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Version 0.

2 (2019)
German Translation

LEVEL 1
MODUL 1: BEWUSSTES UND
UNBEWUSSTES

TEILNEHMER*INNEN SKRIPT

Teilnehmer*innen Skript

Version 0.2 (2019)


German Translation
EINFÜHRUNG
Dieses Modul enthält die wichtigsten Elemente der Theorie von Lewis Deep Democracy
(LDD), einschließlich des nützlichen diagnostischen Tools, der Resistance / Terrorist Line.
Nachdem Sie sich mit dem Modul vertraut gemacht haben, werden Sie aufgefordert, die
Tools anzuwenden und Ihre Erfahrungen in Ihrem Journal zu reflektieren, um Ihr Verständnis
für die Tiefe und die Einzelheiten des Modulinhalts zu erweitern.

ZIELE DES MODULS


Am Ende dieses Moduls werden Sie

• Den Unterschied zwischen traditioneller Moderation und Lewis Deep


Democracy kennen und wissen, wie beides zusammen verwendet werden
kann.
• Das Modell vom Bewussten und Unbewussten in Bezug auf Gruppen
verstehen.
• Verstehen, wie das Bewusste und Unbewusste in Gruppen durch
Entscheidungsprozesse gebildet werden.
• Die grundlegenden theoretischen Annahmen von Deep Democracy
verstehen.
• Die Widerstandslinie (Resistance Line), ein diagnostisches Tool, verstehen.
• Die Grenzen der Mehrheitsdemokratie erkennen.

Traditionelle Moderation und Lewis Deep Democracy


Lewis Deep Democracy geht über traditionelle Moderationsarten, die im allgemeinen
kognitiv sind, hinaus und richtet sich auf emotionale Themen, die typischerweise in
Gruppen auftreten und zuweilen den Gruppenprozess blockieren oder behindern.

Lewis Deep Democracy kann mit traditionellen Moderationsmethoden und Tools


kombiniert werden. Während dieses Kurses werden wir darauf hinweisen, wann und wie Sie
sie mit anderen Moderationsmethoden verbinden können und außerdem auf die
unterschiedlichen Haltungen und Metaskills, die sie brauchen um die Werkszeuge
entsprechend zu verwenden.

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Lewis Deep Democracy muss nicht als ganzes Paket angewendet werden. Zu Beginn ist es
sogar ratsam, erst einzelne Teile einzuführen.

Nichtsdestotrotz lehren wir den Reichtum der Methode in seiner schillernden Farbigkeit,
damit Sie sie in ihrer reinsten und ausgeprägtesten Form sehen können. Wenn Sie die Tools
verwenden, passen Sie sie an Ihren Kontext an und stimmen sie ab, je nach Bedarf.

Bewusstes & Unbewusstes

Sigmund Freud verglich die menschliche Psyche mit einem Eisberg, da nur ein sehr
geringer Teil unseres Verhaltens bewusst ist (über der Wasserlinie), während der größte
Teil unseres Verhaltens unbewusst ist (unter der Wasserlinie).
Das gleiche Bild kann für Gruppen angewendet werden. Das heißt, nur ein kleiner Teil
des Gruppenverhaltens ist bewusst, der größte Teil ist unbewusst.
Das Bewusstsein/ Gewahrsein einer Gruppensituation ist, wenn alle anwesend sind und
sich bewusst sind, was gerade geschieht. Zum Beispiel ist mein Vortrag, den Sie alle
gemeinsam hören, Teil des Gruppenbewusstseins. Alles was beim Check- In gesagt
wurde, ist ebenfalls im Gruppenbewusstsein. In einem Meeting ist die festgelegte
Agenda Teil des Bewusstseins.
Das „Unbewusste“/Nicht-Gewahrsein in einer Gruppe, ist, wenn nicht jeder die gleiche
Information über die Diskussionsthemen oder die gleiche Kenntnis über die Gruppe hat.
Z.B. gibt es in einer Gruppe mit einer festgelegten Tagesordnung oft eine kleine Gruppe,
die vor dem Meeting geklatscht, gelästert oder „gelobbied“ hat. Das ist eine
„versteckte Tagesordnung“, die nur ein Teil der Gruppe kennt, dem Rest der Gruppe ist

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das nicht bewusst. Das Lobbying liegt also im Unbewussten der Gruppe. Vielleicht
haben Sie vor dem Beginn dieses Kurses über den Kurs geredet. Da nicht alle anwesend
waren, formt auch das einen Teil des Unbewussten der Gruppe.
Sie können anhand dieser Beispiele sehen, dass vieles im Unbewussten einer Gruppe
geschieht, was aber auf das Bewusstsein der Gruppe einen Einfluss hat.
Lewis Deep Democracy geht davon aus, dass Menschen und Gruppen die Fähigkeit
und die Weisheit haben, ihre Themen und Anliegen zu lösen, obwohl ein großer Teil Ihrer
Weisheit und ihres Potentials im Unbewussten liegt. Die LDD-Tools versuchen, die
Wasserlinie zu senken und diese Weisheit in das Bewusstsein der Gruppe zu bringen.
Viele Studien aus der Hirnforschung zeigen, dass man immer nur einen kleinen Teil der
Gehirnkapazität benutzt. Die restliche Kapazität liegt im Unbewussten und wartet
darauf, erschlossen zu werden. Das gleiche gilt für Gruppen. Meistens ist nicht das
ganze Potential der Gruppe ausgeschöpft. Ein Teil liegt wartend im Unbewussten. Wenn
das Unbewusste und das Potential der Gruppe nicht erschlossen werden, wenn die
Meinung und Gesichtspunkte der Teammitglieder nicht gefragt sind und nicht gehört
werden, heißt es nicht, dass sie verschwinden. Sie existieren weiter und können
irgendwann heraufkommen oder explodieren, je nachdem, was passiert.

Journaling

Nehmen Sie sich Zeit um zu überlegen, was in Ihrem Leben bewusst und unbewusst ist.
Welche Tätigkeiten führen sie aufmerksam, im vollen Bewusstsein durch?
Was tun Sie aus Gewohnheit oder aufgrund Ihrer inneren Muster oder ihres Autopiloten?
Denken Sie an das letzte Meeting, an dem Sie teilgenommen haben. Was wurde klar
geäußert und was waren Themen, die Ihnen und anderen bekannt waren, aber
anderen aus der Gruppe nicht?
Nehmen Sie die Eisbergzeichnung und Schreiben Sie Sie an die passende Stelle,
oberhalb oder unterhalb der Wasserlinie. Nur die Themen, die der ganzen Gruppe
bewusst sind, gehören über die Wasserlinie.

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Wie Entscheidungsfindung das Bewusste und
Unbewusste von Gruppen beeinflusst

conscious

unconscious

wisdom /potential

In frühen westlichen Zivilisationen wurden Entscheidungen vom König/ Autokrat gefällt. Er


stieg auf sein weißes Pferd und trabte zu den Bauern um ihnen mitzuteilen, dass sie
Kartoffeln pflanzen müssen. Er fragte die Bauern nicht nach ihrer Meinung sondern zwang
ihnen die Entscheidung auf.

Heute gibt es immer noch einige „moderne“ Könige, z.B. CEOs, Abteilungsleiter oder im
Schulwesen die Schulbehörde, der Lehrer oder sogar die Eltern.

Wenn ein Autokrat eine Entscheidung für die Gruppe fällt, wird die Weisheit der Gruppe
nicht erschlossen. Es wird in der Tat nur die Intelligenz einer einzigen Person genutzt,
anstatt das ganze Potential, die Weisheit der Gruppe, zu nutzen. Die kollektive Weisheit
der anderen Mitglieder verschwindet nicht, sondern liegt ruhend im Unbewussten der
Gruppe.
Wenn der Autokrat die Gruppe um Zustimmung fragt, werden die meisten
wahrscheinlich zustimmend nicken. Nicht zu nicken konnte in der Vergangenheit dazu
führen, dass man geköpft wurde und in der heutigen Zeit könnte es karrieregefährdend
sein, oder vom Lehrer oder den Eltern als unakzeptabel angesehen werden. In dem
Moment aber, wenn der Autokrat oder König sich entfernt, kommen die wirklichen

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Meinungen und Gefühle an die Oberfläche. Früher klatschten die Menschen dann
womöglich am Feuer, heute meistens bei der Kaffeemaschine.
Diese Reaktionen sind nicht im Gruppenbewusstsein. Erinnern Sie sich: Bewusstsein einer
Gruppe entsteht, wenn alle anwesend sind. Da der König, oder heute der autokratische
Chef nicht eingeweiht ist, diese Kommentare nicht mithört, sind nicht alle anwesend.

Die wahren Gefühle sind oft eine Mischung aus negativen Emotionen wie Frustration,
Ablehnung, Verletzungen, Gefühle des Ausgeschlossen-seins, etc. Diese Gefühle lösen sich
nicht einfach auf, sie bleiben im Unbewussten, wachsen mit der Zeit immer mehr an und
manifestieren sich schließlich als Widerstands- oder gar Terroristen-Aktivitäten. Damit
meinen wir Aktivitäten, die den Status-quo sabotieren oder gegen die Entscheidung
gerichtet sind. Diese Aktionen sind zunächst verborgen, werden aber immer
offensichtlicher.

Journaling (Tagebucheintrag)
Erinnern Sie sich an das letzte Mal, als Sie mit einem Autokraten oder autokratischen
Entscheidungen zu tun hatten. Was fühlten Sie? Was war Ihre Reaktion?
Denken Sie an eine Situation in ihrer Arbeit oder eine Situation mit Freunden oder
Familie, als Sie sich autokratisch verhalten haben. Wie haben ihre Mitmenschen darauf
reagiert?

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Die Widerstands Linie

Dieses LDD Konzept hieß im ursprünglichen südafrikanischen Kontext der Anti-Apartheid-


Politik „Terrorist Line“. Das Wort wurde benutzt um deutlich zu machen, dass Terrorismus
nicht plötzlich entsteht, sondern sich daraus entwickelt, dass Menschen über einen
längeren Zeitraum hinweg immer wieder nicht gehört werden. Heute ist der Begriff
komplexer, da er Aspekte von Fundamentalismus und Unterdrückung in sich vereint. Heute
benutzen wir das Wort Widerstandslinie (Resistance Line).

Die Widerstandslinie ist ein Kontinuum von Aktionen, die im Verborgenen stattfinden, bis sie
im Offensichtlichen eskalieren. Es ist wichtig zu wissen, dass sie nicht unbedingt in der
angeführten Reihenfolge auftreten.

Die Widerstandslinie kann als diagnostisches Tool benutzt werden um herauszufinden, auf
welcher Stufe des Widerstandes sich eine Gruppe befindet. Auf der Widerstandslinie zu
sein, ist ein Indikator dafür, dass man mit der Mainstream Meinung nicht einverstanden ist,
aber nicht offen sagt, was gesagt werden müsste. Dies wird schließlich in den Konflikt
führen. Je länger Menschen auf der Widerstandslinie bleiben, desto größer ist die
Explosionsgefahr.

Im Folgenden werden Formen von Widerstandsverhalten auf den verschiedenen Stufen


der Linie beschrieben.

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Witze und sarkastische Witze
Wenn unser Team ein Spiel verliert, oder wir verlieren beim Kartenspielen, oder wir werden
bei einer Abstimmung überstimmt, kann unsere erste Reaktion sein, dass wir einen Witz
darüber machen. Dieser Witz wird sicherlich nicht als Bedrohung empfunden, sondern als
etwas Lustiges. Und selbstverständlich sind nicht alle Witze Ausdruck von Widerstand.
Manchmal ist ein Witz einfach ein Witz. Aber wenn er doch auf der Widerstandslinie ist, hat
er eine Ecke oder Kante und ist häufig eine Reaktion darauf, dass man sich kontrolliert,
fremdbestimmt oder verletzt fühlt. Wir möchten unsere Verletzung nicht offen aussprechen
und ein Witz ist oft eine leichte Art, dieses Gefühl auszudrücken. Manchmal sind wir uns
nicht einmal über diese Gefühle bewusst, und der Witz ist eine Art reflexartige Reaktion.

Wenn der Witz nicht gehört wird, oder die involvierte Person nicht reagiert, kann er bissiger
und sarkastischer werden. Dieses Stadium ist häufig durch kluges Geplänkel, Sparring und
Witz von Raconteurs gekennzeichnet. Das Geplänkel wird zu einer Möglichkeit, Gefühle
die ausgedrückt werden müssen, loszuwerden, ohne sie direkt anzusprechen, da dies
unbequem werden könnte. Ein anderes Beispiel dafür ist der Schüler in der letzten Bank,
der immerzu Witze macht und dadurch stört...

Ausreden

1. Beispiel: Nie pünktlich zu Meetings erscheinen


Georg kommt nie pünktlich zu Meetings. Beim ersten Mal entschuldigt er sich, es sei wegen
des schlimmen Verkehrs- eine sehr vernünftige Entschuldigung. Beim zweiten Mal erklärt er,
dass seine Frau krank sei und er sich um sie kümmern musste – auch eine verständliche
Erklärung. Beim dritten Mal, als er wieder zu spät kommt, erklärt er, er musste mit einem

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sehr wichtigen Kunden telefonieren und daher sei er verspätet. Wieder eine akzeptable
Entschuldigung.

Jede der Entschuldigungen hat wahrscheinlich einen Wahrheitsanteil. Sie mögen ernst
gemeint sein, aber wenn sich das Zuspätkommen immer wiederholt, und wir inzwischen
drei oder mehr Entschuldigungen gesammelt haben, wissen wir, es handelt sich eher um
Ausreden und etwas Relevanteres, das gehört werden will, liegt unter der Oberfläche.

Die Wiederholung von Ausreden oder Entschuldigungen deutet darauf hin, dass es
größere Probleme oder Themen gibt, die unter der Oberfläche liegen. Es könnte alles
Mögliche sein. Vielleicht fühlt sich Georg in den Meetings nicht wohl. Oder er fühlt sich
unberücksichtigt. Wir wissen es nicht und sollten keine Vermutungen anstellen. Aber wir
wissen mit Sicherheit, dass etwas tieferes, ungelöstes unter der Wasseroberfläche lauert.
Die einzige Methode es herauszufinden ist, danach zu fischen.

2. Beispiel: IT -Software:
Bei einem typischen Beispiel aus der Industrie geht es um eine internationale Firma, die
sich entschieden hat, eine neue Buchhaltungssoftware einzuführen. Die Entscheidung
wurde auf typisch autokratische Weise in der Führungsetage getroffen, nach dem Motto,
„wir entscheiden“. Die Mitarbeiter*innen wurden nicht in den Entscheidungsprozess
einbezogen. Die IT-Leute arbeiteten lange daran, das System zu installieren. Bald aber
bemerkten sie, dass die Mitarbeiter*innen die neue Software nicht benutzten. Als sie
gefragt wurden, antworteten sie, dass sie das neue System sehr schätzten, aber die
Benutzeroberflächen seien nicht effektiv (Ausrede 1). Die IT-Leute änderten die
Benutzeroberflächen, was natürlich neue Kosten für die Firma bedeutete.

Als sie einige Monate später zurückkamen, bemerkten sie, dass das neue System immer
noch nicht benutzt wurde. Diesmal erwiderten sie, dass die Benutzeroberflächen nun in
Ordnung seien, aber Jahresabschlüsse sollten zur Monatsmitte und nicht zum Monatsende
erstellt werden (Ausrede 2). Wieder programmierten die IT Spezialisten die Veränderungen,
um den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen entgegen zu kommen. Als sie nach einigen
Monaten wiederkamen, mussten sie abermals feststellen, dass das neue System immer
noch nicht in Betrieb genommen worden war.

Diesmal war die Ausrede (Nr. 3) genauso valide wie die beiden vorangegangen. Aber
spätestens jetzt war klar geworden, dass die Mitarbeiter*innen zwar vorgaben, das System
zu schätzen, aber ihr Commitment war gleich Null und sie hatten auch nicht versucht, die
Probleme selber zu lösen. All das deutete darauf hin, dass andere, emotionale Themen
unter der Wasserlinie gehört werden wollten. Diese Themen könnten alles Mögliche sein,
was nicht herauszufinden ist, es sei denn, man geht fischen und zieht sie aus dem Wasser.
Zunächst aber wissen wir, es sind ungelöste, emotionale Themen.

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3. Beispiel: Lehrer AIDS Klinik
AIDS ist ein großes Problem in Afrika. Eine Krankenschwester, die in Deep Democracy
ausgebildet war, beriet eine Gruppe Frauen über eine lebensrettende antiretrovirale
Medizin. Eine Frau vergaß routinemäßig ihre Medizin zu nehmen. Ihre erste Ausrede war,
dass sie es schlicht vergessen hatte (wir sind alle nur Menschen...). Die zweite Ausrede war,
dass sie das Medikament verloren hatte. Die dritte war, dass sie nicht genug Bus Geld
hatte, um das Medikament in der Apotheke abzuholen. Alle drei Entschuldigungen waren
plausibel. Die Krankenschwester merkte jedoch, dass es größere Themen unter der
Wasseroberfläche gab. Vielleicht hatten sie mit dem Gefühl der Entfremdung zu tun, oder
mit ihrer Angst vor dem Tod.

4. Beispiel: Diäten
Uns selbst gegenüber finden wir auch häufig Ausreden. Denken Sie zum Beispiel an gute
Vorsätze, beispielsweise eine Diät zu beginnen. Wir erzählen uns selbst, dass wir eine Diät
machen wollen und wir wollen auch tatsächlich abnehmen, aber wir haben immerfort
neue Ausreden. Dies deutet darauf hin, dass es, obwohl wir uns vorgenommen haben
abzunehmen, innere Widerstände gibt, die uns davon abhalten. Ein Teil von uns will nicht
wirklich eine Diät machen...

5. Beispiel: Schüler*innen und Ausreden


Schüler*innen haben auch oft allerlei Ausreden und Entschuldigungen parat. Ich habe
mein Buch zu Hause vergessen, ich konnte meine Hausaufgabe nicht machen, weil
meine Mutter krank war, wir waren nicht zuhause, darum konnte ich die Hausaufgaben
nicht machen, etc. Der/die Schüler*in hat Entschuldigungen und es mag sogar ein
Körnchen Wahrheit dabei sein. In Wahrheit aber ist der/die Schüler*in auf der
Widerstandslinie.
Wenn irgendein Verhalten sich mehr als 3 oder 4 mal wiederholt, kann man vermuten,
dass das nicht aus rationaler, logischer Einsicht kommt, sondern dass dem etwas
Irrationales, Emotionales zugrunde liegt. Wenn sich Entschuldigungen und Ausreden,
immer wiederholen, liegt wahrscheinlich etwas darunter, das angesprochen werden
müsste. Darum ist es sehr hilfreich, nach sich widerholenden Mustern Ausschau zu halten.

Journaling
Denken Sie an jemanden, der/die viele Entschuldigungen oder Ausreden gebracht hat.
Ist der/diejenige auf der Widerstandslinie?
Denken Sie an Situationen, wo Sie selbst Entschuldigungen/ Ausreden gebracht haben.
Waren Sie auf der Widerstandslinie?

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Klatsch/ Lästern/ Lobbying
Klatsch und Lästern ist die nächste Stufe auf der Widerstandslinie. Es wird normalerweise als
etwas Negatives angesehen, aber im Grunde ist es ein Teil unserer Natur zu klatschen und
zu lästern. Wir alle tun es, aber es eskaliert, wenn unsere Meinung nicht gehört wird, oder
wir keine Chance haben, diese kundzutun. Es gibt sogar hie und da die Ansicht, unsere
Sprache sei zum Klatschen und Tratschen erfunden worden. Ist es nicht so, dass wir ein
Ventil für unsere Emotionen brauchen? Und das geht doch am besten, bei einer Tasse
Kaffee unter Freunden. Am Arbeitsplatz hört man oft die echten, wahren und wichtigen
Meinungen und Geschichten der Mitarbeiter*innen bei der Kaffeemaschine!

Eine Ausweitung des Klatschens ist der Flurfunk, oder verschiedene Arten informeller
Kommunikation. Ihre Organisation ist in keinem guten Zustand, wenn der Flurfunk effektiver
ist, als die formalen Kommunikationswege.

Wenn einige Menschen andere vor wichtigen Meetings beeinflussen, spricht man von
„Lobbying“. Da nicht alle einbezogen sind, ist auch dies eine Stufe auf der
Widerstandslinie.

Communication Breakdown
Das nächste Stadium auf der Widerstandslinie ist der Zusammenbruch der Kommunikation.
Dies ist der Fall, wenn Mitarbeiter*innen, Abteilungen, Parteien oder Familien nicht mehr
miteinander sprechen.

Ein typisches Beispiel dafür ist, wenn Menschen direkte Gespräche vermeiden und sich
stattdessen nur noch per E-Mails oder SMS verständigen. Es gibt Studien die belegen, dass
man in Mails oder SMS leichter lügen kann, als in persönlichen Gesprächen oder
Telefonaten.

Ein anderes Beispiel ist, wenn die Chef*innen verschiedener Abteilungen nicht mehr
miteinander sprechen und nur noch ihre persönlichen Referent*innen oder
Stellvertreter*innen miteinander kommunizieren lassen. Deren Rolle wird dann sehr
mächtig und häufig nicht kongruent zu ihren eigentlichen Stellungen und
Verantwortlichkeiten.

Das gleiche passiert mit Kindern, deren Eltern nicht mehr miteinander sprechen. Die Kinder
werden als Botengänger*innen missbraucht. Dies funktioniert vor allem bei kleinen Kindern;
ältere lassen sich häufig nicht mehr dafür instrumentalisieren.

Hinweis:
Je weiter man sich auf der Widerstandslinie befindet, desto ineffektiver und nutzloser wird

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gearbeitet. Das kann man deutlich beobachten, wenn Klatsch und „Communication
Breakdown“ beginnen. Wir sind überraschend anpassungsfähig und können uns an solche
unangenehmen, unbequemen Zustände gewöhnen und erstaunlich lang damit leben,
manchmal über Monate oder sogar Jahre hinweg. In Familien, Clans oder Stämmen kann
sich die Fehde sogar über Generationen hinweg ziehen.

Obwohl konstruktive Arbeitsprozesse dadurch behindert werden, dauert solches Verhalten


in Betrieben oder Unternehmen an. Wieviel effektiver und profitabler könnten diese
Betriebe wohl sein, wenn die Widerstandslinie nicht aktiv wäre?

Go Slow & Unterbrechungen


Wenn die Kommunikation zusammengebrochen ist oder ineffektiv wird, kommt der
Widerstand an die Oberfläche. Da das Bedürfnis der Minderheit, gehört zu werden, größer
wird, fängt die Minderheit vielleicht an, den Mehrheitsprozess zu stören.

Man erlebt das am Arbeitsplatz, wenn Menschen widerspenstig und störend werden oder
aktiv Prozesse verzögern oder sabotieren können, was zu Produktionsengpässen führt.

Eine andere Form der Störung ist der Go Slow. Wir haben es wahrscheinlich alle schon
erlebt, wenn eine Mitarbeiter*in im Schneckentempo arbeitet. Das fehlende Tempo und
die vorsätzliche Unpünktlichkeit im Einhalten von Deadlines zeigt, dass die Person, obwohl
sie die Aufgabe ausführt, dies eigentlich nicht will, und die Langsamkeit ist ihre Art der
Störung. Schneckentempo spiegelt den Unwillen.

Wiederholtes „auf morgen verschieben“ ist ein weiteres Beispiel von Go-Slow.

Teenager-Eltern kennen die Situation, wenn sie ihr Kind gebeten haben, etwas zu tun, und
das Kind reagiert sehr langsam. Er oder sie tut es, aber das Tempo deutet klar darauf hin,
dass es sich auf der Widerstandslinie befindet.

Im Klassenzimmer kann man dieses Verhalten klar beobachten, wenn der freche Johnny
einfach nicht aufhört, die Klasse mit seinem Verhalten zu stören, oder wenn ein Schüler
vorgibt, eine Aufgabe zu erledigen, dies aber übertrieben langsam von statten geht.

Streik
Die Go-Slow Phase wird sich steigern und schließlich zum Streik führen. Jetzt sind wir klar im
offenen Widerstandsverhalten. In der Südafrikanischen Geschichte des Aufstiegs der
Gewerkschaften zeigt sich deutlich, wie effektiv Streik sein kann. Das Wunder der
friedlichen Transformation von der Apartheid zur Demokratie wurde zum Teil durch Streiks
erreicht. Es brach kein Bürgerkrieg aus, aber der friedliche Wandel wurde zum Teil durch

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das Blutvergießen und die Gewalt der Streiks hervorgerufen. Ein anderer Streik aus
Südafrika, war 2016 der Streik der Sicherheitskräfte. Sie verlangten höheren Lohn dafür,
dass sie ihr Leben aufs Spiel setzten.

Im Familienzusammenhang ist Teenager-Rebellion wahrscheinlich das deutlichste Beispiel


von Streik. Jugendliche lehnen Regeln ab, gehen wohin sie wollen, kommen zu spät
nachhause, machen was sie wollen, etc.

In Südafrika begann der Wandel mit Studierenden, die gegen die Bantu-Erziehung
rebellierten. Heute gibt es immer noch viel Störung wegen der Streiks. Lehrer*innen streiken
gegen die Schulbehörde, um Ihre Stimmen zu Gehör zu bringen. Schüler*innen streiken
auch und diese Streiks sind häufig auch gewalttätig.

Krieg und/oder Trennung


Wenn nach wie vor keine Reaktion auf das Streikverhalten erfolgt und die Stimme der
Minderheit immer noch nicht gehört wird, das Thema für sie jedoch ausreichend wichtig
ist, wird sie sich ganz aus dem Prozess zurückziehen oder in letzter Instanz in den Krieg
ziehen. Der "Krieg" kann eine offene Kriegsführung sein oder offener Terrorismus. Zu
diesem Zeitpunkt ist der Kontakt zwischen den Parteien abgebrochen.

Meistens führt das zur Trennung, denn es gibt keinen Weg zurück. Unternehmen lösen
sich auf. Ehen werden geschieden.

Journaling
Denken Sie an eine Situation, als Sie auf der Widerstandslinie waren. Wie verhielten Sie
sich? Auf welcher Stufe der Widerstanslinie waren Sie? Wie viele Stadien erkennen Sie
bis zur Etappe auf der Sie sich gerade befinden?
ODER
Denken Sie an eine Situation, wo Sie sich in den letzten Wochen auf der
Widerstandslinie befunden haben. Was ist die Wirkung Ihres Verhaltens? Auf welche
Antwort hoffen Sie? Auf welcher Etappe der Widerstandslinie sind Sie und wie sind Sie
dorthin gekommen? Was haben Sie davor versucht?

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DIE GRENZEN DER MEHRHEITSDEMOKRATIE

In der Mehrheitsdemokratie haben wir alle das Recht abzustimmen, zu wählen.

Aus der Sicht von Lewis Deep Democracy wird die Meinung der Mehrheit nach der
Abstimmung die „bewusste“ Meinung. Meistens wird sodann erwartet, dass die Minderheit
mit der Mehrheit mitgeht. Die Meinung der Minderheit liegt daher im Unbewussten.

Mehrheitsdemokratie ist auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber weniger


demokratischen Formen der politischen Entscheidungsfindung. Zumindest können die
Menschen ihre Meinung frei äußern. Der Mythos der Mehrheitsdemokratie besagt jedoch,
dass diejenigen, die die Abstimmung verlieren, sich dann der Mehrheitsentscheidung
anschließen. Dies muss jedoch nicht unbedingt der Fall sein. In Wirklichkeit werden
Menschen, die sich leidenschaftlich für etwas interessieren und die Abstimmung verlieren,
zu Widerständlern, die unter Umständen die Spannung zu einer Eskalation führen können.

Die Mehrheitsdemokratie ist wohl der am weitesten entwickelte Stil der politischen

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Entscheidungsfindung, führt jedoch immer noch zur Widerstandslinie. Sie wird in allen
Gruppen auftauchen, wenn sie nicht sowieso schon wirksam ist. Es ist nur eine Frage der
Zeit, bis sie ins Offene tritt.

Deep Democracy
Lewis Deep Democracy kann das Fortschreiten auf der Widerstandslinie begrenzen und,
wenn sie zu Beginn einer Gruppenbildung eingesetzt wird, sogar ganz verhindern. So kann
Deep Democracy als ein weiterer Schritt im evolutionären Prozess des
Entscheidungsfällens gesehen werden.

In Deep Democracy möchten wir sicherstellen, dass alle mit der Mehrheit mitkommen und
dass jeder im Boot bleibt. Wenn wir das schaffen, wird die Widerstandsaktivität in Schach
gehalten und die Weisheit der Gruppe wird erschlossen.

Die Weisheit der Gruppe liegt im Unbewussten. Die Minderheit wird Teil des Unbewussten,
daher können die Gesichtspunkte der Minderheit als eine Tür zum Unbewussten dienen.
Einfacher gesagt, alle Ideen sind relevant und die Minderheit hat Wissen oder Weisheit, die
die Mehrheitsmeinung bereichern.

Das Problem ist, dass die Weisheit der Minderheit oft im Kriegslärm verloren geht und von
der Mehrheit nicht gehört werden kann, da diese meistens taub für die
Minderheitsmeinung ist.

Lewis Deep Democracy ist ein sehr kraftvoller Prozess für alle, aber besonders für
Menschen, die Schwierigkeiten haben, gehört zu werden. Vielleicht aufgrund von
Hierarchien, oder weil sie einer Minderheitengruppe angehören oder weil sie von Natur
aus ruhig und zurückhaltend sind oder weil sie, wie in Südafrika, aufgrund politischer
Unterdrückung gezwungen wurden zu schweigen.

Journaling
Achten Sie auf die Widerstandslinie, die sowohl im Arbeitsleben als auch im Privatleben
zum Tragen kommt.
Schreiben Sie jeweils ein Beispiel.
Als Lehrer*in achten Sie auf die Widerstandslinie, wie sie in den folgenden Bereichen
zum Einsatz kommt:
• Klassenzimmer
• Lehrerzimmer
•Zuhause.

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Schreiben Sie für jeden Bereich ein Beispiel

Weitere Informationen, Artikel und Einblicke in Deep Democracy finden Sie auf unserer
Website:

www.lewismethod.com

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