Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
2016
Ein Sozial-
bericht für die
Bundesrepublik
Deutschland
Herausgeber:
in Zusammenarbeit mit
Redaktionell verantwortlich
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb):
Gernot Dallinger
Statistisches Bundesamt (Destatis):
Redaktionsleitung: Kerstin Hänsel, Redaktion: Marion Petter
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB):
Mareike Bünning, Alina Juckel
unter Mitarbeit von Jürgen Schupp, Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW)
Vorwort
Der Datenreport Der Datenreport, den die Bundeszentrale
für politische Bildung zusammen mit
die Grundlagen für einen rationalen poli-
tischen Diskurs gelegt, die Lösungen ge-
als wichtiges dem Statistischen Bundesamt (Destatis), sellschaftlicher Probleme aber nicht vor-
Ins trument zur dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)
und dem Sozio-oekonomischen Panel
gegeben – sie müssen im demokratischen
Willensbildungsprozess gefunden werden.
politischen Bildung (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirt- Journalisten, Studierende, aber auch
schaftsforschung (DIW Berlin) 2016 in der Fachleute aus Wissenschaft, Politik,
15. Auf lage herausgibt, gehört mittler Wirtschaft und Verwaltung erhalten mit
Thomas Krüger
weile zu den Standardwerken für all jene, dem »Datenreport 2016« ein übersicht-
die sich schnell und verlässlich über sta- lich gestaltetes Handbuch, das sie mit den
Der Präsident der Bundeszentrale tistische Daten und sozialwissenschaft notwendigen Zahlen, Fa kten und
für politische Bildung liche Analysen zu den aktuellen gesell- A rgumenten versorgt, um an den öffent
schaftlichen Entwicklungen in der Bun- lichen Debatten zu den wirtschaftlichen,
desrepublik Deutschland informieren sozialen und politischen Trends in unse-
wollen. Die Statistik ermöglicht es, sich rem Lande teilzunehmen.
einen Überblick etwa über die Bevölke- Der Datenreport ist damit nicht nur
rungsentwicklung, den Arbeitsmarkt, den ein Sozialbericht über den Zustand der Re-
Gesundheitssektor bis hin zu Fragen poli- publik, sondern ein wichtiges Instrument
tischer Partizipation zu verschaffen. Durch politischer Bildung. Er stellt den Nutzerin-
die wissenschaftliche Einordnung ergibt nen und Nutzern Material zur Verfügung,
sich ein Gesamtbild der Lebensverhält- das sie benötigen, um sich ein eigenes be-
nisse unserer Gesellschaft. Damit sind zwar gründetes Urteil bilden zu können.
5
Datenreport 2016 Nachruf
Forscher, R
edakteur und
Menschenfreund
Zum Tod von
Roland Habich
(1953–2015)
Text: Jutta Allmendinger
Foto: David Ausserhofer
»Roland Habich ist gestorben.« Die Nach- zu werden. Die Tutoren wussten das auch,
richt, die uns an einem Sonntag im April und viele benahmen sich dementspre-
erreichte, ist noch immer schwer zu er- chend. Roland Habich war anders: ruhig,
fassen. Im WZB und bei vielen anderen freundlich, überaus hilfsbereit. Dünkel
Organisationen, mit denen er zusammen- war ihm völlig fremd. Er begegnete nie-
gearbeitet hat, haben sich seitdem viele mandem von oben herab.
Menschen erinnert, haben an gemeinsame Roland Habich stammt aus dem
Projekte, persönliche Begegnungen und Landkreis Karlsruhe, aus Upstadt-Weiher,
an aktuelle Projekte gedacht, an denen wo er 1953 geboren wurde. 1974 begann
Roland Habich beteiligt war. er an der Universität Mannheim sein Stu-
Oft waren es Erinnerungen an die ers- dium der Psychologie und der Soziologie,
te Begegnung und die spontan empfunde- bei der Wolfgang Zapf sein akademischer
ne Sympathie, vor Jahren, manchmal vor Lehrer war. Nach dem Studium folgten
Jahrzehnten. Ich selbst habe Roland Ha- Stationen an den Universitäten Frankfurt
bich 1976 kennengelernt. Als ich mein am Main und wieder Mannheim. Wolf-
Studium in Mannheim aufnahm, war er gang Zapf lud Habich 1988 ans WZB ein,
mein Tutor. Ich studierte bei Wolfgang das er damals leitete. Habich wurde wis-
Zapf, M. Rainer Lepsius, Hans Albert und senschaftlicher Mitarbeiter und For-
Martin Irle. In den großen Vorlesungen schungskoordinator der Abteilung Sozial-
gab es Tutoren. Wir ganz Jungen wussten, struktur und Sozialberichterstattung.
dass es etwas ganz Besonderes war, Tutor Mit der Zeit verlagerte er seinen Arbeits-
6
Nachruf Datenreport 2016
schwerpunkt in Richtung Methoden, verantwortungsbewusster Datenschutz- Eigentlich wollte Roland Habich der
ohne die inhaltliche Arbeit aufzugeben. beauftragter. Er baute am WZB das zent- Welt noch mehr von seiner Zeit geben. Er
Im Gegenteil: Bis zu seinem plötzlichen rale Datenmanagement auf. Er engagierte hatte vor, mit 63 Jahren in Rente zu ge-
Tod war er einer der Herausgeber des sich für die berufliche Ausbildung am hen, und unterstützte die Arbeitsgruppe
vom WZB, dem Statistischen Bundesamt WZB und nahm dabei vor allem die am WZB, die über die zukünftige Aus-
und der Bundeszentrale für politische Fachangestellten für Markt- und Sozial- richtung des Datenmanagements zu bera-
Bildung alle zwei Jahre veröffentlichten forschung in seine Obhut. Er war Mit- ten hatte. Was uns mit seinem plötzli-
Datenreports und zugleich einer der ver- glied im Nutzerbeirat des Leibniz-Insti- chen Tod verloren ging, ist Wissen, Er-
antwortlichen Redakteure dieses »Sozial- tuts für Sozialwissenschaften GESIS und fahrung, ein genauer Blick, vor allem
berichts für die Bundesrepublik Deutsch- engagiert im Rat für Sozial- und Wirt- aber ein feiner Mann. Solche Menschen
land«, der von Öffentlichkeit und Politik schaftsdaten, dessen Geschäftsstelle zu- sind selten. Roland Habich wird weit über
immer mit großem Interesse aufgenom- künftig am WZB angesiedelt sein wird. seine Familie und seinen Freundeskreis,
men wurde und einen genauen und diffe- Er war Lehrbeauftragter an der Univer über seine unmittelbare Kollegenschaft
renzierten Blick auf die gesellschaftlichen sität Potsdam, Jahrzehnte nach seiner und das WZB hinaus vermisst werden –
Entwicklungen ermöglichte, von Bevöl- Tutorentätigkeit in Mannheim immer und in Erinnerung bleiben.
kerung, Gesundheit und Wohnen über noch einer, der vermittelte, erklärte, half.
Familie, Arbeit und Bildung bis zu sozia- Kein Gegenüber war ihm zu groß oder zu
ler Ungleichheit, Migration und politi- klein: An einem Girls‘ and Boys‘ Day am
scher Partizipation. Er war in den letzten WZB führte er 8- bis 12-Jährige in die
Jahren maßgeblich an der Neuausrich- S ozialwissenschaften ein und betreute
tung des Datenreports beteiligt, in dem mit Leichtigkeit und Ernst deren kleines
nun amtliche Statistik und Forschung Forschungsprojekt.
eng miteinander verknüpft sind. Hilfsbereitschaft, Zugewandtheit, Un-
In dieser Rolle als Mitherausgeber und terstützung zeichneten ihn im Beruf aus
Redakteur war er immer gefordert. Es wie im Privaten. Roland Habich war eine
war eine echte Knochenarbeit. Die Pers- Art Menschenschutzbeauftragter, der vie-
pektiven mehrerer Disziplinen und unter- les aushielt, aushalten musste, ein verletz-
schiedlicher Institutionen galt es zu inte licher, sensibler, ehrlicher Mensch. Er war
grieren, und das bei einer enormen Stoff- treu, ja fast zärtlich zu allen, die ihm teu-
fülle und immer unter großem Zeitdruck. er waren, wie sein Lehrer Wolfgang Zapf,
In diesen kollaborativen Prozessen und der immer auf seinen Rat und sein Wort
bei den damit einhergehenden Verhand- bauen konnte. Selbst mitgenießend, ließ
lungen sind oft – abgestimmt oder nicht – er andere am WZB immer an der Ernte
die Rollen von »good guy« und »bad guy« seines Gartens teilhaben, seien sie badi-
zu vergeben. Für Roland Habich kam nur sche Landsleute, schwäbische Nachbarn
eine Rolle in Frage, die des »good guy«. oder Nordlichter. Er war Schriftführer
Nur musste er die gar nicht spielen; er der SPD seines Ortsvereins Großbeeren
war einfach ein Menschenfreund. und über viele Jahre ehrenamtlicher
In den Jahrzehnten am WZB erarbei- Schöffe – auch dies mit großem Engage-
tete Roland Habich sich stets neue Auf ment und einem starken gesellschaftli-
gabenfelder. Er war ein engagierter und chen Verantwortungsgefühl.
7
Datenreport 2016 Einleitung
Einleitung
Statistische Aufgrund der aktuellen Zuwanderungs-
bewegungen stehen die Themen Migrati-
im ehemaligen Jugoslawien auf vorher
ungekannte Werte und erreichten einen
Daten und sozial- on und Flucht derzeit im Zentrum der öf- Höchstwert von rund 440 000 im Jahr
wissenschaft- fentlichen Debatten in Deutschland.
Hierbei werden verstärkt Fragen nach
1992. Im Jahr 2015 wurde dieser Spitzen-
wert noch einmal deutlich übertroffen:
liche Analysen den Herausforderungen und Chancen der Bis September stellten bereits mehr
Einwanderung aufgeworfen, die sich an- als 570 000 Flüchtlinge Asylanträge in
gesichts der kontinuierlichen Zuwande- Deutschland.
Die Herausgeber
rung bereits seit den 1950er-Jahren stel- Über die Hälfte der Menschen mit
len und kontrovers diskutiert werden. In Migrationshintergrund besitzt die deut-
Destatis / WZB Deutschland leben mittlerweile 16,4 Mil- sche Staatsbürgerschaft. Zwei Drittel von
lionen Menschen mit Migrationshinter- ihnen sind selbst zugewandert, ein Drit-
grund, das ist ein Fünftel der Gesamt tel stellt die in Deutschland geborene
bevölkerung (ohne die Zugewanderten zweite Generation dar.
des letzten Jahres). Auch wenn diese Wesentliche Daten und Fakten zu
Menschen unter einem Begriff – dem der Z uwanderung und Integration der in
»Migranten« – zusammengefasst werden, Deutschland lebenden Migranten finden
ist dieser Teil der Bevölkerung sehr hete- sich im »Datenreport 2016 – Ein Sozial-
rogen und unterscheidet sich beispiels- bericht für die Bundesrepublik Deutsch-
weise nach Herkunft, Generation und land«. So schneiden Menschen mit Migra-
Staatsangehörigkeit. tionshintergrund in Bezug auf viele sozio-
Die größte Gruppe der Bevölkerung ökonomische Faktoren schlechter ab als
mit Migrationshintergrund sind noch die Bevölkerung ohne Migrationshinter-
immer die Gastarbeiter und ihre Familien, grund. Sie verfügen im Durchschnitt
die im Rahmen von Anwerbeabkommen über niedrigere Bildungsabschlüsse und
in den 1950er- und 1960er-Jahren haupt- sind häufiger von Arbeitslosigkeit und
sächlich aus Südeuropa nach Deutschland Armut betroffen. Doch lässt sich dieses
kamen. Eine zweite größere Gruppe bil- Muster nicht auf alle Bereiche verallge-
den die (Spät-)Aussiedler, die vor allem meinern. Trotz der genannten Nachteile
zwischen 1990 und 2000 einwanderten. sind die Migranten etwas zufriedener mit
Die Migranten, die diesen beiden Grup- ihrem Leben als die Mehrheitsbevölke-
pen angehören, leben im Durchschnitt rung ohne Migrationshintergrund. Zu-
seit über 30 Jahren in Deutschland. In dem gibt es große Unterschiede sowohl
jüngerer Zeit erfolgte Zuwanderung ver- zwischen den einzelnen Herkunftsgrup-
stärkt aus den Staaten Mittelosteuropas, pen als auch zwischen den Generationen.
die seit 2004 der EU beigetreten sind. Migranten, die nach 2000 zugewandert
Darüber hinaus waren Flüchtlingsbewe- sind, verfügen beispielsweise häufiger
gungen für die Zuwanderung zu zwei über einen Hochschulabschluss als Men-
Zeitpunkten von besonderer Bedeutung: schen ohne Migrationshintergrund der
Anfang der 1990er Jahre stiegen die Asyl- gleichen Altersgruppe. Die zweite Gene-
bewerberzahlen durch den Bürgerkrieg ration konnte sich in vielen Bereichen ge-
8
Einleitung Datenreport 2016
genüber ihren Eltern verbessern. Sie spre- mungen, Einstellungen und Bewertungen. Einstellungen und Wertorientierungen,
chen besser Deutsch, erzielen höhere Bil- Sie ergänzt und bereichert das Informa- aber auch über die bisher erzielten Erfolge
dungsabsch lüsse und weisen ein tions- und Analysepotential auch in kon- des Vereinigungsprozesses und die suk-
geringeres A rmutsrisiko auf. Bezüglich zeptioneller und methodischer Hinsicht. zessive Angleichung der Lebenslagen in
der beruflichen Stellung verzeichnen sie Mit der Ausgabe des Datenreport Ost- und Westdeutschland.
hingegen nur leichte Aufstiegstendenzen 2008 wurde die bis dahin strikte Zwei Der Datenreport, der mit dieser Aus-
gegenüber ihren Eltern. teilung des Sozialberichtes in die Beiträge gabe 2016 seit mehr als drei Jahrzehnten
Solche Daten und Fakten sind gut ge- der amtlichen Statistik und die der wissen- erscheint, ist ein einzigartiges Gemein-
eignet, ein allzu schnelles Urteil über den schaftlichen Sozialberichterstattung auf- schaftsprojekt von amtlicher Statistik
Zustand und die Entwicklung unserer gegeben und eine integrierte, nach The- und wissenschaftlicher Sozialberichter-
Gesellschaft zu revidieren. Es bedarf menbereichen strukturierte Gliederung stattung, das im Veröffentlichungspro-
jedoch einer spezifischen Kombination vorgelegt. Die institutionelle Einbindung gramm der Bundeszentrale für politische
unterschiedlicher Datenquellen: Um die der Abschnitte und Kapitel wird seither Bildung einen ganz besonderen Stellen-
Lebensbedingungen und die Lebensquali- durch eine farbige Zuordnung zu amt wert einnimmt.
tät in Deutschland auf der Grundlage der licher Statistik (blau) und wissenschaft Mit seiner umfassenden Bilanzierung
besten zur Verfügung stehenden empiri- licher Sozialberichterstattung (orange) der Lebensverhältnisse in Deutschland
schen Informationen umfassend und dif- unterstützt. zielt der Datenreport auch darauf ab, den
ferenziert zu untersuchen, vereinigt der Die vorliegende Ausgabe 2016 enthält Entscheidungsträgern in Politik und
Datenreport die Ergebnisse der amtlichen neue Abschnitte zur Bevölkerung mit Wirtschaft handlungsrelevante Informa-
Statistik und die Befunde der sozialwis- Migrationshintergrund, zur Lebenssitua- tionen zur Verfügung zu stellen. Ins
senschaftlichen Sozialberichterstattung. tion älterer Menschen mit Migrations- besondere stellt er sich – als ein im Pro-
Die amtliche Statistik ist mit ihren um- hintergrund und zu Asylsuchenden. Des gramm der Bundeszentrale für politische
fangreichen, vielfältigen und kontinuier- Weiteren befassen sich neue Abschnitte Bildung veröffentlichter Sozialbericht –
lich durchgeführten Erhebungen nach mit den Themen Wohnen, Zeitverwen- der Aufgabe, dem Informationsbedürfnis
wie vor der wichtigste Anbieter von In- dung, Vermögen, Berufspendler und einer interessierten Öffentlichkeit in einer
formationen über die Lebensverhältnisse L ebensqualität und Identität in der Euro- demokratischen Gesellschaft gerecht zu
und die Entwicklung der deutschen Ge- päischen Union. Das bereits vorhandene werden.
sellschaft. Die Erfahrung hat aber auch Kapitel Einstellungen zur Rolle der Frau Auf den Internetseiten der beteiligten
gezeigt, dass eine leistungsfähige sozial- wurde erstmals um Einstellungen zur Institutionen steht der Datenreport in
wissenschaftliche Datengrundlage für Rolle des Mannes ergänzt. elektronischer Form ganz oder kapitel-
eine aktuelle und differenzierte Sozial Obwohl seit der deutschen Vereini- weise zum Download zur Verfügung.
berichterstattung ebenso notwendig ist. gung inzwischen mehr als 25 Jahre ver- Weiterführende Informationen zu den
Mit ihren speziell für die gesellschaft gangen sind, verdient die Beobachtung Daten, die der Veröffentlichung zugrun-
liche Dauerbeobachtung konzipierten so- des Zusammenwachsens und der Herstel- de liegen, und zum Datenangebot des
zialwissenschaftlichen Erhebungen stellt lung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Statistischen Bundesamtes finden Sie im
die wissenschaftliche Sozialberichterstat- Ost- und Westdeutschland weiterhin be- Anhang.
tung nicht nur Informationen zu Themen sondere Aufmerksamkeit. Der Daten
und Fragestellungen bereit, die außerhalb report informiert daher über noch vor-
des gesetzlich festgelegten Erhebungspro- handene Disparitäten in verschiedenen
gramms der amtlichen Statistik liegen, Bereichen der Lebensbedingungen sowie
wie zum Beispiel subjektive Wahrneh- über Unterschiede in Verhaltensweisen,
9
Datenreport 2016 Inhalt
Inhalt
3 Bildung
3.1 Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget 79
10
Inhalt Datenreport 2016
8 Flüchtlinge
8.1 Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union 245
9 Wohnen
9.1 Wohnsituation und Mietkosten 259
15 Deutschland in Europa
15.1 Leben in der Europäischen Union 433
15.2 Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union 453
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren 461
Stichwortverzeichnis 469
Abkürzungsverzeichnis 478
11
83
Jahre betrug die Lebenser-
wartung von Frauen und 78 die
von Männern nach der Sterbe-
tafel 2010/2012.
30
Jahre war das Durch-
schnittsalter von Müttern
227
beim ersten Kind im
Jahr 2014. Einwohner je Quadrat
kilometer lebten 2014
in Deutschland.
62 %
betrug der Anteil nicht
ehelicher Geburten 2012 in
Ostdeutschland. In West-
deutschland waren es 28 %.
1
Bevölkerung
und Demografie
1.1 Wie viele Menschen leben in Deutsch-
land? Wo wohnen sie und wie alt sind sie?
Hinter den Zahlen verbergen sich aber
Bevölkerungs-
auch Werthaltungen und Lebenseinstel-
Daten über Struktur und Entwicklung lungen, die ihrerseits wieder Rückwir-
stand und der Bevölkerung gehören zum grund
legenden Informationsbedarf für fast alle
kungen auf die Bevölkerungsstruktur ha-
Bevölkerungs
ben. So spiegelt sich zum Beispiel in den
Bereiche von Staat, Wirtschaft und Ge- Zahlen der Eheschließungen und -schei-
entwicklung sellschaft. Die Politik benötigt sie, weil
viele Entscheidungen – beispielsweise im
dungen, der Geburtenentwicklung und
der Familiengröße die Einstellung der
Bildungs- und Gesundheitswesen – nur Gesellschaft zur Familie und zu Kindern
Claire Grobecker, Olga Pötzsch, auf der Grundlage gesicherter bevölke- wider. Der Altersaufbau wird von diesen
Bettina Sommer rungsstatistischer Angaben getroffen Lebenseinstellungen mitbestimmt und
werden können. Für das wirtschaftliche hat zugleich direkte Auswirkungen auf
Geschehen sind demografische Gegeben- die Bildungs- und Beschäftigungsmög-
Destatis
heiten von Bedeutung, weil sie Grund lichkeiten der Bevölkerung und beein-
informationen über die Menschen als flusst daher unmittelbar ihre Lebensweise.
Arbeitskräfte, Einkommensbezieher und Aufgrund dieser vielfältigen Wechsel-
Konsumenten liefern. wirkungen und des weitreichenden Be-
u Info 1
Datenquelle der Bevölkerungsstatistik und Gebietsstände
Die Bevölkerungszahl wird mittels der Bevölkerungsfortschreibung nachgewiesen. Auf den Ergeb-
nissen des letzten Zensus aufbauend führen die statistischen Ämter auf Gemeindeebene die
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes durch Bilanzierung der Ergebnisse der Statistiken über
Geburten und Sterbefälle sowie der Wanderungsstatistik durch. Die Bevölkerungszahlen werden
nach jedem Zensus (zuletzt Zensus vom 9. Mai 2011) ab dem Zensusstichtag umgestellt. Die Bevöl-
kerungsfortschreibung liefert demografische Grunddaten über die gesamte Bevölkerung wie Ge-
schlecht, Alter, Familienstand und Staatsangehörigkeit (deutsche beziehungsweise nicht deutsche
Staatsangehörigkeit).
Für die ehemalige DDR liegen in der Bevölkerungsstatistik im Wesentlichen vergleichbare Angaben
vor. Seit 2001 werden in der amtlichen Statistik grundsätzlich nur noch Daten für Berlin insgesamt
nachgewiesen. Soweit bei Bevölkerungsangaben noch ein getrennter Nachweis für das frühere
Bundesgebiet und für die neuen Länder erfolgt, ist Berlin nicht enthalten.
13
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
darfs an demografischen Daten gehört die Kapitel 7.3, Seite 218. Daten zum Thema lionen Personen, davon waren 49 %
Bevölkerungsstatistik zu den traditions- Asyl enthält Kapitel 8, Seite 245. männlich und 51 % weiblich. Gegenüber
reichsten Arbeitsgebieten der amtlichen 2013 ist die Bevölkerung damit um
Statistik. Die Statistiken werden seit 1950 1.1.1 Bevölkerungsstand 430 000 Einwohnerinnen und Einwohner
in der jetzigen Form geführt, die Zeitrei- Bei den vorliegenden Bevölkerungszah- beziehungsweise um 0,5 % gewachsen.
hen gehen teilweise bis ins 19. Jahrhun- len für 2014 handelt es sich um Fortschrei- Rund 65,2 Millionen Personen (80 %) leb-
dert zurück. u Info 1 bungsergebnisse auf Basis des Zensus ten in den alten Bundesländern, 12,5 Mil-
Weitere Informationen zur Bevölke- 2011. Dieser Fortschreibung zufolge lebten lionen (15 %) in den neuen Bundeslän-
rung mit Migrationshintergrund bietet Ende 2014 in Deutschland rund 81,2 Mil- dern und 3,5 Millionen (4 %) in Berlin.
Ergebnisse jeweils am 31.12. Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011.
1 Seit 2001 ohne Berlin-West.
2 Seit 2001 ohne Berlin-Ost.
– nichts vorhanden.
14
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
Die bevölkerungsreichsten Länder waren Rückgang der Bevölkerungszahlen. Im rungsdichte im früheren Bundesgebiet
Nordrhein-Westfalen (17,6 Millionen Jahr 2011 gab es einen kleinen Bruch in der (ohne Berlin-West) zwischen 263 und
Personen), Bayern (12,7 Millionen Perso- Zeitreihe, bedingt durch den Zensus 2011, 264 Einwohner je Quadratkilometer. Für
nen) und Baden-Württemberg (10,7 Mil- der zu einer Revision der Bevölkerungs- 2014 wurde im früheren Bundesgebiet
lionen Personen). In diesen drei Bundes- zahl um 1,5 Millionen Personen nach un- (ohne Berlin-West) eine Einwohnerdichte
ländern lebten rund 51 % der Bevölke- ten führte. Unter Berücksichtigung die- von 262 ermittelt, wobei der Rückgang auf
rung Deutschlands. Die Hälf te der ses Sondereffekts setzte ab dem Jahr 2011 die Revision der Einwohnerzahlen infolge
Bundesländer hatten dagegen weniger als wieder eine Bevölkerungszunahme ein. des Zensus 2011 zurückzuführen ist. In
3 Millionen Einwohnerinnen und Ein- Zwischen West und Ost war die Ent- den neuen Ländern und Berlin-Ost ver
wohner. u Tab 1 wicklung seit der deutschen Vereinigung ringerte sich dieser Wert zwischen 1950
Mit 81,2 Millionen hatte Deutschland allerdings unterschiedlich: In den alten und 1990 von 171 auf 148 Einwohner je
Ende 2014 rund 11,9 Millionen Einwohne- Bundesländern nahm die Bevölkerung – Quadratk ilometer. Seit 2001 sank die
rinnen und Einwohner mehr als 1950. In mit Ausnahme der Jahre 2006 bis 2009 – Bevölkerungsdichte in den neuen Ländern
West- und Ostdeutschland hat sich die Be- zu, während die neuen Bundesländer seit (ohne Berlin-Ost) stetig von 127 auf 116 Ein
völkerungszahl seit 1950 jedoch sehr un- 1990 durchgehend einen Bevölkerungs- wohner je Quadratkilometer im Jahr 2014.
terschiedlich entwickelt. Im früheren Bun- rückgang verzeichneten. Berlin zeigte ab- Für Deutschland insgesamt lag die
desgebiet stieg sie zwischen 1950 und 1973 wechselnde Phasen von Zuwachs und Einwohnerdichte Ende 2014 bei 227 Ein-
von 51,0 Millionen auf 62,1 Millionen Per- Rückgang. u Tab 2 wohnern je Quadratkilometer. Am dich-
sonen. Gleichzeitig ging sie in der ehemali- testen besiedelt waren die Stadtstaaten
gen DDR von 18,4 Millionen auf 17,0 Milli- Regionale Bevölkerungsverteilung (Berlin: 3 891 Personen je Quadratkilome
onen Personen zurück. Die Bevölkerungs- Der Bevölkerungszahl entsprechend verän- ter, Hamburg: 2 334, Bremen: 1 578). Die
zahl stabilisierte sich danach zwischen derte sich auch die Bevölkerungsdichte in geringste Besiedlung je Quadratkilometer
61 Millionen und 62 Millionen Personen beiden Teilen Deutschlands. Im früheren wiesen die Bundesländer Mecklenburg-
im Westen sowie zwischen 16 Millionen Bundesgebiet und Berlin-West stieg die Vorpommern (69 Personen), Brandenburg
und 17 Millionen Personen im Osten. Einwohnerzahl je Quadratkilometer im (83 Personen) und Sachsen-Anhalt
Seit der deutschen Vereinigung Ende Zeitraum von 1950 bis 1973 von 202 auf (109 Personen) auf (siehe Tabelle 1).
1990 nahm die Bevölkerung Deutschlands 250 an, ging danach bis 1984/1985 auf 245 Ende 2014 gab es in Deutschland 11 116
bis Ende 2002 zuerst von 79,8 Millionen leicht zurück und stieg nach der Wende bis politisch selbstständige Gemeinden und
auf 82,5 Millionen Personen (+ 2,8 Millio- auf 270 Einwohner je Quadratkilometer im damit 45 oder 0,4 % weniger als Ende 2013.
nen Personen) zu. Bis 2010 folgte dann ein Jahr 2000. Seit 2001 stagnierte die Bevölke- Davon lagen 8 442 Gemeinden im früheren
15
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
Bundesgebiet und 2 673 Gemeinden in den Berlin, Hamburg und München, bei Be die Stärke der jeweiligen Jahrgänge aus.
neuen Bundesländern. Aufgrund von Ge trachtung der Städte mit der höchsten Langfristig führen solche Veränderungen
bietsreformen hat sich vor allem in den Bevölkerungsdichte lagen an vorderster zu einer Verschiebung der Anteile der
neuen Bundesländern die Gemeindean Stelle München, Berlin und Herne. u Tab 3 einzelnen Altersgruppen an der Gesamt
zahl stark verringert: Sie sank von 2 708 bevölkerung. Einen zusätzlichen Faktor
Ende 2013 um 35 Gemeinden (– 1,3 %). 1.1.2 Altersaufbau, Geburten und stellt die Zu- und Abwanderung dar, da
Großstadtgetriebe oder Landleben? Sterbefälle die meisten Zu- und Abwanderer junge
Aus der Verteilung der Einwohnerinnen Erwachsene sind. In Deutschland führen
und Einwohner auf Gemeindegrößen Altersaufbau diese verschiedenen Faktoren dazu, dass
klassen ergibt sich für 2014, dass 6 % der Die Zahl der Geburten beeinflusst unmit die Gruppe der Kinder und Jugendlichen
Bevölkerung Deutschlands in Gemein telbar den Altersaufbau der Bevölkerung. kleiner wird und die Gruppe der Perso
den mit weniger als 2 000 Einwohnern, Außerdem besteht eine Wechselwirkung nen im Rentenalter wächst, während sich
36 % in Gemeinden mit 2 000 bis unter zwischen der Stärke eines Altersjahrgangs der Anteil der Personen im erwerbsfähi
20 000 Einwohnern und 27 % in Gemein und den Geburten sowie Sterbezahlen: gen Alter – derzeit – wenig verändert.
den mit 20 000 bis unter 100 000 Einwoh Zum einen beeinflusst die Stärke der ein Um den Altersauf bau der Bevölke
nern lebten. Auf die Großstädte (Ge zelnen Altersjahrgänge die Zahl der Ge rung zu veranschaulichen, verwendet die
meinden mit 100 000 oder mehr Einwoh burten und Sterbefälle in bestimmten Statistik eine grafische Darstellungsform,
nern) entfielen 31 % der Bevölkerung. Die Zeiträumen, gleichzeitig wirken sich aber die als Alterspyramide bezeichnet wird,
Städte mit den höchsten Einwohnerzah wiederum die Veränderungen von Gebur auch wenn sie – für Deutschland betrach
len waren in abnehmender Reihenfolge tenhäufigkeit oder Sterblichkeit auch auf tet – längst keine Pyramidenform mehr
hat. So gleicht sie heute eher einer »zer
zausten Wettertanne«, wie sie einmal
bildhaft beschrieben wurde. u Abb 1
Abb 1 Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands 2011, in 1000 je Altersjahr
u Abb 1 Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands 2014 — in Tausend je Altersjahr Eine neue, interaktive Bevölkerungs
pyramide (www.destatis.de/bevoelke
Männer Alter Frauen
rungspyramide/) bietet die Möglichkeit,
die Veränderung der Altersstruktur im
100 Zeitraum zwischen 1950 und 2060 zu
Frauenüberschuss verfolgen und dabei einen bestimmten
90 Geburtsjahrgang zu beobachten. Die An
Geburtenausfall wendung basiert auf den Ergebnissen der
während der
80 Wirtschaftskrise 13. koordinierten Bevölkerungsvoraus
um 1930
berechnung für Deutschland.
70 Die Veränderungen des Bevölke
Geburtenausfall
Ende des rungsauf baus zeigt Tabelle 4: Im Jahr
2. Weltkrieges
60
2014 betrug in Deutschland der Anteil der
Heranwachsenden (unter 20-Jährige) 18 %.
Babyboom und
anschließender Auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen
50 Geburtenrückgang
Alter (20 bis 64 Jahre) entfielen 61 % und
der Seniorenanteil (65-Jährige und Ältere)
40
lag bei 21 %. Rund 6 % der Bevölkerung
waren hochbetagt, das heißt 80 Jahre oder
30 älter. Der Jugendquotient (Zahl der unter
Geburtentief in den
20-Jährigen je 100 Personen zwischen 20
20 neuen Ländern und 64 Jahren) lag bei 30 und somit unter
dem Altenquotient (Zahl der 65-Jährigen
10
Männerüberschuss
Fortschreibung
Ergebnisse auf Basis
auf Grundlage Volkszählung
des Zensus 2011. 1987 (früheres Bundesgebiet)/Zentralregister
ehem. DDR 3.10.1990; s.S. XX.
16
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
Von den 60- bis 69-jährigen Personen sind 1950 69 346 30,4 59,9 8,7 1,0 50,8 16,3
52 % weiblich. In den obersten Alters- 1960 73 147 28,4 60,0 10,0 1,6 47,3 19,3
gruppen beträgt der Frauenanteil bei den
1970 78 069 30,0 56,2 11,8 2,0 53,4 24,6
70- bis 79-Jährigen 55 % und bei den
1980 78 397 26,8 57,7 12,8 2,7 46,3 26,9
80-jährigen oder älteren Personen sogar
65 %. Gründe für den geringeren Männer 1990 79 753 21,7 63,4 11,2 3,8 34,2 23,6
anteil in den höchsten Altersgruppen sind 2000 82 260 21,1 62,2 12,9 3,8 34,0 26,8
neben der höheren Lebenserwartung von 2010 81 752 18,4 60,9 15,3 5,3 30,3 33,8
Frauen auch heute noch die starken Män-
2011 80 328 18,4 60,9 15,4 5,3 30,3 33,9
nerverluste durch den Zweiten Weltkrieg.
2012 80 524 18,3 61,0 15,4 5,4 30,0 34,1
So steigt mittlerweile mit den nachlassen-
den demografischen Auswirkungen des 2013 80 767 18,2 61,0 15,5 5,4 29,8 34,2
Krieges auch der Anteil der Männer an 2014 81 198 18,2 60,8 15,4 5,6 29,9 34,6
den Hochbetagten (27 % im Jahr 2000;
Ergebnisse jeweils am 31. Dezember. Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011.
35 % im Jahr 2014). 1 Altersgruppe der unter 20-Jährigen bezogen auf die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.
2 Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren bezogen auf die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.
Geburten, Sterbefälle
Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg
waren in der Bundesrepublik Deutsch-
u Info 2
land durch hohe Geburtenzahlen geprägt.
Jugendquotient, Altenquotient und Gesamtquotient
Ab 1947 wurden deutlich mehr Geburten
Neben der absoluten Zahl der Bevölkerung in einem bestimmten Alter ist
als Sterbefälle registriert. Der darauf fol- die Beziehung zwischen den verschiedenen Altersgruppen ein Charakte-
gende sogenannte Baby-Boom wandelte ristikum des Alterungsprozesses. Wird der Bevölkerung im erwerbsfähigen
sich Ende der 1960er-Jahre zu einem Alter die jüngere Bevölkerung, für deren Aufwachsen, Erziehung und
Ausbildung gesorgt werden muss, gegenübergestellt, so ergibt sich der
rapiden Rückgang der Geburten. Die Jugendquotient. Wird die Zahl der Personen im Rentenalter, also der
Zahl der lebend geborenen Kinder ging potenziellen Empfänger von Leistungen der Rentenversicherung oder an-
vom Höchststand im Jahr 1964 (1,36 Mil derer Alterssicherungssysteme auf die Zahl der Personen im Erwerbs
alter bezogen, ergibt sich der Altenquotient. Beide Quotienten zusammen
lionen) bis auf 782 000 im Jahr 1975 addieren sich zum Gesamtquotienten, der aufzeigt, in welchem Ausmaß
zurück. Danach gab es von 1976 bis 1990 die mittlere Altersgruppe sowohl für die jüngere als auch für die ältere Be-
einen Anstieg der jährlichen Geburten völkerung, die nicht im Erwerbsleben stehen, im weitesten Sinne zu
s orgen hat. Für die Abgrenzung des erwerbsfähigen Alters wird hier die
zahlen von 798 000 auf 906 000. Seit Altersspanne von 20 bis 64 Jahren gewählt, da in dieser Lebensphase
1997 (812 000 Geburten) war wieder ein die meisten Menschen erwerbstätig sind.
17
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
18
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
Deutschland
1950 1 117 16,3 748 10,9 + 368 + 5,4
1960 1 262 17,3 877 12,0 + 385 + 5,3
1970 1 048 13,5 976 12,6 + 72 + 0,9
1980 866 11,0 952 12,1 − 87 – 1,1
1990 906 11,4 921 11,6 − 16 – 0,2
2000 767 9,3 839 10,2 − 72 − 0,9
2010 678 8,3 859 10,5 − 181 – 2,2
2012 674 8,4 870 10,8 − 19 6 – 2,4
2013 682 8,5 894 11,1 − 212 – 2,6
2014 715 8,8 868 10,7 – 153 – 1,9
Früheres Bundesgebiet ¹
1950 813 16,3 529 10,6 + 284 + 5,7
1960 969 17,4 643 11,6 + 326 + 5,9
1970 811 13,4 735 12,1 + 76 + 1,3
1980 621 10,1 714 11,6 − 9 3 – 1,5
1990 727 11,5 713 11,3 + 14 + 0,2
2000 656 9,8 679 10,1 – 23 – 0,3
2010 542 8,3 672 10,3 – 129 – 2,0
2012 539 8,3 681 10,6 – 143 – 2,2
2013 547 8,5 700 10,8 – 153 – 2,4
2014 575 8,8 679 10,4 – 105 – 1,6
Neue Länder ²
1950 304 16,5 220 11,9 + 84 + 4,6
1960 293 16,9 234 13,5 + 59 + 3,4
1970 237 13,9 241 14,1 – 4 – 0,2
1980 245 14,6 238 14,2 + 7 + 0,4
1990 178 11,1 208 12,9 – 30 – 1,8
2000 111 7,3 160 10,5 – 49 – 3,2
2010 102 7,9 155 12,0 – 53 – 4,1
2012 100 8,0 156 12,4 – 56 – 4,5
2013 100 8,0 161 12,9 – 61 – 4,9
2014 103 8,2 157 12,5 – 54 – 4,3
u Info 3
Wanderungsstatistik
In der Wanderungsstatistik werden die Zu- und Fortzüge erfasst, die von den Meldebehörden an die statistischen Ämter gemeldet
werden. Der Wanderungssaldo wird als Differenz der Zu- und Fortzüge gebildet. Das Wanderungsvolumen bezeichnet die Summe
aus der Binnenwanderung zuzüglich der Zuzüge aus und der Fortzüge ins Ausland.
Die auf ein Jahr bezogene Wanderungsstatistik weist die jeweiligen Wanderungsfälle, das heißt die Zu- oder Fortzüge über die
emeindegrenzen, nicht die wandernden Personen nach. Die Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und der ehe-
G
maligen DDR wurden bis zum 3. Oktober 1990 in den Wanderungen über die Grenzen des Bundesgebiets erfasst, ab diesem
Zeitpunkt handelt es sich um Binnenwanderungsfälle, die als Ost-West-Wanderung bezeichnet werden.
Durch die Binnenwanderung ändert sich die regionale Verteilung der Bevölkerung, aber im Gegensatz zur Außenwanderung nicht
die Einwohnerzahl Deutschlands.
19
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
lag von 2005 bis 2010 bei rund 5 Millio- gen über die Gemeindegrenzen im frü- lität zwischen 44 und 49 Umzügen je
nen Personen. Ab 2011 stieg es wieder an heren Bundesgebiet von 3,7 Millionen 1 000 Einwohner.
und lag 2014 bei 6,3 Millionen Personen. auf 3,0 Millionen Personen. Die Mobili- Im Jahr 2014 fanden etwa 28 % der
tätsziffer sank im gleichen Zeitraum von Umzüge (rund 1,1 Millionen Umzüge)
Binnenwanderung 60 auf 48. Dieser Rückgang dürfte auch zwischen Gemeinden innerhalb eines
Im Jahr 2014 wechselten 4,0 Millionen eine Folge der Gebietsreform in den Kreises, 44 % (rund 1,7 Millionen Umzü-
Personen ihren Wohnsitz über die Ge- a lten Bundesländern sein: Im Zuge
ge) zwischen Kreisen eines Bundeslandes
meindegrenzen innerhalb Deutschlands. d ieser Reform wurden Nahwanderungs- und 28 % (rund 1,1 Millionen Umzüge)
Bezieht man diese Zahl auf 1 000 Ein- fälle durch Eingemeindungen häufig zu zwischen Bundesländern statt. u Tab 6
wohner, erhält man die sogenannte Mo- Ortsumzügen und wirkten sich deshalb Den Wanderungsströmen zwischen
bilitätsziffer. Sie gibt Aufschluss über die in der Mobilitätsziffer nicht aus. Bis dem früheren Bundesgebiet und den neu-
Häufigkeit, mit der Einwohnerinnen und Ende der 1980er-Jahre sank die Zahl der en Ländern kommt bei der Binnenwan-
Einwohner eines Gebiets ihre Wohnsitz- Wanderungen über die Gemeindegren- derung eine besondere Bedeutung zu.
gemeinde wechseln. Im Jahr 2014 betrug zen weiter auf 2,5 Millionen Umzüge Zwischen 1989 und 1991 war eine hohe
die Mobilitätsziffer rund 49, das heißt (41 Umzüge je 1 000 Einwohner). Mit der Abwanderung von Ost nach West festzu-
etwa jeder zwanzigste Einwohner zog im Öffnung der Grenzen im Osten und der stellen. In den Folgejahren bis 1996 war
Jahr innerhalb Deutschlands von einer deutschen Vereinigung stieg die Binnen- die Entwicklung der Wanderungen zwi-
Gemeinde in eine andere um. wanderung bis 1997 wieder an auf über schen dem früheren Bundesgebiet und
Die räumliche Mobilität der Bevölke- 4,0 Millionen Umzüge pro Jahr (49 Um- den neuen Ländern gegenläufig: Die Zu-
rung in Deutschland entwickelte sich seit züge je 1 000 Einwohner). Seit 2000 liegt züge aus den neuen Ländern verringerten
1970 sehr unterschiedlich. In den 1970er- die Zahl der Umzüge zwischen 3,6 und sich, die Wanderungen nach Osten
Jahren verringerten sich die Wanderun- 4,0 Millionen pro Jahr mit einer Mobi stiegen, sodass der Wanderungssaldo
Früheres Bundesgebiet
1970 3 662 59,8 2 544 720 1 824 1 118
Deutschland
1991 3 402 42,8 2 275 908 1 367 1 127
20
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
1997 nur noch 28 200 Personen betrug. schen 1950 und 2006 rund 4,5 Millionen Herkunftsländern weniger Personen mit
Ab 1998 kam eine neue Wanderungswelle (Spät-)Aussiedlerinnen und Aussiedler in Aussiedlerhistorie. u Tab 7
von Ost nach West (Wanderungssaldo das frühere Bundesgebiet beziehungswei- Durch die Zuwanderung aus dem Os-
2001: 98 000 Personen), die nach 2001 se seit 1990 nach Deutschland. Davon ten (aus den früheren deutschen Gebieten
langsam zurückging. Im Jahr 2014 betrug waren rund 2,3 Millionen Personen aus im Osten, der ehemaligen DDR sowie
der Wanderungssaldo nur noch 3 300 Per- der ehemaligen Sowjetunion sowie deren durch Aussiedlerinnen und Aussiedler)
sonen. u Abb 3 Nachfolgestaaten, 1,4 Millionen kamen gab es für die Bundesrepublik Deutsch-
aus Polen und weitere 430 000 aus Ru land seit Gründung bis Anfang des zwei-
Außenwanderung mänien. Im Jahr 1990 wurde mit rund ten Jahrtausends einen Zuwanderungsge-
Die Außenwanderung war kurz nach 397 000 Personen die mit Abstand höchs- winn von Deutschen. Seit 2005 werden
dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch te Zahl von Aussiedlerinnen und Aus- allerdings Wanderungsverluste beobach-
die Aufnahme von Vertriebenen aus den siedlern aufgenommen. In den folgenden tet; es wandern also mehr Deutsche ins
Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Jahren bis 1995 waren es jährlich zwi- Ausland ab, als Deutsche nach Deutsch-
Reiches und den deutschen Siedlungs schen 220 000 und 230 000 Personen. land zuziehen. Ein wesentlicher Grund
gebieten im Ausland geprägt. Zwischen Danach gingen die Zahlen stetig zurück. dafür ist der oben beschriebene Rück-
1950 und 1961 folgte eine Zuwanderung Seit 2006 werden weniger als 10 000 Aus- gang der Spätaussiedlerinnen und Spät-
aus der ehemaligen DDR: So wurden von siedlerinnen und Aussiedler jährlich auf- aussiedler, die nach Deutschland kamen.
1950 bis zum Mauerbau am 13. August genommen. Bei diesem Rückgang dürf- Zeitgleich stiegen die Fortzüge deutscher
1961 rund 2,6 Millionen Menschen aus ten zum einen geänder te Einreise Personen ins Ausland. So gab es in den
Ostdeutschland als Übersiedlerinnen bedingungen für Spätaussiedler und ihre 1990er-Jahren rund 110 000 Fortzüge von
und Übersiedler im früheren Bundesge- Familienangehörigen ab 2005 eine Rolle Deutschen pro Jahr, im Jahr 2008 lagen
biet aufgenommen. Ferner kamen zwi- spielen. Zum anderen gibt es in den sie bei 175 000 Personen. Allerdings hat
sich die Abwanderung seit Beginn der
Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise im
Jahr 2008 wieder reduziert und betrug
u Abb 3 Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und 2014 rund 149 000 Personen. u Tab 8
den neuen Ländern einschließlich Berlin-Ost 1957 bis 2014 Aus den Abwanderungszahlen lassen
sich keine Aussagen zum Hintergrund der
450 000
Fortzüge ableiten, da die Gründe für die
Fortzüge bei den Meldeämtern nicht er-
400 000 fasst werden. So ist keine Differenzierung
möglich, ob der Fortzug eine Auswande-
350 000 rung auf Dauer oder nur eine befristete
Ausreise ist. Es wird auch nicht erfasst, ob
300 000
es sich bei den Abwandernden um Spät-
250 000
aussiedlerinnen und Spätaussiedler, Ein-
gebürgerte oder Deutsche ohne Migrati-
200 000 onshintergrund handelt. Hauptzielländer
von auswandernden Deutschen waren im
150 000 Jahr 2014 die Schweiz, die Vereinigten
Staaten und Österreich.
100 000
Seit Anfang der 1960er-Jahre hatte
50 000 die Zu- und Abwanderung von ausländi-
schen Personen durch die Anwerbung
0 ausländischer Gastarbeiter erheblich an
1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Bedeutung gewonnen. Die Wanderungs-
Zuzüge aus den neuen Fortzüge nach den neuen Überschuss an Zuzügen ströme ausländischer Staatsangehöriger
Ländern und Berlin-Ost Ländern und Berlin-Ost
zwischen dem früheren Bundesgebiet
in das frühere Bundes- aus dem früheren Bundes-
gebiet gebiet und dem Ausland verzeichneten ein rela-
tiv hohes Wanderungsvolumen mit jähr-
Ab 1991 ohne Berlin.
lich hohen Zu- und Fortzugszahlen. Dabei
war der Wanderungssaldo zeitweilig positiv
21
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
und zeitweilig negativ und spiegelte den 8 300 Personen im Jahr 2008 auf 30 600 sen zum Zweck der Asylsuche nach 1993
Konjunkturverlauf in Deutschland wider. Personen im Jahr 2014 (+ 270 %) und aus erheblich zurückgingen. Zunehmend
Seit Mitte der 1970er-Jahre wird das Spanien von 9 500 Personen im Jahr 2008 wurde die Zuwanderung auch durch Be-
Wanderungsverhalten der Ausländerin- auf 34 400 Personen im Jahr 2014 (+ 260 %). schlüsse auf Ebene der Europäischen
nen und Ausländer von anderen Faktoren Zudem wirkten sich die Maßnahmen Union (EU) beeinflusst, unter anderem
beeinflusst, zum Beispiel dem Familien der Bundesregierung zur Steuerung der durch EU-Erweiterungen, Freizügigkeits-
nachzug oder der politischen, wirtschaft- Wanderungsströme aus. Von besonderer regelungen, Abkommen mit EFTA-Län-
lichen oder sozialen Situation in den Her- Bedeutung sind in diesem Zusammen- dern, also Ländern der Europäischen
kunftsländern. Dies zeigte sich zum Bei- hang der 1973 erlassene Anwerbestopp, Freihandelszone oder veränderten Visa-
spiel in der Zunahme der Zuzüge aus den das Rückkehrhilfegesetz von 1983 sowie Regelungen. Dies zeigt sich beispielsweise
Ländern, die von der Finanzmarkt- und asylrechtliche Neuregelungen wie die in der schnellen Zunahme der Zuzüge
Wirtschaftskrise (2008/2009) besonders Änderung des Grundgesetzes (Artikel aus vielen Ländern, die 2004, 2007 be
betroffen sind, in den Folgejahren. So stie- 16a) im Jahr 1993. Die letzteren Regelun- ziehungsweise 2013 der EU beigetreten
gen die Zuzüge aus Griechenland von gen bewirkten zum Beispiel, dass Einrei- sind (siehe Kapitel 15.1, Seite 434, Abb 1).
22
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
148 636
Einschränkungen zum Arbeitsmarktzu
gang für die 2004 beigetretenen Länder –
die Zuzüge von dort stark zugenommen.
Das gleiche gilt ab 2013 für Rumänien und
Bulgarien.
Deutsche zogen im Jahr 2014 ins
Im Jahr 1992 hatte die Zuwanderung Ausland. Aus dem Ausland
ausländischer Staatsangehöriger mit zurück kamen 122 195 Deutsche.
1,2 Millionen Personen einen ersten
Höhepunkt erreicht. Gründe waren die
Öffnung der Grenzen zu Osteuropa und
die Flucht vieler Menschen vor dem
Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien.
Danach war die T endenz mit einigen
Schwankungen bis 2006 eher rückläufig.
So kamen 2006 rund 558 000 Menschen
nach Deutschland. In den Folgejahren
stieg die Zuwanderung e rheblich, im Jahr
2013 wurden rund 1,1 Millionen Zuzüge
ausländischer Personen verzeichnet. Mit
1,3 Millionen Zuzügen wurde im Jahr
2014 ein neuer Höhepunkt erreicht. Dazu
tragen außer den zunehmenden Wande zu zahlreichen Abmeldungen von Amts 1.1.4 Demografischer Wandel
rungsströmen aus den seit 2004 beigetre wegen, die sich in den Fortzugszahlen Deutschland befindet sich bereits mitten
tenen EU-Staaten die steigenden Flücht niedergeschlagen haben. im demografischen Wandel. Seit der
lingsströme aus den Balkanstaaten sowie Seit 2011 steigt die Zahl der Fortzüge deutschen Vereinigung im Jahr 1990 hat
den von Krieg gezeichneten Ländern – wieder an und lag 2014 bei 914 000 Fällen. die Zahl der Geborenen fast stetig
insbesondere Syrien – bei. Da viele Zugewanderte nicht dauerhaft in abgenommen. Die stark besetzten Jahr
Die Hauptherkunftsländer waren 2014 Deutschland bleiben und nach einer gänge der 1950er- und 1960er-Jahre sind
Polen und Rumänien (jeweils 191 000 Zu- k ürzeren oder längeren Zeit in ihr Her- in das höhere er werbsf ähige Alter
züge), gefolgt von Bulgarien (77 000 Perso- kunftsland zurückkehren beziehungswei- gekommen. Die Zahl der ab 70-Jährigen
nen) und Italien (70 000 Personen). Rund se in ein anderes Land weiterziehen, geht ist von 8,1 Millionen im Jahr 1990 auf
62 % der Personen (830 000) kamen aus eine hohe Zuwanderung zeitversetzt mit 12,9 Millionen Personen im Jahr 2013
der EU, 25 % (329 000 Personen) aus dem einer hohen Abwanderung einher. gestiegen. Das Medianalter, welches die
außereuropäischen Ausland und 13 % aus Der Wanderungssaldo, also die Diffe- Bevölkeru ng in eine jüngere und eine
einem sonstigen Land aus Europa (178 000 renz zwischen den Zuzügen und Fortzü- ältere Hälfte teilt, ist infolgedessen um
Personen). Außerhalb der EU waren 2014 gen, war seit Beginn der Statistik in den 8 Jahre von 37 auf 45 Jahre gestiegen.
die Hauptherkunftsländer Syrien (65 000 1950er-Jahren überwiegend positiv. Ledig- Gleichzeitig ist der Altersauf bau der
Zuzüge) und Serbien (40 000 Zuzüge). lich in konjunkturell schlechten Zeiten der Frauen und Männer ähnlicher geworden.
Die Abwanderung von Ausländerin- 1960er- und 1970er-Jahre, in der Zeit des Insbesondere zeigt die Zahl der Hoch
nen und Ausländern erreichte 1993 mit Rückkehrhilfegesetzes in den 1980er-Jah- betagten, das heißt der Menschen, die
711 000 Personen einen ersten Höhe- ren und nach Kriegsende in Bosnien 80 Jahre oder älter sind, dass mittlerweile
punkt. Danach war die Tendenz bis 2007 1997/1998 fiel der Saldo negativ aus. Die nicht nur Frauen, sondern auch Männer
rückläufig, abgesehen von einem vorü- höchsten Wanderungsüberschüsse (mehr ein höheres Lebensalter erreichen. Der
bergehenden Anstieg in den Jahren 1997, als 600 000 Personen Z ugewinn pro Jahr) aktuelle Altersauf bau wird für die
1998 und 2004 infolge der Rückkehr wurden zur Zeit der Wende in der ehema- künftige Bevölkerungsentw icklung eine
bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge. ligen DDR zwischen 1989 und 1992 ver- dominierende Rolle spielen und große
Die Fortzugszahlen zwischen 2008 zeichnet – als Folge der hohen Zuwande- Herausforderungen für Wirtschaft und
und 2010 sind durch bundesweite Berei- rung in diesen Jahren. Seit 2011 werden soziale Sicherungssysteme mit sich bringen.
nigungen der Melderegister überhöht wieder hohe Wanderungsüberschüsse ver- Seit etwa vier Jahrzehnten reicht die
und mit den Vor- und Folgejahren nicht zeichnet (2011: + 279 000; 2012: + 369 000; Zahl der Neugeborenen nicht aus, um die
vergleichbar. Die Bereinigungen führten 2013: + 429 000; 2014: + 550 000 Personen). Elterngeneration zu ersetzen. Es sterben
23
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
mehr Menschen als Kinder geboren wer- den neuen Ländern. Inzwischen ist die ren mehr als verdoppelt. Aber auch für
den. Ohne Wanderungsgewinne aus dem Geburtenhäufigkeit im Osten Deutsch- ältere Menschen ist die Lebenserwartung
Ausland würde Deutschlands Bevölke- lands angestiegen und ist seit 2008 höher deutlich angestiegen, verstärkt in den
rung bereits seit langem rapide schrump- als im früheren Bundesgebiet. Im Jahr letzten Jahrzehnten.
Heute haben 60-jäh-
fen und noch schneller altern. Langfristig 2013 betrug die zusammengefasste Ge- rige Männer im Durchschnitt noch weite-
wird die immer weiter aufgehende Schere burtenziffer in den neuen Ländern re 21,3 Jahre und gleichaltrige Frauen
zwischen der Zahl der Geborenen und 1,5 Kinder je Frau, während sie im frühe- 25,0 Jahre zu erwarten. Das sind 9,2 Jahre
der Zahl der Gestorbenen nicht durch ren Bundesgebiet bei 1,4 Kindern je Frau mehr bei den Männern und 12,3 Jahre
Zuwanderung zu schließen sein; dazu lag (jeweils ohne Berlin). u Abb 4 mehr bei den Frauen als 1871/1881. u Tab 9
wären langfristig weit höhere Wand er Die Lebenserwartung ist in den letz- In den kommenden Jahrzehnten wer-
ungsüberschüsse nötig als in der Ver ten hundert Jahren beträchtlich gestiegen. den der Rückgang der Bevölkerungszahl
gangenheit. Hierbei spielte die Verringerung der und die Alterung kennzeichnend für den
Die jährliche Geburtenhäufigkeit Säuglings- und Kindersterblichkeit lange demografischen Wandel sein. Dies lässt
nahm in den alten Bundesländern ab eine entscheidende Rolle. Im Deutschen sich anhand von Bevölkerungsvorausbe-
Mitte der 1960er-Jahre stark ab und sta- Reich betrug die durchschnittliche Le- rechnungen darstellen. u Info 4
bilisierte sich seit Ende der 1970er-Jahre benserwartung im Zeitraum 1871/1881 Im Folgenden werden Ergebnisse
auf niedrigem Niveau. Die sogenannte für neugeborene Jungen 35,6 Jahre und der
13. koordinierten Bevölkerungsvor-
zusammengefasste Geburtenziffer be- für neugeborene Mädchen 38,5 Jahre. ausberechnung anhand von zwei ausge-
trägt hier seit fast 40 Jahren rechnerisch Aber schon Zehnjährige hatten eine wei- wählten Varianten dargestellt. Diese Vari-
1,3 bis 1,4 Kinder je Frau. In der ehemali- tere Lebenserwartung von 46,5 Jahren anten beschreiben die Entwicklung unter
gen DDR war es in den 1970er-Jahren (Jungen) beziehungsweise 48,2 Jahren den folgenden Annahmen:
auch zu einem starken Rückgang der (Mädchen). Gegenwärtig beträgt die ·· einer Geburtenziffer von weiterhin
durchschnittlichen Kinderzahl gekom- durchschnittliche Lebenserwartung – 1,4 Kindern je Frau bei einem steigen-
men, dem aber bald ein Anstieg folgte. nach der Allgemeinen Sterbetafel den durchschnittlichen Alter der Frau
Bis Mitte der 1980er-Jahre nahm die Ge- 2010/2012 – für Jungen 77,7 Jahre bezie- bei der Geburt des Kindes,
burtenhäufigkeit wieder ab. Anfang der hungsweise 82,8 Jahre für Mädchen. So- ·· eines Anstiegs der Lebenserwartung
1990er-Jahre kam es nach der deutschen mit hat sich die Lebenserwartung neuge- um sieben Jahre bei Männern bezie-
Vereinigung zu einem vorübergehenden borener Jungen und Mädchen in hungsweise sechs Jahre bei Frauen und
starken Einbruch der Geburtenzahlen in Deutschland innerhalb von etwa 130 Jah- ·· unter zwei unterschiedlichen Wande-
rungsannahmen.
Die erste Wanderungsannahme geht von
einem Abf lachen der anfangs sehr
hohen jährlichen Nettozuwanderung von
u Abb 4 Zusammengefasste Geburtenziffer 1950 bis 2013 — Kinder je Frau 500 000 Personen auf 100 000 Personen
innerhalb von sechs Jahren bis zum Jahr
3 2021 aus. Anschließend bleibt der Wande-
rungssaldo bei 100 000 Personen pro Jahr.
2,5 Im zweiten Szenario wird angenommen,
dass der jährliche Wanderungssaldo von
2 500 000 Personen bis zum Jahr 2021 auf
200 000 Personen sinken und sich dann auf
1,5
diesem Niveau verfestigen wird. Im gesam-
ten Vorausberechnungszeitraum von 2014
1
bis 2060 würden damit durchschnittlich je-
weils 130 000 beziehungsweise 230 000 Per-
0,5
sonen pro Jahr nach Deutschland zuwan-
0
dern. Kumuliert ergibt sich daraus ein
1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Nettozuzug von 6,3 Millionen beziehungs-
Früheres Bundesgebiet¹ Neue Länder¹ Deutschland
weise 10,8 Millionen Personen.
Diese Varianten markieren die Gren
Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011. zen eines Korridors, in dem sich die Be
Geburtenziffer: Durchschnittliche Zahl der lebendgeborenen Kinder je Frau in einem Kalenderjahr.
1 Seit 2001 ohne Berlin. völkerungsgröße und der Altersaufbau
24
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
entwickeln werden, wenn sich die aktuel- u Tab 9 Durchschnittliche Lebenserwartung — in Jahren
len demografischen Trends fortsetzen. Jungen/Männer Mädchen/Frauen
Sie werden als »Kontinuität bei schwä- 1871/1881 2010/2012 1871/1881 2010/2012
cherer Zuwanderung« (Variante 1) und Vollendetes Alter in Jahren
»Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung« 0 35,6 77,7 38,5 82,8
(Variante 2) bezeichnet. 1 46,5 77,0 48,1 82,1
Ein Bevölkerungsrückgang ist in 5 49,4 73,1 51,0 78,1
Deutschland auf lange Sicht kaum ver- 10 46,5 68,1 48,2 73,1
meidbar. Zwar stieg die Bevölkerungszahl 20 38,4 58,2 40,2 63,2
in den Jahren 2011 bis 2013 aufgrund ei- 30 31,4 48,5 33,1 53,4
ner besonders starken Nettozuwanderung 40 24,5 38,9 26,3 43,6
erneut an, die grundsätzlichen Ursachen 50 18,0 29,7 19,3 34,0
des Bevölkerungsrückgangs – wenig Neu- 60 12,1 21,3 12,7 25,0
geborene und viele Sterbefälle – bestehen 70 7,3 13,9 7,6 16,6
jedoch weiter fort und werden sich auf 80 4,1 7,7 4,2 9,2
lange Sicht noch stärker als in der Vergan-
90 2,3 3,7 2,4 4,2
genheit auswirken.
1871/1881: Deutsches Reich; 2010/2012: Deutschland.
Die Zahl der Geborenen wird voraus-
sichtlich bis zum Jahr 2020 relativ stabil
bei etwa 700 000 Kindern bleiben. Dafür
sorgt eine derzeit günstige Altersstruk- u Info 4
25
1 / Bevölkerung und Demografie 1.1 / Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung
20 Jahre und auf die 65-Jährigen und Älte- wird von der Geburtenentwicklung I hnen folgen dann die deutlich geringer
ren entfielen 21 %. Die Personen im soge- bestimmt. Sie bleibt noch bis Anfang der besetzten Geburtsjahrgänge, auch Ge-
nannten Erwerbsalter (hier von 20 bis 2020er-Jahre voraussichtlich bei etwa burtskohorten genannt, der 1970er- und
64 Jahre, siehe Info 2) stellten 61 % der 4 Millionen Kindern stabil und sinkt 1980er-Jahre. Im Jahr 2013 waren
Bevölkerung. Im Jahr 2060 werden dagegen dann allmählich bis 2060 um etwa 1 Mil- 49,2 Millionen Menschen im Alter zwi-
16 % unter 20 Jahre alt sein und etwa ein lion Kinder. Die Anzahl der 6- bis 17-Jäh- schen 20 und 64 Jahren. Ihre Zahl wird
Drittel (33 % oder 32 %) 65 Jahre oder älter. rigen geht dagegen von derzeit 9 Millio- demnach ab 2020 deutlich zurückgehen
Im Erwerbsalter befindet sich dann nur nen bis Anfang der 2020er-Jahre um etwa und 2035 etwa 41 Millionen beziehungs-
etwa die Hälfte der Bevölkerung (51 % 400 000 bis 500 000 junger Menschen weise 43 Millionen Personen betragen.
oder 52 %). u Abb 5 zurück, bleibt dann für etwa zehn Jahre Im Jahr 2060 werden dann etwa 38 Milli-
Die Gesamtzahl der unter 20-Jährigen auf diesem Niveau und sinkt anschließend onen Menschen im Erwerbsalter sein
war im Ausgangsjahr 2013 mit 14,7 Milli- bis 2060 auf rund 7 Millionen Heran (– 23 %), falls sich der Wanderungssaldo
onen Personen bereits rund 3 Millionen wachsende dieses Alters. langfristig bei 200 000 Personen einpen-
geringer als noch vor 20 Jahren (1993: Die Bevölkerungszahl im erwerbs delt (Variante 2 Kontinuität bei stärkerer
17,5 Millionen Personen). Sie wird bis fähigen Alter (hier: von 20 bis 64 Jahre) Zuwanderung). Geht die Zuwanderung
zum Jahr 2060 bei einer kontinuierlichen wird in den nächsten Jahrzehnten be langfristig auf 100 000 Personen zurück
demografischen Entwicklung weiter sonders stark sinken. Denn die stark be (Variante 1 Kontinuität bei schwächerer
s inken. Je nach Stärke der Netto
z u setzten Jahrgänge der Baby-Boomer, die Zuwanderung), gibt es 2060 ein noch
wanderung wird sie auf 11 Millionen derzeit die ältere Hälfte der Bevölkerung kleineres Erwerbspersonenpotenzial:
Personen (Variante 1) beziehungsweise im Erwerbsalter stellen, werden in den 34 Millionen Menschen, das sind 30 %
12 Millionen Personen (Variante 2) fallen. kommenden zwei Jahrzehnten aus dem weniger als 2013. Wird das Erwerbsalter
Die Anzahl der Kinder im Vorschulalter E rwerbsalter weitgehend ausscheiden.
mit 67 statt mit 65 Jahren abgegrenzt, so
u Abb 5 Altersaufbau der Bevölkerung in den Jahren 2013 und 2060 — in Millionen (in Prozent)
Kontinuität bei schwächerer Zuwanderung 2060 (Variante 1) Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung 2060 (Variante 2)
Alter
65 und älter
2013:
22,3 (33 %) 16,9 (21%) 23,2 (32 %)
20 bis 64
34,3 (51%) 2013: 37,9 (52 %)
49,2 (61%)
unter 20
10,9 (16 %) 2013: 12,0 (16 %)
14,7 (18 %)
0,8 0,6 0,4 0,2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8
26
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung / 1.1 Bevölkerung und Demografie / 1
werden 2035 noch etwa 43 Millionen bis u Abb 6 Entwicklung des Alten- und Jugendquotienten
45 Millionen Personen und 2060 noch
etwa 36 Millionen bis 40 Millionen Per- Kontinuität bei schwächerer Kontinuität bei stärkerer
sonen dazugehören (jeweils bei schwä- Zuwanderung (Variante 1) Zuwanderung (Variante 2)
cherer beziehungsweise bei stärkerer Zu-
wanderung). Das wären 2060 dann rund
2 Millionen Personen mehr als bei der 32 32
Altersgrenze 65 Jahre. 31 30 31 30
unverändert bleiben.
Die Entwicklungen bei den 65- bis
79-Jährigen und bei den ab 80-Jährigen
unterscheiden sich indessen deutlich.
Die jüngere Seniorengruppe wird vor
allem zwischen 2025 und 2035 deutlich Eine Heraufsetzung des Rentenein- licher Entwicklung und schwächerer Zu-
wachsen, bis die stark besetzten Jahr trittsalters auf 67 Jahre bedeutet weniger wanderung wird er von aktuell 64 bis
gänge allmählich ins höhere Alter wechseln. Menschen im Renten- und mehr im Er- zum Jahr 2037 auf 90 steigen, sich danach
Die Zahl der Hochbetagten nimmt werbsalter, das dann von 20 bis 66 Jahre bis Mitte der 2040er-Jahre stabilisieren
dagegen fast kontinuierlich zu. Um 2050 reicht. Die Anhebung führt damit zu ei- und anschließend bis zum Jahr 2060 auf
wird sie ihr Höchstniveau mit knapp 10 nem niedrigeren Altenquotienten, der im 97 klettern. Bei einer stärkeren Nettozu-
Millionen Personen erreichen. Dann Jahr 2060 zwischen 57 (Kontinuität bei wanderung würde der Gesamtquotient
wird sie doppelt so groß sein, wie im Jahr schwächerer Zuwanderung) und 54 dann 93 betragen.
2013 (4,4 Millionen Menschen). Der Anteil (Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung) Die 13. koordinierte Bevölkerungsvo-
der ab 80-Jährigen an der gesamten liegen würde. rausberechnung zeigt, dass die Alterung
Seniorengruppe wird dabei von heute Wird der Bevölkerung im erwerbs der Bevölkerung in den nächsten Jahr-
26 % auf 43 % beziehungsweise 45 % fähigen Alter die jüngere Bevölkerung, zehnten unabwendbar ist. Die aktuelle
steigen. Zwischen 2050 und 2060 wird für deren Aufwachsen, Erziehung und Altersstruktur führt dazu, dass ab Mitte
ihre Zahl um rund 1 Million Personen Ausbildung gesorgt werden muss, gegen- der 2020er-Jahre immer mehr Menschen
sinken. übergestellt, so ergibt sich der Jugend im Rentenalter verhältnismäßig schwach
Der Bevölkerung im Erwerbsalter quotient. Dieser wird im Vorausberech- besetzten Jahrgängen im Erwerbsalter
werden künftig immer mehr Senioren ge- nungszeitraum zwischen 29 und 32 gegenüberstehen. Im Jahr 2030 werden
genüberstehen. Im Jahr 2013 entfielen auf schwanken. die Angehörigen des Jahrgangs 1964, des
100 Personen im Erwerbsalter (20 bis 64 Der Gesamtquotient – als Summe des geburtenstärksten Jahrgangs der Nach-
Jahre) 34 Ältere (65 oder mehr Jahre). Im Jugend- und Altenquotienten – zeigt, in kriegszeit, 66 Jahre alt. Von diesen Ver-
Jahr 2060 werden es bei einer kontinuier- welchem Ausmaß die mittlere Alters- änderungen werden viele Lebensbereiche
lichen demografischen Entwicklung und gruppe sowohl für die jüngere als auch betroffen sein. Sie werden nicht erst in
schwächerer Zuwanderung 65 ältere Men- für die ältere Bevölkerung, die nicht im 50 Jahren spürbar, sondern auch schon in
schen sein. Beträgt der jährliche Zuzugs- Erwerbsleben stehen, im weitesten Sinne den nächsten zwei Jahrzehnten eine große
überschuss langfristig 200 000 Personen, zu sorgen hat. Der Gesamtquotient wird Herausforderung darstellen.
fällt der sogenannte Altenquotient mit künftig von der Entwicklung des Alten-
61 Personen nur wenig niedriger aus. u Abb 6 quotienten bestimmt. Bei kontinuier
27
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit
u Info 1
Sterbetafel
Die Sterbetafel zeigt die Altersverläufe der Sterblichkeit in einer Modellbevölkerung, welche nicht mehr
von der realen Altersstruktur der Bevölkerung abhängig ist (Standardisierung). Mit der Sterbetafel
werden standardisierte Alterungsmaße berechnet (zum Beispiel mittlere Lebenserwartung, normale
Lebensdauer, wahrscheinliche Lebensdauer).
Das Rechenprinzip: Ein Anfangsbestand von 100 000 Personen wird der altersspezifischen Sterblichkeit
der realen Bevölkerung ausgesetzt. Für jedes Altersjahr werden die Gestorbenen berechnet durch
Multiplikation der Sterbewahrscheinlichkeiten (der realen Bevölkerung) mit dem Anfangsbestand. Die
jeweils überlebenden Personen sind der Anfangsbestand des nächsten Altersjahres. Daraus ergeben
sich die Altersverteilung der Überlebenden, der Gestorbenen und der verlebten Zeit. Mit steigendem
A lter verringert sich die Zahl der Überlebenden, bis der gesamte Anfangsbestand gestorben ist.
Beziehen sich die Sterbewahrscheinlichkeiten auf ein Kalenderjahr (oder mehrere Jahre), spricht man
von einer Periodentafel (Querschnitt), beziehen sie sich auf Geburtsjahrgänge, spricht man von einer
G enerationen- oder Kohortensterbetafel (Längsschnitt).
Während die Beobachtung der Sterblichkeit der Periodentafel sich auf den Querschnitt bezieht, hat die
Kohortensterbetafel einen Beobachtungszeitraum von über 100 Jahren. Nicht vollständig beobachtete
Geburtsjahrgänge werden durch Modellrechnungen und Annahmen ergänzt. Eine vollständige Generati-
onensterbetafel würde gegenwärtig nur für Geburtsjahrgänge vorliegen, sofern der gesamte Jahrgang
inzwischen auch tatsächlich verstorben ist.
28
Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1
unterschiede zu verschiedenen Zeitpunk- Frauen und im Alter von 100 Jahren und gischen Grenzen erkennbar. Für die zu-
ten. Es zeigt sich, dass die Lebensverlän- älter 7,5. Ursache dafür ist die unter- künftige Entwicklung werden stetige
gerung bei Verschlechterung der Lebens- schiedliche Sterblichkeit durch verschie- Verläufe vorausgesagt, sodass in 100 Jah-
bedingungen auch rückläufig sein kann. dene biologische und soziale Risiken im ren über die Hälfte eines Geburtsjahr-
Es gibt keine Garantie für langes Leben – Lebensverlauf. ganges das Alter von 100 Jahren errei-
die individuelle Lebensspanne ist das Er- Die Sterblichkeit unterliegt weltweit chen könnte.
gebnis eines komplexen Zusammenspiels einem stetigen Trend, bei dem die »Re-
individueller Faktoren, zum Beispiel der kordlebenserwartung« linear ansteigt. 1.2.1 Entwicklung der
genetischen Disposition, der aktuellen Bei Lebensverlängerung wird die Sterb- Lebenserwartung
Lebens- und Verhaltensweise und der all- lichkeit systematisch nach dem Alter in In Abbildung 1 sind die Trends der
gemeinen Lebensbedingungen in frühe- höhere Alter verschoben. Dieser Prozess durchschnittlichen Lebenserwartung (e0)
ren Lebensjahren. Es gibt Hinweise, dass hatte mit der Säuglings- und Kinder- in Deutschland nach Geschlecht und Re-
Bildung eine wesentliche Rolle spielt. sterblichkeit begonnen und setzte sich in gion dargestellt. Bis Mitte der 1960er-
Menschen mit einem hohen Bildungs den höheren Altersgruppen fort. Heute Jahre bestehen kaum Unterschiede zwi-
niveau haben größere Chancen, bessere ist das Potential der weiteren Lebensver- schen Ost- und Westdeutschland. Bei
Lebensbedingungen und ein höheres längerung im jungen und mittleren Alter Frauen weitet sich zwischen Mitte der
A lter bei besserer Gesundheit zu errei- weitgehend ausgeschöpft, sodass nun- 1970er-Jahre und 1990 eine Schere zu-
chen (siehe Kapitel 10.3.2). Es ist auch be- mehr die Vermeidung von Sterblichkeit gunsten der Westdeutschen. Die nach der
kannt, dass Frauen eine höhere Lebens im hohen und höchsten Alter im Vorder- Vereinigung einsetzende Angleichung der
erwartung haben als Männer. Dieser grund von Mortalitätsverbesserungen Sterblichkeit ist seit 2003 weitgehend
Sachverhalt führt zu einem höheren steht. Seit den 1960er-Jahren ist die a bgeschlossen. Bei Männern sind die
A nteil von Frauen im hohen Alter in Zunahme der Bevölkerung im höchsten L ebenserwartungswerte im Zeitraum
Deutschland. Im Alter von 80 Jahren und Alter empirisch sichtbar. Bislang sind für zwischen 1961 und 1976 im Osten
älter kommen auf einen Mann etwa drei die menschliche Alterung keine biolo Deutschlands günstiger, seit 1977 kehrt
sich dieses Verhältnis um. Nach 1991
Abb. 1: Trend der mittleren Lebenserwartung (e0) in Deutschland 1956-2013 gleichen sich die Werte zunehmend an,
in Ost- und Westdeutschland nach Geschlecht, in Jahren
ab 2003 bis heute verbleibt eine konstan-
u Abb 1 Trend der mittleren Lebenserwartung (e0) in Ost- und Westdeutschland te Differenz von einem Lebensjahr.
nach Geschlecht 1956 – 2013 — in Jahren Durch die Berücksichtigung der
Merkmale Beschäftigung, Arbeitslosig-
85
keit, Krankenversicherung und Staats-
bürgerschaft lässt sich eine bis zu 50 %
83 erhöhte Sterblichkeit der ostdeutschen
Männer im Altersbereich von 35 bis
81
54 Jahre erklären. Die höhere Sterblich-
79 keit in den neuen Ländern ist die Konse-
quenz einer im Vergleich zu den alten
77
Ländern ungünstigeren Zusammen
75
setzung der Bevölkerung hinsichtlich
A ltersstruktur, Ausländeranteil und sozio-
73 ökonomischen Faktoren (Beschäftigungs-
status, Arbeitslosigkeit, Art der Tätig-
71
keit). Werden diese Merkmale kontrol-
69 liert, kann nahezu die gesamte Differenz
der Mortalität der Männer zwischen den
67
beiden Regionen erklärt werden.
65 In Ost- und Westdeutschland haben
1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 offensichtlich unterschiedliche Arbeits-
Frauen (West) Frauen (Ost) Männer (West) Männer (Ost) marktlagen, selektive Zuwanderung aus
dem Ausland sowie die Ost-West-Wande-
Datenbasis: Human Mortality Database (HMD) 2016. rungen einen Einfluss auf die Differenz
29
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit
der Sterblichkeit. Es zeigt sich, dass ausgeglichen. Weitere die Lebenserwar- dargestellt und zusätzlich für den Ge-
a rbeitslose Männer ein zweifach höheres tung beeinf lussende Merkmale sind burtsjahrgang 1956 die Generationenster-
Sterberisiko haben. Bei einer Anglei- Bildung und Einkommen, die mit der betafel (Statistisches Bundesamt Variante
chung der Arbeitsmarktsituation in Ost- Rentenhöhe (kumuliertes Lebenszeitein- 2). Mit dieser Darstellung kann man die
und Westdeutschland wird eine sukzes kommen) korrelieren. Bei Männern, die Sterbeverhältnisse einzelner Altersjahre
sive Angleichung der Mortalität bei Män- 32 und mehr Entgeltpunkte der gesetz über den Zeitraum von 1871 bis heute
nern erwartet. u Abb 1 lichen Rentenversicherung (siehe Kapitel nachzeichnen. Dabei zeigt sich zum Bei-
Die Rahmenbedingungen der medizi- 10.5, Seite 334, Info 1) erworben haben, er- spiel für das Alter von 60 Jahren eine Ver-
nischen Versorgung waren in Ost- und gibt sich ein linearer Zusammenhang mit schiebung der Sterbeverhältnisse zwi-
Westdeutschland unterschiedlich und der Lebenserwartung: Je mehr Entgelt- schen 1871 und 2012 um 15 Jahre; bei der
haben sich nach der deutschen Vereini- punkte erreicht worden sind, desto höher Berücksichtigung der künftigen Sterb-
gung angeglichen, was die Ausstattung ist die Lebenserwartung. Diesbezüglich lichkeitsreduktion für den Geburtsjahr-
des ambulanten und stationären Bereiches, gibt es keinen Unterschied zwischen Ost- gang 1956 sind es insgesamt 18 Jahre. Die
die Erbringung ärztlicher Leistungen, die und Westdeutschen im Alter ab 65 Jahren. altersspezifischen Sterbeverhältnisse der
medizintechnologischen Möglichkeiten 80-Jährigen von 1871 werden von dem Ge-
und das Finanzierungsvolumen betrifft. 1.2.2 Verschieben von Sterblichkeit burtsjahrgang 1956 im Kalenderjahr 2046
Vor der Vereinigung wirkte sich die Be- in das höhere Alter im Alter von 92 Jahren erreicht. u Abb 2
grenzung der ökonomischen Ressourcen In Abbildung 2 werden die Sterbewahr- Tabelle 1 fasst die verschiedenen Mit-
im Osten Deutschlands vor allem für scheinlichkeiten von Männern ab dem telwerte von Sterbetafelfunktionen zusam-
Personen im höheren Alter ungünstig aus. Alter von 50 Jahren aus sogenannten Peri- men, die geeignet sind, die Sterblichkeit
Die Unterschiede im Bereich der medizi- odensterbetafeln zu verschiedenen Zeit- und die Lebensdauer einer Bevölkerung
nischen Versorgung sind heute vollständig punkten für Deutschland (1871 bis 2012) zu beschreiben: die mittlere Lebenserwar-
uAbb 2 Altersverteilung der Sterbewahrscheinlichkeiten ab dem Alter 50 Jahre für Männer in Deutschland 1871– 2012,
Geburtsjahrgang 1956 und die Veränderung von Sterblichkeit in verschiedenen Altersjahren
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100
Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2015, Periodensterbetafeln und Generationensterbetafel 1956; Human Mortality Database (HMD) 2016.
30
Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1
tung, die wahrscheinliche Lebensdauer uAbb 3 Altersverteilung der Überlebenden (lx) von 100 000 der Sterbetafel und der
und die normale Lebensdauer. Die Para- Mittelwert der wahrscheinlichen Lebensdauer für Frauen in Deutschland 1871− 2012,
meter der Sterbetafel hängen nicht von der Schweden 1770/74 und Japan 2012
Altersstruktur der Bevölkerung ab. Dazu
gehört auch die bereinigte Sterblichkeit,
100 000
die Sterblichkeit der Sterbetafelbevölke-
rung (Gestorbene geteilt durch die mittle- 90 000
u Abb 4 Altersverteilung der Gestorbenen (dx) von 100 000 der Sterbetafel und
der Mittelwert der normalen Lebensdauer für Frauen in Deutschland 1871− 2012,
Schweden 1770/74 und Japan 2012
25 000
Mittlere Lebenserwartung
(Arithmetisches Mittel 77,7 82,8 10 000
von dx)
Wahrscheinliche
Lebensdauer ( Zentralwert, 80,8 85,7 5 000
50 % Wert von lx)
Normale Lebensdauer 0
85,0 88,0
(Dichtemittel von dx)
1 5 15 25 35 45 55 65 75 85 95 105
31
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit
Kennziffer wird in Abbildung 3 in In Abbildung 4 wird dieser Darstel- nicht augenscheinlich, da mit einer gro-
Deutschland 1871 bis 2012 dargestellt, er- lung die Altersverteilung der Sterbefälle ßen, nach oben offenen Altersklasse gear-
gänzt um je eine Kurve für Schweden dx in den verschiedenen Zeiträumen ge- beitet wird. Das führt dazu, dass die Ent-
1770/74 und Japan 2012. Im historischen genübergestellt. Es zeigen sich deutliche wicklungen der Sterblichkeit, welche zum
Vergleich verschiedener Zeiträume lassen Verschiebungen der Sterbefälle in ein im- größten Teil in dieser hohen Altersgruppe
sich die Veränderungen der Sterblichkeit mer höheres Alter und die entsprechen- stattfinden, nicht sichtbar sind.
durch die Änderung der Altersverteilun- den Änderungen der Dichtemittel. u Abb 4 Bis Mitte der 1990er-Jahre war über
gen anhand der Mittelwerte nachvollzie- Mit der Alterung der Bevölkerung die Sterblichkeit von Personen über 80 Jah-
hen. Der historische Prozess der Lebens- steigt der Bedarf an verlässlichen Daten ren sehr wenig bekannt. Mit Modellan-
verlängerung gestaltet sich in allen Län- für das hohe Alter. Die amtliche Statistik nahmen des Sterblichkeitsverlaufes wurde
dern sehr ähnlich. Schweden mit den liefert zwar über die Bewegungsmengen über die empirische Unwissenheit hin-
historisch ältesten Daten zeigt den Be- der Bevölkerung wie Geburten, Gestor- weggeholfen. Erst durch die systemati-
ginn der Entwicklung und Japan mit der bene und Wanderungen verlässliche schen Sammlungen der Bevölkerungs
weltweit höchsten Lebenserwartung die Daten, nicht aber über den Bevölkerungs- daten von Väinö Kannisto und Roger
mögliche zukünftige Verteilung nach bestand im höchsten Alter. Die Fort- Thatcher erfolgte eine international ver-
dem Alter. Bislang gibt es keine Anzei- schreibung des Bevölkerungsbestandes gleichbare Sammlung und Aufbereitung
chen, dass sich diese Dynamik des Le- wird schnell ungenau, wenn nicht in regel- von Daten über den hohen Altersbereich.
bensverlängerungsprozesses abschwä- mäßigen Abständen Volkszählungen Die Bemühungen zielen darauf, den unge-
chen wird. Man kann durchaus davon durchgeführt werden (siehe Kapitel 1.1). nauen Bestand der Bevölkerung im
ausgehen, dass sich der Zentralwert im Die hohen Altersklassen sind auch heute höchsten Alter durch systematische
Durchschnitt in den nächsten 100 Kalen- noch sehr schwach besetzt und daher an- Schätzungen zu ersetzen, die auf den Al-
derjahren in ein Alter von über 100 Le- fällig für Fortschreibungsfehler. Das Pro- tersangaben der Sterbefälle beruhen. Die
bensjahren verschieben wird. u Abb 3 blem wird in der Bevölkerungsstatistik hohe Qualität der Bevölkerungsregister
u Abb 5 Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter für ausgewählte Länder
Abb. 5: Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter
1960 – 2013 — bezogen auf das Jahr 1960=1
für ausgewählter Länder in Europa, Relation bezogen auf das Jahr
1960=1.
14 Japan
Spanien
Italien
Schweiz
12
Niederlande
Frankreich
Schweden
Österreich
10
Belgien
Dänemark
Vereinigtes Königreich
8
0
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Datenbasis: Kannisto-Thatcher-Database.
Datenbasis: Human Mortality Database (HMD)Eigene Berechnungen
2016; eigene Berechnungen.
32
Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit / 1.2 Bevölkerung und Demografie / 1
beispielsweise in den skandinavischen von 90 Jahren. 40 Jahre später sind es 45 % nen, vor allem, wenn geburtenstarke
Ländern zeigt die Validität dieser Vorge- der Frauen und 30 % der Männer. Die An- Jahrgänge das höhere Alter erreichen. Im
hensweise. teile derer, die sogar das 100. Lebensjahr Vergleich der Jahre 2001 und 2011 lässt
Heute stehen diese Bevölkerungsda- erreichen, sind deutlich geringer. In ab sich eine steigende Lebenserwartung
ten als Forschungsdatenbanken »Kannis- soluten Zahlen gemessen ist das höchste erkennen, die auf einer Zunahme der
to Thatcher Database« über die Populati- Alter in der Bevölkerung sehr gering be- L ebenszeit sowohl innerhalb als auch
on im hohen Alter und »Human Morta setzt, hat sich aber stetig vervielfacht und außerhalb der Pflege beruht. Der größte
lity Database« als internetverfügbare wird auch in Zukunft weiter ansteigen. absolute Zuwachs an Lebensjahren er-
Datenbanken für die wissenschaftlich in- Das individuelle Interesse alt zu wer- folgt bei beiden Geschlechtern außerhalb
teressierte Öffentlichkeit unentgeltlich den und die Vermeidung von gesundheit- der Pflege, die relative Zunahme ist bei
zur Verfügung (http://www.humanmor- lichen Risiken wirken sich auf die Le- der Pflegedauer besonders hoch. u Tab 2
tality.de und http://www.demogr.mpg.de/ benserwartung erhöhend aus. Allerdings
databases/ktdb). Für 38 Länder mit guter gibt es eine Reihe von Verhaltensweisen 1.2.3 Bevölkerungsvorausberech-
Bevölkerungsstatistik liegen detaillierte und Gesundheitsrisiken, die von Teilen nungen und zukünftige Entwicklung
Daten für den höchsten Altersbereich der Bevölkerung als erhöhtes Risiko in In der realen Bevölkerungsentwicklung
(bis 110+) vor, so auch für Ost- und West- Kauf genommen werden (Alkohol, Rau- sind die Prozesse der Alterung durch un-
deutschland. chen, Übergewicht). Sofern sich diese ge- terschiedlich starke Besetzungen der ein-
Abbildung 5 stellt die relative Ent- sundheitsgefährdenden Verhaltenswei- zelnen Geburtsjahrgänge nicht deutlich
wicklung der Personen im Alter von sen innerhalb der Bevölkerung nicht ver- sichtbar. Die Konfiguration der Alters
80 Jahren und älter relativ zum Bestand breiten, ist auch in Zukunft von einem pyramide einer Bevölkerung wird sowohl
von 1960 dar. Es zeigen sich für alle Län- weiteren Lebenserwartungszuwachs aus- durch die Bewegungsmengen Geburt,
der starke absolute Zunahmen. Für einige zugehen. Die sozialen Fortschritte wer- Migration und Tod beeinflusst als auch
Länder sind auch die Auswirkungen der den sich auch in einer Verbesserung des durch epochale Ereignisse wie Kriege
Weltkriege sichtbar. Die wichtigste Ursa- Gesundheitszustandes umsetzen. Es er- und Änderungen des sozialen Systems.
che für den Anstieg der Bevölkerungsan- reichen mehr Personen ein höheres Alter, Die Schwankungen in den Bevölkerungs-
teile im höheren Alter ist der Sterblich- mit einem besseren Gesundheitszustand. zahlen im Altersverlauf und der Anzahl
keitsrückgang nach dem Zweiten Welt- Wer sehr lange lebt, unterliegt mit von Gestorbenen können daher verschie-
krieg, besonders nach 1980. Bei den steigender Lebensdauer verstärkt Risiken dene Ursachen haben.
Hundertjährigen und Älteren ist die rela- körperlicher und kognitiver Einschrän- Die Bevölkerungsvorausberechnun-
tive Zunahme am stärksten. Das extrem kungen und Erkrankungen. Es liegen oft gen (siehe Kapitel 1.1, Seite 25, Info 4) er-
hohe Alter ist nach wie vor sehr s elten mehrere Krankheiten (Multimorbidität) möglichen es, künftige Veränderungen
und der Anteil dieser Altersgruppe an der vor. Generell bleiben ältere Menschen im Altersauf bau der Bevölkerung dar
Gesamtbevölkerung dementsprechend heute länger gesund und ihr Wohlbefin- zustellen. Aufgrund der gleichmäßigen
gering: er beträgt weniger als 0,5 %. u Abb 5 den hat sich erhöht. Auch künftig ist zu Bevölkerungsentwicklung können Aus
Die Sterblichkeitsentwicklungen ge- erwarten, dass die gesunden Lebensjahre sagen mit großer Genauigkeit über einen
hen bei beiden Geschlechtern systema- und die behinderungsfreie Lebenserwar- langen Zeitraum getroffen werden. Bei
tisch vom hohen Alter in ein noch höheres tung zunehmen werden. Da gleichzeitig Personen im höheren Alter sind die Vor
Alter über. Im Jahr 1960 erreichen 20 % jedoch mehr Menschen von gesundheit hersagen besonders sicher, weil sie fast
der Frauen und 15 % der Männer, die den lichen Einschränkungen betroffen sein nur von der heutigen Altersstruktur und
80. Geburtstag feiern konnten, das Alter werden, ist mit mehr Pflegefällen zu rech- von der Entwicklung der Mortalität ab-
hängen. Da die tatsächliche empirische
Entwicklung der Einflussgrößen über den
Vorausberechnungszeitraum nicht be-
u Tab 2 Aufteilung der Lebenserwartung in pflegefreie Lebenszeit und die Lebenszeit in
kannt ist, werden meist mehrere Annah-
Pflege 2001 und 2011 nach Geschlecht, Pflege ab dem Alter von 60 Jahren — in Jahren
men zum Verlauf einzelner Komponen-
Männer Frauen ten getroffen. Die Ergebnisse einer Vor-
2001 2011 2001 2011 ausberechnung lassen sich immer nur im
Lebensdauer ohne Pflege 73,8 76,1 78,3 79,4
Zusammenhang der jeweils getroffenen
Annahmen interpretieren. Da nicht sicher
Pflegedauer 1,6 1,9 3,0 3,5
ist, wie sich die Zu- und Abwanderung in
Lebenserwartung 75,4 78,0 81,3 82,9
Deutschland entwickeln werden, werden
Datenbasis: Pflegestatistik Deutschland 2013; Human Mortality Database (HMD) 2016; eigene Berechnungen. hier nur Trendaussagen ohne Wanderun-
33
Abb. 5: Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter für
1 / Bevölkerung und Demografie 1.2 / Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit
ausgewählter Länder in Europa, Relation bezogen auf das Jahr 1960=1.
u Abb 6 Anteil der Personen nach Altersgruppen in Deutschland 2015 – 2060 gen getroffen (Variante: mittleres Szena-
— in Prozent rio, ohne Wanderungen).
Die unterschiedliche Besetzung der
Altersklassen im Prognosezeitraum 2015
60
bis 2060 in Deutschland sind in Abbil-
dung 6 dargestellt (siehe auch Kapitel
50
1.1.4). Sie verdeutlicht, dass dem Bevölke-
rungsrückgang im Alter von 20 bis
40
59 Jahren ein Zuwachs im Alter von 60
bis 79 Jahren und im Alter von 80 Jahren
30 und älter gegenüberstehen wird. Wäh-
rend die Altersklasse 80 und älter beson-
20 ders in den Zeiträumen 2015 bis 2020
und 2030 bis 2050 wachsen wird, ist der
10 Zuwachs in der Altersklasse 60 bis 79 vor
allem im Zeitraum 2020 bis 2030 zu ver-
0 zeichnen. Der Anteil der 80-Jährigen und
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Älteren wird sich von knapp 10 % Bevöl-
0 –19 Jahre 20–59 Jahre 60 –79 Jahre ab 80 Jahre kerungsanteil auf fast 15 % erhöhen. Im
Gesamtzeitraum kommt es zu einem
Datenbasis:
Datenbasis: Amtliche Statistik des Bundes undEigene
Kannisto-Thatcher-Database. der Länder 2015,
Berechnungen s tetigen Rückgang der Bevölkerung im
13. Koordinierte Bevölkerungsprognose, mittlere Variante W0.
Alter von 0 bis 19, da die Elterngeneration
nicht durch deren Kinder ersetzt wird.
Nach dem Kalenderjahr 2055 wird die
Abb 7 Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter nach D ynamik der Strukturveränderungen
Altersgruppen in Deutschland 2010–2060 (2010=1) weitgehend abgeschlossen sein. u Abb 6
Die Unterteilung der Personen über
u Abb 7 Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter
80 Jahren nach Altersklassen zeigt für die
in Deutschland nach Altersgruppen 2015 – 2060 — bezogen auf das Jahr 2015=1
Jüngeren eine stärkere Besetzung als für
die Älteren. Die in der Altersstruktur vor-
12 handene Variation in der Besetzung wird
in immer höhere Altersgruppen weiter
gegeben. Die Altersgruppe der 95- bis
10
99-Jährigen wird im Jahr 2055 einen An-
teil von 1 % erreichen und die Altersgrup-
pe 100 Jahre und älter wird im Jahr 2060
8
noch unter 0,5 Prozentpunkten liegen.
Wenn man die relative Veränderung
6 der einzelnen Altersgruppen untersucht,
zeigt sich, dass die besonders schwach
besetzten höchsten Altersgruppen die
4 größten Veränderungen zu erwarten ha-
ben. 2060 sind im Vergleich zu heute
12-mal mehr 100-Jährige und Ältere zu
2
erwarten, bei der Altersklasse der 90 bis
99-Jährigen wird sich die Anzahl um den
Faktor 7 vergrößern. Diese Befunde er
0
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 geben sich aus der Gegenüberstellung der
aktuellen Altersstruktur mit den Prog-
80 – 84 Jahre 85 – 89 Jahre 90 –94 Jahre 95 – 99 Jahre ab 100 Jahre
nosen der aktuellen 13. koordinierten
B evölkerungsvorausberechnung für
Datenbasis: Amtliche Statistik des Bundes und der Länder 2015,
Datenbasis:
13. Koordinierte Amtliche Statistik
Bevölkerungsprognose, mittleredes Bundes
Variante, W0. und
der Länder, 12. Koordinierte Bevölkerungs- Deutschland. u Abb 7
prognose, mittlere Variante, ohne Wanderungen
34
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1
35
1 / Bevölkerung und Demografie 1.3 / Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen
27,5
doch auch dort an und erreicht für Frau-
en, die zwischen 1960 und 1967 geboren
wurden, 14 %. In Frankreich liegt die
Kinderlosigkeit der Kohorten, die um
1965 geboren wurden, beispielsweise bei
Jahre betrug das Durchschnittsalter etwa 15 %.
der Frauen bei der Geburt des ersten Im Vergleich zu Ländern wie Frank-
Kindes 2012 in Ostdeutschland.
reich oder den nordischen Ländern fällt
Im Jahr 1960 war es 23,0 Jahre.
zudem der niedrige Anteil von Frauen
mit drei oder mehr Kindern auf. In den
Geburtsjahrgängen 1960 bis 1967 haben
nur 18 % der westdeutschen und 13 % der
ostdeutschen Frauen drei und mehr Kin-
der zur Welt gebracht. Zum Vergleich: In
Frankreich haben deutlich mehr als 20 %
der Frauen dieser Jahrgänge drei und
mehr Kinder. Für die jüngeren Jahrgänge,
die nach 1967 geboren wurden, lässt sich
die Verteilung der Kinderzahl noch nicht
abschließend klären, da diese Frauen
noch im reproduktiven Alter sind. Es
deutet sich jedoch an, dass die Neigung,
36
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1
Westdeutschland Ostdeutschland
2 2
1,5 1,5
1 1
1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970
zwei oder drei und mehr Kinder zu be- status zu den Kindern (leibliche Kinder, bildet, in der Paare nichtehelich zusam-
kommen, in Ostdeutschland niedriger ist Stiefkinder, Adoptiv- und Pflegekinder) menleben. Abbildung 3 gibt vor diesem
als in Westdeutschland. Auch Kinder- stellen weitere zentrale Dimensionen dar, Hintergrund die Lebensformen von Per-
wunschstudien bestätigen, dass sich Ost- auf deren Basis Lebens- und Familienfor- sonen nach Alter und Geschlecht im Jahr
deutsche häufiger nur ein Kind wün- men operationalisiert werden können. In 2012 wieder. Angemerkt sei, dass in der
schen als Westdeutsche. u Abb 2 der familiensoziologischen Forschung ist amtlichen Statistik häufig die Familie als
zudem in der jüngeren Vergangenheit das Untersuchungseinheit herangezogen
1.3.3 Lebensformen und Vorhandensein einer Paarbeziehung als wird, um den Wandel der Familienfor-
die Bedeutung nichtehelichen Unterscheidungskriterium herangezogen men abzubilden. Hingegen wird in fami-
Zusammenlebens worden, um sogenannte Living-Apart- liensoziologischen Forschungen zumeist
Abgesehen vom Wandel des generativen Together-Beziehungen (LAT-Beziehungen), das Individuum als Untersuchungsein-
Verhaltens verändern sich auch die Lebens- also Paare ohne gemeinsamen Haushalt, heit verwendet, das heißt, es wird darge-
und Familienformen in Deutschland, wel- abzugrenzen. Mit amtlichen Daten wie stellt, wie viele Männer und Frauen in
che in der Vergangenheit häufig mit der dem Mikrozensus lassen sich diese Le- bestimmten Lebensformen leben. Dieses
Begriff lichkeit der »Pluralisierung« auf bensformen allerdings nicht identifizieren, Vorgehen ist auch in Abbildung 3 (und
den Punkt gebracht worden sind. Ausge- da nur Beziehungsgefüge innerhalb eines Tabelle 3) gewählt worden.
hend vom Bezugspunkt der ehelichen Fa- Haushalts erfasst werden. Auch lassen sich Die Abbildung zeigt auf, dass die
milien sind demnach »alternative«, »nicht- Stieffamilien mit den amtlichen Daten nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL)
traditionelle« oder »neue« Lebensformen nicht von Kernfamilien unterscheiden. vor allem im frühen Lebensalter verbreitet
hinzugetreten. In der familiensoziologi- Eine der wesentlichen Veränderungen ist. Etwa 20 % der 25- bis 29-jährigen
schen Forschung existiert eine Vielzahl in den Lebens- und Familienformen stellt westdeutschen Männer und Frauen leben
von Vorschlägen zur Operationalisierung die wachsende Bedeutung nichtehelichen in dieser Lebensform. Bei den ostdeut-
von Lebens- und Familienformen. Zentra- Zusammenlebens dar. Ähnlich wie in an- schen Frauen desselben Alters sind es
le Dimensionen, die bei der Bestimmung deren europäischen Ländern ist auch in sogar fast 30 %. Bei den ostdeutschen
von Lebens- und Familienformen heran- Deutschland der Anteil der Personen, die Männern kommt der NEL mit 25 % vor
gezogen werden, sind der Familienstand direkt, das heißt ohne voreheliches Zu- allem in der Altersklasse 30 bis 34 eine
und das Zusammenleben mit einem Part- sammenleben, heiraten, seit den 1970er- hohe Bedeutung zu. Die Abbildung sug-
ner beziehungsweise einer Partnerin. Letz- Jahren rapide zurückgegangen. Die Ehe- geriert, dass mit zunehmendem Alter die
tere Information erlaubt es, nichteheliche schließung ist zunehmend auf ein späte- nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL)
Lebensgemeinschaften abzugrenzen. Die res Alter verschoben worden, und es hat an Bedeutung verliert und die Ehe sie als
Anzahl der Kinder und der Beziehungs sich eine Phase im Lebenslauf herausge- dominante Lebensform zunehmend ver-
37
1 / Bevölkerung und Demografie 1.3 / Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen
u Abb 2 Verteilung der Kinderzahl nach Frauenjahrgängen 1932 –1967 — in Prozent schen der Geburt des ersten und zweiten
Kindes heiratet. Zum anderen ist der Un-
Westdeutschland terschied darauf zurückzuführen, dass
verheiratete Frauen häufiger zweite und
1932–39 11 21 35 32 weitere Kinder bekommen als jene, die
unverheiratet sind.
1940–49 13 25 39 23 Mit einer doppelt so hohen Nichtehe
lichenquote in Ostdeutschland wie in
1950–59 18 24 38 19
Westdeutschland existieren auch mehr als
1960–67 23 23 37 18 zwanzig Jahre nach der deutschen Verei-
nigung noch deutliche Ost-West-Unter-
Ostdeutschland 1
schiede im familialen Verhalten. Während
die Verhaltensweisen in Westdeutschland
noch weitgehend dem Muster der »kind
1932–39 11 27 34 28
orientierten Eheschließung« entsprechen
1940–49 9 30 41 20 und die Mehrzahl der westdeutschen Paa-
re vor der Geburt des ersten Kindes heira-
1950–59 10 28 47 15 tet, ist die Kopplung von Eheschließung
und Familiengründung in Ostdeutschland
1960–67 14 33 41 13
eher locker ausgeprägt. Als Ursachen für
diese spezifischen Muster gelten unter an-
Kinderlos Ein Kind Zwei Kinder Drei und mehr Kinder derem die geringe konfessionelle Bindung
in Ostdeutschland und die hohe Erwerbs-
1 Berlin wurde zu Ostdeutschland gruppiert. neigung ostdeutscher Frauen, durch die
Datenbasis: Mikrozensus 2012; eigene, ungewichtete Berechnungen.
die ökonomischen Vorteile einer Ehe-
schließung weniger relevant sind als für
westdeutsche Frauen. Weitere Ursachen
könnten in den unsicheren Beschäfti-
gungsoptionen und hohen Arbeitslosen-
drängt. So leben unter Frauen und Män- ob es sich beim Rückgang der Heiratsnei- quoten in Ostdeutschland liegen, deren
nern im Alter von 45 bis 49 12 % oder we- gung in erster Linie um »Timing-Effekte« negative Wirkung auf die Heiratsneigung
niger in einer NEL. Die Mehrheit der Per- handelt, also Eheschließungen im Lebens- sich in internationalen Studien ebenfalls
sonen ist in diesem Alter verheiratet. lauf nur aufgeschoben werden und spätes- erwiesen hat. u Tab 2
Prinzipiell zeigt sich in diesem Muster, tens dann geheiratet wird, wenn das erste
dass Eheschließungen im späteren Le- Kind geboren wird. Der Anstieg der 1.3.5 Familienformen und
benslauf vollzogen werden. Dennoch ist Nichtehelichenquote (Anteil der nicht unverheiratete Elternschaft
hier zu beachten, dass sich bei dieser ehelich geborenen Kinder an allen Kin- Inwiefern es sich bei den nichtehelichen
Querschnittsbetrachtung Kohorten- und dern) deutet darauf hin, dass die Kopp- Geburten um Geburten von Frauen in
Alterseffekte vermischen. Die heute 45- bis lung von Eheschließung und Familien- nichtehelichen Lebensgemeinschaften
54-Jährigen haben zum Teil noch vor der gründung sich in den letzten Jahrzehnten handelt und wie oft nach der Familien-
deutschen Vereinigung geheiratet. Die deutlich gelockert hat. Demnach waren gründung noch geheiratet wird, lässt sich
Lebensformen der ostdeutschen Personen, im Jahr 2012 fast 30 % der Geburten in auf Basis der amtlichen Daten nicht er-
die heute 45 Jahre und älter sind, reflek- Westdeutschland und rund 60 % der Ge- schließen. Die Daten des Mikrozensus
tieren damit in gewissem Maße noch die burten in Ostdeutschland nichtehelich. können jedoch Aufschluss über die Famili-
demografischen Verhaltensweisen, die in Bei den Erstgeburten ist der Anteil mit enformen geben, in denen Frauen mit Kin-
der DDR typisch waren. u Abb 3 knapp 38 % in Westdeutschland und 74 % dern leben. Da es bereits seit 1996 mög-
in Ostdeutschland deutlich höher. Beim lich ist, nichteheliche Lebensformen im
1.3.4 Unverheiratete Elternschaft zweiten Kind reduziert sich die Nichtehe- Mikrozensus abzugrenzen, lässt sich auch
Ein Kristallisationspunkt familiensozio- lichenquote auf etwa 50 % in Ost- und die Entwicklung über die Zeit darstellen.
logischer Debatten ist die Frage, ob die 20 % in Westdeutschland. Dieser Rück- Wie aus Tabelle 3 ersichtlich, ist die
nichteheliche Lebensgemeinschaft das gang deutet zum einen darauf hin, dass Mehrzahl der Frauen, die mit Kindern
eheliche Lebensmodell verdrängt hat oder ein relevanter Anteil von Personen zwi- unter 18 Jahren im Haushalt leben, ver-
38
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1
18–24 6 11 83 18–24 4 18 78
25–29 30 21 49 25–29 18 29 53
30–34 53 14 32 30–34 36 26 39
35–39 64 10 26 35–39 49 19 32
40–44 65 8 27 40–44 55 15 30
45–49 65 7 28 45–49 60 11 29
50–54 68 5 27 50–54 65 7 28
18–24 2 6 92 18–24 1 9 90
25–29 17 19 64 25–29 9 23 69
30–34 42 16 42 30–34 25 25 50
35–39 56 11 32 35–39 39 22 39
40–44 61 9 30 40–44 47 16 36
45–49 64 8 28 45–49 53 12 35
50–54 67 6 27 50–54 63 8 29
1 Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews verheiratet sind und nicht dauernd getrennt leben. Personen in eingetragenen Lebenspartnerschaften sind wie Verheiratete behandelt worden.
2 Nichteheliche Lebensgemeinschaft; Partner lebt im Haushalt.
Datenbasis: Mikrozensus 2012; eigene, ungewichtete Berechnungen.
heiratet. Jedoch geht dieser Anteil seit Lag er im Jahr 1996 bei 4 % in West- etwa ein Viertel aller ostdeutschen Frau-
1996 deutlich zurück. Lebten 1996 in deutschland, sind es im Jahr 2012 bereits en, die Kinder unter 18 Jahren haben,
Westdeutschland noch 85 % der Mütter in 6 %. In Ostdeutschland ist die NEL mit a lleinerziehend. In Westdeutschland ha-
einer ehelichen Lebensgemeinschaft, ist Kind mit etwa 18 % im Jahr 2012 deutlich ben knapp ein Fünftel der Frauen mit
dieser Wert bis 2012 um knapp 10 Pro- häufiger vertreten als in Westdeutsch- Kindern unter 18 Jahren keinen Partner,
zentpunkte auf 76 % gesunken. In Ost- land. Obwohl nichteheliche Elternschaf- der mit ihnen im selben Haushalt lebt.
deutschland ist der Anteil der verheirate- ten an Bedeutung gewonnen haben, ist Während es sich in Westdeutschland bei
ten Mütter noch stärker zurückgegangen: der Anteil alleinerziehender Mütter unter den alleinerziehenden Frauen mehrheit-
von 75 % im Jahr 1996 auf 57 % im Jahr Frauen mit Kindern unter 18 Jahren in lich um geschiedene beziehungsweise
2012. Hingegen ist der Anteil an Frauen beiden Landesteilen weiterhin höher als verheiratete und getrennt lebende Frauen
mit Kindern in nichtehelichen Lebens der Anteil an Frauen in nichtehelichen handelt, sind es in Ostdeutschland mehr-
gemeinschaften (NEL) leicht gestiegen. Lebensgemeinschaften. Im Jahr 2012 sind heitlich ledige Frauen. u Tab 3
39
1 / Bevölkerung und Demografie 1.3 / Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen
u Tab 2 Anteil der nichtehelich Lebendgeborenen an allen Lebendgeborenen 1.3.6 Erwerbsverhalten von Müttern
1980, 1990, 2000, 2010 und 2012 und nach Geburtsordnung im Jahr 2012 — in Prozent und Vätern
Alle Kinder 1. Kind 2. Kind 3. Kind
Parallel zu den Veränderungen in den
Familienstrukturen hat sich das Erwerbs-
1980 1990 2000 2010 2012 2012 2012 2012
verhalten von Frauen und insbesondere
Ostdeutschland 1
22,8 35,0 51,5 61,2 61,6 73,7 51,3 44,3
jenen mit Kindern gewandelt. In West-
Westdeutschland 7,6 10,5 18,6 27,0 28,4 37,8 19,5 18,2
deutschland ist die Erwerbsquote von
Deutschland 11,9 15,3 23,4 33,3 34,5 44,5 25,4 22,5
Frauen seit den 1980er-Jahren kontinu-
1 Ost-West-Darstellung ab 2000 ohne Berlin. ierlich angestiegen (siehe Kapitel 5.1.4)
Datenbasis: Pötzsch (2012), Statistisches Bundesamt.
und liegt mittlerweile bei über 70 % und
damit auf einem ähnlichen Niveau wie
u Tab 3 Lebensformen von Frauen und Männern (Alter 18 – 54) mit Kindern unter die Erwerbsquoten von Frauen in den
18 Jahren im Haushalt 1996, 2000 2004, 2008 und 2012 — in Prozent nordischen Ländern Europas. Die Er-
1996 2000 2004 2008 2012
werbsquote ist jedoch kein hinreichender
Indikator, um die Erwerbsbeteiligung
Frauen Westdeutschland
von Frauen, insbesondere jenen mit Kin-
Verheiratet mit Kind1 85 84 80 78 76 dern, abzubilden, da sie nicht die Variati-
NEL mit Kind
2
4 4 6 6 6 onen im Erwerbsumfang berücksichtigt.
Alleinerziehend 12 12 14 16 18 Diese sind gerade für die Beurteilung der
Frauen Ostdeutschland Erwerbsmuster in Deutschland relevant,
Verheiratet mit Kind1 75 69 61 61 57 da hier der Anstieg der Erwerbsquote von
NEL 2 mit Kind 11 13 16 15 18 Frauen vor allem mit einem Anstieg des
Alleinerziehend 14 19 22 24 25
Anteils in Teilzeit arbeitenden (10 –29 Ar-
beitsstunden pro Woche) und marginal
Männer Westdeutschland
beschäftigten Frauen (1–9 Arbeitsstun-
Verheiratet mit Kind¹ 94 93 91 91 89
den pro Woche) mit Kindern zusammen-
NEL ² mit Kind 4 5 7 7 8
fällt, während sich der Anteil der Vollzeit
Alleinerziehend 2 3 2 2 3 erwerbstätigen Frauen mit Kindern bis-
Männer Ostdeutschland lang wenig verändert hat.
Verheiratet mit Kind¹ 86 81 76 76 73 Abbildung 4 stellt vor diesem Hinter-
NEL ² mit Kind 12 15 21 21 23 grund die Erwerbsbeteiligung von Frauen
Alleinerziehend 2 4 4 4 4 nach Alter des jüngsten Kindes, das im
Haushalt lebt, dar. In Westdeutschland
1 Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews verheiratet sind (oder in eingetragener Lebenspartnerschaft leben)
und nicht dauernd getrennt leben. dominiert mittlerweile die Teilzeiter-
2 Nichteheliche Lebensgemeinschaft; Partner/-in lebt im Haushalt.
Datenbasis: Mikrozensus 1996, 2000, 2004, 2008 und 2012; eigene Berechnungen. werbstätigkeit unter Frauen mit Kindern.
44 % der Frauen, die Kinder unter 18 Jah-
ren haben, sind teilzeiterwerbstätig. Nur
etwa 23 % gehen einer Vollzeiterwerbstä-
tigkeit nach. Obwohl die Bedeutung der
Männer, die mit Kindern unter 18 Jah- men Haushalt leben; laut Mikrozensus Nichterwerbspersonen über die Zeit deut-
ren zusammenleben, sind häufiger als die leben diese Väter in einer nichtfamilialen lich zurückgegangen ist, sind im Jahr 2012
entsprechenden Frauen verheiratet. Zu- Lebensform. Da das Lebensformenkon- immerhin noch 23 % der westdeutschen
dem sind die Anteile der Männer, die mit zept des Mikrozensus überdies Verwandt- Frauen Nichterwerbspersonen; sie haben
Kindern in einer ehelichen Lebensgemein- schaftsverhältnisse nicht systematisch weder eine Erwerbstätigkeit angegeben,
schaft leben, über die Zeit weniger stark erfasst, befinden sich unter den Männern noch sind sie in Elternzeit oder erwerbslos.
zurückgegangen als die der Frauen. Diese in ehelichen Lebensgemeinschaften mit Bei Frauen mit Kindern unter drei Jahren
Darstellung berücksichtigt jedoch nicht, Kindern solche, deren Vaterschaftsstatus fallen sogar 35 % in diese Kategorie. In
dass Kinder nach einer Trennung oder durch Stiefelternschaft begründet ist. Auf Ostdeutschland ist dieser Anteil mit 27 %
Scheidung der Eltern überwiegend bei den Frauen trifft dies nur in sehr geringem etwas geringer. Im Unterschied zu West-
Müttern leben, sodass »Trennungsväter« Umfang zu, da die meisten Kinder nach deutschland sind 31 % der ostdeutschen
unberücksichtigt bleiben, wenn nur die Trennung oder Scheidung bei den Müt- Mütter mit Kindern unter drei Jahren Voll-
Kinder erfasst werden, die im gemeinsa- tern wohnhaft bleiben. zeit berufstätig. Betrachtet man Mütter mit
40
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen / 1.3 Bevölkerung und Demografie / 1
Kindern unter 18 Jahren, sind 52 % der ost- von Kindern als Grund für die Teilzeiter- punkt, in Elternzeit befinden. Dies ent-
deutschen Frauen vollzeiterwerbstätig. werbstätigkeit angeben, sind es bei den spricht dem Anteil an Vätern in Elternzeit
Auffallend im Ost-West-Vergleich ist zu- Männern andere Gründe – vor allem der zu einem bestimmten Beobachtungs-
dem der relativ hohe Anteil von erwerbs Grund, dass sie keine Vollzeiterwerbstä- punkt und ist nicht mit dem Anteil der
losen Frauen in Ostdeutschland. Insgesamt tigkeit finden konnten. Ebenfalls gering er- Väter, die jemals Elternzeit genommen
kommt der Teilzeiterwerbstätigkeit von scheint der Anteil der Väter, die in Eltern- haben, gleichzusetzen. Es entspricht auch
Müttern in Ostdeutschland mit 18 % eine zeit sind. Bei den Vätern mit Kindern im nicht dem Anteil an Vätern, die Eltern-
geringere Rolle zu als in Westdeutschland, Alter von null bis zwei Jahren sind es in geld beziehen, da Elterngeldbezug im Ge-
dennoch ist der Anteil teilzeiterwerbstäti- beiden Landesteilen nur 2 %, die zum gensatz zur Elternzeit auch für Nichter-
ger Frauen in Ostdeutschland nach der Zeitpunkt des Interviews ihre Erwerbs werbspersonen und Erwerbslose möglich
Wende deutlich angestiegen. u Abb 4 tätigkeit aufgrund einer Elternzeit unter- ist. Laut Angaben des Statistischen Bun-
Betrachtet man die Erwerbsmuster brochen oder reduziert haben. Hier muss desamtes liegt der Anteil der Väter der im
von Männern, die mit Kindern unter zum einen beachtet werden, dass die Jahr 2012 geborenen Kinder, die jemals
18 Jahren im Haushalt leben, dominiert in A ltersgruppe relativ breit gewählt ist. Bei Elterngeld bezogen haben, bei 29 %. Die-
West- wie in Ostdeutschland die Vollzeit kleinen Kindern (unter einem Jahr) er- ser Wert ist deutlich höher als der Anteil
erwerbstätigkeit. Lediglich 4 beziehungs- höht sich der Anteil von Vätern in Eltern- der Väter, die in der Berichtswoche in El-
weise 5 % der Männer im jeweiligen Lan- zeit auf etwa 3 %. Zum anderen muss be- ternzeit sind. Ein wesentlicher Grund für
desteil gehen einer Teilzeiterwerbstätig- achtet werden, dass es sich um Personen diese Unterschiede ist, dass viele Väter
keit nach. Während Frauen, die in Teilzeit handelt, die sich »in der Berichtswoche«, nur relativ kurz – zumeist bis zu zwei Mo-
arbeiten, am häufigsten die Betreuung also in der Woche vor dem Interviewzeit- nate – Elternzeit nehmen.
u Abb 4 Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern mit Kindern¹ nach Alter des jüngsten Kindes 2012 — in Prozent
0–2 10 23 31 2 35 0–2 31 11 26 5 27
3–6 20 49 2 4 25 3–6 54 21 1 10 14
7–17 29 51 3 18 7–17 61 21 8 11
0–17 23 44 7 3 23 0–17 52 18 7 8 16
3–6 90 4 3 3 3–6 86 5 6 4
7–17 91 32 4 7–17 87 4 5 4
0–17 90 4 3 3 0–17 85 5 6 4
41
8,1 Mill.
Familien mit minderjährigen Kindern gab es
2014 in Deutschland. Zehn Jahre zuvor waren
41 000
es noch 9,0 Millionen, 10 % mehr.
gleichgeschlechtliche Paare
lebten 2014 als eingetragene
Lebenspartnerschaft in
einem Haushalt zusammen.
33 %
der Kinder unter
3 Jahren waren 2015
in Tagesbetreuung.
18 Mill. 60 %
Alleinstehende lebten 2014 in Deutschland,
der Personen mit Migrations-
davon 89 % in Einpersonenhaushalten.
hintergrund waren noch keine
40 Jahre alt.
2
Familie, Lebensformen
und Kinder
2.1 Allein oder zu zweit? Mit Trauschein oder
in »wilder Ehe«? Als Familie oder ohne
wie Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) in An-
spruch genommen werden müssen (siehe
Lebensformen in Kind? Das menschliche Zusammenleben auch Kapitel 10.4). Im Abschnitt 2.1.6
der Bevölkerung, bietet vielfältige Möglichkeiten. Neben
der traditionellen Familienform, den Ehe-
wird die Betreuungssituation von Kin-
dern thematisiert: Wie viele Kinder wer-
Kinder und paaren mit Kindern, gewinnen alternative den von Tageseinrichtungen oder von
Kindertages Familienformen wie Lebensgemeinschaf-
ten mit Kindern und alleinerziehende
Tagesmüttern beziehungsweise -vätern
betreut? Ist die Betreuungssituation in
betreuung E lternteile immer mehr an Bedeutung. den Ländern unterschiedlich?
Gleichzeitig prägen nicht familiale Lebens-
formen wie Alleinstehende zunehmend 2.1.1 Formen des Zusammenlebens
Elle Krack-Roberg, Stefan Rübenach,
das Bild der Gesellschaft. Grundlage für die Bestimmung einer
Bettina Sommer, Julia Weinmann
Zunächst wird die Entwicklung der L ebensform im Mikrozensus sind die so-
unterschiedlichen Formen des Zusammen- zialen Beziehungen zwischen den Mitglie-
Destatis lebens in den Jahren 2004 bis 2014 be- dern eines Haushalts. Im Jahr 2014 lebten
schrieben (Abschnitt 2.1.1). Anschließend 17,5 Millionen Ehepaare und 2,9 Millio-
werden Eheschließungen und Schei nen gemischt- oder gleichgeschlechtliche
dungen im Zeitverlauf beleuchtet (Ab- Lebensgemeinschaften in Deutschland,
schnitt 2.1.2). In Abschnitt 2.1.3 und 2.1.4 zusammen also rund 20,4 Millionen Paa-
richtet sich der Fokus auf Familien mit re. Daneben gab es 18,0 Millionen allein-
minderjährigen Kindern und die Lebens- stehende Personen, die ganz überwiegend
situation von Kindern. u Info 1, Abb 1 (89 %) allein wohnten oder sich in eher
Eine wesentliche Voraussetzung zur seltenen Fällen den Haushalt mit anderen
zufriedenstellenden Vereinbarkeit von Fa- Mitbewohnern teilten (11 %). Rund
milie und Erwerbstätigkeit für Mütter und 2,7 Millionen Menschen waren als Mütter
Väter (Abschnitt 2.1.5) ist ein aus oder Väter alleinerziehend.
reichendes Angebot zur Betreuung von Im Vergleich zu 2004 haben alterna-
Kindern unterschiedlicher Altersstufen. tive Lebensformen zahlenmäßig an Be-
Alleinerziehenden ermöglicht eine Tages- deutung gewonnen. So erhöhte sich die
betreuung häufig erst eine eigene Erwerbs- Zahl der Alleinstehenden um 2,5 Millio-
tätigkeit, ohne die nicht selten andere nen, was einem Anstieg von 16 % ent-
Leistungen (zum Beispiel Arbeitslosen- spricht. Die Zahl der Lebensgemein-
geld I) oder staatliche Transferleistungen schaften stieg innerhalb der betrachteten
43
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
zehn Jahre um 451 000 (+ 18 %), die der sus zeigen, dass diese Volksweisheit tat- Paare in Deutschland die Lebensgefähr-
Alleinerziehenden um 210 000 (+ 8 %). sächlich zutrifft, zumindest wenn man ten einen gleichen oder ähnlichen Bil-
Eine rückläufige Entwicklung zeigt den Bildungsstand, den Altersunterschied dungsabschluss. Wenn sich das Bil-
sich hingegen bei den Ehepaaren. Im zwischen beiden Partnern oder die Staats- dungsniveau unterscheidet, dann verfügt
Jahr 2014 gab es in Deutschland rund angehörigkeit betrachtet. Die nachfolgen- meistens der Mann über einen höheren
1,6 Millionen Ehepaare weniger als noch den Ausführungen konzentrieren sich auf Abschluss. Das war bei 29 % der Paare
vor zehn Jahren. Das entspricht einem Ehepaare und nichteheliche (gemischtge- der Fall. Die umgekehrte Situation –
Rückgang von 8 %. u Tab 1 schlechtliche) Lebensgemeinschaften. dass die Frau einen höheren Bildungs-
stand hatte – gab es lediglich bei etwa je-
Paare Paare nach Bildungsstand dem elften Paar (9 %). Im Vergleich zu
Wer heiratet wen? Wer lebt mit wem zu- Die meisten Menschen wählen eine Part- 2004 zeigt sich hier eine Veränderung.
sammen? Ein altes Sprichwort sagt zu nerin oder einen Partner mit gleichem Damals hatte nur bei 8 % der Paare die
diesem Thema: »Gleich und gleich gesellt Bildungsniveau. So hatten 2014 bei mehr Frau einen höheren Bildungsabschluss
sich gern«. Die Ergebnisse des Mikrozen- als der Hälfte (62 %) der 20 Millionen als der Mann. u Abb 2, Info 2
44
Abb 2 Paare nach Bildungsstand 2013 - inLebensformen
Prozent in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages Familie, Lebensformen und Kinder / 2
betreuung / 2.1
Frau hat höhere Bildung als Mann beide mittlere Bildung Der Bildungsstand basiert auf der inter
national vergleichbaren Klassifikation für das
9 41 B ildungswesen »International Standard
C lassification of Education« (ISCED). Der
höchste erreichte Bildungsstand wird danach
aus den Merkmalen »allgemeiner Schulab-
Mann hat höhere Bildung als Frau 20,3 Partner mit gleicher Bildung schluss« und »beruflicher Bildungsabschluss«
Millionen
29 62 kombiniert. Grundsätzlich wird zwischen
Paare¹
drei K ategorien für den Bildungsstand unter-
schieden: »hoch«, »mittel« und »niedrig«.
Personen m it einem »hohen Bildungsstand«
beide hohe Bildung
verfügen über einen akademischen Ab-
schluss oder e inen Meister- / Techniker- oder
14 Fachschulabschluss (ISCED-Stufe 5 bis 8).
Berufsqualifizierende Abschlüsse und / oder
beide niedrige Bildung
das Abitur beziehungsweise die Fachhoch-
7 schulreife g ehören zur Kategorie »mittlerer
1 Paare: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften. Bildungsstand« (ISCED-Stufe 3 und 4).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Personen mit ausschließlich einem Haupt-/
Realschula bschluss und ohne schulischen
oder beruflichen Abschluss fallen in die Ka-
Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
tegorie »niedriger Bildungsstand« (ISCED-
u Abb 3 Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften Stufe 0, 1 und 2).
nach Bildungsstand der Partner 2014 — in Prozent
Ehepaare 61 30 9
nichteheliche
Lebensgemein- 65 21 14
schaften
Partner mit gleicher Bildung Mann hat höhere Bildung Frau hat höhere Bildung
Unterschiede zeigen sich bei einer sepa- Paare nach Alter 17 % der Paare war es umgekehrt. Rund
raten Betrachtung der Ehepaare und Beziehungen von älteren Männern und 10 % der Paare waren gleich alt.
nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Frauen zu wesentlich jüngeren Partnerin- Betrachtet man verheiratete und nicht
Bei 30 % der Ehepaare hatte der Mann einen nen oder Partnern werden von der Presse verheiratete Paare getrennt voneinander
höheren Bildungsstand als seine Frau gerne aufgegriffen. Statistisch gesehen hinsichtlich des Alters in der Paarkons-
und nur bei jedem elften Ehepaar (9 %) sind solche hohen Altersunterschiede je- tellation, stellt sich diese Struktur noch
war dies umgekehrt. Die dem klassischen doch nicht die Regel, sondern eher die einmal anders dar. Auch hinsichtlich
Rollenbild entsprechende Bildungskons- Ausnahme, denn lediglich 6 % aller Paare der Altersverteilung weichen nichteheli-
tellation – der Mann ist höher gebildet trennte 2014 ein Altersunterschied von che Lebensgemeinschaften eher von gän-
als die Frau – ist bei den Lebensgemein- mehr als zehn Jahren. Fast die Hälfte (47 %) gigen Klischees ab: Zwar herrschte im
schaften, die ohne Trauschein in einem hatte nur einen geringen Altersunterschied Jahr 2014 auch bei unverheirateten Paa-
Haushalt zusammenleben, weniger stark zwischen einem und drei Jahren. Genau ren überwiegend (66 %) eine traditionelle
ausgeprägt. Bei den unverheirateten Paa- gleich alt war immerhin jedes zehnte Paar. A ltersverteilung. Doch in fast jeder vier-
ren verfügte der Mann nur in 21 % der Unabhängig von der Höhe des Alters ten Beziehung (24 %) war die Frau älter
Fälle über einen höheren Bildungsab- unterschiedes gilt jedoch im Großen und als ihr Partner. Der Rest (10 %) war gleich
schluss als die Frau, wohingegen in 14 % Ganzen die traditionelle Altersverteilung – alt. Unter den Verheirateten war die klas-
der Fälle der Abschluss der Frau höher der Mann ist älter als die Frau. Bei rund sische Verteilung der Alterskonstellation
war als der des Mannes. u Abb 3 drei Vierteln (73 %) traf dies zu, nur bei stärker ausgeprägt: Bei drei von vier Ehe-
45
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
paaren (74 %) war der Mann älter als sei- u Abb 4 Paare nach Altersunterschied 2014 — in Prozent
ne Frau. In jeder zehnten Ehe waren bei-
de Partner gleich alt. In 16 % der Ehen
war die Frau älter. u Abb 4 Ehepaare 10 74 16
nichteheliche
Paare nach Staatsangehörigkeit Lebensgemein- 10 66 24
Studium und Urlaub im Ausland, der Zu- schaften
zug von Ausländerinnen und Ausländern kein Altersunterschied Mann älter als Frau Frau älter als Mann
nach Deutschland – mit zunehmender
Abb 5 Paare nach Staatsangehörigkeit 2013 - in Prozent
Globalisierung und Mobilität im privaten Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
die Unterschiede, die sich anziehen: Paare: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Wenn deutsche Männer eine ausländi- Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
46
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
47
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
u Abb 6 Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren bezeichnet, die ohne Lebenspartnerin
nach Familienstand 2014 — in Prozent oder Lebenspartner und ohne Kind in
e inem Privathaushalt wohnen. Diesen
können sie sich jedoch mit anderen (zum
Mütter 43 15 38 4
Beispiel Geschwistern, Freunden, Arbeits-
kollegen) teilen oder dort allein wohnen.
Väter 27 21 42 10 Im Jahr 2014 war mehr als jede fünfte Per-
son (22 %) in Deutschland alleinstehend
ledig verheiratet getrennt lebend geschieden verwitwet
(18,0 Millionen). Seit 2004 ist die Zahl der
Alleinstehenden um 16 % gestiegen.
Etwas mehr als die Hälfte (53 %) der
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Alleinstehenden waren 2014 Frauen, ins-
gesamt 9,5 Millionen. Alleinstehende
Männer gab es 8,4 Millionen (47 % der
Alleinstehenden). Seit 2004 ist die Zahl
u Abb 7 Alleinerziehende nach Alter des jüngsten Kindes 2014 — in Prozent alleinstehender Frauen um 8 % gestiegen,
die Zahl alleinstehender Männer jedoch
erhöhte sich um 28 %. Im Jahr 2004 hatte
15 –17 unter 15 –17 unter der Frauenanteil unter den Alleinstehen-
Jahre 6 Jahren Jahre 6 Jahren
den noch bei 57 % gelegen.
19 32 33 12 Unterschiede zwischen alleinstehen-
den Frauen und Männern zeigen sich un-
6 –9 ter anderem beim Familienstand. Im Jahr
Jahre 2014 waren 40 % der alleinstehenden
1,5 Millionen 180 000 19 Frauen verwitwet, 38 % ledig, 18 % ge-
10 –14 Mütter Väter schieden und 4 % verheiratet, aber ge-
Jahre
trennt lebend. Bei den alleinstehenden
28
Männern war die Reihenfolge eine ande-
6–9 10 –14
re: Hier überwogen mit 64 % die Ledigen,
Jahre Jahre gefolgt von den Geschiedenen mit 18 %,
21 35 den Verwitweten mit 10 % und den ver-
heiratet Getrenntlebenden mit 7 %. Im
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Jahr 2004 waren alleinstehende Frauen
noch deutlich häufiger verwitwet (48 %).
Seitdem gestiegen ist der Anteil der Ledi-
gen und der Geschiedenen an allen allein-
stehenden Frauen. Bei den alleinstehen-
u Abb 8 Alleinstehende nach Familienstand — in Prozent
den Männern gibt es im Zeitverlauf von
Abb 8 Alleinstehende nach Familienstand und Geschlecht - in Prozent
2004 zu 2014 nur geringfügige Verände-
rungen. u Abb 8
38 4 18 40 2014
Von den 18,0 Millionen Alleinstehen-
Frauen den im Jahr 2014 lebten 89 % in einem
34 4 15 48 2004 Einpersonenhaushalt. Rund 5 % teilten
sich den Haushalt mit Verwandten, bei-
64 7 18 10 2014 spielsweise der Schwester oder dem Bruder,
Männer und gegebenenfalls weiteren nicht ver-
61 7 18 13 2004
wandten Personen. Weitere rund 6 %
wohnten in Haushalten mit ausschließ-
ledig verheiratet getrennt lebend geschieden verwitwet
lich nicht verwandten oder verschwäger-
ten Haushaltsmitgliedern, beispielsweise
in einer Wohngemeinschaft von Studie-
Ergebnisse 2014 auf Basis des Zensus 2011, für 2004 auf Basis früherer Zählungen.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. renden. Damit lebten insgesamt 11 % der
Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Ergebnisse 2013 auf Basis des Zensus 2011, für 2003 auf Basis der Volkszählung 1987.
48
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
Alleinstehenden mit anderen Menschen allein als gleichaltrige Männer. So lag die uAbb 9 Alleinstehende nach
unter einem Dach zusammen. u Abb 9 Quote der Alleinlebenden bei Frauen die- Haushaltsform 2014 — in Prozent
Abb 9 Alleinstehende nach
ser Altersgruppe mit durchschnittlich Haushaltsform 2013 - in Prozent
Alleinlebende 16 % deutlich unter der entsprechenden
Alleinlebende sind Alleinstehende, die in Quote für Männer (25 %). Umgekehrt ist in Mehrpersonen-
einem Einpersonenhaushalt wohnen und es in der Altersgruppe ab 60 Jahren: haushalten mit
Verwandten1
wirtschaften. Sie sind im Durchschnitt Frauen in dieser Altersgruppe lebten we-
5 Alleinlebende
älter als Alleinstehende: So waren 2014 in sentlich häufiger allein als gleichaltrige (Einpersonen-
Deutschland von den Alleinlebenden Männer. Bei älteren Frauen steigt der An- in Mehrpersonen- haushalte)
haushalten nur mit
35 % älter als 65 Jahre, bei den Alleinste- teil der Alleinlebenden mit zunehmen- Familienfremden
89
henden in Mehrpersonenhaushalten be- dem Alter rasch und stark an. Hier wirkt 6
trug dieser Anteil lediglich 22 %. Umge- sich unter anderem die deutlich höhere
kehrt verhielt es sich in der Altersgruppe Lebenserwartung von Frauen aus. Bei
der unter 25-Jährigen: Lediglich 7 % der den Männern sinkt die Alleinlebenden-
Alleinlebenden waren jünger als 25 Jahre, quote bis zum 75. Lebensjahr und nimmt 17,6 Millionen
Alleinstehende
bei den Alleinstehenden in Mehrperso- erst dann wieder zu. u Abb 10
nenhaushalten hingegen waren es 17 %.
Alleinstehende in Mehrpersonen- 2.1.2 Eheschließungen und
haushalten waren zu 61 % ledig und zu Scheidungen
17 % verwitwet, für Alleinlebende betru- Die folgenden Angaben sind der Statistik
gen die entsprechenden Anteile 49 % be- der Eheschließungen und der Statistik 1 Sowie Verschwägerten und gegebenenfalls Nichtverwandten.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien /
ziehungsweise 27 %. Der Frauenanteil bei der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauf Lebensformen am Hauptwohnsitz.
u Abb 10 Alleinlebende nach Alter 2014 — in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe
60
40
20
0
unter 25 25 –29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70 –74 75 und älter
49
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
Familiengerichte. In Deutschland heirate- und 8 Monate und ledige Frauen genau den. Dies waren 12 300 Scheidungsfälle
ten im Jahr 2014 insgesamt 386 000 Paare. 31 Jahre alt. Bei insgesamt 67 % der Hoch- oder 8 % weniger als noch 2010. In
Damit stieg die Zahl der Eheschließungen zeiten waren beide Personen zuvor ledig. 1 700 Fällen (1 % aller Scheidungen)
gegenüber dem Vorjahr um 3 %. Anfang Bei 13 % der Ehen war es für beide bereits waren die Partner weniger als ein Jahr ge-
der 1960er-Jahre lag die Zahl der jähr der (mindestens) zweite Versuch: sie wur- trennt. Die Zahl der Scheidungen nach
lichen Eheschließungen noch bei rund den zwischen einem geschiedenen Mann dreijähriger Trennung ist mit 25 300 im
700 000. Sie ist seitdem mit gelegentlichen und einer geschiedenen Frau geschlossen. Vergleich zum Vorjahr leicht gefallen
Schwankungen tendenziell gesunken und Bei 18 % der Eheschließungen war ein (– 3 %). Außer im Jahr 2010 setzt sich die
liegt seit 2001 unter 400 000. Ehepartner ledig und der andere Ehepart- Tendenz der vergangenen Jahre zur län-
Unter den 386 000 standesamtlich ge- ner verwitwet oder geschieden. Zehn Jah- geren Ehedauer vor der Scheidung fort:
schlossenen Ehen des Jahres 2014 waren re früher waren bei 61 % der Hochzeiten 2014 betrug die durchschnittliche Ehe-
bei rund 331 500 Ehen beide Ehepartner die Ehepartner vorher ledig und bei 15 % dauer bei der Scheidung 14 Jahre und
deutscher Nationalität (86 %). Von den zuvor geschieden gewesen. 8 Monate. Vor 20 Jahren (1994) hatte die
Ehen mit ausländischen Partnern schlos- Das Auflösen einer Ehe erfolgt ent durchschnittliche Dauer der geschiede-
sen bei 25 400 Ehen (47 %) deutsche Män- weder durch gerichtliche Scheidung, ge- nen Ehen nur genau 12 Jahre betragen.
ner mit einer ausländischen Frau den richtliche Aufhebung oder den Tod des Bei den im Jahr 2014 geschiedenen Ehen
Bund fürs Leben. Bei rund 19 500 dieser Ehepartners, wobei der letzte Fall anteils- wurde der Scheidungsantrag meist von
Ehen (36 %) heirateten deutsche Frauen mäßig überwiegt (2014: 68 %) und demo- der Frau gestellt (52 %), der Mann reichte
einen Mann mit ausländischer Staatsan- grafisch bedingt in den letzten Jahren den Antrag nur in 40 % der Fälle ein. In
gehörigkeit. Bei den verbleibenden 9 500 steigt. Im Jahr 2014 belief sich die Zahl der den verbleibenden Fällen beantragten
der geschlossenen Ehen (17 %) besaßen gerichtlichen Scheidungen auf 166 200 beide Ehegatten gemeinsam die Schei-
beide Partner eine ausländische Staatsan- oder 32 % aller Ehelösungen. Damit san- dung (8 %).
gehörigkeit, 6 600 von ihnen (70 %) hat- ken die Ehescheidungen gegenüber dem Unter den 166 200 gerichtlichen Ehe-
ten die gleiche Staatsangehörigkeit. Vorjahr um 2 %. Auf je 1 000 Einwohner scheidungen im Jahr 2014 besaßen in
Mit der Eheschließung warten junge kommen 2014 damit 2,1 Ehescheidungen. 140 500 Fällen (85 %) beide Ehepartner
Menschen immer länger: Seit Mitte der Nach den derzeitigen Scheidungsverhält- die deutsche Staatsangehörigkeit, bei
1970er-Jahre ist in Deutschland das nissen werden etwa 35 % aller in einem 25 700 Scheidungen (15,5 %) war ein aus-
durchschnittliche Heiratsalter Lediger Jahr geschlossenen Ehen im Laufe der ländischer Ehepartner beteiligt. Bei
kontinuierlich gestiegen. Betrug 1975 das nächsten 25 Jahre wieder geschieden, also Scheidungen mit ausländischen Partnern
durchschnittliche Heiratsalter bei ledigen mehr als jede dritte Ehe. u Tab 3 ließen sich 10 000 deutsche Frauen (39 %)
Männern noch 24 Jahre und 11 Monate Bei der Mehrzahl aller Ehescheidun- von einem ausländischen Mann und
und bei ledigen Frauen 22 Jahre und gen sind die Ehepartner bereits ein Jahr 9 000 deutsche Männer (35 %) von einer
6 Monate, waren 2014 ledige Männer bei getrennt: 138 800 Ehen (84 %) wurden ausländischen Frau scheiden. In den rest-
der Hochzeit im Durchschnitt 33 Jahre 2014 nach dieser Trennungszeit geschie- lichen 6 700 Fällen (26 %) hatten beide
Ehepartner eine ausländische Staatsange-
hörigkeit, darunter 4 000 die gleiche.
Von einer Scheidung sind häufig ne-
u Tab 3 Eheschließungen und Scheidungen
ben den Ehepartnern auch deren gemein-
Eheschließungen Scheidungen same minderjährigen Kinder betroffen.
insgesamt je 1 000 insgesamt je 1 000 Etwa die Hälfte der 166 200 geschiedenen
in 1 000 Einwohner in 1 000 Einwohner
Ehepaare im Jahr 2014 hatte Kinder unter
1950 750 11,0 135 2,0 18 Jahren. Insgesamt erlebten rund
1960 689 9,5 73 1,0
134 800 minderjährige Kinder die Schei-
1970 575 7,4 104 1,3
dung ihrer Eltern. Das waren 0,9 % weni-
1980 497 6,3 141 1,8
ger als im Vorjahr und 0,4 % weniger als
1990 516 6,5 155 2,0
zehn Jahre zuvor. Damit verringerte sich
2000 419 5,1 194 2,4
absolut gesehen die Gesamtzahl der be-
2005 388 4,7 202 2,5
troffenen Kinder seit einem Hochstand
2010 382 4,7 187 2,3
im Jahr 2003 von 170 300 auf 134 800
2013 374 4,6 170 2,1
im Jahr 2014. Allerdings waren je 1 000
2014 386 4,8 166 2,1
Scheidungen 2003 nur 796 Kinder, 2014
Berechnungen je 1 000 Einwohner ab dem Jahr 2013 auf Basis des Zensus 2011. dagegen 811 Kinder beteiligt.
50
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages Familie, Lebensformen und Kinder / 2
betreuung / 2.1
Bei fast allen Scheidungen (96 %) im mals der Migrationsstatus im Mikrozen- der einzelnen Familienformen. Während
Jahr 2013, bei denen gemeinschaftliche sus abgefragt – hat sich die Zahl der Fami- die Zahl traditioneller Familien (Ehe
minderjährige Kinder betroffen waren, lien mit Migrationshintergrund um paare mit Kindern) kontinuierlich gesun-
blieb das Sorgerecht bei beiden Eltern 68 000 beziehungsweise 3 % erhöht. Die ken ist, stieg die Zahl alternativer Familien-
teilen (63 400 Verfahren), da weder Vater Zahl der Familien ohne Migrationshinter- formen (Alleinerziehende und Lebensge-
noch Mutter einen Antrag auf das allei grund war hingegen rückläufig, und zwar meinschaften mit Kindern). Gab es 2004
nige Sorgerecht gestellt hatten. In von 6,5 Millionen im Jahr 2005 auf noch 6,7 Millionen Ehepaare mit min-
2 800 Verfahren wurde hingegen das Sor- 5,6 Millionen im Jahr 2014 (– 14 %). u Info 4 derjährigen Kindern, so waren es zehn
gerecht vom Familiengericht übertragen, Jahre später nur noch 5,6 Millionen
darunter in fast drei Viertel der Verfah- Familienformen (– 17 %). Umgekehrt hat sich die Zahl der
ren (2 100) auf die Mutter. Hinter den rückläufigen Familienzahlen Lebensgemeinschaften mit minderjähri-
Das durchschnittliche Alter Geschie- stehen unterschiedliche Entwicklungen gen Kindern von 684 000 im Jahr 2004
dener steigt kontinuierlich: Während
2014 Männer im Schnitt 45 Jahre, 11 Mo-
nate und Frauen 42 Jahre, 11 Monate alt
waren, betrug das Alter 2004 bei den
Männern genau 42 Jahre und bei den
Frauen 39 Jahre und 4 Monate. Im u Info 4
51
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
auf 883 000 im Jahr 2014 erhöht (+ 22 %). nelle Familienform der Ehepaare mit Drei und mehr minderjährige Kinder
Die Zahl der Alleinerziehenden stieg in Kindern – relativ gesehen – mit 78 % wuchsen in 11 % der Familien auf. u Abb 13
diesem Zeitraum ebenfalls – wenn auch deutlich weiter verbreitet als unter den In den vergangenen zehn Jahren hat
nicht kontinuierlich – um 66 000 auf gut Familien ohne Migrationshintergrund sich die Verteilung der Familien nach der
1,6 Millionen (+ 4 %). Die wachsende Be- (66 %). Nur 15 % der Familien mit Migra- Zahl der Kinder nur geringfügig verän-
deutung alternativer Familienformen tionshintergrund waren alleinerziehende dert. Dennoch ist im Vergleich zu 2004
führte zu einer Verschiebung der Famili- Mütter oder Väter (ohne Migrations sowohl die Zahl der Familien mit min-
enstrukturen, bei der allerdings nach wie hintergrund: 23 %). Weitere 7 % waren derjährigen Kindern als auch die Anzahl
vor die Ehepaare mit Kindern deutlich Lebensgemeinschaften mit minderjähri- der in diesen Familien lebenden minder-
überwiegen. Im Jahr 2014 waren sieben gen Kindern (ohne Migrationshinter- jährigen Kinder gesunken. Diese Ent-
von zehn Familien (69 %) Ehepaare (2004: grund: 12 %). u Abb 12 wicklung lässt sich folgendermaßen zu-
75 %). Alleinerziehende Mütter oder Väter sammenfassen: Rein rechnerisch zogen
machten 20 % aller Familien aus (2004: Familiengröße die Familien 2004 durchschnittlich
18 %). Weitere 10 % aller Familien waren Etwas mehr als die Hälfte (53 %) der knapp 1,63 minderjährige Kinder groß. Im Jahr
Lebensgemeinschaf ten mit Kindern 8,1 Millionen Familien betreute 2014 ein 2014 waren es mit 1,61 minderjährigen
(2004: 8 %). u Abb 11 minderjähriges Kind (und gegebenenfalls Kindern etwas weniger.
Unter den Familien mit Migrations- weitere volljährige Kinder). Zwei minder- Deutliche Unterschiede hinsichtlich
hintergrund war 2014 die eher traditio- jährige Kinder lebten in 36 % der Familien. der Kinderzahl zeigen sich zwischen Fa-
milien mit und ohne Migrationshinter-
grund. Bei Familien mit Migrationshin-
tergrund leben häufiger drei und mehr
minderjährige Kinder im Haushalt. Im
Jahr 2014 war das in 15 % der Familien
mit Migrationshintergrund der Fall. Die-
u Abb 13 Familien nach Zahl der Kinder unter 18 Jahren — in Prozent
ser Anteil betrug bei den Familien ohne
Migrationshintergrund nur 9 %. Demge-
genüber war der Anteil der Familien, die
2014 53 36 11 nur ein im Haushalt lebendes minderjäh-
riges Kind versorgten, bei den Familien
2004 52 37 12
mit Migrationshintergrund geringer
(48 %) als bei den Familien ohne Migra
mit einem minderjährigen Kind
tionshintergrund (55 %). u Abb 14
mit zwei minderjährigen Kindern
mit drei und mehr minderjährigen Kindern
Monatliches
Familiennettoeinkommen
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Nach den Ergebnissen des Mikrozensus
hatten 2014 in Deutschland 9 % aller
Familien ein monatliches Familiennetto-
einkommen von weniger als 1 300 Euro.
u Abb 14 Familien nach Zahl der Kinder unter 18 Jahren Rund 32 % der Familien verfüg ten
und Migrationsstatus 2014 — in Prozent monatlich über 1 300 bis unter 2 600 Euro,
40 % über 2 600 bis unter 4 500 Euro und
19 % über 4 500 Euro und mehr. Bei den
mit Migrations-
48 37 15
Familien mit Migrationshintergrund
hintergrund
lagen die Anteile der Familien in den
ohne Migrations-
hintergrund
55 36 9 b eiden unteren Einkommensstufen
(unter 1 300 Euro: 10 %; 1 300 bis unter
mit einem minderjährigen Kind 2 600 Euro: 42 %) höher als bei den
mit zwei minderjährigen Kindern Familien ohne Migrationshintergrund
mit drei und mehr minderjährigen Kindern (9 % beziehungsweise 27 %). Umgekehrt
waren dort die Anteile der Familien in
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. den beiden oberen Einkommensklassen
52
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
(2 60 0 bis unter 4 50 0 Euro: 41 %; u Tab 4 Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren
4 500 Euro und mehr: 23 %) höher als bei nach monatlichem Nettoeinkommen und Migrationsstatus 2014
den Familien mit Migrationshintergrund Ohne Migrations- Mit Migrations-
Insgesamt
(36 % beziehungsweise 12 %). u Tab 4 hintergrund hintergrund
den Mütter mit einem Monatseinkommen Abweichungen in den Summen ergeben sich durch Runden der Zahlen.
1 »Sonstige« sind Familien, in denen mindestens eine Person in ihrer Haupttätigkeit selbstständige Landwirtin/
in dieser Höhe zurechtkommen. u Abb 15 selbstständiger Landwirt ist sowie Familien ohne Angabe oder ohne Einkommen.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
53
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
u Abb 16 Minderjährige Kinder nach Familienform — in Prozent gen sind, außer Acht. Fast die Hälfte der
minderjährigen Kinder (47 %) wuchs 2014
gemeinsam mit einer minder- oder voll-
jährigen Schwester beziehungsweise
2014 73 9 18 e inem Bruder heran. Gut ein Viertel
(26 %) hatte mindestens zwei Geschwister
2004 78 7 15
und ein weiteres Viertel (26 %) lebte 2014
ohne weitere Geschwister im Haushalt.
bei Ehepaaren bei Lebensgemeinschaften bei Alleinerziehenden
Mit Geschwistern im Haushalt wach-
sen minderjährige Kinder vor allem dann
Ergebnisse 2014 auf Basis des Zensus 2011, für 2004 auf Basis der Volkszählung 1987. auf, wenn sie bei ihren verheiratet zu-
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
sammenlebenden Eltern leben. Vier von
fünf minderjährigen Kindern bei Ehe-
paaren (80 %) hatten 2014 minder- oder
volljährige Geschwister. Demgegenüber
u Abb 17 Minderjährige Kinder mit und ohne Geschwister nach Familienform wurden nur 58 % der minderjährigen
und Zahl der Geschwister 2014 — in Prozent Kinder bei alleinerziehenden Elternteilen
mit Geschwistern groß. Der entsprechen-
de Anteil bei Lebensgemeinschaften lag
nur geringfügig darunter (56 %). u Abb 17
bei Ehepaaren 50 30 20
bei Allein-
Deutschland waren 2014 im Vorschul
39 19 42
erziehenden alter, 50 % der Minderjährigen waren im
Alter von 6 bis 14 Jahren und 18 % bereits
mit einem Geschwisterkind 15 Jahre oder älter.
mit zwei und mehr Geschwistern
Die Hälfte (50 %) der minderjährigen
ohne Geschwister
Kinder in Lebensgemeinschaften war im
Vorschulalter. Bei den Alleinerziehenden
Geschwister ohne Altersbegrenzung.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. überwogen die 6- bis 14-Jährigen mit
einem Anteil von 53 %. Lediglich 24 % der
minderjährigen Kinder, die von Alleiner-
ziehenden betreut wurden, waren noch
im Vorschulalter. Dies dürfte damit zu-
u Abb 18 Minderjährige Kinder nach Altersgruppen und
sammenhängen, dass das Alleinerziehen
Familienform 2014 — in Prozent
in erster Linie eine ungeplante Lebens-
form ist, die durch Trennung, Scheidung
oder Verlust des Partners beziehungs
bei Ehepaaren 31 50 18
weise der Partnerin »mitten« in der Fami-
lienphase eintritt. u Abb 18
bei Lebens-
50 39 11
gemeinschaften
Auszug der Kinder aus dem
bei Allein- 24 53 23 Elternhaus
erziehenden
Die eigenen vier Wände sind der große
unter 6 Jahren Traum vieler Jugendlicher. Dem gegenüber
6 –14 Jahre steht das sogenannte »Hotel Mama«, also
15 –17 Jahre der Verbleib der jungen Erwachsenen im
Elternhaus. Im Jahr 2014 wohnten von den
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. 25-Jährigen noch 28 % im Haushalt der
E ltern. Junge Frauen ver
l assen den
elterlichen Haushalt dabei früher als ihre
54
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages Familie, Lebensformen und Kinder / 2
männlichen Altersgenossen. Mit 25 Jah- uAbb 19 Kinder im elterlichen Haushalt nach Alter 2014
ren wohnte nur noch jede fünfte junge — in Prozent der Bevölkerung des jeweiligen Alters
Frau (20 %) als lediges Kind bei den Eltern.
Mit 30 Jahren waren es noch 5 % und mit
100
40 Jahren nur noch 1 % der Frauen. u Abb 19
Bei den jungen Männern verzögert
sich das durchschnittliche Auszugsalter. 80
55
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
u Abb 20 Erwerbstätigenquoten von Müttern und Vätern nach Alter jeweils zu 58 % aktiv einer Erwerbstätig-
des jüngsten Kindes 2014 — in Prozent keit nach. Lebenspartnerinnen mit Kin-
dern unter 15 Jahren waren mit 57 % fast
Mütter Väter genauso häufig berufstätig. Deutliche
Unterschiede zeigen sich hingegen beim
32 unter 3 82 Umfang der ausgeübten Tätigkeit. Ehe-
frauen waren von allen Müttern am
63 3–5 85
s eltensten vollzeitberufstätig. Nur 24 %
68 6–9 85 der Ehefrauen übten ihre Erwerbstätig-
keit in Vollzeit aus. Deutlich höher waren
72 10 –14 85 die Vollzeitquoten der alleinerziehenden
Mütter (39 %) und der Lebenspartnerin-
Alter des jüngsten nen (40 %). Bei der Ausübung einer Teil-
Kindes von … bis … Jahren
zeitbeschäftigung ist das entsprechend
umgekehrt. u Abb 22
Elternteile im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Väter sind nicht nur häufiger erwerbs-
tätig, sie üben ihre berufliche Tätigkeit
auch öfter in Vollzeit aus als Mütter. Den-
noch gibt es auch hier Unterschiede je
u Abb 21 Erwerbstätigenquoten von Müttern in Ost- und Westdeutschland nach Familienform: Ehemänner waren mit
nach Alter des jüngsten Kindes 2014 — in Prozent Abstand am häufigsten erwerbstätig (85 %).
Von den Lebenspartnern übten 80 % eine
berufliche Tätigkeit aus. Mit 70 % waren
Früheres Bundesgebiet Neue Länder und Berlin
alleinerziehende Väter am seltensten von
allen Vätern mit Kindern unter 15 Jahren
30 unter 3 39
berufstätig. Die Reihenfolge ist unverän-
61 3–5 68 dert, vergleicht man die Vollzeitquoten der
Väter: 95 % der erwerbstätigen Ehemänner
67 6–9 71
waren vollzeittätig, 92 % der Lebenspartner
72 75
und 86 % der alleinerziehenden Väter.
10 –14
Für Mütter und Väter, die als Paar zu-
sammenleben, stellt sich nicht nur die
Alter des jüngsten
Kindes von … bis … Jahren Frage, wie beide Elternteile für sich be-
trachtet Familie und Beruf vereinbaren.
Mütter im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Von hohem Interesse ist bei Paaren mit
Kind(ern) zudem das Zusammenspiel der
Partner bei der Balance von Familie und
Beruf. Die dargestellten Ergebnisse kon-
u Abb 22 Vollzeitquoten von Müttern und Vätern nach Familienform 2014 — in Prozent zentrieren sich dabei auf Ehepaare und
nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Insbesondere der Zeitumfang der Er-
95 werbsbeteiligung unterscheidet sich deut-
Ehepaare
24 lich. Bei fast drei Vierteln (74 %) der Ehe-
paare mit Kindern unter 15 Jahren war
Lebens- 92
gemeinschaften 40 der Vater vollzeit- und die Mutter teilzeit
erwerbstätig. Auch über die Hälfte der
Allein- 86 Paare, die in nichtehelicher Lebensge-
erziehende 39
meinschaft lebten, wählten diese »traditi-
onelle« Arbeitszeitkombination (55 %). Bei
Väter Mütter
21 % der Ehepaare gingen beide Eltern
teile einer Vollzeittätigkeit nach, bei den
Elternteile im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte) und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Lebensgemeinschaften lag dieser Anteil
56
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
mit 38 % fast doppelt so hoch. Andere u Abb 23 Paarfamilien nach Vollzeit- / Teilzeittätigkeit der Partner 2014 — in Prozent
mögliche Arbeitszeitaufteilungen spielten
eine eher untergeordnete Rolle. u Abb 23
Wie vereinbaren Paarfamilien mit Ehepaare 21 74 23
Migrationshintergrund im Vergleich zu
nichteheliche
Paarfamilien ohne Migrationshinter- Lebens- 38 55 2 5
grund Familie und Beruf? Unterschiede gemeinschaften
57
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.1 / Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung
Von den rund 2,7 Millionen Kindern die Betreuungsquote um 6 Prozentpunk- Bei Kindern im Alter unter drei Jah-
unter sechs Jahren in Tagesbetreuung te auf aktuell 95 % an. Gleichzeitig ging ren sind Ganztagsbetreuungsplätze nach
wurden zum Stichtag 1. März 2015 in bundesweit die Zahl aller Kinder in die- wie vor wenig verbreitet. So wurde im
der Altersgruppe der unter 3-Jährigen ser Altersgruppe um knapp 96 000 Kin- März 2015 im bundesweiten Durchschnitt
bundesweit gut 693 000 Kinder in einer der zurück. Anders als bei den unter nur etwa jedes sechste Kind (18 %) unter
K indertageseinrichtung oder durch eine 3-Jährigen spielt die Kindertagespflege in drei Jahren (381 000) ganztags betreut.
Tagespflegeperson betreut. Dies entspricht dieser Altersgruppe kaum eine Rolle. Das waren jedoch mehr als doppelt so vie-
einem Anteil von 33 % an allen Kindern le wie 2007 – da lag der Anteil bei 7 %.
in dieser Altersgruppe (Betreuungsquote). Ganztagsbetreuung Auch hier unterscheiden sich die Quo-
Die Betreuungsquote bezeichnet den Neben dem generellen Angebot an Kinder ten zwischen Ost- und Westdeutschland:
A nteil der betreuten Kinder an allen betreuungsplätzen ist die Möglichkeit, Während in Westdeutschland die Ganz-
K indern dieser Altersgruppe. Die bei der Kinder auch ganztags betreuen zu lassen, tagsbetreuungsquote bei 13 % aller Kinder
Quotenberechnung verwendeten Bevölke- ein wichtiger Beitrag für die Vereinbar- unter drei Jahren lag, war in Ostdeutsch-
rungszahlen beruhen auf Ergebnissen der keit von Familie und Beruf. Ganztags land mehr als jedes dritte Kind (40 %) in
Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des betreuung bedeutet, dass Kinder durch- dieser Altersgruppe in Ganztagsbetreu-
Zensus 2011 zum 31. Dezember 2014. Im gehend mehr als sieben Stunden pro Tag ung. Die Ganztagsbetreuungsquote im
März 2007 lag die Betreuungsquote bei in einer Tageseinrichtung oder bei einer Osten war damit mehr als d reimal so
den unter 3-Jährigen noch bei 15 %. Regio Tagespflege verbringen können. hoch wie im Westen Deutschlands.
nal gibt es g roße Unterschiede hinsicht-
lich der Betreuungsquote. Bei den nach-
folgenden Ausführungen zu Ost- und
Westdeutschland ist Berlin in den Daten
von Ostdeutschland enthalten.
u Abb 25 Kinder unter drei Jahren in Tagesbetreuung 2015
Während die Betreuungsquote 2015 in
— Anteil an der entsprechenden Altersgruppe in Prozent
den westdeutschen Bundesländern bei
28 % lag, war sie in den neuen Bundes Deutschland
ländern mit 52 % bedeutend höher. Die 32,9
höchsten Betreuungsquoten für Kinder
Sachsen-Anhalt 57,9
unter drei Jahren gab es in Sachsen-
Anhalt (58 %) und Brandenburg (57 %) Brandenburg 56,8
sowie Mecklenburg-Vorpommern (56 %).
Mecklenburg-Vorpommern 56,0
Unter den westdeutschen Flächenländern
Thüringen
hatten Schleswig-Holstein und Rhein- 52,4
58
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung / 2.1 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
Für die Altersgruppe der 3- bis 5-Jäh- atten mindestens ein Elternteil mit aus-
h igrationshintergrund in Westdeutsch-
M
rigen werden Ganztagsplätze bundesweit ländischer Herkunft. Das waren gut 19 %. land mit 33 % (514 000 Kinder) deutlich
wesentlich häufiger in Anspruch genom- In den westdeutschen Bundesländern über dem in Ostdeutschland (13 % bezie-
men als bei den unter 3-Jährigen. Im hatte fast jedes vierte Kind (24 % bezie- hungsweise 52 000 Kinder).
März 2015 lag die Quote bei 44 %, im Jahr hungsweise knapp 115 000 Kinder) dieser
2007 waren es noch 24 %. In den ostdeut- Altersgruppe in Kindertagesb etreuung
schen Bundesländern stieg die Ganztags- einen Migrationshintergrund, in Ost-
betreuungsquote im gleichen Zeitraum deutschland waren es nur 9 % der unter
von 58 % auf 74 %. In den westdeutschen 3-Jährigen (20 000 Kinder).
Bundesländern erhöhte sie sich von 17 % In der Altersgruppe der 3- bis 5-Jähri-
auf 37 %. gen ist der Anteil der betreuten Kinder
mit Migrationshintergrund höher als bei
Kinder mit Migrationshintergrund in den unter 3-Jährigen. Bundesweit hatte in
Kindertagesbetreuung dieser Altersgruppe mehr als jedes vierte
Etwa 135 000 der bundesweit rund betreute Kind (29 % beziehungsweise
693 000 Kinder unter drei Jahren in Kin- 566 000 Kinder) einen Migrationshinter-
dertagesbetreuung hatten 2015 einen grund. Auch hier lag der Anteil der
M igrationshintergrund, das heißt sie K inder in Kindertagesbetreuung mit
Früheres Bundesgebiet
2 045 449 477 483 28,2 12,8 1 567 966 94,5 36,5
ohne Berlin-West
Neue Länder und Berlin 609 445 215 860 51,9 39,6 393 585 96,6 74,2
Kinder in Kindertageseinrichtungen zuzüglich der Kinder in öffentlich geförderter Kindertagespflege, die nicht zusätzlich eine Kindertageseinrichtung besuchen.
Betreuungsquote: Anteil der Kinder in Tagesbetreuung an allen Kindern derselben Altersgruppe.
Ganztagsquote: Anteil der Kinder mit einem Betreuungsumfang von mehr als 7 Stunden pro Betreuungstag an allen Kindern derselben Altersgruppe.
Die bei der Quotenberechnung verwendeten Bevölkerungszahlen beruhen auf Ergebnissen der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des Zensus 2011 zum 31.12.2014.
59
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.2 / Kinderlosigkeit
60
Kinderlosigkeit / 2.2 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
Abb 1 Anteil der Frauen ohne Kind an allen
Frauen im Alter von 40 bis 44 Jahren im Jahr
2012 - in Prozent
Regionale Unterschiede u Abb 1 Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen im Alter von
Regional ist die Kinderlosigkeit unter- 40 bis 44 Jahren im Jahr 2012 — in Prozent
schiedlich stark ausgeprägt. In den west-
lichen Bundesländern betrug 2012 die Neue Länder1 Deutschland
14 22
Kinderlosenquote der Frauen im Alter
von 40 bis 44 Jahren durchschnittlich Hamburg 31
23 %, während sie in den neuen Ländern
Berlin 28
bei 14 % lag. Besonders hoch war der An-
teil der Frauen ohne Kind in den Stadt- Bremen 27
staaten. In Hamburg betrug er 31 %, in Schleswig-Holstein 25
Berlin 28 % und in Bremen 27 %. In den
westlichen Flächenländern war die Kin- Nordrhein-Westfalen 24
dungsabschlüssen zu berücksichtigen.
45- bis 49-jährige Frauen (Jahrgänge 1963 bis 1967).
Im Jahr 2012 betrug die Kinderlosen- 1 Ohne Berlin.
2 Lehre/Berufsausbildung im dualen System, einschließlich eines gleichwertigen Berufsabschlusses, Vorbereitungsdienst
quote der 45- bis 49-Jährigen insgesamt für den mittleren Dienst in der öffentlichen Verwaltung, Abschluss einer einjährigen Schule des Gesundheitswesens.
3 Einschließlich Meister-/Technikerausbildung, Abschluss einer zwei- oder dreijährigen Schule des Gesundheitswesens,
20 %. Von den gleichaltrigen Frauen, die einer Fach- oder Berufsakademie beziehungsweise Abschluss einer Fachschule der ehemaligen DDR.
4 Auch Ingenieurschulabschluss, Abschluss an einer Verwaltungsfachhochschule, Abschluss einer Universität
keinen beruf lichen Abschluss hatten, (wissenschaftlichen Hochschule, auch Kunsthochschule).
5 Einschließlich Berufsvorbereitungsjahr und berufliches Praktikum, da durch diese keine berufsqualifizierenden
sowie bei Frauen mit einer Lehre oder ei- Abschlüsse erlangt werden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
ner Anlernausbildung, waren 18 % ohne Ergebnisse des Mikrozensus 2012 auf Basis des Zensus 2011.
61
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.2 / Kinderlosigkeit
62
Kinderlosigkeit / 2.2 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
63
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund
u Info 1
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Der Begriff beschreibt Personen, die als Ausländerinnen und Ausländer oder als Deutsche nach
Deutschland zugewandert sind, sowie in Deutschland geborene ausländische Personen und jeweils de-
ren Nachkommen. Synonym wird in diesem Kapitel auch der Begriff »Migrantinnen und Migranten« ver-
wendet. Jene unter ihnen, die nach Deutschland zugezogen sind, gehören zur »Bevölkerung mit eigener
Migrationserfahrung«. In der Generation 50+ sind das 98 %. Die in Deutschland geborenen ausländi-
schen Personen und Nachkommen der Zugezogenen werden als »Bevölkerung ohne eigene Migrati-
onserfahrung« bezeichnet. Diese Personen sind für die Analysen der älteren Migrantinnen und Migran-
ten wegen ihrer jungen Altersstruktur ohne Bedeutung.
u Info 2
Migrationshintergrund im engeren und im weiteren Sinn
Das Statistische Bundesamt unterscheidet für die Zwecke von Zeitreihenanalysen zwischen dem Migrati-
onshintergrund »im engeren« und »im weiteren Sinn«. Das ist notwendig, da nicht für alle Personen und
auch nicht jährlich der vollständige Migrationsstatus bestimmbar ist. Jene Personen, für die seit 2005
durchgängig und vollständig Daten erhoben wurden, bilden die Gruppe der »Bevölkerung mit Migrations-
hintergrund im engeren Sinn«,. Das sind etwa 96 % aller Migrantinnen und Migranten. Deshalb basieren
alle Analysen des Beitrages auf dem Merkmal »Migrationshintergrund im engeren Sinn«.
64
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
schaftliche und gesundheitliche Situati- kerung ohne Migrationshintergrund ge- eingewanderten älteren Generation, so-
on sowie die allgemeine Lebenszufrie- hören bereits 24 % zur Generation der dass sie keine eigenen Migrationserfah-
denheit betrachtet. 65-Jährigen und Älteren. Die Zuwande- rungen haben. Ihre Biografien unterschei-
Mit deskriptiven Analysen sollen diese rung nach Deutschland verjüngt demzu- den sich deutlich von denen der jetzigen
Aspekte anhand von drei Datenquellen folge die hier ansässige Bevölkerung und Migrantengeneration 50 +. Der Migrati-
untersucht werden: Der Mikrozensus er- verzögert den für den demografischen onshintergrund leitet sich heutzutage be-
laubt seit dem Jahr 2005 die Beschreibung Wandel charakteristischen Prozess der reits bei 55 % der unter 40-Jährigen allein
von Menschen mit (und ohne) Migrati- Bevölkerungsalterung. u Abb 1, Tab 1 aus dem Migrationsstatus der Eltern ab,
onshintergrund. Sofern keine anderen Diese für Migrantinnen und Migran- während 98 % der Migrantinnen und Mi-
Quellen genannt sind, werden Daten des ten spezifische Altersstruktur wird sich granten in der Generation 50 + über eige-
Mikrozensus 2013 analysiert. Daten des deutlich wandeln, sobald die relativ stark ne Migrationserfahrungen verfügen.
Deutschen Alterssurveys (DEAS) liefern besetzten jüngeren Jahrgänge das dritte Auswirkungen der jetzigen und künf-
Informationen zu Lebensumständen und Lebensalter erreichen. Die jüngeren Mig- tigen Zuwanderung von Flüchtlingen und
zum subjektiven Befinden dieser Perso- rantinnen und Migranten sind zumeist in Asylsuchenden auf die Bevölkerungs-
nen. Beispielhaft werden hier die Wohn- Deutschland geborene Nachkommen der struktur Deutschlands können hier noch
verhältnisse und die Wohnzufriedenheit
als eine Dimension der ökonomischen Le-
bensqualität betrachtet. Das Sozio-oeko-
u Abb 1 Bevölkerung Deutschlands nach Migrationshintergrund und Alter 2013
nomische Panel (SOEP) liefert unter an-
Verteilung der jeweiligen Bevölkerungsgruppe nach Altersjahren — in Prozent
derem Erkenntnisse zur wirtschaftlichen
und zur gesundheitlichen Situation älterer
Alter
Migrantinnen und Migranten.
100
2.3.1 Bevölkerungsstruktur:
90
Alter, Herkunft, Aufenthaltsdauer
Fast 16 Millionen der 2013 in Deutsch- mit Migrations- ohne Migrations-
hintergrund 80 hintergrund
land lebenden Bevölkerung haben einen
Migrationshintergrund. u Info 2 Personen mit eigener
Migrationserfahrung
Das entspricht 20 % der Gesamtbevöl- 70
65
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund
u Tab 1 Bevölkerung nach Migrationsstatus und Altersstruktur, Deutschland 2013 tergrund von großer Bedeutung. Im Fol-
darunter nach Altersgruppen genden sollen anhand dieser Merkmale
Personen die größten Subgruppen unter den älte-
insgesamt Ab 50 – 64 Ab
50 Jahre Jahre 65 Jahre ren Migrantinnen und Migranten (ab
in 1 000 Anteile an Spalte 1, in % dem 50. Lebensjahr) mit eigener Migrati-
Bevölkerung insgesamt 80 611 42,5 21,2 21,3 onserfahrung identifiziert werden. Es
Personen ohne Migrationshintergrund 64 073 47,0 22,6 24,4 werden Gruppen mit ähnlichen Migrati-
Personen mit Migrationshintergrund onsbiografien gebildet und verglichen.
15 913 26,0 16,4 9,6
im engeren Sinn Dabei orientieren wir uns nicht nur an
Personen mit eigener Migrationserfahrung 10 490 38,5 24,3 14,2 einzelnen Herkunftsländern, sondern
darunter nach Herkunftsregionen auch an typischen Migrationsphasen der
Personen aus den Ländern deutschen Geschichte nach dem Zweiten
3 180 41,3 25,7 15,6
mit Anwerbeabkommen Weltkrieg. u Info 3
Personen mit Zuzug
852 87,4 42,0 45,4
zwischen 1956 –1973
(a) (Spät-) Aussiedlerinnen
(Spät-)Aussiedler/-innen 3 106 45,9 27,5 18,4 und (Spät-) Aussiedler
Personen aus EU-15-Staaten 623 50,9 29,1 21,8 Bereits 1950 begann – nach der Rücksied-
Personen aus Ländern der
1 221 26,5 18,5 8,0 lung von Vertriebenen und Flüchtlingen
EU-Osterweiterung ab 2004
des Zweiten Weltkrieges – der Zuzug von
Personen ohne eigene Migrationserfahrung 5 424 1,8 1,1 0,7
deutschstämmigen Aussiedlerinnen und
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision. Aussiedlern aus Regionen Mittel- und
Osteuropas sowie aus der Sowjetunion
beziehungsweise ab 1991 aus ihren Nach-
folgestaaten. Dieser erreichte im Jahr
1990 seinen Höhepunkt und ist seitdem
u Info 3 rückläufig. Die nach Deutschland umge-
Migrantinnen und Migranten nach Herkunftsregionen siedelten Personen – bei Umsiedlung ab
Die Personen mit eigener Migrationserfahrung werden hier entsprechend ihrer Migrationsbiografien 1993 als Spätaussiedlerinnen und Spät-
wie folgt gruppiert: aussiedler bezeichnet – machen mit 35 %
(A) (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler aus Regionen Mittel- und Osteuropas sowie aus den größten Anteil unter der Bevölke-
der Sowjetunion beziehungsweise ab 1991 aus ihren Nachfolgestaaten. rung mit eigener Migrationserfahrung
(B) Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Ländern mit Anwerbeabkommen: Italien, Spanien, im Alter ab 50 Jahren aus. Die Personen
Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien, Jugoslawien, Südkorea; darunter jene der heutigen Generation 50 + kamen mit
Personen, die in der Zeit der aktiven deutschen Anwerbepolitik zwischen 1956 bis 1973 zu
gewandert sind. durchschnittlich etwa 35 Jahren nach
Deutschland und leben im Durchschnitt
(C) Personen aus der EU-15-Region ohne Länder mit Anwerbeabkommen (Griechenland, Italien,
Portugal, Spanien): Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, seit 31 Jahren hier. Auch wenn knapp die
Österreich, Schweden, Vereinigtes Königreich. Hälfte aller zugewanderten (Spät-)Aus-
(D) Personen aus Ländern der EU-Osterweiterung ab 2004: Estland, Lettland, Litauen, Polen, siedlerinnen und (Spät-)Aussiedler be-
Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn, Bulgarien, Rumänien. reits zur Generation 50 + gehört, ist für
Diese Gruppierung ist keine vollständige Aufgliederung der gesamten Bevölkerung mit Migrations- sie insgesamt eine recht gleichmäßige
hintergrund. Sie dient lediglich der Zusammenstellung großer Migrantengruppen mit jeweils ähnlichen A ltersgruppenverteilung charakteristisch.
Migrationsbiografien. Es verbleibt eine Restkategorie mit Migrantinnen und Migranten, die nicht in
die vier genannten Gruppen eingeordnet werden können (zum Beispiel Personen aus dem restlichen Mit 48 Jahren haben die (Spät-)Aussiedle-
Europa, aus der restlichen Welt oder auch Personen ohne Angabe zur Herkunftsregion). rinnen und (Spät-)Aussiedler insgesamt
(aber ohne der in Deutschland geborenen
Nachkommen) ein relativ niedriges
Durchschnittsalter. Das deutet ebenso
wie der relativ hohe Frauenanteil von 55 %
nicht prognostiziert werden. Die aktuell rationsbewegungen die Bevölkerungs- darauf hin, dass diese Personen überwie-
rasant steigenden Flüchtlingszahlen zei- struktur nachhaltig beeinflussen werden. gend im Familienverbund, häufig in einer
gen, wie schwierig Prognosen über die Zur Beschreibung der Heterogenität Drei-Generationen-Konstellation, nach
Migrationspopulation der Zukunft sind. der Migrantinnen und Migranten sind Deutschland migriert sind. Die Daten
Unumstritten dürfte sein, dass diese Mig- ihre Herkunft und ihr Zuwanderungshin- zum Familienstand dieser Bevölkerungs-
66
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
gruppe (im zweiten Teil) stützen diese u Tab 2 Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus, Alter bei
Aussage. u Tab 1, Tab 2, Tab 3 Zuzug, Aufenthaltsdauer und Durchschnittsalter, Deutschland 2013 — in Jahren
Durchschnitts-
(b) Arbeitsmigrantinnen und Durch-
alter der jewei-
ligen Bevölke-
-migranten der ersten Generation Durchschnitts- schnittliche
rungsgruppe
alter bei Zuzug Aufenthalts-
Die zweitgrößte Gruppe der Migrantinnen dauer
(ohne Alters-
begrenzung)
und Migranten ab dem 50. Lebensjahr bil- im Jahr 2013
den mit einem Anteil von 32 % die ab den
Bevölkerung insgesamt X X 44,3
1950er-Jahren überwiegend aus den Mit-
telmeerländern angeworbenen Arbeits- Personen ohne Migrationshintergrund X X 46,7
kräfte. Sie wurden gebraucht für den wirt- Personen mit Migrationshintergrund
X X 35,2
im engeren Sinn
schaftlichen Aufschwung in der Bundes-
republik Deutschland und migrierten auf Personen mit eigener Migrationserfahrung 31,6 32,2 45,4
Basis der von 1956 bis 1973 geltenden An- darunter nach Herkunftsregionen
werbeabkommen mit Italien, Spanien, Personen aus den Ländern mit
24,9 38,3 47,5
Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Anwerbeabkommen
Tunesien, Jugoslawien und Südkorea. Ur- Personen mit Zuzug zwischen 1956 –1973 21,2 45,0 63,2
sprünglich sollten sie nur zeitlich befristet (Spät-)Aussiedler/-innen 34,6 30,6 47,7
in Deutschland bleiben. Ein Teil von ih-
Personen aus EU-15-Staaten 28,2 36,6 49,6
nen wurde jedoch hier sesshaft und viele
holten ab den 1960er-Jahren ihre Familien Personen aus Ländern der
34,7 28,3 40,2
EU-Osterweiterung ab 2004
nach. Dieser Familiennachzug hielt bis
Personen ohne eigene Migrationserfahrung X X 15,5
etwa Ende der 1970er-Jahre an. Im Fokus
der Analysen stehen hier jene Arbeits X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.
migrantinnen und -migranten, die im
Rahmen der Anwerbeabkommen und aus-
schließlich im Zeitraum von 1956 bis 1973 u Tab 3 Personen mit eigener Migrationserfahrung in ausgewählten Alters-
zugewandert und hier sesshaft geworden gruppen, Deutschland 2013
sind. Das sind in der Altersgruppe ab dem darunter nach Altersgruppen
50. Lebensjahr 57 % aller Arbeitsmigran- Personen
insgesamt Ab 50 – 64 Ab
tinnen und -migranten aus den oben ge- 50 Jahre Jahre 65 Jahre
nannten Ländern. Die anderen 43 % sind
Personen mit eigener
Familiennachzügler beziehungsweise Per- Migrationserfahrung (in 1 000)
10 490 4 042 2 550 1 491
67
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund
(c) Migrantinnen und Migranten Die folgenden Analysen konzentrie- und -migranten gilt diese Verteilung in
aus West- und Osteuropa ren sich auf die beiden quantitativ größ- ähnlicher Weise. Ein Vergleich zur Be-
Eine weitere Gruppe der älteren Bevölke- ten Gruppen der Bevölkerung 50 + mit völkerung ohne Migrationshintergrund
rung (50 +) mit Migrationserfahrung bil- Migrationserfahrung, die zwei Drittel der (50 +) zeigt, dass Migrantinnen und Mig-
den mit einem relativ kleinen Anteil von älteren Migrantinnen und Migranten ranten (50 +) in einem geringeren Maße
8 % Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmig- ausmachen: die (Spät-)Aussiedlerinnen alleinstehend sind, dafür aber häufiger in
ranten, die seit den 1950er-Jahren aus den und (Spät-)Aussiedler sowie die Arbeits- Familien leben. Das könnte allerdings
EU-15-Staaten wie Frankreich, den Nieder migrantinnen und -migranten der ersten auch ein Effekt ihres niedrigeren Durch-
landen, Österreich und dem Vereinigten großen Zuwanderung von 1956 bis 1973 schnittsalters sein. Dafür spricht zum
Königreich in die Bundesrepublik über in die Bundesrepublik Deutschland. Beispiel der höhere Anteil verwitweter
siedelten. Insgesamt haben sie ein Durch- Personen unter der Bevölkerung ohne
schnittsalter von 50 Jahren. u Tab 2, Tab 3 2.3.2 Lebensformen: Migrationshintergrund. u Tab 4
Einen ebenso geringen Anteil an der Haushaltsstrukturen, Familienstand Die Mehrheit aller Migrantinnen und
älteren Bevölkerung (50 +) mit Migrati- und regionale Ansiedlung Migranten (50 +) ist verheiratet, etwa
onserfahrung bilden mit 8 % Zugewander- Migrantinnen und Migranten der Gene- 80 % von ihnen mit einer Partnerin oder
te aus jenen osteuropäischen Ländern, für ration 50 + leben zu 48 % als Paar ohne einem Partner mit Migrationshinter-
die im Rahmen der EU-Osterweiterung Kind(er) im Haushalt. 27 % leben im Fa- grund. Zum Vergleich: Von der verheira-
im Jahr 2004 die rechtliche Basis für den milienverbund mit ledigen Kindern und teten Bevölkerung ohne Migrationshin-
Aufenthalt und für die wirtschaftliche Be- 25 % sind Personen, die allein, also ohne tergrund (50 +) haben nur knapp 4 % eine
tätigung innerhalb des Europä i schen Partnerin oder Partner und ohne Kinder Partnerin oder einen Partner mit Migra-
Wirtschaftsraumes geschaffen wurde (laut leben. Diese hohe Vernetzung in familia- tionshintergrund. Auch bezüglich des
Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Mit len Gemeinschaften spiegelt sich auch in Familienstandes unterscheiden sich die
durchschnittlich 40 Jahren sind sie die den Haushaltsstrukturen. Nahezu vier (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aus-
jüngste Migrantengruppe. Zusammen mit Fünftel aller älteren Migrantinnen und siedler sowie die Arbeitsmigrantinnen
Kriegs- und Krisenflüchtlingen sowie mit Migranten (50 +) bilden Mehrpersonen- und -migranten nicht wesentlich.
südeuropäischen Arbeitsmigrantinnen haushalte, lediglich ein Fünftel lebt in Mit 92 % leben die Migrantinnen und
und -migranten dominieren sie momen- Einpersonenhaushalten. Für die (Spät-) Migranten der Generation 50 + über-
tan den deutlichen Anstieg der Netto Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler durchschnittlich häufig im früheren Bun-
zuwanderung nach Deutschland. wie auch für die Arbeitsmigrantinnen desgebiet. Lediglich 8 % sind in den neuen
Bundesländern sesshaft geworden. Ent-
sprechend unterschiedlich ist der Anteil
dieser Personen an der Bevölkerung der
92 %
jeweiligen deutschen Teilregion: Für die
westdeutsche Bevölkerung ab dem 50. Le-
bensjahr beträgt der Anteil von Personen
mit Migrationshintergrund 14 %, für die
ostdeutsche nur 5 %. u Tab 5
der Migrantinnen und Migranten
Die Ansiedlung älterer Migrantinnen
der Generation 50+ lebten 2013 im
früheren Bundesgebiet. In den und Migranten (50 +), unterschieden nach
neuen Bundesländern wohnten 8 %. nicht-administrativen Gebietseinheiten,
zeigt einige Besonderheiten, die sich aus
dem Migrationsgrund ergeben: 68 % der
Arbeitsmigrantinnen und -migranten der
ersten Generation leben in städtischen Re-
gionen, 24 % in Regionen mit Verstädte-
rungsansätzen und nur 7 % in ländlichen
Gebieten. Hier wird deutlich, dass die be-
schäftigungsorientierte Zuwanderung pri-
mär in verdichtete Regionen mit entspre-
chenden Arbeitsmarktchancen erfolgte
und die Betroffenen auch nach dem Aus-
stieg aus dem Erwerbsleben dort blieben.
68
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
u Tab 4 Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und Lebensformen, Deutschland 2013
darunter
Personen mit
Personen
Migrations-
ohne Migrations- Arbeitsmigrant/-innen (Spät-)Aussiedler/-
hintergrund im
hintergrund mit Zuzug zwischen innen mit eigener
engeren Sinn
1956 –1973 Migrationserfahrung
in %
nach Lebensform
nach Familienstand
nach Haushaltsstrutur
u Tab 5 Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und regionaler Ansiedlung, Deutschland 2013 — in Prozent
darunter
Personen mit
Personen
Migrations-
ohne Migrations- Arbeitsmigrant/-innen (Spät-)Aussiedler/-
hintergrund im
hintergrund mit Zuzug zwischen innen mit eigener
engeren Sinn
1956 –1973 Migrationserfahrung
Die Gruppe der (Spät-)Aussiedlerinnen 2.3.3 Sozialstatus: Bildung, Bevölkerung ohne Migrationshintergrund.
und (Spät)-Aussiedler verteilt sich dage- Erwerbstätigkeit, Einkommen, So verfügen nur 37 % der 50- bis 64-jähri-
gen etwas gleichmäßiger: 50 % wohnen in Wohneigentum gen und nur 33 % der 65-jährigen und äl-
einer städtischen Region, 34 % in Regio- Das Bildungsniveau der älteren Bevölke- teren Arbeitsmigrantinnen und -migran-
nen mit Verstädterungsansätzen und 16 % rung mit Migrationshintergrund ist deut- ten über einen Berufsabschluss. Ein nied-
in ländlichen Regionen. lich niedriger als das der gleichaltrigen riges Bildungsniveau war zum Zeitpunkt
69
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund
u Tab 6 Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrations- und Sozialstatus, Deutschland 2013
darunter darunter
Personen Personen
Personen mit (Spät-) Personen mit (Spät-)
Arbeits- Arbeits-
ohne Migrations- Aussiedler/ ohne Migrations- Aussiedler/
migrant/-innen migrant/-innen
Migrations- hintergrund -innen mit Migrations- hintergrund -innen
mit Zuzug mit Zuzug
hintergrund im engeren eigener hintergrund im engeren mit eigener
zwischen zwischen
Sinn Migrations- Sinn Migrations-
1956 –1973 1956 –1973
erfahrung erfahrung
Bevölkerung insgesamt (in 1 000) 14 497 2 610 358 854 15 615 1 530 387 572
in % 3
nach allgemeinem
Schulabschluss
Haupt-(Volks-)schula bschluss,
Abschluss DDR-PTO, Realschul- 73,2 57,4 64,2 69,3 83,1 53,9 49,6 62,6
oder gleichwertiger Abschluss
Fachhochschulreife, Abitur 24,9 26,5 7,1 25,8 14,0 19,1 7,3 14,9
Ohne Schulabschluss 1,5 15,6 28,4 4,7 1,7 26,2 42,6 21,9
nach beruflichem Abschluss
Mit berufsqualifizierendem
88,6 60,8 37,4 76,2 73,5 51,1 33,2 54,9
Abschluss
Ohne berufsqualifizierenden
11,4 39,2 62,6 23,8 26,5 48,9 66,8 45,1
Abschluss oder ohne Angabe
Eigene Erwerbstätigkeit/
65,5 57,5 47,0 65,2 1,7 2,5 2,3 1,2
Berufstätigkeit
Renten, Pension 15,8 12,2 27,3 10,9 88,4 81,5 89,2 88,6
Unterstützung durch Angehörige 10,1 14,3 14,5 11,4 7,6 7,8 6,3 5,9
Monatliches Nettoäquivalenz-
1 984 1 564 1 444 1 604 1 573 1 304 1 169 1 257
einkommen in Euro
Armutsgefährdungsquote
(Insgesamt in % der 11,2 23,3 22,7 17,6 12,5 32,1 36,5 27,5
jeweiligen Bevölkerung) 2
1 Personen, die keinerlei auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben oder suchen.
2 Anteil der Personen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt. Bezugsgröße ist der Bundesmedian.
Berücksichtigt ist hier nur die Bevölkerung in Privathaushalten am Hauptwohnsitz mit gültigen Einkommensangaben.
3 Abweichungen zu 100 sind rundungsbedingt oder durch Fälle ohne Angabe.
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.
der Einwanderung für den Arbeitsmarkt Migrantinnen und Migranten infolge des chend niedrig ist die Erwerbsbeteiligung
in Deutschland ausreichend. Eine beruf Strukturwandels im Beschäftigungssys- bei den 50- bis 64-Jährigen unter ihnen:
liche Weiterbildung mit qualifizierendem tem mit zunehmendem Arbeitsplatzabbau Nur 51 % sind erwerbstätig. Zu beachten
Abschluss fand im weiteren Lebensverlauf im industriellen Sektor Schwierigkeiten sind auch ihre hohen Frühverrentungs
offenbar nicht statt, sodass viele dieser auf dem Arbeitsmarkt bekamen. Entspre- raten wegen Erwerbsunfähigkeit. Außer-
70
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
dem ist die Frauenerwerbsbeteil igung im granten häufig zusätzlich auf Sozialtrans- Erwerbs- zu Alterseinkommen bei Perso-
Vergleich zu anderen Migrantengruppen fers wie die Grundsicherung im Alter nach nen ohne Migrationshintergrund.
in dieser Gruppe am niedrigsten. u Tab 6 SGB XII zurückgreifen. Aus der Literatur Neben einem ausreichenden Einkom-
Deutlich besser gestaltet sich die Situ- ist bekannt, dass ihre in Deutschland er- men kann auch Wohneigentum vor Armut
ation der älteren (Spät-)Aussiedlerinnen worbenen Rentenansprüche wegen zu kur- im Alter schützen, denn wer in seiner –
und (Spät-)Aussiedler: 76 % der 50- bis zer Erwerbsbiografien und niedriger Ar- im Alter zumeist abbezahlten – eigenen
64-Jährigen haben einen Berufsabschluss. beitseinkommen nicht ausreichend sind. Wohnung beziehungsweise in seinem ei-
73 % dieser Altersgruppe sind erwerbs Das geringste monatliche Nettoäqui- genen Haus lebt, muss keine Miete zah-
tätig. In der Generation 65 + verfügen valenzeinkommen erzielen auch in der len. Allerdings verfügen Personen mit
55 % über einen Berufsabschluss. Altersgruppe 65 + die Arbeitsmigrantin- niedrigem Einkommen selten über
Aus dem Erwerbsstatus folgt, aus wel- nen und -migranten der ersten Generation Wohneigentum. Der Deutsche Alterssur-
chen Quellen der Lebensunterhalt bestrit- mit 1 169 Euro. Die gleichaltrigen (Spät-) vey (DEAS 2008) zeigt, dass der Anteil
ten werden kann. Auffällig ist, dass zwar Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler er- von Personen mit selbst genutztem
mehr als die Hälfte der Migrantinnen und halten 1 257 Euro monatlich. Die durch Wohneigentum unter den Migrantinnen
Migranten im Alter von 50 bis 64 Jahren spezifische Erwerbsbiografien erworbe- und Migranten (50 +) im Vergleich zur
überwiegend vom Erwerbseinkommen nen Rentenansprüche verursachen dem- gleichaltrigen Bevölkerung ohne Migrati-
leben, weitere 27 % jedoch auf Renten und zufolge auch im Ruhestand deutliche Un- onshintergrund relativ niedrig ist. Bei
Sozialtransfers angewiesen sind. Zudem gleichheiten in den Einkommensniveaus den Arbeitsmigrantinnen und -migran-
spielt die Unterstützung durch Angehöri- verschiedener Migrantengruppen. ten (50 +) beträgt die Eigentümerquote
ge für die Sicherung ihres Lebensunter- Darüber hinaus zeigt ein Vergleich der nur 29 %, bei den (Spät-)Aussiedlerinnen
halts eine vergleichsweise große Rolle. durchschnittlich höheren Monatseinkom- und (Spät-)Aussiedlern (50 +) 33 %, wäh-
Das hat zur Folge, dass diesen Personen men von Personen ohne Migrationshinter- rend die gleichaltrige Bevölkerung ohne
monatlich im Durchschnitt 420 Euro we- grund (50 +) und den niedrigeren Einkom- Migrationshintergrund zu 66 % über
niger zur Verfügung stehen als gleichalt- men von Migrantinnen und Migranten Wohneigentum verfügt. u Abb 2
rigen Personen ohne Migrationshinter- (50 +), dass die Differenz dieser Einkom- Entsprechend der Eigentümerverhält-
grund. Von letzteren bestreiten 65 % ihren men bei der Bevölkerung ab dem 65. Le- nisse wird die Wohnsituation auch unter-
Lebensunterhalt überwiegend aus eigener bensjahr (269 Euro) geringer ist, als bei schiedlich bewertet: 45 % der Personen
Erwerbsarbeit, 23 % finanzieren ihr Leben den 50- bis 64-Jährigen (420 Euro). Der ohne Migrationshintergrund (50 +) be-
überwiegend durch Renten und Sozial Grund dafür ist jedoch nicht eine Verrin- werten ihre Wohnsituation als »sehr gut«,
transfers. u Tab 6 gerung sozialer Benachteiligung für ältere während das nur bei 26 % der gleichaltri-
Das geringste monatliche Nettoäqui- Migrantinnen und Migranten, sondern gen Arbeitsmigrantinnen und -migranten
valenzeinkommen in der Altersgruppe der vielmehr die vergleichsweise starke Redu- und bei 30 % der (Spät-)Aussiedlerinnen
50- bis 64-Jährigen erzielen die Arbeitsmi- zierung der Zahlbeträge im Übergang von und (Spät-)Aussiedlern der Fall ist.
grantinnen und -migranten mit 1 444 Euro.
Mehr als jede dritte Person dieser Grup-
pe lebt hauptsächlich von einer in der Re-
gel niedrigen Früh- beziehungsweise Er-
werbsunfähigkeitsrente oder von Sozial u Abb 2 Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus
transfers. und Art des Wohnens — in Prozent
Bei den (Spät-)Aussiedlerinnen und
(Spät-)Aussiedlern ist die Situation deut-
lich günstiger: 65 % der 50- bis 64-Jähri- (Spät-)Aussiedler/-innen mit
eigener Migrationserfahrung 33,5 59,7 6,8
gen leben überwiegend vom Erwerbs
einkommen, nur 23 % von Renten und Arbeitsmigrant /-innen mit
29,2 69,5 1,3
Zuzug zwischen 1956 –1973
Sozialtransfers. Sie erreichen ein monat-
liches Nettoäquivalenzeinkommen von Personen ohne
66,1 28,8 5,1
Migrationshintergrund
1 604 Euro.
Für die über 65-jährige Bevölkerung –
sowohl ohne als auch mit Migrations als Eigentümer als Hauptmieter sonstiges
hintergrund – sind die Renteneinkommen
Pearson chi2(8) = 112,3126 Pr = 0,000.
die wichtigste finanzielle Basis des Lebens. Datenbasis: DEAS 2008 (n = 4 893), gewichtet.
71
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.3 / Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund
2.3.4 Soziale Situation: höheren Erwerbsquoten und höherem sich ihre allgemeine Lebenszufriedenheit
Armutsrisiko, soziale Wahrnehmung Einkommen etwa um ein Drittel geringer nicht von Gleichaltrigen ohne Migrations
und Lebenszufriedenheit als das der Arbeitsmigrantinnen und -mi- hintergrund. Auf einer Skala von 0 (un-
Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass granten. zufrieden) bis 10 (zufrieden) liegt der
ein niedriger Bildungsgrad, instabile oder Effekte unterschiedlicher Lebensbe- Wert der allgemeinen Lebenszufrieden-
fehlende Erwerbsverhältnisse wie auch dingungen auf die Wahrnehmung sozia- heit der älteren Arbeitsmigrantinnen und
Einkommensnachteile durch nicht vor- ler Gegebenheiten sind mit dem Sozio- -migranten sowie der (Spät-)Aussiedlerin-
handenes Wohneigentum das Armuts oekonomischen Panel (SOEP) messbar. nen und (Spät-)Aussiedler im Durch-
risiko erhöhen. Die hier analysierten Da- Daten des SOEP 2013 belegen, dass sich schnitt bei 7 und damit auf gleichem Ni-
ten bestätigen diese Aussagen in Bezug fast jede vierte Arbeitsmigrantin bezie- veau wie die Zufriedenheit der Bevölke-
auf ältere Migrantinnen und Migranten: hungsweise jeder vierte Arbeitsmigrant rung ohne Migrationshintergrund. Eine
Jene der Generation 50 + haben im Ver- (50 +) in hohem Maße um die eigene wirt- Erklärung hierfür könnte sein, dass Mig-
gleich zu gleichaltrigen Personen ohne schaftliche Situation sorgt. Unter den rantinnen und Migranten bei derartigen
Migrationshintergrund durchschnittlich (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aus- globalen Bewertungen ihre Situation in
ein niedrigeres Bildungsniveau, eine ge- siedlern betrifft das jede sechste Person, Deutschland mit der ihrer im Herkunfts-
ringere Erwerbsbeteiligung, ein niedrige- innerhalb der Bevölkerung ohne Migrati- land verbliebenen Landsleute vergleichen.
res Einkommensniveau, weniger Wohnei- onshintergrund nur jede siebte. u Abb 3 Demnach wäre ihr Bewertungsmaßstab
gentum und sind mehr als doppelt so Ein ähnlicher Zusammenhang besteht also nicht in erster Linie die Lebenssitua-
häufig von Armut bedroht. u Tab 6, Tab 7 hinsichtlich der Sorge um die eigene Ge- tion der in Deutschland lebenden Bevöl-
Am höchsten ist das Armutsrisiko für sundheit. Unter den Migrantinnen und kerung ohne Migrationshintergrund.
die Arbeitsmigrantinnen und -migranten Migranten (50 +) sind diese Sorgen deut- Weitere Forschungen werden die empiri-
der ersten Generation. Im Alter ab 50 Jah- lich häufiger. So leben 37 % der älteren sche Evidenz dieser Vermutung nachwei-
ren beträgt es mit 30 % das Zweieinhalb- Arbeitsmigrantinnen und -migranten sen müssen.
fache der gleichaltrigen Bevölkerung und 30 % der (Spät-)Aussiedlerinnen und
ohne Migrationshintergrund (12 %). Zu (Spät-)Aussiedler (50 +) mit großen ge- 2.3.5 Zusammenfassung
berücksichtigen sind jedoch graduelle Ab- sundheitlichen Sorgen, in der Bevölke- Die Generation der älteren Migrantinnen
stufungen und Unterschiede zwischen rung ohne Migrationshintergrund sind es und Migranten (50 +) besteht im Wesent
Migrantengruppen (50 +) entsprechend nur 23 %. u Abb 4 lichen aus zwei Hauptgruppen: Den (Spät-)
ihrem Sozialstatus: Das Armutsrisiko der Trotz des höheren Armutsrisikos und Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedlern
über 50-jährigen (Spät-)Aussiedlerinnen großer wirtschaftlicher wie auch gesund- aus Regionen Mittel- und Osteuropas (mit
und (Spät-)Aussiedler ist mit 22 % bei ver- heitlicher Sorgen von älteren Migrantin- einem Anteil von 35 %) und den Arbeits-
gleichsweise höherem Bildungsniveau, nen und Migranten (50 +) unterscheidet migrantinnen und -migranten, die nach
u 1
Tab 7 Armutsgefährdungsquote für die Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrations- und Sozialstatus, Deutschland 2013
Ohne
Ins- Unter-
Mit berufs- berufsqualifi-
gesamt Nichter- Rente, stützung
qualifi- zierenden Erwerbs- Erwerbs- Berufs- Sozial-
werbs- eigenes durch
zierendem Abschluss tätige lose tätigkeit transfers
personen Vermögen Ange-
Abschluss oder ohne
hörige
Angabe
Personen ohne
11,9 9,4 23,0 5,0 57,8 14,8 3,6 13,1 13,0 64,5
Migrationshintergrund
Arbeitsmigrant /-innen mit
29,9 20,8 34,9 9,7 57,5 36,9 7,3 34,2 36,0 65,4
Zuzug zwischen 1956 –1973
1 Anteil der Personen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt.
Bezugsgröße ist der Bundesmedian. Berücksichtigt ist hier nur die Bevölkerung in Privathaushalten am Hauptwohnsitz mit gültigen Einkommensangaben.
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.
72
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund / 2.3 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
1956 auf der Grundlage der Anwerbeab- Ausbildung abgeschlossen und sind auch geltenden Anwerbeabkommen eingereis-
kommen vor allem aus den Mittelmeer- noch im Vorruhestandsalter relativ gut in ten Personen bilden die älteste Migran-
ländern nach Deutschland kamen (32 %). den Arbeitsmarkt integriert. Dadurch tengruppe. Auch sie leben überwiegend in
Diese beiden Gruppen unterscheiden können sie bis zum Übergang in den Familienverbänden, da sie in v ielen Fällen
sich sowohl hinsichtlich demografischer Ruhestand überwiegend vom Erwerbs- ihre Familien nach Deutschland nachge-
wie auch sozialer Merkmale: einkommen leben. Dennoch ist ihr Ar- holt haben. Personen dieser Gruppe mig-
Die Gruppe der (Spät-)Aussiedlerin- mutsrisiko etwa doppelt so hoch wie das rierten als Arbeitskräfte mit einem sehr
nen und (Spät-)Aussiedler hat im Allge- der gleichaltrigen Bevölkerung ohne Mi- niedrigen Bildungsniveau nach Deutsch-
meinen eine relativ ausgeglichene Alters- grationshintergrund. land, welches sich im Laufe des weiteren
struktur und ist zumeist im 3-Generatio- Die Gruppe der Arbeitsmigrantinnen Lebens nicht verbesserte. Durch hohe
nen-Verbund nach Deutschland migriert. und -migranten ist in einem sehr jungen Frühverrentungsraten und schlechte Ar-
Dadurch sind diese Personen in hohem Alter eingewandert und hat die längste beitsmarktchancen sind sie im Alter zwi-
Maße in familialen Gemeinschaften ver- Aufenthaltsdauer in Deutschland. Die un- schen dem 50. und dem 64. Lebensjahr
netzt. Sie haben häufig eine berufliche mittelbar in der Zeit der von 1956 bis 1973 nur in geringem Maße ins Berufsleben in-
tegriert. Entsprechend niedrig ist ihr Ein-
kommen und sie sind dreimal stärker von
Armut bedroht als die gleichaltrige Bevöl-
kerung ohne Migrationshintergrund.
uAbb 3 Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und Insgesamt zeigen die Analysen stär-
Sorge um die eigene wirtschaftliche Situation — in Prozent kere Armutsrisikofaktoren für ältere Mi-
grantinnen und Migranten im Vergleich
zur gleichaltrigen Bevölkerung ohne Mi-
grationshintergrund. Das Armutsrisiko
(Spät-)Aussiedler/-innen mit
16,2 51,7 32,1
eigener Migrationserfahrung variiert jedoch nach spezifischer sozialer
und kultureller Herkunft der Migrantin-
Arbeitsmigrant /-innen mit
Zuzug zwischen 1956 –1973 23,1 45,5 31,5 nen und Migranten.
Personen ohne
14,2 44,0 41,8
Migrationshintergrund
(Spät-)Aussiedler/-innen mit
29,6 53,0 17,4
eigener Migrationserfahrung
Personen ohne
22,7 53,0 24,3
Migrationshintergrund
73
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.4 / Einstellungen zu Familie und Lebensformen
74
Einstellungen zu Familie und Lebensformen / 2.4 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
Die geringe Fertilität in Deutschland gungen für die Kindererziehung verbes- derlosen Männer und Frauen im Alter
ist ein vieldiskutiertes familienpolitisches sern und somit die Entscheidung für ein von 18 bis 30 Jahren äußern den Wunsch
Problem. Politische Maßnahmen, wie Kind erleichtern. In diesem Zusammen- Kinder zu bekommen: 93 % in West-
eine verbesserte finanzielle Förderung hang stellt sich die Frage, ob und gegebe- deutschland und 94 % in Ostdeutschland
von Eltern oder der Ausbau von Kinder- nenfalls wie viele Kinder jüngere Deut- wünschen sich Kinder. Bei den Befragten
betreuungsplätzen sollen die Randbedin- sche gerne hätten. Die meisten bisher kin- von 31 bis 50 Jahren geht dieser Anteil auf
West Ost West Ost West Ost West Ost West Ost
1 Sehr wichtig auf einer Skala von 1 »unwichtig« bis 7 »sehr wichtig« (ISSP).
Datenbasis: ALLBUS 2014; ISSP 2012.
u Abb 1 Anteil der jungen Erwachsenen¹, der angibt: Man braucht eine Familie zum Glück 1980 – 2014 — in Prozent
79
76 77
72 72 72 72
70 71 69 68 70
68
64
59
57
55
46
43
1980 1984 1988 1991 1992 1996 2000 2002 2006 2010 2014
Westdeutschland Ostdeutschland
75
2 / Familie, Lebensformen und Kinder 2.4 / Einstellungen zu Familie und Lebensformen
52 % in den alten und 63 % in den neuen sondern sieht auch eigene Kinder in der dern. Der Anteil, der sich nur ein Kind
Bundesländern zurück. Auch junge Er- Lebensplanung vor. In allen Altersgrup- wünscht, ist dagegen größer als bei west-
wachsene bis 30 Jahre, die schon Kinder pen überwiegt bei Kinderlosen der deutschen Befragten. Demgemäß liegt
haben, äußern überwiegend den Wunsch Wunsch nach zwei Kindern. Der Wunsch die durchschnittlich gewünschte Kin-
nach weiteren Kindern, während bei nach drei oder mehr Kindern wird häufi- derzahl in Westdeutschland mit 2,2 Kin-
Frauen und Männern über 30 Jahren mit ger genannt als der nach nur einem Kind. dern bei den jüngeren kinderlosen Be-
Kindern der Wunsch nach weiteren Kin- Dabei sind Ost-West-Differenzen zu er- fragten und 1,9 Kindern bei den älteren
dern deutlich weniger verbreitet ist. Ge- kennen. Seltener als in den alten Bundes- auch etwas höher als in Ostdeutschland,
rade die jüngste Altersgruppe misst der ländern äußern junge Erwachsene bis wo sie bei den 18- bis 30-Jährigen bei 2,0
Familie somit nicht nur in einem abs- 30 Jahre aus den neuen Bundesländern und bei den 31- bis 50-Jährigen bei 1,8
trakten Sinn eine hohe Bedeutung zu, den Wunsch nach drei oder mehr Kin- liegt. u Tab 2
1 gemessen auf einer Skala von 0 »sehr unzufrieden« bis 10 »sehr zufrieden«.
2 Anteil völlig und sehr zufrieden (1 und 2 auf Skala 1–7).
3 Anteil völlig und sehr glücklich (1 und 2 auf Skala 1–7).
4 Kategorien: Immer; oft; manchmal; fast nie; nie.
Datenbasis: ALLBUS 2014; ISSP 2012.
76
Einstellungen zu Familie und Lebensformen / 2.4 Familie, Lebensformen und Kinder / 2
und bei Alleinerziehenden 6,8. Weiterhin Bereich sind bei einem derartigen Verlust
liegt die Lebenszufriedenheit der ledigen aber offenbar engere Grenzen gesetzt. Ge-
Personen mit 7,0 Skalenpunkten unter rade bei Verwitweten beeinträchtigt Ein-
dem Gesamtdurchschnitt von 7,6. u Tab 3 samkeit das emotionale Wohlbefinden. So
Der Familie kommt nicht nur eine sind verwitwete Männer und Frauen ver-
zentrale Bedeutung in der Bevölkerung gleichsweise häufig einsam: Ein Viertel
zu, sie wird auch überwiegend mit einer gibt an, immer oder oft einsam zu sein.
hohen Zufriedenheit bewertet. Der An- Der Tod des Ehepartners hinterlässt deut-
teil der Befragten, der sich völlig oder liche Spuren im subjektiven Wohlbefin-
sehr zufrieden mit dem Familienleben den, wenn auch das Leben insgesamt posi-
äußert, liegt bei über 50 %. Der Anteil der tiv bewertet wird. Auch in anderen Le-
mit dem Familienleben Zufriedenen ist bensarrangements ist dieses spezifische
bei Ehepaaren ohne Kinder und bei Ehe- Defizit verstärkt vorzufinden. Menschen,
paaren mit kleineren Kindern am höchs- die alleine leben, sind insgesamt häufiger
ten. Insbesondere Geschiedene und ge- einsam als Personen in anderen Lebens-
trennt Lebende, aber auch Ledige äußern formen, wenn auch seltener als Verwitwe-
eine geringe Familienzufriedenheit. te. Auch Alleinerziehende fühlen sich oft
Während Zufriedenheit stärker die ko- einsam, obwohl sie mit ihren Kindern im
gnitiv bewertende Komponente des sub- Haushalt leben. Offensichtlich begünstigt
jektiven Wohlbefindens erfasst, zielt die das Fehlen eines vertrauten erwachsenen
Frage nach dem Glück mehr auf die emo- Menschen im Alltag das Gefühl von Ein-
tionale Komponente. Betrachtet man, wie samkeit.
glücklich Personen in den verschiedenen Diese Ergebnisse stützen die überwie-
Lebensformen mit ihrem Leben sind, so gende Einschätzung der Bevölkerung,
fallen vor allem getrennt Lebende und Ge- dass der Familie eine hohe Bedeutung für
schiedene mit einem besonders geringen das persönliche Glück zukommt. Der
Anteil von Glücklichen auf. Während Ver- Wandel der familialen Lebensformen mit
witwete bei der Lebenszufriedenheit nahe einer Zunahme von Singles und soge-
am Durchschnitt liegen, beurteilen in die- nannten alternativen Familienmodellen,
ser Gruppe nur 28 % ihr Leben als glück- drückt einerseits zwar eine gestiegene
lich. Die Betroffenen konnten sich bei der Wahlfreiheit aus im Hinblick auf das sub-
kognitiven Bewertung ihrer Lebensum- jektive Wohlbefinden lassen sich aller-
stände mit der Zeit offenbar an den Tod dings auch negative Entwicklungen iden-
des Ehepartners anpassen und sind mit tifizieren, die mit der weiteren Verbrei-
ihrem Familienleben durchaus nicht un- tung dieser spezifischen Lebensformen
zufrieden; der Anpassung im emotionalen an Gewicht gewonnen haben.
77
7 500
786 000
Lehrkräfte unterrichteten
im Jahr 2014 an deutschen
6 300 €
Schulen.
79
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
Weiterbildung
Promotion
Universität
Tertiärbereich
Schule des
19 – 28 Jahre Fachschule Gesundheits- Berufsakademie Fachhochschule Universität
wesens
Jahrgangsstufe
Sekundarbereich II
10 (16 Jahre) G9 G9
9 G8 G8
Sekundarbereich I
4 (10 Jahre)
Primarbereich
3
Grundschule Förderschule
2
1 (6 Jahre)
Förderschul-
Kindergarten
3 – 6 Jahre kindergarten
1 Durch die Einführung von G8 an Gymnasien und Gesamtschulen beginnen die Klassenstufen im Sekundarbereich II ein Jahr früher, diese Schüler/-innen sind ein Jahr jünger.
Bei G8 bedeutet dies zum Beispiel, dass die Einführungsstufe (E1) in der 10. Klassenstufe mit einem Alter von durchschnittlich 15 Jahren beginnt.
2 In Berufsschule und Betrieb (Duales System).
3 Einschließlich Bildungsgangübergreifende Klassen, Mittelschulen, Sekundarschulen und Erweiterte Realschulen, Kombinierte Klassen an Sekundarschulen, Regelschulen,
Regionale Schulen und Duale Oberschulen.
80
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
Die demografische Entwicklung ist hierfür sind demografische Entwicklun- den vergangenen zehn Jahren kontinuier-
für das Bildungswesen von besonderer gen: Ende 2004 lag die Zahl der Fünf- bis lich von 9,6 Millionen im Jahr 2004 auf
Bedeutung. Der Altersaufbau der Bevöl- Sechsjährigen in Deutschland insgesamt 8,4 Millionen im Jahr 2014. Deutliche
kerung ist geprägt durch die geburten- bei 779 000, Ende 2014 bei nur noch Unterschiede gab es zwischen Ost- und
starken Jahrgänge der 1960er-Jahre, die 679 000. Dabei gibt es große regionale Westdeutschland: In den neuen Ländern
geburtenschwachen Jahrgänge von 1974 Unterschiede. Während die Zahl der sind die Schülerzahlen aufgrund des star-
bis 1989 und insbesondere die Entwick- Kinder im einschulungsrelevanten Alter ken Geburtenrückgangs zu Beginn der
lung der Neugeborenenzahl in den im früheren Bundesgebiet zwischen 1990er-Jahre beständig gesunken und
1990er-Jahren. Seit 1998 sind die Gebur- Ende 2004 und Ende 2014 um 17 % gesun- lagen 2014 um 11 % unter dem Stand von
tenzahlen in Deutschland tendenziell ken ist, stieg sie in den neuen Bundeslän- 2004. Im Westen dagegen stiegen die
rückläufig, auch wenn in den Jahren 2013 dern und Berlin um 6 % an. Das führte Schülerzahlen an allgemeinbildenden
und 2014 wieder ein leichter Anstieg zu dazu, dass im Jahr 2014 im früheren Bun- Schulen bis 2004. Danach setzte ein Rück-
verzeichnen war (siehe auch Kapitel 1.1.2, desgebiet 17 % weniger K inder einge- gang ein, der dazu führte, dass 2014 die
Seite 18). schult wurden als im Jahr 2004, in den Zahl der Schülerinnen und Schüler um
Frühkindliche Bildung findet bereits in neuen Bundesländern und Berlin jedoch 13 % unter dem Stand von 2004 lag. u Abb 2
der Kindertagesbetreuung statt. Angaben 9 % mehr. Während die Schülerinnen und Schü-
hierzu enthält das Kapitel 2.1.6, Seite 57. Die Einschulungen wirkten sich ent- ler eines Wohnbezirks in der Regel ge-
Durch die Schwankungen in der Neu- sprechend zeitversetzt auf die Schüler- meinsam an der Grundschule unterrich-
geborenenzahl ergeben sich zeitversetzt zahlen in allen Bildungsbereichen aus. tet werden, richtet sich im Anschluss da-
unterschiedliche Jahrgangsstärken bei Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ran die weitere Schullaufbahn der Kinder
Schülerinnen und Schülern, Auszubilden- an allgemeinbildenden Schulen sank in nach den schulischen Leistungen, der
den und Studierenden. Die Bevölke-
rungsentwicklung ist allerdings nicht der
einzige Einflussfaktor auf das Angebot
und die Nachfrage im Bildungsbereich. Abb 2 Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen - in Millionen
81
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
Empfehlung der Grundschule sowie dem schiede in der Struktur der weiterführen- mit mehreren Bildungsgängen (32 %) be-
Wunsch der Eltern. Der größte Teil der den Schulen. Sowohl in den westdeut- suchten. Diese Schularten (mit länderspe-
Schülerinnen und Schüler an weiterfüh- schen als auch in den ostdeutschen Bun- zifisch unterschiedlichen Bezeichnungen)
renden Schulen des Sekundarbereichs be- desländern wurde 2014 der größte Teil der führen zum Hauptschulabschluss oder
suchte ein Gymnasium. Ihr Anteil stieg Schülerinnen und Schüler in der Sekun- zum Realschulabschluss. Diese Schul
von 41 % im Jahr 2004 auf 45 % im Jahr darstufe an Gymnasien unterrichtet. Auch struktur trägt auch dazu bei, dass trotz
2014. In demselben Zeitraum sank der hielt der Trend weiterhin an, dass die der demografischen Entwicklung – ins
Anteil der Jugendlichen, die an Haupt- Jugendlichen in den westdeutschen Bun- besondere in den Flächenländern – ein
schulen unterrichtet wurden, von 18 % auf desländern am zweithäufigsten an Real- wohnortnahes Schulangebot erhalten wer-
10 %. Aufgrund der länderspezifischen schulen (22 %) lernten, während sie in den den kann. u Tab 1
Bildungspolitik gab es allerdings Unter- ostdeutschen Bundesländern Schularten Neben den bereits genannten Schul
arten gibt es Förderschulen, an denen
körperlich, geistig oder seelisch benach-
teiligte oder sozial gefährdete Kinder un-
terrichtet werden. Im Jahr 2014 besuchten
335 000 Kinder eine Förderschule, dies
u Tab 1 Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen sind gut 4 % der Schülerinnen und Schü-
nach Schularten — in Tausend ler an allgemeinbildenden Schulen. Die
2004 2009 2012 2013 2014
Zahl der Schülerinnen und Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf, die
Vorklassen und Schulkindergärten 48 28 28 28 27
außerhalb von Förderschulen an den
Primarbereich 3 189 2 953 2 796 2 772 2 789
übrigen allgemeinbildenden Schulen (ins-
Grundschulen 3 150 2 915 2 746 2 708 2 709
besondere an Grundschulen) unterrichtet
Sekundarbereich 5 904 5 478 5 321 5 222 5 163 werden, hat sich in den vergangenen zehn
Hauptschulen 1 084 767 608 554 508 Jahren mehr als verdoppelt. Während im
Realschulen 1 351 1 221 1 081 1 015 951 Jahr 2004 bundesweit lediglich 63 000 so-
Gymnasien 2 404 2 475 2 388 2 330 2 305 genannte Integrationsschüler sonstige all-
Integrierte Gesamtschulen 523 519 658 715 766 gemeinbildende Schulen besuchten,
Förderschulen 424 388 355 343 335 waren es im Jahr 2014 bereits 152 000 In-
Abendschulen und Kollegs 60 60 57 55 53 tegrationsschülerinnen und -schüler. Das
Insgesamt 9 625 8 906 8 557 8 420 8 367 entspricht einem Anteil von 2 % an der
Gesamtzahl der Schülerinnen und Schü-
ler an allgemeinbildenden Schulen.
u Tab 2 Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen An den Grundschulen, an denen in der
nach Schularten — in Tausend Regel alle Kinder gemeinsam unterrichtet
2004 2009 2012 2013 2014
werden, waren Mädchen (49 %) und Jun-
gen (51 %) etwa gleich verteilt. An den
Teilzeit-Berufsschulen 1 672 1 682 1 519 1 482 1 444
weiterführenden Schularten war der Jun-
Berufsvorbereitungsjahr 81 55 49 49 53 genanteil unterschiedlich: Die Spanne
Berufsgrundbildungsjahr in
48 34 28 29 30 reichte im Jahr 2014 von 47 % an Gymnasi-
vollzeitschulischer Form
en über 51 % an Realschulen bis zu 57 % an
Berufsaufbauschulen 1 1 0 0 0
Hauptschulen. An Förderschulen betrug
Berufsfachschulen 542 500 437 431 426
der Anteil der männlichen Schüler 64 %.
Berufsausbildung 240 256 239 236 234 Ein großer Teil der Jugendlichen be-
Fachoberschulen 122 140 134 137 140 ginnt nach dem Verlassen der allgemeinbil-
Fachgymnasien 117 159 173 181 190 denden Schulen eine Berufsausbildung im
Berufsoberschulen/ dualen System von Teilzeit-Berufsschule
18 24 23 22 21
Technische Oberschulen und Betrieb. Die Berufsschule ergänzt im
Fachschulen und Fachakademien 163 175 194 200 202 dualen Ausbildungssystem die gleichzeiti-
Insgesamt 2 763 2 769 2 557 2 531 2 506 ge praktische Ausbildung im Betrieb. Da-
Nachrichtlich: neben wird die Teilzeit-Berufsschule auch
120 128 149 150 153
Schulen des Gesundheitswesens
von Jugendlichen unter 18 Jahren ohne
82
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
Ausbildungsvertrag besucht, die noch der des Gesundheitswesens angeboten werden. An beruflichen Schulen können auch
Schulpflicht unterliegen und keine andere Dabei handelt es sich neben den Gesund- allgemeinbildende Abschlüsse erworben
Schule besuchen. Insgesamt wurden 2014 heits- und Sozialberufen vor allem um werden. Eine Studienberechtigung strebten
in Deutschland 1,4 Millionen Jugendliche Assistenzberufe, wie zum Beispiel Kauf 2014 rund 350 000 Jugendliche mit dem
an Teilzeit-Berufsschulen unterrichtet. In männische/r Assistent/-in, Wirtschafts Besuch von Fachoberschulen, Fachgymna-
den vergangenen zehn Jahren nahm ihre assistent/-in oder Technische/r Assistent/ sien oder Berufsoberschulen beziehungs-
Zahl um 14 % ab. u Tab 2 -in für Informatik. Rund 387 000 Jugend weise Technischen Oberschulen an. Im
Neben den Berufsausbildungen im liche befanden sich 2014 in einer schu Vergleich zu 2004 hat die Zahl der Schüle-
dualen System gibt es Formen der schu lischen Berufsausbildung; das waren 21 % rinnen und Schüler an diesen Schularten
lischen Berufsausbildung, die im Wesent aller Jugendlichen, die eine Berufsaus um 36 % zugenommen. Fachschulen (ein-
lichen an Berufsfachschulen und Schulen bildung absolvierten. u Abb 3 schließlich Fachakademien) werden in der
Regel nach einer bereits erworbenen Be-
rufsausbildung und praktischer Berufser-
fahrung besucht und vermitteln eine wei-
tergehende fachliche Ausbildung im Beruf.
Abb 3 Schülerinnen und Schüler in Berufsausbildung nach Schularten
Im Jahr 2014 gab es 202 000 Fachschülerin-
u Abb 3 Schülerinnen und Schüler in nen und -schüler. Die übrigen Schüler an
Berufsausbildung nach Schularten — in Prozent beruflichen Schulen versuchten durch den
Besuch berufsvorbereitender Schulen (Be-
rufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbil-
2014 78 12 8
dungsjahr oder Berufsfachschulen, soweit
sie nicht berufsausbildend sind), durch das
2004 82 11 5 Erreichen eines Haupt- oder Realschulab-
schlusses oder durch den Erwerb beruf
Teilzeit-Berufsschulen Berufsausbildung Schulen des licher Grundkenntnisse ihre Chancen auf
(einschließlich Schülerinnen und an Berufsfachschulen Gesundheitswesens einen Ausbildungsplatz zu verbessern.
Schüler ohne Ausbildungsvertrag)
In den letzten Jahren ist das Interesse
an Privatschulen deutlich gestiegen. Den
Abb 4 Anteil der Privatschülerinnen und -schüler - in Prozent rechtlichen Rahmen für die Gründung
und den Betrieb von Privatschulen legen
u Abb 4 Anteil der Privatschülerinnen und -schüler — in Prozent
die jeweiligen Schulgesetze der Länder
fest. In der Regel können Privatschulen
9,4 9,5 von natürlichen sowie juristischen Perso-
9,3
9,2 nen (wie zum Beispiel Kirchen, Vereinen)
8,7 9,0 8,7 8,8
8,5
8,2
8,4 8,5 8,5 8,4
8,2 8,4 errichtet und betrieben werden. Im Jahr
7,9
7,7 2014 besuchten 737 000 Schülerinnen und
7,3
7,0
Schüler private allgemeinbildende Schulen
6,7
6,5 und 239 000 private berufliche Schulen.
Das entsprach einem Anteil von 9 % der
Schülerinnen und Schüler an allgemein-
bildenden und 10 % an beruflichen Schu-
len. Im Vergleich dazu lag 2004 der Anteil
der Privatschülerinnen und -schüler an al-
len Schülerinnen und Schülern der allge-
meinbildenden Schulen bei 6 % und der
beruflichen Schulen bei 8 %. u Abb 4
83
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
84
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
Durchschnitt, Integrierte Gesamtschulen Ausbildungsförderung für Schülerinnen und Schüler, die »Schüler-
und Gymnasien mit jeweils 7 200 Euro Schülerinnen und Schüler BAföG« erhielten, bekamen eine Vollför-
und Hauptschulen mit 7 900 Euro darü- Im Jahr 2014 wurde durchschnittlich derung, also den Förderungshöchstbetrag.
ber. Die vergleichsweise niedrigen Auf- 172 000 Schülerinnen und Schülern eine Ein Drittel (35 %) erhielt eine Teilförde-
wendungen von 2 700 Euro je Schülerin Ausbildungsförderung gewährt. Darunter rung. Insgesamt wurden 861 Millionen
und Schüler bei den Berufsschulen im besuchten rund 86 000 eine Berufsfach- Euro für die Schülerförderung aufgewen-
dualen Ausbildungssystem sind auf den schule und 22 000 eine Fachschule, deren det. Im Durchschnitt erhielt ein geförder-
dort praktizierten Teilzeitunterricht zu- Besuch eine abgeschlossene Berufsausbil- ter Schüler beziehungsweise eine geförderte
rückzuführen. u Abb 6 dung voraussetzt. Zwei Drittel (65 %) a ller Schülerin 418 Euro je Monat. u Info 1, Tab 3
85
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
3.1.2 Der sozioökonomische Status nomischen Status von Kindern ist der Die Verteilung der Kinder und Ju-
der Schülerinnen und Schüler Bildungsabschluss der Eltern, der aus gendlichen auf die Schularten macht den
Aufgrund der demografischen Entwick- dem Mikrozensus, einer jährlich durch- Einf luss des familiären Hintergrunds
lung, des Strukturwandels sowie der zu- geführten Haushaltsbefragung, hervor- deutlich. Generell gilt: Je höher der all
nehmenden Technologisierung und Glo- geht (Mikrozensus siehe Kapitel 2.1, Sei- gemeine oder berufliche Abschluss der
balisierung rechnen viele Experten in na- te 44, Info 1). Eltern, desto geringer waren die Schüler-
her Zukunft mit einem Fachkräftemangel. Im Jahr 2014 lebten 41 % der Kinder anteile an Hauptschulen und desto höher
Diesem kann nur begegnet werden, wenn und Jugendlichen, die eine allgemeinbil- waren die Schüleranteile an Gymnasien.
das Bildungsniveau der Bevölkerung wei- dende oder berufliche Schule besuchten, Nur 9 % der Gymnasiasten wuchsen
ter ansteigt und die Begabungsreserven in Familien mit mindestens einem Eltern- in Familien auf, in denen die Eltern einen
ausgeschöpft werden, indem alle gesell- teil, der Abitur oder Fachhochschulreife Hauptschulabschluss als höchsten Schul-
schaftlichen Schichten die gleichen Zu- besaß. Ein Fünftel (19 %) der Eltern wies abschluss oder keinen allgemeinen Schul-
gangschancen zur Bildung erhalten. einen Hauptschulabschluss als höchsten abschluss besaßen. An Hauptschulen war
Internationale Vergleichsstudien wie allgemeinen Abschluss auf. Rund 4 % der der Anteil der Schülerinnen und Schüler
PISA (Programme for International Stu- Schülerinnen und Schüler lebten in Fami- mit diesem sozialen Status mit 54 % sechs-
dent Assessment) und IGLU (Internatio- lien, in denen kein Elternteil einen allge- mal so hoch. Dagegen fanden sich an
nale Grundschul-Lese-Untersuchung) meinen Schulabschluss vorweisen konnte. Gymnasien hauptsächlich Kinder, deren
haben jedoch gezeigt, dass in Deutsch- Betrachtet man den höchsten beruflichen Eltern die Fachhochschul- oder Hoch-
land der Bildungserfolg und die Bil- Bildungsabschluss in der Familie, so schulreife aufwiesen (63 %). An Haupt-
dungschancen von Kindern stark von ih- wuchs ein Viertel (23 %) der Schülerinnen schulen war diese Schülergruppe mit nur
rer sozialen Herkunft beziehungsweise und Schüler in Familien auf, in denen 14 % vertreten. u Tab 4
dem Migrationshintergrund abhängen mindestens ein Elternteil einen Bachelor, Ähnliche herkunftsbedingte Muster
(Migration siehe Kapitel 2.1, Seite 51, Master oder ein Diplom besaß. Rund 13 % zeigt auch die Verteilung der Kinder und
Info 4). Auch die Schulwahl wird stark der Kinder lebten in Familien, in denen Jugendlichen auf die Schularten anhand
vom familiären Hintergrund bestimmt. kein beruflicher Bildungsabschluss vor- des höchsten beruf lichen Bildungsab-
Ein wichtiger Indikator für den sozioöko- handen war. schlusses in der Familie.
Neben dem elterlichen Bildungsab-
schluss hat auch der Migrationshinter-
grund einen großen Einfluss auf die Art
der besuchten Schule. Im Jahr 2014 wiesen
10,2 Mill.
insgesamt 31 % der Schülerinnen und
Schüler einen Migrationshintergrund auf.
Die größte Herkunftsgruppe (7 %) waren
türkischstämmige Schülerinnen und Schü-
ler. Die deutlichsten Unterschiede der Zu-
sammensetzung der Schülerschaft fanden
sich erneut zwischen Hauptschulen und
Gymnasien: Der Anteil der Schülerinnen
Schülerinnen und Schüler besuchten
und Schüler mit Migrationshintergrund
im Jahr 2014 nach dem Mikrozensus
deutsche Schulen. war mit 48 % an Hauptschulen fast doppelt
so hoch wie an Gymnasien (26 %). Die Zu-
sammensetzung der Kinder mit Migrati-
onshintergrund nach Herkunftsgruppen
unterscheidet sich auch zwischen den
Schularten deutlich. Schülerinnen und
Schüler mit türkischen Wurzeln (14 %) bil-
deten an Hauptschulen mit Abstand die
größte Herkunftsgruppe. Dagegen stamm-
ten die meisten Gymnasiasten mit Migrati-
onshintergrund aus Staaten der Europä
ischen Union beziehungsweise aus sonsti-
gen nicht europäischen Ländern. u Tab 5
86
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
u Tab 4 Schülerinnen und Schüler nach besuchter Schulart und höchstem allgemeinen Schulabschluss der Eltern 2014
in 1 000 in %
Grundschule 2 799 16,7 4,0 30,0 45,1 3,8
Hauptschule 445 43,8 2,6 28,4 14,5 10,0
Realschule 1 385 23,4 6,7 38,3 27,7 3,4
Gymnasium 2 513 7,2 5,3 23,2 62,5 1,4
Sonstige allgemeinbildende
1 408 22,4 8,5 29,5 33,5 5,8
Schulen⁴
u Tab 5 Schülerinnen und Schüler nach besuchter Schulart und Migrationshintergrund 2014
Mit Migrationshintergrund
Ohne Herkunftsregion
Insgesamt Migrations-
hintergrund ins-
gesamt ¹ sonstige Staaten sonstige sonstige nicht
sonstige ehemalige
Türkei der Europäischen europäische europäische
Anwerbestaaten ²
Union Länder Länder
in 1 000 in %
Sonstige allgemeinbildende
1 408 69,7 30,3 7,8 5,4 4,7 2,5 7,7
Schulen 3
Sonstige berufliche Schulen4 254 72,3 27,7 7,6 6,1 4,9 2,5 5,4
87
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
u Abb 7 Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen — in Tausend 3.1.3 Betriebliche Berufsausbildung
Im dualen Ausbildungssystem besuchen
700
Jugendliche die Berufsschule und werden
zusätzlich aufgrund der mit den ausbilden-
den Stellen beziehungsweise Betrieben ab-
geschlossenen Ausbildungsverträge auch
600
praktisch am Arbeitsplatz ausgebildet.
Dieses System hat den Vorteil, dass theore-
tischer und praktischer Lernstoff ver-
500
knüpft wird. Für die Unternehmen dient
die Ausbildung von Jugendlichen auch der
Sicherstellung des eigenen Fachkräftenach-
0 wuchses. Das System ist im deutschspra-
2004 2006 2008 2010 2012 2014
chigen Raum sehr stark verbreitet.
Nachfrage nach Ausbildungsplätzen
Im Jahr 2014 haben rund 518 000 Ju-
Angebot an Ausbildungsplätzen
gendliche einen Ausbildungsvertrag neu
Abb.8 Männer nach Berufen
Abb.8 Männer nach Berufen abgeschlossen. Das sind etwa 7 500 Ver-
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
träge weniger als im Vorjahr. Die welt
weite Wirtschafts- und Finanzkrise 2009
Anlagenmechaniker für
Anlagenmechaniker für
31 27231 272 31 44031 440
Sanitär-, Heizungs-
Sanitär-, und und
Heizungs- Industriekauffrau
Industriekauffrau
34 84034 840 30 86530 865
Klimatechnik
Klimatechnik
Kaufmann im Groß-
Kaufmann im Groß- 22 81222 812 18 39318 393
Bankkauffrau
Bankkauffrau
und Außenhandel
und Außenhandel 22 48422 484 21 05321 053
Fachkraft für
Fachkraft für 21 74721 747 Fachverkäuferin im
Fachverkäuferin im 17 02217 022
Lagerlogistik
Lagerlogistik 8 820 8 820 Lebensmittelhandwerk
Lebensmittelhandwerk 27 94427 944
Elektroniker für
Elektroniker für 20 57720 577 Kauffrau im Groß-
Kauffrau im Groß- 16 39516 395
Betriebstechnik
Betriebstechnik 19 18419 184 und Außenhandel
und Außenhandel 16 01816 018
2004 2004
2014 2014 2014 2014
2004 2004
88
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
89
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
ihren Forschungsergebnissen die Grund- u Tab 6 Studierende, Studienanfängerinnen und -anfänger — in Tausend
lagen für Innovationen schaffen. Im Win- Insgesamt Universitäten Fachhochschulen
tersemester 2014/2015 gab es in Deutsch-
Studierende 1. HS Studierende 1. HS Studierende 1. HS
land insgesamt 427 staatlich anerkannte
Hochschulen, darunter 181 Universitäten 2004 1 964 359 1 373 235 524 119
(einschließlich Theologischer und Päda- 2009 2 121 424 1 449 258 673 166
gogischer Hochschulen sowie Kunsthoch- 2012 2 499 495 1 674 295 826 200
schulen) und 246 Fachhochschulen (ein- 2013 2 617 509 1 737 302 880 206
schließlich Verwaltungsfachhochschulen). 2014 2 699 505 1 733 288 931 211
2014/2015 waren mit rund 2,7 Millionen 1 Veterinärmedizin, Sport, Agrar-, Forst- und
Studierenden so viele wie nie zuvor an Ernährungswissenschaften, sonstige Fächer.
90
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
Hochschulabsolventinnen und
1 Einschließlich Lehramts-Bachelor und -Master.
-absolventen
1 Einschließlich Lehramts-Bachelor und -Master Die Zahl der bestandenen Prüfungen an
Hochschulen stieg seit 2001 kontinuierlich
an und erreichte 2014 mit 461 000 den ak-
tuellen Höchststand. Mehr als die Hälfte
(51 %) der im Jahr 2014 bestandenen
Hochschulabschlüsse wurden von Frauen
deutete. Auf die Fächergruppe Mathematik / cher Ausrichtung des Studiums. In den erworben.
Naturwissenschaften entfiel 2014 ein Anteil Fächergruppen Veterinärmedizin (82 %), Von den Absolventinnen und Absol-
der Studienanfängerinnen und -anfänger Sprach- und Kulturwissenschaften (74 %), venten des Jahres 2014 erwarben 50 %
von 17 %. Er sank in den letzten zehn Jahren Humanmedizin/Gesundheitswissenschaf- (229 000) einen Bachelorabschluss und
leicht um 1 Prozentpunkt. Das Gewicht der ten (69 %) sowie Kunst/Kunstwissenschaft weitere 21 % (97 000) einen Masterab-
Sprach- und Kulturwissenschaften (16 % (65 %) waren die Studienanfängerinnen schluss. Knapp 11 % (51 000) der erfolg-
im Jahr 2014) ist innerhalb der vergangenen deutlich in der Mehrheit. In den Rechts-, reichen Prüfungsteilnehmer verließen
zehn Jahre um 4 Prozentpunkte gesunken. Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Hochschule mit einem Universitäts-
Im Jahr 2014 war die Hälfte (50 %) der stellte sich das Geschlechterverhältnis mit diplom und 3 % (12 000) mit einem tradi-
Studienanfänger Frauen. Die Frauenan einem Frauenanteil von 56 % nahezu aus- tionellen Fachhochschulabschluss. Den
teile variierten allerdings je nach fachli- geglichen dar. In der Fächergruppe Inge- Doktortitel erlangten rund 6 % (28 000)
91
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
u Tab 7 Bestandene Prüfungen an Hochschulen — in Tausend nal setzt sich zusammen aus Professorin-
Darunter nen und Professoren, wissenschaftlichen
Ins- oder künstlerischen Mitarbeiterinnen und
Fachhoch-
gesamt Universitärer Promo- Lehramts- Bachelor- Master- Mitarbeitern, Dozenten und Assistenten
schul-
Abschluss ¹ tionen prüfungen abschluss abschluss
abschluss ² sowie Lehrkräften für besondere Aufga-
2004 231 98 23 23 76 6 6 ben. Lehrbeauftragte, wissenschaftliche
2009 339 112 25 36 73 72 21 Hilfskräfte und Gastprofessorinnen und
2012 413 80 27 39 26 183 59 -professoren gehören zum nebenberuf
2013 436 64 28 42 17 207 78 lichen wissenschaftlichen und künstleri-
2014 461 51 28 43 12 229 97 schen Personal. u Abb 12
1 Einschließlich der Prüfungsgruppen »Künstlerischer Abschluss« und »Sonstiger Abschluss«; In den letzten zehn Jahren hat die
ohne Lehramts-, Bachelor- und Masterabschlüsse.
Abb2 12Ohne
Hochschulpersonal – in Tausend
Bachelor- und Masterabschlüsse. Zahl der Beschäftigten an den Hochschu-
len in Deutschland um insgesamt 35 %
zugenommen. Das wissenschaftliche und
u Abb 12 Hochschulpersonal — in Tausend
künstlerische Personal wuchs im glei-
chen Zeitraum sogar um insgesamt 61 %
(145 000). In der Gruppe des hauptberuf-
2014 381 46 294 lichen wissenschaftlichen Personals er-
höhte sich die Zahl der Professorinnen
2004 236 38 263
und Professoren seit 2004 um 19 %. Deut-
lichere Zuwächse (+ 67 %) waren in der
wissenschaftliches und künstlerisches Personal Verwaltungs-, technisches
Professorinnen/Professoren und sonstiges Personal
Gruppe der wissenschaftlichen und
künstlerischen Mitarbeiter zu verzeich-
nen. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten
ist in der Gruppe des hauptberuflichen
wissenschaftlichen und künstlerischen
Personals von 30 % im Jahr 2004 auf 38 %
der Absolventinnen und Absolventen samtstudiendauer bei Masterabsolventin- im Jahr 2014 gestiegen.
und weitere 9 % (43 000) legten eine nen und -absolventen lag bei zehn Semes- Die Gruppe des nebenberuflichen wis-
Lehramtsprüfung ab. u Tab 7 tern, wobei diese Dauer auch die im senschaftlichen Personals hat sich in den
Hochschulabsolventinnen und -absol- Bachelorstudium verbrachten Semester letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.
venten, die 2014 ihr Erststudium erfolg- umfasst. Im Jahr 2014 waren 145 000 Personen in
reich abgeschlossen haben, waren durch- dieser Gruppe beschäftigt. Im Jahr 2004
schnittlich 24 Jahre alt. Die Studiendauer Personelle und finanzielle waren es noch 72 000 gewesen. Der Zu-
ist abhängig von der Art des erworbenen Ressourcen wachs ist vor allem auf die wachsende
akademischen Grades. Die Erstabsolventen, Im Jahr 2014 waren rund 675 000 Men- Zahl der Lehrbeauftragten zurückzufüh-
die ein Universitätsdiplom oder einen ent- schen an deutschen Hochschulen beschäf- ren (+ 85 %), die seit 2004 von 53 000 auf
sprechenden Abschluss erwarben, schlos- tigt, davon zählten über die Hälfte 99 000 im Jahr 2014 gewachsen ist.
sen ihr Studium im Prüfungsjahr 2014 in (381 000) zum wissenschaftlichen und Aber auch die Zahl der wissenschaftli-
13 Fachsemestern ab. Angehende Lehrerin- künstlerischen Personal. Zu beachten ist, chen Hilfskräfte hat sich fast verdreifacht:
nen und Lehrer brauchten im Durchschnitt dass das Hochschulpersonal nicht nur von 17 000 im Jahr 2004 auf 44 000 im
acht Semester bis zum ersten Staatsexamen. lehrt, sondern in einem beträchtlichen Jahr 2014.
Die mittlere Fachstudiendauer der Erstab- Umfang Aufgaben in den Bereichen Kran- Der Bereich des Verwaltungs- sowie
solventen, die ein Fachhochschuldiplom er- kenbehandlung (Universitätskliniken) so- technischen und sonstigen Personals hat
warben, lag bei sieben Semestern. Bei wie Forschung und Entwicklung wahr- sich in den letzten zehn Jahren nur ge-
Bachelorabsolventen, deren Abschluss in nimmt. Etwas weniger als die Hälfte der ringfügig erhöht und lag im Jahr 2014 bei
der Wertigkeit dem »klassischen« Fach- Beschäftigten (294 000) war in der Hoch- rund 294 000 Personen (+ 12 %).
hochschuldiplom entspricht, betrug diese schulverwaltung oder in technischen und Die Hochschulen in öffentlicher und
ebenfalls sieben Semester. sonstigen Bereichen tätig. Fast zwei Drittel privater Trägerschaft in Deutschland ga-
Das Masterstudium baut auf ein vor- (62 %) des wissenschaftlichen Personals ben im Jahr 2013 für Lehre, Forschung
angegangenes Studium – in der Regel das waren hauptberuf lich beschäftigt. Das und Krankenbehandlung insgesamt
Bachelorstudium – auf. Die mittlere Ge- hauptberufliche wissenschaftliche Perso- 46,3 Milliarden Euro aus. Die Ausgaben
92
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
setzen sich zusammen aus den Ausgaben u Abb 13 Laufende Ausgaben (Grundmittel)
Abb 13 Laufende Ausgaben (Grundmittel) je Studierenden nach Fächergruppen 2013 - in Tausend Euro
für das Personal, für den laufenden Sach- je Studierenden nach Fächergruppen 2013 — in Tausend Euro
aufwand sowie für Investitionen. Die
Ausgaben der Hochschulen werden in be-
sonderem Maße durch die Fächerstruktur Humanmedizin / Gesundheits-
21,6
wissenschaften 1
bestimmt. Rund 45 % der Ausgaben ent-
fielen auf die medizinischen Einrichtun- Mathematik,
8,7
Naturwissenschaften
gen. Der Anteil der eingeschriebenen Stu-
dierenden in Humanmedizin beziehungs- Ingenieurwissenschaften 6,6
weise Gesundheitswissenschaften lag im
Wintersemester 2013/2014 aber nur bei Sprach- und
5,0
Kulturwissenschaften
knapp 6 %. Demgegenüber waren in den
Fächergruppen Rechts-, Wirtschafts- und Rechts-, Wirtschafts- und
3,8
Sozialwissenschaften
Sozialwissenschaften sowie Sprach- und
Kulturwissenschaften zusammen im Jahr
2012 etwa die Hälfte (rund 49 %) aller Stu- 1 Einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken.
Karriereleiter
1 C4 ist die höchste Besoldungsstufe.
Die Verwirklichung von Chancengleich-
heit von Männern und Frauen in Wissen-
schaft und Forschung ist ein wichtiges
Thema in der deutschen Bildungspolitik.
Auf den ersten Blick scheinen die Barrie-
ren für den Zugang junger Frauen zur
93
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
Abb 15 Anteil ausländischer Studierender an den
Studierenden insgesamt - in Prozent
akademischen Ausbildung abgebaut: Die u Abb 15 Anteil ausländischer Studierender an den
Hälfte (50 %) der Studierenden im ersten Studierenden insgesamt — in Prozent
Hochschulsemester und etwas über die
Hälfte (51 %) der Hochschulabsolventen
im Jahr 2014 waren weiblich. Auch der
Frauenanteil auf weiterführenden Qualifi-
kationsstufen ist in den vergangenen Jah-
ren gestiegen. Allerdings nimmt er mit
steigendem Qualifikationsniveau und Sta-
tus der einzelnen Positionen auf der aka-
demischen Karriereleiter kontinuierlich
ab. Während im Jahr 2014 immerhin be- 9,5 9,5 9,5 9,2 8,9 8,5 8,3 8,1 8,2 8,4 8,7
94
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
95
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
96
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
mindestens einer der drei Lernformen u Tab 9 Teilnahme an Lernformen in den letzten zwölf Monaten
teilgenommen. Rund 56 % haben an min- vor der Erhebung (Adult Education Survey 2014)
destens einer der beiden organisierten — in Prozent der Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren
Lernformen teilgenommen und sind somit Insgesamt Männer Frauen
»bildungsaktiv«.
Formale Bildung (reguläre Bildungsgänge) 12 12 12
Erwerbstätige beteiligen sich am häu-
Nicht formale Bildung (Weiterbildung) 51 52 50
figsten an Weiterbildung. Von ihnen haben
Betriebliche Weiterbildung 37 40 34
58 % an mindestens einer Weiterbildungs-
aktivität teilgenommen, gefolgt von Per- Individuelle berufsbezogene Weiterbildung 9 9 10
lag mit 50 % etwa so hoch wie die der Bildungsaktive (Formale und
56 57 55
non-formale Bildung) ²
Männer (52 %). Dabei beteiligen sich
Frauen mehr an nicht berufsbezogener 1 Teilnahme an mindestens einer der drei Lernformen.
2 Teilnahme an mindestens einer der beiden organisierten Lernformen.
Weiterbildung (15 % gegenüber 10 %) und Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Zusatzauswertungen von TNS Infratest Sozialforschung
97
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
98
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
in 1 000
25 – 29 4 995 22 898 – 1 521 2 379 11 154
30 – 39 9 874 8 2 049 34 3 146 4 224 23 369
40 – 49 12 127 / 2 955 1 445 3 208 3 983 30 482
50 – 59 12 327 / 3 934 1 783 2 735 3 356 28 461
60 und älter 22 498 / 12 803 1 596 3 235 3 784 63 845
Zusammen 61 820 37 22 640 4 858 13 845 17 725 153 2 311
in %
25 – 29 100 0,4 18,0 – 30,5 47,6 0,2 3,1
30 – 39 100 0,1 20,7 0,3 31,9 42,8 0,2 3,7
40 – 49 100 / 24,4 11,9 26,5 32,8 0,2 4,0
50 – 59 100 / 31,9 14,5 22,2 27,2 0,2 3,7
60 und älter 100 / 56,9 7,1 14,4 16,8 0,3 3,8
Zusammen 100 0,1 36,6 7,9 22,4 28,7 0,2 3,7
1 Einschließlich 251 000 Personen, die keine Angaben zur allgemeinen Schulausbildung gemacht haben.
2 Einschließlich Personen mit Abschluss nach höchstens sieben Jahren Schulbesuch.
– Nichts vorhanden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.
1 Einschließlich 384 000 Personen, die keine Angaben zum beruflichen Bildungsabschluss gemacht haben sowie 151 000 Personen ohne Angabe zur Art des Abschlusses.
2 Abschlüsse an Fachhochschulen (einschließlich Verwaltungsfachhochschulen) und Hochschulen werden nach ihrem Grad (Bachelor, Master, Diplom) unterschieden. Die bisher unter »Fachschulabschluss«
enthaltenen akademischen Abschlüsse an Berufsakademien werden ebenfalls Bachelor, Master und Diplom zugeordnet.
3 Einschließlich Berufsvorbereitungsjahr und berufliches Praktikum, da durch diese keine berufsqualifizierenden Abschlüsse erworben werden.
4 Einschließlich eines gleichwertigen Berufsfachschulabschlusses, Vorbereitungsdienst für den mittleren Dienst in der öffentlichen Verwaltung, 1-jährige Schule für Gesundheits- und Sozialberufe sowie 374 000
Personen mit Anlernausbildung.
5 Einschließlich einer Meister- / Technikerausbildung, Abschluss einer 2- oder 3-jährigen Schule für Gesundheits- und Sozialberufe sowie Abschluss an einer Schule für Erzieher / -innen.
6 Einschließlich Lehramtsprüfung, Staatsprüfung, Magister, künstlerischer Abschluss und vergleichbare Abschlüsse.
– Nichts vorhanden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.
99
3 / Bildung 3.1 / Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
meinen Bildungssystems von Frauen und Wie setzen sich die Ausgaben im Rahmen des Bildungsbudgets zusammen?
Männern gleichberechtigt wahrgenom- Sie umfassen die Ausgaben für das formale Bildungssystem in Abgrenzung der Internationalen
men, sodass bei der jüngeren Generation Standardklassifikation des Bildungswesens (ISCED-2011-Level). Dazu zählen direkte Ausgaben
für Bildungseinrichtungen, Ausgaben für Bildungsdienste und Güter außerhalb von Bildungs-
mittlerweile mehr Frauen als Männer ei- einrichtungen und Ausgaben für die Förderung der Teilnehmenden an formalen Bildungs-
nen höheren Bildungsabschluss nach programmen.
weisen. In der Altersgruppe der 25- bis Bei den direkten Ausgaben für formale Bildungseinrichtungen (Krippen, Kindergärten, Schulen,
29-Jährigen hatten 45 % der Männer und Ausbildungsbetriebe, Hochschulen) handelt es sich um Ausgaben für das Lehr- und sonstige
knapp 51 % der Frauen Abitur oder Fach- Personal, für die Beschaffung von Lehr- und Lernmitteln, für Heizung, Elektrizität, die Reini-
gung und Erhaltung von Schulgebäuden sowie die Ausgaben für den Bau von Schulgebäuden
hochschulreife. und für andere Investitionsgüter. Entsprechend internationaler Konventionen enthalten die Aus-
Bei einem Vergleich der allgemeinen gaben für formale Bildungseinrichtungen auch die Ausgaben an Hochschulen für Forschung
und Entwicklung.
Schulabschlüsse der deutschen und aus-
ländischen Bevölkerung fällt Folgendes Bei den Ausgaben außerhalb von formalen Bildungseinrichtungen handelt es sich zum Beispiel
um Ausgaben, die von den Lernenden zur Vorbereitung, zum Besuch und zur Nachbereitung
auf: Die in Deutschland lebenden Auslän- des Unterrichts geleistet werden (zum Beispiel für Nachhilfeunterricht, zur Anschaffung von
derinnen und Ausländer besaßen zu 17 % Büchern, Taschenrechnern und Schreibwaren). Zur Förderung von Teilnehmenden an formalen
einen Realschulabschluss, die deutsche Bildungsprogrammen zählt zum Beispiel das »BAföG«.
Bevölkerung zu 23 %. Über Abitur und Zusätzliche bildungsrelevante Ausgaben in nationaler Abgrenzung
Fachhochschulreife verfügten 31 % der
Sie umfassen Ausgaben für nicht formale Bildungseinrichtungen wie Horte, betriebliche Weiter-
Ausländerinnen und Ausländer, jedoch bildungskurse, die Förderung von Teilnehmenden an Weiterbildungsmaßnahmen, Volkshoch-
nur 29 % der deutschen Bevölkerung. Be- schulen, Einrichtungen der Lehrerfortbildung und Einrichtungen der Jugendarbeit.
merkenswert ist in diesem Zusammen- Das Bildungsbudget basiert auf der Auswertung zahlreicher Erhebungen. Dabei sind die
hang der hohe Anteil der Ausländerinnen J ahresrechnungsergebnisse der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kommunen) die
wichtigsten Datenquellen.
mit Fachhochschul- oder Hochschulreife
(32 % gegenüber 26 % bei den deutschen
Frauen). Knapp 18 % der ausländischen
Bevölkerung besaßen jedoch keinen allge-
meinen Schulabschluss; bei der deutschen
Bevölkerung waren es rund 2 %.
Bei den beruflichen Abschlüssen zeigt für formale Bildungspro-gramme (zum überwiegende Teil dieser Mittel für öf-
sich folgendes Bild: Etwa 42 % der Auslän- Beispiel Kinderkrippen, Kindergärten, fentliche und private Bildungseinrichtun-
derinnen und Ausländer in Deutschland Schulen, Hochschulen, betriebliche Aus- gen verwendet (2012: 143,9 Milliarden
hatten keinen beruf lichen Bildungsab- bildung im dualen System) nach der In- Euro). Die Ausgaben für die Förderung
schluss und waren nicht in Ausbildung ternationalen Stan-dardklassifikation des von Bildungsteilnehmenden in ISCED-
(gegenüber 14 % der Deutschen). Einen Bildungswesens (ISCED). Als nationale Programmen sowie die Ausgaben der
Lehrabschluss konnten knapp 52 % der Ergänzung umfasst das Bildungsbudget privaten Haushalte für Nachhilfeunter-
Deutschen, aber nur 28 % der ausländi- zusätzlich Ausgaben für nicht formale Bil- richt, Lernmittel und dergleichen betru-
schen Bürgerinnen und Bürger vorweisen. dung (zum Beispiel betriebliche Weiterbil- gen 2013 rund 20,3 Milliarden Euro
Bei den akademischen Abschlüssen (ein- dung). u Info 6 (2012: 20,1 Milliarden Euro).
schließlich Promotionen) betrug der An- Die Ausgaben für formale und nicht Die Ausgaben für nicht formale Bil-
teil bei den Deutschen 16 % und bei den formale Bildung zusammen betrugen im dung lagen im Jahr 2013 bei 18,2 Milliar-
Ausländerinnen und Ausländern 17 %. Jahr 2013 nach vorläufigen Berechnungen den Euro gegenüber 17,4 Milliarden Euro
187,5 Milliarden Euro und lagen damit im Vorjahr. Die Ausgaben für die betriebli-
3.1.7 Das Bildungsbudget für um 6,1 Milliarden Euro über dem Wert che Weiterbildung stiegen von 10,6 Milli-
Deutschland des Vorjahres. Der Anteil der Bildungs- arden Euro im Jahr 2012 auf 10,9 Milliar-
Die Höhe der Bildungsausgaben be-ein- ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) den Euro im Jahr 2013. Für die Förderung
flusst die Entwicklung des Bildungs-we- betrug 2013 rund 6,6 %. von Teilnehmenden an Weiter-bildungs-
sens entscheidend. Einen Überblick zur Die Ausgaben für formale Bildungs- maßnahmen wurden 2013 rund 0,9 Milli-
Ressourcenausstattung des Bildungs-we- programme nach internationaler Abgren- arden Euro gegenüber 0,7 Mil-liarden
sens gibt das Bildungsbudget. Es orien- zung beliefen sich 2013 auf 169,2 Milliar- Euro im Vorjahr ausgegeben. Die Mittel
tiert sich an der Konzeption des lebens- den Euro. Sie lagen damit um 5,2 Milliar- für weitere Bildungsa ngebote be-trugen
langen Lernens. Der größte Teil des Bil- den Euro über dem Wert des Vorjahres. 2012 und 2013 jeweils rund 6,0 beziehungs
dungsbudgets entfällt auf die Ausgaben Mit 148,9 Milliarden Euro wurde der weise 6,4 Milliarden Euro. u Tab 14
100
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget / 3.1 Bildung / 3
A Bildungsbudget in internationaler Abgrenzung nach der ISCED-Gliederung² 164,0 169,2 6,0 6,0
A 30 Ausgaben für Bildungseinrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft 143,9 148,9 5,2 5,3
A 32 ISCED 1 – 4 – Schulen und schulnaher Bereich 86,4 89,1 3,1 3,2
1 Vorläufige Angaben.
2 ISCED-2011-Level.
101
5,8 Mill.
Personen waren 2014 im
6,1 Mrd. €
öffentlichen Dienst beschäftigt.
1,6 %
hat sich das preisbereinigte
Bruttoinlandsprodukt von
644 Mrd. €
2013 bis 2014 erhöht.
Steuern wurden 2014 von
Bund, Ländern und Ge-
meinden eingenommen.
4
Wirtschaft
und öffentlicher Sektor
4.1 Die Aufgabe von Wirtschaftsstatistiken
ist es, wirtschaftliche Vorgänge in der
ESVG hat als Verordnung der Europä
ischen Union (EU) Gesetzescharakter
Volkswirt Volkswirtschaft zu erfassen, die Daten und ist daher für alle Mitgliedstaaten
schaftliche aufzubereiten und sie der Öffentlichkeit
zugänglich zu machen.
verbindlich. Damit ist sichergestellt, dass
europaweit harmonisierte Ergebnisse für
Gesamt Das wichtigste statistische Instrumen- politische und wirtschaftliche Entschei-
rechnungen tarium für die Wirtschaftsbeobachtung
sind die Volkswirtschaftlichen Gesamt-
dungen zur Verfügung stehen.
Auf die Angaben der Volkswirtschaft-
rechnungen (VGR). Sie haben die Auf lichen Gesamtrechnungen stützen sich
Tanja Mucha gabe, für einen bestimmten, abgelaufenen Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Sie
Zeitraum – das sind typischerweise Jahre dienen unter anderem als Grundlage
und Quartale – ein möglichst umfassen- für Gutachten, Wachstumsprognosen,
Destatis
des, übersichtliches und hinreichend ge- Steuers chätzungen, Rentenanpassungen
gliedertes, quantitatives Gesamtbild des und Tarifverhandlungen. Nationale Nut-
wirtschaftlichen Geschehens in einer zer sind in erster Linie die Bundesminis-
Volkswirtschaft zu geben. u Info 1 terien, der Sachverständigenrat zur Be-
Die deutschen Volkswirtschaftlichen gutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Gesamtrechnungen folgen den Vorgaben Entwicklung, die Wirtschaftsforschungs-
des Europäischen Systems Volkswirt- institute, Banken – allen voran die Deut-
schaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG). sche Bundesbank – sowie Wirtschafts-
Dort werden Definitionen, Konzepte, Ab- verbände, Gewerkschaften, Universitäten
grenzungen, Begriffe, Klassifikationen so- und Medien.
wie der Zeitpunkt und die Häufigkeit der International werden VGR-Ergebnisse
Lieferung von VGR-Ergebnissen an die vor allem von der Europäischen Kommis-
europäische Statistikbehörde, das Statis sion, der Europäischen Zentralbank (EZB),
tische Amt der Europäischen Union (Euro- der Organisation für wirtschaftliche Zu-
stat), geregelt. Das Europäische System sammenarbeit und Entwicklung (OECD)
Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen und dem Internationalen Währungsfonds
wird in mehrjährlichen Abständen aktua- (IWF) genutzt. Eine besondere Bedeutung
lisiert, um geänderten wirtschaftlichen haben die Ergebnisse der Volkswirtschaft-
Rahmenbedingungen Rechnung zu tra- lichen Gesamtrechnungen für die Europä-
gen. Die aktuelle Version ESVG 2010 ist ische Kommission: Das Bruttonationalein-
seit September 2014 rechtswirksam. Das kommen (BNE) ist Grundlage für die Be-
103
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
(Maastricht-Defizit und Schuldenstand Die Ergebnisse der amtlichen VGR werden in Form eines geschlossenen Kontensystems aller nach-
gewiesenen Vorgänge ermittelt. Dabei gilt das Prinzip der doppelten Buchführung: Jede Trans
des Staates, Bruttoinlandsprodukt).
aktion wird mindestens zweimal gebucht, einmal auf der Entstehungs- und einmal auf der Ver
wendungsseite. In ergänzenden Tabellen werden die Kontenpositionen tiefer untergliedert, teilweise
4.1.1 Das Bruttoinlandsprodukt nach besonderen Gesichtspunkten zusammengefasst oder in sonstiger Hinsicht erweitert (zum
Beispiel um preisbereinigte Angaben, Angaben pro Kopf, je Stunde oder Quoten). Darüber hinaus
Eine zentrale Größe der Volkswirtschaft- werden in speziellen Input-Output-Tabellen die produktions- und gütermäßigen Verflechtungen in
lichen Gesamtrechnungen ist das Brutto- der Volkswirtschaft gezeigt.
inlandsprodukt (BIP). Es ist ein Maß für Für die Aufstellung der deutschen VGR werden alle geeigneten laufenden wirtschaftsstatistischen
die in einem bestimmten Zeitraum in Erhebungen verwendet, die zum jeweiligen Veröffentlichungs- beziehungsweise Rechentermin
einer Volkswirtschaft erbrachte gesamt- vorliegen. Darüber hinaus werden administrative Daten (zum Beispiel Finanzstatistiken, Zahlen der
Bundesagentur für Arbeit), Haushaltsbefragungen, Geschäftsstatistiken und Jahresabschlüsse
wirtschaftliche Leistung. u Info 2 großer Unternehmen sowie Informationen von Verbänden ausgewertet. Je aktueller die Berech
Bei der Berechnung stehen die Produkti- nungen sind, desto unvollständiger ist in der Regel die Datenbasis und desto höher ist der Schätz-
on von Waren und Dienstleistungen so- anteil. Dies führt zu regelmäßigen Revisionen der VGR-Ergebnisse, wenn neue statistische Aus-
gangsdaten verfügbar sind, die in die Berechnungen einbezogen werden können.
wie die dabei entstandene Wertschöp-
fung im Vordergrund. Prinzipiell kann
das BIP auf drei Wegen berechnet und
dargestellt werden: u Abb 1
·· Die Entstehungsrechnung zeigt, wie die u Abb 1 Bruttoinlandsprodukt
wirtschaftliche Leistung von der Pro-
duktionsseite her entstanden ist. Sie er-
mittelt die Wertschöpfung der einzelnen
Wirtschaftsbereiche und verdeutlicht, Entstehung Verwendung Verteilung
wie diese zum gesamtwirtschaftlichen
Ergebnis beigetragen haben (siehe Ab- Land- und Forstwirt- Private und Arbeitnehmerentgelt,
schnitt 4.1.2). schaft, Fischerei staatliche Konsum- Unternehmens- und
ausgaben Vermögenseinkommen
·· Die Verwendungsrechnung beschreibt, Produzierendes
für was das erarbeitete gesamtwirt- Gewerbe + Bruttoanlage- + Produktions- und
104
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
105
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
8,2
5,3 5,1
4,8 4,9
4,4 4,3 4,2 4,1
3,7 3,9 3,7 3,7
3,1 3,3 3,3
3,0 3,0
2,8
2,5
2,9 2,3 2,3
2,6
1,6
1,9
1,7 1,8 2,0 2,0 1,7 1,6
1,4 1,4
0,9 1,2 1,1
1,6 0,8
0,5 0,7
0,9 0,4
0,0 0,3
Durchschnitt 1950 –1960
Durchschnitt 1960 –1970
– 0,4
– 0,9 – 0,7
– 1,0
– 5,6
1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Die Ergebnisse von 1950 bis 1970 (früheres Bundesgebiet) sind wegen konzeptioneller und definitorischer Unterschiede nicht voll mit den Ergebnissen von 1970 bis 1991 (früheres Bundesgebiet)
und den Angaben ab 1991 (Deutschland) vergleichbar. Die preisbereinigten Ergebnisse von 1950 bis 1970 (früheres Bundesgebiet) sind in Preisen von 1991 berechnet.
Die Ergebnisse von 1970 bis 1991 (früheres Bundesgebiet ) sowie die Angaben ab 1991 (Deutschland) werden in Preisen des jeweiligen Vorjahres als Kettenindex nachgewiesen.
Bei der VGR-Revision 2014 wurden zudem nur die Ergebnisse für Deutschland bis 1991 zurückgerechnet; Angaben vor 1991 sind unverändert geblieben.
1,2 0,7
Produzierendes Produzierendes
Gewerbe ohne Gewerbe ohne
Dienstleistungen Baugewerbe Dienstleistungen Baugewerbe
1991 2014
Baugewerbe
4,6
Baugewerbe
6,0
106
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
107
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
Aus diesem Grund müssen die Gütersteu- u Tab 2 Ableitung des Bruttoinlandsprodukts,
ern abzüglich der Gütersubventionen der in jeweiligen Preisen — in Milliarden Euro
Bruttowertschöpfung (zu Herstellungs-
2011 2012 2013 2014
preisen) hinzugefügt werden, um das BIP
zu errechnen. u Tab 2 Produktionswert 5 112,0 5 143,8 5 206,7 5 319,3
zweck sind ebenfalls Teil der privaten Staat 0,9 1,3 0,8 1,7
Auf die Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen 7,2 – 0,4 –1,3 3,5
entfiel knapp ein Fünftel des nominalen Ausrüstungen 6,8 – 2,6 – 2,3 4,5
BIP. Dazu gehören die Aufwendungen Bauten 8,1 0,5 – 1,1 2,9
des Staates für allgemeine Verwaltungs- Sonstige Anlagen 5,3 1,3 – 0,3 3,1
leistungen, Sicherheit, Bildung, Gesund- Vorratsveränderungen und
X X X X
Nettozugang an Wertsachen
heitswesen und Ähnliches, soweit sie der
Inländische Verwendung 2,9 – 1,0 0,8 1,3
Allgemeinheit ohne ein zu entrichtendes
Außenbeitrag X X X X
Entgelt zur Verfügung gestellt werden.
Exporte 8,3 2,8 1,6 4,0
Knapp ein weiteres Fünftel des nomi-
nalen BIP wird investiert und erhöht abzüglich: Importe 7,0 – 0,3 3,1 3,7
d amit den Bestand an Anlagen (Ausrüs- Bruttoinlandsprodukt 3,7 0,4 0,3 1,6
tungen, Bauten, sonstige Anlagen ein- X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
108
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
u Info 3
Ansätze der Verwendungsrechnung Auch schattenwirtschaftliche und illegale Aktivitäten fließen
Zur Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts in das Bruttoinlandsprodukt ein
über die Verwendungsseite kommen grund- Für die Berechnung des Bruttoinlands- Eine Besonderheit stellt in der statisti-
sätzlich drei Ansätze in Betracht: Die Käufer
beziehungsweise Verwender der Güter
produkts und der anderen Aggregate schen Praxis die Erfassung von illega-
können nach ihren Ausgaben gefragt werden. der VGR werden grundsätzlich alle len – also der ausdrücklich verbotenen –
Es ist aber auch möglich, die Produzenten wirtschaftlichen Aktivitäten einer Aktivitäten dar. Die EU-weit bedeut-
der Waren und Dienstleistungen über ihre
Lieferungen an Konsumenten, Investoren Volkswirtschaft erfasst. Dies gilt unab- samsten illegalen Aktivitäten – Drogen,
und die übrige Welt zu befragen. Schließlich hängig davon, ob diese Aktivitäten Schmuggel und Prostitution – sind seit
können mithilfe der Güterstrommethode die den Behörden bekannt sind oder nicht der VGR-Revision 2014 Teil der amt
Verwendungsstrukturen für Waren und
Dienstleistungen geschätzt werden. Theore- (zum Beispiel Steuer-, Sozialversiche- lichen VGR in Europa. Bezogen auf die
tisch führen diese drei Ansätze zum gleichen rungs-, Statistikbehörden) und auch Situation in Deutschland bedeutet dies,
Ergebnis, sodass die Entscheidung darüber,
unabhängig davon, ob sie legal oder dass der Handel und die Produktion
welcher Weg in der Praxis beschritten wird,
vor allem von den statistischen Gegeben illegal ausgeübt werden. Demzufolge von Drogen sowie der Schmuggel von
heiten und den Nutzeranforderungen an die enthält das Bruttoinlandsprodukt auch Zigaretten seither mithilfe von Schätz-
Aktualität abhängt.
Aktivitäten der Schattenwirtschaft modellen in die VGR-Berechnungen
(zum Beispiel Verkäufe ohne Rech- einbezogen werden. Allerdings ist Pro-
nung, Eigenleistung und Nachbar- stitution in Deutschland grundsätzlich
u Abb 4 Struktur der Verwendung
schaftshilfe am Bau). Im Zuge der Be- nicht verboten und war damit bereits
2014 — in Prozent des Bruttoinlands-
produkts rechnungen wird das Datenmaterial zuvor im BIP enthalten, und Alkohol-
auf mögliche Untererfassung überprüft schmuggel hat aufgrund der relativ
und bei Bedarf durch Schätzungen niedrigen Preise in Deutschland wirt-
Private ergänzt. Auf diese Weise soll vor allem schaftlich keine Bedeutung.
Konsum-
Außenbeitrag ausgaben die Vollständigkeit (»exhaustiveness«)
6,7 54,6 des Bruttoinlandsprodukts beziehungs-
weise des Bruttonationaleinkommens
Brutto-
sichergestellt werden. Allerdings er-
investitionen folgt in Deutschland kein getrennter
19,3 Nachweis der Schattenwirtschaft in der
BIP
2 915,7 amtlichen Statistik.
Milliarden
Euro
Konsum-
ausgaben
des Staates
19,3
schließlich Forschung und Entwicklung) erzielt, wovon entsprechend positive Im- den Berechnungsarten knüpft die Vertei-
oder verändert die Vorrats- und Wert pulse für das Wirtschaftswachstum aus- lungsrechnung nicht an der Güterseite an,
sachenbestände. gingen. u Tab 3 sondern an der Entlohnung der Produk-
Zur Nachfrageseite des BIP gehört ne- tionsfaktoren Arbeit und Kapital. Ausge-
ben der inländischen Verwendung auch 4.1.4 Die Verteilungsrechnung des hend von den Einkommensarten wird
der Außenbeitrag. Er stellt den Saldo aus Bruttoinlandsprodukts das BIP beziehungsweise das BNE im
Exporten und Importen von Waren und Die Verteilungsrechnung stellt – neben Rahmen der Verteilungsrechnung ent
Dienstleistungen an die beziehungsweise der Entstehungs- und Verwendungs weder über die im Inland entstandenen
aus der übrigen Welt dar. Die Bundes rechnung – einen dritten Weg dar, um (geleisteten beziehungsweise gezahlten)
republik Deutschland hat eine stark das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und das Einkommen oder über die von Inländern
exporta bhängige Wirtschaft: Seit dem Bruttonationaleinkommen (BNE) zu er- empfangenen Einkommen aus Produk-
Jahr 1993 wurden stets Exportüberschüsse mitteln. Anders als bei den anderen bei- t ionstätigkeit berechnet. u Tab 4, Tab 5
109
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.1 / Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
u Tab 4 Ergebnisse der Verteilungsrechnung über die entstandenen In der Bundesrepublik Deutschland
und verteilten Einkommen — in Milliarden Euro ist eine eigenständige und in sich ge-
2011 2012 2013 2014 schlossene Verteilungsrechnung nicht
Bruttonationaleinkommen 2771,3 2820,4 2882,0 2982,4
möglich, weil über den Betriebsüber-
+ Primäreinkommen an die
schuss beziehungsweise über die Unter-
151,3 140,8 129,0 126,5
übrige Welt nehmenseinkommen nur lückenhafte
– Primäreinkommen aus der
219,5 206,4 190,2 193,3
basisstatistische Informationen vorliegen.
übrigen Welt
Diese Größen werden daher als Salden-
= Bruttoinlandsprodukt 2703,1 2754,9 2820,8 2915,7
größen aus dem gesamtwirtschaftlichen
+ Gütersubventionen 7,0 6,3 6,4 6,7
Kreislauf abgeleitet.
– Gütersteuern 282,0 286,1 290,3 299,2
Der umfassendste Einkommensbe-
= Bruttowertschöpfung 2428,1 2475,1 2536,9 2623,1
griff der Volkswirtschaftlichen Gesamt-
– Abschreibungen 475,5 492,2 505,1 517,8
rechnungen ist das Bruttonational
= Nettowertschöpfung 1952,5 1982,9 2031,8 2105,3
einkommen (BNE). Das BNE ist an die
+ Sonstige Subventionen 26,1 23,3 23,5 24,1 Stelle des früher benutzten Begriffs des
– S onstige Bruttosozialprodukts (BSP) getreten und
17,7 19,1 18,7 19,2
Produktionsabgaben stimmt mit diesem konzeptionell überein.
– A rbeitnehmerentgelt Das BNE errechnet sich, indem vom BIP
1337,3 1389,2 1428,3 1482,8
(Inland)
die Primäreinkommen abgezogen wer-
= B etriebsüberschuss/Selbst-
623,6 598,0 608,2 627,5
ständigeneinkommen den, die an die übrige Welt geflossen sind,
und umgekehrt die Primäreinkommen
hinzugefügt werden, die inländische
uTab 5 Ergebnisse der Verteilungsrechnung über die
Wirtschaftseinheiten von der übrigen
empfangenen Einkommen — in Milliarden Euro
Welt bezogen haben. Es hat insbesondere
2011 2012 2013 2014 als Grundlage für die Berechnung der
Bruttoinlandsprodukt 2 703,1 2 754,9 2 820,8 2 915,7 EU-Eigenmittel eine herausragende Be-
– Primäreinkommen an die deutung.
151,3 140,8 129,0 126,5
übrige Welt
Eine wichtige Größe der Verteilungs-
+ Primäreinkommen aus der
219,5 206,4 190,2 193,3 rechnung ist das Volkseinkommen. Es ist
übrigen Welt
= Bruttonationaleinkommen 2 771,3 2 820,4 2 882,0 2 982,4 die Summe der Erwerbs- und Vermögens
– Abschreibungen 475,5 492,2 505,1 517,8 einkommen, die die inländischen Wirt-
= Nettonationaleinkommen 2 295,8 2 328,2 2 377,0 2 464,7 schaftseinheiten in einer Periode emp-
+ Subventionen des Staates 27,4 24,1 24,4 25,5 fangen haben. Das Volkseinkommen
– Produktions- und Import-
295,1 300,6 304,7 314,0
setzt sich aus dem Arbeitnehmerentgelt
abgaben an den Staat
der Inländer und den Unternehmens-
= Volkseinkommen 2 028,1 2 051,7 2 096,6 2 176,2
und Vermögenseinkommen zusammen.
– A rbeitnehmerentgelt
der Inländer
1 339,7 1 391,5 1 430,8 1 485,3 Das Arbeitnehmerentgelt umfasst
= U nternehmens- und
neben den Bruttolöhnen und -gehältern
688,4 660,2 665,8 690,9
Vermögenseinkommen auch die Sozialbeiträge der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer sowie deren Lohn-
steuer. Im Jahr 2014 entfielen 18 % des
u Tab 6 Arbeitnehmerentgelt, Löhne und Gehälter
Arbeitnehmerentgelts auf die Sozialbei-
(der Inländer) — in Milliarden Euro
träge der Arbeitgeber und 27 % auf die
2011 2012 2013 2014 Abzüge der Arbeitnehmer, welche sich
Arbeitnehmerentgelt
1 339,7 1391,5 1 430,8 1 485,3 etwa je zur Hälfte aus Sozialabgaben und
der Inländer
Lohnsteuer zusammensetzten. In ge-
– Sozialbeiträge der Arbeitgeber 251,1 258,1 262,5 271,6
samtwirtschaftlicher Betrachtung blie-
= Bruttolöhne und -gehälter 1 088,6 1 133,5 1 168,3 1 213,7 ben 2014 vom Arbeitnehmerentgelt
– S ozialbeiträge der Arbeit- knapp 55 % als Nettolöhne und -gehälter
191,0 197,5 201,7 209,3
nehmer
bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
– Lohnsteuer der Arbeitnehmer 168,3 178,2 186,9 196,3
nehmern. Im Jahr 1991 waren es noch
= Nettolöhne und -gehälter 729,4 757,8 779,7 808,1
knapp 58 % gewesen. u Tab 6
110
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen / 4.1 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
1 Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt, Kettenindex) je Erwerbstätigen beziehungsweise je geleisteter Erwerbstätigenstunde (jeweils umgerechnet auf Index 2010 = 100).
2 Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer beziehungsweise je geleisteter Arbeitnehmerstunde (jeweils umgerechnet auf Index 2005 = 100) in Relation zur Arbeitsproduktivität
(je Erwerbstätigen beziehungsweise je geleisteter Erwerbstätigenstunde).
Quelle für geleistete Arbeitsstunden: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)
4.1.5 Gesamtwirtschaftliche Quoten reiche) je Erwerbstätigen oder je geleiste- Lohnstückkosten. Aus der Entwicklung
Das Arbeitnehmerentgelt pro Kopf bezie- ter Erwerbstätigenstunde. Die Arbeits- der Lohnstückkosten kann man darauf
hungsweise je geleisteter Arbeitnehmer- produktivität wird häufig als Maß für die schließen, wie sich die Arbeitskosten je
stunde ist ein wichtiges Maß für die Produktivität einer Volkswirtschaft oder Produkteinheit verändert haben. Bei der
Kosten des Faktors Arbeit in einer Volks- eines Wirtschaftsbereichs verwendet. Da- Interpretation aller Quoten ist aber Vor-
wirtschaft. Als Maß für das durch bei muss aber beachtet werden, dass hier sicht geboten: So erhöht zum Beispiel der
schnittliche Einkommen werden häufig die gesamte Wirtschaftsleistung rechne- Abbau von Arbeitsplätzen rechnerisch
die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit- risch lediglich zum Produktionsfaktor die Arbeitsproduktivität pro Kopf, was
nehmerin beziehungsweise Arbeitnehmer Arbeit in Beziehung gesetzt wird. Andere wiederum einem Anstieg der Lohnstück-
oder je geleisteter Arbeitnehmerstunde Aspekte wie zum Beispiel die Kapitalpro- kosten entgegenwirkt. u Tab 7
herangezogen. Eine andere vielfach ge- duktivität bleiben dabei außer Acht.
nutzte gesamtwirtschaftliche Quote ist Setzt man das Arbeitnehmerentgelt
die A
rbeitsproduktivität, also das (preis- pro Kopf beziehungsweise je geleisteter
bereinigte) BIP beziehungsweise die Arbeitnehmerstunde in Relation zur Ar-
Bruttowertschöpfung (für Wirtschaftsbe- beitsproduktivität, so erhält man die
111
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst
112
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
u Abb 1 Das Schalenkonzept der öffentlichen Finanzwirtschaft Beispiele für Sozialleistungen und Maß-
nahmen, die der jüngeren Generation zu-
gutekommen sollen. Weitere wichtige
staatliche Aufgaben sind die Bereitstellung
Öffentlicher Bereich Öffentlicher
Gesamthaushalt¹ einer Justiz sowie der Polizei, um für öffent-
Sonstige öffentliche Fonds,
Einrichtungen und Unternehmen liche Sicherheit und Ordnung zu sorgen.
Extrahaushalte
In den Bereich der Bildung fließen eben-
falls umfangreiche öffentliche Gelder.
Kernhaushalte Insgesamt lagen die um Zahlungen
Bund/Länder zwischen den Ebenen bereinigten Aus
Gemeinden/Gemeindeverbände
Sozialversicherung gaben des Öffentlichen Gesamthaushalts
im Jahr 2014 bei rund 1 240 Milliarden
Euro. Gegenüber dem Vorjahr entspricht
dies einer Erhöhung von 2,6 %. Der größte
Ausgabenblock entfiel mit 553,1 Milliar-
den Euro auf die Sozialversicherung. Diese
umfasst die gesetzliche Kranken-, Renten-
und Unfallversicherung, die soziale Pflege
1 Einschließlich EU-Anteile.
versicherung, die Alterssicherung für
Landwirte sowie die Arbeitslosenversi-
cherung. Der zweitgrößte Ausgabenanteil
lag beim Bund in Höhe von 344,3 Milliar-
den Euro. Weitere 341,4 Milliarden Euro
der öffentlichen Ausgaben wurden von
u Info 1
den 13 Flächenländern sowie den drei
Öffentlicher Gesamthaushalt und öffentlicher Bereich
Stadtstaaten und 217,6 Milliarden Euro
Seit den 1980er-Jahren ist die verstärkte Verlagerung öffentlicher Aufgaben auf Einheiten
mit e igenem Rechnungswesen außerhalb der Kernverwaltung zu beobachten. Sofern
von der kommunalen Ebene getätigt. Hin-
die Kernhaushalte mit mehr als 50 % der Kapital- oder Stimmrechte beteiligt sind, werden weis: Die Addition der Ebenen enthält
sie als öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen bezeichnet. Eine Folge hier- Doppelzählungen und ist deshalb größer
von ist, dass Einnahmen und Ausgaben nicht mehr in den Kernhaushalten von Bund,
Ländern, Gemeinden/Gemeindeverbänden und Sozialversicherung enthalten sind. Dies als die Summe der bereinigten Ausgaben.
gilt auch für öffentliche Schulden, öffentliches Finanzvermögen und Personal. Da das Im Zeitraum 1992 bis 2014 sind die
Ausmaß dieses Prozesses unterschiedlich ausgeprägt ist, sind die öffentlichen Kernhaus- Ausgaben der Sozialversicherung mit
halte – zum Beispiel die der Länder untereinander – nicht mehr vergleichbar.
72 % überproportional angestiegen. We-
Für die umfassende Darstellung der gesamten öffentlichen Finanzwirtschaft wurde das sentliche Gründe für diese Entwicklung
Modell des Schalenkonzepts entwickelt (siehe Abbildung 1), in dem die Kern- und Extra-
haushalte zum Öffentlichen Gesamthaushalt aggregiert werden. Somit wird der dyna- waren die deutsche Vereinigung, die Ein-
mische Prozess der wirtschaftlichen Umstrukturierung und Ausgliederung öffentlicher Ein- führung der sozialen Pflegeversicherung
richtungen lückenlos erfasst, die Ausgaben- und Einnahmenströme sowie die Schulden
1995 sowie zusätzliche Ausgaben zum
vollständig abgebildet und damit ein konsistenter Vergleich der öffentlichen Finanzen weiter-
hin ermöglicht. Beispiel bei der Bundesagentur für Ar-
Den Mittelpunkt bilden die Kernhaushalte des Bundes, der Länder, der Gemeinden/
beit wegen zeitweise gestiegener Arbeits-
Gemeindev erbände und der Sozialversicherung. Die öffentlichen Fonds, Einrichtungen losenzahlen.
und Unternehmen des Staatssektors, die sogenannten Extrahaushalte, bilden die mittlere Viele Dienstleistungen der öffentlichen
Schale. Einschließlich der F inanzanteile der Europäischen Union werden Kern- und
Extrahaushalte zum Öffentlichen Gesamthaushalt zusammengeführt. Der Berichtskreis Hand sind sehr personalintensiv, so bei-
des Öffentlichen Gesamthaushalts in der Finanzs tatistik entspricht dem Sektor Staat in spielsweise Schulen, Hochschulen, Polizei
den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. In der äußeren Schale werden die und Rechtsschutz (Gerichtswesen, Justiz-
sonstigen öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen dargestellt. Sie bilden
zusammen mit den Kern- und Extrahaushalten die Finanzen des öffentlichen Bereichs ab. vollzugsanstalten), Gesundheitswesen,
aber auch Verteidigung und die Bau-,
Steuer- und Zollverwaltung. Die hohen
Anforderungen an das Dienstleistungs-
angebot des Staates erfordern entspre-
chendes Fachpersonal; daher fallen diese
öffentlichen Ausgaben besonders ins Ge-
113
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst
wicht. Die Kern- und Extrahaushalte des u Tab 1 Ausgaben und Einnahmen des Öffentlichen Gesamthaushalts 2014
Öffentlichen Gesamthaushalts wendeten Veränderung1
In Millionen Euro
2014 einen Betrag von 254,9 Milliarden zum Vorjahr in %
Euro für Personal (einschließlich Pensio- Bereinigte Ausgaben 1 239 689 + 2,6
nen und Ähnlichem) auf. Das waren 21 %
Personalausgaben 254 939 + 4,6
ihrer Gesamtausgaben. In den Ländern,
Laufender Sachaufwand 338 204 + 4,9
die in großem Umfang für die Durchfüh-
rung und Finanzierung personalinten Zinsausgaben 56 735 – 14,1
siver öffentlicher Aufgaben zuständig Soziale und ähnliche Leistungen 397 679 + 3,0
sind, erreichten sie im Jahr 2014 einen Sachinvestitionen 47 072 + 8,7
Anteil von 38 % des Ausgabenvolumens.
Baumaßnahmen 34 422 + 10,6
Im kommunalen Bereich machten die
Bereinigte Einnahmen 1 245 605 + 3,7
Personalausgaben einen Anteil von knapp
27 % aus. Am niedrigsten waren sie beim Steuern und steuerähnliche Abgaben 1 091 349 + 3,8
Bund mit einem Anteil von etwa 13 % der Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit 28 983 + 37,6
Gesamtausgaben. u Tab 1 Zinseinnahmen 14 015 – 18,7
Für Baumaßnahmen und sonstige
Gebühren und ähnliche Entgelte 56 544 + 6,6
S achinvestitionen wurden in Deutsch-
land 2014 öffentliche Ausgaben in Höhe 1 Veränderung auf Basis revidierter Vorjahresergebnisse.
114
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
sche Führung und zentrale Verwaltung u Tab 2 Die ergiebigsten Steuern — in Millionen Euro
gehören. Ausgaben für Bildung, Wissen- Ertrag steht zu 2012 2013 2014
schaft, Forschung und Kultur bean-
Lohnsteuer B / L / G 149 065 158 198 167 983
spruchten 11 %, gefolgt von den Ausga-
ben für den Schuldendienst mit 5 %. Für Umsatzsteuer B / L / G / EU 142 439 148 315 154 228
die Versorgung (zum Beispiel Ruhegehalt Einfuhrumsatzsteuer B / L / EU 52 196 48 528 48 883
und Hinterbliebenenversorgung von Be- Veranlagte Einkommensteuer B / L / G 37 262 42 280 45 613
amten und Richtern) wurden ebenfalls Gewerbesteuer G / B / L 42 345 43 027 43 756
5 % der Ausgaben aufgewendet. u Abb 2 Energiesteuer B 39 305 39 364 39 758
Die Einnahmen des Öffentlichen Ge-
Körperschaftsteuer B / L 16 934 19 508 20 044
samthaushalts stiegen im Jahr 2014 ge-
Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag B / L 20 059 17 259 17 423
genüber dem Vorjahr um 3,7 %. Grund
dafür war die Zunahme der Einnahmen Solidaritätszuschlag B 13 624 14 378 15 047
gaben infolge der verbesserten Wirt- Grundsteuer für Grundstücke G 11 642 11 992 12 691
schaftsentwicklung. Im Jahr 2014 flossen Versicherungsteuer B 11 138 11 553 12 046
rund 1 091 Milliarden Euro Einnahmen
B = Bund;
aus Steuern und steuerähnlichen Abga- EU = Europäische Union;
G = Gemeinden;
ben in die öffentlichen Kassen, das waren L = Länder.
115
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst
u Abb 4 Finanzierungssaldo des Öffentlichen Gesamthaushalts — in Milliarden Euro aus (462,0 Milliarden Euro). Das sind
Steuern, die auf mehrere Gebietskörper-
schaften aufgeteilt werden. Innerhalb der
18,6 gemeinschaftlichen Steuern waren die
9,0
6,1 Lohn- und veranlagte Einkommensteuer
mit 213,6 Milliarden Euro und die Um-
–4,2 –6,4 –7,2
–14,7 –11,0
satzsteuer (einschließlich Einfuhrum
–26,0
–22,0 satzsteuer) mit 203,1 Milliarden Euro am
ertragreichsten. Bei den reinen Bundes-
–45,6
–49,8
–55,8
steuern (101,8 Milliarden Euro) erbrachte
–58,7
–60,9 –64,3 –63,8 die Energiesteuer die höchsten Einnah-
–68,0 –74,0 –75,0 men (39,8 Milliarden Euro). Von den
Gemeindesteuern (57,7 Milliarden Euro)
–101,7 hatte die Gewerbesteuer mit 43,8 Milliar-
den Euro und bei den Landessteuern
1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
(17,6 Milliarden Euro) die Grunderwerb-
In finanzstatistischer Abgrenzung. steuer mit 9,3 Milliarden Euro den größ-
ten Stellenwert. Gegenüber dem Vorjahr
stieg das Aufkommen an der Lohn- und
veranlagten Einkommensteuer um 13,1
u Abb 5 Länderfinanzausgleich – Geleistete und erhaltene Zahlungen 2014 Milliarden Euro (+ 7 %), an der Umsatz-
— in Millionen Euro steuer (einschließlich Einfuhrumsatz-
steuer) um 6,3 Milliarden Euro (+ 3 %)
und an der Gewerbesteuer um 0,7 Milli-
4 852 Bayern arden Euro (+ 2 %). Die sechs auf kom-
mensstärksten Steuern (Lohn- und ver-
2 356 Baden-Württemberg
anlagte Einkommensteuer, Umsatz-,
1 755 Hessen Einfuhrumsatz-, Gewerbe- und Energie-
steuer) erbrachten somit mehr als drei
55 Hamburg
Viertel aller Steuereinnahmen. Das Auf-
Saarland 144 kommen der einzelnen Steuern variiert
im Zeitablauf insbesondere durch Geset-
Schleswig-Holstein 172
zesänderungen und die Wirtschaftsent-
Niedersachsen 276 wicklung, aber auch aufgrund veränder-
ten Konsumverhaltens der Steuerpflich
Rheinland-Pfalz 288
tigen. u Tab 2
Mecklenburg-Vorpommern 463 Aus der Differenz zwischen Einnah-
men und Ausgaben errechnet sich der
Brandenburg 510
Finanzierungssaldo (Defizit oder Über-
Thüringen 554 schuss) des Öffentlichen Gesamthaushalts.
Da seit den 1950er-Jahren die öffentlichen
Sachsen-Anhalt 585
Ausgaben mehrheitlich die Einnahmen
Bremen 604 übertrafen, wurden die erforderlichen
Nordrhein-Westfalen 897
Mittel zur Finanzierung des Defizits über-
wiegend durch Schuldenaufnahmen am
Sachsen 1 034 Kreditmarkt gedeckt. Die Summierung
Berlin 3 491
dieser jährlichen Schuldenzuwächse führ-
te Ende 2014 zu einem Schuldenstand in
Höhe von rund 2 049 Milliarden Euro. Da-
geleistete Zahlungen erhaltene Zahlungen
raus resultierende Zins- und Tilgungsan-
sprüche werden die öffentliche Hand auch
Vorläufiges Ergebnis.
Quelle: Bundesministerium der Finanzen in Zukunft belasten. u Abb 3, Abb 4
116
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
4.2.3 Öffentliche 4.2.4 Schulden und Finanzvermögen raum 2004 bis 2014 abgebildet. Bis zum Be-
Entwicklungszusammenarbeit des Öffentlichen Gesamthaushalts richtsjahr 2010 ist die Schuldenentwicklung
Die Aufmerksamkeit der deutschen Poli- Soweit bei der Wahrnehmung öffentlicher durch einen starken Anstieg gekennzeich-
tik und Öffentlichkeit richtete sich in den Aufgaben die Ausgaben nicht durch Ein- net, insbesondere im Jahr 2010 (+ 317,3 Mil-
vergangenen Jahren verstärkt auf die Aus- nahmen der laufenden Periode oder durch liarden Euro gegenüber dem Vorjahr).
+ 3 491
gaben der öffentlichen Entwicklungszu- in früheren Jahren gebildete Rücklagen ge- Diese Erhöhung des Schuldenstandes re-
sammenarbeit (ODA siehe Info 2). Im Mai deckt werden können, verschuldet sich der sultierte überwiegend aus den Folgen der
2005 wurde vom EU-Ministerrat ein Öffentliche Gesamthaushalt. Die Verschul- Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. u Abb 6
ODA-Stufenplan verabschiedet, in dessen dung setzt sich hierbei zusammen aus Mit den Berichtskreiserweiterungen in
Rahmen sich Deutschland verpflichtete, ·· den Krediten des Öffentlichen Gesamt- den Jahren 2006 und 2010 reagierte die
den Anteil der ODA am Bruttonational- haushalts beim nicht öffentlichen Bereich, amtliche Statistik auf den zunehmenden
einkommen bis 2010 auf 0,51 % und bis ·· den Kassenkrediten beim nicht öffent- Ausgliederungsprozess von öffentlichen
2015 auf 0,7 % zu erhöhen. Für das Be- lichen Bereich sowie Aufgaben (und Schulden) auf Einheiten
richtsjahr 2014 ergab sich eine ODA-Quo- ·· den Wertpapierschulden. außerhalb der Kernhaushalte. Abbildung
te von 0,42 %. Das entspricht in absoluten Zum 31. Dezember 2014 lag die Staatsver- 6 veranschaulicht, dass sich diese Effekte
Zahlen ausgedrückt ODA-Leistungen in schuldung bei 2 049,2 Milliarden Euro. einschließlich der Umstellung des Erhe-
Höhe von 12,5 Milliarden Euro, wobei Der Bund verzeichnete rund 1 290 Milli- bungskatalogs zum Berichtsjahr 2010 ver-
sich 8,7 Milliarden Euro auf die bilaterale arden Euro, die Länder 619,5 Milliarden gleichsweise gering auf den Schuldenstand
und 3,8 Milliarden Euro auf die multilate- Euro, die kommunale Ebene 139,4 Milli- auswirkten. Während im Jahr 2013 erst-
rale Zusammenarbeit beziehen. Den arden Euro und die Sozialversicherung mals ein rückläufiger Schuldenstand ge-
größten Anteil an den Ausgaben hatte mit 561 Millionen Euro Schulden beim nicht genüber dem Vorjahr zu beobachten war,
6,3 Milliarden Euro (51 %) das Bundesmi- öffentlichen Bereich. stieg dieser im Jahr 2014 wieder leicht an.
nisterium für wirtschaftliche Zusammen- In Abbildung 6 ist die Entwicklung des Neben dem nationalen Schuldenstand
arbeit und Entwicklung (BMZ). u Info 2, Tab 3 nationalen Schuldenstandes für den Zeit- ist in Abbildung 6 auch der Verlauf des
117
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst
118
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
Finanz- 4 500
vermögen
beim nicht Nordrhein-
4 000 Westfalen Bremen
öffentlichen
Bereich je
Einwohner 3 500
in Euro Hamburg
3 000 Brandenburg
Baden- Berlin
Hessen
Württemberg
2 500
Sachsen durchschnittliches
Mecklenburg-
Bayern Vorpommern Pro-Kopf-Finanz-
2 000
Rheinland-Pfalz vermögen beim
Sachsen-Anhalt nicht öffentlichen
1 500 Bereich der Länder
Thüringen Schleswig- und Gemeinden/
1 000 Nieder- Holstein Gemeindeverbände
Saarland
sachsen
500
relativ geringer Schuldenstand bei relativ hohem Finanzvermögen relativ hoher Schuldenstand bei relativ hohem Finanzvermögen
relativ geringer Schuldenstand bei relativ geringem Finanzvermögen relativ hoher Schuldenstand bei relativ geringem Finanzvermögen
Stichtag: 31.12.2014.
auf Einheiten außerhalb der öffentlichen 50 % des Stimmrechts oder des Nennka- Öffentliche Fonds, Einrichtungen
Haushalte (Kernhaushalte) auszulagern. pitals mittelbar beziehungsweise unmit- und Unternehmen verfügen über ein ei-
Eine wesentliche Rolle spielte dabei das telbar an diesen Einheiten beteiligt sind, genes, kaufmännisches oder kamerales
Streben nach einer effizienteren Aufga- werden sie in der Finanzstatistik unter Rechnungswesen beziehungsweise dop-
benerfüllung. Zum anderen wurde die dem Begriff »Öffentliche Fonds, Einrich- pelte Buchführung nach kommunalem
Forderung nach einem »schlanken Staat«, tungen und Unternehmen« (kurz: öffent- Haushaltsrecht (Doppik), so dass ihre
der sich auf seine Kernaufgaben be- liche Unternehmen) zusammengefasst. Einnahmen und Ausgaben nicht mehr im
schränkt, immer stärker. Parallel dazu Sie beziehen sich nicht nur auf ausge- jeweiligen Kernhaushalt enthalten sind.
erfolgte eine Reihe von Neugründungen wählte Wirtschaftszweige; die Bandbreite Die dargestellten Ergebnisse basieren
von öffentlichen Fonds, Einrichtungen reicht von Wohnungsbaugesellschaften, auf der Jahresabschlussstatistik, welche
und Unternehmen sowie der Einstieg der Krankenhäusern, Versorgungsunterneh- ausschließlich die Erhebung der öffent
öffentlichen Haushalte in bestehende Un- men, Hochschulen bis zu den im Zuge der lichen Fonds, Einrichtungen und Unter-
ternehmen. Soweit die öffentlichen Haus- Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ent- nehmen mit kaufmännischem Rechnungs-
halte maßgeblich, das heißt mit mehr als standenen Abwicklungsanstalten. wesen umfasst. Im Berichtsjahr 2012 gab
119
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst
u Abb 8 Öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen gung« (12 %), »Energieversorgung« (10 %),
nach ausgewählten Wirtschaftszweigen 2012 »Abwasserentsorgung« (9 %), »Öffentliche
Verwaltung, Verteidigung, Sozialversiche-
rung« (8 %) sowie »Verwaltung und Füh-
Grundstücks- und
Wohnungswesen
1 822 rung von Unternehmen und Betrieben,
Unternehmensberatung« (7 %). u Abb 8
Alle Bereiche zusammen erzielten im
Wasserversorgung 1 776
Jahr 2012 eine Bilanzsumme von rund
2 Billionen Euro, darunter entfielen die
Energieversorgung 1 494 höchsten Bilanzsummen auf die Bereiche
»Erbringung von Finanzdienstleistungen«
(rund 540 Milliarden Euro) und »Öffent-
Abwasserentsorgung 1 388
liche Verwaltung, Verteidigung, Sozial-
versicherung« (459 Milliarden Euro).
Öffentliche Verwaltung,
Verteidigung, 1 193 Die Zahlen der Gewinn- und Verlust-
Sozialversicherung rechnung wiesen für das Berichtsjahr
Verwaltung und Führung von 2012 einen Jahresüberschuss von rund
Unternehmen und Betrieben, 1070
Unternehmensberatung
6,6 Milliarden Euro für alle öffentlichen
Unternehmen aus. Zu diesem Ergebnis
Gesundheitswesen 841 trugen wesentlich die Wirtschaftszweige
»Energieversorgung« (2,3 Milliarden
Sammlung, Behandlung und Euro), »Verwaltung und Führung von
Beseitigung von Abfällen, 556 Unternehmen und Betrieben, Unterneh-
Rückgewinnung
mensberatung« (1,6 Milliarden Euro) so-
Erbringung von Dienst-
leistungen des Sports, der 511
wie »Versicherungen, Rückversicherun-
Unterhaltung und der Erholung gen und Pensionskassen (ohne Sozialver-
sicherung)« (1,3 Milliarden Euro) bei.
Landverkehr und Transport in
Rohrfernleitungen
490 Daneben erwirtschaftete der Bereich
»Öffentliche Verwaltung, Verteidigung,
Sozialversicherung« gut 1 Milliarde Euro.
Übrige 4 045
Einen Jahresverlust beziehungsweise
Fehlbetrag verzeichneten öffentliche
Fonds, Einrichtungen und Unternehmen
in den Wirtschaftszweigen »Erbringung
Die Kategorie »Übrige« mit 4 045 Einheiten enthält alle Wirtschaftszweige von Dienstleistungen des Sports, der Un-
mit weniger als 400 Berichtseinheiten.
terhaltung und der Erholung« (– 483 Mil-
lionen Euro) sowie »Gesundheitswesen«
(– 582 Millionen Euro). u Tab 4
120
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
u Tab 4 Ausgewählte Daten zur Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanzsumme öffentlicher Fonds,
Einrichtungen und Unternehmen 2012 — in Millionen Euro
Material- Personal-
Umsatz- Jahres- Bilanz-
aufwand aufwand
erlöse ergebnis summe
zusammen zusammen
Insgesamt 395 933 235 665 105 028 6 550 1 957 107
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung 15 371 3 305 9 802 1 052 458 746
zeitkräfte hat sich um 4 000 Personen oder u Abb 9 Entwicklung des Personalstandes im öffentlichen Dienst
0,2 % erhöht. Der Anteil der Frauen an zum Stichtag 30. Juni — in Millionen
den Vollzeitbeschäftigten betrug 41 %, bei
den Teilzeitbeschäftigten waren es 83 %. 7
121
4 / Wirtschaft und öffentlicher Sektor 4.2 / Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst
u Abb 10 Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Personalausstattung der neuen Länder
nach Aufgabenbereichen 2014 — in Prozent und der dortigen Kommunen an die
Verhältnisse des früheren Bundesgebiets
anzupassen. Hinzu kamen die Privati
Allgemeinbildende und
20,3 sierung der Deutschen Bundesbahn und
berufliche Schulen
Reichsbahn sowie der Deutschen Bundes-
Soziale Sicherung1 16,4
post. Zudem gab es auch einen Trend,
kommunale Krankenhäuser zu privatisie-
Hochschulen 11,1
ren und kommunale Dienstleistungen wie
Politische Führung 2 10,1
etwa Abfallentsorgung oder Straßenreini-
gung an private Unternehmen auszu
Öffentliche Sicherheit
9,8 lagern. Auch das führte zu einem Perso-
und Ordnung
nalrückgang im öffentlichen Sektor. u Abb 9
Verteidigung 3 5,3 Seit dem Jahr 2009 ist ein kontinuier
licher Personalanstieg im öffentlichen
Gesundheit, Umwelt,
Sport und Erholung
5,3 Dienst zu verzeichnen. Dieser ist über-
wiegend bei Tageseinrichtungen für Kin-
Finanzverwaltung 4,0 der und im Bereich der Hochschulen zu
beobachten.
Rechtsschutz 3,8
Die Schwerpunkte des Personalein-
satzes im öffentlichen Dienst lagen 2014
Übrige Bereiche 13,8
bei den allgemeinbildenden und beruf
lichen Schulen (20 %), der sozialen Siche-
Stichtag: 30.06. rung (16 %) und bei den Hochschulen
1 Einschließlich Familie und Jugend sowie Arbeitsmarktpolitik.
2 Einschließlich zentraler Verwaltung. (11 %). u Abb 10
3 Einschließlich Berufs- / Zeitsoldaten und -soldatinnen, ohne freiwillig Wehrdienstleistende.
Die Gesamtzahl der pensionierten Be-
amten, Richter sowie Berufssoldaten und
ihrer Hinterbliebenen (zusammen: Ver-
sorgungsempfänger) ist seit der deut-
schen Vereinigung erheblich gestiegen.
Im Zeitraum 1992 bis 2015 ist die Anzahl
1,6 Mill.
der Versorgungsempfängerinnen und
-empfänger des öffentlichen Dienstes um
rund 29 % gewachsen. Dies ist vor allem
auf den Aufbau von Personal im Bildungs-
bereich in den 1960er- und 1970er-Jahren
Versorgungsempfängerinnen
und -empfänger gab es im Jahr im früheren Bundesgebiet zurückzu
2015. Dies ist ein Anstieg von führen, das nun seit einigen Jahren aus
29 % in den letzten 23 Jahren. dem Erwerbsleben ausscheidet. Insgesamt
erhielten am 1. Januar 2015 rund 1,6 Mil-
lionen Personen Leistungen des öffent-
lich-rechtlichen Alterssicherungssystems.
Versorgungsleistungen nach dem Be-
amten- und Soldatenversorgungsrecht
erhielten Anfang 2015 beim Bund 180 000
ehemalige Bedienstete oder ihre Hinter-
bliebenen, bei den Ländern 822 000, im
kommunalen Bereich 119 000 sowie bei
der Sozialversicherung 22 000 Personen.
Beim Bundeseisenbahnvermögen (ehemals
Deutsche Bundesbahn) gab es im Januar
2015 rund 163 000 Versorgungsempfän-
122
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst / 4.2 Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4
gerinnen und -empfänger sowie bei der u Abb 11 Pensionierungsgründe bei den Neupensionären
Bundesanstalt für Post und Telekom im öffentlichen Dienst 2014 — in Prozent
munikation (ehemals Deutsche Bundes-
post) 273 000 Personen. Die Zahl ehemali-
Sonstige Gründe Allgemeine Antragsaltersgrenze
ger, nach dem Krieg nicht übernommener
Bediensteter des Deutschen Reiches und 1 30
123
44,7 Mill.
Erwerbspersonen gab es 2014 in Deutsch-
land. Davon waren 42,6 Millionen erwerbs-
tätig und 2,1 Millionen erwerbslos. 58,3 Mrd.
Arbeitsstunden wurden
3 % 2014 von den Erwerbstätigen
geleistet.
67 %
der Befragten hatten
2010 gute Freunde am
Arbeitsplatz.
5
Arbeitsmarkt
und Verdienste
5.1 Erwerbsarbeit spielt in Deutschland so-
wohl in gesellschaftlicher als auch in indi-
werbsbeteiligung. Für materiellen Wohl-
stand sind die Schaffung und der Erhalt
Arbeitsmarkt vidueller Hinsicht eine zentrale Rolle. Un- von Arbeitsplätzen eine wichtige Voraus-
bestritten wird Arbeit als Hauptquelle zur setzung. Dementsprechend groß ist auch
Sicherung des Lebensunterhalts gesehen. die öffentliche und politische Diskussion
Anja Crößmann,
Nicht minder wichtig ist die Bedeutung, um die Zukunft der Arbeitswelt.
Frank Schüller
die der ausgeübte Beruf und die beruf Die weiterhin rasante technische Ent-
liche Stellung für das Selbstverständnis wicklung, die zunehmende Globalisierung
Destatis jedes Einzelnen und seine gesellschaft der Arbeitsmärkte, der demografische
liche Position haben. Für viele ist Arbeit Wandel, veränderte Beschäftigungsfor-
ein wichtiger Teil der persönlichen Selbst- men, aber auch persönliche Ansprüche der
entfaltung. Immer mehr Frauen sind er- Menschen an ihre Arbeit und deren Ver-
werbstätig und die Erwerbsbeteiligung äl- einbarkeit mit dem Privatleben werfen
terer Menschen nimmt seit einiger Zeit viele Fragen auf. Im Vordergrund stehen
wieder zu. Das heißt für einen noch grö- heute die zunehmende Heterogenität der
ßeren Teil der Bevölkerung ist Erwerbsar- Erwerbsformen, deren Auswirkung auf
beit ein wesentlicher Teil des Alltags. Er- die Normalarbeitsverhältnisse und die
werbslosigkeit ist umgekehrt nicht nur in Frage, inwieweit Erwerbsarbeit noch exis-
finanzieller Hinsicht, sondern auch wegen tenzielle Absicherung garantieren kann.
der gesellschaftlichen Stigmatisierung ein Auf der anderen Seite wird vor dem Hin-
Problem. Die mit ihr einhergehenden tergrund des demografischen Wandels ein
Einkommensverluste zwingen meist nicht zunehmender Fachkräftemangel befürch-
nur zum Konsumverzicht, sondern füh- tet und diskutiert, inwieweit ungenutztes
ren zu einer eingeschränkten Teilnahme beziehungsweise zusätzliches Arbeitskräf-
der Erwerbslosen und aller von ihnen ab- tepotenzial aktiviert werden könnte.
hängigen Personen am gesellschaftlichen
Leben. Eine auf den Arbeitsmarkt bezoge- 5.1.1 Die amtliche
ne Perspektivlosigkeit kann darüber hin- Arbeitsmarktstatistik
aus persönliche Krisen auslösen. Das Statistische Bundesamt erstellt Sta-
Ebenso groß ist die Bedeutung der Er- tistiken, mit denen das erwerbsstatisti-
werbsarbeit auf gesellschaftlicher Ebene. sche Gesamtsystem betrachtet und analy-
Das Steuersystem und die Sozialversiche- siert werden kann. Es berechnet bezie-
rungssysteme finanzieren sich über Er- hungsweise erhebt dazu unter anderem
125
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
126
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
127
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
lediglich unterbrochen durch einen ge- u Abb 2 Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren — in Prozent
ringfügigen Anstieg im Jahr 2009. Im Jahr
2010 lag die durchschnittliche Erwerbs 73,9 73,8 73,7 73,8 73,9
72,6
69,6
losenzahl erstmals seit 1992 wieder unter 65,7
61,3
3 Millionen. Bis 2014 hat sie sich weiter
deutlich verringert und lag bei 2,1 Millio-
nen Personen. Damit ist das Niveau von
35,7
1991 leicht unterschritten. Die Erwerbslo- 32,0
28,5
25,7 24,5 24,6 24,7 24,7 24,6
senquote sank 2014 auf den tiefsten Stand
seit der deutschen Vereinigung, im Jahres-
durchschnitt lag sie bei 4,7 %. Die Zahl der 3,0 2,3 1,9 1,7 1,6 1,6 1,6 1,5 1,5
registrierten Arbeitslosen wies im Ver-
1991 1995 2000 2005 2010 2011 2012 2013 2014
gleich zur Zahl der Erwerbslosen einen
primärer Sektor sekundärer Sektor tertiärer Sektor
ähnlichen Verlauf auf, allerdings auf ei-
nem höheren Niveau. Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Stand August 2015.
128
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
5.1.4 Beteiligung am Erwerbsleben u Tab 2 Erwerbstätige Männer und Frauen in den zehn am stärksten
Längere Ausbildungszeiten und das frü- besetzten Berufsgruppen 2014
here Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Erwerbstätige in 1 000
führten seit den 1990er-Jahren zu stetig
Männer
sinkenden Erwerbsquoten. Dieser Trend
1 Maschinenbau- und Betriebstechnik 1 326
hat sich mittlerweile umgekehrt. Im Jahr
2014 lag die Erwerbsquote, das heißt der 2 Lagerwirtschaft, Post, Zustellung, Güterumschlag 1 015
legt und lag 2014 bei 66 %. Auch die hö- 4 Unternehmensorganisation und -strategie 1 108
rigen mit einer durchschnittlichen Er- 25 – 29 79,5 82,6 79,0 82,6 81,4 82,7
werbsquote von 90 %. u Tab 3 30 – 34 85,8 86,9 84,8 86,4 90,2 88,7
Die Erwerbsbeteiligung in den neuen 35 – 39 87,7 87,9 86,5 87,2 92,8 90,4
Ländern und Berlin lag 2004 mit rund
40 – 44 89,0 89,6 87,7 89,0 93,9 92,4
74 % für die 15- bis 64-Jährigen noch rund
45 – 49 88,1 89,5 86,9 89,3 92,4 90,2
3 Prozentpunkte über derjenigen im frü-
heren Bundesgebiet (rund 72 %). Im Jahr 50 – 54 83,2 86,9 81,8 86,7 88,3 87,6
2014 hatte sich diese geringfügig weiter 55 – 59 71,1 80,6 69,4 80,2 78,1 82,3
angeglichen und lag bei 79 % in den neuen 60 – 64 28,6 55,6 29,5 55,5 25,6 55,8
Ländern und Berlin sowie bei 77 % im frü- 65 – 69 5,6 13,9 6,2 14,6 3,4 11,3
heren Bundesgebiet. Ursache für die lang-
70 – 74 2,5 5,9 2,8 6,5 1,3 3,8
fristige Angleichung war vor allem die
75 und älter 0,8 1,6 0,9 1,8 0,3 0,7
steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen.
Ihre Erwerbsquote ist im Alter von 15 bis Ergebnisse des Mikrozensus.
129
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
Früheres Bundesgebiet
Männer Frauen
75 und älter
70 –74
65–69
60– 64
55–59
50–54
45–49
40–44
35–39
30–34
25–29
20–24
15 –19
4 3 2 1 0 0 1 2 3 4
Männer Frauen
75 und älter
70 –74
65–69
60– 64
55–59
50–54
45–49
40–44
35–39
30–34
25–29
20–24
15 –19
4 3 2 1 0 0 1 2 3 4
130
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
64 Jahren in dem Zehnjahreszeitraum in u Abb 5 Erwerbsquote nach Alter und Bildungsstand 2014 — in Prozent
Ostdeutschland um 5 Prozentpunkte auf
76 %, in Westdeutschland um 8 Prozent-
Bildungsstand hoch
punkte auf 72 % gestiegen. Die Erwerbsbe- 93,1
(Meister-/ Technikerausbildung,
teiligung von Männern befand sich in Ost- Fachhochschul-/ Universitäts- 80,7
und Westdeutschland bereits 2004 auf ei- abschluss, Promotion)
131
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
132
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
hält seine Bedeutung durch seine unge- kenden Anteils ab dem Jahr 2006 um. dige ohne Beschäftigte unternehmerisch
brochene Dominanz auf dem Arbeits- Der Anteil ist seitdem auf 68 % im Jahr tätig. Damit waren von den Kernerwerbs-
markt und der damit verbundenen Aus- 2014 gestiegen. u Tab 4 tätigen rund 4,7 % Selbstständige mit Be-
richtung der Sozialsysteme auf diesen Personen mit einer geringeren beruf schäftigten und 5,7 % solo-selbstständig.
»Normalfall«. Dabei darf aber nicht lichen Qualifikation sind deutlich häufiger In den zurückliegenden 20 Jahren
übersehen werden, dass Beschäftigungs- atypisch beschäftigt. Im Jahr 2014 waren stagnierte der Anteil der Selbstständigen
formen, die unter dem Sammelbegriff 36 % der Erwerbstätigen ohne eine aner- mit Beschäftigten weitestgehend und lag
»atypische Beschäftigung« zusammenge- kannte Berufsausbildung atypisch be- mit 5,2 % im Jahr 1994 nur um 0,5 Pro-
fasst werden, an Bedeutung zugenom- schäftigt und damit deutlich mehr als un- zentpunkte höher als 2014 (4,7 %). Der
men haben. Sie prägen das Arbeitsleben ter allen Erwerbstätigen (21 %). Erwerbstä- Anteil der Solo-Selbstständigen ist dage-
für eine nicht unwesentliche Zahl von tige mit einem (Fach-)Hochschulabschluss gen im selben Zeitraum um 1,7 Prozent-
Erwerbstätigen. waren nur zu 14 % atypisch beschäftigt. punkte von 4,0 % auf 5,7 % gestiegen.
Selbstständige Tätigkeiten werden Während hochqualifizierte Erwerbstätige Hatte es Anfang der 1990er-Jahre noch
nicht arbeitsvertraglich geregelt und brin- dabei am häufigsten befristet oder in Teil- mehr Selbstständige mit Beschäftigten
gen allein dadurch vielfältigere Arbeits- zeit bis 20 Wochenstunden beschäftigt als ohne gegeben, hat sich dies mittler-
bedingungen mit sich. Einkommen, Ar- waren, befanden sich gering Qualifizierte weile umgekehrt. Diese Entwicklung bei
beitsumfang und ob eine Geschäftsbasis überdurchschnittlich häufig in allen For- den Solo-Selbstständigen könnte ein
längerfristig die Existenz sichern kann, men atypischer Beschäftigung. Am häu- Hinweis darauf sein, dass abhängig Be-
variieren stark. Aus diesem Grund wird figsten arbeiteten sie in einer Teilzeitbe- schäftigte verstärkt in die Selbstständig-
Selbstständigkeit gesondert von Normal- schäftigung bis 20 Wochenstunden oder keit drängen oder gedrängt werden, es
und atypischer Beschäftigung betrachtet. in geringfügiger Beschäftigung. also Substitutionsprozesse von abhängi-
Von den 35,9 Millionen Erwerbs Von den 35,9 Millionen Kernerwerbs- ger Beschäftigung in die Selbstständig-
tätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren, tätigen im Jahr 2014 waren 3,7 Millionen keit gibt. Auch die von den Arbeitsagen-
die sich nicht mehr in Bildung oder Aus selbstständig. Knapp 1,7 Millionen von ih- turen geförderten Selbstständigkeiten
bildung befanden (sogenannte Kern nen führten ein Unternehmen mit mindes- (Existenzgründungszuschüsse, Ich-AG,
erwerbstätige), waren 2014 rund 24,5 Mil- tens einem Beschäftigten und 2,0 Millio- Einstiegsgelder) trugen zu dieser Ent-
lionen Personen normalerwerbstätig und nen waren als sogenannte Solo-Selbststän- wicklung bei.
7,5 Millionen atypisch beschäftigt. Damit
3,7 Mill.
befand sich mehr als jeder fünfte Er-
werbstätige (21 %) in einem atypischen
Beschäftigungsverhältnis, das mindes-
tens eines der folgenden Elemente auf-
wies: eine Befristung (2,5 Millionen Per-
sonen), eine Teilzeitbeschäftigung mit
maximal 20 Wochenstunden (4,9 Millio-
nen Personen), Geringfügigkeit im Sinne
des Sozialrechts (2,3 Millionen Personen) Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64
oder Zeit- beziehungsweise Leiharbeit Jahren waren im Jahr 2014 selbstständig.
(0,7 Millionen Personen). Im Jahr 2004
lag der Anteil atypischer Beschäftigung
noch bei 19 %.
Die Verschiebung der Anteile zwi-
schen Normalbeschäftigung und atypi-
scher Beschäftigung begann bereits 1994.
Damals lag der Anteil atypisch Beschäf-
tigter bei rund 14 %. Er stieg kontinuier-
lich an und lag ab 2008 in etwa auf dem
gleichen Niveau von rund 22 %. Seit 2011
ist eine leicht rückläufige Tendenz zu ver-
zeichnen.
Bei der Normalbeschäftigung kehrte
sich der Trend eines immer weiter sin-
133
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
2009 34,80 3,88 2,14 30,76 23,06 7,70 2,73 4,92 2,57 0,56
2010 35,15 3,92 2,17 31,08 23,13 7,95 2,86 4,94 2,52 0,74
20115 35,11 3,92 2,19 31,04 23,19 7,86 2,81 4,97 2,61 0,75
2012 35,44 3,92 2,19 31,39 23,68 7,71 2,64 4,94 2,49 0,72
2013 35,63 3,81 2,09 31,70 24,06 7,64 2,52 4,97 2,44 0,68
2014 35,88 3,74 2,05 32,02 24,52 7,51 2,46 4,87 2,34 0,67
Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren, nicht in Bildung oder Ausbildung; ohne Zeit- und Berufssoldaten / Zeit- und Berufssoldatinnen sowie Grundwehr- und Zivildienstleistende.
Bis 2004 Ergebnisse einer Berichtswoche im Frühjahr; ab 2005 Jahresdurchschnittswerte sowie geänderte Erhebungs- und Hochrechnungsverfahren.
1 Umfasst auch mithelfende Familienangehörige, die in der Tabelle nicht gesondert ausgewiesen sind.
2 Vor 2006 ohne Zeitarbeitnehmer/-innen.
3 Mehrfachnennungen möglich.
4 Mit höchstens 20 Arbeitsstunden pro Woche.
5 Ergebnisse ab 2011 auf Basis des Zensus 2011, die Ergebnisse sind mit den Vorjahren nur eingeschränkt vergleichbar.
– Nichts vorhanden.
Ergebnisse des Mikrozensus.
5.1.7 Erwerbstätigkeit als Während sich auf der Gesamtebene entsprechenden Anteil der Männer (55 %)
Unterhaltsquelle im Zehnjahresvergleich kaum Änderun- war mit 9 Prozentpunkten geringer. u Abb 6
Rund 51 % der Personen im Alter von 15 gen bei den Unterhaltsquellen zeigten, Bei den Anteilen anderer Unterhalts-
und mehr Jahren bestritten 2014 ihren waren zwischen Ost- und Westdeutsch- quellen zeigten sich zwischen den Ge-
Lebensunterhalt überwiegend aus eigener land und zwischen Männern und Frauen schlechtern, aber auch im Vergleich von
Erwerbstätigkeit. Dieser Anteil hat sich unterschiedliche Trends zu beobachten. Ost- und Westdeutschland geringere Un-
gegenüber 2004 erhöht. Damals lag er bei Im Jahr 2014 verdienten im früheren Bun- terschiede. Die Bedeutung des Arbeitslo-
rund 46 %. Die Relevanz anderer Quellen desgebiet 59 % der Männer und 44 % der sengeldes und anderer Sozialleistungen als
des überwiegenden Lebensunterhaltes Frauen ihren überwiegenden Lebensun- überwiegende Unterhaltsquelle hat in Ost-
hat sich in den vergangenen zehn Jahren terhalt durch Erwerbstätigkeit. Im Ver deutschland im betrachteten Zeitraum et-
nur wenig verändert. Im Jahr 2014 lebten gleich zu 2004 (56 %) veränderte sich für was abgenommen und ist von 16 % (2004)
zum Beispiel 7 % der Bevölkerung haupt- die Männer dieser Anteil nur wenig. Der auf 11 % gesunken. Der Anteil der Perso-
sächlich von Sozialleistungen wie Ar- Anteil der Frauen, die ihren Lebensunter- nen mit Renten und eigenem Vermögen
beitslosengeld, Leistungen nach Hartz IV halt vorwiegend durch die eigene Er- als Haupteinkommensquelle hat sich seit
oder BAföG, 2004 waren es 9 %. Durch werbstätigkeit finanzierten, ist jedoch um 2004 (28 %) in Deutschland insgesamt
Rente, Pension oder eigenes Vermögen fi- 6 Prozentpunkte gestiegen; er hatte 2004 kaum verändert und lag 2014 bei rund ei-
nanzierten sich 27 % im Jahr 2014, ähn- lediglich bei rund 37 % gelegen. Trotzdem nem Viertel (Männer: 26 %; Frauen: 28 %).
lich hoch lag der Anteil vor zehn Jahren blieben westdeutsche Frauen deutlich – Auffallend ist der hohe Anteil an Frauen in
(28 %). Der Anteil derjenigen, deren Un- mit einem Unterschied von 15 Prozent- Ostdeutschland, die zu 35 % überwiegend
terhalt hauptsächlich von Angehörigen punkten – hinter den westdeutschen von Renten, Pensionen oder eigenem Ver-
finanziert wurde, sank von 18 % (2004) Männern zurück. Frauen in Westdeutsch- mögen leben.
auf 15 % (2014). Neu hinzugekommen ist land sind auch weiterhin häufiger auf an-
seit 2007 das Elterngeld, welches 2014 für dere Finanzierungsquellen angewiesen als 5.1.8 Registrierte Arbeitslose und
0,5 % der Bevölkerung ab 15 Jahren die Frauen im Osten. Dort lebten 46 % der gemeldete Arbeitsstellen
wichtigste Quelle des Lebensunterhalts Frauen hauptsächlich von der eigenen Er- In diesem Abschnitt werden Ergebnisse
darstellte. werbstätigkeit und der Unterschied zum für die nationale Arbeitsmarktbeobach-
134
Abb 6 Bevölkerung nach überwiegendem Lebensunterhalt 2014 - in Prozent
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
u Abb 6 Bevölkerung nach überwiegendem Lebensunterhalt 2014 — in Prozent der Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe folgt zum einen eine deut-
liche Ausweitung der Zahl der Arbeitslo-
Männer
sen, auch wenn die Definition von Ar-
58,9 beitslosigkeit im SGB III unverändert
Erwerbstätigkeit
54,9 blieb. Seit der Reform gelten prinzipiell
alle Personen ohne Arbeit als arbeitslos,
Rente, Pension, 25,1 die staatliche Hilfe beanspruchen, er-
eigenes Vermögen 27,8 werbsfähig sind und deren Alter zwischen
15 und dem Renteneintrittsalter liegt.
ALG I, ALG II, 6,8 Ausgenommen von dieser Regel sind nur
Sozialhilfe, BAföG, usw. 11,4 Personen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung stehen (zum Beispiel durch
Einkünfte von 9,2 Krankheit oder weil sie Schüler/Schüle-
Angehörigen 5,8 rinnen oder Studierende sind oder weil
sie sich in arbeitsmarktpolitischen Maß-
0,0 nahmen befinden).
Elterngeld
0,1 Durch diese Umstellung sind die Ar-
beitsagenturen nur noch für einen Teil
der Arbeitslosen zuständig. Für die
Frauen Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach SGB II sind neben den Arbeitsagen-
43,7
Erwerbstätigkeit turen auch kommunale Träger verant-
45,8
wortlich. Die Bundesagentur für Arbeit
führt die bisherige Arbeitsmarktstatistik
Rente, Pension, 25,7
unter Einbeziehung der Grundsicherung
eigenes Vermögen 35,1
für Arbeitsuchende weiter.
Die im Folgenden dargestellten Ar-
ALG I, ALG II, 6,0
beitslosenquoten beziehen sich auf alle
Sozialhilfe, BAföG, usw. 10,0
zivilen Erwerbspersonen. Diese Quoten-
berechnung steht seit 2009 im Vorder-
Einkünfte von 23,9
grund der Berichterstattung, Ergebnisse
Angehörigen 8,0
liegen für Deutschland insgesamt ab
1992 und für die Teilgebiete ab 1994 vor.
0,8 Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen
Elterngeld
1,1
nach der deutschen Vereinigung ist nicht
allein auf die wirtschaftlich schwache Si-
früheres Bundesgebiet neue Länder und Berlin tuation in den neuen Bundesländern zu-
rückzuführen. Auch in Westdeutschland
Bevölkerung 15 Jahre und älter. sind ab 1992 die Arbeitslosenquoten
Ergebnisse des Mikrozensus.
merklich gestiegen. Im Jahr 1997 lag die
Arbeitslosenquote im Westen bei 9,6 %
Bevölkerung 15 Jahre und älter.
und erreichte nach einem Rückgang
Ergebnisse des Mikrozensus.
durch die folgende konjunkturelle Bele-
bung dann 2005 einen neuen Höchstwert
von 9,9 %.
tung aus der Statistik der Bundesagentur kurz auf die bedeutendsten Änderungen In den neuen Ländern ist die hohe
für Arbeit (BA) dargestellt. eingegangen werden. Mit der Überarbei- Arbeitslosigkeit hauptsächlich auf die
Aufgrund verwaltungsrechtlicher Maß tung des Zweiten Buches des Sozialgesetz- Anpassung der Wirtschaftsstruktur zu-
nahmen und Reformen ist die Aussage- buches (SGB II) haben sich in Deutsch- rückzuführen. Dadurch wurden zunächst
kraft der Zeitreihen zu den Arbeitslosen land seit 1. Januar 2005 die Grundlagen mehr Arbeitskräfte freigesetzt als neu
eingeschränkt. An dieser Stelle kann nur der Arbeitsmarktstatistik geändert. Aus eingestellt. Im Jahresdurchschnitt 1991
135
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
1 Bis 1999 einschließlich geförderter Stellen (Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). Grundlage ist die Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit.
2 Schätzung für das gesamte Stellenangebot auf dem ersten Arbeitsmarkt (ohne Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). Grundlage ist eine Betriebsbefragung des IAB.
3 Arbeitslosenquoten bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen.
. Zahlenwert unbekannt.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (BA), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)
hatten sich eine Million Personen als ar- stand von 6,7 % beziehungsweise 2,9 Mil- liefert vergleichbare Ergebnisse ab dem
beitslos gemeldet. Bis zum Jahr 1998 stieg lionen Personen. u Tab 5 Jahr 2006 und ist repräsentativ für alle Be-
die Zahl auf 1,5 Millionen an, was einer Die Zahl der gemeldeten Arbeitsstel- triebe mit mindestens einem sozialversi-
Quote von 17,8 % entsprach und bewegte len lag 2014 durchschnittlich bei 490 300. cherungspflichtigen Angestellten. Im Jahr
sich danach konstant auf relativ hohem Das waren deutlich mehr Stellen als im 2014 gab es demnach im Durchschnitt et-
Niveau. Die Arbeitslosenquote lag zwi- Jahr der Wirtschaftskrise 2009 (300 600 was mehr als 1,1 Millionen zu besetzende
schen 17,3 % und 18,7 %. Erst seit 2006 ist gemeldete Arbeitsstellen) und gleichzeitig Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Da-
die Arbeitslosenzahl in Ostdeutschland der höchste Wert seit Beginn der Darstel- mit wird deutlich, dass es gesamtwirt-
wieder merklich rückläufig und sank lung in der heutigen Form im Jahr 2000. schaftlich wesentlich mehr zu besetzende
2014 auf eine Quote von 9,8 % bezie- Analog zu den Zahlen über registrierte Stellen gibt, als der Arbeitsagentur gemel-
hungsweise fast 824 000 Arbeitslose. Arbeitslose handelt es sich bei der Zahl det werden. Die Meldequote ist seit 2012
Die Entwick lung im gesamten gemeldeter Arbeitsstellen ausschließlich wieder rückläufig und lag 2014 bei ledig-
Deutschland zeichnete sich in den Jahren um bei der Arbeitsvermittlung gemeldete lich 44 %.
1996 bis 2006 durch meist zweistellige Stellen mit Vermittlungsauftrag. Sie stellt
Arbeitslosenquoten aus, die während ei- somit nur einen Ausschnitt des gesamt- 5.1.9 Arbeitsunfälle und gesundheit-
ner positiven Entwicklung zwischen wirtschaftlichen Stellenangebots dar. Ab liche Belastung
2000 und 2002 leicht unter 10 % fielen. dem Jahr 2000 werden ausschließlich un- Durch den strukturellen Wandel in der
Die Zahl der Arbeitslosen bewegte sich in geförderte Stellenangebote am sogenann- deutschen Wirtschaft haben sich die Ar-
diesem Zeitraum um den Wert von 4 Mil ten ersten Arbeitsmarkt (ohne Arbeitsge- beitsbedingungen und die damit einher-
lionen Personen. Erst 2008 lag die Quote legenheiten oder Arbeitsbeschaffungs- gehende Arbeitsbelastung vieler Men-
mit 7,8 % auf fast demselben Stand wie maßnahmen) dargestellt. schen verändert. Im Jahr 2013 enthielt
1992. Nach einem leichten Anstieg im Um das Stellenangebot umfassender der Mikrozensus Zusatzfragen zu Ar-
Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschafts- abbilden zu können, führt das Institut beitsunfällen, arbeitsbedingten Gesund-
krise 2008/2009 und eines schwächeren für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heitsproblemen und zu physischen und
Wachstums 2013 sank die Arbeitslosen- der Bundesagentur für Arbeit quartals- psychischen Belastungen, denen die Be-
quote im Jahr 2014 auf einen neuen Tief- weise eine Betriebsbefragung durch. Diese fragten bei der Arbeit ausgesetzt sind.
136
Arbeitsmarkt / 5.1 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
Rund 1,2 Millionen Erwerbstätige (3 %) u Abb 7 Erwerbstätige nach Art der körperlichen und psychischen
gaben an, mindestens einen Arbeitsunfall Belastungen am Arbeitsplatz 2013 — in Prozent
im Jahr vor der Befragung erlitten zu ha-
ben. Die größte Unfallgefahr bestand bei
Fachkräften in der Land- und Forstwirt- körperliche Belastung
28,9
insgesamt
schaft. Hier gaben 6 % der Erwerbstätigen
an, einen Arbeitsunfall gehabt zu haben. schwierige Körperhaltung/
18,2
schwere Lasten
Annähernd gleichviele Erwerbstätige im
Bereich Bau, Architektur und Gebäude- Lärm/starke Vibrationen 1,7
technik gaben mindestens einen Unfall
Chemikalien, Staub,
im vergangenen Jahr an (5 %). Das ge- 2,7
Dämpfe, Rauch oder Gase
ringste Unfallrisiko wiesen klassische Bü- Belastung für Augen
2,0
roberufe wie zum Beispiel in der Buch- und Sehvermögen
haltung oder der Verwaltung auf (1 %).
Unfallgefahren 1,6
Im selben Jahr hatten etwas mehr als
3,4 Millionen Erwerbstätige arbeitsbe-
Sonstiges 2,8
dingte Gesundheitsprobleme (8 %), also
chronische Belastungen oder Einschrän-
kungen, die durch die ausgeübte Erwerbs-
tätigkeit entstehen. Mit zunehmendem psychische Belastung
21,3
insgesamt
Alter traten arbeitsbedingte Gesundheits-
probleme verstärkt in den Vordergrund. starker Zeitdruck 16,6
Gaben die jüngsten Erwerbstätigen bis
Gewalt und Gewalt-
25 Jahre nur in 3 % der Fälle eine Belas- androhung, Mobbing, 1,3
tung an, stieg dieser Anteil bis auf 10 % Belästigungen
bei den 45- bis 55-Jährigen beziehungs-
Sonstiges 3,5
weise 12 % bei den 55- bis 65-Jährigen.
In der Zusatzerhebung des Mikrozen-
sus wurde neben den erlittenen Arbeitsun- Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung 2013.
137
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.1 / Arbeitsmarkt
punkte gestiegen. Dazu hat vermutlich u Abb 8 Erwerbstätige, die samstags und sonntags arbeiten
auch die Liberalisierung der Ladenöff- nach Wirtschaftsbereichen 2014 — in Prozent
nungszeiten beigetragen. Fast die Hälfte
der Selbstständigen mit Beschäftigten
(46 %) hat 2014 regelmäßig zwischen 18 60,9
Land- und Forstwirt-
und 23 Uhr gearbeitet. Bei den Arbeitneh- schaft, Fischerei
48,3
47,6
merinnen und Arbeitnehmern war es hin-
gegen nur fast jede vierte Person (24 %).
Produzierendes Gewerbe
Der Anteil derjenigen, die ständig bezie-
hungsweise regelmäßig nachts arbeiten, 17,8
Produzierendes Gewerbe
ohne Baugewerbe 9,4
hat dagegen nur leicht von 7 % auf 9 % 8,3
zugenommen. Männer arbeiteten dabei
11,8
fast doppelt so häufig nachts (11 %) wie Baugewerbe 2,7
Frauen (6 %). 2,5
Der Anteil der Erwerbstätigen, die
samstags arbeiten, stieg von 21 % (1994) 28,9
auf 26 % (2014). Mehr als die Hälfte der Dienstleistungen 15,8
Selbstständigen mit Beschäftigten (53 %) 15,1
138
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
139
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste
140
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
gezahlten Bruttoverdienste von Arbeitneh- u Tab 2 Arbeitszeiten und Verdienste (ohne Sonderzahlungen) vollzeitbeschäftigter
merinnen und Arbeitnehmern entwickeln. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2014
141
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste
142
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
u Tab 3 Bruttostundenverdienste und Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen 2014 lungen berücksichtigt werden. So lag bei-
Bruttoinlandsprodukt spielsweise der Anteil der Sonderzahlun-
Bruttostundenverdienst in jeweiligen Preisen gen an der Grundvergütung im Gast
je Erwerbstätigen
gewerbe mit 4,4 % deutlich unter dem bei
in Euro Deutschland = 100
Betrieben der Erbringung von Finanz- und
Deutschland 20,02 100 100
Versicherungsdienstleistungen (20,4 %). Im
Früheres Bundesgebiet und Berlin 20,77 103,7 103,3
Durchschnitt wurden 10,0 % Sonderzah-
Neue Länder ohne Berlin 15,64 78,1 79,5
lungen erreicht. Generell war der Anteil
Hamburg 22,39 111,8 127,0
Hessen 21,96 109,7 111,2
der Sonderzahlungen an der Gesamtver-
Baden-Württemberg 21,53 107,5 106,9 gütung in Branchen mit hohen Verdiens-
Nordrhein-Westfalen 21,06 105,2 101,0 ten höher als in Branchen mit niedrigen
Bayern 20,94 104,6 107,0 Verdiensten. u Tab 5
Bremen 20,82 104,0 105,5 Alle hier veröffentlichten Verdienstan-
Rheinland-Pfalz 19,79 98,9 95,3 gaben sind Durchschnittswerte (arithme-
Saarland 19,68 98,3 94,7 tisches Mittel). Wichtig für die Interpreta-
Berlin 19,14 95,6 83,8 tion dieser Werte ist eine Vorstellung über
Niedersachsen 19,06 95,2 94,8 die Verteilung der Beschäftigten um die-
Schleswig-Holstein 18,51 92,5 91,9
sen Mittelwert: Aus der Verdienststruk-
Brandenburg 16,06 80,2 83,8
turerhebung 2010 ist bekannt, dass knapp
Sachsen 15,63 78,1 78,9
zwei von drei Vollzeitbeschäftigten (62 %)
Thüringen 15,63 78,1 76,2
weniger verdienen als den gesamtwirt-
Sachsen-Anhalt 15,54 77,6 81,0
Mecklenburg-Vorpommern 15,22 76,0 77,3
schaftlichen Durchschnittswert; nur ein
gutes Drittel hat höhere Bruttoverdienste.
Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten im Produzierenden
Gewerbe und im Dienstleistungsbereich. Geringfügig Beschäftigte sind nicht enthalten. Dieses Drittel hat so hohe Verdienste,
Quelle: Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«
dass der Durchschnittswert für alle Be-
schäftigten »nach oben gezogen« wird.
u Tab 4 Bruttomonatsverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen und
A rbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich 2014
Verdienste von Vollzeit- und
Anteile der Arbeitnehmer Durchschnittlicher Bruttomonats- Teilzeitbeschäftigten
in Leistungsgruppen verdienst (ohne Sonderzahlungen)
Gibt es Unterschiede im Bruttostunden-
insgesamt Männer Frauen insgesamt Männer Frauen
verdienst bei Vollzeit- und Teilzeitbeschäf-
in % in Euro
tigten? Als Teilzeitbeschäftigte gelten Ar-
Deutschland beitnehmer, deren regelmäßige Wochen-
Insgesamt 100 100 100 3 527 3 728 3 075 arbeitszeit kürzer ist als die vergleichbarer
Leistungsgruppe 1 12,0 13,3 9,0 6 446 6 762 5 392 vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen
Leistungsgruppe 2 23,7 23,3 24,6 4 210 4 414 3 774 und Arbeitnehmer. Teilzeitbeschäftigte
Leistungsgruppe 3 44,8 43,5 47,7 2 922 3 039 2 682
wiesen im Jahr 2014 mit 16,61 Euro einen
Leistungsgruppe 4 13,7 14,5 11,7 2 417 2 522 2 124
um 20 % niedrigeren durchschnittlichen
Leistungsgruppe 5 5,9 5,4 7,0 2 014 2 074 1 911
Bruttostundenverdienst auf als Vollzeit
Früheres Bundesgebiet und Berlin
beschäftigte (20,74 Euro). Woran liegt das?
Insgesamt 100 100 100 3 652 3 864 3 156
Ein Vergleich der Verdienste von Vollzeit-
Leistungsgruppe 1 12,4 13,8 9,1 6 584 6 884 5 511
Leistungsgruppe 2 24,2 24,0 24,7 4 316 4 518 3 856
und Teilzeitbeschäftigten nach Leistungs-
Leistungsgruppe 3 43,7 42,3 47,1 3 030 3 157 2 765
gruppen macht deutlich, dass 12,0 % der
Leistungsgruppe 4 13,5 14,3 11,6 2 502 2 608 2 197 Vollzeitbeschäftigten leitende Arbeitneh-
Leistungsgruppe 5 6,1 5,5 7,4 2 057 2 118 1 950 mer waren. Bei den Teilzeitbeschäftigten
Neue Länder ohne Berlin waren es lediglich 6,4 %. Demgegenüber
Insgesamt 100 100 100 2 760 2 818 2 657 gehörten 5,9 % der Vollzeit- aber 14,8 %
Leistungsgruppe 1 9,4 9,8 8,7 5 330 5 614 4 751 der Teilzeitbeschäftigten zu den ungelern-
Leistungsgruppe 2 20,3 18,2 24,1 3 433 3 500 3 343 ten Arbeitnehmern. u Tab 6
Leistungsgruppe 3 51,1 51,4 50,5 2 354 2 391 2 286 Da der Verdienst mit dem am Arbeits
Leistungsgruppe 4 14,4 15,9 11,9 1 930 2 003 1 754 platz erforderlichen Qualifikationsniveau
Leistungsgruppe 5 4,7 4,6 4,9 1 679 1 725 1 602 entsprechend ansteigt, wird der durch-
143
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste
Bruttomonatsverdienst
Anteil der Anteil der Sonderzahlungen
Arbeitnehmer ohne Sonder- an der Grundvergütung
Sonder-
zahlungen
zahlungen
(Grundvergütung)
in % in Euro in %
Teilzeitbeschäftigte
Vollzeitbeschäftigte
(ohne geringfügig Beschäftigte)
Anteil in %¹ in Euro Anteil in %1 in Euro
Insgesamt 66,2 20,74 21,9 16,61
144
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
schnittliche Bruttostundenverdienst teil- pen verursacht wird, die möglicherweise schiede erklärt werden. Der bereinigte
zeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen und ebenfalls das Ergebnis benachteiligender Verdienstunterschied liegt demnach bei
Arbeitnehmer demnach durch einen höhe- Strukturen sind. rund 7 %. Dies bedeutet, dass weibliche
ren Anteil »niedriger« Stundenverdienste In den vergangenen Jahren lag der un- Arbeitnehmer je Stunde 7 % weniger als
gedrückt. Entspräche die Verteilung der bereinigte Gender Pay Gap in Deutsch- Männer verdienten, auch unter der Vor-
Teilzeitbeschäftigten auf die Leistungs- land bei 22 %, das heißt der durchschnitt- aussetzung, dass sie
gruppen der von Vollzeitbeschäftigten, er- liche Bruttostundenverdienst von Frauen ·· die gleiche Tätigkeit ausübten,
gäbe sich nur noch ein Verdienstunter- fiel um 22 % geringer aus als der von Män- ·· über einen äquivalenten Ausbildungs-
schied von 12 %. Ein weiterer Grund für nern. Analysen auf Grundlage der in hintergrund verfügten,
die Unterschiede beim Bruttostundenver- mehrjährlichen Abständen durchgeführ- ·· in einem vergleichbar großen privaten
dienst Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigter ten Verdienststrukturerhebung 2010 zei- beziehungsweise öffentlichen Unter
liegt in der Verteilung der jeweiligen Be- gen, dass in Deutschland zwei Drittel nehmen tätig waren, das auch regional
schäftigungsarten auf einzelne Branchen. (66 %) des unbereinigten Gender Pay Gap ä hnlich zu verorten war (Ost/West,
Teilzeitbeschäftigte finden sich verstärkt auf Strukturunterschiede zwischen Ar- Ballungsraum/kein Ballungsraum),
in Branchen mit niedrigeren Verdiensten. beitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu- ·· einer vergleichbaren Leistungsgruppe
Berechnet man einen Stundenverdienst rückzuführen sind. Wichtigste Unter- angehörten,
mit den Verdiensten der Teilzeitbeschäf- schiede waren, dass Frauen und Männer ·· einen ähnlich ausgestalteten Arbeits-
tigten und der Branchenstruktur der Voll- unterschiedliche Leistungsgruppen be vertrag (befristet/unbefristet, mit/oh-
zeitbeschäftigten, beträgt die Abweichung setzen und sich hinsichtlich der Berufs- ne Tarifbindung, Altersteilzeit ja/nein,
nur noch 15 %. Beide Effekte zusammen- b eziehungsweise Branchenwahl unter-
Zulagen ja/nein) hatten,
genommen erklären knapp zwei Drittel scheiden. Schließlich sind Frauen eher ·· das gleiche Dienstalter und die gleiche
des Verdienstabstandes zwischen Voll- und teilzeitbeschäftigt und teilweise schlech- potenzielle Berufserfahrung aufwiesen
Teilzeitbeschäftigten. ter ausgebildet. Rund ein Drittel (34 %) sowie
des unbereinigten Verdienstunterschieds ·· einer Beschäftigung vergleichbaren Um-
Verdienstunterschied zwischen konnte nicht mithilfe derartiger Unter- fangs (Vollzeit/Teilzeit) nachgingen.
Männern und Frauen
7 %
In den letzten Jahren wächst das Interesse
an den bestehenden Verdienstunterschie-
den zwischen Männern und Frauen, dem
»Gender Pay Gap«. Um geschlechtsspezi-
fische Lohnunterschiede zu analysieren,
stehen zwei Indikatoren zur Verfügung:
Der bereinigte Gender Pay Gap ermittelt
die Höhe des Verdienstunterschiedes von
weniger als Männer verdienten
Frauen und Männern mit vergleichbaren Frauen 2010 im Durchschnitt laut
Eigenschaften (zum Beispiel: Tätigkeit, bereinigtem Gender Pay Gap.
Ausbildung, Berufserfahrung) und wird
nur in mehrjährlichen Abständen errech-
net. Ein bereinigter Gender Pay Gap auf
Grundlage der Verdienststrukturerhebung
2014 liegt im Herbst 2016 vor. Der jährlich
ermittelte unbereinigte Gender Pay Gap
betrachtet den geschlechtsspezifischen
Verdienstunterschied in allgemeiner Form,
das heißt ohne Berücksichtigung struktu-
reller Unterschiede in den Beschäftigungs-
verhältnissen von Männern und Frauen.
Auf diese Weise wird auch der Teil des
Lohnabstands erfasst, der zum Beispiel
durch unterschiedliche Zugangschancen
beider Geschlechtergruppen auf bestimm-
te Tätigkeitsfelder oder Leistungsgrup-
145
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste
In diesem Zusammenhang sollte jedoch Niedriglöhne Definition. Demnach liegt die Niedrig-
berücksichtigt werden, dass der berei- In den letzten Jahren wird immer wieder lohngrenze bei zwei Dritteln des Median-
nigte Gender Pay Gap möglicherweise über Niedriglöhne und das damit einher- verdienstes.
geringer ausfallen würde, wenn weitere gehende Armutsrisiko für die Beschäftig- Die Angaben zum Niedriglohn stam-
lohnrelevante Eigenschaften für die Ana- ten diskutiert. Dabei wird der Begriff men aus der Verdienststrukturerhebung,
lysen zur Verfügung gestanden hätten. »Niedriglohn« unterschiedlich definiert. die in mehrjährlichen Abständen statt-
So konnte beispielsweise im Rahmen der Das Statistische Bundesamt verwendet findet. Die Ergebnisse aus der Erhebung
Auswertungen weder der Familienstand eine unter anderem bei der Organisation von 2014 werden im Sommer 2016 veröf-
oder die tatsächliche Berufserfahrung für wirtschaftliche Zusammenarbeit und fentlicht, daher beziehen sich die folgen-
noch das individuelle Verhalten in Lohn- Entwicklung (OECD) und der Internatio- den Ausführungen auf die Ergebnisse
verhandlungen einbezogen werden. u Abb 2 nalen Arbeitsorganisation (ILO) übliche von 2010. u Info 2
146
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
Darunter
Normalarbeit- Atypisch
Insgesamt
nehmer/-innen Beschäftigte befristet Teilzeit geringfügig Zeitarbeit-
Beschäftigte beschäftigte¹ Beschäftigte nehmer/-innen
Wirtschaftsabschnitte
Grundstücks- und
16,6 7,5 51,1 28,7 15,4 84,2 –
Wohnungswesen
Kunst, Unterhaltung und Erholung 33,0 14,7 59,6 38,0 28,0 86,5 –
Niedriglohngrenze bei zwei Dritteln des Medians vom Bruttostundenverdienst (10,36 Euro).
1 Mit höchstens 20 Arbeitsstunden pro Woche.
2 Einschließlich Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen.
3 Einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
– Nichts vorhanden.
147
5 / Arbeitsmarkt und Verdienste 5.2 / Verdienste
Die wie oben beschrieben definierte rinnen und -bezieher unter den Normal ab. Durch häufigere Arbeitsplatz- und Be-
Niedriglohngrenze lag 2010 in Deutsch- beschäftigten wesentlich geringer. Aller- rufswechsel müssen eher Verdiensteinbu-
land bei 10,36 Euro brutto je Stunde. dings überstiegen in allen Wirtschaftsab- ßen hingenommen werden, als dass Ver-
Knapp 21 % aller Arbeitnehmerinnen und schnitten die Anteile der g ering entlohn- besserungen möglich sind. Gerade bei be-
Arbeitnehmer erhielten einen Verdienst ten atypisch Beschäftigten deutlich die fristet Beschäftigten ist häufiger mit
unterhalb dieser Grenze. Bei den soge- der Normalbeschäftigten. So erhielten im Erwerbsverläufen zu rechnen, die Brüche
nannten atypisch Beschäftigten (Teilzeit- Abschnitt Erbringung von Finanz- und aufweisen.
beschäftigte mit 20 Stunden oder weniger, Versicherungsdienstleistungen gerade Auch die berufliche Qualifikation ist
geringfügig Beschäftigte, befristet Be- 0,6 % der Normalbeschäftigten aber rund ein bedeutender Faktor, der die Ver-
schäftigte sowie Zeitarbeiter; siehe auch 14 % der atypisch Beschäftigten einen diensthöhe beeinflusst. Je höher die per-
Abschnitt 5.1.6) war es sogar jeder Zweite. Niedriglohn. Im Verarbeitenden Gewerbe sönliche berufliche Qualifikation, desto
Dabei unterschieden sich die Anteile der war der Anteil der niedrig entlohnten aty- niedriger ist die Wahrscheinlichkeit ei-
Niedrigentlohnten je nach Beschäfti- pisch Beschäftigten mit 49 % rund 40 Pro- nes Niedriglohns. Insgesamt bezogen
gungsform deutlich: So arbeiteten mehr zentpunkte höher als der entsprechende 53 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
als vier von fünf geringfügig Beschäftig- Anteil für die Normalbeschäftigten. nehmer ohne einen beruflichen Bildungs-
ten (84 %) und zwei von drei Zeitarbeite- Bei noch feingliedrigerer Betrachtung abschluss einen Niedriglohn. Bei Be-
rinnen und -arbeitern (68 %) für einen der Wirtschaftszweige sind die Branchen schäftigten mit einer abgeschlossenen
Niedriglohn. Für befristet Beschäftigte mit den höchsten Anteilen Normalbe- Berufsausbildung waren es 18 % und bei
(34 %) und Teilzeitbeschäftigte mit maxi- schäftigter mit Niedriglohn der Betrieb Beschäftigten mit Hochschulabschluss
mal 20 Arbeitsstunden pro Woche (21 %) von Taxis sowie Friseur- und Kosmetik- rund 2 %.
waren die Anteile zwar geringer, aber im- salons. Hier bezogen jeweils über 80 %
mer noch deutlich über dem Niveau von der Normalarbeitnehmer einen Niedrig- 5.2.3 Mindestlöhne
Normalarbeitnehmerinnen und -arbeit- lohn. Neben den beiden bereits genann- Seit 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein
nehmern mit 11 %. Als Normalarbeitsver- ten Branchen ergaben sich hohe Anteile f lächendeckender gesetzlicher Mindest-
hältnisse gelten unbefristete, voll sozial- in Wäschereien und chemischen Reini- lohn von 8,50 Euro für alle Arbeitneh-
versicherungspflichtige Beschäftigungen gungen, in Restaurants und Gaststätten merinnen und Arbeitnehmer. Er gilt
mit über 20 Wochenstunden, die nicht als sowie in der Gebäudereinigung. grundsätzlich für alle Branchen und Re-
Zeitarbeit ausgeübt werden. Auch die durchschnittlich geringere gionen. Allerdings sind in einer Über-
Das bedeutet, dass von den gut Bezahlung von Frauen spiegelt sich in ei- gangszeit bis zum 31. Dezember 2016
22 Millionen Beschäftigten, über die die nem größeren Anteil niedrig entlohnter Ausnahmen vorgesehen. So sind für
Verdienststrukturerhebung repräsentative Frauen wider. Der Anteil der Niedrig- laufende branchenspezifische Mindest-
Aussagen macht, 1,8 Millionen Normal- lohnbezieherinnen an allen Arbeitneh- löhne auch Bruttostundenverdienste un-
beschäftigte und rund 2,8 Millionen aty- merinnen war mit 27 % mehr als zehn ter 8,50 Euro erlaubt. Dies gilt beispiels-
pisch Beschäftigte einen Niedriglohn er- Prozentpunkte höher als der entspre- weise deutschlandweit in der Fleisch
hielten. Berücksichtigt man, dass Betriebe chende Anteil bei den Männern mit 16 %. wirtschaft und im Friseurhandwerk, in
mit weniger als zehn Beschäftigten und Je jünger Beschäftigte sind, desto hö- Ostd eutschland und Berlin für den Be-
insbesondere die Wirtschaftsabschnitte her ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nied- reich der Zeitarbeit sowie in der ostdeut-
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei so- riglöhne bezogen werden. Mehr als jeder schen Gebäudereinigung. Sofern bran-
wie Private Haushalte durch die Erhebung zweite Beschäftigte im Alter von 15 bis 24 chenbezogene Mindestlöhne ab Januar
nicht erfasst werden, dürfte die Zahl der Jahren bekam einen Niedriglohn. Dies 2017 über 8,50 Euro liegen, können sie da-
Niedriglohnbezieherinnen und -bezieher sind mehr als doppelt so viele wie in jeder nach fortbestehen. Für Zeitungszustelle-
noch höher liegen. u Tab 7 anderen Altersgruppe. Eine Ausnahme rinnen und -zusteller hat der Gesetzgeber
Niedriglöhne sind in den einzelnen stellten die geringfügig Beschäftigten dar. zudem eine Übergangsfrist bis Ende 2017
Wirtschaftszweigen unterschiedlich stark Hier liegt der Anteil der Niedriglohnver- vereinbart. Dauerhaft vom Mindestlohn
verbreitet. Beschäftigte im Gastgewerbe diener in allen Altersgruppen bei über ausgenommen sind Jugendliche unter
bekommen häufiger als in allen anderen 80 %. Unter den befristet Beschäftigten 18 Jahren und Auszubildende. Weiter gilt
Wirtschaftsabschnitten Bruttostundenver- hatten zusätzlich zu der jüngsten Alters- der Mindestlohn nicht für Personen, die
dienste unterhalb der Niedriglohngrenze. gruppe (Niedriglohnanteil: 48 %) auch ein Pflichtpraktikum oder ein freiwilliges
So bezogen in dieser Branche rund 57 % ä ltere Beschäftigte ab 55 Jahren häufiger Praktikum von bis zu drei Monaten wäh-
der Normalbeschäftigten einen Niedrig- einen Niedriglohn (Niedriglohnanteil:
rend der Ausbildung oder des Studiums ab
lohn. In den anderen Wirtschaftsabschnit- 46 %). Hier zeichnen sich eventuell Folgen solvieren sowie für Langzeitarbeitslose in
ten war der Anteil der Niedriglohnbeziehe- unbeständig werdender Erwerbskarrieren den ersten sechs Monaten ihrer Tätigkeit.
148
Verdienste / 5.2 Arbeitsmarkt und Verdienste / 5
Früheres Bundesgebiet
59,3 60,4 68,1 63,4
und Berlin
Neue Länder
63,6 63,9 72,4 66,1
ohne Berlin
5.2.4 Nettoverdienste nach nung stellt dar, wie sich Lohnsteuer, Soli-
Haushaltstypen daritätszuschlag und Arbeitnehmerbei-
Das Statistische Bundesamt berechnet träge zur Sozialversicherung auf die Höhe
mittels einer Modellrechnung Nettover- der Nettoverdienste verschiedener Haus-
dienste für verschiedene Haushaltstypen haltstypen auswirken, wenn die Allein-
im früheren Bundesgebiet und in den oder Doppelverdiener jeweils den durch-
neuen Ländern. Der Nettoverdienst ist der schnittlichen Bruttomonatsverdienst aller
durchschnittliche Bruttomonatsverdienst vollzeitbeschäftigten Frauen und Männer
(einschließlich Sonderzahlungen) voll- erzielen.
zeitbeschäftigter Frauen und Männer im Der Anteil des Bruttomonatsver-
Produzierenden Gewerbe und im Dienst- dienstes, über den die Haushaltstypen
leistungsbereich abzüglich der Steuern frei verfügen können, schwankt erheb-
(Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag) so- lich. Die höchsten Abzüge hatten ledige
wie der Beiträge des Arbeitnehmers zur Männer ohne Kind im früheren Bundes-
Sozialversicherung. Die Zahlung von Kin- gebiet, ihnen blieben im Jahr 2014 noch
dergeld beziehungsweise die steuerliche 59 % netto. Zum Vergleich: Ehepaaren
Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen mit zwei Kindern und alleinverdienen-
bleiben bei der Berechnung der Nettover- dem Ehemann in den neuen Ländern
dienste unberücksichtigt. Die Modellrech- blieben 72 %. u Tab 8
149
7,4 Bill. € 4 086 €
war das Bruttovermögen der privaten Haushalte
in Deutschland 2012. Davon lagen 5,1 Billionen betrug 2013 das durchschnitt-
Euro beim Grund- und Immobilienbesitz. liche monatliche Bruttoein-
kommen der Privathaushalte
83 000 € in Deutschland.
35 %
ihres Konsumbudgets gaben die privaten
Haushalte 2013 im Durchschnitt für den
Bereich Wohnen, Wohnungsinstandhaltung
und Energie aus.
6
Private Haushalte –
Einkommen, Ausgaben, Ausstattung
6.1 Wie unterscheiden sich die Lebensbedin-
gungen in Deutschland? Auskunft hierzu
6.1.6 beruhen auf den Auskünften der In-
solvenzgerichte und den Angaben der
Einnahmen, geben die Einnahmen, Ausgaben und die Schuldnerberatungsstellen.
Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte in Verbin-
dung mit sozioökonomischen Merkmalen. 6.1.1 Bruttoeinkommen privater
Ausstattung Wie hoch sind die Einkommen und Ein- Haushalte
privater Haushalte, nahmen privater Haushalte und aus wel-
chen Quellen stammen sie? Wofür wird
Ein erster Indikator für die Darstellung
der Einkommens- und Ausgabensituation
private Über- das Geld verwendet? In welcher Höhe privater Haushalte ist das Haushaltsbrut-
schuldung sind private Haushalte mit Abgaben an
den Staat belastet? Das Kapitel zeigt auch
toeinkommen, das sich aus verschiedenen
Einkommensarten zusammensetzt. u Info 2
inwieweit sich die Einkommens- und
Sylvia Behrends, Walter Joachimiak, Ausgabenstrukturen verschiedener Haus- Struktur und regionaler Vergleich
Kristina Kott, Jenny Neuhäuser haltsgruppen unterscheiden und welche Das durchschnittliche monatliche Brutto
traditionellen und neuen technischen Ge- einkommen der Privat hausha lte in
brauchsgüter die Haushalte besitzen. Deutschland belief sich 2013 auf 4 086
Destatis
Die Datenbasis für die Angaben in Euro. Wichtigste Einnahmequelle mit ei-
Abschnitt 6.1.1 bis 6.1.4 zu Einnahmen nem Anteil von 63 % waren die Einkünfte
und Ausgaben bilden die Einkommens- aus Erwerbstätigkeit: Durchschnittlich
und Verbrauchsstichproben, die Daten 2 580 Euro im Monat stammten aus
über die Ausstattung stammen aus den unselbstständiger und selbstständiger
Laufenden Wirtschaftsrechnungen. u Info 1 T ätigkeit. Rund 22 % ihres Bruttoein-
Infoboxen geben Einblick in die kommens beziehungsweise durchschnitt-
Preisentwicklung in Deutschland sowie lich 893 Euro im Monat erhielten die pri-
die Internetaktivitäten der Menschen, die vaten Haushalte aus öffentlichen Trans-
hier leben. ferzahlungen wie beispielsweise Renten
Ein weiteres Thema dieses Kapitels ist der gesetzlichen Rentenversicherung,
die private Überschuldung. Hier liefert staatliche Pensionen, Kindergeld, Ar-
die amtliche Statistik Informationen zur beitslosengeld I und II sowie Sozialhilfe.
Situation privater Schuldner, die ein In- Aus Vermögenseinnahmen stammten
solvenzverfahren oder die Hilfestellung 10 % (415 Euro) des Bruttoeinkommens.
einer Schuldnerberatungsstelle in An- Den geringsten Anteil hatten mit durch-
spruch nehmen. Die Daten in Abschnitt schnittlich 5 % die Einkommen aus nicht
151
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
152
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
u Tab 2 Ausgabefähige Einkommen und Einnahmen privater Haushalte 2013 — je Haushalt und Monat in Euro
Früheres Bundesgebiet Neue Länder
Deutschland
ohne Berlin-West und Berlin
Haushaltsbruttoeinkommen 4 086 4 321 3 215
abzüglich:
Steuern und Sozialabgaben 984 1 057 708
Einkommen-/Lohn-, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag 458 504 284
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung 526 553 424
zuzüglich:
Zuschüsse der Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger 29 34 13
Haushaltsnettoeinkommen 3 132 3 297 2 521
zuzüglich:
Einnahmen aus dem Verkauf von Waren und sonstige Einnahmen 48 50 37
Ausgabefähige Einkommen und Einnahmen 3 180 3 347 2 558
153
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
Einkommen im Westen aufgrund der kommens. Aufgrund der höheren Ein- Zum Bruttoeinkommen hinzugezählt
Steuerprogression: Der Anteil von Ein- kommen aus Erwerbstätigkeit im Ver- werden schließlich die Zuschüsse der Ar-
kommen-, Lohn-, Kirchensteuer und So- gleich zu anderen Haushaltstypen waren beitgeber und der Rentenversicherungs-
lidaritätszuschlag am Haushaltsbrutto- auch ihre Steuerabzüge mit 782 Euro träger zur freiwilligen oder privaten Kran-
einkommen lag im Westen bei 12 % wert- und anteilsmäßig (13 % vom Brut- ken- und Pflegeversicherung (siehe Info 2).
(504 Euro), im Osten bei 9 % (284 Euro). toeinkommen) am höchsten. Bei Paaren Diese betrugen 2013 durchschnittlich
Ein Vergleich der Haushaltstypen ohne Kind betrug der Anteil der Steuern 29 Euro monatlich.
untereinander verdeutlicht, dass Paar- und Abgaben 23 % (1 090 Euro) wie auch
haushalte mit Kind(ern) die höchste bei den Alleinlebenden (561 Euro). Die Haushaltsnettoeinkommen und
Steuer- und Abgabenlast zu tragen hat- niedrigsten Steuern und Abgaben hatten Verteilung
ten: Sie zahlten 2013 monatlich durch- Haushalte von Alleinerziehenden mit Durchschnittlich verfügten die Haushalte
schnittlich 1 603 Euro beziehungsweise durchschnittlich 17 % beziehungsweise 2013 über ein Nettoeinkommen von 3 132
einen Anteil von 26 % ihres Bruttoein- 452 Euro zu leisten. u Abb 2 Euro im Monat (siehe Tabelle 2). Unter
1 300 Euro monatlich als Nettoeinkom-
men hatten 18 % der Haushalte. Rund
33 % aller Haushalte hatten 1 300 bis un-
ter 2 600 Euro im Monat zur Verfügung.
Über ein Nettoeinkommen von 2 600 bis
u Abb 2 Steuer- und Abgabenlast privater Haushalte unter 3 600 Euro monatlich konnten 18 %
nach Haushaltstyp 2013 — in Euro der Privathaushalte verfügen, und 15 %
hatten ein Haushaltsnettoeinkommen
von 3 600 bis unter 5 000 Euro im Monat.
Haushalte Rund 16 % aller Privathaushalte standen
insgesamt 458 526 984
monatlich 5 000 bis unter 18 000 Euro zur
Paare mit Kind(ern) 782 821 1 603
Verfügung. u Tab 3
Zwischen dem früheren Bundesgebiet
Paare ohne Kind
und den neuen Ländern war die Einkom-
496 594 1 090
mensverteilung 2013 unterschiedlich.
Während im früheren Bundesgebiet ohne
Alleinlebende 256 305 561
Berlin-West 16 % der Haushalte ein mo-
natliches Nettoeinkommen unter 1 300
Alleinerziehende 186 266 452
Euro hatten, waren es in den neuen Län-
dern und Berlin 24 %.
Einkommen-, Lohn-, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung
Kirchensteuer und
Solidaritätszuschlag
Haushaltsnettoeinkommen nach
Haushaltstyp
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Die Höhe des Nettoeinkommens hängt
entscheidend davon ab, ob jemand alleine
wohnt, alleinerziehend ist oder als Paar
ohne oder mit Kind(ern) in einem Haus-
u Tab 3 Einkommensverteilung nach dem monatlichen halt lebt. Paare mit einem oder mehreren
Haushaltsnettoeinkommen 2013 Kindern unter 18 Jahren hatten im Jahr
Haus- Monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
2013 mit durchschnittlich 4 618 Euro die
halte höchsten monatlichen Nettoeinkommen.
ins- unter 900 – 1 300 – 1 500 – 2 000 – 2 600 – 3 600 – 5 000 –
gesamt 900 1 300 1 500 2 000 2 600 3 600 5 000 18 000 Paare ohne Kind – dazu gehören zum
in 1 000 in % Beispiel s owohl das gutsituierte Doppel-
Deutschland 39 326 7,5 10,3 5,4 13,4 14,2 17,6 15,5 16,2
verdienerpaar als auch das Seniorenpaar
Früheres Bundes- mit k leiner R ente – verfügten über
gebiet ohne 30 994 6,9 9,2 4,9 12,5 13,8 17,8 16,6 18,3 durchschnittlich 3 655 Euro im Monat.
Berlin-West
Neue Länder Bei den Haushalten von Alleinerziehen-
8 332 9,7 14,3 7,5 16,7 15,5 17,0 11,1 8,3
und Berlin den betrug das monatliche Nettoeinkom-
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. men im Durchschnitt 2 183 Euro. Allein-
154
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
155
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016
156
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
157
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
und 3 % (66 Euro) für Post und Telekom- Haushalte im Osten im Monat durch- gaben ausgewählter Haushaltstypen. Die
munikation. Die Ausgaben für das Bil- schnittlich 508 Euro weniger für den höchsten Konsumausgaben tätigten im
dungswesen betrugen knapp 1 % (22 Euro). Konsum aus. Jahr 2013 Paarhaushalte mit Kind(ern) mit
Die privaten Haushalte der neuen durchschnittlich 3 426 Euro gefolgt von
Länder und Berlin sowie die des früheren Konsumausgaben nach den Paaren ohne Kind mit 2 869 Euro mo-
Bundesgebietes teilten ihre Konsumbud- Haushaltstyp natlich. Die Konsumausgaben der Haus-
gets 2013 ähnlich auf die einzelnen Aus- Deutliche Unterschiede in Niveau und halte von Alleinerziehenden (1 910 Euro)
gabenbereiche auf, allerdings gaben die Struktur zeigen sich bei den Konsumaus- und Alleinlebenden (1 550 Euro) lagen
in Euro
Private Konsumausgaben 2 448 3 426 2 869 1 910 1 550
in %
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 13,8 14,6 13,5 15,8 12,6
Bekleidung und Schuhe 4,9 5,9 4,5 6,0 4,2
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 34,5 31,6 33,1 37,4 39,5
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände 5,0 5,5 5,4 4,4 4,3
Gesundheitspflege 4,2 2,9 5,4 2,4 4,1
Verkehr 14,0 15,2 14,3 10,9 11,7
Post und Telekommunikation 2,7 2,6 2,3 3,5 3,1
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 10,7 10,5 11,2 9,5 10,5
Bildungswesen 0,9 2,0 0,3 1,6 0,6
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen 5,3 5,0 5,9 3,8 5,1
Andere Waren und Dienstleistungen 4,1 4,2 3,9 4,6 4,4
in Euro
Private Konsumausgaben 872 1 136 1 384 1 640 2 055 2 557 3 239 4 504
in %
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 18,6 16,9 16,1 15,5 14,7 14,2 13,4 11,7
Bekleidung und Schuhe 3,5 4,1 4,3 4,4 4,5 4,7 5,0 5,5
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 47,7 43,6 41,0 39,0 37,2 35,3 33,1 29,3
Innenausstattung, Haushaltsgeräte, -gegenstände 3,0 3,2 4,1 4,3 4,6 5,0 5,2 6,0
Gesundheitspflege 2,5 2,7 2,8 2,9 3,3 3,8 4,0 5,8
Verkehr 5,6 8,6 9,4 11,2 12,9 13,8 15,6 16,2
Post und Telekommunikation 4,2 3,8 3,7 3,4 3,0 2,7 2,5 2,1
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 7,2 8,7 9,8 10,1 10,4 10,4 10,8 11,8
Bildungswesen 0,7 0,7 0,7 0,6 0,7 0,8 0,9 1,1
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen 3,2 3,7 4,0 4,4 4,7 5,2 5,4 6,4
Andere Waren und Dienstleistungen 3,7 3,9 4,1 4,2 4,1 4,0 4,0 4,2
158
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
weit unter dem Bundesdurchschnitt von es bei den Alleinlebenden nur 13 %. Diese hat Einfluss auf die Verbrauchsstruktu-
2 448 Euro im Monat. Berücksichtigt man, hatten aber mit 39 % den höchsten Ausga- ren: Haushalte mit einem monatlichen
dass in Haushalten von Alleinerziehenden benanteil für Wohnen, gefolgt von den Nettoeinkommen von unter 1 300 Euro
durchschnittlich 2,4 Personen leben und Alleinerziehenden mit 37 %. Paarhaushal- gaben im Jahr 2013 durchschnittlich
in Paarhaushalten mit Kind(ern) 3,8 Per- te mit Kind(ern) hatten dagegen den ge- 1 025 Euro im Monat für den privaten
sonen, so haben Alleinerziehende mit 796 ringsten Wohnkostenanteil mit 32 %. Konsum aus. Mehr als viermal so viel
Euro die niedrigsten Pro-Kopf-Konsum Für den Bereich Verkehr verwendeten (4 504 Euro) wendete die Haushalts
ausgaben. Paarhaushalte mit Kind(ern) Paarhaushalte mit Kind(ern) 15 % ihrer gruppe mit dem höchsten monatlichen
haben Pro-Kopf-Ausgaben in Höhe von Ausgaben, Paare ohne Kind 14 %, Allein- Nettoeinkommen von 5 000 bis unter
902 Euro. Im Vergleich dazu hatten die lebende 12 % und Alleinerziehende 11 %. 18 000 Euro für ihren Konsum auf. Steht
Alleinlebenden mit 1 550 Euro die höchs- Die Ausgaben für den Bereich Freizeit, also mehr Geld im Haushalt zur Verfü-
ten Pro-Kopf-Konsumausgaben. u Tab 5 Unterhaltung und Kultur waren anteilig gung, wird auch entsprechend mehr aus-
Für die Grundbedürfnisse Wohnen, bei den Paarhaushalten ohne Kind mit gegeben.
Ernährung und Bekleidung wendeten al- 11 % am höchsten; bei den Alleinerzie- Für die Deckung der Grundbedürf-
leinerziehende Mütter oder Väter mit 59 % henden mit 9 % ihres Konsumbudgets am nisse – Wohnen, Ernährung und Be
den größten Teil ihres Konsumbudgets auf. geringsten. Im Bereich Gesundheitspfle- kleidung – gaben die Haushalte mit ei-
Am niedrigsten lag dieser Grundversor- ge war der Anteil der Ausgaben bei den nem monat l ichen Einkommen unter
gungsanteil bei den Paarhaushalten ohne Paaren ohne Kind mit 5 % am höchsten, 1 300 Euro monatlich im Durchschnitt
Kind (51 %) sowie mit Kind(ern) (52 %). In Alleinlebende gaben dafür anteilig 4 % 682 Euro aus, das waren 67 % ihrer ge-
der anteilsmäßigen Zusammensetzung der aus, gefolgt von den Paaren mit Kind(ern) samten Konsumausgaben. Haushalte der
Grundbedürfnisse weisen die einzelnen (3 %) und Alleinerziehenden (2 %). höchsten Einkommensgruppe wendeten
Haushaltstypen folgende Unterschiede auf: dafür mit 2 093 Euro mehr als dreimal so
Während Paarhaushalte mit Kind(ern) Konsumausgaben nach viel auf. Ihr Anteil der Grundbedürfnisse
15 % und Alleinerziehende 16 % ihres ge- Haushaltsnettoeinkommen an den gesamten Konsumausgaben war
samten Konsums für Nahrungsmittel, Ge- Auch die Höhe der den Haushalten zur dafür mit 46 % deutlich geringer. Im
tränke und Tabakwaren ausgaben, waren Verfügung stehenden Nettoeinkommen Bundesdurchschnitt gaben die privaten
Haushalte etwas mehr als die Hälfte
(53 %) ihrer Konsumausgaben zur De-
ckung der Grundbedürfnisse aus. u Abb 5
Die Ausgabenanteile für die anderen
Konsumbereiche nehmen mit steigen-
uAbb 5 Ausgaben privater Haushalte für Grundbedürfnisse nach dem monatlichen dem Einkommen zu. Besonders deutlich
Haushaltsnettoeinkommen 2013 — Anteil an den Konsumausgaben in Prozent ist dies bei den Verkehrsausgaben: Mit
731 Euro pro Monat (16 %) gaben die
Haushalte insgesamt
Haushalte der höchsten Einkommens-
5 000 –18 000 46,5
52,9 gruppe fast zehnmal mehr hierfür aus
als die Haushalte der Einkommensgrup-
3 600 – 5 000 51,5
pe unter 1 300 Euro mit 77 Euro (8 %).
2 600 – 3 600 54,2 Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur
betrug der Ausgabenanteil der Haushalte
2 000 – 2 600 56,4
mit dem höchsten monatlichen Netto-
1 500 – 2 000 58,9 einkommen mehr als das Sechsfache
1 300 –1 500 61,4 (529 Euro, 12 %) dessen, was die Haus-
halte mit einem Einkommen unter 1 300
900 –1 300 64,6
Euro monatlich dafür aufwendeten (84
unter 900 69,8 Euro, 8 %). Die Ausgaben für Gesund-
heitspflege waren in den Haushalten mit
monatliches Haushaltsnettoeinkommen dem höchsten monatlichen Nettoein-
von … bis unter … Euro kommen mit 261 Euro (6 %) fast zehn
Mal höher als bei den Haushalten mit ei-
Grundbedürfnisse: Wohnen, Ernährung und Bekleidung.
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. nem Einkommen unter 1 300 Euro mo-
natlich (27 Euro, 3 %). u Tab 6
159
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
6.1.5 Ausstattung privater Haushalte geräte wie ein Kühlschrank sind in nahe- mit Wäschetrocknern zu erkennen: Bei
mit Gebrauchsgütern zu jedem Haushalt vorhanden. Hier lag einem Ausstattungsgrad von 40 % im
Aussagen über den erreichten materiellen der Ausstattungsgrad Anfang 2015 bei Bundesdurchschnitt standen sich hier
Lebensstandard der privaten Haushalte knapp 100 %. Mikrowellengeräte standen Anfang des Jahres 2015 Werte von 44 % in
in Deutschland lassen sich auch aus der in 73 % der Haushalte. Knapp 70 % der Westdeutschland und 23 % in Ostdeutsch-
Verfügbarkeit ausgewählter Gebrauchs- privaten Haushalte konnten eine eigene land gegenüber. Die in der Anschaffung
güter gewinnen. Dazu gehört zum Bei- Geschirrspülmaschine nutzen, allerdings immer noch vergleichsweise teuren Kaf-
spiel die Ausstattung mit Haushaltsgerä- gab es einen leichten regionalen Unter- feevollautomaten standen Anfang 2015 in
ten, der Besitz von Fahrzeugen, von Ge- schied mit Ausstattungsgraden von 71 % 13 % der Privathaushalte. Auch hier gab es
räten der Unterhaltungselektronik sowie für das frühere Bundesgebiet ohne Berlin- einen deutlichen regionalen Unterschied:
von Produkten der Informations- und West und 65 % für die neuen Länder und 14 % der westdeutschen Haushalte konn-
Kommunikationstechnik wie Personal Berlin. Ein weit größeres regionales Ge- ten ihren Kaffee vollautomatisch in die
Computer (PC) und Handy. u Info 4 fälle zeigte sich bei den Gefrierschränken Tasse laufen lassen im Vergleich zu 9 %
beziehungsweise Gefriertruhen (Bundes- der Haushalte in Ostdeutschland. u Tab 7
Elektrische Haushaltsgeräte durchschnitt 51 %): Im früheren Bundes-
Elektrische beziehungsweise elektroni- gebiet besaßen 54 % der Haushalte min- Güter der Unterhaltungselektronik
sche Haushaltsgeräte zählen zu den klas- destens einen Gefrierschrank, während in Für Fernseher galt Anfang des Jahres
sischen Ausstattungsgegenständen, die den neuen Ländern und Berlin lediglich 2015 nahezu Vollausstattung: Knapp 98 %
seit vielen Jahren im Rahmen der Laufen- 40 % der Haushalte über ein solches Gerät der privaten Haushalte in Deutschland
den Wirtschaftsrechnungen (LWR) er- verfügten. Noch deutlichere regionale besaßen mindestens einen Fernsehappa-
fragt werden. »Traditionelle« Haushalts- Unterschiede waren bei der Ausstattung rat. Einen Flachbildfernseher besaßen
160
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
81 % der Haushalte. Bei der erstmaligen u Tab 8 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit Unterhaltungselektronik
Frage nach den »Flachen« im Jahr 2006 nach Haushaltstyp 2015 — in Prozent
stand lediglich in 5 % der Haushalte ein Haushalte Paare mit Paare Alleiner- Allein-
solches Gerät. Der Ausstattungsbestand insgesamt Kind(ern) ohne Kind ziehende lebende
von Flachbildfernsehern ist im gleichen DVD- oder Blu-ray-Gerät 67,0 85,6 69,6 76,1 55,8
Zeitraum ebenfalls stark angestiegen: Im MP3-Player 41,4 65,8 34,3 49,3 30,8
Jahr 2006 kamen 6 Flachbildfernseher Spielkonsolen 25,3 62,4 14,4 64,5 9,3
auf 100 Haushalte, Anfang 2015 waren es
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
124 Geräte je 100 Haushalte. Rund 32 %
der Haushalte besaßen mehr als einen
Flachbildfernseher. uAbb 7 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit PC und Internetanschluss
Ein Empfang der Fernseh- beziehungs- — in Prozent
weise Radioprogramme ist über unter-
schiedliche Empfangsarten möglich, wo- 100
bei durchaus mehrere Empfangsmöglich- 90
keiten in einem Haushalt vorhanden sein
80
können. In 17 % der Privathaushalte er-
70
folgte der Programmempfang Anfang
2015 über Antenne (auch DVB-T). Per 60
Satellit empfingen 46 % der Haushalte ihre 50
Programme, und ein Kabelanschluss lag
40
in 47 % der Haushalte. Bei allen drei An-
schlussarten gab es regionale Unterschie- 30
161
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
162
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
Anfang 2015 mindestens einen PC besaßen, lter von 65 bis 69 Jahren 85 %. Haushalte
A in diesem Zeitraum von 44,9 Millionen
standen bereits in 92 % der Zweipersonen- mit Haupteinkommenspersonen von 80 im Jahr 2005 auf 63,7 Millionen Anfang
haushalte Computer. Fünfpersonenhaus- Jahren und ä lter wiesen einen Ausstat- 2015. Im Jahr 2005 verfügten 96 % der
halte konnten nahezu eine Vollausstattung tungsgrad von knapp 43 % auf. u Tab 10 privaten Haushalte über ein Festnetztele-
mit Computern verzeichnen. u Tab 9 Die Ausstattung mit Internetanschlüs- fon; Anfang 2015 waren es nur noch 92 %.
Gegenläufig verhielten sich jedoch der sen entwickelte sich auch sehr dynamisch. Die Entwicklung des Ausstattungsbe-
Ausstattungsgrad mit PC und das Alter der Anfang 2015 hatten 88 % der Haushalte standes zeigt deutlich den technologi-
Haupteinkommensperson im Haushalt. Anschluss an das Internet während es schen Wandel in der Telekommunikation.
Als Haupteinkommensperson gilt grund- zehn Jahre zuvor 55 % waren. Anfang 2005 kamen auf durchschnittlich
sätzlich die Person ab 18 Jahren mit dem Das Mobiltelefon (Handy/Smartphone) 115 Festnetztelefone je 100 Haushalte nur
höchsten Beitrag zum Haushaltsnetto gehört heute bereits ganz selbstverständ- 127 Handys. Dieses Verhältnis hat sich
einkommen. Während der Ausstattungs- lich zum Leben: In 94 % aller privaten Anfang 2015 stark zugunsten der »Mobi-
grad mit PC in Haushalten mit Hauptein- Haushalte konnte Anfang 2015 mobil te- len« gewandelt: Auf durchschnittlich
kommenspersonen in den Altersklassen lefoniert werden. Zehn Jahre zuvor war 124 Festnetztelefone in 100 Haushalten
von 18 bis 64 Jahren zwischen 90 % und das erst in 76 % der Haushalte der Fall. kamen 174 Mobiltelefone. Rein rechne-
Vollausstattung lag, betrug er in Haus Die Gesamtzahl der in den Privathaus- risch waren das 1,9 Handys in jedem
halten mit Haupteinkommenspersonen im halten vorhandenen Mobiltelefone stieg Handybesitzer-Haushalt. u Tab 11
u Tab 9 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit PC und Internetanschluss nach der Haushaltsgröße 2015 — in Prozent
u Tab 10 Ausstattung privater Haushalte mit PC nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2015
Ausstattungsgrad in Prozent 88,3 (100) 97,9 98,1 94,9 90,1 85,3 70,4 42,8
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte 196,3 (192,2) 230,1 240,2 247,8 193,9 152,5 110,4 67,6
Ausstattungsgrad in %
2005 95,9 95,8 96,3 76,4 76,7 75,3
2015 91,5 91,9 90,0 93,5 93,6 93,2
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte
2005 114,7 116,7 106,3 126,5 126,9 125,1
2015 123,6 127,7 108,7 173,9 176,6 164,0
163
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
Auch das Alter der Haupteinkom- Verfügbarkeit von Mobiltelefonen unter- gationsgeräte als Aktionsangebote auch
mensperson spielt eine Rolle beim Besitz schied sich bei den einzelnen Haushaltsty- von Lebensmitteldiscountmärkten ange-
von Festnetztelefonen oder Mobiltelefo- pen erheblich. Haushalte mit Kind(ern) boten werden und damit günstig zu haben
nen. Mit steigendem Alter der Hauptein- erreichten hier die höchsten Ausstattungs- sind, ist für den Besitz eines solchen Gerä-
kommenspersonen in den Haushalten grade: Paare mit Kind(ern) und Alleiner- tes dennoch die Höhe des Haushaltsein-
war auch der Ausstattungsgrad dieser ziehende waren mit 99 % beziehungsweise kommens von Bedeutung. Die Ausstattung
Haushalte mit Festnetztelefonen höher, rund 100 % nahezu vollausgestattet. Auch mit Navigationsgeräten steigt mit zuneh-
während der Ausstattungsgrad mit Mo- 96 % der Haushalte von Paaren ohne Kind mendem Einkommen. Während Anfang
biltelefonen mit zunehmendem Alter ste- besaßen ein Mobiltelefon und waren da- 2015 der Anteil der Haushalte mit Naviga-
tig abnahm. Haushalte mit Haupteinkom- mit überdurchschnittlich ausgestattet. Bei tionsgeräten in den unteren Einkommens-
menspersonen in den Altersklassen von den Alleinlebenden dagegen waren Mobil- klassen bei 20 % (unter 1 300 Euro netto)
18 bis 54 Jahren waren Anfang 2015 fast telefone unterdurchschnittlich verbreitet. beziehungsweise 37 % (1 300 bis unter 1 700
vollständig mit Mobiltelefonen ausgestat- Rund 89 % der alleinlebenden Männer Euro netto) lag, waren 54 % der Haushalte
tet. Immerhin 93 % der Haushalte von 55- verfügten Anfang 2015 über ein Mobiltele- mit einem monatlichen Nettoeinkommen
bis 64-Jährigen besaßen ein solches Gerät fon; bei den alleinlebenden Frauen waren von 1 700 Euro bis unter 2 600 Euro im Be-
und von den Haushalten der 80-Jährigen es knapp 88 %. u Tab 13 sitz eines Navigationssystems. Rund 77 %
und Älteren waren es 74 %. u Tab 12 Haushalte mit Kind(ern) besaßen ge- beziehungsweise 78 % der Haushalte der
Ob und wie viele Mobiltelefone bezie- nerell mehr als ein Mobiltelefon. Bei den Nettoeinkommensklassen von 3 600 bis
hungsweise Festnetztelefone in den Haus- Paarhaushalten mit Kind(ern) kamen unter 5 000 Euro sowie 5 000 bis unter
halten vorhanden sind, wird auch deutlich Anfang 2015 durchschnittlich 266 Geräte 18 000 Euro ließen sich von einem eigenen
vom Haushaltstyp beeinflusst, das heißt auf 100 Haushalte. Bei den Alleinerzie- Navigationssystem leiten. u Abb 8
ob eine oder mehrere Personen und ob henden war der Ausstattungsbestand mit
Kinder in den Haushalten leben. Alle durchschnittlich 194 Mobiltelefonen je Fahrzeuge
Haushaltstypen – mit Ausnahme der al- 100 Haushalte ebenfalls sehr hoch. Die Laufenden Wirtschaftsrechnungen
leinlebenden Männer – zeigten Anfang Über ein Navigationsgerät verfügten liefern auch Informationen über die Aus-
2015 einen Ausstattungsgrad mit Fest- Anfang 2015 knapp 50 % der privaten stattung der Privathaushalte in Deutsch-
netztelefonen von 86 % und mehr. Die Haushalte in Deutschland. Obwohl Navi- land mit Fahrrädern und Personenkraft-
Festnetztelefon 91,5 (70,0) 82,4 90,6 92,3 91,4 94,6 96,1 97,3
Mobiltelefon 93,5 (100) 99,9 98,0 98,1 93,0 88,7 85,7 74,1
u Tab 13 Ausstattung privater Haushalte mit Festnetz- und Mobiltelefon nach dem Haushaltstyp 2015
Ausstattungsgrad in %
Festnetztelefon 91,5 94,2 97,1 86,2 88,1 80,4
Mobiltelefon 93,5 99,3 95,7 99,7 87,6 89,2
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte
Festnetztelefon 123,6 135,0 142,6 95,2 98,4 96,8
Mobiltelefon 173,9 265,5 181,5 193,6 97,3 108,9
164
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
wagen (Pkw) und damit über die Mobili- uAbb 8 Ausstattungsgrad privater Haushalte mit Navigationsgeräten nach dem
tätsmöglichkeiten der Haushalte. monatlichen Haushaltsnettoeinkommen 2015 — in Prozent
Das Fahrradfahren erfreut sich nach
wie vor großer Beliebtheit. Zu Beginn des
Jahres 2015 standen 68,2 Millionen Fahr- 5 000 –18 000 77,7
räder in privaten Haushalten. Der Aus-
3 600 – 5 000 76,9
stattungsgrad liegt seit dem Jahr 2009
konstant bei rund 81 %. Elektrofahrräder, 2 600 – 3 600 67,0
165
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
Ausstattungsgrad in %
Personenkraftwagen 77,4 78,9 71,8
fabrikneu gekauft 34,4 34,9 32,3
gebraucht gekauft 48,3 49,4 44,2
geleast1 3,4 3,6 (2,5)
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte
Personenkraftwagen 104,6 108,0 91,9
fabrikneu gekauft 39,2 40,2 35,6
gebraucht gekauft 61,6 63,7 53,6
geleast1 3,8 4,0 (2,7)
1 Einschließlich Firmenwagen, die auch privat genutzt werden dürfen. Keine Ratenkäufe.
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
u Tab 15 Ausstattung privater Haushalte mit Personenkraftwagen nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2015
Ausstattungsgrad in Prozent 77,4 (44,5) 71,5 81,6 83,6 77,6 79,1 76,0 53,6
Ausstattungsbestand je
104,6 (51,2) 92,8 114,2 125,8 108,6 94,7 85,3 56,3
100 Haushalte
kommensgruppen (unter 1 300 Euro so- Bei Haushalten von Paaren mit stellt die Überschuldungsstatistik Infor-
wie 1 300 bis unter 1 700 Euro) bei 14 % Kind(ern) lag 2015 der Ausstattungsgrad mationen zu den sozioökonomischen
beziehungsweise bei 29 %. mit Pkw (94 %) sehr viel höher als bei Strukturen überschuldeter Personen be-
Eine Betrachtung der Anzahl der Pkw Haushalten von Alleinerziehenden (69 %) reit und gibt einen Überblick über die
in den privaten Haushalten zeigt die ein- und Alleinlebenden (59 %). Rund 91 % der Auslöser der finanziellen Notlage sowie
kommensabhängigen Unterschiede noch Haushalte von Paaren ohne Kind besa- über die Art und Anzahl der Hauptgläubi-
deutlicher: In 100 Haushalten der unters- ßen ein Auto. ger. Die Daten hierzu beruhen auf den
ten Nettoeinkommensklasse waren 46 Pkw Angaben der Schuldnerberatungsstellen.
zu finden, die Haushalte der höchsten Ein- 6.1.6 Überschuldung und Seit Einführung der neuen Insolvenz-
kommensklasse besaßen mit 195 Pkw je Privatinsolvenz ordnung im Jahr 1999 nutzten bis Ende
100 Haushalte rund viermal so viele Autos. Bei Personen, die als absolut überschuldet 2014 rund 1,1 Millionen Privatpersonen,
Bei der Ausstattung mit Pkw spielt gelten, sind die Zahlungsrückstände so die als Verbraucher in eine Notlage gera-
auch das Alter der Haupteinkommens- gravierend, dass als letzter Ausweg nur die ten sind, ein Verbraucherinsolvenzver-
person eine Rolle. Haushalte mit 45- bis Privatinsolvenz bleibt. Die Insolvenzord- fahren, um von ihren restlichen Schulden
54-jährigen Haupteinkommenspersonen nung eröffnet Privatpersonen seit 1999 die befreit zu werden. Weitere rund 544 000
wiesen mit einem Ausstattungsgrad von Möglichkeit, nach einer sogenannten Personen, die ebenfalls als absolut über-
84 % die höchste Ausstattung auf. In Wohlverhaltensphase von ihren Restschul- schuldet gelten, wurden durch das
Haushalten der anderen Altersgruppen den befreit zu werden. Die Insolvenzge- Scheitern einer selbstständigen Tätigkeit
waren Autos rarer. Haushalte mit 18- bis richte liefern Daten zur absoluten Über- zahlungsunfähig. Auch sie haben die
24-jährigen Haupteinkommenspersonen schuldung von Privatpersonen – nicht Möglichkeit, ihre Schulden gerichtlich
besaßen mit 45 % am seltensten einen Haushalten – die das Insolvenzverfahren regulieren zu lassen. Mit Ausnahme von
Pkw. u Tab 15 in Anspruch nehmen. Darüber hinaus 2008 hat die Gesamtzahl der Privatinsol-
166
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung / 6.1 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
venzen bis 2010 von Jahr zu Jahr zuge- u Abb 10 Entwicklung der Verbraucherinsolvenzen 1999 bis 2014 — in Tausend
nommen; seit 2011 ist sie jedes Jahr ge-
sunken. Im Jahr 2014 gab es rund 86 000
Verbraucherinsolvenzen. Dabei muss der 108,8
105,2 103,3
Auslöser für die Überschuldung nicht in 98,1
101,1
96,6 97,6
der Gegenwart liegen, sondern kann vie- 91,2
86,3
le Jahre zurückreichen. u Abb 10
Die gerichtlichen Akten informieren
68,9
zwar vollständig über die Zahl der Pri-
vatinsolvenzen, nicht jedoch über die Ge-
samtzahl aller überschuldeten Personen. 49,1
Sie enthalten auch keine Informationen
zum Personenkreis und zu den Umstän- 33,6
167
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.1 / Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung
u Abb 11 Beratene Personen nach dem Hauptauslöser der Überschuldung, wenn man die Werte der Größe nach sor-
ausgewählte Ergebnisse 2014 — in Prozent tiert. Für die Überschuldung bedeutet
das, dass die Schulden von 50 % der
Schuldner über 9 000 Euro liegen. Bei den
Arbeitslosigkeit 19,1 anderen 50 % dieser Schuldner jedoch lie-
Trennung, Scheidung,
gen die Zahlungsrückstände darunter.
12,4
Tod des Partners Zum Vergleich: Für alle überschuldeten
Erkrankung, Personen insgesamt beträgt der Median
12,1
Sucht, Unfall der Schuldenhöhe etwa 13 000 Euro.
unwirtschaftliche
11,2
Auch bei Personen, die weder Ver-
Haushaltsführung
pflichtungen aus Hypothekenverbindlich-
gescheiterte
8,1 keiten haben noch früher selbstständig wa-
Selbstständigkeit
ren, entfallen knapp die Hälfte aller Schul-
gescheiterte den auf Banken in Form von Raten- und
2,4
Immobilienfinanzierung
Dispositionskrediten. Mit großem Ab-
stand folgen die Schulden bei Inkassobü-
ros (15 %) sowie öffentlichen Gläubigern,
wie beispielsweise Finanzämtern (6 %).
u Abb 12 Durchschnittliche Schulden Betrachtet man alle Überschuldeten,
nach Altersklassen 2014 — je Schuldner in Tausend Euro so stehen Personen, die ihren Verpflich-
tungen für in Anspruch genommene Ra-
tenkredite nicht mehr nachkommen kön-
bis 24 7,6 nen, bei ihren Banken im Durchschnitt
mit rund 23 000 Euro im Soll. Hat eine
25 – 34 16,6
Person Schulden bei anderen Privatper-
35 – 44 28,5
sonen, so belaufen sich diese auf durch-
schnittlich etwa 12 000 Euro. Für nicht
45 – 54 30,1 geleistete Unterhaltsverpflichtungen er-
gibt sich ein durchschnittlicher Rück-
55 – 64 31,2
stand von knapp 8 000 Euro.
65 und älter 29,6 Je nach Alter und Lebensform gibt es
unterschiedliche Schwerpunkte, was die
im Alter von … bis … Jahren Art und die Höhe der Schulden anbe-
langt. Aus den Erkenntnissen, die die
Ohne ehemals Selbstständige und Personen mit Hypothekarkrediten. Überschuldungsstatistik bietet, sind eini-
ge beispielhaft herausgegriffen: So sind
die 20 bis 24-jährigen Überschuldeten
zwar mit der niedrigsten Summe an Ra-
tenkrediten in Rückstand (durchschnitt-
nen ausschlaggebend für die Inanspruch- und die Verbindlichkeiten aus früherer lich knapp 6 000 Euro), weisen allerdings
nahme des Dienstes einer Beratungsstelle. Selbstständigkeit enthalten sind. Diese mit durchschnittlich etwa 2 000 Euro mit
Bei rund 8 % der beratenen Personen lag Schulden sind überwiegend höher als an- die höchsten nicht beglichenen Telefon-
der Hauptgrund für die Überschuldung dere Schuldenarten. rechnungen auf. Die höchsten durch-
im Scheitern der Selbstständigkeit. u Abb 11 Bei Ausschluss der Personen mit Hy- schnittlichen Schulden bei Versandhäu-
Rund ein Drittel (33 %) aller 2014 be- pothekenverbindlichkeiten und der ehe- sern haben Personen von 65 bis 69 Jahren
ratenen Personen hatten nicht mehr als mals Selbstständigen lässt sich eine mit über 3 000 Euro. Die höchsten durch-
vier Gläubiger. Im Durchschnitt beliefen Schuldenlast von durchschnittlich etwa schnittlichen Mietrückstände weisen die
sich die Schulden aller einbezogenen Per- 24 000 Euro errechnen. Wird an dieser 55- bis 64-Jährigen mit fast 5 000 Euro
sonen auf gut 34 000 Euro. Dabei ist zu Stelle statt des Durchschnitts der Median auf. Schulden aus Unterhaltsverpf lich-
berücksichtigen, dass in dieser Summe berechnet, ergibt sich ein Wert von gut tungen haben vor allem Männer: alleinle-
auch die hypothekarisch gesicherten 9 000 Euro. Der Median ist rechnerisch bende Männer sind dabei durchschnitt-
K redite für die Immobilienfinanzierung die Zahl, die genau in der Mitte liegt, lich mit gut 8 000 Euro verschuldet. u Abb 12
168
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
u Info 1
LEBEN IN EUROPA
In Deutschland wird die amtliche Erhebung EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living
Conditions) unter der Bezeichnung LEBEN IN EUROPA seit 2005 jährlich durchgeführt und liefert eine
Vielzahl von Sozialindikatoren für Deutschland. Die Befragung erfolgt schriftlich in vier aufeinanderfolgen-
den Jahren und besteht aus einem Haushaltsfragebogen und einem Personenfragebogen für Haushalts-
mitglieder ab 16 Jahren. An LEBEN IN EUROPA nehmen jedes Jahr zwischen 13 000 und 14 000 Privat-
haushalte teil, wobei jedes Jahr ein Viertel der Stichprobe ersetzt wird (Rotationspanel).
169
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.2 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung
mens. Etwa 13 % der Bevölkerung verfüg- Hinweis: Schätzwerte für unterstellte Mieten bei selbst genutztem Wohneigentum (sogenannte
ten über ein Nettoäquivalenzeinkommen Eigentümermietwerte) werden hier, anders als in anderen amtlichen Statistiken (zum Beispiel
der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe), nicht zum verfügbaren Haushaltseinkommen hin-
zwischen 151 % und 200 % des Medianein- zugerechnet. Zum personenbezogenen Bruttoeinkommen zählen:
kommens. Knapp 8 % standen mehr als
‧‧ Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Tätigkeit in Form von Geld oder geldwerten
200 % und damit mehr als das Doppelte Sachleistungen und/oder Sachleistungen (zum Beispiel Firmenwagen),
des Medianeinkommens zur Verfügung. ‧‧ Bruttogewinne und -verluste aus selbstständiger Tätigkeit in Form von Geldleistungen
Auf europäischer Ebene werden als (einschließlich Lizenzgebühren),
‧‧ Arbeitslosengeld I und II, Übertragungen der Arbeitsförderung,
Maß für die Einkommensungleichheit die ‧‧ Alters- und Hinterbliebenenleistungen,
S80 / S20 Rate und der Gini-Koeffizient ‧‧ Krankengeld und Invaliditätsleistungen,
‧‧ ausbildungsbezogene Leistungen.
herangezogen. Danach stand den reichs-
ten 20 % der Bevölkerung im Jahr 2014 in
der Summe rund fünfmal so viel Einkom-
men zur Verfügung wie den ärmsten 20 %
der Bevölkerung. Der Gini-Koeffizient
u Info 3
wies für Deutschland im Jahr 2014 einen
Nettoäquivalenzeinkommen
Wert von 0,31 auf. u Info 5
Das Nettoäquivalenzeinkommen ist ein Pro-Kopf-Einkommen, das berücksichtigt, in welcher Art
von Haushalt die Menschen leben, um das Wohlstandsniveau von Haushalten unterschiedlicher
6.2.2 Armutsgefährdung Größe und Zusammensetzung vergleichbar zu machen.
Die Messung der Armutsgefährdung in Es ist eine fiktive Rechengröße, die aus der Haushaltszusammensetzung und dem Haushaltsnetto-
der europäischen Sozialberichterstattung einkommen abgeleitet wird. Bei diesem Verfahren wird dem ersten erwachsenen Haushaltsmitglied
orientiert sich an einer relativen Definiti- ein Bedarfsgewicht von 1,0 und jedem weiteren Haushaltsmitglied ab 14 Jahren ein Bedarfs
gewicht von 0,5 sowie Haushaltsmitgliedern unter 14 Jahren ein Bedarfsgewicht von 0,3 zuge-
on von Armut und folgt damit einem ordnet (nach modifizierter OECD-Skala). Das Haushaltsnettoeinkommen wird durch die Summe
Ratsbeschluss der Europäischen Union der Bedarfsgewichte (Gesamtbedarfsgewicht) geteilt und der sich daraus ergebende Betrag je-
von 1984 über gezielte Maßnahmen zur dem Haushaltsmitglied als sein persönliches Nettoäquivalenzeinkommen beziehungsweise
Pro-Kopf-Einkommen zugewiesen. Durch diese Äquivalenzgewichtung ist die Einkommens
Bekämpfung der Armut auf Gemein- situation einer Person aus einem Einpersonenhaushalt nun direkt vergleichbar mit der Ein
schaftsebene. Danach gelten Personen als kommenss ituation einer Person aus einem Mehrpersonenhaushalt. Zugleich kann die Ein
kommensverteilung in der Gesamtbevölkerung betrachtet werden.
»verarmt«, »wenn sie über so geringe (ma-
terielle, kulturelle und soziale) Mittel ver- Ein Beispiel: Zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren erhalten ein Gesamtbedarfs-
gewicht von 2,1 (1,0 + 0,5 + 0,3 + 0,3). Beläuft sich das verfügbare Nettoeinkommen eines
fügen, dass sie von der Lebensweise aus-
solchen Haushalts auf 2 000 Euro monatlich, so ergibt sich als Nettoäquivalenzeinkommen
geschlossen sind, die in dem Mitglied- 952,38 Euro monatlich (= 2 000 Euro geteilt durch 2,1), das jedem Haushaltsmitglied zugewiesen
staat, in dem sie leben, als Minimum wird. Es wird also nicht die Zahl der Köpfe zugrunde gelegt, sondern das Gesamtbedarfsge-
wicht, das (mit Ausnahme von Einpersonenhaushalten) immer niedriger ist als die tatsächliche
annehmbar ist«. Ausgehend von dieser Anzahl der Personen im Haushalt, da in größeren Haushalten wirtschaftliche Einspareffekte
Sichtweise gilt in EU-SILC eine Person auftreten (zum Beispiel durch gemeinsame Nutzung von Wohnraum und Haushaltsgeräten).
als armutsgefährdet, wenn ihr Nettoäqui- Der Vier-Personen-Beispielhaushalt mit zwei erwachsenen Personen und zwei Kindern unter
14 Jahren benötigt bei der Berechnung also deshalb nicht das Vierfache, sondern nur das
valenzeinkommen weniger als 60 % des 2,1-Fache des Einkommens eines Einpersonenhaushalts, um das gleiche Wohlstandsniveau
nationalen Medianeinkommens beträgt. wie der Einpersonenhaushalt zu erreichen.
170
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
171
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.2 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung
uAbb 1 Ausgewählte Indikatoren zur Messung von Armut und geringste Armutsgefährdungsrisiko auf
materieller Entbehrung — in Prozent (6,9 %). Je höher also die Arbeitsmarkt
beteiligung der potenziell erwerbsfähigen
Haushaltsmitglieder und damit des Haus-
24
halts insgesamt ist, desto geringer ist folg-
lich auch das Armutsgefährdungsrisiko
20
der Personen in diesen Haushalten.
Neben dem Erwerbsstatus werden die
16
Personen auch zu ihrem erreichten Bil-
12
dungsabschluss befragt. Mit Blick auf das
Armutsgefährdungsrisiko waren 10,5 %
8
der Personen mit einem hohen Bildungs-
stand und 16,0 % der Personen mit einem
4 mittleren Bildungsstand armutsgefährdet.
Bei Personen mit einem niedrigen Bil-
0 dungsstand waren 29,1 % armutsgefährdet.
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffene Bevölkerung 6.2.3 Materielle Entbehrung
Armutsgefährdungsquote
Bevölkerung in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung Messung der materiellen Entbehrung
von erheblicher materieller Entbehrung betroffene Bevölkerung Während für die Definition von Armuts-
gefährdung die finanziellen Ressourcen
bei der Beschreibung der Lebenslage aus-
schlaggebend sind, geht es bei der Mes-
sung der materiellen Entbehrung vor
a llem um eine Bewertung der eigenen
Situation in den verschiedenen Lebensbe-
den (32,9 %). Leben zwei Erwachsene – halten lebten, in denen die Personen als reichen. Dieser in der europäischen Sozial-
a llein oder mit Kind(ern) – in einem armutsgefährdet galten. Bei den arbeits berichterstattung verwendete Ansatz geht
Haushalt ist das Armutsgefährdungsrisiko losen Personen waren es dagegen 67,4 %. auf den relativen Deprivationsansatz von
dagegen deutlich geringer. So waren Und bei den Personen im Ruhestand leb- Peter Townsend zurück, der davon aus-
11,6 % der Personen aus Haushalten ar- ten 16,7 % in Haushalten, in denen die ging, dass es in einer Gesellschaft – trotz
mutsgefährdet, in denen nur zwei Er- Personen als armutsgefährdet galten. der Pluralität von Lebensstilen und den
wachsene unter 65 Jahren lebten und nur Da bei dieser Betrachtung der Erwerbs- unterschiedlichen Bedürfnissen von
11,3 % der Personen aus Haushalten mit status der anderen erwachsenen und somit Haushalten unterschiedlicher Größe und
zwei Erwachsenen und Kind(ern). Von al- potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmit- Struktur – so etwas wie einen messbaren
len Haushaltstypen haben Personen aus glieder im Haushalt unberücksichtigt allgemeinen Lebensstil oder allgemeinen
Haushalten von Alleinerziehenden und bleibt, ist es sinnvoll, zusätzlich die Ar- Lebensstandard gibt. Je weniger eine Per-
Alleinlebende ein deutlich überdurch- beitsmarktbeteiligung beziehungsweise son an diesem allgemeinen Lebensstan-
schnittliches Armutsgefährdungsrisiko, Erwerbsintensität (work intensity) des ge- dard teilhaben kann, umso höher ist das
während dieses Risiko bei den anderen samten Haushalts einzubeziehen. u Info 6 Ausmaß ihrer materiellen Entbehrung
Haushaltstypen unterdurchschnittlich Danach hatten Personen aus Haushal- oder Deprivation. Ähnlich wie bei der
niedrig ist. ten mit einer sehr geringen Erwerbsinten- Messung der Armutsgefährdung wird da-
Der Erwerbsstatus von Personen wird sität (weniger als 20 %) ein Armutsgefähr- bei ein Schwellenwert zugrunde gelegt,
in der EU-SILC-Erhebung im Rahmen ei- dungsrisiko von 65,0 %. War die Arbeits- ab dem von materieller Entbehrung be-
ner Selbsteinschätzung erfragt, in der die marktbeteiligung des Haushalts insgesamt ziehungsweise einem unfreiwilligen Aus-
Personen angeben, welcher Erwerbsstatus höher aber noch unter 45 % (geringe Er- schluss vom aktuellen allgemeinen Le-
beziehungsweise welche Lebenssituation werbsbeteiligung), so war das Armutsge- bensstandard ausgegangen wird. Dafür
derzeit auf sie zutrifft. Die Analyse nach fährdungsrisiko der Personen nur noch muss der aktuelle allgemeine Lebensstan-
dem Merkmal »Erwerbsstatus« von Perso- halb so hoch (31,6 %). Wie erwartet, wie- dard bekannt sein und es muss bei der
nen über 18 Jahren zeigt, dass bei den er- sen Personen aus Haushalten mit einer Er- Messung der materiellen Entbehrung
werbstätigen Personen nur 9,9 % in Haus- werbsintensität von mindestens 85 % das sichergestellt sein, dass zwischen einem
172
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
173
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.2 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung
rien. Ein Kriterium bezieht sich auf Zah- nach der Ausstattung mit einem Auto soll- vates Auto im Haushalt. Sehr gering war
lungsrückstände bezüglich Wohnkosten ten nur Autos berücksichtigt werden, die dagegen der Anteil in der Bevölkerung, der
und Krediten. Vier Kriterien beziehen keine Dienst- oder Firmenwagen sind. Da- aus Geldgründen auf eine Waschmaschine
sich auf die Einschätzung des Haushalts nach verzichteten knapp 7 % der Bevölke- (0,5 %), einen Farbfernseher (0,3 %) oder
bezüglich dessen, was er sich aus seiner rung aus finanziellen Gründen auf ein pri- auf ein Telefon (0,3 %) verzichtete. u Tab 3
Sicht »leisten kann«, und vier Kriterien
beziehen sich direkt auf die Ausstattung
des Haushalts mit den Konsumgütern
Auto, Waschmaschine, Farbfernseher
und Telefon. Verneint der Haushalt das
Vorhandensein eines Konsumgutes, wird
u Info 7
er gefragt, ob finanzielle oder sonstige
Materielle Entbehrung
Gründe dafür ausschlaggebend sind. Auf
Die materielle Entbehrung umfasst einerseits verschiedene Formen wirtschaftlicher Belastung wie
diese Weise kann zwischen einem frei- zum Beispiel Hypotheken- oder Mietschulden, Zahlungsrückstände oder Probleme, die Rechnungen
willigen und einem unfreiwilligen Ver- von Versorgungsbetrieben zu begleichen. Andererseits umfasst sie einen aus finanziellen Gründen
zicht unterschieden werden. Bei der Mes- erzwungenen Mangel an Gebrauchsgütern, wobei der Mangel durch die unfreiwillige Unfähigkeit –
im Unterschied zur Wahlfreiheit – bedingt ist, für gewisse Ausgaben aufkommen zu können.
sung der materiellen Entbehrung wird Materielle Entbehrung liegt nach der EU-Definition für EU-SILC dann vor, wenn aufgrund der Selbst
nur der unfreiwillige Verzicht berück- einschätzung des Haushalts mindestens drei der folgenden neun Kriterien erfüllt sind:
sichtigt. Die europäische Sozialberichter- 1. Zahlungsrückstände (in den letzten zwölf Monaten) bei Hypotheken, Miete, Konsumentenkrediten
stattung unterscheidet zwischen materi- oder Rechnungen von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel Stromrechnung, Gasrechnung);
eller Entbehrung und erheblicher materi- 2. Finanzielles Problem, die Wohnung angemessen heizen zu können;
3. Finanzielles Problem, unerwartete Ausgaben in einer bestimmten Höhe aus eigenen finanziellen
eller Entbehrung. u Info 7 Mitteln bestreiten zu können;
Ähnlich wie bei der Armutsgefähr- 4. Finanzielles Problem, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine gleichwertige vegetarische
Mahlzeit einnehmen zu können;
dungsmessung wird das ermittelte Ergeb-
5. Finanzielles Problem, jährlich eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen;
nis allen Haushaltsmitgliedern in einem 6. Fehlen eines Personenkraftwagens im Haushalt aus finanziellen Gründen;
Haushalt zugeordnet und bei der Ergeb- 7. Fehlen einer Waschmaschine im Haushalt aus finanziellen Gründen;
8. Fehlen eines Farbfernsehgeräts im Haushalt aus finanziellen Gründen;
nisdarstellung als Ergebnis für die Ge- 9. Fehlen eines Telefons im Haushalt aus finanziellen Gründen.
samtbevölkerung ausgewiesen.
In der europäischen Sozialberichterstattung wird zwischen materieller Entbehrung und erheblicher
materieller Entbehrung unterschieden. Materielle Entbehrung liegt vor, wenn für einen Haushalt
Materielle Entbehrung nach mindestens drei der neun aufgeführten Kriterien zutreffen. Erhebliche materielle Entbehrung wird
Einzelkriterien dagegen bei Haushalten angenommen, bei denen mindestens vier der neun Kriterien zutreffen.
Im Jahr 2014 gaben knapp 6 % der Bevölke-
rung Zahlungsrückstande in den letzten
zwölf Monaten bei Hypotheken, Konsu- uTab 3 Materielle Entbehrung nach einzelnen Kriterien
mentenkrediten, Miete oder Rechnungen — in Prozent der Bevölkerung
von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel 2014
Stromrechnung, Gasrechnung) an. Etwa
5 % der Bevölkerung konnten die Woh- Zahlungsrückstände bei Hypotheken, Konsumentenkrediten, Miete,
5,6
Rechnungen von Versorgungsbetrieben
nung aus fi
nanziellen Gründen nicht ange-
messen heizen. Knapp 33 % und damit je- Der Haushalt kann es sich finanziell nicht leisten …
der Dritte in der Bevölkerung konnte un- … die Wohnung angemessen warm zu halten 4,9
erwartet anfallende Ausgaben in einer … unerwartet anfallende Ausgaben in Höhe von mindestens 980 Euro aus
32,6
bestimmten Höhe (2014: 980 Euro) nicht eigenen Mitteln zu bestreiten
aus eigenen Finanzmitteln bestreiten. Für … jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Geflügel oder Fisch
7,5
knapp 8 % der Bevölkerung war es aus fi- (oder eine entsprechende vegetarische Mahlzeit) einzunehmen
nanziellen Gründen nicht möglich, jeden … jedes Jahr eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen 21,0
zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Ge-
Fehlen eines Pkw im Haushalt aus finanziellen Gründen 6,8
flügel oder Fisch oder eine hochwertige ve-
Fehlen einer Waschmaschine im Haushalt aus finanziellen Gründen 0,5
getarische Mahlzeit zu essen. Jährlich eine
Woche Urlaub woanders als zu Hause zu Fehlen eines Farbfernsehgeräts im Haushalt aus finanziellen Gründen 0,3
verbringen, war für 21 % der Bevölkerung Fehlen eines Telefons aus finanziellen Gründen 0,3
174
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
Diese Ergebnisse zeigen einerseits, dass folgendes Bild: Für knapp 62 % der Bevöl- Einkommenssituation der Personen und
für eine deutliche Mehrheit der Bevölke- kerung traf keines der neun Kriterien zu. das Vorhandensein von erheblicher mate-
rung die erfragten Kriterien zum allgemei- Diese Personen hatten weder Zahlungs- rieller Entbehrung zusammen betrachtet
nen Lebensstandard gehören. Andererseits rückstände bei den Wohnkosten und werden. Hierfür wurde das Nettoäquiva-
wird auch deutlich, dass die Bestreitung Kreditzahlungen noch mussten sie sich in lenzeinkommen der Personen der Höhe
von unerwartet anfallenden Ausgaben einem der hier betrachteten Aspekte des nach angeordnet und die Bevölkerung
(33 %) und die finanziellen Möglichkeiten allgemeinen Lebensstandards aus finan- schließlich in fünf gleich große Teile
für eine jährliche Fahrt in den Urlaub ziellen Gründen einschränken. Bei rund (Quintile) unterteilt. Danach waren im
(21 %) für einen relativ hohen Anteil in der 16 % der Bevölkerung traf genau ein Krite- Jahr 2014 bei den einkommensärmsten
Bevölkerung nicht selbstverständlich sind. rium zu; bei weiteren 11 % trafen bereits 20 % der Bevölkerung (erstes Quintil)
zwei Kriterien zu. u Abb 2 knapp 17 % von erheblicher materieller
Materielle Entbehrung und erheb Wie bereits erwähnt, liegt materielle Entbehrung betroffen. In der nächst
liche materielle Entbehrung Entbehrung vor, wenn mindestens drei der h öheren Einkommensschicht (zweites
Werden alle neun Kriterien für die Mes- neun Einzelkriterien zutreffen. 11,3 % der Quintil) traf dies für 6 % zu. In den Ein-
sung der materiellen Entbehrung be- Bevölkerung waren danach von materiel- kommensschichten des dritten, vierten
trachtet, so ergibt sich für das Jahr 2014 ler Entbehrung betroffen. Erhebliche ma- und fünften Quintils kam erhebliche
terielle Entbehrung (vier von neun materielle Entbehrung kaum vor. u Abb 3
K riterien) kam bei 5,0 % der Bevölkerung
vor. Der Anteil der von erheblicher materi- 6.2.4 Armut oder soziale Ausgren-
eller Entbehrung betroffenen Bevölkerung zung: Der AROPE-Indikator
schwankt im Zeitverlauf. Im Jahr 2008 lag Auf der Basis der bisher vorgestellten bei-
u Abb 2 Materielle Entbehrung
er bei 5,5 %, wies aber durchaus in den den Sozialindikatoren zur Armutsgefähr-
nach der Anzahl der Kriterien 2014
— in Prozent der Bevölkerung Jahren 2010 und 2012 mit 4,5 % und 4,9 % dung und erheblichen materiellen Ent-
Werte von unter 5 % auf (Abbildung 1). behrung wurde ein weiterer Sozialindi-
Der enge Zusammenhang zwischen kator gebildet, der heute als die zentrale
den finanziellen Ressourcen eines Haus- statistische Kennziffer für die Messung
halts und der Teilhabe am allgemeinen von Armutsgefährdung oder sozialer
Lebensstandard wird deutlich, wenn die Ausgrenzung gilt: der AROPE-Indikator
1. Quintil 16,5
10,9
2. Quintil 6,0
3. Quintil 1,7
16,3
4. Quintil 0,5
5. Quintil 0,2
Kein Kriterium Anzahl der Kriterien,
trifft zu die zutreffen
1 2 3 4 5 und mehr
175
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.2 / Armutsgefährdung und materielle Entbehrung
(At risk of poverty or social exclusion). u Tab 4 AROPE-Indikator und seine Teilaspekte — in Prozent der Bevölkerung
Bei dem AROPE-Indikator handelt es 2014
sich um einen zusammengesetzten Indi-
Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen
kator, in dem neben Aspekten wie Armuts- (AROPE-Indikator)
20,6
gefährdung, materielle Entbehrung zu-
Anteil der Personen mit Armutsgefährdung 16,7
sätzlich die gemessene Erwerbsintensität
Anteil der Personen mit erheblicher materieller Entbehrung 5,0
des Haushalts berücksichtigt wird. Wie
Anteil der Personen aus Haushalten mit sehr geringer Erwerbsintensität 10,0
bereits dargestellt, weisen Personen aus
Haushalten mit einer sehr geringen Selbsteinschätzung der Haushalte.
176
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung / 6.2 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
20 % (erstes Quintil) der Bevölkerung traf gen unterworfen. Während er im Jahr
dies für die deutliche Mehrheit zu: Hier 2008 bei 20,1 % lag, wies er 2010 und 2012
waren knapp 86 % der Personen armuts- mit 19,7 % und 19,6 % die bislang nied-
gefährdet oder von sozialer Ausgrenzung rigsten Werte auf (siehe Abbildung 1).
bedroht. Im zweiten Quintil – also der Die Analyse nach Haushaltstypen er-
nächst höheren Einkommensschicht – gibt ähnliche Ergebnisse wie bei der aus-
gab es dagegen nur noch 10 % der Perso- schließlichen Betrachtung der Armutsge-
nen, die armutsgefährdet oder von sozia- fährdung. Mit knapp 38 % war 2014 mehr
ler Ausgrenzung bedroht waren. In den als ein Drittel der Alleinlebenden armuts-
höheren Einkommensschichten war der gefährdet oder von sozialer Ausgrenzung
Anteil wesentlich geringer und verdeut- bedroht. Mit knapp 40 % war der Anteil
licht damit den engen Zusammenhang bei Personen aus Haushalten von Allein-
zwischen Einkommenslage, Erwerbssitu- erziehenden am höchsten. Bei Personen
ation und materieller Entbehrung. u Tab 5 aus anderen Haushaltskonstellationen war
Im Zeitverlauf ist der Anteil der von der Anteil der von Armutsgefährdung oder
Armut oder sozialer Ausgrenzung betrof- sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen
fenen Bevölkerung leichten Schwankun- dagegen unterdurchschnittlich hoch. u Abb 4
177
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
u Info 1
Daten und Methoden
Die Einkommen werden im SOEP im Rahmen der jährlichen Befragungen detailliert erfasst: Zum
einen wird das monatliche Haushaltsnettoeinkommen erfragt, also die regelmäßigen Einkünfte
nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben zuzüglich erhaltener Sozialtransfers. Zum anderen
werden jeweils für das zurückliegende Jahr alle individuellen (Brutto-)Einkommen aller a
ktuell im
Haushalt befragten Personen erhoben. Diese individuellen Einkommenskomponenten werden
über den Haushalt aufsummiert und liefern so, mithilfe einer Schätzung der Steuer- und Sozial-
abgaben, die Jahresnettoeinkommen des Vorjahres. Bei den Jahreseinkommen sind neben
einmaligen Sonderzahlungen (13., 14. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und so weiter)
auf diese Weise auch Steuerrückzahlungen implizit berücksichtigt.
Die erhobenen Monatseinkommen bilden die zum Interviewmonat aktuell verfügbaren ökono
mischen Ressourcen für alle zu diesem Zeitpunkt im Haushalt lebenden Personen ab. Die
Jahreseinkommen beschreiben demgegenüber die von jeder aktuell im Haushalt lebenden Person
im Vorjahr erzielten Markt- und Nettoeinkünfte. Beide Einkommenskonzepte unterscheiden
sich damit nicht nur hinsichtlich des zeitlichen Bezugsrahmens, sondern auch in ihrer Konzeption.
Im Folgenden werden deshalb Daten zu beiden Konzepten präsentiert.
178
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
im selben Zeitraum von 1 315 auf 1 500 u Abb 1 Entwicklung der Einkommen der privaten Haushalte in Deutschland¹
Euro erhöht. Die entsprechenden Jahres- 1985 – 2014 (Median) — in Euro
einkommen lagen nominal im Jahr 2013
Vorjahres- Monats-
bei circa 20 000 Euro und real zu Preisen einkommen einkommen
von 2014 bei 20 500 Euro.² 25 000
Während die Nominaleinkommen
durchgehend stiegen, zeigten sich bei den
1 500
Realeinkommen seit Beginn der 1990er- 20 000
Jahre längere Phasen mit einem eher ge-
ringen Einkommenswachstum bei deut
lichen konjunkturellen Schwankungen. 15 000 1 000
Nach dem Vereinigungsboom und den
zunächst hohen Einkommenszuwächsen
in Ostdeutschland haben sich die Ein- 10 000
500
kommen in der zweiten Hälfte der 1990er-
Jahre wenig erhöht. Zur Jahrtausendwen-
de erfolgte erneut ein Einkommensan- 0 0
1986 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014
stieg, gefolgt von einer längeren Phase
wirtschaftlicher Rezession mit zum Teil Äquivalenzeinkommen im Vorjahr: Real² Äquivalenzeinkommen im Vorjahr: Nominal
Äquivalenzeinkommen im Monat: Real² Äquivalenzeinkommen im Monat: Nominal
sogar rückläufigen Einkommensentwick-
lungen. Bis 2010 stiegen die Einkommen 1 Vor 1989 beziehungsweise 1992 nur Westdeutschland.
2 Referenzjahr: 2014.
wieder und verharrten seitdem auf höhe- Datenbasis: SOEP 2014.
179
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
Die Betrachtung von Mittelwerten (das oberste Quintil) hatten demgegen- Jahr 2014 erhöht. Die jahresbezogenen
sagt allerdings noch nichts darüber aus, über bis 2000 etwa 35 % des monatlichen Einkommen der privaten Haushalte waren
wie gleich oder ungleich die Einkommen Gesamteinkommens zur Verfügung, seit im Allgemeinen etwas ungleicher verteilt
in der Bevölkerung verteilt sind. Allge- Beginn der 2000er-Jahre stieg bis 2014 als die enger gefassten monatlichen: Die
meine Indikatoren zur Beschreibung der der Anteil allmählich auf fast 37 % an. Ungleichheit der verfügbaren Vorjahres-
Einkommensungleichheit sind die An Die Ungleichheit der verfügbaren Ein- einkommen stieg von 0,25 im Jahr 1992
teile am Gesamteinkommen nach Ein- kommen im Haushalt hat sich damit er- auf 0,29 im Jahr 2013. Seit dem Milleni-
kommensschichten sowie der Gini-Koeffi- höht, oder um ein viel zitiertes Bild zu umswechsel ist die gesamtdeutsche Un-
zient. Hier zeigt sich, dass die ärmsten nutzen: Die Schere zwischen Arm und gleichheit3 der Einkommen weiter ange-
20 % der Bevölkerung (das unterste Quin- Reich hat sich weiter geöffnet. wachsen. Inzwischen liegt das Ausmaß der
til) bis zum Jahr 2000 über knapp 10 % Dies geht auch aus dem Gini-Koeffizi- Einkommensungleichheit deutlich höher
des monatlichen Gesamteinkommens enten, einem zusammenfassenden Un- als in den beiden Dekaden zuvor. u Tab 1
verfügten. Nach dem Jahr 2000 ging der gleichheitsmaß (siehe Kapitel 6.2, Seite 171, Anhand des jahresbezogenen Ein-
Einkommensanteil des ärmsten Quintils Info 5), hervor: Dieser hat sich bezogen kommenskonzeptes lassen sich zudem
stetig zurück und lag im Jahre 2014 nur auf die monatlich verfügbaren Einkom- auch Ungleichheitsziffern für die zugrun-
noch bei circa 9 %. Die reichsten 20 % men von 0,24 im Jahr 1992 auf 0,28 im de liegenden Markteinkommen (brutto)
u Abb 2 Entwicklung der Einkommensungleichheit (Gini) bei Haushaltsnetto- und Markteinkommen 1985 – 2014 — in Prozent
Gini Umverteilungs-
raten
0,50 45
0,45 40
0,40 35
0,35 30
0,30 25
0,25 20
0,20 15
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2014
Umverteilungsraten Umverteilungsraten Gini Monatsein- Gini Nettohaushalts- Gini Markteinkommen Gini Markteinkom-
(ohne Renten) (mit Renten) kommen im Haushalt¹ einkommen im Vorjahr¹ im Vorjahr und Rente¹ men im Vorjahr¹
1 Bei Monatseinkommen von 1985 bis 1989 nur Westdeutschland; bei Vorjahreseinkommen von 1985 bis 1991 nur Wetsdeutschland.
Datenbasis: SOEP 2014.
1 Bei Monatseinkommen von 1985 bis 1989 nur Westdeutschland; bei den Vorjahreseinkommen von 1985 bis 1991 nur Westdeutschland
Datenbasis: SOEPv28
180
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
berechnen, die sich vor Eingriff des Staa- bestimmt. Die relative Differenz der bei- Mittelwert betrachtet. Die unterste Ein-
tes ergeben, also ohne direkte Steuern den Ungleichheits-Koeffizienten (Un- kommensschicht mit weniger als der
und Sozialtransfers. Hieran wird deut- gleichheit des Brutto- und Nettohaus- Hälfte der mittleren bedarfsgewichteten
lich, dass die Ungleichheit der in den haltseinkommens) illustriert, inwieweit Einkommen (unter 50 % des arithmeti-
privaten Haushalten jeweils erwirtschaf- sozialstaatliche Eingriffe in Form von schen Mittels) lebt im Niedrigeinkom-
teten Markteinkommen (mit und ohne d irekten Steuern und Transfers die Un- mensbereich, die höchste Einkommens-
Renten) noch erheblich stärker gestiegen gleichheit reduzieren. Im Zuge der Verei- klasse ab dem Doppelten der mittleren
ist: Der Gini-Koeffizient der in den priva- nigung stieg der Einfluss der sozialstaat- bedarfsgewichteten Einkommen (ab
ten Haushalten erzielten Markteinkom- lichen Umverteilung in den 1990er- 200 %) kennzeichnet den Bevölkerungs-
men hat sich seit der Vereinigung bis Jahren stark an. Die durch staatliche anteil mit ausgeprägtem materiellem
2006 stetig erhöht, war seitdem etwas Maßnahmen erfolgte R eduzierung an Wohlstand. Anhand der relativen Ein-
rückläufig, verharrte bis 2013 aber wei- Ungleichheit verringerte sich in der letz- kommensschichtung lassen sich die bei
terhin auf hohem Niveau. Diese erhebli- ten Dekade wieder etwas, sie lag nach der Einkommensungleichheit beschrie-
che Zunahme an Ungleichheit der über Einschluss der Rentenleistungen zuletzt benen Trends differenzierter abbilden.
wiegend aus Erwerbstätigkeit erzielten in etwa auf dem Niveau der 1980er- und Die Bevölkerungsanteile am oberen und
Markteinkommen hat zu einer Zunahme frühen 1990er-Jahre. unteren Rand der Einkommensver
der Ungleichheit der daraus abgeleiteten teilung erhöhten sich in der letzten De-
Nettoeinkommen der privaten Haushalte 6.3.2 Einkommensschichtung und kade. Entsprechend gingen die Anteile in
geführt. u Abb 2 relative Armut den dazwischenliegenden mittleren Ein-
Die Ungleichheit der haushaltsbezo- Die Zunahme der Ungleichheit geht mit kommensschichten insgesamt zurück.
genen Markt- und Nettoeinkommen einer Veränderung der Einkommens- Der Rückgang der mittleren Einkom-
wird von den Entwicklungen am Arbeits- schichtung einher. Bei der Schichtung mensgruppen erfolgte aber nicht linear
markt, von sozio-demografischen Ver der Bevölkerung nach Einkommen wer- für alle Teilgruppen gleichermaßen, viel-
änderungen sowie von Maßnahmen im den verschiedene Einkommensklassen in mehr zeigen sich hierbei Schwankungen
Bereich der sozialstaatlichen Sicherung prozentualer Relation zum jeweiligen im zeitlichen Verlauf sowohl bei den
1 Werte dieses Indikators liegen zwischen 0 (keine Ungleichheit innerhalb der Armutspopulation) und 100 (maximale Ungleicheit innerhalb der Armutspopulation).
* Daten von 2013.
Datenbasis: SOEP 2014.
181
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
über- wie auch unterdurchschnittlichen kerung beträgt.4 Früher verwendete, auf Die Berechnung der Armutsgrenzen
Einkommenslagen. dem arithmetischen Mittel basierende erfolgt auf Grundlage der gesamtdeut-
Der hier verwendete Armutsbegriff Kennziffern zur Abgrenzung von »Ar- schen Einkommensverteilung anhand
b eruht wie auch die Berechnungen im mut« (50 %-Schwelle) und Niedrigein- der Realeinkommen zu Preisen von 2014.
vorherigen Kapitel 6.2 auf dem soge- kommen, dem sogenannten »prekären Die auf dem Median basierenden Armuts-
nannten relativen Armutskonzept und Wohlstand«, (75 %-Schwelle) sind in der quoten werden anhand des sogenannten
orientiert sich an der Definition der Einkommensschichtung mit ausgewie- FGT-Maßes (nach den Autoren Foster/
Europäischen Union. Gemäß den vom sen (Tab 2 oberer Teil). Die auf den Me- Greer/Thorbecke) weiter differenziert:
Statistischen Amt der EU (Eurostat) dian bezogenen Armutsgrenzen sind we- Neben der Armutsquote FGT(0), die den
empfohlenen Schwellenwerten gilt dem- niger anfällig für Extremwerte am obe- Umfang der Armutspopulation in Pro-
nach als arm, wer in einem Haushalt lebt, ren Rand der Verteilung und liefern zent ausweist (Incidence), werden dabei
dessen Haushaltsnetto-Äquivalenzein- somit robustere Ergebnisse als die aus auch die Armutsintensität (Intensity)
kommen weniger als 60 % des Medians dem arithmetischen Mittel abgeleiteten und die Armutsungleichheit (Inequality)
der Einkommen in der gesamten Bevöl- Schwellenwerte. berücksichtigt. Die Kennziffer FGT(1)
entspricht der Armutslücke, das heißt
dem relativen Einkommensbetrag (in
Prozent des Schwellenwertes), der erfor-
derlich wäre, um die Armutsgrenze zu
u Abb 3 Bevölkerungsanteile in Niedrigeinkommen und Armut
überwinden. Die weitere Armutsintensi-
nach unterschiedlichen Schwellenwerten 1992 – 2014 — in Prozent
tät FGT(2) berücksichtigt zudem die Un-
gleichheit innerhalb der Armutspopula
25 tion und hebt so diejenigen innerhalb der
Armutspopulation mit besonders niedri-
gen Einkommen stärker hervor. u Tab 2
Gemessen an der medianbasierten
Armutsschwelle auf Grundlage der monat
20
lichen Haushaltsnettoeinkommen lebten
13,9 % der gesamtdeutschen Bevölkerung
im Jahr 2014 in Einkommensarmut. Da-
mit blieb die Armutsrisikoquote im Ver-
15 gleich zum Vorjahr stabil. Die Armuts
lücke FGT(1) betrug 3 % gemessen am
Monatseinkommen und 3,3 % bei Zu-
grundelegen des Jahreseinkommens, das
heißt, im Durchschnitt wäre eine Ein-
10 kommenssteigerung um 3 % beziehungs-
weise 3,3 % erforderlich gewesen, um die
Armutsschwelle zu überwinden. Die län-
gerfristige Entwicklung belegt eine deut-
liche Zunahme der Armutsrisiken in der
5
zurückliegenden Dekade im Vergleich zu
den 1990er-Jahren. Die Zunahme der Ar-
mutsrisiken erstreckte sich nicht nur auf
die 60 %-Schwelle. Übereinstimmend
0 weisen Monats- und Jahreseinkommen
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 auch bei Verwendung einer strengeren
Vorjahreseinkommen Vorjahreseinkommen Vorjahreseinkommen
Armutsschwelle (50 %-Schwelle) sowie
70% des Medians 60% des Medians 50% des Medians bei Betrachtung des Niedrigeinkom-
Monatseinkommen Monatseinkommen Monatseinkommen
mensbereichs (70 %-Schwelle) in der letz-
70% des Medians 60% des Medians 50% des Medians ten Dekade eine deutliche Erhöhung ge-
genüber den 1990er-Jahren auf. Alle Ar-
Datenbasis: SOEP 2014. muts-Indizes erhöhten sich in der letzten
182
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
3 000
2 500
2 000
1 500
1 000
500
0
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Westdeutschland Ostdeutschland
Dekade, das Ausmaß an Niedrigeinkom- erhebliche Unterschiede zwischen Ost- ter- beziehungsweise überschritten wird.
men und Armut stieg zum Ende der letz- und Westdeutschland zu beobachten – In analoger Form geben die Ober- und
ten Dekade auf eines der höchsten die Einkommen in Ostdeutschland liegen Untergrenzen der Blöcke die Einkom-
Niveaus der letzten beiden Jahrzehnte an; bei allen Einkommensniveaus unter mensschwellen wieder, die zusammen die
zugleich entfernten sich die Einkommen den vergleichbaren Schwellen in West- mittleren 50 % der Einkommen in der Be-
der Armen immer weiter von der Armuts- deutschland. Daneben zeigen sich aber völkerung umfassen; die äußeren Linien
schwelle und die Intensität der Armut auch weitere regional unterschiedliche veranschaulichen schließlich die soge-
verstärkte sich. Nach 2010 setzte sich die- Trends. nannten Dezilsschwellen, die die jeweils
ser Trend indes nicht in gleicher Weise Die Angleichung der Einkommens- reichsten beziehungsweise ärmsten 10 %
fort: Armuts- und Ungleichheitsziffern verhältnisse zwischen Ost und West lässt der Bevölkerung abgrenzen; sie beschrei-
stagnieren derzeit − allerdings auf höhe- sich anschaulich anhand der Entwick- ben also die Einkommensspanne, die das
rem Niveau als noch in den beiden Deka- lung der verschiedenen Einkommens- Wohlstandsniveau von 80 % der jeweili-
den zuvor. Dies gilt gleichermaßen für schwellen der verfügbaren Haushaltsein- gen Bevölkerung ohne die jeweils reichs-
die Intensität von Einkommensarmut bei kommen dokumentieren. Bei dieser Dar- ten und ärmsten 10 % umfasst und kenn-
Monats- und Jahreseinkommen. u Abb 3 stellung werden Niveau und Verteilung zeichnen so auch das Ausmaß an Ein-
der Einkommen gleichzeitig betrachtet: kommensungleichheit. u Abb 4
6.3.3 Angleichung der Einkommen Die mittlere Linie der Blöcke in Abbil- Die Grafik zeigt anschaulich, wie sich
in Ost- und Westdeutschland dung 4 stellt den jeweiligen Median dar, die Verteilung der Realeinkommen in
Bei der Betrachtung der gesamtdeutschen also den Einkommensschwellenwert, der Ostdeutschland vor allem in der ersten
Einkommensverteilung sind weiterhin von jeweils der Hälfte der Bevölkerung un- Hälfte der 1990er-Jahre bei allen Ein-
183
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
kommensgruppen schrittweise an die kommen und einer gleichzeitig höheren mutsquoten in der Gesamtbevölkerung
Entwicklung der Westeinkommen an- Differenzierung der unteren Einkommen. (inklusive Kinder unter 18 Jahren) liegen
glich. Nach 2000 profitierten die unteren In der letzten Dekade setzte sich die An- etwas höher bei ähnlichem zeitlichem Ver-
und mittleren Einkommen in Ost- näherung der höheren Einkommen weiter lauf.
deutschland kaum von der wirtschaft fort, zugleich blieben aber im untersten Der Anstieg der Armutsrisiken im
lichen Entwicklung, die Angleichung der Einkommensbereich die Abstände zwi- zeitlichen Verlauf beschränkt sich nicht
höheren Einkommen setzte sich hinge- schen Ost und West auch nach der wirt- nur auf einzelne soziale Gruppen. Im
gen – wenn auch langsam – weiter fort. schaftlichen Erholung stabil. Folgenden wird gezeigt, welche Bevölke-
In den Jahren 2004 bis 2008 war somit Weiterführende Analysen zeigen, dass rungsgruppen, Familien- und Haushalts-
eine zunehmende Diskrepanz zwischen bei einer regional differenzierteren Be- formen über- oder unterdurchschnittlich
West- und Osteinkommen zu beobachten, trachtung auch innerhalb Westdeutsch- von Armut betroffen sind. Die Kennzif-
die sich in den darauf folgenden Jahren lands Unterschiede zutage treten (siehe fern beziehen sich auf die Verteilung des
wieder etwas verminderte. Tabelle 3a); insbesondere bei den Stadt- monatlichen Haushaltsnettoeinkommens
In Westdeutschland erhöhten sich die staaten sind phasenweise erhöhte Ein- innerhalb der gesamten Bevölkerung in
Abstände zwischen unteren und höheren kommensrisiken zu beobachten. Dazu den genannten Dreijahresperioden. Ne-
Einkommen über einen langen Zeitraum wurden die westlichen Bundesländer nach ben der gesamtdeutschen Darstellung
stufenweise. In Ostdeutschland waren Nord (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein- wird hier in Anbetracht der erhöhten
die Einkommen von vornherein weit Westfalen, Schleswig-Holstein) und Süd A rmutsrisiken die Entwicklung in Ost-
weniger ungleich verteilt. Zu Beginn der (Bayern, Baden-Württemberg, Rhein- deutschland separat ausgewiesen.
1990er-Jahre erfolgte hier ein Anstieg der land-Pfalz, Saarland) unterteilt und die Frauen waren in Gesamtdeutschland
Ungleichheit, der sich aber bald verlang- Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) e twas stärker als Männer von Einkom-
samte. In den 2000er-Jahren stieg die als eigene Kategorie erfasst.5 Die regiona- mensarmut betroffen. Das Armutsrisiko
Ungleichheit der ostdeutschen Einkom- le Differenzierung auf der Ebene der Bun- von Kindern im Alter bis zu 10 Jahren so-
men vor allem infolge einer Spreizung desländer zeigt zwar Variationen in der wie das der Jugendlichen im Alter von 11
nach unten (zwischen Median und Un- Einkommensverteilung und im Armutsri- bis 20 Jahren stagnierte im hier betrachte-
tergrenze des Blocks beziehungsweise siko, es wird aber deutlich, dass in Ost- ten Zeitraum. In Ostdeutschland waren
zwischen Median und unterem Dezil) an deutschland das Einkommensniveau und Kinder und Jugendliche weiterhin stärker
und führte so zu einer Zunahme von die Einkommensungleichheit niedriger von Armut betroffen, die Armutsrisiko-
Niedrigeinkommen und Armut. Seit und das Armutsrisiko der Bevölkerung quoten gingen aber in beiden Gruppen
2008 lässt sich ein abermaliger Anstieg wesentlich höher waren als in den meisten nach einem Anstieg Mitte der 2000er-
der Einkommensungleichheit – nunmehr westdeutschen Regionen. Jahre wieder zurück. Am höchsten waren
infolge einer zunehmenden Spreizung die Armutsquoten in der letzten Unter
der höheren Einkommen – beobachten. 6.3.4 Armut in verschiedenen suchungsperiode bei jungen Erwachsenen
Das Ungleichheitsniveau in Ostdeutsch- Bevölkerungsgruppen in der Altersgruppe von 21 bis 30 Jahren.
land entsprach 2014 dem der westlichen Seit dem Jahr 2000 haben sich die Armuts- In Ostdeutschland lebte zuletzt nahezu je-
Bundesländer in den 1980er- und 1990er- risiken in der Bevölkerung erhöht. Um die der vierte Jugendliche und jeder dritte
Jahren – allerdings bei niedrigerem Ein- Differenzierungen und Trends auch für junge Erwachsene (21 bis 30 Jahre) in un-
kommensniveau. In den letzten Jahren kleine Bevölkerungsgruppen, die von Ar- zureichenden Einkommensverhältnissen.
nahm demnach auch in Ostdeutschland mut betroffen sind, in robuster Weise ab- Die Altersgruppe der jungen Erwerbstäti-
die Ungleichheit erneut zu, ohne jedoch zubilden, werden die Armutsquoten zu gen (31 bis 40 Jahre) war durchgehend un-
das höhere Ungleichheitsniveau in West- den ausdifferenzierten Personengruppen terdurchschnittlich von Armutsrisiken
deutschland zu erreichen. Die Grafik über jeweils drei Jahre gemittelt − wir be- betroffen, wogegen sich die Armutsrisi-
macht nicht nur deutlich, dass die Streu- trachten dazu drei Perioden zu Beginn ken der älteren Erwerbstätigen erhöhten.
ung der Einkommen in Ostdeutschland (2000 bis 2002), in der Mitte (2006 bis In Ostdeutschland waren die niedrigsten
weniger ausgeprägt ist als in den west 2008) sowie am Ende der letzten 15 Jahre Armutsquoten bei Personen über 70 Jah-
deutschen Bundesländern, sondern zeigt (2012 bis 2014). Die Armutsrisiken der er- ren zu finden. Die ostdeutsche Rentner
auch, dass dies vor allem an der geringe- wachsenen Bevölkerung stiegen in diesen generation profitiert dabei noch von
ren Differenzierung im oberen Einkom- Perioden von 11 auf 13 %. Die erwachsene systembedingten Unterschieden in der
menssegment liegt. Der wesentliche Ein- Bevölkerung in Ostdeutschland war dabei A rbeitsmarktbeteiligung mit durchgehen-
kommensunterschied zwischen alten und überproportional vom Armutsanstieg be- den Beschäftigungsverhältnissen bei
neuen Ländern besteht demzufolge in der troffen; hier stiegen die entsprechenden Männern und Frauen aus der Zeit vor der
geringeren Spreizung der höheren Ein- Armutsrisiken von 14 auf 19 %. Die Ar- Vereinigung. Die Armutsrisiken der 61- bis
184
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
uTab 3a Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Haushaltsmerkmalen 2000 – 2002, 2006 – 2008, 2012 – 2014,
Mittelwert zu Dreijahresperioden — in Prozent
70-Jährigen stiegen in Ostdeutschland quoten der Älteren weisen auf die wach- grund, sprich mit eigener Migrationser-
in den letzten Jahren sprunghaft an und sende Altersarmut in Ostdeutschland hin. fahrung, wiesen darunter deutlich höhere
lagen 2014 über dem gesamtdeutschen Personen mit Migrationshintergrund Armutsrisiken auf, als Personen mit indi-
und etwas unter dem ostdeutschen waren in allen drei Zeitabschnitten einem rektem Migrationshintergrund. In Ost-
Durchschnitt. Die Zunahme der Armuts höheren Armutsrisiko ausgesetzt als die deutschland ist die Armutsbetroffenheit
betroffenheit unter den älteren Erwerbs Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. bei Migranten – insbesondere bei direk-
tätigen sowie die stark erhöhten Armuts Personen mit direktem Migrationshinter- tem Migrationshintergrund − noch höher,
185
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
u Tab 3b Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Bildungs- und Beschäftigungsmerkmalen
2000 – 2002, 2006 – 2008, 2012 – 2014, Mittelwert zu Dreijahresperioden — in Prozent
Deutschland (gesamt) Ostdeutschland¹
Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke-
Armutsquote Armutsquote
60 % des Medians rungsanteil rungsanteil
2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014 2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014
Bevölkerung insgesamt 100 11,7 13,1 13,1 100 15,1 19,7 18,9
Familienstand
Verheiratet / zusammen lebend 52,2 8,0 8,2 8,4 48,7 8,1 11,8 11,0
Verheiratet / getrennt lebend 1,5 20,2 21,4 21,0 1,5 31,2 26,8 31,5
Ledig 28,9 14,8 18,0 18,1 30,8 21,8 28,9 30,5
Geschieden 9,7 19,9 23,0 21,9 10,6 30,7 31,9 28,7
Verwitwet 7,6 10,5 10,8 10,5 8,4 7,3 7,2 6,8
Bildungsabschluss
Hauptschule ohne Abschluss 8,9 20,9 25,5 29,4 6,6 24,7 30,0 43,9
RS, FHS, Gymnasium ohne Abschluss 3,5 11,6 14,4 16,1 3,2 20,4 33,7 28,2
Hauptschule mit Abschluss 23,4 9,6 11,2 11,8 21,4 13,8 19,2 21,0
Realschule mit Abschluss 23,7 7,7 10,5 10,2 36,4 14,4 20,0 17,6
FHS, Gymnasium mit Abschluss 9,9 10,4 11,0 11,5 6,4 18,2 15,8 18,5
Sonstiges 7,4 19,6 21,9 24,8 2,0 25,0 48,8 48,3
FH, Universität 20,8 4,2 4,9 4,3 21,6 5,1 7,3 6,3
In Lehre, Schule, Studium 2,5 16,9 17,6 19,1 2,5 20,7 28,0 31,9
Erwerbsstatus
Erwerbstätig Vollzeit 37,9 4,3 4,2 4,0 35,3 6,1 7,2 6,6
Erwerbstätig Teilzeit 18,8 12,1 12,5 12,5 12,2 17,0 20,6 19,7
Arbeitslos 6,1 37,5 54,0 61,7 13,4 41,6 63,6 72,0
In Ausbildung 3,7 21,3 23,6 25,9 4,3 24,6 27,7 40,0
Nicht erwerbstätig 33,6 12,0 11,8 13,3 34,9 10,5 12,0 13,8
Berufliche Stellung
Un- / Angelernter Arbeiter 13,0 13,6 16,3 19,2 12,2 17,6 23,9 29,5
Facharbeiter, Meister 11,3 4,8 5,7 5,6 20,6 6,3 8,9 8,3
Selbständige 10,1 10,2 9,2 9,7 11,7 17,0 18,5 17,9
Auszubildende, Volontäre 4,4 21,4 24,0 22,1 6,3 23,8 37,1 38,9
Einfache Angestellte 14,8 6,3 10,4 12,2 14,2 9,2 15,5 16,3
Qualifizierte Angestellte 25,4 2,1 2,2 2,5 19,2 3,0 3,7 4,2
Leitende Angestellte 14,8 1,0 0,5 0,6 12,0 1,2 1,8 1,0
Einfache / mittlere Beamte 1,7 1,6 0,5 0,4 1,9 6,2 0,7 0,5
Gehobene / höhere Beamte 4,5 0,7 0,1 0,9 1,8 2,1 0,1 2,4
allerdings ist ihr Bevölkerungsanteil hier tungsgemäß stärker von Armutsrisiken höhte sich das 2000 bis 2002 bereits über-
weit geringer als in Westdeutschland. betroffen als Eigentümer; diese auch in proportionale Armutsrisiko noch weiter.
Die regionale Differenzierung ver- Ostdeutschland ausgeprägte Diskrepanz Auch bei Personen mit beruflichem Bil-
deutlicht nochmals, dass die Armutsrisi- verstärkte sich innerhalb der letzten De- dungsabschluss stieg das Armutsrisiko
ken in Ostdeutschland weiterhin höher kade weiter. u Tab 3a leicht an.
sind als in anderen Landesteilen. Die Verheiratet Zusammenlebende sind Arbeitslose tragen nach wie vor ein
Bundesländer im Süd-Westen Deutsch- nach wie vor am geringsten von Armut sehr hohes Armutsrisiko. Sie waren in
lands wiesen die geringsten Armutsrisi- betroffen, Ledige und Geschiedene tra- den Jahren 2012 bis 2014 mit 62 % in Ge-
ken auf. Weniger stark unterschieden gen ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko. samtdeutschland und mit 72 % in Ost-
sich die Armutsrisiken zwischen Stadt Für Personen ohne Bildungsabschluss be- deutschland die Bevölkerungsgruppe mit
und Land. Mieterhaushalte waren erwar- ziehungsweise mit geringer Bildung er- der höchsten Armutsbetroffenheit. Im
186
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
uTab 3c Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Haushaltsmerkmalen 2000 – 2002, 2006 – 2008 und 2012 – 2014,
Mittelwert zu Dreijahresperioden — in Prozent
187
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
Vergleich zu 2000 bis 2002 − also vor der liegenden Dekade, wobei dieser Anstieg schlechterung der materiellen Grund
Arbeitsmarktreform − erhöhte sich die in Ostdeutschland besonders ausgeprägt lagen in einer Gesellschaft. Deshalb ist
Quote nochmals erheblich. Die niedrige war. Ungeachtet der insgesamt niedrigen die Veränderung von Einkommensposi
Armutsquote bei Vollzeiterwerbstätigen Altersarmut gab es offenkundig innerhalb tionen im Zeitverlauf ein entscheidender
sowie die mittlere Armutsquote bei der Älteren wiederum Gruppen mit wach- Hinweis dafür, inwieweit es Personen
Nichterwerbstätigen hielten sich gegen- senden Armutsrisiken. u Tab 3c und Haushalten gelingt, defizitäre Positi-
über dem Jahr 2000 bis 2002 im Niveau. onen zu überwinden und welchem Risiko
Nach den Auszubildenden und Volon- 6.3.5 Dynamik von
Einkommen sie ausgesetzt sind, in unzureichende
tären fanden sich innerhalb der beruf und Armut Einkommenslagen abzurutschen. Diese
lichen Statusgruppen die höchsten Ar- Die Stabilität beziehungsweise die Dyna- Mobilität zwischen verschiedenen Ein-
mutsquoten unter den un- und ange mik von Einkommen und Armut gibt kommenspositionen im zeitlichen Ver-
lernten Arbeitern. Bei beiden Gruppen Auskunft über die Chancen und Risiken lauf kann unter anderem durch soge-
erhöhte sich das Armutsrisiko 2012 bis zur Verbesserung beziehungsweise Ver- nannte Mobilitätsmatrizen berechnet
2014 gegenüber 2000
bis 2002. Insbeson-
dere un- und angelernte Arbeiter in Ost-
deutschland befanden sich in erheblichem
Ausmaß in prekären Lebenslagen. Bei ein-
fachen Angestellten stieg das Armutsrisi-
ko gegenüber 2000 bis 2002 deutlich, wo- u Tab 4 Einkommensdynamik: Quintilsmatrizen1 im Zeitverlauf
hingegen Beamte sowie qualifizierte und Stabiler/Mobiler Bevölkerungsanteil gegenüber Ausgangszeitpunkt — in Prozent
hochqualifizierte Angestellte unverändert Von der Bevölkerung im Ausgangsquintil (zum Beispiel 1. Quintil) im Jahr A waren
ein sehr geringes Armutsrisiko trugen. vier Jahre später, im Jahr B, X % der Bevölkerung im Übergangsquintil (zum Beispiel 2. Quintil)
Die in der letzten Dekade zunehmenden Ausgangs- Übergang
1992 –1996 2002 – 2006 2010 – 2014
Armutsquoten betrafen innerhalb der er- quintil in Quintil
188
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik / 6.3 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
Armutsdynamik im zeitlichen Verlauf
und dargestellt werden. Hierbei wird be- u Abb 5 Armutsdynamik im zeitlichen Verlauf — in Prozent
rechnet, welcher Bevölkerungsanteil zu
Wie oft arm 1992 –1995 (alle Personen)
zwei Zeitpunkten in denselben Einkom-
Relative Position in Prozent des Medianeinkommens 1996
mensklassen (Quintilen) geblieben, be-
ziehungsweise in höhere oder niedrigere >150% 98
Datenbasis: SOEPv28
189
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.3 / Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik
1 Bei der Berechnung der Jahreseinkommen werden hier nur rein monetäre Einkünfte betrachtet; Einkommensvorteile durch selbst
genutztes Wohneigentum (imputed rent) bleiben hierbei ebenso unberücksichtigt wie Unterhaltsleistungen und Ähnliches
2 Bei dieser gesamtdeutschen Betrachtung sind die Unterschiede in den Preisniveaus im zeitlichen Verlauf sowie die insbesondere
unmittelbar nach der Vereinigung bedeutsamen Kaufkraftunterschiede zwischen den alten und neuen Ländern noch nicht berück
sichtigt. Die nachfolgenden Berechnungen werden deshalb auf der Basis von Realeinkommen zum Basisjahr 2010 durchgeführt, wobei
die Einkommen der alten und neuen Länder bis 1997 jeweils getrennt an die entsprechende Preisentwicklung angepasst wurden.
3 Bei gesamtdeutscher Betrachtung war unmittelbar nach der Vereinigung, als die Einkommen der alten und neuen Länder noch weiter
voneinander entfernt lagen, der Gini-Koeffizient höher als bei alleiniger Betrachtung der westdeutschen Verteilung und ist im Zuge
der Einkommensangleichung der neuen Länder im Verlauf der 1990er-Jahre zunächst gesunken.
4 Genau genommen wird ab dieser Schwelle von einem deutlich erhöhten Armutsrisiko gesprochen, da Einkommen nur einen indirekten
Indikator für Armut darstellt. Deshalb wird häufig der Begriff Armutsrisikoquote genutzt; wir verwenden in diesem Kapitel die Begriffe
Armutsquote und Armutsrisikoquote synonym.
5 Die Definition Ostdeutschland ist bei der Regionseinteilung nach Bundesländern ohne Berlin-Ost, bei der Gegenüberstellung von
Gesamtdeutschland mit Ostdeutschland aber inklusive Berlin-Ost; dadurch ergibt sich die leicht unterschiedliche Armutsquote für
Region Ost und Ostdeutschland.
6 Die aktuelle Einkommensschichtung wird anhand der Relation zum arithmetischen Mittel abgebildet, die zurückliegende Armutserfah-
rung wird als kumulative Messung (n-mal von Armut betroffen) unterhalb der Armutsgrenze von 60 % des jeweils jahresspezifischen
gesamtdeutschen Medians berechnet.
190
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
191
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.4 / Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung
Euro, wobei Grund- und Immobilien genüber 2002 zeigen sich nur wenige be- Im Zeitraum 2002 bis 2012 sind die
besitz mit 5,1 Billionen Euro den über- deutende Veränderungen. Eine Ausnah- durchschnittlichen Nettovermögen in
wiegenden Anteil ausmachte. Die Ver- me ist, dass der Anteil der Personen, die Ostdeutschland dagegen schneller ge-
bindlichkeiten der privaten Haushalte ein negatives Nettovermögen halten, wachsen als in Westdeutschland. Eine
beliefen sich nach dieser Abgrenzung im zwischen 2002 und 2007 angestiegen und Rolle hierfür dürfte die Erholung auf
Jahr 2012 auf gut 1,1 Billionen Euro, vor- bis 2012 auf diesem Niveau verblieben ist. dem ostdeutschen Arbeitsmarkt gespielt
rangig bestehend aus Hypothekenkredi- Nominal wurde im betrachteten Zeit- haben. Haben die Haushalte höhere Ein-
ten in Höhe von knapp einer Billion Euro. raum nur ein leichter Anstieg der mittle- kommen zur Verfügung, verbessern sich
Das Nettovermögen der privaten Haus ren Vermögenshöhe beobachtet. u Tab 1 die Möglichkeiten, zu sparen und Vermö-
halte in Deutschland betrug damit im Zwischen den beiden Landesteilen gen zu akkumulieren. Hinzu kommt,
Jahr 2012 rund 6,3 Billionen Euro. bestehen weiterhin markante Unterschie- dass eine Belebung des Arbeitsmarktes
Das durchschnittliche Nettovermö- de in der Höhe des Nettovermögens. auch eine zunehmende Nachfrage nach
gen je Erwachsenen (Personen ab 17 Jah- Während in Westdeutschland im Jahr selbstgenutzten Immobilien bewirkt, de-
ren) lag 2012 bei gut 83 000 Euro. Der 2012 jeder Erwachsene ab 17 Jahren im ren Marktpreise entsprechend steigen.
Median der Vermögensverteilung, also Durchschnitt über mehr als 93 000 Euro
der Wert der die reichsten 50 % der Be- Vermögen verfügte, belief sich dieses für 6.4.2 Vermögensungleichheit
völkerung von der ärmeren Hälfte trennt, in Ostdeutschland lebende Personen nur Ein Standardmaß zur Messung von Ver-
war mit knapp 17 000 Euro wesentlich auf rund 41 000 Euro – dies entspricht mögensungleichheit ist der Gini-Koeffi
niedriger als der Durchschnitt – ein In- weniger als der Hälfte des westdeutschen zient. Dieser ist auf den Wertebereich
diz für die ungleiche Verteilung des Ver- Wertes. Gemessen am Median war das zwischen Null (vollkommene Gleichver-
mögens. Gut ein Fünftel aller Erwachse- Gefälle noch größer – im Westteil des teilung) und Eins (vollkommene Un-
nen verfügte über kein nennenswertes Landes lag er bei 21 000 Euro, im Osten gleichverteilung) normiert, das heißt,
Vermögen – bei 7 % aller Erwachsenen bei nur 8 000 Euro. Zudem lag der Anteil je höher der Wert ist, desto stärker ausge-
waren die Verbindlichkeiten sogar höher der Personen mit einem Nettovermögen prägt ist die gemessene Ungleichheit. Für
als das Bruttovermögen. von Null im Jahr 2012 mit knapp 22 % 2012 ergab sich ein Koeffizient von 0,78.
Das reichste Prozent der Bevölkerung etwas höher als im Westteil des Landes In Deutschland war die Ungleichheit der
ab 17 Jahren besaß ein Nettovermögen mit rund 20 %. Auch der Anteil der Per- Vermögensverteilung damit im Vergleich
von mindestens 800 000 Euro. Dieser sonen mit negativem Nettovermögen zur Verteilung der verfügbaren Haus-
Wert dürfte aber unterschätzt sein, da in (das heißt, die Verbindlichkeiten sind hö- haltseinkommen mehr als doppelt so
freiwilligen Bevölkerungsbefragungen her als das Bruttovermögen) war in Ost- hoch (siehe Kapitel 6.3.1, Seite 179, Tab 1).
typischerweise Multimillionäre kaum deutschland mit knapp 9 % etwas höher Innerhalb der Eurozone wies Deutsch-
und Milliardäre nicht erfasst werden. Ge- als in Westdeutschland mit 7 %. land neben Österreich die höchste Vermö-
Mittelwert (in Euro) 79 941 81 089 83 308 90 004 93 651 93 790 36 713 32 007 41 138
p99 ² (in Euro) 759 969 787 500 817 279 834 853 897 841 876 050 341 657 274 704 399 820
Median (in Euro) 15 000 14 818 16 663 19 800 18 910 21 200 7 500 7 100 8 080
Anteil der Personen mit einem 7,4 7,4 5,0 7,1 7,1 6,0 8,5 8,9
5,2
Nettovermögen <0 (in %)
Gini-Koeffizient 0,776 0,799 0,780 0,761 0,784 0,768 0,816 0,823 0,792
90:50 Dezilsverhältnis 14,0 14,0 13,0 11,9 12,7 11,3 14,0 12,8 13,8
192
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
gensungleichheit auf. So lag der Gini-Koef- u Abb 1 Vermögensungleichheit im internationalen Vergleich — Gini-Koeffizient
fizient für Frankreich bei 0,68, für Italien
bei 0,61 und für die Slowakei bei 0,45. Hö-
her als in Deutschland war die Vermögen- Slowakei 0,45
6.4.3 Vermögensportfolio
Die Betrachtung reiner Nettogrößen ver-
deckt im Allgemeinen wichtige Struktur-
unterschiede sowohl bezüglich der Zu-
19,9
sammensetzung des Vermögens als auch
12,1
bezüglich eventueller Verbindlichkeiten.
7,0
So kann ein niedriges Nettovermögen das 1,3
3,3
0,0 0,4
Ergebnis eines hohen Bruttovermögens
0,0
bei gleichzeitig hohem Schuldenstand –1,6
193
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.4 / Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung
kann erwartet werden, dass private Haus- Betriebsvermögen mit einem Anteil von Gemessen am Nettovermögen waren
halte ihr Vermögen in weniger risikobe- deutlich weniger als 10 %. Verbindlich- auch die Verbindlichkeiten in Form von
haftete Anlagen umschichten oder gar keiten lagen bei knapp einem Drittel der Hypotheken auf selbst genutzte Immobi-
auf lösen müssen, um Einkommensaus- Bevölkerung vor, vorwiegend bestehend lien bedeutsam (11 %).
fälle zum Beispiel im Falle von Arbeits aus Hypothekenkrediten auf selbstge- Betrachtet man nur die Population
losigkeit zu kompensieren. nutzte Immobilien und Konsumenten derjenigen, die eine bestimmte Vermö-
Knapp die Hälfte der erwachsenen Be- krediten. Seit 2002 hat die Verbreitung genskomponente halten, so waren 2012
völkerung besaß im Jahr 2012 Geldver- von Konsumentenkrediten mit einem die höchsten Werte beim Betriebsvermö-
mögen (47 %) oder Vermögen in Form Zuwachs von 4 Prozentpunkten leicht zu- gen mit durchschnittlich knapp 200 000
von privaten Versicherungen und genommen. Es kann vermutet werden, Euro zu beobachten. Der entsprechende
Bausparverträgen (50 %). Gegenüber 2002 dass der Anstieg auch von günstigen Fi- Wert selbst genutzter Immobilien belief
hat der Verbreitungsgrad von privaten nanzierungsangeboten für Konsumgüter sich auf rund 140 000 Euro. Das Portfolio
Versicherungen etwas zugenommen. Dies infolge der Niedrigzinspolitik der Euro- des sonstigen Immobilienbesitzes wurde
dürfte unter anderem auf die Anfang päischen Zentralbank begünstigt wurde. im Durchschnitt mit mehr als 150 000
2000 eingeführten »Riesterverträge« zu- Bezogen auf alle Erwachsenen war Euro bewertet. Ein deutlicher Zuwachs
rückzuführen sein, die seitdem vermehrt selbst genutztes Wohneigentum die ist beim Geldvermögen zu beobachten.
abgeschlossen werden. Dies hat auch zur quantitativ bedeutendste Vermögens- Im Jahr 2002 lag dieser Wert noch bei
Folge, dass der Anteil der Personen ohne form, da mehr als 60 % des Nettovermö- etwa 22 000 Euro und ist bis 2012 auf
jegliches Bruttovermögen zwischen 2002 gens auf diese Vermögensform entfielen. knapp 29 000 Euro gestiegen. Es ist da-
und 2012 um 6 Prozentpunkte zurück Geldvermögen wiesen zwar eine hohe von auszugehen, dass unter anderem der
gegangen ist. Mehr als ein Drittel aller Er- Verbreitung in der Bevölkerung auf, ge- Wertzuwachs von Aktien hierzu beigetra-
wachsenen (ab 17 Jahren) in Deutschland messen am gesamten Nettovermögen gen hat. Ein deutlicher Zuwachs von
war im Jahr 2012 (Mit-)Eigentümer einer kam dieser Vermögenskomponente aber rund 8 000 Euro ist auch bei den Hypo-
selbst genutzten Immobilie. Sonstige Im- nur ein Anteil von 16 % im Jahr 2012 zu. theken auf selbst genutzte Immobilien
mobilien w urden hingegen nur von 10 % Von etwas größerer quantitativer Rele- zu beobachten, die sich 2012 im Durch-
der erwachsenen Bevölkerung gehalten. vanz war dagegen der sonstige Immo schnitt auf 55 000 Euro summierten.
Wenig verbreitet waren Wertsachen und bilienbesitz mit einem Anteil von 18 %. Auch hier kann vermutet werden, dass
die Niedrigzinspolitik der Europäischen
Zentralbank dafür gesorgt hat, dass ver-
stärkt Hypotheken zur Finanzierung von
38 %
Immobilien herangezogen wurden. Ins-
gesamt belegen die präsentierten Befun-
de, dass keine nachhaltigen und dauer-
haften Auswirkungen der Finanzmarkt-
aller Erwachsenen in Deutsch- krise auf das Vermögensportfolio der
land waren im Jahr 2012 (Mit-) Privathaushalte in Deutschland festge-
Eigentümer einer selbstge- stellt werden können. Dies kann vor
nutzten Immobilie. rangig damit erklärt werden, dass die
Finanzmarktkrise zwar kurzfristig zu
Buchverlusten bei den Privathaushalten
führte, die Wertpapiermärkte sich aber
bis zum Jahr 2012 wieder nahezu voll-
ständig von der Krise erholten. u Tab 2
Ein Vergleich des Nettovermögens
nach Altersklassen zeigt für Westdeutsch-
land ein deutliches Lebenszyklusmuster:
Bis zu einem Alter von 25 Jahren verfüg-
ten junge Erwachsene im Jahr 2012 nur
über ein durchschnittliches Nettover
mögen von weniger als 7 000 Euro. Mit
Abschluss der Ausbildungsphase und
dem Eintritt in das Erwerbsleben besteht
194
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
in % in % Mittelwert in Euro
Bruttovermögen 70 74 76 119 120 119 131 504 131 525 132 596
Versicherungen und
48 52 50 11 12 11 19 569 19 718 18 634
Bausparverträge
u Abb 3 Durchschnittliches individuelles Nettovermögen¹ nach Altersgruppen und Region 2012 — in Tausend Euro
Abb. 3: Individuelles Nettovermögen nach Altersgruppen und Region 2012
200
150
100
50
0
<20 21–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–55 56–60 61–65 66–70 71–75 76–80 81+ Alter in Jahren
Westdeutschland Ostdeutschland
195
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.4 / Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung
die Möglichkeit des Sparens und des ne signifikanten Unterschiede im Netto- 6.4.4 Nettovermögen nach
Auf baus von Vermögen, gleichzeitig vermögen bestanden. Das Lohnniveau in sozialer Position
steigt die Wahrscheinlichkeit von Erb- Ostdeutschland ist zwar weiterhin nied- Das Ausbildungsniveau und der ausgeüb-
schaften oder Schenkungen. Im Ergebnis riger als im Westteil des Landes. Ande- te Beruf haben einen maßgeblichen Ein-
steigt das durchschnittliche Nettovermö- rerseits sind aber auch die Mietpreise in fluss auf die Höhe des Einkommens einer
gen ab einem Alter von 26 Jahren deut- Ostdeutschland geringer, was letztlich zu Person und damit auch auf ihre Spar-
lich. Das höchste durchschnittliche vergleichbaren Sparmöglichkeiten junger möglichkeiten. Somit lassen sich Unter-
individuelle Nettovermögen besaß 2012 Erwachsener in beiden Landesteilen füh- schiede in der Höhe des Nettovermögens
die Gruppe der 66- bis 70-Jährigen mit ren dürfte. Ältere Kohorten in Ostdeutsch- zwischen Personen mit unterschiedlicher
knapp 175 000 Euro. Hierbei kommt dem land blieben jedoch mit einem durch- sozialer Position erwarten.
Aufbau von Nettovermögen in Form von schnittlichen Vermögen von etwas mehr Generell gilt, dass mit steigender be-
Immobilien eine besondere Bedeutung als 50 000 Euro weit hinter dem Niveau ruf licher Position auch das Nettover
zu, da diese vielfach bis zum Rentenalter in Westdeutschland zurück. Die große mögen steigt. So verfügten un- oder an-
voll entschuldet sind. Im höheren Lebens- Differenz erklärt sich vorrangig aus den gelernte Arbeiter und Angestellte im Jahr
alter erfolgt typischerweise ein Vermö- fehlenden Sparmöglichkeiten für die ehe- 2012 über ein durchschnittliches Ver
gensverzehr. Ältere Kohorten weisen maligen Bürger der DDR sowie durch die mögen von rund 33 000 Euro, bei Fachar-
typischerweise niedrigere Nettovermö- weiterhin bestehende höhere Arbeits beitern waren es 45 000 Euro. Vorarbeiter,
gen auf, da bereits Teile des Vermögens losigkeit in Ostdeutschland. Auch mittel- Meister und Angestellte mit quali
an nachgelagerte Generationen in Form fristig werden Vermögensunterschiede fizierten Tätigkeiten besaßen im Mittel
von Schenkungen übertragen werden. zwischen Ost- und Westdeutschland be- 83 000 Euro, während Angestellte mit
Bei einem Vergleich zwischen West- stehen bleiben, da sich diese in Form von umfassenden Führungsauf g aben ein
und Ostdeutschland wird erkennbar, Erbschaften und Schenkungen auf die durchschnittliches individuelles Nettover-
dass bis zu einem Alter von 40 Jahren kei- nächste Generation fortschreiben. u Abb 3 mögen von knapp 210 000 Euro erreichten.
in Euro in Euro in %
Vorarbeiter, Meister, Poliere, Angestellte mit qualifizierter Tätigkeit 83 039 34 000 23,6
Selbständige mit 10 oder mehr Mitarbeitern 952 264 504 860 0,3
196
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
Untergliedert nach Dienstgraden zeigt wie Auszubildende. Bei Letzteren ist dies schnittstudie, das heißt, die beobachteten
sich, dass Beamte im einfachen oder gemäß der Lebenszyklustheorie dem ge- Personen wurden nicht nur einmalig be-
mittleren Dienst ein Nettovermögen von ringen Lebensalter geschuldet. Bei fragt, sondern die Befragung wird jedes
gut 80 000 Euro und damit etwa so viel Arbeitslosen dürfte vorhandenes Vermö- Jahr immer wieder bei denselben Perso-
aufwiesen wie Angestellte mit qualifizier- gen auch zur Glättung des Konsums her- nen durchgeführt. Damit ist es möglich
ter Tätigkeit. Beamte des gehobenen oder angezogen worden sein, um den Ausfall individuelle Aufstiege oder Abstiege in
höheren Dienstes hingegen verfügten des Ewerbseinkommens zu kompensie- der Vermögenshierarchie zu beschreiben.
über ein Nettovermögen von mehr als ren. Zudem gilt, dass bei Beziehern von Um den Einfluss der Inflation zu be-
110 000 Euro. Arbeitslosengeld II zunächst privates rücksichtigen, werden im Folgenden die
Am höchsten fiel das Vermögen von Vermögen aufgebraucht werden muss, be- Vermögen real – also bereinigt um die
Selbständigen aus. Zum einen sind Selb- vor staatliche Transferleistungen bewil- Inflationsentwicklung – dargestellt. Da es
ständige zumeist nicht gesetzlich renten- ligt werden. Beides führt im Ergebnis keinen allgemeinen vermögens s pezi
versichert und betreiben stärker private dazu, dass A rbeitslose im Durchschnitt fischen Preisindex gibt, wird der allge
Altersvorsorge in Form von privaten Ver- mit etwa 18 000 Euro über geringe Netto- meine Verbraucherpreisindex des Statisti-
sicherungen oder Immobilien, zum ande- vermögen verfügten. u Tab 3 schen Bundesamtes herangezogen, um
ren ist dies dem Betriebsvermögen selbst das reale Wohlfahrtsniveau in Preisen des
geschuldet. Bei Selbständigen ohne Mit- 6.4.5 Vermögensmobilität Jahres 2010 zu bestimmen. Dem liegt die
arbeiter lag das Nettovermögen bei etwas Aus den oben genannten Querschnitt Idee zu Grunde, dass privates Vermögen
mehr als 170 000 Euro; bei Selbständigen analysen können keine Aussagen darüber jederzeit liquidiert und damit potentiell
mit mehr als zehn Mitarbeitern bei gemacht werden, wie sich die Vermögen in Konsum umgewandelt werden kann.
knapp einer Million Euro. über die Zeit hinweg auf individueller Betrachtet man die Entwicklung der
Relativ wenig Vermögen besaßen Basis entwickelt haben. Die hier verwen- Vermögen in den 2000er-Jahren, stellt
Nichterwerbstätige und Arbeitslose so- deten Daten basieren auf einer Längs sich die Frage, welchen Einf luss die
u Tab 4 Absolute Veränderungen des realen individuellen Nettovermögens¹ 2002/2007 und 2007/2012 — Bevölkerungsanteile in Prozent
2002/07 2007/12
unverändert
1 Reale individuelle Nettovermögen der Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten in Preisen von 2010, 0,1 % Top-Coding. Längsschnitte der Jahre 2002/2007 und 2007/2012.
Datenbasis: SOEP 2013.
197
6 / Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung 6.4 / Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung
g lobale Finanz- und Wirtschaftskrise u Abb 4 Abb. 4: Median Haushalts-Nettovermögen in Tausend Euro
Median Haushalts-Nettovermögen 2013 — in Tausend Euro
ausgeübt hat. Um deren Effekte abschät-
zen zu können, wird im Folgenden die
Analyse in zwei Fünfjahreszeiträume un- Deutschland 51
terteilt (2002 bis 2007 und 2007 bis 2012).
Insgesamt zeigt sich, dass eine hohe Ver- Slowakei 61
mögensmobilität in der Bevölkerung be-
Portugal 75
steht. Nur bei jeweils gut einem Achtel
der Personen blieb das Nettovermögen
Österreich 76
in beiden Zeiträumen stabil, veränderte
sich also um weniger als 1 000 Euro. Bei USA¹ 84
knapp einem Drittel der Personen nahm
das Nettovermögen um real 1 000 bis Finnland 86
198
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung / 6.4 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6
199
80 %
der 2013 in Deutschland
lebenden Migranten wollen für
immer in Deutschland bleiben.
60 %
der erwachsenen Bevöl-
kerung ordneten sich 2014
der Mittelschicht zu.
16,4 Mill.
Menschen in Deutsch-
land hatten 2014 einen
Migrationshintergrund.
38 %
der Männer in Westdeutschland und 26 % der
Männer in Ostdeutschland erreichten 2010 – 2014
eine höhere berufliche Position als ihre Väter.
7
Sozialstruktur und
soziale Lagen
7.1 Probleme der sozialen Ungleichheit und
der Verteilung finden in den letzten Jah-
ge gestellt und die »klassenlose« oder
»entschichtete« Gesellschaft als Folge ei-
Soziale Lagen ren insbesondere angesichts der ver- ner weitgehenden Individualisierung
und soziale schärften wirtschaftlichen Situation und
der stagnierenden Einkommensentwick-
proklamiert hatten. u Info 1
Schichtung* lung wieder große Aufmerksamkeit. Mit 7.1.1. Soziale Lagen in Deutschland
*Überarbeitung der Version, die 2013 diesen Entwicklungen sind politische Im Folgenden wird ein übergreifendes
von Roland Habich erstellt wurde.
Diskussionen und Konflikte verbunden, Bild der Sozialstruktur der Bundesrepub-
aber auch unmittelbare Konsequenzen lik präsentiert, das auf die Konzepte der
Mareike Bünning für die Verteilung des Wohlstands sowie sozialen Lage, der Klassenlage und der
WZB die soziale Lage und Stellung verschiede- subjektiven Schichteinstufung zurück-
ner Bevölkerungsgruppen in der gesell- greift. Für die Unterscheidung von sozia-
schaftlichen Statushierarchie. Zudem ist len Lagen wird die erwachsene Bevölke-
WZB / SOEP
auch die Strukturierung der Gesellschaft rung zunächst getrennt nach Männern
in soziale Klassen und Schichten wieder und Frauen, in unter und über 60-Jährige
ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, sowie nach ihrer Stellung zum und im
nachdem manche Sozialwissenschaftler Erwerbsleben aufgegliedert. Daraus erge-
zuvor deren Existenz zunehmend in Fra- ben sich insgesamt 18 soziale Lagen von
u Info 1
Konzepte der Struktur sozialer Ungleichheit
Konzepte wie »soziale Schichtung«, »Klassenlagen«, oder »soziale Lagen« beziehen sich auf die Struk-
turen der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft und auf die Position von Personen in der Status
hierarchie. Soziale Schichtung bezeichnet generell eine strukturelle Ungleichheit zwischen sozialen
Positionen, die sich zum Beispiel in Einkommens-, Prestige- und Einflussdifferenzen a usdrückt. Die
Klassenlage von Personen und Haushalten ist demgegenüber spezifischer und verweist auf Positionen
in der vertikalen Statushierarchie, die mit typischen Erwerbs- und Lebensc hancen verbunden sind.
Das Konzept der »sozialen Lage« umfasst darüber hinaus auch weitere Ungleichheitsdimensionen,
darunter auch sogenannte neue soziale Ungleichheiten, die alte Ungleichheiten überlagern, verstärken
oder abschwächen können. Dabei werden neben objektiven Merkmalen oder Benachteiligungen zum
Teil auch subjektive Merkmale betrachtet.
201
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung
Frauen Männer
1,6 9,5
Facharbeiter
5,5 13
3,3 2,6
Arbeitslose
6,2 6,3
9,8 Hausfrauen / 0
1,8 -männer 0
6,2 6,4
Studium, Lehre
4 4,3
1,1 2,2
Vorruhestand
2,4 3,8
Rentner
1,4 3,5
(ehemalige
2 Selbständige) 2,2
Bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / Höhere Beamte 3,0 0,9 1,9 0,7 2,9 2,0 1,6 1,1
Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 16,4 6,6 13,0 13,5 18,6 12,5 10,4 14,8
Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 11,4 14,0 5,4 21,5 9,3 20,2 8,8 18,1
Einfache Angestellte / Beamte 3,0 8,2 4,0 9,0 4,2 6,0 2,7 5,5
Un-, angelernte Arbeiter 4,2 2,0 3,1 1,9 4,7 3,0 2,3 2,2
Selbstständige, freie Berufe 7,9 3,7 6,5 4,5 6,5 4,8 9,0 4,2
Studium, Lehre 10,8 5,3 2,5 1,0 6,4 6,2 4,3 4,0
Noch nie/nicht erwerbstätig 0,9 4,5 0,3 0,3 0,9 3,6 1,6 0,9
Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 2,7 0,9 2,8 0,5 4,6 1,9 5,2 3,3
Noch nie erwerbstätig 0,0 5,8 0,0 0,8 0,0 1,2 0,0 0,0
Rentner (ehemalige Arbeiter) 2,6 5,1 2,2 3,7 7,6 5,3 11,3 7,7
Rentner (ehemalige Angestellte) 9,7 11,1 7,6 10,1 12,6 15,4 13,1 20,0
Rentner (ehemalige Selbständige) 3,6 1,7 1,7 2,1 3,5 1,4 2,2 2,0
Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. fanden. Aus einer ursprünglich vollbe- genommen hat. Dabei ist bei den Frauen
Im Blickpunkt steht die Sozialstruktur schäftigten Arbeitsgesellschaft entwickelte zugleich ein deutlicher Anstieg von
im Jahr 2014 in West- und Ostdeutsch- sich infolge der gesellschaftlichen Trans- qualifizierten Angestelltenpositionen
land. Durch den Vergleich mit dem Jahr formation nach der deutschen Vereini- festzustellen. u Tab 1
1990 können zudem die Richtung des gung zunächst eine zerklüftete Beschäfti- In Westdeutschland dominieren un-
s ozialen Wandels insgesamt sowie ins gungsstruktur, die sich erst im Zeitver- ter den Erwerbstätigen die Angestellten
besondere die sozialstrukturellen Verän- lauf allmählich an die westdeutschen und Beamten. Während die alte Bundes-
derungen in Ostdeutschland in dieser Strukturen angenähert hat. Arbeitslosig- republik insofern bereits über einen län-
Periode der gesellschaftlichen Transfor- keit, Vorruhestand und Hausfrauenrolle geren Zeitraum als eine »Angestelltenge-
mation betrachtet werden. Dabei richtet sind für einen erheblichen Teil der ehe- sellschaft« bezeichnet werden kann, hat
sich das Interesse vor allem darauf, in- mals Erwerbstätigen in der DDR im Ver- sich die ausgeprägte »Facharbeitergesell-
wieweit soziale Lagen einerseits mit ob- lauf des Transformationsprozesses zu- schaft« der damaligen DDR mittlerweile
jektiven Lebensbedingungen einherge- meist ungewollte neue Lebensformen teilweise aufgelöst, wenngleich – vor allem
hen und andererseits mit subjektiven geworden. Eine vergleichbar starke Ver- bei den Männern – Facharbeiterpositio-
Wahrnehmungen und Bewertungen ver- änderung der Sozialstruktur in West- nen immer noch stärker und Angestellten
bunden sind. u Abb 1 deutschland stellt lediglich die Abnahme positionen weniger verbreitet sind als in
Weitreichende Konsequenzen für die des Anteils der Nichterwerbstätigen dar: Westdeutschland.
Sozialstruktur waren mit den massiven Der Anteil der Hausfrauen ist seit 1990 Ein Zeitvergleich (1990 bis 2014) ver-
Umwälzungen verbunden, die nach 1990 um mehr als die Hälfte zurückgegangen, deutlicht die Unterschiede zwischen den
auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt statt- während die Frauenerwerbstätigkeit zu- vielfältigen Umbrüchen während der
203
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung
u Tab 2 Indikatoren der objektiven Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2014 — in Prozent
Bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / Höhere Beamte 4 6 57 / / / 79 / 86 /
Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 4 15 43 6 20 34 61 51 81 79
Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 5 21 27 14 20 21 50 54 66 69
Einfache Angestellte / Beamte 27 22 9 43 14 0 34 44 37 36
Meister / Vorarbeiter 13 24 20 5 14 41 74 60 74 68
Facharbeiter 15 25 12 10 32 6 47 50 59 61
Un-, angelernte Arbeiter 22 23 6 35 30 0 38 28 47 28
Selbstständige, freie Berufe 11 8 44 17 18 23 65 58 63 62
Arbeitslose 69 10 2 79 2 5 14 26 22 16
Hausfrauen / -männer 25 23 11 / / / 50 / 56 /
Studium / Lehre 38 13 10 62 8 3 39 13 61 37
Vorruhestand 46 3 14 48 16 3 43 50 50 26
Noch nie / nicht erwerbstätig 60 2 0 / / / 33 / 55 /
Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 12 16 36 20 20 20 71 60 62 62
Rentner (ehemalige Arbeiter) 26 29 2 35 20 1 51 43 67 63
Rentner (ehemalige Angestellte, Beamte) 11 19 28 17 27 3 64 49 75 74
Rentner (ehemalige Selbständige) 24 4 17 24 14 10 69 57 75 65
Transformation in Ostdeutschland und schieden, im allgemeinen Lebensstan- Die Verteilung von Wohneigentümern
der eher kontinuierlichen undramati- dard – zum Beispiel gemessen am Wohn- verdeutlicht als relevanter Indikator für
schen Entwicklung im Westen Deutsch- eigentum – sowie in der Bewertung der den allgemeinen Lebensstandard, dass mit
lands. Insbesondere der anhaltend hohe eigenen wirtschaftlichen Lage. Dabei den differentiellen sozialen Lagen auch
Bestand an Arbeitslosen sowie die ver- zeigt sich, dass mit einer höheren Positi- Unterschiede in den Möglichkeiten der
gleichsweise hohen Anteile der Rentner on in der hierarchischen Gesellschafts- Ressourcenverwendung einhergehen: In
und vor allem der Rentnerinnen sind als struktur erwartungsgemäß auch eine Ost- und Westdeutschland finden sich un-
Folge des Arbeitsplatzabbaus im Osten vorteilhaftere materielle Situation ver- terdurchschnittliche Eigentümerquoten
Deutschlands weiterhin sichtbar. Positiv bunden ist. Selbstständige, freie Berufe vor allem bei den wenig qualifizierten Ar-
hat sich dagegen der Anteil der Selbstän- sowie hochqualifizierte oder leitende An- beitern und Angestellten.
digen entwickelt, der im Jahr 2014 im Os- gestellte und Beamte befinden sich über- Die unterschiedlichen materiellen
ten Deutschlands sogar höher ist als in wiegend im oberen Segment der Einkom- Verhältnisse, die mit diesen sozialen La-
Westdeutschland. mensverteilung, während die Zugehörig- gen verbunden sind, spiegeln sich auch in
Soziale Lagen sind auch als Hand- keit zu Arbeiterpositionen eher mit einem der subjektiven Beurteilung der eigenen
lungskontexte von Bedeutung, die unter- mittleren oder niedrigen Einkommen ver- wirtschaftlichen Situation wider. Wäh-
schiedliche Chancen der Lebensgestal- bunden ist. Vergleicht man die finanzielle rend Personen in privilegierten sozialen
tung bieten. Die Ungleichheit in den ob- Situation der verschiedenen sozialen La- Lagen ihre wirtschaftliche Situation vor-
jektiven Lebensbedingungen, die mit der gen in Ost- und Westdeutschland, dann wiegend als »sehr gut« oder »gut« bewer-
Zugehörigkeit zu den hier unterschiede- sind die Differenzen bei den (Fach-)Ar- ten, fällt die Bewertung bei Personen in
nen sozialen Lagen verbunden ist, äußert beitern geringer als bei den Angestellten schlechteren sozialen Lagen erwartungs-
sich unter anderem in Einkommensunter- und Selbstständigen. u Tab 2 gemäß weniger günstig aus.
204
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 7.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Tab 3 Indikatoren der subjektiven Wohlfahrt in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2014
Gerechter Anteil am Lebensstandard Einstufung auf der Allgemeine
Anteil »gerecht / mehr als gerecht« Unten-Oben-Skala¹ Lebenszufriedenheit²
West Ost West Ost West Ost
in % Durchschnittswert
Bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / Höhere Beamte 76 / 7,0 / 8,1 /
Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 74 62 6,9 6,6 8,0 7,8
Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 70 44 6,5 6,5 7,8 7,5
Einfache Angestellte / Beamte 41 21 5,9 5,8 7,1 6,5
Meister / Vorarbeiter 57 33 6,7 6,3 7,7 7,5
Facharbeiter 50 36 6,1 6,2 7,5 7,2
Un-, angelernte Arbeiter 49 16 5,8 5,0 7,0 5,8
Selbstständige, freie Berufe 73 46 7,0 6,4 7,8 7,6
Arbeitslose 38 15 5,0 5,1 5,8 5,6
Hausfrauen / -männer 68 / 6,4 / 7,9 /
Studium, Lehre 87 75 6,7 6,0 8,0 7,0
Vorruhestand 55 21 5,9 5,3 7,0 5,7
Noch nie / nicht erwerbstätig 57 / 5,7 / 7,2 /
Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 64 58 6,6 6,4 7,5 7,5
Rentner (ehemalige Arbeiter) 63 33 5,7 5,8 7,8 6,8
Rentner (ehemalige Angestellte, Beamte) 81 49 6,6 6,4 8,0 7,7
Rentner (ehemalige Selbständige) 68 52 6,4 5,9 7,8 6,4
Die subjektive Beurteilung des eige- »Unten-Oben-Skala« (1 bis 10) abzulesen aller Lebensumstände. Hier wird noch
nen Anteils am allgemeinen Lebensstan- ist. Am höchsten ordnen sich erwartungs- deutlicher als bei der wahrgenommenen
dard als gerecht (beziehungsweise unge- gemäß leitende und höhere Angestellte sozialen Position in der gesellschaftlichen
recht) variiert ebenfalls nach sozialer und Beamte sowie Selbstständige ein, aber Hierarchie, dass mit den verschiedenen
Lage. Es zeigt sich, dass Personen auf Ar- auch diejenigen, die in ihrem zurücklie- sozialen Lagen auch ein unterschiedlich
beiter- oder einfachen Angestelltenpositi- genden Erwerbsleben eine solche Position hohes Niveau an Lebensqualität verbun-
onen und vor allem Arbeitslose seltener ausgeübt haben (Rentner) oder den Auf- den ist. Dabei ist auch hier darauf hinzu-
als andere einen gerechten Anteil am ge- stieg in eine entsprechende Position für die weisen, dass die ostdeutsche Bevölkerung
sellschaftlichen Wohlstand zu erhalten Zukunft erwarten (noch in Ausbildung). immer noch in nahezu allen sozialen La-
glauben. Nur 38 % der Arbeitslosen in Ganz unten ordnen sich dagegen un- und gen über ein geringeres subjektives
Westdeutschland und 15 % in Ostdeutsch- angelernte Arbeiter sowie Arbeitslose ein. Wohlbefinden verfügt.
land betrachten ihren Anteil am Lebens- Die Differenz zwischen den sozialen Lagen
standard als gerecht. Grundsätzlich sehen mit der höchsten und niedrigsten Einstu- 7.1.2 Klassenlagen
Ostdeutsche über alle Lagen hinweg ihren fung beträgt immerhin zwei Skalenpunkte. Neben dem Konzept der sozialen Lage
Lebensstandard im Vergleich zu West- Während Ostdeutsche sich in der Vergan- wird für sozialstrukturelle Analysen –
deutschen seltener als gerecht an. u Tab 3 genheit durchgängig niedriger einstuften insbesondere Analysen zur sozialen Mo-
Die einzelnen sozialen Lagen reprä- als Westdeutsche, lassen sich im Jahr 2014 bilität – vielfach das auf Max Weber zu-
sentieren auch unterschiedliche soziale in der Hälfte der sozialen Lagen keine rückgehende Konzept der Klassenlage
Positionen in der subjektiv wahrgenom- Ost-West-Unterschiede mehr feststellen. verwendet. Die beiden Konzepte weisen
menen vertikalen Gliederung der Gesell- Die allgemeine Lebenszufriedenheit Ähnlichkeiten, aber auch einige Unter-
schaft, wie an ihrer Einstufung auf der ist das bilanzierende Maß der Bewertung schiede auf. Sowohl das Konzept der so-
205
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung
zialen Lage als auch das der Klassenlage rin, dass sich das Konzept der Klassen Betrachtet man die Verteilung der Be-
betont die Zentralität des Erwerbssys- lage bei der Klassifizierung der Personen völkerung auf die neun unterschiedenen
tems und geht davon aus, dass die Positi- allein auf Merkmale der Berufstätigkeit Klassenlagen, dann zeigt sich, dass die
on auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf stützt und dazu die eigene aktuelle oder Klassenstrukturen in West- und Ost-
die Lebenschancen der Gesellschaftsmit- frühere berufliche Stellung, beziehungs- deutschland mittlerweile (2014) überra-
glieder insgesamt und nachhaltig prägt. weise die des Partners/ der Partnerin her- schend große Ähnlichkeiten aufweisen.
Die Unterschiede liegen insbesondere da- anzieht. Zu den charakteristischen Unterschieden
zählte in der Vergangenheit, dass in Ost-
deutschland ein geringerer Anteil der Be-
Abb. 2: Klassenlagen in West- und Ostdeutschland 2014 - in Prozent
völkerung auf die beiden Dienstklassen
sowie die einfachen Büroberufe entfiel,
während ein größerer Anteil der Bevölke-
u Abb 2 Klassenlagen in West- und Ostdeutschland 2014 — in Prozent rung zur Facharbeiterklasse gehörte. Nur
letzterer ist in den aktuellen Daten noch
deutlich sichtbar. Insgesamt entfällt im
Westdeutschland Ostdeutschland
Jahr 2014 einschließlich der sogenannten
14 Obere Dienstklasse 12 »Arbeiterelite« mit 35 % nur noch ein gu-
tes Drittel der ostdeutschen Bevölkerung
24 Untere Dienstklasse 23
auf Arbeiterklassenlagen (Westdeutsch-
15 Höhere Büroberufe 15 land 33 %), darunter 15 % auf die der
5 Kleinunternehmer und Facharbeiter. u Abb 2
4
Selbstständige
206
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 7.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
(57 %). Ein Drittel identifiziert sich wei- u Tab 4 Subjektive Schichtzugehörigkeit in Deutschland 1980 – 2014 — in Prozent
terhin mit der Arbeiterschicht und ledig- Unter- Arbeiter- Mittel- Obere Mittel- /
lich jeder Zwanzigste mit der oberen Mit- schicht schicht schicht Oberschicht
tel- oder Oberschicht. Der Unterschicht
Westdeutschland
im engeren Sinne zugehörig betrachtet
1980 1 30 59 10
sich in West- wie Ostdeutschland mit 3
1982 1 35 55 10
beziehungsweise 2 % nur ein sehr kleiner
1984 1 33 55 11
Teil der Bevölkerung. u Abb 3
1986 1 27 62 11
Die Unterschiede in der Struktur der
1988 2 32 57 10
sozialen Schichtung, die sich auf der Ba-
sis der subjektiven Einstufung der Be- 1990 2 27 60 12
207
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung
Subjektive Schichtzugehörigkeit
Westdeutschland Ostdeutschland
Unter- / Unter- /
Obere Mittel- / Obere Mittel- /
Arbeiter- Mittelschicht Arbeiter- Mittelschicht
Oberschicht Oberschicht
schicht schicht
Bis 60 Jahre
Einfache Angestellte / Beamte 43 54 3 48 52 0
Meister / Vorarbeiter 38 53 9 40 56 4
Facharbeiter 62 37 1 74 25 1
Arbeitslose 52 46 2 69 28 3
Hausfrauen / -männer 24 61 15 / / /
Studium / Lehre 15 68 17 18 73 9
Vorruhestand 38 46 16 62 38 0
Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 19 65 16 29 67 4
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2014.
Ostdeutsche identifizieren sich im fälligen Ost-West-Differenzen in der sub- niedriger einstuft, weil sie sich nach wie
Vergleich zu den Westdeutschen auch im jektiven Schichteinstufung nur partiell vor mit der westdeutschen vergleicht und
Jahr 2014 noch über nahezu alle sozialen durch Unterschiede in der Verteilung auf aus dieser Perspektive Statusdefizite wahr-
Lagen hinweg zu größeren Anteilen mit die verschiedenen Statuslagen erklären nimmt.
der Arbeiterschicht und zu geringeren lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen,
Teilen mit der Mittel- oder gar der Ober- dass sich die ostdeutsche Bevölkerung in-
schicht. Dieser Befund deutet darauf hin, nerhalb des gesamtgesellschaftlichen
dass sich die weiterhin bestehenden auf- Schichtungsgefüges deshalb tendenziell
208
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
209
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität
des Vaters zu dem Zeitpunkt herangezo- Am anschaulichsten kann der Grad rungsraten von circa 36 %, so ist der An-
gen, als die jeweiligen Befragten ungefähr der Selbstrekrutierung anhand der Be- teil im letzten Jahrzehnt auf 21 % gesun-
15 Jahre alt waren. Angaben zur Klassen- trachtung der Landwirte (Männer) in ken. Bei allen anderen Klassen zeigen sich
position der Mutter wurden insbesondere Westdeutschland dargestellt werden: Bis zwar leichte Schwankungen, ein deutli-
in älteren Umfragen leider nur lückenhaft zur Jahrtausendwende haben gut 90 % der cher Trend bezüglich der Selbstrekrutie-
oder gar nicht erhoben. Landwirte einen Vater, der ebenfalls rungsraten ist jedoch für diese Klassen
Tabelle 1 beschreibt den Grad der Landwirt war; fast alle Landwirte kom- nicht zu beobachten. Für Frauen in West-
Selbstrekrutierung bestimmter Klassen- men folglich aus einer Bauernfamilie. Im deutschland sind hohe Selbstrekrutie-
positionen, sprich den Anteil der Befrag- neuen Jahrtausend nimmt die Selbstrek- rungsraten unter den Landwirtinnen, bei
ten, deren Väter bereits eine identische rutierung von Landwirten jedoch etwas Facharbeiterinnen und in der oberen
Klassenposition innehatten. Dabei wer- ab. Bei Arbeiterpositionen findet man Dienstklasse zu finden. Während diese
den sieben Klassenpositionen unterschie- ebenfalls eine beachtliche Selbstrekrutie- Raten für westdeutsche Landwirtinnen
den: Obere Dienstklasse (zum Beispiel rungsquote. Gut die Hälfte der Facharbei- und Facharbeiterinnen etwas geringer
leitende Angestellte, freie Berufe); untere ter in Westdeutschland (54 %) haben ei- sind als bei westdeutschen Männern, rek-
Dienstklasse (zum Beispiel hochqualifi- nen Facharbeiter zum Vater. Dieser Anteil rutieren sich westdeutsche Frauen in der
zierte Angestellte, gehobene Beamte); ist in der Tendenz heute eher höher als in oberen Dienstklasse viel häufiger aus die-
einfache Büroberufe (zum Beispiel Sekre- früheren Jahrzehnten, die Klasse der heu- ser Klasse als westdeutsche Männer, mit
tärinnen, Buchhalter); Selbstständige bis tigen Facharbeiter ist also bezüglich ihrer steigender Tendenz. Frauen in Selbststän-
zu 49 Mitarbeitern (in Handel und Hand- sozialen Herkunft homogener geworden. digkeit in Westdeutschland haben in den
werk); Landwirte; Facharbeiter (auch Die Gruppe der Selbstständigen ist da 2000er-Jahren eher seltener einen selbst-
Meister und Techniker) und schließlich gegen deutlich heterogener geworden: ständigen Vater. Bei den übrigen Klassen-
die Klasse der ungelernten Arbeiter und Haben die Selbstständigen in den 1970er- positionen ergeben sich wenige Verände-
Angestellten. und 1980er-Jahren noch Selbstrekrutie- rungen über die Zeit.
u Tab 1 Selbstrekrutierungsraten – Anteil von Männern und Frauen, deren Väter bereits eine identische
berufliche Position innehatten — in Prozent
Westdeutschland Ostdeutschland
Männer
Obere Dienstklasse 28 23 28 24 29 19 30 34
Untere Dienstklasse 18 17 16 16 17 20 20 15
Einfache Büroberufe 12 17 14 15 12 / / /
Selbstständige 36 36 24 21 21 17 9 /
Landwirte 91 92 92 79 64 / / /
Facharbeiter / Meister 46 48 54 49 54 55 58 61
Ungelernte Arbeiter / Angestellte 38 33 36 39 35 32 32 30
Frauen
Obere Dienstklasse 31 32 32 36 38 24 31 36
Untere Dienstklasse 18 17 16 15 16 16 19 18
Einfache Büroberufe 13 15 12 13 12 / 7 /
Selbstständige 21 20 23 16 13 20 / /
Landwirte 76 63 65 62 / / / /
Facharbeiter / Meister 43 43 47 46 / 51 59 53
Ungelernte Arbeiter / Angestellte 27 30 27 30 / 31 21 25
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1980–2014, SOEP 1986–2011, ZUMA-Standarddemographie 1976-1982, ISJP 1991–2000.
210
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
Die Ergebnisse für Ostdeutschland klasse nach einem Anstieg Anfang des men sogar vier Fünftel der Arbeitslosen
sind aufgrund der Fallzahlen und der be- Jahrtausends wieder abzuschwächen. Bei einem solchen Haushalt. Dabei ist der
sonderen Umbruchsituation in den ersten Frauen aus der Klasse der ungelernten durchschnittliche Anteil an Menschen,
Jahren nach der deutschen Vereinigung Arbeiterinnen und Angestellten ist es deren Vater aus einer der beiden Arbeiter
mit Vorsicht zu interpretieren. Es werden umgekehrt, die Rate steigt wieder an, klassen kommt, in beiden Teilen Deutsch-
daher in den Tabellen nur solche Werte nachdem es einen massiven Rückgang im lands wesentlich geringer (53 % in West
ausgewiesen, die auf belastbaren Fallzah- ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ge- beziehungsweise 63 % in Ost). In beiden
len basieren. Die meisten Beschäftigten in geben hat. Landesteilen rekrutiert sich die Gruppe
Ostdeutschland befinden sich in der obe- Auffallend ist, dass ostdeutsche Frau- der arbeitslosen Männer und Frauen da-
ren und unteren Dienstklasse sowie in der en in der Facharbeiterklasse eine deutlich mit überproportional stark aus den bei-
Facharbeiterklasse und der Klasse der un- stärkere Selbstrekrutierung aufweisen als den Arbeiterklassen, in Ostdeutschland
gelernten Arbeiter und Angestellten. Bei westdeutsche Facharbeiterinnen (53 ver- ist dies noch etwas stärker ausgeprägt als
den Männern kann für die obere Dienst- sus 41 % im aktuellen Jahrzehnt). Bei den in Westdeutschland.
klasse eine deutliche Zunahme der Selbs- beiden Dienstklassen gibt es keine gro-
trekrutierungsrate festgestellt werden: ßen Unterschiede zwischen Ost und 7.2.2 Vererbung von Klassen
Während kurz nach der Wende nur circa West, bei den Klassen der ungelernten positionen nach sozialer Herkunft
19 % der Mitglieder dieser Klasse auch aus Arbeiterinnen und Angestellten weisen Tabelle 2 dreht die Sichtweise auf soziale
einem solchen Elternhaus kommen, sind die ostdeutschen Frauen eine etwas ge- Mobilität beziehungsweise Immobilität
es im Zeitraum 2000 bis 2009 bereits 30 % ringere Selbstrekrutierung auf. um und stellt die Vererbung einer Klas-
und im aktuellen Jahrzehnt 34 %. Diese Bei allen genannten Unterschieden im senposition vom Vater auf den Sohn be-
Werte sind damit sogar etwas höher als in Detail zeigt sich für Ost- und West- ziehungsweise die Tochter dar. Die Zah-
Westdeutschland. Bei der unteren Dienst deutschland eine eher hohe Stabilität in len geben somit an, wie groß der Anteil
klasse hingegen fallen im laufenden Jahr- den Selbstrekrutierungsraten. Eine wich- der Personen ist, deren Väter zum Bei-
zehnt die Raten von 20 % auf 15 % etwas tige Ausnahme hiervon ist die zunehmen- spiel eine obere Dienstklassenposition in-
ab. Für Selbstständige ergibt sich ähnlich de Selbstrekrutierung der oberen Dienst- nehaben und die selbst wiederum eine
wie in Westdeutschland eine Tendenz zur klasse. Das bedeutet, dass die höchsten Position in der oberen Dienstklasse errei-
Abnahme der Selbstrekrutierung. Die gesellschaftlichen Positionen in zuneh- chen. Aus dieser Perspektive heraus ist
Facharbeiterklasse ist in Ostdeutschland mendem Maße von Personen besetzt wer- nicht mehr die Klassenposition der Be-
sogar noch homogener als in West- den, deren Eltern bereits diese vorteilhaf- fragten die Grundlage für die Berech-
deutschland, und der zunehmende Trend ten Positionen innehatten. Die Gruppe nung der Prozentwerte, sondern die Klas-
zur gleichen Herkunft in dieser Klasse wird homogener, es gibt anteilig weniger senposition des Vaters. Deutlich wird
zeigt sich auch für diesen Teil Deutsch- Personen, die es mit einem anderen fami- dies erneut bei den Landwirten: Wie
lands. Circa 61 % der ostdeutschen Fach- liären Hintergrund in die vorteilhafteste oben gezeigt, haben die meisten heutigen
arbeiter haben heute einen Facharbeiter Klasse schaffen. Bei der Facharbeiter/in- Landwirte auch einen Landwirt zum
als Vater. Bei ungelernten Arbeitern und nenklasse deutet sich ebenfalls eine zu- Vater. Aber Tabelle 2 zeigt, dass nur circa
Angestellten liegt diese Rate nur halb so nehmende Homogenisierung an. u Tab 1 jeder fünfte Sohn eines Landwirtes in
hoch und zeigt auch keinen robusten Auch wenn die Arbeitslosigkeit in Ost Westdeutschland ebenfalls Landwirt wird.
Trend über die Zeit. und West in den vergangenen Jahren Ähnliche Vererbungsraten findet man in
Ostdeutsche Frauen in der oberen merklich gesunken ist, gibt es anteilig der Klasse der Selbstständigen und etwas
Dienstklasse haben mittlerweile ähnliche nach wie vor mehr arbeitslose Menschen stärker in der Klasse der ungelernten Ar-
Selbstrekrutierungsraten wie ostdeutsche in Ostdeutschland als in Westdeutsch- beiter und Angestellten. Die höchsten
Männer; sie kommen immer häufiger aus land. Aus welchen Herkunftsklassen Vererbungsraten gibt es in Westdeutsch-
einem Elternhaus, in dem der Vater be- kommen die Arbeitslosen und zeigen sich land in der oberen Dienstklasse und in
reits in der oberen Dienstklasse war. Für unterschiedliche Muster zwischen Ost der Klasse der Facharbeiter: Etwa 45 %
die untere Dienstklasse, für die Klasse und West? Zusätzliche – hier nicht im der Väter in der oberen Dienstk lasse »ver-
der Facharbeiterinnen und für die Klasse Einzelnen dargestellte – Analysen zeigen, erben« im jüngsten Beobachtungszeit-
der ungelernten Arbeiterinnen und An- dass von den heute arbeitslosen Männern raum ihre vorteilhafte Position an ihren
gestellten zeigen sich hingegen keine und Frauen in Westdeutschland ungefähr Sohn, von den Facharbeitervätern geben
langfristigen Trends: Bei der unteren zwei Drittel einen Vater aus der Fachar- rund 40 % ihre Arbeiterposition an ihren
Dienstklasse gibt es kaum Veränderun- beiterklasse beziehungsweise der Klasse Sohn weiter. Die niedrigste Vererbungsra-
gen, bei Facharbeiterinnen scheint sich die der ungelernten Arbeiter und Angestell- te findet man bei der Klasse der einfachen
Selbstrekrutierung aus der Facharbeiter ten haben. In Ostdeutschland entstam- Büroberufe (circa 13 %). Für die meisten
211
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität
Klassen haben sich die Vererbungsraten klasse und bei ungelernten Arbeiter- und der ungelernten Arbeiterinnen und Ange-
in den vergangenen Jahrzehnten für Angestelltenpositionen. Knapp zwei Fünf- stellten zu vermeiden.
westdeutsche Männer als weitgehend sta- tel der Töchter nehmen die gleiche Klas- Für Ostdeutschland können auf-
bil erwiesen. Nur in der Facharbeiter senposition ein wie ihre Väter. Doch wäh- grund der Fallzahlen für einige Klassen-
klasse deutet sich nach der Jahrtausend- rend die Werte bei der unteren Dienst positionen keine gesicherten Aussagen
wende eine Entwicklung hin zu abneh- klasse und bei den einfachen Büro- getroffen werden. Bei den Klassen, für
menden Vererbungsraten an. tätigkeiten über die Zeit schwanken, neh- die gesicherte Erkenntnisse vorliegen,
Die Vererbungsraten von Vätern auf men die Vererbungsraten bei den unge- fällt auf, dass für ostdeutsche Männer
ihre Töchter sind in der Tendenz niedriger lernten Arbeiter- und Angestelltenpositio- die Vererbungsraten meist etwas geringer
als die Vererbungsraten von Vätern auf nen von 47 auf 36 % deutlich ab. Genau sind als für westdeutsche Männer. Insbe-
ihre Söhne. Dies liegt vor allem an ge- entgegengesetzt ist der Trend in der obe- sondere in der oberen Dienstklasse ge-
schlechtsspezifischen Ungleichheiten auf ren Dienstklasse. In den 1970er-Jahren ge- lingt es den ostdeutschen Männern selte-
dem Arbeitsmarkt. Frauen und Männer lingt es nur 15 % der Töchter aus dieser ner, eine ebenso vorteilhafte Position wie
besetzen typischerweise unterschiedliche Klasse, ebenfalls eine solche vorteilhafte die ihrer Väter einzunehmen, circa 34 %
Berufsfelder (zum Beispiel Ingenieur, Arzt- Position zu erreichen. Bis zur aktuellsten der ostdeutschen Männer vermögen in
helferin, KFZ-Mechatroniker) und finden Beobachtung hat sich dieser Anteil mehr der jüngsten Zeit die oberste Klassenposi-
sich somit auch in unterschiedlichen Klas- als verdoppelt: Knapp ein Drittel der Frau- tion zu behaupten, im Westen sind es da-
senpositionen wieder. Ausnahmen von en schafft es heute, diese vorteilhafte Posi- gegen 45 %. Die Vererbungsrate in der
dem typischen Vererbungsmuster von tion aus dem Elternhaus zu behaupten. unteren Dienstklasse ist in Ostdeutsch-
Vater-Sohn und Vater-Tochter gibt es für Die übrigen Klassen der Selbstständi- land mit circa 20 % deutlich geringer als
westdeutsche Frauen bei der unteren gen, Landwirte und Facharbeiter werden die Vererbungsrate in der oberen Dienst-
Dienstklasse, bei ungelernten Arbeiter- in Westdeutschland selten an die Töchter klasse. Während die Väter in Ostdeutsch-
und Angestelltenpositionen und vor allem weitergegeben (knapp 10 %), und dies ver- land ihre obere Dienstklassenp osition
in der Klasse der einfachen Büroberufe. ändert sich auch wenig über die Zeit. Die über die Zeit hinweg jedoch in zuneh-
Im Schnitt nehmen etwa 40 % der Töchter entscheidenden Entwicklungen finden menden Maße an ihre Söhne weitergeben
eines Vaters aus der Klasse der einfachen also am oberen und unteren Ende des können und sich damit an das Westni-
Bürotätigkeiten eine Position in dieser Klassengefüges statt. Westdeutschen Frau- veau annähern, pendeln die Vererbungs-
Klasse ein. Bei den Söhnen waren es im en gelingt es in zunehmendem Maße, raten in der unteren Dienstklasse ohne
aktuellen Jahrzehnt nur 13 %. Ähnlich ebenso gute Positionen wie ihre Väter ein- Trend um ein Fünftel.
hoch sind die Vererbungsraten für west- zunehmen. Gleichzeitig gelingt es ihnen Deutliche Veränderungen sind in der
deutsche Frauen in der unteren Dienst- häufiger, die weniger vorteilhafte Klasse Facharbeiterklasse und der Klasse der un-
gelernten Arbeiter- und Angestelltenposi-
40 %
tionen für ostdeutsche Männer zu ver-
zeichnen. Während im ersten Jahrzehnt
nach der Wiedervereinigung knapp zwei
Drittel der ostdeutschen Facharbeitersöh-
ne ebenfalls eine Position in der Fachar-
der Facharbeiterväter gaben beiterklasse einnahmen, ist dieser Anteil
nach Daten von 2010 – 2014 auf 54 % gefallen. Die abnehmende Ver
ihre berufliche Position an erbungsrate bei gleichzeitiger Zunahme
ihren Sohn weiter.
der Selbstrekrutierungsrate deutet auf ein
deutliches Schrumpfen dieser Klasse in
Ostdeutschland hin (siehe auch Kapi-
tel 7.1, Seite 203, Tab 1). Bei den ungelern-
ten Arbeiter- und Angestelltenpositionen
hingegen kommt es zu einem starken An-
stieg der Vererbungsraten. Während in
den 1990er-Jahren circa 18 % aus der
Klasse der ungelernten Arbeiter- und An-
gestelltenpositionen mit der gleichen Po-
sition vorlieb nehmen müssen, ist dieser
Anteil im ersten Jahrzehnt des neuen
212
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
Jahrtausends auf 28 % angestiegen und ten für ostdeutsche Frauen doppelt so nicht einzelne Klassenpositionen betrach-
bleibt seither auf diesem Niveau. hoch sind wie für westdeutsche Frauen. tet, sondern es wird ein Gesamtbild der
Die Entwicklungen für ostdeutsche Bei der Klasse der ungelernten Arbeite- sozialen Mobilität in Deutschland aufge-
Frauen ähneln denen der ostdeutschen rinnen und Angestellten sinken die Verer- zeigt. Eine solche Gesamtbetrachtung er-
Männer in der oberen Dienstklasse. Dort bungsraten über die Zeit leicht von 36 % möglicht auch eine Aussage darüber, ob
steigen die Vererbungsraten über die Zeit auf 31 %. Ostdeutschen Frauen gelingt es diejenigen, die nicht die Klassenposition
an, von 21 % in den 1990er-Jahren auf 27 % somit ebenfalls, die vorteilhaften Positio- ihrer Väter übernehmen, eher vorteilhaf-
im aktuellen Jahrzehnt. Der Trend gilt für nen der Dienstklasse zunehmend von ih- tere oder weniger vorteilhafte Klassenpo-
beide Geschlechter, allerdings gelingt es ren Vätern zu übernehmen, während sie sitionen erreichen als ihre Väter.
den Männern merklich häufiger, die Positi- eher unvorteilhafte Positionen in den bei-
onen ihrer Väter zu übernehmen. Bei der den Arbeiterklassen vermeiden können. 7.2.3 Ausmaß von sozialen Auf-
unteren Dienstklasse gibt es – anders als Die Entwicklung ähnelt der westdeutscher und Abstiegen
bei Männern – für Frauen einen leichten Frauen und hinsichtlich der Vererbung in Um Auf- und Abstiege zu untersuchen, ist
Trend zu höheren Vererbungsraten, die der oberen Dienstklasse auch jener ost- es notwendig, die einzelnen Klassenposi-
Vererbungsraten selbst sind bei Frauen deutscher Männer. Ostdeutsche Männer tionen in einer Rangfolge anzuordnen.
deutlich höher als bei Männern in dieser verzeichnen allerdings steigende Verer- Die vorteilhafteste Klassenlage erfahren
Klasse (42 % gegenüber 20 % im aktuellen bungsraten an beiden Enden der Klassen- diejenigen, die eine Position in der oberen
Jahrzehnt). Genau umgekehrt verhält es verteilung und damit eher einen polarisie- Dienstklasse einnehmen. Etwas weniger
sich für die Klasse der Facharbeiterinnen. renden Trend. u Tab 2 gut, aber immer noch mit vielen Vorteilen
Die Vererbungsraten sind bei ostdeut- Die Betrachtung von Selbstrekrutie- ausgestattet (zum Beispiel Arbeitsplatz
schen Frauen deutlich geringer als bei ost- rungsraten und Vererbungsraten lässt kei- sicherheit, Einkommen, Karriereaussich-
deutschen Männern (14 % versus 54 % im ne Schlüsse zu, welche Klassenpositionen ten), sind Positionen in der unteren
aktuellen Jahrzehnt), und sie nehmen die Söhne und Töchter einnehmen, wenn Dienstklasse. Am unteren Ende der Klas-
über die Zeit von 22 % auf 14 % ab. Auffal- sie nicht in die Fußstapfen ihres Vaters senhierarchie befinden sich ungelernte
lend ist allerdings, dass die Vererbungsra- getreten sind. Im Folgenden werden daher Arbeiter- beziehungsweise Angestellten-
u Tab 2 Vererbungsraten – Anteil von Männern und Frauen, die die gleiche berufliche Position einnehmen wie ihr Vater,
nach sozialer Herkunft 1976 – 2014 — in Prozent
Westdeutschland Ostdeutschland
Männer
Obere Dienstklasse 44 49 46 41 45 26 28 34
Untere Dienstklasse 37 31 31 29 32 19 23 20
Einfache Büroberufe 11 16 13 16 13 / / /
Selbstständige 21 26 21 21 19 22 20 /
Landwirte 21 21 25 16 22 / / /
Facharbeiter / Meister 49 48 50 41 40 63 53 54
Ungelernte Arbeiter / Angestellte 25 22 24 30 24 18 29 28
Frauen
Obere Dienstklasse 15 26 28 33 32 21 25 27
Untere Dienstklasse 41 33 38 38 37 37 40 42
Einfache Büroberufe 38 46 38 41 37 / 32 /
Selbstständige 12 11 15 13 9 24 / /
Landwirte 12 10 9 9 / / / /
Facharbeiter / Meister 9 8 11 8 7 22 17 14
Ungelernte Arbeiter / Angestellte 47 45 38 39 36 36 32 31
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1980–2014, SOEP 1986–2011, ZUMA-Standarddemographie 1976–1982, ISJP 1991–2000.
213
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität
positionen. In solchen Positionen sind die Die oberste Zeile in Tabelle 3 be- Teilt man die Gesamtrate auf in verti-
Menschen verhältnismäßig schlecht gegen schreibt das Ausmaß der Gesamtmobilität, kale Mobilität (Auf- und Abstiege) und in
Arbeitsplatzverlust abgesichert, ihre Kar- sprich wie groß der Anteil der Personen ist, horizontale Mobilität (Mobilität auf der
rieremöglichkeiten und ihre Einkommen die eine andere Position einnehmen als gleichen Hierarchieebene, zum Beispiel
sind eher gering. Die verbleibenden Klas- ihre Väter. Es fällt auf, dass Frauen auf- von Facharbeitern zu einfachen Büro
senlagen (einfache Büroberufe, Selbststän- grund geschlechtsspezifischer Berufspräfe- berufen), so zeigen sich jedoch einige
dige bis zu 49 Mitarbeitern, Landwirte renzen und Erwerbsmöglichkeiten im Ver- Entwicklungen über die Zeit. Bei den
und Facharbeiter) lassen sich nicht in eine gleich zu ihren Vätern generell eine höhere westdeutschen Männern ist der Anteil an
eindeutige Rangfolge bringen. Sie werden Gesamtmobilität aufweisen als Männer. In vertikaler Mobilität in den letzten knapp
daher in einer großen – recht heterogenen – Westdeutschland bleiben die Gesamtmobi- 40 Jahren von 51 auf 56 % leicht gestiegen,
Gruppe zusammengefasst, die zwischen litätsraten für Männer und Frauen im Zeit- während die horizontale Mobilität um
der unteren Dienstklasse und den un vergleich praktisch konstant, knapp zwei circa vier Prozentpunkte abgenommen
gelernten Arbeiter- beziehungsweise An Drittel der Männer und etwas über drei hat. Somit erhöht sich das Verhältnis zwi-
gestelltenpositionen angesiedelt wird. Es Viertel der Frauen haben eine andere Klas- schen diesen beiden Größen dergestalt,
werden somit insgesamt vier verschiedene senposition als ihre Väter. In Ostdeutsch- dass vertikale Mobilität heute circa fünf-
Hierarchiestufen unterschieden: obere land nehmen gut 60 % der Männer eine an- mal so häufig vorkommt wie horizontale
Dienstklasse, untere Dienstklasse, eine he- dere Klassenposition ein als ihre Väter. Für Mobilität. In Ostdeutschland ist dieses
terogene Gruppe mit mittleren Klassen ostdeutsche Frauen nimmt die Gesamtmo- Verhältnis für Männer mit 5,1 zu 1 aktu-
positionen und die Klasse der ungelern- bilität etwas zu und gleicht sich dem Aus- ell ähnlich. Allerdings gibt es hier in den
ten Arbeiter und Angestellten. maß für westdeutsche Frauen an. Nullerjahren etwas mehr horizontale
u Tab 3 Gesamtmobilität, vertikale und horizontale Mobilität, Auf- und Abstiegsraten 1976 – 2014
Westdeutschland Ostdeutschland
1976 –1980 1981–1990 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2014 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2014
Männer
Gesamtmobilität (%) 66 66 64 67 67 60 62 61
Gesamtmobilität umfasst:
Verhältnis vertikale /
3,3 3,1 4,0 4,0 4,9 5,2 4,1 5,1
horizontale Mobilität
Aufwärtsmobilität (%) 36 35 35 37 38 31 25 26
Abwärtsmobilität (%) 15 15 16 17 18 20 24 24
Verhältnis Aufstiege / Abstiege 2,4 2,4 2,2 2,1 2,2 1,5 1,0 1,1
Frauen
Gesamtmobilität (%) 77 77 78 77 78 74 77 78
Gesamtmobilität umfasst:
Verhältnis vertikale /
3,3 2,5 3,0 3,1 3,6 5,8 3,4 4,1
horizontale Mobilität
Aufwärtsmobilität (%) 26 26 31 31 33 36 30 34
Abwärtsmobilität (%) 33 28 27 27 28 28 29 29
Verhältnis Aufstiege / Abstiege 0,8 0,9 1,2 1,2 1,2 1,3 1,0 1,2
214
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
Mobilität. Das Ausmaß an horizontaler Aufstiege nähern sich die Frauen allmäh- positionen der Väter ist dieser Wandel
Mobilität ist zwischen Ost und West bis lich den Männern an. Aufgrund der noch ausgeprägter: Facharbeiterpositio-
auf die Schwankungen kaum unter- deutlich häufigeren Abstiege bleiben sie nen und Positionen in der Landwirtschaft
schiedlich, es gibt in Westdeutschland je- gegenüber den Männern jedoch weiter- haben stark abgenommen. Gleichzeitig
doch etwas mehr vertikale Mobilität für hin benachteiligt. gibt es zunehmend mehr Positionen in
Männer. Die vertikalen und horizontalen Für ostdeutsche Frauen gilt ein ähn den beiden Dienstklassen und der Klasse
Mobilitätsraten bei Frauen unterscheiden licher Befund wie für Westdeutsche. Cir- der einfachen Büroberufe. Dieser struktu-
sich inzwischen kaum noch zwischen ca ein Drittel der Frauen hat eine höhere rell bedingte Wandel beeinflusst die indi-
Ost- und Westdeutschland. Bei ostdeut- Klassenposition als ihr Vater, knapp 30 % viduellen Mobilitätsmöglichkeiten. Wenn
schen Frauen nimmt im neuen Jahrtau- eine geringere Klassenposition. Somit zum Beispiel Facharbeitersöhne aufgrund
send die horizontale Mobilität merklich gibt es für ostdeutsche Frauen ebenfalls der abnehmenden Nachfrage nach Fach-
zu, die vertikale Mobilität schwankt zwi- etwas mehr Aufstiege als Abstiege. Wäh- arbeitern nicht mehr die gleiche Position
schen 63 % und 59 %. In Westdeutschland rend sich der Anteil der Abstiege über wie ihre Väter einnehmen können, müs-
schwanken die Werte ohne klaren Trend. die Zeit kaum verändert, gibt es bei Auf- sen sie zwangsläufig in andere Positionen
Das Verhältnis zwischen vertikaler und stiegen besonders in den Nullerjahren ausweichen. Ein Teil der sozialen Mobili-
horizontaler Mobilität liegt für Frauen in Schwankungen, die aber keinem klaren tät – und damit auch mancher Auf- und
beiden Landesteilen bei circa 4 zu 1. Trend folgen. Abstieg – beruht somit auf den Verände-
Die jeweils unteren Hälften der Teil Für Männer in Ostdeutschland sind rungen in der Erwerbsstruktur.
tabellen zeigen an, ob es sich bei den ver- die Entwicklungen weniger vorteilhaft. Diese strukturell bedingte soziale Mo-
tikalen Bewegungen um Aufstiege oder Im neuen Jahrtausend steigen deutlich bilität muss man herausrechnen, wenn
um Abstiege im Klassengefüge handelt. weniger ostdeutsche Männer auf (nur man generell eine Aussage über die Chan-
Der zunehmende Anteil an vertikaler noch 25 – 26 % statt 31 %), dagegen nimmt cengleichheit in der Gesellschaft treffen
Mobilität für westdeutsche Männer resul- der Anteil von Abstiegen merklich zu möchte. Daher werden die Auf- und
tiert aus einer leichten Zunahme sowohl (von 20 % auf 24 %). Seitdem sind die Ra- Abstiegschancen einer Person aus einer
der Aufstiege als auch der Abstiege. Da- ten stabil. Das Verhältnis zwischen Auf- bestimmten Herkunftsklasse mit den Auf-
bei gibt es im gesamten Zeitverlauf etwa stiegen und Abstiegen sinkt in den und Abstiegschancen einer Person aus ei-
doppelt so viele Aufstiege wie Abstiege, 1990er-Jahren und ist heute nahezu aus- ner anderen Herkunftsklasse verglichen.
jedoch ist dieses Verhältnis in den ver- geglichen. Vergleicht man ostdeutsche Mögliche Fragen lauten: Um wie viel ge-
gangenen knapp 40 Jahren für westdeut- Männer mit ostdeutschen Frauen oder ringer sind die Chancen für Personen aus
sche Männer etwas ungünstiger gewor- westdeutschen Männern, so zeigt sich, der Facharbeiterklasse, eine Position in
den. Bei westdeutschen Frauen ist ein ge- dass sie deutlich weniger Aufstiege ver- der oberen Dienstklasse zu erreichen, im
genläufiger Trend zu beobachten. Es zeichnen als andere Gruppen und dass es Vergleich zu Personen, die bereits in der
gelingt ihnen heute häufiger als früher, auch keine Anzeichen für eine Verbesse- oberen Dienstklasse groß geworden sind?
eine bessere Klassenposition einzuneh- rung ihrer vergleichsweise schlechten Und inwieweit haben sich diese Chancen
men als ihre Väter. Während in den Perspektiven gibt. u Tab 3 über die Zeit verändert? Es ist denkbar,
1970er-Jahren nur circa ein Viertel der dass sich für beide die Chancen erhöht
westdeutschen Frauen eine bessere Klas- 7.2.4 Chancengleichheit in der haben, eine Position in der oberen Dienst-
senposition hatten als ihre Väter, hat heu- Gesellschaft klasse zu erreichen, da die Zahl entspre-
te jede dritte Frau eine bessere Klassen- Die bisher dargestellten Ergebnisse be- chender Positionen zugenommen hat.
position als ihr Vater. Gleichzeitig sank ziehen sich auf die Mobilitätserfahrun- Wenn sich dabei die Chancen für Perso-
die Häufigkeit von Abstiegen in den gen von Männern und Frauen seit Mitte nen aus Facharbeiterfamilien im genau
1980er-Jahren deutlich von 33 auf 28 % der 1970er-Jahre in Westdeutschland gleichen Ausmaß erhöhten wie die Chan-
und bleibt seitdem konstant. Setzt man und seit der Vereinigung in Ostdeutsch- cen der Personen aus der oberen Dienst-
die Auf- und Abstiege ins Verhältnis zu- land. Ein wesentlicher Faktor für die so- klasse, dann bliebe die Chancengleichheit
einander, so verändert sich dieses Ver- ziale Mobilität in dieser Zeit waren die beziehungsweise Chancenungleichheit
hältnis von 0,8 auf 1,2. Das heißt, für Veränderungen in der Beschäftigten- zwischen den beiden Herkunftsklassen
Frauen waren in den 1970er-Jahren Ab- struktur. Die Anzahl der Facharbeiter- nach wie vor unverändert.
stiege im Klassengefüge häufiger als Auf- positionen ist in dieser Zeit gesunken, Abschließend werden daher im Fol-
stiege. Dies hat sich über die Zeit jedoch während zusätzliche Positionen vor al- genden Chancengleichheiten beziehungs-
geändert; heute kommen in Westdeutsch- lem bei einfachen Büroberufen und in weise Chancenungleichheiten zwischen
land Aufstiege für Frauen etwas häufiger der oberen Dienstklasse geschaffen wor- Personen mit unterschiedlicher Klassen-
vor als Abstiege. Bei dem Ausmaß der den sind. Im Vergleich zu den Klassen- herkunft untersucht. Für die 1970er-Jahre
215
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.2 / Soziale Mobilität
in Westdeutschland zeigt sich, dass Perso- – wurde dieser Zusammenhang auf den stärkt, das heißt die Bedeutung der Her-
nen aus der oberen Dienstklasse circa 26- Wert »0« als Ausgangsniveau festgesetzt. kunftsklasse für die eigene spätere Klassen-
mal so große Chancen haben, statt der Die Abweichung zu diesem Wert gibt dann position hat insbesondere im ersten
Facharbeiterklasse die obere Dienstklasse die prozentuale Veränderung zu diesem Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zuge-
zu erreichen wie Personen aus der Fach Ausgangsniveau an, wobei negative Werte nommen. Das Ausmaß der Zunahme des
arbeiterklasse. Diese großen Chancen bedeuten, dass der Zusammenhang schwä- Herkunftseffekts im Osten entspricht unge-
ungleichheiten sind charakteristisch für cher wird, die Chancengleichheit also fähr dem Ausmaß der Abnahme des Ef-
Deutschland. Im Vergleich mit anderen steigt. Die dargestellte Linie ist eine über fekts im Westen für den gleichen Zeitraum.
industrialisierten Ländern weist Deutsch- die einzelnen Jahresbeobachtungen hinweg Trotz des Trends ist der Zusammenhang
land mit die höchsten Chancenungleich- gemittelte Kurve. Die Stärke des Zusam- zwischen Herkunftsklasse und eigener
heiten auf. menhangs nimmt für Männer in West- Klassenposition für ostdeutsche Männer je-
Die folgende Analyse beschreibt die deutschland im gesamten Zeitraum konti- doch weiterhin schwächer ausgeprägt als
Entwicklung der Chancenungleichheiten nuierlich ab. Für das aktuelle Jahrzehnt gilt, für westdeutsche Männer. Inwieweit es bei
in Deutschland in den vergangenen knapp dass sich der ursprüngliche Zusammen- der Entwicklung in Ostdeutschland zu ei-
40 Jahren. Hierzu wurden für sämtliche hang zwischen der Herkunftsklasse und ner fortwährenden Konsolidierung kommt
Kombinationen von Klassenpositionen die der eigenen Klassenposition um circa 21 % oder inwieweit sich der Trend gar umkehrt,
oben dargestellten Chancenverhältnisse verringert hat. Der Einfluss der sozialen wird sich erst mit zukünftigen Daten sagen
berechnet und diese in einem Modell zu- Herkunft auf die eigene Klassenposition hat lassen. Für westdeutsche Männer gibt es
sammengefasst. Die Ergebnisse sind in sich somit seit 1976 deutlich abgeschwächt, wenig Anhaltspunkte, dass sich der Trend
den Abbildungen 1 und 2 dargestellt. die Chancengleichheit für Männer in West- hin zu mehr Chancengleichheit ab-
Abbildung 1 zeigt für Männer die Ent- deutschland hat sich also im betreffenden schwächt. u Abb 1
wicklung der Stärke des Zusammenhangs Zeitraum erhöht. Für ostdeutsche Männer Bei den Frauen zeigten sich nach der
zwischen der sozialen Herkunft und der ist dagegen eine umgekehrte Entwicklung Vereinigung ebenfalls deutliche Unter-
eigenen Klassenposition. Die Stärke des zu beobachten. Hier hat sich der Zusam- schiede zwischen Ost und West. Auch
Zusammenhangs ist auf der y-Achse darge- menhang zwischen sozialer Herkunft und hier gilt, dass der Zusammenhang zwi-
stellt. Für das erste Jahr der Analyse – 1976 eigener Klassenposition im Zeitverlauf ver- schen sozialer Herkunft und eigener Klas-
–1
–2
–3
–4
–5
1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Westdeutschland Ostdeutschland
216
Soziale Mobilität / 7.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
senposition in Ostdeutschland deutlich einen starken Einf luss auf die spätere Männer ein merklicher Trend hin zu mehr
schwächer ausgeprägt ist als in West- Klassenposition von Männern und Frauen Abstiegen. Frauen in Ost und West unter-
deutschland. Und auch hier gibt es gegen- in Deutschland. Viele Personen, die heute scheiden sich kaum noch bezüglich ihrer
läufige Trends. Für westdeutsche Frauen eine bestimmte Klassenposition inneha- Aufstiegs- und Abstiegserfahrungen.
nimmt der Zusammenhang zwischen ben, kommen aus Familien, in denen be- Die Betrachtung der tatsächlichen
Herkunft und eigener Position über die reits der Vater die gleiche Klassenposition Chancengleichheit – bereinigt um struk-
Zeit hinweg leicht ab, diese Abnahme ist hatte. Dies trifft insbesondere für Land- turelle Einflüsse – zeigt für westdeutsche
jedoch weniger stark ausgeprägt als bei wirte und Facharbeiter zu, aber auch in Männer einen klaren kontinuierlichen
westdeutschen Männern. Für ostdeutsche zunehmendem Maße für die obere Dienst- Trend hin zu einem abnehmenden Ein-
Frauen hingegen verstärkt sich der Zu- klasse. Über die Zeit gab es hier nur weni- fluss der sozialen Herkunft auf die eigene
sammenhang merklich bis ins erste Jahr- ge Veränderungen, die insbesondere die Klassenposition. Der gleiche Trend fällt
zehnt des neuen Jahrtausends. Diese Be- Facharbeiterpositionen und im Osten die für westdeutsche Frauen merklich schwä-
funde ähneln stark den Befunden für ost- Dienstklassenpositionen betreffen. Bei der cher aus. Im Osten dagegen nimmt der
deutsche Männer. Es bleibt auch hier Vererbung von Klassenpositionen zeigen Einfluss der sozialen Herkunft sehr deut-
offen, ob dieser Trend sich konsolidiert sich ebenfalls nur wenige Entwicklungen. lich zu. Die ehemals deutlich höhere
oder gar abschwächt und inwieweit es zu Hervorzuheben ist allerdings die günstige Chancengleichheit für Männer und Frau-
einer weiteren Angleichung der Chancen- Entwicklung für Frauen, die im Vergleich en hat stark abgenommen, es kommt bei
gleichheiten zwischen West und Ost zu ihren Vätern verstärkt vorteilhafte beiden Geschlechtern zu einer Annähe-
kommt. u Abb 2 Positionen behaupten und unvorteilhafte rung an das Westniveau. Es bleibt ab
Positionen vermeiden können. Ostdeut- zuwarten, ob sich diese gegenläufigen
7.2.5 Zusammenfassung sche Männer hingegen erfahren eine Pola- Trends auf einem gemeinsamen Niveau
Die Herkunft aus einer bestimmten sozia- risierung: sowohl am oberen Ende als einpendeln werden oder ob sich der Trend
len Klassenlage hat trotz der Betonung auch am unteren Ende der Klassenhierar- in Ostdeutschland umkehren wird.
von Chancengleichheit im Bildungswesen chie kommt es zu einer Verfestigung des
und der Hervorhebung des Leistungs Klassengef üges. Bei der Gesamtbetrach-
gedankens in der Berufswelt nach wie vor tung von Auf- und Abstiegen zeigt sich für
–1
–2
–3
–4
–5
1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Westdeutschland Ostdeutschland
217
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
218
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Info 1 u Info 2
Definitionen und Datenquellen Methodischer Hinweis zur neuen
Der Migrationsstatus einer Person wird aus ihren persönlichen Merkmalen zu Zuzug, Einbürgerung
Hochrechnung
und Staatsangehörigkeit bestimmt sowie aus den entsprechenden Merkmalen ihrer Eltern. Beim Nach- Um aus der Stichprobe des Mikrozensus Aussagen
weis des Migrationsstatus wird zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterschieden. über die Gesamtbevölkerung ziehen zu können,
Angaben zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund ermöglicht seit 2005 der Mikrozensus durch müssen die Daten entsprechend hochgerechnet
einen erweiterten Fragenkatalog. Hierbei handelt es sich um Personen, die werden. Die Eckzahl der Gesamtbevölkerung und
die Größe der deutschen und ausländischen Be-
‧‧ s eit 1950 nach Deutschland zugewandert sind
völkerungsteile stammen aus der laufenden Be-
‧‧ oder in Deutschland mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren wurden
völkerungsfortschreibung. Diese schreibt die offi-
‧‧ oder mindestens einen Elternteil haben, der seit 1950 nach Deutschland zugewandert ist
zielle Bevölkerungszahl auf Grundlage der letzten
‧‧ oder mindestens einen Elternteil haben, der in Deutschland mit ausländischer
Zählungen fort. Bis zum Jahr 2010 waren dies die
Staatsangehörigkeit geboren wurde.
Volkszählung von 1987 im früheren Bundesgebiet
und die Auswertung des zentralen Einwohner
Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche einen Migrationshintergrund haben können –
registers zum 3. Oktober 1990 in der ehemaligen
sei es als Kinder von zugewanderten Eltern (darunter Spätaussiedler), als Kinder ausländischer Eltern-
DDR. Seit 2011 ist dies der Zensus 2011. Der
paare (sogenannte ius-soli-Kinder) oder als Kinder eingebürgerter Eltern. Dieser Migrationshintergrund
Zensus hat gezeigt, dass insgesamt 1,5 Millionen
leitet sich dann ausschließlich aus den Eigenschaften der Eltern ab. Die Betroffenen können diesen
Menschen weniger (darunter 1,1 Millionen Aus
Migrationshintergrund aber nicht an ihre Nachkommen »vererben«. Bei den Zugewanderten und den in
länder) in Deutschland leben, als zuvor angenom-
Deutschland geborenen Ausländerinnen und Ausländern ist dies hingegen der Fall. Nach den heutigen
men worden war.
ausländerrechtlichen Vorschriften umfasst diese Definition somit üblicherweise Angehörige der ersten
bis dritten Migrantengeneration. Im Text wird unterschieden zwischen der ersten Generation, die In den vorhergehenden Mikrozensuserhebungen
selbst zugewandert ist, und der zweiten Generation, die bereits in Deutschland geboren wurde. 2011 bis 2013 waren zusätzlich auch Hochrech-
nungsfaktoren auf der Grundlage der Volkszäh-
Die deutsche Staatsangehörigkeit wird im Regelfall kraft Gesetzes, ohne Antrag oder behördliches
lung 1987 und der Einwohnerregisterauswertung
Zutun mit der Geburt erworben. Dies gilt für Kinder eines deutschen Elternteils (sogenanntes Abstam-
1990 verfügbar. Im Mikrozensus 2014 sind jedoch
mungs- oder ius-sanguinis-Prinzip) und für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern, wenn
nur noch die zensusbasierten Hochrechnungs-
wenigstens ein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes zum Daueraufenthalt in Deutschland be-
faktoren enthalten. Dadurch sind Zeitreihen von
rechtigt ist und sich seit mindestens acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhält (sogenanntes Territorial-
2005 bis 2014 methodisch nicht vergleichbar.
oder ius-soli-Prinzip).
Zeitreihen werden daher in diesem Kapitel nur für
Seit dem Jahr 2000 erwerben »ius-soli-Kinder« – auch Optionskinder genannt – mit der Geburt die die Jahre 2005 bis 2013 angegeben und basieren
deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren in Deutschland gelebt hat und zum auf den oben genannten Grundlagen.
Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Daneben haben sie die ausländische
Staatsbürgerschaft ihrer Eltern, also eine doppelte Staatsbürgerschaft. Mit Erreichen der Volljährigkeit
mussten sie sich jedoch früher bis zu ihrem 23. Geburtstag für eine Staatsbürgerschaft entscheiden
(Optionspflicht). Im Jahr 2014 wurde die Optionspflicht neu geregelt; die Regelungen zum Geburtsort
erwerb selbst bleiben unverändert. Die Optionspflicht entfällt für viele Betroffene.
36 %
Die Ausländerstatistik basiert auf Auswertungen des Ausländerzentralregisters (AZR), die das Statis
tische Bundesamt zum 31. Dezember eines Jahres durchführt. Das AZR weist alle in Deutschland regis-
trierten Personen nach, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und sich nicht nur vorüberge-
hend in Deutschland aufhalten. Die einzelnen Ausländerbehörden melden diese Daten an das AZR.
Seit dem Jahr 2000 gibt es eine Bundesstatistik über die Einbürgerungen, die sich auf eingebürgerte
ausländische Personen bezieht. Unberücksichtigt bleibt der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
nach dem Geburtsort (im Inland geborenes Kind ausländischer Eltern). Grundvoraussetzung für eine der Menschen mit Migrations
Einbürgerung ist der legale, auf Dauer angelegte Aufenthalt einer Ausländerin beziehungsweise eines hintergrund stammten 2014
Ausländers gemäß den üblichen ausländerrechtlichen Bestimmungen. aus den sogenannten
Gastarbeiter-Anwerbeländern.
219
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
u Abb 1 Bevölkerung nach Migrationsstatus und Herkunftsländern 2014 — in Tausend schen (6 %), zu denen auch die an anderer
Stelle bereits erwähnten vier Gastarbeiter-
Anwerbeländer Italien, Spanien, Grie-
Personen aus Drittstaaten1
chenland und Portugal zählen. Welche
3 664
Länder wann der EU beigetreten sind
siehe Kapitel 15, Abbildung 1, Seite 434.
Asylbewerberinnen und -bewerber (auch
Personen aus den neuen
ehemalige) sowie Bürgerkriegsflüchtlinge
Personen aus Gastarbeiter-
EU-Mitgliedstaaten 16 386 Anwerbeländern
finden sich vor allem in der Gruppe der
(2004 und später beigetreten)1 Personen Drittstaaten. u Abb 1
5 938
1 693 Die Zugehörigkeit zu den einzelnen
Zuwanderergruppen hat großen Einfluss
darauf, ob die Betroffenen einen deut-
schen Pass besitzen oder nicht und wie
Personen aus den
Mitgliedstaaten der EU-151 Spätaussiedler/-innen viele von ihnen selbst zugewandert sind
903 4 188
(erste Generation) oder bereits in Deutsch-
land geboren wurden (zweite Generation).
Dies wird anhand der Ergebnisse in Ab-
1 Ohne Spätaussiedler/-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. bildung 2 deutlich. Es besteht aber auch
ein enger Zusammenhang zwischen der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zu-
wanderergruppe und einer Reihe wichti-
ger sozioökonomischer Faktoren. Des-
kunftsländer nach Mitgliedstaaten der im Jahr 2004 und später der EU beigetre- halb nehmen die folgenden Abschnitte
Europäischen Union (EU) (2,6 Millionen tenen 13 neuen EU-Mitgliedstaaten mit häufig Bezug auf die Abbildung 2. u Abb 2
Menschen oder 16 %) und den sogenann- zusammen 1,7 Millionen Betroffenen
ten Drittstaaten (3,7 Millionen Menschen (10 %) für die Einwanderung in Deutsch- 7.3.1 Historische Entwicklung
oder 22 %). Zusätzlich wird die Zuwande- land bedeutsamer sind und einer größe- in Deutschland
rung aus EU-Mitgliedstaaten danach ren Dynamik unterliegen als die alten Die Bevölkerung mit Migrationshinter-
u nterschieden, in welchem Jahr der EU- Mitgliedstaaten aus der sogenannten grund in Deutschland ist von 15,3 Mil
Beitritt erfolgte. Grund dafür ist, dass die EU-15 mit zusammen 0,9 Millionen Men- lionen im Jahr 2005 um 1,2 Millionen
220
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Abb 2 Bevölkerung nach Migrationsstatus und Zuwanderer- (+ 8 %) auf 16,5 Millionen im Jahr 2013
Gruppen 2014 — in Prozent angestiegen. Die Bevölkerung ohne Mig-
rationshintergrund ist dagegen im glei-
chen Zeitraum von 67,1 Millionen um
Bevölkerung mit Migrations-
31 25 36 8 3,0 Millionen (– 5 %) auf 64,1 Millionen
hintergrund insgesamt
zurückgegangen.
Die verschiedenen Gruppen der Be-
Spätaussiedler/-innen 74 26
völkerung mit Migrationshintergrund
haben sich dabei recht unterschiedlich
Personen aus Gast- entwickelt. So blieb die Zahl der zuge-
10 28 45 17
arbeiteranwerbeländern
wanderten Ausländerinnen und Auslän-
Personen aus den Mitglied-
der von 2005 bis 2010 nahezu unverän-
7 22 60 11
staaten der EU-151 dert. Danach ist sie als Folge der hohen
Nettozuwanderung – das heißt mehr Zu-
Personen aus den neuen
EU-Mitgliedstaaten (2004 und 22 15 60 3
als Fortzüge – vor allem aus den Staaten
später beigetreten)1 der EU-Osterweiterung 2004/2007 und
aus den sogenannten Euro-Krisenlän-
Personen aus
Drittstaaten1 24 26 45 5 dern um 10 % angestiegen. u Abb 3
Die Zahl der in Deutschland gebore-
deutsche Migrantinnen/Migranten 1. Generation nen Ausländerinnen und Ausländer
deutsche Migrantinnen/Migranten 2. Generation (sogenannte zweite Generation) hat seit
Ausländer/-innen, 1. Generation 2005 um 14 % abgenommen. Dies ist zum
Ausländer/-innen, 2. Generation
Teil auf die erfolgten Einbürgerungen
zurückzuführen, vor allem aber darauf,
1 Ohne Spätaussiedler/-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. dass seit der Änderung des Ausländerge-
setzes im Jahr 2000 sehr viel weniger
Kinder mit ausschließlich ausländischer
Staatsangehörigkeit in Deutschland ge-
uAbb 3 Entwicklung der Bevölkerung nach Migrationsstatus boren werden als zuvor. Die zugewan-
— in Prozent der Gesamtbevölkerung derten Deutschen mit Migrationshinter-
grund haben sich im gesamten Zeitraum
zahlenmäßig nur leicht erhöht (+ 4 %),
vor allem weil das Potenzial der Spätaus-
siedlerinnen und Spätaussiedler in den
5,5 5,8 Herkunftsländern mittlerweile erschöpft
4,4 4,7 4,9 5,2
3,9 4,0 4,2
ist. Die Zahl der »Deutschen mit Migra-
2,1 2,1 2,0 2,0 1,9 1,9 1,8 1,8 tionshintergrund der zweiten Generati-
2,1
on« ist dagegen seit 2005 um fast 50 %
6,2
angestiegen; dies ist die größte struktu-
6,1 6,1 6,1 6,1 6,2
5,9 5,9 6,0 relle Veränderung insgesamt.
Das Gros der beschriebenen Verän-
derungen lässt sich auf die Struktur der
Zuwanderung nach Deutschland seit
6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 6,9 7,2 7,5 1950 zurückführen. Sie steht auf zwei
Säulen und umfasst zwei recht unter-
schiedliche Teilgruppen.
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
221
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
1 871
1 822
1 485
1 291
1 081
1 001
918
740 738
585
437 417
322 308
227 231 244
–162 –146
1950 – 1955– 1960– 1965– 1970– 1975– 1980– 1985– 1990– 1995– 2000– 2005– 2010–
1954 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2014
Quellen: Ausländische Zuwanderer: Wanderungsstatistik; Deutsche Zuwanderer: BVA-Statistik »Spätaussiedler und ihre Angehörigen«
Minderheiten in mehreren Ländern Mittel- Die Zuwanderung von Auslände dem Bau der Mauer nicht mehr durch die
und Osteuropas und teilweise Zentral rinnen und Ausländern Aufnahme von Deutschen aus der ehema-
asiens. Sie sind die Nachkommen von Diese Zuwanderung zeigt einen gänzlich ligen DDR gedeckt wurde, kam der Be-
Deutschen, die vor mehreren Jahrhunder- anderen Verlauf. Von 1950 bis 2014 sum- schäftigung ausländischer Arbeitneh-
ten in diese Länder ausgewandert waren mierte sich die ausländische Nettozu- merinnen und Arbeitnehmer eine immer
und dort über Generationen hinweg ihre wanderung, das heißt der Saldo von Zu- größere Bedeutung zu. Von 1961 bis 1975
Sprache und Kultur beibehalten hatten. und Fortzügen von Ausländerinnen und nahm deren Zahl in der früheren Bundes-
Die Bundesrepublik Deutschland hatte Ausländern, auf insgesamt 9,4 Millionen republik von 690 000 (1,2 % der Bevölke-
seit 1953 mit dem Bundesvertriebenen Menschen. Rund 3,6 Millionen (38 %) rung) auf 3,9 Millionen Menschen (6,3 %)
gesetz eine rechtliche Grundlage für die von ihnen kamen zwischen 1960 und zu. Aufgrund des Anwerbestopps bei den
Rückkehr dieser Menschen geschaffen. 1975, weitere 2,7 Millionen Menschen Gastarbeitern ging die Ausländerzahl
Von 1950 bis 2014 kamen mehr als (29 %) wanderten zwischen 1985 und z wischen 1974 und 1978 vorübergehend
4,5 Millionen deutsche Zuwanderinnen 1995 zu, und 1,9 Millionen (20 %) immi zurück. Danach stieg sie bis 1982 als Folge
und Zuwanderer als (Spät-)Aussiedler, der grierten seit 2010. u Abb 4 der Familienzusammenführung sowie der
Großteil von 1985 bis 2004. Das wichtigs- Die ausländische Zuwanderung fand verstärkten Einreise von Asylsuchenden
te Herkunftsland ist die ehemalige Sowjet hauptsächlich im früheren Bundesgebiet auf knapp 4,7 Millionen an. Das Rück-
union (darunter vor allem Kasachstan, die statt. Hier hatte der 1950 einsetzende kehrhilfegesetz ließ 1983 und 1984 die
Russische Föderation und die Ukraine) wirtschaftliche Aufschwung zu einem Ausländerzahl vorübergehend sinken.
mit 52 %, gefolgt von Polen mit 32 % und ständig wachsenden Bedarf an Arbeits- Aufgrund der hohen Zahl von Asylsuchen-
Rumänien mit 10 %. kräften geführt. Als dieser Bedarf nach den und der Aufnahme von Bürgerkriegs-
222
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
223
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
schwungs seit den 1950er-Jahren beson- wiesenen höchsten und niedrigsten Wer- en Ländern ohne Berlin ging der Anteil
ders groß. Dieses räumliche Verteilungs- ten für die Regierungsbezirke, vor allem der Bevölkerung mit Migrationshinter-
muster besteht bis heute, wie ein Ver- in Bayern und Hessen. u Tab 3 grund zwischen 2005 und 2013 dagegen
gleich der Länder zeigt. Im Jahr 2014 war Seit 2005 hat sich die geografische Ver- um 0,2 Prozentpunkte zurück und im
der Anteil der Bevölkerung mit Migrati- teilung der Bevölkerung mit Migrations- Saarland sogar um 1,0 Prozentpunkte.
onshintergrund am höchsten in den Stadt- hintergrund deutlich geändert. Den größ- Für die Zuwanderung nach Deutsch-
staaten Bremen (29 %), Hamburg (28 %) ten Anstieg auf Länderebene gab es in land ist Europa von herausragender Be-
und Berlin (26 %) sowie in den Flächen- Hessen (+ 4,4 Prozentpunkte), gefolgt von deutung: Im Jahr 2014 stammten 69 % der
ländern Hessen (28 %), Baden-Württem- Bremen (+ 3,7 Prozentpunkte), Berlin und 10,9 Millionen Zugewanderten aus euro-
berg (27 %) und Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz (jeweils + 3,1 Prozent- päischen Ländern. Rund 37 % kamen aus
(25 %). In den neuen Ländern (ohne Berlin) punkte). Der höchste regionale Anstieg den Ländern der Europäischen Union;
lag der Migrantenanteil hingegen nur bei wurde in Rheinland-Pfalz in der Region hier lag Polen mit 1,3 Millionen Menschen
5 %. Innerhalb der Flächenländer gibt es Trier registriert (+ 5,3 Prozentpunkte), ge- (12 %) vorne. Weitere 15 % kamen aus
aber erhebliche regionale Unterschiede. folgt vom Regierungsbezirk Darmstadt in EU-Beitrittskandidatenländern, darunter
Dies zeigte sich schon 2013 an den ausge- Hessen (+ 5,2 Prozentpunkte). In den neu- 1,4 Millionen Menschen (13 %) allein
224
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
aus der Türkei. Die verbleibenden 17 % uAbb 5 Bevölkerung nach Migrationsstatus und Herkunftsländern 2014
stammten aus den übrigen europäischen — Anteil in Prozent
Ländern, vor allem aus der Russischen
Föderation (933 000 Menschen bezie-
hungsweise 9 %). u Abb 5 Mit Migrations-
31 25 36 8
hintergrund
Jeweils 2,9 Millionen der 16,4 Millio-
nen Menschen mit Migrationshinter-
grund (Zugewanderte und ihre hier gebo- EU-Staaten 26 24 40 10
renen Kinder) hatten ihre Wurzeln in der
Türkei oder in den Nachfolgestaaten der Polen1 47 21 30 2
225
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
f lusst viele soziodemografische Eigen- tiert zumindest teilweise aus dem nie und Pakistan mit jeweils 67 %, am nied-
schaften dieser Bevölkerungsgruppe: Es drigeren Durchschnittsalter und dem rigsten bei Personen aus Thailand (13 %),
gibt mehr Ledige, mehr Menschen in generellen Männerüberschuss jüngerer den Philippinen (17 %) sowie aus Weiß-
schulischer oder beruflicher Ausbildung Altersg ruppen. Noch bedeutender ist die russland (28 %), Finnland (31 %) und Bra-
und weniger Rentnerinnen und Rentner. überproportionale Zuwanderung von le- silien (33 %).
Dies muss bei der Interpretation von Sta- digen Männern im erwerbsfähigen Alter. Die ausländische Bevölkerung unter-
tistiken angemessen berücksichtigt wer- Insgesamt gibt es große Unterschiede im scheidet sich bei vielen sozioökonomi-
den. Auch der höhere Männeranteil in Geschlechterverhältnis nach Herkunfts schen Merkmalen von der deutschen Be-
der ausländischen Bevölkerung, vor allem ländern. Am höchsten war 2014 der Män- völkerung – mit und ohne Migrationshin-
der zweiten Generation (54,6 % gegenüber neranteil bei Staatsbürgern aus Algerien tergrund. Sie ist häufiger sozialen Risiken
48,9 % bei der Bevölkerung ohne Migra und Eritrea mit je 75 %, aus Somalia und ausgesetzt, wie fehlender schulischer oder
tionshintergrund, siehe Tabelle 1) resul- Ägypten mit je 69 % sowie aus Tunesien beruflicher Qualifikation, Arbeitslosigkeit,
226
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Abb 7 Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Migrationsstatus und Qualifikation. Dies beeinflusst ihre Kon-
höchstem Schulabschluss 2014 — Anteil in Prozent kurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt
und damit ihre Fähigkeit, Erwerbsein-
kommen zu erzielen. Ebenso wirken sich
Bevölkerung ohne
Migrationshintergrund
2 28 36 34 die Unterschiede auf die Höhe des Er-
werbseinkommens und das Risiko einer
Bevölkerung mit Armutsgefährdung aus. Im Folgenden
12 31 23 33
Migrationshintergrund
wird untersucht, inwieweit der Grad der
Bildungsbeteiligung zwischen Menschen
mit und ohne Migrationshintergrund
deutsche Migrantinnen /
Migranten,1. Generation 6 31 30 33 als Folge abweichender Bildungsqualifi-
kationen auftreten oder davon abhängen,
deutsche Migrantinnen /
3 28 28 41 ob Migranten ihren Bildungsabschluss
Migranten, 2. Generation
im Inland oder im Ausland erworben
Ausländer /-innen, haben. u Abb 7
19 30 16 34
1. Generation Menschen mit Migrationshinter-
Ausländer /-innen,
grund verfügten 2014 generell seltener
6 41 27 25
2. Generation über mittlere Bildungsabschlüsse. Häufi-
ger als bei Menschen ohne Migrations-
hintergrund fehlten bei ihnen Schul-
Spätaussiedler /-innen oder berufsqualifizierende Abschlüsse
4 32 35 29
und ihre Nachkommen (Bildungsstatus siehe Kapitel 2.1, Seite 45,
Info 2). Allerdings relativieren sich diese
Personen mit Wurzeln in
21 40 19 20 Aussagen, wenn man die verschiedenen
Gastarbeiter-Anwerbeländern
Migrantengruppen gesondert betrach-
Personen mit Wurzeln in
Mitgliedstaaten der EU-151 3 21 21 55 tet. u Abb 8
So waren Ausländerinnen und Aus-
Personen mit Wurzeln in den
neuen EU-Mitgliedstaaten 7 30 19 45
länder 2014 schlechter qualifiziert als
(2004 und später beigetreten)1 Deutsche mit Migrationshintergrund.
Personen mit Wurzeln
Dies galt auch für Migranten der ersten
14 18 21 47
in Drittstaaten1 Generation im Vergleich zu denen der
zweiten Generation. Außerdem unter-
Schulabschluss ohne niedrig mittel hoch
schieden sich die Menschen, deren Mig-
rationshintergrund in den Gastarbeiter-
1 Ohne Spätaussiedler /-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. Anwerbeländern lag, deutlich von jenen,
die ihre Wurzeln in den sonstigen Mit-
gliedstaaten der EU hatten, oder von
Spätaussiedlern und deren Nachkom-
men. Ein Unterschied zwischen Men-
schen mit Migrationshintergrund aus
Erwerbstätigkeit in prestigearmen Berufen völkerung mit und ohne Migrations Gastarbeiter-Anwerbeländern und sol-
sowie niedrigen Einkommen und einem hintergrund. Abweichungen beim Durch- chen aus Drittstaaten existiert auch, er
erhöhten Armutsrisiko. So waren Auslän- schnittsalter oder Geschlechterverhältnis ist aber weniger stark ausgeprägt. Bei
derinnen und Ausländer viermal so oft alleine können diese Unterschiede jedoch Migrantinnen und Migranten nimmt
von all diesen Risiken betroffen wie Deut- nicht erklären. die Qualifikation mit dem Zuzugsjahr
sche ohne Migrationshintergrund, Deut- zu: Je später die Zuwanderung erfolgte,
sche mit Migrationshintergrund etwa 7.3.4 Bildungsbeteiligung, schuli- umso größer ist der Anteil derjenigen
doppelt so häufig. Die Unterschiede zwi- sche und berufliche Qualifikation mit Abitur und Hochschulabschluss.
schen ausländischer Bevölkerung einer- Menschen mit und ohne Migrationshin- Unter den nach 2000 Zugewanderten ist
seits und deutscher Bevölkerung mit tergrund unterscheiden sich deutlich in dieser Anteil signifikant höher als bei
M igrationshintergrund andererseits sind ihrer Bildungsbeteiligung und hinsicht- der Bevölkerung ohne Migrationshinter-
demnach größer als die zwischen der Be- lich ihrer schulischen und beruf lichen grund der gleichen Altersgruppe. Dies
227
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
u Abb 8 Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Migrationsstatus und Da aber im gleichen Zeitraum die
höchstem berufsqualifizierenden Abschluss 2014 — Anteil in Prozent schulische und berufliche Qualifikation
der gesamten Bevölkerung im Alter zwi-
schen 25 und 34 Jahren angestiegen ist,
Bevölkerung ohne konnte sich die sogenannte Bildungs-
9 59 11 21
Migrationshintergrund schere nicht schließen. Im Gegenteil: Bei
Bevölkerung mit
Menschen der zweiten Migrantengene
35 41 5 19
Migrationshintergrund ration ist der Anteil der hohen Schulab-
schlüsse um 6 Prozentpunkte gestiegen,
in der Bevölkerung ohne Migrationshin-
deutsche Migrantinnen /
25 51 7 17 tergrund um 7 Prozentpunkte und in der
Migranten, 1. Generation
gesamten Bevölkerung mit Migrations-
deutsche Migrantinnen /
Migranten, 2. Generation
21 52 7 20 hintergrund sogar um 10 Prozentpunkte.
Auch bei der Hochschulabsolventenquo-
Ausländer /-innen,
1. Generation
45 31 3 21 te liegt der Anstieg bei den Migranten
der zweiten Generation im Alter zwi-
Ausländer /-innen, schen 25 und 34 Jahren (+ 5 Prozentpunk-
2. Generation 29 56 5 10
te) unter den entsprechenden Vergleichs-
werten der Bevölkerung ohne Migrati-
Spätaussiedler/-innen onshintergrund (+ 7 Prozentpunkte) und
und ihre Nachkommen 21 57 8 15
mit Migrationshintergrund insgesamt
Personen mit Wurzeln in (+ 8 Prozentpunkte).
51 37 3 9
Gastarbeiter-Anwerbeländern Die derzeitige Bildungsbeteiligung
Personen mit Wurzeln in
stimmt jedoch vorsichtig optimistisch:
16 38 6 39
Mitgliedstaaten der EU-151 Rund 37 % der 16- bis 19-jährigen Ju-
Personen mit Wurzeln in den gendlichen mit Migrationshintergrund
neuen EU-Mitgliedstaaten 24 47 6 22
(2004 und später beigetreten)1 besuchten 2014 eine Schulform, die zu
e inem hohen Schulabschluss (Abitur
Personen mit Wurzeln
36 28 3 32 b ez iehungsweise Fachabitur) führt, bei
in Drittstaaten1
Jugendlichen ohne Migrationshintergrund
beruflicher Abschluss ohne niedrig mittel hoch
waren es 40 %.
Ob die berufliche Qualifikation im In-
land oder im Ausland erworben wurde,
1 Ohne Spätaussiedler/-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. wirkt sich bei Zugewanderten auf dem Ar-
beitsmarkt und beim Einkommen unter-
schiedlich aus. Die Bundesregierung hat
daher Anstrengungen unternommen, um
die Anerkennung ausländischer Berufsab-
schlüsse zu erleichtern. Im Jahr 2014 ga-
ben 2,7 Millionen oder 55 % der Zugewan-
derten im Alter von 25 bis 64 Jahren an,
lässt sich zwar teilweise durch deren im lich das deutsche Bildungssystem durch- ihren beruflichen Abschluss im Ausland
Vergleich um sieben Jahre beziehungs- laufen haben, ist von 2005 bis 2013 die erworben zu haben, und zwar umso häufi-
weise um elf Jahre niedrigeres Durch- (Fach-)Abiturientenquote von 33 % auf ger, je höher die berufliche Qualifikation
schnittsalter erklären, aber es spiegelt 40 % angestiegen und der Anteil der war. Bei den älteren Zugewanderten ist der
auch wider, dass Deutschland seit dem (Fach-)Hochschulabsolventinnen und Anteil der im Ausland erworbenen Ab-
Jahr 2000 ein attraktives Zielland für -absolventen von 11 % auf 17 %. Gleichzei- schlüsse noch ungleich größer als bei den
hochqualifizierte Zuwanderinnen und tig ist der Anteil jener zurückgegangen, jüngeren. Sofern weitere Fortschritte bei
Zuwanderer geworden ist. u Tab 4 die keinen Schul- oder keinen berufsqua- der Anerkennung ausländischer Berufs
Bei den 25- bis 34-jährigen Menschen lifizierenden Abschluss besitzen (von 4 % abschlüsse erzielt werden, könnte die Be-
mit Migrationshintergrund der zweiten auf 3 % beziehungsweise von 26 % auf deutung der ausländischen Abschlüsse in
Generation, die in aller Regel ausschließ- 23 %). Zukunft abnehmen. u Tab 5
228
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Tab 4 Qualifikation von Zugewanderten im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Zuzugsjahr im Jahr 2014
Darunter
Personen im Alter
mit Abitur/ mit (Fach-) Durchschnittsalter
von 25 bis 64 Jahren
Fachhochschulreife Hochschulabschluss
in 1 000 Anteil in % in Jahren
Zugewanderte insgesamt 8 006 33,5 19,1 44,0
7.3.5 Arbeitsmarktbeteiligung und u Tab 5 Qualifikation von Zugewanderten im Alter von 25 bis 64 Jahren im Jahr 2014
Lebensunterhalt Anteil der im Ausland erworbenen Abschlüsse
Die Beteiligung am Arbeitsmarkt wird
Anzahl der darunter Zuwanderer im Alter
üblicherweise durch die Erwerbsquote ge- Abschlüsse ins- von ... bis ... Jahren
messen. Hierbei werden die dem Arbeits- gesamt
markt zur Verfügung stehenden Erwerbs- 25 – 34 55 – 64
Insgesamt standen 37 % aller Frauen mit Personen mit Wurzeln in den neuen EU-Mitgliedstaaten
78,3 71,8
Migrationshintergrund im Alter zwi- (2004 und später beigetreten)¹
schen 15 und 64 Jahren dem Arbeits- Personen mit Wurzeln in Drittstaaten¹ 64,5 56,2
markt nicht zur Verfügung. Bei Frauen
Erwerbsquote = Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren.
ohne Migrationshintergrund waren es Erwerbstätigenquote = Anteil der Erwerbstätigen in der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren.
1 Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
24 %. Bei den Männern unterschieden Ergebnisse des Mikrozensus.
229
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
230
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
keiten beschäftigt, zum Beispiel im Pro- u Abb 10 Bevölkerung im Alter von über 15 Jahren nach Migrationsstatus und
duzierenden Gewerbe oder in den Berei- überwiegendem Lebensunterhalt 2014 — Anteil in Prozent
chen Handel, Gastgewerbe und Verkehr
innerhalb des Dienstleistungssektors.
Dies gilt sowohl für Vertreter der ersten Bevölkerung ohne
51 30 6 13
(63 %) als auch der zweiten (65 %) Migran- Migrationshintergrund
bezieher sind dagegen auch alle anderen Personen mit Wurzeln in den
neuen EU-Mitgliedstaaten 52 22 6 20
nicht erwerbstätigen Familienmitglieder (2004 und später beigetreten)1
von Sozialeinkommen abhängig. Personen mit Wurzeln
61 9 11 19
Der Anteil der Personen, die 2014 ih- in Drittstaaten1
ren Lebensunterhalt überwiegend aus Er-
werbstätigkeit bestritten, lag bei der Bevöl- Erwerbstätigkeit Rente, Pension, Vermögen
kerung mit und ohne Migrationshinter- Sozialeinkommen Angehörige
231
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
u Abb 11 Persönliches monatliches Nettogehalt der abhängig Vollzeitbeschäftigten rücksichtigen. Deshalb werden in diesem
im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Migrationsstatus 2014 — in Euro Abschnitt nur die Löhne und Gehälter
von abhängig Beschäftigten mit einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden
Bevölkerung ohne
und mehr miteinander verglichen. Die
2 235
Migrationshintergrund Erwerbseinkommen von Selbstständigen,
unbezahlt mithelfenden Familienangehö-
Bevölkerung mit
2 001
Migrationshintergrund rigen, Auszubildenden und in freiwilligen
Diensten Beschäftigten bleiben dagegen
unberücksichtigt.
deutsche Migrantinnen /
Migranten, 1. Generation
2 006 Die monatlichen Nettolöhne und
-gehälter von Menschen mit Wurzeln im
deutsche Migrantinnen / Ausland lagen 2014 um durchschnittlich
2 104
Migranten, 2. Generation
234 Euro oder 10 % unter jenen von Men-
Ausländer/-innen, schen ohne Migrationshintergrund. In-
1 984
1. Generation
nerhalb der Bevölkerung mit Migrations-
Ausländer/-innen,
2 008 hintergrund reichte dabei die Spannwei-
2. Generation
te der durchschnittlichen Einkommen
von 1 984 Euro bei Ausländerinnen und
Spätaussiedler/-innen Ausländern der ersten Generation bis
und ihre Nachkommen 1 963
2 104 Euro bei Deutschen mit Migrations-
Personen mit Wurzeln in
hintergrund der zweiten Generation. Dies
1 946
Gastarbeiter-Anwerbeländern entspricht einer Differenz von 120 Euro
oder 6 %. u Abb 11
Personen mit Wurzeln in
2 860
Mitgliedstaaten der EU-15
1 Unterscheidet man die Menschen mit
Personen mit Wurzeln in den Migrationshintergrund nach Herkunfts-
neuen EU-Mitgliedstaaten 1 789
(2004 und später beigetreten)
1
ländern, so zeigt sich eine noch größere
Spreizung der Löhne und Gehälter. Men-
Personen mit Wurzeln
in Drittstaaten
1
2 031 schen mit Wurzeln in den neuen Mitglied-
staaten der EU verdienten mit durch-
Personen mit Wurzeln
in OECD-Mitgliedstaaten 2 836 schnittlich 1 789 Euro besonders wenig
innerhalb der Drittstaaten
1
und Menschen mit Wurzeln in den Mit-
gliedstaaten der EU-15 (ohne die Gastar-
beiter-Anwerbeländer Italien, Spanien,
1 Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern. Griechenland, Portugal) verdienten mit
Abhängig Beschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und mehr; ohne Selbstständige und
unbezahlt mithelfende Familenangehörige, ohne Auszubildene und Personen in freiwilligen Diensten. 2 860 Euro überdurchschnittlich viel –
Ergebnisse des Mikrozensus.
nicht nur im Vergleich mit allen Menschen
mit Migrationshintergrund (2 001 Euro),
sondern auch mit denen ohne Migrations-
hintergrund (2 235 Euro). Nur geringfügig
niedrigere durchschnittliche Nettolöhne
und -gehälter erzielten mit 2 836 Euro Be-
einkommens am überwiegenden Lebens- ziehungsweise 5 Prozentpunkte und waren schäftigte aus den OECD-Mitgliedstaaten,
unterhalt von 2005 bis 2013 für Men- damit besonders ausgeprägt. die nicht gleichzeitig der Europäischen
schen ohne Migrationshintergrund von Union angehören, beispielsweise aus der
47 % auf 51 % gestiegen und für Men- 7.3.6 Ökonomische Lage und Schweiz oder den Vereinigten Staaten.
schen mit Migrationshintergrund von Armutsgefährdung Die Einkommensunterschiede zwi-
46 % auf 51 %. Im Gegenzug sanken je- Die ökonomische Situation von Menschen schen Menschen mit und ohne Migrations-
weils die Anteile der Sozialeinkommen und den Haushalten, in denen sie leben, hintergrund sind aber gering im Vergleich
und der Unterstützung durch Angehörige. wird in erster Linie vom Erwerbseinkom- zu jenen, die abhängig von der berufli-
Bei zugewanderten Ausländerinnen und men geprägt. Beim Vergleich der Erwerbs- chen Qualifikation auftreten. Menschen
Ausländern betrugen die Rückgänge 3 be- einkommen sind viele Faktoren zu be- ohne Migrationshintergrund mit mittle-
232
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Tab 7 Persönliches monatliches Nettogehalt abhängig Vollzeitbeschäftigter im Alter von 25 bis 64 Jahren
nach berufsqualifizierendem Abschluss 2014 — in Euro
berufsqualifizierenden insgesamt
Inland Ausland
Abschluss
Personen mit Wurzeln in den Mitgliedstaaten der EU-15¹ 2 105 2 613 3 666 3 497 3 721
Abhängig Beschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und mehr; ohne Selbstständige, unbezahlt mithelfende Familien-
angehörige, Auszubildende und Personen in freiwilligen Diensten.
1 Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.
rem beruflichem Bildungsabschluss ver- zugewanderte Ausländerinnen und Aus- als jene mit Migrationshintergrund; bei
dienten 2014 monatlich im Durchschnitt länder dagegen nur 106 Euro mehr. Für einem mittleren Abschluss waren es
311 Euro mehr als jene mit niedrigem und die Bevölkerung mit Migrationshinter- 115 Euro oder 5 % und bei einem hohen
963 Euro weniger als jene mit hohem be- grund insgesamt war ein inländischer Ab- Abschluss 395 Euro oder 12 % mehr.
ruflichem Abschluss. Bei Menschen mit schluss finanziell attraktiver (+ 172 Euro). Es ist überraschend, dass die Spätaus-
Migrationshintergrund liegen die ent- Bei der Bevölkerung ohne Migrations siedlerinnen und -aussiedler sowie ihre
sprechenden Beträge bei 272 Euro mehr hintergrund wirkten sich dagegen im Aus- Nachkommen mit 2 291 Euro von a llen
beziehungsweise 683 Euro weniger. Inner- land erworbene hohe berufsqualifizieren- Zugewanderten das niedrigste Erwerbs-
halb der Migrationsbevölkerung erzielen de Abschlüsse einkommenssteigernd aus einkommen erzielten, wenn sie über eine
Ausländerinnen und Ausländer eine hö- (+ 130 Euro). Das Gleiche gilt für Zuge- hohe berufliche Qualifikation verfügten
here Bildungsrendite als Deutsche mit wanderte aus industriell hoch entwickel- und diese im Ausland erworben hatten,
Migrationshintergrund. u Tab 7 ten Herkunftsländern, sei es aus der EU-15 denn sie hatten im Gegensatz zu allen
Für Beschäftigte mit hoher beruflicher (+ 224 Euro) oder aus den sonstigen a nderen Zugewanderten von Anfang an
Qualifikation ist zudem für die Höhe von OECD-Mitgliedstaaten (+ 300 Euro). einen gesetzlichen Anspruch auf Aner
Lohn und Gehalt entscheidend, ob der be- Im direkten Vergleich nehmen die Ab- kennung ihrer im Ausland erworbenen
rufsqualifizierende Abschluss im Inland stände der monatlichen Erwerbseinkom- Abschlüsse. Es liegt deshalb nahe zu ver
oder im Ausland erworben wurde. Aller- men zwischen der Bevölkerung mit und muten, dass es für diese Einkommensun-
dings wirkt sich dies nicht immer in glei- ohne Migrationshintergrund mit der be- terschiede noch andere Ursachen gibt,
cher Weise aus: So verdienten zugewan- ruflichen Qualifikation zu: Bei niedrigem beispielsweise die Wahl des Arbeitsplatzes.
derte Deutsche mit Migrationshinter- berufsqualifizierenden Abschluss erzielten Insgesamt bestätigen die Daten einen
grund und Abschluss im Inland 532 Euro Beschäftigte ohne Migrationshintergrund Zusammenhang zwischen beruf licher
mehr als jene mit Abschluss im Ausland, durchschnittlich 76 Euro oder 4 % mehr Qualifikation und Höhe des erzielten Er-
233
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.3 / Bevölkerung mit Migrationshintergrund
u Abb 12 Armutsgefährdungsquoten nach Migrationsstatus 2014 — Anteil in Prozent werbseinkommens. Diese Bildungsrendi-
te ist für Menschen ohne Migrationshin-
tergrund allerdings höher als für jene
12,5
mit Migrationshintergrund und führt
Bevölkerung ohne
Migrationshintergrund
13,7 dazu, dass die Einkommensdifferenzen
12,6
mit zunehmender Bildung ansteigen. Die
26,7
Einkommen einzelner Zuwanderergrup-
Bevölkerung mit
Migrationshintergrund
30,0 pen werden zudem von weiteren Faktoren,
32,2
wie zum Beispiel der Berufserfahrung
beeinflusst, die mit den aus dem Mikro-
zensus vorliegenden Daten nicht analy-
siert werden können.
20,4 Seit mehreren Jahren werden die statis-
deutsche Migrantinnen /
28,1 tischen Größen Nettoäquivalenzeinkom-
Migranten,1. Generation
26,2
men und Armutsgefährdungsquote er-
rechnet, um die ökonomische Situation
24,4
deutsche Migrantinnen / von Personen und Haushalten zu be-
26,0
Migranten, 2. Generation schreiben. Das Nettoäquivalenzeinkom-
15,5
men berücksichtigt neben dem im vori-
33,1
gen Abschnitt verwendeten verfügbaren
Ausländer/-innen,
1. Generation
49,6 Einkommen auch die Einspareffekte, die
40,7
sich durch das gemeinsame Wirtschaften
und Konsumieren in Mehrpersonenhaus-
Ausländer/-innen,
29,6 halten gegenüber alleinlebenden Konsu-
41,5
2. Generation menten ergeben.
16,6
Im Jahr 2014 galten nach dem Mikro-
zensus 15 % der Bevölkerung in Deutsch-
land als armutsgefährdet. Seit 2005
schwankte dieser Anteil zwischen 14 %
18,1
Spätaussiedler/-innen
19,1
und 16 %. Kinder unter 18 Jahren waren
und ihre Nachkommen
26,2 2014 mit 19 % überdurchschnittlich häufig
armutsgefährdet; dieser A nteil steigt auf
30,2
41 %, wenn sie bei Alleinerziehenden auf-
Personen mit Wurzeln
in Gastarbeiter- 33,9 wachsen. Dagegen waren nur 14 % aller
Anwerbeländern 41,2
ab 65-Jährigen armutsgefährdet. u Abb 12
Die ökonomische Situation von Men-
Personen mit Wurzeln 10,8 schen mit Migrationshintergrund stellt
in Mitgliedstaaten 10,7
der EU-151 11,0
sich im Vergleich dazu völlig anders dar.
Ihre Armutsgefährdungsquote lag 2014
Personen mit Wurzeln
mit 27 % mehr als doppelt so hoch wie
24,1
in den neuen EU-Mitglied-
31,2 die der Bevölkerung ohne Migrations-
staaten (2004 und später
beigetreten)1
22,0 hintergrund (12 %). Für Ausländerinnen
und Ausländer lag der Anteil mit 32 %
36,1 noch höher. Bei einer Unterscheidung
Personen aus
37,7 nach Herkunftsländern gibt es deutliche
Drittstaaten1
46,3
Unterschiede zwischen Spätaussiedlerin-
nen und -aussiedlern (18 %) auf der einen
insgesamt
Seite und Menschen mit Wurzeln in
unter 18-Jährige
ab 65-Jährige Gastarbeiter-Anwerbeländern (30 %) oder
in Drittstaaten (36 %) auf der anderen.
Wie schon zuvor bei den Einkommen der
1 Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. abhängig Vollzeitbeschäftigten bilden
234
Bevölkerung mit Migrationshintergrund / 7.3 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
auch hier die hoch entwickelten EU-15- onshintergrund altert dagegen zuneh- gestiegen, eine Entwicklung, die sich im
Mitgliedsländer mit 11 % eine gesonderte mend und verursacht in den nächsten Jahr 2015 noch verstärkt fortgesetzt hat.
Länderkategorie. Jahren eine ständig größer werdende de- Sie wird vor allem durch die Zuwande-
Kinder sind in der Bevölkerung mit mografische Lücke, vor allem in der Er- rung von Schutzsuchenden – Asylbewer-
Migrationshintergrund mit 30 % deutlich werbsbevölkerung. bern und Flüchtlingen – getrieben, einem
häufiger armutsgefährdet als Kinder in der Die ökonomische Lage der derzeit in Phänomen, das in der ersten Dekade des
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund Deutschland lebenden Menschen mit 21. Jahrhunderts fast in Vergessenheit ge-
(14 %). Sie haben im Vergleich zu den je- M igrationshintergrund lässt aber durch- raten war. Durch diese Zuwanderung
weiligen Erwachsenen auch ein deutlich aus Wünsche offen. Ihre Erwerbsbeteili- kann sich in den kommenden Jahren
höheres zusätzliches Armutsrisiko: In der gung liegt unter dem Durchschnitt und nicht nur die Zahl der Menschen mit Mig-
Bevölkerung mit Migrationshintergrund ihre Armutsgefährdung ist hoch, vor al- rationshintergrund deutlich erhöhen,
lag die Armutsgefährdungsquote der lem bei den Kindern. Aufgrund der vor- sondern es kann auch innerhalb der Be-
K inder um 4 Prozentpunkte über der der liegenden Daten dürften die Ursachen für völkerung mit Migrationshintergrund zu
Erwachsenen, in der Bevölkerung ohne eine erhöhte Armutsgefährdung der weitreichenden demografischen und so-
Migrationshintergrund betrug der Ab- M igrantenhaushalte nicht in erster Linie zioökonomischen Verschiebungen kom-
stand dagegen nur + 1 Prozentpunkt. in Lohndiskriminierung zu suchen sein – men. Dies hätte zur Konsequenz, dass
Ein ausgeprägtes Risiko für Altersar- obwohl es auch bei gleicher Arbeitszeit eine Vielzahl der hier gemachten Aus
mut gab es 2014 bei der Bevölkerung mit und beruf licher Qualifikation Unter- sagen in Zukunft nicht mehr oder nicht
Migrationshintergrund. Rund 32 % aller ab schiede im individuellen Erwerbsein- mehr in gleichem Maße gelten als bisher.
65-jährigen Migrantinnen und Migranten kommen zwischen Menschen mit und Zurzeit wissen wir noch zu wenig
waren armutsgefährdet; das waren 5 Pro- ohne Migrationshintergrund gibt. über diese Zuwanderer, um belastbare
zentpunkte mehr als in der Bevölkerung Vielmehr dürfte das entscheidende Daten vorzulegen. Dies liegt nicht nur
mit Migrationshintergrund insgesamt. Die Armutsrisiko zum einen in der vergleichs- daran, dass selbst die Registrierung der
Werte schwankten je nach Herkunftsland weise niedrigen beruflichen Qualifikation Schutzsuchenden im Jahr 2015 auf admi-
zwischen 26 % bei den Spätaussiedlerinnen der Zuwanderinnen und Zuwanderer lie- nistrative Schwierigkeiten gestoßen ist,
und -aussiedlern und 46 % bei den Men- gen, zum anderen daran, dass hier über- sondern vor allem auch daran, dass es
schen aus Drittstaaten. Von den Gastarbei- proportional häufig Haushalte mit drei durch die »auf der grünen Wiese« errich-
terinnen und Gastarbeitern im Rentenalter und mehr Personen mit einem Erwerbs- teten Erstaufnahmeeinrichtungen fak-
waren 41 % armutsgefährdet. Aus den einkommen auskommen müssen. In den tisch unmöglich ist, Schutzsuchende im
vorliegenden Daten ist nicht zu erkennen, letzten Jahren kamen zwar mehr und bes- Rahmen des Mikrozensus zu befragen
ob das erhöhte Risiko der Altersarmut ser ausgebildete Migrantinnen und Mig- und damit mehr über sie zu erfahren.
bei Migrantinnen und Migranten auf ranten nach Deutschland, jedoch sind Es zeichnet sich aber schon jetzt ab,
eine niedrige Rente als Folge weniger viele der vor Jahren nach Deutschland dass die neuen Zuwanderer aus anderen
Erwerbsjahre in Deutschland – sei es auf- Gekommenen für die heutigen Anforde- Herkunftsländern kommen als ihre Vor-
grund unterbrochener Erwerbsbiogra rungen des Arbeitsmarkts schlecht aus gänger, vor allem auch aus Ländern au-
fien oder einer späten Zuwanderung – gebildet. Sie sind häufiger erwerbslos und ßerhalb Europas. Dies kann leicht dazu
zurückzuführen ist, oder ob aus einer erzielen nur niedrige Löhne. Deutschland führen, dass ihre Bildungsqualifikat ionen
Rente mehr Haushaltsmitglieder ohne ei- wird in Zukunft nur dann über eine welt- weniger gut mit den Anforderungen des
genes Einkommen mitversorgt werden weit wettbewerbsfähige Erwerbsbevölke- deutschen Arbeitsmarktes in Einklang zu
müssen als dies bei der Bevölkerung rung verfügen, wenn es seine Ressourcen bringen sind, als dies zum Beispiel bei
ohne Migrationshintergrund der Fall ist. bestmöglich nutzt. Die vorliegenden Zah- den nach der Euro-Krise zugewanderten
len deuten darauf hin, dass die vergleichs- Hochschulabsolventen aus EU-Mitglied-
7.3.7 Zusammenfassung weise mangelnde Bildungsbeteiligung der staaten der Fall war.
und Ausblick Menschen mit Migrationshintergrund der
Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat zweiten Generation das größte ungenutz-
seine Wurzeln im Ausland. Diese Bevöl- te Potenzial darstellt. In den letzten Jah-
kerungsgruppe ist überdurchschnittlich ren gab es zwar Fortschritte im Bereich
jung. Sie wird in Zukunft noch weiter Aus- und Weiterbildung dieser Menschen,
wachsen, zumindest wenn Deutschland es sind aber bei weitem noch nicht alle
weiterhin für so viele Menschen in der Möglichkeiten ausgeschöpft.
Welt ein attraktives Zuwanderungsland Seit der J ahresmitte 2014 ist in Deutsch
bleibt. Die Bevölkerung ohne Migrati- land die Nettozuwanderung deutlich an-
235
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen
u Info 1
Migranten und deren Nachkommen
Um die soziale und migrationsbedingte Heterogenität der Personen mit Migrationshintergrund zu
berücksichtigen, werden Migranten und deren Nachkommen aus fünf Herkunftsgruppen betrachtet:
aus der Türkei, aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, aus den ehemaligen Anwerbestaaten
Südwesteuropas, die heute zur EU gehören (Italien, Spanien, Griechenland, Portugal), (Spät-)Aussiedler
sowie Personen aus osteuropäischen Ländern. Daneben werden auch Unterschiede in der demo
grafischen Struktur zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund berücksichtigt.
Personen mit Migrationshintergrund sind entweder selbst zugewandert oder haben mindestens einen
zugewanderten Elternteil. In einigen Abschnitten wird die Situation der Nachkommen von Migranten
gesondert dargestellt. Bei den Migrantennachkommen handelt es sich um die 16- bis 45-Jährigen, die
entweder schon in Deutschland geboren wurden oder vor dem Alter von sieben Jahren nach Deutsch-
land zugewandert sind und in Deutschland die Schule besucht haben.
236
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
innerhalb der Population türkischer und oberen Einkommensbereich (über 150 % nen aus den Ländern des ehemaligen
südeuropäischer Herkunft lediglich 35 % des Medianeinkommens) waren Perso- J ugoslawiens (1 288 Euro) zu. Migranten-
beziehungsweise 20 %. Letztere besitzen nen mit Migrationshintergrund stark un- haushalte mussten trotz im Durchschnitt
aufgrund ihrer EU-Mitgliedschaft weni- terrepräsentiert. Personen türkischer Her- niedrigerer Einkommen für höhere
ger Anreize, die deutsche Staatsangehö- kunft wiesen mit 5 % den niedrigsten An- Mietkosten aufkommen als Haushalte,
rigkeit zu erwerben. u Tab 1 teil im oberen Einkommensbereich auf, in denen nur Personen ohne Migrations-
Bei den untersuchten Herkunftsgrup- Personen osteuropäischer Herkunft mit hintergrund lebten. Sie verfügten jedoch
pen variierte auch die Einkommenssitua- 21 % den höchsten unter den hier vergli- im Durchschnitt über deutlich weniger
tion, vor allem im Hinblick auf das Ar- chenen Herkunftsgruppen. Wohnf läche pro Person. Die Tatsache,
mutsrisiko. Nach den Daten des SOEP Personen mit Migrationshintergrund dass ein Großteil der Zuwandererfamilien
waren türkischstämmige Personen mit verfügten im Durchschnitt über deutlich in größeren Städten lebt, trägt zu dem
einer Risikoquote von 36 % am stärksten geringere finanzielle Ressourcen als Perso- erschwerten Zugang zu bezahlbarem
von Armut betroffen, gefolgt von Perso- nen ohne Migrationshintergrund (1 482 und geeignetem Wohnraum bei. Zudem
nen aus den Staaten des ehemaligen Jugo- Euro gegenüber 1 730 Euro im Monat). ist wahrscheinlich, dass Diskriminierun-
slawiens und aus Südwesteuropa (jeweils Dies traf insbesondere auf Personen tür- gen auf dem Wohnungsmarkt eine Rolle
27 %) und den Spätaussiedlern (25 %). Im kischer Herkunft (1 242 Euro) und Perso- spielen.
u Tab 1 Ausgewählte Merkmale der Lebenssituation von Deutschen, Zuwanderern und Aussiedlern 2013
in %
<60 % (Armutsrisikoquote) 14 24 36 27 27 25 20
>150 % 22 16 5 11 18 11 21
in Euro
Einkommenssituation
Wohnsituation ²
Miethöhe (Mittelwert in Euro) 486 527 533 549 527 494 491
Durchschnittliche Haushaltsgröße
1,9 2,4 3,2 2,6 2,3 2,3 2,3
(Anzahl Personen)
1 Bevölkerung ab 17 Jahren.
2 Die Indikatoren zur Wohnsituation beziehen sich auf Haushalte.
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEP 2013.
237
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen
Ohne Abschluss 14 37 65 40 53 29 25
Frauen 17 38 72 44 55 32 21
Berufsausbildung 64 43 30 50 35 54 43
Frauen 64 42 25 50 31 51 43
Akademischer Abschluss 22 20 5 10 12 17 32
Frauen 19 20 3 6 14 17 36
Kein Abschluss 1 3 3 2 2 3
Frauen 1 2 3 3 1 2
Hauptschulabschluss 17 26 39 33 10 24
Frauen 14 21 40 23 6 20
Realschulabschluss 37 30 29 31 32 29
Frauen 39 34 27 35 29 39
Abitur 44 38 27 30 53 40
Frauen 46 39 29 33 60 35
Frauen 0 4 1 6 4 4
Berufliche Bildung
Ohne Abschluss 17 37 51 35 39 31
Frauen 16 36 54 36 28 31
Berufsausbildung 59 44 41 50 31 47
Frauen 59 43 38 46 33 49
Akademischer Abschluss 24 19 8 15 30 22
Frauen 25 21 8 18 39 20
238
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
7.4.2 Bildung und Ausbildung höheren Anteil an Abiturienten gegen- Qualifikation war 2013 mehr als doppelt
Ein Blick auf das Qualifikationsniveau über der jeweiligen Gesamtgruppe auf. so hoch wie unter denjenigen, die keinen
der Bevölkerung mit und ohne Migrati- Die vergleichsweise hohen Qualifikatio- Migrationshintergrund hatten (37 % ge-
onshintergrund zeigt auf, dass erstere nen der Kinder von (Spät-)Aussiedlern genüber 17 %). Hier spielen neben dem
hinsichtlich der beruf lichen Bildung und osteuropäischen Migranten spiegel- sozioökonomischen Hintergrund weitere
stark polarisiert ist. Einerseits war 2013 ten sich in dem entsprechenden Anteil an Faktoren wie die institutionelle Diskri-
der Anteil ohne beruf lichen Abschluss Abiturienten bei ihren Nachkommen minierung, soziale und ethnische Segre-
(37 %) bei Personen mit Migrationshin- wieder (53 %). gation oder auch familiäre Verhältnisse
tergrund insgesamt und in allen Her- Der Vergleich der Bildungslage der eine Rolle.
kunftsgruppen hoch, andererseits fiel der Migrantennachkommen mit derjenigen
Unterschied zu Personen ohne Migrati- der gleichaltrigen Bevölkerung ohne Mig- 7.4.3 Beschäftigungsstruktur
onshintergrund bei höheren Abschlüssen rationshintergrund ist jedoch verzerrt, und Arbeitssituation
sehr gering aus: 20 % der Personen mit solange nicht die soziale Herkunft kont- Eine zentrale Rolle für die gesellschaft
Migrationshintergrund haben einen aka- rolliert wird, da Eltern, die migriert sind, liche Integration aller Bevölkerungsgrup-
demischen Abschluss gegenüber 22 % bei im Durchschnitt niedrigere Bildungsab- pen kommt dem Arbeitsmarkt zu. Die
Personen ohne Migrationshintergrund. schlüsse besitzen. Betrachtet man deshalb Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Dies lag unter anderen am hohen Bil- nur diejenigen Personen, deren Väter unterscheidet sich von der einheimischen
dungsniveau der Personen aus den ost maximal einen Hauptschulabschluss be- Bevölkerung bereits hinsichtlich ihres
europäischen Ländern: 32 % unter ihnen saßen, wird deutlich, dass die Unterschie- Zugangs zum Arbeitsmarkt. Betrachtet
hatten einen akademischen Abschluss. de zwischen den Herkunftsgruppen ge- man die Gesamtbevölkerung im erwerbs-
Personen aus den ehemaligen sogenann- ringer ausfallen, insbesondere wenn es fähigen Alter, so ist festzustellen, dass gut
ten »Gastarbeiterländern« wiesen hin sich um den Zugang zu höheren Bildungs- die Hälfte der Personen ohne Migrations-
gegen eine ungünstigere Qualifikations- abschlüssen handelt. Jedoch verringern hintergrund 2013 Vollzeit erwerbstätig
struktur auf, was auf ihre Migrations sich die Unterschiede nur leicht, wenn es war, während dies auf nur 45 % der Per-
geschichte zurückzuführen ist; ihre um die niedrigeren Bildungszweige geht. sonen mit Migrationshintergrund zutraf.
Bildungssituation ist weiterhin stark Der Anteil der jungen Menschen mit Der Unterschied war bei den Frauen grö-
durch ihre soziale Herkunft aus Arbeiter- Migrationshintergrund ohne berufliche ßer als bei den Männern. Frauen mit Mi-
familien geprägt. Geschlechterunter-
20 %
schiede im Bildungsniveau traten bei Per-
sonen türkischer Herkunft besonders
stark zutage: 72 % der Frauen gegenüber
65 % der Männer hatten keinen berufli-
chen Abschluss und nur 28 % hatten eine
Berufsausbildung oder einen akademi- der Personen mit Migrationshintergrund
schen Abschluss. u Tab 2 hatten 2013 einen akademischen Ab-
Betrachtet man nun die Gruppe der schluss. Bei Personen ohne Migrations
Nachfolgegeneration – also derjenigen hintergrund waren es 22 %.
Migrantennachkommen, die selbst keine
Migrationserfahrung haben oder im frü-
hen Alter nach Deutschland eingereist
sind, – stellt man fest, dass diese im
Durchschnitt weniger häufig das Abitur
(38 %) und häufiger einen Hauptschulab-
schluss (26 %) erlangten als die gleichalt-
rige Population ohne Migrationshinter-
grund (44 % und 17 %). u Tab 3
Die Geschlechterunterschiede bei den
Migrantennachkommen türkischer, süd-
europäischer und osteuropäischer Her-
kunft (inklusive (Spät-)Aussiedlern) wi-
chen von denen anderer Herkunftsgrup-
pen ab: hier wiesen Frauen einen leicht
239
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen
Gesamt
Personen ohne
52 19 2 9 5 13
Migrationshintergrund¹
Personen mit Migrations-
hintergrund (gesamt)¹ 45 19 2 12 6 15
Türkei¹ 37 16 1 14 11 21
Südwesteuropa¹ 53 18 3 7 6 13
(Spät-) Aussiedler¹ 52 22 3 12 2 9
Osteuropa¹ 43 22 3 13 8 12
17– 45-Jährige
Migrantennachkommen 54 18 3 8 10 7
Frauen
Personen ohne
Migrationshintergrund¹ 37 32 3 8 5 16
Türkei¹ 17 26 3 13 13 28
Südwesteuropa¹ 32 31 5 7 9 16
(Spät-) Aussiedler¹ 30 38 5 12 3 13
Osteuropa¹ 25 36 5 15 7 13
17– 45-Jährige
Migrantennachkommen 41 29 5 8 9 8
Männer
Personen ohne
Migrationshintergrund¹ 70 5 9 6 9
Türkei¹ 56 7 15 8 14
Südwesteuropa¹ 75 4 8 3 10
(Spät-) Aussiedler¹ 79 3 11 2 4
Osteuropa¹ 66 5 11 2 4
17– 45-Jährige
Migrantennachkommen 68 6 8 12 6
Vollzeit Erwerbstätig Teilzeit Erwerbstätig Temporär nicht Erwerbstätig Arbeitslos Schule / Studium Nicht Erwerbstätig
240
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
u Tab 4 Monatliches Nettoerwerbseinkommen nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2013 — in Euro (Median)
Individuelles Nettoerwerbseinkommen
17– 45-Jährige
grationshintergrund wiesen einen höhe- Nachkommen liegt in deren beruflicher 7.4.4 Orientierungen, Erfahrung von
ren Anteil an Nichterwerbstätigen auf, Stellung. So waren sie häufiger als un- Benachteiligung und Zufriedenheit
insbesondere unter den Frauen türkischer oder angelernte Arbeiter tätig, wobei Die Erfahrung von Benachteiligung auf-
Herkunft (28 %) und aus den Ländern des dies insbesondere auf Personen aus grund der Herkunft gibt Aufschluss dar-
ehemaligen Jugoslawiens (24 %). Insge- der Türkei (42 %), auf Personen aus den über, inwieweit Migranten und deren
samt waren Personen mit Migrations Ländern des ehemaligen Jugoslawiens Kinder in ihrem alltäglichen Handeln
hintergrund häufiger von Arbeitslosigkeit (31 %) sowie auf (Spät-)Aussiedler (32 %) Abweisung durch die Mehrheitsgesell-
betroffen als Personen ohne Migrations- zutraf. Letztere waren allerdings in den schaft erfahren. Über solche Erfahrung
hintergrund (12 % gegenüber 9 %). Dies mittleren und höheren Angestelltenberu- berichteten die Herkunftsgruppen in un-
traf 2013 insbesondere auf osteuropä fen besser repräsentiert als erstere. Ins terschiedlichem Ausmaß. Dabei gaben
ische Frauen und auf türkischstämmige gesamt befanden sich Personen mit Mig- 8 % der Personen mit Migrationshinter-
Männer zu, deren Anteil an Arbeitslosen rationshintergrund im unteren Bereich grund und darunter 10 % der Migranten-
15 % ausmachte. u Abb 1 der Berufshierarchie. Gerade ab den nachkommen im Jahr 2013 an, häufig
Einen zentralen Indikator für die mittleren Angestelltenpositionen und in Situationen erlebt zu haben, in denen sie
Qualität eines Arbeitsplatzes stellt zwei- den Beamtenberufen, aus denen auslän- aufgrund ihrer Herkunft abgewiesen
fellos das erzielte Arbeitseinkommen dar. dische Staatsbürger ausgegrenzt werden, b eziehungsweise benachteiligt worden
Das Nettoarbeitseinkommen von Perso- waren sie deutlich unterrepräsentiert. w aren. Dabei berichteten die Personen
nen mit Migrationshintergrund lag im B etrachtet man die berufliche Stellung türkischer Herkunft am häufigsten von
letzten Erhebungsjahr unterhalb des der Migrantennachkommen, fällt auf, Benachteiligung (18 %), während dies nur
Durchschnitts der Erwerbstätigen ohne dass ihre Positionierung in der Berufs- 4 % der Personen aus Südwesteuropa und
Migrationshintergrund. So verdienten hierarchie der der Gesamtbevölkerung 5 % der (Spät-)Aussiedler taten. Personen
Personen mit Migrationshintergrund im mit Migrationshintergrund ähnelte, mit türkischer Herkunft machten sich
Jahr 2013 monatlich 163 Euro weniger. wenngleich sich der Anteil der Personen, auch die größten Sorgen um Ausländer-
Nach der Gruppe der Personen ohne Mi- die als Arbeiter tätig sind zugunsten eines feindlichkeit (29% gegenüber 13% bei Mi-
grationshintergrund (1 503 Euro im Mo- höheren Anteils an einfachen und mittle- granten aus Osteuropa).
nat) wiesen (Spät)-Aussiedler und Perso- ren Angestellten verringert hat. Diese In fast allen Herkunftsgruppen
nen aus Südwesteuropa mit 1 400 Euro leichte Aufstiegstendenz traf im Besonde- schätzten mehr als drei Viertel der Perso-
die höchsten Einkommen auf. u Tab 4 ren auf Frauen zu, die zu 33 % in den nen ihre deutschen Sprachkenntnisse als
Ein Grund für das niedrige Erwerbs- mittleren Angestelltenberufen zu finden »gut« bis »sehr gut« ein (80 %). Betrachtet
einkommen bei Migranten und deren waren. u Tab 5 man im Besonderen die Nachkommen
241
7 / Sozialstruktur und soziale Lagen 7.4 / Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen
Arbeiter 12 28 42 31 24 32 32 20 12
Männer 12 28 42 32 21 31 37 24 14
Frauen 12 28 43 29 27 32 24 15 10
Facharbeiter / Meister 12 10 14 10 19 13 7 11 12
Männer 20 17 20 15 28 24 13 17 20
Frauen 4 3 4 4 8 2 1 4 4
Einfache Angestellte 15 21 21 36 22 16 21 24 17
Männer 9 15 15 34 17 10 12 19 11
Frauen 22 26 30 38 28 23 29 30 23
Mittlere Angestellte 27 19 12 16 20 22 22 22 27
Männer 18 13 9 10 15 14 11 13 19
Frauen 36 26 17 23 26 30 31 33 35
Höhere Angestellte 16 12 2 4 7 10 12 14 17
Männer 20 15 3 4 11 13 17 16 19
Frauen 11 8 1 5 2 6 8 11 13
Selbstständige 11 8 9 3 7 6 6 6 8
Männer 13 9 12 5 7 6 8 8 10
Frauen 9 7 5 1 7 6 5 4 7
Beamte 7 2 0 0 1 2 2 3 7
Männer 8 3 0 0 1 2 2 3 7
Frauen 6 2 0 0 2 1 1 3 8
von Migranten aus der Türkei und aus türkischer Herkunft insgesamt (66 %) so- gesichts der Tatsache, dass sie über ein
Südwesteuropa, so fällt auf, dass diese im wie unter den Migrantennachkommen deutlich niedrigeres Haushaltseinkom-
Vergleich zu der jeweiligen Gesamtgrup- dieser Herkunft (67 %) am niedrigsten. men verfügten, häufiger von Armut be-
pe wesentlich häufiger angaben, über Die schwierigere soziale Situation dieser troffen waren und eine schlechtere Wohn-
mindestens gute deutsche Sprachkennt- Gruppe und die stärker verbreitete sub- situation aufwiesen. Entsprechend waren
nisse zu verfügen. Die eigenen deutschen jektive Erfahrung von Benachteiligung die Werte unter den Personen türkischer
Sprachkenntnisse werden von einer Gene- könnten dieses Ergebnis erklären. u Tab 6 Herkunft besonders niedrig. Nur bezüg-
ration zur nächsten also zunehmend als Zuletzt werden Indikatoren der Lebens- lich der allgemeinen Lebenszufriedenheit
»gut« bis »sehr gut« eingeschätzt. und Bereichszufriedenheit betrachtet. Mit heute und in fünf Jahren wiesen Personen
Im Jahr 2013 äußerten zudem 80 % Blick auf die ersten drei Indikatoren der mit Migra t ionshintergrund insgesamt
der Personen mit Migrationshintergrund Bereichszufriedenheit (Lebensstandard, leicht höhere Werte als Personen ohne Mi-
den Wunsch, für immer in Deutschland Haushaltseinkommen und Wohnsituati- grationshintergrund auf. Besonders stark
bleiben zu wollen. Die größten Anteile on) zeigt sich, dass Personen mit Migra- zeigte sich dies bei der zukünftigen Le-
wiesen (Spät-)Aussiedler (94 %) und Per- tionshintergrund über alle Herkunfts benszufriedenheit, in Bezug auf welche
sonen aus den Ländern des ehemaligen gruppen hinweg im Durchschnitt weniger Personen aus allen Herkunftsgruppen zu-
Jugoslawiens (83 %) auf. Die Absicht in zufrieden waren als Personen ohne Migra- friedener waren als die einheimische Be-
Deutschland zu bleiben war bei Personen tionshintergrund. Dies wundert nicht an- völkerung. u Tab 7
242
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen / 7.4 Sozialstruktur und soziale Lagen / 7
Wahrgenommene Sorgen um
In Deutschland
Benachteiligung die Ausländer- Deutsch sprechen Überweisungen
für immer bleiben
wegen der Herkunft feindlichkeit (gut bis sehr gut) ins Ausland
(Ja)
(häufig) (Anteil großer Sorgen)
Gesamt 8 18 80 80 4
Türkei 18 29 75 66 3
Südwesteuropa 4 18 76 72 2
(Spät-)Aussiedler 5 17 80 94 4
Osteuropa 8 13 77 77 5
Migrantennachkommen
Gesamt 10 19 98 76 2
Türkei 21 29 99 67 2
(Spät-)Aussiedler / Osteuropa ² 8 19 99 79 0
mit dem Lebendsstandard 7,5 7,3 6,8 7,2 7,4 7,4 7,2 7,5 7,6
mit dem Haushaltseinkommen 6,7 6,4 5,7 6,4 6,6 6,4 6,4 6,5 6,6
mit der Wohnsituation 7,9 7,6 7,2 7,5 7,7 7,8 7,4 7,5 7,7
mit dem Leben heute 7,1 7,3 6,9 7,2 7,0 7,4 7,3 7,3 7,3
mit dem Leben in 5 Jahren 7,2 7,6 7,6 7,8 7,4 7,4 7,9 8,3 8,0
243
40 %
der im ersten Halbjahr 2015 abge-
schlossenen Asylverfahren führten
zur Gewährung eines Schutzes.
Im Jahr 2010 waren es nur 22 %.
70 %
160 000
Flüchtlinge kamen im September 2015
nach Deutschland. Die Zahl der
registrierten Asylanträge in diesem
Zeitraum lag bei 43 000.
mehr Asylbewerber nahm Schweden
im Jahr 2015 auf als bei einer Gleich-
verteilung innnerhalb der EU erfor-
derlich gewesen wäre.
100 000
und mehr Asylanträge
47 %
wurden erstmals im Jahr 1980
in Deutschland gezählt. der Asylbewerber in der EU
waren 2015 Männer im Alter
zwischen 18 und 34 Jahren.
E4
8
Flüchtlinge
8.1 Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe
sind weltweit so viele Menschen wie nie
im historischen Rückblick skizziert, da-
nach wird auf die entsprechenden Wan-
Asylsuchende zuvor auf der Flucht. Ende 2014 waren es derungen in der EU eingegangen und ein
in Deutschland knapp 60 Millionen, im Jahr davor
51 Millionen. Anlass für die Flucht sind
Blick auf die Verteilung der Flüchtlinge
innerhalb der Staatengemeinschaft ge-
und der Euro Kriege, interne Konflikte und Verfolgung worfen. Anschließend werden Antworten
päischen Union aus verschiedenen Gründen. Hinter die-
sen Anlässen stehen Ursachen, die nicht
auf die Frage nach der Integration der an
erkannten Asylsuchenden in den deut-
selten zus ammen auftreten: ungleiche schen Arbeitsmarkt gesucht.
Karl Brenke Verteilung von Eigentum und wirtschaft-
DIW Berlin lichen Entfaltungsmöglichkeiten, korrup- 8.1.1 Die Entwicklung in
te Regierungen und Beamtenapparate so- Deutschland im Überblick
wie – und vor allem – ein starkes Bevölke- Angesichts der Erfahrungen mit dem
WZB / SOEP
rungswachstum bei einer unzureichenden Nationalsozialismus wurde das Recht auf
wirtschaftlichen Basis. Dadurch werden Asyl ins Grundgesetz der Bundesrepublik
die Erwerbsmöglichkeiten geschmälert, aufgenommen: Politisch Verfolgte genie-
was mitunter zu Hunger und Mangeler- ßen Asylrecht (Artikel 16). In kaum ei-
nährung führt. Diese Probleme bieten ei- nem anderen Land wird Ausländern ein
nen fruchtbaren Boden für die Verbrei- entsprechender Rechtsanspruch zuge
tung autoritärer Ideologien und religiöser billigt. Im Jahr 1951 – also zwei Jahre spä-
Fanatismen. All das löst Wanderungsbe- ter – verabschiedete eine UN-Sonderkon-
wegungen aus. Im besonderen Maße fin- ferenz die Genfer Flüchtlingskonvention,
den sich solche Konstellationen in Afrika der auch Deutschland beitrat. Dieser zu-
sowie in Teilen Vorder- und Mittelasiens. folge sei Asyl denjenigen zu gewähren, die
Europa ist daher einerseits schon wegen »aus der begründete(n) Furcht vor Verfol-
seiner räumlichen Lage als Zuf luchts gung wegen ihrer Rasse, Religion, Natio-
region prädestiniert. Andererseits trägt nalität, Zugehörigkeit zu einer bestimm-
die Vorstellung von Europa als Ort des ten sozialen Gruppe oder wegen ihrer po-
(unerreichten) Wohlstandes – verbreitet litischen Überzeugung« (Artikel 1A, Ab-
durch immer schnellere Kommunikations satz 2) ihr Heimatland verlassen mussten.
wege – zur Wahl dieser Zielregion bei. Das Genfer Abkommen über die Rechts-
Im Folgenden werden zunächst die stellung der Flüchtlinge bezog sich aller-
Asylwanderungen in die Bundesrepublik dings vor allem auf im Zusammenhang
245
8 / Flüchtlinge 8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union
mit dem Zweiten Weltkrieg und in der Nach 1993 brach die Zuwanderung In der zweiten Hälfte der Neunziger-
Nachkriegszeit eingetretene Ereignisse infolge einer Änderung der gesetzlichen jahre und im darauf folgenden Jahrzehnt
und somit insbesondere auf Europa. Mit Regelungen für die Asylgewährung ab- ging die Zahl der Asylanträge in Deutsch-
einem UNO-Protokoll von 1967 erlangte rupt ab. Im Grundgesetz wurde ergänzt, land nahezu stetig zurück. Erst ab Beginn
die Vereinbarung von Genf universelle dass nur noch denjenigen Personen poli- dieser Dekade kam es wieder zu wachsen-
Bedeutung. tisches Asyl zu gewähren sei, die nicht den asylbedingten Zuwanderungszahlen.
Über die ersten Asylbegehren wurde über als sicher einzustufende Drittstaa- Die vermehrte Wanderung begann zöger-
in der Bundesrepublik 1953 entschieden. ten einreisen. Entsprechende Anpassun- lich und beschleunigte sich dann enorm.
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren gen erfolgten auch in den einzelgesetzli- Ab Mitte 2012 stieg die Zahl der Asylan-
blieb die Zahl der jährlichen Anträge fast chen Regelungen – also bei den Asyl- und träge deutlich an; zuvor schwankten die
immer weit unter 10 000. Die Ausnahme Ausländergesetzen. Diese Entscheidun- monatlichen Anträge um den Wert von
war das Jahr des Volksaufstands in Un- gen sind auch vor dem Hintergrund zu 5 000. Im Jahr 2013 ergaben sich durch-
garn, in dessen Folge die Zahl der Anträ- sehen, dass damals nicht nur Asylbewer- schnittlich doppelt so hohe Monatswerte
ge 1956 über diese Marke kletterte. Zu ber in großer Zahl kamen, sondern auch und 2014 dreimal so hohe wie 2012.
deutlichen Zuwächsen kam es ab Mitte viele deutschstämmige Aussiedler aus Zu einer drastischen Zunahme der
der Siebzigerjahre. Im Zuge der ersten den Ostblockländern, sodass die Unter- Asylwanderungen kam es im Laufe des
Ölpreiskrise stieg die Arbeitslosigkeit bringungsmöglichkeiten knapp wurden. Jahres 2015. Das hatte zur Folge, dass die
stark an. Die Bundesregierung reagierte Überdies waren die Nachwehen der Ab- zuständigen Behörden mit der Registrie-
darauf unter anderem Ende 1973 mit ei- wanderungen aus der kollabierten DDR rung der immer zahlreicheren Asylb e
nem Anwerbestopp von Gastarbeitern. zu spüren. Änderungen am Asylrecht werber – insbesondere ab dem Sommer –
Möglich war der reguläre Zuzug von aus- und den damit verbundenen Ausländer- kaum hinterherkamen. Probleme ent
ländischen Arbeitskräften somit nur gesetzen sowie den Arbeitserlaubnisrege- standen auch dadurch, dass zwischen
noch im Falle der Familienzusammen- lungen gab es auch schon vor den durch- Grenzübertritt und regelgerechter Erfas-
führung. Da mit dem Anwerbestopp ein greifenden, Mitte 1993 in Kraft getrete- sung der Asylgesuche eine zeitliche und
wichtiger Zuwanderungskanal verschlos- nen Rechtsänderungen – ebenso wie räumliche Distanz liegt; Asylanträge
sen wurde, kam es zur vermehrten Zu- danach. Oft zielten die Reformen darauf, werden nicht bei der Einreise, sondern
wanderung via Asyl – nicht zuletzt aus mindernd auf die Asylzuwanderungen in den über Deutschland verteilten Erfas-
der Türkei. Im Jahr 1980 wurden erst- einzuwirken. sungsstellen gestellt. Im Juni 2015 dürften
mals mehr als 100 000 Asylanträge ge-
zählt. Es gab aber auch äußere Anlässe
für vermehrte Asylbegehren. Dazu zählte
die Verhängung des Kriegsrechtes in Po- uAbb 1 Zugänge an Asylbewerbern 1 in Deutschland 1953 – September 2015
len als Reaktion auf die Solidarność- — in Tausend
Bewegung, wodurch Bürger aus dem
Land getrieben wurden oder in Deutsch-
700
land weilende Polen eine Rückkehr in
ihre Heimat vermieden. Ein weiterer 600
Grund der Asylsuche ergab sich aus dem
1982 einsetzenden Libanon-Krieg. u Abb 1 500
246
Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union / 8.1 Flüchtlinge / 8
nach internen Statistiken der Bundesre- uAbb 2 Zugänge an Asylbewerbern in der EU und in Deutschland 1985 – 2014
gierung (nach dem sogenannten EASY- — in Tausend
System) etwa 50 000 Personen über die
Grenzen gekommen sein, im August wa- 800
ren es mehr als 100 000 und im Septem-
700
ber gut 160 000. Die Zahl der registrier-
ten Asylanträge war indes viel geringer; 600
im September wurden beispielsweise
500
lediglich 43 000 Anträge e rfasst.
Angesichts der recht chaotischen Ent- 400
wicklung sind die vorliegenden Daten
300
mit Vorsicht zu behandeln – zumal die
einschlägigen Quellen die Zahl der Asyl- 200
bewerber nur durch die Zahl der gestell-
100
ten Anträge auf Asyl nachweisen. Für dif-
ferenzierte Analysen über ankommende 0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Flüchtlinge sind allenfalls die statisti-
schen Angaben bis zur Jahresmitte 2015 EU-15 1 EU-27 2 Deutschland 3
verwendbar. Zuverlässig sind indes die
1 EU-Länder bis 2003.
Informationen über abgeschlossene Asyl- 2 EU mit den 2004 und 2007 beigetretenen Ländern.
3 Bis 1991 früheres Bundesgebiet.
verfahren. Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.
247
8 / Flüchtlinge 8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union
248
Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union / 8.1 Flüchtlinge / 8
u Tab 1 Veränderung der Zahl der Zugänge an Asylbewerbern bei unterstellter Gleichverteilung auf die Länder der EU im 1. Halbjahr 2015
Tatsächliche Zahl Veränderung bei Gleichverteilung in der Veränderung bei Gleichverteilung in der
der Asylbewerber EU gemäß der Einwohnerzahl 1 EU gemäß dem Bruttoinlandsprodukt
in 1 000
in 1 000 Personen in % in 1 000 Personen in %
Ungarn 66,8 – 58,4 – 87 – 63,7 – 95
Österreich 28,3 – 21,1 – 74 – 18,5 – 65
Schweden 29,0 – 20,8 – 72 – 15,8 – 54
Deutschland 171,8 – 102,8 – 60 – 82,3 – 48
Malta 0,8 – 0,4 – 55 – 0,6 – 70
Zypern 0,9 – 0,2 – 20 – 0,4 – 43
Belgien 11,7 – 2,2 – 18 0,5 4
Luxemburg 0,6 – 0,1 – 18 1,0 173
Bulgarien 7,3 – 1,1 – 16 – 6,1 – 84
Dänemark 4,1 0,7 18 3,8 94
Niederlande 9,7 4,6 47 10,5 108
Griechenland 6,2 3,1 49 – 1,1 – 17
Italien 30,5 21,3 70 17,8 58
Frankreich 32,2 24,0 75 33,3 104
Finnland 2,6 2,0 78 3,5 134
Irland 1,5 2,5 166 4,7 316
Vereinigtes Königreich 15,1 39,8 263 60,6 401
Spanien 6,7 33,0 497 26,0 390
Polen 4,1 28,3 686 8,3 201
Estland 0,1 1,0 877 0,5 422
Lettland 0,2 1,6 1 002 0,6 356
Tschechische Republik 0,8 8,2 1 050 4,0 507
Slowenien 0,1 1,7 1 659 1,0 1 035
Litauen 0,1 2,4 1 761 0,9 684
Portugal 0,4 8,5 1 970 4,8 1 125
Rumänien 0,7 16,3 2 216 3,4 463
Kroatien 0,1 3,5 3 525 1,2 1 156
Slowakei 0,1 4,5 4 303 2,1 2 035
1 Einwohner 2014.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.
Sub-Sahara-Gebieten, aus Russland, Syri- wohner das bevölkerungsreichste Land tistischen Zusammenhang zwischen dem
en und Afghanistan. Noch viel ungleicher der EU ist. Ein weit überdurchschnittlich Anteil der Verteilung der Flüchtlinge einer
waren die Flüchtlinge aus den Balkan hoher Anteil an Personen aus den nicht bestimmten Nationalität auf die einzelnen
gebieten in der EU verteilt. Im Vergleich zur EU gehörenden Balkanländern reisten EU-Länder im Jahr 2012 und im ersten
zum Beginn der aktuellen Flüchtlings 2015 nach Deutschland ein. Auch verhält- Halbjahr 2015. Das Zusammenhangsmaß
welle – also dem Jahr 2012 – hat mit Blick nismäßig viele Flüchtlinge aus Vorder kann Werte zwischen 0 (keinerlei Zusam-
auf die Nationalität der Flüchtlinge ihre asien suchten sich Deutschland als Ziel- menhang) und 1 (wenn die Verteilung im
Konzentration innerhalb der EU meist land aus. Für Pakistanis und Afghanen ersten Halbjahr 2015 völlig identisch mit
zugenommen. Eine Ausnahme stellen die war Ungarn ein wichtiges Zufluchtsgebiet, der von 2012 war) annehmen. Besonders
Somalis, die Iraker, die Pakistanis und und für Nigerianer war es Italien. hoch ist der Zusammenhang bei der Ver-
die Syrer dar. u Tab 2 Generell lässt sich feststellen, dass die- teilung der Serben, der Mazedonier, der
Deutschland nahm von vielen Natio- jenigen Zielländer, die schon 2012 relativ Russen, der Iraker und der Syrer. Etwas
nalitäten den größten Anteil an Flüchtlin- viele Asylsuchende einer bestimmten Na- schwächer, aber immer noch stark ausge-
gen auf. Das ist auch nicht erstaunlich, tionalität aufnahmen, dies auch im ersten prägt ist er im Falle der Somalis und Paki-
weil die Bundesrepublik mit 16 % der Ein- Halbjahr 2015 taten. Das zeigt sich am sta- stanis. Bei all diesen Nationalitäten macht
249
8 / Flüchtlinge 8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union
u Tab 2 Konzentration der Zugänge an Asylbewerbern auf die Länder der EU1 2012 und Mitte 2015
1 Ohne Kroatien.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.
sich vermutlich der sogenannte Anker- EU beziehungsweise die ihnen unter Vor allem Männer suchen Asyl. In der
oder Netzwerkeffekt bemerkbar: Flücht- stehenden zuständigen Behörden müssen EU stellten zur Jahresmitte 2015 die Per-
linge bevorzugen diejenigen Länder, in die dem Europäischen Statistischen Amt sonen männlichen Geschlechts drei Vier-
es Landsleute von ihnen zuvor schon ge- (Eurostat) im Falle von Asylanträgen nur tel aller Flüchtlinge; in Deutschland wa-
zogen hat. Das hilft beim Erlernen landes- regelmäßig Angaben über das Geschlecht, ren es zwei Drittel. Schon früher machten
spezifischer Gewohnheiten und Regeln das Alter und die Nationalität melden. die Männer den weit überwiegenden An-
oder bei der Wohnungssuche. Bei den Keinerlei Informationen gibt es hingegen teil der Asylsuchenden aus, in den letzten
Flüchtlingen aus Albanien, dem Kosovo, bisher über die schulische und berufliche Jahren hat er sich noch erhöht. Die am
aus Afghanistan, Nigeria und Somalia Ausbildung. Überdies hat sich die Zuwan- stärksten besetzte Gruppe waren Männer
zeigt sich indes nur ein schwacher oder derung von Asylsuchenden ab der Jahres- im Alter von 18 bis 34 Jahren; insbeson-
gar kein Zusammenhang zwischen ihrer mitte 2015 enorm verstärkt; ein Abklin- dere unter ihnen kam es in den letzten
Verteilung auf die EU-Länder im Jahr gen dieses Zuwachses ist bei Abfassung Jahren zu starken Zuwächsen. Ihre Zahl
2012 und im ersten Halbjahr 2015. Das ist dieses Kapitels – im Oktober 2015 – nicht war in Deutschland etwa dreimal so hoch
auch Ausdruck einer veränderten Praxis absehbar. Es ist nicht auszuschließen, dass wie die der Frauen in derselben Alters-
der Asylgewährung mancher EU-Staaten. sich im Zuge anhaltend starker Zuwande- gruppe. In der EU stellte die Gruppe der
Frankreich etwa gewährt mittlerweile viel rung die Zusammensetzung der Flüchtlin- jungen Männer einen noch größeren An-
weniger Personen vom Balkan Asyl, wäh- ge rasch verändert. Einen Einfluss hierauf teil der Flüchtlinge. Sehr viel kleiner war
rend in das Vereinigte Königreich im ers- nehmen möglicherweise auch politische der Anteil der Personen mittleren Alters.
ten Halbjahr 2015 vergleichsweise wenige Interventionen. So könnten von Deutsch- Auch hier dominierten die Männer,
Afghanen migrierten. land, wie derzeit politisch diskutiert, wenngleich nicht so stark wie bei den
weitere Balkangebiete zu sicheren Her- jungen Erwachsenen. Ältere Asylsuchen-
8.1.3 Soziale Struktur der kunftsstaaten erklärt werden. Die Erfah- de gab es indes kaum. Größer als in der
Asylsuchenden rungen lehren, dass es im Vorfeld solcher EU war in Deutschland der Anteil von
Über die soziale Zusammensetzung der Entscheidungen zu einem Anschwellen Kindern unter den Flüchtlingen, kleiner
Asylbewerber ist wenig bekannt. Die In- der Zuwanderung aus den entsprechen- dagegen der Anteil der Heranwachsenden.
nenministerien der Mitgliedsstaaten der den Ländern kommt; danach ebbt sie ab. Es fällt auf, dass hier wie dort mehr Jun-
250
Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union / 8.1 Flüchtlinge / 8
u Tab 3 Zugänge an Asylbewerbern nach Geschlecht und Alter 2010 – Mitte 2015 — Anteile in Prozent
2010 2011 2012 2013 2014 1. Hj. 2015
Deutschland
Männer
Unter 14 Jahre 13,1 13,6 15,0 14,8 13,4 12,2
14 –17 Jahre 6,4 5,9 5,0 4,1 4,2 3,8
18 – 34 Jahre 32,9 32,6 29,3 32,1 35,3 38,5
35 – 64 Jahre 10,6 10,8 11,7 11,4 12,3 12,9
Ab 65 Jahre 0,4 0,4 0,4 0,4 0,3 0,3
Männer insgesamt 63,4 63,2 61,5 62,7 65,4 67,6
Frauen
Unter 14 Jahre 12,3 12,2 13,4 13,7 12,1 10,9
14 –17 Jahre 2,7 2,7 2,5 2,2 1,9 1,9
18 – 34 Jahre 13,9 13,8 13,8 13,4 12,9 12,2
35 – 64 Jahre 7,2 7,5 8,3 7,7 7,2 7,0
Ab 65 Jahre 0,5 0,5 0,5 0,4 0,4 0,3
Frauen insgesamt 36,6 36,8 38,5 37,3 34,6 32,4
EU ohne Deutschland 1
Männer
Unter 14 Jahre 10,1 8,6 9,7 9,6 8,4 8,1
14 –17 Jahre 4,9 4,6 5,0 4,3 5,5 7,0
18 – 34 Jahre 37,8 43,6 38,9 40,3 44,5 46,8
35 – 64 Jahre 12,9 12,5 13,1 13,7 13,9 12,4
Ab 65 Jahre 0,3 0,3 0,4 0,4 0,4 0,3
Männer insgesamt 65,9 69,7 67,0 68,3 72,7 74,7
Frauen
Unter 14 Jahre 9,3 7,9 9,0 8,7 7,4 6,9
14 –17 Jahre 1,9 1,5 1,6 1,6 1,5 1,5
18 – 34 Jahre 14,9 13,8 14,6 13,8 11,7 10,8
35 – 64 Jahre 7,6 6,7 7,3 7,1 6,2 5,8
Ab 65 Jahre 0,4 0,4 0,5 0,5 0,5 0,4
Frauen insgesamt 34,1 30,3 33,0 31,7 27,3 25,3
gen als Mädchen flüchteten. Die Gründe kanstaaten an den Asylsuchenden viel knapp zwei Drittel Moslems, die vor al-
hierfür lassen sich anhand der verfügba- größer als in anderen EU-Ländern, wenn- lem aus Syrien, Afghanistan, dem Koso-
ren Daten jedoch nicht klären. u Tab 3 gleich er – mit Ausnahme der Albaner – vo, Albanien, Bosnien und Herzegowina,
Die Syrer stellten in Deutschland wie in den letzten Jahren geschrumpft ist. M azedonien und Somalia kamen. Ein
in der EU die größte Flüchtlingsgruppe. Stärker als in Deutschland fielen indes in Viertel hing dem christlichen Glauben an –
Sie haben seit 2012 an Relevanz gewon- der übrigen EU Asylbewerber aus Afgha- sie konzentrierten sich auf die Asylsuchen-
nen. Ebenfalls bedeutend waren die Koso- nistan, aus Pakistan, aus Osteuropa sowie den aus Serbien und Eritrea, einige Chris-
varen – vor allem in Deutschland. Ihr An- aus manchen afrikanischen Staaten wie ten kamen aber auch aus Syrien, Albanien
teil an den Asylbewerbern hat besonders Nigeria oder Eritrea ins Gewicht. u Tab 4 und dem Irak.
stark zugenommen. Dasselbe gilt – aber Das Bundesamt für Migration und
nur in Bezug auf die Bundesrepublik – für Flüchtlinge (BAMF) erfasst überdies die 8.1.4 Ausgang der Asylverfahren
die Albaner. Überhaupt war in Deutsch- Religionszugehörigkeit der Asylbewerber Längst nicht alle Asylanträge werden po-
land der Anteil von Personen aus den Bal- in Deutschland. Im Jahr 2014 waren sitiv beschieden. In Deutschland führten
251
8 / Flüchtlinge 8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union
u Tab 4 Struktur der Zugänge an Asylbewerbern nach ihrer Nationalität 2012 – Mitte 2015 — Anteile in Prozent
2012 2013 2014 1. Hj. 2015 2012 2013 2014 1. Hj. 2015
Syrien 10,2 10,1 20,3 18,3 6,3 12,2 19,1 16,8
Kosovo 3,3 3,5 4,4 18,2 3,0 5,2 6,8 12,1
Albanien 0,3 1,0 4,0 12,9 2,8 3,2 2,1 1,7
Serbien 16,5 14,2 13,4 9,0 2,4 1,4 0,9 0,6
Irak 7,3 3,3 4,7 4,8 2,9 2,2 2,8 5,6
Afghanistan 10,1 6,5 4,8 4,4 7,8 5,9 7,5 12,9
Mazedonien 8,9 7,4 4,4 3,8 1,1 0,5 0,3 0,3
Bosnien und Herzegowina 3,1 3,8 4,2 2,3 1,3 0,7 0,5 0,3
Eritrea 0,9 2,9 6,5 2,0 2,2 3,6 5,6 3,6
Pakistan 4,6 3,3 2,1 1,6 6,3 5,5 4,2 4,6
Nigeria 1,2 1,6 2,0 1,6 2,5 3,2 3,8 3,1
Russland 4,4 12,2 2,7 1,6 8,1 8,6 3,4 2,3
Ukraine 0,2 0,1 1,3 1,5 0,4 0,3 2,7 3,4
Somalia 1,7 3,1 2,8 1,5 5,0 4,1 2,5 2,7
Sonstige Nationalitäten 27,5 27,1 22,5 16,5 47,8 43,5 37,8 29,8
1 Ohne Kroatien.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.
1 Aufgrund »begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe«.
2 § 3 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz, hierunter fallen generell etwa auch Kriegsflüchtlinge.
3 Umverteilung gemäß Dublin-Verfahren, Rücknahme des Asylantrages etc.
Datenbasis: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015; eigene Berechnungen.
in den ersten neun Monaten von 2015 Staaten im Rahmen des sogenannten Du- lingsschutz nach Paragraf 3, Abs. 1 Asyl-
knapp 40 % der abgeschlossenen Verfah- bliner Verfahrens zählen. Gut ein Drittel verfahrensgesetz (Furcht vor Verfolgung
ren zur Gewährung eines Schutzes. Diese der von Januar bis September 2015 ab- wegen der Rasse, Religion, Nationalität,
Bewilligungs- beziehungsweise Schutz- schließend bearbeiteten Asylanträge Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozia-
quote ist in den letzten Jahren erheblich wurde abgelehnt. u Tab 5 len Gruppe oder wegen einer bestimmten
gestiegen; im Jahr 2010 war sie noch um Von den angenommenen Asylanträ- politischen Überzeugung). Von allen be-
17 Prozentpunkte niedriger. Knapp ein gen fällt nur ein sehr kleiner Teil unter willigten Schutzmaßnahmen zählten von
Viertel der Entscheidungen fiel unter die die Regelung des Grundgesetzes, nach der Januar bis September 2015 mehr als 90 %
Sammelkategorie der »formellen Verfah- politisch Verfolgte Schutz genießen, so- zu dieser Kategorie. Das ist insofern er-
ren«, zu der vor allem die Rücknahme fern sie nicht über ein sicheres Drittland staunlich, da es sich bei einem großen Teil
von Asylanträgen sowie die Weiterlei- gekommen sind. Viel bedeutender ist der anerkannten Asylbewerber um Kriegs-
tung von Asylsuchenden an andere EU- mittlerweile der breiter gefasste Flücht- flüchtlinge handeln dürfte. Nur noch ge-
252
Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union / 8.1 Flüchtlinge / 8
u Abb 4 Entscheidungen über Asylanträge in Deutschland nach der Nationalität der Asylsuchenden
von Januar bis September 2015 — in Prozent
ringe Bedeutung haben dagegen subsi Flüchtlinge anerkannt; bei den Pakistanis Aufnahmeland arrangieren. Nötig ist
diäre Schutzmaßnahmen für Personen, kam es häufiger zu einem »formellen Ver- nicht zuletzt die Integration in den Ar-
die zwar nicht politisch oder anderweitig fahren«, bei den Afghanen vergleichswei- beitsmarkt, um eigenständig den Lebens-
verfolgt werden, aber aus anderen Grün- se oft zu einem Abschiebeverbot. Von den unterhalt bestreiten zu können. Daten
den bedroht sind. Die Zahl der Personen, Asylsuchenden aus den Balkanstaaten da- darüber, ob anerkannte Flüchtlinge einer
die unter das Abschiebungsverbot (etwa gegen wurde in den vergangenen Jahren bezahlten Beschäftigung nachgehen oder
wegen einer Gefahr für Leib und Leben fast keinem ein Schutzanspruch zugebil- arbeitslos sind, gibt es jedoch nicht. Ver-
für bestimmte Bevölkerungsgruppen in ligt. Dies stieß auf politischer Ebene die fügbar sind lediglich Angaben über die
ihrem Herkunftsland) fallen, ist wenig Debatte darüber an, diese Gebiete zu si- Beschäftigten sowie die Arbeitslosen
bedeutend und hat in den letzten Jahren cheren Herkunftsländern zu erklären, um nach ihrer Staatsangehörigkeit. Hilfswei-
weitgehend stagniert. den Zugang an Flüchtlingen einzudäm- se müssen diese herangezogen werden,
Der Anteil der positiv beschiedenen men, die zuständigen Behörden in um näherungsweise Hinweise auf die Ar-
Anträge variiert stark nach der Nationali- Deutschland zu entlasten und dadurch beitsmarktintegration geben zu können.
tät der Asylbewerber. Sehr hoch war er in die Verfahren für andere Asylsuchende zu Die Zahl der sozialversicherungs-
den ersten neun Monaten von 2015 bei beschleunigen. u Abb 4 pflichtig Beschäftigten mit der Nationali-
Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. tät bedeutender Gruppen von Asylsuchen-
Deutlich über dem Durchschnitt lag auch 8.1.5 Integration in den Arbeitsmarkt den hat in den letzten Jahren prozentual
der Anteil bewilligter Anträge bei Asyl Für die anerkannten Asylbewerber ist es erheblich und in weit überdurchschnitt
suchenden aus Eritrea; bei ihnen griff – in aller Regel ungewiss, wie lange die lichem Maße zugenommen. Das gilt ins-
da in ihrer Heimat Krieg herrscht – im Gründe für das Asyl fortbestehen – also besondere für Syrer und Pakistanis sowie
Fall einer Ablehnung als Flüchtling mit- wie lange Krieg oder Verfolgung in ihrer für Afghanen und Somalis. Es ist sehr
unter der subsidiäre Schutz. Afghanen Heimat noch andauern. Daher müssen wahrscheinlich, dass vor allem anerkannte
und Pakistanis wurden seltener als sie sich mit den Gegebenheiten in ihrem Flüchtlinge zu dem starken Wachstum bei
253
8 / Flüchtlinge 8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union
u Tab 6 Beschäftigte, Arbeitslose und Leistungsempfänger nach dem Sozialgesetzbuch II ausgewählter Nationalitäten
Veränderung von
Juni des jeweiligen Jahres
Juni 2011 bis Juni 2015
sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Syrien 5,6 6,0 6,6 8,1 10,8 5,2 92,1
Bosnien und Herzegowina 52,8 53,3 53,4 55,2 58,0 5,2 9,8
Arbeitslose
Syrien 3,5 4,4 7,3 11,9 27,2 23,6 666,6
Bosnien und Herzegowina 8,7 8,3 8,6 8,3 8,1 – 0,6 – 6,7
Bosnien und Herzegowina 19,9 18,5 18,5 18,0 18,0 – 1,9 – 9,5
254
Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union / 8.1 Flüchtlinge / 8
getragen haben. Vergleichsweise schwach nelt der Berechnung einer Arbeitslosen- Nach der hier vorgeschlagenen Be-
war indes die Veränderungsrate bei der quote. Ausgeblendet werden bei einer rechnungsweise ergibt sich für Juni 2015
Beschäftigungsentwicklung der Iraker. solchen Berechnung allerdings die Beam- bei Deutschen und allen Ausländern zu-
Die absoluten Zahlen bei den Beschäfti- ten; dieser Status kommt jedoch für Perso- sammengenommen eine Beschäftigten-
gungszuwächsen waren allerdings nicht nen mit ausländischer Staatsbürgerschaft Arbeitslosen-Relation von über 11; das
groß. So waren Mitte 2015 gegenüber Mit- in der Regel nicht in Betracht. Nicht be- entspricht – bei der hier verwendeten
te 2011 – der Zeit vor der aktuellen Flücht- rücksichtigt sind überdies Mini-Jobber. Methode – einer Arbeitslosenquote von
lingsbewegung – 5 200 Syrer, 4 200 Pakis- Hier gibt es bei der üblichen Berechnung 8 %. Viel ungünstiger waren die Beschäf-
tanis, 3 900 Afghanen, 2 200 Nigerianer, der Arbeitslosenquote das Problem, dass tigten-Arbeitslosen-Relationen indes bei
1 000 Iraker, 900 Somalis und 500 Perso- nicht wenige Mini-Jobber auch arbeitslos Staatsangehörigen der bedeutenden Her-
nen aus Eritrea mehr beschäftigt. Eben- gemeldet sind. Überdies reicht ein Mini- kunftsländer von anerkannten Flüchtlin-
falls deutlich zugelegt hat die Beschäfti- Job nicht aus, um den Lebensunterhalt zu gen. Unter den Syrern gab es zu diesem
gung von Personen aus dem Kosovo, aus finanzieren. Schließlich fehlen die Selb- Zeitpunkt mehr Arbeitslose als sozialver-
Mazedonien und aus Bosnien und Herze- ständigen. Sie mögen bei manchen Grup- sicherungspflichtig Beschäftigte (Arbeits-
gowina. Bei den Arbeitnehmern aus den pen von ausländischen Arbeitskräften in losenquote von über 70 %), bei den Irakern
Balkanstaaten dürften sich aber wohl Deutschland von erheblicher Bedeutung hielten sich Arbeitslose und Beschäftigte
kaum Asylwanderungen bemerkbar ge- sein. Selbständige sollten aber bei der Be- die Waage (Arbeitslosenquote: 50 %).
macht haben, denn Personen aus diesen rechnung des Ausmaßes der Arbeitslosig- Etwas, aber nicht viel besser sah es bei
Ländern wird in Deutschland faktisch keit außen vor bleiben, denn Aufgabe der den Afghanen, Pakistanis, Somalis und
kein Asyl und somit keine Arbeitsgeneh- Arbeitsagenturen ist es, Arbeitslose in eine Personen aus Eritrea aus. Große Probleme
migung gewährt. Vermutlich wurden be- sozialversicherungspf lichtige Beschäfti- bei der Integration in den Arbeitsmarkt
stehende Ausnahmeregelungen für Ange- gung zu vermitteln. hatten Personen dieser Nationalitäten
hörige von Drittstaaten (also von Staaten
außerhalb der EU) genutzt, um in
40 %
Deutschland einen Job auszuüben. u Tab 6
Infolge der guten Konjunktur sinkt
die Arbeitslosigkeit (im Trend) seit Ende
der weltweiten Finanzkrise. Unter Perso-
nen mit der Staatsbürgerschaft derjenigen
Länder, aus denen ein großer Teil der
Asylsuchenden stammt, zeigt sich hinge-
gen eine gegenläufige Entwicklung: Die der in den ersten neun Monaten 2015
Arbeitslosigkeit steigt – und zwar rasant. abgeschlossenen Asylverfahren führten
Ohne Zweifel kommen hier die Asylwan- zur Gewährung eines Schutzes.
derungen zum Ausdruck. Bei den Syrern
hat sich von Mitte 2011 bis Mitte 2015 die
Zahl der Arbeitslosen mehr als versechs-
facht. Bei weitem nicht so dramatisch,
aber ebenfalls schlecht war die Entwick-
lung bei den Afghanen, den Irakern, den
Pakistanis, den Somalis und Personen aus
Eritrea. Bei den Syrern und den Irakern
hat die Arbeitslosigkeit sogar deutlich
stärker als die sozialversicherungspflichti-
ge Beschäftigung zugenommen.
Die amtliche Statistik weist keine Ar-
beitslosenquoten nach Nationalitäten aus.
Um dennoch das Ausmaß der Unterbe-
schäftigung zu umreißen, kann die Zahl
der sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigten auf die der registrierten Arbeits
losen bezogen werden. Dieser Ansatz äh-
255
8 / Flüchtlinge 8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union
u Abb 5 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte je Arbeitslosen nach Nationalität Kosovo und Mazedonien stark gewachsen
Juni 2011 und Juni 2015 — Auf einen Arbeitslosen kommen ... Beschäftigte ist. Da von ihnen kaum jemand als Flücht-
ling anerkannt wird, scheint ihnen ein an-
derer Status den Bezug von Sozialleistun-
Deutsche und alle 9,8 gen zu ermöglichen. Bei den übrigen Bal-
Ausländer zusammen 11,3 kannationalitäten ist dagegen die Zahl der
1,5
Hartz IV-Bezieher zurückgegangen.
Syrer
0,3
8.1.6 Zusammenfassung und
1,1
Iraker
0,9 Folgerungen
Europa ist mit einer starken Zuwande-
1,5
Afghanis
1,4 rung an Flüchtlingen konfrontiert, wobei
die Asylsuchenden sehr ungleich auf die
2,5
Pakistanis
1,8
einzelnen Mitgliedsstaaten der EU ver-
teilt sind. Während große Länder wie das
Personen aus 1,6 Vereinigte Königreich, Frankreich, Itali-
Eritrea 1,4
en und Spanien sowie fast alle osteuropä-
0,9 ischen Staaten relativ wenige Asylsuchen-
Somalis
1,2
de aufnehmen, sind andere Länder stark
Nigerianer
2,7 betroffen. Dazu gehört auch Deutschland,
2,8
das im ersten Halbjahr 2015 gemessen an
Russen
2,6 der Einwohnerzahl dreimal und gemes-
3,7
sen an der Wirtschaftskraft etwa doppelt
1,9 so viele Asylbewerber aufgenommen hat,
Ukrainer
3,0 wie es bei einer Gleichverteilung inner-
halb der EU der Fall gewesen wäre. Ange-
Juni 2011 Juni 2015 sichts der ab dem Sommer 2015 erheblich
angestiegenen Flüchtlingszahlen dürfte
Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit 2015; eigene Berechnungen.
die Ungleichverteilung zu Lasten der
Bundesrepublik noch erheblich zuge-
nommen haben.
Die Ungleichverteilung hängt auch
mit den Fluchtrouten zusammen, die vor
allem über den Balkan verlaufen. Dies ist
allerdings nicht der einzige Grund für
a llerdings schon vor Einsetzen der aktu- Die ungünstige Entwicklung der Ar- Verteilungsunterschiede. Sie ergeben
ellen Flüchtlingswelle. u Abb 5 beitslosigkeit derjenigen Ausländergrup- sich auch aus den unterschiedlichen na-
Überdies haben sich bei wichtigen pen, die einen großen Teil der Flüchtlinge tionalen Asylpolitiken. Manche Staaten
Flüchtlingsgruppen die Beschäftigten- stellen, spiegelt sich in der Zahl der Hilfe- versuchen, Asylsuchende abzuwehren –
Arbeitslosen-Relationen in der Zeit von bedürftigen wider, die Leistungen nach indem sie sich restriktiv bei Asylgesuchen
Mitte 2011 bis Mitte 2015 gegen den von dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) erhal- verhalten oder den Flüchtlingen schlechte
der günstigen Konjunktur bestimmten ten. So ist unter den Syrern die Zahl der Unterbringungsmöglichkeiten bieten.
Trend verschlechtert, was wiederum nur Leistungsempfänger (einschließlich der Entsprechend kommt es zu einer Umlei-
an der verstärkten Flüchtlingszuwande- Kinder) von 2012 bis Mitte 2015 fast um tung der Asylsuchenden. Andere Länder
rung liegen kann. Eine Ausnahme stell- das Fünffache gestiegen. Bei weitem nicht geben sich dagegen großzügig, wodurch
ten Personen aus Somalia sowie aus Ost- so große, aber dennoch hohe Zuwachsra- sie eine starke Anziehungskraft auf die
europa dar. Letztere dürften wohl ver- ten verzeichneten Personen, die aus Af- Flüchtlinge ausüben. Die EU hat sich
mehrt von Arbeitserlaubnissen für ghanistan, Pakistan, Somalia und Eritrea zwar dazu bekannt, dass der Schutz vor
Drittstaatenangehörige profitieren und stammen. Der Anstieg der irakischen Verfolgung eine Aufgabe der gesamten
nicht so sehr aufgrund der Asylbewäh- Leistungsempfänger war hingegen weitaus Staatengemeinschaft sei. In der prakti-
rung auf dem deutschen Arbeitsmarkt geringer. Erstaunlich ist, dass auch die schen Politik ist davon aber wenig zu se-
aktiv sein. Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus dem hen, denn die Nationalstaaten agieren auf
256
Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union / 8.1 Flüchtlinge / 8
jeweils eigene Weise. Angemessen wären derlich sein, um den Anforderungen des
stattdessen verbindliche Vereinbarungen deutschen Arbeitsmarktes gerecht zu
über gemeinsame Standards bei den Asyl- werden. Mit dem Erlernen der deutschen
verfahren, bei der Unterbringung und der Sprache sowie nach Abschluss etwaig er-
Versorgung der Flüchtlinge sowie bei der forderlicher fachlicher Weiterbildungs-
Frage, wem und aus welchen Gründen maßnahmen dürften sich die Beschäfti-
Schutz geboten wird – und wem nicht. gungsprobleme vermindern. Unklar ist
Solchen Vereinbarungen müsste in der allerdings, wie hoch der Anteil der aner-
Praxis auch gefolgt werden. Das Ziel soll- kannten Flüchtlinge ist, die nicht über
te sein, die Lasten nach noch festzulegen- eine Berufsausbildung verfügen.
den Maßstäben einigermaßen gleichmä- Es hat sich gezeigt, dass schon vor der
ßig auf die Mitgliedsstaaten der EU zu gegenwärtigen Zuwanderungswelle Ar-
verteilen. Kurzum: Die EU braucht eine beitskräfte, die aus bedeutenden Flücht-
gemeinsame Asylpolitik. lingsregionen stammen, erhebliche Schwie
Die Integration der anerkannten rigkeiten hatten, sich in den Arbeits-
Flüchtlinge in den deutschen Arbeits- markt zu integrieren. Die Ursachen dafür
markt erweist sich den verfügbaren Da- sind unbekannt. Wahrscheinlich spielt
ten zufolge als schwierig. Zwar hat bei die sozialstrukturelle Zusammensetzung
den Personen aus den Herkunftsländern eine Rolle – und die Flüchtlinge weisen
wichtiger Flüchtlingsgruppen die Be- vielleicht eine andere Sozialstruktur auf
schäftigung merklich angezogen, noch als diejenigen Landsleute, die vor ihnen
mehr hat jedoch – insbesondere bei den nach Deutschland kamen. Arbeitskräfte-
Syrern – die Arbeitslosigkeit zugenom- wanderungen erfolgen vornehmlich aus
men. Entsprechend ist die Zahl der Emp- strukturschwachen, ländlichen Gebieten
fänger von Hartz IV gewachsen. Es ist da- heraus, weil dort die Erwerbsmöglichkei-
mit zu rechnen, dass die Arbeitslosigkeit ten unzureichend sind. Bei Flüchtlingen
unter den Asylsuchenden mindestens verhält es sich jedoch häufig anders. So
noch 2016 weiter anzieht. Denn eine Ar- hat der Bürgerkrieg in Syrien auch die
beitserlaubnis wird in der Regel erst nach Städte getroffen, sodass das meist ver-
Abschluss der Asylverfahren erteilt, und gleichsweise gut qualifizierte Bürgertum
die unerledigten Anträge haben sich bis wandern musste. Als ein zunehmendes
zum Herbst 2015 immer mehr aufgehäuft, Problem könnte sich erweisen, dass aner-
da die Zahl der Verfahrensabschlüsse kannte Asylbewerber ihr Selbstvertrauen,
weitaus geringer war als die der ankom- ihre Arbeitsmotivation und somit ihr Ar-
menden Asylbewerber. Daher wird es beitsvermögen verlieren, je länger sie
dauern, bis der Berg an unerledigten An- dem Erwerbsleben entwöhnt werden.
trägen auf das Normalmaß zurücksinken Schon die Flucht und die oft langen Asyl-
wird. Je mehr Anträge abschließend be- verfahren kosten viel Zeit; hinzu könnte
arbeitet und je mehr Flüchtlinge im Zuge eine längere Zeit der erfolglosen Jobsuche
dessen anerkannt werden, desto mehr kommen.
Personen werden einen Job suchen.
Es überrascht keineswegs, dass es
v ielen anerkannten Flüchtlingen schwer
fällt, eine Beschäftigung zu finden, denn
als ein großes Hindernis bei der erfolg-
reichen Jobsuche dürften sich ihre in der
Regel unzureichenden Sprachkenntnisse
erweisen; vielen ist auch nicht die lateini-
sche Schrift geläufig, sondern die arabi-
sche. Überdies wird oft eine Anpassungs-
qualifizierung für eine im Herkunftsland
abgeschlossene Berufsausbildung erfor-
257
8 %
54 %
der Mieterhaushalte klagten
2014 über zu wenig Tageslicht
in der Wohnung.
440 €
betrug 2010 die durch-
schnittliche Miete.
66 % 91 m²
aller Wohngebäude waren im
Mai 2011 Einfamilienhäuser. groß war im Mai 2011
eine durchschnittliche
Wohnung.
9
Wohnen
9.1 Die Lebensqualität vieler Menschen in 9.1.1 Struktur des Gebäude- und
Deutschland wird durch ihre Wohnver- Wohnungsbestandes
Wohnsituation hältnisse beeinf lusst. Die persönliche Im Mai 2011 gab es in Deutschland
und Wohnsituation wiederum hängt auch eng 18,2 Millionen Wohngebäude (ohne
mit den sozio-ökonomischen Lebensum- Wohnh eime) mit 38,8 Millionen Woh-
Mietkosten ständen zusammen. Das folgende Kapitel nungen. Alle Auswertungen in diesem
soll daher einen Überblick darüber ge- Abschnitt beziehen sich auf diese Grund-
ben, wie die Menschen in Deutschland gesamtheiten. Auch 25 Jahre nach der
Kristina Kott, Katarzyna Kowalska,
wohnen. Im ersten Abschnitt wird ein deutschen Vereinigung gibt es im Bereich
Anja Krause, Birgit Kuchler,
Überblick über die Struktur des Gebäu- der Wohnsituation immer noch Unter-
Ulrike Timm
de- und Wohnungsbestandes sowie die schiede zwischen Ost und West. Die fol-
Eigentumsverhältnisse gegeben. Im zwei- genden Auswertungen fokussieren sich
Destatis ten Abschnitt gehen wir der Frage nach, demnach auf die Ost-West-Unterglie
welche Haushalte in den eigenen vier derung, wobei die Stadtstaaten aufgrund
Wänden oder zur Miete wohnen und wel- ihrer strukturellen Besonderheit als sepa-
che durchschnittliche Wohnfläche ihnen rate Region behandelt werden. u Info 2
zur Verfügung steht. Die zugrunde lie-
genden Daten stammen aus der Gebäude- Gebäudegröße
und Wohnungszählung 2011. Die Wohn- Deutschlandweit waren im Mai 2011 zwei
kosten von Mieterhaushalten werden im Drittel (66 %) aller Wohngebäude Einfa-
dritten Abschnitt betrachtet. Datenbasis milienhäuser, das heißt in diesen Gebäu-
ist hier die Mikrozensus-Zusatzerhebung den befand sich genau eine Wohnung. In
zur Wohnsituation der Haushalte von 17 % der Wohngebäude befanden sich
2010. zwei Wohnungen und in 12 % waren drei
In Abschnitt 9.1.4 werden Belastungen bis sechs Wohnungen zu finden. Über
im Zusammenhang mit Wohnung und sieben und mehr Wohnungen verfügte
Wohnumfeld dargestellt. Die Ergebnisse insgesamt nur etwa jedes 20. Gebäude
stammen aus der europaweit vergleich (6 %) in Deutschland. Die regionale Ver-
baren Erhebung EU-SILC, in der Haus- teilung war bei den großen Gebäuden
halte nach ihrer subjektiven Einschät- sehr unterschiedlich: In den westlichen
zung zur Wohnkostenbelastung und nach Flächenländern war mit 4 % ein niedrige-
Problemen mit der Wohnsituation be- rer Anteil größerer Gebäude zu beobach-
fragt werden. u Info 1 ten als in den Flächenländern im Osten
259
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
260
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
Dabei ist generell zu beachten, dass u Abb 1 Wohngebäude nach Gebäudegrößenklassen 2011 — Anteil in Prozent
insbesondere die älteren Baualtersklassen
den Stand zum Mai 2011 darstellen und
nicht die tatsächliche Bautätigkeit der Deutschland 66 17 12 6
261
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
u Abb 4 Wohnungen nach Eigentumsform des Gebäudes 2011 — Anteil in Prozent Bei den vermieteten Wohnungen ver-
hält es sich genau umgekehrt: Hier lagen
etwa acht von zehn Mietwohnungen in
Deutschland 22 59 5 7 7 Gebäuden mit drei und mehr Wohnun-
Flächenländer West 24 63 3 4 6
gen, jede fünfte sogar in einem Gebäude
mit 13 und mehr Wohnungen. Mietwoh-
Flächenländer Ost 14 52 13 14 7 nungen in Ein- oder Zweifamilienhäu-
Stadtstaaten 22 33 11 15 20 sern spielten nur eine kleine Rolle (19 %).
Besonders deutlich war dies in den dicht
Gemeinschaft von Wohnungseigentümern / -eigentümerinnen besiedelten Stadtstaaten. Hier machten
Privatperson / -en sie nur 4 % der Mietwohnungen aus. u Tab 1
Wohnungsgenossenschaften Es ist zu beobachten, dass die Eigen
öffentliche Unternehmen
tümerquote umso höher ist, je neuer die
privatwirtschaftliche Unternehmen
Wohnungen sind. Unabhängig von der
Region wiesen Wohnungen, die nach dem
Jahr 2000 gebaut wurden, den höchsten
Anteil an selbst genutzten Wohnungen
u Abb 5 Eigentümerquote nach Bundesländern 2011 – Anteil von Eigentümern auf. In Deutschland wurden zwei Drittel
selbst genutzter Wohnungen an allen bewohnten Wohnungen — in Prozent (67 %) der bewohnten Wohnungen aus
dieser Baualtersklasse vom Eigentümer
selbst bewohnt. In den westlichen Län-
Saarland 63 dern waren es ebenfalls 67 %, in den öst
Rheinland-Pfalz 57
lichen Ländern 70 %, und sogar in den
Stadtstaaten, die eine insgesamt recht
Niedersachsen 54
niedrige Eigentümerquote aufwiesen,
Baden-Württemberg 53 waren es bei Neubauten 58 %. Diese ho-
Bayern 51
hen Werte der Selbstnutzung bei neuen
Wohnungen zeigen umgekehrt aber auch,
Schleswig-Holstein 51
dass bei Neubauten nur der geringere An-
Hessen 49 teil der Wohnungen dem gerade in Groß-
Thüringen 46
städten oft recht angespannten Mietwoh-
nungsmarkt zur Verfügung steht. u Abb 6
Brandenburg 45
Nordrhein-Westfalen 43 Leerstand
Sachsen-Anhalt 42
In Deutschland standen im Mai 2011 ins-
gesamt 4,4 % aller Wohnungen leer, wobei
Bremen 39
die Verteilung des Leerstandes regional
Mecklenburg-Vorpommern 39 sehr unterschiedlich war. Im Osten war
Sachsen 33
mit 8,0 % der Leerstand immer noch deut-
lich höher als im Westen (3,7 %) und in den
Hamburg 24
Deutschland
Stadtstaaten (2,9 %). Das Bundesland mit
Berlin 16 46 der höchsten Leerstandsquote war Sachsen
mit 9,8 %, die niedrigste hatte Hamburg
mit 1,5 %. Als einzige ostdeutsche Groß-
stadt hatte die Stadt Jena eine sehr niedrige
Leerstandsquote von 1,9 %. u Abb 7
Die Leerstandsquote differiert stark
mit drei oder mehr Wohnungen waren wohnungen in Mehrfamilienhäusern mit nach der Größe der Wohnungen zwi-
entsprechend schwächer vertreten (20 %). nur 12 % seltener zu finden. Dies kann schen 8,3 % bei Wohnungen unter
Die Verteilung in den westlichen Flächen- mit dem Fehlen von Eigentumswohnun- 40 Quadratmetern und 1,9 % bei Woh-
ländern ist vergleichbar, in den östlichen gen in der ehemaligen DDR zusammen- nungen mit 120 und mehr Quadratme-
Ländern sind selbst genutzte Eigentums- hängen. tern. Die höheren Leerstände bei kleinen
262
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
Wohnungen lassen auf eine geringere u Tab 1 Bewohnte Wohnungen nach Nutzungsart und Gebäudegrößen-
Nachfrage für diese schließen. klassen 2011 — in Prozent
Vor allem im Osten war der Unter- In Wohngebäuden mit … bis ... Wohnung(en)
schied zwischen den Wohnungsgrößen-
1 2 3 – 6 7 – 12 13 und mehr
klassen besonders stark ausgeprägt:
13,6 % der Wohnungen mit einer Größe Vom Eigentümer bewohnt
unter 40 Quadratmeter standen leer, aber Deutschland 60 20 11 6 4
263
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
u Abb 7 Leerstandsquote nach Bundesländern 2011 — in Prozent und sehr großen Wohnungen verschoben.
Fast jede dritte Wohnung (29 %), die seit
2001 gebaut wurde, war 140 oder mehr
Sachsen 9,8
Quadratmeter groß. Dagegen hatte nur
Sachsen-Anhalt 9,4 jede zehnte eine Größe von unter 60 Qua-
Thüringen 6,8 dratmetern. Noch in den 1990er-Jahren
war jede fünfte (18 %) der neu gebauten
Mecklenburg-Vorpommern 6,2
Wohnungen unter 60 Quadratmeter
Saarland 5,7 groß. u Abb 10
Brandenburg 5,6
9.1.2 Wohnsituation von
Rheinland-Pfalz 4,3
Privathaushalten
Baden-Württemberg 4,1 In Deutschland gab es im Mai 2011 rund
Hessen 3,7 37,6 Millionen Privathaushalte. Den häu-
figsten Haushaltstyp stellten dabei die
Bayern 3,7
A lleinlebenden (Einpersonenhaushalte /
Nordrhein-Westfalen 3,6 Singlehaushalte) mit einem Anteil von
Niedersachsen 3,6 37 %. In knapp einem Fünftel der Haushal-
te (19 %) lebten minderjährige Kinder. Paa-
Bremen 3,6
re ohne Kind hatten einen Anteil von 26 %.
Berlin 3,5 Von allen Haushalten waren rund 22 % Se-
Schleswig-Holstein 2,7 niorenhaushalte, das heißt alle Personen
Deutschland waren über 65 Jahre oder älter. u Abb 11
Hamburg 1,5
4,4
264
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
Unter den Seniorenhaushalten war der uAbb 9 Wohnungen nach Wohnfläche und Art der Wohnungsnutzung 2011
Eigentümeranteil etwas höher als unter — Anteil in Prozent
den Haushalten mit ausschließlich jünge-
ren Personen. Er lag bundesweit bei 48 %, 1
im Vergleich zu 41 % bei den Haushalten vom 16
ohne Seniorinnen und Senioren. Dieses Eigentümer 37
bewohnt 31
Verhältnis zeigt sich auch im regionalen 15
Vergleich, außer bei den ostdeutschen Flä-
chenländern. Hier lag der Anteil der Seni- 8
zu Wohn- 62
orenhaushalte, die in den eigenen vier zwecken 24
Wänden lebten, mit 33 % unter dem der vermietet¹ 5
jüngeren Haushalte (39 %). Ein Erklä- 1
265
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
Haushalte im Eigentum in einem Mehrfa- u Tab 3 Eigentümer- und Mieterhaushalte nach Haushaltstyp 2011 — Anteil in Prozent
milienhaus. Paare mit mindestens einem Eigentümer- Mieter-
Kind lebten hingegen überdurchschnitt- haushalte haushalte
lich oft in Ein- oder Zweifamilienhäusern. Deutschland
Dies traf auf 87 % dieser Haushalte im Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 58 42
Eigentum und immerhin noch auf 29 %, Paare ohne Kind 1 54 46
die zur Miete lebten, zu. Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 23 77
Unter den Seniorenhaushalten lebten Alleinlebende 28 73
22 % der Eigentümerhaushalte in einer
Flächenländer West
Eigentumswohnung in einem Mehrfami- Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 61 39
lienhaus. Ihr Anteil ist damit etwas höher Paare ohne Kind 1 58 42
als unter den Haushalten insgesamt Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 26 74
(20 %). u Tab 4 Alleinlebende 31 69
Flächenländer Ost
Wohnfläche pro Person Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 54 46
Ein weiteres wichtiges Merkmal für die Paare ohne Kind 1 48 52
Wohnsituation ist die durchschnittliche Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 17 83
Wohnf läche, die jeder Person zur Ver Alleinlebende 19 81
fügung steht. Sie betrug am 9. Mai 2011 Stadtstaaten
in Deutschland 43 Quadratmeter. Die Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 30 71
durchschnittliche Wohnfläche pro Person Paare ohne Kind 1 29 71
war im selbst genutzten Eigentum mit Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 11 89
47 Quadratmetern deutlich größer als in Alleinlebende 12 88
Mietwohnungen (38 Quadratmeter).
1 Ohne Haushalte mit sonstigen Personen.
Die durchschnittlichen Wohnungs-
größen sind in Ost und West sowie in
den drei Stadtstaaten unterschiedlich u Abb 12 Seniorenhaushalte und Haushalte mit ausschließlich jüngeren Personen im
und beeinf lussen natürlich auch die selbst genutzten Eigentum 2011 — Anteil in Prozent
durchschnittliche Wohnfläche pro Per-
son. Eine Analyse nach Bundesländern
zeigt, dass die größte Wohnfläche pro 48
Deutschland
41
Kopf den Menschen im Südwesten
Deutschlands (Saarland: 48 Quadratme- Flächenländer 54
West 44
ter und Rheinland-Pfalz: 47 Quadratme-
ter) zur Verfügung stand. Am geringsten Flächenländer 33
Ost 39
war die durchschnittliche Wohnf läche
pro Person in Sachsen mit 38 Quadrat- 26
Stadtstaaten
metern. Der Unterschied betrug immer- 17
266
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
uTab 4 Eigentümer- und Mieterhaushalte nach Haushaltstyp und des Jahres 2010 (siehe Info 1). Dabei wur-
Gebäudegrößenklasse 2011 — Anteil in Prozent den ausschließlich Gebäude mit Wohn-
Eigentümerhaushalte in Mieterhaushalte
raum in die Analysen einbezogen. Wohn-
Gebäuden mit ... in Gebäuden mit ... heime wurden nicht berücksichtigt. Aus
1 oder 2 3 oder mehr 1 oder 2 3 oder mehr Qualitätsgründen beschränken sich die
Wohnungen Analysen zudem nur auf jene Wohnun-
Haushalte insgesamt 80 20 19 81 gen, in denen ein einziger Mieterhaushalt
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 87 13 29 71 wohnt.
Paare ohne Kind 1 80 20 22 78 Im Jahr 2010 waren laut Mikrozensus
Alleinerziehende mit Kind(ern) 54 % aller Wohnungen in Deutschland
74 26 17 83
unter 18 Jahren1 vermietet. Die soziale Lage der einzelnen
Alleinlebende 64 36 14 86 Mieterhaushalte wird dabei vor allem von
Seniorenhaushalte 2 78 22 21 79 der Höhe der regelmäßig anfallenden
1 Ohne Haushalte mit sonstigen Personen. Mietausgaben beeinflusst. Daneben spielt
2 Alle Personen 65 Jahre oder älter.
auch eine Rolle, in welchem Verhältnis
die Miethöhe zu sonstigen Wohnungs
uAbb 13 Durchschnittliche Wohnfläche je Person nach Bundesländern 2011 eigenschaften wie Größe, Alter und Aus-
— in Quadratmetern stattung der Wohnung steht.
Mieterhaushalte in Deutschland zahl-
ten eine Bruttokaltmiete von durch-
Saarland 48 schnittlich 440 Euro. Die Bruttokaltmiete
Rheinland-Pfalz 47
setzt sich aus der Nettokaltmiete (Grund-
miete) und den sogenannten kalten Ne-
Niedersachen 46
benkosten (zum Beispiel Abwasser, Müll-
Hessen 44 abfuhr oder Ähnliches) zusammen. Die
Bayern 44
warmen Nebenkosten (Kosten für Hei-
zung und Warmwasser) bleiben bei der
Schleswig-Holstein 44
Bruttokaltmiete unberücksichtigt.
Baden-Württemberg 43 Auch 20 Jahre nach der deutschen Ver-
Nordrhein-Westfalen 42
einigung bestanden noch immer deutliche
Preisunterschiede zwischen dem Woh-
Bremen 41
nungsmarkt des früheren Bundesgebiets
Brandenburg 41 und dem der neuen Länder. Die ehemalige
Sachsen-Anhalt
DDR verfügte über einen großen Bestand
40
an Mietwohnungen mit vergleichsweise
Berlin 39
geringen Mieten. Daher verwundert es
Thüringen 39 nicht, dass im Jahr 2010 in den ostdeut-
Mecklenburg-Vorpommern
schen Flächenländern die durchschnitt
39
lichen Mieten mit 345 Euro am niedrigs-
Hamburg 39
ten waren. Stadtstaaten (460 Euro) und
Deutschland
Sachsen 38 43
westdeutsche Flächenländer (463 Euro)
unterschieden sich kaum.
Mietbelastung
Mieterhaushalte in Deutschland wende-
ten im Durchschnitt zwischen 25 % und
lich jüngeren Personen. Ihnen standen 9.1.3 Miete und Mietbelastung 31 % ihres verfügbaren Nettoeinkom-
durchschnittlich 60 Quadratmeter Wohn- Die Zensusdaten enthalten keine Aussa- mens für die Bruttokaltmiete auf. Dabei
f läche pro Person zur Verfügung. Bei gen zur Miete und zur Mietbelastung. schwankten die Mietbelastungsquoten
Haushalten ohne Seniorinnen und Senio- Daher stammen die Ergebnisse dieses regional weniger stark als man aufgrund
ren waren es pro Kopf lediglich 40 Quad- Abschnitts aus der vierjährigen Mikrozen- der Höhe der Bruttokaltmieten anneh-
ratmeter. u Abb 14 sus-Zusatzerhebung zur Wohnsituation men würde. Dies liegt daran, dass nicht
267
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
uTab 5 Durchschnittliche Wohnfläche je Person nach Haushaltstyp 2011 nur die Bruttokaltmieten, sondern auch
— in Quadratmetern die verfügbaren Nettoeinkommen regional
Eigentümer Mieter-
variieren. Am höchsten waren die Miet-
Insgesamt
haushalte haushalte belastungsquoten in den Stadtstaaten:
Deutschland insgesamt 43 47 38 Hier waren die Bruttokaltmieten hoch
und gleichzeitig lag das verfügbare Netto-
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 30 34 24
einkommen monatlich um 300 Euro un-
Paare ohne Kind 1
49 57 39
ter dem Durchschnitt des früheren Bun-
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 34 44 30 desgebiets. u Info 3, Tab 6
Alleinlebende 70 97 59 Der Zusammenhang zwischen den
Flächenländer West zusammen 44 48 39
Mietbelastungsquoten und dem verfüg
baren Haushaltsnettoeinkommen ist stark
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1
31 35 25
ausgeprägt: Die Belastungsquoten lagen in
Paare ohne Kind 1 51 59 40 der untersten Einkommensklasse (unter
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 35 45 31 700 Euro) bei 49 % und sanken mit steigen-
Alleinlebende 73 99 61 dem Einkommen kontinuierlich bis auf
10 % (Einkommensklasse ab 7 500 Euro).
Flächenländer Ost zusammen 39 43 36
Die Differenz zwischen diesen beiden Wer-
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 29 33 23
ten (39 Prozentpunkte) war weitaus größer
Paare ohne Kind 1 42 51 34 als alle aus Tabelle 6 ersichtlichen regiona-
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1
31 43 28 len Unterschiede. Die durchschnittliche
Alleinlebende 60 88 54
Mietbelastungsquote in Deutschland ent-
sprach dem Wert, der auf Haushalte mit
Stadtstaaten zusammen 40 47 37
einem Nettoeinkommen von monatlich
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1
26 33 23 1 300 bis unter 1 500 Euro entfiel. Die mit
Paare ohne Kind 1
42 54 37 steigendem Einkommen sinkenden Be
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 30 42 29 lastungsquoten dürften vor allem die Fol-
ge der geringen sogenannten Einkom-
Alleinlebende 60 88 56
menselastizität der Mietausgaben sein, das
1 Ohne Haushalte mit sonstigen Personen. heißt die Mietausgaben schwanken gerin-
ger als die Einkommen – in beide Rich-
tungen. Einschränkend ist zu berücksich-
uAbb 14 Durchschnittliche Wohnfläche je Person von Seniorenhaushalten und tigen, dass es in den oberen Einkom-
Haushalten mit ausschließlich jüngeren Personen 2011 — in Quadratmetern mensklassen nur wenige Mieterhaushalte
gab, weil die Wohneigentumsquote mit
dem Einkommen ansteigt. u Abb 15
Haushalte 60 Auch die Unterschiede der Mietbelas-
insgesamt 40 tungsquoten nach der Haushaltsgröße wa-
ren stärker ausgeprägt als die regionalen
78 Abweichungen. Die Quoten von Mehrper-
1 Person
65
sonenhaushalten lagen durchweg um 8 bis
49
9 Prozentpunkte unter jenen alleinleben-
2 Personen
46 der Frauen. Die regionalen Abweichungen
zwischen Haushalten gleichen Typs betru-
3 und mehr 35 gen dagegen höchstens 3 Prozentpunkte.
Personen 31
Auf die deutlichen Unterschiede nach
Haushaltsgröße und -typ wirken sich ver-
Seniorenhaushalte1
schiedene Größen aus; die Höhe des Ein-
jüngere Haushalte2
kommens ist dabei ebenso wichtig wie die
Bruttokaltmiete, die ihrerseits von der
1 Alle Personen 65 Jahre oder älter.
2 Alle Personen unter 65 Jahren. Quadratmetermiete und der Wohnungs-
größe abhängt. u Abb 16
268
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
269
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
u Abb 15 Durchschnittliche Mietbelastungsquote in Deutschland um rund 10 Prozentpunkte höher als die
nach Haushaltsnettoeinkommensgruppen 2010 — in Prozent von Paaren mit Kind(ern). Der Unter-
schied der Mietbelastung von Paaren
70 oder Alleinlebenden jeweils ohne Kind
oder mit Kind(ern) machte dagegen nur 1
60 bis 2 Prozentpunkte aus.
Auch hier lassen sich die zugrunde
50 liegenden Ursachen nur dann finden,
wenn alle potenziellen Einflussfaktoren –
40 Einkommen, Wohnungsgröße und Qua-
dratmetermiete – miteinander verglichen
30 werden.
Das verfügbare Einkommen von Paa-
20 ren mit Kind(ern) lag um 79 % über dem
von Alleinerziehenden, ihre Bruttokaltmie-
10 te um 27 % und die Quadratmetermiete um
5 % darüber. Die Wohnungen von Paaren
0 mit Kind(ern) waren 21 % größer als jene
unter 700 – 900 – 1 100 – 1 300 – 1 500 – 2 000 – 3 200 – 4 500 – 6 000 – 7 500
700 900 1 100 1 300 1 500 2 000 3 200 4 500 6 000 7 500 und
von Alleinerziehenden. Paare mit Kind(ern)
mehr verfügten über 12 % mehr Einkommen als
Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
Paare ohne Kind, ihre Bruttokaltmiete
maximale Miet- mittlere Miet- minimale Miet- war um 20 % höher und die Quadratme-
belastungsquote belastungsquote belastungsquote
termiete bei beiden Haushaltstypen gleich.
Die Wohnungen von Paaren mit Kind(ern)
waren aber im Durchschnitt um 19 % grö-
u Abb 16 Durchschnittliche Mietbelastungsquote nach Anzahl der Personen ßer als jene von Paaren ohne Kind. u Tab 8
im Haushalt 2010 — in Prozent Durch die unterschiedlichen Brutto-
kaltmieten und Einkommen ergibt sich
eine größere Mietbelastungsquote von
33,2
Deutschland 29,9
Paaren mit Kind(ern). Die Mietbelastungs-
24,0 quote von Alleinerziehenden überstieg die
33,9
von Alleinlebenden vor allem aufgrund der
Flächenländer West 29,4 um 33 % größeren Wohnfläche, und auf-
24,5 grund der Tatsache, dass ihre Bruttokalt-
30,8 miete um 26 %, ihr Einkommen aber nur
Flächenländer Ost 29,7 um 14 % über dem der Alleinlebenden lag.
21,8
Die Bruttokaltmiete in Familien war so-
33,4 mit höher als in Haushalten ohne Kind.
Stadtstaaten 31,8
24,5
Allerdings können die Unterschiede bei
Einkommen und Miete zwischen beiden
Lebensformen nicht der alleinige Auslöser
1 Person, weiblich 1 Person, männlich 2 und mehr Personen
deutlich abweichender Mietbelastungs-
quoten sein, da sich diese Größen und die
Abweichungen vergleichbar entwickeln.
Miethöhe
Einpersonenhaushalten von Männern Bei den Mehrpersonenhaushalten Seit 1. Juni 2015 gilt in einigen Regionen
und Frauen aus Abbildung 16 – auf ei- wurde die Mietbelastungsquote aber ins- die Mietpreisbremse. Es wird vielfach
nem vorderen Platz. Die höchste Miet gesamt deutlich weniger vom Vorhan- kontrovers diskutiert, welche Faktoren
belastungsquote entfiel aber auf die densein von Kindern beeinflusst als von den größten Einfluss auf die Unterschiede
Alleine rziehenden und damit auf eine der Zahl der Erwachsenen im Haushalt. bei der durchschnittlichen Bruttokaltmiete
Form der Mehrpersonenhaushalte. u Abb 17 Die Mietbelastung Alleinerziehender war haben. In Tabelle 9 sind zwei potenzielle
270
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
Einf lussfaktoren gegenübergestellt: das u Abb 17 Durchschnittliche Mietbelastungsquote nach Haushaltstyp 2010 — in Prozent
regionale Mietniveau und die Mietdauer.
Beide Faktoren beeinflussten die Miet-
höhe in der erwarteten Weise: Die Brutto- 23,4
22,3
kaltmiete sank mit der Mietdauer; bei Deutschland
33,0
neuen Mietverträgen galt eine höhere 31,6
halten nach den Vorschriften des Wohn- Paare ohne Kind 514 2 525 77
Alleinerziehende mit
geldgesetzes Wohngeld, damit sie die Kos- Kind(ern) unter 18 Jahren
483 1 576 76
ten für angemessenen und familiengerech- Alleinlebende 384 1 388 57
ten Wohnraum tragen können. Angaben
hierzu enthält Kapitel 10.4.3, Seite 325.
u Tab 9 Durchschnittliche Bruttokaltmiete je Quadratmeter — in Euro
Flächenländer Flächenländer
9.1.4 Subjektive Belastungen Deutschland
West Ost
Stadtstaaten
Neben Erhebungen, die objektiv messba- Insgesamt 6,50 6,64 5,61 7,13
re Größen wie zum Beispiel den Anteil Mietdauer von …
der Bruttokaltmiete am Nettoeinkom- bis unter … Jahren
men der Haushalte ermitteln, gibt es auch unter 3 6,92 7,06 5,81 7,75
Erhebungen, in denen die Haushalte nach 3 – 12 6,67 6,82 5,73 7,30
ihrer subjektiven Einschätzung der 12 – 20 6,33 6,45 5,57 6,98
Wohnkostenbelastung und nach Proble- 20 und mehr 5,94 6,01 5,28 6,57
men mit der Wohnsituation befragt wer-
den. Dazu zählt die europaweit vergleich-
bare Erhebung EU-SILC.
Wohnkostenbelastung eine »gewisse Belastung« und eine »große tung und weitere 17 % sahen sogar eine
Die an der Stichprobe teilnehmenden Belastung« gibt. große Belastung für den Haushalt. Dabei
Haushalte werden nach ihrer Einschät- Für mehr als ein Viertel der Haushal- gibt es in allen Einkommensschichten
zung zur empfundenen Belastung durch te (27 %) waren die Wohnkosten im Jahr einen beachtlichen Anteil an Haushalten,
die Wohnkosten befragt, wobei es die 2014 keine Belastung. Für 57 % waren die die über eine Belastung durch die Wohn-
Antwortmöglichkeiten »keine Belastung«, Wohnkosten dagegen eine gewisse Belas- kosten klagen. Erwartungsgemäß ist die-
271
9 / Wohnen 9.1 / Wohnsituation und Mietkosten
ein Problem mit Lärm im Wohnumfeld. 3 600 und mehr 32,6 58,6 8,8
Über zu wenig Tageslicht klagten 8 % der
Mieterhaushalte, während bei den Eigen- Monatliches keine Belastung eine gewisse Belastung eine große Belastung
Haushaltsnettoeinkommen
tümerhaushalten nur 2 % ein Problem da- von … bis unter … Euro
mit hatten. Auch bei den anderen Belas-
tungen hatten Mieterhaushalte wesentlich Selbsteinschätzung der Haushalte. Nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen des Vorjahres.
272
Wohnsituation und Mietkosten / 9.1 Wohnen / 9
blem mit Kriminalität und ähnlichem im u Tab 10 Belastungen im Zusammenhang mit der Wohnsituation 2014 — in Prozent
Wohnumfeld mit, bei den Haushalten aus Es gibt … in der Wohnung/dem Haus Es gibt … im Wohnumfeld
dünn besiedelten Regionen waren es da-
Verschmut-
gegen nur 5 %. Feuchtig- zung, Ruß Kriminalität,
zu wenig Lärmbe-
Aus der Perspektive der Gesamtzahl keits- oder andere Gewalt oder
Tageslicht lästigung
schäden Umwelt- Vandalismus
der hier untersuchten Belastungen im belastungen
Zusammenhang mit der Wohnsituation Haushalte insgesamt 12,2 4,9 27,1 23,6 13,8
hatte 2014 die Mehrheit der Haushalte in nach Wohnstatus
Deutschland (56 %) keine der hier ge- im Wohneigentum 7,4 2,0 19,5 17,5 8,3
nannten Probleme mit der Wohnung be- zur Miete 16,5 7,5 34,0 29,1 18,8
ziehungsweise mit dem Haus oder mit nach Besiedlungsdichte
dem Wohnumfeld. Rund 44 % der Haus- in dünner Besiedlungsdichte 12,2 (3,2) 17,8 12,5 5,3
halte hatten dagegen mindestens eine in mittlerer Besiedlungsdichte 11,5 4,0 24,6 20,4 9,7
B elastung angegeben. Knapp 19 % der in hoher Besiedlungsdichte 12,9 6,6 34,3 32,4 22,2
Haushalte bejahten genau eine der hier
Selbsteinschätzung der Haushalte.
aufgeführten fünf Belastungen. Weitere ( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
273
21 %
54 Mill.
Operationen und medizinische Proze-
duren wurden 2014 an Patientinnen und
der gesundheitlich beeinträchtigten Patienten durchgeführt.
Personen begaben sich 2013 trotz
ihrer Krankheit nicht in ärztliche
Behandlung.
39 %
der Todesursachen waren
2014 Herz-Kreislauf-
Erkrankungen. Das war
die häufigste Todesur-
22 %
sache in Deutschland.
der gesetzlich Versicherten ver-
fügten 2012 über eine private
Zusatzversicherung. Im Jahr 2000
waren es nur 9,6 %.
10
Gesundheit und
soziale Sicherung
10.1 Gesundheit ist ein wichtiger gesellschaftli-
cher und individueller Wert, der auch
ten, weil sie Grundinformationen liefern
über die Gesundheit der Menschen als
Gesundheits Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden Arbeitskräfte, als Patientinnen und Pati-
zustand der umfasst. Die Förderung und der E rhalt
b enötigen dabei in der Regel geringere
enten und als Konsumenten von entspre-
chenden Produkten und Dienstleistungen.
Bevölkerung Ressourcen aus dem Gesundheitssystem Für die Bevölkerung sind diese Sachver-
und Ressourcen als der Versuch, sie wiederherzustellen.
Eine gute Gesundheit zu erhalten, verlangt
halte von Bedeutung, weil sie über einen
lebensnahen Themenbereich informieren.
der Gesund- vom Einzelnen, seine individuellen Res- Jeder Mensch sollte möglichst viel über
heitsversorgung sourcen zu mobilisieren und Risiken zu
vermeiden. Passendes Verhalten bedeutet
diesen Bereich wissen.
Die Angaben dieses Kapitels stam-
unter anderem, regelmäßig Sport zu trei- men aus gesundheitsbezogenen Erhebun-
Karin Böhm ben oder auf das Rauchen zu verzichten. gen der Statistischen Ämter des Bundes
Aber auch Faktoren außerhalb des Gesund- und der Länder. Dabei handelt es sich
heitswesens spielen eine Rolle, wie die um die Krankenhausstatistik, die fallpau-
Destatis
Reinhaltung der Luft oder Sicherheitsmaß- schalenbezogene Krankenh ausstatistik
nahmen zur Reduzierung von Unfallfol- (DRG-Statistik), die Statistik schwerbe-
gen im Straßenverkehr. Der Gesundheits- hinderter Menschen, die Pflegestatistik,
zustand der Bevölkerung und die Res- die Todesursachenstatistik, den Mikro-
sourcen ihrer Versorgung stehen folglich zensus und die Statistik der Schwanger-
in einer engen wechselseitigen Beziehung. schaftsabbrüche.
Daten zur Konstitution der Bevölke- Die fallpauschalenbezogene Kranken-
rung und zu den für den Erhalt und die hausstatistik ist im Unterschied zu den
Wiederherstellung eingesetzten Ressour- anderen genannten Erhebungen eine Se-
cen gehören daher zum grundlegenden kundärstatistik, die auf Angaben aus der
Informationsbedarf für alle Beteiligten Datensammlung nach § 21 Krankenhaus-
im Gesundheitswesen und am Thema in- entgeltgesetz aufbaut. Sekundärstatisti-
teressierten Menschen. Die Angaben lie- ken sind Datenquellen, die im Bereich
fern der Politik wichtige Informationen des Gesundheitswesens verfügbare Daten
für die Bearbeitung von Gesetzen und Re- zusammenfassen und so einen Mehrwert
geln zur Ausgestaltung der Versorgung an Informationen schaffen. Dabei entste-
und des Schutzes der Bevölkerung. Die hen keine zusätzlichen Erhebungen und
Wirtschaft interessiert sich für diese Da- Belastungen der Auskunftgebenden.
275
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
10.1.1 Krankheit und Unfall- gen lag er bereits bei 16 %. Von den ab oder Dienstunfälle (ohne Wegeunfälle)
verletzung 65-Jährigen bezeichnete sich fast jeder mit 30 %. In der Altersgruppe der 15- bis
Im Jahr 2013 bezeichneten sich insgesamt Vierte (24 %) als krank oder unfallver- 24-jährigen Männer ereigneten sich sogar
16 % der Bevölkerung, die Angaben zur letzt. Insgesamt waren Frauen mit einem 54 % aller Unfälle in der Freizeit, für
Gesundheit machten, als krank (15 %) Anteil von 17 % etwas häufiger von ge- Männer ab 65 Jahre standen mit 47 % die
oder unfallverletzt (1 %). Der Gesamtwert sundheitlichen Beeinträchtigungen be- häuslichen Unfälle an erster Position.
lag höher als bei den Befragungen 2005 troffen als Männer mit 16 %. Die Art der Für Frauen bestanden die meisten Ge-
(13 %) und 2009 (15 %). u Info 1 Erkrankung wurde nicht erfragt. Bei den fahren im häuslichen Bereich: Mit 40 %
Das Alter der Befragten hat großen Angaben zu einer Unfallverletzung wur- belegten Unfälle im Haushalt die erste
Einf luss auf den Gesundheitszustand, de allerdings die Frage nach der Art des Stelle. Die zweite Position nahmen hier
denn mit zunehmendem Alter ist ein An- Unfalls gestellt. Insgesamt traten 2013 am die Freizeitunfälle mit 24 % ein. Dabei
stieg der gesundheitlichen Beschwerden häufigsten häusliche Unfälle sowie Frei- waren besonders Mädchen bis 14 Jahre ge-
zu beobachten. Der Anteil der Kranken zeitunfälle (jeweils 29 %) auf, gefolgt von fährdet: Rund 39 % ihrer Unfälle ereigne-
und Unfallverletzten bei Personen im Al- Arbeitsunfällen mit einem Anteil von ten sich in der Freizeit. Für ältere Frauen
ter von 15 bis 39 Jahren betrug im Jahr 23 %. Männer erlitten zu 32 % Freizeitun- war es im Haushalt am gefährlichsten –
2013 rund 12 %, bei den 40- bis 64-Jähri- fälle, an zweiter Stelle folgten Arbeits- rund 65 % der Unfälle von über 65-Jähri-
gen ereigneten sich dort.
Die meisten Kranken und Unfallver-
letzten nahmen wegen ihrer gesundheit
lichen Beschwerden ärztliche Hilfe in
Anspruch, im Jahr 2013 waren es 79 %.
u Info 1
Seit 2005 (89 %) hat sich dieser Anteil
Fragen zur Gesundheit im Mikrozensus
kontinuierlich verringert. Zwei Drittel
Der Mikrozensus ist eine jährlich durchgeführte Haushaltsstichprobe, an der 1 % der Privat
haushalte in Deutschland teilnehmen. Seit dem Jahr 2005 findet die Mikrozensus-Erhebung
(67 %) – und damit die überwiegende
mit gleitender Berichtswoche statt, bei der das gesamte Befragungsvolumen gleichmäßig auf Zahl der Kranken und Unfallverletzten –
alle Kalenderwochen des Jahres verteilt wird. Frühere Erhebungen wurden in einer festge wurden 2013 ambulant behandelt; 12 %
legten Befragungswoche im April durchgeführt.
wurden stationär im Krankenhaus be-
Die gesundheitsbezogenen Fragen werden im vierjährlichen Abstand, zuletzt 2013 gestellt. treut. Der Anteil der gesundheitlich beein-
Sie beziehen sich auf Krankheit und Unfallverletzung am Befragungstag oder in den vier
Wochen davor, das Rauchverhalten sowie Körpergröße und -gewicht. Die Daten zur Kranken trächtigten Personen, die sich trotz ihrer
versicherung werden auch alle vier Jahre erfragt, zuletzt im Jahr 2011. Die Stichprobe für das Krankheit nicht in ärztliche Behandlung
Zusatzprogramm zur Gesundheit ist seit 2005 so groß wie für das feste Grundprogramm begaben, betrug 21 %.
des Mikrozensus. Die Beantwortung der Gesundheitsfragen ist freiwillig. Die Stichproben
ergebnisse für 2013 wurden auf die Bevölkerungszahl entsprechend der Bevölkerungsfort-
schreibung auf Basis des Zensus 2011 hochgerechnet. Anteilswerte beziehen sich auf die Be 10.1.2 Diagnose und Behandlung
völkerung mit Angaben zu den entsprechenden Fragen.
im Krankenhaus
Diagnosen
Krankenhausfälle werden in der Kranken-
hausdiagnosestatistik erfasst. Es handelt
sich hierbei um alle Krankenhausfälle ein-
Schwangerschaftsabbrüche
schließlich Sterbe-, Stundenfälle und ge-
Im Jahr 2014 wurden rund 99 700 älter. Die unter 18-Jährigen hatten einen
sunde Neugeborene. Stundenfälle sind
Schwangerschaftsabbrüche in Deutsch- Anteil von knapp 4 %.
Patientinnen und Patienten, die vollstatio-
land gemeldet. Die Zahl nahm gegen- Nach der Beratungsregelung wur-
när in ein Krankenhaus aufgenommen,
über dem Vorjahr um 3,0 % ab. den 96 % der gemeldeten Schwanger-
jedoch am gleichen Tag wieder entlassen
Knapp drei Viertel (73 %) der schaftsabbrüche vorgenommen. Me-
werden oder am Aufnahmetag versterben.
Frauen, die 2014 einen Schwanger- dizinische und kriminologische Indi-
Bei Frauen ist die Zahl der Behandlungs-
schaftsabbruch durchführen ließen, kationen waren in 4 % der Fälle die
fälle von 9,3 Millionen Fällen (2004) um
waren zwischen 18 und 34 Jahre alt, Begründung für den Abbruch.
12 % auf 10,3 Millionen Fälle (2014) gestie-
16 % zwischen 35 und 39 Jahre. Rund
gen. Bei Männern stieg die Zahl der Be-
8 % der Frauen waren 40 Jahre und
handlungsfälle sogar um 17 % von knapp
8,0 Millionen Fällen (2004) auf 9,3 Millio-
nen Fälle (2014). u Info 2
276
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
kenhausaufenthalt waren 2014 – wie be- Die Diagnosestatistik und ihre Erweiterung um die fallpauschalen
reits in den Vorjahren – Krankheiten des bezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik)
Kreislaufsystems. Knapp 2,9 Millionen Die Diagnosen der Krankenhauspatientinnen und -patienten bilden das ge-
Behandlungsfälle waren dieser Krank- samte vollstationäre Geschehen in den deutschen Krankenhäusern ab.
Alle Krankenhäuser in Deutschland sind auskunftspflichtig. Erfasst werden
heitsgruppe zuzuordnen, was einem An- alle Patientinnen und Patienten, die im Berichtsjahr aus der vollstationären
teil von 15 % an allen Fällen entsprach. Im Behandlung eines Krankenhauses entlassen wurden. Bei mehrfach im
Berichtsjahr vollstationär behandelten Patientinnen und Patienten wird jeder
Vergleich zu 2004 ist die Zahl dieser Be-
einzelne Krankenhausaufenthalt als ein Fall nachgewiesen (Fallzahlensta-
handlungsfälle um 239 400 Fälle (9 %) an- tistik). Nicht nachgewiesen werden die vor- und nachstationären, teilstationä-
gestiegen. An zweiter Stelle folgten die ren und ambulanten Behandlungsfälle. Die Angaben zur Diagnosestatistik
entnehmen die Krankenhäuser der vorhandenen Patientendokumentation.
Krankheiten des Verdauungssystems. Sie Die Diagnoseangaben werden differenziert nach Hauptdiagnosen, Alter,
stellten nach den Krankheiten des Kreis- Geschlecht, Verweildauer und Fachabteilungen dargestellt.
laufsystems die wichtigste Diagnosegrup- Seit dem Jahr 2005 wird die Diagnosestatistik der Krankenhauspatientinnen
pe mit knapp 2,0 Millionen Fällen (10 % und -patienten um die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik er-
an allen Behandlungsfällen) dar. Gegen- gänzt. Das auf Fallpauschalen basierende DRG-Vergütungssystem wurde
bei der Novellierung der Krankenhausfinanzierung im Jahr 2000 eingeführt
über 2004 ist ihre Zahl 2014 um fast 12 % (DRG steht für Diagnosis Related Groups). Die Statistik umfasst alle Kranken-
gestiegen. An dritter Stelle lagen die Ver- häuser, die nach dem DRG-Vergütungssystem abrechnen und dem An
letzungen und Vergiftungen sowie andere wendungsbereich des § 1 des Krankenhausentgeltgesetzes unterliegen
(ohne psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen). Die DRG-
Folgen äußerer Ursachen mit 1,9 Millio- Statistik ist wie auch die Diagnosestatistik eine jährliche Vollerhebung, jedoch
nen Fällen und einem Anteil von ebenfalls werden die Daten nicht direkt von den Statistischen Ämtern der Länder,
sondern vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus erhoben. Die
10 % an allen Diagnosen. Im Vergleich zu
Daten für die DRG-Statistik werden den Datensätzen entnommen, die die
2004 ist hier die Zahl um 15 % gestiegen. Krankenhäuser zu Abrechnungszwecken an das Institut für das Entgelt
Der höchste Anstieg war im Kapitel system im Krankenhaus schicken. Das Institut stellt die entsprechenden
Daten dem Statistischen Bundesamt zur Verfügung (Sekundärstatistik).
»Symptome und abnorme klinische und
Laborbefunde, andernorts nicht näher Gegenstand der Erhebung sind die von den berichtspflichtigen Kranken-
häusern erbrachten Leistungen. Die vom Statistischen Bundesamt aus
klassifiziert« zu beobachten, er betrug gewerteten Daten beziehen ebenfalls alle im Laufe des Berichtsjahres aus
73 % (2004: 558 100 Fälle; 2014: 967 000 den oben genannten Einrichtungen entlassenen vollstationären Patientinnen
Fälle). Hierzu gehören zum Beispiel Kreis und Patienten ein. Nicht nachgewiesen werden vor-, nach-, teilstationär
oder ambulant behandelte Patientinnen und Patienten. Erfasst wird die
laufkollaps oder Ohnmacht, Hals- und kontinuierliche vollstationäre Behandlung im Krankenhaus (Behandlungs-
Brustschmerzen. Die Infektionen haben kette) unabhängig von der Zahl der dabei durchlaufenen Fachabteilungen.
sich innerhalb des gleichen Zeitraums Schwerpunkte der Erhebung sind insbesondere Angaben zu Operationen
und Prozeduren, Fallpauschalen (DRG) sowie Haupt- und Nebendiagnosen.
um 46 % erhöht, die Muskel - Skelett-
Erk rankungen haben um 30 % zugenom-
men und auch die Position »Bestimmte
Zustände mit Ursprung in der Perinatal-
periode« stieg um knapp ein Drittel
(29 %) ihres Wertes von 2004. »Angebore-
ne Fehlbildungen, Deformitäten, Chro-
mosomenanomalien« sind um 7 % gesun-
Alkoholmissbrauch bei Kindern
ken. Einen Rückgang von 4 % gab es bei
und Jugendlichen
den Neubildungen (Krebs und gutartige
Im Jahr 2014 wurden 22 391 Kinder der und Jugendlichen, die wegen aku-
Neubildungen). Im direkten Vergleich
und Jugendliche im Alter von 10 bis ten Alkoholmissbrauchs stationär be-
blieben lediglich die Behandlungen in
19 Jahren aufgrund akuten Alkohol- handelt werden mussten, waren noch
Bezug auf Schwangerschaft, Geburt und
missbrauchs stationär in einem Kran- keine 18 Jahre alt.
Wochenbett konstant.
kenhaus behandelt. Das waren 3,8 %
weniger als 2013. Rund 70 % der Kin-
Operationen und medizinische
Behandlungsmaßnahmen
Nach den Ergebnissen der fallpauschalen
bezogenen Krankenhausstatistik (DRG-
Statistik) wurden bei den vollstationär in
Krankenhäusern versorgten Patientinnen
277
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
0
1– 4 5 –9 10–14 15–19 20 –24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 80–84 85–89 90–94 95 und älter
u Abb 2 Operationen und Behandlungsmaßnahmen renziert, lagen die Operationen mit 30 %
der Krankenhauspatientinnen und -patienten 2014 — in Prozent (16,2 Millionen Nennungen) an erster
Stelle, an zweiter Stelle folgten mit 26 %
nichtoperative therapeutische Maßnah-
Medikamente Operationen men (14,2 Millionen Nennungen). An
0,5 29,9 dritter Stelle standen mit 20 % die bild
gebende Diagnostik (11,0 Millionen Nen-
ergänzende Maßnahmen
nungen). u Abb 2
3,8
Bei den durchgeführten Operationen
diagnostische lagen auch im Jahr 2014 Operationen an
Maßnahmen
den Bewegungsorganen (4,6 Millionen)
19,2 54,2 an erster Stelle, gefolgt von Operationen
Millionen
nichtoperative am Verdauungstrakt (2,4 Millionen) so-
bildgebende therapeutische wie Operationen an Haut und Unterhaut
Diagnostik Maßnahmen
(1,3 Millionen). Eine detailliertere Analy-
20,4 26,2
se der Operationsdaten zeigt, dass bei
Frauen am häufigsten die Rekonstruktion
weiblicher Geschlechtsorgane nach einer
Ruptur/Dammriss (295 800 Fälle) durch-
geführt wurde, gefolgt vom Kaiserschnitt
(226 700 Fälle) und der Position »andere
Operationen am Darm« (209 300 Fälle).
Bei Männern lag die Position »andere
und Patienten 2014 insgesamt 54 Millio- pen war die durchschnittliche Zahl der Operationen am Darm« mit 172 400 Fällen
nen Operationen und medizinische Pro- Operationen und Prozeduren je Kranken- an erster Stelle, an zweiter Stelle folgte der
zeduren durchgeführt. Im Vergleich zum hausfall bei Männern durchweg höher als Verschluss eines Leistenbruchs (Hernia in-
Vorjahr entspricht dies einer Zunahme bei Frauen. u Abb 1 guinalis) mit 156 000 Fällen sowie an drit-
um 4,3 %. Auf einen Krankenhausfall ent- Werden die erfolgten Maßnahmen ter Stelle die Operation am Gelenkknorpel
fielen damit im Durchschnitt 2,9 Maß- nach einzelnen Kapiteln des Operationen- und an den Menisken mittels Gelenkspie-
nahmen dieser Art. In allen Altersgrup- und Prozedurenschlüssels (OPS) diffe- gel (Arthroskop) (146 200 Fälle). u Abb 3
278
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Abb 3 Die zehn häufigsten Operationen von Krankenhauspatientinnen Am 31. Dezember 2013 waren 7,5 Mil-
und -patienten 2014 — in Tausend lionen amtlich anerkannte schwerbehin-
derte Menschen mit gültigem Ausweis
bei den Versorgungsämtern registriert.
Andere Operationen am Darm
(z.B. Lösen von Verwachsungen)
172 209 Das entsprach einem Anteil von rund 9 %
an der Bevölkerung. Etwas mehr als die
Wiederherstellung weiblicher Geschlechts- Hälfte (51 %) waren Männer. Von den
296
organe nach Riss nach der Geburt
7,5 Millionen schwerbehinderten Men-
Operatives Freilegen eines Zugangs zur Lenden- schen waren 7,1 Millionen Deutsche und
141 144
wirbelsäule, zum Kreuzbein oder zum Steißbein 0,4 Millionen Ausländerinnen und Aus-
länder.
Operation am Gelenkknorpel und an den
Menisken mittels Gelenkspiegel (Arthroskop)
146 135 Behinderungen treten vor allem bei
älteren Menschen auf: So war fast ein Drit-
Endoskopische Operationen tel (31 %) der schwerbehinderten Men-
119 138
an den Gallengängen
schen 75 Jahre und älter. Knapp die Hälfte
Chirurgische Wundtoilette (45 %) gehörte der Altersgruppe von 55 bis
(Wunddebridement) und Entfernung von 133 100
erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut
74 Jahren an. Dagegen fiel der Anteil der
unter 25-Jährigen mit 4 % gering aus. u Tab 1
Kaiserschnitt 227 Die Schwerbehindertenquote bezie-
hungsweise die Wahrscheinlichkeit, schwer-
Implantation einer
84 136
behindert zu sein, steigt mit zunehmen-
Endoprothese am Hüftgelenk
dem Alter an. Während bei den 25- bis
Operation an der Gelenkinnenhaut 34-Jährigen 3 % schwerbehindert waren,
109 95
mittels Gelenkspiegel (Arthroskop) hatte in der Gruppe der ab 80-Jährigen
jeder Dritte einen Schwerbehinderten-
Gallenblasenentfernung 78 122 ausweis. u Abb 4
Männer waren – insbesondere in der
Männer Frauen Gruppe der ab 55-Jährigen – eher schwer-
behindert als Frauen. Dies ist zu einem
Operationen- und Prozedurenschlüssel, OPS Version 2014. gewissen Teil dadurch erklärbar, dass
Männer im Allgemeinen häufiger am Er-
werbsleben teilnehmen als Frauen. Da ein
Schwerpunkt der Leistungen des Schwer-
u Tab 1 Schwerbehinderte 2013
behindertenrechts Regelungen zur Teil-
Davon im Alter von … bis … Jahren nahme am Arbeitsmarkt oder für einen
Insgesamt
unter 25 25–54 55–64 65–74 75 und älter früheren Übergang zur Rente betrifft,
in 1 000 in % können Erwerbstätige beziehungsweise
Männer 3 852 4,4 20,7 22,7 25,6 26,6 Arbeitsuchende ein größeres Interesse an
Frauen 3 697 3,2 19,9 20,6 20,9 35,4 einer Anerkennung der Behinderteneigen-
Insgesamt 7 549 3,8 20,3 21,7 23,3 30,9 schaft haben als Nichterwerbspersonen.
Die weitaus meisten Behinderungen
(85 % der Fälle) waren krankheitsbedingt.
In 4 % der Fälle war die Behinderung
a ngeboren und bei 2 % wurde das Leiden
durch einen Unfall oder eine Berufskrank-
10.1.3 Schwerbehinderung rung eine Beeinträchtigung der Teilhabe heit verursacht. Weitere 0,5 % der schwer-
und Pflegebedürftigkeit am gesellschaftlichen Leben für längere behinderten Menschen hatten dauernde
Zeit, möglicherweise für das ganze Leben. Schäden im Krieg, im Wehr- oder im
Schwerbehinderung Als schwerbehindert gelten Menschen, Zivildienst erlitten. Die übrigen Behinde-
Im Unterschied zu einer akuten Krank- denen ein Grad der Behinderung von 50 rungen (9 %) beruhten auf sonstigen,
heit oder einer Unfallschädigung mit oder mehr von den Versorgungsämtern mehreren oder ungenügend bezeichne-
kurzer Heilungsdauer ist eine Behinde- zuerkannt wurde. ten Ursachen.
279
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
40
30
20
10
0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
und mehr
männlich weiblich insgesamt Alter in Jahren
Bevölkerungsstand: 31.12.2013 – vorläufige Ergebnisse auf Basis des Zensus 2011, Zensusdaten Stand 10.04.2014.
Schwerbehindertenquote = Anteil der schwerbehinderten Menschen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe.
Am häufigsten litten schwerbehinder- Im Dezember 2013 waren 2,6 Millio- Männer dieser Altersgruppen. So beträgt
te Menschen unter körperlichen Behinde- nen Menschen in Deutschland pflegebe- zum Beispiel bei den 85- bis 89-jährigen
rungen (62 %). Bei 25 % der Personen wa- dürftig. Die Mehrheit (83 %) der Pflege Frauen die Pf legequote 42 %, bei den
ren die inneren Organe beziehungsweise bedürftigen war 65 Jahre und älter. Ein Männern gleichen Alters hingegen ledig-
Organsysteme betroffen. Bei 14 % waren gutes Drittel (37 %) war sogar älter als lich 30 %. u Abb 6
Arme oder Beine in ihrer Funktion einge- 85 Jahre. Die überwiegende Zahl (65 %) Neben Unterschieden in der gesund-
schränkt, bei weiteren 12 % Wirbelsäule der Pflegebedürftigen waren Frauen. heitlichen Entwicklung bei Frauen und
oder Rumpf. In 5 % der Fälle lag Blindheit Im Vergleich zu 2003 ist eine Zu Männern kann ein Faktor für den unter-
beziehungsweise eine Sehbehinderung nahme der Zahl der Pflegebedürftigen schiedlichen Verlauf der Pf legequoten
vor. Rund 4 % litten unter Schwerhörig- zu beobachten: Im Jahr 2003 betrug sie auch das Antragsverhalten bei Frauen
keit, Gleichgewichts- oder Sprachstörun- 2,1 Millionen und stieg auf 2,6 Millionen und Männern sein: Ältere Frauen leben
gen. Auf geistige oder seelische Behinde- im Jahr 2013 an. Ein wichtiger Faktor für häufiger alleine. Bei Pflegebedarf kann
rungen entfielen zusammen 11 % der Fäl- den Anstieg ist die zunehmende Alterung somit schneller die Notwendigkeit beste-
le, auf zerebrale Störungen 9 %. Bei den der Bevölkerung. Im Jahr 2003 waren hen, einen Antrag auf Leistungen zu stel-
übrigen Personen (18 %) war die Art der 3,4 Millionen Menschen 80 Jahre und len, während die pflegebedürftigen Män-
Behinderung nicht ausgewiesen. u Abb 5 ä lter; 2013 waren es bereits 4,4 Millionen. ner zunächst häufiger zum Beispiel von
Mit zunehmendem Alter sind Men- ihren Frauen versorgt werden. Insofern
Pflegebedürftigkeit schen in der Regel eher pflegebedürftig. könnte zunächst auf eine Antragstellung
Pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversi- Während bei den 70- bis 74-Jährigen je- verzichtet werden. In diesem Fall werden
cherungsgesetzes (Sozialgesetzbuch SGB der zwanzigste (5 %) aller Menschen die- sie auch nicht in der Pflegestatistik er-
XI) sind Menschen, die im täglichen Le- ser Altersgruppe pf legebedürftig war, fasst.
ben auf Dauer – wegen einer Krankheit wurde für die ab 90-Jährigen die höchste Die Pflegequote variiert zwischen den
oder Behinderung – in erheblichem oder Pflegequote ermittelt: Der Anteil der Pfle- einzelnen Bundesländern; sie ist dabei in
höherem Maße der Hilfe bedürfen. Die gebedürftigen an allen Menschen dieser Mecklenburg-Vorpommern und in Bran-
Entscheidung über das Vorliegen einer Altersgruppe betrug 64 %. Auffallend ist, denburg – also im Nordosten Deutsch-
Pflegebedürftigkeit wird von den Pflege- dass Frauen etwa ab dem 80. Lebensjahr lands – im Alter in der Regel am höchs-
kassen beziehungsweise einem privaten eine deutlich höhere Pflegequote aufwie- ten. Dort beträgt zum Beispiel der Anteil
Versicherungsunternehmen getroffen. sen – also eher pflegebedürftig sind als der Pf legebedürftigen bei den 85- bis
280
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
insgesamt 29 %.
Bundesweit gab es im Dezember 2013 20
den in einem Pflegeheim 63 Pflegebedürf- männlich weiblich im Alter von … bis … Jahren
tige betreut. Die meisten Heime (10 900)
boten vollstationäre Dauerpflege an.
281
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
282
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
283
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
284
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
10.1.5 Gesundheitsrelevante cher fiel in diese Kategorie, bei den regel- ten 16 % der erwachsenen Bevölkerung
Faktoren mäßigen Zigarettenraucherinnen waren 2013 starkes Übergewicht. Männer waren
es nur knapp 8 %. Nach der Definition zu 62 % übergewichtig, starkes Überge-
Rauchen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wicht lag bei 17 % vor. Bei den Frauen
Die Warnungen vor den gesundheitlichen sind diese als starke Raucher einzustufen. hatten 43 % »zu viel auf der Waage«, und
Risiken des Rauchens werden nach wie Die Gruppe der Nichtraucher (76 %) 14 % davon starkes Übergewicht. u Info 3
vor von vielen Bürgern ignoriert. Im Jahr setzt sich aus »Nie-Rauchern« (56 %) und In allen Altersgruppen waren Männer
2013 bekannten sich 24 % der Bevölke- ehemaligen Rauchern (20 %) zusammen. häufiger übergewichtig als Frauen. Über-
rung im Alter von 15 und mehr Jahren, Der Anteil der Nichtraucher wuchs mit gewicht ist bereits bei jungen Erwachse-
die im Mikrozensus Auskunft zu dieser zunehmendem Alter der Befragten: der nen weit verbreitet und nimmt mit zu-
Frage gaben, zum Rauchen. Das waren niedrigste Wert ist mit 64 % (52 % Nie- nehmendem Alter epidemische Ausmaße
weniger als bei den letzten Befragungen Raucher und 12 % Ex-Raucher) bei den an. Bereits bei den 20- bis 24-Jährigen
2009 (26 %), 2005 und 2003 (je 27 %) be- 25- bis 29-Jährigen zu finden. Rund 91 % war fast jeder dritte Mann (31 %) und fast
ziehungsweise 1999 und 1995 (je 28 %). der ab 65-Jährigen waren Nichtraucher, jede fünfte Frau (19 %) übergewichtig. Bei
Insgesamt betrug die Raucherquote 2013 dabei haben 65 % nie geraucht und 26 % den 60- bis 64-jährigen Männern mit fast
bei den Männern rund 29 %; sie ist seit waren ehemalige Raucher. drei Vierteln (74 %) und bei den 70- bis
1995 (36 %) stetig gesunken. Die Raucher- Unter den Männern gab es weniger 74-jährigen Frauen mit 59 % erreichten
quote der Frauen ist über die betrachteten Nichtraucher (71 %) als unter den Frauen die Fälle von Übergewicht ihre Spitzen-
Jahre nur leicht von 22 % (1995 bis 2005) (80 %). Dabei haben 47 % der Männer werte. u Abb 10
über 21 % (2009) auf 20 % im Jahr 2013 ge- noch nie geraucht, bei den Frauen ist die- Untergewicht (das heißt ein Body-
sunken. In jeder Altersstufe rauchten ser Anteil mit 65 % deutlich größer. Mass-Index kleiner als 18,5) ist weitaus
Frauen weniger häufig als Männer. u Abb 9 weniger verbreitet als Übergewicht.
Bei den regelmäßigen Rauchern zeig- Körpermaße Gleichwohl gehen auch davon erhebliche
ten sich deutlichere Unterschiede bei der Nach Einstufung der Weltgesundheitsor- gesundheitliche Gefährdungen aus. Frau-
Betrachtung von Alter und Geschlecht. ganisation war 2013 mehr als jeder zweite en waren 2013 wesentlich häufiger (3 %)
Im Jahr 2013 rauchten insgesamt 21 % al- Erwachsene ab 18 Jahren übergewichtig von Untergewicht betroffen als Männer
ler Befragten regelmäßig, 25 % der Män- (52 %). Dies bedeutet einen Anstieg ge- (1 %). Junge Frauen im Alter von 18 und
ner und 17 % der Frauen. Ein nennens- genüber den Vorjahren (1999: 48 %; 2003: 19 Jahren waren zu 13 % untergewichtig,
werter Rückgang über die betrachteten 49 %; 2005: 50 %; 2009: 51 %). Davon hat- 20- bis 24-Jährige noch zu 9 %.
Jahre war nur bei den regelmäßig rau-
chenden Männern zu verzeichnen: 1995
29 %
und 1999 betrug der Anteil noch jeweils
31 %, 2003 waren es 30 %, für die Jahre
2005 und 2009 wurden 28 % beziehungs-
weise 26 % verzeichnet. Bei den Männern
fanden sich die höchsten Anteile bei den
betrug die Raucherquote von
30- bis 34-Jährigen (36 %) und bei den Männern im Jahr 2013. Seit 1995
Frauen bei den 25- bis 29-Jährigen (26 %). ist sie stetig gesunken. Die Quote
Die Menge des Tabakkonsums ist für der Frauen lag bei 20 %.
das individuelle Gesundheitsrisiko durch
Rauchen mit ausschlaggebend. Nach der
täglich durchschnittlich gerauchten Men-
ge wurden nur Zigarettenraucher gefragt,
die auch im Jahr 2013 den Großteil der
Raucher (97 %) ausmachten. Rund 81 %
der regelmäßigen Zigarettenraucher ga-
ben an, im Durchschnitt 5 bis 20 Ziga-
retten am Tag zu rauchen. Mehr als
20 »Glimmstängel« am Tag rauchten
12 %. Dabei gab es geschlechtsspezifische
Unterschiede: Gut jeder Siebte (15 %) der
männlichen regelmäßigen Zigarettenrau-
285
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
u Abb 10 Personen mit Übergewicht 2013 — in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe
80
60
40
20
0
18 –19 20 – 24 25 –29 30 – 34 35–39 40 – 44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75 und älter
Body-Mass-Index ab 25. Bezogen auf die Bevölkerung mit Angaben zu Körpergröße und Körpergewicht.
Ergebnisse des Mikrozensus.
Body-Mass -Index ab 25. Bezogen auf die Bevölkerung mit Angaben zu Körpergröße und Körpergewicht.Ergebnisse des Mikrozensus.
Zwischen dem Übergewicht und dem und von Arzneimitteln). Letztere kom- Ausstattung der Krankenhäuser
Rauchverhalten der Befragten kann ein men dabei in der Regel nicht direkt mit Im Jahr 2014 standen in insgesamt 1 980
Zusammenhang festgestellt werden: So- den Nachfragern gesundheitlicher Güter Krankenhäusern rund 500 700 Betten für
wohl bei Männern als auch bei Frauen und Leistungen in Kontakt. die stationäre Versorgung der Bevölke-
waren ehemalige Raucher deutlich häufi- Im folgenden Abschnitt werden das rung zur Verfügung. Gegenüber 1991 ist
ger übergewichtig als aktive Raucher. Im Leistungsangebot der Krankenhäuser und die Zahl der Krankenhäuser infolge von
Jahr 2013 hatten 73 % der ehemals rau- Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtun- Schließungen und Fusionen um 18 % ge-
chenden Männer einen BMI von 25 und gen im Bereich der stationären Gesund- ringer. Annähernd jedes vierte Kranken-
mehr, der Anteil bei den aktiven Rauchern heitsversorgung (Betten und personelle hausbett (25 %) wurde abgebaut. u Tab 4
betrug 57 %. Für Frauen gilt vergleich Ausstattung) sowie die Inanspruchnahme Zu Vergleichszwecken wird die Zahl
bares: Ex-Raucherinnen waren zu 47 % der angebotenen Leistungen beschrieben. der Häuser und Betten je 100 000 Ein-
übergewichtig, Raucherinnen zu 37 %. Krankenhäuser und Vorsorge- oder wohner ermittelt. Der Durchschnitt lag
Rehabilitationseinrichtungen sind Gegen- bei 2,4 Krankenhäusern und 618 Betten
10.1.6 Stationäre Versorgung: stand der jährlich durchgeführten seit je 100 000 Einwohner. Die Zahl der Kran-
Krankenhäuser, Vorsorge- oder 1991 bundeseinheitlichen Krankenhaus- kenhäuser je 100 000 Einwohner sank im
Rehabilitationseinrichtungen statistik. Sie erfasst in erster Linie Anga- Vergleich zu 1991 um 20 %. Um gut ein
Die medizinische Versorgung in Deutsch- ben über die sachliche und personelle Viertel (26 %) verringerte sich die Zahl
land wird durch drei große Akteure ge- Ausstattung der Häuser (zum Beispiel An- der Betten je 100 000 Einwohner. Ein
prägt: Die Erbringer ambulanter Leistun- zahl der Häuser, aufgestellte Betten sowie Krankenhaus in Deutschland verfügte im
gen (beispielsweise in Praxen nieder ärztliches und nichtärztliches Personal). Jahr 2014 über durchschnittlich 253 Bet-
gelassener Ärztinnen und Ärzte sowie in Darüber hinaus ermöglicht die Erhebung ten (1991: 276 Betten).
Apotheken), die Erbringer stationärer patientenbezogener Daten (Fallzahl und Informationen zum Personal in Kran-
Leistungen (in Krankenhäusern, Vorsorge- Berechnungs- / Belegungstage beziehungs- kenhäusern werden zum einen als Be-
oder Rehabilitationseinrichtungen und weise Pflegetage) Aussagen über leistungs- schäftigtenzahl (sogenannte Kopfzahl)
Pflegeheimen) sowie die Leistungserbrin- bezogene Kennziffern der Einrichtungen zum 31. Dezember eines Jahres, zum an-
ger vorgelagerter Marktstufen (Hersteller (Nutzungsgrad der Betten und durch- deren in Form von Vollzeitäquivalenten
von medizinisch-technischen Geräten schnittliche Verweildauer). erhoben. Die Beschäftigtenzahl berück-
286
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Krankenhäuser Patientenbewegungen
1991 2 411 3,0 665 565 832 276 14 577 204 204 14,0 84,1
1995 2 325 2,8 609 123 746 262 15 931 182 627 11,5 82,1
2000 2 242 2,7 559 651 681 250 17 263 167 789 9,7 81,9
2005 2 139 2,6 523 824 635 245 16 539 143 244 8,7 74,9
2010 2 064 2,5 502 749 615 244 18 033 141 942 7,9 77,4
2014 1 980 2,4 500 680 618 253 19 148 141 534 7,4 77,4
in %
Veränderung 2014
– 17,9 – 20,0 – 24,8 –25,7 – 8,3 31,4 – 30,7 – 47,1 – 8,0
gegenüber 1991
1 Ab 2011 mit der Durchschnittsbevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 berechnet, 2014 vorläufige Ergebnisse.
1995 101 590 785 974 350 571 24,5 3,2 7,1
2000 108 696 725 889 332 269 21,0 3,2 6,9
2005 121 610 674 488 302 346 16,2 2,9 6,5
2010 134 847 681 411 306 213 14,4 2,8 6,3
2014 150 757 708 670 318 749 12,8 2,7 6,1
in %
Veränderung 2014 gegenüber 1991 58,3 – 9,2 – 2,2 – 56,3 – 25,0 – 29,1
287
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
Personals gesondert für den Pflegedienst. legte Betten zu betreuen. Im Jahr 1991 durchschnittlich 14,0 Tage. Die Verweil-
Dem Pflegedienst kommt im Bereich der waren es noch mehr als doppelt so viele dauer im Krankenhaus wird wesentlich
Krankenhäuser eine besondere Bedeu- (29,3 Betten). Eine Vollkraft im nichtärzt- von der Diagnose der Patientinnen und
tung zu, da hier 45 % der Vollkräfte im lichen Dienst hatte 2014 im Bundes- Patienten und damit der Fachabteilung,
nichtärztlichen Dienst arbeiten. durchschnitt täglich 2,7 Betten zu versor- in der sich diese aufhalten, beeinflusst.
In allen genannten Beschäftigten- gen; 1991 waren es 3,6 Betten gewesen. Während ein Aufenthalt in der Fachabtei-
gruppen ist die Personalbelastung nach Im Pflegedienst war eine Vollkraft im lung »Augenheilkunde« im Durchschnitt
Anzahl der pro Arbeitstag zu versorgen- Jahr 2014 im Durchschnitt pro Arbeitstag 3,0 Tage dauerte, mussten Patientinnen
den belegten Betten zurückgegangen. für 6,1 belegte Betten zuständig (1991: und Patienten in der Fachabteilung
Dies ist in erster Linie Folge des kontinu- 8,6 Betten). »Herzchirurgie« mit 10,9 Tagen gut drei-
ierlichen Rückgangs der Verweildauer mal so lange im Krankenhaus bleiben.
(– 47 %) seit 1991. Zugleich nahm aber Leistungen und Auslastung der Die längste durchschnittliche Verweildau-
auch die Zahl der Vollkräfte ab: im Pfle- Krankenhäuser er in einer allgemeinen Fachabteilung
gedienst um 2 % und im nichtärztlichen Rund 19,1 Millionen Patientinnen und betrug 15,6 Tage in der »Geriatrie«. Der
Dienst insgesamt um 9 %. Folglich sank Patienten wurden 2014 vollstationär im Aufenthalt in einer psychiatrischen
die Personalbelastung der Pflegevollkräf- Krankenhaus behandelt. Die Zahl der Fachabteilung dauerte zwischen 22,5 Ta-
te 2014 gegenüber 1991 um 2,5 Betten B erechnungs-/ Belegungstage lag bei gen in der »Psychiatrie und Psychothera-
(– 29 %), die Belastung der Vollkräfte im 141,5 Millionen. Gegenüber 1991 ist die pie« und 41,7 Tagen in der »Psychothera-
nichtärztlichen Dienst insgesamt um Fallzahl um 31 % gestiegen – zugleich ist peutischen Medizin/Psychosomatik«.
0,9 Betten (– 25 %). die Zahl der Berechnungs-/Belegungs Während der Anstieg der Zahl der Pa-
Im ärztlichen Dienst ist die Personal- tage um 31 % zurückgegangen. tientinnen und Patienten ein Indiz für die
belastung sogar um 16,5 belegte Betten Aus der Division von Berechnungs- Zunahme des Anteils älterer Menschen
(– 56 %) zurückgegangen. Dieser Effekt ist und Belegungstagen durch die Zahl der an der Bevölkerung mit entsprechend er-
zurückzuführen auf die parallel zum Patientinnen und Patienten (Fälle) wird höhter Krankheitsanfälligkeit ist, lässt
Rückgang der Verweildauer verlaufende die durchschnittliche Verweildauer be- sich die Verkürzung der durchschnitt
Zunahme der Vollkräfte im ärztlichen rechnet, die im Jahr 2014 im Durchschnitt lichen Verweildauer mit dem medizini-
Dienst um 58 %. u Tab 5 bei 7,4 Tagen lag. Die Liegezeiten im schen Fortschritt einerseits und den Maß-
Im Durchschnitt hatte eine Vollkraft Krankenhaus haben sich drastisch ver- nahmen zur Kostendämpfung im Ge-
im ärztlichen Dienst 2014 täglich 12,8 be- kürzt: ein Aufenthalt dauerte 1991 noch sundheitsbereich andererseits erklären.
1995 1 373 1,7 181 633 222 132 1 896 58 820 31,0 88,7
2000 1 393 1,7 189 822 231 136 2 046 52 852 25,8 76,1
2005 1 270 1,5 174 479 212 136 1 814 46 774 25,8 73,4
2010 1 237 1,5 171 724 210 139 1 975 50 219 25,4 80,1
2014 1 158 1,4 165 657 205 143 1 973 49 837 25,3 82,4
in %
Veränderung 2014
– 1,9 6,7 14,9 13,9 17,2 33,9 9,0 – 18,4 – 5,2
gegenüber 1991
1 Ab 2011 mit der Durchschnittsbevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 berechnet, 2014 vorläufige Ergebnisse.
288
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung / 10.1 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Im Jahr 2014 waren die Krankenhaus- Für 100 000 Einwohner standen im Eine ärztliche Vollkraft hatte 2014 im
betten zu gut 77 % (1991: 84 %) ausgelastet. Durchschnitt 1,4 Vorsorge- oder Rehabi- Durchschnitt täglich 80,1 belegte Betten
In diesem Wert kommt das Verhältnis aus litationseinrichtungen und 205 Betten zu betreuen. Im Jahr 1991 waren es noch
tatsächlicher Bettenbelegung und maxi- zur Verfügung. Die Einrichtungsdichte 105,2 Betten. Auf eine einzelne Vollkraft
maler Bettenbelegung zum Ausdruck. In ist gegenüber 1991 um 0,1 gesunken, die im nichtärztlichen Dienst entfielen durch-
allen psychiatrischen Fachabteilungen lag Bettendichte um 25 Betten gestiegen. Im schnittlich 8,4 täglich zu versorgende be-
die Bettenauslastung über 92 % (maximal Durchschnitt verfügte eine Vorsorge- legte Betten; im Jahr 1991 waren es 8,6
94 % in der »Psychiatrie und Psychothera- oder Rehabilitationseinrichtung 2014 Betten gewesen. Eine Pflegevollkraft küm-
pie«). Im Bereich der allgemeinen Fachab- über 143 Betten (1991: 122 Betten). merte sich täglich im Durchschnitt um
teilungen hatte die »Geriatrie« mit 91 % Die Personalbelastung bezogen auf 32,6 Betten (1991: 47,6 Betten).
die höchste, die »Nuklearmedizin« mit die täglich zu versorgenden belegten Bet-
48 % die geringste Bettenauslastung. ten ist in Vorsorge- oder Rehabilitations- Leistungen und Auslastung von
einrichtungen sowohl für das ärztliche als Vorsorge- oder Rehabilitations-
Ausstattung von Vorsorge- oder auch für das nichtärztliche Personal deut- einrichtungen
Rehabilitationseinrichtungen lich höher als im Krankenhausbereich. Die Zahl der Patientinnen und Patienten
Im Jahr 2014 gab es in Deutschland 1 158 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrich-
Einrichtungen für Vorsorge- oder Reha- Versorgung der Patientinnen und Patien- tungen lag 2014 bei knapp 2 Millionen und
bilitationsmaßnahmen mit 166 000 Bet- ten in Vorsorge- oder Rehabilitationsein- damit um ein Drittel (34 %) höher als 1991
ten. Von 1991 bis 1996 stieg die Zahl der richtungen weniger zeit- und betreuungs- (1,5 Millionen). Insgesamt verbrachten die
Einrichtungen um 19 % (1991: 1 181; 1996: intensiv ist als im Krankenhaus. u Tab 7 Patientinnen und Patienten rund 50 Milli-
1 404). Die Zahl der Betten nahm bis 1998 Für alle betrachteten Beschäftigten- onen Pf legetage in den Einrichtungen,
um ein Drittel (32 %) zu (1991: 144 000; gruppen ist die Personalbelastung nach 4,1 Millionen Pflegetage mehr als 1991.
1998: 191 000). Seitdem ist sowohl die Betten gesunken, trotz eines Anstiegs der Daraus ergibt sich eine rechnerische
Zahl der Einrichtungen als auch die der Pflegetage (entspricht der Anzahl der be- Verweildauer von durchschnittlich
Betten rückläufig. Insgesamt ist die Zahl legten Betten). Die Pflegetage stiegen im 25,3 Tagen. Im Jahr 1991 lag diese noch
der Vorsorge- oder Rehabilitationsein- Vergleich zu 1991 um 9,0 %, und die Zahl bei 31,0 Tagen. In der Fachabteilung »All-
richtungen 2014 im Vergleich zu 1991 um der Vollkräfte stieg deutlich stärker: Im gemeinmedizin« dauerte der Aufenthalt
2 % niedriger, die Zahl der aufgestellten ärztlichen Dienst um 43 % und im Pflege- in einer Vorsorge- oder Rehabilitations-
Betten jedoch um 15 % höher. u Tab 6 dienst um 59 %. einrichtung 19,5 Tage. Mehr als dreimal
in %
Veränderung 2014 gegenüber 1991 43,1 12,3 59,2 – 23,9 – 2,3 – 31,5
289
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.1 / Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung
Ohne Mit
Insgesamt Männlich Weiblich Migrations- Migrations-
hintergrund hintergrund
Zur Krankenversicherung befragte Personen (hochgerechnet)1 79 158 38 622 40 536 64 567 14 591
Nicht Krankenversicherte 3
128 79 49 73 55
1 Ohne 1,1 Millionen Personen (hochgerechnet), denen erhebungsbedingt die Fragen zur Krankenversicherung nicht gestellt wurden (sogenannte Jahresüberhänge).
2 Anspruch auf Krankenversorgung als Sozialhilfeempfänger /-in, Kriegsschadenrentner /-in oder Empfänger /-in von Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich, Beamte,
Richter, Freie Heilfürsorge der Polizei, der Bundeswehr und Zivildienstleistenden.
3 Hierzu zählen Personen, die die Frage »Sind Sie krankenversichert?« verneint und keinen sonstigen Anspruch auf Krankenversorgung haben.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung am Hauptwohnsitz.
290
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten / 10.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
und Verhalten Menschen in der Gesellschaft und ein 10.2.1 Einschätzungen des Gesund-
fortwährender medizinischer Fortschritt. heitszustandes und der
Beide Aspekte haben vor allem finanziel- Gesundheitszufriedenheit
Markus M. Grabka
le Konsequenzen, die sich in Kostenstei- Angaben zur Beschreibung des Gesund-
DIW
gerungen äußern. Insbesondere die ge- heitszustandes und zur Gesundheitszu-
setzliche Krankenversicherung als zent- friedenheit unterscheiden sich durch den
WZB / SOEP raler Pfeiler für die gesundheitliche Grad der subjektiven Prägung. Die Ein-
Versorgung der Bevölkerung in Deutsch- schätzung des Gesundheitszustandes bil-
land ist mit diesen zentralen Herausfor- det stärker die »objektive« Bewertung ab,
derungen konfrontiert, was sich für die die Aussagen zur Zufriedenheit das
Versicherten vorrangig in steigenden Bei- »subjektive« Moment. Beide Bewertun-
tragssätzen, erhöhten Zuzahlungen oder gen hängen vorrangig vom tatsächlichen
Leistungsauslagerungen äußert. Krankheitsgeschehen ab, sie sind aber
Das zum 1. Januar 2009 in Kraft ge- auch abhängig vom jeweiligen Anspruch
tretene Gesetz zur nachhaltigen und sozi- an das gesundheitliche Wohlbefinden.
al ausgewogenen Finanzierung der Ge- Wenn die Zufriedenheit sinkt, kann dies
setzlichen Krankenversicherung (GKV- auf eine tatsächliche Verschlechterung
FinG) hat die finanzielle Belastung weiter des Gesundheitszustandes oder auf ein
zuungunsten der Versicherten verscho- gestiegenes Anspruchsniveau zurückzu-
ben, denn darin wurde erstmals der Bei- führen sein. Dies erklärt zum Beispiel
tragssatz für die Arbeitgeber zur Gesetz- den Befund, dass bei vergleichbarem ge-
lichen Krankenversicherung festgeschrie- sundheitlichem Status die Zufriedenheit
ben. Künftige Ausgabensteigerungen älterer Menschen höher ist als die jünge-
müssen daher vorrangig aus dem Kreis rer. Diese Differenzierung wird noch
der Versicherten über Zusatzbeiträge ge- deutlicher, wenn die Veränderungen der
deckt werden. Das zentrale Ziel der deut- beiden Indikatoren nicht gleichförmig
schen Gesundheitspolitik ist die Sicher- verlaufen; wenn also mit einer Verbesse-
stellung einer umfassenden Versorgung rung der Gesundheitszustandsbeschrei-
mit medizinischen Leistungen für alle bung eine Verschlechterung der Zufrie-
Schichten und Gruppen der Bevölkerung. denheit einhergeht.
Vor dem Hintergrund einer zunehmen- In Tabelle 1 wird die Einschätzung
den finanziellen Belastung für die Versi- des Gesundheitszustandes differenziert
cherten und Patienten, stellt sich jedoch nach sozialen Merkmalen in den Jahren
die Frage, ob sie dieses Ziel weiterhin er- 1992, 2002 und 2012 ausgewiesen. Wird
reichen kann. nach Altersgruppen unterschieden, be-
Angesichts dieser Umbruchsituation stätigt sich der Zusammenhang zwi-
ist die dauerhafte und detaillierte Beob- schen dem tatsächlichen Gesundheits
achtung von Gesundheitszustand und ge- zustand und der Einschätzung durch die
sundheitsbezogener Lebensqualität, von Befragten. Denn mit höherem Alter
Indikatoren der Inanspruchnahme des nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, an einer
Versorgungssystems und die Erfassung oder an mehreren Krankheiten zu leiden.
der individuellen Präferenzen von Versi- Über die Zeit hinweg hat jedoch der An-
cherten und Patienten mehr denn je von teil der Personen im Alter ab 60 Jahren,
Bedeutung. Denn deren Berücksichti- die ihren Gesundheitszustand als gut be-
gung ist eine entscheidende Bedingung zeichnen, zugenommen. Dieser Befund
für die erfolgreiche Umsetzung der ein- kann ein Hinweis darauf sein, dass die
291
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.2 / Gesundheit, Einstellungen und Verhalten
u Tab 1 Bewertung des Gesundheitszustandes nach sozio-demografischen Merkmalen 1992, 2002 und 2012 — in Prozent
Geschlecht
Männer 58 50 51 28 34 33 14 16 16
Frauen 48 44 47 32 35 33 20 20 19
Alter
Bis 40 Jahre 75 69 70 19 24 22 6 7 8
40 – 59 Jahre 48 46 48 34 36 35 17 17 16
Ab 60 Jahre 23 23 30 43 45 41 35 32 29
Berufsbildung
Ohne Abschluss 42 38 42 34 37 35 24 26 23
Mittlerer Abschluss 52 46 43 31 36 37 17 18 20
Fachhoch-, Hochschule 64 54 56 26 33 30 10 13 14
Erwerbstätigkeit
Vollzeiterwerbstätig 64 60 59 27 31 32 9 10 9
Teilzeiterwerbstätig 58 51 55 30 37 33 12 12 12
Nicht erwerbstätig 41 36 40 33 37 35 25 26 26
Monatliches Haushaltseinkommen1
< 1 000 Euro 33 36 33 36 34 34 31 31 33
1 000 – 2 000 Euro 43 39 41 34 38 37 23 23 22
2 000 – 3 000 Euro 55 48 52 30 35 33 15 17 16
> 3 000 Euro 61 58 60 27 31 30 12 11 10
Kassenwechsler (nur GKV)
nein – 46 49 – 35 33 – 19 18
ja – 63 57 – 29 29 – 8 14
Region
Westdeutschland 51 48 50 31 34 33 18 18 17
Ostdeutschland 56 45 45 30 36 36 14 19 19
allgemein steigende Lebenserwartung höheres Bildungsniveau geht oftmals mit ten gegenüber Teilzeitbeschäftigten. Die-
mit einem Zuwachs an gesunden Lebens- einem gesundheitsbewussten Verhalten ser Befund ist aber vorrangig auf die un-
jahren verbunden ist, was im Einklang einher. u Tab 1 terschiedliche geschlechtsspezifische
mit der sogenannten Kompressionsthese Daneben finden sich auch geschlechts- Einschätzung des Gesundheitszustands
in den Gesundheitswissenschaften stün- spezifische Unterschiede: Frauen beurtei- zurückzuführen und spiegelt wiederum
de. Ein höheres Bildungs- aber vor allem len ihren Gesundheitszustand kritischer keine realen Morbiditätsunterschiede
ein höheres Einkom-mensniveau sind als Männer. Diese Unterschiede spiegeln wider. Nicht Erwerbstätige schätzen mit
mit einer besseren Einschätzung des Ge- allerdings keine realen Morbiditätsdiffe- Abstand ihren Gesundheitszustand am
sundheitszustands verbunden. Dies steht renzen wider. Bisher gibt es für diese schlechtesten ein. Dieses Ergebnis ist vor-
im Einklang mit gesundheitswissen- Differenzen noch keine umfassenden und rangig dem höheren Lebensalter dieser
schaftlichen Analysen, die die Bedeu- allgemein akzeptierten Erklärungen. Im Personen geschuldet. Bei Personen im er-
tung von individuell zur Verfügung ste- Hinblick auf die Erwerbsbeteilung zeigt werbsfähigen Alter kann ein schlechter
henden Ressourcen für den Gesund- sich eine bessere Einschätzung des Ge- Gesundheitszustand aber sowohl Folge
heitszustand b etonen. Insbesondere ein sundheitszustands bei Vollzeitbeschäftig- als auch Ursache von Arbeitslosigkeit
292
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten / 10.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Abb 1 Entwicklung der Zufriedenheit mit der Gesundheit 1990 – 2013 — Mittelwerte auf einer Zufriedenheitsskala von 0 bis 10
7,0
6,8
6,6
6,4
6,2
6,0
5,8
5,6
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
Westdeutschland Ostdeutschland
sein. Insbesondere psychische Erkran- den« variiert. Vergleicht man die Ent- 10.2.2 Sorgen um die eigene
kungen kommen bei Arbeitslosen im wicklung zwischen den beiden Landestei- Gesundheit
Vergleich zu Erwerbstätigen deutlich len über die vergangenen 20 Jahre, zeigt Ein weiterer subjektiver Indikator, der die
häufiger vor. Zwischen den beiden Lan- sich der überraschende Befund, dass im psychosoziale Dimension von Gesundheit
desteilen haben sich Veränderungen er- Jahr 1990 die Zufriedenheit in Ost- zu erfassen versucht, ist die Sorge um die
geben. Während Anfang der 1990er- deutschland knapp über dem Niveau im eigene Gesundheit. Dieser Indikator kann
Jahre der Gesundheitszustand in Ost- Westteil des Landes lag. Seitdem haben als negatives Maß des subjektiven Wohlbe-
deutschland noch besser eingeschätzt sich die beiden Landesteile in ihren Zu- findens und subjektiv empfundener Unsi-
wurde als in Westdeutschland, hat sich friedenheitsniveaus auseinanderentwi- cherheit verstanden werden und unter-
dies zuungunsten der Personen in Ost- ckelt. Im Jahr 2001 war bislang der größ- scheidet sich von der Zufriedenheit mit der
deutschland verschoben. Dies zeigt sich te Unterschied zu konstatieren, welcher Gesundheit darin, dass nicht vorrangig die
auch in der Analyse der Gesundheits sich anschließend nur geringfügig verän- aktuelle gesundheitliche Verfassung be-
zufriedenheit. dert hat. Das unterschiedliche Zufrieden- schrieben wird, sondern dass stärker eine
Die stärker subjektive Komponente heitsniveau in den beiden Landesteilen Erwartungskomponente in der subjektiven
der Einschätzung der gesundheitlichen dürfte dabei vor allem auf eine unter- Einschätzung enthalten ist. Dabei spielt für
Situation wird in Abbildung 1 anhand schiedliche demografische Entwicklung das gesundheitsrelevante Verhalten die
der Zufriedenheit mit der Gesundheit zurückzuführen sein, da der Anteil jün- Einstellung zur eigenen Gesundheit eine
dargestellt. Die Zufriedenheit wird dabei gerer und damit für gewöhnlich gesund- wichtige Rolle. Ist eine Person in besonde-
anhand einer 11er-Skala erhoben, die heitlich zufriedenerer Menschen in Ost- rem Maße um ihre Gesundheit besorgt,
zwischen den Werten 0 »ganz und gar deutschland seit der Vereinigung abge- kann dies zu einer Veränderung ihres Ver-
unzufrieden« bis 10 »ganz und gar zufrie- nommen hat. u Abb 1 haltens führen. Die Antwortkategorien zur
293
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.2 / Gesundheit, Einstellungen und Verhalten
uTab 2 Große Sorgen über die eigene Gesundheit 2000, 2005, 2010 und 2013 Generell gilt zudem, dass sich mehr
— in Prozent Frauen große Sorgen um ihre Gesundheit
2000 2005 2010 2013
machen als Männer, was auf einen be-
wussteren Umgang mit ihrer Gesundheit
Insgesamt 19 20 22 19
schließen lässt. Sowohl Personen mit
Geschlecht
niedrigem Einkommen als auch diejeni-
Männer 16 19 20 17
gen, die über einen schlechten Gesund-
Frauen 21 22 23 20
heitszustand verfügen oder in Ost-
Alter
deutschland leben, sind häufiger besorgt.
Bis 40 Jahre 10 11 13 11
Überraschend ist hierbei, dass in der
40 – 59 Jahre 18 19 21 18
Gruppe mit einem weniger guten oder
Ab 60 Jahre 30 33 31 26
schlechten Gesundheitszustand seit 2000
Berufsbildung
der Anteil mit großen Sorgen abgenom-
Ohne Abschluss 27 29 31 25
men hat. Hier dürften neben Gewöh-
Mittlerer Abschluss 19 20 23 20
nungseffekten vermutlich auch Fort-
Fochhoch-, Hochschule 11 14 14 11
schritte in der medizinischen Behand-
Erwerbstätigkeit
lung zu einem positiveren Blick in die
Vollzeiterwerbstätig 12 12 14 11
Zukunft beitragen.
Teilzeiterwerbstätig 14 15 17 14
Nicht erwerbstätig 26 28 29 26
Monatliches Haushaltseinkommen1
10.2.3 Übergewicht und Adipositas
< 1 000 Euro 30 30 36 32
in Deutschland
1 000 – 2 000 Euro 24 27 28 23
Adipositas (Fettsucht) gehört unbestrit-
2 000 – 3 000 Euro 17 19 21 16
ten zu den größten Risikofaktoren für
> 3 000 Euro 12 12 13 10
eine Reihe von Krankheiten. So besteht
Kassenwechsler (nur GKV)
ein deutlicher Zusammenhang mit Herz-
nein 19 21 22 19
Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.
ja 11 16 15 17
Deshalb stellt die kontinuierliche Beob-
Region
achtung des Körpergewichts in der Be-
Westdeutschland 18 20 21 17 völkerung eine wichtige Aufgabe der Ge-
Ostdeutschland 22 25 25 23 sundheitsberichterstattung und der (Pri-
Gesundheitszustand mär-)Prävention dar. Das international
sehr gut 4 4 4 2 am weitesten verbreitete Instrument zur
gut 5 5 8 5 Einteilung nach Gewichtsklassen ist der
zufriedenstellend 16 15 19 16 Body-Mass-Index (BMI). Dieser berech-
weniger gut 57 55 54 51 net sich aus dem Körpergewicht in Kilo-
schlecht 92 91 86 86 gramm dividiert durch die Körpergröße
in Metern zum Quadrat. In Tabelle 3 sind
1 Inflationsbereinigte Nettoeinkommen in Preisen von 2010.
Datenbasis: SOEP 2013. Kategorien aufgeführt, die einer Fest
legung durch die Weltgesundheitsorgani-
sation (WHO) entsprechen. Gezeigt wer-
Frage nach den Sorgen um die eigene Ge- gilt, dass mit zunehmenden Alter auch den auch die jeweiligen Risiken für Be-
sundheit sind »große Sorgen«, »einige Sor- die großen Sorgen um die Gesundheit gleiterkrankungen, die von der WHO
gen« und »keine Sorgen«. In Tabelle 2 wird zunehmen, in der Gruppe der über formuliert worden sind. u Tab 3
der Anteil der Personen ausgewiesen, die 60-Jährigen hat sich das Sorgenniveau in Umstritten ist, ob bereits die Gruppe
angeben, große Sorgen zu haben. u Tab 2 den letzten Jahren jedoch leicht reduziert. »Präadipositas« – immerhin mehr als ein
Insgesamt ist rund ein Fünftel aller Auch dieser Befund kann dahin gehend Drittel der erwachsenen Bevölkerung –
Personen um ihre Gesundheit sehr be- gedeutet werden, dass die zunehmende als Zielgruppe für Aktionen zur Ge-
sorgt. Seit 2000 pendelt der Anteil der Lebenserwartung mit einem Zuwachs an wichtsreduzierung gehören sollte, denn
sehr Besorgten um dieses Niveau, obwohl gesunden Lebensjahren verbunden ist. nach einer umfassenden Metastudie ist
insgesamt die Lebenserwartung und da- Bei den jüngeren Altersgruppen zeigen geringfügiges Übergewicht nicht mit ei-
mit das durchschnittliche Alter der Be- sich dagegen über die Zeit keine bedeu- nem höheren Mortalitätsrisiko assoziiert.
völkerung leicht zugenommen hat. Zwar tenden Veränderungen. Zudem wird von der Gruppe mit Präadi-
294
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten / 10.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Tab 3 Body-Mass-Index in West- und Ostdeutschland 2002, 2006 und 2012 — in Prozent
Übergewicht ≥25
u Tab 4 Adipositas (BMI≥30) nach Geschlecht und Alter 2002, 2006 und 2012 — in Prozent
Insgesamt 14 17 19 14 16 17 14 16 18
Altersgruppen
Bis 20 Jahre 2 6 6 2 2 4 2 4 5
20 – 29 Jahre 6 8 10 7 8 9 7 8 9
30 – 39 Jahre 11 11 17 9 12 13 10 11 15
40 – 49 Jahre 15 19 19 14 16 18 15 17 19
50 – 59 Jahre 19 24 25 15 20 24 17 22 24
60 – 69 Jahre 19 21 25 20 22 21 20 21 23
Ab 70 Jahre 13 17 19 18 20 20 16 19 20
positas ein hohes Maß an Wohlbefinden Bundesländern, wenngleich hier mit einem zelnen Altersgruppen bestehen erhebliche
berichtet. Unstrittig dagegen ist, dass die- Anteil von einem Fünftel weiterhin mehr Unterschiede in den Anteilen von Überge-
jenigen, die einen BMI von 30 und mehr Personen mit ausgeprägtem Übergewicht wichtigen zwischen Männern und Frauen.
aufweisen und die deshalb als adipös leben. Während insbesondere in den Altersgrup-
(fettsüchtig) gelten, mit einem erhebli- Der zunehmende Anteil von Personen pen der 20- bis 39-Jährigen und der 60- bis
chen Risiko für Begleiterkrankungen mit ausgeprägtem Übergewicht kann mit 69-Jährigen der Anteil der Übergewichti-
rechnen müssen. Entsprechend finden der Alterung der Bevölkerung zusammen- gen bei Männern überwiegt, neigen hinge-
sich bei Adipösen auch höhere Inan- hängen. In Tabelle 4 wird deshalb eine nach gen Frauen im Alter ab 70 Jahren stärker zu
spruchnahmeraten in Form von vermehr- Alter und Geschlecht differenzierte Auf- Adipositas.
ten Arztbesuchen oder Krankenhausauf- schlüsselung nur für diejenigen Personen
enthalten im Vergleich zu denjenigen mit dargestellt, die einen BMI von 30 und mehr 10.2.4 Inanspruchnahme von ambu-
Normalgewicht. aufweisen. Während noch 2002 Männer lanten Gesundheitsleistungen
In beiden Landesteilen hat der Anteil und Frauen gleich häufig von Adipositas be- Indikatoren zur Inanspruchnahme von
der Adipösen zwischen 2002 und 2012 troffen waren, ist der Zuwachs bis 2012 mit Gesundheitsleistungen dokumentieren
zugenommen. Dies steht weitgehend im rund 5 gegenüber 3 Prozentpunkten unter nicht nur das Krankheitsgeschehen der
Einklang mit internationalen Trends. Männern größer als bei Frauen. u Tab 4 Bevölkerung, sondern bilden auch eine
Mehr als jeder Sechste der Bevölkerung Der Anteil der Übergewichtigen steigt wichtige Basis zur Einschätzung der Ver-
hat derzeit einen BMI von 30 oder mehr. zunächst mit zunehmendem Alter an, um sorgungssituation. Struktur und Ent-
Dabei ist der Zuwachs an Adipösen in dann im höheren Alter von mehr als 70 wicklung der Inanspruchnahme von Ge-
Westdeutschland stärker als in den neuen Jahren wieder leicht zurückzugehen. In ein- sundheitsleistungen geben zudem Hin-
295
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.2 / Gesundheit, Einstellungen und Verhalten
u Tab 5 Arztbesuche und durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche pro Patient im letzten Quartal 1995, 2000, 2005, 2010 und 2013
Arztbesuche Kontaktfrequenz
1995 2000 2005 2010 2013 1995 2000 2005 2011 2013
in % Mittelwert
Insgesamt 72 69 70 71 75 4,5 4,0 3,8 3,5 3,4
Geschlecht
Männer 64 62 64 65 71 4,1 3,8 3,7 3,4 3,3
Frauen 79 75 75 76 79 4,8 4,1 4,0 3,5 3,5
Alter
Bis 40 Jahre 63 59 60 59 67 3,3 3,3 3,1 2,9 3,0
40 – 59 Jahre 70 65 66 67 71 4,6 3,8 3,7 3,4 3,5
Ab 60 Jahre 88 84 85 85 85 5,7 4,7 4,5 3,9 3,6
Berufsbildung
Ohne Abschluss 76 71 71 70 76 5,0 4,5 4,2 3,6 3,5
Mittlerer Abschluss 72 68 70 72 75 4,6 4,0 3,8 3,6 3,4
Fachhoch-, Hochschule 70 68 72 72 74 3,5 3,4 3,6 3,2 3,3
Erwerbstätigkeit
Vollzeiterwerbstätig 62 59 61 62 67 3,7 3,3 3,1 2,9 3,0
Teilzeiterwerbstätig 70 68 70 71 74 3,6 3,4 3,5 3,4 3,1
Nicht erwerbstätig 80 77 77 77 81 5,1 4,5 4,4 3,8 3,7
Monatliches Haushaltseinkommen1
< 1 000 Euro 76 75 71 71 77 4,3 5,0 4,3 3,7 3,8
1 000 – 2 000 Euro 74 72 73 74 78 5,3 4,2 4,2 3,7 3,6
2 000 – 3 000 Euro 72 67 69 69 74 4,3 3,9 3,7 3,5 3,3
> 3 000 Euro 66 65 67 69 71 4,0 3,5 3,5 3,1 3,1
Kassenwechsler (nur GKV)
nein 72 69 70 71 75 4,5 4,0 3,9 3,5 3,4
ja – 65 64 64 69 – 3,5 3,4 2,9 4,0
Region
Westdeutschland 72 68 69 70 75 4,7 4,1 3,9 3,5 3,5
Ostdeutschland 75 72 72 73 74 3,8 3,5 3,6 3,1 3,2
Gesundheitszustand
sehr gut 43 45 44 46 55 2,4 2,1 2,1 1,8 2,1
gut 62 58 58 60 65 2,8 2,5 2,5 2,4 2,4
zufriedenstellend 78 77 77 77 81 3,9 3,7 3,4 3,3 3,1
weniger gut 92 91 91 89 90 7,2 6,0 5,7 4,9 5,0
schlecht 98 97 95 95 95 10,9 10,0 8,6 7,2 7,7
weise für die Beurteilung der Kosten im nen, die in den letzten drei Monaten vor und sagt auch etwas aus über die Entschei-
Gesundheitswesen sowie auf Versor- der Befragung mindestens einmal einen dungen der Ärzte und ihr therapeutisches
gungsdefizite, Überkapazitäten und Inef- Arzt aufgesucht haben. Hierbei kann es Handeln. Die Kontakthäufigkeiten inner-
fizienzen. Diese Indikatoren stellen damit sich um Arztbesuche aufgrund einer aku- halb der Krankheitsepisoden werden des-
auch eine empirische Basis zur Beurtei- ten oder chronischen Erkrankung han- halb auch durch das Überweisungs- bezie-
lung der Bedarfsgerechtigkeit dar. deln, aber auch um Vorsorgeuntersuchun- hungsweise Wiederbestellverhalten der je-
Die ambulante Inanspruchnahme gen im Rahmen von Präventionsprogram- weiligen Ärzte bestimmt. u Tab 5
wird hier mit zwei Indikatoren beschrie- men. Der Indikator »Kontaktfrequenz« Mehr als zwei Drittel der Bevölke-
ben. Die »Quartalsinanspruchnahme« be- pro Patient im letzten Quartal bezieht sich rung kontaktierten in den vergangenen
zieht sich auf den Anteil derjenigen Perso- stärker auf einzelne Krankheitsepisoden drei Monaten einen Arzt. Dieser Anteil
296
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten / 10.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
hat sich insgesamt in den letzten Jahren ärztliche Konsultationen mit dem Wegfall Zwischen den verschiedenen sozio-
kaum verändert, zuletzt stieg dieser Wert der Praxisgebühr wieder vermehrt getä- demografischen Gruppen haben sich die
2013 aber leicht an. Dies kann dadurch tigt werden. Unterschiede in der Kontaktfrequenz in
erklärt werden, dass in dem entsprechen- Bezogen auf die Kontaktfrequenz zeigt den letzten 20 Jahren reduziert und vari-
den Befragungsjahr ein größerer Anteil sich ein generell rückläufiger Trend. Dies ieren im Durchschnitt nur noch gering-
von Interviews bereits in den Wintermo- überrascht insofern, da über einen Zeit- fügig untereinander. Eine Ausnahme bil-
naten durchgeführt wurde, in denen sai- raum von nahezu 20 Jahren die Bevölke- det der Gesundheitszustand. Hier gilt
sonal bedingt verstärkt Erkältungs- rung im Durchschnitt gealtert ist und eine weiterhin, dass die Zahl der Arztbesuche
krankheiten auftreten. Zudem wurde die zunehmende Inanspruchnahme gesund- erwartungsgemäß mit einem von den
im Jahr 2004 eingeführte Praxisgebühr heitlicher Dienstleistungen zu vermuten Befragten schlechter eingeschätzten Ge-
für die Erstinanspruchnahme ambulan- gewesen wäre. Betrachtet man die Gruppe sundheitszustand zunimmt. Allerdings
ter ärztlicher Behandlung innerhalb ei- der über 60-Jährigen, so lässt sich ein hat über die Zeit hinweg die Zahl der
nes Quartals zum 1.1.2013 abgeschafft, überdurchschnittlicher Rückgang in der Arztbesuche bei Personen mit einem weni-
wodurch es ebenfalls zu einem Anstieg Zahl der Arztbesuche beobachten. Wäh- ger guten oder schlechten Gesundheits-
der Arztbesuche gekommen sein könnte. rend sie Mitte der 1990er-Jahre noch zustand überdurchschnittlich abgenom-
Innerhalb der sozio-demografischen durchschnittlich 5,7 Mal im letzten Quar- men. Hier kann vermutet werden, dass
Gruppen sind die Strukturen über die tal einen Arzt aufsuchten, lag dieser Wert die sukzessive Einführung von sogenann-
Zeit hinweg stabil. Stets gilt, dass Frauen 2013 nur noch bei 3,6. Dies kann als weite- ten strukturierten Behandlungsprogram-
häufiger zum Arzt gehen als Männer, sowie rer Beleg für die oben angesprochene men in der Gesetzlichen Krankenversi-
dass die Wahrscheinlichkeit für einen Kompressionsthese gedeutet werden, nach cherung zu diesem Rückgang beigetra-
Erstkontakt mit absteigender Einschät- der die allgemein steigende Lebenserwar- gen hat. Diese Programme sehen eine
zung des Gesundheitszustandes kontinu- tung mit einem Zuwachs an gesunden intensive Betreuung für Versicherte, die
ierlich zunimmt. Dies korrespondiert Lebensjahren verbunden ist. an chronischen Erkrankungen leiden,
auch mit dem Befund, dass mit einem
höheren Lebensalter erwartungsgemäß
3/4
auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt,
einen Arzt aufzusuchen.
Beim Haushaltseinkommen zeigte
sich Mitte der 1990er-Jahre noch ein höhe-
rer Anteil von Arztbesuchen bei niedrigeren
Einkommensgruppen. Dieser Unterschied
hat sich bis zum Jahr 2010 reduziert. Eine
mögliche Ursache für diesen Rückgang
könnte in der Einführung der Praxisge- der Bevölkerung kontaktierten
bühr liegen, da diese eine monetäre Barri- 2013 in den vergangenen drei
Monaten einen Arzt.
ere für die Erst-Inanspruchnahme ambu-
lanter Leistungen darstellt, die besonders
untere Einkommensgruppen betrifft.
Zeitgleich mit dem Wegfall der Praxisge-
bühr in 2013 stieg erwartungsgemäß vor
allem für die untere Einkommensgruppe
der entsprechende Anteil wieder an. Auch
beim Gesundheitszustand kann dieser
Zusammenhang unterstellt werden. Per-
sonen mit einem weniger guten oder
schlechten Gesundheitszustand haben ei-
nen weitgehend unverändert hohen An-
teil von Erstkontakten, während bei ei-
nem sehr guten Gesundheitszustand der
Anteil zwischen 2010 und 2013 um 9 Pro-
zentpunkte ansteigt. Hier kann vermutet
werden, dass nicht zwingend notwendige
297
10 / Abb
Gesundheit und soziale
2: Entwicklung Sicherung 10.2
der durchschnittlichen Zahl / der
Gesundheit,
ArztbesucheEinstellungen
pro Patient imund Verhalten
letzten Quartal
u Abb 2 Entwicklung der durchschnittlichen Zahl der Arztbesuche pro Patient im letzten Quartal 1995 – 2013
4,7
4,5
4,4
4,3
3,4 3,4
3,3 3,3
3,2 3,2
3,1 3,1
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013
Westdeutschland Ostdeutschland
vor, um Folgeerkrankungen und unnöti- dung 2 ausgewiesen, wobei hier zusätzlich Inanspruchnahme hat sich zwischen den
ge Arztbesuche zu vermeiden und darü- nach Ost- und Westdeutschland differen- beiden Landesteilen jedoch seit 1995 ver-
ber hinaus Kosten einzusparen. Eine ziert wird. Insgesamt zeigen die Daten ringert. 2013 beträgt dieser nur noch rund
weitere Ausnahme findet sich bei denje- einen kontinuierlichen Trend zu einer Sen- 0,3 Arztbesuche pro Quartal gegenüber
nigen, die angeben, im Vorjahr ihre kung der Zahl der Arztbesuche, wobei der einem Wert von 0,9 im Jahr 1995. u Abb 2
Krankenkasse gewechselt zu haben. deutliche Rückgang zwischen 2003 und
Während in den 2000er-Jahren stets Per- 2004 auf die Einführung der Praxisgebühr 10.2.5 Stationäre Inanspruch
sonen ohne Kassenwechsel häufiger einen zurückzuführen sein dürfte. In den darauf nahme – Krankenhausaufenthalte
Arzt besucht haben als Nichtwechsler, folgenden Jahren steigt die Zahl der Arzt- Die stationäre Inanspruchnahme wird
hat sich dieser Befund 2013 umgedreht. kontakte aber wieder auf das Niveau der ebenfalls durch zwei Indikatoren abgebil-
Waren in den 2000er-Jahren vor allem fi- Vorjahre an und folgt dem langjährigen det. Die erste Kennziffer erfasst den An-
nanzielle Motive relevant für einen Kas- Trend. Bemerkenswert ist darüber hinaus, teil derjenigen Personen, die im letzten
senwechsel, gewinnen mit den jüngsten dass die Zahl der Kontakte in den neuen Jahr mindestens eine Nacht als Patient im
Gesundheitsreformen die Behandlungs- Bundesländern stets niedriger ist als im Krankenhaus verbracht haben. Die zweite
qualität, der Leistungsumfang oder auch Westen. Möglicherweise zeigt sich immer Kennziffer ist die Gesamtzahl der im letz-
die Erreichbarkeit einer Krankenkasse noch der Einfluss der in der DDR vorherr- ten Jahr pro Patient verbrachten Nächte
an Bedeutung. Diese Aspekte haben für schenden Form der ambulanten Versor- im Krankenhaus. Da die niedergelasse-
ältere Versicherte eine größere Relevanz gung durch Polikliniken. Diese Form der nen Ärzte über die stationäre Einweisung
und haben mit dazu geführt, dass sich Versorgung wies deutliche Parallelen auf entscheiden, hängt die Höhe des Anteils
die Population der Kassenwechsler ver- zu Strukturen, auf die die neuen Formen derer, die mindestens einmal im Jahr im
ändert hat. der Versorgung (integrierte Versorgung; Krankenhaus waren, auch vom Verhalten
Die längerfristige Entwicklung der am- medizinische Versorgungszentren) abzie- der Ärzte ab. Die Gesamtzahl der im
bulanten Inanspruchnahme ist in Abbil- len. Der Unterschied in der ambulanten Krankenhaus verbrachten Nächte – die
298
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten / 10.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Tab 6 Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr und Dauer des Aufenthalts pro Patient 1995, 2000, 2005, 2010 und 2013
1995 2000 2005 2010 2013 1995 2000 2005 2010 2013
Anteil in % Mittelwert
Insgesamt 13 12 12 12 13 19 16 15 13 12
Geschlecht
Männer 10 11 11 12 13 22 17 16 13 12
Frauen 15 14 13 13 14 18 16 14 13 12
Alter
Bis 40 Jahre 10 10 9 7 9 11 11 10 11 7
40 – 59 Jahre 11 10 10 9 10 18 14 14 13 11
Ab 60 Jahre 18 17 18 21 21 27 21 17 14 14
Berufsbildung
Ohne Abschluss 15 14 14 12 13 22 18 16 14 13
Mittlerer Abschluss 13 13 12 13 15 19 17 15 13 12
Fachhoch-, Hochschule 10 10 11 11 11 17 14 12 12 10
Erwerbstätigkeit
Vollzeiterwerbstätig 8 10 9 9 9 13 11 10 8 8
Teilzeiterwerbstätig 8 8 7 8 10 12 10 9 10 8
Nicht erwerbstätig 17 15 15 16 17 22 20 17 16 14
Monatliches Haushaltseinkommen1
< 1 000 Euro 14 15 13 15 15 22 20 22 21 18
1 000 – 2 000 Euro 16 14 14 15 16 22 18 16 14 12
2 000 – 3 000 Euro 12 12 12 12 12 17 15 13 11 11
> 3 000 Euro 9 10 9 9 10 14 13 11 11 10
Kassenwechsler (nur GKV)
nein 13 12 12 12 13 19 16 15 13 12
ja – 9 10 8 11 – 15 12 8 10
Region
Westdeutschland 13 12 12 12 13 19 17 14 13 12
Ostdeutschland 12 13 14 13 14 19 15 15 12 11
Verweildauer – ist ein zentraler Indikator einem Krankenhausaufenthalt mit 13 % Tage zu konstatieren. Dieser Rückgang
für die stationäre Versorgung. Von einer gleich geblieben, die Verweildauer ist geht einher mit der zunehmenden Bedeu-
geringeren Verweildauer verspricht man aber deutlich um mehr als ein Drittel ge- tung ambulanter Pflegedienste, die die
sich eine deutliche Senkung der Ausgaben sunken. weitere Versorgung von aus dem Kran-
für das Gesundheitswesen. Denn die Aus- Bedingt durch das höhere durch- kenhaus entlassenen Patienten mit leisten.
gaben für die stationäre Versorgung ma- schnittliche Alter von Frauen, haben diese Die Gefahr einer stark reduzierten Ver-
chen gut ein Drittel der gesamten Ge- eine etwas höhere Häufigkeit von Kran- weildauer besteht jedoch darin, dass Pati-
sundheitsausgaben aus. u Tab 6 kenhausaufenthalten. Zudem gilt, dass enten zu früh aus der stationären Behand-
Im internationalen Vergleich wies mit zunehmendem Alter sowohl die Zahl lung entlassen werden und es zu soge-
und weist Deutschland eine überdurch- als auch die Dauer von Krankenhausauf- nannten Drehtüreffekten kommen kann,
schnittliche Dauer von Krankenh aus enthalten zunimmt. Die Gruppe der Älte- wenn bei Komplikationen eine erneute
aufenthalten auf, weshalb die Politik die ren ist aber auch gleichzeitig diejenige, für Einweisung in das Krankenhaus notwen-
Prämisse »ambulant vor stationär« setzte, die über die Zeit hinweg die stärkste Re- dig wird.
um vorrangig die Ausgaben im stationä- duktion in der Verweildauer zu beobach- Bei der Inanspruchnahme des stationä-
ren Sektor zu begrenzen. Von 1995 auf ten ist. Zwischen 1995 und 2013 ist ein ren Sektors liegt auch ein Einkommens-
2013 ist zwar der Anteil der Personen mit Rückgang um 13 Tage auf nunmehr 14 und Bildungsgradient vor. Personen mit
299
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.2 / Gesundheit, Einstellungen und Verhalten
u Tab 7 Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung mit einer geringem Einkommen und ohne beruf
privaten Zusatzversicherung 2000, 2004, 2008 und 2012 — in Prozent lichen Abschluss weisen nicht nur häufige-
2000 2004 2008 2012
re Krankenhausaufenthalte auf, auch de-
ren Verweildauer ist deutlich höher als bei
Private Zusatzversicherung
Personen aus der höchsten Einkommens-
ja 9,6 11,4 18,8 21,6 gruppe beziehungsweise bei Fachhoch-
Leistungsumfang schul- oder Universitätsabsolventen. Die
(Mehrfachnennungen möglich) Gruppe der unteren Einkommensbezie-
Krankenhausbehandlung 7,1 8,3 10,6 10,8 her sowie diejenigen ohne beruflichen Ab-
Zahnersatz 3,7 5,6 13,2 16,6 schluss weisen zudem überdurchschnitt-
Heil- und Hilsmittel 2,7 3,8 7,8 8,7 lich starke Rückgänge bei der Verweildau-
Auslandsaufenthalt 2,6 3,8 7,5 7,5
er auf. Diese fallen bei beiden Gruppen mit
zehn beziehungsweise neun Tagen weni-
Sonstiges 1,5 1,9 2,4 2,8
ger seit 1995 fast so groß aus wie bei den
Geschlecht
Personen im Alter ab 60 Jahren.
Männer 9,2 11,0 17,1 20,3
300
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten / 10.2 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
der größte Zuwachs mit mehr als einer lenzprinzip im Gegensatz zum in der ge-
Verdreifachung seit 2000 zu beobachten. setzlichen Krankenversicherung ange-
Diese Entwicklung geht vermutlich darauf wendeten Solidarprinzip wirken. Danach
zurück, dass seit 2005 in der gesetzlichen bemisst sich die Prämienhöhe einer pri-
Krankenversicherung für Zahnersatz nur vaten Versicherung nach dem Risiko, das
noch ein befundbezogener Festzuschuss maßgeblich von dem aktuellen Gesund-
für eine Regelversorgung vorgesehen ist, heitszustand und dem Alter abhängt.
der unabhängig von den tatsächlichen Be- Dies bedeutet, dass Personen mit Vorer-
handlungskosten ist. Darüber hinaus ge- krankungen einen deutlich höheren Preis
hende Leistungen müssen privat getragen für eine private Zusatzversicherung zah-
werden – beispielsweise mittels einer Zu- len müssen, was diese entsprechend weni-
satzversicherung. Die am zweithäufigsten ger attraktiv macht.
genannte Zusatzversicherung umfasst den Die Zahlen zur Struktur der privaten
Bereich der Krankenhausbehandlung. Da- Krankenzusatzversicherung sind auch
rüber hinaus haben Zusatzversicherungen Ausdruck eines verstärkten, politisch ge-
für Heil- und Hilfsmittel – unter anderem wünschten Wettbewerbs zwischen den
Brillen und andere Sehhilfen überdurch- gesetzlichen Kassen. Sie zeigen, dass für
schnittlich an Bedeutung gewonnen. Versicherte und Patienten Leistungsum-
Private Zusatzversicherungen schlie- fang und Leistungsqualität zunehmend
ßen Frauen und Personen mittleren Alters an Bedeutung gewinnen.
besonders häufig ab. Zudem kann ein
Bildungs- und Einkommensgradient be 10.2.7 Ausblick
obachtet werden. Personen mit einem Internationale Vergleichsstudien zeigen,
Fachhochschul- oder Universitätsabschluss dass die Kosten für die Gesundheitsversor-
haben dreimal häufiger eine Zusatzver gung in Relation zum Bruttoinlandspro-
sicherung als Personen ohne beruflichen dukt in Deutschland nach den USA und
Bildungsabschluss. Vergleichbares gilt der Schweiz am höchsten sind. Gleichwohl
auch beim Haushaltseinkommen, wobei nimmt Deutschland im Vergleich der
der Unterschied mit rund viermal mehr Qualität der Gesundheitsversorgung in
Versicherungsabschlüssen zwischen der einzelnen Bereichen keinen vorderen
unteren und oberen Einkommensgruppe Rangplatz ein. Dennoch kann die Gesund-
noch ausgeprägter ist. Versicherte, die eine heitsversorgung insgesamt als durchaus
Krankenkasse gewechselt haben, schließen zufriedenstellend beurteilt werden. Her-
im Durchschnitt häufiger eine Zusatzver vorzuheben ist insbesondere die im inter-
sicherung ab als Nichtwechsler. Dies weist nationalen Vergleich bisher breite Abde-
darauf hin, dass diese Angebote ein An- ckung gesundheitlicher Risiken durch das
reiz für den Wechsel der Krankenkasse deutsche Krankenversicherungssystem.
sein können, lässt sich aber auch dahin Allerdings wird sich diese Abdeckung im
gehend interpretieren, dass diese Perso- Zuge des nachhaltigen Umbaus des Ge-
nen sich bewusst mit ihrer gesundheit sundheitssystems ebenso ändern wie die
lichen Absicherung im Krankheitsfalle aus finanzielle Belastung für die Versicherten
einandersetzen. und Patienten. Deshalb wird ständig zu
Personen mit einem sehr guten oder prüfen sein, ob das Prinzip der Sicherstel-
guten Gesundheitszustand sind häufiger lung eines gleichen Zugangs zu den Ein-
im Besitz einer Zusatzversicherung als richtungen des medizinischen Versor-
diejenigen, die ihren Gesundheitszu- gungssystems durch die eingeleiteten Re-
stand schlechter einschätzen. Dies darf formen gefährdet wird.
nicht im Sinne unterschiedlicher Präfe-
renzen für einen individuellen Gesund-
heitsschutz interpretiert werden, sondern
hier dürfte das generell in der privaten
Krankenversicherung geltende Äquiva-
301
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
302
Gesundheitliche Ungleichheit / 10.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
grenze liegt, im Verhältnis zur hohen Ein- (»weniger gut« oder »schlecht«) nach drei Einkommensgruppen 2013 — in Prozent
kommensgruppe ein um das 2,7- bezie-
hungsweise 2,4-fach erhöhtes Mortalitäts Männer 41,5 Frauen
43,2
40,6
risiko. Die mittlere Lebenserwartung von
35,2
Männern der niedrigen Einkommens-
gruppe liegt bei Geburt fast elf Jahre unter 29,9
26,9
der von Männern der hohen Einkom
21,2 22,1
mensgruppe. Bei Frauen beträgt die Diffe- 19,1 19,7 21,0 20,0
renz rund acht Jahre. Auffallend ist dabei,
14,5 15,1
dass sich auch zwischen den mittleren 11,3 7,9 10,8
9,2 10,0
Einkommensg ruppen Unterschiede zei- 6,7
8,0
5,3 6,2
gen, sodass von einer graduellen Abstu-
1,3
fung der Lebenserwartung ausgegangen
werden kann. u Tab 1 18–29 30–44 45–64 Ab 65 18–29 30–44 45–64 Ab 65
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
Auch in der ferneren Lebenserwar-
tung ab einem Alter von 65 Jahren zeich- < 60 % 60 – <150% ≥150% ... des mittleren Einkommens
nen sich die Unterschiede zwischen den
Datenbasis: SOEP 2013.
Einkommensgruppen deutlich ab. Einer
aktuellen Studie zufolge beträgt die
Differenz bei Männern 5,3 Jahre und bei
u Abb 2 Adipositas (BMI≥30) nach Einkommen 2008 – 2011 — in Prozent
Frauen 3,5 Jahre. Die Differenzen in der
ferneren Lebenserwartung lassen sich der
Studie zufolge zum Teil auf eine erhöhte Männer Frauen
45,7
psychische und physische Belastung 40,9 41,0
im Lebenslauf sowie auf geringere mate- 37,7
34,1 33,4
rielle, kulturelle und soziale Ressourcen 31,8
in der unteren Einkommensgruppe zu- 28,2 27,9
24,9
rückführen. 22,9 22,8 22,1
Auf sozialräumlicher Ebene ist der Zu- 18,1 18,3 17,6
10,7 13,6 14,8
sammenhang zwischen Einkommen und 7,8
8,8
Lebenserwartung ebenfalls zu beobachten. 7,5 7,4
Im Allgemeinen gilt, dass die mittlere 2,4
L ebenserwartung bei Geburt in den Regi-
18–29 30–44 45–64 65–79 18–29 30–44 45–64 65–79
onen mit den niedrigsten Armutsrisiko- Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
quoten am höchsten ist und dass dieser
< 60 % 60 – <150% ≥150% ... des mittleren Einkommens
Zusammenhang umso stärker sichtbar
wird, je kleinräumiger die Betrachtung Datenbasis: DEGS 2008–2011.
303
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
Armuts-
74 risikoquote
8 10 12 14 16 18 20 22 24 in Prozent
Frauen Männer
304
Gesundheitliche Ungleichheit / 10.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
haben Auswirkungen auf ihr soziales Um- u Abb 5 Starke körperliche Schmerzen in den letzten vier Wochen
feld und stellen zudem die sozialen (»immer« oder »oft«) nach Bildung 2012 — in Prozent
Sicherungssysteme vor große Herausfor-
derungen. Nach den Daten der GEDA- Männer Frauen 31,5
Studie 2012 (»Gesundheit in Deutschland
aktuell«) geben Personen mit niedriger 27,9
dung und Schmerzen ist bei Männern Bildung: Niedrig Mittel Hoch
und Frauen in allen Altersgruppen zu
Datenbasis: SOEP 2012.
beobachten. Kontrolliert man den Alters-
einfluss, haben Männer der niedrigen im
Vergleich zu denen der hohen Bildungs-
gruppe ein 2,6-mal so hohes Risiko, u Tab 2 Rauchverhalten nach Bildung 2012 — in Prozent
von starken körperlichen Schmerzen be- Männer Frauen
troffen zu sein. Bei Frauen beträgt das
Ex- Nie-
entsprechende Verhältnis 2,5 zu 1. Auch Raucher
Ex- Nie- Raucher-
Raucher- Raucher-
Raucher Raucher innen
zwischen der mittleren und hohen Bil- innen innen
dungsgruppe sind signifikante Unter- 18 – 29 Jahre
schiede im Vorkommen von Schmerzen Niedrige Bildung 50,6 9,0 40,5 36,4 13,3 50,3
festzustellen. u Abb 5
Mittlere Bildung 37,6 11,1 51,3 29,4 10,7 59,9
Die Bedeutung der Bildung für das
Hohe Bildung 24,6 11,0 64,4 25,8 12,2 62,0
Gesundheitsverhalten lässt sich mit Be-
funden zum Tabakkonsum verdeutlichen. 30 – 44 Jahre
Personen mit niedriger Bildung rauchen Niedrige Bildung 50,0 20,9 29,0 46,3 12,9 40,8
weitaus häufiger als Personen mit mittle- Mittlere Bildung 40,5 23,7 35,9 31,3 22,1 46,6
rer Bildung und insbesondere als Perso- Hohe Bildung 22,9 22,5 54,7 19,1 23,6 57,3
nen mit hoher Bildung. Bei statistischer
45 – 64 Jahre
Kontrolle des Alterseffektes ist das Risiko
Niedrige Bildung 37,9 34,7 27,4 29,9 26,4 43,7
zu rauchen bei Männern und Frauen mit
niedriger im Vergleich zu denen mit Mittlere Bildung 34,1 35,5 30,3 29,3 25,6 45,1
hoher Bildung um den Faktor 2,3 bezie- Hohe Bildung 22,3 33,1 44,6 17,0 26,0 57,0
hungsweise 2,0 erhöht. Am Verhältnis Ab 65 Jahre
von ehemaligen und aktuellen Rauchern Niedrige Bildung 15,7 43,9 40,3 9,2 15,6 75,2
und Raucherinnen wird zudem deutlich,
Mittlere Bildung 15,3 50,9 33,8 10,3 23,0 66,7
dass Personen mit niedriger Bildung sel-
Hohe Bildung 10,5 45,4 44,2 8,0 27,3 64,7
tener beziehungsweise später das Rauchen
wieder aufgeben. u Tab 2 Datenbasis: GEDA 2012.
305
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
uTab 3 Sportliche Aktivität in den letzten drei Monaten nach Bildung 2012 Vergleichs der Geburtskohorten 1925 und
— in Prozent 1955 legen nahe, dass der allgemeine An-
stieg der mittleren Lebenserwartung in
Männer Frauen
engem Zusammenhang mit der Auswei-
≤2 >2 ≤2 >2
Kein Sport Stunden Stunden Kein Sport Stunden Stunden
tung der Bildungsbeteiligung der Bevöl-
pro Woche pro Woche pro Woche pro Woche kerung zu sehen ist. Männer im Alter von
18 – 29 Jahre 45 Jahren, die das Abitur oder Fachabitur
Niedrige Bildung 29,6 14,2 56,2 26,4 23,1 50,6
erworben haben, leben im Durchschnitt
5,3 Jahre länger als gleichaltrige Männer
Mittlere Bildung 12,1 15,7 72,2 13,8 27,5 58,8
mit Hauptschulabschluss oder ohne
Hohe Bildung 9,3 14,8 75,9 13,6 27,9 58,5
Schulabschluss.
30 – 44 Jahre
Niedrige Bildung 47,7 20,9 31,4 54,5 21,5 23,9 10.3.3 Arbeitsweltbezogene
Mittlere Bildung 31,2 21,8 47,1 28,1 28,4 43,6 Einflüsse auf Gesundheit
Hohe Bildung 11,8 28,4 59,8 19,7 33,7 46,6
Krankheits- oder unfallbedingte Fehlzeiten
sind ein zentraler Indikator arbeits
45 – 64 Jahre
weltbezogener Einflüsse auf die Gesundheit.
Niedrige Bildung 48,9 19,5 31,5 43,8 21,0 35,2
Sie machen auf Gesundheitsrisiken und
Mittlere Bildung 37,7 21,2 41,1 30,1 24,9 45,0 Belastungen aufmerksam, bevor Berufs
Hohe Bildung 18,1 26,7 55,2 16,9 29,3 53,8 krankheiten entstehen oder es zu vor
Ab 65 Jahre zeitigen krankheitsbedingten Rentenein
Niedrige Bildung 56,9 13,0 30,1 56,2 20,7 23,1
tritten kommt. Die Fehlzeiten lassen sich
zudem nach Diagnosen differenzieren und
Mittlere Bildung 44,5 12,5 43,1 39,5 25,3 35,2
geben dadurch einen Überblick über die
Hohe Bildung 30,9 18,6 50,5 25,5 23,8 50,6
Krankheitslast in der erwerbstätigen Be-
Datenbasis: GEDA 2012. völkerung. Im Jahr 2013 gingen nach Er-
gebnissen der Bundesanstalt für Arbeits
medizin und Arbeitsschutz (BAuA) 22 %
der krankheitsbedingten Fehlzeiten in der
deutschen Wirtschaft auf Muskel- und
Skelette rk rankungen zurück, 15 % auf
Auch in der sportlichen Aktivität tre- Gesundheitswissen und die Krankheits- Atemwegse rkrankungen, 14 % auf psy
ten Unterschiede nach dem Bildungs bewältigung. Beispielsweise nehmen Per- chische und Verhaltensstörungen, 10 % auf
niveau z utage. Personen mit niedriger sonen mit niedriger Bildung seltener Unfälle und Verletzungen und 6 % auf
Bildung haben deutlich häufiger in den Krebsfrüherkennungsuntersuchungen Herz-Kreislauferkrankungen. Die Kosten
letzten drei Monaten keinen Sport getrie- und andere Präventionsangebote wahr, des durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten
ben als Personen mit mittlerer und hoher die größtenteils zum Leistungskatalog Produkt ionsausfalls werden für Deutsch
Bildung. Dies gilt für alle betrachteten der gesetzlichen Krankenkassen gehören, land auf 59 Milliarden Euro geschätzt.
A ltersgruppen. Unter Berücksichtigung also ohne Zuzahlungen in Anspruch ge- Die Daten zeigen außerdem, dass es im
der unterschiedlichen Alterszusammen- nommen werden können. Personen mit Jahr 2013 pro 100 Versicherte 126 Krank-
setzung der Bildungsgruppen lässt sich niedriger Bildung kennen deutlich weni- heitsfälle gab, die durchschnittlich 12 Tage
feststellen, dass Männer mit niedriger ger typische Symptome für Schlaganfall andauerten. Im Jahr 2011 waren Männer
Bildung im Vergleich zu Männern mit und Herzinfarkt als Personen mit mittle- und Frauen mit manuellen Tätigkeiten
hoher Bildung ein 4,1-mal höheres Risiko rer und hoher Bildung. Interessant ist oder in einfachen Dienstleistungsberufen
aufweisen, keinen Sport zu treiben. Frau- auch, dass Diabetiker mit niedriger Bil- deutlich häufiger und länger arbeitsun
en in der niedrigen Bildungsgruppe sind dung seltener an Diabetikerschulungen fähig als Männer und Frauen in hochqua-
3,4-mal häufiger sportlich inaktiv als teilnehmen und weitaus größere Schwie- lifizierten und wissensbasierten Berufen.
Frauen aus der höher gebildeten Ver- rigkeiten haben, die Behandlung der Er- Allerdings ist zu beachten, dass in diese
gleichsgruppe. u Tab 3 krankung im Alltag umzusetzen. Statistik nur Arbeitsunfähigkeitszeiten
Bildungsunterschiede zeigen sich dar- Die Relevanz der Bildung für die Ge- von mehr als drei Kalendertagen eingehen,
über hinaus in Bezug auf die Inanspruch- sundheit zeigt sich auch hinsichtlich der wodurch das tatsächliche Ausmaß der
nahme von Präventionsangeboten, das Lebenserwartung. Die Ergebnisse eines Fehlzeiten unterschätzt wird. u Tab 4
306
Gesundheitliche Ungleichheit / 10.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
über den Bruttostundenlohn erfasst und Warenkaufleute 97,0 9,1 109,0 10,4
nach internationalen Vorgaben ins Ver-
Ordnungs- und Sicherheitsberufe 99,3 14,2 91,2 13,5
hältnis zum Median der Einkommens
Dienstleistungskaufleute 99,7 8,9 133,3 8,0
bezieher gesetzt. Beschäftigte mit weniger
als zwei Dritteln des Medianlohns (etwa Hilfsarbeiter 100,2 9,3 114,1 9,9
9,7 Euro im Jahr 2013) werden als Niedrig Techniker 101,3 10,0 113,5 8,5
einkommensbezieher und solche mit Verkehrsberufe 111,2 13,1 118,3 12,2
mehr als 150 % als Hocheinkommensbe- Textil- und Bekleidungsberufe 112,4 12,8 137,0 12,7
zieher (22,1 Euro) angesehen. Die Ergeb-
Hoch-, Tiefbauberufe 114,1 13,4 130,4 11,9
nisse verdeutlichen, dass sowohl die
körperliche und psychosoziale Arbeits Bergleute, Mineralgewinner,
-aufbereiter, Steinbearbeiter, 118,4 12,7 102,5 10,8
belastung als auch die Unzufriedenheit Baustoffhersteller
mit der eigenen Tätigkeit bei Männern
Ausbauberufe, Polsterer 122,5 12,0 142,3 11,8
und Frauen der niedrigen Lohngruppe
größer sind als in der mittleren und hohen Warenprüfer, Versandfertigmacher 123,2 11,7 146,3 13,1
307
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
u
Abb 6 Arbeitsbelastung und Zufriedenheit nach Bruttostundenlohn 10.3.4 Arbeitslosigkeit und
bei 30- bis 64-jährigen Erwerbstätigen 2013 — in Prozent Gesundheit
Der Verlust des Arbeitsplatzes hat nicht
nur Konsequenzen für die Einkommens-
Männer Frauen
situation und den Lebensstandard, er ist
41,0
39,2 auch mit psychosozialen Belastungen und
einer Verminderung des Selbstwerts ver-
34,8 bunden. Auswirkungen auf die Gesund-
33,1
heit sind vor allem dann zu erwarten,
wenn die Arbeitslosigkeit länger andauert
und die Aussichten auf eine Rückkehr in
den Arbeitsmarkt gering sind. Der Zu-
22,4
sammenhang zwischen Arbeitslosigkeit
21,8 und Gesundheit ist darüber hinaus unter
19,2 dem Gesichtspunkt zu sehen, dass ge-
sundheitlich eingeschränkte Personen
einem höheren Risiko unterliegen, ihren
12,6 12,4
11,4 11,2 11,7 11,7 Arbeitsplatz zu verlieren und schlechtere
10,2 Chancen auf eine berufliche Wiederein-
8,4
gliederung haben.
4,4 Hinweise auf Krankheiten und Be-
1,9
schwerden, die bei arbeitslosen Männern
0,7 und Frauen vermehrt auftreten, liefert die
Niedriglohn Mittlerer Lohn Hoher Lohn Niedriglohn Mittlerer Lohn Hoher Lohn Arbeitsunfähigkeitsstatistik der gesetz
(<66 %) (66 –149 %) (≥150 %) (<66 %) (66 –149 %) (≥150 %) lichen Krankenkassen. Dem BKK-Gesund-
Körperlich belastet Psychosozial belastet Unzufrieden mit der Arbeit
heitsreport kann entnommen werden,
dass arbeitslose Versicherte im Jahr 2013
Datenbasis: SOEP 2013. mit durchschnittlich 27,1 Tagen pro Mit-
glied deutlich häufiger arbeitsunfähig
waren als pflichtversicherte Beschäftigte
und freiwillig versicherte B eschäftigte
u Abb 7 Starke gesundheitliche Belastung durch die Arbeit bei mit 13,9 beziehungsweise 9,1 Tagen.
Vollzeiterwerbstätigen nach beruflicher Qualifikation 2012 — in Prozent Eine diagnosespezifische Betrachtung
verdeutlicht, dass die Unterschiede zwi-
schen arbeitslosen und beschäftigten Versi-
Männer
31,3
Frauen cherten insbesondere bei Arbeitsunfähig-
keitstagen infolge von psychischen und
27,9
26,8 Verhaltensstörungen (in k lusive Sucht
22,9 erkrankungen), Stoffwechselkrankheiten,
21,1
20,1 Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems
18,4
16,4 und Krankheiten des Nervensystems her-
13,8 13,9 vortreten. Die Unterschiede sind sowohl
12,1
10,4 insgesamt als auch bezüglich der meisten
Diagnosen bei Männern und Frauen in
etwa gleich stark ausgeprägt. Zusammen-
genommen wurden im Jahr 2013 für
arbeitslose Versicherte etwa eineinhalbmal
18–29 30–44 45–64 18–29 30–44 45–64
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre so viele Arbeitsunfähigkeitstage verzeichnet
Berufsausbildung Hochschulabschluss wie für pflichtversicherte Beschäftigte. u Tab 5
Nicht erst Arbeitslosigkeit, sondern
Datenbasis: GEDA 2012. bereits Arbeitsplatzunsicherheit ist mit
einem häufigeren Auftreten von Gesund
308
Gesundheitliche Ungleichheit / 10.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Männer Frauen
1 Betrachtet werden Empfänger von ALG I; Verhältnis: Verhältnis von Tagen je 100 Versicherte im Vergleich von Arbeitslosen und pflichtversichert Beschäftigten.
Datenbasis: BKK, »Gesundheitsreport 2014«.
heitsproblemen assoziiert. Arb eitslose Männer und Frauen im Vergleich zu Er- Verhaltensstörungen durch Alkohol« sta-
und Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz werbstätigen in sicheren Positionen einen tionär behandelt werden. Somit scheint
als gefährdet ansehen, sind deutlich häu- insgesamt ungesünderen Lebensstil zumindest der Alkoholmissbrauch bei
figer und länger von körperlichen und haben. Dies lässt sich für den Tabakkon- Arbeitslosen stärker verbreitet zu sein als
emotionalen Bes chwerden betroffen als sum, die sportliche Inaktivität und Adi- bei Erwerbstätigen.
die Vergleichsg ruppe der erwerbst ätigen positas belegen. Nach statistischer Kon Die vorliegenden Studien sprechen
Männer und Frauen in ungefährd eten trolle für den Alterseffekt ist das Risiko darüber hinaus dafür, dass der Zusam-
Beschäftigungsv erhältnissen. Zudem zu rauchen, sportlich inaktiv oder adipös menhang zwischen Arbeitslosigkeit und
sind Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit zu sein bei arbeitslosen im Verhältnis zu Gesundheit nicht nur auf gesundheit
bedrohte Männer und Frauen, wenn sie erwerbstätigen Männern und Frauen liche Folgen von Arbeitslosigkeitserfah-
körperliche oder emotionale Probleme deutlich erhöht. Bei Langzeitarbeitslosen rungen, sondern auch auf schlechtere Be-
haben, stärker in der Verr icht ung alltäg- sind besonders viele verhaltensbezogene schäftigungschancen von Personen mit
licher Aktivitäten eingeschränkt als die Gesundheitsrisiken festzustellen. u Tab 6 gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu-
Verg leichsg ruppe. u Abb 8 Weniger eindeutig sind die Ergebnis- rückzuführen ist. Nach den Ergebnissen
Beim Blick auf das Gesundheitsver- se zum Alkoholkonsum. Die Kranken der GEDA-Studie 2010 gingen 17 % der
halten und die gesundheitsbezogenen hausstatistik verweist allerdings darauf, Männer und 14 % der Frauen mit Arbeits-
Einstellungen zeigt sich, dass Arbeitslose dass Arbeitslose häufiger als Erwerbstätige losigkeitserfahrungen in den letzten fünf
und durch Arbeitslosigkeit bedrohte in Folge der Diagnose »Psychische und Jahren davon aus, dass ihre beeinträch-
309
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
uAbb 8 Anzahl von Tagen im letzten Monat mit körperlichen beziehungsweise tigte Gesundheit ein Grund für den Ver-
emotionalen Beschwerden nach Erwerbssituation bei 18- bis 64-Jährigen 2010 lust des Arbeitsplatzes war. Die überwie-
gende Mehrheit der betroffenen Männer
Männer
und Frauen berichtete außerdem, dass
sich ihr Gesundheitszustand nach Ein-
2,7 tritt in die Arbeitslosigkeit nicht wieder
Emotionale 4,9
Beschwerden 4,8
verbessert oder sogar noch weiter ver-
6,2 schlechtert hat (jeweils 88 % der Männer
und Frauen).
2,9
Körperliche 3,9
Beschwerden 5,1 10.3.5 Migration und Gesundheit
7,8 Menschen mit Migrationshintergrund
stellen eine überaus heterogene Gruppe
dar. Sie unterscheiden sich unter ande-
Frauen
rem in Bezug auf Herkunftsland, Migra-
4,5 tionserfahrung, Aufenthaltsdauer und
Emotionale 5,8
soziale Integration (siehe Kapitel 7.3 und
Beschwerden 7,8
8,8 7.4). Wenn nach Besonderheiten der ge-
sundheitlichen Situation von Migranten
4,3
gefragt wird, sind auch psychosoziale
Körperliche 4,7
Beschwerden 6,2 Belastungen, die sich aus der Migra
9,4 tionserfahrung und Schwierigkeiten der
sozialen Integration ergeben, zu berück
Sicher beschäftigt Prekär beschäftigt Kurzzeitarbeitslos Langzeitarbeitslos
sichtigen. Außerdem spielen kulturelle
Unterschiede im Gesundheits- und
Krankheitsverständnis sowie die Verbrei-
Datenbasis: GEDA 2010.
tung von Erkrankungen und Risikofak
toren im jeweiligen Herkunftsland eine
Rolle.
Vergleichende Aussagen zum Kranken-
u Tab 6 Verhaltenskorrelierte Risikofaktoren nach Erwerbssituation
stand von Migranten und Nicht-Migran-
und Geschlecht 2011/2012 — in Prozent
ten sind anhand der Daten des Mikro-
Männer Frauen zensus 2013 möglich. Im Alter bis 44 Jah-
Rauchen Kein Sport Adipositas Rauchen Kein Sport Adipositas re geben Migranten etwas seltener als die
18 – 29 Jahre
übrige Bevölkerung an, in den letzten
Langzeitarbeitslos 67,5 42,0 15,6 60,8 69,2 33,0
vier Wochen krank oder unfallverletzt
gewesen zu sein. Bei den 45- bis 64- und
Kurzzeitarbeitslos 45,6 40,1 24,0 72,0 35,8 4,3
den 65-Jährigen und Älteren sind Männer
Prekär beschäftigt 44,1 31,2 20,8 34,2 30,8 11,8
und Frauen mit Migrationshintergrund
Sicher beschäftigt 39,6 17,2 9,4 26,6 14,4 4,4
hingegen etwas häufiger von einer Krank-
30 – 44 Jahre heit oder Unfallverletzung betroffen als
Langzeitarbeitslos 79,6 42,2 17,5 61,2 59,7 21,2 die Vergleichsgruppen ohne Migrations-
Kurzzeitarbeitslos 50,4 37,7 11,6 49,6 18,0 27,4 hintergrund. u Abb 9
Prekär beschäftigt 41,5 28,7 16,5 38,4 29,5 18,5 In einigen Bereichen treten erst bei
Sicher beschäftigt 33,3 19,0 19,2 27,4 23,9 13,1 einer nach Herkunftsland differenzierten
45 – 64 Jahre Betrachtung gesundheitliche Unter
Langzeitarbeitslos 57,2 70,3 21,6 54,0 78,8 26,2
schiede zwischen Migranten und Nicht-
Kurzzeitarbeitslos 44,5 50,3 33,0 28,5 42,5 21,9
Migranten zutage. So berichten türkisch-
stämmige Migranten deutlich häufiger als
Prekär beschäftigt 42,7 62,3 25,9 37,2 45,9 24,7
Personen ohne Migrationshintergrund
Sicher beschäftigt 31,9 32,4 21,6 27,0 25,3 19,1
oder Mig ranten aus anderen Herkunfts-
Datenbasis: SOEP 2012 (Rauchen und Adipositas) und 2011 (Kein Sport). ländern von körperlichen Schmerzen in
310
Gesundheitliche Ungleichheit / 10.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
den letzten vier Wochen. Dies zeigt sich u Abb 9 Kranke und Unfallverletzte nach Migrationshintergrund 2013 — in Prozent
insbesondere mit Blick auf türkischstäm-
mige Frauen in der zweiten Lebenshälfte.
Männer
Nach Kontrolle für die u nterschiedliche
Altersstruktur haben türkischstämmige 0–44 11,9
Jahre 10,2
Männer und Frauen ein gegenüber
Nicht-Migranten 2,4- beziehungsweise
45–64 16,0
3-fach erhöhtes R isiko, von körperlichen Jahre 17,4
Schmerzen betroffen zu sein. Bei Migran-
Ab 65 22,5
ten aus anderen Herkunftsländern ist Jahre 24,9
hingegen kein erhöhtes Risiko für das
Auftreten körperlicher Schmerzen festzu
stellen. u Abb 10 Frauen
Unterschiede zwischen Personen mit
und ohne Migrationshintergrund lassen 0– 44 12,9
Jahre 9,9
sich auch bei verhaltensbedingten Ge-
sundheitsrisiken beobachten. Dabei zeigt 45–64 15,9
sich, dass Migranten und Migrantinnen Jahre 18,2
311
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
u Abb 11 Adipositas (BMI≥30) nach Migrationshintergrund 2013 — in Prozent ner Maßnahmen der medizinischen Re-
habilitation in Anspruch nehmen sowie
einen geringeren Rehabilitationse rfolg
Männer
und höhere Frühberentungsquoten auf-
18–44 11,2 weisen.
Jahre 11,8 Unterschiede in der Mortalität und
45–64 20,4
Lebenserwartung von Personen mit deut-
Jahre 22,0 scher oder ausländischer Staatsange
hörigkeit können auf Basis der amtlichen
Ab 65 19,2 Sterbefall- und Todesursachenstatistik
Jahre 22,6
analysiert werden. Im Zeitraum von 1970
bis 2013 haben die für die unterschied
Frauen liche Altersstruktur standardisierten
Sterberaten bei deutschen Männern und
18–44 8,5
8,6
Frauen stetig abgenommen. Bei der aus-
Jahre
ländischen Bevölkerung ist in den Jahren
45–64 15,0 nach 1987 und 2011 ein Anstieg der Sterbe-
Jahre 21,9 raten zu beobachten, was mit der Korrek-
tur der ausländischen Bevölkerungs
Ab 65 17,9
Jahre 26,8 zahlen im Zuge der Volkszählung 1987
beziehungsweise des Zensus 2011 zusam-
Nicht-Migrant /-innen Migrant /-innen
menhängt. Obgleich sich der Abstand bei
den Sterberaten über die Zeit verringert
hat, weisen Personen mit ausländischer
Datenbasis: Mikrozensus 2013. Staatsangehörigkeit noch immer ein ge-
ringeres Sterberisiko auf als die deutsche
Mehrheitsbevölkerung. Im Jahr 2013 hat-
ten männliche Ausländer gegenüber
u Abb 12 Standardisierte Sterberaten deutscher und Deutschen eine um 2,6 Jahre höhere
ausländischer Personen 1970 − 2013 L ebenserwartung bei Geburt. Bei Frauen
betrug der entsprechende Abstand
0,016 1,7 Jahre. Als Gründe für den in der For-
schung als »Healthy-Migrant-Effekt«
0,014 b eschriebenen Sterblichkeitsvorteil von
M igranten und Migrantinnen werden
0,012
neben methodischen Problemen bei der
0,010
Erfassung der Sterbefälle und des Be
völkerungsstands der ausländischen Be-
0,008 völkerung auch Auswahlprozesse im
Rahmen der Migration diskutiert, da vor
0,006 allem gesunde und aktive Menschen aus-
wandern. u Abb 12
0,004
Eine nach Krankheitsgruppen diffe-
0,002 renzierende Analyse der häufigsten
Todesursachen im Jahr 2013 kommt zu
0 dem Ergebnis, dass in der Bevölkerung
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
mit deutscher Nationalität die meisten
Männer, deutsch Frauen, deutsch Männer, nicht deutsch Frauen, nicht deutsch Sterbefälle auf Herz-Kreislauferkrankun-
gen zurückzuführen sind, während in der
Datenbasis: Amtliche Sterbefall- und Todesursachenstatistik von Personen mit ausländischer und deutscher Staats ausländischen Bevölkerung Deutsch-
angehörigkeit 1970 bis 2013 (bis 1997 alte Bundesländer (inklusive Berlin-West), ab 1998 inklusive Berlin gesamt) nach
Martin Kohls (Bundesgesundheitsblatt 2015, 58 (6), S. 520). lands der größte Teil der Sterbefälle auf
Krebserkrankungen zurückgeht.
312
Gesundheitliche Ungleichheit / 10.3 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
10.3.6 Zeitliche Entwicklungen Darüber hinaus können zeitliche Ent- Bildung bis zum Jahr 2008 sogar noch er-
und Trends wicklungen und Trends im Rauchver höht hat. Infolgedessen haben die relati-
Zeitliche Entwicklungen und Trends halten und in der sportlichen Aktivität für ven Unterschiede im Rauchverhalten der
der gesundheitlichen Ungleichheit in die Altersgruppe der 30- bis 64-Jährigen Bildungsgruppen weiter zugenommen,
Deutschland sind bislang nur vereinzelt untersucht werden. Für den Zeitraum bezogen auf das a lterskontrollierte Risiko
untersucht worden. Mit den Daten des 1999 bis 2012 weisen die Daten insbeson- um 65 % bei Männern und um 75 % bei
SOEP lassen sich Veränderungen in der dere für die hohe Bildungsgruppe auf einen Frauen. u Abb 13
Selbsteinschätzung des allgemeinen Ge- deutlichen Rückgang des Rauchens hin. Für die Sportbeteiligung ist im Zeit-
sundheitszustandes im Zeitraum von 1994 In der niedrigen Bildungsgruppe ist der raum 1994 bis 2011 eine deutliche Zu-
bis 2013 untersuchen. Für die 30- bis Anteil der Raucher im Zeitverlauf nahezu nahme festzustellen. Dabei fällt auf, dass
64-jährige Bevölkerung zeigt sich im Ver- konstant geblieben, während sich der in der Altersspanne von 30 bis 64 Jahren
gleich von vier Beobachtungszeiträumen A nteil der Raucherinnen mit niedriger der Anteil der Männer und Frauen, die in
(1994 bis 1998, 1999 bis 2003, 2004 bis
2008 und 2009 bis 2013), dass in der nied-
rigen Einkommensgruppe der Anteil der
Männer und Frauen, die ihren allgemei- u Tab 7 Entwicklung der Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes
nen Gesundheitszustand als w eniger gut (»weniger gut« oder »schlecht«) bei 30- bis 64-Jährigen nach drei Einkommens
oder schlecht beurteilen, im Verlauf der gruppen 1994 – 2013 — in Prozent
letzten rund 20 Jahre zugenommen hat. In
1994 –1998 1999 – 2003 2004 – 2008 2009 – 2013
der hohen Einkommensgruppe und bei
Frauen auch in der mittleren Einkommens- Männer
gruppe ist eine gegenläufige Entwicklung < 60 % des mittleren Einkommens 27,8 28,9 32,5 32,4
zu beobachten. Bezüglich des Risikos eines 60 – < 150 % des mittleren Einkommens 16,0 15,4 16,6 15,9
weniger g uten oder schlechten allgemeinen ≥ 150 % des mittleren Einkommens 11,6 10,5 11,3 11,1
Gesundheitszustandes hat die relative Dif- Frauen
ferenz zwischen der niedrigen und der ho-
< 60 % des mittleren Einkommens 27,3 26,3 28,0 31,4
hen Einkommensgruppe bei Kontrolle des
60 – < 150 % des mittleren Einkommens 19,2 16,6 17,1 17,2
Alterseinflusses – über die vier Zeiträume
betrachtet – bei Männern um 53 % und bei ≥ 150 % des mittleren Einkommens 14,4 13,0 13,0 12,4
u Abb 13 Entwicklung des Rauchens bei 30- bis 64-Jährigen nach Bildung 1999 − 2012 — in Prozent
Männer Frauen
50 50
40 40
30 30
20 20
10 10
0 0
1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
313
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.3 / Gesundheitliche Ungleichheit
u Abb 14 Entwicklung der sportlichen Inaktivität bei 30- bis 64-Jährigen nach Bildung 1994 − 2011 — in Prozent
Männer Frauen
70 70
60 60
50 50
40 40
30 30
20 20
10 10
0 0
1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
den letzten vier Wochen keinen Sport ge- in Bezug auf Tabakkonsum und körper- ungünstiger dar als in der Bevölkerung
trieben haben, in allen Bildungsgruppen lich-sportliche Aktivität sowie zum Teil ohne Migrationshintergrund. Von einer
abgenommen hat. Bei Personen mit ho- auch bezüglich der Inanspruchnahme generellen gesundheitlichen Benachteili-
her Bildung zeichnet sich diese Entwick- von Präventions- und Versorgungsange- gung von Migranten und Migrantinnen
lung aber noch deutlicher ab als bei Per- boten. Die stärkere Verbreitung von kann aber nicht gesprochen werden. Die
sonen mit mittlerer und niedriger Krankheiten, Gesundheitsproblemen und vorliegenden Forschungsergebnisse legen
Bildung. Nach Kontrolle des Alterseffek- Risikofaktoren findet letztlich in einer hö- eine differenzierte Bewertung nahe, wobei
tes ist die relative Differenz des Risikos heren vorzeitigen Sterblichkeit und gerin- neben den jeweiligen Lebensbedingungen
für sportliche Inaktivität im Vergleich geren Lebenserwartung der benachteilig- und Teilhabechancen auch kulturelle Be-
der niedrigen zur hohen Bildungsgruppe ten Einkommens-, Bildungs- und Berufs- sonderheiten, die Migrationserfahrungen
bei Männern um 83 % und bei Frauen um gruppen Ausdruck. Darüber hinaus ist sowie die soziale und gesundheitliche
62 % gestiegen. u Abb 14 Arbeitslosigkeit mit einer schlechteren Lage im Herkunftsland berücksichtigt
Gesundheit assoziiert. Die Auswirkungen werden sollten.
10.3.7 Zusammenfassung der A
rbeitslosigkeit auf die Gesundheit Aussagen zu zeitlichen Entwicklun-
In den letzten Jahren ist die gesundheit sind zum einen unter materiellen Aspek- gen und Trends sind auf Grundlage der
liche Ungleichheit zu einem zentralen ten zu sehen, zum Beispiel dem engeren vorhandenen Daten nur zum Teil möglich.
Thema der Forschung, Berichterstattung finanz iellen Handlungsspielraum und Die vorliegenden Erkenntnisse sprechen
und Politik geworden. Die präsentierten dem geringeren Lebensstandard. Zum an- dafür, dass die gesundheitliche Ungleich-
Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass viele deren sind psychosoziale Belastungen von heit in den letzten 20 Jahren zugenommen
Krankheiten und Beschwerden bei Per Bedeutung, die zum Beispiel aus Zu- hat. Dies lässt sich beispielsweise für den
sonen mit geringem Einkommen, unzu- kunftssorgen oder Ausgrenzungserfah- allgemeinen Gesundheitszustand, das
reichender Bildung und niedriger beruf rungen resultieren können. Rauchverhalten und die sportliche Akti-
licher Stellung vermehrt vorkommen. Da- Menschen mit Migrationshintergrund vität belegen. Auch Stud ien aus anderen
rüber hinaus schätzen diese Personen weisen in einigen Bereichen eine schlech- Ländern deuten eher auf eine Ausweitung
ihren allgemeinen Gesundheitszustand tere Gesundheit als die übrige Bevölke- als auf eine Verringerung der sozial be-
und ihre gesundheitsbezogene Lebens- rung auf. Auch in Bezug auf die Präventi- dingten Unterschiede in der Gesundheit
qualität schlechter ein. Ein Grund hierfür on und die medizinische und pflegerische und Lebenserwartung hin.
dürften die beobachteten Unterschiede im Versorgung stellt sich die Situation von
Gesundheitsverhalten sein, zum Beispiel Migranten und Migrantinnen zum Teil
314
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Info 1
Darstellung im Sozialbudget
Um eine Vergleichbarkeit der einzelnen Bereiche untereinander und mit den umfassenderen Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnungen (siehe Kapitel 4.1, Seite 103) zu ermöglichen, werden für die Darstellung
im Sozialbudget die Leistungen und deren Finanzierung bereinigt. Beispielsweise werden im Sozialbudget
die Sozialleistungen insgesamt um die Selbstbeteiligung der Leistungsempfängerinnen und -empfänger
und um die
AbbBeiträge des Staates
1 Finanzierung zur Kranken-,
des Sozialbudgets 2013Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung für Emp-
- in Prozent
fängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen bereinigt.
Aus diesem Grund und wegen methodischer Unterschiede weichen die Angaben teilweise von den in den
folgenden Abschnitten dargestellten Statistiken ab.
1,5 40,8
Bund
21,9
Unternehmen
27,2 Länder
8,8
private Haushalte Gemeinden
30,5 9,7
Sozialversicherung
0,4
Geschätzte Ergebnisse.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales
315
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
u Tab 1 Leistungen und Finanzierung des Sozialbudgets 2013 verschiedenen Leistungen des Siche-
Finanzierung durch rungssystems jährlich zusammengestellt.
Leistungen Außerdem ist die Höhe der jeweiligen
Sozial- Sozial
insgesamt Zuschüsse Finanzierung durch öffentliche Zuwei-
beiträge der beiträge der
des Staates
Versicherten Arbeitgeber sungen sowie durch die Beiträge der Ver-
in Milliarden
in Millionen Euro
sicherten und der Arbeitgeber ablesbar.
Euro
Die Leistungen des Sozialbudgets ins-
Sozialbudget insgesamt1 812,2 258 293 295 130 294 597 gesamt beliefen sich 2013 für Deutsch-
Sozialversicherungssysteme 494,7 213 881 184 294 96 489 land auf rund 812,2 Milliarden Euro. Die
Rentenversicherung 263,3 87 321 88 551 82 503 Sozialleistungsquote, das Verhältnis die-
Krankenversicherung 192,8 96 734 60 662 12 951
ser Sozialleistungen im Vergleich zum
Bruttoinlandsprodukt, betrug 2013 für
Pflegeversicherung 24,3 14 577 8 891 –
Deutschland 30 %. u Info 1
Unfallversicherung 12,5 1 611 10 943 783
Wer finanziert das soziale Netz? Drei
Arbeitslosenversicherung 28,9 13 638 15 248 252
große Beitragszahler sind auszumachen:
Sondersysteme 27,3 38 378 3 252 5 421 Der Staat (Bund, Länder, Gemeinden und
Alterssicherung der Landwirte 3,0 601 – 2 394 Sozialversicherung), die privaten Haus-
Versorgungswerke 4,8 7 377 752 – halte und die Arbeitgeber. u Abb 1
Private Altersvorsorge 0,3 10 753 – 3 028
Im Jahr 2013 floss der größte Anteil
des Sozialbudgets in die »Sozialversiche-
Private Krankenversicherung 18,4 18 047 2 100 –
rungssysteme«. Die Leistungen der Kran-
Private Pflegeversicherung 0,9 1 600 400 –
ken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosen-
Systeme des öffentlichen Dienstes 64,7 251 25 088 36 784 versicherung sowie der Rentenversiche-
Pensionen 47,8 251 14 560 31 520 rung beliefen sich dabei zusammen auf
Familienzuschläge 3,2 – – 2 456 494,7 Milliarden Euro. Die »Förder- und
Beihilfen 13,7 – 10 528 2 808 Fürsorgesysteme« bildeten mit 153,1 Mil-
Arbeitgebersysteme 76,0 5 784 82 496 499
liarden Euro das zweitgrößte System im
Sozialbudget. Zu diesem Leistungsbereich
Entgeltfortzahlung 40,0 – 39 973 –
gehören das Kindergeld und der Familien
Betriebliche Altersversorgung 24,0 4 544 29 860 –
leistungsausgleich sowie das Erziehungs-
Zusatzversorgung 11,4 1 240 12 012 499 geld/Elterngeld. Außerdem ist die Grund-
Sonstige Arbeitgeberleistungen 0,7 – 651 – sicherung für Arbeitsuchende, die Arbeits-
Entschädigungssysteme 2,7 – – 2 833 losenhilfe / sonstige Arbeitsförderung und
Soziale Entschädigung 1,4 – – 1 527
die Ausbildungs- und Aufstiegsförderung
hier zugeordnet. Des Weiteren werden
Lastenausgleich 0,2 – – 22
hier die Sozialhilfe, Kinder- und Jugend-
Wiedergutmachung 1,0 – – 954
hilfe sowie das Wohngeld zugerechnet.
Sonstige Entschädigungen 0,3 – – 331
Für die »Arbeitgebersysteme« wurden
Förder- und Fürsorgesysteme 153,1 – – 152 571 insgesamt 76,0 Milliarden Euro aufge-
Kindergeld und Familienleistungsausgleich 41,9 – – 41 855 wendet. Hierzu zählen die Entgeltfort-
Erziehungsgeld / Elterngeld 5,3 – – 5 274 zahlungen im Krankheitsfall, die betrieb-
Grundsicherung für A rbeitsuchende 41,2 – – 41 198
liche Altersversorgung und die Zusatz-
versorgung im öffentlichen Dienst sowie
Arbeitslosenhilfe / sonstige Arbeitsförderung 0,6 – – 114
sonstige Arbeitgeberleistungen (zum Bei-
Ausbildungs- und A
ufstiegsförderung 2,6 – – 2 568
spiel Bereitstellung von Betriebswoh
Sozialhilfe 29,8 – – 29 716 nungen). Die »Systeme des öffentlichen
Kinder- und Jugendhilfe 30,8 – – 30 779 Dienstes« hatten 2013 mit 64,7 Milliar-
Wohngeld 1,1 – – 1 067 den Euro einen Anteil von knapp 8 % am
Sozialbudget. Wie bei den »Sozialver
Geschätzte Ergebnisse.
1 Konsolidiert um die umgeleiteten Sozialbeiträge für Empfängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen zwischen sicherungssystemen« steht auch hier die
den Institutionen. Ohne Beiträge des Staates. Entsprechend sind die Gesamtsummen des Sozialbudgets niedriger
als die addierten Werte aus den einzelnen Institutionen. Altersversorgung, und zwar die des öffent-
– Nichts vorhanden.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales lichen Dienstes, im Vordergrund.
316
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Tab 2 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der sozialen Mindestsicherung am Jahresende und Bruttoausgaben 2014
Empfängerinnen
Ausgaben Ausgaben je Einwohner¹
und Empfänger
1 Bruttoausgaben für die jeweilige Sozialleistung pro Person und Jahr. Bevölkerungsstand:
Vorläufiger Jahresdurchschnitt 2014 auf Basis des Zensus 2011.
2 Ausgaben für Leistungen, die unmittelbar für Kosten des Lebensunterhalts gezahlt werden (passive Leistungen).
3 Gesamtausgaben der Kriegsopferfürsorge. Exakte Untergliederung der Ausgaben nach »laufenden Leistungen« nicht möglich.
. Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten.
Die sogenannten »Sondersysteme« von Einrichtungen (zum Beispiel Kran- ländern Leistungen der Mindestsicherung.
hatten zusammen einen Leistungsum- kenhäuser und Pflegeheime) nach dem So erhielten Ende 2014 in Baden-Würt-
fang von 27,3 Milliarden Euro. Dazu SGB XII, temberg und in Bayern 5 % der Einwohne-
z ählen die private Kranken- und Pflege- ·· Grundsicherung im Alter und bei Er- rinnen und Einwohner entsprechende
versicherung, die private Altersvorsorge werbsminderung nach dem SGB XII, Leistungen. u Abb 2
sowie die Versorgungswerke für freibe- ·· Regelleistungen nach dem Asylbe
ruflich Tätige und die Alterssicherung werberleistungsgesetz (AsylbLG), Arbeitslosengeld II und Sozialgeld
der Landwirte. Die Bedeutung der »Ent- ·· Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach dem SGB II
schädigungssysteme« verliert mit zuneh- nach dem Bundesversorgungsgesetz Der mit Abstand größte Anteil an den
mendem Abstand von der Zeit des Natio- (BVG). Empfängerinnen und Empfängern von
nalsozialismus 1933 bis 1945 an Gewicht. Am Jahresende 2014 erhielten in Deutsch- Mindestsicherungsleistungen und damit
Im Jahr 2013 wurden 2,7 Milliarden Euro land insgesamt 7,6 Millionen Menschen auch der Ausgaben entfiel auf das ALG II
für Entschädigungen verschiedener Art die oben genannten Transferleistungen, und das Sozialgeld nach dem SGB II.
ausgegeben. u Tab 1 um ihren grundlegenden Lebensunterhalt ALG II erhalten erwerbsfähige Personen,
zu bestreiten. Damit waren 9 % der in die das 15. Lebensjahr vollendet, die Al-
10.4.2 Mindestsicherungssysteme Deutschland lebenden Menschen auf tersgrenze für den Rentenbeginn nach
Transferleistungen der sozialen Mindest- existenzsichernde finanzielle Hilfen des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben und
sicherungssysteme sind finanzielle Hilfen Staates angewiesen. Im Jahr 2014 gab der ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen
des Staates, die zur Sicherung des grund- Staat für diese Leistungen 42,5 Milliarden Mitteln bestreiten können. Ihre im Haus-
legenden Lebensunterhalts an leistungs- Euro aus. Das waren rein rechnerisch halt lebenden nicht erwerbsfähigen Fami-
berechtigte Personen ausgezahlt werden. 525 Euro brutto je Einwohner. u Tab 2 lienangehörigen (vor allem Kinder) er-
Dazu zählen in der Sozialberichterstat- Vor allem Menschen in den Stadtstaa- halten Sozialgeld. u Info 2
tung der amtlichen Statistik folgende ten und teilweise in den neuen Ländern Die umgangssprachlich mit »Hartz
Leistungen: waren verstärkt auf Leistungen der Min- IV« bezeichneten Leistungen der »Grund-
·· Arbeitslosengeld (ALG) II und Sozial- destsicherung angewiesen. In Berlin war sicherung für Arbeitsuchende« nach dem
geld nach dem Zweiten Buch Sozialge- ihr Anteil mit 19 % an der Bevölkerung SGB II wurden im Dezember 2014 an
setzbuch (SGB II), am höchsten. Besonders selten bezogen insgesamt rund 6,0 Millionen Personen
·· Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb die Menschen in den südlichen Bundes- ausgezahlt. Die Ausgaben für passive
317
Abb 2 Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Mindestsicherung am Jahresende 2014 -
Anteil an der Geamtbevölkerung
10 / Gesundheit in Prozent
und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
uAbb 2 Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Mindestsicherung u Abb 3 Empfängergruppen der Grund
am Jahresende 2014 — Anteil an der Geamtbevölkerung in Prozent sicherung für Arbeitssuchende
Abb 3 Empfängergruppen nach dem
der Grundsicherung für Arbeitssuchend
nach dem SGB II im Dezember 2014 - in Prozent
SGB II im Dezember 2014 — in Prozent
Berlin 19,3
Arbeits-
Bremen 17,5 Sozialgeld¹ losengeld II ²
28,3 71,7
Sachsen-Anhalt 13,8
Mecklenburg-Vorpommern 13,5
Hamburg 13,4
6,0 Millionen
Nordrhein-Westfalen 11,4 Personen³
Brandenburg 11,1
Sachsen 10,6
Saarland 9,8
Baden-Württemberg 5,3
Deutschland
Bayern 4,7 9,3
318
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Abb 4 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SGB II im Dezember 2014 -
Anteil an der Bevölkerung bis zur Altersgrenze in Prozent
Bezugsquote von ausländischen Leistungs- u Abb 4 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SGB II
empfängern war in den neuen Ländern im Dezember 2014 — Anteil an der Bevölkerung bis zur Altersgrenze in Prozent
mit 28 % deutlich höher als im früheren
Bundesgebiet; dort lag sie bei 18 %.
In den Stadtstaaten und den neuen Berlin 19,8
Ländern waren deutlich mehr Personen
Bremen 17,8
auf die Leistungen nach dem SGB II an-
gewiesen als in den westdeutschen Flä- Sachsen-Anhalt 15,8
chenländern. In Berlin war der Anteil an
Mecklenburg-Vorpommern 14,7
der Bevölkerung mit 20 % am höchsten.
Deutlich über dem Durchschnitt aller Hamburg 12,5
Bundesländer von 9 % lag Bremen mit Brandenburg 12,4
18 %, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit
Sachsen 12,3
16 %. Am seltensten nahmen die Einwoh-
ner in Baden-Württemberg (5 %) und in Nordrhein-Westfalen 11,5
Bayern (4 %) SGB-II-Leistungen in An- Thüringen 10,4
spruch. u Abb 4
Das sogenannte »Sozialgeld« erhalten, Saarland 10,0
wie oben angesprochen, nicht erwerbs Schleswig-Holstein 9,9
fähige Familienangehörige von ALG-II-
Niedersachsen 9,3
Empfängern. Im Dezember 2014 wurden
rund 1,7 Millionen Sozialgeldempfänger Hessen 8,5
registriert. Der Anteil an allen Empfän- Rheinland-Pfalz 6,9
gerinnen und Empfängern von Leistun-
gen nach dem SGB II lag im Dezember Baden-Württemberg 5,0
Deutschland
2014 bei 28 %. Die Sozialgeldempfänger Bayern 4,1 9,4
waren zu 96 % Kinder unter 15 Jahren.
Der Anteil der Kinder an allen Beziehern
von Leistungen nach dem SGB II lag im Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
319
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
u Abb 6 Arbeitslose seit Einführung der Grundsicherung es im Dezember 2014 nur noch knapp
für Arbeitsuchende — in Tausend 2,8 Millionen Personen. Der überwiegende
Teil dieses Rückgangs ist darauf zurück-
zuführen, dass die Zahl der Empfänger
6 000
von Arbeitslosengeld nach dem SGB III
5 000 gesunken ist. u Abb 6
Umgangssprachlich wird das Arbeits-
4 000 losengeld nach dem SGB III zur Abgren-
zung vom ALG II nach dem SGB II auch
3 000 als ALG I bezeichnet. Während die Zahl
der arbeitslosen ALG-II-Bezieher seit
2 000
Februar 2005 von 2,6 Millionen Arbeits-
losen um 28 % auf knapp 1,9 Millionen
1 000
Arbeitslose im Dezember 2014 reduziert
0 werden konnte, sank die Zahl der ALG-I-
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Bezieher im gleichen Zeitraum von
Arbeitslose insgesamt Empfänger /-innen Empfänger /-innen 2,7 Millionen Arbeitslosen um 67 % auf
von Arbeitslosengeld II von Arbeitslosengeld I 867 000 Arbeitslose.
Begründet wird diese Entwicklung
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
von der Bundesagentur für Arbeit mit der
größeren Arbeitsmarktnähe der ALG-I-
Bezieher. So profitieren diese eher von
einem konjunkturellen Aufschwung als
ALG-II-Empfänger, da sie häufiger über
einen Berufsabschluss verfügen, der An-
teil an Älteren über 50 Jahren geringer
ren nur 6 % der alleinerziehenden ALG- und rund 117 000 Selbstständige. Von und der Anteil von Kurzzeitarbeitslosen
II-Empfänger Männer. a llen abhängig erwerbstätigen ALG-II- unter drei Monaten höher ist. Dabei wer-
Mit der Reform des sozialen Siche- Beziehern waren 40 % ausschließlich ge- den auch regionale Unterschiede deutlich.
rungssystems zum Jahresbeginn 2005 war ringfügig beschäftigt. Sie verdienten Der Anteil der Bezieher von ALG I an
vornehmlich das Ziel verknüpft, Arbeits- weniger als 450 Euro brutto monatlich. a llen Arbeitslosen lag im Dezember 2014
losigkeit – insbesondere strukturelle und Das ist der Betrag, bei dem die im Berichts- im Westen Deutschlands bei 33 %, im
lang andauernde Arbeitslosigkeit – in jahr gültige Entgeltgrenze für geringfügig Osten waren es 26 %. Deutschlandweit er-
Deutschland zu bekämpfen. Die Grund entlohnte Beschäftigung lag (sogenannte hielten im Dezember 2014 rund drei von
sicherung für Arbeitsuchende ist folglich 450-Euro-Jobs). zehn Arbeitslosen (31 %) ALG I und sie-
darauf ausgerichtet, den Bedürftigen die Kurz vor der Einführung des SGB II ben von zehn Arbeitslosen (69 %) ALG II.
Wiedereingliederung in den Arbeits- waren im Dezember 2004 noch rund
markt, soweit möglich, zu erleichtern. 4,5 Millionen Menschen arbeitslos. Mit Sozialhilfe nach dem SGB XII
Doch nicht jeder erwerbsfähige Hilfebe- seinem Inkrafttreten zum Jahresbeginn Im Rahmen der Sozialhilfe nach dem
dürftige ist gleichzeitig auch arbeitslos ge- 2005 stieg die Arbeitslosigkeit zunächst SGB XII erhielten am Jahresende 2014
meldet und steht dem Arbeitsmarkt zur an und erreichte im Februar 2005 ihren rund 1,1 Millionen Personen Hilfe zum
Verfügung. Von den im Dezember 2014 Höhepunkt. Begründet wird dies von der Lebensunterhalt außerhalb von Einrich-
registrierten rund 4,3 Millionen erwerbs- Bundesagentur für Arbeit mit einem sta- tungen oder Grundsicherung im Alter
fähigen ALG-II-Empfängern waren mit tistischen Effekt. Durch die Umstellung und bei Erwerbsminderung. Der Staat
knapp 1,8 Millionen Personen deutlich wurden zahlreiche Arbeitslose, die zuvor gab für diese beiden Leistungen der
weniger als die Hälfte (42 %) tatsächlich nicht arbeitslos gemeldet waren, erstmals M indestsicherung im Jahr 2014 rund
arbeitslos gemeldet. Knapp 1,3 Millionen statistisch erfasst. 6,6 Milliarden Euro brutto aus (ohne ein-
(29 %) waren erwerbstätig. Seit der Einführung des SGB II sank malige Leistungen).
Nach Berechnungen der Bundesagen- die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis Die Sozialhilfe bildet das unterste
tur für Arbeit waren im Dezember 2014 Dezember 2014 deutlich und nahezu konti- soziale Auffangnetz für bedürftige Men-
knapp 1,2 Millionen der erwerbsfähigen nuierlich. Waren im Februar 2005 noch schen. Hilfe zum Lebensunterhalt erhal-
ALG-II-Bezieher abhängig Erwerbstätige 5,3 Millionen Arbeitslose registriert, waren ten Personen, die ihren notwendigen
320
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
321
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
322
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
sicherungsleistungen aufgrund einer u Abb 9 Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und
dauerhaft vollen Erwerbsminderung. bei Erwerbsminderung nach Altersgruppen am Jahresende 2014
Diese Menschen werden dem allgemeinen
Arbeitsmarkt voraussichtlich auch künftig
nicht mehr zur Verfügung stehen. Rund 1 002 547
insgesamt 477 420
512 000 Grundsicherungsempfänger (51 %) 525 127
hatten die Altersgrenze von 65 Jahren und
3 Monaten erreicht. Sie erhielten Grund 18 Jahre 490 349
sicherung im Alter. Damit konnten Ende bis unter die 277 610
Altersgrenze 212 739
2014 deutschlandweit 30 von 1 000 Ein-
wohnern, die die Altersgrenze erreicht
512 198
oder überschritten hatten, ihren Lebens- Altersgrenze
199 810
und älter
unterhalt lediglich mithilfe von Grund 312 388
sicherungsleistungen abdecken.
Bei den Empfängern von Grundsiche- insgesamt
rung im Alter gibt es regionale (West- männlich
weiblich
Ost) und auch geschlechtsspezifische
Unterschiede: Ende 2014 bezogen in
1 Durchschnittsbeträge beziehen sich ausschließlich auf Empfänger mit
Deutschland rechnerisch 33 von 1 000 Frau- angerechnetem Einkommen.
en und 27 von 1 000 Männern Grundsi-
cherung im Alter. u Abb 9
Während im früheren Bundesgebiet
36 von 1 000 Frauen, die die Altersgrenze
erreicht hatten, Grundsicherung erhiel- diese Sozialleistung vergleichsweise häu- bare Einkommen des Empfängers ab,
ten, waren es in den neuen Ländern mit fig in Anspruch, 159 von 1 000 ausländi- erhält man den Nettobedarf.
Berlin 21 von 1 000 Frauen in diesem schen Mitbürgern erhielten Grundsiche- Im Durchschnitt errechnete sich für
A lter. Bei den gleichaltrigen Männern lag rung im Alter. Damit bezogen sie diese einen Empfänger von Grundsicherung
die Inanspruchnahme bei 29 von 1 000 Leistung rund sechsmal so häufig wie im Alter und bei Erwerbsminderung
im Westen Deutschlands und bei 21 von Deutsche entsprechenden Alters (25 von Ende 2014 ein monatlicher Bruttobedarf
1 000 im Osten Deutschlands. 1 000 Personen). Gründe dafür können von 740 Euro. Durchschnittlich 359 Euro
Eine Ursache für die geringeren vor allem geringere Einkommen der Aus- wurden pro Monat für den Regelsatz auf-
Grundsicherungsquoten der älteren länder während ihrer Erwerbszeit sowie gewendet. Fielen Aufwendungen für Un-
Menschen in den ostdeutschen Bundes- kürzere Versicherungszeiten in der ge- terkunft und Heizung an, gingen diese
ländern kann die höhere Erwerbsbeteili- setzlichen Rentenversicherung sein, wo- mit durchschnittlich 333 Euro in die Be-
gung – vor allem auch der Frauen – in der durch die Bedürftigkeit wahrscheinlicher darfsberechnung ein. Hatten die Emp-
ehemaligen DDR gewesen sein. Daraus ist als bei den Deutschen. fänger ein anrechenbares Einkommen,
resultieren heute höhere Rentenansprü- Die monatlichen Leistungen der so lag dies bei durchschnittlich 381 Euro.
che, die meist zur Sicherung des Lebens- Grundsicherung im Alter und bei Er- Der Nettobedarf je Leistungsberechtig-
unterhalts im Alter ausreichen. Eine werbsminderung werden wie die Leistun- ten betrug wie im Vorjahr durchschnitt-
weitere mögliche Ursache für die geringe- gen nach dem SGB II und der Hilfe zum lich 451 Euro.
re Inanspruchnahme in Ostdeutschland Lebensunterhalt nach Regelsätzen er- In den ersten Jahren nach Einführung
ist ein geringeres Mietenniveau als in bracht. Neben dem Regelsatz werden des Grundsicherungsgesetzes sind die
Westdeutschland. sowohl die angemessenen Kosten für Un- Empfängerzahlen stark angestiegen: Bei
Der Anteil der Ausländerinnen und terkunft und Heizung als Bedarf aner- der erstmaligen Erhebung Ende 2003
Ausländer an der Gesamtzahl der Emp- kannt als auch eventuell anfallende Bei- wurden rund 439 000 Grundsicherungs-
fänger von Grundsicherungsleistungen träge für Krankenversicherung, Pf lege- empfänger gemeldet. Seitdem hat sich die
lag Ende 2014 bei 16 %. Insgesamt 24 von versicherung und Mehrbedarfszuschläge. Zahl der Empfänger von Grundsicherung
1 000 Personen mit ausländischer Staats- Die Gesamtsumme dieser Bedarfspositio- gemäß SGB XII bis Ende 2014 mehr als
angehörigkeit und 14 von 1 000 Personen nen ergibt den Bruttobedarf, also den verdoppelt (+ 128 %; rund 1 003 000 Per-
mit deutscher Staatsangehörigkeit erhiel- Betrag, den der jeweilige Antragsteller sonen). Grund dafür war beispielsweise
ten Ende 2014 Grundsicherungsleistun- für seinen Lebensunterhalt monatlich be- ein in der Anfangszeit nicht unerhebli-
gen. Vor allem ältere Ausländer nahmen nötigt. Zieht man hiervon das anrechen- cher Rückstand der Antragsbearbeitung
323
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
324
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
10.4.3 Förderungssysteme
Wohngeld Teilhaushalt zählen die wohngeldberech- Mehr als die Hälfte (55 %) der reinen
Das Wohngeld ist ein je zur Hälfte vom tigten Mitglieder eines Mischhaushalts. Wohngeldhaushalte waren am Jahresende
Bund und von den Ländern getragener Im Jahr 2014 gab der Staat für Wohn- 2014 Einpersonenhaushalte, in rund einem
Zuschuss zu den Wohnkosten. Gemäß geldleistungen rund 845 Millionen Euro Viertel (26 %) der Haushalte lebten mindes-
den Vorschriften des Wohngeldgesetzes aus. Gegenüber dem Jahr 2013 ging die tens vier Personen. Rund 12 % der Wohn-
wird es einkommensschwächeren Haus- Zahl der Wohngeldhaushalte insgesamt geldhaushalte waren Zweipersonenhaus-
halten gewährt, damit diese die Wohn- um 15 % zurück. Bei den wohngeldrecht- halte und 8 % Dreipersonenhaushalte. u Abb 12
kosten für angemessenen und familien- lichen Teilhaushalten war der Rückgang Als Mietzuschuss wird das Wohngeld
gerechten Wohnraum tragen können. mit 23 % deutlich stärker als bei den rei- überwiegend an kleinere Haushalte ge-
Wohngeld wird entweder als Mietzu- nen Wohngeldhaushalten mit 14 %. Die zahlt, als Lastenzuschuss dagegen eher an
schuss für Mietobjekte oder als Lastenzu- Wohngeldausgaben sanken im gleichen größere Haushalte. So wurde der Miet
schuss für Haus- und Wohnungseigen- Zeitraum insgesamt um rund 14 %. zuschuss am Jahresende 2014 zu 69 % an
tum geleistet. Die Höhe des Zuschusses Das Wohngeld kommt in erster Linie Ein- und Zweipersonenhaushalte gezahlt,
richtet sich nach der Anzahl der Haus- Mietern zugute: Mehr als neun von zehn wobei bereits mehr als die Hälfte der
haltsmitglieder, deren monatlichem Wohngeldhaushalten (92 %) erhielten Empfängerinnen und Empfänger von
G esamteinkommen sowie der zu berück- Ende 2014 ihr Wohngeld als Mietzu- Mietzuschuss (57 %) allein lebte. In den
sichtigenden Miete beziehungsweise Be- schuss. Der Rest (rund 8 %) erhielt es als Haushalten mit Lastenzuschuss wohnten
lastung. Ausführliche Informationen Lastenzuschuss. dagegen überwiegend (57 %) vier und
zum Thema Wohnen und Miete enthält Die folgenden Ergebnisse beziehen mehr Personen.
Kapitel 9, Seite 259. u Info 3 sich, sofern nicht anders erwähnt, aus- Am 31. Dezember 2014 hatte ein reiner
Zum Jahresende 2014 bezogen 565 000 schließlich auf reine Wohngeldhaushalte, Wohngeldhaushalt einen durchschnitt
Haushalte in Deutschland Wohngeld. Das die am Jahresende 2014 den überwiegen- lichen monatlichen Anspruch auf Wohn-
waren 1,4 % aller Privathaushalte. Von den Teil der Wohngeldhaushalte (90 %) geld in Höhe von 114 Euro. Die Haushal-
den Wohngeldhaushalten waren rund ausmachten. te mit Lastenzuschuss hatten in der Regel
511 000 Haushalte (90 %) sogenannte reine Ende 2014 waren knapp die Hälfte höhere Wohnkosten zu tragen. An sie
Wohngeldhaushalte und 54 000 Haushalte (46 %) der Empfängerinnen und Empfän- wurden mit durchschnittlich 151 Euro
(10 %) wohngeldrechtliche Teilhaushalte. ger von Wohngeld Rentner oder Pensio- deutlich höhere Beträge gezahlt als an die
In reinen Wohngeldhaushalten leben näre, etwa ein Drittel (38 %) ging einer Haushalte mit Mietzuschuss in Höhe von
ausschließlich wohngeldberechtigte Haus- beruf lichen Tätigkeit nach. Rund ein 111 Euro. Grundsätzlich ist der Wohn-
haltsmitglieder. Dagegen wohnen in Zehntel (11 %) der Wohngeldempfänger geldanspruch umso höher, je größer der
Mischhaushalten wohngeldberechtigte studierte noch oder war aus sonstigen Haushalt ist und je geringer das der Be-
und nicht wohngeldberechtigte Personen Gründen nicht erwerbstätig. Rund 6 % rechnung zugrunde liegende Gesamtein-
zusammen. Zum wohngeldrechtlichen waren arbeitslos. u Abb 11 kommen. u Tab 3
325
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
u Abb 11 Reine Wohngeldhaushalte nach Das Wohngeld stellt immer nur einen
sozialer Stellung des Antragstellers 2014 — in Prozent Zuschuss zur Miete oder Belastung dar.
Ein Teil der Wohnkosten muss in jedem
Arbeitslose
Fall von der Antragstellerin beziehungs-
weise dem Antragsteller getragen wer-
6
den. Durch den Bezug von Wohngeld
Rentner /-innen, sanken die durchschnittlichen tatsäch
Studierende / Sonstige Pensionärinnen / Pensionäre
lichen Wohnkosten je Wohngelde mp
11 46
fängerhaushalt von 420 Euro auf 306 Euro.
511 000 Die Höhe der Miete beziehungsweise
Erwerbstätige Haushalte der Belastung sind zentrale Größen bei der
38 Festlegung des Wohngeldes. Zur zu-
schussfähigen Miete gehören auch be-
stimmte Umlagen, Zuschläge und Vergü-
31.12.2014. tungen, zum Beispiel die Kosten des Was-
serverbrauchs, der Abwasser- und
Abb 12 Reine Wohngeldhaushalte nach Art des Wohngeldes und Müllbeseitigung, der Treppenhausbe-
Haushaltsgröße 2014 - in Prozent
leuchtung und Ähnliches. Außer Betracht
u Abb 12 Reine Wohngeldhaushalte nach Art des Wohngeldes bleiben dagegen die Heizungs- und
und Haushaltsgröße 2014 — in Prozent Warmwasserkosten, daher wird auch von
»Bruttokaltmiete« gesprochen. Bei den Ei-
gentümerhaushalten zählen zur Belastung
der Kapitaldienst (Zinsen, Tilgung) sowie
reine Wohngeld-
haushalte insgesamt 55 12 8 26 die Aufwendungen für die Bewirtschaf-
tung des Wohnraums, zu denen Instand-
Mietzuschuss 57 12 8 23
haltungs-, Betriebs- und Verwaltungskos-
Lastenzuschuss 24 11 8 57 ten zu rechnen sind.
Die monatliche Bruttokaltmiete reiner
Wohngeldhaushalte mit Mietzuschuss
1-Personen- 2-Personen- 3-Personen- Haushalte mit 4
Haushalte Haushalte Haushalte und mehr Personen betrug Ende 2014 durchschnittlich
6,85 Euro je Quadratmeter Wohnfläche,
31.12.2014. die monatliche Belastung der entspre-
chenden Haushalte mit Lastenz uschuss
u Tab 3 Reine Wohngeldhaushalte nach Haushaltsgröße und Höhe des monatlichen Wohngeldes 2014
Davon mit einem monatlichen Wohngeld
von ... bis unter ... Euro Durchschnittlicher
Insgesamt
Wohng eldanspruch/Monat
unter 50 50 –150 150 und mehr
Anzahl in % in % von Spalte 1 in Euro
Insgesamt 510 716 100 26,6 47,6 25,8 114
Mietzuschuss 467 833 91,6 27,1 48,2 24,7 111
Lastenzuschuss 42 883 8,4 20,4 41,2 38,4 151
Haushalte ...
von Alleinstehenden 278 343 54,5 36,6 53,8 9,5 77
mit 2 Haushaltsmitgliedern 60 691 11,9 22,9 50,1 27,0 114
mit 3 Haushaltsmitgliedern 39 182 7,7 18,4 46,6 35,0 130
mit 4 Haushaltsmitgliedern 60 387 11,8 12,7 42,9 44,4 149
mit 5 Haushaltsmitgliedern 42 751 8,4 8,4 31,0 60,6 185
mit 6 und mehr Haushaltsmitgliedern 29 362 5,7 4,6 18,7 76,7 268
31.12.2014.
326
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
lag mit durchschnittlich 4,69 Euro je Wohnfläche. In den alten Bundesländern Anspruch auf Elterngeld haben Mütter
Quadratmeter Wohnfläche niedriger. ohne Berlin lagen die durchschnittlichen und Väter, die
Das hat im Wesentlichen zwei Grün- Wohnkosten bei 6,69 Euro je Quadratmeter, ·· ihre Kinder nach der Geburt selbst be-
de: Einerseits sind die durchschnittlichen in den neuen Bundesländern mit Berlin bei treuen und erziehen,
Mieten je Quadratmeter in kleinen Woh- 6,04 Euro je Quadratmeter. ·· nicht mehr als 30 Stunden in der Wo-
nungen höher als in größeren. Zusätzlich che erwerbstätig sind,
überwiegen unter den Haushalten mit Elterngeld ·· mit ihren Kindern in einem Haushalt
Mietzuschuss Einpersonenhaushalte, die Das seit 1. Januar 2007 eingeführte Eltern- leben und
in der Regel über eine kleine Wohnfläche geld soll es Müttern und Vätern erleichtern, ·· einen Wohnsitz oder ihren gewöhnli-
verfügen. Andererseits leben in Wohn- vorübergehend ganz oder teilweise auf eine chen Aufenthalt in Deutschland haben.
geldhaushalten mit Lastenzuschuss zu- Erwerbstätigkeit zu verzichten, um mehr Ehe- oder Lebenspartner, die das Kind
meist vier und mehr Haushaltsmitglieder Zeit für die Kinderbetreuung zu haben. nach der Geburt betreuen – auch wenn
in größeren Wohnungen mit mindestens
120 Quadratmetern zusammen. Zusätz-
lich ist die Belastung bei Wohngeldhaus-
halten mit Lastenzuschuss besonders
niedrig, wenn für Wohnraum keine Be- Abb. 13: Wohngeldausgaben und Wohngeldhaushalte nach Ländern 2014
haushalten bei 122 Euro, in den neuen Län- 5,6 Bayern 0,8
dern und Berlin bei 95 Euro sowie bundes-
weit bei 114 Euro. Die durchschnittliche
monatliche Miete beziehungsweise Belas- 1 Reine Wohngeldhaushalte und wohngeldrechtliche Teilhaus-
1 Reine Wohngeldhaushalte und wohngeldrechtliche Teilhaushalte bezogen auf die Zahl der Privathaushalte nach dem
halte bezogen auf die Zahl der Privathaushalte gemäß
tung von reinen Wohngeldhaushalten be- Mikrozensus 2014 (Jahresdurchschnitt/Hochrechnung anhand der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis Zensus 2011).
Mikrozensus 2014 (Jahresdurchschnitt/Hochrechnung anhand
lief sich auf 6,51 Euro je Quadratmeter der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis Zensus 2011).
327
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
es nicht ihr eigenes ist –, können unter 1 200 Euro ersetzt das Elterngeld das nach weise auf bis zu 100 %: je geringer das Ein-
denselben Voraussetzungen Elterngeld der Geburt wegfallende Einkommen zu kommen, desto höher die Ersatzrate.
erhalten. u Info 4 67 %. Für Nettoeinkommen ab 1 200 Euro Auch wenn vor der Geburt des Kindes
Das Elterngeld beträgt mindestens und mehr vor der Geburt des Kindes sinkt kein Einkommen erzielt wurde, wird der
300 Euro und höchstens 1 800 Euro mo- die Ersatzrate des Elterngeldes von 67 % auf Mindestbetrag von 300 Euro gezahlt. Je
natlich. In der Höhe orientiert es sich am 65 % (bei Voreinkommen von 1 240 Euro nach Familiensituation erhöht sich der
durchschnittlich verfügbaren Erwerbs und mehr auf 65 %, bei Voreinkommen Elterngeldanspruch um einen Geschwis-
einkommen, das der betreuende Elternteil von 1 220 Euro auf 66 %). Für Gering terbonus und/oder einen Mehrlings
im Jahr vor der Geburt erzielt hat. Bei ei- verdiener mit einem Einkommen unter zuschlag. Einem Elternteil wird das El-
nem Voreinkommen zwischen 1 000 und 1 000 Euro steigt die Ersatzrate schritt terngeld für bis zu 12 Monate gewährt;
bei Alleinerziehenden bis zu 14 Monate.
Nehmen beide Partner Elterngeld in An-
spruch, so wird die Bezugsdauer auf
u Info 4 14 Monate verlängert. Eine Verdopplung
Elterngeld der Bezugsdauer ist bei Halbierung des
Elterngeldbezüge für bis Ende 2012 geborene Kinder wurden in der ab 2008 durchgeführten Statistik Elterngeldsatzes möglich.
über die beendeten Leistungsbezüge erfasst. In dieser inzwischen eingestellten Statistik erfolgte erst Die Statistik zum Bundeselterngeld
nach Abschluss eines Leistungsbezuges eine Meldung zur Statistik. Über Elterngeldbezüge für ab
Januar 2013 geborene Kinder gibt nun die neue Bestandsstatistik Auskunft, die die Statistik über die
wird vierteljährlich erhoben. Sie bezieht
beendeten Leistungsbezüge abgelöst hat. Auch mit der neuen Bestandsstatistik lassen sich Aus sich als Bestandsstatistik auf die Be-
sagen über die endgültige Inanspruchnahme von Elterngeld für Kinder eines bestimmten Geburtszeit- trachtung der Leistungsbezüge des Be-
raums errechnen. Hierzu werden alle Leistungsbezüge zusammengenommen und ausgewertet, die
sich auf den betreffenden Geburtszeitraum beziehen. Gültige Rechtsgrundlage ist das Bundeseltern- richtsquartals. Aber auch Auswertungen
geld- und Elternzeitgesetz für die bis zum 30. Juni 2015 geborenen Kinder. Die neuen gesetzlichen von beendeten Elterngeldbezügen für
Rahmenbedingungen des Elterngeld Plus für ab 1. Juli 2015 geborene Kinder werden hier nicht Kinder eines bestimmten Geburtszeit-
thematisiert.
raums – wie in diesem Beitrag – sind
möglich. Alle Elterngeldbezüge für im
Jahr 2013 geborene Kinder wurden zwi-
u Tab 4 Im Jahr 2013 geborene Kinder — nach Anzahl und Anteil der Kinder,
schenzeitlich abgeschlossen, sodass nun
deren Vater Elterngeld bezogen hat
rückblickend eine Auswertung zur tat-
Kinder, deren Vater Elterngeld sächlichen Inanspruchnahme von Eltern-
Geborene Kinder bezogen hat
insgesamt geld für diese Kinder erfolgen kann. Ins-
Anzahl in %
gesamt wurden im Jahr 2013 rund
Baden-Württemberg 91 505 33 219 36,3 682 100 Kinder geboren. Für diese Kin-
Bayern 109 562 43 701 39,9 der bezogen knapp 874 600 Mütter und
Berlin 35 038 12 486 35,6 Väter Elterngeld. Für 218 200 Kinder
wurde jeweils vom Vater Elterngeld be-
Brandenburg 18 355 6 380 34,8
antragt. Dies entspricht einer Beteiligung
Bremen 5 749 1 426 24,8
der Väter von 32 % gegenüber 29 % für
Hamburg 18 137 6 376 35,2 im Jahr 2012 geborene Kinder. Am häu-
Hessen 52 185 15 748 30,2 figsten bezogen Väter in Sachsen (41 %)
Mecklenburg-Vorpommern 12 560 3 287 26,2
und in Bayern (40 %) Elterngeld, gefolgt
von Thüringen (37 %), Baden-Württem-
Niedersachsen 62 879 18 222 29,0
berg und Berlin (jeweils 36 %). Am nied-
Nordrhein-Westfalen 146 417 36 750 25,1 rigsten lag die Väterbeteiligung im Saar-
Rheinland-Pfalz 31 989 8 507 26,6 land (20 %). u Tab 4
Saarland 6 848 1 378 20,1
Die Mehrheit der Väter (78 %) bezog
das Elterngeld für zwei Monate. Einen
Sachsen 34 800 14 256 41,0
zwölfmonatigen Elterngeldbezug nah-
Sachsen-Anhalt 16 797 4 258 25,3 men lediglich 5 % der Väter in Anspruch.
Schleswig-Holstein 21 822 5 823 26,7 Mütter bezogen bundesweit zu 90 %
Thüringen 17 426 6 425 36,9 E lterngeld für zwölf Monate und länger,
Elterngeld für nur zwei Monate erhielten
Deutschland 682 069 218 242 32,0
unter 1 % der Mütter.
328
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Etwa jede vierte Mutter (24 %) bezog u Abb 14 Höhe des Elterngeldanspruchs im ersten Bezugsmonat
den Mindestbetrag für Elterngeld in für im Jahr 2013 geborene Kinder — in Prozent
Höhe von monatlich genau 300 Euro. Bei
den Vätern waren es 10 %. Ein monat 20,9
liches Elterngeld von mehr als 300 bis un- 300 10,4
24,3
ter 1 000 Euro erhielt gut die Hälfte der
Mütter (52 %) und 28 % der Väter. Einen 46,1
300 –1 000 27,9
Anspruch von mehr als 1 000 Euro hatten
52,2
24 % der Mütter und 62 % der Väter. Die
unterschiedlich hohen Elterngeldansprü- 19,4
1 000 –1 500 31,3
che von Müttern und Vätern liegen unter 15,5
anderem darin begründet, dass Väter
5,8
häufiger vor der Geburt ihres Kindes er- 1 500 –1 800 11,7
werbstätig waren als Mütter und in der 3,8
Regel ein höheres anrechenbares Einkom- 7,8
men erzielten. u Abb 14 1 800 und mehr 18,7
Der größte Teil (91 %) der Väter und 4,2
329
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
330
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
u Abb 15 Begonnene Erziehungsberatungen, ambulante Hilfen und Hilfen außerhalb des Elternhauses 2014 —
je 1 000 junger Menschen unter 27 Jahren
Nordrhein-
17,2 7,8 3,9
Westfalen
Baden-
12,8 6,1 2,2
Württemberg
Mecklenburg-
8,0 12,1 4,3
Vorpommern
zeitpflege um 46 % von 48 000 auf 70 000. zogen auf eine geringe Ausgangszahl von deutlich. Schleswig-Holstein erreichte
Die Zahl der im Heim oder einer sonsti- knapp 900 Hilfen am Jahresende 1991. 2014 mit 21,1 begonnenen Beratungen je
gen betreuten Wohnform untergebrach- Differenziert nach Ländern ergeben 1 000 junger Menschen unter 27 Jahren
ten jungen Menschen erhöhte sich leicht sich deutliche Unterschiede in der Häu- den höchsten relativen Wert, dagegen
um 6 % auf etwas über 72 000. Die inten- figkeit der verschiedenen gewährten lagen Mecklenburg-Vorpommern mit
sive sozialpädagogische Einzelbetreuung H ilfen. Beobachtet man die Inanspruch- einer Quote von 8,0 und Hamburg mit
verzeichnete den größten Zuwachs nahme von Erziehungsberatungen auf einer Quote von 7,1 neu gewährten Bera-
(+ 314 %) auf 3 600 Hilfen, allerdings be- Länderebene, werden klare Unterschiede tungen weit dahinter. u Abb 15
331
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.4 / Soziale Sicherung
Die meisten ambulanten Hilfen (ohne matische – Situation Alleinerziehender richtungen der Kinder- und Jugendhilfe
Erziehungsberatung) haben in Hamburg sind nicht in allen Ländern gleich verteilt. erfasst (unter anderem Kindertagesein-
begonnen: Mit 16,1 Hilfen je 1 000 junger Dabei gilt, dass keiner dieser Umstände richtungen). Die Ausgaben für Einzel- und
Menschen unter 27 Jahren war die Quote zwangsläufig einen Bedarf an erziehe Gruppenhilfen werden gegliedert nach
hier fast viermal so hoch wie in Bayern, rischer Hilfe verursacht. Arbeitslose, So- Hilfeart und Art der Ausgabe erhoben.
wo mit 4,2 begonnenen Hilfen je 1 000 jun- zialhilfeempfänger und Alleinerziehende Für den gesamten Bereich der Kinder-
ger Menschen unter 27 Jahren die erziehen ihre Kinder auch ohne vom Ju- und Jugendhilfe wendeten die öffent
wenigsten ambulanten Hilfen gewährt gendamt vermittelte professionelle päda- lichen Träger im Jahr 2014 brutto
wurden. gogische Unterstützung. Sozioökono 37,8 Milliarden Euro auf. Rund 65 % die-
Bei den neu gewährten Hilfen außer- mische Belastungen sind zwar häufige ser Ausgaben fielen in den Bereich der
halb des Elternhauses hat Bremen mit Gründe innerhalb der vielfältigen Fakto- Kindertagesbetreuung (24,6 Milliarden
einer Quote von 7,7 Hilfen je 1 000 junger ren, die zur Inanspruchnahme erzieheri- Euro). Leistungen der Hilfe zur Erziehung
Menschen unter 27 Jahren den höchsten scher Hilfen führen, aber sie sind nicht kosteten die Träger der Kinder- und
und Bayern mit 2,0 Hilfen den geringsten zwingend und nicht ausschließlich. Hin- Jugendhilfe insgesamt 9,3 Milliarden
relativen Wert. In allen Bundesländern zu kommt die individuelle Wahrneh- Euro. Davon entfielen 5,0 Milliarden Euro
lag die Quote außerhalb des Elternhauses mung der Mitarbeiterinnen und Mit (54 %) auf die Unterbringung junger
in Anspruch genommener Hilfen niedri- arbeiter in den Jugendämtern, die bei der Menschen außerhalb des Elternhauses in
ger als die Quote der ambulanten Hilfen Gewährung von erzieherischer Hilfe eine Vollzeitpflege und Heimerziehung oder
(ohne Erziehungsberatung). Rolle spielt und die bei durchaus ähnlich sonstiger betreuter Wohnform.
Die unterschiedlichen Häufigkeiten gelagerten Problemsituationen zu unter-
einzelner Hilfearten in den Ländern hän- schiedlichen Hilfeentscheidungen führen Adoptionen
gen unter anderem davon ab, dass be kann. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland
lastende Lebenssituationen für Kinder Die Statistik der Ausgaben und Ein- 3 805 Minderjährige adoptiert, davon
und Eltern regional nicht gleich verteilt nahmen der öffentlichen Jugendhilfe weist waren 2 314 (61 %) mit den Adoptiveltern
sind. Arbeitslosigkeit, Arbeitslosengeld II Ausgaben nach, die aus öffentlichen Mit- oder einem Adoptivelternteil verwandt.
und Sozialhilfebezug, insbesondere von teln für Zwecke der Jugendhilfe nach dem Mehr als ein Drittel (38 %) der im Jahr
Minderjährigen (Abschnitt 10.4.2, Sei- SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – ge- 2014 adoptierten Kinder war unter drei
te 317), sind in einigen Ländern – vor al- leistet werden, sowie die entsprechenden Jahre alt. Hier zeigten sich Unterschiede
lem in den Stadtstaaten – häufiger anzu- Einnahmen. Diese werden getrennt für beim Verwandtschaftsverhältnis der
treffen. Auch Trennung und Scheidung Einzel- und Gruppenhilfen und a ndere Kinder zu den Adoptiveltern: Bei Adop
und die daraus resultierende – oft proble- Aufgaben nach dem SGB VIII und für Ein- tionen von nicht verwandten Kindern lag
Verwandtschaftsverhältnis Staatsangehörigkeit
zu den Adoptiveltern der Adoptiveltern
Insgesamt
Stiefvater / nicht nicht deutsch /
verwandt deutsch
Stiefmutter verwandt deutsch nicht deutsch
332
Soziale Sicherung / 10.4 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Abb 16 Gefährdungseinschätzung nach § 8a Absatz 1 SGB VIII 2014 - in Prozent
der Anteil der unter Dreijährigen bei u Abb 16 Gefährdungseinschätzung nach § 8a Absatz 1 SGB VIII
66 %. Dagegen betrug der Anteil unter im Jahr 2014 — in Prozent
dreijähriger Kinder bei einer Adoption
durch Verwandte oder Stiefeltern ledig-
15,0
lich 20 %. Von den adoptierten Minder-
18,0
jährigen hatten 622 (16 %) nicht die deut- Insgesamt
33,4
sche Staatsangehörigkeit. Davon wurden 33,5
333
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.5 / Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland
u Info 1
Entgeltpunkte
Entgeltpunkte (EP) werden bestimmt, indem die jährlichen individuellen rentenversicherungspflichtigen
Bruttoeinkommen durch das jährliche Durchschnittsentgelt aller Versicherten dividiert werden. Da-
durch sind sie eine dimensionslose (preisbereinigte) Größe, die man als relative Wohlstandsposition
interpretieren und als objektiven Indikator in die Sozialberichterstattung aufnehmen kann. Die sich über
die gesamte Erwerbsbiografie ergebende Summe dieser EP stellt eine valide Messgröße für die Höhe
der Anwartschaften der Versicherten gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung (gRV) dar. Zu
beachten ist bei der Interpretation Folgendes: Einerseits wird bei der Berechnung dieser Entgeltpunkte
der Zugangsfaktor berücksichtigt. Das heißt, vor allem bei Rentenzugang vor Erreichen der Regel
altersgrenze reduzieren Abschläge die EP, während Zuschläge die Renten erhöhen, jedoch nur selten
vorkommen. Im Jahr 2014 werden 2 % aller Altersrenten durch Zuschläge erhöht und 24 % durch
A bschläge reduziert. Zudem wird die Spanne der EP nach unten durch die Geringfügigkeitsgrenze
(450 Euro monatlich in 2014) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (BBG der allgemei-
nen RV monatlich 2014, Ost: 5 000 Euro, West: 5 950 Euro) begrenzt. Über der Beitragsbemessungs-
grenze liegende Arbeitseinkommen wirken sich in der gRV nicht rentenerhöhend aus.
334
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 10.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
speisen. Damit bestimmen die in EP aus- ansätze zur Begründung der Lohndiffe- Zudem kommen Teilzeitarbeit und Mini-
gedrückten relativen Löhne und die Länge renzen in Ost und West zielen häufig auf jobs im Osten seltener als im Westen vor.
der Erwerbsbiografie im Fall der Verren- unterschiedliche Branchenstrukturen Umgekehrt liegt die Arbeitslosigkeit im
tung maßgeblich die Höhe der jeweiligen und Betriebsgrößen sowie Produktivi- Osten knapp 70 % über Westniveau.
Altersrenten. Auf die damals bestehenden tätsunterschiede ab. Die Produktivitäts- Durch die sozialpolit ische Kompensation
unterschiedlichen Lohnniveaus in den unterschiede werden auf weniger indust- der Ost-West-Lohnunterschiede im Rah-
a lten und neuen Bundesländern wurde rielle Arbeitsplätze im Osten mit wert- men der Höherwertung erfolgt trotz ei-
im Rentenüberleitungsgesetz (RÜG 1991) schöpfungsschwächerer Endfertigung nes geringeren aktuellen Rentenwertes
durch Höher wertung der Ost löhne und wenigen kapitalstarken Großunter- im Osten eine Anhebung der durch-
reagiert.u Abb 1 nehmen zurückgeführt. Insgesamt ist schnittlichen Rentenanwartschaften in
Die Höherwertung der Entgelte (Ost) die Wirtschaftsstruktur im Osten klein- Richtung Westniveau.
mit dem in Abbildung 1 (rechte Skala) teiliger und hat eine niedrigere Export-
ausgewiesenen Faktor ist in Anlage 10, quote als im Westen. Zudem befinden 10.5.2 Entwicklung der Altersrenten
Sozialgesetzbuch VI dokumentiert und sich Hochlohnabteilungen wie Firmen- Die Summe der persönlichen Entgelt-
wird berechnet, indem die jährlichen leitungen und Forschungsabteilungen punkte spiegelt die Anwartschaften der
Bruttodurchschnittslöhne (West) durch eher in West- als in Ostdeutschland. Des Versicherten gegenüber der gRV wider.
entsprechende Löhne (Ost) dividiert wer- Weiteren ist eine starke Erosion der Ta- Sie können als Bilanz der Erwerbs- bezie-
den. Dieser Faktor weist aus, dass in den rifbindung selbst im verarbeitenden Ge- hungsweise Versicherungsbiografien in-
ersten Jahren nach der deutschen Einheit werbe festzustellen: In Ostdeutschland terpretiert werden. Vor dem Hintergrund
eine schnelle Lohnannäherung erfolgte, wird nur noch jeder dritte Beschäftigte der unterschiedlichen Erwerbsbiografien
jedoch seit Mitte der 1990er-Jahre bis nach Tarif bezahlt, im Westen mehr als von Frauen und Männern in den jeweili-
Ende 2014 die Durchschnittslöhne im jeder Zweite. Allerdings haben Erwerbs- gen Regionen werden die empirischen
Westen gleichbleibend knapp 20 % höher tätige im Osten oftmals höhere tatsäch Befunde differenziert nach Geschlecht
ausfallen als jene im Osten. Erklärungs- liche Arbeitszeiten als jene im Westen. sowie für Ost- und Westdeutschland in
35 000 3,5
30 000 3,0
25 000 2,5
20 000 2,0
15 000 1,5
10 000 1,0
5 000 0,5
1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013
Datenbasis: Rentenversicherung in Zeitreihen 2014, DRV-Schriften Band 22, S. 260; eigene Berechnungen.
335
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.5 / Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland
336
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 10.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Die männlichen Rentenzugänge in rend zunehmend mehr Frauen höhere davon abgeleitete Witwenrenten ebenfalls
Ostdeutschland weisen im Untersu- Entgeltpunktpositionen erreichen. Diese tendenziell sinken. u Abb 4
chungszeitraum einen deutlichen Rück- Entwicklung basiert einerseits auf zuneh- Die Anwartschaften von ostdeutschen
gang ihrer Anwartschaften auf. Die EP des mender Frauenerwerbstätigkeit, gekenn- Frauen beim Rentenzugang haben im un-
Medianrentners sinken seit der deutschen zeichnet durch längere Erwerbsbiografien tersuchten Zeitraum zugenommen: 1993
Einheit von 51 EP um knapp ein Viertel mit höheren Löhnen, und andererseits auf betragen sie bei der Medianrentnerin 31 EP,
auf 39 EP in 2014. Durch die Rentenan- einer verbesserten Anerkennung von Kin- im Jahr 2014 34 EP (siehe Abbildung 5). In
passungen ergibt sich eine Steigerung der dererziehungszeiten (Stichwort: Mütter- ausgezahlten Brutto-Beträgen entspricht
Median-Bruttorente von 844 Euro im Jahr rente) in der Rentenversicherung. Sie dies einer Medianrente von knapp 450 EUR
1993 auf knapp 937 Euro in 2014. u Abb 3 zeigt, dass ein zunehmender Anteil west- in 1993 und nahezu 809 EUR in 2014. Die
Auch in Ostdeutschland ist bei den deutscher Frauen eine eigenständige Al- Entwicklung der Anwartschaften verläuft
männlichen Neurentnern die Verteilung tersvorsorge aus der gRV erzielt, die in in- dabei nicht einheitlich: Während die gRV-
der Anwartschaften erkennbar unglei- dividueller Betrachtung die Grundsiche- Ansprüche im unteren Dezil auf demselben
cher geworden: Erreichten Neurentner rungsschwelle (30 EP) übersteigt. Sie zeigt Niveau verharren, steigen sie in den darü-
des untersten Dezils 1993 noch fast 60 % jedoch auch, dass mit rund 70 % das Gros ber liegenden Dezilen seit 2011 tendenziell
der EP des obersten Dezils, so kommen der westdeutschen Frauen über sehr nied- an. Ähnlich wie bei den männlichen Neu-
diejenigen des Jahres 2014 lediglich auf rige individuelle Anwartschaften verfügt, rentnern im Osten sind auch bei den Frau-
etwa 44 %. Die Ungleichheit der Anwart- die unter der Grundsicherungsschwelle en die Unterschiede zwischen den niedrigs-
schaften der ostdeutschen Neurentner liegen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, ten und höchsten gRV-Renten vergleichs-
nimmt mit zunehmendem zeitlichem Ab- dass diese Rentnerinnen im Haushalts- weise gering. Allerdings verfolgen die
stand zur deutschen Einheit zu und die kontext unter Umständen über ihre (Ehe-) Entgeltpunkte der Frauen im Osten einen
Anwartschaften nehmen tendenziell ab. Partner sowie weitere Alterseinkünfte ansteigenden Pfad, die der Männer einen
Anders formuliert: Je kürzer die DDR- h inreichend abgesichert sein können.
absteigenden. Im Ergebnis liegen die Ent-
geprägten Erwerbsbiografien (das heißt Dennoch besteht der politische Wille, die geltpunkte 2014 im Osten in den jeweiligen
ohne Arbeitslosigkeit und mit geringer eigenständige Altersvorsorge von (west- Dezilen bei den Männern etwa 5 EP über
Lohnspreizung) sind, desto niedriger deutschen) Frauen zu stärken; nicht zu- jenen der Frauen, Tendenz sinkend. Im
werden die Anwartschaften und umso letzt wegen zunehmender Scheidungen Westen ist die geschlechtsspezifische Ren-
höher deren Spreizung. und meist fehlender Hinterbliebenenver- tenlücke der Frauen wesentlich höher und
Eine andere Entwicklung ist bei den sicherung bei der (staatlich geförderten) liegt bei Medianrentnern des Jahres 2014
Frauen beim Übergang in eine Altersrente privaten wie betrieblichen Altersvorsorge. bei 29 EP. u Abb 5
festzustellen. Die Summe der persönlichen Außerdem gehen die Anwartschaften der Der Rückgang der Anwartschaften ist
EP von Frauen in Westdeutschland hat im Männer – wie eben beschrieben – im bei Männern im Osten besonders stark
Beobachtungszeitraum bei der Median- Zeitverlauf tendenziell zurück, weshalb ausgeprägt: Während Männer im Westen
rentnerin zwar um rund 30 % zugenom-
men, jedoch vollzieht sich diese relative
809 €
Veränderung vor dem Hintergrund niedri-
ger absoluter Werte: von 12 im Jahr 1993
auf 15 EP in 2014 (siehe Abbildung 4) oder
in ausgezahlten Beträgen von 261 Euro auf
annähernd 386 Euro Median-Bruttorente. betrug die Rente von ost-
Ähnlich wie bei den Männern ist auch bei deutschen Frauen im Jahr 2014.
den Frauen die Spreizung der Rentenbezü- Im Jahr 1993 waren es 450 €.
ge in Westdeutschland größer als in Ost-
deutschland. Neurentnerinnen im unters-
ten Dezil erreichen in 2014 4 EP und da-
mit weniger als 10 % der Anwartschaften
des obersten Dezils mit 43 EP. Die Un-
gleichverteilung der Altersrenten bei west-
deutschen Frauen im Beobachtungsfenster
hat somit vor allem deshalb stark zuge-
nommen, weil in unteren Dezilen kaum
Veränderungen festzustellen sind, wäh-
337
10 / Gesundheit und soziale Sicherung 10.5 / Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland
Abb 4 Dezilgrenzen PSEGPT alte Bundesländer: Frauen
u Abb 4 Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte und Frauen in beiden Regionen tenden
bei Altersrenten von Frauen in Westdeutschland 1993 – 2014 ¹ — in Dezilen ziell gleichbleibende bis geringfügig stei-
gende EP verzeichnen können, gehen die
70 Ansprüche der Männer in Ostdeutsch-
land sukzessive zurück, und das trotz
60
e iner im Vergleich zu westdeutschen
50
Durchschnittslöhnen derzeitig überpro-
portionalen Aufwertung der ostdeutschen
40 Durchschnittslöhne. Je länger der Zeit-
raum zwischen deutscher Einheit und in-
30
dividuellem Rentenzugang ist, desto nied-
20
riger werden die Anwartschaften. Hieran
sowie anhand des insbesondere bei älte-
10 ren Beschäftigten weit verbreiteten Nied-
riglohns werden die Probleme auf dem
0
1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013
ostdeutschen Arbeitsmarkt besonders
deutlich. Auf der anderen Seite sind ost-
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median
deutsche Männer mit der geringsten
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil
Spreizung ihrer Altersrenten die homo-
genste Bezugsgruppe. Vom Aufwärts-
1 Rentenzugangsjahre.
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-14VXSB; eigene Berechnungen.
Abb 5 Dezilgrenzen PSEGPT neue Bundesländer: Frauen
trend bei den Frauen in beiden Landestei-
len profitiert das obere Drittel stärker als
Bezieherinnen mittlerer und niedriger Al-
tersrenten. Hinsichtlich der Verteilung ih-
u Abb 5 Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte
rer Anwartschaften bilden Neurentnerin-
bei Altersrenten von Frauen in Ostdeutschland 1993 – 2014 ¹ — in Dezilen
nen in den alten Bundesländern nach wie
vor eine besonders h eterogene Gruppe.
70
Die Veränderungen der Ansprüche
60 der Versicherten an die gRV ergeben sich
aus den in der Rentenformel genannten
50 Parametern. Dies sind bei Altersrenten
und bei gegebenem aktuellem Renten-
40
wert die persönlichen Entgeltpunkte und
30 der überwiegend um Abschläge reduzier-
te Zugangsfaktor. Der Einf luss unter-
20 schiedlicher Erwerbsverläufe – seien sie
unterbrochen, diskontinuierlich oder
10
perforiert (Schlagwort sind die soge-
0 nannten Patchwork-Biografien) – und
1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 deren Zusammenhang mit Abschlägen
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median beziehungsweise verschiedenen Entloh-
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil nungsregimen im Lebensverlauf der Ver-
sicherten soll hier nicht untersucht wer-
1 Rentenzugangsjahre. den. Stattdessen fokussiert die Analyse
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-14VXSB; eigene Berechnungen.
auf Veränderungen in den institutionel-
len Rahmenbedingungen der gRV: Nach
dem Rentenreformgesetz 1992 können
Altersrenten vorgezogen in Anspruch ge-
nommen werden, allerdings werden pro
Monat eines vorgezogenen Rentenzu-
gangs Abschläge in Höhe von 0,3 % fällig;
wird die Rente nach der Regelaltersgren-
338
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland / 10.5 Gesundheit und soziale Sicherung / 10
ze beantragt, werden Zuschläge in Höhe vorsorge zu betreiben oder Vermögen zu Deutschlands, wenn die Lohn- und Ge-
von 0,5 % pro Monat ausgezahlt. Hin- akkumulieren. Dies zeigt sich unter ande- haltsangleichung weiter fortgeschritten
sichtlich der Wirkung der Abschläge ist rem an den Wohneigentumsquoten in Ost- sein wird, erfolgt in einem letzten Schritt
neben rentenmindernden Abschlägen ein verglichen mit Westdeutschland (West die vollständige Angleichung der Renten-
weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Bei 43 %, Ost 32 %) sowie den im Durchschnitt werte. Zum 1. Juli 2016 wird geprüft, wie
einem vorgezogenen Rentenbeginn fallen deutlich höheren Marktwerten der Immo- weit sich der Angleichungsprozess bereits
die Anwartschaften zugleich niedriger bilien in Westdeutschland. vollzogen hat und auf dieser Grundlage
aus, weil die Versicherten nicht bis zum entschieden, ob mit Wirkung ab 2017 eine
Erreichen der Regelaltersgrenze weiterge- 10.5.3 Ausblick Teilangleichung notwendig ist.«
arbeitet haben. Beide Effekte zusammen- Wie gezeigt wurde, spielen in den beiden Vor dem Hintergrund der dargestell-
genommen können eine Reduzierung der Landesteilen Erwerbsbiografien, jeweilige ten Entwicklungen würde eine einheit
Rente um mehr als 20 % bewirken. Löhne sowie unterschiedliche Chancen liche Rentenberechnung die niedrigeren
Der Anteil der von Abschlägen betrof- auf dem Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle Anwartschaften im Osten zusätzlich ver-
fenen Neurentner ist bis 2010 gestiegen für die Anwartschaften bei der gRV. Un- ringern, eben weil sich die Einkommens-
und in den letzten Jahren mit der Verbes- terschiedliche Löhne und Erwerbsbiogra- verhältnisse nicht angeglichen haben. Da
serung der Arbeitsmarktlage vor allem für fien in Ost und West haben sich in den sie dies auf absehbare Zeit auch nicht tun
ältere Beschäftigte wieder etwas zurück letzten Jahren zunehmend verfestigt. Vor werden, sollte eine transparente Lösung
gegangen. Dennoch sind im Jahr 2014 in allem die sinkenden Anwartschaften ost- gefunden werden, die den andauernden
Bezug auf alle Zugänge in Altersrenten in deutscher Männer verweisen auf sich Lohnunterschieden in den beiden Landes-
Ostdeutschland rund 32 % der Neurentner ausbreitende Niedriglöhne und Beschäf- teilen Rechnung trägt und diese nicht eins
beziehungsweise 41 % der Neurentnerin- tigungsprobleme. Grundsätzlich ist nicht zu eins auf die Höhe der Altersrente über-
nen von rentenmindernden Abschlägen zu erwarten, dass in den nächsten Jahren trägt. Aus individueller Perspektive sind
betroffen; in Westdeutschland sind es rund eine Angleichung des Lohnniveaus zwi- es vor allem die sinkenden Rentenansprü-
25 % der Neurentner beziehungsweise 19 % schen Ost- und Westdeutschland erfol- che von Männern im Osten und die nied-
der Neurentnerinnen. Diese erheblichen gen wird. Ab 2015 könnte die Einführung rigen Anwartschaften bei der Mehrzahl
Unterschiede zwischen den Abschlägen des gesetzlichen Mindestlohns die Ab- der Frauen im Westen, die auf zunehmen-
spiegeln regionale Besonderheiten auf den wärtsspirale des Lohnniveaus aufhalten. de Altersarmutsrisiken verweisen. Ein
Arbeitsmärkten für über 60-jährige Ver Hierzu sind empirische Befunde erfor- auskömmliches Leben im Alter gestaltet
sicherte wider. Da die Abschläge die Ren- derlich, die aktuell noch nicht vorliegen sich vor allem dann als schwierig, wenn
tenhöhe lebenslang reduzieren, verstärken können. Allerdings sind zunehmende diese Männer und Frauen nicht über wei-
sie somit das Rentengefälle zwischen Ost- r egionale Disparitäten auch innerhalb tere Personen, zum Beispiel im Rahmen
und Westdeutschland. Zusammenfassend der beiden Landesteile festzustellen (bei- langjähriger Ehen, im Haushaltskontext
lässt sich festhalten, dass die Betroffenheit spielsweise Schleswig-Holstein im Ver- abgesichert sind. Zudem weisen zahlrei-
von Abschlägen mit der Entwicklung und gleich zu Bayern beziehungsweise Meck- che Studien nach, dass das Vertrauen ge-
Verteilung der Anwartschaften insofern lenburg-Vorpommern im Vergleich zu genüber Formen der privaten und betrieb-
zusammenhängt, dass vor allem männ Brandenburg). Es existiert ein Süd-Nord- lichen A ltersvorsorge im Zuge der Finanz-
liche Neurentner in Ostdeutschland, de- Gefälle hinsichtlich der Lohnhöhe, wel- markt- und Bankenkrise vor allem bei
ren Anwartschaften erheblich gesunken ches auf die stärkere Wirtschaftskraft in Geringverdienenden gesunken ist. Inso-
sind, auch besonders von höheren Ab- den südlichen Regionen zurückzuführen fern ist davon auszugehen, dass Besserver-
schlägen mit stark rentenmindernder ist. Zudem ist das Lohnniveau im Allge- dienende eher private und betriebliche Al-
Wirkung betroffen sind. meinen in Städten und Ballungsräumen tersvorsorge betreiben, um das sinkende
Reduzierte Altersrenten sind für Rent- höher als in gering besiedelten Gegenden. Rentenniveau kompensieren zu können.
nerinnen und Rentner in Ostdeutschland Im Koalitionsvertrag der 18. Legis Darüber hinaus weisen höher Qualifizier-
besonders problematisch, weil ihre Alters- laturperiode findet sich in Bezug auf eine te ein geringeres Risiko auf, wegen chroni-
einkünfte nach Ergebnissen der Studie mögliche Rentenangleichung die Formu- scher Erkrankungen vorzeitig mit Er-
A lterssicherung in Deutschland (ASID lierung: »Angleichungsprozess Ost-West werbsminderungsrente aus dem Erwerbs-
2011) zu 92 % aus der gesetzlichen Renten- fortsetzen. Der Fahrplan zur vollstän leben ausscheiden zu müssen. Die
versicherung stammen, im Vergleich zu digen Angleichung, gegebenenfalls mit genannten Aspekte machen deutlich, dass
59 % in den alten Bundesländern. Zudem einem Zwischenschritt, wird in einem eine konsequente Re-Orientierung hin zu
standen Neuzugängern in die Altersrente Rentenüberleitungsabschlussgesetz fest- den sozialpolitischen Zielen der »Lebens-
im Osten lediglich 25 Jahre zur Verfügung, geschrieben: Zum Ende des Solidarpakts, standardsicherung und Armutsvermei-
um private und/oder betriebliche Alters- also 30 Jahre nach Herstellung der Einheit dung im Alter« notwendig ist.
339
– 4,9 %
41 %
betrug die Bevölkerungsent-
wicklung dünn besiedelter länd-
licher Kreise in Ostdeutschland
zwischen 2007 und 2013.
des Personenverkehrs in
Kernstädten entfiel 2008 auf
den Pkw. In ländlichen Re-
gionen machte der Pkw 58 %
des Personenverkehrs aus.
45 km 60 %
betrug die Tagesstrecke der Gesamtfläche Deutschlands
pro mobiler Person 2013. nahm 2013 der ländliche Raum ein.
Rund 18 % der Bevölkerung lebten
dort, lediglich 10 % aller Arbeits-
plätze befanden sich auf dem Land.
+ 4,4 %
betrug die Bevölkerungsentwicklung
kreisfreier Großstädte in Ostdeutschland
zwischen 2007 und 2013.
11
Räumliche Mobilität und
regionale Unterschiede
11.1 In der Debatte um räumliche Mobilität
wird gerne darauf verwiesen, dass die
Modal Split nach Wegen und zurückge-
legten Kilometern, das heißt die Vertei-
Art und Umfang Zahl der Wege, die Jeder und Jede durch- lung auf verschiedene Verkehrsmittel, so-
der räumlichen schnittlich am Tag zurücklegt, seit Jahr-
hunderten etwas höher als drei liegt. Das
wie die Wegezwecke. Bei allen diesen
Kenngrößen fällt die Kontinuität auf. Die
Mobilität mag stimmen, obwohl der statistische Abweichungen zwischen den verschiede-
Beweis über einen so langen Zeitraum nen Erhebungen sind gering. u Info 1, Tab 1
schwer zu erbringen sein dürfte. Für die Bei aller Kontinuität fällt aber auch auf:
Weert Canzler
letzten zwei Jahrzehnte zumindest ist ge- Leicht gestiegen sind die Wegelängen pro
WZB
sichert, dass nicht nur die durchschnitt Tag und Strecke. Das kann kaum überra-
liche Wegeanzahl, sondern auch die »Un- schen, denn die gelebte und die geforderte
WZB / SOEP terwegszeit pro Person« weitgehend kon- persönliche Mobilität hat in modernen Ge-
stant geblieben sind. Tabelle 1 bildet sellschaften eine hohe Bedeutung. Es wird
diese Ergebnisse aus zentralen Verkehrs- sozial von fast allen erwartet, mobil zu
erhebungen in Deutschland seit Ende der sein. Das gilt für den Arbeitsmarkt ebenso
1990er-Jahre ab. Weitere relevante Kenn- wie für das Bildungswesen, aber auch für
ziffern für den Verkehrsaufwand sind der die Freizeit. Womit wir bei den Wegezwe-
u Info 1
Daten zur räumlichen Mobilität
Die wichtigsten Erhebungen für den Personenverkehr in den letzten 15 Jahren in Deutschland sind
zum einen die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin in Kooperation mit dem Insti-
tut für angewandte Sozialfragen (Infas) durchgeführte Haushaltsbefragung »Mobilität in Deutschland«
(MiD 2002 und MiD 2008) und zum anderen die Befragungswellen des bundesweiten »Mobilitätspanels«,
die vom Institut für Verkehrswesen der Universität Karlsruhe verantwortet wurden (MOP 1998/99 bis
MOP 2013/14). Hinzu kommen mehrere auf den Stadtverkehr fokussierte Verkehrserhebungen im Rah-
men des »Systems repräsentativer Verkehrsverhaltensbefragungen (SrV)«, die das Friedrich-List-Institut
der Technischen Universität Dresden seit den 1970er-Jahren erarbeitet. Die letzte SrV 2013 bestätigt im
Wesentlichen Ergebnisse der anderen bundesdeutschen Erhebungen (vgl.: http://tu-dresden.de/
die_tu_dresden/fakultaeten/vkw/ivs/srv/2013/Schlusskonferenz/SrV2013-Abschluss_Ahrens_2014-11-10.pdf).
Für 1982 kann auf Daten der »Kontinuierlichen Erhebung zum V erkehrsverhalten« (KONTIV) zurückge-
griffen werden. Die etwas abweichenden KONTIV-Zahlen lassen sich in erster Linie erhebungstechnisch
erklären, außerdem ist der zeitliche Abstand zu den hier berücksichtigten MiD- und MOP-Erhebungen
mit mehr als 10 Jahren beträchtlich.
341
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.1 / Art und Umfang der räumlichen Mobilität
Wege pro Person, insgesamt (Anzahl) 3 3,6 3,5 3,4 3,3 3,5 3,4
Wege pro mobiler Person (Anzahl) 3,7 3,9 3,8 3,7 3,9 3,9 3,7
Fahrrad 11 8 10 11 9 10 13
ÖPV 10 10 9 11 9 9 13
Fahrrad 3 2 3 3 3 3 4
ÖPV 20 19 18 24 15 16 23
cken wären, die ebenfalls wichtige Kate- In der Verkehrsforschung ist der enge Für weniger Kilometer braucht der Städ-
gorien jeder Verkehrsstatistik sind. Hier Zusammenhang zwischen Siedlungstyp ter länger als der Verkehrsteilnehmer au-
ist bemerkenswert, dass der Berufs- und und Verkehrsaufwand schon lange be- ßerhalb urbaner Siedlungsstrukturen. Er
Ausbildungsverkehr nicht den Stellenwert kannt. Generell gilt: Je dichter die Sied- benötigt sieben beziehungsweise neun
einnimmt, der ihm oft beigemessen wird. lungsstruktur, desto geringer der alltäg Minuten mehr, um seine täglichen Wege
Er macht nur gut ein Sechstel des Ver- liche Radius der Aktivitäten und damit zu absolvieren. u Abb 2
kehrsaufwandes aus, Freizeit- und Ver- die Personenkilometer. Das zeigt sich Diese Unterschiede in den Reisezeiten
sorgungswege sind viel wichtiger. u Abb 1 deutlich bei den Tageskilometerleistun- hängen nicht zuletzt mit der Belastung
Trotz aller Konvergenz der genannten gen in Abbildung 2, die aus der Erhebung der Verkehrsinfrastrukturen zusammen,
Verkehrsstudien in den Globaldaten zur »Mobilität in Deutschland« (MiD) aus die zwischen den Siedlungstypen in aller
persönlichen Mobilität gibt es eine Reihe dem Jahr 2008 stammen, aber nach wie Regel stark variieren. Insbesondere sind
von signifikanten Unterschieden und Be- vor Gültigkeit besitzen: Während in der die Straßen für den motorisierten Indivi-
sonderheiten, die sich entlang verschie- verdichteten Kernstadt die durchschnitt- dualverkehr (MIV) in weniger dicht be-
dener Siedlungsformen, Haushaltstypen liche Tagesstrecke 36 Kilometer beträgt, siedelten Gebieten freier, sodass eine hö-
und Lebenslagen finden. liegt sie in weniger verdichteten und in here Reisegeschwindigkeit erreicht wer-
ländlichen Kreisen bei 40 beziehungswei- den kann. Das Auto ist hingegen in
11.1.1 Verkehrsaufwand und se 42 Kilometern. Zugleich fällt auf, dass Städten langsamer und zugleich ist der
Siedlungstypen zwar der Anteil der mobilen Personen Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV)
Im Personenverkehr gelten die zurückge- und die durchschnittliche Wegeanzahl in attraktiver. Dies erklärt die deutlichen
legten Kilometer als entscheidende Kenn- allen drei Kreistypen annähernd gleich Unterschiede im Modal Split zwischen
größe. Bei diesen Personenkilometern gibt sind; jedoch unterscheidet sich die Zeit, den verschiedenen Regionstypen: Wäh-
es die auffälligsten Unterschiede zwischen in der die Menschen in der Innenstadt, rend die tägliche Pkw-Nutzung in der
Stadt und Land, Arm und Reich sowie im Stadtumland oder im ländlichen Kernstadt 2008 im Durchschnitt 41 % des
zwischen verschiedenen Haushaltstypen. Raum täglich unterwegs sind, signifikant. gesamten Personenverkehrs beträgt (und
342
Art und Umfang der räumlichen Mobilität / 11.1 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
u Abb 1 Aufteilung des Verkehrsaufkommens auf Zwecke 2013 gegenüber 2002 sogar um 3 Prozent-
punkte gesunken ist), macht sie in länd
Ausbildung lichen Regionen 58 % aus. Umgekehrt ha-
3,8 ben der ÖPNV und auch das Fahrrad in
Städten und verdichteten Räumen gene-
Arbeit und Dienstlich
rell einen deutlich höheren Anteil. Bei
12,3
Nach Hause,
der Fahrradnutzung erleben wir seit Jah-
Rundwege ren einen regelrechten Boom. So erstaunt
Freizeit und Sonstige
es nicht, dass es in deutschen Haushalten
18,3 44,1
fast doppelt so viele Fahrräder gibt wie
Autos. u Abb 3
Einkauf und Service
21,5
11.1.2 Pkw-Verfügbarkeit
Datenbasis: MOP 2013/14. Trotz der Nutzungszuwächse beim Fahr-
rad und der Konsolidierung des ÖPNV
ist der Personenverkehr in Deutschland
u Abb 2 Zentrale Mobilitätskenngrößen nach Kreistypen 2008 wie in allen anderen entwickelten westli-
chen Gesellschaften von der Nutzung des
3,4 36 84 Autos geprägt. Ausstattung privater Hausha
Kernstädte 90
Auch wenn aus den Verkehrserhebun-
3,4 40 77
Verdichtete Kreise 90
gen der letzten zehn Jahre hervorgeht,
3,4 42 75 dass der Anteil des MIV am Gesamtver-
Ländliche Kreise 89 kehrsmarkt leicht zurückgeht, dominiert
3,4 39 79 er nach wie vor. Was begünstigt nun den
Gesamt 90
MIV? In lediglich einem knappen Fünftel
der bundesdeutschen Haushalte gibt es
Anteil mobiler Personen am Stichtag in %
kein Auto. Lassen sich Bedingungen iden-
Durchschnittliche Anzahl Wege am Stichtag nach Kreistyp
nach BBSR 3er-Kategorisierung tifizieren, die eine Autonutzung wahr-
Durchschnittliche Tagesstrecke am Stichtag nach Kreistyp scheinlich machen? Neben dem bereits
nach BBSR 3er-Kategorisierung in km / Person angeführten Siedlungstyp korrelieren die
Durchschnittliche Wegezeit am Stichtag in Minuten / Tag / Person Haushaltsgröße und vor allem das Haus-
(ohne regelmäßige berufliche Wege)
Datenbasis: MiD 2008. haltseinkommen mit der Autonutzung.
Wie aus Abbildung 4 hervorgeht, steigt
die Anzahl der im Haushalt verfügbaren
u Abb 3 Ausstattung privater Haushalte mit Fahrzeugen 2014 — in Millionen Pkw mit dem Nettoeinkommen. Wäh-
rend in 60 % der Haushalte mit einem
E-Bike
Nettoeinkommen von weniger als
2 900 Euro monatlich kein Pkw zur Verfü-
Motorrad
gung steht, besitzen in den Gutverdiener-
geleast¹ 5
haushalten mit Einkommen von mehr als
2 3 000 Euro weniger als 3 % kein Auto. Die
neu gekauft Abnahme der autolosen Haushalte in den
14 dazwischen liegenden Einkommensklas-
Auto Fahrrad
sen zeigt die Korrelation deutlich: Je
höher das Haushaltseinkommen, desto
38 68
umfänglicher die Pkw-Ausstattung; ab
gebraucht gekauft 2 000 Euro steigt zudem der Anteil der
22 Zweit- und Drittwagen kräftig an. Bei den
Haushalten mit mehr als 4 000 Euro Net-
1 Einschließlich Firmenwagen, die auch privat genutzt werden dürfen. Keine Ratenkäufe. toeinkommen macht der Anteil der Mehr-
Ergebnisse der laufenden Wirtschaftsrechnungen (LWR).
Datenbasis: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2015. Pkw-Haushalte bereits mehr als 70 %
aus. u Abb 4
343
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.1 / Art und Umfang der räumlichen Mobilität
u Abb 4 Anzahl der Pkw in den Haushalten nach Einkommensklassen 2008 — in Prozent
72
67
61
59 59
55
53 53
48
44 44
39
35
32 31
29 29
23 22 22 22
21
16 17
11
9
7
4 4 4 3
1 1 2 2 1 2 2 1
0
Unter 500– 900– 1 500– 2 000– 3 000– 4 000– 5 000– 6 000– Ab
500 Euro < 900 Euro < 1 500 Euro < 2 000 Euro < 3 000 Euro < 4 000 Euro < 5 000 Euro < 6 000 Euro < 7 000 Euro 7 000 Euro
Kein Auto im Haushalt 1 Auto im Haushalt 2 Autos im Haushalt 3 und mehr Autos im Haushalt
uTab 2 Führerscheinbesitz und Pkw-Verfügbarkeit in den Haushalten 2013 zwischen den Altersgruppen: während
— in Prozent nur gut 27 % der 18- bis 25-Jährigen je-
Regelmäßige persönliche derzeit Zugriff auf einen Pkw haben,
Führerscheinbesitz
Pkw-Verfügbarkeit sind es in allen höheren Altersgruppen
Insgesamt 86 75 wesentlich mehr. Sogar in der Gruppe
Geschlecht
der über 70-Jährigen ist die Autoverfüg-
barkeit mit 43 % deutlich höher. u Tab 2
Männer 89 79
Ansonsten gilt für die Ausstattung von
Frauen 82 72
Haushalten mit Autos: Sind kleine Kin-
Altersgruppen dern im Haushalt, ist das private Auto als
18 – 25 Jahre 77 27 Hauptverkehrsmittel sehr wahrscheinlich.
26 – 35 Jahre 88 56 Abweichungen von dieser Formel ergeben
36 – 50 Jahre 93 67 sich in erster Linie durch die ökonomische
Situation eines Haushaltes. Haushalte mit
51– 60 Jahre 85 57
niedrigem oder sehr niedrigem Einkom-
61– 70 Jahre 86 52
men verfügen lediglich zur Hälfte über ein
Ab 70 Jahre 80 43 eigenes Auto. Das betrifft viele Alleiner-
Datenbasis: MOP 2013/14. ziehende. Weiterhin gilt: Je größer die Ge-
meinde, desto größer ist der Anteil derje-
nigen, die nicht ständig über ein Auto ver-
fügen. Die Unterschiede sind erheblich: In
Aufschlussreich sind auch der Füh- können regelmäßig über ein Auto verfü- Orten mit bis zu 50 000 Einwohnern kom-
rerscheinbesitz und die Verfügbarkeits- gen. Weniger als 20 % haben keinen Zu- men fast 600 Auto auf 1 000 Einwohner,
rate von Pkw. Insgesamt haben im Jahr gang zu einem Auto oder keinen Führer- während in Großstädten mit mehr als
2013 fast 86 % der erwachsenen Bundes- schein. Bei der Autoverfügbarkeit finden 500 000 Einwohnern nur noch 360 Autos
bürger einen Führerschein und 75 % sich übrigens auffällige Unterschiede auf 1 000 Bewohner zugelassen sind.
344
Art und Umfang der räumlichen Mobilität / 11.1 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
u Tab 3 Lebensphase des Haushalts¹ und Modal Split der Verkehrsmittelnutzung 2008 — in Prozent
Alleinstehende Rentner 49 36 15 49 43 8 61 34 6
Rentner-Haushalte 39 54 7 37 59 4 34 61 4
Alleinlebende 34 55 11 32 63 5 31 66 3
Zusammenlebende 28 63 10 28 67 5 28 68 4
Erwachsenen-Haushalte 25 63 12 25 70 6 22 72 6
Alleinerziehende 43 40 17 34 58 9 40 53 7
Studenten 47 23 31 59 27 14 34 40 26
Auszubildende, Schüler 25 32 43 43 36 21 35 34 31
Sonstige 35 54 11 32 60 8 30 65 6
1 Die Lebensphasen sind nicht vollkommen trennscharf, Überlappungen wie bei »Zusammenlebende« und »Erwachsenen-Haushalte« sind möglich.
Datenbasis: MiD 2008.
11.1.3 Wahl der Verkehrsmittel und fügen und einen besonders hohen Anteil der Anteil älterer Verkehrsteilnehmer
Lebensphase am sogenannten Umweltverbund haben. sukzessive steigen und damit das Ver-
Die Autoverfügbarkeit ist ausschlagge- Das heißt: Sie nutzen ihre Muskelkraft kehrsgeschehen insgesamt gedämpft
bend dafür, wie der Modal Split, also die und den Öffentlichen Verkehr häufiger werden, weil die beruf lichen Wege weg-
Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel, als fast alle anderen Altersgruppen. Da- fallen. Doch zugleich werden die künfti-
aussieht. Gerade das Auto fördert eine neben kommen auch Rentner auf hohe gen »Jungen Alten« auf einem erhöhten
flexible Verwendung, es kommt komple- Anteile beim Umweltverbund. In Tabel- A ktiv itätsniveau länger mobil sein.
xen Alltagsabläufen entgegen und erlaubt le 3 werden die Modal Split-Anteile je Le- Denn die künftigen Rentner werden zu
eine autonome Zeit- und Wegekettenge- bensphase und in Abhängigkeit vom einem größeren Teil als die Vorgänger-
staltung. Und vor allem vereinfacht das Siedlungsraum für das Jahr 2008 ersicht- generationen erfahrene Autofahrer sein
Auto eine routinemäßige Nutzung. Es lich. In allen Siedlungsräumen steigt der und mit hohen Führerscheinquoten die
wird im Alltag oft verwendet, ohne im Anteil des MIV von Lebensphase zu Le- Erwerbsarbeitsphase hinter sich lassen.
Einzelnen über Alternativen nachzuden- bensphase bis zum Rentenbeginn. Die Bereits zwischen 2002 und 2008 ist ihr
ken. Ist das Auto erst einmal verfügbar, Erwachsenenhaushalte sind besonders MIV-Wegeanteil überproportional ge-
drängt es andere Verkehrsmittel häufig auto-affin, während die Studenten- und stiegen, was auch aktuelle Daten der
an den Rand; in der Verkehrs- und Mobili- Alleinerziehendenhaushalte am stärksten SrV-Erhebung von 2013 im Städtever-
tätsforschung wird daher vom »Kuckuck die Verkehrsmittel des Umweltverbundes gleich bestätigen. u Abb 5
seffekt« infolge der Anschaffung eines nutzen (müssen). u Tab 3 Die demografisch bedingten Verän-
Automobils gesprochen. derungen im Verkehr sind in letzter Zeit
Auch wenn der Siedlungstyp und die 11.1.4 Mobilität im Zeitverlauf in den Fokus der Aufmerksamkeit gera-
Einkommenssituation der Haushalte die Jüngere Verkehrserhebungen geben An- ten. Die Daten aus den vorliegenden Ver-
wahrscheinlich wichtigsten Einflussfak- zeichen dafür, dass sich am Zusammen- kehrserhebungen lassen zunächst Konti-
toren für die Wahl der Verkehrsmittel hang zwischen Lebensphasen und der nuität und eine fast verblüffende Stabili-
sind, spielt die Lebensphase ebenfalls Wahl der verschiedenen Verkehrsmittel tät in der Mobilität vermuten. Doch
eine große Rolle. Es sind die Jüngeren, künftig etwas ändern wird. Grund ist schon vertiefende Analysen der Durch-
die noch nicht über ein eigenes Auto ver- der demografische Wandel. Zwar wird schnittswerte nach räumlichen und ein-
345
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.1 / Art und Umfang der räumlichen Mobilität
u Abb 5 Modal Split MIV und ÖPV nach Personengruppen 2008 und 2013 — in Prozent
Große SrV-Vergleichsstädte
MIV ÖPV
71+
61–70
51–60
36–50
26–35
18–25
0–17
50 40 30 20 10 0 0 10 20 30 40 50
* Revidierte Werte wegen systematischer Untererfassung kurzer Fußwege und Aktivitätsverknüpfungen zu Fuß und im MIV.
Datenbasis: SrV 2013.
* Revidierte Werte wegen systematischer Untererfassung kurzer Fußwege und Aktivitätsverknüpfungen zu Fuß und im MIV
kommensstrukturellen Kriterien zeigen, ren mehren sich die Hinweise, dass die dener Verkehrsmittel in einem integrier-
wie bunt und breit gefächert das Bild tat- Informations- und Kommunikations- ten Angebot – verbunden, die eine Alter-
sächlich ist. Globale Durchschnittszah- technik die Bewegung im Raum grundle- native zum privaten Auto bieten können.
len verdecken diese Differenzen oft. Was gend ändert und das Auto zugleich sei- Der Aufwand der Raumüberwindung
fehlt, ist eine Ergänzung der bestehenden nen Status als bevorzugtes Prestigeobjekt könnte insgesamt deutlich zunehmen und
Verkehrserhebungen durch eine qualitati- einbüßt. Eine Reihe von zusätzlichen Un- damit die soziale Schere zwischen Hoch-
ve Komponente. Hilfreich könnten dabei sicherheiten und Gefährdungen der mobilen einerseits und eingeschränkt
Daten sein, mit denen auch Veränderun- Grundlagen der modernen Mobilität Mobilen andererseits noch weiter ausein-
gen im Verkehrsverhalten in Abhängig- zeichnen sich ab. Der Verkehr kommt an andergehen lassen.
keit von Siedlungsentscheidungen, Haus- seiner Dekarbonisierung nicht vorbei;
haltszusammensetzung und Lebensphase der Klimaschutz verlangt eine beschleu-
sowie der Kostenentwicklungen identifi- nigte Abkehr vom Öl als Energieträger.
ziert werden können. Zu erwarten sind nicht nur weitere Kos-
Möglicherweise verstärken sich die tensteigerungen im motorisierten Indivi-
bestehenden Unterschiede noch, etwa dualverkehr durch Straßenbenutzungsge-
zwischen Kernstädten und ländlichen bühren und eine flächendeckende Park-
Regionen, zwischen Geringverdienern raumbewirtschaftung. Mit verkehrs- und
und Haushalten mit einem hohen verfüg- umweltpolitischen Hoffnungen sind vor
baren Einkommen sowie innerhalb der allem intermodale Mobilitätsdienstleis-
Abfolge der Lebensphasen. Bei den Jünge- tungen – also die Verknüpfung verschie-
346
Berufspendler / 11.2 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
u Info
Regionaldatenbank und Regionalatlas
Der Datenreport enthält als Sozialbericht für Deutschland vorwiegend Angaben auf Bundesebene oder
in länderweiser Gliederung. Die einzelnen Bundesländer sind jedoch nicht gleich beschaffen und auch
innerhalb eines Landes gibt es Metropolregionen und strukturschwache Regionen, die unterschiedliche
Wirtschafts- und Lebensbedingungen mit sich bringen.
Ein breit gefächertes Datenangebot in regionaler Gliederung bietet die amtliche Regionalstatistik der
tatistischen Ämter des Bundes und der Länder. Eine Vielzahl dieser regionalstatistischen Tabellen ist
S
online über die Regionaldatenbank Deutschland verfügbar. Der Tabellenabruf erfolgt unentgeltlich
und kann variabel an den individuellen Bedarf angepasst werden. Weitere Informationen finden Sie im
Internet unter www.destatis.de
Hier finden Sie auch einen interaktiven Regionalatlas als Gemeinschaftsprodukt der Statistischen Ämter
des Bundes und der Länder. Er veranschaulicht in Form von thematischen Karten über 80 Indikatoren
zu einer Vielzahl von Themenbereichen der amtlichen Statistik für alle Bundesländer, Regierungsbezirke
sowie Landkreise und kreisfreien Städte Deutschlands. Für jede Karte gibt es ein großes Spektrum
an Interaktionsmöglichkeiten für die Visualisierung und Abfrage der Informationen. Neben einer kartogra
fischen Darstellung ist auch eine Darstellung der Indikatorwerte in T
abellenform wählbar.
347
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.2 / Berufspendler
u Abb 1 Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte 2012 — Anteile in Prozent 25 Kilometern je Wegstrecke. Entspre-
chend benötigten Brandenburger mit
e inem Anteil von 36 % häufiger als Er-
Arbeitsstätte auf werbstätige aus anderen Ländern eine
wechselnde Arbeitsstätten demselben Grundstück
halbe Stunde und länger für den Weg zur
3,3 4,5
Arbeit. Im Bundesdurchschnitt traf dies
nur auf gut ein Viertel (26 %) zu. Von den
25 km und mehr
baden-württembergischen Erwerbstäti-
16,8
unter 10 km
gen mussten nur 21 % mindestens eine
halbe Stunde pendeln, obwohl sie in einem
48,9
10 bis 24 km großen Flächenland leben. Hier sind die
26,5 Arbeitsplätze nicht auf einen Standort
konzentriert, sondern auf mehrere Zent-
ren (Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe,
Freiburg, Ulm) über das Land verteilt.
Ergebnisse des Mikrozensus. Auch bei der Verkehrsmittelwahl
werden Unterschiede deutlich: In den
Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit
ihrem gut ausgebauten Netz an öffent
lichen Verkehrsmitteln nutzten immer-
hin 44 % beziehungsweise 41 % der Pend-
u Info 1
ler diese Möglichkeit. Umgekehrt fuhren
Siedlungsstrukturelle Kreistypen
vier von fünf saarländischen Erwerbs
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung unterscheidet insgesamt neun Kreistypen.
Sie definieren sich zunächst über ihre Zugehörigkeit zu einem größeren Raum. Bei diesen Räumen
tätigen (81 %) mit dem Auto zur Arbeit.
werden drei Typen unterschieden: Agglomerations- oder Ballungsräume besitzen ein städtisches Besonders fahrradbegeistert waren die
Zentrum mit mindestens 300 000 Einwohnern und eine Dichte von mindestens 300 Einwohnern Bremerinnen und Bremer, von denen
je Quadratkilometer. Verstädterte Räume verfügen über eine Stadt mit Zentrumsfunktion mit
mindestens 100 000 Einwohnern und eine Einwohnerdichte von mindestens 150 Personen je Quadrat- 20 % dieses Verkehrsmittel für den Ar-
kilometer. Ländliche Räume haben keine Großstadt als Oberzentrum und zudem eine geringe beitsweg wählten.
Einwohnerdichte. Will man das Pendelverhalten regio-
Die Kreise werden danach unterschieden, ob sie selbst eine Großstadt sind und wie hoch ihre Ein- nal differenziert betrachten und zusätz-
wohnerdichte ist. Auf Basis dieser Unterscheidung und dem Typus des zugehörigen Raumes können lich einen genaueren Blick auf Stadt-
die neun Kreistypen gebildet werden. So gibt es in den Agglomerations- und verstädterten Räumen
neben den Kernstädten auch Kreise unterschiedlicher Einwohnerdichte. Das heißt zum Beispiel, Land-Unterschiede werfen, so bietet sich
dass dünn besiedelte ländliche Kreise danach unterschieden werden, ob sie in einem Agglomerations-, hierzu die Verwendung einer Gliede-
städtischen oder ländlichen Raum liegen.
rungssystematik des Bundesinstituts für
Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
aus dem Jahr 2009 an, die dem Mikrozen-
sus 2012 hinterlegt ist. Dabei werden Re-
gionen anhand der Bevölkerungsdichte
nativen lässt sich nicht beobachten. Rund (Bundesdurchschnitt 17 %). Dennoch be- und der Einwohnerzahl ihrer jeweiligen
14 % der Erwerbstätigen nutzten 2012 ein nötigten über 40 % der jeweiligen Stadt Zentren eingeteilt in Agglomerations-
öffentliches Verkehrsmittel, 66 % fuhren bewohner mindestens eine halbe Stunde beziehungsweise Ballungsräume, verstäd-
im Auto, 9 % nahmen das Rad und ebenso für den Weg zur Arbeit, obwohl sie mehr- terte und ländliche Räume. Durch diese
9 % gingen zu Fuß. Weitere 2 % nutzten heitlich eher kürzere Strecken zurück Unterscheidung wird klar, welche Be
Krafträder oder andere Verkehrsmittel. legten (Bundesdurchschnitt 26 %). deutung die Nähe eines städtischen Zen
Möglicherweise ist die regionale In Umgekehrt zeigt sich die Sogwirkung trums und die Siedlungsdichte für die
frastruktur sowohl an Arbeitsplätzen als des großen Arbeitsplatzangebotes einer regionale Vernetzung des Arbeitsmarktes
auch an Verkehrsmitteln und Verkehrswe- Großstadt wie Berlin: Von den in Bran- und die vorhandene Verkehrsinfrastruk-
gen für das Pendelverhalten ausschlagge- denburg lebenden Erwerbstätigen muss- tur hat. u Info 1
bender als zeitliche Faktoren. So mussten ten 22 % täglich das Bundesland wech- Beim Zeitaufwand für das tägliche
weniger als 10 % der Erwerbstätigen in den seln (Bundesdurchschnitt: 5 %). Rund Pendeln fällt der deutliche Unterschied
Stadtstaaten Berlin und Hamburg täglich ein Viertel von ihnen hatte deshalb einen zwischen Ballungsräumen auf der einen
mehr als 25 Kilometer zur Arbeit fahren täglichen Arbeitsweg von mindestens Seite und verstädterten und ländlichen
348
Abb 2: Verkehrsmittelwahl der Erwerbstätigen 2012 Berufspendler / 11.2 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
Agglomerations-/Ballungsräume
Kernstädte 31 50 9 8 1
verstädterte Räume
Kernstädte 18 55 15 10 2
ländliche Räume
ländliche Kreise
geringere Dichte 4 73 11 9 2
Regionen auf der anderen Seite auf. Zwi- sonstigen Gebieten fuhren mehr als 70 %
schen 28 % und 35 % der Erwerbstätigen der Erwerbstätigen mit dem Pkw zur
brauchten je nach Kreistyp in den Bal- Arbeit, unabhängig davon, wie weit dieser
lungsgebieten 30 Minuten und mehr für Weg war. In den Zentren der großen Bal-
eine Strecke. In den verstädterten Räu- lungsräume wurden dafür die öffentlichen
men wie auch auf dem Land lagen die Verkehrsmittel noch häufiger genutzt als
entsprechenden Anteile nur zwischen in den verstädterten Regionen: Ein knap-
20 % und 23 %. Sehr kurze Pendelzeiten pes Drittel (31 %) benutzte dort Busse und
unter 10 Minuten sind überraschender- Bahnen. Mehr als die Hälfte davon (16 %)
weise eher in ländlichen Räumen ohne war mit U- und Straßenbahnen unter-
ein größeres Oberzentrum verbreitet. wegs. In den Zentren verstädterter Räume
Dort benötigten knapp 30 % der Erwerbs- wurden zwar mit 18 % auch häufiger
tätigen maximal 10 Minuten zum Arbeits- öffentliche Verkehrsmittel genutzt, sie
platz. Ähnlich sah dies in den K reisen spielten aber keine so herausragende
außerhalb der Kernstädte der verstädter- Rolle. Hier fuhren die Erwerbstätigen
ten Regionen aus. In den Ballungsräumen häufiger mit dem Fahrrad zur Arbeit oder
außerhalb der Kernstädte hatten dagegen gehen sogar zu Fuß (25 %; in den Zentren
nur gut 22 % solch kurze Pendelzeiten. der Ballungsgebiete: 17 %). Offensichtlich
Erwerbstätige in den Kernstädten hatten spielten dabei die geringeren Entfernun-
mit Anteilen von 15 % in den Ballungs- gen zwischen Arbeitsplatz und Wohnung
räumen und 20 % in den verstädterten und allgemein für das Fahrrad günstigere
Regionen noch seltener kurze Pendelzeiten Verkehrsbedingungen eine Rolle. u Abb 2
unter 10 Minuten. Beim öffentlichen Fernverkehr zeigen
Bei der Verkehrsmittelwahl heben sich sich weitere Hinweise auf einen Einfluss
die Kernstädte der Ballungs- wie auch der der Infrastruktur: In den Ballungsräu-
verstädterten Räume von den sie umge- men mit einem meist gut ausgebauten
benden Kreisen beziehungsweise rein Verkehrsnetz nutzten zwischen 6 % und
ländlichen Räumen deutlich ab. In den 8 % Eisen- und S-Bahn. Nur 2 % bis 3 %
Zentren nutzte nur rund jeder zweite waren es in den verstädterten und länd
ein Auto auf dem Weg zur Arbeit. In den lichen Räumen.
349
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.3 / Regionale Disparitäten
350
Regionale Disparitäten / 11.3 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
ren, zum Beispiel rund um Berlin oder uTab 1 Siedlungsstrukturelle Typisierung der Gemeindeverbände,
auch Braunschweig). Die verstädterten Anteil der Gemeinden 2013 — in Prozent
Räume werden unterteilt in Kernstädte
Siedlungsstrukturelle Typisierung Fläche Bevölkerung Beschäftigte
mit mehr als 100 000 Einwohnern, ver-
dichtete Kreise und ländliche Kreise. Im Insgesamt
ländlichen Raum gibt es Kreise höherer Sehr peripher 18,9 4,2 3,0
(zwischen 100 und 150 Einwohner pro Peripher 43,3 20,8 18,2
(unter 100 Einwohner pro Quadratkilo- Sehr zentral 11,6 46,9 52,0
Die Daten in Tabelle 1 dokumentie- Teilweise städtisch, insgesamt 19,9 15,3 14,0
ren eine der vielfältigen regionalen Glie- Sehr peripher 1,4 0,8 0,9
351
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.3 / Regionale Disparitäten
100 km
© BBSR Bonn 2015
große Großstädte um größere Mittelstädte mit Zentrum größere Kleinstädte mit Zentrum
500 000 Einwohner und mehr 50 000 Einwohner und mehr 10 000 Einwohner und mehr
kleinere Großstädte unter kleinere Mittelstädte mit Zentrum kleine Kleinstädte mit Zentrum
500 000 Einwohner 20 000 bis 50 000 Einwohner mit 5 000 bis unter 10 000 Einwohner
oder grundzentraler Funktion
352
Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR
Regionale Disparitäten / 11.3 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
353
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.3 / Regionale Disparitäten
land leicht an, wenn auch weniger deut- rungsentwicklung von 2007 bis 2013 und Kreise in verstädterten Räumen wiesen
lich als in den kreisfreien Großstädten als Prognose von 2009 bis 2030 dar. u Abb 3 nach zunächst herben Verlusten zwi-
(6,3 % im Westen und 5,2 % im Osten). Die Schrumpfung von 2007 bis etwa schen 1991 und 2005 in den letzten Jah-
2013 betraf vor allem Kernstädte in ver- ren einen weniger dramatischen Bevölke-
11.3.2 Bevölkerungsentwicklung städterten Räumen; hier setzten sich die rungsverlust auf. Hohe Werte galten
Die Bevölkerungsentwicklung verlief in dramatischen Verluste der 1990er- und insbesondere für die Kreise Oberspree-
den verschiedenen regionalen Typen im frühen 2000er-Jahre nicht mehr im glei- wald-Lausitz, Spree-Neiße, Uckermark,
letzten Jahrzehnt unterschiedlich. In Ost- chen Tempo fort, aber die Entwicklung Mansfeld-Südharz, Stendal, und Weißen-
deutschland (ohne Berlin) ist durch die blieb im negativen Bereich. So lag der Be- fels. Insgesamt verloren Gemeinden und
geringe Geburtenrate und die fortwäh- völkerungsverlust zwischen den Jahren Gemeindeverbände in Ostdeutschland
rende Ost-West-Wanderung seit 1990 ein 1995 bis 2005 in einigen Ostdeutschen auch zwischen 2007 und 2012 durch-
erheblicher Bevölkerungsverlust zu kons- Städten wie Frankfurt (Oder), Cottbus schnittlich – 6,5 % ihrer Bevölkerung, so-
tatieren, der sich zuletzt mit einem weite- und Halle bei über –15 %, von 2007 bis dass sich die Schrumpfung der 1990er-
ren Rückgang von etwa 3 % zwischen 2012 betrug der Verlust jeweils »nur« Jahre fortsetzte und eine regionale
2007 und 2013 fortsetzte. Dies betrifft alle noch unter – 6 %. Magdeburg konnte Polarisierung der demografischen Ent-
Kreistypen, mit Ausnahme der kreisfrei- nach einem Rückgang von – 11 % zwi- wicklung zu konstatieren war. Nach den
en Großstädte, die im selben Zeitraum schen 1995 und 2005 sogar mit 0,1 % Prognosen wird sich die Schrumpfung in
ein Bevölkerungswachstum von über 4 % leicht hinzugewinnen. vielen ostdeutschen Regionen in den
verzeichneten. Es zogen vermehrt junge Bevölkerungsverluste verzeichneten nächsten 20 Jahren sogar noch weiter
Menschen in Großstädte, sodass in jün- auch die ohnehin sehr dünn besiedelten beschleunigen.
gerer Zeit in Berlin, Leipzig und Dresden ländlichen Räume im Norden und im Mit Ausnahme der Großstädte war in
ein Bevölkerungswachstum beobachtet Westen Thüringens sowie entlang der Westdeutschland für 2007 bis 2013 eben-
wurde. Abbildung 3 stellt die Bevölke- Elbe in Sachsen-Anhalt. Die verdichteten falls eine rückläufige Entwicklung zu
2,4
4,4
Kreisfreie Großstädte
– 2,0
–2,6
– 0,4
– 6,4
Städtische Kreise
– 0,1
– 21,1
–0,8
Ländliche Kreise mit – 5,3
Verdichtungsansätzen – 0,5
–15,8
–1,7
Dünn besiedelte – 4,9
ländliche Kreise –3,6
–15,1
354
Regionale Disparitäten / 11.3 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
355
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.3 / Regionale Disparitäten
356
Regionale Disparitäten / 11.3 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
Gebiet Gebiet
Berlin 13,6 Bremen 6,4
Hamburg 10,7 Bremen kreisfreie Stadt 5,8
Niedersachsen 10,3 Bremerhaven kreisfreie Stadt 9,6
Osterode am Harz Landkreis – 5,1 Brandenburg 6,3
Salzgitter kreisfreie Stadt – 0,1 Cottbus kreisfreie Stadt – 3,5
Vechta Landkreis 21,2 Frankfurt (Oder) kreisfreie Stadt 0,0
Wolfsburg kreisfreie Stadt 25,0 Dahme-Spreewald Landkreis 12,2
Bayern 9,4 Havelland Landkreis 16,7
Kronach Landkreis – 0,2 Sachsen 5,9
Coburg Landkreis 0,6 Vogtlandkreis Landkreis 1,1
Pfaffenhofen a.d.Ilm Landkreis 20,9 Erzgebirgskreis Landkreis 2,0
Erding Landkreis 35,9 Nordsachsen Landkreis 8,1
Schleswig-Holstein 7,8 Leipzig kreisfreie Stadt 11,4
Flensburg kreisfreie Stadt –1,6 Saarland 5,3
Segeberg Landkreis 5,3 Neunkirchen Landkreis 2,4
Neumünster kreisfreie Stadt 10,7 Saarlouis Landkreis 3,1
Nordfriesland Landkreis 10,8 Regionalverband Saarbrücken Landkreis 6,5
Rheinland-Pfalz 7,4 St. Wendel Landkreis 9,6
Südwestpfalz Landkreis 0,3 Thüringen 4,5
Frankenthal (Pfalz) kreisfreie Stadt 1,6 Suhl kreisfreie Stadt – 7,7
Donnersbergkreis Landkreis 12,8 Gera kreisfreie Stadt – 4,2
Alzey-Worms Landkreis 13,6 Ilm-Kreis Landkreis 16,9
Baden-Württemberg 7,0 Jena kreisfreie Stadt 17,4
Rastatt Landkreis 1,2 Mecklenburg-Vorpommern 4,0
Zollernalbkreis Landkreis 2,8 Nordwestmecklenburg Landkreis – 1,2
Hohenlohekreis Landkreis 14,0 Schwerin kreisfreie Stadt – 1,1
Heilbronn Landkreis 14,5 Vorpommern-Greifswald Landkreis 7,2
Nordrhein-Westfalen 6,8 Rostock kreisfreie Stadt 8,1
Herne kreisfreie Stadt – 3,1 Sachsen-Anhalt 3,2
Remscheid kreisfreie Stadt 0,2 Dessau-Roßlau kreisfreie Stadt – 2,7
Kleve Landkreis 11,2 Stendal Landkreis 0,1
Heinsberg Landkreis 13,9 Börde Landkreis 7,2
Hessen 6,7 Anhalt-Bitterfeld Landkreis 10,5
Offenbach am Main kreisfreie Stadt – 1,7
Wiesbaden kreisfreie Stadt 2,1
Hersfeld-Rotenburg Landkreis 10,4
Main-Taunus-Kreis Landkreis 14,2
Westen Deutschlands und wies daher ge- fizierten Beschäftigten aus (17 % in west- der Zuwachs für Westdeutschland mit
nerell ein höheres Niveau auf, zwischen deutschen und sogar 19 % in ostdeut- 7,9 %. Die höchsten Zugewinne konnten
knapp 48 % in ländlichen Kreisen mit schen Großstädten). Bei diesem Indikator die Stadtstaaten Berlin und Hamburg
Verdichtungsansätzen und 52 % in Groß- lagen insbesondere die dünn besiedelten sowie Niedersachsen mit jeweils über
städten. Im Vergleich zu 2010 erhöhte sich ländlichen Kreise deutlich zurück (7 % 10 % verzeichnen. Die niedrigsten Werte
der Anteil weiblicher Beschäftigter in den West und 9 % Ost). u Tab 3 waren für Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-
Kreistypen beider Landesteile nicht. Die Anzahl der Beschäftigten stieg im Vorpommern und Thüringen mit Werten
Großstädte zeichneten sich durch ei- Zeitraum 2007 bis 2012 in allen Bundes- zwischen 3 % und 4,5 % zu vermelden.
nen überdurchschnittlich hohen Anteil ländern. Dabei war der Zuwachs für Ost- Zugleich haben einzelne Kreise an Be-
und ein starkes Wachstum an hochquali- deutschland mit 6,8 % etwas niedriger als schäftigten eingebüßt und andere enorm
357
11 / Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede 11.3 / Regionale Disparitäten
Westdeutschland
Kreisfreie Großstädte 1735,3 3483,0 64,4 42,2
Städtische Kreise 1805,2 3127,9 85,6 48,5
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 1764,9 2943,5 89,8 50,9
Dünn besiedelte ländliche Kreise 1696,1 2847,8 90,6 52,4
Ostdeutschland
Kreisfreie Großstädte 1451,6 2838,6 57,2 40,9
Städtische Kreise 1467,5 2426,5 77,1 43,7
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 1488,1 2448,3 83,0 44,3
Dünn besiedelte ländliche Kreise 1471,7 2418,9 87,0 45,2
hinzugewonnen, mit dem Spitzenreiter Steigerungsraten bis zu 36 % in westdeut- Kreisen in Westdeutschland. In Ost-
Erding in Bayern (35,9 %). u Tab 4 schen und 37 % in ostdeutschen ländli- deutschland waren kaum länderspezi
Mit diesen Zuwächsen gehen aller- chen Kreisen von 2007 bis 2012 auf. u Tab 5 fische Unterschiede festzustellen; die Ent-
dings auch zunehmende Anteile von atypi- gelte lagen dabei zwischen 2 500 Euro in
scher Beschäftigung in Form von Auf 11.3.4 Lebensstandard Brandenburg (durch die Nähe zu Berlin
stockern, Kurzarbeitern und Minijobbern Für die Betrachtung des Lebensstandards bedingt) und 2 450 Euro in Mecklenburg-
einher. So fanden sich 2012 in Ost- werden die Indikatoren Haushaltse in Vorpommern. Nach Kreistypen waren je-
deutschland mit über 33 % generell höhe- kommen und Arbeitnehmerentgelte her- doch erhebliche Divergenzen festzustellen.
re Anteile an sogenannten Aufstockern. angezogen. Bezogen auf die Flächenstaa- Nach wie vor besteht ein ausgeprägtes
In den Kreisen Suhl, Cottbus und Saale- ten liegen diese in Hessen, Baden-Würt- Einkommensgef älle zwischen West- und
Holzland-Kreis gingen bereits knapp 40 % temberg und Bayern über denjenigen in Ostdeutschland. Bezüglich des Haushalts-
der Bezieher von Arbeitslosengeld II einer den norddeutschen Ländern. Die Arbeit- einkommens fanden sich unter den 50
finanziell nicht ausreichenden Beschäf nehmerentgelte (Bruttolöhne und -gehälter »ärmsten« Kreisen und Kreisregionen
tigung nach, sodass ihr Gehalt aufge- sowie Sozialbeiträge der Arbeitgeber) dif- 41 ostdeutsche Regionen. Demgegenüber
stockt werden musste. Minijobs insgesamt ferierten 2012 um etwa je 600 Euro zwi- war unter den »reichsten« Regionen keine
verloren an Bedeutung, im Nebenver- schen Schleswig-Holstein und Hessen und einzige ostdeutsche zu finden. Erst an 209.
dienst wiesen Minijobs dagegen deutliche zwischen Großstädten und ländlichen Stelle folgte mit dem Kreis Suhl ein ost-
358
Regionale Disparitäten / 11.3 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede / 11
u Tab 7 Zufriedenheiten mit ausgewählten Lebensbedingungen nach Gemeindetypen 2003 und 2012 — Mittelwerte¹
Westdeutschland Ostdeutschland
Groß- Mittel- Größere Kleine Land Groß- Mittel- Größere Kleine Land
stadt stadt Kleinstadt Kleinstadt gemeinde stadt stadt Kleinstadt Kleinstadt gemeinde
2003 5,3 5,4 5,7 5,3 5,9 5,2 5,2 5,4 5,0 5,1
2012 5,8 5,6 5,8 5,8 5,9 5,4 5,5 5,6 5,6 5,2
2003 5,3 5,5 5,5 5,5 5,8 5,3 4,9 5,2 5,0 5,3
2012 5,5 5,6 5,6 5,8 5,9 5,6 5,5 5,7 5,6 5,9
2003 5,2 5,5 5,8 5,6 6,2 5,5 5,5 5,7 5,5 6,0
2012 5,7 5,7 5,9 5,9 5,9 5,9 5,7 5,9 6,1 6,1
2003 4,7 5,2 5,5 5,5 6,1 4,9 5,2 5,7 5,4 5,6
2012 5,4 5,5 5,7 5,9 5,9 5,4 5,7 5,7 6,0 6,0
deutscher Kreis. Die Arbeitnehmerent In Bezug auf den Wohnstandard Wohnumgebung und der wahrgenomme-
gelte unterschieden sich entsprechend. olten die ostdeutschen Regionen mit
h nen Umweltbedingungen fand hingegen
Hierbei trat der Unterschied zwischen einer durchschnittlichen Wohnfläche von eine Angleichung statt.
West- und Ostdeutschland in den jeweili- 41 bis 45 Quadratmetern deutlich auf, wo- Sowohl in West- als auch in Ost-
gen Kreistypen deutlich stärker hervor als bei die r egionsspezifischen Unterschiede deutschland unterscheiden sich die Be-
beim Haushaltseinkommen, das auch 2012 nicht sehr ausgeprägt waren. West- wertung des Wohnortes und die Lebens-
Transferzahlungen berücksichtigt. Ange- deutsche verfügten im Durchschnitt über zufriedenheit nach dem Gemeindetyp.
sichts geringerer Lebenshaltungskosten 47,6 Quadratmeter, wobei sich die im Mit- Ein klares und übergreifendes Muster
auf dem Land bedeuten die nominellen tel größten Wohnungen erwartungsgetreu zwischen den hier betrachteten Raum
Unterschiede jedoch keine gleich starke in den ländlichen Kreisen fanden. typen lässt sich allerdings nicht fest
Reduktion der Kaufkraft. u Tab 6 stellen. Dass die Umweltbedingungen vor
Bei der Untersuchung der Haushalts- 11.3.5 Bewertung der räumlichen a llem in Großstädten zurückhaltend be-
einkommen in den einzelnen Kreisen Lebensbedingungen wertet wurden, ist nachvollziehbar. In
fällt auf, dass sich am oberen Ende der Der objektive Lebensstandard kommt beiden Landesteilen erhielten die kleinen
Rangfolge seit 15 Jahren dieselben Kreise auch in der Zufriedenheit der Bürger Gemeindetypen und ihre Umweltbedin-
befinden. Die höchsten Einkommen zum Ausdruck. So findet auch das Gefälle gungen die besten Bewertungen. Die
haben die Haushalte in den Landkreisen in den hier vorgestellten Regionstypen Überschaubarkeit und geringere Belas-
Heilbronn, Starnberg und München. Bis seinen Niederschlag im subjektiven tung im Alltag gelten üblicherweise als
auf einige Ausnahmen bleiben auch die Wohlbefinden. In Tabelle 7 werden dazu Vorteile für das Alltagsleben in kleinen
Strukturen am unteren Ende der Rang- Zufriedenheitsbewertungen hinsichtlich Kommunen. Im Kontrast hierzu steht je-
folge erhalten. Weimar und Vorpommern- ausgewählter Lebensbedingungen nach doch die geringe Lebenszufriedenheit in
Greifswald weisen seit Jahren bundes- fünf grundlegenden Raumtypen von der den ländlichen Gemeinden Ostdeutsch-
weit die geringsten Haushaltseinkom- Großstadt bis zur Landgemeinde prä lands, die zusammenfassend den Lebens-
men auf. Dabei sind besonders hohe sentiert. Ostdeutsche Bürgerinnen und standard und das Wohlbefinden misst. Es
Zuwächse bei den Haushaltseinkommen B ürger bewerteten in den Jahren 2003 kann angenommen werden, dass sich die
in den Kreisen zu verzeichnen, die ohne- und 2012 ihre Lebensqualität und ihren oben beschriebenen Struktur- und Aus-
hin die höchsten Haushaltseinkommen Wohnort fast durchweg kritischer als stattungsprobleme negativ auf das subjek-
aufweisen. Westdeutsche, bei der Bewertung der tive Wohlbefinden auswirken. u Tab 7
359
21 €
53 %
gaben 2013 Haushalte von Personen
zwischen 70 und 79 Jahren monatlich für
Blumen und Gärten aus. Junge Haushalte
zwischen 18 und 24 Jahren zahlten dafür
hingegen nur 4 Euro im Durchschnitt.
33 Min.
wurden 2012/2013 pro Tag für
Aktivitäten am Computer und
Smartphone aufgewendet.
30 %
der Bevölkerung ab 16 Jahre
engagierten sich 2013 ehren-
amtlich. 9,6 %
der Deutschen waren
2012 Religion und Kirche
sehr wichtig.
12
Zeitverwendung und
gesellschaftliche Partizipation
12.1 »Mehr Zeit für das Wesentliche« ist ein
Wunsch, den man immer öfter hört. Viele
in Abschnitt 12.1.1 die Zeitverwendungs-
erhebung nach, die nunmehr zum dritten
Zeitverwendung Menschen fühlen sich in ihrem Alltag ge- Mal in etwa zehnjährigen Abständen
und Ausgaben für stresst oder gehetzt, egal ob G8-Schüler,
berufstätige Eltern oder Manager. Er-
durchgeführt wurde. Für viele Menschen
gehören der Urlaub und die Freizeit zur
Freizeitaktivitäten werbstätige haben oft das Gefühl, über zu schönsten Zeit. Im Abschnitt 12.1.2
wenig Zeit zu verfügen. Menschen, die werden die privaten Ausgaben für Frei-
nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind, zeitaktivitäten in den Blick genommen,
Kristina Kott, Carola Kühnen,
suchen oft einen sinnvollen Zeitvertreib. die aus der Einkommens- und Verbrauchs-
Lucia Maier
Für die individuelle und gesellschaftliche stichprobe (EVS) hervorgehen: Wie hoch
Lebensqualität ist die Verfügbarkeit von sind die Ausgaben für Freizeitaktivitä-
Destatis Zeit ein wichtiger Indikator. ten? Wofür wird das Geld ausgegeben?
Wie verwenden die Menschen in Gibt es Unterschiede zwischen den einzel-
Deutschland ihre Zeit? Dieser Frage geht nen Haushaltstypen?
u Info
Urlaub
Nach dem Bundesurlaubsgesetz steht allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland ein
gesetzlicher Mindesturlaub von 24 Werktagen (vier Wochen) zu. In den Tarifverträgen sind jedoch meist
längere Zeiten vereinbart. Im Jahr 2014 lag die tariflich vereinbarte Urlaubsdauer im früheren Bundes
gebiet durchschnittlich bei 31 und in den neuen Ländern bei 30 Arbeitstagen. Dabei werden fünf Arbeits-
tage pro Woche zugrunde gelegt. Im Jahr 2014 hatten 75 % aller Tarifbeschäftigten im früheren Bundes-
gebiet und 64 % in den neuen Ländern und Berlin Anspruch auf sechs oder mehr Wochen Urlaub.
361
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
60
Durchschnittliche Zeitverwendung 2012/2013 - in Stunden je Tag
40
20
0
12.1.1 Zeitverwendung 4:00 6:00 8:00 10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00 24:00
Im Alltag stellt sich oftmals das Gefühl
ein, dass die Zeit nur so fliegt. Das ist erst Schlafen /Körperpflege Essen Arbeit/Bildung Freizeit
einmal ein subjektiver Eindruck. Kann
man auch objektiv messen, wie die Zeit
vergeht? Dazu liefert die Zeitverwen-
dungserhebung 2012/2013 umfangreiche
Daten. u Info 1
Nachfolgend werden einige besonders Bildung und unbezahlter Arbeit. Ein de über Werktage und Wochenenden
interessante Ergebnisse zu den Themen be- weiteres Viertel des Tages verging mit -hinweg gebildet. u Abb 1
zahlte und unbezahlte Arbeit, Kinderbetreu- verschiedenen Freizeitaktivitäten. Knapp Die Zeitverwendung unterscheidet
ung, ehrenamtliches oder freiwilliges En- die Hälfte des Tages nahmen persönl iche sich nach Tageszeit. Zwischen 9 und
gagement, Bildung und Freizeit aufgezeigt. Grundbedürfnisse wie Schlafen, Essen 12:30 Uhr gingen mehr als die Hälfte der
und Körperpflege ein. Bei diesen Zeitan- Personen Bildungsaktivitäten nach, leiste-
Zeitverwendung im Überblick gaben ist zu berücksichtigen, dass es sich ten Erwerbsarbeit oder unbezahlte Arbeit.
Etwa ein Viertel eines durchschnittlichen um Mittelwerte für Jung und Alt, Män- Im Laufe des Nachmittags nahm der An-
Tages verbrachten Personen ab zehn Jah- ner und Frauen, Erwerbstätige und Ar- teil langsam ab und lag um 18 Uhr noch
ren in Deutschland mit Erwerbsarbeit, beitslose handelt. Der Durchschnitt wur- bei gut einem Drittel. Gegen Abend leiste-
362
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
u Abb 3 Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Personen ab 18 Jahren — und Wegen zur Arbeit. Den größeren An-
in Stunden je Woche teil machte jedoch mit 24,5 Stunden die
unbezahlte Arbeit aus. Diese umfasst ne-
ben Tätigkeiten der Haushaltsführung
2012/2013
wie Kochen, Waschen, Einkaufen und
insgesamt 20:35 24:32 45:06 Gartenarbeit auch die Betreuung und
Pf lege von Kindern und anderen Haus-
25:13 19:21 44:34
haltsmitgliedern sowie ehrenamtliches
Männer
oder freiwilliges Engagement und Unter-
stützung von Personen, die nicht im
Frauen 16:09 29:29 45:38
Haushalt leben. Im Vergleich zu 2001/
2002 wurde 2012/2013 mehr Erwerbs
arbeit und weniger unbezahlte Arbeit ge-
2001/2002
leistet. Gleichzeitig erledigten zunehmend
insgesamt 18:48 27:03 45:51 haushaltsfremde Personen Bereiche der
unbezahlten Arbeit – zum Beispiel Kinder-
Männer 24:44 20:41 45:25 betreuung oder Reinigung der Wohnung.
Frauen ab 18 Jahren arbeiteten mit rund
Frauen 13:19 32:56 46:15
45,5 Stunden in der Woche nach wie vor
länger als Männer (44,5 Stunden). Dieser
Unterschied zwischen Frauen und Män-
Erwerbsarbeit unbezahlte Arbeit
nern vergrößerte sich im Vergleich zur
vorangegangenen Erhebung 2001/2002
noch leicht. Der Anteil der unbezahlten
Arbeit sank allerdings leicht bei beiden
uTab 1 Unbezahlte Arbeit von Personen ab 18 Jahren nach Arbeitsbereichen
Geschlechtern. u Abb 3
— in Stunden je Woche
Die unbezahlte Arbeit hatte bei Frauen
Männer Frauen einen fast doppelt so hohen Anteil am ge-
2001/2002 2012/2013 2001/2002 2012/2013 samten Pensum wie die bezahlte Arbeit.
Insgesamt 20:41 19:21 32:56 29:29 Allerdings hat sich bei ihnen in den letz-
Küche 02:57 03:00 08:10 06:54 ten elf Jahren die Dauer der Erwerbsarbeit
Putzen / Waschen 02:30 02:46 08:22 06:55 von gut 13 Stunden auf etwas über
Garten / Handwerk 04:43 03:42 02:58 02:47 16 Stunden erhöht und die Dauer der un-
Einkaufen / Haushaltsorganisation 04:23 04:52 05:33 06:07 bezahlten Arbeit sank noch deutlicher:
B etreuung / P flege von
01:10 01:07 02:50 02:25 von 33 Stunden auf 29,5 Stunden. Dies lag
Haushaltsmitgliedern
insbesondere an einem reduzierten Zeit-
E hrenamt / Unterstützung
anderer Haushalte
02:01 01:47 01:42 01:42 aufwand für hauswirtschaftliche Auf
Wege 02:57 02:07 03:21 02:39 gaben wie Kochen, Putzen und Wäsche
waschen. Frauen wendeten pro Woche
über 2,5 Stunden weniger Zeit für die Zu-
bereitung von Mahlzeiten, die Reinigung
der Wohnung, Textilpflege und ähnliches
ten viele allerdings weiterhin unbezahlte schäftigten sich mehr als zwei Drittel der auf als elf Jahre zuvor. Auch Männer ab
Arbeit, sodass die Beteiligung an Arbeit Personen mit Freizeitaktivitäten. u Abb 2 18 Jahren waren ebenfalls länger erwerbs
und Bildung erst nach 21 Uhr bei unter tätig als vor elf Jahren. Bei ihnen betrug
10 % lag. Die Zeitverwendung für Freizeit Bezahlte und unbezahlte Arbeit der Anstieg allerdings nur etwa eine halbe
nahm dagegen im Laufe des Tages zu. Ab Für die Erwerbstätigkeit werden Men- Stunde. Ihr Zeitaufwand für unbezahlte
16:30 Uhr lag sie bei 40 % und mehr, ab schen ab 18 Jahren betrachtet. Sie leiste- Arbeit war dafür um 1 Stunde und 20 Mi-
17:30 Uhr dominierten Freizeitaktivitä- ten in Deutschland pro Woche durch- nuten gesunken. Beispielsweise verbrach-
ten wie Fernsehen, Sport und soziale schnitt lich gut 45 Stunden Arbeit. ten sie pro Woche eine Stunde weniger
Kontakte im Vergleich zu Arbeit und D arunter fiel mit 20,5 Stunden die Er- mit Gartenarbeit und handwerklichen
Bildung. Zwischen 20 und 22 Uhr be- werbsarbeit einschließlich Arbeitsuche Tätigkeiten. u Tab 1
363
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
u Abb 4 Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Personen zwischen Betrachtet man Erwachsene im Er-
18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche werbsalter (18 bis 64 Jahre) in Haushalten
mit und ohne Kind, so zeigt sich ein hete-
rogenes Bild: Während Menschen in
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern) Haushalten ohne Kind durchschnittlich
48,5 Stunden pro Woche bezahlte und
insgesamt 26:32 31:42 58:14
unbezahlte Arbeit leisteten, waren es bei
Alleinerziehenden und Paaren mit
Männer 37:17 22:09 59:26
Kind(ern) knapp 10 Stunden mehr. Dies
ergab sich vorrangig durch ein um 10,5
Frauen 17:22 39:50 57:12 Stunden höheres Pensum an unbezahlter
A rbeit – schließlich fallen zusätzliche
Aufgaben wie Kinderbetreuung an, und
Alleinlebende und Paare ohne Kind die Haushaltsführung erfordert in einem
größeren Haushalt ebenfalls mehr Zeit.
insgesamt 27:15 21:18 48:34
Auffallend ist, dass Väter in Haushalten
mit Kind(ern) gut 2 Stunden pro Woche
Männer 30:00 18:04 48:04
mehr arbeiteten als Mütter. In Haushalten
ohne Kind arbeiteten hingegen Frauen
Frauen 24:18 24:47 49:05
1 Stunde mehr als Männer.
Männer verbrachten 62 % der Arbeits-
Erwerbsarbeit unbezahlte Arbeit zeit mit Erwerbsarbeit, aber nur 38 % mit
unbezahlter Arbeit – unabhängig davon,
ob sie ein Kind in ihrem Haushalt groß
zogen oder nicht. Mit einem höheren
G esamtpensum an Arbeit geht also für
u Tab 2 Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Alleinerziehenden und
Männer mit Kind(ern) auch mehr Er-
Paaren mit Kind(ern) zwischen 18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche
werbsarbeit einher. Dies liegt zum einen
Insgesamt Männer Frauen an unterschiedlichen Altersstrukturen
der Haushalte, zum anderen müssen in
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern), jüngstes Kind unter 6 Jahren
Haushalten mit Kind(ern) mehr Personen
Arbeit insgesamt 61:14 62:56 59:43 finanziert werden und die Mütter sind
Erwerbsarbeit 25:39 38:46 13:47 seltener vollzeiterwerbstätig. Frauen
Unbezahlte Arbeit 35:35 24:09 45:56 ohne Kind wendeten je die Hälfte ihres
Arbeitspensums für Erwerbsarbeit und
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern), jüngstes Kind 6 bis unter 18 Jahren
unbezahlte Arbeit auf. Mütter verwende-
Arbeit insgesamt 56:06 56:49 55:31
ten dagegen nur 30 % für bezahlte Arbeit
Erwerbsarbeit 27:09 36:11 19:48 und erledigten zu 70 % unbezahlte Arbei-
Unbezahlte Arbeit 28:57 20:38 35:43 ten. u Abb 4
Je nach Alter eines Kindes fallen un-
terschiedliche Arbeiten im Haushalt an
u Tab 3 Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Müttern zwischen und es wird mehr oder weniger Zeit für
18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche diese Aufgaben benötigt. Hatten Eltern
Mütter in Paarhaushalten Alleinerziehende Mütter
ein Kind unter sechs Jahren, arbeiteten
sie pro Woche insgesamt gut 5 Stunden
Arbeit insgesamt 57:48 54:12
mehr als wenn ihr jüngstes Kind zwi-
Erwerbsarbeit 17:01 19:11 schen 6 und 18 Jahre alt war. Bei den
Unbezahlte Arbeit 40:48 35:00 V ätern betrug der Unterschied sogar
6 Stunden: Sie leisteten 3,5 Stunden mehr
u nb ezahlte Arb eit und gleichzeitig 2,5
Stunden mehr Erwerbsa rbeit, wenn sie
ein Kind unter sechs Jahren hatten. Mütter
364
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
Abb 5 Einschätzung von Vätern und Müttern zwischen 18 und 64 Jahren, ob Zeit für Kinder oder
Hausarbeit ausreicht 2012/2013 - in Prozent
u Abb 5 Einschätzung von Vätern und Müttern zwischen 18 und 64 Jahren, fügige Unterschiede zwischen den Ge-
ob Zeit für Kinder oder Hausarbeit ausreicht 2012/2013 — in Prozent schlechtern. Je ein Viertel der Väter und
Mütter fanden, für diesen Bereich der un-
Zeit für Kinder
bezahlten Arbeit nicht ausreichend Zeit
zu haben.u Abb 5
Väter 31,9 32,0 36,1 Bei der Erwerbstätigkeit gingen die
Ansichten auseinander: 7 % der erwerbs-
Mütter 18,7 29,4 51,9
tätigen Väter und 28 % der erwerbstäti-
gen Mütter wünschten sich mehr Zeit
für Erwerbsarbeit. Jeder zweite erwerbs-
Zeit für Hausarbeit
tätige Vater und jede vierte erwerbstätige
Mutter wünschte sich hingegen, weniger
Väter 27,8 36,3 35,9
Zeit damit zu verbringen. u Abb 6
Mütter 25,4 33,3 41,3
Kinderbetreuung
Im Durchschnitt verbrachten Väter und
nicht ausreichend teils/teils ausreichend Mütter 1 Stunde und 20 Minuten pro Tag
mit der Betreuung von Kindern unter
18 Jahren als Hauptaktivität; Mütter mit
1 Stunde und 45 Minuten etwa doppelt so
u Abb 6 Gewünschte Zeit für Erwerbsarbeit von erwerbstätigen Vätern und Müttern viel wie Väter mit 51 Minuten. Am meis-
zwischen 18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Prozent ten Zeit investierten Eltern für die Kör-
perpf lege und die Beaufsichtigung der
Kinder, aber auch für Fahrten zur Schule
und das Begleiten zu Freizeitaktivitäten
erwerbstätige Väter 52,7 40,5 6,8 wie beispielsweise dem Fußballtraining.
Darüber hinaus machten auch Spiel und
erwerbstätige Mütter 26,5 45,3 28,2 Sport mit Kindern einen großen Teil des
Zeitaufwands für Kinderbetreuung aus.
Betrachtet man Väter sowie erwerbs-
weniger Arbeit gewünscht gleich viel Arbeit gewünscht mehr Arbeit gewünscht tätige und nicht erwerbstätige Mütter als
drei getrennte Gruppen, so zeigt sich,
dass alle Eltern mehr als ein Drittel ihrer
Zeit für Kinderbetreuung mit Beaufsich-
tigung und Pflege verbrachten. Daneben
entfiel bei allen Eltern etwa ein Viertel
verbrachten dagegen 10 Stunden mehr (beispielsweise Kinderbetreuung und Ko- der Kinderbetreuungszeit auf das Beglei-
mit unbezahlter Arbeit und 6 Stunden chen) parallel erledigen. Außerdem sind ten, auf Fahrdienste und Termine im
weniger mit Erwerbsarbeit, wenn ihr Haushalte von Alleinerziehenden in der Zusammenhang mit dem Kind. Bei Vä-
Kind noch nicht zur Schule ging. u Tab 2 Regel kleiner.u Tab 3 tern standen Spielen und sportliche Akti-
Auch die Frage, ob eine Mutter ihr Neben der tatsächlichen Zeitverwen- vitäten aber noch stärker im Fokus, denn
Kind gemeinsam mit einem Partner dung für bezahlte und unbezahlte Arbeit diese Tätigkeiten machten ein Drittel ih-
großzieht oder alleinerziehend ist, wirkt ist es interessant, inwiefern Menschen rer Zeit aus.
sich auf das Arbeitspensum aus. Mütter mit dieser Situation zufrieden sind. Nicht erwerbstätige Mütter verbrach-
in Paarhaushalten arbeiteten pro Woche Daher enthielt die Zeitverwendungserhe- ten knapp doppelt so viel Zeit mit der
insgesamt 3,5 Stunden mehr als Alleiner- bung 2012/2013 auch Fragen zum subjek- Kinderbetreuung wie Mütter, die be
ziehende, verbrachten aber gut 2 Stunden tiven Zeitempfinden. Danach waren 32 % zahlte Arbeit leisteten. Bei der Beaufsich-
weniger mit Erwerbsarbeit. Mögliche der Väter und 19 % der Mütter in Allein- tigung war der Unterschied besonders
Gründe für die deutliche Differenz von erziehenden- und Paarhaushalten mit groß: Erwerbstätige beschäftigten sich
über 5 Stunden bei den unbezahlten Ar- Kind(ern) der Meinung, nicht ausrei- damit 28 Minuten pro Tag, nicht er-
beiten könnten darin liegen, dass Allein- chend Zeit für ihre Kinder zu haben. Bei werbstätige Mütter 1 Stunde und 14 Mi-
erziehende in höherem Maße Aufgaben der Hausarbeit gab es dagegen nur gering- nuten. u Tab 4
365
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
u Tab 4 Zeitaufwand für Kinderbetreuung in Alleinerziehenden- und Paarhaushalten 2012/2013 — in Stunden je Tag
Mütter
Insgesamt Väter
zusammen nicht erwerbstätig erwerbstätig
Abb 7 Zeitaufwand für Kinderbetreuung von Vätern und Müttern nach Alter des jüngsten Kindes
Kinderbetreuung insgesamt 01:20 00:51 01:45 02:35 01:21
2012/2013 - in Minuten je Tag
Beaufsichtigung und Körperpflege 00:31 00:17 00:43 01:14 00:28
u Abb 7 Zeitaufwand für Kinderbetreuung von Vätern und Müttern nach Alter des jüngsten Kindes 2012/2013 — in Minuten je Tag
Jüngstes Kind
unter 6 Jahren 61 36 25 7 3 (1)
Jüngstes Kind 6 10 5 15 5 6 1
bis unter 18 Jahren
366
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
u Tab 6 Kinderbetreuung von Vätern und Müttern als Haupt- und Nebenaktivität 2012/2013
Mütter
Hauptaktivität in Stunden je Tag 01:20 00:51 01:45 02:43 01:24 01:59 01:07
Nebenaktivität in Stunden je Tag 00:45 00:27 01:01 01:20 00:48 01:41 00:58
367
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
u Abb 9 Anteil von Personen ab zehn Jahren, die sich ehrenamtlich oder treter in Kindergarten und Schule, als
freiwillig engagieren, nach ausgewählten Bereichen 2012/2013 — in Prozent Leiterin einer Jugendgruppe oder als
Trainer im Sportverein. Sie umfassen
auch die Unterstützung von Älteren,
Abb 9 Anteil von Personen, die sich ehrenamtlich oder freiwillig engagieren, nach ausgewählten
Kranken und Menschen in Not, etwa bei
Sport Bereichen 2012/2013 - in Prozent 6,4
9,9 einer Hilfsorganisation, einer Senioren-
Kirche und religiöse 12,5
oder Behindertengruppe, beim Rettungs-
Gemeinschaften 8,9 dienst oder bei der freiwilligen Feuerwehr.
Darüber hinaus sind Interessenvertre-
sozialer Bereich 8,5
6,0 tungen im politischen oder beruflichen
Bereich, ehrenamtliche Aktivitäten im
Kultur / Musik 6,3
5,6 Freizeitbereich bei Kultur und Musik so-
wie Tätigkeiten im kirchlichen und reli-
Rettungsdienst / 1,5
Feuerwehr 5,1
giösen Umfeld eingeschlossen.
Männer engagierten sich am häufigs-
2,6
Politik
4,6
ten beim Sport oder im kirchlichen be-
ziehungsweise religiösen Bereich. Frauen
Schule / Kindergarten 8,6 bevorzugten religiöses Engagement, ge-
4,0
folgt von Tätigkeiten in Schule oder
3,2 K indergarten oder Aufgaben im sozialen
Umwelt- / Tierschutz
3,5
Bereich. u Abb 9
Im Vergleich zu 2001/2002 nahm das
Frauen Männer
ehrenamtliche oder freiwillige Engage-
ment in einigen Bereichen ab. So sank
Mehrfachnennung möglich.
beispielsweise der Anteil engagierter Per-
sonen bei Kultur und Musik, also etwa in
einer Theatergruppe oder einem Gesang-
u Abb 10 Anteil von Personen ab zehn Jahren, die sich ehrenamtlich oder
verein, um fast die Hälfte auf knapp 6 %.
freiwillig engagieren, nach ausgewählten Bereichen — in Prozent
Bei Sport, kirchlichem beziehungsweise
religiösem Engagement und Politik wa-
ren die Rückgänge mit weniger als 1 Pro-
Kirche und religiöse 10,7
Gemeinschaften
zentpunkt moderater. Diese Entwicklung
11,5
lässt sich möglicherweise dadurch erklä-
8,1 ren, dass Frauen zunehmend Zeit mit
Sport
8,7
Erwerbsa rbeit verbrachten und so weni-
sozialer Bereich
7,3 ger Spielraum hatten, sich ehrenamtlich
5,8
zu engagieren. Gleichzeitig engagierten
Schule / Kindergarten
6,3 sich mit 6 % mehr Personen als vor elf
4,9
Jahren in Schule oder Kindergarten, etwa
5,9 als Elternvertreter oder in einem Förder-
Kultur/ Musik
10,2 verein. Ein möglicher Grund dafür ist,
3,6 dass Kinder immer mehr Zeit in Bil-
Politik
4,4 dungs- und Betreuungseinrichtungen
3,3 verbringen und es für Eltern wichtig ist,
Umwelt- / Tierschutz
2,5 diese mitzugestalten. Auch im sozialen
Rettungsdienst / 3,2
Bereich, also zum Beispiel bei Wohl-
Feuerwehr 3,1 fahrtsverbänden oder anderen Hilfsorga-
nisationen, hat die ehrenamtliche Arbeit
2012/2013 2001/2002 zugenommen und lag bei 7 %. u Abb 10
Die Zeit, die freiwillig Engagierte für
Mehrfachnennungen möglich. ihre Tätigkeiten aufwendeten, war nicht
unerheblich: Die Hälfte dieser Personen
368
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
brachte sechs oder mehr Stunden pro u Abb 11 Ehrenamtlich oder freiwillig engagierte Personen ab zehn Jahren
Monat dafür auf. Dabei ist ein Unter- nach Zeitaufwand für das Engagement 2012/2013 — in Prozent
schied zwischen den Geschlechtern zu
beobachten: Männer investierten mehr
Zeit in ihr Ehrenamt als Frauen. u Abb 11 30,0
1–2
24,8
Bildung
24,6
Erwartungsgemäß war der durchschnitt- 3–5
22,0
liche tägliche Bildungsaufwand für Per-
sonen von 10 bis 17 Jahren mit fast vier 19,7
6–10
Stunden am höchsten. Hierbei wurden 23,2
auch Ferien- und Wochenendtage sowie
Wegezeiten einbezogen. Bei Erwachsenen 25,7
11 und mehr
30,0
nahm der Zeitaufwand für Bildung mit
zunehmendem Alter ab. u Tab 7
Lässt man Wochenenden und Feier Stunden je Monat Frauen Männer
369
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
u Abb 12 Anteil der Schulkinder unter zehn Jahren, die Betreuungsangebote schauten die Menschen in Deutschland
in Schule oder Hort in A
nspruch nehmen 2012/2013 — in Prozent durchschnittlich 14,5 Stunden fern. Für
das Lesen von Büchern, Zeitungen und
Zeitschriften verwendeten sie 3 Stunden
Mindestens ein und 46 Minuten pro Woche. Damit ist
72,0
Betreuungsangebot
Lesen die zweithäufigste kulturelle Tätig-
keit. Für den Besuch von Kino, Theater,
Mittagessen 49,9
Museum, Sportveranstaltung oder für
Ausflüge in den Zoo, den Zirkus oder den
AG 46,9
Vergnügungspark wendeten die Menschen
Hausaufgaben-
durchschnittlich 1 Stunde und 40 Minu-
42,0
betreuung ten pro Woche auf. u Abb 13
Je nach Alter war die Zeitverwendung
für kulturelle Tätigkeiten unterschied-
Mehrfachnennungen möglich.
lich. Absolut gesehen wendeten Personen
ab 65 Jahren die meiste Zeit für Kultur
und kulturelle Tätigkeiten auf. Der Un-
u Tab 8 Betreuung von Kindern unter sechs Jahren 2012/2013 terschied zu den anderen Altersklassen
Durchschnittliche Betreuungszeit
kam hauptsächlich dadurch zustande,
Betreute Kinder
(nur betreute Kinder) dass die ab 65-Jährigen deutlich länger
Anteil in % in Stunden je Woche fern sahen. Während die 10- bis 17-Jähri-
gen etwa 11,5 Stunden pro Woche damit
Deutschland insgesamt
verbrachten, stieg der Fernsehkonsum bei
Kinder von 0 bis 2 Jahren 57,4 25:56
den 45- bis 64-Jährigen auf durchschnitt-
Kinder von 3 bis 5 Jahren 96,3 31:52 lich 14,5 Stunden und bei Personen ab
nachrichtlich 65 Jahren auf 18,5 Stunden. Künstleri-
Kinder von 0 bis 5 Jahren sche und handwerkliche Tätigkeiten so-
Früheres Bundesgebiet wie Musizieren übte dagegen am längsten
77,2 27:17
ohne Berlin-West die jüngste Altersgruppe aus. Die 10- bis
Neue Länder und Berlin 76,8 38:17 17-Jährigen verbrachten knapp 1 Stunde
pro Woche mit diesen Tätigkeiten, wäh-
rend der Zeitaufwand hierfür mit stei-
gendem Alter sank und bei den 45- bis
64-Jährigen am niedrigsten war (14 Mi-
Freizeit Surfen im Internet, das Versenden von nuten je Woche).
Pro Tag verwendeten Personen ab zehn -Mails und Computerspiele, beschäftig-
E Gelesen wurde vor allem im höheren
Jahren durchschnittlich 5 Stunden und ten die Menschen in Deutschland 33 Mi- Alter. Dabei weisen die ab 65-Jährigen die
57 Minuten für Freizeitaktivitäten. Bei nuten pro Tag. Für Sport blieben dagegen längste Lesedauer je Woche auf (6 Stun-
Männern waren es mit 6 Stunden und im Durchschnitt nur 29 Minuten. den und 42 Minuten). Die 18- bis 29-
12 Minuten genau 30 Minuten mehr als Die Differenz zwischen Männern und Jährigen nahmen sich wöchentlich am
bei Frauen (5 Stunden und 42 Minuten). Frauen ist fast vollständig auf den Fern- w enigsten Zeit für das Lesen (rund
Den überwiegenden Teil der Freizeit mit sehkonsum sowie auf die Beschäftigung 1,5 Stunden). Dem Besuch kultureller
3 Stunden pro Tag verbrachten die Men- mit dem Computer oder Smartphone zu- Veranstaltungen und sportlicher Ereignis-
schen mit kulturellen Tätigkeiten wie rückzuführen. Damit verbringen Männer se widmeten die Menschen in Deutsch-
Fernsehen (2 Stunden und 4 Minuten), mit insgesamt 2 Stunden und 55 Minuten land rund 1 Stunde und 40 Minuten je
Lesen (32 Minuten) und Musik hören täglich eine halbe Stunde mehr Zeit als Woche. Hier variierten die einzelnen
(4 Minuten). Aber auch soziale Kontakte Frauen. Frauen verwendeten dafür ge- A ltersgruppen nur geringfügig. u Abb 14
(Gespräche und Telefonate, Besuche, Aus- ringfügig mehr Freizeit für Kontakte und Je nach Alter der Befragten bestanden
gehen und so weiter) machten mit durch- Geselligkeit. u Tab 9 nicht nur Unterschiede bei den ausge
schnittlich 1 Stunde täglich einen erheb Pro Woche belief sich der durch- übten Freizeitaktivitäten, sondern auch
lichen Teil der Freizeit aus. Aktivitäten schnittliche Zeitaufwand für kulturelle darin, ob Menschen in ihrer Freizeit allein
am Computer oder Smartphone, wie das Tätigkeiten auf knapp 21 Stunden. Davon oder in Gesellschaft von anderen Haus-
370
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
ten waren. Kinder und Jugendliche zwi- von Personen ab zehn Jahren 2012/2013 — in Stunden je Tag
schen 10 und 17 Jahren verbrachten 66 % Insgesamt Männer Frauen
ihrer Freizeit mit ihnen bekannten Perso-
Freizeit insgesamt 05:57 06:12 05:42
nen.Abb
Zwischen 18 und 44 Jahren waren es
14 Zeitaufwand für ausgwählte kulturelle Freizeitaktivitäten nach Altersklassen 2012/2013 - in
Fernsehen und andere
62 %.Stunden
In den höheren Altersklassen nahm
je Woche 02:58 03:02 02:53
kulturelle Tätigkeiten
der Anteil ab. Personen im Alter von Fernsehen, Video und DVD 02:04 02:10 01:58
65 Jahren und mehr verbrachten nur Radio, Musik hören 00:04 00:05 00:04
noch etwa die Hälfte ihrer Freizeit mit Lesen 00:32 00:31 00:34
elf Jahren ist die Gesamtdauer der Freizeit Ausruhen 00:22 00:22 00:23
dennoch leichte Verschiebungen: Der Wege für Freizeitaktivitäten 00:21 00:20 00:21
u Abb 13 Zeitaufwand für ausgewählte kulturelle Freizeitaktivitäten von Personen ab zehn Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche
kulturelle Veranstaltungen/
Einrichtungen und Besuch 1:40
sportlicher Ereignisse
Lesen 3:46
u Abb 14 Zeitaufwand für ausgewählte kulturelle Freizeitaktivitäten nach Altersklassen 2012/2013 — in Stunden je Woche
11:32
10–17 02:26
01:58
12:39
18–29 01:36
01:49
12:21
30– 44 02:32
01:44
14:35
45–64 03:55
01:30
18:35
65 und älter 06:42
01:36
im Alter von… bis… Jahren Fernsehen und Video/DVD Lesen kulturelle Veranstaltungen/Einrichtungen und Besuch sportlicher Ereignisse
371
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
Zeitaufwand für Kontakte und Gesellig- u Abb 15 Anteil der Freizeit, die mit anderen Haushaltsmitgliedern oder bekannten
keit, Lesen und Wegezeiten ist etwas ge- Personen verbracht wird 2012/2013 — in Prozent
sunken. Ein Grund war sicher die zuneh-
insgesamt 58 %
mende Verwendung des Internets (Tätig-
keiten am Computer oder Smartphone),
10 –17 66
um mit Freunden und Verwandten in
Verbindung zu bleiben oder Informationen
18– 44 62
zu gewinnen, die um durchschnittlich
15 Minuten pro Tag gestiegen ist. Dies
entspricht einem Zuwachs von über 80 % 45–64 57
weiligen Wochentag: sowohl werktags als Insgesamt 05:57 06:38 05:58 04:57 05:33 07:12
auch am Wochenende wurden 35 % der Montag – Freitag 05:16 05:52 05:06 04:05 04:52 06:51
Freizeit mit Fernsehen verbracht, 15 % Wochenende und
07:25 08:18 07:43 06:46 07:05 07:56
mit anderen kulturellen Aktivitäten wie Feiertage
Lesen, Musik hören oder dem Besuch
kultureller Veranstaltungen und Einrich-
tungen und 18 % mit sozialen Kontakten
und Geselligkeit.
372
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
u Abb 17 Zeitaufwand für Freizeitaktivitäten unter Berücksichtigung des Die Jahreszeiten spielten bei der
Beteiligungsgrades 2012/2013 — in Stunden je Tag beziehungsweise in Prozent Wahl der Freizeitbeschäftigung eine grö-
ßere Rolle. Zu jeder Jahreszeit verwende-
ten Personen ab zehn Jahren knapp
Fernsehen und andere 02:58
6 Stunden pro Tag für Freizeit. In den
91
kulturelle Tätigkeiten Abb 17 Zeitaufwand für Freizeitaktivitäten unter Berücksichtigung03:15
des Beteiligungsgrades Monaten Juni bis August sahen die Per-
2012/2013 - in Stunden je Tag beziehungsweise in Prozent
sonen aber zum Beispiel täglich 27 Mi-
Kontakte/Geselligkeit
01:06
64 nuten weniger fern als im Zeitraum De-
01:42
zember bis Februar. Auch die Zeitver-
wendung für Computer und Smartphone
00:33 35
Computer/Smartphone war in den Sommermonaten etwas gerin-
01:32
ger. Im Gegenzug wurden 13 Minuten
Sport
00:29 30 mehr mit Ausruhen und 11 Minuten
01:37
mehr mit Sport verbracht als in den
Wintermonaten. Bei diesen Unterschie-
00:22 33
Ausruhen
01:09 den spielt sicher auch eine Rolle, dass die
10
Sommermonate die Haupturlaubszeit
00:06 des Jahres sind. Schließt man bei der
Hobby
01:02 Analyse die Tage aus, die von den Befrag-
4 ten zum Beispiel aufgrund von Urlaub,
00:03
Versammlungen
01:14
Krankheit oder Familienfesten als unge-
wöhnlich empfunden wurden, blieben
Wege für 00:21 die Tendenzen aber, wenn auch leicht
36
Freizeitaktivitäten 00:58 abgeschwächt, bestehen. u Abb 18
373
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
uAbb 19 Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 2013 f olgten mit größerem Abstand. Die Haus-
— Anteil am Freizeitbudget in Prozent halte gaben hierfür durchschnittlich
Abb. 18: Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur, Anteil am Freizeitbudget 2011, in %
36 Euro pro Monat (14 %) aus. Anteilig
am wenigsten wurde mit 9 Euro (3 %) für
Spielwaren (einschließlich Computer-
Freizeit- und
Kulturdienstleistungen
29,1 spiele) und Hobbys gezahlt. u Abb 19
Die Struktur der Ausgaben für Frei-
Pauschalreisen 24,1 zeit, Unterhaltung und Kultur war in den
westdeutschen Haushalten ähnlich wie in
Bücher, Zeitungen,
Zeitschriften und Ähnliches
13,8 den ostdeutschen, unterschied sich je-
doch in einigen Punkten. Die Haushalte
Sonstige langlebige Gebrauchsgüter,
Verbrauchsgüter und Reparaturen 6,9 in den neuen Ländern und Berlin wende-
(Kultur, Sport, Camping und Ähnliches) ten mit 30 % ihres Freizeitbudgets einen
Audio-, Video- und andere
6,5 wesentlich größeren Ausgabenanteil für
optische Geräte und Träger
Pauschalreisen auf als die Haushalte im
6,1
früheren Bundesgebiet (22 %). Auch wen-
Blumen und Gärten
deten sie mit 7 % einen geringfügig höhe-
ren Anteil für Blumen und Gärten auf als
Haustiere 5,7
die westdeutschen Haushalte (6 %). Die
Datenverarbeitungsgeräte und Software Haushalte im früheren Bundesgebiet hin-
3,8
(einschließlich Downloads) gegen investierten mit 7 % höhere Anteile
Spielwaren (einschließlich
ihres Freizeitbudgets in die sonstigen
3,4
Computerspiele) und Hobbys langlebigen Gebrauchsgüter für Kultur,
Sport und Camping als die ostdeutschen
Haushalte (5 %). Auch für Bücher und
Zeitschriften gaben sie mit 14 % anteils-
mäßig geringfügig mehr aus als die Haus-
halte in den neuen Ländern und Berlin
uTab 11 Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 2013
(12 %). Ebenso waren die Ausgabenantei-
— Durchschnitt je Haushalt und Monat in Euro
le für Freizeit- und Kulturdienstleistun-
Früheres
Deutschland Bundesgebiet ohne
Neue Länder gen im früheren Bundesgebiet mit 29 %
und Berlin
Berlin-West leicht größer als in den neuen Ländern
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 261 267 242 und Berlin mit 28 %. u Tab 11
Audio-, Video- und andere
17 18 16
optische Geräte und Träger Ausgaben nach
Datenverarbeitungsgeräte und Soft- Einkommensklassen
10 11 8
ware (einschließlich Downloads) Mit steigendem monatlichen Nettoein-
Sonstige langlebige Gebrauchsgüter, kommen geben die privaten Haushalte
Verbrauchsgüter und Reparaturen 18 19 12
(Kultur, Sport, Camping und Ähnliches)
mehr für Freizeit, Unterhaltung und
Kultur aus. Im Jahr 2013 gaben Haushal-
Spielwaren (einschließlich Computer-
spiele) und Hobbys
9 10 7 te mit einem monatlichen Nettoeinkom-
men zwischen 5 000 und 18 000 Euro mit
Blumen und Gärten 16 16 16
529 Euro im Monat durchschnittlich fast
Haustiere 15 16 12
8,5-mal so viel für den Freizeitbereich
Freizeit- und Kulturdienstleistungen 76 78 67 aus wie Haushalte mit einem monatli-
Bücher, Zeitungen, Zeitschriften chen Nettoeinkommen von weniger als
36 37 30
und Ähnliches 900 Euro (63 Euro). u Tab 12
Pauschalreisen 63 60 72 Auch die Anteilswerte der Freizeit-
ausgaben am jeweiligen Konsumbudget
wachsen mit steigendem Einkommen.
Die Ausgabenanteile reichten von 7 % in
der untersten Einkommensklasse bis
374
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
u Tab 12 Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur nach Haushaltsnettoeinkommen 2013
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
unter 900 900 – 1 300 1 300 –1 500 1 500 – 2 000 2 000 – 2 600 2 600 – 3 600 3 600 – 5 000 5 000 – 18 000
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 63 99 136 165 214 267 349 529
in %
Anteil der Ausgaben für Freizeit,
Unterhaltung und Kultur an den 7,2 8,7 9,8 10,1 10,4 10,4 10,8 11,8
privaten Konsumausgaben
u Tab 13 Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur nach Haushaltstyp 2013
Paare mit Kind(ern) Paare ohne Kind Alleinerziehende Alleinlebende Sonstige Haushalte
Haustiere 19 18 15 10 24
in %
Anteil der Ausgaben für Freizeit,
Unterhaltung und Kultur an den 10,5 11,2 9,5 10,5 10,2
privaten Konsumausgaben
knapp 12 %, die in der obersten Nettoein- dazu können diese Haushalte bei den mit durchschnittlich 361 Euro im Monat
kommensklasse aufgewendet wurden. Freizeitausgaben wohl eher Abstriche aus. u Tab 13
Der im Durchschnitt geringere Ausga- vornehmen. Ein Vergleich der Anteile der Ausga-
benanteil in den unteren Einkommens- ben für Freizeitaktivitäten am jeweiligen
klassen deutet darauf hin, dass die Aus- Ausgaben nach Haushaltstypen Konsumbudget zeigt, dass diese bei den
gaben für den Freizeitbereich variabel Mit zunehmender Haushaltsgröße stei- Paarhaushalten ohne Kind mit durch-
sind. Ernährungsausgaben beispielsweise gen die Ausgaben für Freizeitaktivitäten. schnittlich gut 11 % am höchsten waren.
können als lebensnotwendige Ausgaben Sie sind aber auch abhängig von der Per- Alleinlebende und Paare mit Kind(ern)
nur sehr schwer unter ein bestimmtes sonenstruktur in den Haushalten. Mit setzten knapp 11 % ein, während Allein-
Niveau gesenkt werden und machen des- durchschnittlich 162 Euro pro Monat erziehende mit durchschnittlich knapp
halb bei Haushalten mit niedrigen Ein- waren die Freizeitausgaben bei den Al- 10 % den geringsten Anteil ihres Kon
kommen im Haushaltsvergleich immer leinlebenden am niedrigsten. Am meis- sumbudgets für den Freizeit- und Kultur-
den höchsten Anteil aus. Im Gegensatz ten gaben Paarhaushalte mit Kind(ern) bereich einsetzten.
375
usgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur nach Alter der Haupteinkommensperson 2013, in EUR je Monat
12 / Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation 12.1 / Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten
u Abb 20 Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur Die Struktur der Freizeitausgaben ist
nach Alter der Haupteinkommensperson 2013 — in Euro je Monat bei den betrachteten Haushaltstypen
relativ ähnlich, sie wies im Einzelnen je-
302
doch einige Besonderheiten auf: Die
293 Haushalte
275 insgesamt höchsten Ausgabenanteile verwendeten
261
251 260 2013 alle Haushaltstypen – außer den
Paaren ohne Kind – für Freizeit- und Kul-
211 209 turdienstleistungen wie Zoo-, Museums-,
Theater- und Kinobesuche. Die Haushal-
140
te gaben dafür zwischen 26 % und 34 %
ihres Freizeitbudgets aus. Paare mit
Kind(ern) investierten hierfür durch-
schnittlich 110 Euro und Alleinlebende
53 Euro im Monat. An zweiter Stelle
folgten – außer bei den Alleinerziehen-
den – die Ausgaben für Pauschalreisen.
18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–69 70–79 80 und älter
im Alter von ... bis ... Jahren
Paarhaushalte ohne Kind verwendeten
hierfür 31 % ihres Konsumbudgets. Im
Vergleich dazu war dieser Anteil am Frei-
Abb.20: Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur zeitbudget bei den Alleinerziehenden mit
nach Alter der Haupteinkommensperson 2011, in EUR je Monat knapp 14 % weniger als halb so hoch.
u Abb 21 Anteil der Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur
Die Ausgaben für Spielwaren (ein-
an den Konsumausgaben nach Alter der Haupteinkommensperson 2013 — in Prozent
schließlich Computerspiele) und Hobbys
schlugen bei Paaren mit Kind(ern) und
11,5
Haushalte Alleinerziehenden mit jeweils 8 % ihrer
11,0 insgesamt
10,5
10,8 10,7 10,7 Freizeitbudgets zu Buche. Das entsprach
10,2
9,2
9,8 durchschnittlich 30 Euro beziehungsweise
15 Euro im Monat. Alleinlebende und Paa-
re ohne Kind setzten hierfür 2 % ein, das
entsprach 3 Euro beziehungsweise 6 Euro.
Für Blumen und Gärten gaben Paare
ohne Kind 7 % ihrer Freizeitbudgets aus.
Alleinerziehende setzten dagegen nur 4 %
dafür ein.
u Tab 14 Ausgewählte Freizeitausgaben nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2013 — in Prozent
376
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten / 12.1 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation / 12
kommen leistet, spielt für die Höhe der Pauschalreisen. Bei näherer Betrachtung u Info
Freizeitausgaben ebenfalls eine Rolle. Je fällt allerdings eine Zweiteilung auf: Die Was gibt der Staat für Freizeit
nach Lebensphase sind die Ausgaben für Haushalte mit Hauptverdiener bis und Kultur aus?
Freizeit, Unterhaltung und Kultur durch- 64 Jahre gaben mit 27 % bis 34 % den Bund, Länder und Kommunen wendeten 2011
aus unterschiedlich hoch. Haushalte mit höchsten Anteil ihrer Freizeitbudgets rund 5,8 Milliarden Euro für den Bereich Sport
und Erholung auf (Nettoausgaben). Das waren
Haupteinkommenspersonen im Alter von für Dienstleistungen im Freizeit- und 0,5 % der gesamten Ausgaben der öffent
45 bis 54 Jahren gaben im Jahr 2013 mit Kulturbereich aus. In Haushalten mit lichen Haushalte. Von den 5,8 Milliarden Euro
wurden 2,5 Milliarden Euro (42,5 %) für Sport-
durchschnittlich 302 Euro im Monat am Haupteinkommenspersonen ab 65 Jah-
stätten verwendet, 1,7 Milliarden Euro (30,0 %)
meisten für den Freizeit- und Kultur ren hingegen lag der Ausgabenschwer- für Park- und Gartenanlagen. Für die Sport
bereich aus. Ihnen folgten Haushalte mit punkt auf den Pauschalreisen. Dafür förderung brachten die öffentlichen Haushalte
1,0 Milliarden Euro auf sowie weitere 482 Millio-
Haupteinkommenspersonen im Alter von wurden Anteile zwischen 28 % und 34 % nen Euro für öffentliche Schwimmbäder
35 bis 44 Jahren (293 Euro) und von 55 eingesetzt. (17,6 % beziehungsweise 8,3 %).
bis 64 Jahren (275 Euro). Die geringsten Auch bei den Ausgaben für Daten Außerdem gab die öffentliche Hand 2011 rund
Beträge für den Freizeitbereich verwen- verarbeitungsgeräte und Software zeigt 9,3 Milliarden Euro für den kulturellen Bereich
deten mit durchschnittlich 140 Euro im sich ein Zusammenhang zum Alter der aus.
Monat die jungen Haushalte (18 bis Haupteinkommenspersonen: Mit zuneh- Von den Gesamtausgaben für Kultur entfielen
24 Jahre). u Abb 20 mendem Alter der Hauptverdiener neh- mit 3,8 Milliarden Euro rund 40,3 % auf
Theater und Musik, weitere 1,5 Milliarden Euro
Ein Vergleich der Anteile der Freizeit- men die entsprechenden Ausgabenanteile (16,0 %) wurden für Museen, Sammlungen
ausgaben am jeweiligen Konsumbudget in für die jeweiligen Bereiche ab. u Tab 14 und Ausstellungen sowie 611 Millionen Euro
(6,6 %) für den Denkmalschutz und die Denk-
den einzelnen Altersklassen zeigt ein Blumen und Gärten hingegen haben
malpflege aufgewendet.
etwas anderes Bild: Die Haushalte mit im Alter anscheinend eine höhere Be-
Haupteinkommenspersonen von 70 bis deutung als in jungen Jahren: Während
79 Jahren wiesen mit knapp 12 % die in jungen Haushalten (Hauptverdiener
höchsten Ausgabenanteile für den Frei- in der Altersklasse 18 bis 24 Jahre oder
zeitbereich auf. Bei Haushalten mit 25 bis 34 Jahre) mit durchschnittlich
Haupteinkommenspersonen im Alter von 4 Euro und 9 Euro im Monat 3 % bezie-
18 bis 24 Jahren und von 25 bis 34 Jahren hungsweise 4 % des Freizeitbudgets für
waren die Ausgabenanteile mit 9 % sowie Blumen und Gärten ausgegeben wurden,
mit knapp 10 % am geringsten. u Abb 21 betrug dieser Anteil bei den Haushalten
Die Haushalte aller Altersgruppen der Altersklassen 70 bis 79 Jahre sowie
verwendeten ausnahmslos die größten 80 Jahre und älter im Schnitt 8 % und
Anteile ihrer Freizeitbudgets für Freizeit- knapp 9 % (21 Euro beziehungsweise
und Kulturdienstleistungen sowie für 18 Euro).
377
12 / Freizeit und gesellschaftliche Partizipation 12.2 / Religiosität und Säkularisierung
Konfessionsmitgliedschaft: keine
80
60
40
20
0
1991 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
Kirchgangshäufigkeit: nie
80
60
40
20
0
1991 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012
Ostdeutschland Westdeutschland
378
Religiosität und Säkularisierung / 12.2 Freizeit und gesellschaftliche Partizipation / 12
wurden und sich auf das L eben in ihr giösen Weltbildern, die entweder eine sind es 65 % (1991) beziehungsweise 68 %
richten. Diese Bewegung hin zu diesseiti- christliche oder eine immanente Antwort (2012). Die Differenz zwischen den Landes-
gen Antworten auf die religiöse Frage auf die religiöse Frage geben. Die Kirchen- teilen schwankt ohne Tendenz zwischen
kann man als Säkularisierung bezeichnen. mitgliedschaft und der Kirchgang bezie- 48 und 58 Prozentpunkten (siehe obere
Empirisch erfassen kann man sie in einer hen sich auf christliche Kirchen; erst 2012 Hälfte Abbildung 1). Die Ostdeutschen
gegebenen Bevölkerung als Rückgang von wurden Mitglieder anderer Religions wurden in der DDR »entkirchlicht« und
Durchschnittswerten der Religiosität. gemeinschaften – 3,8 % der Stichprobe – finden auch in der neuen Bundesrepublik
Die Säkularisierung ist in Europa nach dem »Besuch einer Moschee, Syna- nicht wieder zu den Kirchen zurück. u Abb 1
zwischen 1945 und 1990 auf zwei unter- goge oder eines anderen Gotteshauses« In der gesamten Bevölkerung ein-
schiedliche Weisen vorangetrieben wor- gefragt. Auch das Gebet, die diffuse Reli- schließlich der Konfessionslosen gehen
den. In den damals staatssozialistischen giosität und die religiösen Weltbilder wer- 1991 und 2012 im Westen 21 % bezie-
Ländern Osteuropas wurde die Religion den nur für aktuelle oder frühere Mitglie- hungsweise 25 %, im Osten 61 % bezie-
von der Politik bekämpft, in den kapita- der christlicher Kirchen, nicht aber ande- hungsweise 57 % »nie« zur Kirche, sodass
listisch-demokratischen Ländern West- rer Religionsgemeinschaften berichtet. die Prozentsatzdifferenz zwischen den
europas hingegen verlor sie ohne jeglichen Erwarten muss man, dass die erzwun- beiden Landesteilen von 40 Prozentpunk-
Zwang ihre Anhänger. gene Säkularisierung in Ostdeutschland ten auf 32 Prozentpunkte zurückgeht
Im Folgenden werden die erzwungene 1990 weiter fortgeschritten ist als die (siehe untere Hälfte Abbildung 1).
und die freiwillige Säkularisierung der f reiwillige Säkularisierung in West-
Die geringere Kirchgangshäufigkeit in
beiden früheren Landesteile Deutschlands deutschland. Die Frage ist jedoch, ob der Ostdeutschland spiegelt die Entkirch
von 1990 bis 2012 an sechs Formen der ostdeutsche Vorsprung bis 2012 bestehen lichung Ostdeutschlands wider, denn
Religiosität untersucht: der Mitgliedschaft bleibt oder zusammenschmilzt. Konfessionslose gehen seltener in die
in Kirchen; der öffentlich-kirchlichen Pra- K irche als Konfessionsmitglieder und
xis des Kirchgangs; der privat-religiösen 12.2.1 Kirchenmitgliedschaft und Protestanten seltener als Katholiken. In
Praxis des Gebets; der diffusen Religiosität, Kirchgangshäufigkeit Ostdeutschland sind nun zugleich Kon-
die als religiöse Selbsteinschätzung und In Westdeutschland gehören 11 % im Jahr fessionslose und Protestanten stärker
als Wichtigkeit von Religion und Kirche 1991 und 18 % im Jahr 2012 keiner Religi- vert reten. In der Tat nivellieren sich die
gemessen wird, und schließlich den reli onsgemeinschaft an, in Ostdeutschland Landesteilunterschiede der Kirchgangs-
häufigkeit fast vollständig, wenn man die
Konfessionslosigkeit konstant hält, so-
dass die Kirchgangshäufigkeit letztlich
die Landesteilunterschiede der Konfes
u Abb 2 Häufigkeit des Gebets in West- und Ostdeutschland 1991– 2012 — in Prozent
sionsmitgliedschaft widerspiegelt.
Gebetshäufigkeit: nie
12.2.2 Häufigkeit des Gebets
80 Nicht nur in der Kirche wird gebetet,
sondern auch zu Hause. Die Frage »Wie
oft beten Sie?« bezieht sich zunächst auf
60 beides. Aber durch die Antwortvorgaben,
die von »täglich« bis »nie« reichen, wird
deutlich, dass das private Gebet im
40 Hause gemeint ist. Die Verteilung dieser
Variable ist in beiden Landesteilen zwei-
gipflig: der häufigste Wert ist »nie«, der
20 zweithäufigste »täglich«, alle mittleren
Kategorien sind seltener besetzt. Daher ist
0
es am besten, den Prozentsatz »nie« zu be-
1991 1994 2002 2008 2012 trachten. u Abb 2
Ostdeutschland Westdeutschland
Abbildung 2 zeigt, dass Nichtbeten
zwischen 1991 und 2012 in Ostdeutsch-
Datenbasis: ALLBUS 1991– 2012. land um 37 bis 50 Prozentpunkte häufiger
ist als in Westdeutschland. Die Differenz
379
12 / Freizeit und gesellschaftliche Partizipation 12.2 / Religiosität und Säkularisierung
u Abb 3 Selbsteinschätzung der Religiosität in Westdeutschland 1982 – 2012 westdeutschen Bevölkerung seit 1980 und
und in Ostdeutschland 1992 – 2012 — Mittelwerte¹ der ostdeutschen Bevölkerung seit 1991
für »Religion und Kirche« sind in Abbil-
7
dung 4 dargestellt.
Beide Landesteile säkularisieren sich.
6
In Westdeutschland ist die Wichtigkeit
5 von Religion und Kirche seit 1980 um
4
0,34 Skalenpunkte, in Ostdeutschland seit
1991 um 0,15 Skalenpunkte zurück gegan-
3
gen. Ostdeutschland ist sehr viel stärker
2 als Westdeutschland säkularisiert; der
1
Abstand schwankt ohne Richtung zwi-
schen 1,10 und 1,43 Skalenpunkten. u Abb 4
0
1982 1992 1996 2000 2004 2008 2012
12.2.4 Religiöse Weltbilder
Ostdeutschland Westdeutschland
Die Religion ist die erste soziale Macht,
die die religiöse Frage beantwortet. Aber
1 Mittelwerte auf Basis einer zehnstufigen Skala von 1 »nicht religiös« bis 10 »religiös«.
Datenbasis: ALLBUS 1982 – 2012. die dominierende Religion des Abend-
landes, das Christentum, hat in den
letzten zwei Jahrhunderten zunehmend
an Macht verloren, ihre Lehre durch
zusetzen, sodass andere Mächte – Welt-
schwankt unregelmäßig. Die erzwungene 2008 auf einer siebenstufigen Skala, die anschauungen und die Wissenschaft –
Säkularisierung ist also nicht nur eine auf zehn Stufen umgerechnet wurde, er- mit ihr konkurrieren und religiöse Welt-
»Entkirchlichung«, sie bringt auch eine fragt. Die Mittelwerte der Antworten sind bi lder Gegensta nd der Wa h l oder
Säkularisierung des privaten religiösen in Abbildung 3 dargestellt. u Abb 3 Konstruktion, kurz Privatsache gewor-
Verhaltens mit sich. Betrachtet man die Die Westdeutschen schätzen sich den sind. Man kann demnach religiöse
Gebetshäufigkeit getrennt für Protestan- konstant religiöser ein als die Ostdeut- Weltbilder nach ihrem Säkularisierungs-
ten, Katholiken und Konfessionslose, so schen. Ihr Vorsprung schwankt unregel- grad betrachten – danach, wieweit sie auf
wird der Unterschied zwischen den Lan- mäßig zwischen 2,2 und 2,5 Skalenpunk- einem Glauben an transzendente oder
desteilen zwar kleiner, verschwindet aber ten. Auch hier bleiben die Nachwirkun- immanente Mächte beruhen, christlich
nicht. Die erzwungene Säkularisierung gen der erzwungenen Säkularisierung oder säkular sind. Drei Säkularisierungs-
Ostdeutschlands hat also bis heute auch unvermindert bis heute bestehen. stufen wurden erfragt:
unabhängig von der Konfessionsmit- Im ALLBUS wurde 1980, 1982, 1986, ·· 1. die theistische und deistische, die
gliedschaft Nachwirkungen auf die Ge- 1990, 1992, 1996 und 2012 den Befragten hier zusammenfassend als christlich
betshäufigkeit. eine Liste von Lebensbereichen – darun- bezeichnet werden,
ter auch »Religion und Kirche« – vorgege- ·· 2. die immanente, die den Sinn des
12.2.3 Diffuse Religiosität ben, deren Wichtigkeit zwischen 1 (un- Lebens im Leben selber sieht, und
Die diffuse Religiosität bezieht sich weder wichtig) und 7 (sehr wichtig) bewertet schließlich
auf Praktiken noch auf religiöse Welt werden musste. Nimmt man 2012 in Ge- ·· 3. Sinnlosigkeit.
bilder (siehe 12.2.4), sondern auf die Reli- samtdeutschland den Anteil der höchsten
gion überhaupt. Sie kann als Religion in Wichtigkeit (Wert 7) als Maß, so ist »Eige- Christliche Weltbilder werden durch
der Person und Religion für die Person be- ne Familie und Kinder« mit 76,1 % der vier Aussagen erfasst (siehe Info 1). Das
trachtet werden – als selbst eingeschätzte bei weitem wichtigste Lebensbereich, ge- immanente Weltbild wird durch existen-
Religiosität und als Wichtigkeit von »Reli- folgt von »Beruf und Arbeit« mit 37,6 %. tialistische und naturalistische Vorgaben
gion und Kirche« im Leben der Person. Im Mittelfeld liegen »Freizeit und Erho- erfasst. Sinnlosigkeit wird durch eine
Die selbst eingeschätzte Religiosität lung« mit 29,9 %, »Freunde und Bekann- Aussage erfasst. u Info
wurde in der Allgemeinen Bevölkerungs- te« mit 28,7 % und »Verwandtschaft« mit In Westdeutschland lebende Personen
umfrage der Sozialwissenschaften (ALL- 23,5 %; im unteren Bereich »Nachbar- unterstützen die existentialistische Aus-
BUS) 1982, 1992, 2000, 2002 und 2012 auf schaft« mit 12,5 %, »Religion und Kirche« sage stärker als die beiden naturalis
einer zehnstufigen Skala und im Internati- mit 9,6 % und »Politik und öffentliches tischen, diese stärker als die vier christ
onal Social Survey Programme (ISSP) Leben« mit 5,8 %. Die Mittelwerte der lichen, und diese wiederum stärker als
380
in Ostdeutschland 1991–2012 — Mittelwerte ¹
u Abb 4 Wichtigkeit von Religion und Kirche in Westdeutschland 1980 – 2012 und die Sinnlosigkeit. Die Rangfolge bleibt
in Ostdeutschland 1991– 2012 — Mittelwerte¹ über die Jahre konstant – mit nur einer
Ausnahme: 1982 hat der Glaube, dass es
einen Gott gibt, der für uns Gott sein will
4,5
(FÜRUNS) etwas mehr Anhänger als die
beiden naturalistischen Aussagen. Die
4,0
Weltbilder liegen gleichsam wie Schich-
ten übereinander, die die Historie spie-
3,5 geln: Die Religion des Abendlandes wird
von modernen Weltanschauungen, dem
3,0 Naturalismus und dem Existentialismus,
überlagert. Das Christentum ist folglich
nicht mehr die vorherrschende religiöse
2,5
Weltdeutung in Westdeutschland. u Abb 5
In Ostdeutschland finden alle imma-
2,0 nenten Aussagen deutlich mehr Zustim-
1980 1982 1986 1990 1991 1992 1996 2012
mung als die christlichen Vorgaben und
Ostdeutschland Westdeutschland die Sinnlosigkeit. Es liegen hier die
g leichen Schichten übereinander wie in
Westdeutschland. Auch hier steigt die Zu-
1 Mittelwerte auf einer siebenstufigen Skala von 1 »unwichtig« bis 7 »sehr wichtig«.
Datenquelle: ALLBUS 1980 – 2012. stimmung zu den christlichen Aussagen
leicht, ebenso wie die zu allen säkularen
Aussagen mit Ausnahme der Aussage,
dass das Leben nur ein Teil der Entwick-
lung der Natur ist (NATENT). Dennoch
u Info 1
fällt ein Unterschied auf: Das existentia-
Religiöse Weltbilder
listische und das naturalistische Weltbild
Christliches Weltbild:
liegen enger zusammen und weiter vom
Zustimmung zu folgenden Aussagen:
christlichen entfernt.
‧‧ »Es gibt einen Gott, der sich mit jedem Menschen persönlich befasst« (PERSÖN)
‧‧ »Es gibt einen Gott, der Gott für uns sein will« (FÜRUNS)
In beiden Landesteilen rangieren also
‧‧ »Das Leben hat nur eine Bedeutung, weil es einen Gott gibt« (GOTT) immanente Weltbilder vor christlichen.
‧‧ »Das Leben hat einen Sinn, weil es nach dem Tod noch etwas gibt« (TOD) Dennoch hat die zwangsweise Entkirch
Immanentes Weltbild:
lichung der DDR christliche Weltbilder
Zustimmung zu folgenden Aussagen: in Ostdeutschland stärker zurückge-
Existenzialistisch:
drängt als die freiwillige Säkularisierung
in Westdeutschland.
‧‧ »Das Leben hat nur dann einen Sinn, wenn man ihm selber
einen Sinn gibt« (SELBER)
Naturalistisch:
‧‧ »Unser Leben wird letzten Endes bestimmt durch die Gesetze der Natur« (NATGES) 12.2.5 Zusammenfassung
‧‧ »Das Leben ist nur ein Teil der Entwicklung der Natur« (NATENT) Sowohl die Erwartung, dass die Ostdeut-
Sinnlosigkeit:
schen 1990 weniger religiös seien als die
Zustimmung zu folgender Aussage: Westdeutschen, als auch die Frage, ob der
‧‧ »Das Leben hat meiner Meinung nach wenig Sinn« (WENSINN) ostdeutsche Vorsprung bestehen bleibt,
wird bestätigt. Während politische Ein-
Für alle Aussagen werden fünf Zustimmungsstufen von 1 »stimme voll und ganz zu« bis 5
»stimme überhaupt nicht zu« vorgegeben sowie eine Vorgabe »darüber habe ich noch nicht stellungen und moralische Überzeugun-
nachgedacht«, die mit der mittleren Stufe (»habe dazu keine feste Meinung«) zusammen gen sich in den zwanzig Jahren nach der
gefasst wurde. Die Antworten der westdeutschen Bevölkerung 1982, 1991, 1992, 2002 und Vereinigung weitgehend angeglichen ha-
2007 und der ostdeutschen Bevölkerung 1991, 1992, 2002 und 2007 sind in Abbildung 5
d argestellt. Zur besseren Lesbarkeit sind die Mittelwerte der christlichen Aussagen mit ben, bleibt die geringere Religiosität der
d urchgezogenen Linien, die Mittelwerte der übrigen Aussagen mit gestrichelten Linien ver- Ostdeutschen als einer der stärksten Ein-
bunden.
u Abb 5
stellungsunterschiede zwischen den bei-
den Landesteilen bestehen. Warum?
Vermutlich konnte die erzwungene Sä-
kularisierung deshalb leichter fortwirken,
381
12 / Freizeit und gesellschaftliche Partizipation 12.2 / Religiosität und Säkularisierung
Westdeutschland Ostdeutschland
1 1
3 FÜRUNS 3
PERSÖN
TOD
3,5 3,5
GOTT
TOD
4 4 FÜRUNS
PERSÖN
4,5 4,5 GOTT
WENSINN WENSINN
5 5
1982 1991 1992 2002 2007 2012 1991 1992 2002 2007 2012
1 Mittelwerte auf Basis einer Zustimmungsskala von 1 »stimme voll und ganz zu« bis 5 »stimme überhaupt nicht zu«.
Datenbasis: ALLBUS 1982 – 2012; Bertelsmann Religionsmonitor 2007.
weil ihre Folgen mit der neuen Sozial gleiche Unterstützung immanenter Welt-
ordnung weniger in Widerspruch gerie- bilder in beiden Landesteilen zeigt – mit
ten als andere Nötigungen des Staatssozi- der neuen Sozialordnung vereinbar.
alismus. Die politische Ordnung des In Westdeutschland schreitet die frei-
Staatssozialismus wurde durch i hren Zu- willige Säkularisierung eher voran als
sammenbruch diskreditiert, der ihre In- dass sie zurückgeht. Die Konfessionen
effizienz und Ungerechtigkeit offenlegte. verlieren leicht an Mitgliedern, die Kir-
Daher haben die meisten O stdeutschen chen leicht an Besuchern, die christlichen
sich auch innerlich von ihr gelöst. Ebenso Überzeugungen leicht an Anhängern;
hat die »sozialistische Moral«, die in der die Gebetshäufigkeit und die diffuse Reli-
DDR einen Gemeinschaftssinn stiften giosität bleiben hingegen weitgehend
sollte, sich als desorientierend in einer So- konstant. Von einer Wiederkehr der Reli-
zialordnung erwiesen, in der unter- gion kann also in keinem Landesteil die
schiedliche Interessen anerkannt und Rede sein.
Konflikte zwischen ihnen gelöst werden
müssen. Deshalb haben sich fast alle Ost-
deutschen von dieser Moral distanziert.
Sie sahen nach der deutschen Vereini-
gung jedoch keinen Anlass, sich von ih-
rer säkularen Weltsicht zu lösen. Sie hat
sich weder wie die staatssozialistische
Ordnung diskreditiert noch in der neuen
Sozialordnung als desorientierend erwie-
sen. Im Gegenteil: sie ist – wie die nahezu
382
Zivilgesellschaftliches Engagement / 12.3 Freizeit und gesellschaftliche Partizipation / 12
383
12 / Freizeit und gesellschaftliche Partizipation 12.3 / Zivilgesellschaftliches Engagement
u Abb 1 Entwicklung der Anzahl der Vereine in Deutschland 1960 – 2014 — in Tausend viele Gesellschaftsbereiche aktiv mit. Al-
lein die in der Bundesarbeitsgemeinschaft
700 zusammengeschlossenen sechs Spitzen-
verbände der Freien Wohlfahrtspf lege
600 (BAGFW) verfügten Ende 2012 über ins-
gesamt 105 295 Einrichtungen und Diens-
500
te mit 3 702 245 Betten beziehungsweise
400 Plätzen. In den Einrichtungen und Diens-
ten arbeiteten 1 673 861 Voll- und Teilzeit-
300
beschäftigte; das sind knapp 4 % aller Er-
200 werbstätigen in Deutschland. 2008 waren
es mit 102 393 Einrichtungen und Diens-
100
ten mit 3 699 025 Betten beziehungsweise
0 Plätzen und 1 541 829 Voll- und Teilzeit
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 beschäftigten noch etwas weniger.
Einen bedeutenden Aufschwung hat
Datenbasis: Johns Hopkins Project; Vereinsstatistik V & M Service GmbH, Konstanz.
neben dem Vereinswesen auch das Stif-
tungswesen in Deutschland erlebt. Ende
Quellen: Johns Hopkins Project; Vereinsstatistik V & M Service GmbH, Konstanz des Jahres 2014 bestanden 20 784 rechts-
fähige Stiftungen bürgerlichen Rechts.
Während 2007 ein Zuwachs von 1 134
Wachstum, wie es nur in wenigen gesell- ruf / Wirtschaft / Politik auf, Freizeitverei- Stiftungen zu verzeichnen war, haben
schaftlichen Bereichen zu beobachten ist. ne waren sogar leicht im Rückgang sich die Zuwachsraten in den letzten Jah-
Gleichwohl flacht die Dynamik bei der (–1,3 %). Die Veränderungen weisen dar- ren zwischen 600 und 700 eingepegelt.
Neueintragung der Vereine ab. Zwischen auf hin, dass bestimmte Themen zeit Im Jahr 2014 wurden 691 Stiftungen neu
2011 und 2014 war nur noch ein Zuwachs bezogen einen konjunkturellen Auf- gegründet. Stiftungen sind bis auf Bür-
um 1,5 % zu verzeichnen. Neben der ge- schwung genießen, während andere we- gerstiftungen im Unterschied zu Verei-
ringer werdenden Zunahme bei den Ver- niger nachgefragt werden. nen weniger bedeutende Engagement
einsgründungen zeigen sich über die Jah- Doch nicht nur die Zahl der eingetra- träger, dafür fördern sie dieses in hohem
re zugleich thematische Gewichtsverlage- genen Vereine ist – über einen längeren Maße. u Abb 2
rungen in den Tätigkeitsbereichen der Zeitraum betrachtet – absolut angestie- Der Bestand an Stiftungen in West-
Vereine. So wies die Vereinsstatistik für gen, auch ihre Dichte bezogen auf je und Ostdeutschland weist in beiden Lan-
den Zeitraum 2005 bis 2008 eine beson- 100 000 Einwohner hat bis heute stark desteilen nach wie vor ein starkes Un-
dere Zunahme der Kultur-, Interessen- zugenommen: Sie stieg zwischen 1960 gleichgewicht auf. Im Jahr 2014 gab es in
und Freizeitvereine sowie einen Rück- und 2011 von 160 auf 709 Vereine und Ostdeutschland 1 408 und in West-
gang bei den Umweltvereinen aus. Eine erreichte 2014 den Wert von 719. Sie hat deutschland (einschließlich Berlin) 19 376
etwas andere Dynamik ergab sich für den sich damit gegenüber Anfang der 1960er- Stiftungen. Während die Stiftungsdichte
Zeitraum 2008 bis 2011: Weiterhin befan- Jahre mehr als vervierfacht. Da der über- in Brandenburg mit 8, in Mecklenburg-
den sich Interessen- und Kulturvereine wiegende Anteil des Engagements in Vorpommern mit 10 sowie in Sachsen
in besonderem Maße auf Wachstums- Vereinen stattfindet, sind Veränderungen und Sachsen-Anhalt mit jeweils 12 Stif-
kurs, die Bereiche Freizeit sowie Beruf / in diesem Feld hierfür von zentraler Be- tungen je 100 000 Einwohner besonders
Wirtschaft und Politik verzeichneten deutung. gering war, lagen Bayern mit 30, Hessen
hingegen nur eine geringfügige Zunah- Neben den Vereinen kommt den Ver- mit 31 sowie die Stadtstaaten Bremen mit
me. Gleichzeitig war bei Umweltvereinen bänden in Deutschland ein besonderer 50 und Hamburg mit 77 Stiftungen je
wiederum nun ein deutlicher prozen Stellenwert zu. Nach der Rechtsform han- 100 000 Einwohner an der Spitze. Insge-
tualer Zuwachs erkennbar. Bis zum Jahr delt es sich dabei in der Regel um Vereine. samt bestanden in Deutschland 26 Stif-
2014 war nur noch in den Bereichen der Häufig sind sie als Dachverbände ein Zu- tungen je 100 000 Einwohner. Die Stif-
Kulturvereine (5,6 %) und der Interessen- sammenschluss von Organisationen. Als tungen verfügten über ein Vermögen von
verbände / Bürgerinitiativen (4 %) ein solche üben sie koordinierende Aufgaben mehr als 100 Milliarden Euro, das jedoch
spürbarer Anstieg festzustellen. Zu- aus und vertreten die Interessen der Mit- durch die Finanzkrise geschrumpft ist.
wachsraten unter 2 % wiesen Umwelt- gliedsorganisationen gegenüber der Poli- Allerdings ist zu vermerken, dass es in
und Sportvereine sowie der Bereich Be- tik. In diesen Funktionen gestalten sie Deutschland im Unterschied zu den USA
384
Zivilgesellschaftliches Engagement / 12.3 Freizeit und gesellschaftliche Partizipation / 12
1 134
1 020
899 914
852 880
829 824 817
774 784
691
681
645 638
564
505
466
385 411
325 323
290
181 201
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
385
12 / Freizeit und gesellschaftliche Partizipation 12.3 / Zivilgesellschaftliches Engagement
wird ein ganzes Bündel von Erwartungen einem zivilen Umgang herauszubilden. Nach einer Langzeitbetrachtung ist
geknüpft. Darunter hebt sich allgemein Es trägt dazu bei, die Kommunikations- der Anteil der Engagierten in der Bevöl-
die Sicherung der Partizipationschancen bereitschaft und -fähigkeit, das wechsel- kerung ab 16 Jahren von 23 % im Jahr
des Bürgers, indem er sich stärker unmit- seitige Verständnis, die gemeinsame Be- 1985 auf 33 % im Jahr 2011 gestiegen.
telbar an gesellschaftlichen Belangen be- ratung und den Austausch von Argu- Seitdem trat ein leichter Rückgang ein,
teiligen kann, hervor. Das Engagement menten der Bürger untereinander, aber sodass in 2013 die Engagementbeteili-
beschränkt sich dabei nicht nur auf das auch zwischen Bürgern und Institutionen gung 30 % betrug. u Abb 4
Wirken der Bürger in speziellen Organi- zu praktizieren. Die Unterscheidung zwischen einem
sationen der politischen oder allgemei- Die Rolle des zivilgesellschaftlichen regelmäßigen Engagement (zumindest mo-
nen Interessenvertretung, sondern reicht Engagements ist dabei sehr unterschied- natlich) und einem selteneren Engagement
von Sport und Freizeit über Kultur und lich. Beispielsweise unterscheidet sich das zeigt, dass besonders das regelmäßige En-
Soziales bis zu Umwelt und Tierschutz. Engagement im Rahmen eines Sportver- gagement zugenommen hat (2013 rund
Als Basis demokratischer Gesellschaften eins von jenem in Bürgerinitiativen und 20 %). Zurückgegangen ist der Anteil jener,
tragen die Aktivitäten in diesen Organi- solchen Organisationen, die als soge- die sich seltener als monatlich engagieren
sationen zur Interessenbündelung und nannte Themenanwälte in Bereichen wie (2013 rund 11 %). Nach den Zeitbudgeter-
-artikulation bei. Durch die Herausbil- Umwelt oder in internationalen Aktivitä- hebungen des Statistischen Bundesamtes
dung von demokratischen Normen, sozi- ten tätig sind. Letztere haben in den zu- von 2001/2002 und 2012/2013 ist der Zeit-
alen Netzen und Vertrauensverhältnissen rückliegenden Jahrzehnten unter dem aufwand der Frauen mit 1:42 Stunden pro
fördert es die Kooperation, hält Rei- Gesichtspunkt einer stärkeren Einmi- Woche gleichgeblieben, während jener
bungsverluste gering und führt damit schung des Bürgers in gesellschaftliche der Männer von 2:01 auf 1:47 Stunden
letztendlich dazu, dass die Gesellschaft Belange einen beträchtlichen Zulauf und pro Woche zurückgegangen ist.
insgesamt besser funktioniert. bedeutenden Aufschwung erfahren. Differenzierte Angaben zum Engage-
Einen besonderen Stellenwert besitzt Doch auch die Rolle zahlreicher Sport- ment liefern die Daten des Freiwilligen-
das Zivilengagement bei der Sicherung vereine ist mit der Zeit über ihren engen surveys. Mit seinen bislang veröffentlich-
des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Tätigkeitskontext hinausgewachsen und ten drei Erhebungszeitpunkten 1999, 2004
Es hilft, die in der sozial zunehmend aus- ihre integrative Funktion, die sie vor und 2009 und jeweils mindestens 15 000
differenzierten Gesellschaft geforderten a llem auf lokaler Ebene innehaben, darf Telefoninterviews stellt er eine fundierte
Fähigkeiten zum Kompromiss und zu nicht unterschätzt werden. Datenbasis dar. Zu den Hauptaussagen des
40
30
20
10
0
1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2011 2013
386
Zivilgesellschaftliches Engagement / 12.3 Freizeit und gesellschaftliche Partizipation / 12
Freiwilligensurveys zählt, dass sich ein uTab 1 Zivilengagement nach soziografischen Gruppen 1999, 2004 und 2009
hoher Anteil der Bevölkerung freiwillig — in Prozent
engagiert. Engagierte übernehmen ganz Darunter: Gering organisations-
Zivilengagement
unterschiedliche Aufgaben. Die einen füh- gebundenes Engagement
ren eine Leitungsfunktion aus, andere or- 1999 2004 2009 1999 2004 2009
ganisieren Veranstaltungen und wieder Insgesamt 34 36 36 14 13 15
andere sind Lesepaten. Der Anteil der En- Geschlecht
gagierten ist über die Jahre konstant ge- Männer 38 39 40 11 11 12
blieben. Während 1999 die Zahl der frei- Frauen 30 33 32 17 16 18
willig Engagierten bei 34 % lag, hat sich Alter
deren Anteil 2004 leicht auf 36 % erhöht 14 – 29 Jahre 35 35 35 15 17 19
und blieb 2009 auf diesem Niveau. u Tab 1
30 – 59 Jahre 38 40 40 13 13 14
Hinter der hohen Stabilität in der En-
Ab 60 Jahre 26 30 31 13 12 12
gagementbeteiligung stecken eine Reihe
von gruppenbezogenen Unterschieden Erwerbsstatus
387
12 / Freizeit und gesellschaftliche Partizipation 12.3 / Zivilgesellschaftliches Engagement
nischen Medien zugewandte Kulturre- Diskrepanz zwischen Jung und Alt ver- Bildungsniveau ausgeübt. Personen mit
zeption kann eine Ursache für den Enga- stärkt hat. Das geringer organisationsge- einem niedrigen Bildungsstatus sind ins-
gementrückgang in diesem Bereich sein. bundene Engagement von jungen Men- gesamt weniger engagiert. Allerdings hat
schen ist zwischen 1999 und 2009 um 4 % sich der Unterschied zwischen den Bil-
12.3.3 Gering organisations gestiegen. Die größeren Freiheitsgrade dungsgruppen in dieser Engagementform
gebundenes Engagement und Spielräume, die dieses Engagement nach den Angaben des Freiwilligensurveys
Neben dem organisationsgebundenen bietet, sind offenbar eher für jüngere nicht vergrößert.
Engagement, also jenem in den zivilge- Menschen attraktiv.
sellschaftlichen Organisationen, finden Auffällig bei dem geringer organisati- 12.3.4 Spenden
auch in anderen Zusammenschlüssen onsgebundenen Engagement sind auch Neben dem Spenden von Zeit engagieren
Aktivitäten des freiwilligen Engagements die Unterschiede zwischen Frauen und sich Menschen durch das Spenden von
statt. Es handelt sich dabei um ein gerin- Männern. Frauen engagierten sich auf Geld für gemeinwohlorientierte Zwecke.
ger organisationsgebundenes Engage- diese Weise zu 18 %, Männer dagegen nur Spenden sind ein freiwilliger finanzieller
ment, das in Selbsthilfegruppen, Initiati- zu 12 %. Die insgesamt etwas geringere Transfer, bei dem der Spender keine äqui-
ven, Projekten und selbstorganisierten Engagementbeteiligung von Frauen hebt valente materielle Gegenleistung erhält.
Gruppen erfolgt. Die beiden Engage- sich also im stärker selbstorganisierten Die Spenden gehen zumeist an zivilge-
mentformen unterscheiden sich vor allem Engagement zu ihren Gunsten auf. Der sellschaftliche Organisationen, die sie in
in organisatorischer Hinsicht. Das Enga- geschlechtsspezifische Unterschied in Be- der Regel an Bedürftige weiterleiten oder
gement in geringer formalisierten Zu- zug auf dieses Engagement erklärt sich damit ausgewählte Projekte finanzieren.
sammenschlüssen folgt häufig keinen so anhand der Aktivitätsbereiche, in denen Nach den Angaben des Freiwilligen-
festen Regeln und hierarchischen Struk- das geringer organisationsgebundene surveys spendet ein beachtlicher Anteil
turen, wie sie zum Beispiel im Sport oder Engagement stattfindet. Hierbei handelt der Deutschen. Während 1999 und 2004
in Wohlfahrtsorganisationen zu finden es sich in erster Linie um die Bereiche deutlich mehr als 60 % der über 14-Jähri-
sind. Die Engagierten bestimmen selbst- Schule und Kindergarten, Gesundheit so- gen angaben, in den letzten zwölf Mona-
ständig über Ziele oder Aktivitäten, da wie Soziales, die allgemein stärker durch ten für soziale oder gemeinnützige Zwe-
bestimmte Gremien wie Vorstände feh- ein weibliches Engagement geprägt sind. cke gespendet zu haben, ging dieser An-
len. Einer geringeren Kontinuität und Ein Vergleich zwischen Ost- und teil 2009 auf 58 % zurück. Andere
Planbarkeit des Engagements stehen da- Westdeutschland zeigt, dass bei dem En- Erhebungen gelangen zu deutlich gerin-
bei größere Spielräume für Kreativität gagement in Selbsthilfegruppen, Initiati- geren Spenderanteilen. Das SOEP ermit-
und Improvisation gegenüber. ven, Projekten und selbst organisierten telte einen Anteil von 40 % der Bundes-
Das Engagement in Selbsthilfegrup- Gruppen regionale Unterschiede beste- bürger, die 2009 spendeten. Alle Unter-
pen, Initiativen, Projekten und selbstor- hen: In Ostdeutschland (17 %) war dieses suchungen kommen jedoch zu dem
ganisierten Gruppen ist in den letzten Engagement etwas stärker ausgeprägt als Ergebnis, dass sich an Spendenaktivitä-
Jahren stabil geblieben. Im Jahr 2009 er- in Westdeutschland (14 %). Die Unter- ten nicht alle Bevölkerungsgruppen in
folgten 15 % des Engagements durch ge- schiede zwischen Ost- und Westdeutsch- gleichem Maße beteiligen. Die Spenden-
ringer organisationsgebundene Zusam- land sind zum Teil auf das Engagement beteiligungsquote der Westdeutschen
menschlüsse. Dabei war das weniger von arbeitslosen Personen, deren Anteil liegt im Durchschnitt um gut 10 Pro-
formalisierte Engagement bei einigen ge- in Ostdeutschland noch immer bedeu- zentpunkte höher als jene der Ostdeut-
sellschaftlichen Gruppen stärker ausge- tend höher ist, zurückzuführen. Neben schen. Dieses Gefälle zeigt sich ebenfalls
prägt als bei anderen. jungen Menschen und Frauen sind auch bei der Spendenhöhe. Während nach den
Deutliche Unterschiede bestehen zwi- sie stärker in weniger formalisierten Zu- Angaben des SOEP im Jahr 2009 die
schen den Altersgruppen: Das Engage- sammenschlüssen engagiert. Grundsätz- Westdeutschen Spender im Durchschnitt
ment in geringer organisationsgebunde- lich minimiert ein Erwerbsstatus, der 213 Euro spendeten, lag der Wert bei den
nen Kontexten nimmt mit zunehmendem durch ein geregeltes Einkommen und fes- Ostdeutschen mit 136 Euro deutlich
Alter ab. Personen im Alter von 14 bis 29 te Arbeitszeiten gekennzeichnet ist, die niedriger. Die geschlechtsspezifischen
Jahren engagierten sich im Jahr 2009 zu Wahrscheinlichkeit in weniger formali- Unterschiede im Spendenverhalten zei-
19 % in Selbsthilfegruppen, Initiativen, sierten Kontexten freiwillig engagiert zu gen – das belegen ebenfalls alle Unter
Projekten, selbstorganisierten Gruppen sein. Das geringer organisationsgebunde- suchungen – dass Frauen in Deutschland
und anderen eher losen Zusammen- ne Engagement ist des Weiteren vom Bil- zu einem leicht höheren Anteil spenden.
schlüssen; dies taten dagegen nur 12 % dungsniveau abhängig. Auch selbstorga- Für die unterschiedliche Spendenbetei
der 60-Jährigen und Älteren. Die Ergeb- nisiertes Engagement wird eher von Per- ligung beider Geschlechter wird oft
nisse im Zeitablauf zeigen, dass sich die sonen mit hohem als mit einfachem die durchschnittlich längere Lebens
388
Zivilgesellschaftliches Engagement / 12.3 Freizeit und gesellschaftliche Partizipation / 12
389
82 %
der Ostdeutschen und 90 % der
Westdeutschen empfanden 2014 die
Demokratie als beste Staatsform.
4 %
26 % der Deutschen waren
2014 Mitglied einer
politischen Partei.
der Westdeutschen zwischen 18 und
29 Jahren interessierten sich 2014 für
Politik. Damit lag der Anteil politisch
Interessierter bei den Jüngeren um
12 Prozentpunkte niedriger als im
Bevölkerungsdurchschnitt.
91%
ca. 90 %
der Dänen waren 2015 mit dem
Funktionieren der Demokratie im
e igenen Land zuf rieden; bei den
Deutschen waren es 71 %.
der Bürgerinnen und Bürger
stimmten 2014 einer staatlichen
Zuständigkeit für soziale Ab-
sicherung zu.
13
Demokratie und
politische Partizipation
13.1 Ein freier und demokratischer Staat ist
auf die aktive Mitwirkung der Bürgerin-
gewählt. Seit der Bundestagswahl 2009
sind eine Reihe wahlrechtlicher Neurege-
Teilnahme am nen und Bürger angewiesen. Inwieweit lungen in Kraft getreten, insbesondere
politischen die Menschen ihre durch die Verfassung
garantierten Rechte wirklich nutzen und
für die Zuteilung der Sitze im Deutschen
Bundestag. Nunmehr sind bei der Sitz-
Leben durch Politik, Wirtschaft oder Kultur mitgestal- verteilung in Wahlkreisen direkt gewon-
Wahlen ten – darüber kann die amtliche Statistik
einige Anhaltspunkte liefern.
nene Mandate, die nicht von den für sie
im Verhältnis abgegebenen Zweitstim-
Für die Lebendigkeit der Demokratie men gedeckt sind (sogenannter Zweit-
Brigitte Gisart ist es von entscheidender Bedeutung, in stimmenproporz), durch weitere Mandate
welchem Maße die Bürgerinnen und Bür- auszugleichen, um den Grundcharakter
ger von ihren in der Verfassung garantier-der Verhältniswahl zu wahren. Einzelhei-
Destatis
ten Rechten Gebrauch machen und damit ten hierzu enthalten die Internetseiten
Einfluss auf die politische Willensbildung des Bundeswahlleiters.
nehmen. Die Ausübung des Wahlrechts Die Wahl zum 18. Deutschen Bundes-
spielt dabei eine zentrale Rolle, denn mittag fand am 22. September 2013 statt.
ihr wird über die Zusammensetzung der Wahlberechtigt waren 61,9 Millionen
demokratischen Vertretungen in Gemein- Deutsche, von denen sich 44,3 Millionen
de, Land, Bund und der Europäischen an der Wahl beteiligten, das sind 71,5 %.
Union entschieden. Da in der Bundes Die Wahlbeteiligung lag damit lediglich
republik Deutschland keine gesetzliche 0,7 Prozentpunkte über dem bislang
Wahlpflicht besteht, wird die Wahlbetei niedrigsten Wert von 2009 (70,8 %). Be-
ligung – unter gewissen Einschränkungen trachtet man die Wahlbeteiligung in den
– auch als Gradmesser für das politische Bundesländern, ergibt sich ein sehr un-
Interesse der Menschen herangezogen. Sie terschiedliches Bild. In acht Ländern lag
weist deutliche Unterschiede auf, je nach- sie über dem Bundesdurchschnitt. Am
dem ob es sich um Bundestags-, Landtags-, höchsten war sie in Baden-Württemberg
Kommunalwahlen oder Wahlen zum Euro- mit 74,3 %, gefolgt von Niedersachsen
päischen Parlament handelt. u Info 1 mit 73,4 % und Hessen mit 73,2 %. Die
niedrigsten Wahlbeteiligungen gab es in
13.1.1 Bundestagswahlen Thüringen mit 68,2 %, Mecklenburg-
Gemäß Artikel 39 Absatz 1 des Grund Vorpommern mit 65,3 % und in Sachsen-
gesetzes wird der Bundestag auf vier Jahre Anhalt mit 62,1 %. In allen neuen Län
391
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen
392
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen / 13.1 Demokratie und politische Partizipation / 13
uAbb 1 Wahlbeteiligung nach Bundesländern bei der Bundestagswahl 2013 hatte sie Verluste in Höhe von 2,0 bezie-
— in Prozent hungsweise 1,5 Prozentpunkten hinzu-
nehmen.
DIE LINKE gewann bei der letzten
Bundestagswahl 8,6 % der gültigen Zweit-
stimmen. Das ist gegenüber der Bundes-
tagswahl 2009 ein Verlust von 3,3 Pro-
zentpunkten. Sie verlor in allen Ländern
Stimmenanteile, und zwar zwischen
1,7 Prozentpunkten in Berlin und 11,2 Pro-
zentpunkten im Saarland.
Die GRÜNEN erhielten 2013 von allen
gültigen Zweitstimmen 8,4 % und verlo-
ren damit gegenüber der vorherigen Bun-
destagswahl 2,3 Prozentpunkte an Zweit-
stimmen. Auch die GRÜNEN hatten in
allen Ländern Stimmeneinbußen zu ver-
zeichnen. Am niedrigsten waren die Ver-
luste mit 1,1 Prozentpunkten in Thürin-
gen und im Saarland, am höchsten in
Berlin mit 5,0 Prozentpunkten.
Die FDP erhielt 2013 nur 4,8 % der
gültigen Zweitstimmen und somit
9,8 Prozentpunkte weniger als bei der
Bundestagswahl 2009. Damit ist sie erst-
mals seit Gründung der Bundesrepublik
nicht im Bundestag vertreten. Die FDP
Deutschland 71,5 %
verlor in allen Ländern Zweitstimmen
72,0 und mehr anteile, und zwar zwischen 6,8 Prozent-
70,0 bis unter 72,0 punkten in Brandenburg und 12,6 Pro-
68,0 bis unter 70,0 zentpunkten in Baden-Württemberg.
66,0 bis unter 68,0
Fasst man jeweils die Zweitstimmen
64,0 bis unter 66,0
unter 64,0
für die Parteien der Regierungskoalition
(CDU, CSU und SPD) und der Opposi
tion (GRÜNE und DIE LINKE) zusam-
men, ergibt sich für die Koalition ein
u Abb 2 Zweitstimmenanteile der Parteien bei der Bundestagswahl 2013 — in Prozent Zweitstimmenanteil von 67,2 % und
somit 504 Sitze im Deutschen Bundestag.
15,7 Die Opposition verfügt dagegen lediglich
über 127 Sitze. u Abb 3, Abb 4
34,1 Scheiden Abgeordnete während der
8,4
Legislaturperiode aus dem Bundestag aus,
werden sie aus der Landesliste derjenigen
8,6 Partei ersetzt, für die sie bei der Wahl an-
7,4 getreten sind (Listennachfolge).
Frauen sind im Deutschen Bundestag
25,7 immer noch deutlich unterrepräsentiert.
Obwohl gut 2,2 Millionen mehr Frauen
als Männer wahlberechtigt waren und
CDU CSU SPD DIE LINKE GRÜNE Sonstige
der Anteil der weiblichen Abgeordneten
in den letzten 20 Jahren kontinuierlich
gestiegen ist, stellen sie im 18. Deutschen
393
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen
50
40
30
20
10
0
1949¹ 1953¹ 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005 2009 2013
Seit 1953 Zweitstimmen, bis 1987 früheres Bundesgebiet, seit 1990 Deutschland.
1 Ohne Saarland.
2 Bis zur Namensänderung durch Parteitagsbeschluss vom 17. Juli 2005: PDS.
3 1990 einschließlich Bündnis 90 / Grüne.
300
240
180
120
60
0
1949¹ 1953¹ 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005 2009 2013
Bis 1987: früheres Bundesgebiet einschließlich der Abgeordneten von Berlin-West, seit 1990 Deutschland.
1 Ohne Saarland.
2 Bis zur Namensänderung durch Parteitagsbeschluss vom 17. Juli 2005: PDS.
3 1990 einschließlich Bündnis 90 / Grüne.
394
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen / 13.1 Demokratie und politische Partizipation / 13
Bundestag mit 229 Mandaten nur gut ein deutschen Bevölkerung. Die Generation Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Drittel (36 %) der 631 Abgeordneten. der 30- bis 59-Jährigen stellte mit Dagegen waren die altersspezifischen
Dabei wurden 62 Direktmandate von 30,8 Millionen bei der Bundestagswahl Unterschiede stärker ausgeprägt. Die ge-
Frauen gewonnen. Im 12. Deutschen 2013 die Hälfte aller Wahlberechtigten ringste Wahlbeteiligung war 2013 in den
Bundestag 1990 lag der Frauenanteil (50 %). Die Altersgruppe ab 60 Jahren um- A ltersgruppen der unter 30-Jährigen zu
noch bei rund 20 %. DIE LINKE und die fasste mit 21,3 Millionen gut ein Drittel beobachten. Nahmen die Erstwählerinnen
GRÜNEN erreichten mit jeweils 56 % der (34 %) aller potenziellen Wählerinnen und -wähler noch zu 64,2 % an der Wahl
Abgeordneten den höchsten Frauenanteil, und Wähler. Die jüngere Generation teil, ließ das Interesse bei den 21- bis
gefolgt von der SPD (42 %) und der CSU unter 30 Jahren machte mit 9,8 Millionen 24-Jährigen nach. In dieser Altersgruppe
sowie der CDU mit jeweils 25 %. nur knapp ein Sechstel (16 %) aller Wahl- war die niedrigste Wahlbeteiligung mit
Die repräsentative Wahlstatistik zeigt berechtigten aus. u Info 2 60,3 % zu verzeichnen. Von den 25- bis
sehr deutlich mit der Veränderung der Die Betrachtung der durchschnitt 29-Jährigen machten 62,4 % von ihrem
Zahlenstärke der einzelnen Altersgrup- lichen Wahlbeteiligung über alle Alters- Wahlrecht Gebrauch. In den folgenden Al-
pen die demografische Entwicklung der gruppen hinweg zeigt keine signifikanten tersgruppen nahm die Wahlbeteiligung
u Info 2
Was ist die repräsentative Wahlverhalten in Ost und West unterschiedlich
Wahlstatistik? Vor 25 Jahren – am 18. März 1990 – im Westen (5,6 %). Bereits 1990 hatte
Die repräsentative Wahlstatistik ist eine fand in der DDR die erste freie und zu- die Partei unter ihrem früheren Na-
Stichprobenerhebung. In die Auswahl einbe- gleich letzte Volkskammerwahl statt. men PDS im Osten klar besser abge-
zogen werden bis zu jeweils 5 % aller Urnen-
und Briefwahlbezirke im gesamten Bundes- Seit der deutschen Vereinigung am schnitten (11,1 %) als im Westen
gebiet und nicht mehr als jeweils 10 % 3. Oktober 1990 gilt für alle Deutschen (0,3 %). Dafür erreichte die SPD so-
aller Urnen- und Briefwahlbezirke in einem
das gleiche im Grundgesetz verankerte wohl 1990 als auch 2013 deutlich
Land. Dabei müssen die ausgewählten
Urnenwahlbezirke mindestens 400 Wahl Recht auf freie Wahlen. Doch auch heu- mehr Wählerinnen und Wähler im
berechtigte umfassen und ausgewählte te zeigen sich noch Unterschiede im früheren Bundesgebiet (1990: 35,7 %;
Briefwahlbezirke mindestens 400 Briefwähle-
rinnen und -wähler bei der vorherigen Wahl
Wahlverhalten von Ost und West. 2013: 27,4 %) als in den neuen Län-
umfasst haben. Bei der Bundestagswahl Vor allem fand DIE LINKE bei der dern (1990: 24,3 %; 2013: 17,9 %).
2013 waren fast 2,5 Millionen Wahlberechtig- Bundestagswahl 2013 im Osten deut-
te in der Stichprobe, dies entspricht einem
Anteil von 4,0 %.
lich mehr Unterstützung (22,7 %) als
Im Gegensatz zur allgemeinen Wahlstatistik,
bei der es sich um eine Dokumentation der Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 — in Prozent
von den Wahlorganen festgestellten Wahl
ergebnisse und der dort angefallenen Infor-
mationen handelt, stellt die repräsentative 42,2
Wahlstatistik fest, in welchem Umfang sich die CDU/CSU
38,5
Wahlberechtigten beziehungsweise die
Wählerinnen und Wähler aus verschiedenen
27,4
Altersgruppen an der Wahl beteiligen und SPD
17,9
wie sie stimmen. Damit erlaubt sie bedeuten-
de Rückschlüsse über deren Wahlverhalten
und ihre Beteiligung am demokratischen 5,6
DIE LINKE
Staatsleben. 22,7
395
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen
100
40
20
0
unter 21 21– 24 25–29 30 – 34 35 – 39 40 – 44 45 – 49 50 – 59 60 – 69 70 und mehr
6,6 7,4
5,2
8,7
9,5 8,5
2015 2015 2013 2011
CDU/CSU4 SPD GRÜNE FDP DIE LINKE PIRATEN NPD BVB /FREIE WÄHLER BIW AfD FREIE WÄHLER SSW Sonstige
396
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen / 13.1 Demokratie und politische Partizipation / 13
weiter zu. Die 60- bis 69-Jährigen beteilig- Unter »sonstige Parteien« sind alle übrigen Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft im
ten sich mit 79,8 % am häufigsten an der Parteien, darunter die FDP, die PIRATEN vierjährlichen Turnus statt.
Wahl. Im Hinblick auf diese Entwicklung und die AfD, zusammengefasst. Während Die Wahlbeteiligung bei Landtags-
und im Zusammenspiel mit der unter- bei den FDP-Wählerinnen und -Wählern wahlen liegt im Vergleich zu Bundestags-
durchschnittlichen Wahlbeteiligung der der größte Anteil der Altersgruppe der 45- wahlen grundsätzlich niedriger. Die Un-
jüngeren Generationen ist das Einfluss bis 59-Jährigen angehörte, waren 56 % der terschiede sind jedoch von Land zu Land
potenzial der jüngeren Wählerinnen und Wählerschaft der PIRATEN jünger als verschieden stark ausgeprägt: Die höchs-
Wähler gegenüber den Älteren überpro- 35 Jahre. Die Wählerschaft der AfD setzte te Wahlbeteiligung bei den jeweils letzten
portional geschwächt. u Abb 5 sich zu 50 % aus den 35- bis 59-Jährigen Landtagswahlen wurde in Hessen im Jahr
Die Wählerschaften der sogenannten zusammen. u Tab 2 2013 mit 73,2 % erreicht, die niedrigste
etablierten Parteien CDU, SPD und CSU bei der Wahl 2014 in Brandenburg mit
bestanden überwiegend aus älteren Wäh- 13.1.2. Landtagswahlen 47,9 %. u Abb 6
lerinnen und Wählern. Bei der CDU wa- In den Ländern stecken die jeweiligen In Berlin und Mecklenburg-Vorpom-
ren 43 % 60 Jahre und älter, bei der SPD Landesverfassungen den Rahmen für die mern ist auf Länderebene die SPD jeweils
und der CSU waren es jeweils 40 %. Die Gestaltung des Landeswahlrechts ab. Die mit der CDU ein Regierungsbündnis
Partei DIE LINKE fand mit 34 % ihren Wahlperioden erstrecken sich in fast eingegangen, in Bremen, Hamburg, Nie-
größten Rückhalt bei ihren 45- bis allen Ländern über jeweils fünf Jahre. Im dersachsen, Nordrhein-Westfalen und
59-jährigen Wählerinnen und Wählern. Februar 2015 wurde auch die Bürger- Rheinland-Pfalz regiert sie gemeinsam
Bei den GRÜNEN-Wählerinnen und schaft in Hamburg erstmals auf fünf mit den GRÜNEN, in Schleswig-Holstein
-Wählern waren 44 % jünger als 45 Jahre. Jahre gewählt. Nun finden nur noch die mit den GRÜNEN und dem SSW (Süd-
35,7 5,0
32,6 7,8 39,1
9,9 7,4 35,2
8,6
13,9 15,2
39,4 32,5 8,2 30,4 10,6 28,2
9,7
2014 2011 2012 2014
397
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.1 / Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen
u Tab 2 Wählerschaft der Parteien nach Altersgruppen bei der Bundestagswahl 2013
Von 100 gültigen Zweitstimmen für die jeweilige Partei wurden abgegeben von
Wählerinnen und Wählern im Alter von ... bis … Jahren
schleswigscher Wählerverband). In Bran- land (AfD) nahm bisher an sechs Landtags- Im Europäischen Parlament haben
denburg koaliert die SPD mit der Partei wahlen teil. Sie stellt seitdem in fünf Land- sich die Mitglieder zu acht Fraktionen
DIE LINKE. In Hessen bildet die CDU tagen zwischen 4 und 14 Abgeordnete. zusammengeschlossen. Sie setzen sich
zusammen mit den GRÜNEN, im Saar- nicht nach der Staatsangehörigkeit, son-
land, in Sachsen und Sachsen-Anhalt ge- 13.1.3 Europawahlen dern nach politischen Richtungen zu-
meinsam mit der SPD die Landes Seit 1979 wählen die Bürgerinnen und sammen. u Abb 7
regierungen. In Bayern regiert die CSU Bürger der Europäischen Union (EU) in Insgesamt waren im Mai 2014 rund
allein. Die GRÜNEN koalieren in Baden- fünfjährlichem Abstand die Abgeordne- 400 Millionen Unionsbürgerinnen und
Württemberg mit der SPD und stellen ten des Europäischen Parlaments. Im Ge- -bürger wahlberechtigt. Die Wahlbetei
seit 2011 erstmals in der Geschichte der gensatz zur Wahl zum Deutschen Bun- ligung war bisher bei den Wahlen zum
Bundesrepublik auch den Ministerpräsi- destag mit ihrem Mischsystem aus Europäischen Parlament in der Bundes-
denten. Ebenfalls erstmals in der Ge- Mehrheits- und Verhältniswahl erfolgt republik Deutschland – wie übrigens
schichte Deutschlands stellt die Partei die Wahl der Abgeordneten des Euro auch in den anderen Mitgliedstaaten –
DIE LINKE den Ministerpräsidenten in päischen Parlaments aus der Bundesre- wesentlich niedriger als bei nationalen
Thüringen. Dort gehören noch SPD und publik Deutschland nach den Grundsät- Wahlen. Von den fast 62 Millionen Wahl-
die GRÜNEN der Regierung an. zen der Verhältniswahl mit nur einer Stim- berechtigten in Deutschland machten
Während von den sogenannten etab- me. Die letzte Europawahl fand in den nur 48,1 % von ihrem Stimmrecht Ge-
lierten Parteien die CDU (in Bayern CSU), Mitgliedstaaten im Zeitraum vom 22. bis brauch. Gleichwohl ist die Wahlbeteili-
SPD und GRÜNE in allen Landtagen ver 25. Mai 2014 statt, in Deutschland am gung um 4,9 Prozentpunkte gegenüber
treten sind, haben Abgeordnete der FDP 25. Mai. Deutschland ist derzeit mit 96 Sit- 2009 gestiegen und liegt über dem Durch-
in sieben und Abgeordnete der Partei zen im EU-Parlament vertreten. Nach schnittswert der EU (42,6 %). u Info 3
DIE LINKE in zehn Landesparlamenten Wegfall der 3-Prozent-Sperrklausel wurden Die Wahlbeteiligung war im Zusam-
Sitze eingenommen. Die Piratenpartei in die Sitzverteilung alle Wahlvorschläge menhang mit der dort bestehenden
Deutschland (PIRATEN) ist seit ihrer einbezogen. Davon entfallen auf die CDU Wahlpflicht in Belgien mit 89,6 % und in
Gründung im Jahr 2006 bei der jeweils 29, die SPD 27, die GRÜNEN 11, die CSU 5, Luxemburg mit 85,6 % wie bei früheren
letzten Landtagswahl in allen Ländern DIE LINKE und die AfD jeweils 7 und die Europawahlen am höchsten. Es folgten
mit eigenen Wahlvorschlägen angetre- FDP 3 Sitze. Jeweils einen Sitz erhielten Malta mit 74,8 %, Griechenland mit
ten und konnte in vier Landesparlamen- die FREIEN WÄHLER, die Tierschutz 60,0 %, Italien mit 57,2 % und Dänemark
ten zwischen 3 und 20 Sitze erzielen. Die partei, die FAMILIE, die PIRATEN, die mit 56,3 %. Auch in Griechenland und
2013 gegründete Alternative für Deutsch- ÖDP, die NPD und Die PARTEI. Italien ist die Pflicht, sich aktiv an Wah-
398
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen / 13.1 Demokratie und politische Partizipation / 13
67 Sitze
52 Sitze
50 Sitze
221 Sitze Insgesamt
751 Sitze
48 Sitze
52 Sitze
Fraktion der Europäischen Volkspartei Allianz der Liberalen und Demokraten für Fraktion »Europa der Freiheit
(Christdemokraten) Europa und der direkten Demokratie«
Fraktion der Progressiven Allianz der Vereinte Europäische Linke/ Fraktionslos — Mitglieder,
Sozialdemokraten Nordische Grüne Linke die keiner Fraktion angehören
Stand: 1.7.2014.
Quelle: http://europarl.europa.eu/elections2014-results/de/election-results-2014.html
399
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.2 / Politische Integration und politisches Engagement
400
Politische Integration und politisches Engagement / 13.2 Demokratie und politische Partizipation / 13
erreicht das politische Interesse 2014 durchschnitt auf 6 bis 7 Prozentpunkte etwas über 20 und 30 Prozentpunkten,
einen Spitzenwert. u Abb 1 zurückgegangen, sie liegt 2014 aber wie- weisen aber keinen Trend auf. Eine Zu-
Deutlicher unterscheidet sich das der bei über 10 Prozentpunkten. oder Abnahme bildungsbedingter Schich-
Ausmaß des politischen Interesses zwi- Noch größer als die Differenz zwi- tung im politischen Interesse ist seit 1986
schen den jüngeren und älteren Bürgern, schen jüngerer Bevölkerung und Bevöl- – seitdem liegen im ALLBUS Daten vor –
was in West- und Ostdeutschland glei- kerungsdurchschnitt ist die Differenz also nicht festzustellen.
chermaßen zu beobachten ist. Unter den zwischen Bürgern ohne und Bürgern mit Politisches Interesse ist sicher förder-
18- bis 29-Jährigen finden sich weit weni- Hochschulabschluss. Unter den Bürgern lich für politische Beteiligung. Das Reper-
ger politisch Interessierte als im Bevölke- mit Hochschulabschluss liegt der Anteil toire der Beteiligungsformen hat sich über
rungsdurchschnitt. Dieser Unterschied derjenigen, die sich stark oder sehr stark klassische, institutionalisierte Formen
zwischen den Altersgruppen existiert seit für Politik interessieren, in Westdeutsch- wie Wahlen hinaus in den vergangenen
1991. Davor war das Interesse der Jünge- land 2014 bei 60 % und in den neuen Jahrzehnten stark ausgeweitet. Neben
ren nur unmaßgeblich geringer ausge- Bundesländern bei 63 %. Damit liegt er institutionellen Formen der Beteiligung
prägt. Im Durchschnitt der Jahre 1994 im Westen 21 und im Osten 25 Prozent- nutzen Bürger sehr stark Formen nicht-
bis heute liegt das Interesse an der Politik punkte über dem Bevölkerungsdurch- institutionalisierter Beteiligung wie Unter-
bei den 18- bis 29-Jährigen mit 21 % in schnitt. Das politische Interesse ist also schriftensammlungen, Demonstrationen,
West- und 19 % in Ostdeutschland etwa deutlich durch soziale Unterschiede ge- Bürgerinitiativen, politische Versammlun-
8 bis 9 Prozentpunkte unter dem Bevölke- prägt, regionale Unterschiede zwischen gen oder Ähnliches, um ihren Interessen
rungsdurchschnitt. 2010 lag das Interesse Ost und West sind nicht mehr festzu Ausdruck zu verleihen und am politischen
der Jüngeren in Westdeutschland sogar stellen. Die Unterschiede im politischen Leben teilzuhaben. Diese Arten politischer
14 Prozentpunkte unter dem Bevölke- Interesse zwischen Bürgern mit und ohne Aktivität haben in Deutschland seit Ende
rungsdurchschnitt. Zwar ist die Differenz Hochschulabschluss schwanken im Zeit- der 1950er-Jahre kontinuierlich zugenom-
zwischen Jüngeren und Bevölkerungs- verlauf. Sie liegen in der Regel zwischen men. In diesem Zusammenhang wurde
40
30
20
10
0
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Westdeutschland insgesamt Westdeutschland 18–29 Jahre Ostdeutschland insgesamt Ostdeutschland 18–29 Jahre
401
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.2 / Politische Integration und politisches Engagement
von einer »partizipatorischen Revolution« Allerdings existieren hier ähnlich star- schluss. Bei Demonstrationen ist der Un-
gesprochen, mit der sich nicht nur in ke bildungsgruppenbezogene Unterschiede terschied noch größer: Etwa 60 % der
Deutschland, sondern in allen modernen wie beim politischen Interesse. Unter aka- Hochschulabsolventen, aber lediglich
Demokratien neue Formen der Beteili- demisch gebildeten Bürgerinnen und Bür- etwa ein Viertel derjenigen ohne Hoch-
gung als normale politische Handlungs- gern liegt der Anteil derjenigen, die sich an schulabschluss beteiligen sich 2014 an De-
formen etablierten. Die Anteile derjenigen, Unterschriftensammlungen beteiligen, mit monstrationen. Ähnlich groß fallen die
die angeben, an den beiden häufigsten knapp 80 % mehr als 20 Prozentpunkte hö- Unters chiede hinsichtlich des Besuchs
Formen der sogenannten »unkonventio- her als bei denjenigen ohne Hochschulab- politischer Versammlungen aus. Demge-
nellen« politischen Beteiligung, Unter-
schriftensammlungen und Demonstratio-
nen, mitgewirkt zu haben, sind in den
1990er-Jahren recht stabil und steigen am u Abb 2 Nicht-institutionalisierte Beteiligung unter Jüngeren und im Durchschnitt 1998,
Anfang des neuen Jahrtausends sogar an. 2002, 2008 und 2014 — in Prozent
1998 liegt der Anteil bei 37 %, 2002 mit
63 % sehr hoch, 2008 bei knapp der Hälfte 63 64
der Bürger und 2014 wieder bei 60 %. An 60
55
Demonstrationen nimmt in den 1990er- 47 47
Jahren knapp ein Fünftel der Bevölkerung 41
39
teil, 2002 sowie 2014 sind es sogar über 37
32 31
30 %. Nicht-institutionalisierte, sogenann-
26 28
te »unkonventionelle« Formen der Beteili- 21 20 19
gung werden häufig den Jüngeren zuge- 15 13
11
schrieben. Dementsprechend ist bei diesen 9
5
Formen der Beteiligung keine Lücke zu- 4
lasten der Jüngeren zu erwarten, sondern
Alle 18–29 Jahre Alle 18–29 Jahre Alle 18–29 Jahre
eher, dass der Durchschnitt der Bevölke-
Unterschriftensammlung Demonstrationen Bürgerinitiative¹
rung sich deutlich weniger in dieser Form
beteiligt als die Jüngeren. Diese Erwar- 1998 2002 2008 2014
tung trifft allerdings nicht zu, der Unter- 1 Beteiligung in Bürgerinitiativen wurde 2014 nicht erhoben.
Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.
schied existiert nicht mehr. Eine »Konven-
tionalisierung« des »Unkonventionellen«
hat stattgefunden und Unterschriften-
sammlungen und Demonstrationen gehö-
u Abb 3 Nicht-institutionalisierte Beteiligung in Ost- und Westdeutschland 1998,
ren inzwischen zu den normalen politi-
2002, 2008 und 2014 — in Prozent
schen Beteiligungsformen der Bürger, egal
ob jung oder alt. Der Unterschied zwi-
schen den Jüngeren und dem Bevölke- 64 63
60 60
rungsdurchschnitt geht sogar eher zulas-
ten der Jüngeren – wiederum ein Zeichen, 51
46
wie »normal« sogenannte unkonventionel-
40
le Formen der Partizipation inzwischen 38
34 34
geworden sind. u Abb 2 31 29
Während sich von 1998 bis 2008 ähn-
21 20
lich hohe Anteile aus beiden Landesteilen 20
15 16
an Demonstrationen beteiligen, liegt der 11
13
9 8
Anteil der Ostdeutschen 2014 deutlich 6
höher. Etwas anders sieht es bei der Mit-
arbeit in Bürgerinitiativen aus. Westdeut- West Ost West Ost West Ost
sche Bürger sind mit Anteilen von 10 bis Unterschriftensammlung Demonstrationen Bürgerinitiative¹
20 % etwas stärker engagiert als Bürger in 1998 2002 2008 2014
Ostdeutschland mit Anteilen zwischen
1 Beteiligung in Bürgerinitiativen wurde 2014 nicht erhoben.
6 und 13 %. u Abb 3 Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.
402
Politische Integration und politisches Engagement / 13.2 Demokratie und politische Partizipation / 13
genüber erscheinen die Unterschiede 13.2.2 Bindung an Interessen dienen dem Zweck der Vertretung ge-
zwischen Ost- und Westdeutschen und gruppen und politische Parteien meinsamer politischer, wirtschaftlicher,
zwischen Jüngeren und Älteren marginal. Die Mitgliedschaft in Interessengruppen sozialer oder kultureller Interessen. Inte-
Die bildungsbezogenen Unterschiede in und politischen Parteien ist ein weiterer ressengruppen setzen sich auf verschie-
der politischen Beteiligung verweisen auf Indikator für die Integration der Bürger dene Weise für die Anliegen ihrer Mit-
eine sozial induzierte polit ische Ungleich- in den politischen Prozess. Diese Organi- glieder ein, zum Beispiel durch das
heit, diese wiederum auf Defizite in der sationen sind häufig durch gesellschaft Einwirken auf Parteien, Parlamente, Re-
politischen Integration. u Abb 4 liche Selbstorganisation entstanden und gierungen und Behörden oder die Öffent-
lichkeit im Allgemeinen. Politische Par-
teien sind unmittelbare Akteure des Re-
gierungssystems. Da die Mitgliedschaft
uAbb 4 Nicht-institutionalisierte Beteiligung nach Bildung, Region und Alter 2014 freiwillig ist, ist der Grad, zu dem Bürger
— in Prozent sich in Interessengruppen und politi-
schen Parteien organisieren, ein zentrales
Merkmal der politischen Integration. An-
Hochschulabschluss ders als die Wahlbeteiligung oder For-
men nicht-institutionalisierter Beteili-
Politische 54 gung, die für den Einzelnen singuläre Er-
Versammlung 28 eignisse bleiben können, zeichnen sich
Mitgliedschaften in Interessengruppen
Demon- 60 und politischen Parteien dadurch aus,
strationen 25
dass sie in der Regel langfristig sind. Ver-
Unterschriften- 78
liert die Mitgliedschaft in Interessen-
sammlung 57 gruppen und politischen Parteien für den
Einzelnen an Attraktivität, so ist dies zu-
mit ohne nächst ein Warnsignal für die jeweilige
Organisation. Geschieht dies jedoch in
Ost / West
großem Umfang, weist es darüber hinaus
auf generelle Probleme der Interessenver-
Politische 35
Versammlung 31 mittlung in einem politischen Gemein-
wesen hin.
Demon- 40 Im internationalen Vergleich zeichnet
strationen 29 sich die alte Bundesrepublik durch einen
recht hohen Organisationsgrad aus. In
Unterschriften- 63
sammlung
Westeuropa sind nur die Bürger der
60
Niederlande und der skandinavischen
Länder stärker organisiert. Ein langfristi-
Ost West
ger Vergleich ist aufgrund von Unter-
Alle vs. Jüngere schieden in den Befragungsinstrumenten
leider nicht möglich. Eine lange Reihe
Politische 23 von Vergleichen von 1986 bis 1998 zeigt,
Versammlung 32 dass der Anteil der Bürger, die Mitglieder
in Interessengruppen im engeren Sinne
Demon- 28
strationen 31
sind, in den alten Bundesländern für die-
se Zeit relativ konstant bei etwa 30 %
Unterschriften- 55 liegt. Im selben Zeitraum ist der Anteil
sammlung 60 der Bevölkerung, der in Freizeitorganisa-
tionen, allen voran den Sportvereinen,
organisiert ist, von 29 auf 43 % gestiegen.
Jüngere Alle
Der Anteil derjenigen, die nur in Freizeit-
vereinigungen Mitglied sind, hat sich von
Datenbasis: ALLBUS 2014.
knapp 16 auf 26 % erhöht. In den neuen
403
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.2 / Politische Integration und politisches Engagement
Gewerkschaften¹ 11 12 12 . 9 13 1 . 2 9 1 .
Politische Parteien 3 4 . . 2 5 . . 7 5 . .
Menschrechtsorganisationen 1 2 1 2 2 2 1 1 1 0 0 1
Naturschutzorganisationen 6 6 2 3 7 7 2 3 4 3 2 3
Bürgerinitiativen 1 1 1 1 2 1 1 2 1 0 1 1
Wohltätigkeitsvereine 10 7 5 7 11 8 5 8 6 3 3 4
Elternorganisationen 4 1 3 4 4 1 3 4 3 1 2 4
Selbsthilfe / Gesundheit 5 2 3 3 5 2 3 3 4 2 3 3
Rentner-, Seniorenvereine 2 1 1 2 2 1 1 2 3 1 2 2
Freizeit
Kultur-, Musikvereine 12 4 9 8 14 5 10 8 8 1 6 7
Sportvereine 29 9 22 22 32 11 24 23 22 3 18 20
Sonstige Hobbyvereine 10 2 8 9 11 2 8 9 9 1 8 8
Freizeitorganisationen 41 14 33 32 45 16 35 33 33 5 28 28
Bundesländern liegt 1992 der Anteil der- anteile um 3 Prozentpunkte feststellen. Regionale Unterschiede zwischen Ost
jenigen, die in Interessengruppen organi- Relativ gesehen haben sich also politik und West sind eher zu vernachlässigen.
siert waren, noch 9 Prozentpunkte über bezogene und freizeitbezogene Mitglied- Auch existieren kaum Unterschiede zwi-
dem Anteil in Westdeutschland, der An- schaften auseinanderentwickelt. Interes- schen dem Durchschnitt der Bürger und
teil der Mitglieder in Freizeitvereinigun- sengruppen konnten an dem generellen den Jüngeren in Bezug auf Mitglied-
gen dagegen 26 Prozentpunkte unter Aufwärtstrend der Mitgliedschaften nicht schaftsanteile, ob inaktiv oder aktiv, bei
dem westdeutschen Durchschnitt. Bezo- teilhaben. den Organisationen ohne Gewerkschaf-
gen auf die Mitgliedschaft in Interessen- Jüngere Daten für 2010 und 2014, die ten und politischen Parteien. Das lässt
gruppen hat es in Ostdeutschland eine aufgrund unterschiedlicher Erhebungs- sich jedoch nicht in Bezug auf Hochschul-
dramatische Entwicklung gegeben, die verfahren nicht mit früheren Daten ver- absolventen sagen. Hier ergeben sich
vor allem zulasten der Gewerkschaften gleichbar sind, erlauben keine Schlussfol- deutlich höhere Anteile für Akademiker
gegangen ist. Zwischen 1992 und 1998 gerungen über die Mitgliederentwicklung. als für den Bevölkerungsdurchschnitt.
ist der Prozentsatz derjenigen, die in In- Es liegt aber nahe zu vermuten, dass die Auch bezogen auf Organisationsmitglied-
teressengruppen organisiert sind, von Mitgliedschaft in Interessengruppen wei- schaften verteilt sich die Teilhabe ungleich
knapp 40 auf 25 % zurückgegangen. Im ter zurückgegangen ist. Der Anteil nicht- zugunsten der besser Gebildeten.
Freizeitbereich lässt sich in Ostdeutsch- aktiver Mitgliedschaften liegt 2014 deut Die langfristige Entwicklung der
land eine kleine Steigerung der Mitglieder- lich niedriger als 2010. u Tab 1 Mitgliedschaften der Bürger in Deutsch-
404
Politische Integration und politisches Engagement / 13.2 Demokratie und politische Partizipation / 13
40
30
20
10
0
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
land lässt sich aufgrund veränderter Fra- lichen Organisationsgrad sind fast ver- ergeben sich damit zwar keine regionalen,
geformate in den ALLBUS-Studien leider schwunden. Auch die deutliche Kluft sozialen oder demografischen Ungleich-
nicht über alle Organisationsbereiche zwischen der jüngeren Bevölkerung der heiten mehr. Die Integrationskraft hat
hinweg beurteilen. Allerdings ist eine 18- bis 29-Jährigen und dem Durch- aber dennoch stark nachgelassen, weil
solche Beurteilung hinsichtlich der Ge- schnitt, die in Westdeutschland beson- insgesamt nur noch ein relativ kleiner
werkschaftsmitgliedschaften möglich. ders deutlich 2004 und in Ostdeutsch- Teil der deutschen Bevölkerung in Ge
Der massive Rückgang von Gewerk- land besonders 2008 zu beobachten war, werkschaften organisiert ist. u Abb 5
schaftsmitgliedern hat sich in den Jah- ist geringer geworden. Bildungsunter- Die Mitgliedschaft in politischen
ren 1992 bis 1998 zwar deutlich abge- schiede im gewerkschaftlichen Organisa- Parteien verzeichnet sogar eine noch
schwächt, setzt sich aber bis etwa 2008 tionsgrad fallen im Unterschied zu politi- dramatischere Entwicklung. Die starken
fort. Seitdem scheint sich der gewerk- schem Interesse, politischer Beteiligung Mitgliederrückgänge bei den Gewerk-
schaftliche Organisationsgrad der er- und anderen Mitgliedschaften zugunsten schaften seit der Vereinigung fallen –
wachsenen Bevölkerung auf gleichem von Bürgern ohne Hochschulabschluss relativ gesehen zu denen der politischen
Niveau mit leichten Schwankungen zu aus. Akademiker waren 2014 lediglich zu Parteien – noch moderat aus. Anhand
halten. Die am Anfang der 1990er-Jahre knapp 10 % gewerkschaftlich organisiert, der von den Parteien berichteten Mit-
noch stark ausgeprägten Unterschiede also etwas weniger als der Durchschnitt. gliederzahlen lässt sich nachvollziehen,
zwischen Ost und West im durchschnitt- Bei den Gewerkschaftsmitgliedschaften dass die politischen Parteien innerhalb
405
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.2 / Politische Integration und politisches Engagement
4,0 2 500
2 250
3,5
2 000
3,0
1 750
2,5
1 500
2,0 1 250
1 000
1,5
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2014
in % Anteil Parteimitglieder an den Wahlberechtigten (linke Skala) Mitgliederzahlen in 1 000 (rechte Skala)
Datenbasis: Niedermayer, Oskar: Parteimitglieder in Deutschland: Version 2015. Arbeitshefte a. d. Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 25, FU Berlin 2015.
von zweieinhalb Jahrzehnten etwa eine traditionellen, institutionalisierten For- Bürgern ohne und mit Hochschulab-
Million und damit etwa 40 % ihrer Mit- men der Beteiligung in den vergangenen schluss. Zusammengenommen mit dem
glieder verloren haben. 1990 waren noch zwei Jahrzehnten deutlich zurückgegan- Befund, dass traditionelle institutionali-
3,8 % der Wahlberechtigten in politi- gen ist. Interessengruppen und Parteien sierte Formen der politischen Beteiligung
schen Parteien organisiert, 2014 waren verlieren an Mitgliederattraktivität. An- an Attraktivität für die Bürger verlieren
es nur noch 2 %. u Abb 6 dererseits haben nicht-institutionalisierte und sich das Ausmaß politischer Integra-
Nimmt man alle Interessenorganisa- Formen politischer Beteiligung nicht an tion in die institutionalisierte Politik ab-
tionen einschließlich der Gewerkschaften Bedeutung verloren. Politik spielt für die geschwächt hat, ist das ein Warnsignal
und politischen Parteien zusammen, sind Bürger nach wie vor eine große Rolle, ein für Politik und Gesellschaft.
das drastische Entwicklungen, die die vollständiger Rückzug findet nicht statt.
Frage aufwerfen, ob und inwieweit pri- Das politische Interesse erreichte in Ost
mär auf die politische Interessenver und West einen Höchststand. Dass sich
tretung und -vermittlung ausgerichtete die Unterschiede zwischen Ost und West
O rganisationen zukünftig noch in der ebenso wie die zwischen Jüngeren und
Lage sein werden, ihren Beitrag zur poli- der Gesamtbevölkerung vermindern
tischen Willensbildung und politischen oder sogar ganz zu verschwinden schei-
Integration zu leisten. nen, ist positiv zu vermerken. Ein negati-
ver Befund ist allerdings, dass Teilhabe
13.2.3 Zusammenfassung an den Aktionsformen und Integration
Zusammengefasst verweisen die Ergeb- in die Organisationen stark sozial ge-
nisse einerseits darauf, dass der Grad schichtet sind. Darauf verweisen die
p olitischer Integration bezogen auf die b eträchtlichen Unterschiede zwischen
406
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 13.3 Demokratie und politische Partizipation / 13
407
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat
Westdeutschland Ostdeutschland
1991 2000 2005 2006 2008 2014 1991 2000 2005 2006 2008 2014
»Unentschieden« 11 5 9 8 11 5 23 14 14 25 21 9
Datenbasis: Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie, Band 9: 560 (Jahr 1991); Konsolidierung der Demokratie in Mittel- und Osteuropa 2000;
Bürger und Gesellschaft 2005; European Social Survey – Deutsche Teilstudie 2006, 2008; Everhard Holtmann u.a., Deutschland 2014,
Zentrum für Sozialforschung Halle e.V., 2015: 189.
80
13.3.2 Zufriedenheit mit dem
70 Funktionieren der Demokratie in
Deutschland
60
Ein etwas anderes Bild zeigt sich bezüg-
50 lich der Zufriedenheit mit dem Funktio-
nieren der Demokratie in Deutschland.
40 Diese Einstellung bezieht sich weniger
30
auf die Verfassungsnorm, das heißt die in
der Verfassung implementierte Form der
20 Demokratie, als vielmehr auf die Verfas-
sungsrealität oder die Wirklichkeit der
10
Demokratie in Deutschland. In die Beur-
0 teilung dieser Verfassungsrealität können
1990 1995 2000 2005 2010 2015 verschiedene Aspekte eingehen. Insbe-
Westdeutschland Ostdeutschland sondere das Funktionieren institutionel-
ler Mechanismen (zum Beispiel der Aus-
1 Fragestellung: »Sind Sie mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, tausch von Regierung und Opposition
alles in allem gesehen sehr zufrieden, ziemlich zufrieden, ziemlich unzufrieden oder völlig unzufrieden?«;
Anteil »sehr zufrieden«, »ziemlich zufrieden«. und die Gewährleistung der Gleichheit
Datenbasis: Eurobarometer 1991– 2015.
vor dem Gesetz), die Handlungen der
Regierenden (zum Beispiel Berücksichti-
gung von Interessen verschiedener Bevöl-
kerungsgruppen, Amtsmissbrauch) und
die Ergebnisse dieses Handelns (zum Bei-
spiel wirtschaftliche und sozialpolitische
weil die Zustimmung in Ostdeutschland 2014 liegt die Zustimmung in Ostdeutsch- Leistungen) dürften bei der Beurteilung
etwas abnimmt. Im Jahr 2006 beträgt die land bei 82 %, in Westdeutschland bei des Funktionierens der Demokratie eine
Differenz 26 Prozentpunkte. Dabei han- 90 %. Die Differenz zwischen Ost- und Rolle spielen.
delt es sich jedoch um keinen längerfristi- Westdeutschen hat sich somit auf 8 Pro Die in Abbildung 1 präsentierten Zeit-
gen Trend, denn ab 2008 steigt in Ost- zentpunkte reduziert. u Tab 1 reihen für die Zufriedenheit mit dem
deutschland die Zustimmung zur Demo- Im Jahr 2014 sieht also nach wie vor Funktionieren der Demokratie in Deutsch-
kratie als Staatsform wieder an. Nach den eine klare Mehrheit der deutschen Bürger land zeigen eine deutliche Differenz zwi-
letzten verfügbaren Daten aus dem Jahr die Demokratie allgemein als die beste schen Ost- und Westdeutschland. Im Zeit-
408
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 13.3 Demokratie und politische Partizipation / 13
raum zwischen 1991 und 2015 ist im Wes- u Abb 2 Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie
409
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat
Zunahme der Zufriedenheit mit dem Die Demokratiezufriedenheit in West- deutschen? Die skeptischere Einstellung
Funktionieren der Demokratie ab. Der deutschland rangiert deutlich über dem der Bürger im Osten Deutschlands kann
Abstand zwischen West- und Ostdeut- westeuropäischen Durchschnitt. Lediglich zum einen damit erklärt werden, dass sie
schen schwankt ebenfalls, aber hier ist in den skandinavischen Ländern, in ihre Interessen zu wenig berücksichtigt
kein eindeutiger Trend auszumachen. Luxemburg und in den Niederlanden ist sehen und ihre soziale und ökonomische
25 Jahre nach der deutschen Vereinigung die Zufriedenheit mit dem Funktionieren Lage schlechter beurteilen. Eine andere
gibt es keine Hinweise darauf, dass sich der Demokratie noch höher. Demgegenüber Erklärung könnte darin liegen, dass die
mit zunehmenden Erfahrungen der liegt die Zufriedenheit mit dem Funktio- Bürger im Osten Deutschlands zwar
Ostdeutschen mit der Demokratie die nieren der Demokratie in Ostdeutschland mehrheitlich die Demokratie als Staats-
Kluft in der Demokratiezufriedenheit deutlich unter dem Durchschnitt der west- form befürworten, aber ein anderes
zwischen Ost- und Westdeutschen ver- europäischen Länder. Niedrigere Zufrieden- Demokratiemodell präferieren als dasje-
ringert hat. heitswerte weisen lediglich die von der EU- nige, das in Deutschland realisiert ist.
Wie ist die Zufriedenheit mit dem Staatsschuldenkrise besonders betroffenen Einen Hinweis auf das Vorliegen eines
Funktionieren der Demokratie in Deutsch- südeuropäischen Länder auf. Vergleicht solchen anderen Demokratiemodells gibt
land einzuschätzen? Darüber kann ein man Ostdeutschland hingegen mit den die Antwort auf die Frage nach dem Sozi-
Vergleich mit den anderen 27 Mitglieds- a nderen osteuropäischen EU-Mitglieds alismus. Um so weit wie möglich Assozi-
ländern der Europäischen Union (EU) ländern, so liegt der Wert der Ostdeutschen ationen mit dem realsozialistischen Sys-
Aufschluss geben. Die Daten aus dem über dem Durchschnitt dieser Länder. tem der früheren DDR zu vermeiden,
Frühjahr 2015 zeigen zudem, wie sich wird allgemein danach gefragt, ob der
die Staatsschuldenkrise auf die Demo 13.3.3 Einstellung zum Sozialismus Sozialismus eine gute Idee sei, die nur
kratiezufriedenheit der Bürger in den an- Warum sind die Ostdeutschen deutlich schlecht ausgeführt worden sei.
deren EU Mitgliedsländern ausgewirkt unzufriedener mit dem Funktionieren der Aus Abbildung 3 wird ersichtlich, dass
hat. u Abb 2 Demokratie in Deutschland als die West- der Sozialismus als Idee über den gesam-
ten Zeitraum von 1991 bis 2010 in Ost-
deutschland erheblich stärker befürwor-
tet wird als in Westdeutschland. Im Osten
Deutschlands halten durchschnittlich
uAbb 3 Positive Einstellung zum Sozialismus1 1991– 2010 76 % der Bürger den Sozialismus für eine
— Zustimmung in Prozent gute Idee, die nur schlecht ausgeführt
wurde. Der Anteil in Westdeutschland
liegt immerhin bei durchschnittlich 45 %.
100
Zudem ist im Westen Deutschlands im
90 Jahr 2000 ein Anstieg der Zustimmung zu
verzeichnen, sodass sich die Differenz
80
zwischen beiden Teilen Deutschlands
70
leicht reduziert hat. u Abb 3
Trotz der negativen Erfahrungen mit
60 dem realen Sozialismus in der DDR hal-
ten also rund drei Viertel aller Ostdeut-
50
schen den Sozialismus immer noch für
40 eine gute Idee und diese Einstellung hat
sich zwischen 1991 und 2010 nicht
30 grundlegend verändert. Dies kann als ein
20
Indiz dafür gewertet werden, dass die
Mehrheit der Ostdeutschen das Modell
10 einer sozialistischen Demokratie präfe-
riert. Dieses verbindet zentrale Vorstel-
0
1991 1995 2000 2005 2010
lungen einer liberalen Demokratie wie
die Gewährleistung von Freiheitsrechten
Westdeutschland Ostdeutschland
und kompetitiven Wahlen mit Vorstel-
lungen einer ausgeprägten sozialen Sicher-
1 Zustimmung zur Aussage »Der Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde«.
Datenbasis: ALLBUS 1991, 1992, 1994, 1998, 2000, 2006, 2010. heit und Gleichheit.
410
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 13.3 Demokratie und politische Partizipation / 13
13.3.4 Einstellungen Abweichungen vom Durchschnitt. Ers- mäß unterdurchschnittlich den Sozialis-
verschiedener Bevölkerungs- tens sind in beiden Landesteilen Arbeits- mus. Drittens betrachten in beiden Lan-
gruppen zur Demokratie lose mit der Demokratie als Staatsform desteilen die Anhänger von DIE LINKE
In Tabelle 2 sind die bisher untersuchten sowie mit dem Funktionieren der Demo- den Sozialismus deutlich positiver, wäh-
Einstellungen zur Demokratie und zum kratie in Deutschland unzufriedener; zu- rend Anhänger von CDU/CSU deutlich
Sozialismus nach Geschlecht, Alter, be- dem präferieren die Arbeitslosen im seltener der sozialistischen Idee zu
ruflicher Stellung, ideologischer Orientie- Westen deutlich stärker die Idee des Sozi- stimmen. Zudem erweisen sich die SPD-
rung (Links-Rechts) und Parteipräferenz alismus. Zweitens präferieren sowohl im Anhänger im Osten Deutschlands als
aufgeschlüsselt. Im Westen wie im Osten Westen als auch im Osten ideologisch überdurchschnittlich starke Befürworter
Deutschlands zeigen sich drei auffällige rechtsorientierte Bürger erwartungsge- der Demokratie als Staatsform. u Tab 2
u Tab 2 Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Demokratie 2008, 2010 und 2015 — in Prozent
»Die Demokratie »Sozialismus ist eine gute Idee, »Zufriedenheit mit dem
ist die beste die schlecht Funktionieren der Demokratie
Staatsform.« ausgeführt wurde.« in Deutschland.«¹
Geschlecht
Männer 86 72 44 70 78 50
Frauen 86 64 49 76 76 44
Altersgruppen
18 – 34 Jahre 79 74 42 67 72 45
35 – 59 Jahre 87 65 42 70 78 49
Ab 60 Jahre 89 68 56 80 79 48
Berufliche Stellung
Selbstständige 86 61 45 72 86 53
Abhängig Beschäftigte 86 70 – – 77 52
Beamte – – 41 68 – –
Angestellte – – 40 64 – –
Arbeiter – – 44 73 – –
Arbeitslose 73 56 64 81 52 35
Rentner / Pensionäre 89 68 55 80 79 46
Ideologische Orientierung
Links 88 70 54 81 74 43
Mitte 87 68 46 70 81 56
Rechts 87 69 34 55 76 49
Parteipräferenz
DIE LINKE 76 63 69 87 – –
SPD 92 84 55 76 – –
FDP 96 67 40 59 – –
CDU / CSU 91 77 35 54 – –
411
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat
Auffällig ist die Ähnlichkeit zwischen 13.3.5 Zuständigkeit des Staates troffen. Von 1991 bis 2010 nimmt in
den verschiedenen Altersgruppen in Ost- für soziale Absicherung b eiden Landesteilen die Zustimmung
deutschland. Es wurde erwartet, dass Im Zentrum des bundesrepublikanischen kontinuierlich etwas ab; im Westen
insbesondere die nachwachsenden Ge Sozialstaats steht die soziale Absicherung, Deutschlands sinkt die Zustimmung von
nerationen vom neuen demokratischen die vor allem über Sozialversicherungs- 90 % auf 80 %, im Osten von 98 % auf
System geprägt werden und eine posi systeme wie Renten-, Arbeitslosen-, Un- 87 %. Nach 2010 kehrt sich dieser Trend
tivere Haltung zu diesem System ausbil- fall- und Krankenversicherung geregelt um. Vor allem in Westdeutschland, aber
den. Diese positiven Sozialisationseffek- ist. Die Zustimmung zu diesem soge- auch in Ostdeutschland steigt die Zu-
te haben sich bei den beiden Einstellun- nannten institutionellen Kern des Sozial- stimmung zur staatlichen Zuständigkeit
gen zur Demokratie – Demokratie als staats wird mit der Frage erfasst, ob der für soziale Absicherung wieder an; sie
Staatsform allgemein, Zufriedenheit mit Staat dafür sorgen soll, dass man bei liegt im Jahr 2014 in beiden Landesteilen
der Demokratie in Deutschland – bis- Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im bei circa 90 % und umfasst damit fast alle
lang nicht eingestellt. Ein solcher Gene- Alter ein gutes Auskommen hat. Nach Bürger. Bis 2010 gab es also Anzeichen
rationeneffekt lässt sich jedoch bei der den in Abbildung 4 präsentierten Befun- für eine Reduktion der Ansprüche der
Einstellung zum Sozialismus beobachten. den ist die Zustimmung zu diesem insti- Bürger, und zwar nicht nur im Westen,
In Ostdeutschland präferieren die jünge- tutionellen Kern des Sozialstaats in bei- sondern auch im Osten Deutschlands.
ren Altersgruppen in deutlich geringe- den Teilen Deutschlands über den ge- Ganz offenbar haben die Bürger auf die
rem Maß als die über 60-Jährigen den samten Zeitraum von 1991 bis 2014 sehr Leistungskürzungen und Abbaumaßnah-
Sozialismus. Dies könnte als Hinweis stark ausgeprägt. Sie liegt in West- men temporär mit einer zumindest leich-
d arauf gewertet werden, dass die Zu- deutschland bei durchschnittlich 86 %; in ten Reduktion ihrer Ansprüche reagiert.
stimmung zum Sozialismus in Ost- Ostdeutschland wird dieser Wert mit Die gegenläufige Entwicklung der An-
deutschland bei den nachwachsenden durchschnittlich 93 % sogar noch über- sprüche nach 2010 markiert, dass die
Generationen verblasst, die keine oder
vergleichsweise weniger direkte persön
47 %
liche Erfahrungen mit dem alten sozia-
listischen System gemacht haben.
D asselbe Muster zwischen den Alters-
gruppen lässt sich aber auch in West-
deutschland beobachten. Hier befürwor-
ten die jüngeren Altersgruppen ebenfalls der Ostdeutschen waren im Jahr
weniger stark den Sozialismus als die 2015 mit dem Funktionieren der
Demokratie zufrieden. In West
über 60-Jährigen. In diesem Fall dürfte deutschland waren es 77 %.
jedoch ein anderer Erklärungsmechanis-
mus greifen, und zwar ein zunehmender
Konservativismus der nachwachsenden
Generationen in Westdeutschland.
Zusammenfassend kann festgehalten
werden, dass in Ost und West die Ar-
beitslosen der Demokratie – der Demo-
kratie als Staatsform allgemein und der
Demokratie in Deutschland – vergleichs-
weise kritischer gegenüberstehen. Trotz
der unterdurchschnittlichen Werte be-
fürwortet eine Mehrheit der Arbeits
losen in Ost- und Westdeutschland aber
nach wie vor die Demokratie als Staats-
form. Im Vergleich zur Demokratie ist
die Einstellung zum Sozialismus strit
tiger, hier stehen sich vor allem ideo
logisch Rechte und Linke sowie Anhän-
ger rechter und linker Parteien gegen-
über.
412
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 13.3 Demokratie und politische Partizipation / 13
Bürger zu einer weiteren Anpassung ihrer u Abb 4 Zuständigkeit des Staates für soziale Absicherung1 1991– 2014 — in Prozent
Ansprüche nach unten nicht mehr bereit
sind und die staatliche Verantwortung
wieder stärker einfordern. u Abb 4 100
413
13 / Demokratie und politische Partizipation 13.3 / Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat
mung zu diesem Aufgabenbereich von erreicht über 87 %. Ganz offenbar begeg- deutschen mit einer sehr viel stärkeren
47 % im Jahr 2002 kontinuierlich bis auf nen die Bürger der steigenden Ungleich- Anspruchszunahme reagieren. Zwischen
70 % im Jahr 2010 zu. In Ostdeutschland, heit und der damit verbundenen Debatte 2002 und 2012 nehmen die Ost-West-Dif-
wo bereits im Jahr 2002 mit 76 % die um soziale Gerechtigkeit mit zunehmen- ferenzen daher ab. Im letzten Erhebungs-
überwiegende Mehrheit der Bürger dieser den Forderungen nach staatlichen Akti- jahr 2012 sind die Ansprüche der Ost-
Aufgabe zustimmt, steigt die Zustim- vitäten zur Reduktion der Einkommens- deutschen aber nach wie vor größer als
mung ab dem Jahr 2004 ebenfalls an und unterschiede. Auffällig ist, dass die West- die der Westdeutschen.
u Tab 3 Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Rolle des Staates 2012 und 2014 — in Prozent
»Der Staat muss dafür sorgen, dass man auch bei »Sollte der Staat Maßnahmen ergreifen,
Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter um Unterschiede in den Einkommens-
ein gutes Auskommen hat.«¹ niveaus zu reduzieren?«²
2014 2012
West Ost West Ost
Insgesamt 89 91 70 87
Geschlecht
Männer 88 91 70 84
Frauen 90 91 71 88
Altersgruppen
18 – 34 Jahre 93 94 70 81
35 – 59 Jahre 88 89 69 84
Ab 60 Jahre 87 92 72 91
Berufliche Stellung
Selbstständige 80 81 59 70
Abhängig Beschäftigte . . 70 85
Beamte 92 93 . .
Angestellte 88 88 . .
Arbeiter 93 93 . .
Arbeitslose 97 94 70 90
Rentner / Pensionäre 87 93 75 93
Ideologische Orientierung
Links 92 93 77 88
Mitte 87 91 68 85
Rechts 86 86 63 81
Parteipräferenz
DIE LINKE 98 95 90 93
SPD 91 90 80 89
FDP 75 88 / /
CDU / CSU 88 87 62 83
414
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat / 13.3 Demokratie und politische Partizipation / 13
415
42 %
der Männer im Osten glaubten 2012,
dass sich Vollzeit erwerbstätige Väter
nicht ausreichend um ihre Kinder
kümmern können. Im Vergleich dazu
waren »nur« 30 % der Frauen dieser
Meinung.
26 %
der Bevölkerung im Westen
nannten 2014 den »Schutz des
Rechtes auf freie Meinungs
äußerung« als wichtigstes Ziel.
Im Osten waren es hingegen
nur 14 %.
53 %
der über 65-Jährigen im Westen waren 2012
der Meinung, es sei besser, wenn die Ver- 38 %
antwortung für den Haushalt hauptsächlich
bei der Mutter liegt, auch wenn beide Eltern
erwerbstätig sind. der über 65-Jährigen im Osten
waren der g
leichen Meinung.
14
Werte und
Einstellungen
14.1 Für das subjektive Wohlbefinden sind die
persönlichen Wertorientierungen, An-
Handlungsentscheidungen und deren
Rechtfertigung in einer Gesellschaft, wo-
Wertorientie- sprüche und Erwartungen von großer Be- bei theoretisch davon ausgegangen wird,
rungen, deutung. Sie definieren den Bezugsrahmen,
innerhalb dessen die bestehenden Lebens-
dass in den letzten Jahrzehnten ein
Wertew andel stattgefunden hat. Es gibt
Ansprüche und umstände und -bedingungen beurteilt verschiedene Typologien von Werten. Die
Erwartungen werden. Wertorientierungen und individu-
elle Erwartungen sind keine unveränderli-
Wertewandeltheorie von Ronald Ingle-
hart, die hier zugrunde gelegt wird, wur-
chen Größen, sondern unterliegen dem ge- de kontrovers diskutiert, lässt sich dank
Angelika Scheuer sellschaftlichen Wandel und den sich wan- einer breiten Datenbasis aber für lange
GESIS Mannheim delnden wirtschaftlichen Bedingungen. In Zeiträume untersuchen. Inglehart postu-
diesem Kapitel soll untersucht werden, wie liert für die westlichen Industrieländer
sich die Wertorientierungen, Ansprüche eine Abwendung von materialistischen
WZB / SOEP
und Zukunftserwartungen der Menschen Werten – dem Streben nach Wohlstand –
in Ost- und Westdeutschland seit 1990 ver- und eine Zuwendung zu postmateria
ändert haben. Untersucht wird dazu der listischen Werten, die über den materia-
Wertewandel von materialistischen zu listischen Wohlstand hinausgehen und
postmaterialistischen Werten, der nach vor allem im Bereich der Selbstverwirk
Ronald Inglehart in allen westlichen Län- lichung und der Bürgerbeteiligung liegen.
dern stattfindet und unter anderem auf Der Wertewandel wird anhand von zwei
einem stetig steigenden Wohlstand beruht. Hypothesen erklärt: der Mangelhypo
Parallel wird betrachtet, wie sich die Wahr- these, nach der mit Befriedigung der
nehmung der wirtschaftlichen Rahmenbe- grundlegenden materialistischen Bedürf-
dingungen in den letzten Jahren verändert nisse die Neigung zu »höheren« Werten
hat. Die Gegenüberstellung beider Entwick- zunimmt, und der Sozialisationshypo-
lungen erlaubt Einblicke in die Grundlage these, nach der im Wohlstand aufwach-
des Wertewandels in Deutschland und die sende Generationen stärker postmateria-
aktuelle Befindlichkeit der Deutschen. listische Werte entwickeln als »Mangel-
generationen«.
14.1.1 Materialistische und Der Inglehart-Index erfasst Werteprio-
postmaterialistische Werte ritäten, indem er die Befragten aus zwei
Gesellschaftliche Wertorientierungen materialistischen Zielen – »Aufrechter
haben einen entscheidenden Einfluss auf haltung von Ruhe und Ordnung« und
417
14 / Werte und Einstellungen 14.1 / Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen
»Kampf gegen steigende Preise« – und Die ALLBUS-Studien erheben den In beiden Teilen Deutschlands war
zwei postmaterialistischen Zielen – Inglehart-Index seit 1980 und ermögli- den Bürgern bis zur Jahrtausendwende
»Schutz des Rechtes auf freie Meinungs- chen somit die Untersuchung des Werte- die »Aufrechterhaltung von Ruhe und
äußerung« und »Mehr Einfluss der Bürger wandels in Deutschland in den letzten Ordnung« – also ein materialistisches
auf die Entscheidungen der Regierung« – drei Jahrzehnten. Insbesondere der Ver- Ziel – am wichtigsten (siehe Tabelle 1).
das wichtigste und das zweitwichtigste gleich von Ost- und Westdeutschland Sprachen sich Anfang der 1980er-Jahre
Ziel auswählen lässt. Wählt ein Befragter bietet die Möglichkeit zu beobachten, ob noch rund die Hälfte der Westdeutschen
die beiden materialistischen Ziele aus, unterschiedliche Lebensumstände ver- dafür aus, waren es in den 1990er-Jahren
wird er als »Materialist« eingestuft; wählt schiedene Werteprioritäten bedingen rund 40 % und im Jahr 2014 noch 29 %.
er die beiden postmaterialistischen Ziele beziehungsweise ob die Angleichung des In Ostdeutschland nannten zu B eginn
aus, wird er als »Postmaterialist« bezeich- Lebensstandards auch zu einer Annähe- der 1990er-Jahre über 50 % der Befragten
net. Ist das wichtigste Ziel ein materia rung der Wertestrukturen führt. Im Fol- die »Aufrechterhaltung von Ruhe und
listisches und das zweitwichtigste ein genden wird zunächst die Wichtigkeit der Ordnung« als mit Abstand wichtigstes
postmaterialistisches, handelt es sich um vier Ziele einzeln im Zeitverlauf betrach- Ziel, jedoch sank die Zahl rasch auf 39 %
einen »materialistischen Mischtyp«, im tet und anschließend die Verteilung der im Jahr 2000 und 32 % im Jahr 2014 ab.
umgekehrten Falle um einen »postmate- Wertetypen in der Bevölkerung und In beiden Teilen Deutschlands gab dieses
rialistischen Mischtyp«. deren Veränderung beleuchtet. materialistische Ziel nach der Jahrtausend-
West Ost
Aufrecht Mehr Einfluss Schutz des Aufrecht Mehr Einfluss Schutz des
Kampf gegen Kampf gegen
erhaltung der Bürger auf Rechtes auf erhaltung der Bürger auf Rechtes auf
die steigenden die steigenden
von Ruhe und Entscheidungen freie Meinungs- von Ruhe und Entscheidungen freie Meinungs-
Preise Preise
Ordnung der Regierung äußerung Ordnung der Regierung äußerung
1980 48 22 16 15 . . . .
1982 51 19 16 14 . . . .
1984 39 18 24 19 . . . .
1986 46 8 26 21 . . . .
1988 42 9 24 25 . . . .
1990 37 8 34 22 . . . .
1991 36 8 33 24 52 9 32 8
1992 37 14 31 19 50 11 35 5
1994 41 9 34 17 55 7 34 5
1996 40 7 31 23 54 6 33 7
1998 42 12 27 20 47 12 33 9
2000 39 7 36 19 39 11 40 10
2002 31 15 31 23 37 15 36 11
2004 32 15 37 17 29 14 46 11
2006 34 16 33 18 31 15 42 12
2008 27 24 30 21 27 28 35 10
2010 28 10 42 21 27 12 46 15
2012 30 9 34 27 32 13 40 15
2014 29 10 36 26 32 9 45 14
. Zahlenwert unbekannt.
Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014.
418
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen / 14.1 Werte und Einstellungen / 14
wende den ersten Rang an ein postmate- u Abb 1 Entwicklung der Anteile reiner Materialisten, reiner Postmaterialisten und
rialistisches Ziel ab, nämlich »Mehr Ein- deren Mischtypen in Deutschland zwischen 1980 und 2014 — in Prozent
fluss der Bürger auf die Entscheidungen
Westdeutschland
der Regierung«. Die Westdeutschen
nannten dieses Ziel mit 36 % im Jahr 1980 13 17 31 38
2014 doppelt so häufig wie Anfang der
1982 14 16 31 38
1980er-Jahre (16 %); in Ostdeutschland
belegte es zu Beginn der Messung gleich 1984 22 21 28 29
419
14 / Werte und Einstellungen 14.1 / Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen
im gleichen Zeitraum einen Zuwachs Abstand zwischen diesen verringerte (siehe terschieden sich die Anteile jedoch deut-
von 40 auf 60 %. Entgegen dem Groß- Abbildung 2). Danach schwankten die An- lich: Während jeder Fünfte ohne Abschluss
trend zu postmaterialistischen Werten teile auf stabilem Niveau, bis sie 2010 in ein Materialist war, traf dies nur auf rund
erhielten materialistische Werte vor allem a llen Kohorten erneut stark abfielen. Ab jeden Zwanzigsten mit Fach- oder Hoch-
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten grö- diesem Zeitpunkt zählten rund 10 % aller schulreife zu (nicht dargestellt). Die Ent-
ßeren Zuspruch: im Westen Deutsch- nach 1945 Geborenen zu den Materialisten. wicklung der Postmaterialisten in den Al-
lands zeigte sich dies Anfang der 1980er- Frauen waren marginal häufiger Materia- terskohorten zeigt ein weitgehend komple-
Jahre, in den späten 1990er- und in den listen als Männer. Nach Bildungsgrad un- mentäres Bild. So unterschieden sich die
mittleren 2000er-Jahren; im Osten
Deutschlands in den gesamten 1990er-
Jahren sowie im Krisenjahr 2008.
Insgesamt verschob sich das Verhält-
nis der Prioritäten im Westen Deutsch-
lands von 70:30 zugunsten materialisti- u Abb 2 Anteile von reinen Materialisten und Postmaterialisten
scher Werte im Jahr 1980 zu etwa 40:60 nach Geburtskohorten in Deutschland 1980 – 2014 — in Prozent
zugunsten postmaterialistischer Werte
im Jahr 2014. Im Osten Deutschlands be-
Materialisten
gann die Entwicklung im Jahr 1991 mit
60
dem Verhältnis 60:40 zugunsten materia-
listischer Werte und lag im Jahr 2014, wie
50
in Westdeutschland, bei 60:40 zugunsten
postmaterialistischer Werte. Seit 2004 lag 40
der Gesamtanteil beider postmaterialis
tischen Typen im Osten in etwa gleichauf 30
mit dem im Westen. Der Anteil der reinen
Postmaterialisten blieb in Ostdeutsch- 20
land weiterhin geringer als in West-
deutschland, jedoch hat sich der Abstand 10
zwischen beiden Teilen Deutschlands
verringert. Der Rhythmus der Schwan- 0
1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 2012
kungen lief in West- und Ostdeutschland
zunehmend parallel. Bemerkenswert ist bis 1929 1930–1944 1945 –1959 1960 –1974 1975–1989 ab 1990
der starke Ausschlag zugunsten materia-
listischer Werte im Jahr 2008, der durch
den starken Bedeutungsanstieg der Infla- Postmaterialisten
tionsbekämpfung bedingt war. Bereits 60
420
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen / 14.1 Werte und Einstellungen / 14
nach 1945 geborenen Kohorten nicht im Wertewandel kam bei den Nachkriegs die Bewertung ihrer eigenen Situation zu
Anteil der Postmaterialisten. L ediglich die kohorten somit weitgehend zum Stillstand. erfassen, eignet sich die Frage danach, ob
Kohorte der 1975 bis 1989 Geborenen zeig- Konjunkturelle Schwankungen, die durch sie im Großen und Ganzen ihren »ge-
te 2010 bis 2012 ein nach unten abweichen- die zeitweise Bedeutung bestimmter Poli rechten Anteil« am Wohlstand zu erhal-
des Profil. Die derzeit Mitte 20- bis Ende tikprioritäten (wie Geldwertstabilität oder ten glauben. Bei dieser Einschätzung
30-Jährigen zeichneten sich vorübergehend Einfluss auf Regierungshandeln) verursacht zeigt sich ein stabiler Ost-West-Unter-
durch eine stärkere Neigung zum Material werden, verliefen in der gesamten Nach schied: Im Westen Deutschlands meinten
ismus aus, schlossen jedoch in der jüngsten kriegsbevölkerung gleichermaßen. u Abb 2 konstant zwei Drittel der Befragten, ih-
Erhebung wieder zu den übrigen Nach ren gerechten Anteil oder mehr zu erhal-
kriegskohorten auf. Ein deutlicher Abstand 14.1.2 Ansprüche an den Lebens- ten, gegenüber einem Drittel, das seinen
kann weiterhin zwischen Vorkriegs- und standard und ihre Erfüllung Anteil nicht als gerecht einschätzte, wäh-
Nachkriegsgeborenen beobachtet werden. Die Bürger beurteilen ihre persönliche rend im Osten Deutschlands dieses Ver-
Der durch Generationswechsel bedingte Situation im Vergleich mit anderen. Um hältnis umgekehrt war. Im Jahr 2014 be-
werteten jedoch mit 43 % deutlich mehr
Ostdeutsche ihren Anteil als gerecht als
in den Vorjahren (siehe Abbildung 3).
Damit reduzierte sich erstmals seit den
1990er-Jahren der Abstand zwischen
West- und Ostdeutschland leicht. Die Be-
u Abb 3 Gerechtigkeitsbewertung: eigener Anteil an der Verteilung des Wohl- völkerung reagierte in beiden Landestei-
stands ist »gerecht« oder »mehr als gerecht« 1992 – 2014 — in Prozent len mit parallelen Schwankungen auf die
sich wandelnden Rahmenbedingungen.
Im Jahr 2004, als Deutschland noch als
der »kranke Mann Europas« galt, ebenso
65 wie im Jahr 2008, als die Finanzkrise sich
1992
19
negativ auf die deutsche Wirtschaft aus-
67
wirkte, nahm in West- und Ostdeutsch-
1996 land der Anteil derjenigen ab, die ihren
38
gerechten Anteil oder mehr zu erhalten
2000
68 meinten. Seit 2008 stieg die Zahl derer,
37
die ihren Anteil am Wohlstand mindes-
tens als gerecht bezeichneten, in beiden
68
2002
40 Teilen Deutschlands stetig an. Die starke
wirtschaftliche Lage in Deutschland ließ
61 den Anteil der Zufriedenen in der Bevöl-
2004
32
kerung steigen. u Abb 3
Betrachtet man die Veränderungen in
66
2006
37 verschiedenen Bevölkerungsgruppen in
den Jahren 1992, 2004 und 2014, so zeigt
60 sich, welche gesellschaftlichen Positionen
2008
32 sich positiv beziehungsweise negativ auf die
Zufriedenheit auswirkten. Ein Vergleich
64
2010
36
der Altersgruppen zeigt in Westdeutsch-
land eine Veränderung (siehe Tabelle 2).
68 Nachdem sich die Altersgruppen lange
2014
43 nicht in der Bewertung ihres Anteils am
Wohlstands unterschieden, nahm der An-
teil derjenigen, die sich mit einem gerech-
Westdeutschland Ostdeutschland
ten Anteil am Wohlstand beteiligt sahen, in
der ältesten Altersgruppe (66 Jahre und
älter) in den letzten Jahren deutlich zu. In
Datenbasis: ALLBUS 1992 – 2014. Ostdeutschland beurteilte zudem auch die
421
14 / Werte und Einstellungen 14.1 / Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen
u Tab 2 Gerechtigkeitsbewertung¹ des »eigenen Anteils« am Wohlstand in Deutschland 1992, 2004 und 2014 — in Prozent
Westdeutschland Ostdeutschland
1992 2004 2014 1992 2004 2014
Gesamt 65 61 68 19 32 43
Geschlecht
Männer 67 62 70 19 34 47
Frauen 63 61 67 18 30 39
Alter
18 – 34 Jahre 64 60 66 19 37 46
35 – 49 Jahre 65 61 67 16 30 41
50 – 65 Jahre 65 63 67 18 28 40
Ab 66 Jahre 64 61 77 24 36 47
Erwerbsstatus
Erwerbstätig 68 63 67 20 33 44
Schüler / Student 79 78 88 / 69 81
Rentner 63 60 74 22 34 43
Arbeitslos 45 40 44 10 13 11
Hausfrau /-mann 61 61 60 / / /
Familienstand
Ledig 66 61 65 20 33 40
Verheiratet 67 63 73 18 33 47
Verwitwet 58 58 76 22 39 49
Geschieden 49 47 41 14 20 22
Wertetypen
Materialisten 60 51 50 14 26 37
Materialistischer Mischtyp 61 63 70 24 35 41
Postmaterialistischer Mischtyp 62 62 70 16 27 42
Postmaterialisten 77 66 72 21 45 53
1 Frage: »Im Vergleich dazu, wie andere hier in Deutschland leben: Glauben Sie, dass Sie Ihren gerechten Anteil erhalten, mehr als Ihren gerechten Anteil, etwas weniger oder viel weniger?«
/ Fallzahlen zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1992, 2004, 2014.
jüngste Altersgruppe (18–34 Jahre) ihren Anteil als gerecht ansahen. Demgegenüber der Benachteiligung bei den Arbeitslosen
Anteil häufiger als gerecht als die mittleren bewerteten vor allem im Osten nur wenige besonders festgesetzt; neun von zehn
Altersgruppen. Während die Unterschiede Arbeitslose ihren Anteil als gerecht. Im ostdeutschen Arbeitslosen bezeichneten
nach Alter und Geschlecht ansonsten Westen bezeichneten auch Hausfrauen 2014 ihren Anteil am Wohlstand als
gering ausfielen, variierten sie deutlich und Hausmänner ihren Anteil seltener als weniger als gerecht. Im Westen Deutsch-
nach Erwerbsstatus. Vergleicht man die Er- andere Erwerbsgruppen als gerecht. lands empfanden sich demgegenüber nur
werbsgruppen mit der jeweiligen Gesamt- In Ost- und Westdeutschland und zu drei von fünf Arbeitslosen als übervor-
bevölkerung, sahen Erwerbstätige in Ost allen drei Zeitpunkten glaubten zwei teilt. Die Geschiedenen sahen ihren An-
und West durchschnittlich einen gerechten Gruppen besonders häufig, weniger als teil am Wohlstand sowohl in Ost- als
Anteil, während Rentner im Westen und den gerechten Anteil zu erhalten: die auch in Westdeutschland als zu gering
Schüler und Studierende in beiden Landes- A rbeitslosen und die Geschiedenen. Im an, jedoch trat der Abstand zum Durch-
teilen überdurchschnittlich häufig ihren Osten Deutschlands hat sich das Gefühl schnitt im Westen Deutschlands deut
422
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen / 14.1 Werte und Einstellungen / 14
Gesamt 71 71 87 85 89 83 76
Erwerbstätige 72 69 87 85 88 84 77
Rentner 66 69 88 88 90 83 80
Arbeitslose 81 81 88 93 91 88 88
Schüler / Student 61 57 82 68 82 60 57
Hausfrauen / -männer 61 57 82 84 93 85 73
Ost
Gesamt 66 81 94 89 94 86 83
Erwerbstätige 63 80 92 87 92 85 80
Rentner 69 82 96 93 94 86 86
Arbeitslose 74 89 98 91 96 95 91
Schüler / Student / / / / / / /
Hausfrauen / -männer / / / / / / /
/ Fallzahlen zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1992, 2000, 2004 – 2012.
licher hervor. Die Gerechtigkeitsbewer- stärker ausgeprägt war als im Westen. In- zeigten sich hier starke Schwankungen.
tungen fielen auch bei den Wertetypen, des zeigt die Kurve für die letzten beiden Im Jahr 2008 fiel die Erwartung einer
die der materialistischen Situation un- Befragungszeitpunkte 2010 und 2012 Verbesserung auf ein sehr niedriges
terschiedlich viel Bedeutung beimessen, nach unten: Zuletzt erwarteten »nur« Niveau; lediglich jeder Zehnte in Ost und
verschieden aus: Materialisten sahen ih- noch 76 % der Westdeutschen und 83 % West erwartete eine Verbesserung der
ren Anteil am Wohlstand in Ost und der Ostdeutschen eine Verschlechterung wirtschaftlichen Lage. Überraschend
West deutlich seltener als gerecht an als für die einfachen Leute. Die zeitlichen hellten sich die wirtschaftlichen Zu-
Postmaterialisten, wobei sich der Ab- Schwankungen lassen sich durch alle kunftserwartungen 2010 auf, verdüster-
stand zwischen beiden in jüngster Zeit B evölkerungsgruppen beobachten. Da ten sich jedoch 2012 wieder genauso stark:
sogar noch vergrößert hat. Die Misch rüber hinaus war diese Sorge unter den Wie schon 2008 erwarteten West- und
typen ähnelten im Westen in ihrer Bewer- Arbeitslosen besonders präsent: neun von Ostdeutsche zu 10 % eine Verbesserung,
tung früher eher den Materialisten, heute zehn erwarteten eine Verschlechterung knapp zur Hälfte gleichbleibende Verhält-
eher den Postmaterialisten, während sie der Verhältnisse. Dementgegen hegten nisse und zu 40 % eine Verschlechterung.
im Osten zwischen beiden standen. u Tab 2 westdeutsche Schüler und Schülerinnen Im Jahr 2014 rechneten zwei Drittel der
und Studierende deutlich unterdurch- Deutschen mit einer gleichbleibenden
14.1.3 Zukunftserwartungen schnittlich häufig solche Bedenken. Für Situation, wobei die Übrigen im Westen
Eine recht elementare Reaktion auf Ver- 2014 wurde diese Frage nicht erhoben, mehrheitlich eine Verschlechterung und
änderungen in den Lebensbedingungen doch wäre hier, entsprechend den ande- im Osten mehrheitlich eine Verbesserung
ist die Vermutung, dass »eine Verschlech- ren I ndikatoren, eine geringere Sorge um erwarteten. Trotz guter wirtschaftlicher
terung der Lebensbedingungen für die die Lage der einfachen Leute zu erwar Lage ließ sich in Westdeutschland eine
einfachen Leute« zu erwarten sei. In den ten. u Tab 3 gewisse Skepsis hinsichtlich ihrer Dauer
letzten zehn Jahren zeigten vor a llem die Die Zukunftserwartung zur allge- haftigkeit erkennen. u Abb 4
Krisenjahre 2004 und 2008 deutliche meinen wirtschaftlichen Entwicklung ist Etwas stabiler zeigte sich die Ent-
Ausschläge nach oben, wobei diese Be- naturgemäß ein relativ unbeständiger wicklung der Zukunftserwartungen hin-
fürchtung im Osten Deutschlands noch Indikator. Seit Beginn der Finanzkrise sichtlich der persönlichen wirtschaft
423
14 / Werte und Einstellungen 14.1 / Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen
lichen Lage, weil die Deutschen üblicher- u Abb 4 Zukunftserwartungen der allgemeinen wirtschaftlichen
weise ihre persönliche wirtschaftliche Lage 1992 – 2014 — in Prozent
Zukunft stabiler als die allgemeine wirt-
schaftliche Lage beurteilen und bei Ver-
besserung ebenso wie bei Verschlechte- Westdeutschland
rung der wirtschaftlichen Aussichten für
sich selbst eher gleichbleibende Verhält- 1992 12 42 46
nisse erwarten. Im Jahr 2014 lagen in
Westdeutschland die Erwartungen zu 1996 10 38 52
424
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen / 14.1 Werte und Einstellungen / 14
u Abb 5 Zukunftserwartungen der eigenen wirtschaftlichen krisen derzeit nicht mit steigenden Prei-
Lage 1992 – 2014 — in Prozent sen einhergehen. Stärker materialistische
Befürchtungen würden daher nur partiell
von dem Ziel »Kampf gegen steigende
Preise« aufgenommen werden (dennoch
Westdeutschland
hatte dieses Ziel im Krisenjahr 2008 hohe
1992 17 66 17
Konjunktur). Zu erwarten wäre eher eine
weiter verstärkte Forderung nach mehr
1996 14 67 19 Bürgereinf luss auf die Regierungsent-
scheidungen. Diese Forderung stellt die
1998 16 70 14
eigentliche Herausforderung dar, welche
2000 21 71 8 auch in Zeiten wirtschaftlicher Stabilität
aktuell bleibt.
2002 24 65 11
2004 19 63 18
2006 16 62 22
2008 20 61 19
2010 23 64 13
2012 22 66 13
2014 17 61 22
Ostdeutschland
1992 40 48 12
1996 15 63 22
1998 13 71 16
2000 17 70 13
2002 19 71 10
2004 14 62 24
2006 12 64 24
2008 17 57 26
2010 18 66 16
2012 18 69 13
2014 18 70 10
425
14 / Werte und Einstellungen 14.2 / Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes
426
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes / 14.2 Werte und Einstellungen / 14
427
14 / Werte und Einstellungen 14.2 / Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes
u Tab 1 Vorstellungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau 1982 – 2012 — in Prozent
Ost West
1991 1996 2000 2004 2008 2012 1982 1991 1996 2000 2004 2008 2012
Anteil egalitärer Äußerungen, additiver Index der Aussagen 1– 3
Insgesamt1 67 74 75 86 88 86 32 56 58 61 68 69 76
Geschlecht
Männer 65 75 74 86 86 84 32 56 55 59 67 67 73
Frauen 70 74 77 86 89 87 32 56 60 62 70 70 79
Alter
18 – 30 Jahre 83 86 82 92 94 92 57 73 81 80 84 86 87
31– 45 Jahre 76 84 82 89 91 92 37 66 72 74 84 79 89
46 – 65 Jahre 62 67 73 86 90 87 21 47 45 55 63 73 79
Ab 65 Jahre 34 59 59 74 77 73 10 25 22 28 33 41 46
werbstätigkeit. Hier waren die jüngsten die sich bei den 18- bis 30-Jährigen in im Westen die jüngeren Gruppen deutlich
Befragten in Ostdeutschland weniger ega- West- und Ostdeutschland zwischen 1996 seltener als die älteren negative Konse-
litär eingestellt als ältere Befragte. und 2000 angedeutet hatte, konnte nicht quenzen für die Erziehung der Kinder er-
Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass sich weiter festgestellt werden, da der Anteil warteten, wenn die Frau erwerbstätig ist.
in Ostdeutschland die Einstellungen der egalitärer Einstellungen 2004 und 2008
unterschiedlichen Altersgruppen zur tra- wieder zugenommen hat beziehungswei- 14.2.2 Konsequenzen der Erwerb
ditionellen Rollenverteilung zwischen se in Ostdeutschland konstant geblieben tätigkeit des Mannes für seine Kinder
1991 und 2012 angenähert haben. Betrug ist. Der Trend zu egalitären Werten bei Im Folgenden werden vier ausgewählte
die Differenz bei der Zustimmung 1991 den älteren Generationen war dagegen Aussagen zur Rolle des Mannes in Familie
noch 49 Prozentpunkte zwischen der im Westen über die Zeit ungebrochen. Im und Beruf genauer betrachtet. Diese be-
Gruppe der 18- bis 30-Jährigen und den Osten ließ sich ab 2008 eine Abnahme ziehen sich auf die Konsequenzen der Er-
über 65-Jährigen, so hat sich diese bis 2012 egalitärerer Einstellung feststellen. werbstätigkeit des Mannes für seine Kin-
auf 19 Prozentpunkte verringert. Im Ge- Die Unterschiede zwischen den Alters- der und die Arbeitsteilung zwischen
gensatz dazu haben sich die Einstellungen gruppen im Westen und im Osten in Be- Mann und Frau in der Familie. Die Aus-
der einzelnen Altersgruppen im Westen zug auf die Einschätzung der Konsequen- sagen können den Tabellen 3 und 4 ent-
für den Zeitraum 1982 bis 2012 kaum an- zen der Erwerbstätigkeit der Frau sind über nommen werden.
genähert, sondern waren – mit Ausnahme die Zeit relativ stabil geblieben. Im Osten Die Aussagen in Tabelle 3 beziehen
von 1996 – relativ stabil. Eine Trendwende fanden sich dabei nur geringe Unterschie- sich auf die Konsequenzen der Erwerbs-
hin zu eher traditionellen Vorstellungen, de zwischen den Altersgruppen, während tätigkeit des Vaters für seine Kinder. Bis-
428
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes / 14.2 Werte und Einstellungen / 14
u Tab 3 Konsequenzen der Erwerbstätigkeit des Mannes 2012 — in Prozent verantwortlich die Kinderbetreuung
»Ein Vollzeit erwerbstätiger Vater überließ, sondern diese stark unterstützte.
»Ein Vollzeit erwerbstätiger
kann zu seinem Kleinkind normaler- Männer standen der Erwerbstätigkeit
Vater kann sich nicht aus-
weise ein genauso inniges Verhältnis
reichend um seine Kinder von Vätern kritischer gegenüber als Frau-
haben wie ein Vater, der nicht
kümmern.«
berufstätig ist.« en. Sie stimmten häufiger als Frauen zu,
West Ost West Ost dass sich ein Vollzeit erwerbstätiger Vater
Zustimmung in % 1
nicht ausreichend um die Kinder küm-
traditionell egalitär mern kann. Auch waren weniger männli-
Insgesamt2 45 36 77 87 che Befragte der Ansicht, dass berufstäti-
Geschlecht ge Männer ein genauso inniges Verhältnis
Männer 48 42 74 83 zu den Kindern haben wie nicht berufstä-
Frauen 43 30 80 90 tige Väter. Dieser Geschlechtsunterschied
Verheiratete Frauen3
war im Osten besonders groß, da hier
berufstätig 35 28 78 93
»nur« 30 % der Frauen im Vergleich zu
nicht berufstätig 51 32 85 92
42 % der Männer glaubten, dass sich Voll-
zeit erwerbstätige Väter nicht ausreichend
Verheiratete Männer3
um ihre Kinder kümmern können.
berufstätig 44 44 74 78
Die Betrachtung der Einstellungen von
nicht berufstätig 59 45 81 90
berufstätigen und nicht berufstätigen ver-
Alter
heirateten Frauen zeigt, dass gerade nicht
18 – 30 Jahre 36 31 71 81
berufstätige Frauen mit 85 % im Westen
31– 45 Jahre 39 32 76 86
zu einem größeren Anteil als berufstätige
46 – 65 Jahre 49 38 76 87
Frauen (78 %) der Meinung waren, dass
Ab 65 Jahre 55 40 86 91
Vollzeit erwerbstätige Väter ein gutes Ver-
Bildung hältnis zu ihrem Kind haben können. Im
Hauptschula bschluss 53 40 80 92 Osten stimmten dieser Aussage dagegen
Mittlere Reife/ mit jeweils etwas über 90 % nahezu gleich-
poly-technische 42 37 76 86
Oberschule viele berufstätige Frauen wie nicht berufs-
Abitur/Fachabitur 40 28 76 84 tätige Frauen zu. Nicht berufstätige Frau-
en meinten sowohl im Westen als auch im
1 Anteil »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu«.
2 Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit. Osten zu einem höheren Anteil als berufs-
3 Verheiratet und mit dem Ehepartner zusammenlebend.
Datenbasis: ALLBUS 2012. tätige Frauen, dass Väter, die Vollzeit be-
rufstätig sind, sich nicht ausreichend um
her wurde nur die Einstellung zu Konse- se Ergebnisse sprechen dafür, dass die Be- ihre Kinder kümmern können. Vor allem
quenzen der weiblichen Erwerbstätigkeit fragten wahrnahmen, dass Vollzeiter- im Westen war der Unterschied zwischen
erfasst. Seit 2012 kann man diesbezüglich werbstätigkeit von Vätern zwar zu wenig nicht berufstätigen und berufstätigen
die Einstellungen zu Vater und Mutter Zeit zwischen Vater und Kindern führt, Frauen mit 51 % zu 35 % hoch, im Osten
vergleichen. Die meisten Befragten vor al- aber dadurch nicht zwangsläufig das Ver- mit 32 % zu 28 % vergleichsweise niedrig.
lem in Ostdeutschland waren 2012 der hältnis zwischen Vater und Kindern lei- Hier zeigte sich das traditionellere Rollen-
Meinung, dass sich die Erwerbstätigkeit den muss. Eventuell wird es von Vätern verständnis von Frauen im Westen im
der Mutter nicht negativ auf die Kindes- auch nicht erwartet, sich in hohem Maß Vergleich zum Osten.
entwicklung auswirkt (Tabelle 2). Die Er- um ihre Kinder zu kümmern. u Tab 3 Bei verheirateten Männern zeigte sich
werbstätigkeit des Vaters wurde aller- Wie bei den Einstellungen zur weibli- im Osten und Westen ein ähnliches Bild
dings ambivalent beurteilt. Die meisten chen Erwerbstätigkeit standen Befragte wie bei westdeutschen verheirateten
Befragten stimmten zu, dass »ein Vollzeit im Osten der Erwerbstätigkeit des Vaters Frauen. Nicht berufstätige Ehemänner
erwerbstätiger Vater […] zu seinem Klein- positiver gegenüber als Befragte im Wes- stimmten, im Vergleich zu berufstätigen
kind normalerweise ein genauso inniges ten. Dies lässt sich möglicherweise auf die Ehemännern, zu einem höheren Anteil
Verhältnis haben [kann] wie ein Vater, der in Ostdeutschland weit verbreitete gene- sowohl der Aussage zu, dass ein Vollzeit
nicht berufstätig ist«. Allerdings gaben rationenübergreifende Erfahrung der Ver- erwerbstätiger Vater sich nicht ausrei-
auch viele an, dass »ein Vollzeit erwerbs- einbarkeit von Familie und Beruf und die chend um seine Kinder kümmern kann,
tätiger Vater […] sich nicht ausreichend Familienpolitik der DDR zurückführen, als auch der Aussage, dass ein Vollzeit er-
um seine Kinder kümmern [kann]«. Die- bei der der Staat nicht der Familie haupt- werbstätiger Vater ein genauso inniges
429
14 / Werte und Einstellungen 14.2 / Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes
Verhältnis zu seinen Kindern haben kann Befragten ein Rollentausch-Modell bewer- Modell mit knapp einem Drittel (West)
wie ein nicht berufstätiger Vater. ten, bei dem der Mann zu Hause bleibt und beziehungsweise einem Viertel (Ost) in
Junge Menschen erwarteten bezüg- sich um den Haushalt und die Kinder küm- beiden Landesteilen auf einem relativ
lich der Erwerbstätigkeit von Vätern we- mert, während die Frau Vollzeit erwerbstä- niedrigen Niveau. Männer standen diesem
niger negative Konsequenzen für die tig ist. Zudem bewerteten die Befragten ein positiver gegenüber als Frauen. Erwerbstä-
Kinder als ältere Menschen. Diese sahen eher traditionelles Arbeitsteilungsmodell, tige verheiratete Frauen stimmten dieser
die väterliche Erwerbstätigkeit zu einem bei dem zwar beide erwerbstätig sind, aber Einschätzung seltener zu als nicht berufs-
höheren Anteil als nachteilig für die Va- die Frau für den traditionellen Bereich tätige verheiratete Frauen, wobei die Un-
ter-Kind-Beziehung und waren der Mei- Haushalt und Familie hauptsächlich ver- terschiede bei westdeutschen und ostdeut-
nung, dass Vollzeit erwerbstätige Väter antwortlich ist (Tabelle 4). schen Frauen ähnlich ausfielen. Bei verhei-
sich zu wenig um ihre Kinder kümmern Das Rollentausch-Modell wurde im rateten Männern war der Unterschied
können. Die Unterschiede in den Einstel- Osten und Westen Deutschlands ähnlich zwischen Berufstätigen und nicht Berufs-
lungen waren für die verschiedenen Al- positiv bewertet. Jeweils knapp 94 % der tätigen im Westen sehr deutlich. Während
tersgruppen in Westdeutschland größer Befragten konnten sich gut vorstellen, die berufstätigen Männer in Ost und West
als in Ostdeutschland. Gerade die Grup- dass Frauen die Alleinverdiener und mit 27 % beziehungsweise 28 % nahezu in
pe der über 65-Jährigen unterschied sich Männer für Haushalt und Kinder verant- gleicher Weise dem Arbeitsteilungsmodell
in Westdeutschland stärker von den Jün- wortlich sind. Frauen und Männer beur- zustimmten, befürworteten es im Westen
geren als im Osten − eine Folge des in der teilten dieses Modell ähnlich positiv. Ge- 54 % und im Osten 36 % der nicht berufs-
Nachkriegszeit im Westen verbreiteten ringe Unterschiede bestanden zwischen tätigen Ehemänner. Dies lässt sich eventu-
»traditionellen« Familienmodells. verheirateten Frauen im Osten. Hier zeig- ell gerade bei den Nichtbetroffenen im
Im Hinblick auf den allgemeinbilden- ten berufstätige Frauen eine höhere Zu- Westen auf eine stärkere Verankerung die-
den Schulabschluss zeigt sich, dass im Os- stimmung als nicht berufstätige. Im Wes- ses Arbeitsteilungsmodells als im Osten
ten wie im Westen mit steigendem Bil- ten ließen sich diese Unterschiede nicht zurückführen. Tabelle 3 zeigt zudem, dass
dungsniveau die Zustimmung zu der Aus- feststellen. Männer im Osten und Westen mit zunehmendem Alter der Befragten die
sage, dass sich Vollzeit erwerbstätige Väter stimmten bei eigener Berufstätigkeit dem Zustimmung zu dem Arbeitsteilungsmo-
nicht ausreichend kümmern, sank. Die Zu- Modell stärker zu als Männer, die nicht dell anstieg, wobei dieser Trend im Wes-
stimmung zur Aussage, dass diese Väter berufstätig waren, wobei der Unterschied ten deutlicher ausgeprägt war als im Os-
ein genauso inniges Verhältnis haben kön- im Westen deutlicher ausfiel als im Osten. ten. Im Westen unterschied sich die Grup-
nen wie nicht erwerbstätige Väter, sank Mit Hinblick auf unterschiedliche Al- pe der über 65-Jährigen erneut stark von
ebenfalls mit steigendem Bildungsniveau. tersgruppen sieht man, dass im Westen der Gruppe der Jüngeren. Wie bei den zu-
Es zeigte sich somit, dass in allen be- jüngere Menschen zwischen 18 und 30 vor betrachteten Einstellungen nahm auch
trachteten Gruppen ein hoher Anteil der Jahren am stärksten dem Rollentausch- hier mit steigendem Bildungsniveau die
Personen der Meinung war, dass sich ein Modell zustimmten, während es im Osten Zustimmung zu einem traditionellen Mo-
Vollzeit erwerbstätiger Vater nicht ausrei- Befragte im Alter zwischen 31 und 65 Jah- dell ab. u Tab 4
chend um seine Kinder kümmern kann. ren waren. In Bezug auf den allgemeinbil-
Gleichzeitig war in allen Gruppen auch denden Schulabschluss ergibt sich, dass 14.2.4 Zusammenfassung
die Mehrheit der Befragten der Meinung, mit zunehmendem Bildungsniveau die Seit 1980 werden im ALLBUS die Einstel-
dass ein Vollzeit erwerbstätiger Vater ein Befragten im Westen und im Osten dem lungen zur Rolle der Frau erhoben, seit
genauso inniges Verhältnis zu seinen Rollentausch-Modell eher zustimmten. 2012 auch die Einstellungen zur Rolle der
Kindern haben kann, wie ein Vater, der Die allgemein hohe Zustimmung zum Väter in Familie und Beruf. Der Trend hin
nicht berufstätig ist. Rollentausch-Modell lässt sich möglicher- zu modernen, egalitären Einstellungen
weise dadurch erklären, dass dieses Ar- bezüglich der Erwerbsbeteiligung von
14.2.3 Arbeitsteilung in der Familie beitsteilungsmodell kaum praktiziert wird Frauen war in den letzten Jahren in West-
Das männliche Alleinverdiener-Modell, in und dadurch einen hypothetischen Cha- deutschland für die Rollenvorstellungen
dem der Mann die finanzielle Versorgung rakter aufweist, die Einstellungen hierzu so- und die Konsequenzen der Erwerbstätig-
der Familie übernimmt und die Frau für mit selten auf eigenen Erfahrungen beruhen. keit ungebrochen. In Ostdeutschland hin-
Haushalt und Kinder verantwortlich ist, Das Modell, bei dem die Verantwor- gegen konnte man zwischen 2008 und
verliert in Deutschland zunehmend an Be- tung für Haushalt und Kinderbetreuung 2012 eine Stagnation beziehungsweise
deutung. Dadurch rücken andere Arbeits- auch dann bei der Frau liegt, wenn beide leichte Trendwende zu traditionelleren
teilungsmodelle in der Familie in den Fo- (Ehe-)Partner erwerbstätig sind, wurde im Einstellungen beobachten. Sowohl im
kus. Im ALLBUS 2012 wurden unter ande- Westen stärker befürwortet als im Osten. Hinblick auf die Vorstellungen zur Rol-
rem Einstellungen dazu erfasst, wie die Insgesamt lag die Zustimmung zu diesem lenverteilung zwischen Mann und Frau
430
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes / 14.2 Werte und Einstellungen / 14
als auch im Hinblick auf die Konsequen- gung der Familie verantwortlich ist und der werbstätigkeit der Frauen und die der Män-
zen der Erwerbstätigkeit fand sich in Ost- Mann für Haushalt und Kinder, gut vor- ner im Osten weniger kritisch gesehen
deutschland eine größere Zustimmung zu stellen. Ein Arbeitsteilungsmodell, bei dem wurden als im Westen. Wobei sich die Ein-
egalitären Werten als in Westdeutschland. beide berufstätig sind, die Frau aber haupt- stellungen zur Erwerbsbeteiligung von
Die Einstellungen zur Rolle der Frau verantwortlich ist für Haushalt und Kinder, Frauen zwischen West und Ost stärker un-
haben sich in West und Ost seit der Wie- fand aber im Westen mehr Zustimmung terschieden als die Einstellungen zur Er-
dervereinigung nicht angenähert, viel- als im Osten; bei Männern mehr Zustim- werbsbeteiligung von Männern. In Bezug
mehr haben sich die Unterschiede zwi- mung als bei Frauen und bei nicht berufstä- auf die weibliche Erwerbstätigkeit war der
schen 1991 und 2008 sogar vergrößert, da tigen Ehefrauen und Ehemännern mehr Geschlechtsunterschied vor allem in West-
im Osten die egalitären Einstellungen Zustimmung als bei berufstätigen. Je älter deutschland stark ausgeprägt, wobei Frau-
stärker zugenommen haben als im Wes- die Befragten waren, desto eher stimmten en eine egalitärere Einstellung vertraten.
ten. Erst 2012 kam es bei den Rollenvor- sie diesem Arbeitsteilungsmodell zu. Die Auch die Erwerbstätigkeit der Väter fanden
stellungen zu einer Annäherung zwischen Zustimmung war bei Personen mit hohem Frauen weniger problematisch als Männer.
West- und Ostdeutschland. Dennoch lie- Bildungsabschluss geringer als bei Perso- Generell sahen sie also die Vereinbarkeit
gen die Einstellungen in den beiden Lan- nen mit niedrigerem Bildungsniveau. von Familie und Beruf als weniger proble-
desteilen weiterhin auseinander. In Bezug auf ihre Einschätzung der matisch an als Männer dies taten.
Die meisten Befragten konnten sich die Konsequenzen der Erwerbsbeteiligung un- Die höhere Zustimmung zu egalitären
Umkehr des traditionellen männlichen Al- terschieden sich West- und Ostdeutsche in Werten in Ostdeutschland insbesondere
leinverdiener-Modells hin zu einem Modell, noch stärkerem Maße voneinander. Es bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen
bei dem die Frau für die finanzielle Versor- zeigt sich, dass die Konsequenzen der Er- kann aber nicht mit der Forderung nach
gleichen Erwerbschancen oder nach weib-
licher Selbstentfaltung gleichgesetzt wer-
den. Vielmehr war die Erwerbsbeteiligung
u Tab 4 Einstellungen zur Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau 2012 — in Prozent
der Frau im Osten aufgrund unterschied-
»In einer Familie kann auch »Auch wenn beide Eltern erwerbs-
der Mann für den Haushalt und tätig sind, ist es besser, wenn die
licher sozialpolitischer und ideologischer
die Kinder verantwortlich Verantwortung für den Rahmenbedingungen sowie wegen ökono-
sein, während die Frau Vollzeit Haushalt und die Kinder haupt
erwerbstätig ist.« sächlich bei der Frau liegt.«
mischer Bedingungen weiter verbreitet als
West Ost West Ost im Westen. Offenbar beeinflusste diese Er-
Zustimmung in %1 fahrung nachhaltig die Geschlechterrollen
egalitär traditionell ideologie sowie die Bewertung der Konse-
Insgesamt2 94 94 32 25 quenzen der Frauenerwerbsbeteiligung.
Geschlecht Die Ergebnisse deuten darauf hin,
Männer 93 92 37 29 dass sich die Einstellungen in West und
Frauen 94 95 27 21 Ost bezüglich der Rolle der Frauen und
Verheiratete Frauen 3 Männer in Familie und Beruf weiter an-
berufstätig 95 99 19 12 nähern werden. Gerade bei den jungen
nicht berufstätig 94 95 34 29 Personen waren die Unterschiede zwi-
Verheiratete Männer 3 schen West und Ost nicht so groß wie bei
berufstätig 95 95 28 27 den älteren Personen. Auch der Ausbau
nicht berufstätig 89 92 54 36 der Möglichkeiten der Kinderbetreuung
Alter im Westen, die höhere Erwerbsbeteili-
18 – 30 Jahre 97 91 24 22 gung der Frauen im Westen sowie gene-
31– 45 Jahre 93 96 27 18 rell der Elternzeit auch für Väter, ermög-
46 – 65 Jahre 96 96 27 22 lichen ein egalitäreres Familienmodell.
Ab 65 Jahre 86 90 53 38 Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass
Bildung das Modell eines traditionellen männli-
Hauptschulabschluss 92 93 45 38 chen Alleinverdieners an Wichtigkeit
Mittlere Reife / poly- verliert und Frauen mehr Verantwortung
94 93 28 23
technische Oberschule
Abitur/Fachabitur 95 95 21 16
erfahren, für den Lebensunterhalt zu sor-
gen. Auch ein Modell bei dem nur die
1 Anteil »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu«.
2 Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit. Frau erwerbstätig ist, findet in West- und
3 Verheiratet und mit dem Ehepartner zusammenlebend.
Datenbasis: ALLBUS 2012. Ostdeutschland breite Zustimmung.
431
508 Mill.
Menschen lebten zum Jahresbeginn 2015
in der Europäischen Union.
45 %
32 % aller EU-weiten Entschei-
dungen über Asylanträge
der EU-Haushalte wurden von wurden 2014 positiv
nur einer Person bewohnt. bewertet.
86
Jahre betrug die durchschnitt-
liche Lebenserwartung eines 62 %
2013 in Spanien geborenen
Mädchens. Dies war der höchste
Wert in der EU. der Rumänen, aber nur 25 %
der Griechen hatten 2015 ein
positives Bild von der EU.
15
Deutschland
in Europa
15.1 Deutschland liegt mitten in Europa und
das nicht nur geografisch. Auch kulturell,
den einzelnen Ländern verlief die demo-
grafische Entwicklung jedoch sehr unter-
Leben politisch und wirtschaftlich ist Deutsch- schiedlich: in 12 Ländern sank die Bevöl-
in der land fest in europäische Strukturen ein-
gebettet – Deutschland ist Teil der
kerungszahl, in 16 Ländern stieg sie. Zu
letzteren zählte auch Deutschland, wo sich
Europäischen Europäischen Union (EU), einem Staaten- die Bevölkerungsz ahl im Jahr 2014 um
Union verbund mit mittlerweile 28 Mitglieds-
ländern. Als jüngstes Mitglied trat am
rund 400 000 Einwohner erhöhte. u Tab 1
Wie sich die Gesamtbevölkerung eines
1. Juli 2013 Kroatien bei. u Abb 1 Landes entwickelt, hängt von zwei Fak-
Johanna Mischke toren ab:
15.1.1 Bevölkerung 1. von der natürlichen Bevölkerungsver-
In der EU lebten zum Jahresbeginn 2015 änderung, das heißt der Differenz aus
Destatis
rund 508 Millionen Menschen. Deutsch- Geburtenzahl und Sterbefällen. Ein-
land war mit 81,2 Millionen Einwohne- fluss auf die natürliche Bevölkerungs-
rinnen und Einwohnern der bevölke- veränderung haben neben der Geburten-
rungsreichste, Malta mit rund 430 000 rate auch die steigende Lebenserwar-
Einwohnern der kleinste Mitgliedstaat. tung sowie die Stärke der Jahrgänge im
Die Bevölkerungszahl der EU erhöhte potenziellen Elternalter;
sich in den vergangenen Jahren. Allein im 2. vom Wanderungssaldo, der sich aus der
Laufe des Jahres 2014 ist sie um insgesamt Differenz von Aus- und Einwanderung
1,1 Millionen Menschen angestiegen. In ergibt.
u Info
Die Daten dieses Kapitels stammen, sofern nicht anders angegeben, vom Statistischen Amt der
Europäischen U
nion (Eurostat). In Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten harmonisiert Eurostat
nationale Daten, um die Vergleichbarkeit auf europäischer Ebene herzustellen. Die Zahlen
für Deutschland können dadurch von den nationalen Zahlen in den vorangegangenen Kapiteln
abweichen. Einige der verwendeten Werte waren bei Redaktionsschluss noch vorläufig oder
geschätzt. Zugang zur Eurostat Datenbank und weitere Informationen zu Europa erhalten Sie
unter www.destatis.de/europa
433
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
Gründungsmitglieder
der EU 1952/1958
Beitritt 1973
Beitritt 1981
Beitritt 1986
Beitritt 1995
Beitritt 2004
Beitritt 2007
Beitritt 2013
Beitrittskandidaten
potenzielle
Beitrittskandidaten
Russische
Föderation
Vereinigtes
Königreich
Tschechische
Republik
Turkmenis
1 A ndorra
2 Monaco
Tunesien Syrien
3 Liechtenstein Algerien
4 San Marino Marokko Libanon
5 Montenegro
Israel
6 Kosovo Jordanien
Ägypten
Libyen
Saudi-Arabien
neue Mitglieder Belgien Dänemark Griechenland Portugal Österreich Estland Bulgarien Kroatien
EU-Länder 6 9 10 12 15 25 27 28
insgesamt
434
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
Natürliche die vorherige. Frankreich und Irland er- niedrigen durchschnittlichen Kinderzahlen
Bevölkerungsveränderung reichten 2013 als einzige EU-Staaten mit je Frau haben Folgen: Im Jahr 2014 wurden
Damit die Bevölkerungszahl eines Landes 2,0 Kindern je Frau noch annähernd diesen in der EU rund 5,1 Millionen Kinder gebo-
ohne Wanderungsüberschüsse auf einem Wert. Die geringste Geburtenhäufigkeit ren. Das waren rund eine Million weniger
konstanten Niveau bleibt, muss in hoch verzeichnete Portugal mit 1,2 Kindern je als noch 1984 – obwohl 2014 rund 40 Milli-
entwickelten Ländern jede Frau durch- Frau. In Deutschland lag die zusammenge- onen mehr Menschen als damals in den 28
schnittlich 2,1 Kinder bekommen. Wenn fasste Geburtenziffer bei 1,4 Kindern je heutigen EU-Staaten lebten. In zwölf EU-
die Geburtenziffer darunter liegt, wird jede Frau. Bei diesem niedrigen Wert umfasst Staaten werden mittlerweile weniger Kin-
folgende Generation – und damit auch die die Kindergeneration rund ein Drittel weni- der geboren als Menschen sterben, so zum
Zahl der potenziellen Mütter – kleiner als ger Menschen als die Elterngeneration. Die Beispiel in Deutschland und Italien. u Tab 2
435
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
Männlich Weiblich
Deutschland 2 511
Finnland 78 84
Luxemburg 2 092
Frankreich 79 86
Belgien 2 039
Griechenland 79 84
Zypern 2 034
Irland 79 83
Bulgarien 1 529
Italien 80 85
Niederlande 1 458
Kroatien 75 81
Italien 1 063
Lettland 69 79
Frankreich 977
Litauen 69 80
Griechenland 863
Luxemburg 80 84
Finnland 665
Malta 80 84
Vereinigtes Königreich 513
Niederlande 80 83
Irland 315
Österreich 79 84
Polen 211
Polen 73 81 Lettland 187
Portugal 78 84 Slowenien 187
Rumänien 72 79 Litauen 149
Ungarn 72 79 Slowakei 61
EU
Vereinigtes Königreich 79 83 Portugal 43 1 239
Zypern 80 85
Erst- und Folgeanträge.
EU 78 83
Lebenserwartung 80 Jahren. In Litauen und Lettland waren Doch auch hier gab es von Land zu Land
Die Lebenserwartung ist in allen EU- es mehr als zehn Jahre weniger. In Unterschiede: 86 Jahre lagen im Durch-
Ländern in den vergangenen Jahrzehnten Deutschland hatten neugeborene Jungen schnitt vor einem 2013 in Spanien gebo-
um mehrere Jahre gestiegen. Es gibt aber Aussicht auf 79 Lebensjahre. Frauen ver- renen Mädchen. In Lettland, Bulgarien
deutliche regionale Unterschiede: So hat- zeichneten in allen EU-Ländern eine und Rumänien waren es mehr als sieben
te ein Junge, der 2013 in Italien, Schwe- deutlich höhere Lebenserwartung als Jahre weniger. Neugeborene Mädchen in
den oder Spanien geboren wurde, eine Männer. Im EU-Durchschnitt betrug die Deutschland hatten eine Lebenserwar-
durchschnittliche Lebenserwartung von Differenz im Jahr 2013 mehr als fünf Jahre. tung von 83 Jahren. Die im EU-Vergleich
436
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
u Abb 3 EU-Bevölkerung nach Haushaltstyp 2014 — in Prozent meisten Menschen kamen aus Syrien
(19 %), Afghanistan (7 %) sowie dem
Kosovo (6 %). Hauptzielland innerhalb
der EU war Deutschland mit rund
Haushalte mit Kind(ern) Haushalte ohne Kind 203 000 Asylanträgen im Jahr 2014. Es
31 69 folg ten Schweden (81 300 Anträge),
Italien (64 600 Anträge) und Frankreich
Drei oder mehr Erwachsene (64 300 Anträge). Im Verhältnis zur Ge-
mit Kind(ern)
samtbevölkerung verzeichnete Schweden
5
die höchste Quote mit rund 8 400 Anträ-
Zwei Erwachsene mit Kind(ern) Ein Erwachsener gen je 1 Million Einwohner. In Deutsch-
22
32 land waren es 2 500 Anträge je 1 Million
Einwohner. u Abb 2
Ein Erwachsener mit Kind(ern)
Im Jahr 2014 wurden in erster Instanz
4
rund 358 000 Asyla nträge entschieden,
Zwei Erwachsene
45 % d avon positiv. Die Anerkennungs
29
rate lag damit höher als 2013 (33 %). Die
Chancen auf ein Bleiberecht sind jedoch
Drei oder mehr Erwachsene
höchst unterschiedlich: EU-weit wurden
8
2014 rund 95 % der Anträge von Flücht-
lingen aus Syrien anerkannt, von Flücht-
lingen aus Afghanistan 63 %, aus dem
Kosovo hingegen nur 6 %. Auch Men-
Als Kinder gelten alle unter 18 Jahren sowie zwischen 18 und 24 Jahren, sofern sie in Ausbildung beziehungsweise
nicht arbeitsuchend/erwerbstätig sind und mit mindestens einem Elternteil im Haushalt leben. schen aus anderen Balkanstaaten haben
kaum Aussicht auf Asyl: Die Anerken-
nungsquoten für Flüchtlinge aus den
Balkanstaaten Mazedonien, Serbien sowie
Bosnien und Herzegowina lagen jeweils
unter 5 %.
437
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
15.1.3 Bildung und Forschung Öffentliche Gesamtausgaben Frankreich (5,7 %). Deutschland lag mit
Ein erstklassiges Bildungssystem ist eine für Bildung einem Anteil von 5,0 % des BIP unter
der wichtigsten Voraussetzungen für Den größten Anteil für sein Bildungs dem EU-Durchschnitt von 5,3 %. u Abb 5
Europas Zukunftsfähigkeit in der globa wesen gab 2011 Dänemark mit 8,8 % des
lisierten Welt. Die EU-Mitgliedstaaten BIP aus. Auch andere Nachbarstaaten Frühe Schulabgängerinnen
wenden jedoch sehr unterschiedliche An- Deutschlands investierten überdurch- und -abgänger
teile ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) schnittlich viel, so zum Beispiel Belgien Junge Menschen, die die Schule frühzeitig
dafür auf. (6,6 %), die Niederlande (5,9 %) und auch oder nur mit einem niedrigen Bildungs-
438
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
Italien 15,0
Bulgarien 12,9
Ungarn 11,4
439
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
u Abb 7 30- bis 34-Jährige in der EU mit u Abb 8 30- bis 34-Jährige mit Bildungsabschluss im Tertiärbereich 2014
Bildungsabschluss im Tertiärbereich — in Prozent
— in Prozent
50 Litauen 53
Luxemburg 53
40
Zypern 53
Irland 52
30
Schweden 50
Vereinigtes Königreich 48
20
Finnland 45
10 Niederlande 45
Dänemark 45
0 Frankreich 44
2004 2006 2008 2010 2012 2014
Belgien 44
Frauen Männer
Estland 43
Spanien 42
Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss ISCED-Stufe 5 bis 8.
Siehe Kapitel 2.1, Seite 45, Info 2.
Polen 42
Slowenien 41
Österreich 40
Lettland 40
Griechenland 37
Ungarn 34
burg und Zypern (je 53 %), das Vereinigte
Kroatien 32
Königreich (48 %) und Frankreich (44 %).
Deutschland lag unter dem EU-Durch- Deutschland 31
Studienanfängerquote
Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss ISCED-Stufe 5 bis 8.
Die Studienanfängerquote gibt an, wie Siehe Kapitel 2.1, Seite 45, Info 2.
440
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
u Abb 9 Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts u Abb 10 Wirtschaftsleistung pro Kopf unter Berücksichtigung
2014 im Vergleich zum Vorjahr — in Prozent der Kaufkraft 2014 — Index EU = 100
15.1.4 Wirtschaft Jahr 2014 wuchs die Wirtschaftsleistung von Kroatien sogar bereits das sechste Jahr
der EU um 1,4 %. Die Folgen der Finanz- in Folge. In den anderen 24 EU-Staaten er-
Wirtschaftsleistung markt- und Wirtschaftskrise 2008/2009 höhte sich das Bruttoinlandsprodukt 2014
Das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) belastet die Volkswirtschaften und öffent- im Vergleich zum Vorjahr. Darunter war
der EU lag 2014 bei rund 13,9 Billionen lichen Haushalte vieler EU-Staaten aber auch Griechenland, das zum ersten Mal
Euro. Davon erwirtschaftete Deutschland, weiterhin. So schrumpfte die Wirtschafts- seit 2007 wieder ein leichtes Plus von 0,7 %
die größte Volkswirtschaft der EU, mehr leistung Zyperns, Italiens und Finnlands verzeichnete. Das stärkste Wirtschafts-
als ein Fünftel (2,9 Billionen Euro). Im im Jahr 2014 bereits das dritte Jahr, die wachstum verzeichnete 2014 Irland (5,2 %),
441
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
u Tab 4 Die Entwicklung der Eurozone gefolgt von Luxemburg (4,1 %) und Un-
Mitgliedstaat Anzahl der Mitglieder
garn (3,7 %). In Deutschland lag die
Wachstumsrate bei 1,6 %. u Abb 9
Beitrittsjahr
442
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
nigte Königreich mit einem Defizit von 15.1.6 Arbeitsmarkt Die höchste Erwerbstätigenquote er-
– 5,8 % beziehungsweise – 5,7 % des BIP die reichte Schweden mit 80 %. Am weites-
Schlusslichter. u Tab 5 Erwerbstätigkeit ten von der 75 %-Zielmarke entfernt la-
Im Rahmen ihrer Zukunftsstrategie gen Griechenland (53 %) sowie Kroatien
Öffentlicher Schuldenstand »Europa 2020« verfolgen die EU-Staaten (59 %). u Abb 11, Info 2
Auch der öffentliche Schuldenstand bleibt das Ziel, die Erwerbstätigenquote der 20-
weiterhin hoch: Im Jahr 2014 überstieg er bis 64-Jährigen bis zum Jahr 2020 auf Beschäftigungsentwicklung
in 13 der 19 Eurozonen-Länder den verein- 75 % zu erhöhen. Dieses Ziel erfüllten Die Auswirkungen der Finanzmarkt- und
barten Referenzwert von 60 % des BIP. fünf EU-Staaten bereits im Jahr 2014, da- Wirtschaftskrise 2008/2009 waren in den
Unverändert kritisch war die Lage der runter auch Deutschland mit rund 78 %. vergangenen Jahren auf dem europäischen
öffentlichen Haushalte vor allem in Grie-
chenland. Dort betrug der Schuldenstand
2014 rund 179 % des BIP. Sehr hoch war er
auch in Italien (132 %), Portugal (130 %) so-
u Abb 11 Erwerbstätigenquote der 20- bis 64-Jährigen 2014 — in Prozent
wie Irland (108 %), das zuletzt seinen Schul-
denstand allerdings verringern konnte.
Auch Deutschland baute Schulden ab, sie
lagen 2014 aber immer noch bei 75 % des BIP. Schweden 80,0
443
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
Erwerbslose sind nach der Definition der Inter Vereinigtes Königreich 2,3
nationalen Arbeitsorganisation Personen, die in
Litauen 2,0
der statistischen Berichtswoche ohne Arbeit
waren, für eine Arbeit sofort kurzfristig zur Ver Polen 1,7
fügung standen, in den vergangenen vier Wochen
aktiv auf Arbeitsuche waren oder eine Arbeit Irland 1,7
g efunden hatten, die sie innerhalb der nächsten Schweden 1,4
drei Monate aufnehmen würden.
Slowakei 1,4
Die Erwerbstätigenquote bezeichnet die Erwerbs-
tätigen als Anteil an der Gesamtbevölkerung d
er Portugal 1,4
gleichen Altersgruppe. Spanien 1,3
Die Erwerbslosenquote ist der Anteil der Erwerbs- Österreich 0,9
losen an der Erwerbsbevölkerung der gleichen
Altersgruppe. Die Erwerbsb evölkerung besteht Deutschland 0,9
aus allen Personen, die ihre Arbeitskraft auf dem
Rumänien 0,8
A rbeitsmarkt anbieten und dabei entweder er-
werbstätig oder erwerbslos sind. Die hier ge- Estland 0,8
nannte Erwerbslosenquote, auf die in diesem
Dänemark 0,8
Kapitel Bezug genommen wird, ist nicht ver-
gleichbar mit der in Deutschland von d er Bundes- Griechenland 0,7
agentur für Arbeit (BA) veröffentlichten Arbeits
losenquote, die sich nur auf die bei der Bundes- Slowenien 0,6
agentur registrierten Arbeitslosen bezieht. Tschechische Republik 0,6
Bulgarien 0,4
Belgien 0,4
Frankreich 0,4
Italien 0,1
– 0,2 Niederlande
– 0,8 Finnland
–1,3 Lettland
EU
–1,9 Zypern 1,0
444
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
u Abb 13 Erwerbstätigenquote der Frauen im Alter von stark vertreten als Männer. So betrug 2014
20 bis 64 Jahren 2014 — in Prozent in der EU die Erwerbstätigenquote der 20-
bis 64-jährigen Frauen 63 %, die der
gleichaltrigen Männer hingegen 75 %. Am
häufigsten beteiligten sich die Frauen in
Schweden 77,6
Schweden am Erwerbsleben (78 %). Auf
Deutschland 73,1
Platz 2 lag Deutschland mit 73 % vor
Dänemark 72,2 Dänemark und Finnland mit je 72 %. Am
Finnland 72,1 niedrigsten war die Erwerbstätigenquote
Vereinigtes Königreich 70,6 der Frauen in Griechenland (44 %). u Abb 13
Litauen 70,6
Verdienstunterschiede zwischen
Estland 70,6
Frauen und Männern
Österreich 70,1
Frauen in Deutschland verdienen im
Niederlande 69,7 Durchschnitt rund ein Fünftel weniger
Lettland 68,5 als Männer: Der Gender Pay Gap, gemes-
Frankreich 65,7 sen am durchschnittlichen Bruttostun-
Luxemburg 65,5
denverdienst der Männer, lag 2013 in
Deutschland bei 22 %. Einen ebenso hohen
Tschechische Republik 64,7
beziehungsweise höheren geschlechts
Portugal 64,2
spezifischen Verdienstabstand wiesen in
Zypern 63,9 der EU nur die Tschechische Republik
Slowenien 63,6 (22 %), Österreich (23 %) und Estland
Belgien 62,9 (30 %) auf. Im EU-Durchschnitt verdien-
Bulgarien 62,0
ten Frauen 16 % weniger je Stunde als
Männer. Das Land mit dem europaweit
Irland 61,2
geringsten Unterschied im Bruttostun-
Ungarn 60,2
denverdienst von Männern und Frauen
Polen 59,4 war Slowenien mit 3 %. Die Daten bezie-
Slowakei 58,6 hen sich auf den unbereinigten Gender
Rumänien 57,3 Pay Gap. Das heißt, die Verdienstunter-
Spanien 54,8
schiede erklären sich zum großen Teil
aus strukturellen Unterschieden, zum
Kroatien 54,2
Beispiel dadurch, dass Frauen und Män-
Malta 51,9
ner nicht vergleichbare Positionen beset-
Italien 50,3 zen, unterschiedlich häuf ig teilzeit
EU
Griechenland 44,3 63,4 beschäftigt sind und bei der Berufs- und
Branchenwahl and ere Schwerpunkte
setzen.u Abb 14
Aber selbst bei vergleichbarer Tätig-
keit und äquiv alenter Qualifikation ver-
dienen Frauen weniger als Männer. Die-
ser bereinigte Gender Pay Gap wurde für
Deutschland zuletzt 2010 berechnet und
betrug 7 %.
weise von 65 Jahren auf 67 Jahre an 5 % erwerbstätig. Diese Quote ist seit meh-
gehoben, in einigen anderen EU-Ländern reren Jahren weitgehend stabil. Teilzeitbeschäftigung
gibt es eine ähnliche Entwicklung. Doch Teilzeitarbeit ist eine Möglichkeit, Beruf
noch gehen EU-weit die meisten Men- Frauenerwerbstätigkeit und Privates zeitlich besser miteinander
schen spätestens rund um den 65. Ge- Immer mehr Frauen in der EU gehen einer zu vereinbaren. Sie kann aber auch
burtstag in Rente. Von den über 65-Jähri- Erwerbstätigkeit nach. Auf dem Arbeits- Nachteile mit sich bringen: Reduzierte
gen waren 2014 EU-weit nur noch rund markt sind sie dennoch weiterhin weniger Arbeitszeit bedeutet auf Teile des Lohnes
445
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
u Abb 14 Gender Pay Gap: Unbereinigter geschlechts uAbb 15 Gesetzlicher branchenübergreifender
spezifischer Lohnunterschied 2013 — in Prozent Mindestlohn (brutto) 2015 — in Euro
EU
16,3
Slowenien 3,2 Luxemburg 1 923
Malta 5,1
Vereinigtes Königreich 1 510
Polen 6,4
Niederlande 1 508
Italien 7,3
Bulgarien 13,5
Spanien 757
Irland2 14,4
Malta 720
Lettland 14,4
Schweden 15,2
Polen 418
Zypern 15,8
Kroatien 399
Niederlande 16,0
Deutschland 21,6
Litauen 325
Tschechische Republik 22,1
Rumänien 235
Österreich 23,0
1 2010.
2 2012. Kein Mindestlohn in Dänemark, Finnland, Italien, Österreich, Schweden und Zypern.
und somit auch auf Rentenbeiträge EU-weit ist Teilzeitbeschäftigung im- verkürzt arbeiteten. In Deutschland war
zu verzichten. Teilzeitarbeit kann auch mer noch vorwiegend Frauensache. Am der Anteil mit 67 % ebenfalls sehr hoch,
einen Karriereknick auslösen, denn Füh- deutlichsten wird dies in den Niederlan- ebenso in Österreich mit 66 %. In den
rungspositionen werden in der Praxis den, wo 2014 in der Altersgruppe der meisten Ländern Mittel- und Osteuropas
nach wie vor häufig mit Vollzeitbeschäf- erwerbstätigen 25- bis 49-jährigen Frau- bewegten sich die Quoten hingegen
tigten besetzt. en mit minderjährigen Kindern 84 % im einstelligen Bereich. So arbeiteten in
446
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
Kroatien zum Beispiel nur 5 % der uAbb 16 Erwerbslosenquoten von 15- bis 74-Jährigen in der EU
berufstätigen Mütter Teilzeit. Männer — in Prozent der Erwerbspersonen
schränkten ihr berufliches Engagement
mit der Vaterschaft hingegen kaum ein:
12
Mit einer Ausnahme bewegten sich ihre
Teilzeitquoten in allen EU-Staaten, für die
Daten vorlagen, im einstelligen Bereich.
Nur in den Niederlanden lag der Anteil
der Teilzeit arbeitenden Väter bei 14 %. In 10
Deutschland betrug er 5 %.
Mindestlohn
In 22 der 28 EU-Staaten galt 2015 ein 8
branchenübergreifender gesetzlicher
Mindestlohn. Die Spannbreite war aller-
dings groß: So verzeichneten die östlich
gelegenen EU-Staaten vergleichsweise
6
niedrige Mindestlöhne von weniger als
500 Euro brutto im Monat. Das Schluss-
licht bildete Bulgarien mit 194 Euro. In
Westeuropa betrug der gesetzliche Min-
destlohn ein Vielfaches davon, so zum 0
2004 2006 2008 2010 2012 2014
Beispiel im Vereinigten Königreich (1 510
Frauen Männer
Euro) und Frankreich (1 458 Euro). Auch
Deutschland hat zum 1. Januar 2015 einen
Mindestlohn eingeführt. Die hierzulande
gesetzlich festgelegte Untergrenze von
8,50 Euro je Stunde entspricht einem Mo-
natsbruttolohn von 1 473 Euro (40-Stun-
denwoche multipliziert mit 52 Arbeits-
wochen dividiert durch 12 Monate). Das
sehr unterschiedliche Lohnniveau spie- wie der EU-Durchschnitt (10,3 %). In zwölf Jugenderwerbslosigkeit
gelt auch die wirtschaftliche Leistungs- EU-Ländern waren die Erwerbslosenquo- Erwerbslosigkeit unter Jugendlichen ist
kraft und die Lebenshaltungskosten in ten weiterhin zweistellig. Sehr proble in der EU stark verbreitet. In zahlreichen
den EU-Staaten wider. Es ist aber auch matisch war die Situation vor allem in EU-Ländern gestaltet sich der Übergang
eine politische Entscheidung: So betrug Griechenland und Spanien, wo 26,5 % be- von der Schule ins Arbeitsleben äußerst
der Mind estlohn in Estland 2010 rund ziehungsweise 24,5 % der 15- bis 74-jähri- problematisch. Vor allem nach Ausbruch
40 % des medianen Bruttoverdienstes gen Erwerbspersonen auf Jobsuche waren. der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
der Arbeitnehmer in der Industrie und Frauen und Männer waren fast gleich im Jahr 2008 hat sich die Situation für
im Dienstleistungssektor, in Deutsch- häufig betroffen: Die Frauenerwerbslosen- junge Leute in weiten Teilen der EU signi-
land waren es 49 % (Schätzung 2015) und quote lag im EU-Durchschnitt bei 10,3 %, fikant verschärft. Erst im Jahr 2014 gab es
in Frankreich 60 %. Der mediane Ver- die der Männer bei 10,1 %. Vor Beginn der wieder leichte Zeichen der Entspannung:
dienst teilt die betrachteten Beschäftigten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/ Die EU-weite Erwerbslosenquote der 15-
in genau zwei Hälften, das heißt, eine 2009 war der Unterschied noch deutlich bis 24-Jährigen sank im Vergleich zum
Hälfte der Beschäftigten verdient weniger größer. Einer der Gründe für die Anglei- Vorjahr um 2 Prozentpunkte, lag damit
und die andere Hälfte mehr als diesen chung der Quoten könnte sein, dass allerdings immer noch bei 22,2 %. Beson-
Wert. u Abb 15 Männer häufiger im Industriesektor arbei- ders angespannt war die Situation für Be-
ten, wo in den vergangenen Jahren beson- rufseinsteigerinnen und -einsteiger in
Erwerbslosigkeit ders viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Spanien und Griechenland, was im Zu-
Deutschland hatte 2014 die niedrigste Er- Frauen arbeiten hingegen öfter im Dienst- sammenhang mit der insgesamt ungüns-
werbslosenquote der EU. Mit einem Anteil leistungsbereich, der weniger von Kür tigen Situation auf den dortigen Arbeits-
von 5,0 % lag die Quote nur halb so hoch zungen betroffen war. u Abb 16 märkten steht. In beiden Ländern war
447
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
uAbb 17 Erwerbslosenquote der 15- bis 24-Jährigen 2014 uAbb 18 Einkommen von Personen ab 18 Jahren unter
— in Prozent Berücksichtigung der Kaufkraft 2014 — Index Deutschland = 100
EU
Deutschland 7,7 22,2 Luxemburg 149
Basis: Nettoäquivalenzeinkommen, nähere Erläuterungen siehe Kapitel 6.2, Seite 170, Info 3.
1 2013.
2014 immer noch mehr als jede zweite 15.1.7 Private Haushalte: Einkommen, und neueren EU-Mitgliedstaaten gibt es
junge Erwerbsperson ohne Arbeit (Spani- Armut und soziale Ausgrenzung erhebliche Einkommensunterschiede. Ob
en: 53, 2 %; Gr iechen la nd: 52 ,4 %). die Bevölkerung eines Landes finanziell
Deutschland hatte mit 7,7 % die EU-weit Einkommen gut oder schlecht gestellt ist, sich viel
niedrigste Jugenderwerbslosigkeit. Auch In der EU existiert ein beträchtliches oder wenig leisten kann, ist jedoch nicht
Österreich verzeichnete einen vergleichs- Wohls tandsgefälle. Zwischen den nörd allein aus der Einkommenshöhe in Euro
weise geringen Wert (10,3 %). u Abb 17 lichen und südlichen sowie den älteren abzulesen. Dafür muss auch die Kauf-
448
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
449
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
450
Leben in der Europäischen Union / 15.1 Deutschland in Europa / 15
uAbb 21 Anteil der Bevölkerung, der in überbelegten uAbb 22 25- bis 34-Jährige, die bei den Eltern leben 2014
Wohnungen lebt 2014 — in Prozent — in Prozent
1 2013. 1 2013.
Als überbelegt gilt eine Unterkunft, die bestimmte Mindestanforderungen nicht erfüllt. So soll
unter anderem jeder Person ab 18 Jahren beziehungsweise jedem Paar ein eigener Raum zur
Verfügung stehen, Kinder unter 12 Jahren sollen sich höchstens zu zweit ein Zimmer teilen.
Bei der Zahl der Krankenhausbetten In fast allen EU-Ländern hat in den ver- Todesursachen
lag Deutschland 2013 EU-weit ganz vorn: gangenen Jahren ein Bettenabbau stattge- Todesursachen variieren stark nach Alter
820 Betten je 100 000 Einwohner war der funden. Sowohl der Kostendruck als auch und Geschlecht. Für Ländervergleiche
mit Abstand höchste Wert aller EU-Län- effektivere Behandlungsmethoden haben und Zeitreihen werden deshalb sogenann-
der. Die geringste Zahl wies Schweden die Verweildauer der Patienten in den te standardisierte Sterbeziffern erstellt, die
mit 259 Betten je 100 000 Einwohner auf. Krankenhäusern verkürzt. u Abb 23 die Effekte der unterschiedlichen Alters-
451
15 / Deutschland in Europa 15.1 / Leben in der Europäischen Union
uAbb 23 Zahl der Krankenhausbetten 2013 u Abb 24 Krebs (Bösartige Neubildungen) als
— je 100 000 Einwohner Todesursache 2012 — Fälle je 100 000 Einwohner
1 2011.
2 2009.
3 2012.
beziehungsweise Bevölkerungsstrukturen spielsweise auch Dänemark (315 Fälle) Sehr hohe Werte verzeichneten insbeson-
neutralisieren. Zu den Haupttodesursa- und die Niederlande (297 Fälle), wiesen dere Bulgarien und Rumänien (1 168 bezie-
chen in der EU zählten 2012 Krankheiten hingegen überdurchschnittlich hohe Wer- hungsweise 1 039 Todesfälle je 100 000 Ein
des Kreislaufsystems (394 Fälle je 100 000 te auf. Dies galt insbesondere für Ungarn, wohner). Der Wert für Deutschland lag
Einwohner) sowie Krebs (bösartige Neu- wo die Sterbeziffer bei Krebs mit 361 je mit 404 ebenfalls über dem EU-Durch-
bildungen) mit 267 Fällen je 100 000 Ein- 100 000 Einwohner weit über dem Niveau schnitt von 394 Todesfällen je 100 000
wohner. In Deutschland lag die standardi- der anderen EU-Länder lag. u Abb 24 Einwohner. Am seltensten starben die
sierte Sterbeziffer bei Krebs mit 253 leicht Bei der Todesursache Kreislauf-Er- Menschen an Kreislauferkrankungen in
unter dem EU-Durchschnitt. Viele mittel- krankungen schwankten 2012 die Sterbe- Frankreich (221 Todesfälle je 100 000 Ein-
und osteuropäische EU-Staaten, aber bei- ziffern in den EU-Staaten noch stärker. wohner).
452
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 15.2 Deutschland in Europa / 15
453
15 / Deutschland in Europa 15.2 / Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union
und Südosteuropa, hier insbesondere in teils dramatischen Veränderungen der letz- Die persönliche berufliche Situation
Griechenland, Spanien und Bulgarien, aber ten zehn Jahre. Die stärksten Einbrüche in wird zumeist deutlich besser beurteilt als
auch in Slowenien. Im Norden gehen die der Bewertung der Arbeitsmarktlage lassen die Arbeitsmarktlage, vor allem in Süd
Finnen von einer schlechten, im Westen die sich in Irland, Spanien und Zypern beob- europa (mit Ausnahme Griechenlands)
Franzosen von einer sehr schlechten Ar- achten, aber auch in Finnland, Slowenien, und in Osteuropa (mit Ausnahme Un-
beitsmarktlage aus. Vergleichsweise sehr dem Vereinigten Königreich und Italien garns). In Südosteuropa ist die berichtete
gut bewertet ist die Lage in Deutschland, gingen die Werte spürbar zurück. Eine persönliche berufliche Situation überwie-
Dänemark und Malta. Der Vergleich zu massive Verbesserung hingegen ist in gend schlecht. Am besten wird sie in Dä-
den Bewertungen im Jahr 2005 zeigt die Deutschland und in Malta zu beobachten. nemark, Schweden und Österreich einge-
u Tab 1 Bewertung der aktuellen Situation und Erwartung für die nächsten 12 Monate nach Mitgliedstaaten 2015 — in Prozent
Bewertung gegenwärtiger Bedingungen als »gut«¹ Erwartung »besser« in 12 Monaten²
Lebens Lage auf Persönliche Finanzielle Lage auf Persönliche Finanzielle
Leben im
qualität dem berufliche Situation des dem Arbeits- berufliche Situation des
Allgemeinen
im Land Arbeitsmarkt³ Situation Haushalts markt Situation Haushalts
Dänemark 94 66 (– 2) 82 93 35 47 21 28
Nordeuropa Finnland 91 18 (–13) 65 85 31 29 17 22
Schweden 91 39 (+ 20) 82 90 41 24 28 29
Irland 77 38 (– 45) 64 69 46 49 31 34
Nordwest-
europa Vereinigtes
75 47 (–11) 66 80 37 22 27 27
Königreich
Belgien 81 28 (+12) 69 73 29 23 20 20
Deutschland 91 68 (+ 66) 72 82 20 14 18 15
Frankreich 67 5 (+1) 53 68 37 26 26 28
Westeuropa
Luxemburg 91 53 (+ 2) 71 85 30 19 18 18
Niederlande 92 39 (+1) 64 86 32 45 22 23
Österreich 88 41 (+ 2) 77 76 26 24 18 21
Griechenland 24 2 (– 4) 28 27 22 20 13 17
Italien 35 10 (–10) 49 57 30 32 24 25
Malta 89 71 (+ 53) 69 84 34 36 22 24
Südeuropa
Portugal 32 8 (+ 5) 52 44 23 28 19 21
Spanien 41 3 (– 29) 53 59 31 33 26 26
Zypern 38 9 (– 32) 47 57 27 24 18 21
Estland 52 30 (+ 5) 52 69 38 24 28 32
Nordosteuropa Lettland 29 20 (+ 8) 55 57 34 26 24 29
Litauen 39 31 (+ 8) 52 64 31 19 21 24
Polen 36 23 (+ 20) 58 62 23 15 18 21
Slowakei 31 9 (+ 3) 51 54 28 20 18 22
Slowenien 37 5 (–12) 53 60 23 22 15 20
Osteuropa
Tschechische
60 27 (+ 13) 57 65 22 21 14 17
Republik
Ungarn 31 24 (+19) 38 47 21 20 14 19
Bulgarien 11 5 (–1) 42 38 22 20 16 20
Südeuropa Kroatien 23 10 (+ 9) 47 51 26 28 23 25
Rumänien 21 11 (+ 3) 38 55 35 26 24 33
EU 28 60 28 58 68 29 26 22 23
1 Anteil der Befragten, die die aktuelle Situation als »sehr gut« oder
»ziemlich gut« einschätzen.
2 Anteil der Befragten, die in 12 Monaten eine bessere Situation erwarten.
3 Veränderung in Prozentpunkten gegenüber 2005 in Klammern.
Datenbasis: Eurobarometer 2015.
454
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 15.2 Deutschland in Europa / 15
schätzt. Die finanzielle Situation des ten und in Osteuropa am niedrigsten. einer Verschlechterung rechnen. Die
Haushalts schätzen die Bürger am schlech- Auffällig ist, dass in Deutschland generell Hoffnung auf eine Verbesserung der per-
testen in Griechenland, Portugal und Bul- ebenso wenige Menschen Verbesserungen sönlichen beruflichen Situation ebenso
garien ein, aber auch in Irland und Frank- erwarten wie in Griechenland und den wie eine Verbesserung der finanziellen Si-
reich beurteilen sie viele als relativ schlecht. Ländern Osteuropas. Eine Verbesserung tuation des Haushalts erwarten in Nord-
Die Erwartungen einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage wird am häufigsten und Westeuropa am häufigsten Iren,
in den kommenden zwölf Monaten fallen in Dänemark, Irland und den Niederlan- Schweden, Briten und Franzosen und in
ziemlich verhalten aus; allgemein sind sie den erwartet, während die Befragten in Osteuropa Esten, Letten, Kroaten und
in Nord- und Nordwesteuropa am höchs- Deutschland und Polen überwiegend mit Rumänen. u Tab 1
Zufrieden- Zufrieden-
Lebens- Zufrieden Sicherheit Zufrieden- Gesellschaft Subjektives
heit mit heit mit
zufrieden- heit mit bei heit mit liche Armuts-
Haus / Lebens
heit¹,⁵ Wohngebiet¹ Dunkelheit² Freizeit¹ Ausgrenzung³ risiko⁴
Wohnung¹ standard¹
Finnland 95 (=) 97 98 98 90 85 6 9
Nordeuropa Dänemark 98 (=) 96 98 91 96 89 4 16
Schweden 98 (+ 2) 96 96 90 97 81 7 14
Irland 90 (=) 95 94 84 87 83 10 30
Nordwest-
europa Vereinigtes
94 (+ 6) 94 93 80 90 80 11 29
Königreich
Frankreich 85 (+1) 94 92 79 79 75 10 36
Deutschland 91 (+ 8) 92 92 81 87 77 11 27
Österreich 92 (+ 6) 93 94 84 90 79 5 21
Westeuropa
Belgien 93 (+ 4) 91 90 82 87 75 12 23
Niederlande 95 (=) 96 96 91 94 88 5 20
Luxemburg 96 (+1) 96 96 85 93 77 5 22
Griechenland 43 (– 22) 81 67 61 55 66 10 56
Portugal 50 (–10) 88 83 81 62 74 9 38
Italien 66 (– 7) 88 78 63 63 67 14 33
Südeuropa
Spanien 74 (–11) 92 85 79 70 75 5 43
Zypern 82 (– 2) 89 82 72 76 69 9 44
Malta 91 (+ 6) 95 93 89 89 66 3 10
Lettland 70 (+ 9) 74 69 72 60 65 12 48
Nordosteuropa Litauen 72 (+19) 76 80 66 56 76 16 48
Estland 78 (+11) 84 80 82 70 73 10 29
Ungarn 62 (+ 8) 74 64 60 55 56 12 46
Slowakei 72 (+ 9) 85 80 77 65 66 10 44
Polen 79 (+11) 78 70 85 68 68 12 32
Osteuropa
Tschechische
79 (– 4) 86 95 78 73 75 9 19
Republik
Slowenien 84 (– 6) 89 84 93 74 74 5 37
Bulgarien 44 (+15) 73 47 60 35 62 20 35
Südeuropa Rumänien 55 (+11) 78 69 77 62 61 13 34
Kroatien 67 (+1) 86 71 89 62 75 10 47
EU 28 80 89 85 77 76 74 10 32
455
15 / Deutschland in Europa 15.2 / Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union
In der allgemeinen Lebenszufrieden- sieht sich von Armut bedroht. Jeder der Europäischen Union zufrieden, ge-
heit spiegeln sich die Rahmenbedingungen sechste Nordeuropäer, jeder vierte West- genüber jedem zweiten in den übrigen
wider: In Nord-, Nordwest- und Westeuro- europäer und jeder dritte Nordwesteuro- Teilen der EU. Die Briten zeigen ebenfalls
pa sind 90 % und mehr mit ihrem Leben päer teilt diese Befürchtung. In Südeuro- geringe Zufriedenheit mit der EU-Demo-
zufrieden, einzig Frankreich weist eine ge- pa und im postkommunistischen Europa kratie und haben außerdem das geringste
ringere Lebenszufriedenheit auf. In Süd befürchtet jeder dritte bis jeder zweite Vertrauen in die europäischen Institutio-
europa zeigt sich die ganze Spanne von von Armut betroffen zu werden. Nur in nen. Das Vertrauen in das Europäische
sehr großen Anteilen Zufriedener in Malta und der Tschechischen Republik Parlament, die Europäische Kommission
Malta bis zu sehr geringen Anteilen in ist diese Furcht geringer.u Tab 2 und die Europäische Zentralbank ist
Griechenland, Portugal und Italien. In Betrachtet man das Gesamtbild, so auch bei Spaniern, Griechen und Zyprio-
Nordost- und Osteuropa liegt der Anteil zeigt sich ein stabiles Gefälle von Nord- ten mit Werten zwischen einem Fünftel
derjenigen, die mit ihrem Leben zufrie- west nach Südost, wobei in Südeuropa und einem Drittel äußerst gering. Über
den sind, auf einem mittleren Niveau, viele Indikatoren auf gleichem Niveau lie- die Hälfte der Bürger vertrauen diesen
während er in Südosteuropa gleichauf gen wie in Ost- und Südosteuropa. In Institutionen in Nordeuropa, aber auch
mit den schlechtesten Werten in Südeu- Nordost- und Südosteuropa sind dabei in den postkommunistischen Ländern
ropa liegt. Die Veränderungen in den An- die Hoffnungen auf Verbesserung am liegt das Vertrauen zwischen 40 und 60 %
teilen Zufriedener gegenüber dem Jahr größten, während Teile Südeuropas, ins- und damit höher als in Deutschland oder
2005 unterscheiden sich deutlich zwi- besondere Griechenland und Portugal, Frankreich. Betrachtet man das Instituti-
schen den Ländergruppen: Im Norden eine weitere Verschlechterung ihrer ohne- onenvertrauen im Zeitverlauf (hier nicht
und Westen Europas bleiben die Anteile hin schwierigen Situation erwarten. Eine dargestellt), so zeigt sich ein deutlicher
weitgehend stabil, während sie im Osten Verschlechterung befürchten auch die Einbruch in den Jahren 2011 bis 2013,
Europas durchgehend leicht ansteigen Franzosen und Briten. Besonders augen- insbesondere in den südeuropäischen
und im Süden deutlich zurückgehen. fällig ist jedoch der negative Ausblick der Ländern sowie in Slowenien und der
Bei den spezifischen Zufriedenheiten Deutschen, gerade auch vor dem Hinter- Tschechischen Republik. Seit 2014 erho-
mit Wohnung, Wohngebiet und Lebens- grund der außergewöhnlich guten Ge- len sich diese Werte wieder langsam,
standard zeigt sich ein ähnliches Bild mit samtsituation. doch bleiben sie in Südeuropa deutlich
einigen Abweichungen. Die Anteile der hinter früheren Werten zurück. In diesen
Zufriedenen mit dem Haus oder der Woh- 15.2.2 Einstellungen zu Europa Ländern hat die Eurokrise einhergehend
nung sowie mit dem Wohngebiet sind in Die Europäische Union hat einen zuneh- mit harten Sparpaketen ihren Tribut an
fast allen postkommunistischen Ländern mend sichtbaren Einf luss auf die wirt- Vertrauen in die europäischen Institutio-
gering; nur Slowenien, Tschechien und schaftlichen und gesellschaftlichen Rah- nen gekostet. Bei den jüngsten EU-Mit-
Kroatien treten hier positiv hervor. Ganz menbedingungen in den Mitgliedslän- gliedern Rumänien, Bulgarien und Kroa-
ähnlich verhält es sich mit dem Gefühl dern. Entsprechend sind das Vertrauen in tien ist das Vertrauen hingegen hoch.u Tab 3
der Sicherheit im Dunkeln. Neben den die europäischen Institutionen und die Die Zufriedenheit mit einem politi-
Nordeuropäern fühlen sich die Slowenen, Zufriedenheit mit der Demokratie in der schen System ist auch davon abhängig, in-
Niederländer und Kroaten zu rund 90 % EU von wachsender Bedeutung. Betrach- wieweit die Bürger den Eindruck haben,
sicher, während sich in Ungarn, Bulgarien, tet man die Einstellungen der Bürger zur dass ihre Stimme Gewicht hat und dass sie
Griechenland und Italien nur rund 60 % EU, so zeigt sich ein anderes Muster als gegebenenfalls durch Aktionen und Inter-
bei Dunkelheit sicher fühlen. Die Anteile bei der Betrachtung der Lebensverhält- essengemeinschaften Einfluss auf die poli-
Zufriedener mit der zur Verfügung ste- nisse und auch ein anderes Bild als in tischen Entscheidungen nehmen könnten.
henden freien Zeit variieren nicht so stark früheren Zeiten. Bis vor der Krise wiesen Dieses Gefühl, dass die eigene Stimme im
zwischen den Regionen, folgen aber dem die Südeuropäer die größte Europa politischen System der EU zählt, ist dabei
gleichen Muster: Vier Fünftel der Nord- begeisterung auf, während die Grün- nicht unabhängig von dem entsprechen-
und Westeuropäer sind zufrieden mit der dungsmitglieder verhaltene Unterstüt- den Gefühl in Bezug auf das politische Sys-
freien Zeit gegenüber zwei Dritteln der zung und die Briten und Dänen die größ- tem des eigenen Landes. Wie der Vergleich
Süd- und Osteuropäer. te Reserviertheit zeigten. Die Bürger der zwischen den EU-Ländern zeigt, korres-
Ein Zehntel der EU-Bürger fühlt sich postkommunistischen Länder sahen hin- pondieren beide Werte miteinander, wobei
gesellschaftlich ausgegrenzt. Am stärksten gegen mit Hoffnung auf Europa. Heute generell das Gefühl des politischen Ein-
ist dieses Gefühl bei Bulgaren, Litauern finden sich in Südeuropa (mit Ausnahme flusses im eigenen Land höher ist als in der
und Italienern. Das Ausmaß der subjekti- Maltas) die EU-kritischsten Bürger. Nur EU. Auch hier führen die Länder im Nor-
ven Prekarität zeigt sich im subjektiven rund jeder dritte Südeuropäer ist mit den und Westen Europas die Tabelle an:
Armutsrisiko. Ein Drittel der EU-Bürger dem Funktionieren der Demokratie in Mehr als vier von fünf Skandinaviern den-
456
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 15.2 Deutschland in Europa / 15
Dänemark 68 63 60 61 68 92 29 39
Nordeuropa Finnland 56 62 59 60 59 83 30 37
Schweden 51 60 54 54 69 92 26 42
Irland 58 49 46 40 48 61 64 57
Nordwest-
europa Vereinigtes
40 29 27 26 31 53 32 32
Königreich
Belgien 57 54 51 43 54 61 44 43
Deutschland 48 47 39 32 58 76 45 45
Frankreich 42 37 34 28 41 67 51 37
Westeuropa
Luxemburg 60 57 56 51 50 54 31 52
Niederlande 50 54 55 55 59 82 58 42
Österreich 45 41 39 40 46 75 62 29
Griechenland 28 32 22 19 20 39 65 25
Italien 40 42 39 35 26 27 47 38
Malta 59 63 58 59 60 69 65 51
Südeuropa
Portugal 33 43 42 38 39 48 65 42
Spanien 38 30 27 22 32 39 68 34
Zypern 29 31 26 23 19 23 57 24
Estland 53 50 48 45 27 41 60 49
Nordosteuropa Lettland 59 45 43 38 23 38 58 39
Litauen 64 65 63 56 34 34 44 55
Polen 61 46 46 37 47 63 65 53
Slowakei 45 51 46 45 40 57 48 38
Osteuropa Slowenien 49 41 42 37 42 52 57 37
Tschechische
55 41 39 42 26 46 53 37
Republik
Ungarn 52 60 60 46 47 49 73 43
Bulgarien 57 56 52 46 48 46 66 55
Südeuropa Rumänien 64 63 62 52 47 47 61 62
Kroatien 63 53 49 39 64 72 47 47
EU 28 46 43 40 35 42 57 53 41
ken, dass ihre Stimme in ihrem Land zählt, der Befragten meint, dass ihre Stimme im zählt. Die Ost- und Südosteuropäer sind
und rund zwei Drittel glauben das auch eigenen Land zählt und nur 31 % in der EU. hier etwas optimistischer; ungefähr die
mit Blick auf die EU. Im Westen Europas Die Südeuropäer und die Balten betrachten Hälfte der Befragten sieht Einflussmög-
sagen dies rund drei Viertel der Bürger sich hingegen auf beiden Ebenen zu gro- lichkeiten im eigenen Land und in der
über ihr Land und etwa die Hälfte in Be- ßen Teilen als einflusslos; jeweils nur rund EU. Bemerkenswert sind die positiven
zug auf die EU. Eine Ausnahme bildet das ein Drittel der Befragten geht davon aus, Einschätzungen der Ungarn, die sich auf
Vereinigte Königreich, wo nur die Hälfte dass seine Stimme im Land und in der EU westeuropäischem Niveau bewegen.
457
15 / Deutschland in Europa 15.2 / Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union
uAbb 1 Selbstverständnis als europäischer Bürger nach Mitgliedstaaten 2015 Bei der Frage, ob mehr Kompetenzen
— Anteil »ja, voll und ganz« und »ja, teilweise« in Prozent auf die europäische Ebene verlagert werden
sollen, findet eine Umkehrung der bisher
EU 28:67
beobachteten Verhältnisse statt. Ablehnend
sind hier in erster Linie die Bürger Nord
Finnland 81 europas und Großbritanniens, aber auch
die Westeuropäer zeigen sich überwiegend
Schweden 78
zurückhaltend. Einzig bei den Iren und den
Dänemark 74 Österreichern sprechen sich zwei Drittel für
weitere Kompetenzverlagerungen aus. Die
Luxemburg 88
Befragten in den südlichen und östlichen
Deutschland 81 Teilen Europas sind hingegen mehrheitlich
Irland 77 dafür, mehr Kompetenzen auf die EU zu
verlagern. Ausnahmen sind hier Italien, Li-
Österreich 72
tauen, die Slowakei und Ungarn.
Belgien 70 Langjährige Eurobarometer-Zeitrei-
hen zu den Einstellungen der Bürger zur
Niederlande 70
Europäischen Union wurden in den ver-
Frankreich 61 gangenen Jahren eingestellt, sodass die
Vereinigtes Königreich 56
Betrachtung im Zeitverlauf nicht fortge-
setzt werden kann. Seit einigen Jahren
Malta 84
wird in den Eurobarometern jedoch re-
Portugal 72 gelmäßig die Frage gestellt, ob die EU
beim Befragten eher ein positives, ein
Spanien 69
neutrales oder ein negatives Bild hervor-
Italien 53 ruft. Betrachtet man den Anteil positiver
Zypern 50
Nennungen im Ländervergleich, so lassen
sich auf Länderebene keine Parallelen zu
Griechenland 50 den Verteilungen der bisher besproche-
Estland 79 nen Indikatoren, in denen es im Wesent-
lichen um die Beurteilung der Lebens
Litauen 78
situation geht, feststellen. Vielmehr
Slowakei 75 kommt hier eine affektive Einstellung zur
Polen
Europäischen Union zum Tragen. Diese
74
ist in Südeuropa – insbesondere Grie-
Lettland 69 chenland und Zypern – äußerst kritisch,
Ungarn 67 was sich mit den Folgen der Krisenpolitik
erklären lässt. Diese hat eine deutliche
Rumänien 65
Zäsur gesetzt, denn in früheren Jahren
Slowenien 65 zeigten die Bürger in den südlichen Län-
dern den größten europäischen Enthusi-
Kroatien 63
asmus. Im Norden und Westen Europas
Tschechische Republik 62 haben die Bürger ein reserviert positives
Bulgarien 50 Bild, weniger hingegen in Österreich,
Frankreich und dem Vereinigten König-
reich. Ein besonders positives Bild von
Nordeuropa Südeuropa
der EU haben die Mitgliedstaaten im
Westeuropa Osteuropa
B altikum und in Südosteuropa sowie Ir-
land, Luxemburg und Malta.
Frage »Bitte sagen Sie mir für jede der folgenden Aussagen, inwieweit diese Ihrer eigenen Meinung entspricht oder nicht
entspricht. Sie fühlen sich als Bürger der EU – Ja, voll und ganz / Ja, teilweise / Nein, eher nicht / Nein, überhaupt nicht.« Abschließend soll die Frage der euro-
Dargestellt sind die Anteile »Ja, voll und ganz / teilweise«.
Datenbasis: Eurobarometer 2015. päischen Identität betrachtet werden. Wie
eingangs erwähnt, wird die Identifikation
458
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union / 15.2 Deutschland in Europa / 15
als Ausdruck affektiver Zustimmung zur lung in Südeuropa im Zeitraum von 2010 ebensstandard und Wohlfahrt langfristig
L
europäischen Integration und zur EU ver- bis 2015 (nicht dargestellt), so erkennt sichtbare Auswirkungen auf die Zustim-
standen: In dem Maße, in dem die Bürger man, dass sich die Werte in Südeuropa bis mung zur europäischen Integration und
dem europäischen Projekt gegenüber 2013/14 abwärts entwickelt haben und die zur EU, sodass der Förderung von Wohl-
positiv eingestellt sind, betrachten sie sich Entwicklung seitdem wieder leicht auf- stand und Lebensqualität eine zentrale
auch selbst als Teil des neuen politischen wärts gerichtet ist. u Abb 1 Rolle für das Gelingen des europäischen
Systems. Gemessen wird die europäische In der subjektiven Bewertung der Le- Projekts zukommt. Insbesondere die Situ-
Identität hier mit der Frage, ob sich die bensbedingungen der Europäer beobach- ation von ungleicher Entwicklung, wenn
EU-Bürger selbst als solche verstehen. ten wir Diskrepanzen zwischen den Mit- manche Mitgliedsländer sich sehr positiv
Auffällig ist die verbreitete Identifikation gliedsländern, die eng der Wohlfahrtsent- entwickeln, während andere schwere
mit Europa bei den Bürgern in den post- wicklung folgen, mit Nordeuropa an der K risen erleben, führt zu der Gefahr einer
kommunistischen Ländern Mittel- und Spitze, gefolgt von Westeuropa gegenüber zunehmenden ökonomischen und politi-
Osteuropas: Zwei Drittel bis drei Viertel Süd- und Osteuropa. In den politischen schen Spaltung innerhalb der EU. Somit
der Befragten fühlen sich als Bürger der Bewertungen der Europäischen Union bestätigt sich erneut, dass die Angleichung
EU. Darin sind sie gleichauf mit den Bür- schlagen sich in Südeuropa die Folgen der der Lebensverhältnisse zwischen den Mit-
gern in Nord- und Westeuropa. Sogar die Staatsschuldenkrise und Austeritätspolitik gliedstaaten eine wichtige Voraussetzung
traditionell europakritischen Dänen der letzten Jahre nieder. Die Bürger in den für die weitere Vertiefung der europä
sehen sich selbst zu drei Vierteln als EU- postkommunistischen Ländern tendieren ischen Integration darstellt.
Bürger. Dagegen fallen diese Werte im eher zu einer hoffnungsvollen Haltung mit
Vereinigten Königreich und auch in Blick auf zukünftige Entwicklungen.
Frankreich niedriger aus, unterboten nur Unabhängig von traditionell europakriti-
von den Bürgern in Griechenland, Zypern schen Haltungen, wie etwa im Vereinigten
und Italien. Betrachtet man die Entwick- Königreich, haben Veränderungen von
459
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2016
Datengrundlagen
Statistisches Kontakt zum
Statistischen Bundesamt
Informationen zu den Ergebnissen
der Bundesstatistik
Bundesamt www.destatis.de
(Destatis)
Veröffentlichungen zum Die Beiträge des Statistischen Bundesamtes
Download oder Bestellen (Destatis) basieren auf amtlichen, durch Bundes-
www.destatis.de / publikationen gesetze geregelten Statistiken. Für alle Statisti-
ken werden Informationen zu den verwendeten
Zentraler Auskunftsdienst
Methoden und Definitionen sowie zur Qualität der
www.destatis.de / kontakt
Herausgeber statistischen Ergebnisse in den sogenannten Qua-
Telefon: +49 (0) 611 / 75 24 05
litätsberichten im Internet veröffentlicht.
Montag bis Donnerstag 8 bis 12 Uhr
und 13 bis 16 Uhr, Freitag 8 bis 12 Die Beiträge der sozialwissenschaftlichen For-
und 13 bis 15 Uhr schung liefern in einigen Fällen Informationen zu
den gleichen Sachverhalten, greifen jedoch auf
Pressestelle und journalistischer
andere Datenquellen zurück. Dabei können die
Informationsservice
Ergebnisse voneinander abweichen. Die Ursa-
presse@destatis.de
chen liegen in methodischen und konzeptionellen
Telefon: +49 (0) 611 / 75 34 44
Unterschieden bei der Datenerhebung. Dabei
Montag bis Donnerstag 8 bis 17 Uhr
kann es sich um abweichende Berichtszeiträume
und Freitag 8 bis 15 Uhr
oder Stichtage, unterschiedliche Definitionen
und Abgrenzungen einzelner Merkmale oder unter
schiedliche Methoden der Datengewinnung
handeln.
461
Datenreport 2016 Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren
Autorinnen
und Autoren
Statistisches 1.1 Bevölkerungsstand und
Bevölkerungsentwicklung
Arne Schmidt
Bildungsfinanzen
(Destatis)
Wanderungs- und Bevölkerungsstatistik Berufsausbildung
Olga Pötzsch
Demografischer Wandel
4.1 Volkswirtschaftliche
Bettina Sommer
Herausgeber Geburten und Sterbefälle, Gesamtrechnungen
Demografischer Wandel Dr. Susana Garcia Diez
Wohlfahrtsmessung
Tanja Mucha
2.1 Lebensformen in der Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen
Renate Schulze-Steikow
2.2 Kinderlosigkeit Öffentliche Finanzen
Olga Pötzsch
Kinderlosigkeit
5.1 Arbeitsmarkt
Anja Crößmann
3.1 Bildungsbeteiligung, Bildungs Arbeitsmarkt
Sabine Lenz
Christiane Krüger-Hemmer Verdienste
Bildung, Weiterbildung
Andrea Malecki
Schulen, Hochschulen
462
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2016
Karin Böhm
Walter Joachimiak Gesundheitszustand der
Überschuldung Bevölkerung und R
essourcen 12.1 Zeitverwendung und
Kristina Kott der Gesundheitsversorgung Ausgaben für Freizeitaktivitäten
Einnahmen, Ausgaben, Ausstattung Ute Bölt Kristina Kott
privater Haushalte Stationäre Versorgung Private Ausgaben für Freizeitaktivitäten
Johannes Proksch
Mindestsicherungssysteme Redaktionsleitung:
9.1 Wohnsituation und Mietkosten
Kerstin Hänsel
Kristina Kott Markus Ramacher
Subjektive Belastungen Asylbewerberleistungen, Wohngeld Redaktion:
Katarzyna Kowalska Stefan Rübenach Daniela Hartmann
Miete und Mietbelastung Elterngeld Renate Martin
im Mikrozensus Marion Petter
463
Datenreport 2016 Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren
Datengrundlagen
Wissenschafts- Kontakt zum
Wissenschaftszentrum Berlin
Datengrundlagen der
wissenschaftsbasierten
zentrum Berlin für Sozialforschung
www.wzb.eu Sozialberichterstattung
für Sozial- Veröffentlichungen zum
in Deutschland
forschung (WZB)
Download oder Bestellen
www.wzb.eu / de / publikationen Mareike Bünning, Alina Juckel
Allgemeiner Informationsservice Für eine wissenschaftsbasierte Sozialbericht
www.wzb.eu / de / kontakt erstattung stehen in Deutschland eine Reihe von
Telefon: +49 (0) 30 / 2 54 91-0 Daten aus langfristigen Erhebungsprogrammen
Herausgeber der empirischen Sozialforschung zur Verfügung,
Pressestelle und journalistischer die für die gesellschaftliche Dauerbeobachtung
Informationsservice konzipiert worden sind, darunter insbesondere
www.wzb.eu / de / presse das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) sowie die
Telefon: +49 (0) 30 / 2 54 91-513 Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozial
wissenschaften (ALLBUS). Darüber hinaus können
für die Sozialberichterstattung in Deutschland
zunehmend auch supranationale Surveys genutzt
werden, die dann auch die Möglichkeit bieten,
die Lebensverhältnisse in Deutschland in einem
internationalen – insbesondere europäischen –
Kontext zu betrachten und zu bewerten. Von Fall
zu Fall werden zu einzelnen Themen auch weitere
spezielle Datensätze herangezogen, auf die an
dieser Stelle nicht umfassend eingegangen wird.
464
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2016
Jahr 2014 zählten alle Stichproben zusammenge- schaftsbeziehungen«, 2012 insbesondere 1985 jährlich mit wechselnden Schwerpunkt
nommen 38 987 Personen in 19 527 Haushalten. » Religion und Weltanschauung« und 2014 »Soziale themen in immer mehr Ländern durchgeführt.
Ungleichheit« als Replikation von 1984, 1994 Insgesamt haben sich weltweit bisher 53 Länder
Das Sozio-oekonomische Panel wurde ursprüng-
und 2004. Seit der Erhebung von 2000 wird der an der Erhebung beteiligt.
lich im Rahmen des durch die Deutsche For-
ALLBUS in der Form von computergestützten
schungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Sonder- Für den Datenreport 2016 wurden auch Daten an
persönlichen Interviews (CAPI) durchgeführt. Die
forschungsbereichs »Mikroanalytische Grund der Schnittstelle zwischen amtlicher Statistik und
Grundgesamtheit der ALLBUS-Umfragen be-
lagen der Gesellschaftspolitik« der Universitäten wissenschaftlicher Sozialberichterstattung ge-
stand bis einschließlich 1990 aus den wahl
Frankfurt am Main und Mannheim konzipiert nutzt. Zum einen handelt es sich um sogenannte
berechtigten Personen in der früheren Bundes
und wird nunmehr in Form einer »forschungs Scientific Use Files (SUF) der umfangreichen
republik und West-Berlin, die in Privathaushalten
basierten Infrastruktureinrichtung« im Rahmen Daten der Deutschen Rentenversicherung, zum
leben. Seit 1991 besteht die Grundgesamtheit
der L eibniz-Gemeinschaft (WGL) am Deutschen anderen um die einschlägigen Umfragen der
aus der erwachsenen Wohnbevölkerung (Deut-
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) G esundheitsberichterstattung des Robert
sche und Ausländer) in Deutschland. Die Stich-
durchgeführt. Die SOEP-Gruppe gibt die Daten Koch -Institutes. Für den ersten Fall stellt das For-
probengröße betrug bis 1991 rund 3 000 Befragte.
an die interessierte Fachöffentlichkeit weiter schungsdatenzentrum der Rentenversicherung
Seit 1992 beträgt die Nettofallzahl 2 400 Befragte
und erstellt eigene Analysen. Die Feldarbeit führt (FDZ-RV), das beim Grundsatz- und Querschnitts-
in den alten und 1 100 Befragte in den neuen
TNS Infratest Sozialforschung (München) durch. bereich der Deutschen Rentenversicherung Bund
Bundesländern.
Als eine Längsschnitterhebung zielt das SOEP angesiedelt ist, der Wissenschaft und Forschung
insbesondere darauf ab, Informationen über Zu den supranationalen Surveys, die für einzelne Mikrodatensätze aus dem Bestand ihrer prozess-
Veränderungen im Zeitablauf auf der Mikroebene Kapitel des Datenreport 2013 Verwendung finden, produzierten Daten zur Verfügung. Im zweiten
von Individuen und Haushalten bereitzustellen. gehören insbesondere die Eurobarometer-Um Fall handelt es sich um »Daten zur Gesundheit in
Die thematischen Schwerpunkte des SOEP fragen (EB) (http://ec.europa.eu/COMMFrontOffice/ Deutschland Aktuell« (GEDA), wozu im Rahmen
liegen in den Bereichen des Einkommens und der PublicOpinion, 10.02.2016), der European Social des bundesweiten Gesundheitsmonitorings das
Erwerbstätigkeit, aber es werden – im Rahmen Survey (ESS) (http://www.europeansocialsurvey. Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie
variierender thematischer Vertiefungen – auch org, 10.02.2016), das International Social Survey und Gesundheitsberichterstattung, regelmäßig
Längsschnittinformationen zu weiteren Aspekten Programme (ISSP) (http://www.issp.org, telefonische Gesundheitsbefragungen bei 26 000
der sozio-ökonomischen Lebensverhältnisse, wie 10.02.1016) sowie die Daten von Eurostat Personen (2012) durchführt.
zum Beispiel Weiterbildung und Qualifikation, (http://ec.europa.eu/eurostat/data/database,
Soziale Sicherung, Familie und soziale Netze 10.02.1016). Die Eurobarometer-Surveys werden
und in begrenztem Umfang auch zu subjektiven von der Europäischen Kommission mindestens
Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellun- zweimal jährlich in allen Mitgliedsländern sowie
gen erhoben. darüber hinaus auch in den Beitrittsländern der
Europäischen Union durchgeführt. Sie umfassen
Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozial-
ein breites Spektrum von gleichbleibenden und
wissenschaften – ALLBUS (http://www.gesis.org/
wechselnden Fragen zu verschiedenen gesell-
allbus, 10.02.2016) ist eine Repräsentativbe
schafts- und europapolitisch relevanten Themen.
fragung, die in der Bundesrepublik seit 1980 in
Der European Social Survey (ESS) ist eine
zweijährigem Turnus durchgeführt wird. Verant-
wissenschaftsbasierte Umfrage, die von der Euro-
wortlich für das Forschungsprogramm und das
päischen Kommission, der European Science
Gesamtdesign der ALLBUS-Erhebungen ist
Foundation und den nationalen Forschungs
eine Gruppe der Abteilung »Dauerbeobachtung
förderungseinrichtungen finanziert wird. Der ESS
der Gesellschaft« bei GESIS, dem Leibniz-Institut
wurde in einer ersten Welle in den Jahren 2002/
für Sozialwissenschaften in Mannheim. Die
2003 in 22 europäischen Ländern, in der zweiten
Datenaufbereitung, Archivierung und Weitergabe
Welle in den Jahren 2004/2005 in 24 Ländern,
der Daten erfolgt über das Forschungsdaten
in der dritten Welle in den Jahren 2006/2007
zentrum (FDZ) ALLBUS bei GESIS in Köln. Mit
in 25 Ländern, in der vierten Welle in den Jahren
wechselnden inhaltlichen Themenschwerpunkten
2008/2009 in 30 Ländern, in der fünften Welle
und der teilweisen Replikation von Fragen stellt
2010 in 27 Ländern, in der sechsten Welle 2012
der ALLBUS eine der meistgenutzten Daten
in 28 Ländern und in der siebten Welle 2014 in
quellen für die sozialwissenschaftliche Forschung
22 Ländern durchgeführt. Der ESS umfasst so-
und Lehre in Deutschland dar. Orientiert an den
wohl ein gleichbleibendes Kernmodul von Fragen
Zielsetzungen der deskriptiven Sozialbericht
als auch wechselnde Themenschwerpunkte.
erstattung, der Untersuchung des sozialen Wan-
Das International Social Survey Programme
dels und der international vergleichenden Analyse
(ISSP) entstand aus einer Kooperation zwischen
werden regelmäßig Informationen zu den Berei-
dem ALLBUS, dem amerikanischen General
chen Sozialstruktur und Sozialbeziehungen,
Social Surveys (GSS), dem British Social Atti-
Wertorientierungen und Grundeinstellungen sowie
tudes Survey (BSA) und der Australian National
der Legitimität der sozialen und politischen
University mit dem Ziel, vergleichbare Daten für
Ordnung erhoben. Zu den thematischen Schwer-
mehrere Länder zu erheben. Der ISSP wird seit
punkten des ALLBUS 2010 gehörten »Freund-
465
Datenreport 2016 Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren
Autorinnen
und Autoren
Wissenschafts- Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung (WZB):
GESIS – Leibniz - Institut
für Sozialwissenschaften,
zentrum Berlin Mareike Bünning Mannheim:
für Sozial- wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Projektgruppe der Präsidentin Dr. Angelika Scheuer
forschung (WZB)
Leiterin des Teams »European Social Survey«
Christian Westermeier
Doktorand im SOEP
Karl Brenke
Referent des DIW-Vorstands
Ansprechpartner: soepmail@diw.de
466
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren Datenreport 2016
467
Stichwortverzeichnis Datenreport 2016
Stichwort-
verzeichnis
Von A wie Abend- A Altersrenten
–– Lebenserwartung 30
469
Datenreport 2016 Stichwortverzeichnis
470
Stichwortverzeichnis Datenreport 2016
–– Bevölkerungsdichte 14 –15 Bruttoinvestitionen 108 – 109 –– Einstellungen zur Rolle des Staates 413
–– Einwohnerzahl 14 –16 –– Einstellungen zur Rolle von
–– Entwicklung 14 –16 Bruttolöhne und -gehälter 110 – 111 Frau und Mann 435
–– Geburten 17 – 18 –– Geburtenentwicklung 35
–– Sterbefälle 17 – 19 Bruttonationaleinkommen (BNE) 109 –110 –– Rentenansprüche 323, 334 – 337
–– Säkularisierung 378 – 382
Bevölkerungsdichte Bruttoverdienste –– Vertragsarbeiter 67, 222
–– Bundesländer 14 –– Branchen 142, 144
–– Deutschland 14 –– Bundesländer 141 –142 Demografischer Wandel 23 – 41
–– Großstädte 15 –– Leistungsgruppen 142 –143
–– regional 351– 353 –– pro Monat 143 –144 Demokratie
–– pro Stunde 143 –144 –– Akzeptanz als Staatsform 407– 408
Bevölkerungsentwicklung –– Beste Staatsform 408
–– Deutschland 14 –15 Bruttowertschöpfung 106 –111 –– Einstellungen von Bevölkerungs -
–– Europäische Union 433, 435 gruppen 411– 412
–– regional 15 – 16, 354 – 355 Bundesagentur für Arbeit 104, 113, 126, –– Einstellungen zur D. 407– 412
135 – 136, 315, 318, 320, 444 –– Engagement 400 – 406
Bevölkerungsvorausberechnung 33 – 34 –– Wahlen 391– 399
Bundesländer im Vergleich –– Zufriedenheit mit dem Funktionieren 408 – 410
Bildung –– Bevölkerung 14 –15
–– Abschlüsse 83– 8 4 –– Bevölkerung mit Migrationshintergrund 224 Dienstleistungsbereich/ - sektor
–– Ausbildungsförderung 85, 95 – 98 –– B evölkerungsdichte 14 –– Arbeitszeit 138
–– Ausgaben 85, 93, 96, 98, 100 –– Binnenwanderung 20 –– Beitrag zum BIP 104, 106 –109
–– Berufsausbildung 88 – 89 –– B ruttoinlandsprodukt pro –– Erwerbstätige 128
–– Bildungsniveau der Bevölkerung 98 –100 Erwerbstätigem 356 –– Verdienste 139 –149
–– Bildungssystem 80 – 83 –– Bruttoverdienste 142 – 143
–– Europäische Union 438 – 440 –– Eigentümerquote von Wohnungen 262
–– Hochschulen 89 – 9 6 –– Elterngeld 328 E
–– Lehrer 84 –– Erzieherische Hilfen 331– 332
–– Schulen 81–85 –– Finanzvermögen und Schulden 118 Ehepaare s. auch Paare
–– Schüler 81– 8 4, 86 – 87 –– Fläche 14 –15 –– Alter 45 – 46
–– Zeitaufwand 369 – 370 –– Geburten 328 –– Anzahl 43 – 44
–– Grundsicherung im Alter 322 –– Bildungsstand 44 – 45
Bildung und –– Hilfe zum Lebensunterhalt 321 –– Eheschließungen 49 – 51
–– Armut 172 –173, 186 –– Kinderlosigkeit 61 –– Erwerbstätigkeit 57
–– Einstellungen zur Rolle von –– Kindertagesbetreuung 58 – 59 –– Kinder 51 – 55
Frau und Mann 426 – 431 –– Landtagswahlen 396 – 397 –– Scheidungen 49 – 51
–– Gesundheit 303 – 306 –– Länderfinanzausgleich 116 –– Staatsangehörigkeit 46
–– Kinderlosigkeit 60 – 6 3 –– Leerstand von Wohnungen 264
–– Migrationshintergrund 69–70, 227 – 229, 233, –– Leistungen nach SGB II 319 Eheschließung
238 – 239 –– Pkw - Fahrzeit zum Oberzentrum 353 –– Anzahl 50
–– Paare 44 – 45 –– Soziale Sicherung 318 – 322 –– Einstellungen zur E. 74 –75
–– Politische Beteiligung 402 – 403 –– Sozialversicherungspflichtige –– Heiratsalter 50
–– Vermögen 196 Beschäftigung 357 –– Nationalität 50
–– Zivilengagement 387 –– Sterbealter 283 –– Scheidungen 49–51
–– Sterbeziffer 283
Bildungsbudget 100 –101 –– Wohnfläche 267 Ehrenamt 367– 369, 383 – 389
–– Wohngeld 327
Bildungsniveau der Bevölkerung Eingetragene Lebenspartnerschaften 46
–– B erufliche Bildungsabschlüsse 98 – 99 Bundestagswahlen
–– Migrationshintergrund 69–70, 98, 100, –– Altersgruppen 395 – 398 Einkommen
227 – 229, 238 – 239 –– Sitzverteilung 394 –– Armut 181 – 183, 184 –190
–– Schulabschlüsse 98 – 99 –– Stimmanteile 392– 395 –– Bruttoeinkommen 140 –148, 151 – 153
–– Wahlberechtigte 391– 392 –– Einkommensdynamik 188 – 190
Bildungssystem 80 – 83 –– Wahlbeteiligung 391– 396 –– Einkommensentwicklung 178 – 179
–– Europäische Union 448 – 449
Body - M ass - Index 284 – 286, 294 – 295 –– Gesundheit 302 – 303
C –– Migrationshintergrund 71, 232 – 234, 237, 241
Bruttoanlageinvestitionen 104, 108 –– N ettoeinkommen 52– 53, 152 – 157, 169 –170,
Chancengleichheit 215 – 217 179 –184, 269 – 273
Bruttoeinkommen 140 –148, 151 – 153 –– Ost - West - Vergleich 183 –184
Computer 161–163, 370 – 373 –– Private Haushalte 151 – 157
Bruttoinlandsprodukt (BIP) –– Schichtung 181
–– Entstehungsrechnung 104, 107 – 108 –– Tarifverdienste 139 –140
–– Entwicklung 105 – 106 D –– Verteilung 169 – 171, 180 –181
–– Europäische Union 441
–– Regionale Unterschiede 355 – 356 DDR s. auch Neue Bundesländer Einkommensteuer 115 – 116, 152
–– Verteilungsrechnung 104, 109 – 110 –– Bildungsabschlüsse 70, 98 – 99
–– Verwendungsrechnung 104, 108 – 109 –– Einstellung zum Sozialismus 410
471
Datenreport 2016 Stichwortverzeichnis
472
Stichwortverzeichnis Datenreport 2016
473
Datenreport 2016 Stichwortverzeichnis
474
Stichwortverzeichnis Datenreport 2016
475
Datenreport 2016 Stichwortverzeichnis
Soziale Positionen 205 Steuereinnahmen 114 –116 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 55 – 57
Soziale Schichten 202 – 208 Steuern 104, 107–110, 114 – 116, 149, 152 – 154, Vereine 383 – 384
157, 170, 181
Soziale Sicherung Vererbungsraten von Klassen -
–– Adoptionen 332 – 333 Stiftungen 384 – 385 positionen 211 – 213
–– Arbeitslosengeld II 317– 320
–– Asylbewerberleistungen 324 – 325 Stille Reserve 132 Verkehrsmittelnutzung 341– 349
–– Elterngeld 327– 329
–– Erzieherische Hilfen 329 – 332 Studierende s. Hochschulen Vermögen, private
–– G efährdungseinschätzungen –– Individuelles Nettovermögen 192 –198
des Jugendamtes 333 –– Internationaler Vergleich 198 –199
–– Grundsicherung im Alter 322 – 324 T –– Soziale Position 196 –197
–– Hilfe zum Lebensunterhalt 320 – 322 –– Veränderung 197– 198
–– Kinder - und Jugendhilfe 329 – 332 Tarifverdienste –– Vermögensformen / - komponenten 193 –195
–– Mindestsicherung 317– 325 –– nach Branche 139 –140
–– Sozialbudget 315 – 317 –– nach Region 139 –140 Vermögensungleichheit 192 – 193
–– Sozialgeld 317– 319
–– Sozialhilfe 316 – 317, 320 – 324 Tarifverträge 139 –140 Vertriebene 21, 66, 222
–– Wohngeld 325 – 327
–– Zuständigkeit des Staates 412 – 414 Todesursachen Volkseinkommen 110
–– D eutschland 283 – 284
–– Europäische Union 451– 452
476
Stichwortverzeichnis Datenreport 2016
Volkswirtschaftliche Gesamt - Z
rechnungen 103 –111, 113, 118, 126
Zeitempfinden 365
Vollzeit - und Teilzeitverdienste 143 –145
Zeitverwendung
Vorsorge - und Rehabilitationseinrichtungen –– Bildung 369 – 370
–– Anzahl 288 –– Erwerbsarbeit 363 – 365
–– Betten 288 –– Freizeit 370 – 373
–– Patienten 288 –– Kinderbetreuung 365 – 367
–– Personal 289 –– Unbezahlte Arbeit 363 – 365
–– Urlaub 361
W Zivilgesellschaft
–– Engagement 385 – 388
Wahlen 391– 399 –– G ering organisationsgebundenes
Engagement 388
Wanderungsbewegungen –– Organisationen 383 – 385
s. auch Migration –– Spenden 388 – 389
–– Außenwanderung 21– 23
–– B innenwanderung 20 – 21 Zukunftserwartungen 422– 424
–– G esamtwanderung 18, 20
–– Zuzug von Aussiedlern 21 – 22 Zuwanderung s. Migration
Werte
–– Materialisten 417– 421
–– Postmaterialisten 417– 421
–– Wertewandel 417– 421
Wirtschaftssektoren 128
Wohlstand
–– Europäische Union 448 – 449, 453 – 455
–– G erechte Verteilung 421– 423
–– M essung 105, 170
–– Regionale Unterschiede 355
–– Subjektive Einschätzung 205
–– Verteilung 178 –190
Wohnen 259 – 273
Wohngebäude
–– Alter 260 – 261
–– Größe 259 – 260
–– Eigentümerstruktur 261 – 263
–– Leerstand 262 – 264
–– Wohnungsgröße 263
Wohngeld 325 – 327
Wohnsituation
–– B elastung durch Wohnung/
Wohnumfeld 272 – 273
–– Eigentümerhaushalte 264 – 268
–– Europäische Union 437, 450 – 451
–– Haushaltstypen 265 – 268
–– Mieten 267– 271
–– Mieterhaushalte 264 – 268
–– Migrationshintergrund 237
–– Wohnfläche 264 – 268
477
Datenreport 2016 Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungs-
verzeichnis
Von A wie AFBG AFBG
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
BSP
Bruttosozialprodukt
BAGFW DIW
Bundesarbeitsgemeinschaft der Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Freien Wohlfahrtspflege
EP
BAuA Entgeltpunkte (Rentenversicherung)
Bundesanstalt für Arbeitsmedizin
und Arbeitsschutz ESVG
Europäisches System Volkswirtschaftlicher
BBG Gesamtrechnungen
Beitragsbemessungsgrenze
EU
BBSR Europäische Union
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung Eurostat
Statistisches Amt der
BIP Europäischen Union
Bruttoinlandsprodukt
EU-SILC
BKK European Union Statistics on Income and
Betriebskrankenkasse Living Conditions
Europäische Gemeinschaftsstatistik über
BMF Einkommen und Lebensbedingungen der
Bundesministerium der Finanzen B evölkerung (LEBEN IN EUROPA)
BMI EVS
Body-Mass-Index Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
BMZ EWCS
Bundesministerium für wirtschaftliche European Working Conditions Survey
Zusammenarbeit und Entwicklung Europäische Erhebung über die
Arbeitsbedingungen
BNE
Bruttonationaleinkommen EZB
Europäische Zentralbank
478
Abkürzungsverzeichnis Datenreport 2016
ISCED Pkw
International Standard Classification of Education Personenkraftwagen
Internationale Standardklassifikation des
Bildungswesens RÜG 1991
Rentenüberleitungsgesetz
ISSP
International Social Survey Programme SGB
Sozialgesetzbuch
479
Das ist Gisela.
Gisela ist 70 Jahre alt.