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ZEIT online 12.2.

2006

Ich tanze auch Tango

Während beim Discofox erst nach drei Gläschen der rechte Schwung aufkommt, kann ich Tango nur nüchtern
tanzen. Gastwirte mögen das nicht. – Erfahrungsberichte aus dem tönenden Alltag (5)

Von Hendrik Brunckhorst

Eigentlich wollten wir Salsa lernen. Das klingt verheißungsvoll, man spürt das Leben, lacht, schwitzt, tanzt mit
heißblütigen Frauen (oder Männern). Was für ein Kontrapunkt zum Alltag in Nordfriesland. Salsa wird in
Husum aber nicht gelehrt. Dafür bietet die Volkshochschule Orientalischen Tanz, Stufe II. Und es gibt einen
Tangomessias, der dienstäglich mit Schuhtäschchen und iPod anreist, um Tango in Wort und Schritt zu
verkünden. Mit gedämpfter Begeisterung begannen wir auf den Dielen des ehemaligen Hafenspeichers –
Nordfrieslands kulturelles Zentrum - Tango zu tanzen.

Erste Überraschung: Tango ist nicht Tango. Wir kannten nur Tanzschultango. Da geht’s zackig Wipp-Wapp-
Wupp. Man wirft den Kopf hin und her, als würde ein unsichtbarer Chiropraktiker dran reißen. Dazu besingt
Rudi Schuricke die Caprifischer. Verständlich, dass nur wenige Menschen daran Freude haben. Der wahre
Tango ist Tango Argentino. Da gibt es auch neben Astor Piazzolla viele Klassiker und zunehmend Modernes. Im
Radio wird dieser Elektrotango allenfalls im Deutschlandfunk gespielt, nachts um halb drei.

Tango ist Gehen, betet unser Messias. Stimmt. Anders als bei Standardtänzen ist die Bewegung kaum gekünstelt.
Den Schritten liegt eine zwingende Logik inne, aber das beginne ich – vier Jahre nach meiner ersten
Tangostunde – erst allmählich zu verstehen. Im Gegensatz zu anderen Tänzen scheint mir ein vermeintlich
angeborenes tänzerisches Talent beim Tango kaum bedeutsam. Tango hätte deshalb das Zeug, ein Volkstanz zu
werden, der er allerdings selbst in Argentinien nicht ist.

Es gibt einen guten Grund, warum nur wenige Tango tanzen: Tango ist schwer. Er setzt sich nicht aus längeren
Schrittfolgen zusammen wie die Standardtänze oder der Salsa, sondern aus kleinsten Schrittkombinationen.
Diese Variantenfülle hält den immerfort führenden Mann auf Trab. Unablässig überlegt er, welche Schritte
angesichts einer sich öffnenden Lücke zwischen anderen Paaren, des noch unbekannten tänzerischen Könnens
seiner Partnerin oder einer näherkommenden Wand möglich, sinnvoll oder gar elegant sind. Er kalkuliert, welche
Konsequenzen dies für die folgenden Schritte von ihm und ihr hat und wie er seine Absichten durch eine kurze
Gewichtsverlagerung oder sanften Druck auf ihre Schulter vermitteln wird. Sich ansehen ist nicht: die Körper
sprechen miteinander.

Diese ständige Konzentration (Er: Was tanz' ich jetzt? Sie: Was will er jetzt?) hat Folgen. Tangotänzer sind mit
einem Ernst bei der Sache, der Nichttänzer abschreckt. Während beim Discofox erst nach drei Gläschen der
rechte Schwung aufkommt, kann ich Tango nur nüchtern tanzen. Tangotänzer sind daher bei Gastwirten wenig
beliebt. Mit 1,5 Litern Apfelschorle haben sie einen ganzen Abend lang prima Stimmung.

Bei der Milonga, so heißen die Tango-Tanzveranstaltungen, halten sich die Tänzer an ungeschriebene Regeln,
die man bei der akademisch-selbstbewussten Klientel nicht vermuten würde: Der Mann fordert die Dame auf.
Nach drei Tänzen führt er sie zum Platz zurück. Klingt schlimmer als Tanzschule, hat aber Vorteile, weil sich
immer alle richtig verhalten können – aber nicht müssen. Erstaunlicherweise folgen viele Frauen dieser
Übereinkunft, obwohl sie bei nahezu jeder Milonga deutlich in der Überzahl sind. (Auf Männer! Tanzt Tango!).

Der Tanz selbst ist idealerweise eine Art Zwiegespräch. Man geht aufeinander ein, kommt einander sehr nah,
zögert und wendet sich im nächsten Augenblick ab. Man tauscht tiefe Blicke und vielleicht Gedanken.

Wundervoll-überraschend ist es, mit einer Fremden zu tanzen. So verschieden die Menschen aussehen, so
unterschiedlich fühlen sie sich an. Obwohl ich nur eine Hand, ein wenig Rücken und vielleicht Brust und Gesicht
berühre, ist man einem fremden Menschen plötzlich unglaublich nah. Wie sich ihre Haut und der nahe Körper
anfühlen, ist zuvor immer unvorstellbar. Die Eindrücke liegen zwischen Marmorstatue und Riesenpudding. Drei
Minuten später fühle ich mich einem fremden Menschen mitunter erstaunlich vertraut.

Der gemeinsame Tanz muss übrigens nicht zwangsläufig ernst sein. Der Argentinische Tango besteht nämlich
aus drei Tänzen, die bei den Milongas gespielt werden: Tango, Tangowalzer und Milonga. Tangowalzer ist ein
munterer Tango im Dreivierteltakt. Bei Milonga (die Namensgleichheit mit der Veranstaltung ist zunächst
irreführend) darf dann sogar gelacht werden, und man kommt in Schwitzen.
Herrlich ist der sommerliche Freilufttango an exklusiven Orten. Eine Milonga in Venedig ist schnell gegoogelt.
Warum im Urlaub nicht mal auf dem Markusplatz ein Tänzchen wagen? Oder zur coolen Jazzband auf der
Norwegenfähre? Tango und Milonga zu artfremder Musik zu tanzen - das ist das Beste!

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