — in Prozent Bürgerinnen und Bürger zu einer weite-
ren Anpassung ihrer Ansprüche nach
­u nten nicht mehr bereit sind und die
100
staatliche Verantwortung wieder stärker
90 einfordern. u Abb 3
Insgesamt waren bei dieser Aufgabe
80
der sozialen Absicherung die Ost-West-
70 Unterschiede von Beginn an vergleichs-
weise gering; 2014 war der Unterschied
60
nur noch marginal. Das dürfte daran lie-
50 gen, dass hier der bundesdeutsche Sozial-
staat und der sozialistische Sozialstaat
40
der DDR ähnliche Regelungen und Pro-
30 gramme entwickelt hatten. Im Mittel-
punkt des sozialistischen Sozialstaats der
20
DDR standen ebenfalls Sozialversiche-
10 rungssysteme, die Risiken wie Krankheit,
Unfall und Alter abdeckten.
0
1991 1995 2000 2005 2010 2014
9.3.5 Zuständigkeit des Staates
Westdeutschland Ostdeutschland
für den Abbau von
Einkommensunterschieden
»Der Staat muss dafür sorgen, dass man bei Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter ein gutes Auskommen hat«;
Anteil »stimme voll zu« und »stimme eher zu«. Deutlich größere Unterschiede zwischen
Datenbasis: ALLBUS 1991, 1994, 2000, 2010, 2014.
Ost- und Westdeutschen gibt es dagegen
bei der sozialstaatlichen Aufgabe des Ab-
baus von Einkommensunterschieden. Im
u Abb 4 Zuständigkeit des Staates für den Abbau von Zuge der zunehmenden Ungleichheit
Einkommensunterschieden 2002 – 2016 — in Prozent und der Debatte um die soziale Gerech-
tigkeit, die in Deutschland verstärkt seit
Anfang der 2000er-Jahre geführt wird,
100
ist diese Aufgabe in den Mittelpunkt der
90 Aufmerksamkeit gerückt. Die Zustim-
mung dazu wird mit der Frage erfasst, ob
80
der Staat Maßnahmen ergreifen soll, um
70 Unterschiede in den Einkommensni-
veaus zu reduzieren. Die Zeitreihe be-
60
ginnt erst im Jahr 2002 und erstreckt
50 sich bis zum Jahr 2016.
Im Vergleich zur Aufgabe der sozia-
40
len Absicherung war die Zustimmung
30 zur Einkommensreduktion sowohl im
Osten als auch im Westen Deutschlands
20 deutlich geringer. Sie lag in West-
10
deutschland bei durchschnittlich 61 %
und in Ostdeutschland bei durchschnitt-
0 lich 80 %. Die Differenz zwischen Osten
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
und Westen war dabei vergleichsweise
Westdeutschland Ostdeutschland größer. Dies kann unter anderem damit
erklärt werden, dass geringe Einkom-
»Sollte der Staat Maßnahmen ergreifen, um Unterschiede im Einkommensniveau zu reduzieren?«; mensunterschiede ein charakteristisches
Anteil »ganz bestimmt« und »wahrscheinlich«.
Datenbasis: European Social Survey 2002, 2004, 2006, 2008, 2010, 2012, 2014, 2016. Merkmal des sozialistischen Systems
­waren. u Abb 4

363
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

In Westdeutschland nahm die Zu- mensunterschieden. Ganz offenbar be- Im letzten Erhebungsjahr 2016 waren die
stimmung zur Rolle des Staates beim Ab- gegnen die Bürgerinnen und Bürger der Ansprüche der Ostdeutschen aber nach
bau von Einkommensunterschieden von steigenden Ungleichheit und der damit wie vor größer als die der Westdeutschen.
47 % im Jahr 2002 praktisch kontinuier- verbundenen Debatte um soziale Gerech-
lich bis auf 70 % im Jahr 2016 zu. In Ost- tigkeit mit zunehmenden Forderungen 9.3.6 Einstellungen verschiedener
deutschland, wo bereits im Jahr 2002 mit nach staatlichen Aktivitäten zur Redukti- Bevölkerungsgruppen zur Rolle
76 % die überwiegende Mehrheit der Bür- on der Einkommensunterschiede. Auffäl- des Staates
gerinnen und Bürger dieser Aufgabe zu- lig ist, dass die Westdeutschen mit einer Der unterschiedliche Stellenwert dieser
stimmte, stieg diese Zustimmung im sehr viel stärkeren Anspruchszunahme beiden sozialstaatlichen Aufgaben, der
Zeitverlauf noch etwas an; im Jahr 2016 reagierten. Zwischen 2002 und 2016 nah- sozialen Absicherung einerseits und des
waren 82 % für den Abbau von Einkom- men die Ost-West-Differenzen daher ab. Abbaus von Einkommensunterschieden

u Tab 3 Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Rolle des Staates 2014 und 2016 — in Prozent

»Der Staat muss dafür sorgen, dass man auch bei »Sollte der Staat Maßnahmen ergreifen,
Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter um Unterschiede in den Einkommens-
ein gutes Auskommen hat.« ¹ niveaus zu reduzieren?« ²

2014 2016
West Ost West Ost
Insgesamt 89 91 70 82
Geschlecht
Männer 88 91 70 80
Frauen 90 91 71 84
Altersgruppen
18 – 34 Jahre 93 94 71 81
35 – 59 Jahre 88 89 69 79
ab 60 Jahren 87 92 71 86
Berufliche Stellung
Selbstständige 80 81 57 82
abhängig Beschäftigte . . 71 79
Beamte 92 93 . .
Angestellte 88 88 . .
Arbeiter 93 93 . .
Arbeitslose 97 94 76 81
Rentner / Pensionäre 87 93 72 88
Ideologische Orientierung
Links 92 93 79 84
Mitte 87 91 66 84
Rechts 86 86 61 71
Parteipräferenz
DIE LINKE 98 95 95 92
GRÜNE 90 89 87 79
SPD 91 90 74 88
FDP 75 88 51 /
CDU / CSU 88 87 61 70
AfD . . 48 87

1 Anteil »stimme voll zu« und »stimme eher zu«.


2 Anteil »ganz bestimmt« und »wahrscheinlich«.
. Nicht erhoben.
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2014; European Social Survey 2016.

364
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 9.3 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

andererseits, manifestiert sich in den terschieden aus. Im Westen wichen ­einer- bei einer ideologischen Rechtsorientie-
Einstellungen verschiedener Bevölke- seits die Gruppe der Selbstständigen und rung festzustellen; aber auch bei dieser
rungsgruppen. Für die soziale Absiche- die Anhängerinnen und Anhänger der Gruppe befürworteten 71 % der Ostdeut-
rung, den sogenannten institutionellen FDP mit geringeren Zustimmungswerten schen und 61 % der Westdeutschen diese
Kern des Sozialstaats, lassen sich weder vom Durchschnitt ab und andererseits politische Aufgabe.
im Osten noch im Westen Deutschlands sprachen sich die Anhängerinnen und Interessant ist der Unterschied bei den
Unterschiede bei den verschiedenen Be- Anhänger der Partei DIE LINKE sowie Anhängerinnen und Anhängern der AfD.
völkerungsgruppen – nach Geschlecht, der GRÜNEN überdurchschnittlich für Im Osten lag deren Befürwortung des Ab-
Alter, beruflicher Stellung, ideologischer eine staatliche Zuständigkeit beim Abbau baus von Einkommensunter­schieden so-
Orientierung (Links-Rechts) und Partei- von Einkommensunterschieden aus. Die- gar leicht über dem Durchschnitt der Bür-
präferenz – auffinden. Insgesamt liegt bei se egalitäre Aufgabe des Sozialstaats steht gerinnen und Bürger. Dagegen lag im
dieser Aufgabe ein Konsens zwischen den damit im Schnittpunkt der klassischen Westen die Befürwortung seitens der AfD-
Vertreterinnen und Vertretern der klassi- Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit Anhängerinnen und -Anhänger mit 48 %
schen Konf liktlinie Kapital und Arbeit und wird von den Vertreterinnen und deutlich unter dem Durchschnitt von
vor, also zwischen den Selbstständigen Vertretern beider Seiten vergleichsweise 70 %. In Westdeutschland hat der Tatbe-
und Arbeiterinnen und Arbeitern, zwi- kontrovers beurteilt. Im Osten war die stand, dass die AfD anfänglich eine eher
schen Rechten und Linken und zwischen Zustimmung zum Abbau von Einkom- liberale ökonomische Ausrichtung besaß,
Anhängerinnen und Anhängern rechter mensunterschieden bei allen Bevölke- offenbar noch ihre Spuren hinterlassen.
und linker Parteien. Eine abweichende rungsgruppen sehr stark ausgeprägt. Eine Die Analysen zu den Einstellungen zu
Zustimmung zur Rolle des Staates bei der nennenswerte Abweichung vom Bevölke- Demokratie und Sozialstaat haben ge-
sozialen Absicherung kann lediglich im rungsdurchschnitt war bei den Anhänge- zeigt, dass es bei den Einstellungen zur
Westen bei den Anhängerinnen und An- rinnen und An­hängern der Partei DIE Demokratie in Deutschland immer noch
hängern der FDP festgestellt werden; aber LINKE festzustellen, die den Abbau von beträchtliche Unterschiede zwischen
auch bei diesen war eine klare Mehrheit Einkommensunterschieden in einem Westen und Osten gibt, während sich die
von 75 % für soziale Absicherung. u Tab 3 noch stärkeren Ausmaß befürworteten. Einstellungen zum Sozialstaat auf einem
Etwas anders sieht es dagegen bei der Eine relativ geringere Zustimmung zum hohen Zustimmungsniveau einander an-
Aufgabe des Abbaus von Einkommensun- Abbau der Einkommensunterschiede ist genähert haben.

365
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.4 / Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung

9.4 Bürokratie bezeichnet die auf Gesetzen


und Verordnungen basierende geregelte
rungsrecht zu beachten. Aus diesem
Grund untersucht die Lebenslagenbefra-
Zufriedenheit mit staatliche Verwaltung. Sie ist für das gung des Statistischen Bundesamtes, wie
der öffentlichen Funktionieren einer modernen Gesell-
schaft unerlässlich und schützt vor priva-
sich derartige Bündel an Bestimmungen
auf die Interaktion zwischen betroffenen
Verwaltung ter und staatlicher Willkür. Übermäßige Personen und zuständigen Behörden
Bürokratie jedoch verärgert die betroffe- ­auswirken. Die Erhebung nimmt die Per-
nen Personen und oft die öffentliche Ver- spektive der Betroffenen ein und misst
Daniel Kühnhenrich
waltung selbst und kostet unnötig Zeit deren Zufriedenheit mit der öffentlichen
und Geld. Spätestens wenn Bürgerinnen Verwaltung in 22 ausgewählten Lebens­
Statistisches Bundesamt und Bürger eine Behörde aufsuchen, neh- lagen. u Info 1
(Destatis) men sie Bürokratie ganz unmittelbar Es handelte sich um die zweite Le-
wahr. Persönliche oder familiäre Anlässe, benslagenbefragung nach der Premiere
beispielsweise die Geburt eines Kindes, von 2015, sodass erstmalig ein Zeitver-
die Hochzeit, aber auch tragische Ereig- gleich möglich ist. Nach einem allgemei-
nisse wie der Tod einer nahestehenden nen Überblick über die Ergebnisse wer-
Person oder der Verlust des Arbeitsplat- den die drei Lebenslagen Heirat, Schei-
zes sind in der Regel mit einer ganzen dung beziehungsweise Aufhebung einer
Reihe von Behördenkontakten verbun- eingetragenen Lebenspartnerschaft und
den. Dabei müssen die betroffenen Perso- Geburt eines Kindes im Detail untersucht.
nen in diesen Lebenslagen rechtliche Re-
gelungen aus verschiedenen Rechtsberei- 9.4.1 Ergebnisse im Überblick
chen, Gesetzen und Verordnungen Die Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-
gleichzeitig berücksichtigen. So haben land waren 2017 mit der öffentlichen Ver-
beispielsweise Eltern bei der Geburt eines waltung weitgehend zufrieden. Auf der
Kindes Vorschriften aus dem Melde-, Zufriedenheitsskala von »sehr unzufrie-
Standes-, Steuer- und Sozialversiche- den« (– 2) bis »sehr zufrieden« (+ 2) lag

u Info 1
Lebenslagenbefragung und Reisen durch die Behördenlandschaft
Die Ergebnisse der Lebenslagenbefragung dienen der Bundesregierung, in deren Auftrag die Erhebung
erfolgte, als eine Grundlage für Maßnahmen, die einen spürbaren Bürokratieabbau bewirken sollen.
­D azu interviewte Kantar Public (ehemals TNS Infratest Sozialforschung) im Auftrag des Statistischen
Bundesamtes telefonisch 5 965 Personen im Zeitraum von Januar bis März 2017. Die befragten Bürge-
rinnen und Bürger wurden mittels einer repräsentativen Zufallsstichprobe ausgewählt. Sie bewerteten
insgesamt 34 Behörden und Ämter des Bundes, der Länder und der Kommunen anhand einer fünf­
stufigen Skala von »sehr zufrieden« (+ 2) und »eher zufrieden« (+ 1) über »teils/teils« (± 0) bis »eher unzu-
frieden« (– 1) und »sehr unzufrieden« (– 2). Die Einschätzung erfolgte durch 16 Zufriedenheitsfaktoren wie
Verständlichkeit der Formulare und Anträge oder Öffnungs- und Wartezeiten. Da jede befragte ­Person
von mehreren Lebenslagen betroffen sein konnte, liegen insgesamt Einschätzungen zu 7 499 individuel-
len Lebenslagen vor. Um einen möglichst aktuellen Eindruck über die Zufriedenheit mit der Verwaltung
zu erhalten, konnten die befragten Personen nur teilnehmen, wenn sie in den vergangenen zwei Jahren
die jeweiligen Behörden kontaktiert hatten. Darüber hinaus untersuchte eine separate Erhebung die
­Zufriedenheit der Unternehmen mit der öffentlichen Verwaltung.

Um die relevanten Ämter auszuwählen, erstellte das Statistische Bundesamt im Vorfeld der Befragung
sogenannte Reisen durch die Behördenlandschaft. Hierzu bestimmte es gemeinsam mit betroffenen
Personen sowie Expertinnen und Experten für jede einzelne Lebenslage, w ­ elche Behörden Bürgerinnen
und Bürger gewöhnlich zu kontaktieren haben. Es wurde ermittelt, welche Anforderungen dabei zu erfül-
len sind, beispielsweise welche Unterlagen sie vorlegen müssen. Im Ergebnis liegen für jede Lebenslage
Reisen durch die Behördenlandschaft vor, die einen Eindruck dessen vermitteln, was betroffene Perso-
nen wann und mit wem innerhalb einer Lebenslage zu veranlassen ­h aben. Die Informationen hat das
Statistische Bundesamt unter www.amtlich-einfach.de in Form von interaktiven Grafiken veröffentlicht.

366
Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung / 9.4 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

die durchschnittliche Zufriedenheit bei u Abb 1 Zufriedenheit mit behördlichen Dienstleistungen

1,07. Somit hat sich dieser Wert im Ver- in ausgewählten Lebenslagen


gleich zu 2015 kaum verändert. Damals
betrug er 1,06. Dieses positive Ergebnis Durchschnitt 2017
spiegelt sich auch darin wider, dass 1,07

78 % der befragten Personen angaben, Geburt eines Kindes 1,38


ihre Erwartungen an die Behörden seien Gesundheitliche
1,36
erfüllt oder übererfüllt worden und dass Willensbekundung
77 % ihr Ziel bei der Verwaltung erreicht Heirat/
1,33
Lebenspartnerschaft
hatten.
Umzug 1,26
Jedoch zeigten sich wie schon 2015
Führerschein/
deutliche Unterschiede in den Zufrieden- Fahrzeugregistrierung
1,25

heitswerten zwischen den Lebenslagen. Tod einer 1,19


nahestehenden Person
Die befragten Personen bewerteten die
Immobilienerwerb 1,19
behördlichen Dienstleistungen bei der
Geburt eines Kindes, der gesundheitli- Aufnahme eines Zweitjobs 1,19
chen Willensbekundung – hierzu zählen
Kinderbetreuung 1,18
die Patienten- und Betreuungsverfügung
Ehrenamtliche
sowie die Vorsorgevollmacht – und der 1,16
Tätigkeit im Verein
Heirat beziehungsweise Eintragung einer Eintritt in Ruhestand 1,14
Lebenspartnerschaft am besten. Am un-
Steuererklärung 1,12
teren Ende fanden sich die Lebenslagen
Altersarmut, Finanzielle Probleme und Längerfristige Krankheit 1,10
Berufsausbildung. Demnach führten
Pflegebedürftigkeit 1,01
freudige Ereignisse tendenziell zu besse-
ren Bewertungen als traurige Anlässe. Studium 0,92
Scheidung/Aufhebung
Allerdings erzielten gesamtgesellschaft- Lebenspartnerschaft 0,88
lich häufig auftretende Lebenslagen auch
Behinderung 0,86
in betrüblichen Situationen wie dem Tod
einer nahestehenden Person mit wenigen Berufsstart 0,85
Ausnahmen überdurchschnittliche Werte. Arbeitslosigkeit 0,84
Seltenere Ereignisse wie die Scheidung
beziehungsweise Auf hebung einer Le- Berufsausbildung 0,83

benspartnerschaft schnitten hingegen Finanzielle Probleme 0,82


deutlich schlechter ab. Im Vergleich zur
Altersarmut 0,76
vorherigen Befragung waren die Werte
weitgehend stabil. u Abb 1 –2 –1 0 +1 +2
Die Analyse der Zufriedenheit mit ver- Zufriedenheitsskala von »sehr unzufrieden« (– 2)
schiedenen Faktoren behördlicher Dienst- bis »sehr zufrieden« (+ 2)

leistungen über alle Lebenslagen zeigte 2017 2015

ebenfalls deutliche Differenzen in den


Aufgrund methodischer Änderungen sind die Werte für 2015 bei »Führerschein/Fahrzeugregistrierung« und
Ergebnissen. Unbestechlichkeit und Dis- »Finanzielle Probleme« nicht mit denen von 2017 vergleichbar. Zu »Steuererklärung« wurden 2015 keine Daten erhoben.

kriminierungsfreiheit lagen mit 1,83 und


1,64, wie schon 2015, nahe am Höchst-
wert von 2. Dieses Resultat stand im Ein-
klang mit internationalen Untersuchun- Neben diesen beiden übergeordneten Hilfsbereitschaft klar überdurchschnitt-
gen zur Rechtsstaatlichkeit der Nichtre- Faktoren Unbestechlichkeit und Diskri- lich. Weit unterdurchschnittlich schnit-
gierungsorganisationen Transparency minierungsfreiheit bewerteten die be- ten die Möglichkeiten des E-Govern-
International und World Justice Project, fragten Personen die räumliche Erreich- ments (0,68) ebenso wie die Verständ-
bei denen Deutschland regelmäßig auf barkeit der Ämter, die Fachkompetenz lichkeit der Formulare und Anträge
den vorderen Rängen landet. u Abb 2 der Behördenbeschäftigten und deren (0,69) ab. Das Schlusslicht bildete, wie

367
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.4 / Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung

u Abb 2 Zufriedenheit mit verschiedenen Faktoren behördlicher Dienstleistungen schon 2015, die Verständlichkeit des
Rechts mit einem Wert von 0,27. Diese
Faktoren boten somit in den Augen der
Unbestechlichkeit 1,83 Bürgerinnen und Bürger deutliches Ver-
Diskriminierungsfreiheit 1,64 besserungspotenzial. Da auch die Infor-
mationen zu den Verfahrensschritten auf
Räumliche Erreichbarkeit 1,30
einem der hinteren Ränge lagen, verfes-
Fachkompetenz 1,13 tigt sich das Bild von 2015: Die Bürgerin-
Hilfsbereitschaft
nen und Bürger waren unzufrieden mit
1,13
den bereitgestellten Informationen und
Zugang zur richtigen Stelle 1,09 kritisierten unverständliche Formulare
Zugang zu notwendigen sowie den Sachverhalt, dass das den Leis-
Formularen und Anträgen 1,02
tungen zugrunde liegende Recht schwer
Vertrauen in Behörde 1,01
zu verstehen war.
Informationen über
den weiteren Ablauf 0,93 Bei E-Government handelt es sich um
Wartezeit 0,87
die Kommunikation zwischen verschiede-
nen Behörden sowie zwischen Behörden
Gesamte Verfahrensdauer 0,86 und Bürgerinnen und Bürgern mithilfe
Informationen zu digitaler Informations- und Kommunika-
Verfahrensschritten 0,81
tionstechnologien. Die klar unterdurch-
Öffnungszeiten 0,73
schnittliche Bewertung der Möglichkeit
Verständlichkeit der
Formulare und Anträge 0,69 von E-Government gibt einen Hinweis
Möglichkeit von E-Government 0,68
darauf, dass die enormen Potenziale der
digitalen Verwaltung bisher nur sehr un-
Verständlichkeit des Rechts 0,27 zureichend ausgeschöpft wurden und
–2 –1 0 +1 +2
nicht der Erwartungshaltung der Bürge-
rinnen und Bürger entsprachen. Funktio-
Zufriedenheitsskala von »sehr unzufrieden« (– 2)
bis »sehr zufrieden« (+ 2) nale und gut durchdachte Anwendungen
2017 2015 sind ein probates Mittel, um weitere
­Herausforderungen wie Öffnungs- und
Aufgrund methodischer Änderungen sind die Werte für 2015 bei »Möglichkeit von E-Government«
nicht mit denen von 2017 vergleichbar. Wartezeiten anzugehen. Diese beiden
Faktoren würden an Relevanz verlieren,
wenn Bürgerinnen und Bürger seltener
vor Ort oder telefonisch eine Behörde
u Abb 3 Gründe für die Nichtnutzung von E-Government-Angeboten 2017 — in Prozent
kontaktieren müssten und stattdessen
andere Gründe »Ich bevorzuge den
vermehrt und verbessert elektronisch mit
persönlichen Kontakt.« der Verwaltung kommunizieren könnten.
15
69 Einschränkend muss aber erwähnt wer-
»Ich finde das Internetangebot
nicht nutzerfreundlich.«
den, dass mehr als zwei Drittel der Nicht­
14
nutzerinnen und -nutzer von Online­
angeboten in der Lebenslagenbefragung
»Ich kenne mich mit dem angaben, dass sie auf solche Angebote
Computer nicht so gut aus.«
verzichteten, weil sie den persönlichen
17
Kontakt bevorzugten. Ein Viertel der Be-
»Ich wusste nicht, dass man das auch fragten meinte, dass sie in ihrer Lebens­
über das Internet machen kann.« lage auf keinerlei E-Government-Angebote
20 zurückgreifen konnten, während rund ein
»Ich wollte das aus »Das konnte man
Datenschutzgründen nicht nicht über das
Fünftel Datenschutzbedenken anführte.
über das Internet machen.« Internet erledigen.« Ebenfalls einem Fünftel waren derartige
21 25 Angebote überhaupt nicht bekannt. In­
Mehrfachnennungen möglich. sofern bestand auch hier ein Informati-
onsdefizit. u Abb 3

368
Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung / 9.4 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Abb 4 Art der Kommunikation mit Behörden 2017 — Angaben in Prozent der Befragten

Mehrfachnennungen möglich.

Diese Einschätzungen spiegelten sich nen Verwaltungsvorgänge zum Beispiel 9.4.2 Heirat
auch in den Kommunikationsarten wider, aufgrund verschiedener räumlicher Ge- Der Verwaltungsweg in den Bund der
die die Bürgerinnen und Bürger nutzten, gebenheiten oder der Verkehrsanbindung Ehe besteht vor allem aus der Anmeldung
um mit der Verwaltung Kontakt aufzu- der Behörden voneinander abweichen. der Trauung, der Beschaffung hierfür be-
nehmen. Dabei waren je nach Sachverhalt Über alle Lebenslagen zeigte sich aller- nötigter Dokumente sowie der Meldung
auch kombinierte Wege – wie eine tele­ dings, dass sozio­demografische Variab- des geänderten Familienstands an weite-
fonische Terminvereinbarung und ein len wie das Geschlecht, das Alter und die re Stellen. u Abb 5
darauffolgender persönlicher Besuch – Raumstruktur zu keinen nennenswerten Eine Trauung kann bei jedem beliebi-
möglich. Zwei Drittel und damit die Unterschieden in der Zufriedenheit mit gen Standesamt vollzogen werden. Sie be-
meisten befragten Personen suchten 2017 der öffentlichen Verwaltung führten. darf lediglich einer Anmeldung am Stan-
die Behörden persönlich auf. In mehre- Auswertungen nach dem Familienstand, desamt an einem der Wohnsitze des Paa-
ren Lebenslagen wie Heirat oder Arbeits- der Schulbildung, dem Erwerbsstatus res unter Vorlage einiger Dokumente.
losigkeit schreiben gesetzliche Regelungen und dem Einkommen kamen zu dem Standardmäßig werden ein Personalaus-
diese Kommunikationsart vor. Dahinter gleichen Resultat. weis oder Reisepass sowie eine beglaubig-
rangierten fast gleichauf der postalische Allerdings sind soziodemografische te Abschrift aus dem Geburtenregister be-
und telefonische Kontakt, den jeweils Merkmale in einzelnen Lebenslagen von nötigt. Je nach Situation müssen zudem
knapp die Hälfte der Bürgerinnen und größerer Relevanz. So waren beispiels- zum Beispiel ein Auflösungsbescheid der
Bürger in Anspruch nahm. Online kom- weise alleinerziehende Mütter und Väter vorherigen Ehe oder die Sterbeurkunde
munizierte ein Drittel der befragten Per- in der Lebenslage Arbeitslosigkeit mit des ehemaligen Partners oder der ehema-
sonen mit den Behörden. Dabei wurde 0,44 deutlich unzufriedener als die übri- ligen Partnerin vorgelegt werden. Existie-
die Onlinekommunikation bewusst breit gen befragten Personen mit 0,87. Folg- ren Kinder aus früheren Ehen, so ist dem
definiert, sodass sie den digitalen Aus- lich waren in erster Linie die konkreten Standesamt eine beglaubigte Abschrift
tausch vom einfachen Kontakt per E-Mail administrativen Prozesse in den jeweili- aus dem Geburtenregister vorzulegen. Ist
bis zum medienbruchfreien ELSTER- gen Lebenslagen und Behörden sowie der Vater nicht im Geburtenregister ein-
Verfahren zur Abgabe der Einkommen- ihre Auswirkungen auf die verschiede- getragen, ist zusätzlich eine Urkunde über
steuererklärung umfasst. u Abb 4 nen Bevölkerungsgruppen entscheidend die Anerkennung der Vaterschaft einzu-
Rechtliche Regelungen können sich für die Zufriedenheit der Bürgerinnen reichen. Diese wird zum Beispiel vom
für bestimmte Bevölkerungsgruppen un- und Bürger. Aus diesem Grund werden ­Jugendamt ausgestellt. In Fällen, in denen
terscheiden. So gelten einerseits im Be- in den folgenden Abschnitten die Le- ein Elternteil allein sorgeberechtigt ist,
reich der sozialen Sicherung andere Vor- benslagen Heirat, Scheidung beziehungs- stellt das zuständige Jugendamt eine Ne-
schriften für Rentnerinnen und Rentner weise Aufhebung einer Lebenspartner- gativbescheinigung aus, die dies belegt.
als für Erwerbstätige. Andererseits kön- schaft und Geburt eines Kindes im De- Sie ist ebenfalls beim Standesamt ein­
nen in städtischen und ländlichen Regio- tail betrachtet. zureichen. Wollen sich Personen trauen

369
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.4 / Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung

u Abb 5 Reise durch die Behördenlandschaft für die Lebenslage »Heirat«

370
Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung / 9.4 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

lassen, die im Ausland geboren wurden, u Abb 6 Zufriedenheit nach ausgewählten Behörden 2017
muss ihre Ehefähigkeit gesondert nach­
gewiesen werden. Neben einer aktuellen
Heirat / Durchschnitt
beglaubigten Übersetzung der Geburts­ Lebenspartnerschaft 1,33
urkunde können zusätzlich ein Ehefähig-
Standesamt 1,40
keitszeugnis oder eine Ledigkeitsbeschei-
nigung erforderlich sein. Bei Deutschen Einwohnermeldeamt 1,29
mit ausländischem Wohnsitz und Nicht- Finanzamt 1,24
deutschen können Dokumente verlangt
werden, die Auskunft über den Familien- –2 –1 0 +1 +2
stand, die Staatsangehörigkeit sowie den
Scheidung/Aufhebung Durchschnitt
Wohnsitz geben. Wenn von beiden Partei- Lebenspartnerschaft 0,88
en ein Ehevertrag gewünscht wird, so
Familiengericht 1,02
muss dieser notariell beglaubigt werden,
um Rechtskraft zu erlangen. Familienkasse 1,00
Nach der Trauung wird die Ehe in
Jugendamt 0,58
das Eheregister eingetragen. Das Paar er-
hält eine entsprechende Urkunde. Weite- Finanzamt 0,58
re Unterlagen werden erforderlich, wenn
–2 –1 0 +1 +2
die Ehe im Ausland geschlossen wurde
und ins deutsche Eheregister eingetragen Durchschnitt
Geburt eines Kindes 1,38
werden soll. Der geänderte Familien-
stand muss nun diversen Stellen anhand Krankenkasse 1,64
der Eheurkunde mitgeteilt werden. Das 1,58
Standesamt
Finanzamt erhält eine automatische Mel-
dung der Eheschließung und vergibt eine Einwohnermeldeamt 1,55

neue Steuerklasse. Auf Antrag beim Fi- Familienkasse 1,17


nanzamt kann diese jedoch geändert
Jugendamt 1,10
werden. Die gewählte Steuerklassenkom-
bination der Ehepartner wirkt sich dabei Elterngeldstelle 1,09
auf die Höhe des zu versteuernden Ein- 0,47
Jobcenter
kommens im Rahmen der Steuererklä-
rung aus. Die Paare haben zudem die –2 –1 0 +1 +2
Möglichkeit, sich gemeinsam in einer Zufriedenheitsskala von »sehr unzufrieden« (– 2)
Krankenkasse zu versichern. bis »sehr zufrieden« (+ 2)
Die Änderung des Familiennamens
kann im Vorfeld der Trauung angekün-
digt oder auch im Nachhinein beantragt
werden. Die etwaige Namensänderung
muss einigen Stellen, je nach Lebenssitu-
ation, bekannt gegeben werden. Bei der ersten Befragung 2015 war die Zufrie- Befragten jedoch bei den Öffnungszeiten
kommunalen Meldebehörde müssen zu- denheit nur unwesentlich um 0,13 gesun- und den digitalen Austauschmöglichkei-
dem neue Ausweisdokumente beantragt ken. Das Standesamt fungiert als Schlüs- ten mit den Standesämtern. Die Einwoh-
werden. Genauso müssen Fahrzeugschein selstelle in dieser Lebenslage. Bei den be- nermeldeämter erhielten mit 1,29 eben-
und Führerschein, soweit vorhanden, fragten Personen erzielte es einen hohen falls einen hohen Zufriedenheitswert.
umgeschrieben werden. Dies überneh- Zufriedenheitswert von 1,40. Dabei waren Das Lob und die Kritik für diese Behör-
men in den meisten Fällen die Fahr­ sie vor allem mit den Fachkompetenzen den waren im Wesent­lichen deckungs-
erlaubnis- und Zulassungsbehörden der der Behördenbeschäftigten und deren gleich mit denen der Standesämter. Das
Kommunalverwaltungen. Hilfsbereitschaft sowie dem Zugang zur Finanzamt ist nur am Rande in dieser
Mit einem Zufriedenheitswert von zuständigen Stelle innerhalb der Behörde ­Lebenslage aktiv und erhält mit 1,24 einen
1,33 lag Heirat klar über dem Gesamt- und der gesamten Verfahrensdauer zu- ähnlich hohen Wert wie das Einwohner-
durchschnitt von 1,07. Im Vergleich zur frieden. Verbesserungsbedarf sahen die meldeamt. u Abb 6

371
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.4 / Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung

In den Befragungsergebnissen sind Lebenslage gut ab. Die Bürgerinnen und Außerdem gilt es, das Kind bei der Kran-
auch die Einschätzungen von Bürgerin- Bürger waren vor allem mit der Fach- kenkasse zu versichern. Um Kindergeld
nen und Bürgern enthalten, die eine ein- kompetenz und der Hilfsbereitschaft der zu erhalten, ist ein Antrag bei der Famili-
getragene Lebenspartnerschaft begrün- Beschäftigten zufrieden. Erhöhte Unzu- enkasse zu stellen. Ferner können Eltern
det hatten. Seit der Einführung der »Ehe friedenheit zog das Familiengericht vor für die Betreuung ihres Kindes in den
für alle« am 1. Oktober 2017 ist es nicht allem durch die gesamte Verfahrensdauer ersten 14 Monaten Basis-Elterngeld be-
mehr möglich, diesen Familienstand ein- und unverständliche Formulare und An- ziehen oder darüber hinaus Elterngeld-
zunehmen. träge auf sich. In Verfahren, die minder- Plus. Hierfür wenden sie sich an die El-
jährige Kinder betrafen, waren Männer terngeldstelle. Beim Jugendamt erfolgen
9.4.3 Scheidung / Aufhebung einer (1,08) mit dem Familiengericht zufriede- gegebenenfalls die Klärung von Vater-
Lebenspartnerschaft ner als Frauen (0,82). Diese Situation schaft und Sorgerecht, wenn die Mutter
Sowohl während des in der Regel abzu- kehrte sich um, wenn keine minderjähri- unverheiratet ist, sowie die Beantragung
wartenden Trennungsjahres als auch gen Kinder involviert waren. Dann wa- einer Vorleistung des Unterhalts durch
während der Scheidung beziehungsweise ren Frauen (1,15) zufriedener als Männer eine alleinerziehende Mutter, wenn der
Au f hebu ng der ei nget ra genen L e- (0,98), sodass sich die Unterschiede im Vater die Unterhaltszahlungen verweigert
benspartnerschaft und danach fallen Be- Schnitt ausglichen. Das Jugendamt, das oder unbekannt ist.
hördengänge an. Bereits während des in erster Linie bei Fragen zum Unterhalt Die Geburt eines Kindes erzielte mit
Trennungsjahres können zum Beispiel relevant wird, schnitt mit 0,58 klar unter- 1,38 den höchsten Zufriedenheitswert
beim Familiengericht die Festsetzung durchschnittlich ab. Es handelte sich um ­a ller 22 untersuchten Lebenslagen und
von Unterhalt für ein minderjähriges eine der schlechtesten Behördenbewer- zeigte mit einem Plus von 0,06 so gut wie
Kind oder beim Jugendamt die Gewäh- tungen in der Befragung. Besonders kri- keine Veränderungen zu 2015. Dabei war
rung von Unterhaltsvorschuss beantragt tisch waren männliche Befragte, die das es für die befragten Eltern fast unerheb-
werden, falls die bisherige Partnerin Jugendamt lediglich mit 0,44 beurteilten, lich, ob eine Vaterschaftsanerkennung er-
­b eziehungsweise der bisherige Partner während Frauen mit 0,71 zufriedener wa- folgte (1,34) oder nicht (1,39). Die Kran-
keinen Unterhalt zahlt. Der Antrag auf ren. Am stärksten kritisierten alle befrag- kenkassen, Standes- und Einwohnermel-
Scheidung beziehungsweise Aufhebung ten Personen an der Behörde die Infor- deämter schnitten mit Werten von 1,64,
der Lebenspartnerschaft selbst ist beim mationsbereitstellung zu den Verfahrens- 1,58 beziehungsweise 1,55 überdurch-
Familiengericht einzureichen. Ist diese schritten und zum weiteren Ablauf, die schnittlich ab. Die Beantragung von
­erfolgt, können Alleinerziehende unter Hilfsbereitschaft und Fachkompetenz der ­K indergeld bei der Familienkasse erhielt
anderem bei der Familienkasse einen An- Beschäftigten sowie die Öffnungszeiten. einen unterdurchschnittlichen Wert von
trag auf finanzielle Hilfen stellen. Das Darüber hinaus hatten die befragten Per- 1,17. Die befragten Personen waren vor
­Finanzamt ist für den notwendigen Steu- sonen ein geringes Vertrauen in das Amt. allem mit der räumlichen Erreichbarkeit
erklassenwechsel zuständig. Die Familienkasse schnitt mit einem der Behörden sowie dem Zugang zu den
Die befragten Personen waren mit ih- ­Zufriedenheitswert von 1,00 überdurch- notwendigen Formularen und Anträgen
ren Behördenkontakten in dieser Lebens- schnittlich ab, während das Finanzamt zufrieden, während sie mit den Öff-
lage nur unterdurchschnittlich zufrieden, in dieser Lebenslage – ebenso wie das nungszeiten relativ unzufrieden waren.
sodass die Lebenslage einen Zufrieden- Jugendamt – einen klar unterdurch-
­ Das Jugendamt und die Elterngeldstelle
heitswert von 0,88 erhielt. Dieser hat sich schnittlichen Wert von 0,58 erzielte (sie- erhielten mit 1,10 beziehungsweise 1,09
im Vergleich zu 2015 bei einer Steigerung he Abb 6). einen ähnlich hohen Wert wie die Fami-
von 0,06 kaum verändert. Ob bei der lienkasse. Bei diesen drei Ämtern schätz-
Scheidung beziehungsweise Aufhebung 9.4.4 Geburt eines Kindes ten die Bürgerinnen und Bürger die
der Lebenspartnerschaft minderjährige Schon während einer Schwangerschaft Fachkompetenz und Hilfsbereitschaft der
Kinder betroffen waren, hatte keinen be- fallen Behördenkontakte an. So ist zu- Behördenbeschäftigten. Kritischer sahen
sonderen Einfluss auf die Zufriedenheits­ nächst der Krankenkasse der voraussicht- sie die Verständlichkeit der Formulare
werte. Sie lagen bei 0,94, wenn keine Kin- liche Geburtstermin mitzuteilen. Schwan- und Anträge sowie die Öffnungszeiten.
der betroffen waren, und bei 0,83, wenn gere, die Arbeitslosengeld II beziehen, in- Auffallend war jedoch, dass Frauen mit
dies der Fall war. formieren zusätzlich das Jobcenter. Die einem Wert von 1,00 unzufriedener mit
Deutliche Unterschiede zeigten sich Geburt selbst ist dann gegebenenfalls dem Jugendamt waren als Männer (1,24).
hingegen in den Bewertungen der Behör- dem Standesamt und dem Einwohner- Das Jobcenter schnitt mit 0,47 deutlich
den. Das Familiengericht schnitt mit meldeamt zu melden. In manchen Fällen unterdurchschnittlich ab (siehe Abb 6).
­einem Zufriedenheitswert von 1,02 im erfolgt die Mitteilung über die Geburt
Verhältnis zu den anderen Behörden der ­d irekt durch das Krankenhaus­p ersonal.

372
Zivilgesellschaftliches Engagement / 9.5 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

9.5 Für das Funktionieren der Gesellschaft,


die Stärkung des gesellschaftlichen Zu­
hängigkeit vom Staat, eigenständige Ver­
waltung, gemeinnützige Ausrichtung und
Zivilgesellschaft- sammenhalts und für die Erhöhung der freiwilliges Engagement gekennzeichnet.
liches individuellen Lebensqualität hat das zivil­
gesellschaftliche Engagement einen un­
Das zivilgesellschaftliche Engagement in
nicht organisationsgebundenen Zusam­
Engagement verzichtbaren Stellenwert. Die Bedeutung menschlüssen ist im Unterschied dazu
des zivilgesellschaftlichen Engagements in keine formale Struktur eingebettet. Es
wächst angesichts der zunehmenden In­ ­erfolgt eher spontan im Alltag, ist in der
Mareike Alscher, Eckhard Priller
dividualisierung und dem damit verbun­ Regel zeitlich und räumlich befristet so­
Maecenata Institut für
denen Verlust sozialer Bindungen. Die wie zumeist personell − zum Beispiel an
Philanthropie und Zivilgesellschaft
Vereinzelung der Gesellschaftsmitglieder die Nachbarschaft oder den Bekannten­
Luise Burkhardt
kann die gesellschaftliche Integration kreis − gebunden.
DIW Berlin
von Menschen oder ganzen sozialen
Gruppen erschweren. Das individuelle 9.5.1 Zivilgesellschaftliche
WZB / SOEP Engagement hilft hingegen, Menschen Organisationen als Infrastruktur
einzubinden. Es schafft somit Gemein­ des Zivilengagements
schaft und bietet für den Einzelnen Mög­ Organisationen wie Vereine, Verbände,
lichkeiten für gemeinsame Aktivitäten. Stiftungen, gemeinnützige Gesellschaften
Zivilgesellschaftliches Engagement hat mit beschränkter Haftung bis hin zu we­
zudem wichtige Funktionen bei weiteren niger formalisierten Organisationen der
gesellschaftlichen Entwicklungsprozes­ Bürgerinitiativen bilden die institutionel­
sen. So ist es eine wichtige Ressource im le und infrastrukturelle Seite des Zivilen­
demografischen Wandel – mit ehrenamt­ gagements in Deutschland. Insgesamt ist
lich erbrachten Leistungen werden bei­ dieser Bereich sehr vielschichtig und dy­
spielsweise Ältere unterstützt, und auch namisch und durchdringt die gesamte
bei der Integration von Menschen aus an­ Gesellschaft in ihren einzelnen Bereichen.
deren Kulturen haben Ehrenamtliche ei­ Gleichwohl wird die Gesamtzahl der Or­
nen bedeutenden Anteil. ganisationen in ihrer unterschiedlichen
Unter zivilgesellschaftlichem Engage­ Größe, Zusammensetzung und Rechts­
ment wird ein individuelles Handeln ver­ form bislang nicht systematisch erfasst.
standen, das sich durch Freiwilligkeit, Nur für einzelne Organisationsformen
fehlende persönliche materielle Gewinn­ wie eingetragene Vereine und rechtsfähi­
absicht und eine Ausrichtung auf das Ge­ ge Stiftungen bürgerschaftlichen Rechts
meinwohl auszeichnet. Ein Engagement liegen aktuelle Angaben vor. Die Vereins­
kann die Bereitstellung von Zeit beinhal­ landschaft weist anhand der Angaben der
ten, es kann aber auch durch das Spenden Vereinsregister bei den deutschen Amts­
von Geld oder anderen materiellen Gü­ gerichten ein hohes Wachstum auf. Zu
tern erfolgen. Das Engagement findet im den Vereinen zählen zumeist nach der
öffentlichen Raum statt, das heißt in zivil­ Rechtsform die Verbände, denen in
gesellschaftlichen Organisationen oder Deutschland ein besonderer Stellenwert
in weniger organisationsgebundenen Zu­ zukommt. Häufig sind sie als Dachver­
sammenschlüssen. bände ein Zusammenschluss von Orga­
Die zivilgesellschaftlichen Organisa­ nisationen. Als solche üben sie koordi­
tionen bilden die wesentliche institutio­ nierende Aufgaben aus und vertreten die
nelle Infrastruktur für das Engagement. Interessen der Mitgliedsorganisationen
Es handelt sich bei der Gesamtheit dieser gegenüber der Politik. In diesen Funktio­
Organisationen um jenen gesellschaft­ nen gestalten sie viele Gesellschaftsberei­
lichen Bereich, der zwischen den Polen che aktiv mit. Zu den eingetragenen Ver­
Markt, Staat und Familie angesiedelt ist. einen kommen schätzungsweise mehrere
Die Organisationen sind durch eine for­ Hunderttausend nicht eingetragene Verei­
male Struktur, organisatorische Unab­ ne, die keine Eintragung in den Vereins­

373
Vorschlag (WZB): in die Abbildung zusätzlich als Säulen die jährlichen Neueintragungen
und Löschungen von Vereinen seit 1995 aufnehmen (anderer Maßstab), stattdessen Liniendiagramm.
Bitte darauf aufmerksam machen!!
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.5 / Zivilgesellschaftliches Engagement

u Abb 1 Entwicklung der Anzahl der Vereine in Deutschland 1960 – 2017 — in Tausend 100 000 Einwohner, hat bis heute stark
zugenommen: Sie stieg zwischen 1960
und 2014 von 160 auf 720 Vereine und er­
600 30
reichte 2017 den Wert von 733. Sie ver­
500 25 fünffachte sich damit nahezu gegenüber
Anfang der 1960er-Jahre. Da der über­
400 20
wiegende Anteil des Engagements in Ver­
300 15 einen stattfindet, sind Veränderungen in
diesem Feld für das Engagement von zen­
200 10 traler Bedeutung.
100 5
Einen bedeutenden Aufschwung hat
neben dem Vereinswesen auch das Stif­
0 0 tungswesen in Deutschland erlebt. Ende
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
des Jahres 2017 bestanden 22 274 rechts­
fähige Stiftungen bürgerlichen Rechts.
gesamt (linke Skala) Neueintragungen (rechte Skala) Löschungen (rechte Skala)
Während 2007 ein Zuwachs von 1 134
Stiftungen zu verzeichnen war, haben
Datenbasis:Quellen: JohnsProject;
Johns Hopkins Hopkins Project; Vereinsstatistik
Vereinsstatistik V & Konstanz.
V & M Service GmbH, M Service GmbH, Konstanz
sich die Zuwachsraten in den letzten Jah­
ren zwischen 500 und 600 eingepegelt.
Im Jahr 2017 wurden 549 Stiftungen neu
gegründet. Stiftungen sind bis auf Bür­
gerstiftungen im Unterschied zu Verei­
nen weniger bedeutende Engagement­
träger, dafür fördern sie dieses in hohem
registern anstreben und zu deren Anzahl statistik für den Zeitraum 2005 bis 2008 Maße. u Abb 2
keine Informationen vorliegen. eine besondere Zunahme der Kultur-, In­ Der Bestand an Stiftungen in West-
In den letzten 65 Jahren stieg die Zahl teressen- und Freizeitvereine sowie einen und Ostdeutschland weist, wie die für 2016
der in Deutschland eingetragenen Verei­ Rückgang bei den Umwelt- und Sportver­ vorliegenden regionalen Angaben zeigen,
ne beträchtlich: Sie versiebenfachte sich einen aus. Eine etwas andere Dynamik nach wie vor ein starkes Ungleichgewicht
von rund 86 000 im Jahr 1960 (West­ ergab sich für den Zeitraum 2008 bis auf. Im Jahr 2016 gab es in Ostdeutsch­
deutschland) auf rund 605 000 im Jahr 2014: Verluste waren nur noch bei der land 1 513 und in Westdeutschland (ein­
2017 (Gesamtdeutschland). Die steil an­ Anzahl der Sportvereine feststellbar. In­ schließlich Berlin) 20 293 Stiftungen.
steigende Kurve der eingetragenen Verei­ teressenvereine, zu denen auch Bürge­ Während die Stiftungsdichte in Branden­
ne veranschaulicht ein Wachstum, wie es rinitiativen in Vereinsform zählen, sowie burg mit 9, in Mecklenburg-Vorpommern
nur in wenigen gesellschaftlichen Berei­ Vereine in den Bereichen Soziales / Wohl­ mit 10 sowie in Sachsen und Sachsen-­
chen zu beobachten ist. Gleichwohl flach­ fahrt, Freizeit  / Heimatpflege und Berufs- / Anhalt mit jeweils 13 Stiftungen je
te die Dynamik bei den Neueintragungen Wirtschaftsverbände / Politik befanden 100 000 Einwohner besonders gering war,
der Vereine in den letzten Jahren ab. sich in besonderem Maße auf Wachs­ lagen Bayern mit 31, Hessen mit 32 sowie
Während sich 1995 noch rund 22 000 tumskurs. Auch bei den Umwelt- und die Stadtstaaten Bremen mit 49 und Ham­
Vereine neu in die Vereinsregister eintra­ Naturschutzvereinen war wiederum ein burg mit 78 Stiftungen je 100 000 Einwoh­
gen ließen, waren es 2016 nur noch rund Zuwachs erkennbar. Die Veränderungen ner an der Spitze. Insgesamt bestanden in
14 000. Gleichzeitig stieg die Zahl der Lö­ weisen darauf hin, dass bestimmte The­ Deutschland 27 Stiftungen je 100 000 Ein­
schungen von Vereinen in den Vereinsre­ men zeitbezogen einen konjunkturellen wohner. Die Stiftungen verfügten über
gistern stetig an. 1995 wurden rund 4 500 Aufschwung genießen, während andere ein Vermögen von mehr als 100 Milliar­
Löschungen vorgenommen, 2016 traf dies weniger nachgefragt werden oder sich an­ den Euro, das jedoch durch die Finanz­
für rund 9 000 Vereine zu. u Abb 1 dere institutionelle und organisatorische markt- und Wirtschaftskrise 2008/2009
Neben der geringer werdenden Zu­ Formen herausbilden, die diese Themen geschrumpft ist. Allerdings ist zu ver­
nahme bei den Vereinsgründungen und behandeln. merken, dass es in Deutschland im Un­
dem Anstieg der Löschungen zeigen sich Doch nicht nur die Zahl der eingetra­ terschied zu den USA nur wenige große
über die Jahre zugleich thematische Ge­ genen Vereine ist – über einen längeren Stiftungen gibt, die über hohe Vermögens­
wichtsverlagerungen in den Tätigkeitsbe­ Zeitraum betrachtet – absolut angestie­ erträge verfügen. Der überwiegende Teil
reichen der Vereine. So wies die Vereins­ gen, auch ihre Dichte, bezogen auf je der Stiftungen hat einen eher geringen

374
Zivilgesellschaftliches Engagement / 9.5 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

Abb 2 Stiftungsgründungen in Deutschland 1990−2017

u Abb 2 Stiftungsgründungen in Deutschland 1990 − 2017 — Anzahl

1 134
1 020

899 914
829 852 880 824 817
774 784
681 691
645 638
564 583 582
549
505
466
385 411
325 323
290
181 201

1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Datenbasis: Bundesverband Deutscher Stiftungen 2017.

Abb 3 Probleme zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Gewinnung von


Datenbasis: Bundesverband Deutscher Stiftungen 2017.
Engagierten 20016/2017 — in Prozent

uAbb 3 Probleme zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Gewinnung von


Engagierten 2016 / 2017 — in Prozent
Vermögensstock. Im Jahr 2016 hatten
26 % der Stiftungen ein Vermögen von bis
zu 100 000 Euro, fast 46 % besaßen bis zu »Für kurzfristige Engagaments ist
51 29 20
es einfach, Engagierte zu gewinnen.«
1 Million Euro, 23 % bis zu 10 Millionen
Euro, etwas weniger als 5 % bis zu »Für dauerhafte Engagements ist
es einfach, Engagierte zu finden.« 14 25 61
100 Millionen Euro und bei lediglich
­etwas unter 1 % der Stiftungen lag das »Für ehrenamtliche Leitungspositionen
25 29 46
Vermögen bei über 100 Millionen Euro. finden wir genug Engagierte.«

Zivilgesellschaftliche Organisationen
erleben in den letzten Jahren einige Ver­ trifft (voll) zu weder noch trifft (gar) nicht zu
änderungen. Die äußeren Rahmenbedin­
Datenbasis: ZiviZ-Survey 2017.
gungen verlangen von ihnen ein stärker
wirtschaftlich ausgerichtetes Handeln,
wodurch sich Tendenzen einer zuneh­
menden Ökonomisierung ihrer Arbeit
bemerkbar machen. Dies führt aber nicht
nur zu einer höheren Wirtschaftlichkeit, Engagierte zu gewinnen. Auch für ehren­ engagement wird ein ganzes Bündel von
sondern auch zu Problemen: So werden amtliche Leitungspositionen findet nur Erwartungen geknüpft. Darunter hebt sich
in Untersuchungen besonders die Pla­ jede vierte Organisation (25 %) genug Frei­ allgemein die Sicherung der Partizipati­
nungsunsicherheit aufgrund unklarer willige. Hingegen sind zu einem kurzfris­ onschancen der Bürgerinnen und Bürger
Einnahmeentwicklungen sowie die Kon­ tigen Engagement deutlich mehr Men­ hervor, indem sie sich stärker unmittelbar
frontation mit zunehmend marktförmi­ schen bereit, da jede zweite Organisation an gesellschaftlichen Belangen beteiligen
gen Strukturen, die zu einem verstärkten (51 %) es als einfach bezeichnet, dafür können. Das Engagement beschränkt sich
Effizienz- und Konkurrenzdruck führen, Engagierte zu gewinnen. u Abb 3 dabei nicht nur auf das Wirken in speziel­
von den Organisationen benannt. Neben len Organisationen der politischen oder
den ökonomisch gelagerten Herausfor­ 9.5.2 Zivilgesellschaftliches allgemeinen Interessenvertretung, son­
derungen bestehen Schwierigkeiten, frei­ Engagement des Einzelnen dern reicht von Sport und Freizeit über
willig Engagierte zu erreichen. Das trifft Das freiwillige und unentgeltlich geleistete Kultur und Soziales bis zu Umwelt und
besonders für ein dauerhaftes Engage­ individuelle Engagement ist ein unver­ Tierschutz. Als Basis demokratischer Ge­
ment zu, für das nur 14 % der Organisati­ zichtbares Kernelement der zivilgesell­ sellschaften tragen die Aktivitäten in die­
onen angeben, dass es einfach sei, hierfür schaftlichen Organisationen. An das Zivil­ sen Organisationen zur Interessenbünde­

375
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.5 / Zivilgesellschaftliches Engagement

lung und -artikulation bei. Durch die He­ eins von jenem in Bürgerinitiativen und die sich seltener als monatlich engagieren,
rausbildung von demokratischen Normen, solchen Organisationen, die als sogenannte stieg tendenziell an, unterlag jedoch grö­
sozialen Netzen und Vertrauensverhält­ Themenanwälte in Bereichen wie Umwelt ßeren Schwankungen als beim regelmäßi­
nissen fördern sie die Kooperation, hal­ oder in internationalen Aktivitäten tätig gen Engagement. So ging das seltene En­
ten Reibungsverluste gering und führen sind. Letztere haben in den zurückliegen­ gagement im Jahr 2013 etwas zurück,
letztendlich dazu, dass die Gesellschaft den Jahrzehnten unter dem Gesichts­ wies 2015 jedoch einen erneuten Anstieg
insgesamt besser funktioniert. punkt einer stärkeren Einmischung der auf (2015 rund 13 %). Nach den Zeit­
Einen besonderen Stellenwert besitzt Bürgerinnen und Bürger in gesellschaftli­ budgeterhebungen des Statistischen Bun­
das Zivilengagement bei der Sicherung che Belange einen beträchtlichen Zulauf desamtes von 2001/2002 und 2012/2013
des gesellschaftlichen Zusammenhalts. und bedeutenden Aufschwung erfahren. blieb der Zeitaufwand der Frauen mit
Es hilft, die in der sozial ausdifferenzier­ Doch auch die Rolle zahlreicher Sportver­ 1:42 Stunden pro Woche gleich, während
ten Gesellschaft geforderten Fähigkeiten eine ist mit der Zeit über ihren engen Tätig­ jener der Männer von 2:01 auf 1:47 Stun­
zum Kompromiss und zu einem zivilen keitskontext hinausgewachsen und ihre den pro Woche zurückging. u Abb 4
Umgang herauszubilden. Es trägt dazu integrative Funktion, die sie vor allem auf Differenzierte Angaben zum Engage­
bei, die Kommunikationsbereitschaft lokaler Ebene innehaben, darf nicht un­ ment liefern die Daten des Freiwilligen­
und -fähigkeit, das wechselseitige Ver­ terschätzt werden. surveys. Mit seinen bislang veröffent­
ständnis, die gemeinsame Beratung und Nach einer Langzeitbetrachtung ist lichten vier Erhebungszeitpunkten 1999,
den Austausch von Argumenten der der Anteil der Engagierten in der Bevöl­ 2004, 2009 und 2014, jeweils mit mindes­
Menschen untereinander, aber auch zwi­ kerung ab 16 Jahren von 23 % im Jahr tens 15 000 Telefoninterviews, stellt er
schen Bürgerinnen und Bürgern auf der 1985 auf 32 % im Jahr 2015 gestiegen. Die eine fundierte Datenbasis dar. Zu den
einen und Institutionen auf der anderen Unterscheidung zwischen einem regelmä­ Hauptaussagen des Freiwilligensurveys
Seite zu praktizieren. ßigen Engagement (zumindest monatlich) zählt, dass sich ein hoher Anteil der Be­
Die Rolle des zivilgesellschaftlichen und einem selteneren Engagement zeigt, völkerung freiwillig engagiert und die En­
Engagements ist dabei sehr unterschied­ dass das regelmäßige Engagement im gagierten ganz unterschiedliche Aufgaben
lich. Beispielsweise unterscheidet sich das Zeitverlauf beständig zugenommen hat übernehmen. Die einen führen eine Lei­
Engagement im Rahmen eines Sportver­ (2015 rund 19 %). Auch der Anteil jener, tungsfunktion aus, andere organisieren

u Abb 4 Entwicklung der Engagementbeteiligung 1985 – 2015 – in Prozent

40

30

20

10

0
1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015

gesamt mindestens monatlich seltener

Datenbasis: SOEP 1985–2015, Version 33.

376
Zivilgesellschaftliches Engagement / 9.5 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

Veranstaltungen und wieder andere sind u Tab 1 Zivilengagement nach soziodemografischen Gruppen 1999, 2004, 2009
Lesepaten. Der Anteil der Engagierten ist und 2014 — in Prozent
in den ersten Erhebungsjahren relativ Zivilengagement Gering organisations­­-
konstant geblieben. Während 1999 die insgesamt gebundenes Engagement ¹
Zahl der freiwillig Engagierten bei 34 % 1999 2004 2009 2014 1999 2004 2009 2014
lag, erhöhte sich deren Anteil 2004 leicht Insgesamt 34 36 36 44 14 13 15 16
auf 36 % und blieb 2009 auf diesem Geschlecht
­Niveau. Im Jahr 2014 kam es – folgt man Männer 38 39 40 46 11 11 12 14
dem Freiwilligensurvey – zu einem star­ Frauen 30 33 32 42 17 16 18 18
ken Zuwachs der Engagementquote mit Alter
nun 44 % der Bevölkerung. Andere Unter­ 14 – 29 Jahre 35 35 35 47 15 17 19 18
suchungen zeigen eine davon abweichen­
30 – 59 Jahre 38 40 40 46 13 13 14 15
de Dynamik auf und weisen zum Teil auf
ab 60 Jahren 26 30 31 37 13 12 12 16
einen Rückgang des Engagements hin.
Hinter den Befunden zum Beteiligungs­ Erwerbsstatus

umfang und zur Entwicklung des Engage­ Erwerbstätige 38 40 40 48 13 11 13 15

ments stehen oft unterschiedliche metho­ Arbeitslose 24 27 26 26 11 16 15 24


dische Ansätze, die es bei der Verwendung Schüler /-innen, Azubis,
37 38 38 53 18 19 21 18
der jeweiligen Angaben zu berücksichti­ Studierende

gen gilt. u Tab 1 Hausfrauen und -männer 38 37 36 39 14 14 17 17

Hinter der hohen Stabilität und dem Rentner /-innen, Pensionäre 25 28 30 35 13 13 14 16


Anstieg in der Engagementbeteiligung Bildungsniveau ²
stecken eine Reihe von gruppenbezo­ einfaches Bildungsniveau 25 26 23 28 12 11 11 16
genen Unterschieden und gegenläufigen
mittleres Bildungsniveau 37 37 37 41 12 13 14 16
Tendenzen. Sie werden bereits sichtbar,
hohes Bildungsniveau 41 43 45 52 17 14 15 16
wenn die Entwicklung des Engagements
nach Altersgruppen näher betrachtet Region

wird. So lässt sich besonders in einigen Ost 28 31 30 39 15 16 17 18


Gruppen eine sehr stark angestiegene West 36 37 37 45 13 13 14 16
­Engagementquote nachweisen.
1 In den Jahren 1999–2009 umfasst das gering organisationsgebundene Enagegement jenes in der Selbsthilfe, in Initativen/Projekt­
Folgt man dem Freiwilligensurvey, arbeit und selbstorganisierten Gruppen. 2014 zählt hierzu das Engagement in der Nachbarschaftshilfe, in Initiativen/Projektarbeit,
selbstorganisierten Gruppen und in der Form »allein«.
zählen vorrangig Personen im Alter von 2 Einfaches Niveau: kein beziehungsweise Volks- oder Hauptschulabschluss, Abschluss 8. Klasse;
mittleres Niveau: mittlere und Fachhochschulreife, Abschluss 10. Klasse;
14 bis 29 Jahren zu den stärker zivilgesell­ hohes Niveau: Abitur/Hochschulreife beziehungsweise abgeschlossenes Hochschulstudium.
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999, 2004, 2009, 2014.
schaftlich aktiv gewordenen Gruppen.
Der Wachstumstrend im Engagementver­
halten junger Menschen wird in anderen
Studien (Shell Jugendstudie 2015, AID:A
2015) so nicht bestätigt, hier zeichnen sich
jeweils rückläufige Engagementquoten
unter jungen Menschen ab. Zu den Ursa­
chen zählen nach diesen Untersuchungen
eine gestiegene räumliche Mobilität und
geringere zeitliche Freiräume durch Ver­
änderungen im Zeitregime von Schule
und Studium (zum Beispiel durch Ganz­
tagsschulen). Bei den älteren Menschen
ab 60 Jahren gab es eine kontinuierliche
Steigerung des Engagements. Dies ist
Ausdruck eines aktiven Alterns und einer
Zunahme des lebenslangen Lernens.
Weitere Aspekte wie ein höherer Bil­
dungsabschluss oder eine Erwerbstätig­

377
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.5 / Zivilgesellschaftliches Engagement

keit, männliches Geschlecht, ein Wohnort 9.5.3 Gering organisations­ Schule und Kindergarten, Gesundheit so­
in den alten Bundesländern oder auf dem gebundenes Engagement wie Soziales, die allgemein stärker durch
Land, aber auch die enge kirchliche Bin­ Neben dem organisationsgebundenen En­ ein weibliches Engagement geprägt sind.
dung, das Vorhandensein von Kindern im gagement, also jenem in den zivilgesell­ Unterschiede bestehen auch zwischen
Haushalt, die Mitgliedschaft in einer Orga­ schaftlichen Organisationen, finden auch den Altersgruppen: Das Engagement in
nisation sowie eine gute wirtschaftliche in anderen Zusammenschlüssen Aktivitä­ geringer organisationsgebundenen Kon­
Situation sind noch immer wichtige Fak­ ten des freiwilligen Engagements statt. Es texten wird besonders von jungen Men­
toren, die mit einem höheren Engagement handelt sich dabei um ein geringer organi­ schen gelebt. Personen im Alter von 14 bis
einhergehen. sationsgebundenes Engagement, das in 29 Jahren engagierten sich im Jahr 2014
Das Engagement verteilt sich unter­ Selbsthilfegruppen, der Nachbarschafts­ zu 18 % in der Nachbarschaftshilfe, in In­
schiedlich auf einzelne Bereiche, wobei es hilfe, Initiativen, Projekten, selbstorgani­ itiativen, Projekten, selbstorganisierten
sich entsprechend allgemeiner Entwick­ sierten Gruppen und auch allein erfolgt. Gruppen und »allein«; die 60-Jährigen
lungen und gesellschaftlicher Rahmen­be­ Die beiden Engagementformen unter­ und Älteren verzeichneten im Zeitverlauf
ding­u ngen verändert. Nach Angaben aus scheiden sich vor allem in organisatori­ aber ebenfalls deutliche Zuwächse in den
den Zeitbudgeterhebungen des Statisti­ scher Hinsicht. Das Engagement in gerin­ genannten Formen: 2009 waren 12 % in
schen Bundesamtes engagierten sich die ger formalisierten Zusammenschlüssen loseren Zusammenschlüssen engagiert,
meisten Personen ab einem Alter von folgt häufig keinen so festen Regeln und im Jahr 2014 waren es 16 %. Die Ergebnis­
10 Jahren in den Vergleichsuntersuchun­ hierarchischen Strukturen, wie sie zum se im Zeitverlauf zeigen, dass sich die Dis­
gen von 2001/2002 und 2012/2013 in den Beispiel im Sport oder in Wohlfahrtsorga­ krepanz zwischen Jung und Alt verringert
Bereichen Kirche und religiöse Gemein­ nisationen zu finden sind. Die Engagierten hat. Die größeren Freiheitsgrade und
schaften, Sport, im sozialen Bereich und bestimmen selbstständig über Ziele oder Spielräume, die dieses Engagement bietet,
in Schule / Kindergarten. Der Anteil enga­ Aktivitäten, da bestimmte Gremien wie sind mittlerweile sowohl für jüngere als
gierter Personen ist nach den Angaben Vorstände fehlen. Einer geringeren Konti­ auch ältere Menschen attraktiv.
aus den Analysen zur Zeitverwendung nuität und Planbarkeit des Engagements Betrachtet man das gering organisa­
besonders im Bereich Kultur und Musik stehen dabei größere Spielräume für Krea­ tionsgebundene Engagement nach Bil­
um fast die Hälfte gesunken. In Relation tivität und Improvisation gegenüber. dungsgruppen, fällt zwischen 1999 und
zur Zunahme an Kulturvereinen ist diese Das Engagement »allein«, in Selbst­ 2014 eine Angleichung zwischen den
Entwicklung Ausdruck für ein stetiges hilfegruppen, in der Nachbarschaftshilfe, Gruppen in dieser Beteiligungsform auf.
Wachstum des eher kleinteiligen Enga­ in Initiativen, in Projekten und in selbst­ Auf allen Bildungsniveaus waren 2014
gements. Während das Engagement in organisierten Gruppen hat in den letzten rund 16 % unabhängig von etablierten
etablierten Kulturorganisationen stark Jahren leicht zugenommen. Im Jahr 1999 Organisationsstrukturen engagiert. Of­
nachlässt, engagieren sich Menschen in waren 14 % der Bevölkerung in geringer fenbar bieten die Nachbarschaftshilfe,
neu gegründeten Vereinen. Das Engage­ organisationsgebundenen Zusammen­ ­I nitiativen, Projekte, selbstorganisierte
ment im Sport sowie im kirchlichen und schlüssen aktiv, 2014 waren es bereits Gruppen und das Engagement allein
religiösen Bereich ging weniger stark zu­ 16 %. Dabei war das weniger formalisierte ­Engagementzugänge und Möglichkeiten,
rück. Im sozialen Bereich wie beispiels­ Engagement bei einigen gesellschaftli­ die weniger als zivilgesellschaftliche
weise bei den Wohlfahrtsverbänden, in chen Gruppen stärker ausgeprägt als bei ­O r­ganisationen nach dem Bildungshin­
den Bereichen Umwelt- und Tierschutz, anderen. tergrund der Menschen unterscheiden.
Schule und Kindergarten sowie bei den Auffällig bei dem geringer organisati­ Verändert hat sich ebenfalls die Bedeu­
Rettungsdiensten und bei der Feuerwehr onsgebundenen Engagement sind die Un­ tung des Erwerbsstatus beim gering or­
engagierten sich hingegen mehr Perso­ terschiede zwischen Frauen und Män­ ganisationsgebundenen Engagement.
nen. Die Ursachen für die Veränderun­ nern. Frauen engagierten sich 2014 auf 2014 wurde diese Engagementform mit
gen sind vielfältig. Die Tendenz, dass diese Weise zu 18 %, Männer trotz An­ 24 % überdurchschnittlich von Arbeits­
­E ltern immer mehr das Geschehen in stieg dagegen nur zu 14 %. Damit ist das losen ausgeübt. Für sie können die Flexi­
­Bildungs- und Betreuungseinrichtungen Geschlechterverhältnis umgekehrt als bei bilität in den Aktivitäten, die Wohnnähe,
mitgestalten wollen, kann zu ihrer zu­ der Engagementbeteiligung insgesamt. die Einbindung in vertraute Sozialräume
nehmenden Mitwirkung als Elternvertre­ Der geschlechtsspezifische Unterschied in sowie keine oder nur geringe Kosten be­
ter oder in einem Förderverein führen. Bezug auf dieses Engagement erklärt sich sonders zu ihrer gegenwärtigen Lage
Eine stärkere den elektronischen Medien anhand der Aktivitätsbereiche, in denen passend sein.
zugewandte Kulturrezeption kann eine das geringer organisationsgebundene Ein Vergleich zwischen Ost- und
Ursache für den Engagementrückgang im ­Engagement stattfindet. Hierbei handelt Westdeutschland zeigt, dass bei dem En­
Bereich Kunst und Kultur sein. es sich in erster Linie um die Bereiche gagement in der Nachbarschaftshilfe, in

378
Zivilgesellschaftliches Engagement / 9.5 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

u Tab 2 Spenden 1999 – 2014 — in Prozent schnitt noch immer um 9 Prozentpunkte


1999 2004 2009 2014
höher als jene der Ostdeutschen. Die ge­
schlechtsspezifischen Unterschiede im
Insgesamt 63 64 58 54
Spendenverhalten zeigen – das belegen
Geschlecht
ebenfalls alle Untersuchungen –, dass
Männer 62 62 56 52
Frauen in Deutschland zu einem leicht
Frauen 65 66 60 57
höheren Anteil spenden. Für die unter­
Alter
schiedliche Spendenbeteiligung beider
14 – 29 Jahre 43 38 33 32
Geschlechter wird oft die durchschnitt­
30 – 59 Jahre 67 66 59 54
lich längere Lebenserwartung von Frauen
ab 60 Jahren 75 78 74 71
verantwortlich gemacht, da ältere Perso­
Erwerbsstatus
nen häufiger spenden als jüngere.
Erwerbstätige 65 66 60 55
Mit zunehmendem Alter wächst die
Arbeitslose 46 44 29 28
Spendenbeteiligung. Besonders gering
Schüler /-innen, Auszubildende /
Studierende
41 36 30 30 fallen die Geldspendenanteile bei den Be­
fragten im Alter von 14 bis 29 Jahren aus.
Hausfrauen und -männer 70 70 58 60
Rentner /-innen, Pensionäre 74 77 74 70
In dieser Gruppe spendete nach Angaben
Bildungsniveau ¹
des Freiwilligensurveys 2014 nur knapp
einfaches Bildungsniveau 61 62 54 50
jeder Dritte. Viele Menschen beginnen
mittleres Bildungsniveau 62 65 60 53
offensichtlich erst im mittleren Alter mit
hohes Bildungsniveau 71 71 67 61
dem Spenden. In der Altersgruppe ab
Region
60 Jahren steigt die Spendenbereitschaft
Ost 54 52 49 47
drastisch an. Gleichwohl lässt sich über
West 66 67 61 56
den betrachteten Zeitraum ein Rückgang
der Spendenbeteiligung bei den Älteren
1 E
 infaches Niveau: kein beziehungsweise Volks- oder Hauptschulabschluss, Abschluss 8. Klasse;
mittleres Niveau: mittlere und Fachhochschulreife, Abschluss 10. Klasse; feststellen. Bei den Gründen für den
hohes Niveau: Abitur/Hochschulreife beziehungsweise abgeschlossenes Hochschulstudium.
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999, 2004, 2009, 2014. deutlichen Einfluss des Alters auf das
Spendenverhalten geht der soziale Gene­
rationenansatz davon aus, dass Men­
schen gleichen Alters zu einem ähnlichen
Verhalten tendieren, da sie ähnliche Er­
Initiativen, Projekten, selbstorganisierten sie in der Regel an Bedürftige weiterlei­ fahrungen in ihrer Kindheit (zum Bei­
Gruppen und allein regionale Unterschie­ ten oder damit ausgewählte Projekte spiel Krieg, Solidarität) gemacht haben.
de bestehen, die jedoch abgenommen ha­ ­fi nanzieren. Sozioökonomische Erklärungsansätze
ben: In Ostdeutschland (18 %) war dieses Nach den Angaben des Freiwilligen­ führen die größere Spendenbereitschaft
Engagement zuletzt etwas stärker ausge­ surveys spendet ein beachtlicher Anteil älterer Personen hingegen eher auf deren
prägt als in Westdeutschland (16 %). Die der Bevölkerung in Deutschland. Wäh­ höheres und gesichertes Einkommen, das
Unterschiede zwischen Ost- und West­ rend 1999 und 2004 deutlich mehr als angesammelte Vermögen sowie damit
deutschland sind zum Teil auf das Enga­ 60 % der über 14-Jährigen angaben, in insgesamt auf deren bessere wirtschaft­
gement von arbeitslosen Personen, deren den letzten zwölf Monaten für soziale liche Situation zurück. Insofern kann der
Anteil in Ostdeutschland noch immer be­ oder gemeinnützige Zwecke gespendet zu Rückgang der Spendenbeteiligung bei
deutend höher ist, zurückzuführen. haben, ging dieser Anteil 2009 auf 58 % den Älteren durchaus mit Veränderun­
und 2014 weiter auf 54 % zurück. u Tab 2 gen ihrer wirtschaftlichen Situation zu­
9.5.4 Spenden Andere Erhebungen gelangen zu ge­ sammenhängen.
Neben dem Spenden von Zeit engagieren ringeren Spenderanteilen. Das Sozio- Wie schon das zeitgebundene zivilge­
sich Menschen durch das Spenden von oekonomische Panel (SOEP) ermittelte sellschaftliche Engagement beeinflussen
Geld für gemeinwohlorientierte Zwecke. einen Anteil von 47 % der Bundesbürge­ Bildungsmerkmale auch das Spendenver­
Spenden sind ein freiwilliger finanzieller rinnen und -bürger, die 2014 spendeten. halten gravierend. Zu einem besonders
Transfer, bei dem der Spender keine Nicht alle Bevölkerungsgruppen be­ hohen Anteil spenden Personen mit
äquivalente materielle Gegenleistung teiligen sich in gleichem Maße an Spen­ ­einem hohen Bildungsniveau Geld, wäh­
­erhält. Die Spenden gehen zumeist an zi­ denaktivitäten. Die Spendenbeteiligungs­ rend die Spenderquote bei einem einfa­
vilgesellschaftliche Organisationen, die quote der Westdeutschen ist im Durch­ chen Bildungsniveau geringer ausfällt.

379
9 / Politische und gesellschaftliche Partizipation 9.5 / Zivilgesellschaftliches Engagement

u Abb 5 Engagement im Umfeld Geflüchteter seit 2015 — in Prozent sammenhangs zwischen Einkommen
und Spendenverhalten wird oft angeführt,
dass höherer Wohlstand den Personen
die Möglichkeit bietet, einen Teil ihres
mindestens eine der 32 Vermögens anderen Menschen oder Pro­
Engagementformen 38
jekten zukommen zu lassen, ohne selbst
in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu ge­
6
Engagement vor Ort raten oder Verzicht leisten zu müssen.
12
Menschen mit hohem Einkommen ver­
Geld-/ Sachspenden
28 kraften demnach eine finanzielle Förde­
33 rung gemeinnütziger Zwecke leichter und
Demonstrationen /
dementsprechend nimmt die Spenden­
5
Unterschriftenaktionen
9
freudigkeit mit steigender Prosperität zu.
zur Thematik
Im Zeitvergleich zeigen sich nicht nur
Unterschiede in der Spenderquote, son­
Engagement seit 2015 künftig geplantes Engagement dern auch hinsichtlich der Spendenhöhe
bei einzelnen Spendern. Während 1999
Datenbasis: SOEP 2016, Version 33.1, gewichtete Werte. nach Angaben des Freiwilligensurveys
67 % der jährlichen Spendenbeträge bis
zu 100 Euro betrugen, waren es 2014 mit
59 % deutlich weniger. Hingegen hatten
Beträge von über 500 Euro 1999 einen
u Tab 3 Engagement im Umfeld Geflüchteter seit 2015 nach allgemeinem Anteil von 8 %. Dieser Anteil stieg 2014
Engagement und Spenden in Vorjahren — in Prozent auf 10 %. Es zeigt sich generell in den Un­
tersuchungen, dass weniger Personen
Demons-­
Mindestens spenden, diese dafür aber einen höheren
trationen /
Engagement Geld- / eine der
Unterschriften­ Betrag geben.
vor Ort Sachspenden Engagement-
aktionen zur
formen
Thematik
9.5.5 Zivilgesellschaftliches
Beteiligung an
dieser Engagement­- 6 28 5 32
Engagement für Geflüchtete
form insgesamt Zivilgesellschaftliches Engagement spielt
eine große Rolle bei der Integration von
Ehrenamt
11 42 8 47 Menschen aus anderen Kulturen und ins­
2013 und 2015
besondere bei der Integration von Ge­
Ehrenamt
6 34 7 38 flüchteten. Das zeigt sich besonders im
nur 2015
Hinblick auf die hohe Zahl an Geflüchte­
Ehrenamt
5 28 6 33 ten, die Deutschland seit 2015 erreichten.
nur 2013
Nach aktuellen Ergebnissen des SOEP im
Kein Ehrenamt,
3 21 4 24 Befragungsjahr 2016 gaben 32 % der Be­
weder 2013 noch 2015
fragten an, sich seit 2015 in mindestens
Spenden
8 39 7 43
2014 einer freiwilligen Tätigkeit für Geflüchte­
te engagiert zu haben. Geld- und Sach­
Datenbasis: SOEP 2013, 2015 & 2016, Version 33.1, gewichtete Werte.
spenden stellten hierbei die häufigsten
Engagementformen dar (28 %). Weitaus
weniger häufig wurde ein Engagement
Der Erwerbsstatus beeinflusst eben­ Dies ist offensichtlich Ausdruck ihrer all­ vor Ort – zum Beispiel die Begleitung bei
falls die Spendenbereitschaft. Arbeitslose gemeinen Lebenssituation und der guten Behördengängen oder in der Sprachför­
spenden erklärtermaßen aus ihrer wirt­ wirtschaftlichen Absicherung eines gro­ derung (6 %) – sowie in Form der Teil­
schaftlichen Situation heraus seltener als ßen Teils dieser sozialen Gruppe. nahme an Demonstrationen und Beteili­
Erwerbstätige. Nichterwerbstätige, zu Insgesamt geht also ein nachhaltiger gung an Unterschriftenaktionen genannt
­denen besonders Personen im Rentenalter Einfluss vom Einkommen auf das Spen­ (5 %). Es wurde weiterhin erhoben, ob die
gehören, haben die höchste Spenderquote. denverhalten aus: Zur Erklärung des Zu­ Befragten sich vorstellen könnten, künftig

380
Zivilgesellschaftliches Engagement / 9.5 Politische und gesellschaftliche Partizipation / 9

in den oben angeführten Formen a­ ktiv spenden für Geflüchtete wird die Bedeu­
zu werden. Insgesamt planten 38 % der tung eines Engagements noch deutlicher:
Befragten, sich in Zukunft an mindestens 34 % derjenigen, die nur 2015 ehrenamt­
einer der genannten Engagementformen lich aktiv waren, und sogar 42 % derjeni­
zu beteiligen. Ein Drittel der Befragten gen, die 2013 und 2015 aktiv waren, spen­
gab an, in Zukunft Geld- und Sachspen­ deten Geld- und Sachgüter. Auch das
den für Gef lüchtete leisten zu wollen. Spenden für wohltätige Zwecke im vor­
12 % planten, künftig vor Ort mit Ge­ angegangenen Jahr (2014) stand im engen
flüchteten zu arbeiten, und 9 % konnten Zusammenhang mit einem Engagement
sich eine Beteiligung an Demonstratio­ in Form von Spenden für Gef lüchtete
nen oder Unterschriftenaktionen zur (39 %). Das Engagement mit Geflüchte­
Flüchtlingsthematik vorstellen. Bei Letz­ tenbezug in Form von Demonstrationen
teren kann es sich sowohl um Aktivitäten oder Unterschriftenaktionen fiel eben­
zur Unterstützung von Geflüchteten han­ falls höher aus, wenn bereits ein Engage­
deln als auch um Aktivitäten, die der ment im Vorjahr und darüber hinaus
Ablehnung von Gef lüchteten Ausdruck ausgeübt wurde (8 %). Weiterhin wird er­
verleihen sollen. u Abb 5 sichtlich, dass in Reaktion auf die Her­
Überdurchschnittlich häufig enga­ ausforderungen, die mit der Zuwande­
gierten sich Personen für Geflüchtete, die rung von Geflüchteten nach Deutschland
bereits in der Vergangenheit ein Engage­ einhergehen, ein nennenswertes Engage­
ment in der Gesellschaft übernommen mentpotenzial mobilisiert wurde. So enga­
hatten. So engagierten sich 47 % der Per­ gierten sich 43 % der Personen, die in den
sonen, die bereits 2013 und 2015 ehren­ Vorjahren nicht ehrenamtlich aktiv wa­
amtlich aktiv gewesen waren, seit 2015 in ren, seit 2015 in mindestens einer Form
mindestens einer der angegebenen For­ mit Bezug auf Gef lüchtete. Besonders
men für Geflüchtete. 11 % jener, die be­ häufig leistete dieser Personenkreis Geld-
reits 2013 und 2015 ein ehrenamtliches und Sachspenden (21 %). Die Ergebnisse
Engagement ausgeübt hatten, engagierten zeigen jedoch, dass es insbesondere jene
sich seit 2015 vor Ort für Geflüchtete, bereits vorher ehrenamtlich engagierten
während diese Engagementform insge­ Personen sind, die mit einem verstärkten
samt lediglich 6 % der Bevölkerung aus­ Engagement auf aktuell aufkommende
übten. Im Hinblick auf Geld- und Sach­ Herausforderungen reagieren. u Tab 3

381
10
Werte und
Einstellungen
10.1 Die Herstellung gleichwertiger Lebens-
verhältnisse in Ost- und Westdeutsch-
onen subjektiven Wohlbefindens: zum
e­ inen das vielfach auch als »emotionales«
Lebenszufrieden- land zählt zu den anspruchsvollsten Zie- Wohlbefinden bezeichnete »Glücklich-
heit und Sorgen len politischer Regierungsverantwortung.
Auch nunmehr 28 Jahre nach der deut-
Sein«, das den aktuellen Moment, den
­Tagesdurchschnitt oder, wie im Sozio-
schen Vereinigung gilt es bei der Ver- oekonomischen Panel (SOEP) erhoben,
Clara Hoffmann, Jürgen Schupp wirklichung dieses Ziels nicht nur, die den Durchschnitt der letzten vier Wochen
DIW Berlin objektiven Lebensbedingungen in ver- erfasst. Zum anderen gibt es das »kogni-
schiedenen Lebensbereichen anzugleichen, tive« Wohlbefinden, bei dem »Glücklich-
sondern ebenso das subjektive Wohlbe- Sein« eher als dauerhaftes Empfinden
WZB / SOEP
finden der Menschen im Blick zu behalten. und als Grad der Zufriedenheit mit dem
Schließlich prägen erst beide Dimensionen eigenen Leben und der Erfüllung eigener
zusammengenommen die Lebensqualität Erwartungen bewertet wird. Schließlich
in der Gesellschaft. existiert noch eine dritte Dimension von
Das subjektive Wohlbefinden der in Wohlbefinden, die weniger auf spezifische
Deutschland lebenden Menschen umfasst Aspekte des Lebens abzielt, als vielmehr
sowohl den Grad der empfundenen allge- auf den Grad des »Erfüllt-Seins« verweist.
meinen Lebenszufriedenheit als auch das Damit verbunden ist die Frage, ob das,
Maß an Zufriedenheit in bestimmten Le- was ich mit meinem Leben mache, auch
bensbereichen, zum Beispiel mit der Wohn- wertvoll und nützlich ist.
situation, der Freizeit, der Arbeit und der Lebensqualität umfasst daneben auch
Gesundheit, sowie Sorgen angesichts der negative Gesichtspunkte wie Sorgen um
Entwicklung der Kriminalität und um persönliche Perspektiven, zum Beispiel
den Frieden. In solchen Indikatoren des die eigene wirtschaftliche Situation, Ge-
subjektiven Wohlbefindens spiegeln sich sundheit und Sicherheit des Arbeitsplat-
die Diskrepanzen zwischen eigenem An- zes. Umgekehrt charakterisiert das Feh-
spruch und Wirklichkeit sowie eine Bewer- len von Sorgen ebenfalls ein Element von
tung des bislang Erreichten wider. positivem Wohlbefinden. In der Regel
Die Glücksforschung, deren Bedeu- werden Sorgen nicht als Globalmaß kon-
tung in den letzten Jahren sowohl inner- zeptualisiert, sondern auf einzelne Lebens-
halb der Wissenschaften als auch in öf- bereiche oder spezifische Themen- und
fentlichen Debatten enorm gewachsen ist, Handlungsfelder bezogen. Dabei spielen
unterscheidet drei verschiedene Dimensi- auch unterschiedliche Aspekte einer Ge-

383
10 / Werte und Einstellungen 10.1 / Lebenszufriedenheit und Sorgen

sellschaft, wie die allgemeine wirtschaftli- schen Ost- und West noch weiter: Wäh- ten wie im Osten zeitgleich auf und die
che Entwicklung, der Frieden, der Schutz rend in Westdeutschland eine leichte Zu- Niveaus der Lebenszufriedenheit näher-
der Umwelt oder die Folgen des Klima- nahme der mittleren Lebenszufriedenheit ten sich weiter an. Im Jahr 2010 erreichte
wandels zur Bewertung des subjektiven in den ersten Jahren nach der deutschen die mittlere Lebenszufriedenheit in Ost-
Wohlbefindens eine Rolle. Vereinigung zu verzeichnen war, brach deutschland ein Niveau, das sechs Jahre
sie in Ostdeutschland im Jahr 1991 in­ zuvor in Westdeutschland festzustellen
10.1.1 Allgemeine Lebens­ folge der abrupten Veränderungen der war. In den folgenden Jahren war bis
zufriedenheit und Zufriedenheit Lebensbedingungen und der damit ver- 2016 in West- und vor allem in Ost-
mit Lebensbereichen bundenen Herausforderungen, vor allem deutschland ein vergleichsweise stärkerer
Im Jahr 2016 waren die Menschen in am Arbeitsmarkt, deutlich ein. Die Kluft Anstieg der allgemeinen Lebenszufrie-
West- und Ostdeutschland im Durch- der Lebenszufriedenheit zwischen Ost denheit zu beobachten. Offenbar konnten
schnitt zufriedener mit ihrem Leben als und West war gemäß den Analysen des die ansteigenden Sorgen angesichts der
zu jedem anderen Zeitpunkt nach der SOEP im Jahr 1991 am größten. u Abb 1 Zuwanderung sowie politischer und öko-
Vereinigung. Menschen in Ostdeutsch- Anschließend erfolgte eine Annähe- nomischer Krisen das Wohlbefinden der
land waren aber, auch mehr als 26 Jahre rung der Lebenszufriedenheit in Ost- Menschen hierzulande nicht nachhaltig
nach der Vereinigung, weniger zufrieden und Westdeutschland. Während der Jah- trüben. Trotzdem bleibt festzuhalten,
mit ihrem Leben als Menschen in West- re 2004 und 2005 vertiefte sich die Kluft dass der Unterschied im durchschnitt­
deutschland. 1990 lag das Niveau der Le- dann nochmals. Seitdem entwickelte sich lichen Niveau der Lebenszufriedenheit
benszufriedenheit in Ostdeutschland die mittlere Lebenszufriedenheit in bei- zwischen den Bevölkerungen in West-
deutlich unter dem des Westens. Im Folge- den Landesteilen nahezu gleichförmig. und Ostdeutschland noch immer signifi-
jahr vergrößerte sich die Differenz zwi- Hoch- und Tiefpunkte tauchten im Wes- kant ist. Dies bestätigen auch multivariate

u Abb 1 Mittlere Lebenszufriedenheit in West- und Ostdeutschland 1984 – 2016

Abbildung 1: Mittlere Lebenszufriedenheit1 in Deutschland

11. September
rot-grüne 2001, Agenda Große
Tschernobyl Wiedervereinigung Koalition Afghanistankrieg 2010 Koalition Finanzkrise Fukushima

7,8

7,6

7,4

7,2

7,0

6,8

6,6

6,4

6,2
1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Westdeutschland 95-prozentiges Konfidenzintervall West Ostdeutschland 95-prozentiges Konfidenzintervall Ost

Gemessen auf einer Skala von 0 »vollkommen unzufrieden« bis 10 »vollkommen zufrieden«, um Wiederholungsbefragungs-Effekte korrigierte Schätzung.
Datenbasis: SOEP v33. Abbildung nach Maximilian Priem/Jürgen Schupp, Alle Zufrieden – Lebensverhältnisse in Deutschland, DIW Wochenbericht Nr. 40, S. 1001–1008, 2014, ergänzt um die Jahre 2014–2016.

¹ Gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10 "vollkommen zufrieden", um Wiederholungsbefra-
gungs-Effekte korrierte Schätzung.

Datenbasis: SOEP v33.


384
Lebenszufriedenheit und Sorgen / 10.1 Werte und Einstellungen / 10

Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹


in Ost- und Westdeutschland 1990–2016
Analysen, die für weitere soziodemogra­ u Abb 2 Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten
fische Unterschiede von West- und Ost- in West- und Ostdeutschland 1990 – 2016
deutschen kontrollieren.
Differenziert nach acht verschiedenen Zufriedenheit mit dem eigenen Lebensstandard

Lebensbereichen war im Jahr 2016 das 8

durchschnittliche Zufriedenheitsniveau
7
in Ostdeutschland in den meisten Berei-
chen niedriger als in Westdeutschland.
6
Besonders stark ausgeprägt waren die
Unterschiede bei der Zufriedenheit mit
5
dem Haushaltseinkommen, dem eigenen Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹
Einkommen und der Gesundheit. Aber 4
in Ost- und Westdeutschland 1990–2016
auch die Arbeitszufriedenheit sowie die 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
Zufriedenheit mit der eigenen Wohnung Westdeutschland Ostdeutschland
waren in Ostdeutschland noch signifi-
Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit
kant geringer als in Westdeutschland. Im
8
Bereich der Freizeit erfolgte eine völlige
Angleichung der Zufriedenheit. In den
7
Jahren 2015 und 2016 waren diesbezüg-
lich keine signifikanten Unterschiede 6
mehr festzustellen. u Abb 2
1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
Die Zufriedenheit mit den Möglich- 5 "vollkommen zufrieden".
keiten der Kinderbetreuung ist der einzige Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹
in Ost-
Datenbasis: undv33.
SOEP Westdeutschland
Die Auswertung1990–2016
der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
Bereich, in dem die Lebenszufriedenheit 4 wurden auf Basis von Priem und Schupp (2015) auf Basis des SOEP v33 statt v30 repliziert und
in Ostdeutschland die in Westdeutsch- um die Jahre
1990 19922015,
19942016 ergänzt.
1996 2008 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

land übersteigt. Nur in 4 der 20 erfassten Westdeutschland Ostdeutschland


Jahre lag die Zufriedenheit mit der Kin- Zufriedenheit mit der eigenen Wohnung
derbetreuung in Westdeutschland über 8
dem Niveau in Ostdeutschland. Von 2005
bis 2016 wies Ostdeutschland konstant 7
ein höheres Zufriedenheitsniveau in die-
ser Kategorie auf. 6

Am deutlichsten glichen sich in den 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
letzten zehn Jahren die Niveaus der Zu- 5 "vollkommen zufrieden".

friedenheit mit der Arbeit, dem eigenen Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
4
Einkommen und dem Haushalteinkom- wurden auf Basis von Priem und Schupp (2015) auf Basis des SOEP v33 statt v30 repliziert und
1990
um die Jahre 19942016
19922015, 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
ergänzt.
men an. Die Zufriedenheit mit der Woh-
Westdeutschland Ostdeutschland
nung, bei der es zu Beginn der 1990er-
Zufriedenheit mit dem eigenen Einkommen
Jahre starke Unterschiede gab, hatte sich
8
bereits 2006 fast angeglichen. In den letz-
ten zehn Jahren halbierte sich diese Dif-
7
ferenz nochmals, was in ähn­l icher Weise
auch für die Zufriedenheit mit dem 6
Haushaltseinkommen zutrifft.
2016 lag die höchste durchschnittliche 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
5 "vollkommen zufrieden".
Zufriedenheit im Bereich der Wohnung
(7,96 im Westen und 7,81 im Osten) und Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
4
wurden auf Basis von Priem und Schupp (2015) auf Basis des SOEP v33 statt v30 repliziert und
die niedrigste bei der Zufriedenheit mit 1990
um die Jahre 19942016
19922015, 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
ergänzt.
dem persönlichen Einkommen (6,52 im Westdeutschland Ostdeutschland
Westen und 6,12 im Osten). Dabei reichte
die Skala von 0 (vollkommen unzufrie- Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 »vollkommen unzufrieden« bis 10 »vollkommen zufrieden«.
Datenbasis: SOEP v33. Abbildung nach Priem/Schupp (siehe Abb 1), ergänzt um die Jahre 2014–2016 sowie
den) bis 10 (vollkommen zufrieden). den Indikator zum eigenen Einkommen.

385
10 / Werte und Einstellungen 10.1 / Lebenszufriedenheit und Sorgen

Verlauf
Verlauf der
der mittleren
mittleren Bereichszufriedenheiten
Bereichszufriedenheiten ¹¹
in
in Ost-
Ost- und
und Westdeutschland
Westdeutschland 1990–2016
1990–2016
u Abb 2 (Fortsetzung) Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten 10.1.2 Sorgen in persönlichen
in West- und Ostdeutschland 1990 – 2016 Bereichen
Im Folgenden blicken wir auf die negati-
Zufriedenheit
Zufriedenheit mit
mit der
der eigenen
eigenen Freizeit
Freizeit ven Komponenten des subjektiven Wohl-
88 befindens und unterscheiden dabei zwi-
schen den Sorgen in persönlichen und öf-
77 fentlichen Bereichen.
Bei den persönlichen Belangen wie
66 der eigenen wirtschaftlichen Situation,
der eigenen Gesundheit, dem eigenen Ar-
55 beitsplatz bei Erwerbstätigen sowie der
Verlauf
Verlauf der
der mittleren
mittleren Bereichszufriedenheiten
Bereichszufriedenheiten ¹¹
in
in Ost-
Ost- und
und Westdeutschland
Westdeutschland 1990–2016
1990–2016 eigenen Altersvorsorge zeigt sich, dass
44
der Anteil derer, die große Sorgen hatten,
1990
1990 1992
1992 1994
1994 1996
1996 1998
1998 2000
2000 2002
2002 2004
2004 2006
2006 2008
2008 2010
2010 2012
2012 2014
2014 2016
2016
in Ostdeutschland durchgängig etwas
Westdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
Ostdeutschland
höher lag als in Westdeutschland. u Abb 3
Zufriedenheit
Zufriedenheit mit
mit den
den Möglichkeiten
Möglichkeiten der
der Kinderbetreuung
Kinderbetreuung
Der Anteil derer mit großen Sorgen
88
um den eigenen Arbeitsplatz und um die
eigene wirtschaftliche Situation war in
77
den Jahren 2004 und 2005 in West- und
66
Ostdeutschland am höchsten. So gaben
2005 in Westdeutschland rund 19 % der
11 Gewichtete
Gewichtete Werte,
55 "vollkommen
Werte, gemessen
gemessen auf
auf einer
einer Skala
Skala von
von 00 "vollkommen
"vollkommen unzufrieden"
unzufrieden" bis
bis 10
10 Erwerbstätigen an, sich große Sorgen um
"vollkommen zufrieden".
zufrieden".
Verlauf
Verlauf der
der mittleren
mittleren Bereichszufriedenheiten
Bereichszufriedenheiten ¹¹ die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes
in
in Ost-
Ost- und
und Westdeutschland
Westdeutschland 1990–2016
1990–2016
Datenbasis:
Datenbasis: SOEP
SOEP v33.
v33. Die
Die Auswertung
Auswertung derder Zufriedenheit
Zufriedenheit inin öffentlichen
öffentlichen und
und privaten
privaten Bereichen
Bereichen zu machen. In Ostdeutschland lag der
44
wurden
wurden auf
auf Basis
Basis von
von Priem
Priem und
und Schupp
Schupp (2015)
(2015) auf
auf Basis
Basis des
des SOEP
SOEP v33v33 statt
statt v30
v30 repliziert
repliziert und
und
um1990
1990
um die 1992
1992
die Jahre 1994
1994
Jahre 2015,
2015, 20161996
1996 1998
1998
2016 ergänzt.
ergänzt. 2000
2000 2002
2002 2004
2004 2006
2006 2008
2008 2010
2010 2012
2012 2014
2014 2016
2016 Anteil bei mehr als einem Drittel (35 %).
Westdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
Ostdeutschland Seitdem sank in beiden Landesteilen der
Zufriedenheit
Zufriedenheit mit
mit der
der eigenen
eigenen Gesundheit
Gesundheit Anteil der Erwerbstätigen mit großen
88 Sorgen nahezu jährlich, in Ostdeutsch-
land stärker als in Westdeutschland.
77 ­Dieser Trend ging einher mit der Arbeits-
losenquote, die 2005 mit 11,7 % einen
66 ­Höhepunkt erreichte, dann jährlich an-
11 Gewichtete
Gewichtete Werte,
Werte, gemessen
gemessen auf
auf einer
einer Skala
Skala von
von 00 "vollkommen
"vollkommen unzufrieden"
unzufrieden" bis
bis 10
10
nähernd stetig sank und sich bis 2016 fast
55 "vollkommen
"vollkommen zufrieden".
zufrieden". halbiert hatte (siehe Kapitel 5.1, Seite 161,
Datenbasis:
Datenbasis: SOEP
SOEP v33.
v33. Die
Die Auswertung
Auswertung der
der Zufriedenheit
Zufriedenheit in
in öffentlichen
öffentlichen und
und privaten
privaten Bereichen
Bereichen
Tab 5). Entsprechend hatten im Jahr 2016
44
wurden
wurden auf
auf Basis
Basis von
von Priem
Priem und
und Schupp
Schupp (2015)
(2015) auf
auf Basis
Basis des
des SOEP
SOEP v33v33 statt
statt v30
v30 repliziert
repliziert und
und nur noch 6 % der Erwerbstätigen in West-
1990
1990
um
um die 1992
1992
die Jahre 1994
1994
Jahre 2015, 1996
1996
2015, 2016 1998
1998
2016 ergänzt.
ergänzt. 2000
2000 2002
2002 2004
2004 2006
2006 2008
2008 2010
2010 2012
2012 2014
2014 2016
2016
deutschland und 8 % in Ostdeutschland
Westdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
Ostdeutschland
große Sorgen um den eigenen Arbeits-
Zufriedenheit
Zufriedenheit mit
mit dem
dem Haushaltseinkommen
Haushaltseinkommen
platz. Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich
88
bei der Entwicklung der eigenen wirt-
schaftlichen Situation.
77
Einen völlig anderen Verlauf nahmen
66
hingegen die Sorgen um die eigene Ge-
sundheit, die im SOEP seit 1999 jährlich
11 Gewichtete
Gewichtete Werte,
55 "vollkommen
Werte, gemessen
gemessen auf
auf einer
einer Skala
Skala von
von 00 "vollkommen
"vollkommen unzufrieden"
unzufrieden" bis
bis 10
10 erfragt werden. Hier hatten in West-
"vollkommen zufrieden".
zufrieden".
deutschland im Jahr 2005 etwa 15 % große
Datenbasis:
Datenbasis: SOEP
SOEP v33.
v33. Die
Die Auswertung
Auswertung der
der Zufriedenheit
Zufriedenheit in
in öffentlichen
öffentlichen und
und privaten
privaten Bereichen
Bereichen Sorgen. Dieser Anteil stieg bis zum Jahr
44
wurden
wurden auf
auf Basis
Basis von
von Priem
Priem und
und Schupp
Schupp (2015)
(2015) auf
auf Basis
Basis des
des SOEP
SOEP v33v33 statt
statt v30
v30 repliziert
repliziert und
und
1990
1990
um
um die 1992
1992
die Jahre 1994
1994
Jahre 2015, 1996
1996
2015, 2016 1998
1998
2016 ergänzt.
ergänzt. 2000
2000 2002
2002 2004
2004 2006
2006 2008
2008 2010
2010 2012
2012 2014
2014 2016
2016 2016 auf 18 % an. In Ostdeutschland
Westdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
Ostdeutschland ­b erichtete im Jahr 2005 hingegen ein
deutlich höherer Anteil (22 %) von gro-
Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 »vollkommen unzufrieden« bis 10 »vollkommen zufrieden«. ßen Sorgen um die eigene Gesundheit.
Datenbasis: SOEP v33. Abbildung nach Priem/Schupp (siehe Abb 1), ergänzt um die Jahre 2014–2016 sowie
den Indikator zum eigenen Einkommen. Nach einigen Schwankungen lag der An-

386
Lebenszufriedenheit und Sorgen / 10.1 Werte und Einstellungen / 10

teil der Menschen mit großen Sorgen im u Abb 3 Verlauf der Sorgen in privaten Bereichen in West- und Ostdeutschland

Jahr 2016 bei 23 %. 1990 – 2016 — Anteil großer Sorgen in Prozent


Seit 2015 wird im SOEP als weiterer
Indikator die Ausprägung persönlicher Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation
Sorgen hinsichtlich der eigenen Alters- 50
vorsorge erfragt. Während im Jahr 2015
40
in Westdeutschland gut 22 % diesbezüg-
lich große Sorgen hatten, betrug der ent- 30
sprechende Anteil in Ostdeutschland
20
etwa 28 %. Ein Jahr später, nach Einfüh-
rung der Rente mit 63 sowie der soge-Verlauf der Sorgen in10privaten Bereichen in Ost und West 1990–2016 – Anteil großer Sorgen in Prozent1
nannten Mütterrente, lag der Anteil in
0
Westdeutschland noch immer bei 22 %,
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
während er in Ostdeutschland leicht auf
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
25 % gesunken war.
Sorgen um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes
50
10.1.3 Sorgen im öffentlichen
Bereich 40
Die Sorgen hinsichtlich der allgemeinen
30
wirtschaftlichen Situation verlaufen über
die Zeit ähnlich wie die Sorgen um die 20
­eigene wirtschaftliche Situation, jedoch 1 Gewichtete Werte.
10 Datenbasis: SOEP v33.
auf einem deutlich höheren Niveau. ZumVerlauf der Sorgen in privaten Bereichen in Ost und West 1990–2016 – Anteil großer Sorgen in Prozent1
Beispiel machten sich 2009 mehr als 45 % 0
im Westen und 49 % im Osten große Sor- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

gen um die allgemeine wirtschaftliche Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
Entwicklung; um die eigene wirtschaft­ Sorgen um die eigene Altersversorgung
liche Situation machten sich jedoch nur 50
jeweils 22 % und 31 % große Sorgen. Bis
40
2016 näherten sich die Werte an, sodass
bei der allgemeinen wirtschaftlichen Ent- 30
wicklung nur noch 14 % (West) und 17 %
20
(Ost) große Sorgen hatten und bei der
­eigenen wirtschaftlichen Situation 13 % 10
(West) und 16 % (Ost). Die subjektive
0
Wahrnehmung der allgemeinen wirt- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
schaftlichen Situation scheint also ein
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
Stück weit von der persönlichen wirt-
Sorgen um die eigene Gesundheit
schaftlichen Situation entkoppelt zu sein.
50
Dabei könnte zum Beispiel die Dar­
stellung der wirtschaftlichen Situation 40
in den Medien eine Rolle spielen. Denk-
30
bar wäre auch, dass die Einschätzung der
eigenen wirtschaftlichen Situation auf- 20
grund von Ersparnissen oder potenziell 1 Gewichtete Werte.
10 Datenbasis: SOEP v33.
verfügbaren Leistungen des Sozialstaats
weniger von wirtschaftlichen Krisen be- 0
einflusst wird. u Abb 4 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016

Im Jahr 2005, als die Zahl der arbeits- Westdeutschland Ostdeutschland


los Gemeldeten bei rund 5 Millionen lag,
machte sich etwas mehr als die Hälfte Gewichtete Werte.
Datenbasis: SOEP v33. Abbildung nach Priem/Schupp (siehe Abb 1), ergänzt um die Jahre 2014–2016 sowie
(56 %) der Bevölkerung in Westdeutsch- den Indikator zur Altersversorgung.

387
10 / Werte und Einstellungen 10.1 / Lebenszufriedenheit und Sorgen

Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹


Verlauf in
der mittleren
Ost- Bereichszufriedenheiten
und Westdeutschland ¹
1990–2016
u Abb 4 inVerlauf
Ost- und der Sorgen in 1990–2016
Westdeutschland öffentlichen Bereichen land große Sorgen um die allgemeine
in West- und Ostdeutschland 1990 – 2016 — Anteil großer Sorgen in Prozent wirtschaftliche Entwicklung. In Ost-
deutschland waren es mit 63 % nahezu
Sorgen um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung zwei Drittel. Seitdem sank – mit Ausnah-
Zufriedenheit mit der eigenen Freizeit
70 me von 2009, dem Jahr der Finanz- und
8
60 Wirtschaftskrise – der Anteil derer, die
50 sich große Sorgen machten, jährlich
7
40 deutlich, bis der Anteil im Jahr 2016 in
6 30
Westdeutschland dann bei 14 % und in
Ostdeutschland bei 17 % lag.
20
5 Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹
Bei den Sorgen um die Umwelt zeigt
10
Verlauf in
der mittleren
Ost- Bereichszufriedenheiten
und Westdeutschland ¹
1990–2016 sich in den Jahren 2006 bis 2016 kein kla-
0 in Ost- und Westdeutschland 1990–2016
4
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
rer Trend. Der Anteil derer mit großen
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Sorgen bewegte sich in diesem Zeitraum
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland ­sowohl in West- wie auch in Ostdeutsch-
Sorgen um den Schutz der Umwelt
Zufriedenheit mit den Möglichkeiten der Kinderbetreuung land überwiegend zwischen 24 % und
70
8 30 %. Im Vergleich zu den frühen 1990er-
60
Jahren ist jedoch ein starker Rückgang
50
7 beim Anteil der Menschen mit großen
40 Sorgen zu verzeichnen. Im Jahr 2016 lag
6 30 der Anteil in Ostdeutschland schließlich
20 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10 bei rund 26 % und in Westdeutschland
1 Gewichtete Werte,
"vollkommen gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
zufrieden".
5 "vollkommen
10 Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹
zufrieden". etwas höher bei 29 %. Dass sich die Men-
Verlauf in
der mittleren Bereichszufriedenheiten
Ost- und Westdeutschland ¹
1990–2016
Datenbasis:
in Ost- und SOEP v33. Die Auswertung
Westdeutschland der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
1990–2016 schen in Westdeutschland in Bezug auf
0
Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen
4 wurden auf Basis von Priem und Schupp (2015) auf Basis des SOEPund v33privaten Bereichen
statt v30 repliziert und
wurdenum1990
auf 1992von
dieBasis
Jahre 1994
Priem
2015, 1996
2016und Schupp
ergänzt. 2000 auf
1998 (2015) 2002 2004
Basis des 2006
SOEP v33 2008statt
2010 2012 2014
v30 repliziert und 2016 die Umwelt häufiger große Sorgen ma-
um1990
die Jahre 19942016
19922015, 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
ergänzt.
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland chen als Menschen in Ostdeutschland,
Westdeutschland Ostdeutschland
Sorgen bezüglich der Folgen des Klimawandels zeigt sich auch im Bereich der Sorgen
Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit
70 hinsichtlich der Folgen des Klimawan-
8
60 dels. In Westdeutschland machte sich
50 2016 knapp ein Drittel (32 %) der Men-
7
40 schen große Sorgen angesichts des Kli-
6 30
mawandels und in Ostdeutschland rund
jede vierte Person (26 %).
20 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
1 Gewichtete Werte,
"vollkommen
5 "vollkommen
gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
zufrieden". Die Sorgen bezüglich der Kriminali-
10 zufrieden".
Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen tätsentwicklung waren im Jahr 2016 auf
0
Datenbasis:
4 wurdenSOEP v33.von
auf Basis DiePriem
Auswertung der Zufriedenheit
und Schupp in öffentlichen
(2015) auf Basis des SOEPund v33privaten Bereichen
statt v30 repliziert und dem niedrigsten Stand seit Beginn der
wurdenum1990
auf 1992von
dieBasis
Jahre 1994
Priem
2015, 1996
2016und Schupp
ergänzt. 2000 auf
1998 (2015) 2002 2004
Basis des 2006
SOEP v33 2008statt
2010 2012 2014
v30 repliziert und 2016
um1990
die Jahre 19942016
19922015, 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
ergänzt. Erhebung im Jahr 1994. Der Anteil der
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland Menschen, die sich große Sorgen mach-
Sorgen bezüglich der Entwicklung der Kriminalität in Deutschland
Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen ten, lag in Westdeutschland bei rund 13 %
70
8 und in Ostdeutschland etwas höher bei
60
rund 16 %. Die Unterschiede zwischen
50
7 Ost- und Westdeutschland in den Vor-
40
jahren waren jedoch weitaus deutlicher
6 30 ausgeprägt.
20 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
Seit 2015 werden im SOEP auch Sor-
"vollkommen zufrieden".
5 "vollkommen
10 zufrieden". gen um den sozialen Zusammenhalt in
Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen der Gesellschaft erfragt, also das Thema,
0
Datenbasis:
4 wurdenSOEP v33.von
auf Basis DiePriem
Auswertung der Zufriedenheit
und Schupp in öffentlichen
(2015) auf Basis des SOEPund v33privaten Bereichen
statt v30 repliziert und
wurden
1990
um1990
auf 1992von
dieBasis
Jahre 1994
Priem
2015,
19942016
19922015,
1996
2016
1996
und Schupp
ergänzt. 2000 auf
1998 (2015) 2002 2004
Basis des 2006
SOEP v33 2008statt
2010
1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
2012 2014
v30 repliziert und 2016 das Bundeskanzlerin Merkel in den Mit-
um die Jahre ergänzt.
Westdeutschland Ostdeutschland telpunkt des Regierungshandelns in der
Westdeutschland Ostdeutschland
aktuellen Wahlperiode gestellt hat. Zu
Gewichtete Werte. diesem Thema machten sich 2016 in
Datenbasis: SOEP v33. Abbildung nach Priem/Schupp (siehe Abb 1), ergänzt um die Jahre 2014–2016 sowie
die Indikatoren zu Zuwanderung, Folgen des Klimawandels und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Westdeutschland mehr als ein Drittel

388
Lebenszufriedenheit und Sorgen / 10.1 Werte und Einstellungen / 10

Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹


Verlauf der mittleren
in Ost- Bereichszufriedenheiten
und Westdeutschland ¹
1990–2016
(36 %) und in Ostdeutschland 43 % der u Abb 4 (Fortsetzung) Verlauf der Sorgen
in Ost- und Westdeutschland in öffentlichen Bereichen
1990–2016
Menschen große Sorgen. Dieser Anteil in West- und Ostdeutschland 1990 – 2016 — Anteil großer Sorgen in Prozent
stieg im Vergleich zum Vorjahr in beiden
Landesteilen deutlich, um rund 10 Pro- Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft
Zufriedenheit mit der eigenen Freizeit
zentpunkte. 70
8
Die drei öffentlichen Bereiche, hin- 60
sichtlich derer sich die Menschen in Ost- 50
7
und Westdeutschland im Jahr 2016 am 40
meisten sorgten, waren Frieden, Zuwan- 6 30
derung sowie Ausländerfeindlichkeit
20
und Fremdenhass. Um den Erhalt des 5 Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹
10
Friedens hatten in Westdeutschland 56 % Verlauf der mittleren
in Ost- Bereichszufriedenheiten
und Westdeutschland ¹
1990–2016
0 in Ost- und Westdeutschland 1990–2016
und in Ostdeutschland 58 % große Sor- 4
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gen. Seit der deutschen Vereinigung war 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
dies – mit Ausnahme des Jahres 2003, Westdeutschland Ostdeutschland
Sorgen um den Erhalt des Friedens in Deutschland
dem Beginn des Irakkriegs – der höchste Zufriedenheit mit den Möglichkeiten der Kinderbetreuung
70
Wert. In Bezug auf die Zuwanderung 8
60
g aben 44 % der Menschen in West-
­
50
deutschland und 57 % in Ostdeutschland 7

2016 an, große Sorgen zu haben. Hierbei 40

handelt es sich in dem seit 1999 erhobe- 6 30

nen Bereich um die höchsten Werte, was 20 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
1 Gewichtete Werte,zufrieden".
"vollkommen gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
belegt, dass vor allem die in der zweiten 5 "vollkommen
10 Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten ¹
zufrieden".
Verlauf der mittleren Bereichszufriedenheiten
in Ost- und Westdeutschland ¹
1990–2016
Jahreshälfte von 2015 nach Deutschland Datenbasis: undSOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
0 in Ost-
Datenbasis: SOEP
Westdeutschland
v33. Die Auswertung
1990–2016
der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
4 wurden auf Basis von Priem und Schupp (2015) auf Basis des SOEP v33 statt v30 repliziert und
Geflüchteten zu großer Besorgnis in der wurdenum 1990
aufdie 1992
Basis
Jahrevon 1994
Priem
2015, 1996
und
2016 Schupp
ergänzt. 2000 auf
1998 (2015) Basis2004
2002 2006 v33
des SOEP 2008
statt2010 2012 und
v30 repliziert 2014 2016
um1990 19922015,
die Jahre 199420161996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
ergänzt.
Bevölkerung führten. Interessant ist, Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
dass sich gleichzeitig vor allem in West- Sorgen bezüglich der Zuwanderung nach Deutschland
Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit
deutschland mit 49 %, aber auch in Ost- 70
8
deutschland mit 45 % die Menschen 60
­g roße Sorgen bezüglich Ausländerfeind- 50
7
lichkeit und Fremdenhass machten. 40
Eine Polarisierung, bei der sich die 6 30
eine Hälfte der Bevölkerung große Sor-
20 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
gen aufgrund von Ausländerfeindlich- 1 Gewichtete Werte,zufrieden".
"vollkommen
5 "vollkommen
gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
10 zufrieden".
keit machte und die andere Hälfte große Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
0
Datenbasis: SOEP v33. Die
Sorgen hinsichtlich der Zuwanderung 4 wurden auf Basis vonAuswertung der Zufriedenheit
Priem und Schupp in öffentlichen
(2015) auf Basis des SOEP und privaten
v33 Bereichen
statt v30 repliziert und
wurdenum 1990
aufdie 1992
Basis
Jahrevon 1994
Priem
2015, 1996
und
2016 Schupp
ergänzt. 2000 auf
1998 (2015) Basis2004
2002 2006 v33
des SOEP 2008
statt2010 2012 und
v30 repliziert 2014 2016
hatte, lässt sich aber nicht feststellen. um1990 19922015,
die Jahre 19942016
1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
ergänzt.
Große Sorgen Westdeutschland Große Sorgen Ostdeutschland
Stattdessen traten die beiden Arten von Westdeutschland Ostdeutschland
Sorgen bezüglich Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass
Sorgen zusammen auf: 2016 hatte ein Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen
70
Viertel der Befragten sowohl große Sor- 8
60
gen bezüglich der Zuwanderung nach
50
Deutschland als auch bezüglich Auslän- 7
40
derfeindlichkeit und Fremdenhass, und
weitere 30 % hatten in jeweils einem der 6 30

Bereiche g­ roße und im anderen Bereich 20 1 Gewichtete Werte, gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
1 Gewichtete Werte,zufrieden".
gemessen auf einer Skala von 0 "vollkommen unzufrieden" bis 10
"vollkommen
einige Sorgen. Dies zeigt, dass sich Sor- 5 "vollkommen
10 zufrieden".
gen h­ insichtlich Zuwanderung und Aus- Datenbasis: SOEP v33. Die Auswertung der Zufriedenheit in öffentlichen und privaten Bereichen
0
Datenbasis: SOEP v33. Die
4 wurden auf Basis vonAuswertung der Zufriedenheit
Priem und Schupp in öffentlichen
(2015) auf Basis des SOEP und privaten
v33 Bereichen
statt v30 repliziert und
länderfeindlichkeit keinesfalls ausschlie- wurdenum
1990
1990
aufdie 1992
Basis
Jahre
19922015,
von 1994
Priem
2015,
19942016
1996
1996
und
2016 Schupp
ergänzt. 2000 auf
1998 (2015) Basis2004
2002 2006 v33
des SOEP 2008
statt2010
1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
2012 und
v30 repliziert 2014 2016
um die Jahre ergänzt.
ßen. Möglicherweise ist nicht allein die Westdeutschland Ostdeutschland
Westdeutschland Ostdeutschland
Zuwanderung, sondern vor allem der
frühere und derzei­t ige Umgang mit der
Gewichtete Werte.
­Zuwanderung Auslöser der Sorgen. So Datenbasis: SOEP v33.

389
10 / Werte und Einstellungen 10.1 / Lebenszufriedenheit und Sorgen

könnte zum Beispiel eine als misslungen 10.1.4 Emotionales Glück »Erfüllt-Seins« nach, verbunden mit der
wahrgenommene Eingliederung von frü- und »Erfüllt-Sein« Einschätzung, ob das, was ich mit dem
heren Zugewanderten Sorgen um weitere Seit 2007 werden im SOEP auch emotio- Leben mache, auch wertvoll und nützlich
Zuwanderung auslösen. Aber auch Kapa- nale Elemente des subjektiven Wohlbe- ist. In Westdeutschland hatten 2015 und
zitätsprobleme bei der Betreuung und findens erfragt. Bei der Betrachtung der 2016 jeweils 10 % der Menschen das Ge-
Unterbringung vor allem während der Variable, die das emotional erlebte Glück fühl, dass das, was sie mit dem Leben ma-
sogenannten Flüchtlingskrise 2015 könn- der letzten vier Wochen erhebt, zeigt chen, vollkommen wertvoll und nützlich
ten Sorgen um die Zuwanderung nach sich, dass in Ost- und Westdeutschland ist. In Ostdeutschland lag der entspre-
Deutschland steigen gelassen und Gefüh- seit Jahren ausgesprochen konstante chende Wert mit 9 % beziehungsweise
le der Überforderung ausgelöst haben. Werte berichtet werden. Demnach gaben 10 % ähnlich hoch. Insgesamt lag der
Dies scheint plausibel, weil die Sorgen in Westdeutschland jeweils zwischen Durchschnittswert des »Erfüllt-Seins« auf
2015, beim Höhepunkt der Flüchtlings- 50 % und 60 % der Befragten an, sich in einer Skala von 0 (überhaupt nicht wert-
krise, deutlich angestiegen sind. Die den letzten vier Wochen oft oder sehr oft voll und nützlich) bis 10 (vollkommen
rechtspopulistischen Strömungen, die in glück lich gefühlt zu haben. In Ost- wertvoll und nützlich) 2016 bei 6,6 im
Europa zur gleichen Zeit immer mehr an deutschland schwankte dieser Anteil Westen und 6,4 im Osten. Im Vergleich zu
Unterstützung gewonnen haben, könn- zwischen 48 % und 55 %. u Tab 1 den Bereichszufriedenheiten liegen diese
ten zudem ein Faktor sein, der die Sor- Ein weiterer Indikator zielt weniger Werte eher näher an den niedrigeren Be-
gen um Ausländerfeindlichkeit steigen auf spezifische Aspekte oder Bereiche des reichszufriedenheiten, die man beim per-
lässt. Lebens ab, sondern geht dem Grad des sönlichen Einkommen und der Gesund-

u Tab 1 Häufigkeit, sich in den letzten vier Wochen glücklich gefühlt zu haben, in West- und Ostdeutschland 2007– 2016

Sehr selten Selten Manchmal Oft Sehr oft Durchschnittswert der Skala
(von 1 »sehr selten« bis 5 »sehr oft«)
in %

Westdeutschland
2007 3 10 35 43 9 3,5
2008 3 10 35 43 8 3,5
2009 3 11 35 43 8 3,4
2010 3 11 36 42 8 3,4
2011 3 10 33 45 9 3,4
2012 2 9 32 47 10 3,5
2013 2 9 32 48 8 3,5
2014 2 8 31 49 10 3,5
2015 2 8 31 48 10 3,5
2016 2 8 30 50 10 3,5

Ostdeutschland
2007 3 12 36 42 7 3,4
2008 3 11 37 43 6 3,4
2009 3 12 35 43 7 3,4
2010 3 11 36 44 6 3,4
2011 3 12 36 41 8 3,3
2012 3 9 35 46 7 3,4
2013 3 10 35 45 8 3,4
2014 2 9 34 47 8 3,5
2015 2 10 35 46 7 3,4
2016 3 10 31 47 8 3,4

Gewichtete Werte.
Datenbasis: SOEP v33.

390
Lebenszufriedenheit und Sorgen / 10.1 Werte und Einstellungen / 10

heit beobachten kann. Eine extrem nied- nahmen 2016 in Westdeutschland 58 % sönlichen Einkommenslage berichteten,
rige Ausprägung des »Erfüllt-Seins« der Menschen die Entwicklung in den mit 20 % leicht höher als in Westdeutsch-
(Skalenwerte von 0 bis 4) kam aber selten letzten zehn Jahren als Verbesserung wahr, land (18 %).
vor, nur in etwa 8 % bis 10 % der Fälle. u Tab 2 in Ostdeutschland lag dieser Anteil mit Die Entwicklung der Zufriedenheit
Insgesamt gab es beim subjektiven 54 % etwas niedriger. Entsprechend nahm mit der eigenen Gesundheit erlebte je-
Wohlbefinden zwischen 2015 und 2016 ein etwas höherer Anteil in Ostdeutsch- weils mehr als ein Drittel in West- wie
nur geringe Veränderungen. land einen stabilen Verlauf oder eine Ver- Ostdeutschland als stabil. Die Ostdeut-
schlechterung wahr (29 % und 16 %) als in schen nahmen mit 40 % etwas häufiger
10.1.5 Bilanz des subjektiven Westdeutschland (27 % und 14 %). u Abb 5 eine Verschlechterung der Zufriedenheit
­Wohlbefindens in den letzten In Bezug auf das persönlich zur Ver- mit der Gesundheit wahr, in West-
zehn Jahren fügung stehende Einkommen berichteten deutschland betrug dieser Anteil nur
Im Jahr 2016 wurde im SOEP auch der mit 46 % in Ostdeutschland und 45 % in 36 %. Von einer Verbesserung der Zufrie-
Versuch unternommen, von den Erwach- Westdeutschland etwas weniger Men- denheit mit der Gesundheit über die letz-
senen in West- und Ostdeutschland den schen von einer Verbesserung. Der Anteil ten zehn Jahre berichtete immerhin rund
Verlauf der Zufriedenheit über die letzten der stabilen Verläufe lag dafür etwas ein Viertel der Menschen in beiden Lan-
zehn Jahre – also von 2006 bis 2016 – zu ­höher mit 37 % in Westdeutschland und desteilen.
­bilanzieren. u Info 1 34 % in Ostdeutschland. In Ostdeutsch- Als viertes Element des Zufrieden-
Hinsichtlich der Zufriedenheit mit land lag zudem der Anteil der Menschen, heitsverlaufs wurde die Wahrnehmung
den persönlichen Lebensverhältnissen die von einer Verschlechterung ihrer per- der allgemeinen Wohlstandsentwicklung
in Deutschland erfragt. Hier zeigen sich
praktisch keine Unterschiede zwischen
Ost- und Westdeutschland. Jeweils rund
40 % bilanzierten die Wohlstandsent-
wicklung der letzten zehn Jahre als Ver-
u Tab 2 Grad des »Erfüllt-Seins« im Leben: »Haben Sie das Gefühl, dass das,
schlechterung und jeweils rund 30 % als
was Sie in Ihrem Leben machen, wertvoll und nützlich ist?« in West- und Ost-
deutschland 2015 und 2016 stabil oder als Verbesserung.
Auch hier scheint die allgemeine wirt-
Westdeutschland Ostdeutschland schaftliche Situation von der persönlichen
2015 2016 2015 2016 ein Stück weit entkoppelt zu sein. Bei-
Durchschnittswert
spielsweise beurteilten aus der Gruppe,
6,5 6,6 6,3 6,4
der Skala die bei der Zufriedenheit mit dem eigenen
in % Einkommen eine Verbesserung in den
letzten zehn Jahren wahrgenommen hat,
[0] ȟberhaupt nicht
1 1 1 1 zwar 39 % ebenfalls die Entwicklung der
wertvoll und nützlich«

[1] 1 0 1 1
allgemeinen wirtschaftlichen Lage positiv,
[2] 1 2 2 2
jedoch nahmen hier auch 35 % eine Ver-
schlechterung wahr. Bei der Entwicklung
[3] 2 3 3 2
der Zufriedenheit mit den Lebensverhält-
[4] 3 3 3 3
nissen empfanden sogar 38 % eine Verbes-
[5] 12 11 13 13
serung, obwohl sie bei der Zufriedenheit
[6] 11 9 10 10 mit der Wohlstandsentwicklung eine Ver-
[7] 21 20 20 20 schlechterung sahen. Dies betont, dass
[8) 27 28 28 28 Sorgen und Zufriedenheit, je nachdem ob
[9] 11 13 10 11 nach allgemeiner oder persön­licher Situa-
[10] » vollkommen wertvoll
tion gefragt wird, unterschiedlich ausge-
10 10 9 10
und nützlich« prägt sein können. Möglicherweise spie-
len für die Wahrnehmung der allgemei-
Gewichtete Werte.
Datenbasis: SOEP v33. nen Wohlstandsentwicklung die zuneh-
mende Einkommensungleichheit oder
Globalisierungsprozesse, die die Stellung
Deutschlands und Europas zu schwächen
scheinen, eine Rolle.

391
10 / Werte und Einstellungen 10.1 / Lebenszufriedenheit und Sorgen

u Abb 5 Verläufe der Zufriedenheit in den letzten zehn Jahren u Info 1


in West- und Ostdeutschland 2016 — in Prozent Bilanz des subjektiven
Wohlbefindens
Zufriedenheit mit den persönlichen Zufriedenheit mit dem persönlichen Um den Verlauf der Zufriedenheit zu bilan-
Lebensverhältnissen Einkommen zieren, wurden den Befragten neun ver-
58 schiedene Verlaufstypen vorgelegt. Sie soll-
55 ten angeben, welches der neun Bilder am
46 besten zum Verlauf ihrer Zufriedenheit in
45
den letzten zehn Jahren, ­also von 2006 bis
37 2016, passt. Diese Angaben wurden im
34
29 Folgenden in drei Kategorien – Verbesse-
27
rung, Verschlech­terung und stabiler
20 Verlauf – zusammengefasst.
16 18
14

(1) Verbesserung
Verbesserung stabil Verschlechterung Verbesserung stabil Verschlechterung

Zufriedenheit mit der Zufriedenheit mit der allgemeinen


Gesundheit Wohlstandsentwicklung

(2) stabil

38 40 40 40
36 36
31 30 29
30
26
24

(3) Verschlechterung

Verbesserung stabil Verschlechterung Verbesserung stabil Verschlechterung

Westdeutschland Ostdeutschland

Gewichtete Werte. Antwortmöglichkeiten aus


Datenbasis: SOEP v33. dem SOEP-Fragebogen 2016.

10.1.6 Fazit Wohlbefindens als in Westdeutschland. und Fremdenfeindlichkeit zu. Bezüglich


Die allgemeine Lebenszufriedenheit Davon abweichend liegt die Zufrieden- des subjektiven Erlebens der persönli-
brach in Ostdeutschland unmittelbar heit mit den Möglichkeiten der Kinder- chen Lebensverhältnisse und des persön-
nach der deutschen Vereinigung zunächst betreuung in Ostdeutschland seit 1997 lichen Einkommens bilanzierte der über-
ein, was vor allem auf die abrupten Ver- insgesamt höher als in Westdeutschland. wiegende Teil der Menschen in Ost- und
änderungen der Lebensbedingungen zu- Völlig angeglichen hat sich die Zufrieden- Westdeutschland den Zeitraum der letz-
rückzuführen ist. Es folgte Mitte der heit mit der Freizeit. Bezüglich der nega- ten zehn Jahre eher als Verbesserung und
1990er-Jahre eine schrittweise Erhöhung tiven Komponenten des Wohlbefindens nur ein geringerer Anteil als Verschlech-
des subjektiven Wohlbefindens, die in gingen in Ostdeutschland die Sorgen in terung. Im Gegensatz dazu sehen Groß-
den letzten zehn Jahren eine nochmalige verschiedenen privaten Lebensbereichen teile von Ost- und Westdeutschen die all-
Beschleunigung erfahren hat. Gleichwohl zwar deutlich zurück. Sie sind aber nach gemeine Woh lsta ndent w ick lung in
besteht in Ostdeutschland auch mehr als wie vor stärker ausgeprägt als in West- Deutschland deutlich skeptischer.
25 Jahre nach der Vereinigung in der all- deutschland. Im öffentlichen Bereich
gemeinen Lebenszufriedenheit sowie in nahmen in den letzten Jahren insbeson-
mehreren Lebensbereichen ein signifi- dere die Sorgen in Bezug auf Frieden, Zu-
kant niedrigeres Niveau des subjektiven wanderung sowie Aus­länderfeindlichkeit

392
Einstellungen zu Familie und Lebensformen / 10.2 Werte und Einstellungen / 10

10.2 In Politik und Medien wird im Zusam­


menhang mit der Familie eine Reihe von
10.2.1 Einstellungen zu Heirat
und Elternschaft
Einstellungen zu Problemfeldern kontrovers diskutiert. Sinkende Heiratsneigung, zunehmende
Familie und Aus der zunehmenden Verbreitung nicht
ehelicher Lebensformen bei niedrigen Ge­
Kinderlosigkeit und geringe Ehestabilität
werden häufig als Ergebnis einer abneh­
Lebensformen burtenraten und hohen Scheidungszahlen menden subjektiven Bedeutung der Fami­
wird auch auf einen Bedeutungsverlust lie in der Bevölkerung gewertet. Anderer­
der Familie in der Bevölkerung geschlos­ seits wird argumentiert, dass hohe Erwar­
Stefan Weick
sen. Vor diesem Hintergrund wird im tungen an Partnerschaft und Elternschaft
GESIS Mannheim
Folgenden dargestellt, welche Einstellun­ ein Hemmnis für die Familiengründung
gen Menschen in Deutschland zu Familie, darstellen könnten. Es stellt sich daher die
WZB / SOEP Lebensformen und Kindern haben. Er­ Frage, welche Bedeutung die Bevölkerung
gänzt wird die Darstellung durch die Un­ der Familie zuschreibt. Zwischenmensch­
tersuchung des Zusammenhangs von Le­ liche Beziehungen im privaten Bereich
bensformen und subjektivem Wohlbefin­ ­haben in Ost und West einen besonders
den. Dabei wird näher betrachtet, welche hohen Stellenwert. Eine eigene Familie
Lebensarrangements verstärkt mit Glück steht in der Wichtigkeitsrangfolge sowohl
und Zufriedenheit einhergehen, aber auch bei der westdeutschen als auch bei der ost­
wo Einsamkeit oder Niedergeschlagenheit deutschen Bevölkerung zusammen mit der
das Wohlbefinden beeinträchtigen. Gesundheit an erster Stelle. Andere Be­
reiche wie Arbeit, Freunde oder Nachbar­
schaft werden zwar auch überwiegend als
»wichtig« erachtet, aber viel seltener als
u Tab 1 Bedeutung der eigenen Familie
»sehr wichtig«. Die überwiegende Mehrheit
in West- und Ostdeutschland 2017
nach Altersgruppen — in Prozent der Befragten, das heißt jeweils mehr als
60 % der Erwachsenen in Ost- und West­
Eigene Familie
»sehr wichtig« ¹
deutschland, erachtete eine eigene Familie
als »sehr wichtig«. In der jüngsten Alters­
West Ost
gruppe bis 30 Jahre wurde der Familie eine
18 – 30 Jahre 61 69
etwas geringere Bedeutung zugemessen.
31– 45 Jahre 74 70 Die Beobachtung über die Zeit weist aller­
46 – 60 Jahre 71 76 dings auf eine gestiegene Bedeutung der ei­
Ab 61 Jahren 69 75 genen Familie in der jüngsten Altersgrup­
pe in den alten und neuen Bundesländern
1 Skala von 1 »sehr unwichtig« bis 7 »sehr wichtig«.
Datenbasis: Gesis-Panel 2017. seit Ende der 1990er-Jahre hin. u Tab 1, Abb 1

u Abb 1 Bedeutung der eigenen Familie für junge Erwachsene


in Ost- und Westdeutschland 1980 – 2017 — in Prozent

80

60

40

20

0
1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 2012 2016

Westdeutschland Ostdeutschland

Anteil »sehr wichtig« auf Skala 1 »sehr unwichtig« bis 7 »sehr wichtig«. Im ALLBUS »eigene Familie und Kinder«.
Datenbasis: ALLBUS 1980–2012, Gesis-Panel 2017; Befragte im Alter von 18 bis 30 Jahren.

393
10 / Werte und Einstellungen 10.2 / Einstellungen zu Familie und Lebensformen

Wird die Ehe in der Bevölkerung als Erwartungen an das eigene Leben in jün­ alten. Die Differenzierung nach Alters­
wichtig für das subjektive Wohlbefinden geren Jahren oft noch eine eher unterge­ gruppen verdeutlicht, dass der Gesichts­
erachtet? Das Ausmaß der Zustimmung ordnete Rolle spielen. Insgesamt war in punkt von Kindern als einer gesellschaft­
zu mehreren Statements zu Partnerschaft Ostdeutschland die Zustimmung zu der lichen Pflicht bei jüngeren Menschen bis
und Elternschaft kann hierzu eine Ein­ Aussage »Ohne Kinder fehlt etwas im 30 Jahre die geringste Zustimmung fand.
schätzung geben. Der Aussage, dass Ver­ ­L eben« höher als in Westdeutschland. In der jüngsten Altersgruppe fanden sich
heiratete im Allgemeinen glücklicher sei­ Dem Aspekt eigener Kinder als einer ge­ auch kaum Ost-West-Unterschiede. An­
en als Unverheiratete, stimmte weniger sellschaftlichen Pflicht wurde deutlich ders dagegen fand bei älteren Ostdeut­
als ein Drittel der Erwachsenen zu. Dabei weniger Bedeutung zugemessen als der schen über 60 Jahre die Ansicht, dass
stimmte nur eine kleine Minderheit Bedeutung von Kindern für das eigene Kinder eine gesellschaftliche Pflicht seien,
(West 4 %; Ost 5 %) dieser Frage voll und Leben. Entsprechend war der Anteil mit eine vergleichsweise hohe Zustimmung
ganz zu. Die deutsche Bevölkerung kann maximalem Skalenwert (stimme voll und (38 %). u Tab 3
sich ein glückliches Leben weitgehend ganz zu) hier mit 4 % beziehungsweise Gleichgeschlechtliche Paare gehören
auch ohne Heirat vorstellen. u Tab 2 7 % gering. Insgesamt war die Zustim­ zur gesellschaftlichen Realität. Wie wird
Die Aussage »Wer Kinder haben möch­ mung zu diesem Statement in den neuen nun das Adoptionsrecht für homosexuel­
te, sollte verheiratet sein« fand in den alten Bundesländern ausgeprägter als in den le Paare in der deutschen Bevölkerung
Bundesländern bei gut einem Viertel und
in den neuen Bundesländern nur bei ei­
nem Fünftel der Erwachsenen Zustim­
mung. Eine Ehe wird in der deutschen Be­ uTab 2 Einstellungen zu Ehe und Elternschaft in West- und Ostdeutschland 2017
völkerung demnach nicht überwiegend als — in Prozent
Voraussetzung für Kinder beziehungsweise West Ost
Kinderwunsch betrachtet. Weiterhin fand
stimme voll stimme voll
das Statement, dass es in Ordnung sei, stimme zu stimme zu
und ganz zu und ganz zu
wenn ein Paar zusammenlebt, ohne zu hei­ »Verheiratete sind im Allgemeinen
4 24 5 23
raten, bei der überwiegenden Mehrheit der ­g lücklicher als Unverheiratete.«
Bevölkerung Zustimmung. Ein beachtli­ »Wer Kinder haben möchte,
6 20 5 15
cher Anteil von 40 % in den alten und 31 % sollte verheiratet sein.«

in den neuen Bundesländern stimmte so­ »Es ist in Ordnung, wenn ein Paar
40 45 31 47
zusammenlebt, ohne zu heiraten.«
gar voll und ganz zu. Vor allem in Ost­
deutschland ist auch die Erwartung ver­ »Ein Paar, das heiraten möchte,
12 38 9 44
sollte vorher zusammen leben.«
breitet, dass ein Paar vor einer Heirat zu­
sammenleben sollte: Mehr als die Hälfte »Ohne Kinder fehlt im Leben etwas.« 32 36 39 39

der Befragten stimmte dieser Aussage zu. »Kinder zu haben, ist eine Pflicht
4 14 7 20
gegenüber der Gesellschaft.«
Kinder sind für die Mehrheit der Be­
völkerung von hoher Bedeutung für das »Homosexuelle Paare sollten Kinder
20 37 15 40
adoptieren können.«
eigene Leben. Dem Statement »Ohne
Kinder fehlt etwas im Leben« stimmten Zustimmung gemessen auf einer Skala von 1 »stimme überhaupt nicht zu« bis 5 »stimme voll und ganz zu«.
Datenbasis: Gesis-Panel 2017.
in Westdeutschland gut zwei Drittel und
in Ostdeutschland sogar mehr als drei
Viertel der Befragten zu. Mehr als 30 % u Tab 3 Einstellungen zur Elternschaft in Ost- und Westdeutschland
stimmten jeweils in beiden Landesteilen nach Altersgruppen 2017 — in Prozent
dabei sogar voll und ganz zu. Unterschei­ 18 – 30 Jahre 31– 45 Jahre 46 – 60 Jahre Ab 61 Jahren
det man nach Altersgruppen, so ist deut­
West Ost West Ost West Ost West Ost
lich zu erkennen, dass unter den jüngeren
Befragten bis 30 Jahre die Zustimmung »Ohne Kinder fehlt im Leben etwas.« 54 65 75 77 69 77 68 83
weniger ausgeprägt war (West 54 %; Ost
»Kinder zu haben, ist eine Pflicht
65 %). Dies dürfte dem Umstand Rech­ 13 14 17 22 15 25 25 38
gegenüber der Gesellschaft.«
nung tragen, dass junge Menschen mitt­ »Homosexuelle Paare sollten Kinder
68 69 64 53 58 55 44 52
lerweile erst zum Ende des dritten Le­ adoptieren können.«
bensjahrzehntes oder später Eltern wer­
Werte 4 und 5 auf einer Skala von 1 »stimme überhaupt nicht zu« bis 5 »stimme voll und ganz zu«.
den und eigene Kinder auch für die Datenbasis: Gesis-Panel 2017.

394
Einstellungen zu Familie und Lebensformen / 10.2 Werte und Einstellungen / 10

bewertet? Mehr als die Hälfte der Befrag­ denheit als eher kognitiver Indikator des Kindern im Haushalt (6,1) am höchsten.
ten in Ost- und Westdeutschland äußerte Wohlbefindens, gemessen auf einer Skala Dies sind Werte nahe am Skalenmaxi­
Zustimmung zu dem Statement »Homo­ von 0 »äußerst unzufrieden« bis 10 »äu­ mum. Insbesondere Getrenntlebende so­
sexuelle Paare sollten Kinder adoptieren ßerst zufrieden«, war bei Paaren ohne wie Ledige, die allein im Haushalt leben,
dürfen«. Vor allem in der jüngsten Alters­ Kinder im Haushalt (7,4) und überra­ äußerten eine geringere Familienzufrie­
gruppe war hier die Zustimmung hoch. schender Weise auch bei verwitweten Al­ denheit. Die entsprechenden Werte ­lagen
leinlebenden vergleichsweise hoch (7,6). einen ganzen Skalenpunkt niedriger als
10.2.2 Familie, Partnerschaft Die durchschnittliche Lebenszufrieden­ bei Paaren. Ebenso lassen sich Ge­
und subjektives Wohlbefinden heit bei Geschiedenen und Getrenntle­ schlechtsunterschiede identifizieren, wenn
Im Folgenden wird untersucht, inwieweit benden lag bei 7,0 und entspricht damit diese auch nicht besonders deutlich aus­
kognitiv bewertende, aber auch affektive dem Mittelwert in der Gesamtbevölke­ fallen: Frauen waren mit der eigenen Fa­
Aspekte des subjektiven Wohlbefindens rung. Eine besonders niedrige Lebenszu­ milie etwas zufriedener als Männer. Ob­
mit privaten Lebensformen einhergehen. friedenheit äußerten dagegen ledig Al­ wohl die Familienzufriedenheit als
Zunächst werden die Lebens- und Fami­ leinlebende (6,4). Auch bei Paaren mit ­besonders wichtig für die übergreifende
lienzufriedenheit untersucht. Zufrieden­ Kindern im Haushalt fiel die kognitive Lebenszufriedenheit erachtet wird, zeigt
heit wird in der Lebensqualitätsforschung Bilanzierung des eigenen Lebens nicht sich hier nur eine moderate Korrelation
als Ergebnis einer Bewertung der eigenen allzu günstig aus (6,8). u Tab 4 (0,31) zwischen den beiden Zufrieden­
Lebensumstände erachtet. Während die Die Familie hat in der Bevölkerung heitsangaben. Die Familienzufriedenheit
allgemeine Lebenszufriedenheit als ein nicht nur einen hohen Stellenwert, sie kann also durchaus von der übergreifen­
übergreifendes kognitives Maß des sub­ wird auch überwiegend mit einer hohen den Lebenszufriedenheit abweichen, da
jektiven Wohlbefindens gilt, in das sum­ spezifischen Familienzufriedenheit be­ bei Letzterer auch andere Aspekte wie
marisch Einzelbewertungen verschiede­ wertet. Zu beachten ist, dass die hier ver­ zum Beispiel Gesundheit oder der materi­
ner Lebensbereiche eingehen, stellt die wendete Skala von der 11er-Skala (0 bis 10) elle Lebensstandard mit eingehen.
Familienzufriedenheit die spezifische Be­ für die Erhebung der Lebenszufriedenheit Während Zufriedenheit stärker die
wertung des privaten Bereichs der Fami­ abweicht und von 1 »sehr unzufrieden« kognitiv bewertende Komponente des
lie dar. Das subjektive Wohlbefinden bis 7 »sehr zufrieden« verläuft. Die Zufrie­ subjektiven Wohlbefindens erfasst, zielen
hängt mit der Lebensform der Menschen denheit mit der eigenen Familie war bei Fragen nach Glück, Niedergeschlagenheit
zusammen. Die allgemeine Lebenszufrie­ Paaren ohne Kinder (6,0) und Paaren mit und Einsamkeit mehr auf die emotionale
Komponente des subjektiven Wohlbefin­
dens. Betrachtet man, wie glücklich Per­
sonen in den verschiedenen Lebensfor­
men mit ihrem Leben sind, so fallen vor
u Tab 4 Zufriedenheit mit Leben und Familie 2017 — Mittelwerte
allem ledig Alleinlebende sowie Ge­
Zufriedenheit mit trenntlebende mit einem besonders ge­
Leben gegenwärtig ¹ eigener Familie ² ringen Anteil von Glücklichen auf. Wäh­
rend Verwitwete zwar eine hohe Lebens­
Insgesamt 7,0 5,8 zufriedenheit äußerten, lag der Anteil der
Allein lebend Verwitweten, die zumindest meistens
ledig 6,4 4,9 glücklich waren, unter dem Gesamt­
getrennt lebend 7,0 5,0 durchschnitt. Die Betroffenen konnten
sich bei der kognitiven Bewertung ihrer
verwitwet 7,6 5,5
Lebensumstände mit der Zeit offenbar an
(Ehe-)Paare
den Tod des Ehepartners anpassen und
ohne Kinder <16 7,4 6,0 sind mit ihrem Leben durchaus zufrie­
mit Kindern <16 6,8 6,1 den; der Anpassung im emotionalen Be­
Sonstige 6,8 5,6 reich sind bei einem derartigen Verlust
Geschlecht aber offenbar engere Grenzen gesetzt. Ge­
rade bei Verwitweten beeinträchtigt Ein­
männlich 7,2 5,7
samkeit das emotionale Wohlbefinden. So
weiblich 6,9 5,9
waren verwitwete Personen besonders
1 Auf einer Skala von 0 »äußerst unzufrieden« bis 10 »äußerst zufrieden«. häufig einsam: Etwa ein Viertel gab an,
2 Auf einer Skala von 1 »sehr unzufrieden« bis 7 »sehr zufrieden«.
Datenbasis: Gesis-Panel 2017. zumindest meistens einsam zu sein. u Tab 5

395
10 / Werte und Einstellungen 10.2 / Einstellungen zu Familie und Lebensformen

u Tab 5 Emotionales Wohlbefinden 2017 — in Prozent


Deprimiert /
Glücklich Einsam
niedergeschlagen

Insgesamt 63 11 9

Allein lebend

ledig 49 15 18

getrennt lebend 54 14 14

verwitwet 58 14 23

(Ehe-)Paare

ohne Kinder <16 67 9 4

mit Kindern <16 69 9 5

Sonstige 61 15 12

Werte 4 »meistens«, 5 »fast immer«, 6 »immer« auf einer Skala von 1 »nie« bis 6 »immer«.
Datenbasis: Gesis-Panel 2017.

Insgesamt waren Menschen, die allein hohe Bedeutung im Vergleich zu anderen


lebten, deutlich häufiger einsam als Per­ Lebensbereichen zukommt. Der Wandel
sonen in anderen Lebensformen. Perso­ der familialen Lebensformen, mit einer
nen, die mit einem Partner zusammen­ Zunahme von Singlehaushalten und einer
lebten, waren dagegen nicht nur glückli­ Abnahme der Ehestabilität, drückt zwar
cher und seltener einsam, auch eine eine gestiegene Wahlfreiheit aus, im Hin­
schwerwiegende Beeinträchtigung des blick auf das subjektive Wohlbefinden
subjektiven Wohlbefindens wie Nieder­ lassen sich allerdings auch negative Ent­
geschlagenheit trat deutlich seltener auf wicklungen identifizieren, die mit der wei­
als in anderen Lebensarrangements. Da­ teren Verbreitung dieser spezifischen Le­
bei gab es nur geringe Unterschiede zwi­ bensformen an Gewicht gewonnen haben.
schen Paaren mit und ohne Kinder. So haben ledige und geschiedene Allein­
Die präsentierten Ergebnisse stützen lebende spezifische Wohlbefindensdefizite:
die überwiegende Einschätzung der Bevöl­ Ihre Familienzufriedenheit ist niedrig
kerung, dass der Familie eine besonders und sie fühlen sich häufig einsam.

396
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes / 10.3 Werte und Einstellungen / 10

10.3 Die Notwendigkeiten und Möglichkeiten


zur Vereinbarkeit von Familie und Er-
lungen zur Rollenverteilung zwischen
Mann und Frau und die Einstellungen zu
Einstellungen zur werbsarbeit haben sich in den letzten den Konsequenzen der Frauenerwerbs­
Rolle der Frau und Jahrzehnten verändert: Die Zahl der Ehe-
scheidungen war im Jahr 2017 höher als
tätigkeit. Erstere bezieht sich auf Vorstel-
lungen über die geschlechtsspezifische Er-
der des Mannes zu Beginn der 1980er-Jahre (siehe Kapitel werbsarbeitsteilung sowie auf Vorstellungen
2.1.2, Seite 57), die Erwerbsquote der über den Stellenwert der Berufs­t ätigkeit
Frauen nahm kontinuierlich zu (siehe Ka- der Frau. Letztere betrifft die Einstellun-
Michael Blohm, Jessica Walter
pitel 5.1.4, Seite 154). Zugleich erhöhte gen zu den Konsequenzen, die sich aus
GESIS Mannheim
sich die Kinderbetreuungsquote insbe- der Berufstätigkeit von Frauen insbeson-
sondere in Westdeutschland seit 2002, dere für die Erziehung und die Entwick-
WZB / SOEP nachdem sie in Ostdeutschland in den lung der Kinder ergeben können. u Info 1
1990er-Jahren zunächst stark zurückge- Die vorliegende Analyse unterscheidet
gangen war (siehe Kapitel 2.2, Seite 66). zwischen einem »traditionellen« und ei-
Unter anderem die Einführung von zwei nem »egalitären« Verständnis der Frauen­
Partnermonaten bei der Elternzeit im rolle. Ein »traditionelles« Rollenverständ-
Jahr 2007 zeigt zudem, dass die Verein- nis geht davon aus, dass die Frau primär
barkeit von Familie und Beruf für Väter zu Hause bleiben und sich um die Erzie-
stärker ins Blickfeld von Politik und Öf- hung der Kinder und um den Haushalt
fentlichkeit gerückt ist. Auch die Einfüh- kümmern soll, während der Mann für
rung des ElterngeldPlus im Jahr 2015 die Erwerbstätigkeit zuständig ist; die be-
zielt auf eine verbesserte Vereinbarkeit rufliche Karriere der Frau hat demnach
von Familie und Beruf ab. einen geringen Stellenwert. In einem »ega-
Im Folgenden wird untersucht, wie litären« Rollenverständnis hingegen wird
sich verschiedene Einstellungen zur Rolle nicht nach den Geschlechtern differen-
der Frau und der des Mannes in Familie ziert, vielmehr wird eine Rollenanglei-
und Beruf verändert haben. Diese sind chung von Mann und Frau befürwortet.
wichtige Indikatoren für das gesellschaft- Bei der Interpretation der Geschlechter-
liche Klima bezüglich der Gleichstellung rollenvorstellungen ist zu berücksichtigen,
von Mann und Frau. Während die Daten dass einer Erwerbsbeteiligung von Frau-
für Westdeutschland bis 1982 zurückrei- en nicht nur im Sinne der Gleichberechti-
chen, kann die Entwicklung für Ost- gung der Geschlechter, sondern auch aus
deutschland erst seit 1991 nachgezeichnet ökonomischen Gründen zugestimmt
werden. In einem ersten Schritt werden werden kann. Ein weiterer Aspekt der Ge-
zunächst einige Einstellungen zur Rolle schlechtsrollenvorstellungen ist, wie die
der Frau im Zeitvergleich zusammenfas- Befragten die Konsequenzen der Erwerbs-
send dargestellt, in einem zweiten Schritt tätigkeit von Frauen für deren Kinder
werden Ergebnisse zur Rolle des Mannes einschätzen. Werden die Konsequenzen
in Familie und Beruf präsentiert. Diese als positiv beziehungsweise als nicht nega-
wurden zum ersten Mal 2012 und erneut tiv eingeschätzt, so werden diese Einstel-
2016 in der Allgemeinen Bevölkerungs- lungen als »egalitär« gewertet. Wird die
umfrage der Sozialwissenschaften (ALL- Erwerbstätigkeit von Frauen hingegen als
BUS) erhoben. hinderlich für die Entwicklung der Kinder
betrachtet, so gelten diese Einstellungen
10.3.1 Traditionelle und egalitäre als »traditionell«.
Einstellungen zur Rolle der Frau Den Tabellen 1 und 2 ist zu entnehmen,
im Zeitverlauf dass der Anteil von – in diesem Sinne –
Hinsichtlich der Einstellungen zur Rolle egalitären Einstellungen über die Jahre in
der Frau können mit den Daten des ALL- West- und Ostdeutschland zunahm. Für
BUS zwei theoretisch bedeutsame Dimen- die Einstellungen zur Rollenverteilung
sionen unterschieden werden: die Vorstel- zwischen Mann und Frau war für beide

397
10 / Werte und Einstellungen 10.3 / Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes

u Info 1 weiter verbreitet als im Westen. So war in


Traditionelle und egalitäre Einstellungen zur Rolle der Frau der DDR die staatliche Kinderbetreuung
Die Aussagen können anhand einer vierstufigen verbalisierten Skala bewertet werden. im Vergleich zur Bundesrepublik stärker
Als Zustimmung werden »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu« gewertet. ausgebaut. Zudem wurde die weibliche
Eine Ablehnung kann mit »stimme eher nicht zu« beziehungsweise »stimme überhaupt nicht zu«
zum Ausdruck gebracht werden.
Erwerbstätigkeit auch ideologisch geför-
dert. Offenbar beeinflusste diese Erfah-
Zuordnung der Antworten zu rung nachhaltig die Geschlechterrollen­
einem tradi­tionellen oder modernen
Aussagen Rollenverhältnis
ideologie sowie die Bewertung der Konse-
Zustimmung Ablehnung
quenzen der Frauenerwerbsbetei­ligung.
Vorstellungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau
Interessant ist, dass sich die Unterschie-
de in beiden Dimensionen zwischen West-
1 »Es ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann
voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt traditionell egalitär und Ostdeutschland weiterhin zeigen. Die
und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert.«
Einstellungen glichen sich zwischen West-
2 »Für eine Frau ist es wichtiger, ihrem Mann bei seiner
traditionell egalitär und Ostdeutschland erst in den letzten
Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen.«
Jahren etwas an. Dies wurde durch die der
3 »Eine verheiratete Frau sollte auf eine Berufstätigkeit deutschen Vereinigung folgenden sozial-
verzichten, wenn es nur eine begrenzte Anzahl von
traditionell egalitär politischen und ideologischen Änderun-
­A rbeitsplätzen gibt und wenn ihr Mann in der Lage ist,
für den Unterhalt der Familie zu sorgen.«
gen insbesondere in Ostdeutschland von
Konsequenzen der Erwerbstätigkeit der Frau vielen schon früher und eindeutiger er-
4 »Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden,
traditionell egalitär wartet. Die Unterschiede in den Vorstel-
wenn seine Mutter berufstätig ist.«
lungen zur Rollenverteilung zwischen
5 »Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches Mann und Frau vergrößerten sich ab den
und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden egalitär traditionell
wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist.« frühen 1990er-Jahren zwischen West und
6 »Es ist für ein Kind sogar gut, wenn seine Mutter
Ost zunächst jedoch teilweise. Erst seit
­b erufstätig ist und sich nicht nur auf den Haushalt egalitär traditionell 2008 näherten sich die Einstellungen zwi-
­konzentriert.«
schen West- und Ostdeutschland etwas
an. Im Jahr 2016 war der Unterschied für
den gesamten Beobachtungszeitraum am
geringsten. Diese Annäherung spiegelt
Landesteile zwischen 2000 und 2004 eine ren Einstellungen seit 2008 nur geringfü- wider, dass sich bei vergleichbarer Ent-
verstärkte Zunahme egalitärer Einstel- gig um einen Prozentpunkt auf 93 % im wicklung der Frauenerwerbsquoten in
lungen festzustellen. Dieser Trend ist in Jahr 2016 an. Insgesamt äußerten sich Ost- West und Ost die Zahl der Kinderbetreu-
Westdeutschland bis 2016 zu verzeichnen. deutsche im Hinblick auf die Vorstellun- ungsmöglichkeiten in Westdeutschland
Im Jahr 2016 vertraten über 86 % der gen zur Rollenverteilung zwischen Mann zwar vergrößert hat, aber im Vergleich zu
westdeutschen Bevölkerung eine egalitä- und Frau und die Konsequenzen der Be- Ostdeutschland immer noch deutlich
re Einstellung, 1991 war es nur etwa die rufstätigkeit der Frau deutlich egalitärer niedriger ist (siehe Kapitel 2.2, Seite 66).
Hälfte der Befragten. In Ostdeutschland als Westdeutsche. Die Unterschiede bei Frauen äußerten in beiden Landestei-
stieg der Anteil egalitärer Einstellungen der Einschätzung der Konsequenzen der len etwas häufiger egalitäre Einstellungen
nach 2004, ausgehend von einem höheren Berufstätigkeit der Frau waren dabei je- bezüglich der Rollenverteilung als Män-
Ausgangswert, langsamer an. Im Jahr doch etwas größer als bei den Fragen zur ner und schätzten auch die Konsequen-
2016 stimmten 91 % egalitären Einstel- Rollenverteilung. u Tab 2 zen der Müttererwerbstätigkeit für die
lungen zu. u Tab 1 Die höhere Zustimmung zu egalitären Kinder weniger negativ ein. Dieser Un-
Für die Einschätzungen der Konse- Werten in Ostdeutschland bei der Er- terschied war bis 2012 im Westen deut-
quenzen der Erwerbstätigkeit der Frau werbsbeteiligung von Frauen kann aber lich größer als im Osten, ging jedoch
lässt sich eine ähnliche Entwicklung be- nicht mit der Forderung nach gleichen 2016 deutlich zurück. Auch diese Beob-
obachten. Die Einstellungen wurden ins- Erwerbschancen oder nach weiblicher achtung kann mit der Erfahrung ostdeut-
gesamt sowohl in West- als auch in Ost- Selbstentfaltung gleichgesetzt werden. scher Familien mit der Vereinbarkeit von
deutschland egalitärer. Im Westen gab es Vielmehr war die Frauenerwerbsarbeit Familie und Beruf erklärt werden: In
bis 2016 einen rasanten Anstieg; in dieser vor der Vereinigung im Osten aufgrund Ostdeutschland konnten und können
Frage waren zuletzt 85 % der Westdeut- unterschiedlicher sozialpolitischer und mehr Männer die Erfahrung machen,
schen egalitär eingestellt. In Ostdeutsch- ideologischer Rahmenbedingungen so- dass sich die Erwerbstätigkeit der Frau
land hingegen stieg der Anteil an egalitä- wie wegen ökonomischer Bedingungen nicht negativ auf die Entwicklung der

398
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes / 10.3 Werte und Einstellungen / 10

u Tab 1 Vorstellungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau 1982 – 2016 — in Prozent

West Ost

1982 1991 1996 2000 2004 2008 2012 2016 1991 1996 2000 2004 2008 2012 2016
Anteil egalitärer Äußerungen, additiver Index der Aussagen 1– 3
Insgesamt 1 32 56 58 61 68 69 76 86 67 74 75 86 88 86 91
Geschlecht
Männer 32 56 55 59 67 67 73 84 65 75 74 86 86 84 88
Frauen 32 56 60 62 70 70 79 89 70 74 77 86 89 87 95
Alter
18 – 30 Jahre 57 73 81 80 84 86 87 92 83 86 82 92 94 92 96
31– 45 Jahre 37 66 72 74 84 79 89 91 76 84 82 89 91 92 94
46 – 65 Jahre 21 47 45 55 63 73 79 89 62 67 73 86 90 87 95
ab 65 Jahren 10 25 22 28 33 41 46 71 34 59 59 74 77 73 82
Bildung
Hauptschulabschluss 22 40 42 47 52 54 56 72 49 59 60 77 78 67 71
Mittlere Reife / polytechni-
41 63 66 70 80 72 83 88 77 85 82 87 91 90 95
sche Oberschule
Abitur / Fachabitur 60 79 81 80 86 86 89 94 86 87 88 98 94 97 97

1 Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit.


Datenbasis: ALLBUS 1982, 1991, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016.

u Tab 2 Konsequenzen der Erwerbstätigkeit der Frau 1982 – 2016 — in Prozent

West Ost

1982 1991 1996 2000 2004 2008 2012 2016 1991 1996 2000 2004 2008 2012 2016
Anteil egalitärer Äußerungen, additiver Index der Aussagen 4 – 6
Insgesamt 1 29 43 46 53 59 66 74 85 74 80 83 88 92 92 93
Geschlecht
Männer 25 37 40 46 50 61 66 81 70 76 81 85 91 90 91
Frauen 32 49 52 60 67 70 82 88 77 84 85 92 93 95 95
Alter
18 – 30 Jahre 37 50 55 65 61 76 78 85 79 78 84 85 86 84 96
31– 45 Jahre 34 52 53 57 70 68 82 88 78 82 87 90 93 93 91
46 – 65 Jahre 24 36 42 50 55 68 76 86 70 79 80 90 95 95 94
ab 65 Jahren 16 28 26 41 40 53 57 79 64 80 82 87 91 93 92
Bildung
Hauptschulabschluss 24 34 39 47 48 55 63 80 65 79 81 89 92 88 87
Mittlere Reife / polytechni-
33 48 47 59 65 70 78 81 79 80 82 87 92 93 95
sche Oberschule
Abitur / Fachabitur 41 56 60 60 71 76 82 90 77 85 89 92 93 94 93

1 Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit.


Datenbasis: ALLBUS 1982, 1991, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016.

Kinder auswirkt. Die Verringerung der Regelung zum Elterngeld zurückführen. schen egalitärer eingestellt als ältere. Dies
Unterschiede in den Einstellungen zwi- Müttererwerbstätigkeit ist auch im Wes- gilt für beide untersuchten Dimensionen
schen den Geschlechtern in Westdeutsch- ten selbstverständlicher geworden. und trifft auf West- und Ostdeutschland
land in den letzten Jahren lässt sich wohl Einen großen Einfluss auf die Einstel- gleichermaßen zu. Die Unterschiede in
auch auf die Veränderung der weiblichen lungen zur Rolle der Frau im Erwerbs­ den je nach Altersgruppe vorliegenden
Erwerbstätigkeit, auf den Ausbau der Kin- leben hat das Alter der Befragten. Im Einstellungen zur Rolle der Frau haben
derbetreuung und Veränderungen in der Großen und Ganzen sind jüngere Men- 2016 allerdings abgenommen. Auch ältere

399
10 / Werte und Einstellungen 10.3 / Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes

Befragte zeigen sich inzwischen deutlich uTab 3 Konsequenzen der Erwerbstätigkeit des Mannes 2012 und 2016
egalitärer als früher. Unterschiede im Bil- — in Prozent
dungsniveau haben im Osten und im »Ein Vollzeit erwerbstätiger Vater
»Ein Vollzeit erwerbstätiger
Westen ähnliche Auswirkungen auf die kann zu seinem Kleinkind normaler-
Vater kann sich nicht aus-
weise ein genauso inniges Verhältnis
Einstellungen. So ist ein höherer Bildungs- reichend um seine Kinder
haben wie ein Vater, der nicht
kümmern.« ¹
stand mit egalitäreren Einstellungen ver- berufstätig ist.« ¹
bunden. In allen Bildungsgruppen nah- traditionell egalitär
men egalitäre Einstellungen über die Zeit West Ost West Ost
zu, wobei in den unteren Bildungsgrup- 2012 2016 2012 2016 2012 2016 2012 2016
pen der Anstieg stärker war als in den hö- Insgesamt ² 45 45 36 33 77 73 87 87
heren Bildungsgruppen. Die Unterschiede Geschlecht
zwischen Ost- und Westdeutschland Männer 48 51 42 36 74 69 83 84
nahmen über alle Bildungsgruppen ab. Frauen 43 40 30 30 80 77 90 90
Verheiratete Frauen ³
10.3.2 Konsequenzen der berufstätig 35 32 28 31 78 76 93 87
­Erwerbstätigkeit des Mannes nicht berufstätig 51 45 32 36 85 81 92 97
für seine Kinder
Verheiratete Männer ³
Im Folgenden werden vier ausgewählte
berufstätig 44 47 44 33 74 67 78 88
Fragen zur Rolle des Mannes in Familie
nicht berufstätig 59 59 45 43 81 76 90 85
und Beruf genauer betrachtet. Diese be-
Alter
ziehen sich auf die Konsequenzen der Er-
18 – 30 Jahre 36 36 31 21 71 66 81 88
werbstätigkeit des Mannes für seine Kin-
31– 45 Jahre 39 40 32 34 76 67 86 77
der und auf die Arbeitsteilung zwischen
46 – 65 Jahre 49 49 38 31 76 76 87 88
Mann und Frau in der Familie.
ab 65 Jahren 55 50 40 42 86 80 91 92
Die Aussagen in Tabelle 3 beziehen
sich auf die Konsequenzen der Erwerbs- Bildung

tätigkeit des Vaters für seine Kinder. Bis Hauptschul­a bschluss 53 52 40 38 80 75 92 92

2008 wurde nur die Einstellung zu Kon- Mittlere Reife /


polytechnische 42 46 37 34 76 73 86 87
sequenzen der weiblichen Erwerbstätig- Oberschule
keit erfasst. Seit 2012 kann man diesbe- Abitur / Fachabitur 40 42 28 30 76 73 84 85
züglich die Einstellungen zu Vater und
1 Anteil »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu«.
Mutter vergleichen. Die meisten Befrag- 2 Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit.
3 Verheiratet und mit dem Ehepartner zusammenlebend.
ten vor allem in Ostdeutschland waren Datenbasis: ALLBUS 2012 und 2016.

2016 der Meinung, dass sich weibliche Er-


werbstätigkeit nicht negativ auf die Kin-
desentwicklung auswirke (siehe Tab 2). Die
Erwerbstätigkeit des Vaters wurde aller- zu wenig Zeit für den Vater mit seinen führen, bei der der Staat der Familie die
dings ambivalenter beurteilt. Die meisten Kindern führt, aber dadurch nicht Kinderbetreuung nicht hauptverantwort-
Befragten (73 % der Westdeutschen und zwangsläufig das Verhältnis zwischen Va- lich überließ, sondern diese stark unter-
87 % der Ostdeutschen) stimmten zwar ter und Kindern leiden muss. Eventuell stützte. Anders als bei Einstellungen zur
zu, dass »ein Vollzeit erwerbstätiger Vater wird es von Vätern auch nicht erwartet, weiblichen Erwerbstätigkeit näherten
[…] zu seinem Kleinkind normalerweise sich in hohem Maße um ihre Kinder zu sich aber die Einstellungen zur Erwerbs-
ein genauso inniges Verhältnis haben kümmern. u Tab 3 tätigkeit des Vaters in West- und Ost-
[kann] wie ein Vater, der nicht berufstä- Wie bei den Einstellungen zur weibli- deutschland nicht an.
tig ist«. Allerdings gab auch ein Drittel chen Erwerbstätigkeit standen Befragte Im Einklang mit den eher traditionel-
der Ostdeutschen und knapp die Hälfte im Osten der Vollzeiterwerbstätigkeit des leren Einstellungen der Männer zur Rolle
der Westdeutschen an, dass »ein Vollzeit Vaters positiver gegenüber als Befragte im der Frau hatten Männer auch bezüglich
erwerbstätiger Vater […] sich nicht aus- Westen. Dies lässt sich möglicherweise der Erwerbstätigkeit von Vätern in West-
reichend um seine Kinder kümmern auf die in Ostdeutschland weitverbreitete und Ostdeutschland traditionellere Ein-
[kann]«. Diese Ergebnisse sprechen dafür, generationenübergreifende Erfahrung stellungen als Frauen. Sie stimmten häufi-
dass die Befragten wahrnehmen, dass der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ger als Frauen der Aussage zu, dass sich
Vollzeiterwerbstätigkeit von Vätern zwar und die Familienpolitik der DDR zurück- ein Vollzeit erwerbstätiger Vater nicht

400
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes / 10.3 Werte und Einstellungen / 10

ausreichend um die Kinder kümmern gestiegener Ansprüche der jüngeren Be- stellungen dazu erfasst, wie die Befragten
könne. Zudem waren weniger Männer als fragten, was ein inniges Verhältnis zu ein Rollentausch-Modell bewerten, bei
Frauen der Ansicht, dass berufstätige den Kindern betrifft. Dieser Unterschied dem der Mann zu Hause bleibt und sich
­Väter ein genauso inniges Verhältnis zu der Altersgruppen ist sowohl 2012 als um den Haushalt und die Kinder küm-
den Kindern haben könnten wie nicht auch 2016 festzustellen. Gerade in West- mert, während die Frau Vollzeit erwerbs-
berufstä­tige Väter. Dies gilt sowohl für deutschland unterschied sich die Gruppe tätig ist. Zudem bewerteten die Befragten
2012 als auch für 2016, wobei sich die tra- der über 65-Jährigen stark von den Jün- ein eher traditionelles Arbeitsteilungs-
ditionelle Haltung der Männer im Westen geren – eine Folge des in der Nachkriegs- modell, bei dem zwar beide erwerbstätig
zwischen 2012 und 2016 leicht verstärkte. zeit im Westen verbreiteten »traditionel- sind, aber die Frau für den Haushalt und
Die Einstellungen zur Erwerbstätig- len« Familienmodells. Allerdings hat sich die Familie hauptverantwortlich ist. u Tab 4
keit des Mannes sind in Ost- und West- die Einstellung der jungen Ostdeutschen Das Rollentausch-Modell wurde im
deutschland von der eigenen Erwerbstä- in Bezug auf die Aussage, dass sich ein er- Osten und Westen Deutschlands ähnlich
tigkeit abhängig. Berufstätige Frauen und werbstätiger Vater nicht genug um seine positiv bewertet. Jeweils etwa 94 % der
Männer stimmten in beiden Landesteilen Kinder kümmern könne, stark gewandelt. Befragten konnten sich gut vorstellen,
seltener als Nichterwerbstätige der Aus- Sie äußerten sich 2016 deutlich egalitärer. dass Frauen die Alleinverdienerinnen
sage zu, dass sich Vollzeit erwerbs­t ätige Interessanterweise findet sich die und Männer für Haushalt und Kinder
Männer nicht ausreichend um die Kinder größte Ambivalenz der Einstellungen zur verantwortlich sind. Geringe Unterschie-
kümmern könnten. Hier scheint die eige- Erwerbstätigkeit des Vaters in Ost- und de zeigen sich 2012 bei verheirateten
ne Erfahrung der Vereinbarkeit von Fa- Westdeutschland bei Personen mit einem Frauen im Osten: Hier äußerten berufstä-
milie und Beruf eine Rolle zu s­pielen. Volks- beziehungsweise Hauptschulab- tige Frauen eine höhere Zustimmung als
Wer die Erfahrung nicht macht, ist deut- schluss. Mit steigendem Bildungsniveau nicht berufstätige. Dieser Unterschied ist
lich skeptischer in Bezug auf die Er- sinkt diese Ambivalenz. Sowohl die Zu- für 2016 allerdings nicht mehr zu beob-
werbstätigkeit des Mannes. Bei der Frage stimmung zur Aussage, dass sich Vollzeit achten. Im Westen lassen sich für 2012
nach dem »innigen Verhältnis eines Voll- erwerbstätige Väter nicht ausreichend keine solchen Unterschiede feststellen.
zeit erwerbstätigen Vaters zu ­seinem kümmern könnten, als auch die Zustim- Im Jahr 2016 äußerten sich berufstätige
Kind« ist es genau umgekehrt. Hier wa- mung zur Aussage, dass diese Väter ein Frauen leicht egalitärer als nicht berufs­
ren berufstätige Männer in Westdeutsch- genauso inniges Verhältnis haben könn- tätige. Verheiratete Männer im Osten
land und berufstätige Frauen in beiden ten wie nicht erwerbstätige Väter, sinkt und Westen stimmten bei eigener Berufs-
Landesteilen seltener als Nichterwerbstä- mit steigendem Bildungsniveau. tätigkeit dem Modell stärker zu als Män-
tige der Ansicht, dass ein Vollzeit er- Es zeigt sich somit 2012 wie auch ner, die nicht berufstätig waren, wobei
werbstätiger Vater ein genauso inniges 2016, dass in allen betrachteten Gruppen der Unterschied 2012 im Westen deutli-
Verhältnis zu seinen Kindern aufbauen ein hoher Anteil der Personen der Mei- cher ausfiel als im Osten, wo sich für 2016
könne wie ein Vater, der nicht berufs­tätig nung war, dass sich ein Vollzeit erwerbs- geringe Unterschiede in die andere Rich-
ist. Auch hier ist es möglicherweise die tätiger Vater nicht ausreichend um seine tung beobachten lassen.
berufliche Erfahrung, die Männer und Kinder kümmern könne. Gleichzeitig war Im Westen stimmten ältere Befragte
Frauen die Konsequenzen der väterlichen in allen Gruppen die Mehrheit der Be- dem Rollentausch-Modell am seltensten
Erwerbstätigkeit auf das Verhältnis zum fragten der Meinung, dass ein Vollzeit er- zu. Im Osten waren die Unterschiede nach
Kind skeptischer einschätzen lässt. werbstätiger Vater ein genauso inniges Alter geringer. In Bezug auf den allgemein-
Die Ambivalenz gegenüber der väter- Verhältnis zu seinen Kindern haben kön- bildenden Schulabschluss zeigt sich, dass
lichen Erwerbstätigkeit ist in der höchs- ne wie ein Vater, der nicht berufstätig ist. mit zunehmendem Bildungsniveau die
ten Altersgruppe am größten. In dieser Befragten im Westen dem Rollentausch-
Gruppe war die Zustimmung zum inni- 10.3.3 Einstellungen zur Modell eher zustimmten. Allerdings sind
gen Verhältnis eines erwerbstätigen Vaters Arbeitsteilung in der Familie die Unterschiede nach Bildungsniveau im
zu seinen Kindern am höchsten, zugleich Das männliche Alleinverdiener-Modell, Osten wie im Westen gering.
aber auch die Zustimmung zur Einschät- in dem der Mann die finanzielle Versor- Die allgemein hohe Zustimmung zum
zung, dass sich Vollzeit erwerbstätige gung der Familie übernimmt und die Rollentausch-Modell lässt sich mögli-
­Väter nicht ausreichend um die Kinder Frau für Haushalt und Kinder verant- cherweise dadurch erklären, dass dieses
kümmern könnten. Die Ambivalenz ist wortlich ist, verliert in Deutschland zu- Arbeitsteilungsmodell kaum praktiziert
in der jüngsten Altersgruppe am nied- nehmend an Bedeutung. Dadurch rücken wird und dadurch einen hypothetischen
rigsten und möglicherweise neben der ei- andere Arbeitsteilungsmodelle in der Charakter aufweist, die Einstellungen
genen Erfahrung von der Vereinbarkeit ­Familie in den Fokus. Im ALLBUS 2012 hierzu somit selten auf eigenen Erfahrun-
von Familie und Beruf auch Ausdruck und 2016 wurden unter anderem Ein­ gen beruhen.

401
10 / Werte und Einstellungen 10.3 / Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes

u Tab 4 Einstellungen zur Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau es im Westen 45 % und im Osten 24 % der
2012 und 2016 — in Prozent nicht berufstätigen Ehemänner. Hier zeigt
»In einer Familie kann auch »Auch wenn beide Eltern erwerbstätig sich im Westen eine stärkere Veranke-
der Mann für den Haushalt und sind, ist es besser, wenn die rung dieses Arbeitsteilungsmodells als
die Kinder verantwortlich Verantwortung für den Haushalt
sein, während die Frau Vollzeit und die Kinder hauptsächlich bei im Osten. Tabelle 4 zeigt zudem, dass mit
erwerbstätig ist.« ¹ der Frau liegt.« ¹ zunehmendem Alter der Befragten die
egalitär traditionell Zustimmung zu diesem Arbeitsteilungs­
West Ost West Ost modell ansteigt, wobei diese Unterschiede
2012 2016 2012 2016 2012 2016 2012 2016 im Westen deutlicher ausgeprägt sind als
Insgesamt ² 94 93 94 94 32 25 25 19 im Osten. Im Westen unterschied sich die
Geschlecht Gruppe der über 65-Jährigen erneut stark
Männer 93 91 92 95 37 31 29 21 von der Gruppe der Jüngeren. Mit steigen-
Frauen 94 94 95 94 27 19 21 17 dem Bildungsniveau nahm die Zustim-
Verheiratete Frauen ³ mung zu einem traditionellen Modell ab.
berufstätig 95 96 99 95 19 17 12 11
Generell stimmten in Ost- und West-
nicht berufstätig 94 90 95 95 34 26 29 28
deutschland 2016 weniger Menschen die-
sem traditionellen Arbeitsteilungs­modell
Verheiratete Männer ³
zu als noch 2012. Besonders ausgeprägt ist
berufstätig 95 94 95 91 28 23 27 20
diese Abnahme bei Personen mit niedri-
nicht berufstätig 89 86 92 93 54 45 36 24
gerer Bildung im Westen und Personen in
Alter
der jüngsten Altersgruppe im Osten.
18 – 30 Jahre 97 94 91 96 24 19 22 9
31– 45 Jahre 93 94 96 99 27 19 18 17
10.3.4 Ausblick
46 – 65 Jahre 96 96 96 93 27 19 22 17
Die Einstellungen in West und Ost bezüg-
ab 65 Jahren 86 85 90 93 53 43 38 28
lich weiblicher Erwerbstätigkeit und der
Bildung Arbeitsteilung zwischen Männern und
Hauptschul­a bschluss 92 90 93 96 45 32 38 31 Frauen werden sich in den nächsten Jah-
Mittlere Reife / ren voraussichtlich weiter annähern. Ge-
polytechnische 94 93 93 95 28 26 23 16
Oberschule rade bei jungen Menschen sind die Unter-
Abitur / Fachabitur 95 95 95 93 21 18 16 17 schiede zwischen West und Ost nicht so
groß wie bei den Älteren. Auch die höhe-
1 Anteil »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu«.
2 Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit. re Erwerbsbeteiligung von Frauen und die
3 Verheiratet und mit dem Ehepartner zusammenlebend.
Datenbasis: ALLBUS 2012 und 2016. zunehmend besseren Möglichkeiten der
Kinderbetreuung im Westen sowie die In-
anspruchnahme von Elternzeit durch Vä-
Das Modell, bei dem die Verantwor- Westen, positiver gegenüber als Frauen. ter in beiden Landesteilen ermöglichen
tung für Haushalt und Kinderbetreuung Erwerbstätige verheiratete Frauen stimm- ein egalitäreres Familienmodell. Die Er-
auch dann bei der Frau liegt, wenn beide ten dieser Arbeitsteilung seltener zu als gebnisse deuten darauf hin, dass das Mo-
(Ehe-)Partner erwerbstätig sind, wurde nicht berufstätige verheiratete Frauen. Bei dell eines traditionellen männlichen Al-
im Westen stärker befürwortet als im verheirateten Männern war der Unter- leinverdieners an Bedeutung verliert und
­Osten. Insgesamt lag die Zustimmung zu schied zwischen Berufstätigen und Nicht- Frauen mehr Verantwortung erfahren be-
diesem Modell 2016 mit einem Viertel berufstätigen im Westen noch deutlicher. ziehungsweise ihnen zugesprochen wird,
(West) beziehungsweise knapp einem Während die berufstätigen Männer in Ost für den Lebensunterhalt zu sorgen. Auch
Fünftel (Ost) in beiden Landesteilen auf und West mit 20 % beziehungsweise 23 % ein Modell, bei dem nur die Frau erwerbs-
einem relativ niedrigen Niveau. Männer nahezu in gleicher Weise dem Arbeitstei- tätig ist, findet in West- und Ostdeutsch-
standen diesem Modell, insbesondere im lungsmodell zustimmten, befürworteten land breite Akzeptanz.

402
Einstellungen und Kontakte zu Ausländern / 10.4 Werte und Einstellungen / 10

10.4 Insgesamt lebten Ende 2016 ungefähr


10 Millionen Personen mit ausschließlich
Deutschen anpassen sollten, dass sie wie­
der in ihre Heimat zurückgeschickt wer­
Einstellungen ausländischer Staatsangehörigkeit in den sollten, wenn Arbeitsplätze knapp
und Kontakte zu Deutschland, viele von ihnen schon seit
Langem. Die durchschnittliche Aufent­
werden, dass ihnen jede politische Betäti­
gung in Deutschland untersagt werden
Ausländern haltsdauer verschiedener Ausländergrup­ sollte und dass sie sich ihren Ehepartner
pen variiert ­d abei stark. Während Perso­ unter ­i hren eigenen Landsleuten auswäh­
nen mit türkischem Pass, die zahlenmä­ len sollten.
Michael Blohm, Martina Wasmer
ßig stärkste Ausländergruppe, sich im Mit Abstand am meisten Zustim­
GESIS Mannheim
Mittel bereits seit 29 Jahren hier aufhal­ mung fand 2016 die vergleichsweise ge­
ten, sind es bei den Personen mit syri­ mäßigte Forderung nach Assimilation
WZB / SOEP scher Staatsangehörigkeit noch nicht ein­ an den deutschen Lebensstil. Sie wurde
mal drei Jahre. In der öffentlichen Wahr­ im Westen von über 70 %, im Osten von
nehmung hat sich der Fokus stark auf die über 80 % der befragten erwachsenen
in den letzten Jahren angekommenen Deutschen unterstützt. Den anderen
Schutzsuchenden verschoben. Insbeson­ Aussagen, in denen Ausländern eine
dere über die Frage nach der Integration gleichberechtigte Teilhabe am gesell­
in die deutsche ­Gesellschaft wird intensiv schaftlichen Leben abgesprochen wird,
diskutiert. ­Neben dem Aspekt der Inte­ stimmte demgegenüber die Mehrheit der
grationsbereitschaft und -fähigkeit der Befragten eher nicht zu. Das galt insbe­
ausländischen Bevölkerung spielt dabei sondere für die Forderung danach, dass
die H
­ altung der Mehrheitsgesellschaft Ausländer »unter sich« heiraten sollten,
eine zentrale Rolle. Abschottungstenden­ von der sich 87 % der Westdeutschen und
zen, Vorbehalte gegenüber »den Frem­ 75 % der Ostdeutschen distanzierten.
den« und anderen Kulturen, mangelnde Auch bei den anderen beiden ausländer­
Akzeptanz von Ausländern als gleichbe­ diskriminierenden Aussagen gab es in
rechtigte Mitbürgerinnen und Mitbürger – beiden Landesteilen eine Mehrheit für
»ausländerfeindliche« Positionen in der die ausländerfreundliche Position, die
einheimischen Bevölkerung erschweren allerdings bei den Ostdeutschen weniger
den Einglie­derungsprozess oder stellen deutlich ausfiel als bei den Westdeut­
sogar das Ziel »Integration« infrage. Des­ schen. u Abb 1
halb wird im Folgenden untersucht, wel­ Während Männer und Frauen sich in
che Einstellungen Deutsche gegenüber ihren Einstellungen gegenüber in Deutsch­
hier lebenden Ausländern und gegenüber land lebenden Ausländern kaum unter­
Muslimen h ­ aben, wie sie zum Zuzug von schieden, spielten Alter und Bildung eine
Schutz­suchenden stehen und inwieweit bedeutende Rolle. In beiden Landesteilen
Kontakte zwischen Deutschen und Aus­ äußerten ältere Befragte mehr Vorbehalte
ländern in unterschiedlichen Lebensbe­ gegenüber Ausländern als jüngere, wobei
reichen bestehen. im Westen zwischen der jüngsten und der
mittleren Altersgruppe kaum Unterschie­
10.4.1 Einstellungen zu ausländer- de zu erkennen waren. Bei den über
diskriminierenden Forderungen 59-Jährigen lag in beiden Landesteilen
In der Allgemeinen Bevölkerungsum­ der Anteil derjenigen, die den verschie­
frage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) denen Aussagen zustimmten, um jeweils
wurde seit 1980 wiederholt die Zustim­ mindestens 4 Prozentpunkte höher als
mung zu verschiedenen Aussagen erfasst, bei den 40- bis 59-Jährigen. u Tab 1
die restriktive beziehungsweise diskrimi­ In West und Ost gilt: je gebildeter
nierende Forderungen gegenüber Auslän­ desto weniger ausländerdiskriminierend.
dern beinhalten. Im Einzelnen sind dies: Personen mit höherer formaler Bildung
dass die in Deutschland lebenden Aus­ forderten deutlich seltener eine stärkere
länder ihren Lebensstil besser an den der Anpassung der Ausländer an deutsche

403
10 / Werte und Einstellungen 10.4 / Einstellungen und Kontakte zu Ausländern

u Abb 1 Zustimmung zu ausländerdiskriminierenden Forderungen 2016 — in Prozent Gepflogenheiten und stimmten auch sel­
tener den drei weiteren ausländerdiskri­
minierenden Aussagen zu als Personen
»Die in Deutschland lebenden Ausländer sollten ihren Lebensstil
(ein bisschen)1 besser an den der Deutschen anpassen.« mit einem niedrigeren allgemeinbilden­
West 13 16 71
den Schulabschluss. In West und Ost fan­
den letztgenannte Aussagen nur bei einer
Ost 8 11 81
kleinen Minderheit von jeweils unter
10 % der Personen mit Fachhochschul­
»Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland
lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.« reife oder Abitur Unterstützung. Bei den
West 72 16 12 Befragten, die höchstens einen Haupt­
schulabschluss hatten, lagen die Zustim­
Ost 55 23 22
mungsraten bei den genannten drei
»Man sollte den in Deutschland lebenden Ausländern jede
­Forderungen jeweils um ein Vielfaches
politische Betätigung in Deutschland untersagen.« höher, etwa viermal so hoch bei den
West 69 14 16 ­Forderungen nach einem Heimschicken
der Ausländer bei knapper Arbeit und
Ost 58 15 26
nach einem Verbot politischer Betäti­
»Die in Deutschland lebenden Ausländer sollten sich ihre Ehepartner gung; bei der Forderung, unter sich zu
unter ihren eigenen Landsleuten auswählen.« heiraten, sogar um einen Faktor von etwa
West 87 5 7 6,5 höher.
Was den Wandel der Einstellungen
Ost 75 11 14
über die Zeit angeht, so ist in den alten
Bundesländern von 1980 bis 1994 ein –
stimme nicht zu unentschieden stimme zu
mehr oder weniger starker – kontinuier­
licher Rückgang der Zustimmung zu allen
Skala von 1 »stimme überhaupt nicht zu« bis 7 »stimme voll und ganz zu«.
Stimme nicht zu: Skalenwerte 1, 2 und 3; unentschieden: Skalenwert 4; stimme zu: Skalenwerte 5, 6 und 7. vier Aussagen zu beobachten. Für diesen
1 Zusatz »ein bisschen« wurde bei der Hälfte der Befragten verwendet (Fragebogensplit). Die Formulierung hatte keine
­signifikante Auswirkung auf das Antwortverhalten.
Datenbasis: ALLBUS 2016.

u Tab 1 Zustimmung zu ausländerdiskriminierenden Forderungen in ausgewählten Bevölkerungsgruppen 2016 — in Prozent

West Ost

»in Heimat »keine »in Heimat »keine


»Lebensstil »unter sich »Lebensstil »unter sich
schicken, wenn politische schicken, wenn politische
anpassen« heiraten« anpassen« heiraten«
Arbeit knapp« Betätigung« Arbeit knapp« Betätigung«

Insgesamt 71 12 16 7 81 22 26 14

Geschlecht

Männer 71 12 17 7 81 21 26 14

Frauen 72 12 16 7 81 22 27 15

Altersgruppen

18 – 39 Jahre 69 9 11 4 72 17 19 7

40 – 59 Jahre 69 10 15 5 80 21 26 10

ab 60 Jahren 77 17 23 13 88 25 30 23

Schulabschluss

Hauptschule 82 21 27 14 89 36 42 33

Mittlere Reife 74 12 20 7 86 24 32 13

(Fach-)Hoch-
62 5 7 2 70 9 9 5
schulreife

Datenbasis: ALLBUS 2016.

404
Einstellungen und Kontakte zu Ausländern / 10.4 Werte und Einstellungen / 10

Zeitraum kann man eine zunehmend u Abb 2 Zustimmung zu ausländerdiskriminierenden Forderungen 1980 – 2016

­tolerantere Haltung gegenüber Auslän­ — in Prozent


dern konstatieren. Seit 1994 ist das Bild
weniger eindeutig. Auffällig ist vor allem
die Entwicklung bei der Forderung nach Formulierung »Gastarbeiter« Formulierung »Ausländer«

mehr Lebensstilanpassung. Diese Aus­ 100


sage thematisiert im Unterschied zu den Westdeutschland
anderen nicht direkt eine Diskriminie­ Ostdeutschland
rung oder Ausgrenzung und ist somit 80
auch nicht unbedingt als ausländerfeind­
lich zu bewerten. Hier war zwischenzeit­
60
lich eine starke Zunahme der Zustim­
mungsquoten zu verzeichnen. Seit 2010
lagen sie relativ konstant bei knapp 75 %
40
im Westen und etwa 80 % im Osten. Im
Gegensatz zu dieser Forderung nach der
Anpassung des Lebensstils war bei den 20
anderen Items bislang im Großen und
Ganzen eine Fortsetzung des liberalen
Trends auch nach 1994 zu beobachten. 0
Dementsprechend stimmten 2016 sowohl 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 2012 2016

der Forderung nach Heirat innerhalb der »Die in Deutschland lebenden Ausländer »Man sollte den in Deutschland lebenden
sollten ihren Lebensstil (ein bisschen)1 Ausländern jede politische Betätigung in
eigenen ethnischen Gruppe als auch der
besser an den der Deutschen anpassen.« Deutschland untersagen.«
Forderung, bei angespannter Arbeits­
marktsituation Ausländer in ihre Heimat »Wenn Arbeitsplätze knapp werden, »Die in Deutschland lebenden Ausländer
sollte man die in Deutschland lebenden sollten sich ihre Ehepartner unter ihren
zurückzuschicken, in beiden Landestei­ Ausländer wieder in ihre Heimat zurück- eigenen Landsleuten auswählen.«
len so wenige Befragte zu wie niemals zu­ schicken.«

vor in den ALLBUS-Erhebungen. Etwas


1 Zusatz »ein bisschen« wurde 2016 nur bei der Hälfte der Befragten verwendet (Fragebogensplit).
anders sieht es beim Verbot politischer Die Formulierung hatte keine signifikante Auswirkung auf das Antwortverhalten.
Datenbasis: ALLBUS 1980, 1984, 1988, 1990, 1994, 1996, 2000, 2002, 2006, 2010, 2012 und 2016.
Betätigung für Ausländer aus. Diese
­Forderung fand gegen den generellen
Trend in West- und Ostdeutschland 2016
etwas mehr Zustimmung als bei der vor­
herigen Erhebung 2012. Hier mögen die
Diskussionen um aktuelle Ereignisse
wie die Wahlkampfauftritte türkischer 10.4.2 Einstellungen zum Islam Gefragt wird im ALLBUS unter an­
Politiker in Deutschland eine Rolle ge­ Im ALLBUS werden auch einige Fragen derem nach der Zustimmung zur Forde­
spielt haben. u Abb 2 zu den Einstellungen der Deutschen ge­ rung, dass die Ausübung des islamischen
Bei der Betrachtung der Zeitreihen genüber dem Islam beziehungsweise Glaubens in Deutschland eingeschränkt
für die vier Items muss man beachten, Muslimen gestellt. Sie stellen eine wichti­ werden sollte. Im Jahr 2016 bejahten dies
dass 1994 der bis dahin verwendete Be­ ge Ergänzung zu den bislang erhobenen 37 % der Westdeutschen und sogar
griff »Gastarbeiter« durch »in Deutsch­ Einstellungen dar, da die islamische Reli­ 57 % der Ostdeutschen. Damit offenbar­
land lebende Ausländer« ersetzt wurde, gionszugehörigkeit in Deutschland eng ten hier mehr als doppelt so viele eine re­
um den veränderten Gegebenheiten und verknüpft ist mit einem ausländischen striktive Haltung wie bei den bereits er­
dem damit verbundenen geänderten Migrationshintergrund. Musliminnen wähnten Forderungen aus den Bereichen
Sprachgebrauch Rechnung zu tragen. und Muslime weisen hierzulande ganz Politik und Wirtschaft. Und die Tatsache,
Wie man an den Zahlen für 1994, als bei­ überwiegend einen Migrationshinter­ dass lediglich 19 % der Westdeutschen
de Formulierungsvarianten bei jeweils grund auf und die große Mehrheit der und 13 % der Ostdeutschen bejahten,
der Hälfte der Befragten verwendet wur­ hier lebenden Menschen türkischer Her­ dass der Islam in die deutsche Gesell­
den, sehen kann, hatte dies allerdings kunft sowie der in den letzten Jahren an­ schaft passe, rundet den Eindruck ab,
kaum Auswirkungen auf das Antwort­ gekommenen Schutzsuchenden gehören den man bereits angesichts des ausge­
verhalten der Befragten. dem Islam an. prägten Wunsches der Deutschen nach

405
10 / Werte und Einstellungen 10.4 / Einstellungen und Kontakte zu Ausländern

Assimilationsbereitschaft der hier leben­ ten in Deutschland verbunden ist, mehr­ wesenheit von Muslimen in Deutschland
den Ausländer gewinnen konnte: Die heitlich mit Skepsis. Dies belegen auch zu Konflikten führe. u Abb 3
einheimische Bevölkerung begegnet der die klaren Mehrheiten (56 % der West­ Im Jahr 2012 waren die Fragen zum
kulturellen Vielfalt, die mit der Anwe­ deutschen und 68 % der Ostdeutschen), Islam erstmals im ALLBUS enthalten.
senheit der Migrantinnen und Migran­ die 2016 der Ansicht waren, dass die An­ Der Zeitvergleich zeigt, dass seitdem die

u Abb 3 Einstellungen zum Islam 2012 und 2016 — in Prozent

2012 2016
»Die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland »Die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland
sollte eingeschränkt werden.« sollte eingeschränkt werden.«

West 55 17 29 West 48 15 37

Ost 38 20 42 Ost 29 14 57

»Der Islam passt in die deutsche Gesellschaft.« »Der Islam passt in die deutsche Gesellschaft.«

West 64 20 16 West 64 18 19

Ost 74 15 11 Ost 75 12 13

»Die Anwesenheit von Muslimen in Deutschland führt zu Konflikten.« »Die Anwesenheit von Muslimen in Deutschland führt zu Konflikten.«

West 32 24 44 West 25 19 56

Ost 24 20 56 Ost 16 16 68

stimme nicht zu unentschieden stimme zu stimme nicht zu unentschieden stimme zu

Skala von 1 »stimme überhaupt nicht zu« bis 7 »stimme voll und ganz zu«.
Stimme nicht zu: Skalenwerte 1, 2 und 3; unentschieden: Skalenwert 4; stimme zu: Skalenwerte 5, 6 und 7.
Datenbasis: ALLBUS 2012 und 2016.

u Tab 2 Islamkritische Einstellungen in ausgewählten Bevölkerungsgruppen — in Prozent

West Ost

»Religionsausübung »Islam »Konflikte durch »Religionsausübung »Islam »Konflikte durch


einschränken« passt nicht« Muslime« einschränken« passt nicht« Muslime«

Insgesamt 37 64 56 57 75 68
Geschlecht
Männer 37 63 55 58 76 66
Frauen 37 64 57 55 75 70
Altersgruppen
18 – 39 Jahre 28 58 52 42 64 64
40 – 59 Jahre 37 60 55 56 76 69
ab 60 Jahren 44 73 59 66 82 69
Schulabschluss
Hauptschule 53 76 63 74 88 73
Mittlere Reife 38 67 57 65 80 72
(Fach-)Hoch-
25 52 50 35 62 58
schulreife

Datenbasis: ALLBUS 2016.

406
Einstellungen und Kontakte zu Ausländern / 10.4 Werte und Einstellungen / 10

Haltung der Deutschen zum Islam noch letzten ALLBUS-Erhebung 2016 wurde die aufgrund der wirtschaftlichen Not in
kritischer geworden ist. In West und Ost insbesondere die Frage, wie mit Schutz­ ihren Heimatländern fliehen. Außerdem
sind die Anteile derjenigen, die die An­ suchenden verfahren werden solle, inten­ wurde das politisch umstrittene Thema
wesenheit von Muslimen in Deutschland siv öffentlich diskutiert. Zu allen Erhe­ »Familiennachzug« aufgegriffen. Den
als konfliktträchtig wahrnehmen und die bungszeitpunkten war die überwiegende Zuzug von Menschen, die wegen der
eine Einschränkung der Religionsaus­ Mehrheit der Befragten der Meinung, wirtschaftlichen Not in ihren Heimat­
übung für Muslime fordern, noch einmal dass der ­Zuzug von Schutzsuchenden nach ländern nach Deutschland kommen, will
deutlich – zwischen 8 und 15 Prozent­ Deutschland begrenzt werden solle. Die eine Mehrheit in West und Ost begren­
punkten – angestiegen. Lediglich im Hin­ Extrempositionen fanden demgegenüber zen; 34 % der Westdeutschen und 44 %
blick auf die allgemeine Aussage, dass der geringere Unterstützung: Der Anteil der­ der Ostdeutschen plädierten sogar dafür,
Islam in die deutsche Gesellschaft passe, jenigen, die forderten, dass der Zuzug den Zuzug von Armutsflüchtlingen völ­
hat sich seit 2012 nur wenig geändert. von Schutzsuchenden völlig unterbunden lig zu unterbinden. Bei den anderen
Diese wurde allerdings damals bereits werden solle, nahm in West und Ost in Gruppen von Schutzsuchenden waren es
mit großer Mehrheit abgelehnt. den letzten 20 Jahren deutlich ab und lag demgegenüber nur kleine Minderheiten
Was die Verbreitung islamkritischer 2016 unter 10 %. Der Gegenposition – zwischen 3 % und 7 % im Westen und
Einstellungen in verschiedenen gesell­ ­u neingeschränkte Zuzugsmöglichkeiten zwischen 6 % und 17 % im Osten, die sich
schaftlichen Subgruppen angeht, sind für Schutzsuchende – stimmten 2016, in für eine vollständige Abschottung aus­
­keine Unterschiede zwischen Männern den Zeiten der sogenannten Flüchtlings­ sprachen. Zwar wählten auch in Hinblick
und Frauen zu erkennen. Bei den anderen krise, mehr Befragte zu als je zuvor. u Abb 4 auf diese Gruppen die meisten Befragten
beiden Merkmalen, Alter und Bildung, Bei den Fragen zum Zuzug wurde die relativ unbestimmte Antwortkatego­
ergibt sich ein differenziertes Bild, je 2016 erstmals stärker nach Personen­ rie »der Zuzug soll begrenzt werden«.
nachdem welche der Einstellungen man gruppen mit verschiedenen Migrations­ Aber auch die Politik der offenen Gren­
betrachtet. Jüngere und Personen mit motiven differenziert. Unterschieden zen für Personen, die vor Krieg oder po­
h öherer Schulbildung äußerten sich
­ wurde bei den in Deutschland Schutzsu­ litischer Verfolgung fliehen, fand breite
­weniger ­islamkritisch. Allerdings variiert chenden zwischen politisch Verfolgten, Unterstützung. Für uneingeschränkte
das Ausmaß der beobachteten Unter­ Bürgerkriegsflüchtlingen sowie Personen, Zuzugsmöglichkeiten plädierten hier
schiede beträchtlich. Am deutlichsten
waren sie bei der diskriminierenden For­
derung nach einer Beschränkung der Re­
ligionsausübung für Muslime. Bei der
Aussage, dass die Anwesenheit von Mus­ u Abb 4 Einstellungen zum Zuzug Schutzsuchender 1991– 2016 — in Prozent
limen in Deutschland zu Konflikten füh­
re, sieht das Meinungsbild in allen hier
100
unterschiedenen Subgruppen der deut­ Westdeutschland
schen Gesellschaft dagegen recht ähnlich Ostdeutschland
aus. Auffällig sind hier nur die Ostdeut­ 80

schen mit hoher formaler Bildung. Sie sa­


hen die Anwesenheit von Muslimen in
60
Deutschland deutlich seltener als kon­
fliktträchtig an als Ostdeutsche mit ge­
ringerer Bildung. u Tab 2 40

10.4.3 Einstellungen zum Zuzug


20
von Schutzsuchenden
Die Einstellungen der Bevölkerung zum
Zuzug verschiedener Personengruppen 0
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
nach Deutschland werden im ALLBUS
seit 1991 in beiden Landesteilen erhoben. »Der Zuzug soll völlig »Der Zuzug soll »Der Zuzug soll unein-
unterbunden werden.« begrenzt werden.« geschränkt möglich sein.«
Sowohl zu Beginn der 1990er-Jahre, als
viele Bürgerkriegsf lüchtlinge aus dem
Datenbasis: ALLBUS 1991, 1992, 1996, 2000, 2006 und 2016.
zerfallenden Jugoslawien nach Deutsch­
land kamen, als auch zum Zeitpunkt der

407
10 / Werte und Einstellungen 10.4 / Einstellungen und Kontakte zu Ausländern

u Abb 5 Einstellungen zum Zuzug verschiedener Gruppen von immerhin etwa 45 % der Westdeutschen
Schutzsuchenden 2016 — in Prozent und rund 30 % der Ostdeutschen. Die
restriktivere Haltung der Ostdeutschen
»Flüchtlinge aus Ländern, in denen Krieg herrscht« gegenüber dem Zuzug von Schutzsuchen­
West
den tritt auch deutlich bei der Frage
46 52 3
des Familiennachzugs zutage. Diesen
Ost 31 63 6 wollten 17 % der Ostdeutschen gegenüber
lediglich 7 % der Westdeutschen kom­
»Flüchtlinge, die in ihrer Heimat politisch verfolgt werden« plett unterbinden. Bei der Frage des Fa­
West 44 51 5
miliennachzugs war aber gleichzeitig
auch – mit 48 % im Westen und 33 % im
Ost 30 59 10
Osten – jeweils der höchste Anteil derje­
»Flüchtlinge, die wegen der wirtschaftlichen Not in ihren Heimatländern
nigen zu verzeichnen, die sich für unein­
nach Deutschland kommen« geschränkte Zuzugsmöglichkeiten aus­
West 7 59 34 sprachen. u Abb 5
Betrachtet man auch hier, wie sich die
Ost 5 51 44
Meinungen in einzelnen Bevölkerungs­
»Ehepartner und Kinder, die ihren bereits hier lebenden Angehörigen
gruppen darstellen, fällt zum einen auf,
nach Deutschland folgen« dass hier im Gegensatz zu den ausländer­
West 48 46 7 diskriminierenden Einstellungen und den
islambezogenen Einstellungen Geschlechts­
Ost 33 50 17
unterschiede zu erkennen sind. In beiden
Landesteilen und bei allen Items waren
»Der Zuzug soll unein- »Der Zuzug soll »Der Zuzug soll völlig
geschränkt möglich sein.« begrenzt werden.« unterbunden werden.«
Frauen häufiger für uneingeschränkte
Zuzugsmöglichkeiten. Wirklich deutlich
ist der Unterschied allerdings nur im Fall
Datenbasis: ALLBUS 2016.

u Tab 3 Befürwortung uneingeschränkter Zuzugsmöglichkeiten in ausgewählten Bevölkerungsgruppen 2016 — in Prozent

West Ost

Zuzug soll uneingeschränkt möglich sein für … Zuzug soll uneingeschränkt möglich sein für …

Kriegs­ politisch Armuts­ Familien­ Kriegs­ politisch Armuts­ Familien­


flüchtlinge Verfolgte flüchtlinge angehörige flüchtlinge Verfolgte flüchtlinge angehörige

Insgesamt 46 44 7 48 31 30 5 33

Geschlecht

Männer 39 42 7 45 29 29 4 32

Frauen 52 46 8 50 32 31 6 34

Altersgruppen

18 – 39 Jahre 49 47 11 55 43 36 12 48

40 – 59 Jahre 49 47 6 46 29 30 4 31

ab 60 Jahren 38 39 5 42 25 27 2 26

Schulabschluss

Hauptschule 29 26 5 36 18 15 2 24

Mittlere Reife 46 44 8 48 25 27 2 28

(Fach-)Hoch-
57 57 9 56 48 46 11 47
schulreife

Datenbasis: ALLBUS 2016.

408
Einstellungen und Kontakte zu Ausländern / 10.4 Werte und Einstellungen / 10

von Kriegsflüchtlingen. 39 % der Männer schen Kriegsflüchtlingen, politisch Ver­ mindestens in einem der Lebensbereiche
(und damit sogar weniger als bei den po­ folgten und nachziehenden Familienan­ Kontakt mit Ausländern hatten, war dies
litisch Verfolgten und den nachziehenden gehörigen machten, während die Befrag­ nur bei 59 % der Ostdeutschen der Fall.
Familienangehörigen) plädierten dafür, ten mit niedriger Bildung die Möglichkeit Häufig – mit 65 % im Westen und 34 %
dass für diese Menschen uneingeschränk­ des Familiennachzugs am stärksten be­ im Osten – handelte es sich dabei um
ter Zuzug möglich sein sollte. Unter den fürworteten. u Tab 3 Kontakte im Freundes- und Bekannten­
Frauen fand der Zuzug von Kriegsflücht­ kreis. Diese Kontakte sind als Indikator
lingen mit 52 % die höchste Akzeptanz. 10.4.4 Kontakte zu Ausländern für eine gelungene Integration insofern
Ansonsten waren Jüngere eher für un­ Begegnungen zwischen Deutschen und von besonderer Bedeutung, als es sich
eingeschränkte Zuzugsmöglichkeiten als Ausländern können in verschiedenen Le­ hier um freiwillige, selbst gewählte Bezie­
Ältere, wobei die Unterschiede zwischen bensbereichen stattfinden: bei der Arbeit, hungen handelt. u Tab 4
den hier unterschiedenen Altersgruppen in der Nachbarschaft, in der Familie oder Vor allem unter jüngeren Menschen
gerade im Westen zum Teil gering ausfie­ im Freundes- und Bekanntenkreis. Men­ und Personen mit höherer Bildung sind
len. Dies gilt nicht für die verschiedenen schen in Ostdeutschland berichteten in beiden Landesteilen Kontakte zu Aus­
Bildungsgruppen. Personen mit niedriger in allen Lebensbereichen seltener über ländern in den verschiedenen Bereichen
formaler Bildung äußerten sich in beiden Kontakt mit Ausländern. Der Anteil der stärker verbreitet. Die Unterschiede zwi­
Landesteilen jeweils deutlich restriktiver. Westdeutschen mit Kontakten zu Auslän­ schen den Bildungsgruppen waren in bei­
Unter den Personen mit (Fach-)Hoch­ dern war jeweils ungefähr doppelt so den Landesteilen bei den Kontakten am
schulreife sprachen sich im Osten jeweils hoch wie der der Ostdeutschen. Bei Kon­ Arbeitsplatz und im Freundes- und Be­
mindestens etwa doppelt so viele für kei­ takten in der Nachbarschaft waren die kanntenkreis besonders hoch. Betrachtet
nerlei Zuzugsbegrenzungen aus wie unter Unterschiede sogar noch größer, was an­ man die verschiedenen Altersgruppen, so
den Personen, die maximal einen Haupt­ gesichts des immer noch deutlich gerin­ ist festzustellen, dass 82 % der 18- bis
schulabschluss hatten. Ähnlich sieht geren Ausländeranteils in den neuen 39-jährigen Westdeutschen angaben,
es im Westen aus. Auffällig ist, dass in Bundesländern – etwa 4 % gegenüber Kontakte zu Ausländern im Freundes­
beiden Landesteilen die Befragten mit etwa 13 % im Westen – nicht verwundert. kreis zu haben, während weniger als die
Abitur praktisch keinen Unterschied zwi­ Während im Westen 86 % der Befragten Hälfte der über 59-Jährigen solche Kon­

u Tab 4 Kontakte zu in Deutschland lebenden Ausländern 2016 — in Prozent

In eigener Familie Am In der Im Freundes-


Kontakt,
und Verwandt- Arbeits- Nachbar- und Bekannten-
egal wo
schaft platz schaft kreis

West 31 61 53 65 86

Ost 14 35 20 34 59

Datenbasis: ALLBUS 2016.

409
10 / Werte und Einstellungen 10.4 / Einstellungen und Kontakte zu Ausländern

u Tab 5 Kontakte zu in Deutschland lebenden Ausländern in verschiedenen Bevölkerungsgruppen 2016 — in Prozent

West Ost

in eigener im Freundes- in eigener im Freundes-


am in der am in der
Familie und und Familie und und
Arbeits- Nachbar- Arbeits- Nachbar-
Verwandt- Bekannten- Verwandt- Bekannten-
platz schaft platz schaft
schaft kreis schaft kreis

Insgesamt 31 61 53 65 14 35 20 34

Geschlecht

Männer 30 65 52 67 13 36 17 36

Frauen 33 57 53 63 15 32 23 32

Altersgruppen

18 – 39 Jahre 38 78 58 82 18 54 30 58

40 – 59 Jahre 33 70 55 68 13 51 23 37

ab 60 Jahren 24 31 45 47 13 8 12 17

Schulabschluss

Hauptschule 26 46 48 49 8 10 12 12

Mittlere Reife 29 60 50 62 13 35 16 28

(Fach-)Hoch-
37 72 58 79 20 50 31 54
schulreife

Datenbasis: ALLBUS 2016.

u Abb 6 Qualität der Erfahrungen mit Ausländern 2016 hatte bei Kontakten mit in Deutschland
lebenden Ausländern oft oder sehr oft
positive Erfahrungen bei Kontakten ­p ositive Erfahrungen gemacht (78 % im
mit Ausländern Westen, 61 % im Osten) und nur selten
West 33 45 15 6 1
oder nie negative Erfahrungen (66 % im
Westen, 73 % im Osten). u Abb 6
Ost 21 40 21 11 7
Auch bei einer bilanzierenden Be­
trachtungsweise, die sowohl die Angaben
negative Erfahrungen bei Kontakten
mit Ausländern zu positiven Erfahrungen als auch die zu
West 2 9 23 41 25 negativen Erfahrungen berücksichtigt,
gaben diejenigen, die in mindestens ei­
Ost 2 7 17 31 42
nem der Lebensbereiche Kontakte zu
Ausländern hatten, im Westen mit 81 %
sehr oft oft manchmal selten nie
und im Osten mit 79 % überwiegend
­p ositive Kontakterfahrungen an (mehr
Datenbasis: ALLBUS 2016.
positive als negative Erfahrungen). Nur
etwa jeder Fünfte berichtete von ambi­
valenten oder überwiegend negativen
Kontakten (gleiche Antwortkategorie
bei den beiden Kontaktqualitätsfragen
takte hatte. In Ostdeutschland lagen die Dabei besteht mit den Daten des ALLBUS oder mehr negative als positive Erfahrun­
entsprechenden Werte bei 58 % bezie­ 2016 zum ersten Mal die Möglichkeit, gen). Es zeigt sich, dass diejenigen, die
hungsweise 17 %. u Tab 5 auch die Qualität der Kontakte zu berück­ überwiegend positive Kontakte zu Aus­
Eine interessante Frage ist, ob sich sichtigen. 2016 wurde nämlich erstmals ländern hatten, den vier ausländerdiskri­
Personen mit Kontakten zu Ausländern in danach gefragt, wie oft man positive be­ minierenden Aus­s agen weitaus seltener
mindestens einem Lebensbereich und sol­ ziehungsweise n ­ egative Erfahrungen bei zustimmten als diejenigen ohne Kontakt
che ohne Kontakte in ihren Einstellungen Kontakten mit Ausländern gemacht habe. zu Ausländern. Interessant ist die kleine
gegenüber Ausländern unterscheiden. Jeweils eine große Mehrheit der Befragten Gruppe derjenigen, die angaben, mindes­

410
Einstellungen und Kontakte zu Ausländern / 10.4 Werte und Einstellungen / 10

u Tab 6 Zustimmung zu ausländerdiskriminierenden Forderungen nach Kontakterfahrungen 2016 — in Prozent

West Ost

»Die in »Wenn Arbeits- »Die in »Die in »Wenn Arbeits- »Die in


»Man sollte »Man sollte
Deutschland plätze knapp Deutschland Deutschland plätze knapp Deutschland
den in den in
lebenden werden, sollte lebenden lebenden werden, sollte lebenden
Deutschland Deutschland
Ausländer man die in Ausländer Ausländer man die in Ausländer
lebenden lebenden
sollten ihren Deutschland sollten sich sollten ihren Deutschland sollten sich
Ausländern Ausländern
Lebensstil lebenden ihre Ehe- Lebensstil lebenden ihre Ehe-
jede politische jede politische
(ein bisschen)¹ Ausländer partner unter (ein bisschen)¹ Ausländer partner unter
Betätigung in Betätigung in
besser an den wieder in ihre ihren eigenen besser an den wieder in ihre ihren eigenen
Deutschland Deutschland
der Deutschen Heimat zurück- Landsleuten der Deutschen Heimat zurück- Landsleuten
untersagen.« untersagen.«
anpassen.« schicken.« auswählen.« anpassen.« schicken.« auswählen.«

Ohne Kontakte
80 24 27 17 88 30 35 25
zu Ausländern

Mit ambivalenten
oder überwiegend
85 20 24 11 88 23 32 10
negativen Kontakt-
erfahrungen

Mit überwiegend
positiven Kontakt- 66 7 13 4 73 13 15 5
erfahrungen

1 Zusatz »ein bisschen« wurde bei der Hälfte der Befragten verwendet (Fragebogensplit). Die Formulierung hatte keine signifikante Auswirkung auf das Antwortverhalten.
Datenbasis: ALLBUS 2016.

tens genauso oft negative wie positive feindliches Meinungsklima in Deutsch­ Was die persönlichen Kontakte angeht,
­ rfahrungen gemacht zu haben. Bei den
E land gibt. Die Zustimmungsquoten zu bleibt festzuhalten, dass 2016 die Mehrheit
drei eindeutig ausländerdiskriminieren­ den diskriminierenden Forderungen las­ der Deutschen von positiven Erfahrungen
den Forderungen wiesen auch sie etwas sen vielmehr – vor allem langfristig, aber im Kontakt mit Ausländerinnen und Aus­
positivere Einstellungen auf als diejeni­ auch mit Blick auf die neuesten Zahlen – ländern berichtete. Gerade im Freundes-
gen ganz ohne Kontakte zu Ausländern. eine Tendenz hin zu einer wachsenden und Bekanntenkreis finden viele Begeg­
Dass Ausländer unter sich heiraten soll­ Ablehnung solcher Forderungen erken­ nungen statt. Dies ist in Bezug auf eine of­
ten, befürworteten im Osten diejenigen nen. Gleichzeitig scheint die Haltung der fene und tolerante Gesellschaft vor allem
ohne Kontakte sogar deutlich häufiger als Deutschen zur multikulturellen Realität deshalb wichtig, weil solche Kontakte im
diejenigen mit gemischten oder negativen hierzulande von einer gewissen Skepsis Allgemeinen mit einer ausländerfreund­
Erfahrungen. Anders sieht es bei der gegenüber dem beziehungsweise den licheren Haltung einhergehen.
­Forderung aus, dass die Ausländer ihren Fremden geprägt zu sein. Eine große
­L ebensstil besser anpassen sollten. Diese Mehrheit in West und Ost sowie in allen
Forderung wurde von denen mit ambiva­ hier unterschiedenen Subgruppen der
lenten oder überwiegend negativen Erfah­ Bevölkerung fordert eine größere Assi­
rungen im Osten etwa genauso häufig, im milationsbereitschaft der in Deutschland
Westen sogar noch häufiger befürwortet ­lebenden Ausländer ein; den Islam und
als von denen ganz ohne Kontakte zu seine Anhänger ­sehen die Deutschen eher
Ausländern. u Tab 6 noch kritischer als vier Jahre zuvor.
Gleichzeitig werden Zuzugsmöglich­
10.4.5 Zusammenfassung keiten für Schutzbedürf­tige (aufgrund
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass von Krieg oder politischer Verfolgung)
ausländerdiskriminierende Forderungen und die Möglichkeit des Familiennach­
zwar nach wie vor – insbesondere in Ost­ zugs nur von wenigen prin­zipiell infrage
deutschland und unter niedriger Ge­ gestellt. Bei allen hier untersuchten Ein­
bildeten – in beträchtlichem Ausmaß stellungen ist die Haltung der Ostdeut­
­Zustimmung finden, dass es aber keine schen ausländerkritischer als die der
­H inweise auf ein zunehmend ausländer­ Westdeutschen.

411
11
Deutschland
in Europa
11.1 Deutschland liegt mitten in Europa und
das nicht nur geografisch. Auch kulturell,
kerung, in 18 stieg sie. Wie sich die Be-
völkerung entwickelt, hängt von zwei
Leben in der politisch und wirtschaftlich ist Deutsch- Faktoren ab:
Europäischen land fest in europäische Strukturen ein-
gebettet – Deutschland ist Teil der Euro-
· von der natürlichen Bevölkerungsver-
änderung, das heißt der Differenz aus
Union päischen Union (EU), eines Staatenver- Geburtenzahl und Sterbefällen. Ein-
bundes mit 28 Mitgliedstaaten. u Info 1, Abb 1 fluss auf die natürliche Bevölkerungs-
veränderung haben neben der Gebur-
Johanna Mischke
11.1.1 Bevölkerung tenrate auch die Stärke der Jahrgänge
Deutschland war zu Jahresbeginn 2017 im potenziellen Elternalter sowie die
Statistisches Bundesamt mit 82,5 Millionen Einwohnerinnen und steigende Lebenserwartung;
(Destatis) Einwohnern der bevölkerungsreichste · vom Wanderungssaldo, der sich aus
Mitgliedstaat der EU, vor Frankreich mit der Differenz von Aus- und Einwande-
67,0 Millionen und dem Vereinigten rung ergibt.
­Königreich mit 65,8 Millionen Menschen. In Deutschland nahm die Bevölkerung
Insgesamt lebten Anfang 2017 in den im Jahr 2016 netto um rund 346 000 Ein-
28 EU-Staaten rund 512 Millionen Men- wohnerinnen und Einwohner zu. Ge­
schen. Im Lauf des Jahres 2016 wuchs tragen wurde diese Entwicklung von Zu-
die EU-Bevölkerung um 1,2 Millionen wanderung. Ohne Zuwanderung wäre
Menschen. Innerhalb der Europäischen Deutschlands Bevölkerung rückläufig, da
Union gab es jedoch gegenläufige Trends: 2016 rund 119 000 mehr Menschen star-
In 10 EU-Staaten schrumpfte die Bevöl- ben als geboren wurden. u Tab 1

u Info 1
Datenquelle
Die Daten dieses Kapitels stammen von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union. ­
In Zusammenarbeit mit den EU-Mitgliedstaaten harmonisiert Eurostat nationale Daten, um die
­Vergleichbarkeit auf europäischer Ebene herzustellen. Die Zahlen für Deutschland in diesem Kapitel
können dadurch von den Zahlen für Deutschland in den vorangegangenen Kapiteln abweichen.
Zugang zu weiteren europäischen Statistiken gibt es unter: www.destatis.de/europa

413
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

u Abb 1 Die Entwicklung der Europäischen Union

 Gründungsmitglieder
der EU 1958
Beitritt 1973
Beitritt 1981
Beitritt 1986
Beitritt 1995
Beitritt 2004
Beitritt 2007
Beitritt 2013
Beitrittskandidaten
 potenzielle
B eitrittskandidaten

Russische
Föderation

Vereinigtes
Königreich

Tschechien

Turkmenista

1 Andorra
2 Monaco Islamische
3 Liechtenstein Republik Iran

4 San Marino
5 Montenegro Tunesien Syrien
6 Kosovo Algerien
Marokko Libanon

Quelle: Europäische Kommission Israel


Jordanien
Libyen Ägypten Saudi-Arabien

Geburten neration – und damit auch die Zahl der figkeit verzeichneten Italien und Spanien
Damit die Bevölkerungszahl eines Landes potenziellen Mütter – kleiner als die vor- mit je 1,3 Kindern je Frau. u Abb 2
ohne Zuwanderung auf konstantem herige. Frankreich erreichte 2016 als ein-
­N iveau bleibt, muss in hoch entwickel- ziger EU-Staat mit 1,9 Kindern je Frau Alter der Mütter beim ersten Kind
ten Ländern jede Frau durchschnittlich noch annähernd diesen Wert. In Deutsch- Im Jahr 2016 waren in fünf EU-Ländern
2,1 Kinder bekommen. Liegt die Gebur- land lag die Geburtenziffer bei 1,6 Kin- Frauen bei der Geburt des ersten Kindes
tenziffer darunter, wird jede folgende Ge- dern je Frau. Die geringste Geburtenhäu- im Durchschnitt bereits über 30 Jahre alt,

414
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

u Tab 1 Bevölkerungsentwicklung 2016 u Abb 2 Zusammengefasste Geburtenziffer 2016 — Kinder je Frau


Bevölke- Natürliche Bevölke-
Wande-
rung Bevölke- Gesamt- rung
rungs-
1. Januar rungsver- saldo 1. Januar Frankreich 1,92
saldo
2016 änderung 2017
Schweden 1,85
in in
in 1 000
Millionen Millionen Irland 1,81
Belgien 11,3 13,8 26,8 40,6 11,4
Vereinigtes Königreich 1,79
Bulgarien 7,2 – 42,6 – 9,3 – 51,9 7,1
Dänemark 1,79
Dänemark 5,7 8,8 32,7 41,5 5,7
Lettland 1,74
Deutschland ¹ 82,2 – 118,8 464,7 346,0 82,5
Estland 1,3 – 1,3 1,0 – 0,3 1,3 Litauen 1,69

Finnland 5,5 – 1,1 17,1 16,0 5,5 Belgien 1,68


Frankreich 66,7 190,3 68,3 258,6 67,0 Niederlande 1,66
Griechenland 10,8 – 25,9 10,3 – 15,6 10,8
Rumänien 1,64
Irland 4,7 33,3 24,8 58,1 4,8
Tschechien 1,63
Italien 60,7 – 141,8 65,7 – 76,1 60,6
Estland 1,60
Kroatien 4,2 – 14,0 – 22,5 – 36,5 4,2
Lettland 2,0 – 6,6 – 12,2 – 18,8 2,0 Deutschland 1,60

Litauen 2,9 – 10,5 – 30,2 – 40,7 2,8 Slowenien 1,58


Luxemburg 0,6 2,1 9,4 11,5 0,6 Finnland 1,57
Malta 0,5 1,1 8,7 9,9 0,5
Bulgarien 1,54
Niederlande 17,0 23,5 78,9 102,4 17,1
Österreich 1,53
Österreich 8,7 7,0 65,4 72,4 8,8
Polen 38,0 – 5,8 11,5 5,8 38,0 Ungarn 1,53

Portugal 10,3 – 23,4 – 8,3 – 31,8 10,3 Slowakei 1,48


Rumänien 19,8 – 57,2 – 58,8 – 116,0 19,6 Kroatien 1,42
Schweden 9,9 26,4 117,7 144,1 10,0 Luxemburg 1,41
Slowakei 5,4 5,2 3,9 9,1 5,4
Polen 1,39
Slowenien 2,1 0,7 1,1 1,7 2,1
Griechenland 1,38
Spanien 46,4 0,5 87,4 87,9 46,5
Tschechien 10,6 4,9 20,1 25,0 10,6 Malta 1,37

Ungarn 9,8 – 31,7 – 1,2 – 32,9 9,8 Zypern 1,37


Vereinigtes Portugal 1,36
65,4 178,7 247,3 426,0 65,8
Königreich
Italien 1,34
Zypern 0,8 4,0 2,5 6,5 0,9 EU
EU 510,3 19,6 1 223,0 1 242,6 511,5 Spanien 1,34 1,60

Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat


1 Bevölkerungsstand jeweils zum 31.12. des Vorjahres. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht
für Deutschland 2016 einen Wanderungssaldo in Höhe von 500000 Personen.

beispielsweise in Italien und Spanien. steigt die Lebenserwartung immer weiter Litauen eine voraussichtliche Lebenser-
Frauen in Deutschland lagen im EU-Ver- an. Dabei gibt es aber deutliche regionale wartung von knapp 70 Jahren, in Italien
gleich mit 29,4 Jahren ebenfalls im oberen Unterschiede. Vor allem in den osteuropä- hingegen von 81 Jahren. Frauen haben ge-
Drittel. In den osteuropäischen Ländern ischen Ländern liegt die Lebenserwartung nerell eine deutlich höhere Lebenserwar-
bekamen Frauen vergleichsweise früh Kin- unter dem EU-Durchschnitt. Gründe tung als Männer: Im EU-Durchschnitt
der. In Bulgarien betrug das Durchschnitts- hierfür sind unter anderem der verglichen ­leben sie gut fünf Jahre länger. Doch auch
alter beim ersten Kind 26 Jahre. u Abb 3 mit Westeuropa niedrigere Lebensstan- hier gibt es Unterschiede: In Bulgarien ge-
dard, die schlechtere Gesundheitsversor- borene Mädchen hatten 2016 eine durch-
Lebenserwartung gung, schwerere Arbeitsbedingungen so- schnittliche Lebenserwartung von knapp
Die Chance auf ein langes Leben war nie wie andere Ernährungsgewohnheiten. So 79 Jahren, in Spanien hingegen von über
so gut wie heute. In allen EU-Staaten hatte ein im Jahr 2016 geborener Junge in 86 Jahren. u Abb 4

415
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

u Abb 3 Durchschnittliches Alter der Mütter bei der u Abb 4 Lebenserwartung bei Geburt 2016
Geburt des ersten Kindes 2016 — in Jahren — in Jahren

Bulgarien 71,3
Italien 78,5 31,0 Bulgarien 71,3 78,5

Rumänien 71,7
Spanien 79,1 30,8 Rumänien 71,7 79,1

Lettland 69,8
Luxemburg 79,6 30,5 Lettland 69,8 79,6

Ungarn 72,6
Griechenland 79,7 30,3 Ungarn 72,6 79,7

Litauen 69,5 Irland 80,1 30,1 Litauen 69,5 80,1

Slowakei 73,8
Niederlande 80,7 29,8 Slowakei 73,8 80,7

Kroatien Portugal75,0 81,3 29,6 Kroatien 75,0 81,3

Polen 73,9 82,0 Polen 73,9 82,0


Zypern 29,6
Tschechien 76,1 82,1 Tschechien 76,1 82,1
Deutschland 29,4
Estland 73,3 82,2 Estland 73,3 82,2
Dänemark 29,3
Dänemark 79,0 82,8 Dänemark 79,0 82,8
Schweden 29,2
nigtes Königreich 79,4 83,0 Vereinigtes Königreich 79,4 83,0
Österreich 29,2
Niederlande 80,0 83,2 Niederlande 80,0 83,2
Malta 29,1
Deutschland 78,6 83,5 Deutschland 78,6 83,5
Finnland 29,0
EU 78,2 83,6 EU 78,2 83,6
Vereinigtes Königreich 28,9
Irland 79,9 83,6 Irland 79,9 83,6
Slowenien 28,8
Griechenland 78,9 84,0 Griechenland 78,9 84,0
Belgien 28,8
Belgien 79,0 84,0 Belgien 79,0 84,0
Kroatien 28,5
Österreich 79,3 84,1 Österreich 79,3 84,1
Frankreich 28,5
Schweden 80,6 84,1 Schweden 80,6 84,1
Tschechien 28,2
Portugal 78,1 84,3 Portugal 78,1 84,3
Ungarn 27,8
Slowenien 78,2 84,3 Slowenien 78,2 84,3

Finnland Estland 27,5 Finnland


78,6 84,4 78,6 84,4

Malta Litauen 80,6 84,4 27,3 Malta 80,6 84,4

Zypern Polen 80,5 84,9 27,2 Zypern 80,5 84,9

Luxemburg Slowakei 80,1 85,4 27,0 Luxemburg 80,1 85,4

Italien Lettland 81,0 85,6 26,8 Italien 81,0 85,6

Frankreich Rumänien 79,5 85,7 26,4 Frankreich 79,5 85,7


EU
Spanien Bulgarien 80,5 86,3 26,0 29,0 Spanien 80,5 86,3

Jungen Mädchen
Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

Ein- und Auswanderung neten eine Nettozuwanderung. Die en. Diese vier Länder verzeichnen bereits
Wie sich die Gesamtbevölkerung eines Hauptzielländer waren Schweden, das seit 1990 ununterbrochen einen negativen
Landes entwickelt, hängt neben der na- Vereinigte Königreich sowie Deutschland. Wanderungssaldo (siehe auch Tab 1).
türlichen Bevölkerungsentwicklung von Sieben EU-Staaten wiesen einen negati-
den Wanderungsbewegungen ab. In ven Wanderungssaldo auf, es wanderten Schutzsuchende
21 EU-Staaten war der Wanderungssaldo also mehr Menschen ab als zu. Dazu ge- Neben der innereuropäischen Migration,
im Jahr 2016 positiv. Vor allem die nord- hörten auch die osteuropäischen Staaten die durch die Niederlassungsfreiheit in-
und westeuropäischen Länder verzeich- Rumänien, Litauen, Lettland und Bulgari- nerhalb der EU erleichtert wird, gab es in

416
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

u Abb 5 Asylanträge aus Nicht-EU-Staaten — pro Monat

200 000

150 000

100 000

50 000

0
1.1.2008 1.1.2010 1.1.2012 1.1.2014 1.1.2016 31.12.2017

EU davon in Deutschland

Erst- und Folgeanträge.


Quelle: Eurostat

u Abb 6 Altersaufbau der Bevölkerung 2017 — in Prozent


den vergangenen Jahren eine starke Zu-
wanderung von Schutzsuchenden aus
Alter
dem außereuropäischen Ausland. Im
85 +
Jahr 2017 wurden in den 28 EU-Staaten
80 – 84 insgesamt rund 705 000 Asylanträge ge-
75–79 stellt. Die meisten Antragstellenden
70 –74 stammten aus Syrien (15 %), dem Irak
65– 69
und Afghanistan (je 7 %) sowie Nigeria
(6 %). Wichtigstes Zielland innerhalb der
60– 64
EU war Deutschland mit rund 223 000
55– 59
Asylanträgen. Es folgten Italien (rund
50– 54 129 000) und Frankreich (99 000). Rund
45– 49 30 % aller Antragstellenden in der EU
40– 44 waren Kinder und Jugendliche unter
35– 39 18 Jahren. u Abb 5
30 – 34
Demografischer Wandel
25– 29
Die anhaltend niedrigen Geburtenraten
20 –24 und die steigende Lebenserwartung füh-
15 –19 ren zu einer Alterung der Gesellschaft.
10 –14 Dieser Prozess kann durch Zuwanderung
5– 9 allenfalls gedämpft werden. In Deutsch-
land ist der demografische Wandel im
0–4
EU-Vergleich besonders weit vorange-
10 5 0 0 5 10 schritten. Von der idealtypischen klassi-
Männer EU Frauen EU Männer/ Frauen Deutschland schen Bevölkerungspyramide weicht
Deutschland bereits deutlich ab. u Abb 6
Quelle: Eurostat Kinder und Jugendliche stellen in
Deutschland schon lange nicht mehr die

417
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

uAbb 7 Demografischer Wandel u Abb 8 Einpersonenhaushalte 2016


— Anteile in Prozent der Bevölkerung — in Prozent aller Haushalte

Irland
35 Dänemark 44,8

30 Schweden 41,9

Finnland 41,3
25
Deutschland 40,7
20
Litauen 38,7
15
Estland 38,0
10 Niederlande 37,6

5 Österreich 37,0

Frankreich 35,5
0
1970 1980 1990 2000 2010 2017 Belgien 34,1

Ungarn 33,7
Vereinigtes Königreich
Italien 32,4
25
Lettland 30,8
20
Bulgarien 30,5
15
Slowenien 30,4
10 Vereinigtes Königreich 29,7

5 Rumänien 29,3

0 Tschechien 28,4
1970 1980 1990 2000 2010 2017 Luxemburg 27,6

Griechenland 25,7
Deutschland
25 Spanien 25,4

Polen 24,8
20
Kroatien 24,6
15
Malta 24,5
10
Irland 23,6

5 Slowakei 22,2

0 Portugal 21,8
EU
1970 1980 1990 2000 2010 2017 20,8 32,5
Zypern
unter 15-Jährige 65-Jährige und Ältere

Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

zahlenmäßig stärksten Jahrgänge dar. des demografischen Wandels, aber auch Zusammenlebens aus. Einpersonenhaus-
Im Jahr 2017 lag der Anteil der unter dort nimmt der Anteil der über 65-Jähri- halte sind in der EU mittlerweile der häu-
15-Jährigen an der Bevölkerung hierzu- gen zu. u Abb 7 f igste Hausha ltst y p. Im EU-weiten
lande bei 13 %. Das war der niedrigste Durchschnitt wurde 2016 rund jeder
Wert in der EU. Der Anteil der über 11.1.2 Haushalts- und dritte Haushalt (33 %) allein geführt. Am
65-Jährigen in Deutschland stieg auf den Familienstrukturen höchsten war der Anteil in Dänemark
neuen Höchststand von 21 %. Länder wie Sinkende Kinderzahlen, steigende Le- mit 45 %. Deutschland erreichte mit 41 %
das Vereinigte Königreich oder Irland benserwartung und erhöhtes Mobilitäts- ebenfalls eine überdurchschnittliche
befinden sich in einem früheren Stadium verhalten wirken sich auf die Form des Quote. u Abb 8

418
Abb 9 Bevölkerung nach Haushaltstyp 2016 - in Prozent
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

u Abb 9 Bevölkerung nach Haushaltstyp 2016 — in Prozent Kinder gab es in Deutschland nur
noch in 24 % aller Haushalte, der EU-
Haushalte mit Kindern (24 %) Durchschnitt lag bei 30 %. u Abb 9
Deutschland 41 31 4 4 18 2
Auszug aus dem Elternhaus
Haushalte mit Kindern (30 %)
Aufgrund der unterschiedlichen finanzi-
EU 33 29 8 4 21 5 ellen und kulturellen Rahmenbedingun-
gen variiert das Auszugsverhalten junger
ein Erwachsener zwei Erwachsene drei oder mehr Erwachsene Menschen in der EU je nach geografischer
ein Erwachsener zwei Erwachsene drei oder mehr Erwachsene Lage sehr deutlich. So sind »Nesthocker«
mit Kind(ern) mit Kind(ern) mit Kind(ern) in den nordeuropäischen Ländern eine
absolute Ausnahme. In Dänemark und
Als Kinder gelten Personen unter 18 Jahren sowie zwischen 18 und 24 Jahren, sofern sie nicht erwerbstätig
oder arbeitsuchend sind und mit mindestens einem Elternteil zusammenleben. Finnland lebten 2016 nur noch insgesamt
Quelle: Eurostat
4 % der 25- bis 34-Jährigen bei den Eltern.
In Deutschland waren es 18 %. Vor allem
u Abb 10 25- bis 34-Jährige, die bei den Eltern leben 2016 — in Prozent im südlichen und östlichen Europa hinge-
Als Kinder gelten Kinder unter 18 Jahren sowie Kinder zwischen 18 und 24 Jahren, sofern sie nicht
erwerbstätig oder arbeitsuchend sind und mit mindestens einem Elternteil zusammenleben. gen wohnten sehr viele Menschen auch
im Erwachsenenalter noch im Elternhaus:
Dänemark 3 5 In Kroatien (59 %), der Slowakei (56 %)
Finnland 2 6 und Griechenland (55 %) traf das auf
Schweden 5 7 mehr als die Hälfte der 25- bis 34-Jähri-
Niederlande 6 15 gen zu. In allen EU-Staaten blieben die
Frankreich 10 17 Söhne deutlich häufiger bei den Eltern
10 19
wohnen als die Töchter. u Abb 10
Vereinigtes Königreich

Österreich 13 23
11.1.3 Bildung
Deutschland 10 26
Erstklassige Bildungssysteme und quali-
Estland 18 26 fizierte Fachkräfte gehören zu den wich-
Belgien 15 29 tigsten Voraussetzungen für Europas
Irland 22 34 ­Zukunftsfähigkeit in der globalisierten
EU 22 35 Welt. Um den immer neuen Anforde­
Litauen 22 37 rungen der Wissensgesellschaft gerecht
Luxemburg 37
zu werden, ist eine hochwertige Ausbil-
20
dung des Nachwuchses unabdingbar.
Tschechien 25 41
Die jährlichen Aufwendungen der EU-
Zypern 23 41
Staaten dafür unterscheiden sich jedoch
Lettland 30 41 erheblich.
Spanien 35 46

Ungarn 33 49 Öffentliche Gesamtausgaben


Portugal 40 51 für Bildung
Slowenien 34 51 Schweden investierte 2015 mit 7,1 % sei-
Polen 52
nes Bruttoinlandsprodukts (BIP) den EU-
39
weit größten Anteil in sein nationales Bil-
Rumänien 31 56
dungssystem. Hoch war die Quote auch
Italien 40 57
in Finnland mit 6,8 %. Deutschland blieb
Malta 44 59 mit 4,5 % unter dem EU-Durchschnitt
Bulgarien 32 60 von 5,1 %. u Abb 11
Griechenland 46 64

Slowakei 47 64 Frühe Schulabgängerinnen


Kroatien 47 70 und -abgänger
Verlassen junge Menschen die Schule nur
Quelle: Eurostat Frauen Männer mit einem niedrigen oder ohne Bildungs-

419
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

uAbb 11 Öffentliche Gesamtausgaben für Bildung 2015 u Abb 12 Frühe Schulabgängerinnen und -abgänger 2017
— in Prozent des Bruttoinlandsprodukts — in Prozent der 18- bis 24-Jährigen

Schweden 7,1 Malta 18,8

Finnland 6,8 Rumänien 18,3

Spanien 18,2
Belgien 6,4
Italien 14,0
Zypern 6,4
Portugal 13,2
Vereinigtes Königreich¹ 5,9
Bulgarien 13,2
Frankreich 5,5
Ungarn 12,2
Österreich 5,4
Vereinigtes Königreich 10,6
Malta 5,4 Estland 10,0

Niederlande 5,4 Deutschland 10,0

Lettland 5,3 Belgien 9,1

Portugal ¹ 5,0 Slowakei 9,0

Lettland 9,0
Irland ¹ 4,9
Frankreich 8,8
Estland ² 4,9
Zypern 8,5
Polen 4,8
Dänemark 8,4
Slowenien 4,6
Finnland 8,0
Slowakei 4,6 Schweden 7,6

Deutschland 4,5 Österreich 7,3

Ungarn 4,3 Niederlande 7,0

Spanien Tschechien 6,8


4,2
Luxemburg 6,7
Litauen 4,1
Griechenland 6,2
Italien 4,1
Irland 6,1
Bulgarien 3,9
Litauen 5,2
Luxemburg 3,9
Polen 5,1
Tschechien 3,8 Slowenien 4,6
EU ² EU
Rumänien 2,7 5,1 Kroatien 3,0 10,6

Keine Angaben für Dänemark, Griechenland und Kroatien.


1 2014.
2 2013.
Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

abschluss, haben sie auf dem Arbeits- In der EU sank die Quote der frühen ger hingegen sehr selten, so zum Beispiel
markt schlechtere Chancen als Gleichalt- Schulabgängerinnen und -abgänger 2017 in Kroatien (3,0 %). Junge Männer verlie-
rige mit höherem Bildungsabschluss. auf den neuen Tiefstand von 10,6 %. ßen in fast allen EU-Staaten häufiger die
Als frühe Schulabgängerinnen und -ab- ­Malta (18,8 %) sowie Rumänien (18,3 %) Schule früher als ihre Altersgenossin-
gänger gelten 18- bis 24-Jährige, die und Spanien (18,2 %) verzeichneten über- nen. u Abb 12
höchstens den Sekundarbereich I ­(siehe durchschnittliche Quoten. In Deutsch-
Kapitel 3.1, Seite 104, Abb 1) abgeschlos- land lag der Anteil bei 10,0 %. In einigen Hohe Bildungsabschlüsse
sen haben und sich nicht in Aus- / Weiter- osteuropäischen EU-Staaten sind früh- Einen wesentlichen Beitrag zur Ausbil-
bildung befinden. zeitige Schulabgängerinnen und -abgän- dung hoch qualifizierter Fachleute leis-

420
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

uAbb 13 30- bis 34-Jährige mit Tertiärabschluss uAbb 14 30- bis 34-Jährige in der EU
— in Prozent mit Tertiärabschluss — in Prozent

Litauen 36 58 45

Zypern 46 55

Luxemburg 35 55

Irland 43 53

Schweden 41 51 35

Dänemark 38 49

Vereinigtes Königreich 38 49

Estland 34 47

Niederlande 36 47 25

Slowenien 31 47

Belgien 42 46 0
2007 2009 2011 2013 2015 2017
Lettland 26 46

Polen 27 46 Frauen Männer

Finnland 45 47 Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss (ISCED-Stufen 5 bis 8).


Siehe Kapitel 2.1, Seite 53, Info 2.
Frankreich 41 44 Quelle: Eurostat

Griechenland 26 43

Spanien 41 41

Österreich 21 41

EU 30 40

Tschechien 13 34

Portugal 20 34

Deutschland 27 34

Slowakei 15 34

Bulgarien 26 33

Ungarn 21 32
Das stellte einen neuen Höchstwert dar;
Malta 21 31 im EU-Vergleich lag Deutschland aber
Kroatien 17 27 weiterhin im unteren Drittel. Der EU-
Italien 19 27 Durchschnitt lag bereits bei 40 %, wobei
Rumänien 14 26 Frauen deutlich häufiger hoch qualifi-
ziert waren (45 %) als Männer (35 %). Der
2007 2017 Bildungsvorsprung der Frauen hat sich
in den vergangenen Jahren stetig vergrö-
Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss (ISCED-Stufen 5 bis 8). Siehe Kapitel 2.1, Seite 53, Info 2. ßert. u Abb 13, Abb 14
Quelle: Eurostat

11.1.4 Wirtschaft
Die 28 Staaten der Europäischen Union
sind wirtschaftlich eng miteinander
­v erf lochten. Sie bilden einen großen
ten die Bi ldungseinrichtungen des akademien sowie Ausbildungsstätten für ­Binnenmarkt, in dem Freizügigkeit für
Tertiär­b ereichs. In Deutschland zählen Erzieherinnen und Erzieher. Personen, Waren, Dienstleistungen und
dazu Universitäten, Fachhochschulen, Tatsächlich erwerben immer mehr Kapital gilt.
Verwaltungsfachhochschulen, Berufs- junge Menschen einen Hochschulgrad Das nominale Bruttoinlandsprodukt
akademien, Fachschulen (ohne Schulen oder einen vergleichbar hohen Abschluss. (BIP) der EU lag 2017 bei rund 15,3 Billio-
für Gesundheits- und Sozialberufe), In Deutschland waren es 2017 in der Al- nen Euro. Davon erwirtschaftete Deutsch-
Meisterkurse, Technikerschulen, Fach- tersgruppe der 30- bis 34-Jährigen 34 %. land – die größte Volkswirtschaft der EU –

421
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

u Abb 15 Preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt 2017 des nominalen BIP erreichen und die
— Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent Preisentwicklung stabil sein (sogenannte
Maastrichter Konvergenzkriterien). Der
Eurozone gehören gegenwärtig 19 EU-
Irland 7,8 Staaten an.
Rumänien 6,9

Malta 6,6
Öffentlicher Finanzierungssaldo
(Defizit beziehungsweise
Slowenien 5,0
Überschuss)
Estland 4,9
Insgesamt 18 der 19 Euroländer hielten
Polen 4,6 2017 die Defizitgrenze von 3 % des BIP
Lettland 4,5 ein. Nur Spanien verfehlte diese Marke
Tschechien 4,4 knapp (– 3,1 %). Acht Länder der Eurozo-
Ungarn 4,0
ne erzielten einen Überschuss; ihre Ein-
nahmen lagen also über den Ausgaben.
Zypern 3,9
Dazu gehörten unter anderem Deutsch-
Litauen 3,8
land (+ 1,3 % des BIP) und Griechenland
Bulgarien 3,6 (+ 0,8 % des BIP). u Tab 2
Slowakei 3,4

Niederlande 3,2 Öffentlicher Schuldenstand


Spanien 3,1
Trotz der relativ geringen öffentlichen
Defizite blieb der öffentliche Schulden-
Österreich 2,9
stand weiter hoch: Im Jahr 2017 über-
Kroatien 2,8
stieg er in 12 der 19 Euroländer den ver-
Portugal 2,7 einbarten Referenzwert von 60 % des BIP.
Finnland 2,6 Unverändert schwierig war die Lage vor
Schweden 2,4 ­a llem in Griechenland. Dort betrug der
Luxemburg 2,3
Schuldenstand 2017 rund 179 % des BIP.
Sehr hoch war er auch in Italien (132 %)
Deutschland 2,2
und Portugal (126 %). Deutschland baute
Dänemark 2,1
das fünfte Jahr in Folge Schulden ab. Der
Vereinigtes Königreich 1,8 Schuldenstand sank 2017 auf 64 % des
Frankreich 1,8 BIP. Die 60-Prozent-Marke wurde hier-
Belgien 1,7 zulande letztmalig 2002 eingehalten.
Italien 1,5
EU
2,4
Preisentwicklung
Griechenland 1,4
Während für die Kontrolle der öffentli-
chen Finanzen die Regierungen der EU-
Quelle: Eurostat
Länder verantwortlich sind, obliegt die
Überwachung der Preisniveaustabilität
der Europäischen Zentralbank (EZB)
und dem »Europäischen System der Zen-
tralbanken«. Laut EZB ist eine Preisni-
21 % beziehungsweise 3,3 Billionen Euro. 11.1.5 Finanzen veaustabilität in der Eurozone gegeben,
Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise Für die Teilnahme an der Eurozone for- wenn die Inf lationsrate (das heißt die
2008/2009 hatte nega­t ive Auswirkungen dert der Europäische Rat im Rahmen des Veränderungsrate des Harmonisierten
auf die Wirtschafts­leistung vieler EU- Stabilitäts- und Wachstumspakts Haus- Verbraucherpreisindex zum Vorjahr) un-
Staaten. Mittlerweile verzeichnen jedoch haltsdisziplin. Demnach soll das jähr­ ter oder nahe 2 % liegt. Deutschland
alle Länder wieder ein Wirtschaftswachs- liche öffentliche Defizit eines Staates blieb 2017 mit einer Preissteigerung von
tum. In 15 EU-Staaten wuchs das BIP ­m aximal 3 % des nominalen Bruttoin- 1,7 % innerhalb dieses Rahmens. In sechs
2017 sogar um mehr als 3 %, in Deutsch- landsprodukts (BIP) betragen, der öffent- Euroländern überstieg die Inflationsrate
land stieg es um 2,2 %. u Abb 15 liche Schuldenstand nicht mehr als 60 % hingegen die 2-Prozent-Marke. Am

422
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

­ eutlichsten erhöhten sich die Verbrau-


d u Tab 2 Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien) 2017
cherpreise in Estland und Litauen (je- Öffentlicher
Öffentlicher
weils + 3,7 %). Preisentwicklung Finanzierungs-
Bruttoschulden-
(Inflationsrate) saldo (Defizit
stand
oder Überschuss)
11.1.6 Arbeitsmarkt Veränderung gegenüber
in % des BIP
Vorjahr in %
Erwerbstätigkeit Eurozone (19 Staaten) 1,5 – 0,9 86,7
Abgekoppelt von der Entwicklung auf Belgien 2,2 – 1,0 103,1
dem europäischen Arbeitsmarkt hält das Deutschland 1,7 + 1,3 64,1
Beschäftigungswachstum in Deutschland Estland 3,7 – 0,3 9,0
bereits seit mehr als zehn Jahren an. Dank Finnland 0,8 – 0,6 61,4
der guten wirtschaftlichen Lage erreichte Frankreich 1,2 – 2,6 97,0
die Erwerbstätigenquote der 20- bis Griechenland 1,1 + 0,8 178,6
64-Jährigen 2017 den neuen Höchststand Irland 0,3 – 0,3 68,0

von 79 %. Innerhalb der EU lag der Er- Italien 1,3 – 2,3 131,8

werbstätigenanteil nur in Schweden mit Lettland 2,9 – 0,5 40,1

82 % noch höher. In den meisten EU-Staa- Litauen 3,7 + 0,5 39,7

ten waren die Folgen der Finanzmarkt- Luxemburg 2,1 + 1,5 23,0

und Wirtschaftskrise 2008/2009 lange auf Malta 1,3 + 3,9 50,8

den Arbeitsmärkten zu spüren. Erst seit Niederlande 1,3 + 1,1 56,7

2014 gab es wieder Zeichen der Entspan- Österreich 2,2 – 0,7 78,4

nung: Auch besonders stark betroffene Portugal 1,6 – 3,0 125,7

Länder wie Griechenland, Italien, Kroatien Slowakei 1,4 – 1,0 50,9

oder Spanien verzeichneten wieder lang- Slowenien 1,6 + 0,0 73,6

sam steigende Erwerbstätigenquoten. Das Spanien 2,0 – 3,1 98,3

Vorkrisenniveau konnte bislang aber Zypern 0,7 + 1,8 97,5

nicht wieder erreicht werden. u Abb 16 EU-Staaten außerhalb der Eurozone


Bulgarien 1,2 + 0,9 25,4

Erwerbsbeteiligung von Frauen Dänemark 1,1 + 1,0 36,4


Kroatien 1,3 + 0,8 78,0
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist in
Polen 1,6 – 1,7 50,6
den vergangenen Jahren deutlich gestie-
Rumänien 1,1 – 2,9 35,0
gen. Dennoch sind Frauen auf dem Ar-
Schweden 1,9 + 1,3 40,6
beitsmarkt weiterhin seltener vertreten als
Tschechien 2,4 + 1,6 34,6
Männer: Im EU-Durchschnitt gingen 2017
Ungarn 2,4 – 2,0 73,6
in der Altersgruppe der 20- bis 64-Jähri-
Vereinigtes Königreich 2,7 – 1,9 87,7
gen rund 66 % der Frauen, aber 78 % der
Männer einer Arbeit nach. Am häufigsten Quelle: Eurostat

berufstätig waren Frauen in Schweden


(80 %). Es folgten ­Litauen (76 %), Deutsch- u Abb 16 Erwerbstätigenquote der 20- bis 64-Jährigen — in Prozent
land und Estland (jeweils 75 %). u Abb 17
80

Erwerbstätige ab 55 Jahren
75
Die Beschäftigungssituation für ältere
Erwerbstätige hat sich in den vergange-
70
nen Jahren vor allem in Deutschland
deutlich verändert. Die Erwerbstätigen- 65
quote der 55- bis 64-Jährigen stieg zwi-
schen 2007 und 2017 um 19 Prozent- 0
punkte von 51 % auf 70 %. Zu den Gründen 2007 2009 2011 2013 2015 2017

dafür können neben der guten Konjunk- Deutschland EU


tur auch erschwerte Vorruhestandsrege- Quelle: Eurostat

lungen und das steigende Bildungsniveau

423
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

u Abb 17 Erwerbstätigenquote der 20- bis 64-Jährigen 2017 — in Prozent u Info 2


Definitionen zum Arbeitsmarkt
Erwerbs­personen sind alle Personen, die
Schweden 80 84 entweder erwerbs­tätig oder e
­ rwerbslos sind.
Litauen 76 76 Erwerbstätige sind laut der Internationalen
­ rbeitsorganisation (ILO) Personen, die in
A
Estland 75 82
der ­statistischen Berichtswoche mindestens
Deutschland 75 83 eine Stunde lang gegen Bezahlung bezie-
hungsweise als Selbstständige arbeiteten
Dänemark 74 80
oder aber einen A ­ rbeitsplatz hatten, von
Lettland 73 77 dem sie nur vorüber­gehend abwesend waren,
beispielsweise aufgrund von Elternzeit.
Niederlande 73 83
Erwerbslose sind Personen, die in der sta-
Vereinigtes Königreich 73 83
tistischen Berichtswoche ohne Arbeit waren,
Finnland 72 76 für eine Arbeit sofort kurzfristig zur Verfügung
standen, in den vergangenen vier Wochen
Tschechien 71 86
­a ktiv auf Arbeitsuche waren oder eine Arbeit
Österreich 71 79 gefunden hatten, die sie innerhalb der nächs-
ten drei Monate aufnehmen würden.
Slowenien 70 77

Portugal
Die Erwerbstätigenquote bezeichnet die
70 77
­ rwerbstätigen als Anteil an der Gesamtbe-
E
Frankreich 67 75 völkerung der gleichen Altersgruppe.
Irland 67 79 Die Erwerbslosenquote ist der Anteil der
Bulgarien 67 75
Erwerbs­losen an den Erwerbspersonen
der gleichen Altersgruppe. Die Erwerbs­
Luxemburg 67 75 losenquote ist nicht vergleichbar mit der
Ungarn
in Deutschland von der Statistik der
66 81
­Bundesagentur für A ­ rbeit (BA) veröffent­-
Zypern 66 76 lichten Arbeitslosen­quote, die sich nur
auf die bei der Bundesagentur registrierten
EU 66 78
Arbeitslosen bezieht.
Slowakei 65 77
Siehe auch Kapitel 5.1, Seite 150, Info 1 und
Belgien 64 73 Seite 151, Abb 1.
Polen 64 78

Spanien 60 71

Rumänien 60 77

Malta 58 84

Kroatien 58 69

Italien 52 72 nach. Neun EU-Länder verzeichneten


Griechenland 48 68
gleiche oder höhere Quoten, darunter
auch Länder mit ähnlichem Wirtschafts-
Frauen Männer und Sozialsystem wie Deutschland, so
zum Beispiel Dänemark (12 %) und Schwe-
den (17 %). u Info 2
Quelle: Eurostat

Vereinbarkeit von Familie


und Beruf
Überall in der EU weisen Mütter deutlich
älterer Beschäftigter zählen, das mit einer Arbeit im Rentenalter niedrigere Erwerbstätigenquoten auf als
längeren Teilnahme am Erwerbsleben Das reguläre Renteneintrittsalter wird in Väter. In Deutschland unterschieden sich
einhergeht. Noch höher als in Deutsch- Deutschland gegenwärtig schrittweise 2017 die Erwerbstätigenquoten von Müt-
land war die Erwerbstätigenquote der 55- von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben, in tern (75 %) und Vätern (92 %) weiterhin
bis 64-Jährigen nur in Schweden mit anderen EU-Ländern ist die Entwicklung deutlich. Die erwerbs­tätigen Frauen arbei-
76 %. Im EU-Durchschnitt stieg der An- ähnlich. Der Anteil der Erwerbstätigen ten zudem häufig in Teilzeit. Männer
teil der 55- bis 64-jährigen Erwerbstä­ ab 65 Jahren steigt langsam, aber stetig. schränken den Umfang ihrer Erwerbs­
tigen zwischen 2007 und 2017 von 44 % In Deutschland gingen 2017 von den 65- tätigkeit auch als Väter kaum ein, sie ar-
auf 57 %. bis 74-Jährigen noch 12 % einer Arbeit beiten in der Regel in Vollzeit. u Abb 18

424
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

u Abb 18 Erwerbstätigenquoten von Frauen und Männern mit Kindern 2017 — in Prozent

Schweden 86 94

Slowenien 85 94

Dänemark 83 93

Litauen 83 90

Portugal 81 91

Niederlande 78 93

Lettland 78 89

Österreich 78 92

Finnland 77 91

Estland 75 93

Deutschland 75 92

Luxemburg 75 88

Vereinigtes Königreich 74 93

Frankreich 74 89

Belgien 74 90

Bulgarien 73 86

Polen 73 92

Tschechien 73 97

Kroatien 73 85

Zypern 71 89

EU 71 90

Rumänien 70 89

Ungarn 70 92

Slowakei 69 90

Irland 67 88

Spanien 65 84

Malta 63 96

Italien 57 86

Griechenland 57 85

Frauen Männer

Erwerbstätigkeit der 25- bis 54-Jährigen. Als Kinder gelten unter 15-Jährige sowie 15- bis 24-Jährige,
sofern sie finanziell abhängig sind und noch im Haushalt der Eltern leben.
Quelle: Eurostat

Verdienstunterschiede zwischen e­ iner der höchsten der EU. Einen ­höheren


Frauen und Männern geschlechtsspezifischen Verdienstabstand
Frauen in Deutschland verdienen im wiesen nur Tschechien (22 %) und Estland
Durchschnitt gut ein Fünftel weniger als (25 %) auf. Es handelt sich dabei um den
Männer: Der Gender Pay Gap – die Ein- unbereinigten Gender Pay Gap, der den
kommenslücke zwischen den Geschlech- geschlechtsspezifischen Verdienstunter-
tern, gemessen am durchschnittlichen schied in allgemeiner Form betrachtet, das
Bruttostundenverdienst der Männer – heißt ohne Berücksichtigung struktureller
lag 2016 in Deutschland bei 21 % und war Unterschiede in den Beschäftigungsver-

425
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

u Abb 19 Gender Pay Gap: Unbereinigter geschlechts­ uAbb 20 Gesetzlicher Mindestlohn brutto 2018
spezifischer Lohnunterschied 2016 — in Prozent — in Euro im Monat

EU
Rumänien 5,2 16,2 Luxemburg 1 999

Italien 5,3
Irland 1 614
Luxemburg 5,5
Niederlande 1 578
Belgien 6,1

Polen 7,2 Belgien 1 563

Slowenien 7,8 Frankreich 1 498


Kroatien¹ 8,7
Deutschland 1 498
Malta 11,0
Vereinigtes Königreich 1 401
Griechenland¹ 12,5

Schweden 13,3 Spanien 859

Irland¹ 13,9
Slowenien 843
Zypern 13,9
Malta 748
Ungarn 14,0

Spanien 14,2 Griechenland 684

Litauen 14,4 Portugal 677


Bulgarien 14,4
Polen 503
Dänemark 15,0
Estland 500
Frankreich 15,2

Niederlande 15,6 Slowakei 480

Lettland 17,0
Tschechien 478
Finnland 17,4
Kroatien 462
Portugal 17,5

Slowakei 19,0 Ungarn 445

Österreich 20,1 Lettland 430


Vereinigtes Königreich 21,0
Rumänien 408
Deutschland 21,5
Litauen 400
Tschechien 21,8

Estland 25,3 Bulgarien 261

Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der Männer und Frauen


im Verhältnis zum Bruttostundenverdienst der Männer.
1 2014. Kein gesetzlicher Mindestlohn in Dänemark, Finnland, Italien, Österreich, Schweden und Zypern.
Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

hältnissen von Männern und Frauen. Auf das Ergebnis benachteiligender Strukturen 8,84 Euro pro Stunde entspricht einem
diese Weise wird auch der Teil des Lohn- sind (siehe Kapitel 5.2, Seite 171). u Abb 19 Bruttomonatslohn von rund 1 498 Euro
abstands ­erfasst, der beispielsweise durch (39,1-Stundenwoche multipliziert mit
unterschiedliche Zugangschancen beider Gesetzlicher Mindestlohn 52 A rbeits­
w ochen d iv id ier t du rch
Geschlechtergruppen auf bestimmte Tä- Deutschland ist 2018 einer von 22 EU- 12 Monate). Mit diesem Betrag liegt
tigkeitsfelder oder Leistungsgruppen ver- Staaten, in denen ein gesetzlicher Min- Deutschland im Vergleich der 22 Länder
ursacht wird, die möglicherweise ebenfalls destlohn gilt. Die Untergrenze von im oberen Drittel. In sechs weiteren west-

426
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

u Abb 21 Erwerbslosenquote 2017 verharren. In Griechenland waren 2017


— in Prozent der Erwerbspersonen der Altersgruppe rund 21,5 % der 15- bis 74-jährigen Er-
werbspersonen auf Jobsuche, in Spanien
2,9 17,2 %. Der EU-Durchschnitt lag bei 7,6 %.
Tschechien 7,9 Damit waren in der Europäischen Union
Deutschland 3,8 6,8 rund 19 Millionen Menschen auf Arbeits-
Malta 4,0 10,6 suche. Davon wiederum waren 35,6 %
Ungarn 4,2 10,7 langzeiterwerbslos, das heißt seit mehr
Estland 4,4 12,1
als einem Jahr ohne Arbeit. u Abb 21
Niederlande 4,9 8,9
Jugenderwerbslosigkeit
Polen 4,9 14,8
Der Berufseinstieg stellt für viele junge
Rumänien 4,9 18,3
Menschen in der EU eine große Heraus-
Österreich 5,5 9,8 forderung dar. Die EU-weite Erwerbs­
Luxemburg 5,5 15,5 losenquote der 15- bis 24-Jährigen lag
Dänemark 5,7 11,0 2017 bei 16,8 % und war damit mehr als
Vereinigtes Königreich 5,8 12,1 doppelt so hoch wie im Durchschnitt al-
Bulgarien 6,2 12,9 ler Erwerbspersonen (7,6 %). Besonders
Slowenien 6,6 11,3
angespannt war die Situation in Spanien
und Griechenland, wo 38,6 % bezie-
Irland 6,7 14,4
hungsweise 43,6 % der jungen Erwerbs-
Schweden 6,7 17,9
personen keine Arbeit hatten. Deutsch-
Belgien 7,1 19,3 land verzeichnete mit 6,8 % die niedrigs-
Litauen 7,1 13,3 te Jugenderwerbslosigkeit in der EU.
EU 7,6 16,8

Slowakei 8,1 18,9 11.1.7 Einkommen und


Finnland 8,6 20,1 Armutsgefährdung
Lettland 8,7 17,0
In der EU existiert ein beträchtliches
Wohlstandsgefälle. Zwischen den nörd­
Portugal 9,0 23,9
lichen und südlichen sowie den älteren
Frankreich 9,4 22,3
und neueren EU-Mitgliedstaaten gibt es
Zypern 11,1 24,7
erhebliche Einkommensunterschiede.
Kroatien 11,2 27,4

Italien 11,2 34,7 Einkommen


Spanien 17,2 38,6 Im EU-weiten Einkommensvergleich
Griechenland 21,5 43,6 steht die Bevölkerung in Deutschland
insgesamt gut da. Unter Berücksichti-
15- bis 74-Jährige 15- bis 24-Jährige gung der Kaufkraft verfügte sie im Jahr
2016 über das dritthöchste Einkommen
in der EU. Noch höher als hierzulande
Quelle: Eurostat
waren die Einkommen nur in den Nach-
barländern Luxemburg (+ 32 %) und
­Österreich (+ 6 %). In Polen hingegen lag
das kaufkraftbereinigte Einkommen mit
51 % nur halb so hoch wie in Deutsch-
lichen EU-Staaten gelten ebenfalls monat- Erwerbslosigkeit land. In Rumänien betrug es sogar nur
liche Mindestlöhne von über 1 000 Euro. Deutschland hatte 2017 mit 3,8 % die 23 % des deutschen Einkommens. u Abb 22
In den östlichen EU-Staaten – mit Aus- zweitniedrigste Erwerbslosenquote der
nahme von Slowenien – liegen die Min- EU nach Tschechien (2,9 %). Deutlich Armutsgefährdung
destlöhne hingegen monatlich unter schwieriger war die Situation in Südeuro- In der EU gelten Menschen als armutsge-
600 Euro brutto. Das Schlusslicht bildet pa, wo die Erwerbslosenquoten seit meh- fährdet, wenn sie einschließlich staatlicher
Bulgarien mit 261 Euro. u Abb 20 reren Jahren im zweistelligen Bereich Sozialleistungen weniger als 60 % des

427
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

uAbb 22 Einkommen der Bevölkerung 2016 uAbb 23 Armutsgefährdungsquote 2016


— Index Deutschland = 100 — in Prozent

Luxemburg 132 Rumänien 25 51

Österreich 106 Bulgarien 23 55

Deutschland 100 Spanien 22 49

Dänemark 100 Estland 22 55

Niederlande 99 Lettland 22 56

Belgien 98 Litauen 22 61

Frankreich 98 Italien 21 46

98 Griechenland 21 47
Schweden
Kroatien 20 43
Finnland 93
Portugal 19 42
Irland 86
Irland 17 41
Vereinigtes Königreich 83
Luxemburg 17 45
Malta 80
Malta 17 45
Italien 77
Polen 17 47
Zypern 75
EU 17 49
Slowenien 73
Deutschland 17 71
Spanien 72
Zypern 16 37
Tschechien 59
Belgien 16 46
Estland 56
Vereinigtes Königreich 16 46
Polen 51
Schweden 16 51
Portugal 51
Ungarn 15 48
Slowakei 50
Frankreich 14 38
Litauen 44 Slowenien 14 45
Lettland 43 Österreich 14 48
Kroatien 42 Niederlande 13 45
Griechenland 42 Slowakei 13 48
Ungarn 40 Finnland 12 37
Bulgarien 32 Dänemark 12 39
EU
Rumänien 23 78 Tschechien 10 52

Armutsgefährdungsquote Armutsgefährdungsquote
insgesamt bei Erwerbslosen im Alter
von 18 bis 64 Jahren
Basis: Nettoäquivalenzeinkommen unter Berücksichtigung der Kaufkraft, Bevölkerung ab 18 Jahren.
Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

mittleren Einkommens der Bevölkerung Aus einer niedrigen Armutsgefährdungs- Armutsgefährdung bei
ihres Landes zur Verfügung haben (siehe quote kann man jedoch nicht schließen, Erwerbslosigkeit
Kapitel 6.3.2, Seite 232). In Deutschland dass das Wohlstandsniveau eines Landes Einige Bevölkerungsgruppen sind beson-
galten 2016 rund 17 % der Bevölkerung als besonders hoch ist. Sie besagt lediglich, ders armutsgefährdet. Ein besonders
armutsgefährdet. Diese Quote entsprach dass nur ein vergleichsweise geringer Teil ­hohes Armutsrisiko birgt der Verlust des
dem EU-Durchschnitt. Den EU-weit ge- der Bevölkerung unterhalb der jeweiligen Arbeitsplatzes. In Deutschland lebten
ringsten Anteil hatte Tschechien mit 10 %. nationalen Armutsgrenze lebt. u Abb 23 2016 rund 71 % der Erwerbslosen unter

428
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

der Armutsgefährdungsgrenze. Das war uAbb 24 Armutsgefährdungsquote von Haushalten mit Kindern 2016
EU-weit die höchste Quote. In anderen — in Prozent
EU-Staaten griffen die Sozialsysteme in
diesem Fall scheinbar besser: Deutlich Haushalte mit Kindern Haushalte mit Kindern
seltener armutsgefährdet waren Erwerbs- Deutschland 14 EU 19

lose zum Beispiel in Finnland (37 %) und


Alleinerziehende 34
Frankreich (38 %). mit Kind(ern) 33

Armutsgefährdung von zwei Erwachsene 14


Haushalten mit Kindern mit einem Kind 11
Auffallend hoch war das Armutsrisiko
auch für Haushalte von Alleinerziehen- zwei Erwachsene 15
mit zwei Kindern 8
den. Von ihnen galten 2016 in Deutsch-
land 33 % als armutsgefährdet. Unter-
zwei Erwachsene 27
durchschnittlich gefährdet waren hin­
mit drei oder mehr Kindern 18
gegen Paare mit einem Kind (11 %) oder
zwei Kindern (8 %). Mit drei oder mehr
drei oder mehr Erwachsene 20
Kindern stieg die Quote hierzulande auf mit Kind(ern) 10
18 %. Im EU-Durchschnitt waren Paare
mit drei oder mehr Kindern noch deutlich
EU Deutschland
häufiger armutsgefährdet (27 %). u Abb 24
Als Kinder gelten Personen unter 18 Jahren sowie zwischen 18 und 24 Jahren, sofern sie nicht erwerbstätig
oder arbeitsuchend sind und mit mindestens einem Elternteil zusammenleben.
Quelle: Eurostat

429
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

uAbb 25 Bevölkerungsanteil, der in einer überbelegten u Abb 26 Laufende Gesundheitsausgaben 2015


Wohnung lebt 2016 — in Prozent — in Prozent des Bruttoinlandsprodukts

2
Zypern 6 Deutschland 11,2
Irland 3 6
Schweden 11,0
Malta 3 8
Frankreich 11,0
Belgien 4 13
Niederlande 10,6
Niederlande 4 15
Belgien 10,5
Spanien 5 13
Dänemark 10,3
Deutschland 7 19
Österreich 10,3
Finnland 7 21

8 14 Vereinigtes Königreich 9,9


Vereinigtes Königreich

Frankreich 8 23 Finnland 9,5

Dänemark 8 24 Spanien 9,2

Luxemburg 8 26 Italien 9,0

Portugal 10 20 Portugal 9,0

Estland 13 17 Slowenien 8,5


Slowenien 13 20
Griechenland 8,4
Schweden 14 41
Bulgarien 8,2
Österreich 15 38
Irland 7,8
EU 17 30
Kroatien 7,4
Tschechien 18 40
Tschechien 7,2
Litauen 24 31
Ungarn 7,2
Italien 28 39
Slowakei 6,9
Griechenland 29 42
Zypern 6,8
Ungarn 40 55

Kroatien 41 46 Estland 6,5

Slowakei 41 56 Litauen 6,5

Polen 41 59 Polen 6,3

Lettland 43 46 Luxemburg 6,1


Bulgarien 43 51 Lettland 5,7
Rumänien 48 61 Rumänien 5,0

insgesamt armutsgefährdete Bevölkerung

Als überbelegt gilt eine Unterkunft, wenn sie bestimmte Mindestanforderungen nicht erfüllt: So sollte
unter anderem jedem Erwachsenen beziehungsweise jedem Paar ab 18 Jahren ein eigener Raum
zur Verfügung stehen und Kinder unter 12 Jahren sollten sich höchstens zu zweit ein Zimmer teilen. Keine Angaben für Malta.
Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

Beengte Wohnverhältnisse Bevölkerung waren es 7 %. Vor allem in gilt eine Unterkunft, wenn sie bestimmte
Wer nur über ein begrenztes Einkommen den osteuropäischen EU-Staaten ist Über- Mindestanforderungen nicht erfüllt: So
verfügt, muss häufig auch Abstriche bei belegung weitverbreitet. So lebte in Rumä- sollte unter anderem jeder ­Person ab
der Wohnungsgröße machen. In Deutsch- nien knapp die Hälfte der Bevölkerung 18 Jahren beziehungsweise jedem Paar ein
land lebten im Jahr 2016 rund 19 % der ar- (48 %) in einer über­belegten Wohnung, un- eigener Raum zur Verfügung stehen und
mutsgefährdeten Personen in einer über- ter den armuts­gefährdeten Personen stieg Kinder unter 12 Jahren sollten sich höchs-
belegten Wohnung, im Durchschnitt der der Anteil sogar auf 61 %. Als überbelegt tens zu zweit ein Zimmer teilen. u Abb 25

430
Leben in der Europäischen Union / 11.1 Deutschland in Europa / 11

uAbb 27 Bevölkerung mit Übergewicht 2014 11.1.8 Gesundheit


— in Prozent der jeweiligen Altersgruppe Die Gesundheit genießt in unserer Gesell-
schaft einen hohen Stellenwert, hat aber
auch ihren Preis: Die laufenden Gesund-
66 66
63 62
61
heitsausgaben in Deutschland lagen 2015
59
57 56 bei mehr als 338 Milliarden Euro bezie-
50 51 49 49 hungsweise 11,2 % des BIP und waren da-
mit so hoch wie in keinem anderen EU-
38 38 Land. u Abb 26

Übergewicht
20 21 Mangelnde Bewegung und ungesunde Er-
nährung – rund die Hälfte der Bevölke-
rung ab 15 Jahren (51 %) war in Deutsch-
land 2014 übergewichtig, hatte also einen
insgesamt 15 – 24 25 – 34 35 – 44 45 – 54 55 – 64 65 – 74 75 und älter Body-Mass-Index (BMI) von mindestens
im Alter von ... bis ... Jahren 25. Damit lag der Anteil sehr nahe am EU-
EU Deutschland Durchschnitt von 50 %. Den höchsten An-
teil Übergewichtiger verzeichnete Malta
Quelle: Eurostat (60 %). Selbst in Italien – dem Land mit
dem geringsten Anteil in der EU – lag die
Quote bereits bei 44 %. Schon unter Jugend­
lichen ist Übergewicht verbreitet: Im EU-
Durchschnitt hatten bereits 20 % aller 15-
bis 24-Jährigen einen BMI von mindestens
25. Bis zum Rentenalter stieg dieser Anteil
auf 66 %, um danach wieder zu sinken. In
allen EU-Staaten waren Männer häufiger
übergewichtig als Frauen. u Abb 27

Rauchen
Trotz hoher Tabaksteuern, Schockbildern
auf Zigarettenpackungen, Auf klärungs-
kampagnen und Werbeverboten: 2014
griffen immer noch 19 % der EU-Bevölke-
rung ab 15 Jahren täglich zur Zigarette. In
Deutschland lag der Anteil bei 16 %. Die
höchsten Raucherquoten verzeichneten
Bulgarien (28 %) und Griechenland (27 %).
In jungen Jahren ist Rauchen besonders
gesundheitsgefährdend, da sich der Kör-
per noch im Wachstum befindet. Im EU-
Durchschnitt gaben 2014 rund 16 % der
15- bis 24-Jährigen an, täglich zu rauchen.
Besonders hoch war die Raucherquote
­dabei in Österreich und Ungarn (je 27 %).
In Deutschland rauchten 13 % der jungen
Menschen regelmäßig. u Abb 28

Medizinische Versorgung
Mit 510 praktizierenden Ärztinnen und
Ärzten je 100 000 Einwohner hatte Öster-

431
11 / Deutschland in Europa 11.1 / Leben in der Europäischen Union

uAbb 28 Raucherquote junger Menschen 2014 uAbb 29 Praktizierende Ärztinnen und Ärzte 2015
— in Prozent — je 100 000 Einwohner

EU
Schweden 8 16 Österreich 510

Dänemark 10 Litauen 434

Rumänien 10 Schweden¹ 419


Finnland 12
Deutschland 414
Deutschland 13
Bulgarien 405
Italien 13
Spanien 385
Vereinigtes Königreich 14
Italien 384
Litauen 14

Polen 14 Malta 379

Luxemburg 15 Tschechien ² 369

Portugal 15 Dänemark ¹ 366

Malta 16
Zypern 358
Tschechien 16
Niederlande 347
Irland 16
Estland 342
Slowenien 16
Finnland¹ 321
Belgien 17
Lettland 320
Niederlande 18

Griechenland 19 Kroatien 319

Spanien 19 Frankreich 312

Slowakei 19 Ungarn 310


Lettland 20
Belgien 302
Kroatien 21
Luxemburg 291
Zypern 21
Irland 288
Bulgarien 22
Slowenien 283
Estland 22
Vereinigtes Königreich 279
Frankreich 24

Österreich 27 Rumänien 277

Ungarn 27 Polen 233

Keine Angaben für Griechenland, Portugal, Slowakei.


1 2014.
15- bis 24-Jährige, die täglich rauchen. 2 2013.
Quelle: Eurostat Quelle: Eurostat

reich 2015 das dichteste medizinische Bei der Zahl der Krankenhausbetten funden. Sowohl der Kostendruck als auch
Versorgungsnetz von den 25 EU-Ländern, lag Deutschland 2015 EU-weit ganz vorn: effektivere Behandlungsmethoden haben
für die aktuelle Daten zum medizinischen 813 Betten je 100 000 Einwohner war die Verweildauer der Patientinnen und
Personal vorlagen. Deutschland gehörte der mit Abstand höchste Wert aller EU- Patienten in den Krankenhäusern ver-
mit 414 praktizierenden Ärztinnen und Länder. Österreich folgte mit 755 Betten. kürzt.
Ärzten je 100 000 Einwohner neben Litau- Die geringste Zahl wies Schweden mit
en (434) und Schweden (419 im Jahr 2014) 244 Betten je 100 000 Einwohner auf. In
ebenfalls zu den EU-Ländern mit hoher fast allen EU-Ländern hat in den vergan-
Ärztedichte. u Abb 29 genen Jahren ein Bettenabbau stattge­

432
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 11.2 Deutschland in Europa / 11

11.2 Nach Jahrzehnten der fortschreitenden eu-


ropäischen Integration ist die Europä­ische
Die Legitimität des europäischen Re-
gierungssystems beruht unmittelbar auf
Lebensqualität Union seit der Jahrtausendwende zuneh- der Zustimmung der Bürgerinnen und
und Identität mend mit Widerständen und Rückschrit-
ten konfrontiert. So scheiterte 2004 der
Bürger zur europäischen Integration und
dem solidarischen Zusammenhalt der
in der Vertrag über eine Verfassung für Europa, europäischen Gesellschaften. Eine euro-
­Europäischen da dieser in Referenden in Frankreich und
den Niederlanden deutlich abgelehnt wur-
päische Identität gilt als Ausdruck für die
affektive Bindung der Bürgerinnen und
Union de. Infolge der Finanzmarkt-, Wirtschafts- Bürger an die europäische Gemeinschaft
und Staatsschuldenkrise 2008/2009 hat und für ihr gemeinsames Selbstverständ-
durch die Sparpolitik vor allem die Euro- nis als Europäerinnen und Europäer.
Angelika Scheuer
pabegeisterung südeuropäischer Länder, Dieser Gemeinschaftsgedanke kann die
GESIS Mannheim
die zuvor Modernisierungsgewinner wa- Legitimität der EU auch in Zeiten der
ren, erheblich gelitten. Im Zuge der soge- Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der
WZB / SOEP nannten Flüchtlingskrise lehnten vor allem aktuellen Politik abfedern. Vor diesem
mittel- und osteuropäische Staaten eine ge- Hintergrund wird im Folgenden die Be-
meinsame europä­ische Asylpolitik ab und wertung der Lebensbedingungen durch
eröffneten damit eine EU-weite Kontrover- die europäischen Bürgerinnen und Bür-
se. In vielen EU-Mitgliedstaaten etablieren ger betrachtet. Des Weiteren liegt der
sich populistische Parteien mit antieuro- ­Fokus auf den Einstellungen der europä­
päischem Profil. Das Brexit-Referendum ischen Bürgerinnen und Bürger zur EU
im Vereinigten Königreich ist schließlich und ihren Institutionen und auf der Fra-
der aktuelle Höhepunkt, an dem sich ein ge einer europäischen Identität. Die Daten
Land für die Beendigung der EU-Mitglied- weisen dabei zwar auf eine allgemeine
schaft ausspricht. Vor diesem Hintergrund Verbesserung der Lage hin, jedoch blei-
stellt sich die Frage, wie es um die Legiti- ben einige Länder von dieser positiven
mität der Europäischen Union bestellt ist. Entwicklung ausgeschlossen.
Die für die Legitimität des europä­ischen
Regierungssystems notwendige Zustim- 11.2.1 Bewertung der
mung der Bürgerinnen und Bürger zur eu- Lebensbedingungen
ropäischen Integration wird unter ande- Nach der Jahrtausendwende war durch die
rem durch die Entwicklung der Lebensbe- Osterweiterung der EU vor allem die Fra-
dingungen und die Herausbildung einer ge der Angleichung der Lebensverhältnis-
europäischen Identität geprägt. Die Ak- se zwischen Ost- und Westeuropa von In-
zeptanz der europäischen Integration und teresse. Angeführt wurde die Rangfolge
der EU wandelt sich oft entsprechend der der Wohlfahrt von den nordeuropäischen
gesellschaftlichen, ökonomischen und Ländern, gefolgt von den Ländern West-
wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen. europas. Südeuropa hatte sich, auch durch
Die Erfahrung von Finanzmarkt-, Wirt- den Euro, weit an westeuropäische Stan-
schafts- und Staatsschuldenkrisen mit ho- dards angenähert, als die mittel- und ost-
her Arbeitslosigkeit und harschen Ein- europäischen Mitgliedsländer beitraten.
schnitten in die Wohlfahrts- und Sozialsys- Die Lebensverhältnisse in den neuen Mit-
teme hat in weiten Teilen der europäischen gliedstaaten lagen zunächst auf einem
Bevölkerung auch die Wahrnehmung der niedrigeren ­Niveau als in den übrigen EU-
EU kritischer werden lassen. Jedoch h ­ aben Ländern, sodass die EU sich mit der Her-
die wirtschaftliche Erholung und die gute ausforderung ungleicher Lebensbedin-
weltwirtschaftliche Lage in den letzten gungen konfrontiert sah. Einige neue Mit-
Jahren zu einer Verbesserung der Lebens- gliedstaaten erzielten bei Modernisierung
bedingungen geführt. Erholt sich damit und Wirtschaftswachstum schnell be-
auch die Legitimitätsunterstützung der trächtliche Fortschritte. Die ab 2007 ein-
Europäischen Union? setzende Finanzmarkt-, Wirtschafts- und

433
11 / Deutschland in Europa 11.2 / Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union

Staatsschuldenkrise hatte jedoch in man- gen lassen sich auch in der Zufriedenheit Bei der Betrachtung der Zufriedenheit
chen postkommunistischen Ländern und der Bürger mit ihren Lebensbedingungen mit dem eigenen Leben lassen sich deutli-
vor allem auch in Südeuropa erheb­liche beobachten. che Unterschiede zwischen Nord- und
negative Auswirkungen auf Wachstum Tabelle 1 stellt dar, wie zufrieden die Westeuropa einerseits und Süd- und Ost-
und Wohlstand. In den letzten Jahren sind Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Le- europa andererseits beobachten. In Nord-,
teilweise wieder starke Wachstumsraten ben sind, wie sie die aktuellen Bedingun- Nordwest- und Westeuropa waren 2017
und ein Rückgang der Arbeitslo­sigkeit zu gen bewerten und welche Erwartungen in fast allen Ländern über 90 % der Men-
verzeichnen. Entsprechende Veränderun- sie für die nächsten zwölf Monate haben. schen mit ihrem Leben zufrieden. Nur in

u Tab 1 Bewertung der aktuellen Situation und Erwartung für die nächsten 12 Monate
nach Mitgliedstaaten 2017 — in Prozent

Bewertung gegenwärtiger
Erwartung »besser« in 12 Monaten ³
Bedingungen als »gut« ²
Lebenszu­
friedenheit ¹, ⁴ persönliche finanzielle persönliche finanzielle
Lage auf dem Lage auf dem
berufliche Situation des berufliche Situation des
Arbeitsmarkt ⁴ Arbeitsmarkt
Situation Haushalts Situation Haushalts
Dänemark 97 (– 1) 86 (+ 18) 79 93 30 21 21
Nordeuropa Finnland 94 (– 1) 45 (+ 27) 69 89 41 18 26
Schweden 94 (– 4) 72 (+ 33) 73 90 28 28 31
Irland 96 (+ 6) 71 (+ 33) 71 82 44 29 34
Nordwest-
europa Vereinigtes
93 (– 1) 52 (+ 5) 73 83 23 25 29
Königreich
Belgien 91 (– 2) 53 (+ 35) 69 80 23 21 21
Deutschland 93 (+ 2) 79 (+ 11) 72 85 17 16 15
Frankreich 85 (=) 15 (+ 10) 51 68 32 29 29
Westeuropa
Luxemburg 96 (=) 78 (+ 25) 78 89 24 20 25
Niederlande 96 (+ 1) 83 (+ 44) 62 91 47 23 24
Österreich 86 (– 6) 60 (+ 19) 78 83 33 13 14
Griechenland 42 (– 1) 2 (=) 24 30 14 9 11
Italien 68 (+ 21) 16 (+ 6) 53 63 31 30 27
Malta 95 (+ 4) 85 (+ 14) 66 87 33 25 29
Südeuropa
Portugal 76 (+ 26) 28 (+ 20) 59 60 35 24 26
Spanien 83 (+ 9) 12 (+ 9) 60 68 31 27 26
Zypern 88 (+ 6) 38 (+ 29) 52 71 40 35 35
Estland 81 (+ 3) 43 (+ 13) 56 74 23 27 34
Nordosteuropa Lettland 69 (– 1) 27 (+ 7) 58 64 19 25 31
Litauen 70 (– 2) 36 (+ 5) 45 56 21 16 21
Polen 85 (+ 6) 61 (+ 38) 67 69 30 21 29
Slowakei 74 (+ 2) 38 (+ 29) 49 55 27 23 28
Slowenien 92 (+ 8) 25 (+ 20) 62 73 32 21 25
Osteuropa
Tschechien 88 (+ 9) 75 (+ 48) 60 69 18 14 18

Ungarn 70 (+ 8) 47 (+ 23) 49 53 28 20 27
Bulgarien 53 (+ 9) 19 (+ 14) 48 46 20 18 22
Südosteuropa Kroatien 67 (=) 12 (+ 2) 45 51 15 18 21
Rumänien 54 (– 1) 22 (+ 11) 38 53 20 20 24
EU 28 83 (+ 3) 42 (+ 14) 61 72 27 23 24

1 Anteil der Befragten, die »sehr zufrieden« oder »ziemlich zufrieden« waren.
2 Anteil der Befragten, die die aktuelle Situation als »sehr gut« oder »ziemlich gut« einschätzten.
3 Anteil der Befragten, die in 12 Monaten eine bessere Situation erwarteten.
4 Veränderung in Prozentpunkten gegenüber 2015 in Klammern.
Datenbasis: Eurobarometer 2015, 2017.

434
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 11.2 Deutschland in Europa / 11

Frankreich und Österreich lagen die Die persönliche berufliche Situation Österreich durch eine skeptischere Bewer-
Werte etwas niedriger (85 % beziehungs- wurde zumeist deutlich besser bewertet tung der Situation hervortreten. In Süd-
weise 86 %). In Südeuropa zeigt sich ein als die Arbeitsmarktlage. Im Norden und europa zeigt sich eine Verbesserung der
weniger einheitliches Bild: Hier lässt sich Nordwesten beurteilten zwischen 69 % Lebensbedingungen und die Erwartung,
die ganze Spanne von sehr geringen An- und 79 % ihre persönliche beruf liche dass diese sich fortsetzen wird. Griechen-
teilen Zufriedener in Griechenland bis zu ­Situation als »ziemlich gut« oder »sehr land stellt hierbei jedoch eine Ausnahme
sehr großen Anteilen in Malta beobach- gut«. In Westeuropa schwankten die An- dar: Hier wurde sowohl die aktuelle Lage
ten; auch Spanien und Zypern weisen teile sehr stark zwischen 78 % der Befrag- als auch die Aussicht auf Verbesserung
durchaus hohe Werte auf. In Nordost- ten in Luxemburg und Österreich und sehr schlecht bewertet. Unter den post-
und Osteuropa lag der Anteil derjenigen, 51 % in Frankreich. In den Ländern Süd-, kommunistischen Ländern stellen sich in
die mit ihrem Leben zufrieden waren, auf Nordost- und Osteuropas beurteilte je- Slowenien, Tschechien, ­Polen und Estland
einem mittleren Niveau, während dieser weils rund die Hälfte bis zwei Drittel der die Bedingungen bereits vergleichsweise
in Südosteuropa gleichauf mit den Befragten ihre eigene berufliche Situation gut dar, wobei die Erwartungen auf die
schlechtesten Werten in Südeuropa lag. positiv, eine deutliche Ausnahme ist Grie- unmittelbare Zukunft auch teilweise sehr
Die Veränderungen in den Anteilen Zu- chenland (24 %). Insgesamt wurde die per- verhalten sind. In Deutschland ist die Er-
friedener gegenüber dem Jahr 2015 zei- sönliche berufliche Situation am besten in wartung auf Verbesserung vor dem Hin-
gen die deutlichsten Verbesserungen in Dänemark, Luxemburg und Österreich, tergrund der außergewöhnlich guten Ge-
Portugal und Italien. Aber auch in Spani- am schlechtesten in Griechenland und samtsituation gering.
en, Irland und den meisten osteuropä­ Rumänien eingeschätzt. Die finanzielle Si-
ischen Ländern ­ist von 2015 bis 2017 ein tuation des Haushalts stellte sich im Län- 11.2.2 Einstellungen zur
Anstieg in der Lebenszufriedenheit zu be- dervergleich ähnlich dar wie die Lebens- ­Europäischen Union
obachten. Einzig in Griechenland und zufriedenheit: sehr hoch im Norden und Die Europäische Union hat einen ent-
Rumänien bleibt die Lebenszufriedenheit Westen, wobei auch hier in Frankreich die scheidenden Einfluss auf die wirtschaft­
auf einem niedrigen Niveau. u Tab 1 Bewertung schlechter ausfiel, auf mittle- lichen und gesellschaftlichen Rahmen­
Das beobachtete Gefälle von Nordwest rem Niveau im Osten und den meisten bedingungen in den Mitgliedsländern.
nach Südost zieht sich auch durch die Be- Ländern im Süden und am niedrigsten in Entsprechend ist zu erwarten, dass sich
wertungen der Lage auf dem Arbeits- Südosteuropa und Griechenland. Veränderungen in den Rahmenbedin-
markt allgemein, der persönlichen beruf- Die Erwartungen für die kommenden gungen auf das Vertrauen in die europä­
lichen Situation sowie der finanziellen zwölf Monate fielen vorsichtig optimis- ischen Institutionen und die Zufrieden-
­Situation des eigenen Haushalts. Von ei- tisch aus. Die Menschen in den Niederlan- heit mit der Demokratie in der EU aus-
ner dramatisch schlechten Arbeitsmarkt- den, Irland und Finnland erwarteten am wirken. Betrachtet man die Einstellungen
lage berichteten die Bürgerinnen und häufigsten eine Verbesserung auf dem Ar- der Bürgerinnen und Bürger zur EU, so
Bürger in Süd- und Südosteuropa, insbe- beitsmarkt, ansonsten waren die höchsten zeigen sich ähnliche Muster wie bei der
sondere in Griechenland, Spanien und Erwartungen in Südeuropa zu verzeich- Bewertung der Lebensverhältnisse.
Italien, aber auch in Kroatien. Im Westen nen. Am wenigsten Verbesserungen er- Nordeuropa verzeichnete 2017 die
gingen die Französinnen und Franzosen warteten die Menschen in Ländern, in de- höchste Zufriedenheit mit der Demo­
von einer sehr schlechten Arbeitsmarkt­ nen die Arbeitsmarktlage entweder sehr kratie in der EU sowie die höchsten Ver-
lage aus. Besonders gut bewertet wurde gut (Deutschland, Tschechien) oder sehr trauenswerte in die europäischen Institu­
die Lage in Dänemark, Malta, den Nie- schlecht (Griechenland, Kroatien) bewer- tionen (Europäisches Parlament, Euro­
derlanden und Deutschland. Im Vergleich tet wurde. Die Erwartung einer Verbesse- päische Kommission und Europäische
zu 2015 zeigt sich hinsichtlich der Bewer- rung der persönlichen beruflichen Situati- Zentralbank). Ein hoher Anteil der Bür-
tung der Arbeitsmarktlage mit Ausnahme on ebenso wie einer Verbesserung der fi- gerinnen und Bürger in Dänemark,
Griechenlands eine durchgängige Verbes- nanziellen Situation des Haushalts war Schweden und Finnland war davon über-
serung. Am deutlichsten verbesserte sich insgesamt eher verhalten. Hierbei traten zeugt, dass ihre Stimme in der Politik des
die subjektive Einschätzung der Lage auf kaum regionale Unterschiede hervor. eigenen Landes Gewicht habe; deutlich
dem Arbeitsmarkt zum einen in den Nie- Betrachtet man das Gesamtbild, so geringer fiel diese Überzeugung jedoch
derlanden, Belgien, Irland, Schweden und zeigt sich ein Gefälle von Nordwest nach hinsichtlich der EU aus. Lediglich um die
Finnland und zum anderen in allen ost- Südost, wobei in Südeuropa viele Indika- 30 % der nordeuropäischen EU-Bürgerin-
europäischen Ländern, allen voran Polen toren auf gleichem Niveau liegen wie in nen und -Bürger sprachen sich für eine
und Tschechien. In Südeuropa fielen die Ost- und Südosteuropa. Sehr gute Bedin- Verlagerung weiterer Kompetenzen von
Verbesserungen in Portugal und Zypern gungen herrschen in Nord- und Westeu- den Mitgliedsländern auf die EU aus.
überdurchschnittlich aus. ropa vor, wobei allerdings Frankreich und Etwa 40 % der nordeuropäischen Bürge-

435
11 / Deutschland in Europa 11.2 / Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union

rinnen und Bürger hatten ein positives nen gering. Dass ihre Stimme in der EU Bürger waren im Jahr 2017 von allen EU-
Bild von der Europäischen Union. Im zähle, glaubte nur eine Minderheit der Ländern am zufriedensten mit der euro-
Vergleich zu 2015 veränderten sich die Britinnen und Briten, und eine Kompe- päischen Demokratie, hatten das positivs-
Einstellungen kaum. u Tab 2 tenzverlagerung zur EU lehnten sie mehr- te Bild von der EU und äußerten ein über-
In Nordwesteuropa zeigt sich in Bezug heitlich ab. Die europaskeptische Haltung durchschnittlich großes Vertrauen in die
auf die Einstellungen zur EU ein un­ der britischen Bevölkerung hat sich in den europäischen Institutionen. Dass ihre
einheitlicheres Bild. Im Vereinigten letzten zwei Jahren nicht verändert. Ganz Stimme in Europa zähle, glaubte aber nur
­Königreich war die Zufriedenheit mit der anders gestaltet sich dagegen die Situation die Hälfte der irischen Bevölkerung, und
europäischen Demokratie niedrig und das in Irland, wo sich deutliche Anzeichen der auch eine Kompetenzverschiebung nach
Vertrauen in die europäischen Institutio- Erholung zeigen. I­ rische Bürgerinnen und Europa befürwortete nur jeder Zweite.

u Tab 2 Einstellungen zur Europäischen Union nach Mitgliedstaaten 2017 — in Prozent

Zufriedenheit Vertrauen in Vertrauen in Vertrauen in Mehr


Stimme zählt Stimme zählt Image
mit der EU- Europäisches Europäische Europäische Kompetenzen
in EU ³ im Land ³ der EU ⁴, ⁵
Demokratie ¹, ⁵ Parlament ² Kommission ² Zentralbank ² zur EU ³

Dänemark 64 (– 4) 60 58 58 69 91 31 41 (+ 2)
Nordeuropa Finnland 58 (+ 2) 63 59 70 55 84 32 41 (+ 4)
Schweden 52 (+ 1) 65 60 61 63 93 30 41 (– 1)
Irland 68 (+ 10) 54 52 44 53 67 51 59 (+ 2)
Nordwest-
europa Vereinigtes
40 (=) 32 29 29 33 57 41 35 (+ 3)
Königreich
Belgien 61 (+ 4) 60 58 52 54 66 73 40 (– 3)
Deutschland 50 (+ 2) 54 49 39 65 80 56 45 (=)
Frankreich 45 (+ 3) 39 36 34 39 67 59 37 (=)
Westeuropa
Luxemburg 65 (+ 5) 62 57 54 53 62 67 57 (+ 5)
Niederlande 49 (– 1) 58 56 63 55 79 50 39 (– 3)
Österreich 49 (+ 4) 48 45 45 58 85 44 32 (+ 3)
Griechenland 27 (– 1) 30 23 21 20 26 49 23 (– 2)
Italien 41 (+ 1) 42 39 35 29 32 61 37 (– 1)
Malta 59 (=) 54 51 47 49 58 59 45 (– 6)
Südeuropa
Portugal 62 (+ 29) 49 45 41 46 60 65 53 (+ 9)
Spanien 48 (+ 10) 41 38 35 39 45 81 39 (+ 5)
Zypern 47 (+ 18) 44 41 36 25 35 71 35 (+ 11)
Estland 48 (– 5) 50 47 46 20 45 42 39 (– 10)
Nordosteuropa Lettland 60 (+ 1) 47 45 44 20 37 55 33 (– 6)
Litauen 62 (– 2) 59 58 52 27 28 59 46 (– 9)
Polen 58 (– 3) 43 45 36 52 68 52 50 (– 3)
Slowakei 47 (+ 2) 46 44 46 46 64 39 38 (=)
Slowenien 46 (– 3) 38 36 32 42 61 62 37 (=)
Osteuropa
Tschechien 51 (– 4) 38 35 38 22 53 35 30 (– 7)

Ungarn 53 (+ 1) 53 53 47 41 50 49 43 (=)
Bulgarien 54 (– 3) 54 51 47 46 50 59 57 (+2)
Südosteuropa Kroatien 53 (– 11) 56 50 44 44 41 59 47 (– 15)
Rumänien 46 (– 17) 50 42 37 53 67 50 31 (– 16)
EU 28 48 (+ 2) 45 42 39 44 59 55 40 (– 1)

1 Anteil der Befragten, die »sehr« oder »ziemlich zufrieden« waren.


2 Anteil der Befragten, die den Institutionen »eher vertrauten«.
3 Anteil der Befragten, die der Aussage »voll und ganz« oder »teilweise« zustimmten.
4 Anteil der Befragten, die ein »gutes« oder »sehr gutes« Bild von der EU hatten.
5 Veränderung in Prozentpunkten gegenüber 2015 in Klammern.
Datenbasis: Eurobarometer 2015, 2017.

436
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 11.2 Deutschland in Europa / 11

In Westeuropa ist Luxemburg traditio- Zustimmungswerte. Malta hebt sich damit starkes Institutionenvertrauen vor. Hin-
nell das europafreundlichste Land, gefolgt bei den Einstellungen zur Europäischen gegen glaubte nur rund ein Fünftel der
von Belgien. Bei der Zufriedenheit mit der Union nicht ganz so stark wie bei der Be- Baltinnen und Balten, dass ihre Stimme
Demokratie und dem Vertrauen in die eu- wertung der Lebensbedingungen, aber im- in der EU zähle. Ähnlich wie in der EU
ropäischen Institutionen lagen beide Län- mer noch deutlich von anderen Ländern insgesamt, befürwortete etwa die Hälfte
der in etwa gleichauf mit den nordeuropä- Südeuropas ab. Eine erhebliche Verbesse- der baltischen Bevölkerung die Abgabe
ischen Ländern. Zwar waren sie etwas rung der EU-Bewertungen ist in Portugal, von Kompetenzen an die EU. Nur in Li-
skeptischer als die Nordeuropäerinnen Spanien und Zypern zu beobachten, so- tauen war das Bild der EU besser als im
und -europäer, was das Gewicht ihrer wohl bezüglich der Demokratiezufrieden- Durchschnitt der europäischen Länder.
Stimme in Europa angeht, jedoch standen heit als auch bezüglich des Images der EU. Das Image der EU hat sich zudem in allen
sie einer Verlagerung von Kompetenzen Bei der Bewertung der EU findet also eine drei baltischen Ländern in den letzten
an die EU deutlich positiver g­ egenüber. Erholung statt, wie sie auch bei der Bewer- zwei Jahren deutlich verschlechtert. Dass
Deutschland und die Niederlande ver- tung der Lebensbedingungen zu beobach- hier eine Verbesserung der wahrgenom-
zeichneten durchschnittliche Werte hin- ten war. Das Vertrauen der Bürgerinnen menen Lebensverhältnisse nicht mit einer
sichtlich der Demokratiezu­friedenheit. und Bürger in die EU-Institutionen ist in Verbesserung der Bewertung der EU ein-
Während das Institutionenvertrauen bei diesen drei Ländern ebenfalls gestiegen, hergeht, lässt sich zum Teil aus den ver-
niederländischen Bürgerinnen und Bür- bleibt aber im Gegensatz zur Zeit vor der haltenen Erwartungen für die kommende
gern durchgehend hoch war, vertraute die Krise hinter den Vertrauenswerten im Entwicklung der Lebensbedingungen er-
deutsche Bevölkerung am stärksten dem Norden und Westen Europas zurück. klären. Möglicherweise spielen aber auch
Europäischen Parlament und am wenigs- Zwar meinten vergleichsweise viele zypri- andere Faktoren eine Rolle, wie etwa geo-
ten der Europäischen Zentralbank. Die otische Bürgerinnen und Bürger, dass ihre politische Sicherheitsbedürfnisse, die hier
deutsche Bevölkerung war stärker als die Stimme in der EU nicht gehört werde. nicht erhoben wurden.
niederländische davon überzeugt, dass Dennoch standen die spanische, zyprio­ In Osteuropa hingegen blieben die
ihre Stimme in Europa zähle, befürworte- tische und portugiesische Bevölkerung Bewertungen der Europäischen Union in
te stärker die Verlagerung von Kompeten- ­einer Verlagerung von Kompetenzen nach den letzten zwei Jahren weitgehend stabil.
zen an die EU und hatte ein positiveres Europa positiver gegenüber als die Bevöl- In Polen, Ungarn und Tschechien war die
Image von der Europäischen Union. kerungen nahezu aller anderen europä­ Zufriedenheit mit der europäischen De-
Frankreich und Österreich traten in dieser ischen Länder. mokratie überdurchschnittlich, während
Region als die e­ uropakritischsten Länder Kaum Veränderungen gab es hinge- sie in Slowenien und der Slowakei auf der
hervor. Demokratiezufriedenheit und Ins- gen in Italien und Griechenland; in Itali- Höhe des EU-Durchschnitts lag. Das Ins-
titutionenvertrauen lagen in Österreich en blieb die Demokratiezufriedenheit titutionenvertrauen war in Ungarn ver-
nahe dem EU-Durchschnitt und in Frank- niedrig (41 %) und in Griechenland sehr gleichsweise hoch, während Tschechien
reich darunter. Die Französinnen und niedrig (27 %). Ähnlich sieht es beim Ins- und Slowenien mit die niedrigsten Werte
Franzosen bezweifelten vergleichsweise titutionenvertrauen aus; lediglich dem in der EU aufwiesen. Dass ihre Stimme
stark, dass ihre Stimme in Europa zähle; Europäischen Parlament wurde noch ein in der EU zähle, bezweifelte vor allem die
die Österreicherinnen und Österreicher gewisses Maß an Vertrauen entgegenge- tschechische Bevölkerung, während pol-
lehnten eine Kompetenzverschiebung bracht. Auch dass ihre Stimme in der EU nische Bürgerinnen und Bürger mehr-
nach Europa vergleichsweise deutlich ab. zähle, glaubte weniger als ein Drittel der heitlich überzeugt waren, Gehör zu fin-
Beide Länder hatten ein eher negatives Italienerinnen und Italiener und sogar den. Mehr Kompetenzen an die EU abzu-
Bild der EU. Gegenüber 2015 erhöhte sich nur ein Fünftel der Griechinnen und geben, konnten sich mehrheitlich die
die Demokratiezufriedenheit in Westeu- Griechen. Trotz des schlechten Images slowenische sowie die polnische Bevölke-
ropa leicht, während das Image der EU der EU, vor allem in Griechenland, zeig- rung vorstellen. Das beste Bild von der
weitgehend unverändert blieb. Diese ver- ten die Bürgerinnen und Bürger eine ge- EU hatten in Osteuropa wiederum die
gleichsweise kritische Haltung in Frank- wisse Bereitschaft, mehr Kompetenzen Menschen in Polen und Ungarn.
reich und Österreich korrespondiert auf- an die EU zu geben. Die Veränderungen Unter den jüngeren Mitgliedstaaten
fällig mit der schlechten Bewertung der in den vergangenen zwei Jahren haben in Südosteuropa ließ die Zustimmung
aktuellen Lebensbedingungen in Frank- die Unterschiede zwischen Griechenland zur EU in den vergangenen zwei Jahren
reich und den negativen Erwartungen für und Italien und den anderen südeuropä­ deutlich nach, befand sich aber 2017 im-
die nähere Zukunft in beiden Ländern. ischen Ländern verstärkt. mer noch etwa auf durchschnittlichem
In Südeuropa bewertete Malta die EU In den baltischen Staaten Nordosteu- Niveau. Die Zufriedenheit mit der euro-
sehr positiv und verzeichnete über alle In- ropas herrschte eine vergleichsweise hohe päischen Demokratie ging vor allem in
dikatoren hinweg überdurchschnittliche Demokratiezufriedenheit und relativ Kroatien und Rumänien deutlich zurück.

437
11 / Deutschland in Europa 11.2 / Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union

u Abb 1 Selbstverständnis als europäische Bürgerinnen und Bürger Zugleich verschlechterte sich das Image
nach Mitgliedstaaten 2015 und 2017 — in Prozent der EU in diesen Ländern stärker als in
jedem anderen EU-Mitgliedsland. Das
EU 28 (2015) EU 28 (2017) Vertrauen in die Institutionen lag in
67 70 ­Bulgarien und Rumänien klar über dem
EU-Durchschnitt, ebenso wie die Bereit-
Finnland 81
schaft, Kompetenzen an die EU zu geben.
Dänemark 79 Dass ihre Stimme in der EU gehört werde,
glaubte rund die Hälfe der Befragten.
Schweden 77
Auch hier folgt die Bewertung der EU
Luxemburg 90 nicht der Verbesserung in der Bewertung
Deutschland 82 der Lebensbedingungen, sondern eher
der nachlassenden Hoffnung auf Verbes-
Irland 81
serung. Dies deutet auf eine Ernüchte-
Belgien 78 rung der anfänglich mit der EU-Mit-
gliedschaft gehegten Erwartungen hin.
Österreich 78
Abschließend soll die Frage der euro-
Niederlande 70 päischen Identität betrachtet werden.
Frankreich 63 Wie eingangs erwähnt, wird die Identifi-
kation als Ausdruck affektiver Zustim-
Vereinigtes Königreich 55
mung zur europäischen Integration und
Spanien 88 zur EU verstanden: In dem Maße, in dem
Malta 85
die Bürgerinnen und Bürger dem europä-
ischen Projekt gegenüber positiv einge-
Portugal 81 stellt sind, betrachten sie sich auch selbst
Zypern 69 als Teil des neuen politischen Systems.
Gemessen wird die europäische Identität
Italien 54
hier mit der Frage, ob sich die EU-Bürge-
Griechenland 48 rinnen und -Bürger selbst als solche ver-
Estland 78
stehen. Bemerkenswert ist, dass die Iden-
tifikation mit Europa 2017 im Vergleich
Polen 77
zu 2015 leicht zugenommen hat: Sieben
Litauen 77 von zehn Bürgerinnen und Bürgern ga-
ben 2017 an, sich »teilweise« oder »voll
Ungarn 76
und ganz« als Europäerinnen und Euro-
Slowakei 75 päer zu fühlen. Auffällig ist vor allem das
Slowenien 73
Wiedererstarken der europäischen Iden-
tifikation in Teilen Südeuropas. Während
Lettland 73
Spanien und Portugal hinsichtlich der
Rumänien 63 Identifikation mit Europa erhebliche Zu-
wächse verzeichneten und EU-weit zur
Kroatien 61
Spitzengruppe aufschlossen, stagnierten
Tschechien 56 die Anteile in Griechenland und Italien
Bulgarien 56
auf den EU-weit niedrigsten Werten. In
abgeschwächter Form deutet sich eine
solche Polarisierung auch in Westeuropa
Nordeuropa Südeuropa 2015
an, wo sich insgesamt rund vier von fünf
Westeuropa Osteuropa
Bürgerinnen und Bürgern als Europäe-
rinnen und ­Europäer verstanden, aber
»Bitte sagen Sie mir für jede der folgenden Aussagen, inwieweit diese Ihrer eigenen Meinung entspricht oder nicht entspricht:
Sie fühlen sich als Bürger der EU – Ja, voll und ganz/Ja, teilweise/Nein, eher nicht/Nein, überhaupt nicht.« die Anteile im Vereinigten Königreich, in
Anteil »ja, voll und ganz« und »ja, teilweise«.
Datenbasis: Eurobarometer 2015 und 2017. Frankreich und in den Niederlanden auf
vergleichsweise niedrigem bis sehr nied-

438
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 11.2 Deutschland in Europa / 11

rigem N ­ iveau stagnierten. Die Menschen europa­f reund­lichen Ländern im Westen


in Nordeuropa sahen sich ebenso häufig und Norden Europas erreicht werden.
als Europäerinnen und Europäer wie Aber auch Slowenien und Litauen, die üb-
die e­ uropafreundlichen Bevölkerungen licherweise weniger im Fokus stehen,
Westeuropas. Auch in Osteuropa identifi- durchliefen ähnliche Entwicklungen und
zierten sich in den meisten Mitgliedstaa- zeigten die gleichen Veränderungen in
ten rund drei Viertel der Bürgerinnen den Einstellungen.
und Bürger mit Europa. Deutlich gerin- Die dargestellten Betrachtungen ma-
ger ausgeprägt war die Identität in Rumä- chen jedoch auch deutlich, dass die Ein-
nien und Kroatien, wo sich knapp zwei stellungen zur EU von einer Reihe weite-
Drittel der Bevölkerung als Europäerin- rer Faktoren beeinflusst werden, die hier
nen und Europäer fühlten. In Tschechien nicht untersucht wurden. Sichtbar wird
und Bulgarien war es sogar nur gut die dies in den Ländern Ost- und Südost­
Hälfte. u Abb 1 europas, in denen sich zwar die wirt-
schaftlichen Rahmenbedingungen ver-
11.2.3 Zusammenfassung besserten, doch nur eine begrenzte Zu-
und Ausblick nahme der Lebenszufriedenheit und
Ausgangspunkt der Betrachtungen war keinerlei Zuwachs in der Zustimmung
die Frage, ob sich nach Jahren der Krise zur Europäischen Union stattfanden. Im
und der Europaskepsis mit der wirt- Gegenteil sank die Zustimmung zur EU
schaftlichen Erholung auch die Zustim- in Ländern wie Estland und Tschechien
mung zur Europäischen Union wieder sichtlich. In den Ländern Südosteuropas
verbessert. Dabei beinhaltet diese Frage scheint nach den ersten Jahren der EU-
an sich schon eine Veränderung gegen- Mitgliedschaft eine deutliche Ernüchte-
über Vorkrisenzeiten, denn dass die EU rung eingesetzt zu haben. Das Vereinigte
für die wirtschaftliche Lage verantwort- Königreich zeigt eine unverändert EU-
lich gemacht wird und nicht nur die Re- kritische Haltung, aber auch in Frank-
gierungen der Länder, ist eine Folge der reich und Österreich sowie zum Teil in
Finanzmarkt-, Wirtschafts- und Staats- den Niederlanden ist eine zunehmend
schuldenkrise. In den Ländern, die von skeptische Haltung gegenüber der Euro-
der Krise hart getroffen wurden und in päischen Union festzustellen, die sich
denen die Sparauflagen spürbare Auswir- teilweise auf das Demokratiedefizit in der
kungen auf die wohlfahrtsstaatlichen Europäischen Union zurückführen lässt.
Leistungen hatten, war die Zustimmung Auch geopolitische Faktoren haben bis-
zur Europäischen Union erheblich zu- weilen einen Einfluss darauf, wie die EU
rückgegangen. Dies ist umso bemerkens- aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger
werter, da die betroffenen Länder zuvor b ewertet wird. Insbesondere hat die
­
besonders europafreundlich waren, wäh- Flüchtlingspolitik zu Auseinandersetzun-
rend der Krise jedoch die geringsten Zu- gen innerhalb der EU geführt, die ihren
stimmungsraten aufwiesen. Tribut in Bezug auf die Zustimmung zur
Gehen mit Verbesserungen in der öko- EU fordern. Zu den wirtschaftlichen He­
nomischen Lage auch wieder positivere rausforderungen der Europäischen Uni-
Einstellungen der EU gegenüber einher? on treten zunehmend politische hinzu.
Dies trifft nur auf einen Teil der Länder Deren Bewältigung wird immer stärker
zu, die von der Krise hart getroffen wor- davon abhängen, als wie demokratisch
den waren. Portugal, Spanien, Zypern und handlungsfähig sich das politische
und Irland wiesen alle eine verbesserte System der EU erweist.
Bewertung der Lebensbedingungen und
zugleich e­ inen Anstieg der Zustimmung
zur EU auf. Portugal und Spanien kehr-
ten damit teilweise zu früheren Spitzen-
werten zurück, wie sie aktuell unter den

439
Nachruf Datenreport 2018

Nachruf
Zum Tod von Wer im Netz den Namen Gernot Dallin-
ger googelt, stößt auf eine Fülle von Pub-
antwortet und dabei in Abstimmung mit
dem Verfassungsreferat des Bundesmi-
Gernot Dallinger likationen, die mit ihm eng verbunden nisteriums des Innern die zahlreichen
(1939 – 2017) sind. Mehr als 30 Jahre lang hat er die
Arbeit der Bundeszentrale für politische
Änderungen zeitnah und akribisch vor-
genommen und kontrolliert. Dieser abso-
Bildung (bpb) bereichert. Seit 1985 ist lute »Bestseller« der bpb, von dem 1992
Rüdiger Thomas auch der Datenreport mit seinem Namen bereits mehr als sechs Millionen, bis heute
verbunden. mehr als zwölf Millionen Exemplare ver-
Gernot Dallinger wurde im August teilt worden sind, steht damit in direkter
1939 in Traunstein geboren – er hat sich Verbindung mit unserem Kollegen.
scherzhaft immer als »Friedensware« be- Als zweite Veröffentlichung ist der
zeichnet. Als Historiker hat er sich mit Datenreport hervorzuheben, ein konkur-
einer Dissertation über einen preußi- renzloser Reihentitel im Angebot der bpb.
schen Minister des Vormärz, Karl von 1983 erstmals in Verbindung mit dem
Canitz und Dallwitz, zeitweilig General- Statistischen Bundesamt publiziert, ist er
major und Minister für Auswärtige An- seit 1985 in einer erweiterten Kooperation
gelegenheiten Preußens, profiliert. Man mit dem Wissenschaftszentrum Berlin
kann diese quellengesättigte Arbeit noch (WZB) als erste und bis heute einzige
heute beziehen. Sein Wunsch, an der deutsche Publikation herausgegeben wor-
Universität zu bleiben, ließ sich nicht rea- den, die unsere amtliche Statistik und die
lisieren, weil er im familieneigenen Un- »Sozialberichterstattung« (also die tat-
ternehmen als Sohn neben drei Schwes- sächlichen sozialen Lagen und ihre sub-
tern (so war das damals!) die Verantwor- jektive Wahrnehmung) verbindet. Diese
tung übernehmen musste. Reihe hat Dallinger bis zur Ausgabe von
Dallinger war bereits 42 Jahre alt, als 2016 mit großer Akribie und souveräner
er in der bpb – zunächst als freier Mitar- Gelassenheit redaktionell betreut.
beiter, ab 1988 mit Festanstellung – zu sei- Er hat sich zudem besondere Verdiens-
nen Ursprüngen näherungsweise zurück- te um die Ausbildung der bpb-Volontäre
kehren konnte. Der erste Schriftenreihe- erworben. Gernot Dallinger war ein
Band, den er redaktionell betreute, war höchst sachkundiger und empathischer,
1981 dem Thema »Die Menschenrechte: ja väterlicher Lehrmeister für eine junge
eine Herausforderung der Erziehung« ge- Generation, die – von ihm angeleitet und
widmet. Ein Einstieg mit Symbolcharakter! inspiriert – neue Ideen und frischen
Zwei Veröffentlichungen der bpb Wind in das Haus einbrachte.
bleiben in denkwürdiger Erinnerung: Am 30. November 2017 ist Gernot
Dallinger hat ein Vierteljahrhundert lang Dallinger gestorben. Er bleibt vor allem im
die Grundgesetz-Ausgabe der bpb ver- Hinblick auf den Datenreport unvergessen.

441
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2018

Datengrundlagen
Statistisches Kontakt zum
Statistischen Bundesamt
Informationen zu den Ergebnissen
der Bundesstatistik
Bundesamt www.destatis.de

(Destatis) Weiterführende Inhalte zu den Themen


des Datenreports und zu vielen sons­
Die Beiträge des Statistischen Bundesamtes
(­Destatis) basieren auf amtlichen, durch Bundes-
tigen Statistiken, auch zum Download, gesetze geregelten, Statistiken. Für alle Statisti-
sind auf unseren Themenseiten unter ken werden Informationen zu den verwendeten
www.destatis.de zu finden. Methoden und Definitionen sowie zur Qualität
Herausgeber der statistischen Ergebnisse in den sogenannten
Zentraler Auskunftsdienst Qualitätsberichten im Internet veröffentlicht.
www.destatis.de /kontakt
Telefon: +49 (0) 611 / 75 24 05 Die einzelnen Beiträge liefern in einigen Fällen In-
Montag bis Donnerstag formationen zu den gleichen Sachverhalten, greifen
8 bis 12 Uhr und 13 bis 16 Uhr, jedoch auf verschiedene Datenquellen zurück.
Freitag 8 bis 12 und 13 bis 15 Uhr Dabei können die Ergebnisse voneinander ab­
weichen. Die Ursachen liegen in methodischen
Pressestelle und journalistischer und kon­zeptionellen Unterschieden bei der Daten-
­Informationsservice erhebung. Dabei kann es sich um abweichende
www.destatis.de /kontakt Berichts­zeiträume oder Stichtage, unterschied­
Telefon: +49 (0) 611 / 75 34 44 liche Definitionen und Abgrenzungen einzelner
Montag bis Donnerstag 8 bis 17 Uhr Merkmale oder unterschiedliche Methoden der
und Freitag 8 bis 15 Uhr Datengewinnung handeln.

443
Datenreport 2018 Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren

Autorinnen
und Autoren
Statistisches 1.1 Bevölkerungsstand und
Bevölkerungsentwicklung
2.4 Kinderlosigkeit

Bundesamt
Olga Pötzsch
Annelen Carow Kinderlosigkeit

(Destatis)
Wanderungen

Dr. Claire Grobecker


Wanderungen, Bevölkerungsfortschreibung 3.1 Bildungs­beteiligung, Bildungs­
niveau und Bildungsbudget
Elle Krack-Roberg
Herausgeber Gebietsgliederungen Hans-Werner Freitag
Bildungsberichterstattung
Johanna Mischke
Europäische Statistiken Udo Kleinegees
Ausbildungsförderung
Olga Pötzsch
Geburten und Sterbefälle, Andrea Malecki
Demografischer Wandel Schulen

Dr. Alexander Schacht


Bettina Sommer Hochschulen
Geburten und Sterbefälle,
Demografischer Wandel Benny Schneider
Bildungsberichterstattung

Andreas Schulz
1.2 Bevölkerung mit Bildungsberichterstattung

Migrations­hintergrund Dr. Meike Vollmar


Florian Göttsche Hochschulen, Berufsbildung
Migration

4.1 Volkswirtschaftliche
2.1 Lebensformen in der Gesamtrechnungen
­Bevölkerung und Kinder Tanja Mucha
Thomas Baumann Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
Sorgerecht Norbert Schwarz
Tim Hochgürtel Wohlfahrtsmessung, Unbezahlte Arbeit
Familien und Lebensformen

Bettina Sommer
Eheschließungen 4.2 Öffentliche Finanzen
und öffentlicher Dienst
Dr. Alexandros Altis
2.2 Kindertages­betreuung Personal im öffentlichen Dienst

Stefan Rübenach Klaus Jürgen Hammer


Kindertagesbetreuung Steuern

Renate Schulze-Steikow
Öffentliche Finanzen
2.3 Kinder- und Jugendhilfe,
Adoptionen
Manuela Nöthen 5.1 Arbeitsmarkt
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen Anja Crößmann
Dorothee von Wahl Arbeitsmarkt
Kinder- und Jugendhilfe, Adoptionen Lisa Günther
Arbeitsmarkt

444
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2018

5.2 Verdienste 6.3 Armutsgefährdung und 9.1 Teilnahme am politischen


Sandra Klemt ­materielle Entbehrung Leben durch Wahlen
Verdienste Kristina Kott Brigitte Gisart
Sabine Lenz Armutsgefährdung und materielle Entbehrung Wahlen
Verdienste

7.5 Jugendkriminalität 9.4 Zufriedenheit mit der


6.1 Einnahmen, Ausgaben und Thomas Baumann ­öffentlichen Verwaltung
­Ausstattung privater Haushalte, Kriminalität Daniel Kühnhenrich
private Überschuldung Bürokratiekostenmessung

Sylvia Behrends
Einnahmen, Ausgaben, 8.1 Gesundheitszustand der
Ausstattung privater Haushalte ­Bevölkerung und Ressourcen 11.1 Leben in der
der Gesundheitsversorgung Europäischen Union
Silvia Deckl
Private Nutzung von Informations- Karin Böhm Johanna Mischke
und Kommunikationstechnologien Gesundheitszustand der Bevölkerung Europäische Statistiken
und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
Walter Engel
Überschuldung Ute Bölt
Stationäre Versorgung
Ulrike Gerber
Steuern Heiko Pfaff
Schwerbehinderung und Pflegebedürftigkeit
Julia Koch Weitere Autorin
Verbraucherpreise Torsten Schelhase
Todesursachen in Kapitel 2.4 Kinderlosigkeit
Kristina Kott Dr. Jasmin Passet-Wittig
Einnahmen, Ausgaben, Jutta Spindler wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Ausstattung privater Haushalte Diagnose und Behandlung im Krankenhaus Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Teresa Stahl
Sigrun Krämer Gesundheitszustand der Bevölkerung
Verbraucherpreise und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
Redaktionsleitung:
Patrizia Mödinger
Steuern Marlene Nowack

Jenny Neuhäuser 8.3 Soziale Sicherung Redaktion:


Privatinsolvenzen Heiko Pfaff Petra Kucera
Sozialbudget Renate Martin
Marion Petter
Johannes Proksch
6.2 Wohnen Mindestsicherungssysteme
Eva-Maria Diehl-Wolf
Preise für selbst genutztes Wohneigentum Markus Ramacher
Asylbewerberleistungen, Wohngeld
Lys Hager
Auswertung und Analyse der Stefan Rübenach
­Haushaltserhebungen, Wohnen Elterngeld

Dorothee von Wahl


Cordula Schöneich Kinder- und Jugendhilfe
Immobilienpreise

Daniel Zimmermann
Auswertung und Analyse der
­Haushaltserhebungen, Wohnen

445
Datenreport 2018 Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren

Datengrundlagen
Wissenschafts- Kontakt zum
Wissenschaftszentrum Berlin
Datengrundlagen der
wissenschaftsbasierten
zentrum Berlin für Sozialforschung
www.wzb.eu Sozialberichterstattung
für Sozial- Allgemeiner Informationsservice
in Deutschland

forschung (WZB)
www.wzb.eu / de / kontakt
Telefon: +49 (0) 30 / 2 54 91-0 Mareike Bünning
Für eine wissenschaftsbasierte Sozialberichter-
Pressestelle und journalistischer stattung stehen in Deutschland eine Reihe von
Informationsservice Daten aus langfristigen Erhebungsprogrammen
Herausgeber www.wzb.eu / de / presse der empirischen Sozialforschung zur Verfügung,
Telefon: +49 (0) 30 / 2 54 91-513 die für die regelmäßige Beobachtung der
­G esellschaft konzipiert worden sind, darunter
insbesondere das Sozio-oekonomische Panel
(SOEP) sowie die Allgemeine Bevölkerungsum­
frage der Sozialwissenschaften (ALLBUS).
­D arüber hinaus können für die Sozialbericht­
erstattung in Deutschland zunehmend auch
­supranationale Surveys genutzt werden, die die
Möglichkeit bieten, die Lebensverhältnisse in
Deutschland in einem internationalen – insbe­
sondere europäischen – Kontext zu betrachten
und zu bewerten. Von Fall zu Fall werden zu
­einzelnen Themen auch weitere spezielle Daten-
sätze herangezogen, auf die an dieser Stelle nicht
umfassend eingegangen wird.

Ein Großteil der sozialwissenschaftlichen Beiträge


dieses Datenreports beruht auf den Daten des
Sozio-oekonomischen Panels (SOEP, www.diw.de/
soep, 8.8.2018). Das SOEP ist eine repräsentative
Längsschnitterhebung zur empirischen Beob­
achtung des sozialen Wandels, in der seit 1984
zwei Ausgangsstichproben (deutsche und auslän-
dische Bevölkerung in der damaligen Bundesre-
publik) jährlich befragt werden. Das SOEP zeichnet
sich durch eine hohe Stichprobenstabilität aus.
1984 beteiligten sich in Westdeutschland 5 863
Haushalte mit 16 099 erfolgreich befragten Per-
sonen an der Erhebung; in Ostdeutschland wurden
1990 erstmals 2 158 Haushalte mit 6 014 Personen
befragt. Eine Zuwandererstichprobe mit 1 559
Personen in 524 Haushalten wurde 1995 ergänzt.
Weitere Migrantenstichproben folgten 2013, 2015
und 2016. Bei den beiden Stichproben, die 2016
­gezogen wurden, handelt es sich um Personen,
die zwischen 2013 und 2016 als Geflüchtete nach
Deutschland gelangt waren – insgesamt 9 907
Personen in 3 320 Haushalten (Privathaushalte und
Gemeinschaftsunterkünfte). Weiterhin konnte
im Jahr 2002 eine Überrepräsentation von Haus-
halten von Hocheinkommensbeziehern realisiert
werden. In den Jahren 2010 und 2011 wurden
drei Stichproben ergänzt, die bestimmte Familien­
typen umfassen. In den Jahren 1998, 2000, 2006,
2009, 2011 und 2012 wurden zudem Ergänzungs-
stichproben gezogen, um auf Basis einer großen

446
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2018

Fallzahl bessere Analysen kleiner Teilgruppen und Grundeinstellungen sowie der Legitimität der nationalen Forschungs­förderungseinrichtungen
der Bevölkerung zu ermöglichen. Im Jahr 2016 sozialen und politischen Ordnung erhoben. Zu finanziert wird. Der ESS wird seit 2002 in zwei­
zählten alle Stichproben zusammengenommen den thematischen Schwerpunkten des ­A LLBUS jährigem Turnus erhoben. Die Befragung 2016
44 101 Personen in 17 698 Haushalten. 2016 gehören Familie und Geschlechterrollen, wurde in 23 Ländern durchgeführt. Der ESS
Akzeptanz von Immigration sowie Ein­stellungen umfasst sowohl ein gleich­bleibendes Kernmodul
Das Sozio-oekonomische Panel wurde ur­ zu ethnischen und religiösen Minderheiten. Seit von Fragen als auch wechselnde Themenschwer-
sprünglich im Rahmen des durch die Deutsche der Erhebung von 2000 wird der ALLBUS in der punkte. Das International Social Survey Programme
­Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Form von computergestützten persönlichen (ISSP) entstand aus einer Kooperation zwischen
­Sonderforschungsbereichs »Mikroanalytische Interviews (CAPI) durchgeführt. Die Grundgesamt- dem ALLBUS, dem amerikanischen General Social
Grund­lagen der Gesellschaftspolitik« der Goethe- heit der ALLBUS-Umfragen bestand bis ein- Surveys (GSS), dem British Social Attitudes Survey
Universität Frankfurt am Main und der Universität schließlich 1990 aus den wahl­b erechtigten Per- (BSA) und der Australian National University mit
Mannheim konzipiert und wird nunmehr in sonen in der früheren Bundes­republik und West- dem Ziel, vergleichbare Daten für mehrere Länder
Form einer »forschungsbasierten Infrastruktur­ Berlin, die in Privathaushalten lebten. Seit 1991 zu erheben. Der ISSP wird seit 1985 jährlich
einrichtung« im Rahmen der Leibniz-Gemeinschaft besteht die Grundgesamtheit aus der erwachse- mit wechselnden Schwerpunktthemen in immer
(WGL) am Deutschen Institut für Wirtschafts­ nen – deutschen und aus­ländischen – Wohnbevöl- mehr Ländern durchgeführt. Insgesamt haben
forschung (DIW Berlin) durchgeführt. Die SOEP- kerung in Deutschland. Die Stichprobengröße sich weltweit bisher 57 Länder an der Erhebung
Gruppe gibt die Daten an die interessierte betrug bis 1991 rund 3 000 Befragte. Seit 1992 beteiligt.
Fachöffentlichkeit weiter und erstellt eigene Ana- beträgt die angestrebte Nettofallzahl 2 400 Befragte
lysen. Die Feldarbeit führt Kantar Public (ehemals in den alten und 1 100 Befragte in den neuen Für den Datenreport 2018 wurden auch Daten
TNS Infratest Sozialforschung) durch. Als eine Bundesländern. an der Schnittstelle zwischen amtlicher Statistik
Längsschnitterhebung zielt das SOEP insbeson- und wissenschaftlicher Sozialberichterstattung
dere darauf ab, Informationen über Veränderun- Weitere Umfragen fokussieren auf bestimmte genutzt. Zum einen handelt es sich um soge-
gen im Zeitverlauf auf der Mikroebene von Indivi- ­Bevölkerungsgruppen. Die Studie »Aufwachsen nannte Scientific Use Files (SUF) der umfang­
duen und Haushalten bereitzustellen. Die thema- in Deutschland: Alltagswelten« – AID:A II reichen Daten der Deutschen Rentenversicherung,
tischen Schwerpunkte des SOEP liegen in den (surveys.dji.de, 21.8.2018), die zwischen 2013 zum anderen um die einschlägigen Umfragen
Bereichen des Einkommens und der Erwerbs­ und 2015 vom Deutschen Jugendinstitut durch­ der Gesundheitsberichterstattung des Robert
tätigkeit, aber es werden – im Rahmen variieren- geführt wurde, basiert auf einer repräsentativen Koch-Institutes. Für den ersten Fall stellt das
der thematischer Vertiefungen – auch Längs- Stichprobe von Kindern, Jugendlichen und ­Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung
schnittinformationen zu weiteren Aspekten der ­jungen Erwachsenen. Unter anderem wurden (FDZ-RV), das beim Grundsatz- und Querschnitts-
sozioökonomischen Lebensverhältnisse, zum 4 777 Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis bereich der Deutschen Rentenversicherung
Beispiel zu sozialer Sicherung, Familie und sozialen 17 Jahren zu ihrer Lebenssituation befragt. Bund angesiedelt ist, der Wissenschaft und
Netzwerken und in begrenztem Umfang auch Der Deutsche Alterssurvey – DEAS (www.dza.de/ ­Forschung Mikrodatensätze aus dem Bestand
zu subjektiven Wahrnehmungen, Bewertungen forschung/deas.html, 21.8.2018), der seit 1996 ­ihrer prozessproduzierten Daten zur Verfügung.
und Einstellungen erhoben. vom Deutschen Zentrum für Altersfragen durchge- Im zweiten Fall handelt es sich um Studien
führt wird, erfasst die Lebensbedingungen von des bundesweiten Gesundheitsmonitorings, die
Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozial- Menschen in der zweiten Lebenshälfte, das heißt vom Robert Koch-Institut durchgeführt werden.
wissenschaften – ALLBUS (www.gesis.org/allbus, im Alter ab 40 Jahren. Im Jahr 2014 wurden Dazu zählen »Daten zur Gesundheit in Deutsch-
8.8.2018) ist eine Repräsentativbefragung, die 10 324 Personen befragt. land Aktuell« (GEDA), eine regelmäßige telefo­
in der Bundesrepublik seit 1980 in zweijährigem nische Befragung von über 20 000 Personen,
Turnus durchgeführt wird. Verantwortlich für das Zu den supranationalen Surveys, die für einzelne die Studie »Gesundheit Erwachsener in Deutsch-
Forschungsprogramm und das Gesamtdesign Kapitel des Datenreports 2018 Verwendung land« (DEGS), die seit 2008 wiederholt bundes-
der ALLBUS-Erhebungen ist eine Gruppe der Ab- ­finden, gehören insbesondere die Eurobarometer- weit mithilfe von Befragungen und mittels medi­
teilung »Dauerbeobachtung der Gesellschaft« bei Umfragen – EB (ec.europa.eu/COMMFrontOffice/ zinischer Untersuchungen Gesundheitsdaten von
GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften PublicOpinion, 8.8.2018), der European Social rund 8 000 Personen erhebt, sowie die Studie
in Mannheim. Die Datenaufbereitung, Archivie- Survey – ESS (www.europeansocialsurvey.org, »Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in
rung und Weitergabe der Daten erfolgt über das 8.8.2018) und das International Social Survey Deutschland« (KiGGS), die Paneldaten über die
Forschungsdatenzentrum (FDZ) Programme – ISSP (www.issp.org, 8.8.2018). Die Gesundheit von 12 368 Kindern und Jugendli-
ALLBUS bei GESIS in Köln. Mit wechselnden Eurobarometer-Umfragen werden von der Europä­ chen im Alter von 0 bis 17 Jahren (Welle 1) liefert.
inhalt­lichen Themenschwerpunkten und der teil- ischen Kommission mindestens zweimal jährlich
weisen Replikation von Fragen stellt der ALLBUS in allen Mitgliedsländern sowie darüber hinaus
eine der meistgenutzten Datenquellen für die auch den Beitrittsländern der ­Europäischen Union
­sozialwissenschaftliche Forschung und Lehre in durchgeführt. Sie umfassen ein breites Spektrum
Deutschland dar. Orientiert an den Zielsetzungen von gleichbleibenden und wechselnden Fragen
der deskriptiven Sozialberichterstattung, der zu verschiedenen gesellschafts- und europa­
­Untersuchung des sozialen Wandels und der inter- politisch relevanten Themen. Der European Social
national vergleichenden Analyse werden regel- Survey (ESS) ist eine ­w issenschaftsbasierte
mäßig Informationen zu den Bereichen Sozial- Umfrage, die von der Europäischen Kommission,
struktur und Sozialbeziehungen, Wertorientierungen der European Science Foundation und den

447
Datenreport 2018 Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren

Autorinnen
und Autoren
Wissenschafts- Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung (WZB):
GESIS – Leibniz - Institut
für Sozialwissenschaften,
zentrum Berlin ­Mannheim:
für Sozial-
Dr. Mareike Bünning
wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Dr. Angelika Scheuer

forschung (WZB)
­Projektgruppe der Präsidentin und in der Leiterin des Teams »European Social Survey«
­Nachwuchsgruppe »Arbeit und Fürsorge«
Michael Blohm
Dr. Jan Paul Heisig Jessica G. Walter
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Martina Wasmer
»Ausbildung und Arbeitsmarkt« Dr. Stefan Weick
Herausgeber
wissenschaftliche Mitarbeiter /-innen in der
Prof. Dr. Reinhard Pollak Abteilung »Dauerbeobachtung der Gesellschaft«
Leiter der Projektgruppe »Nationales Bildungspa-
nel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen«

Prof. Dr. Bernhard Weßels


wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Robert Koch-Institut Berlin:
»Demokratie und Demokratisierung«
PD Dr. Thomas Lampert
Ansprechpartnerin: Leiter des Fachgebiets »Soziale Determinanten
Dr. Mareike Bünning, mareike.buenning@wzb.eu der Gesundheit«

Dr. Lars Eric Kroll


stellvertretender Leiter des Fachgebiets »Soziale
Determinanten der Gesundheit«
Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung Dr. Jens Hoebel
(DIW Berlin): Dr. Benjamin Kuntz
Stephan Müters
Prof. Dr. Jürgen Schupp wissenschaftliche Mitarbeiter des Fachgebiets
Honorarprofessor für Soziologie an der Freien »Soziale Determinanten der Gesundheit«
Universität Berlin, Vize-Direktor des SOEP

Dr. Jan Goebel


Mitglied im Direktorium des SOEP

Luise Burckhardt
Dr. Peter Krause
Maria Metzing
Diana Schacht
wissenschaftliche Mitarbeiter /-innen im SOEP

Clara Hoffmann
studentische Mitarbeiterin im SOEP

(Kontakt: soepmail@diw-berlin.de)

448
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2018

Weitere Autoren: Redaktionsleitung


Dr. Rembrandt D. Scholz Dr. Mareike Bünning
Max-Planck-­Institut für demografische wissenschaftliche Mitarbeiterin
Forschung, Rostock am Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
Dr. Anne Berngruber
wissenschaftliche Referentin in der Abteilung
­»Jugend und Jugendhilfe« am Deutschen Redaktion
­Jugendinstitut, München
Tobias Brück
Dr. Nora Gaupp studentischer Mitarbeiter am
Leiterin der Fachgruppe »Lebenslagen und Wissenschaftszentrum Berlin
­Lebensführung Jugendlicher« am Deutschen für Sozialforschung
­Jugendinstitut, München

Dr. Alexandra Langmeyer-Tornier


Leiterin der Fachgruppe »Lebenslagen und
­Lebenswelten von Kindern« am Deutschen
­Jugendinstitut, München

Dr. Elke Hoffmann


wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin des
Statistischen Informationssystems GeroStat am
Deutschen Zentrum für Altersfragen, Berlin

Dr. Laura Romeu Gordo


wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen
Zentrum für Altersfragen, Berlin

Dr. Oliver Bruttel


Leiter der Geschäfts- und Informationsstelle
für den Mindestlohn, Berlin

PD Dr. Ralf K. Himmelreicher


Privatdozent am Institut für Soziologie der
Freien Universität Berlin und Senior Scientist in
der G
­ eschäfts- und Informationsstelle für den
Mindestlohn, Berlin

Prof. Dr. Dieter Fuchs


Professor für Politikwissenschaft am Institut für
Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart

Prof. Dr. Edeltraud Roller


Professorin für Politikwissenschaft am Institut
für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-
Universität Mainz

Dr. Mareike Alscher


assoziierte Wissenschaftlerin am Maecenata
­Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft,
Berlin

Dr. sc. Eckhard Priller


wissenschaftlicher Co-Direktor des Maecenata
Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft,
Berlin

449
Stichwortverzeichnis Datenreport 2018

Stichwort-
verzeichnis
Von A wie Abend- A Altersstruktur
–– Kinder 62

schule bis Z wie Abendschule 105, 108, 119 –– Migrationshintergrund 31, 42


–– Veränderung 15–16, 26–27, 43–45, 48–49

Zuwanderung Abgeordnete 341–344, 349 –– Wahlen 344–347

Adipositas 302–303, 311 Ältere Menschen


siehe auch Übergewicht siehe auch Rentner/-innen, Senioren  / Seniorinnen
–– Alleinlebende 57
Adoptionen 57, 77–78, 394 –– Altersrenten 333–339
–– Armut 236, 249–251, 253, 339, 367
Akademiker siehe Hochschulabsolventen –– Bildung 124, 127
–– Bevölkerungsanteil 14–16, 26–27, 49, 300, 418
Alleinerziehende –– Einstellungen 394, 399, 401–403
–– Alter der Kinder 55, 62 –– Erwerbsbeteiligung 149, 154, 156, 185,
–– Anzahl/Anteil 51–52, 55, 58–62 423–424
–– Armut 233–234, 238, 428 –– Gesundheitszustand 48, 100–101, 431
–– Einkommen 176, 197–198 –– Grundsicherung 319–320
–– Elterngeld 324–325 –– Haushaltsausstattung 207–208, 210
–– Erwerbstätigkeit 63–64 –– Internetaktivitäten 212–213
–– Haushaltsausstattung 206–212 –– Kinderlosigkeit 93–101
–– Konsumausgaben 199, 201, 203–205 –– Lebenserwartung 47–48
–– Mütter/ Väter 55 –– Migrationshintergrund 31, 310–311
–– Überschuldung 215–216 –– Pflegebedürftigkeit 296–297
–– Wohnsituation 227–229 –– Politische Beteiligung 353–354
–– Zufriedenheit 369, 372 –– Schwerbehinderung 294
–– Zivilengagement 373, 377–379
Alleinlebende –– Zufriedenheit 100
–– Alter 56
–– Anzahl/Anteil 51–52, 56–57 Angestellte
–– Armut 233–234, 238, 250 –– Armut 249–250
–– Einkommen 196–198, 334 –– Einstellungen zur Rolle des Staates 364
–– Europäische Union 418 –– Kinderlosigkeit 84
–– Haushaltsausstattung 206–208, 210–212 –– Migrationshintergrund 276–277
–– Kinderlosigkeit 95 –– Soziale Lage 256–261
–– Konsumausgaben 199, 201 –– Soziale Mobilität 263–267, 270
–– Überschuldung 215–216 –– Verdienst 167
–– Wohnsituation 227–229
–– Zufriedenheit/ Wohlbefinden 395–396 Arbeiter/-innen
–– Armut 249–250
Alleinstehende 51–52, 55–57, 166, –– Einstellungen zur Rolle des Staates 364–365
182, 227–229, 323, 337, 339 –– Kinderlosigkeit 83–84
–– Migrationshintergrund 276–277
Altenquotient 14–15, 27 –– Soziale Lage 256–261
–– Soziale Mobilität 263–270
Altersarmut 249–251, 339, 367
Arbeitnehmerentgelt 130, 135–137
Altersaufbau der Bevölkerung 14–16, 26–27, 31 siehe auch Einkommen

Altersrenten Arbeitsbedingungen 158, 162, 166,


–– Lebenserwartung 45 184–193, 415
–– Lebensunterhalt 160, 195–196, 198, 319
–– Lohnentwicklung 241–242, 244, 334–335 Arbeitsbelastung 185, 189–193, 304, 306–307
–– Renteneintrittsalter 27, 161, 294, 306,
316–317, 332, 335, 358, 387, 424 Arbeitseinkommen 166, 333, 335
–– Rentenentwicklung 129, 329, 333–339

451
Datenreport 2018 Stichwortverzeichnis

Arbeitskräftepotenzial 149, 151, 156–157 Armut B


–– Armutsdynamik 239, 250–253
Arbeitslose siehe auch Erwerbslose –– A rmutsgefährdung 33, 38–39, 174, 182, 184, Beamte /Beamtinnen
–– Anzahl /Anteil 150–152, 160–161 230–238, 255, 339, 427–430 –– Armut 249–250
–– Armut 234, 236, 249–250, 428 –– AROPE-Indikator 236–238 –– Einstellungen zur Rolle des Staates 364
–– Asylsuchende 283, 417 –– Betroffenheit von Bevölkerungsgruppen –– Kinderlosigkeit 84
–– Bildung 125–126 247–251 –– Migrationshintergrund 276–277
–– Definition 150 –– Geflüchtete 281, 285, 407–408 –– Pensionäre / Pensionärinnen 146–147, 328
–– Einstellungen zur Demokratie 360–362 –– Gesundheit 302, 304 –– Soziale Lage 256–259, 261
–– Einstellungen zur Rolle des Staates 363–364 –– Indikatoren 243 –– Soziale Mobilität 263
–– Gesundheit 308, 313 –– Kinder 38, 429
–– Kinderlosigkeit 96 –– Materielle Entbehrung 235–236 Behinderung siehe auch Schwerbehinderte
–– Migrationshintergrund 275–276, 283 –– Migrationshintergrund 38, 42, 246–247, 273, 279 –– Seelische Behinderung 69–70, 72, 295
–– Soziale Lage 256–261 –– Relative Armut 242
–– Soziale Mobilität 264 Berufsausbildung siehe auch Auszubildende
–– Soziale Sicherung 177, 314–317, 321–322, Armutsgefährdung –– Ausbildungsberufe 111–112
328, 330–331 allgemein 232–233 –– Ausbildungsförderung 119
–– Sterberisiko 44 Europäische Union 428–429 –– Ausbildungsplätze 111
–– Überschuldung 215 –– Ausbildungsverträge 112
–– Zivilengagement 377–380 Asylanträge 30, 272, 417 –– Berufsschüler /-innen 106–107, 121
–– Bildungssystem 104
Arbeitslosengeld I 195, 232, 317, 331–332 Asylrecht 25, 41 –– Gesundheit 307
–– Empfänger /-innen 160
Asylsuchende Berufspendler 163–165, 196
Arbeitslosengeld II 182, 195, 232, 316–317, 331 siehe auch Geflüchtete
–– Empfänger /-innen 160, 182, 232, 316, 372 –– Einkommen 247 Berufsschule
–– Studierende 115 –– Bildungsabschluss der Eltern 110
Arbeitslosenquote 161, 187, 386, 424 –– Verteilung in der Europäischen Union 416 –– Bildungsausgaben 108–109
–– Bildungssystem 103–104, 111
Arbeitslosenversicherung 139, 196, 315, Atypische Beschäftigung 158–159, 174–176, –– Schülerzahl 106–107
328, 331–332 185, 187
Berufstätigkeit siehe auch Beschäftigung
Arbeitsmarkt 149–165 Ausbildungsförderung (BAföG) 119–120 –– Frauen 397–398
–– Atypische Beschäftigung 158–159 –– Männer 401
–– Arbeitskräftepotenzial 156–157 Ausländer /-innen –– Vereinbarkeit von Familie und Beruf 191
–– Arbeitslose/Erwerbslose 149–152, 160–161 siehe auch Migrationshintergrund, Bevölkerung mit
–– Arbeitsstellen 160–161 –– Bildung 112 Beschäftigung
–– Arbeitszeit 162–163 –– Definition 28–30 –– Atypische Beschäftigung 158–159
–– Berufsgruppen 153–154 –– Einstellungen zu Ausländer /-innen 403–411 –– Entwicklung 182–183, 423
–– Chancen 103, 113, 125, 127 –– Erwerbslosigkeit 155 –– Migrationshintergrund 33, 272
–– Erwerbsquote 154 –156 –– Herkunftsländer 32, 403 –– Teilzeitbeschäftigung 157
–– Erwerbstätige 79, 96, 149–152 –– Kinder 34 –– Unterbeschäftigung 156
–– Migrationshintergrund 25, 33 –– Kontakte zu Ausländer /-innen 409–411 –– Vereinbarkeit von Familie und Beruf 63
–– Mobiles Arbeiten 165 –– Migrationsstatus 30–31, 40
–– Normalarbeitsverhältnis 158–159 –– Regionale Verteilung 32 Bevölkerung
–– Selbstständigkeit 158–159 –– Schutzsuchende 40–42 –– Altersaufbau 11, 14–15, 26, 31, 42, 48, 417
–– Teilzeitbeschäftigung 157 –– Soziale Sicherung 317–321 –– Bevölkerungsdichte 12–14, 35, 164–165, 222
–– Strafverfolgung 288–289 –– Einwohnerzahl 14–16
Arbeitsplatzmerkmale 185–189, 192–193 –– Studierende 115–116 –– Entwicklung 11–27, 48–49, 415–416
–– Zuzug und Fortzug 21, 24–25, 31 –– Geburten 16–17
Arbeitsproduktivität 136–137
Ausländerfeindlichkeit/ Bevölkerungsvorausberechnung
Arbeitsstunden 137, 150, 152, 156–157, ausländerdiskriminierende Einstellungen 15, 26–27, 48–49
174, 178, 299 278, 284, 389–390, 392, 403–411
Bildung
Arbeitsunfähigkeit 306–308 Aussiedler/-innen 21, 23, 28–29, 32, 272–279 –– Abschlüsse 107–108
siehe auch Spätaussiedler /-innen –– Ausbildungsförderung 119–120
Arbeitsunfälle 162 –– Ausgaben 108–109, 116–118, 123
Auszubildende siehe auch Berufsausbildung –– Berufsausbildung 111–112
Arbeitsvolumen 151–152, 157 –– Armut 249–250 –– Bildungsniveau der Bevölkerung 120–123
–– Berufe 111–112 –– Bildungssystem 103–119
Arbeitszeit 64–65, 96, 126, 150, 156, 162–165, –– Löhne 174–175, 177 –– Europäische Union 419–421
170–171, 174, 177–178, 181–187, 189–193, 234, –– Soziale Lage 260 –– Geflüchtete 282
299, 335, 337 –– Soziale Sicherung 330 –– Hochschulen 113–119
–– Spenden 379 –– Lehrkräfte 108–109
–– Migrationshintergrund 39, 273–274

452
Stichwortverzeichnis Datenreport 2018

–– Paare 52–53, 54 –– Stimmanteile 242–244 –– Einkommensdynamik 250–253


–– Schulen 105–109 –– Themen 296 –– Einkommensentwicklung 240–242
–– Schüler 105–110 –– Wahlberechtigte 342, 345 –– Europäische Union 427–430
–– Weiterbildung 124–127 –– Wahlbeteiligung 343, 346 –– Geflüchtete 282– 283
–– Wahlhelfer /-innen 247 –– Gesundheit 302–304
Bildung und … –– Wahlstatistik 244–247 –– Migrationshintergrund 272–274
–– Armut 234, 250 –– Millionäre 201
–– Einstellungen zur Rolle von Frau und Mann –– Nettoeinkommen 37–38, 60–61, 196–198,
398–402 C 201–202, 204–207, 209, 216, 228, 231–232,
–– Gesundheit 304–306 241, 244, 246–247, 280
–– Kinderlosigkeit 82–83 Chancengleichheit 66, 118, 262, 269–271, 313 –– Ost-West-Vergleich 245–246
–– Politische Beteiligung 353 –– Private Haushalte 197–198
–– Zivilengagement 377–379 Computer 86–88, 206, 209, 212–213, 368 –– Schichtung 242–243, 252
–– Tarifverdienste 166–168
Bildungsbudget 122–123 –– Verteilung 231–233, 242–243, 245–246,
D 258, 273, 281
Bildungsniveau 120–123, 156, 274, 282–284,
304–305, 377–379, 400–402 DDR siehe auch Neue Bundesländer Einkommensteuer 141, 196, 201, 369
–– Bildungsabschlüsse 121–122
Body-Mass-Index 303, 311, 431 –– Bevölkerungsentwicklung 12 Einstellungen zu …
–– Einstellung zur Demokratie 358 –– Arbeitsbedingungen 185–193
Bruttoanlageinvestitionen 130, 134 –– Einstellungen zur Rolle von Frau und Mann 400 –– Ausländer /-innen 403–411
–– Erwerbsbiografien 160, 257, 319, 333, 337 –– Beziehung zu den Eltern 91–92
Bruttoeinkommen 195–197, 232, 330, 333 –– Geburtenentwicklung 17 –– Demokratie 358–362
–– Kinderbetreuung 398 –– Europäische Union 435–439
Bruttoinlandsprodukt (BIP) –– Rentenansprüche 160, 319, 333 –– Familie und Partnerschaft 395–396
–– Anteil am 123, 419–420, 430 –– Soziale Absicherung 358, 363 –– Geflüchteten 407–409
–– Entstehungsrechnung 130–132 –– Wohneigentum 222 –– Heirat und Elternschaft 393–395
–– Entwicklung 131 –– Zuwanderung aus der 23 –– Islam 405–407
–– Europäische Union 421–422 –– Öffentliche Verwaltung 366–372
–– Regionale Unterschiede 169, 172 Demografischer Wandel 43–49, 417–418 –– Rolle des Staates 362–365
–– Verteilungsrechnung 130, 135–136 –– Rolle von Frau und Mann 397–402
–– Verwendungsrechnung 130, 134–135 Demokratie –– Schule 88–90
–– Einstellungen zur Demokratie als Staatsform
Bruttoinvestitionen 134 358–359 Einwohnerzahl
–– Einstellungen von Bevölkerungsgruppen –– Bundesländer 12–14
Bruttolöhne und -gehälter 136–137, 168 360–362 –– Deutschland 11–14
–– Engagement 350, 352 –– Europäische Union 413, 415
Bruttonationaleinkommen (BNE) –– Wahlen 341 –– Großstädte 14
129, 135, 142–143 –– Zufriedenheit mit dem Funktionieren
359–361, 435–437 Elterngeld 66, 79, 139, 160, 195, 232,
Bruttoverdienste 168–170 314–315, 324–327, 372, 397, 399
Dienstleistungen, behördliche 367–368
Bruttowertschöpfung 131–133, 135, 137 Engagement
Dienstleistungsbereich /-sektor –– politisch 350–357
Bundesagentur für Arbeit 130, 139, 150, –– Beitrag zum BIP 130–136 –– zivilgesellschaftlich 373–381
156, 160–162, 314, 316–317, 332, 424 –– Erwerbstätige 153, 163
–– Verdienste 166–170, 176 Erwerbsbeteiligung 154–156
Bundesländer im Vergleich –– Alter 126, 149
–– Bevölkerung 11–14 –– Armut 233–234, 236–237, 249
–– Bevölkerung mit Migrationshintergrund 32 E –– Ausländer 131
–– Binnenwanderung 20–22 –– Frauen 96, 149, 160, 397–398, 402, 423
–– Bruttoverdienste 169, 171 Ehepaare 51–54, 57–62, 64–65, 176, –– Kinderlosigkeit 96
–– Elterngeld 325–327 200, 227–229, 339 siehe auch Paare –– Migrationshintergrund 33, 42
–– Erzieherische Hilfen 73 –– Mütter 63–65
–– Fläche 12–14 Eheschließung 11, 51, 57–58, 366–367, –– Väter 64–65
–– Kinderlosigkeit 81–82 369–371, 393–394, 405
–– Kindertagesbetreuung 66–68 Erwerbslose siehe auch Arbeitslose
–– Landtagswahlen 348–349 Ehrenamt 133, 136, 177, 347, 355, 367, –– Deutschland 149–157
–– Länderfinanzausgleich 142–143 373, 375, 380–381 –– Europäische Union 424, 427–429
–– Soziale Sicherung 317–319 –– Migrationshintergrund 33
–– Wahlbeteiligung 343 Eingetragene Lebenspartnerschaften
–– Wohngeld 324 11, 54, 57–58, 366–367, 369, 371–372 Erwerbslosenquote 33, 151–152, 155–157,
424, 427
Bundestagswahlen 341–347 Einkommen
–– Altersgruppen 395–398 –– Adipositas 302–303 Erwerbspersonen/Nichterwerbspersonen
–– Sitzverteilung 242–244 –– Armut 242–245, 242–253 125–126, 150–151, 154–157, 161, 294, 424, 427
–– Bruttoeinkommen 168–176, 195–197

453
Datenreport 2018 Stichwortverzeichnis

Erwerbstätige Fernsehen 86–88 Geburten 16–19, 26–27, 43, 79–80, 94,


–– Anzahl 150–152, 157–159 309, 372, 414
–– Arbeitsstunden 152 Fertilität 16–19, 43
–– Berufsgruppen 154 siehe auch Geburtenziffer Geburtshilfe 292
–– Wirtschaftsbereiche 153–154
Flüchtlinge siehe Geflüchtete Geflüchtete siehe auch Asylsuchende
Erwerbs(tätigen)quote –– Anzahl 30, 40–42, 280, 416–417
Deutschland 63–64, 154–156, 397–398 Förderschule 104–106 –– Bildung 122, 282–284
Europäische Union 423–425 –– Definition 41, 272
Formales Lernen 124–127 –– Einkommen 247, 282–284
Europäische Union (EU) 413–439 –– Einstellungen gegenüber Geflüchteten
–– Armut 427–429 Frauen 407–409
–– Asylsuchende 416–417 –– Akademische Laufbahn 118–119 –– Engagement im Umfeld Geflüchteter 280–281
–– Beitritte / Erweiterungen 414 –– A lleinerziehende 55, 58–61, 63–64, –– Herkunftsländer 25, 29–30, 272, 280–285,
–– Bevölkerung 413–418 176, 215–216, 372 416–417
–– Bildung 419–421 –– Alter bei erster Geburt 19, 414–415 –– Lebensbedingungen 280–285
–– Bruttoinlandsprodukt 422 –– Altersrenten 337–338 –– Nachzugspotenzial 285
–– Demografie 413–418 –– Arbeitskräftepotenzial 156–157 –– Unbegleitete Einreisen Minderjähriger
–– Einkommen 427–429 –– Arbeitslosigkeit 161 41, 72, 76
–– Einstellungen zur EU 435–439 –– Arbeitsvolumen 152 –– Wanderung 21, 25
–– Erwerbslosigkeit 427 –– Arbeitszeiten 162–163 –– Zufriedenheit 285
–– Erwerbstätigenquote 423–425 –– Armut 233–234, 247–248
–– Frauenerwerbstätigkeit 423 –– Berufe 111–112 Gender Pay Gap 171–173, 425–426
–– Gender Pay Gap 425–426 –– Beschäftigte im öffentlichen Dienst 145
–– Identität 438–439 –– Bruttoverdienste 168 Geringfügige Beschäftigung 150, 158–159,
–– Jugenderwerbslosigkeit 427 –– Bundestagsabgeordnete 343–344 169, 172–175, 177–184, 185, 299
–– Konvergenzkriterien 423 –– Einstellungen zur Rolle von Frau und Mann
–– Lebenserwartung 415–416 397–402 Gesundheit, persönliche
–– Lebensqualität 433–435 –– Erwerbsbeteiligung 154–155 –– Alkoholmissbrauch 292
–– Mindestlohn 426–427 –– Erwerbstätigkeit 63–65, 337–338, 424–425 –– Arbeitsbelastung 162, 306–308
–– Selbstverständnis der Bürger /-innen 438–439 –– Gender Pay Gap 171–173, 425– 426 –– Arbeitslosigkeit 308
–– Wohnen 430 –– Kinderlosigkeit 79–85 –– Bildung 304–306
–– Wirtschaft / Finanzen 421–422 –– Konsequenzen aus der Erwerbstätigkeit –– Einkommen 302–304
–– Zufriedenheit mit Demokratie 360–361, 398–400 –– Kinder und Jugendliche 309–311
435–438 –– Lebenserwartung 16, 20, 26, 43–48, 57, 297, –– Migrationshintergrund 310–311
303–304, 379, 415–416 –– Pflegebedürftigkeit 297–298
Europawahlen 349 –– Lebensunterhalt 160 –– Schwerbehinderung 294–295
–– Lehrkräfte 108 –– Selbsteinschätzung 303, 311
Export 130, 134–135, 143, 335 –– Migrationshintergrund 31, 274–277 –– Sorgen 386–387
–– Mindestlohn 178–179 –– Ungleichheit 302–313
–– Niedriglohn 174–176 –– Zufriedenheit 385–386
F –– Schwangerschaftsabbrüche 291–292
–– Sterblichkeit 44, 46, 48 Gesundheitsversorgung 292–301
Familie –– Studierendenanteil 113–116
–– Alleinerziehende 51–52, 55, 58–64 –– Teenagermütter 17 Gesundheitswesen
–– Armut 249–251 –– Teilzeitarbeit 157 –– Diagnosen 292–293
–– Bildungsabschlüsse der Eltern 109–110 –– Einrichtungen 298–301
–– Ehepaare 51–54, 58–65 Freizeit –– Öffentliche Unternehmen 145
–– Eheschließungen 57–58 –– Aktivitäten 213, 305 –– Personal 297, 299–301
–– Einkommen 60–61, 195–199 –– Ausgaben 135, 199, 201–202, 204–205 –– Schulen des Gesundheitswesens 106–107
–– Einstellungen zur Familie 393–396, 441–442 –– Engagement 375
–– Familienformen 59 –– Kinder- und Jugendliche 86–90 Gesundheitszustand der Bevölkerung
–– Familiengröße 60 –– Mitgliedschaft in Organisationen 291–298
–– Haushaltsausstattung 207, 210–211 354–355, 374
–– Kinderlosigkeit 79–85 –– Zufriedenheit 383, 385–386, 392 Gewerkschaften 129, 166, 350, 355–357
–– Kinderzahl 60, 62
–– Konsumausgaben 199–206 Freundeskreis 90–91, 96–100, 409 Gleichgeschlechtliche Paare 51–52, 54–55,
–– Lebensformen 51–57, 59–61, 418–419 57, 196, 394
–– Mieten 227–230
–– Migrationshintergrund 35–40 G Grundschule
–– Rolle von Frau und Mann 397–402 –– Bildungsausgaben 108–109
–– Scheidungen 57–58 Ganztagsbetreuung 68 –– Bildungssystem 104
–– Sorgerecht 58, 372 siehe auch Kindertagesbetreuung –– Lehrkräfte 108
–– Überschuldung 216 –– Migrationshintergrund 110
–– Vereinbarkeit mit Beruf 63–65, 191–192 Gastarbeiter 25, 28–29, 32, 272, 274, 405 –– Lebenswelten von Grundschülern /
–– Wohnsituation 227–230 Grundschülerinnen 87–91
–– Schülerzahl 105–106, 110

454
Stichwortverzeichnis Datenreport 2018

Grundsicherung für Arbeitsuchende –– BAföG 119–120 –– Altersstruktur 16, 62


161, 315–317, 331 –– Bologna-Prozess 114, 116 –– Armut 247–248, 250–251, 253, 429
–– Fächerwahl 114 –– Auszug aus dem Elternhaus 62–63, 419
Grundsicherung im Alter 281, 316, 318–320 –– Personal 116–118 –– Betreuung im Haushalt 63, 400, 402
–– Studienanfänger 113–115 –– Bevölkerungsanteil 14, 16, 27, 417
Gymnasium –– Studierendenzahl 113 –– Beziehung zu den Eltern 91–92
–– Anteil 39, 10 –– Einstellungen zur Schule 88–90
–– Armut 250 Homosexuelle Paare –– Erzieherische Hilfen 69–74
–– Bildungsabschluss der Eltern 40, 42 siehe Gleichgeschlechtliche Paare –– Freizeitaktivitäten 86–88
–– Bildungsausgaben 108–109 –– Freundeskreis 90–91
–– Bildungssystem 103–104 –– Geburtenzahl 16–19, 26–27, 43, 414
–– Lebenswelten von Gymnasiasten / I –– G efährdungseinschätzungen des Jugendamtes
Gymnasiastinnen 87–91 70, 73–76
–– Lehrkräfte 108 Import 130, 134–135 –– Geflüchtete 41, 72, 76, 417
–– Migrationshintergrund 39–40, 110 –– Geschwisterzahl 62
–– Schülerzahl /-anteil 39, 106, 110 Internet –– Gesundheit 291–292, 309–311, 313
–– Aktivitäten 86–88, 212–213 –– Kinder- und Jugendhilfe 69–72
–– Anschlüsse 209–210, 212 –– Konsumausgaben 199, 202–206
H –– E-Government 368 –– Lebensform der Eltern 52, 58–61
–– Gesundheit 291 –– Lebenssituation 61–63
Hartz IV siehe Arbeitslosengeld II –– Migrationshintergrund 35–40, 59–60, 65, 295
Investitionen 117, 130, 134, 139–140, 143 –– Peerbeziehungen 90–92
Hauptschule –– Säuglingssterblichkeit 298
–– A bschluss 103, 107–109, 112, 186–192, Islam 405–407 –– Scheidung der Eltern 58
249, 306, 399–402, 404, 409 –– Schulkinder 105–107, 109–110
–– Armut 249–250 –– Soziale Mobilität 262
–– Bildungsabschluss der Eltern 42, 109 J –– Soziale Sicherung 327, 316–320
–– Bildungsausgaben 108–109 –– Unbegleitete Einreisen Minderjähriger
–– Bildungssystem 103–104 Jugenderwerbslosigkeit 41, 72, 76
–– Lebenswelten von Hauptschülern / –– Europäische Union 427
Hauptschülerinnen 87–91 Kinder- und Jugendhilfe 69–77, 315, 327
–– Lehrkräfte 84 Jugendkriminalität 286–289
–– Migrationshintergrund 39–40, 109–110 Kindergeld 66, 176, 195, 232, 315, 372
–– Schülerzahl/-anteil 39, 42, 106–108, 110 Jugendliche
–– Adoptionen 77–78 Kinderlosigkeit 18–19, 79–85, 93–101, 393
Haushaltsausstattung –– Alkoholmissbrauch 292
–– Fahrzeuge 206–208 –– Altersstruktur 16, 62 Kindertagesbetreuung 66–68, 139, 327
–– Haushaltsgeräte 208–209 –– Armut 233–234, 238, 247, 253
–– Internetanschlüsse 209–210, 213 –– Betriebliche Ausbildung 111–113 Kinderwunsch 79–80, 394
–– PC 209–210 –– Bevölkerungsanteil 14–16, 27, 417
–– Telefone 210–212 –– Beziehung zu den Eltern 91–92 Kinderzahl je Frau 18–19
–– Unterhaltungselektronik 208–209 –– Einstellungen zur Schule 88–90
–– Freizeitaktivitäten 86–88 Klassenposition 262–271
Haushalte siehe Private Haushalte –– G efährdungseinschätzungen des
Jugendamtes 75–76 Kollegschule 108, 119
Heirat siehe Eheschließung –– Geflüchtete 41, 72, 76, 417
–– Gesundheit 291–292, 309–311, 313 Konsumausgaben 130, 134–135, 197, 199–206
Hilfe zum Lebensunterhalt 316, 318–320 –– Internetnutzung 212–213
–– Kinder- und Jugendhilfe 69–72 Krankenhäuser
Hochaltrige, Hochbetagte 14, 43–49 –– Konsumausgaben 204 –– Anzahl 298–299
–– Kriminalität 286–289 –– Aufenthalt 292
Hochschulabsolventen/-absolventinnen –– Peerbeziehungen 90–92 –– Betten 299–301
–– Anzahl 116 –– Schüler/-innen 105, 107–109 –– Diagnosen und Behandlung 292–294
–– Atypische Beschäftigung 159 –– Soziale Mobilität 262 –– Patienten 292–294, 299–301
–– Erwerbsquote 156 –– Übergewicht 431 –– Personal 299
–– Frauenanteil 119 –– Unbegleitete Einreisen Minderjähriger
–– Gesundheitsbelastung durch Arbeit 307 41, 72, 76 Krankenversicherung 300, 306, 315, 318,
–– Kinderlosigkeit 82–84 320, 328–330, 362
–– Migrationshintergrund 33, 122–123 Jugendquotient 14–15, 27
–– Niedriglohn 175–176 Kriminalität
–– Politische Beteiligung 353, 355–357 –– Jugendkriminalität 286–289
K –– Sanktionsarten 288–289
Hochschulen –– Sorgen 383, 388
–– Absolventen/Absolventinnen 116 Kinder –– Tatverdächtige 287
–– Ausgaben und Finanzierung 116–118 –– Adoptionen 77–78 –– Verurteilte 287–289
–– Ausländische Studierende 115–116 –– Alkoholmissbrauch 292 –– Wohnumfeld 230

455
Datenreport 2018 Stichwortverzeichnis

L Leiharbeit 132, 158–159, 177 –– Regionale Verteilung 35


–– Sorgen 278, 284
Landtagswahlen 348–349 Lohnentwicklung 240–242, 334–335 –– Sprachkenntnisse 277, 283–284
siehe auch Einkommen –– Staatsangehörigkeit 28–29, 31, 34, 36, 54,
Langzeitarbeitslose 177, 321 57–59, 273, 281
Lohnsteuer 136, 141, 176, 196 –– Wohnsituation 36, 273, 281–282
Länderfinanzausgleich 142–143 siehe auch Einkommensteuer –– Zufriedenheit 278–279, 285

Lebensbedingungen Löhne Mindestlohn


–– D eutschland 43–44, 195, 230–231, 235, –– Altersrente 333–337, 339 –– Deutschland 177–184, 335, 339
255, 257–258, 309, 313, 384, 392 –– Arbeitnehmerentgelt 136–137 –– Europäische Union 426–427
–– Europäische Union 230, 433–435, 437–439 –– Bruttoeinkommen 168, 173–174
–– Migrationshintergrund 272–273, 280–282 –– Migrationshintergrund 276 Mindestsicherung 316–321, 328
–– Mindestlohn 177–184, 427
Lebenserwartung siehe auch Mindestlohn Mitgliedschaft
–– D eutschland 20, 26, 43–48, 57, 262, 297, –– Niedriglöhne 174–176 –– Gewerkschaften 356
302–304, 306, 313, 379 siehe auch Niedriglöhne –– Parteien und Interessengruppen 354–357
–– Europäische Union 413, 415–418 –– Tarif 167
Mobiles Arbeiten 165
Lebensformen
–– A lleinerziehende 51–52, 55 M Mobilität, räumliche 20, 54, 207, 331, 377, 418
siehe auch Alleinerziehende
–– Alleinlebende 51–52, 56–57 Materielle Entbehrung 235–237 Mobilität, soziale siehe Soziale Mobilität
siehe auch Alleinlebende
–– Alleinstehende 51–52, 55–57 Mieten Mobiltelefon 206, 210–212
–– Ehepaare 51–53, 57–62, 64–65 –– Ausgaben 135, 228–229
siehe auch Ehepaare –– Bruttokaltmiete 224–226, 321 Mütterrente 329, 335, 337, 387
–– Einstellungen zu 393–396 –– Einnahmen 140, 196, 232
–– Lebensgemeinschaften 51–54, 58–62, 64–65 –– Entwicklung 200, 224, 226
siehe auch Lebensgemeinschaften –– Mietbelastung 228–229, 235–236 N
–– Paare 51–55, 57–65, 94 –– Migrationshintergrund 273, 279, 281
siehe auch Paare –– Nettokaltmiete 200, 225–226 Nettoeinkommen 37–38, 60–61, 196–198,
–– Subjektives Wohlbefinden 395–396 –– Regionale Unterschiede 224, 226, 319 201–202, 205–207, 209, 216, 228, 231–232,
–– Zuschuss 321–323 239, 241, 244, 246–247, 281
Lebensgemeinschaften, nicht eheliche
–– Alter 53 Migration Neue Bundesländer
–– Anteil /Anzahl 51–54 –– Außenwanderung 22–26, 416 –– Altersrenten 333–339
–– Bildungsstand 53 –– Binnenwanderung 20–22 –– Arbeitsbedingungen 186, 188, 190, 192
–– Familienform 58–61 –– G eflüchtete 21, 25, 29–31, 40–42, –– Armut 247–251
–– Kinder 61–62, 64–65 76, 280, 416–417 –– Bevölkerungsentwicklung 12–13
–– Kinderlosigkeit 95 –– Historische Entwicklung 28–31, 272 –– Binnenwanderung 22
–– Wohnverhältnisse 227–229 –– Zuzug von Aussiedlern/Aussiedlerinnen 23 –– Bruttoverdienste 168–169
–– Einkommen privater Haushalte 197, 245–246
Lebenslanges Lernen 123–124, 377 Migrationshintergrund, Bevölkerung mit –– Einstellung zu Ausländern /Ausländerinnen
–– Adipositas 311 403–409
Lebensstandard –– Altersstruktur 31, 42 –– Einstellungen zu Familie und Lebensformen
–– Altersrente 339 –– Arbeitsbedingungen 185–192 393–395
–– Einkommen 166, 232, 239 –– Armutsgefährdung 33, 38–39, 248–249, 273 –– Einstellungen zur Demokratie 358–362
–– Gesundheit 308, 313 –– Benachteiligung 40, 42, 278, 284 –– Einstellungen zur Rolle des Staates 362–365
–– Haushaltsausstattung 206 –– Berufliche Stellung 276–277 –– Einstellungen zur Rolle von Frau und Mann
–– Materielle Entbehrung 235–236, 239 –– Beschäftigung 33, 37, 274–276, 282–283 397–402
–– Objektive Indikatoren 258–259 –– B ildung 33, 39–40, 109–110, 115–116, –– Erwerbsbeteiligung 154–155
–– Regionale Unterschiede 358–359 122–123, 125–126, 273–274, 282–284 –– Erwerbstätigkeit von Müttern 64
–– Zufriedenheit mit 385, 395 –– Definition 29, 41, 272 –– Gebäudegröße 218, 220
–– D iskriminierung 273–274, 284, 403–408, –– Geburtenziffer 17–18
Lebensunterhalt 410–411 –– Hilfe zum Lebensunterhalt 319
–– Ausbildungsförderung 120 –– Einkommen 38, 60, 239–240, 246–247, –– Kinder je Frau 17–18
–– Erwerbstätigkeit 149, 159–160 273–276, 281–283 –– Kinderbetreuung 400–402
–– Hilfe zum Lebensunterhalt 281, 314, 316–320 –– Familienform 59–60 –– Kinderlosigkeit 81–82
–– Private Haushalte 196 –– Geflüchtete 40–42, 280–285 –– Kindertagesbetreuung 66–68
–– Rolle von Frau und Mann 402 –– Geschlechterstruktur 31, 42 –– Kontakte zu Ausländern /Ausländerinnen
–– Gesundheit 309–311, 313 409–411
Lebenszufriedenheit 100–101, 259, 278, –– Herkunftsländer 28–31, 34, 36–38, 40, –– Lebenserwartung 44–45
383–385, 392, 395, 434–435, 439 275–278, 284 –– Lebensunterhalt 160
siehe auch Subjektives Wohlbefinden –– Kinder 34–40, 68, 90–91 –– Lebenszufriedenheit und Sorgen 384–392
–– Lebensbedingungen 272–273, 280–282 –– Lohnentwicklung 334–335
Lehrkräfte 108–109, 116–118 –– Mieten 224, 226, 229

456
Stichwortverzeichnis Datenreport 2018

–– Migrationshintergrund 32, 35 –– Kinder im Haushalt 61–63 R


–– Mindestlohn 177–180 –– Kinderbetreuung 63–65, 400–402
–– Niedriglohn 174–175, 177, 335, 338–339 –– Konsumausgaben 200–201, 203–205 Rauchen 48, 291, 300, 305, 309, 312, 431–432
–– Politisches Engagement 350–357 –– Scheidungen 57–58
–– Soziale Lagen 256–261 –– Staatsangehörigkeit 54 Realschule
–– Soziale Mobilität 262–271 –– Überschuldung 216 –– Abschluss 187, 191–192, 250
–– Spenden 379–380 –– Wohnsituation 227–229 –– Bildungsausgaben 108–109
–– Wahlverhalten 343 –– Zufriedenheit und Wohlbefinden 395–396 –– Bildungsstand 53
–– Weiterbildung 125–126 –– Bildungssystem 103–104
–– Wohneigentum 221–222, 227 Parteien 341–349, 350–357, 358, 360–362, –– Lebenswelten von Realschülern/
–– Wohnfläche 219, 277 364–365, 433 Realschülerinnen 87–91
–– Wohnungsversorgung /-leerstand 220–221 –– Migrationshintergrund 40
–– Zivilengagement 376–377 Peerbeziehungen 90–92 –– Schülerzahl 106, 110

Niedriglöhne 96, 174–177, 182, 307, 335, Pendler siehe Berufspendler Renten siehe Altersrenten
338–339
Pensionäre 138, 147, 322, 362, 364, 377, 379 Rentenversicherung 15, 45, 195–197,
Nonformales Lernen 124–127 314–315, 328–329, 333–339, 370
Pensionskassen 145
Normalarbeitsverhältnis 149, 158, 174 Rentner/-innen
Pflege –– Altersrenten 314, 333–339
–– Bedürftige 48, 136, 157, 296–297, 330–331, –– Armut 249
O 333, 367 –– Einkommen 198
–– Dauer 48 –– Einstellungen zur Demokratie 362
Offene Stellen 160–162 –– Dienst 296–297, 299–301, 311, 331 –– Einstellungen zur Rolle des Staates 364
–– Einrichtungen 297 –– Erwerbstätigkeit 150, 234, 369
Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit –– Quote 296–297 –– Krankenversicherung 329–330
142–143 –– P flegeversicherung 139, 176, 196, 315–316, –– Migrationshintergrund 31
318, 328–331, 336 –– Pflegeversicherung 331
Öffentliche Finanzen –– Soziale Lage 256–259, 261
–– Ausgaben 139–141 Pkw 164–165, 207–208, 235 –– Spenden 379
–– Einnahmen 140–141 –– Vereine 355
–– Europäische Union 422–423 Politische Integration 350–357 –– Wohngeldbezug 322
–– Finanzierungssaldo 141–142 –– Zivilengagement 377
–– Finanzvermögen 144 Politische Partizipation 341–349, 350–354
–– Schulden 144 Reproduktionsmedizin 77, 79–80
–– Steuereinnahmen 114–116 Politisches Engagement 350–357
Ruhestand 93, 147, 158, 234, 249, 367
Öffentliche Verkehrsmittel 165 Politisches Interesse 350–351

Öffentliche Verwaltung 103, 145, 153, Private Haushalte S


170, 175, 366–372 –– Armut 182, 232–235, 242–244
–– Ausstattung mit Gebrauchsgütern 206–212 Säuglingssterblichkeit 298
Öffentlicher Dienst –– Bildungsausgaben 123
–– Personal 145–147 –– Einkommen 195–199, 231–232, 239–247, Scheidungen 55, 57–58, 215, 366–367, 369,
–– Unternehmen 144–145 385–386 371–372
–– Europäische Union 418, 427–430
Ostdeutschland siehe Neue Bundesländer –– Kinder 61–63 Schulabschlüsse
–– Kinderlosigkeit 95, 98–99 –– Arbeitsbedingungen 186–192
–– Konsumausgaben 199–206 –– Armut 249–250
P –– Lebensformen 51–61 –– Art und Anzahl 107–108, 110
–– Materielle Entbehrung 235–238 –– Bevölkerung 52–53, 120–123
Paare –– Migrationshintergrund 30–32, 34–40, 42, –– Einstellungen zur Rolle von Frau und Mann
–– Alter 53, 55 273, 281–282 399–402
–– Altersrente 339 –– Mindestlohn 182, 184 –– Einstellungen und Kontakte zu Ausländern
–– Anzahl/Anteil 51–54 –– Subjektives Wohlbefinden 395–396 404, 406, 408–410
–– Armut 250–251, 429–430 –– Überschuldung/Privatinsolvenz 214–216 –– Eltern 39–40, 109–110
–– Bildungsstand 52–54 –– Wohngeldbezug 321–324 –– Europäische Union 419–421
–– Ehepaare 51–54, 57–62, 64–65 –– Wohnsituation 217, 219–221, 224, 227–230 –– Freizeitaktivitäten 87
–– Eheschließungen 57–58, 369, 371 –– Gesundheit 304, 306
–– Eingetragene Lebenspartnerschaften Privatinsolvenzen 214–216 –– Kinderlosigkeit 81–84, 95–96
54, 57–58 –– Migrationshintergrund 33, 39–40, 42,
–– Einkommen 61, 196–199 Produzierendes Gewerbe 110, 273–274, 282
–– Erwerbstätigkeit 63–65 –– Arbeitszeiten 163 –– Spenden 379
–– Gleichgeschlechtliche Paare 54–55, 57 –– Beitrag zum BIP 130, 132–133 –– Weiterbildung 124–127
–– Haushaltsausstattung 206–212 –– Erwerbstätige 153 –– Zivilengagement 377
–– Verdienste 166, 168–170, 176

457
Datenreport 2018 Stichwortverzeichnis

Schulen Soziale Sicherung Subjektives Wohlbefinden 260, 383–384,


–– Ausgaben je Schülerin und Schüler 109 –– Arbeitslosengeld II 316–318 386, 390–392, 393–396
–– Einschulungen 105 –– Asylbewerberleistungen 318–319 siehe auch Lebenszufriedenheit, Zufriedenheit
–– Lehrkräfte 108–109 –– Elterngeld 324–327
–– Schulabschlüsse 107–108 –– Grundsicherung im Alter 280, 316, 318–320
–– Schulformen 104–109 –– Hilfe zum Lebensunterhalt 316, 318–320 T
–– Schülerzahl 105–107 –– Mindestsicherung 316–321, 328
–– Sozialbudget 314–316 Tarifverdienste 166–168, 335
Schüler/-innen –– Sozialgeld 316–317, 281
–– BAföG 119 –– Sozialhilfe 160–161, 195, 232, 315–316, Todesursachen 291, 297–298
–– Freizeitaktivitäten 86–88 318–320
–– Freundeskreis 90–91 –– Wohngeld 217, 281, 315, 321–325 Transferleistungen 37, 217, 281, 316, 331
–– Lebenswelten 86–92 –– Zuständigkeit des Staates 362–365 siehe auch Soziale Sicherung
–– Migrationshintergrund 109–110
–– Peerbeziehungen 90–92 Sozialer Auf- und Abstieg 266–269
–– Schulabschluss der Eltern 109–110 U
–– Sozioökonomischer Status 109–110 Sozialgeld 316–317, 281
–– Spenden 379 Übergewicht 48, 302–303, 308, 431
–– Zivilengagement 377 Sozialhilfe 160–161, 195, 232, 315–316, siehe auch Adipositas
318–320
Schutzsuchende siehe Geflüchtete Überschuldung privater Haushalte 214–216
Sozialleistungen 139, 160, 314–315,
Schwangerschaftsabbrüche 291–292 332, 336, 427 Unbezahlte Arbeit 133, 136

Schwerbehinderte 147, 157, 291, 294–296, Sozialstaat, Einstellungen zum 362–365 Unfallversicherung 139, 162, 315, 329
314, 332, 367
Sozialversicherung 138–140, 144–145, 147, Ungleichheit
Selbstrekrutierungsraten 263–264, 266 149, 153, 162, 170, 174–176, 196–197, 232, –– Altersrenten 336–339
314–315, 328–332, 333, 362–363, 366 –– Arbeitsbedingungen 189, 191
Selbstständige –– Bildung 125
–– Altersrente 333, 336 Spätaussiedler /-innen 21, 23, 28–29, 32, –– Chancen 269–270
–– Anzahl 158–159, 162 272–279 –– Einkommen 180, 231–233, 239–246, 358, 391
–– Arbeitszeit 163 –– Europäische Union 433
–– Armut 249–250 Spenden 143, 373, 378–381 –– Gesundheit 302–313, 332
–– Einkommen 135, 174, 195–197, 232 –– Politische Partizipation 350, 354, 356
–– Einstellungen zur Demokratie 362 Sport treiben 86–88, 309, 312–313 –– Regionale Ungleichheit 245–246, 374
–– Einstellungen zur Rolle des Staates 364–365 –– Soziale Ungleichheit 185, 255, 258, 265, 332,
–– Kinderlosigkeit 84 Sportvereine 354–355, 374, 376 358, 363–364
–– Sozialversicherung 330 –– Zuständigkeit des Staates 358, 363–364
–– Migrationshintergrund 277 Städte
–– Mobiles Arbeiten 165 –– Armut 249 Universitäten siehe Hochschulen
–– Soziale Lage 256–259, 261 –– Berufspendler 164–165
–– Soziale Mobilität 263–266 –– Einwohnerzahl 14 Unterbeschäftigung 156
–– Überschuldung 214 –– Großstädte 14, 32, 217
–– Kinderlosigkeit 82 Urlaub 235–236
Senioren /Seniorinnen 14, 16, 27, 198, 339 –– Migrationshintergrund 32, 36, 273
siehe auch Ältere Menschen, –– Wohnen 217 Urlaubsgeld 168, 178, 196, 230, 239
Rentner/-innen
Sterbealter 42
Smartphone 210, 212–213 V
siehe auch Mobiltelefon Sterbefälle 12, 14, 16–17, 20, 26, 46–47,
297–298, 413 Verbände 129–130, 166, 215, 373–374, 378
Solidaritätszuschlag 140–141, 176, 196–197
Sterbetafel 20, 43, 45–46 Verbraucherpreise 166, 173, 177, 183, 200,
Sorgen 278, 284, 383–384, 386–392 226, 422–423
Sterblichkeit 14, 20, 26, 43–48, 297–298,
Sozialabgaben 136, 197, 239, 244 309, 313 Verdienste
–– Bruttoverdienste 168–176
Sozialbeiträge 136, 315 Steuereinnahmen 103, 136, 140–142 –– Nettoverdienste 176
–– Tarifverdienste 166–168
Sozialbudget 314–316, 329 Stiftungen 373–375
Verdienstunterschied Männer und Frauen
Soziale Lagen 255–260 Stille Reserve 151, 156 siehe Gender Pay Gap

Soziale Mobilität 262–271, 310 Studierende siehe Hochschulen Vereinbarkeit von Familie und Beruf
63–65, 66, 68, 84, 96, 149, 184, 187, 191–193,
Soziale Schichten 255, 260–261, 357 Stundenlohn 136, 167, 169, 177–183, 276, 307 397–398, 400–401, 424

458
Stichwortverzeichnis Datenreport 2018

Vererbungsraten von Klassenpositionen Z


364–366
Zivilgesellschaftliches Engagement 373–381
Vermögenseinkommen 130, 135–136,
195–197 Zufriedenheit
–– Arbeit 191–193, 385
Vertriebene 22, 28 –– Funktionieren der Demokratie 359–362
–– Kinderlosigkeit 100–101
Volkseinkommen 135–136 –– Lebenszufriedenheit 259, 307, 383–384, 395
–– Migrationshintergrund 278–279, 285
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen –– nach Bereichen 385–386
129–137, 138, 150, 314 –– Öffentliche Verwaltung 366–372

Vollzeit- und Teilzeitverdienste 171–172 Zukunftserwartungen 259–260, 434–435

Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen Zuwanderung siehe Migration


300–301

Wahlen 341–349, 350–351

Wanderungsbewegungen siehe auch Migration


–– Außenwanderung 22–26, 416
–– Binnenwanderung 20–22
–– G eflüchtete 21, 25, 29–31, 40–42, 76, 280,
416–417
–– Historische Entwicklung 28–31, 272
–– Zuzug von Aussiedlern /Aussiedlerinnen 23

Weiterbildung 104, 120, 122–123, 124–127,


157, 162, 328, 332, 420

Wirtschaftssektoren 153, 163

Wohlstand
–– Arbeitsplätze 149
–– Einkommen 232, 243, 245, 249, 253, 427–428
–– Europäische Union 427–428, 434
–– Messung 133
–– Spenden 380
–– Subjektives Wohlbefinden 391–392
–– Verteilung 255, 259, 427

Wohneigentum 37, 222–224, 227–228, 244,


258, 339

Wohnen 217–230

Wohngebäude
–– Bestand 218
–– Größe 218
–– Eigentümerstruktur 221–222
–– Leerstand 221
–– Wohnfläche 218–219

Wohngeld 217, 281, 315, 321–325

Wohnsituation
–– Belastung durch Wohnkosten 228
–– Europäische Union 430
–– Haushaltstypen 227–228
–– Mieten 224–226
–– Migrationshintergrund 273, 279, 281, 285
–– Wohnfläche 218–219, 222
–– Zufriedenheit mit der Wohnung 385

459
Datenreport 2018 Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungs-
verzeichnis
Von A wie AFBG AFBG
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
BNE
Bruttonationaleinkommen

bis Z wie z. B. »Aufstiegs-BAföG«


BSP
AG Bruttosozialprodukt
Arbeitsgemeinschaft
BWS
AID:A II Bruttowertschöpfung
Studie »Aufwachsen in Deutschland:
Alltagswelten« DDR
Deutsche Demokratische Republik
ALG
Arbeitslosengeld DEAS
Deutscher Alterssurvey
ALLBUS
Allgemeine Bevölkerungsumfrage DEGS
der Sozialwissenschaften Studie zur Gesundheit Erwachsener
in Deutschland
AROPE-Indikator
At risk of poverty or social exclusion DIW
Kennziffer für die Messung von Armuts­ Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
gefährdung oder sozialer Ausgrenzung
DJI
ASID Deutsches Jugendinstitut
Studie »Alterssicherung in Deutschland«
DRG
AsylbLG Diagnosis Related Groups
Asylbewerberleistungsgesetz DRG-Statistik – fallpauschalenbezogene
Krankenhausstatistik
AZR
Ausländerzentralregister EFTA
European Free Trade Association
BA Europäische Freihandelsassoziation
Bundesagentur für Arbeit
EP
BAföG Entgeltpunkt in der gesetzlichen
Bundesausbildungsförderungsgesetz Rentenversicherung

BAMF-FZ ERT
Forschungszentrum Migration, Integration Erwerbstätigenrechnung
und Asyl des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge ESAW
Europäische Statistik über Arbeitsunfälle
BAuA
Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ESVG
Europäisches System volkswirtschaftlicher
BEEG Gesamtrechnungen
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
ESZB
BIP Europäisches System der Zentralbanken
Bruttoinlandsprodukt
EU
BKK Europäische Union
Betriebskrankenkassen
Eurostat
BMI Statistisches Amt der Europäischen Union
Body-Mass-Index

460
Abkürzungsverzeichnis Datenreport 2018

EU-SILC ISSP Pkw


European Union Statistics on Income International Social Survey Programme Personenkraftwagen
and Living Conditions
LEBEN IN EUROPA – Gemeinschaftsstatistik IVF RÜG
über Einkommen und Lebensbedingungen In-vitro-Fertilisation Rentenüberleitungsgesetz

EVS IWF SGB


Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Internationaler Währungsfonds Sozialgesetzbuch

EZB KiföG SGB II


Europäische Zentralbank Kinderförderungsgesetz Zweites Sozialgesetzbuch

FGT KiGGS SOEP


Index nach Forster, Greer und Thorbecke Studie zur Gesundheit von Kindern Sozio-oekonomisches Panel
zur Messung von Armut und Jugendlichen in Deutschland
StGB
FuE KldB Strafgesetzbuch
Forschung und Entwicklung Klassifikation der Berufe
StPO
G8 km Strafprozessordnung
Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre Kilometer
TAG
G9 km² Tagesbetreuungsausbaugesetz
Gymnasialzeit von neun Jahren Quadratkilometer
TFR
GEDA LWR Total fertility rate
Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« Laufende Wirtschaftsrechnungen Zusammengefasste Geburtenziffer

GV-ISys m² UN
Gemeindeverzeichnis-Informationssystem Quadratmeter United Nations
Vereinte Nationen
GWZ NEPS
Gebäude- und Wohnungszählung Nationales Bildungspanel usw.
und so weiter
HS ODA
Hochschulsemester Official Development Assistance VE
Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit Verdiensterhebungen
IAB
Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung OECD VGR
Organisation for Economic Cooperation Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
ICSI and Development
Intrazytoplasmatische Spermieninjektion Organisation für wirtschaftliche VSE
Zusammenarbeit und Entwicklung Verdienststrukturerhebung
IGLU
Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung OPS VVE
Operationen- und Prozedurenschlüssel Vierteljährliche Verdiensterhebungen
IKT
Informations- und Kommunikationstechnik PC WZ
Personal Computer Klassifikation der Wirtschaftszweige
ILO
International Labour Organization PISA WZB
Internationale Arbeitsorganisation Programme for International Wissenschaftszentrum Berlin
Student Assessment (PISA) für Sozialforschung
ISCED Programm zur internationalen
International Standard Classification Schülerbewertung der OECD z. B.
of Education zum Beispiel
Internationale Standardklassifikation PKS
des Bildungswesens Polizeiliche Kriminalstatistik

461
Wie seine Vorgänger liefert auch der Datenreport 2018
wieder amtliche Statistiken und sozialwissenschaft-
liche Einordnungen zur gesellschaftlichen Situation
in Deutschland. Er präsentiert Basisfakten, zeigt aber
auch gesellschaftliche Trends auf und vermittelt so
ein differenziertes Bild sozialer, politischer und ökono-
mischer Entwicklungen und Wirklichkeiten.

Neben umfassenden Darstellungen zur Bevölkerungs-


entwicklung, zu Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Sozial-
system legt der Datenreport 2018 einen besonderen
Schwerpunkt auf die Lebensbedingungen von
­Familien und dabei insbesondere den rund 13,5
Mil­lionen in Deutschland lebenden Kindern und
Jugendlichen. Zudem widmet er sich Einstellungen
und Werten sowie Fragen politischer Partizipation.

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