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Zweites Kapitel - Hörkontrolle

Wilhelm Busch

Die bisherigen Beispiele enthielten Aufforderungen, bestimmte Aktionen mit den


Füßen oder Händen auszuführen oder zu unterlassen ("Tasten festhalten bis ...!",
"Pedal erst treten nach ...!"). Damit ist, gewissermaßen, nur die gymnastische Seite
richtigen Pedalisierens angesprochen, und damit ist es natürlich nicht getan.

Auch in diesem Kapitel bekommen Sie, Beispiel für Beispiel, genau erklärt, was
Hände und Füße im Dienste eines guten Pedalspiels tun sollten. Jedoch kommen zwei
wichtige Punkte hinzu:
Ein Punkt soll unter der Teilüberschrift "Der Konflikt zwischen Fingerlegato und
Pedalbindung" etwas ins Bewusstsein rücken, was vielen nicht bekannt ist, nämlich
dass ein intensives Fingerlegato, unser bedeutsamstes Ausdrucksmittel, und Pedal-
sauberkeit sich oft gegenseitig geradezu behindern.
Der zweite Punkt hat mehr Gewicht, weil er alle Pedalfragen in sich einschließt:
Unter der Teilüberschrift "Den Klang anhalten ..." möchte ich mit Ihnen an Stellen
aus der Literatur gutes Pedalspiel über die Gehörkontrolle üben; denn auf dem Weg
zu einem künstlerischen Pedalspiel ist die richtige Abfolge von Ursache und Wirkung
zu verinnerlichen. Gutes Pedalspiel resultiert nicht daraus, dass ich etwa oft geübt
hätte, einen Basston hinreichend lange festzuhalten, statt ihn zu früh loszulassen, oder
weil ich geübt hätte, mit dem Fuß statt eines hastig schnappenden einen ruhigen
Pedalwechsel zu vollführen; vielmehr bilden sich die richtigen Bewegungen der
Hände und Füße, nach und nach, heraus als Folge unseres Willens, einen Klang in
einer gewünschten Weise, und nicht anders, zu hören. Ein gutes Pedalspiel ist also
nicht das Ergebnis bestimmter Übungen mit Fingern und Füßen, sondern umgekehrt:
Die richtigen Bewegungen stellen sich als Folge unseres Hörwillens ein.

Der Gedanke, Technik entstehe aus der Musik und nicht die Musik aus der Technik
- Hauptsache die Finger laufen, die Musik kommt dann schon! -, ist freilich nicht neu.
Dass allein die Hörvorstellung den Körper dazu erzieht, Hände und Füße als vom Ohr
gesteuerte Reflexe in der richtigen Art und Weise zu bewegen und zu koordinieren,
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ist 1930 in einem guten Buch dargestellt worden: „Die individuelle Klaviertechnik
auf der Grundlage des schöpferischen Klangwillens“ von Carl Adolf Martienssen.
Der hochgestimmte Tonfall wird im Verlauf der Lektüre etwas anstrengend, auch
verschont uns der Autor nicht mit einigen sprachlichen Scheußlichkeiten („Versuche
an geeignetem Schülermaterial haben ergeben…“). Diese Einwände aber tun dem
Inhalt keinen Abbruch.
So zeigt Martienssen die Unmöglichkeit auf, einen erwünschten Klang durch Befehle
des Verstandes an den „Spielapparat“ hervorzubringen. Ausführlich und minutiös
verbreitet er sich über die unzähligen feinen Schattierungen des Anschlags, die für
einen erwünschten Klang nötig sind, um schließlich zu der Konklusion zu gelangen:
"Ist es nun wirklich möglich, dass alle diese ungemein differenzierten Relativitäten
der Farbabstimmung der physische Spielapparat durch Direktiven des Verstandes
aus sich heraus finden könnte? Ist es auch nur denkbar, daß er, wenn er sie einmal
fand, sie motorisch-gedächtnismäßig behalten könnte?"
Anmerkung: Das gestaltende Ohr, wenigstens partiell, auszublenden und die Ausbildung in einen
gleichsam gymnastischen und einen musikalischen Teil zu gliedern, hat eine lange Geschichte, war
lange in Deutschland üblich und ist heute noch verbreitet, vor allem in asiatischen Ländern.
Schlüsselfiguren dieser Haltung waren in Deutschland Friedrich Kalkbrenner und Clara Schumann
mit ihrem Vater Friedrich Wieck, einem Autodidakten, der alles Große und Geniale hasste. Wieck
hat davor gewarnt, die Schüler dadurch „zu verderben“, dass man sie „die sogenannten großen
Meister“, Mozart und Beethoven, spielen lasse: Das akkurate Arbeiten der Finger, so Wiecks
Besorgnis, würde durch die Leidenschaft Beethovenscher Musik beeinträchtigt.
Das 13. Kapitel dieses Buches wird einen kurzen zeitgeschichtlichen Abriss enthalten über die
Methode eines von der Musik abgekoppelten Fingertrainings, das noch weit in das 20. Jahrhundert
hinein wirksam war und bei vielen die Illusion genährt hat, die natürliche Ungleichheit der Finger
ließe sich durch technische Übungen überwinden.

DEN KLANG ANHALTEN - DIE HÖRKONTROLL-FERMATE

Der Anspruch, das Ohr habe die Bewegungen der Hände und Füße zu leiten, setzt
voraus, dass wir hören, was wir spielen. Das ist keineswegs so selbstverständlich, wie
man glauben möchte. Wie jemand, ganz in seinem Spiel aufgehend, selbst seine
Klänge wahrnimmt, hat oft nicht viel mit dem zu tun, was als Höreindruck beim
Publikum ankommt. Die Selbsttäuschung beruht auf der Eigenheit unseres Gehirns,
Sinneseindrücke zu interpretieren, zu ergänzen oder in einem von uns erwünschten
Sinne umzudeuten. Deshalb hören wir z. B. hohe Klaviertöne innerlich weiter, auch
wenn sie akustisch schon verklungen sind. Der Ton ist in Vorstellung und Erinnerung
verankert, das Gehirn fügt ihn hinzu. Damit ist der Unterschied zwischen Perzeption
und Apperzeption angesprochen, von dem gegen Ende des Buches, im 12. Kapitel,
die Rede sein wird. Perzeption ist, was von außen an unsere Sinne gelangt, Apperzep-
tion ist die Interpretation der Sinneseindrücke durch unser Gehirn.

Der wichtigste Grund, warum wir uns beim Spielen nicht richtig zuhören, ist schon
im Vorwort genannt, wegen seiner essenziellen Bedeutung nenne ich ihn noch
einmal: Der Klavierton ist nach dem Anschlag nicht mehr beeinflussbar, deshalb
interessieren sich viele Pianisten nur für den Moment des Anschlags, nicht für den
sich danach ausbreitenden Klang, betrachten mit der Aktion des Anschlags ihre
Aufgabe als erledigt. Mit dem Anschlag jedoch beginnt erst das Leben des Tones.
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Die Selbsttäuschung, der man beim Klang erliegt, ist vielen kaum bewusst. Auf
einem anderen Gebiet, dem Rhythmus, ist die Täuschung allgemein bekannt. Beim
Abhören eigener Aufnahmen fallen uns rhythmische Fehler, die wir in der Aktion des
Spielens nicht bemerkt hatten, sofort auf: ungewollte Temposchwankungen, zu kurz
gehaltene Pausen, überhetztes Tempo. Dabei macht man auch eine andere Erfahrung:
Hörer empfinden das Spieltempo beinahe immer schneller als der Spieler.

Rhythmus hat mit Körperlichkeit und Bewegung zu tun, deshalb sind rhythmische
Fehler gewissermaßen handfester, teilen sich beim Hören leichter mit. Klangliche
Störungen sind schwerer zu fassen, denn der Klang ist flüchtig, zieht meist rasch
vorüber, noch bevor das Ohr mit seinen Zweifeln reagieren kann. Deshalb muss man
den Klang dort, wo seine Güte geprüft werden soll, anhalten und wie unter einem
Vergrößerungsglas „betrachten“. Ich habe mir dafür den etwas sperrigen Ausdruck
"Hörkontroll-Fermate" einfallen lassen.

Auf den folgenden Seiten erläutere ich das Üben mit der Hörkontroll-Fermate.

Noch relativ gut gelingt die Hörkontrolle dort, wo der Klang stehen bleibt: bei
Schlussakkorden, langen Pausen, Fermaten. Störungen ergeben sich hauptsächlich im
Spielverlauf, wenn wechselnde Harmonien aufeinander folgen. Vorhalte am Ende
eines Abschnittes werden sauber aufgelöst, folgen sie inmitten des Stücks rasch
aufeinander, werden sie „weggeworfen", die Auflösungen ziehen ungehört vorüber.

Eine Stelle aus dem ersten Satz der Sonate Es-Dur, Hob. XVI: 49 von Joseph Haydn
ist sehr typisch für solche Vorhaltsauflösungen, die nur im Vorbeigehen passiv und
ungehört mitgenommen werden (Beispiel 36).

Erst die saubere und Sauberes und voll-


vollständige Auflösung ständiges b-moll
nach Es-Dur aushorchen, hören, dann erst Erst c-moll aushorchen, dann weiter!
dann weiterspielen! weiterspielen!
G-Dur aushorchen,
Erst f-moll aushorchen, dann die f-Akkorde!
dann weiterspielen!

Beispiel 36

Takt 117

Mit den f - Schlägen „spät“ kommen! Oft fallen sie der Vorhaltauflösung G-Dur ins
Wort. Denken Sie an das Trägheitsmoment eines Orchester-Tutti-Einsatzes!
Nur Pianisten neigen dazu, zu früh einzusetzen.

Auch die Vorhaltsauflösung nach c-moll zu Beginn des Adagios aus Beethovens
Sonate op. 31, Nr. 2 bleibt oft unausgehorcht und nur passiv angehängt (Beispiel 37).
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Erst bewusst auf der zweiten Zählzeit den c-moll-Sextakkord Es - C - G - Es hören;


die Musik macht an dieser Stelle einen bedeutsamen Atemzug.
Bsp. 37

Einer der häufigsten Fehler beim Musizieren ist, leichten Taktzeiten und Vorhalts-
auflösungen zu wenig Aufmerksamkeit zu schenken: Die musikalische Spannung
erstreckt sich bis zum Vorhalt, bezieht dessen Auflösung aber nicht mehr ein, die
Auflösung überspringend denkt der Spieler zu schnell voraus. Es ist, als würde ein
Gedanke nicht zu Ende gesprochen. Dem Fehler, Vorhaltsauflösungen nur passiv
anzuhängen, begegnet man auch bei anderen Instrumentalisten, sehr oft auch bei
Orchestern bzw. deren Dirigenten. Am Klavier ist diese Gefahr besonders groß dann,
wenn auf die Vorhaltauflösung eine rasche Positionsverlagerung der Hände folgt.

Mozarts ironische "Marcia funebre del Signor Maestro Contrapunto", KV 453a


(Beispiel 38) ist eine (auch für Klavieramateure) sehr günstige Übung für Hör-
kontrollen nach Positionswechseln. Wichtig: Die von den Tasten gehobenen Hände
sollen während der Kontroll-Fermaten vorbereitend über dem nächsten Griff liegen.

Beispiel 38

Takt 2 Takt 3

Hinweis: Für Klavieramateure ist allerdings die Ausführung der Takte 7 und 8 nicht eben leicht; denn rechts
sollen die Melodie-Repetitionen (F - F und D - D) und der Sopran-Tonschritt D - Es in Takt 8 gebunden
klingen, während links die Viertel der Kontrabass-Schritte jeweils voneinander abgesetzt erklingen müssen.

Takt 7 Takt 8

Beispiel 38, Ausführung der Gehörtests: Während z. B. die Hände


vorbereitend auf dem G-Dur-Akkord von Takt 3 ruhen, prüft das Ohr, ob
die vorausgehende Sexte Es - C sauber (also ohne die Sexte davor) im
Pedal klingt. Bei den anderen Fermaten entsprechend verfahren.

Hörkontrollfermaten sind ein wirksames Mittel gegen die verbreitete Schwäche,


Auflösungen und leichte Taktzeiten innerlich fallen zu lassen.
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Ein in dieser Hinsicht sehr lehrreiches Studienobjekt ist Brahms' Intermezzo
op. 117, Nr. 2 (Beispiel 39). In den Takten 27 - 29 wird das Pedal meistens auf den
schweren Taktzeiten gewechselt. Diese aber sind Vorhalte, hörbar werden müssen die
aparten Klänge und Auflösungen dazwischen, die Klänge, die sich auf den
„und-Zeiten“ ergeben. Die Pedalisierung wie unter a) angegeben, ist unter der
geringschätzigen Bezeichnung "Korrepetitoren-Pedal“ bekannt.

Übung mit der Hör-Kontroll-Fermate: Bei den Fermaten innehalten und lange
den Klängen zuhören, die sich zwischen den vollen Taktzeiten ergeben.

Beispiel 39a

Takt 28

? a)
b)
b) zeigt die künstlerisch angemessene Pedalisierung: Auflösung nach F-Dur
Der Fuß senkt sich jeweils kurz nach den "und-Zeiten" gut aushorchen, sie wird
und hebt sich mit dem Anschlag der Vorhalt-Akkorde. oft „weggeworfen“.

In Takt 23 desselben Werks (Beispiel 39b) sehen Sie eine Schreibweise, die nur bei
Brahms sehr oft anzutreffen ist (siehe auch Beispiel 174, Intermezzo op. 119, Nr. 1,
Kapitel 7): Eine partielle Resultatschrift verwendend, schreibt er Notenwerte in ihrer
tatsächlichen Klingdauer aus. In Takt 23 versieht er das tiefe Des mit einem zusätzli-
chen Achtel-Noten-Hals und einem den Ton verlängernden Punkt. Die Schreibweise
zeigt, dass Brahms polyphon denkt, sie ist darüber hinaus ein explizit pianistischer
Fingerzeig, das Des nicht zu früh loszulassen. Brahms' fürsorgliche Notation wird
ihm wenig gelohnt, denn der 5. Finger verlässt die Taste durchwegs zu früh, das Des
bricht ab und auf der zweiten Zählzeit ist nur ein Quart-Sext-Akkord zu hören.

Bei der Fermate innehalten und hören, ob Erst es-moll hören,


der Des-Dur-Dreiklang vollständig klingt, dann weiterspielen.
also mit Grundton Des (und nicht etwa nur Erst den Quint-Sext-Akkord hören,
als Quart-Sext-Akkord). dann weiterspielen.
Beispiel 39b

Takt 23

Das Des wird grundsätzlich zu früh losgelassen. Das Bass-Es muss beim Pedalwechsel
Ursache ist eine verfrühte Streckbewegung der noch klingen, deshalb das B rechts
linken Hand hinauf zum höher gelegenen As. übernehmen.
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Nicht nur Vorhaltsauflösungen werden oft passiv, ungehört und nur im Vorbeigehen
mitgenommen, auch Bässe, ja gerade Bässe leiden darunter. Eher non forte als forte
gespielte Bässe werden nur angetippt, nicht bewusst angefasst, gefühlt, gehört.

Machen Sie es sich - siehe erstes Kapitel - stets zur Aufgabe, Bässe breit zu nehmen.
Damit haben Sie fast schon gewonnen; denn der Vorsatz, einen Bass breiter zu
greifen, impliziert die bewusste Hinwendung zu ihm. Damit ist gewährleistet, dass
der Bass nicht im Flug "nur so nebenbei" angetippt wird. Hilfreich sein kann auch die
Vorstellung, ein Dirigent suchte den Blickkontakt mit den tiefen Instrumenten des
Orchesters und gäbe ihnen ein eigenes, dezidiertes Zeichen.
Aber nicht nur Vorhaltsauflösungen und Bässe bleiben ungehört. Die Verbindung
zwischen Bläser und seinem Instrument ist eng, körperlich, unmittelbar, die Geige
scheint mit ihrem Spieler verschmolzen, die Maschine Klavier hingegen hat zwischen
Pianist und Ton eine komplizierte Übertragungsmechanik gesetzt. Und dennoch -
über die Maßen erstaunlich - teilt sich dem Ohr, auch auf Tonträgern, untrüglich mit,
ob Begleitakkorde unter Strom stehen, prononciert gespielt sind oder nur "hinge-
patscht", ob ein Akzent musikalisch gewollt ist oder nur unterläuft, ob der Pianist
eine Pause als Spannungsbrücke erlebt oder ob sie ihm nur Zählzeit zum "Nachladen"
ist, ob er eine Stimme, die er spielt, wirklich hört oder, beansprucht von Aufgaben an
anderer Stelle der Klaviatur, nur die entsprechenden Tasten drückt.

Bässe bewusst anzufassen und wahrzunehmen, erlernt man am besten bei solchen
Bässen, die als bedeutend anzusehen sind. Das sind z. B. stets die, die unter einer
tragenden Melodiestimme einen Harmoniewechsel initiieren, so wie an dieser Stelle
aus dem ersten Satz von Schuberts Wanderer-Fantasie (Beispiel 40). Die Dosierung
dieser Bässe ist heikel: Sie wollen bewusst angefasst sein, sollen bedeutend klingen,
dürfen aber nicht so laut geraten, dass die darüber liegende Melodiestimme zerschnit-
ten würde. Ob Bässe als klar und plastisch gehört werden, hängt nur wenig von ihrer
Lautstärke ab, viel mehr davon, ob sie sauber sind.
Kommentar zu Beispiel 40: Bei den Fermaten anhalten und den Zusammenklang der
Bässe mit der Melodie-Oktave prüfen: Bei der ersten Fermate dürfen nur die drei Es
(und sonst nichts) zu hören sein, auf der zweiten Fermate nur die sanfte Septimen-
Reibung Des mit der C-Oktave, auf der dritten Fermate nur die weite Quarte Es - As.
Beispiel 40

UNTERSCHIEDLICHE KLANGLICHE AUFGABEN IN EINER HAND

Künstlerisch und spieltechnisch besonders anspruchsvoll ist eine andere Passage aus
der Wanderer-Fantasie, die vierte Variation aus dem zweiten Satz (Beispiel 41).
Dass die linke Hand an dieser Stelle oft nicht mitgestaltet, sondern nur mitläuft, liegt
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hauptsächlich an dem schwierigen Part der rechten Hand, der die Aufmerksamkeit
des Spielers an sich zieht. Aber allein der Part der linken Hand ist schon eine nicht
geringe Herausforderung. Drei Aufgaben gilt es zu meistern:
- Die Bass-Linie ab Takt 228, Cis-A-Gis-Gis-Cis …, muss, im Gegensatz zur
Aufgeregtheit der rechten Hand, ruhig pulsierend Ruhe spenden.
- In die darüber liegende, sehr leise zu spielende Schüttelbewegung der Begleitung
ist das Wanderer-Thema verwoben, das einer deutlichen, nicht aber plakativen
Hervorhebung der jeweils ersten der dreimal repetierten Melodienoten bedarf.
- Weiterhin sind vor jedem neuen Basston musikalisch unerwünschte Absprung-
akzente auf dem letzten Ton der Zweiunddreißigstelgruppe zu vermeiden.

Es zeigt sich hier erneut die Beziehung zwischen Pedal und Fingersatz. Ich erinnere
an die Empfehlung aus dem ersten Kapitel: Wähle möglichst einen Fingersatz, der ein
langes Festhalten der Bässe erlaubt. Viele springen ab Takt 228 mit dem 5. Finger
von den Bass-Tönen A und Gis hinauf zu dem um eine Oktave höheren Ton; viel
günstiger ist, diesen ersten Ton der 32stel-Bewegung mit dem Daumen zu nehmen.
Dadurch kann der 5. Finger unten ruhiger und länger in der Taste verweilen, störende
Absprungakzente werden vermieden, und vom Daumen aus wird, akzentfrei, der
folgende 32stel-Griff durch ein gleitendes, seitliches Versetzen der Hand leicht
erreicht.
Beispiel 41

Takt 228

Bass-A breit greifen, also oberes A nicht mit dem 5. Finger nehmen!

Die Bässe breit greifen, also die oberen Gis nicht mit dem 5. Finger nehmen!

ausspielen!

Die Sexte A – Fis vor dem ruhigen Pedalwechsel auf dem C überhalten, damit sie nach dem
Pedalwechsel noch mitklingt. Auf dem Pedalwechsel selbst hörend verweilen und rechts die
letzten Vierundsechzigstel, Eis – Gis – Fis, espressiv melodiös ausspielen.
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Dieser anspruchsvolle Part der linken Hand muss so ruhig und überlegen klingen, als
würde er von zwei Händen gespielt. Genau das, den Part einer Hand auf zwei Hände
zu verteilen, habe ich in meinem Unterricht sehr oft üben lassen. Es bringt großen
Nutzen, eine anspruchsvolle, mehrstimmige Aufgabe einer Hand auch mit beiden
Händen zu üben. Damit fallen technische Schwierigkeiten weg und es lässt sich leicht
ein klangliches Ideal herstellen, das dann als Hörvorlage dafür dient, wie die Stelle
klingen soll, wenn sie, wie notiert, mit einer Hand gespielt wird.

Der F-Dur-Teil in Mozarts Rondo a-moll, KV 511 (Beispiel 42) ist eine der seltenen
Stellen, an denen Mozart einer Hand zwei Stimmen anvertraut. Takt 32 klingt fast
immer unbefriedigend, weil die Sechzehntel der Altstimme mit dem Hinzutreten der
Sopranstimme B – A – G aus ihrer ruhigen Gleichmäßigkeit geraten und der Alt
anfängt, mit den Achteln des Soprans in einer Zweierbetonung zu skandieren. Oft
erhält in Takt 32 schon das E der Altstimme, das dem B des Soprans unmittelbar
vorausgeht, einen ungewollten Akzent, weil sich der Spieler von ihm zum B hin
abstützt. Das Ohr kann so das B nicht mehr als Fortsetzung des langen, durch die
ornamentale Umspielung hervorgehobenen Sopran-C wahrnehmen, sondern wird,
wegen des Akzents auf dem E, gleichsam auf einen Zick-Zack-Kurs gezwungen: vom
C des Soprans hinunter zum E des Alts, und von diesem wieder hinauf zur eigentli-
chen Melodiefortsetzung B. Wird, als Übung, die Sopranstimme mit der rechten, die
Altstimme mit der linken Hand gespielt, ist die ruhige Gleichmäßigkeit gewahrt, die
dann als Hörvorlage für die Ausführung mit der rechten Hand allein dient.
Beispiel 42

Takt 31

kein Stütz-Akzent!
den Doppelschlag hier vor der Zeit spielen!

Zu Beispiel 42: Das obere System der Takte 31 und 32 abwechselnd mit beiden Händen und
rechts allein spielen, so lange, bis kein Qualitätsunterschied mehr erkennbar ist, bis auch ein
der Tastatur abgewandter Hörer nicht mehr feststellen kann, ob die Passage des oberen
Systems mit beiden Händen oder, wie notiert, nur mit der rechten Hand gespielt wird.

Übungen wie die eben beschriebene darf man Studenten nicht nur zum häuslichen
Studium mitgeben, geübt werden muss auch im Unterricht selbst. Viele Lehrer
unterrichten nur in Worten, aber Unterricht muss auch auf der Tastatur stattfinden.
Der künstlerische Erfolg hängt, fast mehr noch als von der Unterweisung, davon ab,
mit welcher Beharrlichkeit ein Lehrer nicht nachgibt, bis eine Stelle so klingt, wie sie
künstlerisch klingen muss.
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DER KONFLIKT ZWISCHEN FINGER-LEGATO UND PEDALBINDUNG

Die bisherigen Beispiele haben gezeigt, dass bei Pedalfehlern fast immer mehrere
Ursachen zusammenwirken: eine zu schnelle Wechselbewegung des Fußes, ein zu
frühes Loslassen der Taste, ein zu früher Pedaltritt, keine Lücke vor dem Pedal-
wechsel. Was allerdings vielen unbekannt ist: In die Reihe der Mitverursacher von
unsauberen Klängen gehört auch das Fingerlegato, das heißt: Pedalbindung und
Fingerlegato können sich bisweilen gegenseitig geradezu behindern.

Spielen Sie, am besten im Bass, weil dort Verschmierungen deutlicher zu hören sind,
zwei Töne mit Fingerlegato und treten Sie das Pedal mit dem Anschlag des zweiten
Tones: Der erste, ohne Pedal gespielte Ton klingt mit.

Fingerlegato plus Pedaltritt auf dem zweiten Ton


lässt den ersten Ton mitklingen - garantiert!

Günter Philipp, ehemaliger Professor der Musikhochschule Dresden, war der Erste,
der auf diesen Konflikt zwischen Fingerlegato und Pedalsauberkeit hingewiesen hat;
in seinem schon eingangs erwähnten Buch bezeichnet er diese Wechselbeziehung als
„die korrespondierende Abhängigkeit zwischen Finger- und Pedalbindung".

Die zwei entscheidenden Sätze dazu aus seinem Buch lauten:


„Eine mit Fingerlegato gespielte Tonverbindung verträgt keinen Pedaleinsatz, der
mit dem Anschlag der Taste zusammenfällt.“ Daraus folgt: „Gleichzeitig oder sehr
früh getretenes Pedal verlangt Fingertrennung.“

Mit den Eingangstakten aus Beethovens Sonate op. 78 (Beispiel 43) eröffnet Günter
Philipp sein instruktives Pedalkapitel.
Beispiel 43

Fingerbindung + früher Pedaltritt unerwünschtes Weiterklingen des h1

Bei der Ursachenkombination "Fingerlegato mit frühem Pedaleinsatz" ist die Gefahr
einer Verschmierung umso größer, je intensiver das Legato ist. Ein espressives
Fingerlegato zeichnet sich bekanntlich nicht durch exakte Fingerablösung aus,
vielmehr durch ein gewisses, meist unbewusstes Überhalten der Töne. Je länger der
Ton übergehalten wird, desto leichter wird er vom Pedaltritt auf dem nächsten Ton
erfasst. Im Interesse einer sauberen Pedalisierung ist es daher oft unumgänglich, auf
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ein Fingerlegato zu verzichten. Leider, möchte man hier beinahe hinzufügen, die
Empfehlung ist nämlich nicht eben leicht zu befolgen, weil das Fingerlegato einem
natürlichen Bedürfnis entspringt, die Strebetendenzen zwischen den Tönen, die
Intervallspannungen, das Fortschreiten von Ton zu Ton nicht nur akustisch, sondern
auch körperlich zu spüren; es ist Ausdruck des Wunsches nach Einheit von körperli-
cher und musikalischer Spannung, einer Einheit, wie sie bei Bläsern, Streichern und
Sängern als Voraussetzung für die Tonerzeugung von selbst vorhanden ist.
Musikalität hat neben der akustischen in hohem Maße auch eine körperliche Seite.
Deshalb haben Kinder eine instinktive Abneigung, eine Melodie auf zwei Hände zu
verteilen. Eine auf zwei Hände verteilte Melodie lässt die Intervallspannungen
körperlich nicht fühlbar werden. Stumme Wechsel sind, pianistisch, oft hinderlich
und eine Mehrbelastung des Gedächtnisses, im Unterricht mit Kindern sind sie
nützlich, weil sie ein intensives Fühlen und Kneten der Tasten mit sich bringen, das
Fortschreiten von Ton zu Ton körperlich besonders gut fühlbar werden lassen.

Andererseits muss ein Künstler von einem realen Fingerlegato ganz unabhängig sein,
die Klavierliteratur lässt gar keine andere Wahl. Bekanntlich verlangt die Musik sehr
oft ein dichtes Legato, ohne dass dies manuell möglich wäre. So ist in unzähligen
Fällen ein Legato nur mit dem 5. Finger ausführbar. Vielleicht blättern Sie kurz
weiter zu Beispiel 75 im vierten Kapitel: Dort, im ersten Satz von Beethovens Sonate
op. 28, ist das Legato des Seitenthemas nur mit dem 5. Finger darstellbar, aber es
muss die gleiche gesangliche Dichte aufweisen wie ein Legato, das allein von den
Fingern besorgt wird. Dabei darf man nicht vergessen, dass auch ein Fingerlegato fast
immer vom Pedal begleitet wird. Zwischen einem guten Pedal- und einem guten
Fingerlegato darf das Ohr keinen Unterschied bemerken, gemäß der obersten Richt-
schnur künstlerischen Handelns, nach der die Güte der musikalischen Gestaltung
nicht von der Bequemlichkeit der Situation auf der Tastatur abhängig sein darf.

Das Verhältnis Pedallegato - Fingerlegato werde ich in den Kapiteln 3 und 4 noch
einmal aufgreifen. Die Rede wird dann u. a. sein von Fingersätzen, die dem Finger-
legato einen, fast möchte man sagen, sittlich höheren Wert zusprechen und eine
Analogie zwischen Hand und Musik auch dort erzwingen wollen, wo es diese nicht
gibt. Aus solchen Fingersätzen spricht die Botschaft, ein Legato dürfe man erst dann
dem Pedal überlassen, wenn das Fingerlegato auch mit großen Umständlichkeiten
und vielen zeitraubenden stummen Wechseln nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

Anmerkung: So praxisfern und doktrinär "legatomanische" Fingersätze vom pianistischen Stand-


punkt oft sind, auf der Orgel sind sie eine Notwendigkeit. Stumme Wechsel spielen auf der Orgel,
wo ein Legato nur mit den Fingern darstellbar ist, eine viel größere Rolle als am Flügel. Mein
früherer Orgelkollege an der Freiburger Hochschule, Professor Klemens Schnorr, berichtete mir,
auch der Daumen allein werde auf der Orgel konsequent zum Legatospiel erzogen. Er habe seine
Studenten das Legato mit dem Daumen allein nicht nur an chromatischen Tonleitern üben lassen,
auch zwischen zwei weißen Tasten sei mit einem gleitenden Daumen ein Legato zu erzielen, sobald
man es einmal verstanden habe, mit dem unteren Daumenglied geschickt zwischen den Positionen
einwärts- und auswärts gestellt zu wechseln.

Es folgt eine Reihe von Literaturstellen, bei denen sich in einer langen Unterrichts-
praxis gezeigt hat, dass das Zusammenwirken von Finger-Legato und einem frühen
Pedaltritt eine saubere Pedalisierung erschwert oder unmöglich macht.
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An dieser Stelle des ersten Satzes von Schuberts Sonate a-moll, D 784 (Beispiel 44)
sind Klangverschmierungen unvermeidlich, wenn in den Sextakkord-Gängen die
Sechzehntel mit Fingerlegato an die punktierten Achtel angebunden werden.

Beispiel 44

Bei den Akkord-Gängen die Sechzehntel kurz, de facto staccato spielen!

Berüchtigt für Pedalunsauberkeit ist die folgende Stelle aus dem zweiten Satz von
Beethovens Sonate op. 101 (Beispiel 45). Auch auf Aufnahmen bekannter Pianisten
sind an den mit Pfeil bezeichneten Stellen ineinander klingende Sekunden zu hören.

Bsp. 45

Takt 4
Takt 2

zu Beispiel 45: Die erste Zählzeit der Takte 2, 3 und 4 wird meist mit dem vorausgehenden
Sechzehntel verschmiert. Ursache ist das Fingerlegato der linken Hand kombiniert mit einem zu
frühen Pedaltritt im neuen Takt. Das Mitklingen des Des im Septakkord von Takt 4 ist dabei die
unangenehmste Störung. Das letzte Sechzehntel der linken Hand muss also vom ersten Viertel des
folgenden Taktes manuell getrennt werden; zusätzlich aber, um den verfrühten Pedaltritt nicht zu
provozieren, darf man auch die Viertel auf der Eins nicht zu früh loslassen.

Wie sehr eine Pedalunsauberkeit stört, hängt von zwei Bedingungen ab: in welcher
Lage sie auftritt und welcher Ton der Harmonie im Bass liegt.

Es stört kaum, wenn zu Beginn des vierten Satzes von Beethovens Sonate op. 7
(Beispiel 46) das Sopran-Es im folgenden D mitklingt. Die Dissonanz befindet sich
in schon relativ hoher Lage und wird leicht vom (Grundton-) Bass aufgesogen, die
harmonische Funktion des Septakkordes bleibt zweifelsfrei erkennbar. Man kann der
Reibung zwischen dem Es und dem D sogar einen sinnlichen Reiz abgewinnen und
auf den (eingeklammerten) ersten Pedalwechsel im Takt verzichten.
Schon etwas störender ist die Sekundreibung in Takt 6, wenn das A aufgrund einer
expressiven Legatobindung von dem Pedalwechsel auf dem folgenden B miterfasst
wird. Die Störung hat damit zu tun, dass sich in Takt 6 der Grundton B nicht mehr in
einer tiefen Lage befindet. Tief liegende Grundtöne saugen Dissonanzen viel leichter
auf als Grundtöne in höherer Lage. Aber auch hier bleibt, selbst wenn der Vorhaltton
A mitklingt, die Harmonie B-Dur noch eindeutig erkennbar.
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Beispiel 46

( )

Takt 6

zu Beispiel 46: Die Sekundreibung Es - D in Takt 1 stört nicht, sie wird von der Septakkord-
harmonie leicht aufgesogen und ergibt in dieser schon relativ hohen Lage sogar einen
sinnlichen Reiz. Der Pedalwechsel auf dem Melodieton D kann daher auch unterbleiben.
Schon störender ist eine Sekundreibung in Takt 6. Das mit espressivem Fingerlegato in das
B hineingespielte A wird vom Pedalwechsel auf dem B miterfasst. Aber selbst wenn das A im
B mitklingt, bleibt die Harmonie B-Dur noch eindeutig erkennbar.

Viel gravierender sind die Verschmierungen im Beispiel davor, der Stelle aus
Beethovens Sonate op. 101, und in dem folgenden Beispiel 47, die einiger Erläute-
rungen bedürfen. Hier betreffen die Unsauberkeiten den Bass, der stets für Funktion
und Charakter einer Harmonie ausschlaggebend ist. Aber auch Verschmierungen im
Bass sind nicht alle in gleicher Weise störend.
In Beispiel 45 hatte es sich auf der ersten Zählzeit der Takte 2 und 3 um Sextakkorde
gehandelt. Sextakkorde sind schwebender, sind in ihrer Identität nicht so gesichert
und werden daher von Verschmierungen eher aus der Bahn geworfen als vom Grund-
ton gestützte Dreiklänge. Aus den genannten Sextakkorden des Beispiels 45 mit ihren
scharfen Vorhalttönen im Sopran sprechen Übermut und Lebensfreude. Klingen in
diese Akkorde die unmittelbar vorausgehenden Sechzehntelbässe hinein, werden
Charakter, Schönheit und harmonische Funktion dieser Klänge unkenntlich.

Bitte halten Sie fest:


Von ihrem Grundton gestützte Harmonien (Dreiklänge, Septakkorde) werden von
Pedalunsauberkeiten weniger in ihrer Eigenart beeinträchtigt als nicht vom
Grundton gestützte Klänge (z. B. Sextakkorde und Quintsextakkorde). Dies gilt
insbesondere dann, wenn den Harmonien, die nicht vom Grundton gestützt sind,
noch ausdrucksstarke dissonierende Töne beigegeben sind.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein unsauberer Bass eine Harmonie völlig
unkenntlich machen kann, ist eine Stelle aus Liszts Petrarca-Sonett 104 (Beispiel 47).
Die leidenschaftliche Passage erweckt das Bedürfnis zu drängen und zu „wühlen“.
Die beiden Gruppen der Halbtonschritte im Bass, ohnehin in einem dichten Finger-
legato gespielt, klingen in je einem Pedalfeld zusammen, das übergebundene Dis
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jedoch muss die Halbton-Dissonanz abstreifen, muss als Basston des Quintsextak-
kordes Dis-Fis-A-H unter allen Umständen sauber sein. Andernfalls verliert der
Quintsextakkord vollständig seine Eigenart und damit die Fähigkeit, die klagenden
Dissonanzen der Sopran- und Tenorstimme aufzunehmen.
zu Beispiel 47: Eine Hörtest-Fermate ist hier fast unabdingbar, weil das Bass-E (Takt 58) in
den Takt 59 hineinschmiert und dort zusammen mit dem Dis klingt. Auf dem D innehalten:
Nur die weite Reibung Dis - D darf zu hören sein!
Beispiel 47

Takt 59
Takt 58

Die Bässe E und Dis werden in engem Legato gespielt. Dis wird
Die drei Achtel zu früh losgelassen Pedaltritt kommt zu früh Dis und E
in ein Pedal!
klingen in Takt 59 zusammen Harmonie (Quintsextakkord
plus espressive Figurationstöne) wird völlig unkenntlich.

Auch der dritte Satz aus Beethovens Sonate op. 31, Nr. 2 ist ein bekanntes Beispiel
dafür, dass ein Pedaleinsatz wegen eines vorausgehenden Fingerlegatos unsauber
geraten kann (Beispiel 48).
Hinter dem vordergründig dünnen Klaviersatz steht die Idee orchestraler Fülle.
Deshalb ist reichlich Pedal geboten. Es wird, richtig, stets auf dem Staccato-Achtel
der ersten Zählzeit getreten und aus Gründen der Klarheit bei den drei Sechzehnteln,
die zur Eins hinführen, weggenommen. Dies gilt dann, wenn das Durchführungs-
motiv im Bass erscheint; erscheint das Motiv in der Oberstimme, zumal in höherer
Lage, wird das Pedal ganztaktig genommen.
Beispiel 48

Kommentar zu Beispiel 48 (untere Zeile des Beispiels): Die Heftigkeit der Musik verlangt ein
pulsierendes Sich-Abstoßen von den mit Keilen versehenen Achteln. Das letzte Takt-Sechzehntel
darf dabei nicht mit Fingerlegato in die Eins gespielt werden, weil es sonst, unvermeidlich, als
ungewollte Sekund-Verschmierung im nächsten Takt mitklingt.
- 47 -
Die linke Hand muss ihren Part der unteren Zeile des Beispiels 48 also ausführen, wie
hier unter 48a handschriftlich angezeigt. Die manuelle Trennung vor dem Staccato-
Achtel verletzt nicht Beethovens Absicht, der durchgehende Bögen notiert hat;
entscheidend ist, wie es klingt: An den Nahtstellen hört man keineswegs ein Loch.
Beispiel 48a

48a: Saubere Bässe auf der Eins erhalten Sie nur, wenn Sie davor manuell absetzen.

Lücken, manuelle oder Pedal-Lücken, die im Interesse der Pedalsauberkeit notwendig


sind, werden von der Eigenresonanz tiefer Töne in einer Weise geschlossen, dass der
Hörer keine Unterbrechung wahrnimmt, vielmehr hört er Töne, die tatsächlich
voneinander abgesetzt sind, als klare Fortschreitung.

Die hier folgende Stelle aus Chopins b-moll-Scherzo (Beispiel 49) zeigt, dass die
Eigen- bzw. Restresonanz von Bässen manuelle Lücken vollständig schließen kann.
Die starke Trübung, die sich im Takt 46 beim fz-Anschlag der F-Oktave einstellt, ist
womöglich hinnehmbar, vielleicht, wegen des unwirschen Charakters der Stelle,
sogar wünschenswert. Ob beabsichtigt oder nicht: Die ruppig abgerissene fz-Oktave
ist regelmäßig als harte Sekundreibung hörbar. Wegen des noch stark mitklingenden
E behält die F-Oktave nur wenig von der Individualität eines eigenen Tones und
erhält beinahe den Charakter eines Schlaggeräusches. Dies kann, wie gesagt, inter-
pretatorisch auch gewollt sein (siehe Kommentar).
Beispiel 49

Takt 46

zusätzlicher "kleiner" Pedalwechsel, um die


dröhnende Wucht der Bassoktave zu mildern
und das Diminuendo herbeizuführen.

Kommentar zu Beispiel 49: Wenn Sie wollen, dass die F-Oktave noch individuell
erkennbar bleibt, dann spielen Sie sie sehr hart und laut, aber nicht zu spitz.
Zusätzlich müssen Sie auf ein Legato zwischen der E- und der F-Oktave verzichten;
spielen Sie also die E-Oktave ohne Pedal und setzen ein wenig vor dem F ab, so
dass die Stelle, de facto, so ausgeführt wird, als stünde auf der ersten Zählzeit eine
Viertel-Pause. Der Hörer nimmt dabei zwischen E- und F- Oktave keineswegs eine
Unterbrechung wahr, vielmehr hört er die Stelle so, wie sie notiert ist: eine klare
F-Oktave, die sich aus der Verschmelzung mit dem vorausgehenden E explosiv löst.

In Beispiel 50 sehen Sie eine Passage aus dem vierten Satz von Schuberts Sonate
c-moll, D 958. Die sf-Schläge auf der ersten Zählzeit wirken in die Unisonogänge
weit hinein, müssen daher sauber sein, und natürlich nimmt der Hörer auch hier die
unerlässliche Trennung vor den sforzati keineswegs als Klangloch wahr.
- 48 -
Beispiel 50

kein Pedal! kein Pedal!

Zu Beispiel 50: An den bezeichneten Stellen Pedal-Lücke und manuelle kein Pedal!
Trennung! In der linken Hand ergibt sich die manuelle Trennung von selbst.

In vielen Fällen aber würden sich Pedal-Lücken und manuelle Lücken störend
bemerkbar machen. Sie müssen dann, trotz der Gefahr unsauberen Pedals, unter-
bleiben, etwa bei der folgenden Stelle aus dem ersten Satz von Robert Schumanns
Fantasie C-Dur, op. 17 (Beispiel 51). Das letzte Viertel der abgebildeten Takte
schmiert häufig in das Sechzehntel der ersten Zählzeit. Ein Legatoverzicht zwischen
diesen Tönen würde nur dann nützen, wenn man an der Nahtstelle gleichzeitig eine
Pedal-Lücke machte. Dabei jedoch entstünde ein hörbares Klangloch. Die strebenden
Bassschritte rufen zudem den starken Wunsch nach einem dichten Fingerlegato
hervor. Gerade an dieser Stelle widerspräche ein Non-Legato der Empfindung und
der Idee einer innigen Bindung.
Beispiel 51

Kommentar zu Beispiel 51: An den mit Pfeilen bezeichneten Stellen sind aus musikalischen
Gründen weder eine Pedal- noch eine manuelle Lücke angebracht. Ein verfrühter und zu schneller
Pedal-Tritt auf der Eins lässt das vorausgehende Viertel des Basses störend mitklingen. Um dies
zu verhindern, muss das jeweils erste Sechzehntel im Takt so breit genommen werden, wie es das
Spiel-Tempo irgend erlaubt. Das heißt de facto: Im Dienste sauberer Bässe ist eine diskrete
Rubato-Dehnung des ersten Sechzehntels geboten.

FINGERTRENNUNG DURCH EINEN FINGERSATZ, DER DEN KOPF ENTLASTET

Wird eine erwünschte Trennung zwischen zwei Tönen durch den Fingersatz erzwun-
gen, entlastet dies den Kopf, weil dieserart für die Trennung keine zusätzliche
steuernde Aufmerksamkeit nötig ist. Der Fingersatz erledigt die Aufgabe von selbst
und unterstützt darüber hinaus den Spieler nicht nur bei einer sauberen Pedalisierung,
sondern auch bei der Artikulation. Dies gilt besonders für Haydn und Mozart, in
deren Werken der letzte Ton unter einem Artikulationsbogen häufig - keineswegs
aber immer - vom folgenden Ton abzusetzen ist. Derselbe Finger hintereinander auf
zwei verschiedenen Tasten besorgt das erwünschte Absetzen meist in hinreichender
und auf natürliche Weise, im Gegensatz zu dem plakativ aufzeigenden Absetzen
eines belehrenden und auf Stil getrimmten Spiels, das einen oft ärgerlich zurücklässt.
Das Thema Pedal und Stil wird am Ende des sechsten Kapitels eingehender erörtert.
- 49 -
In den drei folgenden Beispielen 52, 53 und 54 aus den Kopfsätzen von Beethovens
Sonaten op. 57, op. 111 und op. 28 führt der hinzugefügte Fingersatz von selbst die
manuelle Lücke herbei, die für die saubere Pedalisierung hilfreich ist.
Beispiel 52

Takt 82

Fingertrennung!

Takt 87

Zu Beispiel 52: Eine Pedal-Lücke und die manuelle Lücke, die sich mit dem geeigneten
Fingersatz von selbst ergibt, gewährleisten ein sauberes Pedal auf dem As von Takt 87.

Noch zwingender geboten ist ein trennender Fingersatz im Thema des ersten Satzes
der Sonate op. 111.
Zwischen den Takten 18 und 19 ist eine manuelle Trennung kaum möglich; halten Sie daher in
Takt 19 die beiden Staccato - C lange fest, damit der Pedaltritt möglichst spät erfolgen kann.
Beispiel 53 Staccato b r e i t !

Takt 19

Pedaltritt spät!

Takt 21

Sie haben die Wahl: entweder Finger-Trennung oder Pedalverschmierung!


- 50 -
Die folgenden Takte aus der Pastoral-Sonate (Beispiel 54) erfordern jeweils auf der
ersten Zählzeit einen Pedalimpuls. Für ein sauberes Pedal ist der Fingersatz, den die
hier gezeigte Edition an den Takt-Nahtstellen empfiehlt, der denkbar ungünstigste.
Beispiel 54

T. 200 T. 204

1 2 4 1 1 24
5 4 2 2
3 3 3 5 4

Zu Beispiel 54: Damit die letzten Achtel der linken Hand in Takt 200 und 204 nicht von dem
Pedalstoß auf der folgenden Eins miterfasst werden, empfehle ich den von mir hinzugefügten
kursiven Fingersatz, mit dem sich die hilfreiche manuelle Trennung wiederum von selbst ergibt.

Auch zum Thema "Fingerlegato als Ursache von Pedalverschmierungen" habe ich
mehr Beispiele vorgestellt, als zur Erörterung des Themas nötig gewesen wären. Wie
schon an anderer Stelle gesagt, geht es mir nicht nur um exemplarische Fehler-
korrekturen, sondern auch darum, Ihnen eine große Übersicht über solche Literatur-
stellen zu zeigen, an denen erfahrungsgemäß fast immer fehlerhaft pedalisiert wird.

Ein berühmtes Beispiel, geradezu ein Klassiker der Pedalverschmierung, darf in


diesem Überblick nicht fehlen, der Übergang zu Takt 28 im ersten Satz von
Beethovens Sonate op. 110 (Beispiel 55). Das Bass-Es auf der ersten Zählzeit von
Takt 28 klingt fast nie sauber. Die inzwischen hinreichend erklärten äußeren Ursa-
chen sind immer dieselben: Das Bass wird wegen des folgenden Positionswechsels
nur angetippt und der Pedaltritt erfolgt zu früh, oft noch während der letzten Töne der
vorhergehenden 32stel-Figur. Die 32stel selbst sind oft nur als unverständliches
Rumpeln zu hören, besonders die ersten beiden, G und As, gehen im Hall des letzten
Bass-Trillers unter. Die eigentliche, tiefere Ursache ist natürlich: Der Ausführende
hört die Verschmierung nicht.
Bitte prüfen Sie mit einer langen Test-Fermate, ob der Klang sauber ist: Nur die weite, mehr als
vier Oktaven umspannende Quinte Es – b3 darf zu hören sein! (Realiter ist nur der Bass Es
hörbar, der das hohe Diskant-b3 vollständig überdeckt, das hohe B klingt in der Vorstellung
weiter.) Während der Hörkontroll-Fermate liegt die linke Hand vorbereitend auf der Terz Es - G.

Beispiel 55

Takt 27 Takt 28

Setzen Sie den ersten Ton der Figur, das G,


ein wenig vom Triller ab, vielleicht mit dem Halten Sie bitte das Es lange fest,
von mir hinzugefügten Fingersatz, der dieses damit der Pedaltritt spät erfolgen kann,
Absetzen von alleine besorgt. Die 32stel sind, denn wegen des raschen Tempos ist es
natürlich, ohne Pedal zu spielen. am Taktstrich etwas unangenehm, eine
manuelle Lücke zu machen.
- 51 -
Das letzte Beispiel des Kapitels hat, zugegeben, nichts mit dem Thema Fingerlegto
versus Pedalsauberkeit zu tun. Ich bringe es, weil das weite, mehr als vier Oktaven
überspannende Intervall Es - b3 in Takt 28 des soeben erörterten Beispiels 55 an den
einzigartigen Höhepunkt in Beethovens letzter Sonate op. 111 (Beispiel 56) denken
lässt, wo, nach einem langen dichten Flirren in der Mittellage, die Stimmen aus-
einanderstreben, um aus weit entfernten Positionen einen ungeheuren Raum zu
öffnen, der sich gleich darauf versöhnlich wieder schließt. Es ist, als seien hier, in
Takt 125, in diesen so weit auseinander liegenden Tönen eines bruchstückhaften
Quart-Vorhaltakkordes die Grenzen der Musik abgesteckt.

Beispiel 56

Takt 125

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