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Datenreport

2016
Ein Sozial-
bericht für die
Bundesrepublik
Deutschland

Statistisches Bundesamt WZB


Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
Datenreport
2016
Ein Sozial-
bericht für die
Bundesrepublik
Deutschland

Herausgeber:

Statistisches Bundesamt (Destatis)


Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

in Zusammenarbeit mit

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP)


am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
Die genannten Prozentwerte im Text sind größtenteils gerundet.
Abweichungen in den Summen ergeben sich durch Runden
der Zahlen.

Erläuterungen und Fußnoten


Zusatzangaben, die sich auf die gesamte Tabelle oder Abbil-
dung beziehen, ­stehen als Anmerkung direkt unter der Tabelle
beziehungsweise Abbildung. Angaben, d ­ ie sich nur auf einzelne
Merkmale beziehungsweise Zahlen beziehen, stehen als
Fußnoten.

Bonn 2016 in der Reihe Zeitbilder


Copyright dieser Ausgabe:
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb,
Adenauerallee 86, 53113 Bonn
www.bpb.de

Redaktionell verantwortlich
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb):
Gernot Dallinger
Statistisches Bundesamt (Destatis):
Redaktionsleitung: Kerstin Hänsel, Redaktion: Marion Petter
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB):
Mareike Bünning, Alina Juckel
unter Mitarbeit von Jürgen Schupp, Deutsches Institut für
Wirtschafts­forschung (DIW)

Erstellung des Registers: Benjamin Dresen

Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung


der ­Bundeszentrale für politische Bildung dar.
Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autorinnen und
­Autoren die Verantwortung.

Grafische Konzeption und Layout, Umschlaggestaltung:


­Leitwerk. Büro für Kommunikation
ISBN 978-3-8389-7143-8

Die elektronische Fassung finden Sie auf den Webseiten


der beteiligten Institutionen
www.bpb.de/datenreport
www.destatis.de/datenreport
www.wzb.eu/datenreport
Vorwort  Datenreport 2016

Vorwort
Der Datenreport Der Datenreport, den die Bundeszentrale
für politische Bildung zusammen mit
die Grundlagen für einen rationalen poli-
tischen Diskurs gelegt, die Lösungen ge-
als wichtiges dem Statistischen Bundesamt (Destatis), sellschaftlicher Probleme aber nicht vor-
In­s trument zur dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)
und dem Sozio-oekonomischen Panel
gegeben – sie müssen im demokratischen
Willensbildungsprozess gefunden werden.
politischen Bildung (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirt- Journalisten, Studierende, aber auch
schaftsforschung (DIW Berlin) 2016 in der Fachleute aus Wissenschaft, Politik,
15. Auf lage herausgibt, gehört mittler­ Wirtschaft und Verwaltung erhalten mit
Thomas Krüger
weile zu den Standardwerken für all jene, dem »Datenreport 2016« ein übersicht-
die sich schnell und verlässlich über sta- lich gestaltetes Handbuch, das sie mit den
Der Präsident der Bundeszentrale tistische Daten und sozialwissenschaft­ notwendigen Zahlen, Fa kten und
für politische Bildung liche Analysen zu den aktuellen gesell- ­A rgumenten versorgt, um an den öffent­
schaftlichen Entwicklungen in der Bun- lichen Debatten zu den wirtschaftlichen,
desrepublik Deutschland informieren sozialen und politischen Trends in unse-
wollen. Die Statistik ermöglicht es, sich rem Lande teilzunehmen.
einen Überblick etwa über die Bevölke- Der Datenreport ist damit nicht nur
rungsentwicklung, den Arbeitsmarkt, den ein Sozialbericht über den Zustand der Re-
Gesundheitssektor bis hin zu Fragen poli- publik, sondern ein wichtiges Instrument
tischer Partizipation zu verschaffen. Durch politischer Bildung. Er stellt den Nutzerin-
die wissenschaftliche Einordnung ergibt nen und Nutzern Material zur Verfügung,
sich ein Gesamtbild der Lebensverhält- das sie benötigen, um sich ein eigenes be-
nisse unserer Gesellschaft. Damit sind zwar gründetes Urteil bilden zu können.

5
Datenreport 2016  Nachruf

Forscher, R
­ edakteur und
Menschenfreund
Zum Tod von
Roland Habich
(1953–2015)
Text: Jutta Allmendinger
Foto: David Ausserhofer

»Roland Habich ist gestorben.« Die Nach- zu werden. Die Tutoren wussten das auch,
richt, die uns an einem Sonntag im April und viele benahmen sich dementspre-
erreichte, ist noch immer schwer zu er- chend. Roland Habich war anders: ruhig,
fassen. Im WZB und bei vielen anderen freundlich, überaus hilfsbereit. Dünkel
Organisationen, mit denen er zusammen- war ihm völlig fremd. Er begegnete nie-
gearbeitet hat, haben sich seitdem viele mandem von oben herab.
Menschen erinnert, haben an gemeinsame Roland Habich stammt aus dem
Projekte, persönliche Begegnungen und Landkreis Karlsruhe, aus Upstadt-Weiher,
an aktuelle Projekte gedacht, an denen wo er 1953 geboren wurde. 1974 begann
Roland Habich beteiligt war. er an der Universität Mannheim sein Stu-
Oft waren es Erinnerungen an die ers- dium der Psychologie und der Soziologie,
te Begegnung und die spontan empfunde- bei der Wolfgang Zapf sein akademischer
ne Sympathie, vor Jahren, manchmal vor Lehrer war. Nach dem Studium folgten
Jahrzehnten. Ich selbst habe ­Roland Ha- Stationen an den Universitäten Frankfurt
bich 1976 kennengelernt. Als ich mein am Main und wieder Mannheim. Wolf-
Studium in Mannheim aufnahm, war er gang Zapf lud Habich 1988 ans WZB ein,
mein Tutor. Ich studierte bei Wolfgang das er damals leitete. Habich wurde wis-
Zapf, M. Rainer Lepsius, Hans Albert und senschaftlicher Mitarbeiter und For-
Martin Irle. In den großen Vorlesungen schungskoordinator der Abteilung Sozial-
gab es Tutoren. Wir ganz Jungen wussten, struktur und Sozialberichterstattung.
dass es etwas ganz Besonderes war, Tutor Mit der Zeit verlagerte er seinen Arbeits-

6
Nachruf  Datenreport 2016

schwerpunkt in Richtung Methoden, verantwortungsbewusster Datenschutz- Eigentlich wollte Roland Habich der
ohne die inhaltliche Arbeit aufzugeben. beauftragter. Er baute am WZB das zent- Welt noch mehr von seiner Zeit geben. Er
Im Gegenteil: Bis zu seinem plötzlichen rale Datenmanagement auf. Er engagierte hatte vor, mit 63 Jahren in Rente zu ge-
Tod war er einer der Herausgeber des sich für die berufliche Ausbildung am hen, und unterstützte die Arbeitsgruppe
vom WZB, dem Statistischen Bundesamt WZB und nahm dabei vor allem die am WZB, die über die zukünftige Aus-
und der Bundeszentrale für politische ­Fachangestellten für Markt- und Sozial- richtung des Datenmanagements zu bera-
Bildung alle zwei Jahre veröffentlichten forschung in seine Obhut. Er war Mit- ten hatte. Was uns mit seinem plötzli-
Datenreports und zugleich einer der ver- glied im Nutzerbeirat des Leibniz-Insti- chen Tod verloren ging, ist Wissen, Er-
antwortlichen Redakteure dieses »Sozial- tuts für Sozialwissenschaften GESIS und fahrung, ein genauer Blick, vor allem
berichts für die Bundesrepublik Deutsch- engagiert im Rat für Sozial- und Wirt- aber ein feiner Mann. Solche Menschen
land«, der von Öffentlichkeit und Politik schaftsdaten, dessen Geschäftsstelle zu- sind selten. Roland Habich wird weit über
immer mit großem Interesse aufgenom- künftig am WZB angesiedelt sein wird. seine Familie und seinen Freundeskreis,
men wurde und einen genauen und diffe- Er war Lehrbeauftragter an der Univer­ über seine unmittelbare Kollegenschaft
renzierten Blick auf die gesellschaftlichen sität Potsdam, Jahrzehnte nach seiner und das WZB hinaus vermisst werden –
Entwicklungen ermöglichte, von Bevöl- ­Tutorentätigkeit in Mannheim immer und in Erinnerung bleiben.
kerung, Gesundheit und Wohnen über noch einer, der vermittelte, erklärte, half.
Familie, Arbeit und Bildung bis zu sozia- Kein Gegenüber war ihm zu groß oder zu
ler Ungleichheit, Migration und politi- klein: An einem Girls‘ and Boys‘ Day am
scher Partizipation. Er war in den letzten WZB führte er 8- bis 12-Jährige in die
Jahren maßgeblich an der Neuausrich- ­S ozialwissenschaften ein und betreute
tung des Datenreports beteiligt, in dem mit Leichtigkeit und Ernst deren kleines
nun amtliche Statistik und Forschung Forschungsprojekt.
eng miteinander verknüpft sind. Hilfsbereitschaft, Zugewandtheit, Un-
In dieser Rolle als Mitherausgeber und terstützung zeichneten ihn im Beruf aus
Redakteur war er immer gefordert. Es wie im Privaten. Roland Habich war eine
war eine echte Knochenarbeit. Die Pers- Art Menschenschutzbeauftragter, der vie-
pektiven mehrerer Disziplinen und unter- les aushielt, aushalten musste, ein verletz-
schiedlicher Institutionen galt es zu inte­ licher, sensibler, ehrlicher Mensch. Er war
grieren, und das bei einer enormen Stoff- treu, ja fast zärtlich zu allen, die ihm teu-
fülle und immer unter großem Zeitdruck. er waren, wie sein Lehrer Wolfgang Zapf,
In diesen kollaborativen Prozessen und der immer auf seinen Rat und sein Wort
bei den damit einhergehenden Verhand- bauen konnte. Selbst mitgenießend, ließ
lungen sind oft – abgestimmt oder nicht – er andere am WZB immer an der Ernte
die Rollen von »good guy« und »bad guy« seines Gartens teilhaben, seien sie badi-
zu vergeben. Für Roland Habich kam nur sche Landsleute, schwäbische Nachbarn
eine Rolle in Frage, die des »good guy«. oder Nordlichter. Er war Schriftführer
Nur musste er die gar nicht spielen; er der SPD seines Ortsvereins Großbeeren
war einfach ein Menschenfreund. und über viele Jahre ehrenamtlicher
In den Jahrzehnten am WZB erarbei- Schöffe – auch dies mit großem Engage-
tete Roland Habich sich stets neue Auf­ ment und einem starken gesellschaftli-
gabenfelder. Er war ein engagierter und chen Verantwortungsgefühl.

7
Datenreport 2016  Einleitung

Einleitung
Statistische Aufgrund der aktuellen Zuwanderungs-
bewegungen stehen die Themen Migrati-
im ehemaligen Jugoslawien auf vorher
ungekannte Werte und erreichten einen
Daten und sozial- on und Flucht derzeit im Zentrum der öf- Höchstwert von rund 440 000 im Jahr
wissenschaft- fentlichen Debatten in Deutschland.
Hierbei werden verstärkt Fragen nach
1992. Im Jahr 2015 wurde dieser Spitzen-
wert noch einmal deutlich übertroffen:
liche Analysen den Herausforderungen und Chancen der Bis September stellten bereits mehr
Einwanderung aufgeworfen, die sich an- als 570 000 Flüchtlinge Asylanträge in
gesichts der kontinuierlichen Zuwande- Deutschland.
Die Herausgeber
rung bereits seit den 1950er-Jahren stel- Über die Hälfte der Menschen mit
len und kontrovers diskutiert werden. In Migrationshintergrund besitzt die deut-
Destatis / WZB Deutschland leben mittlerweile 16,4 Mil- sche Staatsbürgerschaft. Zwei Drittel von
lionen Menschen mit Migrationshinter- ihnen sind selbst zugewandert, ein Drit-
grund, das ist ein Fünftel der Gesamt­ tel stellt die in Deutschland geborene
bevölkerung (ohne die Zugewanderten zweite Generation dar.
des letzten Jahres). Auch wenn diese Wesentliche Daten und Fakten zu
Menschen unter einem Begriff – dem der ­Z uwanderung und Integration der in
»Migranten« – zusammengefasst werden, Deutschland lebenden Migranten finden
ist dieser Teil der Bevölkerung sehr hete- sich im »Datenreport 2016 – Ein Sozial-
rogen und unterscheidet sich beispiels- bericht für die Bundesrepublik Deutsch-
weise nach Herkunft, Generation und land«. So schneiden Menschen mit Migra-
Staatsangehörigkeit. tionshintergrund in Bezug auf viele sozio-
Die größte Gruppe der Bevölkerung ökonomische Faktoren schlechter ab als
mit Migrationshintergrund sind noch die Bevölkerung ohne Migrationshinter-
immer die Gastarbeiter und ihre Familien, grund. Sie verfügen im Durchschnitt
die im Rahmen von Anwerbeabkommen über niedrigere Bildungsabschlüsse und
in den 1950er- und 1960er-Jahren haupt- sind häufiger von Arbeitslosigkeit und
sächlich aus Südeuropa nach Deutschland Armut betroffen. Doch lässt sich dieses
kamen. Eine zweite größere Gruppe bil- Muster nicht auf alle Bereiche verallge-
den die (Spät-)Aussiedler, die vor allem meinern. Trotz der genannten Nachteile
zwischen 1990 und 2000 einwanderten. sind die Migranten etwas zufriedener mit
Die Migranten, die diesen beiden Grup- ihrem Leben als die Mehrheitsbevölke-
pen angehören, leben im Durchschnitt rung ohne Migrationshintergrund. Zu-
seit über 30 Jahren in Deutschland. In dem gibt es große Unterschiede sowohl
jüngerer Zeit erfolgte Zuwanderung ver- zwischen den einzelnen Herkunftsgrup-
stärkt aus den Staaten Mittelosteuropas, pen als auch zwischen den Generationen.
die seit 2004 der EU beigetreten sind. Migranten, die nach 2000 zugewandert
­Darüber hinaus waren Flüchtlingsbewe- sind, verfügen beispielsweise häufiger
gungen für die Zuwanderung zu zwei über einen Hochschulabschluss als Men-
Zeitpunkten von besonderer Bedeutung: schen ohne Migrationshintergrund der
Anfang der 1990er Jahre stiegen die Asyl- gleichen Altersgruppe. Die zweite Gene-
bewerberzahlen durch den Bürgerkrieg ration konnte sich in vielen Bereichen ge-

8
Einleitung  Datenreport 2016

genüber ihren Eltern verbessern. Sie spre- mungen, Einstellungen und Bewertungen. Einstellungen und Wertorientierungen,
chen besser Deutsch, erzielen höhere Bil- Sie ergänzt und bereichert das Informa- aber auch über die bisher erzielten Erfolge
dungsabsch lüsse und weisen ein tions- und Analysepotential auch in kon- des Vereinigungsprozesses und die suk-
geringeres ­A rmutsrisiko auf. Bezüglich zeptioneller und methodischer Hinsicht. zessive Angleichung der Lebenslagen in
der beruf­lichen Stellung verzeichnen sie Mit der Ausgabe des Datenreport Ost- und Westdeutschland.
hingegen nur leichte Aufstiegstendenzen 2008 wurde die bis dahin strikte Zwei­ Der Datenreport, der mit dieser Aus-
gegenüber ihren Eltern. teilung des Sozialberichtes in die Beiträge gabe 2016 seit mehr als drei Jahrzehnten
Solche Daten und Fakten sind gut ge- der amtlichen Statistik und die der wissen- erscheint, ist ein einzigartiges Gemein-
eignet, ein allzu schnelles Urteil über den schaftlichen Sozialberichterstattung auf- schaftsprojekt von amtlicher Statistik
Zustand und die Entwicklung unserer gegeben und eine integrierte, nach The- und wissenschaftlicher Sozialberichter-
Gesellschaft zu revidieren. Es bedarf menbereichen strukturierte Gliederung stattung, das im Veröffentlichungspro-
­jedoch einer spezifischen Kombination vorgelegt. Die institutionelle Einbindung gramm der Bundeszentrale für politische
unterschiedlicher Datenquellen: Um die der Abschnitte und Kapitel wird seither Bildung einen ganz besonderen Stellen-
Lebensbedingungen und die Lebensquali- durch eine farbige Zuordnung zu amt­ wert einnimmt.
tät in Deutschland auf der Grundlage der licher Statistik (blau) und wissenschaft­ Mit seiner umfassenden Bilanzierung
besten zur Verfügung stehenden empiri- licher Sozialberichterstattung (orange) der Lebensverhältnisse in Deutschland
schen Informationen umfassend und dif- unterstützt. zielt der Datenreport auch darauf ab, den
ferenziert zu untersuchen, vereinigt der Die vorliegende Ausgabe 2016 enthält Entscheidungsträgern in Politik und
Datenreport die Ergebnisse der amtlichen neue Abschnitte zur Bevölkerung mit Wirtschaft handlungsrelevante Informa-
Statistik und die Befunde der sozialwis- Migrationshintergrund, zur Lebenssitua- tionen zur Verfügung zu stellen. Ins­
senschaftlichen Sozialberichterstattung. tion älterer Menschen mit Migrations- besondere stellt er sich – als ein im Pro-
Die amtliche Statistik ist mit ihren um- hintergrund und zu Asylsuchenden. Des gramm der Bundeszentrale für politische
fangreichen, vielfältigen und kontinuier- Weiteren befassen sich neue Abschnitte Bildung veröffentlichter Sozialbericht –
lich durchgeführten Erhebungen nach mit den Themen Wohnen, Zeitverwen- der Aufgabe, dem Informationsbedürfnis
wie vor der wichtigste Anbieter von In- dung, Vermögen, Berufspendler und einer interessierten Öffentlichkeit in einer
formationen über die Lebensverhältnisse ­L ebensqualität und Identität in der Euro- demokratischen Gesellschaft gerecht zu
und die Entwicklung der deutschen Ge- päischen Union. Das bereits vorhandene werden.
sellschaft. Die Erfahrung hat aber auch Kapitel Einstellungen zur Rolle der Frau Auf den Internetseiten der beteiligten
gezeigt, dass eine leistungsfähige sozial- wurde erstmals um Einstellungen zur Institutionen steht der Datenreport in
wissenschaftliche Datengrundlage für Rolle des Mannes ergänzt. elektronischer Form ganz oder kapitel-
eine aktuelle und differenzierte Sozial­ Obwohl seit der deutschen Vereini- weise zum Download zur Verfügung.
berichterstattung ebenso notwendig ist. gung inzwischen mehr als 25 Jahre ver- Weiterführende Informationen zu den
Mit ihren speziell für die gesellschaft­ gangen sind, verdient die Beobachtung Daten, die der Veröffentlichung zugrun-
liche Dauerbeobachtung konzipierten so- des Zusammenwachsens und der Herstel- de liegen, und zum Datenangebot des
zialwissenschaftlichen Erhebungen stellt lung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Statistischen Bundesamtes finden Sie im
die wissenschaftliche Sozialberichterstat- Ost- und Westdeutschland weiterhin be- Anhang.
tung nicht nur Informationen zu Themen sondere Aufmerksamkeit. Der Daten­
und Fragestellungen bereit, die außerhalb report informiert daher über noch vor-
des gesetzlich festgelegten Erhebungspro- handene Disparitäten in verschiedenen
gramms der amtlichen Statistik liegen, Bereichen der Lebensbedingungen sowie
wie zum Beispiel subjektive Wahrneh- über Unterschiede in Verhaltensweisen,

9
Datenreport 2016  Inhalt

Inhalt

Vorwort  5 Statistisches Bundesamt


(Destatis)
Einleitung  8
Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung (WZB) / 
Sozio-oekonomisches Panel
1 Bevölkerung und Demografie (SOEP)

1.1 Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  13


Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit 
1.2 28
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen 
1.3 35

2 Familie, Lebensformen und Kinder


2.1 Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertagesbetreuung  43
2.2 Kinderlosigkeit  60
2.3 Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergund  64
2.4 Einstellungen zu Familie und Lebensformen  74

3 Bildung
3.1 Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  79

4 Wirtschaft und öffentlicher Sektor


4.1 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen  103
4.2 Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  112

5 Arbeitsmarkt und Verdienste


5.1 Arbeitsmarkt  125
5.2 Verdienste  139

6 Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung


6.1 Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte,
private Überschuldung  151
6.2 Armutsgefährdung und materielle Entbehrung  169
6.3 Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  178
6.4 Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung  191

7 Sozialstruktur und soziale Lagen


Soziale Lagen und soziale Schichtung 
7.1 201
Soziale Mobilität 
7.2 209
Bevölkerung mit Migrationshintergrund 
7.3 218
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen 
7.4 236

10
Inhalt  Datenreport 2016

8 Flüchtlinge
8.1 Asylsuchende in Deutschland und der Europäischen Union  245

9 Wohnen
9.1 Wohnsituation und Mietkosten  259

10 Gesundheit und soziale Sicherung


10.1 Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen
der Gesundheitsversorgung  275
10.2 Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  291
10.3 Gesundheitliche Ungleichheit  302
10.4 Soziale Sicherung  315
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten
10.5 
in Ost- und Westdeutschland  334

11 Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede


11.1 Art und Umfang der räumlichen Mobilität  341
11.2 Berufspendler  347
11.3 Regionale Disparitäten  350

12 Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation
12.1 Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  361
12.2 Religiosität und Säkularisierung  378
12.3 Zivilgesellschaftliches Engagement  383

13 Demokratie und politische Partizipation


13.1 Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen  391
13.2 Politische Integration und politisches Engagement   400
13.3 Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat  407

14 Werte und Einstellungen


14.1 Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen  417
14.2 Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes  426

15 Deutschland in Europa
15.1 Leben in der Europäischen Union  433
15.2 Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union  453

Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren  461
Stichwortverzeichnis  469
Abkürzungsverzeichnis  478

11
83
Jahre betrug die Lebenser-
wartung von Frauen und 78 die
von Männern nach der Sterbe-
tafel 2010/2012.

30
Jahre war das Durch-
schnittsalter von Müttern
227
beim ersten Kind im
Jahr 2014. Einwohner je Quadrat­
kilometer lebten 2014
in Deutschland.

62 %
betrug der Anteil nicht­
ehelicher Geburten 2012 in
Ostdeutschland. In West-
deutschland waren es 28 %.
1
Bevölkerung
und Demografie
1.1 Wie viele Menschen leben in Deutsch-
land? Wo wohnen sie und wie alt sind sie?
Hinter den Zahlen verbergen sich aber

Bevölkerungs-
auch Werthaltungen und Lebenseinstel-
Daten über Struktur und Entwicklung lungen, die ihrerseits wieder Rückwir-
stand und der Bevölkerung gehören zum grund­
legenden Informationsbedarf für fast alle
kungen auf die Bevölkerungsstruktur ha-

Bevölkerungs­
ben. So spiegelt sich zum Beispiel in den
Bereiche von Staat, Wirtschaft und Ge- Zahlen der Eheschließungen und -schei-
entwicklung sellschaft. Die Politik benötigt sie, weil
viele Entscheidungen – beispielsweise im
dungen, der Geburtenentwicklung und
der Familiengröße die Einstellung der
Bildungs- und Gesundheitswesen – nur Gesellschaft zur Familie und zu Kindern
Claire Grobecker, Olga Pötzsch, auf der Grundlage gesicherter bevölke- wider. Der Altersaufbau wird von diesen
Bettina Sommer rungsstatistischer Angaben getroffen Lebenseinstellungen mitbestimmt und
werden können. Für das wirtschaftliche hat zugleich direkte Auswirkungen auf
Geschehen sind demografische Gegeben- die Bildungs- und Beschäftigungsmög-
Destatis
heiten von Bedeutung, weil sie Grund­ lichkeiten der Bevölkerung und beein-
informationen über die Menschen als flusst daher unmittelbar ihre Lebensweise.
Arbeitskräfte, Einkommensbezieher und Aufgrund dieser vielfältigen Wechsel-
Konsumenten liefern. wirkungen und des weitreichenden Be-

u Info 1
Datenquelle der Bevölkerungsstatistik und Gebietsstände
Die Bevölkerungszahl wird mittels der Bevölkerungsfortschreibung nachgewiesen. Auf den Ergeb-
nissen des letzten Zensus aufbauend führen die statistischen Ämter auf Gemeindeebene die
­Fortschreibung des Bevölkerungsstandes durch Bilanzierung der Ergebnisse der Statistiken über
Geburten und Sterbefälle sowie der Wanderungsstatistik durch. Die Bevölkerungszahlen werden
nach jedem Zensus (zuletzt Zensus vom 9. Mai 2011) ab dem Zensusstichtag umgestellt. Die Bevöl-
kerungsfortschreibung liefert demografische Grunddaten über die gesamte Bevölkerung wie Ge-
schlecht, Alter, Familienstand und Staatsangehörigkeit (deutsche beziehungsweise nicht deutsche
Staatsangehörigkeit).

Für die ehemalige DDR liegen in der Bevölkerungsstatistik im Wesentlichen vergleichbare Angaben
vor. Seit 2001 werden in der amtlichen Statistik grundsätzlich nur noch Daten für Berlin insgesamt
nachgewiesen. Soweit bei Bevölkerungsangaben noch ein getrennter Nachweis für das frühere
Bundesgebiet und für die neuen Länder erfolgt, ist Berlin nicht enthalten.

13
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

darfs an demografischen Daten gehört die Kapitel 7.3, Seite 218. Daten zum Thema lionen Personen, davon waren 49 %
Bevölkerungsstatistik zu den traditions- Asyl enthält Kapitel 8, Seite 245. männlich und 51 % weiblich. Gegenüber
reichsten Arbeitsgebieten der amtlichen 2013 ist die Bevölkerung damit um
Statistik. Die Statistiken werden seit 1950 1.1.1 Bevölkerungsstand 430 000 Einwohnerinnen und Einwohner
in der jetzigen Form geführt, die Zeitrei- Bei den vorliegenden Bevölkerungszah- beziehungsweise um 0,5 % gewachsen.
hen gehen teilweise bis ins 19. Jahrhun- len für 2014 handelt es sich um Fortschrei- Rund 65,2 Millionen Personen (80 %) leb-
dert zurück. u Info 1 bungsergebnisse auf Basis des Zensus ten in den alten Bundesländern, 12,5 Mil-
Weitere Informationen zur Bevölke- 2011. Dieser Fortschreibung zufolge lebten lionen (15 %) in den neuen Bundeslän-
rung mit Migrationshintergrund bietet Ende 2014 in Deutschland rund 81,2 Mil- dern und 3,5 Millionen (4 %) in Berlin.

u Tab 1  Bundesländer nach Fläche, Bevölkerung und Bevölkerungsdichte 2014


Bevölkerung
Fläche Einwohner
Regierungssitz insgesamt Männer Frauen
je km²
in 1 000 km² in 1 000
Baden-Württemberg Stuttgart 35,8 10 717 5 284 5 432 300
Bayern München 70,6 12 692 6 250 6 442 180
Berlin Berlin 0,9 3 470 1 696 1 774 3 891
Brandenburg Potsdam 29,7 2 458 1 210 1 247 83
Bremen Bremen 0,4 662 324 337 1 578
Hamburg Hamburg 0,8 1 763 857 905 2 334
Hessen Wiesbaden 21,1 6 094 2 992 3 102 289
Mecklenburg-Vorpommern Schwerin 23,2 1 599 788 811 69
Niedersachsen Hannover 47,6 7 827 3 846 3 981 164
Nordrhein-Westfalen Düsseldorf 34,1 17 638 8 606 9 032 517
Rheinland-Pfalz Mainz 19,9 4 012 1 971 2 041 202
Saarland Saarbrücken 2,6 989 483 506 385
Sachsen Dresden 18,4 4 055 1 988 2 068 220
Sachsen-Anhalt Magdeburg 20,5 2 236 1 096 1 140 109
Schleswig-Holstein Kiel 15,8 2 831 1 381 1 449 179
Thüringen Erfurt 16,2 2 157 1 063 1 094 133
Deutschland Berlin 357,4 81 198 39 835 41 362 227

Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

u Tab 2  Bevölkerungsentwicklung — in Tausend


Früheres
Deutschland Neue Länder² Berlin
Bundesgebiet¹
1950 69 346 50 958 18 388 –
1960 73 147 55 958 17 188 –
1970 78 069 61 001 17 068 –
1980 78 397 61 658 16 740 –
1990 79 753 63 726 16 028 3 434
2000 82 260 67 140 15 120 3 382
2010 81 752 65 426 12 865 3 461
2011 80 328 64 429 12 573 3 326
2012 80 524 64 619 12 530 3 375
2013 80 767 64 848 12 498 3 422
2014 81 198 65 223 12 505 3 470

Ergebnisse jeweils am 31.12. Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011.
1  Seit 2001 ohne Berlin-West.
2  Seit 2001 ohne Berlin-Ost.
–  nichts vorhanden.

14
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

Die bevölkerungsreichsten Länder waren Rückgang der Bevölkerungszahlen. Im rungsdichte im früheren Bundesgebiet
Nordrhein-Westfalen (17,6  Millionen Jahr 2011 gab es einen kleinen Bruch in der (ohne Berlin-West) zwischen 263 und
Personen), Bayern (12,7 Millionen Perso- Zeitreihe, bedingt durch den Zensus 2011, 264 Einwohner je Quadratkilometer. Für
nen) und Baden-Württemberg (10,7 Mil- der zu einer Revision der Bevölkerungs- 2014 wurde im früheren Bundesgebiet
lionen Personen). In diesen drei Bundes- zahl um 1,5 Millionen Personen nach un- (ohne Berlin-West) eine Einwohnerdichte
ländern lebten rund 51 % der Bevölke- ten führte. Unter Berücksichtigung die- von 262 ermittelt, wobei der Rückgang auf
rung Deutschlands. Die Hälf te der ses Sondereffekts setzte ab dem Jahr 2011 die Revision der Einwohnerzahlen infolge
Bundesländer hatten dagegen weniger als wieder eine Bevölkerungszunahme ein. des Zensus 2011 zurückzuführen ist. In
3 Millionen Einwohnerinnen und Ein- Zwischen West und Ost war die Ent- den neuen Ländern und Berlin-Ost ver­
wohner. u Tab 1 wicklung seit der deutschen Vereinigung ringerte sich dieser Wert zwischen 1950
Mit 81,2 Millionen hatte Deutschland allerdings unterschiedlich: In den alten und 1990 von 171 auf 148 Einwohner je
Ende 2014 rund 11,9 Millionen Einwohne- Bundesländern nahm die Bevölkerung – Quadrat­k ilometer. Seit 2001 sank die
rinnen und Einwohner mehr als 1950. In mit Ausnahme der Jahre 2006 bis 2009 – Bevölkerungsdichte in den neuen Ländern
West- und Ostdeutschland hat sich die Be- zu, während die neuen Bundesländer seit (ohne Berlin-Ost) stetig von 127 auf 116 Ein­
völkerungszahl seit 1950 jedoch sehr un- 1990 durchgehend einen Bevölkerungs- wohner je Quadratkilometer im Jahr 2014.
terschiedlich entwickelt. Im früheren Bun- rückgang verzeichneten. Berlin zeigte ab- Für Deutschland insgesamt lag die
desgebiet stieg sie zwischen 1950 und 1973 wechselnde Phasen von Zuwachs und Einwohnerdichte Ende 2014 bei 227 Ein-
von 51,0 Millionen auf 62,1 Millionen Per- Rückgang. u Tab 2 wohnern je Quadratkilometer. Am dich-
sonen. Gleichzeitig ging sie in der ehemali- testen besiedelt waren die Stadtstaaten
gen DDR von 18,4 Millionen auf 17,0 Milli- Regionale Bevölkerungsverteilung (Berlin: 3 891 Personen je Quadratkilome­
onen Personen zurück. Die Bevölkerungs- Der Bevölkerungszahl entsprechend verän- ter, Hamburg: 2 334, Bremen: 1 578). Die
zahl stabilisierte sich danach zwischen derte sich auch die Bevölkerungsdichte in geringste Besiedlung je Quadratkilometer
61 Millionen und 62 Millionen Personen beiden Teilen Deutschlands. Im früheren wiesen die Bundesländer Mecklenburg-
im Westen sowie zwischen 16 Millionen Bundesgebiet und Berlin-West stieg die Vorpommern (69 Personen), Brandenburg
und 17 Millionen Personen im Osten. Einwohnerzahl je Quadratkilometer im (83 Personen) und Sachsen-Anhalt
Seit der deutschen Vereinigung Ende Zeitraum von 1950 bis 1973 von 202 auf (109 Personen) auf (siehe Tabelle 1).
1990 nahm die Bevölkerung Deutschlands 250 an, ging danach bis 1984/1985 auf 245 Ende 2014 gab es in Deutschland 11 116
bis Ende 2002 zuerst von 79,8 Millionen leicht zurück und stieg nach der Wende bis politisch selbstständige Gemeinden und
auf 82,5 Millionen Personen (+ 2,8 Millio- auf 270 Einwohner je Quadratkilometer im damit 45 oder 0,4 % weniger als Ende 2013.
nen Personen) zu. Bis 2010 folgte dann ein Jahr 2000. Seit 2001 stagnierte die Bevölke- Davon lagen 8 442 Gemeinden im früheren

u Tab 3  Einwohnerzahlen und Bevölkerungsdichten in ausgewählten Großstädten 2014

Stadt Einwohner in 1 000  Stadt Einwohner je km²

1 Berlin 3 470 München 4 601


2 Hamburg 1 763 Berlin 3 891
3 München 1 430 Herne 3 007
4 Köln 1 047 Stuttgart 2 954
5 Frankfurt am Main 718 Frankfurt am Main 2 890
6 Stuttgart 612 Düsseldorf 2 781
7 Düsseldorf 605 Essen 2 728
8 Dortmund 581 Oberhausen 2 715
9 Essen 574 Offenbach am Main 2 695
10 Bremen 552 Nürnberg 2 688
11 Leipzig 544 Köln 2 584
12 Dresden 536 Hannover 2 565
13 Hannover 524 Bochum 2 484
14 Nürnberg 501 Gelsenkirchen 2 455
15 Duisburg 485 Hamburg 2 334

Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

15
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

Bundesgebiet und 2 673 Gemeinden in den Berlin, Hamburg und München, bei Be­ die Stärke der jeweiligen Jahrgänge aus.
neuen Bundesländern. Aufgrund von Ge­ trachtung der Städte mit der höchsten Langfristig führen solche Veränderungen
bietsreformen hat sich vor allem in den Bevölkerungsdichte lagen an vorderster zu einer Verschiebung der Anteile der
neuen Bundesländern die Gemeindean­ Stelle München, Berlin und Herne. u Tab 3 einzelnen Altersgruppen an der Gesamt­
zahl stark verringert: Sie sank von 2 708 bevölkerung. Einen zusätzlichen Faktor
Ende 2013 um 35 Gemeinden (– 1,3 %). 1.1.2 Altersaufbau, Geburten und stellt die Zu- und Abwanderung dar, da
Großstadtgetriebe oder Landleben? Sterbefälle die meisten Zu- und Abwanderer junge
Aus der Verteilung der Einwohnerinnen Erwachsene sind. In Deutschland führen
und Einwohner auf Gemeindegrößen­ Altersaufbau diese verschiedenen Faktoren dazu, dass
klassen ergibt sich für 2014, dass 6 % der Die Zahl der Geburten beeinflusst unmit­ die Gruppe der Kinder und Jugendlichen
Bevölkerung Deutschlands in Gemein­ telbar den Altersaufbau der Bevölkerung. kleiner wird und die Gruppe der Perso­
den mit weniger als 2 000 Einwohnern, Außerdem besteht eine Wechselwirkung nen im Rentenalter wächst, während sich
36 % in Gemeinden mit 2 000 bis unter zwischen der Stärke eines Altersjahrgangs der Anteil der Personen im erwerbsfähi­
20 000 Einwohnern und 27 % in Gemein­ und den Geburten sowie Sterbezahlen: gen Alter – derzeit – wenig verändert.
den mit 20 000 bis unter 100 000 Einwoh­ Zum einen beeinflusst die Stärke der ein­ Um den Altersauf bau der Bevölke­
nern lebten. Auf die Großstädte (Ge­ zelnen Altersjahrgänge die Zahl der Ge­ rung zu veranschaulichen, verwendet die
meinden mit 100 000 oder mehr Einwoh­ burten und Sterbefälle in bestimmten Statistik eine grafische Darstellungsform,
nern) entfielen 31 % der Bevölkerung. Die Zeiträumen, gleichzeitig wirken sich aber die als Alterspyramide bezeichnet wird,
Städte mit den höchsten Einwohnerzah­ wiederum die Veränderungen von Gebur­ auch wenn sie – für Deutschland betrach­
len waren in abnehmender Reihenfolge tenhäufigkeit oder Sterblichkeit auch auf tet – längst keine Pyramidenform mehr
hat. So gleicht sie heute eher einer »zer­
zausten Wettertanne«, wie sie einmal
bildhaft beschrieben wurde. u Abb 1
Abb 1 Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands 2011, in 1000 je Altersjahr
u Abb 1  Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands 2014 — in Tausend je Altersjahr Eine neue, interaktive Bevölkerungs­
pyramide (www.destatis.de/bevoelke
Männer Alter Frauen
rungspyramide/) bietet die Möglichkeit,
die Veränderung der Altersstruktur im
100 Zeitraum zwischen 1950 und 2060 zu
Frauenüberschuss verfolgen und dabei einen bestimmten
90 Geburtsjahrgang zu beobachten. Die An­
Geburtenausfall wendung basiert auf den Ergebnissen der
während der
80 Wirtschaftskrise 13. koordinierten Bevölkerungsvoraus­
um 1930
berechnung für Deutschland.
70 Die Veränderungen des Bevölke­
Geburtenausfall
Ende des rungsauf baus zeigt Tabelle 4: Im Jahr
2. Weltkrieges

60
2014 betrug in Deutschland der Anteil der
Heranwachsenden (unter 20-Jährige) 18 %.
Babyboom und
anschließender Auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen
50 Geburtenrückgang
Alter (20 bis 64 Jahre) entfielen 61 % und
der Seniorenanteil (65-Jährige und Ältere)
40
lag bei 21 %. Rund 6 % der Bevölkerung
waren hochbetagt, das heißt 80 Jahre oder
30 älter. Der Jugendquotient (Zahl der unter
Geburtentief in den
20-Jährigen je 100 Personen zwischen 20
20 neuen Ländern und 64 Jahren) lag bei 30 und somit unter
dem Altenquotient (Zahl der 65-Jährigen
10
Männerüberschuss

800 600 400 200 0 0 200 400 600 800

Fortschreibung
Ergebnisse auf Basis
auf Grundlage Volkszählung
des Zensus 2011. 1987 (früheres Bundesgebiet)/Zentralregister
ehem. DDR 3.10.1990; s.S. XX.

16
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

und Älteren je 100 Personen zwischen 20


und 64 Jahren) mit 35. Im Jahr 1950 lag
der Jugendquotient noch bei 51 und der Geburtenhoch im Sommer
Altenquotient bei 16, seit 2006 jedoch Die monatlichen Geburtenzahlen zei- doch zusätzlich unterschiedliche Mo-
übersteigt der Altenquotient den Jugend- gen, dass sich die Geburten nicht natslängen, dann war die Zahl der
quotienten. u Tab 4, Info 2 gleichmäßig über das Jahr verteilen. Geburten je Tag im September 2014
In Deutschland werden etwa 5 % mehr Der geburtenstärkste Monat ist nach am höchsten. Diese Verteilung hat
Jungen als Mädchen geboren. Im Jahr der absoluten Zahl der Lebendgebore- sich allerdings erst seit Anfang der
2014 kamen im Durchschnitt auf 100 neu- nen der Juli. Im Jahr 2014 kamen 1980er-Jahre herausgebildet.
geborene Mädchen 105 Jungen. Weil 9,0 % aller Neugeborenen im Juli zur
Männer statistisch gesehen nicht so alt Welt (66 960). Berücksichtigt man je-
werden wie Frauen, verändern sich die
Anteile von Frauen und Männern mit den
Altersgruppen. Während also bei den un-
ter 50-Jährigen in der heutigen Bevölke-
rung der Männeranteil überwiegt, sind in u Tab 4  Entwicklung der Altersstruktur
der Altersgruppe 50- bis 59-Jährigen un- Davon im Alter von … bis … Jahren
gefähr so viele Männer wie Frauen ent- Bevölkerung Jugend- Alten-
unter 20 20 – 64 65 –79 80 und älter quotient¹ quotient²
halten. In den höheren Altersgruppen
überwiegen dann zunehmend Frauen: in 1 000 in %

Von den 60- bis 69-jährigen Personen sind 1950 69 346 30,4 59,9 8,7 1,0 50,8 16,3
52 % weiblich. In den obersten Alters- 1960 73 147 28,4 60,0 10,0 1,6 47,3 19,3
gruppen beträgt der Frauenanteil bei den
1970 78 069 30,0 56,2 11,8 2,0 53,4 24,6
70- bis 79-Jährigen 55 % und bei den
1980 78 397 26,8 57,7 12,8 2,7 46,3 26,9
80-jährigen oder älteren Personen sogar
65 %. Gründe für den geringeren Männer­ 1990 79 753 21,7 63,4 11,2 3,8 34,2 23,6

anteil in den höchsten Altersgruppen sind 2000 82 260 21,1 62,2 12,9 3,8 34,0 26,8
neben der höheren Lebenserwartung von 2010 81 752 18,4 60,9 15,3 5,3 30,3 33,8
Frauen auch heute noch die starken Män-
2011 80 328 18,4 60,9 15,4 5,3 30,3 33,9
nerverluste durch den Zweiten Weltkrieg.
2012 80 524 18,3 61,0 15,4 5,4 30,0 34,1
So steigt mittlerweile mit den nachlassen-
den demografischen Auswirkungen des 2013 80 767 18,2 61,0 15,5 5,4 29,8 34,2

Krieges auch der Anteil der Männer an 2014 81 198 18,2 60,8 15,4 5,6 29,9 34,6
den Hochbetagten (27 % im Jahr 2000;
Ergebnisse jeweils am 31. Dezember. Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011.
35 % im Jahr 2014). 1  Altersgruppe der unter 20-Jährigen bezogen auf die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.
2  Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren bezogen auf die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen.

Geburten, Sterbefälle
Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg
waren in der Bundesrepublik Deutsch-
u Info 2
land durch hohe Geburtenzahlen geprägt.
Jugendquotient, Altenquotient und Gesamtquotient
Ab 1947 wurden deutlich mehr Geburten
Neben der absoluten Zahl der Bevölkerung in einem bestimmten Alter ist
als Sterbefälle registriert. Der darauf fol- die Beziehung zwischen den verschiedenen Altersgruppen ein Charakte-
gende sogenannte Baby-Boom wandelte ristikum des Alterungsprozesses. Wird der Bevölkerung im erwerbsfähigen
sich Ende der 1960er-Jahre zu einem Alter die jüngere Bevölkerung, für deren Aufwachsen, Erziehung und
Ausbildung gesorgt werden muss, gegenübergestellt, so ergibt sich der
rapiden Rückgang der Geburten. Die Jugendquotient. Wird die Zahl der Personen im Rentenalter, also der
Zahl der lebend geborenen Kinder ging ­potenziellen Empfänger von Leistungen der Rentenversicherung oder an-
vom Höchststand im Jahr 1964 (1,36 Mil­ derer Alterssicherungssysteme auf die Zahl der Personen im Erwerbs­
alter bezogen, ergibt sich der Altenquotient. Beide Quotienten zusammen
lionen) bis auf 782 000 im Jahr 1975 addieren sich zum Gesamtquotienten, der aufzeigt, in welchem Ausmaß
zurück. Danach gab es von 1976 bis 1990 die mittlere Altersgruppe sowohl für die jüngere als auch für die ältere Be-
einen Anstieg der jährlichen Geburten­ völkerung, die nicht im Erwerbsleben stehen, im weitesten Sinne zu
­s orgen hat. Für die Abgrenzung des erwerbsfähigen Alters wird hier die
zahlen von 798 000 auf 906 000. Seit Altersspanne von 20 bis 64 Jahren gewählt, da in dieser Lebens­phase
1997 (812 000 Geburten) war wieder ein die meisten Menschen erwerbstätig sind.

17
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

kontinuierlicher Geburtenrückgang zu u Abb 2  Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland


beobachten. Im Jahr 2005 wurden erst­ 1946 bis 2014 — in Tausend
mals unter 700 000 Kinder geboren und
im Jahr 2011 wurde mit 663 000 Neu­ 1 600
geborenen die niedrigste Geburten­z ahl
seit 1946 registriert. Im Jahr 2014 lag die 1 400

Zahl der Geburten (715 000) wieder ge- 1 200


ringfügig höher. u Abb 2, Tab 5
Der Geburtenrückgang bewirkte, dass 1 000

seit 1972 jedes Jahr weniger Kinder gebo- 800


ren wurden als Menschen starben. Im
Jahr 2014 lag die Zahl der Gestorbenen 600

um 153 000 höher als die Zahl der lebend 400


geborenen Babys.
Das durchschnittliche Alter der Mut- 200

ter beim ersten Kind betrug im Jahr 2014 0


rund 30 Jahre. Etwa 55 % aller Frauen, die 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
ihr erstes Kind 2014 bekommen haben, Lebendgeborene Sterbefälle
gehörten den Jahrgängen 1981 bis 1988 an
und waren damit zwischen 26 und 33 Jah-
re alt. Lediglich 3 % der ersten Geburten
entfielen auf Frauen im Alter ab 40 Jahren.
Mit der für das Jahr 2014 in Deutsch­
land rechnerisch ermittelten durch­schnitt­ Mehrlingsgeburten
lichen Kinderzahl von 1,47 Kindern je Frau Im Zeitraum seit 1950 hatte der Anteil Im Jahr 2014 gab es insgesamt 13 000
wird die zur Erhaltung der Bevölkerungs­ der Mehrlingsgeburten sein Tief Ende Mehrlingsgeburten. Die meisten da-
zahl auf längere Sicht er­forderliche Zahl der 1970er-Jahre erreicht und stieg von waren Zwillingsgeburten (98 %).
von 2,1 Kindern je Frau deutlich unter­ seitdem deutlich an. Von den Frauen, In 282 Fällen wurden Drillinge gebo-
schritten. Gleichzeitig nimmt in Deutsch­ die 1950 Mutter wurden, hatten 1,2 % ren und in 11 Fällen Vierlinge.
land die durchschnitt­ l iche Lebenser­ Mehrlingsgeburten, Mitte der 1970er-
wartung weiter zu. Sie beträgt 2010/2012 Jahre waren es 0,9 % gewesen und 2014
für einen neugeborenen Jungen 78 Jahre stieg der Anteil auf 1,9 %.
und für ein neugeborenes Mädchen
83 Jahre. Gegenüber dem Stand von Mitte
der 1980er-Jahre entspricht dies einer
Zunahme bei den Jungen um rund sechs
Jahre und bei den Mädchen um annähernd
fünf Jahre. Ein 60-jähriger Mann hat Wohnsitzwechseln von Personen in eine Wanderungsfälle an. Zu dieser Entwick-
2010/2012 rechnerisch noch eine Lebenszeit andere Gemeinde innerhalb Deutschlands lung trugen die Außenwanderung sowie
von durchschnittlich 21 Jahren vor sich. (Binnenwanderung) und solchen über die die Binnenwanderung bei, wobei die Au-
Eine gleichaltrige Frau hat rechnerisch Grenzen Deutschlands (Außenwande- ßenwanderung schneller anstieg als die
noch eine Lebenszeit von 25 Jahren zu rung) unterschieden. Die Außenwande- Binnenwanderung. Ab 1971 ging das Wan-
erwarten (siehe auch Abschnitt 1.1.4). rung und die Binnenwanderung bilden derungsvolumen wieder zurück und pen-
zusammen die Gesamtwanderung. u Info 3 delte sich von 1975 bis 1988 auf jährlich 3,5
1.1.3 Wanderungsbewegungen bis 4,2 Millionen Wanderungsfälle ein.
Neben der natürlichen Bevölkerungs­ Gesamtwanderung Die Wende in der ehemaligen DDR löste
bewegung (Geburten und Sterbefälle) Die Gesamtwanderung kann für Deutsch- erneut eine Wanderungswelle aus: Mit
kommt bei der Beobachtung und Analyse land, für die Bundesländer, für die Land- rund 5,7 Millionen Wanderungsfällen
der Einwohnerzahl den sogenannten kreise und für die Gemeinden ermittelt jährlich blieb die Gesamtwanderung für
Wanderungen (räumliche Bevölkerungs­ werden. Im früheren Bundesgebiet stieg das vereinte Deutschland Anfang der
bewegung) eine zentrale Bedeutung zu. das Wanderungsvolumen von 1960 bis 1990er-Jahre auf hohem Niveau. Nach 1995
Bei den Wanderungen wird zwischen den 1971 von 4,1 Millionen auf 5,3 Millionen ging das Wanderungsvolumen zurück und

18
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

u Tab 5  Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland


Überschuss der Geborenen ( + )
Lebendgeborene Gestorbene
beziehungsweise der Gestorbenen ( – )
in 1 000 je 1 000 Einwohner in 1 000 je 1 000 Einwohner in 1 000 je 1 000 Einwohner

Deutschland
1950 1 117 16,3 748 10,9 + 368 + 5,4
1960 1 262 17,3 877 12,0 + 385 + 5,3
1970 1 048 13,5 976 12,6 + 72 + 0,9
1980 866 11,0 952 12,1 − 87 – 1,1
1990 906 11,4 921 11,6 − 16 – 0,2
2000 767 9,3 839 10,2 − 72 − 0,9
2010 678 8,3 859 10,5 − 181 – 2,2
2012 674 8,4 870 10,8 − 19 6 – 2,4
2013 682 8,5 894 11,1 − 212 – 2,6
2014 715 8,8 868 10,7 – 153 – 1,9
Früheres Bundesgebiet ¹
1950 813 16,3 529 10,6 + 284 + 5,7
1960 969 17,4 643 11,6 + 326 + 5,9
1970 811 13,4 735 12,1 + 76 + 1,3
1980 621 10,1 714 11,6 − 9 3 – 1,5
1990 727 11,5 713 11,3 + 14 + 0,2
2000 656 9,8 679 10,1 – 23 – 0,3
2010 542 8,3 672 10,3 – 129 – 2,0
2012 539 8,3 681 10,6 – 143 – 2,2
2013 547 8,5 700 10,8 – 153 – 2,4
2014 575 8,8 679 10,4 – 105 – 1,6
Neue Länder ²
1950 304 16,5 220 11,9 + 84 + 4,6
1960 293 16,9 234 13,5 + 59 + 3,4
1970 237 13,9 241 14,1 – 4 – 0,2
1980 245 14,6 238 14,2 + 7 + 0,4
1990 178 11,1 208 12,9 – 30 – 1,8
2000 111 7,3 160 10,5 – 49 – 3,2
2010 102 7,9 155 12,0 – 53 – 4,1
2012 100 8,0 156 12,4 – 56 – 4,5
2013 100 8,0 161 12,9 – 61 – 4,9
2014 103 8,2 157 12,5 – 54 – 4,3

Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011.


1  Bis 2000 einschließlich Berlin-West, seit 2001 ohne Berlin-West.
2  Bis 2000 einschließlich Berlin-Ost, seit 2001 ohne Berlin-Ost.

u Info 3
Wanderungsstatistik
In der Wanderungsstatistik werden die Zu- und Fortzüge erfasst, die von den Meldebehörden an die statistischen Ämter gemeldet
werden. Der Wanderungssaldo wird als Differenz der Zu- und Fortzüge gebildet. Das Wanderungsvolumen bezeichnet die Summe
aus der Binnenwanderung zuzüglich der Zuzüge aus und der Fortzüge ins Ausland.

Die auf ein Jahr bezogene Wanderungsstatistik weist die jeweiligen Wanderungsfälle, das heißt die Zu- oder Fortzüge über die
­ emeindegrenzen, nicht die wandernden Personen nach. Die Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und der ehe-
G
maligen DDR wurden bis zum 3. Oktober 1990 in den Wanderungen über die Grenzen des Bundesgebiets erfasst, ab diesem
­Zeitpunkt handelt es sich um Binnenwanderungsfälle, die als Ost-West-Wanderung bezeichnet werden.

Durch die Binnenwanderung ändert sich die regionale Verteilung der Bevölkerung, aber im Gegensatz zur Außenwanderung nicht
die Einwohnerzahl Deutschlands.

19
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

lag von 2005 bis 2010 bei rund 5 Millio- gen über die Gemeindegrenzen im frü- lität zwischen 44 und 49 Umzügen je
nen Personen. Ab 2011 stieg es wieder an heren Bundesgebiet von 3,7 Millionen 1 000 Einwohner.
und lag 2014 bei 6,3 Millionen Personen. auf 3,0 Millionen Personen. Die Mobili- Im Jahr 2014 fanden etwa 28 % der
tätsziffer sank im gleichen Zeitraum von Umzüge (rund 1,1 Millionen Umzüge)
Binnenwanderung 60 auf 48. Dieser Rückgang dürfte auch zwischen Gemeinden innerhalb eines
Im Jahr 2014 wechselten 4,0 Millionen eine Folge der Gebietsreform in den Kreises, 44 % (rund 1,7 Millionen Umzü-
Personen ihren Wohnsitz über die Ge- a lten Bundesländern sein: Im Zuge
­ ge) zwischen Kreisen eines Bundeslandes
meindegrenzen innerhalb Deutschlands. ­d ieser Reform wurden Nahwanderungs- und 28 % (rund 1,1 Millionen Umzüge)
Bezieht man diese Zahl auf 1 000 Ein- fälle durch Eingemeindungen häufig zu zwischen Bundesländern statt. u Tab 6
wohner, erhält man die sogenannte Mo- Ortsumzügen und wirkten sich deshalb Den Wanderungsströmen zwischen
bilitätsziffer. Sie gibt Aufschluss über die in der Mobilitätsziffer nicht aus. Bis dem früheren Bundesgebiet und den neu-
Häufigkeit, mit der Einwohnerinnen und Ende der 1980er-Jahre sank die Zahl der en Ländern kommt bei der Binnenwan-
Einwohner eines Gebiets ihre Wohnsitz- Wanderungen über die Gemeindegren- derung eine besondere Bedeutung zu.
gemeinde wechseln. Im Jahr 2014 betrug zen weiter auf 2,5 Millionen Umzüge Zwischen 1989 und 1991 war eine hohe
die Mobilitätsziffer rund 49, das heißt (41 Umzüge je 1 000 Einwohner). Mit der Abwanderung von Ost nach West festzu-
etwa jeder zwanzigste Einwohner zog im Öffnung der Grenzen im Osten und der stellen. In den Folgejahren bis 1996 war
Jahr innerhalb Deutschlands von einer deutschen Vereinigung stieg die Binnen- die Entwicklung der Wanderungen zwi-
Gemeinde in eine andere um. wanderung bis 1997 wieder an auf über schen dem früheren Bundesgebiet und
Die räumliche Mobilität der Bevölke- 4,0 Millionen Umzüge pro Jahr (49 Um- den neuen Ländern gegenläufig: Die Zu-
rung in Deutschland entwickelte sich seit züge je 1 000 Einwohner). Seit 2000 liegt züge aus den neuen Ländern verringerten
1970 sehr unterschiedlich. In den 1970er- die Zahl der Umzüge zwischen 3,6 und sich, die Wanderungen nach Osten
Jahren verringerten sich die Wanderun- 4,0 Millionen pro Jahr mit einer Mobi­ stiegen, sodass der Wanderungssaldo

u Tab 6  Wanderungen innerhalb Deutschlands in eine andere Gemeinde


Innerhalb der Bundesländer
Über die
Insgesamt zwischen Gemeinden über die Kreisgrenzen
zusammen Landesgrenzen
innerhalb des Kreises innerhalb des Landes

in 1 000 je 1 000 Einwohner ¹ in 1 000

Früheres Bundesgebiet
1970 3 662 59,8 2 544 720 1 824 1 118

1980 3 024 49,2 2 204 720 1 484 820

1985 2 572 42,1 1 932 722 1 210 640

1990 2 970 47,4 2 129 785 1 344 841

Deutschland
1991 3 402 42,8 2 275 908 1 367 1 127

1995 3 951 48,5 2 882 1 229 1 653 1 069

2000 3 892 47,3 2 755 1 192 1 563 1 137

2005 3 655 44,3 2 585 1 107 1 478 1 071

2010 3 576 43,7 2 514 1 038 1 477 1 062

2011 3 739 45,7 2 626 1 078 1 548 1 113

2012 3 737 46,5 2 640 1 082 1 559 1 097

2013 3 846 47,8 2 741 1 106 1 635 1 106

2014 3 953 48,92 2 842 1 120 1 722 1 111

1  Jeweils am 31.12. des Vorjahres.


2  Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

20
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

1997 nur noch 28 200 Personen betrug. schen 1950 und 2006 rund 4,5 Millionen Herkunftsländern weniger Personen mit
Ab 1998 kam eine neue Wanderungswelle (Spät-)Aussiedlerinnen und Aussiedler in Aussiedlerhistorie. u Tab 7
von Ost nach West (Wanderungssaldo das frühere Bundesgebiet beziehungswei- Durch die Zuwanderung aus dem Os-
2001: 98 000 Personen), die nach 2001 se seit 1990 nach Deutschland. Davon ten (aus den früheren deutschen Gebieten
langsam zurückging. Im Jahr 2014 betrug waren rund 2,3 Millionen Personen aus im Osten, der ehemaligen DDR sowie
der Wanderungssaldo nur noch 3 300 Per- der ehemaligen Sowjetunion sowie deren durch Aussiedlerinnen und Aussiedler)
sonen. u Abb 3 Nachfolgestaaten, 1,4 Millionen kamen gab es für die Bundesrepublik Deutsch-
aus Polen und weitere 430 000 aus Ru­ land seit Gründung bis Anfang des zwei-
Außenwanderung mänien. Im Jahr 1990 wurde mit rund ten Jahrtausends einen Zuwanderungsge-
Die Außenwanderung war kurz nach 397 000 Personen die mit Abstand höchs- winn von Deutschen. Seit 2005 werden
dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch te Zahl von Aussiedlerinnen und Aus- allerdings Wanderungsverluste beobach-
die Aufnahme von Vertriebenen aus den siedlern aufgenommen. In den folgenden tet; es wandern also mehr Deutsche ins
Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Jahren bis 1995 waren es jährlich zwi- Ausland ab, als Deutsche nach Deutsch-
Reiches und den deutschen Siedlungs­ schen 220 000 und 230 000 Personen. land zuziehen. Ein wesentlicher Grund
gebieten im Ausland geprägt. Zwischen ­Danach gingen die Zahlen stetig zurück. dafür ist der oben beschriebene Rück-
1950 und 1961 folgte eine Zuwanderung Seit 2006 werden weniger als 10 000 Aus- gang der Spätaussiedlerinnen und Spät-
aus der ehemaligen DDR: So wurden von siedlerinnen und Aussiedler jährlich auf- aussiedler, die nach Deutschland kamen.
1950 bis zum Mauerbau am 13. August genommen. Bei diesem Rückgang dürf- Zeitgleich stiegen die Fortzüge deutscher
1961 rund 2,6 Millionen Menschen aus ten zum einen geänder te Einreise­ Personen ins Ausland. So gab es in den
Ostdeutschland als Übersiedlerinnen bedingungen für Spätaussiedler und ihre 1990er-Jahren rund 110 000 Fortzüge von
und Übersiedler im früheren Bundesge- Familienangehörigen ab 2005 eine Rolle Deutschen pro Jahr, im Jahr 2008 lagen
biet aufgenommen. Ferner kamen zwi- spielen. Zum anderen gibt es in den sie bei 175 000 Personen. Allerdings hat
sich die Abwanderung seit Beginn der
­Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise im
Jahr 2008 wieder reduziert und betrug
u Abb 3  Wanderungen zwischen dem früheren Bundesgebiet und 2014 rund 149 000 Personen. u Tab 8
den neuen Ländern einschließlich Berlin-Ost 1957 bis 2014 Aus den Abwanderungszahlen lassen
sich keine Aussagen zum Hintergrund der
450 000
Fortzüge ableiten, da die Gründe für die
Fortzüge bei den Meldeämtern nicht er-
400 000 fasst werden. So ist keine Differenzierung
möglich, ob der Fortzug eine Auswande-
350 000 rung auf Dauer oder nur eine befristete
Ausreise ist. Es wird auch nicht erfasst, ob
300 000
es sich bei den Abwandernden um Spät-
250 000
aussiedlerinnen und Spätaussiedler, Ein-
gebürgerte oder Deutsche ohne Migrati-
200 000 onshintergrund handelt. Hauptzielländer
von auswandernden Deutschen waren im
150 000 Jahr 2014 die Schweiz, die Vereinigten
Staaten und Österreich.
100 000
Seit Anfang der 1960er-Jahre hatte
50 000 die Zu- und Abwanderung von ausländi-
schen Personen durch die Anwerbung
0 ausländischer Gastarbeiter erheblich an
1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Bedeutung gewonnen. Die Wanderungs-
Zuzüge aus den neuen Fortzüge nach den neuen Überschuss an Zuzügen ströme ausländischer Staatsangehöriger
Ländern und Berlin-Ost Ländern und Berlin-Ost
zwischen dem früheren Bundesgebiet
in das frühere Bundes- aus dem früheren Bundes-
gebiet gebiet und dem Ausland verzeichneten ein rela-
tiv hohes Wanderungsvolumen mit jähr-
Ab 1991 ohne Berlin.
lich hohen Zu- und Fortzugszahlen. Dabei
war der Wanderungssaldo zeitweilig positiv

21
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

u Tab 7  Zuzüge von Aussiedlerinnen und Aussiedlern


Darunter aus
Insgesamt
der ehemaligen Sowjetunion¹ Polen Rumänien
1950 –1959 438 225 13 604 292 157 3 454
1960 –1969 221 516 8 571 110 618 16 294
1970 –1979 355 381 56 583 202 718 71 417
1980 –1989 984 087 176 565 632 803 151 161
1990 –1994 1 291 112 911 473 199 623 171 914
1995 –1999 738 064 718 634 4 455 14 440
2000 – 2004 417 493 413 596 2 382 1 396
2005 35 522 35 396 80 39
2006 7 747 7 626 80 40
2007– 2011 18 012 17 677 226 96
2012 1 817 1 782 12 22
2013 2 427 2 386 11 30
2014 5 649 5 613 23 13

Seit 1993 einschließlich nicht deutscher Angehöriger von Aussiedlern.


1  Beziehungsweise Nachfolgestaaten.
Quelle: Bundesverwaltungsamt

u Tab 8  Wanderungen zwischen Deutschland und dem Ausland


Zuzüge Fortzüge
insgesamt Deutsche Ausländer/-innen insgesamt Deutsche Ausländer/-innen
1950 –1953 374 177 . . 462 279 . .
1954 –1959 1 038 759 477 414 561 345 955 190 638 657 316 533
1960 –1969 6 257 185 724 624 5 532 561 4 239 458 789 119 3 450 339
1970 –1979 7 002 667 783 306 6 219 361 5 439 852 543 843 4 896 009
1980 –1989 6 145 117 1 323 089 4 822 028 4 685 932 635 814 4 050 118
1990 –1999 10 890 238 2 755 154 8 135 084 7 023 809 1 147 745 5 876 064
2000 – 2009 7 565 201 1 475 762 6 089 439 6 603 751 1 407 325 5 196 426
2010 798 282 114 752 683 530 670 605 141 000 529 605
2011 958 299 116 604 841 695 678 969 140 132 538 837
2012 1 080 936 115 028 965 908 711 991 133 232 578 759
2013 1 226 493 118 425 1 108 068 797 886 140 282 657 604
2014 1 464 724 122 195 1 342 529 914 241 148 636 765 605

Bis einschließlich 1990 Angaben für das frühere Bundesgebiet.


.  Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten.

und zeitweilig negativ und spiegelte den 8 300 Personen im Jahr 2008 auf 30 600 sen zum Zweck der Asylsuche nach 1993
Konjunkturverlauf in Deutschland wider. Personen im Jahr 2014 (+ 270 %) und aus erheblich zurückgingen. Zunehmend
Seit Mitte der 1970er-Jahre wird das Spanien von 9 500 Personen im Jahr 2008 wurde die Zuwanderung auch durch Be-
Wanderungsverhalten der Ausländerin- auf 34 400 Personen im Jahr 2014 (+ 260 %). schlüsse auf Ebene der Europäischen
nen und Ausländer von anderen Faktoren Zudem wirkten sich die Maßnahmen Union (EU) beeinflusst, unter anderem
beeinflusst, zum Beispiel dem Familien­ der Bundesregierung zur Steuerung der durch EU­-Erweiterungen, Freizügigkeits-
nachzug oder der politischen, wirtschaft- Wanderungsströme aus. Von besonderer regelungen, Abkommen mit EFTA-Län-
lichen oder sozialen Situation in den Her- Bedeutung sind in diesem Zusammen- dern, also Ländern der Europäischen
kunftsländern. Dies zeigte sich zum Bei- hang der 1973 erlassene Anwerbestopp, Freihandelszone oder veränderten Visa-
spiel in der Zunahme der Zuzüge aus den das Rückkehrhilfegesetz von 1983 sowie Regelungen. Dies zeigt sich beispielsweise
Ländern, die von der Finanzmarkt- und asylrechtliche Neuregelungen wie die in der schnellen Zunahme der Zuzüge
Wirtschaftskrise (2008/2009) besonders Änderung des Grundgesetzes (Artikel aus vielen Ländern, die 2004, 2007 be­
betroffen sind, in den Folgejahren. So stie- 16a) im Jahr 1993. Die letzteren Regelun- ziehungsweise 2013 der EU beigetreten
gen die Zuzüge aus Griechenland von gen bewirkten zum Beispiel, dass Einrei- sind (siehe Kapitel 15.1, Seite 434, Abb 1).

22
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

Auch haben 2011 – nach Ablauf der letzten

148 636
Einschränkungen zum Arbeitsmarktzu­
gang für die 2004 beigetretenen Länder –
die Zuzüge von dort stark zugenommen.
Das gleiche gilt ab 2013 für Rumänien und
Bulgarien.
Deutsche zogen im Jahr 2014 ins
Im Jahr 1992 hatte die Zuwanderung Ausland. Aus dem Ausland
ausländischer Staatsangehöriger mit zurück kamen 122 195 Deutsche.
1,2  Millionen Personen einen ersten
Höhepunkt erreicht. Gründe waren die
Öffnung der Grenzen zu Osteuropa und
die Flucht vieler Menschen vor dem
Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien.
Danach war die T ­ endenz mit einigen
Schwankungen bis 2006 eher rückläufig.
So kamen 2006 rund 558 000 Menschen
nach Deutschland. In den Folgejahren
stieg die Zuwanderung e­ rheblich, im Jahr
2013 wurden rund 1,1 Millionen Zuzüge
ausländischer Personen verzeichnet. Mit
1,3 Millionen Zuzügen wurde im Jahr
2014 ein neuer Höhepunkt erreicht. Dazu
tragen außer den zunehmenden Wande­ zu zahlreichen Abmeldungen von Amts 1.1.4 Demografischer Wandel
rungsströmen aus den seit 2004 beigetre­ wegen, die sich in den Fortzugszahlen Deutschland befindet sich bereits mitten
tenen EU-Staaten die steigenden Flücht­ niedergeschlagen haben. im demografischen Wandel. Seit der
lingsströme aus den Balkanstaaten sowie Seit 2011 steigt die Zahl der Fortzüge deutschen Vereinigung im Jahr 1990 hat
den von Krieg gezeichneten Ländern – wieder an und lag 2014 bei 914 000 Fällen. die Zahl der Geborenen fast stetig
insbesondere Syrien – bei. Da viele Zugewanderte nicht dauerhaft in abgenommen. Die stark besetzten Jahr­
Die Hauptherkunftsländer waren 2014 Deutschland bleiben und nach einer gänge der 1950er- und 1960er-Jahre sind
Polen und Rumänien (jeweils 191 000 Zu- ­k ürzeren oder längeren Zeit in ihr Her- in das höhere er werbsf ähige Alter
züge), gefolgt von Bulgarien (77 000 Perso- kunftsland zurückkehren beziehungswei- gekommen. Die Zahl der ab 70-Jährigen
nen) und Italien (70 000 Personen). Rund se in ein anderes Land weiterziehen, geht ist von 8,1  Millionen im Jahr 1990 auf
62 % der Personen (830 000) kamen aus eine hohe Zuwanderung zeitversetzt mit 12,9  Mil­lionen Personen im Jahr 2013
der EU, 25 % (329 000 Personen) aus dem einer hohen Abwanderung einher. gestiegen. Das Medianalter, welches die
außereuropäischen Ausland und 13 % aus Der Wanderungssaldo, also die Diffe- Bevölker­u ng in eine jüngere und eine
einem sonstigen Land aus Europa (178 000 renz zwischen den Zuzügen und Fortzü- ältere Hälfte teilt, ist infolgedessen um
Personen). Außerhalb der EU waren 2014 gen, war seit Beginn der Statistik in den 8  Jahre von 37 auf 45 Jahre gestiegen.
die Hauptherkunftsländer Syrien (65 000 1950er-Jahren überwiegend positiv. Ledig- Gleichzeitig ist der Altersauf bau der
Zuzüge) und Serbien (40 000 Zuzüge). lich in konjunkturell schlechten Zeiten der Frauen und Männer ähnlicher geworden.
Die Abwanderung von Ausländerin- 1960er- und 1970er-Jahre, in der Zeit des Insbesondere zeigt die Zahl der Hoch­
nen und Ausländern erreichte 1993 mit Rückkehrhilfegesetzes in den 1980er-Jah- betagten, das heißt der Menschen, die
711 000 Personen einen ersten Höhe- ren und nach Kriegsende in Bosnien 80 Jahre oder älter sind, dass mittlerweile
punkt. Danach war die Tendenz bis 2007 1997/1998 fiel der Saldo negativ aus. Die nicht nur Frauen, sondern auch Männer
rückläufig, abgesehen von einem vorü- höchsten Wanderungsüberschüsse (mehr ein höheres Lebensalter erreichen. Der
bergehenden Anstieg in den Jahren 1997, als 600 000 Personen Z ­ ugewinn pro Jahr) aktuelle Altersauf bau wird für die
1998 und 2004 infolge der Rückkehr wurden zur Zeit der Wende in der ehema- künftige Bevölkerungsent­w icklung eine
­bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge. ligen DDR zwischen 1989 und 1992 ver- dominierende Rolle spielen und große
Die Fortzugszahlen zwischen 2008 zeichnet – als Folge der hohen Zuwande- Herausforderungen für Wirtschaft und
und 2010 sind durch bundesweite Berei- rung in diesen Jahren. Seit 2011 werden soziale Sicherungssys­teme mit sich bringen.
nigungen der Melderegister überhöht wieder hohe Wanderungsüberschüsse ver- Seit etwa vier Jahrzehnten reicht die
und mit den Vor- und Folgejahren nicht zeichnet (2011: + 279 000; 2012: + 369 000; Zahl der Neugeborenen nicht aus, um die
vergleichbar. Die Bereinigungen führten 2013: + 429 000; 2014: + 550 000 Personen). Elterngeneration zu ersetzen. Es sterben

23
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

mehr Menschen als Kinder geboren wer- den neuen Ländern. Inzwischen ist die ren mehr als verdoppelt. Aber auch für
den. Ohne Wanderungsgewinne aus dem Geburtenhäufigkeit im Osten Deutsch- ältere Menschen ist die Lebenserwartung
Ausland würde Deutschlands Bevölke- lands angestiegen und ist seit 2008 höher deutlich angestiegen, verstärkt in den
rung bereits seit langem rapide schrump- als im früheren Bundesgebiet. Im Jahr letzten Jahrzehnten. 
Heute haben 60-jäh-
fen und noch schneller altern. Langfristig 2013 betrug die zusammengefasste Ge- rige Männer im Durchschnitt noch weite-
wird die immer weiter aufgehende Schere burtenziffer in den neuen Ländern re 21,3 Jahre und gleichaltrige Frauen
zwischen der Zahl der Geborenen und 1,5 Kinder je Frau, während sie im frühe- 25,0 Jahre zu erwarten. Das sind 9,2 Jahre
der Zahl der Gestorbenen nicht durch ren Bundesgebiet bei 1,4 Kindern je Frau mehr bei den Männern und 12,3  Jahre
Zuwanderung zu schließen sein; dazu lag (jeweils ohne Berlin). u Abb 4 mehr bei den Frauen als 1871/1881. u Tab 9
wären langfristig weit höhere Wan­d er­ Die Lebenserwartung ist in den letz- In den kommenden Jahrzehnten wer-
ungsüberschüsse nötig als in der Ver­ ten hundert Jahren beträchtlich gestiegen. den der Rückgang der Bevölkerungszahl
gangenheit. Hierbei spielte die Verringerung der und die Alterung kennzeichnend für den
Die jährliche Geburtenhäufigkeit Säuglings- und Kindersterblichkeit lange demografischen Wandel sein. Dies lässt
nahm in den alten Bundesländern ab eine entscheidende Rolle. Im Deutschen sich anhand von Bevölkerungsvorausbe-
Mitte der 1960er-Jahre stark ab und sta- Reich betrug die durchschnittliche Le- rechnungen darstellen. u Info 4
bilisierte sich seit Ende der 1970er-Jahre benserwartung im Zeitraum 1871/1881 Im Folgenden werden Ergebnisse
auf niedrigem Niveau. Die sogenannte für neugeborene Jungen 35,6 Jahre und der 
13. koordinierten Bevölkerungsvor-
zusammengefasste Geburtenziffer be- für neugeborene Mädchen 38,5 Jahre. ausberechnung anhand von zwei ausge-
trägt hier seit fast 40 Jahren rechnerisch Aber schon Zehnjährige hatten eine wei- wählten Varianten dargestellt. Diese Vari-
1,3 bis 1,4 Kinder je Frau. In der ehemali- tere Lebenserwartung von 46,5 Jahren anten beschreiben die Entwicklung unter
gen DDR war es in den 1970er-Jahren (Jungen) beziehungsweise 48,2 Jahren den folgenden Annahmen:
auch zu einem starken Rückgang der (Mädchen). Gegenwärtig beträgt die ·· einer Geburtenziffer von weiterhin
durchschnittlichen Kinderzahl gekom- durchschnittliche Lebenserwartung – 1,4 Kindern je Frau bei einem steigen-
men, dem aber bald ein Anstieg folgte. nach der Allgemeinen Sterbetafel den durchschnittlichen Alter der Frau
Bis Mitte der 1980er-Jahre nahm die Ge- 2010/2012 – für Jungen 77,7 Jahre bezie- bei der Geburt des Kindes,
burtenhäufigkeit wieder ab. Anfang der hungsweise 82,8 Jahre für Mädchen. So- ·· eines Anstiegs der Lebenserwartung
1990er-Jahre kam es nach der deutschen mit hat sich die Lebenserwartung neuge- um sieben Jahre bei Männern bezie-
Vereinigung zu einem vorübergehenden borener Jungen und Mädchen in hungsweise sechs Jahre bei Frauen und
starken Einbruch der Geburtenzahlen in Deutschland innerhalb von etwa 130 Jah- ·· unter zwei unterschiedlichen Wande­­-
r­ungsannahmen.
Die erste Wanderungsannahme geht von
einem Abf lachen der anfangs sehr
hohen jährlichen Nettozuwanderung von
u Abb 4  Zusammengefasste Geburtenziffer 1950 bis 2013 — Kinder je Frau 500 000  Per­sonen auf 100 000 Personen
innerhalb von sechs Jahren bis zum Jahr
3 2021 aus. Anschließend bleibt der Wande-
rungssaldo bei 100 000 Personen pro Jahr.
2,5 Im zweiten Szenario wird angenommen,
dass der jährliche Wanderungssaldo von
2 500 000 Personen bis zum Jahr 2021 auf
200 000 Personen sinken und sich dann auf
1,5
diesem Niveau verfestigen wird. Im gesam-
ten Vorausberechnungszeitraum von 2014
1
bis 2060 würden damit durchschnittlich je-
weils 130 000 beziehungsweise 230 000 Per-
0,5
sonen pro Jahr nach Deutschland zuwan-
0
dern. Kumuliert ergibt sich daraus ein
1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Nettozuzug von 6,3 Millionen beziehungs-
Früheres Bundesgebiet¹ Neue Länder¹ Deutschland
weise 10,8 Millionen Personen.
Diese Varianten markieren die Gren­
Seit dem Berichtsjahr 2011 auf Grundlage des Zensus 2011. zen eines Korridors, in dem sich die Be­
Geburtenziffer: Durchschnittliche Zahl der lebendgeborenen Kinder je Frau in einem Kalenderjahr.
1  Seit 2001 ohne Berlin. völkerungsgröße und der Altersaufbau

24
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

entwickeln werden, wenn sich die aktuel- u Tab 9  Durchschnittliche Lebenserwartung — in Jahren
len demografischen Trends fortsetzen. Jungen/Männer Mädchen/Frauen
Sie werden als »Kontinuität bei schwä- 1871/1881 2010/2012 1871/1881 2010/2012
cherer Zuwanderung« (Variante 1) und Vollendetes Alter in Jahren
»Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung« 0 35,6 77,7 38,5 82,8
(Variante 2) bezeichnet. 1 46,5 77,0 48,1 82,1
Ein Bevölkerungsrückgang ist in 5 49,4 73,1 51,0 78,1
Deutschland auf lange Sicht kaum ver- 10 46,5 68,1 48,2 73,1
meidbar. Zwar stieg die Bevölkerungszahl 20 38,4 58,2 40,2 63,2
in den Jahren 2011 bis 2013 ­aufgrund ei- 30 31,4 48,5 33,1 53,4
ner besonders starken Netto­zuwanderung 40 24,5 38,9 26,3 43,6
erneut an, die grundsätzlichen Ursachen 50 18,0 29,7 19,3 34,0
des Bevölkerungsrückgangs – wenig Neu- 60 12,1 21,3 12,7 25,0
geborene und viele Sterbefälle – bestehen 70 7,3 13,9 7,6 16,6
jedoch weiter fort und werden sich auf 80 4,1 7,7 4,2 9,2
lange Sicht noch stärker als in der Vergan-
90 2,3 3,7 2,4 4,2
genheit auswirken.
1871/1881: Deutsches Reich; 2010/2012: Deutschland.
Die Zahl der Geborenen wird voraus-
sichtlich bis zum Jahr 2020 relativ stabil
bei etwa 700 000 Kindern bleiben. Dafür
sorgt eine derzeit günstige Altersstruk- u Info 4

tur der potenziellen Mütter: Die relativ Bevölkerungsvorausberechnung


gut besetzten 1980er-Jahrgänge (Kinder Das Ziel von Bevölkerungsvorausberechnungen ist es, mit Fortschreibungsverfahren zu zeigen, wie
der sogenannten Baby-Boom-Generati- sich Bevölkerungszahl und -struktur unter bestimmten Annahmen langfristig entwickeln werden.
Da der Verlauf der maßgeblichen Einflussgrößen – wie das Geburtenverhalten, die Sterblichkeit und
on) sind noch einige Jahre im Alter von das Wanderungsgeschehen – mit zunehmendem Abstand vom Basiszeitpunkt immer schwerer
Mitte 20 bis Mitte 30, in dem die Gebur- vorhersehbar ist, haben solche langfristigen Rechnungen Modellcharakter.
tenhäufigkeit besonders hoch ist. An- Die 13. – zwischen den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder – koordinierte Bevölkerungs­
schließend wird aber die Zahl der Gebo- vorausberechnung zeigt die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2060. Der ihr zugrunde liegende
renen zurückgehen und im Jahr 2060 Bevölkerungsbestand am 31. Dezember 2013 basiert auf der Bestandsfortschreibung auf Basis
des Zensus 2011. Die Vorausberechnung beruht auf Annahmen zur künftigen Geburtenhäufigkeit,
zwischen 500 000 und 550 000 Kinder zur Lebenserwartung und zum Saldo der Zuzüge nach und der Fortzüge aus Deutschland
betragen. (Wanderungssaldo). Insgesamt ergeben sich aus jeweils zwei Annahmen zur Geburtenhäufigkeit,
zur Lebenserwartung und zum Wanderungssaldo acht Varianten der künftigen Entwicklung.
Die Zahl der Sterbefälle wird dagegen
Außerdem liegen drei zusätzliche Modellrechnungen für analytische Zwecke vor.
steigen, da die geburtenstarken Jahrgän-
Eine ausführliche Darstellung der Annahmen und Ergebnisse der 13. koordinierten Bevölkerungs­
ge, die heute im mittleren Alter sind, im vorausberechnung ist abrufbar unter www.destatis.de Die Veränderungen im Altersaufbau der
Vorausberechnungszeitraum in das hohe Bevölkerung werden anhand der ­a nimierten Bevölkerungspyramiden veranschaulicht. Die inter­
Alter aufrücken, in dem die Sterblichkeit aktive Anwendung bietet Ihnen auch die Möglichkeit, die Veränderung gleichzeitig in drei ver­­schie­
denen Bundesländern miteinander zu verfolgen.
natürlicherweise größer ist. Diesem
­Effekt der aktuellen Altersstruktur steht
die zunehmende Lebenserwartung der
Bevölkerung gegenüber. Sie verlangsamt
den Anstieg der Sterbefälle. Die Zahl der
Gestorbenen wird demnach von 894 000
im Jahr 2013 auf fast 1,1 Millionen Perso- nen mehr als verdoppeln. Die Netto­ 2023. Im Jahr 2060 werden demnach in
nen Anfang der 2050er-Jahre steigen und zuwanderung wird diese immer stärker Deutschland zwischen 67,6 Millionen
anschließend bis zum Jahr 2060 auf etwa auf klaffende Lücke auf Dauer nicht Menschen (Variante 1: kontinuierliche
1,0 Millionen Personen sinken. schließen können. Entwicklung bei schwächerer Zuwan­
Das Geburtendefizit wird sich infolge Die Bevölkerungszahl von 80,8 Millio- derung) und 73,1 Millionen Menschen
dieser Entwicklung der Geburten- und nen Menschen im Jahr 2013 wird deshalb – (Variante 2: kontinuierliche Entwicklung
Sterbefälle erheblich vergrößern. Im Jahr je nach Ausmaß der Nettozuwanderung – bei stärkerer Zuwanderung) leben.
2013 betrug es 212 000 Personen. Im Jahr voraussichtlich noch fünf bis sieben Jahre Die Relation zwischen Alt und Jung
2020 wird es auf 240 000 Personen steigen steigen und anschließend sinken. Unter wird sich stark verändern. Ende 2013 waren
und sich bis 2060 auf etwa 500 000 Perso- den Stand von 2013 sinkt sie frühestens noch 18 % der Bevölkerung jünger als

25
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.1 /  Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung

20 Jahre und auf die 65-Jährigen und Älte- wird von der Geburtenentwicklung I­ hnen folgen dann die deutlich geringer
ren entfielen 21 %. Die Personen im soge- bestimmt. Sie bleibt noch bis Anfang der besetzten Geburtsjahrgänge, auch Ge-
nannten Erwerbsalter (hier von 20 bis 2020er-Jahre voraussichtlich bei etwa burtskohorten genannt, der 1970er- und
64  Jahre, siehe Info 2) stellten 61 % der 4 Millionen Kindern stabil und sinkt 1980er-Jahre. Im Jahr 2013 waren
­Bevölkerung. Im Jahr 2060 werden dagegen dann allmählich bis 2060 um etwa 1 Mil- 49,2  Millionen Menschen im Alter zwi-
16 % unter 20 Jahre alt sein und etwa ein lion Kinder. Die Anzahl der 6- bis 17-Jäh- schen 20 und 64 Jahren. Ihre Zahl wird
Drittel (33 % oder 32 %) 65 Jahre oder älter. rigen geht dagegen von derzeit 9 Millio- demnach ab 2020 deutlich zurückgehen
Im Erwerbsalter befindet sich dann nur nen bis Anfang der 2020er-Jahre um etwa und 2035 etwa 41 Millionen beziehungs-
etwa die Hälfte der Bevölkerung (51 % 400 000 bis 500 000 junger Menschen weise 43 Millionen Personen betragen.
oder 52 %). u Abb 5 zurück, bleibt dann für etwa zehn Jahre Im Jahr 2060 werden dann etwa 38 Milli-
Die Gesamtzahl der unter 20-Jährigen auf diesem Niveau und sinkt anschließend onen Menschen im Erwerbsalter sein
war im Ausgangsjahr 2013 mit 14,7 Milli- bis 2060 auf rund 7 Millionen Heran­ (– 23 %), falls sich der Wanderungssaldo
onen Personen bereits rund 3 Millionen wachsende dieses Alters. langfristig bei 200 000 Personen einpen-
geringer als noch vor 20 Jahren (1993: Die Bevölkerungszahl im erwerbs­ delt (Variante 2 Kontinuität bei stärkerer
17,5  Millionen Personen). Sie wird bis fähigen Alter (hier: von 20 bis 64 Jahre) Zuwanderung). Geht die Zuwanderung
zum Jahr 2060 bei einer kontinu­ierlichen wird in den nächsten Jahrzehnten be­ langfristig auf 100 000 Personen zurück
demografischen Entwicklung weiter sonders stark sinken. Denn die stark be­ (Variante 1 Kontinuität bei schwächerer
s inken. Je nach Stärke der Netto­
­ z u­ setzten Jahrgänge der Baby-Boomer, die Zuwanderung), gibt es 2060 ein noch
wanderung wird sie auf 11 Millionen ­derzeit die ältere Hälfte der Bevölkerung kleineres Erwerbspersonenpotenzial:
­Personen (Variante 1) beziehungsweise im Erwerbsalter stellen, werden in den 34  Millionen Menschen, das sind 30 %
12 Millionen Personen (Variante 2) fallen. kommenden zwei Jahrzehnten aus dem weniger als 2013. Wird das Erwerbsalter
Die Anzahl der Kinder im Vorschulalter E rwerbsalter weitgehend ausscheiden.
­ mit 67 statt mit 65 Jahren abgegrenzt, so

u Abb 5  Altersaufbau der Bevölkerung in den Jahren 2013 und 2060 — in Millionen (in Prozent)

Kontinuität bei schwächerer Zuwanderung 2060 (Variante 1) Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung 2060 (Variante 2)

Alter

65 und älter
2013:
22,3 (33 %) 16,9 (21%) 23,2 (32 %)

20 bis 64
34,3 (51%) 2013: 37,9 (52 %)
49,2 (61%)

unter 20
10,9 (16 %) 2013: 12,0 (16 %)
14,7 (18 %)

0,8 0,6 0,4 0,2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0 0,2 0,4 0,6 0,8

Männer 2060 Frauen 2060 2013

2013: Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung.


2060: Ergebnisse der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Kontinuität bei schwächerer Zuwanderung, Variante 1; Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung, Variante 2);
animierte Bevölkerungspyramide unter www.destatis.de/bevoelkerungspyramide/
Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011.

26
Bevölkerungsstand und Bevölkerungsentwicklung  / 1.1  Bevölkerung und Demografie / 1

werden 2035 noch etwa 43 Millionen bis u Abb 6  Entwicklung des Alten- und Jugendquotienten
45 Millionen Personen und 2060 noch
etwa 36 Millionen bis 40 Millionen Per- Kontinuität bei schwächerer Kontinuität bei stärkerer
sonen dazugehören (jeweils bei schwä- Zuwanderung (Variante 1) Zuwanderung (Variante 2)
cherer beziehungsweise bei stärkerer Zu-
wanderung). Das wären 2060 dann rund
2 Millionen Personen mehr als bei der 32 32
Altersgrenze 65 Jahre. 31 30 31 30

Die Anzahl der ab 65-Jährigen wird 32 32

besonders deutlich in den kommenden 29 29


30 30
Jahrzehnten bis zum Jahr 2037 wachsen.
Bei einer kontinuierlichen demografischen 65 61
58 60 55 57
Entwicklung und einem schwächeren 50 49
34 38 34 37
Wanderungssaldo wird sie 2037 gut
23  Millionen Personen betragen und
damit um etwa 40 % höher sein als im Jahr 2013 2020 2030 2040 2050 2060 2013 2020 2030 2040 2050 2060
2013 (16,9 Millionen Personen). Zwischen Altenquotient Jugendquotient
2037 und 2060 wird diese Altersgruppe –
trotz einer voraussichtlich sinkenden Jugendquotient: unter 20-Jährige je 100 Personen zwischen 20 und 64 Jahren.
Altenquotient: 65-Jährige und Ältere je 100 Personen zwischen 20 und 64 Jahren.
Zahl der Gesamtbevölkerung – fast Ab 2020 Ergebnisse der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung.

unverändert bleiben.
Die Entwicklungen bei den 65- bis
79-Jährigen und bei den ab 80-Jährigen
unterscheiden sich indessen deutlich.
Die jüngere Seniorengruppe wird vor
allem zwischen 2025 und 2035 deutlich Eine Heraufsetzung des Rentenein- licher Entwicklung und schwächerer Zu-
wachsen, bis die stark besetzten Jahr­ trittsalters auf 67 Jahre bedeutet weniger wanderung wird er von aktuell 64 bis
gänge allmählich ins höhere Alter wechseln. Menschen im Renten- und mehr im Er- zum Jahr 2037 auf 90 steigen, sich danach
Die Zahl der Hochbetagten nimmt werbsalter, das dann von 20 bis 66 Jahre bis Mitte der 2040er-Jahre stabilisieren
dagegen fast kontinuierlich zu. Um 2050 reicht. Die Anhebung führt damit zu ei- und anschließend bis zum Jahr 2060 auf
wird sie ihr Höchstniveau mit knapp 10 nem niedrigeren Altenquotienten, der im 97 klettern. Bei einer stärkeren Nettozu-
Millionen Personen erreichen. Dann Jahr 2060 zwischen 57 (Kontinuität bei wanderung würde der Gesamtquotient
wird sie doppelt so groß sein, wie im Jahr schwächerer Zuwanderung) und 54 dann 93 betragen.
2013 (4,4 Millionen Menschen). Der Anteil (Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung) Die 13. koordinierte Bevölkerungsvo-
der ab 80-Jährigen an der gesamten liegen würde. rausberechnung zeigt, dass die Alterung
Seniorengruppe wird dabei von heute Wird der Bevölkerung im erwerbs­ der Bevölkerung in den nächsten Jahr-
26 % auf 43 % beziehungsweise 45 % fähigen Alter die jüngere Bevölkerung, zehnten unabwendbar ist. Die aktuelle
steigen. Zwischen 2050 und 2060 wird für deren Aufwachsen, Erziehung und Altersstruktur führt dazu, dass ab Mitte
ihre Zahl um rund 1 Million Personen Ausbildung gesorgt werden muss, gegen- der 2020er-Jahre immer mehr Menschen
sinken. übergestellt, so ergibt sich der Jugend­ im Rentenalter verhältnismäßig schwach
Der Bevölkerung im Erwerbsalter quotient. Dieser wird im Vorausberech- besetzten Jahrgängen im Erwerbsalter
werden künftig immer mehr Senioren ge- nungszeitraum zwischen 29 und 32 ­gegenüberstehen. Im Jahr 2030 werden
genüberstehen. Im Jahr 2013 entfielen auf schwanken. die Angehörigen des Jahrgangs 1964, des
100 Personen im Erwerbsalter (20 bis 64 Der Gesamtquotient – als Summe des geburtenstärksten Jahrgangs der Nach-
Jahre) 34 Ältere (65 oder mehr Jahre). Im Jugend- und Altenquotienten – zeigt, in kriegszeit, 66 Jahre alt. Von diesen Ver-
Jahr 2060 werden es bei einer kontinuier- welchem Ausmaß die mittlere Alters- änderungen werden viele Lebensbereiche
lichen demografischen Entwicklung und gruppe sowohl für die jüngere als auch betroffen sein. Sie werden nicht erst in
schwächerer Zuwanderung 65 ältere Men- für die ältere Bevölkerung, die nicht im 50 Jahren spürbar, sondern auch schon in
schen sein. Beträgt der jährliche Zuzugs- Erwerbsleben stehen, im weitesten Sinne den nächsten zwei Jahrzehnten eine große
überschuss langfristig 200 000 Personen, zu sorgen hat. Der Gesamtquotient wird Herausforderung darstellen.
fällt der sogenannte Altenquotient mit künftig von der Entwicklung des Alten-
61 Personen nur wenig niedriger aus. u Abb 6 quotienten bestimmt. Bei kontinuier­

27
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.2 /  Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit

1.2 Demografischer Wandel ist auch in


Deutschland mit der Alterung und
lichkeit auf die Lebenserwartung abge-
bildet. u Info 1
Demografischer Schrumpfung der Bevölkerung verbun- In den letzten 100 Jahren hat sich die
Wandel: den. Beide Entwicklungen werden haupt-
sächlich durch das anhaltend niedrige
Lebenserwartung in Deutschland verdop-
pelt; in den letzten 50 Kalenderjahren
Sterblichkeit und Fertilitätsniveau (circa 1,4 Kinder je Frau) gab es eine Zunahme von elf Lebensjah-
Hochaltrigkeit verursacht (siehe Kapitel 1.1, Seite 24,
Abb 1). Seit etwa 40 Jahren wird die Eltern-
ren. Die Entwicklung der Sterblichkeit ist
das Resultat eines verbesserten Lebensni-
generation nur zu zwei Dritteln durch veaus und des medizinischen Fortschrit-
Rembrandt Scholz Ge­burten ersetzt. Somit verschiebt sich tes. Die allmähliche Angleichung der Le-
Max-Planck-Institut für demografische die Altersstruktur der Bevölkerung in bensbedingungen zwischen Ost- und
Forschung, Rostock das höhere Alter. Eine weitere Ursache Westdeutschland bildet sich auch in der
der Alterung der Bevölkerung ist die Le- Angleichung der L ­ ebenserwartung ab.
bensverlängerung durch ein höheres Frauen aller Altersgruppen und Männer
WZB / SOEP
Sterbealter. Die Zunahme der Lebenser- im Alter über 60  Jahren haben von den
wartung und die Zunahme von Hochalt- Veränderungen nach der Wende am
rigen in der Bevölkerung ist das Thema stärksten profitieren können.
des folgenden Beitrages. Die wesentlichen Gründe für die Stei-
Die Lebenserwartung ist ein demo- gerung der Lebenserwartung sind bessere
grafischer Indikator, der die Sterblichkeit Ernährung, gesündere Wohnsituationen,
mithilfe von Sterbetafeln bewertet. Mit Verbesserung der sozialen Sicherheit und
der Sterbetafel werden die kumulative der medizinischen Versorgung. Trotz der
Wirkung der Einflüsse der Vergangen- relativen Einheitlichkeit der Trends im
heit und die aktuelle Wirkung der Sterb- internationalen Vergleich gibt es Niveau-

u Info 1
Sterbetafel
Die Sterbetafel zeigt die Altersverläufe der Sterblichkeit in einer Modellbevölkerung, welche nicht mehr
von der realen Altersstruktur der Bevölkerung abhängig ist (Standardisierung). Mit der Sterbetafel
­werden standardisierte Alterungsmaße berechnet (zum Beispiel mittlere Lebenserwartung, normale
Lebens­dauer, wahrscheinliche Lebensdauer).

Das Rechenprinzip: Ein Anfangsbestand von 100 000 Personen wird der altersspezifischen Sterblichkeit
der realen Bevölkerung ausgesetzt. Für jedes Altersjahr werden die Gestorbenen berechnet durch
­Multiplikation der Sterbewahrscheinlichkeiten (der realen Bevölkerung) mit dem Anfangsbestand. Die
­jeweils überlebenden Personen sind der Anfangsbestand des nächsten Altersjahres. Daraus ergeben
sich die Altersverteilung der Überlebenden, der Gestorbenen und der verlebten Zeit. Mit steigendem
­A lter verringert sich die Zahl der Überlebenden, bis der gesamte Anfangsbestand gestorben ist.

Beziehen sich die Sterbewahrscheinlichkeiten auf ein Kalenderjahr (oder mehrere Jahre), spricht man
von einer Periodentafel (Querschnitt), beziehen sie sich auf Geburtsjahrgänge, spricht man von einer
­G enerationen- oder Kohortensterbetafel (Längsschnitt).

Während die Beobachtung der Sterblichkeit der Periodentafel sich auf den Querschnitt bezieht, hat die
Kohortensterbetafel einen Beobachtungs­zeitraum von über 100 Jahren. Nicht vollständig beobachtete
Geburtsjahrgänge werden durch Modellrechnungen und Annahmen ergänzt. Eine vollständige Generati-
onensterbetafel würde gegenwärtig nur für Geburtsjahrgänge vorliegen, ­sofern der gesamte Jahrgang
inzwischen auch tatsächlich verstorben ist.

28
Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit  / 1.2  Bevölkerung und Demografie  / 1

unterschiede zu verschiedenen Zeitpunk- Frauen und im Alter von 100 Jahren und gischen Grenzen erkennbar. Für die zu-
ten. Es zeigt sich, dass die Lebensverlän- älter 7,5. Ursache dafür ist die unter- künftige Entwicklung werden stetige
gerung bei Verschlechterung der Lebens- schiedliche Sterblichkeit durch verschie- Verläufe vorausgesagt, sodass in 100 Jah-
bedingungen auch rückläufig sein kann. dene biologische und soziale Risiken im ren über die Hälfte eines Geburtsjahr-
Es gibt keine Garantie für langes Leben – Lebensverlauf. ganges das Alter von 100 Jahren errei-
die individuelle Lebensspanne ist das Er- Die Sterblichkeit unterliegt weltweit chen könnte.
gebnis eines komplexen Zusammenspiels einem stetigen Trend, bei dem die »Re-
individueller Faktoren, zum Beispiel der kordlebenserwartung« linear ansteigt. 1.2.1 Entwicklung der
genetischen Disposition, der aktuellen Bei Lebensverlängerung wird die Sterb- Lebenserwartung
Lebens- und Verhaltensweise und der all- lichkeit systematisch nach dem Alter in In Abbildung 1 sind die Trends der
gemeinen Lebensbedingungen in frühe- höhere Alter verschoben. Dieser Prozess durchschnittlichen Lebenserwartung (e0)
ren Lebensjahren. Es gibt Hinweise, dass hatte mit der Säuglings- und Kinder- in Deutschland nach Geschlecht und Re-
Bildung eine wesentliche Rolle spielt. sterblichkeit begonnen und setzte sich in gion dargestellt. Bis Mitte der 1960er-
Menschen mit einem hohen Bildungs­­ den höheren Altersgruppen fort. Heute Jahre bestehen kaum Unterschiede zwi-
niveau haben größere Chancen, bessere ist das Potential der weiteren Lebensver- schen Ost- und Westdeutschland. Bei
Lebensbedingungen und ein höheres längerung im jungen und mittleren Alter Frauen weitet sich zwischen Mitte der
­A lter bei besserer Gesundheit zu errei- weitgehend ausgeschöpft, sodass nun- 1970er-Jahre und 1990 eine Schere zu-
chen (siehe Kapitel 10.3.2). Es ist auch be- mehr die Vermeidung von Sterblichkeit gunsten der Westdeutschen. Die nach der
kannt, dass Frauen eine höhere Lebens­ im hohen und höchsten Alter im Vorder- Vereinigung einsetzende Angleichung der
erwartung haben als Männer. Dieser grund von Mortalitätsverbesserungen Sterblichkeit ist seit 2003 weitgehend
Sachverhalt führt zu einem höheren steht. Seit den 1960er-Jahren ist die ­a bgeschlossen. Bei Männern sind die
­A nteil von Frauen im hohen Alter in ­Zunahme der Bevölkerung im höchsten ­L ebenserwartungswerte im Zeitraum
Deutschland. Im Alter von 80 Jahren und Alter empirisch sichtbar. Bislang sind für zwischen 1961 und 1976 im Osten
älter kommen auf einen Mann etwa drei die menschliche Alterung keine biolo­ Deutschlands günstiger, seit 1977 kehrt
sich dieses Verhältnis um. Nach 1991
Abb. 1: Trend der mittleren Lebenserwartung (e0) in Deutschland 1956-2013 gleichen sich die Werte zunehmend an,
in Ost- und Westdeutschland nach Geschlecht, in Jahren
ab 2003 bis heute verbleibt eine konstan-
u Abb 1  Trend der mittleren Lebenserwartung (e0) in Ost- und Westdeutschland te Differenz von einem Lebensjahr.
nach Geschlecht 1956 – 2013 — in Jahren Durch die Berücksichtigung der
Merkmale Beschäftigung, Arbeitslosig-
85
keit, Krankenversicherung und Staats-
bürgerschaft lässt sich eine bis zu 50 %
83 erhöhte Sterblichkeit der ostdeutschen
Männer im Altersbereich von 35 bis
81
54  Jahre erklären. Die höhere Sterblich-
79 keit in den neuen Ländern ist die Konse-
quenz einer im Vergleich zu den alten
77
Ländern ungünstigeren Zusammen­
75
setzung der Bevölkerung hinsichtlich
­A ltersstruktur, Ausländeranteil und sozio-
73 ökonomischen Faktoren (Beschäftigungs-
status, Arbeitslosigkeit, Art der Tätig-
71
keit). Werden diese Merkmale kontrol-
69 liert, kann nahezu die gesamte Differenz
der Mortalität der Männer zwischen den
67
beiden Regionen erklärt werden.
65 In Ost- und Westdeutschland haben
1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 offensichtlich unterschiedliche Arbeits-
Frauen (West) Frauen (Ost) Männer (West) Männer (Ost) marktlagen, selektive Zuwanderung aus
dem Ausland sowie die Ost-West-Wande-
Datenbasis: Human Mortality Database (HMD) 2016. rungen einen Einfluss auf die Differenz

Datenbasis: Human Mortality Database (HMD)

29
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.2 /  Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit

der Sterblichkeit. Es zeigt sich, dass ausgeglichen. Weitere die Lebenserwar- dargestellt und zusätzlich für den Ge-
­a rbeitslose Männer ein zweifach höheres tung beeinf lussende Merkmale sind burtsjahrgang 1956 die Generationenster-
Sterberisiko haben. Bei einer Anglei- ­Bildung und Einkommen, die mit der betafel (Statistisches Bundesamt Variante
chung der Arbeitsmarktsituation in Ost- Rentenhöhe (kumuliertes Lebenszeitein- 2). Mit dieser Darstellung kann man die
und Westdeutschland wird eine sukzes­ kommen) korrelieren. Bei Männern, die Sterbeverhältnisse einzelner Altersjahre
sive Angleichung der Mortalität bei Män- 32 und mehr Entgeltpunkte der gesetz­ über den Zeitraum von 1871 bis heute
nern erwartet. u Abb 1 lichen Rentenversicherung (siehe Kapitel nachzeichnen. Dabei zeigt sich zum Bei-
Die Rahmenbedingungen der medizi- 10.5, Seite 334, Info 1) erworben haben, er- spiel für das Alter von 60 Jahren eine Ver-
nischen Versorgung waren in Ost- und gibt sich ein linearer Zusammenhang mit schiebung der Sterbeverhältnisse zwi-
Westdeutschland unterschiedlich und der Lebenserwartung: Je mehr Entgelt- schen 1871 und 2012 um 15 Jahre; bei der
­haben sich nach der deutschen Vereini- punkte erreicht worden sind, desto höher Berücksichtigung der künftigen Sterb-
gung angeglichen, was die Ausstattung ist die Lebenserwartung. Diesbezüglich lichkeitsreduktion für den Geburtsjahr-
des ambulanten und stationären Bereiches, gibt es keinen Unterschied zwischen Ost- gang 1956 sind es insgesamt 18 Jahre. Die
die Erbringung ärztlicher Leistungen, die und Westdeutschen im Alter ab 65 Jahren. altersspezifischen Sterbeverhältnisse der
medizintechnologischen Möglichkeiten 80-Jährigen von 1871 werden von dem Ge-
und das Finanzierungsvolumen betrifft. 1.2.2 Verschieben von Sterblichkeit burtsjahrgang 1956 im Kalenderjahr 2046
Vor der Vereinigung wirkte sich die Be- in das höhere Alter im Alter von 92 Jahren erreicht. u Abb 2
grenzung der ökonomischen Ressourcen In Abbildung 2 werden die Sterbewahr- Tabelle 1 fasst die verschiedenen Mit-
im Osten Deutschlands vor allem für scheinlichkeiten von Männern ab dem telwerte von Sterbetafelfunktionen zusam-
Personen im höheren Alter ungünstig aus. Alter von 50 Jahren aus sogenannten Peri- men, die geeignet sind, die Sterblichkeit
Die Unterschiede im Bereich der medizi- odensterbetafeln zu verschiedenen Zeit- und die Lebensdauer einer Bevölkerung
nischen Versorgung sind heute vollständig punkten für Deutschland (1871 bis 2012) zu beschreiben: die mittlere Lebenserwar-

uAbb 2  Altersverteilung der Sterbewahrscheinlichkeiten ab dem Alter 50 Jahre für Männer in Deutschland 1871– 2012,
Geburtsjahrgang 1956 und die Veränderung von Sterblichkeit in verschiedenen Altersjahren

0,5

0,4

0,3

0,2

0,1

0
50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100

1871 1924 1970 1990 2000 2012 Geburtsjahr 1956

Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2015, Periodensterbetafeln und Generationensterbetafel 1956; Human Mortality Database (HMD) 2016.

30
Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit  / 1.2  Bevölkerung und Demografie  / 1

tung, die wahrscheinliche Lebensdauer uAbb 3  Altersverteilung der Überlebenden (lx) von 100 000 der Sterbetafel und der
und die normale Lebensdauer. Die Para- Mittelwert der wahrscheinlichen Lebensdauer für Frauen in Deutschland 1871− 2012,
meter der Sterbetafel hängen nicht von der Schweden 1770/74 und Japan 2012
Altersstruktur der Bevölkerung ab. Dazu
gehört auch die bereinigte Sterblichkeit,
100 000
die Sterblichkeit der Sterbetafelbevölke-
rung (Gestorbene geteilt durch die mittle- 90 000

re Bevölkerung, gemessen je 1000 Perso- 80 000


nen der Bevölkerung). u Tab 1
70 000
Über 50 % aller Sterbefälle finden heu-
te im Alter über 82 Jahren statt. Der arith- 60 000

metische Mittelwert der Gestorbenen dx 50 000


nach dem Alter ist die mittlere Lebenser-
40 000
wartung. Die normale Lebensdauer ist das
sogenannte Dichtemittel der Altersvertei- 30 000

lung der Gestorbenen, womit dasjenige 20 000


­A lter gemeint ist, in dem die meisten Per-
10 000
sonen des Anfangsbestandes (100 000 Per­
sonen) versterben. Der Zentralwert der 0
1 5 15 25 35 45 55 65 75 85 95 105
Überlebenden der Sterbetafel schließlich
Japan 2012 Deutschland 2010–12 Deutschland 1962
ist das Alter, bei dem 50 % des Anfangsbe-
Deutschland 1924–26 Deutschland 1900 –10 Schweden 1770–1774
standes verstorben sind. Die letztgenannte

Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2015; Human Mortality Database (HMD) 2016.


(Datenbasis: Berechnung nach Human Mortality Data Base; Periodensterbetafeln)

u Abb 4  Altersverteilung der Gestorbenen (dx) von 100 000 der Sterbetafel und
der Mittelwert der normalen Lebensdauer für Frauen in Deutschland 1871− 2012,
Schweden 1770/74 und Japan 2012

25 000

u Tab 1  Kennziffern zur Beschreibung


von Lebensverlängerung in Deutsch- 20 000
land 2010/12 nach Geschlecht
— Lebensdauer in Jahren
15 000
Männer Frauen

Mittlere Lebenserwartung 
(Arithmetisches Mittel 77,7 82,8 10 000
von dx)

Wahrscheinliche
­Lebensdauer ­( Zentralwert, 80,8 85,7 5 000
50 % Wert von lx)

Normale Lebensdauer 0
85,0 88,0
(Dichtemittel von dx)
1 5 15 25 35 45 55 65 75 85 95 105

je 1 000 Personen Japan 2012 Deutschland 2010–12 Deutschland 1962


Deutschland 1924–26 Deutschland 1900 –10 Schweden 1770–1774
Bereinigte Sterblichkeit
12,9 12,1
(1 000 / ex) (in = 0 / 000)
Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2015; Human Mortality Database (HMD) 2016.

Datenbasis: Statistisches Bundesamt,


Periodensterbetafeln 2015; eigene Berechnungen.

31
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.2 /  Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit

Kennziffer wird in Abbildung 3 in In Abbildung 4 wird dieser Darstel- nicht augenscheinlich, da mit einer gro-
Deutschland 1871 bis 2012 dargestellt, er- lung die Altersverteilung der Sterbefälle ßen, nach oben offenen Altersklasse gear-
gänzt um je eine Kurve für Schweden dx in den verschiedenen Zeiträumen ge- beitet wird. Das führt dazu, dass die Ent-
1770/74 und Japan 2012. Im historischen genübergestellt. Es zeigen sich deutliche wicklungen der Sterblichkeit, welche zum
Vergleich verschiedener Zeiträume lassen Verschiebungen der Sterbefälle in ein im- größten Teil in dieser hohen Altersgruppe
sich die Veränderungen der Sterblichkeit mer höheres Alter und die entsprechen- stattfinden, nicht sichtbar sind.
durch die Änderung der Altersverteilun- den Änderungen der Dichtemittel. u Abb 4 Bis Mitte der 1990er-Jahre war über
gen anhand der Mittelwerte nachvollzie- Mit der Alterung der Bevölkerung die Sterblichkeit von Personen über 80 Jah-
hen. Der historische Prozess der Lebens- steigt der Bedarf an verlässlichen Daten ren sehr wenig bekannt. Mit Modellan-
verlängerung gestaltet sich in allen Län- für das hohe Alter. Die amtliche Statistik nahmen des Sterblichkeitsverlaufes wurde
dern sehr ähnlich. Schweden mit den liefert zwar über die Bewegungsmengen über die empirische Unwissenheit hin-
historisch ältesten Daten zeigt den Be- der Bevölkerung wie Geburten, Gestor- weggeholfen. Erst durch die systemati-
ginn der Entwicklung und Japan mit der bene und Wanderungen verlässliche schen Sammlungen der Bevölkerungs­
weltweit höchsten Lebenserwartung die ­Daten, nicht aber über den Bevölkerungs- daten von Väinö Kannisto und Roger
mögliche zukünftige Verteilung nach bestand im höchsten Alter. Die Fort- Thatcher erfolgte eine international ver-
dem Alter. Bislang gibt es keine Anzei- schreibung des Bevölkerungsbestandes gleichbare Sammlung und Aufbereitung
chen, dass sich diese Dynamik des Le- wird schnell ungenau, wenn nicht in regel- von Daten über den hohen Altersbereich.
bensverlängerungsprozesses abschwä- mäßigen Abständen Volkszählungen Die Bemühungen zielen darauf, den unge-
chen wird. Man kann durchaus davon durchgeführt werden (siehe Kapitel 1.1). nauen Bestand der Bevölkerung im
ausgehen, dass sich der Zentralwert im Die hohen Altersklassen sind auch heute höchsten Alter durch systematische
Durchschnitt in den nächsten 100 Kalen- noch sehr schwach besetzt und daher an- Schätzungen zu ersetzen, die auf den Al-
derjahren in ein Alter von über 100 Le- fällig für Fortschreibungsfehler. Das Pro- tersangaben der Sterbefälle beruhen. Die
bensjahren verschieben wird. u Abb 3 blem wird in der Bevölkerungsstatistik hohe Qualität der Bevölkerungsregister

u Abb 5  Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter für ausgewählte Länder
Abb. 5: Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter
1960 – 2013 — bezogen auf das Jahr 1960=1
für ausgewählter Länder in Europa, Relation bezogen auf das Jahr
1960=1.

14 Japan
Spanien
Italien
Schweiz
12
Niederlande
Frankreich
Schweden
Österreich
10
Belgien
Dänemark
Vereinigtes Königreich
8

0
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015

Datenbasis: Kannisto-Thatcher-Database.
Datenbasis: Human Mortality Database (HMD)Eigene Berechnungen
2016; eigene Berechnungen.

32
Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit  / 1.2  Bevölkerung und Demografie  / 1

beispielsweise in den skandinavischen von 90 Jahren. 40 Jahre später sind es 45 % nen, vor allem, wenn geburtenstarke
Ländern zeigt die Validität dieser Vorge- der Frauen und 30 % der Männer. Die An- Jahrgänge das höhere Alter erreichen. Im
hensweise. teile derer, die sogar das 100. Lebensjahr Vergleich der Jahre 2001 und 2011 lässt
Heute stehen diese Bevölkerungsda- erreichen, sind deutlich geringer. In ab­ sich eine steigende Lebenserwartung
ten als Forschungsdatenbanken »Kannis- soluten Zahlen gemessen ist das höchste ­erkennen, die auf einer Zunahme der
to Thatcher Database« über die Populati- Alter in der Bevölkerung sehr gering be- ­L ebenszeit sowohl innerhalb als auch
on im hohen Alter und »Human Morta­ setzt, hat sich aber stetig vervielfacht und ­außerhalb der Pflege beruht. Der größte
lity Database« als internetverfügbare wird auch in Zukunft weiter ansteigen. absolute Zuwachs an Lebensjahren er-
Datenbanken für die wissenschaftlich in- Das individuelle Interesse alt zu wer- folgt bei beiden Geschlechtern außerhalb
teressierte Öffentlichkeit unentgeltlich den und die Vermeidung von gesundheit- der Pflege, die relative Zunahme ist bei
zur Verfügung (http://www.humanmor- lichen Risiken wirken sich auf die Le- der Pflegedauer besonders hoch. u Tab 2
tality.de und http://www.demogr.mpg.de/ benserwartung erhöhend aus. Allerdings
databases/ktdb). Für 38 Länder mit guter gibt es eine Reihe von Verhaltensweisen 1.2.3 Bevölkerungsvorausberech-
Bevölkerungsstatistik liegen detaillierte und Gesundheitsrisiken, die von Teilen nungen und zukünftige Entwicklung
Daten für den höchsten Altersbereich der Bevölkerung als erhöhtes Risiko in In der realen Bevölkerungsentwicklung
(bis 110+) vor, so auch für Ost- und West- Kauf genommen werden (Alkohol, Rau- sind die Prozesse der Alterung durch un-
deutschland. chen, Übergewicht). Sofern sich diese ge- terschiedlich starke Besetzungen der ein-
Abbildung 5 stellt die relative Ent- sundheitsgefährdenden Verhaltenswei- zelnen Geburtsjahrgänge nicht deutlich
wicklung der Personen im Alter von sen innerhalb der Bevölkerung nicht ver- sichtbar. Die Konfiguration der Alters­
80 Jahren und älter relativ zum Bestand breiten, ist auch in Zukunft von einem pyramide einer Bevölkerung wird sowohl
von 1960 dar. Es zeigen sich für alle Län- weiteren Lebenserwartungszuwachs aus- durch die Bewegungsmengen Geburt,
der starke absolute Zunahmen. Für einige zugehen. Die sozialen Fortschritte wer- Migration und Tod beeinflusst als auch
Länder sind auch die Auswirkungen der den sich auch in einer Verbesserung des durch epochale Ereignisse wie Kriege
Weltkriege sichtbar. Die wichtigste Ursa- Gesundheitszustandes umsetzen. Es er- und Änderungen des sozialen Systems.
che für den Anstieg der Bevölkerungsan- reichen mehr Personen ein höheres Alter, Die Schwankungen in den Bevölkerungs-
teile im höheren Alter ist der Sterblich- mit ­einem besseren Gesundheitszustand. zahlen im Altersverlauf und der Anzahl
keitsrückgang nach dem Zweiten Welt- Wer sehr lange lebt, unterliegt mit von Gestorbenen können daher verschie-
krieg, besonders nach 1980. Bei den steigender Lebensdauer verstärkt Risiken dene Ursachen haben.
Hundertjährigen und Älteren ist die rela- körperlicher und kognitiver Einschrän- Die Bevölkerungsvorausberechnun-
tive Zunahme am stärksten. Das extrem kungen und Erkrankungen. Es liegen oft gen (siehe Kapitel 1.1, Seite 25, Info 4) er-
hohe Alter ist nach wie vor sehr s­ elten mehrere Krankheiten (Multimorbidität) möglichen es, künftige Veränderungen
und der Anteil dieser Altersgruppe an der vor. Generell bleiben ältere Menschen im Altersauf bau der Bevölkerung dar­
Gesamtbevölkerung dementsprechend heute länger gesund und ihr Wohlbefin- zustellen. Aufgrund der gleichmäßigen
gering: er beträgt weniger als 0,5 %. u Abb 5 den hat sich erhöht. Auch künftig ist zu Bevölkerungsentwicklung können Aus­
Die Sterblichkeitsentwicklungen ge- erwarten, dass die gesunden Lebensjahre sagen mit großer Genauigkeit über einen
hen bei beiden Geschlechtern systema- und die behinderungsfreie Lebenserwar- langen Zeitraum getroffen werden. Bei
tisch vom hohen Alter in ein noch höheres tung zunehmen werden. Da gleichzeitig Personen im höheren Alter sind die Vor­
Alter über. Im Jahr 1960 erreichen 20 % jedoch mehr Menschen von gesundheit­ hersagen besonders sicher, weil sie fast
der Frauen und 15 % der Männer, die den lichen Einschränkungen betroffen sein nur von der heutigen Altersstruktur und
80. Geburtstag feiern konnten, das Alter werden, ist mit mehr Pflegefällen zu rech- von der Entwicklung der Mortalität ab-
hängen. Da die tatsächliche empirische
Entwicklung der Einflussgrößen über den
Vorausberechnungszeitraum nicht be-
u Tab 2  Aufteilung der Lebenserwartung in pflegefreie Lebenszeit und die Lebenszeit in
kannt ist, werden meist mehrere Annah-
Pflege 2001 und 2011 nach Geschlecht, Pflege ab dem Alter von 60 Jahren — in Jahren
men zum Verlauf einzelner Komponen-
Männer Frauen ten getroffen. Die Ergebnisse einer Vor-
2001 2011 2001 2011 ausberechnung lassen sich immer nur im
Lebensdauer ohne Pflege 73,8 76,1 78,3 79,4
Zusammenhang der jeweils getroffenen
Annahmen interpretieren. Da nicht sicher
Pflegedauer 1,6 1,9 3,0 3,5
ist, wie sich die Zu- und Abwanderung in
Lebenserwartung 75,4 78,0 81,3 82,9
Deutschland entwickeln werden, werden
Datenbasis: Pflegestatistik Deutschland 2013; Human Mortality Database (HMD) 2016; eigene Berechnungen. hier nur Trendaussagen ohne Wanderun-

33
Abb. 5: Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter für
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.2 /  Demografischer Wandel: Sterblichkeit und Hochaltrigkeit
ausgewählter Länder in Europa, Relation bezogen auf das Jahr 1960=1.

u Abb 6  Anteil der Personen nach Altersgruppen in Deutschland 2015 – 2060 gen getroffen (Variante: mittleres Szena-
— in Prozent rio, ohne Wanderungen).
Die unterschiedliche Besetzung der
Altersklassen im Prognosezeitraum 2015
60
bis 2060 in Deutschland sind in Abbil-
dung 6 dargestellt (siehe auch Kapitel
50
1.1.4). Sie verdeutlicht, dass dem Bevölke-
rungsrückgang im Alter von 20 bis
40
59  Jahren ein Zuwachs im Alter von 60
bis 79 Jahren und im Alter von 80 Jahren
30 und älter gegenüberstehen wird. Wäh-
rend die Altersklasse 80 und älter beson-
20 ders in den Zeiträumen 2015 bis 2020
und 2030 bis 2050 wachsen wird, ist der
10 Zuwachs in der Altersklasse 60 bis 79 vor
allem im Zeitraum 2020 bis 2030 zu ver-
0 zeichnen. Der Anteil der 80-Jährigen und
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Älteren wird sich von knapp 10 % Bevöl-
0 –19 Jahre 20–59 Jahre 60 –79 Jahre ab 80 Jahre kerungsanteil auf fast 15 % erhöhen. Im
Gesamtzeitraum kommt es zu einem
Datenbasis:
Datenbasis: Amtliche Statistik des Bundes undEigene
Kannisto-Thatcher-Database. der Länder 2015,
Berechnungen ­s tetigen Rückgang der Bevölkerung im
13. Koordinierte Bevölkerungsprognose, mittlere Variante W0.
Alter von 0 bis 19, da die Elterngeneration
nicht durch deren Kinder ersetzt wird.
Nach dem Kalenderjahr 2055 wird die
Abb 7 Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter nach D ynamik der Strukturveränderungen
­
Altersgruppen in Deutschland 2010–2060 (2010=1) weitgehend abgeschlossen sein. u Abb 6
Die Unterteilung der Personen über
u Abb 7  Relative Zunahme der Personen im Alter von 80 Jahren und älter
80 Jahren nach Altersklassen zeigt für die
in Deutschland nach Altersgruppen 2015 – 2060 — bezogen auf das Jahr 2015=1
Jüngeren eine stärkere Besetzung als für
die Älteren. Die in der Altersstruktur vor-
12 handene Variation in der Besetzung wird
in immer höhere Altersgruppen weiter­
gegeben. Die Altersgruppe der 95- bis
10
99-Jährigen wird im Jahr 2055 einen An-
teil von 1 % erreichen und die Altersgrup-
pe 100 Jahre und älter wird im Jahr 2060
8
noch unter 0,5 Prozentpunkten liegen.
Wenn man die relative Veränderung
6 der einzelnen Altersgruppen untersucht,
zeigt sich, dass die besonders schwach
besetzten höchsten Altersgruppen die
4 größten Veränderungen zu erwarten ha-
ben. 2060 sind im Vergleich zu heute
­12-mal mehr 100-Jährige und Ältere zu
2
erwarten, bei der Altersklasse der 90 bis
99-Jährigen wird sich die Anzahl um den
Faktor 7 vergrößern. Diese Befunde er­
0
2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 geben sich aus der Gegenüberstellung der
aktuellen Altersstruktur mit den Prog-
80 – 84 Jahre 85 – 89 Jahre 90 –94 Jahre 95 – 99 Jahre ab 100 Jahre
nosen der aktuellen 13. koordinierten
­B evölkerungsvorausberechnung für
Datenbasis: Amtliche Statistik des Bundes und der Länder 2015,
Datenbasis:
13. Koordinierte Amtliche Statistik
Bevölkerungsprognose, mittleredes Bundes
Variante, W0. und
der Länder, 12. Koordinierte Bevölkerungs- Deutschland. u Abb 7
prognose, mittlere Variante, ohne Wanderungen

34
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen  / 1.3  Bevölkerung und Demografie  / 1

1.3 1.3.1 Die langfristige


Geburten­entwicklung in Ost-
bei Familiengründung noch bei knapp 23
Jahren in Ostdeutschland, liegt es im Jahr
Demografischer und Westdeutschland 2012 bei 27,5 Jahren und damit nur noch
Wandel: Die zusammengefasste Geburtenziffer (to-
tal fertility rate, TFR) ist eine der zentra-
knapp zwei Jahre unter dem westdeut-
schen Durchschnittsalter bei Erstgeburt
Geburtenent- len Kennziffern, die regelmäßig verwendet (Tabelle  1). In Westdeutschland können
wicklung und wird, um das generative Verhalten abzu-
bilden. Ähnlich wie in anderen westeuro-
wir seit den 1970er-Jahren einen kontinu-
ierlichen Anstieg des Alters bei Erstge-
Lebensformen päischen Ländern ist die zusammenge- burt beobachten, der bislang nicht zum
fasste Geburtenziffer in beiden deutschen Stillstand gekommen ist. u Info 1, Tab 1
Staaten Ende der 1960er-Jahre drastisch Vor dem Hintergrund der kontinuier-
Michaela Kreyenfeld
zurückgegangen und scheint sich in West- lichen Veränderungen im Alter bei Ge-
Hertie School of Governance, Berlin
deutschland seit Mitte der 1970er-Jahre burt ist die zusammengefasste Geburten-
Sandra Krapf
bei einem Wert von 1,4 Kindern eingepen- ziffer kein verlässlicher Schätzwert, um
Universität zu Köln
delt zu haben. In Ostdeutschland ist die das Geburtengeschehen abzubilden. Ein
jährliche Geburtenziffer in Reaktion auf solider Indikator des Geburtenverhaltens
WZB / SOEP die besonderen familienpolitischen Maß- ist die Kohortenfertilität (CTFR), das
nahmen, die die DDR-Regierung Anfang heißt die Kinderzahl pro Geburtsjahr-
und Mitte der 1970er-Jahre lancierte, gang von Frauen. Bei der CTFR handelt
kurzfristig wieder angestiegen, lag aber es sich nicht um einen Schätzwert, son-
zum Zeitpunkt der deutschen Vereini- dern um die tatsächliche Kinderzahl je
gung auf einem ähnlichen Niveau wie die Frauenjahrgang. Abbildung 1 gibt die Ko-
westdeutsche Ziffer. Der Einbruch der hortenfertilität für die Jahrgänge 1941–
jährlichen Geburtenziffern nach der Wen- 1972 wieder. Da die jüngeren Jahrgänge
de auf einen Wert von nur 0,8 Kindern bis zum letzten Beobachtungszeitpunkt
pro Frau in Ostdeutschland im Jahr 1993 im Jahr 2012 das Ende ihrer reprodukti-
ist besonders augenfällig. Seit 2007 liegen ven Phase noch nicht erreicht haben, ist
die ost- und westdeutschen Geburten­ für diese Jahrgänge nur die Fertilität bis
ziffern auf einem ähnlichen Niveau (siehe zum Alter 40 abgetragen. In Ost- und
Kapitel 1.1, Seite 24, Abb 4). Westdeutschland geht seit den 1940er-
Die zusammengefasste Geburtenziffer Kohorten die Kinderzahl mit jedem fol-
wird häufig als durchschnittliche Kinder- genden Jahrgang kontinuierlich zurück.
zahl, die eine Frau im Laufe ihres Lebens In Ostdeutschland ist dieser Rückgang
zur Welt bringt, interpretiert. Unter De- bis zu den 1950er-Jahrgängen weniger
mografen gilt sie jedoch als höchst prob- stark ausgeprägt. Dafür hat sich in Ost-
lematische Kennziffer. Der wesentliche deutschland für die 1960er-Jahrgänge der
Grund für diese Skepsis besteht darin, Geburtenrückgang beschleunigt. In bei-
dass die zusammen­gefasste Geburtenziffer den Teilen Deutschlands liegt die durch-
nur ein Schätzwert für die durchschnittli- schnittliche Kinderzahl für die Jahrgän-
che Kinderzahl pro Frau ist, der verzerrt ge, die um 1965 geboren wurden, bei
wird, sobald sich das durchschnittliche etwa 1,5 Kindern pro Frau. Für die jünge-
Alter bei Geburt verschiebt (siehe Info 1). ren Kohorten, die 1966 oder später zur
Diese Veränderungen des Alters, in dem Welt kamen, lässt sich noch nicht ab-
Frauen ihre Kinder bekommen, werden schließend die Gesamtkinderzahl be-
unter dem Begriff Tempo-Effekte zusam- stimmen. Es deutet sich jedoch ein leich-
mengefasst. Tempo-Effekte sind vor allem ter Anstieg der Kohortenfertilität für die
problematisch für die Beurteilung der ost- jüngeren Jahrgänge an. Insgesamt zeigt
deutschen Entwicklung, da mit der deut- sich, dass die tatsächliche Kinderzahl bis-
schen Vereinigung das Alter bei Famili- lang für jeden Frauenjahrgang über dem
engründung rapide angestiegen ist. Lag Wert von 1,4 Kindern pro Frau, der durch
im Jahr 1989 das durchschnittliche Alter die zusammengefasste Geburtenziffer seit

35
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.3 /  Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen

u Info 1 den 1970er-Jahren suggeriert wird, liegt.


Zusammengefasste Geburtenziffer (Total Fertility Rate, TFR) Demnach wurde bislang die Geburtenin-
Die »zusammengefasste Geburtenziffer« (total fertility rate, TFR) ist ein Periodenmaß der Fer­ tensität, die auf Basis der zusammenge-
tilität. Es wird berechnet aus der Summe der altersspezifischen Geburtenziffern eines Jahres, fassten Geburtenziffer angezeigt wurde,
­geteilt durch 1 000. Die altersspezifischen Geburtenziffern berechnen sich wiederum aus der An-
zahl der Geburten pro 1 000 Frauen nach Einzelalter. Idealerweise gibt die TFR die durchschnitt­
systematisch unterschätzt. u Abb 1
liche Kinderzahl unter den gegeben Bedingungen (»under current conditions«) wider. Letztend-
lich ist die Maß­z ahl jedoch nur ein Schätzwert für die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine 1.3.2 Kinderlosigkeit und Unter-
Frau im Laufe ­ihres Lebens zur Welt bringt. Dieser Schätzwert ist störungsanfällig. Ein Anstieg
des Alters bei Geburt führt zu ­e inem Rückgang der jährlichen TFR, obwohl die tatsächliche schiede nach Geburtsordnung
­K inderzahl konstant bleiben kann. Ein Rückgang des Alters bei Geburt lässt die TFR wiederum Obwohl die durchschnittliche Kinderzahl
ansteigen. nicht weiter rückläufig zu sein scheint,
liegt die Geburtenintensität in Deutsch-
u Tab 1  Durchschnittsalter der Frau bei Geburt und bei Geburt land im Vergleich zu anderen europä­
des ersten Kindes 1960 – 2012 — in Jahren ischen Ländern, vor allem im Vergleich
1960 1970 1980 1989 2000 2010 2012
zu den nordischen Ländern oder im Ver-
gleich zu Frankreich, weiterhin auf einem
Erste Kinder
niedrigen Niveau. Ein Charakteristikum
Westdeutschland 24,9 23,8 25,0 26,6 . 29,1 29,3
des Fertilitätsverhaltens in Deutschland,
Ostdeutschland 23,0 22,5 22,2 22,7 . 27,3 27,5
welches zum Teil die niedrige durch-
Deutschland1 X X X X . 28,8 29,1
schnittliche Kinderzahl erklärt, ist die re-
Alle Kinder
lativ hohe Kinderlosigkeit. Seit den Ge-
Westdeutschland 27,9 27,0 27,1 28,3 29,0 30,5 30,8
burtsjahrgängen, die um 1940 geboren
Ostdeutschland 26,4 25,4 24,5 25,2 27,7 29,3 29,5
wurden, ist die Kinderlosigkeit in West-
Deutschland 1
X X X X 28,8 30,3 30,6 deutschland kontinuierlich angestiegen
1 Ab 1989 wurde Berlin aus der Ost-West-Darstellung ausgeschlossen. und liegt für die Frauenjahrgänge, die
. Nicht erhoben.
X Aussage nicht sinnvoll. 1960 bis 1967 geboren wurden, bei 23 %
Datenbasis: Human Fertility Database; Kreyenfeld (2002).
(siehe Abbildung 2). In Ostdeutschland
liegt die Kinderlosigkeit bislang deutlich
unter dem westdeutschen Niveau. Für die
Frauen, die nach der Wende in das repro-
duktive Alter getreten sind, steigt sie je-

27,5
doch auch dort an und erreicht für Frau-
en, die zwischen 1960 und 1967 geboren
wurden, 14 %. In Frankreich liegt die
Kinderlosigkeit der Kohorten, die um
1965 geboren wurden, beispielsweise bei
Jahre betrug das Durchschnittsalter etwa 15 %.
der Frauen bei der Geburt des ersten Im Vergleich zu Ländern wie Frank-
Kindes 2012 in Ostdeutschland.
reich oder den nordischen Ländern fällt
Im Jahr 1960 war es 23,0 Jahre.
zudem der niedrige Anteil von Frauen
mit drei oder mehr Kindern auf. In den
Geburtsjahrgängen 1960 bis 1967 haben
nur 18 % der westdeutschen und 13 % der
ostdeutschen Frauen drei und mehr Kin-
der zur Welt gebracht. Zum Vergleich: In
Frankreich haben deutlich mehr als 20 %
der Frauen dieser Jahrgänge drei und
mehr Kinder. Für die jüngeren Jahrgänge,
die nach 1967 geboren wurden, lässt sich
die Verteilung der Kinderzahl noch nicht
abschließend klären, da diese Frauen
noch im reproduktiven Alter sind. Es
deutet sich jedoch an, dass die Neigung,

36
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen  / 1.3  Bevölkerung und Demografie  / 1

u Abb 1  Kinderzahl pro Geburtsjahrgang von Frauen (Kohortenfertilität) 1941–1972

Westdeutschland Ostdeutschland

2 2

1,5 1,5

1 1
1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970

CTFR CTFR (Alter 40)

Datenbasis: Human Fertility Database; Shkolnikov und Sobotka (2014).

zwei oder drei und mehr Kinder zu be- status zu den Kindern (leibliche Kinder, bildet, in der Paare nichtehelich zusam-
kommen, in Ostdeutschland niedriger ist Stiefkinder, Adoptiv- und Pflegekinder) menleben. Abbildung 3 gibt vor diesem
als in Westdeutschland. Auch Kinder- stellen weitere zentrale Dimensionen dar, Hintergrund die Lebensformen von Per-
wunschstudien bestätigen, dass sich Ost- auf deren Basis Lebens- und Familienfor- sonen nach Alter und Geschlecht im Jahr
deutsche häufiger nur ein Kind wün- men operationalisiert werden können. In 2012 wieder. Angemerkt sei, dass in der
schen als Westdeutsche. u Abb 2 der familiensoziologischen Forschung ist amtlichen Statistik häufig die Familie als
zudem in der jüngeren Vergangenheit das Untersuchungseinheit herangezogen
1.3.3 Lebensformen und Vorhandensein einer Paarbeziehung als wird, um den Wandel der Familienfor-
die Bedeutung nichtehelichen Unterscheidungskriterium herangezogen men abzubilden. Hingegen wird in fami-
Zusammenlebens worden, um sogenannte Living-Apart-­ liensoziologischen Forschungen zumeist
Abgesehen vom Wandel des generativen Together-Beziehungen (LAT-Beziehungen), das Individuum als Untersuchungsein-
Verhaltens verändern sich auch die Lebens- also Paare ohne gemeinsamen Haushalt, heit verwendet, das heißt, es wird darge-
und Familienformen in Deutschland, wel- abzugrenzen. Mit amtlichen Daten wie stellt, wie viele Männer und Frauen in
che in der Vergangenheit häufig mit der dem Mikrozensus lassen sich diese Le- bestimmten Lebensformen leben. Dieses
Begriff lichkeit der »Pluralisierung« auf bensformen allerdings nicht identifizieren, Vorgehen ist auch in Abbildung 3 (und
den Punkt gebracht worden sind. Ausge- da nur Beziehungsgefüge innerhalb eines Tabelle 3) gewählt worden.
hend vom Bezugspunkt der ehelichen Fa- Haushalts erfasst werden. Auch lassen sich Die Abbildung zeigt auf, dass die
milien sind demnach »alternative«, »nicht- Stieffamilien mit den amtlichen Daten nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL)
traditionelle« oder »neue« Lebensformen nicht von Kernfamilien unterscheiden. vor allem im frühen Lebensalter verbreitet
hinzugetreten. In der familiensoziologi- Eine der wesentlichen Veränderungen ist. Etwa 20 % der 25- bis 29-jährigen
schen Forschung existiert eine Vielzahl in den Lebens- und Familienformen stellt westdeutschen Männer und Frauen leben
von Vorschlägen zur Operationalisierung die wachsende Bedeutung nichtehelichen in dieser Lebensform. Bei den ostdeut-
von Lebens- und Familienformen. Zentra- Zusammenlebens dar. Ähnlich wie in an- schen Frauen desselben Alters sind es
le Dimensionen, die bei der Bestimmung deren europäischen Ländern ist auch in ­sogar fast 30 %. Bei den ostdeutschen
von Lebens- und Familienformen heran- Deutschland der Anteil der Personen, die Männern kommt der NEL mit 25 % vor
gezogen werden, sind der Familienstand direkt, das heißt ohne voreheliches Zu- allem in der Altersklasse 30 bis 34 eine
und das Zusammenleben mit einem Part- sammenleben, heiraten, seit den 1970er- hohe Bedeutung zu. Die Abbildung sug-
ner beziehungsweise einer Partnerin. Letz- Jahren rapide zurückgegangen. Die Ehe- geriert, dass mit zunehmendem Alter die
tere Information erlaubt es, nichteheliche schließung ist zunehmend auf ein späte- nichteheliche Lebensgemeinschaft (NEL)
Lebensgemeinschaften abzugrenzen. Die res Alter verschoben worden, und es hat an Bedeutung verliert und die Ehe sie als
Anzahl der Kinder und der Beziehungs­ sich eine Phase im Lebenslauf herausge- dominante Lebensform zunehmend ver-

37
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.3 /  Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen

u Abb 2  Verteilung der Kinderzahl nach Frauenjahrgängen 1932 –1967 — in Prozent schen der Geburt des ersten und zweiten
Kindes heiratet. Zum anderen ist der Un-
Westdeutschland terschied darauf zurückzuführen, dass
verheiratete Frauen häufiger zweite und
1932–39 11 21 35 32 weitere Kinder bekommen als jene, die
unverheiratet sind.
1940–49 13 25 39 23 Mit einer doppelt so hohen Nichtehe­
lichenquote in Ostdeutschland wie in
1950–59 18 24 38 19
Westdeutschland existieren auch mehr als
1960–67 23 23 37 18 zwanzig Jahre nach der deutschen Verei-
nigung noch deutliche Ost-West-Unter-
Ostdeutschland 1
schiede im familialen Verhalten. Während
die Verhaltensweisen in Westdeutschland
noch weitgehend dem Muster der »kind­
1932–39 11 27 34 28
orientierten Eheschließung« entsprechen
1940–49 9 30 41 20 und die Mehrzahl der westdeutschen Paa-
re vor der ­Geburt des ersten Kindes heira-
1950–59 10 28 47 15 tet, ist die Kopplung von Eheschließung
und Familiengründung in Ostdeutschland
1960–67 14 33 41 13
eher l­ocker ausgeprägt. Als Ursachen für
diese spezifischen Muster gelten unter an-
Kinderlos Ein Kind Zwei Kinder Drei und mehr Kinder derem die geringe konfessionelle Bindung
in Ostdeutschland und die hohe Erwerbs-
1 Berlin wurde zu Ostdeutschland gruppiert. neigung ostdeutscher Frauen, durch die
Datenbasis: Mikrozensus 2012; eigene, ungewichtete Berechnungen.
die ökonomischen Vorteile einer Ehe-
schließung weniger relevant sind als für
westdeutsche Frauen. Weitere Ursachen
könnten in den unsicheren Beschäfti-
gungsoptionen und hohen Arbeitslosen-
drängt. So leben unter Frauen und Män- ob es sich beim Rückgang der Heiratsnei- quoten in Ostdeutschland liegen, deren
nern im Alter von 45 bis 49 12 % oder we- gung in erster Linie um »Timing-Effekte« negative Wirkung auf die Heiratsneigung
niger in einer NEL. Die Mehrheit der Per- handelt, also Eheschließungen im Lebens- sich in internationalen Studien ebenfalls
sonen ist in diesem Alter verheiratet. lauf nur aufgeschoben werden und spätes- erwiesen hat. u Tab 2
Prinzipiell zeigt sich in diesem Muster, tens dann geheiratet wird, wenn das erste
dass Eheschließungen im späteren Le- Kind geboren wird. Der Anstieg der 1.3.5 Familienformen und
benslauf vollzogen werden. Dennoch ist Nichtehelichenquote (Anteil der nicht­ unverheiratete Elternschaft
hier zu beachten, dass sich bei dieser ehelich geborenen Kinder an allen Kin- Inwiefern es sich bei den nichtehelichen
Querschnitts­betrachtung Kohorten- und dern) deutet darauf hin, dass die Kopp- Geburten um Geburten von Frauen in
Alterseffekte vermischen. Die heute 45- bis lung von Eheschließung und Familien- nichtehelichen Lebensgemeinschaften
54-Jährigen haben zum Teil noch vor der gründung sich in den letzten Jahrzehnten handelt und wie oft nach der Familien-
deutschen Vereinigung geheiratet. Die deutlich gelockert hat. Demnach waren gründung noch geheiratet wird, lässt sich
Lebensformen der ostdeutschen Personen, im Jahr 2012 fast 30 % der Geburten in auf Basis der amtlichen Daten nicht er-
die heute 45 Jahre und älter sind, reflek- Westdeutschland und rund 60 % der Ge- schließen. Die Daten des Mikrozensus
tieren damit in gewissem Maße noch die burten in Ostdeutschland nichtehelich. können jedoch Aufschluss über die Famili-
­demografischen Verhaltensweisen, die in Bei den Erstgeburten ist der Anteil mit enformen geben, in denen Frauen mit Kin-
der DDR typisch waren. u Abb 3 knapp 38 % in Westdeutschland und 74 % dern leben. Da es bereits seit 1996 mög-
in Ostdeutschland deutlich höher. Beim lich ist, nichteheliche Lebensformen im
1.3.4 Unverheiratete Elternschaft zweiten Kind reduziert sich die Nichtehe- Mikrozensus abzugrenzen, lässt sich auch
Ein Kristallisationspunkt familiensozio- lichenquote auf etwa 50 % in Ost- und die Entwicklung über die Zeit darstellen.
logischer Debatten ist die Frage, ob die 20 % in Westdeutschland. Dieser Rück- Wie aus Tabelle 3 ersichtlich, ist die
nichteheliche Lebensgemeinschaft das gang deutet zum einen darauf hin, dass Mehrzahl der Frauen, die mit Kindern
eheliche Lebensmodell verdrängt hat oder ein relevanter Anteil von Personen zwi- unter 18 Jahren im Haushalt leben, ver-

38
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen  / 1.3  Bevölkerung und Demografie  / 1

u Abb 3  Lebensform nach Lebensalter und Geschlecht 2012 — in Prozent

Frauen Westdeutschland Frauen Ostdeutschland

18–24 6 11 83 18–24 4 18 78

25–29 30 21 49 25–29 18 29 53

30–34 53 14 32 30–34 36 26 39

35–39 64 10 26 35–39 49 19 32

40–44 65 8 27 40–44 55 15 30

45–49 65 7 28 45–49 60 11 29

50–54 68 5 27 50–54 65 7 28

Männer Westdeutschland Männer Ostdeutschland

18–24 2 6 92 18–24 1 9 90

25–29 17 19 64 25–29 9 23 69

30–34 42 16 42 30–34 25 25 50

35–39 56 11 32 35–39 39 22 39

40–44 61 9 30 40–44 47 16 36

45–49 64 8 28 45–49 53 12 35

50–54 67 6 27 50–54 63 8 29

Verheiratet1 NEL2 Kein Partner im Haushalt

1 Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews verheiratet sind und nicht dauernd getrennt leben. Personen in eingetragenen Lebenspartnerschaften sind wie Verheiratete behandelt worden.
2  Nichteheliche Lebensgemeinschaft; Partner lebt im Haushalt.
Datenbasis: Mikrozensus 2012; eigene, ungewichtete Berechnungen.

heiratet. Jedoch geht dieser Anteil seit Lag er im Jahr 1996 bei 4 % in West- etwa ein Viertel aller ostdeutschen Frau-
1996 deutlich zurück. Lebten 1996 in deutschland, sind es im Jahr 2012 bereits en, die Kinder unter 18  Jahren haben,
Westdeutschland noch 85 % der Mütter in 6 %. In Ostdeutschland ist die NEL mit ­a lleinerziehend. In Westdeutschland ha-
einer ehelichen Lebensgemeinschaft, ist Kind mit etwa 18 % im Jahr 2012 deutlich ben knapp ein Fünftel der Frauen mit
dieser Wert bis 2012 um knapp 10 Pro- häufiger vertreten als in Westdeutsch- Kindern unter 18 Jahren keinen Partner,
zentpunkte auf 76 % gesunken. In Ost- land. Obwohl nichteheliche Elternschaf- der mit ihnen im selben Haushalt lebt.
deutschland ist der Anteil der verheirate- ten an Bedeutung gewonnen haben, ist Während es sich in Westdeutschland bei
ten Mütter noch stärker zurückgegangen: der Anteil alleinerziehender Mütter unter den alleinerziehenden Frauen mehrheit-
von 75 % im Jahr 1996 auf 57 % im Jahr Frauen mit Kindern unter 18  Jahren in lich um geschiedene beziehungsweise
2012. Hingegen ist der Anteil an Frauen beiden Landesteilen weiterhin höher als verheiratete und getrennt lebende Frauen
mit Kindern in nicht­ehelichen Lebens­ der Anteil an Frauen in nichtehelichen handelt, sind es in Ostdeutschland mehr-
gemeinschaften (NEL) leicht gestiegen. Lebensgemeinschaften. Im Jahr 2012 sind heitlich ledige Frauen. u Tab 3

39
1 /  Bevölkerung und Demografie  1.3 /  Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen

u Tab 2  Anteil der nichtehelich Lebendgeborenen an allen Lebendgeborenen 1.3.6 Erwerbsverhalten von Müttern
1980, 1990, 2000, 2010 und 2012 und nach Geburtsordnung im Jahr 2012 — in Prozent und Vätern
Alle Kinder 1. Kind 2. Kind 3. Kind
Parallel zu den Veränderungen in den
­Familienstrukturen hat sich das Erwerbs-
1980 1990 2000 2010 2012 2012 2012 2012
verhalten von Frauen und insbesondere
Ostdeutschland 1
22,8 35,0 51,5 61,2 61,6 73,7 51,3 44,3
jenen mit Kindern gewandelt. In West-
Westdeutschland 7,6 10,5 18,6 27,0 28,4 37,8 19,5 18,2
deutschland ist die Erwerbsquote von
Deutschland 11,9 15,3 23,4 33,3 34,5 44,5 25,4 22,5
Frauen seit den 1980er-Jahren kontinu-
1  Ost-West-Darstellung ab 2000 ohne Berlin. ierlich angestiegen (siehe Kapitel 5.1.4)
Datenbasis: Pötzsch (2012), Statistisches Bundesamt.
und liegt mittlerweile bei über 70 % und
damit auf einem ähnlichen Niveau wie
u Tab 3  Lebensformen von Frauen und Männern (Alter 18 – 54) mit Kindern unter      die Erwerbsquoten von Frauen in den
18 Jahren im Haushalt 1996, 2000 2004, 2008 und 2012 — in Prozent nordischen Ländern Europas. Die Er-
1996 2000 2004 2008 2012
werbsquote ist jedoch kein hinreichender
Indikator, um die Erwerbsbeteiligung
Frauen Westdeutschland
von Frauen, insbesondere jenen mit Kin-
Verheiratet mit Kind1 85 84 80 78 76 dern, abzubilden, da sie nicht die Variati-
NEL mit Kind
2
4 4 6 6 6 onen im Erwerbsumfang berücksichtigt.
Alleinerziehend 12 12 14 16 18 Diese sind gerade für die Beurteilung der
Frauen Ostdeutschland Erwerbsmuster in Deutschland relevant,
Verheiratet mit Kind1 75 69 61 61 57 da hier der Anstieg der Erwerbsquote von
NEL 2 mit Kind 11 13 16 15 18 Frauen vor allem mit einem Anstieg des
Alleinerziehend 14 19 22 24 25
Anteils in Teilzeit arbeitenden (10 –29 Ar-
beitsstunden pro Woche) und marginal
Männer Westdeutschland
beschäftigten Frauen (1–9 Arbeitsstun-
Verheiratet mit Kind¹ 94 93 91 91 89
den pro Woche) mit Kindern zusammen-
NEL ² mit Kind 4 5 7 7 8
fällt, während sich der Anteil der Vollzeit
Alleinerziehend 2 3 2 2 3 erwerbstätigen Frauen mit Kindern bis-
Männer Ostdeutschland lang wenig verändert hat.
Verheiratet mit Kind¹ 86 81 76 76 73 Abbildung 4 stellt vor diesem Hinter-
NEL ² mit Kind 12 15 21 21 23 grund die Erwerbsbeteiligung von Frauen
Alleinerziehend 2 4 4 4 4 nach Alter des jüngsten Kindes, das im
Haushalt lebt, dar. In Westdeutschland
1 Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews verheiratet sind (oder in eingetragener Lebenspartnerschaft leben)
und nicht dauernd getrennt leben. dominiert mittlerweile die Teilzeiter-
2 Nichteheliche Lebensgemeinschaft; Partner/-in lebt im Haushalt.
Datenbasis: Mikrozensus 1996, 2000, 2004, 2008 und 2012; eigene Berechnungen. werbstätigkeit unter Frauen mit Kindern.
44 % der Frauen, die Kinder unter 18 Jah-
ren haben, sind teilzeiterwerbstätig. Nur
etwa 23 % gehen einer Vollzeiterwerbstä-
tigkeit nach. Obwohl die Bedeutung der
Männer, die mit Kindern unter 18 Jah- men Haushalt leben; laut Mikrozensus Nichterwerbspersonen über die Zeit deut-
ren zusammenleben, sind häufiger als die ­leben diese Väter in einer nichtfamilialen lich zurückgegangen ist, sind im Jahr 2012
entsprechenden Frauen verheiratet. Zu- Lebensform. Da das Lebensformenkon- immerhin noch 23 % der westdeutschen
dem sind die Anteile der Männer, die mit zept des Mikrozensus überdies Verwandt- Frauen Nichterwerbspersonen; sie haben
Kindern in einer ehelichen Lebensgemein- schaftsverhältnisse nicht systematisch weder eine Erwerbstätigkeit angegeben,
schaft leben, über die Zeit weniger stark ­erfasst, befinden sich unter den Männern noch sind sie in Elternzeit oder erwerbslos.
zurückgegangen als die der Frauen. Diese in ehelichen Lebensgemeinschaften mit Bei Frauen mit Kindern unter drei Jahren
Darstellung berücksichtigt jedoch nicht, Kindern solche, deren Vaterschaftsstatus fallen sogar 35 % in diese Kategorie. In
dass Kinder nach einer Trennung oder durch Stiefelternschaft begründet ist. Auf Ostdeutschland ist dieser Anteil mit 27 %
Scheidung der Eltern überwiegend bei den Frauen trifft dies nur in sehr geringem etwas geringer. Im Unterschied zu West-
Müttern leben, sodass »Trennungsväter« Umfang zu, da die meisten Kinder nach deutschland sind 31 % der ostdeutschen
unberücksichtigt bleiben, wenn nur die Trennung oder Scheidung bei den Müt- Mütter mit Kindern unter drei Jahren Voll-
Kinder erfasst werden, die im gemeinsa- tern wohnhaft bleiben. zeit berufstätig. Betrachtet man Mütter mit

40
Demografischer Wandel: Geburtenentwicklung und Lebensformen  / 1.3  Bevölkerung und Demografie  / 1

Kindern unter 18 Jahren, sind 52 % der ost- von Kindern als Grund für die Teilzeiter- punkt, in Elternzeit befinden. Dies ent-
deutschen Frauen vollzeiterwerbstätig. werbstätigkeit angeben, sind es bei den spricht dem Anteil an Vätern in Elternzeit
Auffallend im Ost-West-Vergleich ist zu- Männern andere Gründe – vor allem der zu einem bestimmten Beobachtungs-
dem der relativ hohe Anteil von erwerbs­ Grund, dass sie keine Vollzeiterwerbstä- punkt und ist nicht mit dem Anteil der
losen Frauen in Ostdeutschland. Insgesamt tigkeit finden konnten. Ebenfalls gering er- Väter, die jemals Elternzeit genommen
kommt der Teilzeiterwerbstätigkeit von scheint der Anteil der Väter, die in Eltern- haben, gleichzusetzen. Es entspricht auch
Müttern in Ostdeutschland mit 18 % eine zeit sind. Bei den Vätern mit Kindern im nicht dem Anteil an Vätern, die Eltern-
geringere Rolle zu als in Westdeutschland, Alter von null bis zwei Jahren sind es in geld beziehen, da Elterngeldbezug im Ge-
dennoch ist der Anteil teilzeiterwerbstäti- beiden Landesteilen nur 2 %, die zum gensatz zur Elternzeit auch für Nichter-
ger Frauen in Ostdeutschland nach der Zeitpunkt des Interviews ihre Erwerbs­ werbspersonen und Erwerbslose möglich
Wende deutlich angestiegen. u Abb 4 tätigkeit aufgrund einer Elternzeit unter- ist. Laut Angaben des Statistischen Bun-
Betrachtet man die Erwerbsmuster brochen oder reduziert haben. Hier muss desamtes liegt der Anteil der Väter der im
von Männern, die mit Kindern unter zum einen beachtet werden, dass die Jahr 2012 geborenen Kinder, die jemals
18 Jahren im Haushalt leben, dominiert in ­A ltersgruppe relativ breit gewählt ist. Bei Elterngeld bezogen haben, bei 29 %. Die-
West- wie in Ostdeutschland die Vollzeit­ kleinen Kindern (unter einem Jahr) er- ser Wert ist deutlich höher als der Anteil
erwerbstätigkeit. Lediglich 4 beziehungs- höht sich der Anteil von Vätern in Eltern- der Väter, die in der Berichtswoche in El-
weise 5 % der Männer im jeweiligen Lan- zeit auf etwa 3 %. Zum anderen muss be- ternzeit sind. Ein wesentlicher Grund für
desteil gehen einer Teilzeiterwerbstätig- achtet werden, dass es sich um Personen diese Unterschiede ist, dass viele Väter
keit nach. Während Frauen, die in Teilzeit handelt, die sich »in der Berichtswoche«, nur relativ kurz – zumeist bis zu zwei Mo-
arbeiten, am häufigsten die Betreuung also in der Woche vor dem Interviewzeit- nate – Elternzeit nehmen.

u Abb 4  Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern mit Kindern¹ nach Alter des jüngsten Kindes 2012 — in Prozent

Frauen Westdeutschland Frauen Ostdeutschland

0–2 10 23 31 2 35 0–2 31 11 26 5 27

3–6 20 49 2 4 25 3–6 54 21 1 10 14

7–17 29 51 3 18 7–17 61 21 8 11

0–17 23 44 7 3 23 0–17 52 18 7 8 16

Männer Westdeutschland Männer Ostdeutschland

0–2 87 424 3 0–2 81 5 2 7 5

3–6 90 4 3 3 3–6 86 5 6 4

7–17 91 32 4 7–17 87 4 5 4

0–17 90 4 3 3 0–17 85 5 6 4

Vollzeit Teilzeit Elternzeit/Mutterschutz Erwerbslos Nichterwerbsperson

1  Kinder unter 18 Jahren im Haushalt.


Anmerkung: Für Personen, die in Elternzeit sind, aber gleichzeitig eine Erwerbstätigkeit oder Erwerbslosigkeit angegeben haben, wurde nur die ­Elternzeit berücksichtigt.
Teilzeit (0 – 29 Stunden) und Vollzeit (30 Stunden und mehr) bezieht sich auf die normalerweise geleistete Wochenarbeitszeit.
Datenbasis: Mikrozensus 2012; eigene, ungewichtete Berechnungen.

41
8,1 Mill.
Familien mit minderjährigen Kindern gab es
2014 in Deutschland. Zehn Jahre zuvor waren
41 000
es noch 9,0 Millionen, 10 % mehr.
gleichgeschlechtliche Paare
lebten 2014 als eingetragene
Lebenspartnerschaft in
einem Haus­halt zusammen.
33 %
der Kinder unter
3 Jahren waren 2015
in Tagesbetreuung.

18 Mill. 60 %
Alleinstehende lebten 2014 in Deutschland,
der Personen mit Migrations-
davon 89 % in Einpersonenhaushalten.
hintergrund waren noch keine
40 Jahre alt.
2
Familie, Lebensformen
und Kinder
2.1 Allein oder zu zweit? Mit Trauschein oder
in »wilder Ehe«? Als Familie oder ohne
wie Arbeitslosengeld II (»Hartz IV«) in An-
spruch genommen werden müssen (siehe
Lebensformen in Kind? Das menschliche Zusammenleben auch Kapitel  10.4). Im Abschnitt  2.1.6
der Bevölkerung, bietet vielfältige Möglichkeiten. Neben
der traditionellen Familienform, den Ehe-
wird die Betreuungssituation von Kin-
dern thematisiert: Wie viele Kinder wer-
Kinder und paaren mit Kindern, gewinnen alternative den von Tageseinrichtungen oder von
Kindertages­ Familienformen wie Lebensgemeinschaf-
ten mit Kindern und alleinerziehende
Tagesmüttern beziehungsweise -vätern
betreut? Ist die Betreuungssitua­tion in
betreuung ­E lternteile immer mehr an Bedeutung. den Ländern unterschiedlich?
Gleichzeitig prägen nicht familiale Lebens-
formen wie Alleinstehende zunehmend 2.1.1 Formen des Zusammenlebens
Elle Krack-Roberg, Stefan Rübenach,
das Bild der Gesellschaft. Grundlage für die Bestimmung einer
Bettina Sommer, Julia Weinmann
Zunächst wird die Entwicklung der ­L ebensform im Mikrozensus sind die so-
unterschiedlichen Formen des Zusammen- zialen Beziehungen zwischen den Mitglie-
Destatis lebens in den Jahren 2004 bis 2014 be- dern eines Haushalts. Im Jahr 2014 lebten
schrieben (Abschnitt 2.1.1). Anschließend 17,5 Millionen Ehepaare und 2,9 Millio-
werden Eheschließungen und Schei­ nen gemischt- oder gleichgeschlechtliche
dungen im Zeitverlauf beleuchtet (Ab- Lebensgemeinschaften in Deutschland,
schnitt 2.1.2). In Abschnitt 2.1.3 und 2.1.4 zusammen also rund 20,4 Millionen Paa-
richtet sich der Fokus auf Familien mit re. Daneben gab es 18,0 Millionen allein-
minderjährigen Kindern und die Lebens- stehende Personen, die ganz überwiegend
situation von Kindern. u Info 1, Abb 1 (89 %) allein wohnten oder sich in eher
Eine wesentliche Voraussetzung zur seltenen Fällen den Haushalt mit anderen
zufriedenstellenden Vereinbarkeit von Fa- Mitbewohnern teilten (11 %). Rund
milie und Erwerbstätigkeit für Mütter und 2,7 Millionen Menschen waren als Mütter
Väter (Abschnitt 2.1.5) ist ein aus­ oder Väter alleinerziehend.
reichendes Angebot zur Betreuung von Im Vergleich zu 2004 haben alterna-
Kindern unterschiedlicher Altersstufen. tive Lebensformen zahlenmäßig an Be-
Alleinerziehenden ermöglicht eine Tages- deutung gewonnen. So erhöhte sich die
betreuung häufig erst eine eigene Erwerbs- Zahl der Alleinstehenden um 2,5 Millio-
tätigkeit, ohne die nicht selten andere nen, was einem Anstieg von 16 % ent-
Leistungen (zum Beispiel Arbeitslosen- spricht. Die Zahl der Lebensgemein-
geld I) oder staatliche Transferleistungen schaften stieg innerhalb der betrachteten

43
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

u Info 1 u Abb 1  Familien- und Lebensformen im Mikrozensus


Was ist der Mikrozensus?
Die Datenbasis für die Abschnitte 2.1.1, 2.1.3, Haushalt
2.1.4, 2.1.5 und Kapitel 2.2 bildet der Mikro- mit Partner/-in ohne Partner/-in
zensus, die größte jährlich durchgeführte
Haushaltsbefragung Europas, an der 1 % der
Haushalte in Deutschland teilnehmen.
mit Kind(ern)
Die hier dargestellten Ergebnisse beziehen
sich auf Familien beziehungsweise andere Familien
­Lebensformen am Hauptwohnsitz. Familien Ehepaare, Alleinerziehende
und Lebensformen am Nebenwohnsitz und Lebensgemeinschaften
Menschen in Gemeinschaftsunterkünften
(zum Beispiel Wohnheimen) werden hier
nicht berücksichtigt. ohne Kind
Da sich der Mikrozensus als Haushaltsbefra-
gung auf das Beziehungsgefüge der befragten
Ehepaare, Alleinstehende
­M enschen in den »eigenen vier Wänden«, Lebensgemeinschaften (darunter Alleinlebende)
­also auf ­einen gemeinsamen Haushalt konzen-
triert, ­bleiben E­ ltern-Kind-Beziehungen, die
über Haushaltsgrenzen hinweg bestehen, Paare
oder Partnerschaften mit getrennter Haus­
halts­f ührung, das sogenannte »Living apart
Als Kind zählen ledige Personen (ohne Altersbegrenzung) mit mindestens einem Elternteil und
together«, unbe­r ück­sichtigt. ohne Lebenspartner/-in beziehungsweise eigene ledige Kinder im Haushalt. Lebensgemeinschaften
sind nichteheliche (gemischtgeschlechtliche) und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften.
Bei Zeitvergleichen ist zu beachten, dass der
Mikro­zensus seit 2005 kontinuierlich über ­
das Jahr verteilt erhoben wird (Jahresdurch-
schnittsergebnisse). Bis einschließlich 2004
war die Erhebung auf eine feste Berichts­ u Tab 1  Lebensformen der Bevölkerung — in Tausend
woche – üblicherweise die letzte feiertags-
freie Woche im April – festgelegt. 2004 2014

Die Ergebnisse ab dem Mikrozensus 2011 Paare 21 564 20 407


wurden auf einen neuen Hochrechnungs­  Ehepaare 19 095 17 487
rahmen umgestellt. Grundlage hierfür
 Lebensgemeinschaften 2 469 2 920
sind die aktuellen ­Eckzahlen der laufenden
Bevölkerungsfort­schreibung, die auf den  nichtehelich¹ 2 412 2 833
­Daten des Zensus 2011 (Stichtag 9. Mai 2011)  gleichgeschlechtlich 56 87
basieren. Die Mikrozensus-­Hoch­rechnung für
die hier dargestellten V
­ ergleichsjahre vor 2011 Alleinerziehende 2 502 2 712
basiert hingegen auf den fortgeschriebenen Alleinstehende 15 449 17 971
Ergebnissen der Volkszählung 1987 be­  Alleinlebende² 13 996 15 997
ziehungsweise auf Basis der Fortschreibungs-
ergebnisse auf Grundlage der Daten des 1 Gemischtgeschlechtlich.
­zentralen Ein­wohnerregisters der ehemaligen 2 Einpersonenhaushalte.
Ergebnisse 2014 auf Basis des Zensus 2011, für 2004 auf Basis früherer Zählungen.
DDR vom 3. Oktober 1990. Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

zehn Jahre um 451 000 (+ 18 %), die der sus zeigen, dass diese Volksweisheit tat- Paare in Deutschland die Lebensgefähr-
Alleinerziehenden um 210 000 (+ 8 %). sächlich zutrifft, zumindest wenn man ten einen gleichen oder ähnlichen Bil-
Eine rückläufige Entwicklung zeigt den Bildungsstand, den Altersunterschied dungsabschluss. Wenn sich das Bil-
sich hingegen bei den Ehepaaren. Im zwischen beiden Partnern oder die Staats- dungsniveau unterscheidet, dann verfügt
Jahr  2014 gab es in Deutschland rund angehörigkeit betrachtet. Die nachfolgen- meistens der Mann über einen höheren
1,6 Millionen Ehepaare weniger als noch den Ausführungen konzentrieren sich auf Abschluss. Das war bei 29 % der Paare
vor zehn Jahren. Das entspricht einem Ehepaare und nichteheliche (gemischtge- der Fall. Die umgekehrte Situation –
Rückgang von 8 %. u Tab 1 schlechtliche) Lebensgemeinschaften. dass die Frau einen höheren Bildungs-
stand hatte – gab es lediglich bei etwa je-
Paare Paare nach Bildungsstand dem elften Paar (9 %). Im Vergleich zu
Wer heiratet wen? Wer lebt mit wem zu- Die meisten Menschen wählen eine Part- 2004 zeigt sich hier eine Veränderung.
sammen? Ein altes Sprichwort sagt zu nerin oder einen Partner mit gleichem Damals hatte nur bei 8 % der Paare die
diesem Thema: »Gleich und gleich gesellt Bildungsniveau. So hatten 2014 bei mehr Frau einen höheren Bildungsabschluss
sich gern«. Die Ergebnisse des Mikrozen- als der Hälfte (62 %) der 20 Millionen als der Mann. u Abb 2, Info 2

44
Abb 2 Paare nach Bildungsstand 2013 - inLebensformen
Prozent in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­   Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

betreuung  / 2.1

u Abb 2  Paare nach Bildungsstand 2014 — in Prozent u Info 2


Bildungsstand

Frau hat höhere Bildung als Mann beide mittlere Bildung Der Bildungsstand basiert auf der inter­
national vergleichbaren Klassifikation für das
9 41 ­B ildungswesen »International Standard
­C lassification of Education« (ISCED). Der
höchste erreichte Bildungsstand wird danach
aus den Merkmalen »allgemeiner Schulab-
Mann hat höhere Bildung als Frau 20,3 Partner mit gleicher Bildung schluss« und »beruflicher Bildungsabschluss«
Millionen
29 62 kombiniert. Grundsätzlich wird zwischen
Paare¹
drei ­K ategorien für den Bildungsstand unter-
schieden: »hoch«, »mittel« und »niedrig«.
­Personen ­m it einem »hohen Bildungsstand«
beide hohe Bildung
verfügen über einen akademischen Ab-
schluss oder ­e inen Meister- / Techniker- oder
14 Fachschulabschluss (ISCED-Stufe 5 bis 8).
Berufsqualifizierende Abschlüsse und / oder
beide niedrige Bildung
das Abitur ­beziehungsweise die Fachhoch-
7 schulreife g­ ehören zur Kategorie »mittlerer
1  Paare: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften. Bildungs­stand« ­(ISCED-Stufe 3 und 4).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
­Personen mit ausschließlich einem Haupt-/
Realschul­a bschluss und ohne schulischen
oder beruf­lichen Abschluss fallen in die Ka-
Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
tegorie »niedriger Bildungsstand« (ISCED-
u Abb 3  Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften Stufe 0, 1 und 2).
nach Bildungsstand der Partner 2014 — in Prozent

Ehepaare 61 30 9

nichteheliche
Lebensgemein- 65 21 14
schaften

Partner mit gleicher Bildung Mann hat höhere Bildung Frau hat höhere Bildung

Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Unterschiede zeigen sich bei einer sepa- Paare nach Alter 17 % der Paare war es umgekehrt. Rund
raten Betrachtung der Ehepaare und Beziehungen von älteren Männern und 10 % der Paare waren gleich alt.
nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Frauen zu wesentlich jüngeren Partnerin- Betrachtet man verheiratete und nicht
Bei 30 % der Ehepaare hatte der Mann einen nen oder Partnern werden von der Presse verheiratete Paare getrennt voneinander
höheren Bildungsstand als seine Frau gerne aufgegriffen. Statistisch gesehen hinsichtlich des Alters in der Paarkons-
und nur bei jedem elften Ehepaar (9 %) sind solche hohen Altersunterschiede je- tellation, stellt sich diese Struktur noch
war dies umgekehrt. Die dem klassischen doch nicht die Regel, sondern eher die einmal anders dar. Auch hinsichtlich
Rollenbild entsprechende Bildungskons- Ausnahme, denn lediglich 6 % aller Paare der Altersverteilung weichen nichteheli-
tellation – der Mann ist höher gebildet trennte 2014 ein Altersunterschied von che Lebensgemeinschaften eher von gän-
als die Frau – ist bei den Lebensgemein- mehr als zehn Jahren. Fast die Hälfte (47 %) gigen Klischees ab: Zwar herrschte im
schaften, die ohne Trauschein in einem hatte nur einen geringen Altersunterschied Jahr 2014 auch bei unverheirateten Paa-
Haushalt zusammenleben, weniger stark zwischen einem und drei Jahren. Genau ren überwiegend (66 %) eine traditionelle
ausgeprägt. Bei den unverheirateten Paa- gleich alt war immerhin jedes zehnte Paar. ­A ltersverteilung. Doch in fast jeder vier-
ren verfügte der Mann nur in 21 % der Unabhängig von der Höhe des Alters­ ten Beziehung (24 %) war die Frau älter
Fälle über einen höheren Bildungsab- unterschiedes gilt jedoch im Großen und als ihr Partner. Der Rest (10 %) war gleich
schluss als die Frau, wohingegen in 14 % Ganzen die traditionelle Altersverteilung – alt. Unter den Verheirateten war die klas-
der Fälle der Abschluss der Frau höher der Mann ist älter als die Frau. Bei rund sische Verteilung der Alterskonstellation
war als der des Mannes. u Abb 3 drei Vierteln (73 %) traf dies zu, nur bei stärker ausgeprägt: Bei drei von vier Ehe-

45
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

paaren (74 %) war der Mann älter als sei- u Abb 4  Paare nach Altersunterschied 2014 — in Prozent
ne Frau. In jeder zehnten Ehe waren bei-
de Partner gleich alt. In 16 % der Ehen
war die Frau älter. u Abb 4 Ehepaare 10 74 16

nichteheliche
Paare nach Staatsangehörigkeit Lebensgemein- 10 66 24
Studium und Urlaub im Ausland, der Zu- schaften

zug von Ausländerinnen und Ausländern kein Altersunterschied Mann älter als Frau Frau älter als Mann
nach Deutschland – mit zunehmender
Abb 5 Paare nach Staatsangehörigkeit 2013 - in Prozent
Globalisierung und Mobilität im privaten Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

und beruf lichen Umfeld der Menschen


könnte man vermuten, dass auch Paarbe-
ziehungen immer internationaler würden.
Zwar steigt der Anteil von Paaren mit u Abb 5  Paare nach Staatsangehörigkeit 2014 — in Prozent
­v erschiedenen Staatsangehörigkeiten,
dennoch haben die meisten Paare nach
ausländisch-ausländisch deutsch-deutsch
wie vor den gleichen Pass. So überwogen
unter den Paaren 2014 in Deutschland 6 87

klar die deutsch-deutschen Verbindungen deutsch-ausländisch


(87 %). Das waren jedoch rund 2 Prozent-
7
punkte weniger als 2004. Deutsch-auslän-
dische Paare machten 7 % (2004: 5 %) und 20,3
ausländische Paare 6 % (2004: 6 %) aus. Millionen
Paare
Auch unter ausländischen Paaren besitzen
meist beide Partner die gleiche Staats­
angehörigkeit (90 %). u Abb 5
Auch wenn bei der Partnerwahl häu-
fig die Gemeinsamkeiten im Vorder-
Paare: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften.
grund stehen, sind es manchmal gerade Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

die Unterschiede, die sich anziehen: Paare: Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Wenn deutsche Männer eine ausländi- Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.

sche Partnerin wählten, dann kam sie am


häufigsten aus der Türkei (12 %), Polen
(10 %) oder der Russischen Föderation
(7 %). Deutsche Frauen lebten 2014 vor
Eingetragene
­a llem mit Türken (18 %), Italienern (12 %)
Lebenspartnerschaften
und Österreichern (7 %) zusammen.
Rund 41 000 gleichgeschlechtliche Paare nerschaften in Deutschland gegeben.
lebten 2014 in Deutschland als einge- Seitdem hat sich die Zahl bis 2014 mehr
Gleichgeschlechtliche Lebens­-
tragene Lebenspartnerschaft in einem als verdreifacht, die bestehenden einge­
gemeinschaften
Haushalt zusammen. Das seit 2001 be- tragenen Lebenspartnerschaften wur-
Anhand der Frage zur Lebenspartnerschaft
stehende Lebenspartnerschaftsgesetz den überwiegend (24 000 Paare) von
weist der Mikrozensus für das Jahr 2014
ermöglicht es, zwei Menschen gleichen Männern geführt, rund 17 000 Paare
rund 87 000 gleichgeschlechtliche Lebens-
Geschlechts ihrer Beziehung einen waren Frauen.
gemeinschaften aus. Etwas mehr als die
rechtlichen Rahmen zu geben. Seit
Hälfte (54 %) der gleichgeschlechtlichen
2006 wird dieser Familienstand im
Lebensgemeinschaften wurde von Män-
­Mikrozensus erhoben. Damals hatte es
nern geführt. Rund 41 000 (47 %) aller
knapp 12 000 eingetragene Lebenspart-
gleichgeschlechtlichen Lebensgemein-
schaften waren zugleich eingetragene
Lebenspartnerschaften. Aufgrund geringer
Fallzahlen und der Freiwilligkeit dieser
Auskünfte sind die Ergebnisse jedoch mit

46
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung  / 2.1  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

u Info 3 ter und Väter, die mindestens ein im


Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften Haushalt lebendes, minderjähriges Kind
Unter einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft wird im Mikrozensus ­e ine Lebens­ betreuten. Gegenüber 2004 ist ihre Zahl
partnerschaft verstanden, bei der zwei Lebenspartner gleichen Geschlechts mit oder um rund 4 % gestiegen.
ohne Trauschein beziehungsweise notarieller Beglaubigung in einem Haushalt zusammenleben
und ge­m einsam wirtschaften.
Zu den alleinerziehenden Elternteilen
zählen im Mikrozensus alle Mütter und
Entscheidend für die Klassifizierung als Lebensgemeinschaft im Mikrozensus – egal ob
gleich- oder gemischtgeschlechtlich – ist die Einstufung der Befragten selbst. Eine dahin Väter, die ohne Ehe- oder Lebenspartner/
gehende Frage wird seit 1996 gestellt (sogenanntes Frage­konzept). Ihre Beantwortung -in mit ledigen Kindern im Haushalt zu-
ist den befragten Personen freigestellt. sammenleben. Unerheblich ist dabei, wer
im juristischen Sinn für die Kinder sorge­
berechtigt ist. Im Vordergrund steht der
aktuelle und alltägliche Lebens- und Haus­
u Tab 2  Entwicklung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften — in Tausend haltszusammenhang.
Fragekonzept Das Alleinerziehen betrifft zum größ-
Schätzkonzept ten Teil Frauen: Im Jahr 2014 waren
zusammen Männer / Männer Frauen / Frauen
1,5 Millionen Mütter und 180 000 Väter
2004 160 56 30 26
alleinerziehend. Damit war in neun von
2009 177 63 37 27
zehn Fällen (90 %) der alleinerziehende
2012 194 70 39 30 Elternteil die Mutter. Seit 2004 ist der
2013 205 78 42 35 Anteil der alleinerziehenden Väter zudem
2014 223 87 47 39 leicht zurückgegangen, und zwar von
12 % im Jahr 2004 auf 10 % im Jahr 2014.
Bezug Schätzkonzept: Bevölkerung in Privathaushalten am Haupt- und Nebenwohnsitz.
Bezug Fragekonzept: Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Am häufigsten werden Mütter und
Ergebnisse ab 2011 auf Basis des Zensus 2011, für die Jahre zuvor auf Basis früherer Zählungen.
Ergebnisse des Mikrozensus. Väter mit minderjährigen Kindern infol-
ge einer Scheidung zu Alleinerziehenden:
Im Jahr 2014 waren 53 % dieser Frauen
und 63 % dieser Männer geschieden oder
noch verheiratet, lebten aber bereits ge-
trennt vom Ehepartner beziehungsweise
Vorsicht zu interpretieren. Gleichwohl kön- Sie dürften vor allem auch deshalb eine der Ehepartnerin. Ledig waren 43 % der
nen sie als eine untere Grenze für die Zahl obere Grenze der gleichgeschlechtlichen alleinerziehenden Mütter, verwitwet 4 %.
der gleichgeschlechtlichen Lebensgemein- Lebensgemeinschaften sein, weil in den Von den alleinerziehenden Vätern waren
schaften in Deutschland gelten. u Info 3, Tab 2 geschätzten Werten auch Wohngemein- 27 % ledig. Allerdings waren sie mit 10 %
Eine obere Grenze für die Zahl gleich- schaften von Studierenden ohne partner- mehr als doppelt so häufig verwitwet wie
geschlechtlicher Paare kann im Mikro- schaftlichen Hintergrund enthalten sind. die alleinerziehenden Mütter. u Abb 6
zensus mit einem Schätzverfahren be- Fazit: Auch wenn die Ergebnisse des Ein Drittel (33 %) der alleinerziehen-
stimmt werden. Hierbei werden alle Frage- und des Schätzkonzepts zur Ver- den Väter betreuten Kinder im Alter von
Haushalte, in denen mindestens zwei Per- breitung gleichgeschlechtlicher Paare vor- 15 bis 17 Jahren. Alleinerziehende Mütter
sonen leben, näher betrachtet. In diesen sichtig zu interpretieren sind, zeigt sich versorgten – relativ betrachtet – deutlich
Haushalten müssen (mindestens) zwei nach beiden Konzepten, dass seit 2004 die seltener Kinder dieses Alters (19 %). Sie
nicht verwandte 16-jährige oder ältere Zahl gleichgeschlechtlicher Lebensge- waren häufiger für jüngere Kinder ver-
Personen gleichen Geschlechts leben, die meinschaften gestiegen ist. antwortlich. So lebten bei 32 % der allein-
keine Ehegatten im Haushalt haben bezie- erziehenden Mütter Kinder im Krippen-
hungsweise nicht verheiratet und beide Alleinerziehende oder Vorschulalter von unter sechs Jah-
familienfremd sind. Nach diesem Schätz- Es gibt immer mehr Alleinerziehende in ren. Nur 12 % der alleinerziehenden
konzept gab es im Jahr 2014 in Deutsch- Deutschland. Im Jahr 2014 lebten insge- Väter betreuten Kinder dieser Alters-
land 223 000 gleichgeschlechtliche Lebens- samt 2,7 Millionen Personen als alleiner- gruppe. u Abb 7
gemeinschaften, also fast dreimal so viele ziehende Mütter oder Väter, von denen
gleichgeschlechtliche Lebensgemein- 1,6 Millionen (60 %) minderjährige Alleinstehende
schaften wie nach dem Fragekonzept. ­K inder hatten. Die nachfolgenden Ergeb- Als Alleinstehende werden im Mikrozen-
Auch die Ergebnisse des Schätzkonzepts nisse beziehen sich ausschließlich auf sus ledige, verheiratet getrennt lebende,
sind jedoch eingeschränkt aussagekräftig. diese Gruppe: die alleinerziehenden Müt- geschiedene oder verwitwete Personen

47
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

u Abb 6  Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren bezeichnet, die ohne Lebenspartnerin
nach Familienstand 2014 — in Prozent oder Lebenspartner und ohne Kind in
­e inem Privathaushalt wohnen. Diesen
können sie sich jedoch mit anderen (zum
Mütter 43 15 38 4
Beispiel Geschwistern, Freunden, Arbeits-
kollegen) teilen oder dort allein wohnen.
Väter 27 21 42 10 Im Jahr 2014 war mehr als jede fünfte Per-
son (22 %) in Deutschland alleinstehend
ledig verheiratet getrennt lebend geschieden verwitwet
(18,0 Millionen). Seit 2004 ist die Zahl der
Alleinstehenden um 16 % gestiegen.
Etwas mehr als die Hälfte (53 %) der
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Alleinstehenden waren 2014 Frauen, ins-
gesamt 9,5 Millionen. Alleinstehende
Männer gab es 8,4 Millionen (47 % der
Alleinstehenden). Seit 2004 ist die Zahl
u Abb 7  Alleinerziehende nach Alter des jüngsten Kindes 2014 — in Prozent alleinstehender Frauen um 8 % gestiegen,
die Zahl alleinstehender Männer jedoch
erhöhte sich um 28 %. Im Jahr 2004 hatte
15 –17 unter 15 –17 unter der Frauenanteil unter den Alleinstehen-
Jahre 6 Jahren Jahre 6 Jahren
den noch bei 57 % gelegen.
19 32 33 12 Unterschiede zwischen alleinstehen-
den Frauen und Männern zeigen sich un-
6 –9 ter anderem beim Familienstand. Im Jahr
Jahre 2014 waren 40 % der alleinstehenden
1,5 Millionen 180 000 19 Frauen verwitwet, 38 % ledig, 18 % ge-
10 –14 Mütter Väter schieden und 4 % verheiratet, aber ge-
Jahre
trennt lebend. Bei den alleinstehenden
28
Männern war die Reihenfolge eine ande-
6–9 10 –14
re: Hier überwogen mit 64 % die Ledigen,
Jahre Jahre gefolgt von den Geschiedenen mit 18 %,
21 35 den Verwitweten mit 10 % und den ver-
heiratet Getrenntlebenden mit 7 %. Im
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Jahr 2004 waren alleinstehende Frauen
noch deutlich häufiger verwitwet (48 %).
Seitdem gestiegen ist der Anteil der Ledi-
gen und der Geschiedenen an allen allein-
stehenden Frauen. Bei den alleinstehen-
u Abb 8  Alleinstehende nach Familienstand — in Prozent
den Männern gibt es im Zeitverlauf von
Abb 8 Alleinstehende nach Familienstand und Geschlecht - in Prozent
2004 zu 2014 nur geringfügige Verände-
rungen. u Abb 8
38 4 18 40 2014
Von den 18,0 Millionen Alleinstehen-
Frauen den im Jahr 2014 lebten 89 % in einem
34 4 15 48 2004 Einpersonenhaushalt. Rund 5 % teilten
sich den Haushalt mit Verwandten, bei-
64 7 18 10 2014 spielsweise der Schwester oder dem Bruder,
Männer und gegebenenfalls weiteren nicht ver-
61 7 18 13 2004
wandten Personen. Weitere rund 6 %
wohnten in Haushalten mit ausschließ-
ledig verheiratet getrennt lebend geschieden verwitwet
lich nicht verwandten oder verschwäger-
ten Haushaltsmitgliedern, beispielsweise
in einer Wohngemeinschaft von Studie-
Ergebnisse 2014 auf Basis des Zensus 2011, für 2004 auf Basis früherer Zählungen.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. renden. Damit lebten insgesamt 11 % der
Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung in Familien/Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Ergebnisse 2013 auf Basis des Zensus 2011, für 2003 auf Basis der Volkszählung 1987.

48
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung  / 2.1  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

Alleinstehenden mit anderen Menschen allein als gleichaltrige Männer. So lag die uAbb 9  Alleinstehende nach
unter einem Dach zusammen. u Abb 9 Quote der Alleinlebenden bei Frauen die- Haushaltsform 2014 — in Prozent
Abb 9 Alleinstehende nach
ser Altersgruppe mit durchschnittlich Haushaltsform 2013 - in Prozent
Alleinlebende 16 % deutlich unter der entsprechenden
Alleinlebende sind Alleinstehende, die in Quote für Männer (25 %). Umgekehrt ist in Mehrpersonen-
einem Einpersonenhaushalt wohnen und es in der Altersgruppe ab 60 Jahren: haushalten mit
Verwandten1
wirtschaften. Sie sind im Durchschnitt Frauen in dieser Altersgruppe lebten we-
5 Alleinlebende
älter als Alleinstehende: So waren 2014 in sentlich häufiger allein als gleichaltrige (Einpersonen-
Deutschland von den Alleinlebenden Männer. Bei älteren Frauen steigt der An- in Mehrpersonen- haushalte)
haushalten nur mit
35 % älter als 65 Jahre, bei den Alleinste- teil der Alleinlebenden mit zunehmen- Familienfremden
89
henden in Mehrpersonenhaushalten be- dem Alter rasch und stark an. Hier wirkt 6
trug dieser Anteil lediglich 22 %. Umge- sich unter anderem die deutlich höhere
kehrt verhielt es sich in der Altersgruppe Lebenserwartung von Frauen aus. Bei
der unter 25-Jährigen: Lediglich 7 % der den Männern sinkt die Alleinlebenden-
Alleinlebenden waren jünger als 25 Jahre, quote bis zum 75. Lebensjahr und nimmt 17,6 Millionen
Alleinstehende
bei den Alleinstehenden in Mehrperso- erst dann wieder zu. u Abb 10
nenhaushalten hingegen waren es 17 %.
Alleinstehende in Mehrpersonen- 2.1.2 Eheschließungen und
haushalten waren zu 61 % ledig und zu Scheidungen
17 % verwitwet, für Alleinlebende betru- Die folgenden Angaben sind der Statistik
gen die entsprechenden Anteile 49 % be- der Eheschließungen und der Statistik 1 Sowie Verschwägerten und gegebenenfalls Nichtverwandten.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / 
ziehungsweise 27 %. Der Frauenanteil bei der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauf­ Lebensformen am Hauptwohnsitz.

den Alleinstehenden in Mehrpersonen- lösungssachen (Scheidungsstatistik) ent-


haushalten war mit 50 % etwas niedriger nommen. Die Meldung der Eheschließun-
als bei den Alleinlebenden (53 %). gen an die Statistik erfolgt über Angaben 1 Sowie Verschwägerten und
gegebenenfalls Nichtverwandten.
Jüngere Frauen und Frauen mittleren der Standesämter und die der Scheidungs- Ergebnisse des Mikrozensus -
Alters (25 bis 59 Jahre) lebten 2014 seltener fälle durch die Justizgeschäftsstellen der Bevölkerung in Familien/Lebensformen
am Hauptwohnsitz.

u Abb 10  Alleinlebende nach Alter 2014 — in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe

60

40

20

0
unter 25 25 –29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70 –74 75 und älter

Männer Frauen im Alter von … bis … Jahren

Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

49
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

Familiengerichte. In Deutschland heirate- und 8 Monate und ledige Frauen genau den. Dies waren 12 300 Scheidungsfälle
ten im Jahr 2014 insgesamt 386 000 Paare. 31 Jahre alt. Bei insgesamt 67 % der Hoch- oder 8 % weniger als noch 2010. In
Damit stieg die Zahl der Eheschließungen zeiten waren beide Personen zuvor ledig. 1 700  Fällen (1 % aller Scheidungen)
gegenüber dem Vorjahr um 3 %. Anfang Bei 13 % der Ehen war es für beide bereits ­waren die Partner weniger als ein Jahr ge-
der 1960er-Jahre lag die Zahl der jähr­ der (mindestens) zweite Versuch: sie wur- trennt. Die Zahl der Scheidungen nach
lichen Eheschließungen noch bei rund den zwischen einem geschiedenen Mann dreijähriger Trennung ist mit 25 300 im
700 000. Sie ist seitdem mit gelegentlichen und einer geschiedenen Frau geschlossen. Vergleich zum Vorjahr leicht gefallen
Schwankungen tendenziell gesunken und Bei 18 % der Eheschließungen war ein (– 3 %). Außer im Jahr 2010 setzt sich die
liegt seit 2001 unter 400 000. Ehepartner ledig und der andere Ehepart- Tendenz der vergangenen Jahre zur län-
Unter den 386 000 standesamtlich ge- ner verwitwet oder geschieden. Zehn Jah- geren Ehedauer vor der Scheidung fort:
schlossenen Ehen des Jahres 2014 waren re früher waren bei 61 % der Hochzeiten 2014 betrug die durchschnittliche Ehe-
bei rund 331 500 Ehen beide Ehepartner die Ehepartner vorher ledig und bei 15 % dauer bei der Scheidung 14 Jahre und
deutscher Nationalität (86 %). Von den zuvor geschieden gewesen. 8 Monate. Vor 20 Jahren (1994) hatte die
Ehen mit ausländischen Partnern schlos- Das Auflösen einer Ehe erfolgt ent­ durchschnittliche Dauer der geschiede-
sen bei 25 400 Ehen (47 %) deutsche Män- weder durch gerichtliche Scheidung, ge- nen Ehen nur genau 12 Jahre betragen.
ner mit einer ausländischen Frau den richtliche Aufhebung oder den Tod des Bei den im Jahr 2014 geschiedenen Ehen
Bund fürs Leben. Bei rund 19 500 dieser ­Ehepartners, wobei der letzte Fall anteils- wurde der Scheidungsantrag meist von
Ehen (36 %) heirateten deutsche Frauen mäßig überwiegt (2014: 68 %) und demo- der Frau gestellt (52 %), der Mann reichte
einen Mann mit ausländischer Staatsan- grafisch bedingt in den letzten Jahren den Antrag nur in 40 % der Fälle ein. In
gehörigkeit. Bei den verbleibenden 9 500 steigt. Im Jahr 2014 belief sich die Zahl der den verbleibenden Fällen beantragten
der geschlossenen Ehen (17 %) besaßen gerichtlichen Scheidungen auf 166 200 beide Ehegatten gemeinsam die Schei-
beide Partner eine ausländische Staatsan- oder 32 % aller Ehelösungen. Damit san- dung (8 %).
gehörigkeit, 6 600 von ihnen (70 %) hat- ken die Ehescheidungen gegenüber dem Unter den 166 200 gerichtlichen Ehe-
ten die gleiche Staatsangehörigkeit. Vorjahr um 2 %. Auf je 1 000 Einwohner scheidungen im Jahr 2014 besaßen in
Mit der Eheschließung warten junge kommen 2014 damit 2,1 Ehescheidungen. 140 500 Fällen (85 %) beide Ehepartner
Menschen immer länger: Seit Mitte der Nach den derzeitigen Scheidungsverhält- die deutsche Staatsangehörigkeit, bei
1970er-Jahre ist in Deutschland das nissen werden etwa 35 % aller in einem 25 700 Scheidungen (15,5 %) war ein aus-
durchschnittliche Heiratsalter Lediger Jahr geschlossenen Ehen im Laufe der ländischer Ehepartner beteiligt. Bei
kontinuierlich gestiegen. Betrug 1975 das nächsten 25 Jahre wieder geschieden, also Scheidungen mit ausländischen Partnern
durchschnittliche Heiratsalter bei ledigen mehr als jede dritte Ehe. u Tab 3 ließen sich 10 000 deutsche Frauen (39 %)
Männern noch 24 Jahre und 11 Monate Bei der Mehrzahl aller Ehescheidun- von einem ausländischen Mann und
und bei ledigen Frauen 22 Jahre und gen sind die Ehepartner bereits ein Jahr 9 000 deutsche Männer (35 %) von einer
6 Monate, waren 2014 ledige Männer bei getrennt: 138 800 Ehen (84 %) wurden ausländischen Frau scheiden. In den rest-
der Hochzeit im Durchschnitt 33 Jahre 2014 nach dieser Trennungszeit geschie- lichen 6 700 Fällen (26 %) hatten beide
Ehepartner eine ausländische Staatsange-
hörigkeit, darunter 4 000 die gleiche.
Von einer Scheidung sind häufig ne-
u Tab 3  Eheschließungen und Scheidungen
ben den Ehepartnern auch deren gemein-
Eheschließungen Scheidungen same minderjährigen Kinder betroffen.
insgesamt je 1 000 insgesamt je 1 000 Etwa die Hälfte der 166 200 geschiedenen
in 1 000 Einwohner in 1 000 Einwohner
Ehepaare im Jahr 2014 hatte Kinder unter
1950 750 11,0 135 2,0 18 Jahren. Insgesamt erlebten rund
1960 689 9,5 73 1,0
134 800 minderjährige Kinder die Schei-
1970 575 7,4 104 1,3
dung ihrer Eltern. Das waren 0,9 % weni-
1980 497 6,3 141 1,8
ger als im Vorjahr und 0,4 % weniger als
1990 516 6,5 155 2,0
zehn Jahre zuvor. Damit verringerte sich
2000 419 5,1 194 2,4
absolut gesehen die Gesamtzahl der be-
2005 388 4,7 202 2,5
troffenen Kinder seit einem Hochstand
2010 382 4,7 187 2,3
im Jahr 2003 von 170 300 auf 134 800
2013 374 4,6 170 2,1
im Jahr 2014. Allerdings waren je 1 000
2014 386 4,8 166 2,1
Scheidungen 2003 nur 796 Kinder, 2014
Berechnungen je 1 000 Einwohner ab dem Jahr 2013 auf Basis des Zensus 2011. dagegen 811 Kinder beteiligt.

50
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­   Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

betreuung  / 2.1

Bei fast allen Scheidungen (96 %) im mals der Migrationsstatus im Mikrozen- der einzelnen Familienformen. Während
Jahr 2013, bei denen gemeinschaftliche sus abgefragt – hat sich die Zahl der Fami- die Zahl traditioneller Familien (Ehe­
minderjährige Kinder betroffen waren, lien mit Migrationshintergrund um paare mit Kindern) kontinuierlich gesun-
blieb das Sorgerecht bei beiden Eltern­ 68 000 beziehungsweise 3 % erhöht. Die ken ist, stieg die Zahl alternativer Familien-
teilen (63 400 Verfahren), da weder Vater Zahl der Familien ohne Migrationshinter- formen (Alleinerziehende und Lebensge-
noch Mutter einen Antrag auf das allei­ grund war hingegen rückläufig, und zwar meinschaften mit Kindern). Gab es 2004
nige Sorgerecht gestellt hatten. In von 6,5 Millionen im Jahr 2005 auf noch 6,7  Millionen Ehepaare mit min-
2 800 Verfahren wurde hingegen das Sor- 5,6 Millionen im Jahr 2014 (– 14 %). u Info 4 derjährigen Kindern, so waren es zehn
gerecht vom Familiengericht übertragen, Jahre später nur noch 5,6  Millionen
darunter in fast drei Viertel der Verfah- Familienformen (– 17 %). Umgekehrt hat sich die Zahl der
ren (2 100) auf die Mutter. Hinter den rückläufigen Familienzahlen Lebensgemeinschaften mit minderjähri-
Das durchschnittliche Alter Geschie- stehen unterschiedliche Entwicklungen gen Kindern von 684 000 im Jahr 2004
dener steigt kontinuierlich: Während
2014 Männer im Schnitt 45 Jahre, 11 Mo-
nate und Frauen 42 Jahre, 11 Monate alt
waren, betrug das Alter 2004 bei den
Männern genau 42 Jahre und bei den
Frauen 39  Jahre und 4  Monate. Im u Info 4

Jahr 1994 lag das durchschnittliche Alter Familien mit Migrationshintergrund


bei den Männern sogar nur bei 39 Jahren Zu den Familien mit Migrationshintergrund zählen alle in einem Haushalt zusammen­
und 4  Monaten und bei Frauen nur bei lebenden Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein Elternteil eine
­aus­ländische Staatsangehörigkeit besitzt oder die deutsche Staatsangehörigkeit durch
36 Jahren und 6 Monaten. Einbürgerung oder – wie im Fall der Spätaussiedler – durch einbürgerungsgleiche
­Maßnahmen erhalten hat.
2.1.3 Familien und ihre Strukturen
Als Familie werden im Mikrozensus alle
Eltern-Kind-Gemeinschaften definiert. Im u Abb 11  Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach Familienform — in Prozent
Einzelnen sind das Ehepaare, Lebens­
gemeinschaften sowie alleinerziehende
Mütter oder Väter mit ledigen Kindern im
2014 69 10 20
Haushalt. In diesem Abschnitt liegt der
Schwerpunkt auf Familien mit minderjäh- 2004 75 8 18
rigen Kindern. Das bedeutet, dass mindes-
tens ein minderjähriges Kind im elter­
Ehepaare Lebensgemeinschaften Alleinerziehende
lichen Haushalt aufwächst, gegebenenfalls
gemeinsam mit minder- oder volljährigen
Ergebnisse 2014 auf Basis des Zensus 2011, für 2004 auf Basis früherer Zählungen.
Geschwistern. Dabei ist es unerheblich, ob Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

es sich um leibliche Kinder, Stief-, Pflege-


oder Adoptivkinder handelt.
Im Jahr 2014 gab es in Deutschland
knapp 8,1 Millionen Familien mit min- u Abb 12  Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach Familienform
derjährigen Kindern; 2004 waren es noch und Migrationsstatus 2014 — in Prozent
9,0  Millionen Familien gewesen. Inner-
halb von zehn Jahren ist die Zahl der Fa-
milien um rund 1,0 Millionen gesunken. mit Migrations-
78 7 15
hintergrund
Das entspricht einem Rückgang von 10 %.
ohne Migrations-
Bei einigen Familien in Deutschland hintergrund
66 12 23
besitzt mindestens ein Elternteil einen
Migrationshintergrund: Im Jahr 2014 Ehepaare Lebensgemeinschaften Alleinerziehende
­w aren das 2,5 Millionen Familien. Das
entspricht einem Anteil von 30 % an allen
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Familien mit Kindern unter 18 Jahren.
Im Vergleich zu 2005 – hier wurde erst-

51
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

auf 883 000 im Jahr 2014 erhöht (+ 22 %). nelle Familienform der Ehepaare mit Drei und mehr minderjährige Kinder
Die Zahl der Alleinerziehenden stieg in Kindern – relativ gesehen – mit 78 % wuchsen in 11 % der Familien auf. u Abb 13
diesem Zeitraum ebenfalls – wenn auch deutlich weiter verbreitet als unter den In den vergangenen zehn Jahren hat
nicht kontinuierlich – um 66 000 auf gut Familien ohne Migrationshintergrund sich die Verteilung der Familien nach der
1,6 Millionen (+ 4 %). Die wachsende Be- (66 %). Nur 15 % der Familien mit Migra- Zahl der Kinder nur geringfügig verän-
deutung alternativer Familienformen tionshintergrund waren alleinerziehende dert. Dennoch ist im Vergleich zu 2004
führte zu einer Verschiebung der Famili- Mütter oder Väter (ohne Migrations­ sowohl die Zahl der Familien mit min-
enstrukturen, bei der allerdings nach wie hintergrund: 23 %). Weitere 7 % waren derjährigen Kindern als auch die Anzahl
vor die Ehepaare mit Kindern deutlich Lebensgemeinschaften mit minderjähri- der in diesen Familien lebenden minder-
überwiegen. Im Jahr 2014 waren sieben gen Kindern (ohne Migrationshinter- jährigen Kinder gesunken. Diese Ent-
von zehn Familien (69 %) Ehepaare (2004: grund: 12 %). u Abb 12 wicklung lässt sich folgendermaßen zu-
75 %). Alleinerziehende Mütter oder Väter sammenfassen: Rein rechnerisch zogen
machten 20 % aller Familien aus (2004: Familiengröße die Familien 2004 durchschnittlich
18 %). Weitere 10 % aller Familien waren Etwas mehr als die Hälfte (53 %) der knapp 1,63 minderjährige Kinder groß. Im Jahr
Lebensgemeinschaf ten mit Kindern 8,1 Millionen Familien betreute 2014 ein 2014 waren es mit 1,61  minderjährigen
(2004: 8 %). u Abb 11 minderjähriges Kind (und gegebenenfalls Kindern etwas weniger.
Unter den Familien mit Migrations- weitere volljährige Kinder). Zwei minder- Deutliche Unterschiede hinsichtlich
hintergrund war 2014 die eher traditio- jährige Kinder lebten in 36 % der Familien. der Kinderzahl zeigen sich zwischen Fa-
milien mit und ohne Migrationshinter-
grund. Bei Familien mit Migrationshin-
tergrund leben häufiger drei und mehr
minderjährige Kinder im Haushalt. Im
Jahr 2014 war das in 15 % der Familien
mit Migrationshintergrund der Fall. Die-
u Abb 13  Familien nach Zahl der Kinder unter 18 Jahren — in Prozent
ser Anteil betrug bei den Familien ohne
Migrationshintergrund nur 9 %. Demge-
genüber war der Anteil der Familien, die
2014 53 36 11 nur ein im Haushalt lebendes minderjäh-
riges Kind versorgten, bei den Familien
2004 52 37 12
mit Migrationshintergrund geringer
(48 %) als bei den Familien ohne Migra­
mit einem minderjährigen Kind
tionshintergrund (55 %). u Abb 14
mit zwei minderjährigen Kindern
mit drei und mehr minderjährigen Kindern
Monatliches
Familiennettoeinkommen
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
Nach den Ergebnissen des Mikrozensus
hatten 2014 in Deutschland 9 % aller
­Familien ein monatliches Familiennetto-
einkommen von weniger als 1 300 Euro.
u Abb 14  Familien nach Zahl der Kinder unter 18 Jahren Rund 32 % der Familien verfüg ten
und Migrationsstatus 2014 — in Prozent monat­lich über 1 300 bis unter 2 600 Euro,
40 % über 2 600 bis unter 4 500 Euro und
19 % über 4 500 Euro und mehr. Bei den
mit Migrations-
48 37 15
Familien mit Migrationshintergrund
hintergrund
­lagen die Anteile der Familien in den
ohne Migrations-
hintergrund
55 36 9 b eiden unteren Einkommensstufen
­
­(unter 1 300 Euro: 10 %; 1 300 bis unter
mit einem minderjährigen Kind 2 600  Euro: 42 %) höher als bei den
mit zwei minderjährigen Kindern ­Familien ohne Migrationshintergrund
mit drei und mehr minderjährigen Kindern (9 % beziehungsweise 27 %). Umgekehrt
waren dort die Anteile der Familien in
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. den beiden oberen Einkommensklassen

52
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung  / 2.1  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

(2 60 0  bis unter 4 50 0  Euro: 41 %; u Tab 4  Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren

4 500 Euro und mehr: 23 %) höher als bei nach monatlichem Nettoeinkommen und Migrationsstatus 2014
den Familien mit Migrationshintergrund Ohne Migrations- Mit Migrations-
Insgesamt
(36 % beziehungsweise 12 %). u Tab 4 hintergrund hintergrund

Ehepaare sowie Lebensgemeinschaf- in 1 000


ten mit minderjährigen Kindern hatten Insgesamt 8 061 5 608 2 453
2014 in Deutschland mehrheitlich (Ehe- Monatliches Netto­e inkommen der
Familie von ... bis unter ... Euro
paare 72 %, Lebensgemeinschaften 81 %)
mit Angabe 7 833 5 450 2 382
ein monatliches Familiennettoeinkom-
 unter 1 300 719 483 237
men zwischen 1 300 und 4 500 Euro. Bei
 1 300 – 2 600 2 481 1 492 988
den Alleinerziehenden zeigt sich ein ande-
 2 600 – 4 500 3 110 2 244 866
res Bild: Vier von zehn Alleinerziehenden  4 500 und mehr 1 523 1 231 292
(36 %) lebten von einem monatlichen Sonstige ¹ 228 158 70
F amiliennettoeinkommen von unter
­ in %
1 300 Euro. Während nur 21 % der allein- mit Angabe 100 100 100
erziehenden Väter mit Kindern unter  unter 1 300 9,2 8,9 9,9
18 Jahren ein monatliches Familiennetto-  1 300 – 2 600 31,7 27,4 41,5
einkommen von weniger als 1 300  Euro  2 600 – 4 500 39,7 41,2 36,4
hatten, mussten 37 % der alleinerziehen-  4 500 und mehr 19,4 22,6 12,3

den Mütter mit einem Monatseinkommen Abweichungen in den Summen ergeben sich durch Runden der Zahlen.
1 »Sonstige« sind Familien, in denen mindestens eine Person in ihrer Haupttätigkeit selbstständige Landwirtin/
in dieser Höhe zurechtkommen. u Abb 15 selbstständiger Landwirt ist sowie Familien ohne Angabe oder ohne Einkommen.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

2.1.4 Lebenssituation von Kindern


u Abb 15  Familien mit Kind(ern) unter 18 Jahren nach monatlichem Nettoeinkommen
Im Jahr 2014 lebten 18,6 Millionen min-
und Familienform 2014 — in Prozent
der- und volljährige Kinder in den priva-
ten Haushalten Deutschlands. Sieben von
zehn Kindern (13,0 Millionen bezie-
Ehepaare 2 25 47 25
hungsweise 70 %) waren minderjährig.
Vor zehn Jahren war die Zahl der Kinder Lebens-
5 37 44 14
noch deutlich höher: Damals gab es gemeinschaften

20,7 Millionen minder- und volljährige alleinerziehende


37 52 10 1
Mütter
Kinder, davon 14,7 Millionen beziehungs-
weise 71 % Minderjährige. alleinerziehende
21 50 23 6
Väter
Zu den Kindern gehören im Mikro-
zensus alle ledigen Personen, die ohne
monatliches Nettoeinkommen der Familie von ... bis unter ... Euro
Lebenspartner/-in und ohne »eigenes
unter 1 300 1 300 – 2 600 2 600 – 4 500 4 500 und mehr
Kind« mit mindestens einem Elternteil in
einem Haushalt zusammenleben. Neben
Familien mit Angabe zum monatlichen Nettoeinkommen.
leiblichen Kindern zählen auch Stief-, Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Adoptiv- und Pf legekinder dazu. Eine


a llgemeine Altersbegrenzung für die
­
Zählung als Kind besteht nicht. Da die Le-
benssituation von Kindern unter 18 Jah-
ren aus familien- und sozialpolitischer
Sicht besonders interessant ist, werden henden Elternteil auf und 9 % lebten mit Geschwisterzahl
hier vorrangig Daten zu minderjährigen Eltern in einer Lebensgemeinschaft. Vor Die meisten minderjährigen Kinder le-
Kindern untersucht. zehn Jahren wuchsen noch mehr minder- ben mit mindestens einem minder- oder
Knapp drei Viertel (73 %) der insge- jährige Kinder bei verheirateten Eltern volljährigen Geschwisterkind gemeinsam
samt 13,0 Millionen minderjährigen Kin- auf (78 %). Rund 15 % der Minderjähri- in einem Haushalt. Da sich der Mikrozen-
der wurden 2014 bei verheirateten Eltern gen lebten damals bei Alleinerziehenden sus bei der Befragung auf die aktuellen
groß. Rund 18 % der minderjährigen und 7 % bei Eltern in Lebensgemein- Verhältnisse im Haushalt konzentriert,
Kinder wuchsen bei einem alleinerzie- schaften. u Abb 16 bleiben Geschwister, die bereits ausgezo-

53
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

u Abb 16  Minderjährige Kinder nach Familienform — in Prozent gen sind, außer Acht. Fast die Hälfte der
minderjährigen Kinder (47 %) wuchs 2014
gemeinsam mit einer minder- oder voll-
jährigen Schwester beziehungsweise
2014 73 9 18 ­e inem Bruder heran. Gut ein Viertel
(26 %) hatte mindestens zwei Geschwister
2004 78 7 15
und ein weiteres Viertel (26 %) lebte 2014
ohne weitere Geschwister im Haushalt.
bei Ehepaaren bei Lebensgemeinschaften bei Alleinerziehenden
Mit Geschwistern im Haushalt wach-
sen minderjährige Kinder vor allem dann
Ergebnisse 2014 auf Basis des Zensus 2011, für 2004 auf Basis der Volkszählung 1987. auf, wenn sie bei ihren verheiratet zu-
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
sammenlebenden Eltern leben. Vier von
fünf minderjährigen Kindern bei Ehe-
paaren (80 %) hatten 2014 minder- oder
volljährige Geschwister. Demgegenüber
u Abb 17  Minderjährige Kinder mit und ohne Geschwister nach Familienform wurden nur 58 % der minderjährigen
und Zahl der Geschwister 2014 — in Prozent Kinder bei alleinerziehenden Elternteilen
mit Geschwistern groß. Der entsprechen-
de Anteil bei Lebensgemeinschaften lag
nur geringfügig darunter (56 %). u Abb 17
bei Ehepaaren 50 30 20

Altersstruktur der Kinder


bei Lebens-
39 17 44 Rund 32 % der minderjährigen Kinder in
gemeinschaften

bei Allein-
Deutschland waren 2014 im Vorschul­
39 19 42
erziehenden alter, 50 % der Minderjährigen waren im
Alter von 6 bis 14 Jahren und 18 % bereits
mit einem Geschwisterkind 15 Jahre oder älter.
mit zwei und mehr Geschwistern
Die Hälfte (50 %) der minderjährigen
ohne Geschwister
Kinder in Lebensgemeinschaften war im
Vorschulalter. Bei den Alleinerziehenden
Geschwister ohne Altersbegrenzung.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. überwogen die 6- bis 14-Jährigen mit
­einem Anteil von 53 %. Lediglich 24 % der
minderjährigen Kinder, die von Alleiner-
ziehenden betreut wurden, waren noch
im Vorschulalter. Dies dürfte damit zu-
u Abb 18  Minderjährige Kinder nach Altersgruppen und
sammenhängen, dass das Alleinerziehen
Familienform 2014 — in Prozent
in erster Linie eine ungeplante Lebens-
form ist, die durch Trennung, Scheidung
oder Verlust des Partners beziehungs­
bei Ehepaaren 31 50 18
weise der Partnerin »mitten« in der Fami-
lienphase eintritt. u Abb 18
bei Lebens-
50 39 11
gemeinschaften
Auszug der Kinder aus dem
bei Allein- 24 53 23 Elternhaus
erziehenden
Die eigenen vier Wände sind der große
unter 6 Jahren Traum vieler Jugendlicher. Dem gegenüber
6 –14 Jahre steht das sogenannte »Hotel Mama«, also
15 –17 Jahre der Verbleib der jungen Erwachsenen im
Elternhaus. Im Jahr 2014 wohnten von den
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. 25-Jährigen noch 28 % im Haushalt der
E ltern. Junge Frauen ver­
­ l assen den
­elterlichen Haushalt dabei früher als ihre

54
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­   Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

männlichen Altersgenossen. Mit 25 Jah- uAbb 19  Kinder im elterlichen Haushalt nach Alter 2014
ren wohnte nur noch jede fünfte junge — in Prozent der Bevölkerung des jeweiligen Alters
Frau (20 %) als lediges Kind bei den Eltern.
Mit 30 Jahren waren es noch 5 % und mit
100
40 Jahren nur noch 1 % der Frauen. u Abb 19
Bei den jungen Männern verzögert
sich das durchschnittliche Auszugsalter. 80

Mit 25 Jahren nahmen 2014 noch 36 % der


männlichen Bevölkerung die Vorzüge des 60
»Hotels Mama« in Anspruch. Mit 30 Jah-
ren gehörten noch 12 % und mit 40 Jahren 40
noch 4 % der Männer als lediges Kind
dem Haushalt der Eltern an. Langfristig
20
gesehen verlassen Kinder heute später das
Elternhaus. Lebten 1972 zwei von zehn
(20 %) der 25-Jährigen im früheren Bun- 0
desgebiet und Berlin-West noch bei den unter 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 45 und
15 älter
Eltern, waren es 2014 deutlich mehr, näm-
männlich weiblich
lich drei von zehn (30 % für das frühere
Bundesgebiet ohne Berlin).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

2.1.5 Vereinbarkeit von Familie


und Beruf
Arbeit und Karriere auf der einen, Famili-
enleben und Kinderbetreuung auf der an-
deren Seite: Beides miteinander zu verbin-
den, stellt für viele Eltern eine besondere
Herausforderung dar. Nach wie vor sind es
vor allem Frauen, die durch eine vermin- deutlich. Fast ein Drittel (32 %) der Mütter, Mütter in Westdeutschland. Sie schränken
derte Beteiligung am Erwerbsleben ver­ deren jüngstes Kind im Krippenalter von ihre Erwerbsbeteiligung auch mit jünge-
suchen, beiden Seiten gerecht zu werden. unter drei Jahren war, war berufstätig. Er- ren Kindern nicht so stark ein wie west-
Im Jahr 2014 gab es in Deutschland reichte das jüngste Kind das Kleinkind­ deutsche Mütter. So waren 2014 rund 39 %
6,7 Millionen Mütter und 5,6 Millionen alter von drei bis fünf Jahren, gingen be- der ostdeutschen Mütter mit einem Kind
Väter im erwerbsfähigen Alter (von 15 bis reits fast doppelt so viele (63 %) einer unter drei Jahren berufstätig, bei den
64  Jahren), die mit mindestens einem ­E rwerbstätigkeit nach. Die höchste Er- westdeutschen Müttern lag dieser Wert bei
leiblichen Kind oder einem Stief-, Pflege- werbstätigenquote von 72 % wurde bei 30 %. Die Unterschiede in der Erwerbsbe-
oder Adoptivkind unter 15 Jahren in Müttern mit 10- bis 14-jährigen Kindern teiligung von ost- und westdeutschen
­einem gemeinsamen Haushalt lebten. erreicht. Bei den Vätern ist die Beteiligung Müttern sind im Wesentlichen auf die un-
Kinder, die jünger als 15 Jahre sind, be- am Erwerbsleben weitgehend unabhängig terschiedliche Betreuungssituation in Ost-
dürfen in höherem Maß einer Betreuung vom Heranwachsen der Kinder. Sie lag und Westdeutschland zurückzuführen
als ältere Kinder. Dementsprechend wer- 2014 – je nach Alter des jüngsten Kindes – (siehe Abschnitt 2.1.6, Tab 5). u Abb 21
den in diesem Abschnitt nur Mütter und zwischen 82 % und 85 %. Mit der Famili- Die Ausübung einer beruflichen Tätig-
Väter mit mindestens einem Kind unter engründung gibt somit ein beträchtlicher keit ist nicht nur für die finanzielle Situa-
15 Jahren betrachtet. Teil der in Deutschland lebenden Mütter tion der Familie von großer Bedeutung.
Rund 58 % dieser Mütter und 84 % die- ihren Beruf vorübergehend auf und kehrt Sie bestimmt auch den zeitlichen Rah-
ser Väter waren 2014 aktiv erwerbstätig, erst mit zunehmendem Alter der Kinder men, der für das Familienleben zur Ver-
das heißt sie haben in der Berichtswoche – wieder in das Erwerbsleben zurück. u Abb 20 fügung steht. Bei der Erwerbsbeteiligung
das ist die Woche vor der Befragung – ge- Dieser Trend lässt sich sowohl für zeigen sich zunächst keine großen Unter-
arbeitet und waren nicht beurlaubt oder Mütter in Westdeutschland als auch für schiede zwischen alleinerziehenden
in Elternzeit. In Abhängigkeit vom Alter Mütter in Ostdeutschland feststellen. ­Müttern und Müttern in Paarfamilien.
des jüngsten Kindes verändert sich die Er- ­A llerdings sind Mütter in Ostdeutschland Alleinerziehende Mütter und Ehefrauen
werbstätigenquote insbesondere der Mütter tendenziell etwas häufiger erwerbstätig als mit Kindern unter 15 Jahren gingen 2014

55
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

u Abb 20  Erwerbstätigenquoten von Müttern und Vätern nach Alter jeweils zu 58 % aktiv einer Erwerbstätig-
des jüngsten Kindes 2014 — in Prozent keit nach. Lebenspartnerinnen mit Kin-
dern unter 15 Jahren waren mit 57 % fast
Mütter Väter genauso häufig berufstätig. Deutliche
Unterschiede zeigen sich hingegen beim
32 unter 3 82 Umfang der ausgeübten Tätigkeit. Ehe-
frauen waren von allen Müttern am
63 3–5 85
­s eltensten vollzeitberufstätig. Nur 24 %
68 6–9 85 der Ehefrauen übten ihre Erwerbstätig-
keit in Vollzeit aus. Deutlich höher waren
72 10 –14 85 die Vollzeitquoten der alleinerziehenden
Mütter (39 %) und der Lebenspartnerin-
Alter des jüngsten nen (40 %). Bei der Ausübung einer Teil-
Kindes von … bis … Jahren
zeitbeschäftigung ist das entsprechend
umgekehrt. u Abb 22
Elternteile im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Väter sind nicht nur häufiger erwerbs-
tätig, sie üben ihre berufliche Tätigkeit
auch öfter in Vollzeit aus als Mütter. Den-
noch gibt es auch hier Unterschiede je
u Abb 21  Erwerbstätigenquoten von Müttern in Ost- und Westdeutschland nach Familienform: Ehemänner waren mit
nach Alter des jüngsten Kindes 2014 — in Prozent Abstand am häufigsten erwerbstätig (85 %).
Von den Lebenspartnern übten 80 % eine
berufliche Tätigkeit aus. Mit 70 % waren
Früheres Bundesgebiet Neue Länder und Berlin
alleinerziehende Väter am seltensten von
allen Vätern mit Kindern unter 15 Jahren
30 unter 3 39
berufstätig. Die Reihenfolge ist unverän-
61 3–5 68 dert, vergleicht man die Vollzeitquoten der
Väter: 95 % der erwerbstätigen Ehemänner
67 6–9 71
waren vollzeittätig, 92 % der Lebenspartner
72 75
und 86 % der alleinerziehenden Väter.
10 –14
Für Mütter und Väter, die als Paar zu-
sammenleben, stellt sich nicht nur die
Alter des jüngsten
Kindes von … bis … Jahren Frage, wie beide Elternteile für sich be-
trachtet Familie und Beruf vereinbaren.
Mütter im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte).
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Von hohem Interesse ist bei Paaren mit
Kind(ern) zudem das Zusammenspiel der
Partner bei der Balance von Familie und
Beruf. Die dargestellten Ergebnisse kon-
u Abb 22  Vollzeitquoten von Müttern und Vätern nach Familienform 2014 — in Prozent zentrieren sich dabei auf Ehepaare und
nichteheliche Lebensgemeinschaften.
Insbesondere der Zeitumfang der Er-
95 werbsbeteiligung unterscheidet sich deut-
Ehepaare
24 lich. Bei fast drei Vierteln (74 %) der Ehe-
paare mit Kindern unter 15 Jahren war
Lebens- 92
gemeinschaften 40 der Vater vollzeit- und die Mutter teilzeit­
erwerbstätig. Auch über die Hälfte der
Allein- 86 Paare, die in nichtehelicher Lebensge-
erziehende 39
meinschaft lebten, wählten diese »traditi-
onelle« Arbeitszeitkombination (55 %). Bei
Väter Mütter
21 % der Ehepaare gingen beide Eltern­
teile einer Vollzeittätigkeit nach, bei den
Elternteile im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte) und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz. Lebensgemeinschaften lag dieser Anteil

56
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung  / 2.1  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

mit 38 % fast doppelt so hoch. Andere u Abb 23  Paarfamilien nach Vollzeit- / Teilzeittätigkeit der Partner 2014 — in Prozent
mögliche Arbeitszeitaufteilungen spielten
eine eher untergeordnete Rolle. u Abb 23
Wie vereinbaren Paarfamilien mit Ehepaare 21 74 23
Migrationshintergrund im Vergleich zu
nichteheliche
Paarfamilien ohne Migrationshinter- Lebens- 38 55 2 5
grund Familie und Beruf? Unterschiede gemeinschaften

zeigen sich hier weniger im Umfang der


Mutter und Vater vollzeittätig
Erwerbsbeteiligung, sondern vielmehr bei
Mutter teilzeittätig, Vater vollzeittätig
der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. Mutter vollzeittätig, Vater teilzeittätig
Während bei 59 % der Paarfamilien ohne Mutter und Vater teilzeittätig
Migrationshintergrund Mutter und Vater
2014 aktiv erwerbstätig waren, traf das auf Paare mit zwei aktiv erwerbstätigen Partnern im erwerbsfähigen Alter (ohne vorübergehend Beurlaubte)
und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
vergleichsweise nur 41 % der Paare mit Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.

Migrationshintergrund zu. Bei ihnen war


die eher »traditionelle« Rollenverteilung –
ausschließlich der Vater geht einer berufli-
chen Tätigkeit nach – mit 39 % deutlich u Abb 24  Paarfamilien nach Migrationsstatus und
häufiger verbreitet als bei den Paarfami­ Erwerbsbeteiligung der Partner 2014 — in Prozent
lien ohne Migrationshintergrund (27 %).
Ebenfalls höher war bei den Paaren mit
Migrationshintergrund der Anteil derjeni- ohne Migrations-
59 27 5 9
hintergrund
gen Paare, bei denen sich weder Mutter
noch Vater am Erwerbsleben beteiligten mit Migrations-
41 39 5 15
hintergrund
(15 % gegenüber 9 % bei den Paaren ohne
Migrationshintergrund). u Abb 24
Mutter und Vater aktiv erwerbstätig
nur Vater aktiv erwerbstätig
2.1.6 Kindertagesbetreuung: nur Mutter aktiv erwerbstätig
Betreuungsangebot und weder Mutter noch Vater aktiv erwerbstätig
Inanspruchnahme
Der Ausbau der Kindertagesbetreuung
Ehepaare und nichteheliche Lebensgemeinschaften mit zwei Partnern im erwerbsfähigen Alter
steht derzeit im Mittelpunkt der öffent­ (ohne vorübergehend Beurlaubte) und jüngstem Kind unter 15 Jahren.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung in Familien / Lebensformen am Hauptwohnsitz.
lichen Diskussion. Neben anderen famili-
enpolitischen Leistungen (unter anderem
Elterngeld, Kindergeld) gilt der Ausbau der
Infrastruktur in der Kindertagesbetreuung
als eine wichtige Voraussetzung, um Paare
bei dem Entschluss, Kinder zu bekommen,
zu unterstützen. Zusätzlich zu dem damit
verbundenen Ziel, die Geburtenrate in Auf dem sogenannten »Krippengipfel« bedarf von rund 780 000 Plätzen, was einer
Deutschland zu erhöhen, können wichtige von Bund, Ländern und Kommunen im Betreuungsquote von gut 39 % entspricht.
arbeitsmarktpolitische Anforderungen er- Jahr 2007 wurde vereinbart, bis zum Jahr Da der Bedarf regional unterschiedlich
reicht werden. Es gilt, gut ausgebildeten 2013 bundesweit für 35 % der Kinder un- hoch ist, kommt es in einzelnen Regio-
und qualifizierten Müttern – und Vätern – ter drei Jahren ein Angebot zur Betreu- nen zu deutlichen Abweichungen nach
bessere Chancen als bislang auf dem ung in einer Kindertageseinrichtung oder oben oder auch nach unten.
­Arbeitsmarkt zu ermöglichen. durch eine Tagesmutter beziehungsweise Neben dem Ziel, bundesweit für nun
Eine qualitativ hochwertige Kinder­ einen Tagesvater (sogenannte Tagespflege) 39 % der Kinder unter drei Jahren ein
tagesbetreuung umfasst auch die Aspekte zu schaffen. Die damalige ­Planungsgröße ­B etreuungsangebot zur Verfügung zu
Erziehung und Bildung. Außerdem ver- lag bei 750 000 Plätzen. Elternbefragun- stellen, gibt es seit dem 1. August 2013
mittelt Kindertagesbetreuung Kindern gen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zudem einen Rechtsanspruch auf einen
wichtige Sozialisationserfahrungen auch aus den Jahren 2011 und 2012 ergaben Betreuungsplatz für Kinder ab Vollendung
außerhalb ihrer Familien. ­jedoch einen etwas höheren Betreuungs- des ersten Lebensjahres.

57
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.1 /  Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung

Von den rund 2,7 Millionen Kindern die Betreuungsquote um 6 Prozentpunk- Bei Kindern im Alter unter drei Jah-
unter sechs Jahren in Tagesbetreuung te auf aktuell 95 % an. Gleichzeitig ging ren sind Ganztagsbetreuungsplätze nach
wurden zum Stichtag 1. März 2015 in bundesweit die Zahl aller Kinder in die- wie vor wenig verbreitet. So wurde im
der Altersgruppe der unter 3-Jährigen ser Altersgruppe um knapp 96 000 Kin- März 2015 im bundesweiten Durchschnitt
bundesweit gut 693 000 Kinder in einer der zurück. Anders als bei den unter nur etwa jedes sechste Kind (18 %) unter
­K indertageseinrichtung oder durch eine 3-Jährigen spielt die Kindertagespflege in drei Jahren (381 000) ganztags betreut.
Tagespflegeperson betreut. Dies entspricht dieser Altersgruppe kaum eine Rolle. Das waren jedoch mehr als doppelt so vie-
einem Anteil von 33 % an allen Kindern le wie 2007 – da lag der Anteil bei 7 %.
in dieser Altersgruppe (Betreuungsquote). Ganztagsbetreuung Auch hier unterscheiden sich die Quo-
Die Betreuungsquote bezeichnet den Neben dem generellen Angebot an Kinder­ ten zwischen Ost- und Westdeutschland:
­A nteil der betreuten Kinder an allen betreuungsplätzen ist die Möglichkeit, Während in Westdeutschland die Ganz-
­K indern dieser Altersgruppe. Die bei der Kinder auch ganztags betreuen zu lassen, tagsbetreuungsquote bei 13 % aller Kinder
Quotenberechnung verwendeten Bevölke- ein wichtiger Beitrag für die Vereinbar- unter drei Jahren lag, war in Ostdeutsch-
rungszahlen beruhen auf Ergebnissen der keit von Familie und Beruf. Ganztags­ land mehr als jedes dritte Kind (40 %) in
Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des betreuung bedeutet, dass Kinder durch- dieser Altersgruppe in Ganztagsbetreu-
Zensus 2011 zum 31. Dezember 2014. Im gehend mehr als sieben Stunden pro Tag ung. Die Ganztagsbetreuungsquote im
März 2007 lag die Betreuungsquote bei in einer Tageseinrichtung oder bei einer Osten war damit mehr als ­d reimal so
den unter 3-Jährigen noch bei 15 %. Regio­ Tagespflege verbringen können. hoch wie im Westen Deutschlands.
nal gibt es g­ roße Unterschiede hinsicht-
lich der Betreuungsquote. Bei den nach-
folgenden Ausführungen zu Ost- und
Westdeutschland ist Berlin in den Daten
von Ostdeutschland enthalten.
u Abb 25  Kinder unter drei Jahren in Tagesbetreuung 2015
Während die Betreuungsquote 2015 in
— Anteil an der entsprechenden Altersgruppe in Prozent
den westdeutschen Bundesländern bei
28 % lag, war sie in den neuen Bundes­ Deutschland
ländern mit 52 % bedeutend höher. Die 32,9
höchsten Betreuungsquoten für Kinder
Sachsen-Anhalt 57,9
unter drei Jahren gab es in Sachsen-­
Anhalt (58 %) und Brandenburg (57 %) Brandenburg 56,8
­sowie Mecklenburg-Vorpommern (56 %).
Mecklenburg-Vorpommern 56,0
Unter den westdeutschen Flächenländern
Thüringen
hatten Schleswig-Holstein und Rhein- 52,4

land-Pfalz (beide 31 %) die höchsten Be- Sachsen 50,6


treuungsquoten. Die bundesweit niedrigs-
Berlin 45,9
te Betreuungsquote gab es im März 2015
in Nordrhein-Westfalen (26 %). u Abb 25, Tab 5 Hamburg 43,3
In Ostdeutschland besuchte der über- Schleswig-Holstein 31,4
wiegende Anteil der betreuten Kinder
unter drei Jahren – 90 % – eine Kinder­ Rheinland-Pfalz 30,6

tageseinrichtung. Der Anteil lag in West- Hessen 29,7


deutschland mit knapp 84 % etwas dar-
Niedersachsen 28,3
unter. Hier hat die Kindertagespflege als
Betreuungsform (gut 16 %) eine größere Saarland 28,3
Bedeutung. Baden-Württemberg 27,8
Knapp 2 Millionen Kinder zwischen
drei und fünf Jahren wurden zum Stich- Bayern 27,5

tag 1. März 2015 in Kindertagesstätten Bremen 27,1


oder in Kindertagespflege betreut. Die
Nordrhein-Westfalen 25,9
Zahl der betreuten Kinder in dieser
­A ltersgruppe stieg im Vergleich zum
März 2007 um rund 25 000 Kinder und

58
Lebensformen in der Bevölkerung, Kinder und Kindertages­betreuung  / 2.1  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

Für die Altersgruppe der 3- bis 5-Jäh- ­ atten mindestens ein Elternteil mit aus-
h ­ igrationshintergrund in Westdeutsch-
M
rigen werden Ganztagsplätze bundesweit ländischer Herkunft. Das waren gut 19 %. land mit 33 % (514 000 Kinder) deutlich
wesentlich häufiger in Anspruch genom- In den westdeutschen Bundes­ländern über dem in Ostdeutschland (13 % bezie-
men als bei den unter 3-Jährigen. Im hatte fast jedes vierte Kind (24 % bezie- hungsweise 52 000 Kinder).
März 2015 lag die Quote bei 44 %, im Jahr hungsweise knapp 115 000 Kinder) dieser
2007 waren es noch 24 %. In den ostdeut- Altersgruppe in Kindertages­b etreuung
schen Bundesländern stieg die Ganztags- einen Migrationshintergrund, in Ost-
betreuungsquote im gleichen Zeitraum deutschland waren es nur 9 % der unter
von 58 % auf 74 %. In den westdeutschen 3-Jährigen (20 000 Kinder).
Bundesländern erhöhte sie sich von 17 % In der Altersgruppe der 3- bis 5-Jähri-
auf 37 %. gen ist der Anteil der betreuten Kinder
mit Migrationshintergrund höher als bei
Kinder mit Migrationshintergrund in den unter 3-Jährigen. Bundesweit hatte in
Kindertagesbetreuung dieser Altersgruppe mehr als jedes vierte
Etwa 135 000 der bundesweit rund betreute Kind (29 % beziehungsweise
693 000 Kinder unter drei Jahren in Kin- 566 000 Kinder) einen Migrationshinter-
dertagesbetreuung hatten 2015 einen grund. Auch hier lag der Anteil der
­M igrationshintergrund, das heißt sie K inder in Kindertagesbetreuung mit
­

u Tab 5  Kinder unter sechs Jahren in Tagesbetreuung 2015


Davon im Alter von … Jahren
unter 3 3 bis unter 6
Insgesamt
Betreuungsquote Ganztagsquote Betreuungsquote Ganztagsquote
Anzahl Anzahl
in % in %
Baden-Württemberg 346 627 78 729 27,8 10,4 267 898 95,5 21,5
Bayern 395 542 92 668 27,5 10,1 302 874 93,5 34,1
Berlin 142 064 48 885 45,9 30,1 93 179 95,9 61,9
Brandenburg 92 925 33 407 56,8 37,8 59 518 97,2 63,6
Bremen 19 447 4 698 27,1 16,3 14 749 91,0 36,0
Hamburg 67 071 23 057 43,3 22,7 44 014 92,5 46,1
Hessen 196 840 47 713 29,7 18,1 149 127 93,6 48,2
Mecklenburg-Vorpommern 60 228 21 719 56,0 41,1 38 509 96,3 67,6
Niedersachsen 240 978 55 318 28,3 11,0 185 660 94,8 26,9
Nordrhein-Westfalen 539 150 117 428 25,9 12,6 421 722 94,5 44,4
Rheinland-Pfalz 126 352 30 286 30,6 15,6 96 066 97,3 49,7
Saarland 26 775 6 011 28,3 22,1 20 764 96,7 46,3
Sachsen 155 786 54 059 50,6 42,0 101 727 96,8 81,2
Sachsen-Anhalt 79 434 29 843 57,9 46,6 49 591 96,0 83,1
Schleswig-Holstein 86 667 21 575 31,4 13,8 65 092 93,2 30,0
Thüringen 79 008 27 947 52,4 47,7 51 061 97,2 91,5
Deutschland 2 654 894 693 343 32,9 18,1 1 961 551 94,9 43,9

Früheres Bundesgebiet
2 045 449 477 483 28,2 12,8 1 567 966 94,5 36,5
ohne Berlin-West
Neue Länder und Berlin 609 445 215 860 51,9 39,6 393 585 96,6 74,2

Kinder in Kindertageseinrichtungen zuzüglich der Kinder in öffentlich geförderter Kindertagespflege, die nicht zusätzlich eine Kindertageseinrichtung besuchen.
Betreuungsquote: Anteil der Kinder in Tagesbetreuung an allen Kindern derselben Altersgruppe.
Ganztagsquote: Anteil der Kinder mit einem Betreuungsumfang von mehr als 7 Stunden pro Betreuungstag an allen Kindern derselben Altersgruppe.
Die bei der Quotenberechnung verwendeten Bevölkerungszahlen beruhen auf Ergebnissen der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des Zensus 2011 zum 31.12.2014.

59
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.2 /  Kinderlosigkeit

2.2 Kinderlosigkeit hat viele Facetten, unter


anderem medizinisch-biologische, sozio-
von 41  Jahren kaum noch. Für die Be-
schreibung der aktuellen Verhältnisse ist
Kinderlosigkeit logische, familienpolitische und demogra- somit die Kinderlosenquote der Frauen
fische. Hier wird die Kinderlosigkeit aus ausschlag­gebend, die bei der Befragung
soziodemografischer Sicht als ein Teil des im Jahr 2012 zwischen 40 und 44 Jahre
Olga Pötzsch
Geburtenverhaltens der Frauen betrachtet. alt waren. Eine Ausnahme bilden dabei
Belastbare empirische Erkenntnisse Frauen mit einem akademischen Bil-
Destatis zum Ausmaß der Kinderlosigkeit bietet dungsabschluss, die tendenziell später
die amtliche Statistik seit der Mikrozen- eine Familie gründen als der Durch-
susbefragung im Jahr 2008 im Abstand schnitt aller Frauen. Beim Vergleich der
von vier Jahren. Vor 2008 gab es lediglich Kinder­losigkeit nach Bildungsstand wird
einige Schätzungen sowie Angaben über deshalb die Kinder­losenquote der 45- bis
die Zahl der in der Familie oder in der 49-Jährigen zu­g runde gelegt.
Lebensgemeinschaft lebenden Kinder. In- Im Jahr 2012 waren in Deutschland
zwischen liegen die Ergebnisse aus der nach Angaben des Mikrozensus 22 % der
zweiten Mikrozensusbefragung im Jahr Frauen im Alter von 40 bis 44 Jahren
2012 zur Zahl der geborenen Kinder vor. kinderlos. Die Kinderlosenquote hat sich
Diese Daten haben die Befunde aus der somit in den letzten 30 Jahren verdop-
ersten Befragungswelle 2008 weitestge- pelt: Bei den 70- bis 74-jährigen Frauen
hend bestätigt und neue Erkenntnisse haben lediglich 11 % kein Kind geboren.
über die Entwicklung der Kinderlosigkeit Seit der Befragung im Jahr 2008 ist die
bei jüngeren Frauenjahrgängen gebracht. Kinderlosenquote um 2 Prozentpunkte
Der im Jahr 2011 durchgeführte Zensus gestiegen. Die sogenannte temporäre
ermöglichte zudem eine Umstellung des Kinderlosenquote (der Anteil der Frauen
Mikrozensus auf einen neuen Hochrech- ohne Kind an den Jahrgängen im gebär-
nungsrahmen entsprechend dem korri- fähigen Alter) betrug bei den 35- bis
gierten Bevölkerungsbestand. u Info 1 39-Jährigen 26 % und bei den 30- bis
Das Ausmaß der Kinderlosigkeit wird 34-Jährigen 42 %. Die künftige Entwick-
anhand der sogenannten Kinderlosen- lung der Kinderlosigkeit wird unter an-
quote gemessen, das heißt des Anteils der derem davon abhängen, inwieweit die
Frauen, die kein Kind geboren haben, an ursprünglich nur aufgeschobenen Kin-
allen Frauen des jeweiligen Geburts­ derwünsche im Alter nach 35 Jahren rea-
jahrgangs. Adoptiv- oder Pf legekinder lisiert werden.
werden dabei nicht berücksichtigt. Für Obwohl lebenslange Kinderlosigkeit
Frauen ab 50 Jahre wird die Kinder­ zunimmt, sind die Ursachen dafür noch
losigkeit in Bezug auf leibliche Kinder als nicht ausreichend erforscht. Neben bio-
endgültig betrachtet. Statistisch gesehen medizinischen Gründen treten sozioöko-
verändert sich aber die durchschnittliche nomische und kulturelle Faktoren immer
Kinder­losenquote bereits ab dem Alter stärker in den Vordergrund. Lange Aus-
bildungszeiten, die Suche nach einem
­sicheren Arbeitsplatz und einer verläss­
lichen Partnerschaft führen oft zum Auf-
schieben des Kinderwunsches. Dadurch
verengt sich aber das biologische Fenster
zunehmend und die Erfüllung des Kinder-
wunsches hängt immer stärker von bio-
u Info 1
medizinischen Voraussetzungen ab. Zu-
Im Mikrozensus werden Frauen im Alter
dem gibt es immer mehr Menschen, die
z­ wischen 15 und 75 Jahren nach der Zahl
der von ihnen geborenen Kinder befragt. Die bewusst nicht in traditionellen Familien
Angabe zur Geburt der leiblichen Kinder leben. Singles oder Paare ohne Kind sind
ist freiwillig und wird alle vier Jahre erhoben.
heute weitverbreitete Lebensformen.

60
Kinderlosigkeit  / 2.2  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2
Abb 1 Anteil der Frauen ohne Kind an allen
Frauen im Alter von 40 bis 44 Jahren im Jahr
2012 - in Prozent

Regionale Unterschiede u Abb 1  Anteil der Frauen ohne Kind an allen Frauen im Alter von
Regional ist die Kinderlosigkeit unter- 40 bis 44 Jahren im Jahr 2012 — in Prozent
schiedlich stark ausgeprägt. In den west-
lichen Bundesländern betrug 2012 die Neue Länder1 Deutschland
14 22
Kinderlosenquote der Frauen im Alter
von 40 bis 44 Jahren durchschnittlich Hamburg 31
23 %, während sie in den neuen Ländern
Berlin 28
bei 14 % lag. Besonders hoch war der An-
teil der Frauen ohne Kind in den Stadt- Bremen 27
staaten. In Hamburg betrug er 31 %, in Schleswig-Holstein 25
Berlin 28 % und in Bremen 27 %. In den
westlichen Flächenländern war die Kin- Nordrhein-Westfalen 24

derlosigkeit am höchsten in Schleswig- Rheinland-Pfalz 23


Holstein (25 %) und am niedrigsten im
Niedersachsen 22
Saarland (19 %). Zwischen den östlichen
Bundesländern waren die Unterschiede Bayern 22

im Ausmaß der Kinderlosigkeit dagegen Hessen 22


geringer: von 15 % in Sachsen bis 13 % in
Baden-Württemberg 20
Mecklenburg-Vorpommern und Bran-
denburg. u Abb 1 Saarland 19
Obwohl die endgültige Kinderlosig-
Sachsen 15
keit in den neuen Ländern immer noch
deutlich geringer ist als im früheren Bun- Sachsen-Anhalt 14

desgebiet, nimmt sie dort gegenwärtig Thüringen 14


schneller zu. Seit der deutschen Vereini-
Mecklenburg-Vorpommern 13 Früheres
gung hat sich die Kinderlosenquote der
Bundesgebiet1
Frauen in den neuen Ländern von 7 % auf Brandenburg 13 23
14 % verdoppelt. Im früheren Bundesge-
biet nahm sie im gleichen Zeitraum von
1  Ohne Berlin.
etwa 15 % auf 23 % zu. Ergebnisse des Mikrozensus 2012 auf Basis des Zensus 2011.
1 Ohne Berlin.
Ergebnisse des Mikrozensus 2012 auf Basis des Zensus 2011.
Unterschiede in der Kinder-
losigkeit nach Bildungsstand und
Erwerbsbeteiligung u Tab 1  Kinderlosenquote nach Bildungsstand 2012 — in Prozent
Je höher der Bildungsstand, desto häufi- Früheres Neue
Deutschland
ger sind Frauen in Deutschland kinderlos. Bundesgebiet1 Länder 1
Dies kann anhand der Angaben zum Insgesamt 20 21 11

höchsten beruflichen Bildungsabschluss Mit beruflichem Bildungsabschluss 20 22 11

im Mikrozensus gezeigt werden. Die end-  Lehr-/Anlernausbildung 2 18 20 10

gültige Kinderlosenquote wird hier auf  Fachschulabschluss 3 20 25 9

die Frauen im Alter zwischen 45 und  Fachhochschul-/Hochschulabschluss, Promotion4 27 29 13

49 Jahren bezogen (Jahrgänge 1963 bis  Fachhochschulabschluss 28 31 /

1967), um die relativ späte Familiengrün-  Hochschulabschluss, Promotion 27 28 14

dung der Frauen mit akademischen Bil- Ohne beruflichen Bildungsabschluss 5 18 18 /

dungsabschlüssen zu berücksichtigen.
45- bis 49-jährige Frauen (Jahrgänge 1963 bis 1967).
Im Jahr 2012 betrug die Kinderlosen- 1  Ohne Berlin.
2 Lehre/Berufsausbildung im dualen System, einschließlich eines gleichwertigen Berufsabschlusses, Vorbereitungsdienst
quote der 45- bis 49-Jährigen insgesamt für den mittleren Dienst in der öffentlichen Verwaltung, Abschluss einer einjährigen Schule des Gesundheitswesens.
3 Einschließlich Meister-/Technikerausbildung, Abschluss einer zwei- oder dreijährigen Schule des Gesundheitswesens,
20 %. Von den gleichaltrigen Frauen, die einer Fach- oder Berufsakademie beziehungsweise Abschluss einer Fachschule der ehemaligen DDR.
4 Auch Ingenieurschulabschluss, Abschluss an einer Verwaltungsfachhochschule, Abschluss einer Universität
keinen beruf lichen Abschluss hatten, (wissenschaftlichen Hochschule, auch Kunsthochschule).
5 Einschließlich Berufsvorbereitungsjahr und berufliches Praktikum, da durch diese keine berufsqualifizierenden
sowie bei Frauen mit einer Lehre oder ei- Abschlüsse erlangt werden.
/  Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
ner Anlernausbildung, waren 18 % ohne Ergebnisse des Mikrozensus 2012 auf Basis des Zensus 2011.

61
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.2 /  Kinderlosigkeit

u Info 2 Kind. Bei Fachschulabsolventinnen ent-


Die Kategorien »Akademikerinnen« und »Nichtakademikerinnen« werden entsprechend sprach die Kinderlosenquote mit 20 %
Abbberuflichen
2 Kinderlosenquote nach Jahrgängen,
dem höchsten Bildungsabschluss der Frau gebildet. Zum akademischen
höchstem beruflichen Bildungsabschluss und
dem bundesdeutschen Durchschnitt.
Abschluss zählen hier ­D iplom, Bachelor, Master, Magister, Staatsprüfung, Lehramts­
Wohnort - in Prozent Dagegen war sie bei Frauen mit Fach-
prüfung an (Verwaltungs-)Fachhochschulen, Hochschulen und Universitäten sowie
Promotion. Dies entspricht den Kategorien 5 A und 6 in der Internationalen Standard- hochschul- oder Hochschulabschluss be-
klassifikation des Bildungswesens, ISCED 97. ziehungsweise Promotion mit 27 % über-
durchschnittlich hoch. u Tab 1
Die Unterschiede in der Kinderlosig-
u Abb 2  Kinderlosenquote nach Jahrgängen, höchstem beruflichen Bildungs­ keit nach Bildungsstand sind in West-
abschluss und Wohnort — in Prozent deutschland besonders stark ausgeprägt.
Die Spannweite reichte hier von 18 % bei
Frauen ohne Berufsabschluss bis 29 % bei
30
den Fachhochschul- und Hochschulab-
solventinnen. Die Differenzen in den
25
neuen Ländern sind im Vergleich dazu
deutlich geringer. Am niedrigsten war
20 dort die Kinderlosenquote mit 9 % bei
Fachschulabsolventinnen, am höchsten
15 mit 13 % bei Akademikerinnen. Die ost-
deutschen Frauen dieser Generation haben
10
sich demzufolge grundsätzlich öfter für
eine Mutterschaft entschieden, unabhän-
gig von ihrer beruflichen Bildung.
5
Im Zeitverlauf steigt allerdings die
Kinderlosigkeit gerade bei den ost­
0
1948 –1952 1953 –1957 1958 –1962 1963 –1967 1968 –1972 deutschen Akademikerinnen besonders
(60 – 64) (55 – 59) (50 – 54) (45 – 49) (40 – 44) schnell. In den kommenden Jahren ist
Geburtsjahrgang (im Jahr 2012 erreichtes Alter) bei ihnen mit einer Kinderlosenquote
deutlich über dem aktuellen Wert von
akademisch, West nicht akademisch, West
13 % für 45- bis 49-Jährige zu rechnen.
akademisch, Ost nicht akademisch, Ost
Auch bei Nichtakademikerinnen in Ost-
und Westdeutschland nimmt die Kinder­
West: Ergebnisse des Mikrozensus
früheres Bundesgebiet - Bevölkerung in Familien/Lebensformen
ohne Berlin-West, am Hauptwohnsitz.
Ost: neue Länder ohne Berlin-Ost. losigkeit weiter zu. Anders jedoch bei den
Ergebnisse des Mikrozensus 2012 auf Basis des Zensus 2011.
westdeutschen Frauen mit akademischen
Bildungsabschlüssen: Ihre Kinder­
losenquote ist zwar mit 29 % mit Abstand
die höchste, sie hat sich aber in den letzten
u Tab 2  Kinderlosenquote nach höchstem beruflichen Bildungsabschluss Jahren stabilisiert und wird voraus­
und Erwerbsbeteiligung 2012 — in Prozent sichtlich bei den jüngeren Jahrgängen
Früheres Neue
1968 bis 1972 nicht ansteigen. u Info 2, Abb 2
Deutschland
Bundesgebiet 1 Länder 1 Bei erwerbstätigen Frauen in Deutsch-
Nichtakademikerinnen 19 20 10 land ist die Kinderlosenquote sowohl bei
 erwerbstätig 19 21 10
Akademikerinnen als auch bei Nichtaka-
demikerinnen erwartungsgemäß höher
 nicht erwerbstätig 16 16 12
als bei nicht erwerbstätigen Frauen. Die
Akademikerinnen 27 29 13
Differenz in der Kinderlosenquote zwi-
 erwerbstätig 28 30 13 schen Erwerbstätigen und Nichterwerbs-
 nicht erwerbstätig 20 19 / tätigen ist allerdings bei Akademikerin-
Insgesamt 20 21 11 nen mit 8 Prozentpunkten viel stärker
ausgeprägt als bei Nichtakademikerinnen
45- bis 49-jährige Frauen (Jahrgänge 1963 bis 1967).
1  Ohne Berlin. (3 Prozentpunkte). Bemerkenswert ist zu-
/   Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus 2012 auf Basis des Zensus 2011. dem, dass es bei nicht erwerbstätigen

62
Kinderlosigkeit  / 2.2  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

Akademikerinnen mehr kinderlose Frau- Die durchschnittliche Kinderlosen-


en gibt als bei Nichtakademikerinnen quote für alle berufstätigen 45- bis
(20 % gegenüber 16 %). u Tab 2 49-jährigen Frauen betrug, wie für alle
Im früheren Bundesgebiet finden sich Frauen dieses Alters, 20 %. Die geringste
diese Zusammenhänge wieder. In den Kinderlosenquote von 8 % wiesen Frauen
neuen Ländern ergibt sich ein anderes in Reinigungsberufen auf, die höchste
Bild. Der Anteil der Kinderlosen war hier mit 35 % die Angehörigen gesetzgebender
bei erwerbstätigen Frauen sogar geringer Körperschaften (zum Beispiel Abgeord-
als bei nicht erwerbstätigen Frauen. nete). Bei Lehrerinnen, Ärztinnen und
Apothekerinnen war dagegen die Kinder-
Kinderlosigkeit und Beruf losenquote mit 22 % nur geringfügig hö-
Das Niveau der Kinderlosigkeit bei be- her als der Durchschnitt bei allen Frauen.
rufstätigen Frauen unterscheidet sich da- Bei Selbstständigen oder Freiberufle-
rüber hinaus nach dem ausgeübten Beruf. rinnen ohne Beschäftigte betrug der Kin-
Die Grundtendenz – je höher der Bil- derlosenanteil 22 %. Wenn sie weiteres
dungsabschluss, desto höher die Kinder- Personal beschäftigten, war die Kinder­
losenquote – findet sich auch hier wieder. losenquote mit 19 % etwas geringer. Von
So ist die Kinderlosigkeit bei Frauen in den Frauen im Angestelltenverhältnis
Berufen mit relativ niedrigen Qualifikati- waren 21 % kinderlos und bei Arbeiterin-
onsanforderungen geringer als bei den nen beziehungsweise Heimarbeiterinnen
Hochqualifizierten. Dabei fällt allerdings 15 %. Eine besonders hohe Kinderlosen-
auf, dass die Kinderlosenquote innerhalb quote von 30 % wies die Gruppe der Be-
der Gruppen mit jeweils relativ hohen amtinnen und Richterinnen auf.
­beziehungsweise relativ niedrigen Quali- In diesem Kapitel standen Frauen ohne
fikationsanforderungen deutliche Unter- leibliche Kinder im Fokus. Über die Adop-
schiede aufweist. tionen informiert Kapitel 10.4.3, Seite 332.

63
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.3 /  Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund

2.3 Das Alter wird bunter und vielfältiger. Die-


se zunehmende Diversität des Alters wird
Bild der demografischen und sozialen
Heterogenität älterer Menschen mit Mig-
Lebenssituation auch durch die stetig wachsende Anzahl rationshintergrund gezeichnet werden.
älterer Menschen älterer Menschen mit Migrationshinter-
grund geprägt. Deren spezifischen kultu-
Das geschieht in drei Teilen:
·· Bevölkerungsstruktur: Zunächst wird
mit Migrations- rellen Hintergründe und biografischen Mi- der demografische Hintergrund der Mi­
hintergrund grationserfahrungen sind ein wesent­licher
Teil der vielfältigen Lebenswelten älterer
grantinnen und Migranten beleuchtet,
um die größten Subgruppen der Älteren
Menschen in Deutschland geworden. unter ihnen zu identifizieren. Insbeson-
Elke Hoffmann, Im Fokus dieses Kapitels stehen ältere dere die Gruppen der (Spät-)Aussiedle-
Laura Romeu Gordo Menschen mit Migrationshintergrund. Es rinnen und (Spät-)Aussiedler sowie der
Deutsches Zentrum für Altersfragen, werden jene unter ihnen betrachtet, die Arbeitsmigrantinnen und -migranten
Berlin als Ausländerinnen und Ausländer oder der ersten Generationen werden dabei in
als Deutsche nach Deutschland zugewan- den Blick genommen.
dert sind, die demzufolge über eigene Mi- ·· Lebensformen: Mit diesem Merkmal
WZB / SOEP
grationserfahrungen verfügen und das werden Aspekte wie Familienstand,
50. Lebensjahr erreicht oder überschritten Haushaltsstrukturen und regionale An-
haben. Im Weiteren werden sie auch als siedlung berücksichtigt.
Migrantinnen und Migranten der »Gene- ·· Sozialstatus und soziale Situation: Aus-
ration 50 +« bezeichnet. u Info 1 gewählte Dimensionen wie Bildungs­
Dieses Kapitel beleuchtet die folgen- niveau, Erwerbsstatus, Einkommen und
den Fragen: Wer sind die älteren Perso- Wohneigentum beschreiben den Sozial-
nen mit eigener Migrationserfahrung? status und die Lebenssituation der älte-
Welche Besonderheiten, mit denen sie zur ren Bevölkerung mit Migrationshinter-
wachsenden Vielfalt des Alters beitragen, grund. Darüber hinaus werden das
prägen ihre soziale Situation? Es soll ein Armutsrisiko, Sorgen um die wirt-
­

u Info 1
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Der Begriff beschreibt Personen, die als Ausländerinnen und Ausländer oder als Deutsche nach
Deutschland zugewandert sind, sowie in Deutschland geborene ausländische Personen und jeweils de-
ren Nachkommen. Synonym wird in diesem Kapitel auch der Begriff »Migrantinnen und Migranten« ver-
wendet. Jene unter ihnen, die nach Deutschland zugezogen sind, gehören zur »Bevölkerung mit eigener
Migrationserfahrung«. In der Generation 50+ sind das 98 %. Die in Deutschland geborenen ausländi-
schen Personen und Nachkommen der Zugezogenen werden als »Bevölkerung ohne eigene Migrati-
onserfahrung« bezeichnet. Diese Personen sind für die Analysen der älteren Migrantinnen und Migran-
ten wegen ihrer jungen Altersstruktur ohne Bedeutung.

u Info 2
Migrationshintergrund im engeren und im weiteren Sinn
Das Statistische Bundesamt unterscheidet für die Zwecke von Zeitreihenanalysen zwischen dem Migrati-
onshintergrund »im engeren« und »im weiteren Sinn«. Das ist notwendig, da nicht für alle Personen und
auch nicht jährlich der vollständige Migrationsstatus bestimmbar ist. Jene Personen, für die seit 2005
durchgängig und vollständig Daten erhoben wurden, bilden die Gruppe der »Bevölkerung mit Migrations-
hintergrund im engeren Sinn«,. Das sind etwa 96 % aller Migrantinnen und ­Migranten. Deshalb basieren
alle Analysen des Beitrages auf dem Merkmal »Migrationshintergrund im engeren Sinn«.

64
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund  / 2.3  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

schaftliche und gesundheitliche Situati- kerung ohne Migrationshintergrund ge- eingewanderten älteren Generation, so-
on sowie die allgemeine Lebenszufrie- hören bereits 24 % zur Generation der dass sie keine eigenen Migrationserfah-
denheit betrachtet. 65-Jährigen und Älteren. Die Zuwande- rungen haben. Ihre Biografien unterschei-
Mit deskriptiven Analysen sollen diese rung nach Deutschland verjüngt demzu- den sich deutlich von denen der jetzigen
Aspekte anhand von drei Datenquellen folge die hier ansässige Bevölkerung und Migrantengeneration 50 +. Der Migrati-
untersucht werden: Der Mikrozensus er- verzögert den für den demografischen onshintergrund leitet sich heutzutage be-
laubt seit dem Jahr 2005 die Beschreibung Wandel charakteristischen Prozess der reits bei 55 % der unter 40-Jährigen allein
von Menschen mit (und ohne) Migrati- Bevölkerungsalterung. u Abb 1, Tab 1 aus dem Migrationsstatus der Eltern ab,
onshintergrund. Sofern keine anderen Diese für Migrantinnen und Migran- während 98 % der Migrantinnen und Mi-
Quellen genannt sind, werden Daten des ten spezifische Altersstruktur wird sich granten in der Generation 50 + über eige-
Mikrozensus 2013 analysiert. Daten des deutlich wandeln, sobald die relativ stark ne Migrationserfahrungen verfügen.
Deutschen Alterssurveys (DEAS) liefern besetzten jüngeren Jahrgänge das dritte Auswirkungen der jetzigen und künf-
Informationen zu Lebensumständen und Lebensalter erreichen. Die jüngeren Mig- tigen Zuwanderung von Flüchtlingen und
zum subjektiven Befinden dieser Perso- rantinnen und Migranten sind zumeist in Asylsuchenden auf die Bevölkerungs-
nen. Beispielhaft werden hier die Wohn- Deutschland geborene Nachkommen der struktur Deutschlands können hier noch
verhältnisse und die Wohnzufriedenheit
als eine Dimension der ökonomischen Le-
bensqualität betrachtet. Das Sozio-oeko-
u Abb 1  Bevölkerung Deutschlands nach Migrationshintergrund und Alter 2013
nomische Panel (SOEP) liefert unter an-
Verteilung der jeweiligen Bevölkerungsgruppe nach Altersjahren — in Prozent
derem Erkenntnisse zur wirtschaftlichen
und zur gesundheitlichen Situation älterer
Alter
Migrantinnen und Migranten.
100

2.3.1 Bevölkerungsstruktur:
90
Alter, Herkunft, Aufenthaltsdauer
Fast 16 Millionen der 2013 in Deutsch- mit Migrations- ohne Migrations-
hintergrund 80 hintergrund
land lebenden Bevölkerung haben einen
Migrationshintergrund. u Info 2 Personen mit eigener
Migrationserfahrung
Das entspricht 20 % der Gesamtbevöl- 70

kerung. Im höheren Alter ist der Bevölke- Personen ohne eigene


rungsanteil mit Migrationshintergrund Migrationserfahrung
60
geringer: Unter den 50- bis 64-Jährigen
beträgt er mit 2,6 Millionen Migrantin- 50
nen und Migranten nur 15 %. Bei Perso-
nen ab dem 65. Lebensjahr sind es mit
40
1,5 Millionen sogar nur 9 %. Das ist noch
ein relativ kleiner Anteil, der jedoch stetig
30
anwächst: Im Jahr 2005 zählten nur
1,2 Millionen Migrantinnen und Migran-
ten zur Altersgruppe 65 +. Das entsprach 20

einem Anteil von knapp 8 % an der gleich-


altrigen Gesamtbevölkerung. 10
Mit einem Durchschnittsalter von
35 Jahren ist die Bevölkerung mit Migra-
tionshintergrund deutlich jünger als die 2 1,5 1 0,5 0 0 0,5 1 1,5 2
Vergleichsgruppe ohne Migrationshinter- Zu beachten sind die unterschiedlichen Basisbestände:
grund mit durchschnittlich 47 Jahren. 15,9 Millionen Personen mit Migrationshintergrund 64,1 Millionen Personen
60 % der Personen mit Migrationshinter- im engeren Sinn davon: ohne Migrationshintergrund
grund sind noch keine 40 Jahre alt und 10,5 Millionen Personen mit eigener Migrationserfahrung
5,4 Millionen Personen ohne eigene Migrationserfahrung
nur 10 % haben das 65. Lebensjahr er-
reicht oder überschritten. Von der Bevöl- Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.

65
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.3 /  Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund

u Tab 1  Bevölkerung nach Migrationsstatus und Altersstruktur, Deutschland 2013 tergrund von großer Bedeutung. Im Fol-
darunter nach Altersgruppen genden sollen anhand dieser Merkmale
Personen die größten Subgruppen unter den älte-
insgesamt Ab 50 – 64 Ab
50 Jahre Jahre 65 Jahre ren Migrantinnen und Migranten (ab
in 1 000 Anteile an Spalte 1, in % dem 50. Lebensjahr) mit eigener Migrati-
Bevölkerung insgesamt 80 611 42,5 21,2 21,3 onserfahrung identifiziert werden. Es
Personen ohne Migrationshintergrund 64 073 47,0 22,6 24,4 werden Gruppen mit ähnlichen Migrati-
Personen mit Migrationshintergrund onsbiografien gebildet und verglichen.
15 913 26,0 16,4 9,6
im engeren Sinn Dabei orientieren wir uns nicht nur an
Personen mit eigener Migrationserfahrung 10 490 38,5 24,3 14,2 einzelnen Herkunftsländern, sondern
darunter nach Herkunftsregionen auch an typischen Migrationsphasen der
Personen aus den Ländern deutschen Geschichte nach dem Zweiten
3 180 41,3 25,7 15,6
mit Anwerbeabkommen Weltkrieg. u Info 3
 Personen mit Zuzug
852 87,4 42,0 45,4
zwischen 1956 –1973
(a) (Spät-) Aussiedlerinnen
(Spät-)Aussiedler/-innen 3 106 45,9 27,5 18,4 und (Spät-) Aussiedler
Personen aus EU-15-Staaten 623 50,9 29,1 21,8 Bereits 1950 begann – nach der Rücksied-
Personen aus Ländern der
1 221 26,5 18,5 8,0 lung von Vertriebenen und Flüchtlingen
EU-Osterweiterung ab 2004
des Zweiten Weltkrieges – der Zuzug von
Personen ohne eigene Migrationserfahrung 5 424 1,8 1,1 0,7
deutschstämmigen Aussiedlerinnen und
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision. Aussiedlern aus Regionen Mittel- und
Osteuropas sowie aus der Sowjetunion
beziehungsweise ab 1991 aus ihren Nach-
folgestaaten. Dieser erreichte im Jahr
1990 seinen Höhepunkt und ist seitdem
u Info 3 rückläufig. Die nach Deutschland umge-
Migrantinnen und Migranten nach Herkunftsregionen siedelten Personen – bei Umsiedlung ab
Die Personen mit eigener Migrationserfahrung werden hier entsprechend ihrer Migrationsbiografien 1993 als Spätaussiedlerinnen und Spät-
wie folgt gruppiert: aussiedler bezeichnet – machen mit 35 %
(A) (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler aus Regionen Mittel- und Osteuropas sowie aus den größten Anteil unter der Bevölke-
der Sowjetunion beziehungsweise ab 1991 aus ihren Nachfolgestaaten. rung mit eigener Migrationserfahrung
(B) Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Ländern mit Anwerbeabkommen: Italien, Spanien, im Alter ab 50 Jahren aus. Die Personen
Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien, Jugoslawien, Südkorea; darunter jene der heutigen Generation 50 + kamen mit
­Personen, die in der Zeit der aktiven deutschen Anwerbepolitik zwischen 1956 bis 1973 zu­
gewandert sind. durchschnittlich etwa 35 Jahren nach
Deutschland und leben im Durchschnitt
(C) Personen aus der EU-15-Region ohne Länder mit Anwerbeabkommen (Griechenland, Italien,
Portugal, Spanien): Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, seit 31 Jahren hier. Auch wenn knapp die
Österreich, Schweden, Vereinigtes Königreich. Hälfte aller zugewanderten (Spät-)Aus-
(D) Personen aus Ländern der EU-Osterweiterung ab 2004: Estland, Lettland, Litauen, Polen, siedlerinnen und (Spät-)Aussiedler be-
­Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn, Bulgarien, Rumänien. reits zur Generation 50 + gehört, ist für
Diese Gruppierung ist keine vollständige Aufgliederung der gesamten Bevölkerung mit Migrations- sie insgesamt eine recht gleichmäßige
hintergrund. Sie dient lediglich der Zusammenstellung großer Migrantengruppen mit jeweils ähnlichen ­A ltersgruppenverteilung charakteristisch.
Migrationsbiografien. Es verbleibt eine Restkategorie mit Migrantinnen und Migranten, die nicht in
die vier genannten Gruppen eingeordnet werden können (zum Beispiel Personen aus dem restlichen Mit 48 Jahren haben die (Spät-)Aussiedle-
Europa, aus der restlichen Welt oder auch Personen ohne Angabe zur Herkunftsregion). rinnen und (Spät-)Aussiedler insgesamt
(aber ohne der in Deutschland geborenen
Nachkommen) ein relativ niedriges
Durchschnittsalter. Das deutet ebenso
wie der relativ hohe Frauenanteil von 55 %
nicht prognostiziert werden. Die aktuell rationsbewegungen die Bevölkerungs- darauf hin, dass diese Personen überwie-
rasant steigenden Flüchtlingszahlen zei- struktur nachhaltig beeinflussen werden. gend im Familienverbund, häufig in einer
gen, wie schwierig Prognosen über die Zur Beschreibung der Heterogenität Drei-Generationen-Konstellation, nach
Migrationspopulation der Zukunft sind. der Migrantinnen und Migranten sind Deutschland migriert sind. Die Daten
Unumstritten dürfte sein, dass diese Mig- ihre Herkunft und ihr Zuwanderungshin- zum Familienstand dieser Bevölkerungs-

66
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund  / 2.3  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

gruppe (im zweiten Teil) stützen diese u Tab 2  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus, Alter bei
Aussage. u Tab 1, Tab 2, Tab 3 Zuzug, Aufenthaltsdauer und Durchschnittsalter, Deutschland 2013 — in Jahren

Durchschnitts-
(b) Arbeitsmigrantinnen und Durch-
alter der jewei-
ligen Bevölke-
-migranten der ersten Generation Durchschnitts- schnittliche
rungsgruppe
alter bei Zuzug Aufenthalts-
Die zweitgrößte Gruppe der Migrantinnen dauer
(ohne Alters-
begrenzung)
und Migranten ab dem 50. Lebensjahr bil- im Jahr 2013
den mit einem Anteil von 32 % die ab den
Bevölkerung insgesamt X X 44,3
1950er-Jahren überwiegend aus den Mit-
telmeerländern angeworbenen Arbeits- Personen ohne Migrationshintergrund X X 46,7

kräfte. Sie wurden gebraucht für den wirt- Personen mit Migrationshintergrund
X X 35,2
im engeren Sinn
schaftlichen Aufschwung in der Bundes-
republik Deutschland und migrierten auf Personen mit eigener Migrationserfahrung 31,6 32,2 45,4

Basis der von 1956 bis 1973 geltenden An- darunter nach Herkunftsregionen
werbeabkommen mit Italien, Spanien, Personen aus den Ländern mit
24,9 38,3 47,5
Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Anwerbeabkommen
Tunesien, ­Jugoslawien und Südkorea. Ur-  Personen mit Zuzug zwischen 1956 –1973 21,2 45,0 63,2
sprünglich sollten sie nur zeitlich befristet (Spät-)Aussiedler/-innen 34,6 30,6 47,7
in Deutschland bleiben. Ein Teil von ih-
Personen aus EU-15-Staaten 28,2 36,6 49,6
nen wurde jedoch hier sesshaft und viele
holten ab den 1960er-Jahren ihre Familien Personen aus Ländern der
34,7 28,3 40,2
EU-Osterweiterung ab 2004
nach. Dieser Familiennachzug hielt bis
Personen ohne eigene Migrationserfahrung X X 15,5
etwa Ende der 1970er-Jahre an. Im Fokus
der Analysen stehen hier jene Arbeits­ X  Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.
migrantinnen und -migranten, die im
Rahmen der Anwerbeabkommen und aus-
schließlich im Zeitraum von 1956 bis 1973 u Tab 3  Personen mit eigener Migrationserfahrung in ausgewählten Alters-
zugewandert und hier sesshaft geworden gruppen, Deutschland 2013
sind. Das sind in der Altersgruppe ab dem darunter nach Altersgruppen
50. Lebensjahr 57 % aller Arbeitsmigran- Personen
insgesamt Ab 50 – 64 Ab
tinnen und -migranten aus den oben ge- 50 Jahre Jahre 65 Jahre
nannten Ländern. Die anderen 43 % sind
Personen mit eigener
Familiennachzügler beziehungsweise Per- Migrationserfahrung (in 1 000)
10 490 4 042 2 550 1 491

sonen, die nicht unmittelbar im Rahmen


darunter nach Herkunftsregionen in %
der Anwerbeabkommen nach Deutsch-
Personen aus den Ländern
land kamen. Zugunsten einer klaren Ab- mit Anwerbeabkommen
30,3 32,5 32,0 33,3
grenzung zu den Arbeitsmigrantinnen
 Personen mit Zuzug zwischen 1956 –1973 8,1 18,4 14,0 26,0
und -migranten der ersten Generation –
(Spät-)Aussiedler/-innen 29,6 35,3 33,5 38,4
die gewissermaßen als »Pioniere der ers-
ten Stunde« gelten – werden diese Nach- Personen aus EU-15-Staaten 5,9 7,8 7,1 9,1

zügler hier nicht miteinbezogen. Personen aus Ländern der


11,6 8,0 8,9 6,6
EU-Osterweiterung ab 2004
Die zwischen 1956 und 1973 zu­
gewanderten Arbeitsmigrantinnen und Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.

-migranten sind mit einem heutigen


Durchschnittsalter von 63 Jahren die
­ä lteste aller Bevölkerungsgruppen mit
­eigener Migrationserfahrung. Von ihnen
haben bereits 87 % das 50. Lebensjahr, weile seit durchschnittlich 45 Jahren in Arbeitnehmer. Mit der deutschen Vereini-
45 % schon das 65. Lebensjahr erreicht. Deutschland. u Tab 1, Tab 2, Tab 3 gung 1990 verloren sie jedoch ihren Auf-
Die heutige Generation 50 + unter ihnen Auch die DDR beschäftigte ab den enthaltsstatus und waren damit gezwun-
war zum Zeitpunkt des Zuzuges im 1960er-Jahren vertraglich gebundene gen, Deutschland zu verlassen. Somit sind
Durchschnitt 21 Jahre alt und lebt mittler­ ­ausländische Arbeitnehmerinnen und sie für die Analysen hier ohne Bedeutung.

67
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.3 /  Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund

(c) Migrantinnen und Migranten Die folgenden Analysen konzentrie- und -migranten gilt diese Verteilung in
aus West- und Osteuropa ren sich auf die beiden quantitativ größ- ähnlicher Weise. Ein Vergleich zur Be-
Eine weitere Gruppe der älteren Bevölke- ten Gruppen der Bevölkerung 50 + mit völkerung ohne Migrationshintergrund
rung (50 +) mit Migrationserfahrung bil- Migrationserfahrung, die zwei Drittel der (50 +) zeigt, dass Migrantinnen und Mig-
den mit einem relativ kleinen Anteil von älteren Migrantinnen und Migranten ranten (50 +) in einem geringeren Maße
8 % Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmig- ausmachen: die (Spät-)Aussiedlerinnen alleinstehend sind, dafür aber häufiger in
ranten, die seit den 1950er-Jahren aus den und (Spät-)Aussiedler sowie die Arbeits- Familien leben. Das könnte allerdings
EU-15-Staaten wie Frankreich, den Nieder­ migrantinnen und -migranten der ersten auch ein Effekt ihres niedrigeren Durch-
landen, Österreich und dem Vereinigten großen Zuwanderung von 1956 bis 1973 schnittsalters sein. Dafür spricht zum
Königreich in die Bundesrepublik über­ in die Bundesrepublik Deutschland. Beispiel der höhere Anteil verwitweter
siedelten. Insgesamt haben sie ein Durch- Personen unter der Bevölkerung ohne
schnittsalter von 50 Jahren. u Tab 2, Tab 3 2.3.2 Lebensformen: Migrationshintergrund. u Tab 4
Einen ebenso geringen Anteil an der Haushaltsstrukturen, Familienstand Die Mehrheit aller Migrantinnen und
älteren Bevölkerung (50 +) mit Migrati- und regionale Ansiedlung Migranten (50 +) ist verheiratet, etwa
onserfahrung bilden mit 8 % Zugewander- Migrantinnen und Migranten der Gene- 80 % von ihnen mit einer Partnerin oder
te aus jenen osteuropäischen Ländern, für ration 50 + leben zu 48 % als Paar ohne einem Partner mit Migrationshinter-
die im Rahmen der EU-Osterweiterung Kind(er) im Haushalt. 27 % leben im Fa- grund. Zum Vergleich: Von der verheira-
im Jahr 2004 die rechtliche Basis für den milienverbund mit ledigen Kindern und teten Bevölkerung ohne Migrationshin-
Aufenthalt und für die wirtschaft­liche Be- 25 % sind Personen, die allein, also ohne tergrund (50 +) haben nur knapp 4 % eine
tätigung innerhalb des Europä­ i schen Partnerin oder Partner und ohne Kinder Partnerin oder einen Partner mit Migra-
Wirtschaftsraumes geschaffen wurde (laut leben. Diese hohe Vernetzung in familia- tionshintergrund. Auch bezüglich des
Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Mit len Gemeinschaften spiegelt sich auch in Familienstandes unterscheiden sich die
durchschnittlich 40  Jahren sind sie die den Haushaltsstrukturen. Nahezu vier (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aus-
jüngste Migrantengruppe. Zusammen mit Fünftel aller älteren Migrantinnen und siedler sowie die Arbeitsmigrantinnen
Kriegs- und Krisenflüchtlingen sowie mit Migranten (50 +) bilden Mehrpersonen- und -migranten nicht wesentlich.
südeuropäischen Arbeitsmigrantinnen haushalte, lediglich ein Fünftel lebt in Mit 92 % leben die Migrantinnen und
und -migranten dominieren sie momen- Einpersonenhaushalten. Für die (Spät-) Migranten der Generation 50 + über-
tan den deutlichen Anstieg der Netto­ Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler durchschnittlich häufig im früheren Bun-
zuwanderung nach Deutschland. wie auch für die Arbeitsmigrantinnen desgebiet. Lediglich 8 % sind in den neuen
Bundesländern sesshaft geworden. Ent-
sprechend unterschiedlich ist der Anteil
dieser Personen an der Bevölkerung der

92 %
jeweiligen deutschen Teilregion: Für die
westdeutsche Bevölkerung ab dem 50. Le-
bensjahr beträgt der Anteil von Personen
mit Migrationshintergrund 14 %, für die
ostdeutsche nur 5 %. u Tab 5
der Migrantinnen und Migranten
Die Ansiedlung älterer Migrantinnen
der Generation 50+ lebten 2013 im
früheren Bundesgebiet. In den und Migranten (50 +), unterschieden nach
neuen Bundesländern wohnten 8 %. nicht-administrativen Gebietseinheiten,
zeigt einige Besonderheiten, die sich aus
dem Migrationsgrund ergeben: 68 % der
Arbeitsmigrantinnen und -migranten der
ersten Generation leben in städtischen Re-
gionen, 24 % in Regionen mit Verstädte-
rungsansätzen und nur 7 % in länd­lichen
Gebieten. Hier wird deutlich, dass die be-
schäftigungsorientierte Zuwanderung pri-
mär in verdichtete Regionen mit entspre-
chenden Arbeitsmarktchancen erfolgte
und die Betroffenen auch nach dem Aus-
stieg aus dem Erwerbsleben dort blieben.

68
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund  / 2.3  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

u Tab 4  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und Lebensformen, Deutschland 2013

darunter
Personen mit
Personen
Migrations-
ohne Migrations- Arbeitsmigrant/-innen (Spät-)Aussiedler/-
hintergrund im
hintergrund mit Zuzug zwischen innen mit eigener
engeren Sinn
1956 –1973 Migrationserfahrung

Bevölkerung insgesamt (in 1 000) 30 112 4 140 745 1 426

in %

nach Lebensform

Familien mit ledigen Kindern 17,6 26,7 24,8 22,4

Paare ohne Kinder 53,3 48,1 52,4 52,0

Alleinstehende 29,1 25,2 22,8 25,6

nach Familienstand

ledig, Lebenspartnerschaften 8,7 5,6 4,5 4,6

verheiratet 64,2 71,4 74,5 70,9

verwitwet, Lebenspartner verstorben 17,2 12,9 12,2 16,1

geschieden, Lebenspartnerschaft aufgehoben 9,9 10,1 8,8 8,4

nach Haushaltsstrutur

in Einpersonenhaushalten 27,1 21,8 19,0 22,3

in Mehrpersonenhaushalten 72,9 78,2 81,0 77,7

Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.

u Tab 5  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und regionaler Ansiedlung, Deutschland 2013 — in Prozent
darunter
Personen mit
Personen
Migrations-
ohne Migrations- Arbeitsmigrant/-innen (Spät-)Aussiedler/-
hintergrund im
hintergrund mit Zuzug zwischen innen mit eigener
engeren Sinn
1956 –1973 Migrationserfahrung

nach administrativen Gebietseinheiten

Früheres Bundesgebiet, ohne Berlin 76,8 91,7 95,0 93,1

Neue Länder und Berlin 23,2 8,3 5,0 6,9

nach nicht-administrativen Gebietseinheiten

Städtische Regionen 43,6 59,2 68,5 50,0

Regionen mit Verstädterungsansätzen 31,6 27,6 24,2 34,2

Ländliche Regionen 24,8 13,2 7,3 15,8

Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.

Die Gruppe der (Spät-)Aussiedlerinnen 2.3.3 Sozialstatus: Bildung, Bevölkerung ohne Migrationshintergrund.
und (Spät)-Aussiedler verteilt sich dage- ­Erwerbstätigkeit, Ein­kommen, So verfügen nur 37 % der 50- bis 64-jähri-
gen etwas gleichmäßiger: 50 % wohnen in Wohneigentum gen und nur 33 % der 65-jährigen und äl-
einer städtischen Region, 34 % in Regio- Das Bildungsniveau der älteren Bevölke- teren Arbeitsmigrantinnen und -migran-
nen mit Verstädterungsansätzen und 16 % rung mit Migrationshintergrund ist deut- ten über einen Berufsabschluss. Ein nied-
in ländlichen Regionen. lich niedriger als das der gleichaltrigen riges Bildungsniveau war zum Zeitpunkt

69
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.3 /  Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund

u Tab 6  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrations- und Sozialstatus, Deutschland 2013

Personen im Alter 50 – 64 Jahre Personen im Alter ab 65 Jahren

darunter darunter
Personen Personen
Personen mit (Spät-) Personen mit (Spät-)
Arbeits- Arbeits-
ohne Migrations- Aussiedler/ ohne Migrations- Aussiedler/
migrant/-innen migrant/-innen
Migrations- hintergrund -innen mit Migrations- hintergrund -innen
mit Zuzug mit Zuzug
hintergrund im engeren eigener hintergrund im engeren mit eigener
zwischen zwischen
Sinn Migrations- Sinn Migrations-
1956 –1973 1956 –1973
erfahrung erfahrung
Bevölkerung insgesamt (in 1 000) 14 497 2 610 358 854 15 615 1 530 387 572
in % 3
nach allgemeinem
Schulabschluss

Haupt-(Volks-)schul­a bschluss,
Abschluss DDR-PTO, Realschul- 73,2 57,4 64,2 69,3 83,1 53,9 49,6 62,6
oder gleichwertiger Abschluss
Fachhochschulreife, Abitur 24,9 26,5 7,1 25,8 14,0 19,1 7,3 14,9
Ohne Schulabschluss 1,5 15,6 28,4 4,7 1,7 26,2 42,6 21,9
nach beruflichem Abschluss

Mit berufsqualifizierendem
88,6 60,8 37,4 76,2 73,5 51,1 33,2 54,9
Abschluss

Ohne berufsqualifizierenden
11,4 39,2 62,6 23,8 26,5 48,9 66,8 45,1
Abschluss oder ohne Angabe

nach Beteiligung am Erwerbsleben


Erwerbstätige 71,8 64,5 51,3 72,9 5,2 5,8 5,3 3,7
Erwerbslose 3,5 6,0 4,1 5,4 0,0 0,1 0,3 0,0
Nichterwerbspersonen 1 24,7 29,5 44,5 21,7 94,8 94,1 94,5 96,3

nach überwiegendem Lebens-


unterhalt

Eigene Erwerbstätigkeit/
65,5 57,5 47,0 65,2 1,7 2,5 2,3 1,2
Berufstätigkeit

Renten, Pension 15,8 12,2 27,3 10,9 88,4 81,5 89,2 88,6
Unterstützung durch Angehörige 10,1 14,3 14,5 11,4 7,6 7,8 6,3 5,9

Eigenes Vermögen, Vermietung,


1,2 0,7 0,8 0,2 1,4 0,8 0,5 0,5
Zinsen, Altenteil

Arbeitslosengeld I , Laufende Hilfe


zum Lebensunterhalt, Leistungen
7,4 15,2 10,4 12,3 0,8 7,3 1,8 3,7
nach Hartz IV, Sonstige Unterstüt-
zungen, Elterngeld (Sozialtransfers)

Monatliches Nettoäquivalenz-
1 984 1 564 1 444 1 604 1 573 1 304 1 169 1 257
einkommen in Euro

Armutsgefährdungsquote
(Insgesamt in % der 11,2 23,3 22,7 17,6 12,5 32,1 36,5 27,5
jeweiligen Bevölkerung) 2

1 Personen, die keinerlei auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben oder suchen.
2 Anteil der Personen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt. Bezugsgröße ist der Bundesmedian.
Berücksichtigt ist hier nur die Bevölkerung in Privathaushalten am Hauptwohnsitz mit gültigen Einkommensangaben.
3 Abweichungen zu 100 sind rundungsbedingt oder durch Fälle ohne Angabe.
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.

der Einwanderung für den Arbeitsmarkt Migrantinnen und Migranten infolge des chend niedrig ist die Erwerbsbeteiligung
in Deutschland ausreichend. Eine beruf­ Strukturwandels im Beschäftigungssys- bei den 50- bis 64-Jährigen unter ihnen:
liche Weiterbildung mit qualifizierendem tem mit zunehmendem Arbeitsplatzabbau Nur 51 % sind erwerbstätig. Zu beachten
Abschluss fand im weiteren Lebensverlauf im industriellen Sektor Schwierigkeiten sind auch ihre hohen Frühverrentungs­
offenbar nicht statt, sodass viele dieser auf dem Arbeitsmarkt bekamen. Entspre- raten wegen Erwerbsunfähigkeit. Außer-

70
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund  / 2.3  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

dem ist die Frauenerwerbsbetei­l igung im granten häufig zusätzlich auf Sozialtrans- Erwerbs- zu Alterseinkommen bei Perso-
Vergleich zu anderen Migrantengruppen fers wie die Grundsicherung im Alter nach nen ohne Migrationshintergrund.
in dieser Gruppe am niedrigsten. u Tab 6 SGB XII zurückgreifen. Aus der Literatur Neben einem ausreichenden Einkom-
Deutlich besser gestaltet sich die Situ- ist bekannt, dass ihre in Deutschland er- men kann auch Wohneigentum vor Armut
ation der älteren (Spät-)Aussiedlerinnen worbenen Rentenansprüche wegen zu kur- im Alter schützen, denn wer in seiner –
und (Spät-)Aussiedler: 76 % der 50- bis zer Erwerbsbiografien und niedriger Ar- im Alter zumeist abbezahlten – eigenen
64-Jährigen haben einen Berufsabschluss. beitseinkommen nicht ausreichend sind. Wohnung beziehungsweise in seinem ei-
73 % dieser Altersgruppe sind erwerbs­ Das geringste monatliche Nettoäqui- genen Haus lebt, muss keine Miete zah-
tätig. In der Generation 65 + verfügen valenzeinkommen erzielen auch in der len. Allerdings verfügen Personen mit
55 % über einen Berufsabschluss. Altersgruppe 65 + die Arbeitsmigrantin- niedrigem Einkommen selten über
Aus dem Erwerbsstatus folgt, aus wel- nen und -migranten der ersten Generation Wohneigentum. Der Deutsche Alterssur-
chen Quellen der Lebensunterhalt bestrit- mit 1 169 Euro. Die gleichaltrigen (Spät-) vey (DEAS 2008) zeigt, dass der Anteil
ten werden kann. Auffällig ist, dass zwar Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler er- von Personen mit selbst genutztem
mehr als die Hälfte der Migrantinnen und halten 1 257 Euro monatlich. Die durch Wohneigentum unter den Migrantinnen
Migranten im Alter von 50 bis 64 Jahren spezifische Erwerbsbiografien erworbe- und Migranten (50 +) im Vergleich zur
überwiegend vom Erwerbseinkommen nen Rentenansprüche verursachen dem- gleichaltrigen Bevölkerung ohne Migrati-
­leben, weitere 27 % jedoch auf Renten und zufolge auch im Ruhestand deutliche Un- onshintergrund relativ niedrig ist. Bei
Sozialtransfers angewiesen sind. Zudem gleichheiten in den Einkommensniveaus den Arbeitsmigrantinnen und -migran-
spielt die Unterstützung durch Angehöri- verschiedener Migrantengruppen. ten (50 +) beträgt die Eigentümerquote
ge für die Sicherung ihres Lebensunter- Darüber hinaus zeigt ein Vergleich der nur 29 %, bei den (Spät-)Aussiedlerinnen
halts eine vergleichsweise große Rolle. durchschnittlich höheren Monatseinkom- und (Spät-)Aussiedlern (50 +) 33 %, wäh-
Das hat zur Folge, dass diesen Personen men von Personen ohne Migrationshinter- rend die gleichaltrige Bevölkerung ohne
monatlich im Durchschnitt 420 Euro we- grund (50 +) und den niedrigeren Einkom- Migrationshintergrund zu 66 % über
niger zur Verfügung stehen als gleichalt- men von Migrantinnen und Migranten Wohneigentum verfügt. u Abb 2
rigen Personen ohne Migrationshinter- (50 +), dass die Differenz dieser Einkom- Entsprechend der Eigentümerverhält-
grund. Von letzteren bestreiten 65 % ihren men bei der Bevölkerung ab dem 65. Le- nisse wird die Wohnsituation auch unter-
Lebensunterhalt überwiegend aus eigener bensjahr (269 Euro) geringer ist, als bei schiedlich bewertet: 45 % der Personen
Erwerbsarbeit, 23 % finanzieren ihr Leben den 50- bis 64-Jährigen (420 Euro). Der ohne Migrationshintergrund (50 +) be-
überwiegend durch Renten und Sozial­ Grund dafür ist jedoch nicht eine Verrin- werten ihre Wohnsituation als »sehr gut«,
transfers. u Tab 6 gerung sozialer Benachteiligung für ältere während das nur bei 26 % der gleichaltri-
Das geringste monatliche Nettoäqui- Migrantinnen und Migranten, sondern gen Arbeitsmigrantinnen und -migranten
valenzeinkommen in der Altersgruppe der vielmehr die vergleichsweise starke Redu- und bei 30 % der (Spät-)Aussiedlerinnen
50- bis 64-Jährigen erzielen die Arbeitsmi- zierung der Zahlbeträge im Übergang von und (Spät-)Aussiedlern der Fall ist.
grantinnen und -migranten mit 1 444 Euro.
Mehr als jede dritte Person dieser Grup-
pe lebt hauptsächlich von einer in der Re-
gel niedrigen Früh- beziehungsweise Er-
werbsunfähigkeitsrente oder von Sozial­ u Abb 2  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus
transfers. und Art des Wohnens — in Prozent
Bei den (Spät-)Aussiedlerinnen und
(Spät-)Aussiedlern ist die Situation deut-
lich günstiger: 65 % der 50- bis 64-Jähri- (Spät-)Aussiedler/-innen mit
eigener Migrationserfahrung 33,5 59,7 6,8
gen leben überwiegend vom Erwerbs­
einkommen, nur 23 % von Renten und Arbeitsmigrant /-innen mit
29,2 69,5 1,3
Zuzug zwischen 1956 –1973
Sozialtransfers. Sie erreichen ein monat-
liches Nettoäquivalenzeinkommen von Personen ohne
66,1 28,8 5,1
Migrationshintergrund
1 604 Euro.
Für die über 65-jährige Bevölkerung –
sowohl ohne als auch mit Migrations­ als Eigentümer als Hauptmieter sonstiges
hintergrund – sind die Renteneinkommen
Pearson chi2(8) = 112,3126 Pr = 0,000.
die wichtigste finanzielle Basis des Lebens. Datenbasis: DEAS 2008 (n = 4 893), gewichtet.

Allerdings müssen Migrantinnen und Mi-

71
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.3 /  Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund

2.3.4 Soziale Situation: höheren Erwerbsquoten und höherem sich ihre allgemeine Lebenszufriedenheit
Armutsrisiko, soziale Wahrnehmung Einkommen etwa um ein Drittel geringer nicht von Gleichaltrigen ohne Migrations­
und Lebenszufriedenheit als das der Arbeitsmigrantinnen und -mi- hintergrund. Auf einer Skala von 0 (un-
Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass granten. zufrieden) bis 10 (zufrieden) liegt der
ein niedriger Bildungsgrad, instabile oder Effekte unterschiedlicher Lebensbe- Wert der allgemeinen Lebenszufrieden-
fehlende Erwerbsverhältnisse wie auch dingungen auf die Wahrnehmung sozia- heit der älteren Arbeitsmigrantinnen und
Einkommensnachteile durch nicht vor- ler Gegebenheiten sind mit dem Sozio- -migranten sowie der (Spät-)Aussiedlerin-
handenes Wohneigentum das Armuts­ oekonomischen Panel (SOEP) messbar. nen und (Spät-)Aussiedler im Durch-
risiko erhöhen. Die hier analysierten Da- Daten des SOEP 2013 belegen, dass sich schnitt bei 7 und damit auf gleichem Ni-
ten bestätigen diese Aussagen in Bezug fast jede vierte Arbeitsmigrantin bezie- veau wie die Zufriedenheit der Bevölke-
auf ältere Migrantinnen und Migranten: hungsweise jeder vierte Arbeitsmigrant rung ohne Migrationshintergrund. Eine
Jene der Generation 50 + haben im Ver- (50 +) in hohem Maße um die eigene wirt- Erklärung hierfür könnte sein, dass Mig-
gleich zu gleichaltrigen Personen ohne schaftliche Situation sorgt. Unter den rantinnen und Migranten bei derartigen
Migrationshintergrund durchschnittlich (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aus- globalen Bewertungen ihre Situation in
ein niedrigeres Bildungsniveau, eine ge- siedlern betrifft das jede sechste Person, Deutschland mit der ihrer im Herkunfts-
ringere Erwerbs­beteiligung, ein niedrige- innerhalb der Bevölkerung ohne Migrati- land verbliebenen Landsleute vergleichen.
res Einkommensniveau, weniger Wohnei- onshintergrund nur jede siebte. u Abb 3 Demnach wäre ihr Bewertungsmaßstab
gentum und sind mehr als doppelt so Ein ähnlicher Zusammenhang besteht also nicht in erster Linie die Lebenssitua-
häufig von Armut bedroht. u Tab 6, Tab 7 hinsichtlich der Sorge um die eigene Ge- tion der in Deutschland lebenden Bevöl-
Am höchsten ist das Armutsrisiko für sundheit. Unter den Migrantinnen und kerung ohne Migrationshintergrund.
die Arbeitsmigrantinnen und -migranten Migranten (50 +) sind diese Sorgen deut- Weitere Forschungen werden die empiri-
der ersten Generation. Im Alter ab 50 Jah- lich häufiger. So leben 37 % der älteren sche Evidenz dieser Vermutung nachwei-
ren beträgt es mit 30 % das Zweieinhalb- Arbeitsmigrantinnen und -migranten sen müssen.
fache der gleichaltrigen Bevölkerung und 30 % der (Spät-)Aussiedlerinnen und
ohne Migrationshintergrund (12 %). Zu (Spät-)Aussiedler (50 +) mit großen ge- 2.3.5 Zusammenfassung
berücksichtigen sind jedoch graduelle Ab- sundheitlichen Sorgen, in der Bevölke- Die Generation der älteren Migrantinnen
stufungen und Unterschiede zwischen rung ohne Migrationshintergrund sind es und Migranten (50 +) besteht im Wesent­
Migrantengruppen (50 +) entsprechend nur 23 %. u Abb 4 lichen aus zwei Hauptgruppen: Den (Spät-)
ihrem Sozialstatus: Das Armutsrisiko der Trotz des höheren Armutsrisikos und Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedlern
über 50-jährigen (Spät-)Aussiedlerinnen großer wirtschaftlicher wie auch gesund- aus Regionen Mittel- und Osteuropas (mit
und (Spät-)Aussiedler ist mit 22 % bei ver- heitlicher Sorgen von älteren Migrantin- einem Anteil von 35 %) und den Arbeits-
gleichsweise höherem Bildungsniveau, nen und Migranten (50 +) unterscheidet migrantinnen und -migranten, die nach

u 1
Tab 7 Armutsgefährdungsquote  für die Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrations- und Sozialstatus, Deutschland 2013

nach Berufsabschluss nach Erwerbsstatus nach überwiegendem Lebensunterhalt

Ohne
Ins- Unter-
Mit berufs- berufsqualifi-
gesamt Nichter- Rente, stützung
qualifi- zierenden Erwerbs- Erwerbs- Berufs- Sozial-
werbs- eigenes durch
zierendem Abschluss tätige lose tätigkeit transfers
personen Vermögen Ange-
Abschluss oder ohne
hörige
Angabe

Personen ohne
11,9 9,4 23,0 5,0 57,8 14,8 3,6 13,1 13,0 64,5
Migrationshintergrund

Arbeitsmigrant /-innen mit
29,9 20,8 34,9 9,7 57,5 36,9 7,3 34,2 36,0 65,4
Zuzug zwischen 1956 –1973

(Spät-)Aussiedler  /-innen mit


21,5 17,6 30,0 7,9 65,3 30,8 5,9 26,4 17,3 73,7
eigener Migrationserfahrung

1 Anteil der Personen, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens beträgt.
Bezugsgröße ist der Bundesmedian. Berücksichtigt ist hier nur die Bevölkerung in Privathaushalten am Hauptwohnsitz mit gültigen Einkommensangaben.
Datenbasis: Destatis, Mikrozensus 2013, nach Zensus-Revision.

72
Lebenssituation älterer Menschen mit Migrationshintergrund  / 2.3  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

1956 auf der Grundlage der Anwerbeab- Ausbildung abgeschlossen und sind auch geltenden Anwerbeabkommen eingereis-
kommen vor allem aus den Mittelmeer- noch im Vorruhestandsalter relativ gut in ten Personen bilden die älteste Migran-
ländern nach Deutschland kamen (32 %). den Arbeitsmarkt integriert. Dadurch tengruppe. Auch sie leben überwiegend in
Diese beiden Gruppen unterscheiden können sie bis zum Übergang in den Familienverbänden, da sie in ­v ielen Fällen
sich sowohl hinsichtlich demografischer Ruhe­stand überwiegend vom Erwerbs- ihre Familien nach Deutschland nachge-
wie auch sozialer Merkmale: einkommen leben. Dennoch ist ihr Ar- holt haben. Personen dieser Gruppe mig-
Die Gruppe der (Spät-)Aussiedlerin- mutsrisiko etwa doppelt so hoch wie das rierten als Arbeitskräfte mit einem sehr
nen und (Spät-)Aussiedler hat im Allge- der gleichaltrigen Bevölkerung ohne Mi- niedrigen Bildungsniveau nach Deutsch-
meinen eine relativ ausgeglichene Alters- grationshintergrund. land, welches sich im Laufe des weiteren
struktur und ist zumeist im 3-Generatio- Die Gruppe der Arbeitsmigrantinnen Lebens nicht verbesserte. Durch hohe
nen-Verbund nach Deutschland migriert. und -migranten ist in einem sehr jungen Frühverrentungsraten und schlechte Ar-
Dadurch sind diese Personen in hohem Alter eingewandert und hat die längste beitsmarktchancen sind sie im Alter zwi-
Maße in familialen Gemeinschaften ver- Aufenthaltsdauer in Deutschland. Die un- schen dem 50. und dem 64. Lebensjahr
netzt. Sie haben häufig eine berufliche mittelbar in der Zeit der von 1956 bis 1973 nur in geringem Maße ins Berufsleben in-
tegriert. Entsprechend niedrig ist ihr Ein-
kommen und sie sind dreimal stärker von
Armut bedroht als die gleichaltrige Bevöl-
kerung ohne Migrationshintergrund.
uAbb 3  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und Insgesamt zeigen die Analysen stär-
Sorge um die eigene wirtschaftliche Situation — in Prozent kere Armutsrisikofaktoren für ältere Mi-
grantinnen und Migranten im Vergleich
zur gleichaltrigen Bevölkerung ohne Mi-
grationshintergrund. Das Armutsrisiko
(Spät-)Aussiedler/-innen mit
16,2 51,7 32,1
eigener Migrationserfahrung variiert jedoch nach spezifischer sozialer
und kultureller Herkunft der Migrantin-
Arbeitsmigrant /-innen mit
Zuzug zwischen 1956 –1973 23,1 45,5 31,5 nen und Migranten.

Personen ohne
14,2 44,0 41,8
Migrationshintergrund

große Sorgen einige Sorgen keine Sorgen

Pearson chi2(8) = 241,1452 Pr = 0,000.


Datenbasis: SOEP 2013 (n = 11 663), gewichtet.

uAbb 4  Bevölkerung im Alter ab 50 Jahren nach Migrationsstatus und


Sorge um die eigene Gesundheit — in Prozent

(Spät-)Aussiedler/-innen mit
29,6 53,0 17,4
eigener Migrationserfahrung

Arbeitsmigrant /-innen mit


37,0 42,2 20,8
Zuzug zwischen 1956 –1973

Personen ohne
22,7 53,0 24,3
Migrationshintergrund

große Sorgen einige Sorgen keine Sorgen

Pearson chi2(8) = 96,4790 Pr = 0,000.


Datenbasis: SOEP 2013 (n = 11 681), gewichtet.

73
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.4 /  Einstellungen zu Familie und Lebensformen

2.4 In Politik und Medien wird im Zusam-


menhang mit der Familie eine Reihe von
bei den älteren Menschen über 60 Jahren
verdeutlicht. So glauben nur 13 % der ost-
Einstellungen zu Problemfeldern kontrovers diskutiert. deutschen Befragten der Altersgruppe ab
Familie und Die Familienfreundlichkeit von Arbeits-
welt, Kinderbetreuungseinrichtungen
61 Jahren, dass man allein genauso glück-
lich oder glücklicher leben kann. In den
Lebensformen und Schule wird in Frage gestellt. Die alten Bundesländern äußert etwa ein
Verbindung von Erwerbstätigkeit und der Fünftel dieser Altersgruppe diese Mei-
Erziehung von Kleinkindern erweist sich nung. Überwiegend wird der Familie
Stefan Weick
für viele Frauen als schwer umsetzbar. demnach eine zentrale Rolle für das per-
GESIS Mannheim
Zudem wirft der steigende Anteil älterer sönliche Glück zugeschrieben. Die
Menschen erhebliche Probleme für das Trendbetrachtung in den alten Bundes-
WZB / SOEP System der sozialen Sicherung auf und ländern zeigt sogar, dass gerade bei jun-
erfordert Hilfeleistungen und Unterstüt- gen Erwachsenen bis 30 Jahre seit den
zung für alte Familienmitglieder in den 1980er-Jahren der Stellenwert der Familie
privaten Haushalten. Aus der zunehmen- gestiegen ist. Während 1984 in West-
den Verbreitung nichtehelicher Lebens- deutschland noch weniger als die Hälfte
formen bei rückläufigen Geburtenraten in dieser Altersgruppe glaubte, dass man
und hohen Scheidungszahlen wird auch eine Familie zum Glück braucht, ver­
auf einen Bedeutungsverlust der Familie traten im Jahr 2014 in West- und Ost-
in der Bevölkerung geschlossen. Vor die- deutschland etwa 70 % diese Ansicht. In
sem Hintergrund wird im Folgenden dar- Ostdeutschland ist insgesamt bei jungen
gestellt, welche Einstellungen zu Familie, Erwachsenen weniger Veränderung im
Lebensformen und Kindern in Deutsch- Zeitverlauf zu erkennen als in West-
land zu beobachten sind. Ergänzt wird deutschland. u Tab 1, Abb 1
die Darstellung durch die Untersuchung Wann sollten Lebenspartner eine Ehe
des Zusammenhangs von Lebensformen schließen? Welche Einstellungen findet
und subjektivem Wohlbefinden. man hierzu in der Gesellschaft? Wie weit
verbreitet ist die Ansicht, dass man heira-
2.4.1 Einstellungen zu Heirat und ten sollte, wenn man mit einem Partner
Elternschaft auf Dauer zusammenlebt? Besonders
Sinkende Heiratsneigung, zunehmende häufig – von mehr als 60 % der Befragten –
Kinderlosigkeit und geringe Ehestabilität wird diese Meinung von älteren Personen
werden häufig als Ergebnis einer abneh- über 60 Jahren vertreten. In den jüngeren
menden subjektiven Bedeutung der Fa- Altersgruppen sind die entsprechenden
milie in der Bevölkerung gewertet. Ande- Anteile kleiner. In den beiden jüngsten
rerseits wird argumentiert, dass hohe ostdeutschen Altersgruppen findet diese
Erwartungen an Partnerschaft und Eltern- Ansicht am wenigsten Unterstützung: Nur
schaft ein Hemmnis für die Familien- für etwa ein Drittel stellt ein dauerhaftes
gründung darstellen könnten. Es stellt Zusammenleben von Partnern e­inen
sich daher die Frage, welche Bedeutung Grund für eine Heirat dar. Ein Kinder-
die Bevölkerung der Familie zuschreibt. wunsch wird noch seltener als Heirats-
Auf die Frage, ob man eine Familie grund erachtet als das Zusammenleben
braucht, um glücklich zu sein, oder ob von Partnern. Etwa 40 % der Westdeut-
man allein genauso glücklich leben kann, schen stimmen der Aussage zu, dass Men-
gibt die überwiegende Mehrheit in den schen, die sich Kinder wünschen, heira-
alten und neuen Bundesländern an, dass ten sollten. In Ostdeutschland liegt der
man eine Familie zum Glück braucht. entsprechende Anteil mit 29 % merklich
In den beiden höheren Altersgruppen fin- niedriger. Bei älteren Menschen über
det diese Ansicht in den neuen Bundes- 60  Jahren ist diese Ansicht wiederum
ländern eine weitere Verbreitung als in stärker vertreten als bei jüngeren, insbe-
Westdeutschland, was sich insbesondere sondere in den alten Bundesländern.

74
Einstellungen zu Familie und Lebensformen  / 2.4  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

Die geringe Fertilität in Deutschland gungen für die Kindererziehung verbes- derlosen Männer und Frauen im Alter
ist ein vieldiskutiertes familienpolitisches sern und somit die Entscheidung für ein von 18 bis 30 Jahren äußern den Wunsch
Problem. Politische Maßnahmen, wie Kind erleichtern. In diesem Zusammen- Kinder zu bekommen: 93 % in West-
eine verbesserte finanzielle Förderung hang stellt sich die Frage, ob und gegebe- deutschland und 94 % in Ostdeutschland
von Eltern oder der Ausbau von Kinder- nenfalls wie viele Kinder jüngere Deut- wünschen sich Kinder. Bei den Befragten
betreuungsplätzen sollen die Randbedin- sche gerne hätten. Die meisten bisher kin- von 31 bis 50 Jahren geht dieser Anteil auf

u Tab 1  Einstellungen zu Familie und Eheschließung 2014 nach Alter — in Prozent

18 – 30 Jahre 31– 45 Jahre 46 – 60 Jahre Ab 61 Jahre Alle Altersgruppen

West Ost West Ost West Ost West Ost West Ost

Braucht man Familie zum Glück?


Man braucht Familie zum Glück 69 72 70 71 63 74 72 81 68 76
Ohne Familie gleich glücklich/glücklicher 21 16 22 21 27 19 21 13 23 17
Unentschieden 9 12 9 9 9 7 7 5 8 8
Heirat bei dauerndem Zusammenleben?
Ja 42 32 39 33 41 42 62 61 47 45
Nein 40 51 48 56 46 43 26 25 40 41
Unentschieden 17 18 13 12 12 15 12 14 13 14
Bei Kinderwunsch heiraten1 (2012) 30 20 32 16 35 27 60 45 40 29

1  Sehr wichtig auf einer Skala von 1 »unwichtig« bis 7 »sehr wichtig« (ISSP).
Datenbasis: ALLBUS 2014; ISSP 2012.

u Abb 1  Anteil der jungen Erwachsenen¹, der angibt: Man braucht eine Familie zum Glück 1980 – 2014 — in Prozent

79
76 77
72 72 72 72
70 71 69 68 70
68
64
59
57
55

46
43

1980 1984 1988 1991 1992 1996 2000 2002 2006 2010 2014

Westdeutschland Ostdeutschland

1  Im Alter von 18 bis 30 Jahren.


Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2012 kumuliert; ALLBUS 2014.

75
2 /  Familie, Lebensformen und Kinder  2.4 /  Einstellungen zu Familie und Lebensformen

52 % in den alten und 63 % in den neuen sondern sieht auch eigene Kinder in der dern. Der Anteil, der sich nur ein Kind
Bundesländern zurück. Auch junge Er- Lebensplanung vor. In allen Altersgrup- wünscht, ist dagegen größer als bei west-
wachsene bis 30 Jahre, die schon Kinder pen überwiegt bei Kinderlosen der deutschen Befragten. Dem­gemäß liegt
haben, äußern überwiegend den Wunsch Wunsch nach zwei Kindern. Der Wunsch die durchschnittlich gewünschte Kin-
nach weiteren Kindern, während bei nach drei oder mehr Kindern wird häufi- derzahl in Westdeutschland mit 2,2 Kin-
Frauen und Männern über 30 Jahren mit ger genannt als der nach nur einem Kind. dern bei den jüngeren kinderlosen Be-
Kindern der Wunsch nach weiteren Kin- Dabei sind Ost-West-Differenzen zu er- fragten und 1,9 Kindern bei den älteren
dern deutlich weniger verbreitet ist. Ge- kennen. Seltener als in den alten Bundes- auch etwas höher als in Ostdeutschland,
rade die jüngste Altersgruppe misst der ländern äußern junge Erwachsene bis wo sie bei den 18- bis 30-Jährigen bei 2,0
Familie somit nicht nur in einem abs- 30  Jahre aus den neuen Bundesländern und bei den 31- bis 50-Jährigen bei 1,8
trakten Sinn eine hohe Bedeutung zu, den Wunsch nach drei oder mehr Kin- liegt. u Tab 2

2.4.2 Familie, Partnerschaft und


Subjektives Wohlbefinden
Das subjektive Wohlbefinden ist nicht
u Tab 2  Kinderwünsche bei Personen bis 50 Jahre 2014
unabhängig von der Lebensform der
18 – 30 Jahre 31– 50 Jahre Menschen. Die allgemeine Lebenszufrie-
West Ost West Ost denheit, gemessen auf einer Skala von 0
Wunsch nach (weiteren) Kindern (in %) »ganz und gar unzufrieden« bis 10 »ganz
Bei Personen mit Kindern 63 51 15 13 und gar zufrieden«, ist bei Paaren mit
Bei kinderlosen Personen 93 94 52 63 und ohne Kinder mit 7,8 Skalenpunkten
Gewünschte Anzahl von Kindern (in %)1
am höchsten. Eine niedrige Lebenszu-
friedenheit äußern Geschiedene bezie-
1 Kind 8 17 20 17
hungsweise getrennt Lebende und Allein-
2 Kinder 61 64 49 55
erziehende: Die durchschnittliche Zufrie-
3 Kinder und mehr 31 20 31 28
denheit mit dem Leben beträgt bei den
Durchschnittliche gewünschte Kinderzahl 1
2,2 2,0 1,9 1,8
Geschiedenen und getrennt Lebenden 6,9
1  Kinderlose mit Kinderwunsch.
Datenbasis: ALLBUS 2014.

u Tab 3  Subjektives Wohlbefinden nach Familienformen 2012 und 2014


Lebens- Zufriedenheit mit Glücklich Immer/oft
zufriedenheit ¹ Familienleben ² mit Leben³ einsam ⁴
2014 2012 2012 2014
arithm. Mittel %
Allein lebend
Ledig 7,0 33 27 11
Geschieden/
6,9 32 16 12
getrennt lebend
Verwitwet 7,4 46 28 25
(Ehe-)Paare
Ohne Kinder im Haushalt 7,8 65 41 2
Mit Kindern bis 6 Jahre 7,8 66 50 3
Mit Kindern 7–17 Jahre 7,8 61 42 3
Mit Kindern ab 18 Jahren 7,8 59 35 2
Alleinerziehende 6,8 35 27 12
Sonstige 7,4 51 41 8
Insgesamt 7,6 56 38 6

1 gemessen auf einer Skala von 0 »sehr unzufrieden« bis 10 »sehr zufrieden«.
2 Anteil völlig und sehr zufrieden (1 und 2 auf Skala 1–7).
3 Anteil völlig und sehr glücklich (1 und 2 auf Skala 1–7).
4 Kategorien: Immer; oft; manchmal; fast nie; nie.
Datenbasis: ALLBUS 2014; ISSP 2012.

76
Einstellungen zu Familie und Lebensformen  / 2.4  Familie, Lebensformen und Kinder  / 2

und bei Alleinerziehenden 6,8. Weiterhin Bereich sind bei einem derartigen Verlust
liegt die Lebenszufriedenheit der ledigen aber offenbar engere Grenzen gesetzt. Ge-
Personen mit 7,0 Skalenpunkten unter rade bei Verwitweten beeinträchtigt Ein-
dem Gesamtdurchschnitt von 7,6. u Tab 3 samkeit das emotionale Wohlbefinden. So
Der Familie kommt nicht nur eine sind verwitwete Männer und Frauen ver-
zentrale Bedeutung in der Bevölkerung gleichsweise häufig einsam: Ein Viertel
zu, sie wird auch überwiegend mit einer gibt an, immer oder oft einsam zu sein.
hohen Zufriedenheit bewertet. Der An- Der Tod des Ehepartners hinterlässt deut-
teil der Befragten, der sich völlig oder liche Spuren im subjektiven Wohlbefin-
sehr zufrieden mit dem Familienleben den, wenn auch das Leben insgesamt posi-
äußert, liegt bei über 50 %. Der Anteil der tiv bewertet wird. Auch in anderen Le-
mit dem Familienleben Zufriedenen ist bensarrangements ist dieses spezifische
bei Ehepaaren ohne Kinder und bei Ehe- Defizit verstärkt vorzufinden. Menschen,
paaren mit kleineren Kindern am höchs- die alleine leben, sind insgesamt häufiger
ten. Insbesondere Geschiedene und ge- einsam als Personen in anderen Lebens-
trennt Lebende, aber auch Ledige äußern formen, wenn auch seltener als Verwitwe-
eine geringe Familienzufriedenheit. te. Auch Alleinerziehende fühlen sich oft
Während Zufriedenheit stärker die ko- einsam, obwohl sie mit ihren Kindern im
gnitiv bewertende Komponente des sub- Haushalt leben. Offensichtlich begünstigt
jektiven Wohlbefindens erfasst, zielt die das Fehlen eines vertrauten erwachsenen
Frage nach dem Glück mehr auf die emo- Menschen im Alltag das Gefühl von Ein-
tionale Komponente. Betrachtet man, wie samkeit.
glücklich Personen in den verschiedenen Diese Ergebnisse stützen die überwie-
Lebensformen mit ihrem Leben sind, so gende Einschätzung der Bevölkerung,
fallen vor allem getrennt Lebende und Ge- dass der Familie eine hohe Bedeutung für
schiedene mit einem besonders geringen das persönliche Glück zukommt. Der
Anteil von Glücklichen auf. Während Ver- Wandel der familialen Lebensformen mit
witwete bei der Lebenszufriedenheit nahe einer Zunahme von Singles und soge-
am Durchschnitt liegen, beurteilen in die- nannten alternativen Familienmodellen,
ser Gruppe nur 28 % ihr Leben als glück- drückt einerseits zwar eine gestiegene
lich. Die Betroffenen konnten sich bei der Wahlfreiheit aus im Hinblick auf das sub-
kognitiven Bewertung ihrer Lebensum- jektive Wohlbefinden lassen sich aller-
stände mit der Zeit offenbar an den Tod dings auch negative Entwicklungen iden-
des Ehepartners anpassen und sind mit tifizieren, die mit der weiteren Verbrei-
ihrem Familienleben durchaus nicht un- tung dieser spezifischen Lebensformen
zufrieden; der Anpassung im emotionalen an Gewicht gewonnen haben.

77
7 500

2,7 Mill. Ausbildungsverträge wurden


2014 gegenüber dem Vorjahr
weniger abgeschlossen.

Studierende waren im Winter­semester


2014/2015 an deutschen Hochschulen
ein­geschrieben. So viele wie nie zuvor.
30 300
chinesische Studierende waren
im Wintersemester 2014/2015
an deutschen Hochschulen einge-
schrieben. China lag damit auf ­
Platz 1 unter den ausländischen
Studierenden.

786 000
Lehrkräfte unterrichteten
im Jahr 2014 an deutschen
6 300 €
Schulen.

gaben die öffentlichen


Haushalte 2012 pro
Schüler/-in aus.
3
Bildung
3.1 Die Bildungspolitik in Deutschland steht den Menschen verbessert. Zunehmend
auch in diesem Jahrzehnt im Blickpunkt können Unternehmen inzwischen ihre
Bildungs­ der Öffentlichkeit. Nach den Ergebnissen angebotenen Ausbildungsstellen nicht
beteiligung, der PISA-Studie (Programme for Inter­ besetzen.
national Student Assessment) 2012 liegen Die Erweiterung der Hochschulkapa-
Bildungsniveau deutsche Schülerinnen und Schüler erst- zitäten sowie die adäquate Ausstattung
und Bildungs- mals in allen drei Testbereichen (Lese- der Hochschulen mit Personal und Finan-
kompetenz, mathematische Kompetenz zen wird auch in Zukunft ein zentrales
budget und naturwissenschaftliche Kompetenz) Thema der Bildungspolitik sein, denn der
deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Trend zum Gymnasium als zahlenmäßig
Mit dem Programme for the International bedeutendste Schulform, die Aussetzung
Christiane Krüger-Hemmer
Assessment of Adu lt Competencies der Wehrpf licht, die doppelten Abitu­
(PIAAC) wurden 2012 auch die Kompeten- rientenjahrgänge infolge der Umstellung
Destatis zen der erwachsenen Bevölkerung in in- von G9 auf G8 und die demografische
ternational vergleichbarer Weise gemes- Entwicklung lassen bis 2017 ein weiteres
­ anach weist die Gruppe der 16- bis Ansteigen der Studierendenzahlen erwar-
sen. D
35-Jährigen in Deutschland in den Berei- ten.
chen ­L esen, Alltagsmathematik und com- Die in diesem Kapitel dargestellten
puterbasiertes Problemlösen höhere Kom- Bildungsdaten stammen aus der amt­
petenzen auf als die Gruppe der 55- bis lichen Schulstatistik (Schülerinnen und
65-Jährigen. Schüler, Absolventen, Abgänger und
Ebenso viel diskutiert wie die Ergeb- Lehrkräfte), der Berufsbildungsstatistik
nisse dieser internationalen Kompetenz- (Auszubildende, Abschlussprüfungen),
vergleiche wird die Verkürzung der Gym- der Hochschulstatistik (Studierende, Stu-
nasialzeit von neun auf acht Jahre, be- dienanfänger, Hochschulabsolventen und
kannt unter dem Kürzel G8. Teilweise -personal), dem Adult Education Survey
wurde diese Reform wieder rückgängig (Teilnahme der Bevölkerung im Erwach-
gemacht oder der Schule und den Eltern senenalter an unterschiedlichen Formen
die Wahl zwischen G8 und G9 überlassen. von Lernaktivitäten), dem Mikro­z ensus
Die Situation auf dem Ausbildungs- (Bildungsstand der Bevölkerung) sowie
markt hat sich aufgrund der demogra­ der Jahresrechnungsstatistik und der
fischen und wirtschaftlichen Entwicklung Hochschulfinanzstatistik (Bildungsaus­
zugunsten der jungen, ausbildungssuchen- gaben). u Abb 1

79
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Abb 1  Das Bildungssystem in Deutschland

Weiterbildung
Promotion

Universität
Tertiärbereich

Diplomprüfung, Bachelor und Master,


25 Jahre
Staatsprüfung (nur Universität)
und älter

Schule des
19 – 28 Jahre Fachschule Gesundheits- Berufsakademie Fachhochschule Universität
wesens

Jahrgangsstufe
Sekundarbereich II

13 (19 Jahre) ¹ Berufsaus-


bildung ²
(Duales System) Berufs- Fach- Gesamt- Gym- Förder-­
12 ¹
fachschule gymnasium schule nasium schule
Fachober-
Berufsgrund-
11 (16 Jahre) ¹ schule
bildungsjahr

10 (16 Jahre) G9 G9

9 G8 G8
Sekundarbereich I

Hauptschule Schularten Realschule Gesamtschule


­ Gymnasium Förderschule
8 mit
mehreren
7 Bildungs-
gängen ³
6
Orientierungs-­ Orientierungs-­ Orientierungs-­
stufe stufe stufe
5 (10 Jahre)

4 (10 Jahre)
Primarbereich

3
Grundschule Förderschule
2

1 (6 Jahre)

Förderschul-
Kindergarten
3 – 6 Jahre kindergarten

1 Durch die Einführung von G8 an Gymnasien und Gesamtschulen beginnen die Klassenstufen im Sekundarbereich II ein Jahr früher, diese Schüler/-innen sind ein Jahr jünger.
Bei G8 bedeutet dies zum Beispiel, dass die Einführungsstufe (E1) in der 10. Klassenstufe mit einem Alter von durchschnittlich 15 Jahren beginnt.
2 In Berufsschule und Betrieb (Duales System).
3 Einschließlich Bildungsgangübergreifende Klassen, Mittelschulen, Sekundarschulen und Erweiterte Realschulen, Kombinierte Klassen an Sekundarschulen, Regelschulen,
Regionale Schulen und Duale Oberschulen.

80
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

Die demografische Entwicklung ist hierfür sind demografische Entwicklun- den vergangenen zehn Jahren kontinuier-
für das Bildungswesen von besonderer gen: Ende 2004 lag die Zahl der Fünf- bis lich von 9,6 Millionen im Jahr 2004 auf
Bedeutung. Der Altersaufbau der Bevöl- Sechsjährigen in Deutschland insgesamt 8,4 Millionen im Jahr 2014. Deutliche
kerung ist geprägt durch die geburten- bei 779 000, Ende 2014 bei nur noch ­Unterschiede gab es zwischen Ost- und
starken Jahrgänge der 1960er-Jahre, die 679 000. Dabei gibt es große regionale Westdeutschland: In den neuen Ländern
geburtenschwachen Jahrgänge von 1974 Unterschiede. Während die Zahl der sind die Schülerzahlen aufgrund des star-
bis 1989 und insbesondere die Entwick- Kinder im einschulungs­­re­levanten Alter ken Geburtenrückgangs zu Beginn der
lung der Neugeborenenzahl in den im früheren Bundesgebiet zwischen 1990er-Jahre beständig gesunken und
1990er-Jahren. Seit 1998 sind die Gebur- Ende 2004 und Ende 2014 um 17 % gesun- ­lagen 2014 um 11 % unter dem Stand von
tenzahlen in Deutschland tendenziell ken ist, stieg sie in den neuen Bundeslän- 2004. Im Westen dagegen stiegen die
rückläufig, auch wenn in den Jahren 2013 dern und Berlin um 6 % an. Das führte Schülerzahlen an allgemeinbildenden
und 2014 wieder ein leichter Anstieg zu dazu, dass im Jahr 2014 im früheren Bun- Schulen bis 2004. Danach setzte ein Rück-
verzeichnen war (siehe auch Kapitel 1.1.2, desgebiet 17 % weniger ­K inder einge- gang ein, der dazu führte, dass 2014 die
Seite 18). schult wurden als im Jahr 2004, in den Zahl der Schülerinnen und Schüler um
Frühkindliche Bildung findet bereits in neuen Bundesländern und Berlin jedoch 13 % unter dem Stand von 2004 lag. u Abb 2
der Kindertagesbetreuung statt. Angaben 9 % mehr. Während die Schülerinnen und Schü-
hierzu enthält das Kapitel 2.1.6, Seite 57. Die Einschulungen wirkten sich ent- ler eines Wohnbezirks in der Regel ge-
Durch die Schwankungen in der Neu- sprechend zeitversetzt auf die Schüler- meinsam an der Grundschule unterrich-
geborenenzahl ergeben sich zeitversetzt zahlen in allen Bildungsbereichen aus. tet werden, richtet sich im Anschluss da-
unterschiedliche Jahrgangsstärken bei Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ran die weitere Schullaufbahn der Kinder
Schülerinnen und Schülern, Auszubilden- an allgemeinbildenden Schulen sank in nach den schulischen Leistungen, der
den und Studierenden. Die Bevölke-
rungsentwicklung ist allerdings nicht der
einzige Einflussfaktor auf das Angebot
und die Nachfrage im Bildungsbereich. Abb 2 Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen - in Millionen

Die individuellen Entscheidungen der


Menschen und die Maßnahmen, die zur
Umsetzung bildungspolitischer Ziele ge- u Abb 2  Schülerinnen und Schüler in allgemeinbildenden Schulen — in Millionen
troffen werden, sind ebenfalls von großer
Bedeutung.
10

3.1.1 Allgemeinbildende und


­beruf­liche Schulen
Das Grundgesetz überlässt den Ländern 8
im föderalen System die Gesetzgebungs-
kompetenz für das Schulwesen. Im Rah-
men ihrer Kulturhoheit gestalten die
6
Länder ihr Bildungssystem entsprechend
den regionalen Erfordernissen sowie den
gesellschaftlichen und politischen Wert-
vorstellungen. 4

Schülerinnen und Schüler


Zu Beginn des Schuljahres 2014/2015
wurden in Deutschland 711 000 Kinder 2
eingeschult. Dies entspricht einer Zunah-
me von 3,1 % im Vergleich zum Vorjahr,
in dem 690 000 Schülerinnen und Schüler
0
ihren Ranzen zum ersten Mal packten. 2004 2006 2008 2010 2012 2014
Gegenüber dem Jahr 2004 nahm die Zahl
früheres Bundesgebiet neue Länder und Berlin
der Schulanfängerinnen und -anfänger in
Deutschland um 13 % ab. Hintergrund

81
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

Empfehlung der Grundschule sowie dem schiede in der Struktur der weiterführen- mit mehreren Bildungsgängen (32 %) be-
Wunsch der Eltern. Der größte Teil der den Schulen. Sowohl in den westdeut- suchten. Diese Schularten (mit länderspe-
Schülerinnen und Schüler an weiterfüh- schen als auch in den ostdeutschen Bun- zifisch unterschiedlichen Bezeichnungen)
renden Schulen des Sekundarbereichs be- desländern wurde 2014 der größte Teil der führen zum Hauptschulabschluss oder
suchte ein Gymnasium. Ihr Anteil stieg Schülerinnen und Schüler in der Sekun- zum Realschulabschluss. Diese Schul­
von 41 % im Jahr 2004 auf 45 % im Jahr darstufe an Gymnasien unterrichtet. Auch struktur trägt auch dazu bei, dass trotz
2014. In demselben Zeitraum sank der hielt der Trend weiterhin an, dass die der demografischen Entwicklung – ins­
Anteil der Jugendlichen, die an Haupt- ­Jugendlichen in den westdeutschen Bun- besondere in den Flächenländern – ein
schulen unterrichtet wurden, von 18 % auf desländern am zweithäufigsten an Real- wohnortnahes Schulangebot erhalten wer-
10 %. Aufgrund der länderspezifischen schulen (22 %) lernten, während sie in den den kann. u Tab 1
Bildungspolitik gab es allerdings Unter- ostdeutschen Bundesländern Schularten Neben den bereits genannten Schul­
arten gibt es Förderschulen, an denen
körperlich, geistig oder seelisch benach-
teiligte oder sozial gefährdete Kinder un-
terrichtet werden. Im Jahr 2014 besuchten
335 000 Kinder eine Förderschule, dies
u Tab 1  Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen sind gut 4 % der Schülerinnen und Schü-
nach Schularten — in Tausend ler an allgemeinbildenden Schulen. Die
2004 2009 2012 2013 2014
Zahl der Schülerinnen und Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf, die
Vorklassen und Schulkindergärten 48 28 28 28 27
außerhalb von Förderschulen an den
Primarbereich 3 189 2 953 2 796 2 772 2 789
­übrigen allgemeinbildenden Schulen (ins-
 Grundschulen 3 150 2 915 2 746 2 708 2 709
besondere an Grundschulen) unterrichtet
Sekundarbereich 5 904 5 478 5 321 5 222 5 163 werden, hat sich in den vergangenen zehn
 Hauptschulen 1 084 767 608 554 508 Jahren mehr als verdoppelt. Während im
 Realschulen 1 351 1 221 1 081 1 015 951 Jahr 2004 bundesweit lediglich 63 000 so-
 Gymnasien 2 404 2 475 2 388 2 330 2 305 genannte Integrationsschüler sonstige all-
 Integrierte Gesamtschulen 523 519 658 715 766 gemeinbildende Schulen besuchten,
Förderschulen 424 388 355 343 335 ­waren es im Jahr 2014 bereits 152 000 In-
Abendschulen und Kollegs 60 60 57 55 53 tegrationsschülerinnen und -schüler. Das
Insgesamt 9 625 8 906 8 557 8 420 8 367 entspricht einem Anteil von 2 % an der
Gesamtzahl der Schülerinnen und Schü-
ler an allgemeinbildenden Schulen.
u Tab 2  Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen An den Grundschulen, an denen in der
nach Schularten — in Tausend Regel alle Kinder gemeinsam unterrichtet
2004 2009 2012 2013 2014
werden, waren Mädchen (49 %) und Jun-
gen (51 %) etwa gleich verteilt. An den
Teilzeit-Berufsschulen 1 672 1 682 1 519 1 482 1 444
­weiterführenden Schularten war der Jun-
Berufsvorbereitungsjahr 81 55 49 49 53 genanteil unterschiedlich: Die Spanne
Berufsgrundbildungsjahr in
48 34 28 29 30 reichte im Jahr 2014 von 47 % an Gymnasi-
vollzeitschulischer Form
en über 51 % an Realschulen bis zu 57 % an
Berufsaufbauschulen 1 1 0 0 0
Hauptschulen. An Förderschulen betrug
Berufsfachschulen 542 500 437 431 426
der Anteil der männlichen Schüler 64 %.
 Berufsausbildung 240 256 239 236 234 Ein großer Teil der Jugendlichen be-
Fachoberschulen 122 140 134 137 140 ginnt nach dem Verlassen der allgemeinbil-
Fachgymnasien 117 159 173 181 190 denden Schulen eine Berufsausbildung im
Berufsoberschulen/ dualen System von Teilzeit-Berufsschule
18 24 23 22 21
Technische Oberschulen und Betrieb. Die Berufsschule ergänzt im
Fachschulen und Fachakademien 163 175 194 200 202 dualen Ausbildungssystem die gleichzeiti-
Insgesamt 2 763 2 769 2 557 2 531 2 506 ge praktische Ausbildung im Betrieb. Da-
Nachrichtlich: neben wird die Teilzeit-Berufsschule auch
120 128 149 150 153
Schulen des Gesundheitswesens
von Jugendlichen unter 18  Jahren ohne

82
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

Ausbildungsvertrag besucht, die noch der des Gesundheitswesens angeboten werden. An beruflichen Schulen können auch
Schulpflicht unterliegen und keine andere Dabei handelt es sich neben den Gesund- allgemeinbildende Abschlüsse erworben
Schule besuchen. Insgesamt wurden 2014 heits- und Sozialberufen vor allem um werden. Eine Studienberechtigung strebten
in Deutschland 1,4 Millionen Jugendliche Assistenzberufe, wie zum Beispiel Kauf­ 2014 rund 350 000 Jugendliche mit dem
an Teilzeit-Berufsschulen unterrichtet. In männische/r Assistent/-in, Wirt­schafts­ Besuch von Fachoberschulen, Fachgymna-
den vergangenen zehn Jahren nahm ihre assistent/-in oder Technische/r Assistent/ sien oder Berufsoberschulen beziehungs-
Zahl um 14 % ab. u Tab 2 -in für Informatik. Rund 387 000 Jugend­ weise Technischen Oberschulen an. Im
Neben den Berufsausbildungen im liche befanden sich 2014 in einer schu­ Vergleich zu 2004 hat die Zahl der Schüle-
dualen System gibt es Formen der schu­ lischen Berufsausbildung; das waren 21 % rinnen und Schüler an diesen Schularten
lischen Berufsausbildung, die im Wesent­ aller Jugendlichen, die eine Berufsaus­ um 36 % zugenommen. Fachschulen (ein-
lichen an Berufsfachschulen und Schulen bildung absolvierten. u Abb 3 schließlich Fachakademien) werden in der
Regel nach einer bereits erworbenen Be-
rufsausbildung und praktischer Berufser-
fahrung besucht und vermitteln eine wei-
tergehende fachliche Ausbildung im Beruf.
Abb 3 Schülerinnen und Schüler in Berufsausbildung nach Schularten
Im Jahr 2014 gab es 202 000 Fachschülerin-
u Abb 3  Schülerinnen und Schüler in nen und -schüler. Die übrigen Schüler an
Berufsausbildung nach Schularten — in Prozent beruflichen Schulen versuchten durch den
Besuch berufsvorbereitender Schulen (Be-
rufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbil-
2014 78 12 8
dungsjahr oder Berufsfachschulen, soweit
sie nicht berufsausbildend sind), durch das
2004 82 11 5 Erreichen eines Haupt- oder Realschulab-
schlusses oder durch den Erwerb beruf­
Teilzeit-Berufsschulen Berufsausbildung Schulen des licher Grundkenntnisse ihre Chancen auf
(einschließlich Schülerinnen und an Berufsfachschulen Gesundheitswesens einen Ausbildungsplatz zu verbessern.
Schüler ohne Ausbildungsvertrag)
In den letzten Jahren ist das Interesse
an Privatschulen deutlich gestiegen. Den
Abb 4 Anteil der Privatschülerinnen und -schüler - in Prozent rechtlichen Rahmen für die Gründung
und den Betrieb von Privatschulen legen
u Abb 4  Anteil der Privatschülerinnen und -schüler — in Prozent
die jeweiligen Schulgesetze der Länder
fest. In der Regel können Privatschulen
9,4 9,5 von natürlichen sowie juristischen Perso-
9,3
9,2 nen (wie zum Beispiel Kirchen, Vereinen)
8,7 9,0 8,7 8,8
8,5
8,2
8,4 8,5 8,5 8,4
8,2 8,4 errichtet und betrieben werden. Im Jahr
7,9
7,7 2014 besuchten 737 000 Schülerinnen und
7,3
7,0
Schüler private allgemeinbildende Schulen
6,7
6,5 und 239 000 private berufliche Schulen.
Das entsprach einem Anteil von 9 % der
Schülerinnen und Schüler an allgemein-
bildenden und 10 % an beruflichen Schu-
len. Im Vergleich dazu lag 2004 der Anteil
der Privatschülerinnen und -schüler an al-
len Schülerinnen und Schülern der allge-
meinbildenden Schulen bei 6 % und der
beruflichen Schulen bei 8 %. u Abb 4

Allgemeinbildende und berufliche


Abschlüsse
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Im Jahr 2014 wurden 851 000 junge Men-
allgemeinbildende Schulen berufliche Schulen
schen (mit und ohne Schulabschluss) aus
den allgemeinbildenden Schulen entlassen.

83
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

5 Absolventen/Abgänger 1999 bis 2009 nach Abschlussarten (einschl. Externe) in Tausend

u Abb 5  Absolventinnen/Absolventen und Abgängerinnen/Abgänger enanteil an den hauptberuflichen Lehr-


nach Abschlussarten — in Tausend kräften 2014 nur 50 %. Den höchsten
Frauenanteil hatten Vorklassen mit 85 %,
Schulkindergärten mit 94 % sowie Grund-
2014 46 146 375 1 280 schulen mit 89 %. Mit ansteigendem
­B ildungsziel der Schularten sank der
2004 82 246 419 11 226
Frauenanteil an den Lehrkräften, lag aber
dennoch über 50 %; an Gymnasien betrug
ohne Hauptschul- mit Hauptschul- mit Realschulab-
abschluss abschluss schluss
er im Jahr 2014 rund 58 %, an Abendschu-
len und Kollegs 57 %.
mit Fachhoch- mit allgemeiner
schulreife Hochschulreife
Im Schuljahr 2014/2015 waren insge-
samt 14 % der Lehrkräfte an allgemein-
Der Realschulabschluss wurde in »Mittlerer Abschluss« umbenannt. bildenden Schulen 60 Jahre und älter.
Die größte Altersgruppe der Lehrkräfte
bildeten die 50- bis 59-Jährigen mit fast
29 %, gefolgt von den 40- bis 49-Jährigen
mit 26 %. Der hohe Anteil älterer Lehr-
kräfte ist auf die Einstellungswelle in
den 1970er-Jahren zurückzuführen. Die
Das sind 14 % weniger als 2004. Knapp Rund 30 000 Jugendliche bestanden 2014 30- bis 39-Jährigen machten 24 % aus.
6 % der Schulentlassenen blieben 2014 an beruflichen Schulen den Hauptschulab- Unter 30 Jahre waren lediglich 7 % der
ohne Abschluss, 17 % erwarben den schluss und 154 000 Jugendliche erlangten Lehrkräfte. Der geringe Anteil jüngerer
Hauptschulabschluss und 33 % die allge- die Studienberechtigung. An allgemein­ Lehrkräfte ist zum einen auf die Länge
meine Hochschulreife. Diese Struktur hat bildenden Schulen erreichten im Jahr 2014 der Hochschulausbildung zurückzu­
sich in den vergangenen Jahren erheblich rund 281 000 Absolventinnen und Absol- führen. Zum anderen werden aufgrund
verändert. Vor zehn Jahren verließen venten die Berechtigung, ein Hochschul­ der demografischen Entwicklung, das
noch 8 % der Jugendlichen die allgemein- studium aufzunehmen. Somit betrug 2014 heißt der geringeren Zahl an Schülerin-
bildenden Schulen ohne einen Abschluss die Studienberechtigtenquote, die den An- nen und Schülern, weniger Lehrkräfte
und 25 % mit einem Hauptschulabschluss. teil der Studienberechtigten an der gleich- eingestellt.
Lediglich 23 % erwarben 2004 die allge- altrigen Bevölkerung misst, 52 %. Die Stu-
meine Hochschulreife. Im Bereich der Re- dienberechtigtenquote 2004 belief sich Ausgaben je Schülerin und Schüler
alschulabschlüsse ist eine relativ leichte noch auf 42 %. Hier zeigt sich ein deutli- Die Ausgaben je Schülerin und Schüler an
Zunahme zu verzeichnen. Im Vergleich cher Trend zur Höherqualifizierung. Teil- öffentlichen Schulen sind ein Maß ­d afür,
zu 2004 (43 %) erhöhte sich die Zahl der weise schlagen sich allerdings auch doppel- wie viele Mittel jährlich im Durchschnitt
Realschulabschlüsse 2014 um 1 Prozent- te Abiturjahrgänge infolge der Umstellung für die Ausbildung zur Verfügung gestellt
punkt (44 %). Dies liegt darin begründet, von G9 auf G8 in diesem Wert nieder. werden. Die Ausgaben er­geben sich aus
dass seit 2014 der schulische Teil der der Addition von Personalausgaben (ein-
Fachhochschulreife zu den mittleren Lehrkräfte schließlich Zuschlägen für Beihilfen und
Schulabschlüssen gezählt wird. u Abb 5 Im Jahr 2014 unterrichteten in Deutsch- Versorgung), laufendem Sachaufwand
Junge Männer verließen 2014 die all- land 664 000 hauptberufliche Lehrkräfte und Investitionsausgaben.
gemeinbildenden Schulen im Durch- an allgemeinbildenden Schulen und Die öffentlichen Haushalte gaben 2012
schnitt mit einem niedrigeren Abschluss- 122 000 an beruflichen Schulen. An allge- bundesweit durchschnittlich 6 300 Euro
niveau als junge Frauen: 7 % der männ­ meinbildenden Schulen waren 37 % der für die Ausbildung einer Schülerin bezie-
lichen Schulentlassenen erreichten hauptberuflichen Lehrerinnen und Leh- hungsweise eines Schülers an öffentlichen
keinen Abschluss gegenüber 4 % bei den rer teilzeitbeschäftigt. An beruf lichen Schulen aus. Die Ausgaben je Schülerin
jungen Frauen. Von den männlichen Ab- Schulen betrug dieser Anteil nur 30 %. und Schüler schwankten stark nach Schul-
solventen erhielten 29 % die Studienbe- Auch die Geschlechterverteilung ist bei arten. So waren die allgemeinbildenden
rechtigung, bei den Frauen waren es 37 %. allgemeinbildenden und beruf lichen Schulen mit 6 800 Euro teurer als die be-
Im Zuge der Bildungsreform in den Schulen unterschiedlich. Rund 72 % der ruflichen Schulen (4 300 Euro).
1970er-Jahren wurde die Möglichkeit ge- hauptberuf lichen Lehrkräfte an allge- Innerhalb der allgemeinbildenden
schaffen, auch an beruflichen Schulen all- meinbildenden Schulen waren Frauen. Schulen lagen Grundschulen (5 400 Euro)
gemeinbildende Abschlüsse zu erwerben. An beruf­lichen Schulen betrug der Frau- und Realschulen (5 700 Euro) unter dem

84
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

u Abb 6  Ausgaben je Schülerin und Schüler u Info 1


6 Ausgaben je Schülerin und Schüler nach Schularten 2011 - in Tausend Euro
nach Schularten 2012 — in Tausend Euro »Schüler-BAföG«
Die Ausbildungsförderung nach dem Bundes­
ausbildungsförderungsgesetz (BAföG) soll
zusammen mit anderen direkten Leistun-
Hauptschulen 7,9 gen (zum Beispiel Kindergeld, Leistungen
nach dem Arbeits­förderungsgesetz) sowie
den ausbildungsbezogenen indirekten
Integrierte
7,2 steuer­lichen Entlastungen dazu dienen, die
Gesamtschulen
unterschiedlichen Belastungen der Familien
auszugleichen. Durch diese Förderung
Gymnasien 7,2 ­s ollen junge Menschen aus Familien mit
geringem Einkommen Zugang zu einer
allgemeinbildende Aus­b ildung nach ihrer N
­ eigung, Eignung
6,8
Schulen insgesamt und Leistung erhalten.

Derzeit wird Ausbildungsförderung für den


Realschulen 5,7 Besuch von weiterführenden allgemein­
bildenden Schulen und Berufsfachschulen
ab Klasse zehn und von Fach- und Fach-
Grundschulen 5,4
oberschulklassen, deren Besuch eine
­a bgeschlossene Berufsausbildung nicht
berufliche Schulen
4,3
voraussetzt, nur an auswärts (nicht bei den
Alle Schularten
insgesamt Eltern) untergebrachte Schülerinnen und
6,3
Schüler geleistet. »Schüler-BAföG« gibt es
Berufsschulen im ferner für den Besuch von Abendschulen,
2,7
dualen System Kollegs, Berufsaufbauschulen oder Fach-
und Fachoberschulklassen, die eine abge-
schlossene Berufsausbildung vorausset-
zen. Außerdem werden Schülerinnen und
Schüler in Berufsfachschul- und Fachschul-
klassen gefördert, deren Besuch eine ab-
geschlossene Berufsausbildung nicht vor-
u Tab 3  Ausbildungsförderung für Schülerinnen und Schüler (BAföG) aussetzt, sofern sie in einem mindestens
zweijährigen Bildungsgang einen berufs-
Geförderte Durchschnittlicher
Finanzieller qualifizierenden Abschluss (etwa als
(durchschnittlicher Förderungsbetrag
Aufwand staatlich geprüfte/r Technikerin/Techniker)
Monatsbestand) je Person
vermitteln.
Anzahl in 1 000 Euro in Euro je Monat

2004 191 684 698 068 303

2006 198 572 717 295 301

2008 192 130 741 180 321

2010 199 086 853 820 357

2012 189 936 912 949 401

2014 171 818 861 330 418

Durchschnitt, Integrierte Gesamtschulen Ausbildungsförderung für Schülerinnen und Schüler, die »Schüler-
und Gymnasien mit jeweils 7 200  Euro ­Schülerinnen und Schüler BAföG« erhielten, bekamen eine Vollför-
und Hauptschulen mit 7 900 Euro darü- Im Jahr 2014 wurde durchschnittlich derung, also den Förderungshöchstbetrag.
ber. Die vergleichsweise niedrigen Auf- 172 000  Schülerinnen und Schülern eine Ein Drittel (35 %) erhielt eine Teilförde-
wendungen von 2 700 Euro je Schülerin Ausbildungsförderung gewährt. Darunter rung. Insgesamt wurden 861 Millionen
und Schüler bei den Berufsschulen im besuchten rund 86 000 eine Berufsfach- Euro für die Schülerförderung aufgewen-
dualen Ausbildungssystem sind auf den schule und 22 000 eine Fachschule, deren det. Im Durchschnitt erhielt ein geförder-
dort praktizierten Teilzeitunterricht zu- Besuch eine abgeschlossene Berufsausbil- ter Schüler beziehungsweise eine geförderte
rückzuführen. u Abb 6 dung voraussetzt. Zwei Drittel (65 %) a­ ller Schülerin 418 Euro je Monat. u Info 1, Tab 3

85
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

3.1.2 Der sozioökonomische Status nomischen Status von Kindern ist der Die Verteilung der Kinder und Ju-
der Schülerinnen und Schüler Bildungsabschluss der Eltern, der aus gendlichen auf die Schularten macht den
Aufgrund der demografischen Entwick- dem Mikrozensus, einer jährlich durch- Einf luss des familiären Hintergrunds
lung, des Strukturwandels sowie der zu- geführten Haushaltsbefragung, hervor- deutlich. Generell gilt: Je höher der all­
nehmenden Technologisierung und Glo- geht (Mikrozensus siehe Kapitel 2.1, Sei- gemeine oder berufliche Abschluss der
balisierung rechnen viele Experten in na- te 44, Info 1). Eltern, desto geringer waren die Schüler-
her Zukunft mit einem Fachkräftemangel. Im Jahr 2014 lebten 41 % der Kinder anteile an Hauptschulen und desto höher
Diesem kann nur begegnet werden, wenn und Jugendlichen, die eine allgemeinbil- waren die Schüleranteile an Gymnasien.
das Bildungsniveau der Bevölkerung wei- dende oder berufliche Schule besuchten, Nur 9 % der Gymnasiasten wuchsen
ter ansteigt und die Begabungsreserven in Familien mit mindestens einem Eltern- in Familien auf, in denen die Eltern einen
ausgeschöpft werden, indem alle gesell- teil, der Abitur oder Fachhochschulreife Hauptschulabschluss als höchsten Schul-
schaftlichen Schichten die gleichen Zu- besaß. Ein Fünftel (19 %) der Eltern wies abschluss oder keinen allgemeinen Schul-
gangschancen zur Bildung erhalten. einen Hauptschulabschluss als höchsten abschluss besaßen. An Hauptschulen war
Internationale Vergleichsstudien wie allgemeinen Abschluss auf. Rund 4 % der der Anteil der Schülerinnen und Schüler
PISA (Programme for International Stu- Schülerinnen und Schüler lebten in Fami- mit diesem sozialen Status mit 54 % sechs-
dent Assessment) und IGLU (Internatio- lien, in denen kein Elternteil einen allge- mal so hoch. Dagegen fanden sich an
nale Grundschul-Lese-Untersuchung) meinen Schulabschluss vorweisen konnte. Gymnasien hauptsächlich Kinder, deren
haben jedoch gezeigt, dass in Deutsch- Betrachtet man den höchsten beruflichen Eltern die Fachhochschul- oder Hoch-
land der Bildungserfolg und die Bil- Bildungsabschluss in der Familie, so schulreife aufwiesen (63 %). An Haupt-
dungschancen von Kindern stark von ih- wuchs ein Viertel (23 %) der Schülerinnen schulen war diese Schülergruppe mit nur
rer sozialen Herkunft beziehungsweise und Schüler in Familien auf, in denen 14 % vertreten. u Tab 4
dem Migrationshintergrund abhängen mindestens ein Elternteil einen Bachelor, Ähnliche herkunftsbedingte Muster
(Migration siehe Kapitel 2.1, Seite 51, Master oder ein Diplom besaß. Rund 13 % zeigt auch die Verteilung der Kinder und
Info  4). Auch die Schulwahl wird stark der Kinder lebten in ­Familien, in denen Jugendlichen auf die Schularten anhand
vom familiären Hintergrund bestimmt. kein beruflicher Bildungsabschluss vor- des höchsten beruf lichen Bildungsab-
Ein wichtiger Indikator für den sozioöko- handen war. schlusses in der Familie.
Neben dem elterlichen Bildungsab-
schluss hat auch der Migrationshinter-
grund einen großen Einfluss auf die Art
der besuchten Schule. Im Jahr 2014 wiesen

10,2 Mill.
insgesamt 31 % der Schülerinnen und
Schüler einen Migrationshintergrund auf.
Die größte Herkunftsgruppe (7 %) waren
türkischstämmige Schülerinnen und Schü-
ler. Die deutlichsten Unterschiede der Zu-
sammensetzung der Schülerschaft fanden
sich erneut zwischen Hauptschulen und
Gymnasien: Der Anteil der Schülerinnen
Schülerinnen und Schüler besuchten
und Schüler mit Migrationshintergrund
im Jahr 2014 nach dem Mikrozensus
deutsche Schulen. war mit 48 % an Hauptschulen fast doppelt
so hoch wie an Gymnasien (26 %). Die Zu-
sammensetzung der Kinder mit Migrati-
onshintergrund nach Herkunftsgruppen
unterscheidet sich auch zwischen den
Schularten deutlich. Schülerinnen und
Schüler mit türkischen Wurzeln (14 %) bil-
deten an Hauptschulen mit Abstand die
größte Herkunftsgruppe. Dagegen stamm-
ten die meisten Gymnasiasten mit Migrati-
onshintergrund aus Staaten der Europä­
ischen Union beziehungsweise aus sonsti-
gen nicht europäischen Ländern. u Tab 5

86
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

u Tab 4  Schülerinnen und Schüler nach besuchter Schulart und höchstem allgemeinen Schulabschluss der Eltern 2014

Höchster allgemeiner Schulabschluss der Eltern ²


Ohne
allgemeinen
Insgesamt ¹ Abschluss der Realschul- oder Fachhochschul-
Haupt- (Volks-) Schul-
polytechnischen gleichwertiger oder Hochschul- abschluss³
schulabschluss
Oberschule Abschluss reife

in 1 000 in %
Grundschule 2 799 16,7 4,0 30,0 45,1 3,8
Hauptschule 445 43,8 2,6 28,4 14,5 10,0
Realschule 1 385 23,4 6,7 38,3 27,7 3,4
Gymnasium 2 513 7,2 5,3 23,2 62,5 1,4

Sonstige allgemeinbildende
1 408 22,4 8,5 29,5 33,5 5,8
Schulen⁴

Berufliche Schule, die einen


61 40,5 / 30,6 16,1 8,4
mittleren Abschluss vermittelt

Berufliche Schule, die zur Fach-


254 21,7 4,4 35,5 33,7 4,3
hochschul- / Hochschulreife führt

Berufsschule 1 112 30,0 8,6 34,7 22,5 4,0


Sonstige berufliche Schulen⁵ 254 29,7 9,8 31,7 23,7 4,8

Insgesamt 10 229 19,3 5,9 30,0 40,6 3,8

Personen im Alter von 15 Jahren und mehr.


1 Einschließlich 16 000 Kinder, deren Eltern keine Angaben zum höchsten allgemeinbildenden Schulabschluss gemacht haben sowie 20 000 Kinder,
deren Eltern keine Angabe zur Art des Abschlusses gemacht haben.
2  Bei abweichendem Schulabschluss der Eltern wird der Elternteil mit dem höchsten Abschluss nachgewiesen.
3  Einschließlich Eltern mit Abschluss nach höchstens sieben Jahren Schulbesuch, beziehungsweise einer geringen Anzahl von Eltern, die sich noch in schulischer Ausbildung befinden.
4  Schulartunabhängige Orientierungsstufe, Schularten mit mehreren Bildungsgängen, Gesamtschule, Waldorfschule, Förderschule.
5  Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsfachschule, die einen Berufsabschluss vermittelt, Schule für Gesundheits- und Sozialberufe.
/   Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

u Tab 5  Schülerinnen und Schüler nach besuchter Schulart und Migrationshintergrund 2014

Mit Migrationshintergrund

Ohne Herkunftsregion
Insgesamt Migrations-
     

hintergrund ins-
gesamt ¹ sonstige Staaten sonstige sonstige nicht
sonstige ehemalige
Türkei der Europäischen europäische europäische
Anwerbestaaten ²
Union Länder Länder
in 1 000 in %

Grundschule 2 799 64,5 35,5 6,8 5,9 6,4 3,6 8,8

Hauptschule 445 52,2 47,8 14,0 9,7 6,9 4,4 9,8

Realschule 1 385 67,5 32,5 7,6 6,1 5,7 3,1 6,9

Gymnasium 2 513 73,6 26,4 4,5 4,0 5,7 2,7 6,9

Sonstige allgemeinbildende
1 408 69,7 30,3 7,8 5,4 4,7 2,5 7,7
Schulen 3

Berufliche Schule, die einen


61 55,6 44,4 13,9 11,1 / / 9,0
mittleren Abschluss vermittelt

Berufliche Schule, die zur Fach-


254 66,7 33,3 9,9 5,8 4,8 3,4 7,1
hochschul- / Hochschulreife führt

Berufsschule 1 112 75,0 25,0 6,7 5,2 4,0 2,6 5,0

Sonstige berufliche Schulen4 254 72,3 27,7 7,6 6,1 4,9 2,5 5,4

Insgesamt 10 229 68,7 31,3 6,9 5,5 5,6 3,1 7,4

Personen im Alter von 15 Jahren und mehr.


1  Einschließlich 291 000 Personen ohne Angabe zur Herkunftsregion.
2 Das ehemalige Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien sowie Griechenland,
Italien, Portugal und Spanien.
3  Schulartunabhängige Orientierungsstufe, Schularten mit mehreren Bildungsgängen, Gesamtschule, Waldorfschule, Förderschule.
4  Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsfachschule, die einen Berufsabschluss vermittelt, Schule für Gesundheits- und Sozialberufe.
/   Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

87
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Abb 7  Angebot und Nachfrage von Ausbildungsplätzen — in Tausend 3.1.3 Betriebliche Berufsausbildung
Im dualen Ausbildungssystem besuchen
700
Jugendliche die Berufsschule und werden
zusätzlich aufgrund der mit den ausbilden-
den Stellen beziehungsweise Betrieben ab-
geschlossenen Ausbildungsverträge auch
600
praktisch am Arbeitsplatz ausgebildet.
Dieses System hat den Vorteil, dass theore-
tischer und praktischer Lernstoff ver-
500
knüpft wird. Für die Unternehmen dient
die Ausbildung von Jugendlichen auch der
Sicherstellung des eigenen Fachkräftenach-
0 wuchses. Das System ist im deutschspra-
2004 2006 2008 2010 2012 2014
chigen Raum sehr stark verbreitet.
Nachfrage nach Ausbildungsplätzen
Im Jahr 2014 haben rund 518 000 Ju-
Angebot an Ausbildungsplätzen
gendliche einen Ausbildungsvertrag neu
Abb.8 Männer nach Berufen
Abb.8 Männer nach Berufen abgeschlossen. Das sind etwa 7 500 Ver-
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
träge weniger als im Vorjahr. Die welt­
weite Wirtschafts- und Finanzkrise 2009

Quelle: Bundesagentur für Arbeit

u Abb 8  Auszubildende in den zehn am stärksten besetzten Berufen

Männer nach Berufen:


Männer nach Berufen: FrauenFrauen
nach Berufen:
nach Berufen:

60 73860 738 Kauffrau für


Kauffrau für 56 71856 718
Kraftfahrzeugmechatroniker
Kraftfahrzeugmechatroniker
76 44876 448 Büromanagement
Büromanagement 75 17375 173

44 68844 688 Medizinische


Medizinische 37 11637 116
Industriemechaniker
Industriemechaniker
50 75450 754 Fachangestellte
Fachangestellte 43 84643 846

34 32934 329 33 32433 324


Elektroniker
Elektroniker Kauffrau im Einzelhandel
Kauffrau im Einzelhandel
46 68946 689 38 22538 225

Anlagenmechaniker für
Anlagenmechaniker für
31 27231 272 31 44031 440
Sanitär-, Heizungs-
Sanitär-, und und
Heizungs- Industriekauffrau
Industriekauffrau
34 84034 840 30 86530 865
Klimatechnik
Klimatechnik

28 09228 092 Zahnmedizinische


Zahnmedizinische 29 83529 835
Kaufmann im Einzelhandel
Kaufmann im Einzelhandel
31 45531 455 Fachangestellte
Fachangestellte 38 06138 061

26 30126 301 26 35526 355


Fachinformatiker
Fachinformatiker Verkäuferin
Verkäuferin
18 91118 911 20 26620 266

24 76824 768 20 67620 676


Mechatroniker
Mechatroniker Friseurin
Friseurin
20 71620 716 37 04937 049

Kaufmann im Groß-
Kaufmann im Groß- 22 81222 812 18 39318 393
Bankkauffrau
Bankkauffrau
und Außenhandel
und Außenhandel 22 48422 484 21 05321 053

Fachkraft für
Fachkraft für 21 74721 747 Fachverkäuferin im
Fachverkäuferin im 17 02217 022
Lagerlogistik
Lagerlogistik 8 820 8 820 Lebensmittelhandwerk
Lebensmittelhandwerk 27 94427 944

Elektroniker für
Elektroniker für 20 57720 577 Kauffrau im Groß-
Kauffrau im Groß- 16 39516 395
Betriebstechnik
Betriebstechnik 19 18419 184 und Außenhandel
und Außenhandel 16 01816 018

2004 2004
2014 2014 2014 2014
2004 2004

88
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

Abb 9 Ausbildungsverträge und bestandene Abschlussprüfungen

führte auch in Deutschland zu einem u Abb 9  Ausbildungsverträge und


Rückgang des Ausbildungsplatzangebotes. bestandene Abschlussprüfungen — in Tausend
Da gleichzeitig demografiebedingt die
Zahl der Jugendlichen sank, die an einer
Ausbildungsstelle interessiert sind, führte 2014 518 143 424
dies im Ergebnis zu einer Entspannung
auf dem Ausbildungsmarkt. u Abb 7 2004 572 127 4931

Die Chancen der Jugendlichen hän-


gen neben der regionalen Wirtschafts- neu abgeschlossene vorzeitig gelöste bestandene
struktur und Wirtschaftsentwicklung Ausbildungsverträge Ausbildungsverträge Abschlussprüfungen
auch von ­individuellen Qualifikationen
ab, unter anderem auch von den erreich- Durch die Neukonzeption der Statistik im Jahr 2007 ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse vor und
nach der Umstellung eingeschränkt.
ten Schulabschlüssen. Von den Jugend­ 1  Einschließlich externer Abschlussprüfungen.

lichen, die 2014 einen neuen Ausbil-


dungsvertrag abgeschlossen haben, besa-
ßen ein Viertel (26 %) Abitur oder
Fachhochschulreife. Mehr als zwei Fünf-
tel (42 %) verfügten über einen Realschul-
oder gleichwertigen Abschluss und 32 %
blieben mit ihrem erreichten Abschluss
darunter. Ungefähr ­ e iner von zehn zelhandel (6 %) am stärksten besetzt. Frau- Nicht alle Jugendlichen, die eine Aus-
Jugend­lichen mit neu abgeschlossenem en erlernen neben den Berufen im dualen bildung beginnen, bringen diese auch zum
Ausbildungsvertrag (9 %), hatte vor Ab- Ausbildungssystem häufig auch Berufe im Abschluss. Ein Viertel (25 %) löste den
schluss des Ausbildungsvertrages an ei- Sozial- und Gesundheitswesen, wie zum Ausbildungsvertrag 2014 vor Erreichen der
ner berufsvorbereitenden Qualifizierung Beispiel Gesundheits- und Krankenpfle- Abschlussprüfung auf. Die Gründe für
oder beruf lichen Grundbildung teilge- gerin oder Altenpflegerin, deren Ausbil- diese vorzeitigen Lösungen können bei
nommen. Dabei werden zum Beispiel dung meistens rein schulisch erfolgt. Da dem beziehungsweise der Auszubildenden
durch den Besuch einer Berufsfachschule, die Wahl des Ausbildungsberufes stark liegen, bedingt zum Beispiel durch einen
eines schulischen Berufsgrundbildungs- von den am Ausbildungsmarkt vorhande- Betriebs- oder Berufswechsel. Ebenso gibt
jahres oder Berufsvorbereitungsjahres, nen Stellen abhängt, kann man bei den es Gründe auf Ausbilderseite, etwa bei
die Chancen auf einen Ausbildungsplatz genannten, am stärksten besetzten Beru- Aufgabe des Betriebes oder Wegfall der
durch einen höherwertigen Schulab- fen nicht zwingend von den »beliebtesten Ausbildereignung. Ein großer Teil dieser
schluss verbessert oder die Zeit bis zur Berufen« sprechen. u Abb 8 Jugendlichen beginnt anschließend erneut
nächsten Bewerbungsrunde im folgenden Von den 1,36 Millionen Jugendlichen, eine Ausbildung im dualen System.
Jahr überbrückt. die sich 2014 in einer Berufsausbildung Im Jahr 2014 haben rund 424 000 Ju-
Die Verteilung der Auszubildenden im dualen Ausbildungssystem befanden, gendliche ihre Ausbildung erfolgreich mit
auf die Ausbildungsberufe ließ deutliche waren rund 83 000 Ausländerinnen be- einer bestandenen Abschlussprüfung be-
Schwerpunkte erkennen: Im Jahr 2014 ziehungsweise Ausländer. Ihr Anteil an endet. Im dualen Ausbildungssystem kön-
konzentrierten sich 38 % der Ausbil- den Auszubildenden ist seit Mitte der nen diese Prüfungen zwei Mal wiederholt
dungsplätze männlicher und 55 % der 1990er-Jahre von 8 % auf 6 % im Jahr 2014 werden. Rund 90 % der Prüfungsteilneh-
Ausbildungsplätze weiblicher Auszubil- gesunken. Im Vergleich zum Ausländer- merinnen und -teilnehmer haben die Prü-
dender auf jeweils zehn von insgesamt anteil an den Absolventinnen und Absol- fung bestanden. u Abb 9
328 anerkannten Ausbildungsberufen. Bei venten allgemeinbildender Schulen (2014:
den jungen Männern rangierte der Beruf 9 %) waren Ausländerinnen und Auslän- 3.1.4 Hochschulen
des Kraftfahrzeugmechatronikers mit 7 % der im dualen System unterrepräsentiert. Der Hochschulbereich ist der Teil des Bil-
der männlichen Auszubildenden in der Von den ausländischen Auszubildenden dungssystems, in dem eine akademische
Beliebtheitsskala eindeutig an erster Stelle. besaßen im Jahr 2014 etwa 35 % einen Ausbildung vermittelt wird. Die Hoch-
Dann folgten die Berufe Industriemecha- türkischen Pass, 13 % die Staatsangehö- schulen sind von besonderer Bedeutung
niker (5 %) und Elektroniker (4 %). Bei den rigkeit eines der Nachfolgestaaten des für die wirtschaftliche Entwicklung und
jungen Frauen waren die Berufe Kauffrau früheren Jugoslawiens, 9 % die italieni- die Stellung Deutschlands im internatio-
für Büromanagement (11 %), Medizinische sche und 4 % die griechische Staatsange- nalen Wettbewerb, da sie wissenschaft­
Fachangestellte (7 %) und Kauffrau im Ein- hörigkeit. lichen Nachwuchs qualifizieren und mit

89
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

ihren Forschungsergebnissen die Grund- u Tab 6  Studierende, Studienanfängerinnen und -anfänger — in Tausend
lagen für Innovationen schaffen. Im Win- Insgesamt Universitäten Fachhochschulen
tersemester 2014/2015 gab es in Deutsch-
Studierende 1. HS Studierende 1. HS Studierende 1. HS
land insgesamt 427 staatlich anerkannte
Hochschulen, darunter 181 Universitäten 2004 1 964 359 1 373 235 524 119

(einschließlich Theologischer und Päda- 2009 2 121 424 1 449 258 673 166

gogischer Hochschulen sowie Kunsthoch- 2012 2 499 495 1 674 295 826 200
schulen) und 246 Fachhochschulen (ein- 2013 2 617 509 1 737 302 880 206
schließlich Verwaltungsfachhochschulen). 2014 2 699 505 1 733 288 931 211

Studierende im Wintersemester, Studienanfänger/-innen im ersten Hochschulsemester (1. HS)


Studierende, Studienanfängerinnen im Studienjahr (Sommer- und nachfolgendes Wintersemester).

und -anfänger Abb 10 Studienanfängerinnen und -anfänger (erstes


Angesichts eines im internationalen Ver- Hochschulsemester) nach Fächergruppen im Studienjahr 2014
u Abb 10  Studienanfängerinnen und -anfänger (erstes Hochschulsemester)
gleich drohenden Bildungsrückstands der
nach Fächergruppen im Studienjahr 2014
deutschen Bevölkerung wurden Mitte der
1960er-Jahre die Hochschulen breiteren
Schichten geöffnet. Im Wintersemester
1964/1965 gab es beispielsweise an den Rechts-, Wirtschafts- und 169 447
Sozialwissenschaften 55,6
Hochschulen im früheren Bundesgebiet
305 000 Studierende. Seitdem sind die Ingenieur- 107 358
wissenschaften 24,9
­Studierendenzahlen in Deutschland drei
Jahrzehnte lang angestiegen. Sie erreich- Mathematik, 87 194
Naturwissenschaften 38,5
ten im Wintersemester 1994/1995 mit
1 872 000 Studierenden einen zwischen- Sprach- und 83 125
Kulturwissenschaften 73,9
zeitlichen Höchststand. In den nachfol-
genden Jahren ging die Zahl der Einge- Humanmedizin/Gesundheits- 25 370
wissenschaften 68,9
schriebenen stetig zurück, bevor im Jahr
2000 eine erneute Trendwende einsetzte. Kunst, 15 769
Kunstwissenschaft 65,3
Im Wintersemester 2003/2004 erreichte
die Studierendenzahl mit mehr als 2 Mil- übrige Fächer 1
16 619
54,1
lionen einen neuen Rekordwert. In den
nachfolgenden Jahren sank sie wieder
insgesamt  Frauenanteil in Prozent
leicht unter die Zwei-Millionen-Marke
und erreichte diese dann erneut im Winter-
MINT-Studienfächer: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
semester 2008/2009. Im Wintersemester 1 Veterinärmedizin, Sport, Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften, sonstige Fächer.

2014/2015 waren mit rund 2,7 Millionen 1 Veterinärmedizin, Sport, Agrar-, Forst- und
Studierenden so viele wie nie zuvor an Ernährungswissenschaften, sonstige Fächer.

deutschen Hochschulen eingeschrieben.


Die Zahl der Studienanfängerinnen
und -anfänger stieg bis zum Studienjahr
2003 kontinuierlich an, ging in den Stu­
dienjahren 2004 bis 2006 zunächst Die Wahl eines Studienfaches wird von künftig erwarteten Chancen, die ein Studi-
zurück und erhöhte sich erneut in den Fol- unterschiedlichen Faktoren beeinflusst: enabschluss auf dem Arbeitsmarkt bietet.
gejahren. Im Jahr 2011 erreichte die Zahl von den persönlichen Interessen der Studi- Die meisten Erstsemester (34 %) schrieben
der Studienanfängerinnen und -anfänger enanfängerinnen und -anfänger, vom Stu- sich 2014 in der Fächergruppe Rechts-,
mit 519 000 ihren Höchstpunkt, sank dienangebot der Hochschulen oder von Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein.
2012 erneut ab und stieg dann wieder Zu­lassungsbeschränkungen (zum Beispiel Dies war bereits vor zehn Jahren mit 32 %
leicht an. Insgesamt schrieben sich im Stu- Numerus-Clausus-Regelungen und hoch- der Erstsemester der Fall. Im Jahr 2014 be-
dienjahr 2014, das heißt im Sommer- und schulinterne Zulassungsverfahren). Eine trug der Anteil der Studienanfängerinnen
nachfolgenden Wintersemester, rund wichtige Rolle bei der Wahl des Studien- und -anfänger in den Ingenieurwissen-
505 000  Studienanfängerinnen und -an- gangs spielen auch die zum Zeitpunkt der schaften 21 %, was einen Anstieg um fast
fänger an deutschen Hochschulen ein. u Tab 6 Einschreibung wahrgenommenen und 3 Prozentpunkte im Vergleich zu 2004 be-

90
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

u Info 2 nieurwissenschaften (25 %) waren Studien­


Der Bologna-Prozess anfängerinnen hingegen deutlich unterre-
Im Juni 1999 unterzeichneten die Wissenschaftsministerinnen und -minister aus präsentiert. Der Frauenanteil in den
29 europäischen Ländern die sogenannte »Bologna-Erklärung« zur Schaffung eines MINT-Fächern Mathematik, Informatik,
einheitlichen europäischen Hochschulraums. Als wichtigstes Ziel dieses Reform­
prozesses gilt die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den neuen Ab-
Naturwissenschaften und Technik ist in
schlüssen Bachelor und Master, die die herkömmlichen Abschlüsse an Universitäten den letzten zehn Jahren gestiegen. u Abb 10
und Fachhochschulen bis 2010 (bis auf wenige Ausnahmen) ablösen sollten. Durch Die Umstellung des Studienangebots
die internationale Vereinheitlichung der Studienabschlüsse sollten Studierende sowie
Absolventinnen und Absolventen innerhalb Europas mobiler und die Attraktivität der im Zuge des Bologna-Prozesses zeichnet
Hochschulen über die europäischen Grenzen hinaus gesteigert werden. sich zunächst in den Studienanfänger-
zahlen ab, setzt sich bei der Zahl der Stu-
dierenden fort und wirkt sich zeitverzö-
gert auf die Absolventenzahlen aus. Die
Abb 11 Studienanfängerinnen und -anfänger (erstes Fachsemester) nach angestrebtem Abschluss, Einführung von Bachelor- und Masterab-
u Abb 11  Studienanfängerinnen
Wintersemester 2013/14 - in Prozent und -anfänger (erstes Fachsemester)
schlüssen hat seit 1999 erhebliche Fort-
nach angestrebtem Abschluss, Wintersemester 2014/15 — in Prozent
schritte gemacht. u Info 2
Im Wintersemester 2014/2015 began-
Promotionen Diplom (U) nen 81 % der Studienanfängerinnen und
2 9
-anfänger (im ersten Fachsemester) ein
Bachelor- oder Masterstudium (ohne
Lehramtsprüfungen1
Lehramts-Bachelor und -Master). Rund
7
34 % (228 000) aller Studienanfängerin-
Universitärer Abschluss
nen und -anfänger strebten einen Bache-
Master (FH)
lorabschluss an einer Universität an, 14 %
5 57
(93 000) einen Masterabschluss. Nur noch
Bachelor (U)
9 % (59 000) aller Studienanfänger began-
Bachelor (FH) Wintersemester
2013/2014 nen ein Diplomstudium an einer Univer-
29 34
sität, knapp 1 % (6 000) an einer Fach-
hochschule. Rund 29 % (193 000) der
Fachhochschulabschluss
Studienanfängerinnen und -anfänger
34 strebten den Bachelorabschluss an der
Fachhochschule an und 5 % (33 000) den
Diplom (FH) Master (U)
Masterabschluss. u Abb 11
1 14

Hochschulabsolventinnen und
1  Einschließlich Lehramts-Bachelor und -Master.
-absolventen
1 Einschließlich Lehramts-Bachelor und -Master Die Zahl der bestandenen Prüfungen an
Hochschulen stieg seit 2001 kontinuierlich
an und erreichte 2014 mit 461 000 den ak-
tuellen Höchststand. Mehr als die Hälfte
(51 %) der im Jahr 2014 bestandenen
Hochschulabschlüsse wurden von Frauen
deutete. Auf die Fächergruppe Mathematik / cher Ausrichtung des Studiums. In den erworben.
Naturwissenschaften entfiel 2014 ein Anteil Fächergruppen Veterinärmedizin (82 %), Von den Absolventinnen und Absol-
der Studienanfängerinnen und -anfänger Sprach- und Kulturwissenschaften (74 %), venten des Jahres 2014 erwarben 50 %
von 17 %. Er sank in den letzten zehn Jahren Humanmedizin/Gesundheitswissenschaf- (229 000) einen Bachelorabschluss und
leicht um 1 Prozentpunkt. Das Gewicht der ten (69 %) sowie Kunst/Kunstwissenschaft weitere 21 % (97 000) einen Masterab-
Sprach- und Kulturwissenschaften (16 % (65 %) waren die Studienanfängerinnen schluss. Knapp 11 % (51 000) der erfolg-
im Jahr 2014) ist innerhalb der vergangenen deutlich in der Mehrheit. In den Rechts-, reichen Prüfungsteilnehmer verließen
zehn Jahre um 4 Prozentpunkte gesunken. Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Hochschule mit einem Universitäts-
Im Jahr 2014 war die Hälfte (50 %) der stellte sich das Geschlechterverhältnis mit diplom und 3 % (12 000) mit einem tradi-
Studienanfänger Frauen. Die Frauenan­ einem Frauenanteil von 56 % nahezu aus- tionellen Fachhochschulabschluss. Den
teile variierten allerdings je nach fachli- geglichen dar. In der Fächergruppe Inge- Doktortitel erlangten rund 6 % (28 000)

91
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Tab 7  Bestandene Prüfungen an Hochschulen — in Tausend nal setzt sich zusammen aus Professorin-
Darunter nen und Professoren, wissenschaftlichen
Ins- oder künstlerischen Mitarbeiterinnen und
Fachhoch-
gesamt Universitärer Promo- Lehramts- Bachelor- Master- Mitarbeitern, Dozenten und Assistenten
schul-
Abschluss ¹ tionen prüfungen abschluss abschluss
abschluss ² sowie Lehrkräften für besondere Aufga-
2004 231 98 23 23 76 6 6 ben. Lehrbeauftragte, wissenschaftliche
2009 339 112 25 36 73 72 21 Hilfskräfte und Gastprofessorinnen und
2012 413 80 27 39 26 183 59 -professoren gehören zum nebenberuf­
2013 436 64 28 42 17 207 78 lichen wissenschaftlichen und künstleri-
2014 461 51 28 43 12 229 97 schen Personal. u Abb 12
1 Einschließlich der Prüfungsgruppen »Künstlerischer Abschluss« und »Sonstiger Abschluss«; In den letzten zehn Jahren hat die
ohne Lehramts-, Bachelor- und Masterabschlüsse.
Abb2 12Ohne
Hochschulpersonal – in Tausend
Bachelor- und Masterabschlüsse. Zahl der Beschäftigten an den Hochschu-
len in Deutschland um insgesamt 35 %
zugenommen. Das wissenschaftliche und
u Abb 12  Hochschulpersonal — in Tausend
künstlerische Personal wuchs im glei-
chen Zeitraum sogar um insgesamt 61 %
(145 000). In der Gruppe des hauptberuf-
2014 381 46 294 lichen wissenschaftlichen Personals er-
höhte sich die Zahl der Professorinnen
2004 236 38 263
und Professoren seit 2004 um 19 %. Deut-
lichere Zuwächse (+ 67 %) waren in der
wissenschaftliches und künstlerisches Personal Verwaltungs-, technisches
 Professorinnen/Professoren und sonstiges Personal
Gruppe der wissenschaftlichen und
künstlerischen Mitarbeiter zu verzeich-
nen. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten
ist in der Gruppe des hauptberuflichen
wissenschaftlichen und künstlerischen
Personals von 30 % im Jahr 2004 auf 38 %
der Absolventinnen und Absolventen samtstudiendauer bei Masterabsolventin- im Jahr 2014 gestiegen.
und weitere 9 % (43 000) legten eine nen und -absolventen lag bei zehn Semes- Die Gruppe des nebenberuflichen wis-
Lehramtsprüfung ab. u Tab 7 tern, wobei diese Dauer auch die im senschaftlichen Personals hat sich in den
Hochschulabsolventinnen und -absol- Bachelorstudium verbrachten Semester letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.
venten, die 2014 ihr Erststudium erfolg- umfasst. Im Jahr 2014 waren 145 000 Personen in
reich abgeschlossen haben, waren durch- dieser Gruppe beschäftigt. Im Jahr 2004
schnittlich 24 Jahre alt. Die Studiendauer Personelle und finanzielle waren es noch 72 000 gewesen. Der Zu-
ist abhängig von der Art des erworbenen Ressourcen wachs ist vor allem auf die wachsende
akademischen Grades. Die Erst­absolventen, Im Jahr 2014 waren rund 675 000 Men- Zahl der Lehrbeauftragten zurückzufüh-
die ein Universitätsdiplom oder einen ent- schen an deutschen Hochschulen beschäf- ren (+ 85 %), die seit 2004 von 53 000 auf
sprechenden Abschluss erwarben, schlos- tigt, davon zählten über die Hälfte 99 000 im Jahr 2014 gewachsen ist.
sen ihr Studium im Prüfungsjahr 2014 in (381 000) zum wissenschaftlichen und Aber auch die Zahl der wissenschaftli-
13 Fachsemestern ab. Angehende Lehrerin- künstlerischen Personal. Zu beachten ist, chen Hilfskräfte hat sich fast verdreifacht:
nen und Lehrer brauchten im Durchschnitt dass das Hochschulpersonal nicht nur von 17 000 im Jahr 2004 auf 44 000 im
acht Semester bis zum ersten Staatsexamen. lehrt, sondern in einem beträchtlichen Jahr 2014.
Die mittlere Fachstudiendauer der Erstab- Umfang Aufgaben in den Bereichen Kran- Der Bereich des Verwaltungs- sowie
solventen, die ein Fachhochschuldiplom er- kenbehandlung (Universitätskliniken) so- technischen und sonstigen Personals hat
warben, lag bei sieben Semestern. Bei wie Forschung und Entwicklung wahr- sich in den letzten zehn Jahren nur ge-
Bachelor­absolventen, deren Abschluss in nimmt. Etwas weniger als die Hälfte der ringfügig erhöht und lag im Jahr 2014 bei
der Wertigkeit dem »klassischen« Fach- Beschäftigten (294 000) war in der Hoch- rund 294 000 Personen (+ 12 %).
hochschuldiplom entspricht, betrug diese schulverwaltung oder in technischen und Die Hochschulen in öffentlicher und
ebenfalls sieben Semester. sonstigen Bereichen tätig. Fast zwei Drittel privater Trägerschaft in Deutschland ga-
Das Masterstudium baut auf ein vor- (62 %) des wissenschaftlichen Personals ben im Jahr 2013 für Lehre, Forschung
angegangenes Studium – in der Regel das waren hauptberuf lich beschäftigt. Das und Krankenbehandlung insgesamt
Bachelorstudium – auf. Die mittlere Ge- hauptberufliche wissenschaft­liche Perso- 46,3 Milliarden Euro aus. Die Ausgaben

92
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

setzen sich zusammen aus den Ausgaben u Abb 13  Laufende Ausgaben (Grundmittel)
Abb 13 Laufende Ausgaben (Grundmittel) je Studierenden nach Fächergruppen 2013 - in Tausend Euro
für das Personal, für den laufenden Sach- je Studierenden nach Fächergruppen 2013 — in Tausend Euro
aufwand sowie für Investitionen. Die
Ausgaben der Hochschulen werden in be-
sonderem Maße durch die Fächerstruktur Humanmedizin / Gesundheits-
21,6
wissenschaften 1
bestimmt. Rund 45 % der Ausgaben ent-
fielen auf die medizinischen Einrichtun- Mathematik,
8,7
Naturwissenschaften
gen. Der Anteil der eingeschriebenen Stu-
dierenden in Humanmedizin beziehungs- Ingenieurwissenschaften 6,6
weise Gesundheitswissenschaften lag im
Wintersemester 2013/2014 aber nur bei Sprach- und
5,0
Kulturwissenschaften
knapp 6 %. Demgegenüber waren in den
Fächergruppen Rechts-, Wirtschafts- und Rechts-, Wirtschafts- und
3,8
Sozialwissenschaften
Sozialwissenschaften sowie Sprach- und
Kulturwissenschaften zusammen im Jahr
2012 etwa die Hälfte (rund 49 %) aller Stu- 1  Einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken.

dierenden eingeschrieben. Ihr Anteil an 1 Einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken.


den gesamten Ausgaben im Hochschulbe- Abb 14 Frauenanteile in verschiedenen Stadien der akademischen Laufbahn - in Prozent
reich betrug allerdings lediglich gut 11 %.
Die Finanzierung dieser Ausgaben er- u Abb 14  Frauenanteile in verschiedenen Stadien
folgt einerseits durch die Finanzausstat- der akademischen Laufbahn — in Prozent
tung, die die Hochschulen von Seiten des
Trägers erhalten (sogenannte Grundmit-
tel), andererseits durch Verwaltungsein- C4-Professorinnen 11,3
und -Professoren 1 9,2
nahmen sowie durch Drittmittel, die pri-
mär für Forschungszwecke eingeworben 22,0
Professorinnen und
werden. Bei den laufenden Grundmitteln Professoren 13,6
für Lehre und Forschung handelt es sich Hauptberufliches 38,0
um den Teil der Hochschulausgaben, den wissenschaftliches und
29,2
künstlerisches Personal
der Einrichtungsträger den Hochschulen
für laufende Zwecke zur Verfügung stellt. Hochschulpersonal 52,0
insgesamt 51,2
Im Jahr 2013 betrugen die laufenden
Ausgaben (Grundmittel) an deutschen 45,5
Promotionen
Hochschulen durchschnittlich 6 900 Euro 39,0
je Studierenden.
Absolventinnen und 50,5
Die laufenden Zuschüsse waren in Absolventen 48,7
den Fächergruppen unterschiedlich. Sie
differierten im Jahr 2013 zwischen Studierende
47,8
47,7
3 800  Euro je Studierenden der Rechts-,
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Studienanfängerinnen 50,1
bis zu 21 600  Euro je Studierenden der und -anfänger 48,8
Humanmedizin beziehungsweise Ge-
sundheitswissenschaften. u Abb 13 2014 2004

Frauen auf der akademischen 1  C4 ist die höchste Besoldungsstufe.

Karriereleiter
1 C4 ist die höchste Besoldungsstufe.
Die Verwirklichung von Chancengleich-
heit von Männern und Frauen in Wissen-
schaft und Forschung ist ein wichtiges
Thema in der deutschen Bildungspolitik.
Auf den ersten Blick scheinen die Barrie-
ren für den Zugang junger Frauen zur

93
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget
Abb 15 Anteil ausländischer Studierender an den
Studierenden insgesamt - in Prozent

akademischen Ausbildung abgebaut: Die u Abb 15  Anteil ausländischer Studierender an den
Hälfte (50 %) der Studierenden im ersten Studierenden insgesamt — in Prozent
Hochschulsemester und etwas über die
Hälfte (51 %) der Hochschulabsolventen
im Jahr 2014 waren weiblich. Auch der
Frauenanteil auf weiterführenden Qualifi-
kationsstufen ist in den vergangenen Jah-
ren gestiegen. Allerdings nimmt er mit
steigendem Qualifikationsniveau und Sta-
tus der einzelnen Positionen auf der aka-
demischen Karriereleiter kontinuierlich
ab. Während im Jahr 2014 immerhin be- 9,5 9,5 9,5 9,2 8,9 8,5 8,3 8,1 8,2 8,4 8,7

reits 45 % der Doktortitel von Frauen er-


worben wurden, lag die Frauenquote bei
den Habilitationen erst bei 28 %.
Rund 52 % der im Jahr 2014 an deut- 3,0 3,0 2,9 2,9 2,9 3,0 3,0 3,0 3,1 3,2 3,2
schen Hochschulen Beschäftigten waren
weiblich (351 000), was in etwa dem Frau- 2004/2005 2006/2007 2008/2009 2010/2011 2012/2013 2014/2015
enanteil (51 %) an der Gesamtbevölke-
Bildungsinländer Bildungsausländer
rung entspricht. Im Bereich Forschung
und Lehre sind Frauen allerdings immer
noch unterrepräsentiert: Ihr Anteil lag in
der Gruppe des hauptberuflichen wissen-
schaftlichen und künstlerischen Perso-
nals bei 38 %. Unter der Professoren-
schaft ist der Frauenanteil traditionell
niedrig. In den vergangenen zehn Jahren
ist er aber deutlich angestiegen und er- ­h abilitierten Akademikern in Zukunft rigkeit ihres Herkunftslandes behalten ha-
reichte 2014 mit 22 % einen Höchstwert. insbesondere auf die Fächergruppen kon- ben, sowie Kriegsflüchtlinge und Asyl­
In der bestbezahlten Besoldungsstufe der zentrieren wird, die bislang die niedrigs- suchende. Die mit Abstand größte Gruppe
Professoren (C4) lag der Anteil der Pro- ten Frauenanteile in der Gruppe des wis- unter den Bildungsinländern bildeten
fessorinnen bei 11 %. u Abb 14 senschaftlichen Nachwuchses aufweisen. ­Studierende mit türkischer Staatsangehö-
Bei der Interpretation der Daten ist zu rigkeit (28 000), gefolgt von 5 000 Studie-
beachten, dass sich selbst ein starker An- Ausländische Studierende renden mit italienischer Herkunft und
stieg des Frauenanteils bei den Hoch- Im Wintersemester 2014/2015 waren an 4 000  Studierenden mit griechischer Her-
schulabsolventen zunächst nicht direkt deutschen Hochschulen 322 000 Studie- kunft.
auf den Anteil bei den Habilitationen rende mit ausländischer Nationalität im- An der Gesamtzahl der Studierenden
oder Professuren auswirkt, da der Erwerb matrikuliert. Der Ausländeranteil an der hatten die Studierenden ausländischer
von akademischen Abschlüssen sehr zeit­ Gesamtzahl der Studierenden hatte im Nationalität (Bildungsinländer) nur einen
intensiv ist. So liegen zwischen dem Zeit- Wintersemester 2005/2006 mit fast 13 % Anteil von 3 %, obwohl der Ausländer­
punkt der Ersteinschreibung und der einen Höchststand erreicht und ist zum anteil in Deutschland bei insgesamt 9 %
Erstberufung zur Professorin beziehungs- Wintersemester 2014/2015 leicht gesun- lag. Deutsche Studierende mit Migra­
weise zum Professor in Deutschland etwa ken (12 %). u Abb 15 tionshintergrund können allerdings in
20 Jahre. Mit den steigenden Frauenantei- Von den insgesamt 322 000 Studieren- der Studierendenstatistik nicht gesondert
len bei Jungakademikern und dem zuneh- den mit ausländischer Nationalität waren nachgewiesen werden. u Abb 16
menden Ersatzbedarf an Hochschulleh- 85 700 (27 %) sogenannte Bildungsinländer, Bei den sogenannten Bildungsaus­
rern dürften sich die Karrierechancen von die ihre Hochschulzugangsberechtigung ländern handelt es sich um die Gruppe der
Frauen an deutschen Hochschulen weiter im deutschen Bildungssystem erworben ausländischen Studierenden, die grenz­
erhöhen. Aufgrund des Facharbeitskräfte- haben. Hier handelt es sich meist um Kin- überschreitend mobil sind und ihre Hoch­
mangels im Bereich Natur- und Ingen­i­ der von Zuwanderern, die teilweise bereits schulzugangsberechtigung außerhalb
eurwissenschaften ist absehbar, dass sich in der zweiten oder dritten Generation in Deutschlands erworben haben. Ihre Zahl
die Nachfrage nach promovierten und Deutschland leben und die Staatsangehö- hat im Wintersemester 2005/2006 den

94
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

Abb 16 Bildungsinländerinnen und -inländer nach


Herkunftsländern im Wintersemester 2013/2014
u Abb 16  Bildungsinländerinnen und -inländer höchsten Anteil an der Gesamtzahl der
nach Herkunftsländern im Wintersemester 2014/2015 Studierenden mit fast 10 % (189 500) Bil-
dungsausländern erreicht und war seit-
dem leicht rückläufig. Im Wintersemester
Türkei 27 951 2014/2015 gab es einen Höchststand mit
Italien 5 037
rund 236 000 Bildungsausländern an deut-
schen Hochschulen. Aufgrund der stark
Griechenland 3 963
gestiegenen Gesamtzahl der Studierenden
Kroatien 3 833 entsprach dies jedoch nur einem Anteil
von 9 %. Die meisten ausländischen Nach-
Russische Föderation 3 430
wuchsakademiker kamen im Winter­
Polen 2 939 semester 2014/2015 aus China (30 300), ge-
Ukraine 2 734 folgt von Indien mit 11 700 Studierenden
und der Russischen Föderation mit 11 500
Vietnam 2 594
Studierenden. u Abb 17
Bosnien und Herzegowina 2 484 Auch für deutsche Studierende ist ein
Studium im Ausland attraktiv. Im Jahr
China 2 201
2013 waren etwa 134 500 deutsche Studie-
Serbien 1 986 rende an ausländischen Hochschulen ein-
geschrieben. Die beliebtesten Ziel­länder
waren Österreich mit 20 % aller deutschen
Abb 17 Bildungsausländerinnen und -ausländer nach Studierenden im Ausland, die Niederlan-
Herkunftsländern im Wintersemester 2013/2014 de mit 17 % sowie das Vereinigte König-
u Abb 17  Bildungsausländerinnen und -ausländer
reich mit 12 % und die Schweiz mit 11 %.
nach Herkunftsländern im Wintersemester 2014/2015
In diesen vier Ländern zusammen lebten
damit 60 % der im Ausland studierenden
Deutschen.
China 30 259

Indien 11 655 Ausbildungsförderung für


Studierende
Russische Föderation 11 534
Von den durchschnittlich 425 000 geför-
Österreich 9 875 derten Studierenden im Jahr 2014 waren
Frankreich 7 305 280 000 an Universitäten und 139 000 an
Fachhochschulen eingeschrieben. Rund
Italien 7 169
62 % aller geförderten Studierenden erhiel-
Türkei 6 785 ten nur eine Teilförderung, die geleistet
Bulgarien 6 739
wird, wenn die Einkommen der Geförder-
ten oder ihrer Eltern festgelegte Grenzen
Kamerun 6 672 übersteigen. Rund 38 % der Geförderten
Ukraine 6 645 erhielten eine Vollförderung, also den
­maximalen Förderungsbetrag.  u Info 3
Insgesamt wurden von Bund und Län-
dern für die Studierendenförderung 2,28
Milliarden Euro aufgewendet. Im Durch-
schnitt erhielt in Deutschland ein geför-
u Info 3 derter Student beziehungsweise eine ge-
»Studierenden-BAföG« förderte Studentin 448 Euro im Monat.
Ausbildungsförderung für Studierende nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) Die durchschnittliche Zahl der Geförder-
wird für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen gewährt. Im Hoch- ten lag 2014 um 25 % höher als 2004. Im
schulbereich wird die Ausbildungsförderung je zur Hälfte als Zuschuss und als unverzinsliches
­D arlehen geleistet. In bestimmten Fällen wurde seit 1996 anstelle von Zuschuss und unverzins­
gleichen Zeitraum erhöhte sich der Fi-
lichem Darlehen ein verzinsliches Darlehen gewährt, zum Beispiel nach Überschreiten der nanzaufwand für die Studienförderung
Förderungshöchstdauer. um 51 %. u Tab 8, Abb 18

95
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Tab 8  Ausbildungsförderung nach 3.1.5 Lebenslanges Lernen


dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) Viele Erwerbstätige müssen damit rech-
Geförderte ¹ Durchschnittlicher nen, ihren ursprünglich erlernten Beruf
Finanzieller
(durchschnittlicher Förderungsbetrag in einer Zeit raschen technologischen
Aufwand
Monatsbestand) je Person
Wandels nicht ein Leben lang ausüben zu
Anzahl in 1 000 Euro in Euro je Monat
können. Lebenslanges Lernen ist erfor-
Studierende derlich, um mit den gesellschaftlichen
2004 339 935 1 513 641 371 und technologischen Entwick lungen
2006 341 740 1 538 770 375 Schritt zu halten, um auch künftig Chan-
2008 332 853 1 590 638 398 cen auf dem Arbeitsmarkt zu haben und
2010 385 736 2 019 078 436 am gesellschaftlichen Leben teilnehmen
2012 440 228 2 365 026 448 zu können.
2014 424 562 2 280 748 448
BAföG-Empfänger insgesamt (einschließlich Schülerinnen und Schülern) Lernaktivitäten im
2004 531 629 2 211 763 347 Erwachsenenalter
2006 540 329 2 256 143 348 Der Adult Education Survey erhebt unter
2008 525 003 2 331 918 370 anderem Informationen über drei Lern-
2010 584 850 2 873 065 409 formen im Erwachsenenalter: die forma-
2012 630 164 3 277 975 433 le Bildung (reguläre Bildungsgänge an
2014 596 380 3 142 077 439 allgemeinbildenden und beruf lichen
1 Da sich die Abb 18 Geförderte
Förderung nach
zum Teil nicht überdem Bundesausbildungsförderungsgesetz
das ganze (BAföG)
Jahr erstreckt, liegt der Monatsdurchschnitt -
niedriger Schulen und Hochschulen), die nicht for-
als die Gesamtzahl der Geförderten in Abb 18.
in Tausend
male Bildung (im Folgenden als Weiter-
bildung bezeichnet) und das informelle
u Abb 18  Geförderte nach dem Bundesausbildungs- Lernen. Bei der Weiterbildung wird zwi-
förderungsgesetz (BAföG) — in Tausend schen betrieblicher Weiterbildung, indi-
vidueller berufsbezogener Weiterbildung
und nicht berufsbezogener Weiterbil-
1 200
dung unterschieden. Das informelle Ler-
1 000 nen wurde im Adult Education Survey
2014 über die Frage erfasst, ob man sich
800
selbst bewusst etwas beigebracht habe,
600
sei es in der Arbeitszeit oder in der Frei-
zeit, allein oder zusammen mit anderen.
400 Die Tabelle 9 zeigt die Teilnahmequoten
der drei erfassten Lernformen. u Tab 9, Info 4
200
Rund 12 % der 18- bis 64-Jährigen be-
0 suchten in den letzten zwölf Monaten vor
1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 der Befragung wenigstens einen regu­
Geförderte insgesamt Studierende Schülerinnen und Schüler lären Bildungsgang an einer allgemein-
bildenden oder beruflichen Schule, einer
Hochschule oder waren in einer Berufs-
ausbildung. An wenigstens einer Weiter-
bildungsaktivität nahmen 51 % der Be-
u Info 4 fragten teil. Im Bereich der betrieblichen
Lebenslanges Lernen Weiterbildung liegt die Teilnahmequote
Seit 1979 wurde in dreijährigem Abstand im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und am höchsten (37 %), gefolgt von der nicht
­Forschung eine repräsentative Umfrage bei 19- bis 64-Jährigen unter dem Titel Berichtssystem berufsbezogenen (12 %) und der indivi-
Weiterbildung (BSW) durchgeführt. Bei der Erhebung 2007 wurde das nationale Konzept mit
dem neuen Konzept des europäischen Adult Education Surveys (AES) kombiniert. Seit der rein
duellen berufsbezogenen Weiterbildung
­nationalen Erhebungsrunde 2010 wird ausschließlich das AES-Konzept herangezogen. Dies (9 %). Sich selbst bewusst etwas beige-
­bedeutet, dass die Erhebung zusätzlich auch die 18-Jährigen einbezieht. Der deutsche AES 2012 bracht, also informell gelernt, haben 54 %.
war Teil der ersten verpflichtenden europäischen Befragung; letztere findet nunmehr alle fünf Jahre
statt, das nächste Mal 2016. Etwa in der Mitte zwischen den europäischen Erhebungsrunden Insgesamt sind 73 % der 18- bis 64-Jähri-
gibt es jeweils einen rein deutschen AES, so auch 2014. gen »lernaktiv«, das heißt sie haben an

96
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

mindestens einer der drei Lernformen u Tab 9  Teilnahme an Lernformen in den letzten zwölf Monaten
teilgenommen. Rund 56 % haben an min- vor der Erhebung (Adult Education Survey 2014)
destens einer der beiden organisierten — in Prozent der Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren
Lernformen teilgenommen und sind somit Insgesamt Männer Frauen
»bildungsaktiv«.
Formale Bildung (reguläre Bildungsgänge) 12 12 12
Erwerbstätige beteiligen sich am häu-
Nicht formale Bildung (Weiterbildung) 51 52 50
figsten an Weiterbildung. Von ihnen haben
 Betriebliche Weiterbildung 37 40 34
58 % an mindestens einer Weiterbildungs-
aktivität teilgenommen, gefolgt von Per-  Individuelle berufsbezogene Weiterbildung 9 9 10

sonen in einer schulischen/beruflichen  Nicht berufsbezogene Weiterbildung 12 10 15

Bildungsphase (54 %), Arbeitslosen (32 %) Informelles Lernen (sich selbst etwas


54 55 53
beibringen)
und sonstigen Nichterwerbstätigen (25 %).
Die Weiterbildungsquote der Frauen Lernaktive (Teilnahmequote insgesamt) ¹ 73 75 72

lag mit 50 % etwa so hoch wie die der Bildungsaktive (Formale und
56 57 55
non-formale Bildung) ²
Männer (52 %). Dabei beteiligen sich
Frauen mehr an nicht berufsbezogener 1  Teilnahme an mindestens einer der drei Lernformen.
2  Teilnahme an mindestens einer der beiden organisierten Lernformen.
Weiterbildung (15 % gegenüber 10 %) und Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Zusatzauswertungen von TNS Infratest Sozialforschung

weniger an betrieblicher Weiterbildung


(34 % gegenüber 40 %). Die niedrigere
u Tab 10  Teilnahme an Lernformen in den letzten zwölf Monaten
Teilnahme von Frauen an betrieblicher
vor der Erhebung nach Alter (Adult Education Survey 2014)
Weiterbildung ist vor allem auf die ver- — in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe
schiedenartigen Erwerbssituationen von
Männern und Frauen zurückzuführen. Formale Nicht
Informelles
Bildung formale
Hochqualifizierte Männer und Frau- Lernen / Lern- Bildungs-
(reguläre Bildung
Selbst- aktive ¹ aktive ²
en nahmen auch im Beobachtungszeit- Bildungs- (Weiter-
lernen
gänge) bildung)
raum des Adult Education Survey 2014
Im Alter von … bis … Jahren
deutlich häufiger an Weiterbildung teil
als Geringqualifizierte. So bildeten sich 18 – 24 67 50 53 87 80

67 % der Akademikerinnen und Akade- 25 – 34 14 58 58 77 63


miker weiter, aber nur 39 % der Personen 35 – 44 3 53 56 74 54
ohne beruflichen Abschluss. 45 – 54 1 53 53 70 53
Die Teilnahme an regulären Bildungs-
55 – 64 1 39 52 64 39
gängen konzentrierte sich stark auf die
Insgesamt 12 51 54 73 56
­Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen (67 %)
und – in schwächerem Ausmaß – auf die 1  Teilnahme an mindestens einer der drei Lernformen.
2  Teilnahme an mindestens einer der beiden organisierten Lernformen.
der 25- bis 34-Jährigen (14 %). In den älte- Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Zusatzauswertungen von TNS Infratest Sozialforschung

ren Vergleichsgruppen liegt die Teilnah-


mequote an regulären Bildungsgängen
in den letzten zwölf Monaten dagegen
­jeweils bei höchstens 3 %. Bei der Weiter-
bildung sind die altersmäßigen Unter- kurz »Meister-BAföG« genannt. Dies war wurde überwiegend von männlichen
schiede geringer. Erst in der Gruppe der gegenüber 2004 ein Anstieg von rund Fachkräften genutzt (68 %), nur 32 % der
55- bis 64-Jährigen ist eine geringere Wei- 29 %. Ursächlich hierfür sind unter ande- Geförderten waren Frauen. Der finanzielle
terbildungsbeteiligung zu beobachten. rem zwei Änderungsgesetze, die die Aufwand betrug 2014 insgesamt 588 Mil-
Beim informellen Lernen unterscheiden Förderbedingungen und die Förder­ lionen Euro (als Darlehen 397 Millionen
sich die Altersgruppen bezüglich der Teil- leistungen verbessert haben. Nach dem und als Zuschuss 190 Millionen Euro).
nahme kaum. u Tab 10 Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz Rund 75 000 (44 %) der Geförderten nah-
können Personen gefördert werden, die men an einer Vollzeitfortbildung teil, da-
Aufstiegsfortbildungsförderung sich nach abgeschlossener Erstausbildung von 29 % Frauen und 71 % Männer. Eine
Im Jahr 2014 erhielten 172 000 Personen auf einen Fortbildungsabschluss, zum Teilzeitfortbildung machten 97 000 Geför-
Leistungen nach dem Aufstiegsfortbil- Beispiel zum Handwerksmeister oder derte, davon 34 % Frauen und 66 % Män-
dungsförderungsgesetz (AFBG) oder auch Fachwirt, vorbereiten. Diese Förderung ner. Die Geförderten waren überwiegend

97
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

u Info 5 zwischen 20 und 35 Jahre alt. Am stärks-


Aufstiegsförderung »Meister-BAföG« ten vertreten war die Gruppe der 20- bis
Die Aufstiegsförderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG) soll Nachwuchs- 24-Jährigen (35 %), gefolgt von den 25- bis
kräften helfen, ihre Weiterbildung für einen Fortbildungsabschluss zu finanzieren, der einen 29-Jährigen (34 %) und den 30- bis 34-Jäh-
­b eruflichen Aufstieg ermöglicht. Diese Förderung, auch »Meister-BAföG« genannt, wurde 1996
­e ingeführt. Das Gesetz gewährt allen Fachkräften einen Rechtsanspruch auf staatliche Unter­
rigen (15 %). u Info 5, Tab 11
stützung für alle Formen der beruflichen Aufstiegsfortbildung. Der angestrebte Abschluss muss
über dem Niveau einer Facharbeiter-, Gesellen-, Gehilfenprüfung oder eines Berufsfachschulab- 3.1.6 Bildungsniveau der
schlusses liegen. Damit erstreckt sich die Förderung auf alle Bildungsmaßnahmen im Bereich der
gewerb­lichen Wirtschaft, der Freien Berufe, der Hauswirtschaft und der Landwirtschaft, die gezielt Bevölkerung
auf anerkannte Prüfungen, zum Beispiel nach der Handwerksordnung, vorbereiten. Hierzu ge­ Die Qualifikation der Bevölkerung ist von
hören auch Fortbildungen in den Gesundheits- und Pflegeberufen sowie an staatlich anerkannten großer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung,
Er­gänzungsschulen. Die Leistungen für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestehen aus einem
so­g enannten Maßnahmebeitrag (für Lehrgangs- und Prüfungsgebühren) bis zu einer Höhe von da vor allem die Qualität der menschli-
10  226 Euro, der mit einem Anteil von 30,5 % als Zuschuss und im Übrigen als Darlehen gewährt wird. chen Arbeitskraft (sogenanntes Human­
Geförderte in Vollzeitform können darüber hinaus monatliche Zuschüsse und Darlehen für den
kapital) das Leistungsvermögen einer
Lebensunterhalt und die Kinderbetreuung erhalten.
Volkswirtschaft bestimmt. Für den Ein-
zelnen verbessert ein hoher Bildungsstand
uTab 11  Aufstiegsförderung nach dem die Erwerbschancen sowie die Chancen
Aufstiegsfortbildungs­förderungsgesetz (AFBG) auf eine individuelle Lebensführung und
Finanzieller Aufwand die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen
Geförderte Leben. Aktuelle Angaben über den Bil-
insgesamt Zuschuss Darlehen
dungsstand der Gesamtbevölkerung wer-
Anzahl in 1 000 Euro
den jährlich aus dem Mikro­z ensus ge-
2004 133 018 378 563 121 427 257 135
wonnen, der größten jährlich durchge-
2006 135 915 369 045 108 788 260 257 führten Haushaltsbefragung Deutschlands
2008 139 520 381 658 114 257 267 401 (siehe Kapitel 2.1, Seite 45, Info 1).
2010 166 395 518 674 164 850 353 823 Auf Basis des Mikrozensus 2014 hatten
2012 168 284 545 920 176 203 369 717 51 % der Befragten ab 25 Jahren einen so-
2014 171 815 587 588 190 146 397 442 genannten »höherwertigen« Schulab-
schluss: Einen Realschulabschluss besa-
ßen 22 % und 29 % Abitur oder Fachhoch-
schulreife. In der Gruppe der 25- bis
29-Jährigen konnten bereits gut 78 % ei-
Bildungsstand der Bevölkerung
nen solchen Abschluss vorweisen (30 %
mit erstmaligem Zuzug ab 2010
Realschulabschluss, 48 % Fachhochschul-
Nach dem Mikrozensus 2014 verfüg- Betrachtet man die beruf lichen
oder Hochschulreife). Von den Altersjahr-
ten rund 90 % der 25- bis 34-Jährigen Bildungsabschlüsse, waren besonders
gängen ab 60 Jahren hatten dagegen ledig-
Personen mit erstmaligem Zuzug in die viele Personen mit erstmaligem Zuzug
lich 14 % eine Realschule und 17 % ein
Bundesrepublik Deutschland zwischen ab 2010 Akademiker: Insgesamt ver-
Gymnasium erfolgreich absolviert. u Tab 12
2010 und 2014 über einen allgemeinen fügten gut 42 % der 25- bis 34-Jährigen
Als höchsten beruflichen Bildungsab-
Schulabschluss. Besonders häufig hatten über Bachelor, Master, Diplom oder
schluss besaßen im Jahr 2014 rund 54 % der
diese Personen die Schule mit dem Er- Promotion. Andererseits gab es unter
Befragten ab 25 Jahren eine Lehre. Rund
werb einer Studienberechtigung abge- ihnen auch viele unqualifizierte Ar-
1 % hatte einen Fachschulabschluss in der
schlossen (62 %). Knapp 9 % der zugezo- beitskräfte: Rund 28 % dieser Alters-
ehemaligen DDR erworben und 8 % einen
genen Personen hatten die Schule ohne gruppe hatten keinen berufsqualifizie-
Fachschulabschluss beziehungsweise eine
Abschluss verlassen. In der Gesamtbe- renden Abschluss. In der Gesamtbe-
Meister-/Technikerausbildung oder den
völkerung besaßen rund 96 % der 25- völkerung war die Akademikerquote
Abschluss einer zwei- oder dreijährigen
bis 34-Jährigen einen Schulabschluss. mit 24 % geringer. Allerdings lag hier
Schule für Gesundheits- und Sozialberufe
Der Anteil der Personen mit Studien- auch der Anteil der unqualifizierten
sowie den Abschluss an einer Schule für
berechtigung (46 %) ist, wie auch der Arbeitskräfte bei den 25- bis 34-Jähri-
Erzieher/-innnen. Über einen akademi-
Anteil der Personen ohne Schulab- gen mit 14 % deutlich niedriger.
schen Abschluss (einschließlich Promoti-
schluss (3 %), in der Gesamtbevölke-
on) verfügten 18 %. Weitere 18 % hatten
rung niedriger als bei den Zugezogenen.
(noch) keinen beruflichen Abschluss und
waren auch nicht in Ausbildung. u Tab 13

98
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

u Tab 12  Allgemeiner Schulabschluss der Bevölkerung 2014


Mit allgemeinem Schulabschluss Ohne
Noch in
Insgesamt¹ schulischer Abschluss der Realschul- oder Fachhoch- ohne An­g abe allgemeinen
Haupt-(Volks-) Schul-
Ausbildung Polytechnischen gleichwertiger schul- oder zur Art des
schulabschluss
Oberschule Abschluss Hochschulreife Abschlusses abschluss ²
Im Alter von … bis … Jahren

in 1 000
25 – 29 4 995 22 898 – 1 521 2 379 11 154
30 – 39 9 874 8 2 049 34 3 146 4 224 23 369
40 – 49 12 127 / 2 955 1 445 3 208 3 983 30 482
50 – 59 12 327 / 3 934 1 783 2 735 3 356 28 461
60 und älter 22 498 / 12 803 1 596 3 235 3 784 63 845
Zusammen 61 820 37 22 640 4 858 13 845 17 725 153 2 311
in  %
25 – 29 100 0,4 18,0 – 30,5 47,6 0,2 3,1
30 – 39 100 0,1 20,7 0,3 31,9 42,8 0,2 3,7
40 – 49 100 / 24,4 11,9 26,5 32,8 0,2 4,0
50 – 59 100 / 31,9 14,5 22,2 27,2 0,2 3,7
60 und älter 100 / 56,9 7,1 14,4 16,8 0,3 3,8
Zusammen 100 0,1 36,6 7,9 22,4 28,7 0,2 3,7

1 Einschließlich 251 000 Personen, die keine Angaben zur allgemeinen Schulausbildung gemacht haben.
2 Einschließlich Personen mit Abschluss nach höchstens sieben Jahren Schulbesuch.
– Nichts vorhanden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

u Tab 13  Beruflicher Bildungsabschluss der Bevölkerung 2014


Mit beruflichem Bildungsabschluss² Davon
Ohne
Lehre/Berufs- Fachschul- beruf- nicht in
Ins- Fach- in schulischer
lichen
gesamt ¹ ausbildung schulab-
abschluss
Bachelor Master Diplom⁶ Promotion Bildungs- oder beruf-
schulischer
im dualen in der ehema- oder beruf-
schluss ⁵ abschluss ³ licher Bildung licher Bildung
System⁴ ligen DDR
Im Alter von …
bis … Jahren
in 1 000
25 – 29 4 995 2 386 362 – 371 220 453 18 1 161 482 679
30 – 39 9 874 4 925 804 – 264 206 1 874 162 1 586 128 1 458
40 – 49 12 127 6 745 1 074 109 71 58 2 077 174 1 748 18 1 729
50 – 59 12 327 6 971 1 098 194 33 23 1 939 166 1 827 / 1 823
60 und älter 22 498 12 068 1 504 412 26 14 2 570 251 5 338 / 5 337
Zusammen 61 820 33 096 4 841 715 766 522 8 913 771 11 660 634 11 026
in  %
25 – 29 100 47,8 7,2 – 7,4 4,4 9,1 0,4 23,3 9,7 13,6
30 – 39 100 49,9 8,1 – 2,7 2,1 19,0 1,6 16,1 1,3 14,8
40 – 49 100 55,6 8,9 0,9 0,6 0,5 17,1 1,4 14,4 0,2 14,3
50 – 59 100 56,6 8,9 1,6 0,3 0,2 15,7 1,3 14,8 / 14,8
60 und älter 100 53,6 6,7 1,8 0,1 0,1 11,4 1,1 23,7 / 23,7
Zusammen 100 53,5 7,8 1,2 1,2 0,8 14,4 1,2 18,9 1,0 17,8

1 Einschließlich 384 000 Personen, die keine Angaben zum beruflichen Bildungsabschluss gemacht haben sowie 151 000 Personen ohne Angabe zur Art des Abschlusses.
2 Abschlüsse an Fachhochschulen (einschließlich Verwaltungsfachhochschulen) und Hochschulen werden nach ihrem Grad (Bachelor, Master, Diplom) unterschieden. Die bisher unter »Fachschulabschluss«
enthaltenen akademischen Abschlüsse an Berufsakademien werden ebenfalls Bachelor, Master und Diplom zugeordnet.
3 Einschließlich Berufsvorbereitungsjahr und berufliches Praktikum, da durch diese keine berufsqualifizierenden Abschlüsse erworben werden.
4 Einschließlich eines gleichwertigen Berufsfachschulabschlusses, Vorbereitungsdienst für den mittleren Dienst in der öffentlichen Verwaltung, 1-jährige Schule für Gesundheits- und Sozialberufe sowie 374 000
Personen mit Anlernausbildung.
5 Einschließlich einer Meister- / Technikerausbildung, Abschluss einer 2- oder 3-jährigen Schule für Gesundheits- und Sozialberufe sowie Abschluss an einer Schule für Erzieher / -innen.
6 Einschließlich Lehramtsprüfung, Staatsprüfung, Magister, künstlerischer Abschluss und vergleichbare Abschlüsse.
– Nichts vorhanden.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

99
3 /  Bildung  3.1 /  Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget

Heute werden die Angebote des allge- u Info 6

meinen Bildungssystems von Frauen und Wie setzen sich die Ausgaben im Rahmen des Bildungs­budgets zusammen?
Männern gleichberechtigt wahrgenom- Sie umfassen die Ausgaben für das formale Bildungssystem in Abgrenzung der Internationalen
men, sodass bei der jüngeren Generation Standardklassifikation des Bildungswesens (ISCED-2011-Level). Dazu zählen direkte Ausgaben
für Bildungs­einrichtungen, Ausgaben für Bildungsdienste und Güter außerhalb von Bildungs-
mittlerweile mehr Frauen als Männer ei- einrichtungen und Ausgaben für die Förderung der Teilnehmenden an formalen Bildungs-
nen höheren Bildungsabschluss nach­ programmen.
weisen. In der Altersgruppe der 25- bis Bei den direkten Ausgaben für formale Bildungseinrichtungen (Krippen, Kindergärten, Schulen,
29-Jährigen hatten 45 % der Männer und Ausbildungsbetriebe, Hochschulen) handelt es sich um Ausgaben für das Lehr- und sonstige
knapp 51 % der Frauen Abitur oder Fach- Personal, für die Beschaffung von Lehr- und Lernmitteln, für Heizung, Elektrizität, die Reini-
gung und Erhaltung von Schulgebäuden sowie die Ausgaben für den Bau von Schulgebäuden
hochschulreife. und für andere Investitionsgüter. Entsprechend internationaler Konventionen enthalten die Aus-
Bei einem Vergleich der allgemeinen gaben für formale Bildungseinrichtungen auch die Ausgaben an Hochschulen für Forschung
und Entwicklung.
Schulabschlüsse der deutschen und aus-
ländischen Bevölkerung fällt Folgendes Bei den Ausgaben außerhalb von formalen Bildungseinrichtungen handelt es sich zum Beispiel
um Ausgaben, die von den Lernenden zur Vorbereitung, zum Besuch und zur Nachbereitung
auf: Die in Deutschland lebenden Auslän- des Unterrichts geleistet werden (zum Beispiel für Nachhilfeunterricht, zur Anschaffung von
derinnen und Ausländer besaßen zu 17 % Büchern, Taschenrechnern und Schreibwaren). Zur Förderung von Teilnehmenden an formalen
einen Realschulabschluss, die deutsche Bildungsprogrammen zählt zum Beispiel das »BAföG«.
Bevölkerung zu 23 %. Über Abitur und Zusätzliche bildungsrelevante Ausgaben in nationaler Abgrenzung
Fachhochschulreife verfügten 31 % der
Sie umfassen Ausgaben für nicht formale Bildungseinrichtungen wie Horte, ­betriebliche Weiter-
Ausländerinnen und Ausländer, jedoch bildungskurse, die Förderung von Teilnehmenden an Weiterbildungs­maßnahmen, Volkshoch-
nur 29 % der deutschen Bevölkerung. Be- schulen, Einrichtungen der Lehrerfortbildung und Einrichtungen der Jugendarbeit.
merkenswert ist in diesem Zusammen- Das Bildungsbudget basiert auf der Auswertung zahlreicher Erhebungen. Dabei sind die
hang der hohe Anteil der Ausländerinnen J­ ahresrechnungsergebnisse der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kommunen) die
­wichtigsten Datenquellen.
mit Fachhochschul- oder Hochschulreife
(32 % gegenüber 26 % bei den deutschen
Frauen). Knapp 18 % der ausländischen
Bevölkerung besaßen jedoch keinen allge-
meinen Schulabschluss; bei der deutschen
Bevölkerung waren es rund 2 %.
Bei den beruflichen Abschlüssen zeigt für formale Bildungspro-gramme (zum überwiegende Teil dieser Mittel für öf-
sich folgendes Bild: Etwa 42 % der Auslän- Beispiel Kinderkrippen, Kindergärten, fentliche und private Bildungseinrichtun-
derinnen und Ausländer in Deutschland Schulen, Hochschulen, betriebliche Aus- gen verwendet (2012: 143,9  Milliarden
hatten keinen beruf lichen Bildungsab- bildung im dualen System) nach der In- Euro). Die Ausgaben für die Förderung
schluss und waren nicht in Ausbildung ternationalen Stan-dardklassifikation des von ­Bildungsteilnehmenden in ISCED-
(gegenüber 14 % der Deutschen). Einen Bildungswesens (ISCED). Als nationale Programmen sowie die Ausgaben der
Lehrabschluss konnten knapp 52 % der Ergänzung umfasst das Bildungsbudget ­privaten Haushalte für Nachhilfeunter-
Deutschen, aber nur 28 % der ausländi- zusätzlich Ausgaben für nicht formale Bil- richt, Lernmittel und dergleichen betru-
schen Bürgerinnen und Bürger vorweisen. dung (zum Beispiel betriebliche Weiterbil- gen 2013 rund 20,3  Milliarden Euro
Bei den akademischen Abschlüssen (ein- dung). u Info 6 (2012: 20,1 Milliarden Euro).
schließlich Promotionen) betrug der An- Die Ausgaben für formale und nicht Die Ausgaben für nicht formale Bil-
teil bei den Deutschen 16 % und bei den formale Bildung zusammen betrugen im dung lagen im Jahr 2013 bei 18,2 Milliar-
Ausländerinnen und Ausländern 17 %. Jahr 2013 nach vorläufigen Berechnungen den Euro gegenüber 17,4 Milliarden Euro
187,5 Milliarden Euro und lagen damit im Vorjahr. Die Ausgaben für die betriebli-
3.1.7 Das Bildungsbudget für um 6,1 Milliarden Euro über dem Wert che Weiterbildung stiegen von 10,6 Milli-
Deutschland des Vorjahres. Der Anteil der Bildungs- arden Euro im Jahr 2012 auf 10,9 Milliar-
Die Höhe der Bildungsausgaben be-ein- ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) den Euro im Jahr 2013. Für die Förderung
flusst die Entwicklung des Bildungs-we- betrug 2013 rund 6,6 %. von Teilnehmenden an Weiter-bildungs-
sens entscheidend. Einen Überblick zur Die Ausgaben für formale Bildungs- maßnahmen wurden 2013 rund 0,9 Milli-
Ressourcenausstattung des Bildungs-we- programme nach internationaler Abgren- arden Euro gegenüber 0,7 Mil-liarden
sens gibt das Bildungsbudget. Es orien- zung beliefen sich 2013 auf 169,2 Milliar- Euro im Vorjahr ausge­geben. Die Mittel
tiert sich an der Konzeption des lebens- den Euro. Sie lagen damit um 5,2 Milliar- für weitere Bildungs­a ngebote be-trugen
langen Lernens. Der größte Teil des Bil- den Euro über dem Wert des Vorjahres. 2012 und 2013 jeweils rund 6,0 beziehungs­
dungsbudgets entfällt auf die Ausgaben Mit 148,9 Milliarden Euro wurde der weise 6,4 Milliarden Euro. u Tab 14

100
Bildungsbeteiligung, Bildungsniveau und Bildungsbudget  / 3.1  Bildung / 3

u Tab 14  Bildungsausgaben und deren Anteile am Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Bildungsausgaben Anteile am BIP

2012 2013¹ 2012 2013¹

in Milliarden Euro in % des BIP

A Bildungsbudget in internationaler Abgrenzung nach der ISCED-Gliederung² 164,0 169,2 6,0 6,0

A 30 Ausgaben für Bildungseinrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft 143,9 148,9 5,2 5,3

A 31 ISCED 0 – Elementarbereich 21,8 23,3 0,8 0,8

A 32 ISCED 1 – 4 – Schulen und schulnaher Bereich 86,4 89,1 3,1 3,2

A 33 ISCED 5 – 8 – Tertiärbereich 33,6 34,5 1,2 1,2

A 34 Sonstiges (keiner ISCED-Stufe zugeordnet) 2,1 2,1 0,1 0,1

A 40/50 Übrige Ausgaben in internationaler Abgrenzung 20,1 20,3 0,7 0,7

B Zusätzliche bildungsrelevante Ausgaben in nationaler Abgrenzung 17,4 18,2 0,6 0,6

B 10 Betriebliche Weiterbildung 10,6 10,9 0,4 0,4

B 20 Ausgaben für weitere Bildungsangebote 6,0 6,4 0,2 0,2

B 30 Förderung von Teilnehmenden an Weiterbildung 0,7 0,9 0,0 0,0

A+B Bildungsbudget insgesamt 181,4 187,5 6,6 6,6

1  Vorläufige Angaben.
2 ISCED-2011-Level.

101
5,8 Mill.
Personen waren 2014 im

6,1 Mrd. €
öffentlichen Dienst beschäftigt.

1 544 Mrd. € Finanzierungsüberschuss erzielte


der Öffentliche Gesamthaushalt
haben private Haushalte im Jahr 2014.
2014 für Konsumausgaben
verwendet.

1,6 %
hat sich das preis­bereinigte
Bruttoinlands­produkt von
644 Mrd. €
2013 bis 2014 erhöht.
Steuern wurden 2014 von
Bund, Ländern und Ge-
meinden eingenommen.
4
Wirtschaft
und öffentlicher Sektor
4.1 Die Aufgabe von Wirtschaftsstatistiken
ist es, wirtschaftliche Vorgänge in der
ESVG hat als Verordnung der Europä­
ischen Union (EU) Gesetzescharakter
Volkswirt­ Volkswirtschaft zu erfassen, die Daten und ist daher für alle Mitgliedstaaten
schaftliche aufzubereiten und sie der Öffentlichkeit
zugänglich zu machen.
verbindlich. Damit ist sichergestellt, dass
europaweit harmonisierte Ergebnisse für
Gesamt­ Das wichtigste statistische Instrumen- politische und wirtschaftliche Entschei-
rechnungen tarium für die Wirtschaftsbeobachtung
sind die Volkswirtschaftlichen Gesamt-
dungen zur Verfügung stehen.
Auf die Angaben der Volkswirtschaft-
rechnungen (VGR). Sie haben die Auf­ lichen Gesamtrechnungen stützen sich
Tanja Mucha gabe, für einen bestimmten, abgelaufenen Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Sie
Zeitraum – das sind typischerweise Jahre dienen unter anderem als Grundlage
und Quartale – ein möglichst umfassen- für Gutachten, Wachstumsprognosen,
Destatis
des, übersichtliches und hinreichend ge- Steuer­s chätzungen, Rentenanpassungen
gliedertes, quantitatives Gesamtbild des und Tarifverhandlungen. Nationale Nut-
wirtschaftlichen Geschehens in einer zer sind in erster Linie die Bundesminis-
Volkswirtschaft zu geben. u Info 1 terien, der Sachverständigenrat zur Be-
Die deutschen Volkswirtschaftlichen gutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Gesamtrechnungen folgen den Vorgaben Entwicklung, die Wirtschaftsforschungs-
des Europäischen Systems Volkswirt- institute, Banken – allen voran die Deut-
schaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG). sche Bundesbank – sowie Wirtschafts-
Dort werden Definitionen, Konzepte, Ab- verbände, Gewerkschaften, Universitäten
grenzungen, Begriffe, Klassifikationen so- und Medien.
wie der Zeitpunkt und die Häufigkeit der International werden VGR­-Ergebnisse
Lieferung von VGR-Ergebnissen an die vor allem von der Europäischen Kommis-
europäische Statistikbehörde, das Statis­ sion, der Europäischen Zentralbank (EZB),
tische Amt der Europäischen Union (Euro- der Organisation für wirtschaftliche Zu-
stat), geregelt. Das Europäische System sammenarbeit und Entwicklung (OECD)
Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen und dem Internationalen Währungsfonds
wird in mehrjährlichen Abständen aktua- (IWF) genutzt. Eine besondere Bedeutung
lisiert, um geänderten wirtschaftlichen haben die Ergebnisse der Volkswirtschaft-
Rahmenbedingungen Rechnung zu tra- lichen Gesamtrechnungen für die Europä-
gen. Die aktuelle Version ESVG 2010 ist ische Kommission: Das Bruttonationalein-
seit September 2014 rechtswirksam. Das kommen (BNE) ist Grundlage für die Be-

103
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.1 /  Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

rechnung der EU-Eigenmittel, also der u Info 1

Mitgliedsbeiträge der einzelnen Mitglied- Das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen


staaten an die Europäische Union. Darü- Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) erfassen die wirtschaftlichen Tätigkeiten aller
ber hinaus werden VGR-Daten für die Wirtschaftseinheiten, die – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – ihren ständigen Sitz im
Wirtschaftsgebiet haben. Ein Wirtschaftsgebiet kann die gesamte Volkswirtschaft (zum Beispiel
Überwachung und Steuerung der europä­ Deutschland) oder ein Teil davon (zum Beispiel ein Bundesland) sein. Wirtschaftseinheiten sind alle
ischen Wirtschafts- und Währungspolitik Personen und Institutionen, die produzieren, konsumieren, investieren, verteilen oder finanzieren.
benötigt. So basieren die Konvergenzkri- Sie werden zur Darstellung der Wirtschaftsstruktur zu Wirtschafts- beziehungsweise Produktions-
bereichen oder (entsprechend ihres wirtschaftlichen Verhaltens) zu sogenannten Sektoren zu­
terien für die ­Europäische Währungsuni- sammengefasst (nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften, finanzielle Kapitalgesellschaften, Staat,
on im Wesent­ l ichen auf Größen der ­private Haushalte, private Organisationen ohne Erwerbszweck). Der Sektor »Übrige Welt« bezeichnet
Volks­w irtschaft ­lichen Gesamtrechnungen alle Einheiten beziehungsweise Aktivitäten außerhalb des jeweiligen Wirtschaftsgebietes.

(Maastricht-Defizit und Schuldenstand Die Ergebnisse der amtlichen VGR werden in Form eines geschlossenen Kontensystems aller nach-
gewiesenen Vorgänge ermittelt. Dabei gilt das Prinzip der doppelten Buchführung: Jede Trans­
des Staates, Bruttoinlandsprodukt).
aktion wird mindestens zweimal gebucht, einmal auf der Entstehungs- und einmal auf der Ver­
wendungsseite. In ergänzenden Tabellen werden die Kontenpositionen tiefer untergliedert, teilweise
4.1.1 Das Bruttoinlandsprodukt nach besonderen Gesichtspunkten zusammengefasst oder in sonstiger Hinsicht erweitert (zum
Beispiel um preisbereinigte Angaben, Angaben pro Kopf, je Stunde oder Quoten). Darüber hinaus
Eine zentrale Größe der Volkswirtschaft- werden in speziellen Input-Output-Tabellen die produktions- und gütermäßigen Verflechtungen in
lichen Gesamtrechnungen ist das Brutto- der Volkswirtschaft gezeigt.
inlandsprodukt (BIP). Es ist ein Maß für Für die Aufstellung der deutschen VGR werden alle geeigneten laufenden wirtschaftsstatistischen
die in einem bestimmten Zeitraum in Erhebungen verwendet, die zum jeweiligen Veröffentlichungs- beziehungsweise Rechentermin
­einer Volkswirtschaft erbrachte gesamt- ­vorliegen. Darüber hinaus werden administrative Daten (zum Beispiel Finanzstatistiken, Zahlen der
Bundesagentur für Arbeit), Haushaltsbefragungen, Geschäftsstatistiken und Jahresabschlüsse
wirtschaftliche Leistung. u Info 2 ­großer Unternehmen sowie Informationen von Verbänden ausgewertet. Je aktueller die Berech­
Bei der Berechnung stehen die Produkti- nungen sind, desto unvollständiger ist in der Regel die Datenbasis und desto höher ist der Schätz-
on von Waren und Dienstleistungen so- anteil. Dies führt zu regelmäßigen Revisionen der VGR-Ergebnisse, wenn neue statistische Aus-
gangsdaten verfügbar sind, die in die Berechnungen einbezogen werden können.
wie die dabei entstandene Wertschöp-
fung im Vordergrund. Prinzipiell kann
das BIP auf drei Wegen berechnet und
dargestellt werden: u Abb 1
·· Die Entstehungsrechnung zeigt, wie die u Abb 1  Bruttoinlandsprodukt
wirtschaftliche Leistung von der Pro-
duktionsseite her entstanden ist. Sie er-
mittelt die Wertschöpfung der einzelnen
Wirtschaftsbereiche und verdeutlicht, Entstehung Verwendung Verteilung
wie diese zum gesamtwirtschaftlichen
Ergebnis beigetragen haben (siehe Ab- Land- und Forstwirt- Private und Arbeitnehmerentgelt,
schnitt 4.1.2). schaft, ­Fischerei staatliche Konsum- Unternehmens- und
ausgaben Vermögenseinkommen
­
·· Die Verwendungsrechnung beschreibt, Produzierendes
für was das erarbeitete gesamtwirt- Gewerbe + Bruttoanlage- + Produktions- und

schaftliche Ergebnis verwendet wurde. Dienstleistungs- = investitionen,


Vorratsver-
= Importabgaben ab-
züglich Subventionen
Es kann konsumiert, investiert oder ex- bereiche
änderungen
+ Abschreibungen
portiert werden. Das BIP lässt sich da- + Gütersteuern
+ Exporte
her auch als Summe aus Konsum, In- ­abzüglich Güter- – Saldo der Primärein-
abzüglich Importe
subventionen kommen übrige Welt
vestitionen und Außenbeitrag (Exporte
minus Importe) errechnen (siehe Ab-
schnitt 4.1.3).
·· Die Verteilungsrechnung zeigt, welche
Einkommen entstanden sind und wie
diese auf die Wirtschaftsteilnehmer
verteilt wurden. Es wird nach Einkom-
mensarten unterschieden (zum Beispiel
Arbeit­nehmerentgelt, Unternehmens-
und Vermögenseinkommen), die im
Wirtschafts­ prozess entstanden sind
(siehe Abschnitt 4.1.4).

104
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen  / 4.1  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Info 2 Darstellung des


Wohlfahrtsmessung in Deutschland Bruttoinlandsprodukts
Wie kann man den Wohlstand und die Lebensqualität der Menschen in einem Land adäquat statis- Das jährliche BIP kann in jeweiligen Prei-
tisch messen? Diese Frage wurde seit Längerem diskutiert und mit dem Bericht der sogenannten sen oder preisbereinigt dargestellt werden.
»Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission« im September 2009 neu entfacht. Zahlreiche Aktivitäten
und Initiativen sind in der Folge dieses Berichts entstanden. Sie reichen von allumfassenden, in
Darüber hinaus ist auch eine kalender­
­e iner Zahl ausgedrückten Gesamtindikatoren bis zu breit gefächerten Sets von Indikatoren, die bereinigte Darstellung sinnvoll, weil die
­unterschiedliche Dimensionen von Wohlstand und Lebensqualität abbilden. Trotz unterschiedlicher Anzahl der verfügbaren Arbeitstage in
Ausgestaltung und Reichweite sind diese Vorschläge in einem Punkt einig: Die im BIP erfasste
­Güterversorgung liefert zwar einen wesentlichen Beitrag zum materiellen Wohlstand, aber eine Be- ­einem Jahr Einfluss auf das Ergebnis hat.
trachtung der materiellen Lage allein reicht nicht aus, um Wohlfahrt und Lebensqualität umfassend Das BIP in jeweiligen Preisen wird so-
zu berechnen. wohl durch die Veränderung des Volu-
Die wichtigsten Kritikpunkte am BIP als Wohlfahrtsindikator sind: mens als auch durch die Preisentwicklung
‧‧ Die in privaten Haushalten erbrachten unentgeltlichen Versorgungs-, Erziehungs- oder Pflege- beeinf lusst. Bei einer preisbereinigten
leistungen, die nicht über den Markt vermittelt werden, sowie ehrenamtliches Engagement Rechnung wird der Einfluss der Preisent-
der Bürgerinnen und Bürger werden im BIP nicht erfasst.
‧‧ Durch wirtschaftliche Aktivitäten ausgelöste Schäden oder Beeinträchtigungen (sogenannte
wicklung ausgeschaltet. Dabei werden alle
­externe Kosten), zum Beispiel der Umwelt, werden im BIP zumeist nicht oder nicht ausreichend Transaktionen in tiefer Gliederung mit
erfasst. spezifischen Preisindizes aus dem gesam-
‧‧ Das BIP enthält Abschreibungen, das heißt den rechnerischen Aufwand zum Ersatz des im
­Produktionsprozess verbrauchten Sachkapitals.
ten Datenangebot der Preisstatistiken de-
‧‧ D as BIP sagt nichts über die Verteilung des Wohlstandes auf gesellschaftliche Gruppen und flationiert (bereinigt). Das preisbereinigte
­Individuen aus. BIP wird auf der Grundlage einer jährlich
‧‧ Wirtschaftliche Aktivitäten zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen oder Unfälle
erhöhen das BIP, obwohl sie bestenfalls das zuvor schon erreichte Wohlstandsniveau wechselnden Preisbasis (Vorjahrespreis­
wiederherstellen. basis) berechnet und anschließend verket-
‧‧ Das BIP sagt nichts über die Nachhaltigkeit der Entwicklung aus, also darüber, inwieweit das tet. Diese im Jahr 2005 eingeführte Me-
­g egenwärtige Wohlstandsniveau zu Lasten künftiger Generationen erwirtschaftet wurde.
thode gewährleistet, dass stets die aktuel-
len Preisrelationen in der Rechnung
Als Folge dieser Debatte hat sich inzwischen ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens darüber
herausgebildet, dass es sinnvoll sei, über die rein wirtschaftliche Entwicklung hinaus auch gesell- berücksichtigt werden. Die jährlichen Ver-
schaftliche Entwicklungen umfassender in den Blick zu nehmen und hierzu eine Berichterstattung änderungsraten des preisbereinigten BIP
aufzubauen.
können als Maßstab der (realen) Wirt-
Zu den konkreten Vorschlägen gehören: schaftsentwicklung betrachtet werden.
‧‧ die Verbesserungen bei der Darstellung der Wirtschaftsindikatoren wie die stärkere Betonung
des Einkommens privater Haushalte, die Darstellung der Verteilung von Einkommen und Ver­ Entwicklung des
mögen sowie die regelmäßige Erfassung der unbezahlten Arbeit in privaten Haushalten, da sie
erheblich zum materiellen Wohlergehen beiträgt; Bruttoinlandsprodukts
‧‧ die Messung der nichtmateriellen Lebensqualität, wozu Faktoren wie Gesundheit, Bildung, In Deutschland hat sich das reale BIP zwi-
­p ersönliche Aktivitäten und Erwerbstätigkeit, politische Partizipation, soziale Beziehungen, schen 1991 und 2014 um gut ein Drittel
­Umweltbedingungen sowie existenzielle und wirtschaftliche Unsicherheiten zählen; und
‧‧ die Erfassung der Nachhaltigkeit und dabei insbesondere ökologische Aspekte wie der Abbau erhöht. Im Durchschnitt ist es seit der
von Bodenschätzen oder die Umweltverschmutzung, wodurch die Lebensbedingungen künftiger deutschen Vereinigung pro Jahr um 1,3 %
Generationen beeinträchtigt werden.
gewachsen. In dieser Zeit gab es lediglich
drei sogenannte rezessive Jahre, in denen
In Deutschland hat insbesondere die Arbeit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
mit dem Titel »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und
das reale BIP im Vergleich zum Vorjahr
gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft« das Thema in die breite Öffent­ gesunken ist: 1993 (– 1,0 %), 2003 (– 0,7 %)
lichkeit getragen. In ihrem Abschlussbericht vom Juni 2013 hat sie unter anderem einen Indikatoren­ sowie zuletzt 2009 (– 5,6 %), als die deut-
satz mit zehn Leitindikatoren und weiteren Zusatzindikatoren vorgeschlagen, um den wirtschaft­
lichen, gesellschaftlichen und ökologischen Fortschritt laufend zu erfassen.
sche Wirtschaft durch die Folgen der
weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise
Die Bundesregierung hat das Thema der Messung von Fortschritt, Wohlstand und Lebensqualität
im Koalitionsvertrag verankert. Aktuell hat sie die Initiative »Gut Leben in Deutschland – was uns regelrecht einbrach und die schlimmste
wichtig ist« gestartet und im April 2015 mit Bürgerdialogen begonnen. Anschließend soll geprüft Rezession der Nachkriegszeit erlebte. Im
werden, wie man diese Themen statistisch begleiten und analysieren kann, etwa – wie im Koalitions­ Jahr 2014 konnte sich die deutsche Wirt-
vertrag 2013 vorgeschlagen – mithilfe eines Indikatoren- und Berichtssystems zur Lebensqualität
in Deutschland. schaft offensichtlich in einem schwierigen
weltwirtschaftlichen Umfeld behaupten:
Auf internationaler Ebene fanden außerdem im Jahr 2015 die Gespräche für die Post-2015-Agenda
der Vereinten Nationen statt. Dabei sollen ab 2016 insgesamt 17 »Sustainable Development Goals« Das preisbereinigte BIP war um 1,6 %
(Ziele nachhaltiger Entwicklung) beziehungsweise 169 »Targets« (Zielgrößen) und dazugehörige ­höher als im Vorjahr. In den beiden vor-
­Indikatoren die bisherigen »Millennium Development Goals« ablösen.
angegangenen Jahren war das BIP sehr
viel moderater gewachsen (2013 um
+ 0,3 % und 2012 um + 0,4 %). u Abb 2

105
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.1 /  Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

u Abb 2  Preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt — Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent

8,2

5,3 5,1
4,8 4,9
4,4 4,3 4,2 4,1
3,7 3,9 3,7 3,7
3,1 3,3 3,3
3,0 3,0
2,8
2,5
2,9 2,3 2,3
2,6
1,6
1,9
1,7 1,8 2,0 2,0 1,7 1,6
1,4 1,4
0,9 1,2 1,1
1,6 0,8
0,5 0,7
0,9 0,4
0,0 0,3
Durchschnitt 1950 –1960
Durchschnitt 1960 –1970

– 0,4
– 0,9 – 0,7
– 1,0

– 5,6

1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

Die Ergebnisse von 1950 bis 1970 (früheres Bundesgebiet) sind wegen konzeptioneller und definitorischer Unterschiede nicht voll mit den Ergebnissen von 1970 bis 1991 (früheres Bundesgebiet)
und den Angaben ab 1991 (Deutschland) vergleichbar. Die preisbereinigten Ergebnisse von 1950 bis 1970 (früheres Bundesgebiet) sind in Preisen von 1991 berechnet.
Die Ergebnisse von 1970 bis 1991 (früheres Bundesgebiet ) sowie die Angaben ab 1991 (Deutschland) werden in Preisen des jeweiligen Vorjahres als Kettenindex nachgewiesen.
Bei der VGR-Revision 2014 wurden zudem nur die Ergebnisse für Deutschland bis 1991 zurückgerechnet; Angaben vor 1991 sind unverändert geblieben.

u Abb 3  Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen — in Prozent

Land- und Land- und


Forstwirtschaft, Forstwirtschaft,
Fischerei Fischerei

1,2 0,7

Produzierendes Produzierendes
Gewerbe ohne Gewerbe ohne
Dienstleistungen Baugewerbe Dienstleistungen Baugewerbe

61,9 30,9 69,0 25,7

1991 2014
Baugewerbe

4,6
Baugewerbe

6,0

106
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen  / 4.1  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Tab 1  Ergebnisse der Entstehungsrechnung nach Wirtschaftsbereichen 2014 Verschiebungen in der


Bruttowert- Wirtschaftsstruktur
Produktionswert Vorleistungen
schöpfung Anhand der nominalen Bruttowertschöp-
in jeweiligen Preisen, in Milliarden Euro
f ung der zusammengefassten Wir t-
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 52,7 34,8 17,9
schaftsbereiche lässt sich die Struktur der
Produzierendes Gewerbe ohne ­B augewerbe 1 977,8 1 303,0 674,8
Wirtschaft und ihre Veränderung im
 Verarbeitendes Gewerbe 1 780,8 1 187,2 593,6
Zeitablauf darstellen: Während das Pro-
Baugewerbe 2 76,0 155,2 120,7
duzierende Gewerbe (ohne Baugewerbe)
Handel, Verkehr, Gastgewerbe 811,3 404,1 407,2
in Deutschland 1991 noch knapp ein
Information und Kommunikation 239,5 112,0 127,5
Drittel (31 %) der gesamten nominalen
Finanz- und Versicherungsdienstleister 253,6 146,0 107,6 Wertschöpfung produzierte, war es 2014
Grundstücks- und Wohnungswesen 381,7 89,9 291,8 nur noch gut ein Viertel (26 %). Dagegen
Unternehmensdienstleister 484,3 194,1 290,2 wurden im Jahr 2014 rund 69 % der ge-
Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit 688,1 209,7 478,4 samtwirtschaftlichen Bruttowertschöp-
Sonstige Dienstleister 154,4 47,4 107,0 fung von den Dienstleistungsbereichen
Alle Wirtschaftsbereiche 5 319,3 2 696,2 2 623,1 erbracht. Im Jahr 1991 waren es etwa 62 %
preisbereinigt, verkettet, Veränderung zum Vorjahr in % gewesen. u Tab 1, Abb 3
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei 7,2 7,1 7,5 Die Zahlen verdeutlichen, wie weit
Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe 1,5 1,4 1,6 die sogenannte Tertiarisierung der deut-
 Verarbeitendes Gewerbe 2,0 1,9 2,3 schen Wirtschaft – also der Strukturwan-
Baugewerbe 2,6 2,5 2,6 del von einer Industrie- zu einer Dienst-
Handel, Verkehr, Gastgewerbe 1,1 0,8 1,3 leistungsgesellschaft – seit der deutschen
Information und Kommunikation 1,6 0,8 2,4 Vereinigung fortgeschritten ist. Bei ihrer
Finanz- und Versicherungsdienstleister 1,1 1,4 0,6 Interpretation ist allerdings zu berück-
Grundstücks- und Wohnungswesen 0,6 – 0,6 1,0 sichtigen, dass sich die Gewichte zwi-
Unternehmensdienstleister 2,1 1,7 2,4 schen den Wirtschaftsbereichen zum Bei-
Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit 1,3 2,0 1,0 spiel durch Auslagerungsprozesse oder
Sonstige Dienstleister 0,3 0,6 0,1 den Einsatz von Leiharbeiterinnen und
Alle Wirtschaftsbereiche 1,5 1,4 1,5 Leiharbeitern – der zum Wirtschaftsbe-
reich der Unternehmensdienstleister
zählt – verschieben können.
Aus der Summe der Bruttowertschöp-
fung aller Wirtschaftsbereiche ergibt sich
das BIP, indem die Gütersteuern hinzu-
gefügt und die Gütersubventionen abge-
4.1.2 Die Entstehungsrechnung Brenn- und Treibstoffe sowie Reparatur- zogen werden. Das ist notwendig, weil
des Bruttoinlandsprodukts leistungen. die Bruttowertschöpfung (und die Pro-
Im Rahmen der Entstehungsrechnung Die Bruttowertschöpfung eignet sich duktionswerte) der Wirtschaftsbereiche
wird die wirtschaftliche Leistung einer besonders, um die Wirtschaftskraft ver- ohne die auf den Gütern lastenden Steu-
Volkswirtschaft aus dem Blickwinkel der schiedener Wirtschaftsbereiche zu verglei- ern (Gütersteuern), aber einschließlich
Produzenten ermittelt. Man spricht daher chen. Den gedanklichen Anknüpfungs- der empfangenen Gütersubventionen
auch vom Produktionsansatz. Vom Wert punkt für ihre Berechnung bilden die dargestellt werden (Konzept zu Herstel-
der von allen Wirtschaftseinheiten in ei- einzelnen Wirtschaftseinheiten, die zu lungspreisen). Gütersteuern und -subven-
ner Periode produzierten Waren und Wirtschaftsbereichen zusammengefasst tionen sind solche Abgaben beziehungs-
Dienstleistungen (Produktionswert) wird werden. Die Wirtschafts­bereiche sind ent- weise Zuschüsse, die mengen- oder wert-
der Verbrauch an Vorleistungen abge­ sprechend der jeweils gültigen Klassifi­ abhängig von den produzierten Gütern
zogen und so die Bruttowertschöpfung kation der Wirtschaftszweige (WZ) ge- sind (zum Beispiel Tabak-, Mineralöl-
ermittelt. Vorleistungen sind Waren und gliedert. In den Volkswirtschaftlichen oder Mehrwertsteuer).
Dienstleistungen, die im Zuge der Pro- Gesamtrechnungen wird die WZ 2008 Damit das BIP (zu Marktpreisen) so-
duktion verbraucht, verarbeitet oder um- verwendet. In tiefer Gliederung werden wohl von der Entstehungs- als auch von
gewandelt werden. Sie umfassen unter Angaben nach bis zu 64 Wirtschaftsberei- der Verwendungsseite her gleich ist,
anderem Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, chen veröffentlicht. schließt es die Nettogütersteuern ein.

107
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.1 /  Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

Aus diesem Grund müssen die Gütersteu- u Tab 2  Ableitung des Bruttoinlandsprodukts,
ern abzüglich der Gütersubventionen der in jeweiligen Preisen — in Milliarden Euro
Bruttowertschöpfung (zu Herstellungs-
2011 2012 2013 2014
preisen) hinzugefügt werden, um das BIP
zu errechnen. u Tab 2 Produktionswert 5 112,0 5 143,8 5 206,7 5 319,3

– Vorleistungen 2 683,9 2 668,7 2 669,8 2 696,2

4.1.3 Die Verwendungsrechnung = Bruttowertschöpfung 2 428,1 2 475,1 2 536,9 2 623,1


des Bruttoinlandsprodukts + Gütersteuern 282,0 286,1 290,3 299,2
Die Verwendungsrechnung – auch Aus- – Gütersubventionen 7,0 6,3 6,4 6,7
gabenansatz genannt – als zweite Säule = Bruttoinlandsprodukt 2 703,1 2 754,9 2 820,8 2 915,7
der Inlandsproduktsberechnung zeigt,
wie die inländischen Waren und Dienst-
leistungen verwendet werden. Sie können
u Tab 3  Ergebnisse der Verwendungsrechnung
konsumiert, investiert oder exportiert
werden. u Info 3 2011 2012 2013 2014

in jeweiligen Preisen, in Milliarden Euro


Verwendungsstruktur des
Konsumausgaben 2 001,2 2 056,5 2 104,6 2 156,2
Bruttoinlandsprodukts
Private Haushalte 1 454,0 1 490,4 1 517,5 1 544,0
Das BIP setzt sich aus der inländischen
Private Organisationen
Verwendung und dem Außenbeitrag zu- 41,5 43,4 45,3 48,1
ohne Erwerbszweck
sammen. Die inländische Verwendung Staat 505,7 522,7 541,9 564,0
umfasst die privaten und staatlichen + Bruttoinvestitionen 569,8 530,6 546,8 563,1
Konsumausgaben sowie die Bruttoin­ Bruttoanlageinvestitionen 547,8 555,9 557,3 585,1
vestitionen, die wiederum aus den Ausrüstungen 188,3 184,9 181,3 189,8
Brutto­a nlageinvestitionen und den Vor- Bauten 264,2 272,9 277,2 291,8
ratsveränderungen bestehen. u Abb 4 Sonstige Anlagen 95,3 98,0 98,8 103,5
In den vergangenen Jahren entfiel in Vorratsveränderungen und
21,9 – 25,3 – 10,5 – 22,0
Deutschland jeweils über die Hälfte des Nettozugang an Wertsachen
nominalen BIP auf die privaten Konsum- = Inländische Verwendung 2 571,0 2 587,1 2 651,4 2 719,3
ausgaben. Darunter wird im Wesentlichen + Außenbeitrag 132,1 167,7 169,4 196,4
der Kauf von Waren und Dienstleistungen Exporte 1 211,5 1 266,9 1 283,1 1 333,2
durch inländische private Haushalte ver- abzüglich: Importe 1 079,3 1 099,2 1 113,7 1 136,8
standen. Dazu zählen beispielsweise die = Bruttoinlandsprodukt 2 703,1 2 754,9 2 820,8 2 915,7
Ausgaben für Lebensmittel, Bekleidung preisbereinigt, verkettet, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %
und Haushaltsgeräte, für Wohnungs­ Konsumausgaben 1,2 1,0 0,7 1,1
mieten und Energie sowie für Freizeit und Private Haushalte 1,3 0,9 0,6 0,9
Unterhaltung. Die Konsumausgaben der Private Organisationen
2,0 2,7 1,1 3,8
privaten Organisationen ohne Erwerbs- ohne Erwerbszweck

zweck sind ebenfalls Teil der privaten Staat 0,9 1,3 0,8 1,7

Konsumausgaben. Bruttoinvestitionen 9,3 – 8,2 1,5 2,0

Auf die Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen 7,2 – 0,4 –1,3 3,5

entfiel knapp ein Fünftel des nominalen Ausrüstungen 6,8 – 2,6 – 2,3 4,5

BIP. Dazu gehören die Aufwendungen Bauten 8,1 0,5 – 1,1 2,9
des Staates für allgemeine Verwaltungs- Sonstige Anlagen 5,3 1,3 – 0,3 3,1
leistungen, Sicherheit, Bildung, Gesund- Vorratsveränderungen und
X X X X
Nettozugang an Wertsachen
heitswesen und Ähnliches, soweit sie der
Inländische Verwendung 2,9 – 1,0 0,8 1,3
Allgemeinheit ohne ein zu entrichtendes
Außenbeitrag X X X X
Entgelt zur Verfügung gestellt werden.
Exporte 8,3 2,8 1,6 4,0
Knapp ein weiteres Fünftel des nomi-
nalen BIP wird investiert und erhöht abzüglich: Importe 7,0 – 0,3 3,1 3,7

­d amit den Bestand an Anlagen (Ausrüs- Bruttoinlandsprodukt 3,7 0,4 0,3 1,6

tungen, Bauten, sonstige Anlagen ein- X  Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.

108
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen  / 4.1  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Info 3
Ansätze der Verwendungsrechnung Auch schattenwirtschaftliche und illegale Aktivitäten fließen
Zur Ermittlung des Bruttoinlandsprodukts in das Bruttoinlandsprodukt ein
über die Verwendungsseite kommen grund- Für die Berechnung des Bruttoinlands- Eine Besonderheit stellt in der statisti-
sätzlich drei Ansätze in Betracht: Die Käufer
beziehungsweise Verwender der Güter
produkts und der anderen Aggregate schen Praxis die Erfassung von illega-
­können nach ihren Ausgaben gefragt werden. der VGR werden grundsätzlich alle len – also der ausdrücklich verbotenen –
Es ist aber auch möglich, die Produzenten wirt­schaftlichen Aktivitäten einer Aktivitäten dar. Die EU-weit bedeut-
der Waren und Dienstleistungen über ihre
Lieferungen an Konsumenten, Investoren Volkswirtschaft erfasst. Dies gilt unab- samsten illegalen Aktivitäten – Drogen,
und die übrige Welt zu befragen. Schließlich hängig davon, ob diese Aktivitäten Schmuggel und Prostitution – sind seit
können mithilfe der Güterstrommethode die den Behörden bekannt sind oder nicht der VGR-Revision 2014 Teil der amt­
Verwendungsstrukturen für Waren und
Dienstleistungen geschätzt werden. Theore- (zum Beispiel Steuer-, Sozialversiche- lichen VGR in Europa. Bezogen auf die
tisch führen diese drei Ansätze zum gleichen rungs-, Statistikbehörden) und auch Situation in Deutschland bedeutet dies,
Ergebnis, sodass die Entscheidung darüber,
unabhängig davon, ob sie legal oder dass der Handel und die Produktion
welcher Weg in der Praxis beschritten wird,
vor allem von den statistischen Gegeben­ ­illegal ausgeübt werden. Demzufolge von Drogen sowie der Schmuggel von
heiten und den Nutzeranforderungen an die enthält das Bruttoinlandsprodukt auch Zigaretten seither mithilfe von Schätz-
Aktualität abhängt.
Aktivitäten der Schattenwirtschaft modellen in die VGR-Berechnungen
(zum Beispiel Verkäufe ohne Rech- einbezogen werden. Allerdings ist Pro-
nung, Eigenleistung und Nachbar- stitution in Deutschland grundsätzlich
u Abb 4  Struktur der ­Verwendung
schaftshilfe am Bau). Im Zuge der Be- nicht verboten und war damit bereits
2014 — in Prozent des Bruttoinlands­-
produkts rechnungen wird das Datenmaterial zuvor im BIP enthalten, und Alkohol-
auf mögliche Untererfassung überprüft schmuggel hat aufgrund der relativ
und bei Bedarf durch Schätzungen niedrigen Preise in Deutschland wirt-
Private ­ergänzt. Auf diese Weise soll vor allem schaftlich keine Bedeutung.
Konsum-
Außenbeitrag ausgaben die Vollständigkeit (»exhaustiveness«)
6,7 54,6 des Bruttoinlandsprodukts beziehungs-
weise des Bruttonationaleinkommens
Brutto-
sichergestellt werden. Allerdings er-
investitionen folgt in Deutschland kein getrennter
19,3 Nachweis der Schattenwirtschaft in der
BIP
2 915,7 amtlichen Statistik.
Milliarden
Euro
Konsum-
ausgaben
des Staates

19,3

schließlich Forschung und Entwicklung) erzielt, wovon entsprechend positive Im- den Berechnungsarten knüpft die Vertei-
oder verändert die Vorrats- und Wert­ pulse für das Wirtschaftswachstum aus- lungsrechnung nicht an der Güterseite an,
sachenbestände. gingen. u Tab 3 sondern an der Entlohnung der Produk-
Zur Nachfrageseite des BIP gehört ne- tionsfaktoren Arbeit und Kapital. Ausge-
ben der inländischen Verwendung auch 4.1.4 Die Verteilungsrechnung des hend von den Einkommensarten wird
der Außenbeitrag. Er stellt den Saldo aus Bruttoinlandsprodukts das BIP beziehungsweise das BNE im
Exporten und Importen von Waren und Die Verteilungsrechnung stellt – neben Rahmen der Verteilungsrechnung ent­
Dienstleistungen an die beziehungsweise der Entstehungs- und Verwendungs­ weder über die im Inland entstandenen
aus der übrigen Welt dar. Die Bundes­ rechnung – einen dritten Weg dar, um (geleisteten beziehungsweise gezahlten)
republik Deutschland hat eine stark das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und das Einkommen oder über die von Inländern
export­a bhängige Wirtschaft: Seit dem Bruttonationaleinkommen (BNE) zu er- empfangenen Einkommen aus Produk­-
Jahr 1993 wurden stets Exportüberschüsse mitteln. Anders als bei den anderen bei- t ­ionstätigkeit berechnet.  u Tab 4, Tab 5

109
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.1 /  Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

u Tab 4  Ergebnisse der Verteilungsrechnung über die entstandenen In der Bundesrepublik Deutschland
und verteilten Einkommen — in Milliarden Euro ist eine eigenständige und in sich ge-
2011 2012 2013 2014 schlossene Verteilungsrechnung nicht
Bruttonationaleinkommen 2771,3 2820,4 2882,0 2982,4
möglich, weil über den Betriebsüber-
+ Primäreinkommen an die
schuss beziehungsweise über die Unter-
151,3 140,8 129,0 126,5
übrige Welt nehmenseinkommen nur lückenhafte
– Primäreinkommen aus der
219,5 206,4 190,2 193,3
­basisstatistische Informationen vorliegen.
übrigen Welt
Diese Größen werden daher als Salden-
= Bruttoinlandsprodukt 2703,1 2754,9 2820,8 2915,7
größen aus dem gesamtwirtschaftlichen
+ Gütersubventionen 7,0 6,3 6,4 6,7
Kreislauf abgeleitet.
– Gütersteuern 282,0 286,1 290,3 299,2
Der umfassendste Einkommensbe-
= Bruttowertschöpfung 2428,1 2475,1 2536,9 2623,1
griff der Volkswirtschaftlichen Gesamt-
– Abschreibungen 475,5 492,2 505,1 517,8
rechnungen ist das Bruttonational­
= Nettowertschöpfung 1952,5 1982,9 2031,8 2105,3
einkommen (BNE). Das BNE ist an die
+ Sonstige Subventionen 26,1 23,3 23,5 24,1 Stelle des früher benutzten Begriffs des
– S onstige Bruttosozial­produkts (BSP) getreten und
17,7 19,1 18,7 19,2
Produktionsabgaben stimmt mit diesem konzeptionell überein.
– A rbeitnehmerentgelt Das BNE errechnet sich, indem vom BIP
1337,3 1389,2 1428,3 1482,8
(Inland)
die Primäreinkommen abgezogen wer-
= B etriebsüberschuss/Selbst-
623,6 598,0 608,2 627,5
ständigeneinkommen den, die an die übrige Welt geflossen sind,
und umgekehrt die Primäreinkommen
hinzugefügt werden, die inländische
uTab 5  Ergebnisse der Verteilungsrechnung über die
Wirtschafts­einheiten von der übrigen
empfangenen Einkommen — in Milliarden Euro
Welt bezogen haben. Es hat insbesondere
2011 2012 2013 2014 als Grundlage für die Berechnung der
Bruttoinlandsprodukt 2 703,1 2 754,9 2 820,8 2 915,7 EU­-Eigenmittel eine herausragende Be-
– Primäreinkommen an die deutung.
151,3 140,8 129,0 126,5
übrige Welt
Eine wichtige Größe der Verteilungs-
+ Primäreinkommen aus der
219,5 206,4 190,2 193,3 rechnung ist das Volkseinkommen. Es ist
übrigen Welt
= Bruttonationaleinkommen 2 771,3 2 820,4 2 882,0 2 982,4 die Summe der Erwerbs- und Vermögens­
– Abschreibungen 475,5 492,2 505,1 517,8 einkommen, die die inländischen Wirt-
= Nettonationaleinkommen 2 295,8 2 328,2 2 377,0 2 464,7 schaftseinheiten in einer Periode emp-
+ Subventionen des Staates 27,4 24,1 24,4 25,5 fangen haben. Das Volkseinkommen
– Produktions- und Import­-
295,1 300,6 304,7 314,0
setzt sich aus dem Arbeitnehmerentgelt
abgaben an den Staat
der Inländer und den Unternehmens-
= Volkseinkommen 2 028,1 2 051,7 2 096,6 2 176,2
und Vermögenseinkommen zusammen.
– A rbeitnehmerentgelt
der ­Inländer
1 339,7 1 391,5 1 430,8 1 485,3 Das Arbeitnehmerentgelt umfasst
= U nternehmens- und
­neben den Bruttolöhnen und -gehältern
688,4 660,2 665,8 690,9
Vermögenseinkommen auch die Sozialbeiträge der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer sowie deren Lohn-
steuer. Im Jahr 2014 entfielen 18 % des
u Tab 6  Arbeitnehmerentgelt, Löhne und Gehälter
Arbeitnehmerentgelts auf die Sozialbei-
(der Inländer) — in Milliarden Euro
träge der Arbeitgeber und 27 % auf die
2011 2012 2013 2014 Abzüge der Arbeitnehmer, welche sich
Arbeitnehmerentgelt
1 339,7 1391,5 1 430,8 1 485,3 etwa je zur Hälfte aus Sozialabgaben und
der Inländer
Lohnsteuer zusammensetzten. In ge-
– Sozialbeiträge der Arbeitgeber 251,1 258,1 262,5 271,6
samtwirtschaftlicher Betrachtung blie-
= Bruttolöhne und -gehälter 1 088,6 1 133,5 1 168,3 1 213,7 ben 2014 vom Arbeitnehmerentgelt
– S ozialbeiträge der Arbeit- knapp 55 % als Nettolöhne und -gehälter
191,0 197,5 201,7 209,3
nehmer
bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
– Lohnsteuer der Arbeitnehmer 168,3 178,2 186,9 196,3
nehmern. Im Jahr 1991 waren es noch
= Nettolöhne und -gehälter 729,4 757,8 779,7 808,1
knapp 58 % gewesen. u Tab 6

110
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen  / 4.1  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Tab 7  Arbeitsproduktivität, Durchschnittslöhne und Lohnstückkosten im Inland

Arbeitsproduktivität 1 Arbeitnehmerentgelt Bruttolöhne und -gehälter Lohnstückkosten 2

je geleisteter je je geleisteter je je geleisteter


je Erwerbs- Personen- Stunden-
Erwerbstätigen- Arbeitnehmer Arbeitnehmer- Arbeitnehmer Arbeitnehmer-
tätigen konzept konzept
stunde monatlich stunde monatlich stunde
Index (2010 = 100) in Euro Index (2010 = 100)

2011 102,27 102,06 3 011 27,48 2 445 22,32 100,66 100,49

2012 101,50 102,58 3 087 28,48 2 513 23,18 104,00 103,61

2013 101,16 103,25 3 143 29,23 2 565 23,85 106,26 105,66

2014 101,88 103,63 3 226 29,82 2 635 24,35 108,28 107,40

1  Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt, Kettenindex) je Erwerbstätigen beziehungsweise je geleisteter Erwerbstätigenstunde (jeweils umgerechnet auf Index 2010 = 100).
2  Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer beziehungsweise je geleisteter Arbeitnehmerstunde (jeweils umgerechnet auf Index 2005 = 100) in Relation zur Arbeitsproduktivität
(je Erwerbstätigen beziehungsweise je geleisteter Erwerbstätigenstunde).
Quelle für geleistete Arbeitsstunden: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)

4.1.5 Gesamtwirtschaftliche Quoten reiche) je Erwerbstätigen oder je geleiste- Lohnstückkosten. Aus der Entwicklung
Das Arbeitnehmerentgelt pro Kopf bezie- ter Erwerbstätigenstunde. Die Arbeits- der Lohnstückkosten kann man darauf
hungsweise je geleisteter Arbeitnehmer- produktivität wird häufig als Maß für die schließen, wie sich die Arbeitskosten je
stunde ist ein wichtiges Maß für die Produktivität einer Volkswirtschaft oder Produkteinheit verändert haben. Bei der
­Kosten des Faktors Arbeit in einer Volks- eines Wirtschaftsbereichs verwendet. Da- Interpretation aller Quoten ist aber Vor-
wirtschaft. Als Maß für das durch­ bei muss aber beachtet werden, dass hier sicht geboten: So erhöht zum Beispiel der
schnittliche Einkommen werden häufig die gesamte Wirtschaftsleistung rechne- Abbau von Arbeitsplätzen rechnerisch
die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit- risch lediglich zum Produktionsfaktor die Arbeitsproduktivität pro Kopf, was
nehmerin beziehungsweise Arbeitnehmer Arbeit in Beziehung gesetzt wird. Andere wiederum einem Anstieg der Lohnstück-
oder je geleisteter Arbeitnehmerstunde Aspekte wie zum Beispiel die Kapitalpro- kosten entgegenwirkt. u Tab 7
heran­gezogen. Eine andere vielfach ge- duktivität bleiben dabei außer Acht.
nutzte gesamtwirtschaftliche Quote ist Setzt man das Arbeitnehmerentgelt
die A
­ rbeitsproduktivität, also das (preis- pro Kopf beziehungsweise je geleisteter
bereinigte) BIP beziehungsweise die Arbeitnehmerstunde in Relation zur Ar-
Bruttowertschöpfung (für Wirtschaftsbe- beitsproduktivität, so erhält man die

111
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.2 /  Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

4.2 In welchen Aufgabenfeldern setzt der


deutsche Staat seine Finanzmittel ein?
wurden und in welchem Umfang auf
Fremdmittel (Schulden beim nicht öffent-
Öffentliche Aus welchen Quellen finanziert er sich lichen Bereich) oder Rücklagen zur De-
Finanzen und und welche Auswirkungen haben die
­öffentlichen Ausgaben und Einnahmen
ckung eines etwaigen Finanzierungsdefi-
zits (Ausgaben größer als Einnahmen) zu-
öffentlicher auf Wirtschaft und Gesellschaft? Detail- rückgegriffen werden musste. Sind die
Dienst lierte Informationen darüber sind unab-
dingbare Grundlage für wichtige poli­
öffentlichen Einnahmen höher als die
­öffentlichen Ausgaben, entsteht ein Finan-
tische Entscheidungen auf Bundes- und zierungsüberschuss und es können Rück-
Renate Schulze-Steikow Landesebene. Finanzstatistiken bilden lagen gebildet oder Schulden getilgt
Daten über den Stand der öffentlichen ­werden. Im Zeitraum seit 1992, für den
Ausgaben und Einnahmen in Deutsch- ­Daten über die öffentlichen Finanzen des
Destatis
land ab. Sie sind zugleich Basis für die vereinigten Deutschlands vorliegen, wie-
Darstellung der Finanzen des Staates im sen die Einheiten des Öffentlichen Ge-
Rahmen der Volkswirtschaftlichen Ge- samthaushalts dreimal einen Finanzie-
samtrechnungen, die den öffentlichen rungsüberschuss aus. Im Jahr 2000 war
Überschuss beziehungsweise das öffent­ dies wegen einmaliger Einnahmen aus der
liche Defizit Deutschlands im Rahmen Versteigerung von Mobilfunk­lizenzen der
des Europäischen Stabilitäts- und Wachs- Fall. Damals betrug der Überschuss
tumspakts berechnen. 18,6 Milliarden Euro. Weitere Überschüs-
Die Ansprüche an die Qualität der se wurden 2007 sowie 2014 mit 9,0 bezie-
Daten über die öffentlichen Finanzen hungsweise 6,1 Milliarden Euro erwirt-
nehmen aufgrund ihrer Bedeutung stetig schaftet. Ursache waren gestiegene Ein-
zu. Die Überwachung der nationalen nahmen aus Steuern und steuerähn­lichen
Schuldenbremse erfordert belastbare Abgaben aufgrund der guten wirtschaft­
­Daten und infolge der Finanzmarkt- und lichen Entwicklung.
Wirtschaftskrise 2008/2009 sind die Der Öffentliche Gesamthaushalt ist
­A nforderungen für die EU-Stabilitäts­ ein wichtiges Aggregat im Modell des
berichterstattung gestiegen. Des Weite- sogenannten Schalenkonzepts, in dem
ren sollen die Daten über die öffentliche die öffentlichen Finanzen des gesamten
Finanzwirtschaft möglichst aktuell und öffentlichen Bereichs abgebildet wer-
zeitnah zur Verfügung stehen. den. u Abb 1, Info 1
Die Daten des »Öffentlichen Gesamt-
haushalts« bieten einen bedeutenden Aus- 4.2.1 Ausgaben und Einnahmen des
schnitt der öffentlichen Finanzwirtschaft. Öffentlichen Gesamthaushalts
Der Öffentliche Gesamthaushalt umfasst In Deutschland existiert ein föderaler, für-
neben den Kernhaus­halten des Bundes, sorglicher Staat. Dieser sorgt für die wirt-
der Länder, der Gemeinden/Gemeinde- schaftlichen und sozialen Rahmenbedin-
verbände und der S­ozialversicherung gungen und kümmert sich mit seinen
auch deren Extrahaushalte sowie die Fi- ­v ielfältigen, von den verschiedenen staat­
nanzanteile der Euro­päischen Union (EU). lichen Ebenen durchgeführten Maßnah-
Zu den Extrahaushalten zählen alle öffent- men um seine Bürgerinnen und Bürger.
lichen Fonds, Einrichtungen und Unter- Zur Finanzierung seiner Aufgaben benö-
nehmen, die nach den Kriterien des Euro- tigt der Staat Einnahmen, die er haupt-
päischen Systems Volkswirtschaftlicher sächlich durch die Erhebung von Steuern,
Gesamtrechnungen dem Sektor Staat zu- aber auch aus anderen Quellen, erhält. Die
zurechnen sind. soziale Sicherung ist der wichtigste staat­
Die Daten des Öffentlichen Gesamt- liche Aufgabenbereich, der regelmäßig den
haushalts zeigen, welche Einnahmen den größten Anteil der öffentlichen Ausgaben
Kern- und Extrahaushalten zugeflossen ausmacht. Kinder- und Elterngeld sowie
sind, welche Ausgaben damit finanziert der Ausbau der Kindertagesbetreuung sind

112
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  / 4.2  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Abb 1  Das Schalenkonzept der öffentlichen Finanzwirtschaft Beispiele für Sozialleistungen und Maß-
nahmen, die der jüngeren Generation zu-
gutekommen sollen. Weitere wichtige
staatliche Aufgaben sind die Bereitstellung
Öffentlicher Bereich Öffentlicher
Gesamthaushalt¹ einer Justiz sowie der Polizei, um für öffent-
Sonstige öffentliche Fonds,
Einrichtungen und Unternehmen liche Sicherheit und Ordnung zu sorgen.
Extrahaushalte
In den Bereich der ­Bildung fließen eben-
falls umfangreiche ­öffentliche Gelder.
Kernhaushalte Insgesamt lagen die um Zahlungen
Bund/Länder zwischen den Ebenen bereinigten Aus­
Gemeinden/Gemeindeverbände
Sozialversicherung gaben des Öffentlichen Gesamthaushalts
im Jahr 2014 bei rund 1 240 Milliarden
Euro. Gegenüber dem Vorjahr entspricht
dies einer Erhöhung von 2,6 %. Der größte
Ausgabenblock entfiel mit 553,1 Milliar-
den Euro auf die Sozialversicherung. Diese
umfasst die gesetzliche Kranken-, Renten-
und Unfallversicherung, die soziale Pflege­
1  Einschließlich EU-Anteile.
versicherung, die Alterssicherung für
Landwirte sowie die Arbeitslosenversi-
cherung. Der zweitgrößte Ausgabenanteil
lag beim Bund in Höhe von 344,3 Milliar-
den Euro. Weitere 341,4 Milliarden Euro
der öffentlichen Ausgaben wurden von
u Info 1
den 13 Flächenländern sowie den drei
Öffentlicher Gesamthaushalt und öffentlicher Bereich
Stadtstaaten und 217,6 Milliarden Euro
Seit den 1980er-Jahren ist die verstärkte Verlagerung öffentlicher Aufgaben auf Einheiten
mit e­ igenem Rechnungswesen außerhalb der Kernverwaltung zu beobachten. Sofern
von der kommunalen Ebene getätigt. Hin-
die Kernhaus­halte mit mehr als 50 % der Kapital- oder Stimmrechte beteiligt sind, werden weis: Die Addition der Ebenen enthält
sie als öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen bezeichnet. Eine Folge hier- Doppelzählungen und ist deshalb größer
von ist, dass Einnahmen und Ausgaben nicht mehr in den Kernhaushalten von Bund,
Ländern, Gemeinden/Gemeindeverbänden und Sozial­versicherung enthalten sind. Dies als die Summe der bereinigten Ausgaben.
gilt auch für öffentliche Schulden, öffentliches Finanz­vermögen und Personal. Da das Im Zeitraum 1992 bis 2014 sind die
­Ausmaß dieses Prozesses unterschiedlich ausgeprägt ist, sind die öffentlichen Kernhaus- Ausgaben der Sozialversicherung mit
halte – zum Beispiel die der Länder untereinander – nicht mehr vergleichbar.
72 % überproportional angestiegen. We-
Für die umfassende Darstellung der gesamten öffentlichen Finanzwirtschaft wurde das sentliche Gründe für diese Entwicklung
Modell des Schalenkonzepts entwickelt (siehe Abbildung 1), in dem die Kern- und Extra-
haushalte zum Öffent­lichen Gesamthaushalt aggregiert werden. Somit wird der dyna- waren die deutsche Vereinigung, die Ein-
mische Prozess der wirtschaft­lichen Umstrukturierung und Ausgliederung öffentlicher Ein- führung der sozialen Pflegeversicherung
richtungen lückenlos erfasst, die Ausgaben- und Einnahmenströme sowie die Schulden
1995 sowie zusätzliche Ausgaben zum
vollständig abgebildet und damit ein konsistenter Vergleich der öffentlichen Finanzen weiter-
hin ermöglicht. Beispiel bei der Bundesagentur für Ar-
Den Mittelpunkt bilden die Kernhaushalte des Bundes, der Länder, der Gemeinden/
beit wegen zeitweise gestiegener Arbeits-
Gemeinde­v erbände und der Sozialversicherung. Die öffentlichen Fonds, Einrichtungen losenzahlen.
und Unternehmen des Staatssektors, die sogenannten Extrahaushalte, bilden die mitt­lere Viele Dienstleistungen der öffentlichen
Schale. Einschließlich der ­F inanzanteile der Europäischen Union werden Kern- und
Extrahaushalte zum Öffentlichen Gesamthaushalt zusammengeführt. Der Berichtskreis Hand sind sehr personalintensiv, so bei-
des Öffentlichen Gesamthaushalts in der Finanz­s tatistik entspricht dem Sektor Staat in spielsweise Schulen, Hochschulen, Polizei
den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. In der äußeren Schale werden die und Rechtsschutz (Gerichtswesen, Justiz-
sonst­igen öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen dargestellt. Sie bilden
zusammen mit den Kern- und Extrahaushalten die Finanzen des öffent­lichen Bereichs ab. vollzugsanstalten), Gesundheitswesen,
aber auch Verteidigung und die Bau-,
Steuer- und Zollverwaltung. Die hohen
Anforderungen an das Dienstleistungs-
angebot des Staates erfordern entspre-
chendes Fachpersonal; daher fallen diese
öffentlichen Ausgaben besonders ins Ge-

113
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.2 /  Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

wicht. Die Kern- und Extrahaushalte des u Tab 1  Ausgaben und Einnahmen des Öffentlichen Gesamthaushalts 2014
Öffentlichen Gesamthaushalts wendeten Veränderung1
In Millionen Euro
2014 einen Betrag von 254,9 Milliarden zum Vorjahr in %
Euro für Personal (einschließlich Pensio- Bereinigte Ausgaben 1 239 689 + 2,6
nen und Ähnlichem) auf. Das waren 21 %
 Personalausgaben 254 939 + 4,6
ihrer Gesamtausgaben. In den Ländern,
 Laufender Sachaufwand 338 204 + 4,9
die in großem Umfang für die Durchfüh-
rung und Finanzierung personalinten­  Zinsausgaben 56 735 – 14,1
siver öffentlicher Aufgaben zuständig  Soziale und ähnliche Leistungen 397 679 + 3,0
sind, erreichten sie im Jahr 2014 einen  Sachinvestitionen 47 072 + 8,7
Anteil von 38 % des Ausgabenvolumens.
 Baumaßnahmen 34 422 + 10,6
Im kommunalen Bereich machten die
Bereinigte Einnahmen 1 245 605 + 3,7
Personalausgaben einen Anteil von knapp
27 % aus. Am niedrigsten waren sie beim  Steuern und steuerähnliche Abgaben 1 091 349 + 3,8
Bund mit einem Anteil von etwa 13 % der  Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit 28 983 + 37,6
Gesamtausgaben. u Tab 1  Zinseinnahmen 14 015 – 18,7
Für Baumaßnahmen und sonstige
 Gebühren und ähnliche Entgelte 56 544 + 6,6
­S achinvestitionen wurden in Deutsch-
land 2014 öffentliche Ausgaben in Höhe 1  Veränderung auf Basis revidierter Vorjahresergebnisse.

von 47,1 Milliarden Euro getätigt. Rund


52 % hiervon entfielen allein auf den
kommunalen Bereich. Die Zinsausgaben u Abb 2  Ausgaben des Öffentlichen Gesamthaushalts
erreichten ein Volumen von 56,7 Milliar- nach Aufgabenbereichen 2011 — in Prozent
den Euro, wobei 60 % der Ausgaben zu
Lasten des Bundes gingen. Weitere wich-
tige Ausgabenposten des Öffentlichen Sonstige Aufgaben Soziale Sicherung
Gesamthaushalts sind der laufende Sach- 11 56
aufwand mit 338,2 Milliarden Euro (zum
Beispiel Ausgaben für Heiz-, Energie- Versorgung

und Betriebskosten, für die Unterhaltung 5


des unbeweglichen Vermögens, für Ver-
Schulden
brauchsmittel und militärische Anschaf-
5
fungen) sowie Zuschüsse an private
1 110 Milliarden
Haushalte (in erster Linie soziale Leistun- Bildung, Wissenschaft Euro
Forschung, Kultur
gen), an Unternehmen (Subventionen)
11
sowie an soziale und sonstige Einrichtun-
gen im In- und Ausland in Höhe von zu-
sammen 503,9 Milliarden Euro. Allgemeine
Dienste
Im Jahr 2014 standen den öffentlichen
12
Ausgaben von rund 1 240 Milliarden Euro
Einnahmen aus Steuern, steuerähnlichen
Abgaben und anderen Einnahmenquellen
(zum Beispiel Gebühren, Mieten, Ver-
kaufserlöse für Beteiligungen und Sach-
vermögen, Zinsen) von insgesamt rund
1 246 Milliarden Euro gegenüber. An Kre- setzt, gibt die Betrachtung der öffent­ derem die Familien-, Sozial- und Jugend­
diten hatte der Öffentliche Gesamthaus- lichen Ausgaben nach den sogenannten hilfe, die Arbeitsmarktpolitik und die So-
halt zusammen netto 6,8 Milliarden Euro Aufgabenbereichen. Hierfür stehen Daten zialversicherung beinhaltet. Den zweit-
(Saldo der Schuldenaufnahme und Schul- über das Jahr 2011 zur Verfügung. Sie höchsten Anteil an den Ausgaben hatten
dentilgung) getilgt. zeigen, dass der weitaus größte Ausga- mit 12 % die allgemeinen Dienste, zu de-
Eine Antwort auf die Frage, für was benblock mit einem Anteil von 56 % auf nen Verteidigung, öffentliche Sicherheit
der Staat seine finanziellen Mittel ein- die soziale Sicherung entfällt, die unter an- und Ordnung, Rechtsschutz sowie politi-

114
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  / 4.2  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

sche Führung und zentrale Ver­waltung u Tab 2  Die ergiebigsten Steuern — in Millionen Euro
gehören. Ausgaben für Bildung, Wissen- Ertrag steht zu 2012 2013 2014
schaft, Forschung und Kultur bean-
Lohnsteuer B / L / G 149 065 158 198 167 983
spruchten 11 %, gefolgt von den Ausga-
ben für den Schuldendienst mit 5 %. Für Umsatzsteuer B / L / G / EU 142 439 148 315 154 228

die Versorgung (zum Beispiel Ruhegehalt Einfuhrumsatzsteuer B / L / EU 52 196 48 528 48 883

und Hinterbliebenenversorgung von Be- Veranlagte Einkommensteuer B / L / G 37 262 42 280 45 613
amten und Richtern) wurden ebenfalls Gewerbesteuer G / B / L 42 345 43 027 43 756
5 % der Ausgaben aufgewendet. u Abb 2 Energiesteuer B 39 305 39 364 39 758
Die Einnahmen des Öffentlichen Ge-
Körperschaftsteuer B / L 16 934 19 508 20 044
samthaushalts stiegen im Jahr 2014 ge-
Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag B / L 20 059 17 259 17 423
genüber dem Vorjahr um 3,7 %. Grund
dafür war die Zunahme der Einnahmen Solidaritätszuschlag B 13 624 14 378 15 047

aus Steuern und steuerähnlichen Ab­ Tabaksteuer B 14 143 13 820 14 612

gaben infolge der verbesserten Wirt- Grundsteuer für Grundstücke G 11 642 11 992 12 691
schaftsentwicklung. Im Jahr 2014 flossen Versicherungsteuer B 11 138 11 553 12 046
rund 1 091 Milliarden Euro Einnahmen
B = Bund;
aus Steuern und steuerähnlichen Abga- EU = Europäische Union;
G = Gemeinden;
ben in die öffentlichen Kassen, das waren L = Länder.

3,8 % mehr als im Vorjahr. Steuern sind


die ­originäre Einnahmenquelle der Ge-
bietskörperschaften, ihre Bedeutung für uAbb 3  Ausgaben und Einnahmen des Öffentlichen Gesamthaushalts
die einzelnen Ebenen ist jedoch sehr — in Milliarden Euro
unter­schiedlich. Während sich Bund und
Länder (mit rund 87 % beziehungsweise
1 300
69 %) überwiegend aus dieser Einnah-
menquelle finanzierten, betrug der Anteil
der Einnahmen aus Steuern und steuer-
1 200
ähnlichen Abgaben bei den Kommunen
lediglich 37 %. Auf kommunaler Ebene
spielen Länderzuweisungen, vor allem
Schlüsselzuweisungen im Rahmen des 1 100
kommunalen Finanzausgleichs, eine be-
deutendere Rolle. Die Beitragseinnah-
men der Sozialversicherung, die finanz- 1 000
statistisch zu den steuerähnlichen Abga-
ben zählen, betrugen 447,0 Milliarden
Euro. Bei den übrigen Haushaltsebenen
900
bestehen die steuerähnlichen Abgaben
vor allem aus Münzeinnahmen (beim
Bund) und Spielbankabgaben (bei den
Ländern). 800

Die Steuereinnahmen, die im Jahr


2014 insgesamt 643,6 Milliarden Euro be-
trugen und damit 23,9 Milliarden Euro
beziehungsweise 4 % höher als 2013 waren,
lassen sich nach der Ertragskompetenz,
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
das heißt der Verteilung der Steuerein-
nahmen auf die Gebietskörperschaften, Einnahmen
Ausgaben
aufgliedern.
Einmalige Einnahmen aus Versteigerung der Mobilfunklizenzen
Den größten Teil der Steuern 2014
machten die gemeinschaftlichen Steuern

115
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.2 /  Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

u Abb 4  Finanzierungssaldo des Öffentlichen Gesamthaushalts — in Milliarden Euro aus (462,0 Milliarden Euro). Das sind
Steuern, die auf mehrere Gebietskörper-
schaften aufgeteilt werden. Innerhalb der
18,6 gemeinschaftlichen Steuern waren die
9,0
6,1 Lohn- und veranlagte Einkommensteuer
mit 213,6 Milliarden Euro und die Um-
–4,2 –6,4 –7,2
–14,7 –11,0
satzsteuer (einschließlich Einfuhrum­
–26,0
–22,0 satzsteuer) mit 203,1 Milliarden Euro am
ertragreichsten. Bei den reinen Bundes-
–45,6
–49,8
–55,8
steuern (101,8 Milliarden Euro) erbrachte
–58,7
–60,9 –64,3 –63,8 die Energiesteuer die höchsten Einnah-
–68,0 –74,0 –75,0 men (39,8  Milliarden Euro). Von den
Gemeinde­steuern (57,7 Milliarden Euro)
–101,7 hatte die Gewerbesteuer mit 43,8 Milliar-
den Euro und bei den Landessteuern
1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
(17,6 Milliarden Euro) die Grunderwerb-
In finanzstatistischer Abgrenzung. steuer mit 9,3 Milliarden Euro den größ-
ten Stellenwert. Gegenüber dem Vorjahr
stieg das Aufkommen an der Lohn- und
veranlagten Einkommensteuer um 13,1
u Abb 5  Länderfinanzausgleich – Geleistete und erhaltene Zahlungen 2014 Milliarden Euro (+ 7 %), an der Umsatz-
— in Millionen Euro steuer (einschließlich Einfuhrumsatz-
steuer) um 6,3  Milliarden Euro (+ 3 %)
und an der Gewerbesteuer um 0,7 Milli-
4 852 Bayern arden Euro (+ 2 %). Die sechs auf kom-
mensstärksten Steuern (Lohn- und ver-
2 356 Baden-Württemberg
anlagte Einkommensteuer, Umsatz-,
1 755 Hessen ­Einfuhrumsatz-, Gewerbe- und Energie-
steuer) erbrachten somit mehr als drei
55 Hamburg
Viertel aller Steuereinnahmen. Das Auf-
Saarland 144 kommen der einzelnen Steuern variiert
im Zeitablauf insbeson­dere durch Geset-
Schleswig-Holstein 172
zesänderungen und die Wirtschaftsent-
Niedersachsen 276 wicklung, aber auch aufgrund veränder-
ten Konsumverhaltens der Steuerpflich­
Rheinland-Pfalz 288
tigen. u Tab 2
Mecklenburg-Vorpommern 463 Aus der Differenz zwischen Einnah-
men und Ausgaben errechnet sich der
Brandenburg 510
­Finanzierungssaldo (Defizit oder Über-
Thüringen 554 schuss) des Öffentlichen Gesamthaushalts.
Da seit den 1950er-Jahren die öffentlichen
Sachsen-Anhalt 585
Ausgaben mehrheitlich die Einnahmen
Bremen 604 übertrafen, wurden die er­forderlichen
Nordrhein-Westfalen 897
Mittel zur Finanzierung des Defizits über-
wiegend durch Schulden­aufnahmen am
Sachsen 1 034 Kreditmarkt gedeckt. Die Summierung
Berlin 3 491
dieser jährlichen Schul­denzuwächse führ-
te Ende 2014 zu einem Schuldenstand in
Höhe von rund 2 049 Milliarden Euro. Da-
geleistete Zahlungen erhaltene Zahlungen
raus resultierende Zins- und Tilgungsan-
sprüche werden die öffentliche Hand auch
Vorläufiges Ergebnis.
Quelle: Bundesministerium der Finanzen in Zukunft belasten. u Abb 3, Abb 4

116
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  / 4.2  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

4.2.2 Länderfinanzausgleich u Info 2

Aufgabe des Länderfinanzausgleichs ist es, Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA)


die unterschiedliche Finanzkraft der Bun- Zur öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA = Official Development Assistance) zählen ­
desländer durch Finanzhilfen angemes- vor allem die Ausgaben für die technische und die finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungs-­
ländern sowie für Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe. Ebenso ge­h ören ­B eiträge an
sen auszugleichen. Dies geschieht zum ­m ulti­laterale Institutionen für Entwicklungszusammen­a rbeit (zum Beispiel Vereinte Nationen) und
­e inen durch Ausgleichszahlungen von Schuldenerlasse dazu. Neben der ODA werden auch noch sonstige öffentliche und private
Ländern mit – im Verhältnis zu ihrer Ein- ­Leistungen an Entwicklungsländer erbracht, wie Leistungen aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen,
­D irektinvestitionen, Exportkredite.
wohnerzahl – hohen Steuereinnahmen an
Länder mit niedrigeren Einnahmen (hori-
zontaler Finanzausgleich). Zum anderen
leistet der Bund direkte Zahlungen an u Tab 3  Öffentliche Entwicklungs­zusammenarbeit
­finanzschwache Länder (vertikaler Finanz-
ODA-Leistungen Anteil am
ausgleich). Konkret festgemacht wird dies insgesamt Bruttonationaleinkommen
an der z­ entralen Zielgröße des Länder­
in Millionen Euro in %
f inanzausgleichs: der bundesdurch-
schnittlichen Steuerkraft je Einwohner. 2006 8 313 0,36
Unterschreiten die tatsächlichen Steuer- 2008 9 693 0,38
einnahmen je Einwohner eines Landes 2010 9 804 0,39
den Bundesdurchschnitt, so ist es grund-
2012 10 067 0,37
sätzlich ausgleichsberechtigt. Überschrei-
2014 12 486 0,42
ten sie ihn, ist das betreffende Land grund-
sätzlich ausgleichs­pf lichtig. Beim Aus- ODA = Official Development Assistance.

gleich sind jedoch S­ icherungen eingebaut,


die eine Über­nivellierung vermeiden sol-
len. Die Leistungen im Rahmen des
Länderfinanz­ausgleichs beliefen sich im
Jahr 2014 auf 9,0 Milliarden Euro. u Abb 5

4.2.3 Öffentliche 4.2.4 Schulden und Finanzvermögen raum 2004 bis 2014 abgebildet. Bis zum Be-
Entwicklungszusammenarbeit des Öffentlichen Gesamthaushalts richtsjahr 2010 ist die Schuldenentwicklung
Die Aufmerksamkeit der deutschen Poli- Soweit bei der Wahrnehmung öffentlicher durch einen starken Anstieg gekennzeich-
tik und Öffentlichkeit richtete sich in den Aufgaben die Ausgaben nicht durch Ein- net, insbesondere im Jahr 2010 (+ 317,3 Mil-
vergangenen Jahren verstärkt auf die Aus- nahmen der laufenden Periode oder durch liarden Euro gegenüber dem Vorjahr).
+ 3 491
gaben der öffentlichen Entwicklungszu- in früheren Jahren gebildete Rücklagen ge- ­Diese Erhöhung des Schuldenstandes re-
sammenarbeit (ODA siehe Info 2). Im Mai deckt werden können, verschuldet sich der sultierte überwiegend aus den Folgen der
2005 wurde vom EU-Ministerrat ein Öffentliche Gesamthaushalt. Die Verschul- ­Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. u Abb 6
ODA-Stufenplan verabschiedet, in dessen dung setzt sich hierbei zusammen aus Mit den Berichtskreiserweiterungen in
Rahmen sich Deutschland verpflichtete, ·· den Krediten des Öffentlichen Gesamt- den Jahren 2006 und 2010 reagierte die
den Anteil der ODA am Bruttonational- haushalts beim nicht öffentlichen Bereich, amtliche Statistik auf den zunehmenden
einkommen bis 2010 auf 0,51 % und bis ·· den Kassenkrediten beim nicht öffent- Ausgliederungsprozess von öffentlichen
2015 auf 0,7 % zu erhöhen. Für das Be- lichen Bereich sowie Aufgaben (und Schulden) auf Einheiten
richtsjahr 2014 ergab sich eine ODA-Quo- ·· den Wertpapierschulden. außerhalb der Kernhaushalte. Abbildung
te von 0,42 %. Das entspricht in absoluten Zum 31. Dezember 2014 lag die Staatsver- 6 veranschaulicht, dass sich diese Effekte
Zahlen ausgedrückt ODA-Leistungen in schuldung bei 2 049,2 Milliarden Euro. einschließlich der Umstellung des Erhe-
Höhe von 12,5 Milliarden Euro, wobei Der Bund verzeichnete rund 1 290 Milli- bungskatalogs zum Berichtsjahr 2010 ver-
sich 8,7 Milliarden Euro auf die ­bilaterale arden Euro, die Länder 619,5 Milliarden gleichsweise gering auf den Schuldenstand
und 3,8 Milliarden Euro auf die multilate- Euro, die kommunale Ebene 139,4 Milli- auswirkten. Während im Jahr 2013 erst-
rale Zusammenarbeit beziehen. Den arden Euro und die Sozialversicherung mals ein rückläufiger Schuldenstand ge-
größten Anteil an den Ausgaben hatte mit 561 Millionen Euro Schulden beim nicht genüber dem Vorjahr zu beobachten war,
6,3 Milliarden Euro (51 %) das Bundesmi- öffentlichen Bereich. stieg dieser im Jahr 2014 wieder leicht an.
nisterium für wirtschaft­liche Zusammen- In Abbildung 6 ist die Entwicklung des Neben dem nationalen Schuldenstand
arbeit und Entwicklung (BMZ). u Info 2, Tab 3 nationalen Schuldenstandes für den Zeit- ist in Abbildung 6 auch der Verlauf des

117
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.2 /  Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

sogenannten Maastricht-Schuldenstandes u Abb 6  Entwicklung der Verschuldung des Öffentlichen Gesamthaushalts


abgetragen. Dies ist der Schuldenstand, 2004 bis 2019 — in Milliarden Euro
den die Deutsche Bundesbank, den Vor-
gaben des Europäischen Systems Volks- 2 200

wirtschaftlicher Gesamtrechnungen ent-


sprechend, an das Statistische Amt der
Europäischen Union (Eurostat) meldet 2 000
und der dort veröffentlicht wird. Die Effekt der Berichts-
D ifferenz zwischen beiden Schulden­
­ kreisanpassung 2010

ständen resultiert aus notwendigen Zu-


1 800
beziehungsweise Absetzungen von Tatbe-
ständen, die die amtliche Schuldenstatis-
tik nicht nachweist beziehungsweise die
zu konsolidieren sind, um die von Eurostat 1 600
geforderte internationale Vergleichbarkeit
zu gewährleisten. Hier werden beispiels-
Effekt der Berichtskreis-
weise Korrekturen für Stützungsmaßnah- anpassung 2006
1400
men von Banken (ausgelagerte Einheiten
mit Sitz außerhalb Deutschlands) sowie
für Stützungsmaßnahmen zugunsten an-
derer EU-Staaten (zum Beispiel im Rah- 1200

men der Europäischen Finanzstabilisie-


rungsfazilität, die Teil der allgemein als 0
Euro-Rettungsschirm bezeichneten Maß- 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
nahmenpakete ist) vor­genommen.
Schulden beim nicht öffentlichen Bereich (nationaler Schuldenstand)
1

Ab dem Jahr 2015 ist in Abbildung 6 Maastricht-Schuldenstand 2


die Projektion der Bundesregierung hin- Projektion der Bundesregierung 3
sichtlich des Maastricht-Schuldenstandes
bis zum Jahr 2019 dargestellt. Die Bun-
desregierung rechnet mit einem annä-
1  Bis 2009 als Kreditmarktschulden einschließlich Kassenkredite, ab 2010 als Schulden beim nicht öffentlichen Bereich.
hernd ausgeglichenen gesamtstaatlichen 2  Quelle: Statistisches Amt der Europäischen Union (Eurostat).
3  Stand Juli 2015, Quelle: Bundesministerium der Finanzen.
Finanzierungssaldo und abklingenden
Effekten der Finanzmarkt- und Staats-
schuldenkrise: »Die positive Entwicklung
der öffentlichen Haushalte führt zu
­einem kontinuierlichen Rückgang der
Schuldenstandsquote bis auf rund 61 ½ %
im Jahr 2019.« (Siehe Monatsbericht des
BMF 8/2015, Seite 6). Dabei wird zwi- vermögen in Höhe von 539,8 Milliar- ­ rgänzend sind als Senkrechte bezie-
E
schen 2015 und 2019 ein Wachstum des den  Euro gegenüber. Davon entfielen hungsweise Waagerechte die über alle
(nominalen) Bruttoinlandsproduktes um 212,6  Milliarden Euro auf den Bund, Länder und Gemeinden/Gemeindever-
13,6 % und ein um 2,3 % sinkender Maas- 134,7 Milliarden Euro auf die Länder und bände durchschnittliche Pro-Kopf-Ver-
tricht-Schuldenstand unterstellt. 68,6 Milliarden Euro auf die kommunale schuldung und das durchschnittliche Pro-
Neben der Schuldenstatistik und der Ebene sowie 123,9  Milliarden Euro auf Kopf-Finanzvermögen eingetragen. Damit
Statistik der Einnahmen und Ausgaben die Sozialver­sicherung. ergeben sich vier Quadranten mit Aussa-
des Öffentlichen Gesamthaushalts bildet Für eine Darstellung der finanziellen gen zur Finanzsituation der einzelnen
die Statistik über das Finanzvermögen Lage in den Bundesländern ist in Abbil- Bundes­länder.  u Abb 7
eine weitere Säule der Stabilitätsbericht- dung 7 den Schulden das Finanzvermö-
erstattung an die Europäische Kommis- gen (jeweils beim nicht öffentlichen Be- 4.2.5 Öffentliche Fonds,
sion. Im Jahr 2014 standen den rund reich je Einwohner der kommunalen Ebe- ­Einrichtungen und Unternehmen
2 049  Milliarden Euro Schulden des Öf- ne und der Länderebene zusammen) am In den 1980er-Jahren begann der Staat in
fentlichen Gesamthaushalts ein Finanz- 31. Dezember 2014 gegenübergestellt. größerem Umfang, bestimmte Aufgaben

118
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  / 4.2  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Abb 7  Finanzvermögen und Schulden beim nicht öffentlichen Bereich


der Länder und Gemeinden je Einwohner 2014

durchschnittliche Pro-Kopf-Schulden beim nicht öffentlichen Bereich


der Länder und Gemeinden/Gemeindeverbände

Finanz- 4 500
vermögen
beim nicht Nordrhein-
4 000 Westfalen Bremen
öffentlichen
Bereich je
Einwohner 3 500
in Euro Hamburg
3 000 Brandenburg
Baden- Berlin
Hessen
Württemberg
2 500
Sachsen durchschnittliches
Mecklenburg-
Bayern Vorpommern Pro-Kopf-Finanz-
2 000
Rheinland-Pfalz vermögen beim
Sachsen-Anhalt nicht öffentlichen
1 500 Bereich der Länder
Thüringen Schleswig- und Gemeinden/
1 000 Nieder- Holstein Gemeindeverbände
Saarland
sachsen

500

0 5 000 10 000 15 000 20 000 25 000 30 000

Schulden beim nicht öffentlichen Bereich je Einwohner in Euro

relativ geringer Schuldenstand bei relativ hohem Finanzvermögen relativ hoher Schuldenstand bei relativ hohem Finanzvermögen
relativ geringer Schuldenstand bei relativ geringem Finanzvermögen relativ hoher Schuldenstand bei relativ geringem Finanzvermögen

Stichtag: 31.12.2014.

auf Einheiten außerhalb der öffentlichen 50 % des Stimmrechts oder des Nennka- Öffentliche Fonds, Einrichtungen
Haushalte (Kernhaushalte) auszulagern. pitals mittelbar beziehungsweise unmit- und Unternehmen verfügen über ein ei-
Eine wesentliche Rolle spielte dabei das telbar an diesen Einheiten beteiligt sind, genes, kaufmännisches oder kamerales
Streben nach einer effizienteren Aufga- werden sie in der Finanzstatistik unter Rechnungswesen beziehungsweise dop-
benerfüllung. Zum anderen wurde die dem Begriff »Öffentliche Fonds, Einrich- pelte Buchführung nach kommunalem
Forderung nach einem »schlanken Staat«, tungen und Unternehmen« (kurz: öffent- Haushaltsrecht (Doppik), so dass ihre
der sich auf seine Kernaufgaben be- liche Unternehmen) zusammen­gefasst. Einnahmen und Ausgaben nicht mehr im
schränkt, immer stärker. Parallel dazu Sie beziehen sich nicht nur auf ausge- jeweiligen Kernhaushalt enthalten sind.
erfolgte eine Reihe von Neugründungen wählte Wirtschaftszweige; die Bandbreite Die dargestellten Ergebnisse basieren
von öffentlichen Fonds, Einrichtungen reicht von Wohnungsbaugesellschaften, auf der Jahresabschlussstatistik, welche
und Unternehmen sowie der Einstieg der Krankenhäusern, Versorgungsunterneh- ausschließlich die Erhebung der öffent­
öffentlichen Haushalte in bestehende Un- men, Hochschulen bis zu den im Zuge der lichen Fonds, Einrichtungen und Unter-
ternehmen. Soweit die öffentlichen Haus- Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ent- nehmen mit kaufmännischem Rechnungs-
halte maßgeblich, das heißt mit mehr als standenen Abwicklungsanstalten. wesen umfasst. Im Berichtsjahr 2012 gab

119
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.2 /  Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

u Abb 8  Öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen gung« (12 %), »Energieversorgung« (10 %),
nach ausgewählten Wirtschaftszweigen 2012 »Abwasserentsorgung« (9 %), »Öffentliche
Verwaltung, Verteidigung, Sozialversiche-
rung« (8 %) sowie »Verwaltung und Füh-
Grundstücks- und
Wohnungswesen
1 822 rung von Unternehmen und Betrieben,
Unternehmensberatung« (7 %). u Abb 8
Alle Bereiche zusammen erzielten im
Wasserversorgung 1 776
Jahr 2012 eine Bilanzsumme von rund
2  Billionen Euro, darunter entfielen die
Energieversorgung 1 494 höchsten Bilanzsummen auf die Bereiche
»Erbringung von Finanzdienstleistungen«
(rund 540 Milliarden Euro) und »Öffent-
Abwasserentsorgung 1 388
liche Verwaltung, Verteidigung, Sozial-
versicherung« (459 Milliarden Euro).
Öffentliche Verwaltung,
Verteidigung, 1 193 Die Zahlen der Gewinn- und Verlust-
Sozialversicherung rechnung wiesen für das Berichtsjahr
Verwaltung und Führung von 2012 einen Jahresüberschuss von rund
Unternehmen und Betrieben, 1070
Unternehmensberatung
6,6 Milliarden Euro für alle öffentlichen
Unternehmen aus. Zu diesem Ergebnis
Gesundheitswesen 841 trugen wesentlich die Wirtschaftszweige
»Energieversorgung« (2,3 Milliarden
Sammlung, Behandlung und Euro), »Verwaltung und Führung von
Beseitigung von Abfällen, 556 Unternehmen und Betrieben, Unterneh-
Rückgewinnung
mensberatung« (1,6 Milliarden Euro) so-
Erbringung von Dienst-
leistungen des Sports, der 511
wie »Versicherungen, Rückversicherun-
Unterhaltung und der Erholung gen und Pensionskassen (ohne Sozialver-
sicherung)« (1,3 Milliarden Euro) bei.
Landverkehr und Transport in
Rohrfernleitungen
490 Daneben erwirtschaftete der Bereich
»Öffentliche Verwaltung, Verteidigung,
Sozialversicherung« gut 1 Milliarde Euro.
Übrige 4 045
Einen Jahresverlust beziehungsweise
Fehlbetrag verzeichneten öffentliche
Fonds, Einrichtungen und Unternehmen
in den Wirtschaftszweigen »Erbringung
Die Kategorie »Übrige« mit 4 045 Einheiten enthält alle Wirtschaftszweige von Dienstleistungen des Sports, der Un-
mit weniger als 400 Berichtseinheiten.
terhaltung und der Erholung« (– 483 Mil-
lionen Euro) sowie »Gesundheitswesen«
(– 582 Millionen Euro). u Tab 4

4.2.6 Personal im öffentlichen Dienst


Die öffentlichen Arbeitgeber (öffentlicher
Dienst und Unternehmen mit überwie-
es 15 186 öffentliche Fonds, Einrichtun- waren Zweckverbände. Zwischen den gend öffentlicher Beteiligung) beschäftig-
gen und Unternehmen mit kaufmänni- Jahren 2000 und 2012 stieg die Zahl der ten Mitte 2014 in Deutschland insgesamt
schem Rechnungswesen, davon 13 453 in der Jahresabschlussstatistik erfassten rund 5,8 Millionen Mitarbeiterinnen und
(89 %) auf der kommunalen Ebene. Der öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Mitarbeiter (einschließlich Berufs- und
Rest verteilte sich auf Beteiligungen der Unternehmen um 24 %. Zeitsoldaten beziehungsweise -soldatin-
Länder (9 %) und des Bundes (2 %). Die Die Schwerpunkte der wirtschaft­ nen). Davon übten 4,0 Millionen Personen
meisten öffentlichen Unternehmen wur- lichen Haupttätigkeit öffentlicher Fonds, eine Vollzeit- und 1,8 Millionen eine Teil-
den in der Rechtsform der GmbH (58 %) Einrichtungen und Unternehmen lagen zeitbeschäftigung aus. Gegenüber dem
oder des Eigenbetriebs (24 %) geführt. 2012 in den Bereichen »Grundstücks- und Vorjahr wurden 34 000 Vollzeitkräfte oder
Rund 7 % der öffentlichen Unternehmen Wohnungswesen« (12 %), »Wasserversor- 0,9 % mehr beschäftigt. Die Zahl der Teil-

120
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  / 4.2  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

u Tab 4  Ausgewählte Daten zur Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanzsumme öffentlicher Fonds,
Einrichtungen und Unternehmen 2012 — in Millionen Euro

Material- Personal-
Umsatz- Jahres- Bilanz-
aufwand aufwand
erlöse ergebnis summe
zusammen zusammen

Insgesamt 395 933 235 665 105 028 6 550 1 957 107

Energieversorgung 159 648 137 231 8 009 2 279 131 962

Verwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben,


4 579 2 808 1 883 1 568 159 218
Unternehmensberatung

Versicherungen, Rückversicherungen und Pensionskassen


20 020 3 708 7 967 1 296 94 946
(ohne Sozialversicherung)

Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung 15 371 3 305 9 802 1 052 458 746

Abwasserentsorgung 9 394 3 052 1 580 519 71 999

Sammlung, Behandlung und Beseitigung von Abfällen,


11 005 5 859 2 758 377 19 934
Rückgewinnung

Spiel-, Wett- und Lotteriewesen 4 362 1 604 207 330 1 327

Erbringung von Dienstleistungen des Sports,


1 021 648 519 – 483 6 546
der Unterhaltung und der Erholung

Gesundheitswesen 42 956 14 420 30 348 – 582 63 730

Die Sortierung erfolgt in absteigender Reihenfolge des Jahresergebnisses.

zeitkräfte hat sich um 4 000 Personen oder u Abb 9  Entwicklung des Personalstandes im öffentlichen Dienst
0,2 % erhöht. Der Anteil der Frauen an zum Stichtag 30. Juni — in Millionen
den Vollzeitbeschäftigten betrug 41 %, bei
den Teilzeitbeschäftigten waren es 83 %. 7

Die Bedeutung der öffentlichen Ar-


beitgeber für die Erwerbstätigkeit zeigt
sich, wenn das durch die öffentliche
Hand bezahlte Personal in Beziehung zur
Gesamtzahl der abhängig Erwerbstätigen
gesetzt wird. Gemessen an den 35,6 Mil- 6

lionen abhängig Erwerbstätigen ergibt


sich für den Bereich der öffentlichen Ar-
beitgeber ein Anteil von rund 16 %.
Die Zahl der Beschäftigten im öffent­
lichen Dienst ist seit der deutschen Ver­
einigung deutlich gesunken: Im Jahr 5
1992 waren rund 6,7 Millionen Personen
im ö­ ffentlichen Dienst beschäftigt, am
30. Juni 2014 dagegen 4,7 Millionen. Der
öffentliche Dienst umfasst nur Personal 4
der öffentlichen Arbeitgeber, welches
nicht bei privatrechtlichen Einrichtungen
0
und Unternehmen beschäftigt ist. Der
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014
massive Personalabbau im öffent­lichen
Dienst in den 1990er-Jahren resultierte in
erster Linie aus der Notwendigkeit, die

121
4 /  Wirtschaft und öffentlicher Sektor  4.2 /  Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst

u Abb 10  Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Personalausstattung der neuen Länder
nach Aufgabenbereichen 2014 — in Prozent und der dortigen Kommunen an die
­Verhältnisse des früheren Bundes­gebiets
anzupassen. Hinzu kamen die Privati­
Allgemeinbildende und
20,3 sierung der Deutschen Bundesbahn und
berufliche Schulen
Reichsbahn sowie der Deutschen Bundes-
Soziale Sicherung1 16,4
post. Zudem gab es auch e­inen Trend,
kommunale Krankenhäuser zu privatisie-
Hochschulen 11,1
ren und kommunale Dienstleistungen wie
Politische Führung 2 10,1
etwa Abfall­entsorgung oder Straßenreini-
gung an private Unternehmen auszu­
Öffentliche Sicherheit
9,8 lagern. Auch das führte zu einem Perso-
und Ordnung
nalrückgang im ­öffentlichen Sektor. u Abb 9
Verteidigung 3 5,3 Seit dem Jahr 2009 ist ein kontinuier­
licher Personalanstieg im öffentlichen
Gesundheit, Umwelt,
Sport und Erholung
5,3 Dienst zu verzeichnen. Dieser ist über-
wiegend bei Tageseinrichtungen für Kin-
Finanzverwaltung 4,0 der und im Bereich der Hoch­schulen zu
beobachten.
Rechtsschutz 3,8
Die Schwerpunkte des Personalein-
satzes im öffentlichen Dienst lagen 2014
Übrige Bereiche 13,8
bei den allgemeinbildenden und beruf­
lichen Schulen (20 %), der sozialen Siche-
Stichtag: 30.06. rung (16 %) und bei den Hochschulen
1  Einschließlich Familie und Jugend sowie Arbeitsmarktpolitik.
2  Einschließlich zentraler Verwaltung. (11 %). u Abb 10
3  Einschließlich Berufs- / Zeitsoldaten und -soldatinnen, ohne freiwillig Wehrdienstleistende.
Die Gesamtzahl der pensionierten Be-
amten, Richter sowie Berufssoldaten und
ihrer Hinterbliebenen (zusammen: Ver-
sorgungsempfänger) ist seit der deut-
schen Vereinigung erheblich gestiegen.
Im Zeitraum 1992 bis 2015 ist die Anzahl

1,6 Mill.
der Versorgungsempfängerinnen und
-empfänger des öffentlichen Dienstes um
rund 29 % gewachsen. Dies ist vor allem
auf den Aufbau von Personal im Bildungs-
bereich in den 1960er- und 1970er-Jahren
Versorgungsempfängerinnen
und -empfänger gab es im Jahr im früheren Bundesgebiet zurückzu­
2015. Dies ist ein Anstieg von führen, das nun seit einigen Jahren aus
29 % in den letzten 23 Jahren. dem Erwerbsleben ausscheidet. Insgesamt
erhielten am 1. Januar 2015 rund 1,6 Mil-
lionen Personen Leistungen des öffent-
lich-rechtlichen Alterssicherungssystems.
Versorgungsleistungen nach dem Be-
amten- und Soldatenversorgungsrecht
­erhielten Anfang 2015 beim Bund 180 000
ehemalige Bedienstete oder ihre Hinter-
bliebenen, bei den Ländern 822 000, im
kommunalen Bereich 119 000 sowie bei
der Sozialversicherung 22 000 Personen.
Beim Bundeseisenbahnvermögen (ehemals
Deutsche Bundesbahn) gab es im Januar
2015 rund 163 000 Versorgungsempfän-

122
Öffentliche Finanzen und öffentlicher Dienst  / 4.2  Wirtschaft und öffentlicher Sektor / 4

gerinnen und -empfänger sowie bei der u Abb 11  Pensionierungsgründe bei den Neupensionären
Bundesanstalt für Post und Telekom­ im öffentlichen Dienst 2014 — in Prozent
munikation (ehemals Deutsche Bundes-
post) 273 000 Personen. Die Zahl ehemali-
Sonstige Gründe Allgemeine Antragsaltersgrenze
ger, nach dem Krieg nicht übernommener
­Bediensteter des Deutschen Reiches und 1 30

ihrer Hinterbliebenen betrug 2015 rund Vorruhestandsregelung


10 000 Personen. 3
Für den Eintritt des aktiven Personals
in den Ruhestand gibt es im Wesent­ Antragsaltersgrenze bei Schwerbehinderung
lichen drei verschiedene Gründe: Entwe- oder bei besonderer Altersgrenze
der das Erreichen einer gesetzlich festge- 9
legten Altersgrenze, eine festgestellte
Besondere Altersgrenze
Dienstunfähigkeit oder die Inanspruch- 63 000
13
nahme einer Vorruhestandsregelung. Neupensionäre

Insgesamt lag die Zahl der im Laufe des


Jahres 2014 nach Beamten- und Soldaten­ Dienstunfähigkeit

versorgungsrecht in den Ruhestand ver­ 16


setzten Personen bei rund 63 000. Die
Mehrheit der Neupensionierungen (80 %) Gesetzliche Regelaltersgrenze
erfolgte aufgrund des Erreichens einer
29
gesetzlichen Altersgrenze. Der Anteil der
Pensionierungen wegen Dienstunfähig-
keit unter den Neupensionären betrug
16 %, weitere 3 % nahmen eine Vorruhe-
standsregelung in Anspruch. u Abb 11

123
44,7 Mill.
Erwerbspersonen gab es 2014 in Deutsch-
land. Davon waren 42,6 Millionen erwerbs-
tätig und 2,1 Millionen erwerbslos. 58,3 Mrd.
Arbeitsstunden wurden
3 % 2014 von den Erwerbs­tätigen
geleistet.

der Erwerbstätigen gaben


2014 an, im letzten Jahr
einen Arbeitsunfall erlitten
zu haben.

67 %
der Befragten hatten
2010 gute Freunde am
Arbeitsplatz.
5
Arbeitsmarkt
und Verdienste
5.1 Erwerbsarbeit spielt in Deutschland so-
wohl in gesellschaftlicher als auch in indi-
werbsbeteiligung. Für materiellen Wohl-
stand sind die Schaffung und der Erhalt
Arbeitsmarkt vidueller Hinsicht eine zentrale Rolle. Un- von Arbeitsplätzen eine wichtige Voraus-
bestritten wird Arbeit als Hauptquelle zur setzung. Dementsprechend groß ist auch
Sicherung des Lebensunterhalts gesehen. die öffentliche und politische Diskussion
Anja Crößmann,
Nicht minder wichtig ist die Bedeutung, um die Zukunft der Arbeitswelt.
Frank Schüller
die der ausgeübte Beruf und die beruf­ Die weiterhin rasante technische Ent-
liche Stellung für das Selbstverständnis wicklung, die zunehmende Globalisierung
Destatis jedes Einzelnen und seine gesellschaft­ der Arbeitsmärkte, der demografische
liche Position haben. Für viele ist Arbeit Wandel, veränderte Beschäftigungsfor-
ein wichtiger Teil der persönlichen Selbst- men, aber auch persönliche Ansprüche der
entfaltung. Immer mehr Frauen sind er- Menschen an ihre Arbeit und deren Ver-
werbstätig und die Erwerbsbeteiligung äl- einbarkeit mit dem Privatleben werfen
terer Menschen nimmt seit einiger Zeit viele Fragen auf. Im Vordergrund stehen
wieder zu. Das heißt für einen noch grö- heute die zunehmende Heterogenität der
ßeren Teil der Bevölkerung ist Erwerbsar- Erwerbsformen, deren Auswirkung auf
beit ein wesentlicher Teil des Alltags. Er- die Normalarbeitsverhältnisse und die
werbslosigkeit ist umgekehrt nicht nur in Frage, inwieweit Erwerbsarbeit noch exis-
finanzieller Hinsicht, sondern auch wegen tenzielle Absicherung garantieren kann.
der gesellschaftlichen Stigmatisierung ein Auf der anderen Seite wird vor dem Hin-
Problem. Die mit ihr einhergehenden tergrund des demografischen Wandels ein
Einkommensverluste zwingen meist nicht zunehmender Fachkräftemangel befürch-
nur zum Konsumverzicht, sondern füh- tet und diskutiert, inwieweit ungenutztes
ren zu einer eingeschränkten Teilnahme beziehungsweise zusätzliches Arbeitskräf-
der Erwerbslosen und aller von ihnen ab- tepotenzial aktiviert werden könnte.
hängigen Personen am gesellschaftlichen
Leben. Eine auf den Arbeitsmarkt bezoge- 5.1.1 Die amtliche
ne Perspektivlosigkeit kann darüber hin- Arbeitsmarktstatistik
aus persönliche Krisen auslösen. Das Statistische Bundesamt erstellt Sta-
Ebenso groß ist die Bedeutung der Er- tistiken, mit denen das erwerbsstatisti-
werbsarbeit auf gesellschaftlicher Ebene. sche Gesamtsystem betrachtet und analy-
Das Steuersystem und die Sozialversiche- siert werden kann. Es berechnet bezie-
rungssysteme finanzieren sich über Er- hungsweise erhebt dazu unter anderem

125
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

u Info 1 status und zur Arbeitssuche mit Bezug


Arbeitsmarkt: Statistische Begriffe und Konzepte auf soziodemografische Merkmale wie
Die Arbeitsmarktstatistik des Statistischen Bundesamtes folgt dem Labour-Force-Konzept der In- Geschlecht, Alter oder Bildungsstand.
ternational Labour Organization (ILO), das internationale Vergleiche von Arbeitsmarktdaten ermög- Die Statistiken der Bundesagentur für
licht. Erwerbstätig im Sinne der ILO-Definition ist jede Person ab 15 Jahren, die im Berichtszeit-
raum gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet
Arbeit basieren vorwiegend auf Verwal-
hat, unabhängig vom zeitlichen Umfang. Auch wer sich in einem Beschäftigungsverhältnis befindet, tungsdaten, die im Zusammenhang mit
das er im Berichtszeitraum vorübergehend nicht ausgeübt hat oder in einem Familienbetrieb mit­ ihren Aufgaben der Arbeitsvermittlung
geholfen hat, gilt als erwerbstätig.
und Leistungserbringung für Arbeitslose
Erwerbstätige in Vollzeit sind Personen, deren regelmäßige Arbeitszeit die im Betrieb beziehungs- und Kurzarbeiter anfallen.
weise Wirtschaftszweig übliche volle Wochenarbeitsstundenzahl beträgt. Teilzeit ist jede
­A rbeitszeit, die weniger Arbeitsstunden als die Arbeitszeit der Vollzeitkräfte im gleichen Betrieb Die einzelnen Statistiken unterschei-
oder Wirtschaftszweig umfasst. den sich nicht nur in den angewandten Er-
Als erwerbslos gilt jede Person im Alter von 15 bis 74 Jahren, die im Berichtszeitraum nicht erwerbs- hebungsmethoden, sondern teilweise auch
tätig war und in den letzten vier Wochen vor der Befragung aktiv nach einer Tätigkeit gesucht hat. in den zugrunde liegenden Konzeptionen
Auf den zeitlichen Umfang der gesuchten Tätigkeit kommt es dabei nicht an. Die Person muss in
der Lage sein, eine neue Arbeit innerhalb von zwei Wochen aufzunehmen. Die Einschaltung einer
und Begriffsabgrenzungen. Oftmals wer-
Agentur für Arbeit oder eines kommunalen Trägers in die Suchbemühungen ist für die Einstufung den in der Öffentlichkeit beispielsweise die
nicht erforderlich. Fasst man Erwerbslose und Erwerbstätige zusammen, spricht man von Begriffe Erwerbslose und Arbeitslose syno-
Erwerbs­personen. Die verbleibende Gruppe, die nach diesem Konzept weder erwerbstätig ist,
noch ihre Arbeit auf dem Arbeitsmarkt anbietet, wird Nichterwerbspersonen genannt.
nym verwendet. Tatsächlich stecken da-
hinter im Sprachgebrauch der amtlichen
Arbeitslose sind Personen, die bei der Bundesagentur für Arbeit als solche registriert sind und ­so-
zialgesetzlichen Vorgaben entsprechen. Dadurch kann die Zahl der Arbeitslosen auch durch Änderun- Statistik unterschiedliche Konzepte, mit
gen im Sozialgesetzbuch beeinflusst werden. Registrierte Arbeitslose dürfen bis zu 15 Stunden denen Personengruppen beschrieben wer-
pro Woche arbeiten, ohne ihren Status zu verlieren. Aus den unterschiedlichen Konzepten folgt, dass den, die nur teilweise identisch sind. u Info 1
es Personen gibt, die zwar im Sinne der ILO erwerbslos sind, bei der Bundesagentur für A ­ rbeit aber
nicht als arbeitslos gezählt werden. Zum anderen gelten in der Statistik der Bundesagentur für Die in diesem Kapitel vorgestellten
­A rbeit bestimmte Personen als arbeitslos, die nach der Definition der ILO nicht erwerbslos sind. Ergebnisse des Statistischen Bundesam-
Die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen zum ungenutzten Arbeitskräftepoten- tes stützen sich auf zwei Quellen: die Er-
zial orientieren sich an einer EU-weit gültigen Konzeption und bilden den Übergangsbereich werbstätigenrechnung im Rahmen der
­z wischen Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit ab. Zum ungenutzten Arbeitskräftepotenzial zählen
nicht nur Erwerbslose, sondern auch Erwerbstätige, die mehr arbeiten möchten und als Unterbe-
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnun-
schäftigte erfasst werden. Hinzu kommen Nichterwerbspersonen, die gerne arbeiten würden, ge- gen (VGR) und den Mikrozensus. u Info 2
mäß ILO-Konzept aber nicht erwerbslos sind und zur Stillen Reserve gezählt werden. Der von der
Bundesagentur für Arbeit verwendete Begriff der Unterbeschäftigung unterscheidet sich vom hier
verwendeten Konzept. Dabei werden registrierte Arbeitslose und Teilnehmer an Maßnahmen der Ar-
5.1.2 Entwicklung der Erwerbstätig-
beitsmarktpolitik, die in der Statistik nicht als arbeitslos gezählt werden, zusammengefasst. keit und Erwerbslosigkeit
Um ein besseres Verständnis für die Rahmenbedingungen zu erlangen, zu denen die Menschen er- Im Jahr 2014 gab es in Deutschland
werbstätig sind, berichtet das Statistische Bundesamt zusätzlich über die Erwerbsformen, in denen durchschnittlich rund 44,7 Millionen Er-
gearbeitet wird, also ob Erwerbstätige selbstständig sind, sich in einem Normalarbeitsverhältnis be- werbspersonen. Von ihnen waren 42,6 Mil­
finden oder in einer Form atypischer Beschäftigung. Zu den atypisch Beschäftigten werden
­befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte mit bis zu 20 Wochenstunden, geringfügig Beschäftigte lionen erwerbstätig und 2,1 Mil­lionen er-
(sogenannte 450-Euro-Jobs) sowie Personen in Zeitarbeit gezählt. Ein Normalarbeitsverhältnis werbslos. Im Vergleich zu 1991 ist die
ist ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, das in Vollzeit beziehungsweise Teilzeit mit über
Zahl der Erwerbspersonen um etwa
20 Wochenstunden und unbefristet ausgeübt wird. Ein Normalarbeitnehmer arbeitet zudem direkt
in dem Unternehmen, mit dem er einen Arbeitsvertrag hat. Ergebnisse zur atypischen Beschäftigung 3,7 Mil­lionen gestiegen. Kontinuierliche
beziehen sich auf Kernerwerbstätige, das heißt auf Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren, so- Zuwächse gab es vor allem im Zeitraum
weit sie nicht in Bildung oder Aus­bildung sind. Diese Gruppe der Kernerwerbstätigen befindet sich
in einem Lebensabschnitt, in dem Erwerbsarbeit in deutlich stärkerem Maße als Schwerpunkt der
1996 bis 2005, während die Zahl der Er-
Lebensgestaltung gesehen wird als beispielsweise während der Ausbildung oder im Ruhestand. werbspersonen davor weitestgehend stag-
Sie gilt daher, vor allem im Rahmen der Berichterstattung zur atypischen Beschäftigung, als Bezugs- niert hatte. Seit 2011 ist wieder eine etwas
größe für die Berechnung von Quoten.
stärkere Zunahme zu beobachten. u Tab 1
Betrachtet man allein die Erwerbstäti-
gen, werden konjunkturelle Entwicklungen
deutlicher: Nach der deutschen Ver­
einigung war die Zahl der Erwerbstätigen
die Zahl der Erwerbstätigen und der Er- Die Daten aus dem Mikrozensus sind mit Arbeitsort in Deutschland (Inlands-
werbslosen nach dem Konzept der Inter- eine wichtige Grundlage der Arbeits- konzept) rückläufig, bis sie 1993 ein Mini-
nationalen Arbeitsorganisation (ILO). marktstatistik und fließen zugleich in die mum von 37,8 Millionen erreichte. Nach ei-
Außerdem führt es jährlich die Haus- Bestimmung der Erwerbstätigenzahlen nem Hoch bei der Erwerbstätigenzahl im
haltsbefragung Mikrozensus mit der in- ein. Sie ermöglichen außerdem tiefer ge- Jahr 2000 mit 39,9 Millionen ging sie paral-
tegrierten Arbeitskräfteerhebung durch. hende Untersuchungen zum Erwerbs­ lel zur konjunkturellen Entwicklung erneut

126
Arbeitsmarkt  / 5.1  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

u Info 2 leicht zurück, blieb aber deutlich über dem


Erwerbstätigenrechnung und Mikrozensus Niveau von 1993. Seit 2006 ist wieder ein
Die Erwerbstätigenrechnung betrachtet die Beschäftigung im Kontext der gesamtwirtschaftlichen klarer Aufwärtstrend erkennbar. Selbst die
Entwicklung. Dabei wird zwischen Erwerbstätigen mit Wohnort in Deutschland (Inländerkonzept) deutlich negative konjunkturelle Entwick-
und Erwerbstätigen mit Arbeitsort in Deutschland (Inlandskonzept) unterschieden.
lung in Deutschland nach der Finanzmarkt-
Bei der Berechnung der Erwerbstätigenzahl stützt sich die Erwerbstätigenrechnung auf eine Viel- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008/2009
zahl von Daten, um möglichst alle verfügbaren Informationen in die Schätzung einfließen zu lassen.
Im Rahmen des Mikrozensus wird eine repräsentative Stichprobe von Haushalten in Deutschland führte lediglich zu einer verlangsamten Zu-
befragt. Die Ergebnisse des M ­ ikrozensus eignen sich zur Beantwortung sozialpolitischer und sozi- nahme der Erwerbstätigenzahl.
alwissenschaftlicher Fragen. Obwohl im Mikrozensus und in der Erwerbstätigenrechnung das ILO- Der Anstieg der Zahl der Erwerbstäti-
Konzept zur Bestimmung der Erwerbstätigen angewendet wird, entstehen bei den Ergebnissen Ab-
weichungen. Diese sind vor allem auf die methodischen und organisatorischen Unterschiede zwi- gen relativiert sich, wenn man sie mit der
schen beiden Statistiken z­ urückzuführen. Zum einen ist die Arbeitskräfteerhebung als Teil des Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden,
Mikrozensus durch die Stichprobenerhebung mit einer gewissen Unschärfe belastet. Zum anderen
dem sogenannten Arbeitsvolumen, ver-
weicht die Definition der ­Internationalen Arbeitsorganisation zur Erwerbstätigkeit deutlich vom All-
tagsverständnis der Befragten ab, da zum Beispiel bezahlte Tätigkeiten bereits ab einem Umfang gleicht. Im Jahr 2014 wurden von den Er-
von einer Stunde pro Woche als Erwerbstätigkeit zu erfassen sind. Im Mikrozensus kann dies zu ei- werbstätigen in Deutschland 58,3 Mil­
ner Untererfassung führen, wenn Befragte zum Beispiel kleinere Nebentätigkeiten nicht angeben,
weil sie sich hauptsächlich als Rentner, Arbeitslose, Hausfrauen oder Studierende verstehen.
liarden Arbeitsstunden geleistet. Diese
Zahl hat im Laufe der letzten Jahre zuge-
Die Erwerbstätigenrechnung geht methodisch anders vor und greift im Bereich kleinerer Tätigkeiten
überwiegend auf die Angaben aus den gesetzlich vorgeschriebenen Meldungen zur geringfügigen
nommen – 2005 lag sie noch bei 55,5 Mil-
Beschäftigung zurück. Aufgrund dieser erhebungsmethodischen Unterschiede zwischen beiden liarden Arbeitsstunden. Im Jahr 1991 al-
Statistiken liegen die Ergebnisse für Erwerbspersonen und Erwerbstätige aus dem Mikrozensus auf lerdings hatte das geleistete Arbeitsvolu-
einem insgesamt niedrigeren Niveau. Längerfristige Trends beider Statistiken zeigen dabei jedoch in
die gleiche Richtung. men noch bei 60,3 Milliarden Stunden
gelegen und ist dann, teilweise bedingt
durch Umstrukturierungsprozesse der
u Tab 1  Erwerbspersonen, Erwerbstätige und Erwerbslose
Wirtschaft in Ostdeutschland, nach und
Erwerbspersonen Erwerbstätige Erwerbslose Erwerbslosenquote ¹ nach zurückgegangen. Ein anderer we-
in Millionen in % sentlicher Faktor für den Rückgang des
1991 41,02 38,85 2,17 5,3 Arbeitsvolumens sind die je Erwerbstäti-
1995 41,09 37,89 3,21 7,8 gen pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden.
2000 42,91 39,79 3,11 7,3 Diese sind in den zurückliegenden 20
Abb 1 Erwerbstätige, geleistete Arbeitsstunden
2005 43,73 39,22 4,51 10,3 Jahren fast kontinuierlich gesunken. Im
insgesamt und je Erwerbstätigen
2010 43,80 40,98 2,82 6,4 Jahr 1991 leistete ein ­Erwerbstätiger rund
2013 44,45 42,27 2,18 4,9 1 554 Arbeitsstunden pro Jahr, während
2014 44,73 42,64 2,09 4,7 es 2014 nur noch 1 366  Stunden waren.
1  Erwerbslosenquote: Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen. Dies entspricht einem Rückgang um 12 %.
Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Inländerkonzept, Stand August 2015. Erwerbslose: Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung 2015.
Ein wesentlicher Grund für diese Ent-
wicklung war die zunehmende Zahl der
u Abb 1  Erwerbstätige, geleistete Arbeitsstunden insgesamt
Erwerbstätigen, die in Teilzeit arbeiteten –
und je Erwerbstätigen 1991 bis 2014 — 1991 = 100
darunter insbesondere Frauen. Am nied-
rigsten war die Zahl der Arbeitsstunden
je Erwerbstätigen im Jahr 2013 mit 1 362
Stunden.u Abb 1
100
Die Zahl der Erwerbslosen (siehe Ta-
belle 1) verzeichnete in den letzten 20
Jahren zwei Phasen deutlicher Anstiege:
Zwischen 1991 und 1997 stieg sie von 2,2
Millionen auf 3,8  Millionen und zwi-
80
schen 2001 und 2005 von 3,1 Millionen
auf 4,5 Millionen Personen. Die dazwi-
1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 schen liegende konjunkturelle Auf-
Erwerbstätige Arbeitsvolumen Arbeitsstunden je Erwerbstätigen schwungsphase führte die Erwerbslosig-
keit nicht auf ihr ursprüng­liches Niveau
Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Inlandskonzept, Stand August 2015.
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) von Anfang der 1990er-Jahre zurück. Seit
2006 sank die Erwerbslosenzahl jährlich,
Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Stand Februar 2015.
Quelle: Arbeitszeit- und Arbeitsvolumenrechnung, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der
Bundesagentur für Arbeit (BA)

127
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

lediglich unterbrochen durch einen ge- u Abb 2  Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren — in Prozent
ringfügigen Anstieg im Jahr 2009. Im Jahr
2010 lag die durchschnittliche Erwerbs­ 73,9 73,8 73,7 73,8 73,9
72,6
69,6
losenzahl erstmals seit 1992 wieder unter 65,7
61,3
3  Millionen. Bis 2014 hat sie sich weiter
deutlich verringert und lag bei 2,1 Millio-
nen Personen. Damit ist das Niveau von
35,7
1991 leicht unterschritten. Die Erwerbslo- 32,0
28,5
25,7 24,5 24,6 24,7 24,7 24,6
senquote sank 2014 auf den tiefsten Stand
seit der deutschen Vereinigung, im Jahres-
durchschnitt lag sie bei 4,7 %. Die Zahl der 3,0 2,3 1,9 1,7 1,6 1,6 1,6 1,5 1,5
registrierten Arbeitslosen wies im Ver-
1991 1995 2000 2005 2010 2011 2012 2013 2014
gleich zur Zahl der Erwerbslosen einen
primärer Sektor sekundärer Sektor tertiärer Sektor
ähnlichen Verlauf auf, allerdings auf ei-
nem höheren Niveau. Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Stand August 2015.

5.1.3 Erwerbstätige nach


Wirtschaftsbereichen
u Abb 3  Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen 2014 — in Prozent
Betrachtet man die Verteilung der Er-
werbstätigen auf die Wirtschaftsbereiche
Land- und Forst-
des primären (Land- und Forstwirtschaft, wirtschaft, Fischerei
Fischerei), sekundären (Produzierendes Sonstige
1,5
Gewerbe) und tertiären Sektors (Dienst- Dienstleister

leistungen), werden im Zeitverlauf die gro- 7,0 Produzierendes Gewerbe


ohne Baugewerbe
ßen strukturellen Veränderungen ersicht-
Öffentliche Dienstleister, 18,9
lich. Neue Produktions- und Fertigungs- Erziehung, Gesundheit
verfahren, zunehmende Automatisierung Baugewerbe
23,9 42,6 Millionen
und Rationalisierung sowie die veränder- Erwerbstätige 5,7
te Nachfrage nach Gütern und Dienstleis- Finanzierung, Immobilien, Handel, Verkehr,
tungen haben zu einer erheblichen Umver­ Unternehmensdienstleister
Abb 2 Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren - Gastgewerbe
in Prozent
teilung der Erwerbstätigen geführt. u Abb 2 17,1 23,0
Am stärksten zurückgegangen ist die Information und
Kommunikation
Zahl der Erwerbstätigen in den letzten ein-
einhalb Jahrhunderten im primären Sektor: 2,9
Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Stand August 2015.
Im Jahr 2014 waren laut Erwerbstätigen-
rechnung nur noch 1,5 % aller Erwerbstäti-
gen dort beschäftigt. Im sekundären Sek-
tor arbeiteten 24,6 %, im tertiären Sektor
dagegen 73,9 % der Erwerbstätigen.
Die Zahl der Erwerbstätigen im Pro- Innerhalb des Dienstleistungssektors Verkehr und Gastgewerbe (9,8 Millionen).
duzierenden Gewerbe stieg im Zuge der kam802014 den Wirtschaftsbereichen Öf- Zum Handel zählen sowohl Groß- als auch
Industrialisierung parallel zur Abnahme fentliche Dienstleistungen, Erziehung und Einzelhandel. Der Abschnitt Verkehr um-
im Agrarbereich. Im Jahr 2014 arbeiteten Gesundheit
60 mit 10,2 Millionen Erwerbstä- fasst alle Erwerbstätigen, die mit dem Ver-
10,5 Millionen Erwerbstätige im Produ- tigen die größte Bedeutung zu. Dazu zäh- kehr zu Lande, auf dem Wasser oder in der
zierenden Gewerbe, darunter 7,5 Millio- 40
len unter anderem die öffentliche Verwal- Luft zu tun haben, aber auch Speditionen,
nen im Verarbeitenden Gewerbe und tung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Post- und Kurierdienste. u Abb 3
20
2,4 Millionen im Baugewerbe. Im Dienst- von Polizei oder Feuerwehr, bei einer Sozi- Der Wandel der Wirtschaftsstruktu-
leistungssektor waren 2014 mit 31,5 Mil- alversicherung Tätige, alle Beschäftigten ren, aber auch neue Produktions- und
0
lionen dreimal so viele Personen tätig wie an Bildungseinrichtungen
1991 1995oder das Perso-
2000 Fertigungsverfahren
2005 haben2012
2010 viele2014
Berufe
im sekundären Sektor. Seit 2004 ist die nal im Gesundheits- und
Primärer Sektor
Sozialwesen. An-
Sekundärer Sektor
und Berufsfelder
Tertiärer Sektor
verändert. Die zehn am
Zahl der im Dienstleistungssektor Täti- nähernd genauso viele Erwerbstätige arbei- stärksten besetzten Berufsgruppen zeigt
gen um 3,2 Millionen angestiegen. teten in den Wirtschaftsbereichen Handel, Tabelle 2. u Tab 2

Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung, Stand Februar 2015.

128
Arbeitsmarkt  / 5.1  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

5.1.4 Beteiligung am Erwerbsleben u Tab 2  Erwerbstätige Männer und Frauen in den zehn am stärksten
Längere Ausbildungszeiten und das frü- besetzten Berufsgruppen 2014
here Ausscheiden aus dem Erwerbsleben Erwerbstätige in 1 000
führten seit den 1990er-Jahren zu stetig
Männer
sinkenden Erwerbsquoten. Dieser Trend
1 Maschinenbau- und Betriebstechnik 1 326
hat sich mittlerweile umgekehrt. Im Jahr
2014 lag die Erwerbsquote, das heißt der 2 Lagerwirtschaft, Post, Zustellung, Güterumschlag 1 015

Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstäti- 3 Unternehmensorganisation und -strategie 958

ge, Erwerbslose) an der Bevölkerung ab 4 Fahrzeugführung im Straßenverkehr 921


15 Jahren, in Deutschland bei 60  % . Dies 5 Fahrzeug-, Luftfahrt-, Raumfahrt-, Schiffbautechnik 576
waren 3 Prozentpunkte mehr als 2004 6 Elektrotechnik 575
(57 %) und damit war die Erwerbsquote 7 Metallbearbeitung 494
so hoch wie seit 1991 (59 %) nicht mehr. 8 Metallbau und Schweißtechnik 478
Dieser Anstieg resultierte vorwiegend 9 Verkauf (ohne Produktspezialisierung) 473
aus einer gestiegenen Erwerbsquote der
10 Hochbau 469
Frauen, die seit 2004 um 5 Prozentpunk-
Frauen
te angewachsen ist und 2014 bei 54 % lag.
1 Büro und Sekretariat 1 527
Die Erwerbsquote der Männer war im
2 Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege 1 187
Zeitraum seit 1991 (71 %) teilweise sogar
rückläufig, hat jedoch wieder leicht zuge- 3 Verkauf (ohne Produktspezialisierung) 1 152

legt und lag 2014 bei 66 %. Auch die hö- 4 Unternehmensorganisation und -strategie 1 108

here Erwerbsbeteiligung älterer Personen 5 Reinigung 1 015

hatte einen maßgeblichen Anteil für die 6 Verwaltung 866


insgesamt gestiegene Erwerbsquote. 7 Gesundheit, Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe 848
Betrachtet man nur die Bevölkerung 8 Arzt- und Praxishilfe 639
im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jah- 9 Lehrtätige an allgemeinbildenden Schulen 571
ren, lag die Erwerbsbeteiligung 2014 bei 10 Altenpflege 528
78  % . Der entsprechende Wert lag 2004
Ergebnisse des Mikrozensus.
noch bei 72 %. Ein differenzierter Blick auf
die Erwerbsbeteiligung einzelner Alters-
gruppen zeigt eine deutliche Zunahme der u Tab 3  Erwerbsquoten nach Altersgruppen — in Prozent
Erwerbsquote für die 55- bis 64-Jährigen. Früheres Neue Länder
Deutschland
Sie stieg zwischen 2004 (48 %) und 2014 Bundesgebiet und Berlin
(69 %) um 21 Prozentpunkte, was vermut- 2004 2014 2004 2014 2004 2014
lich die deutlich reduzierten Möglichkei-
im Alter von … bis … Jahren
ten einer frühen Verrentung widerspiegelt.
15 – 19 28,7 28,3 28,1 29,1 30,6 23,3
Die am Arbeitsmarkt aktivste Altersgrup-
pe im Jahr 2014 waren die 40- bis 44-Jäh- 20 – 24 69,0 69,0 68,5 69,4 70,7 66,9

rigen mit einer durchschnittlichen Er- 25 – 29 79,5 82,6 79,0 82,6 81,4 82,7
werbsquote von 90 %. u Tab 3 30 – 34 85,8 86,9 84,8 86,4 90,2 88,7
Die Erwerbsbeteiligung in den neuen 35 – 39 87,7 87,9 86,5 87,2 92,8 90,4
Ländern und Berlin lag 2004 mit rund
40 – 44 89,0 89,6 87,7 89,0 93,9 92,4
74 % für die 15- bis 64-Jährigen noch rund
45 – 49 88,1 89,5 86,9 89,3 92,4 90,2
3 Prozentpunkte über derjenigen im frü-
heren Bundesgebiet (rund 72 %). Im Jahr 50 – 54 83,2 86,9 81,8 86,7 88,3 87,6

2014 hatte sich diese geringfügig weiter 55 – 59 71,1 80,6 69,4 80,2 78,1 82,3
angeglichen und lag bei 79 % in den neuen 60 – 64 28,6 55,6 29,5 55,5 25,6 55,8
Ländern und Berlin sowie bei 77 % im frü- 65 – 69 5,6 13,9 6,2 14,6 3,4 11,3
heren Bundesgebiet. Ursache für die lang-
70 – 74 2,5 5,9 2,8 6,5 1,3 3,8
fristige Angleichung war vor allem die
75 und älter 0,8 1,6 0,9 1,8 0,3 0,7
steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen.
Ihre Erwerbsquote ist im Alter von 15 bis Ergebnisse des Mikrozensus.

129
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

u Abb 4  Bevölkerung nach Alter und Beteiligung am Erwerbsleben 2014 — in Millionen

Früheres Bundesgebiet

Männer Frauen

75 und älter

70 –74

65–69

60– 64

55–59

50–54

45–49

40–44

35–39

30–34

25–29

20–24

15 –19

4 3 2 1 0 0 1 2 3 4

im Alter von ... bis ... Jahren

Neue Länder und Berlin

Männer Frauen

75 und älter

70 –74

65–69

60– 64

55–59

50–54

45–49

40–44

35–39

30–34

25–29

20–24

15 –19

4 3 2 1 0 0 1 2 3 4

im Alter von ... bis ... Jahren

Nichterwerbspersonen Erwerbslose Erwerbstätige

Ergebnisse des Mikrozensus.

130
Arbeitsmarkt  / 5.1  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

64 Jahren in dem Zehnjahreszeitraum in u Abb 5  Erwerbsquote nach Alter und Bildungsstand 2014 — in Prozent
Ostdeutschland um 5 Prozentpunkte auf
76 %, in Westdeutschland um 8 Prozent-
Bildungsstand hoch
punkte auf 72 % gestiegen. Die Erwerbsbe- 93,1
(Meister-/ Technikerausbildung,
teiligung von Männern befand sich in Ost- Fachhochschul-/ Universitäts- 80,7
und Westdeutschland bereits 2004 auf ei- abschluss, Promotion)

nem ähnlichen Niveau (Ost: 78 %; West:


Bildungsstand mittel
80 %) und hat sich seitdem kaum verändert (abgeschlossene Lehr- 89,8
(2014 Ost und West: 82 %). u Abb 4 ausbildung, berufs- 67,8
Unterscheidet man die Bevölkerung qualifizierender Abschluss)

nach ihrer Staatsangehörigkeit, so zeigt


sich ein differenziertes Bild der Erwerbs- Bildungsstand niedrig
69,3
(ohne anerkannten
beteiligung. Die Erwerbsquote der Perso- beruflichen Abschluss) 53,2
nen mit deutscher Staatsangehörigkeit
ab 15 Jahren lag 2014 mit 60 % unter der 25- bis 54-Jährige 55- bis 64-Jährige
Erwerbsquote der ausländischen Bevöl-
kerung (62 %). Die stärkere Erwerbsbe- Nach dem höchsten beruflichen Abschluss. Bildungsstand siehe Kapitel 2.1, Seite 45, Info 2.
Ergebnisse des Mikrozensus.
teiligung der ausländischen Bevölkerung
ist auf Personen aus anderen EU-Mit- Nach dem höchsten beruflichen Abschluss. Bildungsstand siehe Kapitel 2.1, Seite xx, Info 2.

gliedstaaten zurückzuführen, deren Er-


werbsquote bei 70 % lag. Während die
Quote bei den Frauen mit 54 % (Deut-
sche) beziehungsweise 53 % (Auslände-
rinnen) nahezu gleich war, lag die Er-
werbsquote der deutschen Männer (65 %)
deutlich niedriger als die der ausländi- kannten beruf lichen Abschluss waren bewegten sich 2014 zwischen 53 % für
schen Männer mit 72 %. 2014 mehr als zwei Drittel (69 %) auf diejenigen ohne einen beruflichen Ab-
Unterschiede zwischen den Bevölke- dem Arbeitsmarkt aktiv. Personen, die schluss und 81 % für Hochschulabsolven-
rungsgruppen nach der Staatsangehörig- ein mittleres berufliches Bildungsniveau ten. Die niedrige Erwerbsbeteiligung äl-
keit zeigen sich auch bei der Erwerbslo- aufwiesen (zum Beispiel eine abgeschlos- terer Personen ohne anerkannten beruf­
sigkeit. Die Erwerbslosenquote von sene Lehrausbildung), hatten eine Er- lichen Abschluss geht einher mit einer
Personen mit ausländischer Staatsange- werbsquote von 90 %. Diejenigen mit ei- höheren Erwerbslosenquote von 8,0 % im
hörigkeit war 2014 mit 9,3 % rund dop- nem hohen beruflichen Bildungsniveau Vergleich zu Personen mit Hochschulab-
pelt so hoch wie die Quote der deutschen (tertiäre Abschlüsse, zum Beispiel Meis- schluss, deren Erwerbslosenquote bei nur
Bevölkerung (4,5 %). Unter den Auslän- ter-, Fachhochschul- oder Hochschulab- 3,0 % liegt.
dern aus anderen EU-Mitgliedstaaten schluss), beteiligten sich zu 93 % am Er- Der grundlegende Zusammenhang
war die Erwerbslosigkeit niedriger. Hier werbsleben. u Abb 5 von Bildung und Erwerbsbeteiligung ist
lag die Quote mit 6,6 % näher an dem Den durchgehend hohen Erwerbsquo- für Frauen und Männer dieser Alters-
Wert der deutschen Bevölkerung. Sowohl ten standen jedoch unterschiedlich hohe gruppe gleich, auch wenn sich die Er-
bei der deutschen als auch bei der auslän- Erwerbslosenzahlen gegenüber: Bezogen werbsbeteiligung der Frauen auf einem
dischen Bevölkerung sind Männer etwas auf die 25- bis 54-Jährigen waren die Er- insgesamt niedrigeren Niveau befindet. Je
stärker von Erwerbslosigkeit betroffen. werbslosenquoten von Personen ohne an- höher die berufliche Qualifikation, desto
Während 4,8 % der deutschen Männer er- erkannten beruf lichen Abschluss 2014 geringer der Unterschied in der Erwerbs-
werbslos waren, traf dies nur auf 4,2 % fünfmal höher als die Quoten von Perso- beteiligung.
der deutschen Frauen zu. In der ausländi- nen mit tertiären Abschlüssen. So waren
schen Bevölkerung waren 9,6 % der Män- 11,6 % der Personen ohne berufliche Qua- 5.1.5 Ungenutztes
ner und 9,0 % der Frauen erwerbslos. lifikation erwerbslos, aber nur 2,3 % der- Arbeitskräftepotenzial
Neben Geschlecht, Alter und Region jenigen mit einem Hochschul- oder sons- Im Zusammenhang mit den Diskussionen
spielt der Bildungsstand (siehe Kapitel tigen tertiären Abschluss. In der Alters- um mögliche Folgen des demografischen
2.1, Seite 45, Info 2) eine wichtige Rolle gruppe der 55- bis 64-Jä hrigen Wandels für den Arbeitsmarkt rücken Ar-
bei der Erwerbsbeteiligung. Von den unterscheiden sich die Erwerbsquoten beitsmarktstatistiken in den Vordergrund,
25- bis 54-Jährigen Personen ohne aner- deutlicher nach Qualifikationsgrad. Sie die das gegenwärtig ungenutzte Arbeits-

131
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

sonen, die zwar Arbeit suchen, jedoch im


Moment kurzfristig für eine Arbeitsauf-
Rund 5 % aller Erwerbstätigen
nahme nicht zur Verfügung stehen. Eben-
haben mindestens zwei Jobs
falls dazu zählen Personen, die aus ver-
Im Jahr 2014 hatten nach Ergebnissen weiteren Beschäftigung nach. Hinter-
schiedenen Gründen gerade keine Arbeit
der Arbeitskräfteerhebung 5,0 % aller grund für den höheren Anteil bei den
suchen, aber grundsätzlich gerne arbei-
Erwerbstätigen in Deutschland neben Frauen ist, dass Mehrfachbeschäfti-
ten würden und für diese Arbeit auch
ihrer Haupttätigkeit mindestens eine gungen häufiger bei Teilzeit-Erwerbs-
verfügbar sind.
weitere Tätigkeit. Dies waren rund tätigen vorkommen, bei denen wiede-
Unter den gut 1,0 Millionen Personen
2,0 Millionen Personen; ihre Zahl hat rum der Frauenanteil deutlich höher ist.
in Stiller Reserve im Jahr 2014 waren et-
sich seit 2011 um knapp 13 % erhöht. Im Nebenjob arbeiteten Erwerbs-
was mehr Frauen (53 %) als Männer (47 %).
Am häufigsten waren Mehrfach­ tätige im Durchschnitt 8,5 Stunden
Unter den Menschen, die sich nicht am
beschäftigungen bei Erwerbstätigen in pro Woche. Frauen, die in der Haupt-
Erwerbsleben beteiligten, gab es deutlich
mittleren Altersgruppen: So betrug tätigkeit in Teilzeit beschäftigt waren,
mehr Frauen (11,3 Millionen) als Männer
der Anteil der Personen mit einer weite- arbeiteten insgesamt in beiden Tätig-
(8,2 Millionen). Der Wunsch nach Arbeit
ren Tätigkeit bei den 35- bis 44-Jährigen keiten durchschnittlich 28,4 Stunden
ist unter den Männern jedoch etwas aus-
5,8 % und bei den 45- bis 54-Jährigen (Männer 32,7 Stunden). In der Haupt-
geprägter: So gehörten 5,7 % der männ­
5,5 %. Junge Menschen unter 25 Jahre tätigkeit vollzeitbeschäftigte Frauen
lichen Nichterwerbspersonen zur Stillen
(3,2 %) und Personen über 65  Jahre leisteten insgesamt in beiden Tätig-
Reserve, während es bei den weiblichen
(2,5 %) hatten seltener zwei oder mehr keiten durchschnittlich 46,9 Stunden
Nichterwerbspersonen 4,6 % waren.
Tätigkeiten. Nach Geschlecht gab es (Männer 50,1 Stunden).
dagegen geringere Unterschiede: 5,4 %
5.1.6 Atypische Beschäftigung,
der erwerbstätigen Frauen und 4,6 %
Normalarbeitsverhältnis und
der erwerbstätigen Männer gingen einer
Selbstständigkeit
Die Zahl der Erwerbstätigen sagt zwar
­e twas darüber aus, wie viele Menschen
zu einem bestimmten Zeitpunkt gearbei-
tet haben, aber noch nichts über den
Umfang und die Dauerhaftigkeit der Er-
werbstätigkeit. Der deutsche Arbeits-
markt ist in den letzten 20 Jahren hetero-
kräftepotenzial möglichst vollständig ab- sätzlichen Arbeitsstunden, die für eine gener geworden. Arbeitsverträge werden
bilden. Neben der »Erwerbslosigkeit« sind zusätzliche Arbeit innerhalb von zwei in geringerem Umfang auf Basis von Flä-
»Unterbeschäftigung« und »Stille Reser- Wochen verfügbar wären. chentarifverträgen geregelt. Teilzeitbe-
ve« zusätzliche neue Indikatoren inner- Von den insgesamt 2,9 Millionen un- schäftigung und geringfügige Beschäfti-
halb des Labour-Force-Konzeptes, die im terbeschäftigt Erwerbstätigen übten gung haben zugenommen. Erwerbsfor-
Jahr 2011 auf EU-Ebene festgelegt wurden. 1,6 Millionen eine Teilzeit- und 1,3 Milli- men, die Unternehmen mehr Flexibilität
Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial onen eine Vollzeittätigkeit aus. Unterbe- geben, wie befristete Beschäftigung oder
als Summe der Erwerbslosen, Unterbe- schäftigung bei einer Vollzeittätigkeit ist Zeitarbeit, haben an Bedeutung gewon-
schäftigten und der Stillen Reserve betrug eine Männerdomäne. Von den 1,3 Millio- nen. Sie bringen für die so Tätigen ande-
im Jahr 2014 nach Ergebnissen der Ar- nen Unterbeschäftigten in Vollzeit waren re Beschäftigungsbedingungen mit sich
beitskräfteerhebung insgesamt 6,0 Millio- 73 % männlich. Bei den Unterbeschäftig- als ein Normalarbeitsverhältnis. Die
nen Personen. Es setzte sich neben ten in Teilzeit hingegen dominieren die klassische Vorstellung von einer Arbeits-
2,1 Millionen Erwerbslosen aus 2,9 Millio- Frauen: Hier waren von 1,6 Millionen be- stelle ist eine unbefristete abhängige Be-
nen Unterbeschäftigten und 1,0 Millionen troffenen Personen 73 % weiblich. schäftigung. Sie geht von einer Vollzeit-
Personen in der Stillen Reserve zusammen. Personen in der Stillen Reserve gehen tätigkeit aus, bei der der Arbeitnehmer
Ein Blick auf die sogenannten Unter- ebenso wie Erwerbslose überhaupt keiner unmittelbar bei oder direkt im Auftrag
beschäftigten zeigt, dass auch bei den Er- Erwerbsarbeit nach. Sie zählen nach den für einen Arbeitgeber arbeitet, mit dem
werbstätigen noch ungenutztes Arbeits- Kriterien der Internationalen Arbeitsor- er den Arbeitsvertrag geschlossen hat. In
kräftepotenzial vorhanden ist. Personen ganisation nicht zu den Erwerbslosen, der Realität ist das auch nach wie vor der
in Unterbeschäftigung sind definiert als wünschen sich aber grundsätzlich eine am häufigsten anzutreffende Fall. Dieses
erwerbstätig, mit dem Wunsch nach zu- Arbeit. Zur Stillen Reserve gehören Per- sogenannte Normalarbeitsverhältnis er-

132
Arbeitsmarkt  / 5.1  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

hält seine Bedeutung durch seine unge- kenden Anteils ab dem Jahr 2006 um. dige ohne Beschäftigte unternehmerisch
brochene Dominanz auf dem Arbeits- Der Anteil ist seitdem auf 68 % im Jahr tätig. Damit waren von den Kernerwerbs-
markt und der damit verbundenen Aus- 2014 gestiegen. u Tab 4 tätigen rund 4,7 % Selbstständige mit Be-
richtung der Sozialsysteme auf diesen Personen mit einer geringeren beruf­ schäftigten und 5,7 % solo-selbstständig.
»Normalfall«. Dabei darf aber nicht lichen Qualifikation sind deutlich häufiger In den zurückliegenden 20 Jahren
übersehen werden, dass Beschäftigungs- atypisch beschäftigt. Im Jahr 2014 waren stagnierte der Anteil der Selbstständigen
formen, die unter dem Sammelbegriff 36 % der Erwerbstätigen ohne eine aner- mit Beschäftigten weitestgehend und lag
»atypische Beschäftigung« zusammenge- kannte Berufsausbildung atypisch be- mit 5,2 % im Jahr 1994 nur um 0,5 Pro-
fasst werden, an Bedeutung zugenom- schäftigt und damit deutlich mehr als un- zentpunkte höher als 2014 (4,7 %). Der
men haben. Sie prägen das Arbeitsleben ter allen Erwerbstätigen (21 %). Erwerbstä- Anteil der Solo-Selbstständigen ist dage-
für eine nicht unwesentliche Zahl von tige mit einem (Fach-)Hochschulabschluss gen im selben Zeitraum um 1,7 Prozent-
Erwerbstätigen. waren nur zu 14 % atypisch beschäftigt. punkte von 4,0 % auf 5,7 % gestiegen.
Selbstständige Tätigkeiten werden Während hochqualifizierte Erwerbstätige Hatte es Anfang der 1990er-Jahre noch
nicht arbeitsvertraglich geregelt und brin- dabei am häufigsten befristet oder in Teil- mehr Selbstständige mit Beschäftigten
gen allein dadurch vielfältigere Arbeits- zeit bis 20 Wochenstunden beschäftigt als ohne gegeben, hat sich dies mittler-
bedingungen mit sich. Einkommen, Ar- waren, befanden sich gering Qualifizierte weile umgekehrt. Diese Entwicklung bei
beitsumfang und ob eine Geschäftsbasis überdurchschnittlich häufig in allen For- den Solo-Selbstständigen könnte ein
längerfristig die Existenz sichern kann, men atypischer Beschäftigung. Am häu- Hinweis darauf sein, dass abhängig Be-
variieren stark. Aus diesem Grund wird figsten arbeiteten sie in einer Teilzeitbe- schäftigte verstärkt in die Selbstständig-
Selbstständigkeit gesondert von Normal- schäftigung bis 20 Wochenstunden oder keit drängen oder gedrängt werden, es
und atypischer Beschäftigung betrachtet. in geringfügiger Beschäftigung. also Substitutionsprozesse von abhängi-
Von den 35,9 Millionen Erwerbs­ Von den 35,9 Millionen Kernerwerbs- ger Beschäftigung in die Selbstständig-
tätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren, tätigen im Jahr 2014 waren 3,7 Millionen keit gibt. Auch die von den Arbeitsagen-
die sich nicht mehr in Bildung oder Aus­ selbstständig. Knapp 1,7 Millionen von ih- turen geförderten Selbstständigkeiten
bildung befanden (sogenannte Kern­ nen führten ein Unternehmen mit mindes- (Existenzgründungszuschüsse, Ich-AG,
erwerbstätige), waren 2014 rund 24,5 Mil- tens einem Beschäftigten und 2,0 Millio- Einstiegsgelder) trugen zu dieser Ent-
lionen Personen normalerwerbstätig und nen waren als sogenannte Solo-Selbststän- wicklung bei.
7,5 Millionen atypisch beschäftigt. Damit

3,7 Mill.
befand sich mehr als jeder fünfte Er-
werbstätige (21 %) in einem atypischen
Beschäftigungsverhältnis, das mindes-
tens eines der folgenden Elemente auf-
wies: eine Befristung (2,5 Millionen Per-
sonen), eine Teilzeitbeschäftigung mit
maximal 20 Wochenstunden (4,9 Millio-
nen Personen), Geringfügigkeit im Sinne
des Sozialrechts (2,3 Millionen Personen) Erwerbstätige im Alter von 15 bis 64
oder Zeit- beziehungsweise Leiharbeit Jahren waren im Jahr 2014 selbstständig.
(0,7 Millionen Personen). Im Jahr 2004
lag der Anteil atypischer Beschäftigung
noch bei 19 %.
Die Verschiebung der Anteile zwi-
schen Normalbeschäftigung und atypi-
scher Beschäftigung begann bereits 1994.
Damals lag der Anteil atypisch Beschäf-
tigter bei rund 14 %. Er stieg kontinuier-
lich an und lag ab 2008 in etwa auf dem
gleichen Niveau von rund 22 %. Seit 2011
ist eine leicht rückläufige Tendenz zu ver-
zeichnen.
Bei der Normalbeschäftigung kehrte
sich der Trend eines immer weiter sin-

133
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

u Tab 4  Kernerwerbstätige in einzelnen Erwerbsformen — in Millionen


Selbst­s tändige Abhängig Beschäftigte
atypisch Beschäftigte
darunter Normal-
Insgesamt¹ und zwar³
Solo-­ arbeit-
zusammen zusammen
Selbst- nehmer/ zusammen ²   Teilzeit- Zeitarbeit-
ständige -innen befristet geringfügig
beschäf- nehmer /
Beschäftigte Beschäftigte
tigte ⁴ -innen
1994 33,64 3,11 1,36 30,12 25,55 4,57 1,87 2,86 0,65 −
2004 32,54 3,61 1,92 28,61 22,44 6,18 2,05 4,38 1,97 −

2009 34,80 3,88 2,14 30,76 23,06 7,70 2,73 4,92 2,57 0,56
2010 35,15 3,92 2,17 31,08 23,13 7,95 2,86 4,94 2,52 0,74

20115 35,11 3,92 2,19 31,04 23,19 7,86 2,81 4,97 2,61 0,75
2012 35,44 3,92 2,19 31,39 23,68 7,71 2,64 4,94 2,49 0,72
2013 35,63 3,81 2,09 31,70 24,06 7,64 2,52 4,97 2,44 0,68
2014 35,88 3,74 2,05 32,02 24,52 7,51 2,46 4,87 2,34 0,67

Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren, nicht in Bildung oder Ausbildung; ohne Zeit- und Berufssoldaten / Zeit- und Berufssoldatinnen sowie Grundwehr- und Zivildienstleistende.
Bis 2004 Ergebnisse einer Berichtswoche im Frühjahr; ab 2005 Jahresdurchschnittswerte sowie geänderte Erhebungs- und Hochrechnungsverfahren.
1  Umfasst auch mithelfende Familienangehörige, die in der Tabelle nicht gesondert ausgewiesen sind.
2  Vor 2006 ohne Zeitarbeitnehmer/-innen.
3  Mehrfachnennungen möglich.
4  Mit höchstens 20 Arbeitsstunden pro Woche.
5  Ergebnisse ab 2011 auf Basis des Zensus 2011, die Ergebnisse sind mit den Vorjahren nur eingeschränkt vergleichbar.
–  Nichts vorhanden.
Ergebnisse des Mikrozensus.

5.1.7 Erwerbstätigkeit als Während sich auf der Gesamtebene entsprechenden Anteil der Männer (55 %)
Unterhaltsquelle im Zehnjahresvergleich kaum Änderun- war mit 9 Prozentpunkten geringer. u Abb 6
Rund 51 % der Personen im Alter von 15 gen bei den Unterhaltsquellen zeigten, Bei den Anteilen anderer Unterhalts-
und mehr Jahren bestritten 2014 ihren waren zwischen Ost- und Westdeutsch- quellen zeigten sich zwischen den Ge-
Lebensunterhalt überwiegend aus eigener land und zwischen Männern und Frauen schlechtern, aber auch im Vergleich von
Erwerbstätigkeit. Dieser Anteil hat sich unterschiedliche Trends zu beobachten. Ost- und Westdeutschland geringere Un-
gegenüber 2004 erhöht. Damals lag er bei Im Jahr 2014 verdienten im früheren Bun- terschiede. Die Bedeutung des Arbeitslo-
rund 46 %. Die Relevanz anderer Quellen desgebiet 59 % der Männer und 44 % der sengeldes und anderer Sozialleistungen als
des überwiegenden Lebensunterhaltes Frauen ihren überwiegenden Lebensun- überwiegende Unterhaltsquelle hat in Ost-
hat sich in den vergangenen zehn Jahren terhalt durch Erwerbstätigkeit. Im Ver­ deutschland im betrachteten Zeitraum et-
nur wenig verändert. Im Jahr 2014 lebten gleich zu 2004 (56 %) veränderte sich für was abgenommen und ist von 16 % (2004)
zum Beispiel 7 % der Bevölkerung haupt- die Männer dieser Anteil nur wenig. Der auf 11 % gesunken. Der Anteil der Perso-
sächlich von Sozialleistungen wie Ar- Anteil der Frauen, die ihren Lebensunter- nen mit Renten und eigenem Vermögen
beitslosengeld, Leistungen nach Hartz IV halt vorwiegend durch die eigene Er- als Haupteinkommensquelle hat sich seit
oder BAföG, 2004 waren es 9 %. Durch werbstätigkeit finanzierten, ist jedoch um 2004 (28 %) in Deutschland insgesamt
Rente, Pension oder eigenes Vermögen fi- 6 Prozentpunkte gestiegen; er hatte 2004 kaum verändert und lag 2014 bei rund ei-
nanzierten sich 27 % im Jahr 2014, ähn- lediglich bei rund 37 % gelegen. Trotzdem nem Viertel (Männer: 26 %; Frauen: 28 %).
lich hoch lag der Anteil vor zehn Jahren blieben westdeutsche Frauen deutlich – Auffallend ist der hohe Anteil an Frauen in
(28 %). Der Anteil derjenigen, deren Un- mit einem Unterschied von 15 Prozent- Ostdeutschland, die zu 35 % überwiegend
terhalt hauptsächlich von Angehörigen punkten – hinter den westdeutschen von Renten, Pensionen oder eigenem Ver-
finanziert wurde, sank von 18 % (2004) Männern zurück. Frauen in Westdeutsch- mögen leben.
auf 15 % (2014). Neu hinzugekommen ist land sind auch weiterhin häufiger auf an-
seit 2007 das Elterngeld, welches 2014 für dere Finanzierungsquellen angewiesen als 5.1.8 Registrierte Arbeitslose und
0,5 % der Bevölkerung ab 15 Jahren die Frauen im Osten. Dort lebten 46 % der gemeldete Arbeitsstellen
wichtigste Quelle des Lebensunterhalts Frauen hauptsächlich von der eigenen Er- In diesem Abschnitt werden Ergebnisse
darstellte. werbstätigkeit und der Unterschied zum für die nationale Arbeitsmarktbeobach-

134
Abb 6 Bevölkerung nach überwiegendem Lebensunterhalt 2014 - in Prozent
Arbeitsmarkt  / 5.1  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

u Abb 6  Bevölkerung nach überwiegendem Lebensunterhalt 2014 — in Prozent der Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe folgt zum einen eine deut-
liche Ausweitung der Zahl der Arbeitslo-
Männer
sen, auch wenn die Definition von Ar-
58,9 beitslosigkeit im SGB III unverändert
Erwerbstätigkeit
54,9 blieb. Seit der Reform gelten prinzipiell
alle Personen ohne Arbeit als arbeitslos,
Rente, Pension, 25,1 die staatliche Hilfe beanspruchen, er-
eigenes Vermögen 27,8 werbsfähig sind und deren Alter zwischen
15 und dem Renteneintrittsalter liegt.
ALG I, ALG II, 6,8 Ausgenommen von dieser Regel sind nur
Sozialhilfe, BAföG, usw. 11,4 Personen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung stehen (zum Beispiel durch
Einkünfte von 9,2 Krankheit oder weil sie Schüler/Schüle-
Angehörigen 5,8 rinnen oder Studierende sind oder weil
sie sich in arbeitsmarktpolitischen Maß-
0,0 nahmen befinden).
Elterngeld
0,1 Durch diese Umstellung sind die Ar-
beitsagenturen nur noch für einen Teil
der Arbeitslosen zuständig. Für die
Frauen Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach SGB II sind neben den Arbeitsagen-
43,7
Erwerbstätigkeit turen auch kommunale Träger verant-
45,8
wortlich. Die Bundesagentur für Arbeit
führt die bisherige Arbeitsmarktstatistik
Rente, Pension, 25,7
unter Einbeziehung der Grundsicherung
eigenes Vermögen 35,1
für Arbeitsuchende weiter.
Die im Folgenden dargestellten Ar-
ALG I, ALG II, 6,0
beitslosenquoten beziehen sich auf alle
Sozialhilfe, BAföG, usw. 10,0
zivilen Erwerbspersonen. Diese Quoten-
berechnung steht seit 2009 im Vorder-
Einkünfte von 23,9
grund der Berichterstattung, Ergebnisse
Angehörigen 8,0
liegen für Deutschland insgesamt ab
1992 und für die Teilgebiete ab 1994 vor.
0,8 Der Anstieg der Arbeitslosenzahlen
Elterngeld
1,1
nach der deutschen Vereinigung ist nicht
allein auf die wirtschaftlich schwache Si-
früheres Bundesgebiet neue Länder und Berlin tuation in den neuen Bundesländern zu-
rückzuführen. Auch in Westdeutschland
Bevölkerung 15 Jahre und älter. sind ab 1992 die Arbeitslosenquoten
Ergebnisse des Mikrozensus.
merklich gestiegen. Im Jahr 1997 lag die
Arbeitslosenquote im Westen bei 9,6 %
Bevölkerung 15 Jahre und älter.
und erreichte nach einem Rückgang
Ergebnisse des Mikrozensus.
durch die folgende konjunkturelle Bele-
bung dann 2005 einen neuen Höchstwert
von 9,9 %.
tung aus der Statistik der Bundesagentur kurz auf die bedeutendsten Änderungen In den neuen Ländern ist die hohe
für Arbeit (BA) dargestellt. eingegangen werden. Mit der Überarbei- Arbeitslosigkeit hauptsächlich auf die
Aufgrund verwaltungsrechtlicher Maß­ tung des Zweiten Buches des Sozialgesetz- Anpassung der Wirtschaftsstruktur zu-
nahmen und Reformen ist die Aussage- buches (SGB II) haben sich in Deutsch- rückzuführen. Dadurch wurden zunächst
kraft der Zeitreihen zu den Arbeitslosen land seit 1. Januar 2005 die Grundlagen mehr Arbeitskräfte freigesetzt als neu
eingeschränkt. An dieser Stelle kann nur der Arbeitsmarktstatistik geändert. Aus eingestellt. Im Jahresdurchschnitt 1991

135
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

u Tab 5  Registrierte Arbeitslose, offene Stellen und Arbeitslosenquoten

Registrierte Arbeitslose Gesamt- Arbeitslosenquote 3


Gemeldete
wirtschaftliches
Arbeitsstellen 1
insgesamt Männer Frauen Stellenangebot 2 insgesamt Männer Frauen
in 1 000 in %
1991 2 602,2 1 280,6 1 321,6 362,8 . . . .
1995 3 611,9 1 850,6 1 761,3 321,3 . 9,4 8,5 10,6
2000 3 889,7 2 053,4 1 836,3 450,1 . 9,6 9,2 10,0
2005 4 860,9 2 603,0 2 257,6 255,8 . 11,7 11,7 11,8
2006 4 487,3 2 337,5 2 149,7 354,3 938,8 10,8 10,5 11,0
2007 3 760,6 1 893,7 1 866,9 423,4 1 085,0 9,0 8,5 9,6
2008 3 259,0 1 663,2 1 595,8 389,0 912,5 7,8 7,4 8,2
2009 3 415,0 1 863,0 1 552,0 300,6 709,4 8,1 8,3 7,9
2010 3 239,0 1 760,0 1 478,9 359,3 813,8 7,7 7,9 7,5
2011 2 976,5 1 586,4 1 390,1 466,3 1 019,9 7,1 7,1 7,0
2012 2 897,1 1 550,4 1 346,7 477,5 970,1 6,8 6,9 6,8
2013 2 950,3 1 597,1 1 353,2 457,0 953,1 6,9 7,0 6,7
2014 2 898,4 1 565,1 1 333,3 490,3 1 106,3 6,7 6,8 6,6

1  Bis 1999 einschließlich geförderter Stellen (Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). Grundlage ist die Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit.
2  Schätzung für das gesamte Stellenangebot auf dem ersten Arbeitsmarkt (ohne Arbeitsgelegenheiten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). Grundlage ist eine Betriebsbefragung des IAB.
3  Arbeitslosenquoten bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen.
.  Zahlenwert unbekannt.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit (BA), Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)

hatten sich eine Million Personen als ar- stand von 6,7 % beziehungsweise 2,9 Mil- liefert vergleichbare Ergebnisse ab dem
beitslos gemeldet. Bis zum Jahr 1998 stieg lionen Personen. u Tab 5 Jahr 2006 und ist repräsentativ für alle Be-
die Zahl auf 1,5 Millionen an, was einer Die Zahl der gemeldeten Arbeitsstel- triebe mit mindestens einem sozialversi-
Quote von 17,8 % entsprach und bewegte len lag 2014 durchschnittlich bei 490 300. cherungspflichtigen Angestellten. Im Jahr
sich danach konstant auf relativ hohem Das waren deutlich mehr Stellen als im 2014 gab es demnach im Durchschnitt et-
Niveau. Die Arbeitslosenquote lag zwi- Jahr der Wirtschaftskrise 2009 (300 600 was mehr als 1,1 Millionen zu besetzende
schen 17,3 % und 18,7 %. Erst seit 2006 ist gemeldete Arbeitsstellen) und gleichzeitig Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Da-
die Arbeitslosenzahl in Ostdeutschland der höchste Wert seit Beginn der Darstel- mit wird deutlich, dass es gesamtwirt-
wieder merklich rückläufig und sank lung in der heutigen Form im Jahr 2000. schaftlich wesentlich mehr zu besetzende
2014 auf eine Quote von 9,8 % bezie- Analog zu den Zahlen über registrierte Stellen gibt, als der Arbeitsagentur gemel-
hungsweise fast 824 000 Arbeitslose. Arbeitslose handelt es sich bei der Zahl det werden. Die Meldequote ist seit 2012
Die Entwick lung im gesamten gemeldeter Arbeitsstellen ausschließlich wieder rückläufig und lag 2014 bei ledig-
Deutschland zeichnete sich in den Jahren um bei der Arbeitsvermittlung gemeldete lich 44 %.
1996 bis 2006 durch meist zweistellige Stellen mit Vermittlungsauftrag. Sie stellt
Arbeitslosenquoten aus, die während ei- somit nur einen Ausschnitt des gesamt- 5.1.9 Arbeitsunfälle und gesundheit-
ner positiven Entwicklung zwischen wirtschaftlichen Stellenangebots dar. Ab liche Belastung
2000 und 2002 leicht unter 10 % fielen. dem Jahr 2000 werden ausschließlich un- Durch den strukturellen Wandel in der
Die Zahl der Arbeitslosen bewegte sich in geförderte Stellenangebote am sogenann- deutschen Wirtschaft haben sich die Ar-
diesem Zeitraum um den Wert von 4 Mil­ ten ersten Arbeitsmarkt (ohne Arbeitsge- beitsbedingungen und die damit einher-
lionen Personen. Erst 2008 lag die Quote legenheiten oder Arbeitsbeschaffungs- gehende Arbeitsbelastung vieler Men-
mit 7,8 % auf fast demselben Stand wie maßnahmen) dargestellt. schen verändert. Im Jahr 2013 enthielt
1992. Nach einem leichten Anstieg im Um das Stellenangebot umfassender der Mikrozensus Zusatzfragen zu Ar-
Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschafts- abbilden zu können, führt das Institut beitsunfällen, arbeitsbedingten Gesund-
krise 2008/2009 und eines schwächeren für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heitsproblemen und zu physischen und
Wachstums 2013 sank die Arbeitslosen- der Bundesagentur für Arbeit quartals- psychischen Belastungen, denen die Be-
quote im Jahr 2014 auf einen neuen Tief- weise eine Betriebsbefragung durch. Diese fragten bei der Arbeit ausgesetzt sind.

136
Arbeitsmarkt  / 5.1  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

Rund 1,2 Millionen Erwerbstätige (3 %) u Abb 7  Erwerbstätige nach Art der körperlichen und psychischen
gaben an, mindestens einen Arbeitsunfall ­Belastungen am Arbeitsplatz 2013 — in Prozent
im Jahr vor der Befragung erlitten zu ha-
ben. Die größte Unfallgefahr bestand bei
Fachkräften in der Land- und Forstwirt- körperliche Belastung
28,9
insgesamt
schaft. Hier gaben 6 % der Erwerbstätigen
an, einen Arbeitsunfall gehabt zu haben. schwierige Körperhaltung/
18,2
schwere Lasten
Annähernd gleichviele Erwerbstätige im
Bereich Bau, Architektur und Gebäude- Lärm/starke Vibrationen 1,7
technik gaben mindestens einen Unfall
Chemikalien, Staub,
im vergangenen Jahr an (5 %). Das ge- 2,7
Dämpfe, Rauch oder Gase
ringste Unfallrisiko wiesen klassische Bü- Belastung für Augen
2,0
roberufe wie zum Beispiel in der Buch- und Sehvermögen
haltung oder der Verwaltung auf (1 %).
Unfallgefahren 1,6
Im selben Jahr hatten etwas mehr als
3,4 Millionen Erwerbstätige arbeitsbe-
Sonstiges 2,8
dingte Gesundheitsprobleme (8 %), also
chronische Belastungen oder Einschrän-
kungen, die durch die ausgeübte Erwerbs-
tätigkeit entstehen. Mit zunehmendem psychische Belastung
21,3
insgesamt
Alter traten arbeitsbedingte Gesundheits-
probleme verstärkt in den Vordergrund. starker Zeitdruck 16,6
Gaben die jüngsten Erwerbstätigen bis
Gewalt und Gewalt-
25  Jahre nur in 3 % der Fälle eine Belas- androhung, Mobbing, 1,3
tung an, stieg dieser Anteil bis auf 10 % Belästigungen
bei den 45- bis 55-Jährigen beziehungs-
Sonstiges 3,5
weise 12 % bei den 55- bis 65-Jährigen.
In der Zusatzerhebung des Mikrozen-
sus wurde neben den erlittenen Arbeitsun- Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung 2013.

fällen und den akuten arbeitsbedingten


Gesundheitsbelastungen auch nach Fakto- Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung 2013
ren gefragt, die die Erwerbstätigen als be-
lastend empfanden, die sich aber bis zu die-
sem Zeitpunkt noch nicht in Form einer
Krankheit oder von Ausfallzeiten niederge- Erwerbstätigen. Überlange Arbeitszeiten, ten, lag dieser Anteil bei den Vollzeittäti-
schlagen hatten. Rund 18,9 Millionen Er- Abend-, Nacht- oder Wochenendarbeit gen über 65 Jahren bei 37 %. Einer der
werbstätige litten 2013 unter einer physi- können sowohl die Gesundheit als auch Gründe für die deutlichen Altersunter-
schen und/oder psychischen Belastung am das Privatleben negativ beeinträchtigen. schiede ist der hohe Anteil überlanger Ar-
Arbeitsplatz. Das entsprach 46 % aller be- Als Erwerbstätige mit überlangen Ar- beitszeiten bei Führungskräften, die eher
fragten Erwerbstätigen. Als größte Belas- beitszeiten gelten alle Personen, die in der in den höheren Altersgruppen zu finden
tung des körperlichen Wohlbefindens ga- Regel mehr als 48 Stunden in der Woche sind. Rund 38 % der Vollzeiterwerbstäti-
ben 18 % eine schwierige Körper­haltung arbeiten. Rund jede achte vollzeiterwerbs- gen in Leitungs- und Führungspositionen
und schwere Lasten an. Neben der körperli- tätige Person ab 15 Jahren (12 %) gab 2014 arbeiteten 2014 gewöhnlich mehr als 48
chen spielte auch die psychische Belastung an, gewöhnlich mehr als 48 Stunden pro Stunden – bei den Erwerbstätigen ohne
eine große Rolle. Arbeiten unter Zeitdruck Woche zu arbeiten. Solche langen Arbeits- Führungsaufgaben lag dieser Anteil mit
und Arbeitsüberlastung nannten 17 % der zeiten betreffen vor allem Männer: 15 % 11 % deutlich niedriger.
Erwerbs­tätigen als größte Beeinträchtigung der Männer, aber nur 7 % der Frauen ga- Als Abendarbeit wird die Zeit zwi-
des seelischen Wohlbefindens. u Abb 7 ben an, überlange Arbeitszeiten zu haben. schen 18 und 23 Uhr betrachtet, Nachtar-
Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil beit findet zwischen 23 und 6 Uhr mor-
5.1.10 Arbeitszeiten an. Während nur 2 % der Vollzeiterwerbs- gens statt. Der Anteil der Erwerbstätigen,
Auch die Arbeitszeit hat einen bedeuten- tätigen im Alter von 15 bis 24 Jahren die abends arbeiten, ist zwischen 1994
den Einfluss auf die Lebensqualität der mehr als 48 Stunden wöchentlich arbeite- (15 %) und 2014 (26 %) um 11 Prozent-

137
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.1 /  Arbeitsmarkt

punkte gestiegen. Dazu hat vermutlich u Abb 8  Erwerbstätige, die samstags und sonntags arbeiten
auch die Liberalisierung der Ladenöff- nach Wirtschafts­bereichen 2014 — in Prozent
nungszeiten beigetragen. Fast die Hälfte
der Selbstständigen mit Beschäftigten
(46 %) hat 2014 regelmäßig zwischen 18 60,9
Land- und Forstwirt-
und 23 Uhr gearbeitet. Bei den Arbeitneh- schaft, Fischerei
48,3
47,6
merinnen und Arbeitnehmern war es hin-
gegen nur fast jede vierte Person (24 %).
Produzierendes Gewerbe
Der Anteil derjenigen, die ständig bezie-
hungsweise regelmäßig nachts arbeiten, 17,8
Produzierendes Gewerbe
ohne Baugewerbe 9,4
hat dagegen nur leicht von 7 % auf 9 % 8,3
zugenommen. Männer arbeiteten dabei
11,8
fast doppelt so häufig nachts (11 %) wie Baugewerbe 2,7
Frauen (6 %). 2,5
Der Anteil der Erwerbstätigen, die
samstags arbeiten, stieg von 21 % (1994) 28,9
auf 26 % (2014). Mehr als die Hälfte der Dienstleistungen 15,8
Selbstständigen mit Beschäftigten (53 %) 15,1

arbeiteten 2014 am Samstag. Bei den Ar-


beitnehmerinnen und Arbeitnehmern samstags sonntags samstags und sonntags
waren es 24 %. Sonntags arbeiten wesent-
lich weniger Menschen. Der Anteil der Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung.

Personen, die sonntags arbeiten stieg von


10 % (1994) auf 14 % (2014). Es zeigten
sich ähnliche Strukturen: Fast jede vierte
selbstständige Person mit Beschäftigten
war auch sonntags im Einsatz (24 %), bei
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Wer arbeitet, verbringt damit einen gro- individuelle Wohlbefinden, sondern auch
mern nur gut jede achte (13 %). Personen, ßen Teil seiner täglichen Zeit. Daher spielt die Leistungsfähigkeit der Betroffenen
die sonntags arbeiten, tun dies auch häu- das Miteinander mit Kollegen und wird dadurch zum Teil massiv beeinträch-
fig am Samstag. Rund 13 % der Erwerbs- Vor­g esetzten ebenso eine bedeutende tigt. Im Jahr 2010 erfuhr fast jeder zehnte
tätigen arbeiten ständig oder regelmäßig Rolle bei der Bewertung der Qualität Beschäftigte (9 %) in Deutschland Diskri-
an beiden Tagen des Wochenendes. u Abb 8 einer Arbeit wie die Motivation zur minierung am Arbeitsplatz. Der am häu-
Ausübung der Tätigkeit. Im Jahr 2010 figsten genannte Grund für Diskriminie-
5.1.11 Arbeitsbedingungen gaben 67 % der Befragten ab 15 Jahren in rung war das Alter. Rund 5 % der Arbeit-
Neben den genannten Einflüssen der Ar- Deutschland an, gute Freunde am Arbeits- nehmerinnen und Arbeitnehmer fühlten
beit auf die Gesundheit werden unter der platz zu haben. Rund 89 % der Befragten sich aufgrund ihres Alters diskriminiert.
Überschrift »Qualität der Arbeit« noch gaben an, immer beziehungsweise meis- Besonders stark betroffen waren jüngere
eine Reihe weiterer Aspekte diskutiert, tens von ihren Kollegen und Kolleginnen und ältere Beschäftigte.
die das subjektive Empfinden und damit unterstützt zu werden. Die Unterstützung Ein wichtiger Aspekt für die Arbeits-
die Zufriedenheit und Lebensqualität der durch Vorgesetzte spielt ebenfalls eine motivation ist die Identifikation mit der
Erwerbstätigen beeinflussen. Einen ver- wichtige Rolle für die Qualität der Zusam- ausgeübten Tätigkeit. Durchschnittlich
tieften Einblick zum Thema Arbeitsbe- menarbeit. Knapp die Hälfte (47 %) der 84 % der Befragten in Deutschland sahen
dingungen geben beispielsweise die Er- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihrer Arbeit eine sinnvolle Tätigkeit.
gebnisse des European Working Condi- wurde nach eigener Einschätzung von ih- Darüber hinaus waren 88 % dieses Perso-
tions Survey (EWCS). Im EWCS werden ren Vorgesetzten unterstützt. nenkreises im Allgemeinen zufrieden mit
in mehrjährlichen Abständen – zuletzt Bei der regelmäßigen Zusammenarbeit ihren Arbeitsbedingungen. Nur 10 % der
im Jahr 2010 – in den europäischen Staa- treten auch Probleme am Arbeitsplatz auf. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
ten Beschäftigte zu ihren Arbeitsbedin- Diese sind häufig Ursache für gesundheit- in Deutschland waren nicht sehr zufrie-
gungen befragt, unter anderem auch zu liche Beeinträchtigungen. Bedrohungen den. Lediglich eine Minderheit (2 %) gab
ausgewählten Aspekten der Zusammen- und Belästigungen tragen zu seelischen an, überhaupt nicht zufrieden mit den
arbeit und der Arbeitsmotivation. Belastungen und Stress bei. Nicht nur das Arbeitsbedingungen zu sein.

138
Verdienste  / 5.2  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

5.2 Für viele Menschen ist der Verdienst der


wichtigste Teil ihres Einkommens. Ver-
Bereichen wie bei Bund, Ländern und
Gemeinden (21,9 %), dem Baugewerbe
Verdienste dienste sind Arbeitseinkommen, die Ar- (21,6 %), bei Finanz- und Versicherungs-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer für dienstleistungen (18,9 %) oder im Einzel-
ihre Tätigkeiten regelmäßig beziehen. Sie handel (17,7 %). Im Bereich Gebäude­
Sandra Klemt,
entscheiden wesentlich über den Lebens- betreuung, Garten- und Landschaftsbau
Sabine Lenz
standard und die Möglichkeiten der sozi- lagen sie mit 14,2 % unter dem Anstieg
alen Sicherung von Familien und Allein- der Verbraucherpreise. Betrachtet werden
Destatis stehenden. regelmäßig gezahlte Grundvergütungen
ohne Sonderzahlungen.
5.2.1 Tarifverdienste
Für rund die Hälfte der Arbeitnehmerin- Tarifrunde 2014
nen und Arbeitnehmer in Deutschland Die Tarif verdienste stiegen 2014 in
regeln Tarifverträge Verdienste und Ar- Deutschland durchschnittlich um 2,9 %
beitsbedingungen. Tarifverträge werden gegenüber dem Vorjahr. Damit lagen die
von einem oder mehreren Arbeitgebern durchschnittlichen Tarifsteigerungen
oder Arbeitgeberverbänden mit einer über denen aus dem Jahr 2013 mit 2,5 %
oder mehreren Gewerkschaften abge- und fast genauso hoch wie die aus dem
schlossen. Sie sind ausschließlich für ihre Jahr 2012 mit 3,0 %.
Mitglieder bindend (Tarifbindung). Aber Viele Tariferhöhungen des Jahres 2014
auch viele nicht tariflich gebundene Un- wurden bereits im Jahr 2013 beschlossen.
ternehmen sowie Arbeitnehmerinnen So einigten sich beispielsweise die Tarif-
und Arbeitnehmer orientieren sich an be- parteien im öffentlichen Dienst der Län-
stehenden Tarifverträgen. der bereits im März 2013 auf eine Tarifer-
höhung von 2,95 % ab Januar 2014. In der
Tarifverdienste 2005 bis 2014 Metall- und Elektroindustrie wurde im
Die tariflichen Monatsverdienste der Ar- Mai 2013 eine Erhöhung der tariflichen
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Entgelte von 2,2 % ab Mai 2014 verein-
Produzierenden Gewerbe und im Dienst- bart. Die Tariferhöhungen von 2,1 % ab
leistungsbereich in Deutschland erhöh- Mai 2014 im Groß- und Außenhandel so-
ten sich von 2005 bis 2014 durchschnitt- wie im Einzelhandel wurden im Juni be-
lich um 22,3 %. Die Verbraucherpreise ziehungsweise im Dezember 2013 ausge-
stiegen im gleichen Zeitraum um 15,2 %. handelt.
Die Tarifverdienste der Arbeitnehmerin- Der erste große Tarifabschluss 2014
nen und Arbeitnehmer sind jedoch nicht wurde in der chemischen Industrie erzielt.
gleichmäßig gestiegen: In den Jahren Er brachte den Beschäftigten ein tarif­
2006, 2007 und 2011 stiegen die Verbrau- liches Plus von 3,7 % ab Februar 2014. Im
cherpreise stärker als die durchschnitt­ öffentlichen Dienst bei Bund und Ge-
lichen Tarifverdienste, in den Jahren meinden einigte man sich im April 2014
2008 bis 2010 sowie in den Jahren 2012 auf 3,0 %, mindestens aber 90 Euro mehr
bis 2014 war es umgekehrt. rückwirkend ab März 2014. Auch im Bau-
Von den Tariferhöhungen profitierten gewerbe wurde eine überdurchschnittlich
nicht alle Beschäftigten gleichermaßen. hohe Tariferhöhung erzielt. Beschäftigte
In den Jahren 2005 bis 2014 gab es bei- dieser Branche konnten sich im Juni über
spielsweise für die Arbeitnehmerinnen ein tarifliches Plus von 3,1 % (West) bezie-
und Arbeitnehmer in der Energieversor- hungsweise 3,8 % (Ost) freuen. u Tab 1
gung, in der chemischen Industrie, im
Metallgewerbe und im Maschinenbau Tarifverdienste nach Branchen und
überdurchschnittliche Tariferhöhungen Regionen
von mehr als 25 %. Deutlich niedriger Je nach Branche und Region unterschei-
waren die Tariferhöhungen in anderen den sich die Tarifverdienste erheblich. In

139
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.2 /  Verdienste

u Tab 1  Ausgewählte Tariferhöhungen 2014 laut Tarifvertrag zwischen 1 863 Euro


(Berlin und Brandenburg) und 1 607 Euro
Tarifbereich Tariferhöhungen
(Bremen) im Monat zu. In der Druckin-
Abschluss dustrie betrug der Tariflohn für Fachar-
November 2012 Textil- und Bekleidungsindustrie, West 2,0 % ab Juni 2014 beiterinnen und Facharbeiter im Westen
Dezember 2012 Wohnungs- und Immobilienwirtschaft 2,4 % ab Januar 2014 je Stunde mindestens 17,04 Euro und im
März 2013 Öffentlicher Dienst der Länder TV-L 2,95 % ab Januar 2014
Osten 15,70 Euro, in der Bauindustrie
16,64 Euro im früheren Bundesgebiet und
Ärztinnen und Ärzte an
März 2013 2,0 % ab Januar 2014 15,30 Euro in den neuen Ländern.
kommunalen Krankenhäusern (TV-Ärzte)

Wach- und Sicherheitsgewerbe


Deutlich niedrigere Tarifverdienste
April 2013 3,5 % ab Januar 2014
­N ordrhein-Westfalen galten für ausgebildete Hotelfachkräfte
Mai 2013 Metall- und Elektroindustrie 2,2 % ab Mai 2014 sowie Köchinnen und Köche (Bayern:
Juni 2013 Papiererzeugende Industrie 3,0 % ab Mai 2014
12,05  Euro; Mecklenburg-Vorpommern:
8,73 Euro); Berufskraftfahrer im privaten
Juni 2013 Versicherungsgewerbe 2,2 % ab Oktober 2014
Verkehrsgewerbe (Niedersachsen: 9,16 Eu­
2,8 % ab Oktober 2014
Juni 2013 Kraftfahrzeuggewerbe
Beginn regional abweichend
ro) und für ausgelernte Friseurinnen und
Friseure im ersten Berufsjahr (Nordrhein-
2,1 % ab Mai 2014
Juni 2013 Groß- und Außenhandel Westfalen: 8,29 Euro, Bayern: 8,20 Euro).
90 Euro Einmalzahlung
Eine ähnliche Verteilung ergibt sich
3,4 % ab Januar 2014 West
Juni 2013 Gebäudereinigung
5,3 % ab Januar 2014 Ost auch bei Betrachtung der tariflichen Ver-
2,6 % ab Januar 2015 West
3,1 % ab Januar 2015 Ost
dienste der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer ohne abgeschlossene Berufs-
3,8 % ab Januar 2014 West
4,8 % ab Januar 2014 Ost ausbildung. So standen ungelernten be-
September 2013 Zeitarbeit
3,5 % ab April 2015 West ziehungsweise angelernten Angestellten
4,3 % ab April 2015 Ost
2,3 % ab Juni 2016 West der untersten Tarifgruppe im Jahr 2014
3,7 % ab Juni 2016 Ost in der chemischen Industrie zwischen
Dezember 2013 Einzelhandel
2,1 % ab Mai 2014 15,17  Euro (Baden-Württemberg) und
Beginn regional abweichend
13,38 Euro (neue Länder und Berlin-Ost)
Februar 2014 Chemische Industrie
3,7 % ab Februar 2014 zu. Im Bankgewerbe waren es deutsch-
Beginn regional abweichend
landweit 12,30 Euro je Stunde, im Einzel-
3,0 % beziehungsweise
April 2014
Öffentlicher Dienst Bund und
mindestens 90 Euro ab März 2014
handel zwischen 11,77 Euro (Hamburg)
Gemeinden TVöD
2,4 % ab März 2015 und 7,89  Euro (Schleswig-Holstein).
3,0 % ab Mai 2014 Deutlich niedriger waren 2014 die tarif­
Juni 2014 Druckindustrie
1,0 % ab April 2015
lichen Stundenverdienste eines Türste-
3,1 % ab Juni 2014 West hers/Doorman sowie einer Hilfskraft in
3,8 % ab Juni 2014 Ost
Juni 2014 Baugewerbe
2,6 % ab Juni 2015 West
Küche, Service oder am Bankett im Hotel-
3,3 % ab Juni 2015 Ost und Gaststättengewerbe in Nordrhein-
2,4 % ab Juli 2014
Westfalen mit 7,47 Euro.
Juni 2014 Bankgewerbe 2,1 % ab Juli 2015
150 Euro Einmalzahlung
5.2.2 Bruttoverdienste
Die Daten über die Bruttoverdienste der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
bilden tatsächlich gezahlte Bruttolöhne
und -gehälter ab, die sich zum Teil deut-
der chemischen Industrie, der Metallin- Berufsausbildung lag das unterste tarif­ lich von den Tarifverdiensten unterschei-
dustrie sowie bei Banken und Versiche- liche Monatsentgelt Ende 2014 beispiels- den. So werden beispielsweise nicht alle
rungen erhielten die Beschäftigten in der weise in der chemischen Industrie zwi- Arbeitnehmer in Deutschland nach Tarif
Regel höhere Tarifverdienste als im Han- schen 2 829 Euro in Baden-Württemberg bezahlt oder das Tarifniveau wird auf-
del oder der Bekleidungs- und der Ernäh- und 2 676 Euro in Bayern. Im privaten grund der wirtschaftlichen Lage des Be-
rungsindustrie. Bankgewerbe waren es deutschlandweit triebes über- oder unterschritten. Die Er-
Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 2 363 Euro. Angestellten im Einzelhandel gebnisse der Vierteljährlichen Verdienst-
mit einer abgeschlossenen dreijährigen steht nach Abschluss ihrer Ausbildung erhebung zeigen, wie sich die tatsächlich

140
Verdienste  / 5.2  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

gezahlten Bruttoverdienste von Arbeitneh- u Tab 2  Arbeitszeiten und Verdienste (ohne Sonderzahlungen) vollzeitbeschäftigter
merinnen und Arbeitnehmern entwickeln. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2014

Bezahlte Brutto- Brutto-


Bruttoverdienste 2014 Wochen- stunden- monats-
Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen arbeitszeit verdienst verdienst

und Arbeitnehmer im Produzierenden in Stunden in Euro


Gewerbe sowie im Dienstleistungsbereich
Produzierendes Gewerbe
(insgesamt) verdienten in Deutschland und Dienstleistungsbereich
39,1 20,74 3 527

2014 durchschnittlich im Monat 3 527 Euro


Produzierendes Gewerbe 38,5 21,74 3 641
brutto. Im früheren Bundesgebiet lag der
durchschnittliche Bruttomonatsverdienst  B ergbau und Gewinnung
40,5 22,22 3 914
von Steinen und Erden
bei 3 652 Euro, in den neuen Ländern wa-
 Verarbeitendes Gewerbe 38,3 22,61 3 766
ren es 2 760 Euro. In diesen Verdienstan-
gaben sind Sonderzahlungen nicht ent-  Energieversorgung 38,7 27,17 4 570
halten. Das sind Zahlungen, die nicht re-  Wasserversorgung ¹ 40,4 18,03 3 163
gelmäßig erfolgen, wie Weihnachts- oder  Baugewerbe 39,1 17,22 2 927
Urlaubsgeld, Gewinnbeteiligungen, Prä-
Dienstleistungsbereich 39,5 20,17 3 460
mien für Verbesserungsvorschläge sowie
jährlich einmalig gezahlte Provisionen  Handel ² 39,4 18,86 3 225

oder Boni. u Tab 2  Verkehr und Lagerei 40,7 16,43 2 904


Die Bruttomonatsverdienste einschließ-  Gastgewerbe 39,6 12,27 2 113
lich Sonderzahlungen Vollzeit-, Teilzeit-  I nformation und Kommuni-
39,2 27,48 4 683
kation
und geringfügig Beschäftigter stiegen im
 E rbringung von Finanz- und
Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um Versicherungsdienstleistungen
38,6 28,12 4 715
durchschnittlich 2,6 %. Da sich die Ver-
 Grundstücks- und
braucherpreise im selben Zeitraum nur 38,8 22,24 3 755
Wohnungswesen
um 0,9 % erhöhten, betrug der Anstieg  E rbringung von freiberuflichen
der Reallöhne 1,7 %. wissenschaftlichen und 39,3 24,83 4 235
technischen Dienstleistungen

Bruttoverdienste nach  E rbringung von sonstigen wirt-


38,6 13,66 2 289
schaftlichen Dienstleistungen
Bundesländern
Im Jahr 2014 verdienten Voll- und Teil-  Ö ffentliche Verwaltung, Ver­-
39,9 20,10 3 488
teidigung, Sozialversicherung
zeitbeschäftigte (ohne geringfügig Be-
 Erziehung und Unterricht 40,0 23,71 4 118
schäftigte) im Produzierenden Gewerbe
sowie im Dienstleistungsbereich in  Gesundheits- und Sozialwesen 39,5 20,20 3 463

Deutschland je Stunde 20,02 Euro brutto.  K


 unst, Unterhaltung und
39,5 19,74 3 387
Sonderzahlungen wurden in diesem Erholung

Durchschnittswert nicht berücksichtigt.  E rbringung von sonstigen


39,2 19,20 3 269
Dienstleistungen
Bei den Bundesländern führte Hamburg
(22,39 Euro) das Ranking vor Hessen 1  Einschließlich Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen.
2  Einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
(21,96 Euro) und Baden-Württemberg
(21,53 Euro) an. Den niedrigsten Stun-
denlohn der Länder im früheren Bundes-
gebiet verzeichnete Schleswig-Holstein
mit 18,51 Euro. Die geringsten Brutto- lag in unterschiedlichen Produktivitäts- 29,9 % über dem Durchschnitt der neuen
stundenverdienste wurden in Sachsen niveaus. Je höher der Wert der von den Länder ohne Berlin. Der Verdienstab-
und Thüringen (jeweils 15,63 Euro) sowie Erwerbstätigen hergestellten Waren und stand zwischen West- und Ostdeutsch-
in Sachsen-Anhalt (15,54 Euro) und erbrachten Dienstleistungen ist, desto land betrug ebenfalls etwa ein Drittel
Mecklenburg-Vorpommern (15,22 Euro) ­höhere Verdienste können den Beschäf- (32,8 % oder 5,13 Euro) und ist fast voll-
gezahlt. u Abb 1, Tab 3 tigten gezahlt werden. Im Jahr 2014 lag ständig durch die unterschiedlichen Pro-
Der Hauptgrund für die Verdienst­ das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstäti- duktivitätsniveaus erklärbar. Bei der Pro-
abstände zwischen den Bundesländern gen in den alten Bundesländern und Berlin duktivität und auch bei den Verdiensten

141
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.2 /  Verdienste

Abb 1 Durchschnittliche Bruttostundenverdienste 2014 – in Euro


belegten Hamburg und Hessen die vorde- u Abb 1  Durchschnittliche Bruttostundenverdienste

ren Plätze der Rangfolge. In Sachsen, nach Bundesländern 2014 — in Euro


Mecklenburg-Vorpommern und Thürin-
gen war die Produktivität am geringsten.
Eine ähnliche Struktur zeigt sich seit
mehreren Jahren und kann daher als Er-
klärung für den Verdienstabstand zwi- Schleswig-
Holstein
schen Ost- und Westdeutschland heran- Mecklenburg-
18,51
Vorpommern
gezogen werden. Hamburg 15,22
22,39
Nieder-
Bruttomonatsverdienste nach Bremen sachsen
19,06
20,82 Berlin
Leistungsgruppen 19,14
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Branden-
Sachsen- burg
werden zur besseren Analyse der Durch- Anhalt 16,06
Nordrhein- 15,54
schnittsverdienste in Leistungsgruppen Westfalen
21,06 Sachsen
eingeteilt. Arbeitnehmer in leitender Stel-
15,63
lung verdienten 2014 mit durchschnittlich Hessen
Thüringen
6 446 Euro mehr als dreimal so viel wie 15,63
21,96
Rheinland-
ungelernte Arbeitnehmer (2 014 Euro). Im Pfalz
Durchschnitt aller beobachteten Wirt- 19,79

schaftszweige gehörten 13,3 % der Män- Saarland


ner in Deutschland der Leistungsgruppe 1 19,68 Bayern
an, aber nur 9,0 % der Frauen. In Leis- 20,94

tungsgruppe 5 kehrt sich dieses Verhält- Baden-


Deutschland 20,02
nis um: 7,0 % ungelernte Arbeitnehmerin- Württemberg
21,53 unter 18
nen stehen hier 5,4 % ungelernten Arbeit- 18 bis unter 20
nehmern gegenüber. u Info 1, Tab 4 20 und mehr

Im früheren Bundesgebiet und Berlin


sind 13,8 % der vollzeitbeschäftigten Kartengrundlage © GeoBasis-DE / BKG 2014

Männer in Leistungsgruppe 1, aber nur Ohne Sonderzahlungen.


Vollzeit- und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer (einschließlich Beamte)
9,1 % der Frauen. Rund 5,5 % der männ­ im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.

lichen Beschäftigten sind ungelernte Ar-


beitnehmer (Frauen: 7,4 %). In den neuen
Ländern ist diese Verteilung etwas ausge-
wogener: Auf leitende Arbeitnehmer Ohne Sonderzahlungen.
ent-
Vollzeit- und teilzeitbeschäftigte
u Info 1Arbeitnehmer (einschließlich Beamte)
fallen hier 9,8 % der Männer im und 8,7 %
Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.
Leistungsgruppen
der Frauen, ungelernt sind 4,6 % der
Die Leistungsgruppen stellen eine grobe Ab­stufung der Arbeitnehmertätigkeiten nach dem Quali­­-
Männer und 4,9 % der Frauen. fi­k ationsprofil des Arbeitsplatzes dar. Es wird unterschieden zwischen Arbeitnehmern in

‧‧ leitender Stellung (Leistungsgruppe 1)


Bruttoverdienste nach Branchen ‧‧ heraus­g ehobenen Fachkräften (Leistungsgruppe 2)
Zwischen den einzelnen Branchen im ‧‧ Fachkräften (Leistungsgruppe 3)
Produzierenden Gewerbe und im Dienst- ‧‧ angelernten ­A rbeitnehmern (Leistungsgruppe 4)
‧‧ un­g elernten Arbeitnehmern (Leistungsgruppe 5).
leistungsbereich bestehen große Ver-
dienstunterschiede. Die Spanne reichte
2014 in Deutschland von 4 715 Euro für
Beschäftigte im Bereich Erbringung von king an, vor »Kokerei und Mineralöl­ sowie »Vermittlung und Überlassung von
Finanz- und Versicherungsdienstleistun- verarbeitung« (5 564 Euro) und »Verwal- Arbeitskräften« (2 011 Euro). Diese Anga-
gen bis 2 113 Euro im Gastgewerbe. Bei tung und Führung von Unternehmen ben beziehen sich auf den regelmäßig
den Unterpositionen war die Spannbreite und Betrieben; Unternehmensberatung« monatlich gezahlten Verdienst ohne Son-
bei den Verdiensten noch ausgeprägter: (4 894  Euro). Die niedrigsten Verdienste derzahlungen. Die Verdienstunterschiede
Die Branche »Gewinnung von Erdöl und verzeichneten die Bereiche »Beherbergung« zwischen den Branchen vergrößern sich
Erdgas« (7 153 Euro) führte hier das Ran- (2 164 Euro), »Gastronomie« (2 059 Euro) tendenziell noch, wenn die Sonderzah-

142
Verdienste  / 5.2  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

u Tab 3  Bruttostundenverdienste und Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen 2014 lungen berücksichtigt werden. So lag bei-
Bruttoinlands­produkt spielsweise der Anteil der Sonderzahlun-
Bruttostundenverdienst in jeweiligen Preisen gen an der Grundvergütung im Gast­
je Erwerbstätigen
gewerbe mit 4,4 % deutlich unter dem bei
in Euro Deutschland = 100
Betrieben der Erbringung von Finanz- und
Deutschland 20,02 100 100
Versicherungsdienstleistungen (20,4 %). Im
Früheres Bundesgebiet und Berlin 20,77 103,7 103,3
Durchschnitt wurden 10,0 % Sonderzah-
Neue Länder ohne Berlin 15,64 78,1 79,5
lungen erreicht. Generell war der Anteil
Hamburg 22,39 111,8 127,0
Hessen 21,96 109,7 111,2
der Sonderzahlungen an der Gesamtver-
Baden-Württemberg 21,53 107,5 106,9 gütung in Branchen mit hohen Verdiens-
Nordrhein-Westfalen 21,06 105,2 101,0 ten höher als in Branchen mit niedrigen
Bayern 20,94 104,6 107,0 Verdiensten. u Tab 5
Bremen 20,82 104,0 105,5 Alle hier veröffentlichten Verdienstan-
Rheinland-Pfalz 19,79 98,9 95,3 gaben sind Durchschnittswerte (arithme-
Saarland 19,68 98,3 94,7 tisches Mittel). Wichtig für die Interpreta-
Berlin 19,14 95,6 83,8 tion dieser Werte ist eine Vorstellung über
Niedersachsen 19,06 95,2 94,8 die Verteilung der Beschäftigten um die-
Schleswig-Holstein 18,51 92,5 91,9
sen Mittelwert: Aus der Verdienststruk-
Brandenburg 16,06 80,2 83,8
turerhebung 2010 ist bekannt, dass knapp
Sachsen 15,63 78,1 78,9
zwei von drei Vollzeitbeschäftigten (62 %)
Thüringen 15,63 78,1 76,2
weniger verdienen als den gesamtwirt-
Sachsen-Anhalt 15,54 77,6 81,0
Mecklenburg-Vorpommern 15,22 76,0 77,3
schaftlichen Durchschnittswert; nur ein
gutes Drittel hat höhere Bruttoverdienste.
Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten im Produzierenden
Gewerbe und im Dienstleistungsbereich. Geringfügig Beschäftigte sind nicht enthalten. Dieses Drittel hat so hohe Verdienste,
Quelle: Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«
dass der Durchschnittswert für alle Be-
schäftigten »nach oben gezogen« wird.
u Tab 4  Bruttomonatsverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen und
­A rbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich 2014
Verdienste von Vollzeit- und
Anteile der Arbeitnehmer Durchschnittlicher Bruttomonats- Teilzeitbeschäftigten
in Leistungsgruppen verdienst (ohne Sonderzahlungen)
Gibt es Unterschiede im Bruttostunden-
insgesamt Männer Frauen insgesamt Männer Frauen
verdienst bei Vollzeit- und Teilzeitbeschäf-
in % in Euro
tigten? Als Teilzeitbeschäftigte gelten Ar-
Deutschland beitnehmer, deren regelmäßige Wochen-
Insgesamt 100 100 100 3 527 3 728 3 075 arbeitszeit kürzer ist als die vergleichbarer
Leistungsgruppe 1 12,0 13,3 9,0 6 446 6 762 5 392 vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen
Leistungsgruppe 2 23,7 23,3 24,6 4 210 4 414 3 774 und Arbeitnehmer. Teilzeitbeschäftigte
Leistungsgruppe 3 44,8 43,5 47,7 2 922 3 039 2 682
wiesen im Jahr 2014 mit 16,61 Euro einen
Leistungsgruppe 4 13,7 14,5 11,7 2 417 2 522 2 124
um 20 % niedrigeren durchschnittlichen
Leistungsgruppe 5 5,9 5,4 7,0 2 014 2 074 1 911
Bruttostundenverdienst auf als Vollzeit­
Früheres Bundesgebiet und Berlin
beschäftigte (20,74 Euro). Woran liegt das?
Insgesamt 100 100 100 3 652 3 864 3 156
Ein Vergleich der Verdienste von Vollzeit-
Leistungsgruppe 1 12,4 13,8 9,1 6 584 6 884 5 511
Leistungsgruppe 2 24,2 24,0 24,7 4 316 4 518 3 856
und Teilzeitbeschäftigten nach Leistungs-
Leistungsgruppe 3 43,7 42,3 47,1 3 030 3 157 2 765
gruppen macht deutlich, dass 12,0 % der
Leistungsgruppe 4 13,5 14,3 11,6 2 502 2 608 2 197 Vollzeitbeschäftigten leitende Arbeitneh-
Leistungsgruppe 5 6,1 5,5 7,4 2 057 2 118 1 950 mer waren. Bei den Teilzeitbeschäftigten
Neue Länder ohne Berlin waren es lediglich 6,4 %. Demgegenüber
Insgesamt 100 100 100 2 760 2 818 2 657 gehörten 5,9 % der Vollzeit- aber 14,8 %
Leistungsgruppe 1 9,4 9,8 8,7 5 330 5 614 4 751 der Teilzeitbeschäftigten zu den ungelern-
Leistungsgruppe 2 20,3 18,2 24,1 3 433 3 500 3 343 ten Arbeitnehmern. u Tab 6
Leistungsgruppe 3 51,1 51,4 50,5 2 354 2 391 2 286 Da der Verdienst mit dem am Arbeits­
Leistungsgruppe 4 14,4 15,9 11,9 1 930 2 003 1 754 platz erforderlichen Qualifikationsniveau
Leistungsgruppe 5 4,7 4,6 4,9 1 679 1 725 1 602 entsprechend ansteigt, wird der durch-

143
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.2 /  Verdienste

u Tab 5  Bruttomonatsverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2014

Bruttomonatsverdienst
Anteil der Anteil der Sonderzahlungen
Arbeitnehmer ohne Sonder- an der Grundvergütung
Sonder-
zahlungen
zahlungen
(Grundvergütung)

in % in Euro in %

Produzierendes Gewerbe und Dienstleistungsbereich 100 3 527 354 10,0


Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden 0,3 3 914 475 12,1
 Gewinnung von Erdöl und Erdgas 0,0 7 153 1 085 15,2
Verarbeitendes Gewerbe 28,7 3 766 470 12,5
 Kokerei und Mineralölverarbeitung 0,1 5 564 868 15,6
Energieversorgung 1,0 4 570 655 14,3
Wasserversorgung ¹ 1,0 3 163 267 8,4
Baugewerbe 5,8 2 927 191 6,5
Handel ² 11,9 3 225 362 11,2
Verkehr und Lagerei 5,5 2 904 226 7,8
Gastgewerbe 2,1 2 113 (92) 4,4
 Beherbergung 1,1 2 164 (99)  4,6
 Gastronomie 1,0 2 059 / /
Information und Kommunikation 3,3 4 683 617 13,2
Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 3,6 4 715 960 20,4
Grundstücks- und Wohnungswesen 0,7 3 755 (522)  13,9
Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen
5,5 4 235 563 13,3
und technischen Dienstleistungen
 V
 erwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben;
1,5 4 894 (873) 17,8
Unternehmensberatung
Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen 6,1 2 289 121 5,3
 Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften 3,4 2 011 (76) 3,8
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung 9,5 3 488 134 3,8
Erziehung und Unterricht 4,4 4 118 132 3,2
Gesundheits- und Sozialwesen 8,1 3 463 221 6,4
Kunst, Unterhaltung und Erholung 0,7 3 387 292 8,6
Erbringung von sonstigen Dienstleistungen 1,8 3 269 264 8,1

1 Einschließlich Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen.


2 Einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.

u Tab 6  Bruttostundenverdienste bei Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten 2014

Bruttostundenverdienst ohne Sonderzahlungen

Teilzeitbeschäftigte
Vollzeitbeschäftigte
(ohne geringfügig Beschäftigte)
Anteil in %¹ in Euro Anteil in %1 in Euro
Insgesamt 66,2 20,74 21,9 16,61

Leistungsgruppe 1 12,0 37,44 6,4 29,96


Leistungsgruppe 2 23,7 24,75 17,0 22,29

Leistungsgruppe 3 44,8 17,21 43,7 16,03

Leistungsgruppe 4 13,7 14,21 18,1 12,10

Leistungsgruppe 5 5,9 12,05 14,8 10,63

1  Anteil an allen Arbeitnehmern im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.

144
Verdienste  / 5.2  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

schnittliche Bruttostundenverdienst teil- pen verursacht wird, die möglicherweise schiede erklärt werden. Der bereinigte
zeitbeschäftigter Arbeitnehmerinnen und ebenfalls das Ergebnis benachteiligender Verdienstunterschied liegt demnach bei
Arbeitnehmer demnach durch einen höhe- Strukturen sind. rund 7 %. Dies bedeutet, dass weibliche
ren Anteil »niedriger« Stundenverdienste In den vergangenen Jahren lag der un- Arbeitnehmer je Stunde 7 % weniger als
gedrückt. Entspräche die Ver­teilung der bereinigte Gender Pay Gap in Deutsch- Männer verdienten, auch unter der Vor-
Teilzeitbeschäftigten auf die Leistungs- land bei 22 %, das heißt der durchschnitt- aussetzung, dass sie
gruppen der von Vollzeitbeschäftigten, er- liche Bruttostundenverdienst von Frauen ·· die gleiche Tätigkeit ausübten,
gäbe sich nur noch ein Verdienstunter- fiel um 22 % geringer aus als der von Män- ·· über einen äquivalenten Ausbildungs-
schied von 12 %. Ein weiterer Grund für nern. Analysen auf Grundlage der in hintergrund verfügten,
die Unterschiede beim Bruttostundenver- mehrjährlichen Abständen durchgeführ- ·· in einem vergleichbar großen privaten
dienst Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigter ten Verdienststrukturerhebung 2010 zei- beziehungsweise öffentlichen Unter­
liegt in der Verteilung der jeweiligen Be- gen, dass in Deutschland zwei Drittel nehmen tätig waren, das auch regional
schäftigungsarten auf einzelne Branchen. (66 %) des unbereinigten Gender Pay Gap ä hnlich zu verorten war (Ost/West,
­
Teilzeitbeschäftigte finden sich verstärkt auf Strukturunterschiede zwischen Ar- ­Ballungsraum/kein Ballungsraum),
in Branchen mit niedrigeren Verdiensten. beitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu- ·· einer vergleichbaren Leistungsgruppe
Berechnet man einen Stundenverdienst rückzuführen sind. Wichtigste Unter- angehörten,
mit den Verdiensten der Teilzeitbeschäf- schiede waren, dass Frauen und Männer ·· einen ähnlich ausgestalteten Arbeits-
tigten und der Branchenstruktur der Voll- unterschiedliche Leistungsgruppen be­ vertrag (befristet/unbefristet, mit/oh-
zeitbeschäftigten, beträgt die Abweichung setzen und sich hinsichtlich der Berufs- ne Tarifbindung, Altersteilzeit ja/nein,
nur noch 15 %. Beide Effekte zusammen- b eziehungsweise Branchenwahl unter-
­ Zulagen ja/nein) hatten,
genommen erklären knapp zwei Drittel scheiden. Schließlich sind Frauen eher ·· das gleiche Dienstalter und die gleiche
des Verdienstabstandes zwischen Voll- und teilzeitbeschäftigt und teilweise schlech- potenzielle Berufserfahrung aufwiesen
Teilzeitbeschäftigten. ter ausgebildet. Rund ein Drittel (34 %) sowie
des unbereinigten Verdienstunterschieds ·· einer Beschäftigung vergleichbaren Um-
Verdienstunterschied zwischen konnte nicht mithilfe derartiger Unter- fangs (Vollzeit/Teilzeit) nachgingen.
Männern und Frauen

7 %
In den letzten Jahren wächst das Interesse
an den bestehenden Verdienstunterschie-
den zwischen Männern und Frauen, dem
»Gender Pay Gap«. Um geschlechtsspezi-
fische Lohnunterschiede zu analysieren,
stehen zwei Indikatoren zur Verfügung:
Der bereinigte Gender Pay Gap ermittelt
die Höhe des Verdienstunterschiedes von
weniger als Männer verdienten
Frauen und Männern mit vergleichbaren Frauen 2010 im Durchschnitt laut
Eigenschaften (zum Beispiel: Tätigkeit, bereinigtem Gender Pay Gap.
Ausbildung, Berufserfahrung) und wird
nur in mehrjährlichen Abständen errech-
net. Ein bereinigter Gender Pay Gap auf
Grundlage der Verdienststrukturerhebung
2014 liegt im Herbst 2016 vor. Der jährlich
ermittelte unbereinigte Gender Pay Gap
betrachtet den geschlechtsspezifischen
Verdienstunterschied in allgemeiner Form,
das heißt ohne Berücksichtigung struktu-
reller Unterschiede in den Beschäftigungs-
verhältnissen von Männern und Frauen.
Auf diese Weise wird auch der Teil des
Lohnabstands erfasst, der zum Beispiel
durch unterschiedliche Zugangschancen
beider Geschlechtergruppen auf bestimm-
te Tätigkeitsfelder oder Leistungsgrup-

145
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.2 /  Verdienste

u Abb 2  Gender Pay Gap 2010, Bruttostundenverdienst — in Euro u Info 2 


Was sind Niedriglöhne?
Der Begriff »Niedriglöhne« wird unterschiedlich verwendet. Das
Statistische Bundesamt berechnet die Niedriglohngrenze, unter-
sonstige
0,36 halb derer alle Verdienste als Niedriglohn gelten, gemäß einem
Arbeitsplatzfaktoren
Ansatz, der unter anderem von der Organisation für wirtschaft­
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Inter­
nationalen Arbeitsorganisation (ILO) angewandt wird.

Diese grenzt den Niedriglohnbereich relativ zur Verteilung der


1,11 Leistungsgruppe
Verdienste aller betrachteten Beschäftigten ab. Dazu wird zunächst
der Medianverdienst berechnet: Dieser teilt die betrachteten Ver-
dienste in genau zwei Hälften, das heißt, die eine Hälfte der Be-
schäftigten verdient weniger und die andere Hälfte mehr als diesen
Wert. Gemäß der Definition wird von Niedriglohn gesprochen,
wenn der Verdienst eines Beschäftigten kleiner als zwei Drittel
Berufs- und des Medianverdienstes ist.
0,95
Branchenwahl
Die Daten zu Niedriglöhnen basieren auf der Verdienststrukturer-
hebung, die alle vier Jahre detaillierte Informationen zu den Er-
werbseinkommen abhängig Beschäftigter bereitstellt. Die Ergeb-
Beschäftigungs- nisse der Verdienststrukturerhebung 2014 liegen im Sommer 2016
0,39
umfang vor. Aussagen zu Erwerbseinkommen von Selbstständigen kön-
18,81 14,62
0,10 Bildung und Berufserfahrung nen mithilfe dieser Erhebung nicht gemacht werden. Durch die
Ausweitung der erhobenen Wirtschaftszweige im Jahr 2010 wur-
den nun auch die Branchen der nicht marktbestimmten Dienst-
leistungen abgedeckt und somit Wirtschaftszweige ein­bezogen,
»unerklärter Rest« in denen die öffentliche Hand stark vertreten ist, darunter öffent­
1,27 (bereinigter liche Verwaltung, Bildung und Gesundheitswesen. Allerdings
Gender Pay Gap)
sind Zeitvergleiche mit vorangegangenen Erhebungen dadurch
nur eingeschränkt möglich. Weiterhin unberücksichtigt bleiben
die Land- und Forstwirtschaft sowie die privaten Haushalte mit
Hauspersonal. Dadurch und durch die Beschränkung der Befra-
gung auf Betriebe ab zehn Beschäftigten, kann nicht gesagt wer-
den, wie viel Niedrigentlohnte es in Deutschland im Jahr 2010
genau gab. Da andere Datenquellen zeigen, dass in kleinen Firmen
ein erhöhtes Risiko für Niedriglöhne besteht, sind die veröffentlichten
Zahlen und Anteilswerte zu Niedriglohnverdienern als Untergren-
ze zu betrachten.

Für den Vergleich der Erwerbseinkommen wird der Bruttostun-


denverdienst herangezogen. Er ist am besten geeignet, da so
Männer Frauen festgestellte Verdienstunterschiede nicht aus unterschiedlich lan-
gen Arbeitszeiten resultieren können und Einflüsse von Steuern
und Abgaben außen vor bleiben. Die Analyse wurde auf soge-
nannte Kernerwerbstätige eingeschränkt, also Beschäftigte im
Verdienststrukturerhebung 2010.
Alter von 15 bis 64 Jahren ohne Auszubildende. Beschäftigte in
Altersteilzeit wurden wegen ihrer besonderen Verdienstsituation
ebenfalls ausgeschlossen.

In diesem Zusammenhang sollte jedoch Niedriglöhne Definition. Demnach liegt die Niedrig-
berücksichtigt werden, dass der berei- In den letzten Jahren wird immer wieder lohngrenze bei zwei Dritteln des Median-
nigte Gender Pay Gap möglicherweise über Niedriglöhne und das damit einher- verdienstes.
geringer ausfallen würde, wenn weitere gehende Armutsrisiko für die Beschäftig- Die Angaben zum Niedriglohn stam-
lohnrelevante Eigenschaften für die Ana- ten diskutiert. Dabei wird der Begriff men aus der Verdienststrukturerhebung,
lysen zur Verfügung gestanden hätten. »Niedriglohn« unterschiedlich definiert. die in mehrjährlichen Abständen statt-
So konnte beispielsweise im Rahmen der Das Statistische Bundesamt verwendet findet. Die Ergebnisse aus der Erhebung
Auswertungen weder der Familienstand eine unter anderem bei der Organisation von 2014 werden im Sommer 2016 veröf-
oder die tatsächliche Berufserfahrung für wirtschaftliche Zusammenarbeit und fentlicht, daher beziehen sich die folgen-
noch das individuelle Verhalten in Lohn- Entwicklung (OECD) und der Internatio- den Ausführungen auf die Ergebnisse
verhandlungen einbezogen werden. u Abb 2 nalen Arbeitsorganisation (ILO) übliche von 2010. u Info 2

146
Verdienste  / 5.2  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

u Tab 7  Beschäftigte mit Niedriglohn 2010 — in Prozent

Darunter
Normalarbeit- Atypisch
Insgesamt
nehmer/-innen Beschäftigte befristet Teilzeit­ geringfügig Zeitarbeit-
Beschäftigte beschäftigte¹ Beschäftigte nehmer/-innen

Insgesamt 20,6 10,8 49,8 33,5 20,9 84,3 67,7

Männer 15,8 8,1 53,7 31,6 34,3 83,4 65,4

Frauen 26,5 15,1 47,6 35,5 19,2 84,8 72,9

im Alter von … bis … Jahren

15 – 24 51,3 31,4 68,1 48,3 51,9 89,1 76,0

25 – 34 22,7 13,1 44,1 23,8 27,3 82,3 64,5

35 – 44 16,3 8,8 42,2 28,9 16,1 82,1 63,9

45 – 54 16,2 8,9 48,2 39,2 19,1 84,2 69,3

55 – 64 20,0 10,1 57,5 46,4 23,9 84,0 68,6

Früheres Bundesgebiet 18,0 7,7 47,7 29,6 19,5 83,5 63,5

Neue Länder 36,8 29,0 67,5 53,6 45,2 92,0 89,4

Ohne Berufsausbildung 52,8 22,7 77,8 62,2 44,7 88,1 85,5

Mit Berufsausbildung 17,7 12,1 39,4 36,2 17,1 77,2 57,6

Hochschulabschluss 1,7 0,5 8,3 5,7 2,7 61,4 20,7

Wirtschaftsabschnitte

Bergbau und Gewinnung


5,6 3,5 28,9 9,3 22,1 71,8 –
von Steinen und Erden

Verarbeitendes Gewerbe 13,7 9,2 49,3 32,5 22,2 84,2 –

Energieversorgung 2,6 1,1 17,3 10,8 2,2 69,2 –

Wasserversorgung 2 16,8 11,5 48,3 44,1 17,1 77,9 –

Baugewerbe 15,3 10,7 46,9 31,7 23,8 67,6 –

Handel 3 26,9 15,1 59,6 42,1 27,5 86,1 –

Verkehr und Lagerei 29,1 20,3 56,9 39,1 23,6 88,6 –

Gastgewerbe 69,2 56,5 83,9 77,1 66,5 93,4 –

Information und Kommunikation 12,4 4,2 49,1 35,1 21,5 86,5 –

Erbringung von Finanz- und


2,6 0,6 14,4 18,0 3,0 77,8 –
Versicherungsdienstleistungen

Grundstücks- und
16,6 7,5 51,1 28,7 15,4 84,2 –
Wohnungswesen

Erbringung von freiberuflichen,


wissenschaftlichen und 14,4 6,5 41,6 28,1 18,4 77,8 –
technischen Dienstleistungen

Erbringung von sonstigen wirtschaft-


65,6 44,8 75,9 75,5 73,2 93,1 67,7
lichen Dienstleistungen

Öffentliche Verwaltung, Ver-


2,9 0,3 15,0 19,1 1,6 84,8 –
teidigung; Sozialversicherung

Erziehung und Unterricht 9,3 0,8 28,9 16,2 5,3 83,6 –

Gesundheits- und Sozialwesen 18,6 11,0 33,2 28,4 12,5 72,5 –

Kunst, Unterhaltung und Erholung 33,0 14,7 59,6 38,0 28,0 86,5 –

Erbringung von sonstigen


28,2 18,3 46,9 45,9 20,5 73,1 –
Dienstleistungen

Niedriglohngrenze bei zwei Dritteln des Medians vom Bruttostundenverdienst (10,36 Euro).
1  Mit höchstens 20 Arbeitsstunden pro Woche.
2  Einschließlich Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen.
3  Einschließlich Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
–  Nichts vorhanden.

147
5 /  Arbeitsmarkt und Verdienste  5.2 /  Verdienste

Die wie oben beschrieben definierte rinnen und -bezieher unter den Normal­ ab. Durch häufigere Arbeitsplatz- und Be-
Niedriglohngrenze lag 2010 in Deutsch- beschäftigten wesentlich geringer. Aller­- rufswechsel müssen eher Verdiensteinbu-
land bei 10,36 Euro brutto je Stunde. dings überstiegen in allen Wirtschaftsab- ßen hingenommen werden, als dass Ver-
Knapp 21 % aller Arbeitnehmerinnen und schnitten die Anteile der g­ ering entlohn- besserungen möglich sind. Gerade bei be-
Arbeitnehmer erhielten einen Verdienst ten ­atypisch Beschäftigten deutlich die fristet Beschäftigten ist häufiger mit
unterhalb dieser Grenze. Bei den soge- der Normalbeschäftigten. So erhielten im Erwerbsverläufen zu rechnen, die Brüche
nannten atypisch Beschäftigten (Teilzeit- Abschnitt Erbringung von Finanz- und aufweisen.
beschäftigte mit 20 Stunden oder weniger, Versicherungsdienstleistungen gerade Auch die berufliche Qualifikation ist
geringfügig Beschäftigte, befristet Be- 0,6 % der Normalbeschäftigten aber rund ein bedeutender Faktor, der die Ver-
schäftigte sowie Zeitarbeiter; siehe auch 14 % der atypisch Beschäftigten einen diensthöhe beeinflusst. Je höher die per-
Abschnitt 5.1.6) war es sogar jeder Zweite. Niedriglohn. Im Verarbeitenden Gewerbe sönliche berufliche Qualifikation, desto
Dabei unterschieden sich die Anteile der war der Anteil der niedrig entlohnten aty- niedriger ist die Wahrscheinlichkeit ei-
Niedrigentlohnten je nach Beschäfti- pisch Beschäftigten mit 49 % rund 40 Pro- nes Niedriglohns. Insgesamt bezogen
gungsform deutlich: So arbeiteten mehr zentpunkte höher als der entsprechende 53 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
als vier von fünf geringfügig Beschäftig- Anteil für die Normalbeschäftigten. nehmer ohne einen beruflichen Bildungs-
ten (84 %) und zwei von drei Zeitarbeite- Bei noch feingliedrigerer Betrachtung abschluss einen Niedriglohn. Bei Be-
rinnen und -arbeitern (68 %) für einen der Wirtschaftszweige sind die Branchen schäftigten mit einer abgeschlossenen
Niedriglohn. Für befristet Beschäftigte mit den höchsten Anteilen Normalbe- Berufsausbildung waren es 18 % und bei
(34 %) und Teilzeitbeschäftigte mit maxi- schäftigter mit Niedriglohn der Betrieb Beschäftigten mit Hochschulabschluss
mal 20 Arbeitsstunden pro Woche (21 %) von Taxis sowie Friseur- und Kosmetik- rund 2 %.
waren die Anteile zwar geringer, aber im- salons. Hier bezogen jeweils über 80 %
mer noch deutlich über dem Niveau von der Normalarbeitnehmer einen Niedrig- 5.2.3 Mindestlöhne
Normalarbeitnehmerinnen und -arbeit- lohn. Neben den beiden bereits genann- Seit 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein
nehmern mit 11 %. Als Normalarbeitsver- ten Branchen ergaben sich hohe Anteile f lächendeckender gesetzlicher Mindest-
hältnisse gelten unbefristete, voll sozial- in Wäschereien und chemischen Reini- lohn von 8,50 Euro für alle Arbeitneh-
versicherungspflichtige Beschäftigungen gungen, in Restaurants und Gaststätten merinnen und Arbeitnehmer. Er gilt
mit über 20 Wochenstunden, die nicht als sowie in der Gebäudereinigung. grundsätzlich für alle Branchen und Re-
Zeitarbeit ausgeübt werden. Auch die durchschnittlich geringere gionen. Allerdings sind in einer Über-
Das bedeutet, dass von den gut Bezahlung von Frauen spiegelt sich in ei- gangszeit bis zum 31.  Dezember 2016
22 Millionen Beschäftigten, über die die nem größeren Anteil niedrig entlohnter Ausnahmen vorgesehen. So sind für
Verdienststrukturerhebung repräsentative Frauen wider. Der Anteil der Niedrig- ­laufende branchenspezifische Mindest-
Aussagen macht, 1,8 Millionen Normal- lohnbezieherinnen an allen Arbeitneh- löhne auch Bruttostundenverdienste un-
beschäftigte und rund 2,8 Millionen aty- merinnen war mit 27 % mehr als zehn ter 8,50 Euro erlaubt. Dies gilt beispiels-
pisch Beschäftigte einen Niedriglohn er- Prozentpunkte höher als der entspre- weise deutschlandweit in der Fleisch­
hielten. Berücksichtigt man, dass Betriebe chende Anteil bei den Männern mit 16 %. wirtschaft und im Friseurhandwerk, in
mit weniger als zehn Beschäftigten und Je jünger Beschäftigte sind, desto hö- Ost­d eutschland und Berlin für den Be-
insbesondere die Wirtschaftsabschnitte her ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nied- reich der Zeitarbeit sowie in der ostdeut-
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei so- riglöhne bezogen werden. Mehr als jeder schen Gebäudereinigung. Sofern bran-
wie Private Haushalte durch die Erhebung zweite Beschäftigte im Alter von 15 bis 24 chenbezogene Mindestlöhne ab Januar
nicht erfasst werden, dürfte die Zahl der Jahren bekam einen Niedriglohn. Dies 2017 über 8,50 Eu­ro liegen, können sie da-
Niedriglohnbezieherinnen und -bezieher sind mehr als doppelt so viele wie in jeder nach fortbestehen. Für Zeitungszustelle-
noch höher liegen. u Tab 7 anderen Altersgruppe. Eine Ausnahme rinnen und -zusteller hat der Gesetzgeber
Niedriglöhne sind in den einzelnen stellten die geringfügig Beschäftigten dar. zudem eine Übergangsfrist bis Ende 2017
Wirtschaftszweigen unterschiedlich stark Hier liegt der Anteil der Niedriglohnver- vereinbart. Dauerhaft vom Mindestlohn
verbreitet. Beschäftigte im Gastgewerbe diener in allen Altersgruppen bei über ausgenommen sind Jugendliche unter
bekommen häufiger als in allen anderen 80 %. Unter den befristet Beschäftigten 18 Jahren und Auszubildende. Weiter gilt
Wirtschaftsabschnitten Bruttostundenver- hatten zusätzlich zu der jüngsten Alters- der Mindestlohn nicht für Personen, die
dienste unterhalb der Niedriglohngrenze. gruppe (Niedriglohnanteil: 48 %) auch ein Pflichtpraktikum oder ein freiwilliges
So bezogen in dieser Branche rund 57 % ­ä ltere Beschäftigte ab 55  Jahren häufiger Praktikum von bis zu drei Monaten wäh-
der Normalbeschäftigten einen Niedrig- einen Niedriglohn (Niedriglohnanteil:
­ rend der Ausbildung oder des Studiums ab­
lohn. In den anderen Wirtschaftsabschnit- 46 %). Hier zeichnen sich eventuell Folgen solvieren sowie für Langzeitarbeitslose in
ten war der Anteil der Niedriglohnbeziehe- unbeständig werdender Erwerbskarrieren den ersten sechs Monaten ihrer Tätigkeit.

148
Verdienste  / 5.2  Arbeitsmarkt und Verdienste  / 5

uTab 8  Modellrechnung für Nettoverdienste 2014


— Anteil des Netto- am Bruttomonatsverdienst in Prozent
Ehepaar,
Ehepaar, Alleinerziehende
Lediger Mann alleinverdienender
Doppelverdiener Mutter,
ohne Kind Ehemann, zwei
ohne Kind zwei Kinder
Kinder

Früheres Bundesgebiet
59,3 60,4 68,1 63,4
und Berlin

Neue Länder
63,6 63,9 72,4 66,1
ohne Berlin

Vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich.

5.2.4 Nettoverdienste nach nung stellt dar, wie sich Lohnsteuer, Soli-
Haushaltstypen daritätszuschlag und Arbeitnehmerbei-
Das Statistische Bundesamt berechnet träge zur Sozialversicherung auf die Höhe
mittels einer Modellrechnung Nettover- der Nettoverdienste verschiedener Haus-
dienste für verschiedene Haushaltstypen haltstypen auswirken, wenn die Allein-
im früheren Bundesgebiet und in den oder Doppelverdiener jeweils den durch-
neuen Ländern. Der Nettoverdienst ist der schnittlichen Bruttomonatsverdienst aller
durchschnittliche Bruttomonatsverdienst vollzeitbeschäftigten Frauen und Männer
(einschließlich Sonderzahlungen) voll- erzielen.
zeitbeschäftigter Frauen und Männer im Der Anteil des Bruttomonatsver-
Produzierenden Gewerbe und im Dienst- dienstes, über den die Haushaltstypen
leistungsbereich abzüglich der Steuern frei verfügen können, schwankt erheb-
(Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag) so- lich. Die höchsten Abzüge hatten ledige
wie der Beiträge des Arbeitnehmers zur Männer ohne Kind im früheren Bundes-
Sozialversicherung. Die Zahlung von Kin- gebiet, ihnen blieben im Jahr 2014 noch
dergeld beziehungsweise die steuerliche 59 % netto. Zum Vergleich: Ehepaaren
Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen mit zwei Kindern und alleinverdienen-
bleiben bei der Berechnung der Nettover- dem Ehemann in den neuen Ländern
dienste unberücksichtigt. Die Modellrech- blieben 72 %. u Tab 8

149
7,4 Bill. € 4 086 €
war das Bruttovermögen der privaten Haushalte
in Deutschland 2012. Davon lagen 5,1 Billionen betrug 2013 das durchschnitt-
Euro beim Grund- und Immobilienbesitz. liche monatliche Bruttoein-
kommen der Privathaushalte

83 000 € in Deutschland.

betrug 2012 das durch-


schnittliche Nettovermögen
einer erwachsenen Person.

35 %
ihres Konsumbudgets gaben die privaten
­Haushalte 2013 im Durchschnitt für den
Bereich Wohnen, Wohnungsinstandhaltung
und Energie aus.
6
Private Haushalte –
Einkommen, Ausgaben, Ausstattung
6.1 Wie unterscheiden sich die Lebensbedin-
gungen in Deutschland? Auskunft hierzu
6.1.6 beruhen auf den Auskünften der In-
solvenzgerichte und den Angaben der
Einnahmen, geben die Einnahmen, Ausgaben und die Schuldnerberatungsstellen.
Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte in Verbin-
dung mit sozioökonomischen Merkmalen. 6.1.1 Bruttoeinkommen privater
Ausstattung Wie hoch sind die Einkommen und Ein- Haushalte
privater Haushalte, nahmen privater Haushalte und aus wel-
chen Quellen stammen sie? Wofür wird
Ein erster Indikator für die Darstellung
der Einkommens- und Ausgabensituation
private Über- das Geld verwendet? In welcher Höhe privater Haushalte ist das Haushaltsbrut-
schuldung sind private Haushalte mit Ab­gaben an
den Staat belastet? Das Kapitel zeigt auch
toeinkommen, das sich aus verschiedenen
Einkommensarten zusammensetzt. u Info 2
inwieweit sich die Einkommens- und
Sylvia Behrends, Walter Joachimiak, Ausgabenstrukturen verschiedener Haus- Struktur und regionaler Vergleich
Kristina Kott, Jenny Neuhäuser haltsgruppen unterscheiden und welche Das durchschnittliche monatliche Brutto­
traditionellen und neuen technischen Ge- einkommen der Privat hausha lte in
brauchsgüter die Haushalte besitzen. Deutschland belief sich 2013 auf 4 086
Destatis
Die Datenbasis für die Angaben in Euro. Wichtigste Einnahmequelle mit ei-
Abschnitt 6.1.1 bis 6.1.4 zu Einnahmen nem Anteil von 63 % waren die Einkünfte
und Ausgaben bilden die Einkommens- aus Erwerbstätigkeit: Durchschnittlich
und Verbrauchsstichproben, die Daten 2 580 Euro im Monat stammten aus
über die Ausstattung stammen aus den unselbstständiger und selbstständiger
Laufenden Wirtschaftsrechnungen. u Info 1 ­T ätigkeit. Rund 22 % ihres Bruttoein-
Infoboxen geben Einblick in die kommens beziehungsweise durchschnitt-
Preis­entwicklung in Deutschland sowie lich 893 Euro im Monat erhielten die pri-
die Internetaktivitäten der Menschen, die vaten Haushalte aus öffentlichen Trans-
hier leben. ferzahlungen wie beispielsweise Renten
Ein weiteres Thema dieses Kapitels ist der gesetzlichen Rentenversicherung,
die private Überschuldung. Hier liefert staatliche Pensionen, Kindergeld, Ar-
die amtliche Statistik Informationen zur beitslosengeld I und II sowie Sozialhilfe.
Situation privater Schuldner, die ein In- Aus Vermögenseinnahmen stammten
solvenzverfahren oder die Hilfestellung 10 % (415 Euro) des Bruttoeinkommens.
einer Schuldnerberatungsstelle in An- Den geringsten Anteil hatten mit durch-
spruch nehmen. Die Daten in Abschnitt schnittlich 5 % die Einkommen aus nicht

151
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Info 1 öffentlichen Transferzahlungen und aus


Was sind private Haushalte? Untervermietung (198 Euro). u Abb 1
Als Privathaushalt gelten Personen, die zusammen wohnen und wirtschaften, die in der Regel Höhe und Zusammensetzung des
ihren Lebensunterhalt gemeinsam finanzieren beziehungsweise die Ausgaben für den Haus- Bruttoeinkommens sind in Ost und West
halt teilen. Zu einem Privathaushalt gehören auch die vorübergehend abwesenden Personen,
zum Beispiel Berufspendler, Studierende, Auszubildende, Personen im Krankenhaus und
unterschiedlich: Die Haushalte im Wes-
­U rlaub. Entscheidend ist, dass die Abwesenheit nur vorübergehend ist und die Person nor- ten verfügten 2013 über ein monatliches
malerweise im Haushalt wohnt und lebt beziehungsweise mit ihrem ersten Wohnsitz an der Bruttoeinkommen von durchschnittlich
Adresse des Haushalts gemeldet ist. Personen, die in einem Haushalt nur für sich selbst
wirtschaften (Alleinlebende oder Wohngemeinschaften ohne gemeinsame Haushaltsführung) 4 321 Euro, den Haushalten im Osten
gelten als eigenständige Privathaushalte. Untermieter, Gäste und Hausangestellte gehören standen mit 3 215 Euro knapp drei Vier-
nicht zum Haushalt. tel (74 %) des Westniveaus zur Verfügung.
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Der Anteil der Einkommen aus öffent­
Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ist mit einem Erhebungsumfang von rund lichen Transferzahlungen am gesamten
60 000 Haushalten die größte freiwillige Haushaltserhebung. Sie findet alle fünf Jahre statt Bruttoeinkommen war in den neuen Län-
und ist aufgrund des großen Stichprobenumfangs in besonderem Maße geeignet, tief geglie-
derte Ergebnisse über die Einnahmen und Ausgaben, die Vermögensbildung, die Ausstattung
dern und Berlin mit 27 % (873 Euro) um
mit Gebrauchsgütern und die Wohnsituation für die unterschiedlichen Haushaltsgruppen ab- 6 Prozentpunkte höher als im früheren
zubilden. Ergebnisse für Haushalte, deren monatliches Nettoeinkommen 18 000 Euro und mehr Bundesgebiet (21 %; 898 Euro). Dagegen
beträgt, bleiben unberücksichtigt, da diese nicht beziehungsweise in viel zu geringer Zahl
an der Erhebung teilnehmen.
waren im Osten die Einnahmen aus Ver-
mögen (7 %; 235 Euro) niedriger als im
Laufende Wirtschaftsrechnungen
Westen (11 %; 464 Euro). u Tab 1
Bei dieser freiwilligen amtlichen Haushaltserhebung werden rund 8 000 private Haushalte jähr-
lich unter anderem zu ihren Einnahmen und Ausgaben sowie zu ihrer Ausstattung mit Gebrauchs­­
gütern befragt. Haushalte aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten nehmen an den Bruttoeinkommen nach
Laufenden Wirtschaftsrechnungen (LWR) teil. Ausgenommen sind Haushalte von Selbststän- Haushaltstyp
digen und Landwirten beziehungsweise Landwirtinnen sowie Haushalte mit einem monat­
Die Höhe der durchschnittlichen Brutto-
lichen Haushaltsnettoeinkommen von 18 000 Euro und mehr.
einkommen privater Haushalte unter-
scheidet sich je nach Haushaltstyp. Die
höchsten Bruttoeinkommen fanden sich
2013 in den Haushalten von Paaren mit
u Info 2
Kind(ern) unter 18 Jahren (6 163 Euro)
Haushaltsbruttoeinkommen
und Paaren ohne Kind (4 712 Euro).
Alle Einnahmen der Haushalte aus (selbstständiger und unselbstständiger) Erwerbstätigkeit,
aus Vermögen, aus öffentlichen und nicht öffentlichen Transferzahlungen sowie aus Unterver-
­A lleinerziehende hatten monatlich ein
mietung bilden das Haushaltsbruttoeinkommen. Haushaltsbruttoeinkommen von durch-
Zum Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit zählen auch Sonderzahlungen, Weihnachtsgeld, schnittlich 2 631 Euro. Alleinlebende ver-
zusätzliche Monatsgehälter sowie Urlaubsgeld. Das Einkommen aus unselbstständiger Er- fügten mit durchschnittlich 2 403 Euro
werbstätigkeit enthält keine Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Einkünfte aus nicht über das niedrigste Bruttoeinkommen.
öffentlichen Transferzahlungen (außer Betriebs- und Werksrenten), aus Vermögen sowie aus
Vermietung und Verpachtung werden nicht personenbezogen, sondern für den Haushalt ins-
gesamt erfasst. Die Einnahmen aus Vermögen beinhalten (nach internationalen Konventionen) 6.1.2 Nettoeinkommen privater
eine sogenannte unterstellte Eigentümermiete. Hierbei wird deren Nettowert berücksichtigt. Haushalte
Das heißt Aufwendungen für die Instandhaltung des selbstgenutzten Wohneigentums werden
von der errechneten Eigentümermiete abgezogen. Dies kann in Einzelfällen bei entsprechend Die Bruttoeinkommen lassen nur be-
hohen Instandhaltungsaufwendungen zur Nachweisung negativer Eigentümermietwerte be- grenzt Aufschlüsse über die den Haushal-
ziehungsweise Vermögenseinnahmen führen.
ten tatsächlich zur Verfügung stehenden
Haushaltsnettoeinkommen Einkommen zu, da sie noch ­abzuführende
Es errechnet sich, indem vom Haushaltsbruttoeinkommen Einkommensteuer, Lohnsteuer, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge
Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag sowie die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung ab- enthalten. Diese Abgaben werden zur Be-
gezogen werden. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sind die Beiträge zur Arbeitslosen­
versicherung, zur ­g esetzlichen Rentenversicherung, zur gesetzlichen Krankenversicherung rechnung des Haushaltsnettoeinkom-
und seit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 auch die Beiträge zur frei­ mens vom Bruttoeinkommen abgezogen.
willigen und privaten Krankenversicherung sowie zur sozialen und privaten Pflegeversicherung. Hinzu addiert werden die Zuschüsse der
Arbeitgeber und der Rentenversiche-
rungsträger (siehe Info 2).

Steuern und Sozialabgaben


Die Steuern und Abgaben der Privathaus-
halte betrugen 2013 monatlich im Durch-

152
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

schnitt 984 Euro. Durchschnittlich 458 u Abb 1  Struktur des Haushaltsbruttoeinkommens


Euro davon entfielen auf die Einkom- privater Haushalte 2013 — in Prozent
men-, Lohn- und Kirchensteuer sowie
den Solidaritätszuschlag. Die Pflichtbei-
Einkommen aus nicht öffentlichen
träge zur Sozialversicherung, wie zum Transferzahlungen und Untervermietung Erwerbseinkünfte
Beispiel Kranken- und Pf legeversiche- 5 63
rung, gesetzliche Rentenversicherung so-
wie Arbeitslosenversicherung machten
Einnahmen aus Vermögen
durchschnittlich 526 Euro je Haushalt
und Monat aus. Insgesamt wurden den 10

Haushalten für Steuern und Sozialabga-


ben durchschnittlich 24 % ihres Brutto- Einkommen aus
4 086 Euro
öffentlichen Transferzahlungen
einkommens abgezogen. u Tab 2
22
Im früheren Bundesgebiet waren die
Steuerabzüge und Sozialabgaben mit
durchschnittlich 24 % (1 057 Euro) höher
als in den neuen Ländern und Berlin mit
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.
22 % (708 Euro). Ursache dafür ist vor al-
lem die stärkere Belastung der höheren

u Tab 1  Struktur des Haushaltsbruttoeinkommens privater Haushalte 2013


Früheres Bundesgebiet Neue Länder
Deutschland
ohne Berlin-West und Berlin
in Euro in % in Euro in % in Euro in %
Haushaltsbruttoeinkommen 4 086 100 4 321 100 3 215 100
Brutteinkommen aus Erwerbstätigkeit 2 580 63,1 2 742 63,5 1 981 61,6
 unselbstständige Arbeit 2 316 56,7 2 451 56,7 1 817 56,5
 selbstständige Arbeit 264 6,5 291 6,7 164 5,1
Einnahmen aus Vermögen 415 10,2 464 10,7 235 7,3
Einkommen aus öffentlichen
893 21,9 898 20,8 873 27,2
Transferzahlungen

Einkommen aus nicht öffentlichen


198 4,8 218 5,0 126 3,9
Transferzahlungen und Untervermietung

Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

u Tab 2  Ausgabefähige Einkommen und Einnahmen privater Haushalte 2013 — je Haushalt und Monat in Euro
Früheres Bundesgebiet Neue Länder
Deutschland
ohne Berlin-West und Berlin
Haushaltsbruttoeinkommen 4 086 4 321 3 215
abzüglich:
Steuern und Sozialabgaben 984 1 057 708
Einkommen-/Lohn-, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag 458 504 284
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung 526 553 424
zuzüglich:
Zuschüsse der Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger 29 34 13
Haushaltsnettoeinkommen 3 132 3 297 2 521
zuzüglich:
Einnahmen aus dem Verkauf von Waren und sonstige Einnahmen 48 50 37
Ausgabefähige Einkommen und Einnahmen 3 180 3 347 2 558

Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

153
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

Einkommen im Westen aufgrund der kommens. Aufgrund der höheren Ein- Zum Bruttoeinkommen hinzugezählt
Steuerprogression: Der Anteil von Ein- kommen aus Erwerbstätigkeit im Ver- werden schließlich die Zuschüsse der Ar-
kommen-, Lohn-, Kirchensteuer und So- gleich zu anderen Haushaltstypen waren beitgeber und der Rentenversicherungs-
lidaritätszuschlag am Haushaltsbrutto- auch ihre Steuerabzüge mit 782 Euro träger zur freiwilligen oder privaten Kran-
einkommen lag im Westen bei 12 % wert- und anteilsmäßig (13 % vom Brut- ken- und Pflegeversicherung (siehe Info 2).
(504 Euro), im Osten bei 9 % (284 Euro). toeinkommen) am höchsten. Bei Paaren Diese betrugen 2013 durchschnittlich
Ein Vergleich der Haushaltstypen ohne Kind betrug der Anteil der Steuern 29 Euro monatlich.
untereinander verdeutlicht, dass Paar- und Abgaben 23 % (1 090 Euro) wie auch
haushalte mit Kind(ern) die höchste bei den Alleinlebenden (561 Euro). Die Haushaltsnettoeinkommen und
Steuer- und Abgabenlast zu tragen hat- niedrigsten Steuern und Abgaben hatten Verteilung
ten: Sie zahlten 2013 monatlich durch- Haushalte von Alleinerziehenden mit Durchschnittlich verfügten die Haushalte
schnittlich 1 603 Euro beziehungsweise durchschnittlich 17 % beziehungsweise 2013 über ein Nettoeinkommen von 3 132
einen Anteil von 26 % ihres Bruttoein- 452 Euro zu leisten. u Abb 2 Euro im Monat (siehe Tabelle 2). Unter
1 300 Euro monatlich als Nettoeinkom-
men hatten 18 % der Haushalte. Rund
33 % aller Haushalte hatten 1 300 bis un-
ter 2 600 Euro im Monat zur Verfügung.
Über ein Nettoeinkommen von 2 600 bis
u Abb 2  Steuer- und Abgabenlast privater Haushalte unter 3 600 Euro monatlich konnten 18 %
nach Haushaltstyp 2013 — in Euro der Privathaushalte verfügen, und 15 %
hatten ein Haushaltsnettoeinkommen
von 3 600 bis unter 5 000 Euro im Monat.
Haushalte Rund 16 % aller Privathaushalte standen
insgesamt 458 526 984
monatlich 5 000 bis unter 18 000 Euro zur
Paare mit Kind(ern) 782 821 1 603
Verfügung. u Tab 3
Zwischen dem früheren Bundesgebiet
Paare ohne Kind
und den neuen Ländern war die Einkom-
496 594 1 090
mensverteilung 2013 unterschiedlich.
Während im früheren Bundesgebiet ohne
Alleinlebende 256 305 561
Berlin-West 16 % der Haushalte ein mo-
natliches Nettoeinkommen unter 1 300
Alleinerziehende 186 266 452
Euro hatten, waren es in den neuen Län-
dern und Berlin 24 %.
Einkommen-, Lohn-, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung
Kirchensteuer und
Solidaritätszuschlag
Haushaltsnettoeinkommen nach
Haushaltstyp
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Die Höhe des Nettoeinkommens hängt
entscheidend davon ab, ob jemand alleine
wohnt, alleinerziehend ist oder als Paar
ohne oder mit Kind(ern) in einem Haus-
u Tab 3  Einkommensverteilung nach dem monatlichen halt lebt. Paare mit einem oder mehreren
­Haushaltsnetto­einkommen 2013 Kindern unter 18 Jahren hatten im Jahr
Haus- Monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
2013 mit durchschnittlich 4 618 Euro die
halte höchsten monatlichen Nettoeinkommen.
ins- unter 900 – 1 300 – 1 500 – 2 000 – 2 600 – 3 600 – 5 000 –
gesamt 900 1 300 1 500 2 000 2 600 3 600 5 000 18 000 Paare ohne Kind – dazu gehören zum
in 1 000 in % Beispiel ­s owohl das gutsituierte Doppel-
Deutschland 39 326 7,5 10,3 5,4 13,4 14,2 17,6 15,5 16,2
verdienerpaar als auch das Seniorenpaar
Früheres Bundes- mit k leiner ­R ente – verfügten über
gebiet ohne 30 994 6,9 9,2 4,9 12,5 13,8 17,8 16,6 18,3 durchschnittlich 3 655  Euro im Monat.
Berlin-West
Neue Länder Bei den Haushalten von Alleinerziehen-
8 332 9,7 14,3 7,5 16,7 15,5 17,0 11,1 8,3
und Berlin den betrug das monatliche Nettoeinkom-
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. men im Durchschnitt 2 183 Euro. Allein-

154
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

lebende – zum Beispiel der gut verdienen-


de Single oder auch die Rentnerin – hatten
Schenkung und Erbe
ein durchschnittliches Nettoeinkommen
Im Jahr 2014 betrug das geerbte und und Vermächtnissen beliefen sich auf
von 1 856 Euro im Monat. Durchschnitt-
geschenkte Vermögen nach den Er- 38,3 Milliarden Euro und aus Schen-
lich lebten in einem Paarhaushalt mit
gebnissen der Steuerstatistiken 108,8 kungen auf 70,5 Milliarden Euro. Ge-
Kind(ern) 3,8 Personen, der Alleinerzie-
Milliarden Euro. Die von den Finanz- genüber dem Vorjahr erhöhte sich das
hendenhaushalt zählte durchschnittlich
verwaltungen veranlagten Vermö- geerbte und geschenkte Vermögen
2,4 Personen. u Abb 3
gensübertragungen aus Erbschaften um 54,6 %.
6.1.3 Verfügbares Einkommen
­privater Haushalte und Verwendung
Zur Berechnung der »ausgabefähigen
Einkommen und Einnahmen« werden u Abb 3  Monatliches Haushaltsnettoeinkommen nach Haushaltstyp 2013 — in Euro
zum Haushaltsnettoeinkommen die Ein-
künfte aus dem Verkauf von Waren (zum
Beispiel Gebrauchtwagen) und sonstige Haushalte
3 132
insgesamt
Einnahmen (zum Beispiel Dosen- und
Flaschenpfand, Energiekostenrückerstat- Paare mit Kind(ern) 4 618
tungen) addiert. Diese Summe steht den
Haushalten als Einkommen zum Wirt- Paare ohne Kind 3 655
schaften und zur Lebensführung zur Ver-
fügung. Im Jahr 2013 hatte das verfügba-
Alleinerziehende 2 183
re Einkommen der Haushalte eine durch-
schnittliche Höhe von 3 180 Euro im
Alleinlebende 1 856
Monat. Gegenüber 2008 (2 965 Euro) war
das ein Anstieg um 7 %. u Tab 4
Dieses Geld nutzen die privaten Haus-
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.
halte für Konsumausgaben, übrige Aus­
gaben oder es wird gespart.
Den größten Teil ihres ausgabefähigen
Einkommens verwenden die Haushalte u Tab 4  Verwendung der ausgabefähigen Einkommen und
für private Konsumausgaben. Das sind im Einnahmen privater Haushalte
Einzelnen die Ausgaben für Essen, Woh- Früheres
Neue Länder
nen, Bekleidung, Gesundheit, Freizeit, Deutschland Bundes­g ebiet
und Berlin
ohne Berlin-West
Bildung, Kommunikation, Verkehr sowie
2008 2013 20081 2013 20081 2013
Beherbergungs- und Gaststättendienst-
leistungen. Mehr als drei Viertel (77 %) je Haushalt und Monat in Euro
des ausgabefähigen Einkommens gaben Ausgabefähige
Ein­kommen und 2 965 3 180 3 111 3 347 2 328 2 558
private Haushalte im Jahr 2013 dafür aus, Einnahmen
durchschnittlich 2 448 Euro im Monat. Private Konsum-
2 245 2 448 2 333 2 556 1 857 2 048
ausgaben
Das war etwas mehr als 2008 mit 76 % be-
Übrige Ausgaben 408 413 443 441 258 307
ziehungsweise 2 245 Euro.
Ersparnis 312 319 335 350 213 203
In den neuen Ländern und Berlin wa-
Anteil in %
ren die Konsumausgaben der Haushalte
Ausgabefähige
zwar mit 2 048 Euro niedriger als die der ­Einkommen und 100 100 100 100 100 100
Haushalte im früheren Bundesgebiet Einnahmen
(2 556  Euro). Die Konsumquote lag im Private Konsum-
75,7 77,0 75,0 76,4 79,8 80,1
ausgaben
­Osten mit 80 % jedoch höher als im Wes-
Übrige Ausgaben 13,8 13,0 14,2 13,2 11,1 12,0
ten mit 76 %. Im Vergleich zu 2008 ist die
Ersparnis 10,5 10,0 10,8 10,5 9,1 7,9
Konsumquote in den neuen Ländern und
Berlin weniger gestiegen (+ 0,3 Prozent- 1  Vor der EVS 2013 waren die Werte für Berlin-West im früheren Bundesgebiet und die Werte
für Berlin-Ost in den neuen Ländern enthalten.
punkte) als im früheren Bundesgebiet Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

155
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Info uInfo Abb 1  Inflationsrate – gemessen am Verbraucherpreisindex für


Verbraucherpreisindex für Deutschland Deutschland, Veränderung gegenüber dem Vorjahr — in Prozent
Matthias Bieg, Sigrun Krämer

Der Verbraucherpreisindex für Deutschland misst die 2,1


durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und 2,0
Dienstleistungen, die private Haushalte für Konsum-
zwecke kaufen. Darunter fallen zum Beispiel Nahrungs-
mittel, Bekleidung und Kraftfahrzeuge ebenso wie
Mieten, Reinigungsdienstleistungen oder Reparatu-
ren. Es werden alle Ausgaben berücksichtigt, die in 1,5
Deutschland getätigt werden, das heißt neben den Aus-
gaben von beispielsweise Singlehaushalten, (Rentner-)
Ehepaaren oder Familien auch die Ausgaben aus­
ländischer Touristen. Die Veränderung des Verbrau- 1,1
cherpreisindex zum Vorjahresmonat beziehungsweise
zum Vorjahr wird als Teuerungsrate oder umgangs- 0,9
sprachlich auch als Inflationsrate bezeichnet.

Im Jahresdurchschnitt 2015 sind die Preise aller Waren


und Dienstleistungen in Deutschland für den privaten
Verbrauch um 0,3 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Die Jahresteuerungsrate ist damit seit dem Jahr 2011 0,3 0,3
rückläufig. Zuletzt hatte es eine derart niedrige Teue-
rungsrate im Jahr 2009 mit + 0,3 % gegeben. u Info Abb 1

Die geringe Jahresteuerungsrate 2015 wurde im We-


sentlichen durch die Preisentwicklung der Energie- 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
produkte geprägt. Im Jahresdurchschnitt 2015 muss-
ten die Verbraucher 7,0 % weniger für Haushaltsener-
gie und Kraftstoffe ausgeben als im Jahr 2014. Am
stärksten gingen die Preise im Bereich der Haus­
haltsenergie für leichtes Heizöl zurück (− 23,1 %). Erst- u Info Abb 2  Verbraucherpreisindex für Deutschland insgesamt und
mals seit dem Jahr 2000 verzeichnete auch Strom für ausgewählte Produkte (2010 = 100)
mit – 0,8 % einen Preisrückgang. Die Kraftstoffpreise
sanken mit – 10,0 % ebenfalls deutlich.

Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise um 0,8 % ge-


genüber 2014 wirkte im Gegensatz zur Energie preis- 120
treibend. Im Einzelnen gab es gegenläufige Preisent-
wicklungen. Spürbar teurer waren Obst (+ 5,0 %) und
Gemüse (+ 5,3 %). Günstiger wurden vor allem Molke-
reiprodukte und Eier (– 4,3 %) sowie Speisefette und
Speiseöle (– 4,8 %). u Info Abb 2

Deutschlands Haushalte unterscheiden sich in vieler-


lei Hinsicht. Sie sind zum Beispiel gekennzeichnet 110
durch die Zahl der Haushaltsmitglieder, die Alters­
struktur oder das Einkommen. Wie stark ein einzelner
Haushalt von der Inflation betroffen ist, hängt von
­seinem individuellen Konsumverhalten ab, das heißt,
wie viel Geld er für welche Güter ausgibt. Um den
­Einfluss der Gewichtung der Ausgaben auf einfache
Weise zu ver­a nschaulichen, hat das Statistische
Bundes­a mt einen »persönlichen
100
Inflations­rechner« ent­w ickelt. Mit
ihm können Nutzerinnen und
­Nutzer ­beispielhaft ­einige Gewichte
des sogenannten Wägungs­
schemas an ihre ­e igenen Konsum­
gewohnheiten anpassen und
so ihre persönliche Inflationsrate
ermitteln. 90

0
2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Gesamtindex Nahrungsmittel Energie


Langlebige Gebrauchsgüter Nettokaltmiete

156
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

(+ 1,4 Prozentpunkte). Zur Verteilung der u Info 3

Konsumausgaben siehe Abschnitt 6.1.4 Übrige Ausgaben


Struktur der Konsumausgaben. Zu diesen zählen freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, Versicherungsbeiträge
Neben den Konsumausgaben haben (zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungen, Ausgaben für Kraftfahrzeug-, Hausrat-, Haft-
pflicht-, Unfall- und ­weitere Versicherungen), sonstige geleistete Übertragungen und Ausgaben
private Haushalte »übrige Ausgaben«, die (zum Beispiel Geldgeschenke und Geldspenden, Unterhaltszahlungen) und sonstige Steuern (zum
nicht dem privaten Konsum dienen, wie Beispiel Kraftfahrzeug-, Hunde-, Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuer) sowie die Kredit-
freiwillige Versicherungsbeiträge, Unter- zinsen (Baudarlehen und Ähn­liches, Konsumentenkredite). Statistische Differenzen – sofern vorhan-
den – zählen auch zu den ü ­ brigen Ausgaben. Diese entstehen, wenn in Einzelfällen bestimmte klei-
haltszahlungen, Geldgeschenke oder ne Beträge nicht in die Haus­haltsbücher ein­g etragen wurden, weil sich zum Beispiel die buchfüh-
sonstige Steuern wie Hundesteuer. Dafür rende ­Person an diese Ausgabe nicht mehr erinnerte.
verwendeten die privaten Haushalte 2013
durchschnittlich 13 % ihrer ausgabefähi-
u Abb 4  Struktur der Konsumausgaben privater Haushalte 2013 — in Prozent
gen Einkommen, das waren 413 Euro
monatlich. Im Vergleich zu 2008 (14 %
beziehungsweise 408 Euro) hat der Anteil Wohnen, Energie,
Wohnungsinstandhaltung 34,5
der übrigen Ausgaben am ausgabefähi-
gen Einkommen leicht abgenommen. Verkehr 14,0
Haushalte in den neuen Ländern und
Nahrungsmittel,
Berlin verwendeten einen Anteil von 12 % Getränke, Tabakwaren
13,8
(307 Euro) der ausgabefähigen Einkom-
Freizeit, Unter-
men für die übrigen Ausgaben, im frühe- 10,7
haltung und Kultur
ren Bundesgebiet war der Anteil mit 13 % Beherbergungs- und
5,3
(441 Euro) etwas höher. Im Vergleich zu Gaststättendienstleistungen
2008 ist dieser Anteil im Osten leicht an- Innenausstattung, Haushalts-
geräte, -gegenstände 5,0
gestiegen (+ 0,9 Prozentpunkte), im Wes-
ten hat er dagegen leicht abgenommen
Bekleidung und Schuhe 4,9
(– 1,1 Prozentpunkte). u Info 3
Wenn die Haushalte ihre Konsumbe- Gesundheitspflege 4,2
dürfnisse befriedigt und auch die »übri-
gen Ausgaben« getätigt haben, verbleibt Post und
2,7
Telekommunikation
der Rest des ausgabefähigen Einkom-
mens zur Bildung von Ersparnissen. Bildungswesen 0,9
Durchschnittlich 319 Euro im Monat
Andere Waren und
sparten die Haushalte 2013. Das waren 4,1
Dienstleistungen
10 % ihres ausgabefähigen Einkommens.
Gegenüber 2008 (312 Euro oder 11 %) ist
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.
die Sparquote leicht rückläufig (– 0,5 Pro-
zentpunkte).
Unterschiede zwischen Ost und West
ergeben sich auch beim Sparen: Im Jahr
2013 legten die Haushalte in den neuen
Ländern und Berlin durchschnittlich
203  Euro im Monat auf die hohe Kante, Den größten Anteil am Konsumbud- rung der Freizeitausgaben bietet Kapitel
im früheren Bundesgebiet waren es get (35 %; 845 Euro) gaben die Haushalte 12.1.2, Seite 373. u Abb 4
350  Euro. Die Sparquote in Ostdeutsch- für Wohnen, Wohnungsinstandhaltung Jeweils 5 % der Konsumausgaben ver-
land (8 %) fiel damit um 2,5 Prozent- und Energie aus. Danach folgten die Ver- wendeten die Haushalte für Beherber-
punkte niedriger aus als in Westdeutsch- kehrsausgaben (342 Euro) und die Auf- gungs- und Gaststättendienstleistungen
land (10 %). wendungen für Nahrungsmittel, Geträn- (130 Euro), den Bereich Innenausstat-
ke und Tabakwaren (337 Euro) mit einem tung, Haushaltsgeräte und -gegenstände
6.1.4 Struktur der Konsumausgaben Anteil von jeweils 14 % an den privaten (124 Euro) sowie den Bereich Bekleidung
Wofür verwendeten die privaten Haus- Konsumausgaben. Für Freizeit, Unterhal- und Schuhe (119 Euro). Für die Gesund-
halte ihre monatlichen Konsumausgaben tung und Kultur wurden anteilig 11 % heitspflege gaben die Haushalte einen An-
von 2 448 Euro? (261 Euro) ausgegeben. Eine Untergliede- teil von 4 % (102 Euro) ihres Budgets aus

157
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

und 3 % (66 Euro) für Post und Telekom- Haushalte im Osten im Monat durch- gaben ausgewählter Haushaltstypen. Die
munikation. Die Ausgaben für das Bil- schnittlich 508 Euro weniger für den höchsten Konsumausgaben tätigten im
dungswesen betrugen knapp 1 % (22 Euro). Konsum aus. Jahr 2013 Paarhaushalte mit Kind(ern) mit
Die privaten Haushalte der neuen durchschnittlich 3 426 Euro gefolgt von
Länder und Berlin sowie die des früheren Konsumausgaben nach den Paaren ohne Kind mit 2 869 Euro mo-
Bundesgebietes teilten ihre Konsumbud- Haushaltstyp natlich. Die Konsumausgaben der Haus-
gets 2013 ähnlich auf die einzelnen Aus- Deutliche Unterschiede in Niveau und halte von Alleinerziehenden (1 910 Euro)
gabenbereiche auf, allerdings gaben die Struktur zeigen sich bei den Konsumaus- und Alleinlebenden (1 550  Euro) lagen

u Tab 5  Konsumausgaben privater Haushalte nach ausgewählten Haushaltstypen 2013

Haushalte Paare Allein-


Alleinlebende
insgesamt mit Kind(ern) ohne Kind erziehende

in Euro
Private Konsumausgaben 2 448 3 426 2 869 1 910 1 550
in %
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 13,8 14,6 13,5 15,8 12,6
Bekleidung und Schuhe 4,9 5,9 4,5 6,0 4,2
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 34,5 31,6 33,1 37,4 39,5
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände 5,0 5,5 5,4 4,4 4,3
Gesundheitspflege 4,2 2,9 5,4 2,4 4,1
Verkehr 14,0 15,2 14,3 10,9 11,7
Post und Telekommunikation 2,7 2,6 2,3 3,5 3,1
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 10,7 10,5 11,2 9,5 10,5
Bildungswesen 0,9 2,0 0,3 1,6 0,6
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen 5,3 5,0 5,9 3,8 5,1
Andere Waren und Dienstleistungen 4,1 4,2 3,9 4,6 4,4

Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

u Tab 6  Konsumausgaben privater Haushalte nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen 2013


Monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
unter 900 – 1 300 – 1 500 – 2 000 – 2 600 – 3 600 – 5 000 –
900 1 300 1 500 2 000 2 600 3 600 5 000 18 000

in Euro
Private Konsumausgaben 872 1 136 1 384 1 640 2 055 2 557 3 239 4 504
in %
Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren 18,6 16,9 16,1 15,5 14,7 14,2 13,4 11,7
Bekleidung und Schuhe 3,5 4,1 4,3 4,4 4,5 4,7 5,0 5,5
Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung 47,7 43,6 41,0 39,0 37,2 35,3 33,1 29,3
Innenausstattung, Haushaltsgeräte, -gegenstände 3,0 3,2 4,1 4,3 4,6 5,0 5,2 6,0
Gesundheitspflege 2,5 2,7 2,8 2,9 3,3 3,8 4,0 5,8
Verkehr 5,6 8,6 9,4 11,2 12,9 13,8 15,6 16,2
Post und Telekommunikation 4,2 3,8 3,7 3,4 3,0 2,7 2,5 2,1
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 7,2 8,7 9,8 10,1 10,4 10,4 10,8 11,8
Bildungswesen 0,7 0,7 0,7 0,6 0,7 0,8 0,9 1,1
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen 3,2 3,7 4,0 4,4 4,7 5,2 5,4 6,4
Andere Waren und Dienstleistungen 3,7 3,9 4,1 4,2 4,1 4,0 4,0 4,2

Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe.

158
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

weit unter dem Bundesdurchschnitt von es bei den Alleinlebenden nur 13 %. Diese hat Einfluss auf die Verbrauchsstruktu-
2 448 Euro im Monat. Berücksichtigt man, hatten aber mit 39 % den höchsten Ausga- ren: Haushalte mit einem monatlichen
dass in Haushalten von Alleinerziehenden benanteil für Wohnen, gefolgt von den Nettoeinkommen von unter 1 300 Euro
durchschnittlich 2,4 Personen leben und Alleinerziehenden mit 37 %. Paarhaushal- gaben im Jahr 2013 durchschnittlich
in Paarhaushalten mit Kind(ern) 3,8 Per- te mit Kind(ern) hatten dagegen den ge- 1 025  Euro im Monat für den privaten
sonen, so haben Alleinerziehende mit 796 ringsten Wohnkostenanteil mit 32 %. Konsum aus. Mehr als viermal so viel
Euro die niedrigsten Pro-Kopf-Konsum­ Für den Bereich Verkehr verwendeten (4 504 Euro) wendete die Haushalts­
ausgaben. Paarhaushalte mit Kind(ern) Paarhaushalte mit Kind(ern) 15 % ihrer gruppe mit dem höchsten monatlichen
haben Pro-Kopf-Ausgaben in Höhe von Ausgaben, Paare ohne Kind 14 %, Allein- Nettoeinkommen von 5 000 bis unter
902 Euro. Im Vergleich dazu hatten die lebende 12 % und Alleinerziehende 11 %. 18 000 Euro für ihren Konsum auf. Steht
Alleinlebenden mit 1 550 Euro die höchs- Die Ausgaben für den Bereich Freizeit, also mehr Geld im Haushalt zur Verfü-
ten Pro-Kopf-Konsumausgaben. u Tab 5 Unterhaltung und Kultur waren anteilig gung, wird auch entsprechend mehr aus-
Für die Grundbedürfnisse Wohnen, bei den Paarhaushalten ohne Kind mit gegeben.
Ernährung und Bekleidung wendeten al- 11 % am höchsten; bei den Alleinerzie- Für die Deckung der Grundbedürf-
leinerziehende Mütter oder Väter mit 59 % henden mit 9 % ihres Konsumbudgets am nisse – Wohnen, Ernährung und Be­
den größten Teil ihres Konsumbudgets auf. geringsten. Im Bereich Gesundheitspfle- kleidung – gaben die Haushalte mit ei-
Am niedrigsten lag dieser Grundversor- ge war der Anteil der Ausgaben bei den nem monat­ l ichen Einkommen unter
gungsanteil bei den Paarhaushalten ohne Paaren ohne Kind mit 5 % am höchsten, 1 300  Euro monatlich im Durchschnitt
Kind (51 %) sowie mit Kind(ern) (52 %). In Alleinlebende gaben dafür anteilig 4 % 682 Euro aus, das waren 67 % ihrer ge-
der anteilsmäßigen Zusammensetzung der aus, gefolgt von den Paaren mit Kind(ern) samten Konsumaus­gaben. Haushalte der
Grundbedürfnisse weisen die einzelnen (3 %) und Alleinerziehenden (2 %). höchsten Einkommensgruppe wendeten
Haushaltstypen folgende Unterschiede auf: dafür mit 2 093 Euro mehr als dreimal so
Während Paarhaushalte mit Kind(ern) Konsumausgaben nach viel auf. Ihr Anteil der Grundbedürfnisse
15 % und Alleinerziehende 16 % ihres ge- Haushaltsnettoeinkommen an den gesamten Konsumausgaben war
samten Konsums für Nahrungsmittel, Ge- Auch die Höhe der den Haushalten zur dafür mit 46 % deutlich geringer. Im
tränke und Tabakwaren ausgaben, waren Verfügung stehenden Nettoeinkommen Bundesdurchschnitt gaben die privaten
Haushalte etwas mehr als die Hälfte
(53 %) ihrer Konsumausgaben zur De-
ckung der Grundbedürfnisse aus. u Abb 5
Die Ausgabenanteile für die anderen
Konsumbereiche nehmen mit steigen-
uAbb 5  Ausgaben privater Haushalte für Grundbedürfnisse nach dem monatlichen dem Einkommen zu. Besonders deutlich
Haushaltsnettoeinkommen 2013 — Anteil an den Konsumausgaben in Prozent ist dies bei den Verkehrsausgaben: Mit
731  Euro pro Monat (16 %) gaben die
Haushalte insgesamt
Haushalte der höchsten Einkommens-
5 000 –18 000 46,5
52,9 gruppe fast zehnmal mehr hierfür aus
als die Haushalte der Einkommensgrup-
3 600 – 5 000 51,5
pe unter 1 300 Euro mit 77 Euro (8 %).
2 600 – 3 600 54,2 Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur
betrug der Ausgabenanteil der Haushalte
2 000 – 2 600 56,4
mit dem höchsten monatlichen Netto-
1 500 – 2 000 58,9 einkommen mehr als das Sechsfache
1 300 –1 500 61,4 (529  Euro, 12 %) dessen, was die Haus-
halte mit einem Einkommen unter 1 300
900 –1 300 64,6
Euro monatlich dafür aufwendeten (84
unter 900 69,8 Euro, 8 %). Die Ausgaben für Gesund-
heitspflege waren in den Haushalten mit
monatliches Haushaltsnettoeinkommen dem höchsten monatlichen Nettoein-
von … bis unter … Euro kommen mit 261 Euro (6 %) fast zehn
Mal höher als bei den Haushalten mit ei-
Grundbedürfnisse: Wohnen, Ernährung und Bekleidung.
Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. nem Einkommen unter 1 300 Euro mo-
natlich (27 Euro, 3 %). u Tab 6

159
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Info 4 u Tab 7  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit ausgewählten Haushalts-


Ausstattungsgrad und geräten 2015 — in Prozent
Ausstattungsbestand
Früheres
Neue Länder
Der Ausstattungsgrad ist das statistische Maß Deutschland Bundesgebiet
und Berlin
dafür, wie viele Haushalte ein bestimmtes ohne Berlin-West
­Gebrauchsgut besitzen. Beispielsweise be- Mikrowellengerät 73,3 72,8 75,3
deutet ein Ausstattungsgrad von 90 % Mobil-
Geschirrspülmaschine 69,5 70,8 64,5
telefonen, dass 90 von 100 Haushalten min-
destens ein Mobiltelefon haben. Rechnerisch Gefrierschrank, Gefriertruhe 50,8 53,8 39,5
wird der Ausstattungsgrad ­e r­m ittelt durch Wäschetrockner 39,5 44,0 22,9
die Zahl der Haushalte mit einem entspre-
chenden Gebrauchsgut, bezogen auf die Kaffeevollautomat 13,1 14,3 8,5
Zahl der hochgerechneten Haushalte multipli-
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
ziert mit 100.

Der Ausstattungsbestand ist das statistische


Maß dafür, wie viele Gebrauchsgüter in u Abb 6  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit TV-Anschlüssen 2015 — in Prozent
100 Haushalten vorhanden sind. Beispielswei-
se bedeutet ein Ausstattungsbestand von
166 Mobiltelefonen je 100 Haushalte, dass
einige Haushalte mehr als ein Handy besitzen. Antennen-TV- 17,2
Rechnerisch wird der Ausstattungsbestand Anschluss (DVB-T) 14,9
ermittelt durch die Zahl des in den Haushalten
vorhandenen jeweiligen Gebrauchs­gutes, Kabel-TV- 44,0
­bezogen auf die Zahl der hochgerechneten Anschluss 55,7
Haushalte multipliziert mit 100.
Satelliten-TV- 48,0
Anschluss 38,1

früheres Bundesgebiet ohne Berlin-West


neue Länder und Berlin

Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

6.1.5 Ausstattung privater Haushalte geräte wie ein Kühlschrank sind in nahe- mit Wäschetrocknern zu erkennen: Bei
mit Gebrauchsgütern zu jedem Haushalt vorhanden. Hier lag einem Ausstattungsgrad von 40 % im
Aussagen über den erreichten materiellen der Ausstattungsgrad Anfang 2015 bei Bundesdurchschnitt standen sich hier
Lebensstandard der privaten Haushalte knapp 100 %. Mikrowellengeräte standen Anfang des Jahres 2015 Werte von 44 % in
in Deutschland lassen sich auch aus der in 73 % der Haushalte. Knapp 70 % der Westdeutschland und 23 % in Ostdeutsch-
Verfügbarkeit ausgewählter Gebrauchs- privaten Haushalte konnten eine eigene land gegenüber. Die in der Anschaffung
güter gewinnen. Dazu gehört zum Bei- Geschirrspülmaschine nutzen, allerdings immer noch vergleichsweise teuren Kaf-
spiel die Ausstattung mit Haushaltsgerä- gab es einen leichten regionalen Unter- feevollautomaten standen Anfang 2015 in
ten, der Besitz von Fahrzeugen, von Ge- schied mit Ausstattungsgraden von 71 % 13 % der Privathaushalte. Auch hier gab es
räten der Unterhaltungselektronik sowie für das frühere Bundesgebiet ohne Berlin- einen deutlichen regionalen Unterschied:
von Produkten der Informations- und West und 65 % für die neuen Länder und 14 % der westdeutschen Haushalte konn-
Kommunikationstechnik wie Personal Berlin. Ein weit größeres regionales Ge- ten ihren Kaffee vollautomatisch in die
Computer (PC) und Handy. u Info 4 fälle zeigte sich bei den Gefrierschränken Tasse laufen lassen im Vergleich zu 9 %
beziehungsweise Gefriertruhen (Bundes- der Haushalte in Ostdeutschland. u Tab 7
Elektrische Haushaltsgeräte durchschnitt 51 %): Im früheren Bundes-
Elektrische beziehungsweise elektroni- gebiet besaßen 54 % der Haushalte min- Güter der Unterhaltungselektronik
sche Haushaltsgeräte zählen zu den klas- destens einen Gefrierschrank, während in Für Fernseher galt Anfang des Jahres
sischen Ausstattungsgegenständen, die den neuen Ländern und Berlin lediglich 2015 nahezu Vollausstattung: Knapp 98 %
seit vielen Jahren im Rahmen der Laufen- 40 % der Haushalte über ein solches Gerät der privaten Haushalte in Deutschland
den Wirtschaftsrechnungen (LWR) er- verfügten. Noch deutlichere regionale besaßen mindestens einen Fernsehappa-
fragt werden. »Traditionelle« Haushalts- Unterschiede waren bei der Ausstattung rat. Einen Flachbildfernseher besaßen

160
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

81 % der Haushalte. Bei der erstmaligen u Tab 8  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit Unterhaltungselektronik
Frage nach den »Flachen« im Jahr 2006 nach Haushaltstyp 2015 — in Prozent
stand lediglich in 5 % der Haushalte ein Haushalte Paare mit Paare Alleiner- Allein-
solches Gerät. Der Ausstattungsbestand insgesamt Kind(ern) ohne Kind ziehende lebende
von Flachbildfernsehern ist im gleichen DVD- oder Blu-ray-Gerät 67,0 85,6 69,6 76,1 55,8
Zeitraum ebenfalls stark angestiegen: Im MP3-Player 41,4 65,8 34,3 49,3 30,8
Jahr 2006 kamen 6 Flachbildfernseher Spielkonsolen 25,3 62,4 14,4 64,5 9,3
auf 100 Haushalte, Anfang 2015 waren es
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
124 Geräte je 100 Haushalte. Rund 32 %
der Haushalte besaßen mehr als einen
Flachbildfernseher. uAbb 7  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit PC und Internetanschluss
Ein Empfang der Fernseh- beziehungs- — in Prozent
weise Radioprogramme ist über unter-
schiedliche Empfangsarten möglich, wo- 100
bei durchaus mehrere Empfangsmöglich- 90
keiten in einem Haushalt vorhanden sein
80
können. In 17 % der Privathaushalte er-
70
folgte der Programmempfang Anfang
2015 über Antenne (auch DVB-T). Per 60
­Satellit empfingen 46 % der Haushalte ihre 50
Programme, und ein Kabelanschluss lag
40
in 47 % der Haushalte. Bei allen drei An-
schlussarten gab es regionale Unterschie- 30

de in der Ausstattung zwischen dem frü- 20


heren Bundesgebiet ohne Berlin-West so- 10
wie den neuen Ländern und Berlin. u Abb 6
0
Geräte der modernen Unterhaltungs- 2005 2006 2007 2009 2010 2011 2012 2014 2015
elektronik wie DVD- und Blu-ray-Gerä-
PC insgesamt PC mobil (Laptop / Notebook, Netbook,Tablet)
te, MP3-Player und Spielkonsolen finden
PC stationär Internetanschluss
sich vor allem in Haushalten mit
Kind(ern). Während Anfang 2015 der
Keine LWR-Erhebung 2008 und 2013.
Anteil der Haushalte, die im Besitz eines Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

DVD- oder Blu-ray-Gerätes waren, bei


67 % lag, waren Alleinerziehende (76 %)
und Paare mit Kind(ern) (86 %) weit
überdurchschnittlich damit ausgestattet.
Bei MP3-Playern und Spielkonsolen
zeigt sich der überdurchschnittliche PC, Telefon und Navigationssystem vaten Haushalte stand Anfang 2015 min-
Ausstattungsgrad von Haushalten mit Auch die Ausstattung mit Gütern der In- destens ein PC, zehn Jahre zuvor war
Kind(ern) noch deutlicher: Während formations- und Kommunikationstech- dies in 69 % der Haushalte der Fall. Mit
Anfang 2015 im Bundesdurchschnitt nologie nahm in den privaten Haushalten mobilen Computern (Laptop/Notebook,
41 % der Haushalte einen MP3-Player be- in Deutschland in den zurückliegenden Netbook, Tablet) waren Anfang 2005 erst
saßen, konnte in 49 % der Haushalte von Jahren deutlich zu. Diese Technologien 17 % der Haushalte ausgestattet, während
Alleinerziehenden und in 66 % der Haus- haben sich in ostdeutschen Haushalten in 63 % der Haushalte stationäre Compu-
halte von Paaren mit Kind(ern) Musik nahezu genauso etabliert wie in west- ter standen. Dieses Verhältnis hatte sich
über dieses Medium abgespielt werden. deutschen Haushalten. Es bestehen keine Anfang 2015 zugunsten der mobilen Ge-
Spielkonsolen waren durchschnittlich in großen Unterschiede in den Ausstat- räte verändert: Jetzt besaßen 74 % der
25 % der Haushalte in Deutschland vor- tungsgraden mehr. Die Haushaltsgrup- Haushalte mobile PC und nur noch 51 %
handen. Rund 65 % der Haushalte von pen partizipierten jedoch unterschiedlich stationäre Computer. u Abb 7
Alleinerziehenden und 62 % der Paar- an den neuen Technologien. Der Ausstattungsgrad mit PC wuchs
haushalte mit Kind(ern) verfügten über Eine große Dynamik lag in der Haus- mit steigender Zahl der Haushaltsmitglie-
ein solches Gerät. u Tab 8 haltsausstattung mit PC. In 88 % der pri- der: Während 79 % der Singlehaushalte

161
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Info u Info Tab 1  Internetaktivitäten 2015


Internetaktivitäten Teil- Suche
Internet- Buchung
Silvia Deckl Versand/ nahme nach Infor- Lesen von
nutzer/ von
Empfang an mationen Nach­- Internet-
Wie nutzen die Menschen in Deutschland das -innen Reise-
von sozialen über Waren/ richten/ Banking
ins- dienst­-
Internet? Auskunft hierüber liefert die jähr­ E-Mails Netz- Dienst- Zeitungen
gesamt leistungen
liche, amtliche Erhebung über die private Nut- werken leistungen
zung von Informations- und Kommunikations- in 1 000 in %
technologien (IKT).
Insgesamt 59 795 90,6 64,3 89,2 69,3 53,8 62,8
Im ersten Quartal 2015 waren in Deutschland
59,8 Millionen Menschen im Internet aktiv. Im Alter von …
bis … Jahren
Fast alle Internetnutzerinnen und -nutzer ver-
sendeten oder empfingen E-Mails: Die Anteile 10 – 24 11 922 82,2 87,3 76,6 52,1 24,7 36,7
lagen zwischen 82 % und 94 %. Bei den
25 – 54 31 915 94,2 69,9 94,5 77,0 67,9 69,9
­weiteren Aktivitäten zeigten sich je nach Alter
unter­schiedliche Schwerpunkte. So waren 55 oder älter 15 958 90,0 35,9 88,1 66,9 47,0 67,9
Jugendliche und junge Erwachsene zwischen
10 und 24 Jahren besonders häufig in so­ Personen ab 10 Jahren. Private Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im ersten Quartal 2015.
zialen Netzwerken unterwegs (87 %). Die meis-
ten I­nternetnutzer zwischen 25 und 54 Jahren
suchten nach Informationen über Waren und u Info Abb 1  Personen mit Onlineeinkäufen — in Prozent
Dienstleistungen (95 %), lasen Nachrichten
und Zeitungen online (77 %), buchten Reise-
dienstleistungen (70 %) oder erledigten ihre
Bankgeschäfte über das Internet (68 %). Inter- 46
netnutzer ab 55 Jahren suchten häufig nach 2005 50
Informationen über Waren und Dienstleistun- 41
gen (88 %), buchten Reisedienstleistungen
über das Internet (68 %) oder lasen Nachrich- 67
ten und Zeitungen online (67 %). u Info Tab 1 2015 67
Online-Einkäufe 67
Immer mehr Menschen bestellen oder kaufen
mittlerweile Waren oder Dienstleistungen
insgesamt männlich weiblich
über das Internet. Während im ersten Quartal
des Jahres 2005 weniger als die Hälfte (46 %)
der Internetnutzer ab zehn Jahren online
Waren oder Dienstleistungen bestellt hatten,
waren es im ersten Quartal 2015 ­b ereits
mehr als zwei Drittel (67 %) − das entspricht
rund 41 Millionen Menschen. u Info Abb 1
lediglich 5 % an, noch nie Waren oder Dienst- Hier tätigten 42 % der Männer entsprechende
Am häufigsten nutzten 25- bis 44-Jährige die
leistungen über das Internet bestellt bezie- Online-Einkäufe, jedoch nur 20 % der Frauen.
Möglichkeit, über das Internet einzukaufen:
hungsweise gekauft zu haben. ­U rlaubsunterkünfte wurden von beiden
84 % haben im Jahr 2015 innerhalb der letzten
­G eschlechtern gleich häufig über das Internet
drei Monate vor dem Befragungszeitraum Was wird im Internet bestellt? Fast zwei Drittel gebucht (jeweils 41 %). Auch beim Online-
Waren oder Dienstleistungen online bestellt. (64 %) der Internetnutzer der letzten 12 Mo- Einkauf von Lebensmitteln und Gütern des
In den Altersgruppen von 16 bis 24 Jahren nate bestellten Kleidung und Sportartikel täglichen Bedarfs (Männer: 15 %; Frauen:
(68 %) und 45 bis 64 Jahren (67 %) waren es über das Internet, 49 % Gebrauchsgüter wie 16 %) und von Gebrauchsgütern (Männer: 48 %;
jeweils mehr als zwei Drittel der Internetnutzer. Möbel, Spielzeug oder Geschirr und 42 % Frauen: 49 %) gab es kaum geschlechtsspe-
Etwas geringer waren die Anteile bei den un- Bücher, Zeitungen oder Zeitschriften. Rund zifische Unterschiede.
ter 25-Jährigen (53 %) und den 65-Jährigen 41 % buchten Reisedienstleistungen wie
oder ­Ä lteren (48 %). ­Urlaubsunterkünfte über das Internet, und In Bezug auf die verschiedenen Altersgrup-
39 % kauften oder bestellten E
­ intrittskarten pen kann man feststellen, dass die Nach­frage
Rund 10 % der Internetnutzerinnen und -nut-
für Kino, Theater, Musik- oder Sportveran- nach bestimmten Produkten und Dienst­
zer ab zehn Jahren gaben zum Zeitpunkt der
staltungen. Der Kauf von Lebensmitteln und leistungen je nach Alter unterschiedlich aus-
Befragung im Jahr 2015 an, vor mehr als 3 ­
anderen Gütern des täglichen Bedarfs wurde fällt. Beispielsweise kauften 38 % der älteren
Monaten, jedoch innerhalb der letzten 12 Mo-
dage-gen mit 15 % weniger häufig über das Menschen ab 65 Jahren im Internet Arznei-
nate Online-Käufe über das Internet getätigt
Internet vorgenommen. mittel ein. Im Durchschnitt über alle Online-
zu ­haben. Weitere 5 % gaben an, vor mehr als
einkäuferinnen und -einkäufer der letzten
einem Jahr zuletzt online eingekauft zu ha- Das Einkaufsverhalten im Internet weist so- 12 Monate betrug dieser Anteil jedoch nur
ben. Der Anteil der Personen, die das Internet wohl geschlechtsspezifische als auch alters- 28 %. Andererseits kauften 41 % der Personen
zwar nutzten, aber noch nie Waren oder spezifische Unterschiede auf: So kauften im Alter von 25 bis 44 Jahren Filme und
Dienstleistungen über das Internet bestellt 73 % der Frauen ­K leidung über das Internet, ­Musik im Internet, im Gegensatz zu durch-
oder gekauft ­haben, lag bei 17 %. Naturgemäß jedoch taten dies nur 55 % der Männer. schnittlich nur 33 %.
ergaben sich dabei in den Altersgruppen 10 Software wie beispielsweise Videospiele war
bis 15 Jahre (65 %) wie auch in der Alters- dagegen bei 35 % der Männer gefragt, aller-
gruppe 65 Jahre oder älter (31 %) überdurch- dings nur bei 13 % der Frauen. Ein ähnliches
schnittlich hohe Anteile. Von den 25- bis Bild ergab sich beim Kauf von Elektroartikeln
44-Jährigen Internetnutzern gaben dagegen einschließlich Kameras über das Internet:

162
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

Anfang 2015 mindestens einen PC besaßen, ­ lter von 65 bis 69 Jahren 85 %. Haushalte
A in diesem Zeitraum von 44,9 Millionen
standen bereits in 92 % der Zweipersonen- mit Haupteinkommenspersonen von 80 im Jahr 2005 auf 63,7 Millionen Anfang
haushalte Computer. Fünfpersonenhaus- Jahren und ­ä lter wiesen einen Ausstat- 2015. Im Jahr 2005 verfügten 96 % der
halte konnten nahezu eine Vollausstattung tungsgrad von knapp 43 % auf. u Tab 10 privaten Haushalte über ein Festnetztele-
mit Computern verzeichnen. u Tab 9 Die Ausstattung mit Internetanschlüs- fon; Anfang 2015 waren es nur noch 92 %.
Gegenläufig verhielten sich jedoch der sen entwickelte sich auch sehr dynamisch. Die Entwicklung des Ausstattungsbe-
Ausstattungsgrad mit PC und das Alter der Anfang 2015 hatten 88 % der Haushalte standes zeigt deutlich den technologi-
Haupteinkommensperson im Haushalt. Anschluss an das Internet während es schen Wandel in der Telekommunikation.
Als Haupteinkommensperson gilt grund- zehn Jahre zuvor 55 % waren. Anfang 2005 kamen auf durchschnittlich
sätzlich die Person ab 18 Jahren mit dem Das Mobiltelefon (Handy/Smartphone) 115 Festnetztelefone je 100 Haushalte nur
höchsten Beitrag zum Haushaltsnetto­ gehört heute bereits ganz selbstverständ- 127 Handys. Dieses Verhältnis hat sich
einkommen. Während der Ausstattungs- lich zum Leben: In 94 % aller privaten Anfang 2015 stark zugunsten der »Mobi-
grad mit PC in Haushalten mit Hauptein- Haushalte konnte Anfang 2015 mobil te- len« gewandelt: Auf durchschnittlich
kommenspersonen in den Altersklassen lefoniert werden. Zehn Jahre zuvor war 124  Festnetztelefone in 100 Haushalten
von 18 bis 64 Jahren zwischen 90 % und das erst in 76 % der Haushalte der Fall. kamen 174 Mobiltelefone. Rein rechne-
Vollausstattung lag, betrug er in Haus­ Die Gesamtzahl der in den Privathaus- risch waren das 1,9 Handys in jedem
halten mit Haupteinkommenspersonen im halten vorhandenen Mobiltelefone stieg Handybesitzer-Haushalt. u Tab 11

u Tab 9  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit PC und Internetanschluss nach der Haushaltsgröße 2015 — in Prozent

Haushalte Davon mit ... Person(en)


insgesamt 1 2 3 4 5 und mehr
Personalcomputer (PC) 88,3 79,4 91,6 98,5 99,4 98,9
 PC stationär 51,3 36,3 58,2 66,6 68,6 66,8
 P C mobil (Laptop / Notebook, Netbook, Tablet) 73,5 61,3 74,7 92,0 92,9 95,9
Internetanschluss 88,2 79,6 91,3 98,3 99,2 99,5

Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Tab 10  Ausstattung privater Haushalte mit PC nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2015

Haushalte Alter der Haupteinkommensperson von … bis … Jahre


insgesamt 18 – 24 25 – 34 35 – 44 45 – 54 55 – 64 65 – 69 70 – 79 80 und älter

Ausstattungsgrad in Prozent 88,3 (100) 97,9 98,1 94,9 90,1 85,3 70,4 42,8

Ausstattungsbestand je 100 Haushalte 196,3 (192,2) 230,1 240,2 247,8 193,9 152,5 110,4 67,6

( )  Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Tab 11  Ausstattung privater Haushalte mit Festnetz- und Mobiltelefon


Festnetztelefon Mobiltelefon
Früheres Bundesgebiet Neue Länder Früheres Bundesgebiet Neue Länder
Deutschland Deutschland
ohne Berlin-West¹ und Berlin² ohne Berlin-West¹ und Berlin²

Ausstattungsgrad in %
2005 95,9 95,8 96,3 76,4 76,7 75,3
2015 91,5 91,9 90,0 93,5 93,6 93,2
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte
2005 114,7 116,7 106,3 126,5 126,9 125,1
2015 123,6 127,7 108,7 173,9 176,6 164,0

1  2005: Früheres Bundesgebiet.


2  2005: Neue Länder und Berlin-Ost.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

163
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

Auch das Alter der Haupteinkom- Verfügbarkeit von Mobiltelefonen unter- gationsgeräte als Aktionsangebote auch
mensperson spielt eine Rolle beim Besitz schied sich bei den einzelnen Haushaltsty- von Lebensmitteldiscountmärkten ange-
von Festnetztelefonen oder Mobiltelefo- pen erheblich. Haushalte mit Kind(ern) boten werden und damit günstig zu haben
nen. Mit steigendem Alter der Hauptein- erreichten hier die höchsten Ausstattungs- sind, ist für den Besitz eines solchen Gerä-
kommenspersonen in den Haushalten grade: Paare mit Kind(ern) und Alleiner- tes dennoch die Höhe des Haushaltsein-
war auch der Ausstattungsgrad dieser ziehende waren mit 99 % beziehungsweise kommens von Bedeutung. Die Ausstattung
Haushalte mit Festnetztelefonen höher, rund 100 % nahezu vollausgestattet. Auch mit Navigationsgeräten steigt mit zuneh-
während der Ausstattungsgrad mit Mo- 96 % der Haushalte von Paaren ohne Kind mendem Einkommen. Während Anfang
biltelefonen mit zunehmendem Alter ste- besaßen ein Mobiltelefon und waren da- 2015 der Anteil der Haushalte mit Naviga-
tig abnahm. Haushalte mit Haupteinkom- mit überdurchschnittlich ausgestattet. Bei tionsgeräten in den unteren Einkommens-
menspersonen in den Altersklassen von den Alleinlebenden dagegen waren Mobil- klassen bei 20 % (unter 1 300 Euro netto)
18 bis 54 Jahren waren Anfang 2015 fast telefone unterdurchschnittlich verbreitet. beziehungsweise 37 % (1 300 bis unter 1 700
vollständig mit Mobiltelefonen ausgestat- Rund 89 % der alleinlebenden Männer Euro netto) lag, waren 54 % der Haushalte
tet. Immerhin 93 % der Haushalte von 55- verfügten Anfang 2015 über ein Mobiltele- mit einem monatlichen Nettoeinkommen
bis 64-Jährigen besaßen ein solches Gerät fon; bei den alleinlebenden Frauen waren von 1 700 Euro bis unter 2 600 Euro im Be-
und von den Haushalten der 80-Jährigen es knapp 88 %. u Tab 13 sitz eines Navigationssystems. Rund 77 %
und Älteren waren es 74 %. u Tab 12 Haushalte mit Kind(ern) besaßen ge- beziehungsweise 78 % der Haushalte der
Ob und wie viele Mobiltelefone bezie- nerell mehr als ein Mobiltelefon. Bei den Netto­einkommensklassen von 3 600 bis
hungsweise Festnetztelefone in den Haus- Paarhaushalten mit Kind(ern) kamen unter 5 000 Euro sowie 5 000 bis unter
halten vorhanden sind, wird auch deutlich Anfang 2015 durchschnittlich 266 Geräte 18 000 Euro ließen sich von einem eigenen
vom Haushaltstyp beeinflusst, das heißt auf 100 Haushalte. Bei den Alleinerzie- Navigationssystem leiten. u Abb 8
ob eine oder mehrere Personen und ob henden war der Ausstattungsbestand mit
Kinder in den Haushalten leben. Alle durchschnittlich 194 Mobiltelefonen je Fahrzeuge
Haushaltstypen – mit Ausnahme der al- 100 Haushalte ebenfalls sehr hoch. Die Laufenden Wirtschaftsrechnungen
leinlebenden Männer – zeigten Anfang Über ein Navigationsgerät verfügten liefern auch Informationen über die Aus-
2015 einen Ausstattungsgrad mit Fest- Anfang 2015 knapp 50 % der privaten stattung der Privathaushalte in Deutsch-
netztelefonen von 86 % und mehr. Die Haushalte in Deutschland. Obwohl Navi- land mit Fahrrädern und Personenkraft-

u Tab 12  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit Festnetz- und Mobiltelefon


nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2015 — in Prozent

Haushalte Alter der Haupteinkommensperson von … bis … Jahre


insgesamt 18 – 24 25 – 34 35 – 44 45 – 54 55 – 64 65 – 69 70 – 79 80 und älter

Festnetztelefon 91,5 (70,0) 82,4 90,6 92,3 91,4 94,6 96,1 97,3

Mobiltelefon 93,5 (100) 99,9 98,0 98,1 93,0 88,7 85,7 74,1

( )  Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Tab 13  Ausstattung privater Haushalte mit Festnetz- und Mobiltelefon nach dem Haushaltstyp 2015

Haushalte Paare Alleinlebende


Alleinerziehende
insgesamt mit Kind(ern) ohne Kind Frauen Männer

Ausstattungsgrad in %
Festnetztelefon 91,5 94,2 97,1 86,2 88,1 80,4
Mobiltelefon 93,5 99,3 95,7 99,7 87,6 89,2
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte
Festnetztelefon 123,6 135,0 142,6 95,2 98,4 96,8
Mobiltelefon 173,9 265,5 181,5 193,6 97,3 108,9

Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

164
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

wagen (Pkw) und damit über die Mobili- uAbb 8  Ausstattungsgrad privater Haushalte mit Navigationsgeräten nach dem
tätsmöglichkeiten der Haushalte. monatlichen Haushaltsnettoeinkommen 2015 — in Prozent
Das Fahrradfahren erfreut sich nach
wie vor großer Beliebtheit. Zu Beginn des
Jahres 2015 standen 68,2 Millionen Fahr- 5 000 –18 000 77,7
räder in privaten Haushalten. Der Aus-
3 600 – 5 000 76,9
stattungsgrad liegt seit dem Jahr 2009
konstant bei rund 81 %. Elektrofahrräder, 2 600 – 3 600 67,0

kurz E-Bikes, sind im Kommen: Privat- 1 700 – 2 600 54,3


haushalte besaßen insgesamt knapp 2 Mil-
1 300 –1 700 36,8
lionen E-Bikes. In 5,4 % der Haushalte
Haushalte
stand ein solches »elektrisches« Fahrrad. unter 1 300 19,6 insgesamt 49,7
Haushalte, in denen Kinder leben, sind
am besten mit Fahrrädern ausgestattet. monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
Sowohl die Alleinerziehenden als auch die
Paare mit Kind(ern) waren zu 93 % bezie- Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

hungsweise 94 % mit Fahrrädern ausge-


stattet. Paare ohne Kind lagen mit 83 %
leicht über dem Bundesdurchschnitt von
81 %. Von den Einpersonenhaushalten uAbb 9  Ausstattung privater Haushalte mit einem oder mehreren Fahrrädern 2015
verfügten 71 % über mindestens ein Fahr- — in Prozent
rad (Männer: 73 %, Frauen: 69 %).
Fahrräder sind in den Haushalten meist Private Haushalte mit drei
mehrfach vorhanden. Von den 29,7 Milli- und mehr Fahrrädern Private Haushalte mit einem Fahrrad
onen Haushalten mit Fahrrädern verfüg- 33,2 33,3
te ein Drittel über genau ein Fahrrad. Ein
weiteres Drittel besaß zwei Fahrräder und
ebenfalls ein Drittel drei und mehr Fahr-
räder. Rein rechnerisch besaß somit ein 29,7 Millionen
Rad-Haushalte
Fahrradhaushalt 2,3 Fahr­räder.  u Abb 9
Auch das Alter der Haupteinkom-
menspersonen der Haushalte spielt eine
Rolle für den Ausstattungsgrad mit Fahr­ Private Haushalte mit zwei Fahrrädern
rädern. Haushalte mit 35- bis 44-jährigen 33,5
Haupteinkommenspersonen hatten einen
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.
Ausstattungsgrad von 89 %. Haushalte mit
jüngeren oder älteren Haupteinkommens-
personen wiesen jeweils niedrigere Ausstat-
tungsgrade auf. Aber selbst in den Haushal-
ten mit 70- bis 79-jährigen Haupteinkom-
menspersonen betrug der Anteil der
Haushalte mit mindestens einem Fahrrad ren Bundesgebiet ohne Berlin-West ver- unter anderem abhängig von der Höhe
noch 72 %. Auch in den Haushalten von fügten 79 % der Haushalte über ein Auto. des monatlichen Haushaltsnettoeinkom-
80-Jährigen und Älteren ist der Besitz ei- Neu oder gebraucht? Rund 48 % der mens. Mit steigendem Nettoeinkommen
nes Fahrrads durchaus keine Seltenheit: Privathaushalte besaßen einen oder sogar kaufen die Haushalte eher Neuwagen. Bei
Rund 47 % besaßen mindestens ein Fahr- mehrere Gebrauchtwagen, in 34 % der einem monatlichen Haushaltsnettoein-
rad – wobei die Ausstattung nichts über Haushalte stand ein Neuwagen, das heißt kommen von 5 000 bis unter 18 000 Euro
die tatsächliche Nutzung verrät. ein Auto, das zurzeit des Kaufs fabrikneu lag der Ausstattungsgrad mit Neuwagen
Mindestens ein Auto stand Anfang war. Der Anteil der Haushalte mit geleas- mit 52 % weit über dem Durchschnitts-
2015 in 77 % der privaten Haushalte in ten Pkw lag bei 3 %. u Tab 14 wert aller privaten Haushalte (34 %). Im
Deutschland. In den neuen Ländern und Die Entscheidung zwischen »neu« Gegensatz dazu lag der Neuwagenanteil
Berlin lag der Anteil bei 72 %, im frühe- oder »gebraucht« beim Kauf eines Pkw ist in Haushalten der beiden untersten Ein-

165
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Tab 14  Ausstattung privater Haushalte mit Personenkraftwagen 2015


Früheres Bundesgebiet Neue Länder
Deutschland
ohne Berlin-West und Berlin

Ausstattungsgrad in %
Personenkraftwagen 77,4 78,9 71,8
 fabrikneu gekauft 34,4 34,9 32,3
 gebraucht gekauft 48,3 49,4 44,2
 geleast1 3,4 3,6 (2,5)
Ausstattungsbestand je 100 Haushalte
Personenkraftwagen 104,6 108,0 91,9
 fabrikneu gekauft 39,2 40,2 35,6
 gebraucht gekauft 61,6 63,7 53,6
 geleast1 3,8 4,0 (2,7)

1  Einschließlich Firmenwagen, die auch privat genutzt werden dürfen. Keine Ratenkäufe.
( )  Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

u Tab 15  Ausstattung privater Haushalte mit Personenkraftwagen nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2015

Haushalte Alter der Haupteinkommensperson von ... bis ... Jahre


insgesamt 18 – 24 25 – 34 35 – 44 45 – 54 55 – 64 65 – 69 70 – 79 80 und älter

Ausstattungsgrad in Prozent 77,4 (44,5) 71,5 81,6 83,6 77,6 79,1 76,0 53,6

Ausstattungsbestand je
104,6 (51,2) 92,8 114,2 125,8 108,6 94,7 85,3 56,3
100 Haushalte

( )  Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.


Ergebnisse der Laufenden Wirtschaftsrechnungen.

kommensgruppen (unter 1 300 Euro so- Bei Haushalten von Paaren mit stellt die Überschuldungsstatistik Infor-
wie 1 300 bis unter 1 700 Euro) bei 14 % Kind(ern) lag 2015 der Ausstattungsgrad mationen zu den sozioökonomischen
beziehungsweise bei 29 %. mit Pkw (94 %) sehr viel höher als bei Strukturen überschuldeter Personen be-
Eine Betrachtung der Anzahl der Pkw Haushalten von Alleinerziehenden (69 %) reit und gibt einen Überblick über die
in den privaten Haushalten zeigt die ein- und Alleinlebenden (59 %). Rund 91 % der Auslöser der finanziellen Notlage sowie
kommensabhängigen Unterschiede noch Haushalte von Paaren ohne Kind besa- über die Art und Anzahl der Hauptgläubi-
deutlicher: In 100 Haushalten der unters- ßen ein Auto. ger. Die Daten hierzu beruhen auf den
ten Nettoeinkommensklasse waren 46 Pkw Angaben der Schuldnerberatungsstellen.
zu finden, die Haushalte der höchsten Ein- 6.1.6 Überschuldung und Seit Einführung der neuen Insolvenz-
kommensklasse besaßen mit 195 Pkw je Privatinsolvenz ordnung im Jahr 1999 nutzten bis Ende
100 Haushalte rund viermal so viele Autos. Bei Personen, die als absolut überschuldet 2014 rund 1,1 Millionen Privatpersonen,
Bei der Ausstattung mit Pkw spielt gelten, sind die Zahlungsrückstände so die als Verbraucher in eine Notlage gera-
auch das Alter der Haupteinkommens- gravierend, dass als letzter Ausweg nur die ten sind, ein Verbraucherinsolvenzver-
person eine Rolle. Haushalte mit 45- bis Privatinsolvenz bleibt. Die Insolvenzord- fahren, um von ihren restlichen Schulden
54-jährigen Haupteinkommenspersonen nung eröffnet Privatpersonen seit 1999 die befreit zu werden. Weitere rund 544 000
wiesen mit einem Ausstattungsgrad von Möglichkeit, nach einer sogenannten Personen, die ebenfalls als absolut über-
84 % die höchste Ausstattung auf. In Wohlverhaltensphase von ihren Restschul- schuldet gelten, wurden durch das
Haushalten der anderen Altersgruppen den befreit zu werden. Die Insolvenzge- ­Scheitern einer selbstständigen Tätigkeit
waren Autos rarer. Haushalte mit 18- bis richte liefern Daten zur absoluten Über- ­zahlungsunfähig. Auch sie haben die
24-jährigen Haupteinkommenspersonen schuldung von Privatpersonen – nicht ­Möglichkeit, ihre Schulden gerichtlich
besaßen mit 45 % am seltensten einen Haushalten – die das Insolvenzverfahren regulieren zu lassen. Mit Ausnahme von
Pkw. u Tab 15 in Anspruch nehmen. Darüber hinaus 2008 hat die Gesamtzahl der Privatinsol-

166
Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung  / 6.1  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

venzen bis 2010 von Jahr zu Jahr zuge- u Abb 10  Entwicklung der Verbraucherinsolvenzen 1999 bis 2014 — in Tausend
nommen; seit 2011 ist sie jedes Jahr ge-
sunken. Im Jahr 2014 gab es rund 86 000
Verbraucherinsolvenzen. Dabei muss der 108,8
105,2 103,3
Auslöser für die Überschuldung nicht in 98,1
101,1
96,6 97,6
der Gegenwart liegen, sondern kann vie- 91,2
86,3
le Jahre zurückreichen. u Abb 10
Die gerichtlichen Akten informieren
68,9
zwar vollständig über die Zahl der Pri-
vatinsolvenzen, nicht jedoch über die Ge-
samtzahl aller überschuldeten Personen. 49,1
Sie enthalten auch keine Informationen
zum Personenkreis und zu den Umstän- 33,6

den, die zur Überschuldung geführt ha- 21,4


ben. Um Aussagen zu den sozioökonomi- 13,3
10,5
schen Strukturen der überschuldeten 3,4
Personen treffen zu können sowie die Ur-
sachen und Hauptgläubiger statistisch zu 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

belegen, werden seit dem Jahr 2006 zu-


Ohne ehemals Selbstständige.
sätzlich Schuldnerberatungsstellen nach
ihrer Klientel befragt. Mit dieser freiwil-
ligen Erhebung kann über die Insolvenz-
statistik hinaus ein wesentlicher Beitrag
zur Darstellung der Schuldensituation
von Privatpersonen geleistet werden. Überschuldete im Durchschnitt mit dem 34-fachen
Schuldnerberatungsstellen haben die ihres ­Monatseinkommens im Minus
Aufgabe, Menschen, die in wirtschaftliche Die durchschnittlichen Schulden einer er all seine regelmäßigen Einkünfte
oder existenzielle Not geraten sind oder überschuldeten Person, die im Jahr für den Schuldendienst einsetzen
zu geraten drohen, eine angemessene Hil- 2014 die Hilfe einer Beratungsstelle in könnte (Überschuldungs­i ntensität).
festellung zu leisten. Diese zielt ab auf Anspruch genommen hat, betrugen Dabei müssten überschuldete Män-
eine Sanierung der wirtschaftlichen Ver- 34 504 Euro. Das war knapp das 34- ner in diesem hypothetischen Modell
hältnisse der Betroffenen. Darüber hinaus fache des durchschnittlichen monat­ 39 Monatseinkommen für die Rück-
gehört auch die Erörterung von Präventi- lichen Einkommens dieses Personen- zahlung aufwenden. Bei überschulde-
onsmaßnahmen zum Beratungsangebot. kreises (1 020 Euro). Ein durchschnitt- ten Frauen wäre diese Zeit mit 28 Mo-
Durch ihre Tätigkeit verfügen die Bera- licher Schuldner bräuchte demnach naten kürzer, aber auch noch deutlich
tungsstellen über einen großen Datenpool 34 Monate, um seine Verbindlichkei- über zwei Jahre.
zur Überschuldungssituation, der sich ten komplett zurückzuzahlen, wenn
auch für statistische Zwecke nutzen lässt.
Von 395 der rund 1 400 Beratungsstellen,
die unter der Trägerschaft der Verbrau-
cher- und Wohlfahrtsverbände sowie der
Kommunen stehen, wurden für das Jahr
2014 die Daten von etwa 103 000 Personen
übermittelt. Allerdings müssen diese Per- tus. Nicht selten kommt es zur gesell- des Partners, eine Krankheit oder ein Un-
sonen nicht zwangsläufig überschuldet schaftlichen Ausgrenzung, denn Arbeits- fall Auslöser der Misere. Arbeitslosigkeit
sein, teilweise ist auch nur eine vorüber- losigkeit und unerwartete gravierende wurde für 19 % der beratenen Personen
gehende Zahlungsstörung eingetreten Änderungen der Lebensumstände stellen als Hauptgrund für ihre finanziellen
oder die Folgen einer Zahlungsunwillig- für sich genommen schon eine schwere Schwierigkeiten genannt. Selbstverschul-
keit sollen ausgeräumt werden. Belastung dar, auch ohne die damit ver- dete Zahlungsschwierigkeiten wegen un-
Menschen, die – verschuldet oder un- bundenen finanziellen Folgen. Bei einem wirtschaftlicher Haushaltsführung oder
verschuldet – in finanzielle Not geraten Viertel (25 %) waren kritische Lebens- gescheiterter Immobilienfinanzierung
sind, verlieren häufig ihren sozialen Sta- ereignisse wie eine Scheidung, der Tod waren bei etwa 14 % der beratenen Perso-

167
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.1 /  Einnahmen, Ausgaben und Ausstattung privater Haushalte, private Überschuldung

u Abb 11  Beratene Personen nach dem Hauptauslöser der Überschuldung, wenn man die Werte der Größe nach sor-
ausgewählte Ergebnisse 2014 — in Prozent tiert. Für die Überschuldung bedeutet
das, dass die Schulden von 50 % der
Schuldner über 9 000 Euro liegen. Bei den
Arbeitslosigkeit 19,1 anderen 50 % dieser Schuldner jedoch lie-
Trennung, Scheidung,
gen die Zahlungsrückstände darunter.
12,4
Tod des Partners Zum Vergleich: Für alle überschuldeten
Erkrankung, Personen insgesamt beträgt der Median
12,1
Sucht, Unfall der Schuldenhöhe etwa 13 000 Euro.
unwirtschaftliche
11,2
Auch bei Personen, die weder Ver-
Haushaltsführung
pflichtungen aus Hypothekenverbindlich-
gescheiterte
8,1 keiten haben noch früher selbstständig wa-
Selbstständigkeit
ren, entfallen knapp die Hälfte aller Schul-
gescheiterte den auf Banken in Form von Raten- und
2,4
Immobilienfinanzierung
Dispositionskrediten. Mit großem Ab-
stand folgen die Schulden bei Inkassobü-
ros (15 %) sowie öffentlichen Gläubigern,
wie beispielsweise Finanzämtern (6 %).
u Abb 12  Durchschnittliche Schulden Betrachtet man alle Überschuldeten,
nach Altersklassen 2014 — je Schuldner in Tausend Euro so stehen Personen, die ihren Verpflich-
tungen für in Anspruch genommene Ra-
tenkredite nicht mehr nachkommen kön-
bis 24 7,6 nen, bei ihren Banken im Durchschnitt
mit rund 23 000 Euro im Soll. Hat eine
25 – 34 16,6
Person Schulden bei anderen Privatper-
35 – 44 28,5
sonen, so belaufen sich diese auf durch-
schnittlich etwa 12 000 Euro. Für nicht
45 – 54 30,1 geleistete Unterhaltsverpflichtungen er-
gibt sich ein durchschnittlicher Rück-
55 – 64 31,2
stand von knapp 8 000 Euro.
65 und älter 29,6 Je nach Alter und Lebensform gibt es
unterschiedliche Schwerpunkte, was die
im Alter von … bis … Jahren Art und die Höhe der Schulden anbe-
langt. Aus den Erkenntnissen, die die
Ohne ehemals Selbstständige und Personen mit Hypothekarkrediten. Überschuldungsstatistik bietet, sind eini-
ge beispielhaft herausgegriffen: So sind
die 20 bis 24-jährigen Überschuldeten
zwar mit der niedrigsten Summe an Ra-
tenkrediten in Rückstand (durchschnitt-
nen ausschlaggebend für die Inanspruch- und die Verbindlichkeiten aus früherer lich knapp 6 000 Euro), weisen allerdings
nahme des Dienstes einer Beratungsstelle. Selbstständigkeit enthalten sind. Diese mit durchschnittlich etwa 2 000 Euro mit
Bei rund 8 % der beratenen Personen lag Schulden sind überwiegend höher als an- die höchsten nicht beglichenen Telefon-
der Hauptgrund für die Überschuldung dere Schuldenarten. rechnungen auf. Die höchsten durch-
im Scheitern der Selbstständigkeit. u Abb 11 Bei Ausschluss der Personen mit Hy- schnittlichen Schulden bei Versandhäu-
Rund ein Drittel (33 %) aller 2014 be- pothekenverbindlichkeiten und der ehe- sern haben Personen von 65 bis 69 Jahren
ratenen Personen hatten nicht mehr als mals Selbstständigen lässt sich eine mit über 3 000 Euro. Die höchsten durch-
vier Gläubiger. Im Durchschnitt beliefen Schuldenlast von durchschnittlich etwa schnittlichen Mietrückstände weisen die
sich die Schulden aller einbezogenen Per- 24 000 Euro errechnen. Wird an dieser 55- bis 64-Jährigen mit fast 5 000 Euro
sonen auf gut 34 000 Euro. Dabei ist zu Stelle statt des Durchschnitts der Median auf. Schulden aus Unterhaltsverpf lich-
berücksichtigen, dass in dieser Summe berechnet, ergibt sich ein Wert von gut tungen haben vor allem Männer: alleinle-
auch die hypothekarisch gesicherten 9 000 Euro. Der Median ist rechnerisch bende Männer sind dabei durchschnitt-
­K redite für die Immobilienfinanzierung die Zahl, die genau in der Mitte liegt, lich mit gut 8 000 Euro verschuldet. u Abb 12

168
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung  / 6.2  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

6.2 Die Verminderung von Armut und sozia-


ler Ausgrenzung ist eines der Kernziele
jene Einkünfte mit berücksichtigt, die un-
regelmäßig oder nur einmal im Jahr (zum
Armutsgefähr- der Wachstumsstrategie »Europa 2020«, Beispiel das Weihnachtsgeld) gezahlt wer-
dung und materi- die der Rat der Europäischen Union (EU)
im Jahr 2010 für den Zeitraum bis 2020
den. Das Haushaltseinkommen setzt sich
aus den Einkünften aller Haushaltsmit-
elle Entbehrung beschlossen hat. Die Sozialindikatoren glieder zusammen, die im Laufe eines Ka-
zur Messung der Armutsgefährdung, der lenderjahres gezahlt wurden und somit
materiellen Entbehrung und der sozialen Einfluss auf die allgemeine finanzielle Si-
Kristina Kott, Birgit Kuchler
Ausgrenzung haben dabei eine herausge- tuation des Haushalts haben. u Info 2
hobene Bedeutung. Die ­Europäische Ge- Zudem wird angenommen, dass
Destatis meinschaftsstatistik über Einkommen ·· alle Haushaltsmitglieder ihre Einkünfte
und Lebensbedingungen der Bevölkerung zur Verfügung stellen,
(European Union Statistics on Income ·· alle Haushaltsmitglieder das gleiche
and Living Conditions – EU-SILC) ist die Wohl­fahrtsniveau erreichen,
zentrale amtliche Datenquelle für die eu- ·· Mehrpersonenhaushalte gegenüber Ein­
ropäische Sozialberichterstattung. Auf der personenhaushalten Einspareffekte auf­
Grundlage dieser Erhebung ermittelt das grund des gemeinsamen Wirtschaftens
Statistische Amt der Europäischen Union haben.
(Eurostat) jährlich Kennzahlen zur aktu- Anschließend wird das Haushaltsnetto-
ellen Einkommens- und Lebenssituation einkommen in ein gewichtetes Pro-Kopf-
der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten. Einkommen, das sogenannte Nettoäqui-
Die Bezeichnung der deutschen valenzeinkommen umgewandelt. u Info 3
­E U-SILC-Erhebung lautet LEBEN IN Wie hoch sind die durchschnittlichen
EUROPA. In dem vorliegenden Kapitel Einkommen und die Einkommensunter-
werden die wichtigsten Sozialindikato- schiede zwischen den verschiedenen sozia-
ren zur Messung der Armutsgefährdung, len Gruppen?
der materiellen Entbehrung und der so- Im Jahr 2014 betrug das Medianein-
zialen Ausgrenzung auf Basis der EU- kommen in Deutschland 19 733 Euro.
SILC-Erhebung 2014 vorgestellt. u Info 1 Danach hatte die eine Hälfte der Bevölke-
rung mindestens 19 733 Euro zur Verfü-
6.2.1 Einkommensverteilung gung, die andere Hälfte weniger. Der
Grundlage für die Ermittlung des Ein- Mittelwert lag dagegen mit 22 537 Euro
kommens einer Person ist die möglichst etwas höher.
umfassende Messung des verfügbaren Wird nur der obere und der untere
jährlichen Nettoeinkommens des Haus- Rand der Einkommensverteilung betrach-
halts, in dem die Person lebt. Berichtszeit- tet, so verfügten die ärmsten 10 % der
raum für die Einkommensmessung in ­Bevölkerung nur über knapp die Hälfte
EU-SILC ist das gesamte vorangegangene des Medianeinkommens (Verhältnis des
Kalenderjahr. Neben den regelmäßigen 1. Dezils zum 5. Dezil). Die reichsten 10 %
monatlichen Einkünften werden auch der Bevölkerung hatten dagegen fast das

u Info 1
LEBEN IN EUROPA
In Deutschland wird die amtliche Erhebung EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living
Conditions) unter der Bezeichnung LEBEN IN EUROPA seit 2005 jährlich durchgeführt und liefert eine
Vielzahl von Sozialindikatoren für Deutschland. Die Befragung erfolgt schriftlich in vier aufeinanderfolgen-
den Jahren und besteht aus einem Haushaltsfragebogen und einem Personenfragebogen für Haushalts-
mitglieder ab 16 Jahren. An LEBEN IN EUROPA nehmen jedes Jahr zwischen 13 000 und 14 000 Privat-
haushalte teil, wobei jedes Jahr ein Viertel der Stichprobe ersetzt wird (Rotationspanel).

169
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.2 /  Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

Doppelte des Medianeinkommens zur u Info 2

Verfügung (Verhältnis des 5. Dezils zum Haushaltsnettoeinkommen


9. Dezil). u Info 4, Tab 1 Grundlage für Einkommens- und Armutsanalysen bei LEBEN IN EUROPA ist das verfügbare
Einen Überblick über die Einkom- ­Haushaltsnettoeinkommen aus dem Vorjahr der Erhebung (Einkommensbezugsjahr), das sich
­ergibt aus dem Bruttoeinkommen eines Haushalts nach Abzug von:
mensspreizung in der Bevölkerung geben
die relativen Einkommenspositionen. ‧‧ Steuern,
‧‧ Sozialversicherungsbeiträgen,
Hierbei wird das Nettoäquivalenzeinkom- ‧‧ regelmäßigen Vermögensteuern und
men einer Person ins Verhältnis zum Medi- ‧‧ regelmäßig zwischen Privathaushalten geleisteten Zahlungen.
aneinkommen gesetzt und als relativer An- Das Bruttoeinkommen eines Haushalts besteht aus haushalts- und personenbezogenen
teil vom Medianeinkommen ausgewiesen. ­Komponenten. Zum haushaltsbezogenen Bruttoeinkommen zählen:
Danach standen im Jahr 2014 knapp 11 % ‧‧ Einkommen aus Vermietung und Verpachtung,
der Bevölkerung die Hälfte oder weniger ‧‧ Familienleistungen (Kindergeld) und Wohnungsbeihilfen,
des Medianeinkommens zur Verfügung. ‧‧ Sozialgeld, Sozialhilfe, bedarfsorientierte Grundsicherung,
‧‧ regelmäßig empfangene Geldtransfers zwischen privaten Haushalten
Weitere 18 % der Bevölkerung verfügten (zum Beispiel Unterhaltszahlungen),
über ein Nettoäquivalenzeinkommen zwi- ‧‧ Zinsen, Dividenden und Gewinne aus Kapitalanlagen,
schen 50 % und 75 % des Medianeinkom- ‧‧ Einkünfte von Haushaltsmitgliedern unter 16 Jahren.

mens. Etwa 13 % der Bevölkerung verfüg- Hinweis: Schätzwerte für unterstellte Mieten bei selbst genutztem Wohneigentum (sogenannte
ten über ein Nettoäquivalenzeinkommen Eigentümermietwerte) werden hier, anders als in anderen amtlichen Statistiken (zum Beispiel
der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe), nicht zum verfügbaren Haushaltseinkommen hin-
zwischen 151 % und 200 % des Medianein- zugerechnet. Zum personenbezogenen Bruttoeinkommen zählen:
kommens. Knapp 8 % standen mehr als
‧‧ Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Tätigkeit in Form von Geld oder geldwerten
200 % und damit mehr als das Doppelte ­Sachleistungen und/oder Sachleistungen (zum Beispiel Firmenwagen),
des Medianeinkommens zur Verfügung. ‧‧ Bruttogewinne und -verluste aus selbstständiger Tätigkeit in Form von Geldleistungen
Auf europäischer Ebene werden als ­(einschließlich Lizenzgebühren),
‧‧ Arbeitslosengeld I und II, Übertragungen der Arbeitsförderung,
Maß für die Einkommensungleichheit die ‧‧ Alters- und Hinterbliebenenleistungen,
S80 / S20 Rate und der Gini-Koeffizient ‧‧ Krankengeld und Invaliditätsleistungen,
‧‧ ausbildungsbezogene Leistungen.
herangezogen. Danach stand den reichs-
ten 20 % der Bevölkerung im Jahr 2014 in
der Summe rund fünfmal so viel Einkom-
men zur Verfügung wie den ärmsten 20 %
der Bevölkerung. Der Gini-Koeffizient
u Info 3
wies für Deutschland im Jahr 2014 einen
Nettoäquivalenzeinkommen
Wert von 0,31 auf. u Info 5
Das Nettoäquivalenzeinkommen ist ein Pro-Kopf-Einkommen, das berücksichtigt, in welcher Art
von Haushalt die Menschen leben, um das Wohlstandsniveau von Haushalten unterschiedlicher
6.2.2 Armutsgefährdung Größe und Zusammensetzung vergleichbar zu machen.
Die Messung der Armutsgefährdung in Es ist eine fiktive Rechengröße, die aus der Haushaltszusammensetzung und dem Haushaltsnetto-
der europäischen Sozialberichterstattung einkommen abgeleitet wird. Bei diesem Verfahren wird dem ersten erwachsenen Haushaltsmitglied
orientiert sich an einer relativen Definiti- ein Bedarfsgewicht von 1,0 und jedem weiteren Haushaltsmitglied ab 14 Jahren ein Bedarfs­
gewicht von 0,5 sowie Haushaltsmitgliedern unter 14 Jahren ein Bedarfsgewicht von 0,3 zuge-
on von Armut und folgt damit einem ordnet (nach modifizierter OECD-Skala). Das Haushaltsnettoeinkommen wird durch die Summe
Ratsbeschluss der Europäischen Union der Bedarfsgewichte (Gesamtbedarfsgewicht) geteilt und der sich daraus ergebende Betrag je-
von 1984 über gezielte Maßnahmen zur dem Haushaltsmitglied als sein persönliches Nettoäquivalenzeinkommen beziehungsweise
Pro-Kopf-Einkommen zugewiesen. Durch diese Äquivalenzgewichtung ist die Einkommens­
Bekämpfung der Armut auf Gemein- situation einer Person aus einem Einpersonenhaushalt nun direkt vergleichbar mit der Ein­
schaftsebene. Danach gelten Personen als kommens­s ituation einer Person aus einem Mehrpersonenhaushalt. Zugleich kann die Ein­
kommensverteilung in der Gesamtbevölkerung betrachtet werden.
»verarmt«, »wenn sie über so geringe (ma-
terielle, kulturelle und soziale) Mittel ver- Ein Beispiel: Zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren erhalten ein Gesamtbedarfs-
gewicht von 2,1 (1,0 + 0,5 + 0,3 + 0,3). Beläuft sich das verfügbare Nettoeinkommen eines
fügen, dass sie von der Lebensweise aus-
    

­solchen Haushalts auf 2 000 Euro monatlich, so ergibt sich als Nettoäquivalenzeinkommen
geschlossen sind, die in dem Mitglied- 952,38 Euro monatlich (= 2 000 Euro geteilt durch 2,1), das jedem Haushaltsmitglied zugewiesen
staat, in dem sie leben, als Minimum wird. Es wird also nicht die Zahl der Köpfe zugrunde gelegt, sondern das Gesamtbedarfsge-
wicht, das (mit Ausnahme von Einpersonenhaushalten) immer niedriger ist als die tatsäch­liche
annehmbar ist«. Ausgehend von dieser Anzahl der Personen im Haushalt, da in größeren Haushalten wirtschaftliche Einspar­effekte
Sichtweise gilt in EU-SILC eine Person auftreten (zum Beispiel durch gemeinsame Nutzung von Wohnraum und Haushaltsgeräten).
als armutsgefährdet, wenn ihr Nettoäqui- Der Vier-Personen-Beispielhaushalt mit zwei erwachsenen Personen und zwei Kindern unter
14 Jahren benötigt bei der Berechnung also deshalb nicht das Vierfache, sondern nur das
valenzeinkommen weniger als 60 % des 2,1-Fache des Einkommens eines Einpersonenhaushalts, um das gleiche Wohlstandsniveau
nationalen Medianeinkommens beträgt. wie der Einpersonenhaushalt zu erreichen.

170
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung  / 6.2  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

u Info 4 Bei einem Medianeinkommen von


Medianeinkommen, Mittelwert und Dezile 19 733 Euro im Jahr 2014 lag der Schwel-
Das durchschnittliche Einkommen in der Bevölkerung wird in der Regel durch das Medianein­ lenwert für die Armutsgefährdung bei
kommen oder durch den Mittelwert dargestellt. Bei der Ermittlung des Medianeinkommens werden 11 840 Euro (60 % vom Medianeinkom-
die Ein­kommen der Personen der Höhe nach angeordnet. Das Medianeinkommen präsentiert
­hierbei den Einkommensbetrag, der die Bevölkerung in zwei Hälften teilt: Die untere Hälfte der
men). Umgerechnet auf das monatliche
­B evölkerung hat weniger als das Medianeinkommen zur Verfügung; die obere Hälfte hat mehr als Einkommen bedeutet dies, dass in
das Medianein­kommen zur Verfügung. Deutschland im Jahr 2014 eine Person als
Bei der Ermittlung des Mittelwerts (arithmetischer Mittelwert, Durchschnitt) wird die Summe der Ein- armutsgefährdet galt, wenn ihr Nettoäqui-
kommen von allen Personen gebildet. Diese Summe wird anschließend durch die Anzahl der Personen valenzeinkommen weniger als 987 Euro
geteilt. Das Ergebnis ist ein Einkommensbetrag, der den Mittelwert über alle Einkommen präsentiert.
im Monat betrug.
Aussagen über die damit verbundene Einkommensspreizung in der Bevölkerung werden möglich,
Dies traf im Jahr 2014 in Deutschland
wenn die Bevölkerung – nach der Höhe der Einkommen – in gleich große Gruppen unterteilt wird.
Wird die Bevölkerung zum Beispiel in zehn gleiche große Gruppen (Dezile) unterteilt, können die für 16,7 % der Bevölkerung zu. Seit dem
ärmsten 10 % der Bevölkerung mit den reichsten 10 % der Bevölkerung verglichen werden. Das Maxi- Jahr 2008 (15,2 %) ist der Anteil der von
mum des 5. Dezils präsentiert hierbei den Wert, der auch als Medianeinkommen bekannt ist, weil
das 1. bis 5. Dezil die untere Hälfte der Bevölkerung abbildet und das 6. bis 10. Dezil die obere
relativer Armut bedrohten Bevölkerung
Hälfte der Bevölkerung. stetig angestiegen. u Abb 1
Die Armutsgefährdungsquote von
Frauen lag 2014 mit 17,4 % etwas höher als
u Tab 1 Einkommensverteilung
die von Männern (15,9 %). Frauen waren
2014 in fast allen Altersgruppen von einer
Medianeinkommen in Euro 19 733 ­höheren Armutsgefährdung betroffen als
Dezilverhältnisse Männer. Das höchste Armutsgefähr-
1:5-Dezilverhältnis 0,49 dungsrisiko im Hinblick auf die Merk­
9:5-Dezilverhältnis 1,87 male Alter und Geschlecht wiesen Frauen
1:9-Dezilverhältnis 0,27 in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen
Relative Einkommensposition — in % der Bevölkerung auf. Hier waren 24,0 % der Frauen armuts-
von ... bis ... % des Medianeinkommens gefährdet. Bei den Männern dieser Alters-
unter 50 10,7
gruppe war die Armutsgefährdungsquote
50 – 75 17,7
um knapp 7 Prozentpunkte niedriger
76 – 100 22,0
(17,4 %), aber ebenfalls überdurchschnitt-
101 – 125 16,6
lich hoch. Darüber hinaus haben sowohl
126 – 150 12,4
Frauen als auch Männer gegen Ende ihres
151 – 200 12,8
Erwerbslebens ein überdurchschnittlich
mehr als 200 7,8
hohes Armutsgefährdungsrisiko. So waren
S80 / S20 Rate 5,1
Gini-Koeffizient 0,31
19,4 % der Frauen und 21,6 % der Männer
in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jähri-
gen armutsgefährdet. In der Altersgruppe
der 65-Jährigen und Älteren beziehungs-
u Info 5
weise in der Phase des Ruhestands sinkt
S80 / S20 Verhältnis und Gini-Koeffizient
das Armutsgefährdungsrisiko bei Frauen
Um den relativen Einkommensabstand zwischen dem oberen und unteren Rand der Einkommensver-
teilung (das sogenannte S80 / S20-Verhältnis) zu beschreiben, wird das Nettoäquivalenzeinkommen
und Männern – allerdings in unterschied-
der Personen der Höhe nach geordnet und in Quintile (fünf gleich große Teile) geteilt. Das unterste lichem Maße. Während die Armutsge-
Quintil repräsentiert dabei das Fünftel der Bevölkerung mit den niedrigsten Einkommen, das oberste fährdungsquote bei den Frauen in dieser
Quintil das Fünftel der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen. Die Summe der Einkommen aus
dem obersten Quintil, dividiert durch die Summe der Einkommen aus dem untersten Quintil, ergibt Altersgruppe mit 18,4 % überdurchschnitt-
dann den Wert für das S80 / S20-Verhältnis. Dieser Wert beschreibt, um wie viel höher das Einkommen lich blieb, hatten Männer in diesem Alter
des obersten Fünftels im Vergleich zum untersten Fünftel ist. Allerdings ist diese Darstellung empfindlich mit 14,0 % ein deutlich unterdurchschnitt-
gegenüber Ausreißern, weil hier nicht die Quintilsgrenzen, sondern die Summe der Einkommen aus
dem untersten Quintil mit der Summe der Einkommen aus dem obersten Quintil verglichen wird. Die An- liches Risiko. u Tab 2
gaben einer einzelnen Person können die jeweilige Summe und damit das Ergebnis stark beeinflussen. Bezogen auf verschiedene Haus-
Ein anderes, häufig benutztes Verteilungsmaß ist der Gini-Koeffizient, ein statistisches Konzentrations- haltstypen zeigt sich, dass im Jahr 2014
maß. Auf Einkommensdaten angewendet zeigt der Gini-Koeffizient an, wie gleich oder ungleich Einkom- mit 29,4 % fast jede dritte Person in Haus-
men über eine Personengruppe verteilt sind. Bei der Berechnung wird die Ungleichheit in der Einkom-
halten von Alleinerziehenden armutsge-
mensverteilung auf Basis aller individuellen Nettoäquivalenzeinkommen einer Personen­gruppe ermittelt.
Der Gini-Koeffizient kann Werte zwischen Null (absolute ­Gleichheit) und 1 (absolute Konzentration) an- fährdet war. Noch etwas höher war das
nehmen. Je näher der Wert an 1 liegt, desto größer ist die Ungleichheit in der Einkommensverteilung. Armutsgefährdungsrisiko bei Alleinleben-

171
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.2 /  Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

uAbb 1  Ausgewählte Indikatoren zur Messung von Armut und geringste Armutsgefährdungsrisiko auf
materieller Entbehrung — in Prozent (6,9 %). Je höher also die Arbeitsmarkt­
beteiligung der potenziell erwerbsfähigen
Haushaltsmitglieder und damit des Haus-
24
halts insgesamt ist, desto geringer ist folg-
lich auch das Armutsgefährdungsrisiko
20
der Personen in diesen Haushalten.
Neben dem Erwerbsstatus werden die
16
Personen auch zu ihrem erreichten Bil-
12
dungsabschluss befragt. Mit Blick auf das
Armutsgefährdungsrisiko waren 10,5 %
8
der Personen mit einem hohen Bildungs-
stand und 16,0 % der Personen mit einem
4 mittleren Bildungsstand armutsgefährdet.
Bei Personen mit einem niedrigen Bil-
0 dungsstand waren 29,1 % armutsgefährdet.
2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffene Bevölkerung 6.2.3 Materielle Entbehrung
Armutsgefährdungsquote
Bevölkerung in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung Messung der materiellen Entbehrung
von erheblicher materieller Entbehrung betroffene Bevölkerung Während für die Definition von Armuts-
gefährdung die finanziellen Ressourcen
bei der Beschreibung der Lebenslage aus-
schlaggebend sind, geht es bei der Mes-
sung der materiellen Entbehrung vor
­a llem um eine Bewertung der eigenen
Situation in den verschiedenen Lebensbe-
den (32,9 %). Leben zwei Erwachsene – halten lebten, in denen die Personen als reichen. Dieser in der europäischen Sozial-
­a llein oder mit Kind(ern) – in einem armutsgefährdet galten. Bei den arbeits­ berichterstattung verwendete Ansatz geht
Haushalt ist das Armutsgefährdungsrisiko losen Personen waren es dagegen 67,4 %. auf den relativen Deprivationsansatz von
dagegen deutlich geringer. So waren Und bei den Personen im Ruhestand leb- Peter Townsend zurück, der davon aus-
11,6 % der Personen aus Haushalten ar- ten 16,7 % in Haushalten, in denen die ging, dass es in einer Gesellschaft – trotz
mutsgefährdet, in denen nur zwei Er- Personen als armutsgefährdet galten. der Pluralität von Lebensstilen und den
wachsene unter 65 Jahren lebten und nur Da bei dieser Betrachtung der Erwerbs- unterschiedlichen Bedürfnissen von
11,3 % der Personen aus Haushalten mit status der anderen erwachsenen und somit Haushalten unterschiedlicher Größe und
zwei Erwachsenen und Kind(ern). Von al- potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmit- Struktur – so etwas wie einen messbaren
len Haushaltstypen haben Personen aus glieder im Haushalt unberücksichtigt allgemeinen Lebensstil oder allgemeinen
Haushalten von Alleinerziehenden und bleibt, ist es sinnvoll, zusätzlich die Ar- Lebensstandard gibt. Je weniger eine Per-
Alleinlebende ein deutlich überdurch- beitsmarktbeteiligung beziehungsweise son an diesem allgemeinen Lebensstan-
schnittliches Armutsgefährdungsrisiko, Erwerbsintensität (work intensity) des ge- dard teilhaben kann, umso höher ist das
während dieses Risiko bei den anderen samten Haushalts einzubeziehen. u Info 6 Ausmaß ihrer materiellen Entbehrung
Haushaltstypen unterdurchschnittlich Danach hatten Personen aus Haushal- oder Deprivation. Ähnlich wie bei der
niedrig ist. ten mit einer sehr geringen Erwerbsinten- Messung der Armutsgefährdung wird da-
Der Erwerbsstatus von Personen wird sität (weniger als 20 %) ein Armutsgefähr- bei ein Schwellenwert zugrunde gelegt,
in der EU-SILC-Erhebung im Rahmen ei- dungsrisiko von 65,0 %. War die Arbeits- ab dem von materieller Entbehrung be-
ner Selbsteinschätzung erfragt, in der die marktbeteiligung des Haushalts insgesamt ziehungsweise einem unfreiwilligen Aus-
Personen angeben, welcher Erwerbsstatus höher aber noch unter 45 % (geringe Er- schluss vom aktuellen allgemeinen Le-
beziehungsweise welche Lebenssituation werbsbeteiligung), so war das Armutsge- bensstandard ausgegangen wird. Dafür
derzeit auf sie zutrifft. Die Analyse nach fährdungsrisiko der Personen nur noch muss der aktuelle allgemeine Lebensstan-
dem Merkmal »Erwerbsstatus« von Perso- halb so hoch (31,6 %). Wie erwartet, wie- dard bekannt sein und es muss bei der
nen über 18 Jahren zeigt, dass bei den er- sen Personen aus Haushalten mit einer Er- Messung der materiellen Entbehrung
werbstätigen Personen nur 9,9 % in Haus- werbsintensität von mindestens 85 % das ­sichergestellt sein, dass zwischen einem

172
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung  / 6.2  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

u Tab 2  Schwellenwert für Armutsgefährdung und Armutsgefährdungsquote u Info 6


Erwerbsintensität (work intensity)
2014
Die Erwerbsintensität ist ein Haushalts­
Schwellenwert für Armutsgefährdung (Euro / Jahr) 11 840 merkmal, bei dem jedes Haushaltsmitglied
Armutsgefährdungsquote in % zwischen 18 und 59 Jahren als potenziell
Insgesamt 16,7
­erwerbsfähig betrachtet wird. Die Ergebnisse
sollen sich nur auf Haushalte beziehen, in
Geschlecht und Altersgruppen denen Personen wohnen, die sich noch in
Männer 15,9 der Erwerbsphase befinden. Reine Rentner-
haushalte sind bei dieser Analyse ausge-
Frauen 17,4
schlossen beziehungsweise werden hier
unter 18 Jahren 15,1 nicht berücksichtigt. Ein Haushalt erzielt
 Männer 14,5 100 % bei der Erwerbsintensität, wenn alle
erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder auch
 Frauen 15,9
vollzeiterwerbstätig sind. Ist dagegen keines
18 bis 24 Jahre 20,6 der potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmit-
 Männer 17,4 glieder im Haushalt erwerbstätig, beträgt die
Erwerbsintensität in diesem Haushalt 0 %.
 Frauen 24,0 Auf diese Weise wird einem Zweipersonen-
25 bis 54 Jahre 15,6 haushalt mit zwei vollzeiterwerbstätigen
­Personen eine Erwerbsintensität von 100 %
 Männer 15,5
zugewiesen, während ein Zweipersonen-
 Frauen 15,7 haushalt mit einer vollzeiterwerbstätigen
55 bis 64 Jahre 20,4 ­Person und einer nicht erwerbstätigen aber
erwerbsfähigen Person eine Erwerbsinten­
 Männer 21,6
sität von insgesamt 50 % erhält. Arbeitet in
 Frauen 19,4 einem Zweipersonenhaushalt die einzige
65 Jahre oder älter 16,3 ­e rwerbstätige Person nur die Hälfte der
­Arbeitszeit, so sinkt die Erwerbsintensität für
 Männer 14,0 diesen Haushalt auf 25 %.
 Frauen 18,4
Haushaltstypen
Alleinlebende 32,9
 Männer 33,5 freiwilligen Verzicht (zum Beispiel Auto-
 Frauen 32,3 verzicht) und einem unfreiwilligen Ver-
Personen in Haushalten von … zicht unterschieden wird. Andernfalls
… zwei Erwachsenen, beide jünger als 65 Jahre 11,6 besteht die Gefahr, dass hier eher ver-
… z wei Erwachsenen, davon mindestens eine
11,4 schiedene Lebensstile an Stelle von mate-
Person 65 Jahre oder älter
rieller Entbehrung abgebildet werden.
… Alleinerziehenden 29,4
Ferner muss zwischen Ressourcen unter-
… zwei Erwachsenen mit Kind(ern) 11,3
schieden werden, über die ein Haushalt
Überwiegender Erwerbsstatus¹
autonom verfügen kann beziehungsweise
Erwerbstätig 9,9
die er kaufen kann, und Ressourcen, bei
Arbeitslos 67,4
denen dies nicht der Fall ist (zum Beispiel
Im Ruhestand 16,7
die Infrastruktur in seiner Wohnumge-
Sonstige Nichterwerbstätige 28,7
bung: Gesundheitsversorgung am Ort,
Erwerbsintensität im Haushalt
Zugang zum öffentlichen Nahverkehr).
Personen² in Haushalten mit …
Aus Sicht einer kontinuierlichen euro-
… sehr geringer Erwerbsintensität (weniger als 20 %) 65,0
päischen Sozialberichterstattung ergeben
… geringer Erwerbsintensität (20 – 44 %) 31,6
sich weitere Anforderungen an die Mes-
… mittlerer Erwerbsintensität (45 – 54 %) 14,5 sung der materiellen Entbehrung: Die Er-
… hoher Erwerbsintensität (55 – 84 %) 9,6 gebnisse zwischen den Mitgliedstaaten der
… sehr hoher Erwerbsintensität (85 –100 %) 6,9 EU sollen vergleichbar sein, aber auch die
Bildungsstatus 3 unterschiedlichen Lebensbedingungen so-
ISCED 0 bis 2 – niedrig 29,1 wie die Entwicklungen in den jeweiligen
ISCED 3 bis 4 – mittel 16,0 Gesellschaften berücksichtigen. Aus die-
ISCED 5 bis 6 – hoch 10,5 sen Gründen erfolgt die Messung der ma-
1  Personen ab 18 Jahren. Selbsteinschätzung. teriellen Entbehrung auf der Grund­lage
2  Personen unter 60 Jahren.
3  Personen ab 18 Jahren. Bildungsstatus nach der internationalen Standardklassifikation im Bildungswesen (ISCED 1997). von neun sogenannten Deprivationskrite-

173
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.2 /  Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

rien. Ein Kriterium bezieht sich auf Zah- nach der Ausstattung mit einem Auto soll- vates Auto im Haushalt. Sehr gering war
lungsrückstände bezüglich Wohnkosten ten nur Autos berücksichtigt werden, die dagegen der Anteil in der Bevölkerung, der
und Krediten. Vier Kriterien beziehen keine Dienst- oder Firmenwagen sind. Da- aus Geldgründen auf eine Waschmaschine
sich auf die Einschätzung des Haushalts nach verzichteten knapp 7 % der Bevölke- (0,5 %), einen Farbfernseher (0,3 %) oder
bezüglich dessen, was er sich aus seiner rung aus finanziellen Gründen auf ein pri- auf ein Telefon (0,3 %) verzichtete. u Tab 3
Sicht »leisten kann«, und vier Kriterien
beziehen sich direkt auf die Ausstattung
des Haushalts mit den Konsumgütern
Auto, Waschmaschine, Farbfernseher
und Telefon. Verneint der Haushalt das
Vorhandensein eines Konsumgutes, wird
u Info 7
er gefragt, ob finanzielle oder sonstige
Materielle Entbehrung
Gründe dafür ausschlag­gebend sind. Auf
Die materielle Entbehrung umfasst einerseits verschiedene Formen wirtschaftlicher Belastung wie
diese Weise kann zwischen einem frei- zum Beispiel Hypotheken- oder Mietschulden, Zahlungsrückstände oder Probleme, die Rechnungen
willigen und einem unfreiwilligen Ver- von Versorgungsbetrieben zu begleichen. Andererseits umfasst sie einen aus finanziellen Gründen
zicht unterschieden werden. Bei der Mes- erzwungenen Mangel an Gebrauchsgütern, wobei der Mangel durch die unfreiwillige Unfähigkeit –
im Unterschied zur Wahlfreiheit – bedingt ist, für gewisse Ausgaben aufkommen zu können.
sung der materiellen Entbehrung wird ­Materielle Entbehrung liegt nach der EU-Definition für EU-SILC dann vor, wenn aufgrund der Selbst­
nur der unfreiwillige Verzicht berück- einschätzung des Haushalts mindestens drei der folgenden neun Kriterien erfüllt sind:
sichtigt. Die europäische Sozialberichter- 1. Zahlungsrückstände (in den letzten zwölf Monaten) bei Hypotheken, Miete, Konsumentenkrediten
stattung unterscheidet zwischen materi- oder Rechnungen von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel Stromrechnung, Gasrechnung);
eller Entbehrung und erheblicher materi- 2. Finanzielles Problem, die Wohnung angemessen heizen zu können;
3. Finanzielles Problem, unerwartete Ausgaben in einer bestimmten Höhe aus eigenen finanziellen
eller Entbehrung. u Info 7 Mitteln bestreiten zu können;
Ähnlich wie bei der Armutsgefähr- 4. Finanzielles Problem, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine gleichwertige vegetarische
Mahlzeit einnehmen zu können;
dungsmessung wird das ermittelte Ergeb-
5. Finanzielles Problem, jährlich eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen;
nis allen Haushaltsmitgliedern in einem 6. Fehlen eines Personenkraftwagens im Haushalt aus finanziellen Gründen;
Haushalt zugeordnet und bei der Ergeb- 7. Fehlen einer Waschmaschine im Haushalt aus finanziellen Gründen;
8. Fehlen eines Farbfernsehgeräts im Haushalt aus finanziellen Gründen;
nisdarstellung als Ergebnis für die Ge- 9. Fehlen eines Telefons im Haushalt aus finanziellen Gründen.
samtbevölkerung ausgewiesen.
In der europäischen Sozialberichterstattung wird zwischen materieller Entbehrung und erheblicher
materieller Entbehrung unterschieden. Materielle Entbehrung liegt vor, wenn für einen Haushalt
Materielle Entbehrung nach ­mindestens drei der neun aufgeführten Kriterien zutreffen. Erhebliche materielle Entbehrung wird
Einzelkriterien dagegen bei Haushalten angenommen, bei denen mindestens vier der neun Kriterien zutreffen.
Im Jahr 2014 gaben knapp 6 % der Bevölke-
rung Zahlungsrückstande in den letzten
zwölf Monaten bei Hypotheken, Konsu- uTab 3  Materielle Entbehrung nach einzelnen Kriterien
mentenkrediten, Miete oder Rechnungen — in Prozent der Bevölkerung
von Versorgungsbetrieben (zum Beispiel 2014
Stromrechnung, Gasrechnung) an. Etwa
5 % der Bevölkerung konnten die Woh- Zahlungsrückstände bei Hypotheken, Konsumentenkrediten, Miete,
5,6
Rechnungen von Versorgungsbetrieben
nung aus fi
­ nanziellen Gründen nicht ange-
messen heizen. Knapp 33 % und damit je- Der Haushalt kann es sich finanziell nicht leisten …

der Dritte in der Bevölkerung konnte un- … die Wohnung angemessen warm zu halten 4,9

erwartet anfallende Ausgaben in einer … unerwartet anfallende Ausgaben in Höhe von mindestens 980 Euro aus
32,6
bestimmten Höhe (2014: 980 Euro) nicht eigenen Mitteln zu bestreiten

aus eigenen Finanzmitteln bestreiten. Für … jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Geflügel oder Fisch
7,5
knapp 8 % der Bevölkerung war es aus fi- (oder eine entsprechende vegetarische Mahlzeit) einzunehmen
nanziellen Gründen nicht möglich, jeden … jedes Jahr eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen 21,0
zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Ge-
Fehlen eines Pkw im Haushalt aus finanziellen Gründen 6,8
flügel oder Fisch oder eine hochwertige ve-
Fehlen einer Waschmaschine im Haushalt aus finanziellen Gründen 0,5
getarische Mahlzeit zu essen. Jährlich eine
Woche Urlaub woanders als zu Hause zu Fehlen eines Farbfernsehgeräts im Haushalt aus finanziellen Gründen 0,3

verbringen, war für 21 % der Bevölkerung Fehlen eines Telefons aus finanziellen Gründen 0,3

finanzbedingt nicht möglich. Bei der Frage Selbsteinschätzung der Haushalte.

174
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung  / 6.2  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

Diese Ergebnisse zeigen einerseits, dass folgendes Bild: Für knapp 62 % der Bevöl- Einkommenssituation der Personen und
für eine deutliche Mehrheit der Bevölke- kerung traf keines der neun Kriterien zu. das Vorhandensein von erheblicher mate-
rung die erfragten Kriterien zum allgemei- Diese Personen hatten weder Zahlungs- rieller Entbehrung zusammen betrachtet
nen Lebensstandard gehören. Andererseits rückstände bei den Wohnkosten und werden. Hierfür wurde das Nettoäquiva-
wird auch deutlich, dass die Bestreitung Kreditzahlungen noch mussten sie sich in lenzeinkommen der Personen der Höhe
von unerwartet anfallenden Ausgaben einem der hier betrachteten Aspekte des nach angeordnet und die Bevölkerung
(33 %) und die finanziellen Möglichkeiten allgemeinen Lebensstandards aus finan- schließlich in fünf gleich große Teile
für eine jährliche Fahrt in den Urlaub ziellen Gründen einschränken. Bei rund (Quintile) unterteilt. Danach waren im
(21 %) für einen relativ hohen Anteil in der 16 % der Bevölkerung traf genau ein Krite- Jahr 2014 bei den einkommensärmsten
Bevölkerung nicht selbstverständlich sind. rium zu; bei weiteren 11 % trafen bereits 20 % der Bevölkerung (erstes Quintil)
zwei Kriterien zu. u Abb 2 knapp 17 % von erheblicher materieller
Materielle Entbehrung und erheb­ Wie bereits erwähnt, liegt materielle Entbehrung betroffen. In der nächst
liche materielle Entbehrung Entbehrung vor, wenn mindestens drei der ­h öheren Einkommensschicht (zweites
Werden alle neun Kriterien für die Mes- neun Einzelkriterien zutreffen. 11,3 % der Quintil) traf dies für 6 % zu. In den Ein-
sung der materiellen Entbehrung be- Bevölkerung waren danach von materiel- kommensschichten des dritten, vierten
trachtet, so ergibt sich für das Jahr 2014 ler Entbehrung betroffen. Erhebliche ma- und fünften Quintils kam erhebliche
terielle Entbehrung (vier von neun ­materielle Entbehrung kaum vor. u Abb 3
­K riterien) kam bei 5,0 % der Bevölkerung
vor. Der Anteil der von erheblicher materi- 6.2.4 Armut oder soziale Ausgren-
eller Entbehrung betroffenen Bevölkerung zung: Der AROPE-Indikator
schwankt im Zeitverlauf. Im Jahr 2008 lag Auf der Basis der bisher vorgestellten bei-
u Abb 2  Materielle Entbehrung
er bei 5,5 %, wies aber durchaus in den den Sozialindikatoren zur Armutsgefähr-
nach der Anzahl der Kriterien 2014
— in Prozent der Bevölkerung Jahren 2010 und 2012 mit 4,5 % und 4,9 % dung und erheblichen materiellen Ent-
Werte von unter 5 % auf (Abbildung 1). behrung wurde ein weiterer Sozialindi-
Der enge Zusammenhang zwischen kator gebildet, der heute als die zentrale
den finanziellen Ressourcen eines Haus- statistische Kennziffer für die Messung
halts und der Teilhabe am allgemeinen von Armutsgefährdung oder sozialer
Lebensstandard wird deutlich, wenn die Ausgrenzung gilt: der AROPE-Indikator

u Abb 3  Erhebliche materielle Entbehrung nach Einkommensquintilen 2014 — in Prozent


1,7
3,3

61,5 6,3 Haushalte


insgesamt
5,0

1. Quintil 16,5
10,9

2. Quintil 6,0

3. Quintil 1,7
16,3
4. Quintil 0,5

5. Quintil 0,2
Kein Kriterium Anzahl der Kriterien,
trifft zu die zutreffen

1 2 3 4 5 und mehr

Selbsteinschätzung der Haushalte. Selbsteinschätzung der Haushalte.

175
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.2 /  Armutsgefährdung und materielle Entbehrung

(At risk of poverty or social exclusion). u Tab 4  AROPE-Indikator und seine Teilaspekte — in Prozent der Bevölkerung
Bei dem AROPE-Indikator handelt es 2014
sich um einen zusammengesetzten Indi-
Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen
kator, in dem neben Aspekten wie Armuts- (AROPE-Indikator)
20,6
gefährdung, materielle Entbehrung zu-
 Anteil der Personen mit Armutsgefährdung 16,7
sätzlich die gemessene Erwerbsintensität
 Anteil der Personen mit erheblicher materieller Entbehrung 5,0
des Haushalts berücksichtigt wird. Wie
 Anteil der Personen aus Haushalten mit sehr geringer Erwerbsintensität 10,0
bereits dargestellt, weisen Personen aus
Haushalten mit einer sehr geringen Selbsteinschätzung der Haushalte.

­E rwerbsintensität auch ein überdurch-


schnittlich hohes Armutsgefährdungs­
u Tab 5  Von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffene Bevölkerung
risiko auf. Insofern wird hier angenom-
(AROPE-­Indikator) nach Einkommensquintilen — in Prozent
men, dass Haushalte mit einer sehr gerin-
gen Erwerbsbeteiligung der Haushalts- 2014
mitglieder – ob freiwillig oder unfreiwillig Personen des …
(zum Beispiel aufgrund von Arbeitslosig- … 1. Quintils 85,7
keit oder Krankheit) – sich in einer eher … 2. Quintils 10,4
prekären Lebenslage befinden und damit
… 3. Quintils 4,1
eher von sozialer Ausgrenzung bedroht
… 4. Quintils 2,0
sind als Haushalte mit einer hohen Er-
… 5. Quintils 0,9
werbsbeteiligung. Rentnerhaushalte, für
die eine Erwerbsbeteiligung in der Regel Selbsteinschätzung der Haushalte.

nicht mehr relevant ist, bleiben hier un-


berücksichtigt. Im Jahr 2014 lebten 10 %
uAbb 4  Von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffene Bevölkerung nach dem
der Bevölkerung in einem Haushalt mit
Haushaltstyp 2014 — in Prozent
sehr geringer Erwerbsintensität. Dieser
Anteil ist trotz leichter Schwankungen
seit 2008 (12 %; siehe Abbildung 1) stetig Haushalte
insgesamt
leicht zurückgegangen. u Tab 4 Personen in Haushalten von ... 20,6
Beim AROPE-Indikator werden alle
Personen gezählt, für die mindestens eine ... Alleinlebenden 37,8
der drei folgenden Bedingungen zutrifft:
·· Das Einkommen der Person liegt unter ... Alleinerziehenden 39,7
der Armutsgefährdungsgrenze.
·· Die Person lebt in einem Haushalt, für ... zwei Erwachsenen 14,6
den erhebliche materielle Entbehrung
zutrifft.
... zwei Erwachsenen
·· Die Person lebt in einem Haushalt mit mit einem Kind 15,5
einer sehr geringen Erwerbsbeteiligung
(unter 20  %) der erwerbsfähigen ... zwei Erwachsenen
mit zwei Kindern 13,2
Haushaltsmitglieder.
Trifft mindestens einer dieser drei As-
pekte (Armutsgefährdung, erhebliche ma- ... zwei Erwachsenen mit
18,2
mindestens drei Kindern
terielle Entbehrung oder sehr geringe Er-
werbsbeteiligung des Haushalts) auf eine
... drei und mehr
Person zu, so gilt diese Person als »armuts- Erwachsenen 14,8
gefährdet oder von sozialer Ausgrenzung
bedroht«. Auf der Grundlage des AROPE-
Indikators war im Jahr 2014 in Deutsch-
land jeder Fünfte (21 %) »armutsgefähr-
Selbsteinschätzung der Haushalte.
det oder von sozialer Ausgrenzung be-
droht«. Bei den einkommensärmsten

176
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung  / 6.2  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung / 6

20 % (erstes Quintil) der Bevölkerung traf gen unterworfen. Während er im Jahr
dies für die deutliche Mehrheit zu: Hier 2008 bei 20,1 % lag, wies er 2010 und 2012
waren knapp 86 % der Personen armuts- mit 19,7 % und 19,6 % die bislang nied-
gefährdet oder von sozialer Ausgrenzung rigsten Werte auf (siehe Abbildung 1).
bedroht. Im zweiten Quintil – also der Die Analyse nach Haushaltstypen er-
nächst höheren Einkommensschicht – gibt ähnliche Ergebnisse wie bei der aus-
gab es dagegen nur noch 10 % der Perso- schließlichen Betrachtung der Armutsge-
nen, die armutsgefährdet oder von sozia- fährdung. Mit knapp 38 % war 2014 mehr
ler Ausgrenzung bedroht waren. In den als ein Drittel der Alleinlebenden armuts-
höheren Einkommensschichten war der gefährdet oder von sozialer Ausgrenzung
Anteil wesentlich geringer und verdeut- bedroht. Mit knapp 40 % war der Anteil
licht damit den engen Zusammenhang bei Personen aus Haushalten von Allein-
zwischen Einkommenslage, Erwerbssitu- erziehenden am höchsten. Bei Personen
ation und materieller Entbehrung. u Tab 5 aus anderen Haushaltskonstellationen war
Im Zeitverlauf ist der Anteil der von der Anteil der von Armutsgefährdung oder
Armut oder sozialer Ausgrenzung betrof- sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen
fenen Bevölkerung leichten Schwankun- dagegen unterdurchschnittlich hoch. u Abb 4

177
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

6.3 Die Einkommen der privaten Haushalte


bilden die zentralen Ressourcen der Bür-
kommensverhältnisse zwischen Ost und
West dokumentiert. Die Einkommens­
Einkommens­ ger für die Sicherung des individuellen ungleichheit und die Betroffenheit von
entwicklung – Lebensstandards und wirken sich nicht
zuletzt auch auf die subjektiv wahrge-
Niedrigeinkommen und Einkommensar-
mut geben darüber hinaus Auskunft über
Verteilung, nommene Lebensqualität aus. Die Vertei- die relative Schichtung der Einkommen
Angleichung, lung der Einkommen in einer Gesell-
schaft gibt somit darüber Auskunft, ob
sowie über die Polarisierung zwischen
Arm und Reich. Das Ausmaß der Einkom-
Armut und und inwieweit einzelne Bevölkerungs- mens- und Armutsdynamik in Deutsch-
Dynamik* gruppen von der gesellschaftlichen Teil-
habe ausgeschlossen oder von einem Aus-
land, die hier ebenfalls im zeitlichen
­Verlauf dargestellt werden, gibt Hinweise
*Überarbeitung der Version, die 2013 unter schluss gefährdet sind. In einer langjähri- auf die Chancen von Einkommensauf-
Mitarbeit von Roland Habich erstellt wurde.
gen Betrachtung sind zwar Zugewinne in stiegen und Risiken von Einkommens-
allen Einkommensgruppen zu verzeich- verlusten und beschreibt so auch die
Jan Goebel, Peter Krause nen, der Abstand zwischen Armen und Durchlässigkeit und Offenheit der Ein-
DIW Berlin Reichen in der Verteilung der verfügbaren kommensschichtung. u Info 1
Einkommen der privaten Haushalte hat
sich in Deutschland jedoch erhöht. 6.3.1 Einkommensentwicklung
WZB / SOEP
In diesem Kapitel werden mit den und Verteilung
­Daten des Sozio-oekonomischen Panels Die verfügbaren durchschnittlichen Äqui-
(SOEP) die langjährigen Einkommens- valenzeinkommen (Median) der ­privaten
entwicklungen in Deutschland insbeson- Haushalte sind nach den Daten des SOEP
dere nach der Vereinigung für den Zeit- in Deutschland nominal von monatlich
raum 1992 bis 2014 beschrieben.1 Neben 901 Euro im Jahr 1992 auf 1 500 Euro im
der mittleren Einkommensentwicklung Jahr 2014 gestiegen, real (zu Preisen von
wird dabei auch die Angleichung der Ein- 2014) haben sich die M­ onatseinkommen

u Info 1
Daten und Methoden
Die Einkommen werden im SOEP im Rahmen der jährlichen Befragungen detailliert erfasst: Zum
einen wird das monatliche Haushaltsnettoeinkommen erfragt, also die regelmäßigen Einkünfte
nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben zuzüglich erhaltener Sozialtransfers. Zum ­anderen
werden jeweils für das zurückliegende Jahr alle individuellen (Brutto-)Einkommen aller a
­ ktuell im
Haushalt befragten Personen erhoben. Diese individuellen Einkommenskomponenten werden
über den Haushalt aufsummiert und liefern so, mithilfe einer Schätzung der Steuer- und Sozial-
abgaben, die Jahresnettoeinkommen des Vorjahres. Bei den Jahreseinkommen sind neben
­einmaligen Sonderzahlungen (13., 14. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und so weiter)
­
auf diese Weise auch Steuerrückzahlungen implizit berücksichtigt.

Die erhobenen Monatseinkommen bilden die zum Interviewmonat aktuell verfügbaren ökono­
mischen Ressourcen für alle zu diesem Zeitpunkt im Haushalt lebenden Personen ab. Die
­Jahreseinkommen beschreiben demgegenüber die von jeder aktuell im Haushalt lebenden Person
im Vorjahr erzielten Markt- und Nettoeinkünfte. Beide Einkommenskonzepte unterscheiden
sich damit nicht nur hinsichtlich des zeitlichen Bezugsrahmens, sondern auch in ihrer Konzeption.
Im Folgenden werden deshalb Daten zu beiden Konzepten präsentiert.

Um die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung


vergleichbar zu machen, werden alle Haushaltseinkommen entsprechend dem inzwischen
­EU-weit standardisierten Vorgehen unter Verwendung der neuen (revidierten) OECD-Skala in
sogenannte »Äquivalenzeinkommen« – das sind unter Bedarfsgesichtspunkten modifizierte
Pro-Kopf-Einkommen – umgerechnet. Alle Einkommensangaben werden in Euro ausgewiesen.
Die Analysen erfolgen auf Personenebene und repräsentieren die in privaten Haushalten lebende
gesamte Bevölkerung in Deutschland. Die Anstaltsbevölkerung (zum Beispiel in Altersheimen)
bleibt unberücksichtigt.

178
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  / 6.3  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

im selben Zeitraum von 1 315 auf 1 500 u Abb 1  Entwicklung der Einkommen der privaten Haushalte in Deutschland¹
Euro erhöht. Die entsprechenden Jahres- 1985 – 2014 (Median) — in Euro
einkommen lagen nominal im Jahr 2013
Vorjahres- Monats-
bei circa 20 000 Euro und real zu Preisen einkommen einkommen
von 2014 bei 20 500 Euro.² 25 000
Während die Nominaleinkommen
durchgehend stiegen, zeigten sich bei den
1 500
Realeinkommen seit Beginn der 1990er- 20 000
Jahre längere Phasen mit einem eher ge-
ringen Einkommenswachstum bei deut­
lichen konjunkturellen Schwankungen. 15 000 1 000
Nach dem Vereinigungsboom und den
zunächst hohen Einkommenszuwächsen
in Ostdeutschland haben sich die Ein- 10 000
500
kommen in der zweiten Hälfte der 1990er-
Jahre wenig erhöht. Zur Jahrtausendwen-
de erfolgte erneut ein Einkommensan- 0 0
1986 1990 1994 1998 2002 2006 2010 2014
stieg, gefolgt von einer längeren Phase
wirtschaftlicher Rezession mit zum Teil Äquivalenzeinkommen im Vorjahr: Real² Äquivalenzeinkommen im Vorjahr: Nominal
Äquivalenzeinkommen im Monat: Real² Äquivalenzeinkommen im Monat: Nominal
sogar rückläufigen Einkommensentwick-
lungen. Bis 2010 stiegen die Einkommen 1  Vor 1989 beziehungsweise 1992 nur Westdeutschland.
2  Referenzjahr: 2014.
wieder und verharrten seitdem auf höhe- Datenbasis: SOEP 2014.

rem Niveau als im Jahrzehnt zuvor. u Abb 1

u Tab 1  Haushaltsnettoeinkommen der privaten Haushalte in Deutschland 1992 – 2014

1992 1995 2000 2005 2010 2014

Mittelwert des Äquivalenz­einkommens (real, zu Preisen von 2014, in Euro)


im Monat 1 453 1 542 1 613 1 590 1 673 1 718
im Vorjahr 20 848 20 655 22 146 22 183 23 018 23 754*
Änderungsrate (in %) ¹
im Monat . 6,2 4,6 – 1,4 5,2 2,7
im Vorjahr . – 0,9 7,2 0,2 3,8 3,2*
Median des Äquivalenz­einkommens (real, zu Preisen von 2014, in Euro)
im Monat 1 315 1 353 1 463 1 417 1 483 1 500
im Vorjahr 18 807 18 591 19 641 19 710 20 187 20 505*
Änderungsrate (in %) ¹
im Monat . 2,9 8,1 – 3,1 4,6 1,1
im Vorjahr . – 1,1 5,7 0,4 2,4 1,6*
Einkommensanteile (Äquivalenzeinkommen im Monat)
der ärmsten 20 % 10,1 9,9 10,3 9,6 9,3 9,1
der reichsten 20 % 34,5 35,5 34,5 36,1 36,5 36,9
Einkommensungleichheit
Gini (Äquivalenzeinkommen im Monat) 0,243 0,255 0,241 0,262 0,271 0,278
Gini (Äquivalenzeinkommen im Vorjahr) 0,249 0,263 0,249 0,273 0,285 0,289*
Preisindizes ²
Westdeutschland 70,0 75,6 80,4 86,8 93,8 100
Ostdeutschland 64,2 75,0 80,4 86,8 93,8 100

1 Prozentuale Steigerung gegenüber dem in der Vorspalte angegebenen Zeitpunkt.


2 Die Preisindizes beziehen sich bei Jahresangaben jeweils auf das Einkommensjahr (Vorjahr).
* Daten von 2013.
. Zahlenwert unbekannt.
Datenbasis: SOEP 2014; Destatis 2015; eigene Berechnungen.

179
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

Die Betrachtung von Mittelwerten (das oberste Quintil) hatten demgegen- Jahr 2014 erhöht. Die jahresbezogenen
sagt allerdings noch nichts darüber aus, über bis 2000 etwa 35 % des monatlichen Einkommen der privaten Haushalte waren
wie gleich oder ungleich die Einkommen Gesamteinkommens zur Verfügung, seit im Allgemeinen etwas ungleicher verteilt
in der Bevölkerung verteilt sind. Allge- Beginn der 2000er-Jahre stieg bis 2014 als die enger gefassten monatlichen: Die
meine Indikatoren zur Beschreibung der der Anteil allmählich auf fast 37 % an. Ungleichheit der verfügbaren Vorjahres-
Einkommensungleichheit sind die An­ Die Ungleichheit der verfügbaren Ein- einkommen stieg von 0,25 im Jahr 1992
teile am Gesamteinkommen nach Ein- kommen im Haushalt hat sich damit er- auf 0,29 im Jahr 2013. Seit dem Milleni-
kommensschichten sowie der Gini-Koeffi- höht, oder um ein viel zitiertes Bild zu umswechsel ist die gesamtdeutsche Un-
zient. Hier zeigt sich, dass die ärmsten nutzen: Die Schere zwischen Arm und gleichheit3 der Einkommen weiter ange-
20 % der Bevölkerung (das unterste Quin- Reich hat sich weiter geöffnet. wachsen. Inzwischen liegt das Ausmaß der
til) bis zum Jahr 2000 über knapp 10 % Dies geht auch aus dem Gini-Koeffizi- Einkommensungleichheit deutlich höher
des monatlichen Gesamteinkommens enten, einem zusammenfassenden Un- als in den beiden Dekaden zuvor. u Tab 1
verfügten. Nach dem Jahr 2000 ging der gleichheitsmaß (siehe Kapitel 6.2, Seite 171, Anhand des jahresbezogenen Ein-
Einkommensanteil des ärmsten Quintils Info 5), hervor: Dieser hat sich bezogen kommenskonzeptes lassen sich zudem
stetig zurück und lag im Jahre 2014 nur auf die monatlich verfügbaren Einkom- auch Ungleichheitsziffern für die zugrun-
noch bei circa 9 %. Die reichsten 20 % men von 0,24 im Jahr 1992 auf 0,28 im de liegenden Markteinkommen (brutto)

Entwicklung der Einkommensungleichheit (Gini) bei Haushaltsnetto- und Markteinkommen

u Abb 2  Entwicklung der Einkommensungleichheit (Gini) bei Haushaltsnetto- und Markteinkommen 1985 – 2014 — in Prozent

Gini Umverteilungs-
raten

0,50 45

0,45 40

0,40 35

0,35 30

0,30 25

0,25 20

0,20 15
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2014

Umverteilungsraten Umverteilungsraten Gini Monatsein- Gini Nettohaushalts- Gini Markteinkommen Gini Markteinkom-
(ohne Renten) (mit Renten) kommen im Haushalt¹ einkommen im Vorjahr¹ im Vorjahr und Rente¹ men im Vorjahr¹

1  Bei Monatseinkommen von 1985 bis 1989 nur Westdeutschland; bei Vorjahreseinkommen von 1985 bis 1991 nur Wetsdeutschland.
Datenbasis: SOEP 2014.

1 Bei Monatseinkommen von 1985 bis 1989 nur Westdeutschland; bei den Vorjahreseinkommen von 1985 bis 1991 nur Westdeutschland
Datenbasis: SOEPv28
180
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  / 6.3  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

berechnen, die sich vor Eingriff des Staa- bestimmt. Die relative Differenz der bei- Mittelwert betrachtet. Die unterste Ein-
tes ergeben, also ohne direkte Steuern den Ungleichheits-Koeffizienten (Un- kommensschicht mit weniger als der
und Sozialtransfers. Hieran wird deut- gleichheit des Brutto- und Nettohaus- Hälfte der mittleren bedarfsgewichteten
lich, dass die Ungleichheit der in den haltseinkommens) illustriert, inwieweit Einkommen (unter 50 % des arithmeti-
­privaten Haushalten jeweils erwirtschaf- sozialstaat­liche Eingriffe in Form von schen Mittels) lebt im Niedrigeinkom-
teten Markteinkommen (mit und ohne ­d irekten Steuern und Transfers die Un- mensbereich, die höchste Einkommens-
Renten) noch erheblich stärker gestiegen gleichheit reduzieren. Im Zuge der Verei- klasse ab dem Doppelten der mittleren
ist: Der Gini-Koeffizient der in den priva- nigung stieg der Einfluss der sozialstaat- bedarfsgewichteten Einkommen (ab
ten Haushalten erzielten Markteinkom- lichen Umverteilung in den 1990er-­ 200 %) kennzeichnet den Bevölkerungs-
men hat sich seit der Vereinigung bis Jahren stark an. Die durch staatliche anteil mit ausgeprägtem materiellem
2006 stetig erhöht, war seitdem etwas Maßnahmen erfolgte ­R eduzierung an Wohlstand. Anhand der relativen Ein-
rückläufig, verharrte bis 2013 aber wei- Ungleichheit verringerte sich in der letz- kommensschichtung lassen sich die bei
terhin auf hohem Niveau. Diese erhebli- ten Dekade wieder etwas, sie lag nach der Einkommensungleichheit beschrie-
che Zunahme an Ungleichheit der über­ Einschluss der Rentenleistungen zuletzt benen Trends differenzierter abbilden.
wiegend aus Erwerbstätigkeit erzielten in etwa auf dem Niveau der 1980er- und Die Bevölkerungsanteile am oberen und
Markteinkommen hat zu einer Zunahme frühen 1990er-Jahre. unteren Rand der Einkommensver­
der Ungleichheit der daraus abgeleiteten teilung erhöhten sich in der letzten De-
Nettoeinkommen der privaten Haushalte 6.3.2 Einkommensschichtung und kade. Entsprechend gingen die Anteile in
geführt. u Abb 2 relative Armut den dazwischenliegenden mittleren Ein-
Die Ungleichheit der haushaltsbezo- Die Zunahme der Ungleichheit geht mit kommensschichten insgesamt zurück.
genen Markt- und Nettoeinkommen einer Veränderung der Einkommens- Der Rückgang der mittleren Einkom-
wird von den Entwicklungen am Arbeits- schichtung einher. Bei der Schichtung mensgruppen erfolgte aber nicht linear
markt, von sozio-demografischen Ver­ der Bevölkerung nach Einkommen wer- für alle Teilgruppen gleichermaßen, viel-
änderungen sowie von Maßnahmen im den verschiedene Einkommensklassen in mehr zeigen sich hierbei Schwankungen
Bereich der sozialstaatlichen Sicherung prozentualer Relation zum jeweiligen im zeitlichen Verlauf sowohl bei den

u Tab 2  Einkommensschichtung und Einkommensarmut 1992 – 2014 — in Prozent

1992 1995 2000 2005 2010 2014

Äquivalenzeinkommen im Monat (real)


Bevölkerungsanteile nach Einkommensschichten (Durchschnittswert = 100 %)
> 200 % 3,7 3,6 3,2 4,3 4,2 4,4
> 150 – 200 % 9,1 7,3 8,4 7,3 8,4 9,1
> 125 –150 % 9,7 9,6 11,0 9,6 10,4 9,4
> 100 –125 % 19,2 18,7 15,7 18,1 16,0 15,8
> 75 –100 % 26,4 27,5 31,1 26,0 25,8 24,4
> 50 –75 % 24,5 24,1 22,6 24,7 24,1 24,5
≤ 50 % 7,4 9,2 8,1 10,0 11,2 12,4
Armutsschwelle: 60 % des Medians
FGT (0) (Armutsquote) 10,3 10,8 10,9 12,6 13,9 13,9
FGT (1) (Armutslücke) 2,3 2,3 2,2 2,7 2,9 3,0
FGT (2) (Armutsintensität¹) 0,794 0,730 0,714 0,966 0,987 1,005
Äquivalenzeinkommen im Vorjahr (real)
Armutsschwelle: 60 % des Medians
FGT (0) (Armutsquote) 11,2 13,3 10,4 13,9 15,0 13,9*
FGT (1) (Armutslücke) 2,5 3,3 2,4 3,2 3,6 3,3*
FGT (2) (Armutsintensität¹) 0,960 1,404 0,888 1,248 1,355 1,237*

1 Werte dieses Indikators liegen zwischen 0 (keine Ungleichheit innerhalb der Armutspopulation) und 100 (maximale Ungleicheit innerhalb der Armutspopulation).
* Daten von 2013.
Datenbasis: SOEP 2014.

181
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

über- wie auch unterdurchschnittlichen kerung beträgt.4 Früher verwendete, auf Die Berechnung der Armutsgrenzen
Einkommenslagen. dem arithmetischen Mittel basierende erfolgt auf Grundlage der gesamtdeut-
Der hier verwendete Armutsbegriff Kennziffern zur Abgrenzung von »Ar- schen Einkommensverteilung anhand
­b eruht wie auch die Berechnungen im mut« (50 %-Schwelle) und Niedrigein- der Realeinkommen zu Preisen von 2014.
vorherigen Kapitel 6.2 auf dem soge- kommen, dem sogenannten »prekären Die auf dem Median basierenden Armuts-
nannten relativen Armutskonzept und Wohlstand«, (75 %-Schwelle) sind in der quoten werden anhand des sogenannten
orientiert sich an der Definition der Einkommensschichtung mit ausgewie- FGT-Maßes (nach den Autoren Foster/
Europä­ischen Union. Gemäß den vom sen (Tab 2 oberer Teil). Die auf den Me- Greer/Thorbecke) weiter differenziert:
Statis­tischen Amt der EU (Eurostat) dian bezogenen Armutsgrenzen sind we- Neben der Armutsquote FGT(0), die den
empfohlenen Schwellenwerten gilt dem- niger anfällig für Extremwerte am obe- Umfang der Armutspopulation in Pro-
nach als arm, wer in einem Haushalt lebt, ren Rand der Verteilung und liefern zent ausweist (Incidence), werden dabei
dessen Haushaltsnetto-Äquivalenzein- somit robustere Ergebnisse als die aus auch die Armutsintensität (Intensity)
kommen weniger als 60 % des Medians dem arithmetischen Mittel abgeleiteten und die Armutsungleichheit (Inequality)
der Einkommen in der gesamten Bevöl- Schwellenwerte. berücksichtigt. Die Kennziffer FGT(1)
entspricht der Armutslücke, das heißt
dem relativen Einkommensbetrag (in
Prozent des Schwellenwertes), der erfor-
derlich wäre, um die Armutsgrenze zu
u Abb 3  Bevölkerungsanteile in Niedrigeinkommen und Armut
überwinden. Die weitere Armutsintensi-
nach unterschiedlichen Schwellenwerten 1992 – 2014 — in Prozent
tät FGT(2) berücksichtigt zudem die Un-
gleichheit innerhalb der Armutspopula­
25 tion und hebt so diejenigen innerhalb der
Armutspopulation mit besonders niedri-
gen Einkommen stärker hervor. u Tab 2
Gemessen an der medianbasierten
Armutsschwelle auf Grundlage der monat­
20
lichen Haushaltsnettoeinkommen lebten
13,9 % der gesamtdeutschen Bevölkerung
im Jahr 2014 in Einkommensarmut. Da-
mit blieb die Armutsrisikoquote im Ver-
15 gleich zum Vorjahr stabil. Die Armuts­
lücke FGT(1) betrug 3 % gemessen am
Monatseinkommen und 3,3 % bei Zu-
grundelegen des Jahreseinkommens, das
heißt, im Durchschnitt wäre eine Ein-
10 kommenssteigerung um 3 % beziehungs-
weise 3,3 % erforderlich gewesen, um die
Armutsschwelle zu überwinden. Die län-
gerfristige Entwicklung belegt eine deut-
liche Zunahme der Armutsrisiken in der
5
zurückliegenden Dekade im Vergleich zu
den 1990er-Jahren. Die Zunahme der Ar-
mutsrisiken erstreckte sich nicht nur auf
die 60 %-Schwelle. Übereinstimmend
0 weisen Monats- und Jahreseinkommen
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 auch bei Verwendung einer strengeren
Vorjahreseinkommen Vorjahreseinkommen Vorjahreseinkommen
Armutsschwelle (50 %-Schwelle) sowie
70% des Medians 60% des Medians 50% des Medians bei Betrachtung des Niedrigeinkom-
Monatseinkommen Monatseinkommen Monatseinkommen
mensbereichs (70 %-Schwelle) in der letz-
70% des Medians 60% des Medians 50% des Medians ten Dekade eine deutliche Erhöhung ge-
genüber den 1990er-Jahren auf. Alle Ar-
Datenbasis: SOEP 2014. muts-Indizes erhöhten sich in der letzten

182
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  / 6.3  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

u Abb 4  Entwicklung des monatlichen Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens 1992 – 2014 — in Euro

3 000

2 500

2 000

1 500

1 000

500

0
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: SOEP 2014.

Dekade, das Ausmaß an Niedrigeinkom- erhebliche Unterschiede zwischen Ost- ter- beziehungsweise überschritten wird.
men und Armut stieg zum Ende der letz- und Westdeutschland zu beobachten – In analoger Form geben die Ober- und
ten Dekade auf eines der höchsten die Einkommen in Ostdeutschland liegen Untergrenzen der Blöcke die Einkom-
­Niveaus der letzten beiden Jahrzehnte an; bei allen Einkommensniveaus unter mensschwellen wieder, die zusammen die
zugleich entfernten sich die Einkommen den vergleichbaren Schwellen in West- mittleren 50 % der Einkommen in der Be-
der Armen immer weiter von der Armuts- deutschland. Daneben zeigen sich aber völkerung umfassen; die äußeren Linien
schwelle und die Intensität der Armut auch weitere regional unterschiedliche veranschaulichen schließlich die soge-
verstärkte sich. Nach 2010 setzte sich die- Trends. nannten Dezilsschwellen, die die jeweils
ser Trend indes nicht in gleicher Weise Die Angleichung der Einkommens- reichsten beziehungsweise ärmsten 10 %
fort: Armuts- und Ungleichheitsziffern verhältnisse zwischen Ost und West lässt der Bevölkerung abgrenzen; sie beschrei-
stagnieren derzeit − allerdings auf höhe- sich anschaulich anhand der Entwick- ben also die Einkommensspanne, die das
rem Niveau als noch in den beiden Deka- lung der verschiedenen Einkommens- Wohlstandsniveau von 80 % der jeweili-
den zuvor. Dies gilt gleichermaßen für schwellen der verfügbaren Haushaltsein- gen Bevölkerung ohne die jeweils reichs-
die Intensität von Einkommensarmut bei kommen dokumentieren. Bei dieser Dar- ten und ärmsten 10 % umfasst und kenn-
Monats- und Jahreseinkommen. u Abb 3 stellung werden Niveau und Verteilung zeichnen so auch das Ausmaß an Ein-
der Einkommen gleichzeitig betrachtet: kommensungleichheit. u Abb 4
6.3.3 Angleichung der Einkommen Die mittlere Linie der Blöcke in Abbil- Die Grafik zeigt anschaulich, wie sich
in Ost- und Westdeutschland dung 4 stellt den jeweiligen Median dar, die Verteilung der Realeinkommen in
Bei der Betrachtung der gesamtdeutschen also den Einkommensschwellenwert, der Ostdeutschland vor allem in der ersten
Einkommensverteilung sind weiterhin von jeweils der Hälfte der Bevölkerung un- Hälfte der 1990er-Jahre bei allen Ein-

183
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

kommensgruppen schrittweise an die kommen und einer gleichzeitig höheren mutsquoten in der Gesamtbevölkerung
Entwicklung der Westeinkommen an- Differenzierung der unteren Einkommen. (inklusive Kinder unter 18 Jahren) liegen
glich. Nach 2000 profitierten die unteren In der letzten Dekade setzte sich die An- etwas höher bei ähnlichem zeitlichem Ver-
und mittleren Einkommen in Ost- näherung der höheren Einkommen weiter lauf.
deutschland kaum von der wirtschaft­ fort, zugleich blieben aber im untersten Der Anstieg der Armutsrisiken im
lichen Entwicklung, die Angleichung der Einkommensbereich die Abstände zwi- zeitlichen Verlauf beschränkt sich nicht
höheren Einkommen setzte sich hinge- schen Ost und West auch nach der wirt- nur auf einzelne soziale Gruppen. Im
gen – wenn auch langsam – weiter fort. schaftlichen Erholung stabil. Folgenden wird gezeigt, welche Bevölke-
In den Jahren 2004 bis 2008 war somit Weiterführende Analysen zeigen, dass rungsgruppen, Familien- und Haushalts-
eine zunehmende Diskrepanz zwischen bei einer regional differenzierteren Be- formen über- oder unterdurchschnittlich
West- und Osteinkommen zu beobachten, trachtung auch innerhalb Westdeutsch- von Armut betroffen sind. Die Kennzif-
die sich in den darauf folgenden Jahren lands Unterschiede zutage treten (siehe fern beziehen sich auf die Verteilung des
wieder etwas verminderte. Tabelle 3a); insbesondere bei den Stadt- monatlichen Haushaltsnettoeinkommens
In Westdeutschland erhöhten sich die staaten sind phasenweise erhöhte Ein- innerhalb der gesamten Bevölkerung in
Abstände zwischen unteren und höheren kommensrisiken zu beobachten. Dazu den genannten Dreijahresperioden. Ne-
Einkommen über einen langen Zeitraum wurden die westlichen Bundesländer nach ben der gesamtdeutschen Darstellung
stufenweise. In Ostdeutschland waren Nord (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein- wird hier in Anbetracht der erhöhten
die Einkommen von vornherein weit Westfalen, Schleswig-Holstein) und Süd ­A rmutsrisiken die Entwicklung in Ost-
­weniger ungleich verteilt. Zu Beginn der (Bayern, Baden-Württemberg, Rhein- deutschland separat ausgewiesen.
1990er-Jahre erfolgte hier ein Anstieg der land-Pfalz, Saarland) unterteilt und die Frauen waren in Gesamtdeutschland
Ungleichheit, der sich aber bald verlang- Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) ­e twas stärker als Männer von Einkom-
samte. In den 2000er-Jahren stieg die als eigene Kategorie erfasst.5 Die regiona- mensarmut betroffen. Das Armutsrisiko
Ungleichheit der ostdeutschen Einkom- le Differenzierung auf der Ebene der Bun- von Kindern im Alter bis zu 10 Jahren so-
men vor allem infolge einer Spreizung desländer zeigt zwar Variationen in der wie das der Jugendlichen im Alter von 11
nach unten (zwischen Median und Un- Einkommensverteilung und im Armutsri- bis 20 Jahren stagnierte im hier betrachte-
tergrenze des Blocks beziehungsweise siko, es wird aber deutlich, dass in Ost- ten Zeitraum. In Ostdeutschland waren
zwischen Median und unterem Dezil) an deutschland das Einkommensniveau und Kinder und Jugendliche weiterhin stärker
und führte so zu einer Zunahme von die Einkommensungleichheit niedriger von Armut betroffen, die Armutsrisiko-
Niedrigeinkommen und Armut. Seit und das Armutsrisiko der Bevölkerung quoten gingen aber in beiden Gruppen
2008 lässt sich ein abermaliger Anstieg wesentlich höher waren als in den meisten nach einem Anstieg Mitte der 2000er-
der Einkommensungleichheit – nunmehr westdeutschen Regionen. Jahre wieder zurück. Am höchsten waren
infolge einer zunehmenden Spreizung die Armutsquoten in der letzten Unter­
der höheren Einkommen – beobachten. 6.3.4 Armut in verschiedenen suchungsperiode bei jungen Erwachsenen
Das Ungleichheitsniveau in Ostdeutsch- Bevölkerungsgruppen in der Altersgruppe von 21 bis 30 Jahren.
land entsprach 2014 dem der westlichen Seit dem Jahr 2000 haben sich die Armuts- In Ostdeutschland lebte zuletzt nahezu je-
Bundesländer in den 1980er- und 1990er- risiken in der Bevölkerung erhöht. Um die der vierte Jugendliche und jeder dritte
Jahren – allerdings bei niedrigerem Ein- Differenzierungen und Trends auch für junge Erwachsene (21 bis 30 Jahre) in un-
kommensniveau. In den letzten Jahren kleine Bevölkerungsgruppen, die von Ar- zureichenden Einkommensverhältnissen.
nahm demnach auch in Ostdeutschland mut betroffen sind, in robuster Weise ab- Die Altersgruppe der jungen Erwerbstäti-
die Ungleichheit erneut zu, ohne jedoch zubilden, werden die Armutsquoten zu gen (31 bis 40 Jahre) war durchgehend un-
das höhere Ungleichheitsniveau in West- den ausdifferenzierten Personengruppen terdurchschnittlich von Armutsrisiken
deutschland zu erreichen. Die Grafik über jeweils drei Jahre gemittelt − wir be- betroffen, wogegen sich die Armutsrisi-
macht nicht nur deutlich, dass die Streu- trachten dazu drei Perioden zu Beginn ken der älteren Erwerbstätigen erhöhten.
ung der Einkommen in Ostdeutschland (2000 bis 2002), in der Mitte (2006 bis In Ostdeutschland waren die niedrigsten
weniger ausgeprägt ist als in den west­ 2008) sowie am Ende der letzten 15 Jahre Armuts­quoten bei Personen über 70 Jah-
deutschen Bundesländern, sondern zeigt (2012 bis 2014). Die Armutsrisiken der er- ren zu finden. Die ostdeutsche Rentner­
auch, dass dies vor allem an der geringe- wachsenen Bevölkerung stiegen in diesen generation profitiert dabei noch von
ren Differenzierung im oberen Einkom- Perioden von 11 auf 13 %. Die erwachsene ­systembedingten Unterschieden in der
menssegment liegt. Der wesentliche Ein- Bevölkerung in Ostdeutschland war dabei ­A rbeitsmarktbeteiligung mit durchgehen-
kommensunterschied zwischen alten und überproportional vom Armutsanstieg be- den Beschäftigungsverhältnissen bei
neuen Ländern besteht demzufolge in der troffen; hier stiegen die entsprechenden Männern und Frauen aus der Zeit vor der
geringeren Spreizung der höheren Ein- Armutsrisiken von 14 auf 19 %. Die Ar- Verei­nigung. Die Armutsrisiken der 61- bis

184
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  / 6.3  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

uTab 3a  Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Haushaltsmerkmalen 2000 – 2002, 2006 – 2008, 2012 – 2014, ­
Mittelwert zu Dreijahresperioden — in Prozent

Deutschland (gesamt) Ostdeutschland¹


Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke-
Armutsquote Armutsquote
60 % des Medians rungsanteil rungsanteil
2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014 2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014
Bevölkerung insgesamt 100 11,7 13,1 13,1 100 15,1 19,7 18,9
Geschlecht
Männlich 49,0 10,9 12,4 12,6 50,0 14,2 19,3 18,9
Weiblich 51,0 12,4 13,7 13,7 50,0 16,0 20,2 19,0
Alter
Bevölkerung ab 18 Jahren 84,4 11,0 12,8 12,9 86,4 14,0 19,0 18,6
0 –10 Jahre 7,1 14,1 13,4 14,7 7,8 20,7 24,4 21,2
11– 20 Jahre 9,6 17,3 18,5 16,4 8,7 23,0 30,2 24,8
21– 30 Jahre 12,1 15,5 18,5 20,3 13,5 20,9 27,5 32,1
31– 40 Jahre 12,3 9,1 9,9 10,3 11,8 14,8 17,8 18,1
41– 50 Jahre 16,0 9,4 12,5 11,0 17,1 15,3 23,3 16,2
51– 60 Jahre 15,3 9,4 13,3 12,8 13,7 15,0 23,3 20,7
61–70 Jahre 12,2 10,7 9,2 12,3 13,9 8,5 9,0 18,5
Ab 71 Jahre 15,4 10,4 10,8 10,7 13,4 7,4 7,3 8,0
Migrationshintergrund
Ohne Migrationshintergrund 74,4 9,7 11,3 11,3 93,3 14,7 19,0 18,1
Direkter Migrationshintergrund 13,0 22,7 22,0 22,2 1,8 40,3 41,9 39,6
Indirekter Migrationshintergrund 12,6 15,0 16,2 16,1 4,9 17,2 25,5 23,0
Region²
Region Nord-West 42,7 10,5 12,1 12,7 X X X X
Region Süd-West 34,4 10,8 10,9 10,4 X X X X
Stadtstaaten 7,1 13,6 13,0 14,9 X X X X
Region Ost 15,8 15,5 19,9 19,0 X X X X
Gemeindegrößenklasse
< 2 000 Einwohner 5,5 14,5 15,9 13,2 13,4 16,2 18,0 17,2
2 000 – < 20 000 Einwohner 34,8 11,8 12,2 12,4 35,6 14,1 18,2 17,7
20 000 – <100 000 Einwohner 27,6 10,6 13,0 12,8 24,1 17,5 23,8 22,1
100 000 – < 500 000 Einwohner 15,6 12,0 14,5 15,8 16,0 14,7 20,0 20,6
> 500 000 Einwohner 16,6 11,2 12,4 12,9 11,0 12,0 17,7 16,8
Mieter-Status
Eigentümerhaushalt 50,2 6,6 6,4 5,7 39,4 10,2 12,3 9,7
Mieterhaushalt 49,9 16,1 18,9 20,6 60,6 18,3 24,5 25,5

1 Ostdeutschland inklusive Berlin-Ost.


2 Nord-West: Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein; Süd-West: Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland; Stadtstaaten: Berlin, Bremen, Hamburg;
Ost: Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern.
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEP 2014.

70-Jährigen stiegen in Ostdeutschland quoten der Älteren weisen auf die wach- grund, sprich mit eigener Migrationser-
in den letzten Jahren sprunghaft an und sende Altersarmut in Ost­deutsch­land hin. fahrung, wiesen darunter deutlich höhere
lagen 2014 über dem gesamtdeutschen Personen mit Migrationshintergrund Armutsrisiken auf, als Personen mit indi-
und etwas unter dem ostdeutschen waren in allen drei Zeitabschnitten einem rektem Migrationshintergrund. In Ost-
Durchschnitt. Die Zunahme der Armuts­ höheren Armutsrisiko ausgesetzt als die deutschland ist die Armutsbetroffenheit
betroffenheit unter den älteren Erwerbs­ Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. bei Migranten – insbesondere bei direk-
tätigen sowie die stark erhöhten Armuts­ Personen mit direktem Migrationshinter- tem Migrationshintergrund − noch höher,

185
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

u Tab 3b  Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Bildungs- und Beschäftigungsmerkmalen
2000 – 2002, 2006 – 2008, 2012 – 2014, Mittelwert zu Dreijahresperioden — in Prozent
Deutschland (gesamt) Ostdeutschland¹
Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke-
Armutsquote Armutsquote
60 % des Medians rungsanteil rungsanteil
2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014 2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014
Bevölkerung insgesamt 100 11,7 13,1 13,1 100 15,1 19,7 18,9
Familienstand
Verheiratet / zusammen lebend 52,2 8,0 8,2 8,4 48,7 8,1 11,8 11,0
Verheiratet / getrennt lebend 1,5 20,2 21,4 21,0 1,5 31,2 26,8 31,5
Ledig 28,9 14,8 18,0 18,1 30,8 21,8 28,9 30,5
Geschieden 9,7 19,9 23,0 21,9 10,6 30,7 31,9 28,7
Verwitwet 7,6 10,5 10,8 10,5 8,4 7,3 7,2 6,8
Bildungsabschluss
Hauptschule ohne Abschluss 8,9 20,9 25,5 29,4 6,6 24,7 30,0 43,9
RS, FHS, Gymnasium ohne Abschluss 3,5 11,6 14,4 16,1 3,2 20,4 33,7 28,2
Hauptschule mit Abschluss 23,4 9,6 11,2 11,8 21,4 13,8 19,2 21,0
Realschule mit Abschluss 23,7 7,7 10,5 10,2 36,4 14,4 20,0 17,6
FHS, Gymnasium mit Abschluss 9,9 10,4 11,0 11,5 6,4 18,2 15,8 18,5
Sonstiges 7,4 19,6 21,9 24,8 2,0 25,0 48,8 48,3
FH, Universität 20,8 4,2 4,9 4,3 21,6 5,1 7,3 6,3
In Lehre, Schule, Studium 2,5 16,9 17,6 19,1 2,5 20,7 28,0 31,9
Erwerbsstatus
Erwerbstätig Vollzeit 37,9 4,3 4,2 4,0 35,3 6,1 7,2 6,6
Erwerbstätig Teilzeit 18,8 12,1 12,5 12,5 12,2 17,0 20,6 19,7
Arbeitslos 6,1 37,5 54,0 61,7 13,4 41,6 63,6 72,0
In Ausbildung 3,7 21,3 23,6 25,9 4,3 24,6 27,7 40,0
Nicht erwerbstätig 33,6 12,0 11,8 13,3 34,9 10,5 12,0 13,8
Berufliche Stellung
Un- / Angelernter Arbeiter 13,0 13,6 16,3 19,2 12,2 17,6 23,9 29,5
Facharbeiter, Meister 11,3 4,8 5,7 5,6 20,6 6,3 8,9 8,3
Selbständige 10,1 10,2 9,2 9,7 11,7 17,0 18,5 17,9
Auszubildende, Volontäre 4,4 21,4 24,0 22,1 6,3 23,8 37,1 38,9
Einfache Angestellte 14,8 6,3 10,4 12,2 14,2 9,2 15,5 16,3
Qualifizierte Angestellte 25,4 2,1 2,2 2,5 19,2 3,0 3,7 4,2
Leitende Angestellte 14,8 1,0 0,5 0,6 12,0 1,2 1,8 1,0
Einfache / mittlere Beamte 1,7 1,6 0,5 0,4 1,9 6,2 0,7 0,5
Gehobene / höhere Beamte 4,5 0,7 0,1 0,9 1,8 2,1 0,1 2,4

1  Ostdeutschland inklusive Berlin-Ost.


Datenbasis: SOEP 2014.

allerdings ist ihr Bevölkerungsanteil hier tungsgemäß stärker von Armutsrisiken höhte sich das 2000 bis 2002 bereits über-
weit geringer als in Westdeutschland. betroffen als Eigentümer; diese auch in proportionale Armutsrisiko noch weiter.
Die regionale Differenzierung ver- Ostdeutschland ausgeprägte Diskrepanz Auch bei Personen mit beruflichem Bil-
deutlicht nochmals, dass die Armutsrisi- verstärkte sich innerhalb der letzten De- dungsabschluss stieg das Armutsrisiko
ken in Ostdeutschland weiterhin höher kade weiter. u Tab 3a leicht an.
sind als in anderen Landesteilen. Die Verheiratet Zusammenlebende sind Arbeitslose tragen nach wie vor ein
Bundesländer im Süd-Westen Deutsch- nach wie vor am geringsten von Armut sehr hohes Armutsrisiko. Sie waren in
lands wiesen die geringsten Armutsrisi- betroffen, Ledige und Geschiedene tra- den Jahren 2012 bis 2014 mit 62 % in Ge-
ken auf. Weniger stark unterschieden gen ein deutlich erhöhtes Armutsrisiko. samtdeutschland und mit 72 % in Ost-
sich die Armutsrisiken zwischen Stadt Für Personen ohne Bildungsabschluss be- deutschland die Bevölkerungsgruppe mit
und Land. Mieterhaushalte waren erwar- ziehungsweise mit geringer Bildung er- der höchsten Armutsbetroffenheit. Im

186
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  / 6.3  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

uTab 3c  Betroffenheit von Armut in Deutschland nach Haushaltsmerkmalen 2000 – 2002, 2006 – 2008 und 2012 – 2014,
Mittelwert zu Dreijahresperioden — in Prozent

Deutschland (gesamt) Ostdeutschland¹


Armutsschwelle: Bevölke- Bevölke-
60 % des Medians Armutsquote Armutsquote
rungsanteil rungsanteil
2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014 2012 – 2014 2000 – 2002 2006 – 2008 2012 – 2014
Bevölkerung insgesamt 100 11,7 13,1 13,1 100 15,1 19,7 18,9
Haushaltsgröße
1-Personen-Haushalt 20,8 15,3 18,5 19,6 21,1 21,2 26,9 30,0
2-Personen-Haushalt 34,6 8,5 9,2 9,5 36,8 10,2 12,9 11,9
3-Personen-Haushalt 18,4 9,8 13,6 12,5 21,3 12,3 20,5 18,5
4-Personen-Haushalt 17,7 9,4 9,8 8,8 14,9 11,9 18,4 14,6
5- und mehr Personen-Haushalt 8,5 23,1 21,3 22,4 6,0 38,6 37,1 32,2
Alter des Haushaltsvorstands
16 – 34 Jahre 14,8 16,1 17,5 20,2 17,5 21,3 25,1 32,1
35 – 54 Jahre 43,9 10,8 13,1 11,7 44,7 17,3 23,7 16,6
55 – 74 Jahre 30,3 10,6 11,3 12,7 29,1 9,8 14,5 19,2
Ab 75 Jahre 11,1 10,8 11,2 11,0 8,7 8,9 6,4 8,9
Personengruppen
Haushaltsvorstand 54,5 11,9 13,9 14,1 54,4 15,7 20,5 20,9
(Ehe-)Partner 23,1 8,2 8,5 8,6 24,6 9,7 12,7 11,6
Kind(er) unter 18 Jahren 13,8 15,2 14,9 14,7 12,6 22,0 25,0 21,8
Kind(er) ab 18 Jahre 8,0 12,9 17,6 16,1 8,2 15,5 27,5 23,4
Weitere Haushaltsmitglieder 0,6 / / / 0,3 / / /
Haushaltstypen
Single-Haushalt 20,8 15,3 18,6 19,6 21,1 21,2 26,9 30,0
Partner-Haushalt 30,6 6,5 7,0 7,4 32,0 6,9 9,2 9,6
Familien-Haushalt 29,1 11,6 11,3 11,3 26,5 15,6 18,9 16,0
Ein-Eltern-Haushalt 4,9 32,7 36,6 32,5 5,3 43,1 50,5 35,9
Post-Eltern-Haushalt 13,7 9,4 14,1 12,6 14,7 10,3 22,8 20,5
Anderer Haushalt 1,0 / / / 0,4 / / /
Haushalts- / Lebenszyklus
Haushaltsvorstand 16 – 34 Jahre
Single-Haushalt 4,1 20,7 25,3 29,1 4,7 30,6 34,7 46,5
Paar-Haushalt (ohne Kind) 3,8 7,1 8,7 7,3 2,7 15,5 10,8 10,6
Haushaltsvorstand 35 – 54 Jahre
Single-Haushalt 5,4 12,7 18,0 17,1 5,9 27,1 31,3 30,2
Paar-Haushalt (ohne Kind) 5,8 4,0 6,0 3,7 7,0 10,0 15,8 8,8
Haushalt mit Kind(ern) unter 18 Jahren
Paar-Haushalt mit 1 Kind 12,5 8,4 11,0 10,6 14,5 12,0 15,9 13,6
Paar-Haushalt mit 2 Kindern 12,0 10,0 9,6 8,9 9,0 12,1 19,4 13,5
Paar-Haushalt ab 3  Kindern 4,6 22,3 16,7 19,4 3,1 38,8 31,4 29,7
Ein-Eltern-Haushalt mit 1 Kind 3,0 26,9 35,7 30,8 3,2 37,1 55,0 32,8
Ein-Eltern-Haushalt ab 2  Kindern 1,9 41,6 37,7 35,1 2,1 55,4 43,9 39,7
Haushalt mit Kind(ern) ab 18 Jahren 13,7 9,4 14,1 12,6 14,7 10,3 22,8 20,5
Haushaltsvorstand 55 – 74 Jahre
Paar-Haushalt ohne Kind 15,1 7,1 6,7 8,6 17,8 5,3 7,6 11,3
Single-Haushalt 6,8 15,2 17,6 19,5 6,8 19,4 27,2 29,0
Haushaltsvorstand ab 75 Jahre
Paar-Haushalt (ohne Kind) 5,9 7,4 8,1 7,8 4,6 3,7 4,4 5,4
Single-Haushalt 4,4 13,5 14,1 14,5 3,7 11,8 9,6 13,3
Sonstige Haushalte ² 1,0 / / / 0,4 / / /

1 Ostdeutschland inklusive Berlin-Ost.


2 Haushalte, in denen weitere Personen (zum Beispiel Schwiegereltern) leben.
/ Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Datenbasis: SOEP 2014.

187
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

Vergleich zu 2000 bis 2002 − also vor der liegenden Dekade, wobei dieser Anstieg schlechterung der materiellen Grund­
Arbeitsmarktreform − erhöhte sich die in Ostdeutschland besonders ausgeprägt lagen in einer Gesellschaft. Deshalb ist
Quote nochmals erheblich. Die niedrige war. Ungeachtet der insgesamt niedrigen die Veränderung von Einkommensposi­
Armutsquote bei Vollzeiterwerbstätigen ­Altersarmut gab es offenkundig innerhalb tionen im Zeitverlauf ein entscheidender
sowie die mittlere Armutsquote bei der Älteren wiederum Gruppen mit wach- Hinweis dafür, inwieweit es Personen
Nichterwerbstätigen hielten sich gegen- senden Armutsrisiken. u Tab 3c und Haushalten gelingt, defizitäre Positi-
über dem Jahr 2000 bis 2002 im Niveau. onen zu überwinden und welchem Risiko
Nach den Auszubildenden und Volon- 6.3.5 Dynamik von
Einkommen sie ausgesetzt sind, in unzureichende
tären fanden sich innerhalb der beruf­ und Armut Einkommenslagen abzurutschen. Diese
lichen Statusgruppen die höchsten Ar- Die Stabilität beziehungsweise die Dyna- Mobilität zwischen verschiedenen Ein-
mutsquoten unter den un- und ange­ mik von Einkommen und Armut gibt kommenspositionen im zeitlichen Ver-
lernten Arbeitern. Bei beiden Gruppen Auskunft über die Chancen und Risiken lauf kann unter anderem durch soge-
erhöhte sich das Armutsrisiko 2012 bis zur Verbesserung beziehungsweise Ver- nannte Mobilitätsmatrizen berechnet
2014 gegenüber 2000 
bis 2002. Insbeson-
dere un- und angelernte Arbeiter in Ost-
deutschland befanden sich in erheblichem
Ausmaß in prekären Lebenslagen. Bei ein-
fachen Angestellten stieg das Armutsrisi-
ko gegenüber 2000 bis 2002 deutlich, wo- u Tab 4  Einkommensdynamik: Quintilsmatrizen1 im Zeitverlauf
hingegen Beamte sowie qualifizierte und Stabiler/Mobiler Bevölkerungsanteil gegenüber Ausgangszeitpunkt — in Prozent
hochqualifizierte Angestellte unverändert Von der Bevölkerung im Ausgangsquintil (zum Beispiel 1. Quintil) im Jahr A waren
ein sehr geringes Armutsrisiko trugen. vier Jahre später, im Jahr B, X % der Bevölkerung im Übergangsquintil (zum Beispiel 2. Quintil)
Die in der letzten Dekade zunehmenden Ausgangs- Übergang
1992 –1996 2002 – 2006 2010 – 2014
Armutsquoten betrafen innerhalb der er- quintil in Quintil

werbstätigen Bevölkerung demzufolge 1. Quintil 1. Quintil 54 61 63


insbesondere gering qualifizierte Arbeiter 1. Quintil 2. Quintil 24 23 21
und einfache Angestellte. u Tab 3b 1. Quintil 3. Quintil 11 9 7
Betrachtet man einzelne Haushalts­ 1. Quintil 4. Quintil 7 4 4
typen, dann zeigt sich, dass in den letzten 1. Quintil 5. Quintil 3 2 5
zehn Jahren das Armutsrisiko eher bei 2. Quintil 1. Quintil 24 25 24
Haushalten mit jüngeren Haushaltsvor- 2. Quintil 2. Quintil 35 40 42
ständen sowie Single-Haushalten stieg. 2. Quintil 3. Quintil 23 20 21
In Ostdeutschland ist zudem ein Anstieg 2. Quintil 4. Quintil 13 11 11
der Armutsquoten beim Eintritt in den 2. Quintil 5. Quintil 4 4 2
Ruhestand
zu beobachten. Die niedrigs- 3. Quintil 1. Quintil 11 9 8
ten Armutsquoten sind bei Paarhaus­ 3. Quintil 2. Quintil 25 20 30
halten ohne Kinder, die höchsten hinge- 3. Quintil 3. Quintil 34 41 39
gen bei Familienhaushalten mit mehr als 3. Quintil 4. Quintil 23 23 19
drei Kindern sowie vor allem bei Haus- 3. Quintil 5. Quintil 7 7 4
halten von Alleinerziehenden zu finden.
4. Quintil 1. Quintil 7 5 3
Fast ein Drittel der Personen in Haus­
4. Quintil 2. Quintil 11 10 8
halten von Alleinerziehenden lebten in
4. Quintil 3. Quintil 22 22 24
Deutschland zuletzt in Armut. Ordnet
4. Quintil 4. Quintil 36 41 46
man die unterschiedlichen Haushalts­
4. Quintil 5. Quintil 24 22 19
typen nach dem Ablauf im Lebenszyklus,
5. Quintil 1. Quintil 3 3 1
so fällt zuerst der Anstieg der Armuts-
5. Quintil 2. Quintil 4 4 3
quote bei jungen Alleinlebenden ins
5. Quintil 3. Quintil 9 7 5
Auge. Paarhaushalte ohne Kinder wiesen
5. Quintil 4. Quintil 22 21 24
ein geringes Armutsrisiko auf. Bei Single-
5. Quintil 5. Quintil 62 66 67
haushalten im Alter von 55 bis 74 Jahren
sowie im Alter ab 75 Jahren erhöhte sich 1 Quintil = 20 % der nach der Höhe des Einkommens geschichteten Bevölkerung.
1. Quintil = unterstes (ärmstes) Quintil; 5. Quintil = oberstes (reichstes) Quintil.
das Armutsrisiko im Laufe der zurück­ Datenbasis: SOEP 2014.

188
Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik  / 6.3  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6
Armutsdynamik im zeitlichen Verlauf

und dargestellt werden. Hierbei wird be- u Abb 5  Armutsdynamik im zeitlichen Verlauf — in Prozent
rechnet, welcher Bevölkerungsanteil zu
Wie oft arm 1992 –1995 (alle Personen)
zwei Zeitpunkten in denselben Einkom-
Relative Position in Prozent des Medianeinkommens 1996
mensklassen (Quintilen) geblieben, be-
ziehungsweise in höhere oder niedrigere >150% 98

Einkommensschichten gewechselt ist. >125 –150% 97


Um die Mobilitätsmuster bei längeren >100 –125% 5 93
Zeitabständen darzustellen, werden Ver- >75 –100% 3 10 86
bleib und Übergänge in und aus Einkom-
>50 –75% 4 7 12 18 60
mensquintilen in einem vierjährigen
≤50% 27 14 21 17 21
­Abstand zu drei verschiedenen Perioden
betrachtet: 1992–1996, 2002–2006 sowie Wie oft arm 2002–2005 (alle Personen)
2010–2014. Das Risiko, während der vier Relative Position in Prozent des Medianeinkommens 2006
Folgejahre im untersten Quintil zu ver-
>150% 97
bleiben, erhöhte sich deutlich von 54 % in
>125 –150% 3 97
den 1990er-Jahren auf 63 % in 2010-2014.
Der Übergang von der untersten in ge­ >100 –125% 3 97

hobene Einkommenslagen verringerte >75 –100% 6 91


sich entsprechend. Auch der Verbleib im >50 –75% 3 4 11 17 64
zweiten und dritten Quintil erhöhte sich ≤50% 31 19 15 18 16
im hier betrachteten Zeitraum. In beiden
Quintilen ging dies zeitweilig damit ein- Wie oft arm 2010 –2013 (alle Personen)
Relative Position in Prozent des Medianeinkommens 2014
her, dass weniger Personen in höhere
Einkommensschichten aufstiegen. Der >150% 97
Verbleib in den obersten Einkommens- >125 –150% 97
quintilen erhöhte sich ebenfalls, die Risi-
>100 –125% 3 96
ken des Abstiegs in untere Einkommens-
>75 –100% 8 89
lagen sanken. Ungeachtet der zeitweise
>50 –75% 3 8 8 12 68
variierenden Übergangsquoten verrin-
gerten sich im Verlauf der letzten beiden ≤50% 48 15 9 16 12

Dekaden die Aufstiegschancen der unte-


Wie oft arm 2010 –2013 (bis 20 Jahre)
ren Einkommensgruppen insgesamt eher, Relative Position in Prozent des Medianeinkommens 2014
während sich die Einkommens­r isiken im
>150% 100
unteren Einkommensbereich erhöhten.
Im oberen Einkommensbereich verrin- >125 –150% 100

gerten sich hingegen die Abstiegsrisiken >100 –125% 3 97


und der Verbleib in den oberen Einkom- >75 –100% 11 88
mensschichten nahm zu. Weiterführen- >50 –75% 4 4 11 18 62
de Analysen mit zusätz­lichen zusam-
≤50% 36 15 10 18 20
menfassenden Mobilitätskennziffern be-
stätigen, dass die Einkommensschichten Wie oft arm 2010 – 2013 (ab 60 Jahre)
Relative Position in Prozent des Medianeinkommens 2014
weniger durchlässig geworden sind. u Tab 4
Abschließend wird der Frage nachge- >150% 99
gangen, in welchem Umfang die Bevölke- >125 –150% 99
rung in verschiedenen Einkommens-
>100 –125% 99
schichten eines Jahres in den zurücklie-
>75 –100% 4 94
genden vier Jahren Einkommensarmut
persönlich erfahren hat. Dabei bleibt un- >50 –75% 4 5 10 79

beachtet, ob diese individuellen Armuts­ ≤50% 57 16 9 11 7


erfahrungen zuvor im selben oder in einem
anderen Haushalt gemacht wurden.⁶ Die 4 mal arm 3 mal arm 2 mal arm 1 mal arm 0 mal arm

Grafiken weisen die zurückliegenden Datenbasis: SOEP 2014.

Datenbasis: SOEPv28
189
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.3 /  Einkommensentwicklung – Verteilung, Angleichung, Armut und Dynamik

­individuellen Armutserfahrungen für die Mit zunehmender Höhe der Einkom-


Ausgangsjahre 1996, 2006 und 2014 aus; men nimmt der Personenkreis mit Armuts­
für das Jahr 2014 werden diese zudem für erfahrungen erwartungsgemäß ab. Im
die jüngste Altersgruppe bis 20 Jahre und Bereich des prekären Wohlstands (50- bis
für die Älteren ab 60 Jahren nochmals 75 %-Schwelle) lebte etwa ein Drittel der
getrennt dargestellt. u Abb 5 Personen zumindest einmal innerhalb
Von den Personen, die im Jahr 2014 in der zurückliegenden vier Jahre unterhalb
der untersten Einkommensschicht und der Armutsgrenze − mit leicht rückläu­
damit in relativer Einkommensarmut figer Tendenz. Kurzfristige Armutserfah-
lebten, waren 88 % bereits in den vier rungen reichten bis in die mittleren Ein-
Vorjahren (2010 bis 2013) zumindest ein- kommenslagen hinein. Selbst im Bereich
mal von Armut betroffen, darunter war überdurchschnittlicher Einkommen fan-
fast die Hälfte in diesem Zeitraum dauer- den sich noch etwa 3 %, die zumindest
haft arm. Die unterste Einkommens- kurzfristige Armutserfahrungen gemacht
schicht setzte sich im Jahr 2014 demnach hatten. Insgesamt erhöhten sich ins­
in folgender Weise zusammen: 48 % aller besondere die Risiken anhaltender Ar-
Personen in dieser Einkommensschicht mutsepisoden, folglich verringerten sich
waren permanent arm, 40 % erlebten in die Chancen Armutsepisoden zu über-
den zurückliegenden vier Jahren Ein- winden.
und Ausstiege in und aus Armut und Die Muster der Armutsdauer variieren
weitere 12 % befanden sich zuvor nicht im mit dem Lebensalter. Kinder und Jugend-
prekären Einkommensbereich. Im Ver- liche befanden sich in der Querschnitts-
gleich dazu setzte sich die Einkommens- betrachtung häufiger in relativer Ein-
schichtung im Jahr 1996 noch in folgen- kommensarmut als Erwachsene im er-
der Weise zusammen: nur 27 % aller Per- werbsfähigen Alter. Hinsichtlich des
sonen in dieser Einkommensschicht Profils der zurückliegenden Armutser-
waren permanent arm, 52 % hatten einen fahrung erscheint in dieser Altersgruppe
transitorischen Armutsverlauf und wei- insbesondere der hohe Anteil an zumeist
tere 21 % hatten zuvor keinerlei Armuts­ eher kurzen Armutserfahrungen im un-
erfahrung. Der Anteil an Personen die im tersten und zweiten Einkommenssegment
zurückliegenden Zeitraum von vier Jah- bemerkenswert. Ältere wiesen zwar ins-
ren mindestens einmal unter der Ar- gesamt im Querschnitt im Allgemeinen
mutsgrenze lagen, nahm vor allem in den keine überdurchschnittlichen Armuts­
letzten zehn Jahren stark zu, wobei ins­ erfahrungen auf, allerdings trugen Ältere
besondere mehrfache und dauerhafte im unteren Einkommensbereich ein ho-
­A rmutsepisoden in dieser Einkommens- hes Risiko länger im prekären Bereich zu
schicht weiter anstiegen. verbleiben.

1 Bei der Berechnung der Jahreseinkommen werden hier nur rein monetäre Einkünfte betrachtet; Einkommensvorteile durch selbst­
genutztes Wohneigentum (imputed rent) bleiben hierbei ebenso unberücksichtigt wie Unterhaltsleistungen und Ähnliches
2 Bei dieser gesamtdeutschen Betrachtung sind die Unterschiede in den Preisniveaus im zeitlichen Verlauf sowie die insbesondere
­unmittelbar nach der Vereinigung bedeutsamen Kaufkraftunterschiede zwischen den alten und neuen Ländern noch nicht berück­
sichtigt. Die nachfolgenden Berechnungen werden deshalb auf der Basis von Realeinkommen zum Basisjahr 2010 durchgeführt, wobei
die Einkommen der alten und neuen Länder bis 1997 jeweils getrennt an die entsprechende Preisentwicklung angepasst wurden.
3 Bei gesamtdeutscher Betrachtung war unmittelbar nach der Vereinigung, als die Einkommen der alten und neuen Länder noch weiter
voneinander entfernt lagen, der Gini-Koeffizient höher als bei alleiniger Betrachtung der westdeutschen Verteilung und ist im Zuge
der Einkommensangleichung der neuen Länder im Verlauf der 1990er-Jahre zunächst gesunken.
4 Genau genommen wird ab dieser Schwelle von einem deutlich erhöhten Armutsrisiko gesprochen, da Einkommen nur einen indirekten
Indikator für Armut darstellt. Deshalb wird häufig der Begriff Armutsrisikoquote genutzt; wir verwenden in diesem Kapitel die Begriffe
Armutsquote und Armutsrisikoquote synonym.
5 Die Definition Ostdeutschland ist bei der Regionseinteilung nach Bundesländern ohne Berlin-Ost, bei der Gegenüberstellung von
­Gesamtdeutschland mit Ostdeutschland aber inklusive Berlin-Ost; dadurch ergibt sich die leicht unterschiedliche Armutsquote für
Region Ost und Ostdeutschland.
6 Die aktuelle Einkommensschichtung wird anhand der Relation zum arithmetischen Mittel abgebildet, die zurückliegende Armutserfah-
rung wird als kumulative Messung (n-mal von Armut betroffen) unterhalb der Armutsgrenze von 60 % des jeweils jahresspezifischen
gesamtdeutschen Medians berechnet.

190
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung  / 6.4  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

6.4 Mit Vermögen und Einkommen werden


grundlegende Konzepte zur Beschreibung
(Machtfunktion). Aus dieser Vielzahl an
Einzelfunktionen, die weit über jene des
Private Ver­- des Wirtschaftsgeschehens einer Volks- laufenden Einkommens hinausgehen,
mögen – Höhe, wirtschaft und der sozio-ökonomischen
Struktur einer Gesellschaft bezeichnet.
lässt sich das besondere ökonomische
und gesellschaftliche Interesse an Vermö-
Entwicklung Das Vermögen ist eine Bestandsgröße, die gen und dessen Verteilung ableiten.
und Verteilung zu einem Zeitpunkt (zum Beispiel am
Jahresende) bestimmt wird; Einkommen 6.4.1 Nettovermögen
stellt dagegen eine Stromgröße dar, die Das im Folgenden präsentierte Nettover-
Markus M. Grabka, pro Periode (beispielsweise Jahr oder mögen setzt sich aus dem Bruttover­
Christian Westermeier ­Monat) gemessen wird. mögen abzüglich sämtlicher Verbindlich-
DIW Berlin Das aggregierte Volksvermögen einer keiten zusammen. Die Komponenten
Gesellschaft kann von verschiedenen des Bruttovermögens sind das (1) selbst
Sektoren einer Volkswirtschaft gehalten ­genutzte Wohneigentum, (2) sonstiger
WZB / SOEP
werden, die auch Letzteigentümersekto- Immobilienbesitz (unter anderem unbe­
ren genannt werden. Dies sind der Staat, baute Grundstücke, Ferien- und Wo-
das Ausland und die privaten Haushalte chenendwohnungen), (3) Geldvermögen
inklusive den privaten Organisationen (Sparguthaben, Spar- und Pfandbriefe,
ohne Erwerbszweck wie Kirchen, Ge- Aktien und Investmentanteile), (4) Ver-
werkschaften oder Stiftungen. Im Folgen- mögen aus privaten Versicherungen (Le-
den wird eine Beschreibung der Höhe, bens- und private Rentenversicherungen
Entwicklung und Verteilung der Vermö- einschließlich sogenannter Riesterverträ-
gen der privaten Haushalte präsentiert; ge), (5) Bausparverträge, (6) Betriebsver-
detaillierte Informationen zu den priva- mögen (Besitz von Einzelunternehmen
ten Organisationen ohne Erwerbszweck und B ­ eteiligung an Personen- oder Kapi-
liegen in Deutschland nicht vor. ta lgesel lscha f ten; nach Abzug von
Aus der Sicht der privaten Haushalte betrieb­lichen Verbindlichkeiten) sowie
spricht man von sieben Funktionen, die (7) Sachvermögen in Form wertvoller
private Vermögen erfüllen können: Aus Sammlungen wie Gold, Schmuck, Mün-
Vermögen kann Einkommen in Form zen oder Kunstgegenstände. Die gesam-
von Zinsen, Dividenden, Mieten, Pachten ten Verbindlichkeiten bestehen aus den
und ausgeschütteten Gewinnen erzielt (8) Hypothekenkrediten auf selbst ge-
werden (Einkommenserzielungsfunktion); nutzte Immobilien, (9) Hypotheken­
Sachvermögen kann selbst genutzt wer- krediten auf sonstige Immobilien sowie
den (Nutzungsfunktion); durch Aufbrau- (10) Konsumentenkrediten. In dem hier
chen von Vermögen kann der Konsum verwendeten Nettovermögen werden
bei Einkommensausfällen stabilisiert ­Teile des R ­ ealvermögens nicht berück-
werden (Sicherungsfunktion); Vermögen sichtigt. Dies betrifft unter anderem den
kann verschenkt und vererbt werden Wert des Hausrats einschließlich des
(Vererbungsfunktion); Vermögen spielt Werts von Fahrzeugen, Bargeld und
auch bei der Erziehung und Ausbildung Eigen­t umsrechte an Patenten. Darüber
von Kindern oft eine wichtige Rolle (So- hinaus sind Anwartschaften an Alterssi-
zialisationsfunktion). Der Besitz von ins­ cherungssysteme aus der Gesetzlichen
besondere höherem Vermögen gewährt Rentenversicherung, Beamtenpensionen,
gesellschaftliches Prestige und damit berufsständischen Versorgungswerken
­einen höheren Rang in der gesellschaft­ oder Betriebsrenten nicht enthalten.
lichen Hierarchie (Prestigefunktion); Im Jahr 2012 hatten die privaten
und schließlich verleiht Vermögen, ins­ Haushalte in Deutschland (ohne die An-
besondere der Besitz von größerem Pro- staltsbevölkerung in beispielsweise Alters-
duktivvermögen, wirtschaftliche und oder Studentenheimen) ein aggregiertes
­g egebenenfalls auch politische Macht Bruttovermögen von rund 7,4 Billionen

191
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.4 /  Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung

Euro, wobei Grund- und Immobilien­ genüber 2002 zeigen sich nur wenige be- Im Zeitraum 2002 bis 2012 sind die
besitz mit 5,1 Billionen Euro den über- deutende Veränderungen. Eine Ausnah- durchschnittlichen Nettovermögen in
wiegenden Anteil ausmachte. Die Ver- me ist, dass der Anteil der Personen, die Ostdeutschland dagegen schneller ge-
bindlichkeiten der privaten Haushalte ein negatives Nettovermögen halten, wachsen als in Westdeutschland. Eine
­beliefen sich nach dieser Abgrenzung im ­zwischen 2002 und 2007 angestiegen und Rolle hierfür dürfte die Erholung auf
Jahr 2012 auf gut 1,1 Billionen Euro, vor- bis 2012 auf diesem Niveau verblieben ist. dem ostdeutschen Arbeitsmarkt gespielt
rangig bestehend aus Hypothekenkredi- Nominal wurde im betrachteten Zeit- haben. Haben die Haushalte höhere Ein-
ten in Höhe von knapp einer Billion Euro. raum nur ein leichter Anstieg der mittle- kommen zur Verfügung, verbessern sich
Das Nettovermögen der privaten Haus­ ren Vermögenshöhe beobachtet. u Tab 1 die Möglichkeiten, zu sparen und Vermö-
halte in Deutschland betrug damit im Zwischen den beiden Landesteilen gen zu akkumulieren. Hinzu kommt,
Jahr 2012 rund 6,3 Billionen Euro. bestehen weiterhin markante Unterschie- dass eine Belebung des Arbeitsmarktes
Das durchschnittliche Nettovermö- de in der Höhe des Nettovermögens. auch eine zunehmende Nachfrage nach
gen je Erwachsenen (Personen ab 17 Jah- Während in Westdeutschland im Jahr selbstgenutzten Immobilien bewirkt, de-
ren) lag 2012 bei gut 83 000 Euro. Der 2012 jeder Erwachsene ab 17 Jahren im ren Marktpreise entsprechend steigen.
Median der Vermögensverteilung, also Durchschnitt über mehr als 93 000 Euro
der Wert der die reichsten 50 % der Be- Vermögen verfügte, belief sich dieses für 6.4.2 Vermögensungleichheit
völkerung von der ärmeren Hälfte trennt, in Ostdeutschland lebende Personen nur Ein Standardmaß zur Messung von Ver-
war mit knapp 17 000 Euro wesentlich auf rund 41 000 Euro – dies entspricht mögensungleichheit ist der Gini-Koeffi­
niedriger als der Durchschnitt – ein In- weniger als der Hälfte des westdeutschen zient. Dieser ist auf den Wertebereich
diz für die ungleiche Verteilung des Ver- Wertes. Gemessen am Median war das zwischen Null (vollkommene Gleichver-
mögens. Gut ein Fünftel aller Erwachse- Gefälle noch größer – im Westteil des teilung) und Eins (vollkommene Un-
nen verfügte über kein nennenswertes Landes lag er bei 21 000 Euro, im Osten gleichverteilung) normiert, das heißt,
Vermögen – bei 7 % aller Erwachsenen bei nur 8 000 Euro. Zudem lag der Anteil je höher der Wert ist, desto stärker ausge-
waren die Verbindlichkeiten sogar höher der Personen mit einem Nettovermögen prägt ist die gemessene Ungleichheit. Für
als das Bruttovermögen. von Null im Jahr 2012 mit knapp 22 % 2012 ergab sich ein Koeffizient von 0,78.
Das reichste Prozent der Bevölkerung ­etwas höher als im Westteil des Landes In Deutschland war die Ungleichheit der
ab 17 Jahren besaß ein Nettovermögen mit rund 20 %. Auch der Anteil der Per- Vermögensverteilung damit im Vergleich
von mindestens 800 000 Euro. Dieser sonen mit negativem Nettovermögen zur Ver­teilung der verfügbaren Haus-
Wert dürfte aber unterschätzt sein, da in (das heißt, die Verbindlich­keiten sind hö- haltseinkommen mehr als doppelt so
freiwilligen Bevölkerungsbefragungen her als das Bruttovermögen) war in Ost- hoch (siehe Kapitel 6.3.1, Seite 179, Tab 1).
typischerweise Multimillionäre kaum deutschland mit knapp 9 % etwas höher Innerhalb der Eurozone wies Deutsch-
und Milliardäre nicht erfasst werden. Ge- als in Westdeutschland mit 7 %. land neben Österreich die höchste Vermö-

u Tab 1  Vermögensungleichheit in Deutschland: Inidividuelle Nettovermögen¹ 2012

Deutschland insgesamt West Ost

2002 2007 2012 2002 2007 2012 2002 2007 2012

Mittelwert (in Euro) 79 941 81 089 83 308 90 004 93 651 93 790 36 713 32 007 41 138

p99 ² (in Euro) 759 969 787 500 817 279 834 853 897 841 876 050 341 657 274 704 399 820

Median (in Euro) 15 000 14 818 16 663 19 800 18 910 21 200 7 500 7 100 8 080

Anteil der Personen mit einem 7,4 7,4 5,0 7,1 7,1 6,0 8,5 8,9
5,2
Nettovermögen <0 (in %)

Anteil der Personen mit einem


20,6 19,7 20,2 20,6 19,3 19,8 20,7 21,0 21,9
Nettovermögen = 0 (in %)

Gini-Koeffizient 0,776 0,799 0,780 0,761 0,784 0,768 0,816 0,823 0,792

90:50 Dezilsverhältnis 14,0 14,0 13,0 11,9 12,7 11,3 14,0 12,8 13,8

1 Personen ab 17 Jahre in Privathaushalten, mit 0,1 % Top-Coding.


2 99. Perzentil. 99 % aller Vermögen liegen unterhalb dieses Werts, 1 % darüber.
Datenbasis: SOEP 2012.

192
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung  / 6.4  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

gensungleichheit auf. So lag der Gini-Koef- u Abb 1  Vermögensungleichheit im internationalen Vergleich — Gini-Koeffizient
fizient für Frankreich bei 0,68, für Italien
bei 0,61 und für die Slowakei bei 0,45. Hö-
her als in Deutschland war die Vermögen- Slowakei 0,45

sungleichheit in den USA (Gini-Koeffizi- Slowenien 0,53


ent von 0,87 für das Jahr 2010). u Abb 1
Griechenland 0,56
Ein alternatives Verteilungsmaß ist
das 90:50-Dezilsverhältnis. Das Vermö- Spanien 0,58
gen der Person, welche die reichsten 10 % Malta 0,60
von den ärmeren 90 % trennt, wird dabei
in Beziehung zum Median der Vermögens- Belgien 0,61

verteilung gesetzt. Diese Kennziffer gibt Italien 0,61


das Vielfache des Vermögens »reicher«
Niederlande 0,65
Personen im Verhältnis zum Mittelpunkt
der Vermögensverteilung an. Im Jahr Finnland 0,66
2012 lag dieser Faktor bei 13. Alternativ Luxemburg 0,66
lässt sich die Ungleichheit der Vermö-
Portugal 0,67
gensverteilung auch grafisch darstellen.
Sortiert man die Bevölkerung nach der Euroraum 0,68
Höhe der Nettovermögen und teilt sie in
Frankreich 0,68
zehn gleich große Gruppen ein, erhält
man Vermögensdezile. Der Wert des ers- 0,70 - Deutschland 2012
Zypern2: Anteil am gesamten Nettovermögen nach Bevölkerungsdezilen
Abbildung
ten Dezils gibt somit an, welchen Anteil
Österreich 0,76
am gesamten Nettovermögen die ärms-
ten 10 % der Bevölkerung hatten. Im Jahr Deutschland 0,76

2012 war dieser Wert negativ, da diese USA 0,87


Gruppe im Durchschnitt über negative
Nettovermögen verfügte. Fasst man die
Datenbasis: HFCS (2013); für die USA Wolff (2013).
­ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen,
so belief sich deren Anteil am gesamten
Nettovermögen nur auf 0,1 %, die unteren
70 % der Bevölkerung kamen zusammen
uAbb 2  Anteil am gesamten Nettovermögen¹ nach Bevölkerungsdezilen
nur auf einen Anteil von rund 10 %. Im
Deutschland 2012 — in Prozent
Gegensatz dazu hielten die Personen des
obersten Dezils allein einen Anteil am ge-
samten Vermögen von rund 58 %. u Abb 2 57,5

6.4.3 Vermögensportfolio
Die Betrachtung reiner Nettogrößen ver-
deckt im Allgemeinen wichtige Struktur-
unterschiede sowohl bezüglich der Zu-
19,9
sammensetzung des Vermögens als auch
12,1
bezüglich eventueller Verbindlichkeiten.
7,0
So kann ein niedriges Nettovermögen das 1,3
3,3
0,0 0,4
Ergebnis eines hohen Bruttovermögens
0,0
bei gleichzeitig hohem Schuldenstand –1,6

sein (zum Beispiel bei jungen Familien


kurz nach dem Erwerb eines mit Hypo-
theken belasteten Eigenheims) oder es 1. Dezil 2. Dezil 3. Dezil 4. Dezil 5. Dezil 6. Dezil 7. Dezil 8. Dezil 9. Dezil 10. Dezil

kann schlicht ein niedriges Geldvermö-


1  Personen ab 17 Jahre in Privathaushalten, mit 0,1 % Top-Coding.
gen ausdrücken. Auch im Zuge der aktu- Datenbasis: SOEP 2012.

ellen Finanzmarktkrise der Jahre 2008/09

193
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.4 /  Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung

kann erwartet werden, dass private Haus- Betriebsvermögen mit einem Anteil von Gemessen am Nettovermögen waren
halte ihr Vermögen in weniger risikobe- deutlich weniger als 10 %. Verbindlich- auch die Verbindlichkeiten in Form von
haftete Anlagen umschichten oder gar keiten lagen bei knapp einem Drittel der Hypotheken auf selbst genutzte Immobi-
auf lösen müssen, um Einkommensaus- Bevölkerung vor, vorwiegend bestehend lien bedeutsam (11 %).
fälle zum Beispiel im Falle von Arbeits­ aus Hypothekenkrediten auf selbstge- Betrachtet man nur die Population
losigkeit zu kompensieren. nutzte Immobilien und Konsumenten­ derjenigen, die eine bestimmte Vermö-
Knapp die Hälfte der erwachsenen Be- krediten. Seit 2002 hat die Verbreitung genskomponente halten, so waren 2012
völkerung besaß im Jahr 2012 Geldver- von Konsumentenkrediten mit einem die höchsten Werte beim Betriebsvermö-
mögen (47 %) oder Vermögen in Form Zuwachs von 4 Prozentpunkten leicht zu- gen mit durchschnittlich knapp 200 000
von privaten Versicherungen und genommen. Es kann vermutet werden, Euro zu beobachten. Der entsprechende
Bauspar­verträgen (50 %). Gegenüber 2002 dass der Anstieg auch von günstigen Fi- Wert selbst genutzter Immobilien belief
hat der Verbreitungsgrad von privaten nanzierungsangeboten für Konsumgüter sich auf rund 140 000 Euro. Das Portfolio
Versicherungen etwas zugenommen. Dies infolge der Niedrigzinspolitik der Euro- des sonstigen Immobilienbesitzes wurde
dürfte unter anderem auf die Anfang päischen Zentralbank begünstigt wurde. im Durchschnitt mit mehr als 150 000
2000 eingeführten »Riesterverträge« zu- Bezogen auf alle Erwachsenen war Euro bewertet. Ein deutlicher Zuwachs
rückzuführen sein, die seitdem vermehrt selbst genutztes Wohneigentum die ist beim Geldvermögen zu beobachten.
abgeschlossen werden. Dies hat auch zur quantitativ bedeutendste Vermögens- Im Jahr 2002 lag dieser Wert noch bei
Folge, dass der Anteil der Personen ohne form, da mehr als 60 % des Nettovermö- etwa 22 000 Euro und ist bis 2012 auf
jegliches Bruttovermögen zwischen 2002 gens auf diese Vermögensform entfielen. knapp 29 000 Euro gestiegen. Es ist da-
und 2012 um 6 Prozentpunkte zurück­ Geldvermögen wiesen zwar eine hohe von auszugehen, dass unter anderem der
gegangen ist. Mehr als ein Drittel aller Er- Verbreitung in der Bevölkerung auf, ge- Wertzuwachs von Aktien hierzu beigetra-
wachsenen (ab 17 Jahren) in Deutschland messen am gesamten Nettovermögen gen hat. Ein deutlicher Zuwachs von
war im Jahr 2012 (Mit-)Eigentümer einer kam dieser Vermögenskomponente aber rund 8 000 Euro ist auch bei den Hypo-
selbst ge­nutzten Immobilie. Sonstige Im- nur ein Anteil von 16 % im Jahr 2012 zu. theken auf selbst genutzte Immobilien
mobilien ­w urden hingegen nur von 10 % Von etwas größerer quantitativer Rele- zu beobachten, die sich 2012 im Durch-
der erwachsenen Bevölkerung gehalten. vanz war dagegen der sonstige Immo­ schnitt auf 55 000 Euro summierten.
Wenig verbreitet waren Wertsachen und bilienbesitz mit einem Anteil von 18 %. Auch hier kann vermutet werden, dass
die Niedrigzinspolitik der Europäischen
Zentralbank dafür gesorgt hat, dass ver-
stärkt Hypotheken zur Finanzierung von

38 %
Immobilien herangezogen wurden. Ins-
gesamt belegen die präsentierten Befun-
de, dass keine nachhaltigen und dauer-
haften Auswirkungen der Finanzmarkt-
aller Erwachsenen in Deutsch- krise auf das Vermögensportfolio der
land waren im Jahr 2012 (Mit-) Privathaushalte in Deutschland festge-
Eigentümer einer selbst­ge- stellt werden können. Dies kann vor­
nutzten Immobilie. rangig damit erklärt werden, dass die
­Finanzmarktkrise zwar kurzfristig zu
Buchverlusten bei den Privathaushalten
führte, die Wertpapiermärkte sich aber
bis zum Jahr 2012 wieder nahezu voll-
ständig von der Krise erholten. u Tab 2
Ein Vergleich des Nettovermögens
nach Altersklassen zeigt für Westdeutsch-
land ein deutliches Lebenszyklusmuster:
Bis zu einem Alter von 25 Jahren verfüg-
ten junge Erwachsene im Jahr 2012 nur
über ein durchschnittliches Nettover­
mögen von weniger als 7 000 Euro. Mit
Abschluss der Ausbildungsphase und
dem Eintritt in das Erwerbsleben besteht

194
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung  / 6.4  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

u Tab 2  Vermögenskomponenten des individuellen Nettovermögens¹ in Deutschland 2002, 2007, 2012

Anteil der Besitzer in der Vermögensportfolio des Je erwachsenen


erwachsenen Bevölkerung Nettovermögens Vermögensbesitzer

in % in % Mittelwert in Euro

2002 2007 2012 2002 2007 2012 2002 2007 2012

Bruttovermögen 70 74 76 119 120 119 131 504 131 525 132 596

Selbstgenutzes Wohneigentum 38 36 38 62 59 63 138 752 138 354 141 085

Sonstige Immobilien 10 10 10 20 21 18 171 980 175 943 155 553

Geldvermögen 46 48 47 12 15 16 22 306 26 889 28 996

Betriebsvermögen 4 4 4 11 11 9 212 347 222 933 191 368

Wertsachen 9 6 6 2 2 1 18 089 22 452 15 438

Versicherungen und
48 52 50 11 12 11 19 569 19 718 18 634
Bausparverträge

 Versicherungen² . 40 39 . 9 8 . 18 401 16 678

 Bausparvermögen² . 29 29 . 3 3 . 9 894 9 931

Schulden 28 31 32 19 20 19 53 040 51 362 50 079

Hypotheken auf selbstgenutze


19 18 18 10 11 11 47 412 53 635 55 314
Immobilien

Hypotheken auf sonstige


4 4 4 5 5 4 103 344 105 391 89 380
­Immobilien

Konsumentenkredite 12 16 16 3 3 3 21 407 14 853 14 691

1 Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten.


2 In 2002 nicht getrennt erhoben.
. Zahlwert unbekannt.
Datenbasis: SOEP 2012.

u Abb 3  Durchschnittliches individuelles Nettovermögen¹ nach Altersgruppen und Region 2012 — in Tausend Euro
Abb. 3: Individuelles Nettovermögen nach Altersgruppen und Region 2012

200

150

100

50

0
<20 21–25 26–30 31–35 36–40 41–45 46–50 51–55 56–60 61–65 66–70 71–75 76–80 81+ Alter in Jahren

Westdeutschland Ostdeutschland

1  Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten.


Datenbasis: SOEP 2012.

195
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.4 /  Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung

die Möglichkeit des Sparens und des ne signifikanten Unterschiede im Netto- 6.4.4 Nettovermögen nach
Auf baus von Vermögen, gleichzeitig vermögen bestanden. Das Lohnniveau in sozialer Position
steigt die Wahrscheinlichkeit von Erb- Ostdeutschland ist zwar weiterhin nied- Das Ausbildungsniveau und der ausgeüb-
schaften oder Schenkungen. Im Ergebnis riger als im Westteil des Landes. Ande- te Beruf haben einen maßgeblichen Ein-
steigt das durchschnittliche Nettovermö- rerseits sind aber auch die Mietpreise in fluss auf die Höhe des Einkommens einer
gen ab einem Alter von 26 Jahren deut- Ostdeutschland geringer, was letztlich zu Person und damit auch auf ihre Spar-
lich. Das höchste durchschnittliche vergleichbaren Sparmöglichkeiten junger möglichkeiten. Somit lassen sich Unter-
indivi­duelle Nettovermögen besaß 2012 Erwachsener in beiden Landesteilen füh- schiede in der Höhe des Nettovermögens
die Gruppe der 66- bis 70-Jährigen mit ren dürfte. Ältere Kohorten in Ostdeutsch- zwischen Personen mit unterschiedlicher
knapp 175 000 Euro. Hierbei kommt dem land blieben jedoch mit einem durch- sozialer Position erwarten.
Aufbau von Nettovermögen in Form von schnittlichen Vermögen von etwas mehr Generell gilt, dass mit steigender be-
Immobilien eine besondere Bedeutung als 50 000 Euro weit hinter dem ­Niveau ruf licher Position auch das Nettover­
zu, da diese vielfach bis zum Rentenalter in Westdeutschland zurück. Die große mögen steigt. So verfügten un- oder an-
voll entschuldet sind. Im höheren Lebens- Differenz erklärt sich vorrangig aus den gelernte Arbeiter und Angestellte im Jahr
alter erfolgt typischerweise ein Vermö- ­fehlenden Sparmöglichkeiten für die ehe- 2012 über ein durchschnittliches Ver­
gensverzehr. Ältere Kohorten weisen maligen Bürger der DDR sowie durch die mögen von rund 33 000 Euro, bei Fachar-
­typischerweise niedrigere Nettovermö- weiterhin bestehende höhere Arbeits­ beitern waren es 45 000 Euro. Vorarbeiter,
gen auf, da bereits Teile des Vermögens losigkeit in Ostdeutschland. Auch mittel- Meister und Angestellte mit quali­
an nachgelagerte Generationen in Form fristig werden Vermögensunterschiede fizierten Tätigkeiten besaßen im Mittel
von Schenkungen übertragen werden. zwischen Ost- und Westdeutschland be- 83 000 Euro, während Angestellte mit
Bei einem Vergleich zwischen West- stehen bleiben, da sich diese in Form von umfassenden Führungsauf­ g aben ein
und Ostdeutschland wird erkennbar, Erbschaften und Schenkungen auf die durchschnittliches individuelles Nettover-
dass bis zu einem Alter von 40 Jahren kei- nächste Generation fortschreiben. u Abb 3 mögen von knapp 210 000 Euro erreichten.

u Tab 3  Individuelles Nettovermögen¹ nach sozialer Stellung 2012


Mittelwert Median Bevölkerungsstruktur

in Euro in Euro in %

In Ausbildung, Praktikant 7 881 10 7,2

Un-, angelernte Arbeiter, Angestellte ohne Ausbildungsabschluss 32 527 2 000 10,6

Gelernte Facharbeiter, Angestellte mit einfacher Tätigkeit 45 076 9 858 10,6

Vorarbeiter, Meister, Poliere, Angestellte mit qualifizierter Tätigkeit 83 039 34 000 23,6

Angestellte mit umfassenden Führungsaufgaben 209 096 114 595 0,7

Beamte einfacher, mittlerer Dienst 79 776 42 468 1,2

Beamte gehobener, höherer Dienst 113 810 80 100 2,4

Selbständige ohne Mitarbeiter 172 334 50 018 3,6

Selbständige mit 1– 9 Mitarbeitern 329 044 145 124 1,8

Selbständige mit 10 oder mehr Mitarbeitern 952 264 504 860 0,3

Nicht erwerbstätig 61 901 5 578 5,8

Arbeitslos 17 797 0 5,0

Rentner, Pensionäre 112 163 49 900 27,2

Insgesamt 83 308 16 663 100,0

1  Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten.


Datenbasis: SOEP 2012.

196
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung  / 6.4  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

Untergliedert nach Dienstgraden zeigt wie Auszubildende. Bei Letzteren ist dies schnitt­studie, das heißt, die beobachteten
sich, dass Beamte im einfachen oder gemäß der Lebenszyklustheorie dem ge- Personen wurden nicht nur einmalig be-
mittleren Dienst ein Netto­vermögen von ringen Lebensalter geschuldet. Bei fragt, sondern die Befragung wird jedes
gut 80 000 Euro und damit etwa so viel Arbeits­losen dürfte vorhandenes Vermö- Jahr immer wieder bei denselben Perso-
aufwiesen wie Ange­stellte mit qualifizier- gen auch zur Glättung des Konsums her- nen durchgeführt. Damit ist es möglich
ter Tätigkeit. Beamte des gehobenen oder angezogen worden sein, um den Ausfall individuelle Aufstiege oder Abstiege in
höheren Dienstes hingegen verfügten des Ewerbseinkommens zu kompensie- der Vermögenshierarchie zu beschreiben.
über ein Nettovermögen von mehr als ren. Zudem gilt, dass bei Beziehern von Um den Einfluss der Inflation zu be-
110 000 Euro. Arbeitslosengeld II zunächst privates rücksichtigen, werden im Folgenden die
Am höchsten fiel das Vermögen von Vermögen aufgebraucht werden muss, be- Vermögen real – also bereinigt um die
Selbständigen aus. Zum einen sind Selb- vor staatliche Transferleistungen bewil- ­Inflationsentwicklung – dargestellt. Da es
ständige zumeist nicht gesetzlich renten- ligt werden. Beides führt im Ergebnis keinen allgemeinen vermögens­ s pezi­
versichert und betreiben stärker private dazu, dass A­ rbeitslose im Durchschnitt fischen Preisindex gibt, wird der allge­
Altersvorsorge in Form von privaten Ver- mit etwa 18 000 Euro über geringe Netto- meine Verbraucherpreisindex des Statisti-
sicherungen oder Immobilien, zum ande- vermögen verfügten. u Tab 3 schen Bundesamtes herangezogen, um
ren ist dies dem Betriebsvermögen selbst das reale Wohlfahrtsniveau in Preisen des
geschuldet. Bei Selbständigen ohne Mit- 6.4.5 Vermögensmobilität Jahres 2010 zu bestimmen. Dem liegt die
arbeiter lag das Nettovermögen bei etwas Aus den oben genannten Querschnitt­ Idee zu Grunde, dass privates Vermögen
mehr als 170 000 Euro; bei Selbständigen analysen können keine Aussagen darüber jederzeit liquidiert und damit potentiell
mit mehr als zehn Mitarbeitern bei gemacht werden, wie sich die Vermögen in Konsum umgewandelt werden kann.
knapp einer Million Euro. über die Zeit hinweg auf individueller Betrachtet man die Entwicklung der
Relativ wenig Vermögen besaßen ­Basis entwickelt haben. Die hier verwen- Vermögen in den 2000er-Jahren, stellt
Nichterwerbstätige und Arbeitslose so- deten Daten basieren auf einer Längs­ sich die Frage, welchen Einf luss die

u Tab 4  Absolute Veränderungen des realen individuellen Nettovermögens¹ 2002/2007 und 2007/2012 — Bevölkerungsanteile in Prozent

2002/07 2007/12

Verlust < –1000 Euro 41,7 40,0

  < – 250 000 Euro 2,4 1,7

  – 250 000 bis – 50 000 Euro 11,3 9,1

  – 50 000 bis – 10 000 Euro 15,6 15,5

  – 10 000 bis < –1 000 Euro 12,5 13,6

unverändert

  – 1 000 bis 1 000 Euro 13,4 15,8

Zuwachs (> 1000 Euro) 44,9 44,2

  > 1 000 bis 10 000 Euro 13,5 14,9

  10 000 bis 50 000 Euro 17,6 17,5

  50 000 bis 250 000 Euro 11,7 10,3

  > 250 000 Euro 2,0 1,6

Veränderung in der Gesamtbevölkerung

  Arithmetisches Mittel – 1 211 456

 Median 5 349 3 376

1 Reale individuelle Nettovermögen der Personen ab 17 Jahren in Privathaushalten in Preisen von 2010, 0,1 % Top-Coding. Längsschnitte der Jahre 2002/2007 und 2007/2012.
Datenbasis: SOEP 2013.

197
6 /  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  6.4 /  Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung

g­ lobale Finanz- und Wirtschaftskrise u Abb 4  Abb. 4: Median Haushalts-Nettovermögen in Tausend Euro
Median Haushalts-Nettovermögen 2013 — in Tausend Euro
ausgeübt hat. Um deren Effekte abschät-
zen zu können, wird im Folgenden die
Analyse in zwei Fünfjahreszeiträume un- Deutschland 51
terteilt (2002 bis 2007 und 2007 bis 2012).
Insgesamt zeigt sich, dass eine hohe Ver- Slowakei 61
mögensmobilität in der Bevölkerung be-
Portugal 75
steht. Nur bei jeweils gut einem Achtel
der Personen blieb das Nettovermögen
Österreich 76
in beiden Zeiträumen stabil, veränderte
sich also um weniger als 1 000 Euro. Bei USA¹ 84
knapp einem Drittel der Personen nahm
das Nettovermögen um real 1 000 bis Finnland 86

50 000 Euro zu. Vermögenszuwächse von


Slowenien 101
real mehr als 50 000 Euro verzeichneten
mehr als 10 %. Bei diesen spielten emp- Griechenland 102
fangene Erbschaften und Schenkungen
eine zentrale Rolle für den Vermögens- Niederlande 104

aufbau. Auf der anderen Seite erfuhren


Euroraum 109
über 40 % aller Erwachsenen in Privat-
haushalten reale Vermögensverluste. Ge- Frankreich 116
messen am Median bezifferten sich deren
Verluste auf 21 000 Euro im Zeitraum Italien 174
2002 bis 2007 und knapp 17 000 Euro im
Zeitraum 2007 bis 2012. Die Vermögens- Spanien 183

verluste dürften hier aber überzeichnet


Belgien 206
sein, da der Wert von Hausrat oder Fahr-
zeugen nicht in die Analysen einfließt, Malta 216
andererseits aber Konsumentenkredite
zur Anschaffung dieser Gegenstände Quelle:Zypern
HFCS, für die USA Wolff (2013) 267

im Nettovermögen berücksichtigt wer-


Luxemburg 398
den. Bei den Personen mit Vermögens­
zuwächsen machten die Gewinne bezo-
gen auf den Median 20 000 Euro zwischen
2002 und 2007 beziehungsweise knapp 1  Angaben in US-Dollar für das Jahr 2014.
Datenbasis: EZB 2013; für die USA Wolff (2014).
18 000 Euro zwischen 2007 und 2012 aus.
Bis zum Jahr 2012 waren die Rückgänge
und Einbrüche durch die Finanzmarkt-
krise vor allem beim Geldvermögen im
Durchschnitt weitgehend aufgeholt. Im
Vergleich zum Zeitpunkt vor der Krise
kam es insgesamt lediglich zu einer leich- um das N­ ettovermögen der Privathaus- und Malta mit rund 270 000 Euro bezie-
ten Dämpfung der Vermögen. u Tab 4 halte zu beschreiben. Zieht man wieder- hungsweise 215 000 Euro. Aber auch die
um den Median des Nettohaushaltsver- von der Finanzkrise schwer getroffenen
6.4.6 Internationaler Vergleich mögens heran, also den Wert, der die Staaten Spanien und Italien wiesen ein
Für einen Vergleich der Höhe des Netto- reichsten 50 % der Bevölkerung von der überdurchschnittliches Nettovermögen
vermögens innerhalb der Eurozone stellt ärmeren Hälfte trennt, so lag dieser 2013 auf. Hier ist aber zu beachten, dass die
die Europäische Zentralbank (EZB) seit für die gesamte Eurozone (ohne Irland Befragung in Spanien d ­ irekt vor Eintre-
kurzer Zeit harmonisierte Mikrodaten und ohne Estland) bei 109 000 Euro. Das ten der Finanzkrise durchgeführt wurde
zur Verfügung. Mittels eines standard­ höchste Media n-Net tohausha ltsver­ und daher gegenüber der aktuellen Situa-
isierten Fragebogens werden alle rele­ mögen fand sich in ­L uxemburg mit tion ver­mutlich ein zu ­p ositives Bild
vanten Vermögenskomponenten erfasst, knapp 400 000 Euro, gefolgt von Zypern zeichnet. Zu den weniger vermögenden

198
Private Vermögen – Höhe, Entwicklung und Verteilung  / 6.4  Private Haushalte – Einkommen, Ausgaben, Ausstattung  / 6

Staaten zählten die osteuropäischen Staa- nationalen Maßstäben geringes privates


ten Slowakei und Slowenien mit 60 000 Vermögen – trotz relativ hoher Spar­quote –
Euro beziehungsweise 100 000 Euro, aber aufweist. u Abb 4
auch Österreich mit rund 75 000 Euro und
Finnland mit etwa 85 000 Euro. Die US- 6.4.7 Ausblick
amerikanischen Haushalte hielten ein Me- Dem privaten Vermögen kommt für die
dian Nettohaus­halts­vermögen von 84 000 private Altersvorsorge eine wachsende
US-Dollar. Dieser geringe Wert erklärt sich Bedeutung zu, da mit den zu Beginn der
hier vor allem durch die hohe Vermögen- 2000er-Jahre beschlossenen Reformen
sungleichheit. Mit Abstand das geringste der Alterssicherung das Sicherungs­
Nettohaushaltsvermögen gemessen am niveau in der Gesetzlichen Rentenver­
Median entfiel auf Deutschland mit 51 000 sicherung abgesenkt wurde und private
Euro im Jahr 2011. Dieser geringe Wert ist Vorsorge zum Beispiel in Form von
auch das Ergebnis historischer Entwick- ­privaten Versicherungen wie Riesterren-
lungen: Durch den Zweiten Weltkrieg wur- tenverträgen an Bedeutung gewinnt. Der
den große Teile des p­ rivaten Vermögens in durch­s chnittliche Vermögenswert von
Deutschland zerstört, zudem hatten Perso- privaten Versicherungen (ein­schließlich
nen in der DDR im Vergleich zu Westdeut- Bauspar­verträgen) belief sich 2012 aber
schen kaum Möglichkeiten, Vermögen auf- nur auf knapp 19 000 Euro. Ob damit die
zubauen. Des Weiteren ist zu beachten, Lücken in der Absicherung der Gesetz­
dass der Anteil der Eigentümer selbst ge- lichen Rentenversicherung geschlossen
nutzter Immobilien in Deutschland im werden können, bleibt fraglich. Ungewiss
interna­t ionalen Vergleich gering ausfällt. ist auch, ob die zusätzliche private Alters-
Nur die Schweiz hat innerhalb Europas ei- vorsorge zu einem zusätzlichen Vermö-
nen geringeren Eigentümeranteil als gensauf bau führt oder ob die privaten
Deutschland. Im Gegensatz dazu liegt der Haushalte bisherige Spar­formen zu­
Eigentümeranteil in Zypern oder Malta bei gunsten der Riesterrenten um­schichten.
drei Viertel. Der selbst genutzte Immobili- In letzterem Fall werden sich Lücken in
enbesitz ist aber die quantitativ wichtigste der Altersversorgung kommender Rent-
Vermögenskomponente und erklärt so nerkohorten in Deutsch­­land auftun und
auch, warum Deutschland ein nach inter- zu einem Anstieg der Alters­armut führen.

199
80 %
der 2013 in Deutschland
lebenden Migranten wollen für
immer in Deutschland bleiben.

60 %
der erwachsenen Bevöl-
kerung ordneten sich 2014
der Mittelschicht zu.

16,4 Mill.
Menschen in Deutsch-
land hatten 2014 einen
Migrationshintergrund.

38 %
der Männer in Westdeutschland und 26 % der
Männer in Ostdeutschland erreichten 2010 – 2014
eine höhere berufliche Position als ihre Väter.
7
Sozialstruktur und
soziale Lagen
7.1 Probleme der sozialen Ungleichheit und
der Verteilung finden in den letzten Jah-
ge gestellt und die »klassenlose« oder
»entschichtete« Gesellschaft als Folge ei-
Soziale Lagen ren insbesondere angesichts der ver- ner weitgehenden Individualisierung
und soziale schärften wirtschaftlichen Situation und
der stagnierenden Einkommensentwick-
proklamiert hatten. u Info 1

Schichtung* lung wieder große Aufmerksamkeit. Mit 7.1.1. Soziale Lagen in Deutschland
*Überarbeitung der Version, die 2013 diesen Entwicklungen sind politische Im Folgenden wird ein übergreifendes
von Roland Habich erstellt wurde.
Diskussionen und Konflikte verbunden, Bild der Sozialstruktur der Bundesrepub-
aber auch unmittelbare Konsequenzen lik präsentiert, das auf die Konzepte der
Mareike Bünning für die Verteilung des Wohlstands sowie sozialen Lage, der Klassenlage und der
WZB die soziale Lage und Stellung verschiede- subjektiven Schichteinstufung zurück-
ner Bevölkerungsgruppen in der gesell- greift. Für die Unterscheidung von sozia-
schaftlichen Statushierarchie. Zudem ist len Lagen wird die erwachsene Bevölke-
WZB / SOEP
auch die Strukturierung der Gesellschaft rung zunächst getrennt nach Männern
in soziale Klassen und Schichten wieder und Frauen, in unter und über 60-Jährige
ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt, sowie nach ihrer Stellung zum und im
nachdem manche Sozialwissenschaftler Erwerbsleben aufgegliedert. Daraus erge-
zuvor deren Existenz zunehmend in Fra- ben sich insgesamt 18 soziale Lagen von

u Info 1
Konzepte der Struktur sozialer Ungleichheit
Konzepte wie »soziale Schichtung«, »Klassenlagen«, oder »soziale Lagen« beziehen sich auf die Struk-
turen der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft und auf die Position von Personen in der Status­
hierarchie. Soziale Schichtung bezeichnet generell eine strukturelle Ungleichheit zwischen ­sozialen
­Positionen, die sich zum Beispiel in Einkommens-, Prestige- und Einflussdifferenzen a ­ usdrückt. Die
Klassenlage von Personen und Haushalten ist demgegenüber spezifischer und verweist auf Positionen
in der vertikalen Statushierarchie, die mit typischen Erwerbs- und Lebens­c hancen verbunden sind. ­
Das Konzept der »sozialen Lage« umfasst darüber hinaus auch weitere Ungleichheitsdimensionen,
­darunter auch sogenannte neue soziale Ungleichheiten, die alte ­Ungleichheiten überlagern, verstärken
oder abschwächen können. Dabei werden neben objektiven Merkmalen oder Benachteiligungen zum
Teil auch subjektive Merkmale betrachtet.

201
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.1 /  Soziale Lagen und soziale Schichtung

u Abb 1  Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 2014 — in Prozent


Abb. 1: Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 2014 - in Prozent

Frauen Männer

2 Leitende Angestellte / 2,9


1 Höhere Beamte 2

12,5 Hochqualifizierte 18,6


Angestellte /
15 10
Gehobene Beamte
Qualifizierte 9,3
20,2
Angestellte /
18 Mittlere Beamte 9

6 Einfache Angestellte / 4,2


5,5 Beamte 2,7

0,6 Meister / 3,9


0,2 Vorarbeiter 4,3

1,6 9,5
Facharbeiter
5,5 13

3 Un-, angelernte 4,7


2,2 Arbeiter 2,3

4,8 Selbstständige, 6,5


4,2 freie Berufe 9

3,3 2,6
Arbeitslose
6,2 6,3

9,8 Hausfrauen / 0
1,8 -männer 0

6,2 6,4
Studium, Lehre
4 4,3

1,1 2,2
Vorruhestand
2,4 3,8

3,6 Noch nie / 0,9


0,9 nicht erwerbstätig 1,6 Bis 60 Jahre

1,9 Noch Ab 61 Jahre


4,6
3,3 erwerbstätig 5,2

1,2 Noch nie 0


0 erwerbstätig 0

5,3 Rentner 7,6


7,7 (ehemalige Arbeiter) 11,3

15,4 Rentner 12,6


20 (ehemalige Angestellte) 13,1

Rentner
1,4 3,5
(ehemalige
2 Selbständige) 2,2

West Frauen West Männer


Ost Frauen Ost Männer

Datenbasis: ALLBUS 2014.

Datenbasis: Allbus 2014.


202
Soziale Lagen und soziale Schichtung  / 7.1  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 1  Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 1990 – 2014 — in Prozent


West Ost West Ost
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen
1990 2014

Bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / Höhere Beamte 3,0 0,9 1,9 0,7 2,9 2,0 1,6 1,1

Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 16,4 6,6 13,0 13,5 18,6 12,5 10,4 14,8

Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 11,4 14,0 5,4 21,5 9,3 20,2 8,8 18,1

Einfache Angestellte / Beamte 3,0 8,2 4,0 9,0 4,2 6,0 2,7 5,5

Meister / Vorarbeiter 4,4 0,4 9,9 1,7 3,9 0,6 4,3 0,2

Facharbeiter 14,8 1,2 27,7 9,9 9,5 1,6 13,0 5,5

Un-, angelernte Arbeiter 4,2 2,0 3,1 1,9 4,7 3,0 2,3 2,2

Selbstständige, freie Berufe 7,9 3,7 6,5 4,5 6,5 4,8 9,0 4,2

Arbeitslose 1,6 2,0 6,8 9,7 2,6 3,3 6,3 6,2

Hausfrauen / -männer 0,2 24,5 0,0 2,5 0,0 9,8 0,0 1,8

Studium, Lehre 10,8 5,3 2,5 1,0 6,4 6,2 4,3 4,0

Vorruhestand 2,3 1,9 4,3 6,7 2,2 1,1 3,8 2,4

Noch nie/nicht erwerbstätig 0,9 4,5 0,3 0,3 0,9 3,6 1,6 0,9

Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 2,7 0,9 2,8 0,5 4,6 1,9 5,2 3,3

Noch nie erwerbstätig 0,0 5,8 0,0 0,8 0,0 1,2 0,0 0,0

Rentner (ehemalige Arbeiter) 2,6 5,1 2,2 3,7 7,6 5,3 11,3 7,7

Rentner (ehemalige Angestellte) 9,7 11,1 7,6 10,1 12,6 15,4 13,1 20,0

Rentner (ehemalige Selbständige) 3,6 1,7 1,7 2,1 3,5 1,4 2,2 2,0

Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2012 kumuliert, ALLBUS 2014.

Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. fanden. Aus einer ursprünglich vollbe- genommen hat. Dabei ist bei den Frauen
Im Blickpunkt steht die Sozialstruktur schäftigten Arbeitsgesellschaft entwickelte zugleich ein deutlicher Anstieg von
im Jahr 2014 in West- und Ostdeutsch- sich infolge der gesellschaftlichen Trans- qualifizierten Angestelltenpositionen
land. Durch den Vergleich mit dem Jahr formation nach der deutschen Vereini- festzustellen. u Tab 1
1990 können zudem die Richtung des gung zunächst eine zerklüftete Beschäfti- In Westdeutschland dominieren un-
­s ozialen Wandels insgesamt sowie ins­ gungsstruktur, die sich erst im Zeitver- ter den Erwerbstätigen die Angestellten
besondere die sozialstrukturellen Verän- lauf allmählich an die westdeutschen und Beamten. Während die alte Bundes-
derungen in Ostdeutschland in dieser Strukturen angenähert hat. Arbeitslosig- republik insofern bereits über einen län-
Periode der gesellschaftlichen Transfor- keit, Vorruhestand und Hausfrauenrolle geren Zeitraum als eine »Angestelltenge-
mation betrachtet werden. Dabei richtet sind für einen erheblichen Teil der ehe- sellschaft« bezeichnet werden kann, hat
sich das Interesse vor allem darauf, in- mals Erwerbstätigen in der DDR im Ver- sich die ausgeprägte »Facharbeitergesell-
wieweit soziale Lagen einerseits mit ob- lauf des Transformationsprozesses zu- schaft« der damaligen DDR mittlerweile
jektiven Lebensbedingungen einherge- meist ungewollte neue Lebensformen teilweise aufgelöst, wenngleich – vor allem
hen und andererseits mit subjektiven ­geworden. Eine vergleichbar starke Ver- bei den Männern – Facharbeiterpositio-
Wahrnehmungen und Bewertungen ver- änderung der Sozialstruktur in West- nen immer noch stärker und Angestellten­
bunden sind. u Abb 1 deutschland stellt lediglich die Abnahme positionen weniger verbreitet sind als in
Weitreichende Konsequenzen für die des Anteils der Nichterwerbstätigen dar: Westdeutschland.
Sozialstruktur waren mit den massiven Der Anteil der Hausfrauen ist seit 1990 Ein Zeitvergleich (1990 bis 2014) ver-
Umwälzungen verbunden, die nach 1990 um mehr als die Hälfte zurückgegangen, deutlicht die Unterschiede zwischen den
auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt statt- während die Frauenerwerbstätigkeit zu- vielfältigen Umbrüchen während der

203
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.1 /  Soziale Lagen und soziale Schichtung

u Tab 2  Indikatoren der objektiven Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2014 — in Prozent

Quintile des Haushaltseinkommens pro Kopf 1 Wohneigentum 2 Eigene wirtschaft-


liche Lage ist
West Ost sehr gut / gut
West Ost
Unterstes Mittleres Oberstes Unterstes Mittleres Oberstes West Ost

Bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / Höhere Beamte 4 6 57 / / / 79 / 86 /
Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 4 15 43 6 20 34 61 51 81 79
Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 5 21 27 14 20 21 50 54 66 69
Einfache Angestellte / Beamte 27 22 9 43 14 0 34 44 37 36
Meister / Vorarbeiter 13 24 20 5 14 41 74 60 74 68
Facharbeiter 15 25 12 10 32 6 47 50 59 61
Un-, angelernte Arbeiter 22 23 6 35 30 0 38 28 47 28
Selbstständige, freie Berufe 11 8 44 17 18 23 65 58 63 62
Arbeitslose 69 10 2 79 2 5 14 26 22 16
Hausfrauen / -männer 25 23 11 / / / 50 / 56 /
Studium / Lehre 38 13 10 62 8 3 39 13 61 37
Vorruhestand 46 3 14 48 16 3 43 50 50 26
Noch nie / nicht erwerbstätig 60 2 0 / / / 33 / 55 /
Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 12 16 36 20 20 20 71 60 62 62
Rentner (ehemalige Arbeiter) 26 29 2 35 20 1 51 43 67 63
Rentner (ehemalige Angestellte, Beamte) 11 19 28 17 27 3 64 49 75 74
Rentner (ehemalige Selbständige) 24 4 17 24 14 10 69 57 75 65

1 Bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf.


2 Anteil der Personen, die angeben, dass sie im eigenem Haus/ in der eigenen Wohnung (auch Familienbesitz) wohnen.
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2014.

Transformation in Ostdeutschland und schieden, im allgemeinen Lebensstan- Die Verteilung von Wohneigentümern
der eher kontinuierlichen undramati- dard – zum Beispiel gemessen am Wohn- verdeutlicht als relevanter Indikator für
schen Entwicklung im Westen Deutsch- eigentum – sowie in der Bewertung der den allgemeinen Lebensstandard, dass mit
lands. Insbesondere der anhaltend hohe eigenen wirtschaftlichen Lage. Dabei den differentiellen sozialen Lagen auch
Bestand an Arbeitslosen sowie die ver- zeigt sich, dass mit einer höheren Positi- Unterschiede in den Möglichkeiten der
gleichsweise hohen Anteile der Rentner on in der hierarchischen Gesellschafts- Ressourcenverwendung einhergehen: In
und vor allem der Rentnerinnen sind als struktur erwartungsgemäß auch eine Ost- und Westdeutschland finden sich un-
­Folge des Arbeitsplatzabbaus im Osten vorteilhaftere materielle Situation ver- terdurchschnittliche Eigentümerquoten
Deutschlands weiterhin sichtbar. Positiv bunden ist. Selbstständige, freie Berufe vor allem bei den wenig qualifizierten Ar-
hat sich dagegen der Anteil der Selbstän- sowie hochqualifizierte oder leitende An- beitern und Angestellten.
digen entwickelt, der im Jahr 2014 im Os- gestellte und Beamte befinden sich über- Die unterschiedlichen materiellen
ten Deutschlands sogar höher ist als in wiegend im oberen Segment der Einkom- Verhältnisse, die mit diesen sozialen La-
Westdeutschland. mensverteilung, während die Zugehörig- gen verbunden sind, spiegeln sich auch in
Soziale Lagen sind auch als Hand- keit zu Arbeiterpositionen eher mit einem der subjektiven Beurteilung der eigenen
lungskontexte von Bedeutung, die unter- mittleren oder niedrigen Einkommen ver- wirtschaftlichen Situation wider. Wäh-
schiedliche Chancen der Lebensgestal- bunden ist. Vergleicht man die finanzielle rend Personen in privilegierten sozialen
tung bieten. Die Ungleichheit in den ob- Situation der verschiedenen sozialen La- Lagen ihre wirtschaftliche Situation vor-
jektiven Lebensbedingungen, die mit der gen in Ost- und Westdeutschland, dann wiegend als »sehr gut« oder »gut« bewer-
Zugehörigkeit zu den hier unterschiede- sind die Differenzen bei den (Fach-)Ar- ten, fällt die Bewertung bei Personen in
nen sozialen Lagen verbunden ist, äußert beitern geringer als bei den Angestellten schlechteren sozialen Lagen erwartungs-
sich unter anderem in Einkommensunter- und Selbstständigen. u Tab 2 gemäß weniger günstig aus.

204
Soziale Lagen und soziale Schichtung  / 7.1  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 3  Indikatoren der subjektiven Wohlfahrt in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2014
Gerechter Anteil am Lebensstandard Einstufung auf der Allgemeine
Anteil »gerecht / mehr als gerecht« Unten-Oben-Skala¹ Lebenszufriedenheit²
West Ost West Ost West Ost
in % Durchschnittswert

Bis 60 Jahre
Leitende Angestellte / Höhere Beamte 76 / 7,0 / 8,1 /
Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 74 62 6,9 6,6 8,0 7,8
Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 70 44 6,5 6,5 7,8 7,5
Einfache Angestellte / Beamte 41 21 5,9 5,8 7,1 6,5
Meister / Vorarbeiter 57 33 6,7 6,3 7,7 7,5
Facharbeiter 50 36 6,1 6,2 7,5 7,2
Un-, angelernte Arbeiter 49 16 5,8 5,0 7,0 5,8
Selbstständige, freie Berufe 73 46 7,0 6,4 7,8 7,6
Arbeitslose 38 15 5,0 5,1 5,8 5,6
Hausfrauen / -männer 68 / 6,4 / 7,9 /
Studium, Lehre 87 75 6,7 6,0 8,0 7,0
Vorruhestand 55 21 5,9 5,3 7,0 5,7
Noch nie / nicht erwerbstätig 57 / 5,7 / 7,2 /
Ab 61 Jahre
Noch erwerbstätig 64 58 6,6 6,4 7,5 7,5
Rentner (ehemalige Arbeiter) 63 33 5,7 5,8 7,8 6,8
Rentner (ehemalige Angestellte, Beamte) 81 49 6,6 6,4 8,0 7,7
Rentner (ehemalige Selbständige) 68 52 6,4 5,9 7,8 6,4

1 Mittelwerte auf der Unten-Oben-Skala von 1 (»unten«) bis 10 (»oben«).


2 Mittelwerte auf Zufriedenheitsskala von 0 (»ganz und gar unzufrieden«) bis 10 (»ganz und gar zufrieden«).
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2014.

Die subjektive Beurteilung des eige- »Unten-Oben-Skala« (1 bis 10) abzulesen aller Lebensumstände. Hier wird noch
nen Anteils am allgemeinen Lebensstan- ist. Am höchsten ordnen sich erwartungs- deutlicher als bei der wahrgenommenen
dard als gerecht (beziehungsweise unge- gemäß leitende und höhere Angestellte sozialen Position in der gesellschaftlichen
recht) variiert ebenfalls nach sozialer und Beamte sowie Selbstständige ein, aber Hierarchie, dass mit den verschiedenen
Lage. Es zeigt sich, dass Personen auf Ar- auch diejenigen, die in ihrem zurücklie- sozialen Lagen auch ein unterschiedlich
beiter- oder einfachen Angestelltenpositi- genden Erwerbsleben eine solche Position hohes Niveau an Lebensqualität verbun-
onen und vor allem Arbeitslose seltener ausgeübt haben (Rentner) oder den Auf- den ist. Dabei ist auch hier darauf hinzu-
als andere einen gerechten Anteil am ge- stieg in eine entsprechende Position für die weisen, dass die ostdeutsche Bevölkerung
sellschaftlichen Wohlstand zu erhalten Zukunft erwarten (noch in Ausbildung). immer noch in nahezu allen sozialen La-
glauben. Nur 38 % der Arbeitslosen in Ganz unten ordnen sich dagegen un- und gen über ein geringeres subjektives
Westdeutschland und 15 % in Ostdeutsch- angelernte Arbeiter sowie Arbeitslose ein. Wohlbefinden verfügt.
land betrachten ihren Anteil am Lebens- Die Differenz zwischen den sozialen Lagen
standard als gerecht. Grundsätzlich sehen mit der höchsten und niedrigsten Einstu- 7.1.2 Klassenlagen
Ostdeutsche über alle Lagen hinweg ihren fung beträgt immerhin zwei Skalenpunkte. Neben dem Konzept der sozialen Lage
Lebensstandard im Vergleich zu West- Während Ostdeutsche sich in der Vergan- wird für sozialstrukturelle Analysen –
deutschen seltener als gerecht an. u Tab 3 genheit durchgängig niedriger einstuften insbesondere Analysen zur sozialen Mo-
Die einzelnen sozialen Lagen reprä- als Westdeutsche, lassen sich im Jahr 2014 bilität – vielfach das auf Max Weber zu-
sentieren auch unterschiedliche soziale in der Hälfte der sozialen Lagen keine rückgehende Konzept der Klassenlage
Positionen in der subjektiv wahrgenom- Ost-West-Unterschiede mehr feststellen. verwendet. Die beiden Konzepte weisen
menen vertikalen Gliederung der Gesell- Die allgemeine Lebenszufriedenheit Ähnlichkeiten, aber auch einige Unter-
schaft, wie an ihrer Einstufung auf der ist das bilanzierende Maß der Bewertung schiede auf. Sowohl das Konzept der so-

205
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.1 /  Soziale Lagen und soziale Schichtung

zialen Lage als auch das der Klassenlage rin, dass sich das Konzept der Klassen­ Betrachtet man die Verteilung der Be-
betont die Zentralität des Erwerbssys- lage bei der Klassifizierung der Personen völkerung auf die neun unterschiedenen
tems und geht davon aus, dass die Positi- allein auf Merkmale der Berufstätigkeit Klassenlagen, dann zeigt sich, dass die
on auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf stützt und dazu die eigene aktuelle oder Klassenstrukturen in West- und Ost-
die Lebenschancen der Gesellschaftsmit- frühere berufliche Stellung, beziehungs- deutschland mittlerweile (2014) überra-
glieder insgesamt und nachhaltig prägt. weise die des Partners/ der Partnerin her- schend große Ähnlichkeiten aufweisen.
Die Unterschiede liegen insbesondere da- anzieht. Zu den charakteristischen Unterschieden
zählte in der Vergangenheit, dass in Ost-
deutschland ein geringerer Anteil der Be-
Abb. 2: Klassenlagen in West- und Ostdeutschland 2014 - in Prozent
völkerung auf die beiden Dienstklassen
sowie die einfachen Büroberufe entfiel,
während ein größerer Anteil der Bevölke-
u Abb 2  Klassenlagen in West- und Ostdeutschland 2014 — in Prozent rung zur Facharbeiterklasse gehörte. Nur
letzterer ist in den aktuellen Daten noch
deutlich sichtbar. Insgesamt entfällt im
Westdeutschland Ostdeutschland
Jahr 2014 einschließlich der sogenannten
14 Obere Dienstklasse 12 »Arbeiterelite« mit 35 % nur noch ein gu-
tes Drittel der ostdeutschen Bevölkerung
24 Untere Dienstklasse 23
auf Arbeiterklassenlagen (Westdeutsch-
15 Höhere Büroberufe 15 land 33 %), darunter 15 % auf die der
5 Kleinunternehmer und Facharbeiter. u Abb 2
4
Selbstständige

2 Landwirte 2 7.1.3 Subjektive


Vorarbeiter,
Schichtzugehörigkeit
8 7
Meister, Techniker Eine relevante Ergänzung des im Wesent-
8 Einfache Büroberufe 9
lichen auf objektiven Informationen zur
Stellung zum und im Erwerbsleben beru-
11 Facharbeiter 15 henden Bildes der Lebenslagen- und Klas-
senstruktur liefern Informationen über
14 Einfache Arbeiter 13
die subjektive Schichteinstufung. Anga-
ben darüber, wie sich Personen in eine
vorgegebene Rangordnung sozia ler
Datenbasis: ALLBUS 2014.
Schichten einstufen, bieten vor allem Auf-
Datenbasis: Allbus 2014.
schlüsse darüber, wie verschiedene Bevöl-
kerungsgruppen innerhalb der Gesell-
u Abb 3  Subjektive Schichtzugehörigkeit 1990 und 2014 — in Prozent schaft ihren eigenen Status im Vergleich
zu anderen wahrnehmen und bewerten,
welchem sozialen Milieu sie sich zuord-
Westdeutschland Ostdeutschland
nen und aus welcher Perspektive sie am
11 Obere Mittel- / 2 gesellschaftlichen Leben teilhaben kön-
14 Oberschicht 5 nen – Fragen, die auch für das Jahr 2014
im Vergleich von Ost- und Westdeutsch-
60 37
Mittelschicht land von erheblichem Interesse sind.
61 57
In Westdeutschland ordnet sich im
27 57 Jahr 2014 jeder Vierte der erwachsenen
Arbeiterschicht
23 36
Bevölkerung der Unter- oder Arbeiter-
2 3 schicht zu, knapp zwei Drittel der Mittel-
Unterschicht
3 2 schicht und jeder Siebte der oberen Mit-
tel- oder Oberschicht. In Ostdeutschland
1990 1990 stuft sich 2010 zum ersten Mal die Hälfte
2014 2014
der Bevölkerung in die Mittelschicht ein –
Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2012 kumuliert, ALLBUS 2014. dieser Anteil nimmt bis 2014 weiter zu

206
Soziale Lagen und soziale Schichtung  / 7.1  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

(57 %). Ein Drittel identifiziert sich wei- u Tab 4  Subjektive Schichtzugehörigkeit in Deutschland 1980 – 2014 — in Prozent
terhin mit der Arbeiterschicht und ledig- Unter- Arbeiter- Mittel- Obere Mittel- /
lich jeder Zwanzigste mit der oberen Mit- schicht schicht schicht Oberschicht
tel- oder Oberschicht. Der Unterschicht
Westdeutschland
im engeren Sinne zugehörig betrachtet
1980 1 30 59 10
sich in West- wie Ostdeutschland mit 3
1982 1 35 55 10
beziehungsweise 2 % nur ein sehr kleiner
1984 1 33 55 11
Teil der Bevölkerung. u Abb 3
1986 1 27 62 11
Die Unterschiede in der Struktur der
1988 2 32 57 10
sozialen Schichtung, die sich auf der Ba-
sis der subjektiven Einstufung der Be- 1990 2 27 60 12

fragten im Vergleich von West- und Ost- 1991 1 24 62 13

deutschland ergeben, sind damit auch 1992 2 26 60 12

heute noch bemerkenswert, haben sich 1994 2 30 57 11

aber deutlich verringert. Die in den frü- 1996 2 31 56 11

heren Jahren in Ostdeutschland zu beob- 1998 2 31 55 11


achtende pyramidenförmige Schicht- 2000 1 30 59 10
struktur einer Arbeitergesellschaft hat 2002 1 24 61 14
sich allmählich der zwiebelförmigen – 2004 2 34 54 10
für Mittelschichtgesellschaften charakte- 2006 3 32 56 8
ristischen – Verteilung in Westdeutsch- 2008 3 30 56 11
land angenähert. Die Entwicklungen 2010 3 23 62 13
deuten somit auf einen signifikanten 2012 2 23 63 12
Wandel in der Wahrnehmung der eige- 2014 3 23 61 14
nen Position in der hierarchischen Struk-
Ostdeutschland
tur der Gesellschaft hin. u Tab 4
1991 3 57 37 2
Auch in Westdeutschland hat der An-
1992 3 52 42 3
teil derjenigen, die sich der Arbeiter-
1994 2 56 39 3
schicht zugehörig fühlen, in den letzten
1996 5 55 39 1
Jahren abgenommen. Betrachtet man die
1998 7 51 40 2
Entwicklung über den gesamten Zeit-
2000 2 49 45 3
raum seit 1980, zeigt sich jedoch, dass die
subjektive Schichteinstufung in West- 2002 3 40 51 7

deutschland über die vergangenen 35 Jah- 2004 4 54 39 3

re weitgehend unverändert geblieben, das 2006 5 46 46 3

heißt außer zyklischen Schwankungen 2008 7 44 46 3

kein Trend zu beobachten ist. Aktuelle 2010 4 38 51 6


Thesen über das Entstehen einer »neuen 2012 4 39 53 6
Unterschicht« und ein erhebliches 2014 2 36 57 5
Schrumpfen der Mittelschicht finden zu-
Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2012 kumuliert, ALLBUS 2014.
mindest auf der Grundlage der subjekti-
ven Schichtidentifikation keine empiri-
sche Bestätigung.
Die subjektive Schichtzugehörigkeit
wird nicht nur von objektiven Faktoren
bestimmt, sondern hängt darüber hinaus Schichteinstufung. Personen, die eine wie Selbständige ordnen sich dagegen mit
von dem jeweils zugrunde liegenden Be- ­ rbeiterposition einnehmen oder früher
A zum Teil überwiegender Mehrheit der
zugsrahmen und den verwendeten Ver- eingenommen haben (Rentner), identi­ Mittelschicht zu. In die obere Mittel- und
gleichs- und Bewertungsmaßstäben ab. fizieren sich – insbesondere in Ostdeutsch- Oberschicht stufen sich insbesondere lei-
Dennoch bestimmt der faktische sozio- land – auch subjektiv weit überwiegend tende und höhere Angestellte und Beamte
ökonomische Status beziehungsweise die mit der Arbeiterschicht. Personen mit ei- ein, in Westdeutschland darüber hinaus
soziale Lage maßgeblich die subjektive nem Angestellten- oder Beamtenstatus so- auch Selbstständige. u Tab 5

207
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.1 /  Soziale Lagen und soziale Schichtung

u Tab 5  Subjektive Schichtzugehörigkeit nach sozialen Lagen 2014 — in Prozent

Subjektive Schichtzugehörigkeit

Westdeutschland Ostdeutschland

Unter- / Unter- /
Obere Mittel- / Obere Mittel- /
Arbeiter- Mittelschicht Arbeiter- Mittelschicht
Oberschicht Oberschicht
schicht schicht

Bis 60 Jahre

Leitende Angestellte / Höhere Beamte 7 51 42 / / /

Hochqualifizierte Angestellte / Gehobene Beamte 5 71 24 9 77 14

Qualifizierte Angestellte / Mittlere Beamte 16 72 12 23 74 3

Einfache Angestellte / Beamte 43 54 3 48 52 0

Meister / Vorarbeiter 38 53 9 40 56 4

Facharbeiter 62 37 1 74 25 1

Un-, angelernte Arbeiter 76 24 0 76 24 0

Selbstständige, freie Berufe 10 61 29 19 74 7

Arbeitslose 52 46 2 69 28 3

Hausfrauen / -männer 24 61 15 / / /

Studium / Lehre 15 68 17 18 73 9

Vorruhestand 38 46 16 62 38 0

Noch nie / nicht erwerbstätig 49 47 4 / / /

Ab 61 Jahre

Noch erwerbstätig 19 65 16 29 67 4

Rentner (ehemalige Arbeiter) 59 41 1 71 28 1

Rentner (ehemalige Angestellte, Beamte) 10 73 17 23 72 6

Rentner (ehemalige Selbständige) 9 71 20 35 57 9

/  Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2014.

Ostdeutsche identifizieren sich im fälligen Ost-West-Differenzen in der sub- niedriger einstuft, weil sie sich nach wie
Vergleich zu den Westdeutschen auch im jektiven Schichteinstufung nur partiell vor mit der westdeutschen vergleicht und
Jahr 2014 noch über nahezu alle sozialen durch Unterschiede in der Verteilung auf aus dieser Perspektive Statusdefizite wahr-
Lagen hinweg zu größeren Anteilen mit die verschiedenen Statuslagen erklären nimmt.
der Arbeiterschicht und zu geringeren lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen,
Teilen mit der Mittel- oder gar der Ober- dass sich die ostdeutsche Bevölkerung in-
schicht. Dieser Befund deutet darauf hin, nerhalb des gesamtgesellschaftlichen
dass sich die weiterhin bestehenden auf- Schichtungsgefüges deshalb tendenziell

208
Soziale Mobilität  / 7.2  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

7.2 Die Fragen nach Chancengleichheit für


soziale Auf- und Abstiege, die Diskussio-
tion. Das heißt, soziale Mobilität zeigt an,
wie gut es Kindern aus weniger vorteilhaf-
Soziale nen um die Abstiegsängste der Mitte der ten Klassenpositionen gelingt, für sich
Mobilität Gesellschaft und die Forderungen nach
Perspektiven für soziale Aufstiege für
selbst vorteilhafte Klassen­positionen zu er-
reichen beziehungsweise inwieweit Kinder
Menschen in prekären Lagen haben in mit vorteilhafter Klassenherkunft später
den letzten Jahren eine größere gesell- in weniger vorteilhafte Klassenpositionen
Reinhard Pollak
schaftspolitische Bedeutung erhalten. absteigen. Das Ausmaß an sozialen Auf-
WZB
Hintergrund hierfür ist, dass zentrale Be- und Abstiegen wird oft als Maß für die
reiche des Lebens wie Einkommen, Ge- Chancengleichheiten für Kinder aus ver-
WZB / SOEP sundheit, Arbeitslosigkeit oder politische schiedenen Klassen interpretiert. Dabei
Teilhabe in unserer Gesellschaft nicht gibt es mehrere Gründe für soziale Auf-
­z ufällig verteilt sind. Vielmehr gibt es und Abstiege. Neben den Bemühungen
Gruppen in der Gesellschaft, die sich um gleiche Startchancen für Kinder aus
hinsichtlich solcher Lebensbereiche in unterschiedlichen Klassen führen insbe-
eher vorteilhaften beziehungsweise eher sondere strukturelle Veränderungen in
benachteiligten Lagen befinden. Zur Be- der Arbeitswelt über die Zeit hinweg zu
schreibung dieser sozialen Lagen können unterschiedlichen Mobilitätserfahrungen.
verschiedene Maße herangezogen werden. Im Folgenden werden vier Aspekte
Ein international gebräuchliches Maß für der sozialen Mobilität in Deutschland
die Gliederung von Lebenschancen ist näher untersucht: Hatten die Eltern be-
die Klassenlage beziehungsweise Klassen­ reits die gleiche Klassenposition, die ihre
position einer Person (siehe Kapitel 7.1.2). Kinder heute einnehmen? In welchem
Die Klassenposition einer Person wirkt Umfang werden Klassenpositionen der
sich nicht nur auf die eigene Lebensfüh- Eltern an ihre Kinder weitervererbt? Wie
rung aus. Sie beeinflusst – insbesondere hoch ist das Ausmaß der Auf- und Ab-
in Deutschland – im hohen Maße die stiege in Deutschland? Und was bedeuten
­Bildungs- und Berufschancen der eige- diese Auf- und Abstiege für die Chancen-
nen Kinder und damit die spätere Klas- gleichheit in der deutschen Gesellschaft?
senposition dieser Kinder. Eltern mit Ein besonderes Augenmerk wird hierbei
­e iner vorteilhaften Klassenposition ge- auf die zeitliche Entwicklung der sozia-
lingt es viel häufiger, ihren Kindern len Mobilität, auf den Vergleich zwischen
durch gute Bildung und durch zusätz­ Ost- und Westdeutschland und auf die
liche Unterstützung den Zugang zu vor- Unterschiede zwischen Männern und
teilhaften Klassenpositionen zu ermög­ Frauen gerichtet.
lichen (siehe Kapitel 3.1.2). ­Eltern in eher
nachteiligen Klassen­p ositionen können 7.2.1 Besetzung von Klassen­
ihren Kindern nicht so viele Ressourcen positionen nach sozialer Herkunft
mit auf den Lebensweg geben. Ihre Kin- Für die nachfolgenden Ergebnisse wur-
der nehmen später selbst eher benachtei- den verschiedene Bevölkerungsumfragen
ligte Klassenpositionen ein. Dadurch aus den Jahren 1976 bis 2014 zusammen-
kommt es zwischen den Generationen gefasst. Die betrachteten Personen waren
nur in begrenztem Umfang zu sozialen zum Zeitpunkt der Befragung zwischen
Auf- oder Abstiegen. 18 und 64 Jahre alt, entweder berufstätig
Die Auf- beziehungsweise Abstiege oder arbeitsuchend und hatten aus Ver-
zwischen den Generationen sind Ausdruck gleichsgründen alle die deutsche Staats-
der intergenerationalen sozialen Mobilität angehörigkeit. Für Ostdeutschland wer-
in einer Gesellschaft: Soziale Mobilität be- den Bevölkerungsumfragen ab 1990 be-
schreibt somit das Ausmaß, in dem sich rücksichtigt. Als Maß für die soziale
Kindergenerationen in einer anderen Klas- Herkunft, das heißt für die Position der El-
senposition befinden als ihre Elterngenera- terngeneration, wird die Klassenposition

209
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.2 /  Soziale Mobilität

des Vaters zu dem Zeitpunkt herangezo- Am anschaulichsten kann der Grad rungsraten von circa 36 %, so ist der An-
gen, als die jeweiligen Befragten ungefähr der Selbstrekrutierung anhand der Be- teil im letzten Jahrzehnt auf 21 % gesun-
15 Jahre alt waren. Angaben zur Klassen- trachtung der Landwirte (Männer) in ken. Bei allen anderen Klassen zeigen sich
position der Mutter wurden insbesondere Westdeutschland dargestellt werden: Bis zwar leichte Schwankungen, ein deutli-
in älteren Umfragen leider nur lückenhaft zur Jahrtausendwende haben gut 90 % der cher Trend bezüglich der Selbstrekrutie-
oder gar nicht erhoben. Landwirte einen Vater, der ebenfalls rungsraten ist jedoch für diese Klassen
Tabelle 1 beschreibt den Grad der Landwirt war; fast alle Landwirte kom- nicht zu beobachten. Für Frauen in West-
Selbstrekrutierung bestimmter Klassen- men folglich aus einer Bauernfamilie. Im deutschland sind hohe Selbstrekrutie-
positionen, sprich den Anteil der Befrag- neuen Jahrtausend nimmt die Selbstrek- rungsraten unter den Landwirtinnen, bei
ten, deren Väter bereits eine identische rutierung von Landwirten jedoch etwas Facharbeiterinnen und in der oberen
Klassenposition innehatten. Dabei wer- ab. Bei Arbeiterpositionen findet man Dienstklasse zu finden. Während diese
den sieben Klassenpositionen unterschie- ebenfalls eine beachtliche Selbstrekrutie- Raten für westdeutsche Landwirtinnen
den: Obere Dienstklasse (zum Beispiel rungsquote. Gut die Hälfte der Facharbei- und Facharbeiterinnen etwas geringer
leitende Angestellte, freie Berufe); untere ter in Westdeutschland (54 %) haben ei- sind als bei westdeutschen Männern, rek-
Dienstklasse (zum Beispiel hochqualifi- nen Facharbeiter zum Vater. Dieser Anteil rutieren sich westdeutsche Frauen in der
zierte Angestellte, gehobene Beamte); ist in der Tendenz heute eher höher als in oberen Dienstklasse viel häufiger aus die-
einfache Büroberufe (zum Beispiel Sekre- früheren Jahrzehnten, die Klasse der heu- ser Klasse als westdeutsche Männer, mit
tärinnen, Buchhalter); Selbstständige bis tigen Facharbeiter ist also bezüglich ihrer steigender Tendenz. Frauen in Selbststän-
zu 49 Mitarbeitern (in Handel und Hand- sozialen Herkunft homogener geworden. digkeit in Westdeutschland haben in den
werk); Landwirte; Facharbeiter (auch Die Gruppe der Selbstständigen ist da­ 2000er-Jahren eher seltener einen selbst-
Meister und Techniker) und schließlich gegen deutlich heterogener geworden: ständigen Vater. Bei den übrigen Klassen-
die Klasse der ungelernten Arbeiter und ­Haben die Selbstständigen in den 1970er- positionen ergeben sich wenige Verände-
Angestellten. und 1980er-Jahren noch Selbstrekrutie- rungen über die Zeit.

u Tab 1  Selbstrekrutierungsraten – Anteil von Männern und Frauen, deren Väter bereits eine identische
berufliche Position innehatten — in Prozent

Westdeutschland Ostdeutschland

1976 – 1980 1981 – 1990 1991 – 1999 2000 – 2009 2010 – 2014 1991 – 1999 2000 – 2009 2010 – 2014

Männer
Obere Dienstklasse 28 23 28 24 29 19 30 34

Untere Dienstklasse 18 17 16 16 17 20 20 15

Einfache Büroberufe 12 17 14 15 12 / / /

Selbstständige 36 36 24 21 21 17 9 /

Landwirte 91 92 92 79 64 / / /

Facharbeiter / Meister 46 48 54 49 54 55 58 61

Ungelernte Arbeiter / Angestellte 38 33 36 39 35 32 32 30

Frauen
Obere Dienstklasse 31 32 32 36 38 24 31 36

Untere Dienstklasse 18 17 16 15 16 16 19 18

Einfache Büroberufe 13 15 12 13 12 / 7 /

Selbstständige 21 20 23 16 13 20 / /

Landwirte 76 63 65 62 / / / /

Facharbeiter / Meister 43 43 47 46 / 51 59 53

Ungelernte Arbeiter / Angestellte 27 30 27 30 / 31 21 25

/  Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1980–2014, SOEP 1986–2011, ZUMA-Standarddemographie 1976-1982, ISJP 1991–2000.

210
Soziale Mobilität  / 7.2  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

Die Ergebnisse für Ostdeutschland klasse nach einem Anstieg Anfang des men sogar vier Fünftel der Arbeitslosen
sind aufgrund der Fallzahlen und der be- Jahrtausends wieder abzuschwächen. Bei einem solchen Haushalt. Dabei ist der
sonderen Umbruchsituation in den ersten Frauen aus der Klasse der ungelernten durchschnittliche Anteil an Menschen,
Jahren nach der deutschen Vereinigung Arbeiterinnen und Angestellten ist es deren Vater aus einer der beiden Arbeiter­
mit Vorsicht zu interpretieren. Es werden umgekehrt, die Rate steigt wieder an, klassen kommt, in beiden Teilen Deutsch-
daher in den Tabellen nur solche Werte nachdem es einen massiven Rückgang im lands wesentlich geringer (53 % in West
ausgewiesen, die auf belastbaren Fallzah- ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ge- beziehungsweise 63 % in Ost). In beiden
len basieren. Die meisten Beschäftigten in geben hat. Landesteilen rekrutiert sich die Gruppe
Ostdeutschland befinden sich in der obe- Auffallend ist, dass ostdeutsche Frau- der arbeitslosen Männer und Frauen da-
ren und unteren Dienstklasse sowie in der en in der Facharbeiterklasse eine deutlich mit überproportional stark aus den bei-
Facharbeiterklasse und der Klasse der un- stärkere Selbstrekrutierung aufweisen als den Arbeiterklassen, in Ostdeutschland
gelernten Arbeiter und Angestellten. Bei westdeutsche Facharbeiterinnen (53 ver- ist dies noch etwas stärker ausgeprägt als
den Männern kann für die obere Dienst- sus 41 % im aktuellen Jahrzehnt). Bei den in Westdeutschland.
klasse eine deutliche Zunahme der Selbs- beiden Dienstklassen gibt es keine gro-
trekrutierungsrate festgestellt werden: ßen Unterschiede zwischen Ost und 7.2.2 Vererbung von Klassen­
Während kurz nach der Wende nur circa West, bei den Klassen der ungelernten positionen nach sozialer Herkunft
19 % der Mitglieder dieser Klasse auch aus Arbeiterinnen und Angestellten weisen Tabelle 2 dreht die Sichtweise auf so­ziale
einem solchen Elternhaus kommen, sind die ostdeutschen Frauen eine etwas ge- Mobilität beziehungsweise Immobilität
es im Zeitraum 2000 bis 2009 bereits 30 % ringere Selbstrekrutierung auf. um und stellt die Vererbung einer Klas-
und im aktuellen Jahrzehnt 34 %. Diese Bei allen genannten Unterschieden im senposition vom Vater auf den Sohn be-
Werte sind ­damit sogar etwas höher als in Detail zeigt sich für Ost- und West- ziehungsweise die Tochter dar. Die Zah-
Westdeutschland. Bei der unteren Dienst­ deutschland eine eher hohe Stabilität in len geben somit an, wie groß der Anteil
klasse hingegen fallen im laufenden Jahr- den Selbstrekrutierungsraten. Eine wich- der Personen ist, deren Väter zum Bei-
zehnt die Raten von 20 % auf 15 % etwas tige Ausnahme hiervon ist die zunehmen- spiel eine obere Dienstklassenposition in-
ab. Für Selbstständige ergibt sich ähnlich de Selbstrekrutierung der oberen Dienst- nehaben und die selbst wiederum eine
wie in Westdeutschland eine Tendenz zur klasse. Das bedeutet, dass die höchsten Position in der oberen Dienstklasse errei-
Abnahme der Selbstrekrutierung. Die gesellschaftlichen Positionen in zuneh- chen. Aus dieser Perspektive heraus ist
Facharbeiterklasse ist in Ostdeutschland mendem Maße von Personen besetzt wer- nicht mehr die Klassenposition der Be-
sogar noch homogener als in West- den, deren Eltern bereits diese vorteilhaf- fragten die Grundlage für die Berech-
deutschland, und der zunehmende Trend ten Positionen innehatten. Die Gruppe nung der Prozentwerte, sondern die Klas-
zur gleichen Herkunft in dieser Klasse wird homogener, es gibt anteilig weniger senposition des Vaters. Deutlich wird
zeigt sich auch für diesen Teil Deutsch- Personen, die es mit einem anderen fami- dies erneut bei den Landwirten: Wie
lands. Circa 61 % der ostdeutschen Fach- liären Hintergrund in die vorteilhafteste oben gezeigt, haben die meisten heutigen
arbeiter haben heute einen Facharbeiter Klasse schaffen. Bei der Facharbeiter/in- Landwirte auch einen Landwirt zum
als Vater. Bei ungelernten Arbeitern und nenklasse deutet sich ebenfalls eine zu- ­Vater. Aber Tabelle 2 zeigt, dass nur circa
Angestellten liegt diese Rate nur halb so nehmende Homogenisierung an.  u Tab 1 jeder fünfte Sohn eines Landwirtes in
hoch und zeigt auch keinen robusten Auch wenn die Arbeitslosigkeit in Ost Westdeutschland ebenfalls Landwirt wird.
Trend über die Zeit. und West in den vergangenen Jahren Ähnliche Vererbungsraten findet man in
Ostdeutsche Frauen in der oberen merklich gesunken ist, gibt es anteilig der Klasse der Selbstständigen und etwas
Dienstklasse haben mittlerweile ähnliche nach wie vor mehr arbeitslose Menschen stärker in der Klasse der ungelernten Ar-
Selbstrekrutierungsraten wie ostdeutsche in Ostdeutschland als in Westdeutsch- beiter und Angestellten. Die höchsten
Männer; sie kommen immer häufiger aus land. Aus welchen Herkunftsklassen Vererbungsraten gibt es in Westdeutsch-
einem Elternhaus, in dem der Vater be- kommen die Arbeitslosen und zeigen sich land in der oberen Dienstklasse und in
reits in der oberen Dienstklasse war. Für unterschiedliche Muster zwischen Ost der Klasse der Facharbeiter: Etwa 45 %
die untere Dienstklasse, für die Klasse und West? Zusätzliche – hier nicht im der Väter in der oberen Dienst­k lasse »ver-
der Facharbeiterinnen und für die Klasse Einzelnen dargestellte – Analysen zeigen, erben« im jüngsten Beobachtungszeit-
der ungelernten Arbeiterinnen und An- dass von den heute arbeitslosen Männern raum ihre vorteilhafte Position an ihren
gestellten zeigen sich hingegen keine und Frauen in Westdeutschland ungefähr Sohn, von den Facharbeitervätern geben
langfristigen Trends: Bei der unteren zwei Drittel einen Vater aus der Fachar- rund 40 % ihre Arbeiterposition an ihren
Dienstklasse gibt es kaum Veränderun- beiterklasse beziehungsweise der Klasse Sohn weiter. Die niedrigste Vererbungsra-
gen, bei Facharbeiterinnen scheint sich die der ungelernten Arbeiter und Angestell- te findet man bei der Klasse der einfachen
Selbstrekrutierung aus der Facharbeiter­ ten haben. In Ostdeutschland entstam- Büroberufe (circa 13 %). Für die meisten

211
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.2 /  Soziale Mobilität

Klassen haben sich die Vererbungsraten klasse und bei ungelernten Arbeiter- und der ungelernten Arbeiterinnen und Ange-
in den vergangenen Jahrzehnten für Angestelltenpositionen. Knapp zwei Fünf- stellten zu vermeiden.
westdeutsche Männer als weitgehend sta- tel der Töchter nehmen die gleiche Klas- Für Ostdeutschland können auf-
bil erwiesen. Nur in der Facharbeiter­ senposition ein wie ihre Väter. Doch wäh- grund der Fallzahlen für einige Klassen-
klasse deutet sich nach der Jahrtausend- rend die Werte bei der unteren Dienst­ positionen keine gesicherten Aussagen
wende eine Entwicklung hin zu abneh- klasse und bei den einfachen Büro- getroffen werden. Bei den Klassen, für
menden Vererbungsraten an. tätigkeiten über die Zeit schwanken, neh- die gesicherte Erkenntnisse vorliegen,
Die Vererbungsraten von Vätern auf men die Vererbungsraten bei den unge- fällt auf, dass für ostdeutsche Männer
ihre Töchter sind in der Tendenz niedriger lernten Arbeiter- und Angestelltenpositio- die Vererbungsraten meist etwas geringer
als die Vererbungsraten von Vätern auf nen von 47 auf 36 % deutlich ab. Genau sind als für westdeutsche Männer. Insbe-
ihre Söhne. Dies liegt vor allem an ge- entgegengesetzt ist der Trend in der obe- sondere in der oberen Dienstklasse ge-
schlechtsspezifischen Ungleichheiten auf ren Dienstklasse. In den 1970er-Jahren ge- lingt es den ostdeutschen Männern selte-
dem Arbeitsmarkt. Frauen und Männer lingt es nur 15 % der Töchter aus dieser ner, eine ebenso vorteilhafte Position wie
besetzen typischerweise unterschiedliche Klasse, ebenfalls eine solche vorteilhafte die ihrer Väter einzunehmen, circa 34 %
Berufsfelder (zum Beispiel Ingenieur, Arzt- Position zu erreichen. Bis zur aktuellsten der ostdeutschen Männer vermögen in
helferin, KFZ-Mechatroniker) und finden Beobachtung hat sich dieser Anteil mehr der jüngsten Zeit die oberste Klassenposi-
sich somit auch in unterschiedlichen Klas- als verdoppelt: Knapp ein Drittel der Frau- tion zu behaupten, im Westen sind es da-
senpositionen wieder. Ausnahmen von en schafft es heute, diese vorteilhafte Posi- gegen 45 %. Die Vererbungsrate in der
dem typischen Vererbungsmuster von tion aus dem Elternhaus zu behaupten. unteren Dienstklasse ist in Ostdeutsch-
­Vater-Sohn und Vater-Tochter gibt es für Die übrigen Klassen der Selbstständi- land mit circa 20 % deutlich geringer als
westdeutsche Frauen bei der unteren gen, Landwirte und Facharbeiter werden die Vererbungsrate in der oberen Dienst-
Dienstklasse, bei ungelernten Arbeiter- in Westdeutschland selten an die Töchter klasse. Während die Väter in Ostdeutsch-
und Angestelltenpositionen und vor allem weitergegeben (knapp 10 %), und dies ver- land ihre obere Dienstklassen­p osition
in der Klasse der einfachen Büroberufe. ändert sich auch wenig über die Zeit. Die über die Zeit hinweg jedoch in zuneh-
Im Schnitt nehmen etwa 40 % der Töchter entscheidenden Entwicklungen finden menden Maße an ihre Söhne weiter­geben
eines Vaters aus der Klasse der einfachen also am oberen und unteren Ende des können und sich damit an das Westni-
Bürotätigkeiten eine Position in dieser Klassengefüges statt. Westdeutschen Frau- veau annähern, pendeln die Vererbungs-
Klasse ein. Bei den Söhnen waren es im en gelingt es in zunehmendem Maße, raten in der unteren Dienstklasse ohne
aktuellen Jahrzehnt nur 13 %. Ähnlich ebenso gute Positionen wie ihre Väter ein- Trend um ein Fünftel.
hoch sind die Vererbungsraten für west- zunehmen. Gleichzeitig gelingt es ihnen Deutliche Veränderungen sind in der
deutsche Frauen in der unteren Dienst- häufiger, die weniger vorteilhafte Klasse Facharbeiterklasse und der Klasse der un-
gelernten Arbeiter- und Angestelltenposi-

40 %
tionen für ostdeutsche Männer zu ver-
zeichnen. Während im ersten Jahrzehnt
nach der Wiedervereinigung knapp zwei
Drittel der ostdeutschen Facharbeitersöh-
ne ebenfalls eine Position in der Fachar-
der Facharbeiterväter gaben beiterklasse einnahmen, ist dieser Anteil
nach Daten von 2010 – 2014 auf 54 % gefallen. Die abnehmende Ver­
ihre berufliche Position an erbungsrate bei gleichzeitiger Zunahme
ihren Sohn weiter.
der Selbstrekrutierungsrate deutet auf ein
deutliches Schrumpfen dieser Klasse in
Ostdeutschland hin (siehe auch Kapi-
tel 7.1, Seite 203, Tab 1). Bei den ungelern-
ten Arbeiter- und Angestelltenpositionen
hingegen kommt es zu einem starken An-
stieg der Vererbungsraten. Während in
den 1990er-Jahren circa 18 % aus der
Klasse der ungelernten Arbeiter- und An-
gestelltenpositionen mit der gleichen Po-
sition vorlieb nehmen müssen, ist dieser
Anteil im ersten Jahrzehnt des neuen

212
Soziale Mobilität  / 7.2  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

Jahrtausends auf 28 % angestiegen und ten für ostdeutsche Frauen doppelt so nicht einzelne Klassenpositionen betrach-
bleibt seither auf diesem Niveau. hoch sind wie für westdeutsche Frauen. tet, sondern es wird ein Gesamtbild der
Die Entwicklungen für ostdeutsche Bei der Klasse der ungelernten Arbeite- sozialen Mobilität in Deutschland aufge-
Frauen ähneln denen der ostdeutschen rinnen und Angestellten sinken die Verer- zeigt. Eine solche Gesamtbetrachtung er-
Männer in der oberen Dienstklasse. Dort bungsraten über die Zeit leicht von 36 % möglicht auch eine Aussage darüber, ob
steigen die Vererbungsraten über die Zeit auf 31 %. Ostdeutschen Frauen gelingt es diejenigen, die nicht die Klassenposition
an, von 21 % in den 1990er-Jahren auf 27 % somit ebenfalls, die vorteilhaften Positio- ihrer Väter übernehmen, eher vorteilhaf-
im aktuellen Jahrzehnt. Der Trend gilt für nen der Dienstklasse zunehmend von ih- tere oder weniger vorteilhafte Klassenpo-
beide Geschlechter, allerdings gelingt es ren Vätern zu übernehmen, während sie sitionen erreichen als ihre Väter.
den Männern merklich häufiger, die Positi- eher unvorteilhafte Positionen in den bei-
onen ihrer Väter zu übernehmen. Bei der den Arbeiterklassen vermeiden können. 7.2.3 Ausmaß von sozialen Auf-
unteren Dienstklasse gibt es – anders als Die Entwicklung ähnelt der westdeutscher und Abstiegen
bei Männern – für Frauen einen leichten Frauen und hinsichtlich der Vererbung in Um Auf- und Abstiege zu untersuchen, ist
Trend zu höheren Vererbungsraten, die der oberen Dienstklasse auch jener ost- es notwendig, die einzelnen Klassenposi-
Vererbungsraten selbst sind bei Frauen deutscher Männer. Ostdeutsche Männer tionen in einer Rangfolge anzuordnen.
deutlich höher als bei Männern in dieser verzeichnen allerdings steigende Verer- Die vorteilhafteste Klassenlage erfahren
Klasse (42 % gegenüber 20 % im aktuellen bungsraten an beiden Enden der Klassen- diejenigen, die eine Position in der oberen
Jahrzehnt). Genau umgekehrt verhält es verteilung und damit eher einen polarisie- Dienstklasse einnehmen. Etwas weniger
sich für die Klasse der Facharbeiterinnen. renden Trend. u Tab 2 gut, aber immer noch mit vielen Vorteilen
Die Vererbungsraten sind bei ostdeut- Die Betrachtung von Selbstrekrutie- ausgestattet (zum Beispiel Arbeitsplatz­
schen Frauen deutlich geringer als bei ost- rungsraten und Vererbungsraten lässt kei- sicherheit, Einkommen, Karriereaussich-
deutschen Männern (14 % versus 54 % im ne Schlüsse zu, welche Klassenpositionen ten), sind Positionen in der unteren
aktuellen Jahrzehnt), und sie nehmen die Söhne und Töchter einnehmen, wenn Dienstklasse. Am unteren Ende der Klas-
über die Zeit von 22 % auf 14 % ab. Auffal- sie nicht in die Fußstapfen ihres Vaters senhierarchie befinden sich ungelernte
lend ist allerdings, dass die Vererbungsra- getreten sind. Im Folgenden werden daher Arbeiter- beziehungsweise Angestellten-

u Tab 2  Vererbungsraten – Anteil von Männern und Frauen, die die gleiche berufliche Position einnehmen wie ihr Vater,
nach sozialer Herkunft 1976 – 2014 — in Prozent

Westdeutschland Ostdeutschland

1976 –1980 1981–1990 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2014 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2014

Männer
Obere Dienstklasse 44 49 46 41 45 26 28 34
Untere Dienstklasse 37 31 31 29 32 19 23 20

Einfache Büroberufe 11 16 13 16 13 / / /

Selbstständige 21 26 21 21 19 22 20 /

Landwirte 21 21 25 16 22 / / /

Facharbeiter / Meister 49 48 50 41 40 63 53 54
Ungelernte Arbeiter / Angestellte 25 22 24 30 24 18 29 28

Frauen
Obere Dienstklasse 15 26 28 33 32 21 25 27
Untere Dienstklasse 41 33 38 38 37 37 40 42

Einfache Büroberufe 38 46 38 41 37 / 32 /

Selbstständige 12 11 15 13 9 24 / /

Landwirte 12 10 9 9 / / / /

Facharbeiter / Meister 9 8 11 8 7 22 17 14

Ungelernte Arbeiter / Angestellte 47 45 38 39 36 36 32 31

/  Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1980–2014, SOEP 1986–2011, ZUMA-Standarddemographie 1976–1982, ISJP 1991–2000.

213
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.2 /  Soziale Mobilität

positionen. In solchen Positionen sind die Die oberste Zeile in Tabelle 3 be- Teilt man die Gesamtrate auf in verti-
Menschen verhältnismäßig schlecht gegen schreibt das Ausmaß der Gesamtmobilität, kale Mobilität (Auf- und Abstiege) und in
Arbeitsplatzverlust abgesichert, ihre Kar- sprich wie groß der Anteil der Personen ist, horizontale Mobilität (Mobilität auf der
rieremöglichkeiten und ihre Einkommen die eine andere Position einnehmen als gleichen Hierarchieebene, zum Beispiel
sind eher gering. Die verbleibenden Klas- ihre Väter. Es fällt auf, dass Frauen auf- von Facharbeitern zu einfachen Büro­
senlagen (einfache Büroberufe, Selbststän- grund geschlechtsspezifischer Berufspräfe- berufen), so zeigen sich jedoch einige
dige bis zu 49 Mitarbeitern, Landwirte renzen und Erwerbsmöglichkeiten im Ver- Entwicklungen über die Zeit. Bei den
und Facharbeiter) lassen sich nicht in eine gleich zu ihren Vätern generell eine höhere westdeutschen Männern ist der Anteil an
eindeutige Rangfolge bringen. Sie werden Gesamtmobilität aufweisen als Männer. In vertikaler Mobilität in den letzten knapp
daher in einer großen – recht heterogenen – Westdeutschland bleiben die Gesamtmobi- 40 Jahren von 51 auf 56 % leicht gestiegen,
Gruppe zusammengefasst, die zwischen litätsraten für Männer und Frauen im Zeit- während die horizontale Mobilität um
der unteren Dienstklasse und den un­ vergleich praktisch konstant, knapp zwei circa vier Prozentpunkte abgenommen
gelernten Arbeiter- beziehungsweise An­ Drittel der Männer und etwas über drei hat. Somit erhöht sich das Verhältnis zwi-
gestelltenpositionen angesiedelt wird. Es Viertel der Frauen haben eine andere Klas- schen diesen beiden Größen dergestalt,
werden somit insgesamt vier verschiedene senposition als ihre Väter. In Ostdeutsch- dass vertikale Mobilität heute circa fünf-
Hierarchiestufen unterschieden: obere land nehmen gut 60 % der Männer eine an- mal so häufig vorkommt wie horizontale
Dienstklasse, untere Dienstklasse, eine he- dere Klassenposition ein als ihre Väter. Für Mobilität. In Ostdeutschland ist dieses
terogene Gruppe mit mittleren Klassen­ ostdeutsche Frauen nimmt die Gesamtmo- Verhältnis für Männer mit 5,1 zu 1 aktu-
positionen und die Klasse der ungelern- bilität etwas zu und gleicht sich dem Aus- ell ähnlich. Allerdings gibt es hier in den
ten Arbeiter und Angestellten. maß für westdeutsche Frauen an. Nullerjahren etwas mehr horizontale

u Tab 3  Gesamtmobilität, vertikale und horizontale Mobilität, Auf- und Abstiegsraten 1976 – 2014
Westdeutschland Ostdeutschland
1976 –1980 1981–1990 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2014 1991–1999 2000 – 2009 2010 – 2014

Männer
Gesamtmobilität (%) 66 66 64 67 67 60 62 61

Gesamtmobilität umfasst:

vertikale Mobilität (%) 51 50 51 54 56 51 50 51

horizontale Mobilität (%) 15 16 13 13 11 10 12 10

Verhältnis vertikale / 
3,3 3,1 4,0 4,0 4,9 5,2 4,1 5,1
horizontale Mobilität

vertikale Mobilität umfasst:

Aufwärtsmobilität (%) 36 35 35 37 38 31 25 26

Abwärtsmobilität (%) 15 15 16 17 18 20 24 24

Verhältnis Aufstiege / Abstiege 2,4 2,4 2,2 2,1 2,2 1,5 1,0 1,1

Frauen
Gesamtmobilität (%) 77 77 78 77 78 74 77 78

Gesamtmobilität umfasst:

vertikale Mobilität (%) 59 55 58 58 61 63 59 63

horizontale Mobilität (%) 18 22 19 19 17 11 18 15

Verhältnis vertikale / 
3,3 2,5 3,0 3,1 3,6 5,8 3,4 4,1
horizontale Mobilität

vertikale Mobilität umfasst:

Aufwärtsmobilität (%) 26 26 31 31 33 36 30 34

Abwärtsmobilität (%) 33 28 27 27 28 28 29 29

Verhältnis Aufstiege / Abstiege 0,8 0,9 1,2 1,2 1,2 1,3 1,0 1,2

Datenbasis: ALLBUS 1980–2014, SOEP 1986–2011, ZUMA-Standarddemographie 1976–1982, ISJP 1991–2000.

214
Soziale Mobilität  / 7.2  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

Mobilität. Das Ausmaß an horizontaler Aufstiege nähern sich die Frauen allmäh- positionen der Väter ist dieser Wandel
Mobilität ist zwischen Ost und West bis lich den Männern an. Aufgrund der noch ausgeprägter: Facharbeiterpositio-
auf die Schwankungen kaum unter- deutlich häufigeren Abstiege bleiben sie nen und Positionen in der Landwirtschaft
schiedlich, es gibt in Westdeutschland je- gegenüber den Männern jedoch weiter- haben stark abgenommen. Gleichzeitig
doch etwas mehr vertikale Mobilität für hin benachteiligt. gibt es zunehmend mehr Positionen in
Männer. Die vertikalen und horizontalen Für ostdeutsche Frauen gilt ein ähn­ den beiden Dienstklassen und der Klasse
Mobilitätsraten bei Frauen unterscheiden licher Befund wie für Westdeutsche. Cir- der einfachen Büroberufe. Dieser struktu-
sich inzwischen kaum noch zwischen ca ein Drittel der Frauen hat eine höhere rell bedingte Wandel beeinflusst die indi-
Ost- und Westdeutschland. Bei ostdeut- Klassenposition als ihr Vater, knapp 30 % viduellen Mobilitätsmöglichkeiten. Wenn
schen Frauen nimmt im neuen Jahrtau- eine geringere Klassenposition. Somit zum Beispiel Facharbeitersöhne aufgrund
send die horizontale Mobilität merklich gibt es für ostdeutsche Frauen ebenfalls der abnehmenden Nachfrage nach Fach-
zu, die vertikale Mobilität schwankt zwi- etwas mehr Aufstiege als Abstiege. Wäh- arbeitern nicht mehr die gleiche Position
schen 63 % und 59 %. In Westdeutschland rend sich der Anteil der Abstiege über wie ihre Väter einnehmen können, müs-
schwanken die Werte ohne klaren Trend. die Zeit kaum verändert, gibt es bei Auf- sen sie zwangsläufig in andere Positionen
Das Verhältnis zwischen vertikaler und stiegen besonders in den Nullerjahren ausweichen. Ein Teil der sozialen Mobili-
horizontaler Mobilität liegt für Frauen in Schwankungen, die aber keinem klaren tät – und damit auch mancher Auf- und
beiden Landesteilen bei circa 4 zu 1. Trend folgen. Abstieg – beruht somit auf den Verände-
Die jeweils unteren Hälften der Teil­ Für Männer in Ostdeutschland sind rungen in der Erwerbsstruktur.
tabellen zeigen an, ob es sich bei den ver- die Entwicklungen weniger vorteilhaft. Diese strukturell bedingte soziale Mo-
tikalen Bewegungen um Aufstiege oder Im neuen Jahrtausend steigen deutlich bilität muss man herausrechnen, wenn
um Abstiege im Klassengefüge handelt. weniger ostdeutsche Männer auf (nur man generell eine Aussage über die Chan-
Der zunehmende Anteil an vertikaler noch 25 – 26 % statt 31 %), dagegen nimmt cengleichheit in der Gesellschaft treffen
Mobilität für westdeutsche Männer resul- der Anteil von Abstiegen merklich zu möchte. Daher werden die Auf- und
tiert aus einer leichten Zunahme sowohl (von 20 % auf 24 %). Seitdem sind die Ra- Abstiegschancen einer Person aus einer
der Aufstiege als auch der Abstiege. Da- ten stabil. Das Verhältnis zwischen Auf- bestimmten Herkunftsklasse mit den Auf-
bei gibt es im gesamten Zeitverlauf etwa stiegen und Abstiegen sinkt in den und Abstiegschancen einer Person aus ei-
doppelt so viele Aufstiege wie Abstiege, 1990er-Jahren und ist heute nahezu aus- ner anderen Herkunftsklasse verglichen.
jedoch ist dieses Verhältnis in den ver- geglichen. Vergleicht man ostdeutsche Mögliche Fragen lauten: Um wie viel ge-
gangenen knapp 40 Jahren für westdeut- Männer mit ostdeutschen Frauen oder ringer sind die Chancen für Personen aus
sche Männer etwas ungünstiger gewor- westdeutschen Männern, so zeigt sich, der Facharbeiterklasse, eine Position in
den. Bei westdeutschen Frauen ist ein ge- dass sie deutlich weniger Aufstiege ver- der oberen Dienstklasse zu erreichen, im
genläufiger Trend zu beobachten. Es zeichnen als andere Gruppen und dass es Vergleich zu Personen, die bereits in der
gelingt ihnen heute häufiger als früher, auch keine Anzeichen für eine Verbesse- oberen Dienstklasse groß geworden sind?
eine bessere Klassenposition einzuneh- rung ihrer vergleichsweise schlechten Und inwieweit haben sich diese Chancen
men als ihre Väter. Während in den Perspektiven gibt. u Tab 3 über die Zeit verändert? Es ist denkbar,
1970er-Jahren nur circa ein Viertel der dass sich für beide die Chancen erhöht
westdeutschen Frauen eine bessere Klas- 7.2.4 Chancengleichheit in der haben, eine Position in der oberen Dienst-
senposition hatten als ihre Väter, hat heu- Gesellschaft klasse zu erreichen, da die Zahl entspre-
te jede dritte Frau eine bessere Klassen- Die bisher dargestellten Ergebnisse be- chender Positionen zugenommen hat.
position als ihr Vater. Gleichzeitig sank ziehen sich auf die Mobilitätserfahrun- Wenn sich dabei die Chancen für Perso-
die Häufigkeit von Abstiegen in den gen von Männern und Frauen seit Mitte nen aus Facharbeiterfamilien im genau
1980er-Jahren deutlich von 33 auf 28 % der 1970er-Jahre in Westdeutschland gleichen Ausmaß erhöhten wie die Chan-
und bleibt seitdem konstant. Setzt man und seit der Vereinigung in Ostdeutsch- cen der Personen aus der oberen Dienst-
die Auf- und Abstiege ins Verhältnis zu- land. Ein wesentlicher Faktor für die so- klasse, dann bliebe die Chancengleichheit
einander, so verändert sich dieses Ver- ziale Mobilität in dieser Zeit waren die beziehungsweise Chancenungleichheit
hältnis von 0,8 auf 1,2. Das heißt, für Veränderungen in der Beschäftigten- zwischen den beiden Herkunftsklassen
Frauen waren in den 1970er-Jahren Ab- struktur. Die Anzahl der Facharbeiter- nach wie vor unverändert.
stiege im Klassengefüge häufiger als Auf- positionen ist in dieser Zeit gesunken, Abschließend werden daher im Fol-
stiege. Dies hat sich über die Zeit jedoch während zusätzliche Positionen vor al- genden Chancengleichheiten beziehungs-
geändert; heute kommen in Westdeutsch- lem bei einfachen Büroberufen und in weise Chancenungleichheiten zwischen
land Aufstiege für Frauen etwas häufiger der oberen Dienstklasse geschaffen wor- Personen mit unterschiedlicher Klassen-
vor als Abstiege. Bei dem Ausmaß der den sind. Im Vergleich zu den Klassen- herkunft untersucht. Für die 1970er-Jahre

215
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.2 /  Soziale Mobilität

in Westdeutschland zeigt sich, dass Perso- – wurde dieser Zusammenhang auf den stärkt, das heißt die Bedeutung der Her-
nen aus der oberen Dienstklasse circa 26- Wert »0« als Ausgangsniveau fest­gesetzt. kunftsklasse für die eigene spätere Klassen-
mal so große Chancen haben, statt der Die Abweichung zu diesem Wert gibt dann position hat insbesondere im ersten
Facharbeiterklasse die obere Dienstklasse die prozentuale Veränderung zu diesem Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zuge-
zu erreichen wie Personen aus der Fach­ Ausgangsniveau an, wobei negative Werte nommen. Das Ausmaß der Zunahme des
arbeiterklasse. Diese großen Chancen­ bedeuten, dass der Zusammenhang schwä- Herkunftseffekts im Osten entspricht unge-
ungleichheiten sind charakteristisch für cher wird, die Chancengleichheit also fähr dem Ausmaß der Abnahme des Ef-
Deutschland. Im Vergleich mit anderen steigt. Die dargestellte Linie ist eine über fekts im Westen für den gleichen Zeitraum.
industrialisierten Ländern weist Deutsch- die einzelnen Jahresbeobachtungen hinweg Trotz des Trends ist der Zusammenhang
land mit die höchsten Chancenungleich- gemittelte Kurve. Die Stärke des Zusam- zwischen Herkunftsklasse und eigener
heiten auf. menhangs nimmt für Männer in West- Klassenposition für ostdeutsche Männer je-
Die folgende Analyse beschreibt die deutschland im gesamten Zeitraum konti- doch weiterhin schwächer ausgeprägt als
Entwicklung der Chancenungleichheiten nuierlich ab. Für das aktuelle Jahrzehnt gilt, für westdeutsche Männer. Inwieweit es bei
in Deutschland in den vergangenen knapp dass sich der ursprüngliche Zusammen- der Entwicklung in Ostdeutschland zu ei-
40 Jahren. Hierzu wurden für sämtliche hang zwischen der Herkunftsklasse und ner fort­währenden Konsolidierung kommt
Kombinationen von Klassenpositionen die der eigenen Klassenposition um circa 21 % oder inwieweit sich der Trend gar umkehrt,
oben dargestellten Chancenverhältnisse verringert hat. Der Einfluss der sozialen wird sich erst mit zukünftigen Daten sagen
berechnet und diese in einem Modell zu- Herkunft auf die eigene Klassenposition hat lassen. Für westdeutsche Männer gibt es
sammengefasst. Die Ergebnisse sind in sich somit seit 1976 deutlich abgeschwächt, wenig Anhaltspunkte, dass sich der Trend
den Abbildungen 1 und 2 dargestellt. die Chancengleichheit für Männer in West- hin zu mehr Chancengleichheit ab-
Abbildung 1 zeigt für Männer die Ent- deutschland hat sich also im betreffenden schwächt. u Abb 1
wicklung der Stärke des Zusammenhangs Zeitraum erhöht. Für ostdeutsche Männer Bei den Frauen zeigten sich nach der
zwischen der sozialen Herkunft und der ist dagegen eine umgekehrte Entwicklung Vereinigung ebenfalls deutliche Unter-
eigenen Klassenposition. Die Stärke des zu beobachten. Hier hat sich der Zusam- schiede zwischen Ost und West. Auch
Zusammenhangs ist auf der y-Achse darge- menhang zwischen sozialer Herkunft und hier gilt, dass der Zusammenhang zwi-
stellt. Für das erste Jahr der Analyse – 1976 eigener Klassenposition im Zeitverlauf ver- schen sozialer Herkunft und eigener Klas-

u Abb 1  Relative Veränderungen des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und


eigener Klassenposition für Männer 1976 – 2014

–1

–2

–3

–4

–5

1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014, SOEP 1986 – 2011, ZUMA-Standarddemographie 1976 –1982, ISJP 1991– 2000.

216
Soziale Mobilität  / 7.2  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

senposition in Ostdeutschland deutlich einen starken Einf luss auf die spätere Männer ein merklicher Trend hin zu mehr
schwächer ausgeprägt ist als in West- Klassenposition von Männern und Frauen Abstiegen. Frauen in Ost und West unter-
deutschland. Und auch hier gibt es gegen- in Deutschland. Viele Personen, die heute scheiden sich kaum noch bezüglich ihrer
läufige Trends. Für westdeutsche Frauen eine bestimmte Klassenposition inneha- Aufstiegs- und Abstiegserfahrungen.
nimmt der Zusammenhang zwischen ben, kommen aus Familien, in denen be- Die Betrachtung der tatsächlichen
Herkunft und eigener Position über die reits der Vater die gleiche Klassenposition Chancengleichheit – bereinigt um struk-
Zeit hinweg leicht ab, diese Abnahme ist hatte. Dies trifft insbesondere für Land- turelle Einflüsse – zeigt für westdeutsche
jedoch weniger stark ausgeprägt als bei wirte und Facharbeiter zu, aber auch in Männer einen klaren kontinuierlichen
westdeutschen Männern. Für ostdeutsche zunehmendem Maße für die obere Dienst- Trend hin zu einem abnehmenden Ein-
Frauen hingegen verstärkt sich der Zu- klasse. Über die Zeit gab es hier nur weni- fluss der sozialen Herkunft auf die eigene
sammenhang merklich bis ins erste Jahr- ge Veränderungen, die insbesondere die Klassenposition. Der gleiche Trend fällt
zehnt des neuen Jahrtausends. Diese Be- Facharbeiterpositionen und im Osten die für westdeutsche Frauen merklich schwä-
funde ähneln stark den Befunden für ost- Dienstklassenpositionen betreffen. Bei der cher aus. Im Osten dagegen nimmt der
deutsche Männer. Es bleibt auch hier Vererbung von Klassenpositionen zeigen Einfluss der sozialen Herkunft sehr deut-
offen, ob dieser Trend sich konsolidiert sich ebenfalls nur wenige Entwicklungen. lich zu. Die ehemals deutlich höhere
oder gar abschwächt und inwieweit es zu Hervorzuheben ist allerdings die günstige Chancengleichheit für Männer und Frau-
einer weiteren Angleichung der Chancen- Entwicklung für Frauen, die im Vergleich en hat stark abgenommen, es kommt bei
gleichheiten zwischen West und Ost zu ihren Vätern verstärkt vorteilhafte beiden Geschlechtern zu einer Annähe-
kommt.  u Abb 2 Positionen behaupten und unvorteilhafte rung an das Westniveau. Es bleibt ab­
­Positionen vermeiden können. Ostdeut- zuwarten, ob sich diese gegenläufigen
7.2.5 Zusammenfassung sche Männer hingegen erfahren eine Pola- Trends auf einem gemeinsamen Niveau
Die Herkunft aus einer bestimmten sozia- risierung: sowohl am oberen Ende als einpendeln werden oder ob sich der Trend
len Klassenlage hat trotz der Betonung auch am unteren Ende der Klassenhierar- in Ostdeutschland umkehren wird.
von Chancengleichheit im Bildungswesen chie kommt es zu einer Verfestigung des
und der Hervorhebung des Leistungs­ Klassenge­f üges. Bei der Gesamtbetrach-
gedankens in der Berufswelt nach wie vor tung von Auf- und Abstiegen zeigt sich für

u Abb 2  Relative Veränderungen des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und


eigener Klassenposition für Frauen 1976 – 2014

–1

–2

–3

–4

–5

1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: ALLBUS 1980–2014, SOEP 1986–2011, ZUMA-Standarddemographie 1976–1982, ISJP 1991–2000.

217
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

7.3 Welche Auswirkungen hat die Einwande-


rung auf die Bevölkerungsstruktur in
dem Zensus 2011. Für Vergleiche mit 2005
werden die auf die Bevölkerung vor dem
Bevölkerung Deutschland? Um den Blick auf diese Fra- Zensus 2011 hochgerechneten Ergebnisse
mit ge zu richten, verwendet die amtliche
­Statistik seit 2005 das Konzept der »Bevöl-
des Mikrozensus 2013 verwendet. u Info 2
Im Jahr 2014 lebten rund 16,4 Millio-
Migrations­ kerung mit Migrationshintergrund«. Es nen Menschen mit Migrationshinter-
hintergrund umfasst Menschen, die nicht als deutsche
Staatsbürger in Deutschland geboren sind,
grund in Deutschland, das waren 20 %
der Gesamtbevölkerung von 80,9 Millio-
oder bei denen mindestens ein Eltern­teil nen. Sie setzten sich aus 7,2  Millionen
Gunter Brückner nicht als deutscher Staatsbürger in Ausländerinnen und Ausländern und aus
Deutschland geboren ist. Es macht das 9,2 Millionen Deutschen mit Migrations-
Prinzip der ausländischen Wurzeln durch hintergrund zusammen. Zu diesen wie-
Destatis
eine Kombination von Staatsangehörigkeit derum gehörten neben 2,4  Millionen
und Einwanderung messbar. Damit wird Eingebürgerten und 3,1 Millionen (Spät-)
die zuvor verwendete Unterscheidung Aussiedlerinnen und -aussiedlern auch
nach deutscher und ausländischer Bevöl- deren 1,2 Millionen beziehungsweise
kerung stärker differenziert. Dies geschah 1,1 Millionen Kinder sowie die 1,4 Millio-
vor allem aus folgenden Gründen: nen Kinder mit einem oder zwei auslän-
·· Seit 1950 hat Deutschland insgesamt dischen Elternteilen und deutscher Staats-
gut 4,5 Millionen Aussiedlerinnen und angehörigkeit. u Tab 1
Aussiedler sowie Spätaussiedlerinnen Die Personen mit und ohne Migrati-
und Spätaussiedler aufgenommen, dar- onshintergrund unterscheiden sich in
unter allein von 1988 bis 1999 mehr als vielen Merkmalen. Aber auch die Bevöl-
2,6 Millionen. kerung mit Migrationshintergrund selbst
·· Seit 1950 wurden in Deutschland mehr ist keine homogene Gruppe. Dies zeigt
als 5,2 Millionen Menschen eingebür- sich bei den Kennziffern und Anteilen in
gert. Im Zeitraum von 1990 bis 2007 Tabelle 1 in der Untergliederung nach der
erfolgten insgesamt knapp 3,5 Millio- Zuwanderer-Generation und der Natio-
nen Einbürgerungen; durchschnittlich nalität deutsch/nichtdeutsch. Diese Un-
über 192 000 pro Jahr. Danach schwank- terschiede werden von demografischen
te die jährliche Zahl von Einbürge­ und sozioökonomischen Sachverhalten
rungen zwischen 95 000 und 112 000. verursacht, auf die später im Einzelnen
·· Seit 2000 wurden 521 000 sogenannte eingegangen wird.
»Optionskinder« geboren, die über die Die Zuwanderung in Deutschland
deutsche Staatsangehörigkeit verfügen, begann mit der Ankunft der Gastarbeiter
obwohl dies bei beiden Elternteilen in den 1950er- und 1960er-Jahren unter
nicht der Fall ist. anderem aus Italien, Spanien, Griechen-
·· Im Jahr 2014 hatte in Deutschland je- land, der Türkei, Portugal und dem ehe-
des dritte der 715 000 Neugeborenen maligen Jugoslawien. Noch heute bilden
Eltern(teile) mit ausländischen Wur- Menschen mit Wurzeln in diesen soge-
zeln. Das waren 239 000 Babys, von de- nannten Gastarbeiter-Anwerbeländern
nen nur geschätzt 38 000 ohne deutsche die größte Gruppe der Bevölkerung mit
Staatsangehörigkeit geboren wurden. Migrationshintergrund in Deutschland
Die Menschen in diesen vier Gruppen eint, (5,9 Millionen Menschen oder 36 %). An
dass sie einen deutschen Pass besitzen und zweiter Stelle folgen die Spätaussiedle-
gleichzeitig – wie die ausländische Bevöl- rinnen und -aussiedler sowie ihre Nach-
kerung in Deutschland – Wurzeln im kommen mit 4,2  Millionen oder 26 %.
Ausland haben. u Info 1 Ihre Zuwanderung erfolgte seit 1950, sie
Die folgenden Angaben beziehen sich fand schwerpunktmäßig jedoch von
auf die Ergebnisse des Mikrozensus 2014, 1990 bis 2000 statt. Bei der restlichen Zu-
hochgerechnet auf die Bevölkerung nach wanderung unterscheidet man die Her-

218
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Info 1 u Info 2
Definitionen und Datenquellen Methodischer Hinweis zur neuen
Der Migrationsstatus einer Person wird aus ihren persönlichen Merkmalen zu Zuzug, Einbürgerung
Hochrechnung
und Staatsangehörigkeit bestimmt sowie aus den entsprechenden Merkmalen ihrer Eltern. Beim Nach- Um aus der Stichprobe des Mikrozensus Aussagen
weis des Migrationsstatus wird zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterschieden. über die Gesamtbevölkerung ziehen zu können,
Angaben zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund ermöglicht seit 2005 der Mikrozensus durch müssen die Daten entsprechend hochgerechnet
­einen erweiterten Fragenkatalog. Hierbei handelt es sich um Personen, die werden. Die Eckzahl der Gesamtbevölkerung und
die Größe der deutschen und ausländischen Be-
‧‧ s eit 1950 nach Deutschland zugewandert sind
völkerungsteile stammen aus der laufenden Be-
‧‧ oder in Deutschland mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren wurden
völkerungsfortschreibung. Diese schreibt die offi-
‧‧ oder mindestens einen Elternteil haben, der seit 1950 nach Deutschland zugewandert ist
zielle Bevölkerungszahl auf Grundlage der letzten
‧‧ oder mindestens einen Elternteil haben, der in Deutschland mit ausländischer
Zählungen fort. Bis zum Jahr 2010 waren dies die
Staatsangehörigkeit geboren wurde.
Volkszählung von 1987 im früheren Bundesgebiet
und die Auswertung des zentralen Einwohner­
Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche einen Migrationshintergrund haben können –
registers zum 3. Oktober 1990 in der ehemaligen
sei es als Kinder von zugewanderten Eltern (darunter Spätaussiedler), als Kinder ausländischer Eltern-
DDR. Seit 2011 ist dies der Zensus 2011. Der
paare (sogenannte ius-soli-Kinder) oder als Kinder eingebürgerter Eltern. Dieser Migrationshintergrund
Zensus hat gezeigt, dass insgesamt 1,5 Millionen
leitet sich dann ausschließlich aus den Eigenschaften der Eltern ab. Die Betroffenen können diesen
Menschen weniger (darunter 1,1 Millionen Aus­
­Migrationshintergrund aber nicht an ihre Nachkommen »vererben«. Bei den Zugewanderten und den in
länder) in Deutschland leben, als zuvor angenom-
Deutschland geborenen Ausländerinnen und Ausländern ist dies hingegen der Fall. Nach den heutigen
men worden war.
ausländerrechtlichen Vorschriften umfasst diese Definition somit üblicherweise Angehörige der ersten
bis dritten Migrantengeneration. Im Text wird unterschieden zwischen der ersten Generation, die In den vorhergehenden Mikrozensuserhebungen
selbst zugewandert ist, und der zweiten Generation, die bereits in Deutschland geboren wurde. 2011 bis 2013 waren zusätzlich auch Hochrech-
nungsfaktoren auf der Grundlage der Volkszäh-
Die deutsche Staatsangehörigkeit wird im Regelfall kraft Gesetzes, ohne Antrag oder behördliches
lung 1987 und der Einwohnerregisterauswertung
Zutun mit der Geburt erworben. Dies gilt für Kinder eines deutschen Elternteils (sogenanntes Abstam-
1990 verfügbar. Im Mikrozensus 2014 sind jedoch
mungs- oder ius-sanguinis-Prinzip) und für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern, wenn
nur noch die zensusbasierten Hochrechnungs-
wenigstens ein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes zum Daueraufenthalt in Deutschland be-
faktoren enthalten. Dadurch sind Zeitreihen von
rechtigt ist und sich seit mindestens acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhält (sogenanntes Territorial-
2005 bis 2014 methodisch nicht vergleichbar.
oder ius-soli-Prinzip).
Zeitreihen werden daher in diesem Kapitel nur für
Seit dem Jahr 2000 erwerben »ius-soli-Kinder« – auch Optionskinder genannt – mit der Geburt die die Jahre 2005 bis 2013 angegeben und basieren
deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren in Deutschland gelebt hat und zum auf den oben genannten Grundlagen.
Zeitpunkt der Geburt ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Daneben haben sie die ausländische
Staatsbürgerschaft ihrer Eltern, also eine doppelte Staatsbürgerschaft. Mit Erreichen der Volljährigkeit
mussten sie sich jedoch früher bis zu ihrem 23. Geburtstag für eine Staatsbürgerschaft entscheiden
(Optionspflicht). Im Jahr 2014 wurde die Optionspflicht neu geregelt; die Regelungen zum Geburtsort­
erwerb selbst bleiben unverändert. Die Optionspflicht entfällt für viele Betroffene.

36 %
Die Ausländerstatistik basiert auf Auswertungen des Ausländerzentralregisters (AZR), die das Statis­
tische Bundesamt zum 31. Dezember eines Jahres durchführt. Das AZR weist alle in Deutschland regis-
trierten Personen nach, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben und sich nicht nur vorüberge-
hend in Deutschland aufhalten. Die einzelnen Ausländerbehörden melden diese Daten an das AZR.

Seit dem Jahr 2000 gibt es eine Bundesstatistik über die Einbürgerungen, die sich auf eingebürgerte
ausländische Personen bezieht. Unberücksichtigt bleibt der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
nach dem Geburtsort (im Inland geborenes Kind ausländischer Eltern). Grundvoraussetzung für eine der Menschen mit Migrations­
Einbürgerung ist der legale, auf Dauer angelegte Aufenthalt einer Ausländerin beziehungsweise eines hintergrund stammten 2014
Ausländers gemäß den üblichen ausländerrechtlichen Bestimmungen. aus den sogenannten
Gastarbeiter-Anwerbeländern.

219
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Tab 1  Bevölkerung nach Migrationsstatus 2014


Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Bevölkerung
Ausländer/-innen Deutsche ohne
insgesamt Migrations-
der 1. der 2. der 1. der 2.
hintergrund
Generation
Anzahl in 1 000 16 386 5 866 1 344 5 011 4 165 64 511
Anteil an der Gesamtbevölkerung in % 20,3 7,3 1,7 6,2 5,1 79,7
Durchschnittsalter in Jahren 35,4 43,0 24,5 48,0 12,9 46,8
Mittlere Aufenthaltsdauer in Jahren 22,4 18,9 X   26,5 X   X  
Durchschnittliche Haushaltsgröße in Personen 3,2 2,9 3,7 2,8 4,1 2,5
Anteile der … in %
Frauen 49,8 49,8 45,4 52,4 48,3 51,1
unter 15-Jährigen 21,8 5,0 26,8 2,4 67,0 11,0
ab 65-Jährigen 9,7 11,8 1,9 17,2 /   23,8
Ledigen 46,5 27,1 72,5 22,0 94,7 39,1
Verheirateten 44,0 60,6 23,6 63,1 4,6 45,9
in einer Familie Lebenden (als Eltern oder Kind) 65,2 51,9 79,3 50,6 96,8 44,0

X  Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.


/  Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus 2014 auf Basis des Zensus 2011.

u Abb 1  Bevölkerung nach Migrationsstatus und Herkunftsländern 2014 — in Tausend schen (6 %), zu denen auch die an anderer
Stelle bereits erwähnten vier Gastarbeiter-
Anwerbeländer Italien, Spanien, Grie-
Personen aus Drittstaaten1
chenland und Portugal zählen. Welche
3 664
Länder wann der EU beigetreten sind
­siehe Kapitel 15, Abbildung 1, Seite 434.
Asylbewerberinnen und -bewerber (auch
Personen aus den neuen
ehemalige) sowie Bürgerkriegsflüchtlinge
Personen aus Gastarbeiter-
EU-Mitgliedstaaten 16 386 Anwerbeländern
finden sich vor allem in der Gruppe der
(2004 und später beigetreten)1 Personen Drittstaaten. u Abb 1
5 938
1 693 Die Zugehörigkeit zu den einzelnen
Zuwanderergruppen hat großen Einfluss
darauf, ob die Betroffenen einen deut-
schen Pass besitzen oder nicht und wie
Personen aus den
Mitgliedstaaten der EU-151 Spätaussiedler/-innen viele von ihnen selbst zugewandert sind
903 4 188
(erste Generation) oder bereits in Deutsch-
land geboren wurden (zweite Generation).
Dies wird anhand der Ergebnisse in Ab-
1  Ohne Spätaussiedler/-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. bildung 2 deutlich. Es besteht aber auch
ein enger Zusammenhang zwischen der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zu-
wanderergruppe und einer Reihe wichti-
ger sozioökonomischer Faktoren. Des-
kunftsländer nach Mitgliedstaaten der im Jahr 2004 und später der EU beigetre- halb nehmen die folgenden Abschnitte
Europäischen Union (EU) (2,6 Millionen tenen 13 neuen EU-Mitgliedstaaten mit häufig Bezug auf die Abbildung 2. u Abb 2
Menschen oder 16 %) und den sogenann- zusammen 1,7  Millionen Betroffenen
ten Drittstaaten (3,7 Millionen Menschen (10 %) für die Einwanderung in Deutsch- 7.3.1 Historische Entwicklung
oder 22 %). Zusätzlich wird die Zuwande- land bedeutsamer sind und einer größe- in Deutschland
rung aus EU-Mitgliedstaaten danach ren Dynamik unterliegen als die alten Die Bevölkerung mit Migrationshinter-
­u nterschieden, in welchem Jahr der EU- Mitgliedstaaten aus der sogenannten grund in Deutschland ist von 15,3  Mil­
Beitritt erfolgte. Grund dafür ist, dass die ­EU-15 mit zusammen 0,9 Millionen Men- lionen im Jahr 2005 um 1,2  Millionen

220
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Abb 2  Bevölkerung nach Migrationsstatus und Zuwanderer- (+ 8 %) auf 16,5  Millionen im Jahr 2013
Gruppen 2014 — in Prozent angestiegen. Die Bevölkerung ohne Mig-
rationshintergrund ist dagegen im glei-
chen Zeitraum von 67,1  Millionen um
Bevölkerung mit Migrations-
31 25 36 8 3,0 Millionen (– 5 %) auf 64,1 Millionen
hintergrund insgesamt
zurückgegangen.
Die verschiedenen Gruppen der Be-
Spätaussiedler/-innen 74 26
völkerung mit Migrationshintergrund
haben sich dabei recht unterschiedlich
Personen aus Gast- entwickelt. So blieb die Zahl der zuge-
10 28 45 17
arbeiteranwerbeländern
wanderten Ausländerinnen und Auslän-
Personen aus den Mitglied-
der von 2005 bis 2010 nahezu unverän-
7 22 60 11
staaten der EU-151 dert. Danach ist sie als Folge der hohen
Nettozuwanderung – das heißt mehr Zu-
Personen aus den neuen
EU-Mitgliedstaaten (2004 und 22 15 60 3
als Fortzüge – vor allem aus den Staaten
später beigetreten)1 der EU-Osterweiterung 2004/2007 und
aus den sogenannten Euro-Krisenlän-
Personen aus
Drittstaaten1 24 26 45 5 dern um 10 % angestiegen. u Abb 3
Die Zahl der in Deutschland gebore-
deutsche Migrantinnen/Migranten 1. Generation nen Ausländerinnen und Ausländer
deutsche Migrantinnen/Migranten 2. Generation ­(sogenannte zweite Generation) hat seit
Ausländer/-innen, 1. Generation 2005 um 14 % abgenommen. Dies ist zum
Ausländer/-innen, 2. Generation
Teil auf die erfolgten Einbürgerungen
zurückzuführen, vor allem aber darauf,
1  Ohne Spätaussiedler/-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. dass seit der Änderung des Ausländerge-
setzes im Jahr 2000 sehr viel weniger
Kinder mit ausschließlich ausländischer
Staatsangehörigkeit in Deutschland ge-
uAbb 3  Entwicklung der Bevölkerung nach Migrationsstatus boren werden als zuvor. Die zugewan-
— in Prozent der Gesamtbevölkerung derten Deutschen mit Migrationshinter-
grund haben sich im gesamten Zeitraum
zahlenmäßig nur leicht erhöht (+ 4 %),
vor allem weil das Potenzial der Spätaus-
siedlerinnen und Spätaussiedler in den
5,5 5,8 Herkunftsländern mittlerweile erschöpft
4,4 4,7 4,9 5,2
3,9 4,0 4,2
ist. Die Zahl der »Deutschen mit Migra-
2,1 2,1 2,0 2,0 1,9 1,9 1,8 1,8 tionshintergrund der zweiten Generati-
2,1
on« ist dagegen seit 2005 um fast 50 %
6,2
angestiegen; dies ist die größte struktu-
6,1 6,1 6,1 6,1 6,2
5,9 5,9 6,0 relle Veränderung insgesamt.
Das Gros der beschriebenen Verän-
derungen lässt sich auf die Struktur der
Zuwanderung nach Deutschland seit
6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 6,8 6,9 7,2 7,5 1950 zurückführen. Sie steht auf zwei
Säulen und umfasst zwei recht unter-
schiedliche Teilgruppen.
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013

Ausländer/-innen, 1. Generation deutsche Migrantinnen/Migranten, 1. Generation Die Zuwanderung von Deutschen


Ausländer/-innen, 2. Generation deutsche Migrantinnen/Migranten, 2. Generation Diese Zuwanderung ist von den sogenann-
ten »Aussiedlern« geprägt. Sie beginnt mit
Die Daten sind zur besseren Vergleichbarkeit auf die Ergebnisse dem Ende des Zweiten Weltkrieges und
der Bevölkerungsfortschreibung vor Zensusrevision 2011 hochgerechnet.
Ergebnisse des Mikrozensus. bezieht sich auf Angehörige deutscher

221
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Abb 4  Zuwanderung nach Deutschland — in Tausend

1 871
1 822

1 485

1 291

1 081
1 001
918

740 738

585

437 417
322 308
227 231 244

116 132 124


89
57
18 14

–162 –146

1950 – 1955– 1960– 1965– 1970– 1975– 1980– 1985– 1990– 1995– 2000– 2005– 2010–
1954 1959 1964 1969 1974 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2014

ausländische Zuwanderer deutsche Zuwanderer

Quellen: Ausländische Zuwanderer: Wanderungsstatistik; Deutsche Zuwanderer: BVA-Statistik »Spätaussiedler und ihre Angehörigen«

Minderheiten in mehreren Ländern Mittel- Die Zuwanderung von Auslände­ dem Bau der Mauer nicht mehr durch die
und Osteuropas und teilweise Zentral­ rinnen und Ausländern Aufnahme von Deutschen aus der ehema-
asiens. Sie sind die Nachkommen von Diese Zuwanderung zeigt einen gänzlich ligen DDR gedeckt wurde, kam der Be-
Deutschen, die vor mehreren Jahrhunder- anderen Verlauf. Von 1950 bis 2014 sum- schäftigung ausländischer Arbeitneh-
ten in diese Länder ausgewandert waren mierte sich die ausländische Nettozu- merinnen und Arbeitnehmer eine immer
und dort über Generationen hinweg ihre wanderung, das heißt der Saldo von Zu- größere Bedeutung zu. Von 1961 bis 1975
Sprache und Kultur beibehalten hatten. und Fortzügen von Ausländerinnen und nahm deren Zahl in der früheren Bundes-
Die Bundesrepublik Deutschland hatte Ausländern, auf insgesamt 9,4 Millionen republik von 690 000 (1,2 % der Bevölke-
seit 1953 mit dem Bundesvertriebenen­ Menschen. Rund 3,6  Millionen (38 %) rung) auf 3,9 Millionen Menschen (6,3 %)
gesetz eine rechtliche Grundlage für die von ihnen kamen zwischen 1960 und zu. Aufgrund des Anwerbestopps bei den
Rückkehr dieser Menschen geschaffen. 1975, weitere 2,7  Millionen Menschen Gastarbeitern ging die Ausländerzahl
Von 1950 bis 2014 kamen mehr als (29 %) wanderten zwischen 1985 und ­z wischen 1974 und 1978 vorübergehend
4,5  Millionen deutsche Zuwanderinnen 1995 zu, und 1,9 Millionen (20 %) immi­ zurück. Danach stieg sie bis 1982 als Folge
und Zuwanderer als (Spät-)Aussiedler, der grierten seit 2010. u Abb 4 der Familienzusammenführung sowie der
Großteil von 1985 bis 2004. Das wichtigs- Die ausländische Zuwanderung fand verstärkten Einreise von Asylsuchenden
te Herkunftsland ist die ehemalige Sowjet­ hauptsächlich im früheren Bundesgebiet auf knapp 4,7  Millionen an. Das Rück-
union (darunter vor allem Kasachstan, die statt. Hier hatte der 1950 einsetzende kehrhilfegesetz ließ 1983 und 1984 die
Russische Föderation und die Ukraine) wirtschaftliche Aufschwung zu einem Ausländerzahl vorübergehend sinken.
mit 52 %, gefolgt von Polen mit 32 % und ständig wachsenden Bedarf an Arbeits- Aufgrund der hohen Zahl von Asylsuchen-
Rumänien mit 10 %. kräften geführt. Als dieser Bedarf nach den und der Aufnahme von Bürgerkriegs-

222
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 2  Asylsuchende und Asylberechtigte Ausländerinnen und Ausländer in den


Anerkennungs- Gesamtschutz- neuen Ländern ohne Berlin Jahr für Jahr
Asylanträge Asylberechtigte quote¹ quote² leicht an – überwiegend als Folge der
in % ­z entralen Verteilung von Asylsuchenden.
1991 256 112 11 597 3,9 . Danach blieb die Zahl weitgehend unver-
1992 438 191 9 189 4,2 . ändert. Im Jahr 2014 hatte die ausländi-
1995 127 937 18 100 9,0 . sche Bevölkerung mit 302 000 Personen
2000 78 564 3 128 3,0 .
einen Anteil von 2,4 % an der dortigen
2005 28 914 411 0,9 6,5
Bevölkerung – gegenüber 13,7 % in Berlin
2010 41 332 643 1,3 21,6
und 9,9 % im früheren Bundesgebiet ohne
2011 45 741 652 1,5 22,3
Berlin.
2012 64 539 740 1,2 27,7
2013 109 580 919 1,1 24,9
Die Asylsuchenden als Teilgruppe der
2014 173 072 2 285 1,8 31,5
ausländischen Bevölkerung in Deutsch-
land stehen aktuell im Zentrum der
1  Die Anerkennungsquote bezieht sich auf die im jeweiligen Berichtsjahr getroffenen Entscheidungen.
2 Die Gesamtschutzquote umfasst die Anerkennung als Asylbewerber / -in, die Gewährung von Flüchtlingsschutz ­öffentlichen Diskussion, so wie häufig in
und die Feststellung eines Abschiebeverbots.
.  Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten. Jahren mit hohen Zuzugszahlen. Ihren
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
bisher höchsten Stand mit rund 438 200
erreichte die Zahl der Asylbewerbe­rinnen
und Asylbewerber in Deutschland 1992.
Danach ging sie kontinuierlich bis auf
Einbürgerungen im Jahr 2014 geringfügig
19 000 Asylanträge im Jahr 2007 zurück,
zurückgegangen
vor allem weil seit 1997 Asyl­suchende in-
Im Verlauf des Jahres 2014 wurden (5 900 Fälle), Kroatien (3 900 Fälle)
nerhalb der Europäischen Union im Rah-
108 420 Ausländerinnen und Aus- und dem Kosovo (3 500 Fälle).
men der sogenannten Dublin-Verord-
länder eingebürgert. Das waren Das ausgeschöpfte Einbürge-
nung auf alle Mitgliedstaaten der EU ver-
2,0 % weniger als im Durchschnitt rungspotenzial – also das Verhält-
teilt werden. Seit 2008 kamen wieder
der letzten zehn Jahre. nis von erfolgten Einbürgerungen
mehr Asylbewerberinnen und Asylbe-
Die Liste der am häufigsten zur Zahl jener Ausländerinnen
werber nach Deutschland; im Jahr 2014
eingebürgerten Staatsangehörig- und Ausländer, die seit mindestens
wurden 173 100 neue Asylanträge gestellt,
keiten wird wie in den Vorjahren zehn Jahren in Deutschland leben
das Jahr 2015 stellt mit 441 900 Anträgen
von türkischen Staatsbürgern an- und d ­ amit alle Voraussetzungen
sogar einen neuen Rekord dar.
geführt (22 500 Einbürgerungen), erfüllen – betrug im Jahr 2014
Die Anerkennungsquote sank mit Un-
gefolgt von Personen aus Polen durchschnittlich 2,2 %.
terbrechungen im Zeitverlauf von 29 % im
Jahr 1985 auf 1 % im Jahr 2005 und ver-
harrt seither auf diesem Niveau. Durch
Flüchtlingsschutz nach dem Asylverfah-
rensgesetz und durch Feststellung eines
flüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina listischen Bruderländern (beispielsweise Abschiebeverbots waren aber Antragstel-
stieg sie anschließend bis Ende 1999 wie- Vietnam, Kuba, Angola oder Mosambik). lende zusätzlich abgesichert, sodass 2014
der an – auf 7,3  Millionen beziehungs­ Allerdings gab es dort keine nach Art und die Gesamtschutzquote bei 32 % lag.
weise 8,9 % der Bevölkerung. Umfang mit dem früheren Bundesgebiet Ausführliche Angaben zu diesem The-
Die meisten ausländischen Staatsan- vergleichbare Beschäftigung ausländi- ma enthält das Kapitel 8.1, Seite 245. u Tab 2
gehörigen suchten Arbeit, deshalb kamen scher Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
überwiegend Männer im erwerbsfähigen nehmer. Zur Zeit der Maueröffnung Ende 7.3.2 Regionale Verteilung
Alter nach Deutschland. Der Anteil der 1989 lebten in der ehemaligen DDR rund und Herkunftsländer
Ausländerinnen nahm nur langsam zu – 191 200 Ausländerinnen und Ausländer Aus geografischer Perspektive ist Migrati-
von 31 % im Jahr 1961 auf rund 47 % im (1,2 % der Bevölkerung). Bis Ende 1991 on vor allem ein Phänomen, das die alten
Jahr 2000, und zwar hauptsächlich als verringerte sich die Zahl weiter – vor al- Bundesländer betrifft. Westdeutsche
Folge von Familienzusammenführungen. lem weil Arbeitsverträge oder Arbeits- Großstädte und alte industrielle Zentren
Auch in den neuen Ländern lebten kräftevereinbarungen ausliefen und die weisen historisch bedingt höhere Anteile
und arbeiteten ausländische Staatsange- Betroffenen in ihre Heimat zurückkehr- an Migranten auf. Hier war der Bedarf an
hörige, vor allem aus sogenannten sozia- ten. Von 1992 bis 2003 stieg die Zahl der Gastarbeitern infolge des Wirtschaftsauf-

223
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Tab 3  Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund


in regionaler Gliederung 2013
Anteil der Bevölkerung Veränderung
mit Migrations­- des Anteils
hintergrund gegenüber 2005
in % in Prozentpunkten
Übrigens… Baden-Württemberg 27,9 + 2,8
lebten laut Ausländerzentralregis-  Regierungsbezirk Tübingen 23,1 + 0,9
ter (AZR) zum 31. Dezember 2014  Regierungsbezirk Stuttgart 31,1 + 2,8
Personen aus 199 verschiedenen Bayern 20,6 + 1,7
Staaten in Deutschland. Die meis-  Regierungsbezirk Oberfranken 12,8 + 0,1
ten kamen aus der Türkei (1,5 Mil-
 Regierungsbezirk Oberbayern 25,4 + 2,2
lionen), aus Polen (0,7 Millionen)
Berlin 26,6 + 3,1
und aus Italien (0,6 Millionen).
Bremen 28,5 + 3,7
Mit jeweils einer Person waren die
Hamburg 28,9 + 2,1
Marshallinseln, Mikronesien und
Hessen 27,8 + 4,4
Timor-Leste mit den wenigsten
 Regierungsbezirk Kassel 19,3 + 3,0
Staatsangehörigen und Nauru als
 Regierungsbezirk Darmstadt 32,0 + 5,2
einziger Staat ohne einen Staats-
Niedersachsen 17,9 + 1,9
bürger im AZR vertreten.
 ehemaliger Regierungsbezirk Lüneburg 13,7 + 0,3

Die meisten Nationalitäten lebten  ehemaliger Regierungsbezirk Hannover 20,8 + 2,8

in Berlin (191), gefolgt von Mün- Nordrhein-Westfalen 25,2 + 1,6

chen (187), Hamburg (184) und  Regierungsbezirk Münster 19,6 + 1,6

Frankfurt (180); die wenigsten  Regierungsbezirk Düsseldorf 27,0 + 2,0


gab es in den Kreisen Hildburg- Rheinland-Pfalz 20,6 + 3,1
hausen (65) und Sonneberg (67) –  ehemaliger Regierungsbezirk Trier 16,4 + 5,3
beide in Thüringen.  e hemaliger Regierungsbezirk
22,2 + 2,5
­R heinhessen-Pfalz
Saarland 17,3 – 1,0
Schleswig-Holstein 12,5 – 0,0
Neue Länder ohne Berlin 4,6 – 0,2

Ergebnisse der Mikrozensen 2005 und 2013.

schwungs seit den 1950er-Jahren beson- wiesenen höchsten und niedrigsten Wer- en Ländern ohne Berlin ging der Anteil
ders groß. Dieses räumliche Verteilungs- ten für die Regierungsbezirke, vor allem der Bevölkerung mit Migrationshinter-
muster besteht bis heute, wie ein Ver- in Bayern und Hessen. u Tab 3 grund zwischen 2005 und 2013 dagegen
gleich der Länder zeigt. Im Jahr 2014 war Seit 2005 hat sich die geografische Ver- um 0,2  Prozentpunkte zurück und im
der Anteil der Bevölkerung mit Migrati- teilung der Bevölkerung mit Migrations- Saarland sogar um 1,0 Prozentpunkte.
onshintergrund am höchsten in den Stadt- hintergrund deutlich geändert. Den größ- Für die Zuwanderung nach Deutsch-
staaten Bremen (29 %), Hamburg (28 %) ten Anstieg auf Länderebene gab es in land ist Europa von herausragender Be-
und Berlin (26 %) sowie in den Flächen- Hessen (+ 4,4 Prozentpunkte), gefolgt von deutung: Im Jahr 2014 stammten 69 % der
ländern Hessen (28 %), Baden-Württem- Bremen (+ 3,7 Prozentpunkte), Berlin und 10,9 Millionen Zugewanderten aus euro-
berg (27 %) und Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz (jeweils + 3,1  Prozent- päischen Ländern. Rund 37 % kamen aus
(25 %). In den neuen Ländern (ohne Berlin) punkte). Der höchste regionale Anstieg den Ländern der Europäischen Union;
lag der Migrantenanteil hingegen nur bei wurde in Rheinland-Pfalz in der Region hier lag Polen mit 1,3 Millionen Menschen
5 %. Innerhalb der Flächenländer gibt es Trier registriert (+ 5,3 Prozentpunkte), ge- (12 %) vorne. Weitere 15 % kamen aus
aber erhebliche regionale Unterschiede. folgt vom Regierungsbezirk Darmstadt in ­EU-Beitrittskandidatenländern, darunter
Dies zeigte sich schon 2013 an den ausge- Hessen (+ 5,2 Prozentpunkte). In den neu- 1,4  Millionen Menschen (13 %) allein

224
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

aus der Türkei. Die verbleibenden 17 % uAbb 5  Bevölkerung nach Migrationsstatus und Herkunftsländern 2014
stammten aus den übrigen europäischen — Anteil in Prozent
Ländern, vor allem aus der Russischen
Föderation (933 000 Menschen bezie-
hungsweise 9 %). u Abb 5 Mit Migrations-
31 25 36 8
hintergrund
Jeweils 2,9 Millionen der 16,4 Millio-
nen Menschen mit Migrationshinter-
grund (Zugewanderte und ihre hier gebo- EU-Staaten 26 24 40 10
renen Kinder) hatten ihre Wurzeln in der
Türkei oder in den Nachfolgestaaten der Polen1 47 21 30 2

ehemaligen Sowjetunion, 1,6 Millionen


Italien2 4 19 53 24
in Polen und 1,5 Millionen in den Nach-
folgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Rumänien1 50 17 32 1
Aus den Gastarbeiter-Anwerbeländern
(ohne das ehemalige Jugoslawien und Griechenland2 4 16 56 24

die Türkei) kamen zusammen 1,7 Millio-


Kroatien2 7 22 54 17
nen der Menschen mit Migrations­
hintergrund, die meisten aus Italien Österreich 13 21 54 11
(764 000 Personen) und Griechenland
Niederlande 6 21 57 16
(394 000 Personen), die wenigsten aus
­Tunesien (49 000 Personen).
Die meisten der 4,2  Millionen Men-
EU-Beitritts-
schen mit (Spät-)Aussiedler-Wurzeln ka- kandidaten3 12 34 38 16

men aus Polen (771 000 Personen), aus der


Türkei2 13 36 35 16
Russischen Föderation (721 000 Personen),
aus Kasachstan (731 000  Personen) und Serbien2 7 19 59 16
aus Rumänien (265 000  Personen). Das
Herkunftsland hat einen großen Einfluss
auf den Migrationsstatus, vor allem auf Sonstiges Europa 45 21 29 4
die Unterscheidung nach deutschen und
Russische
ausländischen Personen. Das zeigt sich 60 20 18 1
Föderation1
insbesondere, wenn man die Gastarbeiter-
Kosovo2 12 25 49 14
Anwerbeländer den Spätaussiedler-Her-
kunftsländern gegenüberstellt.
Asien 43 23 31 3
7.3.3 Alters- und
Geschlechtsstruktur Kasachstan1 74 22 5
Menschen mit Migrationshintergrund wa-
ren 2014 im Durchschnitt 35,4  Jahre alt
und damit deutlich jünger als jene ohne Afrika 23 32 39 6
Migrationshintergrund (46,8 Jahre, siehe
Tabelle 1). Die Alterspyramide zeigt, dass
bei Zuwanderern der ersten Generation
Amerika 23 26 47 5
die Gruppe der 30- bis 55-Jährigen und bei
denen der zweiten Generation die unter
15-Jährigen mit jeweils 200 000 Personen deutsche Migrantinnen/Migranten 1. Generation
je Geburtsjahr besonders stark vertreten deutsche Migrantinnen/Migranten 2. Generation
Ausländer/-innen, 1. Generation
sind. Sie stellen damit 51 % beziehungs­
Ausländer/-innen, 2. Generation
weise 56 % aller Angehörigen der ersten
be­ziehungsweise zweiten Generation. u Abb 6
1  Herkunftsland von Spätaussiedlerinnen und -aussiedlern.
Das niedrigere Durchschnittsalter 2 Gastarbeiter-Anwerbeland.
3  Albanien, Island, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Türkei.
der Migrantinnen und Migranten beein- Ergebnisse des Mikrozensus.

225
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

uAbb 6  Altersaufbau der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund 2014


— in Tausend je Altersjahr

Männer Alter Frauen

100

90

80

70

60

50

40

30

20

10

800 600 400 200 0 0 200 400 600 800

Deutsche ohne Migrationshintergrund Migrantinnen / Migranten, 1. Generation Migrantinnen / Migranten, 2. Generation

Ergebnisse des Mikrozensus.

f lusst viele soziodemografische Eigen- tiert zumindest teilweise aus dem nie­ und Pakistan mit jeweils 67 %, am nied-
schaften dieser Bevölkerungsgruppe: Es drigeren Durchschnittsalter und dem rigsten bei Personen aus Thailand (13 %),
gibt mehr Ledige, mehr Menschen in generellen Männerüberschuss jüngerer den Philippinen (17 %) sowie aus Weiß-
schulischer oder beruflicher Ausbildung Alters­g ruppen. Noch bedeutender ist die russland (28 %), Finnland (31 %) und Bra-
und weniger Rentnerinnen und Rentner. überproportionale Zuwanderung von le- silien (33 %).
Dies muss bei der Interpretation von Sta- digen Männern im erwerbsfähigen Alter. Die ausländische Bevölkerung unter-
tistiken angemessen berücksichtigt wer- Insgesamt gibt es große Unterschiede im scheidet sich bei vielen sozioökonomi-
den. Auch der höhere Männeranteil in Geschlechterverhältnis nach Herkunfts­ schen Merkmalen von der deutschen Be-
der ausländischen Bevölkerung, vor allem ländern. Am höchsten war 2014 der Män- völkerung – mit und ohne Migrationshin-
der zweiten Generation (54,6 % gegenüber neranteil bei Staatsbürgern aus Algerien tergrund. Sie ist häufiger sozialen Risiken
48,9 % bei der Bevölkerung ohne Migra­ und Eritrea mit je 75 %, aus Somalia und ausgesetzt, wie fehlender schulischer oder
tionshintergrund, siehe Tabelle 1) resul- Ägypten mit je 69 % sowie aus Tunesien beruflicher Qualifikation, Arbeitslosigkeit,

226
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Abb 7  Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Migrationsstatus und Qualifikation. Dies beeinflusst ihre Kon-
höchstem Schulabschluss 2014 — Anteil in Prozent kurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt
und damit ihre Fähigkeit, Erwerbsein-
kommen zu erzielen. Ebenso wirken sich
Bevölkerung ohne
Migrationshintergrund
2 28 36 34 die Unterschiede auf die Höhe des Er-
werbseinkommens und das Risiko einer
Bevölkerung mit Armutsgefährdung aus. Im Folgenden
12 31 23 33
Migrationshintergrund
wird untersucht, inwieweit der Grad der
Bildungsbeteiligung zwischen Menschen
mit und ohne Migrationshintergrund
deutsche Migrantinnen /
Migranten,1. Generation 6 31 30 33 als Folge abweichender Bildungsqualifi-
kationen auftreten oder davon abhängen,
deutsche Migrantinnen /
3 28 28 41 ob Migranten ihren Bildungsabschluss
Migranten, 2. Generation
im Inland oder im Ausland erworben
Ausländer /-innen, haben. u Abb 7
19 30 16 34
1. Generation Menschen mit Migrationshinter-
Ausländer /-innen,
grund verfügten 2014 generell seltener
6 41 27 25
2. Generation über mittlere Bildungsabschlüsse. Häufi-
ger als bei Menschen ohne Migrations-
hintergrund fehlten bei ihnen Schul-
Spätaussiedler /-innen oder berufsqualifizierende Abschlüsse
4 32 35 29
und ihre Nachkommen (Bildungsstatus siehe Kapitel 2.1, Seite 45,
Info 2). Allerdings relativieren sich diese
Personen mit Wurzeln in
21 40 19 20 Aussagen, wenn man die verschiedenen
Gastarbeiter-Anwerbeländern
Migrantengruppen gesondert betrach-
Personen mit Wurzeln in
Mitgliedstaaten der EU-151 3 21 21 55 tet. u Abb 8
So waren Ausländerinnen und Aus-
Personen mit Wurzeln in den
neuen EU-Mitgliedstaaten 7 30 19 45
länder 2014 schlechter qualifiziert als
(2004 und später beigetreten)1 Deutsche mit Migrationshintergrund.
Personen mit Wurzeln
Dies galt auch für Migranten der ersten
14 18 21 47
in Drittstaaten1 Generation im Vergleich zu denen der
zweiten Generation. Außerdem unter-
Schulabschluss ohne niedrig mittel hoch
schieden sich die Menschen, deren Mig-
rationshintergrund in den Gastarbeiter-

1  Ohne Spätaussiedler /-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. Anwerbeländern lag, deutlich von jenen,
die ihre Wurzeln in den sonstigen Mit-
gliedstaaten der EU hatten, oder von
Spätaussiedlern und deren Nachkom-
men. Ein Unterschied zwischen Men-
schen mit Migrationshintergrund aus
Erwerbstätigkeit in prestigearmen Berufen völkerung mit und ohne Migrations­ Gastarbeiter-Anwerbeländern und sol-
sowie niedrigen Einkommen und einem hintergrund. Abweichungen beim Durch- chen aus Drittstaaten existiert auch, er
erhöhten Armutsrisiko. So waren Auslän- schnittsalter oder Geschlechterverhältnis ist aber weniger stark ausgeprägt. Bei
derinnen und Ausländer viermal so oft alleine können diese Unterschiede jedoch Migrantinnen und Migranten nimmt
von all diesen Risiken betroffen wie Deut- nicht erklären. die Qualifikation mit dem Zuzugsjahr
sche ohne Migrationshintergrund, Deut- zu: Je später die Zuwanderung erfolgte,
sche mit Migrationshintergrund etwa 7.3.4 Bildungsbeteiligung, schuli- umso größer ist der Anteil derjenigen
­doppelt so häufig. Die Unterschiede zwi- sche und berufliche Qualifikation mit Abitur und Hochschulabschluss.
schen ausländischer Bevölkerung einer- Menschen mit und ohne Migrationshin- Unter den nach 2000 Zugewanderten ist
seits und deutscher Bevölkerung mit tergrund unterscheiden sich deutlich in dieser Anteil signifikant höher als bei
­M igrationshintergrund andererseits sind ihrer Bildungsbeteiligung und hinsicht- der Bevölkerung ohne Migrationshinter-
demnach größer als die zwischen der Be- lich ihrer schulischen und beruf lichen grund der gleichen Altersgruppe. Dies

227
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Abb 8  Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Migrationsstatus und Da aber im gleichen Zeitraum die
höchstem berufsqualifizierenden Abschluss 2014 — Anteil in Prozent schulische und berufliche Qualifikation
der gesamten Bevölkerung im Alter zwi-
schen 25 und 34  Jahren angestiegen ist,
Bevölkerung ohne konnte sich die sogenannte Bildungs-
9 59 11 21
Migrationshintergrund schere nicht schließen. Im Gegenteil: Bei
Bevölkerung mit
Menschen der zweiten Migrantengene­
35 41 5 19
Migrationshintergrund ration ist der Anteil der hohen Schulab-
schlüsse um 6 Prozentpunkte gestiegen,
in der Bevölkerung ohne Migrationshin-
deutsche Migrantinnen /
25 51 7 17 tergrund um 7 Prozentpunkte und in der
Migranten, 1. Generation
gesamten Bevölkerung mit Migrations-
deutsche Migrantinnen /
Migranten, 2. Generation
21 52 7 20 hintergrund sogar um 10 Prozentpunkte.
Auch bei der Hochschulabsolventenquo-
Ausländer /-innen,
1. Generation
45 31 3 21 te liegt der Anstieg bei den Migranten
der zweiten Generation im Alter zwi-
Ausländer /-innen, schen 25 und 34 Jahren (+ 5 Prozentpunk-
2. Generation 29 56 5 10
te) unter den entsprechenden Vergleichs-
werten der Bevölkerung ohne Migrati-
Spätaussiedler/-innen onshintergrund (+ 7 Prozentpunkte) und
und ihre Nachkommen 21 57 8 15
mit Migrationshintergrund insgesamt
Personen mit Wurzeln in (+ 8 Prozentpunkte).
51 37 3 9
Gastarbeiter-Anwerbeländern Die derzeitige Bildungsbeteiligung
Personen mit Wurzeln in
stimmt jedoch vorsichtig optimistisch:
16 38 6 39
Mitgliedstaaten der EU-151 Rund 37 % der 16- bis 19-jährigen Ju-
Personen mit Wurzeln in den gendlichen mit Migrationshintergrund
neuen EU-Mitgliedstaaten 24 47 6 22
(2004 und später beigetreten)1 besuchten 2014 eine Schulform, die zu
e inem hohen Schulabschluss (Abitur
­
Personen mit Wurzeln
36 28 3 32 ­b e­z iehungsweise Fachabitur) führt, bei
in Drittstaaten1
Jugendlichen ohne Migrationshintergrund
beruflicher Abschluss ohne niedrig mittel hoch
waren es 40 %.
Ob die berufliche Qualifikation im In-
land oder im Ausland erworben wurde,
1  Ohne Spätaussiedler/-innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. wirkt sich bei Zugewanderten auf dem Ar-
beitsmarkt und beim Einkommen unter-
schiedlich aus. Die Bundesregierung hat
daher Anstrengungen unternommen, um
die Anerkennung ausländischer Berufsab-
schlüsse zu erleichtern. Im Jahr 2014 ga-
ben 2,7 Millionen oder 55 % der Zugewan-
derten im Alter von 25 bis 64 Jahren an,
lässt sich zwar teilweise durch deren im lich das deutsche Bildungssystem durch- ihren beruflichen Abschluss im Ausland
Vergleich um sieben Jahre beziehungs- laufen haben, ist von 2005 bis 2013 die erworben zu haben, und zwar umso häufi-
weise um elf  Jahre niedrigeres Durch- (Fach-)Abiturientenquote von 33 % auf ger, je höher die berufliche Qualifikation
schnittsalter erklären, aber es spiegelt 40 % angestiegen und der Anteil der war. Bei den älteren Zugewanderten ist der
auch wider, dass Deutschland seit dem (Fach-)Hochschulabsolventinnen und Anteil der im Ausland erworbenen Ab-
Jahr 2000 ein attraktives Zielland für -absolventen von 11 % auf 17 %. Gleichzei- schlüsse noch ungleich größer als bei den
hochqualifizierte Zuwanderinnen und tig ist der Anteil jener zurückgegangen, jüngeren. Sofern weitere Fortschritte bei
Zuwanderer geworden ist. u Tab 4 die keinen Schul- oder keinen berufsqua- der Anerkennung ausländischer Berufs­
Bei den 25- bis 34-jährigen Menschen lifizierenden Abschluss besitzen (von 4 % abschlüsse erzielt werden, könnte die Be-
mit Migrationshintergrund der zweiten auf 3 % beziehungsweise von 26 % auf deutung der ausländischen Abschlüsse in
Generation, die in aller Regel ausschließ- 23 %). Zukunft abnehmen. u Tab 5

228
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 4  Qualifikation von Zugewanderten im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Zuzugsjahr im Jahr 2014
Darunter
Personen im Alter
mit Abitur/ mit (Fach-) Durchschnittsalter
von 25 bis 64 Jahren
Fachhochschulreife Hochschulabschluss
in 1 000 Anteil in % in Jahren
Zugewanderte insgesamt 8 006 33,5 19,1 44,0

Vor 1980 zugewandert 1 232 19,5 10,7 54,0

Von 1980 bis 1989 zugewandert 1 457 32,7 14,8 46,7

Von 1990 bis 1999 zugewandert 2 722 28,3 14,8 43,7

Von 2000 bis 2009 zugewandert 1 668 42,9 26,8 39,5

Von 2010 bis 2014 zugewandert 927 52,3 35,8 35,6

Bevölkerung ohne Migrations­h intergrund 35 430 34,2 20,7 46,2

Ergebnisse des Mikrozensus.

7.3.5 Arbeitsmarktbeteiligung und u Tab 5  Qualifikation von Zugewanderten im Alter von 25 bis 64 Jahren im Jahr 2014
Lebensunterhalt Anteil der im Ausland erworbenen Abschlüsse
Die Beteiligung am Arbeitsmarkt wird
Anzahl der darunter Zuwanderer im Alter
üblicherweise durch die Erwerbsquote ge- Abschlüsse ins- von ... bis ... Jahren
messen. Hierbei werden die dem Arbeits- gesamt
markt zur Verfügung stehenden Erwerbs- 25 ­– 34 55 – 64

personen, das heißt Erwerbstätige und in 1 000 in %


Erwerbslose, zur Bevölkerung im Alter Beruflicher Abschluss insgesamt 4 943 5,5 9,0 1,8
von 15 bis 64 Jahren in Relation gesetzt.  hoch 1 538 4,4 5,1 7,4
Siehe hierzu auch Kapitel 5.1, Info 1, Seite  mittel 389 7,6 7,1 4,0
126. Die Erwerbsquoten der Bevölkerung
 niedrig 3 016 1,9 8,1 0,9
mit Migrationshintergrund (71 %) und
ohne (80 %) unterschieden sich im Jahr Ergebnisse des Mikrozensus.

2014 deutlich. Dies ist eine Folge der ver-


schieden hohen Zahlen von Nichterwerbs­
personen, die keine Arbeit suchen, weil u Tab 6  Erwerbsquote und Erwerbstätigenquote der Bevölkerung
sie sich in Ausbildung befinden oder ihre nach Migrationsstatus 2014 — in Prozent
Rolle als Hausfrau beziehungsweise
Erwerbstätigen-
-mann in der Familie sehen. u Tab 6, Info 3 Erwerbsquote
quote
Bei den Deutschen mit Migrationshin-
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund 80,1 76,0
tergrund der zweiten Generation war 2014
Bevölkerung mit Migrationshintergrund 71,3 64,6
der Anteil der Nichterwerbspersonen mit
51 % hoch, weil sich diese aufgrund ihres Deutsche Migrantinnen / Migranten, 1. Generation 80,4 74,7

niedrigen Durchschnitts­a lters besonders Deutsche Migrantinnen / Migranten, 2. Generation 49,3 43,8


häufig noch in Aus­bildung befanden. Der Ausländer /-innen, 1. Generation 70,5 62,6
ebenfalls hohe Anteil bei Ausländerinnen Ausländer /-innen, 2. Generation 69,3 62,3
und Ausländern mit 30 % beziehungs­
Spätaussiedler /-innen und deren Nachkommen 77,6 72,3
weise 31 % resultierte dagegen vor allem
Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern 68,6 61,5
aus der hohen Zahl von Frauen, die sich
auf ihre Rolle im Haushalt beschränkten. Personen mit Wurzeln in den Mitgliedstaaten der EU-15¹ 75,2 71,4

Insgesamt standen 37 % aller Frauen mit Personen mit Wurzeln in den neuen EU-Mitgliedstaaten
78,3 71,8
Migrationshintergrund im Alter zwi- (2004 und später beigetreten)¹

schen 15 und 64  Jahren dem Arbeits- Personen mit Wurzeln in Drittstaaten¹ 64,5 56,2
markt nicht zur Verfügung. Bei Frauen
Erwerbsquote = Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren.
ohne Migrationshintergrund waren es Erwerbstätigenquote = Anteil der Erwerbstätigen in der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren.
1  Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
24 %. Bei den Männern unterschieden Ergebnisse des Mikrozensus.

229
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Info 3 sich die Anteile dagegen weniger (21 %


Definitionen beziehungsweise 16 %). u Abb 9
Die Erwerbstätigenquote bezieht die Erwerbstätigen auf die Bevölkerung im Alter zwischen 15 und Der Unterschied zwischen den Er-
64 Jahren und lässt die Erwerbslosen unberücksichtigt, während die Erwerbsquote die Erwerbs­ werbstätigenquoten der Bevölkerung mit
personen (Erwerbstätige und Erwerbslose) auf die Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren bezieht.
Migrationshintergrund (65 %) und ohne
Bei der Berechnung des Nettoäquivalenzeinkommens wird das verfügbare Einkommen von (76 %) war 2014 größer als jener zwischen
­ aushalten zusammengefasst und zur Haushaltsgröße in Bezug gesetzt. Dabei werden den Haus-
H
haltsmitgliedern je nach ihrem Alter unterschiedliche Gewichte zugeordnet. Das Nettoäquivalenz­ den Erwerbsquoten (71 % mit Migrations-
einkommen eines Ehepaares mit zwei Kindern im Alter von acht und zehn Jahren und einem hintergrund und 80 % ohne), weil die Er-
­verfügbaren Ein­kommen von 5 250 Euro entspricht daher dem Nettoäquivalenzeinkommen eines werbslosigkeit bei der Bevölkerung mit
Einpersonenhaushaltes mit einem verfügbaren Einkommen von 2 500 Euro. Um die ökonomische
­Situation der i­ndividuellen Personen und der Haushalte zu beurteilen, ist der gesamtgesellschaft­ Migrationshintergrund eine merklich grö-
liche Median dieses Nettoäquivalenzeinkommens die Bezugsgröße. Der Median ist rechnerisch ßere Bedeutung hat als bei der Bevölke-
die Zahl, die genau in der Mitte liegt, wenn man die Werte der Größe nach sortiert.
rung ohne Migrationshintergrund.
Als armutsgefährdet gelten Betroffene nach internationalen Gepflogenheiten, wenn das individuelle Der Anteil der Erwerbslosen an der Er-
Nettoäquivalenzeinkommen den Schwellenwert von 60 % des Median unterschreitet. Überschreitet
es den Schwellenwert von 200 % gelten sie als reich. Die Armutsgefährdungsquote bezeichnet dem-
werbsbevölkerung war bei der Bevölkerung
nach den Anteil der Personen, deren Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 % des Median beträgt. mit Migrationshintergrund (6,7 %) beinahe
doppelt so hoch wie bei der Bevölkerung
ohne Migrationshintergrund (4,1 %). Dies
u Abb 9  Bevölkerung im Alter von 15 bis  64 Jahren nach Migrationsstatus und lag vor allem an der hohen Erwerbslosigkeit
Erwerbsstatus 2014 — Anteil in Prozent der Migranten aus Gastarbeiter-Anwerbe-
ländern (7,1 %) und aus Drittstaaten (8,3 %).
Wenig überraschend ist, dass es zwi-
Bevölkerung ohne
76 4 20
schen beruflicher Qualifikation und Er-
Migrationshintergrund
werbslosigkeit einen Zusammenhang gibt.
Bevölkerung mit
65 7 29
Der Anteil der Erwerbslosen bei Personen
Migrationshintergrund
ohne berufsqualifizierenden Abschluss
lag in der Bevölkerung mit Migrations-
deutsche Migrantinnen / hintergrund bei 10 % und ohne Migrati-
75 6 20
Migranten,1. Generation onshintergrund bei 11 %. Mit steigender
deutsche Migrantinnen /
beruflicher Qualifikation sank das Risiko
44 6 51
Migranten, 2. Generation der Erwerbslosigkeit – jedoch bei Men-
Ausländer/-innen,
schen mit und ohne Migrationshinter-
63 8 30
1. Generation grund nicht im gleichen Umfang. Der Ab-
stand zwischen den Erwerbslosenanteilen
Ausländer/-innen,
62 7 31 nahm vielmehr mit steigender Qualifika-
2. Generation
tion zu, von 2 Prozentpunkten bei niedri-
ger Qualifikation bis auf 4 Prozentpunkte
Spätaussiedler / -innen bei (Fach-)Hochschulabsolventen.
72 5 22
und ihre Nachkommen
Das Risiko der Erwerbslosigkeit wird
Personen mit Wurzeln in
61 7 31 aber nicht nur von der beruflichen Quali-
Gastarbeiter-Anwerbeländern
fikation beeinflusst, sondern auch davon,
Personen mit Wurzeln in 71 4 25 ob der berufsqualifizierende Abschluss im
Mitgliedstaaten der EU-151
Inland oder im Ausland erworben wurde.
Personen mit Wurzeln in den
neuen EU-Mitgliedstaaten 72 7 22
Zugewanderte mit im Ausland erworbe-
(2004 und später beigetreten)1 nen Abschlüssen haben bei gleicher Quali-
Personen mit Wurzeln fikation einen um rund 2 Prozentpunkte
56 8 35
in Drittstaaten1 höheren Anteil Erwerbsloser als jene mit
im Inland erworbenen Abschlüssen.
Erwerbstätige Erwerbslose Nichterwerbspersonen Erwerbstätige mit Migrationshinter-
grund profitierten weniger vom Struktur-
  
1  Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern. wandel in den Wirtschaftsbereichen: Sie
Ergebnisse des Mikrozensus.
waren vorwiegend in Sektoren mit einem
hohen Anteil gering qualifizierter Tätig-

230
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

keiten beschäftigt, zum Beispiel im Pro- u Abb 10  Bevölkerung im Alter von über 15 Jahren nach Migrationsstatus und

duzierenden Gewerbe oder in den Berei- überwiegendem Lebensunterhalt 2014 — Anteil in Prozent
chen Handel, Gastgewerbe und Verkehr
innerhalb des Dienstleistungssektors.
Dies gilt sowohl für Vertreter der ersten Bevölkerung ohne
51 30 6 13
(63 %) als auch der zweiten (65 %) Migran- Migrationshintergrund

tengeneration. Bevölkerung mit


51 13 14 22
Ein weiterer relevanter sozioökonomi- Migrationshintergrund

scher Indikator ist der überwiegende Le-


bensunterhalt, der die Hauptquelle des
deutsche Migrantinnen /
­eigenen Einkommens anzeigt. Bei Erwerbs- 56 19 11 14
Migranten,1. Generation
tätigen ist dies in der Regel das Erwerbs-
deutsche Migrantinnen / 36 2 10 53
einkommen und bei der Bevölkerung ab Migranten, 2. Generation
65 Jahren sind es Rente und ­Pension. Er-
Ausländer /-innen,
werbslose bestreiten ihren Lebensunter- 1. Generation
49 13 17 21

halt vorwiegend durch das s­ ogenannte So-


Ausländer / -innen,
zialeinkommen in Form von Arbeitslosen- 2. Generation
53 3 13 30
geld oder -hilfe, bei Nichterwerbstätigen
sind sowohl Sozialeinkommen als auch
Unterstützung durch Angehörige denkbar. Spätaussiedler / -innen
51 13 14 22
und ihre Nachkommen
Ist der Haupteinkommensbezieher im
Haushalt erwerbstätig, überwiegt bei den Personen mit Wurzeln in
53 19 10 18
Nichterwerbspersonen in diesem Haushalt Gastarbeiter-Anwerbeländern

die Unterstützung durch Angehörige. Bei Personen mit Wurzeln in 48 13 14 25


­einem erwerbs­losen Haupteinkommens- Mitgliedstaaten der EU-151

bezieher sind dagegen auch alle anderen Personen mit Wurzeln in den
neuen EU-Mitgliedstaaten 52 22 6 20
nicht erwerbstätigen Familienmitglieder (2004 und später beigetreten)1
von Sozialeinkommen abhängig. Personen mit Wurzeln
61 9 11 19
Der Anteil der Personen, die 2014 ih- in Drittstaaten1
ren Lebensunterhalt überwiegend aus Er-
werbstätigkeit bestritten, lag bei der Bevöl- Erwerbstätigkeit Rente, Pension, Vermögen
kerung mit und ohne Migrationshinter- Sozialeinkommen Angehörige

grund bei 51 % und unterschied sich somit


nicht. Dies überrascht, da die Erwerbstäti- 1  Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus.
genquoten in der Bevölkerung zwischen
15 und 64  Jahren mit 65 % (mit Migrati-
onshintergrund) beziehungsweise 76 %
(ohne Migrationshintergrund) deutlich
voneinander abweichen (siehe Tabelle  6).
Der scheinbare Widerspruch löst sich aber
auf, wenn man bedenkt, dass die 65-Jähri- nen ohne Migrationshintergrund deutlich in der Altersstruktur und bei der Erwerbs-
gen und Älteren 24 % der Bevölkerung geringer als für die Bevölkerung mit Mig- beteiligung zurückführen. Bei zugewan-
ohne Migrationshintergrund, aber nur rationshintergrund (22 %). Bei der Abhän- derten Menschen ohne deutschen Pass ha-
10 % der Bevölkerung mit Migrationshin- gigkeit von Sozialeinkommen gilt das ben Sozialeinkommen als überwiegende
tergrund ausmachten. Daher bestritten Gleiche in noch größerem Maß: Rund 6 % Quelle des Lebensunterhaltes mit 17 %
auch 30 % der Bevölkerung ohne Migrati- der Menschen ohne Migrationshinter- eine überproportional hohe Bedeutung.
onshintergrund ihren Lebensunterhalt aus grund lebten von Sozialeinkommen ge- Seit 2005 zeichnen sich positive
Rente, Pension und Vermögen gegenüber genüber 14 % der Personen mit Wurzeln Trends ab, die vor allem aus der erhöhten
13 % bei der Bevölkerung mit Migrations- im Ausland. Beschäftigung resultieren, und von de-
hintergrund. u Abb 10 Die deutlichen Abweichungen inner- nen Menschen mit und ohne Migrations-
Die Bedeutung der Unterstützung halb der Bevölkerung mit Migrationshin- hintergrund gleichermaßen profitieren
durch Angehörige war mit 13 % für Perso- tergrund lassen sich auf die Unterschiede konnten. So ist der Anteil des Erwerbs-

231
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Abb 11  Persönliches monatliches Nettogehalt der abhängig Vollzeitbeschäftigten rücksichtigen. Deshalb werden in diesem
im Alter von 25 bis 64 Jahren nach Migrationsstatus 2014 — in Euro Abschnitt nur die Löhne und Gehälter
von abhängig Beschäftigten mit einer
­wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden
Bevölkerung ohne
und mehr miteinander verglichen. Die
2 235
Migrationshintergrund Erwerbseinkommen von Selbstständigen,
unbezahlt mithelfenden Familienangehö-
Bevölkerung mit
2 001
Migrationshintergrund rigen, Auszubildenden und in freiwilligen
Diensten Beschäftigten bleiben dagegen
unberücksichtigt.
deutsche Migrantinnen /
Migranten, 1. Generation
2 006 Die monatlichen Nettolöhne und
­-gehälter von Menschen mit Wurzeln im
deutsche Migrantinnen / Ausland lagen 2014 um durchschnittlich
2 104
Migranten, 2. Generation
234 Euro oder 10 % unter jenen von Men-
Ausländer/-innen, schen ohne Migrationshintergrund. In-
1 984
1. Generation
nerhalb der Bevölkerung mit Migrations-
Ausländer/-innen,
2 008 hintergrund reichte dabei die Spannwei-
2. Generation
te der durchschnittlichen Einkommen
von 1 984 Euro bei Ausländerinnen und
Spätaussiedler/-innen Ausländern der ersten Generation bis
und ihre Nachkommen 1 963
2 104 Euro bei Deutschen mit Migrations-
Personen mit Wurzeln in
hintergrund der zweiten Generation. Dies
1 946
Gastarbeiter-Anwerbeländern entspricht einer Differenz von 120  Euro
oder 6 %. u Abb 11
Personen mit Wurzeln in
2 860
Mitgliedstaaten der EU-15
1 Unterscheidet man die Menschen mit
Personen mit Wurzeln in den Migrationshintergrund nach Herkunfts-
neuen EU-Mitgliedstaaten 1 789
(2004 und später beigetreten)
1
ländern, so zeigt sich eine noch größere
Spreizung der Löhne und Gehälter. Men-
Personen mit Wurzeln
in Drittstaaten
1
2 031 schen mit Wurzeln in den neuen Mitglied-
staaten der EU verdienten mit durch-
 Personen mit Wurzeln
in OECD-Mitgliedstaaten 2 836 schnittlich 1 789  Euro besonders wenig
innerhalb der Drittstaaten
1
und Menschen mit Wurzeln in den Mit-
gliedstaaten der EU-15 (ohne die Gastar-
beiter-Anwerbeländer Italien, Spanien,
1  Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern. Griechenland, Portugal) verdienten mit
Abhängig Beschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und mehr; ohne Selbstständige und
unbezahlt mithelfende Familenangehörige, ohne Auszubildene und Personen in freiwilligen Diensten. 2 860  Euro überdurchschnittlich viel –
Ergebnisse des Mikrozensus.
nicht nur im Vergleich mit allen Menschen
mit Migrationshintergrund (2 001  Euro),
sondern auch mit denen ohne Migrations-
hintergrund (2 235 Euro). Nur geringfügig
niedrigere durchschnittliche Nettolöhne
und -gehälter erzielten mit 2 836 Euro Be-
einkommens am überwiegenden Lebens- ziehungsweise 5 Prozentpunkte und waren schäftigte aus den OECD-Mitgliedstaaten,
unterhalt von 2005 bis 2013 für Men- damit besonders ausgeprägt. die nicht gleichzeitig der Europäischen
schen ohne Migrationshintergrund von Union angehören, beispielsweise aus der
47 % auf 51 % gestiegen und für Men- 7.3.6 Ökonomische Lage und Schweiz oder den Vereinigten Staaten.
schen mit Migrationshintergrund von Armutsgefährdung Die Einkommensunterschiede zwi-
46 % auf 51 %. Im Gegenzug sanken je- Die ökonomische Situation von Menschen schen Menschen mit und ohne Migrations-
weils die Anteile der Sozialeinkommen und den Haushalten, in denen sie leben, hintergrund sind aber gering im Vergleich
und der Unterstützung durch Angehörige. wird in erster Linie vom Erwerbseinkom- zu jenen, die abhängig von der berufli-
Bei zugewanderten Ausländerinnen und men geprägt. Beim Vergleich der Erwerbs- chen Qualifikation auftreten. Menschen
Ausländern betrugen die Rückgänge 3 be- einkommen sind viele Faktoren zu be- ohne Migrationshintergrund mit mittle-

232
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

u Tab 7  Persönliches monatliches Nettogehalt abhängig Vollzeitbeschäftigter im Alter von 25 bis 64 Jahren
nach berufsqualifizierendem Abschluss 2014 — in Euro

Durchschnittliches monatliches Nettogehalt bei

hohem berufsqualifizierenden Abschluss


niedrigem mittlerem
und Erwerb im

berufsqualifizierenden insgesamt
Inland Ausland
Abschluss

Bevölkerung ohne Migrationshintergrund 1 919 2 230 3 193 3 191 3 321

Bevölkerung mit Migrationshintergrund 1 843 2 115 2 798 2 892 2 720

Deutsche Migrantinnen / Migranten, 1. Generation 1 872 2 135 2 718 2 927 2 395

Deutsche Migrantinnen / Migranten, 2. Generation 1 912 2 440 2 934 2 971 /

Ausländer /-innen, 1. Generation 1 756 1 967 2 835 2 756 2 862

Ausländer /-innen, 2. Generation 1 956 2 342 3 040 3 077 /

Spätaussiedler /-innen und deren Nachkommen 1 845 2 105 2 680 2 911 2 291

Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern 1 934 2 306 2 769 2 952 2 584

Personen mit Wurzeln in den Mitgliedstaaten der EU-15¹ 2 105 2 613 3 666 3 497 3 721

Personen mit Wurzeln in den neuen EU-Mitgliedstaaten


1 616 1 862 2 474 2 704 2 356
(2004 und später beigetreten)¹

Personen mit Wurzeln in Drittstaaten¹ 1 743 1 679 2 668 2 744 2 612

 OECD-Mitgliedstaaten¹ 2 124 / 3 369 3 174 3 474

Abhängig Beschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und mehr; ohne Selbstständige, unbezahlt mithelfende Familien-
angehörige, Auszubildende und Personen in freiwilligen Diensten.
1  Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
/  Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.
Ergebnisse des Mikrozensus.

rem beruflichem Bildungsabschluss ver- zugewanderte Ausländerinnen und Aus- als jene mit Migrationshintergrund; bei
dienten 2014 monatlich im Durchschnitt länder dagegen nur 106  Euro mehr. Für einem mittleren Abschluss waren es
311 Euro mehr als jene mit niedrigem und die Bevölkerung mit Migrationshinter- 115  Euro oder 5 % und bei einem hohen
963 Euro weniger als jene mit hohem be- grund insgesamt war ein inländischer Ab- Abschluss 395 Euro oder 12 % mehr.
ruflichem Abschluss. Bei Menschen mit schluss finanziell attraktiver (+ 172 Euro). Es ist überraschend, dass die Spätaus-
Migrationshintergrund liegen die ent- Bei der Bevölkerung ohne Migrations­ siedlerinnen und -aussiedler sowie ihre
sprechenden Beträge bei 272  Euro mehr hintergrund wirkten sich dagegen im Aus- Nachkommen mit 2 291  Euro von ­a llen
beziehungsweise 683 Euro weniger. Inner- land erworbene hohe berufsqualifizieren- Zugewanderten das niedrigste Erwerbs-
halb der Migrationsbevölkerung erzielen de Abschlüsse einkommenssteigernd aus einkommen erzielten, wenn sie über eine
Ausländerinnen und Ausländer eine hö- (+ 130  Euro). Das Gleiche gilt für Zuge- hohe berufliche Qualifikation ver­fügten
here Bildungsrendite als Deutsche mit wanderte aus industriell hoch entwickel- und diese im Ausland erworben hatten,
Migrationshintergrund. u Tab 7 ten Herkunftsländern, sei es aus der EU-15 denn sie hatten im Gegensatz zu allen
Für Beschäftigte mit hoher beruflicher (+ 224  Euro) oder aus den sonstigen ­a nderen Zugewanderten von Anfang an
Qualifikation ist zudem für die Höhe von OECD-Mitgliedstaaten (+ 300 Euro). einen gesetzlichen Anspruch auf Aner­
Lohn und Gehalt entscheidend, ob der be- Im direkten Vergleich nehmen die Ab- kennung ihrer im Ausland erworbenen
rufsqualifizierende Abschluss im Inland stände der monatlichen Erwerbseinkom- Abschlüsse. Es liegt deshalb nahe zu ver­
oder im Ausland erworben wurde. Aller- men zwischen der Bevölkerung mit und muten, dass es für diese Einkommensun-
dings wirkt sich dies nicht immer in glei- ohne Migrationshintergrund mit der be- terschiede noch andere Ursachen gibt,
cher Weise aus: So verdienten zugewan- ruflichen Qualifikation zu: Bei niedrigem beispielsweise die Wahl des Arbeitsplatzes.
derte Deutsche mit Migrationshinter- berufsqualifizierenden Abschluss ­erzielten Insgesamt bestätigen die Daten einen
grund und Abschluss im Inland 532 Euro Beschäftigte ohne Migrationshintergrund Zusammenhang zwischen beruf licher
mehr als jene mit Abschluss im Ausland, durchschnittlich 76 Euro oder 4 % mehr Qualifikation und Höhe des erzielten Er-

233
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.3 /  Bevölkerung mit Migrationshintergrund

u Abb 12  Armutsgefährdungsquoten nach Migrationsstatus 2014 — Anteil in Prozent werbseinkommens. Diese Bildungsrendi-
te ist für Menschen ohne Migrationshin-
tergrund allerdings höher als für jene
12,5
mit Migrationshintergrund und führt
Bevölkerung ohne
Migrationshintergrund
13,7 dazu, dass die Einkommensdifferenzen
12,6
mit zunehmender Bildung ansteigen. Die
26,7
Einkommen einzelner Zuwanderergrup-
Bevölkerung mit
Migrationshintergrund
30,0 pen werden zudem von weiteren Faktoren,
32,2
wie zum Beispiel der Berufserfahrung
beeinflusst, die mit den aus dem Mikro-
zensus vorliegenden Daten nicht analy-
siert werden können.
20,4 Seit mehreren Jahren werden die statis-
deutsche Migrantinnen /
28,1 tischen Größen Nettoäquivalenzeinkom-
Migranten,1. Generation
26,2
men und Armutsgefährdungsquote er-
rechnet, um die ökonomische Situation
24,4
deutsche Migrantinnen / von Personen und Haushalten zu be-
26,0
Migranten, 2. Generation schreiben. Das Nettoäquivalenzeinkom-
15,5
men berücksichtigt neben dem im vori-
33,1
gen Abschnitt verwendeten verfügbaren
Ausländer/-innen,
1. Generation
49,6 Einkommen auch die Einspareffekte, die
40,7
sich durch das gemeinsame Wirtschaften
und Konsumieren in Mehrpersonenhaus-
Ausländer/-innen,
29,6 halten gegenüber alleinlebenden Konsu-
41,5
2. Generation menten ergeben.
16,6
Im Jahr 2014 galten nach dem Mikro-
zensus 15 % der Bevölkerung in Deutsch-
land als armutsgefährdet. Seit 2005
schwankte dieser Anteil zwischen 14 %
18,1
Spätaussiedler/-innen
19,1
und 16 %. Kinder unter 18 Jahren waren
und ihre Nachkommen
26,2 2014 mit 19 % überdurchschnittlich häufig
armutsgefährdet; dieser ­A nteil steigt auf
30,2
41 %, wenn sie bei Alleinerziehenden auf-
Personen mit Wurzeln
in Gastarbeiter- 33,9 wachsen. Dagegen waren nur 14 % aller
Anwerbeländern 41,2
ab 65-Jährigen armutsgefährdet. u Abb 12
Die ökonomische Situation von Men-
Personen mit Wurzeln 10,8 schen mit Migrationshintergrund stellt
in Mitgliedstaaten 10,7
der EU-151 11,0
sich im Vergleich dazu völlig anders dar.
Ihre Armutsgefährdungsquote lag 2014
Personen mit Wurzeln
mit 27 % mehr als doppelt so hoch wie
24,1
in den neuen EU-Mitglied-
31,2 die der Bevölkerung ohne Migrations-
staaten (2004 und später
beigetreten)1
22,0 hintergrund (12 %). Für Ausländerinnen
und Ausländer lag der Anteil mit 32 %
36,1 noch höher. Bei einer Unterscheidung
Personen aus
37,7 nach Herkunftsländern gibt es deutliche
Drittstaaten1
46,3
Unterschiede zwischen Spätaussiedlerin-
nen und -aussiedlern (18 %) auf der einen
insgesamt
Seite und Menschen mit Wurzeln in
unter 18-Jährige
ab 65-Jährige Gastarbeiter-Anwerbeländern (30 %) oder
in Drittstaaten (36 %) auf der anderen.
Wie schon zuvor bei den Einkommen der
1  Ohne Spätaussiedler / -innen und Personen mit Wurzeln in Gastarbeiter-Anwerbeländern.
Ergebnisse des Mikrozensus. abhängig Vollzeitbeschäftigten bilden

234
Bevölkerung mit Migrationshintergrund  / 7.3  Sozialstruktur und soziale Lagen / 7

auch hier die hoch entwickelten EU-15- onshintergrund altert dagegen zuneh- gestiegen, eine Entwicklung, die sich im
Mitgliedsländer mit 11 % eine gesonderte mend und verursacht in den nächsten Jahr 2015 noch verstärkt fortgesetzt hat.
Länderkategorie. Jahren eine ständig größer werdende de- Sie wird vor allem durch die Zuwande-
Kinder sind in der Bevölkerung mit mografische Lücke, vor allem in der Er- rung von Schutzsuchenden – Asylbewer-
Migrationshintergrund mit 30 % deutlich werbsbevölkerung. bern und Flüchtlingen – getrieben, einem
häufiger armutsgefährdet als Kinder in der Die ökonomische Lage der derzeit in Phänomen, das in der ersten Dekade des
Bevölkerung ohne Migrationshintergrund Deutschland lebenden Menschen mit 21. Jahrhunderts fast in Vergessenheit ge-
(14 %). Sie haben im Vergleich zu den je- ­M igrationshintergrund lässt aber durch- raten war. Durch diese Zuwanderung
weiligen Erwachsenen auch ein deutlich aus Wünsche offen. Ihre Erwerbsbeteili- kann sich in den kommenden Jahren
höheres zusätzliches Armutsrisiko: In der gung liegt unter dem Durchschnitt und nicht nur die Zahl der Menschen mit Mig-
Bevölkerung mit Migrationshintergrund ihre Armutsgefährdung ist hoch, vor al- rationshintergrund deutlich erhöhen,
lag die Armutsgefährdungsquote der lem bei den Kindern. Aufgrund der vor- sondern es kann auch innerhalb der Be-
­K inder um 4 Prozentpunkte über der der liegenden Daten dürften die Ursachen für völkerung mit Migrationshintergrund zu
Erwachsenen, in der Bevölkerung ohne eine erhöhte Armutsgefährdung der weitreichenden demografischen und so-
Migrationshintergrund betrug der Ab- ­M igrantenhaushalte nicht in erster Linie zioökonomischen Verschiebungen kom-
stand dagegen nur + 1 Prozentpunkt. in Lohndiskriminierung zu suchen sein – men. Dies hätte zur Konsequenz, dass
Ein ausgeprägtes Risiko für Altersar- obwohl es auch bei gleicher Arbeitszeit eine Vielzahl der hier gemachten Aus­
mut gab es 2014 bei der Bevölkerung mit und beruf licher Qualifikation Unter- sagen in Zukunft nicht mehr oder nicht
Migrationshintergrund. Rund 32 % aller ab schiede im individuellen Erwerbsein- mehr in gleichem Maße gelten als bisher.
65-jährigen Migrantinnen und Migranten kommen zwischen Menschen mit und Zurzeit wissen wir noch zu wenig
waren armutsgefährdet; das waren 5 Pro- ohne Migrationshintergrund gibt. über diese Zuwanderer, um belastbare
zentpunkte mehr als in der Bevölkerung Vielmehr dürfte das entscheidende Daten vorzulegen. Dies liegt nicht nur
mit Migrationshintergrund insgesamt. Die Armutsrisiko zum einen in der vergleichs- daran, dass selbst die Registrierung der
Werte schwankten je nach Herkunftsland weise niedrigen beruflichen Qualifikation Schutzsuchenden im Jahr 2015 auf admi-
zwischen 26 % bei den Spätaussiedlerinnen der Zuwanderinnen und Zuwanderer lie- nistrative Schwierigkeiten gestoßen ist,
und -aussiedlern und 46 % bei den Men- gen, zum anderen daran, dass hier über- sondern vor allem auch daran, dass es
schen aus Drittstaaten. Von den Gastarbei- proportional häufig Haushalte mit drei durch die »auf der grünen Wiese« errich-
terinnen und Gastarbeitern im Rentenalter und mehr Personen mit einem Erwerbs- teten Erstaufnahmeeinrichtungen fak-
waren 41 % armutsgefährdet. Aus den einkommen auskommen müssen. In den tisch unmöglich ist, Schutzsuchende im
vorliegenden Daten ist nicht zu erkennen, letzten Jahren kamen zwar mehr und bes- Rahmen des Mikrozensus zu befragen
ob das erhöhte Risiko der Altersarmut ser ausgebildete Migrantinnen und Mig- und damit mehr über sie zu erfahren.
bei Migrantinnen und Migranten auf ranten nach Deutschland, jedoch sind Es zeichnet sich aber schon jetzt ab,
eine niedrige Rente als Folge weniger viele der vor Jahren nach Deutschland dass die neuen Zuwanderer aus anderen
­Erwerbsjahre in Deutschland – sei es auf- Gekommenen für die heutigen Anforde- Herkunftsländern kommen als ihre Vor-
grund unterbrochener Erwerbsbiogra­ rungen des Arbeitsmarkts schlecht aus­ gänger, vor allem auch aus Ländern au-
fien oder einer späten Zuwanderung – gebildet. Sie sind häufiger erwerbslos und ßerhalb Europas. Dies kann leicht dazu
zurückzuführen ist, oder ob aus einer erzielen nur niedrige Löhne. Deutschland führen, dass ihre Bildungsqualifika­t ionen
Rente mehr Haushaltsmitglieder ohne ei- wird in Zukunft nur dann über eine welt- weniger gut mit den Anforderungen des
genes Einkommen mitversorgt werden weit wettbewerbsfähige Erwerbsbevölke- deutschen Arbeitsmarktes in Einklang zu
müssen als dies bei der Bevölkerung rung verfügen, wenn es seine Ressourcen bringen sind, als dies zum Beispiel bei
ohne Migrationshintergrund der Fall ist. bestmöglich nutzt. Die vorliegenden Zah- den nach der Euro-Krise zugewanderten
len deuten darauf hin, dass die vergleichs- Hochschulabsolventen aus EU-Mitglied-
7.3.7 Zusammenfassung weise mangelnde Bildungsbeteiligung der staaten der Fall war.
und Ausblick Menschen mit Migrationshintergrund der
Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat zweiten Generation das größte ungenutz-
seine Wurzeln im Ausland. Diese Bevöl- te Potenzial darstellt. In den letzten Jah-
kerungsgruppe ist überdurchschnittlich ren gab es zwar Fortschritte im Bereich
jung. Sie wird in Zukunft noch weiter Aus- und Weiterbildung dieser Menschen,
wachsen, zumindest wenn Deutschland es sind aber bei weitem noch nicht alle
weiterhin für so viele Menschen in der Möglichkeiten ausgeschöpft.
Welt ein attraktives Zuwanderungsland Seit der J­ ahresmitte 2014 ist in Deutsch­
bleibt. Die Bevölkerung ohne Migrati- land die Nettozuwanderung deutlich an-

235
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.4 /  Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen

7.4 In Kapitel 7.3 wurden bereits Grunddaten


zur Bevölkerung mit Migrationshinter-
Migranten. Ab 2011 ist die Zahl der Asyl­
erstanträge angestiegen, allerdings gab es
Lebenssituation grund auf der Grundlage des Mikrozen- erst von 2012 auf 2013 einen deut­lichen
von Migranten sus präsentiert. In diesem Kapitel sollen
darüber hinausgehend auf Basis des
Anstieg (von 64 539 Erstanträgen in 2012
auf 109 580 in 2013). Von Januar bis
und deren ­S ozio-oekonomischen Panels (SOEP) er- Oktober 2015 stellten 331 226 Personen
Nachkommen gänzende Informationen zur Lebenssitua­
tion ausgewählter Bevölkerungsgruppen
einen Erstantrag.
Migranten und ihre Nachkommen
gegeben werden. nehmen in unterschiedlicher Weise an der
Ingrid Tucci Die Bevölkerung mit Migrationshin- deutschen Gesellschaft teil. Dies wird so-
DIW Berlin und Aix Marseille tergrund stellt keine homogene Gruppe wohl durch ihren rechtlichen als auch durch
­Université, LEST, CNRS UMR 7317 dar; sie ist im Hinblick auf die Herkunfts- ihren sozialen Status beeinflusst. u Info 1
länder und die Migrationsbiographien Im Folgenden wird auf Grundlage der
sogar äußerst heterogen. Seit der Zuwan- Daten des SOEP für das Jahr 2013 die
WZB / SOEP
derung der Arbeitsmigranten nach dem ­L ebenssituation ausgewählter Gruppen
Zweiten Weltkrieg und der darauffolgen- anhand von Schlüsselindikatoren vorge-
den Phase der Familienzusammenfüh- stellt. Folgende Lebensbereiche werden
rung verlagerten zahlreiche Migranten dabei genauer betrachtet: allgemeine Le-
ihren Lebensmittelpunkt nach Deutsch- bensbedingungen, Bildungs- und Ausbil-
land, wenngleich dies keineswegs bedeutet, dungssituation, Beschäftigungsstruktur
dass sie die Brücken zu ihren Herkunfts- und Einkommen, soziale Integration und
ländern abbrachen. kulturelle Orientierungen.
Nach dem Fall der Mauer siedelten
viele Spätaussiedler aus Rumänien, Polen 7.4.1 Ausgewählte Merkmale der
und den Gebieten der Nachfolgestaaten ­Lebensbedingungen von Personen
der ehemaligen Sowjetunion nach mit Migrationshintergrund
Deutschland über. Auch stellten in dieser Im Jahr 2013 besaßen 62 % der Population
Zeit zahlreiche Flüchtlinge aus den mit Migrationshintergrund ab 17 Jahren
Balkangebieten Asylanträge in Deutsch- die deutsche Staatsangehörigkeit, wobei
land (siehe Kapitel 8.1.1). So wurden 20 % dieser Anteil je nach Herkunftsregion
der Asylerstanträge 1995 von Flüchtlin- ­variierte. Während die deutsche Staatsan-
gen aus dem ehemaligen Jugoslawien gehörigkeit unter den (Spät-)Aussiedlern
­gestellt, 2011 hingegen 17 % von Flücht- (97 %) sowie den Personen mit osteuropä-
lingen aus Afghanistan und 13 % aus dem ischem Hintergrund (55 %), die zum Teil
Irak. Im gleichen Jahr waren Polen und Angehörige von (Spät-)Aussiedlern sind,
Rumänien die Hauptherkunftsländer der sehr verbreitet war, betrug dieser Anteil

u Info 1
Migranten und deren Nachkommen
Um die soziale und migrationsbedingte Heterogenität der Personen mit Migrationshintergrund zu
­berücksichtigen, werden Migranten und deren Nachkommen aus fünf Herkunftsgruppen betrachtet:
aus der Türkei, aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, aus den ehemaligen Anwerbestaaten
Südwesteuropas, die heute zur EU gehören (Italien, Spanien, Griechenland, Portugal), (Spät-)Aussiedler
sowie Personen aus osteuropäischen Ländern. Daneben werden auch Unterschiede in der demo­
grafischen Struktur zwischen der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund berücksichtigt.
­Personen mit Migrationshintergrund sind entweder selbst zugewandert oder haben mindestens einen
zugewanderten Elternteil. In einigen Abschnitten wird die Situation der Nachkommen von Migranten
­gesondert dargestellt. Bei den Migrantennachkommen handelt es sich um die 16- bis 45-Jährigen, die
entweder schon in Deutschland geboren wurden oder vor dem Alter von sieben Jahren nach Deutsch-
land zugewandert sind und in Deutschland die Schule besucht haben.

236
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen  / 7.4  Sozialstruktur und soziale Lagen  / 7

innerhalb der Population türkischer und oberen Einkommensbereich (über 150 % nen aus den Ländern des ehemaligen
südeuropäischer Herkunft lediglich 35 % des Medianeinkommens) waren Perso- J­ ugoslawiens (1 288 Euro) zu. Migranten-
beziehungsweise 20 %. Letztere besitzen nen mit Migrationshintergrund stark un- haushalte mussten trotz im Durchschnitt
aufgrund ihrer EU-Mitgliedschaft weni- terrepräsentiert. Personen türkischer Her- niedrigerer Einkommen für höhere
ger Anreize, die deutsche Staatsangehö- kunft wiesen mit 5 % den niedrigsten An- Mietkosten aufkommen als Haushalte,
rigkeit zu erwerben. u Tab 1 teil im oberen Einkommensbereich auf, in denen nur Personen ohne Migrations-
Bei den untersuchten Herkunftsgrup- Personen osteuropäischer Herkunft mit hintergrund lebten. Sie verfügten jedoch
pen variierte auch die Einkommenssitua- 21 % den höchsten unter den hier vergli- im Durchschnitt über deutlich weniger
tion, vor allem im Hinblick auf das Ar- chenen Herkunftsgruppen. Wohnf läche pro Person. Die Tatsache,
mutsrisiko. Nach den Daten des SOEP Personen mit Migrationshintergrund dass ein Großteil der Zuwandererfamilien
waren türkischstämmige Personen mit verfügten im Durchschnitt über deutlich in größeren Städten lebt, trägt zu dem
einer Risikoquote von 36 % am stärksten geringere finanzielle Ressourcen als Perso- erschwerten Zugang zu bezahlbarem
von Armut betroffen, gefolgt von Perso- nen ohne Migrationshintergrund (1 482 und geeignetem Wohnraum bei. Zudem
nen aus den Staaten des ehemaligen Jugo- Euro gegenüber 1 730 Euro im Monat). ist wahrscheinlich, dass Diskriminierun-
slawiens und aus Südwesteuropa (jeweils Dies traf insbesondere auf Personen tür- gen auf dem Wohnungsmarkt eine Rolle
27 %) und den Spätaussiedlern (25 %). Im kischer Herkunft (1 242 Euro) und Perso- ­spielen.

u Tab 1  Ausgewählte Merkmale der Lebenssituation von Deutschen, Zuwanderern und Aussiedlern 2013

Personen mit Migrationshintergrund ¹


Personen ohne
Migrations- Länder des
hintergrund ¹ Südwest- (Spät-)
Gesamt Türkei ehemaligen Osteuropa
europa Aussiedler
Jugoslawiens

Deutsche Nationalität (%) 100 62 35 33 20 97 55

Mittelwert Aufenthaltsdauer (Jahre) X 26 30 29 38 24 17

In Deutschland geboren (%) X 31 35 18 34 9 19

Alter bei Einwanderung (Durchschnitt) X 22 18 19 20 25 25

in %

Einkommensverteilung (in % des Medians)

<60 % (Armutsrisikoquote) 14 24 36 27 27 25 20

60 % bis 100 % 32 35 38 47 34 36 33

100 % bis 150 % 31 25 21 15 20 28 26

>150 % 22 16 5 11 18 11 21

in Euro

Einkommenssituation

Haushaltsäquivalenzeinkommen (Median) 1 730 1 482 1 242 1 288 1 486 1 401 1 421

Wohnsituation ²

Miethöhe (Mittelwert in Euro) 486 527 533 549 527 494 491

Durchschnittliche Haushaltsgröße
1,9 2,4 3,2 2,6 2,3 2,3 2,3
(Anzahl Personen)

Wohnfläche pro Person


59 44 32 43 45 40 45
(Mittelwert in Quadratmeter)

1 Bevölkerung ab 17 Jahren.
2 Die Indikatoren zur Wohnsituation beziehen sich auf Haushalte.
X Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll.
Datenbasis: SOEP 2013.

237
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.4 /  Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen

u Tab 2  Bildungsniveau (berufliche Bildung) 2013 — in Prozent

Personen mit Migrationshintergrund


Personen ohne
Migrations­
hintergrund Länder des ehema- (Spät-)
Gesamt Türkei Süd­westeuropa Osteuropa
ligen Jugoslawiens Aussiedler

Ohne Abschluss 14 37 65 40 53 29 25

Frauen 17 38 72 44 55 32 21

Berufsausbildung 64 43 30 50 35 54 43

Frauen 64 42 25 50 31 51 43

Akademischer Abschluss 22 20 5 10 12 17 32

Frauen 19 20 3 6 14 17 36

Kursiv: Fallzahl unter 30.


Datenbasis: SOEP 2013.

u Tab 3  Bildungsniveau der Nachkommen von Migranten im Vergleich zur


einheimischen Bevölkerung (17- bis 45-Jährige) 2013 — in Prozent

Personen Personen mit Migrationshintergrund


ohne
Migrations- Osteuropa Andere
andere
hintergrund Gesamt Türkei (inklusive (Spät) Herkunfts-
Anwerbeländer ¹, ²
Aussiedler) ² gruppen
Schulische Bildung

Kein Abschluss 1 3 3 2 2 3

Frauen 1 2 3 3 1 2

Vater hat maximal Hauptschulabschluss 1 2 1 4 1 1

Hauptschulabschluss 17 26 39 33 10 24

Frauen 14 21 40 23 6 20

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 25 33 40 41 15 31

Realschulabschluss 37 30 29 31 32 29

Frauen 39 34 27 35 29 39

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 42 33 36 35 24 33

Abitur 44 38 27 30 53 40

Frauen 46 39 29 33 60 35

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 31 28 23 12 55 31

Anderer Abschluss (im Ausland erworben) 0 3 2 4 3 4

Frauen 0 4 1 6 4 4

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 0 4 0 7 5 4

Berufliche Bildung

Ohne Abschluss 17 37 51 35 39 31

Frauen 16 36 54 36 28 31

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 15 32 49 42 29 20

Berufsausbildung 59 44 41 50 31 47

Frauen 59 43 38 46 33 49

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 69 55 44 53 44 63

Akademischer ­Abschluss 24 19 8 15 30 22

Frauen 25 21 8 18 39 20

Vater hat maximal ­H auptschulabschluss 16 13 7 5 27 17

1  Länder des ehemaligen Jugoslawiens sowie Südeuropa.


2  Gruppen wurden zusammengefügt, da die Fallzahlen für Migrantennachkommen ansonsten zu gering sind.
Kursiv: Fallzahl unter 30.
Datenbasis: SOEP 2013.

238
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen  / 7.4  Sozialstruktur und soziale Lagen  / 7

7.4.2 Bildung und Ausbildung höheren Anteil an Abiturienten gegen- Qualifikation war 2013 mehr als doppelt
Ein Blick auf das Qualifikationsniveau über der jeweiligen Gesamtgruppe auf. so hoch wie unter denjenigen, die keinen
der Bevölkerung mit und ohne Migrati- Die vergleichsweise hohen Qualifikatio- Migrationshintergrund hatten (37 % ge-
onshintergrund zeigt auf, dass erstere nen der Kinder von (Spät-)Aussiedlern genüber 17 %). Hier spielen neben dem
hinsichtlich der beruf lichen Bildung und osteuropäischen Migranten spiegel- sozioökonomischen Hintergrund weitere
stark polarisiert ist. Einerseits war 2013 ten sich in dem entsprechenden Anteil an Faktoren wie die institutionelle Diskri-
der Anteil ohne beruf lichen Abschluss Abiturienten bei ihren Nachkommen minierung, soziale und ethnische Segre-
(37 %) bei Personen mit Migrationshin- wieder (53 %). gation oder auch familiäre Verhältnisse
tergrund insgesamt und in allen Her- Der Vergleich der Bildungslage der eine Rolle.
kunftsgruppen hoch, andererseits fiel der Migrantennachkommen mit derjenigen
Unterschied zu Personen ohne Migrati- der gleichaltrigen Bevölkerung ohne Mig- 7.4.3 Beschäftigungsstruktur
onshintergrund bei höheren Abschlüssen rationshintergrund ist jedoch verzerrt, und Arbeitssituation
sehr gering aus: 20 % der Personen mit solange nicht die soziale Herkunft kont- Eine zentrale Rolle für die gesellschaft­
Migrationshintergrund haben einen aka- rolliert wird, da Eltern, die migriert sind, liche Integration aller Bevölkerungsgrup-
demischen Abschluss gegenüber 22 % bei im Durchschnitt niedrigere Bildungsab- pen kommt dem Arbeitsmarkt zu. Die
Personen ohne Migrationshintergrund. schlüsse besitzen. Betrachtet man deshalb Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Dies lag unter anderen am hohen Bil- nur diejenigen Personen, deren Väter unterscheidet sich von der einheimischen
dungsniveau der Personen aus den ost­ ­maximal einen Hauptschulabschluss be- Bevölkerung bereits hinsichtlich ihres
europäischen Ländern: 32 % unter ihnen saßen, wird deutlich, dass die Unterschie- Zugangs zum Arbeitsmarkt. Betrachtet
hatten einen akademischen Abschluss. de zwischen den Herkunftsgruppen ge- man die Gesamtbevölkerung im erwerbs-
Personen aus den ehemaligen sogenann- ringer ausfallen, insbesondere wenn es fähigen Alter, so ist festzustellen, dass gut
ten »Gastarbeiterländern« wiesen hin­ sich um den Zugang zu höheren Bildungs- die Hälfte der Personen ohne Migrations-
gegen eine ungünstigere Qualifikations- abschlüssen handelt. Jedoch verringern hintergrund 2013 Vollzeit erwerbstätig
struktur auf, was auf ihre Migrations­ sich die Unterschiede nur leicht, wenn es war, während dies auf nur 45 % der Per-
geschichte zurückzuführen ist; ihre um die niedrigeren Bildungszweige geht. sonen mit Migrationshintergrund zutraf.
Bildungssituation ist weiterhin stark Der Anteil der jungen Menschen mit Der Unterschied war bei den Frauen grö-
durch ihre soziale Herkunft aus Arbeiter- Migrationshintergrund ohne berufliche ßer als bei den Männern. Frauen mit Mi-
familien geprägt. Geschlechterunter-

20 %
schiede im Bildungsniveau traten bei Per-
sonen türkischer Herkunft besonders
stark zutage: 72 % der Frauen gegenüber
65 % der Männer hatten keinen berufli-
chen Abschluss und nur 28 % hatten eine
Berufsausbildung oder einen akademi- der Personen mit Migrationshintergrund
schen Abschluss. u Tab 2 hatten 2013 einen akademischen Ab-
Betrachtet man nun die Gruppe der schluss. Bei Personen ohne Migrations­
Nachfolgegeneration – also derjenigen hintergrund waren es 22 %.
Migrantennachkommen, die selbst keine
Migrationserfahrung haben oder im frü-
hen Alter nach Deutschland eingereist
sind, – stellt man fest, dass diese im
Durchschnitt weniger häufig das Abitur
(38 %) und häufiger einen Hauptschulab-
schluss (26 %) erlangten als die gleichalt-
rige Population ohne Migrationshinter-
grund (44 % und 17 %). u Tab 3
Die Geschlechterunterschiede bei den
Migrantennachkommen türkischer, süd-
europäischer und osteuropäischer Her-
kunft (inklusive (Spät-)Aussiedlern) wi-
chen von denen anderer Herkunftsgrup-
pen ab: hier wiesen Frauen einen leicht

239
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.4 /  Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen

Abb 1: Erwerbsstatus nach Migrationshintergrund und Geschlecht, in Prozent

u Abb 1  Erwerbsstatus nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2013 — in Prozent

Gesamt

Personen ohne
52 19 2 9 5 13
Migrationshintergrund¹
Personen mit Migrations-
hintergrund (gesamt)¹ 45 19 2 12 6 15

Türkei¹ 37 16 1 14 11 21

Länder des ehemaligen


Jugoslawiens¹ 51 13 4 10 5 18

Südwesteuropa¹ 53 18 3 7 6 13

(Spät-) Aussiedler¹ 52 22 3 12 2 9

Osteuropa¹ 43 22 3 13 8 12

17– 45-Jährige
Migrantennachkommen 54 18 3 8 10 7

17– 45-Jährige ohne


45 15 4 10 16 11
Migrationshindergrund

Frauen

Personen ohne
Migrationshintergrund¹ 37 32 3 8 5 16

Personen mit Migrations-


hintergrund (gesamt)¹ 27 31 5 12 7 19

Türkei¹ 17 26 3 13 13 28

Länder des ehemaligen


Jugoslawiens¹ 33 21 6 7 6 24

Südwesteuropa¹ 32 31 5 7 9 16

(Spät-) Aussiedler¹ 30 38 5 12 3 13

Osteuropa¹ 25 36 5 15 7 13

17– 45-Jährige
Migrantennachkommen 41 29 5 8 9 8

17– 45-Jährige ohne


Migrationshindergrund 30 24 8 10 17 12

Männer

Personen ohne
Migrationshintergrund¹ 70 5 9 6 9

Personen mit Migrations-


hintergrund (gesamt)¹ 67 6 12 6 9

Türkei¹ 56 7 15 8 14

Länder des ehemaligen


Jugoslawiens¹ 71 4 11 5 10

Südwesteuropa¹ 75 4 8 3 10

(Spät-) Aussiedler¹ 79 3 11 2 4

Osteuropa¹ 66 5 11 2 4

17– 45-Jährige
Migrantennachkommen 68 6 8 12 6

17– 45-Jährige ohne


Migrationshindergrund 61 5 11 14 10

Vollzeit Erwerbstätig Teilzeit Erwerbstätig Temporär nicht Erwerbstätig Arbeitslos Schule / Studium Nicht Erwerbstätig

1  Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren.


Kursiv: Fallzahl unter 30.
SOEP 2011, Bevölkerung zwischen
Datenbasis: SOEP 2013.
17 und 64 Jahren.

240
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen  / 7.4  Sozialstruktur und soziale Lagen  / 7

u Tab 4  Monatliches Nettoerwerbseinkommen nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2013 — in Euro (Median)

Individuelles Nettoerwerbseinkommen

Gesamt Frauen Männer

Personen ohne Migrationshintergrund 1 503 1 200 1 900

Personen mit Migrationshintergrund 1 340 870 1 700

Türkei 1 200 700 1 700

Länder des ehemaligen Jugoslawiens 1 300 700 1 700

Südwesteuropa 1 400 1 000 1 700

(Spät-)Aussiedler 1 400 900 1 800

Osteuropa 1 120 760 1 400

17– 45-Jährige

Migrantennachkommen 1 300 1 000 1 500

Ohne Migrationshintergrund 1 400 1 150 1 700

Datenbasis: SOEP 2013.

grationshintergrund wiesen einen höhe- Nachkommen liegt in deren beruflicher 7.4.4 Orientierungen, Erfahrung von
ren Anteil an Nichterwerbstätigen auf, Stellung. So waren sie häufiger als un- Benachteiligung und Zufriedenheit
insbesondere unter den Frauen türkischer oder angelernte Arbeiter tätig, wobei Die Erfahrung von Benachteiligung auf-
Herkunft (28 %) und aus den Ländern des dies insbesondere auf Personen aus grund der Herkunft gibt Aufschluss dar-
ehemaligen Jugoslawiens (24 %). Insge- der Türkei (42 %), auf Personen aus den über, inwieweit Migranten und deren
samt waren Personen mit Migrations­ Ländern des ehemaligen Jugoslawiens Kinder in ihrem alltäglichen Handeln
hintergrund häufiger von Arbeitslosigkeit (31 %) sowie auf (Spät-)Aussiedler (32 %) Abweisung durch die Mehrheitsgesell-
betroffen als Personen ohne Migrations- zutraf. Letztere waren allerdings in den schaft erfahren. Über solche Erfahrung
hintergrund (12 % gegenüber 9 %). Dies mittleren und ­höheren Angestelltenberu- berichteten die Herkunftsgruppen in un-
traf 2013 insbesondere auf osteuropä­ fen besser repräsentiert als erstere. Ins­ terschiedlichem Ausmaß. Dabei gaben
ische Frauen und auf türkischstämmige gesamt befanden sich Personen mit Mig- 8 % der Personen mit Migrationshinter-
Männer zu, deren Anteil an Arbeitslosen rationshintergrund im unteren Bereich grund und darunter 10 % der Migranten-
15 % ausmachte. u Abb 1 der Berufshierarchie. Gerade ab den nachkommen im Jahr 2013 an, häufig
Einen zentralen Indikator für die mittleren Angestellten­positionen und in ­Situationen erlebt zu haben, in denen sie
Qualität eines Arbeitsplatzes stellt zwei- den Beamtenberufen, aus denen auslän- aufgrund ihrer Herkunft abgewiesen
fellos das erzielte Arbeitseinkommen dar. dische Staatsbürger ausgegrenzt werden, ­b eziehungsweise benachteiligt worden
Das Nettoarbeitseinkommen von Perso- waren sie deutlich unterrepräsentiert. ­w aren. Dabei berichteten die Personen
nen mit Migrationshintergrund lag im ­B etrachtet man die beruf­liche Stellung türkischer Herkunft am häufigsten von
letzten Erhebungsjahr unterhalb des der Migrantennachkommen, fällt auf, Benachteiligung (18 %), während dies nur
Durchschnitts der Erwerbstätigen ohne dass ihre Positionierung in der Berufs- 4 % der Personen aus Südwest­europa und
Migrationshintergrund. So verdienten hierarchie der der Gesamtbevölkerung 5 % der (Spät-)Aussiedler taten. Personen
Personen mit Migrationshintergrund im mit Migrationshintergrund ähnelte, mit türkischer Herkunft machten sich
Jahr 2013 monatlich 163 Euro weniger. wenngleich sich der Anteil der Personen, auch die größten Sorgen um Ausländer-
Nach der Gruppe der Personen ohne Mi- die als Arbeiter tätig sind zugunsten eines feindlichkeit (29% gegenüber 13% bei Mi-
grationshintergrund (1 503 Euro im Mo- höheren Anteils an einfachen und mittle- granten aus Osteuropa).
nat) wiesen (Spät)-Aussiedler und Perso- ren Angestellten verringert hat. Diese In fast allen Herkunftsgruppen
nen aus Südwesteuropa mit 1 400 Euro leichte Aufstiegstendenz traf im Besonde- schätzten mehr als drei Viertel der Perso-
die höchsten Einkommen auf. u Tab 4 ren auf Frauen zu, die zu 33 % in den nen ihre deutschen Sprachkenntnisse als
Ein Grund für das niedrige Erwerbs- mittleren Angestelltenberufen zu finden »gut« bis »sehr gut« ein (80 %). Betrachtet
einkommen bei Migranten und deren waren. u Tab 5 man im Besonderen die Nachkommen

241
7 /  Sozialstruktur und soziale Lagen  7.4 /  Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen

u Tab 5  Berufliche Stellung nach Migrationshintergrund und Geschlecht 2013 — in Prozent

Personen Personen mit Migrationshintergrund ¹ 17 bis 45-Jährige


ohne
Migrations- Länder des Migranten- Ohne
Südwest- (Spät-)
hintergrund ¹ Gesamt Türkei ehemaligen Osteuropa nach- Migrations-
europa Aussiedler
Jugoslawiens kommen hindergrund

Arbeiter 12 28 42 31 24 32 32 20 12

Männer 12 28 42 32 21 31 37 24 14

Frauen 12 28 43 29 27 32 24 15 10

Facharbeiter / Meister 12 10 14 10 19 13 7 11 12

Männer 20 17 20 15 28 24 13 17 20

Frauen 4 3 4 4 8 2 1 4 4

Einfache Angestellte 15 21 21 36 22 16 21 24 17

Männer 9 15 15 34 17 10 12 19 11

Frauen 22 26 30 38 28 23 29 30 23

Mittlere Angestellte 27 19 12 16 20 22 22 22 27

Männer 18 13 9 10 15 14 11 13 19

Frauen 36 26 17 23 26 30 31 33 35

Höhere Angestellte 16 12 2 4 7 10 12 14 17

Männer 20 15 3 4 11 13 17 16 19

Frauen 11 8 1 5 2 6 8 11 13

Selbstständige 11 8 9 3 7 6 6 6 8

Männer 13 9 12 5 7 6 8 8 10

Frauen 9 7 5 1 7 6 5 4 7

Beamte 7 2 0 0 1 2 2 3 7

Männer 8 3 0 0 1 2 2 3 7

Frauen 6 2 0 0 2 1 1 3 8

1  Bevölkerung zwischen 17 und 64 Jahren.


Datenbasis: SOEP 2013.

von Migranten aus der Türkei und aus türkischer Herkunft insgesamt (66 %) so- gesichts der Tatsache, dass sie über ein
Südwesteuropa, so fällt auf, dass diese im wie unter den Migrantennachkommen deutlich niedrigeres Haushaltseinkom-
Vergleich zu der jeweiligen Gesamtgrup- dieser Herkunft (67 %) am niedrigsten. men verfügten, häufiger von Armut be-
pe wesentlich häufiger angaben, über Die schwierigere soziale Situation dieser troffen waren und eine schlechtere Wohn-
mindestens gute deutsche Sprachkennt- Gruppe und die stärker verbreitete sub- situation aufwiesen. Entsprechend waren
nisse zu verfügen. Die eigenen deutschen jektive Erfahrung von Benachteiligung die Werte unter den Personen türkischer
Sprachkenntnisse werden von einer Gene- könnten dieses Ergebnis erklären. u Tab 6 Herkunft besonders niedrig. Nur bezüg-
ration zur nächsten also zunehmend als Zuletzt werden Indikatoren der Lebens- lich der allgemeinen Lebenszufriedenheit
»gut« bis »sehr gut« eingeschätzt. und Bereichszufriedenheit betrachtet. Mit heute und in fünf Jahren wiesen Personen
Im Jahr 2013 äußerten zudem 80 % Blick auf die ersten drei Indikatoren der mit Migra­ t ionshintergrund insgesamt
der Personen mit Migrationshintergrund Bereichszufriedenheit (Lebensstandard, leicht höhere Werte als Personen ohne Mi-
den Wunsch, für immer in Deutschland Haushaltseinkommen und Wohnsituati- grationshintergrund auf. Besonders stark
bleiben zu wollen. Die größten Anteile on) zeigt sich, dass Personen mit Migra- zeigte sich dies bei der zukünftigen Le-
wiesen (Spät-)Aussiedler (94 %) und Per- tionshintergrund über alle Herkunfts­ benszufriedenheit, in Bezug auf welche
sonen aus den Ländern des ehemaligen gruppen hinweg im Durchschnitt weniger Personen aus allen Herkunftsgruppen zu-
Jugoslawiens (83 %) auf. Die Absicht in zufrieden waren als Personen ohne Migra- friedener waren als die einheimische Be-
Deutschland zu bleiben war bei Personen tionshintergrund. Dies wundert nicht an- völkerung. u Tab 7

242
Lebenssituation von Migranten und deren Nachkommen  / 7.4  Sozialstruktur und soziale Lagen  / 7

uTab 6  Erfahrung von Benachteiligung aufgrund der Herkunft, Sprachkenntnisse, Bleibeabsichten,


Überweisungen ins Ausland und Sorgen um die Ausländerfeindlichkeit 2013 — in Prozent

Wahrgenommene Sorgen um
In Deutschland
Benachteiligung die Ausländer- Deutsch sprechen Überweisungen
für immer bleiben
wegen der Herkunft feindlichkeit (gut bis sehr gut) ins Ausland
(Ja)
(häufig) (Anteil großer Sorgen)

Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Gesamt 8 18 80 80 4

Türkei 18 29 75 66 3

Länder des ehemaligen Jugoslawiens 7 15 84 83 6

Südwesteuropa 4 18 76 72 2

(Spät-)Aussiedler 5 17 80 94 4

Osteuropa 8 13 77 77 5

Migrantennachkommen

Gesamt 10 19 98 76 2

Türkei 21 29 99 67 2

Andere ehemalige Anwerbeländer ¹, ² 3 12 98 82 1

(Spät-)Aussiedler / Osteuropa ² 8 19 99 79 0

1 Länder des ehemaligen Jugoslawiens sowie Südeuropa.


2 Gruppen wurden zusammengefügt, da die Fallzahlen für Migrantennachkommen ansonsten zu gering sind.
Datenbasis: SOEP 2013.

u Tab 7  Lebens- und Bereichszufriedenheit ¹ 2013 — Mittelwerte

Personen Personen mit Migrationshintergrund 17 bis 45-Jährige


ohne
Migrations- Länder des Migranten- Ohne
Südwest- (Spät-)
hintergrund Gesamt Türkei ehemaligen Osteuropa nach- Migrations-
europa Aussiedler
Jugoslawiens kommen hindergrund

mit dem Lebendsstandard 7,5 7,3 6,8 7,2 7,4 7,4 7,2 7,5 7,6

mit dem Haushaltseinkommen 6,7 6,4 5,7 6,4 6,6 6,4 6,4 6,5 6,6

mit der Wohnsituation 7,9 7,6 7,2 7,5 7,7 7,8 7,4 7,5 7,7

mit dem Leben heute 7,1 7,3 6,9 7,2 7,0 7,4 7,3 7,3 7,3

mit dem Leben in 5 Jahren 7,2 7,6 7,6 7,8 7,4 7,4 7,9 8,3 8,0

1 Gemessen auf einer Skala von 0 (niedrig) bis 10 (hoch).


Datenbasis: SOEP 2013.

243
40 %
der im ersten Halbjahr 2015 abge-
schlossenen Asylverfahren führten
zur Gewährung eines Schutzes.
Im Jahr 2010 waren es nur 22 %.

70 %
160 000
Flüchtlinge kamen im September 2015
nach Deutschland. Die Zahl der
re­gistrierten Asylanträge in diesem
Zeitraum lag bei 43 000.
mehr Asylbewerber nahm Schweden
im Jahr 2015 auf als bei einer Gleich-
verteilung innnerhalb der EU erfor-
derlich gewesen wäre.

100 000
und mehr Asylanträge
47 %
wurden erstmals im Jahr 1980
in Deutschland gezählt. der Asylbewerber in der EU
waren 2015 Männer im Alter
zwischen 18 und 34 Jahren.
E4

8
Flüchtlinge
8.1 Nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe
sind weltweit so viele Menschen wie nie
im historischen Rückblick skizziert, da-
nach wird auf die entsprechenden Wan-
Asylsuchende zuvor auf der Flucht. Ende 2014 waren es derungen in der EU eingegangen und ein
in Deutschland knapp 60 Millionen, im Jahr davor
51 Millionen. Anlass für die Flucht sind
Blick auf die Verteilung der Flüchtlinge
innerhalb der Staatengemeinschaft ge-
und der Euro­ Kriege, interne Konflikte und Verfolgung worfen. Anschließend werden Antworten
päischen Union aus verschiedenen Gründen. Hinter die-
sen Anlässen ­stehen Ursachen, die nicht
auf die Frage nach der Integration der an­
erkannten Asylsuchenden in den deut-
selten zu­s ammen auftreten: ungleiche schen Arbeitsmarkt gesucht.
Karl Brenke Verteilung von Eigentum und wirtschaft-
DIW Berlin lichen Ent­faltungsmöglichkeiten, korrup- 8.1.1 Die Entwicklung in
te Regierungen und Beamtenapparate so- Deutschland im Überblick
wie – und vor allem – ein starkes Bevölke- Angesichts der Erfahrungen mit dem
WZB / SOEP
rungswachstum bei einer unzureichenden ­Nationalsozialismus wurde das Recht auf
wirtschaftlichen Basis. Dadurch werden Asyl ins Grundgesetz der Bundesrepublik
die Erwerbsmöglichkeiten geschmälert, aufgenommen: Politisch Verfolgte genie-
was mitunter zu Hunger und Mangeler- ßen Asylrecht (Artikel 16). In kaum ei-
nährung führt. Diese Probleme bieten ei- nem anderen Land wird Ausländern ein
nen fruchtbaren Boden für die Verbrei- entsprechender Rechtsanspruch zuge­
tung autoritärer Ideologien und religiöser billigt. Im Jahr 1951 – also zwei Jahre spä-
Fanatismen. All das löst Wanderungsbe- ter – verabschiedete eine UN-Sonderkon-
wegungen aus. Im besonderen Maße fin- ferenz die Genfer Flüchtlingskonvention,
den sich solche Konstellationen in Afrika der auch Deutschland beitrat. Dieser zu-
sowie in Teilen Vorder- und Mittelasiens. folge sei Asyl denjenigen zu gewähren, die
Europa ist daher einerseits schon wegen »aus der begründete(n) Furcht vor Verfol-
seiner räumlichen Lage als Zuf luchts­ gung wegen ihrer Rasse, Religion, Natio-
region prädestiniert. Andererseits trägt nalität, Zugehörigkeit zu einer bestimm-
die Vorstellung von Europa als Ort des ten sozialen Gruppe oder wegen ihrer po-
(un­erreichten) Wohlstandes – verbreitet litischen Überzeugung« (Artikel 1A, Ab­-
durch immer schnellere Kommunikations­ satz 2) ihr Heimatland verlassen mussten.
wege – zur Wahl dieser Zielregion bei. Das Genfer Abkommen über die Rechts-
Im Folgenden werden zunächst die stellung der Flüchtlinge bezog sich aller-
Asylwanderungen in die Bundesrepublik dings vor allem auf im Zusammenhang

245
8 /  Flüchtlinge  8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union

mit dem Zweiten Weltkrieg und in der Nach 1993 brach die Zuwanderung In der zweiten Hälfte der Neunziger-
Nachkriegszeit eingetretene Ereignisse infolge einer Änderung der gesetz­lichen jahre und im darauf folgenden Jahrzehnt
und somit insbesondere auf Europa. Mit Regelungen für die Asylgewährung ab- ging die Zahl der Asylanträge in Deutsch-
einem UNO-Protokoll von 1967 erlangte rupt ab. Im Grundgesetz wurde ergänzt, land nahezu stetig zurück. Erst ab Beginn
die Vereinbarung von Genf universelle dass nur noch denjenigen Personen poli- dieser Dekade kam es wieder zu wachsen-
Bedeutung. tisches Asyl zu gewähren sei, die nicht den asylbedingten Zuwanderungszahlen.
Über die ersten Asylbegehren wurde über als sicher einzustufende Drittstaa- Die vermehrte Wanderung begann zöger-
in der Bundesrepublik 1953 entschieden. ten einreisen. Entsprechende Anpassun- lich und beschleunigte sich dann enorm.
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren gen erfolgten auch in den einzelgesetzli- Ab Mitte 2012 stieg die Zahl der Asylan-
blieb die Zahl der jährlichen Anträge fast chen Regelungen – also bei den Asyl- und träge deutlich an; zuvor schwankten die
immer weit unter 10 000. Die Ausnahme Ausländergesetzen. Diese Entscheidun- monatlichen Anträge um den Wert von
war das Jahr des Volksaufstands in Un- gen sind auch vor dem Hintergrund zu 5 000. Im Jahr 2013 ergaben sich durch-
garn, in dessen Folge die Zahl der Anträ- sehen, dass damals nicht nur Asylbewer- schnittlich doppelt so hohe Monatswerte
ge 1956 über diese Marke kletterte. Zu ber in großer Zahl kamen, sondern auch und 2014 dreimal so hohe wie 2012.
deutlichen Zuwächsen kam es ab Mitte viele deutschstämmige Aussiedler aus Zu einer drastischen Zunahme der
der Siebzigerjahre. Im Zuge der ersten den Ostblockländern, sodass die Unter- Asylwanderungen kam es im Laufe des
Ölpreiskrise stieg die Arbeitslosigkeit bringungsmöglichkeiten knapp wurden. Jahres 2015. Das hatte zur Folge, dass die
stark an. Die Bundesregierung reagierte Überdies waren die Nachwehen der Ab- zuständigen Behörden mit der Registrie-
darauf unter anderem Ende 1973 mit ei- wanderungen aus der kollabierten DDR rung der immer zahlreicheren Asyl­b e­
nem Anwerbestopp von Gastarbeitern. zu spüren. Änderungen am Asylrecht werber – insbesondere ab dem Sommer –
Möglich war der reguläre Zuzug von aus- und den damit verbundenen Ausländer- kaum hinterherkamen. Probleme ent­
ländischen Arbeitskräften somit nur gesetzen sowie den Arbeitserlaubnisrege- standen auch dadurch, dass zwischen
noch im Falle der Familienzusammen- lungen gab es auch schon vor den durch- Grenz­übertritt und regelgerechter Erfas-
führung. Da mit dem Anwerbestopp ein greifenden, Mitte 1993 in Kraft getrete- sung der Asylgesuche eine zeitliche und
wichtiger Zuwanderungskanal verschlos- nen Rechtsänderungen – ebenso wie räumliche Distanz liegt; Asylanträge
sen wurde, kam es zur vermehrten Zu- danach. Oft zielten die Reformen darauf, werden nicht bei der Einreise, sondern
wanderung via Asyl – nicht zuletzt aus mindernd auf die Asylzuwanderungen in den über Deutschland verteilten Erfas-
der Türkei. Im Jahr 1980 wurden erst- einzuwirken. sungsstellen gestellt. Im Juni 2015 dürften
mals mehr als 100 000 Asylanträge ge-
zählt. Es gab aber auch äußere Anlässe
für vermehrte Asylbegehren. Dazu zählte
die Verhängung des Kriegsrechtes in Po- uAbb 1  Zugänge an Asylbewerbern 1 in Deutschland 1953 – September 2015
len als Reaktion auf die Solidarność- — in Tausend
Bewegung, wodurch Bürger aus dem
Land getrieben wurden oder in Deutsch-
700
land weilende Polen eine Rückkehr in
ihre Heimat vermieden. Ein weiterer 600
Grund der Asylsuche ergab sich aus dem
1982 einsetzenden Libanon-Krieg. u Abb 1 500

Nach 1980 ließen die Asylwanderun-


400
gen in die Bundesrepublik zunächst deut-
lich nach, um wenige Jahre später wieder 300
anzuschwellen. Vorher nicht gekannte
hohe Werte wurden Anfang der Neunzi- 200

gerjahre erreicht. Dabei kamen die Kriege


100
in Ex-Jugoslawien, der Zusammenbruch
der Regime in Osteuropa und der Verfall 0
der Sowjetunion zusammen. Angesichts 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Jan.
bis Sept.
des sich in diesen Regionen manifestie-
20151
renden Antisemitismus führte Deutsch-
1  Bis 2014 Anträge auf Asyl, 2015 Angaben nach dem EASY-System über ankommende Asylbewerber.
land zudem Sonderregelungen für zuzie- Datenbasis: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015; Bundesministerium des Inneren 2015.

hende Juden ein.

246
Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union / 8.1  Flüchtlinge / 8

nach internen Statistiken der Bundesre- uAbb 2  Zugänge an Asylbewerbern in der EU und in Deutschland 1985 – 2014
gierung (nach dem sogenannten EASY- — in Tausend
System) etwa 50 000 Personen über die
Grenzen gekommen sein, im August wa- 800
ren es mehr als 100 000 und im Septem-
700
ber gut 160 000. Die Zahl der registrier-
ten Asylanträge war indes viel geringer; 600
im September wurden beispielsweise
500
­lediglich 43 000 Anträge e­ rfasst.
Angesichts der recht chaotischen Ent- 400
wicklung sind die vorliegenden Daten
300
mit Vorsicht zu behandeln – zumal die
einschlägigen Quellen die Zahl der Asyl- 200
bewerber nur durch die Zahl der gestell-
100
ten Anträge auf Asyl nachweisen. Für dif-
ferenzierte Analysen über ankommende 0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Flüchtlinge sind allenfalls die statisti-
schen Angaben bis zur Jahresmitte 2015 EU-15 1 EU-27 2 Deutschland 3
verwendbar. Zuverlässig sind indes die
1  EU-Länder bis 2003.
Informationen über abgeschlossene Asyl- 2  EU mit den 2004 und 2007 beigetretenen Ländern.
3  Bis 1991 früheres Bundesgebiet.
verfahren. Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.

8.1.2 Asylwanderungen in der EU


Flüchtlinge, die ihrer Heimatregion den
Rücken kehren, machen nicht vor Lan-
desgrenzen halt. Entsprechend ist die
Gewährung von Schutz vor Verfolgung Anhand einschlägiger Konzentrati- der dritten Welle wieder anders, denn die
oder aus anderen Gründen eine Aufgabe onsmaße lässt sich bestimmen, inwieweit Konzentration auf einzelne Länder hat
der gesamten internationalen Staatenge- die Asylanträge und somit die Asylbe- wieder erheblich zugenommen. Durch
meinschaft. Die EU hat die Vereinbarun- werber gleich verteilt waren oder ob sie die EU-Erweiterungen ist die Ungleich-
gen der UNO über den Schutz von Asyl- sich innerhalb der EU in einzelnen Län- verteilung sogar gewachsen; die seit 2004
suchenden in den Lissaboner Verträgen dern bündelten. Als Maßstab kann etwa der EU beigetretenen Staaten haben ins-
sowie in ihrer Charta der Grundrechte die Einwohnerzahl der EU-Staaten gesamt vergleichsweise wenige Flüchtlin-
verankert. Entsprechend wäre ein ge- heran­gezogen werden. In der zweiten ge aufgenommen. u Abb 3
meinsames Handeln in der Asylpolitik Hälfte der Achtzigerjahre waren Asylsu- Überdurchschnittlich viele Asylanträ-
zu erwarten – zumal die Grenzen inner- chende recht ungleich in der damals nur ge nahmen – gemessen an ihrer Einwoh-
halb der EU offen und ihre Außengren- aus 15 Staaten bestehenden EU verteilt; nerzahl – im ersten Halbjahr 2015 nur
zen recht durchlässig sind. Daher soll gemäß des hier gewählten Konzentrati- neun der 28 EU-Staaten entgegen. Beson-
ein Blick auf die Asylwanderungen in onsmaßes (des Hoover-Indexes) hätten ders viele Asylsuchende entfielen auf Un-
der EU geworfen werden – auch um die ungefähr 40 % der Asylsuchenden in der garn und Österreich. Stark belastet war
Entwicklung in Deutschland in einen Gemeinschaft umverteilt werden müssen, auch Schweden, wohin gut 70 % mehr
Rahmen zu stellen. um eine gleichmäßige Verteilung herzu- Asylbewerber als bei einer unterstellten
Verfügbar sind Daten seit Mitte der stellen. u  Info 1 Gleichverteilung kamen, in Deutschland
Achtzigerjahre über die Zahl der Asylan- Anfang der Neunzigerjahre nahm die waren es 60 % mehr und Malta kam auf
träge. Danach gab es drei Zuwanderungs- Ungleichverteilung noch weiter zu; da- einen fast ebenso hohen Wert. Vergleichs-
wellen in die EU: zum einen Anfang der nach ging sie immer mehr zurück. Bei weise wenige Asylanträge wurden da­
Neunzigerjahre, zum zweiten kurz nach der zweiten Flüchtlingswelle kam es nicht gegen – abgesehen von Ungarn – in den
der Jahrtausendwende und zum dritten zu einer Konzentration auf einzelne EU- osteuropäischen Staaten, in Südeuropa
die Aktuelle. Die erste Welle, die vor al- Länder. Die nach der Jahrtausendwende sowie in größeren EU-Staaten wie
lem Deutschland erreichte, ebbte rasch insbesondere wegen des Irak-Krieges Zu- Frankreich oder dem Vereinigten König-
wieder ab. Bei der zweiten, kleineren gewanderten wurden einigermaßen reich gestellt. Auffallend ist, dass auch
Welle geschah dasselbe. u Abb 2 gleichmäßig aufgenommen. Das ist bei auf die Niederlande und auf Dänemark

247
8 /  Flüchtlinge  8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union

uInfo 1 vergleichsweise wenig Asylanträge ent-


Konzentrationsmaße fielen. Diese Länder hatten früher recht
In der Statistik wird eine Reihe verschiedener Konzentrationsmaße verwendet. Grundsätzlich ist zwi- viele Flüchtlinge aufgenommen; hier
schen zwei Gruppen zu unterscheiden: denen, die die absolute Konzentration erfassen (zum Beispiel macht sich inzwischen eine restriktivere
der ­Herfindahl-Index) und jenen, mit denen die relative Konzentration ermittelt wird (zum Beispiel der
Hoover-Index).
Asylpolitik bemerkbar. u Tab 1
Zieht man statt der Einwohnerzahl die
Mit absoluter Konzentration ist gemeint, wie stark die Verteilung der Asylbewerber einer bestimmten
Nationalität auf die 27 Länder der EU gebündelt ist. Zur Berechnung des Herfindahl-Index werden die Wirtschaftsleistung (das Bruttoinlands-
auf die einzelnen Staaten entfallenen Anteile an Asylbewerbern ermittelt und quadriert. Die Summe produkt) als Maßstab heran, dann hatten
der quadrierten Anteile ergibt den Index-Wert. Erhält jedes Land genau denselben Anteil an Asylbe- auch das wirtschaftlich schwache Bulgari-
werbern (bei 27 Ländern also 3,7 % Prozent), entspricht die Summe der quadrierten Anteile und somit
der Index-Wert 0,0037. Konzentrieren sich indes alle Asylbewerber auf nur ein Land (also 100 %), er- en sowie das krisengeplagte Griechenland
gibt sich ein Wert von 1, dem Höchstwert des Herfindahl-Indexes. Je höher also der Indexwert, desto vergleichsweise viele Asylanträge zu ver-
größer die Ungleichverteilung der Asylbewerber.
buchen. Ungarn, Österreich, Schweden
Bei der relativen Konzentration wird ein zusätzliches Kriterium berücksichtigt. Bezüglich der Vertei- und Deutschland waren auch mit Blick
lung der Asylbewerber in der EU kann nicht nur ihr auf einen Mitgliedstaat entfallener Anteil von Inter-
esse sein, sondern beispielsweise auch ihre Relation zur Einwohnerzahl der einzelnen EU-Staaten.
auf ihre Wirtschaftskraft relativ stark von
Denn es liegt auf der Hand, dass größere Mitgliedstaaten mehr Asylbewerber aufnehmen können als den Asylwanderungen tangiert. Insgesamt
kleinere. Zur Ermittlung des Hoover-Indexes wird für jedes Land die Differenz zwischen dem Anteil zeigt sich auch mit Blick auf die Wirt-
der aufgenommenen Asylbewerber und seinem Anteil an den Einwohnern der gesamten EU ermittelt.
Danach wird über alle EU-Länder der Betrag der Differenzen addiert. Die Hälfte der Summe der ab-
schaftskraft: Wenige Staaten nahmen im
soluten Differenzen ergibt den Wert des ermittelten Hoover-Indexes, der auch in einen Prozentwert ersten Halbjahr 2015 vergleichsweise viele
umgerechnet werden kann. Dieser sagt aus, wie viel Prozent der Asylbewerber unter den EU-Ländern Asylbewerber auf; die allermeisten EU-
umverteilt werden müssten, um eine Gleichverteilung unter Berücksichtigung der Einwohnerzahl der
Mitgliedsstaaten zu erreichen. Staaten waren unterdurchschnittlich be-
troffen. Mit großer Wahrscheinlichkeit
Welches Konzentrationsmaß verwendet wird, hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. Im vorliegen-
den Fall wurde mit dem Herfindahl-Index die absolute Konzentration der Asylbewerber bestimmter hat die Ungleichverteilung seitdem ange-
Nationalitäten auf einzelne Staaten der EU ermittelt. Hieran lässt sich diskutieren, ob beispielsweise sichts der wachsenden, auf Mitteleuropa
Iraker oder Syrer ein bestimmtes Land als Fluchtziel bevorzugen. Die Einwohnerzahl des Landes ist
ausgerichteten Wanderungsbewegungen
hierbei von nachgeordneter Bedeutung. Zum anderen wurde gefragt, inwieweit die Lasten der Asyl-
wanderungen unter den Ländern der EU ungleich verteilt sind. Um auf diese Frage eine Antwort zu noch zugenommen.
geben, wurde die Einwohnerzahl der einzelnen EU-Länder berücksichtig und mit dem Hoover-Index Die in die EU einreisenden Asylsu-
die relative Konzentration gemessen.
chenden stammen vor allem aus vier
­Regionen: dem Osten Europas, den nicht
zur EU gehörenden Balkangebieten, den
­u nterhalb der Sahara liegenden Teilen
u Abb 3  Konzentration der Asylbewerber auf die Staaten der EU Hoover-Konzen­
­A frikas sowie – und vor allem – aus
trationsindex 1985 – Mitte 2015 — bezogen auf die Einwohnerzahl der Staaten
Vorder­a sien. Hinzu kommen Pakistan
und A­ fghanistan. An vorderer Stelle ran-
60 gieren Flüchtlinge aus Syrien.
Es stellt sich die Frage, ob die Flücht-
50 linge einer bestimmten Staatsangehörig-
keit bestimmte Zielländer bevorzugen
40 und andere eher nicht. Hierbei steht die
absolute Konzentration bestimmter
30 Flüchtlingsgruppen auf einzelne Länder
der EU im Vordergrund; die Bedeutung
20
eines Landes etwa mit Blick auf dessen
Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft ist
10
dabei weniger von Belang. Dies lässt sich
anhand des Herfindahl-Indexes abbil-
0
1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
den. u Info 1
1. Halbjahr 3 Von den Asylsuchenden aus den zwölf
... Prozent der Asylbewerber müßten umverteilt EU-15
1
EU-27 2

werden, um eine Gleichverteilung zu erreichen


wichtigsten Herkunftsländern waren al-
lein diejenigen aus Pakistan und Somalia
1  EU-Länder bis 2003.
2  EU mit den 2004 und 2007 beigetretenen Ländern. im ersten Halbjahr 2015 relativ breit in der
3  Gemessen an der Bevölkerung von 2014.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen. EU verteilt. Schon stärker war die Konzen­
tration bei den Personen aus manchen

248
Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union / 8.1  Flüchtlinge / 8

u Tab 1  Veränderung der Zahl der Zugänge an Asylbewerbern bei unterstellter Gleichverteilung auf die Länder der EU im 1. Halbjahr 2015

Tatsächliche Zahl Veränderung bei Gleichverteilung in der Veränderung bei Gleichverteilung in der
der Asylbewerber EU gemäß der Einwohnerzahl 1 EU gemäß dem Bruttoinlandsprodukt
in 1 000
in 1 000 Personen in % in 1 000 Personen in %
Ungarn 66,8 – 58,4 – 87 – 63,7 – 95
Österreich 28,3 – 21,1 – 74 – 18,5 – 65
Schweden 29,0 – 20,8 – 72 – 15,8 – 54
Deutschland 171,8 – 102,8 – 60 – 82,3 – 48
Malta 0,8 – 0,4 – 55 – 0,6 – 70
Zypern 0,9 – 0,2 – 20 – 0,4 – 43
Belgien 11,7 – 2,2 – 18 0,5 4
Luxemburg 0,6 – 0,1 – 18 1,0 173
Bulgarien 7,3 – 1,1 – 16 – 6,1 – 84
Dänemark 4,1 0,7 18 3,8 94
Niederlande 9,7 4,6 47 10,5 108
Griechenland 6,2 3,1 49 – 1,1 – 17
Italien 30,5 21,3 70 17,8 58
Frankreich 32,2 24,0 75 33,3 104
Finnland 2,6 2,0 78 3,5 134
Irland 1,5 2,5 166 4,7 316
Vereinigtes Königreich 15,1 39,8 263 60,6 401
Spanien 6,7 33,0 497 26,0 390
Polen 4,1 28,3 686 8,3 201
Estland 0,1 1,0 877 0,5 422
Lettland 0,2 1,6 1 002 0,6 356
Tschechische Republik 0,8 8,2 1 050 4,0 507
Slowenien 0,1 1,7 1 659 1,0 1 035
Litauen 0,1 2,4 1 761 0,9 684
Portugal 0,4 8,5 1 970 4,8 1 125
Rumänien 0,7 16,3 2 216 3,4 463
Kroatien 0,1 3,5 3 525 1,2 1 156
Slowakei 0,1 4,5 4 303 2,1 2 035

1  Einwohner 2014.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.

Sub-Sahara-Gebieten, aus Russland, Syri- wohner das bevölkerungsreichste Land tistischen Zusammenhang zwischen dem
en und Afghanistan. Noch viel ungleicher der EU ist. Ein weit überdurchschnittlich Anteil der Verteilung der Flüchtlinge einer
waren die Flüchtlinge aus den Balkan­ hoher Anteil an Personen aus den nicht bestimmten Nationalität auf die einzelnen
gebieten in der EU verteilt. Im Vergleich zur EU gehörenden Balkanländern reisten EU-Länder im Jahr 2012 und im ersten
zum Beginn der aktuellen Flüchtlings­ 2015 nach Deutschland ein. Auch verhält- Halbjahr 2015. Das Zusammenhangsmaß
welle – also dem Jahr 2012 – hat mit Blick nismäßig viele Flüchtlinge aus Vorder­ kann Werte zwischen 0 (keinerlei Zusam-
auf die Nationalität der Flüchtlinge ihre asien suchten sich Deutschland als Ziel- menhang) und 1 (wenn die Verteilung im
Konzentration innerhalb der EU meist land aus. Für Pakistanis und Afghanen ersten Halbjahr 2015 völlig identisch mit
zugenommen. Eine Ausnahme stellen die war Ungarn ein wichtiges Zufluchtsgebiet, der von 2012 war) annehmen. Besonders
Somalis, die Iraker, die Pakistanis und und für Nigerianer war es Italien. hoch ist der Zusammenhang bei der Ver-
die Syrer dar. u Tab 2 Generell lässt sich feststellen, dass die- teilung der Serben, der Mazedonier, der
Deutschland nahm von vielen Natio- jenigen Zielländer, die schon 2012 relativ Russen, der Iraker und der Syrer. Etwas
nalitäten den größten Anteil an Flüchtlin- viele Asylsuchende einer bestimmten Na- schwächer, aber immer noch stark ausge-
gen auf. Das ist auch nicht erstaunlich, tionalität aufnahmen, dies auch im ersten prägt ist er im Falle der Somalis und Paki-
weil die Bundesrepublik mit 16 % der Ein- Halbjahr 2015 taten. Das zeigt sich am sta- stanis. Bei all diesen Nationalitäten macht

249
8 /  Flüchtlinge  8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union

u Tab 2  Konzentration der Zugänge an Asylbewerbern auf die Länder der EU1 2012 und Mitte 2015

Zusammenhang zwischen der


Grad der Konzentration EU-Land mit dem höchsten
Zahl der Ver ­teilung der Asyl­suchenden
der Asylsuchenden Anteil an Asylsuchenden der
Asylbewerber der je­weiligen Nationalität
auf die EU-Länder jeweiligen Nationalität in der EU
1. Halbjahr auf die Länder der EU im
(Herfindahl-Index) – Anteile in %
2015 Jahr 2010 und im Jahr 2014

2012 1. Hj. 2015 2012 1. Hj. 2015 Bestimmtheitsmaß

Syrien 75 340 0,227 0,223 Deutschland (32,9) Deutschland (41,6) 0,582

Kosovo 62 835 0,236 0,396 Frankreich (36,4) Deutschland (49,7) 0,189

Afghanistan 41 170 0,152 0,251 Deutschland (27,0) Ungarn (43,5) 0,012

Albanien 26 580 0,215 0,697 Frankreich (36,1) Deutschland (83,2) 0,004

Irak 22 830 0,230 0,192 Deutschland (43,0) Deutschland (35,8) 0,662

Serbien 17 200 0,479 0,817 Deutschland (67,2) Deutschland (90,2) 0,966

Pakistan 14 780 0,148 0,144 Deutschland (18,0) Ungarn (21,9) 0,414

Eritrea 12 850 0,198 0,202 Schweden (37,6) Deutschland (26,1) 0,002

Nigeria 10 925 0,136 0,273 Italien (21,5) Italien (44,2) 0,021

Somalia 9 565 0,198 0,173 Schweden (39,9) Deutschland (26,7) 0,473

Russland 8 665 0,175 0,210 Polen (25,0) Deutschland (31,3) 0,792

Mazedonien 7 435 0,534 0,778 Deutschland (71,7) Deutschland (88,0) 0,980

1  Ohne Kroatien.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.

sich vermutlich der sogenannte Anker- EU beziehungsweise die ihnen unter­ Vor allem Männer suchen Asyl. In der
oder Netzwerkeffekt bemerkbar: Flücht- stehenden zuständigen Behörden müssen EU stellten zur Jahresmitte 2015 die Per-
linge bevorzugen diejenigen Länder, in die dem Europäischen Statistischen Amt sonen männlichen Geschlechts drei Vier-
es Landsleute von ihnen zuvor schon ge- ­(Eurostat) im Falle von Asylanträgen nur tel aller Flüchtlinge; in Deutschland wa-
zogen hat. Das hilft beim Erlernen landes- regelmäßig Angaben über das Geschlecht, ren es zwei Drittel. Schon früher machten
spezifischer Gewohnheiten und Regeln das Alter und die Nationalität melden. die Männer den weit überwiegenden An-
oder bei der Wohnungssuche. Bei den Keinerlei Informationen gibt es hingegen teil der Asylsuchenden aus, in den letzten
Flüchtlingen aus Albanien, dem Kosovo, bisher über die schulische und berufliche Jahren hat er sich noch erhöht. Die am
aus Afghanistan, Nigeria und Somalia Ausbildung. Überdies hat sich die Zuwan- stärksten besetzte Gruppe waren Männer
zeigt sich indes nur ein schwacher oder derung von Asylsuchenden ab der Jahres- im Alter von 18 bis 34 Jahren; insbeson-
gar kein Zusammenhang zwischen ihrer mitte 2015 enorm verstärkt; ein Abklin- dere unter ihnen kam es in den letzten
Verteilung auf die EU-Länder im Jahr gen dieses Zuwachses ist bei Abfassung Jahren zu starken Zuwächsen. Ihre Zahl
2012 und im ersten Halbjahr 2015. Das ist dieses Kapitels – im Oktober 2015 – nicht war in Deutschland etwa dreimal so hoch
auch Ausdruck einer veränderten Praxis absehbar. Es ist nicht auszuschließen, dass wie die der Frauen in derselben Alters-
der Asylgewährung mancher EU-Staaten. sich im Zuge anhaltend starker Zuwande- gruppe. In der EU stellte die Gruppe der
Frankreich etwa gewährt mittlerweile viel rung die Zusammensetzung der Flüchtlin- jungen Männer einen noch größeren An-
weniger Personen vom Balkan Asyl, wäh- ge rasch verändert. Einen Einfluss hierauf teil der Flüchtlinge. Sehr viel kleiner war
rend in das Vereinigte Königreich im ers- nehmen möglicherweise auch politische der Anteil der Personen mittleren Alters.
ten Halbjahr 2015 vergleichsweise wenige Interventionen. So könnten von Deutsch- Auch hier dominierten die Männer,
Afghanen migrierten. land, wie derzeit politisch diskutiert, wenngleich nicht so stark wie bei den
­weitere Balkangebiete zu sicheren Her- jungen Erwachsenen. Ältere Asylsuchen-
8.1.3 Soziale Struktur der kunftsstaaten erklärt werden. Die Erfah- de gab es indes kaum. Größer als in der
Asylsuchenden rungen lehren, dass es im Vorfeld solcher EU war in Deutschland der Anteil von
Über die soziale Zusammensetzung der Entscheidungen zu einem Anschwellen Kindern unter den Flüchtlingen, kleiner
Asylbewerber ist wenig bekannt. Die In- der Zuwanderung aus den entsprechen- dagegen der Anteil der Heranwachsenden.
nenministerien der Mitgliedsstaaten der den Ländern kommt; danach ebbt sie ab. Es fällt auf, dass hier wie dort mehr Jun-

250
Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union / 8.1  Flüchtlinge / 8

u Tab 3  Zugänge an Asylbewerbern nach Geschlecht und Alter 2010 – Mitte 2015 — Anteile in Prozent
2010 2011 2012 2013 2014 1. Hj. 2015

Deutschland
Männer
Unter 14 Jahre 13,1 13,6 15,0 14,8 13,4 12,2
14 –17 Jahre 6,4 5,9 5,0 4,1 4,2 3,8
18 – 34 Jahre 32,9 32,6 29,3 32,1 35,3 38,5
35 – 64 Jahre 10,6 10,8 11,7 11,4 12,3 12,9
Ab 65 Jahre 0,4 0,4 0,4 0,4 0,3 0,3
Männer insgesamt 63,4 63,2 61,5 62,7 65,4 67,6
Frauen
Unter 14 Jahre 12,3 12,2 13,4 13,7 12,1 10,9
14 –17 Jahre 2,7 2,7 2,5 2,2 1,9 1,9
18 – 34 Jahre 13,9 13,8 13,8 13,4 12,9 12,2
35 – 64 Jahre 7,2 7,5 8,3 7,7 7,2 7,0
Ab 65 Jahre 0,5 0,5 0,5 0,4 0,4 0,3
Frauen insgesamt 36,6 36,8 38,5 37,3 34,6 32,4
EU ohne Deutschland 1
Männer
Unter 14 Jahre 10,1 8,6 9,7 9,6 8,4 8,1
14 –17 Jahre 4,9 4,6 5,0 4,3 5,5 7,0
18 – 34 Jahre 37,8 43,6 38,9 40,3 44,5 46,8
35 – 64 Jahre 12,9 12,5 13,1 13,7 13,9 12,4
Ab 65 Jahre 0,3 0,3 0,4 0,4 0,4 0,3
Männer insgesamt 65,9 69,7 67,0 68,3 72,7 74,7
Frauen
Unter 14 Jahre 9,3 7,9 9,0 8,7 7,4 6,9
14 –17 Jahre 1,9 1,5 1,6 1,6 1,5 1,5
18 – 34 Jahre 14,9 13,8 14,6 13,8 11,7 10,8
35 – 64 Jahre 7,6 6,7 7,3 7,1 6,2 5,8
Ab 65 Jahre 0,4 0,4 0,5 0,5 0,5 0,4
Frauen insgesamt 34,1 30,3 33,0 31,7 27,3 25,3

1  Bis 2013 ohne Kroatien.


Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.

gen als Mädchen flüchteten. Die Gründe kanstaaten an den Asylsuchenden viel knapp zwei Drittel Moslems, die vor al-
hierfür lassen sich anhand der verfügba- größer als in anderen EU-Ländern, wenn- lem aus Syrien, Afghanistan, dem Koso-
ren Daten jedoch nicht klären. u Tab 3 gleich er – mit Ausnahme der Albaner – vo, Albanien, Bosnien und Herzegowina,
Die Syrer stellten in Deutschland wie in den letzten Jahren geschrumpft ist. ­M azedonien und Somalia kamen. Ein
in der EU die größte Flüchtlingsgruppe. Stärker als in Deutschland fielen indes in Viertel hing dem christlichen Glauben an –
Sie haben seit 2012 an Relevanz gewon- der übrigen EU Asylbewerber aus Afgha- sie konzentrierten sich auf die Asylsuchen-
nen. Ebenfalls bedeutend waren die Koso- nistan, aus Pakistan, aus Osteuropa sowie den aus Serbien und Eritrea, einige Chris-
varen – vor allem in Deutschland. Ihr An- aus manchen afrikanischen Staaten wie ten kamen aber auch aus Syrien, Albanien
teil an den Asylbewerbern hat besonders Nigeria oder Eritrea ins Gewicht. u Tab 4 und dem Irak.
stark zugenommen. Dasselbe gilt – aber Das Bundesamt für Migration und
nur in Bezug auf die Bundesrepublik – für Flüchtlinge (BAMF) erfasst überdies die 8.1.4 Ausgang der Asylverfahren
die Albaner. Überhaupt war in Deutsch- Religionszugehörigkeit der Asylbewerber Längst nicht alle Asylanträge werden po-
land der Anteil von Personen aus den Bal- in Deutschland. Im Jahr 2014 waren sitiv beschieden. In Deutschland führten

251
8 /  Flüchtlinge  8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union

u Tab 4  Struktur der Zugänge an Asylbewerbern nach ihrer Nationalität 2012 – Mitte 2015 — Anteile in Prozent

Deutschland EU (ohne Deutschland) 1

2012 2013 2014 1. Hj. 2015 2012 2013 2014 1. Hj. 2015
Syrien 10,2 10,1 20,3 18,3 6,3 12,2 19,1 16,8
Kosovo 3,3 3,5 4,4 18,2 3,0 5,2 6,8 12,1
Albanien 0,3 1,0 4,0 12,9 2,8 3,2 2,1 1,7
Serbien 16,5 14,2 13,4 9,0 2,4 1,4 0,9 0,6
Irak 7,3 3,3 4,7 4,8 2,9 2,2 2,8 5,6
Afghanistan 10,1 6,5 4,8 4,4 7,8 5,9 7,5 12,9
Mazedonien 8,9 7,4 4,4 3,8 1,1 0,5 0,3 0,3
Bosnien und Herzegowina 3,1 3,8 4,2 2,3 1,3 0,7 0,5 0,3
Eritrea 0,9 2,9 6,5 2,0 2,2 3,6 5,6 3,6
Pakistan 4,6 3,3 2,1 1,6 6,3 5,5 4,2 4,6
Nigeria 1,2 1,6 2,0 1,6 2,5 3,2 3,8 3,1
Russland 4,4 12,2 2,7 1,6 8,1 8,6 3,4 2,3
Ukraine 0,2 0,1 1,3 1,5 0,4 0,3 2,7 3,4
Somalia 1,7 3,1 2,8 1,5 5,0 4,1 2,5 2,7
Sonstige Nationalitäten 27,5 27,1 22,5 16,5 47,8 43,5 37,8 29,8

1  Ohne Kroatien.
Datenbasis: Eurostat 2015; eigene Berechnungen.

u Tab 5  Entscheidungen über Asylanträge in Deutschland 2010 – Mitte 2015

2010 2011 2012 2013 2014 1. Hj. 2015

Schutzmaßnahmen insgesamt 10 395 9 675 17 140 20 128 40 563 68 301


Asyl nach Art. 16a Grundgesetz 643 652 740 919 2 285 1 576
Flüchtlingsstatus nach § 3 Abs. 1 AsylVfG1 7 061 6 446 8 024 9 996 31 025 64 138
Subsidiärer Schutz 2 548 666 6 974 7 005 5 174 1 183
Abschiebungsverbot 2 143 1 911 1 402 2 208 2 079 1 404
Ablehnungen 27 255 23 717 30 700 31 145 43 018 67 034
Formelle Verfahren3 10 537 9 970 13 986 29 705 45 330 39 210
Entscheidungen insgesamt 48 187 43 362 61 826 80 978 128 911 174 545
Schutzmaßnahmen in Prozent
21,6 22,3 27,7 24,9 31,5 39,1
der Entscheidungen

1  Aufgrund »begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe«.
2  § 3 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz, hierunter fallen generell etwa auch Kriegsflüchtlinge.
3  Umverteilung gemäß Dublin-Verfahren, Rücknahme des Asylantrages etc.
Datenbasis: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015; eigene Berechnungen.

in den ersten neun Monaten von 2015 Staaten im Rahmen des sogenannten Du- lingsschutz nach Paragraf 3, Abs. 1 Asyl-
knapp 40 % der abgeschlossenen Verfah- bliner Verfahrens zählen. Gut ein Drittel verfahrensgesetz (Furcht vor Verfolgung
ren zur Gewährung eines Schutzes. Diese der von Januar bis September 2015 ab- wegen der Rasse, Religion, Nationalität,
Bewilligungs- beziehungsweise Schutz- schließend bearbeiteten Asylanträge Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozia-
quote ist in den letzten Jahren erheblich wurde abgelehnt. u Tab 5 len Gruppe oder wegen einer bestimmten
gestiegen; im Jahr 2010 war sie noch um Von den angenommenen Asylanträ- politischen Überzeugung). Von allen be-
17 Prozentpunkte niedriger. Knapp ein gen fällt nur ein sehr kleiner Teil unter willigten Schutzmaßnahmen zählten von
Viertel der Entscheidungen fiel unter die die Regelung des Grundgesetzes, nach der Januar bis September 2015 mehr als 90 %
Sammelkategorie der »formellen Verfah- politisch Verfolgte Schutz genießen, so- zu dieser Kategorie. Das ist insofern er-
ren«, zu der vor allem die Rücknahme fern sie nicht über ein sicheres Drittland staunlich, da es sich bei einem großen Teil
von Asylanträgen sowie die Weiterlei- gekommen sind. Viel bedeutender ist der anerkannten Asylbewerber um Kriegs-
tung von Asylsuchenden an andere EU- mittlerweile der breiter gefasste Flücht- flüchtlinge handeln dürfte. Nur noch ge-

252
Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union / 8.1  Flüchtlinge / 8

u Abb 4  Entscheidungen über Asylanträge in Deutschland nach der Nationalität der Asylsuchenden
von Januar bis September 2015 — in Prozent

Syrien 90,5 9,1

Irak 82,7 15,2

Eritrea 75,3 7,6 15,9

Afghanistan 26,7 4,9 11,2 12,3 44,7

Pakistan 9,6 37,2 51,2

Mazedonien 89,0 10,2

Kosovo 91,5 8,0

Serbien 88,3 11,5

Albanien 91,5 8,2

alle Nationalitäten 38,9 42,2 17,3

Anerkennung alls Flüchtling1 Subsidiärer Schutz Abschiebungsverbot Formelle Entscheidungen Ablehnung

Farbbalken ohne Prozentangabe liegen bei unter 1%.

1  Gemäß Art. 16a Grundgesetz sowie §3, Abs.1 Asylverfahrensgesetz.


Datenbasis: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015; eigene Berechnungen.

ringe Bedeutung haben dagegen subsi­ Flüchtlinge anerkannt; bei den Pakistanis Aufnahmeland arrangieren. Nötig ist
diäre Schutzmaßnahmen für Personen, kam es häufiger zu einem »formellen Ver- nicht zuletzt die Integration in den Ar-
die zwar nicht politisch oder anderweitig fahren«, bei den Afghanen vergleichswei- beitsmarkt, um eigenständig den Lebens-
verfolgt werden, aber aus anderen Grün- se oft zu einem Abschiebeverbot. Von den unterhalt bestreiten zu können. Daten
den bedroht sind. Die Zahl der Personen, Asylsuchenden aus den Balkanstaaten da- darüber, ob anerkannte Flüchtlinge einer
die unter das Abschiebungsverbot (etwa gegen wurde in den vergangenen Jahren ­bezahlten Beschäftigung nachgehen oder
wegen einer Gefahr für Leib und Leben fast keinem ein Schutzanspruch zugebil- arbeitslos sind, gibt es jedoch nicht. Ver-
für bestimmte Bevölkerungsgruppen in ligt. Dies stieß auf politischer Ebene die fügbar sind lediglich Angaben über die
ihrem Herkunftsland) fallen, ist wenig Debatte darüber an, diese Gebiete zu si- Beschäftigten sowie die Arbeitslosen
bedeutend und hat in den letzten Jahren cheren Herkunftsländern zu erklären, um nach ihrer Staatsangehörigkeit. Hilfswei-
weitgehend stagniert. den Zugang an Flüchtlingen einzudäm- se müssen diese herangezogen werden,
Der Anteil der positiv beschiedenen men, die zuständigen Behörden in um näherungsweise Hinweise auf die Ar-
Anträge variiert stark nach der Nationali- Deutschland zu entlasten und dadurch beitsmarktintegration geben zu können.
tät der Asylbewerber. Sehr hoch war er in die Verfahren für andere Asylsuchende zu Die Zahl der sozialversicherungs-
den ersten neun Monaten von 2015 bei beschleunigen. u Abb 4 pflichtig Beschäftigten mit der Nationali-
Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. tät bedeutender Gruppen von Asylsuchen-
Deutlich über dem Durchschnitt lag auch 8.1.5 Integration in den Arbeitsmarkt den hat in den letzten Jahren prozentual
der Anteil bewilligter Anträge bei Asyl­ Für die anerkannten Asylbewerber ist es erheblich und in weit überdurchschnitt­
suchenden aus Eritrea; bei ihnen griff – in aller Regel ungewiss, wie lange die lichem Maße zugenommen. Das gilt ins-
da in ihrer Heimat Krieg herrscht – im Gründe für das Asyl fortbestehen – also besondere für Syrer und Pakistanis sowie
Fall einer Ablehnung als Flüchtling mit- wie lange Krieg oder Verfolgung in ihrer für Afghanen und Somalis. Es ist sehr
unter der subsidiäre Schutz. Afghanen Heimat noch andauern. Daher müssen wahrscheinlich, dass vor allem anerkannte
und Pakistanis wurden seltener als sie sich mit den Gegebenheiten in ihrem Flüchtlinge zu dem starken Wachstum bei­

253
8 /  Flüchtlinge  8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union

u Tab 6  Beschäftigte, Arbeitslose und Leistungsempfänger nach dem Sozialgesetzbuch II ausgewählter Nationalitäten

Veränderung von
Juni des jeweiligen Jahres
Juni 2011 bis Juni 2015

2011 2012 2013 2014 2015 in 1 000 in %

sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Syrien 5,6 6,0 6,6 8,1 10,8 5,2 92,1

Kosovo 22,9 28,5 33,5 38,4 43,9 21,0 91,7

Albanien 16,5 16,1 15,8 15,8 16,6 0,1 0,9

Serbien 54,0 54,9 55,3 56,8 59,0 5,0 9,3

Irak 14,7 14,8 14,4 14,7 15,7 1,0 7,1

Afghanistan 10,1 10,4 10,9 12,1 14,0 3,9 38,4

Mazedonien 17,6 18,7 19,6 20,7 22,4 4,7 27,0

Bosnien und Herzegowina 52,8 53,3 53,4 55,2 58,0 5,2 9,8

Eritrea 1,9 2,0 2,1 2,2 2,5 0,6 28,3

Pakistan 6,0 6,5 7,0 8,2 10,2 4,2 70,9

Somalia 0,7 0,9 1,0 1,3 1,6 0,9 116,5

Nigeria 5,8 6,1 6,4 6,9 8,0 2,2 38,5

Alle Beschäftigte 28 643,6 29 280,0 29 615,7 30 174,5 30 778,0 2 134,4 7,5

Arbeitslose
Syrien 3,5 4,4 7,3 11,9 27,2 23,6 666,6

Kosovo 4,3 6,2 7,6 8,7 10,1 5,8 134,9

Albanien 3,9 3,6 3,7 3,7 3,7 – 0,3 – 6,7

Serbien 18,8 20,1 21,1 21,1 22,0 3,2 17,3

Irak 12,8 13,1 13,9 13,4 16,2 3,5 27,1

Afghanistan 6,6 6,7 7,5 8,6 9,9 3,3 49,9

Mazedonien 5,8 5,7 5,8 5,9 6,0 0,2 4,0

Bosnien und Herzegowina 8,7 8,3 8,6 8,3 8,1 – 0,6 – 6,7

Eritrea 1,2 1,2 1,3 1,4 1,8 0,6 51,5

Pakistan 4,0 3,8 4,4 5,1 5,4 1,4 34,1

Somalia 0,7 0,9 1,0 1,1 1,3 0,5 71,0

Nigeria 2,1 2,2 2,4 2,7 2,8 0,7 33,4

Alle Arbeitslosen 2 894,0 2 809,1 2 864,7 2 832,8 2 711,2 – 182,8 – 6,3

Leistungsempfänger gemäß Sozialgesetzbuch II (Hartz IV)


Syrien 12,3 15,8 24,3 41,1 92,7 80,4 653,8

Kosovo 13,5 16,3 19,6 21,7 26,4 12,9 95,8

Albanien 10,6 9,5 9,4 9,2 9,1 – 1,5 – 14,3

Serbien 32,3 35,9 38,3 40,5 14,8 – 17,5 – 54,2

Irak 52,2 51,4 22,3 52,8 56,2 3,9 7,5

Afghanistan 26,7 27,6 29,4 31,8 36,6 9,9 37,1

Mazedonien 12,5 12,0 12,4 12,6 14,8 2,3 18,0

Bosnien und Herzegowina 19,9 18,5 18,5 18,0 18,0 – 1,9 – 9,5

Eritrea 3,7 3,8 3,9 4,2 5,5 1,8 49,0

Pakistan 13,7 13,5 13,9 14,8 16,6 2,9 21,1

Somalia 2,8 3,4 3,8 4,2 4,8 2,0 71,8

Nigeria 6,1 6,2 6,8 7,6 8,4 2,3 37,4

Alle Leistungsempfänger 6 394,1 6 162,6 6 160,4 6 125,7 6 127,2 – 266,9 – 4,2

Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit 2015, eigene Berechnungen.

254
Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union / 8.1  Flüchtlinge / 8

getragen haben. Vergleichsweise schwach nelt der Berechnung einer Arbeitslosen- Nach der hier vorgeschlagenen Be-
war indes die Veränderungsrate bei der quote. Ausgeblendet werden bei einer rechnungsweise ergibt sich für Juni 2015
Beschäftigungsentwicklung der Iraker. solchen Berechnung allerdings die Beam- bei Deutschen und allen Ausländern zu-
Die absoluten Zahlen bei den Beschäfti- ten; dieser Status kommt jedoch für Perso- sammengenommen eine Beschäftigten-
gungszuwächsen waren allerdings nicht nen mit ausländischer Staatsbürgerschaft Arbeitslosen-Relation von über 11; das
groß. So waren Mitte 2015 gegenüber Mit- in der Regel nicht in Betracht. Nicht be- entspricht – bei der hier verwendeten
te 2011 – der Zeit vor der aktuellen Flücht- rücksichtigt sind überdies Mini-Jobber. Methode – einer Arbeitslosenquote von
lingsbewegung – 5 200 Syrer, 4 200 Pakis- Hier gibt es bei der üblichen Berechnung 8 %. Viel ungünstiger waren die Beschäf-
tanis, 3 900 Afghanen, 2 200 Nigerianer, der Arbeitslosenquote das Problem, dass tigten-Arbeitslosen-Relationen indes bei
1 000 Iraker, 900 Somalis und 500 Perso- nicht wenige Mini-Jobber auch arbeitslos Staatsangehörigen der bedeutenden Her-
nen aus Eritrea mehr beschäftigt. Eben- gemeldet sind. Überdies reicht ein Mini- kunftsländer von anerkannten Flüchtlin-
falls deutlich zugelegt hat die Beschäfti- Job nicht aus, um den Lebensunterhalt zu gen. Unter den Syrern gab es zu diesem
gung von Personen aus dem Kosovo, aus finanzieren. Schließlich fehlen die Selb- Zeitpunkt mehr Arbeitslose als sozialver-
Mazedonien und aus Bosnien und Herze- ständigen. Sie mögen bei manchen Grup- sicherungspflichtig Beschäftigte (Arbeits-
gowina. Bei den Arbeitnehmern aus den pen von ausländischen Arbeitskräften in losenquote von über 70 %), bei den Irakern
Balkanstaaten dürften sich aber wohl Deutschland von erheblicher Bedeutung hielten sich Arbeitslose und Beschäftigte
kaum Asylwanderungen bemerkbar ge- sein. Selbständige sollten aber bei der Be- die Waage (Arbeitslosenquote: 50 %).
macht haben, denn Personen aus diesen rechnung des Ausmaßes der Arbeitslosig- ­Etwas, aber nicht viel besser sah es bei
Ländern wird in Deutschland faktisch keit außen vor bleiben, denn Aufgabe der den Afghanen, Pakistanis, Somalis und
kein Asyl und somit keine Arbeitsgeneh- Arbeitsagenturen ist es, Arbeitslose in eine Personen aus Eritrea aus. Große Probleme
migung gewährt. Vermutlich wurden be- sozialversicherungspf lichtige Beschäfti- bei der Integration in den Arbeitsmarkt
stehende Ausnahmeregelungen für Ange- gung zu vermitteln. hatten Personen dieser Nationalitäten
hörige von Drittstaaten (also von Staaten
außerhalb der EU) genutzt, um in

40 %
Deutschland einen Job auszuüben. u Tab 6
Infolge der guten Konjunktur sinkt
die Arbeitslosigkeit (im Trend) seit Ende
der weltweiten Finanzkrise. Unter Perso-
nen mit der Staatsbürgerschaft derjenigen
Länder, aus denen ein großer Teil der
Asylsuchenden stammt, zeigt sich hinge-
gen eine gegenläufige Entwicklung: Die der in den ersten neun Monaten 2015 ­
Arbeitslosigkeit steigt – und zwar rasant. abgeschlossenen Asylverfahren führten
Ohne Zweifel kommen hier die Asylwan- zur Gewährung eines Schutzes.
derungen zum Ausdruck. Bei den Syrern
hat sich von Mitte 2011 bis Mitte 2015 die
Zahl der Arbeitslosen mehr als versechs-
facht. Bei weitem nicht so dramatisch,
aber ebenfalls schlecht war die Entwick-
lung bei den Afghanen, den Irakern, den
Pakistanis, den Somalis und Personen aus
Eritrea. Bei den Syrern und den Irakern
hat die Arbeitslosigkeit sogar deutlich
stärker als die sozialversicherungspflichti-
ge Beschäftigung zugenommen.
Die amtliche Statistik weist keine Ar-
beitslosenquoten nach Nationalitäten aus.
Um dennoch das Ausmaß der Unterbe-
schäftigung zu umreißen, kann die Zahl
der sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigten auf die der registrierten Arbeits­
losen bezogen werden. Dieser Ansatz äh-

255
8 /  Flüchtlinge  8.1 / Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union

u Abb 5  Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte je Arbeitslosen nach Nationalität Kosovo und Mazedonien stark gewachsen
Juni 2011 und Juni 2015 — Auf einen Arbeitslosen kommen ... Beschäftigte ist. Da von ihnen kaum jemand als Flücht-
ling anerkannt wird, scheint ihnen ein an-
derer Status den Bezug von Sozialleistun-
Deutsche und alle 9,8 gen zu ermöglichen. Bei den übrigen Bal-
Ausländer zusammen 11,3 kannationalitäten ist dagegen die Zahl der
1,5
Hartz IV-Bezieher zurückgegangen.
Syrer
0,3
8.1.6 Zusammenfassung und
1,1
Iraker
0,9 Folgerungen
Europa ist mit einer starken Zuwande-
1,5
Afghanis
1,4 rung an Flüchtlingen konfrontiert, wobei
die Asylsuchenden sehr ungleich auf die
2,5
Pakistanis
1,8
einzelnen Mitgliedsstaaten der EU ver-
teilt sind. Während große Länder wie das
Personen aus 1,6 Vereinigte Königreich, Frankreich, Itali-
Eritrea 1,4
en und Spanien sowie fast alle osteuropä-
0,9 ischen Staaten relativ wenige Asylsuchen-
Somalis
1,2
de aufnehmen, sind andere Länder stark
Nigerianer
2,7 betroffen. Dazu gehört auch Deutschland,
2,8
das im ersten Halbjahr 2015 gemessen an
Russen
2,6 der Einwohnerzahl dreimal und gemes-
3,7
sen an der Wirtschaftskraft etwa doppelt
1,9 so viele Asylbewerber aufgenommen hat,
Ukrainer
3,0 wie es bei einer Gleichverteilung inner-
halb der EU der Fall gewesen wäre. Ange-
Juni 2011 Juni 2015 sichts der ab dem Sommer 2015 erheblich
angestiegenen Flüchtlingszahlen dürfte
Datenbasis: Bundesagentur für Arbeit 2015; eigene Berechnungen.
die Ungleichverteilung zu Lasten der
Bundesrepublik noch erheblich zuge-
nommen haben.
Die Ungleichverteilung hängt auch
mit den Fluchtrouten zusammen, die vor
allem über den Balkan verlaufen. Dies ist
allerdings nicht der einzige Grund für
­a llerdings schon vor Einsetzen der aktu- Die ungünstige Entwicklung der Ar- Verteilungsunterschiede. Sie ergeben
ellen Flüchtlingswelle. u Abb 5 beitslosigkeit derjenigen Ausländergrup- sich auch aus den unterschiedlichen na-
Überdies haben sich bei wichtigen pen, die einen großen Teil der Flüchtlinge tionalen Asylpolitiken. Manche Staaten
Flüchtlingsgruppen die Beschäftigten- stellen, spiegelt sich in der Zahl der Hilfe- versuchen, Asylsuchende abzuwehren –
Arbeitslosen-Relationen in der Zeit von bedürftigen wider, die Leistungen nach indem sie sich restriktiv bei Asylgesuchen
Mitte 2011 bis Mitte 2015 gegen den von dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) erhal- verhalten oder den Flüchtlingen schlechte
der günstigen Konjunktur bestimmten ten. So ist unter den Syrern die Zahl der Unterbringungsmöglichkeiten bieten.
Trend verschlechtert, was wiederum nur Leistungsempfänger (einschließlich der Entsprechend kommt es zu einer Umlei-
an der verstärkten Flüchtlingszuwande- Kinder) von 2012 bis Mitte 2015 fast um tung der Asylsuchenden. Andere Länder
rung liegen kann. Eine Ausnahme stell- das Fünffache gestiegen. Bei weitem nicht geben sich dagegen großzügig, wodurch
ten Personen aus Somalia sowie aus Ost- so große, aber dennoch hohe Zuwachsra- sie eine starke Anziehungskraft auf die
europa dar. Letztere dürften wohl ver- ten verzeichneten Personen, die aus Af- Flüchtlinge ausüben. Die EU hat sich
mehrt von Arbeitserlaubnissen für ghanistan, Pakistan, Somalia und Eritrea zwar dazu bekannt, dass der Schutz vor
Drittstaatenangehörige profitieren und stammen. Der Anstieg der irakischen Verfolgung eine Aufgabe der gesamten
nicht so sehr aufgrund der Asylbewäh- Leistungsempfänger war hingegen weitaus Staatengemeinschaft sei. In der prakti-
rung auf dem deutschen Arbeitsmarkt geringer. Erstaunlich ist, dass auch die schen Politik ist davon aber wenig zu se-
aktiv sein. Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus dem hen, denn die Nationalstaaten agieren auf

256
Asylsuchende in Deutschland und der Euro­päischen Union / 8.1  Flüchtlinge / 8

jeweils eigene Weise. Angemessen wären derlich sein, um den Anforderungen des
stattdessen verbindliche Vereinbarungen deutschen Arbeitsmarktes gerecht zu
über gemeinsame Standards bei den Asyl- werden. Mit dem Erlernen der deutschen
verfahren, bei der Unterbringung und der Sprache sowie nach Abschluss etwaig er-
Versorgung der Flüchtlinge sowie bei der forderlicher fachlicher Weiterbildungs-
Frage, wem und aus welchen Gründen maßnahmen dürften sich die Beschäfti-
Schutz geboten wird – und wem nicht. gungsprobleme vermindern. Unklar ist
Solchen Vereinbarungen müsste in der allerdings, wie hoch der Anteil der aner-
Praxis auch gefolgt werden. Das Ziel soll- kannten Flüchtlinge ist, die nicht über
te sein, die Lasten nach noch festzulegen- eine Berufsausbildung verfügen.
den Maßstäben einigermaßen gleichmä- Es hat sich gezeigt, dass schon vor der
ßig auf die Mitgliedsstaaten der EU zu gegenwärtigen Zuwanderungswelle Ar-
verteilen. Kurzum: Die EU braucht eine beitskräfte, die aus bedeutenden Flücht-
gemeinsame Asylpolitik. lingsregionen stammen, erhebliche Schwie­
Die Integration der anerkannten rigkeiten hatten, sich in den Arbeits-
Flüchtlinge in den deutschen Arbeits- markt zu integrieren. Die Ursachen dafür
markt erweist sich den verfügbaren Da- sind unbekannt. Wahrscheinlich spielt
ten zufolge als schwierig. Zwar hat bei die sozialstrukturelle Zusammensetzung
den Personen aus den Herkunftsländern eine Rolle – und die Flüchtlinge weisen
wichtiger Flüchtlingsgruppen die Be- vielleicht eine andere Sozialstruktur auf
schäftigung merklich angezogen, noch als diejenigen Landsleute, die vor ihnen
mehr hat jedoch – insbesondere bei den nach Deutschland kamen. Arbeitskräfte-
Syrern – die Arbeitslosigkeit zugenom- wanderungen erfolgen vornehmlich aus
men. Entsprechend ist die Zahl der Emp- strukturschwachen, ländlichen Gebieten
fänger von Hartz IV gewachsen. Es ist da- heraus, weil dort die Erwerbsmöglichkei-
mit zu rechnen, dass die Arbeitslosigkeit ten unzureichend sind. Bei Flüchtlingen
unter den Asylsuchenden mindestens verhält es sich jedoch häufig anders. So
noch 2016 weiter anzieht. Denn eine Ar- hat der Bürgerkrieg in Syrien auch die
beitserlaubnis wird in der Regel erst nach Städte getroffen, sodass das meist ver-
Abschluss der Asylverfahren erteilt, und gleichsweise gut qualifizierte Bürgertum
die unerledigten Anträge haben sich bis wandern musste. Als ein zunehmendes
zum Herbst 2015 immer mehr aufgehäuft, Problem könnte sich erweisen, dass aner-
da die Zahl der Verfahrensabschlüsse kannte Asylbewerber ihr Selbstvertrauen,
weitaus geringer war als die der ankom- ihre Arbeitsmotivation und somit ihr Ar-
menden Asylbewerber. Daher wird es beitsvermögen verlieren, je länger sie
dauern, bis der Berg an unerledigten An- dem Erwerbsleben entwöhnt werden.
trägen auf das Normalmaß zurücksinken Schon die Flucht und die oft langen Asyl-
wird. Je mehr Anträge abschließend be- verfahren kosten viel Zeit; hinzu könnte
arbeitet und je mehr Flüchtlinge im Zuge eine längere Zeit der erfolglosen Jobsuche
dessen anerkannt werden, desto mehr kommen.
Personen werden einen Job suchen.
Es überrascht keineswegs, dass es
­v ielen anerkannten Flüchtlingen schwer
fällt, eine Beschäftigung zu finden, denn
als ein großes Hindernis bei der erfolg-
reichen Jobsuche dürften sich ihre in der
Regel unzureichenden Sprachkenntnisse
erweisen; vielen ist auch nicht die lateini-
sche Schrift geläufig, sondern die arabi-
sche. Überdies wird oft eine Anpassungs-
qualifizierung für eine im Herkunftsland
abgeschlossene Berufsausbildung erfor-

257
8 %

54 %
der Mieterhaushalte klagten
2014 über zu wenig Tageslicht
in der Wohnung.

aller Wohnungen waren


2010 vermietet.

440 €
betrug 2010 die durch-
schnittliche Miete.

66 % 91 m²
aller Wohngebäude waren im
Mai 2011 Einfamilienhäuser. groß war im Mai 2011
eine durch­schnittliche
Wohnung.
9
Wohnen
9.1 Die Lebensqualität vieler Menschen in 9.1.1 Struktur des Gebäude- und
Deutschland wird durch ihre Wohnver- Wohnungsbestandes
Wohnsituation hältnisse beeinf lusst. Die persönliche Im Mai 2011 gab es in Deutschland
und Wohnsituation wiederum hängt auch eng 18,2  Mil­lionen Wohngebäude (ohne
mit den sozio-ökonomischen Lebensum- Wohn­h eime) mit 38,8 Millionen Woh-
Mietkosten ständen zusammen. Das folgende Kapitel nungen. Alle Auswertungen in diesem
soll daher einen Überblick darüber ge- Abschnitt beziehen sich auf diese Grund-
ben, wie die Menschen in Deutschland gesamtheiten. Auch 25 Jahre nach der
Kristina Kott, Katarzyna Kowalska,
wohnen. Im ersten Abschnitt wird ein deutschen Vereinigung gibt es im Bereich
Anja Krause, Birgit Kuchler,
Überblick über die Struktur des Gebäu- der Wohnsituation immer noch Unter-
Ulrike Timm
de- und Wohnungsbestandes sowie die schiede zwischen Ost und West. Die fol-
Eigentumsverhältnisse gegeben. Im zwei- genden Auswertungen fokussieren sich
Destatis ten Abschnitt gehen wir der Frage nach, demnach auf die Ost-West-Unterglie­
welche Haushalte in den eigenen vier derung, wobei die Stadtstaaten aufgrund
Wänden oder zur Miete wohnen und wel- ihrer strukturellen Besonderheit als sepa-
che durchschnittliche Wohnfläche ihnen rate Region behandelt werden. u Info 2
zur Verfügung steht. Die zugrunde lie-
genden Daten stammen aus der Gebäude- Gebäudegröße
und Wohnungszählung 2011. Die Wohn- Deutschlandweit waren im Mai 2011 zwei
kosten von Mieterhaushalten werden im Drittel (66 %) aller Wohngebäude Einfa-
dritten Abschnitt betrachtet. Datenbasis milienhäuser, das heißt in diesen Gebäu-
ist hier die Mikrozensus-Zusatzerhebung den befand sich genau eine Wohnung. In
zur Wohnsituation der Haushalte von 17 % der Wohngebäude befanden sich
2010. zwei Wohnungen und in 12 % waren drei
In Abschnitt 9.1.4 werden Belastungen bis sechs Wohnungen zu finden. Über
im Zusammenhang mit Wohnung und sieben und mehr Wohnungen verfügte
Wohnumfeld dargestellt. Die Ergebnisse insgesamt nur etwa jedes 20. Gebäude
stammen aus der europaweit vergleich­ (6 %) in Deutschland. Die regionale Ver-
baren Erhebung EU-SILC, in der Haus- teilung war bei den großen Gebäuden
halte nach ihrer subjektiven Einschät- sehr unterschiedlich: In den westlichen
zung zur Wohnkostenbelastung und nach Flächenländern war mit 4 % ein niedrige-
Problemen mit der Wohnsituation be- rer Anteil größerer Gebäude zu beobach-
fragt werden. u Info 1 ten als in den Flächenländern im Osten

259
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

u Info 1 ten befand sich mit 71 % die große Mehr-


Datenquellen zum Thema Wohnen heit der Wohnungen in Mehrfamilien-
In Deutschland gibt es keine flächendeckenden Register über den Bestand an Gebäu- häusern mit sieben oder mehr Wohnun-
den mit Wohnraum und Wohnungen. Daher wurde im Rahmen des Zensus 2011 – wie gen. Nur 13 % der Wohnungen in Berlin,
auch schon bei den vorangegangenen Volkszählungen – eine Gebäude- und Woh-
nungszählung durchgeführt. Sie erfolgte als postalische Vollerhebung bei den Eigen­
Hamburg und Bremen lagen in einem
tümerinnen und Eigentümern beziehungsweise Verwaltungen mit Stichtag 9. Mai 2011. Einfamilienhaus. u Abb 2
Damit konnten zuverlässige Informationen über den Wohnungsbestand in Deutschland Bei den Einfamilienhäusern – also
und die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum bereitgestellt werden. Diese
Ergebnisse sind unter anderem eine notwendige Entscheidungsgrundlage für woh- den Gebäuden mit genau einer Wohnung –
nungspolitische und raumplanerische Fragestellungen in Bund, Ländern und Kommu- dominierte insgesamt das frei stehende
nen. Insgesamt wurden rund 19 Millionen Auskunftspflichtige angeschrieben und zu Haus: deutschlandweit waren zwei von
ihren Gebäuden und/oder Wohnungen befragt. Damit war die Gebäude- und Woh-
nungszählung die größte Befragung im Rahmen des Zensus 2011. In der Gebäude- drei Einfamilienhäusern (66 %) frei ste-
und Wohnungszählung wurden unter anderem Merkmale wie die Anzahl der Wohnun- hend, 17 % waren Doppelhaushälften
gen im Gebäude, das Baujahr, die Eigentumsverhältnisse, die Nutzungsart der Woh-
und etwa gleich viele (18 %) Reihenhäu-
nung und die Wohnfläche erfasst. Angaben zur Miete wurden nicht erhoben.
ser. Betrachtet man Westdeutschland al-
Die Auswertungen zur Mietbelastung in diesem Beitrag stammen aus der Mikrozen- lein, war die Verteilung ähnlich; im
sus-Zusatzerhebung zur Wohnsituation aus dem Jahr 2010. Der Mikrozensus ist eine
jährlich durchgeführte Haushaltsstichprobe, an der 1 % der Privathaushalte in
Osten waren mehr frei stehende Häuser
Deutschland teilnehmen. In diesem Rahmen findet alle vier Jahre eine Zusatzerhebung zu finden (72 %) und weniger Reihenhäu-
zur Wohnsituation der Haushalte statt. Hierdurch stehen regelmäßig aktuelle Informa­ ser (12 %). In den dicht besiedelten Stadt-
tionen zur Wohnsituation von Haushalten bereit. Die Ergebnisse der Zusatzerhebung
von 2014 liegen voraussichtlich im Sommer 2016 vor.
staaten hingegen war nur jedes zweite
Einfamilienhaus (50 %) frei stehend. Das
EU-SILC ist die jährlich durchgeführte und europaweit vergleichbare Statistik über Ein- flächensparsamere Reihenhaus war hier
kommen und Lebensbedingungen der Bevölkerung (European Union Statistics on
Income and Living Conditions). Die Bezeichnung der deutschen EU-SILC-Erhebung deutlich häufiger anzutreffen: Fast jedes
lautet LEBEN IN EUROPA. Sie liefert eine Vielzahl von Sozialindikatoren für Deutschland, dritte Einfamilienhaus (32 %) war ein
unter anderem auch zum Thema Wohnen. Die Erhebung erfolgt schriftlich und be- Reihenhaus.
steht aus einem Haushaltsfragebogen und einem Personenfragebogen für Haushalts-
mitglieder ab 16 Jahren. An LEBEN IN EUROPA nehmen jedes Jahr zwischen
13 000 und 14 000 Privathaushalte teil, wobei jedes Jahr ein Viertel der Stichprobe Baualter
durch ein neu gezogenes Viertel ersetzt wird (Rotationspanel). Wie alt sind die Gebäude und Wohnun-
gen, in denen die Menschen in Deutsch-
land leben? Rund die Hälfte (52 %) der
Gebäude in Deutschland stammt aus der
u Info 2
Zeit zwischen 1949 und 1990. In den
Ergebnisse ohne Grenzen: der Zensus-Atlas
westlichen Flächenländern ist der Anteil
Der interaktive Zensus-Atlas der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder
­bietet auf Basis eines 1-Kilometer-Gitters die Ergebnisse des Zensus 2011. Bislang
mit 57 % etwas größer, im Osten mit 26 %
­standen nur für administrative Einheiten – das heißt für Bund, Länder, Kreise und Kom- deutlich kleiner, was auf die weniger stark
munen – Informationen zu beispielsweise den Wohnverhältnissen ausgeprägte Bautätigkeit in der ehemali-
zur Verfügung.
gen DDR in diesem Zeitraum zurückzu-
Der Zensus-Atlas schafft durch das 1-Kilometer-Gitter nun eine bessere Vergleich­ führen ist. In den östlichen Ländern wur-
barkeit, die nicht an (Stadt-) Grenzen halt macht. Hiermit ergibt sich eine detailliertere den 48 % der Gebäude vor 1949 errichtet.
­Informationsgrundlage, gerade für kleinräumige Planungszwecke an der Grenze
von Stadt und Umland. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter Von den 38,8 Millionen Wohnungen
www.atlas.zensus2011.de in Wohngebäuden wurden deutschland-
weit 56 % zwischen 1949 und 1990 gebaut.
In den westlichen Ländern lag der Anteil
der Wohnungen aus dieser Baualters­
klasse bei 60 %, in den östlichen Ländern
(9 %). In den Stadtstaaten (Hamburg, Bre- chenländern etwa jede dritte Wohnung war er mit 40 % deutlich geringer. Dass
men und Berlin) lag der Anteil der gro- in einem Einfamilienhaus zu finden war der Anteil der Gebäude aus dieser Zeit im
ßen Gebäude mit 24 % am höchsten; dies (Flächenländer West: 33 %, Flächenländer Osten mit 26 % so stark von dem Anteil
war fast jedes vierte Gebäude. Der Anteil Ost: 29 %). Im Westen befand sich nur der Wohnungen (40 %) abweicht, zeigt,
der Einfamilienhäuser an den Wohnge- jede vierte Wohnung (25 %) in einem dass in den Jahren zwischen 1949 und
bäuden betrug hier nur 57 %. u Abb 1 Mehrfamilienhaus mit sieben oder mehr 1990 vor allem große Gebäude mit einer
Nimmt man die Wohnungen in den Wohnungen. Im Osten war dieser Anteil Vielzahl an Wohnungen – zum Beispiel
Fokus, ist zu beobachten, dass in den Flä- mit 41 % deutlich höher. In den Stadtstaa- Plattenbauten – errichtet wurden. u Abb 3

260
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

Dabei ist generell zu beachten, dass u Abb 1  Wohngebäude nach Gebäudegrößenklassen 2011 — Anteil in Prozent
insbesondere die älteren Baualtersklassen
den Stand zum Mai 2011 darstellen und
nicht die tatsächliche Bautätigkeit der Deutschland 66 17 12 6

genannten Jahre widerspiegeln: Es sind


Flächenländer West 66 18 12 4
2011 nur die Gebäude erhoben worden,
die noch existierten. Zerstörte oder ab­ Flächenländer Ost 68 14 10 9
gerissene Gebäude früherer Baualters­
klassen sind nicht mehr enthalten. Stadtstaaten 57 7 12 24

Eigentümerstruktur 1 Wohnung 2 Wohnungen 3 – 6 Wohnungen 7 und mehr Wohnungen

Insgesamt befand sich 2011 jede fünfte


Wohnung (22 %) – egal ob vermietet oder
selbst genutzt – in einem Gebäude mit
Eigentumswohnungen. Weitere 59 % der
u Abb 2  Wohnungen nach Gebäudegrößenklassen 2011 — Anteil in Prozent
Wohnungen lagen in Gebäuden, bei de-
nen das gesamte Gebäude (Ein-, Zwei-
oder Mehrfamilienhaus) einer Privatper-
son gehörte. Rund 5 % der Wohnungen Deutschland 31 16 22 31
befanden sich in Gebäuden von Woh-
Flächenländer West 33 18 24 25
nungsgenossenschaften und jeweils 7 %
lagen in Gebäuden von öffentlichen oder Flächenländer Ost 29 12 18 41
privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Größere regionale Unterschiede gab Stadtstaaten 13 3 13 71

es vor allem bei den Wohnungsunterneh-


men. In den westlichen Flächen­ländern 1 Wohnung 2 Wohnungen 3 – 6 Wohnungen 7 und mehr Wohnungen
waren lediglich 3 % der Wohnungen in
Gebäuden, die Eigentum von Wohnungs-
genossenschaften waren, in den östlichen
Ländern waren es 13 % und in den Stadt-
u Abb 3  Gebäude und Wohnungen nach Baualtersklassen 2011 — Anteil in Prozent
staaten 11 %. Öffentliche Unternehmen
als Eigentümer von Wohngebäuden spiel-
ten vor allem in den öst­lichen Ländern Gebäude

mit 14 % der Wohnungen und in den


Deutschland 26 52 23
Stadtstaaten mit 15 % eine Rolle. u Abb 4
Viele Menschen träumen von den Flächenländer West 21 57 22
­eigenen vier Wänden. In nahezu der
Flächenländer Ost 48 22 26 3126
Hälfte (46 %) der bewohnten Wohnungen 31 16

hat sich dieser Traum erfüllt: sie waren Stadtstaaten 33 50 17


von dem Eigentümer oder der Eigentü-
merin selbst genutzt. In den westlichen
Flächenländern war es jede zweite (50 %), Wohnungen
in den östlichen Flächenländern 40 %
Deutschland 24 56 19
und in den Stadtstaaten nur jede fünfte
(21 %). Die niedrigste Eigentümerquote Flächenländer West 19 60 20
fand sich in Berlin (16 %), die höchste im
Saarland mit 63 %. u Abb 5 Flächenländer Ost 41 40 19

Bei den von Eigentümern bewohnten


Stadtstaaten 35 54 10
Wohnungen handelte es sich mehrheitlich
(80 %) um Wohnungen in Ein- oder Zwei-
vor 1949 1949 –1990 1991 und später
familienhäusern. Selbst genutzte Eigen-
tumswohnungen in Mehrfamilienhäusern

261
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

u Abb 4  Wohnungen nach Eigentumsform des Gebäudes 2011 — Anteil in Prozent Bei den vermieteten Wohnungen ver-
hält es sich genau umgekehrt: Hier lagen
etwa acht von zehn Mietwohnungen in
Deutschland 22 59 5 7 7 Gebäuden mit drei und mehr Wohnun-
Flächenländer West 24 63 3 4 6
gen, jede fünfte sogar in einem Gebäude
mit 13 und mehr Wohnungen. Mietwoh-
Flächenländer Ost 14 52 13 14 7 nungen in Ein- oder Zweifamilienhäu-
Stadtstaaten 22 33 11 15 20 sern spielten nur eine kleine Rolle (19 %).
Besonders deutlich war dies in den dicht
Gemeinschaft von Wohnungseigentümern / -eigentümerinnen besiedelten Stadtstaaten. Hier machten
Privatperson / -en sie nur 4 % der Mietwohnungen aus. u Tab 1
Wohnungsgenossenschaften Es ist zu beobachten, dass die Eigen­
öffentliche Unternehmen
tümerquote umso höher ist, je neuer die
privatwirtschaftliche Unternehmen
Wohnungen sind. Unabhängig von der
Region wiesen Wohnungen, die nach dem
Jahr 2000 gebaut wurden, den höchsten
Anteil an selbst genutzten Wohnungen
u Abb 5  Eigentümerquote nach Bundesländern 2011 – Anteil von Eigentümern auf. In Deutschland wurden zwei Drittel
selbst genutzter Wohnungen an allen bewohnten Wohnungen — in Prozent (67 %) der bewohnten Wohnungen aus
dieser Baualtersklasse vom Eigen­tümer
selbst bewohnt. In den westlichen Län-
Saarland 63 dern waren es ebenfalls 67 %, in den öst­
Rheinland-Pfalz 57
lichen Ländern 70 %, und sogar in den
Stadtstaaten, die eine insgesamt recht
Niedersachsen 54
niedrige Eigentümerquote aufwiesen,
Baden-Württemberg 53 ­waren es bei Neubauten 58 %. Diese ho-
Bayern 51
hen Werte der Selbstnutzung bei neuen
Wohnungen zeigen umgekehrt aber auch,
Schleswig-Holstein 51
dass bei Neubauten nur der geringere An-
Hessen 49 teil der Wohnungen dem gerade in Groß-
Thüringen 46
städten oft recht angespannten Mietwoh-
nungsmarkt zur Verfügung steht. u Abb 6
Brandenburg 45

Nordrhein-Westfalen 43 Leerstand
Sachsen-Anhalt 42
In Deutschland standen im Mai 2011 ins-
gesamt 4,4 % aller Wohnungen leer, wobei
Bremen 39
die Verteilung des Leerstandes regional
Mecklenburg-Vorpommern 39 sehr unterschiedlich war. Im Osten war
Sachsen 33
mit 8,0 % der Leerstand immer noch deut-
lich höher als im Westen (3,7 %) und in den
Hamburg 24
Deutschland
Stadtstaaten (2,9 %). Das Bundesland mit
Berlin 16 46 der höchsten Leerstandsquote war Sachsen
mit 9,8 %, die niedrigste hatte Hamburg
mit 1,5 %. Als einzige ostdeutsche Groß-
stadt hatte die Stadt Jena eine sehr niedrige
Leerstandsquote von 1,9 %. u Abb 7
Die Leerstandsquote differiert stark
mit drei oder mehr Wohnungen waren wohnungen in Mehrfamilienhäusern mit nach der Größe der Wohnungen zwi-
entsprechend schwächer vertreten (20 %). nur 12 % seltener zu finden. Dies kann schen 8,3 % bei Wohnungen unter
Die Verteilung in den westlichen Flächen- mit dem Fehlen von Eigentumswohnun- 40  Quadratmetern und 1,9 % bei Woh-
ländern ist vergleichbar, in den östlichen gen in der ehemaligen DDR zusammen- nungen mit 120 und mehr Quadratme-
Ländern sind selbst genutzte Eigentums- hängen. tern. Die höheren Leerstände bei kleinen

262
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

Wohnungen lassen auf eine geringere u Tab 1  Bewohnte Wohnungen nach Nutzungsart und Gebäudegrößen-
Nachfrage für diese schließen. klassen 2011 — in Prozent
Vor allem im Osten war der Unter- In Wohngebäuden mit … bis ... Wohnung(en)
schied zwischen den Wohnungsgrößen-
1 2 3 – 6 7 – 12 13 und mehr
klassen besonders stark ausgeprägt:
13,6 % der Wohnungen mit einer Größe Vom Eigentümer bewohnt
unter 40 Quadratmeter standen leer, aber Deutschland 60 20 11 6 4

nur 3,0 % der Wohnungen, die 120 Quad-  Flächenländer West 59 20 11 6 4

ratmeter oder größer waren. In den  Flächenländer Ost 70 19 8 3 1


Stadtstaaten war die Differenz zwischen  Stadtstaaten 54 8 11 16 11
den Größenklassen nicht so ausgeprägt Zu Wohnzwecken vermietet 1
(zwischen 4,8 % und 2,2 %), da gerade in Deutschland 7 12 31 31 19
Städten auch kleinere Wohnungen stär-  Flächenländer West 9 15 36 25 15
ker nachgefragt werden. u Abb 8  Flächenländer Ost 4 7 25 45 18
 Stadtstaaten 2 2 14 39 43
Wohnungsgröße
1 Auch mietfrei.
Wie viel Platz zum Wohnen haben die
Menschen in Deutschland? Im Mai 2011
waren die Wohnungen in Deutschland u Abb 6  Eigentümerquote nach Baualtersklassen 2011 — in Prozent
durchschnittlich 91 Quadratmeter groß.
Während es in den westlichen Flächen-
ländern 96 Quadratmeter waren, lagen 44
41
die östlichen Länder mit 79 Quadratme- Deutschland 52
49
tern und die Stadtstaaten mit 74 Quad- 67
ratmetern deutlich darunter. Wohnun-
gen, die von E ­ igentümerinnen und Ei- 47
Flächenländer 46
gentümern bewohnt wurden, waren 60
West
dabei mit deutschlandweit 118 Quadrat- 50
67
metern deutlich größer als Mietwohnun-
gen mit 71 Quadratmetern. Im Osten 48
stand den Eigentümern mit 105 Quadrat- Flächenländer 23
28
metern und den Mietern mit 63 Qua­d­ Ost
48
70
ratmetern deutlich weniger Platz zur
­Ver­f ügung. Ebenso war es in den Stadt-
18
staaten. Hier le­b ten Eigentümer auf 19
durchschnittlich 108 Quadratmetern und Stadtstaaten 22
28
Mieter auf 66 Quadratmetern. u Tab 2 58

Wie groß sind die »eigenen vier Wän-


de«? Mehr als ein Drittel (37 %) der von Ei-
vor 1949
gentümerinnen und Eigentümern bewohn-
1949 –1978
ten Wohnungen waren 80 bis 119 Quadrat- 1979 –1990
meter groß und knapp ein Drittel (31 %) 1991–2000
120 bis 159 Quadratmeter. Über 160 und 2001 und später
mehr Quadratmeter verfügten 15 % aller
Eigentümerwohnungen. Nur 17 % der von
Eigentümern bewohnten Wohnungen wa-
ren kleiner als 80 Quadrat­meter.
Bei den Mietwohnungen waren 8 % eine Größe von 120 Quadratmetern oder von der Baualtersklasse immer knapp
unter 40 Quadratmeter, fast zwei Drittel mehr. u Abb 9 zwei Drittel der Wohnungen im größen-
(62 %) 40 bis 79 Quadratmeter und ein Wohnungen neueren Datums sind mäßigen »Mittelfeld« zwischen 60 Quad-
Viertel (24 %) 80 bis 119 Quadratmeter insgesamt größer als Wohnungen aus äl- ratmetern und 139 Quadratmetern lagen,
groß. Nur 6 % der Mietwohnungen hatten teren Baujahren. Während unabhängig hat sich das Verhältnis von eher kleinen

263
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

u Abb 7  Leerstandsquote nach Bundesländern 2011 — in Prozent und sehr großen Wohnungen verschoben.
Fast jede dritte Wohnung (29 %), die seit
2001 gebaut wurde, war 140 oder mehr
Sachsen 9,8
Quadratmeter groß. Dagegen hatte nur
Sachsen-Anhalt 9,4 jede zehnte eine Größe von unter 60 Qua-
Thüringen 6,8 dratmetern. Noch in den 1990er-Jahren
war jede fünfte (18 %) der neu gebauten
Mecklenburg-Vorpommern 6,2
Wohnungen unter 60 Quadratmeter
Saarland 5,7 groß. u Abb 10
Brandenburg 5,6
9.1.2 Wohnsituation von
Rheinland-Pfalz 4,3
Privathaushalten
Baden-Württemberg 4,1 In Deutschland gab es im Mai 2011 rund
Hessen 3,7 37,6 Millionen Privathaushalte. Den häu-
figsten Haushaltstyp stellten dabei die
Bayern 3,7
­A lleinlebenden (Einpersonenhaushalte  /
Nordrhein-Westfalen 3,6 Singlehaushalte) mit einem Anteil von
Niedersachsen 3,6 37 %. In knapp einem Fünftel der Haushal-
te (19 %) lebten minderjährige Kinder. Paa-
Bremen 3,6
re ohne Kind hatten einen Anteil von 26 %.
Berlin 3,5 Von allen Haushalten waren rund 22 % Se-
Schleswig-Holstein 2,7 niorenhaushalte, das heißt alle Personen
Deutschland waren über 65 Jahre oder älter. u Abb 11
Hamburg 1,5
4,4

Eigentümer- und Mieterhaushalte


Die einzelnen Haushaltstypen bilden in
unterschiedlichem Maß Wohneigentum,
u Abb 8  Leerstandsquote nach Wohnungsgrößenklassen 2011 — in Prozent was im Zusammenhang mit dem Alter der
Haushaltsmitglieder, der Haushaltsgröße
13,6 und den finanziellen Möglichkeiten steht.
So lebten 58 % der Paare mit mindestens
9,9 einem Kind in den eigenen vier Wänden.
8,3
Auch die Mehrheit der Paare ohne Kind
7,3 (54 %) lebte im selbst genutzten Eigentum.
5,9
5,1 5,3
4,8
Am geringsten war der Eigentümeranteil
3,7 3,4 unter den Alleinerziehenden-Haushalten
3,0
2,8 2,9
1,9 1,7 2,2 (23 %). Mehr als drei Viertel dieser Haus-
halte (77 %) lebten bundesweit zur Miete.
Deutschland Flächenländer West Flächenländer Ost Stadtstaaten
Dabei zeigten sich – wie auch bei den
Wohnungsgrößenklassen von ... bis ... m 2
Eigentümeranteilen insgesamt – klare Un-
terschiede zwischen den Flächenländern
unter 40 40 –79 80 –119 120 und mehr
und den drei Stadtstaaten. Besonders deut-
lich wird dies bei den Paaren mit mindes-
tens einem Kind. Der Anteil dieser Haus-
u Tab 2  Durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung 2011 — in Quadratmetern halte, die in den westdeutschen Flächenlän-
Vom Eigentümer Zu Wohnzwecken dern im eigenen Haus oder in der eigenen
Alle Wohnungen
bewohnt vermietet1 Wohnung lebten, war mit 61 % mehr als
Deutschland 91 118 71 doppelt so hoch wie in Hamburg, Bremen
 Flächenländer West 96 120 74 und Berlin (30 %). In den Stadtstaaten
 Flächenländer Ost 79 105 63 wohnten außerdem mit 89 % (noch) mehr
 Stadtstaaten 74 108 66 Alleinerziehende in einer Mietwohnung
1  Auch mietfrei. als im Bundesdurchschnitt (77 %). u Tab 3

264
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

Unter den Seniorenhaushalten war der uAbb 9  Wohnungen nach Wohnfläche und Art der Wohnungsnutzung 2011
Eigentümeranteil etwas höher als unter — Anteil in Prozent
den Haushalten mit ausschließlich jünge-
ren Personen. Er lag bundesweit bei 48 %, 1
im Vergleich zu 41 % bei den Haushalten vom 16
ohne Seniorinnen und Senioren. Dieses Eigentümer 37
bewohnt 31
Verhältnis zeigt sich auch im regionalen 15
Vergleich, außer bei den ostdeutschen Flä-
chenländern. Hier lag der Anteil der Seni- 8
zu Wohn- 62
orenhaushalte, die in den eigenen vier zwecken 24
Wänden lebten, mit 33 % unter dem der vermietet¹ 5
jüngeren Haushalte (39 %). Ein Erklä- 1

rungsansatz dafür ist die viel niedrigere


Eigentümerquote in den neuen Ländern Wohnfläche von ... bis ... m 2
und Berlin-Ost zum Zeitpunkt der deut- unter 40 40 – 79 80 –119 120 –159 160 und mehr
schen Vereinigung, weil in der ehemaligen 1  Auch mietfrei.

DDR die Bildung privaten Wohneigen-


tums die Ausnahme war. Viele Personen
in den heutigen Seniorenhaushalten wa-
ren damals bereits in einem Lebensab- u Abb 10  Wohnungen nach Baualtersklassen und Wohnfläche 2011 — Anteil in Prozent
schnitt, in dem seltener Eigentum gebildet
wird. Die Bereitschaft beziehungsweise
Möglichkeit eine Immobilie zu erwerben, Vor 1949 24 65 11

war daher geringer als unter den Haushal-


ten mit jüngeren Personen, die erst in den 1949 – 1978 26 64 10

letzten 20 Jahren gegründet wurden. Dies


wird auch deutlich, wenn man die Eigen- 1979 – 1990 21 63 17
tümeranteile der jüngeren Haushalte zwi-
schen Ost (39 %) und West (44 %) ver- 1991 – 2000 18 65 17
gleicht. Hier war der Unterschied deutlich
geringer als bei den Seniorenhaushalten 2001 und später 10 62 29
(Ost: 33 %; West: 54 %). u Abb 12
Mietwohnungen befinden sich häufi-
Wohnfläche von ... bis ... m2
ger in größeren Gebäuden, vom Eigen­
unter 60 60 –139 140 und mehr
tümer bewohnte Wohnungen sind hin­
gegen öfter in Gebäuden mit ein oder
zwei Wohnungen zu finden (siehe auch
Tabelle  1). Daher wohnte die Mehrheit
u Abb 11  Haushalte nach ausgewählten Haushaltstypen 2011 — Anteil in Prozent
der Eigentümerhaushalte (80 %) in einem
Ein- oder Zweifamilienhaus. Dies traf
Paare mit
auch auf 19 % der Haushalte zu, die zur Kind(ern) unter 15
Miete wohnten. Unter den Alleinleben- 18 Jahren

den, die in den eigenen vier Wänden 26


Paare ohne Kind
wohnten, lebten fast zwei Drittel (64 %)
in einem Ein- oder Zwei­familienhaus. Alleinerziehende
mit Kind(ern) 4
­A llerdings wohnten mit 36 % überdurch- unter 18 Jahren
schnittlich viele der Singles in einer
E igentumswohnung in Mehrfamilien-
­ Alleinlebende 37

häusern. Ähnlich ist es bei den Alleiner-


Sonstige
ziehenden. Auch in dieser Haushaltsform Haushalte
18

lebte im Vergleich zu den Haushalten ins-


gesamt mit 26 % ein größerer Anteil der

265
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

Haushalte im Eigentum in einem Mehrfa- u Tab 3  Eigentümer- und Mieterhaushalte nach Haushaltstyp 2011 — Anteil in Prozent
milienhaus. Paare mit mindestens ­einem Eigentümer- Mieter-
Kind lebten hingegen überdurchschnitt- haushalte haushalte
lich oft in Ein- oder Zweifamilienhäusern. Deutschland
Dies traf auf 87 % dieser Haushalte im Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 58 42
Eigentum und immerhin noch auf 29 %, Paare ohne Kind 1 54 46
die zur Miete lebten, zu. Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 23 77
Unter den Seniorenhaushalten lebten Alleinlebende 28 73
22 % der Eigentümerhaushalte in einer
Flächenländer West
Eigentumswohnung in einem Mehrfami- Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 61 39
lienhaus. Ihr Anteil ist damit etwas höher Paare ohne Kind 1 58 42
als unter den Haushalten insgesamt Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 26 74
(20 %). u Tab 4 Alleinlebende 31 69
Flächenländer Ost
Wohnfläche pro Person Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 54 46
Ein weiteres wichtiges Merkmal für die Paare ohne Kind 1 48 52
Wohnsituation ist die durchschnittliche Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 17 83
Wohnf läche, die jeder Person zur Ver­ Alleinlebende 19 81
fügung steht. Sie betrug am 9. Mai 2011 Stadtstaaten
in Deutschland 43 Quadratmeter. Die Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 30 71
durchschnittliche Wohnfläche pro Person Paare ohne Kind 1 29 71
war im selbst genutzten Eigentum mit Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 11 89
47 Quadratmetern deutlich größer als in Alleinlebende 12 88
Mietwohnungen (38 Quadratmeter).
1  Ohne Haushalte mit sonstigen Personen.
Die durchschnittlichen Wohnungs-
größen sind in Ost und West sowie in
den drei Stadtstaaten unterschiedlich u Abb 12  Seniorenhaushalte und Haushalte mit ausschließlich jüngeren Personen im
und beeinf lussen natürlich auch die selbst genutzten Eigentum 2011 — Anteil in Prozent
durchschnittliche Wohnfläche pro Per-
son. Eine Analyse nach Bundesländern
zeigt, dass die größte Wohnfläche pro 48
Deutschland
41
Kopf den Menschen im Südwesten
Deutschlands (Saarland: 48  Quadratme- Flächenländer 54
West 44
ter und Rheinland-Pfalz: 47 Quadratme-
ter) zur Verfügung stand. Am geringsten Flächenländer 33
Ost 39
war die durchschnittliche Wohnf läche
pro Person in Sachsen mit 38 Quadrat- 26
Stadtstaaten
metern. Der Unterschied betrug immer- 17

hin 10 Quadratmeter gegenüber dem


Saarland. u Abb 13 Seniorenhaushalte1 jüngere Haushalte 2
Die durchschnittliche Wohnf läche,
1  Alle Personen 65 Jahre oder älter.
die Personen je nach Haushaltstyp zur 2  Alle Personen unter 65 Jahren.

Verfügung hatten, hing stark von der An-


zahl der Personen im Haushalt ab. Je grö-
ßer die Anzahl der Personen im Haushalt,
desto geringer war die durchschnittliche
Wohnfläche pro Kopf. r­innen und Mietern waren es lediglich Wohn­fläche pro Person konnten Haushalte
Alleinlebende wohnten durchschnitt- 59 Quadratmeter. Zum Vergleich: Paare von ­A lleinerziehenden etwas mehr Wohn-
lich auf 70 Quadratmetern. Dabei standen mit Kind(ern) wohnten durchschnittlich fläche nutzen (im Eigentum: 44  Quadrat-
den Singles, die im selbst genutzten auf 30 Quadratmetern pro Person (im Ei- meter, in Miete: 30 Quadratmeter). u Tab 5
­Eigentum lebten, durchschnittlich 97 Qua- gentum: 34 Quadratmeter und zur Miete: Senioren wohnten in etwas größeren
dratmeter zur Verfügung. Bei Miete­ - 24 Quadratmeter). Mit 34 Quadratmetern Wohnungen als Haushalte mit ausschließ-

266
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

uTab 4  Eigentümer- und Mieterhaushalte nach Haushaltstyp und des Jahres 2010 (siehe Info 1). Dabei wur-
Gebäudegrößenklasse 2011 — Anteil in Prozent den ausschließlich Gebäude mit Wohn-
Eigentümerhaushalte in Mieterhaushalte
raum in die Analysen einbezogen. Wohn-
Gebäuden mit ... in Gebäuden mit ... heime wurden nicht berücksichtigt. Aus
1 oder 2 3 oder mehr 1 oder 2 3 oder mehr Qualitätsgründen beschränken sich die
Wohnungen Analysen zudem nur auf jene Wohnun-
Haushalte insgesamt 80 20 19 81 gen, in denen ein einziger Mieterhaushalt
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren1 87 13 29 71 wohnt.
Paare ohne Kind 1 80 20 22 78 Im Jahr 2010 waren laut Mikrozensus
Alleinerziehende mit Kind(ern) 54 % aller Wohnungen in Deutschland
74 26 17 83
unter 18 Jahren1 vermietet. Die soziale Lage der einzelnen
Alleinlebende 64 36 14 86 Mieterhaushalte wird dabei vor allem von
Seniorenhaushalte 2 78 22 21 79 der Höhe der regelmäßig anfallenden
1 Ohne Haushalte mit sonstigen Personen. Mietausgaben beeinflusst. Daneben spielt
2 Alle Personen 65 Jahre oder älter.
auch eine Rolle, in welchem Verhältnis
die Miethöhe zu sonstigen Wohnungs­
uAbb 13  Durchschnittliche Wohnfläche je Person nach Bundesländern 2011 eigenschaften wie Größe, Alter und Aus-
— in Quadratmetern stattung der Wohnung steht.
Mieterhaushalte in Deutschland zahl-
ten eine Bruttokaltmiete von durch-
Saarland 48 schnittlich 440 Euro. Die Bruttokaltmiete
Rheinland-Pfalz 47
setzt sich aus der Nettokaltmiete (Grund-
miete) und den sogenannten kalten Ne-
Niedersachen 46
benkosten (zum Beispiel Abwasser, Müll-
Hessen 44 abfuhr oder Ähnliches) zusammen. Die
Bayern 44
warmen Nebenkosten (Kosten für Hei-
zung und Warmwasser) bleiben bei der
Schleswig-Holstein 44
Bruttokaltmiete unberücksichtigt.
Baden-Württemberg 43 Auch 20 Jahre nach der deutschen Ver-
Nordrhein-Westfalen 42
einigung bestanden noch immer deutliche
Preisunterschiede zwischen dem Woh-
Bremen 41
nungsmarkt des früheren Bundesgebiets
Brandenburg 41 und dem der neuen Länder. Die ehemalige
Sachsen-Anhalt
DDR verfügte über einen großen Bestand
40
an Mietwohnungen mit vergleichsweise
Berlin 39
geringen Mieten. Daher verwundert es
Thüringen 39 nicht, dass im Jahr 2010 in den ostdeut-
Mecklenburg-Vorpommern
schen Flächenländern die durchschnitt­
39
lichen Mieten mit 345 Euro am niedrigs-
Hamburg 39
ten waren. Stadtstaaten (460  Euro) und
Deutschland
Sachsen 38 43
westdeutsche Flächenländer (463  Euro)
unterschieden sich kaum.

Mietbelastung
Mieterhaushalte in Deutschland wende-
ten im Durchschnitt zwischen 25 % und
lich jüngeren Personen. Ihnen standen 9.1.3 Miete und Mietbelastung 31 % ihres verfügbaren Nettoeinkom-
durchschnittlich 60 Quadratmeter Wohn- Die Zensusdaten enthalten keine Aussa- mens für die Bruttokaltmiete auf. Dabei
f läche pro Person zur Verfügung. Bei gen zur Miete und zur Mietbelastung. schwankten die Mietbelastungsquoten
Haushalten ohne Seniorinnen und Senio- Daher stammen die Ergebnisse dieses regional weniger stark als man aufgrund
ren waren es pro Kopf lediglich 40 Quad- Abschnitts aus der vierjährigen Mikrozen- der Höhe der Bruttokaltmieten anneh-
ratmeter. u Abb 14 sus-Zusatzerhebung zur Wohnsituation men würde. Dies liegt daran, dass nicht

267
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

uTab 5  Durchschnittliche Wohnfläche je Person nach Haushaltstyp 2011 nur die Bruttokaltmieten, sondern auch
— in Quadratmetern die verfügbaren Nettoeinkommen re­gional
Eigentümer­ Mieter-
variieren. Am höchsten waren die Miet-
Insgesamt
haushalte haushalte belastungsquoten in den Stadtstaaten:
Deutschland insgesamt 43 47 38 Hier waren die Bruttokaltmieten hoch
und gleichzeitig lag das verfügbare Netto-
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 30 34 24
einkommen monatlich um 300 Euro un-
Paare ohne Kind  1
49 57 39
ter dem Durchschnitt des früheren Bun-
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 34 44 30 desgebiets. u Info 3, Tab 6
Alleinlebende 70 97 59 Der Zusammenhang zwischen den
Flächenländer West zusammen 44 48 39
Mietbelastungsquoten und dem verfüg­
baren Haushaltsnettoeinkommen ist stark
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren  1
31 35 25
ausgeprägt: Die Belastungsquoten lagen in
Paare ohne Kind 1 51 59 40 der untersten Einkommensklasse (unter
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 35 45 31 700 Euro) bei 49 % und sanken mit steigen-
Alleinlebende 73 99 61 dem Einkommen kontinuierlich bis auf
10 % (Einkommensklasse ab 7 500  Euro).
Flächenländer Ost zusammen 39 43 36
Die Differenz zwischen diesen beiden Wer-
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 29 33 23
ten (39 Prozentpunkte) war weitaus größer
Paare ohne Kind 1 42 51 34 als alle aus Tabelle 6 ersichtlichen regiona-
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1
31 43 28 len Unterschiede. Die durchschnittliche
Alleinlebende 60 88 54
Mietbelastungsquote in Deutschland ent-
sprach dem Wert, der auf Haushalte mit
Stadtstaaten zusammen 40 47 37
einem Nettoeinkommen von monatlich
Paare mit Kind(ern) unter 18 Jahren  1
26 33 23 1 300 bis unter 1 500 Euro entfiel. Die mit
Paare ohne Kind  1
42 54 37 steigendem Einkommen sinkenden Be­
Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18 Jahren 1 30 42 29 lastungsquoten dürften vor allem die Fol-
ge der geringen sogenannten Einkom-
Alleinlebende 60 88 56
menselastizität der Mietausgaben sein, das
1 Ohne Haushalte mit sonstigen Personen. heißt die Mietausgaben schwanken gerin-
ger als die Einkommen – in beide Rich-
tungen. Einschränkend ist zu berücksich-
uAbb 14  Durchschnittliche Wohnfläche je Person von Seniorenhaushalten und tigen, dass es in den oberen Einkom-
Haushalten mit ausschließlich jüngeren Personen 2011 — in Quadratmetern mensklassen nur wenige Mieterhaushalte
gab, weil die Wohneigentumsquote mit
dem Einkommen ansteigt. u Abb 15
Haushalte 60 Auch die Unterschiede der Mietbelas-
insgesamt 40 tungsquoten nach der Haushaltsgröße wa-
ren stärker ausgeprägt als die regionalen
78 Abweichungen. Die Quoten von Mehrper-
1 Person
65
sonenhaushalten lagen durchweg um 8 bis
49
9 Prozentpunkte unter jenen alleinleben-
2 Personen
46 der Frauen. Die regionalen Abweichungen
zwischen Haushalten gleichen Typs betru-
3 und mehr 35 gen dagegen höchstens 3 Prozentpunkte.
Personen 31
Auf die deutlichen Unterschiede nach
Haushaltsgröße und -typ wirken sich ver-
Seniorenhaushalte1
schiedene Größen aus; die Höhe des Ein-
jüngere Haushalte2
kommens ist dabei ebenso wichtig wie die
Bruttokaltmiete, die ihrerseits von der
1 Alle Personen 65 Jahre oder älter.
2 Alle Personen unter 65 Jahren. Quadratmetermiete und der Wohnungs-
größe abhängt. u Abb 16

268
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

Die Komplexität der Zusammenhän- u Info 3

ge wird jedoch erst deutlich, wenn alle Mietbelastungsquoten


Merkmale betrachtet und dabei die Ein- Die Mieten sind ein wichtiger Bestandteil in den Konsumausgaben der Mieterhaushalte; je höher
personenhaushalte weiter untergliedert die Mietausgaben umso geringer ist der finanzielle Spielraum für den sonstigen Konsum. Die Miet-
belastungsquote drückt aus, welcher Anteil des verfügbaren Haushaltseinkommens für die Kosten
werden. Das durchschnittliche verfügba- des Wohnens aufgewendet wird und somit nicht für sonstigen Konsum zur Verfügung steht.
re Einkommen von Mehrpersonenhaus- ­Ü blicherweise wird sie berechnet, indem die Bruttokaltmiete auf das verfügbare Haushaltsnetto­
halten (2 471 Euro) lag um 78 % über dem einkommen bezogen wird. Die Bruttokaltmiete gilt als geeigneter Indikator zur Beurteilung der
Wohnkosten, weil der Vergleich nicht durch die Aufwendungen für Heizung oder Strom verzerrt
von Einpersonenhaushalten (1 386 Euro), wird, deren Höhe nicht nur vom individuellen Verbrauchsverhalten, sondern auch von der verwen­
die Bruttokaltmiete (536 Euro) um 40 % deten Energieform oder von den Verhältnissen auf dem Energieanbietermarkt abhängt.
über dem Vergleichswert von Einperso-
Das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen liegt im Mikrozensus nur nach Einkommensklassen vor.
nenhaushalten (384 Euro). Dies ist sicher Für die Berechnung der zutreffenden Mietbelastungsquoten ist zu berücksichtigen, dass nicht
auch darauf zurückzuführen, dass in ­b ekannt ist, wo genau innerhalb der Einkommensklasse das Haushaltseinkommen liegt. Deshalb
werden die Mietbelastungsquoten aus dem Mikrozensus durch die Bandbreite zwischen dem Mini-
Mehrpersonenhaushalten auf jedes Haus-
mum und dem Maximum dargestellt. Bei der minimalen Mietbelastungsquote wird die Brutto­
haltsmitglied weniger als 35 Quadratme- kaltmiete auf die obere Grenze der Einkommensklasse bezogen, bei der maximalen Mietbelastungs-
ter Wohnf läche entfiel, während ein quote auf die untere Grenze. Bei der häufig verwendeten mittleren Mietbelastungsquote wird die
Klassenmitte der Einkommensklasse herangezogen. In Tabelle 6 und in Abbildung 15 sind die drei
Einper­sonenhaushalt über 57 Quadrat- charakteristischen Werte nebeneinander dargestellt. Die weiteren Abbildungen ­basieren mit Blick
meter Wohnfläche verfügen konnte. u Tab 7 auf eine bessere Lesbarkeit nur noch auf der durchschnittlichen mittleren Miet­b elastungs­q uote.
Die Unterschiede werden noch größer,
wenn Einpersonenhaushalte nach dem
Geschlecht unterschieden werden. Allein­
u Tab 6  Durchschnittliche Mietbelastungsquoten der Haushalte 2010 — in Prozent
lebende Männer verfügten über 17 %
mehr Einkommen als alleinlebende Frau- Flächenländer Flächenländer
Deutschland Stadtstaaten
West Ost
en (1 501 Euro gegenüber 1 285 Euro), sie
Minimale Miet­
zahlten aber 5 % weniger Miete als diese 25,4 25,8 23,6 26,6
belastungsquote
(374 Euro gegenüber 393 Euro), weil ihre Mittlere Miet­
27,9 28,2 26,1 29,0
Wohnungen um 7 % kleiner waren (55 ge- belastungsquote

genüber 59 Quadratmetern). Maximale Miet­


30,9 31,2 29,3 32,1
belastungsquote
Eine mögliche Ursache dafür wird
erkennbar, wenn die Angaben für allein­
lebende Frauen weiter nach deren Alter uTab 7  Durchschnittliche Bruttokaltmiete, Haushaltsnettoeinkommen und
untergliedert werden. Das verfügbare Wohnfläche nach Haushaltsgröße 2010
Einkommen von über 65-jährigen allein­ Haushaltsnetto­
Bruttokaltmiete Wohnfläche
lebenden Frauen lag um 15 % unter dem einkommen
Durchschnitt der Einpersonenhaushalte, in Euro in Quadratmetern
ihre Bruttokaltmiete jedoch um 2 % dar- Mehrpersonenhaushalte 536 2 471 81
über – vor allem weil sie in Wohnungen Alleinlebende insgesamt 384 1 386 57
lebten, die mit 63 Quadratmeter um 10 %  alleinlebende Männer 374 1 501 55
größer waren als die durchschnittliche  alleinlebende Frauen 393 1 285 59
Wohnfläche von 57 Quadratmeter, die bei  b is einschließlich 65 Jahre
 395 1 382 57
den Einpersonenhaushalten insgesamt  66 Jahre und älter 391 1 183 63
beobachtet wurde.
Die hohen Mietbelastungsquoten von
alleinlebenden Frauen entstanden durch
den großen Anteil älterer alleinlebender
Frauen. Die hohen Belastungen dürften hatte – auch wenn es ökonomisch belas- henden oder Paaren mit Kind(ern) unter
nicht zuletzt auf der Entscheidung der tend ist. 18 Jahren – von denen solcher Haushalte
Betroffenen beruhen, trotz gesunkener Auch bei den Mehrpersonenhaushalten unterscheiden, in denen kein Kind lebt.
Einkommen in Form einer Witwenrente unterschieden sich die Mietbelastungsquo- In Abbildung 17 sind die Mietbelas-
in jener Wohnung zu bleiben, in der man ten in Abhängigkeit von der Zusammen- tungsquoten für verschiedene Lebensfor-
zuvor gemeinsam mit dem Ehepartner setzung der Haushalte. Dabei ist vor allem men im Jahr 2010 im regionalen Ver-
beziehungsweise den Kindern und mit interessant, ob sich die Belastungsquoten gleich dargestellt. Auch hier lagen die
einem höheren Einkommen gewohnt von Familien – das heißt von Alleinerzie- Allein­lebenden – das Äquivalent zu den

269
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

u Abb 15  Durchschnittliche Mietbelastungsquote in Deutschland um rund 10 Prozentpunkte höher als die
nach Haushaltsnettoeinkommensgruppen 2010 ­— in Prozent von Paaren mit Kind(ern). Der Unter-
schied der Mietbelastung von Paaren
70 oder Alleinlebenden jeweils ohne Kind
oder mit Kind(ern) machte dagegen nur 1
60 bis 2 Prozentpunkte aus.
Auch hier lassen sich die zugrunde
50 liegenden Ursachen nur dann finden,
wenn alle potenziellen Einflussfaktoren –
40 Einkommen, Wohnungsgröße und Qua-
dratmetermiete – miteinander verglichen
30 werden.
Das verfügbare Einkommen von Paa-
20 ren mit Kind(ern) lag um 79 % über dem
von Alleinerziehenden, ihre Bruttokaltmie-
10 te um 27 % und die Quadratmetermiete um
5 % darüber. Die Wohnungen von Paaren
0 mit Kind(ern) waren 21 % größer als jene
unter 700 – 900 – 1 100 – 1 300 – 1 500 – 2 000 – 3 200 – 4 500 – 6 000 – 7 500
700 900 1 100 1 300 1 500 2 000 3 200 4 500 6 000 7 500 und
von Alleinerziehenden. Paare mit Kind(ern)
mehr verfügten über 12 % mehr Einkommen als
Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
Paare ohne Kind, ihre Bruttokaltmiete
maximale Miet- mittlere Miet- minimale Miet- war um 20 % höher und die Quadratme-
belastungsquote belastungsquote belastungsquote
termiete bei beiden Haushaltstypen gleich.
Die Wohnungen von Paaren mit Kind(ern)
waren aber im Durchschnitt um 19 % grö-
u Abb 16  Durchschnittliche Mietbelastungsquote nach Anzahl der Personen ßer als jene von Paaren ohne Kind. u Tab 8
im Haushalt 2010 — in Prozent Durch die unterschiedlichen Brutto-
kaltmieten und Einkommen ergibt sich
eine größere Mietbelastungsquote von
33,2
Deutschland 29,9
Paaren mit Kind(ern). Die Mietbelastungs-
24,0 quote von Alleinerziehenden überstieg die
33,9
von Alleinlebenden vor allem aufgrund der
Flächenländer West 29,4 um 33 % größeren Wohnfläche, und auf-
24,5 grund der Tatsache, dass ihre Bruttokalt-
30,8 miete um 26 %, ihr Einkommen aber nur
Flächenländer Ost 29,7 um 14 % über dem der Alleinlebenden lag.
21,8
Die Bruttokaltmiete in Familien war so-
33,4 mit höher als in Haushalten ohne Kind.
Stadtstaaten 31,8
24,5
Allerdings können die Unterschiede bei
Einkommen und Miete zwischen beiden
Lebensformen nicht der alleinige Auslöser
1 Person, weiblich 1 Person, männlich 2 und mehr Personen
deutlich abweichender Mietbelastungs-
quoten sein, da sich diese Größen und die
Abweichungen vergleichbar entwickeln.

Miethöhe
Einpersonenhaushalten von Männern Bei den Mehrpersonenhaushalten Seit 1. Juni 2015 gilt in einigen Regionen
und Frauen aus Abbildung 16 – auf ei- wurde die Mietbelastungsquote aber ins- die Mietpreisbremse. Es wird vielfach
nem vorderen Platz. Die höchste Miet­ gesamt deutlich weniger vom Vorhan- kontrovers diskutiert, welche Faktoren
belastungsquote entfiel aber auf die densein von Kindern beeinflusst als von den größten Einfluss auf die Unterschiede
Allein­e rziehenden und damit auf eine der Zahl der Erwachsenen im Haushalt. bei der durchschnittlichen Bruttokaltmiete
Form der Mehrpersonenhaushalte. u Abb 17 Die Mietbelastung Alleinerziehender war haben. In Tabelle 9 sind zwei potenzielle

270
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

Einf lussfaktoren gegenübergestellt: das u Abb 17  Durchschnittliche Mietbelastungsquote nach Haushaltstyp 2010 — in Prozent
regionale Mietniveau und die Mietdauer.
Beide Faktoren beeinflussten die Miet-
höhe in der erwarteten Weise: Die Brutto- 23,4
22,3
kaltmiete sank mit der Mietdauer; bei Deutschland
33,0
neuen Mietverträgen galt eine höhere 31,6

Quadratmetermiete als bei Altverträgen. 23,7


Unabhängig von der Mietdauer lag die Flächenländer West
23,0
33,6
Quadratmetermiete in Stadtstaaten über 31,8
der in den westlichen Flächenländern
21,2
und diese wiederum über der in den öst-
20,3
lichen Flächenländern. Flächenländer Ost
30,4
Bei genauerer Analyse zeigt sich, dass 30,3

die regionalen Unterschiede einen größe- 24,4


ren Einfluss hatten als die Mietdauer. So Stadtstaaten
22,3
33,6
lag die Quadratmetermiete in den Stadt- 32,6
staaten je nach Mietdauer um 24 % bis
33 % über der Quadratmetermiete in den Paare mit Kind(ern) unter 18 Alleinerziehende mit Kind(ern) unter 18
ostdeutschen Flächenländern. Demge- Paare ohne Kind Alleinlebende
genüber überstieg die Quadratmetermie-
te von neuen Verträgen (Mietdauer unter
3 Jahren) die von Altverträgen (Mietdau-
uTab 8  Durchschnittliche Bruttokaltmiete, Haushaltsnettoeinkommen und
er über 20 Jahre) um 10 % bis 18 %. Auch
Wohnungsgröße nach Haushaltstyp 2010
hier waren die Abweichungen in den
Haushaltsnetto­
Stadtstaaten am größten (18 %) und die in Bruttokaltmiete
einkommen
Wohnfläche
den östlichen Flächenländern am ge- in Euro in Quadratmetern
ringsten (10 %). u Tab 9 Paare mit Kind(ern)
615 2 819 92
Einkommensschwächere Haushalte er- unter 18 Jahren

halten nach den Vorschriften des Wohn- Paare ohne Kind 514 2 525 77
Alleinerziehende mit
geldgesetzes Wohngeld, damit sie die Kos- Kind(ern) unter 18 Jahren
483 1 576 76
ten für angemessenen und familiengerech- Alleinlebende 384 1 388 57
ten Wohnraum tragen können. Angaben
hierzu enthält Kapitel 10.4.3, Seite 325.
u Tab 9  Durchschnittliche Bruttokaltmiete je Quadratmeter — in Euro
Flächenländer Flächenländer
9.1.4 Subjektive Belastungen Deutschland
West Ost
Stadtstaaten
Neben Erhebungen, die objektiv messba- Insgesamt 6,50 6,64 5,61 7,13
re Größen wie zum Beispiel den Anteil Mietdauer von …
der Bruttokaltmiete am Nettoeinkom- bis unter … Jahren
men der Haushalte ermitteln, gibt es auch unter 3 6,92 7,06 5,81 7,75
Erhebungen, in denen die Haushalte nach 3 – 12 6,67 6,82 5,73 7,30
ihrer subjektiven Einschätzung der 12 – 20 6,33 6,45 5,57 6,98
Wohnkostenbelastung und nach Proble- 20 und mehr 5,94 6,01 5,28 6,57
men mit der Wohnsituation befragt wer-
den. Dazu zählt die europaweit vergleich-
bare Erhebung EU-SILC.

Wohnkostenbelastung eine »gewisse Belastung« und eine »große tung und weitere 17 % sahen sogar eine
Die an der Stichprobe teilnehmenden Belastung« gibt. große Belastung für den Haushalt. Dabei
Haushalte werden nach ihrer Einschät- Für mehr als ein Viertel der Haushal- gibt es in allen Einkommensschichten
zung zur empfundenen Belastung durch te (27 %) waren die Wohnkosten im Jahr ­einen beachtlichen Anteil an Haushalten,
die Wohnkosten befragt, wobei es die 2014 keine Belastung. Für 57 % waren die die über eine Belastung durch die Wohn-
Antwortmöglichkeiten »keine Belastung«, Wohnkosten dagegen eine gewisse Belas- kosten klagen. Erwartungsgemäß ist die-

271
9 /  Wohnen  9.1 / Wohnsituation und Mietkosten

ser Anteil umso höher je geringer das


Einkommen des Haushalts ist. So sahen
Umweltverschmutzung im Wohnumfeld
in der untersten Einkommensklasse 27 %
im europäischen Vergleich
der Haushalte in den Wohnkosten eine
Der Aussage »es gibt Verschmutzung, höher. Der Durchschnitt über die ge-
große Belastung, in der obersten Ein-
Ruß oder andere Umweltbelastungen samte EU-Bevölkerung ist deutlich
kommensklasse traf dies dagegen nur auf
durch Industrie, Straßen- oder Flugver­ niedriger (14 %). In Irland waren es so-
knapp 9 % zu. u Abb 18
kehr in unserem Wohnviertel / in der gar nur knapp 5 %, die dieser Aussage
näheren Umgebung« stimmten im zustimmten. Auch in den an Deutsch-
Belastungen im Zusammenhang mit
Jahr 2014 in Deutschland knapp ein land angrenzenden Nachbarstaaten
Wohnung und Wohnumfeld
Viertel der Privathaushalte zu. Bezo- wird die Umweltverschmutzung im ei-
Neben den Wohnkosten können auch
gen auf die Gesamtbevölkerung (das genen Wohnumfeld insgesamt deut-
Probleme im Zusammenhang mit der heißt Personen statt Haushalte) hatten lich geringer eingeschätzt: In Frank-
Wohnung und dem Wohnumfeld den damit knapp 23 % der Bevölkerung reich, Luxemburg, Belgien, den Nie-
Haushalt belasten. Im Jahr 2014 gab mehr ein Problem mit Umweltverschmut- derlanden, Österreich, Polen und der
als ein Viertel der Haushalte (27 %) den zung im Wohnumfeld. Auf der europä­ Tschechischen Republik betrug der
Lärm in ihrem Wohnumfeld als belas- ischen Ebene ist der Anteil dieser Anteil dieser Gruppe in der Bevölke-
tend an. Knapp ein Viertel (24 %) bejahte Gruppe in der Bevölkerung nur in rung im Jahr 2014 zwischen 10 % und
die Frage nach Umweltverschmutzung Griechenland (23 %) und Malta (38 %) 16 %; in Dänemark sogar nur 7 %.
oder -belastung in ihrem Wohnumfeld.
Ein Problem mit Kriminalität, Gewalt
und Vandalismus im Wohnumfeld gaben
knapp 14 % der Haushalte an. Im Hin-
blick auf die Bausubstanz und die Lebens- u Abb 18  Wohnkostenbelastung privater Haushalte
qualität in der Wohnung beziehungs­ nach dem Haushaltsnettoeinkommen 2014 — in Prozent
weise im Haus gaben 12 % Probleme mit
Feuchtigkeitsschäden an und knapp 5 %
meinten, ihre Wohnung beziehungsweise Haushalte
26,9 56,6 16,5
insgesamt
ihr Haus lasse zu wenig Tageslicht her-
ein. u Tab 10
unter 900 20,6 52,2 27,2
Die Belastungen von Eigentümer- und
Mieterhaushalten unterscheiden sich hier 900 –1 300 21,3 55,8 22,9
erheblich. So hatte im Jahr 2014 jeder
1 300 –2 600 27,8 55,9 16,4
dritte Mieterhaushalt (34 %) aber nur
­jeder fünfte Eigentümerhaushalt (20 %) 2 600 – 3 600 25,4 59,0 15,6

ein Problem mit Lärm im Wohnumfeld. 3 600 und mehr 32,6 58,6 8,8
Über zu wenig Tageslicht klagten 8 % der
Mieter­haushalte, während bei den Eigen- Monatliches keine Belastung eine gewisse Belastung eine große Belastung
Haushaltsnettoeinkommen
tümerhaushalten nur 2 % ein Problem da- von … bis unter … Euro
mit hatten. Auch bei den anderen Belas-
tungen hatten Mieterhaushalte wesentlich Selbsteinschätzung der Haushalte. Nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen des Vorjahres.

häufiger Probleme mit dem Wohnumfeld


oder der Qualität der Wohnung bezie-
hungsweise des Hauses als Eigentümer-
haushalte.
Aus der Perspektive der Besiedlungs-
dichte ergeben sich ebenfalls Unterschiede
zwischen den Haushalten. So gab im Jahr Einwohner) war es dagegen nur noch jeder lastung durch Kriminalität, Gewalt oder
2014 mehr als jeder dritte Haushalt (34 %) vierte Haushalt (25 %) und in dünn besie- Vandalismus im Wohnumfeld nimmt der
aus dicht besiedelten Regionen (mindes- delten Regionen (ländlich) sogar nur Anteil der Haushalte mit solchen Proble-
tens 50 000 Einwohner) an, dass er unter knapp jeder fünfte Haushalt (18 %). Auch men mit sinkender Besiedlungsdichte
Lärmbelästigung leidet. In Regionen mit bei der subjektiven Einschätzung bezüg- deutlich ab. Bei den Haushalten aus dicht
mittlerer Besiedlung (mindestens 5 000 lich der Umweltbelastung und der Be­ besiedelten Regionen teilten 22 % ein Pro-

272
Wohnsituation und Mietkosten  / 9.1  Wohnen / 9

blem mit Kriminalität und ähnlichem im u Tab 10  Belastungen im Zusammenhang mit der Wohnsituation 2014 ­— in Prozent
Wohnumfeld mit, bei den Haushalten aus Es gibt … in der Wohnung/dem Haus Es gibt … im Wohnumfeld
dünn besiedelten Regionen waren es da-
Verschmut-
gegen nur 5 %. Feuchtig­- zung, Ruß Kriminalität,
zu wenig Lärm­be-
Aus der Perspektive der Gesamtzahl keits- oder andere Gewalt oder
Tageslicht lästigung
schäden Umwelt­- Vandalismus
der hier untersuchten Belastungen im belastungen
Zusammenhang mit der Wohnsituation Haushalte insgesamt 12,2 4,9 27,1 23,6 13,8
hatte 2014 die Mehrheit der Haushalte in nach Wohnstatus
Deutschland (56 %) keine der hier ge- im Wohneigentum 7,4 2,0 19,5 17,5 8,3
nannten Probleme mit der Wohnung be- zur Miete 16,5 7,5 34,0 29,1 18,8
ziehungsweise mit dem Haus oder mit nach Besiedlungsdichte
dem Wohnumfeld. Rund 44 % der Haus- in dünner Besiedlungsdichte 12,2 (3,2) 17,8 12,5 5,3
halte hatten dagegen mindestens eine in mittlerer Besiedlungsdichte 11,5 4,0 24,6 20,4 9,7
­B elastung angegeben. Knapp 19 % der in hoher Besiedlungsdichte 12,9 6,6 34,3 32,4 22,2
Haushalte bejahten genau eine der hier
Selbsteinschätzung der Haushalte.
aufgeführten fünf Belastungen. Weitere ( )  Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.

15 % nannten genau zwei Belastungen


und knapp 8 % sogar drei Belastungen.
u Abb 19  Belastungen privater Haushalte im Zusammenhang mit der Wohnsituation
Vier oder fünf Belastungen kamen nur
nach Anzahl der Belastungen 2014 — in Prozent
bei knapp 3 % der Haushalte vor. Insge-
samt leidet also jeder vierte Haushalt
4 oder 5 Belastungen
(25 %) in Deutschland unter Mehrfachbe-
2,5
lastungen bei der Wohnsituation. u Abb 19
Im Hinblick auf die Einkommens­ 3 Belastungen

situation der Haushalte zeigt sich ein be- 7,7


achtlich hoher Anteil von Haushalten in
2 Belastungen
allen Einkommensschichten, die über Be-
14,6
lastungen bei der Wohnsituation klagen.
So bejahte 2014 jeder dritte Haushalt 1 Belastung Keine Belastung
(34 %) aus der höchsten Einkommens- 18,9 56,3
klasse mit einem monatlichen Haushalts-
nettoeinkommen von 3 600  Euro oder Belastung
mehr im Vorjahr mindestens eine Frage 43,7
nach Belastungen bei der Wohnsituation.
Bei den Haushalten mit einem monat­ Selbsteinschätzung der Haushalte.

lichen Haushaltsnettoeinkommen zwi-


schen 2 600 Euro und 3 600 Euro im Vor-
jahr waren es bereits 42 % und bei Haus-
u Abb 20  Durch die Wohnsituation belastete Haushalte 2014 — Anteil in Prozent
halten, die im Vorjahr mit weniger als
monatlich 900  Euro auskommen muss-
ten, waren es 55 % der Haushalte. Ähn- unter 900 54,5
lich wie bei dem Ergebnis zur Belastung
900 –1 300 50,3
durch die Wohnkosten ist auch hier der
Anteil der Haushalte mit mindestens ei- 1 300 – 2 600 44,9
nem Problem im Zusammenhang mit der
2 600 –3 600 42,4
Wohnsituation oder dem Wohnumfeld
3 600 und mehr Haushalte insgesamt
umso höher, je geringer das Einkommen 34,3
43,7
des Haushalts ausfällt. u Abb 20
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen
von ... bis unter … Euro

Selbsteinschätzung der Haushalte. Nach dem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen des Vorjahres.

273
21 %
54 Mill.
Operationen und medizinische ­Pro­ze-
duren wurden 2014 an Patientinnen und
der gesundheitlich beeinträchtigten Patienten durchgeführt.
Personen begaben sich 2013 trotz
ihrer Krankheit nicht in ärztliche
Behandlung.

39 %
der Todesursachen waren
2014 Herz-Kreislauf-
Erkrankungen. Das war
die häufigste Todesur-
22 %
sache in Deutschland.
der gesetzlich Versicherten ver-
fügten 2012 über eine private
Zusatzversicherung. Im Jahr 2000
waren es nur 9,6 %.
10
Gesundheit und
soziale Sicherung
10.1 Gesundheit ist ein wichtiger gesellschaftli-
cher und individueller Wert, der auch
ten, weil sie Grundinformationen liefern
über die Gesundheit der Menschen als
Gesundheits­ Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden Arbeitskräfte, als Patientinnen und Pati-
zustand der umfasst. Die Förderung und der E ­ rhalt
­b enötigen dabei in der Regel geringere
enten und als Konsumenten von entspre-
chenden Produkten und Dienstleistungen.
Be­völkerung Ressourcen aus dem Gesundheitssystem Für die Bevölkerung sind diese Sachver-
und Ressourcen als der Versuch, sie wiederherzustellen.
Eine gute Gesundheit zu erhalten, verlangt
halte von Bedeutung, weil sie über einen
lebensnahen Themenbereich informieren.
der Gesund- vom Einzelnen, seine individuellen Res- Jeder Mensch sollte möglichst viel über
heits­versorgung sourcen zu mobilisieren und Risiken zu
vermeiden. Passendes Verhalten bedeutet
diesen Bereich wissen.
Die Angaben dieses Kapitels stam-
unter anderem, regelmäßig Sport zu trei- men aus gesundheitsbezogenen Erhebun-
Karin Böhm ben oder auf das Rauchen zu verzichten. gen der Statistischen Ämter des Bundes
Aber auch Faktoren außerhalb des Gesund- und der Länder. Dabei handelt es sich
heitswesens spielen eine Rolle, wie die um die Krankenhausstatistik, die fallpau-
Destatis
Reinhaltung der Luft oder Sicherheitsmaß- schalenbezogene Kranken­h ausstatistik
nahmen zur Reduzierung von Unfallfol- (DRG-Statistik), die Statistik schwerbe-
gen im Straßenverkehr. Der Gesundheits- hinderter Menschen, die Pflegestatistik,
zustand der Bevölkerung und die Res- die Todesursachenstatistik, den Mikro-
sourcen ihrer Versorgung stehen folglich zensus und die Statistik der Schwanger-
in einer engen wechselseitigen Beziehung. schaftsabbrüche.
Daten zur Konstitution der Bevölke- Die fallpauschalenbezogene Kranken-
rung und zu den für den Erhalt und die hausstatistik ist im Unterschied zu den
Wiederherstellung eingesetzten Ressour- anderen genannten Erhebungen eine Se-
cen gehören daher zum grundlegenden kundärstatistik, die auf Angaben aus der
Informationsbedarf für alle Beteiligten Datensammlung nach § 21 Krankenhaus-
im Gesundheitswesen und am Thema in- entgeltgesetz aufbaut. Sekundärstatisti-
teressierten Menschen. Die Angaben lie- ken sind Datenquellen, die im Bereich
fern der Politik wichtige Informationen des Gesundheitswesens verfügbare Daten
für die Bearbeitung von Gesetzen und Re- zusammenfassen und so einen Mehrwert
geln zur Ausgestaltung der Versorgung an Informationen schaffen. Dabei entste-
und des Schutzes der Bevölkerung. Die hen keine zusätzlichen Erhebungen und
Wirtschaft interessiert sich für diese Da- Belastungen der Auskunftgebenden.

275
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

10.1.1 Krankheit und Unfall- gen lag er bereits bei 16 %. Von den ab oder Dienstunfälle (ohne Wegeunfälle)
verletzung 65-Jährigen bezeichnete sich fast jeder mit 30 %. In der Altersgruppe der 15- bis
Im Jahr 2013 bezeichneten sich insgesamt Vierte (24 %) als krank oder unfallver- 24-jährigen Männer ereigneten sich sogar
16 % der Bevölkerung, die Angaben zur letzt. Insgesamt waren Frauen mit einem 54 % aller Unfälle in der Freizeit, für
Gesundheit machten, als krank (15 %) Anteil von 17 % etwas häufiger von ge- Männer ab 65 Jahre standen mit 47 % die
oder unfallverletzt (1 %). Der Gesamtwert sundheitlichen Beeinträchtigungen be- häuslichen Unfälle an erster Position.
lag höher als bei den Befragungen 2005 troffen als Männer mit 16 %. Die Art der Für Frauen bestanden die meisten Ge-
(13 %) und 2009 (15 %). u Info 1 Erkrankung wurde nicht erfragt. Bei den fahren im häuslichen Bereich: Mit 40 %
Das Alter der Befragten hat großen Angaben zu einer Unfallverletzung wur- belegten Unfälle im Haushalt die erste
Einf luss auf den Gesundheitszustand, de allerdings die Frage nach der Art des Stelle. Die zweite Position nahmen hier
denn mit zunehmendem Alter ist ein An- Unfalls gestellt. Insgesamt traten 2013 am die Freizeitunfälle mit 24 % ein. Dabei
stieg der gesundheitlichen Beschwerden häufigsten häusliche Unfälle sowie Frei- waren besonders Mädchen bis 14 Jahre ge-
zu beobachten. Der Anteil der Kranken zeitunfälle (jeweils 29 %) auf, gefolgt von fährdet: Rund 39 % ihrer Unfälle ereigne-
und Unfallverletzten bei Personen im Al- Arbeitsunfällen mit einem Anteil von ten sich in der Freizeit. Für ältere Frauen
ter von 15 bis 39 Jahren betrug im Jahr 23 %. Männer erlitten zu 32 % Freizeitun- war es im Haushalt am gefährlichsten –
2013 rund 12 %, bei den 40- bis 64-Jähri- fälle, an zweiter Stelle folgten Arbeits- rund 65 % der Unfälle von über 65-Jähri-
gen ereigneten sich dort.
Die meisten Kranken und Unfallver-
letzten nahmen wegen ihrer gesundheit­
lichen Beschwerden ärztliche Hilfe in
Anspruch, im Jahr 2013 waren es 79 %.
u Info 1
Seit 2005 (89 %) hat sich dieser Anteil
Fragen zur Gesundheit im Mikrozensus
konti­nuierlich verringert. Zwei Drittel
Der Mikrozensus ist eine jährlich durchgeführte Haushaltsstichprobe, an der 1 % der Privat­
haus­halte in Deutschland teilnehmen. Seit dem Jahr 2005 findet die Mikrozensus-Erhebung ­
(67 %) – und damit die überwiegende
mit gleitender Berichtswoche statt, bei der das gesamte Befragungsvolumen gleichmäßig auf Zahl der Kranken und Unfallverletzten –
­alle Kalenderwochen des Jahres verteilt wird. Frühere Erhebungen wurden in einer festge­ wurden 2013 ambulant behandelt; 12 %
legten Befragungswoche im April durchgeführt.
wurden stationär im Krankenhaus be-
Die gesundheitsbezogenen Fragen werden im vierjährlichen Abstand, zuletzt 2013 gestellt. treut. Der Anteil der gesundheitlich beein-
Sie beziehen sich auf Krankheit und Unfallverletzung am Befragungstag oder in den vier
­Wochen davor, das Rauchverhalten sowie Körpergröße und -gewicht. Die Daten zur Kranken­ trächtigten Personen, die sich trotz ihrer
versicherung werden auch alle vier Jahre erfragt, zuletzt im Jahr 2011. Die Stichprobe für das Krankheit nicht in ärztliche Behandlung
­Zusatzprogramm zur Gesundheit ist seit 2005 so groß wie für das feste Grundprogramm begaben, betrug 21 %.
des Mikrozensus. Die Beantwortung der Gesundheitsfragen ist freiwillig. Die Stichproben­
ergebnisse für 2013 wurden auf die Be­völkerungszahl entsprechend der Bevölkerungsfort-
schreibung auf Basis des Zensus 2011 hochgerechnet. Anteilswerte beziehen sich auf die Be­ 10.1.2 Diagnose und Behandlung
völkerung mit Angaben zu den entsprechenden Fragen.
im Krankenhaus

Diagnosen
Krankenhausfälle werden in der Kranken-
hausdiagnosestatistik erfasst. Es handelt
sich hierbei um alle Krankenhausfälle ein-
Schwangerschaftsabbrüche
schließlich Sterbe-, Stundenfälle und ge-
Im Jahr 2014 wurden rund 99 700 ­älter. Die unter 18-Jährigen hatten einen
sunde Neugeborene. Stundenfälle sind
Schwang­erschaftsabbrüche in Deutsch- Anteil von knapp 4 %.
­Patientinnen und Patienten, die vollstatio-
land gemeldet. Die Zahl nahm gegen- Nach der Beratungsregelung wur-
när in ein Krankenhaus aufgenommen,
über dem Vorjahr um 3,0 % ab. den 96 % der gemeldeten Schwanger-
­jedoch am gleichen Tag wieder entlassen
Knapp drei Viertel (73 %) der schaftsabbrüche vorgenommen. Me-
werden oder am Aufnahmetag versterben.
Frauen, die 2014 einen Schwanger- dizinische und kriminologische Indi-
Bei Frauen ist die Zahl der Behandlungs-
schaftsabbruch durchführen ließen, kationen waren in 4 % der Fälle die
fälle von 9,3 Millionen Fällen (2004) um
waren zwischen 18 und 34 Jahre alt, Begründung für den Abbruch.
12 % auf 10,3 Millionen Fälle (2014) gestie-
16 % zwischen 35 und 39 Jahre. Rund
gen. Bei Männern stieg die Zahl der Be-
8 % der Frauen waren 40 Jahre und
handlungsfälle sogar um 17 % von knapp
8,0 Millionen Fällen (2004) auf 9,3 Millio-
nen Fälle (2014). u Info 2

276
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Die häufigste Ursache für einen Kran- u Info 2

kenhausaufenthalt waren 2014 – wie be- Die Diagnosestatistik und ihre Erweiterung um die fallpauschalen­
reits in den Vorjahren – Krankheiten des bezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik)
Kreislaufsystems. Knapp 2,9 Millionen Die Diagnosen der Krankenhauspatientinnen und -patienten bilden das ge-
Behandlungsfälle waren dieser Krank- samte vollstationäre Geschehen in den deutschen Krankenhäusern ab.
Alle Krankenhäuser in Deutschland sind auskunftspflichtig. Erfasst werden
heitsgruppe zuzuordnen, was einem An- alle Patientinnen und Patienten, die im Berichtsjahr aus der vollstationären
teil von 15 % an allen Fällen entsprach. Im Behandlung eines Krankenhauses entlassen wurden. Bei mehrfach im
Berichtsjahr vollstationär behandelten Patientinnen und Patienten wird jeder
Vergleich zu 2004 ist die Zahl dieser Be-
einzelne Krankenhausaufenthalt als ein Fall nachgewiesen (Fallzahlensta-
handlungsfälle um 239 400 Fälle (9 %) an- tistik). Nicht nachgewiesen werden die vor- und nachstationären, teilstationä-
gestiegen. An zweiter Stelle folgten die ren und ambulanten Behandlungsfälle. Die Angaben zur Diagnosestatistik
entnehmen die Krankenhäuser der vorhandenen Patientendokumentation.
Krankheiten des Verdauungssystems. Sie Die Diagnoseangaben werden differenziert nach Hauptdiagnosen, Alter,
stellten nach den Krankheiten des Kreis- Geschlecht, Verweildauer und Fachabteilungen dargestellt.
laufsystems die wichtigste Diagnosegrup- Seit dem Jahr 2005 wird die Diagnosestatistik der Krankenhauspatientinnen
pe mit knapp 2,0 Millionen Fällen (10 % und -patienten um die fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik er-
an allen Behandlungsfällen) dar. Gegen- gänzt. Das auf Fallpauschalen basierende DRG-Vergütungssystem wurde
bei der Novellierung der Krankenhausfinanzierung im Jahr 2000 eingeführt
über 2004 ist ihre Zahl 2014 um fast 12 % (DRG steht für Diagnosis Related Groups). Die Statistik umfasst alle Kranken-
gestiegen. An dritter Stelle lagen die Ver- häuser, die nach dem DRG-Vergütungssystem abrechnen und dem An­
letzungen und Vergiftungen sowie andere wendungsbereich des § 1 des Krankenhausentgeltgesetzes unterliegen
(ohne psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen). Die DRG-­
Folgen äußerer Ursachen mit 1,9 Millio- Statistik ist wie auch die Diagnosestatistik eine jährliche Vollerhebung, jedoch
nen Fällen und einem Anteil von ebenfalls werden die Daten nicht direkt von den Statistischen Ämtern der Länder,
sondern vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus erhoben. Die
10 % an allen Diagnosen. Im Vergleich zu
Daten für die DRG-Statistik werden den Datensätzen entnommen, die die
2004 ist hier die Zahl um 15 % gestiegen. Krankenhäuser zu Abrechnungszwecken an das Institut für das Entgelt­
Der höchste Anstieg war im Kapitel system im Krankenhaus schicken. Das Institut stellt die entsprechenden
Daten dem Statistischen Bundesamt zur Ver­fügung (Sekundärstatistik).
»Symptome und abnorme klinische und
Laborbefunde, andernorts nicht näher Gegenstand der Erhebung sind die von den berichtspflichtigen Kranken-
häusern erbrachten Leistungen. Die vom Statistischen Bundesamt aus­
klassifiziert« zu beobachten, er betrug gewerteten Daten beziehen ebenfalls alle im Laufe des Berichtsjahres aus
73 % (2004: 558 100 Fälle; 2014: 967 000 den oben genannten Einrichtungen entlassenen vollstationären Patientinnen
Fälle). Hierzu gehören zum Beispiel Kreis­ und Patienten ein. Nicht nachgewiesen werden vor-, nach-, teil­stationär
oder ambulant behandelte Patientinnen und Patienten. Erfasst wird die
laufkollaps oder Ohnmacht, Hals- und ­kontinuierliche vollstationäre Behandlung im Krankenhaus (Behandlungs-
Brustschmerzen. Die Infektionen haben kette) unabhängig von der Zahl der dabei durchlaufenen Fachabteilungen.
sich innerhalb des gleichen Zeitraums Schwerpunkte der Erhebung sind insbesondere Angaben zu Operationen
und Prozeduren, Fallpauschalen (DRG) sowie Haupt- und Nebendiagnosen.
um 46 % erhöht, die Muskel­ - Skelett-
Er­k rankungen haben um 30 % zugenom-
men und auch die Position »Bestimmte
Zustände mit Ursprung in der Perinatal-
periode« stieg um knapp ein Drittel
(29 %) ihres Wertes von 2004. »Angebore-
ne Fehlbildungen, Deformitäten, Chro-
mosomenanomalien« sind um 7 % gesun-
Alkoholmissbrauch bei Kindern
ken. Einen Rückgang von 4 % gab es bei
und Jugendlichen
den Neubildungen (Krebs und gutartige
Im Jahr 2014 wurden 22 391 Kinder der und Jugendlichen, die wegen aku-
Neubildungen). Im direkten Vergleich
und Jugendliche im Alter von 10 bis ten Alkoholmissbrauchs stationär be-
blieben lediglich die Behandlungen in
19  Jahren aufgrund akuten Alkohol- handelt werden mussten, waren noch
Bezug auf Schwangerschaft, Geburt und
missbrauchs stationär in einem Kran- keine 18 Jahre alt.
Wochenbett konstant.
kenhaus behandelt. Das waren 3,8 %
weniger als 2013. Rund 70 % der Kin-
Operationen und medizinische
Behandlungsmaßnahmen
Nach den Ergebnissen der fallpauschalen­
bezogenen Krankenhausstatistik (DRG-
Statistik) wurden bei den vollstationär in
Krankenhäusern versorgten Patientinnen

277
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 1  Durchschnittliche Anzahl der Operationen und Behandlungsmaßnahmen je Krankenhausfall 2014

0
1– 4 5 –9 10–14 15–19 20 –24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 80–84 85–89 90–94 95 und älter

männlich weiblich insgesamt im Alter von … bis … Jahren

u Abb 2  Operationen und Behandlungsmaßnahmen renziert, lagen die Operationen mit 30 %
der Krankenhauspatientinnen und -patienten 2014 — in Prozent (16,2 Millionen Nennungen) an erster
Stelle, an zweiter Stelle folgten mit 26 %
nichtoperative therapeutische Maßnah-
Medikamente Operationen men (14,2 Millionen Nennungen). An
0,5 29,9 dritter Stelle standen mit 20 % die bild­
gebende Diagnostik (11,0 Millionen Nen-
ergänzende Maßnahmen
nungen). u Abb 2
3,8
Bei den durchgeführten Operationen
diagnostische lagen auch im Jahr 2014 Operationen an
Maßnahmen
den Bewegungsorganen (4,6 Millionen)
19,2 54,2 an erster Stelle, gefolgt von Operationen
Millionen
nichtoperative am Verdauungstrakt (2,4 Millionen) so-
bildgebende therapeutische wie Operationen an Haut und Unterhaut
Diagnostik Maßnahmen
(1,3 Millionen). Eine detailliertere Analy-
20,4 26,2
se der Operationsdaten zeigt, dass bei
Frauen am häufigsten die Rekonstruktion
weiblicher Geschlechtsorgane nach einer
Ruptur/Dammriss (295 800 Fälle) durch-
geführt wurde, gefolgt vom Kaiserschnitt
(226 700 Fälle) und der Position »andere
Operationen am Darm« (209 300 Fälle).
Bei Männern lag die Position »andere
und Patienten 2014 insgesamt 54 Millio- pen war die durchschnittliche Zahl der Operationen am Darm« mit 172 400 Fällen
nen Operationen und medizinische Pro- Operationen und Prozeduren je Kranken- an erster Stelle, an zweiter Stelle folgte der
zeduren durchgeführt. Im Vergleich zum hausfall bei Männern durchweg höher als Verschluss eines Leistenbruchs (Hernia in-
Vorjahr entspricht dies einer Zunahme bei Frauen. u Abb 1 guinalis) mit 156 000 Fällen sowie an drit-
um 4,3 %. Auf einen Krankenhausfall ent- Werden die erfolgten Maßnahmen ter Stelle die Operation am Gelenkknorpel
fielen damit im Durchschnitt 2,9 Maß- nach einzelnen Kapiteln des Operationen- und an den Menisken mittels Gelenkspie-
nahmen dieser Art. In allen Altersgrup- und Prozedurenschlüssels (OPS) diffe- gel (Arthroskop) (146 200 Fälle). u Abb 3

278
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Abb 3  Die zehn häufigsten Operationen von Krankenhauspatientinnen Am 31. Dezember 2013 waren 7,5 Mil-
und -patienten 2014 — in Tausend lionen amtlich anerkannte schwerbehin-
derte Menschen mit gültigem Ausweis
bei den Versorgungsämtern registriert.
Andere Operationen am Darm
(z.B. Lösen von Verwachsungen)
172 209 Das entsprach einem Anteil von rund 9 %
an der Bevölkerung. Etwas mehr als die
Wiederherstellung weiblicher Geschlechts- Hälfte (51 %) waren Männer. Von den
296
organe nach Riss nach der Geburt
7,5  Mil­lionen schwerbehinderten Men-
Operatives Freilegen eines Zugangs zur Lenden- schen waren 7,1 Millionen Deutsche und
141 144
wirbelsäule, zum Kreuzbein oder zum Steißbein 0,4 Millionen Ausländerinnen und Aus-
länder.
Operation am Gelenkknorpel und an den
Menisken mittels Gelenkspiegel (Arthroskop)
146 135 Behinderungen treten vor allem bei
älteren Menschen auf: So war fast ein Drit-
Endoskopische Operationen tel (31 %) der schwerbehinderten Men-
119 138
an den Gallengängen
schen 75 Jahre und älter. Knapp die Hälfte
Chirurgische Wundtoilette (45 %) gehörte der Altersgruppe von 55 bis
(Wunddebridement) und Entfernung von 133 100
erkranktem Gewebe an Haut und Unterhaut
74 Jahren an. Dagegen fiel der Anteil der
unter 25-Jährigen mit 4 % gering aus. u Tab 1
Kaiserschnitt 227 Die Schwerbehindertenquote bezie-
hungsweise die Wahrscheinlichkeit, schwer­-
Implantation einer
84 136
behindert zu sein, steigt mit zunehmen-
Endoprothese am Hüftgelenk
dem Alter an. Während bei den 25- bis
Operation an der Gelenkinnenhaut 34-Jährigen 3 % schwerbehindert waren,
109 95
mittels Gelenkspiegel (Arthroskop) hatte in der Gruppe der ab 80-Jährigen
jeder Dritte einen Schwerbehinderten-
Gallenblasenentfernung 78 122 ausweis. u Abb 4
Männer waren – insbesondere in der
Männer Frauen Gruppe der ab 55-Jährigen – eher schwer-
behindert als Frauen. Dies ist zu einem
Operationen- und Prozedurenschlüssel, OPS Version 2014. gewissen Teil dadurch erklärbar, dass
Männer im Allgemeinen häufiger am Er-
werbsleben teilnehmen als Frauen. Da ein
Schwerpunkt der Leistungen des Schwer-
u Tab 1  Schwerbehinderte 2013
behindertenrechts Regelungen zur Teil-
Davon im Alter von … bis … Jahren nahme am Arbeitsmarkt oder für einen
Insgesamt
unter 25 25–54 55–64 65–74 75 und älter früheren Übergang zur Rente betrifft,
in 1 000 in % können Erwerbstätige beziehungsweise
Männer 3 852 4,4 20,7 22,7 25,6 26,6 Arbeitsuchende ein größeres Interesse an
Frauen 3 697 3,2 19,9 20,6 20,9 35,4 einer Anerkennung der Behinderteneigen-
Insgesamt 7 549 3,8 20,3 21,7 23,3 30,9 schaft haben als Nichterwerbspersonen.
Die weitaus meisten Behinderungen
(85 % der Fälle) waren krankheitsbedingt.
In 4 % der Fälle war die Behinderung
­a ngeboren und bei 2 % wurde das Leiden
durch einen Unfall oder eine Berufskrank-
10.1.3 Schwerbehinderung rung eine Beeinträchtigung der Teilhabe heit verursacht. Weitere 0,5 % der schwer-
und Pflegebedürftigkeit am gesellschaftlichen Leben für längere behinderten Menschen hatten dauernde
Zeit, möglicherweise für das ganze Leben. Schäden im Krieg, im Wehr- oder im
Schwerbehinderung Als schwerbehindert gelten Menschen, ­Zivildienst erlitten. Die übrigen Behinde-
Im Unterschied zu einer akuten Krank- denen ein Grad der Behinderung von 50 rungen (9 %) beruhten auf sonstigen,
heit oder einer Unfallschädigung mit oder mehr von den Versorgungsämtern mehreren oder ungenügend bezeichne-
kurzer Heilungsdauer ist eine Behinde- zuerkannt wurde. ten Ursachen.

279
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 4  Schwerbehindertenquote 2013 — in Prozent

40

30

20

10

0
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
und mehr
männlich weiblich insgesamt Alter in Jahren

Bevölkerungsstand: 31.12.2013 – vorläufige Ergebnisse auf Basis des Zensus 2011, Zensusdaten Stand 10.04.2014.
Schwerbehindertenquote = Anteil der schwerbehinderten Menschen an der jeweiligen Bevölkerungsgruppe.

Am häufigsten litten schwerbehinder- Im Dezember 2013 waren 2,6 Millio- Männer dieser Altersgruppen. So beträgt
te Menschen unter körperlichen Behinde- nen Menschen in Deutschland pflegebe- zum Beispiel bei den 85- bis 89-jährigen
rungen (62 %). Bei 25 % der Personen wa- dürftig. Die Mehrheit (83 %) der Pflege­ Frauen die Pf legequote 42 %, bei den
ren die inneren Organe beziehungsweise bedürftigen war 65 Jahre und älter. Ein Männern gleichen Alters hingegen ledig-
Organsysteme betroffen. Bei 14 % waren gutes Drittel (37 %) war sogar älter als lich 30 %. u Abb 6
Arme oder Beine in ihrer Funktion einge- 85  Jahre. Die überwiegende Zahl (65 %) Neben Unterschieden in der gesund-
schränkt, bei weiteren 12 % Wirbelsäule der Pflegebedürftigen waren Frauen. heitlichen Entwicklung bei Frauen und
oder Rumpf. In 5 % der Fälle lag Blindheit Im Vergleich zu 2003 ist eine Zu­ Männern kann ein Faktor für den unter-
beziehungsweise eine Sehbehinderung nahme der Zahl der Pflegebedürftigen schiedlichen Verlauf der Pf legequoten
vor. Rund 4 % litten unter Schwerhörig- zu beobachten: Im Jahr 2003 betrug sie auch das Antragsverhalten bei Frauen
keit, Gleichgewichts- oder Sprachstörun- 2,1 Millionen und stieg auf 2,6 Millionen und Männern sein: Ältere Frauen leben
gen. Auf geistige oder seelische Behinde- im Jahr 2013 an. Ein wichtiger Faktor für häufiger alleine. Bei Pflegebedarf kann
rungen entfielen zusammen 11 % der Fäl- den Anstieg ist die zunehmende Alterung somit schneller die Notwendigkeit beste-
le, auf zerebrale Störungen 9 %. Bei den der Bevölkerung. Im Jahr 2003 waren hen, einen Antrag auf Leistungen zu stel-
übrigen Personen (18 %) war die Art der 3,4  Millionen Menschen 80 Jahre und len, während die pflegebedürftigen Män-
Behinderung nicht ausgewiesen. u Abb 5 ­ä lter; 2013 waren es bereits 4,4 Millionen. ner zunächst häufiger zum Beispiel von
Mit zunehmendem Alter sind Men- ihren Frauen versorgt werden. Insofern
Pflegebedürftigkeit schen in der Regel eher pflegebedürftig. könnte zunächst auf eine Antragstellung
Pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversi- Während bei den 70- bis 74-Jährigen je- verzichtet werden. In diesem Fall werden
cherungsgesetzes (Sozialgesetzbuch SGB der zwanzigste (5 %) aller Menschen die- sie auch nicht in der Pflegestatistik er-
XI) sind Menschen, die im täglichen Le- ser Altersgruppe pf legebedürftig war, fasst.
ben auf Dauer – wegen einer Krankheit wurde für die ab 90-Jährigen die höchste Die Pflegequote variiert zwischen den
oder Behinderung – in erheblichem oder Pflegequote ermittelt: Der Anteil der Pfle- einzelnen Bundesländern; sie ist dabei in
höherem Maße der Hilfe bedürfen. Die gebedürftigen an allen Menschen dieser Mecklenburg-Vorpommern und in Bran-
Entscheidung über das Vorliegen einer Altersgruppe betrug 64 %. Auffallend ist, denburg – also im Nordosten Deutsch-
Pflegebedürftigkeit wird von den Pflege- dass Frauen etwa ab dem 80. Lebensjahr lands – im Alter in der Regel am höchs-
kassen beziehungsweise einem privaten eine deutlich höhere Pflegequote aufwie- ten. Dort beträgt zum Beispiel der Anteil
Versicherungsunternehmen getroffen. sen – also eher pflegebedürftig sind als der Pf legebedürftigen bei den 85- bis

280
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Abb 5 Schwerbehinderte Menschen 2013


89-Jährigen 51 % in Mecklenburg-Vor- u Abb 5  Schwerbehinderte Menschen 2013 — in Prozent
pommern und 48 % in Brandenburg.
Niedrige Anteile liegen in diesem Alter
hingegen für Schleswig-Holstein und Beeinträchtigung der Funktion innerer Organe
24,8
beziehungsweise Organsysteme
Bayern (jeweils 33 %) vor.
Auch beim Anteil der Pflegebedürfti- Funktionseinschränkung von Gliedmaßen 13,0
gen an der Bevölkerung insgesamt beste-
Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und
hen Unterschiede – bedingt durch die un- des Rumpfes, Deformierung des Brustkorbes
12,0
terschiedlichen Alters- und Geschlechts-
geistige Behinderungen,
strukturen der Bevölkerung sowie die seelische Behinderungen 11,5

unterschiedlichen Pf legequoten in den


Zerebrale Störungen 9,0
Altersgruppen der jeweiligen Länder. In
Mecklenburg-Vorpommern waren 4,5 %
Blindheit und Sehbehinderung 4,7
und in Brandenburg 4,2 % der Bevölke-
rung pflegebedürftig. Der Anteil in Bay- Sprach- und Sprechstörungen, Taubheit,
3,9
Schwerhörigkeit, Gleichgewichtsstörungen
ern betrug hingegen 2,6 %. Bundesweit
lag der Anteil im Mittel bei 3,3 %. Verlust einer Brust oder beider Brüste,
2,4
Entstellungen und anderes
Mehr als zwei Drittel (71 % oder
1,86  Mil­lionen) der Pflegebedürftigen in Verlust oder Teilverlust
0,8
von Gliedmaßen
Deutschland wurden im Dezember 2013
zu Hause versorgt. Davon erhielten 1,2 Mil­ Querschnittlähmung 0,2
lionen Pflegebedürftige (47 %) ausschließ-
Sonstige und ungenügend
lich Pflegegeld, das bedeutet, sie wurden bezeichnete Behinderungen
17,6

in der Regel zu Hause allein durch An­


gehörige gepflegt. Weitere 616 000 Pflege-
bedürftige (23 %) lebten ebenfalls in
Privat­haushalten. Bei ihnen erfolgte die
Pflege zusammen mit oder vollständig u Abb 6  Pflegequoten 2013 — Anteil an der Bevölkerung
durch ambulante Pf legedienste. Rund des jeweiligen Alters in Prozent
764 000 Pflegebedürftige (29 %) wurden in
Pflegeheimen vollstationär ­betreut. u Abb 7
80
Zwischen den Bundesländern zeigen
sich auch bei den Versorgungsstrukturen
70
zum Teil deutliche Unterschiede. Die
größte Bedeutung hatte die vollstationäre
60
Pflege in Heimen in Schleswig-Holstein:
Rund 40 % aller Pflegebedürftigen wur-
den dort vollstationär versorgt. In Bran- 50

denburg und Berlin wurden hingegen


nur rund 23 % beziehungsweise 24 % der 40

Pf legebedürftigen vollstationär in Hei-


men betreut. In Deutschland waren es 30

insgesamt 29 %.
Bundesweit gab es im Dezember 2013 20

rund 13 000 zugelassene voll- beziehungs-


weise teilstationäre Pf legeheime. Die 10
Mehrzahl der Heime (7 100 beziehungswei-
se 54 %) befand sich in freigemeinnützi- 0
ger Trägerschaft. Im Durchschnitt wur- unter 15 15 – 59 60 – 64 65 – 69 70 –74 75 –79 80 –84 85 – 89 90 und älter

den in einem Pflegeheim 63 Pflegebedürf- männlich weiblich im Alter von … bis … Jahren
tige betreut. Die meisten Heime (10 900)
boten voll­stationäre Dauerpflege an.

281
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 7  Pflegebedürftige nach Versorgungsart 2013 Sterbefälle insgesamt ist im Vergleich zu


1994 um 1,8 % gesunken. Damals ver­
starben in Deutschland 884 661  Men-
schen. Bei einem Vergleich der Männer
und Frauen zeigt sich eine Verschiebung
2,6 Millionen Pflegebedürftige insgesamt zu Lasten der Männer. Während 2014
mit 446 131 gut 6 % weniger Frauen ver-
starben (1994: 475 286), stieg die Anzahl
der verstorbenen Männer im gleichen
­Z eitraum von 409 375 um gut 3 % auf
zu Hause versorgt: in Heimen vollstationär
1,86 Millionen (71 %) versorgt: 422 225 an.
764 000 (29 %) Auch bei den Altersgruppen gab es in
den letzten 20 Jahren große Verschiebun-
gen. Der Anteil der Verstorbenen, die
durch Angehörige: zusammen mit /
90 Jahre und älter waren, stieg seit 1994
1,25 Millionen durch ambulante um 7,3 Prozentpunkte an und lag im Jahr
Pflegebedürftige Pflegedienste:
(47 %) 616 000 Pflege- 2014 bei 17 %.
bedürftige (23 %)
Sterbealter
Das Sterbealter gibt einen wichtigen Hin-
durch in
12 700 ambulante 13 000 Pflegeheimen1
weis auf die Lebensqualität und den Le-
Pflegedienste mit mit bensstandard eines Landes. Aufgrund
320 000 685 000 Beschäftigten
Beschäftigten unterschiedlicher Berechnungsmethoden
kann das Sterbealter nicht mit der Le-
benserwartung gleichgesetzt werden,
1 Einschließlich teilstationärer Pflegeheime. wird aber als zusätzliche Information
­h erangezogen. Die im vorherigen Ab-
schnitt beschriebene Zunahme von Per-
sonen, die im hohen Alter von über
90  Jahren verstorben sind, wirkt sich
auch direkt auf das Sterbealter aus. Die-
ses lag im Jahr 2014 bei durchschnittlich
78,1 Jahren. Frauen starben im Durch-
Personal in Pflegeeinrichtungen heits- und Kinderkrankenpfleger /-in (1 %). schnitt mit 81,3  Jahren und damit
In den Heimen waren zum Jahresende In den im Dezember 2013 insgesamt 6,6  Jahre später als Männer, die mit
2013 insgesamt 685 000 Menschen be- 12 700 zugelassenen ambulanten Pflege- 74,7 Jahren verstarben. Im Vergleich der
schäftigt. Teilzeitkräfte machten dabei diensten arbeiteten 320 000 Menschen. Jahre 1994 und 2014 war dies ein Anstieg
mehr als die Hälfte (62 %) aus; die Mehr- Rund 70 % davon waren teilzeitbeschäf- der Lebenszeit um rund 3,7 Jahre, wobei
zahl aller Beschäftigten (85 %) waren tigt; der Frauenanteil lag bei 87 % aller diese Entwicklung auf Männer wie Frau-
Frauen. Beschäftigten. Im Alter von 50 Jahren en gleichermaßen zutrifft. Am ältesten
Rund 38 % der Beschäftigten waren und mehr waren 36 % der Beschäftigten. wurden die Menschen in den beiden
50 Jahre und älter. Die meisten Beschäf- Der Haupteinsatzbereich des Personals Ländern Baden-Württemberg und Sach-
tigten (66 %) hatten ihren Arbeitsschwer- war die Grundpflege. Hier hatten zwei sen. Das durchschnittliche Sterbealter
punkt im Bereich Pflege und Betreuung. Drittel (69 %) der Beschäftigten ihren Ar- im Jahr 2014 betrug hier jeweils 78,7 Jah-
Altenpfleger /-in oder Gesundheits- und beitsschwerpunkt. re. In Berlin lag es mit 76,3 Jahren am
Krankenpf leger /-in waren dabei die niedrigsten.
wichtigsten Ausbildungsabschlüsse. Von 10.1.4 Todesursachen Die größte Steigerung beim Sterbe-
den im Bereich Pflege und Betreuung Tä- alter seit 1994 ist mit 8,1 % in Mecklen-
tigen hatte zusammen fast jede/r Zweite Allgemeine Sterblichkeit burg-Vorpommern zu verzeichnen. u Tab 2
(45 %) entweder einen Abschluss als Im Jahr 2014 verstarben in Deutschland Um der unterschiedlichen Größe der
­A lten­pfleger /-in (34 %), Gesundheits- und insgesamt 868 356 Menschen, davon 49% Bevölkerung in den einzelnen Bundeslän-
Krankenpfleger /-in (11 %) oder Gesund- Männer und 51% Frauen. Die Zahl der dern Rechnung zu tragen, vergleicht man

282
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

die Gestorbenen je 100 000 Einwohner u Tab 2  Durchschnittliches Sterbealter


(sogenannte Sterbeziffer). Hier hatte Sach-
Durch­schnittliches ­ Veränderung
sen-Anhalt mit gut 1 376 Gestorbenen je Sterbealter in Jahren gegenüber 1994
100 000 Einwohner den höchsten Wert zu
2014 1994 in %
verzeichnen. Die wenigsten Personen ver-
starben in Berlin mit 938 Gestorbenen je Baden-Württemberg 78,7 74,8 5,2

100 000 Einwohner. u Tab 3 Bayern 78,5 74,7 5,1


In der Regel haben die neuen Länder Berlin 76,3 74,6 2,3
die höchsten Sterbeziffern. Eine Aus­ Brandenburg 77,3 72,1 7,2
nahme stellt das Saarland dar, das mit
Bremen 77,1 74,1 4,0
1 266 Gestorbenen je 100 000 Einwohner
Hamburg 77,6 75,1 3,3
an zweiter Stelle lag. Diese Unterschiede
lassen sich zum Teil durch eine andere Hessen 78,4 74,9 4,7

Altersstruktur erklären. Beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern 76,5 70,8 8,1


war der Anteil der über 70-Jährigen an Niedersachsen 78,1 74,9 4,3
der Bevölkerung mit 19,5 % in Sachsen- Nordrhein-Westfalen 77,9 74,3 4,8
Anhalt um 5,0 Prozentpunkte höher als
Rheinland-Pfalz 78,4 74,9 4,7
in Berlin. Allerdings gibt es auch in nied-
Saarland 78,0 73,8 5,7
rigeren Alterklassen nicht unerhebliche
Unterschiede bei den Sterbeziffern der Sachsen 78,7 74,5 5,6

beiden Bundesländer. Sachsen-Anhalt 77,6 72,9 6,4

Schleswig-Holstein 78,0 75,5 3,3


Häufigste Todesursachen Thüringen 77,9 73,4 6,1
Die häufigste Todesursache (Einzeldiag-
Deutschland 78,1 74,4 5,0
nose) war bei Männern wie Frauen
gleich, es handelte sich um die chroni-
sche ischämische Herzkrankheit. Sie war
für die meisten Todesfälle 2014 verant- u Tab 3  Regionale Sterbeziffern 2014 — Sterbefälle je 100 000 Einwohner
wortlich. An ihr verstarben 69 900 Perso- Beide Geschlechter Männlich Weiblich
nen, davon waren 35 400 männlich und
34 500 weiblich. Sachsen-Anhalt 1 376,3 1 379,7 1 373,1

Fünf der zehn häufigsten Todesursa- Saarland 1 265,7 1 255,6 1 275,4


chen waren dem Bereich der Herz-­K reis­ Sachsen 1 262,9 1 249,9 1 275,4
lauferkrankungen zuzuordnen. Es han-
Thüringen 1 248,7 1 249,1 1 248,4
delte sich dabei um die chronische
­ischämische Herzkrankheit, den akuten Mecklenburg-Vorpommern 1 184,0 1 227,0 1 142,2
Myokardinfarkt, die Herzinsuffizienz, Brandenburg 1 181,6 1 197,4 1 166,2
die hypertensive Herzkrankheit und
Bremen 1 127,4 1 111,7 1 142,6
den Schlaganfall. Allein an diesen fünf
Erkrankungen starben 2014 insgesamt Schleswig-Holstein 1 121,9 1 119,6 1 124,1

78 600 Männer und 122 000 Frauen. Niedersachsen 1 121,5 1 118,6 1 124,2


­Weitere wichtige Todes­u rsachen waren
Rheinland-Pfalz 1 106,9 1 094,4 1 118,9
die Krebsleiden (Bösartige Neubildun-
gen). Bei den Männern waren die »Bös­ Nordrhein-Westfalen 1 095,8 1 085,5 1 105,6

artigen Neubildungen« der Bronchien Hessen 1 008,0 1 000,3 1 015,5


und Lunge, der Prostata, des Dickdarms Bayern 981,4 961,5 1 000,7
und des Pankreas die Ursache für 60 000
Hamburg 956,4 937,0 974,7
Sterbefälle. Bei den Frauen waren es die
»Bös­a rtigen Neubildungen« der Brust- Baden-Württemberg 943,1 927,8 957,8
drüse (Brustkrebs), der Bronchien und Berlin 937,8 944,1 931,7
Lunge; insgesamt 33 200 Frauen verstar-
Deutschland 1 072,3 1 063,6 1 080,6
ben daran.

283
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 8  Krankheitsbedingte Todesursachen — in Prozent Todesursachen im Zeitvergleich


Die Bedeutung bestimmter Krankheits-
gruppen am Sterbegeschehen ist im Zeit-
Krankheiten des 38,9 raum 1994 bis 2014 gesunken. Allein der
Kreislaufsystems 48,7
Anteil der Krankheiten des Kreislaufsys-
26,6
tems ist um 9,7 Prozentpunkte zurückge-
Neubildungen
24,7 gangen. Starben im Jahr 1994 noch fast
49 % aller Verstorbenen an einer solchen
Krankheiten des 6,7 Erkrankung, betrug der Anteil im Jahr
Atmungssystems 6,0
2014 nur noch 39 %. Im gleichen Zeit-
4,4
raum ist der Anteil der psychischen Er-
Krankheiten des
Verdauungssystems 4,8 krankungen an allen Todesursachen von
1,3 % im Jahr 1994 auf 4,1 % angestiegen.
Psychische und 4,1 Insbesondere die Demenz trug zu diesem
Verhaltensstörungen 1,3
Zuwachs bei. u Abb 8
Verletzungen und 4,0
Vergiftungen 4,6 Säuglingssterblichkeit
Die Säuglingssterblichkeit bezeichnet die
2014 1994 Rate der im ersten Lebensjahr versterben-
54,2
den Kinder. Sie ist ein wichtiges Maß für
Definition nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
Millionen
9. Revision für 1994 (ICD 9), 10. Revision für 2014 (ICD 10). den allgemeinen Lebensstandard und die
Qualität der medizinischen Versorgung.
Sie wird im folgenden Abschnitt als ab­
solute Zahl und über die Zahl der Todes-
u Abb 9  Raucher 2013 — in Prozent
fälle bezogen auf 1 000 Lebendgeborene
dargestellt.
gelegentliche Raucher Nie-Raucher Im Vergleich zu 1994 (5,6 Sterbefälle
3 56 je 1 000 Lebendgeborene) ging die Säug-
lingssterblichkeit um 43 % zurück und
regelmäßige Raucher
lag 2014 bei 3,2 Sterbefällen je 1 000 Le-
21 bendgeborenen. Dabei haben Jungen mit
3,5 Sterbefällen schlechtere Überlebens-
Raucher
chancen als Mädchen mit 2,9 Sterbe­
24 Nichtraucher
fällen. Im Jahr 2014 starben insgesamt
76 2 284 Säuglinge im ersten Lebensjahr, da-
von waren 1 266 Jungen und 1 018 Mäd-
ehemalige Raucher
chen. Der Rückgang der absoluten Zahl
20 der Säuglingssterbefälle zwischen 1994
(4 309) und 2014 entsprach einer Minde-
rung um 47 %, wobei bei Jungen ein grö-
Anteil an der Bevölkerung ab 15 Jahren. Bezogen auf die Bevölkerung mit Angaben zum Rauchverhalten. ßerer Rückgang (– 48 %) zu verzeichnen
Ergebnisse des Mikrozensus.
war als bei Mädchen (– 45 %).
Auch von Bundesland zu Bundesland
variierte die Säuglingssterblichkeit: von
2,2 gestorbenen Säuglingen je 1 000 Le-
u Info 3 bendgeborenen in Mecklenburg-Vor-
Body-Mass-Index pommern bis zu 5,6 Säuglingen in Bre-
Aus der in der Mikrozensusbefragung angegebenen Körpergröße und dem Körpergewicht wird men. Grundsätzlich konnte sie in jedem
der Body-Mass-Index (BMI) berechnet, indem man das Körpergewicht (in Kilogramm) durch Land seit 1994 gesenkt werden. Die größ-
die Körpergröße (in Metern, quadriert) teilt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Er-
wachsene mit einem Body-Mass-Index zwischen 25,0 und 29,9 als übergewichtig ein, mit
ten Rückgänge hatten Mecklenburg-Vor-
­e inem Wert ab 30,0 als stark übergewichtig und mit einem Wert unter 18,5 als untergewichtig. pommern mit fast 70 % und Thüringen
Geschlecht und Alter bleiben bei dieser Einteilung unberücksichtigt. mit fast 65 %.

284
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

10.1.5 Gesundheitsrelevante cher fiel in diese Kategorie, bei den regel- ten 16 % der erwachsenen Bevölkerung
Faktoren mäßigen Zigarettenraucherinnen waren 2013 starkes Übergewicht. Männer waren
es nur knapp 8 %. Nach der Definition zu 62 % übergewichtig, starkes Überge-
Rauchen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wicht lag bei 17 % vor. Bei den Frauen
Die Warnungen vor den gesundheitlichen sind diese als starke Raucher einzustufen. hatten 43 % »zu viel auf der Waage«, und
Risiken des Rauchens werden nach wie Die Gruppe der Nichtraucher (76 %) 14 % davon starkes Übergewicht. u Info 3
vor von vielen Bürgern ignoriert. Im Jahr setzt sich aus »Nie-Rauchern« (56 %) und In allen Altersgruppen waren Männer
2013 bekannten sich 24 % der Bevölke- ehemaligen Rauchern (20 %) zusammen. häufiger übergewichtig als Frauen. Über-
rung im Alter von 15 und mehr Jahren, Der Anteil der Nichtraucher wuchs mit gewicht ist bereits bei jungen Erwachse-
die im Mikrozensus Auskunft zu dieser zunehmendem Alter der Befragten: der nen weit verbreitet und nimmt mit zu-
Frage gaben, zum Rauchen. Das waren niedrigste Wert ist mit 64 % (52 % Nie- nehmendem Alter epidemische Ausmaße
weniger als bei den letzten Befragungen Raucher und 12 % Ex-Raucher) bei den an. Bereits bei den 20- bis 24-Jährigen
2009 (26 %), 2005 und 2003 (je 27 %) be- 25- bis 29-Jährigen zu finden. Rund 91 % war fast jeder dritte Mann (31 %) und fast
ziehungsweise 1999 und 1995 (je 28 %). der ab 65-Jährigen waren Nichtraucher, jede fünfte Frau (19 %) übergewichtig. Bei
Insgesamt betrug die Raucherquote 2013 dabei haben 65 % nie geraucht und 26 % den 60- bis 64-jährigen Männern mit fast
bei den Männern rund 29 %; sie ist seit waren ehemalige Raucher. drei Vierteln (74 %) und bei den 70- bis
1995 (36 %) stetig gesunken. Die Raucher- Unter den Männern gab es weniger 74-jährigen Frauen mit 59 % erreichten
quote der Frauen ist über die betrachteten Nichtraucher (71 %) als unter den Frauen die Fälle von Übergewicht ihre Spitzen-
Jahre nur leicht von 22 % (1995 bis 2005) (80 %). Dabei haben 47 % der Männer werte. u Abb 10
über 21 % (2009) auf 20 % im Jahr 2013 ge- noch nie geraucht, bei den Frauen ist die- Untergewicht (das heißt ein Body-
sunken. In jeder Altersstufe rauchten ser Anteil mit 65 % deutlich größer. Mass-Index kleiner als 18,5) ist weitaus
Frauen weniger häufig als Männer. u Abb 9 weniger verbreitet als Übergewicht.
Bei den regelmäßigen Rauchern zeig- Körpermaße Gleichwohl gehen auch davon erhebliche
ten sich deutlichere Unterschiede bei der Nach Einstufung der Weltgesundheitsor- gesundheitliche Gefährdungen aus. Frau-
Betrachtung von Alter und Geschlecht. ganisation war 2013 mehr als jeder zweite en waren 2013 wesentlich häufiger (3 %)
Im Jahr 2013 rauchten insgesamt 21 % al- Erwachsene ab 18 Jahren übergewichtig von Untergewicht betroffen als Männer
ler Befragten regelmäßig, 25 % der Män- (52 %). Dies bedeutet einen Anstieg ge- (1 %). Junge Frauen im Alter von 18 und
ner und 17 % der Frauen. Ein nennens- genüber den Vorjahren (1999: 48 %; 2003: 19 Jahren waren zu 13 % untergewichtig,
werter Rückgang über die betrachteten 49 %; 2005: 50 %; 2009: 51 %). Davon hat- 20- bis 24-Jährige noch zu 9 %.
Jahre war nur bei den regelmäßig rau-
chenden Männern zu verzeichnen: 1995

29 %
und 1999 betrug der Anteil noch jeweils
31 %, 2003 waren es 30 %, für die Jahre
2005 und 2009 wurden 28 % beziehungs-
weise 26 % verzeichnet. Bei den Männern
fanden sich die höchsten Anteile bei den
betrug die Raucherquote von
30- bis 34-Jährigen (36 %) und bei den Männern im Jahr 2013. Seit 1995
Frauen bei den 25- bis 29-Jährigen (26 %). ist sie stetig gesunken. Die Quote
Die Menge des Tabakkonsums ist für der Frauen lag bei 20 %.
das individuelle Gesundheitsrisiko durch
Rauchen mit ausschlaggebend. Nach der
täglich durchschnittlich gerauchten Men-
ge wurden nur Zigarettenraucher gefragt,
die auch im Jahr 2013 den Großteil der
Raucher (97 %) ausmachten. Rund 81 %
der regelmäßigen Zigarettenraucher ga-
ben an, im Durchschnitt 5 bis 20 Ziga-
retten am Tag zu rauchen. Mehr als
20  »Glimmstängel« am Tag rauchten
12 %. Dabei gab es geschlechtsspezifische
Unterschiede: Gut jeder Siebte (15 %) der
männlichen regelmäßigen Zigarettenrau-

285
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Abb 10  Personen mit Übergewicht 2013 — in Prozent der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe

80

60

40

20

0
18 –19 20 – 24 25 –29 30 – 34 35–39 40 – 44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75 und älter

Männer Frauen im Alter von … bis … Jahren

Body-Mass-Index ab 25. Bezogen auf die Bevölkerung mit Angaben zu Körpergröße und Körpergewicht.
Ergebnisse des Mikrozensus.

Body-Mass -Index ab 25. Bezogen auf die Bevölkerung mit Angaben zu Körpergröße und Körpergewicht.Ergebnisse des Mikrozensus.

Zwischen dem Übergewicht und dem und von Arzneimitteln). Letztere kom- Ausstattung der Krankenhäuser
Rauchverhalten der Befragten kann ein men dabei in der Regel nicht direkt mit Im Jahr 2014 standen in insgesamt 1 980
Zusammenhang festgestellt werden: So- den Nachfragern gesundheitlicher Güter Krankenhäusern rund 500 700 Betten für
wohl bei Männern als auch bei Frauen und Leistungen in Kontakt. die stationäre Versorgung der Bevölke-
waren ehemalige Raucher deutlich häufi- Im folgenden Abschnitt werden das rung zur Verfügung. Gegenüber 1991 ist
ger übergewichtig als aktive Raucher. Im Leistungsangebot der Krankenhäuser und die Zahl der Krankenhäuser infolge von
Jahr 2013 hatten 73 % der ehemals rau- Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtun- Schließungen und Fusionen um 18 % ge-
chenden Männer einen BMI von 25 und gen im Bereich der stationären Gesund- ringer. Annähernd jedes vierte Kranken-
mehr, der Anteil bei den aktiven Rauchern heitsversorgung (Betten und personelle hausbett (25 %) wurde abgebaut. u Tab 4
betrug 57 %. Für Frauen gilt vergleich­ Ausstattung) sowie die Inanspruchnahme Zu Vergleichszwecken wird die Zahl
bares: Ex-Raucherinnen waren zu 47 % der angebotenen Leistungen beschrieben. der Häuser und Betten je 100 000 Ein-
übergewichtig, Raucherinnen zu 37 %. Krankenhäuser und Vorsorge- oder wohner ermittelt. Der Durchschnitt lag
Rehabilitationseinrichtungen sind Gegen- bei 2,4 Krankenhäusern und 618 Betten
10.1.6 Stationäre Versorgung: stand der jährlich durchgeführten seit je 100 000 Einwohner. Die Zahl der Kran-
­Krankenhäuser, Vorsorge- oder 1991 bundeseinheitlichen Krankenhaus- kenhäuser je 100 000 Einwohner sank im
Rehabilitationseinrichtungen statistik. Sie erfasst in erster Linie Anga- Vergleich zu 1991 um 20 %. Um gut ein
Die medizinische Versorgung in Deutsch- ben über die sachliche und personelle Viertel (26 %) verringerte sich die Zahl
land wird durch drei große Akteure ge- Ausstattung der Häuser (zum Beispiel An- der Betten je 100 000 Einwohner. Ein
prägt: Die Erbringer ambulanter Leistun- zahl der Häuser, aufgestellte Betten sowie Krankenhaus in Deutschland verfügte im
gen (beispielsweise in Praxen nieder­­­ ärztliches und nichtärztliches Personal). Jahr 2014 über durchschnittlich 253 Bet-
gelassener Ärztinnen und Ärzte sowie in Darüber hinaus ermöglicht die Erhebung ten (1991: 276 Betten).
Apotheken), die Erbringer stationärer patientenbezogener Daten (Fallzahl und Informationen zum Personal in Kran-
Leistungen (in Krankenhäusern, Vorsorge- Berechnungs- / Belegungstage beziehungs- kenhäusern werden zum einen als Be-
oder Rehabilitationseinrichtungen und weise Pflegetage) Aussagen über leistungs- schäftigtenzahl (sogenannte Kopfzahl)
Pflegeheimen) sowie die Leistungserbrin- bezogene Kennziffern der Einrichtungen zum 31. Dezember eines Jahres, zum an-
ger vorgelagerter Marktstufen (Hersteller (Nutzungsgrad der Betten und durch- deren in Form von Vollzeitäquivalenten
von medizinisch-technischen Geräten schnittliche Verweildauer). erhoben. Die Beschäftigtenzahl berück-

286
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Tab 4  Krankenhäuser, Betten und Patientenbewegungen

Krankenhäuser Patientenbewegungen

durch- durch- durchschnitt-


Berechnungs-/
insgesamt Betten insgesamt schnittliche Fallzahl schnittliche liche Betten-
Belegungstage
Bettenzahl Verweildauer auslastung

je 100 000 je 100 000


Anzahl Anzahl je Haus in 1 000 in Tagen in %
Einwohner¹ Einwohner¹

1991 2 411 3,0 665 565 832 276 14 577 204 204 14,0 84,1

1995 2 325 2,8 609 123 746 262 15 931 182 627 11,5 82,1

2000 2 242 2,7 559 651 681 250 17 263 167 789 9,7 81,9

2005 2 139 2,6 523 824 635 245 16 539 143 244 8,7 74,9

2010 2 064 2,5 502 749 615 244 18 033 141 942 7,9 77,4

2014 1 980 2,4 500 680 618 253 19 148 141 534 7,4 77,4

in %
Veränderung 2014
– 17,9 – 20,0 – 24,8 –25,7 – 8,3 31,4 – 30,7 – 47,1 – 8,0
gegenüber 1991

1  Ab 2011 mit der Durchschnittsbevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 berechnet, 2014 vorläufige Ergebnisse.

u Tab 5  Ärztliches und nichtärztliches Personal der Krankenhäuser

Vollkräfte im Jahresdurchschnitt Personalbelastungszahl je Vollkraft nach Betten¹

nichtärztlicher Dienst² nichtärztlicher Dienst²


ärztlicher ärztlicher
Dienst darunter Dienst darunter
zusammen zusammen
Pflegedienst Pflegedienst
1991 95 208 780 608 326 072 29,3 3,6 8,6

1995 101 590 785 974 350 571 24,5 3,2 7,1

2000 108 696 725 889 332 269 21,0 3,2 6,9

2005 121 610 674 488 302 346 16,2 2,9 6,5

2010 134 847 681 411 306 213 14,4 2,8 6,3

2014 150 757 708 670 318 749 12,8 2,7 6,1

in %

Veränderung 2014 gegenüber 1991 58,3 – 9,2 – 2,2 – 56,3 – 25,0 – 29,1

1  Anzahl der durchschnittlich je Vollkraft pro Arbeitstag zu versorgenden belegten Betten.


2  Ohne Personal der Ausbildungsstätten und ohne Schüler /-innen und Auszubildende.

sichtigt im Unterschied zum Vollzeit- u Info 4

äquivalent keine unterschiedlichen Be- Personalbelastungszahl – Vollkräfte


schäftigungsmodelle, zum Beispiel Teil- Ein Vergleich der Personalausstattung von Krankenhäusern und Vorsorge- oder Rehabili-
zeit- oder geringfügige Beschäftigung. tationseinrichtungen in Deutschland basiert auf der Personal­b elastungszahl bezogen auf
belegte Betten. Diese Kennziffer gibt an, wie viele belegte Betten eine Vollkraft durch-
Um dem Rechnung zu tragen, werden die schnittlich pro Arbeitstag zu ver­s orgen hat. Durch Einbeziehung der Jahresarbeitszeit
Beschäftigten auf die volle tarifliche Ar- ­e iner Vollkraft wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein belegtes Bett 24 Stunden
beitszeit, das heißt in Vollkräfte, umge- Betreuung pro Tag erfordert, eine Vollkraft jedoch an durchschnittlich 220 Arbeitstagen im
Jahr (nur) acht Stunden täglich zur Verfügung steht. Die Personalbelastungszahl ergibt
rechnet. u Info 4 sich entsprechend als Quotient aus der Anzahl der Stunden, die die Betten in einem Jahr
Die Personalbelastungszahl wird je- belegt waren (= Belegungsstunden der Betten im Jahr) und der Anzahl der Stunden,
weils für das ärztliche und das nichtärzt- die die Vollkräfte für die ­B etreuung der Betten in einem Jahr zur Verfügung standen
(= Jahresarbeitsstunden der Vollkräfte).
liche Personal der Krankenhäuser ermit-
telt sowie innerhalb des nichtärztlichen

287
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

Personals gesondert für den Pflegedienst. legte Betten zu betreuen. Im Jahr 1991 durchschnittlich 14,0 Tage. Die Verweil-
Dem Pflegedienst kommt im Bereich der waren es noch mehr als doppelt so viele dauer im Krankenhaus wird wesentlich
Krankenhäuser eine besondere Bedeu- (29,3 Betten). Eine Vollkraft im nichtärzt- von der Diagnose der Patientinnen und
tung zu, da hier 45 % der Vollkräfte im lichen Dienst hatte 2014 im Bundes- Patienten und damit der Fachabteilung,
nichtärztlichen Dienst arbeiten. durchschnitt täglich 2,7 Betten zu versor- in der sich diese aufhalten, beeinflusst.
In allen genannten Beschäftigten- gen; 1991 waren es 3,6 Betten gewesen. Während ein Aufenthalt in der Fachabtei-
gruppen ist die Personalbelastung nach Im Pflegedienst war eine Vollkraft im lung »Augenheilkunde« im Durchschnitt
Anzahl der pro Arbeitstag zu versorgen- Jahr 2014 im Durchschnitt pro Arbeitstag 3,0  Tage dauerte, mussten Patientinnen
den belegten Betten zurückgegangen. für 6,1 belegte Betten zuständig (1991: und Patienten in der Fachabteilung
Dies ist in erster Linie Folge des kontinu- 8,6 Betten). »Herzchirurgie« mit 10,9 Tagen gut drei-
ierlichen Rückgangs der Verweildauer mal so lange im Krankenhaus bleiben.
(– 47 %) seit 1991. Zugleich nahm aber Leistungen und Auslastung der Die längste durchschnittliche Verweildau-
auch die Zahl der Vollkräfte ab: im Pfle- Krankenhäuser er in einer allgemeinen Fachabteilung
gedienst um 2 % und im nichtärztlichen Rund 19,1 Millionen Patientinnen und betrug 15,6 Tage in der »Geriatrie«. Der
Dienst insgesamt um 9 %. Folglich sank Patienten wurden 2014 vollstationär im Aufenthalt in einer psychiatrischen
die Personalbelastung der Pflegevollkräf- Krankenhaus behandelt. Die Zahl der Fachabteilung dauerte zwischen 22,5 Ta-
te 2014 gegenüber 1991 um 2,5 Betten ­B erechnungs-­/ Belegungstage lag bei gen in der »Psychiatrie und Psychothera-
(– 29 %), die Belastung der Vollkräfte im 141,5 Millionen. Gegenüber 1991 ist die pie« und 41,7 Tagen in der »Psychothera-
nichtärztlichen Dienst insgesamt um Fallzahl um 31 % gestiegen – zugleich ist peutischen Medizin/Psychosomatik«.
0,9 Betten (– 25 %). die Zahl der Berechnungs-/Belegungs­ Während der Anstieg der Zahl der Pa-
Im ärztlichen Dienst ist die Personal- tage um 31 % zurückgegangen. tientinnen und Patienten ein Indiz für die
belastung sogar um 16,5 belegte Betten Aus der Division von Berechnungs- Zunahme des Anteils älterer Menschen
(– 56 %) zurückgegangen. Dieser Effekt ist und Belegungstagen durch die Zahl der an der Bevölkerung mit entsprechend er-
zurückzuführen auf die parallel zum Patientinnen und Patienten (Fälle) wird höhter Krankheitsanfälligkeit ist, lässt
Rückgang der Verweildauer verlaufende die durchschnittliche Verweildauer be- sich die Verkürzung der durchschnitt­
Zunahme der Vollkräfte im ärztlichen rechnet, die im Jahr 2014 im Durchschnitt lichen Verweildauer mit dem medizini-
Dienst um 58 %. u Tab 5 bei 7,4 Tagen lag. Die Liegezeiten im schen Fortschritt einerseits und den Maß-
Im Durchschnitt hatte eine Vollkraft Krankenhaus haben sich drastisch ver- nahmen zur Kostendämpfung im Ge-
im ärztlichen Dienst 2014 täglich 12,8 be- kürzt: ein Aufenthalt dauerte 1991 noch sundheitsbereich andererseits erklären.

u Tab 6  Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Betten und Patientenbewegungen

Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen Patientenbewegungen

durch- durch­ durchschnitt-


insgesamt Betten insgesamt schnittliche Fallzahl Pflegetage schnitt­liche liche Betten-
Bettenzahl Verweildauer auslastung
je 100 000 je 100 000
Anzahl Anzahl je Haus in 1 000 in Tagen in %
Einwohner¹ Einwohner¹
1991 1 181 1,5 144 172 180 122 1 473 45 729 31,0 86,9

1995 1 373 1,7 181 633 222 132 1 896 58 820 31,0 88,7

2000 1 393 1,7 189 822 231 136 2 046 52 852 25,8 76,1

2005 1 270 1,5 174 479 212 136 1 814 46 774 25,8 73,4

2010 1 237 1,5 171 724 210 139 1 975 50 219 25,4 80,1

2014 1 158 1,4 165 657 205 143 1 973 49 837 25,3 82,4

in %
Veränderung 2014
– 1,9 6,7 14,9 13,9 17,2 33,9 9,0 – 18,4 – 5,2
gegenüber 1991

1  Ab 2011 mit der Durchschnittsbevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 berechnet, 2014 vorläufige Ergebnisse.

288
Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung  / 10.1  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Im Jahr 2014 waren die Krankenhaus- Für 100 000 Einwohner standen im Eine ärztliche Vollkraft hatte 2014 im
betten zu gut 77 % (1991: 84 %) ausgelastet. Durchschnitt 1,4 Vorsorge- oder Rehabi- Durchschnitt täglich 80,1 belegte Betten
In diesem Wert kommt das Verhältnis aus litationseinrichtungen und 205 Betten zu betreuen. Im Jahr 1991 waren es noch
tatsächlicher Bettenbelegung und maxi- zur Verfügung. Die Einrichtungsdichte 105,2 Betten. Auf eine einzelne Vollkraft
maler Bettenbelegung zum Ausdruck. In ist gegenüber 1991 um 0,1 gesunken, die im nichtärztlichen Dienst entfielen durch-
allen psychiatrischen Fachabteilungen lag Bettendichte um 25 Betten gestiegen. Im schnittlich 8,4 täglich zu versorgende be-
die Bettenauslastung über 92 % (maximal Durchschnitt verfügte eine Vorsorge- legte Betten; im Jahr 1991 waren es 8,6
94 % in der »Psychiatrie und Psychothera- oder Rehabilitationseinrichtung 2014 Betten gewesen. Eine Pflegevollkraft küm-
pie«). Im Bereich der allgemeinen Fachab- über 143 Betten (1991: 122 Betten). merte sich täglich im Durchschnitt um
teilungen hatte die »Geriatrie« mit 91 % Die Personalbelastung bezogen auf 32,6 Betten (1991: 47,6 Betten).
die höchste, die »Nuklearmedizin« mit die täglich zu versorgenden belegten Bet-
48 % die geringste Bettenauslastung. ten ist in Vorsorge- oder Rehabilitations- Leistungen und Auslastung von
einrichtungen sowohl für das ärztliche als Vorsorge- oder Rehabilitations-
Ausstattung von Vorsorge- oder auch für das nichtärztliche Personal deut- einrichtungen
Rehabilitationseinrichtungen lich höher als im Krankenhausbereich. Die Zahl der Patientinnen und Patienten
Im Jahr 2014 gab es in Deutschland 1 158 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrich-
Einrichtungen für Vorsorge- oder Reha- Versorgung der Patientinnen und Patien- tungen lag 2014 bei knapp 2 Millionen und
bilitationsmaßnahmen mit 166 000 Bet- ten in Vorsorge- oder Rehabilitationsein- damit um ein Drittel (34 %) höher als 1991
ten. Von 1991 bis 1996 stieg die Zahl der richtungen weniger zeit- und betreuungs- (1,5 Millionen). Insgesamt verbrachten die
­Einrichtungen um 19 % (1991: 1 181; 1996: intensiv ist als im Krankenhaus. u Tab 7 Patientinnen und Patienten rund 50 Milli-
1 404). Die Zahl der Betten nahm bis 1998 Für alle betrachteten Beschäftigten- onen Pf legetage in den Einrichtungen,
um ein Drittel (32 %) zu (1991: 144 000; gruppen ist die Personalbelastung nach 4,1 Millionen Pflegetage mehr als 1991.
1998: 191 000). Seitdem ist sowohl die Betten gesunken, trotz eines Anstiegs der Daraus ergibt sich eine rechnerische
Zahl der Einrichtungen als auch die der Pflegetage (entspricht der Anzahl der be- Verweildauer von durchschnittlich
Betten rückläufig. Insgesamt ist die Zahl legten Betten). Die Pflegetage stiegen im 25,3 Tagen. Im Jahr 1991 lag diese noch
der Vorsorge- oder Rehabilitationsein- Vergleich zu 1991 um 9,0 %, und die Zahl bei 31,0 Tagen. In der Fachabteilung »All-
richtungen 2014 im Vergleich zu 1991 um der Vollkräfte stieg deutlich stärker: Im gemeinmedizin« dauerte der Aufenthalt
2 % niedriger, die Zahl der aufgestellten ärztlichen Dienst um 43 % und im Pflege- in einer Vorsorge- oder Rehabilitations-
Betten jedoch um 15 % höher. u Tab 6 dienst um 59 %. einrichtung 19,5 Tage. Mehr als dreimal

u Tab 7  Ärztliches und nichtärztliches Personal der Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen

Vollkräfte im Jahresdurchschnitt Personalbelastungszahl je Vollkraft nach Betten¹

nichtärztlicher Dienst² nichtärztlicher Dienst²


ärztlicher ärztlicher
Dienst darunter Dienst darunter
zusammen zusammen
Pflegedienst Pflegedienst

1991 5 926 72 148 13 103 105,2 8,6 47,6

1995 8 284 91 603 18 004 96,8 8,8 44,6

2000 8 299 89 547 21 010 86,8 8,0 34,3

2005 8 073 83 474 20 889 79,0 7,6 30,5

2010 8 214 84 142 21 140 83,4 8,1 32,4

2014 8 483 81 039 20 857 80,1 8,4 32,6

in %

Veränderung 2014 gegenüber 1991 43,1 12,3 59,2 – 23,9 – 2,3 – 31,5

1  Anzahl der durchschnittlich je Vollkraft pro Arbeitstag zu versorgenden belegten Betten.


2  Ohne Personal der Ausbildungsstätten und ohne Schüler/-innen und Auszubildende.

289
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.1 /  Gesundheitszustand der Bevölkerung und Ressourcen der Gesundheitsversorgung

u Tab 8  Krankenversicherung nach Art des Versicherungsverhältnisses 2011 — in Tausend

Ohne Mit
Insgesamt Männlich Weiblich Migrations- Migrations-
hintergrund hintergrund

Zur Krankenversicherung befragte Personen (hochgerechnet)1 79 158 38 622 40 536 64 567 14 591

Krankenversicherte 79 031 38 543 40 487 64 494 14 536

 gesetzlich krankenversichert 69 295 32 772 36 523 55 778 13 517

 selbst versichert 51 663 25 865 25 798 43 574 8 089

 als Familienangehörige / r mitversichert 17 633 6 908 10 725 12 204 5 428

 privat krankenversichert 9 280 5 477 3 803 8 363 917

 ausschließlich sonstiger Anspruch auf Krankenversorgung 2 210 174 36 172 38

 ohne Angabe des Versicherungsverhältnisses 244 120 124 180 64

Nicht Krankenversicherte 3
128 79 49 73 55

1 Ohne 1,1 Millionen Personen (hochgerechnet), denen erhebungsbedingt die Fragen zur Krankenversicherung nicht gestellt wurden (sogenannte Jahresüberhänge).
2 Anspruch auf Krankenversorgung als Sozialhilfeempfänger /-in, Kriegsschadenrentner /-in oder Empfänger /-in von Unterhaltshilfe aus dem Lastenausgleich, Beamte,
Richter, Freie Heilfürsorge der Polizei, der Bundeswehr und Zivildienstleistenden.
3 Hierzu zählen Personen, die die Frage »Sind Sie krankenversichert?« verneint und keinen sonstigen Anspruch auf Krankenversorgung haben.
Ergebnisse des Mikrozensus – Bevölkerung am Hauptwohnsitz.

so lange (durchschnittlich 65,9 Tage) hiel- Krankenversicherung machten. Dabei


ten sich Patientinnen und Patienten in der waren Frauen etwas häufiger (90 %) ge-
Fachabteilung »Psychiatrie und Psycho- setzlich krankenversichert als Männer
therapie« auf. (85 %). Privat krankenversichert waren
Die Betten waren 2014 zu 82 % (1991: rund 12 % der Einwohnerinnen und Ein-
87 %) ausgelastet: am stärksten in der wohner, Männer etwas häufiger (14 %) als
Fachabteilung »Psychiatrie und Psychothe- Frauen (9 %). Allerdings gab es – trotz ge-
rapie« (90 %), gefolgt von der »Neurologie« setzlicher Krankenversicherungspflicht –
mit 88 %; am geringsten in der Fachabtei- auch 128 000 Menschen, die nicht kran-
lung »Kinderheilkunde« mit 61 %. kenversichert waren und auch keinen
sonstigen Anspruch auf Krankenversor-
10.1.7 Krankenversicherung gung besaßen. Das entspricht einem An-
In Deutschland ist eine Absicherung im teil von 0,2 % der Bevölkerung. Von den
Krankheitsfall in Form eines Versiche- Personen ohne Krankenversicherungs-
rungsverhältnisses für alle Einwohner schutz waren 79 000 männlich und 49 000
­g esetzlich vorgeschrieben. Unter dem weiblich. Rund 55 000 der Personen ohne
Schutz der gesetzlichen Krankenversiche- Krankenversicherung hatten einen Mig-
rung standen knapp 88 % der Menschen, rationshintergrund. u Tab 8
die im Jahr 2011 im Rahmen des Mikro-
zensus (siehe Info 1) Angaben zu ihrer

290
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  / 10.2  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

10.2 Das Gesundheitssystem steht vor zentra-


len Herausforderungen, die fortwähren-
geleiteten Reformen. Im Folgenden wer-
den einige dieser Aspekte exemplarisch
Gesundheit, den Reformdruck erzeugen. Dies sind vor nach sozio-demografischen Eigenschaf-
Einstellungen allem die demografische Entwicklung
hin zu einem steigenden Anteil älterer
ten der Bevölkerung beschrieben.

und Verhalten Menschen in der Gesellschaft und ein 10.2.1 Einschätzungen des Gesund-
fortwährender medizinischer Fortschritt. heitszustandes und der
Beide Aspekte haben vor allem finanziel- Gesundheitszufriedenheit
Markus M. Grabka
le Konsequenzen, die sich in Kostenstei- Angaben zur Beschreibung des Gesund-
DIW
gerungen äußern. Insbesondere die ge- heitszustandes und zur Gesundheitszu-
setzliche Krankenversicherung als zent- friedenheit unterscheiden sich durch den
WZB / SOEP raler Pfeiler für die gesundheitliche Grad der subjektiven Prägung. Die Ein-
Versorgung der Bevölkerung in Deutsch- schätzung des Gesundheitszustandes bil-
land ist mit diesen zentralen Herausfor- det stärker die »objektive« Bewertung ab,
derungen konfrontiert, was sich für die die Aussagen zur Zufriedenheit das
Versicherten vorrangig in steigenden Bei- »subjektive« Moment. Beide Bewertun-
tragssätzen, erhöhten Zuzahlungen oder gen hängen vorrangig vom tatsächlichen
Leistungsauslagerungen äußert. Krankheitsgeschehen ab, sie sind aber
Das zum 1. Januar 2009 in Kraft ge- auch abhängig vom jeweiligen Anspruch
tretene Gesetz zur nachhaltigen und sozi- an das gesundheitliche Wohlbefinden.
al ausgewogenen Finanzierung der Ge- Wenn die Zufriedenheit sinkt, kann dies
setzlichen Krankenversicherung (GKV- auf eine tatsächliche Verschlechterung
FinG) hat die finanzielle Belastung weiter des Gesundheitszustandes oder auf ein
zuungunsten der Versicherten verscho- gestiegenes Anspruchsniveau zurückzu-
ben, denn darin wurde erstmals der Bei- führen sein. Dies erklärt zum Beispiel
tragssatz für die Arbeitgeber zur Gesetz- den Befund, dass bei vergleichbarem ge-
lichen Krankenversicherung festgeschrie- sundheitlichem Status die Zufriedenheit
ben. Künftige Ausgabensteigerungen älterer Menschen höher ist als die jünge-
müssen daher vorrangig aus dem Kreis rer. Diese Differenzierung wird noch
der Versicherten über Zusatzbeiträge ge- deutlicher, wenn die Veränderungen der
deckt werden. Das zentrale Ziel der deut- beiden Indikatoren nicht gleichförmig
schen Gesundheitspolitik ist die Sicher- verlaufen; wenn also mit einer Verbesse-
stellung einer umfassenden Versorgung rung der Gesundheitszustandsbeschrei-
mit medizinischen Leistungen für alle bung eine Verschlechterung der Zufrie-
Schichten und Gruppen der Bevölkerung. denheit einhergeht.
Vor dem Hintergrund einer zunehmen- In Tabelle 1 wird die Einschätzung
den finanziellen Belastung für die Versi- des Gesundheitszustandes differenziert
cherten und Patienten, stellt sich jedoch nach sozialen Merkmalen in den Jahren
die Frage, ob sie dieses Ziel weiterhin er- 1992, 2002 und 2012 ausgewiesen. Wird
reichen kann. nach Altersgruppen unterschieden, be-
Angesichts dieser Umbruchsituation stätigt sich der Zusammenhang zwi-
ist die dauerhafte und detaillierte Beob- schen dem tatsächlichen Gesundheits­
achtung von Gesundheitszustand und ge- zustand und der Einschätzung durch die
sundheitsbezogener Lebensqualität, von Befragten. Denn mit höherem Alter
Indikatoren der Inanspruchnahme des nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, an einer
Versorgungssystems und die Erfassung oder an mehreren Krankheiten zu leiden.
der individuellen Präferenzen von Versi- Über die Zeit hinweg hat jedoch der An-
cherten und Patienten mehr denn je von teil der Personen im Alter ab 60 Jahren,
Bedeutung. Denn deren Berücksichti- die ihren Gesundheitszustand als gut be-
gung ist eine entscheidende Bedingung zeichnen, zugenommen. Dieser Befund
für die erfolgreiche Umsetzung der ein- kann ein Hinweis darauf sein, dass die

291
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.2 /  Gesundheit, Einstellungen und Verhalten

u Tab 1  Bewertung des Gesundheitszustandes nach sozio-demografischen Merkmalen 1992, 2002 und 2012 — in Prozent

Bewertung des Gesundheitszustandes

Gut Zufriedenstellend Schlecht


1992 2002 2012 1992 2002 2012 1992 2002 2012
Insgesamt 52 47 49 30 35 33 17 18 18

Geschlecht
Männer 58 50 51 28 34 33 14 16 16
Frauen 48 44 47 32 35 33 20 20 19
Alter
Bis 40 Jahre 75 69 70 19 24 22 6 7 8
40 – 59 Jahre 48 46 48 34 36 35 17 17 16
Ab 60 Jahre 23 23 30 43 45 41 35 32 29
Berufsbildung
Ohne Abschluss 42 38 42 34 37 35 24 26 23
Mittlerer Abschluss 52 46 43 31 36 37 17 18 20
Fachhoch-, Hochschule 64 54 56 26 33 30 10 13 14
Erwerbstätigkeit
Vollzeiterwerbstätig 64 60 59 27 31 32 9 10 9
Teilzeiterwerbstätig 58 51 55 30 37 33 12 12 12
Nicht erwerbstätig 41 36 40 33 37 35 25 26 26
Monatliches Haushaltseinkommen1
< 1 000 Euro 33 36 33 36 34 34 31 31 33
1 000 – 2 000 Euro 43 39 41 34 38 37 23 23 22
2 000 – 3 000 Euro 55 48 52 30 35 33 15 17 16
> 3 000 Euro 61 58 60 27 31 30 12 11 10
Kassenwechsler (nur GKV)
nein – 46 49 – 35 33 – 19 18
ja – 63 57 – 29 29 – 8 14
Region
Westdeutschland 51 48 50 31 34 33 18 18 17
Ostdeutschland 56 45 45 30 36 36 14 19 19

1 Inflationsbereinigte Nettoeinkommen in Preisen von 2010.


– Nicht vorhanden.
Datenbasis: SOEP 2013.

allgemein steigende Lebenserwartung höheres Bildungsniveau geht oftmals mit ten gegenüber Teilzeitbeschäftigten. Die-
mit einem Zuwachs an gesunden Lebens- einem gesundheitsbewussten Verhalten ser Befund ist aber vorrangig auf die un-
jahren verbunden ist, was im Einklang einher. u Tab 1 terschiedliche geschlechtsspezifische
mit der sogenannten Kompressionsthese Daneben finden sich auch geschlechts- Einschätzung des Gesundheitszustands
in den Gesundheitswissenschaften stün- spezifische Unterschiede: Frauen beurtei- zurückzuführen und spiegelt wiederum
de. Ein höheres Bildungs- aber vor allem len ihren Gesundheitszustand kritischer keine realen Morbiditätsunterschiede
ein höheres Einkom-mensniveau sind als Männer. Diese Unterschiede spiegeln wider. Nicht Erwerbstätige schätzen mit
mit einer besseren Einschätzung des Ge- allerdings keine realen Morbiditätsdiffe- Abstand ihren Gesundheitszustand am
sundheitszustands verbunden. Dies steht renzen wider. Bisher gibt es für diese schlechtesten ein. Dieses Ergebnis ist vor-
im Einklang mit gesundheitswissen- ­Differenzen noch keine umfassenden und rangig dem höheren Lebensalter dieser
schaftlichen Analysen, die die Bedeu- allgemein akzeptierten Erklärungen. Im Personen geschuldet. Bei Personen im er-
tung von individuell zur Verfügung ste- Hinblick auf die Erwerbsbeteilung zeigt werbsfähigen Alter kann ein schlechter
henden Ressourcen für den Gesund- sich eine bessere Einschätzung des Ge- Gesundheitszustand aber sowohl Folge
heitszustand ­b etonen. Insbesondere ein sundheitszustands bei Vollzeitbeschäftig- als auch Ursache von Arbeitslosigkeit

292
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  / 10.2  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Abb 1: Entwicklung der Zufriedenheit mit der Gesundheit

u Abb 1  Entwicklung der Zufriedenheit mit der Gesundheit 1990 – 2013 — Mittelwerte auf einer Zufriedenheitsskala von 0 bis 10

7,0

6,8

6,6

6,4

6,2

6,0

5,8

5,6
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: SOEP 2013.


Datenbasis: SOEP v30.

sein. Insbesondere psychische Erkran- den« variiert. Vergleicht man die Ent- 10.2.2 Sorgen um die eigene
kungen kommen bei Arbeitslosen im wicklung zwischen den beiden Landestei- Gesundheit
Vergleich zu Erwerbstätigen deutlich len über die vergangenen 20 Jahre, zeigt Ein weiterer subjektiver Indikator, der die
häufiger vor. Zwischen den beiden Lan- sich der überraschende Befund, dass im psychosoziale Dimension von Gesundheit
desteilen haben sich Veränderungen er- Jahr 1990 die Zufriedenheit in Ost- zu erfassen versucht, ist die Sorge um die
geben. Während Anfang der 1990er­- deutschland knapp über dem Niveau im eigene Gesundheit. Dieser Indikator kann
Jahre der Gesundheitszustand in Ost- Westteil des Landes lag. Seitdem haben als negatives Maß des subjektiven Wohlbe-
deutschland noch besser eingeschätzt sich die beiden Landes­teile in ihren Zu- findens und subjektiv empfundener Unsi-
wurde als in Westdeutschland, hat sich friedenheitsniveaus auseinanderentwi- cherheit verstanden werden und unter-
dies zuungunsten der Personen in Ost- ckelt. Im Jahr 2001 war bislang der größ- scheidet sich von der Zufriedenheit mit der
deutschland verschoben. Dies zeigt sich te Unterschied zu konstatieren, welcher Gesundheit darin, dass nicht vorrangig die
auch in der Analyse der Gesundheits­ sich anschließend nur geringfügig verän- aktuelle gesundheitliche Verfassung be-
zufriedenheit. dert hat. Das unterschiedliche Zufrieden- schrieben wird, sondern dass stärker eine
Die stärker subjektive Komponente heitsniveau in den beiden Landesteilen Erwartungskomponente in der subjektiven
der Einschätzung der gesundheitlichen dürfte dabei vor allem auf eine unter- Einschätzung enthalten ist. Dabei spielt für
Situation wird in Abbildung 1 anhand schiedliche demografische Entwicklung das gesundheitsrelevante Verhalten die
der Zufriedenheit mit der Gesundheit zurückzuführen sein, da der Anteil jün- Einstellung zur eigenen Gesundheit eine
dargestellt. Die Zufriedenheit wird dabei gerer und damit für gewöhnlich gesund- wichtige Rolle. Ist eine Person in besonde-
anhand einer 11er-Skala erhoben, die heitlich zufriedenerer Menschen in Ost- rem Maße um ihre Gesundheit besorgt,
zwischen den Werten 0 »ganz und gar deutschland seit der Vereinigung abge- kann dies zu einer Veränderung ihres Ver-
unzufrieden« bis 10 »ganz und gar zufrie- nommen hat.  u Abb 1 haltens führen. Die Antwortkategorien zur

293
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.2 /  Gesundheit, Einstellungen und Verhalten

uTab 2  Große Sorgen über die eigene Gesundheit 2000, 2005, 2010 und 2013 Generell gilt zudem, dass sich mehr
— in Prozent Frauen große Sorgen um ihre Gesundheit
2000 2005 2010 2013
machen als Männer, was auf einen be-
wussteren Umgang mit ihrer Gesundheit
Insgesamt 19 20 22 19
schließen lässt. Sowohl Personen mit
Geschlecht
niedrigem Einkommen als auch diejeni-
Männer 16 19 20 17
gen, die über einen schlechten Gesund-
Frauen 21 22 23 20
heitszustand verfügen oder in Ost-
Alter
deutschland leben, sind häufiger besorgt.
Bis 40 Jahre 10 11 13 11
Überraschend ist hierbei, dass in der
40 – 59 Jahre 18 19 21 18
Gruppe mit einem weniger guten oder
Ab 60 Jahre 30 33 31 26
schlechten Gesundheitszustand seit 2000
Berufsbildung
der Anteil mit großen Sorgen abgenom-
Ohne Abschluss 27 29 31 25
men hat. Hier dürften neben Gewöh-
Mittlerer Abschluss 19 20 23 20
nungseffekten vermutlich auch Fort-
Fochhoch-, Hochschule 11 14 14 11
schritte in der medizinischen Behand-
Erwerbstätigkeit
lung zu einem positiveren Blick in die
Vollzeiterwerbstätig 12 12 14 11
Zukunft beitragen.
Teilzeiterwerbstätig 14 15 17 14
Nicht erwerbstätig 26 28 29 26
Monatliches Haushaltseinkommen1
10.2.3 Übergewicht und Adipositas
< 1 000 Euro 30 30 36 32
in Deutschland
1 000 – 2 000 Euro 24 27 28 23
Adipositas (Fettsucht) gehört unbestrit-
2 000 – 3 000 Euro 17 19 21 16
ten zu den größten Risikofaktoren für
> 3 000 Euro 12 12 13 10
eine Reihe von Krankheiten. So besteht
Kassenwechsler (nur GKV)
ein deutlicher Zusammenhang mit Herz-
nein 19 21 22 19
Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.
ja 11 16 15 17
Deshalb stellt die kontinuierliche Beob-
Region
achtung des Körpergewichts in der Be-
Westdeutschland 18 20 21 17 völkerung eine wichtige Aufgabe der Ge-
Ostdeutschland 22 25 25 23 sundheitsberichterstattung und der (Pri-
Gesundheitszustand mär-)Prävention dar. Das international
sehr gut 4 4 4 2 am weitesten verbreitete Instrument zur
gut 5 5 8 5 Einteilung nach Gewichtsklassen ist der
zufriedenstellend 16 15 19 16 Body-Mass-Index (BMI). Dieser berech-
weniger gut 57 55 54 51 net sich aus dem Körpergewicht in Kilo-
schlecht 92 91 86 86 gramm dividiert durch die Körpergröße
in Metern zum Quadrat. In Tabelle 3 sind
1  Inflationsbereinigte Nettoeinkommen in Preisen von 2010.
Datenbasis: SOEP 2013. Kategorien aufgeführt, die einer Fest­
legung durch die Weltgesundheitsorgani-
sation (WHO) entsprechen. Gezeigt wer-
Frage nach den Sorgen um die eigene Ge- gilt, dass mit zunehmenden Alter auch den auch die jeweiligen Risiken für Be-
sundheit sind »große Sorgen«, »einige Sor- die großen Sorgen um die Gesundheit gleiterkrankungen, die von der WHO
gen« und »keine Sorgen«. In Tabelle 2 wird zunehmen, in der Gruppe der über formuliert worden sind. u Tab 3
der Anteil der Personen ausgewiesen, die 60-Jährigen hat sich das Sorgenniveau in Umstritten ist, ob bereits die Gruppe
angeben, große Sorgen zu haben. u Tab 2 den letzten Jahren jedoch leicht reduziert. »Präadipositas« – immerhin mehr als ein
Insgesamt ist rund ein Fünftel aller Auch dieser Befund kann dahin gehend Drittel der erwachsenen Bevölkerung –
Personen um ihre Gesundheit sehr be- gedeutet werden, dass die zunehmende als Zielgruppe für Aktionen zur Ge-
sorgt. Seit 2000 pendelt der Anteil der Lebenserwartung mit einem Zuwachs an wichtsreduzierung gehören sollte, denn
sehr Besorgten um dieses Niveau, obwohl gesunden Lebensjahren verbunden ist. nach einer umfassenden Metastudie ist
insgesamt die Lebenserwartung und da- Bei den jüngeren Altersgruppen zeigen geringfügiges Übergewicht nicht mit ei-
mit das durchschnittliche Alter der Be- sich dagegen über die Zeit keine bedeu- nem höheren Mortalitätsrisiko assoziiert.
völkerung leicht zugenommen hat. Zwar tenden Veränderungen. Zudem wird von der Gruppe mit Präadi-

294
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  / 10.2  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Tab 3  Body-Mass-Index in West- und Ostdeutschland 2002, 2006 und 2012 — in Prozent

Risiko für Westdeutschland Ostdeutschland


Kategorie BMI
Begleiterkrankungen
2002 2006 2012 2002 2006 2012
Untergewicht <18,5 niedrig 3 2 3 3 3 3

Normalgewicht 18,5 – 24,9 durchschnittlich 48 46 43 46 44 41

Übergewicht ≥25

 Präadipositas 25 – 29,9 gering erhöht 36 36 36 36 36 37

 Adipositas Grad I 30 – 34,9 erhöht 11 12 13 13 13 15

 Adipositas Grad II 35 – 39,9 hoch 2 3 3 2 4 4

 Adipositas Grad III ≥ 40 sehr hoch 1 1 1 1 1 1

Datenbasis: SOEP 2013.

u Tab 4  Adipositas (BMI≥30) nach Geschlecht und Alter 2002, 2006 und 2012 — in Prozent

Männer Fauen Insgesamt

2002 2006 2012 2002 2006 2012 2002 2006 2012

Insgesamt 14 17 19 14 16 17 14 16 18
Altersgruppen
Bis 20 Jahre 2 6 6 2 2 4 2 4 5
20 – 29 Jahre 6 8 10 7 8 9 7 8 9
30 – 39 Jahre 11 11 17 9 12 13 10 11 15
40 – 49 Jahre 15 19 19 14 16 18 15 17 19
50 – 59 Jahre 19 24 25 15 20 24 17 22 24
60 – 69 Jahre 19 21 25 20 22 21 20 21 23
Ab 70 Jahre 13 17 19 18 20 20 16 19 20

Datenbasis: SOEP 2013.

positas ein hohes Maß an Wohlbefinden Bundesländern, wenngleich hier mit einem zelnen Altersgruppen bestehen erhebliche
berichtet. Unstrittig dagegen ist, dass die- Anteil von einem Fünftel weiterhin mehr Unterschiede in den Anteilen von Überge-
jenigen, die einen BMI von 30 und mehr Personen mit ausgeprägtem Übergewicht wichtigen zwischen Männern und Frauen.
aufweisen und die deshalb als adipös leben. Während insbesondere in den Altersgrup-
(fettsüchtig) gelten, mit einem erhebli- Der zunehmende Anteil von Personen pen der 20- bis 39-Jährigen und der 60- bis
chen Risiko für Begleiterkrankungen mit ausgeprägtem Übergewicht kann mit 69-Jährigen der Anteil der Übergewichti-
rechnen müssen. Entsprechend finden der Alterung der Bevölkerung zusammen- gen bei Männern überwiegt, neigen hinge-
sich bei Adipösen auch höhere Inan- hängen. In Tabelle 4 wird deshalb eine nach gen Frauen im Alter ab 70 Jahren stärker zu
spruchnahmeraten in Form von vermehr- Alter und Geschlecht differenzierte Auf- Adipositas.
ten Arztbesuchen oder Krankenhausauf- schlüsselung nur für diejenigen Personen
enthalten im Vergleich zu denjenigen mit dargestellt, die einen BMI von 30 und mehr 10.2.4 Inanspruchnahme von ambu-
Normalgewicht. aufweisen. Während noch 2002 Männer lanten Gesundheitsleistungen
In beiden Landesteilen hat der Anteil und Frauen gleich häufig von Adipositas be- Indikatoren zur Inanspruchnahme von
der Adipösen zwischen 2002 und 2012 troffen waren, ist der Zuwachs bis 2012 mit Gesundheitsleistungen dokumentieren
zugenommen. Dies steht weitgehend im rund 5 gegenüber 3 Prozentpunkten unter nicht nur das Krankheitsgeschehen der
Einklang mit internationalen Trends. Männern größer als bei Frauen. u Tab 4 Bevölkerung, sondern bilden auch eine
Mehr als jeder Sechste der Bevölkerung Der Anteil der Übergewichtigen steigt wichtige Basis zur Einschätzung der Ver-
hat derzeit einen BMI von 30 oder mehr. zunächst mit zunehmendem Alter an, um sorgungssituation. Struktur und Ent-
Dabei ist der Zuwachs an Adipösen in dann im höheren Alter von mehr als 70 wicklung der Inanspruchnahme von Ge-
Westdeutschland stärker als in den neuen Jahren wieder leicht zurückzugehen. In ein- sundheitsleistungen geben zudem Hin-

295
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.2 /  Gesundheit, Einstellungen und Verhalten

u Tab 5  Arztbesuche und durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche pro Patient im letzten Quartal 1995, 2000, 2005, 2010 und 2013
Arztbesuche Kontaktfrequenz
1995 2000 2005 2010 2013 1995 2000 2005 2011 2013
in % Mittelwert
Insgesamt 72 69 70 71 75 4,5 4,0 3,8 3,5 3,4
Geschlecht
Männer 64 62 64 65 71 4,1 3,8 3,7 3,4 3,3
Frauen 79 75 75 76 79 4,8 4,1 4,0 3,5 3,5
Alter
Bis 40 Jahre 63 59 60 59 67 3,3 3,3 3,1 2,9 3,0
40 – 59 Jahre 70 65 66 67 71 4,6 3,8 3,7 3,4 3,5
Ab 60 Jahre 88 84 85 85 85 5,7 4,7 4,5 3,9 3,6
Berufsbildung
Ohne Abschluss 76 71 71 70 76 5,0 4,5 4,2 3,6 3,5
Mittlerer Abschluss 72 68 70 72 75 4,6 4,0 3,8 3,6 3,4
Fachhoch-, Hochschule 70 68 72 72 74 3,5 3,4 3,6 3,2 3,3
Erwerbstätigkeit
Vollzeiterwerbstätig 62 59 61 62 67 3,7 3,3 3,1 2,9 3,0
Teilzeiterwerbstätig 70 68 70 71 74 3,6 3,4 3,5 3,4 3,1
Nicht erwerbstätig 80 77 77 77 81 5,1 4,5 4,4 3,8 3,7
Monatliches Haushaltseinkommen1
< 1 000 Euro 76 75 71 71 77 4,3 5,0 4,3 3,7 3,8
1 000 – 2 000 Euro 74 72 73 74 78 5,3 4,2 4,2 3,7 3,6
2 000 – 3 000 Euro 72 67 69 69 74 4,3 3,9 3,7 3,5 3,3
> 3 000 Euro 66 65 67 69 71 4,0 3,5 3,5 3,1 3,1
Kassenwechsler (nur GKV)
nein 72 69 70 71 75 4,5 4,0 3,9 3,5 3,4
ja – 65 64 64 69 – 3,5 3,4 2,9 4,0
Region
Westdeutschland 72 68 69 70 75 4,7 4,1 3,9 3,5 3,5
Ostdeutschland 75 72 72 73 74 3,8 3,5 3,6 3,1 3,2
Gesundheitszustand
sehr gut 43 45 44 46 55 2,4 2,1 2,1 1,8 2,1
gut 62 58 58 60 65 2,8 2,5 2,5 2,4 2,4
zufriedenstellend 78 77 77 77 81 3,9 3,7 3,4 3,3 3,1
weniger gut 92 91 91 89 90 7,2 6,0 5,7 4,9 5,0
schlecht 98 97 95 95 95 10,9 10,0 8,6 7,2 7,7

1 Inflationsbereinigte Nettoeinkommen in Preisen von 2010.


– Nicht vorhanden.
Datenbasis: SOEP 2013.

weise für die Beurteilung der Kosten im nen, die in den letzten drei Monaten vor und sagt auch etwas aus über die Entschei-
Gesundheitswesen sowie auf Versor- der Befragung mindestens einmal einen dungen der Ärzte und ihr therapeutisches
gungsdefizite, Überkapazitäten und Inef- Arzt aufgesucht haben. Hierbei kann es Handeln. Die Kontakthäufigkeiten inner-
fizienzen. Diese Indikatoren stellen damit sich um Arztbesuche aufgrund einer aku- halb der Krankheitsepisoden werden des-
auch eine empirische Basis zur Beurtei- ten oder chronischen Erkrankung han- halb auch durch das Überweisungs- bezie-
lung der Bedarfsgerechtigkeit dar. deln, aber auch um Vorsorgeuntersuchun- hungsweise Wiederbestellverhalten der je-
Die ambulante Inanspruchnahme gen im Rahmen von Präventionsprogram- weiligen Ärzte bestimmt. u Tab 5
wird hier mit zwei Indikatoren beschrie- men. Der Indikator »Kontaktfrequenz« Mehr als zwei Drittel der Bevölke-
ben. Die »Quartalsinanspruchnahme« be- pro Patient im letzten Quartal bezieht sich rung kontaktierten in den vergangenen
zieht sich auf den Anteil derjenigen Perso- stärker auf einzelne Krankheitsepisoden drei Monaten einen Arzt. Dieser Anteil

296
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  / 10.2  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

hat sich insgesamt in den letzten Jahren ärztliche Konsultationen mit dem Wegfall Zwischen den verschiedenen sozio-
kaum verändert, zuletzt stieg dieser Wert der Praxisgebühr wieder vermehrt getä- demografischen Gruppen haben sich die
2013 aber leicht an. Dies kann dadurch tigt werden. Unterschiede in der Kontaktfrequenz in
erklärt werden, dass in dem entsprechen- Bezogen auf die Kontaktfrequenz zeigt den letzten 20 Jahren reduziert und vari-
den Befragungsjahr ein größerer Anteil sich ein generell rückläufiger Trend. Dies ieren im Durchschnitt nur noch gering-
von Interviews bereits in den Wintermo- überrascht insofern, da über einen Zeit- fügig untereinander. Eine Ausnahme bil-
naten durchgeführt wurde, in denen sai- raum von nahezu 20 Jahren die Bevölke- det der Gesundheitszustand. Hier gilt
sonal bedingt verstärkt Erkältungs- rung im Durchschnitt gealtert ist und eine weiterhin, dass die Zahl der Arztbesuche
krankheiten auftreten. Zudem wurde die zunehmende Inanspruchnahme gesund- erwartungsgemäß mit einem von den
im Jahr 2004 eingeführte Praxisgebühr heitlicher Dienstleistungen zu vermuten Befragten schlechter eingeschätzten Ge-
für die Erstinanspruchnahme ambulan- gewesen wäre. Betrachtet man die Gruppe sundheitszustand zunimmt. Allerdings
ter ärztlicher Behandlung innerhalb ei- der über 60-Jährigen, so lässt sich ein hat über die Zeit hinweg die Zahl der
nes Quartals zum 1.1.2013 abgeschafft, überdurchschnittlicher Rückgang in der Arztbesuche bei Personen mit einem weni-
wodurch es ebenfalls zu einem Anstieg Zahl der Arztbesuche beobachten. Wäh- ger guten oder schlechten Gesundheits-
der Arztbesuche gekommen sein könnte. rend sie Mitte der 1990er-Jahre noch zustand überdurchschnittlich abgenom-
Innerhalb der sozio-demografischen durchschnittlich 5,7 Mal im letzten Quar- men. Hier kann vermutet werden, dass
Gruppen sind die Strukturen über die tal einen Arzt aufsuchten, lag dieser Wert die sukzessive Einführung von sogenann-
Zeit hinweg stabil. Stets gilt, dass Frauen 2013 nur noch bei 3,6. Dies kann als weite- ten strukturierten Behandlungsprogram-
häufiger zum Arzt gehen als Männer, sowie rer Beleg für die oben angesprochene men in der Gesetzlichen Krankenversi-
dass die Wahrscheinlichkeit für einen Kompressionsthese gedeutet werden, nach cherung zu diesem Rückgang beigetra-
Erstkontakt mit absteigender Einschät- der die allgemein steigende Lebenserwar- gen hat. Diese Programme sehen eine
zung des Gesundheitszustandes kontinu- tung mit einem Zuwachs an gesunden intensive Betreuung für Versicherte, die
ierlich zunimmt. Dies korrespondiert Lebensjahren verbunden ist. an chronischen Erkrankungen leiden,
auch mit dem Befund, dass mit einem
höheren Lebensalter erwartungsgemäß

3/4
auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt,
einen Arzt aufzusuchen.
Beim Haushaltseinkommen zeigte
sich Mitte der 1990er-Jahre noch ein höhe-
rer Anteil von Arztbesuchen bei niedrigeren
Einkommensgruppen. Dieser Unterschied
hat sich bis zum Jahr 2010 reduziert. Eine
mögliche Ursache für diesen Rückgang
könnte in der Einführung der Praxisge- der Bevölkerung kontaktierten
bühr liegen, da diese eine monetäre Barri- 2013 in den vergangenen drei
Monaten einen Arzt.
ere für die Erst-Inanspruchnahme ambu-
lanter Leistungen darstellt, die besonders
untere Einkommensgruppen betrifft.
Zeitgleich mit dem Wegfall der Praxisge-
bühr in 2013 stieg erwartungsgemäß vor
allem für die untere Einkommensgruppe
der entsprechende Anteil wieder an. Auch
beim Gesundheitszustand kann dieser
Zusammenhang unterstellt werden. Per-
sonen mit einem weniger guten oder
schlechten Gesundheitszustand haben ei-
nen weitgehend unverändert hohen An-
teil von Erstkontakten, während bei ei-
nem sehr guten Gesundheitszustand der
Anteil zwischen 2010 und 2013 um 9 Pro-
zentpunkte ansteigt. Hier kann vermutet
werden, dass nicht zwingend notwendige

297
10 /  Abb
Gesundheit und soziale
2: Entwicklung Sicherung  10.2
der durchschnittlichen Zahl / der
Gesundheit,
ArztbesucheEinstellungen
pro Patient imund Verhalten
letzten Quartal

u Abb 2  Entwicklung der durchschnittlichen Zahl der Arztbesuche pro Patient im letzten Quartal 1995 – 2013

4,7

4,5
4,4

4,3

4,1 4,1 4,1


4,0 4,0
3,9 3,9 3,9
3,8 3,8 3,8
3,7 3,7 3,7 3,7 3,7 3,7 3,7
3,6 3,6 3,6
3,5 3,5 3,5 3,5 3,5

3,4 3,4

3,3 3,3
3,2 3,2
3,1 3,1

1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013

Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: SOEP 2013.


Datenbasis: SOEP v30.

vor, um Folgeerkrankungen und unnöti- dung 2 ausgewiesen, wobei hier zusätzlich Inanspruchnahme hat sich zwischen den
ge Arztbesuche zu vermeiden und darü- nach Ost- und Westdeutschland differen- beiden Landesteilen jedoch seit 1995 ver-
ber hinaus Kosten einzusparen. Eine ziert wird. Insgesamt zeigen die Daten ringert. 2013 beträgt dieser nur noch rund
weitere Ausnahme findet sich bei denje- einen kontinuierlichen Trend zu einer Sen- 0,3 Arztbesuche pro Quartal gegenüber
nigen, die angeben, im Vorjahr ihre kung der Zahl der Arztbesuche, wobei der einem Wert von 0,9 im Jahr 1995. u Abb 2
Krankenkasse gewechselt zu haben. deutliche Rückgang zwischen 2003 und
Während in den 2000er-Jahren stets Per- 2004 auf die Einführung der Praxisgebühr 10.2.5 Stationäre Inanspruch­
sonen ohne Kassenwechsel häufiger einen zurückzuführen sein dürfte. In den darauf nahme – Krankenhausaufenthalte
Arzt besucht haben als Nichtwechsler, folgenden Jahren steigt die Zahl der Arzt- Die stationäre Inanspruchnahme wird
hat sich dieser Befund 2013 umgedreht. kontakte aber wieder auf das Niveau der ebenfalls durch zwei Indikatoren abgebil-
Waren in den 2000er-Jahren vor allem fi- Vorjahre an und folgt dem langjährigen det. Die erste Kennziffer erfasst den An-
nanzielle Motive relevant für einen Kas- Trend. Bemerkenswert ist darüber hinaus, teil derjenigen Personen, die im letzten
senwechsel, gewinnen mit den jüngsten dass die Zahl der Kontakte in den neuen Jahr mindestens eine Nacht als Patient im
Gesundheitsreformen die Behandlungs- Bundesländern stets niedriger ist als im Krankenhaus verbracht haben. Die zweite
qualität, der Leistungsumfang oder auch Westen. Möglicherweise zeigt sich immer Kennziffer ist die Gesamtzahl der im letz-
die Erreichbarkeit einer Krankenkasse noch der Einfluss der in der DDR vorherr- ten Jahr pro Patient verbrachten Nächte
an Bedeutung. Diese Aspekte haben für schenden Form der ambulanten Versor- im Krankenhaus. Da die niedergelasse-
ältere Versicherte eine größere Relevanz gung durch Polikliniken. Diese Form der nen Ärzte über die stationäre Einweisung
und haben mit dazu geführt, dass sich Versorgung wies deutliche Parallelen auf entscheiden, hängt die Höhe des Anteils
die Population der Kassenwechsler ver- zu Strukturen, auf die die neuen Formen derer, die mindestens einmal im Jahr im
ändert hat. der Versorgung (integrierte Versorgung; Krankenhaus waren, auch vom Verhalten
Die längerfristige Entwicklung der am- medizinische Versorgungszentren) abzie- der Ärzte ab. Die Gesamtzahl der im
bulanten Inanspruchnahme ist in Abbil- len. Der Unterschied in der am­bulanten Krankenhaus verbrachten Nächte – die

298
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  / 10.2  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Tab 6  Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr und Dauer des Aufenthalts pro Patient 1995, 2000, 2005, 2010 und 2013

Krankenhausaufenthalt Durchschnittliche Anzahl der Nächte

1995 2000 2005 2010 2013 1995 2000 2005 2010 2013
Anteil in % Mittelwert
Insgesamt 13 12 12 12 13 19 16 15 13 12
Geschlecht
Männer 10 11 11 12 13 22 17 16 13 12
Frauen 15 14 13 13 14 18 16 14 13 12
Alter
Bis 40 Jahre 10 10 9 7 9 11 11 10 11 7
40 – 59 Jahre 11 10 10 9 10 18 14 14 13 11
Ab 60 Jahre 18 17 18 21 21 27 21 17 14 14
Berufsbildung
Ohne Abschluss 15 14 14 12 13 22 18 16 14 13
Mittlerer Abschluss 13 13 12 13 15 19 17 15 13 12
Fachhoch-, Hochschule 10 10 11 11 11 17 14 12 12 10
Erwerbstätigkeit
Vollzeiterwerbstätig 8 10 9 9 9 13 11 10 8 8
Teilzeiterwerbstätig 8 8 7 8 10 12 10 9 10 8
Nicht erwerbstätig 17 15 15 16 17 22 20 17 16 14
Monatliches Haushaltseinkommen1
< 1 000 Euro 14 15 13 15 15 22 20 22 21 18
1 000 – 2 000 Euro 16 14 14 15 16 22 18 16 14 12
2 000 – 3 000 Euro 12 12 12 12 12 17 15 13 11 11
> 3 000 Euro 9 10 9 9 10 14 13 11 11 10
Kassenwechsler (nur GKV)
nein 13 12 12 12 13 19 16 15 13 12
ja – 9 10 8 11 – 15 12 8 10
Region
Westdeutschland 13 12 12 12 13 19 17 14 13 12
Ostdeutschland 12 13 14 13 14 19 15 15 12 11

1 Inflationsbereinigte Nettoeinkommen in Preisen von 2010.


– Nicht vorhanden.
Datenbasis: SOEP 2013.

Verweildauer – ist ein zentraler Indikator einem Krankenhausaufenthalt mit 13 % Tage zu konstatieren. Dieser Rückgang
für die stationäre Versorgung. Von einer gleich geblieben, die Verweildauer ist geht einher mit der zunehmenden Bedeu-
geringeren Verweildauer verspricht man aber deutlich um mehr als ein Drittel ge- tung ambulanter Pflegedienste, die die
sich eine deutliche Senkung der Ausgaben sunken. weitere Versorgung von aus dem Kran-
für das Gesundheitswesen. Denn die Aus- Bedingt durch das höhere durch- kenhaus entlassenen Patienten mit leisten.
gaben für die stationäre Versorgung ma- schnittliche Alter von Frauen, haben diese Die Gefahr einer stark reduzierten Ver-
chen gut ein Drittel der gesamten Ge- eine etwas höhere Häufigkeit von Kran- weildauer besteht jedoch darin, dass Pati-
sundheitsausgaben aus. u Tab 6 kenhausaufenthalten. Zudem gilt, dass enten zu früh aus der stationären Behand-
Im internationalen Vergleich wies mit zunehmendem Alter sowohl die Zahl lung entlassen werden und es zu soge-
und weist Deutschland eine überdurch- als auch die Dauer von Krankenhausauf- nannten Drehtüreffekten kommen kann,
schnittliche Dauer von Kranken­­­­­h aus­ enthalten zunimmt. Die Gruppe der Älte- wenn bei Komplikationen eine erneute
aufenthalten auf, weshalb die Politik die ren ist aber auch gleichzeitig diejenige, für Einweisung in das Krankenhaus notwen-
Prämisse »ambulant vor stationär« setzte, die über die Zeit hinweg die stärkste Re- dig wird.
um vorrangig die Ausgaben im stationä- duktion in der Verweildauer zu beobach- Bei der Inanspruchnahme des stationä-
ren Sektor zu begrenzen. Von 1995 auf ten ist. Zwischen 1995 und 2013 ist ein ren Sektors liegt auch ein Einkommens-
2013 ist zwar der Anteil der Personen mit Rückgang um 13 Tage auf nunmehr 14 und Bildungsgradient vor. Personen mit

299
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.2 /  Gesundheit, Einstellungen und Verhalten

u Tab 7  Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung mit einer geringem Einkommen und ohne beruf­
privaten Zusatzversicherung 2000, 2004, 2008 und 2012 — in Prozent lichen Abschluss weisen nicht nur häufige-
2000 2004 2008 2012
re Krankenhausaufenthalte auf, auch de-
ren Verweildauer ist deutlich höher als bei
Private Zusatzversicherung
Personen aus der höchsten Einkommens-
ja 9,6 11,4 18,8 21,6 gruppe beziehungsweise bei Fachhoch-
Leistungsumfang schul- oder Universitätsabsolventen. Die
(Mehrfachnennungen möglich) Gruppe der unteren Einkommensbezie-
Krankenhausbehandlung 7,1 8,3 10,6 10,8 her sowie diejenigen ohne beruflichen Ab-
Zahnersatz 3,7 5,6 13,2 16,6 schluss weisen zudem überdurchschnitt-
Heil- und Hilsmittel 2,7 3,8 7,8 8,7 lich starke Rückgänge bei der Verweildau-
Auslandsaufenthalt 2,6 3,8 7,5 7,5
er auf. Diese fallen bei beiden Gruppen mit
zehn beziehungsweise neun Tagen weni-
Sonstiges 1,5 1,9 2,4 2,8
ger seit 1995 fast so groß aus wie bei den
Geschlecht
Personen im Alter ab 60 Jahren.
Männer 9,2 11,0 17,1 20,3

Frauen 9,8 11,8 20,2 22,7 10.2.6 Private


Alter Krankenzusatzversicherungen
Bis 40 Jahre 9,2 11,5 19,0 19,0 Die Gesetzliche Krankenversicherung hat
40 – 59 Jahre 10,8 12,9 20,1 24,7
einen weitgehend vereinheitlichten Leis-
tungskatalog, von dem einzelne Kran-
Ab 60 Jahre 8,8 9,9 17,1 20,6
kenkassen nur in geringem Umfang, zum
Berufsbildung
­B eispiel bei der Gewährung alternativer
Ohne Abschluss 5,3 5,4 9,0 10,4 Heilmethoden, abweichen dürfen. Über
Mittlerer Abschluss 9,8 12,0 19,7 23,3 diesen gesetzlich festgelegten Leistungs-
Fachhoch-, Hochschule 17,9 20,0 30,3 32,3 katalog hinaus bieten private Versiche-
Erwerbstätigkeit rungen (zum Teil in Kooperation mit
Vollzeiterwerbstätig 11,2 14,8 23,7 26,9
gesetz­lichen Krankenkassen) Zusatzver-
sicherungen an, die einen individuelleren
Teilzeiterwerbstätig 12,0 15,0 23,2 27,4
Krankenversicherungsschutz ermögli-
Nicht erwerbstätig 7,8 8,6 14,3 16,5
chen. Gründe für den wachsenden Markt
Monatliches Haushaltseinkommen1
an privaten Krankenzusatzversicherun-
< 1 000 Euro 4,6 3,8 8,0 8,5 gen lassen sich an den Leistungsmerkma-
1 000 – 2 000 Euro 6,2 8,0 14,2 15,5 len erkennen, die auch Hinweise auf die
2 000 – 3 000 Euro 9,0 11,2 20,2 23,8 Motive geben, derartige Policen abzu-
> 3 000 Euro 17,3 19,8 28,8 33,3 schließen. Im Prinzip können die priva-
ten Krankenzusatzversicherungen in
Kassenwechsler (nur GKV)
fünf Bereiche eingeteilt werden: Zahnver-
nein 9,3 11,2 18,5 21,4
sorgung, Krankenhausbehandlung, Pfle-
ja 13,7 14,2 24,9 24,8
ge, Tagegelder und Ergänzungsversiche-
Region rungen, zum Beispiel zur Absicherung
Westdeutschland 10,9 12,8 20,7 23,3 des Krankenversicherungsschutzes bei
Ostdeutschland 4,2 5,8 11,7 15,2 Auslandsreisen. u Tab 7
Gesundheitszustand Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil
sehr gut 10,2 12,2 21,2 20,5
der GKV-Versicherten mit einer privaten
Zusatzversicherung mehr als verdoppelt.
gut 10,9 11,8 21,3 24,2
Mehr als jeder fünfte in der gesetzlichen
zufriedenstellend 9,2 12,0 18,4 21,9
Krankenversicherung verfügt 2012 über
weniger gut 7,6 10,3 15,0 17,8 zusätzlichen privaten Versicherungsschutz.
schlecht 5,7 6,5 10,6 10,2 Den größten Anteil haben Zusatzversiche-
rungen, die über zusätzliche Leistungen
1  Inflationsbereinigte Nettoeinkommen in Preisen von 2010.
Datenbasis: SOEP 2013. beim Zahnersatz verfügen. Hier ist auch

300
Gesundheit, Einstellungen und Verhalten  / 10.2  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

der größte Zuwachs mit mehr als einer lenzprinzip im Gegensatz zum in der ge-
Verdreifachung seit 2000 zu beobachten. setzlichen Krankenversicherung ange-
Diese Entwicklung geht vermutlich darauf wendeten Solidarprinzip wirken. Danach
zurück, dass seit 2005 in der gesetzlichen bemisst sich die Prämienhöhe einer pri-
Krankenversicherung für Zahnersatz nur vaten Versicherung nach dem Risiko, das
noch ein befundbezogener Festzuschuss maßgeblich von dem aktuellen Gesund-
für eine Regelversorgung vorgesehen ist, heitszustand und dem Alter abhängt.
der unabhängig von den tatsächlichen Be- Dies bedeutet, dass Personen mit Vorer-
handlungskosten ist. Darüber hinaus ge- krankungen einen deutlich höheren Preis
hende Leistungen müssen privat getragen für eine private Zusatzversicherung zah-
werden – beispielsweise mittels einer Zu- len müssen, was diese entsprechend weni-
satzversicherung. Die am zweithäufigsten ger attraktiv macht.
genannte Zusatzversicherung umfasst den Die Zahlen zur Struktur der privaten
Bereich der Krankenhausbehandlung. Da- Krankenzusatzversicherung sind auch
rüber hinaus haben Zusatzversicherungen Ausdruck eines verstärkten, politisch ge-
für Heil- und Hilfsmittel – unter anderem wünschten Wettbewerbs zwischen den
Brillen und andere Sehhilfen überdurch- gesetzlichen Kassen. Sie zeigen, dass für
schnittlich an Bedeutung gewonnen. Versicherte und Patienten Leistungsum-
Private Zusatzversicherungen schlie- fang und Leistungsqualität zunehmend
ßen Frauen und Personen mittleren Alters an Bedeutung gewinnen.
besonders häufig ab. Zudem kann ein
­Bildungs- und Einkommensgradient be­ 10.2.7 Ausblick
obachtet werden. Personen mit einem Internationale Vergleichsstudien zeigen,
Fachhochschul- oder Universitätsabschluss dass die Kosten für die Gesundheitsversor-
haben dreimal häufiger eine Zusatzver­ gung in Relation zum Bruttoinlandspro-
sicherung als Personen ohne beruflichen dukt in Deutschland nach den USA und
Bildungsabschluss. Vergleichbares gilt der Schweiz am höchsten sind. Gleichwohl
auch beim Haushaltseinkommen, wobei nimmt Deutschland im Vergleich der
der Unterschied mit rund viermal mehr Qualität der Gesundheitsversorgung in
Versicherungsabschlüssen zwischen der einzelnen Bereichen keinen vorderen
unteren und oberen Einkommensgruppe Rangplatz ein. Dennoch kann die Gesund-
noch ausgeprägter ist. Versicherte, die eine heitsversorgung insgesamt als durchaus
Krankenkasse gewechselt haben, schließen zufriedenstellend beurteilt werden. Her-
im Durchschnitt häufiger eine Zusatzver­ vorzuheben ist insbesondere die im inter-
sicherung ab als Nichtwechsler. Dies weist nationalen Vergleich bisher breite Abde-
darauf hin, dass diese Angebote ein An- ckung gesundheitlicher Risiken durch das
reiz für den Wechsel der Krankenkasse deutsche Krankenversicherungssystem.
sein können, lässt sich aber auch dahin­ Allerdings wird sich diese Abdeckung im
gehend interpretieren, dass diese Perso- Zuge des nachhaltigen Umbaus des Ge-
nen sich bewusst mit ihrer gesundheit­ sundheitssystems ebenso ändern wie die
lichen Absicherung im Krankheits­falle aus­ finanzielle Belastung für die Versicherten
einandersetzen. und Patienten. Deshalb wird ständig zu
Personen mit einem sehr guten oder prüfen sein, ob das Prinzip der Sicherstel-
guten Gesundheitszustand sind häufiger lung eines gleichen Zugangs zu den Ein-
im Besitz einer Zusatzversicherung als richtungen des medizinischen Versor-
diejenigen, die ihren Gesundheitszu- gungssystems durch die eingeleiteten Re-
stand schlechter einschätzen. Dies darf formen gefährdet wird.
nicht im Sinne unterschiedlicher Präfe-
renzen für einen individuellen Gesund-
heitsschutz interpretiert werden, sondern
hier dürfte das generell in der privaten
Krankenversicherung geltende Äquiva-

301
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

10.3 Der Begriff »gesundheitliche Ungleich-


heit« beschreibt soziale Unterschiede im
Männern aus der hohen Einkommens-
gruppe um den Faktor 2,6 erhöht ist. Bei
Gesundheitliche Gesundheitszustand, im Gesundheitsver- Frauen beträgt das entsprechende Ver-
Ungleichheit halten und in der Gesundheitsversor-
gung der Bevölkerung. Mit der Sozialepi-
hältnis 2,8 zu 1. u Abb 1
Bezüglich der Verbreitung chroni-
demiologie hat sich in den letzten Jahren scher Krankheiten und Beschwerden
Thomas Lampert, Benjamin Kuntz, eine eigenständige Forschungsdisziplin lässt sich für die Altersgruppe ab 45 Jah-
Jens Hoebel, Stephan Müters, etabliert, die den Schwerpunkt auf die ren feststellen, dass viele Erkrankungen
Lars Eric Kroll Analyse der gesundheitlichen Ungleich- in der Armutsrisikogruppe vermehrt auf-
Robert Koch-Institut heit legt. Die Gesundheitsberichterstat- treten, so zum Beispiel Herzinfarkt,
tung präsentiert mittlerweile regelmäßig Schlaganfall, Angina pectoris, Hyperto-
Daten und Fakten zum Ausmaß und zur nie, Diabetes, chronische Bronchitis,
WZB / SOEP
Entwicklung der gesundheitlichen Un- chronische Lebererkrankung, Osteopo-
gleichheit. Im Folgenden wird auf ver- rose, Arthrose und Depression. Bei Män-
schiedene Datenquellen zurückgegriffen, nern besteht ­außerdem ein Zusammen-
wie zum Beispiel das Sozio-oekonomi- hang zwischen Armutsrisiko und Herz-
sche Panel (SOEP, Version v30), den Mikro­ insuffizienz, Arthritis sowie chronischer
zensus und das Gesundheitsmonitoring Niereninsuffizienz. Bei Frauen treten ne-
des Robert Koch-Instituts, um die ge- ben den zuvor genannten Erkrankungen
sundheitliche Ungleichheit in Deutsch- und Beschwerden auch Asthma bronchi-
land zu beschreiben. ale und er­höhte Blutfettwerte in der Ar-
mutsrisikogruppe häufiger auf.
10.3.1 Einkommen und Gesundheit Viele chronische Krankheiten und Be-
Das Einkommen vermittelt den Zugang schwerden können auf Risikofaktoren zu-
zu den meisten Bedarfs- und Gebrauchs- rückgeführt werden, die mit dem Ge-
gütern und ist eine wichtige Grundlage sundheitsverhalten in Zusammenhang
der Vermögensbildung, der Vorsorge und stehen. Neben dem Tabak- und Alkohol-
der sozialen Absicherung. Neben den konsum sowie körperlicher Inaktivität
materiellen Aspekten ist auf die Bedeu- und Fehlernährung gilt dies auch für
tung des Einkommens für die soziale Übergewicht, insbesondere für Adipositas
­I ntegration und soziokulturelle Teilhabe als starke Ausprägungsform (ab einem
sowie für das psychosoziale Wohlbe­ Body-Mass-Index von 30 – siehe dazu
finden und die gesundheitsbezogene ­Kapitel 10.2.3). Wie die Daten der Studie
­L ebensqualität zu verweisen. So lässt zur Gesundheit Erwachsener in Deutsch-
sich zeigen, dass Personen, die einem Ar- land (DEGS) deutlich machen, sind Män-
mutsrisiko (siehe Kapitel 6.2.2 und 6.3.2) ner und Frauen, die einem Armutsrisiko
ausgesetzt sind, ihren allgemeinen Ge- ausgesetzt sind, in fast allen Altersgrup-
sundheitszustand häufiger als weniger pen deutlich häufiger adipös als Männer
gut oder schlecht bewerten. Allerdings und Frauen aus den höheren Einkom-
bestehen in dieser Hinsicht auch Unter- mensgruppen. Bei statistischer Kontrolle
schiede zwischen den Angehörigen der des Alterseffektes haben Männer aus der
mittleren und höheren Einkommens- niedrigen im Vergleich zu Männern aus
gruppe. Diese Einkommensabhängigkeit der hohen Einkommensgruppe ein um
zeichnet sich bei Männern und Frauen den Faktor 2 erhöhtes Risiko adipös zu
spätestens ab einem Lebensalter von sein. Bei Frauen aus der nie­d rigen Ein-
30 Jahren deutlich ab. Bei statistischer kommensgruppe ist das Risiko sogar um
Kontrolle des Alterseffektes zeigt sich, den Faktor 3,1 erhöht. u Abb 2
dass bei Männern aus der armutsge­ Aufschluss über Einkommens­ u nter­
fährdeten Gruppe das Risiko eines weni- schiede in der Mortalität und Lebens­
ger guten oder schlechten allgemeinen erwartung geben Daten des SOEP. Dem­
Gesundheitszustandes im Verhältnis zu nach haben Männer und Frauen, deren

302
Gesundheitliche Ungleichheit  / 10.3  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Einkommen unterhalb der Armuts­risiko­ u Abb 1 Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes

grenze liegt, im Verhältnis zur hohen Ein- (»weniger gut« oder »schlecht«) nach drei Einkommensgruppen 2013 — in Prozent
kommensgruppe ein um das 2,7- bezie-
hungsweise 2,4-fach erhöhtes Mor­ta­litäts­ Männer 41,5 Frauen
43,2
40,6
risiko. Die mittlere Lebens­erwartung von
35,2
Männern der niedrigen Einkommens-
gruppe liegt bei Geburt fast elf ­Jahre unter 29,9
26,9
der von Männern der hohen Einkom­
21,2 22,1
mens­­gruppe. Bei Frauen beträgt die Diffe- 19,1 19,7 21,0 20,0
renz rund acht Jahre. Auffallend ist dabei,
14,5 15,1
dass sich auch zwischen den mittleren 11,3 7,9 10,8
9,2 10,0
Einkommens­g ruppen Unterschiede zei- 6,7
8,0
5,3 6,2
gen, sodass von einer gradu­ellen Abstu-
1,3
fung der Lebens­erwartung ausgegangen
werden kann. u Tab 1 18–29 30–44 45–64 Ab 65 18–29 30–44 45–64 Ab 65
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
Auch in der ferneren Lebenserwar-
tung ab einem Alter von 65 Jahren zeich- < 60 % 60 – <150% ≥150% ... des mittleren Einkommens
nen sich die Unterschiede zwischen den
Datenbasis: SOEP 2013.
Einkommensgruppen deutlich ab. Einer
aktuellen Studie zufolge beträgt die
­Differenz bei Männern 5,3 Jahre und bei
u Abb 2  Adipositas (BMI≥30) nach Einkommen 2008 – 2011 — in Prozent
Frauen 3,5 Jahre. Die Differenzen in der
ferneren Lebenserwartung lassen sich der
Studie zufolge zum Teil auf eine erhöhte Männer Frauen
45,7
psychische und physische Belastung 40,9 41,0
im Lebenslauf sowie auf geringere mate- 37,7
34,1 33,4
rielle, kulturelle und soziale Ressourcen 31,8
in der unteren Einkommensgruppe zu- 28,2 27,9
24,9
rückführen. 22,9 22,8 22,1
Auf sozialräumlicher Ebene ist der Zu- 18,1 18,3 17,6
10,7 13,6 14,8
sammenhang zwischen Einkommen und 7,8
8,8
Lebenserwartung ebenfalls zu beobachten. 7,5 7,4
Im Allgemeinen gilt, dass die mittlere 2,4
­L ebenserwartung bei Geburt in den Regi-
18–29 30–44 45–64 65–79 18–29 30–44 45–64 65–79
onen mit den niedrigsten Armutsrisiko- Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
quoten am höchsten ist und dass dieser
< 60 % 60 – <150% ≥150% ... des mittleren Einkommens
Zusammenhang umso stärker sichtbar
wird, je kleinräumiger die Betrachtung Datenbasis: DEGS 2008–2011.

erfolgt. Bei Männern beträgt die Diffe-


renz in der Lebenserwartung auf NUTS-2
Ebene (Regierungsbezirke beziehungs­ u Tab 1  Lebenserwartung bei Geburt nach Einkommen 1995 – 2005 — Mittelwert
weise statistische Regionen) zwischen den Männer Frauen
Regionen mit den höchsten und niedrigs- Einkommen
Lebenserwartung in Jahren
ten Armutsrisikoquoten etwa drei Jahre,
< 60 % des mittleren Einkommens 70,1 76,9
bei Frauen etwa ein Jahr. u Abb 3
60 – < 80 % des mittleren Einkommens 73,4 81,9
80 – < 100 % des mittleren Einkommens 75,2 82,0
10.3.2 Bildung als Ressource für
100 – < 150 % des mittleren Einkommens 77,2 84,4
Gesundheit
≥ 150 % des mittleren Einkommens 80,9 85,3
Neben dem Einkommen besitzt auch die
Insgesamt 75,3 81,3
Bildung einen hohen Stellenwert für die
Gesundheit. Durch den Zusammenhang Datenbasis: SOEP und Periodensterbetafeln 1995 – 2005.

303
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

u Abb 3  Zusammenhang zwischen mittlerer Lebenserwartung bei Geburt und u Info 1  


Armutsrisikoquote auf NUTS-2 Ebene (Regierungsbezirke, statistische Regionen) 2013 Bildungsniveau
Zur Ermittlung des Bildungsniveaus wird
im Folgenden auf die CASMIN-Klassifi-
Lebenserwartung in Jahren kation (»Comparative Analyses of Social
88 Mobility in Industrial Nations«) zurück­
gegriffen, die in den 1970er-Jahren für
international vergleichende Analysen
86
zur sozialen Mobilität entwickelt wurde.
Im Jahr 2003 wurde eine überarbeitete
Version vorgestellt, die aktuellen Ent-
wicklungen der Bildungssysteme, ins­
84 besondere in Großbritannien, Frankreich
und Deutschland, Rechnung trägt.
Die CASMIN-Klassifikation ist an
82 ­B ildungszertifikaten orientiert, wobei
­sowohl schulische als auch berufs­
bildende Abschlüsse berücksichtigt wer-
80 den. Die Bildungsabschlüsse w ­ erden
entsprechend ihrer funktionalen Äquiva-
lenz im Ländervergleich neun Katego­r ien
zugeordnet, von denen ausgehend ein
78
niedriges, mittleres und hohes Bildungs-
niveau (»primary / low secondary«,
­»mediate/high secondary« and »tertiary«
76 education) abgegrenzt werden kann.

Armuts-
74 risikoquote
8 10 12 14 16 18 20 22 24 in Prozent

Frauen Männer

Datenbasis: INKAR 2013; IT-NRW Ergebnisse des Mikrozensus.

u Abb 4  Erhebliche krankheitsbedingte Einschränkungen in der Alltagsbewältigung


nach Bildung 2012 — in Prozent
zwischen formalen Bildungsabschlüssen
Männer Frauen
und der Stellung in der Arbeitswelt erge-
ben sich Bezüge zu berufsbezogenen
26,0 ­B elastungen und Ressourcen sowie zur
Einkommens­s ituation. Bildung drückt
22,6
21,1 sich außerdem in Wissen und Hand-
18,2
lungskompetenzen aus, die eine gesund-
heitsförderliche Lebensweise und den
15,1 Umgang mit Belastungen und Gesund-
13,8 13,1
heitsproblemen unterstützen. Eine wich-
11,3 10,8 11,1
10,7 10,2 tige Rolle spielen dabei Einstellungen,
Überzeugungen und Werthaltungen,
6,4 5,9 5,9 die sich bereits früh im Leben unter
4,8
2,5 2,8 1,6 dem Einfluss der elterlichen Erziehung
2,5 2,0
1,0 0,9 1,6 und der Bildungsinstitutionen entwi-
ckeln. u Info 1
18–29 30–44 45–64 ab 65 18–29 30–44 45–64 ab 65
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Gesundheitliche Probleme und Krank-
heiten, welche die Ausübung alltäglicher
Bildung: Niedrig Mittel Hoch
Aktivitäten dauerhaft einschränken, sind
Datenbasis: GEDA 2012. mit negativen Konsequenzen für die Le-
bensqualität der Betroffenen verbunden,

304
Gesundheitliche Ungleichheit  / 10.3  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

haben Auswirkungen auf ihr soziales Um- u Abb 5  Starke körperliche Schmerzen in den letzten vier Wochen
feld und stellen zudem die sozialen (»immer« oder »oft«) nach Bildung 2012 — in Prozent
­Sicherungssysteme vor große Herausfor-
derungen. Nach den Daten der GEDA- Männer Frauen 31,5
Studie 2012 (»Gesundheit in Deutschland
aktuell«) geben Personen mit niedriger 27,9

Bildung in jedem Alter vermehrt an, 25,5


­aufgrund einer chronischen Krankheit
in der Alltagsgestaltung er­heblich ein­
21,8
geschränkt zu sein. Im Verhältnis zur 19,7
19,6
­hohen Bildungsgruppe drückt sich dies 18,3
bei Männern mit niedriger Bildung in 16,9 16,4

­einem um das 3,2-fache und bei Frauen 13,6


12,7 13,0
in einem um das 2,6-fache erhöhten Risi- 12,3
11,1
ko für funktionelle Einschränkungen
aus. u Abb 4 8,5
7,1 6,7
Personen mit niedriger Bildung be- 6,2
5,0 5,3
richten signifikant häufiger, in den letz- 4,2
3,3
ten vier Wochen immer oder oft unter
0,9
starken Schmerzen gelitten zu haben, als 0,3
Personen mit mittlerer und hoher Bil- 18–29 30–44 45–64 Ab 65 18–29 30–44 45–64 Ab 65
dung. Der Zusammenhang zwischen Bil- Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

dung und Schmerzen ist bei Männern Bildung: Niedrig Mittel Hoch
und Frauen in allen Altersgruppen zu
Datenbasis: SOEP 2012.
­beobachten. Kontrolliert man den Alters-
einfluss, haben Männer der niedrigen im
Vergleich zu denen der hohen Bildungs-
gruppe ein 2,6-mal so hohes Risiko, u Tab 2  Rauchverhalten nach Bildung 2012 — in Prozent
von starken körperlichen Schmerzen be- Männer Frauen
troffen zu sein. Bei Frauen beträgt das
Ex- Nie-
entsprechende Verhältnis 2,5 zu 1. Auch Raucher
Ex- Nie- Raucher-
Raucher- Raucher-
Raucher Raucher innen
zwischen der mittleren und hohen Bil- innen innen
dungsgruppe sind signifikante Unter- 18 – 29 Jahre
schiede im Vorkommen von Schmerzen Niedrige Bildung 50,6 9,0 40,5 36,4 13,3 50,3
festzustellen. u Abb 5
Mittlere Bildung 37,6 11,1 51,3 29,4 10,7 59,9
Die Bedeutung der Bildung für das
Hohe Bildung 24,6 11,0 64,4 25,8 12,2 62,0
Gesundheitsverhalten lässt sich mit Be-
funden zum Tabakkonsum verdeutlichen. 30 – 44 Jahre

Personen mit niedriger Bildung rauchen Niedrige Bildung 50,0 20,9 29,0 46,3 12,9 40,8
weitaus häufiger als Personen mit mittle- Mittlere Bildung 40,5 23,7 35,9 31,3 22,1 46,6
rer Bildung und insbesondere als Perso- Hohe Bildung 22,9 22,5 54,7 19,1 23,6 57,3
nen mit hoher Bildung. Bei statistischer
45 – 64 Jahre
Kontrolle des Alterseffektes ist das Risiko
Niedrige Bildung 37,9 34,7 27,4 29,9 26,4 43,7
zu rauchen bei Männern und Frauen mit
niedriger im Vergleich zu denen mit Mittlere Bildung 34,1 35,5 30,3 29,3 25,6 45,1

­hoher Bildung um den Faktor 2,3 bezie- Hohe Bildung 22,3 33,1 44,6 17,0 26,0 57,0
hungsweise 2,0 erhöht. Am Verhältnis Ab 65 Jahre
von ehemaligen und aktuellen Rauchern Niedrige Bildung 15,7 43,9 40,3 9,2 15,6 75,2
und Raucherinnen wird zudem deutlich,
Mittlere Bildung 15,3 50,9 33,8 10,3 23,0 66,7
dass Personen mit niedriger Bildung sel-
Hohe Bildung 10,5 45,4 44,2 8,0 27,3 64,7
tener beziehungsweise später das Rauchen
wieder aufgeben. u Tab 2 Datenbasis: GEDA 2012.

305
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

uTab 3  Sportliche Aktivität in den letzten drei Monaten nach Bildung 2012 Vergleichs der Geburtskohorten 1925 und
— in Prozent 1955 legen nahe, dass der allgemeine An-
stieg der mittleren Lebenserwartung in
Männer Frauen
engem Zusammenhang mit der Auswei-
≤2 >2 ≤2 >2
Kein Sport Stunden Stunden Kein Sport Stunden Stunden
tung der Bildungsbeteiligung der Bevöl-
pro Woche pro Woche pro Woche pro Woche kerung zu sehen ist. Männer im Alter von
18 – 29 Jahre 45 Jahren, die das Abitur oder Fachabitur
Niedrige Bildung 29,6 14,2 56,2 26,4 23,1 50,6
erworben haben, leben im Durchschnitt
5,3 Jahre länger als gleichaltrige Männer
Mittlere Bildung 12,1 15,7 72,2 13,8 27,5 58,8
mit Hauptschulabschluss oder ohne
Hohe Bildung 9,3 14,8 75,9 13,6 27,9 58,5
Schulabschluss.
30 – 44 Jahre

Niedrige Bildung 47,7 20,9 31,4 54,5 21,5 23,9 10.3.3 Arbeitsweltbezogene
Mittlere Bildung 31,2 21,8 47,1 28,1 28,4 43,6 ­Einflüsse auf Gesundheit
Hohe Bildung 11,8 28,4 59,8 19,7 33,7 46,6
Krankheits- oder unfallbedingte Fehl­zeiten
sind ein zentraler Indikator arbeits­
45 – 64 Jahre
weltbezogener Einflüsse auf die Gesundheit.
Niedrige Bildung 48,9 19,5 31,5 43,8 21,0 35,2
Sie machen auf Gesundheitsrisiken und
Mittlere Bildung 37,7 21,2 41,1 30,1 24,9 45,0 Belastungen aufmerksam, bevor Berufs­
Hohe Bildung 18,1 26,7 55,2 16,9 29,3 53,8 krankheiten entstehen oder es zu vor­
Ab 65 Jahre zeitigen krankheitsbedingten Renten­ein­
Niedrige Bildung 56,9 13,0 30,1 56,2 20,7 23,1
tritten kommt. Die Fehlzeiten lassen sich
zudem nach Diagnosen differenzieren und
Mittlere Bildung 44,5 12,5 43,1 39,5 25,3 35,2
geben dadurch einen Überblick über die
Hohe Bildung 30,9 18,6 50,5 25,5 23,8 50,6
Krankheitslast in der erwerbstätigen Be-
Datenbasis: GEDA 2012. völkerung. Im Jahr 2013 gingen nach Er-
gebnissen der Bundesanstalt für Arbeits­
medizin und Arbeitsschutz (BAuA) 22 %
der krankheitsbedingten Fehlzeiten in der
deutschen Wirtschaft auf Muskel- und
Skelett­e r­k rankungen zurück, 15 % auf
Auch in der sportlichen Aktivität tre- Gesundheitswissen und die Krankheits- Atem­wegs­e rkrankungen, 14 % auf psy­
ten Unterschiede nach dem Bildungs­ bewältigung. Beispielsweise nehmen Per- chische und Verhaltensstörungen, 10 % auf
niveau ­z utage. Personen mit niedriger sonen mit niedriger Bildung seltener Unfälle und Verletzungen und 6 % auf
­Bildung haben deutlich häufiger in den Krebsfrüherkennungsuntersuchungen Herz-Kreislauf­erkrankungen. Die Kosten
letzten drei Monaten keinen Sport getrie- und andere Präventionsangebote wahr, des durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten
ben als Personen mit mittlerer und hoher die größtenteils zum Leistungskatalog Pro­duk­t ions­ausfalls werden für Deutsch­
Bildung. Dies gilt für alle betrachteten der gesetzlichen Krankenkassen gehören, land auf 59 Milliarden Euro geschätzt.
­A ltersgruppen. Unter Berücksichtigung also ohne Zuzahlungen in Anspruch ge- Die Daten zeigen außerdem, dass es im
der unterschiedlichen Alterszusammen- nommen werden können. Personen mit Jahr 2013 pro 100 Versicherte 126 Krank-
setzung der Bildungsgruppen lässt sich niedriger Bildung kennen deutlich weni- heitsfälle gab, die durchschnittlich 12 Tage
feststellen, dass Männer mit niedriger ger typische Symptome für Schlaganfall andauerten. Im Jahr 2011 waren Männer
Bildung im Vergleich zu Männern mit und Herzinfarkt als Personen mit mittle- und Frauen mit manuellen Tätigkeiten
hoher Bildung ein 4,1-mal höheres Risiko rer und hoher Bildung. Interessant ist oder in einfachen Dienstleistungsberufen
aufweisen, keinen Sport zu treiben. Frau- auch, dass Diabetiker mit niedriger Bil- deutlich häufiger und ­länger arbeitsun­
en in der niedrigen Bildungsgruppe sind dung seltener an Diabetikerschulungen fähig als Männer und Frauen in hochqua-
3,4-mal häufiger sportlich inaktiv als teilnehmen und weitaus größere Schwie- lifizierten und wissensbasierten Berufen.
Frauen aus der höher gebildeten Ver- rigkeiten haben, die Behandlung der Er- Allerdings ist zu beachten, dass in diese
gleichsgruppe. u Tab 3 krankung im Alltag umzusetzen. Statistik nur Arbeitsunfähigkeitszeiten
Bildungsunterschiede zeigen sich dar- Die Relevanz der Bildung für die Ge- von mehr als drei Kalendertagen eingehen,
über hinaus in Bezug auf die Inanspruch- sundheit zeigt sich auch hinsichtlich der wodurch das tatsächliche Ausmaß der
nahme von Präventionsangeboten, das Lebenserwartung. Die Ergebnisse eines Fehlzeiten unterschätzt wird. u Tab 4

306
Gesundheitliche Ungleichheit  / 10.3  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Krankheitsbedingte Fehlzeiten sind u Tab 4  Arbeitsunfähigkeitsgeschehen von Versicherten der gesetzlichen


in engem Zusammenhang mit Arbeits­ Krankenkassen nach Berufsgruppen 2011 — Mittelwerte
belastungen zu sehen. Beschäftigte mit
Männer Frauen
niedrigem Berufsstatus sind sowohl Berufsgruppen¹
­körper­lichen als auch psychosozialen Be- Fälle je 100 Tage je Fall Fälle je 100 Tage je Fall
lastungen häufiger ausgesetzt als Beschäf-
Schriftwerkschaffende,
tigte mit höherem Berufsstatus, was unter 64,2 11,1 70,8 9,1
künstlerische Berufe
anderem auf ein Ungleichgewicht zwi-
Ingenieure, Chemiker, Physiker,
schen Verausgabung und Belohnung bei 66,0 8,5 76,3 7,5
Mathematiker
der Arbeit sowie zwischen Arbeitsan­
Ernährungsberufe 86,4 11,7 119,5 13,6
forderungen und Einflussmöglich­keiten
Sozial- und Erziehungsberufe 88,3 10,3 140,2 10,2
der Erwerbstätigen zurückgeführt wird.
Das Ausmaß der Arbeitsbelastung Organisations-, Verwaltungs-,
92,7 9,3 123,9 8,8
Büroberufe
und der Unzufriedenheit mit der Arbeit
von Erwerbstätigen kann für das Jahr Gesundheitsdienstberufe 95,6 11,4 128,3 10,3
2013 ihrem Lohn gegenübergestellt wer- Berufe der Land-, Forstwirtschaft,
96,6 12,2 96,1 11,7
den. Der Lohn der Beschäftigten wird im Gartenbau

über den Bruttostundenlohn erfasst und Warenkaufleute 97,0 9,1 109,0 10,4
nach internationalen Vorgaben ins Ver-
Ordnungs- und Sicherheitsberufe 99,3 14,2 91,2 13,5
hältnis zum Median der Einkommens­
Dienstleistungskaufleute 99,7 8,9 133,3 8,0
bezieher gesetzt. Beschäftigte mit weniger
als zwei Dritteln des Medianlohns (etwa Hilfsarbeiter 100,2 9,3 114,1 9,9

9,7 Euro im Jahr 2013) werden als Niedrig­ Techniker 101,3 10,0 113,5 8,5
einkommensbezieher und solche mit Verkehrsberufe 111,2 13,1 118,3 12,2
mehr als 150 % als Hocheinkommensbe- Textil- und Bekleidungsberufe 112,4 12,8 137,0 12,7
zieher (22,1 Euro) angesehen. Die Ergeb-
Hoch-, Tiefbauberufe 114,1 13,4 130,4 11,9
nisse verdeutlichen, dass sowohl die
­körperliche und psychosoziale Arbeits­ Bergleute, Mineralgewinner,
-aufbereiter, Steinbearbeiter, 118,4 12,7 102,5 10,8
belastung als auch die Unzufriedenheit Baustoffhersteller
mit der eigenen Tätigkeit bei Männern
Ausbauberufe, Polsterer 122,5 12,0 142,3 11,8
und Frauen der niedrigen Lohngruppe
größer sind als in der mittleren und hohen Warenprüfer, Versandfertigmacher 123,2 11,7 146,3 13,1

Lohngruppe. u Abb 6 Elektroberufe 125,5 9,8 166,1 10,2


Gesundheitsschädigende Arbeits­ Maler, Lackierer 127,6 9,9 125,5 9,0
belastungen entstehen im Wechselspiel
Maschinisten 127,9 12,5 126,3 12,0
zwischen Belastungen und Ressourcen
Berufe in der Holzbearbeitung 132,0 12,6 144,1 13,7
der Arbeitnehmer. Die selbst wahrge-
nommene gesundheitliche Belastung Berufe in der Holz- und
132,3 10,5 169,6 9,9
Kunststoffverarbeitung
durch die Arbeit ist ein guter Indikator,
um Gesundheitsrisiken von Erwerbstäti- Berufe in der Lederherstellung,
133,8 11,8 143,1 13,2
-verarbeitung
gen abzubilden. Hierbei zeigt sich ein
­enger Zusammenhang mit der Qualifika- Montierer 134,9 11,4 171,7 12,6
tion der Beschäftigten. Demnach fühlen Keramik-, Glasberufe 139,1 12,8 157,3 12,7
sich hoch qualifizierte Erwerbstätige
Berufe in der Papierherstellung
deutlich seltener gesundheitlich stark 139,7 12,2 149,4 12,4
und im Druck
­belastet als Erwerbstätige, die eine Lehre
Metall- und Maschinenbauberufe 146,6 10,2 140,8 10,1
oder Ausbildung an einer Berufs- oder
Chemie-, Kunststoffberufe 150,3 11,6 168,6 12,2
Fachschule abgeschlossen haben. Bei
Männern und Frauen, die Vollzeit er- Berufe in der Metallerzeugung,
154,3 12,8 160,8 13,4
Gießereiberufe
werbstätig sind, zeigt sich dieser Zusam-
menhang vorrangig im mittleren Lebens-
1  KldB-92: Klassifikation der Berufe des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1992.
alter zwischen 30 und 64 Jahren. u Abb 7 Datenbasis: BAuA, Bericht »Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011«.

307
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

u 
Abb 6  Arbeitsbelastung und Zufriedenheit nach Bruttostundenlohn 10.3.4 Arbeitslosigkeit und
bei 30- bis 64-jährigen Erwerbstätigen 2013 — in Prozent Gesundheit
Der Verlust des Arbeitsplatzes hat nicht
nur Konsequenzen für die Einkommens-
Männer Frauen
situation und den Lebensstandard, er ist
41,0
39,2 auch mit psychosozialen Belastungen und
einer Verminderung des Selbstwerts ver-
34,8 bunden. Auswirkungen auf die Gesund-
33,1
heit sind vor allem dann zu erwarten,
wenn die Arbeitslosigkeit länger andauert
und die Aussichten auf eine Rückkehr in
den Arbeitsmarkt gering sind. Der Zu-
22,4
sammenhang zwischen Arbeits­losigkeit
21,8 und Gesundheit ist darüber hinaus unter
19,2 dem Gesichtspunkt zu sehen, dass ge-
sundheitlich eingeschränkte Personen
­einem höheren Risiko unterliegen, ihren
12,6 12,4
11,4 11,2 11,7 11,7 Arbeitsplatz zu verlieren und schlechtere
10,2 Chancen auf eine berufliche Wiederein-
8,4
gliederung haben.
4,4 Hinweise auf Krankheiten und Be-
1,9
schwerden, die bei arbeitslosen Männern
0,7 und Frauen vermehrt auftreten, liefert die
Niedriglohn Mittlerer Lohn Hoher Lohn Niedriglohn Mittlerer Lohn Hoher Lohn Arbeitsunfähigkeitsstatistik der gesetz­
(<66 %) (66 –149 %) (≥150 %) (<66 %) (66 –149 %) (≥150 %) lichen Krankenkassen. Dem BKK-Gesund-
Körperlich belastet Psychosozial belastet Unzufrieden mit der Arbeit
heitsreport kann entnommen werden,
dass arbeitslose Versicherte im Jahr 2013
Datenbasis: SOEP 2013. mit durchschnittlich 27,1 Tagen pro Mit-
glied deutlich häufiger arbeitsunfähig
­waren als pflichtversicherte Beschäftigte
und freiwillig versicherte ­B eschäftigte
u Abb 7  Starke gesundheitliche Belastung durch die Arbeit bei mit 13,9 beziehungsweise 9,1 Tagen.
Vollzeiterwerbstätigen nach beruflicher Qualifikation 2012 — in Prozent Eine diagnosespezifische Betrachtung
verdeutlicht, dass die Unterschiede zwi-
schen arbeitslosen und beschäftigten Versi-
Männer
31,3
Frauen cherten insbesondere bei Arbeitsunfähig-
keitstagen infolge von psychischen und
27,9
26,8 Verhaltensstörungen (in­ k lusive Sucht­
22,9 erkrankungen), Stoffwechselkrankheiten,
21,1
20,1 Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems
18,4
16,4 und Krankheiten des Nervensystems her-
13,8 13,9 vortreten. Die Unterschiede sind sowohl
12,1
10,4 insgesamt als auch bezüglich der meisten
Diagnosen bei Männern und Frauen in
etwa gleich stark ausgeprägt. Zusammen-
genommen wurden im Jahr 2013 für
­arbeitslose Versicherte etwa eineinhalbmal
18–29 30–44 45–64 18–29 30–44 45–64
Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre so viele Arbeitsunfähigkeitstage verzeichnet
Berufsausbildung Hochschulabschluss wie für pflichtversicherte Beschäftigte. u Tab 5
Nicht erst Arbeitslosigkeit, sondern
Datenbasis: GEDA 2012. bereits Arbeitsplatzunsicherheit ist mit
einem häufigeren Auftreten von Gesund­

308
Gesundheitliche Ungleichheit  / 10.3  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Tab 5  Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Versicherte nach Diagnose und Versicherungsstatus 2013

Männer Frauen

Diagnosen Pflichtver­sicherte Pflichtver­sicherte


Arbeitslose¹ Arbeitslose¹
Beschäftigte Beschäftigte
Verhältnis in % Verhältnis in %
Tage je 100 Tage je 100
Infektiöse und parasitäre Krankheiten 81 44 55 79 48 61
Neubildungen 48 102 209 83 118 142

Endokrine, Ernährungs- und Stoff­wechsel­


13 24 190 12 22 180
krankheiten

Psychische und Verhaltensstörungen 189 802 424 301 990 329


Krankheiten des Nervensystems 38 83 216 47 86 182
Krankheiten des Auges 13 13 102 11 11 98
Krankheiten des Ohres 15 19 130 16 14 89
Krankheiten des Kreislaufsystems 91 161 177 53 74 141
Krankheiten des Atmungssystems 282 127 45 306 157 51
Krankheiten des Verdauungssystems 101 99 98 82 84 103
Krankheiten der Haut und der Unterhaut 29 32 111 17 21 124

Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und


494 777 157 383 709 185
des Bindegewebes

Krankheiten des Urogenitalsystems 19 22 120 44 49 113

Symptome und abnorme klinische und


71 88 124 86 104 121
Laborbefunde

Verletzungen und Vergiftungen 254 217 86 148 173 117

Faktoren, die den Gesundheitszustand


28 40 141 44 55 126
beeinflussen

Insgesamt 1 770 2 661 150 1 746 2 766 158

1  Betrachtet werden Empfänger von ALG I; Verhältnis: Verhältnis von Tagen je 100 Versicherte im Vergleich von Arbeitslosen und pflichtversichert Beschäftigten.
Datenbasis: BKK, »Gesundheitsreport 2014«.

heitsproblemen assoziiert. Ar­b eits­lose Männer und Frauen im Vergleich zu Er- Verhaltensstörungen durch Alkohol« sta-
und Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz werbstätigen in sicheren Positionen einen tionär behandelt werden. Somit scheint
als gefährdet ansehen, sind deutlich häu- insgesamt ungesünderen Lebensstil zumindest der Alkoholmissbrauch bei
figer und länger von körperlichen und ­haben. Dies lässt sich für den Tabakkon- Arbeitslosen stärker verbreitet zu sein als
emotionalen Be­s chwerden betroffen als sum, die sportliche Inaktivität und Adi- bei Erwerbstätigen.
die Vergleichs­g ruppe der erwerbs­t ätigen positas belegen. Nach statistischer Kon­ Die vorliegenden Studien sprechen
Männer und Frauen in ungefähr­d eten trolle für den Alterseffekt ist das Risiko darüber hinaus dafür, dass der Zusam-
Beschäftigungs­v erhältnissen. Zudem zu rauchen, sportlich inaktiv oder adipös menhang zwischen Arbeitslosigkeit und
sind Arbeitslose und von Arbeits­losigkeit zu sein bei arbeitslosen im Verhältnis zu Gesundheit nicht nur auf gesundheit­
bedrohte Männer und Frauen, wenn sie erwerbstätigen Männern und Frauen liche Folgen von Arbeitslosigkeitserfah-
körper­liche oder emotionale Probleme deutlich erhöht. Bei Langzeitarbeitslosen rungen, sondern auch auf schlechtere Be-
haben, stärker in der Ver­r ich­t ung alltäg- sind besonders viele verhaltensbezogene schäftigungschancen von Personen mit
licher Aktivitäten einge­schränkt als die Gesundheitsrisiken festzustellen. u Tab 6 gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu-
Ver­g leichs­g ruppe. u Abb 8 Weniger eindeutig sind die Ergebnis- rückzuführen ist. Nach den Ergebnissen
Beim Blick auf das Gesundheitsver- se zum Alkoholkonsum. Die Kranken­ der GEDA-Studie 2010 gingen 17 % der
halten und die gesundheitsbezogenen hausstatistik verweist allerdings darauf, Männer und 14 % der Frauen mit Arbeits-
Einstellungen zeigt sich, dass Arbeitslose dass Arbeitslose häufiger als Erwerbstätige losigkeitserfahrungen in den letzten fünf
und durch Arbeitslosigkeit bedrohte in Folge der Diagnose »Psychische und Jahren davon aus, dass ihre beeinträch-

309
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

uAbb 8  Anzahl von Tagen im letzten Monat mit körperlichen beziehungsweise tigte Gesundheit ein Grund für den Ver-
emotionalen Beschwerden nach Erwerbssituation bei 18- bis 64-Jährigen 2010 lust des Arbeitsplatzes war. Die überwie-
gende Mehrheit der betrof­fenen Männer
Männer
und Frauen berichtete außerdem, dass
sich ihr Gesund­heitszustand nach Ein-
2,7 tritt in die Arbeits­losigkeit nicht wieder
Emotionale 4,9
Beschwerden 4,8
verbessert oder sogar noch weiter ver-
6,2 schlechtert hat (jeweils 88 % der Männer
und Frauen).
2,9
Körperliche 3,9
Beschwerden 5,1 10.3.5 Migration und Gesundheit
7,8 Menschen mit Migrationshintergrund
stellen eine überaus heterogene Gruppe
dar. Sie unterscheiden sich unter ande-
Frauen
rem in Bezug auf Herkunftsland, Migra-
4,5 tionserfahrung, Aufenthaltsdauer und
Emotionale 5,8
soziale Integration (siehe Kapitel 7.3 und
Beschwerden 7,8
8,8 7.4). Wenn nach Besonderheiten der ge-
sundheitlichen Situation von Migranten
4,3
gefragt wird, sind auch psychosoziale
Körperliche 4,7
Beschwerden 6,2 Belastungen, die sich aus der Migra­
9,4 tionserfahrung und Schwierigkeiten der
sozialen Integration ergeben, zu berück­
Sicher beschäftigt Prekär beschäftigt Kurzzeitarbeitslos Langzeitarbeitslos
sichtigen. Außerdem spielen kulturelle
Unterschiede im Gesundheits- und
Krankheitsverständnis sowie die Verbrei-
Datenbasis: GEDA 2010.
tung von Erkrankungen und Risikofak­
toren im jeweiligen Herkunftsland eine
Rolle.
Vergleichende Aussagen zum Kranken-
u Tab 6  Verhaltenskorrelierte Risikofaktoren nach Erwerbssituation
stand von Migranten und Nicht-Migran-
und Geschlecht 2011/2012 — in Prozent
ten sind anhand der Daten des Mikro-
Männer Frauen zensus 2013 möglich. Im Alter bis 44 Jah-
Rauchen Kein Sport Adipositas Rauchen Kein Sport Adipositas re geben Migranten etwas seltener als die
18 – 29 Jahre
übrige Bevölkerung an, in den letzten
Langzeitarbeitslos 67,5 42,0 15,6 60,8 69,2 33,0
vier Wochen krank oder unfallverletzt
gewesen zu sein. Bei den 45- bis 64- und
Kurzzeitarbeitslos 45,6 40,1 24,0 72,0 35,8 4,3
den 65-Jährigen und Älteren sind Männer
Prekär beschäftigt 44,1 31,2 20,8 34,2 30,8 11,8
und Frauen mit Migrationshintergrund
Sicher beschäftigt 39,6 17,2 9,4 26,6 14,4 4,4
hingegen etwas häufiger von einer Krank-
30 – 44 Jahre heit oder Unfallverletzung betroffen als
Langzeitarbeitslos 79,6 42,2 17,5 61,2 59,7 21,2 die Vergleichsgruppen ohne Migrations-
Kurzzeitarbeitslos 50,4 37,7 11,6 49,6 18,0 27,4 hintergrund. u Abb 9
Prekär beschäftigt 41,5 28,7 16,5 38,4 29,5 18,5 In einigen Bereichen treten erst bei
Sicher beschäftigt 33,3 19,0 19,2 27,4 23,9 13,1 ­einer nach Herkunftsland differenzierten
45 – 64 Jahre Betrachtung gesundheitliche Unter­
Langzeitarbeitslos 57,2 70,3 21,6 54,0 78,8 26,2
schiede zwischen Migranten und Nicht-­
Kurzzeitarbeitslos 44,5 50,3 33,0 28,5 42,5 21,9
Migranten zutage. So berichten türkisch-
stämmige Migranten deutlich häufiger als
Prekär beschäftigt 42,7 62,3 25,9 37,2 45,9 24,7
Personen ohne Migrationshintergrund
Sicher beschäftigt 31,9 32,4 21,6 27,0 25,3 19,1
oder Mi­g ranten aus anderen Herkunfts-
Datenbasis: SOEP 2012 (Rauchen und Adipositas) und 2011 (Kein Sport). ländern von körperlichen Schmerzen in

310
Gesundheitliche Ungleichheit  / 10.3  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

den letzten vier Wochen. Dies zeigt sich u Abb 9  Kranke und Unfallverletzte nach Migrationshintergrund 2013 — in Prozent
insbesondere mit Blick auf türkischstäm-
mige Frauen in der zweiten Lebenshälfte.
Männer
Nach Kontrolle für die ­u nterschiedliche
Altersstruktur haben türkischstämmige 0–44 11,9
Jahre 10,2
Männer und Frauen ein gegenüber
Nicht-Migranten 2,4- beziehungsweise
45–64 16,0
3-fach erhöhtes ­R isiko, von körperlichen Jahre 17,4
Schmerzen betroffen zu sein. Bei Migran-
Ab 65 22,5
ten aus anderen Herkunftsländern ist Jahre 24,9
hingegen kein erhöhtes Risiko für das
Auftreten körper­licher Schmerzen festzu­
stellen. u Abb 10 Frauen
Unterschiede zwischen Personen mit
und ohne Migrationshintergrund lassen 0– 44 12,9
Jahre 9,9
sich auch bei verhaltensbedingten Ge-
sundheitsrisiken beobachten. Dabei zeigt 45–64 15,9
sich, dass Migranten und Migrantinnen Jahre 18,2

häufiger adipös sind. Allerdings treten Ab 65 23,2


diese Unterschiede erst ab einem Alter Jahre 27,2
von 45 Jahren und insbesondere bei Frauen
zutage. u Abb 11 Nicht-Migrant /-innen Migrant /-innen
Beim Rauchverhalten von Migranten
bestehen ebenfalls ausgeprägte, aber ge-
Datenbasis: Mikrozensus 2013.
schlechtsspezifische Unterschiede zur Be-
völkerung ohne Migrationshintergrund.
Der Anteil aktueller Raucher liegt bei Män-
nern mit Migrationshintergrund in fast
u Abb 10  Starke körperliche Schmerzen in den letzten vier Wochen
allen Altersgruppen über dem der Män-
(»immer« oder »oft«) nach Migrationshintergrund 2012 — in Prozent
ner ohne Migrationshintergrund (insge-
samt 33 % gegenüber 28 %). Bei Migran-
tinnen ist der Anteil dagegen insgesamt Männer
­etwas niedriger als bei Frauen ohne Mi­
6,2
grationshintergrund (19 % gegenüber 20 %). 18–44
6,7
Jahre
Menschen mit Migrationshintergrund 19,0
stellen eine zunehmend an Bedeutung ge-
15,4
winnende Nutzergruppe des medizini- Ab 45
18,9
Jahre
schen und pflegerischen Versorgungssys- 21,9
tems dar. Dabei unterscheiden sie sich in
ihrem Inanspruchnahmeverhalten und
Frauen
in ihren Bedürfnissen von der Mehrheits-
bevölkerung ohne Migrationshinter- 7,4
18–44
grund. Die vorliegenden Studien zeigen, Jahre
7,5
14,1
dass Migranten und Migrantinnen in be-
stimmten Situationen häufiger Rettungs- 23,0
Ab 45
stellen als Hausärzte aufsuchen, seltener Jahre
24,6
54,9
Vorsorgeleistungen in Anspruch nehmen
und im Falle eines in der Familie aufge-
tretenen Pflegefalls seltener auf ambulan- Nicht-Migrant /-innen Migrant /-innen (nicht türkisch) Migrant /-innen (türkisch)

te Pf legedienste zurückgreifen. Außer-


dem ist festzustellen, dass Menschen mit Datenbasis: SOEP 2012.

auslän­d ischer Staatsangehörigkeit selte-

311
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

u Abb 11  Adipositas (BMI≥30) nach Migrationshintergrund 2013 — in Prozent ner Maßnahmen der medizinischen Re-
habilitation in Anspruch nehmen sowie
einen geringeren Rehabilitations­e rfolg
Männer
und höhere Frühberentungsquoten auf-
18–44 11,2 weisen.
Jahre 11,8 Unterschiede in der Mortalität und
45–64 20,4
Lebenserwartung von Personen mit deut-
Jahre 22,0 scher oder ausländischer Staatsange­
hörigkeit können auf Basis der amtlichen
Ab 65 19,2 Sterbefall- und Todesursachenstatistik
Jahre 22,6
analysiert werden. Im Zeitraum von 1970
bis 2013 haben die für die unterschied­
Frauen liche Altersstruktur standardisierten
Sterbe­raten bei deutschen Männern und
18–44 8,5
8,6
Frauen stetig abgenommen. Bei der aus-
Jahre
ländischen Bevölkerung ist in den Jahren
45–64 15,0 nach 1987 und 2011 ein Anstieg der Sterbe-
Jahre 21,9 raten zu beobachten, was mit der Korrek-
tur der ausländischen Bevölkerungs­
Ab 65 17,9
Jahre 26,8 zahlen im Zuge der Volkszählung 1987
beziehungsweise des Zensus 2011 zusam-
Nicht-Migrant /-innen Migrant /-innen
menhängt. Obgleich sich der Abstand bei
den Sterberaten über die Zeit verringert
hat, weisen Personen mit ausländischer
Datenbasis: Mikrozensus 2013. Staatsange­hörigkeit noch immer ein ge-
ringeres Sterberisiko auf als die deutsche
Mehrheits­bevölkerung. Im Jahr 2013 hat-
ten männliche Ausländer gegenüber
u Abb 12  Standardisierte Sterberaten deutscher und Deutschen eine um 2,6 Jahre höhere
ausländischer Personen 1970 − 2013 ­L ebenserwartung bei Geburt. Bei Frauen
betrug der entsprechende Abstand
0,016 1,7 Jahre. Als Gründe für den in der For-
schung als »Healthy-Migrant-Effekt«
0,014 ­b eschriebenen Sterblichkeitsvorteil von
­M igranten und Migrantinnen werden
0,012
­neben methodischen Problemen bei der
0,010
Er­fassung der Sterbefälle und des Be­
völkerungsstands der ausländischen Be-
0,008 völkerung auch Auswahlprozesse im
Rahmen der Migration diskutiert, da vor
0,006 allem gesunde und aktive Menschen aus-
wandern. u Abb 12
0,004
Eine nach Krankheitsgruppen diffe-
0,002 renzierende Analyse der häufigsten
­Todesursachen im Jahr 2013 kommt zu
0 dem Ergebnis, dass in der Bevölkerung
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
mit deutscher Nationalität die meisten
Männer, deutsch Frauen, deutsch Männer, nicht deutsch Frauen, nicht deutsch Sterbefälle auf Herz-Kreislauferkrankun-
gen zurückzuführen sind, während in der
Datenbasis: Amtliche Sterbefall- und Todesursachenstatistik von Personen mit ausländischer und deutscher Staats­ ausländischen Bevölkerung Deutsch-
angehörigkeit 1970 bis 2013 (bis 1997 alte Bundesländer (inklusive Berlin-West), ab 1998 inklusive Berlin gesamt) nach
Martin Kohls (Bundesgesundheitsblatt 2015, 58 (6), S. 520). lands der größte Teil der Sterbefälle auf
Krebserkrankungen zurück­geht.

312
Gesundheitliche Ungleichheit  / 10.3  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

10.3.6 Zeitliche Entwicklungen Darüber hinaus können zeitliche Ent- Bildung bis zum Jahr 2008 sogar noch er-
und Trends wicklungen und Trends im Rauchver­ höht hat. Infolgedessen haben die relati-
Zeitliche Entwicklungen und Trends halten und in der sportlichen Aktivität für ven Unterschiede im Rauchverhalten der
der gesundheitlichen Ungleichheit in die Altersgruppe der 30- bis 64-Jährigen Bildungsgruppen weiter zugenommen,
Deutschland sind bislang nur vereinzelt untersucht werden. Für den Zeitraum bezogen auf das ­a lterskontrollierte Risiko
untersucht worden. Mit den Daten des 1999 bis 2012 weisen die Daten insbeson- um 65 % bei Männern und um 75 % bei
SOEP lassen sich Veränderungen in der dere für die hohe Bildungsgruppe auf einen Frauen. u Abb 13
Selbsteinschätzung des allgemeinen Ge- deutlichen Rückgang des Rauchens hin. Für die Sportbeteiligung ist im Zeit-
sundheitszustandes im Zeitraum von 1994 In der niedrigen Bildungsgruppe ist der raum 1994 bis 2011 eine deutliche Zu-
bis 2013 untersuchen. Für die 30- bis Anteil der Raucher im Zeitverlauf nahezu nahme festzustellen. Dabei fällt auf, dass
64-jährige Bevölkerung zeigt sich im Ver- konstant geblieben, während sich der in der Altersspanne von 30 bis 64 Jahren
gleich von vier Beobachtungszeit­räumen ­A nteil der Raucherinnen mit niedriger der Anteil der Männer und Frauen, die in
(1994 bis 1998, 1999 bis 2003, 2004 bis
2008 und 2009 bis 2013), dass in der nied-
rigen Einkommensgruppe der Anteil der
Männer und Frauen, die ihren allgemei- u Tab 7  Entwicklung der Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes
nen Gesundheitszustand als w ­ eniger gut (»weniger gut« oder »schlecht«) bei 30- bis 64-Jährigen nach drei Einkommens­
oder schlecht beurteilen, im Verlauf der gruppen 1994 – 2013 — in Prozent
letzten rund 20 Jahre zugenommen hat. In
1994 –1998 1999 – 2003 2004 – 2008 2009 – 2013
der hohen Einkommensgruppe und bei
Frauen auch in der mittleren Einkommens- Männer

gruppe ist eine gegenläufige Entwicklung < 60 % des mittleren Einkommens 27,8 28,9 32,5 32,4
zu beobachten. Bezüglich des Risikos eines 60 – < 150 % des mittleren Einkommens 16,0 15,4 16,6 15,9
weniger g­ uten oder schlechten allgemeinen ≥ 150 % des mittleren Einkommens 11,6 10,5 11,3 11,1
Gesundheitszustandes hat die relative Dif- Frauen
ferenz zwischen der niedrigen und der ho-
< 60 % des mittleren Einkommens 27,3 26,3 28,0 31,4
hen Einkommensgruppe bei ­Kontrolle des
60 – < 150 % des mittleren Einkommens 19,2 16,6 17,1 17,2
Alterseinflusses – über die vier Zeiträume
betrachtet – bei Männern um 53 % und bei ≥ 150 % des mittleren Einkommens 14,4 13,0 13,0 12,4

Frauen um 63 % zugenommen. u Tab 7 Datenbasis: SOEP 1994 – 2013.

u Abb 13  Entwicklung des Rauchens bei 30- bis 64-Jährigen nach Bildung 1999 − 2012 — in Prozent

Männer Frauen

50 50

40 40

30 30

20 20

10 10

0 0
1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Bildung: Niedrig Mittel Hoch

Datenbasis: SOEP 1999 – 2012.

313
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.3 /  Gesundheitliche Ungleichheit

u Abb 14  Entwicklung der sportlichen Inaktivität bei 30- bis 64-Jährigen nach Bildung 1994 − 2011 — in Prozent

Männer Frauen
70 70

60 60

50 50

40 40

30 30

20 20

10 10

0 0
1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Bildung: Niedrig Mittel Hoch

Datenbasis: SOEP 1994-2011.

den letzten vier Wochen keinen Sport ge- in Bezug auf Tabakkonsum und körper- ungünstiger dar als in der Bevölkerung
trieben haben, in allen Bildungsgruppen lich-sportliche Aktivität sowie zum Teil ohne Migrationshintergrund. Von einer
abgenommen hat. Bei Personen mit ho- auch bezüglich der Inanspruchnahme generellen gesundheitlichen Benachteili-
her Bildung zeichnet sich diese Entwick- von Präventions- und Versorgungsange- gung von Migranten und Migrantinnen
lung aber noch deutlicher ab als bei Per- boten. Die stärkere Verbreitung von kann aber nicht gesprochen werden. Die
sonen mit mittlerer und niedriger Krankheiten, Gesundheitsproblemen und vorliegenden Forschungs­ergebnisse legen
­Bildung. Nach Kontrolle des Alterseffek- Risikofaktoren findet letztlich in einer hö- eine differenzierte Bewertung nahe, wobei
tes ist die relative Differenz des Risikos heren vorzeitigen Sterblichkeit und gerin- neben den jeweiligen Lebensbedingungen
für sport­liche Inaktivität im Vergleich geren Lebenserwartung der benachteilig- und Teilhabechancen auch kulturelle Be-
der niedrigen zur hohen Bildungsgruppe ten Einkommens-, Bildungs- und Berufs- sonderheiten, die Migrationserfahrungen
bei Männern um 83 % und bei Frauen um gruppen Ausdruck. Darüber hinaus ist sowie die soziale und gesundheitliche
62 % gestiegen. u Abb 14 Arbeits­losigkeit mit einer schlechteren Lage im Herkunftsland berücksichtigt
Gesundheit assoziiert. Die Auswirkungen werden sollten.
10.3.7 Zusammenfassung der A
­ rbeitslosigkeit auf die Gesundheit Aussagen zu zeitlichen Entwicklun-
In den letzten Jahren ist die gesundheit­ sind zum einen unter materiellen Aspek- gen und Trends sind auf Grundlage der
liche Ungleichheit zu einem zentralen ten zu sehen, zum Beispiel dem ­engeren vorhandenen Daten nur zum Teil möglich.
Thema der Forschung, Berichterstattung finan­z iellen Handlungsspielraum und Die vorliegenden Erkenntnisse sprechen
und Politik geworden. Die präsentierten dem geringeren Lebensstandard. Zum an- dafür, dass die gesundheitliche Ungleich-
Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass viele deren sind psychosoziale Belastungen von heit in den letzten 20 Jahren zugenommen
Krankheiten und Beschwerden bei Per­ Bedeutung, die zum Beispiel aus Zu- hat. Dies lässt sich beispielsweise für den
sonen mit geringem Einkommen, unzu- kunftssorgen oder Ausgrenzungserfah- allgemeinen Gesundheitszustand, das
reichender Bildung und niedriger beruf­ rungen resultieren können. Rauchverhalten und die sportliche Akti-
licher Stellung vermehrt vorkommen. Da- Menschen mit Migrationshintergrund vität belegen. Auch Stu­d ien aus anderen
rüber hinaus schätzen diese Personen weisen in einigen Bereichen eine schlech- Ländern deuten eher auf eine Ausweitung
ihren allgemeinen Gesundheitszustand tere Gesundheit als die übrige Bevölke- als auf eine Verringerung der sozial be-
und ihre gesundheitsbezogene Lebens- rung auf. Auch in Bezug auf die Präventi- dingten Unterschiede in der Gesundheit
qualität schlechter ein. Ein Grund hierfür on und die medizinische und pflegerische und Lebenserwartung hin.
dürften die beobachteten Unterschiede im Versorgung stellt sich die Situa­tion von
Gesundheitsverhalten sein, zum ­Beispiel Migranten und Migrantinnen zum Teil

314
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

10.4 Die Sozialgesetzgebung in Deutschland


soll dazu beitragen, allen Bürgerinnen
Reformen der Sozialsysteme geführt. Bei-
spiele hierfür sind die schrittweise Erhö-
Soziale und Bürgern ein menschenwürdiges Da- hung der Regelaltersgrenze für Rentne-
Sicherung sein zu sichern. Hierzu gehören das
Schaffen gleicher Voraussetzungen für
rinnen und Rentner seit 2012 oder die
vom Bundesverfassungsgericht auferlegte
die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Neuberechnung der sogenannten Hartz-
Klaus-Jürgen Duschek, insbesondere auch für junge Menschen, IV-Regelsätze durch die Bundesregierung.
Heiko Pfaff, Stefan Rübenach sowie der Schutz und die Förderung der Auch die Familienpolitik steht im
Familie. Zudem soll die Sozialgesetzge- Mittelpunkt der gesellschaftlichen Dis-
bung den Erwerb des Lebensunterhalts kussion: So haben die Eltern von Kin-
Destatis
durch eine frei gewählte Tätigkeit ermög- dern, die das erste Lebensjahr vollendet
lichen und besondere Belastungen des haben, seit dem 1. August 2013 einen
Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreu-
abwenden oder ausgleichen. ung. Für insgesamt 780 000 Kinder unter
Ein hoher Anteil der Ausgaben der drei Jahren soll ein Betreuungsangebot
­öffentlichen Haushalte (einschließlich der bereitgestellt werden.
Sozialversicherungsträger und der Bundes-
agentur für Arbeit) fließt daher heute in 10.4.1 Das Sozialbudget
die soziale Sicherung. Seit einigen Jahren Einen Überblick über das System der so-
wird jedoch – auch angesichts von Finan- zialen Sicherung bietet das Sozialbudget
zierungsfragen – eine rege Debatte über der Bundesregierung. Hier werden die

u Info 1
Darstellung im Sozialbudget
Um eine Vergleichbarkeit der einzelnen Bereiche untereinander und mit den umfassenderen Volkswirt-
schaftlichen Gesamtrechnungen (siehe Kapitel 4.1, Seite 103) zu ermöglichen, werden für die Darstellung
im Sozialbudget die Leistungen und deren Finanzierung bereinigt. Beispielsweise werden im Sozialbudget
die Sozialleistungen insgesamt um die Selbstbeteiligung der Leistungsempfängerinnen und -empfänger
und um die
AbbBeiträge des Staates
1 Finanzierung zur Kranken-,
des Sozialbudgets 2013Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung für Emp-
- in Prozent
fängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen bereinigt.

Aus diesem Grund und wegen methodischer Unterschiede weichen die Angaben teilweise von den in den
folgenden Abschnitten dargestellten Statistiken ab.

u Abb 1  Finanzierung des Sozialbudgets 2013 — in Prozent

private Organisationen Staat

1,5 40,8
Bund

21,9
Unternehmen

27,2 Länder
8,8
private Haushalte Gemeinden

30,5 9,7

Sozialversicherung

0,4

Geschätzte Ergebnisse.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

315
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

u Tab 1  Leistungen und Finanzierung des Sozialbudgets 2013 verschiedenen Leistungen des Siche-
Finanzierung durch rungssystems jährlich zusammengestellt.
Leistungen Außerdem ist die Höhe der jeweiligen
Sozial- Sozial­
insgesamt Zuschüsse ­Finanzierung durch öffentliche Zuwei-
beiträge der beiträge der
des Staates
Versicherten Arbeitgeber sungen sowie durch die Beiträge der Ver-
in Milliarden
in Millionen Euro
sicherten und der Arbeitgeber ablesbar.
Euro
Die Leistungen des Sozialbudgets ins-
Sozialbudget insgesamt1 812,2 258 293 295 130 294 597 gesamt beliefen sich 2013 für Deutsch-
Sozialversicherungssysteme 494,7 213 881 184 294 96 489 land auf rund 812,2 Milliarden Euro. Die
Rentenversicherung 263,3 87 321 88 551 82 503 Sozialleistungsquote, das Verhältnis die-
Krankenversicherung 192,8 96 734 60 662 12 951
ser Sozialleistungen im Vergleich zum
Bruttoinlandsprodukt, betrug 2013 für
Pflegeversicherung 24,3 14 577 8 891 –
Deutschland 30 %. u Info 1
Unfallversicherung 12,5 1 611 10 943 783
Wer finanziert das soziale Netz? Drei
Arbeitslosenversicherung 28,9 13 638 15 248 252
große Beitragszahler sind auszumachen:
Sondersysteme 27,3 38 378 3 252 5 421 Der Staat (Bund, Länder, Gemeinden und
Alterssicherung der Landwirte 3,0 601 – 2 394 Sozialversicherung), die privaten Haus-
Versorgungswerke 4,8 7 377 752 – halte und die Arbeitgeber. u Abb 1
Private Altersvorsorge 0,3 10 753 – 3 028
Im Jahr 2013 floss der größte Anteil
des Sozialbudgets in die »Sozialversiche-
Private Krankenversicherung 18,4 18 047 2 100 –
rungssysteme«. Die Leistungen der Kran-
Private Pflegeversicherung 0,9 1 600 400 –
ken-, Pflege-, Unfall- und Arbeitslosen-
Systeme des öffentlichen Dienstes 64,7 251 25 088 36 784 versicherung sowie der Rentenversiche-
Pensionen 47,8 251 14 560 31 520 rung beliefen sich dabei zusammen auf
Familienzuschläge 3,2 – – 2 456 494,7 Milliarden Euro. Die »Förder- und
Beihilfen 13,7 – 10 528 2 808 Fürsorgesysteme« bildeten mit 153,1 Mil-
Arbeitgebersysteme 76,0 5 784 82 496 499
liarden Euro das zweitgrößte System im
Sozialbudget. Zu diesem Leistungsbereich
Entgeltfortzahlung 40,0 – 39 973 –
gehören das Kindergeld und der Familien­
Betriebliche Altersversorgung 24,0 4 544 29 860 –
leistungsausgleich sowie das Erziehungs-
Zusatzversorgung 11,4 1 240 12 012 499 geld/Elterngeld. Außerdem ist die Grund-
Sonstige Arbeitgeberleistungen 0,7 – 651 – sicherung für Arbeitsuchende, die Arbeits-
Entschädigungssysteme 2,7 – – 2 833 losenhilfe / sonstige Arbeitsförderung und
Soziale Entschädigung 1,4 – – 1 527
die Ausbildungs- und Aufstiegsförderung
hier zugeordnet. Des Weiteren werden
Lastenausgleich 0,2 – – 22
hier die Sozialhilfe, Kinder- und Jugend-
Wiedergutmachung 1,0 – – 954
hilfe sowie das Wohngeld zugerechnet.
Sonstige Entschädigungen 0,3 – – 331
Für die »Arbeitgebersysteme« wurden
Förder- und Fürsorgesysteme 153,1 – – 152 571 insgesamt 76,0 Milliarden Euro aufge-
Kindergeld und Familien­leistungsausgleich 41,9 – – 41 855 wendet. Hierzu zählen die Entgeltfort-
Erziehungsgeld / Elterngeld 5,3 – – 5 274 zahlungen im Krankheitsfall, die betrieb-
Grundsicherung für ­A rbeitsuchende 41,2 – – 41 198
liche Altersversorgung und die Zusatz-
versorgung im öffentlichen Dienst sowie
Arbeitslosenhilfe / sonstige ­Arbeitsförderung 0,6 – – 114
sonstige Arbeitgeberleistungen (zum Bei-
Ausbildungs- und A
­ ufstiegsförderung 2,6 – – 2 568
spiel Bereitstellung von Betriebswoh­
Sozialhilfe 29,8 – – 29 716 nungen). Die »Systeme des öffentlichen
Kinder- und Jugendhilfe 30,8 – – 30 779 Dienstes« hatten 2013 mit 64,7 Milliar-
Wohngeld 1,1 – – 1 067 den Euro einen Anteil von knapp 8 % am
Sozialbudget. Wie bei den »Sozialver­
Geschätzte Ergebnisse.
1 Konsolidiert um die umgeleiteten Sozialbeiträge für Empfängerinnen und Empfänger sozialer Leistungen zwischen sicherungssystemen« steht auch hier die
den Institutionen. Ohne Beiträge des Staates. Entsprechend sind die Gesamtsummen des Sozialbudgets niedriger
als die addierten Werte aus den einzelnen Institutionen. Altersversorgung, und zwar die des öffent-
–  Nichts vorhanden.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales lichen Dienstes, im Vordergrund.

316
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Tab 2  Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der sozialen Mindestsicherung am Jahresende und Bruttoausgaben 2014
Empfängerinnen
Ausgaben Ausgaben je Einwohner¹
und Empfänger

Anzahl in Milliarden Euro in Euro


Leistungen nach dem SGB II insgesamt (Dezember) 6 025 595 33,7 ² 416,2
 Arbeitslosengeld II 4 322 022 . .
 Sozialgeld 1 703 573 . .
Mindestsicherungsleistungen im Rahmen der Sozialhilfe
1 135 317 6,6 81,2
nach dem SGB XII insgesamt

 H ilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen


132 770 0,7 9,0
(Laufende Leistungen am Jahresende)

 G rundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung


1 002 547 5,8 72,2
(Laufende Leistungen am Jahresende)

Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Jahresende) 362 850 1,8 22,4

Laufende Leistungen der Kriegsopferfürsorge


29 258 0,4 ³ 4,8
(Laufende Leistungen im Inland am Jahresende)

Insgesamt 7 553 020 42,5 524,6

1 Bruttoausgaben für die jeweilige Sozialleistung pro Person und Jahr. Bevölkerungsstand:
Vorläufiger Jahresdurchschnitt 2014 auf Basis des Zensus 2011.
2  Ausgaben für Leistungen, die unmittelbar für Kosten des Lebensunterhalts gezahlt werden (passive Leistungen).
3  Gesamtausgaben der Kriegsopferfürsorge. Exakte Untergliederung der Ausgaben nach »laufenden Leistungen« nicht möglich.
.  Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten.

Die sogenannten »Sondersysteme« von Einrichtungen (zum Beispiel Kran- ländern Leistungen der Mindestsicherung.
hatten zusammen einen Leistungsum- kenhäuser und Pflegeheime) nach dem So erhielten Ende 2014 in Baden-Würt-
fang von 27,3 Milliarden Euro. Dazu SGB XII, temberg und in Bayern 5 % der Einwohne-
­z ählen die private Kranken- und Pflege- ·· Grundsicherung im Alter und bei Er- rinnen und Einwohner entsprechende
versicherung, die private Altersvorsorge werbsminderung nach dem SGB XII, Leistungen. u Abb 2
sowie die Versorgungswerke für freibe- ·· Regelleistungen nach dem Asylbe­
ruflich Tätige und die Alterssicherung werberleistungsgesetz (AsylbLG), Arbeitslosengeld II und Sozialgeld
der Landwirte. Die Bedeutung der »Ent- ·· Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach dem SGB II
schädigungssysteme« verliert mit zuneh- nach dem Bundesversorgungsgesetz Der mit Abstand größte Anteil an den
mendem Abstand von der Zeit des Natio- (BVG). Empfängerinnen und Empfängern von
nalsozialismus 1933 bis 1945 an Gewicht. Am Jahresende 2014 erhielten in Deutsch- Mindestsicherungsleistungen und damit
Im Jahr 2013 wurden 2,7 Milliarden Euro land insgesamt 7,6 Millionen Menschen auch der Ausgaben entfiel auf das ALG II
für Entschädigungen verschiedener Art die oben genannten Transferleistungen, und das Sozialgeld nach dem SGB II.
ausgegeben. u Tab 1 um ihren grundlegenden Lebensunterhalt ALG II erhalten erwerbsfähige Personen,
zu bestreiten. Damit waren 9 % der in die das 15. Lebensjahr vollendet, die Al-
10.4.2 Mindestsicherungssysteme Deutschland lebenden Menschen auf tersgrenze für den Rentenbeginn nach
Transferleistungen der sozialen Mindest- existenzsichernde finanzielle Hilfen des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben und
sicherungssysteme sind finanzielle Hilfen Staates angewiesen. Im Jahr 2014 gab der ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen
des Staates, die zur Sicherung des grund- Staat für diese Leistungen 42,5 Milliarden Mitteln bestreiten können. Ihre im Haus-
legenden Lebensunterhalts an leistungs- Euro aus. Das waren rein rechnerisch halt lebenden nicht erwerbsfähigen Fami-
berechtigte Personen ausgezahlt werden. 525 Euro brutto je Einwohner. u Tab 2 lienangehörigen (vor allem Kinder) er-
Dazu zählen in der Sozialberichterstat- Vor allem Menschen in den Stadtstaa- halten Sozialgeld. u Info 2
tung der amtlichen Statistik folgende ten und teilweise in den neuen Ländern Die umgangssprachlich mit »Hartz
Leistungen: waren verstärkt auf Leistungen der Min- IV« bezeichneten Leistungen der »Grund-
·· Arbeitslosengeld (ALG) II und Sozial- destsicherung angewiesen. In Berlin war sicherung für Arbeitsuchende« nach dem
geld nach dem Zweiten Buch Sozialge- ihr Anteil mit 19 % an der Bevölkerung SGB II wurden im Dezember 2014 an
setzbuch (SGB II), am höchsten. Besonders selten bezogen ­insgesamt rund 6,0 Millionen Personen
·· Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb die Menschen in den südlichen Bundes- ausgezahlt. Die Ausgaben für passive

317
Abb 2 Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Mindestsicherung am Jahresende 2014 -
Anteil an der Geamtbevölkerung
10 /  Gesundheit in Prozent
und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

uAbb 2  Empfängerinnen und Empfänger von sozialer Mindestsicherung u Abb 3  Empfängergruppen der Grund­
am Jahresende 2014 — Anteil an der Geamtbevölkerung in Prozent sicherung für Arbeitssuchende
Abb 3 Empfängergruppen nach dem
der Grundsicherung für Arbeitssuchend
nach dem SGB II im Dezember 2014 - in Prozent
SGB II im Dezember 2014 — in Prozent

Berlin 19,3
Arbeits-
Bremen 17,5 Sozialgeld¹ losengeld II ²

28,3 71,7
Sachsen-Anhalt 13,8

Mecklenburg-Vorpommern 13,5

Hamburg 13,4
6,0 Millionen
Nordrhein-Westfalen 11,4 Personen³

Brandenburg 11,1

Sachsen 10,6

Saarland 9,8

1 1,7 Millionen Personen


Schleswig-Holstein 9,8 (nicht erwerbsfähig) zu 96 % Kinder unter 15 Jahren.
2 4,3 Millionen Personen
Niedersachsen 9,3 (erwerbsfähig, 15 Jahre bis unter der Altersgrenze).
3  In 3,3 Millionen Bedarfsgemeinschaften.
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Thüringen 9,3 1 1,7 Millionen Personen (nicht erwerbsfähig) zu 96 % Kinder unte
2 4,3 Millionen Personen (erwerbsfähig, 15 Jahre bis unter der Alt
Hessen 8,9 3 In 3,3 Millionen Bedarfsgemeinschaften.
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Rheinland-Pfalz 7,2

Baden-Württemberg 5,3
Deutschland
Bayern 4,7 9,3

Leistungen – das sind Leistungen, die un-


mittelbar zur Deckung des Lebensunter-
Quellen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder halts verwendet werden – beliefen sich im
Jahr 2014 auf 33,7 Milliarden Euro. u Abb 3
Quellen:Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Berechnungen der Insgesamt lebten die registrierten
Statistischen Ämter des Bundes und der Länder SGB-II-Empfänger im Dezember 2014 in
knapp 3,3 Millionen Bedarfsgemeinschaf-
u Info 2 ten. Davon bestanden die meisten aus einer
Arbeitslosengeld Person (57 % beziehungsweise 1,9 Millio-
Mit der sogenannten »Hartz-IV-Reform« ist die soziale Sicherung von Arbeitslosen zum Jahresbeginn nen Bedarfsgemeinschaften). Rechnerisch
2005 umstrukturiert worden. Dadurch entstand ein zweigliedriges System der sozialen Sicherung lebten im Durchschnitt 1,8 Personen in
für arbeitslose beziehungsweise bedürftige Personen, dessen erste Stufe aus einer lohnabhängigen
Versicherungsleistung – dem Arbeitslosengeld, auch ALG I genannt – besteht. Die Anspruchsdauer
einer Bedarfsgemeinschaft. In ungefähr
des Arbeitslosengeldes richtet sich nach der Dauer der vorangegangenen Versicherungszeiten und jeder dritten Bedarfsgemeinschaft wuch-
dem Alter der arbeitslosen Personen. sen Kinder unter 15 Jahren auf (früheres
Die zweite Stufe der sozialen Absicherung bildet seit Jahresbeginn 2005 eine steuerfinanzierte Für­ Bundesgebiet: 32 %, neue Länder: 27 %).
sorgeleistung im Rahmen der »Grundsicherung für Arbeitsuchende«, das ALG II. Diese Leistung Kinderreich waren 5 % aller Bedarfsge-
­konzentriert sich auf erwerbsfähige Hilfebedürftige ohne eigenes Einkommen oder deren Einkommen
und Vermögen nicht ausreicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Anspruchshöhe orientiert meinschaften. Dort wurden drei oder
sich nicht am letzten Arbeitslohn, sondern am erforderlichen Bedarf der leistungsberechtigten Perso- mehr Kinder unter 15 Jahren groß.
nen, um den notwendigen Lebensunterhalt abzusichern.
Von den rund 6,0 Millionen regist-
Altersgrenze für den Rentenbeginn rierten SGB-II-Empfängern waren nach
Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichten die Altersgrenze mit Ablauf des
­Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendeten. Beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1947 wird
Angaben der Statistik der Bundesagentur
die Altersgrenze seit dem 1. Januar 2012 schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Für den Berichtszeit- für Arbeit im Dezember 2014 etwa
raum Dezember 2014 gilt eine Altersgrenze von 65 Jahren und 3 Monaten. In Bezug auf die Alters- 1,3  Millionen Ausländerinnen und Aus-
grenze stehen für die Berechnung von Bezugsquoten Bevölkerungsdaten nach Geburtsmonat grund-
sätzlich nicht zur Verfügung. Zur Berücksichtigung der Verschiebung der Altersgrenze von 65 auf
länder. Bezogen auf die ausländische Be-
67 Jahre wird bei Berechnungen von Bezugsquoten eine Gleichverteilung der Geburten über das völkerung bis unter der Altersgrenze ent-
­jeweilige Geburtsjahr unterstellt. sprach dies einem Anteil von 19 %. Die

318
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Abb 4 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SGB II im Dezember 2014 -
Anteil an der Bevölkerung bis zur Altersgrenze in Prozent
Bezugsquote von ausländischen Leistungs- u Abb 4  Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach dem SGB II
empfängern war in den neuen Ländern im Dezember 2014 — Anteil an der Bevölkerung bis zur Altersgrenze in Prozent
mit 28 % deutlich höher als im früheren
Bundesgebiet; dort lag sie bei 18 %.
In den Stadtstaaten und den neuen Berlin 19,8
Ländern waren deutlich mehr Personen
Bremen 17,8
auf die Leistungen nach dem SGB II an-
gewiesen als in den westdeutschen Flä- Sachsen-Anhalt 15,8
chenländern. In Berlin war der Anteil an
Mecklenburg-Vorpommern 14,7
der Bevölkerung mit 20 % am höchsten.
Deutlich über dem Durchschnitt aller Hamburg 12,5
Bundesländer von 9 % lag Bremen mit Brandenburg 12,4
18 %, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit
Sachsen 12,3
16 %. Am seltensten nahmen die Einwoh-
ner in Baden-Württemberg (5 %) und in Nordrhein-Westfalen 11,5
Bayern (4 %) SGB-II-Leistungen in An- Thüringen 10,4
spruch. u Abb 4
Das sogenannte »Sozialgeld« erhalten, Saarland 10,0
wie oben angesprochen, nicht erwerbs­ Schleswig-Holstein 9,9
fähige Familienangehörige von ALG-II-
Niedersachsen 9,3
Empfängern. Im Dezember 2014 wurden
rund 1,7 Millionen Sozialgeldempfänger Hessen 8,5
registriert. Der Anteil an allen Empfän- Rheinland-Pfalz 6,9
gerinnen und Empfängern von Leistun-
gen nach dem SGB II lag im Dezember Baden-Württemberg 5,0
Deutschland
2014 bei 28 %. Die Sozialgeldempfänger Bayern 4,1 9,4
waren zu 96 % Kinder unter 15 Jahren.
Der Anteil der Kinder an allen Beziehern
von Leistungen nach dem SGB II lag im Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Bundesdurchschnitt bei 27 %. In den neu-


en Ländern war der Anteil der Leistun-
gen nach dem SGB II beziehenden Kinder
unter 15 Jahren mit 25 % niedriger als in
den alten Bundesländern mit 28 %. Insge- u Abb 5  Empfängerinnen und Empfänger
Abb 5 Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II
und Empfänger
samt bezogen gut 15 % aller in Deutsch- im Dezember 2014von
— Arbeitslosengeld
in Prozent II im Dezember 2014 - in Prozent
land lebenden Kinder unter 15 Jahren
Leistungen nach dem SGB II.
Rund 4,3 Millionen der insgesamt
6,0 Millionen Empfänger von Leistungen 55 Jahre und älter 51,6 48,4
nach dem SGB II waren im Dezember
2014 erwerbsfähig und erhielten ALG II. 50–54 52,2 47,8
Etwas mehr als die Hälfte von ihnen wa-
ren Frauen (52 %). Bei den erwerbsfähi- 25–49 47,0 53,0
gen ALG-II-Empfängern ab 55 Jahren
überwogen leicht die Männer mit einem 15–24 47,7 52,3

Anteil von 52 %. u Abb 5


Bei Alleinerziehenden fällt der Ge- im Alter von … Männer Frauen
schlechterunterschied wesentlich deut­ bis … Jahren

licher aus. Von den insgesamt 608 000


­a lleinerziehenden ALG-II-Empfängerin- Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit,
Berechnungen
Quelle: Statistik der Bundesagentur des Berechnungen
für Arbeit, Statistischendes
Bundesamtes.
Statistischen Bundesamtes
nen und -Empfängern waren 94 % Frau-
en. Mit lediglich 37 000 Empfängern wa-

319
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

u Abb 6  Arbeitslose seit Einführung der Grundsicherung es im Dezember 2014 nur noch knapp
für Arbeitsuchende — in Tausend 2,8 Millionen Personen. Der überwiegende
Teil dieses Rückgangs ist darauf zurück-
zuführen, dass die Zahl der Empfänger
6 000
von Arbeitslosengeld nach dem SGB III
5 000 gesunken ist. u Abb 6
Umgangssprachlich wird das Arbeits-
4 000 losengeld nach dem SGB III zur Abgren-
zung vom ALG II nach dem SGB II auch
3 000 als ALG I bezeichnet. Während die Zahl
der arbeitslosen ALG-II-Bezieher seit
2 000
­Februar 2005 von 2,6 Millionen Arbeits-
losen um 28 % auf knapp 1,9 Millionen
1 000
Arbeitslose im Dezember 2014 reduziert
0 werden konnte, sank die Zahl der ALG-­I-
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Bezieher im gleichen Zeitraum von
Arbeitslose insgesamt Empfänger /-innen Empfänger /-innen 2,7  Millionen Arbeitslosen um 67 % auf
von Arbeitslosengeld II von Arbeitslosengeld I 867 000 Arbeitslose.
Begründet wird diese Entwicklung
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
von der Bundesagentur für Arbeit mit der
größeren Arbeitsmarktnähe der ALG-I-
Bezieher. So profitieren diese eher von
einem konjunkturellen Aufschwung als
ALG-II-Empfänger, da sie häufiger über
einen Berufsabschluss verfügen, der An-
teil an Älteren über 50 Jahren geringer
ren nur 6 % der alleinerziehenden ALG- und rund 117 000 Selbstständige. Von und der Anteil von Kurzzeitarbeitslosen
II-Empfänger Männer. ­a llen abhängig erwerbstätigen ALG-II- unter drei Monaten höher ist. Dabei wer-
Mit der Reform des sozialen Siche- Beziehern waren 40 % ausschließlich ge- den auch regionale Unterschiede deutlich.
rungssystems zum Jahresbeginn 2005 war ringfügig beschäftigt. Sie verdienten Der Anteil der Bezieher von ALG I an
vornehmlich das Ziel verknüpft, Arbeits- ­weniger als 450 Euro brutto monatlich. ­a llen Arbeitslosen lag im Dezember 2014
losigkeit – insbesondere strukturelle und Das ist der Betrag, bei dem die im Berichts- im Westen Deutschlands bei 33 %, im
lang andauernde Arbeitslosigkeit – in jahr gültige Entgeltgrenze für geringfügig ­Osten waren es 26 %. Deutschlandweit er-
Deutschland zu bekämpfen. Die Grund­ entlohnte Beschäftigung lag (sogenannte hielten im Dezember 2014 rund drei von
sicherung für Arbeitsuchende ist folglich 450-Euro-Jobs). zehn Arbeitslosen (31 %) ALG I und sie-
darauf ausgerichtet, den Bedürftigen die Kurz vor der Einführung des SGB II ben von zehn Arbeitslosen (69 %) ALG II.
Wiedereingliederung in den Arbeits- waren im Dezember 2004 noch rund
markt, soweit möglich, zu erleichtern. 4,5  Millionen Menschen arbeitslos. Mit Sozialhilfe nach dem SGB XII
Doch nicht jeder erwerbsfähige Hilfebe- seinem Inkrafttreten zum Jahresbeginn Im Rahmen der Sozialhilfe nach dem
dürftige ist gleichzeitig auch arbeitslos ge- 2005 stieg die Arbeitslosigkeit zunächst SGB XII erhielten am Jahresende 2014
meldet und steht dem Arbeitsmarkt zur an und erreichte im Februar 2005 ihren rund 1,1 Millionen Personen Hilfe zum
Verfügung. Von den im Dezember 2014 Höhepunkt. Begründet wird dies von der Lebensunterhalt außerhalb von Einrich-
registrierten rund 4,3 Millionen erwerbs- Bundesagentur für Arbeit mit einem sta- tungen oder Grundsicherung im Alter
fähigen ALG-II-Empfängern waren mit tistischen Effekt. Durch die Umstellung und bei Erwerbsminderung. Der Staat
knapp 1,8 Millionen Personen deutlich wurden zahlreiche Arbeitslose, die zuvor gab für diese beiden Leistungen der
weniger als die Hälfte (42 %) tatsächlich nicht arbeitslos gemeldet waren, erstmals ­M indestsicherung im Jahr 2014 rund
arbeitslos gemeldet. Knapp 1,3 Millionen statistisch erfasst. 6,6 Milliarden Euro brutto aus (ohne ein-
(29 %) waren erwerbstätig. Seit der Einführung des SGB II sank malige Leistungen).
Nach Berechnungen der Bundesagen- die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis Die Sozialhilfe bildet das unterste
tur für Arbeit waren im Dezember 2014 Dezember 2014 deutlich und nahezu konti- ­soziale Auffangnetz für bedürftige Men-
knapp 1,2 Millionen der erwerbsfähigen nuierlich. Waren im Februar 2005 noch schen. Hilfe zum Lebensunterhalt erhal-
ALG-II-Bezieher abhängig Erwerbstätige 5,3 Millionen Arbeitslose registriert, waren ten Personen, die ihren notwendigen

320
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

­ ebensunterhalt nicht oder nicht ausrei-


L bensunterhalt außerhalb von Einrichtun- Die knapp 133 000 Empfänger von
chend aus ihrem eigenen Einkommen gen mit 2,1 Empfängern je 1 000 Einwoh- Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb
und Vermögen bestreiten können, sowie ner häufiger in Anspruch genommen als von Einrichtungen lebten Ende 2014 in
deren im Haushalt lebende Kinder unter im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) knapp 123 000 Personengemeinschaften,
15 Jahren. mit 1,5 Empfängern je 1 000 Einwohner. für die eine gemeinsame Bedarfsberech-
Die Hilfe zum Lebensunterhalt nach Am häufigsten nahmen die Menschen nung erfolgt. Im Durchschnitt bestand
dem Dritten Kapitel des SGB XII »Sozial- in den Stadtstaaten Berlin (3,0 Empfänger eine Personengemeinschaft aus 1,1 Emp-
hilfe« soll den Grundbedarf vor allem an je 1 000 Einwohner), Bremen und Ham- fängern. Drei Viertel (75 %) dieser Ge-
Nahrung, Kleidung, Unterkunft und burg (2,9 beziehungsweise 2,8 Empfänger meinschaften waren Einpersonenhaus-
­Heizung decken (sogenanntes soziokultu- je 1 000 Einwohner) Leistungen der Hilfe halte, 16 % Zweipersonenhaushalte und
relles Existenzminimum). Infolge des zum Lebensunterhalt außerhalb von 9 % waren Haushalte mit drei oder mehr
zum 1.  Januar 2005 in Kraft getretenen ­Einrichtungen in Anspruch, am seltens- Personen.
Vierten Gesetzes für moderne Dienst­ ten in Bayern und Baden-Württemberg Die Hilfe zum Lebensunterhalt außer-
leistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) (0,9 ­b eziehungsweise 0,7 Empfänger je halb von Einrichtungen wird im Wesent-
ging die Zahl dieser Hilfebezieher stark 1 000 Einwohner). u Abb 7 lichen in Form von Regelsätzen, Mehrbe-
zurück. Ende 2004, also unmittelbar
vor Inkrafttreten von Hartz IV, bezogen
noch rund 2,9 Millionen Personen oder
4 % der Bevölkerung Sozialhilfe im enge-
ren Sinn.
Seit Anfang 2005 existiert die Sozial- Empfängerinnen und Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt am
u 7  Empfängerinnen
Jahresende
Abb und Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb
2014 - je 1 000 Einwohner
hilfe in der bis dahin gültigen Form nicht
von Einrichtungen am Jahresende 2014 — je 1 000 Einwohner
mehr. Damals wurden erwerbsfähige So-
zialhilfeempfänger samt ihrer Familien-
angehörigen zusammen mit den bisheri- Früheres Bundes-
gebiet ohne Berlin
gen Empfängern von Arbeitslosenhilfe in 1,5
die Grundsicherung für Arbeitsuchende
Berlin 3,0
nach dem SGB II integriert.
Ende 2014 erhielten in Deutschland Bremen 2,9
rund 382 000 Personen Hilfe zum Lebens-
Hamburg 2,8
unterhalt, darunter knapp 133 000 Perso-
nen außerhalb von Einrichtungen. Damit Schleswig-Holstein 2,6

bezogen 1,6 von 1 000 Einwohnern Hilfe Mecklenburg-Vorpommern 2,6


zum Lebensunterhalt außerhalb von Ein-
Sachsen-Anhalt 2,1
richtungen.
Rund 17 000 der 133 000 Hilfeemp- Nordrhein-Westfalen 2,0
fänger außerhalb von Einrichtungen wa-
Hessen 2,0
ren Ausländer. Diese nahmen die Hilfe-
leistungen mit 2,2 Hilfeempfängern je Thüringen 1,6
1 000 ausländischer Einwohner etwas Brandenburg 1,6
häufiger in Anspruch als die deutsche
Niedersachsen 1,6
Bevölkerung. Von allen rund 17 000 aus-
ländischen Hilfebeziehern kamen 23 % Sachsen 1,5 Neue Länder
aus einem EU-Staat, 3 % waren Asylbe- mit Berlin
Saarland 1,4 2,1
rechtigte und knapp 1 % waren Bürger-
kriegsflüchtlinge. Rheinland-Pfalz 1,2

Ende 2014 waren 16 % der Empfänger Bayern 0,9


von Hilfe zum Lebensunterhalt außer- Deutschland
Baden-Württemberg 0,7 1,6
halb von Einrichtungen Kinder unter
18 Jahren.
In den neuen Ländern und Berlin
wurden die Leistungen der Hilfe zum Le-

321
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

Abb. 8: Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei


Erwerbsminderung am Jahresende 2014 - Anteil an der Bevölkerung ab 18 Jahren je
1 000 Einwohner
u Abb 8  Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter Der Staat wendete für die Hilfe zum
und bei Erwerbsminderung am Jahresende 2014 — Anteil an der Bevölkerung Lebensunterhalt außerhalb von Einrich-
ab 18 Jahren je 1 000 Einwohner tungen im Jahr 2014 rund 731 Millionen
Euro brutto auf (ohne einmalige Leistun-
gen). Im Jahr 2004, also vor Inkrafttreten
Bremen 26,6
von »Hartz IV«, lagen die Ausgaben noch
bei 9,8 Milliarden Euro brutto.
Hamburg 26,3
Leistungen der Grundsicherung im
Berlin 25,2 Alter und bei Erwerbsminderung nach
dem Vierten Kapitel des SGB XII »Sozial-
Saarland 17,9
hilfe« erhalten dauerhaft voll erwerbs­
Nordrhein-Westfalen 17,8 geminderte Personen ab 18 Jahren sowie
Hessen 16,4 Personen, die die Altersgrenze nach § 41
Absatz 2 SGB XII erreicht haben und
Schleswig-Holstein 16,4
­i hren Lebensunterhalt nicht aus eigenen
Niedersachsen 16,2 Mitteln auf bringen können. Personen,
die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind,
Mecklenburg-Vorpommern 16,0
erreichten die Altersgrenze mit Ablauf
Rheinland-Pfalz 12,7 des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr
Sachsen-Anhalt 12,4 vollendeten. Beginnend mit dem Ge-
burtsjahrgang 1947 wird die Altersgrenze
Brandenburg 11,3
seit dem 1. Januar 2012 schrittweise auf
Bayern 11,0 67 Jahre angehoben. Für den Berichts-
zeitraum Dezember 2014 galt eine Alters-
Baden-Württemberg 10,5
grenze von 65 Jahren und 3 Monaten
Thüringen 8,9 ­(siehe Info 2).
Deutschland
14,7 Rund 1 003 000 Personen bezogen am
Sachsen 8,7
Jahresende 2014 in Deutschland Leistun-
gen der »Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung«. Das waren
40 000 Empfänger mehr als im Vorjahr.
Von 1 000 volljährigen Einwohnern
waren rechnerisch 15 Menschen auf die
Grundsicherung gemäß SGB XII an­
gewiesen. Menschen im früheren Bun-
darfszuschlägen und durch die Übernah- anfielen – 361 Euro auf die Kosten für desgebiet waren mit 15 Empfängern je
me der Unterkunftskosten einschließlich Unterkunft und Heizung entfielen. Unter 1 000 Einwohnern ab 18 Jahren häufiger
der Heizkosten gewährt. Darüber hinaus Berücksichtigung des angerechneten Ein- auf diese Leistungen angewiesen als in
können auch Beiträge zur Krankenver­ kommens in Höhe von durchschnittlich den neuen Ländern mit Berlin mit
sicherung, Pflegeversicherung und Alters- 411 Euro wurden je Personengemein- 14 Empfängern je 1 000 Volljährigen. Am
sicherung übernommen werden. Die schaft im Durchschnitt 465 Euro monat- höchsten war die Empfängerzahl bei der
Summe aus den vorgenannten Bedarfs- lich ausgezahlt – das waren 61 % des Inanspruchnahme in Bremen mit 27, in
positionen für alle Angehörigen der Per- Bruttobedarfs. Hamburg mit 26 und Berlin mit 25 Emp-
sonengemeinschaft ergibt deren Brutto- Fast drei Viertel (74 %) der Personen- fängern je 1 000 volljährigen Einwohnern.
bedarf. Zieht man hiervon das angerech- gemeinschaften mit Bezug von Hilfe zum Die geringsten Empfängerzahlen je
nete Einkommen ab, erhält man den Lebensunterhalt außerhalb von Einrich- 1 000  Einwohner hatten Thüringen und
Nettobedarf. Durchschnittlich hatte eine tungen verfügten über ein oder mehrere Sachsen mit 9 Empfängern je 1 000 voll-
Personengemeinschaft mit Bezug von Einkommen. Am häufigsten erhielten jährigen Einwohnern. u Abb 8
Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb diese Personengemeinschaften Renten Unter den 1 003 000 Grundsicherungs-
von Einrichtungen Ende 2014 einen wegen Erwerbsminderung (53 %), Alters- empfängern waren rund 490 000 Personen
­monatlichen Bruttobedarf von 766 Euro, rente (23 %) oder öffentlich-rechtliche im Alter von 18 Jahren bis unter die Al-
wovon – sofern derartige Aufwendungen Leistungen für Kinder (20 %). tersgrenze (49 %). Sie erhielten Grund­

322
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

sicherungsleistungen aufgrund einer u Abb 9  Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter und
dauerhaft vollen Erwerbsminderung. bei Erwerbsminderung nach Altersgruppen am Jahresende 2014
­Diese Menschen werden dem allgemeinen
Arbeitsmarkt voraussichtlich auch künftig
nicht mehr zur Verfügung stehen. Rund 1 002 547
insgesamt 477 420
512 000 Grundsicherungsempfänger (51 %) 525 127
hatten die Altersgrenze von 65 Jahren und
3 Monaten erreicht. Sie erhielten Grund­ 18 Jahre 490 349
sicherung im Alter. Damit konnten Ende bis unter die 277 610
Altersgrenze 212 739
2014 deutschlandweit 30 von 1 000 Ein-
wohnern, die die Altersgrenze erreicht
512 198
oder überschritten hatten, ihren Lebens- Altersgrenze
199 810
und älter
unterhalt lediglich mithilfe von Grund­ 312 388
sicherungsleistungen abdecken.
Bei den Empfängern von Grundsiche- insgesamt
rung im Alter gibt es regionale (West- männlich
weiblich
Ost) und auch geschlechtsspezifische
Unterschiede: Ende 2014 bezogen in
­
1 Durchschnittsbeträge beziehen sich ausschließlich auf Empfänger mit
Deutschland rechnerisch 33 von 1 000 Frau- angerechnetem Einkommen.
en und 27 von 1 000 Männern Grundsi-
cherung im Alter. u Abb 9
Während im früheren Bundesgebiet
36 von 1 000 Frauen, die die Altersgrenze
erreicht hatten, Grundsicherung erhiel- diese Sozialleistung vergleichsweise häu- bare Einkommen des Empfängers ab,
ten, waren es in den neuen Ländern mit fig in Anspruch, 159 von 1 000 ausländi- ­erhält man den Nettobedarf.
Berlin 21 von 1 000 Frauen in diesem schen Mitbürgern erhielten Grundsiche- Im Durchschnitt errechnete sich für
­A lter. Bei den gleichaltrigen Männern lag rung im Alter. Damit bezogen sie diese einen Empfänger von Grundsicherung
die Inanspruchnahme bei 29 von 1 000 Leistung rund sechsmal so häufig wie im Alter und bei Erwerbsminderung
im Westen Deutschlands und bei 21 von Deutsche entsprechenden Alters (25 von Ende 2014 ein monatlicher Bruttobedarf
1 000 im Osten Deutschlands. 1 000 Personen). Gründe dafür können von 740 Euro. Durchschnittlich 359 Euro
Eine Ursache für die geringeren vor allem geringere Einkommen der Aus- wurden pro Monat für den Regelsatz auf-
Grundsicherungsquoten der älteren länder während ihrer Erwerbszeit sowie gewendet. Fielen Aufwendungen für Un-
Menschen in den ostdeutschen Bundes- kürzere Versicherungszeiten in der ge- terkunft und Heizung an, gingen diese
ländern kann die höhere Erwerbsbeteili- setzlichen Rentenversicherung sein, wo- mit durchschnittlich 333 Euro in die Be-
gung – vor allem auch der Frauen – in der durch die Bedürftigkeit wahrscheinlicher darfsberechnung ein. Hatten die Emp-
ehemaligen DDR gewesen sein. Daraus ist als bei den Deutschen. fänger ein anrechenbares Einkommen,
resultieren heute höhere Rentenansprü- Die monatlichen Leistungen der so lag dies bei durchschnittlich 381 Euro.
che, die meist zur Sicherung des Lebens- Grundsicherung im Alter und bei Er- Der Nettobedarf je Leistungsberechtig-
unterhalts im Alter ausreichen. Eine werbsminderung werden wie die Leistun- ten betrug wie im Vorjahr durchschnitt-
weitere mögliche Ursache für die geringe- gen nach dem SGB II und der Hilfe zum lich 451 Euro.
re Inanspruchnahme in Ostdeutschland Lebensunterhalt nach Regelsätzen er- In den ersten Jahren nach Einführung
ist ein geringeres Mietenniveau als in bracht. Neben dem Regelsatz werden des Grundsicherungsgesetzes sind die
Westdeutschland. ­sowohl die angemessenen Kosten für Un- Empfängerzahlen stark angestiegen: Bei
Der Anteil der Ausländerinnen und terkunft und Heizung als Bedarf aner- der erstmaligen Erhebung Ende 2003
Ausländer an der Gesamtzahl der Emp- kannt als auch eventuell anfallende Bei- wurden rund 439 000 Grundsicherungs-
fänger von Grundsicherungsleistungen träge für Krankenversicherung, Pf lege- empfänger gemeldet. Seitdem hat sich die
lag Ende 2014 bei 16 %. Insgesamt 24 von versicherung und Mehrbedarfszuschläge. Zahl der Empfänger von Grundsicherung
1 000 Personen mit ausländischer Staats- Die Gesamtsumme dieser Bedarfspositio- gemäß SGB XII bis Ende 2014 mehr als
angehörigkeit und 14 von 1 000 Personen nen ergibt den Bruttobedarf, also den verdoppelt (+ 128 %; rund 1 003 000 Per-
mit deutscher Staatsangehörigkeit erhiel- Betrag, den der jeweilige Antragsteller sonen). Grund dafür war beispielsweise
ten Ende 2014 Grundsicherungsleistun- für seinen Lebensunterhalt monatlich be- ein in der Anfangszeit nicht unerhebli-
gen. Vor allem ältere Ausländer nahmen nötigt. Zieht man hiervon das anrechen- cher Rückstand der Antragsbearbeitung

323
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

Abb 10 Empfängerinnen und Empfänger von Regelleistungen nach


u Abb Empfängerinnen undam
10 Asylbewerberleistungsgesetz
dem Empfänger
Jahresende -von Regelleistungen nach
in 1000 des Haushalts durch Sachleistungen de-
dem Asylbewerberleistungsgesetz am Jahresende 1994 bis 2014 — in 1 000 cken. Unter besonderen Umständen kön-
nen – anstelle der Sachleistungen – auch
Wertgutscheine oder andere vergleichba-
600
re, nicht bare Abrechnungen sowie Geld-
leistungen erbracht werden. Zusätzlich
500
erhalten die Leistungsempfänger einen
monatlichen Geldbetrag (Taschengeld)
400
für die persönlichen Bedürfnisse des täg-
lichen Lebens. Die so gewährte individu-
300
elle Hilfeleistung ist insgesamt geringer
200
als die korrespondierenden Leistungen
der Hilfe zum Lebensunterhalt. In spezi-
100
ellen Bedarfssituationen werden beson-
dere Leistungen gewährt: Dazu gehören
0 etwa Leistungen bei Krankheit, Schwan-
1995 2000 2005 2010 gerschaft und Geburt, Leistungen in
Form von Bereitstellung von Arbeitsgele-
insgesamt männlich weiblich
genheiten, insbesondere zur Aufrechter-
haltung und Betreibung der Einrichtung,
sowie sonstige Leistungen.
Ende des Jahres 2014 wohnten die
363 000 Empfänger von Regelleistungen
in insgesamt 216 000 Haushalten. Die
Zahl der Leistungsbezieher stieg gegen-
bei den durchführenden Kommunen. zum Jahr 2008 zunächst nahezu kontinu- über dem Vorjahr um 61 %. Den bislang
Aufgrund des demografischen Wandels, ierlich und deutlich gesunken. Parallel höchsten Stand seit Einführung der Sta-
des zunehmenden Anteils prekärer Be- hierzu haben sich sowohl die Zahl der tistik im Jahr 1994 erreichte die Zahl der
schäftigung und unterbrochener Er- Empfänger als auch die Ausgaben für Regelleistungsempfänger Ende 1996 mit
werbsbiografien ist in den kommenden Asylbewerberleistungen entwickelt. Da rund 490 000 Personen, den niedrigsten
Jahren mit einer weiter steigenden Zahl die Zahl der Asylanträge seit 2009 wieder Stand am Jahresende 2009 mit rund
von Bedürftigen zu rechnen. steigt, wachsen auch die Zahl der Emp- 121 000 Beziehern. u Abb 10
Insgesamt wandten die Kommunen fänger von Asylbewerberleistungen und Gut 63 % der Empfänger von Regel-
und die überörtlichen Träger für Leistun- die diesbezüglichen Ausgaben seit 2010 leistungen waren Männer. Die Hälfte der
gen der Grundsicherung im Alter und bei wieder an. Am Jahresende 2014 erhielten Bezieher (50 %) war jünger als 25 Jahre.
Erwerbsminderung im Jahr 2014 brutto knapp 363 000 Personen laufende Asylbe- Dezentral untergebracht waren 47 % der
rund 5,9 Milliarden Euro auf. Netto – werberleistungen (Regel leistungen). Regelleistungsempfänger, während die
nach Abzug insbesondere von Erstattun- Hierfür gab der Staat brutto 1,8 Milliar- Übrigen in Gemeinschaftsunterkünften
gen anderer Sozialleistungsträger – ga- den Euro aus. oder Aufnahmeeinrichtungen lebten.
ben sie rund 5,5 Milliarden Euro aus. Die von der amtlichen Statistik nach- Die meisten Bezieher von Regel­
Dies entsprach rund einem Fünftel (21 %) gewiesenen Leistungen nach dem Asylbe- leistungen stammten aus Europa und
der gesamten Nettoausgaben für Sozial- werberleistungsgesetz umfassen die soge- Asien (jeweils 38 %) gefolgt von Personen
hilfe nach dem SGB XII. nannten Regelleistungen und die beson- aus Afrika (knapp 20 %). Die rund
deren Leistungen. Die Regelleistungen 139 000  europäischen Empfänger von
Asylbewerberleistungen dienen zur Deckung des täglichen Be- ­R egelleistungen waren mit 50 % über­
In Deutschland lebende Asylbewerber er- darfs und werden entweder in Form von wiegend im Besitz eines serbischen, koso-
halten seit 1993 anstelle von Sozialhilfe Grundleistungen oder als Hilfe zum Le- varischen oder montenegrinischen Passes
bei Bedarf Asylbewerberleistungen, um bensunterhalt gewährt. Die Grundleis- oder deren Vorgängerstaaten (Bundes­
ihren Lebensunterhalt und ihre spezielle tungen sollen den notwendigen Bedarf an republik Jugoslawien, Serbien und Mon-
Bedarfssituation zu sichern. Die vom Ernährung, Unterkunft, Heizung, Klei- tenegro). Rund 13 % stammten aus der
Bundesamt für Migration und Flüchtlin- dung, Gesundheits- und Körperpflege so- Russischen Föderation und 10 % aus Ma-
ge ermittelte Zahl der Asylanträge ist bis wie Gebrauchs- und Verbrauchsgütern zedonien. Die knapp 138 000 asiatischen

324
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Bezieher von Regelleistungen kamen vor- u Info 3

nehmlich aus Syrien (30 %), Afghanistan Änderungen beim Wohngeld


(16 %), dem Irak (10 %), Pakistan (8 %), Durch verschiedene Gesetzesänderungen ergaben sich für das Wohngeldrecht zum 1. Januar 2009
dem Iran (7 %) sowie dem Libanon (5 %). erhebliche Veränderungen. Zunächst wurden vor dem Hintergrund gestiegener Energiepreise über
­einen nach der Haushaltsgröße gestaffelten festen Betrag erstmals Heizkosten bei der Ermittlung des
Der deutsche Staat gab im Jahr 2014 Wohngeldes berücksichtigt. Außerdem wurde für Haushalte, die für einen der Monate Oktober 2008
für Leistungen nach dem Asylbewerber- bis März 2009 Wohngeld erhielten, ein nach der Personenzahl gestaffelter einmaliger zusätzlicher
leistungsgesetz 2,401 Milliarden Euro Wohngeldbetrag geleistet, der dem durchschnittlichen finanziellen Vorteil der Wohngeldnovelle für die
Monate Oktober bis Dezember 2008 entsprach. Des Weiteren wurden die Höchstbeträge für Miete
brutto aus. Nach Abzug der Einnahmen und Belastung über die Abschaffung der Baualtersklassen auf Neubauniveau vereinheitlicht und
(insbesondere Erstattungen von Sozial- ­zusätzlich um 10 % erhöht. Neben den genannten Änderungen wurden auch die Tabellenwerte um
leistungsträgern) von 37 Millionen Euro 8 % angehoben. Infolgedessen hat sich die Anzahl der in der Wohngeldstatistik erfassten Haushalte
deutlich erhöht.
beliefen sich die Nettoausgaben auf
Die Berücksichtigung der Heizkosten wurde ab 1. Januar 2011 dann durch das Haushaltsbegleit­
2,364 Milliarden Euro. Gegenüber dem
gesetz wieder aufgehoben. Danach sanken erneut sowohl die Anzahl der Haushalte mit Wohngeld-
Vorjahr stiegen die Nettoausgaben um bezug als auch die Wohngeldausgaben.
rund 59 %. Der größte Teil der Bruttoaus-
gaben wurde für Regelleistungen aufge-
wandt (1,811 Milliarden Euro).

10.4.3 Förderungssysteme

Wohngeld Teilhaushalt zählen die wohngeldberech- Mehr als die Hälfte (55 %) der reinen
Das Wohngeld ist ein je zur Hälfte vom tigten Mitglieder eines Mischhaushalts. Wohngeldhaushalte waren am Jahresende
Bund und von den Ländern getragener Im Jahr 2014 gab der Staat für Wohn- 2014 Einpersonenhaushalte, in rund einem
Zuschuss zu den Wohnkosten. Gemäß geldleistungen rund 845 Millionen Euro Viertel (26 %) der Haushalte lebten mindes-
den Vorschriften des Wohngeldgesetzes aus. Gegenüber dem Jahr 2013 ging die tens vier Personen. Rund 12 % der Wohn-
wird es einkommensschwächeren Haus- Zahl der Wohngeldhaushalte insgesamt geldhaushalte waren Zweipersonenhaus-
halten gewährt, damit diese die Wohn- um 15 % zurück. Bei den wohngeldrecht- halte und 8 % Dreipersonenhaus­halte. u Abb 12
kosten für angemessenen und familien- lichen Teilhaushalten war der Rückgang Als Mietzuschuss wird das Wohngeld
gerechten Wohnraum tragen können. mit 23 % deutlich stärker als bei den rei- überwiegend an kleinere Haushalte ge-
Wohngeld wird entweder als Mietzu- nen Wohngeldhaushalten mit 14 %. Die zahlt, als Lastenzuschuss dagegen eher an
schuss für Mietobjekte oder als Lastenzu- Wohngeldausgaben sanken im gleichen größere Haushalte. So wurde der Miet­
schuss für Haus- und Wohnungseigen- Zeitraum insgesamt um rund 14 %. zuschuss am Jahresende 2014 zu 69 % an
tum geleistet. Die Höhe des Zuschusses Das Wohngeld kommt in erster Linie Ein- und Zweipersonenhaushalte gezahlt,
richtet sich nach der Anzahl der Haus- Mietern zugute: Mehr als neun von zehn wobei bereits mehr als die Hälfte der
haltsmitglieder, deren monatlichem Wohngeldhaushalten (92 %) erhielten Empfängerinnen und Empfänger von
­G esamteinkommen sowie der zu berück- Ende 2014 ihr Wohngeld als Mietzu- Mietzuschuss (57 %) allein lebte. In den
sichtigenden Miete beziehungsweise Be- schuss. Der Rest (rund 8 %) erhielt es als Haushalten mit Lastenzuschuss wohnten
lastung. Ausführliche Informationen Lastenzuschuss. dagegen überwiegend (57 %) vier und
zum Thema Wohnen und Miete enthält Die folgenden Ergebnisse beziehen mehr Personen.
Kapitel 9, Seite 259. u Info 3 sich, sofern nicht anders erwähnt, aus- Am 31. Dezember 2014 hatte ein reiner
Zum Jahresende 2014 bezogen 565 000 schließlich auf reine Wohngeldhaushalte, Wohngeldhaushalt einen durchschnitt­
Haushalte in Deutschland Wohngeld. Das die am Jahresende 2014 den überwiegen- lichen monatlichen Anspruch auf Wohn-
waren 1,4 % aller Privathaushalte. Von den Teil der Wohngeldhaushalte (90 %) geld in Höhe von 114 Euro. Die Haushal-
den Wohngeldhaushalten waren rund ausmachten. te mit Lastenzuschuss hatten in der Regel
511 000 Haushalte (90 %) sogenannte reine Ende 2014 waren knapp die Hälfte höhere Wohnkosten zu tragen. An sie
Wohngeldhaushalte und 54 000 Haushalte (46 %) der Empfängerinnen und Empfän- wurden mit durchschnittlich 151  Euro
(10 %) wohngeldrechtliche Teilhaushalte. ger von Wohngeld Rentner oder Pensio- deutlich höhere Beträge gezahlt als an die
In reinen Wohngeldhaushalten leben näre, etwa ein Drittel (38 %) ging einer Haushalte mit Mietzuschuss in Höhe von
­ausschließlich wohngeldberechtigte Haus- beruf lichen Tätigkeit nach. Rund ein 111 Euro. Grundsätzlich ist der Wohn-
haltsmitglieder. Dagegen wohnen in Zehntel (11 %) der Wohngeldempfänger geldanspruch umso höher, je größer der
Mischhaushalten wohngeldberechtigte studierte noch oder war aus sonstigen Haushalt ist und je geringer das der Be-
und nicht wohngeldberechtigte Personen Gründen nicht erwerbstätig. Rund 6 % rechnung zugrunde liegende Gesamtein-
zusammen. Zum wohngeldrechtlichen waren arbeitslos. u Abb 11 kommen. u Tab 3

325
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

Abb 11 Reine Wohngeldhaushalte nach sozialer Stellung


des Antragstellers 2014 - in Prozent

u Abb 11  Reine Wohngeldhaushalte nach Das Wohngeld stellt immer nur einen
sozialer Stellung des Antragstellers 2014 — in Prozent Zuschuss zur Miete oder Belastung dar.
Ein Teil der Wohnkosten muss in jedem
Arbeitslose
Fall von der Antragstellerin beziehungs-
weise dem Antragsteller getragen wer-
6
den. Durch den Bezug von Wohngeld
Rentner /-innen, sanken die durchschnittlichen tatsäch­
Studierende / Sonstige Pensionärinnen / Pensionäre
lichen Wohnkosten je Wohngeld­e m­p ­
11 46
fängerhaushalt von 420 Euro auf 306 Euro.
511 000 Die Höhe der Miete beziehungsweise
Erwerbstätige Haushalte der Belastung sind zentrale Größen bei der
38 Festlegung des Wohngeldes. Zur zu-
schussfähigen Miete gehören auch be-
stimmte Umlagen, Zuschläge und Vergü-
31.12.2014. tungen, zum Beispiel die Kosten des Was-
serverbrauchs, der Abwasser- und
Abb 12 Reine Wohngeldhaushalte nach Art des Wohngeldes und Müllbeseitigung, der Treppenhausbe-
Haushaltsgröße 2014 - in Prozent
leuchtung und Ähnliches. Außer Betracht
u Abb 12  Reine Wohngeldhaushalte nach Art des Wohngeldes bleiben dagegen die Heizungs- und
und Haushaltsgröße 2014 — in Prozent Warmwasserkosten, daher wird auch von
»Bruttokaltmiete« gesprochen. Bei den Ei-
gentümerhaushalten zählen zur Belastung
der Kapitaldienst (Zinsen, Tilgung) sowie
reine Wohngeld-
haushalte insgesamt 55 12 8 26 die Aufwendungen für die Bewirtschaf-
tung des Wohnraums, zu denen Instand-
Mietzuschuss 57 12 8 23
haltungs-, Betriebs- und Verwaltungskos-
Lastenzuschuss 24 11 8 57 ten zu rechnen sind.
Die monatliche Bruttokaltmiete reiner
Wohngeldhaushalte mit Mietzuschuss
1-Personen- 2-Personen- 3-Personen- Haushalte mit 4
Haushalte Haushalte Haushalte und mehr Personen betrug Ende 2014 durchschnittlich
6,85  Euro je Quadratmeter Wohn­fläche,
31.12.2014. die monatliche Belastung der entspre-
chenden Haushalte mit Lasten­z uschuss

u Tab 3  Reine Wohngeldhaushalte nach Haushaltsgröße und Höhe des monatlichen Wohngeldes 2014
Davon mit einem monatlichen Wohngeld
von ... bis unter ... Euro Durchschnittlicher
Insgesamt
Wohn­g eldanspruch/Monat
unter 50 50 –150 150 und mehr
Anzahl in % in % von Spalte 1 in Euro
Insgesamt 510 716 100 26,6 47,6 25,8 114
Mietzuschuss 467 833 91,6 27,1 48,2 24,7 111
Lastenzuschuss 42 883 8,4 20,4 41,2 38,4 151
Haushalte ...
von Alleinstehenden 278 343 54,5 36,6 53,8 9,5 77
mit 2 Haushaltsmitgliedern 60 691 11,9 22,9 50,1 27,0 114
mit 3 Haushaltsmitgliedern 39 182 7,7 18,4 46,6 35,0 130
mit 4 Haushaltsmitgliedern 60 387 11,8 12,7 42,9 44,4 149
mit 5 Haushaltsmitgliedern 42 751 8,4 8,4 31,0 60,6 185
mit 6 und mehr Haushaltsmitgliedern 29 362 5,7 4,6 18,7 76,7 268

31.12.2014.

326
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

lag mit durchschnittlich 4,69  Euro je Wohnfläche. In den alten Bundesländern Anspruch auf Elterngeld haben Mütter
Quadratmeter Wohnfläche niedriger. ohne Berlin lagen die durchschnittlichen und Väter, die
Das hat im Wesentlichen zwei Grün- Wohnkosten bei 6,69 Euro je Quadratmeter, ·· ihre Kinder nach der Geburt selbst be-
de: Einerseits sind die durchschnitt­lichen in den neuen Bundesländern mit Berlin bei treuen und erziehen,
Mieten je Quadratmeter in kleinen Woh- 6,04 Euro je Quadratmeter. ·· nicht mehr als 30 Stunden in der Wo-
nungen höher als in größeren. Zusätzlich che erwerbstätig sind,
überwiegen unter den Haushalten mit Elterngeld ·· mit ihren Kindern in einem Haushalt
Mietzuschuss Einpersonenhaushalte, die Das seit 1. Januar 2007 eingeführte Eltern- leben und
in der Regel über eine kleine Wohnfläche geld soll es Müttern und Vätern erleichtern, ·· einen Wohnsitz oder ihren gewöhnli-
verfügen. Andererseits leben in Wohn- vorübergehend ganz oder teilweise auf eine chen Aufenthalt in Deutschland haben.
geldhaushalten mit Lastenzuschuss zu- Erwerbstätigkeit zu verzichten, um mehr Ehe- oder Lebenspartner, die das Kind
meist vier und mehr Haushaltsmitglieder Zeit für die Kinderbetreuung zu haben. nach der Geburt betreuen – auch wenn
in größeren Wohnungen mit mindestens
120 Quadratmetern zusammen. Zusätz-
lich ist die Belastung bei Wohngeldhaus-
halten mit Lastenzuschuss besonders
niedrig, wenn für Wohnraum keine Be- Abb. 13: Wohngeldausgaben und Wohngeldhaushalte nach Ländern 2014

lastung aus dem Kapitaldienst mehr be-


u Abb 13  Wohngeldausgaben und Wohngeldhaushalte nach Ländern 2014
steht, sondern nur noch die Belastung
aus der Bewirtschaftung (Instandhal-
tungs- und Betriebskosten). Wohngeldausgaben Anteil der Wohn-
je Einwohner — in Euro geldhaushalte an
Bei der Wohngeldförderung existiert den Privathaushalten¹
in Deutschland ein Ost-West- und ein — in Prozent
Nord-Süd-Gefälle. Zum Jahresende 2014 Deutschland Deutschland
10,4 1,4
waren im früheren Bundesgebiet ohne
Berlin 1,2 % aller privaten Haushalte 20,1 Mecklenburg-Vorpommern 3,1
­reine Wohngeldhaushalte oder wohn­
16,1 Sachsen 2,4
geldrechtliche Teilhaushalte. In den neu-
en Ländern mit Berlin war dieser Anteil 13,4 Thüringen 2,2
mit 2,0 % deutlich höher. In den alten
13,1 Schleswig-Holstein 1,5
Bundesländern war der Anteil der Wohn-
geldhaushalte an den Privathaushalten in 12,8 Bremen 1,4

Schleswig-Holstein, Niedersachsen und 12,4 Sachsen-Anhalt 2,0


Nordrhein-Westfalen mit jeweils 1,5 %
11,8 Nordrhein-Westfalen 1,5
am höchsten, gefolgt von Bremen mit
1,4 %. Am seltensten erhielten die Haus- 11,5 Niedersachsen 1,5
halte in Bayern und im Saarland (­ jeweils 11,4 Brandenburg 2,0
0,8 %) sowie in Hessen (1,1 %) Wohngeld.
In den neuen Ländern hatte Mecklen- 10,0 Hamburg 1,2

burg-Vorpommern (3,1 %) den höchsten 9,8 Baden-Württemberg 1,2


und Brandenburg sowie Sachsen-Anhalt
9,5 Berlin 1,2
(je 2,0 %) den niedrigsten Anteil an
Wohngeldhaushalten. u Abb 13 8,7 Hessen 1,1
Im früheren Bundesgebiet ohne Berlin 8,7 Rheinland-Pfalz 1,3
lag dabei der durchschnittliche monat­liche
Wohngeldanspruch von reinen Wohngeld- 6,7 Saarland 0,8

haushalten bei 122 Euro, in den neuen Län- 5,6 Bayern 0,8
dern und Berlin bei 95 Euro sowie bundes-
weit bei 114 Euro. Die durch­schnitt­liche
monatliche Miete beziehungsweise Belas- 1 Reine Wohngeldhaushalte und wohngeldrechtliche Teilhaus-
1 Reine Wohngeldhaushalte und wohngeldrechtliche Teilhaushalte bezogen auf die Zahl der Privathaushalte nach dem
halte bezogen auf die Zahl der Privathaushalte gemäß
tung von reinen Wohngeldhaushalten be- Mikro­zensus 2014 (Jahresdurchschnitt/Hochrechnung anhand der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis Zensus 2011).
Mikrozensus 2014 (Jahresdurchschnitt/Hochrechnung anhand
lief sich auf 6,51  Euro je Quadratmeter der Bevölkerungsfortschreibung auf Basis Zensus 2011).

327
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

es nicht ihr eigenes ist –, können unter 1 200 Euro ersetzt das Elterngeld das nach weise auf bis zu 100 %: je geringer das Ein-
denselben Voraussetzungen Elterngeld der Geburt wegfallende Einkommen zu kommen, desto höher die Ersatzrate.
erhalten. u Info 4 67 %. Für Nettoeinkommen ab 1 200 Euro Auch wenn vor der Geburt des Kindes
Das Elterngeld beträgt mindestens und mehr vor der Geburt des Kindes sinkt kein Einkommen erzielt wurde, wird der
300  Euro und höchstens 1 800 Euro mo- die Ersatzrate des Elterngeldes von 67 % auf Mindestbetrag von 300 Euro gezahlt. Je
natlich. In der Höhe orientiert es sich am 65 % (bei Voreinkommen von 1 240 Euro nach Familiensituation erhöht sich der
durchschnittlich verfügbaren Erwerbs­ und mehr auf 65 %, bei Voreinkommen Elterngeldanspruch um einen Geschwis-
einkommen, das der betreuende Elternteil von 1 220 Euro auf 66 %). Für Gering­ terbonus und/oder einen Mehrlings­
im Jahr vor der Geburt erzielt hat. Bei ei- verdiener mit einem Einkommen unter zuschlag. Einem Elternteil wird das El-
nem Voreinkommen zwischen 1 000 und 1 000  Euro steigt die Ersatzrate schritt­ terngeld für bis zu 12 Monate gewährt;
bei Alleinerziehenden bis zu 14 Monate.
­Nehmen beide Partner Elterngeld in An-
spruch, so wird die Bezugsdauer auf
u Info 4 14 Monate verlängert. Eine Verdopplung
Elterngeld der Bezugsdauer ist bei Halbierung des
Elterngeldbezüge für bis Ende 2012 geborene Kinder wurden in der ab 2008 durchgeführten Statistik Elterngeldsatzes möglich.
über die beendeten Leistungsbezüge erfasst. In dieser inzwischen eingestellten Statistik erfolgte erst Die Statistik zum Bundeselterngeld
nach Abschluss eines Leistungsbezuges eine Meldung zur Statistik. Über Elterngeldbezüge für ab
­Januar 2013 geborene Kinder gibt nun die neue Bestandsstatistik Auskunft, die die Statistik über die
wird vierteljährlich erhoben. Sie bezieht
beendeten Leistungsbezüge abgelöst hat. Auch mit der neuen Bestandsstatistik lassen sich Aus­ sich als Bestandsstatistik auf die Be-
sagen über die endgültige Inanspruchnahme von Elterngeld für Kinder eines bestimmten Geburtszeit- trachtung der Leistungsbezüge des Be-
raums errechnen. Hierzu werden alle Leistungsbezüge zusammengenommen und ausgewertet, die
sich auf den betreffenden Geburtszeitraum beziehen. Gültige Rechtsgrundlage ist das Bundeseltern- richtsquartals. Aber auch Auswertungen
geld- und Elternzeitgesetz für die bis zum 30. Juni 2015 geborenen Kinder. Die neuen gesetzlichen von beendeten Elterngeldbezügen für
Rahmenbedingungen des Elterngeld Plus für ab 1. Juli 2015 geborene Kinder werden hier nicht Kinder eines bestimmten Geburtszeit-
thematisiert.
raums – wie in diesem Beitrag – sind
möglich. Alle Elterngeldbezüge für im
Jahr 2013 geborene Kinder wurden zwi-
u Tab 4  Im Jahr 2013 geborene Kinder — nach Anzahl und Anteil der Kinder,
schenzeitlich abgeschlossen, sodass nun
deren Vater Elterngeld bezogen hat
rückblickend eine Auswertung zur tat-
Kinder, deren Vater Elterngeld sächlichen Inanspruchnahme von Eltern-
Geborene Kinder bezogen hat
insgesamt geld für diese Kinder erfolgen kann. Ins-
Anzahl in %
gesamt wurden im Jahr 2013 rund
Baden-Württemberg 91 505 33 219 36,3 682 100 Kinder geboren. Für diese Kin-
Bayern 109 562 43 701 39,9 der bezogen knapp 874 600 Mütter und
Berlin 35 038 12 486 35,6 Väter Elterngeld. Für 218 200 Kinder
wurde jeweils vom Vater Elterngeld be-
Brandenburg 18 355 6 380 34,8
antragt. Dies entspricht einer Beteiligung
Bremen 5 749 1 426 24,8
der Väter von 32 % gegenüber 29 % für
Hamburg 18 137 6 376 35,2 im Jahr 2012 geborene Kinder. Am häu-
Hessen 52 185 15 748 30,2 figsten bezogen Väter in Sachsen (41 %)
Mecklenburg-Vorpommern 12 560 3 287 26,2
und in Bayern (40 %) Elterngeld, gefolgt
von Thüringen (37 %), Baden-Württem-
Niedersachsen 62 879 18 222 29,0
berg und Berlin (jeweils 36 %). Am nied-
Nordrhein-Westfalen 146 417 36 750 25,1 rigsten lag die Väterbeteiligung im Saar-
Rheinland-Pfalz 31 989 8 507 26,6 land (20 %). u Tab 4
Saarland 6 848 1 378 20,1
Die Mehrheit der Väter (78 %) bezog
das Elterngeld für zwei Monate. Einen
Sachsen 34 800 14 256 41,0
zwölfmonatigen Elterngeldbezug nah-
Sachsen-Anhalt 16 797 4 258 25,3 men lediglich 5 % der Väter in Anspruch.
Schleswig-Holstein 21 822 5 823 26,7 Mütter bezogen bundesweit zu 90 %
Thüringen 17 426 6 425 36,9 ­E lterngeld für zwölf Monate und länger,
Elterngeld für nur zwei Monate erhielten
Deutschland 682 069 218 242 32,0
unter 1 % der Mütter.

328
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Etwa jede vierte Mutter (24 %) bezog u Abb 14  Höhe des Elterngeldanspruchs im ersten Bezugsmonat
den Mindestbetrag für Elterngeld in für im Jahr 2013 geborene Kinder — in Prozent
Höhe von monatlich genau 300 Euro. Bei
den Vätern waren es 10 %. Ein monat­ 20,9
liches Elterngeld von mehr als 300 bis un- 300 10,4
24,3
ter 1 000 Euro erhielt gut die Hälfte der
Mütter (52 %) und 28 % der Väter. Einen 46,1
300 –1 000 27,9
Anspruch von mehr als 1 000 Euro hatten
52,2
24 % der Mütter und 62 % der Väter. Die
unterschiedlich hohen Elterngeldansprü- 19,4
1 000 –1 500 31,3
che von Müttern und Vätern liegen unter 15,5
anderem darin begründet, dass Väter
5,8
häufiger vor der Geburt ihres Kindes er- 1 500 –1 800 11,7
werbstätig waren als Mütter und in der 3,8
Regel ein höheres anrechenbares Einkom- 7,8
men erzielten. u Abb 14 1 800 und mehr 18,7
Der größte Teil (91 %) der Väter und 4,2

gut zwei Drittel (68 %) der Mütter, die für


ihr im Jahr 2013 geborenes Kind Eltern- Elterngeldanspruch insgesamt Männer Frauen
von ... bis unter ... Euro
geld bezogen, waren vor der Geburt er-
werbstätig (Elterngeldbeziehende ins­
gesamt 74 %). Der durchschnittliche mo-
Beendete Leistungsbezüge von Januar 2013 bis März 2015 für im Jahr 2013 geborene Kinder.
natliche Elterngeldanspruch von vor der Elterngeldanspruch von... bis unter... Euro
Geburt erwerbstätigen Vätern lag bundes- Beendete Leistungsbezüge von Januar 2013 bis März 2015 für im Jahr 2013
geborene Kinder
weit mit 1 244 Euro deutlich höher als der
vergleichbare Anspruch von Müttern mit
durchschnittlich 897 Euro. Leistungs­
beziehende, die vor der Geburt des Kin- halb des Elternhauses erfolgen, zählen Die Leistungen des Kinder- und Ju-
des nicht erwerbstätig waren, erhielten – Erziehung in einer Tagesgruppe, Voll- gendhilfegesetzes richten sich an »junge
bedingt durch die Verbindung mit zeitpflege in einer anderen Familie und Menschen«; gemeint sind hier Personen,
Geschwisterbonus und/oder Mehrlings- Heimerziehung oder Unterbringung in die noch nicht 27 Jahre alt sind. Im Jahr
zuschlag – im Durchschnitt 330 Euro El- einer sonstigen betreuten Wohnform. In- 2014 umfasste die Zielgruppe der Kinder-
terngeld (Mütter: 329 Euro, Väter: tensiver sozialpädagogischer Einzelbe- und Jugendhilfe in der entsprechenden
335 Euro). treuung wird ein eigenständiges Profil Altersgruppe 21,4 Millionen Personen,
zwischen ambulanter und stationärer das sind 26 % der Bevölkerung. Es wur-
Kinder- und Jugendhilfe Hilfe zugewiesen. den insgesamt knapp 914 000 erzieheri-
Das Spektrum der erzieherischen Hilfen Wenn eine »dem Wohl des Kindes sche Hilfen für junge Menschen und Fami-
im Sinne des Kinder- und Jugendhilfe­ oder Jugendlichen entsprechende Erzie- lien in Deutschland nach dem SGB VIII
gesetzes nach dem SGB VIII ist weit ge- hung nicht gewährleistet ist und die Hilfe durchgeführt (beendete und am Jahres-
fächert. Es umfasst einerseits familien- für seine Entwicklung geeignet und ende bestehende Hilfen).
unterstützende Hilfen, die einen Ver- ­notwendig ist«, räumt das Kinder- und Kinder- und Jugendhilfe unterstützt
bleib der jungen Menschen in der Jugendhilfegesetz den Sorgeberechtigten junge Menschen zum größten Teil inner-
Familie ermöglichen (»ambulante Hil- einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erzie- halb ihrer Familie. So wurden im Jahr
fen«), und andererseits familienersetzen- hung ein. In Krisensituationen – zum Bei- 2014 drei Viertel der erzieherischen Hil-
de ­H ilfen, die außerhalb des Elternhau- spiel bei Erziehungsschwierigkeiten, fen innerhalb der Familie geleistet, und
ses erbracht werden (über w iegend Trennung oder Scheidung der Eltern, zwar als Erziehungsberatung (50 %), als
»statio­näre Hilfen«). Zu den ambulanten G ewalt unter Jugendlichen, Drogen­
­ Betreuung einzelner junger Menschen
Hilfen zählen Erziehungsberatung, Un- konsum – bietet die Kinder- und Jugend- (6 %), als soziale Gruppenarbeit (2 %), als
terstützung durch einen Erziehungsbei- hilfe eine ganze Reihe von spezifischen flexible (ambulante/teilstationäre) Einzel-
stand oder Betreuungshelfer, soziale Unterstützungen an, und zwar für Eltern, hilfe (2 %) oder als sozialpädagogische
Gruppenarbeit und sozialpädagogische Mädchen und Jungen und für junge Er- Fami­lienhilfe (12 %) beziehungsweise als
Familienhilfe. Zu den Hilfen, die außer- wachsene. flexible Familienhilfe (3 %).

329
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

genüber 1991, dem Jahr des Inkrafttretens


des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, ist
Unbegleitete Einreisen
die Nachfrage nach dieser Hilfe nahezu
Minderjähriger
kontinuierlich gestiegen und hat sich bis
Im Jahr 2014 hat die Zahl der Minder- (90 %) waren männlich, dagegen reis-
2014 mehr als verdoppelt. Die Beratungs-
jährigen, die aufgrund einer unbe­ ten nur etwa 1 100 Mädchen unbeglei-
quote nahm von 59 auf 146 je 10 000 jun-
gleiteten Einreise aus dem Ausland in tet nach Deutschland ein. Von den
ger Menschen unter 27 Jahren zu.
Obhut genommen wurden, stark zu- 11 600 eingereisten unbegleiteten Min-
Hilfe für einzelne junge Menschen in
genommen. So kamen 2014 rund derjährigen haben im Jahr 2014 laut
Problem- und Konfliktsituationen wird
11 600 Kinder und Jugendliche ohne Bundesamt für Migration und Flücht-
durch Erziehungsbeistände beziehungs-
Begleitung einer sorgeberechtigten linge (BAMF) 4 400 (38 %) einen Asyl-
weise Betreuungshelfer oder in sozialer
Person über die Grenze nach Deutsch- antrag gestellt.
Gruppenarbeit geleistet. Im Jahr 2014
land, das waren 5 000 Minderjährige
­haben 72 300 junge Menschen eine der
oder 77 % mehr als im Jahr 2013.
vorgenannten individuellen Betreuungs-
Rund 10 500 dieser jungen Menschen
leistungen erhalten (beendete und über
den Jahreswechsel andauernde Hilfen).
Dies bedeutet gegenüber 1991 eine Steige-
rung um 257 %.
u Tab 5  Erzieherische Hilfen nach Hilfearten 2014 Eine Sonderstellung unter den ambu-
Anzahl der Hilfen Anteil in %
lanten Hilfearten nehmen die sozialpäda-
gogische und die flexible Familienhilfe
Insgesamt 913 566 100
ein. Hier ist die ganze Familie der Adres-
Ambulante Hilfen
sat der Hilfe, wobei eine Unterstützung
Erziehungsberatung 452 918 49,6 im Familienalltag angeboten wird. Zu
Sozialpädagogische Familienhilfe 113 851 12,5 diesem Zweck kommt eine Fachkraft in
Einzelbetreuung 56 246 6,2 die Familie und bietet kontinuierliche
Flexible familienorientierte Hilfe 28 999 3,2 Unterstützung bei der Erziehung, bei der
Soziale Gruppenarbeit 16 100 1,8 Bewältigung von Alltagsproblemen und
Flexible Hilfe (ambulant / teilstationär) 16 669 1,8
bei Schwierigkeiten mit Außenstehenden
an. Damit soll unter anderem die Unter-
Teilstationäre Hilfe
bringung minderjähriger Kinder außer-
Erziehung in einer Tagesgruppe 24 980 2,7
halb der Familien vermieden werden. Im
Stationäre Hilfen
Jahr 2014 wurden rund 143 000 Familien
Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform 108 293 11,9
durch eine sozialpädagogische oder flexi-
Vollzeitpflege 84 176 9,2 ble Familienhilfe unterstützt (beendete
Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung 6 854 0,8 und am Jahresende bestehende Hilfen).
Flexible Hilfe (stationär) 4 480 0,5 Im Jahr 1991 hatten nur 13 000 Familien
eine familienorientierte Hilfe in An-
Am Jahresende 2014 bestehende und im Jahr 2014 beendete Hilfen.
spruch genommen.
Auch die Hilfen außerhalb des Eltern-
hauses sind gestiegen: Während Ende
Etwa jede fünfte erzieherische Hilfe vermieden, dass die Kinder und Jugend­ 1991 insgesamt 125 000 bestehende H ­ ilfen
(22 %) fand außerhalb der Herkunfts­ lichen in ihren Familien bleiben, aber außerhalb des Elternhauses registriert
familie statt: in Form von Heimerzie- wochentags zeitweise außerhalb des El- wurden, lag die Zahl am Jahresende 2014
hung beziehungsweise sonstiger betreuter ternhauses betreut werden. u Tab 5 bei 162 000. Dies bedeutet einen A ­ nstieg
Wohnform (12 %), Vollzeitpflege (9 %), in- Unter den ambulanten Hilfen wird um rund 30 %. Die einzelnen Hilfearten
tensiver sozialpädagogischer Einzelbe- die Erziehungsberatung am häufigsten in nahmen während dieses Zeitraums eine
treuung (1 %) oder flexibler stationärer Anspruch genommen. Sie ist auch die deutlich unterschiedliche Entwicklung.
Einzelhilfe (0,5 %). Schließlich wurden zahlenmäßig bedeutendste Hilfeart im Während sich die Zahl der Hilfen in einer
noch 3 % der Hilfen teilstationär, und Gesamtspektrum der erzieherischen Hil- Tagesgruppe von knapp 8 000 auf knapp
zwar in einer Tagesgruppe, geleistet. Hier fen. Im Jahr 2014 beendeten 311 000 junge 17 000 mehr als verdoppelt hat, erhöhte
wird die Fremdunterbringung dadurch Menschen eine Erziehungsberatung. Ge- sich die Zahl der jungen Menschen in Voll-

330
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

u Abb 15  Begonnene Erziehungsberatungen, ambulante Hilfen und Hilfen außerhalb des Elternhauses 2014 —
je 1 000 junger Menschen unter 27 Jahren

Erziehungsberatung ambulante Hilfen stationäre Hilfen

Deutschland Deutschland Deutschland


14,6 7,0 3,2

Schleswig-Holstein 21,1 6,8 3,2

Thüringen 20,6 5,4 3,2

Sachsen 17,4 6,6 3,1

Nordrhein-
17,2 7,8 3,9
Westfalen

Berlin 17,0 8,4 3,3

Brandenburg 16,3 9,6 4,4

Sachsen-Anhalt 16,0 7,8 4,3

Niedersachsen 14,4 7,9 3,4

Rheinland-Pfalz 13,7 8,4 3,5

Hessen 13,0 4,9 3,0

Baden-
12,8 6,1 2,2
Württemberg

Bayern 12,1 4,2 2,0

Bremen 9,5 12,8 7,7

Saarland 8,5 8,1 4,3

Mecklenburg-
8,0 12,1 4,3
Vorpommern

Hamburg 7,1 16,1 7,3

Bei den familienorientierten ambulanten Hilfen wurde die Anzahl der


Bei den familienorientierten ambulanten Hilfen wurde die Anzahl der jungen Menschen in den Familien für die Berechnung zugrunde gelegt.
jungen Menschen in den Familien für die Berechnung zugrunde gelegt.

zeitpflege um 46 % von 48 000 auf 70 000. zogen auf eine geringe Ausgangszahl von deutlich. Schleswig-Holstein erreichte
Die Zahl der im Heim oder einer sonsti- knapp 900 Hilfen am Jahresende 1991. 2014 mit 21,1 begonnenen Beratungen je
gen betreuten Wohnform untergebrach- Differenziert nach Ländern ergeben 1 000 junger Menschen unter 27 Jahren
ten jungen Menschen erhöhte sich leicht sich deutliche Unterschiede in der Häu- den höchsten relativen Wert, dagegen
um 6 % auf etwas über 72 000. Die inten- figkeit der verschiedenen gewährten ­lagen Mecklenburg-Vorpommern mit
sive sozialpädagogische Einzelbetreuung ­H ilfen. Beobachtet man die Inanspruch- ­einer Quote von 8,0 und Hamburg mit
verzeichnete den größten Zuwachs nahme von Erziehungsberatungen auf ­einer Quote von 7,1 neu gewährten Bera-
(+ 314 %) auf 3 600 Hilfen, allerdings be- Länderebene, werden klare Unterschiede tungen weit dahinter. u Abb 15

331
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.4 /  Soziale Sicherung

Die meisten ambulanten Hilfen (ohne matische – Situation Alleinerziehender richtungen der Kinder- und Jugendhilfe
Erziehungsberatung) haben in Hamburg sind nicht in allen Ländern gleich verteilt. erfasst (unter anderem Kindertagesein-
begonnen: Mit 16,1 Hilfen je 1 000 junger Dabei gilt, dass keiner dieser Umstände richtungen). Die Ausgaben für Einzel- und
Menschen unter 27 Jahren war die Quote zwangsläufig einen Bedarf an erziehe­ Gruppenhilfen werden gegliedert nach
hier fast viermal so hoch wie in Bayern, rischer Hilfe ­verursacht. Arbeitslose, So- Hilfeart und Art der Ausgabe erhoben.
wo mit 4,2 begonnenen Hilfen je 1 000 jun- zialhilfeempfänger und Alleinerziehende Für den gesamten Bereich der Kinder-
ger Menschen unter 27 Jahren die erziehen ihre Kinder auch ohne vom Ju- und Jugendhilfe wendeten die öff­­ent­
­wenigsten ambulanten Hilfen gewährt gendamt vermittelte professionelle päda- lichen Träger im Jahr 2014 brutto
wurden. gogische Unterstützung. Sozioökono­ 37,8 Milliarden Euro auf. Rund 65 % die-
Bei den neu gewährten Hilfen außer- mische Belastungen sind zwar häufige ser Ausgaben fielen in den Bereich der
halb des Elternhauses hat Bremen mit Gründe innerhalb der vielfältigen Fakto- Kinder­tagesbetreuung (24,6 Milliarden
­einer Quote von 7,7 Hilfen je 1 000 junger ren, die zur Inanspruchnahme erzieheri- Euro). Leistungen der Hilfe zur Erziehung
Menschen unter 27 Jahren den höchsten scher Hilfen führen, aber sie sind nicht kosteten die Träger der Kinder- und
und Bayern mit 2,0 Hilfen den geringsten zwingend und nicht ausschließlich. Hin- Jugendhilfe insgesamt 9,3 Milliarden
­
relativen Wert. In allen Bundesländern zu kommt die individuelle Wahrneh- Euro. Davon entfielen 5,0 Milliarden Euro
lag die Quote außerhalb des Elternhauses mung der Mitarbeiterinnen und Mit­ (54 %) auf die Unterbringung junger
in Anspruch genommener Hilfen niedri- arbeiter in den Jugendämtern, die bei der Menschen außerhalb des Elternhauses in
ger als die Quote der ambulanten Hilfen Gewährung von erzieherischer Hilfe eine Vollzeitpflege und Heimerziehung oder
(ohne Erziehungsberatung). Rolle spielt und die bei durchaus ähnlich sonstiger betreuter Wohnform.
Die unterschiedlichen Häufigkeiten gelagerten Problemsituationen zu unter-
einzelner Hilfearten in den Ländern hän- schiedlichen Hilfeentscheidungen führen Adoptionen
gen unter anderem davon ab, dass be­ kann. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland
lastende Lebenssituationen für Kinder Die Statistik der Ausgaben und Ein- 3 805 Minderjährige adoptiert, davon
und Eltern regional nicht gleich verteilt nahmen der öffentlichen Jugendhilfe weist ­waren 2 314 (61 %) mit den Adoptiveltern
sind. Arbeitslosigkeit, Arbeitslosengeld II Ausgaben nach, die aus öffentlichen Mit- oder einem Adoptivelternteil verwandt.
und Sozialhilfebezug, insbesondere von teln für Zwecke der Jugendhilfe nach dem Mehr als ein Drittel (38 %) der im Jahr
Minderjährigen (Abschnitt 10.4.2, Sei- SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – ge- 2014 adoptierten Kinder war unter drei
te 317), sind in einigen Ländern – vor al- leistet werden, sowie die entsprechenden Jahre alt. Hier zeigten sich Unterschiede
lem in den Stadtstaaten – häufiger anzu- Einnahmen. Diese werden getrennt für beim Verwandtschaftsverhältnis der
treffen. Auch Trennung und Scheidung Einzel- und Gruppenhilfen und ­a ndere Kinder zu den Adoptiveltern: Bei Adop­
und die daraus resultierende – oft proble- Aufgaben nach dem SGB VIII und für Ein- tionen von nicht verwandten Kindern lag

u Tab 6  Adoptierte Kinder und Jugendliche nach persönlichen Merkmalen,


Verwandtschaftsverhältnis zu den Adoptiveltern und deren Staatsangehörigkeit 2014

Verwandtschaftsverhältnis Staatsangehörigkeit
zu den Adoptiveltern der Adoptiveltern
Insgesamt
Stiefvater / nicht nicht deutsch /
verwandt deutsch
Stiefmutter verwandt deutsch nicht deutsch

Insgesamt 3 805 124 2 190 1 491 3 455 71 279

im Alter von … bis ... Jahren

unter 3 1 439 27 427 985 1 373 17 49

3 – 5 485 18 191 276 441 10 34

6 –11 1 013 43 814 156 891 22 100

12 –17 868 36 758 74 750 22 96

Kinder und Jugendliche


nach Staatsangehörigkeit

Deutsche 3 183 67 1 983 1 133 3 020 36 127

nicht Deutsche 622 57 207 358 435 35 152

332
Soziale Sicherung  / 10.4  Gesundheit und soziale Sicherung / 10
Abb 16 Gefährdungseinschätzung nach § 8a Absatz 1 SGB VIII 2014 - in Prozent

der Anteil der unter Dreijährigen bei u Abb 16  Gefährdungseinschätzung nach § 8a Absatz 1 SGB VIII
66 %. Dagegen betrug der Anteil unter im Jahr 2014 — in Prozent
dreijähriger Kinder bei einer Adoption
durch Verwandte oder Stiefeltern ledig-
15,0
lich 20 %. Von den adoptierten Minder-
18,0
jährigen hatten 622 (16 %) nicht die deut- Insgesamt
33,4
sche Staatsangehörigkeit. Davon wurden 33,5

299 im Zusammenhang mit der Adoption


14,6
ins Inland geholt. u Tab 6 15,6
unter 3
33,4
Gefährdungseinschätzungen 36,4

Die Jugendämter in Deutschland führten


11,9
im Jahr 2014 insgesamt 124 200 Verfah- 17,5
3–5
ren zur Einschätzung der Gefährdung 32,9
37,7
des Kindeswohls nach § 8a ­A bsatz 1
SGB VIII (Schutzauftrag bei Kindeswohl-
13,1
gefährdung) durch. Eine Gefährdungs- 18,8
6–8
einschätzung wird vorgenommen, wenn 34,1
34,0
dem Jugendamt gewichtige Anhalts-
punkte für die Gefährdung des Wohls
13,7
eines / einer Minderjährigen bekannt 19,9
9 –11
werden und es sich daraufhin zur Bewer- 34,3
32,1
tung der Gefährdungslage einen unmittel-
baren Eindruck von dem Kind bezie-
17,8
hungsweise Jugendlichen sowie s­ einer 19,8
12 –14
Lebenssituation macht. 32,7
29,7
Von allen Verfahren bewerteten die
Jugendämter 18 600 eindeutig als Kindes-
22,8
wohlgefährdungen (akute Kindeswohl­ 18,7
15 –18
gefährdung); dies entspricht 15 %. Bei 33,4
25,2
22 400 Verfahren (18 %) konnte eine Ge-
fährdung des Kindes nicht ausgeschlos-
im Alter von … bis … Jahren
sen werden (latente Kindeswohlgefähr-
dung). In 83 200 Fällen (67 %) kamen akute Kindeswohl- keine Kindeswohlgefährdung,
die Fachkräfte zu dem Ergebnis, dass gefährdung aber Hilfebedarf

­k eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. latente Kindeswohl- keine Kindeswohlgefährdung


gefährdung und kein (weiterer) Hilfebedarf
Dabei wurde jedoch in jedem zweiten
Verfahren (50 %) ein Hilfe- oder Unter-
stützungsbedarf durch das Jugendamt
festgestellt. u Abb 16
Ergebnisse der Kinder- und Jugendhilfestatistiken.
Knapp zwei von drei Kindern (64 %),
bei denen eine akute oder latente Kindes-
wohlgefährdung vorlag, wiesen Anzei-
chen von Vernachlässigung auf. In 27 %
der Fälle wurden Anzeichen für psychi-
sche Misshandlung festgestellt. Etwas
weniger häufig, nämlich mit einem Anteil
von 24 %, wiesen die Kinder Anzeichen
für körperliche Misshandlung auf. An-
zeichen für sexuelle Gewalt wurden in
5 % der Verfahren festgestellt. Mehrfach-
Ergebnisse der Kinder- und Jugendhilfestatistiken.
nennungen waren möglich.

333
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.5 /  Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland

10.5 Im Oktober 1990 erfolgte mit dem Beitritt


der DDR zur BRD eine Transformation
Zeitraum von der deutschen Einheit bis
einschließlich dem Jahr 2014 zeigen an-
Zur Entwicklung der Rechtsordnung, indem das Grundge- schaulich, wie sich die Höhe und Vertei-
und Verteilung setz im sogenannten Beitrittsgebiet in
Kraft trat. Der Beitritt ermöglichte rund
lung der Lebensarbeitseinkommen aus
abhängiger Beschäftigung im Zeitverlauf
der Altersrenten 3,8 Millionen Rentnerinnen und Rent- entwickelt haben. Die Befunde werden
in Ost- und nern aus der DDR eine Eingliederung in
die gesetzliche Rentenversicherung (gRV).
differenziert für Männer und Frauen in
West- und Ostdeutschland ausgewiesen,
Westdeutschland Diese Eingliederung ist Ausdruck einer weil auch 25 Jahre nach dem Mauerfall
enormen kollektiven Solidarität im verein- unterschiedliche Löhne sowie Erwerbs-
ten Deutschland. Für Neurentner werden biografien und damit Rentenanwart-
Ralf Himmelreicher
Löhne und Erwerbsbiografien zu DDR- schaften zu verzeichnen sind. u Info 1
FU Berlin, Institut für Soziologie und
Zeiten im Grundsatz so behandelt, als ob Betrachtet werden in Deutschland
Geschäfts- und Informationsstelle
die Personen im damaligen Westdeutsch- wohnende Versicherte mit erstmaligem
für den Mindestlohn
land gelebt und gearbeitet hätten. Bezug einer Altersrente, die 60 Jahre und
In der gRV werden die Anwartschaf- älter sind (sogenannte Inlandsrentner).
WZB / SOEP ten der Versicherten in Entgeltpunkten Beziehende von Teilrenten, Renten mit
(EP) bemessen. Im Folgenden wird die scheidungsbedingtem Versorgungsaus-
Summe der persönlichen EP von Zugän- gleich sowie Erwerbsminderungs- und
gen in Altersrente unter Berücksich­ Hinterbliebenenrenten wurden von der
tigung des Zugangsfaktors (siehe Info 1) Analyse ausgeschlossen. Die Daten basie-
analysiert. Die Entgeltpunkte können mit ren auf Mikrodaten der Rentenzugangs-
dem jeweiligen aktuellen Rentenwert­ statistik der Jahrgänge 1993, 1998 und
(ab 01.07.2014: 28,61 Euro West und 2003 bis einschließlich 2014, die vom
26,39 Euro Ost) multipliziert werden, um Forschungsdatenzentrum der Rentenver-
näherungsweise die Höhe der jeweiligen sicherung (FDZ-RV) zur Verfügung ge-
monat­lichen Altersrente zu ermitteln. stellt werden.
Würden sich die Alterseinkünfte von al-
lein lebenden Frauen und Männern aus- 10.5.1 Lohnentwicklung
schließlich aus der gRV speisen, dann Beitragspflichtige Arbeitsentgelte, im Fol-
wären je nach Wohnort knapp 30 EP er- genden kurz Löhne genannt, stellen
forderlich, um Altersarmut zu vermeiden ­neben Kindererziehung und Pf lege die
und über die Grundsicherungsschwelle zentrale Größe dar, aus denen sich indi-
zu kommen. Zeitreihenanalysen für den viduelle Ansprüche gegenüber der gRV

u Info 1  
Entgeltpunkte
Entgeltpunkte (EP) werden bestimmt, indem die jährlichen individuellen rentenversicherungspflichtigen
Bruttoeinkommen durch das jährliche Durchschnittsentgelt aller Versicherten dividiert werden. Da-
durch sind sie eine dimensionslose (preisbereinigte) Größe, die man als relative Wohlstandsposition
­interpretieren und als objektiven Indikator in die Sozialberichterstattung aufnehmen kann. Die sich über
die gesamte Erwerbsbiografie ergebende Summe dieser EP stellt eine valide Messgröße für die Höhe
der Anwartschaften der Versicherten gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung (gRV) dar. Zu
­beachten ist bei der Interpretation Folgendes: Einerseits wird bei der Berechnung dieser Entgeltpunkte
der Zugangsfaktor berücksichtigt. Das heißt, vor allem bei Rentenzugang vor Erreichen der Regel­
altersgrenze reduzieren Abschläge die EP, während Zuschläge die Renten erhöhen, jedoch nur selten
vorkommen. Im Jahr 2014 werden 2 % aller Altersrenten durch Zuschläge erhöht und 24 % durch
­A bschläge reduziert. Zudem wird die Spanne der EP nach unten durch die Geringfügigkeitsgrenze
(450 Euro monatlich in 2014) und nach oben durch die Beitragsbemessungsgrenze (BBG der allgemei-
nen RV monatlich 2014, Ost: 5 000 Euro, West: 5 950 Euro) begrenzt. Über der Beitragsbemessungs-
grenze liegende Arbeitseinkommen wirken sich in der gRV nicht rentenerhöhend aus.

334
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland  / 10.5  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

speisen. Damit bestimmen die in EP aus- ansätze zur Begründung der Lohndiffe- Zudem kommen Teilzeitarbeit und Mini-
gedrückten relativen Löhne und die Länge renzen in Ost und West zielen häufig auf jobs im Osten seltener als im Westen vor.
der Erwerbsbiografie im Fall der Verren- unterschiedliche Branchenstrukturen Umgekehrt liegt die Arbeitslosigkeit im
tung maßgeblich die Höhe der jeweiligen und Betriebsgrößen sowie Produktivi- Osten knapp 70 % über Westniveau.
Altersrenten. Auf die damals bestehenden tätsunterschiede ab. Die Produktivitäts- Durch die sozialpoli­t ische Kompensation
unterschied­lichen Lohnniveaus in den unterschiede werden auf weniger indust- der Ost-West-Lohnunterschiede im Rah-
­a lten und neuen Bundesländern wurde rielle Arbeitsplätze im Osten mit wert- men der Höher­wertung erfolgt trotz ei-
im Rentenüberleitungsgesetz (RÜG 1991) schöpfungsschwächerer Endfertigung nes geringeren aktuellen Rentenwertes
durch Höher wertung der Ost löhne und wenigen kapitalstarken Großunter- im Osten eine Anhebung der durch-
reagiert.u Abb 1 nehmen zurückgeführt. Insgesamt ist schnittlichen Rentenanwartschaften in
Die Höherwertung der Entgelte (Ost) die Wirtschaftsstruktur im Osten klein- Richtung Westniveau.
mit dem in Abbildung 1 (rechte Skala) teiliger und hat eine niedrigere Export-
ausgewiesenen Faktor ist in Anlage 10, quote als im Westen. Zudem befinden 10.5.2 Entwicklung der Altersrenten
Sozialgesetzbuch VI dokumentiert und sich Hochlohnabteilungen wie Firmen- Die Summe der persönlichen Entgelt-
wird berechnet, indem die jährlichen leitungen und Forschungsabteilungen punkte spiegelt die Anwartschaften der
Bruttodurchschnittslöhne (West) durch eher in West- als in Ostdeutschland. Des Versicherten gegenüber der gRV wider.
entsprechende Löhne (Ost) dividiert wer- Weiteren ist eine starke Erosion der Ta- Sie können als Bilanz der Erwerbs- bezie-
den. Dieser Faktor weist aus, dass in den rifbindung selbst im verarbeitenden Ge- hungsweise Versicherungsbiografien in-
ersten Jahren nach der deutschen Einheit werbe festzustellen: In Ostdeutschland terpretiert werden. Vor dem Hintergrund
eine schnelle Lohnannäherung erfolgte, wird nur noch jeder dritte Beschäftigte der unterschiedlichen Erwerbsbiografien
jedoch seit Mitte der 1990er-Jahre bis nach Tarif bezahlt, im Westen mehr als von Frauen und Männern in den jeweili-
Ende 2014 die Durchschnittslöhne im jeder Zweite. Allerdings haben Erwerbs- gen Regionen werden die empirischen
Westen gleichbleibend knapp 20 % höher tätige im Osten oftmals höhere tatsäch­ Befunde differenziert nach Geschlecht
ausfallen als jene im Osten. Erklärungs- liche Arbeitszeiten als jene im Westen. sowie für Ost- und Westdeutschland in

u Abb 1  Nominale jährliche Bruttodurchschnittslöhne in West- und Ostdeutschland (linke Skala)


und Höherwertung der Ostlöhne (rechte Skala) 1989 – 2014

35 000 3,5

30 000 3,0

25 000 2,5

20 000 2,0

15 000 1,5

10 000 1,0

5 000 0,5
1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013

West /Ost Entgeltvielfache Westdeutschland Ostdeutschland

Datenbasis: Rentenversicherung in Zeitreihen 2014, DRV-Schriften Band 22, S. 260; eigene Berechnungen.

335
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.5 /  Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland

u Info 2 Dezilen ausgewiesen. Die Darstellung


Medianrentner zeigt die Entwicklung der Lebensarbeits-
Zur besseren Veranschaulichung wird die Verteilung der Entgeltpunkte (EP) in sogenannten Dezilen einkommen in Entgeltpunkten beim
dargestellt. Das heißt, aus der Rangordnung nach der Höhe ihrer EP werden zehn gleich große Renten­z ugang innerhalb der zurücklie-
Gruppen gebildet. Die Dezile geben dann die Grenzen an, an denen die jeweils nächsthöhere Gruppe
beginnt. Das erste Dezil grenzt die unteren zehn Prozent von den zweiten zehn Prozent ab, und so
genden 21 Jahre, zwischen kurz nach der
weiter. Der Median bildet in dieser Rangordnung genau die Mitte: die Hälfte aller Personen hat EP in Deutschen Einheit (1993) und dem aktu-
einer Höhe, die über beziehungsweise unter dem Median liegt. ellen statistischen Rand (2014).
Für männliche Neurentner in West-
deutschland zeigt sich dabei ein deut­
u Abb 2  Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte
licher Rückgang ihrer EP: Die Anwart-
bei Altersrenten von Männern in Westdeutschland 1993 – 2014 ¹ — in Dezilen
schaften des Medianrentners (siehe Ab-
bildung  2) sinken im Zeitverlauf von
70
etwa 47 im Jahr 1993 um 6 % auf 44 EP
60 im Jahr 2014. Damit verzeichnen Neu-
rentner des Jahres 2014 im Durchschnitt
50 geringere Anwartschaften als Rentner,
die in früheren Jahren in R ­ ente gingen.
40
Dieser negative Trend erfasst insbeson-
30 dere niedrige bis mittlere gRV-Renten.
Die von der gRV ausbezahlte Median-
20 Bruttorente steigt von 1 072 Euro im Jahr
1993 um knapp 60 Euro auf 1 131  Euro
10
im Jahr 2014. u Info 2, Abb 2
0 Insgesamt hat die Spreizung der EP und
1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 damit der Auszahlungen aus der gesetz­
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median lichen Rentenversicherung durch sinkende
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil Niedrigrenten und geringfügig steigende
Höchstrenten zugenommen: Erreichten die
1 Rentenzugangsjahre.
Dezilgrenzen
Datenbasis: FDZ-RV PSEGPT alte
- SUFRTZN93VXSB, Bundesländer:SUFRTZN03-13VXSB;
SUFRTZN98VXSB, Männer eigene Berechnungen. untersten zehn Prozent der westdeutschen
Neurentner 1993 noch rund 22 % der EP
der obersten Rentnergruppe, so liegt dieser
Anteil im Jahr 2014 mit rund 12 % deutlich
u Abb 3  Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte
niedriger. Während die Anwartschaften
bei Altersrenten von Männern in Ostdeutschland 1993 – 2014 ¹ — in Dezilen
im unteren Segment sinken, lassen sich im
oberen Segment steigende Anwartschaften
70
feststellen. Bei Neurentnern der drei unte-
60 ren Dezile gehen die Entgeltpunkte um bis
zu 7 EP zurück. Demgegenüber verzeich-
50 nen Bezieher von Altersrenten in den drei
höchsten Dezilen gleichbleibende bis ge-
40
ringfügig zunehmende Anwartschaften.
30 Entgeltpunktsummen jenseits 60 EP ver-
weisen auf langjährige, weit überdurch-
20 schnittlich bezahlte Beschäftigung: Zum
Beispiel nahezu 40 Jahre Vollzeitbeschäfti-
10
gung mit einem Lohnniveau, das etwa
0 beim eineinhalbfachen Durchschnittslohn
1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 liegt (West 2014: 52 286 Euro pro Jahr).
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Löh-
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil ne in dieser Größenordnung bei jüngeren
Beschäftigten nach dem beruflichen Ein-
1 Rentenzugangsjahre.
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-14VXSB; eigene Berechnungen. stieg eher selten vorkommen.

336
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland  / 10.5  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

Die männlichen Rentenzugänge in rend zunehmend mehr Frauen höhere davon abgeleitete Witwenrenten ebenfalls
Ostdeutschland weisen im Untersu- Entgeltpunktpositionen erreichen. Diese tendenziell sinken. u Abb 4
chungszeitraum einen deutlichen Rück- Entwicklung basiert ­einerseits auf zuneh- Die Anwartschaften von ostdeutschen
gang ihrer Anwartschaften auf. Die EP des mender Frauenerwerbstätigkeit, gekenn- Frauen beim Rentenzugang haben im un-
Medianrentners sinken seit der deutschen zeichnet durch längere Erwerbsbiografien tersuchten Zeitraum zugenommen: 1993
Einheit von 51 EP um knapp ein Viertel mit höheren Löhnen, und andererseits auf betragen sie bei der Medianrentnerin 31 EP,
auf 39 EP in 2014. Durch die Rentenan- einer verbesserten Anerkennung von Kin- im Jahr 2014 34 EP (siehe Abbildung 5). In
passungen ergibt sich eine Steigerung der dererziehungszeiten (Stichwort: Mütter- ausgezahlten Brutto-Beträgen entspricht
Median-Bruttorente von 844 Euro im Jahr rente) in der Rentenversicherung. Sie dies einer Medianrente von knapp 450 EUR
1993 auf knapp 937 Euro in 2014. u Abb 3 zeigt, dass ein zunehmender Anteil west- in 1993 und nahezu 809 EUR in 2014. Die
Auch in Ostdeutschland ist bei den deutscher Frauen eine eigenständige Al- Entwicklung der Anwartschaften verläuft
männlichen Neurentnern die Verteilung tersvorsorge aus der gRV erzielt, die in in- dabei nicht einheitlich: Während die gRV-
der Anwartschaften erkennbar unglei- dividueller Betrachtung die Grundsiche- Ansprüche im unteren Dezil auf demselben
cher geworden: Erreichten Neurentner rungsschwelle (30 EP) übersteigt. Sie zeigt Niveau verharren, steigen sie in den darü-
des untersten Dezils 1993 noch fast 60 % jedoch auch, dass mit rund 70 % das Gros ber liegenden Dezilen seit 2011 tendenziell
der EP des obersten Dezils, so kommen der westdeutschen Frauen über sehr nied- an. Ähnlich wie bei den männ­lichen Neu-
diejenigen des Jahres 2014 lediglich auf rige individuelle Anwartschaften verfügt, rentnern im Osten sind auch bei den Frau-
etwa 44 %. Die Ungleichheit der Anwart- die unter der Grundsicherungsschwelle en die Unterschiede zwischen den niedrigs-
schaften der ostdeutschen Neurentner liegen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, ten und höchsten gRV-Renten vergleichs-
nimmt mit zunehmendem zeitlichem Ab- dass diese Rentnerinnen im Haushalts- weise gering. Allerdings verfolgen die
stand zur deutschen Einheit zu und die kontext unter Umständen über ihre (Ehe-) Entgeltpunkte der Frauen im Osten ­einen
Anwartschaften nehmen tendenziell ab. Partner sowie weitere Alterseinkünfte ansteigenden Pfad, die der Männer einen
Anders formuliert: Je kürzer die DDR-­ h inreichend abgesichert sein können.
­ absteigenden. Im Ergebnis liegen die Ent-
geprägten Erwerbsbiografien (das heißt Dennoch besteht der politische Wille, die geltpunkte 2014 im Osten in den jeweiligen
ohne Arbeitslosigkeit und mit geringer ­eigenständige Altersvorsorge von (west- Dezilen bei den Männern etwa 5 EP über
Lohnspreizung) sind, desto niedriger deutschen) Frauen zu stärken; nicht zu- jenen der Frauen, Tendenz sinkend. Im
werden die Anwartschaften und umso letzt wegen zunehmender Scheidungen Westen ist die geschlechtsspezifische Ren-
höher deren Spreizung. und meist fehlender Hinterbliebenenver- tenlücke der Frauen wesentlich höher und
Eine andere Entwicklung ist bei den sicherung bei der (staatlich geförderten) liegt bei Medianrentnern des Jahres 2014
Frauen beim Übergang in eine Altersrente privaten wie betrieblichen Altersvorsorge. bei 29 EP. u Abb 5
festzustellen. Die Summe der persönlichen Außerdem gehen die Anwartschaften der Der Rückgang der Anwartschaften ist
EP von Frauen in Westdeutschland hat im Männer – wie eben beschrieben – im bei Männern im Osten besonders stark
Beobachtungszeitraum bei der Median- Zeitverlauf tendenziell zurück, weshalb ausgeprägt: Während Männer im Westen
rentnerin zwar um rund 30 % zugenom-
men, jedoch vollzieht sich diese relative

809 €
Veränderung vor dem Hintergrund niedri-
ger absoluter Werte: von 12 im Jahr 1993
auf 15 EP in 2014 (siehe Abbildung 4) oder
in ausgezahlten Beträgen von 261 Euro auf
annähernd 386 Euro Median-Bruttorente. betrug die Rente von ost-
Ähnlich wie bei den Männern ist auch bei deutschen Frauen im Jahr 2014.
den Frauen die Spreizung der Rentenbezü- Im Jahr 1993 waren es 450 €.
ge in Westdeutschland größer als in Ost-
deutschland. Neurentnerinnen im unters-
ten Dezil erreichen in 2014 4 EP und da-
mit weniger als 10 % der Anwartschaften
des obersten Dezils mit 43 EP. Die Un-
gleichverteilung der Altersrenten bei west-
deutschen Frauen im Beobachtungsfenster
hat somit vor allem deshalb stark zuge-
nommen, weil in unteren Dezilen kaum
Veränderungen festzustellen sind, wäh-

337
10 /  Gesundheit und soziale Sicherung  10.5 /  Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland
Abb 4 Dezilgrenzen PSEGPT alte Bundesländer: Frauen

u Abb 4  Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte und Frauen in beiden Regionen tenden­
bei Altersrenten von Frauen in Westdeutschland 1993 – 2014 ¹ — in Dezilen ziell gleichbleibende bis geringfügig stei-
gende EP verzeichnen können, gehen die
70 Ansprüche der Männer in Ostdeutsch-
land sukzessive zurück, und das trotz
60
e iner im Vergleich zu westdeutschen
­
50
Durchschnittslöhnen derzeitig überpro-
portionalen Aufwertung der ostdeutschen
40 Durchschnittslöhne. Je länger der Zeit-
raum zwischen deutscher Einheit und in-
30
dividuellem Rentenzugang ist, desto nied-
20
riger werden die Anwartschaften. Hieran
sowie anhand des insbesondere bei älte-
10 ren Beschäftigten weit verbreiteten Nied-
riglohns werden die Probleme auf dem
0
1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013
ostdeutschen Arbeitsmarkt besonders
deutlich. Auf der anderen Seite sind ost-
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median
deutsche Männer mit der geringsten
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil
Spreizung ihrer Altersrenten die homo-
genste Bezugsgruppe. Vom Aufwärts-
1 Rentenzugangsjahre.
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-14VXSB; eigene Berechnungen.
Abb 5 Dezilgrenzen PSEGPT neue Bundesländer: Frauen
trend bei den Frauen in beiden Landestei-
len profitiert das obere Drittel stärker als
Bezieherinnen mittlerer und niedriger Al-
tersrenten. Hinsichtlich der Verteilung ih-
u Abb 5  Entwicklung und Verteilung der Summe persönlicher Entgeltpunkte
rer Anwartschaften bilden Neurentnerin-
bei Altersrenten von Frauen in Ostdeutschland 1993 – 2014 ¹ — in Dezilen
nen in den alten Bundesländern nach wie
vor eine besonders h­ eterogene Gruppe.
70
Die Veränderungen der Ansprüche
60 der Versicherten an die gRV ergeben sich
aus den in der Rentenformel genannten
50 Parametern. Dies sind bei Altersrenten
und bei gegebenem aktuellem Renten-
40
wert die persönlichen Entgeltpunkte und
30 der überwiegend um Abschläge reduzier-
te Zugangsfaktor. Der Einf luss unter-
20 schiedlicher Erwerbsverläufe – seien sie
unterbrochen, diskontinuierlich oder
10
perforiert (Schlagwort sind die soge-
0 nannten Patchwork-Biografien) – und
1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 ­deren Zusammenhang mit Abschlägen
9. Dezil 8. Dezil 7. Dezil 6. Dezil Median beziehungsweise verschiedenen Entloh-
4. Dezil 3. Dezil 2. Dezil 1. Dezil nungsregimen im Lebensverlauf der Ver-
sicherten soll hier nicht untersucht wer-
1 Rentenzugangsjahre. den. Stattdessen fokussiert die Analyse
Datenbasis: FDZ-RV - SUFRTZN93VXSB, SUFRTZN98VXSB, SUFRTZN03-14VXSB; eigene Berechnungen.
auf Veränderungen in den institutionel-
len Rahmenbedingungen der gRV: Nach
dem Renten­reformgesetz 1992 können
Altersrenten vorgezogen in Anspruch ge-
nommen werden, allerdings werden pro
Monat eines vorgezogenen Rentenzu-
gangs Abschläge in Höhe von 0,3 % fällig;
wird die Rente nach der Regelaltersgren-

338
Zur Entwicklung und Verteilung der Altersrenten in Ost- und Westdeutschland  / 10.5  Gesundheit und soziale Sicherung / 10

ze beantragt, werden Zuschläge in Höhe vorsorge zu betreiben oder Vermögen zu Deutschlands, wenn die Lohn- und Ge-
von 0,5 % pro Monat ausgezahlt. Hin- akkumulieren. Dies zeigt sich unter ande- haltsangleichung weiter fortgeschritten
sichtlich der Wirkung der Abschläge ist rem an den Wohneigentumsquoten in Ost- sein wird, erfolgt in einem letzten Schritt
neben rentenmindernden Abschlägen ein verglichen mit Westdeutschland (West die vollständige Angleichung der Renten-
weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Bei 43 %, Ost 32 %) sowie den im Durchschnitt werte. Zum 1. Juli 2016 wird geprüft, wie
einem vorgezogenen Rentenbeginn fallen deutlich höheren Marktwerten der Immo- weit sich der Angleichungsprozess bereits
die Anwartschaften zugleich niedriger bilien in Westdeutschland. vollzogen hat und auf dieser Grundlage
aus, weil die Versicherten nicht bis zum entschieden, ob mit Wirkung ab 2017 eine
Erreichen der Regelaltersgrenze weiterge- 10.5.3 Ausblick Teilangleichung notwendig ist.«
arbeitet haben. Beide Effekte zusammen- Wie gezeigt wurde, spielen in den beiden Vor dem Hintergrund der dargestell-
genommen können eine Reduzierung der Landesteilen Erwerbsbiografien, jeweilige ten Entwicklungen würde eine einheit­
Rente um mehr als 20 % bewirken. Löhne sowie unterschiedliche Chancen liche Rentenberechnung die niedrigeren
Der Anteil der von Abschlägen betrof- auf dem Arbeitsmarkt eine zentrale Rolle Anwartschaften im Osten zusätzlich ver-
fenen Neurentner ist bis 2010 gestiegen für die Anwartschaften bei der gRV. Un- ringern, eben weil sich die Einkommens-
und in den letzten Jahren mit der Verbes- terschiedliche Löhne und Erwerbsbiogra- verhältnisse nicht angeglichen haben. Da
serung der Arbeitsmarktlage vor allem für fien in Ost und West haben sich in den sie dies auf absehbare Zeit auch nicht tun
ältere Beschäftigte wieder etwas zurück­ letzten Jahren zunehmend verfestigt. Vor werden, sollte eine transparente Lösung
gegangen. Dennoch sind im Jahr 2014 in allem die sinkenden Anwartschaften ost- gefunden werden, die den andauernden
Bezug auf alle Zugänge in Altersrenten in deutscher Männer verweisen auf sich Lohnunterschieden in den beiden Landes-
Ostdeutschland rund 32 % der Neurentner ausbreitende Niedriglöhne und Beschäf- teilen Rechnung trägt und diese nicht eins
beziehungsweise 41 % der Neurentnerin- tigungsprobleme. Grundsätzlich ist nicht zu eins auf die Höhe der Altersrente über-
nen von rentenmindernden Abschlägen zu erwarten, dass in den nächsten Jahren trägt. Aus individueller Perspektive sind
betroffen; in Westdeutschland sind es rund eine Angleichung des Lohnniveaus zwi- es vor allem die sinkenden Rentenansprü-
25 % der Neurentner beziehungsweise 19 % schen Ost- und Westdeutschland erfol- che von Männern im Osten und die nied-
der Neurentnerinnen. Diese erheblichen gen wird. Ab 2015 könnte die Einführung rigen Anwartschaften bei der Mehrzahl
Unterschiede zwischen den Abschlägen des gesetzlichen Mindestlohns die Ab- der Frauen im Westen, die auf zunehmen-
spiegeln regionale Besonderheiten auf den wärtsspirale des Lohnniveaus aufhalten. de Altersarmutsrisiken verweisen. Ein
Arbeitsmärkten für über 60-jährige Ver­ Hierzu sind empirische Befunde erfor- auskömmliches Leben im Alter gestaltet
sicherte wider. Da die Abschläge die Ren- derlich, die aktuell noch nicht vorliegen sich vor allem dann als schwierig, wenn
tenhöhe lebenslang reduzieren, verstärken können. Allerdings sind zunehmende diese Männer und Frauen nicht über wei-
sie somit das ­Rentengefälle zwischen Ost- ­r egionale Disparitäten auch innerhalb tere Personen, zum Beispiel im Rahmen
und Westdeutschland. Zusammenfassend der beiden Landesteile festzustellen (bei- langjähriger Ehen, im Haushaltskontext
lässt sich festhalten, dass die Betroffenheit spielsweise Schleswig-Holstein im Ver- abgesichert sind. Zudem weisen zahlrei-
von Abschlägen mit der Entwicklung und gleich zu Bayern beziehungsweise Meck- che Studien nach, dass das Vertrauen ge-
Verteilung der Anwartschaften insofern lenburg-Vorpommern im Vergleich zu genüber Formen der privaten und betrieb-
zusammenhängt, dass vor allem männ­ Brandenburg). Es existiert ein Süd-Nord- lichen ­A ltersvorsorge im Zuge der Finanz-
liche Neurentner in Ostdeutschland, de- Gefälle hinsichtlich der Lohnhöhe, wel- markt- und Bankenkrise vor allem bei
ren Anwartschaften erheblich gesunken ches auf die stärkere Wirtschaftskraft in Geringverdienenden gesunken ist. Inso-
sind, auch besonders von höheren Ab- den südlichen Regionen zurückzuführen fern ist davon auszugehen, dass Besserver-
schlägen mit stark rentenmindernder ist. Zudem ist das Lohnniveau im Allge- dienende eher private und betriebliche Al-
Wirkung betroffen sind. meinen in Städten und Ballungsräumen tersvorsorge betreiben, um das sinkende
Reduzierte Altersrenten sind für Rent- höher als in gering besiedelten Gegenden. Rentenniveau kompensieren zu können.
nerinnen und Rentner in Ostdeutschland Im Koalitionsvertrag der 18. Legis­ Darüber hinaus weisen höher Qualifizier-
besonders problematisch, weil ihre Alters- laturperiode findet sich in Bezug auf eine te ein geringeres Risiko auf, wegen chroni-
einkünfte nach Ergebnissen der Studie mögliche Rentenangleichung die Formu- scher Erkrankungen vorzeitig mit Er-
­A lterssicherung in Deutschland (ASID lierung: »Angleichungsprozess Ost-West werbsminderungsrente aus dem Erwerbs-
2011) zu 92 % aus der gesetzlichen Renten- fortsetzen. Der Fahrplan zur vollstän­ leben ausscheiden zu müssen. Die
versicherung stammen, im Vergleich zu digen Angleichung, gegebenenfalls mit genannten Aspekte machen deutlich, dass
59 % in den alten Bundesländern. Zudem ­einem Zwischenschritt, wird in einem eine konsequente Re-Orientierung hin zu
standen Neuzugängern in die Altersrente Rentenüberleitungsabschlussgesetz fest- den sozialpolitischen Zielen der »Lebens-
im Osten lediglich 25 Jahre zur Verfügung, geschrieben: Zum Ende des Solidarpakts, standardsicherung und Armutsvermei-
um private und/oder betriebliche Alters- also 30 Jahre nach Herstellung der Einheit dung im Alter« notwendig ist.

339
– 4,9 %
41 %
betrug die Bevölkerungsent-
wicklung dünn besiedel­ter länd-
licher Kreise in Ostdeutschland
zwischen 2007 und 2013.
des Personenverkehrs in
­Kernstädten entfiel 2008 auf
den Pkw. In ländlichen Re­-
gionen machte der Pkw 58 %
des Personenverkehrs aus.

45 km 60 %
betrug die Tagesstrecke der Gesamtfläche Deutschlands
pro mobiler Person 2013. nahm 2013 der ländliche Raum ein.
Rund 18 % der Bevölkerung lebten
dort, lediglich 10 % aller Arbeits-
plätze befanden sich auf dem Land.

+ 4,4 %
betrug die Bevölkerungsentwicklung
­kreisfreier Großstädte in Ostdeutschland
zwischen 2007 und 2013.
11
Räumliche Mobilität und
regionale Unterschiede
11.1 In der Debatte um räumliche Mobilität
wird gerne darauf verwiesen, dass die
Modal Split nach Wegen und zurückge-
legten Kilometern, das heißt die Vertei-
Art und Umfang Zahl der Wege, die Jeder und Jede durch- lung auf verschiedene Verkehrsmittel, so-
der räumlichen schnittlich am Tag zurücklegt, seit Jahr-
hunderten etwas höher als drei liegt. Das
wie die Wegezwecke. Bei allen diesen
Kenngrößen fällt die Kontinuität auf. Die
Mobilität mag stimmen, obwohl der statistische Abweichungen zwischen den verschiede-
Beweis über einen so langen Zeitraum nen Erhebungen sind gering. u Info 1, Tab 1
schwer zu erbringen sein dürfte. Für die Bei aller Kontinuität fällt aber auch auf:
Weert Canzler
letzten zwei Jahrzehnte zumindest ist ge- Leicht gestiegen sind die Wegelängen pro
WZB
sichert, dass nicht nur die durchschnitt­ Tag und Strecke. Das kann kaum überra-
liche Wegeanzahl, sondern auch die »Un- schen, denn die gelebte und die geforderte
WZB / SOEP terwegszeit pro Person« weitgehend kon- persönliche Mobilität hat in modernen Ge-
stant geblieben sind. Tabelle 1 bildet sellschaften eine hohe Bedeutung. Es wird
diese Ergebnisse aus zentralen Verkehrs- sozial von fast allen erwartet, mobil zu
erhebungen in Deutschland seit Ende der sein. Das gilt für den Arbeitsmarkt ebenso
1990er-Jahre ab. Weitere relevante Kenn- wie für das Bildungswesen, aber auch für
ziffern für den Verkehrsaufwand sind der die Freizeit. Womit wir bei den Wegezwe-

u Info 1
Daten zur räumlichen Mobilität
Die wichtigsten Erhebungen für den Personenverkehr in den letzten 15 Jahren in Deutschland sind
zum einen die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin in Kooperation mit dem Insti-
tut für angewandte Sozialfragen (Infas) durchgeführte Haushaltsbefragung »Mobilität in Deutschland«
(MiD 2002 und MiD 2008) und zum anderen die Befragungswellen des bundesweiten »Mobilitätspanels«,
die vom Institut für Verkehrswesen der Universität Karlsruhe verantwortet wurden (MOP 1998/99 bis
MOP 2013/14). Hinzu kommen mehrere auf den Stadtverkehr fokussierte Verkehrserhebungen im Rah-
men des »Systems repräsentativer Verkehrsverhaltensbefragungen (SrV)«, die das Friedrich-List-­Institut
der Technischen Universität Dresden seit den 1970er-Jahren erarbeitet. Die letzte SrV 2013 bestätigt im
Wesentlichen Ergebnisse der anderen bundesdeutschen Erhebungen (vgl.: http://tu-dresden.de/
die_tu_dresden/fakultaeten/vkw/ivs/srv/2013/Schlusskonferenz/SrV2013-Abschluss_Ahrens_2014-11-10.pdf).
Für 1982 kann auf Daten der »Kontinuierlichen Erhebung zum V ­ erkehrsverhalten« (KONTIV) zurückge-
griffen ­werden. Die etwas abweichenden KONTIV-Zahlen lassen sich in erster Linie erhebungstechnisch
erklären, außerdem ist der zeitliche Abstand zu den hier berück­sichtigten MiD- und MOP-Erhebungen
mit mehr als 10 Jahren beträchtlich.

341
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.1 /  Art und Umfang der räumlichen Mobilität

u Tab 1  Zentrale Mobilitätskennziffern 1982 – 2013 (Personen ab 10 Jahre)


KONTIV MOP MOP MOP MiD MiD MOP
1982 1998 2002 2008 2002 2008 2013
Anteil mobiler Personen, insgesamt (in %) 82 91 91 92 85 89 92

Wege pro Person, insgesamt (Anzahl) 3 3,6 3,5 3,4 3,3 3,5 3,4

Wege pro mobiler Person (Anzahl) 3,7 3,9 3,8 3,7 3,9 3,9 3,7

Tagesstrecke pro mobiler Person (km) 37 43 42 44 45 46 45

Unterwegszeit pro mobiler Person¹ (Minuten) 87 88 86 87 87 90 84

Durchschnittliche Wegelänge¹ (km) 10 11,1 11 11,8 11,7 11,8 12

Modal Split – Basis Wege in %


Zu Fuß 29 22 24 22 22 23 22

Fahrrad 11 8 10 11 9 10 13

MIV-Fahrer und Mitfahrer 50 59 57 55 61 59 52

ÖPV 10 10 9 11 9 9 13

Modal Split – Basis Personenkilometer in %


Zu Fuß 3 3 3 3 3 3 3

Fahrrad 3 2 3 3 3 3 4

MIV-Fahrer und Mitfahrer 74 76 76 69 79 78 68

ÖPV 20 19 18 24 15 16 23

1  Ohne »regelmäßige berufliche Wege«.


MIV = motorisierter Individualverkehr, ÖPV = Öffentlicher Personenverkehr.
Datenbasis: MiD 2002, 2008; MOP 1998–­2013/14; KONTIV 82: Laufende Panelstatistik, Institut für Verkehrswesen, Universtität Karlsruhe.

cken wären, die ebenfalls wichtige Kate- In der Verkehrsforschung ist der enge Für weniger Kilometer braucht der Städ-
gorien jeder Verkehrsstatistik sind. Hier Zusammenhang zwischen Siedlungstyp ter länger als der Verkehrsteilnehmer au-
ist bemerkenswert, dass der Berufs- und und Verkehrsaufwand schon lange be- ßerhalb urbaner Siedlungsstrukturen. Er
Ausbildungsverkehr nicht den Stellenwert kannt. Generell gilt: Je dichter die Sied- benötigt sieben beziehungsweise neun
einnimmt, der ihm oft beigemessen wird. lungsstruktur, desto geringer der alltäg­ Minuten mehr, um seine täglichen Wege
Er macht nur gut ein Sechstel des Ver- liche Radius der Aktivitäten und damit zu absolvieren. u Abb 2
kehrsaufwandes aus, Freizeit- und Ver- die Personenkilometer. Das zeigt sich Diese Unterschiede in den Reisezeiten
sorgungswege sind viel wichtiger. u Abb 1 deutlich bei den Tageskilometerleistun- hängen nicht zuletzt mit der Belastung
Trotz aller Konvergenz der genannten gen in Abbildung 2, die aus der Erhebung der Verkehrsinfrastrukturen zusammen,
Verkehrsstudien in den Globaldaten zur »Mobilität in Deutschland« (MiD) aus die zwischen den Siedlungstypen in aller
persönlichen Mobilität gibt es eine Reihe dem Jahr 2008 stammen, aber nach wie Regel stark variieren. Insbesondere sind
von signifikanten Unterschieden und Be- vor Gültigkeit besitzen: Während in der die Straßen für den motorisierten Indivi-
sonderheiten, die sich entlang verschie- verdichteten Kernstadt die durchschnitt- dualverkehr (MIV) in weniger dicht be-
dener Siedlungsformen, Haushaltstypen liche Tagesstrecke 36 Kilometer beträgt, siedelten Gebieten freier, sodass eine hö-
und Lebenslagen finden. liegt sie in weniger verdichteten und in here Reisegeschwindigkeit erreicht wer-
ländlichen Kreisen bei 40 beziehungswei- den kann. Das Auto ist hingegen in
11.1.1 Verkehrsaufwand und se 42 Kilometern. Zugleich fällt auf, dass Städten langsamer und zugleich ist der
Siedlungstypen zwar der Anteil der mobilen Personen Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV)
Im Personenverkehr gelten die zurückge- und die durchschnittliche Wegeanzahl in attraktiver. Dies erklärt die deutlichen
legten Kilometer als entscheidende Kenn- allen drei Kreistypen annähernd gleich Unterschiede im Modal Split zwischen
größe. Bei diesen Personenkilometern gibt sind; jedoch unterscheidet sich die Zeit, den verschiedenen Regionstypen: Wäh-
es die auffälligsten Unterschiede zwischen in der die Menschen in der Innenstadt, rend die tägliche Pkw-Nutzung in der
Stadt und Land, Arm und Reich sowie im Stadtumland oder im ländlichen Kernstadt 2008 im Durchschnitt 41 % des
zwischen verschiedenen Haushaltstypen. Raum täglich unterwegs sind, signifikant. gesamten Personenverkehrs beträgt (und

342
Art und Umfang der räumlichen Mobilität  / 11.1  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

u Abb 1  Aufteilung des Verkehrsaufkommens auf Zwecke 2013 gegenüber 2002 sogar um 3 Prozent-
punkte gesunken ist), macht sie in länd­
Ausbildung lichen Regionen 58 % aus. Umgekehrt ha-
3,8 ben der ÖPNV und auch das Fahrrad in
Städten und verdichteten Räumen gene-
Arbeit und Dienstlich
rell einen deutlich höheren Anteil. Bei
12,3
Nach Hause,
der Fahrradnutzung erleben wir seit Jah-
Rundwege ren einen regelrechten Boom. So erstaunt
Freizeit und Sonstige
es nicht, dass es in deutschen Haushalten
18,3 44,1
fast doppelt so viele Fahrräder gibt wie
Autos. u Abb 3
Einkauf und Service

21,5
11.1.2 Pkw-Verfügbarkeit
Datenbasis: MOP 2013/14. Trotz der Nutzungszuwächse beim Fahr-
rad und der Konsolidierung des ÖPNV
ist der Personenverkehr in Deutschland
u Abb 2  Zentrale Mobilitätskenngrößen nach Kreistypen 2008 wie in allen anderen entwickelten westli-
chen Gesellschaften von der Nutzung des
3,4 36 84 Autos geprägt. Ausstattung privater Hausha
Kernstädte 90
Auch wenn aus den Verkehrserhebun-
3,4 40 77
Verdichtete Kreise 90
gen der letzten zehn Jahre hervorgeht,
3,4 42 75 dass der Anteil des MIV am Gesamtver-
Ländliche Kreise 89 kehrsmarkt leicht zurückgeht, dominiert
3,4 39 79 er nach wie vor. Was begünstigt nun den
Gesamt 90
MIV? In lediglich einem knappen Fünftel
der bundesdeutschen Haushalte gibt es
Anteil mobiler Personen am Stichtag in %
kein Auto. Lassen sich Bedingungen iden-
Durchschnittliche Anzahl Wege am Stichtag nach Kreistyp
nach BBSR 3er-Kategorisierung tifizieren, die eine Autonutzung wahr-
Durchschnittliche Tagesstrecke am Stichtag nach Kreistyp scheinlich machen? Neben dem bereits
nach BBSR 3er-Kategorisierung in km / Person angeführten Siedlungstyp korrelieren die
Durchschnittliche Wegezeit am Stichtag in Minuten / Tag / Person Haushaltsgröße und vor allem das Haus-
(ohne regelmäßige berufliche Wege)
Datenbasis: MiD 2008. haltseinkommen mit der Autonutzung.
Wie aus Abbildung 4 hervorgeht, steigt
die Anzahl der im Haushalt verfügbaren
u Abb 3  Ausstattung privater Haushalte mit Fahrzeugen 2014 — in Millionen Pkw mit dem Nettoeinkommen. Wäh-
rend in 60 % der Haushalte mit einem
E-Bike
Nettoeinkommen von weniger als
2 900 Euro monatlich kein Pkw zur Verfü-
Motorrad
gung steht, besitzen in den Gutverdiener-
geleast¹ 5
haushalten mit Einkommen von mehr als
2 3 000 Euro weniger als 3 % kein Auto. Die
neu gekauft Abnahme der autolosen Haushalte in den
14 dazwischen liegenden Einkommensklas-
Auto Fahrrad
sen zeigt die Korrelation deutlich: Je
­höher das Haushaltseinkommen, desto
38 68
umfänglicher die Pkw-Ausstattung; ab
gebraucht gekauft 2 000  Euro steigt zudem der Anteil der
22 Zweit- und Drittwagen kräftig an. Bei den
Haushalten mit mehr als 4 000 Euro Net-
1  Einschließlich Firmenwagen, die auch privat genutzt werden dürfen. Keine Ratenkäufe. toeinkommen macht der Anteil der Mehr-
Ergebnisse der laufenden Wirtschaftsrechnungen (LWR).
Datenbasis: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2015. Pkw-Haushalte bereits mehr als 70 %
aus. u Abb 4

343
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.1 /  Art und Umfang der räumlichen Mobilität

u Abb 4  Anzahl der Pkw in den Haushalten nach Einkommensklassen 2008 — in Prozent

72
67
61
59 59
55
53 53
48
44 44
39
35
32 31
29 29
23 22 22 22
21
16 17
11
9
7
4 4 4 3
1 1 2 2 1 2 2 1
0
Unter 500– 900– 1 500– 2 000– 3 000– 4 000– 5 000– 6 000– Ab
500 Euro < 900 Euro < 1 500 Euro < 2 000 Euro < 3 000 Euro < 4 000 Euro < 5 000 Euro < 6 000 Euro < 7 000 Euro 7 000 Euro

Kein Auto im Haushalt 1 Auto im Haushalt 2 Autos im Haushalt 3 und mehr Autos im Haushalt

Datenbasis: MiD 2008.

uTab 2  Führerscheinbesitz und Pkw-Verfügbarkeit in den Haushalten 2013 zwischen den Altersgruppen: während
— in Prozent nur gut 27 % der 18- bis 25-Jährigen je-
Regelmäßige persönliche derzeit Zugriff auf einen Pkw haben,
Führerscheinbesitz
Pkw-Verfügbarkeit sind es in allen höheren Altersgruppen
Insgesamt 86 75 wesentlich mehr. Sogar in der Gruppe
Geschlecht
der über 70-Jährigen ist die Autoverfüg-
barkeit mit 43 % deutlich höher. u Tab 2
Männer 89 79
Ansonsten gilt für die Ausstattung von
Frauen 82 72
Haushalten mit Autos: Sind kleine Kin-
Altersgruppen dern im Haushalt, ist das private Auto als
18 – 25 Jahre 77 27 Hauptverkehrsmittel sehr wahrscheinlich.
26 – 35 Jahre 88 56 Abweichungen von dieser Formel ergeben
36 – 50 Jahre 93 67 sich in erster Linie durch die ökonomische
Situation eines Haushaltes. Haushalte mit
51– 60 Jahre 85 57
niedrigem oder sehr niedrigem Einkom-
61– 70 Jahre 86 52
men verfügen lediglich zur Hälfte über ein
Ab 70 Jahre 80 43 eigenes Auto. Das betrifft viele Alleiner-
Datenbasis: MOP 2013/14. ziehende. Weiterhin gilt: Je größer die Ge-
meinde, desto größer ist der Anteil derje-
nigen, die nicht ständig über ein Auto ver-
fügen. Die Unterschiede sind erheblich: In
Aufschlussreich sind auch der Füh- können regelmäßig über ein Auto verfü- Orten mit bis zu 50 000 Einwohnern kom-
rerscheinbesitz und die Verfügbarkeits- gen. Weniger als 20 % haben keinen Zu- men fast 600 Auto auf 1 000 Einwohner,
rate von Pkw. Insgesamt haben im Jahr gang zu einem Auto oder keinen Führer- während in Großstädten mit mehr als
2013 fast 86 % der erwachsenen Bundes- schein. Bei der Autoverfügbarkeit finden 500 000 Einwohnern nur noch 360 Autos
bürger einen Führerschein und 75 % sich übrigens auffällige Unterschiede auf 1 000 Bewohner zugelassen sind.

344
Art und Umfang der räumlichen Mobilität  / 11.1  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

u Tab 3  Lebensphase des Haushalts¹ und Modal Split der Verkehrsmittelnutzung 2008 — in Prozent

Agglomerationsraum Verstädterter Raum Ländlicher Raum

zu Fuß, zu Fuß, zu Fuß,


per MIV mit ÖPV per MIV mit ÖPV per MIV mit ÖPV
Fahrrad Fahrrad Fahrrad

Alleinstehende Rentner 49 36 15 49 43 8 61 34 6

Rentner-Haushalte 39 54 7 37 59 4 34 61 4

Alleinlebende 34 55 11 32 63 5 31 66 3

Zusammenlebende 28 63 10 28 67 5 28 68 4

Erwachsenen-Haushalte 25 63 12 25 70 6 22 72 6

Haushalte mit Schulkindern 32 56 12 33 57 10 29 63 9

Haushalte mit Kleinkindern 35 59 6 34 63 3 31 65 4

Alleinerziehende 43 40 17 34 58 9 40 53 7

Studenten 47 23 31 59 27 14 34 40 26

Auszubildende, Schüler 25 32 43 43 36 21 35 34 31

Sonstige 35 54 11 32 60 8 30 65 6

1  Die Lebensphasen sind nicht vollkommen trennscharf, Überlappungen wie bei »Zusammenlebende« und »Erwachsenen-Haushalte« sind möglich.
Datenbasis: MiD 2008.

11.1.3 Wahl der Verkehrsmittel und fügen und einen besonders hohen Anteil der Anteil älterer Verkehrsteilnehmer
Lebensphase am sogenannten Umweltverbund haben. sukzessive steigen und damit das Ver-
Die Autoverfügbarkeit ist ausschlagge- Das heißt: Sie nutzen ihre Muskelkraft kehrsgeschehen insgesamt gedämpft
bend dafür, wie der Modal Split, also die und den Öffentlichen Verkehr häufiger werden, weil die beruf lichen Wege weg-
Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel, als fast alle anderen Altersgruppen. Da- fallen. Doch zugleich werden die künfti-
aussieht. Gerade das Auto fördert eine neben kommen auch Rentner auf hohe gen »Jungen Alten« auf einem erhöhten
flexible Verwendung, es kommt komple- Anteile beim Umweltverbund. In Tabel- A ktiv itätsniveau länger mobil sein.
xen Alltagsabläufen entgegen und erlaubt le 3 werden die Modal Split-Anteile je Le- Denn die künftigen Rentner werden zu
eine autonome Zeit- und Wegekettenge- bensphase und in Abhängigkeit vom einem größeren Teil als die Vorgänger-
staltung. Und vor allem vereinfacht das Siedlungsraum für das Jahr 2008 ersicht- generationen erfahrene Autofahrer sein
Auto eine routinemäßige Nutzung. Es lich. In allen Siedlungsräumen steigt der und mit hohen Führerscheinquoten die
wird im Alltag oft verwendet, ohne im Anteil des MIV von Lebensphase zu Le- Erwerbsarbeitsphase hinter sich lassen.
Einzelnen über Alternativen nachzuden- bensphase bis zum Rentenbeginn. Die Bereits zwischen 2002 und 2008 ist ihr
ken. Ist das Auto erst einmal verfügbar, Erwachsenenhaushalte sind besonders MIV-Wegeanteil überproportional ge-
drängt es andere Verkehrsmittel häufig auto-affin, während die Studenten- und stiegen, was auch aktuelle Daten der
an den Rand; in der Verkehrs- und Mobili- Alleinerziehendenhaushalte am stärksten SrV-Erhebung von 2013 im Städtever-
tätsforschung wird daher vom »Kuckuck­ die Verkehrsmittel des Umweltverbundes gleich bestätigen. u Abb 5
seffekt« infolge der Anschaffung eines nutzen (müssen). u Tab 3 Die demografisch bedingten Verän-
Automobils gesprochen. derungen im Verkehr sind in letzter Zeit
Auch wenn der Siedlungstyp und die 11.1.4 Mobilität im Zeitverlauf in den Fokus der Aufmerksamkeit gera-
Einkommenssituation der Haushalte die Jüngere Verkehrserhebungen geben An- ten. Die Daten aus den vorliegenden Ver-
wahrscheinlich wichtigsten Einflussfak- zeichen dafür, dass sich am Zusammen- kehrserhebungen lassen zunächst Konti-
toren für die Wahl der Verkehrsmittel hang zwischen Lebensphasen und der nuität und eine fast verblüffende Stabili-
sind, spielt die Lebensphase ebenfalls Wahl der verschiedenen Verkehrsmittel tät in der Mobilität vermuten. Doch
eine große Rolle. Es sind die Jüngeren, künftig etwas ändern wird. Grund ist schon vertiefende Analysen der Durch-
die noch nicht über ein eigenes Auto ver- der demografische Wandel. Zwar wird schnittswerte nach räumlichen und ein-

345
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.1 /  Art und Umfang der räumlichen Mobilität

u Abb 5  Modal Split MIV und ÖPV nach Personengruppen 2008 und 2013 — in Prozent

Große SrV-Vergleichsstädte

MIV ÖPV

71+

61–70

51–60

36–50

26–35

18–25

0–17

50 40 30 20 10 0 0 10 20 30 40 50

Alter von ... bis ... Jahren

2013 2008* 2013 2008* Ohne Revision der 2008er Daten

*  Revidierte Werte wegen systematischer Untererfassung kurzer Fußwege und Aktivitätsverknüpfungen zu Fuß und im MIV.
Datenbasis: SrV 2013.
* Revidierte Werte wegen systematischer Untererfassung kurzer Fußwege und Aktivitätsverknüpfungen zu Fuß und im MIV

kommensstrukturellen Kriterien zeigen, ren mehren sich die Hinweise, dass die dener Verkehrsmittel in einem integrier-
wie bunt und breit gefächert das Bild tat- Informations- und Kommunikations- ten Angebot – verbunden, die eine Alter-
sächlich ist. Globale Durchschnittszah- technik die Bewegung im Raum grundle- native zum privaten Auto bieten können.
len verdecken diese Differenzen oft. Was gend ändert und das Auto zugleich sei- Der Aufwand der Raumüberwindung
fehlt, ist eine Ergänzung der bestehenden nen Status als bevorzugtes Prestigeobjekt könnte insgesamt deutlich zunehmen und
Verkehrserhebungen durch eine qualitati- einbüßt. Eine Reihe von zusätzlichen Un- damit die soziale Schere zwischen Hoch-
ve Komponente. Hilfreich könnten dabei sicherheiten und Gefährdungen der mobilen einerseits und eingeschränkt
Daten sein, mit denen auch Veränderun- Grundlagen der modernen Mobilität Mobilen andererseits noch weiter ausein-
gen im Verkehrsverhalten in Abhängig- zeichnen sich ab. Der Verkehr kommt an andergehen lassen.
keit von Siedlungsentscheidungen, Haus- seiner Dekarbonisierung nicht vorbei;
haltszusammensetzung und Lebensphase der Klimaschutz verlangt eine beschleu-
sowie der Kostenentwicklungen identifi- nigte Abkehr vom Öl als Energieträger.
ziert werden können. Zu erwarten sind nicht nur weitere Kos-
Möglicherweise verstärken sich die tensteigerungen im motorisierten Indivi-
bestehenden Unterschiede noch, etwa dualverkehr durch Straßenbenutzungsge-
zwischen Kernstädten und ländlichen bühren und eine flächendeckende Park-
Regionen, zwischen Geringverdienern raumbewirtschaftung. Mit verkehrs- und
und Haushalten mit einem hohen verfüg- umweltpolitischen Hoffnungen sind vor
baren Einkommen sowie innerhalb der allem intermodale Mobilitätsdienstleis-
Abfolge der Lebensphasen. Bei den Jünge- tungen – also die Verknüpfung verschie-

346
Berufspendler  / 11.2  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

11.2 Deutschland erlebt seit 2005 einen Be-


schäftigungsboom. Mit dem starken Be-
deln und 17 % mussten täglich einen min-
destens 25 Kilometer langen Weg zur Ar-
Berufspendler schäftigungszuwachs hat auch die Zahl beit zurücklegen. Davon waren 4 % Fern-
der Pendlerinnen und Pendler zugenom- pendler mit einer einfachen Wegstrecke
men. Ergebnisse hierzu liefert der Mikro- von mindestens 50 Kilometern. u Abb 1
Frank Schüller,
zensus, der alle vier Jahre (zuletzt 2012) Der Zeitaufwand für den täglichen
Christian Wingerter
die Erwerbstätigen nach ihrem Arbeits- Weg zur Arbeit hat sich im Vergleich zu
weg befragt (zum Mikrozensus siehe Ka- 2004 etwas erhöht – trotz unveränderter
Destatis pitel 2.1, Seite 44, Info 1). Der Zuwachs durchschnittlicher Distanzen. Gut 70 %
bei den Pendlern kann jedoch nur nähe- der Erwerbstätigen in Deutschland benö-
rungsweise geschätzt werden, da die Be- tigten 2012 weniger als 30 Minuten auf
antwortung der Frage im Mikrozensus ihrem Weg zur Arbeit (2004: 77 %), 23 %
freiwillig ist und nicht alle Betroffenen davon sogar weniger als 10 Minuten
erfasst werden können. Schätzt man die (2004: 28 %). Zwischen 30 und 60 Minu-
Veränderung zwischen 2004 und 2012, so ten benötigten knapp 22 % der Pendler.
ist die Zahl der Pendler mit rund 11 % Der Anteil dieser Personen ist etwas
ähnlich stark gestiegen wie die Zahl der ­gestiegen, 2004 hatte er noch bei 18 % ge-
Erwerbstätigen insgesamt. legen. Nur 5 % der Erwerbstätigen benö-
Die seit 2005 gestiegene Zahl der Be- tigten täglich mindestens eine Stunde auf
schäftigten ist nicht einhergegangen mit dem einfachen Weg zur Arbeit; dieser
größeren Pendeldistanzen: Die Anteile Anteil war ebenso hoch wie 2004. Der
der Pendler nach Entfernung blieben in durchschnittlich längere Zeitaufwand
den letzten Jahren nahezu unverändert. könnte das Resultat stärker ausgelasteter
Keinen Arbeitsweg hatten 2012 knapp 5 % Verkehrswege sein oder eines Umstiegs
der Erwerbstätigen, da sie auf demselben auf Verkehrsmittel, mit denen man län-
Grundstück wohnten und arbeiteten. In ger braucht, um zur Arbeit zu kommen.
einem Umkreis von weniger als 10 Kilo- Bei der Verkehrsmittelwahl kam es in
metern zu ihrer Wohnung lag die Arbeits- den betrachteten acht Jahren auch nur zu
stätte für fast die Hälfte (49 %) der Be- marginalen Veränderungen. Ein Trend
schäftigten. Rund 27 % hatten täglich 10 weg vom motorisierten Individualverkehr
bis 24 Kilometer in eine Richtung zu pen- und hin zu umweltfreundlicheren Alter-

u Info
Regionaldatenbank und Regionalatlas
Der Datenreport enthält als Sozialbericht für Deutschland vorwiegend Angaben auf Bundesebene oder
in länderweiser Gliederung. Die einzelnen Bundesländer sind jedoch nicht gleich beschaffen und auch
innerhalb eines Landes gibt es Metropolregionen und strukturschwache Regionen, die unterschiedliche
Wirtschafts- und Lebensbedingungen mit sich bringen.

Ein breit gefächertes Datenangebot in regionaler Gliederung bietet die amtliche Regionalstatistik der
­ tatistischen Ämter des Bundes und der Länder. Eine Vielzahl dieser regionalstatistischen Tabellen ist
S
online über die Regionaldatenbank Deutschland verfügbar. Der Tabellenabruf erfolgt unentgeltlich
und kann variabel an den individuellen Bedarf angepasst werden. Weitere Informationen finden Sie im
­Internet unter www.destatis.de

Hier finden Sie auch einen interaktiven Regionalatlas als Gemeinschaftsprodukt der Statistischen ­Ämter
des Bundes und der Länder. Er veranschaulicht in Form von thematischen Karten über 80 Indikatoren
zu einer Vielzahl von Themenbereichen der amtlichen Statistik für alle Bundesländer, ­Regierungsbezirke
sowie Landkreise und kreisfreien Städte Deutschlands. Für jede Karte gibt es ein großes Spektrum
an I­nteraktionsmöglichkeiten für die Visualisierung und Abfrage der Informa­tionen. Neben einer kartogra­
fischen Darstellung ist auch eine Darstellung der Indikatorwerte in T
­ abellenform wählbar.

347
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.2 /  Berufspendler

u Abb 1  Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstätte 2012 — Anteile in Prozent 25 Kilometern je Wegstrecke. Entspre-
chend benötigten Brandenburger mit
­e inem Anteil von 36 % häufiger als Er-
Arbeitsstätte auf werbstätige aus anderen Ländern eine
wechselnde Arbeitsstätten demselben Grundstück
halbe Stunde und länger für den Weg zur
3,3 4,5
Arbeit. Im Bundesdurchschnitt traf dies
nur auf gut ein Viertel (26 %) zu. Von den
25 km und mehr
baden-württembergischen Erwerbstäti-
16,8
unter 10 km
gen mussten nur 21 % mindestens eine
halbe Stunde pendeln, obwohl sie in einem
48,9
10 bis 24 km großen Flächenland leben. Hier sind die
26,5 Arbeitsplätze nicht auf einen Standort
konzentriert, sondern auf mehrere Zent-
ren (Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe,
Freiburg, Ulm) über das Land verteilt.
Ergebnisse des Mikrozensus. Auch bei der Verkehrsmittelwahl
werden Unterschiede deutlich: In den
Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit
ihrem gut ausgebauten Netz an öffent­
lichen Verkehrsmitteln nutzten immer-
hin 44 % beziehungsweise 41 % der Pend-
u Info 1
ler diese Möglichkeit. Umgekehrt fuhren
Siedlungsstrukturelle Kreistypen
vier von fünf saarländischen Erwerbs­
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung unterscheidet insgesamt neun Kreistypen.
Sie definieren sich zunächst über ihre Zugehörigkeit zu einem größeren Raum. Bei diesen Räumen
tätigen (81 %) mit dem Auto zur Arbeit.
werden drei Typen unterschieden: Agglomerations- oder Ballungsräume besitzen ein städtisches Besonders fahrradbegeistert waren die
Zentrum mit mindestens 300 000 Einwohnern und eine Dichte von mindestens 300 Einwohnern Bremerinnen und Bremer, von denen
je Quadratkilometer. Verstädterte Räume verfügen über eine Stadt mit Zentrumsfunktion mit
­mindestens 100 000 Einwohnern und eine Einwohnerdichte von mindestens 150 Personen je Quadrat- 20 % dieses Verkehrsmittel für den Ar-
kilometer. Ländliche Räume haben keine Großstadt als Oberzentrum und zudem eine geringe beitsweg wählten.
Einwohnerdichte. Will man das Pendelverhalten regio-
Die Kreise werden danach unterschieden, ob sie selbst eine Großstadt sind und wie hoch ihre Ein- nal differenziert betrachten und zusätz-
wohnerdichte ist. Auf Basis dieser Unterscheidung und dem Typus des zugehörigen Raumes können lich einen genaueren Blick auf Stadt-
die neun Kreistypen gebildet werden. So gibt es in den Agglomerations- und verstädterten Räumen
neben den Kernstädten auch Kreise unterschiedlicher Einwohnerdichte. Das heißt zum Beispiel, Land-Unterschiede werfen, so bietet sich
dass dünn besiedelte ländliche Kreise danach unterschieden werden, ob sie in einem Agglomerations-, hierzu die Verwendung einer Gliede-
städtischen oder ländlichen Raum liegen.
rungssystematik des Bundesinstituts für
Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
aus dem Jahr 2009 an, die dem Mikrozen-
sus 2012 hinterlegt ist. Dabei werden Re-
gionen anhand der Bevölkerungsdichte
nativen lässt sich nicht beobachten. Rund (Bundesdurchschnitt 17 %). Dennoch be- und der Einwohnerzahl ihrer jeweiligen
14 % der Erwerbstätigen nutzten 2012 ein nötigten über 40 % der jeweiligen Stadt­ Zentren eingeteilt in Agglomerations-
öffentliches Verkehrsmittel, 66 % fuhren bewohner mindestens eine halbe Stunde ­beziehungsweise Ballungsräume, verstäd-
im Auto, 9 % nahmen das Rad und ebenso für den Weg zur Arbeit, obwohl sie mehr- terte und ländliche Räume. Durch diese
9 % gingen zu Fuß. Weitere 2 % nutzten heitlich eher kürzere Strecken zurück­ Unterscheidung wird klar, welche Be­
Krafträder oder andere Verkehrsmittel. legten (Bundesdurchschnitt 26 %). deutung die Nähe eines städtischen Zen­
Möglicherweise ist die regionale In­ Umgekehrt zeigt sich die Sogwirkung trums und die Siedlungsdichte für die
frastruktur sowohl an Arbeitsplätzen als des großen Arbeitsplatzangebotes einer ­regionale Vernetzung des Arbeitsmarktes
auch an Verkehrsmitteln und Verkehrswe- Großstadt wie Berlin: Von den in Bran- und die vorhandene Verkehrsinfrastruk-
gen für das Pendelverhalten ausschlagge- denburg lebenden Erwerbstätigen muss- tur hat. u Info 1
bender als zeitliche Faktoren. So mussten ten 22 % täglich das Bundesland wech- Beim Zeitaufwand für das tägliche
weniger als 10 % der Erwerbstätigen in den seln (Bundesdurchschnitt: 5 %). Rund Pendeln fällt der deutliche Unterschied
Stadtstaaten Berlin und Hamburg täglich ein Viertel von ihnen hatte deshalb einen zwischen Ballungsräumen auf der einen
mehr als 25 Kilometer zur Arbeit fahren täglichen Arbeitsweg von mindestens Seite und verstädterten und ländlichen

348
Abb 2: Verkehrsmittelwahl der Erwerbstätigen 2012 Berufspendler  / 11.2  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

u Abb 2  Verkehrsmittelwahl der Erwerbstätigen 2012

Agglomerations-/Ballungsräume
Kernstädte 31 50 9 8 1

verstädterte Räume

Kernstädte 18 55 15 10 2

ländliche Räume
ländliche Kreise
geringere Dichte 4 73 11 9 2

öffentlicher Personenverkehr motorisierter Individualverkehr¹


Fahrrad zu Fuß sonstige

1  Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer und Krafträder.


Ergebnisse des Mikrozensus.
1 Pkw-Selbstfahrer, Pkw-Mitfahrer und Krafträder.
2 Zum Beispiel Fähre, Roller, Inliner.
Ergebnisse des Mikrozensus.

Regionen auf der anderen Seite auf. Zwi- sonstigen Gebieten fuhren mehr als 70 %
schen 28 % und 35 % der Erwerbstätigen der Erwerbstätigen mit dem Pkw zur
brauchten je nach Kreistyp in den Bal- ­Arbeit, unabhängig davon, wie weit dieser
lungsgebieten 30 Minuten und mehr für Weg war. In den Zentren der großen Bal-
eine Strecke. In den verstädterten Räu- lungsräume wurden dafür die öffent­lichen
men wie auch auf dem Land lagen die Verkehrsmittel noch häufiger genutzt als
entsprechenden Anteile nur zwischen in den verstädterten Regionen: Ein knap-
20 % und 23 %. Sehr kurze Pendelzeiten pes Drittel (31 %) benutzte dort Busse und
unter 10 Minuten sind überraschender- Bahnen. Mehr als die Hälfte davon (16 %)
weise eher in ländlichen Räumen ohne war mit U- und Straßenbahnen unter-
ein größeres Oberzentrum verbreitet. wegs. In den Zentren verstädterter Räume
Dort benötigten knapp 30 % der Erwerbs- wurden zwar mit 18 % auch häufiger
tätigen maximal 10 Minuten zum Arbeits- ­öffentliche Verkehrsmittel genutzt, sie
platz. Ähnlich sah dies in den K ­ reisen spielten aber keine so herausragende
­außerhalb der Kernstädte der verstädter- Rolle. Hier fuhren die Erwerbs­tätigen
ten Regionen aus. In den Ballungsräumen häufiger mit dem Fahrrad zur Arbeit oder
außerhalb der Kernstädte hatten dagegen gehen sogar zu Fuß (25 %; in den Zentren
nur gut 22 % solch kurze Pendelzeiten. der Ballungsgebiete: 17 %). Offensichtlich
Erwerbstätige in den Kernstädten hatten spielten dabei die geringeren Entfernun-
mit Anteilen von 15 % in den Ballungs- gen zwischen Arbeitsplatz und Wohnung
räumen und 20 % in den verstädterten und allgemein für das Fahrrad günstigere
Regionen noch seltener kurze Pendelzeiten Verkehrsbedingungen eine Rolle. u Abb 2
unter 10 Minuten. Beim öffentlichen Fernverkehr zeigen
Bei der Verkehrsmittelwahl heben sich sich weitere Hinweise auf einen Einfluss
die Kernstädte der Ballungs- wie auch der der Infrastruktur: In den Ballungsräu-
verstädterten Räume von den sie umge- men mit einem meist gut ausgebauten
benden Kreisen beziehungsweise rein Verkehrsnetz nutzten zwischen 6 % und
ländlichen Räumen deutlich ab. In den 8 % Eisen- und S-Bahn. Nur 2 % bis 3 %
Zentren nutzte nur rund jeder zweite waren es in den verstädterten und länd­
ein Auto auf dem Weg zur Arbeit. In den lichen Räumen.

349
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.3 /  Regionale Disparitäten

11.3 Ökonomische und demografische Pro-


zesse tragen zu einer stärkeren Auseinan-
Existenzgründung und Verwertungsket-
ten oder Regionalmarketing. Vorhandenes
Regionale derentwicklung der unterschiedlichen Humanvermögen, ziviles Engagement, In-
Disparitäten* Räume in Deutschland bei. Die wirt-
schaftsstärksten Agglomerationen sind
frastruktur und politische Akteure beein-
flussen maßgeblich die regionalen Ent-
*Ü berarbeitung der Version, die 2013 unter
Mitarbeit von Roland Habich erstellt wurde. zu Metropolregionen avanciert und er- wicklungen. Für die Sicherung von Lebens-
halten verstärkte Aufmerksamkeit. Ab- standard und Lebensqualität spielen
wanderung, Alterung und periphere Lage Regionen damit eine zunehmende Rolle.
Annette Spellerberg
sind dagegen Merkmale problematischer Um die Lebensverhältnisse in den
Technische Universität Kaiserslautern
Wirtschafts- und Lebensräume. In eini- ­Regionen zu ermitteln, werden im Folgen-
gen strukturschwachen Regionen sind den Bevölkerung und Bevölkerungsent-
WZB / SOEP bereits heute technische und kulturelle wicklung, Wirtschaftskraft, Haushalts-
Infrastrukturen kaum noch tragfähig einkommen sowie die Wohnverhältnisse
und grundlegende Dienstleistungen untersucht. Schließlich wird gezeigt, wie
kaum aufrechtzuerhalten. Wachsende die Bevölkerung in verschiedenen regio-
­regionale Ungleichheiten beinhalten die nalen Räumen ihre Lebensbedingungen
Gefahr, Räume zu schaffen, in denen die wahrnimmt und bewertet. Ein Ziel der
Menschen schlechtere Lebenschancen empirisch orientierten Bestandsaufnah-
vorfinden und von der allgemeinen Ent- me regionaler Disparitäten besteht darin
wicklung abgekoppelt werden. zu überprüfen, inwieweit sich die Lebens-
Auf EU-Ebene und auf Bundesebene bedingungen in den Regionen West- und
wurde bislang mit enormen Ausgleichs- Ostdeutschlands immer noch voneinan-
zahlungen und Förderungen schrittweise der unterscheiden.
eine wirtschaftliche und soziale Annähe-
rung von Staaten und Regionen erreicht. 11.3.1 Siedlungsstruktur und
Die auf »Gleichwertigkeit« ausgelegten Bevölkerungsdichte
Regulierungsmechanismen auf staat­ Regionen werden unterschiedlich defi-
licher und europäischer Ebene können niert. Sie beziehen sich in verwaltungs­
Disparitäten jedoch nur in bedingtem politischer Hinsicht auf eine mittlere
Maße und zunehmend schlechter ausglei- Ebene zwischen der Gemeinde und dem
chen. Unter dem Motto »Stärken stärken« Bundesland, das heißt auf Länder, Bezirke
sollen Fördermittel vorrangig in Metro- und Kreise. Zugleich wird mit Region ein
polregionen gelenkt werden. Diese Regio- Verflechtungsraum bezeichnet, der wirt-
nen sollen mit ihrer Kraft auch die weni- schaftlich, geografisch und kulturell be-
ger starken mitziehen und zu weiterer stimmt ist. Bislang liegen jedoch nur für
Entwicklung befähigen. In den Diskussi- verwaltungsmäßig abgegrenzte Raumein-
onen zur Raumentwicklung steht infolge- heiten ausreichend statistische Informati-
dessen das verfassungsmäßig verankerte onen zu Lebensbedingungen und Lebens-
Leitbild der gleichwertigen Lebensbedin- standard vor.
gungen in den Regionen in Frage und Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt-
Mindeststandards einer ausreichenden und Raumforschung (BBSR) unterteilt
Daseinsvorsorge werden in den Mittel- darüber hinaus in Zentral-, Zwischen-
punkt gerückt. und Peripherieräume. Daneben wird zwi-
Regionen versuchen sich unter den schen den drei siedlungsstrukturellen
veränderten Rahmenbedingungen neu Typen Agglomeration, verstädterter und
aufzustellen, Potentiale zu ermitteln, diese ländlicher Raum unterschieden, die in
gezielt zu fördern und eine zukunftsfähige ­einem zweiten Schritt tiefer gegliedert
Entwicklung anzustoßen. Akteure aus werden: Agglomerationen in Kernstädte,
Wirtschaft und Wirtschaftspolitik orien- hoch verdichtete Kreise, verdichtete Kreise
tieren sich an einer Stärkung regionaler und ländliche Kreise (die durchaus in
Cluster, der Koppelung von Forschung, großer Nähe zu Agglomerationen existie-

350
Regionale Disparitäten  / 11.3  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

ren, zum Beispiel rund um Berlin oder uTab 1  Siedlungsstrukturelle Typisierung der Gemeindeverbände,
auch Braunschweig). Die verstädterten Anteil der Gemeinden 2013 — in Prozent
Räume werden unterteilt in Kernstädte
Siedlungsstrukturelle Typisierung Fläche Bevölkerung Beschäftigte
mit mehr als 100 000 Einwohnern, ver-
dichtete Kreise und ländliche Kreise. Im Insgesamt
ländlichen Raum gibt es Kreise höherer Sehr peripher 18,9 4,2 3,0

(zwischen 100 und 150 Einwohner pro Peripher 43,3 20,8 18,2

Quadratkilometer) und geringerer Dichte Zentral 26,3 28,2 26,8

(unter 100 Einwohner pro Quadratkilo- Sehr zentral 11,6 46,9 52,0

meter). In neueren Berichten wird dage- Darunter


gen lediglich zwischen vier Kreistypen Überwiegend Ländlich, insgesamt 59,9 17,7 10,4

unterschieden: kreisfreie Großstädte, Sehr peripher 17,3 3,1 1,9

städtische Kreise, ländliche Kreise mit Peripher 31,5 9,7 5,9

Verdichtungsansätzen sowie dünn besie- Zentral 10,5 4,5 2,5

delte ländliche Kreise. Sehr zentral 0,6 0,4 0,2

Die Daten in Tabelle 1 dokumentie- Teilweise städtisch, insgesamt 19,9 15,3 14,0

ren eine der vielfältigen regionalen Glie- Sehr peripher 1,4 0,8 0,9

derungsmöglichkeiten. Bereits hier wird Peripher 9,1 6,4 6,7


Zentral 7,8 6,4 5,2
ersichtlich, dass in den unterscheidbaren
Sehr zentral 1,7 1,7 1,4
Räumen unterschiedliche Lebensbe­
Überwiegend städtisch, insgesamt 20,2 67,0 75,5
dingungen vorzufinden sind. Überwie-
Sehr peripher 0,2 0,3 0,3
gend städtische Gemeinden machten
Peripher 2,8 4,7 5,7
2013 zwar nur ein Fünftel der Gesamtflä-
Zentral 7,9 17,3 19,1
che Deutschlands aus; hier lebten aber
Sehr zentral 9,3 44,7 50,4
zwei Drittel der Bevölkerung und befan-
den sich drei Viertel aller Arbeitsplätze. Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR, Raumtypen 2010.

Im Gegensatz dazu nahm der ländliche


Raum zwar 60 % der Fläche ein, dort
lebten allerdings nur 18 % der Bevölke-
rung, die lediglich 10 % aller Arbeitsplätze
vorfanden. Fast die Hälfte der Bürger Eine dünne Besiedlung ist neben einem nistrativen Grenzen genauere Beschrei-
lebte in sehr zentralen Orten, jeder Vier- durch Land- und Forstwirtschaft geprägten bungen ländlicher Räume möglich und
te in peripheren oder sehr peripheren Siedlungs- und Landschaftsraum der ent- Probleme insbesondere peripherer Gebiete
Orten. u Tab 1 scheidende Indikator für ländliche Regio- bis auf Gemeindeebene deutlicher er-
Einige Kreise im ostdeutschen Norden nen. Der Anteil der in der Landwirtschaft kennbar. u Abb 1
und in Niedersachsen wiesen eine Bevöl- Beschäftigten war dabei deutschlandweit Im innerdeutschen Maßstab zeigt
kerungsdichte von weniger als 50 Einwoh- mit 0,8 % im Jahr 2012 sehr gering. Nur sich, dass sich überdurchschnittliche Dis­
ner pro Quadratkilometer auf (Prignitz 37 noch in einem Landkreis (Rhein-Pfalz- tanzen zum nächsten Oberzentrum oder
E / k m², Altmarkkreis Salz­wedel 38 E / k m², Kreis) ging der Anteil über die Zehn-­ zur nächsten Autobahn negativ auf die
Ostprignitz-Ruppin 41 E / k m², Uckermark Prozent-Marke hinaus. Ostdeutsche Länder Lebensbedingungen auswirken. Sie be-
40 E / k m², Lüchow-Dannenberg 40 E / k m², hatten mit Ausnahme von Sachsen einen hindern wirtschaftliche Ansiedlungen,
Ludwigslust-­ P archim 45 E / k m²). Am vergleichsweise hohen Anteil an ländli- Absatzmärkte und Zugangschancen der
dichtesten be­siedelt sind die Städte Mün- chen Regionen. In westdeutschen Bundes- Bevölkerung zu Infrastrukturen. Die peri-
chen (4468 E / k m²), Berlin (3785 E / k m²) ländern wiesen Bayern, Niedersachsen phere Lage eines Kreises wird an der
und Herne (3006  E / k m²) mit mehr als und Schleswig-Holstein einen beachtli- durchschnittlichen Pkw-Fahrzeit vom
3000 Einwohnern pro Quadratkilometer. chen Anteil ländlicher Gebiete auf. Kreis zum nächsten Oberzentrum gemes-
Wie Daten des BBSR zeigen, haben die Abbildung 1 stellt dar, wie sich die sen. In ländlichen Räumen hat der Pkw
dünn b ­ esiedelten Kreise zwischen 2011 Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig eine höhere Bedeutung, um die Einrich-
und 2012 an Bevölkerung verloren, wäh- von Großstädten bis hin zu ländlichen tungen von Oberzentren (zum Beispiel
rend die dicht besiedelten Kreise an Be- Gemeinden strukturiert. Durch die Dar- Theater, Museen, Fachkliniken, Hoch-
völkerung gewonnen haben. stellung werden unabhängig von admi- schulen oder Regionalbehörden) zu errei-

351
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.3 /  Regionale Disparitäten

u Abb 1  Stadt- und Gemeindetypen 2015


Gemeindetypen 2015

100 km
© BBSR Bonn 2015

Großstädte Mittelstädte Kleinstädte Landgemeinden

große Großstädte um größere Mittelstädte mit Zentrum größere Kleinstädte mit Zentrum
500 000 Einwohner und mehr 50 000 Einwohner und mehr 10 000 Einwohner und mehr
kleinere Großstädte unter kleinere Mittelstädte mit Zentrum kleine Kleinstädte mit Zentrum
500 000 Einwohner 20 000 bis 50 000 Einwohner mit 5 000 bis unter 10 000 Einwohner
oder grundzentraler Funktion

Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR.


Geometrische Grundlage: BKG, Gemeinden und Gemeindeverbände, 31.12.2013.

352
Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR
Regionale Disparitäten  / 11.3  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

u Abb 2  Durchschnittliche Pkw-Fahrtzeit zum chen als in dichter besiedelten Regionen,


nächsten Oberzentrum 2014 — in Minuten in denen der öffentliche Nahverkehr aus-
gebaut ist und zudem kurze Taktzeiten
aufweist (siehe Kapitel 11.1.1).
Brandenburg 49
In Abbildung 2 sind in jedem Bundes-
land die Kreise mit den längsten Fahrzei-
Prignitz 75
ten zum nächsten Oberzentrum aufge-
Elbe-Elster 71
führt. Dünne Besiedlung und landschaft-
Sachsen-Anhalt 43
liche Besonderheiten (beispielsweise in
Stendal 76 den Mittelgebirgen und den Alpen) erhö-
Altmarkkreis 62 hen die Fahrzeiten. In ostdeutschen länd-
Niedersachsen 39 lichen Kreisen ist die Distanz zu einem
Lüchow-Dannenberg 69 Oberzentrum im Mittel höher als in
Aurich 67 ländlichen Kreisen Westdeutschlands.
Thüringen 39
Insbesondere Sachsen-Anhalt und deut-
lich abgeschlagen Brandenburg sind im
Nordhausen 58
Mittel durch lange Fahrzeiten geprägt. In
Unstrut-Hainich-Kreis 54
den Kreisen Stendal und Prignitz beträgt
Mecklenburg-Vorpommern 37
die durchschnittliche Fahrtzeit zum
Ludwigslust-Parchim 45 nächsten Oberzentrum etwa eineinviertel
Vorpommern-Greifswald 43 Stunden. Eine noch kleinräumigere Be-
Schleswig-Holstein 36 trachtung nach Gemeinden ergibt im
Dithmarschen 67 Maximum eine Fahrzeit von 103 Minuten
Nordfriesland 57
(Seehausen in Sachsen-Anhalt). u Abb 2
Rheinland-Pfalz
Die Wirtschaftskraft, gemessen am
36
Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2012, ist in
Birkenfeld 57
19 der 26 schwer erreichbaren Kreise nied-
Vulkaneifel 56
riger als im jeweiligen Landesdurchschnitt.
Baden-Württemberg 31 Somit besteht ein fast durchgehender Zu-
Ostalbkreis 53 sammenhang zwischen peripheren Lagen
Waldshut 51 und eigener Wirtschaftskraft.
Sachsen 31 Ein bedeutendes Problem stellt der
Nordsachsen 49 Ärztemangel dar. In dünn besiedelten
Meißen 41
ländlichen Kreisen musste im Jahr 2012
ein Arzt in Ostdeutschland etwa 741 Ein-
Nordrhein-Westfalen 30
wohner versorgen gegenüber 416  Perso-
Borken 53
nen in kreisfreien Großstädten. In West-
Hochsauerland 50
deutschland war der Unterschied mit
Saarland 28 692 Patienten in dünn besiedelten länd­
Merzig-Wadern 40 lichen Kreisen gegenüber 413 in kreis-
St. Wendel 37 freien Großstädten etwas geringer.
Bayern 27 Z udem lag die Einwohnerdichte mit
­
Donau-Ries 55 146  Personen pro Quadratkilometer in
Cham 53
Ostdeutschland 2012 deutlich niedriger
als in Westdeutschland (260), was länge-
Hessen 27
re Fahrzeiten zu Patienten bedeutet. Der
Hersfeld-Rotenburg 43
in den 2000er-Jahren konstatierte Rück-
Waldeck-Frankenberg 43
gang der Versorgungsgrade ist jedoch
nicht länger festzustellen. Von 2007 bis
2012 stieg der Anteil an Ärzten in den
dünn besiedelten ländlichen Kreisen mit
Datenbasis: BBSR, INKAR online 2015. 2 % im Westen und 1,6 % in Ostdeutsch-

353
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.3 /  Regionale Disparitäten

land leicht an, wenn auch weniger deut- rungsentwicklung von 2007 bis 2013 und Kreise in verstädterten Räumen wiesen
lich als in den kreisfreien Großstädten als Prognose von 2009 bis 2030 dar. u Abb 3 nach zunächst herben Verlusten zwi-
(6,3 % im Westen und 5,2 % im Osten). Die Schrumpfung von 2007 bis etwa schen 1991 und 2005 in den letzten Jah-
2013 betraf vor allem Kernstädte in ver- ren einen weniger dramatischen Bevölke-
11.3.2 Bevölkerungsentwicklung städterten Räumen; hier setzten sich die rungsverlust auf. Hohe Werte galten
Die Bevölkerungsentwicklung verlief in dramatischen Verluste der 1990er- und ­insbesondere für die Kreise Oberspree-
den verschiedenen regionalen Typen im frühen 2000er-Jahre nicht mehr im glei- wald-Lausitz, Spree-Neiße, Uckermark,
letzten Jahrzehnt unterschiedlich. In Ost- chen Tempo fort, aber die Entwicklung Mansfeld-Südharz, Stendal, und Weißen-
deutschland (ohne Berlin) ist durch die blieb im negativen Bereich. So lag der Be- fels. Insgesamt verloren Gemeinden und
geringe Geburtenrate und die fortwäh- völkerungsverlust zwischen den Jahren Gemeindeverbände in Ostdeutschland
rende Ost-West-Wanderung seit 1990 ein 1995 bis 2005 in einigen Ostdeutschen auch zwischen 2007 und 2012 durch-
erheblicher Bevölkerungsverlust zu kons- Städten wie Frankfurt (Oder), Cottbus schnittlich – 6,5 % ihrer Bevölkerung, so-
tatieren, der sich zuletzt mit einem weite- und Halle bei über –15 %, von 2007 bis dass sich die Schrumpfung der 1990er-
ren Rückgang von etwa 3 % zwischen 2012 betrug der Verlust jeweils »nur« Jahre fortsetzte und eine regionale
2007 und 2013 fortsetzte. Dies betrifft alle noch unter – 6 %. Magdeburg konnte ­Polarisierung der demografischen Ent-
Kreistypen, mit Ausnahme der kreisfrei- nach einem Rückgang von – 11 % zwi- wicklung zu konstatieren war. Nach den
en Großstädte, die im selben Zeitraum schen 1995 und 2005 sogar mit 0,1 % Prognosen wird sich die Schrumpfung in
ein Bevölkerungswachstum von über 4 % leicht hinzugewinnen. vielen ostdeutschen Regionen in den
verzeichneten. Es zogen vermehrt junge Bevölkerungsverluste verzeichneten nächsten 20  Jahren sogar noch weiter
Menschen in Großstädte, sodass in jün- auch die ohnehin sehr dünn besiedelten ­beschleunigen.
gerer Zeit in Berlin, Leipzig und Dresden ländlichen Räume im Norden und im Mit Ausnahme der Großstädte war in
ein Bevölkerungswachstum beobachtet Westen Thüringens sowie entlang der Westdeutschland für 2007 bis 2013 eben-
wurde. Abbildung 3 stellt die Bevölke- Elbe in Sachsen-Anhalt. Die verdichteten falls eine rückläufige Entwicklung zu

Bevölkerungsentwicklung 2005–2010 und


Prognose 2009–2030

u Abb 3  Bevölkerungsentwicklung 2007– 2013 und Prognose 2009 – 2030 — in Prozent

2,4
4,4
Kreisfreie Großstädte
– 2,0
–2,6

– 0,4
– 6,4
Städtische Kreise
– 0,1
– 21,1

–0,8
Ländliche Kreise mit – 5,3
Verdichtungsansätzen – 0,5
–15,8

–1,7
Dünn besiedelte – 4,9
ländliche Kreise –3,6
–15,1

Bevölkerungsentwicklung Prognose Entwicklung Einwohner insgesamt


Westdeutschland 2007–2013 Westdeutschland 2009–2030

Bevölkerungsentwicklung Prognose Entwicklung Einwohner insgesamt


Ostdeutschland 2007–2013 Ostdeutschland 2009–2030

Datenbasis: BBSR (Hrsg) 2015: Wachsen oder schrumpfen; INKAR 2012.

354
Regionale Disparitäten  / 11.3  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

­ eobachten, diese fiel jedoch wesentlich


b Mit Schrumpfungsprozessen gehen in 11.3.3 Wirtschaftskraft und
geringer aus. Die These einer generellen zahlreichen Regionen zudem zwei Verän- Beschäftigung
Reurbanisierung in Deutschland, eines derungen der heute bestehenden Alters- Das Bruttoinlandsprodukt, die Beschäfti-
Zuzugs in die Stadtkerne, wird durch die struktur einher; zum einen die »Unter- gungsquote und die Arbeitslosigkeit ge-
Daten lediglich angedeutet. Kernstädte in jüngung« und zum anderen die »Über­ ben Auskunft über die Wirtschaftskraft
Agglomerationsräumen verzeichneten alterung« der Gesellschaft. Ins­besondere einer Region. Die Deindustrialisierung
von 1990 bis 2013 keinen Bevölkerungs- in stark schrumpfenden Räumen wird Ostdeutschlands und der ökonomische
gewinn, verbuchten jedoch in den Jahren sich die Zahl der älteren Personen ab Rückstand kommen nach wie vor in
2007 bis 2013 ein leichtes Plus von 0,5 % 60  Jahren bis zum Jahr 2030 um bis zu ­einem niedrigeren Bruttoinlandsprodukt
pro Jahr. Die unterschiedlichen Aussagen 75 % im Vergleich zu 2009 erhöhen. Dies zum Ausdruck. So variierte das BIP 2012
1990 bis 2013 und 2007 bis 2013 weisen trifft gleichermaßen auf west- wie ost- von 48 000 Euro pro Erwerbstätigem in
auf die Bedeutung des gewählten Aus- deutsche Städte und Kreise zu. Eine star- ­T hüringen bis zu 70 500 Euro pro Er-
gangszeitpunkts hin. In den 1990er-Jah- ke Alterung ist nur in solchen Räumen werbstätigen in Hessen und 81 300 Euro
ren fanden in West- wie in Ostdeutsch- der Fall, in denen in der weiteren Bevöl- pro Erwerbstätigen in Hamburg.
land – auch wegen der Eigenheimzulage kerungsentwicklung eine Zunahme der Hessen, Bayern und Baden-Württem-
und wegen der Nachholerscheinungen in ­ä lteren Bevölkerung zeitgleich mit einer berg waren die Flächenländer mit dem
Ostdeutschland – Suburbanisieungspro- deutlichen Unterjüngung einhergeht, also höchsten Wohlstand gemessen am BIP,
zesse in großem Umfang statt. Seit etwa mit einer rapiden Abnahme jüngerer Be- in kleinräumiger Betrachtung wiesen die
2005 wird die Reurbanisierung beobach- völkerungsgruppen durch Geburtenrück- westdeutschen Kreise Ingolstadt, Mün-
tet, die auf die wachsende ökonomische, gang und/oder durch massive Abwande- chen, Wolfsburg und der Main-Taunus-
soziale und kulturelle Bedeutung von rungen in wohlhabendere beziehungs­ Kreis das höchste BIP auf (jeweils über
Städten und den relativen Bedeutungs- weise attraktivere Regionen und Städte. 100 000 Euro). Die wirtschaftsschwächs-
verlust ländlicher Räume hinweist. Wirt- Unter den Kreisen, in denen laut Progno- ten Landkreise in Ostdeutschland waren
schaftsstarke und/oder attraktive Städte sen im Jahr 2030 mehr als 40 % der Bevöl- Eisenach, Gera sowie Havelland mit je-
konnten somit bislang von überregiona- kerung über 60 Jahre alt sein werden, sind weils unter 44 000 Euro. u Tab 2
len Wanderungsbewegungen profitieren. nahezu ausschließlich ostdeutsche Kreise In Ländern mit einem hohen BIP ist
In den nächsten zwei Jahrzehnten wird zu finden sowie einige ehemalige west- die Arbeitslosigkeit deutlich niedriger als
wegen der geburtenschwächeren Jahrgän- deutsche Zonenrandgebiete. Der »älteste« in Ländern mit einem niedrigen BIP. So-
ge junger Erwachsener aber wieder ein Kreis Deutschlands wird demnach die mit ist die Arbeitslosigkeit in Ostdeutsch-
Verlust von – 1,5 % prognostiziert. kreisfreie Stadt Suhl in Thüringen (52 %) land deutlich höher als im Westen
Die demografischen Prozesse lassen sein, gefolgt von den eher peripheren bran- Deutschlands und im Norden etwas hö-
sich kaum noch zuverlässig berechnen, denburgischen Kreisen Oberspreewald- her als im Süden. Während in Baden-
sodass Prognosen über zukünftige Ent- Lausitz, Elbe-Elster, Uckermark, Prignitz Württemberg, Bayern und Rheinland-
wicklungen mit Vorsicht betrachtet wer- und Spree-Neiße (jeweils um 50 %). Pfalz die Arbeitslosenquoten 2012 bei
den sollten. Unter konstanten Bedingun- Vom BBSR wird vorhergesagt, dass die maximal 4,2 % lagen, betrugen sie in den
gen – also ohne große Flüchtlings- und Altersgruppe der Personen unter 20 Jahren ostdeutschen Ländern maximal 9,7 %
Wanderungsbewegungen – stehen erheb- wegen des Geburtenrückgangs Anfang der (Mecklenburg-Vorpommern).
lichen regionalen Schrumpfungsprozes- 1990er-Jahre und der Wanderungsverluste Im Hinblick auf die Beschäftigten-
sen auch Regionen mit wachsenden Be- in Ostdeutschland bis 2030 um weitere quoten zeigt sich, dass in Westdeutsch-
völkerungszahlen gegenüber. Entspre- – 11 % zurückgehen wird. Während diese land und Ostdeutschland die kreisfreien
chende Prognosen aus dem BBSR Altersgruppe in den ostdeutschen Groß- Großstädte hinter den anderen Kreis­
be­schreiben ein Entwicklungsszenario, städten zunehmen wird, wird die Ab­ typen liegen. Sie wiesen 2012 mit 51 % die
das von rückläufigen Bevölkerungszah- nahme in den übrigen Kreisen etwa – 20 % niedrigsten Werte auf. Ländliche Kreise
len bis über – 30 % etwa im brandenbur- ­betragen. Diese Verschiebungen der Be­ mit Verdichtungsansätzen konnten in
gischen Kreis Oberspreewald-Lausitz bis völkerungsstruktur werden enorme kom- Ost- und Westdeutschland deutlich bes-
zu einem regionalen Bevölkerungswachs- munale Anstrengungen im Bereich der sere Beschäftigungschancen bieten.
tum bis zu 21 % im Landkreis München Daseinsvorsorge und Infrastruktur fordern. Die Beschäftigungsquote von Frauen
reicht. Wegen des Zustroms der Zuwan- In Westdeutschland ist wegen der derzeiti- unterschied sich in Westdeutschland im
dernden in die westdeutschen Städte gen Zuwanderung und deren ungleicher Jahr 2012 nicht stark nach Kreistypen und
v erstärkt sich die sehr ungleiche Be­ Verteilung über Länder und Kommunen
­ lag zwischen 44 % und 46 %. In Ost-
völkerungsentwicklung in den Regionen eine verlässliche Aussage über junge Men- deutschland war die Frauenerwerbstätig-
Deutschlands. schen derzeit kaum möglich. keit immer noch weiter verbreitet als im

355
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.3 /  Regionale Disparitäten

u Tab 2  Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen nach Bundesländern und ihren stärksten


beziehungsweise schwächsten Kreisen 2012 — in 1 000 Euro je Erwerbstätigen

Gebiet BIP Gebiet BIP


Bundesgebiet Bund 64,1 Niedersachsen 61,2
Hamburg 81,3 Delmenhorst kreisfreie Stadt 47,0
Hessen 70,5 Osterholz Landkreis 49,5
Werra-Meißner-Kreis Landkreis 56,4 Salzgitter kreisfreie Stadt 78,6
Vogelsbergkreis Landkreis 56,7 Wolfsburg kreisfreie Stadt 105,0
Hochtaunuskreis Landkreis 90,3 Berlin 59,9
Main-Taunus-Kreis Landkreis 106,5 Schleswig-Holstein 58,6
Baden-Württemberg 68,2 Ostholstein Landkreis 50,7
Heilbronn kreisfreie Stadt 53,7 Plön Landkreis 53,8
Konstanz Landkreis 57,2 Dithmarschen Landkreis 63,8
Stuttgart kreisfreie Stadt 81,6 Steinburg Landkreis 69,0
Heilbronn Landkreis 91,8 Brandenburg 53,3
Bayern 68,1 Havelland Landkreis 43,4
Weiden i.d.O. kreisfreie Stadt 50,2 Cottbus kreisfreie Stadt 44,9
Freyung-Grafenau Landkreis 52,9 Dahme-Spreewald Landkreis 71,0
München Landkreis 114,2 Spree-Neiße Landkreis 90,9
Ingolstadt kreisfreie Stadt 117,8 Sachsen-Anhalt 52,3
Bremen 66,9 Halle (Saale) kreisfreie Stadt 47,3
Nordrhein-Westfalen 66,0 Harz Landkreis 49,1
Bottrop kreisfreie Stadt 50,3 Börde Landkreis 59,9
Herne kreisfreie Stadt 54,5 Saalekreis Landkreis 65,5
Düsseldorf kreisfreie Stadt 82,7 Mecklenburg-Vorpommern 50,5
Bonn kreisfreie Stadt 83,4 Vorpommern-Greifswald Landkreis 45,1
Rheinland-Pfalz 61,9 Schwerin kreisfreie Stadt 47,5
Trier-Saarburg Landkreis 51,2 Nordwestmecklenburg Landkreis 55,2
Kaiserslautern kreisfreie Stadt 51,6 Rostock kreisfreie Stadt 56,8
Mainz-Bingen Landkreis 78,4 Sachsen 49,2
Ludwighafen am Rhein kreisfreie Stadt 99,4 Erzgebirgskreis Landkreis 45,6
Saarland 61,8 Bautzen Landkreis 46,5
Merzig-Wadern Landkreis 56,8 Görlitz Landkreis 52,1
Neunkirchen Landkreis 60,4 Leipzig Landkreis 55,3
Saarlouis Landkreis 62,9 Thüringen 48,0
Saarpfalz-Kreis Landkreis 63,2 Eisenach kreisfreie Stadt 39,6

Datenbasis: INKAR 2015 online. Gera kreisfreie Stadt 43,2


Jena kreisfreie Stadt 54,3
Saalfeld-Rudolstadt Landkreis 54,5

u Tab 3  Beschäftigtenindikatoren im regionalen Vergleich 2012 — in Prozent


Beschäftigtenquote¹ Anteil weibliche Beschäftigte Anteil hochqualifizierte Beschäftigte
Westdeutschland
Kreisfreie Großstädte 51,2 46,3 17,2
Städtische Kreise 54,8 44,2 10,6
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 55,4 44,8 7,3
Dünn besiedelte ländliche Kreise 54,4 45,4 6,6
Ostdeutschland
Kreisfreie Großstädte 50,5 51,9 19,3
Städtische Kreise 58,7 48,4 10,8
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 59,5 47,7 10,6
Dünn besiedelte ländliche Kreise 57,4 48,3 9,4

1  Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Wohnort je 100 Einwohner im erwerbsfähigen Alter.


Datenbasis: INKAR 2014.

356
Regionale Disparitäten  / 11.3  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

u Tab 4  Entwicklung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten


nach Ländern und Kreisen mit niedrigsten und höchsten Werten 2007–2012 — in Prozent

Gebiet Gebiet
Berlin 13,6 Bremen 6,4
Hamburg 10,7 Bremen kreisfreie Stadt 5,8
Niedersachsen 10,3 Bremerhaven kreisfreie Stadt 9,6
Osterode am Harz Landkreis –  5,1 Brandenburg 6,3
Salzgitter kreisfreie Stadt –  0,1 Cottbus kreisfreie Stadt –  3,5
Vechta Landkreis 21,2 Frankfurt (Oder) kreisfreie Stadt 0,0
Wolfsburg kreisfreie Stadt 25,0 Dahme-Spreewald Landkreis 12,2
Bayern 9,4 Havelland Landkreis 16,7
Kronach Landkreis –  0,2 Sachsen 5,9
Coburg Landkreis 0,6 Vogtlandkreis Landkreis 1,1
Pfaffenhofen a.d.Ilm Landkreis 20,9 Erzgebirgskreis Landkreis 2,0
Erding Landkreis 35,9 Nordsachsen Landkreis 8,1
Schleswig-Holstein 7,8 Leipzig kreisfreie Stadt 11,4
Flensburg kreisfreie Stadt –1,6 Saarland 5,3
Segeberg Landkreis 5,3 Neunkirchen Landkreis 2,4
Neumünster kreisfreie Stadt 10,7 Saarlouis Landkreis 3,1
Nordfriesland Landkreis 10,8 Regionalverband Saarbrücken Landkreis 6,5
Rheinland-Pfalz 7,4 St. Wendel Landkreis 9,6
Südwestpfalz Landkreis 0,3 Thüringen 4,5
Frankenthal (Pfalz) kreisfreie Stadt 1,6 Suhl kreisfreie Stadt – 7,7
Donnersbergkreis Landkreis 12,8 Gera kreisfreie Stadt –  4,2
Alzey-Worms Landkreis 13,6 Ilm-Kreis Landkreis 16,9
Baden-Württemberg 7,0 Jena kreisfreie Stadt 17,4
Rastatt Landkreis 1,2 Mecklenburg-Vorpommern 4,0
Zollernalbkreis Landkreis 2,8 Nordwestmecklenburg Landkreis – 1,2
Hohenlohekreis Landkreis 14,0 Schwerin kreisfreie Stadt – 1,1
Heilbronn Landkreis 14,5 Vorpommern-Greifswald Landkreis 7,2
Nordrhein-Westfalen 6,8 Rostock kreisfreie Stadt 8,1
Herne kreisfreie Stadt –  3,1 Sachsen-Anhalt 3,2
Remscheid kreisfreie Stadt 0,2 Dessau-Roßlau kreisfreie Stadt – 2,7
Kleve Landkreis 11,2 Stendal Landkreis 0,1
Heinsberg Landkreis 13,9 Börde Landkreis 7,2
Hessen 6,7 Anhalt-Bitterfeld Landkreis 10,5
Offenbach am Main kreisfreie Stadt – 1,7
Wiesbaden kreisfreie Stadt 2,1
Hersfeld-Rotenburg Landkreis 10,4
Main-Taunus-Kreis Landkreis 14,2

Datenbasis: INKAR 2014.

Westen Deutschlands und wies daher ge- fizierten Beschäftigten aus (17 % in west- der Zuwachs für Westdeutschland mit
nerell ein höheres Niveau auf, zwischen deutschen und sogar 19 % in ostdeut- 7,9 %. Die höchsten Zugewinne konnten
knapp 48 % in ländlichen Kreisen mit schen Großstädten). Bei diesem Indikator die Stadtstaaten Berlin und Hamburg
Verdichtungsansätzen und 52 % in Groß- lagen insbesondere die dünn besiedelten ­sowie Niedersachsen mit jeweils über
städten. Im Vergleich zu 2010 erhöhte sich ländlichen Kreise deutlich zurück (7 % 10 % verzeichnen. Die niedrigsten Werte
der Anteil weiblicher Beschäftigter in den West und 9 % Ost). u Tab 3 waren für Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-
Kreistypen beider Landesteile nicht. Die Anzahl der Beschäftigten stieg im Vorpommern und Thüringen mit Werten
Großstädte zeichneten sich durch ei- Zeitraum 2007 bis 2012 in allen Bundes- zwischen 3 % und 4,5 % zu vermelden.
nen überdurchschnittlich hohen Anteil ländern. Dabei war der Zuwachs für Ost- Zugleich haben einzelne Kreise an Be-
und ein starkes Wachstum an hochquali- deutschland mit 6,8 % etwas niedriger als schäftigten eingebüßt und andere enorm

357
11 /  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  11.3 /  Regionale Disparitäten

u Tab 5  Atypische Beschäftigung im regionalen Vergleich 2007 – 2012 — in Prozent


Entwicklung Minijobs Entwicklung Minijobs
Aufstocker Kurzarbeiter
(ausschließlich) (Nebenverdienst)
2012 2012
2007 – 2012 2007 – 2012
Westdeutschland
Kreisfreie Großstädte 27,1 1,9 1,6 22,5
Städtische Kreise 29,2 2,4 –1,7 23,6
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 31,5 2,5 0,1 32,4
Dünn besiedelte ländliche Kreise 31,2 1,4 – 0,8 36,2
Ostdeutschland
Kreisfreie Großstädte 32,3 1,4 – 0,1 32,7
Städtische Kreise 34,9 3,0 –12,1 27,5
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 31,3 4,1 – 8,7 31,3
Dünn besiedelte ländliche Kreise 33,0 2,7 – 5,1 37,0

Datenbasis: INKAR 2014.

u Tab 6  Lebensstandard im regionalen Vergleich 2012


Ein- und
Haushaltseinkommen Arbeitnehmerentgelte Wohnfläche
Zweifamilienhäuser

in Euro je Einwohner in Euro je Arbeitnehmer in % in m²

Westdeutschland
Kreisfreie Großstädte 1735,3 3483,0 64,4 42,2
Städtische Kreise 1805,2 3127,9 85,6 48,5
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 1764,9 2943,5 89,8 50,9
Dünn besiedelte ländliche Kreise 1696,1 2847,8 90,6 52,4
Ostdeutschland
Kreisfreie Großstädte 1451,6 2838,6 57,2 40,9
Städtische Kreise 1467,5 2426,5 77,1 43,7
Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 1488,1 2448,3 83,0 44,3
Dünn besiedelte ländliche Kreise 1471,7 2418,9 87,0 45,2

Datenbasis: INKAR 2014.

hinzugewonnen, mit dem Spitzenreiter Steigerungsraten bis zu 36 % in westdeut- Kreisen in Westdeutschland. In Ost-
Erding in Bayern (35,9 %). u Tab 4 schen und 37 % in ostdeutschen ländli- deutschland waren kaum länderspezi­
Mit diesen Zuwächsen gehen aller- chen Kreisen von 2007 bis 2012 auf. u Tab 5 fische Unterschiede festzustellen; die Ent-
dings auch zunehmende Anteile von atypi- gelte lagen dabei zwischen 2 500 Euro in
scher Beschäftigung in Form von Auf­ 11.3.4 Lebensstandard Brandenburg (durch die Nähe zu Berlin
stockern, Kurzarbeitern und Minijobbern Für die Betrachtung des Lebensstandards bedingt) und 2 450 Euro in Mecklenburg-
einher. So fanden sich 2012 in Ost- werden die Indikatoren Haushalts­e in­ Vorpommern. Nach Kreistypen waren je-
deutschland mit über 33 % generell höhe- kommen und Arbeitnehmerentgelte her- doch erhebliche Divergenzen festzustellen.
re Anteile an sogenannten Aufstockern. angezogen. Bezogen auf die Flächenstaa- Nach wie vor besteht ein ausgeprägtes
In den Kreisen Suhl, Cottbus und Saale- ten liegen diese in Hessen, Baden-Würt- Einkommensge­f älle zwischen West- und
Holzland-Kreis gingen bereits knapp 40 % temberg und Bayern über denjenigen in Ostdeutschland. Bezüglich des Haushalts-
der Bezieher von Arbeitslosengeld II einer den norddeutschen Ländern. Die Arbeit- einkommens fanden sich unter den 50
­finanziell nicht ausreichenden Beschäf­ nehmerentgelte (Bruttolöhne und -gehälter »ärmsten« Kreisen und Kreisregionen
tigung nach, sodass ihr Gehalt aufge- sowie Sozialbeiträge der Arbeitgeber) dif- 41 ostdeutsche Regionen. Demgegenüber
stockt werden musste. Minijobs insgesamt ferierten 2012 um etwa je 600 Euro zwi- war unter den »reichsten« Regionen keine
verloren an Bedeutung, im Nebenver- schen Schleswig-Holstein und Hessen und einzige ostdeutsche zu finden. Erst an 209.
dienst wiesen Minijobs dagegen deutliche zwischen Großstädten und ländlichen Stelle folgte mit dem Kreis Suhl ein ost-

358
Regionale Disparitäten  / 11.3  Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede  / 11

u Tab 7  Zufriedenheiten mit ausgewählten Lebensbedingungen nach Gemeindetypen 2003 und 2012 — Mittelwerte¹

Westdeutschland Ostdeutschland

Groß- Mittel- Größere Kleine Land­ Groß- Mittel- Größere Kleine Land­
stadt stadt Kleinstadt Kleinstadt gemeinde stadt stadt Kleinstadt Kleinstadt gemeinde

Zufriedenheit mit dem Leben

2003 5,3 5,4 5,7 5,3 5,9 5,2 5,2 5,4 5,0 5,1

2012 5,8 5,6 5,8 5,8 5,9 5,4 5,5 5,6 5,6 5,2

Zufriedenheit mit der Stadt /Gemeinde

2003 5,3 5,5 5,5 5,5 5,8 5,3 4,9 5,2 5,0 5,3

2012 5,5 5,6 5,6 5,8 5,9 5,6 5,5 5,7 5,6 5,9

Zufriedenheit mit Wohnumgebung

2003 5,2 5,5 5,8 5,6 6,2 5,5 5,5 5,7 5,5 6,0

2012 5,7 5,7 5,9 5,9 5,9 5,9 5,7 5,9 6,1 6,1

Zufriedenheit mit Umweltbedingungen


(z. B. Lärm)

2003 4,7 5,2 5,5 5,5 6,1 4,9 5,2 5,7 5,4 5,6

2012 5,4 5,5 5,7 5,9 5,9 5,4 5,7 5,7 6,0 6,0

1  Zufriedenheitsskala von 1 (»sehr unzufrieden«) bis 7 (»sehr zufrieden«).


Datenbasis: LebensRäume 2003, 2012; eigene Berechungen.

deutscher Kreis. Die Arbeitnehmerent­ In Bezug auf den Wohnstandard Wohnumgebung und der wahrgenomme-
gelte unterschieden sich entsprechend. ­ olten die ostdeutschen Regionen mit
h nen Umweltbedingungen fand hingegen
Hierbei trat der Unterschied zwischen ­einer durchschnittlichen Wohnfläche von eine Angleichung statt.
West- und Ostdeutschland in den jeweili- 41 bis 45 Quadratmetern deutlich auf, wo- Sowohl in West- als auch in Ost-
gen Kreistypen deutlich stärker hervor als bei die r­ egionsspezifischen Unterschiede deutschland unterscheiden sich die Be-
beim Haushaltseinkommen, das auch 2012 nicht sehr ausgeprägt waren. West- wertung des Wohnortes und die Lebens-
Transferzahlungen berücksichtigt. Ange- deutsche verfügten im Durchschnitt über zufriedenheit nach dem Gemeindetyp.
sichts geringerer Lebenshaltungskosten 47,6 Quadratmeter, wobei sich die im Mit- Ein klares und übergreifendes Muster
auf dem Land bedeuten die nominellen tel größten Wohnungen erwartungsgetreu zwischen den hier betrachteten Raum­
Unterschiede jedoch keine gleich starke in den ländlichen Kreisen fanden. typen lässt sich allerdings nicht fest­
Reduktion der Kaufkraft. u Tab 6 stellen. Dass die Umweltbedingungen vor
Bei der Untersuchung der Haushalts- 11.3.5 Bewertung der räumlichen ­a llem in Großstädten zurückhaltend be-
einkommen in den einzelnen Kreisen Lebensbedingungen wertet wurden, ist nachvollziehbar. In
fällt auf, dass sich am oberen Ende der Der objektive Lebensstandard kommt beiden Landesteilen erhielten die kleinen
Rangfolge seit 15 Jahren dieselben Kreise auch in der Zufriedenheit der Bürger Gemeindetypen und ihre Umweltbedin-
befinden. Die höchsten Einkommen zum Ausdruck. So findet auch das Gefälle gungen die besten Bewertungen. Die
­haben die Haushalte in den Landkreisen in den hier vorgestellten Regionstypen Überschaubarkeit und geringere Belas-
Heilbronn, Starnberg und München. Bis seinen Niederschlag im subjektiven tung im Alltag gelten üblicherweise als
auf einige Ausnahmen bleiben auch die Wohlbefinden. In Tabelle 7 werden dazu Vorteile für das Alltagsleben in kleinen
Strukturen am unteren Ende der Rang- Zufriedenheitsbewertungen hinsichtlich Kommunen. Im Kontrast hierzu steht je-
folge erhalten. Weimar und Vorpommern- ausgewählter Lebensbedingungen nach doch die geringe Lebenszufriedenheit in
Greifswald weisen seit Jahren bundes- fünf grundlegenden Raumtypen von der den ländlichen Gemeinden Ostdeutsch-
weit die geringsten Haushaltseinkom- Großstadt bis zur Landgemeinde prä­ lands, die zusammenfassend den Lebens-
men auf. Dabei sind besonders hohe sentiert. Ostdeutsche Bürgerinnen und standard und das Wohlbefinden misst. Es
Zuwächse bei den Haushaltseinkommen ­B ürger bewerteten in den Jahren 2003 kann angenommen werden, dass sich die
in den Kreisen zu verzeichnen, die ohne- und 2012 ihre Lebensqualität und ihren oben beschriebenen Struktur- und Aus-
hin die höchsten Haushaltseinkommen Wohnort fast durchweg kritischer als stattungsprobleme negativ auf das subjek-
aufweisen. Westdeutsche, bei der Bewertung der tive Wohlbefinden auswirken. u Tab 7

359
21 €
53 %
gaben 2013 Haushalte von Personen
zwischen 70 und 79 Jahren monatlich für
Blumen und Gärten aus. Junge Haushalte
zwischen 18 und 24 Jahren zahlten dafür
hingegen nur 4 Euro im Durchschnitt.

der erwerbstätigen Väter wünschten


sich 2012/2013 weniger Arbeit.

33 Min.
wurden 2012/2013 pro Tag für
Aktivitäten am Computer und
Smartphone aufgewendet.

30 %
der Bevölkerung ab 16 Jahre
engagierten sich 2013 ehren-
amtlich. 9,6 %
der Deutschen waren
2012 Religion und Kirche
sehr wichtig.
12
Zeitverwendung und
­gesellschaftliche Partizipation
12.1 »Mehr Zeit für das Wesentliche« ist ein
Wunsch, den man immer öfter hört. Viele
in Abschnitt 12.1.1 die Zeitverwendungs-
erhebung nach, die nunmehr zum dritten
Zeitverwendung Menschen fühlen sich in ihrem Alltag ge- Mal in etwa zehnjährigen Abständen
und Ausgaben für stresst oder gehetzt, egal ob G8-Schüler,
berufstätige Eltern oder Manager. Er-
durchgeführt wurde. Für viele Menschen
gehören der Urlaub und die Freizeit zur
Freizeitaktivitäten werbstätige haben oft das Gefühl, über zu schönsten Zeit. Im Abschnitt 12.1.2
wenig Zeit zu verfügen. Menschen, die ­werden die privaten Ausgaben für Frei-
nicht oder nicht mehr erwerbstätig sind, zeitaktivitäten in den Blick genommen,
Kristina Kott, Carola Kühnen,
suchen oft einen sinnvollen Zeitvertreib. die aus der Einkommens- und Verbrauchs-
Lucia Maier
Für die individuelle und gesellschaftliche stichprobe (EVS) hervorgehen: Wie hoch
Lebensqualität ist die Verfügbarkeit von sind die Ausgaben für Freizeitaktivitä-
Destatis Zeit ein wichtiger Indikator. ten? Wofür wird das Geld ausgegeben?
Wie verwenden die Menschen in Gibt es Unterschiede zwischen den einzel-
Deutschland ihre Zeit? Dieser Frage geht nen Haushaltstypen?

u Info
Urlaub
Nach dem Bundesurlaubsgesetz steht allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland ein
­gesetzlicher Mindesturlaub von 24 Werktagen (vier Wochen) zu. In den Tarifverträgen sind jedoch meist
längere Zeiten vereinbart. Im Jahr 2014 lag die tariflich vereinbarte Urlaubsdauer im früheren Bundes­
gebiet durchschnittlich bei 31 und in den neuen Ländern bei 30 Arbeitstagen. Dabei werden fünf Arbeits-
tage pro Woche zugrunde gelegt. Im Jahr 2014 hatten 75 % aller Tarifbeschäftigten im f­rüheren Bundes-
gebiet und 64 % in den neuen Ländern und Berlin Anspruch auf sechs oder mehr ­Wochen Urlaub.

u Info Tab  Tariflich erfasste Arbeitnehmer /-innen nach Urlaubsdauer — in Prozent

Früheres Bundesgebiet Neue Länder und Berlin-Ost

1995 2014 1995 2014

4 bis unter 5 Wochen 1 4 2 5

5 bis unter 6 Wochen 20 21 51 31

6 oder mehr Wochen 79 75 47 64

Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

361
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

u Info 1 u Abb 1  Durchschnittliche Zeitverwendung 2012/2013 — in Stunden je Tag


Zeitverwendungserhebung 2012/2013
Die Zeitverwendungserhebung 2012/2013 sonstiges
wurde vom Statistischen Bundesamt in
00:17
Zusammen­a rbeit mit den Statistischen
­Ä mtern der Länder in schriftlicher Form Schlafen und
durchgeführt. Von August 2012 bis Juli 2013 Körperpflege
wurden etwa 5 000 Haushalte mit rund Freizeit
09:31
11 000 Personen ab zehn Jahren auf freiwilli-
05:57
ger Basis nach ihrer Zeitverwendung befragt.
Die Stichprobenauswahl erfolgte nach einem
Quotenverfahren. In einem Tagebuch doku-
unbezahlte Arbeit
mentierte jede Person an drei vorgegebenen
Tagen (zwei Wochentage und ein Wochen- 03:18
endtag) in 10-Minuten Schritten, welche Essen
Haupt- und Nebentätigkeit ausgeübt wurde.
01:41
Auch Wegezeiten und die dafür verwendeten Erwerbstätigkeit und Bildung
Verkehrsmittel waren einzutragen. Zusätzlich 03:16
gaben die Befragten durch einfaches An-
kreuzen an, mit wem die Zeit verbracht
­w urde. Jeder Anschreibetag schloss mit
­Fragen zur ­s ubjektiven Einschätzung des
konkreten Tagesverlaufs. Hier gaben die u Abb 2  Zeitverwendung im Tagesverlauf 2012/2013 — in Prozent
­B efragten an, welche T­ ätigkeiten die größte,
welche keine Freude ­g emacht hatten und
wofür sie sich mehr Zeit gewünscht hätten. 100
Um die vielen verschiedenen Tagebuch­ein­
tragungen für die Datenauswertung zu ver-
einheitlichen, wurde ein Aktivitätenverzeichnis
mit 165 verschiedenen Aktivitäten für die 80
­D atenerfassung genutzt.

60
Durchschnittliche Zeitverwendung 2012/2013 - in Stunden je Tag

40

20

0
12.1.1 Zeitverwendung 4:00 6:00 8:00 10:00 12:00 14:00 16:00 18:00 20:00 22:00 24:00
Im Alltag stellt sich oftmals das Gefühl
ein, dass die Zeit nur so fliegt. Das ist erst Schlafen /Körperpflege Essen Arbeit/Bildung Freizeit
einmal ein subjektiver Eindruck. Kann
man auch objektiv messen, wie die Zeit
vergeht? Dazu liefert die Zeitverwen-
dungserhebung 2012/2013 umfangreiche
Daten. u Info 1
Nachfolgend werden einige besonders Bildung und unbezahlter Arbeit. Ein de über Werktage und Wochenenden
interessante Ergebnisse zu den Themen be- weiteres Viertel des Tages verging mit -hinweg gebildet. u Abb 1
zahlte und unbezahlte Arbeit, Kinderbetreu- verschiedenen Freizeitaktivitäten. Knapp Die Zeitverwendung unterscheidet
ung, ehrenamtliches oder freiwilliges En- die Hälfte des Tages nahmen persön­l iche sich nach Tageszeit. Zwischen 9 und
gagement, Bildung und Freizeit aufgezeigt. Grundbedürfnisse wie Schlafen, Essen 12:30 Uhr gingen mehr als die Hälfte der
und Körperpflege ein. Bei diesen Zeitan- Personen Bildungsaktivitäten nach, leiste-
Zeitverwendung im Überblick gaben ist zu berücksichtigen, dass es sich ten Erwerbsarbeit oder unbezahlte Arbeit.
Etwa ein Viertel eines durchschnittlichen um Mittelwerte für Jung und Alt, Män- Im Laufe des Nachmittags nahm der An-
Tages verbrachten Personen ab zehn Jah- ner und Frauen, Erwerbstätige und Ar- teil langsam ab und lag um 18 Uhr noch
ren in Deutschland mit Erwerbsarbeit, beitslose handelt. Der Durchschnitt wur- bei gut einem Drittel. Gegen Abend leiste-

362
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

u Abb 3  Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Personen ab 18 Jahren — und Wegen zur Arbeit. Den größeren An-
in Stunden je Woche teil machte jedoch mit 24,5 Stunden die
unbezahlte Arbeit aus. Diese umfasst ne-
ben Tätigkeiten der Haushaltsführung
2012/2013
wie Kochen, Waschen, Einkaufen und
insgesamt 20:35 24:32 45:06 Gartenarbeit auch die Betreuung und
Pf lege von Kindern und anderen Haus-
25:13 19:21 44:34
haltsmitgliedern sowie ehrenamtliches
Männer
oder freiwilliges Engagement und Unter-
stützung von Personen, die nicht im
Frauen 16:09 29:29 45:38
Haushalt leben. Im Vergleich zu 2001/
2002 wurde 2012/2013 mehr Erwerbs­
arbeit und weniger unbezahlte Arbeit ge-
2001/2002
leistet. Gleichzeitig erledigten zunehmend
insgesamt 18:48 27:03 45:51 haushaltsfremde Personen Bereiche der
unbezahlten Arbeit – zum Beispiel Kinder-
Männer 24:44 20:41 45:25 betreuung oder Reinigung der Wohnung.
Frauen ab 18 Jahren arbeiteten mit rund
Frauen 13:19 32:56 46:15
45,5 Stunden in der Woche nach wie vor
länger als Männer (44,5 Stunden). Dieser
Unterschied zwischen Frauen und Män-
Erwerbsarbeit unbezahlte Arbeit
nern vergrößerte sich im Vergleich zur
vorangegangenen Erhebung 2001/2002
noch leicht. Der Anteil der unbezahlten
Arbeit sank allerdings leicht bei beiden
uTab 1  Unbezahlte Arbeit von Personen ab 18 Jahren nach Arbeitsbereichen
Geschlechtern. u Abb 3
— in Stunden je Woche
Die unbezahlte Arbeit hatte bei Frauen
Männer Frauen einen fast doppelt so hohen Anteil am ge-
2001/2002 2012/2013 2001/2002 2012/2013 samten Pensum wie die bezahlte Arbeit.
Insgesamt 20:41 19:21 32:56 29:29 Allerdings hat sich bei ihnen in den letz-
 Küche 02:57 03:00 08:10 06:54 ten elf Jahren die Dauer der Erwerbsarbeit
 Putzen  /  Waschen 02:30 02:46 08:22 06:55 von gut 13 Stunden auf etwas über
 Garten  /  Handwerk 04:43 03:42 02:58 02:47 16 Stunden erhöht und die Dauer der un-
 Einkaufen  /  Haushaltsorganisation 04:23 04:52 05:33 06:07 bezahlten Arbeit sank noch deutlicher:
 B etreuung  /  P flege von
01:10 01:07 02:50 02:25 von 33 Stunden auf 29,5 Stunden. Dies lag
Haushaltsmitgliedern
insbesondere an einem reduzierten Zeit-
 E hrenamt  /  Unterstützung
anderer Haushalte
02:01 01:47 01:42 01:42 aufwand für hauswirtschaftliche Auf­
 Wege 02:57 02:07 03:21 02:39 gaben wie Kochen, Putzen und Wäsche
waschen. Frauen wendeten pro Woche
über 2,5 Stunden weniger Zeit für die Zu-
bereitung von Mahlzeiten, die Reinigung
der Wohnung, Textilpflege und ähnliches
ten viele allerdings weiterhin unbezahlte schäftigten sich mehr als zwei Drittel der auf als elf Jahre zuvor. Auch Männer ab
Arbeit, sodass die Beteiligung an Arbeit Personen mit Freizeitaktivitäten. u Abb 2 18 Jahren waren ebenfalls länger erwerbs­
und Bildung erst nach 21 Uhr bei unter tätig als vor elf Jahren. Bei ihnen betrug
10 % lag. Die Zeitverwendung für Freizeit Bezahlte und unbezahlte Arbeit der Anstieg allerdings nur etwa eine halbe
nahm dagegen im Laufe des Tages zu. Ab Für die Erwerbstätigkeit werden Men- Stunde. Ihr Zeitaufwand für unbezahlte
16:30 Uhr lag sie bei 40 % und mehr, ab schen ab 18 Jahren betrachtet. Sie leiste- Arbeit war dafür um 1 Stunde und 20 Mi-
17:30 Uhr dominierten Freizeitaktivitä- ten in Deutschland pro Woche durch- nuten gesunken. Beispielsweise verbrach-
ten wie Fernsehen, Sport und soziale schnitt lich gut 45 Stunden Arbeit. ten sie pro Woche eine Stunde weniger
Kontakte im Vergleich zu Arbeit und ­D arunter fiel mit 20,5 Stunden die Er- mit Gartenarbeit und handwerklichen
­Bildung. Zwischen 20 und 22 Uhr be- werbsarbeit einschließlich Arbeitsuche ­Tätigkeiten.  u Tab 1

363
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

u Abb 4  Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Personen zwischen Betrachtet man Erwachsene im Er-
18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche werbsalter (18 bis 64 Jahre) in Haushalten
mit und ohne Kind, so zeigt sich ein hete-
rogenes Bild: Während Menschen in
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern) Haushalten ohne Kind durchschnittlich
48,5 Stunden pro Woche bezahlte und
insgesamt 26:32 31:42 58:14
unbezahlte Arbeit leisteten, waren es bei
Alleinerziehenden und Paaren mit
Männer 37:17 22:09 59:26
Kind(ern) knapp 10 Stunden mehr. Dies
ergab sich vorrangig durch ein um 10,5
Frauen 17:22 39:50 57:12 Stunden höheres Pensum an unbezahlter
­A rbeit – schließlich fallen zusätzliche
Aufgaben wie Kinderbetreuung an, und
Alleinlebende und Paare ohne Kind die Haushaltsführung erfordert in einem
größeren Haushalt ebenfalls mehr Zeit.
insgesamt 27:15 21:18 48:34
Auffallend ist, dass Väter in Haushalten
mit Kind(ern) gut 2 Stunden pro Woche
Männer 30:00 18:04 48:04
mehr arbeiteten als Mütter. In Haushalten
ohne Kind arbeiteten hingegen Frauen
Frauen 24:18 24:47 49:05
1 Stunde mehr als Männer.
Männer verbrachten 62 % der Arbeits-
Erwerbsarbeit unbezahlte Arbeit zeit mit Erwerbsarbeit, aber nur 38 % mit
unbezahlter Arbeit – unabhängig davon,
ob sie ein Kind in ihrem Haushalt groß
zogen oder nicht. Mit einem höheren
­G esamtpensum an Arbeit geht also für
u Tab 2  Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Alleinerziehenden und
Männer mit Kind(ern) auch mehr Er-
Paaren mit Kind(ern) zwischen 18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche
werbsarbeit einher. Dies liegt zum einen
Insgesamt Männer Frauen an unterschiedlichen Altersstrukturen
der Haushalte, zum anderen müssen in
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern), jüngstes Kind unter 6 Jahren
Haushalten mit Kind(ern) mehr Personen
Arbeit insgesamt 61:14 62:56 59:43 finanziert werden und die Mütter sind
 Erwerbsarbeit 25:39 38:46 13:47 seltener vollzeiterwerbstätig. Frauen
 Unbezahlte Arbeit 35:35 24:09 45:56 ohne Kind wendeten je die Hälfte ihres
Arbeitspensums für Erwerbsarbeit und
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern), jüngstes Kind 6 bis unter 18 Jahren
unbezahlte Arbeit auf. Mütter verwende-
Arbeit insgesamt 56:06 56:49 55:31
ten dagegen nur 30 % für bezahlte Arbeit
 Erwerbsarbeit 27:09 36:11 19:48 und erledigten zu 70 % unbezahlte Arbei-
 Unbezahlte Arbeit 28:57 20:38 35:43 ten. u Abb 4
Je nach Alter eines Kindes fallen un-
terschiedliche Arbeiten im Haushalt an
u Tab 3  Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Müttern zwischen und es wird mehr oder weniger Zeit für
18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche diese Aufgaben benötigt. Hatten Eltern
Mütter in Paarhaushalten Alleinerziehende Mütter
ein Kind unter sechs Jahren, arbeiteten
sie pro Woche insgesamt gut 5 Stunden
Arbeit insgesamt 57:48 54:12
mehr als wenn ihr jüngstes Kind zwi-
 Erwerbsarbeit 17:01 19:11 schen 6 und 18  Jahre alt war. Bei den
 Unbezahlte Arbeit 40:48 35:00 ­V ätern betrug der Unterschied sogar
6 Stunden: Sie leisteten 3,5 Stunden mehr
­u n­b ezahlte Ar­b eit und gleichzeitig 2,5
Stunden mehr Erwerbs­a rbeit, wenn sie
ein Kind unter sechs Jahren hatten. Mütter

364
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

Abb 5 Einschätzung von Vätern und Müttern zwischen 18 und 64 Jahren, ob Zeit für Kinder oder
Hausarbeit ausreicht 2012/2013 - in Prozent
u Abb 5  Einschätzung von Vätern und Müttern zwischen 18 und 64 Jahren, fügige Unterschiede zwischen den Ge-
ob Zeit für Kinder oder Hausarbeit ausreicht 2012/2013 — in Prozent schlechtern. Je ein Viertel der Väter und
Mütter fanden, für diesen Bereich der un-
Zeit für Kinder
bezahlten Arbeit nicht ausreichend Zeit
zu haben.u Abb 5
Väter 31,9 32,0 36,1 Bei der Erwerbstätigkeit gingen die
Ansichten auseinander: 7 % der erwerbs-
Mütter 18,7 29,4 51,9
tätigen Väter und 28 % der erwerbstäti-
gen Mütter wünschten sich mehr Zeit
für Erwerbsarbeit. Jeder zweite erwerbs-
Zeit für Hausarbeit
tätige Vater und jede vierte erwerbstätige
Mutter wünschte sich hingegen, weniger
Väter 27,8 36,3 35,9
Zeit damit zu verbringen. u Abb 6
Mütter 25,4 33,3 41,3
Kinderbetreuung
Im Durchschnitt verbrachten Väter und
nicht ausreichend teils/teils ausreichend Mütter 1 Stunde und 20 Minuten pro Tag
mit der Betreuung von Kindern unter
18 Jahren als Hauptaktivität; Mütter mit
1 Stunde und 45 Minuten etwa doppelt so
u Abb 6  Gewünschte Zeit für Erwerbsarbeit von erwerbstätigen Vätern und Müttern viel wie Väter mit 51 Minuten. Am meis-
zwischen 18 und 64 Jahren 2012/2013 — in Prozent ten Zeit investierten Eltern für die Kör-
perpf lege und die Beaufsichtigung der
Kinder, aber auch für Fahrten zur Schule
und das Begleiten zu Freizeitaktivitäten
erwerbstätige Väter 52,7 40,5 6,8 wie beispielsweise dem Fußballtraining.
Darüber hinaus machten auch Spiel und
erwerbstätige Mütter 26,5 45,3 28,2 Sport mit Kindern einen großen Teil des
Zeitaufwands für Kinderbetreuung aus.
Betrachtet man Väter sowie erwerbs-
weniger Arbeit gewünscht gleich viel Arbeit gewünscht mehr Arbeit gewünscht tätige und nicht erwerbstätige Mütter als
drei getrennte Gruppen, so zeigt sich,
dass alle Eltern mehr als ein Drittel ihrer
Zeit für Kinderbetreuung mit Beaufsich-
tigung und Pflege verbrachten. Daneben
entfiel bei allen Eltern etwa ein Viertel
verbrachten dagegen 10  Stunden mehr (beispielsweise Kinderbetreuung und Ko- der Kinderbetreuungszeit auf das Beglei-
mit unbezahlter Arbeit und 6 Stunden chen) parallel erledigen. Außerdem sind ten, auf Fahrdienste und Termine im
weniger mit Erwerbsarbeit, wenn ihr Haushalte von Alleinerziehenden in der ­Zusammenhang mit dem Kind. Bei Vä-
Kind noch nicht zur Schule ging. u Tab 2 Regel kleiner.u Tab 3 tern standen Spielen und sportliche Akti-
Auch die Frage, ob eine Mutter ihr Neben der tatsächlichen Zeitverwen- vitäten aber noch stärker im Fokus, denn
Kind gemeinsam mit einem Partner dung für bezahlte und unbezahlte Arbeit diese Tätigkeiten machten ein Drittel ih-
großzieht oder alleinerziehend ist, wirkt ist es interessant, inwiefern Menschen rer Zeit aus.
sich auf das Arbeitspensum aus. Mütter mit dieser Situation zufrieden sind. Nicht erwerbstätige Mütter verbrach-
in Paarhaushalten arbeiteten pro Woche ­Daher enthielt die Zeitverwendungserhe- ten knapp doppelt so viel Zeit mit der
insgesamt 3,5 Stunden mehr als Alleiner- bung 2012/2013 auch Fragen zum subjek- Kinderbetreuung wie Mütter, die be­
ziehende, verbrachten aber gut 2 Stunden tiven Zeitempfinden. Danach waren 32 % zahlte Arbeit leisteten. Bei der Beaufsich-
weniger mit Erwerbsarbeit. Mögliche der Väter und 19 % der Mütter in Allein- tigung war der Unterschied besonders
Gründe für die deutliche Differenz von erziehenden- und Paarhaushalten mit groß: Erwerbstätige beschäftigten sich
über 5 Stunden bei den unbezahlten Ar- Kind(ern) der Meinung, nicht ausrei- damit 28 Minuten pro Tag, nicht er-
beiten könnten darin liegen, dass Allein- chend Zeit für ihre Kinder zu haben. Bei werbstätige Mütter 1 Stunde und 14 Mi-
erziehende in höherem Maße Aufgaben der Hausarbeit gab es dagegen nur gering- nuten. u Tab 4

365
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

u Tab 4  Zeitaufwand für Kinderbetreuung in Alleinerziehenden- und Paarhaushalten 2012/2013 — in Stunden je Tag

Mütter
Insgesamt Väter
zusammen nicht erwerbstätig erwerbstätig
Abb 7 Zeitaufwand für Kinderbetreuung von Vätern und Müttern nach Alter des jüngsten Kindes
Kinderbetreuung insgesamt 01:20 00:51 01:45 02:35 01:21
2012/2013 - in Minuten je Tag
 Beaufsichtigung und Körperpflege 00:31 00:17 00:43 01:14 00:28

 Hausaufgabenbetreuung 00:05 00:02 00:07 00:09 00:06

 Spielen und Sport 00:18 00:16 00:19 00:28 00:15

 Gespräche und Vorlesen 00:06 00:03 00:08 00:09 00:08

 Begleiten und Wege 00:19 00:11 00:26 00:33 00:22

 Sonstiges 00:01 (00:01) 00:02 (00:02) (00:02)

( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.

u Abb 7  Zeitaufwand für Kinderbetreuung von Vätern und Müttern nach Alter des jüngsten Kindes 2012/2013 — in Minuten je Tag

Jüngstes Kind
unter 6 Jahren 61 36 25 7 3 (1)

Jüngstes Kind 6 10 5 15 5 6 1
bis unter 18 Jahren

Beaufsichtigung und Körperpflege Spielen und Sport Begleiten und Wege


Gespräche und Vorlesen Hausaufgabenbetreuung/ Sonstiges
Anleitungen geben

( )  Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.

u Tab 5  Zeitaufwand für Kinderbetreuung in Alleinerziehenden- und Paarhaushalten


nach Alter des jüngsten Kindes — in Stunden je Tag

Insgesamt Väter Mütter

2001/2002 2012/2013 2001/2002 2012/2013 2001/2002 2012/2013

Jüngstes Kind unter 6 Jahren

Kinderbetreuung insgesamt 02:01 02:13 01:10 01:22 02:46 02:59

 Beaufsichtigung und Körperpflege 00:59 01:01 00:27 00:32 01:28 01:26

 Spielen und Sport 00:32 00:36 00:28 00:31 00:35 00:40

 Begleiten und Wege 00:19 00:25 00:09 00:12 00:29 00:36

Jüngstes Kind 6 bis unter 18 Jahren

Kinderbetreuung insgesamt 00:34 00:43 00:20 00:28 00:47 00:55

 Beaufsichtigung und Körperpflege 00:08 00:10 00:04 00:07 00:12 00:13

 Spielen und Sport 00:04 00:05 00:04 00:05 00:04 00:05

 Begleiten und Wege 00:12 00:15 00:07 00:10 00:16 00:19

366
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

u Tab 6  Kinderbetreuung von Vätern und Müttern als Haupt- und Nebenaktivität 2012/2013

Mütter

Insgesamt Väter in Paarhaushalten in Alleinerziehendenhaushalten


insgesamt nicht nicht
erwerbstätig erwerbstätig
erwerbstätig erwerbstätig
Insgesamt in Stunden je Tag 02:05 01:17 02:45 04:03 02:12 03:40 02:06

 Hauptaktivität in Stunden je Tag 01:20 00:51 01:45 02:43 01:24 01:59 01:07

 Nebenaktivität in Stunden je Tag 00:45 00:27 01:01 01:20 00:48 01:41 00:58

Anteil Hauptaktivität an insgesamt in % 64 66 64 67 64 54 53

u Abb 8  Zeitaufwand für Kinderbetreuung von Vätern und Müttern in Alleinerziehen-


den- und Paarhaushalten nach Wochentag 2012/2013 — in Stunden je Tag
Betreuungszeit erledigten sie als Haupt-
aktivität, und zwar unabhängig davon,
00:45 ob sie erwerbstätig waren oder nicht. Bei
Väter
01:03 Müttern und Vätern in Paarhaushalten
mit Kind(ern) waren es dagegen zwei
01:53 Drittel. u Tab 6
Mütter
01:26
Bei einer getrennten Betrachtung von
Wochentagen zeigen sich zusätzliche Un-
Montag–Freitag Samstag / Sonntag / Feiertag
terschiede zwischen den Geschlechtern:
Väter verbrachten an Wochenenden und
Feiertagen 18 Minuten mehr mit der Be-
treuung ihrer Kinder als unter der Woche,
während es bei Müttern 27 Minuten we-
niger waren. Damit ist der Unterschied
zwischen dem Zeitaufwand von Vätern
Mit dem Alter des Kindes variierte mehr bei der Beaufsichtigung und und Müttern am Wochenende deutlich
natürlich die Betreuung in ihrer Intensität Körper­pflege. Mütter verwendeten etwas geringer als werktags. Zu berücksichti-
und hatte unterschiedliche Schwerpunkte. mehr Zeit auf das Spielen mit ihren gen ist aber, dass am Wochenende mehr
Eltern mit einem Kind unter sechs Jahren ­K indern als elf Jahre zuvor. Der Zeitauf- Tätigkeiten ausgeübt werden, bei denen
verwendeten dreimal so viel Zeit für Kin- wand für Begleiten, Fahrdienste und es sich zwar nicht explizit um Kinder­
derbetreuung wie Eltern, deren jüngstes ähnliches hat bei beiden Geschlechtern betreuung handelt, die Kinder aber mit
Kind zwischen 6 und 17 Jahre alt war. zugenommen. u Tab 5 einbezogen werden, wie etwa gemeinsa-
Dies galt für Väter und sowohl für er- Kinderbetreuung läuft oft nebenbei, me Ausflüge. u Abb 8
werbstätige als auch für nicht erwerbstäti- etwa während der Hausarbeit oder beim
ge Mütter. Sobald das jüngste Kind im Essen. Typische Beispiele dafür sind die Ehrenamtliches und freiwilliges
schulpf lichtigen Alter war, reduzierten Beaufsichtigung von Kindern oder Engagement
sich Betreuungsaufgaben wie Beaufsichti- ­G espräche. Berücksichtigt man diese Neben der Hausarbeit und der Betreuung
gung, Körperpflege und Spielen. Entspre- ­z usätzlichen Zeiten, so erhöht sich der der Familie gehört auch das ehrenamt­
chend nahmen Begleiten und Wegezeiten, durchschnittliche Zeitaufwand für die liche oder freiwillige Engagement zu den
Unterstützung bei den Hausaufgaben und Kinderbetreuung um 45 Minuten auf unbezahlten Arbeiten. Insgesamt waren
Gespräche mehr Raum ein. u Abb 7 2  Stunden und 5 Minuten. Bei Müttern 40 % der Bevölkerung ab zehn Jahren
Im Vergleich zu 2001/2002 beschäf- steigt der Aufwand dabei um 1 Stunde, ­e hrenamtlich oder freiwillig engagiert.
tigten sich Eltern 2012/2013 täglich etwa bei Vätern um rund 0,5 Stunden. Eine Der Anteil war bei Frauen (40 %) und
10 Minuten mehr mit der Betreuung von weitere Differenzierung nach Haushalts­ Männern (41 %) praktisch gleich hoch.
Kindern unter 18 Jahren. Dies galt so- typen zeigt, dass alleinerziehende Mütter Die Bereiche des Engagements sind
wohl für Väter als auch für Mütter. einen deutlich größeren Anteil ihrer vielfältig: Sie beginnen bei Aktivitäten,
In Haushalten mit Kindern unter sechs ­B etreuungsaufgaben »nebenher laufen die im Zusammenhang mit Kindern und
Jahren engagierten sich Väter 2012/2013 ließen«. Nur gut die Hälfte der gesamten Jugendlichen stehen, etwa als Elternver-

367
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

u Abb 9  Anteil von Personen ab zehn Jahren, die sich ehrenamtlich oder treter in Kindergarten und Schule, als
freiwillig engagieren, nach ausgewählten Bereichen 2012/2013 — in Prozent Leiterin einer Jugendgruppe oder als
Trainer im Sportverein. Sie umfassen
auch die Unterstützung von Älteren,
Abb 9 Anteil von Personen, die sich ehrenamtlich oder freiwillig engagieren, nach ausgewählten
Kranken und Menschen in Not, etwa bei
Sport Bereichen 2012/2013 - in Prozent 6,4
9,9 einer Hilfsorganisation, einer Senioren-
Kirche und religiöse 12,5
oder Behindertengruppe, beim Rettungs-
Gemeinschaften 8,9 dienst oder bei der freiwilligen Feuerwehr.
Darüber hinaus sind Interessenvertre-
sozialer Bereich 8,5
6,0 tungen im politischen oder beruflichen
Bereich, ehrenamtliche Aktivitäten im
Kultur / Musik 6,3
5,6 Freizeitbereich bei Kultur und Musik so-
wie Tätigkeiten im kirchlichen und reli-
Rettungsdienst / 1,5
Feuerwehr 5,1
giösen Umfeld eingeschlossen.
Männer engagierten sich am häufigs-
2,6
Politik
4,6
ten beim Sport oder im kirchlichen be-
ziehungsweise religiösen Bereich. Frauen
Schule / Kindergarten 8,6 bevorzugten religiöses Engagement, ge-
4,0
folgt von Tätigkeiten in Schule oder
3,2 ­K indergarten oder Aufgaben im sozialen
Umwelt- / Tierschutz
3,5
Bereich. u Abb 9
Im Vergleich zu 2001/2002 nahm das
Frauen Männer
ehrenamtliche oder freiwillige Engage-
ment in einigen Bereichen ab. So sank
Mehrfachnennung möglich.
beispielsweise der Anteil engagierter Per-
sonen bei Kultur und Musik, also etwa in
einer Theatergruppe oder einem Gesang-
u Abb 10  Anteil von Personen ab zehn Jahren, die sich ehrenamtlich oder
verein, um fast die Hälfte auf knapp 6 %.
freiwillig engagieren, nach ausgewählten Bereichen — in Prozent
Bei Sport, kirchlichem beziehungsweise
religiösem Engagement und Politik wa-
ren die Rückgänge mit weniger als 1 Pro-
Kirche und religiöse 10,7
Gemeinschaften
zentpunkt moderater. Diese Entwicklung
11,5
lässt sich möglicherweise dadurch erklä-
8,1 ren, dass Frauen zunehmend Zeit mit
Sport
8,7
Erwerbs­a rbeit verbrachten und so weni-
sozialer Bereich
7,3 ger Spielraum hatten, sich ehrenamtlich
5,8
zu engagieren. Gleichzeitig engagierten
Schule / Kindergarten
6,3 sich mit 6 % mehr Personen als vor elf
4,9
Jahren in Schule oder Kindergarten, etwa
5,9 als Elternvertreter oder in einem Förder-
Kultur/ Musik
10,2 verein. Ein möglicher Grund dafür ist,
3,6 dass Kinder immer mehr Zeit in Bil-
Politik
4,4 dungs- und Betreuungseinrichtungen
3,3 verbringen und es für Eltern wichtig ist,
Umwelt- / Tierschutz
2,5 diese mitzugestalten. Auch im sozialen
Rettungsdienst / 3,2
Bereich, also zum Beispiel bei Wohl-
Feuerwehr 3,1 fahrtsverbänden oder anderen Hilfsorga-
nisationen, hat die ehrenamtliche Arbeit
2012/2013 2001/2002 zugenommen und lag bei 7 %. u Abb 10
Die Zeit, die freiwillig Engagierte für
Mehrfachnennungen möglich. ihre Tätigkeiten aufwendeten, war nicht
unerheblich: Die Hälfte dieser Personen

368
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

brachte sechs oder mehr Stunden pro u Abb 11  Ehrenamtlich oder freiwillig engagierte Personen ab zehn Jahren
Monat dafür auf. Dabei ist ein Unter- nach Zeitaufwand für das Engagement 2012/2013 — in Prozent
schied zwischen den Geschlechtern zu
beobachten: Männer investierten mehr
Zeit in ihr Ehrenamt als Frauen. u Abb 11 30,0
1–2
24,8

Bildung
24,6
Erwartungsgemäß war der durchschnitt- 3–5
22,0
liche tägliche Bildungsaufwand für Per-
sonen von 10 bis 17 Jahren mit fast vier 19,7
6–10
Stunden am höchsten. Hierbei wurden 23,2
auch Ferien- und Wochenendtage sowie
Wegezeiten einbezogen. Bei Erwachsenen 25,7
11 und mehr
30,0
nahm der Zeitaufwand für Bildung mit
zunehmendem Alter ab. u Tab 7
Lässt man Wochenenden und Feier­ Stunden je Monat Frauen Männer

tage unberücksichtigt, so lag die Zeitver-


wendung für Bildung und Lernen von
Personen zwischen 10 und 17 Jahren sogar
bei 5 Stunden und 15 Minuten. Am Wo- uTab 7  Zeitaufwand für Bildung und Lernen nach Altersklassen 2012/2013
chenende und an Feiertagen verbrachten — in Stunden je Tag
sie 37 Minuten pro Tag mit Bildungsakti- Durchschnittlicher Zeitaufwand
vitäten. Auch bei den 18- bis 29-Jährigen
je Tag, je Tag,
lag der Zeitaufwand für Bildungsakti­ je Tag nur Montag nur Wochenende
vitäten unter der Woche mit 1 Stunde bis Freitag und Feiertage
und 36 Minuten deutlich höher als am Insgesamt 00:34 00:45 00:10
Wochenende (31 Minuten). im Alter von … bis … Jahren
Schülerinnen und Schüler ab zehn
10–17 03:48 05:15 00:37
Jahren an allgemeinbildenden Schulen
18–29 01:15 01:36 00:31
haben im Durchschnitt knapp 32 Unter-
richtsstunden pro Woche. Zusätzlich 30–44 00:09 (00:11) (00:06)

wendeten sie im Durchschnitt knapp 45–64 00:04 (00:04) (00:03)

1  Unterrichtsstunde pro Woche für Ar- 65 und älter 00:01 (00:02) /


beitsgemeinschaften (AG) auf. Insgesamt
( ) Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist.
besuchten in dieser Altersklasse mehr / Keine Angabe, da Zahlenwert nicht sicher genug.

Schülerinnen (42 %) als Schüler (31 %)


eine AG. Schülerinnen und Schüler im
achtjährigen Gymnasium (G8) hatten mit
fast 33 Unterrichtsstunden pro Woche
am meisten Unterricht. Grundschüler sogar 84 % der Schulkinder unter zehn von Tagesmüttern, Verwandten, Freun-
unter zehn Jahren absolvierten dagegen Jahren. Die häufigsten Freizeitaktivitäten den oder Nachbarn betreut. Bei den
nur knapp 25 Schulstunden pro Woche. waren hier Angebote aus dem Bereich ­u nter 3-Jährigen lag die durchschnitt­
Rund 72 % der Schulkinder unter Sport (72 %) und kulturelle Angebote liche Betreuungszeit bei 26 Stunden pro
zehn Jahren nahmen über den Unterricht (Musik / Singen 32 %, Tanzen / Theater Woche, bei den 3- bis 5-Jährigen waren
hinaus Betreuungsangebote in der Schule 14 %, Malen / Basteln 10 %). u Abb 12 es noch einmal 6 Stunden mehr. Rund
oder im Hort in Anspruch. Meist waren Auch Kinder unter sechs Jahren, die 54 % der Kinder im Alter von null bis
dies Mittagessen (50 %) und Arbeits­ noch nicht zur Schule gingen, nahmen fünf Jahren bekamen in der Betreuungs-
gemeinschaften in der Schule (47 %). Das verschiedene Betreuungsangebote wahr. einrichtung ein Mittagessen. Übrigens:
Angebot der Hausaufgabenbetreuung Über die Hälfte der unter 3-Jährigen und Kinder in den neuen Bundesländern und
nahmen 42 % in Anspruch. Freizeitan­ fast alle Kinder zwischen drei und Berlin wurden pro Woche 11 Stunden
gebote außerhalb der Schule oder Betreu- fünf Jahren wurden regelmäßig in Krip- länger betreut als Kinder in den alten
ungseinrichtung nutzten darüber hinaus pe, Kindergarten oder Kindertagesstätte, Bundesländern. u Tab 8

369
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

u Abb 12  Anteil der Schulkinder unter zehn Jahren, die Betreuungsangebote schauten die Menschen in Deutschland
in Schule oder Hort in A
­ nspruch nehmen 2012/2013 — in Prozent durchschnittlich 14,5 Stunden fern. Für
das Lesen von Büchern, Zeitungen und
Zeitschriften verwendeten sie 3 Stunden
Mindestens ein und 46 Minuten pro Woche. Damit ist
72,0
Betreuungsangebot
Lesen die zweithäufigste kulturelle Tätig-
keit. Für den Besuch von Kino, Theater,
 Mittagessen 49,9
Museum, Sportveranstaltung oder für
Ausflüge in den Zoo, den Zirkus oder den
 AG 46,9
Vergnügungspark wendeten die Menschen
 Hausaufgaben-
durchschnittlich 1 Stunde und 40 Minu-
42,0
betreuung ten pro Woche auf. u Abb 13
Je nach Alter war die Zeitverwendung
für kulturelle Tätigkeiten unterschied-
Mehrfachnennungen möglich.
lich. Absolut gesehen wendeten Personen
ab 65 Jahren die meiste Zeit für Kultur
und kulturelle Tätigkeiten auf. Der Un-
u Tab 8  Betreuung von Kindern unter sechs Jahren 2012/2013 terschied zu den anderen Altersklassen
Durchschnittliche Betreuungszeit
kam hauptsächlich dadurch zustande,
Betreute Kinder
(nur betreute Kinder) dass die ab 65-Jährigen deutlich länger
Anteil in % in Stunden je Woche fern sahen. Während die 10- bis 17-Jähri-
gen etwa 11,5 Stunden pro Woche damit
Deutschland insgesamt
verbrachten, stieg der Fernsehkonsum bei
Kinder von 0 bis 2 Jahren 57,4 25:56
den 45- bis 64-Jährigen auf durchschnitt-
Kinder von 3 bis 5 Jahren 96,3 31:52 lich 14,5 Stunden und bei Personen ab
nachrichtlich 65  Jahren auf 18,5 Stunden. Künstleri-
Kinder von 0 bis 5 Jahren sche und handwerkliche Tätigkeiten so-
Früheres Bundesgebiet wie Musizieren übte dagegen am längsten
77,2 27:17
ohne Berlin-West die jüngste Altersgruppe aus. Die 10- bis
Neue Länder und Berlin 76,8 38:17 17-Jährigen verbrachten knapp 1 Stunde
pro Woche mit diesen Tätigkeiten, wäh-
rend der Zeitaufwand hierfür mit stei-
gendem Alter sank und bei den 45- bis
64-Jährigen am niedrigsten war (14 Mi-
Freizeit Surfen im Internet, das Versenden von nuten je Woche).
Pro Tag verwendeten Personen ab zehn ­ -Mails und Computerspiele, beschäftig-
E Gelesen wurde vor allem im höheren
Jahren durchschnittlich 5 Stunden und ten die Menschen in Deutschland 33 Mi- Alter. Dabei weisen die ab 65-Jährigen die
57  Minuten für Freizeitaktivitäten. Bei nuten pro Tag. Für Sport blieben dagegen längste Lesedauer je Woche auf (6 Stun-
Männern waren es mit 6 Stunden und im Durchschnitt nur 29 Minuten. den und 42 Minuten). Die 18- bis 29-
12 Minuten genau 30 Minuten mehr als Die Differenz zwischen Männern und Jährigen nahmen sich wöchentlich am
bei Frauen (5 Stunden und 42 Minuten). Frauen ist fast vollständig auf den Fern- w enigsten Zeit für das Lesen (rund
­
Den überwiegenden Teil der Freizeit mit sehkonsum sowie auf die Beschäftigung 1,5  Stunden). Dem Besuch kultureller
3 Stunden pro Tag verbrachten die Men- mit dem Computer oder Smartphone zu- Veranstaltungen und sportlicher Ereignis-
schen mit kulturellen Tätigkeiten wie rückzuführen. Damit verbringen Männer se widmeten die Menschen in Deutsch-
Fernsehen (2 Stunden und 4 Minuten), mit insgesamt 2 Stunden und 55 Minuten land rund 1 Stunde und 40 Minuten je
Lesen (32 Minuten) und Musik hören täglich eine halbe Stunde mehr Zeit als Woche. Hier variierten die einzelnen
(4 Minuten). Aber auch soziale Kontakte Frauen. Frauen verwendeten dafür ge- ­A ltersgruppen nur geringfügig. u Abb 14
(Gespräche und Telefonate, Besuche, Aus- ringfügig mehr Freizeit für Kontakte und Je nach Alter der Befragten bestanden
gehen und so weiter) machten mit durch- Geselligkeit. u Tab 9 nicht nur Unterschiede bei den ausge­
schnittlich 1 Stunde täglich einen erheb­ Pro Woche belief sich der durch- übten Freizeitaktivitäten, sondern auch
lichen Teil der Freizeit aus. Aktivitäten schnittliche Zeitaufwand für kulturelle darin, ob Menschen in ihrer Freizeit allein
am Computer oder Smartphone, wie das Tätigkeiten auf knapp 21 Stunden. Davon oder in Gesellschaft von anderen Haus-

370
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

haltsmitgliedern, Freunden und Bekann- u Tab 9  Durchschnittlicher Zeitaufwand für Freizeitaktivitäten

ten waren. Kinder und Jugendliche zwi- von Personen ab zehn Jahren 2012/2013 — in Stunden je Tag
schen 10 und 17 Jahren verbrachten 66 % Insgesamt Männer Frauen
ihrer Freizeit mit ihnen bekannten Perso-
Freizeit insgesamt 05:57 06:12 05:42
nen.Abb
Zwischen 18 und 44 Jahren waren es
14 Zeitaufwand für ausgwählte kulturelle Freizeitaktivitäten nach Altersklassen 2012/2013 - in
Fernsehen und andere ­
62 %.Stunden
In den höheren Altersklassen nahm
je Woche 02:58 03:02 02:53
kulturelle Tätigkeiten
der Anteil ab. Personen im Alter von  Fernsehen, Video und DVD 02:04 02:10 01:58
65  Jahren und mehr verbrachten nur  Radio, Musik hören 00:04 00:05 00:04

noch etwa die Hälfte ihrer Freizeit mit  Lesen 00:32 00:31 00:34

anderen Haushaltsmitgliedern, Freunden Kontakte / Geselligkeit 01:06 01:02 01:09

und Bekannten. u Abb 15


Computer / Smartphone 00:33 00:45 00:21

Im Vergleich zur Zeitverwendung vor Sport 00:29 00:31 00:27

elf Jahren ist die Gesamtdauer der Freizeit­ Ausruhen 00:22 00:22 00:23

aktivitäten konstant geblieben. Bei den Hobby 00:06 00:06 00:06

einzelnen Freizeitbereichen zeigen sich Versammlungen 00:03 00:03 00:03

dennoch leichte Verschiebungen: Der Wege für Freizeitaktivitäten 00:21 00:20 00:21

u Abb 13  Zeitaufwand für ausgewählte kulturelle Freizeitaktivitäten von Personen ab zehn Jahren 2012/2013 — in Stunden je Woche

kulturelle Veranstaltungen/
Einrichtungen und Besuch 1:40
sportlicher Ereignisse

Lesen 3:46

Fernsehen und Video/DVD 14:27

u Abb 14  Zeitaufwand für ausgewählte kulturelle Freizeitaktivitäten nach Altersklassen 2012/2013 — in Stunden je Woche

11:32
10–17 02:26
01:58

12:39
18–29 01:36
01:49

12:21
30– 44 02:32
01:44

14:35
45–64 03:55
01:30

18:35
65 und älter 06:42
01:36

im Alter von… bis… Jahren Fernsehen und Video/DVD Lesen kulturelle Veranstaltungen/Einrichtungen und Besuch sportlicher Ereignisse

371
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

Zeitaufwand für Kontakte und Gesellig- u Abb 15  Anteil der Freizeit, die mit anderen Haushaltsmitgliedern oder bekannten
keit, Lesen und Wegezeiten ist etwas ge- Personen verbracht wird 2012/2013 — in Prozent
sunken. Ein Grund war sicher die zuneh-
insgesamt 58 %
mende Verwendung des Internets (Tätig-
keiten am Computer oder Smartphone),
10 –17 66
um mit Freunden und Verwandten in
Verbindung zu bleiben oder Informationen
18– 44 62
zu gewinnen, die um durchschnittlich
15  Minuten pro Tag gestiegen ist. Dies
entspricht einem Zuwachs von über 80 % 45–64 57

im Vergleich zu 2001/2002. u Abb 16


Nicht alle Menschen verbringen ihre 65 und älter 51

Zeit mit allen Freizeitaktivitäten. Manche


lesen lieber und schauen fern, treiben im Alter von … bis … Jahren
­dafür aber keinen Sport, oder umgekehrt.
Die unterschiedliche Beteiligung wurde
untersucht: Der größte Anteil der Perso-
nen mit 91 % sahen täglich fern, lasen
u Abb 16  Durchschnittlicher Zeitaufwand für ausgewählte Freizeitaktivitäten
oder gingen anderen kulturellen Tätig-
von Personen ab zehn Jahren — in Stunden je Tag
keiten nach (3 Stunden und 15 Minuten).
Rund 64 % verwendeten einen Teil ihres
Tages für soziale Kontakte und gesellige
Aktivitäten. Dafür nahmen sie sich Fernsehen, 02:04
Video/DVD 01:53
durchschnittlich 1 Stunde und 42 Minu-
ten Zeit. Knapp 33 % verbrachten einen 00:54
Kultur
Teil ihres Tages damit, sich auszuruhen ohne Fernsehen 01:02
und taten im Durchschnitt gut 1 Stunde
einfach einmal »Nichts«. u Abb 17 Kontakte/ 01:06
Geselligkeit 01:14
Wie zu erwarten blieb am Wochenen-
de deutlich mehr Zeit für Freizeitakti­
Computer/ 00:33
vitäten als unter der Woche: Im Durch- Smartphone 00:18
schnitt waren es montags bis freitags
5 Stunden und 16 Minuten, an Wochen- Wege für 00:21
Freizeitaktivitäten 00:27
end- und Feiertagen dagegen deutlich
mehr, nämlich 7 Stunden und 25 Minu-
ten. Dieses Muster zeigt sich bereits bei 2012/2013 2001/2002

den 10- bis 17-Jährigen und bleibt auch


über das Ende des Erwerbsalters be­
stehen: Auch Seniorinnen und Senioren
verwendeten am Wochenende täglich u Tab 10  Zeitaufwand für Freizeitaktivitäten nach Wochentagen und
1 Stunde mehr für Freizeit als unter der Altersklassen 2012/2013 — in Stunden je Tag
Woche. u Tab 10 Im Alter von … bis … Jahren
Die Anteile einzelner Aktivitäten wa- Insgesamt
ren allerdings recht unabhängig vom je- 10 – 17 18 – 29 30 – 44 45 – 64 65 und älter

weiligen Wochentag: sowohl werktags als Insgesamt 05:57 06:38 05:58 04:57 05:33 07:12
auch am Wochenende wurden 35 % der Montag – Freitag 05:16 05:52 05:06 04:05 04:52 06:51
Freizeit mit Fernsehen verbracht, 15 % Wochenende und
07:25 08:18 07:43 06:46 07:05 07:56
mit anderen kulturellen Aktivitäten wie Feiertage
Lesen, Musik hören oder dem Besuch
kultureller Veranstaltungen und Einrich-
tungen und 18 % mit sozialen Kontakten
und Geselligkeit.

372
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

u Abb 17  Zeitaufwand für Freizeitaktivitäten unter Berücksichtigung des Die Jahreszeiten spielten bei der
­Beteiligungsgrades 2012/2013 — in Stunden je Tag beziehungsweise in Prozent Wahl der Freizeitbeschäftigung eine grö-
ßere Rolle. Zu jeder Jahreszeit verwende-
ten Personen ab zehn Jahren knapp
Fernsehen und andere 02:58
6  Stunden pro Tag für Freizeit. In den
91
kulturelle Tätigkeiten Abb 17 Zeitaufwand für Freizeitaktivitäten unter Berücksichtigung03:15
des Beteiligungsgrades Monaten Juni bis August sahen die Per-
2012/2013 - in Stunden je Tag beziehungsweise in Prozent
sonen aber zum Beispiel täglich 27 Mi-
Kontakte/Geselligkeit
01:06
64 nuten weniger fern als im Zeitraum De-
01:42
zember bis Februar. Auch die Zeitver-
wendung für Computer und Smartphone
00:33 35
Computer/Smartphone war in den Sommermonaten etwas gerin-
01:32
ger. Im Gegenzug wurden 13 Minuten
Sport
00:29 30 mehr mit Ausruhen und 11 Minuten
01:37
mehr mit Sport verbracht als in den
Wintermonaten. Bei diesen Unterschie-
00:22 33
Ausruhen
01:09 den spielt sicher auch eine Rolle, dass die
10
Sommermonate die Haupturlaubszeit
00:06 des Jahres sind. Schließt man bei der
Hobby
01:02 Analyse die Tage aus, die von den Befrag-
4 ten zum Beispiel aufgrund von Urlaub,
00:03
Versammlungen
01:14
Krankheit oder Familienfesten als unge-
wöhnlich empfunden wurden, blieben
Wege für 00:21 die Tendenzen aber, wenn auch leicht
36
Freizeitaktivitäten 00:58 ­abgeschwächt, bestehen. u Abb 18

alle Befragten Ausübende Beteiligungsgrad in % 12.1.2 Private Ausgaben für


Freizeitaktivitäten
Die gesamten Konsumausgaben der pri-
vaten Haushalte in Deutschland lagen im
Jahr 2013 nach den Ergebnissen der Ein-
uAbb 18  Zeitaufwand für ausgewählte Freizeitaktivitäten im Sommer und
kommens- und Verbrauchsstichprobe
Winter 2012/2013 — in Stunden je Tag
(EVS) bei durchschnittlich 2 448 Euro
pro Monat. Der Anteil, den die Haushalte
davon für Freizeit, Unterhaltung und
Fernsehen, Video/DVD
01:47 Kultur ausgaben, betrug knapp 11 %
02:14
(261 Euro). Informationen zur EVS siehe
Kapitel 6.1, Info 1, Seite 152.
00:58
Kultur ohne Fernsehen
00:52 Die durchschnittlich 2013 für den Be-
reich Freizeit, Unterhaltung und Kultur
01:06 ausgegebenen 261 Euro pro Monat setzen
Kontakte/Geselligkeit
01:09 sich aus unterschiedlichen Einzelpositio-
nen zusammen: Mit 76 Euro im Monat
00:31
Ausruhen
00:18
gaben die Haushalte rund 29 % ihres
Freizeit- und Unterhaltungsbudgets für
00:35 Dienstleistungen im Freizeit- und Kultur­
Sport
00:24 bereich aus, zu denen unter anderem Ein-
trittsgelder für Theater-, Konzert- und
Computer und 00:28
Smartphone
Museumsbesuche gehören. Die zweit-
00:33
höchste Ausgabenposition waren mit
durchschnittlich 63 Euro im Monat
Sommer (Juni–August) Winter (Dezember–Februar)
(24 %) die Pauschalreisen. Die Kosten für
Bücher, Zeitungen und Zeitschriften

373
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

uAbb 19  Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 2013 f­ olgten mit größerem Abstand. Die Haus-
— Anteil am Freizeitbudget in Prozent halte gaben hierfür durchschnittlich
Abb. 18: Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur, Anteil am Freizeitbudget 2011, in %
36  Euro pro Monat (14 %) aus. Anteilig
am wenigsten wurde mit 9 Euro (3 %) für
Spielwaren (einschließlich Computer-
Freizeit- und
Kulturdienstleistungen
29,1 spiele) und Hobbys gezahlt. u Abb 19
Die Struktur der Ausgaben für Frei-
Pauschalreisen 24,1 zeit, Unterhaltung und Kultur war in den
westdeutschen Haushalten ähnlich wie in
Bücher, Zeitungen,
Zeitschriften und Ähnliches
13,8 den ostdeutschen, unterschied sich je-
doch in einigen Punkten. Die Haushalte
Sonstige langlebige Gebrauchsgüter,
Verbrauchsgüter und Reparaturen 6,9 in den neuen Ländern und Berlin wende-
(Kultur, Sport, Camping und Ähnliches) ten mit 30 % ihres Freizeitbudgets einen
Audio-, Video- und andere
6,5 wesentlich größeren Ausgabenanteil für
optische Geräte und Träger
Pauschalreisen auf als die Haushalte im
6,1
früheren Bundesgebiet (22 %). Auch wen-
Blumen und Gärten
deten sie mit 7 % einen geringfügig höhe-
ren Anteil für Blumen und Gärten auf als
Haustiere 5,7
die westdeutschen Haushalte (6 %). Die
Datenverarbeitungsgeräte und Software Haushalte im früheren Bundesgebiet hin-
3,8
(einschließlich Downloads) gegen investierten mit 7 % höhere Anteile
Spielwaren (einschließlich
ihres Freizeitbudgets in die sonstigen
3,4
Computerspiele) und Hobbys langlebigen Gebrauchsgüter für Kultur,
Sport und Camping als die ostdeutschen
Haushalte (5 %). Auch für Bücher und
Zeitschriften gaben sie mit 14 % anteils-
mäßig geringfügig mehr aus als die Haus-
halte in den neuen Ländern und Berlin
uTab 11  Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 2013
(12 %). Ebenso waren die Ausgabenantei-
— Durchschnitt je Haushalt und Monat in Euro
le für Freizeit- und Kulturdienstleistun-
Früheres ­
Deutschland Bundesgebiet ohne
Neue Länder gen im früheren Bundesgebiet mit 29 %
und Berlin
Berlin-West leicht größer als in den neuen Ländern
Freizeit, Unterhaltung und Kultur 261 267 242 und Berlin mit 28 %. u Tab 11
Audio-, Video- und andere
17 18 16
optische Geräte und Träger Ausgaben nach
Datenverarbeitungsgeräte und Soft- Einkommensklassen
10 11 8
ware (einschließlich Downloads) Mit steigendem monatlichen Nettoein-
Sonstige langlebige Gebrauchsgüter, kommen geben die privaten Haushalte
Verbrauchsgüter und Reparaturen 18 19 12
­(Kultur, Sport, Camping und Ähnliches)
mehr für Freizeit, Unterhaltung und
­Kultur aus. Im Jahr 2013 gaben Haushal-
Spielwaren (einschließlich Computer-
spiele) und Hobbys
9 10 7 te mit einem monatlichen Nettoeinkom-
men zwischen 5 000 und 18 000 Euro mit
Blumen und Gärten 16 16 16
529 Euro im Monat durchschnittlich fast
Haustiere 15 16 12
8,5-mal so viel für den Freizeitbereich
Freizeit- und Kulturdienstleistungen 76 78 67 aus wie Haushalte mit einem monatli-
Bücher, Zeitungen, Zeitschriften chen Nettoeinkommen von weniger als
36 37 30
und Ähnliches 900 Euro (63 Euro). u Tab 12
Pauschalreisen 63 60 72 Auch die Anteilswerte der Freizeit-
ausgaben am jeweiligen Konsumbudget
wachsen mit steigendem Einkommen.
Die Ausgabenanteile reichten von 7 % in
der untersten Einkommensklasse bis

374
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

u Tab 12  Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur nach Haushaltsnettoeinkommen 2013
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen von … bis unter … Euro
unter 900 900 – 1 300 1 300 –1 500 1 500 – 2 000 2 000 – 2 600 2 600 – 3 600 3 600 – 5 000 5 000 – 18 000

Durchschnitt je Haushalt und Monat in Euro


Private Konsumausgaben 872 1 136 1 384 1 640 2 055 2 557 3 239 4 504

 Freizeit, Unterhaltung und Kultur 63 99 136 165 214 267 349 529

in %
Anteil der Ausgaben für Freizeit,
Unterhaltung und Kultur an den 7,2 8,7 9,8 10,1 10,4 10,4 10,8 11,8
privaten Konsumausgaben

u Tab 13  Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur nach Haushaltstyp 2013

Paare mit Kind(ern) Paare ohne Kind Alleinerziehende Alleinlebende Sonstige Haushalte

Durchschnitt je Haushalt und Monat in Euro

Freizeit, Unterhaltung und Kultur 361 323 181 162 349


Audio-, Video- und andere optische
26 21 12 11 27
Geräte und Träger
Datenverarbeitungsgeräte und Soft-
15 11 6 6 18
ware (einschließlich Downloads)
Sonstige langlebige Gebrauchsgüter,
Verbrauchsgüter und Reparaturen 34 19 13 9 29
(Kultur, Sport, Camping und Ähnliches)
Spielwaren (einschließlich
30 6 15 3 10
­C omputerspiele) und Hobbys

Blumen und Gärten 19 23 8 9 21

Haustiere 19 18 15 10 24

Freizeit- und Kulturdienstleistungen 110 83 62 53 99

Bücher, Zeitungen, Zeitschriften


45 43 26 25 46
und Ähnliches
Pauschalreisen 64 100 25 35 76

in %
Anteil der Ausgaben für Freizeit,
Unterhaltung und Kultur an den 10,5 11,2 9,5 10,5 10,2
privaten Konsumausgaben

knapp 12 %, die in der obersten Nettoein- dazu können diese Haushalte bei den mit durchschnittlich 361 Euro im Monat
kommensklasse aufgewendet wurden. Freizeitausgaben wohl eher Abstriche aus. u Tab 13
Der im Durchschnitt geringere Ausga- vornehmen. Ein Vergleich der Anteile der Ausga-
benanteil in den unteren Einkommens- ben für Freizeitaktivitäten am jeweiligen
klassen deutet darauf hin, dass die Aus- Ausgaben nach Haushaltstypen Konsumbudget zeigt, dass diese bei den
gaben für den Freizeitbereich variabel Mit zunehmender Haushaltsgröße stei- Paarhaushalten ohne Kind mit durch-
sind. Ernährungsausgaben beispielsweise gen die Ausgaben für Freizeitaktivitäten. schnittlich gut 11 % am höchsten waren.
können als lebensnotwendige Ausgaben Sie sind aber auch abhängig von der Per- Alleinlebende und Paare mit Kind(ern)
nur sehr schwer unter ein bestimmtes sonenstruktur in den Haushalten. Mit setzten knapp 11 % ein, während Allein-
­Niveau gesenkt werden und machen des- durchschnittlich 162 Euro pro Monat erziehende mit durchschnittlich knapp
halb bei Haushalten mit niedrigen Ein- waren die Freizeitausgaben bei den Al- 10 % den geringsten Anteil ihres Kon­
kommen im Haushaltsvergleich immer leinlebenden am niedrigsten. Am meis- sumbudgets für den Freizeit- und Kultur-
den höchsten Anteil aus. Im Gegensatz ten gaben Paarhaushalte mit Kind(ern) bereich einsetzten.

375
usgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur nach Alter der Haupteinkommensperson 2013, in EUR je Monat
12 /  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  12.1 /  Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten

u Abb 20  Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur Die Struktur der Freizeitausgaben ist
nach Alter der Haupteinkommensperson 2013 — in Euro je Monat bei den betrachteten Haushaltstypen
­relativ ähnlich, sie wies im Einzelnen je-
302
doch einige Besonderheiten auf: Die
293 Haushalte
275 insgesamt höchsten Ausgabenanteile verwendeten
261
251 260 2013 alle Haushaltstypen – außer den
Paaren ohne Kind – für Freizeit- und Kul-
211 209 turdienstleistungen wie Zoo-, Museums-,
Theater- und Kinobesuche. Die Haushal-
140
te gaben dafür zwischen 26 % und 34 %
ihres Freizeitbudgets aus. Paare mit
Kind(ern) investierten hierfür durch-
schnittlich 110 Euro und Alleinlebende
53 Euro im Monat. An zweiter Stelle
­folgten – außer bei den Alleinerziehen-
den – die Ausgaben für Pauschalreisen.
18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65–69 70–79 80 und älter
im Alter von ... bis ... Jahren
Paarhaushalte ohne Kind verwendeten
hierfür 31 % ihres Konsumbudgets. Im
Vergleich dazu war dieser Anteil am Frei-
Abb.20: Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur zeitbudget bei den Alleinerziehenden mit
nach Alter der Haupteinkommensperson 2011, in EUR je Monat knapp 14 % weniger als halb so hoch.
u Abb 21  Anteil der Ausgaben privater Haushalte für Freizeit, Unterhaltung und Kultur
Die Ausgaben für Spielwaren (ein-
an den Konsumausgaben nach Alter der Haupteinkommensperson 2013 — in Prozent
schließlich Computerspiele) und Hobbys
schlugen bei Paaren mit Kind(ern) und
11,5
Haushalte Alleinerziehenden mit jeweils 8 % ihrer
11,0 insgesamt
10,5
10,8 10,7 10,7 Freizeitbudgets zu Buche. Das entsprach
10,2
9,2
9,8 durchschnittlich 30 Euro beziehungsweise
15 Euro im Monat. Alleinlebende und Paa-
re ohne Kind setzten hierfür 2 % ein, das
entsprach 3 Euro beziehungsweise 6 Euro.
Für Blumen und Gärten gaben Paare
ohne Kind 7 % ihrer Freizeitbudgets aus.
Alleinerziehende setzten dagegen nur 4 %
dafür ein.

Ausgaben nach dem Alter der


18–24 25–34 35–44 45–54 55–64 65 –69 70 –79 80 und älter Haupteinkommensperson
im Alter von ... bis ... Jahren Das Alter der Haupteinkommensperson,
also der Person im Haushalt, die den
größten Beitrag zum Haushaltsnettoein-

u Tab 14  Ausgewählte Freizeitausgaben nach dem Alter der Haupteinkommensperson 2013 — in Prozent

Alter der Haupteinkommensperson von ... bis ... Jahren

18 – 24 25 – 34 35 – 44 45 – 54 55 – 64 65 – 69 70 – 79 80 und älter


Freizeit, Unterhaltung und Kultur
Audio-, Video- und andere
9,3 9,5 7,8 7,6 6,5 5,2 4,2 5,7
optische Geräte und Träger
Datenverarbeitungsgeräte
und Software (einschließlich 6,4 5,2 4,4 4,6 4,0 3,2 2,7 1,4
Downloads)
Blumen und Gärten 2,9 4,3 5,1 5,3 6,9 7,6 8,1 8,6

376
Zeitverwendung und Ausgaben für Freizeitaktivitäten  / 12.1  Zeitverwendung und gesellschaftliche Partizipation  / 12

kommen leistet, spielt für die Höhe der Pauschalreisen. Bei näherer Betrachtung u Info

Freizeitausgaben ebenfalls eine Rolle. Je fällt allerdings eine Zweiteilung auf: Die Was gibt der Staat für Freizeit
nach Lebensphase sind die Ausgaben für Haushalte mit Hauptverdiener bis und Kultur aus?
Freizeit, Unterhaltung und Kultur durch- 64  Jahre gaben mit 27 % bis 34 % den Bund, Länder und Kommunen wendeten 2011
aus unterschiedlich hoch. Haushalte mit höchsten Anteil ihrer Freizeitbudgets rund 5,8 Milliarden Euro für den Bereich Sport
und Erholung auf (Nettoausgaben). Das waren
Haupteinkommenspersonen im Alter von für Dienstleistungen im Freizeit- und 0,5 % der gesamten Ausgaben der öffent­
45 bis 54 Jahren gaben im Jahr 2013 mit Kulturbereich aus. In Haushalten mit lichen Haushalte. Von den 5,8 Milliarden Euro
wurden 2,5 Milliarden Euro (42,5 %) für Sport-
durchschnittlich 302 Euro im Monat am Haupteinkommenspersonen ab 65 Jah-
stätten verwendet, 1,7 Milliarden Euro (30,0 %)
meisten für den Freizeit- und Kultur­ ren hingegen lag der Ausgabenschwer- für Park- und Gartenanlagen. Für die Sport­
bereich aus. Ihnen folgten Haushalte mit punkt auf den Pauschalreisen. Dafür förderung brachten die öffentlichen Haushalte
1,0 Milliarden Euro auf sowie weitere 482 Millio-
Haupteinkommenspersonen im Alter von wurden Anteile zwischen 28 % und 34 % nen Euro für öffentliche Schwimmbäder
35 bis 44 Jahren (293 Euro) und von 55 eingesetzt. (17,6 % beziehungsweise 8,3 %).
bis 64 Jahren (275 Euro). Die geringsten Auch bei den Ausgaben für Daten­ Außerdem gab die öffentliche Hand 2011 rund
Beträge für den Freizeitbereich verwen- verarbeitungsgeräte und Software zeigt 9,3 Milliarden Euro für den kulturellen Bereich
deten mit durchschnittlich 140 Euro im sich ein Zusammenhang zum Alter der aus.

Monat die jungen Haushalte (18 bis Haupteinkommenspersonen: Mit zuneh- Von den Gesamtausgaben für Kultur entfielen
24 Jahre). u Abb 20 mendem Alter der Hauptverdiener neh- mit 3,8 Milliarden Euro rund 40,3 % auf
­Theater und Musik, weitere 1,5 Milliarden Euro
Ein Vergleich der Anteile der Freizeit- men die entsprechenden Ausgabenanteile (16,0 %) wurden für Museen, Sammlungen
ausgaben am jeweiligen Konsumbudget in für die jeweiligen Bereiche ab. u Tab 14 und Ausstellungen sowie 611 Millionen Euro
(6,6 %) für den Denkmalschutz und die Denk-
den einzelnen Altersklassen zeigt ein Blumen und Gärten hingegen haben
malpflege aufgewendet.
­etwas anderes Bild: Die Haushalte mit im Alter anscheinend eine höhere Be-
Haupteinkommenspersonen von 70 bis deutung als in jungen Jahren: Während
79  Jahren wiesen mit knapp 12 % die in jungen Haushalten (Hauptverdiener
höchsten Ausgabenanteile für den Frei- in der Altersklasse 18 bis 24 Jahre oder
zeitbereich auf. Bei Haushalten mit 25 bis 34 Jahre) mit durchschnittlich
Haupteinkommenspersonen im Alter von 4 Euro und 9 Euro im Monat 3 % bezie-
18 bis 24 Jahren und von 25 bis 34 Jahren hungsweise 4 % des Freizeitbudgets für
waren die Ausgabenanteile mit 9 % sowie Blumen und Gärten ausgegeben wurden,
mit knapp 10 % am geringsten. u Abb 21 betrug dieser Anteil bei den Haushalten
Die Haushalte aller Altersgruppen der Altersklassen 70 bis 79 Jahre sowie
verwendeten ausnahmslos die größten 80 Jahre und älter im Schnitt 8 % und
Anteile ihrer Freizeitbudgets für Freizeit- knapp 9 % (21 Euro beziehungsweise
und Kulturdienstleistungen sowie für 18  Euro).

377
12 /  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  12.2 /  Religiosität und Säkularisierung

12.2 Weil jeder Mensch weiß, dass er sterben


wird, muss er zwischen der erfahrbaren,
Merkmal von Personen; man kann sie
­definieren als die Einstellung zur religiö-
Religiosität und diesseitigen Welt und dem nicht erfahr­ sen Frage. Religiöse Antworten auf diese
Säkularisierung baren, nur vorstellbaren Jenseits differen-
zieren. Die Unterscheidung zwischen
entscheidenden Fragen des Lebens wer-
den heutzutage jedoch zunehmend kri-
Diesseits und Jenseits – also zwischen Im- tisch betrachtet und Alternativen in Philo-
Heiner Meulemann manenz und Transzendenz – wirft die sophie und verschiedenen Weltanschau­
Universität zu Köln metaphysische Frage nach dem Woher ungen gesucht. Menschen gewinnen eine
und Wohin der Welt und des eigenen Antwort auf die religiöse Frage nicht mehr
­L ebens auf. Religion ist ein System von aus den Glaubenslehren der Reli­gion über
WZB / SOEP
Lehren, das eine Antwort auf diese Frage transzendente Welten, sondern aus Über-
anbietet. Religiosität hingegen ist ein zeugungen, die in dieser Welt gewonnen

u Abb 1  Konfessionsmitgliedschaft und Kirchgangshäufigkeit


in West- und Ostdeutschland 1991– 2012 — in Prozent

Konfessionsmitgliedschaft: keine

80

60

40

20

0
1991 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Kirchgangshäufigkeit: nie

80

60

40

20

0
1991 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Ostdeutschland Westdeutschland

Datenbasis: ALLBUS 1991– 2012.

378
Religiosität und Säkularisierung  / 12.2  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  / 12

wurden und sich auf das ­L eben in ihr giösen Weltbildern, die entweder eine sind es 65 % (1991) beziehungsweise 68 %
richten. Diese Bewegung hin zu diesseiti- christliche oder eine immanente Antwort (2012). Die Differenz zwischen den Landes-
gen Antworten auf die religiöse Frage auf die religiöse Frage geben. Die Kirchen- teilen schwankt ohne Tendenz zwischen
kann man als Säkularisierung bezeichnen. mitgliedschaft und der Kirchgang bezie- 48 und 58 Prozentpunkten (siehe obere
Empirisch erfassen kann man sie in einer hen sich auf christ­liche Kirchen; erst 2012 Hälfte Abbildung  1). Die Ostdeutschen
gegebenen Bevölkerung als Rückgang von wurden Mitglieder anderer Religions­ wurden in der DDR »entkirchlicht« und
Durchschnittswerten der Religiosität. gemeinschaften – 3,8  % der Stichprobe – finden auch in der neuen Bundesrepublik
Die Säkularisierung ist in Europa nach dem »Besuch einer Moschee, Syna- nicht wieder zu den Kirchen zurück. u Abb 1
zwischen 1945 und 1990 auf zwei unter- goge oder eines anderen Gotteshauses« In der gesamten Bevölkerung ein-
schiedliche Weisen vorangetrieben wor- ­gefragt. Auch das Gebet, die diffuse Reli- schließlich der Konfessionslosen gehen
den. In den damals staatssozialistischen giosität und die religiösen Weltbilder wer- 1991 und 2012 im Westen 21 % bezie-
Ländern Osteuropas wurde die Religion den nur für aktuelle oder frühere Mitglie- hungsweise 25 %, im Osten 61 % bezie-
von der Politik bekämpft, in den kapita- der christlicher Kirchen, nicht aber ande- hungsweise 57 % »nie« zur Kirche, sodass
listisch-demokratischen Ländern West- rer Religionsgemeinschaften berichtet. die Prozentsatzdifferenz zwischen den
europas hingegen verlor sie ohne jeglichen Erwarten muss man, dass die erzwun- beiden Landesteilen von 40 Prozentpunk-
Zwang ihre Anhänger. gene Säkularisierung in Ostdeutschland ten auf 32 Prozentpunkte zurückgeht
Im Folgenden werden die erzwungene 1990 weiter fortgeschritten ist als die ­(siehe untere Hälfte Abbildung 1).
und die freiwillige Säkularisierung der f reiwillige Säkularisierung in West-
­ Die geringere Kirchgangshäufigkeit in
beiden früheren Landesteile Deutschlands deutschland. Die Frage ist jedoch, ob der Ostdeutschland spiegelt die Entkirch­
von 1990 bis 2012 an sechs Formen der ostdeutsche Vorsprung bis 2012 bestehen lichung Ostdeutschlands wider, denn
­Religiosität untersucht: der Mitgliedschaft bleibt oder zusammenschmilzt. Konfessionslose gehen seltener in die
in Kirchen; der öffentlich-kirchlichen Pra- ­K irche als Konfessionsmitglieder und
xis des Kirchgangs; der privat-religiösen 12.2.1 Kirchenmitgliedschaft und Protestanten seltener als Katholiken. In
Praxis des Gebets; der diffusen Religiosität, Kirchgangshäufigkeit Ostdeutschland sind nun zugleich Kon-
die als religiöse Selbsteinschätzung und In Westdeutschland gehören 11 % im Jahr fessionslose und Protestanten stärker
als Wichtigkeit von Religion und Kirche 1991 und 18 % im Jahr 2012 keiner Religi- ­ver­t reten. In der Tat nivellieren sich die
gemessen wird, und schließlich den reli­ onsgemeinschaft an, in Ostdeutschland Landesteilunterschiede der Kirchgangs-
häufigkeit fast vollständig, wenn man die
Konfessionslosigkeit konstant hält, so-
dass die Kirchgangshäufigkeit letztlich
die Landesteilunterschiede der Konfes­
u Abb 2  Häufigkeit des Gebets in West- und Ostdeutschland 1991– 2012 — in Prozent
sionsmitgliedschaft widerspiegelt.

Gebetshäufigkeit: nie
12.2.2 Häufigkeit des Gebets
80 Nicht nur in der Kirche wird gebetet,
sondern auch zu Hause. Die Frage »Wie
oft beten Sie?« bezieht sich zunächst auf
60 beides. Aber durch die Antwortvorgaben,
die von »täglich« bis »nie« reichen, wird
deutlich, dass das private Gebet im
40 ­Hause gemeint ist. Die Verteilung dieser
Variable ist in beiden Landesteilen zwei-
gipflig: der häufigste Wert ist »nie«, der
20 zweithäufigste »täglich«, alle mittleren
­Kategorien sind seltener besetzt. Daher ist
0
es am besten, den Prozentsatz »nie« zu be-
1991 1994 2002 2008 2012 trachten.  u Abb 2
Ostdeutschland Westdeutschland
Abbildung 2 zeigt, dass Nichtbeten
zwischen 1991 und 2012 in Ostdeutsch-
Datenbasis: ALLBUS 1991– 2012. land um 37 bis 50 Prozentpunkte häufiger
ist als in Westdeutschland. Die Differenz

379
12 /  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  12.2 /  Religiosität und Säkularisierung

u Abb 3  Selbsteinschätzung der Religiosität in Westdeutschland 1982 – 2012 westdeutschen Bevölkerung seit 1980 und
und in Ostdeutschland 1992 – 2012 — Mittelwerte¹ der ostdeutschen Bevölkerung seit 1991
für »Religion und Kirche« sind in Abbil-
7
dung 4 dargestellt.
Beide Landesteile säkularisieren sich.
6
In Westdeutschland ist die Wichtigkeit
5 von Religion und Kirche seit 1980 um
4
0,34 Skalenpunkte, in Ostdeutschland seit
1991 um 0,15 Skalenpunkte zurück gegan-
3
gen. Ostdeutschland ist sehr viel stärker
2 als Westdeutschland säkularisiert; der
1
Abstand schwankt ohne Richtung zwi-
schen 1,10 und 1,43 Skalenpunkten. u Abb 4
0
1982 1992 1996 2000 2004 2008 2012
12.2.4 Religiöse Weltbilder
Ostdeutschland Westdeutschland
Die Religion ist die erste soziale Macht,
die die religiöse Frage beantwortet. Aber
1  Mittelwerte auf Basis einer zehnstufigen Skala von 1 »nicht religiös« bis 10 »religiös«.
Datenbasis: ALLBUS 1982 – 2012. die dominierende Religion des Abend-
landes, das Christentum, hat in den­
letzten zwei Jahrhunderten zunehmend
an Macht verloren, ihre Lehre durch­
zusetzen, sodass andere Mächte – Welt-
schwankt unregelmäßig. Die erzwungene 2008 auf einer siebenstufigen Skala, die anschauungen und die Wissenschaft –
Säkularisierung ist also nicht nur eine auf zehn Stufen um­gerechnet wurde, er- mit ihr konkurrieren und religiöse Welt-
»Entkirchlichung«, sie bringt auch eine fragt. Die Mittelwerte der Antworten sind bi lder Gegensta nd der Wa h l oder
Säkularisierung des privaten religiösen in Abbildung 3 dargestellt. u Abb 3 Konstruktion, kurz Privatsache gewor-
Verhaltens mit sich. Betrachtet man die Die Westdeutschen schätzen sich den sind. Man kann demnach religiöse
Gebetshäufigkeit getrennt für Protestan- konstant religiöser ein als die Ostdeut- Weltbilder nach ihrem Säkularisierungs-
ten, Katholiken und Konfes­sionslose, so schen. Ihr Vorsprung schwankt unregel- grad betrachten – danach, wieweit sie auf
wird der Unterschied zwischen den Lan- mäßig zwischen 2,2 und 2,5 Skalenpunk- einem Glauben an transzendente oder
desteilen zwar kleiner, verschwindet aber ten. Auch hier bleiben die Nachwirkun- immanente Mächte beruhen, christlich
nicht. Die erzwungene Säkularisierung gen der erzwungenen Säkularisierung oder säkular sind. Drei Säkularisierungs-
Ostdeutschlands hat also bis heute auch unvermindert bis heute bestehen. stufen wurden erfragt:
unabhängig von der Konfessionsmit- Im ALLBUS wurde 1980, 1982, 1986, ·· 1.  die theistische und deistische, die
gliedschaft Nachwirkungen auf die Ge- 1990, 1992, 1996 und 2012 den Befragten hier zusammenfassend als christlich
betshäufigkeit. eine Liste von Lebensbereichen – darun- bezeichnet werden,
ter auch »Religion und Kirche« – vorgege- ·· 2.  die immanente, die den Sinn des
12.2.3 Diffuse Religiosität ben, deren Wichtigkeit zwischen 1 (un- ­Lebens im Leben selber sieht, und
Die diffuse Religiosität bezieht sich weder wichtig) und 7 (sehr wichtig) bewertet schließlich
auf Praktiken noch auf religiöse Welt­ werden musste. Nimmt man 2012 in Ge- ·· 3. Sinnlosigkeit.
bilder (siehe 12.2.4), sondern auf die Reli- samtdeutschland den Anteil der höchsten
gion überhaupt. Sie kann als Religion in Wichtigkeit (Wert 7) als Maß, so ist »Eige- Christliche Weltbilder werden durch
der Person und Religion für die Person be- ne Familie und Kinder« mit 76,1 % der vier Aussagen erfasst (siehe Info 1). Das
trachtet werden – als selbst eingeschätzte bei weitem wichtigste Lebensbereich, ge- immanente Weltbild wird durch existen-
Religiosität und als Wichtigkeit von »Reli- folgt von »Beruf und Arbeit« mit 37,6 %. tialistische und naturalistische Vor­gaben
gion und Kirche« im Leben der Person. Im Mittelfeld liegen »Freizeit und Erho- erfasst. Sinnlosigkeit wird durch eine
Die selbst eingeschätzte Religiosität lung« mit 29,9 %, »Freunde und Bekann- Aussage erfasst. u Info
wurde in der Allgemeinen Bevölkerungs- te« mit 28,7 % und »Verwandtschaft« mit In Westdeutschland lebende Personen
umfrage der Sozialwissenschaften (ALL- 23,5 %; im unteren Bereich »Nachbar- unterstützen die existentialistische Aus-
BUS) 1982, 1992, 2000, 2002 und 2012 auf schaft« mit 12,5 %, »Religion und Kirche« sage stärker als die beiden naturalis­
einer zehnstufigen Skala und im Internati- mit 9,6 % und »Politik und öffentliches tischen, diese stärker als die vier christ­
onal Social Survey Programme (ISSP) Leben« mit 5,8 %. Die Mittelwerte der lichen, und diese wiederum stärker als

380
in Ostdeutschland 1991–2012 — Mittelwerte ¹

Religiosität und Säkularisierung  / 12.2  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  / 12

u Abb 4  Wichtigkeit von Religion und Kirche in Westdeutschland 1980 – 2012 und die Sinnlosigkeit. Die Rangfolge bleibt
in Ostdeutschland 1991– 2012 — Mittelwerte¹ über die Jahre konstant – mit nur einer
Ausnahme: 1982 hat der Glaube, dass es
einen Gott gibt, der für uns Gott sein will
4,5
(FÜRUNS) etwas mehr Anhänger als die
beiden naturalistischen Aussagen. Die
4,0
Weltbilder liegen gleichsam wie Schich-
ten übereinander, die die Historie spie-
3,5 geln: Die Religion des Abendlandes wird
von modernen Weltanschauungen, dem
3,0 Naturalismus und dem Existentialismus,
überlagert. Das Christentum ist folglich
nicht mehr die vorherrschende religiöse
2,5
Weltdeutung in Westdeutschland. u Abb 5
In Ostdeutschland finden alle imma-
2,0 nenten Aussagen deutlich mehr Zustim-
1980 1982 1986 1990 1991 1992 1996 2012
mung als die christlichen Vorgaben und
Ostdeutschland Westdeutschland die Sinnlosigkeit. Es liegen hier die
­g leichen Schichten übereinander wie in
Westdeutschland. Auch hier steigt die Zu-
1  Mittelwerte auf einer siebenstufigen Skala von 1 »unwichtig« bis 7 »sehr wichtig«.
Datenquelle: ALLBUS 1980 – 2012. stimmung zu den christlichen Aussagen
leicht, ebenso wie die zu allen säkularen
Aussagen mit Ausnahme der Aussage,
dass das Leben nur ein Teil der Entwick-
lung der Natur ist (NATENT). Dennoch
u Info 1
fällt ein Unterschied auf: Das existentia-
Religiöse Weltbilder
listische und das naturalistische Weltbild
Christliches Weltbild:
liegen enger zusammen und weiter vom
Zustimmung zu folgenden Aussagen:
christlichen entfernt.
‧‧ »Es gibt einen Gott, der sich mit jedem Menschen persönlich befasst« (PERSÖN)
‧‧ »Es gibt einen Gott, der Gott für uns sein will« (FÜRUNS)
In beiden Landesteilen rangieren also
‧‧ »Das Leben hat nur eine Bedeutung, weil es einen Gott gibt« (GOTT) immanente Weltbilder vor christlichen.
‧‧ »Das Leben hat einen Sinn, weil es nach dem Tod noch etwas gibt« (TOD) Dennoch hat die zwangsweise Entkirch­
Immanentes Weltbild:
lichung der DDR christliche Weltbilder
Zustimmung zu folgenden Aussagen: in Ostdeutschland stärker zurückge-
Existenzialistisch:
drängt als die freiwillige Säkularisierung
in Westdeutschland.
‧‧ »Das Leben hat nur dann einen Sinn, wenn man ihm selber
einen Sinn gibt« (SELBER)
Naturalistisch:
‧‧ »Unser Leben wird letzten Endes bestimmt durch die Gesetze der Natur« (NATGES) 12.2.5 Zusammenfassung
‧‧ »Das Leben ist nur ein Teil der Entwicklung der Natur« (NATENT) Sowohl die Erwartung, dass die Ostdeut-
Sinnlosigkeit:
schen 1990 weniger religiös seien als die
Zustimmung zu folgender Aussage: Westdeutschen, als auch die Frage, ob der
‧‧ »Das Leben hat meiner Meinung nach wenig Sinn« (WENSINN) ostdeutsche Vorsprung bestehen bleibt,
wird bestätigt. Während politische Ein-
Für alle Aussagen werden fünf Zustimmungsstufen von 1 »stimme voll und ganz zu« bis 5
»stimme überhaupt nicht zu« vorgegeben sowie eine Vorgabe »darüber habe ich noch nicht stellungen und moralische Überzeugun-
nachgedacht«, die mit der mittleren Stufe (»habe dazu keine feste Meinung«) zusammen­ gen sich in den zwanzig Jahren nach der
gefasst wurde. Die Antworten der westdeutschen Bevölkerung 1982, 1991, 1992, 2002 und Vereinigung weitgehend angeglichen ha-
2007 und der ostdeutschen Bevölkerung 1991, 1992, 2002 und 2007 sind in Abbildung 5
­d argestellt. Zur besseren Lesbarkeit sind die Mittelwerte der christlichen Aussagen mit ben, bleibt die geringere Religiosität der
­d urchgezogenen Linien, die Mittelwerte der übrigen Aussagen mit gestrichelten Linien ver- Ostdeutschen als einer der stärksten Ein-
bunden.
u Abb 5
stellungsunterschiede zwischen den bei-
den Landesteilen bestehen. Warum?
Vermutlich konnte die erzwungene Sä-
kularisierung deshalb leichter fortwirken,

381
12 /  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  12.2 /  Religiosität und Säkularisierung

u Abb 5  Religiöse Weltbilder in Westdeutschland 1982 – 2012 und in Ostdeutschland 1991– 2012 — Mittelwerte¹

Westdeutschland Ostdeutschland
1 1

1,5 1,5 SELBER


SELBER NATGES
2 2 NATENT
NATGES
NATENT
2,5 2,5

3 FÜRUNS 3
PERSÖN
TOD
3,5 3,5
GOTT
TOD
4 4 FÜRUNS
PERSÖN
4,5 4,5 GOTT

WENSINN WENSINN
5 5
1982 1991 1992 2002 2007 2012 1991 1992 2002 2007 2012

1  Mittelwerte auf Basis einer Zustimmungsskala von 1 »stimme voll und ganz zu« bis 5 »stimme überhaupt nicht zu«.
Datenbasis: ALLBUS 1982 – 2012; Bertelsmann Religionsmonitor 2007.

weil ihre Folgen mit der neuen Sozial­ gleiche Unterstützung immanenter Welt-
ordnung weniger in Widerspruch gerie- bilder in beiden Landesteilen zeigt – mit
ten als andere Nötigungen des Staatssozi- der neuen Sozial­ordnung vereinbar.
alismus. Die politische Ordnung des In Westdeutschland schreitet die frei-
Staatssozialismus wurde durch ­i hren Zu- willige Säkularisierung eher voran als
sammenbruch diskreditiert, der ihre In- dass sie zurückgeht. Die Konfessionen
effizienz und Ungerechtigkeit ­offenlegte. verlieren leicht an Mitgliedern, die Kir-
Daher haben die meisten ­O stdeutschen chen leicht an Besuchern, die christlichen
sich auch innerlich von ihr gelöst. Ebenso Überzeugungen leicht an Anhängern;
hat die »sozialistische ­Moral«, die in der die Gebetshäufigkeit und die diffuse Reli-
DDR einen Gemeinschaftssinn stiften giosität bleiben hingegen weitgehend
sollte, sich als desorientierend in einer So- konstant. Von einer Wiederkehr der Reli-
zialordnung erwiesen, in der unter- gion kann also in keinem Landesteil die
schiedliche Interessen anerkannt und Rede sein.
Konflikte zwischen ihnen gelöst werden
müssen. Deshalb haben sich fast alle Ost-
deutschen von dieser Moral distanziert.
Sie sahen nach der deutschen Vereini-
gung jedoch keinen Anlass, sich von ih-
rer säkularen Weltsicht zu lösen. Sie hat
sich weder wie die staatssozialis­tische
Ordnung diskreditiert noch in der neuen
Sozialordnung als desorientierend erwie-
sen. Im Gegenteil: sie ist – wie die nahezu

382
Zivilgesellschaftliches Engagement  / 12.3  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  / 12

12.3 Für das Funktionieren der Gesellschaft,


die Stärkung des gesellschaftlichen Zu-
hängigkeit vom Staat, eigenständige Ver-
waltung, gemeinnützige Ausrichtung und
Zivilgesellschaft- sammenhalts und für die Erhöhung der freiwilliges Engagement gekennzeichnet.
liches individuellen Lebensqualität hat das
­z ivilgesellschaftliche Engagement einen
Das zivilgesellschaftliche Engagement in
nicht-organisationsgebundenen Zusam-
Engagement unverzichtbaren Stellenwert. Die Bedeu- menschlüssen ist im Unterschied dazu in
tung des zivilgesellschaftlichen Engage- keine formale Struktur gebettet. Es er-
ments nimmt angesichts der zunehmen- folgt eher spontan im Alltag, ist in der
Mareike Alscher, Eckhard Priller
den Individualisierung und dem damit Regel zeitlich und räumlich befristet so-
Maecenata Institut für Philanthropie
verbundenem Verlust sozialer Bindungen wie zumeist personell − zum Beispiel an
und Zivilgesellschaft
zu. Die Vereinzelung der Gesellschafts- die Nachbarschaft oder den Bekannten-
mitglieder kann dabei die gesellschaft­ kreis − gebunden.
WZB / SOEP liche Integration von Menschen oder gan-
zen sozialen Gruppen erschweren. Das 12.3.1 Zivilgesellschaftliche
individuelle Engagement kann hingegen Organisationen als Infrastruktur
helfen Menschen einzubinden. Es schafft des Zivilengagements
Orientierung auf Gemeinschaft und bie- Organisationen wie Vereine, Verbände,
tet für den Einzelnen gemeinschaftsori- Stiftungen, gemeinnützige Gesellschaften
entierte Entfaltungsmöglichkeiten. Zivil- mit beschränkter Haftung bis hin zu we-
gesellschaftliches Engagement hat zu- niger formalisierten Organisationen der
gleich wichtige Funktionen bei weiteren Bürgerinitiativen bilden die institutionel-
gesellschaftlichen Entwicklungsprozes- le und infrastrukturelle Seite des Zivilen-
sen. So ist es eine wichtige Ressource im gagements in Deutschland. Insgesamt ist
demografischen Wandel – ehrenamtlich dieser Bereich sehr vielschichtig, dyna-
erbrachte Leistungen unterstützen bei- misch und durchdringt die gesamte Ge-
spielsweise Ältere oder leisten Bedeuten- sellschaft in ihren einzelnen Bereichen.
des bei der Integration von Menschen aus Gleichwohl wird die Gesamtzahl der Or-
anderen Kulturen. ganisationen in ihrer unterschiedlichen
Unter zivilgesellschaftlichem Engage- Größe, Zusammensetzung und Rechts-
ment wird ein individuelles Handeln ver- form bislang nicht systematisch erfasst.
standen, das sich durch Freiwilligkeit, Nur für einzelne Organisationsformen
fehlende persönliche materielle Gewinn- wie eingetragene Vereine und rechtsfähi-
absicht und eine Ausrichtung auf das Ge- ge Stiftungen bürgerschaftlichen Rechts
meinwohl auszeichnet. Ein Engagement liegen aktuelle Angaben vor. Die Vereins-
kann die Bereitstellung von Zeit beinhal- landschaft weist anhand der Angaben der
ten, es kann aber auch durch das Spenden Vereinsregister bei den deutschen Amts-
von Geld oder anderen materiellen Gü- gerichten ein hohes Wachstum auf. Zu
tern erfolgen. Das Engagement findet im diesen eingetragenen Vereinen kommen
öffentlichen Raum statt, das heißt in zivil- schätzungsweise mehrere Hunderttau-
gesellschaftlichen Organisationen oder in send nicht eingetragene Vereine, die kei-
weniger organisationsgebundenen Zu- ne Eintragung in den Vereinsregistern
sammenschlüssen. anstreben und zu deren Anzahl keine In-
Die zivilgesellschaftlichen Organisa- formationen vorliegen. u Abb 1
tionen bilden die wesentliche institutio- In den letzten 50 Jahren ist die Zahl
nelle Infrastruktur für das Engagement. der in Deutschland eingetragenen Verei-
Es handelt sich bei der Gesamtheit dieser ne beträchtlich gestiegen: Sie hat sich von
Organisationen um jenen gesellschaft­ rund 86 000 im Jahr 1960 (Westdeutsch-
lichen Bereich, der zwischen den Polen land) auf rund 589 000 im Jahr 2014 (Ge-
Markt, Staat und Familie angesiedelt ist. samtdeutschland) mehr als versechsfacht.
Die Organisationen sind durch eine for- Die steil ansteigende Kurve der einge­
male Struktur, organisatorische Unab- tragenen Vereine veranschaulicht ein

383
12 /  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  12.3 /  Zivilgesellschaftliches Engagement

u Abb 1  Entwicklung der Anzahl der Vereine in Deutschland 1960 – 2014 — in Tausend viele Gesellschaftsbereiche aktiv mit. Al-
lein die in der Bundesarbeitsgemeinschaft
700 zusammengeschlossenen sechs Spitzen-
verbände der Freien Wohlfahrtspf lege
600 (BAGFW) verfügten Ende 2012 über ins-
gesamt 105 295 Einrichtungen und Diens-
500
te mit 3 702 245 Betten beziehungsweise
400 Plätzen. In den Einrichtungen und Diens-
ten arbeiteten 1 673 861 Voll- und Teilzeit-
300
beschäftigte; das sind knapp 4 % aller Er-
200 werbstätigen in Deutschland. 2008 waren
es mit 102 393 Einrichtungen und Diens-
100
ten mit 3 699 025 Betten beziehungsweise
0 Plätzen und 1 541 829 Voll- und Teilzeit­
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 beschäftigten noch etwas weniger.
Einen bedeutenden Aufschwung hat
Datenbasis: Johns Hopkins Project; Vereinsstatistik V & M Service GmbH, Konstanz.
neben dem Vereinswesen auch das Stif-
tungswesen in Deutschland erlebt. Ende
Quellen: Johns Hopkins Project; Vereinsstatistik V & M Service GmbH, Konstanz des Jahres 2014 bestanden 20 784 rechts-
fähige Stiftungen bürgerlichen Rechts.
Während 2007 ein Zuwachs von 1 134
Wachstum, wie es nur in wenigen gesell- ruf / Wirtschaft / Politik auf, Freizeitverei- Stiftungen zu verzeichnen war, haben
schaftlichen Bereichen zu beobachten ist. ne waren sogar leicht im Rückgang sich die Zuwachsraten in den letzten Jah-
Gleichwohl flacht die Dynamik bei der (–1,3 %). Die Veränderungen weisen dar- ren zwischen 600 und 700 eingepegelt.
Neueintragung der Vereine ab. Zwischen auf hin, dass bestimmte Themen zeit­ Im Jahr 2014 wurden 691 Stiftungen neu
2011 und 2014 war nur noch ein Zuwachs bezogen einen konjunkturellen Auf- gegründet. Stiftungen sind bis auf Bür-
um 1,5 % zu verzeichnen. Neben der ge- schwung genießen, während andere we- gerstiftungen im Unterschied zu Verei-
ringer werdenden Zunahme bei den Ver- niger nachgefragt werden. nen weniger bedeutende Engagement­
einsgründungen zeigen sich über die Jah- Doch nicht nur die Zahl der eingetra- träger, dafür fördern sie dieses in hohem
re zugleich thematische Gewichtsverlage- genen Vereine ist – über einen längeren Maße. u Abb 2
rungen in den Tätigkeitsbereichen der Zeitraum betrachtet – absolut angestie- Der Bestand an Stiftungen in West-
Vereine. So wies die Vereinsstatistik für gen, auch ihre Dichte bezogen auf je und Ostdeutschland weist in beiden Lan-
den Zeitraum 2005 bis 2008 eine beson- 100 000 Einwohner hat bis heute stark desteilen nach wie vor ein starkes Un-
dere Zunahme der Kultur-, Interessen- zugenommen: Sie stieg zwischen 1960 gleichgewicht auf. Im Jahr 2014 gab es in
und Freizeitvereine sowie einen Rück- und 2011 von 160 auf 709 Vereine und Ostdeutschland 1 408 und in West-
gang bei den Umweltvereinen aus. Eine erreichte 2014 den Wert von 719. Sie hat deutschland (einschließlich Berlin) 19 376
etwas andere Dynamik ergab sich für den sich damit gegenüber Anfang der 1960er- Stiftungen. Während die Stiftungsdichte
Zeitraum 2008 bis 2011: Weiterhin befan- Jahre mehr als vervierfacht. Da der über- in Brandenburg mit 8, in Mecklenburg-
den sich Interessen- und Kulturvereine wiegende Anteil des Engagements in Vorpommern mit 10 sowie in Sachsen
in besonderem Maße auf Wachstums- Vereinen stattfindet, sind Veränderungen und Sachsen-Anhalt mit jeweils 12 Stif-
kurs, die Bereiche Freizeit sowie Beruf / in diesem Feld hierfür von zentraler Be- tungen je 100 000 Einwohner besonders
Wirtschaft und Politik verzeichneten deutung. gering war, lagen Bayern mit 30, Hessen
hingegen nur eine geringfügige Zunah- Neben den Vereinen kommt den Ver- mit 31 sowie die Stadtstaaten Bremen mit
me. Gleichzeitig war bei Umweltvereinen bänden in Deutschland ein besonderer 50 und Hamburg mit 77 Stiftungen je
wiederum nun ein deutlicher prozen­ Stellenwert zu. Nach der Rechtsform han- 100 000 Einwohner an der Spitze. Insge-
tualer Zuwachs erkennbar. Bis zum Jahr delt es sich dabei in der Regel um Vereine. samt bestanden in Deutschland 26 Stif-
2014 war nur noch in den Bereichen der Häufig sind sie als Dachverbände ein Zu- tungen je 100 000 Einwohner. Die Stif-
Kulturvereine (5,6 %) und der Interessen- sammenschluss von Organisationen. Als tungen verfügten über ein Vermögen von
verbände / Bürgerinitiativen (4 %) ein solche üben sie koordinierende Aufgaben mehr als 100 Milliarden Euro, das jedoch
spürbarer Anstieg festzustellen. Zu- aus und vertreten die Interessen der Mit- durch die Finanzkrise geschrumpft ist.
wachsraten unter 2 % wiesen Umwelt- gliedsorganisationen gegenüber der Poli- Allerdings ist zu vermerken, dass es in
und Sportvereine sowie der Bereich Be- tik. In diesen Funktionen gestalten sie Deutschland im Unterschied zu den USA

384
Zivilgesellschaftliches Engagement  / 12.3  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  / 12

Abbildung 2: Stiftungsgründungen in Deutschland, 1990 bis 2014

u Abb 2  Stiftungsgründungen in Deutschland 1990 – 2014

1 134

1 020

899 914
852 880
829 824 817
774 784
691
681
645 638
564
505
466
385 411
325 323
290
181 201

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

Datenbasis: Bundesverband Deutscher Stiftungen 2014.

Quelle: Bundesverband Deutscher Stiftungen 2010

u Abb 3  Probleme zivilgesellschaftlicher Organisationen 2011/2012 — in Prozent

nur wenige große Stiftungen gibt, die


über hohe Vermögenserträge verfügen. 67
Fehlende Planungs-
Der überwiegende Teil der Stiftungen hat sicherheit aufgrund unklarer
84
48
einen eher geringen Vermögensstock. Im Einnahmenentwicklung
45
Jahr 2014 hatten 26 % der Stiftungen ein
Vermögen von bis zu 100 000 Euro, 46 %
44
besaßen bis zu 1 Million, 22 % bis zu 10 Zunehmend marktförmige
79
Strukturen, Effizienz- und
Millionen, 5 % bis zu 100 Millionen Euro Konkurrenzdruck
52
16
und bei lediglich 1 % der Stiftungen lag
das Vermögen bei über 100  Millionen
68
Euro. 47
Überalterung
Zivilgesellschaftliche Organisationen 67
30
erleben in den letzten Jahren einige Ver-
änderungen. Die äußeren Rahmenbedin-
gungen verlangen von ihnen ein stärker 62
Nachlassendes
43
wirtschaftlich ausgerichtetes Handeln, Gemeinschaftsgefühl
64
in der Organisation
wodurch sich Tendenzen einer zuneh- 12

menden »Ökonomisierung« ihrer Arbeit


bemerkbar machen. Dies führt aber nicht Verein gGmbH Genossenschaft Stiftung

nur zu einer höheren Wirtschaftlichkeit,


Datenbasis: Organisationen heute – zwischen eigenen Ansprüchen und ökonomischen Herausforderungen,
sondern auch zu Problemen: So werden Erhebung des WZB bei 3 111 Vereinen, gGmbHs, Genossenschaften und Stiftungen, Erhebungszeitraum 2011 /  2012.

in Untersuchungen besonders die Pla-


nungsunsicherheit aufgrund unklarer
Einnahmeentwicklungen sowie die Kon-
frontation mit einer Zunahme markt­
förmiger Strukturen, die zu einem ver- Eine Überalterung der aktiven Personen, 12.3.2 Zivilgesellschaftliches
stärkten Effizienz- und Konkurrenz- das nachlassende Gemeinschaftsgefühl Engagement
druck führen, von den Organisationen in den Organisationen und das Problem, Das freiwillige und unentgeltlich geleiste-
benannt. Neben den ökonomisch gela- freiwillig Engagierte für die eigene Ar- te Engagement ist ein unverzichtbares
gerten Herausforderungen bestehen beit zu gewinnen, sind dabei von zentra- Kernelement der zivilgesellschaftlichen
Schwierigkeiten in sozialer Hinsicht. ler Bedeutung. u Abb 3 Organisationen. An das Zivilengagement

385
12 /  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  12.3 /  Zivilgesellschaftliches Engagement

wird ein ganzes Bündel von Erwartungen ­einem zivilen Umgang herauszubilden. Nach einer Langzeitbetrachtung ist
geknüpft. Darunter hebt sich allgemein Es trägt dazu bei, die Kommunikations- der Anteil der Engagierten in der Bevöl-
die Sicherung der Partizipationschancen bereitschaft und -fähigkeit, das wechsel- kerung ab 16 Jahren von 23 % im Jahr
des Bürgers, indem er sich stärker unmit- seitige Verständnis, die gemeinsame Be- 1985 auf 33 % im Jahr 2011 gestiegen.
telbar an gesellschaftlichen Belangen be- ratung und den Austausch von Argu- Seitdem trat ein leichter Rückgang ein,
teiligen kann, hervor. Das Engagement menten der Bürger untereinander, aber sodass in 2013 die Engagementbeteili-
beschränkt sich dabei nicht nur auf das auch zwischen Bürgern und Institutionen gung 30 % betrug. u Abb 4
Wirken der Bürger in speziellen Organi- zu praktizieren. Die Unterscheidung zwischen einem
sationen der politischen oder allgemei- Die Rolle des zivilgesellschaftlichen regelmäßigen Engagement (zumindest mo-
nen Interessenvertretung, sondern reicht Engagements ist dabei sehr unterschied- natlich) und einem selteneren En­gagement
von Sport und Freizeit über Kultur und lich. Beispielsweise unterscheidet sich das zeigt, dass besonders das regel­mäßige En-
Soziales bis zu Umwelt und Tierschutz. Engagement im Rahmen eines Sportver- gagement zugenommen hat (2013 rund
Als Basis demokratischer Gesellschaften eins von jenem in Bürgerinitiativen und 20 %). Zurückgegangen ist der Anteil jener,
tragen die Aktivitäten in diesen Organi- solchen Organisationen, die als soge- die sich seltener als monatlich engagieren
sationen zur Interessenbündelung und nannte Themenanwälte in Bereichen wie (2013 rund 11 %). Nach den Zeitbudgeter-
-artikulation bei. Durch die Herausbil- Umwelt oder in internationalen Aktivitä- hebungen des Statistischen Bundesamtes
dung von demokratischen Normen, sozi- ten tätig sind. Letztere haben in den zu- von 2001/2002 und 2012/2013 ist der Zeit-
alen Netzen und Vertrauensverhältnissen rückliegenden Jahrzehnten unter dem aufwand der Frauen mit 1:42 Stunden pro
fördert es die Kooperation, hält Rei- Gesichtspunkt einer stärkeren Einmi- Woche gleichgeblieben, während jener
bungsverluste gering und führt damit schung des Bürgers in gesellschaftliche der Männer von 2:01 auf 1:47 Stunden
letztendlich dazu, dass die Gesellschaft Belange einen beträchtlichen Zulauf und pro Woche zurückgegangen ist.
insgesamt besser funktioniert. bedeutenden Aufschwung erfahren. Differenzierte Angaben zum Engage-
Einen besonderen Stellenwert besitzt Doch auch die Rolle zahlreicher Sport- ment liefern die Daten des Freiwilligen-
das Zivilengagement bei der Sicherung vereine ist mit der Zeit über ihren engen surveys. Mit seinen bislang veröffentlich-
des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Tätigkeitskontext hinausgewachsen und ten drei Erhebungszeitpunkten 1999, 2004
Es hilft, die in der sozial zunehmend aus- ihre integrative Funktion, die sie vor und 2009 und jeweils mindestens 15 000
differenzierten Gesellschaft geforderten ­a llem auf lokaler Ebene innehaben, darf Telefoninterviews stellt er eine fundierte
Fähigkeiten zum Kompromiss und zu nicht unterschätzt werden. Datenbasis dar. Zu den Hauptaussagen des

u Abb 4  Entwicklung der Engagementbeteiligung 1985 – 2013 — in Prozent

40

30

20

10

0
1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2011 2013

Gesamt Mindestens monatlich Seltener

Datenbasis: SOEP 1985 – 2013; eigene Berechnungen.

386
Zivilgesellschaftliches Engagement  / 12.3  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  / 12

Freiwilligensurveys zählt, dass sich ein uTab 1  Zivilengagement nach soziografischen Gruppen 1999, 2004 und 2009
­hoher Anteil der Bevölkerung freiwillig — in Prozent
engagiert. Engagierte übernehmen ganz Darunter: Gering organisations­-
Zivilengagement
unterschiedliche Aufgaben. Die einen füh- gebundenes Engagement
ren eine Leitungsfunktion aus, andere or- 1999 2004 2009 1999 2004 2009
ganisieren Veranstaltungen und wieder Insgesamt 34 36 36 14 13 15
andere sind Lesepaten. Der Anteil der En- Geschlecht
gagierten ist über die Jahre konstant ge- Männer 38 39 40 11 11 12
blieben. Während 1999 die Zahl der frei- Frauen 30 33 32 17 16 18
willig Engagierten bei 34 % lag, hat sich Alter
deren Anteil 2004 leicht auf 36 % erhöht 14 – 29 Jahre 35 35 35 15 17 19
und blieb 2009 auf diesem Niveau. u Tab 1
30 – 59 Jahre 38 40 40 13 13 14
Hinter der hohen Stabilität in der En-
Ab 60 Jahre 26 30 31 13 12 12
gagementbeteiligung stecken eine Reihe
von gruppenbezogenen Unterschieden Erwerbsstatus

und gegenläufigen Tendenzen. Sie werden Erwerbstätige 38 40 40 13 11 13

bereits sichtbar, wenn die Entwicklung Arbeitslose 24 27 26 11 16 15


des Engagements nach Altersgruppen Schüler/-innen, Azubis,
37 38 38 18 19 21
­näher betrachtet wird. Während in eini- Student/-innen

gen Gruppen die Engagementquote weiter Hausfrauen und -männer 38 37 36 14 14 17

ansteigt, ist sie in anderen rückläufig. Rentner/-innen, Pensionäre 25 28 30 13 13 14


Obwohl Jugendliche eine zivilgesell- Bildungsniveau ¹
schaftlich aktive Gruppe sind, wie es sich Einfaches Bildungsniveau 25 26 23 12 11 11
zumindest für die 14- bis 29-Jährigen im
Mittleres Bildungsniveau 37 37 37 12 13 14
Zeitraum 1999 bis 2009 abbilden lässt,
Hohes Bildungsniveau 41 43 45 17 14 15
gibt es aktuell Hinweise auf Veränderun-
gen ihres Engagementverhaltens. In Stu- Region

dien jüngeren Datums (Shell Jugend­ Ost 28 31 30 15 16 17


studie 2015, AID:A 2015) zeichneten sich West 36 37 37 13 13 14
rückläufige Engagementquoten unter
1 Einfaches Niveau: kein beziehungsweise Volks- oder Hauptschulabschluss, Abschluss 8. Klasse;
­jungen Menschen ab. Zu den Ursachen mittleres Niveau: mittlere und Fachhochschulreife, Abschluss 10. Klasse;
hohes Niveau: Abitur / Hochschulreife beziehungsweise abgeschlossenes Hochschulstudium.
zählen eine gestiegene räumliche Mobil­ Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999, 2004, 2009; eigene Berechnungen.

ität und die Verringerung der zeitlichen


Freiräume durch Veränderungen im Zeit-
regime von Schule und Studium (zum
Beispiel durch Ganztagsschulen). Bei den dingungen verändert. Nach Angaben aus gagieren sich Menschen in neu gegründe-
älteren Menschen gab es eine kontinuier- den Zeitbudgeterhebungen des Statisti- ten Vereinen. Das Engagement im Sport
liche Steigerung des Engagements. Dies schen Bundesamtes engagierten sich die sowie im kirchlichen und religiösen Be-
ist Ausdruck eines aktiven Alterns und meisten Personen ab einem Alter von reich ging weniger stark zurück. Im sozi-
­einer Zunahme des lebenslangen Lernens. zehn Jahren in den Vergleichsuntersu- alen Bereich wie beispielsweise bei den
Weitere Aspekte wie ein höherer Bil- chungen von 2001/2002 und 2012/2013 in Wohlfahrtsverbänden, in den Bereichen
dungsabschluss oder eine Erwerbstätig- den Bereichen Kirche und religiöse Ge- Umwelt- und Tierschutz, Schule und Kin-
keit, aber auch die enge kirchliche Bin- meinschaften, Sport, im sozialen Bereich dergarten sowie bei den Rettungsdiens-
dung, das Vorhandensein von Kindern und in Schule/Kindergarten. Der Anteil ten und bei der Feuerwehr engagierten
im Haushalt, die Mitgliedschaft in einer engagierter Personen ist besonders im sich hingegen mehr Personen. Die Ursa-
Organisation sowie eine gute wirtschaft- Bereich Kultur und Musik um fast die chen für die Veränderungen sind vielfäl-
liche Situation sind noch immer wichtige Hälfte gesunken. In Relation zur Zunah- tig. Die Tendenz, dass Eltern immer mehr
Faktoren, die Engagement fördern. me an Kulturvereinen ist diese Entwick- das Geschehen in Bildungs- und Betreu-
Das Engagement verteilt sich unter- lung Ausdruck für ein stetiges Wachsen ungseinrichtungen mitgestalten wollen,
schiedlich auf einzelne Bereiche, wobei es des eher kleinteiligen Engagements. kann zu ihrer zunehmenden Mitwirkung
sich entsprechend allgemeiner Entwick- Während das Engagement in etablierten als Elternvertreter oder in einem Förder-
lungen und gesellschaftlicher Rahmenbe- Kulturorganisationen stark nachlässt, en- verein führen. Eine stärkere den elektro-

387
12 /  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  12.3 /  Zivilgesellschaftliches Engagement

nischen Medien zugewandte Kulturre- Diskrepanz zwischen Jung und Alt ver- Bildungsniveau ausgeübt. Personen mit
zeption kann eine Ursache für den Enga- stärkt hat. Das geringer organisationsge- einem niedrigen Bildungsstatus sind ins-
gementrückgang in diesem Bereich sein. bundene Engagement von jungen Men- gesamt weniger engagiert. Allerdings hat
schen ist zwischen 1999 und 2009 um 4 % sich der Unterschied zwischen den Bil-
12.3.3 Gering organisations­ gestiegen. Die größeren Freiheitsgrade dungsgruppen in dieser Engagementform
gebundenes Engagement und Spielräume, die dieses Engagement nach den Angaben des Freiwilligensurveys
Neben dem organisationsgebundenen bietet, sind offenbar eher für jüngere nicht vergrößert.
Engagement, also jenem in den zivilge- Menschen attraktiv.
sellschaftlichen Organisationen, finden Auffällig bei dem geringer organisati- 12.3.4 Spenden
auch in anderen Zusammenschlüssen onsgebundenen Engagement sind auch Neben dem Spenden von Zeit engagieren
Aktivitäten des freiwilligen Engagements die Unterschiede zwischen Frauen und sich Menschen durch das Spenden von
statt. Es handelt sich dabei um ein gerin- Männern. Frauen engagierten sich auf Geld für gemeinwohlorientierte Zwecke.
ger organisationsgebundenes Engage- diese Weise zu 18 %, Männer dagegen nur Spenden sind ein freiwilliger finanzieller
ment, das in Selbsthilfegruppen, Initiati- zu 12 %. Die insgesamt etwas geringere Transfer, bei dem der Spender keine äqui-
ven, Projekten und selbstorganisierten Engagementbeteiligung von Frauen hebt valente materielle Gegenleistung erhält.
Gruppen erfolgt. Die beiden Engage- sich also im stärker selbstorganisierten Die Spenden gehen zumeist an zivilge-
mentformen unterscheiden sich vor allem Engagement zu ihren Gunsten auf. Der sellschaftliche Organisationen, die sie in
in organisatorischer Hinsicht. Das Enga- geschlechtsspezifische Unterschied in Be- der Regel an Bedürftige weiterleiten oder
gement in geringer formalisierten Zu- zug auf dieses Engagement erklärt sich damit ausgewählte Projekte finanzieren.
sammenschlüssen folgt häufig keinen so anhand der Aktivitätsbereiche, in denen Nach den Angaben des Freiwilligen-
festen Regeln und hierarchischen Struk- das geringer organisationsgebundene surveys spendet ein beachtlicher Anteil
turen, wie sie zum Beispiel im Sport oder Engagement stattfindet. Hierbei handelt der Deutschen. Während 1999 und 2004
in Wohlfahrtsorganisationen zu finden es sich in erster Linie um die Bereiche deutlich mehr als 60 % der über 14-Jähri-
sind. Die Engagierten bestimmen selbst- Schule und Kindergarten, Gesundheit so- gen angaben, in den letzten zwölf Mona-
ständig über Ziele oder Aktivitäten, da wie Soziales, die allgemein stärker durch ten für soziale oder gemeinnützige Zwe-
bestimmte Gremien wie Vorstände feh- ein weibliches Engagement geprägt sind. cke gespendet zu haben, ging dieser An-
len. Einer geringeren Kontinuität und Ein Vergleich zwischen Ost- und teil 2009 auf 58 % zurück. Andere
Planbarkeit des Engagements stehen da- Westdeutschland zeigt, dass bei dem En- Erhebungen gelangen zu deutlich gerin-
bei größere Spielräume für Kreativität gagement in Selbsthilfegruppen, Initiati- geren Spenderanteilen. Das SOEP ermit-
und Improvisation gegenüber. ven, Projekten und selbst organisierten telte einen Anteil von 40 % der Bundes-
Das Engagement in Selbsthilfegrup- Gruppen regionale Unterschiede beste- bürger, die 2009 spendeten. Alle Unter-
pen, Initiativen, Projekten und selbstor- hen: In Ostdeutschland (17 %) war dieses suchungen kommen jedoch zu dem
ganisierten Gruppen ist in den letzten Engagement etwas stärker ausgeprägt als Ergebnis, dass sich an Spendenaktivitä-
Jahren stabil geblieben. Im Jahr 2009 er- in Westdeutschland (14 %). Die Unter- ten nicht alle Bevölkerungsgruppen in
folgten 15 % des Engagements durch ge- schiede zwischen Ost- und Westdeutsch- gleichem Maße beteiligen. Die Spenden-
ringer organisationsgebundene Zusam- land sind zum Teil auf das Engagement beteiligungsquote der Westdeutschen
menschlüsse. Dabei war das weniger von arbeitslosen Personen, deren Anteil liegt im Durchschnitt um gut 10 Pro-
­formalisierte Engagement bei einigen ge- in Ostdeutschland noch immer bedeu- zentpunkte höher als jene der Ostdeut-
sellschaftlichen Gruppen stärker ausge- tend höher ist, zurückzuführen. Neben schen. Dieses Gefälle zeigt sich ebenfalls
prägt als bei anderen. jungen Menschen und Frauen sind auch bei der Spendenhöhe. Während nach den
Deutliche Unterschiede bestehen zwi- sie stärker in weniger formalisierten Zu- Angaben des SOEP im Jahr 2009 die
schen den Altersgruppen: Das Engage- sammenschlüssen engagiert. Grundsätz- Westdeutschen Spender im Durchschnitt
ment in geringer organisationsgebunde- lich minimiert ein Erwerbsstatus, der 213 Euro spendeten, lag der Wert bei den
nen Kontexten nimmt mit zunehmendem durch ein geregeltes Einkommen und fes- Ostdeutschen mit 136 Euro deutlich
Alter ab. Personen im Alter von 14 bis 29 te Arbeitszeiten gekennzeichnet ist, die niedriger. Die geschlechtsspezifischen
Jahren engagierten sich im Jahr 2009 zu Wahrscheinlichkeit in weniger formali- Unterschiede im Spendenverhalten zei-
19 % in Selbsthilfegruppen, Initiativen, sierten Kontexten freiwillig engagiert zu gen – das belegen ebenfalls alle Unter­
Projekten, selbstorganisierten Gruppen sein. Das geringer organisationsgebunde- suchungen – dass Frauen in Deutschland
und anderen eher losen Zusammen- ne Engagement ist des Weiteren vom Bil- zu einem leicht höheren Anteil spenden.
schlüssen; dies taten dagegen nur 12 % dungsniveau abhängig. Auch selbstorga- Für die unterschiedliche Spendenbetei­
der 60-Jährigen und Älteren. Die Ergeb- nisiertes Engagement wird eher von Per- ligung beider Geschlechter wird oft
nisse im Zeitablauf zeigen, dass sich die sonen mit hohem als mit einfachem die durchschnittlich längere Lebens­

388
Zivilgesellschaftliches Engagement  / 12.3  Freizeit und gesellschaftliche Partizipation  / 12

u Tab 2  Spenden 1999 – 2009 — in Prozent wirtschaftlichen Absicherung eines gro-


1999 2004 2009
ßen Teils dieser sozialen Gruppe.
Insgesamt geht also ein nachhaltiger
Insgesamt 63 64 58
Einfluss vom Einkommen auf das Spen-
Geschlecht
denverhalten aus: Zur Erklärung des Zu-
Männer 62 62 56
sammenhangs zwischen Einkommen
Frauen 65 66 60
und Spendenverhalten wird oft angeführt,
Alter
dass höherer Wohlstand den Personen
14 – 29 Jahre 43 38 33
die Möglichkeit bietet, einen Teil ihres
30 – 59 Jahre 67 66 59
Vermögens anderen Menschen oder Pro-
Ab 60 Jahre 75 78 74
jekten zukommen zu lassen, ohne selbst
Erwerbsstatus
in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu ge-
Erwerbstätige 65 66 60
raten oder Verzicht leisten zu müssen.
Arbeitslose 46 44 29
Bezieher von hohen Einkommen verkraf-
Schüler/-innen, Auszubildende / Studenten/-innen 41 36 30
ten demnach eine finanzielle Förderung
Hausfrauen und -männer 70 70 58
gemeinnütziger Zwecke leichter und
Rentner/-innen, Pensionäre 74 77 74
dementsprechend nimmt die Spenden-
Bildungsniveau ¹
Einfaches Bildungsniveau 61 62 54
freudigkeit mit steigender Prosperität zu.
Mittleres Bildungsniveau 62 65 60
Hohes Bildungsniveau 71 71 67
12.3.5 Zusammenfassung
Region
Das zivilgesellschaftliche Engagement in
Ost 54 52 49
Deutschland ist zu einer festen Größe der
West 66 67 61
Gesellschaft geworden. Die Anzahl der
zivilgesellschaftlichen Organisationen, in
1 Einfaches Niveau: kein beziehungsweise Volks- oder Hauptschulabschluss, Abschluss 8. Klasse;
mittleres Niveau: mittlere und Fachhochschulreife, Abschluss 10. Klasse; denen das Engagement häufig ausgeübt
hohes Niveau: Abitur / Hochschulreife beziehungsweise abgeschlossenes Hochschulstudium.
Datenbasis: Freiwilligensurvey 1999, 2004, 2009; eigene Berechnungen. wird, ist über die Jahre angestiegen.
Gleichwohl oder auch gerade deshalb ha-
ben diese Organisationen zunehmend
Probleme, Engagierte zu finden. In den
erwartung von Frauen verantwortlich rungsansätzen führt man die größere verschiedenen Engagementformen – orga-
gemacht, da ältere Personen häufiger Spendenbereitschaft der älteren Personen nisationsgebunden, geringer organisa­
spenden als jüngere. u Tab 2 eher auf deren höheres und gesichertes tionsgebunden oder Spenden – sind ein-
Mit zunehmendem Alter wächst die Einkommen, das angesammelte Vermögen zelne Bevölkerungsgruppen stärker ver-
Spendenbeteiligung. Besonders gering sowie damit insgesamt auf deren bessere treten als andere. Personen, die sich in
­fallen die Geldspendenanteile bei den Be- wirtschaftliche Situation zurück. einer Organisation engagieren oder spen-
fragten im Alter von 14 bis 29 Jahren aus. Wie schon das zeitgebundene zivilge- den, sind in der Regel mindestens mittle-
In dieser Gruppe spendete nach Angaben sellschaftliche Engagement beeinflussen ren Alters, erwerbstätig und wirtschaft-
des Freiwilligensurvey 2009 nur jeder Drit- Bildungsmerkmale auch das Spendenver- lich abgesichert. Im Vergleich dazu sind
te. Viele Menschen beginnen offensichtlich halten gravierend. Zu einem besonders Personen, die sich in weniger formalisier-
erst im mittleren Alter mit dem Spenden. hohen Anteil spenden Personen mit einem ten Zusammenschlüssen engagieren eher
In den Altersgruppen über 60 Jahren steigt hohen Bildungsniveau Geld, während die jung und nicht erwerbstätig. Es haben
die Spendenbereitschaft drastisch an – drei Spenderquote bei einem einfachen Bil- also demnach einerseits nicht alle Perso-
von vier Personen spendeten hier kontinu- dungsniveau weit geringer ausfällt. nen die gleichen Zugangschancen zu den
ierlich über den betrachteten Zeitraum. Bei Der Erwerbsstatus beeinflusst eben- zivilgesellschaftlichen Engagementfor-
den Gründen für den deutlichen Einfluss falls die Spendenbereitschaft. Arbeitslose men, andererseits ermöglichen die unter-
des Alters auf das Spendenverhalten geht spenden erklärtermaßen aus ihrer wirt- schiedlichen Engagementgelegenheiten
man davon aus, dass Menschen gleichen schaftlichen Situation heraus seltener als einem breiteren Personenkreis ein Enga-
Alters zu einem ähnlichen Verhalten Erwerbstätige. Nichterwerbstätige, zu de- gement. Veränderungen in der Gesell-
­tendieren, da sie gleiche beziehungsweise nen besonders Personen im Rentenalter schaft und im Alltag der Menschen schla-
ähnliche Erfahrungen in ihrer Kindheit gehören, haben die höchste Spenderquote. gen sich in der Engagementbeteiligung,
(zum Beispiel Krieg, Solidarität) gemacht Dies ist offensichtlich Ausdruck ihrer all- den bevorzugten Bereichen und im Zeit-
haben. Nach sozioökonomischen Erklä- gemeinen Lebenssituation und der guten aufwand nieder.

389
82 %
der Ostdeutschen und 90 % der
Westdeutschen empfanden 2014 die
Demokratie als beste Staatsform.

4 %
26 % der Deutschen waren
2014 Mitglied einer
­poli­tischen Partei.
der Westdeutschen zwischen 18 und
29 Jahren interessierten sich 2014 für
Politik. Damit lag der Anteil politisch
Interessierter bei den Jüngeren um ­
12 Prozentpunkte niedriger als im
Bevölkerungsdurchschnitt.

91%
ca. 90 %
der Dänen waren 2015 mit dem
­Funktionieren der Demokratie im
­e igenen Land zu­f rieden; bei den
Deutschen waren es 71 %.
der Bürgerinnen und Bürger
stimmten 2014 einer staat­lichen
Zuständigkeit für soziale Ab-
sicherung zu.
13
Demokratie und
politische Partizipation
13.1 Ein freier und demokratischer Staat ist
auf die aktive Mitwirkung der Bürgerin-
gewählt. Seit der Bundestagswahl 2009
sind eine Reihe wahlrechtlicher Neurege-
Teilnahme am nen und Bürger angewiesen. Inwieweit lungen in Kraft getreten, insbesondere
politischen die Menschen ihre durch die Verfassung
garantierten Rechte wirklich nutzen und
für die Zuteilung der Sitze im Deutschen
Bundestag. Nunmehr sind bei der Sitz-
Leben durch Politik, Wirtschaft oder Kultur mitgestal- verteilung in Wahlkreisen direkt gewon-
Wahlen ten – darüber kann die amtliche Statistik
einige Anhaltspunkte liefern.
nene Mandate, die nicht von den für sie
im Verhältnis abgegebenen Zweitstim-
Für die Lebendigkeit der Demokratie men gedeckt sind (sogenannter Zweit-
Brigitte Gisart ist es von entscheidender Bedeutung, in stimmenproporz), durch weitere Mandate
welchem Maße die Bürgerinnen und Bür- auszugleichen, um den Grundcharakter
ger von ihren in der Verfassung garantier-der Verhältniswahl zu wahren. Einzelhei-
Destatis
ten Rechten Gebrauch machen und damit ten hierzu enthalten die Internetseiten
Einfluss auf die politische Willensbildung des Bundeswahlleiters.
nehmen. Die Ausübung des Wahlrechts Die Wahl zum 18. Deutschen Bundes-
spielt dabei eine zentrale Rolle, denn mittag fand am 22. September 2013 statt.
ihr wird über die Zusammensetzung der Wahlberechtigt waren 61,9  Millionen
demokratischen Vertretungen in Gemein- Deutsche, von denen sich 44,3 Millionen
de, Land, Bund und der Europäischen an der Wahl beteiligten, das sind 71,5 %.
Union entschieden. Da in der Bundes­ Die Wahlbeteiligung lag damit lediglich
republik Deutschland keine gesetzliche 0,7  Prozentpunkte über dem bislang
Wahlpflicht besteht, wird die Wahlbetei­ niedrigsten Wert von 2009 (70,8 %). Be-
ligung – unter gewissen Einschränkungen trachtet man die Wahlbeteiligung in den
– auch als Gradmesser für das politische Bundesländern, ergibt sich ein sehr un-
Interesse der Menschen herangezogen. Sie terschiedliches Bild. In acht Ländern lag
weist deutliche Unterschiede auf, je nach- sie über dem Bundesdurchschnitt. Am
dem ob es sich um Bundestags-, Landtags-, höchsten war sie in Baden-Württemberg
Kommunalwahlen oder Wahlen zum Euro- mit 74,3 %, gefolgt von Niedersachsen
päischen Parlament handelt. u Info 1 mit 73,4 % und Hessen mit 73,2 %. Die
niedrigsten Wahlbeteiligungen gab es in
13.1.1 Bundestagswahlen Thüringen mit 68,2 %, Mecklenburg-
Gemäß Artikel 39 Absatz 1 des Grund­ Vorpommern mit 65,3 % und in Sachsen-
gesetzes wird der Bundestag auf vier Jahre Anhalt mit 62,1 %. In allen neuen Län­

391
13 /  Demokratie und politische Partizipation  13.1 /  Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

dern lag die Wahlbeteiligung, wie bereits u Info 1

seit der Bundestagswahl 2002, unter dem Wer ist wahlberechtigt?


Bundesdurchschnitt. u Tab 1, Abb 1 Das Recht, sich aktiv an einer Wahl zu beteiligen, steht den Menschen zu, die am Wahltag unter
Jede Wählerin und jeder Wähler hat anderem folgende Voraussetzungen erfüllen:
zwei Stimmen. Mit der Erststimme ent- ‧‧ in der Regel der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit,
scheiden die Wählerinnen und Wähler ‧‧ das Erreichen eines Mindestalters und
‧‧ e ine Mindestdauer der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet.
für 299 Bundestagswahlkreise, welche
Direktkandidatin beziehungsweise wel- Außerdem darf kein Wahlrechtsausschluss vorliegen. Das Wahlrecht kann unter anderem nämlich
cher Direktkandidat sie im Deutschen durch richter­liche Entscheidung für die Dauer von zwei bis fünf Jahren entzogen werden, wenn
­e ine schwere Straftat (zum Beispiel Landesverrat) begangen wurde.
Bundestag vertreten soll. Mit der Zweit-
Bei der Bundestagswahl sind alle mindestens 18-jährigen Deutschen wahlberechtigt, die im Inland
stimme entscheidet sich die Wählerin
seit mindestens drei Monaten eine Wohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhalten.
beziehungsweise der Wähler für eine be- Auch im Ausland lebende Deutsche (sogenannte Auslandsdeutsche) können sich aktiv an Bundes-
stimmte Partei (Landesliste). Die Zweit- tagswahlen beteiligen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen und eine Eintragung in ein
Wählerverzeichnis beantragen.
stimmen sind für die Gesamtzahl der Ab-
geordneten einer jeden Partei und für das Bei Landtagswahlen sind alle Deutschen wahlberechtigt, die am Wahltag das 18. Lebensjahr
(in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein das 16. Lebensjahr) vollendet haben
Stärkeverhältnis der Parteien im Deut- und seit mindestens drei Monaten im jeweiligen (Bundes-)Land sesshaft sind.
schen Bundestag ausschlaggebend. u Abb 2
Wahlberechtigt zur Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundes­
Die CDU erreichte im Herbst 2013 ei- republik Deutschland sind alle mindestens 18-jährigen Deutschen, die seit mindestens drei Monaten
nen Zweitstimmenanteil von 34,1 % und im Bundesgebiet oder den übrigen Mitgliedstaaten der EU wohnen oder sich sonst gewöhnlich
wurde damit stärkste Partei. Gegenüber ­auf­halten. Ferner sind die Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der EU mit Wohnsitz oder
gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet (sogenannte Unionsbürgerinnen und -bürger) sowie
der Bundestagswahl 2009 gewann sie die oben genannten Auslandsdeutschen wahlberechtigt.
6,9  Prozentpunkte hinzu. In allen Län-
Voraussetzung für die Teilnahme an Kommunalwahlen ist ebenfalls das Wohnen oder der sonstige
dern (ohne Bayern) konnte sie Gewinne gewöhnliche Aufenthalt in der jeweiligen Gemeinde. In einigen Ländern (Baden-Württemberg,
erzielen – zwischen 4,3 Prozentpunkten Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-West­falen,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) gilt ein Mindestalter von 16 Jahren. Das Grund­g esetz
in Hamburg und 11,2 Prozentpunkten in gibt außerdem vor, dass bei Wahlen in Kreisen und in Gemeinden außer Deutschen auch Unions-
Brandenburg sowie Baden-Württemberg. bürgerinnen und -bürger wahlberechtigt sind.
Außer in Bremen und Hamburg wurde
sie in allen Ländern stärkste Partei.
Auch die CSU konnte im Herbst 2013
u Tab 1  Wahlberechtigte und Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen
einen Gewinn an Zweitstimmen ver­
buchen. Der Zweitstimmenanteil stieg Wahl­berechtigte Wahlbeteiligung

von 42,5 % (2009) auf 49,3 % der in Bayern in 1 000 in %


abgegebenen Stimmen. Damit erzielte die 1949 ¹ 31 208 78,5
CSU 7,4 % aller gültigen Zweitstimmen 1953 ¹ 33 121 86,0
im Bundesgebiet – ihr Zweitstimmen­ 1957 35 401 87,8
anteil stieg gegenüber der Bundestags- 1961 37 441 87,7
wahl 2009 um 0,9 Prozentpunkte. 1965 38 510 86,8
Die SPD errang bei der letzten Bun- 1969 38 677 86,7
destagswahl 25,7 % aller gültigen Zweit- 1972 41 446 91,1
stimmen im Wahlgebiet. Im Vergleich 1976 42 058 90,7
zur Bundestagswahl 2009, bei der ihr 1980 43 232 88,6
Zweitstimmenanteil 23,0 % betragen hatte, 1983 44 089 89,1
gewann sie somit 2,7 Prozentpunkte. Im 1987 45 328 84,3
früheren Bundesgebiet erhielt sie bis zu 1990 60 437 77,8
6,3  Prozentpunkte mehr Zweitstimmen- 1994 60 452 79,0
anteile als 2009. Die höchsten Gewinne 1998 60 763 82,2
erzielte die SPD im Saarland, in Bremen 2002 61 433 79,1
und in Hamburg. In den neuen Ländern 2005 61 871 77,7
gab es nur in Sachsen-Anhalt und Meck- 2009 62 168 70,8
lenburg-Vorpommern Gewinne von 1,3 2013 61 947 71,5
beziehungsweise 1,2 Prozentpunkten. In
Bis 1987 früheres Bundesgebiet (ohne Berlin-West), seit 1990 Deutschland.
Brandenburg und Thüringen hingegen 1  Ohne Saarland.

392
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen  / 13.1  Demokratie und politische Partizipation  / 13

uAbb 1  Wahlbeteiligung nach Bundesländern bei der Bundestagswahl 2013 hatte sie Verluste in Höhe von 2,0 bezie-
— in Prozent hungsweise 1,5 Prozentpunkten hinzu-
nehmen.
DIE LINKE gewann bei der letzten
Bundestagswahl 8,6 % der gültigen Zweit-
stimmen. Das ist gegenüber der Bundes-
tagswahl 2009 ein Verlust von 3,3  Pro-
zentpunkten. Sie verlor in allen Ländern
Stimmenanteile, und zwar zwischen
1,7 Prozentpunkten in Berlin und 11,2 Pro-
zentpunkten im Saarland.
Die GRÜNEN erhielten 2013 von allen
gültigen Zweitstimmen 8,4 % und verlo-
ren damit gegenüber der vorherigen Bun-
destagswahl 2,3 Prozentpunkte an Zweit-
stimmen. Auch die GRÜNEN hatten in
allen Ländern Stimmeneinbußen zu ver-
zeichnen. Am niedrigsten waren die Ver-
luste mit 1,1 Prozentpunkten in Thürin-
gen und im Saarland, am höchsten in
Berlin mit 5,0 Prozentpunkten.
Die FDP erhielt 2013 nur 4,8 % der
gültigen Zweitstimmen und somit
9,8  Prozentpunkte weniger als bei der
Bundestagswahl 2009. Damit ist sie erst-
mals seit Gründung der Bundesrepublik
nicht im Bundestag vertreten. Die FDP
Deutschland 71,5 %
verlor in allen Ländern Zweitstimmen­
72,0 und mehr anteile, und zwar zwischen 6,8  Prozent-
70,0 bis unter 72,0 punkten in Brandenburg und 12,6  Pro-
68,0 bis unter 70,0 zentpunkten in Baden-Württemberg.
66,0 bis unter 68,0
Fasst man jeweils die Zweitstimmen
64,0 bis unter 66,0
unter 64,0
für die Parteien der Regierungskoalition
(CDU, CSU und SPD) und der Opposi­
tion (GRÜNE und DIE LINKE) zusam-
men, ergibt sich für die Koalition ein
u Abb 2  Zweitstimmenanteile der Parteien bei der Bundestagswahl 2013 — in Prozent Zweitstimmenanteil von 67,2 % und
somit 504 Sitze im Deutschen Bundestag.
15,7 Die Opposition verfügt dagegen lediglich
über 127 Sitze. u Abb 3, Abb 4
34,1 Scheiden Abgeordnete während der
8,4
Legislaturperiode aus dem Bundestag aus,
werden sie aus der Landesliste derjenigen
8,6 Partei ersetzt, für die sie bei der Wahl an-
7,4 getreten sind (Listennachfolge).
Frauen sind im Deutschen Bundestag
25,7 immer noch deutlich unterrepräsentiert.
Obwohl gut 2,2  Millionen mehr Frauen
als Männer wahlberechtigt waren und
CDU CSU SPD DIE LINKE GRÜNE Sonstige
der Anteil der weiblichen Abgeordneten
in den letzten 20 Jahren kontinuierlich
gestiegen ist, stellen sie im 18. Deutschen

393
13 /  Demokratie und politische Partizipation  13.1 /  Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

u Abb 3  Stimmenanteile der Parteien bei Bundestagswahlen — in Prozent

50

40

30

20

10

0
1949¹ 1953¹ 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005 2009 2013

CDU CSU SPD DIE LINKE² GRÜNE³ FDP Sonstige

Seit 1953 Zweitstimmen, bis 1987 früheres Bundesgebiet, seit 1990 Deutschland.
1  Ohne Saarland.
2  Bis zur Namensänderung durch Parteitagsbeschluss vom 17. Juli 2005: PDS.
3  1990 einschließlich Bündnis 90 / Grüne.

u Abb 4  Sitzverteilung im Deutschen Bundestag

300

240

180

120

60

0
1949¹ 1953¹ 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990 1994 1998 2002 2005 2009 2013

CDU CSU SPD DIE LINKE² GRÜNE³ FDP Sonstige

Bis 1987: früheres Bundesgebiet einschließlich der Abgeordneten von Berlin-West, seit 1990 Deutschland.
1  Ohne Saarland.
2  Bis zur Namensänderung durch Parteitagsbeschluss vom 17. Juli 2005: PDS.
3  1990 einschließlich Bündnis 90 / Grüne.

394
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen  / 13.1  Demokratie und politische Partizipation  / 13

Bundestag mit 229 Mandaten nur gut ein deutschen Bevölkerung. Die Generation Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Drittel (36 %) der 631 Abgeordneten. der 30- bis 59-Jährigen stellte mit Dagegen waren die altersspezifischen
Dabei wurden 62 Direktmandate von 30,8  Millionen bei der Bundestagswahl ­Unterschiede stärker ausgeprägt. Die ge-
Frauen gewonnen. Im 12. Deutschen 2013 die Hälfte aller Wahlberechtigten ringste Wahlbeteiligung war 2013 in den
Bundestag 1990 lag der Frauenanteil (50 %). Die Altersgruppe ab 60 Jahren um- ­A ltersgruppen der unter 30-Jährigen zu
noch bei rund 20 %. DIE LINKE und die fasste mit 21,3 Millionen gut ein Drittel beobachten. Nahmen die Erstwählerinnen
GRÜNEN erreichten mit jeweils 56 % der (34 %) aller potenziellen Wählerinnen und -wähler noch zu 64,2 % an der Wahl
Abgeordneten den höchsten Frauenanteil, und Wähler. Die jüngere Generation teil, ließ das Interesse bei den 21- bis
gefolgt von der SPD (42 %) und der CSU unter 30 Jahren machte mit 9,8 Millionen 24-Jährigen nach. In dieser Altersgruppe
sowie der CDU mit jeweils 25 %. nur knapp ein Sechstel (16 %) aller Wahl- war die niedrigste Wahlbeteiligung mit
Die repräsentative Wahlstatistik zeigt berechtigten aus. u Info 2 60,3 % zu verzeichnen. Von den 25- bis
sehr deutlich mit der Veränderung der Die Betrachtung der durchschnitt­ 29-Jährigen machten 62,4 % von ihrem
Zahlenstärke der einzelnen Altersgrup- lichen Wahlbeteiligung über alle Alters- Wahlrecht Gebrauch. In den folgenden Al-
pen die demografische Entwicklung der gruppen hinweg zeigt keine signifikanten tersgruppen nahm die Wahlbeteiligung

u Info 2
Was ist die repräsentative Wahlverhalten in Ost und West unterschiedlich
Wahlstatistik? Vor 25 Jahren – am 18. März 1990 – im Westen (5,6 %). Bereits 1990 hatte
Die repräsentative Wahlstatistik ist eine fand in der DDR die erste freie und zu- die Partei unter ihrem früheren Na-
Stichprobenerhebung. In die Auswahl einbe- gleich letzte Volkskammerwahl statt. men PDS im Osten klar besser abge-
zogen werden bis zu jeweils 5 % aller Urnen-
und Briefwahlbezirke im gesamten Bundes- Seit der deutschen Vereinigung am schnitten (11,1 %) als im Westen
gebiet und nicht mehr als jeweils 10 % 3. Oktober 1990 gilt für alle Deutschen (0,3 %). Dafür erreichte die SPD so-
aller Urnen- und Briefwahlbezirke in einem
das gleiche im Grundgesetz verankerte wohl 1990 als auch 2013 deutlich
Land. Dabei müssen die ausgewählten
Urnenwahlbezirke mindestens 400 Wahl­ Recht auf freie Wahlen. Doch auch heu- mehr Wählerinnen und Wähler im
berechtigte umfassen und ausgewählte te zeigen sich noch Unterschiede im früheren Bundesgebiet (1990: 35,7 %;
Briefwahlbezirke mindestens 400 Briefwähle-
rinnen und -wähler bei der vorherigen Wahl
Wahlverhalten von Ost und West. 2013: 27,4 %) als in den neuen Län-
umfasst haben. Bei der Bundestagswahl Vor allem fand DIE LINKE bei der dern (1990: 24,3 %; 2013: 17,9 %).
2013 waren fast 2,5 Millionen Wahlberechtig- Bundestagswahl 2013 im Osten deut-
te in der Stichprobe, dies entspricht einem
Anteil von 4,0 %.
lich mehr Unterstützung (22,7 %) als
Im Gegensatz zur allgemeinen Wahlstatistik,
bei der es sich um eine Dokumentation der Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 — in Prozent
von den Wahlorganen festgestellten Wahl­
ergebnisse und der dort angefallenen Infor-
mationen handelt, stellt die repräsentative 42,2
Wahlstatistik fest, in welchem Umfang sich die CDU/CSU
38,5
Wahlberechtigten beziehungsweise die
­Wählerinnen und Wähler aus verschiedenen
27,4
Altersgruppen an der Wahl beteiligen und SPD
17,9
wie sie stimmen. Damit erlaubt sie bedeuten-
de Rückschlüsse über deren Wahlverhalten
und ihre Beteiligung am demokratischen 5,6
DIE LINKE
Staatsleben. 22,7

Die repräsentative Wahlstatistik ist eine Be-


sonderheit im deutschen Wahlrecht und 9,2
GRÜNE
weltweit einmalig. Die Ergebnisse interessie- 5,1
ren insbesondere die politischen Parteien
und wahlwissenschaftliche Einrichtungen. 15,6
Sonstige
15,8
Bei der Bundestagswahl 2013 wurde zum
15. Mal seit 1953 und zum 5. Mal seit der ers-
ten gesamtdeutschen Wahl im Jahr 1990 eine früheres Bundesgebiet neue Länder und Berlin-Ost
repräsentative Wahlstatistik durchgeführt.

395
13 /  Demokratie und politische Partizipation  13.1 /  Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

u Abb 5  Wahlbeteiligung nach Altersgruppen ­— in Prozent

100

88,4 89,3 89,3 88,5 84,2


85,7 86,6
(1972)
81,2 79,8
80 78,8 76,9 74,7 75,5 74,8
72,4 72,6
68,7
64,2 65,5 72,4
62,4
60,3 (2013)
60

40

20

0
unter 21 21– 24 25–29 30 – 34 35 – 39 40 – 44 45 – 49 50 – 59 60 – 69 70 und mehr

1972 2013 im Alter von ... bis ... Jahren

Wahlbeteiligung in Prozent nach der repräsentativen Wahlstatistik.

u Abb 6  Wahlbeteiligung und Stimmabgabe bei den letzten Landtagswahlen — in Prozent

Baden-Württemberg Bayern 1 Berlin Brandenburg 2


Wahlbeteiligung 66,3 % Wahlbeteiligung 63,6 % Wahlbeteiligung 60,2 % Wahlbeteiligung 47,9 %
8,4 14,1 10,2 5,7
2,7
5,3
24,2 8,9 28,3 6,2 3 31,9
8,6
12,2
11,7
2011 9,0 2013 2011 2014

39,0 23,1 20,6 47,7 17,6 23,3 23,0 18,6

Bremen Hamburg Hessen 2 Mecklenburg-Vorpommern 2


Wahlbeteiligung 50,2 % Wahlbeteiligung 56,5 % Wahlbeteiligung 73,2 % Wahlbeteiligung 51,5 %
4,8 4,2 9,6 8,4
3,2
6,1
5,5 32,8 45,6 5,0 38,3 6,0 35,6

6,6 7,4
5,2
8,7
9,5 8,5
2015 2015 2013 2011

22,4 15,9 30,7 18,4


15,1 11,1 23,0
12,3

CDU/CSU4 SPD GRÜNE FDP DIE LINKE PIRATEN NPD BVB /FREIE WÄHLER BIW AfD FREIE WÄHLER SSW Sonstige

396
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen  / 13.1  Demokratie und politische Partizipation  / 13

weiter zu. Die 60- bis 69-Jährigen beteilig- Unter »sonstige Parteien« sind alle übrigen Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft im
ten sich mit 79,8 % am häufigsten an der Parteien, darunter die FDP, die PIRATEN vierjährlichen Turnus statt.
Wahl. Im Hinblick auf diese Entwicklung und die AfD, zusammengefasst. Während Die Wahlbeteiligung bei Landtags-
und im Zusammenspiel mit der unter- bei den FDP-Wählerinnen und -Wählern wahlen liegt im Vergleich zu Bundestags-
durchschnittlichen Wahlbetei­ligung der der größte Anteil der Altersgruppe der 45- wahlen grundsätzlich niedriger. Die Un-
jüngeren Generationen ist das Einfluss­ bis 59-Jährigen angehörte, waren 56 % der terschiede sind jedoch von Land zu Land
potenzial der jüngeren Wählerinnen und Wählerschaft der PIRATEN jünger als verschieden stark ausgeprägt: Die höchs-
Wähler gegenüber den Älteren überpro- 35 Jahre. Die Wählerschaft der AfD setzte te Wahlbeteiligung bei den jeweils letzten
portional geschwächt. u Abb 5 sich zu 50 % aus den 35- bis 59-Jährigen Landtagswahlen wurde in Hessen im Jahr
Die Wählerschaften der sogenannten zusammen. u Tab 2 2013 mit 73,2 % erreicht, die niedrigste
etablierten Parteien CDU, SPD und CSU bei der Wahl 2014 in Brandenburg mit
bestanden überwiegend aus älteren Wäh- 13.1.2. Landtagswahlen 47,9 %. u Abb 6
lerinnen und Wählern. Bei der CDU wa- In den Ländern stecken die jeweiligen In Berlin und Mecklenburg-Vorpom-
ren 43 % 60 Jahre und älter, bei der SPD Landesverfassungen den Rahmen für die mern ist auf Länderebene die SPD jeweils
und der CSU waren es jeweils 40 %. Die Gestaltung des Landeswahlrechts ab. Die mit der CDU ein Regierungsbündnis
Partei DIE LINKE fand mit 34 % ihren Wahlperioden erstrecken sich in fast ­eingegangen, in Bremen, Hamburg, Nie-
größten Rückhalt bei ihren 45- bis allen Ländern über jeweils fünf Jahre. Im dersachsen, Nordrhein-Westfalen und
59-jährigen Wählerinnen und Wählern. Februar 2015 wurde auch die Bürger- Rheinland-Pfalz regiert sie gemeinsam
Bei den GRÜNEN-Wählerinnen und schaft in Hamburg erstmals auf fünf mit den GRÜNEN, in Schleswig-Holstein
-Wählern waren 44 % jünger als 45 Jahre. Jahre gewählt. Nun finden nur noch die mit den GRÜNEN und dem SSW (Süd-

Niedersachen 2 Nordrhein-Westfalen 2 Rheinland-Pfalz 2 Saarland


Wahlbeteiligung 59,4 % Wahlbeteiligung 59,6 % Wahlbeteiligung 61,8 % Wahlbeteiligung 61,6 %
7,8 6,8 13,6 5,6

35,7 5,0
32,6 7,8 39,1
9,9 7,4 35,2
8,6

2013 2012 2011 2012


35,2 16,1

36,0 13,7 26,3 11,3 15,4 30,6

Sachsen 2 Sachsen-Anhalt 2 Schleswig-Holstein 2 Thüringen 2


Wahlbeteiligung 49,1% Wahlbeteiligung 51,2 % Wahlbeteiligung 60,2 % Wahlbeteiligung 52,7 %
4,7 9,7

13,9 15,2
39,4 32,5 8,2 30,4 10,6 28,2

5,7 7,1 8,2

9,7
2014 2011 2012 2014

18,9 23,7 30,8 33,5 12,4


13,2
21,5
12,4 4,6 5,7

Rechter Halbkreis = Regierungsparteien. 1  Gesamtstimmen = Erst- und Zweitstimmen.   2  Zweitstimmen.


3  GRÜNE/B 90. 4  CSU nur in Bayern.

397
13 /  Demokratie und politische Partizipation  13.1 /  Teilnahme am politischen Leben durch Wahlen

u Tab 2  Wählerschaft der Parteien nach Altersgruppen bei der Bundestagswahl 2013

Von 100 gültigen Zweitstimmen für die jeweilige Partei wurden abgegeben von
Wählerinnen und Wählern im Alter von ... bis … Jahren

18 – 24 25 – 34 35 – 44 45 – 59 60 – 69 70 und älter

CDU 5,4 10,7 13,4 27,7 15,0 27,8

CSU 6,4 11,4 14,1 27,9 15,7 24,5

SPD 7,0 10,5 11,7 30,8 16,1 24,0

DIE LINKE 6,3 12,3 13,0 34,3 17,1 17,0

GRÜNE 10,3 15,6 18,4 37,1 10,0 8,6

Sonstige 11,5 17,4 16,4 29,4 11,7 13,6

 FDP 7,5 12,2 14,1 27,6 14,9 23,6

 PIRATEN 25,3 30,7 17,7 20,1 3,8 2,4

 AfD 8,3 14,1 16,1 34,3 14,3 12,8

Insgesamt 7,3 12,3 13,9 30,1 14,6 21,8

schleswigscher Wählerverband). In Bran- land (AfD) nahm bisher an sechs Landtags- Im Europäischen Parlament haben
denburg koaliert die SPD mit der Partei wahlen teil. Sie stellt seitdem in fünf Land- sich die Mitglieder zu acht Fraktionen
DIE LINKE. In Hessen bildet die CDU tagen zwischen 4 und 14 Abgeordnete. zusammengeschlossen. Sie setzen sich
zusammen mit den GRÜNEN, im Saar- nicht nach der Staatsangehörigkeit, son-
land, in Sachsen und Sachsen-Anhalt ge- 13.1.3 Europawahlen dern nach politischen Richtungen zu-
meinsam mit der SPD die Landes­ Seit 1979 wählen die Bürgerinnen und sammen. u Abb 7
regierungen. In Bayern regiert die CSU Bürger der Europäischen Union (EU) in Insgesamt waren im Mai 2014 rund
allein. Die GRÜNEN koalieren in Baden- fünfjährlichem Abstand die Abgeordne- 400 Millionen Unionsbürgerinnen und
Württemberg mit der SPD und stellen ten des Europäischen Parlaments. Im Ge- -bürger wahlberechtigt. Die Wahlbetei­
seit 2011 erstmals in der Geschichte der gensatz zur Wahl zum Deutschen Bun- ligung war bisher bei den Wahlen zum
Bundesrepublik auch den Ministerpräsi- destag mit ihrem Mischsystem aus Europäischen Parlament in der Bundes-
denten. Ebenfalls erstmals in der Ge- ­Mehrheits- und Verhältniswahl erfolgt republik Deutschland – wie übrigens
schichte Deutschlands stellt die Partei die Wahl der Abgeordneten des Euro­ auch in den anderen Mitgliedstaaten –
DIE LINKE den Ministerpräsidenten in päischen Parlaments aus der Bundesre- wesentlich niedriger als bei nationalen
Thüringen. Dort gehören noch SPD und publik Deutschland nach den Grundsät- Wahlen. Von den fast 62 Millionen Wahl-
die GRÜNEN der Regierung an. zen der Verhältniswahl mit nur einer Stim- berechtigten in Deutschland machten
Während von den sogenannten etab- me. Die letzte Europawahl fand in den nur 48,1 % von ihrem Stimmrecht Ge-
lierten Parteien die CDU (in Bayern CSU), Mitgliedstaaten im Zeitraum vom 22. bis brauch. Gleichwohl ist die Wahlbeteili-
SPD und GRÜNE in allen Landtagen ver­ 25. Mai 2014 statt, in Deutschland am gung um 4,9 Prozentpunkte gegenüber
treten sind, haben Abgeordnete der FDP 25. Mai. Deutschland ist derzeit mit 96 Sit- 2009 gestiegen und liegt über dem Durch-
in sieben und Abgeordnete der Partei zen im EU-Parlament vertreten. Nach schnittswert der EU (42,6 %). u Info 3
DIE LINKE in zehn Landesparlamenten Wegfall der 3-Prozent-Sperrklausel wurden Die Wahlbeteiligung war im Zusam-
Sitze eingenommen. Die Piratenpartei in die Sitzverteilung alle Wahlvorschläge menhang mit der dort bestehenden
Deutschland (PIRATEN) ist seit ihrer einbezogen. Davon entfallen auf die CDU Wahlpflicht in Belgien mit 89,6 % und in
Gründung im Jahr 2006 bei der jeweils 29, die SPD 27, die GRÜNEN 11, die CSU 5, Luxemburg mit 85,6 % wie bei früheren
letzten Landtagswahl in allen Ländern DIE LINKE und die AfD jeweils 7 und die Europawahlen am höchsten. Es folgten
mit eigenen Wahlvorschlägen angetre- FDP 3 Sitze. Jeweils einen Sitz erhielten Malta mit 74,8 %, Griechenland mit
ten und konnte in vier Landesparlamen- die FREIEN WÄHLER, die Tierschutz­ 60,0 %, Italien mit 57,2 % und Dänemark
ten zwischen 3 und 20 Sitze erzielen. Die partei, die FAMILIE, die PIRATEN, die mit 56,3 %. Auch in Griechenland und
2013 gegründete Alternative für Deutsch- ÖDP, die NPD und Die PARTEI. Italien ist die Pflicht, sich aktiv an Wah-

398
Teilnahme am politischen Lebe durch Wahlen  / 13.1  Demokratie und politische Partizipation  / 13

u Abb 7  Sitzverteilung im Europäischen Parlament, nach Fraktionen im Juli 2014

191 Sitze 70 Sitze

67 Sitze

52 Sitze

50 Sitze
221 Sitze Insgesamt
751 Sitze

48 Sitze

52 Sitze

Fraktion der Europäischen Volkspartei Allianz der Liberalen und Demokraten für Fraktion »Europa der Freiheit
(Christdemokraten) Europa und der direkten Demokratie«

Fraktion der Progressiven Allianz der Vereinte Europäische Linke/ Fraktionslos — Mitglieder,
Sozialdemokraten Nordische Grüne Linke die keiner Fraktion angehören

Europäische Konservative und Reformisten Die Grünen/Freie Europäische Allianz

Stand: 1.7.2014.
Quelle: http://europarl.europa.eu/elections2014-results/de/election-results-2014.html

len zu beteiligen, in den dortigen Ver­


u Info 3
fassungen verankert. Das Fernbleiben
Doppelte Staatsangehörigkeit – doppelte Wahlberechtigung?
von Wahlen ist aber nicht mehr sanktio-
Am Abend der Europawahl 2014 bekannte ein Journalist in einer Talkshow, er habe zweimal
niert. Am niedrigsten war die Wahlbetei- gewählt. Er hatte sowohl als deutscher als auch als italienischer Staatsbürger eine Wahlbenach-
ligung in Polen (23,8 %), der Tschechi- richtigung erhalten. Auf Nachfrage äußerte er, es sei ihm nicht bewusst gewesen, nur in einem
schen Republik (18,2 %) und der Slowakei Land wählen zu dürfen.
(13,1 %). In acht EU-Staaten war die Wahl- Personen, die sowohl die deutsche als auch die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates
beteiligung höher als in Deutschland. der Europäischen Union (EU) besitzen, sind sowohl in Deutschland als auch in dem anderen Mit-
gliedstaat bei der Europawahl wahlberechtigt. Doppelstaater dürfen jedoch – wie alle anderen
Der stärkste Rückgang der Wahlbeteili- Wahlberechtigten – nur einmal wählen, entweder in Deutschland oder in dem anderen Mitgliedstaat,
gung betrug 23,5  Prozentpunkte und dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen.
wurde in Lettland registriert. Das Verbot der mehrfachen Stimmabgabe bei der Europawahl ist von Artikel 4 der Europawahl-
Weiterführende Informationen zu richtlinie der EU vorgegeben und gilt für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen. In Deutschland ist es
im Europawahlgesetz geregelt. Wer gegen dieses Verbot verstößt, macht sich wegen Wahl­
den Ergebnissen der Europawahl sind on- fälschung strafbar (§ 107a des Strafgesetzbuches). Auf beides wird jeweils in den Wahlbekannt­
line abrufbar unter www.europarl.­europa. machungen der Gemeindebehörden nach § 41 Europawahlordnung hingewiesen, die auch am
eu/elections2014-results/de/election-results- ­Eingang jedes Wahlgebäudes angebracht sind. Ferner weist der Bundeswahlleiter in Pressemittei-
lungen ausdrücklich darauf hin, dass das Wahlrecht nur einmal ausgeübt werden darf.
2014.html

399
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.2 /  Politische Integration und politisches Engagement

13.2 In sich immer stärker sozial und kulturell


differenzierenden Gesellschaften wie der
Altersgruppen und ihr »Hineinwachsen«
in die Demokratie von Interesse. Zudem
Politische Bundesrepublik ist die Frage der Integra- stellt sich selbst mehr als zwei Jahrzehnte
Integration und tion und der Teilhabe von zentraler Be-
deutung für den Zusammenhalt. Das gilt
nach der deutschen Vereinigung die
­Frage, ob die Bürger in den neuen Bun-
politisches nicht zuletzt für den Bereich der Politik desländern in vergleichbarer Weise wie
Engagement in einer demokratischen Gesellschaft.
Demokratie bedeutet die Möglichkeit der
die in den alten Bundesländern politisch
integriert sind und ähnlich stark Zugang
gleichen Teilhabe an den politischen zum politischen Willensbildungsprozess
Bernhard Weßels ­Willensbildungs- und Entscheidungspro- finden.
WZB zessen. Durch gleiche Wahlen bestim-
men die Bürger ihre politischen Reprä- 13.2.1 Politisches Interesse und
sentanten, durch politische Beteiligung politische Partizipation
WZB / SOEP
können sie Einfluss auf die Politik neh- Das Ausmaß, in dem sich die Bürger für
men. In welchem Maße sich die Bürger Politik interessieren, ist ein wichtiger
engagieren und in welchem Ausmaß es Gradmesser, um festzustellen, inwieweit
einer Demokratie gelingt, Bürger in das sie das politische Geschehen registrieren
politische Geschehen einzubeziehen, ist und an ihm teilnehmen. Das politische
von zentraler Bedeutung für gleiche Teil- Interesse ist ein guter Indikator dafür, ob
habechancen und politische Integration. Politik für die Bürger wichtig genug ist,
Unter politischer Integration versteht um sich darüber zu informieren und sich
man den Prozess, in dessen Verlauf die gegebenenfalls dafür zu engagieren. Das
Bürger durch ihre eigene politische Betei- politische Interesse der Bürger wird
ligung in die politische Willensbildung durch die Frage »Wie stark interessieren
einbezogen werden und dadurch sowohl Sie sich für Politik: sehr stark, stark, mit-
die demokratischen »Spielregeln« aner- tel, wenig oder überhaupt nicht?« bereits
kennen als auch Loyalitätsbeziehungen seit 1969 in repräsentativen Bevölke-
gegenüber den politischen Institutionen rungsumfragen erfasst.
und Akteuren entwickeln. Die Frage, wie In den letzten Jahrzehnten hat sich
viel Bürgerbeteiligung eine Demokratie der Anteil derjenigen, die sich stark oder
braucht, bleibt offen und ist letztlich nur sogar sehr stark für Politik interessieren,
normativ zu beantworten. beständig und sehr dynamisch verändert.
Es ist aber davon auszugehen, dass es Im Zeitraum um die Vereinigung
ein Warnsignal für eine Demokratie ist, Deutschlands 1990 war er am höchsten
wenn eine Gesellschaft hinter ein bereits und ist danach deutlich abgesunken. Seit
erreichtes Ausmaß politischer Integrati- 1994 liegt der Anteil derjenigen, die sich
on zurückfällt oder starke regionale oder stark oder sogar sehr stark für Politik
soziale Unterschiede in der Beteiligung ­interessieren, in Westdeutschland im
der Bürger an der Politik darauf verwei- Durchschnitt bei 30 %, erreicht aber 2014
sen, dass eine gleichmäßige Integration wieder einen so hohen Wert wie 1990.
nicht gelingt. Die Debatten über die Der langfristige Vergleich zeigt, dass heu-
»Mitgliederkrise« der Großorganisatio- te mehr Bürger am politischen Gesche-
nen, über Politik- und Parteienverdros- hen interessiert sind als noch Ende der
senheit sowie über sozial bedingte poli­ 1960er-Jahre. So waren 1969 lediglich
tische Ungleichheit legen nahe, danach 18 % stark oder sogar sehr stark an Politik
zu fragen, ob sich die Bürger der Bundes- interessiert. In Ostdeutschland sind im
republik heute weniger politisch betei­ Durchschnitt etwas weniger Bürger stark
ligen als früher und ob sich Unterschiede oder sehr stark an Politik interessiert als
zwischen sozialen, demogra­fi schen oder in Westdeutschland. Seit dem Jahr 2010
regionalen Gruppen ergeben. Dies ist ins- ist dieser Unterschied allerdings ver-
besondere im Hinblick auf die jüngeren schwunden und auch in Ostdeutschland

400
Politische Integration und politisches Engagement   / 13.2  Demokratie und politische Partizipation / 13

erreicht das politische Interesse 2014 durchschnitt auf 6 bis 7 Prozentpunkte etwas über 20 und 30 Prozentpunkten,
­einen Spitzenwert.  u Abb 1 zurückgegangen, sie liegt 2014 aber wie- weisen aber keinen Trend auf. Eine Zu-
Deutlicher unterscheidet sich das der bei über 10 Prozentpunkten. oder Abnahme bildungsbedingter Schich-
Ausmaß des politischen Interesses zwi- Noch größer als die Differenz zwi- tung im politischen Interesse ist seit 1986
schen den jüngeren und älteren Bürgern, schen jüngerer Bevölkerung und Bevöl- – seitdem liegen im ALLBUS Daten vor –
was in West- und Ostdeutschland glei- kerungsdurchschnitt ist die Differenz also nicht festzustellen.
chermaßen zu beobachten ist. Unter den zwischen Bürgern ohne und Bürgern mit Politisches Interesse ist sicher förder-
18- bis 29-Jährigen finden sich weit weni- Hochschulabschluss. Unter den Bürgern lich für politische Beteiligung. Das Reper-
ger politisch Interessierte als im Bevölke- mit Hochschulabschluss liegt der Anteil toire der Beteiligungsformen hat sich über
rungsdurchschnitt. Dieser Unterschied derjenigen, die sich stark oder sehr stark klassische, institutionalisierte Formen
zwischen den Altersgruppen existiert seit für Politik interessieren, in Westdeutsch- wie Wahlen hinaus in den vergangenen
1991. Davor war das Interesse der Jünge- land 2014 bei 60 % und in den neuen Jahrzehnten stark ausgeweitet. Neben
ren nur unmaßgeblich geringer ausge- Bundesländern bei 63 %. Damit liegt er institutio­nellen Formen der Beteiligung
prägt. Im Durchschnitt der Jahre 1994 im Westen 21 und im Osten 25 Prozent- nutzen Bürger sehr stark Formen nicht-
bis heute liegt das Interesse an der Politik punkte über dem Bevölkerungsdurch- institutionalisierter Beteiligung wie Unter-
bei den 18- bis 29-Jährigen mit 21 % in schnitt. Das politische Interesse ist also schriftensammlungen, Demonstrationen,
West- und 19 % in Ostdeutschland etwa deutlich durch soziale Unterschiede ge- Bürgerinitiativen, politische Versammlun-
8 bis 9 Prozentpunkte unter dem Bevölke- prägt, regionale Unterschiede zwischen gen oder Ähnliches, um ihren Interessen
rungsdurchschnitt. 2010 lag das Interesse Ost und West sind nicht mehr festzu­ Ausdruck zu verleihen und am politischen
der Jüngeren in Westdeutschland sogar stellen. Die Unterschiede im politischen Leben teilzuhaben. Diese Arten politischer
14 Prozentpunkte unter dem Bevölke- Interesse zwischen Bürgern mit und ohne Aktivität haben in Deutschland seit Ende
rungsdurchschnitt. Zwar ist die Differenz Hochschulabschluss schwanken im Zeit- der 1950er-Jahre kontinuierlich zugenom-
zwischen Jüngeren und Bevölkerungs- verlauf. Sie liegen in der Regel zwischen men. In diesem Zusammenhang wurde

u Abb 1  Politisches Interesse in der Bundesrepublik 1980 – 2014 — in Prozent

40

30

20

10

0
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

Westdeutschland insgesamt Westdeutschland 18–29 Jahre Ostdeutschland insgesamt Ostdeutschland 18–29 Jahre

Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2012, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet; eigene Berechnungen.

401
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.2 /  Politische Integration und politisches Engagement

von einer »partizipatorischen Revolution« Allerdings existieren hier ähnlich star- schluss. Bei Demonstrationen ist der Un-
gesprochen, mit der sich nicht nur in ke bildungsgruppenbezogene Unterschiede terschied noch größer: Etwa 60 % der
Deutschland, sondern in allen modernen wie beim politischen Interesse. Unter aka- Hochschulabsolventen, aber lediglich
Demokratien neue Formen der Beteili- demisch gebildeten Bürgerinnen und Bür- etwa ein Viertel derjenigen ohne Hoch-
gung als normale politische Handlungs- gern liegt der Anteil derjenigen, die sich an schulabschluss beteiligen sich 2014 an De-
formen etablierten. Die Anteile derjenigen, Unterschriftensammlungen beteiligen, mit monstrationen. Ähnlich groß fallen die
die angeben, an den beiden häufigsten knapp 80 % mehr als 20 Prozentpunkte hö- Unter­s chiede hinsichtlich des Besuchs
Formen der sogenannten »unkonventio- her als bei denjenigen ohne Hochschulab- politischer Versammlungen aus. Demge-
nellen« politischen Beteiligung, Unter-
schriftensammlungen und Demonstratio-
nen, mitgewirkt zu haben, sind in den
1990er-Jahren recht stabil und steigen am u Abb 2  Nicht-institutionalisierte Beteiligung unter Jüngeren und im Durchschnitt 1998,

Anfang des neuen Jahrtausends sogar an. 2002, 2008 und 2014 — in Prozent
1998 liegt der Anteil bei 37 %, 2002 mit
63 % sehr hoch, 2008 bei knapp der Hälfte 63 64
der Bürger und 2014 wieder bei 60 %. An 60
55
Demonstrationen nimmt in den 1990er- 47 47
Jahren knapp ein Fünftel der Bevölkerung 41
39
teil, 2002 sowie 2014 sind es sogar über 37
32 31
30 %. Nicht-institutionalisierte, sogenann-
26 28
te »unkonventionelle« Formen der Beteili- 21 20 19
gung werden häufig den Jüngeren zuge- 15 13
11
schrieben. Dementsprechend ist bei diesen 9
5
Formen der Beteiligung keine Lücke zu- 4
lasten der Jüngeren zu erwarten, sondern
Alle 18–29 Jahre Alle 18–29 Jahre Alle 18–29 Jahre
eher, dass der Durchschnitt der Bevölke-
Unterschriftensammlung Demonstrationen Bürgerinitiative¹
rung sich deutlich weniger in dieser Form
beteiligt als die Jüngeren. Diese Erwar- 1998 2002 2008 2014

tung trifft allerdings nicht zu, der Unter- 1 Beteiligung in Bürgerinitiativen wurde 2014 nicht erhoben.
Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.
schied existiert nicht mehr. Eine »Konven-
tionalisierung« des »Unkonventionellen«
hat stattgefunden und Unterschriften-
sammlungen und Demonstrationen gehö-
u Abb 3  Nicht-institutionalisierte Beteiligung in Ost- und Westdeutschland 1998,
ren inzwischen zu den normalen politi-
2002, 2008 und 2014 — in Prozent
schen Beteiligungsformen der Bürger, egal
ob jung oder alt. Der Unterschied zwi-
schen den Jüngeren und dem Bevölke- 64 63
60 60
rungsdurchschnitt geht sogar eher zulas-
ten der Jüngeren – wiederum ein Zeichen, 51
46
wie »normal« sogenannte unkonventionel-
40
le Formen der Partizipation inzwischen 38
34 34
geworden sind. u Abb 2 31 29
Während sich von 1998 bis 2008 ähn-
21 20
lich hohe Anteile aus beiden Landesteilen 20
15 16
an Demonstrationen beteiligen, liegt der 11
13
9 8
Anteil der Ostdeutschen 2014 deutlich 6
­höher. Etwas anders sieht es bei der Mit-
arbeit in Bürgerinitiativen aus. Westdeut- West Ost West Ost West Ost
sche Bürger sind mit Anteilen von 10 bis Unterschriftensammlung Demonstrationen Bürgerinitiative¹
20 % etwas stärker engagiert als Bürger in 1998 2002 2008 2014
Ostdeutschland mit Anteilen zwischen
1 Beteiligung in Bürgerinitiativen wurde 2014 nicht erhoben.
6 und 13 %. u Abb 3 Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.

402
Politische Integration und politisches Engagement   / 13.2  Demokratie und politische Partizipation / 13

genüber erscheinen die Unterschiede 13.2.2 Bindung an Interessen­ dienen dem Zweck der Vertretung ge-
zwischen Ost- und Westdeutschen und gruppen und politische Parteien meinsamer politischer, wirtschaftlicher,
zwischen Jüngeren und Älteren marginal. Die Mitgliedschaft in Interessengruppen sozialer oder kultureller Interessen. Inte-
Die bildungsbezogenen Unterschiede in und politischen Parteien ist ein weiterer ressengruppen setzen sich auf verschie-
der politischen Beteiligung verweisen auf Indikator für die Integration der Bürger dene Weise für die Anliegen ihrer Mit-
eine sozial induzierte poli­t ische Ungleich- in den politischen Prozess. Diese Organi- glieder ein, zum Beispiel durch das
heit, diese wiederum auf Defizite in der sationen sind häufig durch gesellschaft­ Einwirken auf Parteien, Parlamente, Re-
politischen Integration. u Abb 4 liche Selbstorganisation entstanden und gierungen und Behörden oder die Öffent-
lichkeit im Allgemeinen. Politische Par-
teien sind unmittelbare Akteure des Re-
gierungssystems. Da die Mitgliedschaft
uAbb 4  Nicht-institutionalisierte Beteiligung nach Bildung, Region und Alter 2014 freiwillig ist, ist der Grad, zu dem Bürger
— in Prozent sich in Interessengruppen und politi-
schen Parteien organisieren, ein zentrales
Merkmal der politischen Integration. An-
Hochschulabschluss ders als die Wahlbeteiligung oder For-
men nicht-institutionalisierter Beteili-
Politische 54 gung, die für den Einzelnen singuläre Er-
Versammlung 28 eignisse bleiben können, zeichnen sich
Mitgliedschaften in Interessengruppen
Demon- 60 und politischen Parteien dadurch aus,
strationen 25
dass sie in der Regel langfristig sind. Ver-
Unterschriften- 78
liert die Mitgliedschaft in Interessen-
sammlung 57 gruppen und politischen Parteien für den
Einzelnen an Attraktivität, so ist dies zu-
mit ohne nächst ein Warnsignal für die jeweilige
Organisation. Geschieht dies jedoch in
Ost / West
großem Umfang, weist es darüber hinaus
auf generelle Probleme der Interessenver-
Politische 35
Versammlung 31 mittlung in einem politischen Gemein-
wesen hin.
Demon- 40 Im internationalen Vergleich zeichnet
strationen 29 sich die alte Bundesrepublik durch einen
recht hohen Organisationsgrad aus. In
Unterschriften- 63
sammlung
Westeuropa sind nur die Bürger der
60
­Niederlande und der skandinavischen
Länder stärker organisiert. Ein langfristi-
Ost West
ger Vergleich ist aufgrund von Unter-
Alle vs. Jüngere schieden in den Befragungsinstrumenten
leider nicht möglich. Eine lange Reihe
Politische 23 von Vergleichen von 1986 bis 1998 zeigt,
Versammlung 32 dass der Anteil der Bürger, die Mitglieder
in Interessengruppen im engeren Sinne
Demon- 28
strationen 31
sind, in den alten Bundesländern für die-
se Zeit relativ konstant bei etwa 30 %
Unterschriften- 55 liegt. Im selben Zeitraum ist der Anteil
sammlung 60 der Bevölkerung, der in Freizeitorganisa-
tionen, allen voran den Sportvereinen,
organisiert ist, von 29 auf 43 % gestiegen.
Jüngere Alle
Der Anteil derjenigen, die nur in Freizeit-
vereinigungen Mitglied sind, hat sich von
Datenbasis: ALLBUS 2014.
knapp 16 auf 26 % erhöht. In den neuen

403
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.2 /  Politische Integration und politisches Engagement

u Tab 1  Mitgliedschaft in Organisationen 2010 und 2014 — in Prozent


Deutschland insgesamt Westdeutschland Ostdeutschland
Aktives Aktives Aktives
Mitglied Mitglied/ Mitglied Mitglied/ Mitglied Mitglied/
Ehrenamt Ehrenamt Ehrenamt
2010 2014 2010 2014 2010 2014 2010 2014 2010 2014 2010 2014
Arbeit und Wirtschaft

Gewerkschaften¹ 11 12 12 . 9 13 1 . 2 9 1 .

Politisch oder wertgebunden

Politische Parteien 3 4 . . 2 5 . . 7 5 . .

Menschrechtsorganisationen 1 2 1 2 2 2 1 1 1 0 0 1

Naturschutzorganisationen 6 6 2 3 7 7 2 3 4 3 2 3

Bürgerinitiativen 1 1 1 1 2 1 1 2 1 0 1 1

Wohltätigkeitsvereine 10 7 5 7 11 8 5 8 6 3 3 4

Elternorganisationen 4 1 3 4 4 1 3 4 3 1 2 4

Selbsthilfe / Gesundheit 5 2 3 3 5 2 3 3 4 2 3 3

Rentner-, Seniorenvereine 2 1 1 2 2 1 1 2 3 1 2 2

Freizeit

Kultur-, Musikvereine 12 4 9 8 14 5 10 8 8 1 6 7

Sportvereine 29 9 22 22 32 11 24 23 22 3 18 20

Sonstige Hobbyvereine 10 2 8 9 11 2 8 9 9 1 8 8

Mindestens einmal Mitglied

Alle gelisteten Organisationen 56 36 – – 59 38 – – 50 22 – –

Alle gelisteten, ohne Parteien und Gewerkschaften 50 25 39 40 53 28 40 41 43 14 40 36

- im Vergleich: Jüngere (18 – 29) 47 19 40 40 48 20 41 41 45 15 37 33

- im Vergleich: mit Hochschulabschluss 63 36 48 51 67 39 50 50 58 24 48 51

Freizeitorganisationen 41 14 33 32 45 16 35 33 33 5 28 28

1 Für 2010 Daten von 2008.


. Nicht erhoben.
– Nicht vorhanden.
Datenbasis: ALLBUS 2008, 2010 und 2014.

Bundesländern liegt 1992 der Anteil der- anteile um 3 Prozentpunkte feststellen. Regionale Unterschiede zwischen Ost
jenigen, die in Interessengruppen organi- Relativ gesehen haben sich also politik­ und West sind eher zu vernachlässigen.
siert waren, noch 9 Prozentpunkte über bezogene und freizeitbezogene Mitglied- Auch existieren kaum Unterschiede zwi-
dem Anteil in Westdeutschland, der An- schaften auseinanderentwickelt. Interes- schen dem Durchschnitt der Bürger und
teil der Mitglieder in Freizeitvereinigun- sengruppen konnten an dem generellen den Jüngeren in Bezug auf Mitglied-
gen dagegen 26 Prozentpunkte unter Aufwärtstrend der Mitgliedschaften nicht schaftsanteile, ob inaktiv oder aktiv, bei
dem westdeutschen Durchschnitt. Bezo- teilhaben. den Organisationen ohne Gewerkschaf-
gen auf die Mitgliedschaft in Interessen- Jüngere Daten für 2010 und 2014, die ten und politischen Parteien. Das lässt
gruppen hat es in Ostdeutschland eine aufgrund unterschiedlicher Erhebungs- sich jedoch nicht in Bezug auf Hochschul-
dramatische Entwicklung gegeben, die verfahren nicht mit früheren Daten ver- absolventen sagen. Hier ergeben sich
vor allem zulasten der Gewerkschaften gleichbar sind, erlauben keine Schlussfol- deutlich höhere Anteile für Aka­demiker
gegangen ist. Zwischen 1992 und 1998 gerungen über die Mitgliederentwicklung. als für den Bevölkerungsdurchschnitt.
ist der Prozentsatz derjenigen, die in In- Es liegt aber nahe zu vermuten, dass die Auch bezogen auf Organisationsmitglied-
teressengruppen organisiert sind, von Mitgliedschaft in Interessengruppen wei- schaften verteilt sich die Teil­habe ungleich
knapp 40 auf 25 % zurückgegangen. Im ter zurückgegangen ist. Der Anteil nicht- zugunsten der besser Gebildeten.
Freizeitbereich lässt sich in Ostdeutsch- aktiver Mitgliedschaften liegt 2014 deut­ Die langfristige Entwicklung der
land eine kleine Steigerung der Mitglieder- lich niedriger als 2010. u Tab 1 Mitgliedschaften der Bürger in Deutsch-

404
Politische Integration und politisches Engagement   / 13.2  Demokratie und politische Partizipation / 13

u Abb 5  Gewerkschaftsmitgliedschaft 1980–2014 — in Prozent

40

30

20

10

0
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014

Gewerkschaften, Westdeutschland insgesamt Gewerkschaften, Westdeutschland, 18 –29 Jahre


Gewerkschaften, Ostdeutschland insgesamt Gewerkschaften, Ostdeutschland, 18 –29 Jahre

Datenbasis: ALLBUS 1980-2014, bei Haushaltsstichproben transformationsgewichtet.

land lässt sich aufgrund veränderter Fra- lichen Organisationsgrad sind fast ver- ergeben sich damit zwar keine regionalen,
geformate in den ALLBUS-Studien leider schwunden. Auch die deutliche Kluft sozialen oder demografischen Ungleich-
nicht über alle Organisationsbereiche zwischen der jüngeren Bevölkerung der heiten mehr. Die Integrationskraft hat
hinweg beurteilen. Allerdings ist eine 18- bis 29-Jährigen und dem Durch- aber dennoch stark nachgelassen, weil
solche Beurteilung hinsichtlich der Ge- schnitt, die in Westdeutschland beson- insgesamt nur noch ein relativ kleiner
werkschaftsmitgliedschaften möglich. ders deutlich 2004 und in Ostdeutsch- Teil der deutschen Bevölkerung in Ge­
Der massive Rückgang von Gewerk- land besonders 2008 zu beobachten war, werk­schaften organisiert ist. u Abb 5
schaftsmitgliedern hat sich in den Jah- ist geringer geworden. Bildungsunter- Die Mitgliedschaft in politischen
ren 1992 bis 1998 zwar deutlich abge- schiede im gewerkschaftlichen Organisa- Parteien verzeichnet sogar eine noch
schwächt, setzt sich aber bis etwa 2008 tionsgrad fallen im Unterschied zu politi- dramatischere Entwicklung. Die starken
fort. Seitdem scheint sich der gewerk- schem Interesse, politischer Beteiligung Mitgliederrückgänge bei den Gewerk-
schaftliche Organisationsgrad der er- und anderen Mitgliedschaften zugunsten schaften seit der Vereinigung fallen –
wachsenen Bevölkerung auf gleichem von Bürgern ohne Hochschulabschluss ­relativ gesehen zu denen der politischen
­Niveau mit leichten Schwankungen zu aus. Akademiker waren 2014 lediglich zu Parteien – noch moderat aus. Anhand
halten. Die am Anfang der 1990er-Jahre knapp 10 % gewerkschaftlich organisiert, der von den Parteien berichteten Mit-
noch stark ausgeprägten Unterschiede also etwas weniger als der Durchschnitt. gliederzahlen lässt sich nachvollziehen,
zwischen Ost und West im durchschnitt- Bei den Gewerkschaftsmitgliedschaften dass die politischen Parteien innerhalb

405
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.2 /  Politische Integration und politisches Engagement

u Abb 6  Parteimitgliedschaft im Zeitverlauf 1990 – 2014

4,0 2 500

2 250
3,5

2 000

3,0

1 750

2,5
1 500

2,0 1 250

1 000
1,5
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2014

in % Anteil Parteimitglieder an den Wahlberechtigten (linke Skala) Mitgliederzahlen in 1 000 (rechte Skala)

Datenbasis: Niedermayer, Oskar: Parteimitglieder in Deutschland: Version 2015. Arbeitshefte a. d. Otto-Stammer-Zentrum, Nr. 25, FU Berlin 2015.

von zweieinhalb Jahrzehnten etwa eine traditionellen, institutionalisierten For- Bürgern ohne und mit Hochschulab-
Million und damit etwa 40 % ihrer Mit- men der Beteiligung in den vergangenen schluss. Zusammengenommen mit dem
glieder verloren haben. 1990 waren noch zwei Jahrzehnten deutlich zurückgegan- Befund, dass traditionelle institutionali-
3,8 % der Wahlberechtigten in politi- gen ist. Interessengruppen und Parteien sierte Formen der politischen Beteiligung
schen Parteien organisiert, 2014 waren verlieren an Mitgliederattraktivität. An- an Attraktivität für die Bürger verlieren
es nur noch 2 %. u Abb 6 dererseits haben nicht-institutionalisierte und sich das Ausmaß politischer Integra-
Nimmt man alle Interessenorganisa- Formen politischer Beteiligung nicht an tion in die institutionalisierte Politik ab-
tionen einschließlich der Gewerkschaften Bedeutung verloren. Politik spielt für die geschwächt hat, ist das ein Warnsignal
und politischen Parteien zusammen, sind Bürger nach wie vor eine große Rolle, ein für Politik und Gesellschaft.
das drastische Entwicklungen, die die vollständiger Rückzug findet nicht statt.
Frage aufwerfen, ob und inwieweit pri- Das politische Interesse erreichte in Ost
mär auf die politische Interessenver­ und West einen Höchststand. Dass sich
tretung und -vermittlung ausgerichtete die Unterschiede zwischen Ost und West
­O rganisationen zukünftig noch in der ebenso wie die zwischen Jüngeren und
Lage sein werden, ihren Beitrag zur poli- der Gesamtbevölkerung vermindern
tischen Willensbildung und politischen oder sogar ganz zu verschwinden schei-
Integration zu leisten. nen, ist positiv zu vermerken. Ein negati-
ver Befund ist allerdings, dass Teilhabe
13.2.3 Zusammenfassung an den Aktionsformen und Integration
Zusammengefasst verweisen die Ergeb- in die Organisationen stark sozial ge-
nisse einerseits darauf, dass der Grad schichtet sind. Darauf verweisen die
­p olitischer Integration bezogen auf die ­b eträchtlichen Unterschiede zwischen

406
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat  / 13.3  Demokratie und politische Partizipation / 13

13.3 Die Stabilität und das Funktionieren eines


demokratischen Regierungssystems hän-
sind, ihre Ansprüche an die sinkenden
Leistungen des Sozialstaats anzupassen.
Einstellungen zu gen davon ab, dass die Bürger der Demo- Für die Ostdeutschen stellt sich diese ­Frage
Demokratie und kratie positiv gegenüberstehen. Deshalb
ist es förderlich, wenn sie zum einen die
in noch radikalerer Weise, denn mehrheit-
lich waren sie der Ansicht, dass es sich bei
Sozialstaat Demokratie als Staatsform allgemein be- der umfassenden sozialen Absicherung um
fürworten und zum anderen die Demo- einen der wenigen Vorzüge des sozialisti-
kratie im eigenen Land positiv beurteilen. schen Systems der DDR handelte (»sozia-
Dieter Fuchs Universität Stuttgart
Da das staatssozialistische System der listische Errungenschaft«), und sie hatten
Institut für Sozialwissenschaften
DDR unter aktiver Beteiligung der Bür- viel höhere Erwartungen an die Rolle des
Edeltraud Roller Johannes
ger zusammengebrochen ist und sich die Staates ausgebildet als die Westdeutschen.
Gutenberg-Universität Mainz
überwältigende Mehrheit der Ostdeut- Eine zweite Entwicklung, die die Einstel-
Institut für Politikwissenschaft
schen für die deutsche Vereinigung aus- lungen der Bürger ­beeinflussen dürfte, ist
gesprochen hat, wurde erwartet, dass die Zunahme der sozialen U ­ ngleichheit,
WZB / SOEP die Mehrheit der Ostdeutschen nicht nur die sich insbe­sondere seit der Jahrtausend-
die Demokratie allgemein, sondern auch wende in Deutschland beobachten lässt.
die Demokratie in Deutschland befür- Indizien sind der Anstieg des Gini-Koeffi-
worten. Nach den bisher vorliegenden zienten, eines Maßes für Einkommen-
Befunden präferieren die Ostdeutschen sungleichheit, und die Zunahme der Ar-
zwar mehrheitlich die Demokratie allge- mut (siehe Kapitel 6.3, Seite 179, Tab 1
mein, sie stehen jedoch der Demokratie und Seite 181, Tab 2). Diese Entwicklung
in Deutschland kritischer gegenüber. hat zu einer verstärkten Diskussion um
Eine wichtige und bislang offene Frage ist, die soziale Gerechtigkeit in Deutschland
ob die Ostdeutschen mit zunehmender geführt. Es stellt sich deshalb die Frage,
Erfahrung mit der bundesrepublikani- ob die Bürger angesichts der wachsenden
schen Demokratie ein positiveres Ver- Ungleichheit und der Gerechtigkeitsde-
hältnis zur Demokratie in Deutschland batte zunehmend eine staatliche Umver-
entwickelt haben. Diese Frage stellt sich teilung fordern.
insbesondere in Bezug auf die jüngeren
Generationen in Ostdeutschland, die in 13.3.1 Akzeptanz der Demokratie
diesem demokratischen System aufge- als Staatsform
wachsen sind. Die grundlegende Einstellung zur Demo-
Der Sozialstaat ist eine bedeutende kratie wird mit der direkten Frage danach
Quelle der Legitimität der Demokratie in erhoben, ob die Demokratie die beste
Deutschland. Nach der deutschen Verei- Staatsform sei oder ob es eine bessere
nigung im Jahr 1990 wurde der Sozial- gäbe. Alternative Herrschaftsordnungen –
staat weiter umgebaut, und es wurden zum Beispiel kommunistisch-autoritäre
neue soziale Probleme diskutiert. Mindes- Regime, Herrschaft eines starken Mannes –
tens zwei damit verbundene Entwicklun- werden hierbei nicht vorgegeben. Die in
gen dürften einen Einfluss auf die Ein- Tabelle 1 präsentierten Daten dokumen-
stellungen der Bürger zum Sozialstaat tieren, dass kurz nach der Vereinigung im
­h aben. Die erste Entwicklung sind die Jahr 1991 die Ostdeutschen sich mit einer
Leistungskürzungen und Abbaumaßnah- großen Mehrheit von 70 % für die Demo-
men, die seither die Sozialpolitik domi- kratie als beste Staatsform aussprechen.
nieren. Prominenteste Beispiele sind die Die Zustimmung der Westdeutschen ist
Agenda 2010 (2003–2005), die ein Bündel mit 86 % noch deutlich höher. Im Zeitver-
verschiedener sozial- und arbeitsmarkt- lauf schwanken die Urteile der Ost- und
politischer Maßnahmen umfasste, sowie Westdeutschen um diese jeweils hohen
die Rente mit 67 (2007). Ausgehend von Werte. Vor allem in den Jahren 2005 und
diesen Reformen stellt sich die Frage, ob 2006 werden die Unterschiede zwischen
und in welchem Ausmaß die Bürger bereit Ost- und Westdeutschen etwas größer,

407
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.3 /  Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

u Tab 1  Demokratie ist die beste Staatsform 1991– 2014 — in Prozent

Westdeutschland Ostdeutschland

1991 2000 2005 2006 2008 2014 1991 2000 2005 2006 2008 2014

»D ie Demokratie ist


86 92 85 89 86 90 70 78 64 63 68 82
die beste Staatsform.«

»Es gibt eine andere Staatsform,


3 3 6 3 3 5 7 8 22 12 11 9
die besser ist.«

»Unentschieden« 11 5 9 8 11 5 23 14 14 25 21 9

Datenbasis: Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie, Band 9: 560 (Jahr 1991); Konsolidierung der Demokratie in Mittel- und Osteuropa 2000;
Bürger und Gesellschaft 2005; European Social Survey – Deutsche Teilstudie 2006, 2008; Everhard Holtmann u.a., Deutschland 2014,
Zentrum für Sozialforschung Halle e.V., 2015: 189.

u Abb 1  Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie


in Deutschland 1 1991– 2015 — in Prozent
Staatsform an, nur eine sehr kleine Min-
derheit präferiert eine andere Staatsform.
100
Dies gilt sowohl für West- als auch für
90 Ostdeutschland.

80
13.3.2 Zufriedenheit mit dem
70 Funktionieren der Demokratie in
Deutschland
60
Ein etwas anderes Bild zeigt sich bezüg-
50 lich der Zufriedenheit mit dem Funktio-
nieren der Demokratie in Deutschland.
40 Diese Einstellung bezieht sich weniger
30
auf die Verfassungsnorm, das heißt die in
der Verfassung implementierte Form der
20 Demokratie, als vielmehr auf die Verfas-
sungsrealität oder die Wirklichkeit der
10
Demokratie in Deutschland. In die Beur-
0 teilung dieser Verfassungsrealität können
1990 1995 2000 2005 2010 2015 verschiedene Aspekte eingehen. Insbe-
Westdeutschland Ostdeutschland sondere das Funktionieren institutionel-
ler Mechanismen (zum Beispiel der Aus-
1 Fragestellung: »Sind Sie mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, tausch von Regierung und Opposition
alles in allem gesehen sehr zufrieden, ziemlich zufrieden, ziemlich unzufrieden oder völlig unzufrieden?«;
Anteil »sehr zufrieden«, »ziemlich zufrieden«. und die Gewährleistung der Gleichheit
Datenbasis: Eurobarometer 1991– 2015.
vor dem Gesetz), die Handlungen der
­Regierenden (zum Beispiel Berücksichti-
gung von Interessen verschiedener Bevöl-
kerungsgruppen, Amtsmissbrauch) und
die Ergebnisse dieses Handelns (zum Bei-
spiel wirtschaftliche und sozialpolitische
weil die Zustimmung in Ostdeutschland 2014 liegt die Zustimmung in Ostdeutsch- Leistungen) dürften bei der Beurteilung
etwas abnimmt. Im Jahr 2006 beträgt die land bei 82 %, in Westdeutschland bei des Funktionierens der Demokratie eine
Differenz 26 Prozentpunkte. Dabei han- 90 %. Die Differenz zwischen Ost- und Rolle spielen.
delt es sich jedoch um keinen längerfristi- Westdeutschen hat sich somit auf 8 Pro­ Die in Abbildung 1 präsentierten Zeit-
gen Trend, denn ab 2008 steigt in Ost- zent­punkte reduziert.  u Tab 1 reihen für die Zufriedenheit mit dem
deutschland die Zustimmung zur Demo- Im Jahr 2014 sieht also nach wie vor Funktionieren der Demokratie in Deutsch-
kratie als Staatsform wieder an. Nach den eine klare Mehrheit der deutschen Bürger land zeigen eine deutliche Differenz zwi-
letzten verfügbaren Daten aus dem Jahr die Demokratie allgemein als die beste schen Ost- und Westdeutschland. Im Zeit-

408
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat  / 13.3  Demokratie und politische Partizipation / 13

raum zwischen 1991 und 2015 ist im Wes- u Abb 2  Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie

ten Deutschlands durchschnittlich eine im eigenen Land 2015 — in Prozent


klare Mehrheit von 66 % der Bürger zu-
frieden, im Osten ist es dagegen lediglich
eine Minderheit von 42 %. Es gibt erheb­ Dänemark 91

liche Schwankungen im Zeitverlauf, die Schweden 82


parallel in Ost- und Westdeutschland zu
Luxemburg 80
beobachten sind. Das heißt, dass die
­Bürger in beiden Teilen Deutschlands Finnland 80
ganz ähnlich auf bestimmte Ereignisse
Niederlande 78
­reagieren; das aber auf unterschied­lichem
Niveau. Hinsichtlich der Struktur dieser Westdeutschland 77

Schwankungen ist bemerkenswert, dass Deutschland insgesamt 71


zu den Bundestagswahlen in der Regel ein
Malta 71
Anstieg der Demokratiezufriedenheit er-
folgt (1994, 1998, 2005, 2009), dass die Belgien 70
Zufriedenheit danach aber wieder abfällt.
Österreich 70
Die nach der Bundestagswahl 2009 im
Jahr 2010 erfolgte Abnahme in der Vereinigtes Königreich 66

­Demokratiezufriedenheit dürfte auf die Irland 64


europäische Staatsschuldenkrise zurück-
Durchschnitt Westeuropa 61
gehen, die seither die deutsche und euro-
päische Politik weitgehend bestimmt. Frankreich 55
Diese Abnahme umfasst in West und Ost
Ostdeutschland 47
aber weniger als 10 Prozentpunkte und ist
nicht von Dauer, denn nach 2010 bis 2014 Spanien 35

nimmt die Demokratiezufriedenheit in Italien 35


beiden Landesteilen kontinuierlich wieder
Griechenland 32
zu. u Abb 1
Zwischen 2014 und 2015 entwickeln Portugal 29
sich Ost- und Westdeutschland jedoch Zypern 24
unterschiedlich. Während in Westdeutsch­
land die Demokratiezufriedenheit weiter Polen 59

ansteigt, sinkt sie in Ostdeutschland Tschechische Republik 52


deutlich von 59 % auf 47 % ab. Ganz offen-
Estland 50
bar gibt es zum Erhebungszeitpunkt der
Umfrage (Mai 2015) Entwicklungen in Lettland 49
der deutschen Politik, auf die die Ost- Durchschnitt Osteuropa 39
deutschen negativ mit einer geringeren
Demokratiezufriedenheit reagieren. Zum Ungarn 38

gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nicht Litauen 33


klar, worauf diese Reaktion gründet. Es
Slowakei 31
könnte mit den Themen Ausländer, Zu-
wanderung und Asyl zusammenhängen, Bulgarien 31

die in den Monaten April und Mai 2015 Kroatien 30


von etwa 50 % der Bundesbürger als
Rumänien 29
wichtigstes Problem in Deutschland ge-
nannt werden (Forschungsgruppe Wah- Slowenien 25
len, Politbarometer Mai 2015).
Insgesamt zeichnet sich zwischen
1991 und 2015 sowohl in West- als auch Datenbasis: Eurobarometer Frühjahr 2015.

Ostdeutschland ein leichter Trend einer

409
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.3 /  Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

Zunahme der Zufriedenheit mit dem Die Demokratiezufriedenheit in West- deutschen? Die skeptischere Einstellung
Funktionieren der Demokratie ab. Der deutschland rangiert deutlich über dem der Bürger im Osten Deutschlands kann
Abstand zwischen West- und Ostdeut- westeuropäischen Durchschnitt. Lediglich zum einen damit erklärt werden, dass sie
schen schwankt ebenfalls, aber hier ist in den skandinavischen Ländern, in ihre Interessen zu wenig berücksichtigt
kein eindeutiger Trend auszumachen. ­Luxemburg und in den Niederlanden ist sehen und ihre soziale und ökonomische
25 Jahre nach der deutschen Vereinigung die Zufriedenheit mit dem Funktionieren Lage schlechter beurteilen. Eine andere
gibt es keine Hinweise darauf, dass sich der Demokratie noch höher. Demgegenüber Erklärung könnte darin liegen, dass die
mit zunehmenden Erfahrungen der liegt die Zufriedenheit mit dem Funktio- Bürger im Osten Deutschlands zwar
Ostdeutschen mit der Demokratie die nieren der Demokratie in Ostdeutschland mehrheitlich die Demokratie als Staats-
Kluft in der Demokratiezufriedenheit deutlich unter dem Durchschnitt der west- form befürworten, aber ein anderes
zwischen Ost- und Westdeutschen ver- europäischen Länder. Niedrigere Zufrieden- ­Demokratiemodell präferieren als dasje-
ringert hat. heitswerte weisen lediglich die von der EU- nige, das in Deutschland realisiert ist.
Wie ist die Zufriedenheit mit dem Staatsschuldenkrise besonders betroffenen Einen Hinweis auf das Vorliegen eines
Funktionieren der Demokratie in Deutsch- südeuropäischen Länder auf. Vergleicht solchen anderen Demokratiemodells gibt
land einzuschätzen? Darüber kann ein man Ostdeutschland hingegen mit den die Antwort auf die Frage nach dem Sozi-
Vergleich mit den anderen 27  Mitglieds- ­a nderen osteuropäischen EU-Mitglieds­ alismus. Um so weit wie möglich Assozi-
ländern der Europäischen Union (EU) ländern, so liegt der Wert der Ostdeutschen ationen mit dem realsozialistischen Sys-
Aufschluss geben. Die Daten aus dem über dem Durchschnitt dieser Länder. tem der früheren DDR zu vermeiden,
Frühjahr 2015 zeigen zudem, wie sich wird allgemein danach gefragt, ob der
die Staatsschuldenkrise auf die Demo­ 13.3.3 Einstellung zum Sozialismus Sozialismus eine gute Idee sei, die nur
kratiezufriedenheit der Bürger in den an- Warum sind die Ostdeutschen deutlich schlecht ausgeführt worden sei.
deren EU Mitgliedsländern ausgewirkt unzufriedener mit dem Funktionieren der Aus Abbildung 3 wird ersichtlich, dass
hat. u Abb 2 Demokratie in Deutschland als die West- der Sozialismus als Idee über den gesam-
ten Zeitraum von 1991 bis 2010 in Ost-
deutschland erheblich stärker befürwor-
tet wird als in Westdeutschland. Im Osten
Deutschlands halten durchschnittlich
uAbb 3  Positive Einstellung zum Sozialismus1 1991– 2010 76 % der Bürger den Sozialismus für eine
— Zustimmung in Prozent gute Idee, die nur schlecht ausgeführt
wurde. Der Anteil in Westdeutschland
liegt immerhin bei durchschnittlich 45 %.
100
Zudem ist im Westen Deutschlands im
90 Jahr 2000 ein Anstieg der Zustimmung zu
verzeichnen, sodass sich die Differenz
80
zwischen beiden Teilen Deutschlands
70
leicht reduziert hat. u Abb 3
Trotz der negativen Erfahrungen mit
60 dem realen Sozialismus in der DDR hal-
ten also rund drei Viertel aller Ostdeut-
50
schen den Sozialismus immer noch für
40 eine gute Idee und diese Einstellung hat
sich zwischen 1991 und 2010 nicht
30 grundlegend verändert. Dies kann als ein
20
Indiz dafür gewertet werden, dass die
Mehrheit der Ostdeutschen das Modell
10 einer sozialistischen Demokratie präfe-
riert. Dieses verbindet zentrale Vorstel-
0
1991 1995 2000 2005 2010
lungen einer liberalen Demokratie wie
die Gewährleistung von Freiheitsrechten
Westdeutschland Ostdeutschland
und kompetitiven Wahlen mit Vorstel-
lungen einer ausgeprägten sozialen Sicher-
1  Zustimmung zur Aussage »Der Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde«.
Datenbasis: ALLBUS 1991, 1992, 1994, 1998, 2000, 2006, 2010. heit und Gleichheit.

410
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat  / 13.3  Demokratie und politische Partizipation / 13

13.3.4 Einstellungen Abweichungen vom Durchschnitt. Ers- mäß unterdurchschnittlich den Sozialis-
verschiedener Bevölkerungs- tens sind in beiden Landesteilen Arbeits- mus. Drittens betrachten in beiden Lan-
gruppen zur Demokratie lose mit der Demokratie als Staatsform desteilen die Anhänger von DIE LINKE
In Tabelle 2 sind die bisher untersuchten sowie mit dem Funktionieren der Demo- den Sozialismus deutlich positiver, wäh-
Einstellungen zur Demokratie und zum kratie in Deutschland unzufriedener; zu- rend Anhänger von CDU/CSU deutlich
Sozialismus nach Geschlecht, Alter, be- dem präferieren die Arbeitslosen im seltener der sozialistischen Idee zu­
ruflicher Stellung, ideologischer Orientie- Westen deutlich stärker die Idee des Sozi- stimmen. Zudem erweisen sich die SPD-
rung (Links-Rechts) und Parteipräferenz alismus. Zweitens präferieren sowohl im Anhänger im Osten Deutschlands als
aufgeschlüsselt. Im Westen wie im Osten Westen als auch im Osten ideologisch überdurchschnittlich starke Befürworter
Deutschlands zeigen sich drei auffällige rechtsorientierte Bürger erwartungsge- der Demokratie als Staatsform. u Tab 2

u Tab 2  Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Demokratie 2008, 2010 und 2015 — in Prozent

»Die Demokratie »Sozialismus ist eine gute Idee, »Zufriedenheit mit dem
ist die beste die schlecht Funktionieren der Demokratie
Staatsform.« ausgeführt wurde.« in Deutschland.«¹

2008 2010 2015


West Ost West Ost West Ost
Insgesamt 86 68 46 73 77 47

Geschlecht

Männer 86 72 44 70 78 50

Frauen 86 64 49 76 76 44

Altersgruppen

18 – 34  Jahre 79 74 42 67 72 45

35 – 59  Jahre 87 65 42 70 78 49

Ab 60 Jahre 89 68 56 80 79 48

Berufliche Stellung

Selbstständige 86 61 45 72 86 53

Abhängig Beschäftigte 86 70 – – 77 52

Beamte – – 41 68 – –

Angestellte – – 40 64 – –

Arbeiter – – 44 73 – –

Arbeitslose 73 56 64 81 52 35

Rentner / Pensionäre 89 68 55 80 79 46

Ideologische Orientierung

Links 88 70 54 81 74 43

Mitte 87 68 46 70 81 56

Rechts 87 69 34 55 76 49

Parteipräferenz

DIE LINKE 76 63 69 87 – –

Bündnis 90 / Die Grünen 85 75 46 73 – –

SPD 92 84 55 76 – –

FDP 96 67 40 59 – –

CDU / CSU 91 77 35 54 – –

1 Anteil »sehr zufrieden, ziemlich zufrieden«.


– Nicht vorhanden.
Datenbasis: European Social Survey – Deutsche Teilstudie 2008; ALLBUS 2010; Eurobarometer 2015.

411
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.3 /  Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

Auffällig ist die Ähnlichkeit zwischen 13.3.5 Zuständigkeit des Staates troffen. Von 1991 bis 2010 nimmt in
den verschiedenen Altersgruppen in Ost- für soziale Absicherung ­b eiden Landesteilen die Zustimmung
deutschland. Es wurde erwartet, dass Im Zentrum des bundesrepublikanischen kontinuierlich etwas ab; im Westen
insbesondere die nachwachsenden Ge­ Sozialstaats steht die soziale Absicherung, Deutschlands sinkt die Zustimmung von
nerationen vom neuen demokratischen die vor allem über Sozialversicherungs- 90 % auf 80 %, im Osten von 98 % auf
System geprägt werden und eine posi­ systeme wie Renten-, Arbeitslosen-, Un- 87 %. Nach 2010 kehrt sich dieser Trend
tivere Haltung zu diesem System ausbil- fall- und Krankenversicherung geregelt um. Vor allem in Westdeutschland, aber
den. Diese positiven Sozialisationseffek- ist. Die Zustimmung zu diesem soge- auch in Ostdeutschland steigt die Zu-
te haben sich bei den beiden Einstellun- nannten institutionellen Kern des Sozial- stimmung zur staatlichen Zuständigkeit
gen zur Demokratie – Demokratie als staats wird mit der Frage erfasst, ob der für soziale Absicherung wieder an; sie
Staatsform allgemein, Zufriedenheit mit Staat dafür sorgen soll, dass man bei liegt im Jahr 2014 in beiden Landesteilen
der Demokratie in Deutschland – bis- Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im bei circa 90 % und umfasst damit fast alle
lang nicht eingestellt. Ein solcher Gene- Alter ein gutes Auskommen hat. Nach Bürger. Bis 2010 gab es also Anzeichen
rationeneffekt lässt sich jedoch bei der den in Abbildung 4 präsentierten Befun- für eine Reduktion der Ansprüche der
Einstellung zum Sozialismus beobachten. den ist die Zustimmung zu diesem insti- Bürger, und zwar nicht nur im Westen,
In Ostdeutschland präferieren die jünge- tutionellen Kern des Sozialstaats in bei- sondern auch im Osten Deutschlands.
ren Altersgruppen in deutlich geringe- den Teilen Deutschlands über den ge- Ganz offenbar haben die Bürger auf die
rem Maß als die über 60-Jährigen den samten Zeitraum von 1991 bis 2014 sehr Leistungskürzungen und Abbaumaßnah-
Sozialismus. Dies könnte als Hinweis stark ausgeprägt. Sie liegt in West- men temporär mit einer zumindest leich-
­d arauf gewertet werden, dass die Zu- deutschland bei durchschnittlich 86 %; in ten Reduktion ihrer Ansprüche reagiert.
stimmung zum Sozialismus in Ost- Ostdeutschland wird dieser Wert mit Die gegenläufige Entwicklung der An-
deutschland bei den nachwachsenden durchschnittlich 93 % sogar noch über- sprüche nach 2010 markiert, dass die
Generationen verblasst, die keine oder
vergleichsweise weniger direkte persön­

47 %
liche Erfahrungen mit dem alten sozia-
listischen System gemacht haben.
­D asselbe Muster zwischen den Alters-
gruppen lässt sich aber auch in West-
deutschland beobachten. Hier befürwor-
ten die jüngeren Altersgruppen ebenfalls der Ostdeutschen waren im Jahr
weniger stark den Sozialismus als die 2015 mit dem Funktionieren der
Demokratie zufrieden. In West­
über 60-Jährigen. In diesem Fall dürfte deutschland waren es 77 %.
jedoch ein anderer Erklärungsmechanis-
mus greifen, und zwar ein zunehmender
Konservativismus der nachwachsenden
Generationen in Westdeutschland.
Zusammenfassend kann festgehalten
werden, dass in Ost und West die Ar-
beitslosen der Demokratie – der Demo-
kratie als Staatsform allgemein und der
Demokratie in Deutschland – vergleichs-
weise kritischer gegenüberstehen. Trotz
der unterdurchschnittlichen Werte be-
fürwortet eine Mehrheit der Arbeits­
losen in Ost- und Westdeutschland aber
nach wie vor die Demokratie als Staats-
form. Im Vergleich zur Demokratie ist
die Einstellung zum Sozialismus strit­
tiger, hier stehen sich vor allem ideo­
logisch Rechte und Linke sowie Anhän-
ger rechter und linker Parteien gegen-
über.

412
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat  / 13.3  Demokratie und politische Partizipation / 13

Bürger zu einer weiteren Anpassung ihrer u Abb 4  Zuständigkeit des Staates für soziale Absicherung1 1991– 2014 — in Prozent
Ansprüche nach unten nicht mehr bereit
sind und die staatliche Verantwortung
wieder stärker einfordern. u Abb 4 100

Insgesamt sind bei dieser Aufgabe der 90


sozialen Absicherung die Ost-West-Unter-
schiede von Beginn an vergleichsweise ge- 80

ring. Das dürfte daran liegen, dass hier der


70
bundesdeutsche Sozialstaat und der sozia-
listische Sozialstaat der DDR ähn­liche Re- 60
gelungen und Programme ent­w ickelt ha-
50
ben. Im Mittelpunkt des sozialistischen
Sozialstaats der DDR standen ebenfalls So- 40
zialversicherungssysteme, die Risiken wie
30
Krankheit, Unfall und Alter abdeckten.
20
13.3.6 Zuständigkeit des Staates
10
für den Abbau von Einkommens-
unterschieden 0
Deutlich größere Unterschiede zwischen 1991 1995 2000 2005 2010 2014

Ost- und Westdeutschen gibt es dagegen


Westdeutschland Ostdeutschland
bei der sozialstaatlichen Aufgabe des Ab-
baus von Einkommensunterschieden. Im
1 »Der Staat muss dafür sorgen, dass man bei Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter ein gutes Auskommen hat«;
Zuge der zunehmenden Ungleichheit und Anteil »stimme voll zu« und »stimme eher zu« in Prozent.
Datenbasis: ALLBUS 1991, 1994, 2000, 2010, 2014.
der Debatte um die soziale Gerechtigkeit,
die seit Anfang/Mitte der 2000er-Jahre in
Deutschland verstärkt geführt wird, ist
diese Aufgabe in den Mittelpunkt der u Abb 5  Zuständigkeit des Staates für den Abbau von

Aufmerksamkeit gerückt. Die Zustim- ­Einkommensunterschieden1 2002 – 2012 — in Prozent


mung dazu wird mit der Frage erfasst, ob
der Staat Maßnahmen ergreifen soll, um
100
Unterschiede in den Einkommensniveaus
zu reduzieren. Die Zeitreihe beginnt erst 90
im Jahr 2002 und erstreckt sich bis zum
80
Jahr 2012.
Im Vergleich zur Aufgabe der sozia- 70
len Absicherung ist die Zustimmung zur
60
Einkommensreduktion sowohl im Osten
als auch Westen Deutschlands deutlich 50
geringer. Sie liegt in Westdeutschland bei
durchschnittlich 57 % und in Ostdeutsch- 40

land bei durchschnittlich 80 %. Die Diffe- 30


renz zwischen Osten und Westen ist da-
bei vergleichsweise größer, was auch da- 20

mit erklärt werden kann, dass geringe 10


Einkommensunterschiede ein charakte-
ristisches Merkmal des sozialistischen 0
2002 2004 2006 2008 2010 2012
Systems waren. u Abb 5
Wie hat sich diese Einstellung zur Westdeutschland Ostdeutschland
Rolle des Staates beim Abbau von Ein-
kommensunterschieden entwickelt? In 1 »Sollte der Staat Maßnahmen ergreifen, um Unterschiede in den Einkommensniveaus zu reduzieren?«;
Anteil »ganz bestimmt« und »wahrscheinlich« in Prozent.
Westdeutschland nimmt die Zustim- Datenbasis: European Social Survey 2002, 2004, 2006, 2008, 2010, 2012.

413
13 / Demokratie und politische Partizipation  13.3 /  Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat

mung zu diesem Aufgabenbereich von erreicht über 87 %. Ganz offenbar begeg- deutschen mit einer sehr viel stärkeren
47 % im Jahr 2002 kontinuierlich bis auf nen die Bürger der steigenden Ungleich- Anspruchszunahme reagieren. Zwischen
70 % im Jahr 2010 zu. In Ostdeutschland, heit und der damit verbundenen Debatte 2002 und 2012 nehmen die Ost-West-Dif-
wo bereits im Jahr 2002 mit 76 % die um soziale Gerechtigkeit mit zunehmen- ferenzen daher ab. Im letzten Erhebungs-
überwiegende Mehrheit der Bürger dieser den Forderungen nach staatlichen Akti- jahr 2012 sind die Ansprüche der Ost-
Aufgabe zustimmt, steigt die Zustim- vitäten zur Reduktion der Einkommens- deutschen aber nach wie vor größer als
mung ab dem Jahr 2004 ebenfalls an und unterschiede. Auffällig ist, dass die West- die der Westdeutschen.

u Tab 3  Einstellungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zur Rolle des Staates 2012 und 2014 — in Prozent

»Der Staat muss dafür sorgen, dass man auch bei »Sollte der Staat Maßnahmen ergreifen,
Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter um Unterschiede in den Einkommens-
ein gutes Auskommen hat.«¹ niveaus zu reduzieren?«²

2014 2012
West Ost West Ost

Insgesamt 89 91 70 87

Geschlecht

Männer 88 91 70 84

Frauen 90 91 71 88

Altersgruppen

18 – 34 Jahre 93 94 70 81

35 – 59 Jahre 88 89 69 84

Ab 60 Jahre 87 92 72 91

Berufliche Stellung

Selbstständige 80 81 59 70

Abhängig Beschäftigte . . 70 85

Beamte 92 93 . .

Angestellte 88 88 . .

Arbeiter 93 93 . .

Arbeitslose 97 94 70 90

Rentner / Pensionäre 87 93 75 93

Ideologische Orientierung

Links 92 93 77 88

Mitte 87 91 68 85

Rechts 86 86 63 81

Parteipräferenz

DIE LINKE 98 95 90 93

Bündnis 90 / Die Grünen 90 89 76 89

SPD 91 90 80 89

FDP 75 88 / /

CDU / CSU 88 87 62 83

1 Anteil »stimme voll zu«, »stimme eher zu«.


2 Anteil »ganz bestimmt«, »wahrscheinlich«.
. Zahlenwert unbekannt.
/ Fallzahl zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 2014; European Social Survey 2012.

414
Einstellungen zu Demokratie und Sozialstaat  / 13.3  Demokratie und politische Partizipation / 13

13.3.7 Einstellungen verschiedener Rechten und Linken und zwischen An­


Bevölkerungsgruppen zur Rolle hängern rechter und linker Parteien. u Tab 3
des Staates Etwas anders sieht es dagegen bei der
Der unterschiedliche Stellenwert dieser Aufgabe des Abbaus von Einkommensun-
beiden sozialstaatlichen Aufgaben, der so- terschieden aus. Einerseits weicht im Wes-
zialen Absicherung einerseits und des ten wie im Osten Deutschlands die Grup-
­Abbaus von Einkommensunterschieden pe der Selbständigen mit geringeren Zu-
­a ndererseits, manifestiert sich in den stimmungswerten vom Durchschnitt ab
­E instellungen verschiedener Bevölke- und andererseits sprechen sich im Westen
rungsgruppen. Für die soziale Absiche- die Anhänger von DIE LINKE überdurch-
rung, den sogenannten institutionellen schnittlich für eine staatliche Zuständig-
Kern des Sozialstaats, lassen sich weder im keit beim Abbau von Einkommensunter-
Osten noch im Westen Deutschlands Un- schieden aus. Diese egalitäre Aufgabe des
terschiede bei den verschiedenen Bevölke- Sozialstaats steht damit im Schnittpunkt
rungsgruppen – nach Geschlecht, Alter, der klassischen Konfliktlinie zwischen
beruflicher Stellung, ideologischer Orien- Kapital und Arbeit und wird von den Ver-
tierung (Links-Rechts) und Parteipräfe- tretern beider Seiten vergleichsweise kont-
renz – auffinden. Danach liegt bei dieser rovers beurteilt. Besonders hervorzuhe-
Aufgabe ein Konsens zwischen den Ver­ ben ist dabei, dass die Polarisierung zwi-
tretern der klassischen Konfliktlinie Ka- schen Selbständigen und abhängig
pital und Arbeit vor, also zwischen den Beschäftigen nicht nur im Westen, son-
Selbständigen und Arbeitern, zwischen dern auch im Osten Deutschlands existiert.

415
42 %
der Männer im Osten glaubten 2012,
dass sich Vollzeit erwerbs­tätige Väter
nicht ausreichend um ihre Kinder
kümmern können. Im Vergleich dazu
waren »nur« 30 % der Frauen dieser
Meinung.

26 %
der Bevölkerung im Westen
nannten 2014 den »Schutz des
Rechtes auf freie Meinungs­
äußerung« als wichtigstes Ziel.
Im Osten waren es hingegen
nur 14 %.

53 %
der über 65-Jährigen im Westen waren 2012
der Meinung, es sei besser, wenn die Ver- 38 %
ant­wortung für den Haushalt hauptsächlich
bei der Mutter liegt, auch wenn beide Eltern
erwerbstätig sind. der über 65-Jährigen im Osten
waren der g
­ leichen Meinung.
14
Werte und
Einstellungen
14.1 Für das subjektive Wohlbefinden sind die
persönlichen Wertorientierungen, An-
Handlungsentscheidungen und deren
Rechtfertigung in einer Gesellschaft, wo-
Wertorientie- sprüche und Erwartungen von großer Be- bei theoretisch davon ausgegangen wird,
rungen, deutung. Sie definieren den Bezugs­rahmen,
innerhalb dessen die bestehenden Lebens-
dass in den letzten Jahrzehnten ein
Werte­w andel stattgefunden hat. Es gibt
An­sprüche und umstände und -bedingungen beurteilt verschiedene Typologien von Werten. Die
Erwartungen werden. Wertorientierungen und individu-
elle Erwartungen sind keine unveränderli-
Wertewandeltheorie von Ronald Ingle-
hart, die hier zugrunde gelegt wird, wur-
chen Größen, sondern unterliegen dem ge- de kontrovers diskutiert, lässt sich dank
Angelika Scheuer sellschaftlichen Wandel und den sich wan- einer breiten Datenbasis aber für lange
GESIS Mannheim delnden wirtschaft­lichen Bedingungen. In Zeiträume untersuchen. Inglehart postu-
diesem Kapitel soll untersucht werden, wie liert für die westlichen Industrieländer
sich die Wert­orientierungen, Ansprüche eine Abwendung von materialistischen
WZB / SOEP
und Zukunftserwartungen der Menschen Werten – dem Streben nach Wohlstand –
in Ost- und Westdeutschland seit 1990 ver- und eine Zuwendung zu postmateria­
ändert haben. Untersucht wird dazu der listischen Werten, die über den materia-
Wertewandel von materialistischen zu listischen Wohlstand hinausgehen und
postmaterialistischen Werten, der nach vor allem im Bereich der Selbstverwirk­
Ronald Inglehart in allen westlichen Län- lichung und der Bürgerbeteiligung liegen.
dern stattfindet und unter anderem auf Der Wertewandel wird anhand von zwei
­einem stetig steigenden Wohlstand beruht. Hypothesen erklärt: der Mangelhypo­
Parallel wird betrachtet, wie sich die Wahr- these, nach der mit Befriedigung der
nehmung der wirtschaftlichen Rahmenbe- grundlegenden materialistischen Bedürf-
dingungen in den letzten Jahren verändert nisse die Neigung zu »höheren« Werten
hat. Die Gegenüberstellung beider Entwick- zunimmt, und der Sozialisationshypo-
lungen erlaubt Einblicke in die Grundlage these, nach der im Wohlstand aufwach-
des Wertewandels in Deutschland und die sende Generationen stärker postmateria-
aktuelle Befindlichkeit der Deutschen. listische Werte entwickeln als »Mangel-
generationen«.
14.1.1 Materialistische und Der Inglehart-Index erfasst Werteprio-
­postmaterialistische Werte ritäten, indem er die Befragten aus zwei
Gesellschaftliche Wertorientierungen materialistischen Zielen – »Aufrechter­
­haben einen entscheidenden Einfluss auf haltung von Ruhe und Ordnung« und

417
14 /  Werte und Einstellungen  14.1 /  Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen

»Kampf gegen steigende Preise« – und Die ALLBUS-Studien erheben den In beiden Teilen Deutschlands war
zwei postmaterialistischen Zielen – Inglehart-Index seit 1980 und ermögli- den Bürgern bis zur Jahrtausendwende
»Schutz des Rechtes auf freie Meinungs- chen somit die Untersuchung des Werte- die »Aufrechterhaltung von Ruhe und
äußerung« und »Mehr Einfluss der Bürger wandels in Deutschland in den letzten Ordnung« – also ein materialistisches
auf die Entscheidungen der Regierung« – drei Jahrzehnten. Insbesondere der Ver- Ziel – am wichtigsten (siehe Tabelle 1).
das wichtigste und das zweitwichtigste gleich von Ost- und Westdeutschland Sprachen sich Anfang der 1980er-Jahre
Ziel auswählen lässt. Wählt ein Befragter bietet die Möglichkeit zu beobachten, ob noch rund die Hälfte der Westdeutschen
die beiden materialistischen Ziele aus, unterschiedliche Lebensumstände ver- dafür aus, waren es in den 1990er-Jahren
wird er als »Materialist« eingestuft; wählt schiedene Werteprioritäten bedingen rund 40 % und im Jahr 2014 noch 29 %.
er die beiden postmaterialistischen Ziele ­beziehungsweise ob die Angleichung des In Ostdeutschland nannten zu B ­ eginn
aus, wird er als »Postmaterialist« bezeich- Lebensstandards auch zu einer Annähe- der 1990er-Jahre über 50 % der Befragten
net. Ist das wichtigste Ziel ein materia­ rung der Wertestrukturen führt. Im Fol- die »Aufrechterhaltung von Ruhe und
listisches und das zweitwichtigste ein genden wird zunächst die Wichtigkeit der Ordnung« als mit Abstand wichtigstes
postmaterialistisches, handelt es sich um vier Ziele einzeln im Zeitverlauf betrach- Ziel, jedoch sank die Zahl rasch auf 39 %
­einen »materialistischen Mischtyp«, im tet und anschließend die Verteilung der im Jahr 2000 und 32 % im Jahr 2014 ab.
umgekehrten Falle um einen »postmate- Wertetypen in der Bevölkerung und In beiden Teilen Deutschlands gab dieses
rialistischen Mischtyp«. ­deren Veränderung beleuchtet. materialistische Ziel nach der Jahrtausend-

u Tab 1  »Welches Ziel erscheint Ihnen persönlich am wichtigsten?« 1980 – 2014 — in Prozent

West Ost

Materialistische Ziele Postmaterialistische Ziele Materialistische Ziele Postmaterialistische Ziele

Aufrecht­ Mehr Einfluss Schutz des Aufrecht­ Mehr Einfluss Schutz des
Kampf gegen Kampf gegen
erhaltung der Bürger auf Rechtes auf erhaltung der Bürger auf Rechtes auf
die steigenden die steigenden
von Ruhe und Entscheidungen freie Meinungs- von Ruhe und Entscheidungen freie Meinungs-
Preise Preise
Ordnung der Regierung äußerung Ordnung der Regierung äußerung

1980 48 22 16 15 . . . .

1982 51 19 16 14 . . . .

1984 39 18 24 19 . . . .

1986 46 8 26 21 . . . .

1988 42 9 24 25 . . . .

1990 37 8 34 22 . . . .

1991 36 8 33 24 52 9 32 8

1992 37 14 31 19 50 11 35 5

1994 41 9 34 17 55 7 34 5

1996 40 7 31 23 54 6 33 7

1998 42 12 27 20 47 12 33 9

2000 39 7 36 19 39 11 40 10

2002 31 15 31 23 37 15 36 11

2004 32 15 37 17 29 14 46 11

2006 34 16 33 18 31 15 42 12

2008 27 24 30 21 27 28 35 10

2010 28 10 42 21 27 12 46 15

2012 30 9 34 27 32 13 40 15

2014 29 10 36 26 32 9 45 14

. Zahlenwert unbekannt.
Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014.

418
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen  / 14.1  Werte und Einstellungen  / 14

wende den ersten Rang an ein postmate- u Abb 1  Entwicklung der Anteile reiner Materialisten, reiner Postmaterialisten und
rialistisches Ziel ab, nämlich »Mehr Ein- deren Mischtypen in Deutschland zwischen 1980 und 2014 — in Prozent
fluss der Bürger auf die Entscheidungen
Westdeutschland
der Regierung«. Die Westdeutschen
nannten dieses Ziel mit 36 % im Jahr 1980 13 17 31 38
2014 doppelt so häufig wie Anfang der
1982 14 16 31 38
1980er-Jahre (16 %); in Ostdeutschland
belegte es zu Beginn der Messung gleich 1984 22 21 28 29

hohe Werte wie in Westdeutschland und 1986 26 21 36 17


kam im Jahr 2014 sogar auf 45 % der
1988 28 22 31 19
Nennungen. Das Ziel »Schutz des Rech-
tes auf freie Meinungsäußerung« war in 1990 31 25 29 15

beiden Teilen Deutschlands von geringe- 1991 30 27 30 13


rer Dringlichkeit, aber auch hier stieg
1992 23 27 27 23
die Zahl der Nennungen im Zeitverlauf
an; im Westen Deutschlands nannte es 1994 22 28 32 18

2014 jeder Vierte, im ­Osten jeder Siebte. 1996 25 29 33 14


Das materialistische Ziel »Kampf gegen
1998 20 26 34 19
steigende Preise« hatte unter den vier
Werteprioritäten in West- und Ost- 2000 26 28 32 14

deutschland die geringste Bedeutung; 2002 27 28 28 18


der Anteil lag 2014 bei einem Zehntel.
2004 22 32 28 18
Einen heftigen Ausschlag zeigte jedoch
die Erhebung aus dem Jahr 2008. Nannte 2006 23 28 32 17

üblicherweise jeder Zehnte die Inflati- 2008 19 31 29 21


onsbekämpfung als vordringliches Ziel,
2010 29 34 27 10
war es infolge der Finanzkrise rund jeder
Vierte. Seit 2010 hat sich dieser Wert je- 2012 30 31 29 10

doch erstaunlich schnell in beiden Teilen 2014 31 31 28 10


Deutschlands normalisiert. u Tab 1
Die Verschiebungen in den Werte­ Ostdeutschland
prioritäten finden ihren Niederschlag in
1991 15 25 34 27
der Verteilung der Wertetypen (siehe
Abbildung 1). In Westdeutschland be- 1992 10 30 31 29
wegte sich der Anteil der reinen Postma- 1994 11 28 36 25
terialisten seit 1980 von 13 % auf ein ers-
1996 13 28 40 20
tes Maximum 1990 von 31 %, das er 2014
ein zweites Mal erreichte. Nimmt man 1998 12 29 30 28
Postmaterialisten und postmaterialis­ 2000 16 33 33 18
tische Mischty pen zusammen, ver­
2002 18 29 34 19
doppelte sich der Anteil zwischen 1980
und 2014 von 30 auf 62 %. Allerdings ist 2004 19 38 28 15
dies keine stetige Entwicklung, sondern 2006 16 38 28 18
starken Schwankungen unterworfen.
2008 13 32 34 21
Über den Zeitraum von drei Jahrzehnten
zeigte der Postmaterialismus in West- 2010 22 39 27 12
deutschland eine wellenförmige Ent- 2012 24 31 31 14
wicklung. In Ostdeutschland stieg der
2014 24 36 29 11
Anteil der reinen Postmaterialisten zwi-
schen 1991 und 2014 von 15 % auf 24 %.
Postmaterialisten PM-Mischtyp M-Mischtyp Materialisten
Postmaterialisten und postmaterialis­
tische Mischtypen zusammen erfuhren Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014.

419
14 /  Werte und Einstellungen  14.1 /  Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen

im gleichen Zeitraum einen Zuwachs Abstand zwischen diesen verringerte (siehe terschieden sich die Anteile jedoch deut-
von 40 auf 60 %. Entgegen dem Groß- Abbildung 2). Danach schwankten die An- lich: Während jeder Fünfte ohne Abschluss
trend zu postmaterialistischen Werten teile auf stabilem Niveau, bis sie 2010 in ein Materialist war, traf dies nur auf rund
erhielten materialistische Werte vor allem ­a llen Kohorten erneut stark abfielen. Ab ­jeden Zwanzigsten mit Fach- oder Hoch-
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten grö- diesem Zeitpunkt zählten rund 10 % aller schulreife zu (nicht dargestellt). Die Ent-
ßeren Zuspruch: im Westen Deutsch- nach 1945 Geborenen zu den Materialisten. wicklung der Postmaterialisten in den Al-
lands zeigte sich dies Anfang der 1980er- Frauen waren marginal häufiger Materia- terskohorten zeigt ein weitgehend komple-
Jahre, in den späten 1990er- und in den listen als Männer. Nach Bildungsgrad un- mentäres Bild. So unterschieden sich die
mittleren 2000er-Jahren; im Osten
Deutschlands in den gesamten 1990er-
Jahren sowie im Krisenjahr 2008.
Insgesamt verschob sich das Verhält-
nis der Prioritäten im Westen Deutsch-
lands von 70:30 zugunsten materialisti- u Abb 2  Anteile von reinen Materialisten und Postmaterialisten
scher Werte im Jahr 1980 zu etwa 40:60 nach Geburtskohorten in Deutschland 1980 – 2014 — in Prozent
zugunsten postmaterialistischer Werte
im Jahr 2014. Im Osten Deutschlands be-
Materialisten
gann die Entwicklung im Jahr 1991 mit
60
dem Verhältnis 60:40 zugunsten materia-
listischer Werte und lag im Jahr 2014, wie
50
in Westdeutschland, bei 60:40 zugunsten
postmaterialistischer Werte. Seit 2004 lag 40
der Gesamtanteil beider postmaterialis­
tischen Typen im Osten in etwa gleichauf 30
mit dem im Westen. Der Anteil der reinen
Postmaterialisten blieb in Ostdeutsch- 20
land weiterhin geringer als in West-
deutschland, jedoch hat sich der Abstand 10
zwischen beiden Teilen Deutschlands
verringert. Der Rhythmus der Schwan- 0
1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 2012
kungen lief in West- und Ostdeutschland
zunehmend parallel. Bemerkenswert ist bis 1929 1930–1944 1945 –1959 1960 –1974 1975–1989 ab 1990
der starke Ausschlag zugunsten materia-
listischer Werte im Jahr 2008, der durch
den starken Bedeutungsanstieg der Infla- Postmaterialisten
tionsbekämpfung bedingt war. Bereits 60

seit 2010 kehrte das Kräfteverhältnis je-


doch zu einem noch stärkeren Überge- 50

wicht der postmaterialistischen Werte


zurück. u Abb 1 40

Eine Betrachtung von Geburtskohorten


30
gibt Aufschluss darüber, welcher Dynamik
der Wertewandel unterliegt. Der Theorie
20
zufolge sollten früher Geborene eher mate-
rialistische Werte bevorzugen als später
10
Geborene; darauf basiert der durch Gene-
rationenwechsel bedingte Wertewandel.
0
Betrachtet man die Entwicklung der reinen 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 2012
Materialisten nach Geburtskohorten, so
bis 1929 1930–1944 1945 –1959 1960 –1974 1975 –1989 ab 1990
fällt zunächst auf, dass der starke Rückgang
Anfang der 1980er-Jahre durch alle Ge-
burtskohorten ging und dabei auch den Datenbasis: ALLBUS 1980 – 2014.

420
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen  / 14.1  Werte und Einstellungen  / 14

nach 1945 geborenen Kohorten nicht im Wertewandel kam bei den Nachkriegs­ die Bewertung ihrer eigenen Situation zu
Anteil der Postmaterialisten. L ­ ediglich die kohorten somit weit­gehend zum Stillstand. erfassen, eignet sich die Frage danach, ob
Kohorte der 1975 bis 1989 Geborenen zeig- Konjunkturelle Schwankungen, die durch sie im Großen und Ganzen ihren »ge-
te 2010 bis 2012 ein nach unten abweichen- die zeitweise Bedeutung bestimmter Poli­ rechten Anteil« am Wohlstand zu erhal-
des Profil. Die derzeit Mitte 20- bis Ende tikprioritäten (wie Geldwertstabilität oder ten glauben. Bei dieser Einschätzung
30-Jährigen zeichneten sich vorübergehend Einfluss auf Regierungs­handeln) verursacht zeigt sich ein stabiler Ost-West-Unter-
durch eine stärkere Neigung zum Material­ werden, verliefen in der gesamten Nach­ schied: Im Westen Deutschlands meinten
ismus aus, schlossen jedoch in der jüngsten kriegs­­bevölkerung gleichermaßen. u Abb 2 konstant zwei Drittel der Befragten, ih-
Erhebung wieder zu den übrigen Nach­ ren gerechten Anteil oder mehr zu erhal-
kriegs­kohorten auf. Ein deut­licher Abstand 14.1.2 Ansprüche an den Lebens- ten, gegenüber einem Drittel, das seinen
kann weiterhin zwischen Vorkriegs- und standard und ihre Erfüllung Anteil nicht als gerecht einschätzte, wäh-
Nachkriegsgeborenen beobachtet werden. Die Bürger beurteilen ihre persönliche rend im Osten Deutschlands dieses Ver-
Der durch Generations­wechsel bedingte ­Situation im Vergleich mit anderen. Um hältnis umgekehrt war. Im Jahr 2014 be-
werteten jedoch mit 43 % deutlich mehr
Ostdeutsche ihren Anteil als gerecht als
in den Vorjahren (siehe Abbildung 3).
Damit reduzierte sich erstmals seit den
1990er-Jahren der Abstand zwischen
West- und Ostdeutschland leicht. Die Be-
u Abb 3  Gerechtigkeitsbewertung: eigener Anteil an der Verteilung des Wohl- völkerung reagierte in beiden Landestei-
stands ist »gerecht« oder »mehr als gerecht« 1992 – 2014 — in Prozent len mit parallelen Schwankungen auf die
sich wandelnden Rahmenbedingungen.
Im Jahr 2004, als Deutschland noch als
der »kranke Mann Europas« galt, ebenso
65 wie im Jahr 2008, als die Finanzkrise sich
1992
19
negativ auf die deutsche Wirtschaft aus-
67
wirkte, nahm in West- und Ostdeutsch-
1996 land der Anteil derjenigen ab, die ihren
38
gerechten Anteil oder mehr zu erhalten
2000
68 meinten. Seit 2008 stieg die Zahl ­derer,
37
die ihren Anteil am Wohlstand mindes-
tens als gerecht bezeichneten, in beiden
68
2002
40 Teilen Deutschlands stetig an. Die starke
wirtschaftliche Lage in Deutschland ließ
61 den Anteil der Zufriedenen in der Bevöl-
2004
32
kerung steigen. u Abb 3
Betrachtet man die Veränderungen in
66
2006
37 verschiedenen Bevölkerungsgruppen in
den Jahren 1992, 2004 und 2014, so zeigt
60 sich, welche gesellschaftlichen Positionen
2008
32 sich positiv beziehungsweise negativ auf die
Zufriedenheit auswirkten. Ein Vergleich
64
2010
36
der Altersgruppen zeigt in Westdeutsch-
land eine Veränderung (siehe Tabelle 2).
68 Nachdem sich die Altersgruppen lange
2014
43 nicht in der Bewertung ihres Anteils am
Wohlstands unterschieden, nahm der An-
teil derjenigen, die sich mit einem gerech-
Westdeutschland Ostdeutschland
ten Anteil am Wohlstand beteiligt sahen, in
der ältesten Altersgruppe (66 Jahre und
­älter) in den letzten Jahren deutlich zu. In
Datenbasis: ALLBUS 1992 – 2014. Ostdeutschland beurteilte zudem auch die

421
14 /  Werte und Einstellungen  14.1 /  Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen

u Tab 2  Gerechtigkeitsbewertung¹ des »eigenen Anteils« am Wohlstand in Deutschland 1992, 2004 und 2014 — in Prozent

Eigener Anteil ist »gerecht« oder »mehr als gerecht«

Westdeutschland Ostdeutschland
1992 2004 2014 1992 2004 2014
Gesamt 65 61 68 19 32 43

Geschlecht

Männer 67 62 70 19 34 47

Frauen 63 61 67 18 30 39

Alter

18 – 34 Jahre 64 60 66 19 37 46

35 – 49 Jahre 65 61 67 16 30 41

50 – 65 Jahre 65 63 67 18 28 40

Ab 66 Jahre 64 61 77 24 36 47

Erwerbsstatus

Erwerbstätig 68 63 67 20 33 44

Schüler / Student 79 78 88 / 69 81

Rentner 63 60 74 22 34 43

Arbeitslos 45 40 44 10 13 11

Hausfrau /-mann 61 61 60 / / /

Familienstand

Ledig 66 61 65 20 33 40

Verheiratet 67 63 73 18 33 47

Verwitwet 58 58 76 22 39 49

Geschieden 49 47 41 14 20 22

Wertetypen

Materialisten 60 51 50 14 26 37

Materialistischer Mischtyp 61 63 70 24 35 41

Postmaterialistischer Mischtyp 62 62 70 16 27 42

Postmaterialisten 77 66 72 21 45 53

1 Frage: »Im Vergleich dazu, wie andere hier in Deutschland leben: Glauben Sie, dass Sie Ihren gerechten Anteil erhalten, mehr als Ihren gerechten Anteil, etwas weniger oder viel weniger?«
/ Fallzahlen zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1992, 2004, 2014.

jüngste Altersgruppe (18–34 Jahre) ihren Anteil als gerecht ansahen. Demgegenüber der Benachteiligung bei den Arbeitslosen
Anteil häufiger als gerecht als die mittleren bewerteten vor allem im Osten nur wenige besonders festgesetzt; neun von zehn
Altersgruppen. Während die Unterschiede Arbeitslose ihren Anteil als gerecht. Im ostdeutschen Arbeitslosen bezeichneten
nach Alter und Geschlecht ansonsten Westen bezeichneten auch Hausfrauen 2014 ihren Anteil am Wohlstand als
­gering ausfielen, variierten sie deutlich und Hausmänner ihren Anteil seltener als ­weniger als gerecht. Im Westen Deutsch-
nach Erwerbsstatus. Vergleicht man die Er- andere Erwerbsgruppen als gerecht. lands empfanden sich demgegenüber nur
werbsgruppen mit der jeweiligen Gesamt- In Ost- und Westdeutschland und zu drei von fünf Arbeitslosen als übervor-
bevölkerung, sahen Erwerbstätige in Ost allen drei Zeitpunkten glaubten zwei teilt. Die Geschiedenen sahen ihren An-
und West durchschnittlich einen gerechten Gruppen besonders häufig, weniger als teil am Wohlstand sowohl in Ost- als
Anteil, während Rentner im Westen und den gerechten Anteil zu erhalten: die auch in Westdeutschland als zu gering
Schüler und Studierende in beiden Landes- ­A rbeitslosen und die Geschiedenen. Im an, jedoch trat der ­Abstand zum Durch-
teilen überdurchschnittlich häufig ihren Osten Deutschlands hat sich das Gefühl schnitt im Westen Deutschlands deut­

422
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen  / 14.1  Werte und Einstellungen  / 14

u Tab 3  Zukunftserwartungen für einfache Leute 1992 – 2012 — in Prozent


Verschlechterung für die einfachen Leute ist zu erwarten:
Bin derselben Meinung

1992 2000 2004 2006 2008 2010 2012


West

Gesamt 71 71 87 85 89 83 76

Erwerbstätige 72 69 87 85 88 84 77

Rentner 66 69 88 88 90 83 80

Arbeitslose 81 81 88 93 91 88 88

Schüler / Student 61 57 82 68 82 60 57

Hausfrauen / -männer 61 57 82 84 93 85 73

Ost

Gesamt 66 81 94 89 94 86 83

Erwerbstätige 63 80 92 87 92 85 80

Rentner 69 82 96 93 94 86 86

Arbeitslose 74 89 98 91 96 95 91

Schüler / Student / / / / / / /

Hausfrauen / -männer / / / / / / /

/ Fallzahlen zu gering.
Datenbasis: ALLBUS 1992, 2000, 2004 – 2012.

licher hervor. Die Gerechtigkeitsbewer- stärker ausgeprägt war als im Westen. In- zeigten sich hier starke Schwankungen.
tungen fielen auch bei den Wertetypen, des zeigt die Kurve für die letzten beiden Im Jahr 2008 fiel die Erwartung einer
die der materialistischen Situation un- Befragungszeitpunkte 2010 und 2012 Verbesserung auf ein sehr niedriges
terschiedlich viel Bedeutung beimessen, nach unten: Zuletzt erwarteten »nur« ­Niveau; lediglich jeder Zehnte in Ost und
verschieden aus: ­Materialisten sahen ih- noch 76 % der Westdeutschen und 83 % West erwartete eine Verbesserung der
ren Anteil am Wohlstand in Ost und der Ostdeutschen eine Verschlechterung wirtschaftlichen Lage. Überraschend
West deutlich seltener als gerecht an als für die einfachen Leute. Die zeitlichen hellten sich die wirtschaftlichen Zu-
Postmaterialisten, wobei sich der Ab- Schwankungen lassen sich durch alle kunftserwartungen 2010 auf, verdüster-
stand zwischen beiden in jüngster Zeit ­B evölkerungsgruppen beobachten. Da­ ten sich jedoch 2012 wieder genauso stark:
sogar noch vergrößert hat. Die Misch­ rüber hinaus war diese Sorge unter den Wie schon 2008 erwarteten West- und
typen ähnelten im Westen in ihrer Bewer- Arbeitslosen besonders präsent: neun von Ostdeutsche zu 10 % eine Verbesserung,
tung früher eher den Materialisten, heute zehn erwarteten eine ­Verschlechterung knapp zur Hälfte gleichbleibende Verhält-
eher den Postmaterialisten, während sie der Verhältnisse. Dementgegen hegten nisse und zu 40 % eine Verschlechterung.
im Osten zwischen beiden standen. u Tab 2 westdeutsche Schüler und Schülerinnen Im Jahr 2014 rechneten zwei Drittel der
und Studierende deutlich unterdurch- Deutschen mit einer gleichbleibenden
14.1.3 Zukunftserwartungen schnittlich häufig solche Bedenken. Für ­Situation, wobei die Übrigen im Westen
Eine recht elementare Reaktion auf Ver- 2014 wurde diese Frage nicht erhoben, mehrheitlich eine Verschlechterung und
änderungen in den Lebensbedingungen doch wäre hier, ­entsprechend den ande- im Osten mehrheitlich eine Verbesserung
ist die Vermutung, dass »eine Verschlech- ren I­ ndikatoren, eine geringere Sorge um erwarteten. Trotz guter wirtschaftlicher
terung der Lebensbedingungen für die die Lage der einfachen Leute zu erwar­ Lage ließ sich in Westdeutschland eine
einfachen Leute« zu erwarten sei. In den ten. u Tab 3 ­gewisse Skepsis hinsichtlich ihrer Dauer­
letzten zehn Jahren zeigten vor a­ llem die Die Zukunftserwartung zur allge- haftigkeit erkennen. u Abb 4
Krisenjahre 2004 und 2008 deutliche meinen wirtschaftlichen Entwicklung ist Etwas stabiler zeigte sich die Ent-
Ausschläge nach oben, wobei diese Be- naturgemäß ein relativ unbeständiger wicklung der Zukunftserwartungen hin-
fürchtung im Osten Deutschlands noch Indikator. Seit Beginn der Finanzkrise sichtlich der persönlichen wirtschaft­

423
14 /  Werte und Einstellungen  14.1 /  Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen

lichen Lage, weil die Deutschen üblicher- u Abb 4  Zukunftserwartungen der allgemeinen wirtschaftlichen
weise ihre persönliche wirtschaftliche Lage 1992 – 2014 — in Prozent
Zukunft stabiler als die allgemeine wirt-
schaftliche Lage beurteilen und bei Ver-
besserung ebenso wie bei Verschlechte- Westdeutschland
rung der wirtschaftlichen Aussichten für
sich selbst eher gleichbleibende Verhält- 1992 12 42 46
nisse erwarten. Im Jahr 2014 lagen in
Westdeutschland die Erwartungen zu 1996 10 38 52

allgemeiner und eigener wirtschaftlicher


1998 18 54 28
Lage sehr dicht beieinander. In Ost-
deutschland hingegen waren die Erwar- 2000 25 59 16
tungen zur allgemeinen wirtschaftlichen
Lage etwas positiver als zur Entwicklung 2002 31 43 26

der persönlichen Verhältnisse. In beider-


2004 20 45 35
lei Hinsicht erwarteten die Ostdeutschen
häufiger eine Verbesserung als die West­ 2006 22 44 34
deutschen. u Abb 5
2008 13 47 40

14.1.4 Ausblick 2010 33 40 27


Die in diesem Beitrag dargestellten Er-
gebnisse zeigen eine Bevölkerung, die 2012 10 49 41

­i nzwischen mehrheitlich postmaterialis-


2014 15 63 22
tische Werte in den Vordergrund stellt,
den eigenen Anteil am Wohlstand als ge-
recht ansieht und für die unmittelbare
Zukunft wirtschaftliche Stabilität erwar- Ostdeutschland
tet. In den Schwankungen der vergange-
nen Jahre erkennt man den Einfluss der 1992 40 48 12

Finanzkrise, aber auch den der aktuell


1996 13 40 47
außerordentlich guten Wirtschaftssituati-
on in Deutschland. Allgemein lässt sich 1998 13 59 28
eine langsame Angleichung der Werte,
Einstellungen und Erwartungen zwi- 2000 22 61 17

schen Ost- und Westdeutschland beob-


2002 20 52 28
achten sowie, bei bestehendem Abstand,
ein paralleler Verlauf der Schwankungen. 2004 13 45 42
Bemerkenswert ist die Verbesserung
2006 15 51 34
des Gerechtigkeitsempfindens in Ost-
deutschland. Unzufriedenheit und Skep- 2008 11 52 37
sis finden sich vorwiegend bei eher be-
nachteiligten Gruppen, insbesondere bei 2010 27 42 31
den Arbeitslosen. Zugleich lassen die
2012 10 52 39
Westdeutschen eine gewisse Skepsis in
den Zukunftserwartungen erkennen. 2014 26 65 9
Eine deutliche Verschlechterung der
wirtschaftlichen Lage würde voraus-
Verbesserung Gleichbleibend Verschlechterung
sichtlich wieder Spuren in den Gerech-
tigkeitsbewertungen und den Zukunfts-
erwartungen hinterlassen. Wie sie sich
Datenbasis: ALLBUS 1992–2014.
auf die Werteprioritäten auswirken wür-
de, ist weniger eindeutig, da Wirtschafts-

424
Wertorientierungen, Ansprüche und Erwartungen  / 14.1  Werte und Einstellungen  / 14

u Abb 5  Zukunftserwartungen der eigenen wirtschaftlichen krisen derzeit nicht mit steigenden Prei-
Lage 1992 – 2014 — in Prozent sen einhergehen. Stärker materialistische
Befürchtungen würden daher nur partiell
von dem Ziel »Kampf gegen steigende
Preise« aufgenommen werden (dennoch
Westdeutschland
hatte dieses Ziel im Krisenjahr 2008 hohe
1992 17 66 17
Konjunktur). Zu erwarten wäre eher eine
weiter verstärkte Forderung nach mehr
1996 14 67 19 Bürgereinf luss auf die Regierungsent-
scheidungen. Diese Forderung stellt die
1998 16 70 14
eigentliche Herausforderung dar, welche
2000 21 71 8 auch in Zeiten wirtschaftlicher Stabilität
aktuell bleibt.
2002 24 65 11

2004 19 63 18

2006 16 62 22

2008 20 61 19

2010 23 64 13

2012 22 66 13

2014 17 61 22

Ostdeutschland

1992 40 48 12

1996 15 63 22

1998 13 71 16

2000 17 70 13

2002 19 71 10

2004 14 62 24

2006 12 64 24

2008 17 57 26

2010 18 66 16

2012 18 69 13

2014 18 70 10

Verbesserung Gleichbleibend Verschlechterung

Datenbasis: ALLBUS 1992 – 2014.

425
14 / Werte und Einstellungen  14.2 /  Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes

14.2 Die Notwendigkeiten und Möglichkeiten


zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbs-
teilung zwischen Mann und Frau und die
Einstellungen zu den Konsequenzen der
Einstellungen arbeit für Frauen haben sich in den letzten Frauenerwerbstätigkeit. Erstere bezieht
zur Rolle Jahrzehnten verändert: Die Zahl der Ehe-
scheidungen war im Jahr 2012 höher als
sich auf Vorstellungen über die geschlechts-
spezifische Arbeitsteilung hinsichtlich der
der Frau und der zu Beginn der 1990er-Jahre (siehe Kapitel Erwerbsarbeit sowie auf Vorstellungen
des Mannes 2.1, Seite 50, Tab 3), die Erwerbsquote der
Frauen hat, insbesondere im Westen, zu-
über den Stellenwert der Berufstätigkeit
der Frau. Letztere betrifft die Einstellun-
genommen. Zugleich hat sich die Kinder- gen zu den Konsequenzen, die sich aus der
Michael Blohm, Jessica Walter betreuungsquote seit 2002 erhöht, nach- Berufstätigkeit von Frauen insbesondere
GESIS Mannheim dem sie in Ostdeutschland in den 1990er- für die Erziehung und die Entwicklung der
Jahren stark zurückgegangen war. Unter Kinder ergeben können. u Info 1
anderem durch die Einführung von zwei Die vorliegende Analyse unterschei-
WZB / SOEP
Partnermonaten bei der Elternzeit im Jahr det zwischen einem »traditionellen« und
2007 ist zudem die Vereinbarkeit von Fami- einem »egalitären« Verständnis der Frau-
lie und Beruf für Väter stärker ins Blick- enrolle. Ein »traditionelles« Rollenver-
feld von Politik und Öffentlichkeit gerückt. ständnis geht davon aus, dass die Frau
Im Folgenden wird untersucht, wie primär zu Hause bleiben und sich um die
sich verschiedene Einstellungen zur Rolle Erziehung der Kinder und um den Haus-
der Frau und des Mannes in Familie und halt kümmern soll, während der Mann
Beruf verändert haben, die wichtige Indi- für die Erwerbstätigkeit zuständig ist;
katoren für das gesellschaftliche Klima die berufliche Karriere der Frau hat dem-
bezüglich der Gleichstellung von Mann nach einen geringen Stellenwert. In einem
und Frau darstellen. Während die Daten »egalitären« Rollenverständnis hingegen
für Westdeutschland bis 1982 zurückrei- wird nicht nach den Geschlechtern
chen, kann die Entwicklung für Ost- ­d ifferenziert, vielmehr wird eine Rollen-
deutschland seit 1991 nachgezeichnet angleichung von Mann und Frau be­
werden. In einem ersten Schritt werden fürwortet. Bei der Interpretation der Ge-
zunächst einige Einstellungen zur Rolle schlechterrollen-Vorstellung ist zu be-
der Frau im Zeitvergleich zusammenfas- rücksichtigen, dass einer Er­ w erbsbe-
send dargestellt, in einem zweiten Schritt teiligung von Frauen nicht nur im Sinne
werden Ergebnisse zu einzelnen Fragen einer Gleichstellung der Geschlechter,
zur Rolle der Väter in Familie und Beruf sondern auch aus ökonomischen Grün-
präsentiert. Diese wurden zum ersten den zugestimmt werden kann. Werden
Mal 2012 erhoben, sodass hier keine Ana- die Konsequenzen der Erwerbstätigkeit
lyse über die Zeit möglich ist. Vielmehr der Frau für deren Kinder als positiv be-
werden die Einstellungen zur Rolle der ziehungsweise als nicht negativ einge-
Väter zwischen verschiedenen Gruppen schätzt, so werden diese Einstellungen als
wie zum Beispiel Männern und Frauen »egalitär« gewertet. Wird die Erwerbstä-
für Ost- und Westdeutschland getrennt tigkeit von Frauen hingegen als hinder-
miteinander verglichen. lich für die Entwicklung der Kinder be-
trachtet, so gelten diese Einstellungen als
14.2.1 Traditionelle und egalitäre »traditionell«.
Einstellungen zur Rolle der Frau Den Tabellen 1 und 2 ist zu entneh-
im Zeitverlauf men, dass der Anteil von – in diesem Sin-
Hinsichtlich der Einstellungen zur Rolle ne – egalitären Einstellungen über die Jah-
der Frau können mit den Daten der Allge- re in West- und Ostdeutschland zugenom-
meinen Bevölkerungsumfrage der Sozial- men hat. Für die Einstellungen zur
wissenschaften (ALLBUS) zwei theoretisch Rollen­ verteilung zwischen Mann und
bedeutsame Dimensionen unterschieden Frau war für beide Landesteile, nach nur
werden: die Vorstellungen zur Rollenver- geringen Veränderungen in den 1990er-

426
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes  / 14.2  Werte und Einstellungen / 14

2012 haben sich die Einstellungen zwi-


u Info 1
schen West- und Ostdeutschland angenä-
Traditionelle und egalitäre Einstellungen zur Rolle der Frau
hert und der Unterschied war 2012 für den
Die Aussagen können anhand einer 4-stufigen verbalisierten Skala bewertet werden. Als Zustimmung
werden:
»Stimme voll und ganz zu« und »Stimme eher zu« gewertet. Eine Ablehnung kann mit »Stimme gesamten Beobachtungszeitraum am ge-
eher nicht zu« beziehungsweise 
»Stimme überhaupt nicht zu« zum Ausdruck gebracht werden. ringsten. Zwar haben sich die Einstellun-
gen der West- und Ostdeutschen bezüg-
Zuordnung der Antworten zu
einem tradi­tionellen oder modernen
lich der Konsequenzen der Erwerbstätig-
Aussagen Rollenverhältnis keit der Frau angenähert, aber nicht
Zustimmung Ablehnung angeglichen. Diese Annäherung spiegelt
Vorstellungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau wider, dass sich die Erwerbsquoten der
1 »Es ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann voll im Frauen in West und Ost im Trend annä-
Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um traditionell egalitär
den Haushalt und die Kinder kümmert.« hern und sich zugleich die Zahl der Kin-
2 »Für eine Frau ist es wichtiger, ihrem Mann bei seiner Karriere derbetreuungsmöglichkeiten in West-
traditionell egalitär
zu helfen, als selbst Karriere zu machen.« deutschland vergrößert, aber im Vergleich
3 »Eine verheiratete Frau sollte auf eine Berufstätigkeit verzichten, zu Ostdeutschland immer noch deutlich
wenn es nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen gibt
traditionell egalitär niedriger ist.
und wenn ihr Mann in der Lage ist, für den Unterhalt der
Familie zu sorgen.«
Männer und Frauen unterschieden
Konsequenzen der Erwerbstätigkeit der Frau
sich kaum im Hinblick auf die Vorstellun-
4 »Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden, wenn seine
Mutter berufstätig ist.«
traditionell egalitär gen zur Rollenverteilung zwischen Mann
5 »Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches
und Frau, wobei Frauen sich geringfügig
und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie egalitär traditionell egalitärer äußerten als Männer; dies
eine Mutter, die nicht berufstätig ist.«
galt 
für West- und Ostdeutschland. Frau-
6 »Es ist für ein Kind sogar gut, wenn seine Mutter berufstätig
ist und sich nicht nur auf den Haushalt konzentriert.«
egalitär traditionell en schätzten auch in beiden Landesteilen
die Konsequenzen der Erwerbstätigkeit
von Frauen für die Kinder weniger negativ
ein als die Männer. Dieser Unterschied
Jahren, zwischen 2000 und 2004 eine ver- der Berufstätigkeit der Frau deutlich egali- war im Westen deutlich größer als im Os-
stärkte Zunahme egalitärer Einstellungen tärer als die Westdeutschen, wobei diese ten. Auch diese Beobachtung kann mit
fest­zustellen. Dieser Trend war in West­ Unterschiede bei der Einschätzung der der Erfahrung ostdeutscher Familien mit
deutschland bis 2012 zu verzeichnen. Im Konsequenzen der Berufstätigkeit der der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Jahr 2012 vertraten über drei Viertel der Frau größer waren als bei den Aussagen erklärt werden: In Ostdeutschland konn-
westdeutschen Bevölkerung eine egalitäre zur Rollenverteilung. Dieser Befund ist ten und können mehr Männer die Erfah-
Einstellung, 1991 war es nur etwas über sehr wahrscheinlich auf die unterschiedli- rung machen, dass sich die Erwerbstätig-
die Hälfte. In Ostdeutschland schwächte chen sozialen und ökonomischen Kontext­ keit der Frau nicht negativ auf die Ent-
sich diese Entwicklung allerdings ab. Für bedingungen zurückzuführen, die in den wicklung der Kinder auswirkt. Zwischen
das Jahr 2012 wurden mit 86 % vergleich- neuen Bundesländern eine bessere Verein- 1991 und 2012 haben sich die Unterschie-
bare Zustimmungswerte zu egalitären barkeit von Familie und Erwerbs­tätigkeit de in den Einstellungen der Geschlechter
Ein­stellungen gemessen wie schon im Jahr ermöglichen beziehungs­weise notwendig bezüglich der Konsequenzen der Er-
2004. Auch die Ein­schätzungen der Kon- machen. u Tab 1, Tab 2 werbstätigkeit der Frau in Westdeutsch-
sequenzen der Erwerbstätigkeit der Frau Interessant ist, dass sich die Einstel- land vergrößert – in Ostdeutschland da-
folgten einer ähnlichen Entwicklung. Die lungen in beiden Dimensionen über die gegen tendenziell verringert, da die egali-
Einstellungen wurden insgesamt in West Jahre zwischen West- und Ostdeutschland tären Einstellungen der Männer stärker
und Ost egalitärer. Im Westen hielt dieser nicht angeglichen haben, obwohl dies zugenommen haben als die der Frauen.
Trend bis 2012 an; auch diesbezüglich wa- nach den sozialpolitischen und ideologi- Einen großen Einfluss auf die Einstel-
ren nunmehr knapp drei Viertel der West- schen Änderungen insbesondere in Ost- lungen zur Rolle der Frau im Erwerbsle-
deutschen egalitär eingestellt. In Ost- deutschland nach der deutschen Vereini- ben hatte das Alter der Befragten. Im Gro-
deutschland hingegen wurden 2012 keine gung von vielen erwartet wurde. Vielmehr ßen und Ganzen waren jüngere Menschen
egalitäreren Einstellungen gemessen als haben sich die Unterschiede in den Vor- egalitärer eingestellt als ältere. Dies galt
im Jahr 2008. Insgesamt äußerten sich die stellungen zur Rollenverteilung zwischen für beide untersuchten Dimensionen und
Ostdeutschen im Hinblick auf die Vor­ Mann und Frau seit den frühen 1990er- traf auf West- und Ostdeutschland glei-
stellungen zur Rollenverteilung zwischen Jahren zwischen West und Ost teilweise chermaßen zu. Eine Ausnahme bildete die
Mann und Frau und die Kon­sequenzen sogar vergrößert. Erst zwischen 2008 und Einstellung zu den Konsequenzen der Er-

427
14 / Werte und Einstellungen  14.2 /  Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes

u Tab 1  Vorstellungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau 1982 – 2012 — in Prozent
Ost West
1991 1996 2000 2004 2008 2012 1982 1991 1996 2000 2004 2008 2012
Anteil egalitärer Äußerungen, additiver Index der Aussagen 1– 3
Insgesamt1 67 74 75 86 88 86 32 56 58 61 68 69 76
Geschlecht
Männer 65 75 74 86 86 84 32 56 55 59 67 67 73
Frauen 70 74 77 86 89 87 32 56 60 62 70 70 79
Alter
18 – 30 Jahre 83 86 82 92 94 92 57 73 81 80 84 86 87
31– 45 Jahre 76 84 82 89 91 92 37 66 72 74 84 79 89
46 – 65 Jahre 62 67 73 86 90 87 21 47 45 55 63 73 79
Ab 65 Jahre 34 59 59 74 77 73 10 25 22 28 33 41 46

1  Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit.


Datenbasis: ALLBUS 1982, 1991, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012.

u Tab 2  Konsequenzen der Erwerbstätigkeit der Frau 1982 – 2012 — in Prozent


Ost West
1991 1996 2000 2004 2008 2012 1982 1991 1996 2000 2004 2008 2012
Anteil egalitärer Äußerungen, additiver Index der Aussagen 4 – 6
Insgesamt1 74 80 83 88 92 92 29 43 46 53 59 66 74
Geschlecht
Männer 70 76 81 85 91 90 25 37 40 46 50 61 66
Frauen 77 84 85 92 93 95 32 49 52 60 67 70 82
Alter
18 – 30 Jahre 79 78 84 85 86 84 37 50 55 65 61 76 78
31– 45 Jahre 78 82 87 90 93 93 34 52 53 57 70 68 82
46 – 65 Jahre 70 79 80 90 95 95 24 36 42 50 55 68 76
Ab 65 Jahre 64 80 82 87 91 93 16 28 26 41 40 53 57

1  Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit.


Datenbasis: ALLBUS 1982, 1991, 1996, 2000, 2004, 2008, 2012.

werbstätigkeit. Hier waren die jüngsten die sich bei den 18- bis 30-Jährigen in im Westen die jüngeren Gruppen deutlich
Befragten in Ostdeutschland weniger ega- West- und Ostdeutschland zwischen 1996 seltener als die älteren negative Konse-
litär eingestellt als ältere Befragte. und 2000 angedeutet hatte, konnte nicht quenzen für die Erziehung der Kinder er-
Aus Tabelle 1 ist ersichtlich, dass sich weiter festgestellt werden, da der Anteil warteten, wenn die Frau erwerbstätig ist.
in Ostdeutschland die Einstellungen der egalitärer Einstellungen 2004 und 2008
unterschiedlichen Altersgruppen zur tra- wieder zugenommen hat beziehungswei- 14.2.2 Konsequenzen der Erwerb­
ditionellen Rollenverteilung zwischen se in Ostdeutschland konstant geblieben tätigkeit des Mannes für seine Kinder
1991 und 2012 angenähert haben. Betrug ist. Der Trend zu egalitären Werten bei Im Folgenden werden vier ausgewählte
die Differenz bei der Zustimmung 1991 den älteren Generationen war dagegen Aussagen zur Rolle des Mannes in Familie
noch 49 Prozentpunkte zwischen der im Westen über die Zeit ungebrochen. Im und Beruf genauer betrachtet. Diese be-
Gruppe der 18- bis 30-Jährigen und den Osten ließ sich ab 2008 eine Abnahme ziehen sich auf die Konsequenzen der Er-
über 65-Jährigen, so hat sich diese bis 2012 egalitärerer Einstellung feststellen. werbstätigkeit des Mannes für seine Kin-
auf 19 Prozentpunkte verringert. Im Ge- Die Unterschiede zwischen den Alters- der und die Arbeitsteilung zwischen
gensatz dazu haben sich die Einstellungen gruppen im Westen und im Osten in Be- Mann und Frau in der Familie. Die Aus-
der einzelnen Altersgruppen im Westen zug auf die Einschätzung der Konsequen- sagen können den Tabellen 3 und 4 ent-
für den Zeitraum 1982 bis 2012 kaum an- zen der Erwerbstätigkeit der Frau sind über nommen werden.
genähert, sondern waren – mit Ausnahme die Zeit relativ stabil geblieben. Im Osten Die Aussagen in Tabelle 3 beziehen
von 1996 – relativ stabil. Eine Trendwende fanden sich dabei nur geringe Unterschie- sich auf die Konsequenzen der Erwerbs-
hin zu eher traditionellen Vorstellungen, de zwischen den Altersgruppen, während tätigkeit des Vaters für seine Kinder. Bis-

428
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes  / 14.2  Werte und Einstellungen / 14

u Tab 3  Konsequenzen der Erwerbstätigkeit des Mannes 2012 — in Prozent verantwortlich die Kinderbetreuung
»Ein Vollzeit erwerbstätiger Vater überließ, sondern diese stark unterstützte.
»Ein Vollzeit erwerbstätiger
kann zu seinem Kleinkind normaler- Männer standen der Erwerbstätigkeit
Vater kann sich nicht aus-
weise ein genauso inniges Verhältnis
reichend um seine Kinder von Vätern kritischer gegenüber als Frau-
haben wie ein Vater, der nicht
kümmern.«
berufstätig ist.« en. Sie stimmten häufiger als Frauen zu,
West Ost West Ost dass sich ein Vollzeit erwerbstätiger Vater
Zustimmung in % 1
nicht ausreichend um die Kinder küm-
traditionell egalitär mern kann. Auch waren weniger männli-
Insgesamt2 45 36 77 87 che Befragte der Ansicht, dass berufstäti-
Geschlecht ge Männer ein genauso inniges Verhältnis
Männer 48 42 74 83 zu den Kindern haben wie nicht berufstä-
Frauen 43 30 80 90 tige Väter. Dieser Geschlechtsunterschied
Verheiratete Frauen3
war im Osten besonders groß, da hier
berufstätig 35 28 78 93
»nur« 30 % der Frauen im Vergleich zu
nicht berufstätig 51 32 85 92
42 % der Männer glaubten, dass sich Voll-
zeit erwerbstätige Väter nicht ausreichend
Verheiratete Männer3
um ihre Kinder kümmern können.
berufstätig 44 44 74 78
Die Betrachtung der Einstellungen von
nicht berufstätig 59 45 81 90
berufstätigen und nicht berufstätigen ver-
Alter
heirateten Frauen zeigt, dass gerade nicht
18 – 30 Jahre 36 31 71 81
berufstätige Frauen mit 85 % im Westen
31– 45 Jahre 39 32 76 86
zu einem größeren Anteil als berufstätige
46 – 65 Jahre 49 38 76 87
Frauen (78 %) der Meinung waren, dass
Ab 65 Jahre 55 40 86 91
Vollzeit erwerbstätige Väter ein gutes Ver-
Bildung hältnis zu ihrem Kind haben können. Im
Hauptschul­a bschluss 53 40 80 92 Osten stimmten dieser Aussage dagegen
Mittlere Reife/ mit jeweils etwas über 90 % nahezu gleich-
poly-technische 42 37 76 86
Oberschule viele berufstätige Frauen wie nicht berufs-
Abitur/Fachabitur 40 28 76 84 tätige Frauen zu. Nicht berufstätige Frau-
en meinten sowohl im Westen als auch im
1 Anteil »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu«.
2  Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit. Osten zu einem höheren Anteil als berufs-
3  Verheiratet und mit dem Ehepartner zusammenlebend.
Datenbasis: ALLBUS 2012. tätige Frauen, dass Väter, die Vollzeit be-
rufstätig sind, sich nicht ausreichend um
her wurde nur die Einstellung zu Konse- se Ergebnisse sprechen dafür, dass die Be- ihre Kinder kümmern können. Vor allem
quenzen der weiblichen Erwerbstätigkeit fragten wahrnahmen, dass Vollzeiter- im Westen war der Unterschied zwischen
erfasst. Seit 2012 kann man diesbezüglich werbstätigkeit von Vätern zwar zu wenig nicht berufstätigen und berufstätigen
die Einstellungen zu Vater und Mutter Zeit zwischen Vater und Kindern führt, Frauen mit 51 % zu 35 % hoch, im Osten
vergleichen. Die meisten Befragten vor al- aber dadurch nicht zwangsläufig das Ver- mit 32 % zu 28 % vergleichsweise niedrig.
lem in Ostdeutschland waren 2012 der hältnis zwischen Vater und Kindern lei- Hier zeigte sich das traditionellere Rollen-
Meinung, dass sich die Erwerbstätigkeit den muss. Eventuell wird es von Vätern verständnis von Frauen im Westen im
der Mutter nicht negativ auf die Kindes- auch nicht erwartet, sich in hohem Maß Vergleich zum Osten.
entwicklung auswirkt (Tabelle 2). Die Er- um ihre Kinder zu kümmern. u Tab 3 Bei verheirateten Männern zeigte sich
werbstätigkeit des Vaters wurde aller- Wie bei den Einstellungen zur weibli- im Osten und Westen ein ähnliches Bild
dings ambivalent beurteilt. Die meisten chen Erwerbstätigkeit standen Befragte wie bei westdeutschen verheirateten
Befragten stimmten zu, dass »ein Vollzeit im Osten der Erwerbstätigkeit des Vaters Frauen. Nicht berufstätige Ehemänner
erwerbstätiger Vater […] zu seinem Klein- positiver gegenüber als Befragte im Wes- stimmten, im Vergleich zu berufstätigen
kind normalerweise ein genauso inniges ten. Dies lässt sich möglicherweise auf die Ehemännern, zu einem höheren Anteil
Verhältnis haben [kann] wie ein Vater, der in Ostdeutschland weit verbreitete gene- sowohl der Aussage zu, dass ein Vollzeit
nicht berufstätig ist«. Allerdings gaben rationenübergreifende Erfahrung der Ver- erwerbstätiger Vater sich nicht ausrei-
auch viele an, dass »ein Vollzeit erwerbs- einbarkeit von Familie und Beruf und die chend um seine Kinder kümmern kann,
tätiger Vater […] sich nicht ausreichend Familienpolitik der DDR zurückführen, als auch der Aussage, dass ein Vollzeit er-
um seine Kinder kümmern [kann]«. Die- bei der der Staat nicht der Familie haupt- werbstätiger Vater ein genauso inniges

429
14 / Werte und Einstellungen  14.2 /  Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes

Verhältnis zu seinen Kindern haben kann Befragten ein Rollentausch-Modell bewer- Modell mit knapp einem Drittel (West)
wie ein nicht berufstätiger Vater. ten, bei dem der Mann zu Hause bleibt und beziehungsweise einem Viertel (Ost) in
Junge Menschen erwarteten bezüg- sich um den Haushalt und die Kinder küm- beiden Landesteilen auf einem relativ
lich der Erwerbstätigkeit von Vätern we- mert, während die Frau Vollzeit erwerbstä- niedrigen Niveau. Männer standen diesem
niger negative Konsequenzen für die tig ist. Zudem bewerteten die Befragten ein positiver gegenüber als Frauen. Erwerbstä-
Kinder als ältere Menschen. Diese sahen eher traditionelles Arbeitsteilungsmodell, tige verheiratete Frauen stimmten dieser
die väterliche Erwerbstätigkeit zu einem bei dem zwar beide erwerbstätig sind, aber Einschätzung seltener zu als nicht berufs-
höheren Anteil als nachteilig für die Va- die Frau für den traditionellen Bereich tätige verheiratete Frauen, wobei die Un-
ter-Kind-Beziehung und waren der Mei- Haushalt und Familie hauptsächlich ver- terschiede bei westdeutschen und ostdeut-
nung, dass Vollzeit erwerbstätige Väter antwortlich ist (Tabelle 4). schen Frauen ähnlich ausfielen. Bei verhei-
sich zu wenig um ihre Kinder kümmern Das Rollentausch-Modell wurde im rateten Männern war der Unterschied
können. Die Unterschiede in den Einstel- Osten und Westen Deutschlands ähnlich zwischen Berufstätigen und nicht Berufs-
lungen waren für die verschiedenen Al- positiv bewertet. Jeweils knapp 94 % der tätigen im Westen sehr deutlich. Während
tersgruppen in Westdeutschland größer Befragten konnten sich gut vorstellen, die berufstätigen Männer in Ost und West
als in Ostdeutschland. Gerade die Grup- dass Frauen die Alleinverdiener und mit 27 % beziehungsweise 28 % nahezu in
pe der über 65-Jährigen unterschied sich Männer für Haushalt und Kinder verant- gleicher Weise dem Arbeitsteilungsmodell
in Westdeutschland stärker von den Jün- wortlich sind. Frauen und Männer beur- zustimmten, befürworteten es im Westen
geren als im Osten − eine Folge des in der teilten dieses Modell ähnlich positiv. Ge- 54 % und im Osten 36 % der nicht berufs-
Nachkriegszeit im Westen verbreiteten ringe Unterschiede bestanden zwischen tätigen Ehemänner. Dies lässt sich eventu-
»traditionellen« Familienmodells. verheirateten Frauen im Osten. Hier zeig- ell gerade bei den Nichtbetroffenen im
Im Hinblick auf den allgemeinbilden- ten berufstätige Frauen eine höhere Zu- Westen auf eine stärkere Verankerung die-
den Schulabschluss zeigt sich, dass im Os- stimmung als nicht berufstätige. Im Wes- ses Arbeitsteilungsmodells als im Osten
ten wie im Westen mit steigendem Bil- ten ließen sich diese Unterschiede nicht zurückführen. Tabelle 3 zeigt zudem, dass
dungsniveau die Zustimmung zu der Aus- feststellen. Männer im Osten und Westen mit zunehmendem Alter der Befragten die
sage, dass sich Vollzeit erwerbstätige Väter stimmten bei eigener Berufstätigkeit dem Zustimmung zu dem Arbeitsteilungsmo-
nicht ausreichend kümmern, sank. Die Zu- Modell stärker zu als Männer, die nicht dell anstieg, wobei dieser Trend im Wes-
stimmung zur Aussage, dass diese Väter berufstätig waren, wobei der Unterschied ten deutlicher ausgeprägt war als im Os-
ein genauso inniges Verhältnis haben kön- im Westen deutlicher ausfiel als im Osten. ten. Im Westen unterschied sich die Grup-
nen wie nicht erwerbstätige Väter, sank Mit Hinblick auf unterschiedliche Al- pe der über 65-Jährigen erneut stark von
ebenfalls mit steigendem Bildungsniveau. tersgruppen sieht man, dass im Westen der Gruppe der Jüngeren. Wie bei den zu-
Es zeigte sich somit, dass in allen be- jüngere Menschen zwischen 18 und 30 vor betrachteten Einstellungen nahm auch
trachteten Gruppen ein hoher Anteil der Jahren am stärksten dem Rollentausch- hier mit steigendem Bildungsniveau die
Personen der Meinung war, dass sich ein Modell zustimmten, während es im Osten Zustimmung zu einem traditionellen Mo-
Vollzeit erwerbstätiger Vater nicht ausrei- Befragte im Alter zwischen 31 und 65 Jah- dell ab. u Tab 4
chend um seine Kinder kümmern kann. ren waren. In Bezug auf den allgemeinbil-
Gleichzeitig war in allen Gruppen auch denden Schulabschluss ergibt sich, dass 14.2.4 Zusammenfassung
die Mehrheit der Befragten der Meinung, mit zunehmendem Bildungsniveau die Seit 1980 werden im ALLBUS die Einstel-
dass ein Vollzeit erwerbstätiger Vater ein Befragten im Westen und im Osten dem lungen zur Rolle der Frau erhoben, seit
genauso inniges Verhältnis zu seinen Rollentausch-Modell eher zustimmten. 2012 auch die Einstellungen zur Rolle der
Kindern haben kann, wie ein Vater, der Die allgemein hohe Zustimmung zum Väter in Familie und Beruf. Der Trend hin
nicht berufstätig ist. Rollentausch-Modell lässt sich möglicher- zu modernen, egalitären Einstellungen
weise dadurch erklären, dass dieses Ar- bezüglich der Erwerbsbeteiligung von
14.2.3 Arbeitsteilung in der Familie beitsteilungsmodell kaum praktiziert wird Frauen war in den letzten Jahren in West-
Das männliche Alleinverdiener-Modell, in und dadurch einen hypothetischen Cha- deutschland für die Rollenvorstellungen
dem der Mann die finanzielle Versorgung rakter aufweist, die Einstellungen hierzu so- und die Konsequenzen der Erwerbstätig-
der Familie übernimmt und die Frau für mit selten auf eigenen Erfahrungen beruhen. keit ungebrochen. In Ostdeutschland hin-
Haushalt und Kinder verantwortlich ist, Das Modell, bei dem die Verantwor- gegen konnte man zwischen 2008 und
verliert in Deutschland zunehmend an Be- tung für Haushalt und Kinderbetreuung 2012 eine Stagnation beziehungsweise
deutung. Dadurch rücken andere Arbeits- auch dann bei der Frau liegt, wenn beide leichte Trendwende zu traditionelleren
teilungsmodelle in der Familie in den Fo- (Ehe-)Partner erwerbstätig sind, wurde im Einstellungen beobachten. Sowohl im
kus. Im ALLBUS 2012 wurden unter ande- Westen stärker befürwortet als im Osten. Hinblick auf die Vorstellungen zur Rol-
rem Einstellungen dazu erfasst, wie die Insgesamt lag die Zustimmung zu diesem lenverteilung zwischen Mann und Frau

430
Einstellungen zur Rolle der Frau und der des Mannes  / 14.2  Werte und Einstellungen / 14

als auch im Hinblick auf die Konsequen- gung der Familie verantwortlich ist und der werbstätigkeit der Frauen und die der Män-
zen der Erwerbstätigkeit fand sich in Ost- Mann für Haushalt und Kinder, gut vor- ner im Osten weniger kritisch gesehen
deutschland eine größere Zustimmung zu stellen. Ein Arbeitsteilungsmodell, bei dem wurden als im Westen. Wobei sich die Ein-
egalitären Werten als in Westdeutschland. beide berufstätig sind, die Frau aber haupt- stellungen zur Erwerbsbeteiligung von
Die Einstellungen zur Rolle der Frau verantwortlich ist für Haushalt und Kinder, Frauen zwischen West und Ost stärker un-
haben sich in West und Ost seit der Wie- fand aber im Westen mehr Zustimmung terschieden als die Einstellungen zur Er-
dervereinigung nicht angenähert, viel- als im Osten; bei Männern mehr Zustim- werbsbeteiligung von Männern. In Bezug
mehr haben sich die Unterschiede zwi- mung als bei Frauen und bei nicht berufstä- auf die weibliche Erwerbstätigkeit war der
schen 1991 und 2008 sogar vergrößert, da tigen Ehefrauen und Ehemännern mehr Geschlechtsunterschied vor allem in West-
im Osten die egalitären Einstellungen Zustimmung als bei berufstätigen. Je älter deutschland stark ausgeprägt, wobei Frau-
stärker zugenommen haben als im Wes- die Befragten waren, desto eher stimmten en eine egalitärere Einstellung vertraten.
ten. Erst 2012 kam es bei den Rollenvor- sie diesem Arbeitsteilungsmodell zu. Die Auch die Erwerbstätigkeit der Väter fanden
stellungen zu einer Annäherung zwischen Zustimmung war bei Personen mit hohem Frauen weniger problematisch als Männer.
West- und Ostdeutschland. Dennoch lie- Bildungsabschluss geringer als bei Perso- Generell sahen sie also die Vereinbarkeit
gen die Einstellungen in den beiden Lan- nen mit niedrigerem Bildungsniveau. von Familie und Beruf als weniger proble-
desteilen weiterhin aus­einander. In Bezug auf ihre Einschätzung der matisch an als Männer dies taten.
Die meisten Befragten konnten sich die Konsequenzen der Erwerbsbeteiligung un- Die höhere Zustimmung zu egalitären
Umkehr des traditionellen männlichen Al- terschieden sich West- und Ostdeutsche in Werten in Ostdeutschland insbesondere
leinverdiener-Modells hin zu einem Modell, noch stärkerem Maße voneinander. Es bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen
bei dem die Frau für die finanzielle Versor- zeigt sich, dass die Konsequenzen der Er- kann aber nicht mit der Forderung nach
gleichen Erwerbschancen oder nach weib-
licher Selbstentfaltung gleichgesetzt wer-
den. Vielmehr war die Erwerbsbeteiligung
u Tab 4  Einstellungen zur Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau 2012 — in Prozent
der Frau im Osten aufgrund unterschied-
»In einer Familie kann auch »Auch wenn beide Eltern erwerbs-
der Mann für den Haushalt und tätig sind, ist es besser, wenn die
licher sozialpolitischer und ideologischer
die Kinder verantwortlich Verantwortung für den Rahmenbedingungen sowie wegen ökono-
sein, während die Frau Vollzeit Haushalt und die Kinder haupt­
erwerbstätig ist.« sächlich bei der Frau liegt.«
mischer Bedingungen weiter verbreitet als
West Ost West Ost im Westen. Offenbar beeinflusste diese Er-
Zustimmung in %1 fahrung nachhaltig die Geschlechterrollen­
egalitär traditionell ideologie sowie die Bewertung der Konse-
Insgesamt2 94 94 32 25 quenzen der Frauenerwerbsbeteiligung.
Geschlecht Die Ergebnisse deuten darauf hin,
Männer 93 92 37 29 dass sich die Einstellungen in West und
Frauen 94 95 27 21 Ost bezüglich der Rolle der Frauen und
Verheiratete Frauen 3 Männer in Familie und Beruf weiter an-
berufstätig 95 99 19 12 nähern werden. Gerade bei den jungen
nicht berufstätig 94 95 34 29 Personen waren die Unterschiede zwi-
Verheiratete Männer 3 schen West und Ost nicht so groß wie bei
berufstätig 95 95 28 27 den älteren Personen. Auch der Ausbau
nicht berufstätig 89 92 54 36 der Möglichkeiten der Kinderbetreuung
Alter im Westen, die höhere Erwerbsbeteili-
18 – 30 Jahre 97 91 24 22 gung der Frauen im Westen sowie gene-
31– 45 Jahre 93 96 27 18 rell der Elternzeit auch für Väter, ermög-
46 – 65 Jahre 96 96 27 22 lichen ein egalitäreres Familienmodell.
Ab 65 Jahre 86 90 53 38 Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass
Bildung das Modell eines traditionellen männli-
Hauptschulabschluss 92 93 45 38 chen Alleinverdieners an Wichtigkeit
Mittlere Reife / poly- verliert und Frauen mehr Verantwortung
94 93 28 23
technische Oberschule
Abitur/Fachabitur 95 95 21 16
erfahren, für den Lebensunterhalt zu sor-
gen. Auch ein Modell bei dem nur die
1 Anteil »stimme voll und ganz zu« und »stimme eher zu«.
2  Befragte mit deutscher Staatsangehörigkeit. Frau erwerbstätig ist, findet in West- und
3  Verheiratet und mit dem Ehepartner zusammenlebend.
Datenbasis: ALLBUS 2012. Ostdeutschland breite Zustimmung.

431
508 Mill.
Menschen lebten zum Jahresbeginn 2015
in der Europäischen Union.
45 %
32 % aller EU-weiten Entschei-
dungen über Asylanträge
der EU-Haushalte wurden von wurden 2014 positiv
nur einer Person bewohnt. bewertet.

86
Jahre betrug die durchschnitt-
liche Lebens­erwartung eines 62 %
2013 in Spanien geborenen
Mädchens. Dies war der höchste
Wert in der EU. der Rumänen, aber nur 25 %
der Griechen hatten 2015 ein
positives Bild von der EU.
15
Deutschland
in Europa
15.1 Deutschland liegt mitten in Europa und
das nicht nur geografisch. Auch kulturell,
den einzelnen Ländern verlief die demo-
grafische Entwicklung jedoch sehr unter-
Leben politisch und wirtschaftlich ist Deutsch- schiedlich: in 12 Ländern sank die Bevöl-
in der land fest in europäische Strukturen ein-
gebettet – Deutschland ist Teil der
kerungszahl, in 16 Ländern stieg sie. Zu
letzteren zählte auch Deutschland, wo sich
Europäischen Europä­ischen Union (EU), einem Staaten- die Bevölkerungs­z ahl im Jahr 2014 um
Union verbund mit mittlerweile 28 Mitglieds-
ländern. Als jüngstes Mitglied trat am
rund 400 000 Einwohner erhöhte. u Tab 1
Wie sich die Gesamtbevölkerung eines
1. Juli 2013 Kroatien bei. u Abb 1 Landes entwickelt, hängt von zwei Fak-
Johanna Mischke toren ab:
15.1.1 Bevölkerung 1. von der natürlichen Bevölkerungsver-
In der EU lebten zum Jahresbeginn 2015 änderung, das heißt der Differenz aus
Destatis
rund 508 Millionen Menschen. Deutsch- Geburtenzahl und Sterbefällen. Ein-
land war mit 81,2 Millionen Einwohne- fluss auf die natürliche Bevölkerungs-
rinnen und Einwohnern der bevölke- veränderung haben neben der Geburten-
rungsreichste, Malta mit rund 430 000 rate auch die steigende Lebenserwar-
Ein­wohnern der kleinste Mitgliedstaat. tung sowie die Stärke der Jahr­gänge im
Die Bevölkerungszahl der EU erhöhte potenziellen Elternalter;
sich in den vergangenen Jahren. Allein im 2. vom Wanderungssaldo, der sich aus der
Laufe des Jahres 2014 ist sie um insgesamt Differenz von Aus- und Einwanderung
1,1 Millionen Menschen angestiegen. In ergibt.

u Info
Die Daten dieses Kapitels stammen, sofern nicht anders angegeben, vom Statistischen Amt der
Euro­päischen U
­ nion (Eurostat). In Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten harmonisiert Eurostat
nationale Daten, um die Vergleichbarkeit auf europäischer Ebene herzustellen. Die Zahlen
für Deutschland können dadurch von den nationalen Zahlen in den vorangegangenen Kapiteln
abweichen. Einige der verwendeten Werte waren bei Redaktionsschluss noch vorläufig oder
geschätzt. Zugang zur Eurostat Datenbank und weitere Informationen zu Europa erhalten Sie
unter www.destatis.de/europa

433
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

u Abb 1  Die Entwicklung der Europäischen Union

 Gründungsmitglieder
der EU 1952/1958
  Beitritt 1973
  Beitritt 1981
  Beitritt 1986
  Beitritt 1995
  Beitritt 2004
  Beitritt 2007
  Beitritt 2013
 Beitrittskandidaten
 potenzielle
Beitrittskandidaten

Russische
Föderation

Vereinigtes
Königreich

Tschechische
Republik

Turkmenis

1 A ndorra
2 Monaco
Tunesien Syrien
3 Liechtenstein Algerien
4 San Marino Marokko Libanon
5 Montenegro
Israel
6 Kosovo Jordanien

Ägypten
Libyen
Saudi-Arabien

1952  /  1958 1973 1981 1986 1995 2004 2007 2013

neue Mitglieder Belgien Dänemark Griechenland Portugal Österreich Estland Bulgarien Kroatien

Deutschland Irland Spanien Finnland Lettland Rumänien


Frankreich Vereinigtes Schweden Litauen
Italien Königreich Malta
Luxemburg Polen
Niederlande Slowakei
Slowenien
Tschechische
Republik
Ungarn
Zypern

EU-Länder 6 9 10 12 15 25 27 28
insgesamt

434
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

u Tab 1  Bevölkerungsentwicklung 2014 uTab 2 Zusammengefasste


Geburten­ziffer — Kinder je Frau
Bevölkerungs- Natürliche Bevölkerungs-
Wanderungs- Gesamt-
stand Bevölkerungs- stand
saldo¹ saldo 1983 2013
1. Januar 2014 veränderung 1. Januar 2015
in Millionen in 1 000 in Millionen Belgien 1,6 1,8
Belgien 11,2 20,3 34,2 54,4 11,3 Bulgarien 2,0 1,5
Bulgarien 7,2 – 41,4 – 2,1 – 43,5 7,2
Dänemark 1,4 1,7
Dänemark 5,6 5,5 36,8 42,4 5,7
Deutschland 1,4¹ 1,4
Deutschland 80,8 – 175,0 581,5² 406,5 81,2
Estland 2,2 1,5
Estland 1,3 –1,9 – 0,6 – 2,5 1,3
Finnland 1,7 1,8
Finnland 5,5 5,0 15,4 20,5 5,5
Frankreich
1,8 2,0²
Frankreich 65,8 264,7 31,9 296,6 66,4³ (ohne Überseegebiete)
Griechenland 10,9 – 21,8 – 92,5 – 114,3 10,8 Griechenland 1,9 1,3
Irland 4,6 37,2 – 16,8 20,4 4,6 Irland 2,7 2,0
Italien 60,8 – 95,8 108,7 12,9 60,8 Italien 1,5 1,4
Kroatien 4,2 – 11,3 – 10,2 – 21,5 4,2 Kroatien . 1,5
Lettland 2,0 – 6,7 – 8,7 – 15,4 2,0 Lettland . 1,5
Litauen 2,9 – 9,9 – 12,3 – 22,2 2,9 Litauen 2,1 1,6
Luxemburg 0,5 2,2 11,0 13,3 0,6 Luxemburg 1,4 1,6
Malta 0,4 0,9 3,0 4,0 0,4 Malta 1,9³ 1,4
Niederlande 16,8 36,0 35,5 71,4 16,9 Niederlande 1,5 1,7
Österreich 8,5 3,5 74,6 78,0 8,6 Österreich 1,6 1,4
Polen 38,0 – 1,3 – 10,9 – 12,2 38,0 Polen . 1,3
Portugal 10,4 – 22,4 – 30,1 – 52,5 10,4 Portugal 2,0 1,2
Rumänien 19,9 – 69,5 – 16,4 – 85,9 19,9 Rumänien 2,1 1,4
stan
Schweden 9,6 25,9 76,6 102,5 9,7 Schweden 1,6 1,9
Slowakei 5,4 3,7 1,7 5,4 5,4 Slowakei 2,3 1,3
Slowenien 2,1 2,3 – 0,5 1,8 2,1 Slowenien 1,8 1,6
Spanien 46,5 30,0 – 102,3 – 72,3 46,4 Spanien 1,8 1,3
Tschechische Republik 10,5 4,2 21,7 25,9 10,5 Tschechische Republik 2,0 1,5
Ungarn 9,9 – 33,0 4,6 – 28,4 9,8 Ungarn 1,8 1,4
Vereinigtes Königreich 64,4 206,0 210,0 416,0 64,8 Vereinigtes Königreich 1,8 1,8
Zypern 0,9 4,0 – 15,0 – 11,0 0,8 Zypern 2,5 1,3
EU 506,9 161,4 928,8 1 090,2 508,2³ EU . 1,6

1  Ohne Asylsuchende. 1 Früheres Bundesgebiet und Gebiet der ehemaligen DDR,


2 Das Statistische Bundesamt veröffentlicht einen Wanderungssaldo in Höhe von 550 000 Personen. Eurostat schließt in den Wert: Statistisches Bundesamt.
Wanderungssaldo für Deutschland noch bestandsrelevante Korrekturen in Höhe von rund 31 000 Personen mit ein. 2 2012.
3 Durch einen Zeitreihenbruch bei Frankreich ergibt sich die Gesamtbevölkerung 2015 nicht aus der Bevölkerungsveränderung 3 1981.
im Jahr 2014 (Differenz von 220 300 Personen). .  Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten.

Natürliche die vorherige. Frankreich und Irland er- niedrigen durchschnittlichen Kinderzahlen
Bevölkerungsveränderung reichten 2013 als einzige EU-Staaten mit je Frau haben Folgen: Im Jahr 2014 wurden
Damit die Bevölkerungszahl eines Landes 2,0 Kindern je Frau noch annähernd diesen in der EU rund 5,1 Millionen Kinder gebo-
ohne Wanderungsüberschüsse auf einem Wert. Die geringste Geburtenhäufigkeit ren. Das waren rund eine Million weniger
konstanten Niveau bleibt, muss in hoch verzeichnete Portugal mit 1,2 Kindern je als noch 1984 – obwohl 2014 rund 40 Milli-
entwickelten Ländern jede Frau durch- Frau. In Deutschland lag die zusammenge- onen mehr Menschen als damals in den 28
schnittlich 2,1 Kinder bekommen. Wenn fasste Geburten­ziffer bei 1,4 Kindern je heutigen EU-Staaten lebten. In zwölf EU-
die Geburtenziffer darunter liegt, wird jede Frau. Bei diesem niedrigen Wert umfasst Staaten werden mittlerweile weniger Kin-
folgende Generation – und damit auch die die Kindergeneration rund ein Drittel weni- der geboren als Menschen sterben, so zum
Zahl der potenziellen Mütter – kleiner als ger Menschen als die Elterngeneration. Die Beispiel in Deutschland und Italien. u Tab 2

435
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

uTab 3  Lebenserwartung von u Abb 2  Asylanträge 2014 — je 1 Million Einwohner


Neu­geborenen 2013 — in Jahren

Männlich Weiblich

Belgien 78 83 Schweden 8 432

Bulgarien 71 79 Ungarn 4 331

Dänemark 78 82 Österreich 3 299

Deutschland 79 83 Malta 3 174

Estland 73 82 Dänemark 2 620

Deutschland 2 511
Finnland 78 84
Luxemburg 2 092
Frankreich 79 86
Belgien 2 039
Griechenland 79 84
Zypern 2 034
Irland 79 83
Bulgarien 1 529
Italien 80 85
Niederlande 1 458
Kroatien 75 81
Italien 1 063
Lettland 69 79
Frankreich 977
Litauen 69 80
Griechenland 863
Luxemburg 80 84
Finnland 665
Malta 80 84
Vereinigtes Königreich 513
Niederlande 80 83
Irland 315
Österreich 79 84
Polen 211
Polen 73 81 Lettland 187
Portugal 78 84 Slowenien 187
Rumänien 72 79 Litauen 149

Schweden 80 84 Spanien 121

Slowakei 73 80 Estland 118

Slowenien 77 84 Tschechische Republik 110

Spanien 80 86 Kroatien 106

Tschechische Republik 75 81 Rumänien 77

Ungarn 72 79 Slowakei 61
EU
Vereinigtes Königreich 79 83 Portugal 43 1 239

Zypern 80 85
Erst- und Folgeanträge.
EU 78 83

Lebenserwartung 80 Jahren. In Litauen und Lettland waren Doch auch hier gab es von Land zu Land
Die Lebenserwartung ist in allen EU- es mehr als zehn Jahre weniger. In Unterschiede: 86 Jahre lagen im Durch-
Ländern in den vergangenen Jahrzehnten Deutschland hatten neugeborene Jungen schnitt vor einem 2013 in Spanien gebo-
um mehrere Jahre gestiegen. Es gibt aber Aussicht auf 79 Lebensjahre. Frauen ver- renen Mädchen. In Lettland, Bulgarien
deutliche regionale Unterschiede: So hat- zeichneten in allen EU-Ländern eine und Rumänien waren es mehr als sieben
te ein Junge, der 2013 in Italien, Schwe- deutlich höhere Lebenserwartung als Jahre weniger. Neugeborene Mädchen in
den oder Spanien geboren wurde, eine Männer. Im EU-Durchschnitt betrug die Deutschland hatten eine Lebenserwar-
durchschnittliche Lebenserwartung von Differenz im Jahr 2013 mehr als fünf Jahre. tung von 83 Jahren. Die im EU-Vergleich

436
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

u Abb 3  EU-Bevölkerung nach Haushaltstyp 2014 — in Prozent meisten Menschen kamen aus Syrien
(19 %), Afghanistan (7 %) sowie dem
­Kosovo (6 %). Hauptzielland innerhalb
der EU war Deutschland mit rund
Haushalte mit Kind(ern) Haushalte ohne Kind 203 000  Asylanträgen im Jahr 2014. Es
31 69 folg ten Schweden (81 300 Anträge),
­Italien (64 600 Anträge) und Frankreich
Drei oder mehr Erwachsene (64 300 Anträge). Im Verhältnis zur Ge-
mit Kind(ern)
samtbevölkerung verzeichnete Schweden
5
die höchste Quote mit rund 8 400 Anträ-
Zwei Erwachsene mit Kind(ern) Ein Erwachsener gen je 1 Million Einwohner. In Deutsch-
22
32 land waren es 2 500 Anträge je 1 Million
Einwohner. u Abb 2
Ein Erwachsener mit Kind(ern)
Im Jahr 2014 wurden in erster Instanz
4
rund 358 000  Asyl­a nträge entschieden,
Zwei Erwachsene
45 % ­d avon positiv. Die Anerkennungs­
29
rate lag damit höher als 2013 (33 %). Die
Chancen auf ein Bleiberecht sind jedoch
Drei oder mehr Erwachsene
höchst unterschiedlich: EU-weit wurden
8
2014 rund 95 % der Anträge von Flücht-
lingen aus ­Syrien anerkannt, von Flücht-
lingen aus Afghanistan 63 %, aus dem
Kosovo hingegen nur 6 %. Auch Men-
Als Kinder gelten alle unter 18 Jahren sowie zwischen 18 und 24 Jahren, sofern sie in Ausbildung beziehungsweise
nicht arbeitsuchend/erwerbstätig sind und mit mindestens einem Elternteil im Haushalt leben. schen aus anderen Balkanstaaten haben
kaum Aussicht auf Asyl: Die Anerken-
nungsquoten für Flüchtlinge aus den
­Balkanstaaten Mazedonien, Serbien sowie
Bosnien und Herzegowina lagen jeweils
unter 5 %.

15.1.2 Haushalts- und Familien-


strukturen
Geringe Kinderzahlen, ein verändertes
deutlich niedrigere Lebenserwartung in land und das Vereinigte Königreich. Mobilitäts- und Arbeitsverhalten, niedri-
vielen Ländern Mittel- und Osteuropas Deutschland verzeichnete eine Nettozu- ge Ehe- und hohe Scheidungsziffern
hat mehrere Gründe, unter anderem der wanderung von rund 582 000  Personen ­h aben Auswirkungen auf die Form des
im Vergleich zu Westeuropa niedrigere (ohne Asylsuchende), das Vereinigte Kö- Zusammenlebens. Nur in 31 % der EU-
Lebensstandard, die schlechtere Gesund- nigreich von 210 000 Menschen. Detail- Haushalte lebten 2014 Kinder. Der häu-
heitsversorgung, schwerere Arbeitsbe- lierte ­D aten aus dem Jahr 2013 zeigen, figste Haushaltstyp war der Singlehaus-
dingungen sowie andere Ernährungsge- dass in Deutschland die Mehrheit der Zu- halt: Im Jahr 2014 lebte in fast jedem drit-
wohnheiten. u Tab 3 wanderinnen und Z ­ uwanderer aus ande- ten Haushalt (32 %) in der EU nur eine
ren EU-Staaten stammte, während in das Person. u Abb 3
Wanderungsströme Vereinigte ­Königreich mehr Menschen Das Alleinleben war am stärksten in
Zu den 13 EU-Staaten, aus denen 2014 aus Nicht-EU-Staaten kamen. Dänemark verbreitet, wo bereits in 45 %
mehr Menschen weg als zuzogen, gehör- aller Haushalte nur eine Person lebte.
ten vor allem Portugal, Griechenland Asyl Eine hohe Quote von jeweils 41 % ver-
und Spanien. Die mit Abstand größte Die Zahl der Asylbewerberinnen und zeichneten auch Deutschland und Finn-
Netto­abwanderung verzeichnete Spanien: -be­werber, die in der EU Schutz suchen, land. Im Süden Europas lebten deutlich
Es wanderten rund 102 000 Personen ist in den vergangenen Jahren deutlich weniger Menschen allein: In Portugal
mehr ab als zu. Ein Zuwanderungsplus gestiegen. Im Jahr 2014 wurden in den und Zypern (je 21 %) war nur rund jeder
hingegen wiesen 15 EU-­Staaten auf. Die 28 EU-Staaten rund 628 000 Asylanträge fünfte Haushalt ein Einpersonenhaus-
höchsten Werte erreichten dabei Deutsch- gestellt (Erst- und Folgeanträge). Die halt. u Abb 4

437
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

uAbb 4  Einpersonenhaushalte 2014 uAbb 5  Öffentliche Gesamtausgaben für Bildung 2011


— in Prozent aller Haushalte — in Prozent des Bruttoinlandsprodukts

Dänemark 45,0 Dänemark 8,8

Finnland 40,8 Malta 8,0


Deutschland 40,5 Zypern 7,9
Schweden 39,9
Schweden 6,8
Österreich 37,0
Finnland 6,8
Niederlande 36,9
Belgien 6,6
Estland1 36,0
Irland 6,2
Litauen 36,0
Vereinigtes Königreich 6,0
Frankreich 35,8
Niederlande 5,9
Belgien 34,3
Österreich 5,8
Luxemburg 33,3

Italien 33,1 Slowenien 5,7

Lettland 32,3 Frankreich 5,7

Slowenien 29,2 Portugal 5,3

Vereinigtes Königreich 29,1 Litauen 5,2

Tschechische Republik 27,9 Estland 5,2


Griechenland 25,7 Deutschland 5,0
Slowakei 25,7
Lettland 5,0
Kroatien 24,7
Polen 4,9
Spanien 24,6
Spanien 4,8
Polen 24,4
Ungarn 4,7
Bulgarien 24,2
Tschechische Republik 4,5
Malta 23,3
Italien 4,3
Ungarn 22,8

Rumänien 22,1 Kroatien 4,2

Irland1 22,0 Slowakei 4,1

Portugal 21,4 Bulgarien 3,8


EU EU
Zypern 20,8 31,8 Rumänien 3,1 5,3

1 2013. Ergebnisse für Griechenland und Luxemburg liegen nicht vor.


EU-Wert enthält geschätzte Daten für Griechenland und Luxemburg.

15.1.3 Bildung und Forschung Öffentliche Gesamtausgaben Frankreich (5,7 %). Deutschland lag mit
Ein erstklassiges Bildungssystem ist eine für Bildung einem Anteil von 5,0 % des BIP unter
der wichtigsten Voraussetzungen für Den größten Anteil für sein Bildungs­ dem EU-Durchschnitt von 5,3 %. u Abb 5
­Europas Zukunftsfähigkeit in der globa­ wesen gab 2011 Dänemark mit 8,8 % des
lisierten Welt. Die EU-Mitgliedstaaten BIP aus. Auch andere Nachbarstaaten Frühe Schulabgängerinnen
wenden jedoch sehr unterschiedliche An- Deutschlands investierten überdurch- und -abgänger
teile ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) schnittlich viel, so zum Beispiel Belgien Junge Menschen, die die Schule frühzeitig
dafür auf. (6,6 %), die Niederlande (5,9 %) und auch oder nur mit einem niedrigen Bildungs-

438
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

uAbb 6  Frühe Schulabgängerinnen und -abgänger 2014 u Info 1


— in Prozent aller 18- bis 24-Jährigen »Europa 2020«
»Europa 2020« ist die auf das Jahr 2020 aus-
gerichtete politische Stra­tegie der Europä­
ischen Union. Ziel ist die Schaffung von
Spanien 21,9 ­intelligentem, nachhaltigem und integra­tivem
Wachs­tum in den EU-Mitgliedstaaten. Dafür
Malta 20,3 wurden in den fünf Be­reichen Beschäftigung,
Forschung, Umwelt, Bildung und Armutsbe-
Rumänien 18,1
kämpfung messbare Ziele aufgestellt, die bis
Portugal 17,4 zum Jahr 2020 e ­ rreicht werden sollen.

Italien 15,0

Bulgarien 12,9

Vereinigtes Königreich 11,8

Ungarn 11,4

Estland 11,4 11 % gesunken. Die höchsten Quoten ver-


Belgien 9,8 zeichneten die südeuropäischen Staaten
Finnland 9,5 Spanien (22 %) und Malta (20 %). Beide
Deutschland
Staaten konnten die Abbrecherquoten in
9,5
den vorausgegangenen Jahren aber be-
Frankreich 9,0
reits sehr deutlich senken. In einigen
Griechenland 9,0 östlich gelegenen EU-Staaten sind früh-
Niederlande 8,7 zeitige Schulabgänger hingegen sehr
Lettland 8,5 ­selten, so vor allem in Kroatien (3 %) und
Dänemark 7,7 Slowenien (4 %). In Deutschland lag der
Österreich
Anteil bei 10 %. Junge Männer verließen
7,0
in allen EU-Staaten, außer Bulgarien,
Irland 6,9
häufiger frühzeitig die Schule als junge
Zypern 6,8
Frauen. u Info 1, Abb 6
Schweden 6,7
Slowakei 6,7 Hohe Bildungsabschlüsse
Luxemburg 6,1 Einen wesentlichen Beitrag zur Ausbil-
Litauen
dung hoch qualifizierter Fachleute leisten
5,9
die Bildungseinrichtungen des Tertiär­
Tschechische Republik 5,5
bereichs. In Deutschland zählen dazu
Polen 5,4 Universitäten, Fachhochschulen, Verwal-
Slowenien 4,4 tungsfachhochschulen, Berufsakademien,
EU
Kroatien 2,7 11,2 Fachschulen (ohne Gesundheits- und
­S ozialberufe), Meisterkurse, Techniker-
schulen, Fachakademien sowie Ausbil-
Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die sich nicht in Bildung oder Ausbildung
befinden und höchstens den Sekundarbereich I abgeschlossen haben. dungsstätten/Schulen für Erzieherinnen
und Erzieher. Laut der Zukunftsstrategie
der EU »Europa 2020« sollen im Jahr
2020 mindestens 40 % der 30- bis 34-Jäh-
rigen über einen Abschluss im Tertiär­
abschluss verlassen, haben auf dem aller 18- bis 24-Jährigen zu reduzieren. bereich verfügen. Tatsächlich steigt die
­ rbeitsmarkt schlechtere Chancen als
A Frühe Schulabgänger sind junge Men- EU-weite Quote seit vielen Jahren. Im
Gleichaltrige mit höherem Bildungs­ schen, die höchstens den Sekundarbe- Jahr 2014 lag sie bereits bei 38 % und da-
abschluss. Die EU hat sich deshalb im reich I (siehe Kapitel 3.1, Abbildung 1, mit 11 Prozentpunkte über dem Niveau des
Rahmen ihrer Zukunftsstrategie »Europa Seite 80) abgeschlossen haben und sich Jahres 2004 (27 %). Dabei hatten 17 EU-
2020« das Ziel gesetzt, den Anteil der nicht in Bildung oder Ausbildung befin- Länder 2014 die für 2020 angestrebte Ziel-
frühen Schulabgängerinnen und -abgän- den. Im Jahr 2014 ist die Quote in der marke von 40 % bereits erreicht. Dazu
ger in der EU bis zum Jahr 2020 auf 10 % EU auf den bislang niedrigsten Wert von zählten unter anderem Litauen, Luxem-

439
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

u Abb 7  30- bis 34-Jährige in der EU mit u Abb 8  30- bis 34-Jährige mit Bildungsabschluss im Tertiärbereich 2014
Bildungsabschluss im Tertiärbereich — in Prozent
— in Prozent

50 Litauen 53

Luxemburg 53
40
Zypern 53

Irland 52
30
Schweden 50

Vereinigtes Königreich 48
20
Finnland 45

10 Niederlande 45

Dänemark 45

0 Frankreich 44
2004 2006 2008 2010 2012 2014
Belgien 44
Frauen Männer
Estland 43

Spanien 42
Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss ISCED-Stufe 5 bis 8.
Siehe Kapitel 2.1, Seite 45, Info 2.
Polen 42

Slowenien 41

Österreich 40

Lettland 40

Griechenland 37

Ungarn 34
burg und Zypern (je 53 %), das Vereinigte
Kroatien 32
Königreich (48 %) und Frankreich (44 %).
Deutschland lag unter dem EU-Durch- Deutschland 31

schnitt: Hierzulande verfügten 31 % der Portugal 31


30- bis 34-Jährigen über einen Hochschul- Bulgarien 31
oder gleichwertigen Abschluss. EU-weit Tschechische Republik 28
besaßen in dieser Altersgruppe deutlich
Slowakei 27
mehr Frauen (42 %) als Männer (34 %)
Malta 27
­einen weiter­f ührenden Abschluss. Dieser
Abstand ist in den vergangenen Jahren Rumänien 25
EU
größer ge­worden. u Abb 7, Abb 8 Italien 24 38

Studienanfängerquote
Hochschul- oder gleichwertiger Abschluss ISCED-Stufe 5 bis 8.
Die Studienanfängerquote gibt an, wie Siehe Kapitel 2.1, Seite 45, Info 2.

hoch der Anteil eines Bevölkerungsjahr-


gangs ist, der ein Hochschulstudium im
sogenannten Tertiärbereich A aufnimmt.
In Deutschland zählen dazu alle Hoch-
schulen außer den Verwaltungsfachhoch- Forschung und Entwicklung 2020 jährlich mindestens 3 % des Brutto-
schulen. Der Vergleich von 21 EU-Staa- Um im globalen Wettbewerb mithalten zu inlandsprodukts (BIP) erreichen. Diese
ten anhand von OECD-Daten für das können, müssen die europäischen Volks- Zielmarke hatten 2014 Finnland und
Jahr 2013 zeigt, dass die Studienanfän- wirtschaften gute Rahmenbedingungen Schweden (je 3,2 %) sowie Dänemark
gerquote in Deutschland mit 59 % im für die Wissenschaft bieten. Die EU-wei- (3,1 %) bereits überschritten. Deutschland
Mittelfeld lag. Niedriger war sie zum Bei- ten jährlichen Ausgaben für Forschung lag mit rund 2,8 % des BIP an fünfter
spiel in Italien (42 %), höher unter ande- und Entwicklung (FuE) sollen deshalb ge- ­Stelle und damit deutlich über dem EU-
rem in Dänemark (87 %). mäß der Zukunftsstrategie der EU bis Durchschnitt von 2,0 %.

440
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

u Abb 9  Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts u Abb 10  Wirtschaftsleistung pro Kopf unter Berücksichtigung
2014 im Vergleich zum Vorjahr — in Prozent der Kaufkraft 2014 — Index EU = 100

Irland 5,2 Luxemburg 263


Luxemburg 4,1 Irland 132
Ungarn 3,7 Niederlande 130
Malta 3,5 Österreich 128
Polen 3,3 Schweden 124
Slowenien 3,0 Deutschland 124
Litauen 3,0 Dänemark 124
Vereinigtes Königreich 2,9 Belgien 119
Estland 2,9 Finnland 110
Rumänien 2,8 Vereinigtes Königreich 108
Slowakei 2,5 Frankreich 107
Lettland 2,4 Italien 97
Schweden 2,3 Spanien 93
Tschechische Republik 2,0 Malta 85
Deutschland 1,6 Zypern 85
Bulgarien 1,5 Tschechische Republik 84
Spanien 1,4 Slowenien 83
Dänemark 1,3 Portugal 78
Belgien 1,3 Slowakei 76
Niederlande 1,0 Litauen 74
Portugal 0,9 Estland 73
Griechenland 0,7 Griechenland 72
Österreich 0,4 Polen 68
Frankreich 0,2 Ungarn 68
– 0,4 Finnland Lettland 64
– 0,4 Italien Kroatien 59
– 0,4 Kroatien Rumänien 54
EU EU
– 2,5 Zypern 1,4 Bulgarien 45 100

15.1.4 Wirtschaft Jahr 2014 wuchs die Wirtschaftsleistung von Kroatien sogar bereits das sechste Jahr
der EU um 1,4 %. Die Folgen der Finanz- in Folge. In den anderen 24 EU-Staaten er-
Wirtschaftsleistung markt- und Wirtschaftskrise 2008/2009 höhte sich das Brutto­inlandsprodukt 2014
Das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) belastet die Volkswirtschaften und öffent- im Vergleich zum Vorjahr. Darunter war
der EU lag 2014 bei rund 13,9 Bil­lionen lichen Haushalte vieler EU-Staaten aber auch Griechenland, das zum ersten Mal
Euro. Davon erwirtschaftete Deutschland, weiterhin. So schrumpfte die Wirtschafts- seit 2007 wieder ein leichtes Plus von 0,7 %
die größte Volkswirtschaft der EU, mehr leistung Zyperns, Italiens und Finnlands verzeichnete. Das stärkste Wirtschafts-
als ein Fünftel (2,9 Billionen Euro). Im im Jahr 2014 bereits das dritte Jahr, die wachstum verzeichnete 2014 Irland (5,2 %),

441
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

u Tab 4  Die Entwicklung der Eurozone gefolgt von ­Luxemburg (4,1 %) und Un-
Mitgliedstaat Anzahl der Mitglieder
garn (3,7 %). In Deutschland lag die
Wachstumsrate bei 1,6 %. u Abb 9
Beitrittsjahr

Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien,


1999
Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien
11 Wirtschaftsleistung pro Kopf
Unter Berücksichtigung der Bevölkerungs-
2001 Griechenland 12
größe und der unterschiedlichen Kaufkraft
2007 Slowenien 13
des Geldes in den einzelnen Ländern lag
2008 Malta, Zypern 15
die deutsche Wirtschaftsleistung pro Kopf
2009 Slowakei 16
2014 rund 24 % über dem EU-Durch-
2011 Estland 17
2014 Lettland 18
schnitt und im EU-Ländervergleich ge-
2015 Litauen 19
meinsam mit Schweden und Dänemark an
fünfter Stelle. Die Spitzenposition nahm
Luxemburg ein, dessen BIP pro Kopf preis-
niveaubereinigt weit mehr als doppelt so
u Tab 5  Konvergenzkriterien (Maastricht-Kriterien) 2014
viel wie der EU-Durchschnitt betrug. An
Preisentwicklung Öffentliches Öffentlicher zweiter Stelle stand Irland. Vergleichsweise
(Inflationsrate) Defizit Schuldenstand
wirtschaftsschwach waren hingegen Bul-
in % in % des BIP garien und Rumänien sowie alle anderen
Eurozone (19 Staaten) 0,4 – 2,6 92 seit 2004 beigetretenen EU-Staaten. u Abb 10
Belgien 0,5 – 3,1 107

Deutschland 0,8 0,3 75


15.1.5 Finanzen
Estland 0,5 0,7 10
Für die Teilnahme an der Eurozone for-
dert der Europäische Rat im Rahmen des
Finnland 1,2 – 3,3 59
Stabilitäts- und Wachstumspakts Haus-
Frankreich 0,6 – 3,9 96
haltsdisziplin. Demnach soll das jähr­liche
Griechenland – 1,4 – 3,6 179
öffentliche Defizit eines Staates maximal
Irland 0,3 – 3,9 108
3 % des nominalen Bruttoinlandspro-
Italien 0,2 – 3,0 132 dukts (BIP) betragen, der öffentliche
Lettland 0,7 – 1,5 41 Schuldenstand nicht mehr als 60 % des
Litauen 0,2 – 0,7 41 nominalen BIP erreichen und die Preis-
Luxemburg 0,7 1,4 23 entwicklung stabil sein (sogenannte
Malta 0,8 – 2,1 68 Maastrichter Konvergenzkriterien). Der
Niederlande 0,3 – 2,4 68 Eurozone gehören gegenwärtig 19 EU-
Österreich 1,5 – 2,7 84
Länder an. Als jüngstes Mitglied trat Litau-
en zum Jahresbeginn 2015 bei. u Tab 4
Portugal – 0,2 – 7,2 130

Slowakei – 0,1 – 2,8 54


Öffentliches Defizit (Staatsdefizit
Slowenien 0,4 – 5,0 81
beziehungsweise -überschuss)
Spanien – 0,2 – 5,9 99
Das durchschnittliche öffentliche Defizit
Zypern – 0,3 – 8,9 108
in der Eurozone lag 2014 bei – 2,6 % des
EU-Staaten außerhalb der Eurozone BIP. Insgesamt verfehlten 9 von 19 Euro-
Bulgarien – 1,6 – 5,8 27 zonen-Ländern die 3 %-Marke und das
Dänemark 0,3 1,5 45 zum Teil sehr deutlich: So lag das Staats-
Kroatien 0,2 – 5,6 85 defizit in Spanien bei – 5,9 % und in
Polen 0,1 – 3,3 50 ­Zypern bei – 8,9 % des jeweiligen BIP. Zu
Rumänien 1,4 – 1,4 40 den Ländern der Eurozone, die einen
Schweden 0,2 – 1,7 45
Überschuss erzielten, gehörten Deutsch-
land (0,3 % des BIP) sowie Estland (0,7 %
Tschechische Republik 0,4 – 1,9 43
des BIP) und Luxemburg (1,4 % des BIP).
Ungarn 0,0 – 2,5 76
Unter den EU-Ländern außerhalb der
Vereinigtes Königreich 1,5 – 5,7 88
Euro­zone waren Bulgarien und das Verei-

442
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

nigte Königreich mit einem Defizit von 15.1.6 Arbeitsmarkt Die höchste Erwerbstätigenquote er-
– 5,8 % beziehungsweise – 5,7 % des BIP die reichte Schweden mit 80 %. Am weites-
Schlusslichter. u Tab 5 Erwerbstätigkeit ten von der 75 %-Zielmarke entfernt la-
Im Rahmen ihrer Zukunftsstrategie gen Griechenland (53 %) sowie Kroatien
Öffentlicher Schuldenstand ­»Europa 2020« verfolgen die EU-Staaten (59 %). u Abb 11, Info 2
Auch der öffentliche Schuldenstand bleibt das Ziel, die Erwerbstätigenquote der 20-
weiterhin hoch: Im Jahr 2014 überstieg er bis 64-Jährigen bis zum Jahr 2020 auf Beschäftigungsentwicklung
in 13 der 19 Eurozonen-Länder den verein- 75 % zu erhöhen. Dieses Ziel erfüllten Die Auswirkungen der Finanzmarkt- und
barten Referenzwert von 60 % des BIP. fünf EU-Staaten bereits im Jahr 2014, da- Wirtschaftskrise 2008/2009 waren in den
Unverändert kritisch war die Lage der runter auch Deutschland mit rund 78 %. vergangenen Jahren auf dem europäischen
öffent­lichen Haushalte vor allem in Grie-
chenland. Dort betrug der Schuldenstand
2014 rund 179 % des BIP. Sehr hoch war er
auch in Italien (132 %), Portugal (130 %) so-
u Abb 11  Erwerbstätigenquote der 20- bis 64-Jährigen 2014 — in Prozent
wie Irland (108 %), das zuletzt seinen Schul-
denstand allerdings verringern konnte.
Auch Deutschland baute Schulden ab, sie
lagen 2014 aber immer noch bei 75 % des BIP. Schweden 80,0

Die 60 %-Marke wurde hierzulande letzt- Deutschland 77,7

malig 2002 eingehalten. Außerhalb der Vereinigtes Königreich 76,2


Euro­zone hielten 2014 sechs von neun EU- Dänemark 75,9
Ländern beim Schuldenstand den Referenz-
Niederlande 75,4
wert von 60 % des BIP ein, Ungarn, Kroa-
Estland 74,3
tien und das Vereinigte Königreich nicht.
Österreich 74,2

Preisentwicklung Tschechische Republik 73,5

Während für die Kontrolle der öffent­ Finnland 73,1


lichen Finanzen die Regierungen der EU- Luxemburg 72,1
Länder verantwortlich sind, obliegt die Litauen 71,8
Überwachung der Preisniveaustabilität
Lettland 70,7
der Europäischen Zentralbank (EZB)
Frankreich 69,4
und dem »Europäischen System der Zen-
tralbanken« (ESZB). Nach der Definition Slowenien 67,8

der Europäischen Zentralbank ist Preis- Portugal 67,6


niveaustabilität in der Eurozone gegeben, Zypern 67,6
wenn die Inf lationsrate (das heißt die Belgien 67,3
Veränderungsrate des harmonisierten
Irland 67,0
Verbraucherpreisindex) nahe oder unter
Ungarn 66,7
2 % gegenüber dem Vorjahr liegt. Im Jahr
2014 überstieg die Inflationsrate in kei- Polen 66,5

nem Euroland den Wert von 1,5 %. Malta 66,3


Deutschland zum Beispiel verzeichnete Slowakei 65,9
nur eine leichte Preissteigerung von 0,8 %. Rumänien 65,7
In fünf Staaten der Eurozone, darunter
Bulgarien 65,1
Griechenland (– 1,4 %) und Spanien
Italien 59,9
(– 0,2 %), wurde sogar Deflation verzeich-
net. Unter den EU-Staaten außerhalb der Spanien 59,9

Eurozone verzeichnete Bulgarien (– 1,6 %) Kroatien 59,2


EU
eine negative Preisentwicklung, in den Griechenland 53,3 69,2
übrigen Ländern lag sie ebenfalls unter
der 2 %-Marke. Ein wichtiger Grund wa-
ren die stark gesunkenen Energiekosten.

443
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

u Info 2 u Abb 12  Beschäftigungsentwicklung 2014 im Vergleich


Arbeitsmarkt Definitionen zum Vorjahr — in Prozent
Nach dem hier angewandten Erwerbsstatus­
konzept der Internationalen Arbeits­organisation
(ILO) sind Erwerbstätige Personen, die in der
statis­tischen Berichtswoche mindestens eine Malta 4,5
Stunde lang gegen Bezahlung beziehungsweise
als Selbstständige arbeiteten oder aber einen Ungarn 3,1
­Arbeitsplatz ­hatten, von dem sie nur vorüberge-
Kroatien 2,7
hend abwesend waren, zum Beispiel aufgrund ­von
Krankheit, Urlaub oder Elternzeit. Luxemburg 2,4

Erwerbslose sind nach der Definition der Inter­ Vereinigtes Königreich 2,3
nationalen Arbeitsorganisa­tion Per­sonen, die in
Litauen 2,0
der statistischen Berichtswoche ohne Arbeit
­waren, für eine Arbeit sofort kurzfristig zur Ver­ Polen 1,7
fügung standen, ­in den vergangenen vier Wochen
aktiv auf Arbeitsuche waren oder eine Arbeit Irland 1,7
­g efunden hatten, die sie innerhalb der nächsten Schweden 1,4
drei Monate aufnehmen würden.
Slowakei 1,4
Die Erwerbstätigenquote bezeichnet die Erwerbs-
tätigen als Anteil an der Gesamtbevölkerung d
­ er Portugal 1,4
gleichen Altersgruppe. Spanien 1,3
Die Erwerbslosenquote ist der Anteil der Erwerbs- Österreich 0,9
losen an der Erwerbsbevölkerung der gleichen
Altersgruppe. Die Erwerbs­b evölkerung besteht Deutschland 0,9
aus allen Personen, die ihre Arbeitskraft auf dem
Rumänien 0,8
­A rbeitsmarkt anbieten und dabei entweder er-
werbstätig oder erwerbslos sind. Die hier ge- Estland 0,8
nannte Erwerbslosenquote, auf die in diesem
Dänemark 0,8
Kapitel Bezug genommen wird, ist nicht ver-
gleichbar mit der in Deutschland von d ­ er Bundes- Griechenland 0,7
agentur für Arbeit (BA) veröffent­lichten Arbeits­
losen­quote, die sich nur auf die bei der Bundes- Slowenien 0,6
agentur registrierten Arbeitslosen bezieht. Tschechische Republik 0,6

Bulgarien 0,4

Belgien 0,4

Frankreich 0,4

Italien 0,1

– 0,2 Niederlande

– 0,8 Finnland

–1,3 Lettland
EU
–1,9 Zypern 1,0

Arbeitsmarkt deutlich zu spüren. Doch 2014


gab es erstmals wieder leichte Zeichen der
Entspannung: So verzeichneten Bulgarien,
Griechenland, Kroatien, Portugal, Rumäni-
en, Slowenien und Spanien nach jeweils
fünf Jahren mit Beschäftigtenverlusten erst-
mals wieder ein Plus. In Deutschland hält
das Beschäftigungswachstum bereits seit
neun Jahren an. Im Jahr 2014 lag es bei genen Jahren deutlich stieg, betrug sie nach. Deutschland lag mit rund 66 % auf
0,9 %. EU-weiter Spitzenreiter war Malta 2014 lediglich 52 %. Der EU-weite Ver- dem zweiten Platz. Die geringste Quote in
mit einem Plus von 4,5 %. u Abb 12 gleich verdeutlicht zudem große Unter- dieser Altersklasse wies Griechenland auf.
schiede: In Nordeuropa lagen die Er- Dort war nur rund jeder Dritte (34 %) der
Ältere Erwerbstätige werbstätigenquoten der 55- bis 64-Jäh­ 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig.
Obwohl die Erwerbstätigenquote der 55- rigen am höchsten. So gingen 2014 in In Deutschland wird das reguläre
bis 64-Jährigen in der EU in den vergan- Schweden 74 % der Älteren einer Arbeit Renteneintrittsalter gegenwärtig schritt-

444
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

u Abb 13  Erwerbstätigenquote der Frauen im Alter von stark vertreten als Männer. So betrug 2014
20 bis 64 Jahren 2014 — in Prozent in der EU die Erwerbstätigenquote der 20-
bis 64-jährigen Frauen 63 %, die der
gleichaltrigen Männer hingegen 75 %. Am
häufigsten beteiligten sich die Frauen in
Schweden 77,6
Schweden am Erwerbsleben (78 %). Auf
Deutschland 73,1
Platz 2 lag Deutschland mit 73 % vor
Dänemark 72,2 Dänemark und Finnland mit je 72 %. Am
Finnland 72,1 niedrigsten war die Erwerbstätigenquote
Vereinigtes Königreich 70,6 der Frauen in Griechenland (44 %). u Abb 13
Litauen 70,6
Verdienstunterschiede zwischen
Estland 70,6
Frauen und Männern
Österreich 70,1
Frauen in Deutschland verdienen im
Niederlande 69,7 Durchschnitt rund ein Fünftel weniger
Lettland 68,5 als Männer: Der Gender Pay Gap, gemes-
Frankreich 65,7 sen am durchschnittlichen Bruttostun-
Luxemburg 65,5
denverdienst der Männer, lag 2013 in
Deutschland bei 22 %. Einen ebenso hohen
Tschechische Republik 64,7
beziehungsweise höheren geschlechts­
Portugal 64,2
spezifischen Verdienstabstand wiesen in
Zypern 63,9 der EU nur die Tschechische Republik
Slowenien 63,6 (22 %), Österreich (23 %) und Estland
Belgien 62,9 (30 %) auf. Im EU-Durchschnitt verdien-
Bulgarien 62,0
ten Frauen 16 % weniger je Stunde als
Männer. Das Land mit dem europaweit
Irland 61,2
geringsten Unterschied im Bruttostun-
Ungarn 60,2
denverdienst von Männern und Frauen
Polen 59,4 war Slowenien mit 3 %. Die Daten bezie-
Slowakei 58,6 hen sich auf den unbereinigten Gender
Rumänien 57,3 Pay Gap. Das heißt, die Verdienstunter-
Spanien 54,8
schiede erklären sich zum großen Teil
aus strukturellen Unterschieden, zum
Kroatien 54,2
Beispiel dadurch, dass Frauen und Män-
Malta 51,9
ner nicht vergleichbare Positionen beset-
Italien 50,3 zen, unterschiedlich häuf ig teilzeit­
EU
Griechenland 44,3 63,4 beschäftigt sind und bei der Berufs- und
Branchenwahl an­d ere Schwerpunkte
setzen.u Abb 14
Aber selbst bei vergleichbarer Tätig-
keit und äqui­v alenter Qualifikation ver-
dienen Frauen weniger als Männer. Die-
ser bereinigte Gender Pay Gap wurde für
Deutschland zuletzt 2010 berechnet und
betrug 7 %.
weise von 65 Jahren auf 67 Jahre an­ 5 % erwerbstätig. Diese Quote ist seit meh-
gehoben, in einigen anderen EU-Ländern reren Jahren weitgehend stabil. Teilzeitbeschäftigung
gibt es eine ähnliche Entwicklung. Doch Teilzeitarbeit ist eine Möglichkeit, Beruf
noch gehen EU-weit die meisten Men- Frauenerwerbstätigkeit und Privates zeitlich besser miteinander
schen spätestens rund um den 65. Ge- Immer mehr Frauen in der EU gehen einer zu vereinbaren. Sie kann aber auch
burtstag in Rente. Von den über 65-Jähri- Erwerbstätigkeit nach. Auf dem Arbeits- Nachteile mit sich bringen: Reduzierte
gen waren 2014 EU-weit nur noch rund markt sind sie dennoch weiterhin weniger Arbeitszeit bedeutet auf Teile des Lohnes

445
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

u Abb 14  Gender Pay Gap: Unbereinigter geschlechts­ uAbb 15­  Gesetzlicher branchenübergreifender
spezifischer Lohnunterschied 2013 — in Prozent Mindestlohn (brutto) 2015 — in Euro

EU
16,3
Slowenien 3,2 Luxemburg 1 923

Malta 5,1
Vereinigtes Königreich 1 510
Polen 6,4
Niederlande 1 508
Italien 7,3

Kroatien 7,4 Belgien 1 502

Luxemburg 8,6 Deutschland 1 473


Rumänien 9,1
Irland 1 462
Belgien 9,8
Frankreich 1 458
Portugal 13,0

Litauen 13,3 Slowenien 791

Bulgarien 13,5
Spanien 757
Irland2 14,4
Malta 720
Lettland 14,4

Griechenland1 15,0 Griechenland 684

Frankreich 15,1 Portugal 589

Schweden 15,2
Polen 418
Zypern 15,8
Kroatien 399
Niederlande 16,0

Dänemark 16,4 Estland 390

Ungarn 18,4 Slowakei 380


Finnland 18,7
Lettland 360
Spanien 19,3

Vereinigtes Königreich Tschechische Republik 338


19,7

Slowakei 19,8 Ungarn 333

Deutschland 21,6
Litauen 325
Tschechische Republik 22,1
Rumänien 235
Österreich 23,0

Estland 29,9 Bulgarien 194

1 2010.
2 2012. Kein Mindestlohn in Dänemark, Finnland, Italien, Österreich, Schweden und Zypern.

und somit auch auf Rentenbeiträge EU-weit ist Teilzeitbeschäftigung im- verkürzt arbeiteten. In Deutschland war
zu verzichten. Teilzeitarbeit kann auch mer noch vorwiegend Frauensache. Am der Anteil mit 67 % ebenfalls sehr hoch,
einen Karriereknick auslösen, denn Füh- deutlichsten wird dies in den Niederlan- ebenso in Österreich mit 66 %. In den
rungspositionen werden in der Praxis den, wo 2014 in der Altersgruppe der meisten Ländern Mittel- und Ost­europas
nach wie vor häufig mit Vollzeitbeschäf- erwerbstätigen 25- bis 49-jährigen Frau- bewegten sich die Quoten hingegen
tigten besetzt. en mit minderjährigen Kindern 84 % im einstelligen Bereich. So arbeiteten in

446
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

Kroatien zum Beispiel nur 5 % der uAbb 16  Erwerbslosenquoten von 15- bis 74-Jährigen in der EU
berufstätigen Mütter Teilzeit. Männer — in Prozent der Erwerbspersonen
schränkten ihr berufliches Engagement
mit der Vaterschaft hingegen kaum ein:
12
Mit einer Ausnahme bewegten sich ihre
Teilzeitquoten in allen EU-Staaten, für die
Daten vorlagen, im einstelligen Bereich.
Nur in den Nieder­landen lag der Anteil
der Teilzeit arbeitenden Väter bei 14 %. In 10
Deutschland betrug er 5 %.

Mindestlohn
In 22 der 28 EU-Staaten galt 2015 ein 8
branchenübergreifender gesetzlicher
Mindestlohn. Die Spannbreite war aller-
dings groß: So verzeichneten die östlich
gelegenen EU-Staaten vergleichsweise
6
niedrige Mindestlöhne von weniger als
500 Euro brutto im Monat. Das Schluss-
licht bildete Bulgarien mit 194 Euro. In
Westeuropa betrug der gesetzliche Min-
destlohn ein Vielfaches davon, so zum 0
2004 2006 2008 2010 2012 2014
Beispiel im Vereinigten Königreich (1 510
Frauen Männer
Euro) und Frankreich (1 458 Euro). Auch
Deutschland hat zum 1. Januar 2015 einen
Mindestlohn eingeführt. Die hier­zulande
gesetzlich festgelegte Untergrenze von
8,50 Euro je Stunde entspricht einem Mo-
natsbruttolohn von 1 473 Euro (40-Stun-
denwoche multi­pliziert mit 52  Arbeits-
wochen dividiert durch 12 Monate). Das
sehr unterschiedliche Lohnniveau spie- wie der EU-Durchschnitt (10,3 %). In zwölf Jugenderwerbslosigkeit
gelt auch die wirtschaftliche Leistungs- EU-Ländern waren die Erwerbslosenquo- Erwerbslosigkeit unter Jugendlichen ist
kraft und die Lebenshaltungskosten in ten weiterhin zweistellig. Sehr proble­ in der EU stark verbreitet. In zahlreichen
den EU-Staaten wider. Es ist aber auch matisch war die Situation vor allem in EU-Ländern gestaltet sich der Übergang
eine politische Entscheidung: So betrug Griechenland und Spanien, wo 26,5 % be- von der Schule ins Arbeitsleben äußerst
der Min­d est­lohn in Estland 2010 rund ziehungsweise 24,5 % der 15- bis 74-jähri- problematisch. Vor allem nach Ausbruch
40 % des medianen Bruttoverdienstes gen Erwerbspersonen auf Jobsuche waren. der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
der Arbeitnehmer in der Industrie und Frauen und Männer waren fast gleich im Jahr 2008 hat sich die Situation für
im Dienst­leistungssektor, in Deutsch- häufig betroffen: Die Frauenerwerbslosen- junge Leute in weiten Teilen der EU signi-
land waren es 49 % (Schätzung 2015) und quote lag im EU-Durchschnitt bei 10,3 %, fikant verschärft. Erst im Jahr 2014 gab es
in Frankreich 60 %. Der mediane Ver- die der Männer bei 10,1 %. Vor Beginn der wieder leichte Zeichen der Entspannung:
dienst teilt die betrachteten Beschäftigten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/­ Die EU-weite Erwerbslosenquote der 15-
in ­genau zwei Hälften, das heißt, eine 2009 war der Unterschied noch deutlich bis 24-Jährigen sank im Vergleich zum
Hälfte der Beschäftigten verdient weniger größer. Einer der Gründe für die Anglei- Vorjahr um 2 Prozentpunkte, lag damit
und die andere Hälfte mehr als diesen chung der Quoten könnte sein, dass allerdings immer noch bei 22,2 %. Beson-
Wert. u Abb 15 ­Männer häufiger im Industriesektor arbei- ders angespannt war die Situation für Be-
ten, wo in den vergangenen Jahren beson- rufseinsteigerinnen und -einsteiger in
Erwerbslosigkeit ders viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Spanien und Griechenland, was im Zu-
Deutschland hatte 2014 die niedrigste Er- Frauen arbeiten hinge­gen öfter im Dienst- sammenhang mit der insgesamt ungüns-
werbslosenquote der EU. Mit einem Anteil leistungsbereich, der weniger von Kür­ tigen Situation auf den dortigen Arbeits-
von 5,0 % lag die Quote nur halb so hoch zungen betroffen war. u Abb 16 märkten steht. In beiden Ländern war

447
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

uAbb 17  Erwerbslosenquote der 15- bis 24-Jährigen 2014 uAbb 18  Einkommen von Personen ab 18 Jahren unter
— in Prozent Berücksichtigung der Kaufkraft 2014 — Index Deutschland = 100

EU
Deutschland 7,7 22,2 Luxemburg 149

Österreich 10,3 Österreich 115

Malta 11,8 Schweden 107

Dänemark 12,6 Dänemark 102

Niederlande 12,7 Frankreich 101

Estland 15,0 Belgien 101

Tschechische Republik 15,9 Deutschland 100

Vereinigtes Königreich 16,9 Finnland 100

Litauen 19,3 Niederlande 98

Lettland 19,6 Vereinigtes Königreich 90

Slowenien 20,2 Irland ¹ 84

Ungarn 20,4 Zypern 81

Finnland 20,5 Malta 81

Luxemburg 22,6 Italien 81

Schweden 22,9 Spanien 75

Belgien 23,2 Slowenien 74

Bulgarien 23,8 Tschechische Republik 57

Irland 23,9 Portugal 53

Polen 23,9 Slowakei 51

Rumänien 24,0 Polen 50

Frankreich 24,2 Griechenland 45

Slowakei 29,7 Estland¹ 44

Portugal 34,8 Kroatien 41

Zypern 36,0 Ungarn 40

Italien 42,7 Litauen 40

Kroatien 45,5 Lettland 38

Griechenland 52,4 Bulgarien 36

Spanien 53,2 Rumänien 22

Basis: Nettoäquivalenzeinkommen, nähere Erläuterungen siehe Kapitel 6.2, Seite 170, Info 3.
1 2013.

2014 immer noch mehr als jede zweite 15.1.7 Private Haushalte: Einkommen, und neueren EU-Mitgliedstaaten gibt es
junge Erwerbsperson ohne Arbeit (Spani- Armut und soziale Ausgrenzung erhebliche Einkommensunterschiede. Ob
en: 53, 2 %; Gr iechen la nd: 52 ,4 %). die Bevölkerung eines Landes finanziell
Deutschland hatte mit 7,7 % die EU-weit Einkommen gut oder schlecht gestellt ist, sich viel
niedrigste Jugenderwerbs­losigkeit. Auch In der EU existiert ein beträchtliches oder wenig leisten kann, ist jedoch nicht
Österreich verzeichnete einen vergleichs- Wohl­s tandsgefälle. Zwischen den nörd­ allein aus der Einkommenshöhe in Euro
weise geringen Wert (10,3 %). u Abb 17 lichen und südlichen sowie den älteren abzulesen. Dafür muss auch die Kauf-

448
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

uAbb 19  Armutsgefährdungsquote 2014 Armut und soziale Ausgrenzung


— in Prozent Obwohl Europa zu den reichsten Regio-
nen der Welt zählt, gibt es auch in den
EU-Mitgliedstaaten Armut und soziale
Ausgrenzung. Im Rahmen der Zukunfts-
Rumänien 25,3
strategie der EU »Europa 2020« streben
Spanien 22,2
die EU-Staaten an, die Zahl der Personen,
Griechenland 22,1 die von Armut und sozialer Ausgrenzung
Bulgarien 21,7 betroffen sind, bis 2020 zu verringern.
Lettland 21,0 Entgegen der Zielsetzung ist die Zahl zwi-
Italien 19,6
schen 2010 und 2014 EU-weit ­a llerdings
von 118 Millionen auf 122 Millionen ge-
Portugal 19,5
stiegen. Zu dem betroffenen Personen-
Kroatien 19,4
kreis zählen Menschen, deren Haushalts-
Litauen 19,2 einkommen unterhalb der Armutsgefähr-
Estland1 18,5 dungsschwelle liegt, die unter erheblicher
Polen 16,8 materieller Entbehrung leiden oder in
Vereinigtes Königreich 16,8
­einem Erwerbslosenhaushalt leben.
Deutschland 16,7
Armutsgefährdung
Luxemburg 16,4
Als armutsgefährdet gelten Menschen in
Malta 15,9 der EU, wenn sie nach Zahlung staat­licher
Belgien 15,5 Sozialleistungen weniger als 60 % des me-
Schweden 15,1 dianen Nettoäquivalenzeinkommens der
Ungarn 14,6
Bevölkerung zur Verfügung haben (siehe
Kapitel 6.2, 169). Die Gefährdungsquote
Slowenien 14,5
ist somit ein relatives Armutsmaß und die
Zypern 14,4
Armutsschwelle vari­iert von Land zu
Österreich 14,1 Land. Im EU-Durchschnitt lag die
Irland 1
14,1 ­A rmutsgefährdungsquote 2014 bei 17 %.
Frankreich 13,2 Die EU-weit höchsten Armutsgefähr-
Finnland 12,8 dungsquoten wiesen Rumänien und Spa-
nien mit 25 % beziehungsweise 22 % auf.
Slowakei 12,6
In Deutschland waren 2014 rund 17 % der
Dänemark 11,9
Bevölkerung betroffen. Am geringsten
Niederlande 11,6 war der Anteil in der Tschechischen Re-
EU
Tschechische Republik 9,7 17,2 publik mit 10 %. Aus einer niedrigen Ar-
mutsgefährdungsquote kann man jedoch
nicht schließen, dass das Wohlstandsni-
1 2013.
veau eines Landes besonders hoch ist. Sie
besagt lediglich, dass nur ein vergleichs-
weise geringer Teil der Bevölkerung
­u nterhalb der jeweiligen nationalen Ar-
mutsgrenze lebt. u Abb 19
Nach Haushaltstypen differenziert,
kraft des Geldes in den einzelnen Län- kommens der Bevölkerung Deutschlands. waren in der EU 2014 alleinlebende Er-
dern beachtet werden. Demnach stehen Um 49 % höher als hierzulande war das wachsene deutlich häufiger armutsge-
die Deutschen im EU-Vergleich gut da: Einkommen in Luxemburg; am gerings- fährdet als Erwachsene, die zu zweit leb-
So verfügten die Menschen im Nachbar- ten in Bulgarien und Rumänien, die ten (alleinlebend: 25 %, zu zweit lebend:
land Polen unter Berücksichtigung der kaufkraftbereinigt nur 36 % beziehungs- 11 %). Kinder und Erwachsene in Allein-
Preisunterschiede 2014 nur über 50 % weise 22 % des Einkommens in Deutsch- erziehendenhaushalten waren besonders
und damit die Hälfte des mittleren Ein- land erreichten. u Abb 18 armutsgefährdet. Von ihnen waren im

449
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

EU-Mittel 32 % betroffen. Am deutlichs- u Abb 20  Armutsgefährdungsquoten ausgewählter Haushaltstypen


ten über dem EU-Durchschnitt lagen hier in der EU 2014 — in Prozent
Malta und Litauen (je 46 %) und Luxem-
burg (45 %). Auch in Deutschland waren
Insgesamt
29 % der Personen in Alleinerziehenden- zwei Erwachsene 17,2
10,9
haushalten armutsgefährdet. In vielen ohne Kind
Ländern galt: Je mehr Kinder im Haus- zwei Erwachsene
13,4
halt, desto höher das Armutsrisiko. Im mit einem Kind

EU-Durchschnitt waren 13 % der Haus- zwei Erwachsene mit


15,1
zwei Kindern
halte mit zwei Erwachsenen und einem
Kind von Armut bedroht. Mit zwei Kin- zwei Erwachsene mit
27,2
drei oder mehr Kindern
dern lag die Quote bei 15 %, mit drei oder
ein Erwachsener
mehr Kindern verdoppelte sie sich fast mit Kind(ern)
32,3
auf 27 %. u Abb 20
ein Erwachsener
25,1
ohne Kind
Erhebliche materielle Entbehrung
Innerhalb der EU waren 2014 vor allem
Als Kinder gelten alle unter 18 Jahren sowie zwischen 18 und 24 Jahren, sofern sie in Aus-
in Bulgarien (33 % der Bevölkerung) und bildung beziehungsweise nicht arbeitsuchend/erwerbstätig sind und mit mindestens einem
Elternteil im Haushalt leben.
Rumänien (26 %) viele Menschen von er-
heblicher materieller Entbehrung betrof-
fen. Aber auch in Ungarn (24 %) musste
ein großer Anteil der Einwohner aus fi-
nanziellen Gründen auf viele Dinge ver-
zichten. In Griechenland hat sich die
Quote im Zuge der Finanzmarkt- und größe eingeschränkt. Im Jahr 2014 lebten Schweden und Finnland lebten 2014 weni-
Wirtschaftskrise zwischen 2009 und 2014 18 % der EU-Bevölkerung in einer über­ ger als 5 % der 25- bis 34-Jährigen mit den
von 11 % auf 22 % verdoppelt. In Deutsch- belegten Wohnung. Als überbelegt gilt Eltern zusammen, in Deutschland 18 %. In
land waren 5 % der Bevölkerung von er- eine Unterkunft, die folgende Mindest­ Kroatien (57 %), der Slowakei (54 %) und
heblicher materieller Entbehrung betrof- anforderungen nicht erfüllt: So soll unter Griechenland (52 %) traf das hingegen
fen. Im EU-Durchschnitt waren es 9 %. anderem jeder Person ab 18 Jahren bezie- noch auf mehr als die Hälfte der 25- bis
Zur Definition von erheblicher materiel- hungsweise jedem Paar ein eigener Raum 34-Jährigen zu. In allen EU-Staaten lebten
ler Entbehrung siehe Kapitel 6.2, Info 7, zur Verfügung stehen und Kinder unter aber deutlich weniger junge Frauen noch
Seite 174. 12 Jahren dürfen sich höchstens zu zweit bei ihren Eltern als Männer. u Abb 22
ein Zimmer teilen. Vor allem in den öst­
Erwerbslosenhaushalte lichen EU-Ländern leben viele Menschen 15.1.8 Gesundheit
Erwerbslosigkeit erhöht die Armutsge- in beengten Wohnverhältnissen. In Rumä- Die Gesundheit genießt in unserer Ge-
fahr deutlich. Dabei sind nicht nur die nien traf das 2014 auf 56 % der Bevölke- sellschaft einen hohen Stellenwert, hat
Erwerbslosen selbst, sondern auch ihre rung zu. Auch in Ungarn, Bulgarien und aber auch ihren Preis: Allein in Deutsch-
Kinder von den finanziellen und sozialen Polen betrug der Anteil jeweils über 45 %. land wurden 2012 mehr als 300 Mil­­
Folgen betroffen. Rund 11 % der EU-Bevöl- In Deutschland lebten 6 % der Bevölkerung liarden Euro im Gesundheitsbereich aus­
kerung unter 60 Jahren lebten 2014 in ei- in einer überbelegten Wohnung. u Abb 21 gegeben.
nem sogenannten Erwerbslosenhaushalt.
In Deutschland lag die Quote mit 10 % Auszug aus dem Elternhaus Medizinische Versorgung
nur leicht darunter. In Erwerbslosen- Im Jahr 2014 lebten EU-weit 29 % aller 25- Mit 428 praktizierenden Ärztinnen und
haushalten waren die Erwachsenen im bis 34-Jährigen noch mit ihren Eltern Ärzten je 100 000 Einwohner hatte Litau-
vorhergehenden Jahr zusammen weniger ­z usammen. Aufgrund der unterschied­ en 2013 das dichteste medizinische Ver-
als 20 % ihrer Arbeitszeit, die bei 12 Mo- lichen finanziellen und kulturellen Rah- sorgungsnetz von den 22 EU-Ländern,
naten je Erwachsenem liegt, erwerbstätig. menbedingungen variiert das Auszugsver- für die aktuelle Daten zum medizini-
halten junger Menschen in der EU je nach schen Personal vorlagen. Deutschland ge-
Beengte Wohnverhältnisse geografischer Lage sehr deutlich. So sind hörte mit 402 praktizierenden Ärzten je
Wer nur über ein begrenztes Einkommen »Nesthocker« in den nordeuropäischen 100 000 Einwohner zu den EU-Ländern
verfügt, ist oft auch in der Wohnungs­ Ländern eine Ausnahme: In Dänemark, mit hoher Ärztedichte.

450
Leben in der Europäischen Union  / 15.1  Deutschland in Europa / 15

uAbb 21  Anteil der Bevölkerung, der in überbelegten uAbb 22  25- bis 34-Jährige, die bei den Eltern leben 2014
Wohnungen lebt 2014 — in Prozent — in Prozent

Rumänien 55,7 Kroatien 57,1

Ungarn 47,4 Slowakei 53,7

Bulgarien 46,2 Griechenland 51,5

Polen 45,9 Italien 49,0

Kroatien 44,6 Rumänien 47,9

Lettland 42,7 Bulgarien 47,7

Slowakei 40,5 Ungarn 47,5

Litauen 31,4 Malta 45,4

Italien 30,2 Portugal 45,1

Griechenland 29,3 Polen 44,1

Estland1 24,2 Slowenien 43,6

Tschechische Republik 20,9 Spanien 39,6

Slowenien 15,4 Lettland 36,1

Österreich 15,4 Tschechische Republik 34,1

Portugal 11,1 Litauen 29,4

Schweden 8,1 Zypern 27,3

Dänemark 7,7 Luxemburg 24,6

Vereinigtes Königreich 7,3 Estland1 21,1

Frankreich 6,6 Österreich 20,5

Luxemburg 6,4 Irland1 19,4

Spanien 5,7 Deutschland 18,3

Deutschland 5,6 Belgien 17,2

Finnland 4,5 Vereinigtes Königreich 15,5

Malta 4,3 Frankreich 11,2

Irland1 3,0 Niederlande 9,5

Niederlande 2,9 Finnland 4,0

Zypern 2,3 Schweden 3,7


EU EU
Belgien 1,9 18,2 Dänemark 3,0 29,2

1 2013. 1 2013.
Als überbelegt gilt eine Unterkunft, die bestimmte Mindestanforderungen nicht erfüllt. So soll
unter anderem jeder Person ab 18 Jahren beziehungsweise jedem Paar ein eigener Raum zur
Verfügung stehen, Kinder unter 12 Jahren sollen sich höchstens zu zweit ein Zimmer teilen.

Bei der Zahl der Krankenhausbetten In fast allen EU-Ländern hat in den ver- Todesursachen
lag Deutschland 2013 EU-weit ganz vorn: gangenen Jahren ein Bettenabbau stattge- Todesursachen variieren stark nach Alter
820 Betten je 100 000 Einwohner war der funden. Sowohl der Kostendruck als auch und Geschlecht. Für Ländervergleiche
mit Abstand höchste Wert aller EU-Län- effektivere Behandlungsmethoden haben und Zeitreihen werden deshalb sogenann-
der. Die geringste Zahl wies Schweden die Verweildauer der Patienten in den te standardisierte Sterbeziffern erstellt, die
mit 259 Betten je 100 000 Einwohner auf. Krankenhäusern verkürzt. u Abb 23 die Effekte der unterschied­lichen Alters-

451
15 /  Deutschland in Europa  15.1 /  Leben in der Europäischen Union

uAbb 23  Zahl der Krankenhausbetten 2013 u Abb 24  Krebs (Bösartige Neubildungen) als
— je 100 000 Einwohner Todesursache 2012 — Fälle je 100 000 Einwohner

Deutschland 820 Ungarn 361

Österreich 765 Kroatien 337

Litauen 728 Slowakei 320

Ungarn 704 Dänemark 315

Bulgarien 682 Slowenien 305

Rumänien 667 Lettland 305

Polen 658 Polen 300

Tschechische Republik 646 Tschechische Republik 298

Frankreich 629 Niederlande 297

Belgien 625 Estland 292

Kroatien 586 Irland 287

Slowakei 580 Vereinigtes Königreich 286

Lettland 580 Litauen 278

Luxemburg 505 Rumänien 269

Estland 501 Luxemburg 266

Finnland 486 Belgien 260

Malta 480 Italien 258

Griechenland1 476 Österreich 256

Niederlande2 466 Malta 255

Slowenien 455 Deutschland 253

Italien3 342 Frankreich 250

Zypern 342 Bulgarien 249

Portugal 340 Griechenland 247

Dänemark 307 Portugal 245

Spanien 296 Spanien 243

Irland 276 Schweden 239

Vereinigtes Königreich 276 Finnland 224


EU EU
Schweden 259 526 Zypern 206 267

1 2011.
2 2009.
3 2012.

beziehungsweise Bevölkerungsstrukturen spielsweise auch Dänemark (315 Fälle) Sehr hohe Werte verzeichneten insbeson-
neutralisieren. Zu den Haupttodesursa- und die Niederlande (297 Fälle), wiesen dere Bulgarien und Rumänien (1 168 bezie-
chen in der EU zählten 2012 Krankheiten hingegen überdurchschnittlich hohe Wer- hungsweise 1 039 Todesfälle je 100 000 Ein­
des Kreislaufsystems (394 Fälle je 100 000 te auf. Dies galt insbesondere für Ungarn, wohner). Der Wert für Deutschland lag
Einwohner) sowie Krebs (bösartige Neu- wo die Sterbeziffer bei Krebs mit 361 je mit 404 ebenfalls über dem EU-Durch-
bildungen) mit 267 Fällen je 100 000 Ein- 100 000 Einwohner weit über dem Niveau schnitt von 394 Todesfällen je 100 000 
wohner. In Deutschland lag die standardi- der anderen EU-Länder lag. u Abb 24 Einwohner. Am seltensten starben die
sierte Sterbeziffer bei Krebs mit 253 leicht Bei der Todesursache Kreislauf-Er- ­Menschen an Kreislauferkrankungen in
unter dem EU-Durchschnitt. Viele mittel- krankungen schwankten 2012 die Sterbe- Frankreich (221 Todesfälle je 100 000 Ein-
und osteuropäische EU-Staaten, aber bei- ziffern in den EU-Staaten noch stärker. wohner).

452
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union  / 15.2  Deutschland in Europa  / 15

15.2 Die Europäische Union geht mit dem


Vertrag von Lissabon auf dem Weg zu ei-
15.2.1 Zufriedenheit mit den
Lebensbedingungen
Lebensqualität ner »immer engeren Union der Völker Nach der Jahrtausendwende war durch die
und Identität Europas« einen großen Schritt voran. Die
Weiterentwicklung der Integration hängt
Osterweiterung der EU vor allem die Fra-
ge der Angleichung der Lebensverhältnis-
in der dabei nicht zuletzt von der Existenz ge- se zwischen Ost und West von Interesse.
Europäischen sellschaftlicher Rahmenbedingungen ab,
die nicht nur wohlfahrtsstaatlicher, son-
Angeführt wurde die Rangfolge der Wohl-
fahrt von den nordeuropäischen Ländern,
Union dern auch kultureller Natur sind. Die für gefolgt von den Ländern Westeuropas.
die Legitimität des europäischen Regie- Südeuropa hatte sich, auch durch den
rungssystems notwendige Zustimmung Euro, weit an westeuropäische Standards
Angelika Scheuer
der Bürger zur europäischen Integration angenähert und wurde durch die mittel-
GESIS Mannheim
wird geprägt durch die Entwicklung der und osteuropäischen Länder zunächst un-
Lebensbedingungen und die Herausbil- terschichtet, dann teilweise überrundet.
WZB / SOEP dung einer europäischen Identität. Die Die Finanz- und Eurokrise hatte vor allem
Erfahrung von stetigem Wirtschafts- in Südeuropa, aber auch in manchen post-
wachstum, sinkender Arbeitslosigkeit kommunistischen Ländern erhebliche ne-
und Ausbau des Wohlfahrtsstaates prägte gative Auswirkungen auf Wachstum und
lange in weiten Teilen der europä­ischen Wohlstand. Entsprechende Unterschiede
Bevölkerung die Wahrnehmung der EU. lassen sich auch in der Zufriedenheit der
Jedoch hat die 2007 einsetzende Finanz-, Bürger in den verschiedenen Ländern mit
Euro- und Staatsschuldenkrise nicht nur ihren Lebensbedingungen beobachten.
frühere Wachstumserfolge und Konsoli- Wie die Bürger die aktuellen Bedingun-
dierungsbemühungen zunichte gemacht, gen bewerten und welche Erwartungen sie
sondern auch die Ungleichheit zwischen für die nächsten zwölf Monate hegen, ist in
den Mitgliedstaaten der Union verschärft. Tabelle 1 dargestellt. Die subjektive Bewer-
Dies stellt die Legitimität des europäischen tung der Lebensqualität im eigenen Land
Regierungssystems in Bezug auf die Zu- zeigt deutlich den Unterschied ­zwischen
stimmung der Bürger zur europäischen dem Norden und Westen einerseits und
Integration und des soli­darischen Zusam- dem Süden und Osten andererseits. Die
menhalts der europä­ischen Gesellschaf- skandinavischen Länder stehen mit den
ten auf eine Belastungsprobe. Die euro- Niederlanden, Luxemburg und Deutsch-
päische Identität gilt als Ausdruck für die land an der Spitze, wo über 90 % der Be-
affektive Bindung der Unionsbürger an fragten die Lebensqualität in ihrem Land
die europäische Gemeinschaft und für als »gut« oder »sehr gut« bewerten. In den
ihr gemeinsames Selbstverständnis als übrigen westlichen Ländern sind dies um
Europäer. Dieser Gemeinschaftsgedanke die 80 %, während der Anteil in den östli-
kann die Legitimität der EU auch in Zei- chen Teilen Europas zumeist bei nur einem
ten der Unzufriedenheit mit den Ergeb- Drittel und bei den jüngsten Mitgliedern
nissen der a­ ktuellen Politik abfedern, Rumänien, Bulgarien und Kroatien unter
wird länger­f ristig aber auch durch die po- einem Viertel liegt. Ausnahmen von die-
litische Unzufriedenheit abgeschwächt. sem Muster sind zum einen die vergleichs-
Vor diesem Hintergrund wird im Folgen- weise schlechte Bewertung der Lebensqua-
den die Zufriedenheit der europäischen lität in Frankreich und zum anderen ihre
Bürger mit der Entwicklung der Lebens- sehr gute Bewertung in Malta. Das beob-
bedingungen, gefolgt von einem Blick achtete Gefälle zieht sich auch durch die
auf die europäische Identität, betrachtet. Bewertung der Lage auf dem Arbeitsmarkt
Die Daten weisen dabei auf die Gefah- sowie der persönlichen beruflichen Situati-
ren einer zunehmenden ökonomischen on und der finanziellen Situation des Haus-
und politischen Spaltung innerhalb Euro- halts. Von einer dramatisch schlechten Ar-
pas hin. beitsmarktlage berichten die Bürger in Süd-

453
15 /  Deutschland in Europa  15.2 /  Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union

und Südosteuropa, hier insbesondere in teils dramatischen Veränderungen der letz- Die persönliche berufliche Situation
Griechenland, Spanien und Bulgarien, aber ten zehn Jahre. Die stärksten Einbrüche in wird zumeist deutlich besser beurteilt als
auch in Slowenien. Im Norden gehen die der Bewertung der Arbeitsmarktlage lassen die Arbeitsmarktlage, vor allem in Süd­
Finnen von einer schlechten, im Westen die sich in Irland, Spanien und Zypern beob- europa (mit Ausnahme Griechenlands)
Franzosen von einer sehr schlechten Ar- achten, aber auch in Finnland, Slo­wenien, und in Osteuropa (mit Ausnahme Un-
beitsmarktlage aus. Vergleichsweise sehr dem Vereinigten Königreich und ­Italien garns). In Südosteuropa ist die berichtete
gut bewertet ist die Lage in Deutschland, gingen die Werte spürbar zurück. Eine persönliche berufliche Situation überwie-
Dänemark und Malta. Der Vergleich zu massive Verbesserung hingegen ist in gend schlecht. Am besten wird sie in Dä-
den Bewertungen im Jahr 2005 zeigt die Deutschland und in Malta zu beobachten. nemark, Schweden und Österreich einge-

u Tab 1  Bewertung der aktuellen Situation und Erwartung für die nächsten 12 Monate nach Mitgliedstaaten 2015 — in Prozent
Bewertung gegenwärtiger Bedingungen als »gut«¹ Erwartung »besser« in 12 Monaten²
Lebens­ Lage auf Persönliche Finanzielle Lage auf Persönliche Finanzielle
Leben im
qualität dem berufliche Situation des dem Arbeits- berufliche Situation des
Allgemeinen
im Land Arbeitsmarkt³ Situation Haushalts markt Situation Haushalts
Dänemark 94 66 (– 2) 82 93 35 47 21 28
Nordeuropa Finnland 91 18 (–13) 65 85 31 29 17 22
Schweden 91 39 (+ 20) 82 90 41 24 28 29
Irland 77 38 (– 45) 64 69 46 49 31 34
Nordwest-
europa Vereinigtes
75 47 (–11) 66 80 37 22 27 27
Königreich
Belgien 81 28 (+12) 69 73 29 23 20 20
Deutschland 91 68 (+ 66) 72 82 20 14 18 15
Frankreich 67 5 (+1) 53 68 37 26 26 28
Westeuropa
Luxemburg 91 53 (+ 2) 71 85 30 19 18 18
Niederlande 92 39 (+1) 64 86 32 45 22 23
Österreich 88 41 (+ 2) 77 76 26 24 18 21
Griechenland 24 2 (– 4) 28 27 22 20 13 17
Italien 35 10 (–10) 49 57 30 32 24 25
Malta 89 71 (+ 53) 69 84 34 36 22 24
Südeuropa
Portugal 32 8 (+ 5) 52 44 23 28 19 21
Spanien 41 3 (– 29) 53 59 31 33 26 26
Zypern 38 9 (– 32) 47 57 27 24 18 21
Estland 52 30 (+ 5) 52 69 38 24 28 32
Nordosteuropa Lettland 29 20 (+ 8) 55 57 34 26 24 29
Litauen 39 31 (+ 8) 52 64 31 19 21 24
Polen 36 23 (+ 20) 58 62 23 15 18 21
Slowakei 31 9 (+ 3) 51 54 28 20 18 22
Slowenien 37 5 (–12) 53 60 23 22 15 20
Osteuropa
Tschechische
60 27 (+ 13) 57 65 22 21 14 17
Republik
Ungarn 31 24 (+19) 38 47 21 20 14 19
Bulgarien 11 5 (–1) 42 38 22 20 16 20
Südeuropa Kroatien 23 10 (+ 9) 47 51 26 28 23 25
Rumänien 21 11 (+ 3) 38 55 35 26 24 33
EU 28 60 28 58 68 29 26 22 23

1 Anteil der Befragten, die die aktuelle Situation als »sehr gut« oder
»ziemlich gut« einschätzen.
2 Anteil der Befragten, die in 12 Monaten eine bessere Situation erwarten.
3 Veränderung in Prozentpunkten gegenüber 2005 in Klammern.
Datenbasis: Eurobarometer 2015.

454
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union  / 15.2  Deutschland in Europa  / 15

schätzt. Die finanzielle Situation des ten und in Osteuropa am niedrigsten. einer Verschlechterung rechnen. Die
Haushalts schätzen die Bürger am schlech- Auffällig ist, dass in Deutschland generell Hoffnung auf eine Verbesserung der per-
testen in Griechenland, Portugal und Bul- ebenso wenige Menschen Verbesserungen sönlichen beruflichen Situation ebenso
garien ein, aber auch in Irland und Frank- erwarten wie in Griechenland und den wie eine Verbesserung der finanziellen Si-
reich beurteilen sie viele als relativ schlecht. Ländern Osteuropas. Eine Verbesserung tuation des Haushalts erwarten in Nord-
Die Erwartungen einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage wird am häufigsten und Westeuropa am häufigsten Iren,
in den kommenden zwölf Monaten fallen in Dänemark, Irland und den Niederlan- Schweden, Briten und Franzosen und in
ziemlich verhalten aus; allgemein sind sie den erwartet, während die Befragten in Osteuropa Esten, Letten, Kroaten und
in Nord- und Nordwesteuropa am höchs- Deutschland und Polen überwiegend mit Rumänen. u Tab 1

u Tab 2  Subjektive Lebensbedingungen und Lebenszufriedenheit nach Mitgliedstaaten 2014 — in Prozent

Zufrieden- Zufrieden-
Lebens­- Zufrieden­ Sicherheit Zufrieden- Gesellschaft­ Subjektives
heit mit heit mit
zufrieden- heit mit bei heit mit liche Armuts-
Haus /  Lebens­
heit¹,⁵ Wohngebiet¹ Dunkelheit² Freizeit¹ Ausgrenzung³ risiko⁴
Wohnung¹ standard¹

Finnland 95 (=) 97 98 98 90 85 6 9
Nordeuropa Dänemark 98 (=) 96 98 91 96 89 4 16
Schweden 98 (+ 2) 96 96 90 97 81 7 14
Irland 90 (=) 95 94 84 87 83 10 30
Nordwest-
europa Vereinigtes
94 (+ 6) 94 93 80 90 80 11 29
Königreich
Frankreich 85 (+1) 94 92 79 79 75 10 36
Deutschland 91 (+ 8) 92 92 81 87 77 11 27
Österreich 92 (+ 6) 93 94 84 90 79 5 21
Westeuropa
Belgien 93 (+ 4) 91 90 82 87 75 12 23
Niederlande 95 (=) 96 96 91 94 88 5 20
Luxemburg 96 (+1) 96 96 85 93 77 5 22
Griechenland 43 (– 22) 81 67 61 55 66 10 56
Portugal 50 (–10) 88 83 81 62 74 9 38
Italien 66 (– 7) 88 78 63 63 67 14 33
Südeuropa
Spanien 74 (–11) 92 85 79 70 75 5 43
Zypern 82 (– 2) 89 82 72 76 69 9 44
Malta 91 (+ 6) 95 93 89 89 66 3 10
Lettland 70 (+ 9) 74 69 72 60 65 12 48
Nordosteuropa Litauen 72 (+19) 76 80 66 56 76 16 48
Estland 78 (+11) 84 80 82 70 73 10 29
Ungarn 62 (+ 8) 74 64 60 55 56 12 46
Slowakei 72 (+ 9) 85 80 77 65 66 10 44
Polen 79 (+11) 78 70 85 68 68 12 32
Osteuropa
Tschechische
79 (– 4) 86 95 78 73 75 9 19
Republik
Slowenien 84 (– 6) 89 84 93 74 74 5 37
Bulgarien 44 (+15) 73 47 60 35 62 20 35
Südeuropa Rumänien 55 (+11) 78 69 77 62 61 13 34
Kroatien 67 (+1) 86 71 89 62 75 10 47

EU 28 80 89 85 77 76 74 10 32

1 Anteil der Befragten, die »sehr« oder »ziemlich zufrieden« sind.


2 Anteil der Befragten, die sich »sehr« oder »ziemlich« sicher fühlen
3 Anteil der Befragten, die der Aussage »voll und ganz« oder »teilweise« zustimmen: Ich fühle mich von der Gesellschaft ausgegrenzt.
4 Anteil der Befragten, die der Aussage »voll und ganz« oder »teilweise« zustimmen: Ich sehe für mich das Risiko, von Armut betroffen zu werden.
5 Veränderung gegenüber 2005 in Klammern.
Datenbasis: Eurobarometer 2014.

455
15 /  Deutschland in Europa  15.2 /  Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union

In der allgemeinen Lebenszufrieden- sieht sich von Armut bedroht. Jeder der Europäischen Union zufrieden, ge-
heit spiegeln sich die Rahmenbedingungen sechste Nordeuropäer, jeder vierte West- genüber jedem zweiten in den übrigen
wider: In Nord-, Nordwest- und Westeuro- europäer und jeder dritte Nordwesteuro- Teilen der EU. Die Briten zeigen ebenfalls
pa sind 90 % und mehr mit ihrem Leben päer teilt diese Befürchtung. In Südeuro- geringe Zufriedenheit mit der EU-Demo-
zufrieden, einzig Frankreich weist eine ge- pa und im postkommunistischen Europa kratie und haben außerdem das geringste
ringere Lebenszufriedenheit auf. In Süd­ befürchtet jeder dritte bis jeder zweite Vertrauen in die europäischen Institutio-
europa zeigt sich die ganze Spanne von von Armut betroffen zu werden. Nur in nen. Das Vertrauen in das Europäische
sehr großen Anteilen Zufriedener in Malta und der Tschechischen Republik Parlament, die Europäische Kommission
Malta bis zu sehr geringen Anteilen in ist diese Furcht geringer.u Tab 2 und die Europäische Zentralbank ist
Griechenland, Portugal und Italien. In Betrachtet man das Gesamtbild, so auch bei Spaniern, Griechen und Zyprio-
Nordost- und Osteuropa liegt der Anteil zeigt sich ein stabiles Gefälle von Nord- ten mit Werten zwischen einem Fünftel
derjenigen, die mit ihrem Leben zufrie- west nach Südost, wobei in Südeuropa und einem Drittel äußerst gering. Über
den sind, auf einem mittleren Niveau, viele Indikatoren auf gleichem Niveau lie- die Hälfte der Bürger vertrauen diesen
während er in Südosteuropa gleichauf gen wie in Ost- und Südosteuropa. In Institutionen in Nordeuropa, aber auch
mit den schlechtesten Werten in Südeu- Nordost- und Südosteuropa sind dabei in den postkommunistischen Ländern
ropa liegt. Die Veränderungen in den An- die Hoffnungen auf Verbesserung am liegt das Vertrauen zwischen 40 und 60 %
teilen Zufriedener gegenüber dem Jahr größten, während Teile Südeuropas, ins- und damit höher als in Deutschland oder
2005 unterscheiden sich deutlich zwi- besondere Griechenland und Portugal, Frankreich. Betrachtet man das Instituti-
schen den Ländergruppen: Im Norden eine weitere Verschlechterung ihrer ohne- onenvertrauen im Zeitverlauf (hier nicht
und Westen Europas bleiben die Anteile hin schwierigen Situation erwarten. Eine dargestellt), so zeigt sich ein deutlicher
weitgehend stabil, während sie im Osten Verschlechterung befürchten auch die Einbruch in den Jahren 2011 bis 2013,
Europas durchgehend leicht ansteigen Franzosen und Briten. Besonders augen- insbesondere in den südeuropäischen
und im Süden deutlich zurückgehen. fällig ist jedoch der negative Ausblick der Ländern sowie in Slowenien und der
Bei den spezifischen Zufriedenheiten Deutschen, gerade auch vor dem Hinter- Tschechischen Republik. Seit 2014 erho-
mit Wohnung, Wohngebiet und Lebens- grund der außergewöhnlich guten Ge- len sich diese Werte wieder langsam,
standard zeigt sich ein ähnliches Bild mit samtsituation. doch bleiben sie in Südeuropa deutlich
einigen Abweichungen. Die Anteile der hinter früheren Werten zurück. In diesen
Zufriedenen mit dem Haus oder der Woh- 15.2.2 Einstellungen zu Europa Ländern hat die Eurokrise einhergehend
nung sowie mit dem Wohngebiet sind in Die Europäische Union hat einen zuneh- mit harten Sparpaketen ihren Tribut an
fast allen postkommunistischen Ländern mend sichtbaren Einf luss auf die wirt- Vertrauen in die europäischen Institutio-
gering; nur Slowenien, Tschechien und schaftlichen und gesellschaftlichen Rah- nen gekostet. Bei den jüngsten EU-Mit-
Kroatien treten hier positiv hervor. Ganz menbedingungen in den Mitgliedslän- gliedern Rumänien, Bulgarien und Kroa-
ähnlich verhält es sich mit dem Gefühl dern. Entsprechend sind das Vertrauen in tien ist das Vertrauen hingegen hoch.u Tab 3
der Sicherheit im Dunkeln. Neben den die europäischen Institutionen und die Die Zufriedenheit mit einem politi-
Nordeuropäern fühlen sich die Slowenen, Zufriedenheit mit der Demokratie in der schen System ist auch davon abhängig, in-
Niederländer und Kroaten zu rund 90 % EU von wachsender Bedeutung. Betrach- wieweit die Bürger den Eindruck haben,
sicher, während sich in Ungarn, Bulgarien, tet man die Einstellungen der Bürger zur dass ihre Stimme Gewicht hat und dass sie
Griechenland und Italien nur rund 60 % EU, so zeigt sich ein anderes Muster als gegebenenfalls durch Aktionen und Inter-
bei Dunkelheit sicher fühlen. Die Anteile bei der Betrachtung der Lebensverhält- essengemeinschaften Einfluss auf die poli-
Zufriedener mit der zur Verfügung ste- nisse und auch ein anderes Bild als in tischen Entscheidungen nehmen könnten.
henden freien Zeit variieren nicht so stark früheren Zeiten. Bis vor der Krise wiesen Dieses Gefühl, dass die eigene Stimme im
zwischen den Regionen, folgen aber dem die Südeuropäer die größte Europa­ politischen System der EU zählt, ist dabei
gleichen Muster: Vier Fünftel der Nord- begeisterung auf, während die Grün- nicht unabhängig von dem entsprechen-
und Westeuropäer sind zufrieden mit der dungsmitglieder verhaltene Unterstüt- den Gefühl in Bezug auf das politische Sys-
freien Zeit gegenüber zwei Dritteln der zung und die Briten und Dänen die größ- tem des eigenen Landes. Wie der Vergleich
Süd- und Osteuropäer. te Reserviertheit zeigten. Die Bürger der zwischen den EU-Ländern zeigt, korres-
Ein Zehntel der EU-Bürger fühlt sich postkommunistischen Länder sahen hin- pondieren beide Werte miteinander, wobei
gesellschaftlich ausgegrenzt. Am stärksten gegen mit Hoffnung auf Europa. Heute generell das Gefühl des politischen Ein-
ist dieses Gefühl bei Bulgaren, Litauern finden sich in Südeuropa (mit Ausnahme flusses im eigenen Land höher ist als in der
und Italienern. Das Ausmaß der subjekti- Maltas) die EU-kritischsten Bürger. Nur EU. Auch hier führen die Länder im Nor-
ven Prekarität zeigt sich im subjektiven rund jeder dritte Südeuropäer ist mit den und Westen Europas die Tabelle an:
Armutsrisiko. Ein Drittel der EU-Bürger dem Funktionieren der Demokratie in Mehr als vier von fünf Skandinaviern den-

456
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union  / 15.2  Deutschland in Europa  / 15

u Tab 3  Einstellungen zur Europäischen Union nach Mitgliedstaaten 2015 — in Prozent

Zufriedenheit Vertrauen in Vertrauen in Vertrauen in Stimme Stimme Mehr


Image
mit EU- Europäisches Europäische Europäische zählt zählt Kompetenzen
der EU⁴
Demokratie¹ Parlament² Kommission² Zentralbank² in EU³ im Land³ zur EU³

Dänemark 68 63 60 61 68 92 29 39

Nordeuropa Finnland 56 62 59 60 59 83 30 37

Schweden 51 60 54 54 69 92 26 42

Irland 58 49 46 40 48 61 64 57
Nordwest-
europa Vereinigtes
40 29 27 26 31 53 32 32
Königreich
Belgien 57 54 51 43 54 61 44 43

Deutschland 48 47 39 32 58 76 45 45

Frankreich 42 37 34 28 41 67 51 37
Westeuropa
Luxemburg 60 57 56 51 50 54 31 52

Niederlande 50 54 55 55 59 82 58 42

Österreich 45 41 39 40 46 75 62 29

Griechenland 28 32 22 19 20 39 65 25

Italien 40 42 39 35 26 27 47 38

Malta 59 63 58 59 60 69 65 51
Südeuropa
Portugal 33 43 42 38 39 48 65 42

Spanien 38 30 27 22 32 39 68 34

Zypern 29 31 26 23 19 23 57 24

Estland 53 50 48 45 27 41 60 49

Nordosteuropa Lettland 59 45 43 38 23 38 58 39

Litauen 64 65 63 56 34 34 44 55

Polen 61 46 46 37 47 63 65 53

Slowakei 45 51 46 45 40 57 48 38

Osteuropa Slowenien 49 41 42 37 42 52 57 37
Tschechische
55 41 39 42 26 46 53 37
Republik
Ungarn 52 60 60 46 47 49 73 43

Bulgarien 57 56 52 46 48 46 66 55

Südeuropa Rumänien 64 63 62 52 47 47 61 62

Kroatien 63 53 49 39 64 72 47 47

EU 28 46 43 40 35 42 57 53 41

1 Anteil der Befragten, die »sehr« oder »ziemlich zufrieden« sind.


2 Anteil der Befragten, die den Institutionen »eher vertrauen«.
3 Anteil der Befragten, die der Aussage »voll und ganz« oder »teilweise« zustimmen.
4 Anteil der Befragten, die ein »gutes« oder »sehr gutes« Bild von der EU haben.
Datenbasis: Eurobarometer 2015.

ken, dass ihre Stimme in ihrem Land zählt, der Befragten meint, dass ihre Stimme im zählt. Die Ost- und Südosteuropäer sind
und rund zwei Drittel glauben das auch eigenen Land zählt und nur 31 % in der EU. hier etwas optimistischer; ungefähr die
mit Blick auf die EU. Im Westen Europas Die Südeuropäer und die Balten betrachten Hälfte der Befragten sieht Einflussmög-
sagen dies rund drei Viertel der Bürger sich hingegen auf beiden Ebenen zu gro- lichkeiten im eigenen Land und in der
über ihr Land und etwa die Hälfte in Be- ßen Teilen als einflusslos; jeweils nur rund EU. Bemerkenswert sind die positiven
zug auf die EU. Eine Ausnahme bildet das ein Drittel der Befragten geht davon aus, Einschätzungen der Ungarn, die sich auf
Vereinigte Königreich, wo nur die Hälfte dass seine Stimme im Land und in der EU westeuropäischem Niveau bewegen.

457
15 /  Deutschland in Europa  15.2 /  Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union

uAbb 1  Selbstverständnis als europäischer Bürger nach Mitgliedstaaten 2015 Bei der Frage, ob mehr Kompetenzen
— Anteil »ja, voll und ganz« und »ja, teilweise« in Prozent auf die europäische Ebene verlagert werden
sollen, findet eine Umkehrung der bisher
EU 28:67
beobachteten Verhältnisse statt. Ablehnend
sind hier in erster Linie die Bürger Nord­
Finnland 81 europas und Großbritanniens, aber auch
die Westeuropäer zeigen sich überwiegend
Schweden 78
zurückhaltend. Einzig bei den Iren und den
Dänemark 74 Österreichern sprechen sich zwei Drittel für
weitere Kompetenzverlagerungen aus. Die
Luxemburg 88
Befragten in den südlichen und östlichen
Deutschland 81 Teilen Europas sind hingegen mehrheitlich
Irland 77 dafür, mehr Kompetenzen auf die EU zu
verlagern. Ausnahmen sind hier Italien, Li-
Österreich 72
tauen, die Slowakei und Ungarn.
Belgien 70 Langjährige Eurobarometer-Zeitrei-
hen zu den Einstellungen der Bürger zur
Niederlande 70
Europäischen Union wurden in den ver-
Frankreich 61 gangenen Jahren eingestellt, sodass die
Vereinigtes Königreich 56
Betrachtung im Zeitverlauf nicht fortge-
setzt werden kann. Seit einigen Jahren
Malta 84
wird in den Eurobarometern jedoch re-
Portugal 72 gelmäßig die Frage gestellt, ob die EU
beim Befragten eher ein positives, ein
Spanien 69
neutrales oder ein negatives Bild hervor-
Italien 53 ruft. Betrachtet man den Anteil positiver
Zypern 50
Nennungen im Ländervergleich, so lassen
sich auf Länderebene keine Parallelen zu
Griechenland 50 den Verteilungen der bisher besproche-
Estland 79 nen Indikatoren, in denen es im Wesent-
lichen um die Beurteilung der Lebens­
Litauen 78
situation geht, feststellen. Vielmehr
Slowakei 75 kommt hier eine affektive Einstellung zur
Polen
Europäischen Union zum Tragen. Diese
74
ist in Südeuropa – insbesondere Grie-
Lettland 69 chenland und Zypern – äußerst kritisch,
Ungarn 67 was sich mit den Folgen der Krisenpolitik
erklären lässt. Diese hat eine deutliche
Rumänien 65
Zäsur gesetzt, denn in früheren Jahren
Slowenien 65 zeigten die Bürger in den südlichen Län-
dern den größten europäischen Enthusi-
Kroatien 63
asmus. Im Norden und Westen Europas
Tschechische Republik 62 haben die Bürger ein reserviert positives
Bulgarien 50 Bild, weniger hingegen in Österreich,
Frankreich und dem Vereinigten König-
reich. Ein besonders positives Bild von
Nordeuropa Südeuropa
der EU haben die Mitgliedstaaten im
Westeuropa Osteuropa
­B altikum und in Südosteuropa sowie Ir-
land, Luxemburg und Malta.
Frage »Bitte sagen Sie mir für jede der folgenden Aussagen, inwieweit diese Ihrer eigenen Meinung entspricht oder nicht
entspricht. Sie fühlen sich als Bürger der EU – Ja, voll und ganz / Ja, teilweise / Nein, eher nicht / Nein, überhaupt nicht.« Abschließend soll die Frage der euro-
Dargestellt sind die Anteile »Ja, voll und ganz / teilweise«.
Datenbasis: Eurobarometer 2015. päischen Identität betrachtet werden. Wie
eingangs erwähnt, wird die Identifikation

458
Lebensqualität und Identität in der Europäischen Union  / 15.2  Deutschland in Europa  / 15

als Ausdruck affektiver Zustimmung zur lung in Südeuropa im Zeitraum von 2010 ­ ebensstandard und Wohlfahrt langfristig
L
europäischen Integration und zur EU ver- bis 2015 (nicht dargestellt), so erkennt sichtbare Auswirkungen auf die Zustim-
standen: In dem Maße, in dem die Bürger man, dass sich die Werte in Südeuropa bis mung zur europäischen Integration und
dem europäischen Projekt gegenüber 2013/14 abwärts entwickelt haben und die zur EU, sodass der Förderung von Wohl-
­positiv eingestellt sind, betrachten sie sich Entwicklung seitdem wieder leicht auf- stand und Lebensqualität eine zentrale
auch selbst als Teil des neuen politischen wärts gerichtet ist. u Abb 1 Rolle für das Gelingen des europäischen
Systems. Gemessen wird die europäische In der subjektiven Bewertung der Le- Projekts zukommt. Insbesondere die Situ-
Identität hier mit der Frage, ob sich die bensbedingungen der Europäer beobach- ation von ungleicher Entwicklung, wenn
EU-Bürger selbst als solche verstehen. ten wir Diskrepanzen zwischen den Mit- manche Mitgliedsländer sich sehr positiv
Auffällig ist die verbreitete Identifikation gliedsländern, die eng der Wohlfahrtsent- entwickeln, während andere schwere
mit Europa bei den Bürgern in den post- wicklung folgen, mit Nordeuropa an der ­K risen erleben, führt zu der Gefahr einer
kommunistischen Ländern Mittel- und Spitze, gefolgt von Westeuropa gegenüber zunehmenden ökonomischen und politi-
Osteuropas: Zwei Drittel bis drei Viertel Süd- und Osteuropa. In den politischen schen Spaltung innerhalb der EU. Somit
der Befragten fühlen sich als Bürger der Bewertungen der Europäischen Union bestätigt sich erneut, dass die Angleichung
EU. Darin sind sie gleichauf mit den Bür- schlagen sich in Südeuropa die Folgen der der Lebensverhältnisse zwischen den Mit-
gern in Nord- und Westeuropa. Sogar die Staatsschuldenkrise und Austeritätspolitik gliedstaaten eine wichtige Voraussetzung
traditionell europakritischen Dänen der letzten Jahre nieder. Die Bürger in den für die weitere Vertiefung der europä­
­sehen sich selbst zu drei Vierteln als EU- postkommunistischen Ländern tendieren ischen Integration darstellt.
Bürger. Dagegen fallen diese Werte im eher zu einer hoffnungsvollen Haltung mit
Vereinigten Königreich und auch in Blick auf zukünftige Entwicklungen.
Frankreich niedriger aus, unterboten nur ­Unabhängig von traditionell europakriti-
von den Bürgern in Griechenland, Zypern schen Haltungen, wie etwa im Vereinigten
und Italien. Betrachtet man die Entwick- Königreich, haben Veränderungen von

459
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren  Datenreport 2016

Datengrundlagen
Statistisches Kontakt zum
Statistischen Bundesamt
Informationen zu den Ergebnissen
der Bundesstatistik
Bundesamt www.destatis.de

(Destatis)
Veröffentlichungen zum Die Beiträge des Statistischen Bundesamtes­
Download oder Bestellen (Destatis) basieren auf amtlichen, durch Bundes-
www.destatis.de / publikationen gesetze geregelten Statistiken. Für alle Statisti-
ken werden Informationen zu den verwendeten
Zentraler Auskunftsdienst
Methoden und Definitionen sowie zur Qualität der
www.destatis.de / kontakt
Herausgeber statistischen Ergebnisse in den sogenannten Qua-
Telefon: +49 (0) 611 / 75 24 05
litätsberichten im Internet veröffentlicht.
Montag bis Donnerstag 8 bis 12 Uhr
und 13 bis 16 Uhr, Freitag 8 bis 12 Die Beiträge der sozialwissenschaftlichen For-
und 13 bis 15 Uhr schung liefern in einigen Fällen Informationen zu
den gleichen Sachverhalten, greifen jedoch auf
Pressestelle und journalistischer
andere Datenquellen zurück. Dabei können die
Informationsservice
Ergebnisse voneinander abweichen. Die Ursa-
presse@destatis.de
chen liegen in methodischen und konzeptionellen
Telefon: +49 (0) 611 / 75 34 44
Unterschieden bei der Datenerhebung. Dabei
Montag bis Donnerstag 8 bis 17 Uhr
kann es sich um abweichende Berichtszeiträume
und Freitag 8 bis 15 Uhr
oder Stichtage, unterschiedliche Definitionen
und Abgrenzungen einzelner Merkmale oder unter­
schiedliche Methoden der Datengewinnung
handeln.

461
Datenreport 2016  Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren

Autorinnen
und Autoren
Statistisches 1.1 Bevölkerungsstand und
Bevölkerungsentwicklung
Arne Schmidt
Bildungsfinanzen

Bundesamt Dr. Claire Grobecker Dr. Meike Vollmar

(Destatis)
Wanderungs- und Bevölkerungsstatistik Berufsausbildung

Olga Pötzsch
Demografischer Wandel
4.1 Volkswirtschaftliche
Bettina Sommer
Herausgeber Geburten und Sterbefälle, Gesamtrechnungen
Demografischer Wandel Dr. Susana Garcia Diez
Wohlfahrtsmessung

Tanja Mucha
2.1 Lebensformen in der Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

­Bevölkerung, Kinder und


Kindertagesbetreuung
4.2 Öffentliche Finanzen
Elle Krack-Roberg
Ehescheidungen und ­öffentlicher Dienst
Dr. Alexandros Altis
Stefan Rübenach Personal im öffentlichen Dienst
Kindertagesbetreuung
Klaus Jürgen Hammer
Bettina Sommer Steuern
Eheschließungen
Nora Heil
Julia Weinmann Öffentliche Unternehmen
Familien und Lebensformen
Simone Scharfe
Andrea Wolff Schulden und Finanzvermögen
Kindertagesbetreuung der öffentlichen Haushalte

Renate Schulze-Steikow
2.2 Kinderlosigkeit Öffentliche Finanzen

Olga Pötzsch
Kinderlosigkeit
5.1 Arbeitsmarkt
Anja Crößmann
3.1 Bildungsbeteiligung, Bildungs­ Arbeitsmarkt

niveau und Bildungsbudget Frank Schüller


Dr. Iris Gönsch Arbeitsmarkt
Sozioökonomischer Status von
Schülerinnen und Schülern
5.2 Verdienste
Udo Kleinegees
BAföG, Bildungsniveau, Bildung, Sandra Klemt
Weiterbildung Verdienste

Sabine Lenz
Christiane Krüger-Hemmer Verdienste
Bildung, Weiterbildung

Andrea Malecki
Schulen, Hochschulen

462
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren  Datenreport 2016

6.1 Einnahmen, Ausgaben und Anja Krause Kathrin Schäfer


­Ausstattung privater Haushalte, Gebäude- und Wohnungszählung Elterngeld

­private Überschuldung Birgit Kuchler Dorothee von Wahl


Sylvia Behrends Subjektive Belastungen Kinder- und Jugendhilfe
Einnahmen, Ausgaben, Ausstattung Ulrike Timm
privater Haushalte Gebäude- und Wohnungszählung
11.2 Berufspendler
Matthias Bieg
Verbraucherpreise Frank Schüller
10.1 Gesundheitszustand der Erwerbstätige Pendler
Silvia Deckl
Private Nutzung von Informations- ­Bevölkerung und Ressourcen Christian Wingerter
und Kommunikationstechnologien der Gesundheitsversorgung Erwerbstätige Pendler

Karin Böhm
Walter Joachimiak Gesundheitszustand der
Überschuldung Bevölkerung und R
­ essourcen 12.1 Zeitverwendung und
Kristina Kott der Gesundheitsversorgung Ausgaben für Freizeitaktivitäten
Einnahmen, Ausgaben, Ausstattung Ute Bölt Kristina Kott
privater Haushalte Stationäre Versorgung Private Ausgaben für Freizeitaktivitäten

Sigrun Krämer Evelyn Laue Carola Kühnen


Verbraucherpreise Krankheit und Unfallverletzung, Zeitverwendung
gesundheitsrelevante Faktoren
Jenny Neuhäuser Anja Liersch
Privatinsolvenzen Heiko Pfaff Kulturausgaben
Schwerbehinderung und Lucia Maier
Pflegebedürftigkeit Zeitverwendung
6.2 Armutsgefährdung und
Torsten Schelhase
­materielle Entbehrung Todesursachen
Kristina Kott 13.1 Teilnahme am politischen
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung Jutta Spindler
Diagnose und Behandlung im ­Leben durch Wahlen
Birgit Kuchler Krankenhaus Brigitte Gisart
Armutsgefährdung und materielle Entbehrung Wahlen
Julia Weinmann
Krankenversicherung

7.3 Bevölkerung mit 15.1 Leben in der


Migrationshintergrund Europäischen Union
10.4 Soziale Sicherung
Dr. Gunter Brückner Johanna Mischke
Migration Dr. Klaus-Jürgen Duschek Europäische Statistiken
Mindestsicherungssysteme
Florian Göttsche
Migration Heiko Pfaff
Sozialbudget

Johannes Proksch
Mindestsicherungssysteme Redaktionsleitung:
9.1 Wohnsituation und Mietkosten
Kerstin Hänsel
Kristina Kott Markus Ramacher
Subjektive Belastungen Asylbewerberleistungen, Wohngeld Redaktion:
Katarzyna Kowalska Stefan Rübenach Daniela Hartmann
Miete und Mietbelastung Elterngeld Renate Martin
im Mikrozensus Marion Petter

463
Datenreport 2016  Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren

Datengrundlagen
Wissenschafts- Kontakt zum
Wissenschaftszentrum Berlin
Datengrundlagen der
wissenschaftsbasierten
zentrum Berlin für Sozialforschung
www.wzb.eu Sozialberichterstattung
für Sozial- Veröffentlichungen zum ­
in Deutschland

forschung (WZB)
Download oder Bestellen
www.wzb.eu / de / publikationen Mareike Bünning, Alina Juckel
Allgemeiner Informationsservice Für eine wissenschaftsbasierte Sozialbericht­
www.wzb.eu / de / kontakt erstattung stehen in Deutschland eine Reihe von
Telefon: +49 (0) 30 / 2 54 91-0 Daten aus langfristigen Erhebungsprogrammen
Herausgeber der empirischen Sozialforschung zur Verfügung,
Pressestelle und journalistischer die für die gesellschaftliche Dauerbeobachtung
Informationsservice konzipiert worden sind, darunter insbesondere
www.wzb.eu / de / presse das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) sowie die
Telefon: +49 (0) 30 / 2 54 91-513 Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozial­
wissenschaften (ALLBUS). Darüber hinaus können
für die Sozialberichterstattung in Deutschland
­zunehmend auch supranationale Surveys genutzt
werden, die dann auch die Möglichkeit bieten,
die Lebensverhältnisse in Deutschland in einem
internationalen – insbesondere europäischen –
Kontext zu betrachten und zu bewerten. Von Fall
zu Fall werden zu einzelnen Themen auch weitere
spezielle Datensätze herangezogen, auf die an
dieser Stelle nicht umfassend eingegangen wird.

Ein Großteil der sozialwissenschaftlichen Beiträge


dieses Datenreports beruht auf den Daten
des Sozio-oekonomischen Panels – SOEP ­
(www.diw.de/soep, 10.02.2016). Das SOEP ist
­e ine repräsentative Längsschnitterhebung zur
empirischen Beobachtung des sozialen Wandels,
in der seit 1984 zwei Ausgangsstichproben
(Deutsche und Ausländer) in der damaligen
­Bundesrepublik und West-Berlin jährlich befragt
werden. Das SOEP zeichnet sich durch eine
­hohe Stichprobenstabilität aus. 1984 beteiligten
sich in Westdeutschland 5 863 Haushalte mit ­
16 099 erfolgreich befragten Personen an
der E ­ rhebung; in Ostdeutschland wurden 1990
2 158 Haushalte mit 6 014 Personen befragt.
Eine Zuwandererstichprobe mit 1 559 Personen
in 524 Haushalten wurde 1995 ergänzt. Eine
­weitere Migrantenstichprobe von 7 420 Personen
in 2 703 Haushalten wurde 2013 das erste Mal
befragt. Im Jahr 2002 konnte zudem eine
­Überrepräsentation von Haushalten von Hoch­
einkommensbeziehern realisiert werden. Diese
Stichprobe umfasste 1 224 Haushalte mit 3 364
Befragungspersonen. In den Jahren 2010 und
2011 wurden drei Stichproben ergänzt, die
­bestimmte Familientypen umfassen. In diesem
Rahmen wurden 20 087 Personen in 5 498 Haus-
halten befragt. Des Weiteren wurden in den
­Jahren 1998, 2000, 2006, 2009, 2011 und 2012
Ergänzungsstichproben gezogen, um auf Basis
­e iner großen Fallzahl bessere Analysen kleiner
Teilgruppen der Bevölkerung zu ermöglichen. Im

464
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren  Datenreport 2016

Jahr 2014 zählten alle Stichproben zusammenge- schaftsbeziehungen«, 2012 insbesondere 1985 jährlich mit wechselnden Schwerpunkt­
nommen 38 987 Personen in 19 527 Haushalten. »­ Religion und Weltanschauung« und 2014 »Soziale themen in immer mehr Ländern durchgeführt.
Ungleichheit« als Replikation von 1984, 1994 Insgesamt haben sich weltweit bisher 53 Länder
Das Sozio-oekonomische Panel wurde ursprüng-
und 2004. Seit der Erhebung von 2000 wird der an der Erhebung beteiligt.
lich im Rahmen des durch die Deutsche For-
ALLBUS in der Form von computergestützten
schungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Sonder- Für den Datenreport 2016 wurden auch Daten an
persönlichen Interviews (CAPI) durchgeführt. Die
forschungsbereichs »Mikroanalytische Grund­ der Schnittstelle zwischen amtlicher Statistik und
Grundgesamtheit der ALLBUS-Umfragen be-
lagen der Gesellschaftspolitik« der Universitäten wissenschaftlicher Sozialberichterstattung ge-
stand bis einschließlich 1990 aus den wahl­
Frankfurt am Main und Mannheim konzipiert nutzt. Zum einen handelt es sich um sogenannte
berechtigten Personen in der früheren Bundes­
und wird nunmehr in Form einer »forschungs­ Scientific Use Files (SUF) der umfangreichen
republik und West-Berlin, die in Privathaushalten
basierten Infrastruktureinrichtung« im Rahmen ­Daten der Deutschen Rentenversicherung, zum
leben. Seit 1991 besteht die Grundgesamtheit
der L ­ eibniz-Gemeinschaft (WGL) am Deutschen anderen um die einschlägigen Umfragen der
aus der erwachsenen Wohnbevölkerung (Deut-
­Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) ­G esundheitsberichterstattung des Robert
sche und Ausländer)  in Deutschland. Die Stich-
durchgeführt. Die SOEP-Gruppe gibt die Daten Koch -Institutes. Für den ersten Fall stellt das For-
probengröße betrug bis 1991 rund 3 000 Befragte.
an die interessierte Fachöffentlichkeit weiter schungsdatenzentrum der Rentenversicherung
Seit 1992 beträgt die Nettofallzahl 2 400 Befragte
und erstellt eigene Analysen. Die Feldarbeit führt (FDZ-RV), das beim Grundsatz- und Querschnitts-
in den alten und 1 100 Befragte in den neuen
TNS Infratest Sozialforschung (München) durch. bereich der Deutschen Rentenversicherung Bund
Bundesländern.
Als eine Längsschnitterhebung zielt das SOEP angesiedelt ist, der Wissenschaft und Forschung
insbesondere darauf ab, Informationen über Zu den supranationalen Surveys, die für einzelne Mikrodatensätze aus dem Bestand ihrer prozess-
­Veränderungen im Zeitablauf auf der Mikroebene Kapitel des Datenreport 2013 Verwendung ­finden, produzierten Daten zur Verfügung. Im zweiten
von Individuen und Haushalten bereitzustellen. gehören insbesondere die Eurobarometer-Um­ Fall handelt es sich um »Daten zur Gesundheit in
Die thematischen Schwerpunkte des SOEP fragen (EB) (http://ec.europa.eu/COMMFrontOffice/ Deutschland Aktuell« (GEDA), wozu im Rahmen
­liegen in den Bereichen des Einkommens und der PublicOpinion, 10.02.2016), der European Social des bundesweiten Gesundheitsmonitorings das
Erwerbstätigkeit, aber es werden – im Rahmen Survey (ESS) (http://www.europeansocialsurvey. Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie
variierender thematischer Vertiefungen – auch org, 10.02.2016), das International Social Survey und Gesundheitsberichterstattung, regelmäßig
Längsschnittinformationen zu weiteren Aspekten Programme (ISSP) (http://www.issp.org, telefonische Gesundheitsbefragungen bei 26 000
der sozio-ökonomischen Lebensverhältnisse, wie 10.02.1016) sowie die Daten von Eurostat Personen (2012) durchführt.
zum Beispiel Weiterbildung und Qualifikation, (http://ec.europa.eu/eurostat/data/database,
­Soziale Sicherung, Familie und soziale Netze 10.02.1016). Die Eurobarometer-Surveys werden
und in begrenztem Umfang auch zu subjektiven von der Europäischen Kommission mindestens
Wahrnehmungen, Bewertungen und Einstellun- zweimal jährlich in allen Mitgliedsländern sowie
gen erhoben. darüber hinaus auch in den Beitrittsländern der
­Europäischen Union durchgeführt. Sie umfassen
Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozial-
ein breites Spektrum von gleichbleibenden und
wissenschaften – ALLBUS (http://www.gesis.org/
wechselnden Fragen zu verschiedenen gesell-
allbus, 10.02.2016) ist eine Repräsentativbe­
schafts- und europapolitisch relevanten Themen.
fragung, die in der Bundesrepublik seit 1980 in
Der European Social Survey (ESS) ist eine
zweijährigem Turnus durchgeführt wird. Verant-
­wissenschaftsbasierte Umfrage, die von der Euro-
wortlich für das Forschungsprogramm und das
päischen Kommission, der European Science
Gesamtdesign der ALLBUS-Erhebungen ist
Foundation und den nationalen Forschungs­
eine Gruppe der Abteilung »Dauerbeobachtung
förderungseinrichtungen finanziert wird. Der ESS
der Gesellschaft« bei GESIS, dem Leibniz-Institut
wurde in einer ersten Welle in den Jahren 2002/ 
für Sozialwissenschaften in Mannheim. Die
2003 in 22 europäischen Ländern, in der zweiten
­Datenaufbereitung, Archivierung und Weitergabe
Welle in den Jahren 2004/2005 in 24 Ländern,
der Daten erfolgt über das Forschungsdaten­
in der dritten Welle in den Jahren 2006/2007
zentrum (FDZ) ALLBUS bei GESIS in Köln. Mit
in 25 Ländern, in der vierten Welle in den Jahren
wechselnden inhaltlichen Themenschwerpunkten
2008/2009 in 30 Ländern, in der fünften Welle
und der teilweisen Replikation von Fragen stellt
2010 in 27 Ländern, in der sechsten Welle 2012
der ALLBUS eine der meistgenutzten Daten­
in 28 Ländern und in der siebten Welle 2014 in
quellen für die sozialwissenschaftliche Forschung
22 Ländern durchgeführt. Der ESS umfasst so-
und Lehre in Deutschland dar. Orientiert an den
wohl ein gleichbleibendes Kernmodul von Fragen
Zielsetzungen der deskriptiven Sozialbericht­
als auch wechselnde Themenschwerpunkte.
erstattung, der Untersuchung des sozialen Wan-
Das International Social Survey Programme
dels und der international vergleichenden Analyse
­(ISSP) entstand aus einer Kooperation zwischen
werden regelmäßig Informationen zu den Berei-
dem ALLBUS, dem amerikanischen General
chen Sozialstruktur und Sozialbeziehungen,
­Social Surveys (GSS), dem British Social Atti-
­Wertorientierungen und Grundeinstellungen sowie
tudes Survey (BSA) und der Australian National
der Legitimität der sozialen und politischen
University mit dem Ziel, vergleichbare Daten für
­Ordnung erhoben. Zu den thematischen Schwer-
mehrere Länder zu erheben. Der ISSP wird seit
punkten des ALLBUS 2010 gehörten »Freund-

465
Datenreport 2016  Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren

Autorinnen
und Autoren
Wissenschafts- Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung (WZB):
GESIS – Leibniz - Institut
für Sozialwissenschaften,
zentrum Berlin Mareike Bünning ­Mannheim:
für Sozial- wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Projektgruppe der Präsidentin Dr. Angelika Scheuer

forschung (WZB)
Leiterin des Teams »European Social Survey«

Dr. habil. Weert Canzler Dr. Stefan Weick


wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Michael Blohm
­Forschungsgruppe »Wissenschaftspolitik« Jessica G. Walter
Herausgeber wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen in der
Prof. Dr. Reinhard Pollak ­A bteilung »Dauerbeobachtung der Gesellschaft«
Leiter der Projektgruppe »Nationales Bildungs­
panel: Berufsbildung und lebenslanges Lernen«

Prof. Dr. Bernhard Weßels


wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Robert Koch-Institut Berlin:
»Demokratie und Demokratisierung« PD Dr. Thomas Lampert
Leiter des Fachgebiets »Soziale Determinanten
Ansprechpartner: mareike.buenning@wzb.eu der Gesundheit«

Dr. Lars Eric Kroll


stellvertretender Leiter des Fachgebiets
Deutsches Institut für »Soziale Determinanten der Gesundheit«
Wirtschaftsforschung
Dr. Benjamin Kuntz
(DIW Berlin): Jens Hoebel
Stephan Müters
Dr. Jan Goebel wissenschaftliche Mitarbeiter in diesem
stellvertretender Leiter des SOEP Fachgebiet
Dr. Markus M. Grabka
Dr. Peter Krause
wissenschaftliche Mitarbeiter im SOEP

Christian Westermeier
Doktorand im SOEP

Karl Brenke
Referent des DIW-Vorstands

Ansprechpartner: soepmail@diw.de

466
Datengrundlagen sowie Autorinnen und Autoren  Datenreport 2016

Weitere Autoren: Dr. sc. Eckhard Priller


wissenschaftlicher Co-Direktor des Maecenata
Dr. Rembrandt D. Scholz ­Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft
wissenschaftlicher Mitarbeiter am in Berlin
Max-Planck-Institut für demografische
Forschung in Rostock Dr. Mareike Alscher
assoziierte Wissenschaftlerin am Maecenata
Prof. Dr. Michaela Kreyenfeld Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft
Leiterin der Forschungsgruppe »Lebenslauf, in Berlin
­Sozialpolitik und Familie« am Max-Planck-Institut
für demografische Forschung in Rostock und Prof. Dr. Edeltraud Roller
Professorin für Soziologie an der Hertie School Professorin für Politikwissenschaft am
of Governance in Berlin Institut für Politikwissenschaft der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Dr. Sandra Krapf
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Prof. Dr. Dieter Fuchs
für ­Soziologie und Sozialpsychologie der Professor für Politikwissenschaft am Institut für
­Universität zu Köln Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart

Dr. Elke Hoffmann


wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin des
Statistischen Informationssystems GeroStat am
Deutschen Zentrum für Altersfragen in Berlin Redaktionsleitung
Mareike Bünning
Dr. Laura Romeu Gordo wissenschaftliche Mitarbeiterin am
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Wissenschaftszentrum Berlin
Zentrum für Altersfragen in Berlin für Sozialforschung

Prof. Dr. Ingrid Tucci


CNRS-Forscherin beim Laboratoire d’Economie Redaktion
et de Sociologie du Travail (LEST) der A
­ ix Marseille Alina Juckel
Université in Frankreich. studentische Mitarbeiterin am
Wissenschaftszentrum Berlin
PD Dr. Ralf K. Himmelreicher für Sozialforschung
Privatdozent am Institut für Soziologie der ­
Freien Universität Berlin und Senior Scientist in
der G
­ eschäfts- und Informationsstelle für den
Mindestlohn

Prof. Dr. Annette Spellerberg


Professorin für Stadtsoziologie an der
­Technischen Universität Kaiserslautern

Prof. Dr. Heiner Meulemann


Professor für Soziologie am Institut für Soziologie
und Sozialpsychologie der Universität zu Köln

467
Stichwortverzeichnis  Datenreport 2016

Stichwort-
verzeichnis
Von A wie Abend- A Altersrenten
–– Lebenserwartung 30

schule bis Z wie Abendschule  82, 84 –– Lohnentwicklung  334 – 335


–– Männer/Frauen  336 – 339

Zuwanderung Abgeordnete  392 – 398 –– Migrationshintergrund 71


–– Ost - West - Vergleich  335 – 339
Adipositas  294 – 295, 302 – 303, 309 – 312, –– Rentenentwicklung  199, 335 – 339
s. auch Übergewicht
Altersstruktur
Adoptionen  332 – 333 –– Migrationshintergrund  65 – 6 6, 225 – 226
–– Regionen 365
Akademiker  s. Hochschulabsolventen –– Veränderung  16 – 17, 27, 34

Alleinerziehende Ältere Menschen


–– Alter der Kinder  48, 54 –– Alleinlebende 49
–– Anzahl/Anteil  39 – 40, 43 – 44, 47, 51– 52 –– Altersrenten  334 – 339
–– Arbeitslosengeld  319  –  320 –– Arbeitszeiten 137
–– Armut  171–173, 187–188, 449 – 450 –– A rmut  171 – 173, 184 –188, 190, 234 – 235,
–– Einkommen  53, 152, 154–155 334 – 339
–– Erwerbsarbeit/unbezahlte Arbeit  364 –  367 –– Bevölkerungsanteil  16 –17, 26 – 27, 34
–– Erwerbstätigkeit  55 – 56 –– Einstellungen zur Rolle von
–– Erzieherische Hilfen  332 Frau und Mann  428, 430
–– Haushaltsausstattung  161, 164 –166 –– Erwerbsquote  129 –130, 444 – 445
–– Kinderbetreuung  365 – 367 –– Freizeit 370–372
–– Konsumausgaben  158 – 159, 375 – 376 –– Gesundheitszustand 276
–– Mütter/ Väter  48 –– Grundsicherung  322– 324
–– Steuern und Abgaben  154 –– Internetaktivitäten 162
–– Verkehrsmittelnutzung  344 – 345 –– Lebenserwartung  24–25, 30
–– Wohnsituation  264 – 271 –– Migrationshintergrund  64 –73, 220, 231,
–– Zeitaufwand für Kinderbetreuung  366 – 367 234 – 235, 310
–– Zufriedenheit  76  –77 –– Pflegebedürftigkeit  280  –  281
–– Rauchverhalten 285
Alleinlebende –– Schwerbehinderung  279 – 280
–– Alter 49 –– Vermögen 196
–– Anzahl/Anteil  44, 49, 264 –– Wohnsituation  266 – 267, 269
–– Armut  172 –173, 187–188, 449
–– Einkommen  152, 155 Ältere Menschen mit Migrationshintergrund
–– Erwerbsarbeit/unbezahlte Arbeit  364 –– Bevölkerungsanteil 65
–– Europäische Union  437– 438 –– Bildungsniveau  69 –70
–– Haushaltsausstattung  161, 164, 166 –– Durchschnittsalter 65
–– Konsumausgaben  158 –159, 375 – 376 –– Einkommen 71
–– Schulden 168 –– Herkunft 66
–– Steuern und Abgaben  154 –– Lebensformen  68 – 69
–– Verkehrsmittelnutzung 345 –– Lebensunterhalt 71
–– Wohnsituation  265 – 271 –– Regionale Ansiedlung  68  –  69
–– Soziale Situation  72
Alleinstehende  43 – 44, 47 – 49 –– Wohnsituation 71

Altenquotient  16 –17, 27 Angestellte


–– Armut  186 –188
Altersarmut  171 – 173, 184 – 188, 190, –– Einstellungen zur Demokratie  411
234 – 235, 334 – 339 –– Einstellungen zur Rolle des Staates  414
–– Migrationshintergrund  241– 242
Altersaufbau der Bevölkerung  16 – 17, –– Soziale Lage  203 – 208
23 – 26, 33, 81, 226 –– Soziale Mobilität  210 – 213
–– Vermögen  196 –197

469
Datenreport 2016  Stichwortverzeichnis

Arbeiter Arbeitsstunden 127 –– Einkommen  232 – 234


–– Armut  186 –188 –– Erwerbslosigkeit  131, 254 – 255
–– Einstellungen zur Demokratie  411 Arbeitsunfähigkeit  306 – 309 –– Erwerbsquote 131
–– Einstellungen zur Rolle des Staates  414 –– Gesundheit  310 – 312
–– Migrationshintergrund  241 – 242 Arbeitsunfälle  136 –137, 276 –– Herkunftsländer  223 – 225
–– Soziale Lage  202 – 208 –– Lebensunterhalt  231 – 232
–– Soziale Mobilität  210 – 214 Arbeitsvolumen 127 –– Migrationsstatus  218 – 221
–– Vermögen 196 –– Paare nach Staatsangehörigkeit  46
Arbeitszeit  137 – 138, 141, 363 – 365 –– Regionale Verteilung  223 – 225
Arbeitnehmerentgelt  104, 110 –111, 358 – 359, –– Schwerbehinderung 279
s. auch Einkommen Armut –– Sorge vor Ausländerfeindlichkeit  241 – 243
–– Armutsdynamik  188 –190 –– Soziale Sicherung  318 – 323
Arbeitsbedingungen 138 –– A rmutsgefährdung  70–72, 170  –173, –– Studierende  94 – 95
234–235, 449 – 450 –– Zuzug und Fortzug  21– 23, 222 – 223
Arbeitsbelastung  136–137, 307 – 308 –– AROPE - Indikator  175 –177
–– B etroffenheit von Bevölkerungs- Aussiedler  21– 22, 66 – 67, 221 – 222
Arbeitseinkommen  139 –149 gruppen  184 –188
–– Materielle Entbehrung  172 – 175 Auszubildende  s. auch Berufsausbildung
Arbeitskräftepotenzial  131 – 132 –– Relative Armut  181 – 183 –– Armut 186
–– Berufe  88 – 89
Arbeitslose  s. auch Erwerbslose Armutsgefährdung –– Löhne  146, 148
–– Anzahl/Anteil  134 –136, 320 –– a llgemein  170 – 173 –– Spenden 389
–– Armut  172, 186–188 –– Europäische Union  449 – 450 –– Verkehrsmittelnutzung 345
–– Asylsuchende  253  –  256 –– Migrationshintergrund  70 – 72, 234 – 235 –– Vermögen  196 –197
–– Definition  126 –127
–– Einstellungen zur Demokratie  411 Arztbesuche  295 –298
–– Einstellungen zur Rolle des Staates  414 B
–– Gerechtigkeitsempfinden  204, 422 Ärztemangel  353 – 354
–– Gesundheit  308 – 310 Beamte
–– Migrationshintergrund 240–241 Asylanträge –– Armut  186, 188
–– Soziale Lage  202–208 –– Entscheidungen  251 – 253 –– Einstellungen zur Demokratie  411
–– Soziale Mobilität  211 –– Entwicklung   223, 246 – 247 –– Einstellungen zur Rolle des Staates  414
–– Soziale Sicherung  317– 320 –– Europäische Union  436 – 437 –– Migrationshintergrund  241 – 242
–– Sterberisiko 30 –– Pensionäre  122 – 123
–– Vermögen  196 –197 Asylrecht   245 – 246 –– Soziale Lage  202 – 208
–– Zivilengagement  387, 389 –– Vermögen  196 – 197
–– Zukunftserwartung 423 Asylsuchende
–– Anzahl  223, 245 – 250 Behinderte  s. Schwerbehinderte
Arbeitslosengeld I  43, 70, 134, 151, 170, –– Arbeitslose  253 – 256
231, 318, 320 –– Beschäftigte  253 – 256 Berufe  128 –129
–– Empfänger 320 –– Herkunftsländer  248 – 252
–– Integration in den Arbeitsmarkt  253 Berufsausbildung  s. auch Auszubildende
Arbeitslosengeld II  43, 197, 317 – 320, 358 –– Leistungsempfänger  253 – 256 –– Ausbildungsberufe  88 – 89
–– Empfänger  317 – 320 –– Religionszugehörigkeit 251 –– Ausbildungsförderung 85
–– Soziale Struktur  250 – 251 –– Ausbildungsplätze 88
Arbeitslosenquote  134 – 136 –– Staatliche Leistungen  324 – 325 –– Ausbildungsverträge 89
–– Verteilung in der –– Berufsschüler 82
Arbeitslosenversicherung  113, 152–153, 316 Europäischen Union  247– 250, 436– 437
Berufspendler  347 – 349
Arbeitsmarkt Atypische Beschäftigung  132 – 134,
–– Atypische Beschäftigung  132  –134, 147–148, 358 Berufsschule
147–148, 358 –– Bildungsabschluss der Eltern  86 – 87
–– A rbeitsbedingungen  138 Ausbildungsförderung –– Bildungsausgaben  84 – 85
–– A rbeitskräftepotenzial  131  –  132 –– M eister - BAföG –– Migrationshintergrund  86 – 87
–– A rbeitslose  134 –136 (Aufstiegsfortbildungsförderung)  97 – 98 –– Schülerzahl  82 – 83
–– A rbeitsstellen  134  –136 –– Schüler - BAföG  85
–– A rbeitszeit  137 – 138, 141 –– Studierenden - BAföG  95 – 9 6 Berufstätigkeit  s. auch Beschäftigung
–– B erufsgruppen  129 –– Mütter  55– 57, 427–428
–– Erwerbslose  126 – 128 Ausländer  s. auch Migrationshintergrund, –– Väter 56–57, 428–430
–– Erwerbsquote  129  –131 Bevölkerung mit
–– Erwerbstätige  126  –128 –– Alter und Geschlecht  225 – 227 Beschäftigung
–– G esundheitsbelastung  136  –137 –– Arbeitslose  253 – 256 –– Asylsuchende  253  –256
–– Normalarbeitsverhältnis  132  –133 –– A rbeitsmarktbeteiligung  131, 229 – 231, –– Deutschland  125  –138
–– Selbstständigkeit  132 – 133 253 – 256 –– Europäische Union  444
–– Unterhaltsquelle  134  –135 –– Armut  234 – 235 –– Migrationshintergrund  239 –242
–– –– Auszubildende 89 –– Regionale Unterschiede  355  –  358
Arbeitsmigranten 67 –– Bevölkerungsanteil  218 – 221
–– Bildung  100, 227 – 229 Bevölkerung
Arbeitsproduktivität 111 –– Definition  64, 219 –– Altersaufbau  16 –17, 26

470
Stichwortverzeichnis  Datenreport 2016

–– Bevölkerungsdichte  14 –15 Bruttoinvestitionen  108 – 109 –– Einstellungen zur Rolle des Staates  413
–– Einwohnerzahl  14 –16 –– Einstellungen zur Rolle von
–– Entwicklung  14 –16 Bruttolöhne und -gehälter  110 – 111 Frau und Mann  435
–– Geburten  17 – 18 –– Geburtenentwicklung 35
–– Sterbefälle  17 – 19 Bruttonationaleinkommen (BNE)  109 –110 –– Rentenansprüche  323, 334 – 337
–– Säkularisierung  378 – 382
Bevölkerungsdichte Bruttoverdienste  –– Vertragsarbeiter  67, 222
–– Bundesländer 14 –– Branchen  142, 144
–– Deutschland 14 –– Bundesländer  141 –142 Demografischer Wandel  23 – 41
–– Großstädte 15 –– Leistungsgruppen  142 –143
–– regional  351– 353 –– pro Monat  143 –144 Demokratie
–– pro Stunde  143 –144 –– Akzeptanz als Staatsform  407– 408
Bevölkerungsentwicklung –– Beste Staatsform  408
–– Deutschland  14  –15 Bruttowertschöpfung  106 –111 –– Einstellungen von Bevölkerungs­  - 
–– Europäische Union  433, 435 gruppen  411– 412
–– regional  15 – 16, 354 – 355 Bundesagentur für Arbeit  104, 113, 126, –– Einstellungen zur D.  407– 412
135 – 136, 315, 318, 320, 444 –– Engagement  400 – 406
Bevölkerungsvorausberechnung  33 – 34 –– Wahlen  391– 399
Bundesländer im Vergleich –– Zufriedenheit mit dem Funktionieren  408 – 410
Bildung –– Bevölkerung  14 –15
–– Abschlüsse  83– 8 4 –– Bevölkerung mit Migrationshintergrund  224 Dienstleistungsbereich/ - sektor
–– Ausbildungsförderung  85, 95 – 98 –– B evölkerungsdichte  14 –– Arbeitszeit 138
–– Ausgaben  85, 93, 96, 98, 100 –– Binnenwanderung 20 –– Beitrag zum BIP  104, 106 –109
–– Berufsausbildung  88 – 89 –– B ruttoinlandsprodukt pro –– Erwerbstätige 128
–– Bildungsniveau der Bevölkerung  98 –100 Erwerbstätigem 356 –– Verdienste  139 –149
–– Bildungssystem  80 – 83 –– Bruttoverdienste  142 – 143
–– Europäische Union  438 – 440 –– Eigentümerquote von Wohnungen  262
–– Hochschulen  89 – 9 6 –– Elterngeld 328 E
–– Lehrer 84 –– Erzieherische Hilfen  331– 332
–– Schulen 81–85 –– Finanzvermögen und Schulden  118 Ehepaare   s. auch Paare
–– Schüler  81– 8 4, 86 – 87 –– Fläche  14 –15 –– Alter  45 – 46
–– Zeitaufwand  369 – 370 –– Geburten 328 –– Anzahl  43 – 44
–– Grundsicherung im Alter  322 –– Bildungsstand  44 – 45
Bildung und –– Hilfe zum Lebensunterhalt  321 –– Eheschließungen  49 – 51
–– Armut  172 –173, 186 –– Kinderlosigkeit 61 –– Erwerbstätigkeit 57
–– Einstellungen zur Rolle von –– Kindertagesbetreuung  58 – 59 –– Kinder  51 – 55
Frau und Mann  426 – 431 –– Landtagswahlen  396 – 397 –– Scheidungen  49 – 51
–– Gesundheit  303 – 306 –– Länderfinanzausgleich 116 –– Staatsangehörigkeit 46
–– Kinderlosigkeit  60  –  6 3 –– Leerstand von Wohnungen  264
–– Migrationshintergrund  69–70, 227 – 229, 233, –– Leistungen nach SGB II  319 Eheschließung 
238 – 239 –– Pkw - Fahrzeit zum Oberzentrum  353 –– Anzahl 50
–– Paare  44 – 45 –– Soziale Sicherung  318 – 322 –– Einstellungen zur E.  74 –75
–– Politische Beteiligung  402 – 403 –– Sozialversicherungspflichtige –– Heiratsalter 50
–– Vermögen 196 Beschäftigung 357 –– Nationalität 50
–– Zivilengagement 387 –– Sterbealter 283 –– Scheidungen 49–51
–– Sterbeziffer 283
Bildungsbudget  100 –101 –– Wohnfläche 267 Ehrenamt  367– 369, 383 – 389
–– Wohngeld 327
Bildungsniveau der Bevölkerung Eingetragene Lebenspartnerschaften 46
–– B erufliche Bildungsabschlüsse  98 – 99 Bundestagswahlen
–– Migrationshintergrund  69–70, 98, 100, –– Altersgruppen  395 – 398 Einkommen
227 – 229, 238 – 239 –– Sitzverteilung 394 –– Armut  181 – 183, 184 –190
–– Schulabschlüsse   98 – 99 –– Stimmanteile  392– 395 –– Bruttoeinkommen  140 –148, 151 – 153
–– Wahlberechtigte  391– 392 –– Einkommensdynamik  188 – 190
Bildungssystem  80 – 83 –– Wahlbeteiligung  391– 396 –– Einkommensentwicklung  178 – 179
–– Europäische Union  448 – 449
Body - M ass - Index  284 – 286, 294 – 295 –– Gesundheit  302 – 303
C –– Migrationshintergrund  71, 232 – 234, 237, 241
Bruttoanlageinvestitionen  104, 108 –– N ettoeinkommen  52– 53, 152 – 157, 169 –170,
Chancengleichheit  215 – 217 179 –184, 269 – 273
Bruttoeinkommen  140 –148, 151 – 153 –– Ost - West - Vergleich  183 –184
Computer   161–163, 370 – 373 –– Private Haushalte  151 – 157
Bruttoinlandsprodukt (BIP)  –– Schichtung 181
–– Entstehungsrechnung  104, 107 – 108 –– Tarifverdienste  139 –140
–– Entwicklung  105 – 106 D –– Verteilung  169 – 171, 180 –181
–– Europäische Union  441
–– Regionale Unterschiede  355  –  356 DDR  s. auch Neue Bundesländer Einkommensteuer  115 – 116, 152
–– Verteilungsrechnung  104, 109 – 110 –– Bildungsabschlüsse  70, 98 – 99
–– Verwendungsrechnung  104, 108 – 109 –– Einstellung zum Sozialismus  410

471
Datenreport 2016  Stichwortverzeichnis

Einstellungen zu –– Frauenerwerbstätigkeit 445 –– Arbeitsvolumen 127


–– Demokratie  407– 412 –– Geburtenziffer 435 –– Arbeitszeiten  137  –  138
–– Europäische Union  456 – 459 –– Gender Pay Gap  445 – 446 –– Armut  171, 184
–– Familie  74 –77 –– Haushaltstypen  437– 438 –– Berufe  88– 89
–– Gerechtigkeit  421– 423 –– Identität  456 – 459 –– Beschäftigte im öffentlichen Dienst  121
–– Gesundheit  292 – 294 –– Jugendarbeitslosigkeit  447– 448 –– Bruttoverdienste  142 – 143
–– Heirat  74 –75 –– Konvergenzkriterien 442 –– Bundestagsabgeordnete  393, 395
–– Lebensform  74 –77 –– Krankenhausbetten  451– 452 –– Einstellungen zur Rolle von Frau und
–– Materialismus/Postmaterialismus  417– 421 –– Lebenserwartung  436 – 437 Mann  426 – 431
–– Religion und Kirche  378 – 382 –– Lebensqualität  453 – 456 –– Erwerbsbeteiligung 129–131
–– Rolle des Staates  412 – 415 –– Mindestlohn  446 – 447 –– Erwerbsbeteiligung mit Kindern  41
–– Rolle von Frau und Mann  426 – 431 –– Öffentliche Schulden  442 – 443 –– Erwerbstätigkeit  55–56, 337– 338, 355, 445
–– Sozialismus 410 –– Öffentliches Defizit  442 – 443 –– Gender Pay Gap  145 –146, 445 – 446
–– Sozialstaat  412– 415 –– Selbstverständnis der Bürger  458 – 459 –– Kinderlosigkeit  36, 60 – 6 3
–– Zukunft  422 – 424 –– Todesursachen  451 – 452 –– Kinderzahl  35 – 37
–– Überbelegte Wohnungen  450 – 451 –– Konsequenzen der Erwerbstätigkeit  428
Einwohnerzahl  –– Wirtschaftsleistung pro Kopf  441 –– Lebenserwartung  29 – 30
–– Bundesländer  14 –16 –– Zufriedenheit mit Demokratie  409 –– Lebensunterhalt  134 – 135
–– Deutschland  14  –15 –– Lehrkräfte 84
–– Großstädte 15 Europawahlen  –– Migrationshintergrund  218 – 243
–– Sitzverteilung 399 –– Niedriglohn  147 – 148
Elterngeld  327– 329 –– Wahlbeteiligung 398 –– Schwangerschaftsabbrüche 276
–– Sterblichkeit  31, 33
Elternschaft, unverheiratete  38 – 40 Export  104, 108 –109 –– Studierendenanteil 91
–– Teilzeitarbeit  121, 127
Engagement –– Unbezahlte Arbeit  363 – 364
–– politisch  400  –  406 F –– Verdienstunterschied zu Männern 
–– zivil  367 – 369, 383 – 389 145 – 146, 445 – 446
Familie
Erwerbsbeteiligung –– Alleinerziehende  44, 47– 48, 51– 52 Freizeit
–– Ausländer 131 –– Armut  187 – 188 –– Aktivitäten  370 – 373
–– Frauen  129 –131 –– Bildungsabschlüsse der Eltern  86 – 87 –– Ausgaben  155 –159, 373 – 377
–– Migrationshintergrund  229 –231 –– Ehepaare  43 – 44, 51– 52 –– Engagement  367– 369, 383 – 386
–– Mütter  40 – 41, 55 – 57 –– Eheschließungen  49 – 50 –– Mitgliedschaft in Organisationen  403 – 404
–– Väter  55 – 57 –– Einkommen  52 – 53, 152 – 155, 271 –– Unfälle 276
–– Einstellungen zur Familie  74 – 77, 430 – 431
Erwerbslose  s. auch Arbeitslose –– Erwerbsarbeit/unbezahlte Arbeit  364 Führerscheinbesitz 344
–– Deutschland  126 –132 –– Familienformen  51– 52
–– Europäische Union  444, 447– 450 –– Familiengröße 52
–– Migrationshintergrund  70, 72, 229 – 231 –– Haushaltsausstattung  190 –195 G
–– Kinderlosigkeit  60  –  6 3
Erwerbspersonen  126 –127 –– Kinderzahl 52 Ganztagsbetreuung  58 – 59,
–– Konsumausgaben  374 – 377 s. auch Kindertagesbetreuung
Erwerbsquote  –– Lebensformen  37– 40, 43 – 49, 51 – 53, 437
–– Deutschland  129  –131 –– Mieten  267– 271 Gastarbeiter  21, 218 – 235, 239, 246
–– Europäische Union  443 –– Migrationshintergrund  220 – 223
–– Rolle von Frau und Mann  426 – 431 Gebet  379 – 380
Erwerbstätige  –– Scheidungen  49 – 50
–– Anzahl  126 –128, 133 –134 –– Sorgerecht 51 Geburten  17 – 19
–– Arbeitsstunden 127 –– Steuer  -  und Abgabenlast  154
–– Berufsgruppen 129 –– Vereinbarkeit mit Beruf  55 – 57 Geburtenentwicklung  35 – 38
–– Wirtschaftsbereiche 128 –– Wohnsituation  264 – 267
–– Zeitaufwand  363 – 365 Geburtenziffer
Fernsehen  370 – 373 –– Deutschland  24, 35 – 36
Europäische Union –– Europäische Union  435
–– Armut  449 – 450 Fertilität  28, 35 – 37,
–– Asylanträge  436 – 437 s. auch Geburtenziffer Gender Pay Gap
–– Asylbewerber, Verteilung  247– 250  –– Deutschland  145 – 146
–– Auszug aus dem Elternhaus  450 – 451 Flüchtlinge  s. Asylsuchende –– Europäische Union  445 – 446
–– Beitritte/Erweiterungen 434
–– Beschäftigungsentwicklung 444 Förderschule  80, 82 Gesundheit, persönliche
–– Bevölkerung  433, 435 –– Arbeitsbelastung  136 –137, 306  – 308
–– Bildung  438 – 440 Frauen –– Arbeitslosigkeit  308 – 310
–– Bruttoinlandsprodukt 441 –– A kademische Laufbahn  93 – 94 –– Bildung  303 – 306
–– Demografie 435 –– Alleinerziehende  44, 47– 48, 51– 52, 319 –– Einkommen  302 – 303
–– Einkommen  448 – 449 –– Alter bei erster Geburt  36 –– Migrationshintergrund  310 – 312
–– Einstellungen zur EU  456 – 459 –– Altersrenten 338 –– Selbsteinschätzung  291 – 292, 303, 313
–– Erwerbslosigkeit 447 –– Arbeitskräftepotenzial  131 – 132 –– Sorgen  293 – 294
–– Erwerbsquote 443 –– Arbeitslosigkeit 136 –– Ungleichheit  302 – 314
–– Zufriedenheit  291 – 293

472
Stichwortverzeichnis  Datenreport 2016

Gesundheitsausgaben 299 Hilfe zum Lebensunterhalt  317– 318, 320 – 324 –– G efährdungseinschätzungen


des Jugendamtes  333
Gesundheitsversorgung  286 – 290 Hochaltrige  32– 33 –– Geschwisterzahl  53 – 54
–– Kindertagesbetreuung  57 – 59, 315
Gesundheitswesen Hochschulabsolventen –– Konsumausgaben  158 –164
–– Arztbesuche  295  – 298 –– Atypische Beschäftigung  133 –– Lebensform der Eltern  38 – 40, 44, 47– 48,
–– Einrichtungen  286 – 290 –– Erwerbsquote  131 51 – 53
–– Krankenhausaufenthalte  298 – 300 –– G esundheitsbelastung durch Arbeit  308 –– Lebenssituation  53 – 55
–– Öffentliche Unternehmen  120 – 121 –– K inderlosigkeit  61–  62 –– Migrationshintergrund  218 – 219, 234, 239
–– Personal  287– 290 –– Migrationshintergrund  227–  229 –– Säuglingssterblichkeit 284
–– Schulen des Gesundheitswesens  82– 83 –– Niedriglohn  147 – 148 –– Scheidung der Eltern  50 – 51
–– Politische Beteiligung  403 – 406 –– Schulkinder  81– 83, 86 – 87
Gesundheitszustand der Bevölkerung –– Politisches Interesse  401–  402 –– Soziale Mobilität  209
275 – 286 –– Soziale Sicherung  317– 322
Hochschulen –– Sozioökonomischer Status  86  – 87
Gewerkschaften  403 – 405 –– A bsolventen  91–  92 –– Zeitaufwand für Bildung  369 – 370
–– Ausgaben und Finanzierung  92 – 93
Gleichgeschlechtliche Lebens -  –– Ausländische Studierende  94 – 95 Kinder  -  und Jugendhilfe  329 – 332
gemeinschaften  46 – 47 –– BAföG 95–96
–– Fächerwahl  90 – 91 Kinderbetreuung zu Hause  365 – 367
Grundschule  –– Personal 92
–– B ildungsabschluss der Eltern  86 – 87 –– Studienanfänger  90 – 91 Kindergeld 316
–– B ildungsausgaben  84 – 85 –– Studiendauer 92
–– Lehrkräfte  84 –– Studierendenzahl  90 – 91 Kinderlosigkeit 
–– Migrationshintergrund  86 – 87 –– Beruf 63
–– Schülerzahl  81–  83 –– B ildungsstand  61–  6 3
–– Unterrichtszeit  369 I –– Bundesländer  61
–– Q uote  36 – 37, 60 – 6 4
Grundsicherung für Arbeitsuchende  Import  104, 108 –110
135, 316 – 323 Kindertagesbetreuung  57– 59
Internationaler Vergleich
Grundsicherung im Alter  71, 317, 320, s. auch Europäische Union Kinderwunsch  75 – 76
322 – 324, 337 –– Asylbewerber  249 – 250
–– D emokratie, Zufriedenheit mit  409 Kinderzahl pro Frau  35 – 37
Gymnasium –– Haushaltsnettovermögen  198  – 199
–– Armut 186 –– Hochaltrige  32 Kita   s. Kindertagesbetreuung
–– B ildungsabschluss der Eltern  86 – 87 –– K inderlosigkeit  36
–– B ildungsausgaben  84 – 85 –– Vermögensungleichheit  193 Kirchen
–– Lehrkräfte  84 –– Einstellungen zu Religion und Kirche  381
–– Migrationshintergrund  86 – 87 Internet –– Kirchgangshäufigkeit  378 – 379
–– Schülerzahl  81–  83 –– A ktivitäten  162 –– Mitgliedschaft  378 – 379
–– Unterrichtszeit  369 –– A nschlüsse  161  –163
Klassenlage  201, 205 – 206
Investitionen  104, 108 –109, 114
H Klassenpositionen
–– Selbstrekrutierungsraten  209  –  211
Hartz IV   s. Arbeitslosengeld II J –– Vererbungsraten  211 – 213

Hauptschule  Jugenderwerbslosigkeit Kollegschule  82, 84


–– Armut 186 –– Europäische Union  447–  448
–– B ildungsabschluss der Eltern  86 – 87 Konsumausgaben  108 – 109, 155 – 159,
–– B ildungsausgaben  84 – 85 Jugendquotient 27 370 – 373
–– Lehrkräfte  84
–– Migrationshintergrund  86 – 87 Kranke und Unfallverletzte  276 – 277
–– Schülerzahl  81–  83 K
Krankenhausaufenthalte  298 – 299
Haushaltsausstattung  Kinder
–– Fahrräder  164 –165 –– Adoptionen  332– 333 Krankenhäuser
–– Haushaltsgeräte 160 –– Alkoholmissbrauch 277 –– Anzahl  286 – 287
–– Internetanschlüsse 161–163 –– Altersstruktur 54 –– Behandlungsfälle 276
–– PC 161–163 –– Armut  184, 187, 190, 449 – 450 –– Betten  287, 451– 452
–– Pkw  165 –166 –– Auszug aus dem Elternhaus  54 – 55 –– Diagnosen  276 – 277
–– Telefone  163  –164 –– Betreuung im Haushalt  365 – 367, 426 – 431 –– O perationen / medizinische
–– Unterhaltungselektronik  160 –161 –– Bevölkerungsanteil 26 Behandlungen  277– 279
–– Einkommen der Eltern  152 –154 –– Patienten 287
Haushalte   s. Private Haushalte –– Erwerbstätigkeit der Eltern  40 – 41, 55 – 57 –– Personal  287– 288
–– Erzieherische Hilfen  329 – 332
Heirat  s. Eheschließung –– Geburtenzahl  17–18, 24 – 25, 35 – 38, 435

473
Datenreport 2016  Stichwortverzeichnis

Krankenversicherung  290 – 291, 297, Lohnentwicklung  334 – 335 N


316, 322 – 323
Lohnsteuer  115 –116 Nettoeinkommen  52– 53, 152 –157, 169 –170,
Krankenzusatzversicherung, private  300 – 301 179 – 184, 269 – 273
Löhne
–– Arbeitnehmerentgelt  104, 110 –111, 358 – 359 Neue Bundesländer
L –– Bruttoeinkommen  140 –148, 151 – 153 –– Altersrenten  334 – 339
–– N ettoeinkommen  52– 53, 152 –157, 169 –170, –– Armut  185 – 187
Landtagswahlen 179 –184, 269 – 273 –– Atypische Beschäftigung  358
–– Stimmanteile  397–  398 –– Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung  –– Bevölkerungsentwicklung  14, 354
–– Wahlbeteiligung  397–  398 110 –111 –– Binnenwanderung  20 – 21
–– Bruttoverdienste 143
Langzeitarbeitslose  148, 309 –– D emokratie, Zufriedenheit/
M beste Staatsform  408 – 409
Länderfinanzausgleich  116 –117 –– Einkommen privater Haushalte  153 –155, 183
Materielle Entbehrung 172–175 –– Einkommensangleichung  183 –184
Lebensbedingungen  –– Einstellung zum Sozialismus  410
–– D eutschland  204 Mieten –– Einstellungen zu Familie und
–– Europäische Union  453 – 456 –– Bruttokaltmiete  267– 272 Lebensformen  74 –76
–– Mietbelastung  267– 271 –– Einstellungen zur Demokratie  407– 415
Lebenserwartung  –– Einstellungen zur Rolle des Staates  412– 415
–– D eutschland  17 – 18, 24 – 33, 49, 292, 294, Migration –– Einstellungen zur Rolle von Frau
297, 303 – 304, 306, 312 –– Asylsuchende  223, 245 – 257 und Mann  426 – 431
–– Europäische Union  436 – 437 –– Außenwanderung  21– 23 –– Erwerbsbeteiligung mit Kindern  41
–– Binnenwanderung  20 – 21 –– Erwerbsquoten  129 –130
Lebensformen –– Gesamtwanderung  18, 20 –– Erwerbstätigkeit von Müttern  56
–– A lleinerziehende  44, 47– 48, 51– 52, –– Zuzug von Aussiedlern  21– 22 –– Gebäudegröße 261
s. auch Alleinerziehende –– Geburtenziffer 36
–– A lleinlebende  44, 49, Migrationshintergrund, Bevölkerung mit –– Geburtsalter von Müttern  36
s. auch Alleinlebende –– Ältere Menschen  64 –73, 219 – 235 –– Gerechtigkeitsempfinden/Zukunfts-­
–– Alleinstehende   43, 47– 49 –– Altersstruktur  225 – 226 erwartung  421 – 425
–– Alter und Geschlecht  39 –– Armutsgefährdung  185, 234 – 235 –– Gestorbene 14
–– Ehepaare  43 – 46, 50 – 57, –– Asylsuchende  223, 245 – 257 –– Gesundheitszustand  292 – 301
s. auch Ehepaare –– Benachteiligung  241, 243 –– Haushaltsausstattung  160, 163, 166
–– Einstellungen zu L.  74 – 77 –– Beschäftigung  229 – 231, 239 – 242 –– Hilfe zum Lebensunterhalt  321
–– Lebensgemeinschaften  37– 40, 43 – 52, –– Bildung  86 – 87, 94, 227 – 229, 238 – 239 –– Kinder je Frau  24
s. auch Lebensgemeinschaften –– Definition  64, 219 –– Kinderbetreuung 370
–– Paare  44 – 47, 51– 57, –– Einkommen  232– 234, 237, 241 –– Kinderlosigkeit  61– 62
s. auch Paare –– Geschlechterstruktur 226 –– Kindertagesbetreuung 59
–– Subjektives Wohlbefinden  76 – 77 –– Gesundheit  310 – 312 –– Kinderzahl 37
–– Herkunftsländer  218 – 221, 224 – 225 –– Konsumausgaben 374
Lebensgemeinschaften, nichteheliche –– Historische Entwicklung  220 – 223 –– Lebendgeborene 14
–– Alter 46 –– Lebensunterhalt  231 – 232 –– Lebenserwartung 29
–– Anteil  37– 39, 45 –– Migrationsstatus  218 – 221 –– Lebensform  39 – 40
–– Anzahl  43 – 44 –– Regionale Verteilung  223 – 224 –– Lebensstandard 358
–– Bildungsstand 45 –– Staatsangehörigkeit  236 – 237 –– Lebensunterhalt 135
–– Elternschaft  38 – 40 –– Wohnsituation 237 –– Lohnentwicklung 335
–– Kinder  51– 52 –– Zufriedenheit  242–  243 –– Mieten  267– 271
–– Migrationshintergrund  69, 204
Lebenslanges Lernen  96 – 98 Mindestlohn –– Niedriglohn 147
–– Deutschland   148 –– Politisches Engagement  400 – 406
Lebensstandard –– Europäische Union  446 – 447 –– Religiosität  378 – 382
–– Ansprüche  421– 423 –– Schülerzahl 81
–– Haushaltsausstattung  160 –166 Mindestsicherung  317– 325 –– Soziale Lagen  202–  208
–– Materielle Entbehrung  172 –175 –– Soziale Mobilität  209 – 217
–– Objektive Indikatoren  204 Mitgliedschaft –– Tariferhöhungen 140
–– Regionale Unterschiede  358  –  359 –– Gewerkschaften  403 – 405 –– Urlaub 361
–– Subjektive Einschätzung  205 –– Kirchen  378 – 379 –– Vermögen  192, 195
–– Zufriedenheit mit Lebensstandard  359 –– Organisationen  403 – 406 –– Wahlverhalten 395
–– Parteien  403 – 406 –– Werteorientierung  418 – 419
Lebensunterhalt  –– Wohneigentum  262– 263, 266
–– Allgemein  134 – 135 Mobilität, räumliche –– Wohnfläche  264, 268
–– Asylsuchende  253 – 255, 324 – 325 –– Altersgruppen  345 – 346 –– Wohnungsleerstand 264
–– Hilfe zum Lebensunterhalt  317 – 318, 320 – 324 –– Führerscheinbesitz 344 –– Zivilengagement  387– 389
–– Migrationshintergrund  229 – 232 –– Lebensphasen 345 –– Zufriedenheit mit Lebensbedingungen  359
–– ÖPNV - Nutzung  342, 345 – 346
Lehrkräfte 84 –– Pkw - Ausstattung  164 –166, 343 – 344 Niedriglöhne  146 –148, 308, 338 – 339
–– Siedlungstypen  342 – 343
Leiharbeit  107, 133 Normalarbeitsverhältnis  132 –133
Mobilität, soziale  s. Soziale Mobilität

474
Stichwortverzeichnis  Datenreport 2016

O –– Migrationshintergrund  70, 231 –– B ildungsabschluss der Eltern  86 – 87


–– Neupensionäre  122 – 123 –– B ildungsausgaben  84 – 85
Oberzentren 353 –– Spenden 389 –– Lehrkräfte 84
–– Vermögen 196 –– Migrationshintergrund  86 – 87
Offene Stellen  134 –136 –– Wohngeld  325 – 326 –– Schülerzahl  81–  83
–– Zivilengagement  387
Öffentliche Entwicklungs  -  Regionale Unterschiede
zusammenarbeit 117 Pensionskassen  120 –121 –– Ärztemangel  353 – 354
–– Beschäftigung  355 – 358
Öffentliche Finanzen Pflegebedürftige  279 – 282 –– Bevölkerungsdichte  350 – 351
–– Ausgaben   112 –114 –– Bevölkerungsentwicklung  354 – 355
–– Einnahmen  114 –116 Pflegedauer 33 –– Fahrtzeit zum Oberzentrum  351, 353
–– Europäische Union  442–  443 –– Lebensstandard  358 – 359
–– Finanzierungssaldo  115 –116 Pflegedienst  281– 282, 287– 289 –– Siedlungsstruktur  350 – 351
–– Finanzvermögen 117–119 –– Stadt- und Gemeindetypen  352
–– Schulden 117–119 Pflegeeinrichtungen 282 –– Wirtschaftskraft  355 – 356
–– Steuereinnahmen  114 –116 –– Zufriedenheit mit Lebensbedingungen  359
Pflegequote  280 – 281
Öffentliche Unternehmen  119 – 121 Religiosität  378 – 382
Pflegeversicherung  113, 280, 316 – 317,
Öffentliche Verkehrsmittel 322– 323 Renten  s. Altersrenten
342, 345 – 346
Pkw - Ausstattung  164 –166, 343 – 344 Rentenversicherung  30, 152, 154, 191, 316,
Öffentliche Verschuldung 323, 334 – 339
–– Deutschland 117–119 Politische Integration  400 – 406
–– Europäische Union  442–  443 Rentner
Politische Partizipation  391– 399, 401– 403 –– A ltersrenten  334 – 339
Öffentlicher Dienst –– Einstellungen zur Demokratie  411
–– Personal  121 – 123 Politisches Engagement  400 – 406 –– Einstellungen zur Rolle des Staates  414
–– Unternehmen  119  –121 –– G erechtigkeitsempfinden/Zukunfts  - 
Politisches Interesse  400 – 401 erwartung  422– 423
Ostdeutschland –– Verkehrsmittelnutzung 345
s. Neue Bundesländer Private Haushalte –– Vermögen 196
–– Armut  170 –173, 184 –190 –– Wohngeldbezug  325 – 326
–– Ausstattung mit Gebrauchsgütern  160 –166 –– Zivilengagement  387– 389
P –– Bezahlte/unbezahlte Arbeit  363 – 365
–– Einkommen  151 – 157, 169 –170, 178 – 184, Ruhestand
Paare 358 – 359 –– A rmut  171–  173, 188
–– Alter  44 – 47 –– Europäische Union  437, 448 – 451 –– Migrationshintergrund  71, 73
–– Anzahl/Anteil  44 – 47 –– Kinder unter 18 Jahren  40 –– Pensionäre  122  –123
–– Armut  184 –188 –– Kinderbetreuung 367 –– Soziale Lage  202 – 208
–– Bildungsstand  44 – 45 –– Konsumausgaben  155 –159, 373 – 377
–– Ehepaare  43 – 46, 50 – 57 –– Lebensformen  43 – 49, 51 – 55
–– Eheschließungen  49 – 50 –– Materielle Entbehrung  172 –175 S
–– Eingetragene Lebenspartnerschaften  46 –– Migrationshintergrund  68 – 69, 218 – 235,
–– Einkommen  53, 152 – 155, 271 237, 242 – 243 Säkularisierung  378 – 382
–– Erwerbsarbeit/unbezahlte Arbeit  364 –  367 –– Pkw - Verfügbarkeit  343 – 344
–– Erwerbstätigkeit  55 – 57 –– Privatinsolvenzen  166 –167 Säuglingssterblichkeit 284
–– G leichgeschlechtliche Lebensge  -  –– Steuern und Sozialabgaben  152 –154
meinschaften  46 – 47 –– Überschuldung/Insolvenz  166 –168 Scheidungen  50 – 51
–– Haushaltsausstattung 161–166 –– Vermögen  191 –199
–– Kinder im Haushalt  52 – 55 –– Wohngeldbezug  325 – 327 Schulabschlüsse
–– Kinderbetreuung  365 – 367 –– Wohnsituation  264 – 273 –– A rt und Anzahl  83 – 8 4
–– Konsumausgaben  158 – 159, 375 – 376 –– Ausländer  100
–– Lebensform  44 – 47, 51– 57 Privatinsolvenzen  166 –167 –– B evölkerung  98 – 99
–– Migrationshintergrund  68 – 69 –– Eltern  86 – 87
–– Scheidungen  49 – 50 Produzierendes Gewerbe  –– K inderlosigkeit  61–  62
–– Staatsangehörigkeit 46 –– A rbeitszeiten  138 –– Migrationshintergrund  70, 227– 229, 238 – 239
–– Wohnsituation  264 – 271 –– B eitrag zum BIP  104, 106 –107
–– Zufriedenheit  76 – 77 –– Erwerbstätige  128 Schulen
–– Verdienste  139 –149 –– Ausgaben je Schülerin und Schüler  84 – 85
Parteien  392– 399, 403 – 406 –– Einschulungen  81– 82
–– Lehrkräfte 84
Pendler  s. Berufspendler R –– Schulabschlüsse  83 – 8 4
–– Schulformen  82 – 83
Pensionäre Rauchen   284 – 285, 305, 311, 313 –– Schülerzahl  81– 83
–– Einstellungen zur Demokratie  411
–– Einstellungen zur Rolle des Staates  414 Realschule
–– Lebensunterhalt  134 – 135 –– Armut 186

475
Datenreport 2016  Stichwortverzeichnis

Schüler Soziale Ungleichheit Transferleistungen


–– BAföG 85 –– Gesundheit  302– 314 s. Ausbildungsförderung,
–– G erechtigkeitsempfinden/Zukunfts  -  –– Konzepte 201 s. Kindergeld,
erwartung  422– 423 s. Soziale Sicherung
–– Migrationshintergrund  86 – 87 Sozialer Auf -  und Abstieg  209 – 217
–– Schulabschluss der Eltern  86 – 87
–– Sozioökonomischer Status  86 – 87 Sozialgeld  317– 319 U
–– Verkehrsmittelnutzung 345
–– Zeitaufwand für Bildung und Lernen  369 – 370 Sozialhilfe  135, 316 – 317, 320 – 324, 332 Übergewicht  284 – 286, 294 – 295,
–– Zivilengagement  387– 389 s. auch Adipositas
Sozialismus, Einstellung zum 410
Schwangerschaftsabbrüche 276 Überschuldung privater Haushalte 167–168
Sozialleistungen  134, 256, 315 – 333
Schwerbehinderte  279 – 281 Unfallversicherung  113, 316
Sozialstaat, Einstellungen zum  412– 415
Selbstrekrutierungsraten  211– 213 Ungleichheit 
Sozialversicherung  112 –115, 118 –123, 125, –– Altersrenten  336 – 337
Selbstständige 128, 136, 141, 144, 147, 152 –154, 254 – 256, –– Einkommen  169 –171, 178 –190
–– Anzahl  132 – 134 315 – 316, 357, 412 – 413 –– Gesundheit  302– 314
–– A rbeitslosengeld II  320 –– Politische Partizipation  400 – 406
–– Arbeitszeit 138 Spenden  388 – 389 –– Regionale Ungleichheit  350  –  359
–– Einkommen  151 – 153 –– Soziale Ungleichheit  209 – 215
–– Einstellungen zur Demokratie  411 Sport treiben  306, 313 – 314, 370 – 373 –– Vermögen  191–193, 199
–– Einstellungen zur Rolle des Staates  414 –– Zuständigkeit des Staates  413 –  414
–– K inderlosigkeit  63 Sportvereine  368, 384, 386, 403 – 404
–– Migrationshintergrund  242 Universitäten  s. Hochschulen
–– Soziale Lage  202 – 208 Städte 
–– Soziale Mobilität  210 – 214 –– B eschäftigung  356 – 358 Unterbeschäftigung 132
–– Überschuldung  166  –168 –– B evölkerungsentwicklung  354 – 355
–– G roßstädte  15 –16, 344, 352– 359 Urlaub  361, 373 – 376
Siedlungsstruktur  350 – 354 –– Lebensstandard  358 – 359
–– Migrationshintergrund  68 – 69, 223 – 224, 237
Smartphone  163 –164, 370 – 373 –– M obilität  342–  349 V
–– Siedlungsstruktur  344, 350 – 351
Solidaritätszuschlag  115, 153 – 154 –– Stadt -  und Gemeindetypen  352 Verbände 384
–– W irtschaftskraft  355 – 356
Sozialabgaben  110, 152 – 153 –– Zufriedenheit mit Lebensbedingungen  359 Verbraucherpreise  139, 141, 156, 197, 443

Sozialbeiträge  110, 316, 358 Sterbealter  30 – 32, 283 – 284 Verdienste


–– B ruttoverdienste  140 – 148
Sozialbudget  315 – 317 Sterbefälle  17 – 19 –– Tarifverdienste  139  –140

Soziale Lagen  201– 205 Sterbetafel  28 – 32 Verdienstunterschied Männer und Frauen


–– D eutschland  145  –146
Soziale Mobilität  209 – 217 Sterblichkeit  282 – 283 –– Europäische Union  445 – 446

Soziale Positionen 205 Steuereinnahmen  114 –116 Vereinbarkeit von Familie und Beruf  55 – 57

Soziale Schichten  202 – 208 Steuern  104, 107–110, 114 – 116, 149, 152 – 154, Vereine  383 – 384
157, 170, 181
Soziale Sicherung  Vererbungsraten von Klassen - 
–– Adoptionen  332  –  333 Stiftungen  384 – 385 positionen  211 – 213
–– Arbeitslosengeld II  317–  320
–– Asylbewerberleistungen  324 – 325 Stille Reserve 132 Verkehrsmittelnutzung  341– 349
–– Elterngeld  327– 329
–– Erzieherische Hilfen  329 – 332 Studierende  s. Hochschulen Vermögen, private
–– G efährdungseinschätzungen –– Individuelles Nettovermögen  192  –198
des Jugendamtes  333 –– Internationaler Vergleich  198  –199
–– Grundsicherung im Alter  322 – 324 T –– Soziale Position  196 –197
–– Hilfe zum Lebensunterhalt  320 – 322 –– Veränderung  197– 198
–– Kinder -  und Jugendhilfe  329 – 332 Tarifverdienste –– Vermögensformen  / - komponenten  193 –195
–– Mindestsicherung  317– 325 –– nach Branche  139 –140
–– Sozialbudget  315 – 317 –– nach Region  139 –140 Vermögensungleichheit  192 – 193
–– Sozialgeld  317–  319
–– Sozialhilfe  316 – 317, 320 – 324 Tarifverträge  139 –140 Vertriebene  21, 66, 222
–– Wohngeld  325 – 327
–– Zuständigkeit des Staates  412 – 414 Todesursachen Volkseinkommen 110
–– D eutschland  283 – 284
–– Europäische Union  451–  452

476
Stichwortverzeichnis  Datenreport 2016

Volkswirtschaftliche Gesamt -  Z
rechnungen  103 –111, 113, 118, 126
Zeitempfinden 365
Vollzeit -  und Teilzeitverdienste  143 –145
Zeitverwendung
Vorsorge  -  und Rehabilitationseinrichtungen –– Bildung  369 – 370
–– Anzahl 288 –– Erwerbsarbeit  363 – 365
–– Betten 288 –– Freizeit  370 – 373
–– Patienten 288 –– Kinderbetreuung  365 – 367
–– Personal 289 –– Unbezahlte Arbeit  363 – 365
–– Urlaub 361

W Zivilgesellschaft
–– Engagement  385 – 388
Wahlen  391– 399 –– G ering organisationsgebundenes
Engagement 388
Wanderungsbewegungen –– Organisationen  383  – 385
s. auch Migration –– Spenden  388 – 389
–– Außenwanderung  21–  23
–– B innenwanderung  20 – 21 Zukunftserwartungen  422– 424
–– G esamtwanderung  18, 20
–– Zuzug von Aussiedlern  21 – 22 Zuwanderung  s. Migration

Weiterbildung  70, 80, 96 –101

Werte
–– Materialisten  417– 421
–– Postmaterialisten  417– 421
–– Wertewandel  417– 421

Wirtschaftssektoren 128

Wohlstand
–– Europäische Union  448 – 449, 453 – 455
–– G erechte Verteilung  421–  423
–– M essung  105, 170
–– Regionale Unterschiede  355
–– Subjektive Einschätzung  205
–– Verteilung  178 –190

Wohneigentum  204, 261–263, 266–267

Wohnen  259 – 273

Wohngebäude
–– Alter  260 – 261
–– Größe  259 – 260
–– Eigentümerstruktur  261 – 263
–– Leerstand  262 – 264
–– Wohnungsgröße 263

Wohngeld  325 – 327

Wohnsituation
–– B elastung durch Wohnung/
Wohnumfeld  272 – 273
–– Eigentümerhaushalte  264 – 268
–– Europäische Union  437, 450 – 451
–– Haushaltstypen  265 – 268
–– Mieten  267– 271
–– Mieterhaushalte  264 – 268
–– Migrationshintergrund  237
–– Wohnfläche  264 – 268

477
Datenreport 2016  Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungs-
verzeichnis
Von A wie AFBG AFBG
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
BSP
Bruttosozialprodukt

bis W wie WZB (»Meister-BAföG«)


BVG
ALG Bundesversorgungsgesetz
A rbeitslosengeld
CASMIN
ALLBUS Comparative Analyses of Social Mobility
Allgemeine Bevölkerungsumfrage in Industrial Nations
der Sozialwissenschaften Internationale Klassifikation von
Bildungsabschlüssen
ASID
Studie »Alterssicherung in Deutschland« CTFR
Cohort Total Fertility Rate
AZR Kohortenfertilität
Ausländerzentralregister
DEAS
BA Deutscher Alterssurvey
Bundesagentur für Arbeit
DEGS
BAföG Studie zur Gesundheit Erwachsener
Bundesausbildungsförderungsgesetz in Deutschland

BAGFW DIW
Bundesarbeitsgemeinschaft der Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Freien Wohlfahrtspflege
EP
BAuA Entgeltpunkte (Rentenversicherung)
Bundesanstalt für Arbeitsmedizin
und Arbeitsschutz ESVG
Europäisches System Volkswirtschaftlicher
BBG Gesamtrechnungen
Beitragsbemessungsgrenze
EU
BBSR Europäische Union
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung Eurostat
Statistisches Amt der
BIP Europäischen Union
Bruttoinlandsprodukt
EU-SILC
BKK European Union Statistics on Income and
Betriebskrankenkasse Living Conditions
Europäische Gemeinschaftsstatistik über
BMF ­Einkommen und Lebensbedingungen der
Bundesministerium der Finanzen ­B evölkerung (LEBEN IN EUROPA)

BMI EVS
Body-Mass-Index Einkommens- und Verbrauchsstichprobe

BMZ EWCS
Bundesministerium für wirtschaftliche European Working Conditions Survey
­Zusammenarbeit und Entwicklung Europäische Erhebung über die
Arbeitsbedingungen
BNE
Bruttonationaleinkommen EZB
Europäische Zentralbank

478
Abkürzungsverzeichnis  Datenreport 2016

FDZ-RV KONTIV SOEP


Forschungsdatenzentrum der Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten Sozio-oekonomisches Panel
Rentenversicherung
LAT-Beziehungen SrV
FGT-Maße Living-Apart-Together-Beziehungen System repräsentativer
Maße zur Berechnung der Armutsquote, Verkehrsverhaltensbefragungen
der Armutspopulation und der Armutsintensität LWR
nach Foster / Greer / Thorbecke Laufende Wirtschaftsrechnungen TFR
Total Fertility Rate
G8 MiD Zusammengefasste Geburtenziffer
Gymnasialzeit von acht Jahren Haushaltsbefragung »Mobilität in Deutschland«
UNO
G9 MIV United Nations Organization
Gymnasialzeit von neun Jahren Motorisierter Individualverkehr Organisation der Vereinten Nationen

GEDA MOP VGR


Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« Deutsches Mobilitätspanel Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

GKV NEL WHO


Gesetzliche Krankenversicherung nichteheliche Lebensgemeinschaft World Health Organization
Weltgesundheitsorganisation der
GKV-FinG NUTS Vereinten Nationen
Gesetz zur nachhaltigen und sozial aus­ Nomenclature des unités territoriales statistiques
gewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Klassifikation der räumlichen Bezugseinheiten WZB
Krankenversicherung der amtlichen Statistik in der EU Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
GRV ODA
gesetzliche Rentenversicherung Official Development Assistance
Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit
GUS
Gemeinschaft unabhängiger Staaten OECD
Organisation for Economic Cooperation
HFCS and Development
Household Finance and Consumption Survey Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Erhebung zur finanziellen Situation und zum und Entwicklung
Konsum der Haushalte
ÖPNV
IGLU Öffentlicher Personennahverkehr
Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung
ÖPV
IKT Öffentlicher Personenverkehr
Informations- und Kommunikationstechnologien
PC
ILO Personal Computer
International Labor Organization
Internationale Arbeitsorganisation PISA
Programme for International Student Assessment
Infas Programm zur internationalen Schülerbewertung
Institut für angewandte Sozialfragen der OECD

ISCED Pkw
International Standard Classification of Education Personenkraftwagen
Internationale Standardklassifikation des
Bildungswesens RÜG 1991
Rentenüberleitungsgesetz
ISSP
International Social Survey Programme SGB
Sozialgesetzbuch

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Das ist Gisela.
Gisela ist 70 Jahre alt.

Sie ist verwitwet und lebt allein in der


97 Quadratmeter großen Eigentums-
wohnung, die sie seit mehr als 30
Jahren bewohnt. Ihr Sohn ist geschie-
den und lebt als Single in einem an­­-
deren Stadtteil, ihre Tochter wohnt
mit Mann, zwei Kindern und Hund im
Umland.

Gisela unternimmt gerne Städterei-


sen, ist politisch interessiert und geht
regelmäßig wählen. Als ehemalige
Lehrerin ist sie ehrenamtlich zwei­mal
pro Woche in der Hausaufgabenhilfe
aktiv.

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