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MENSCHEN · EREIGNISSE · EPOCHEN

GESCHICHTE 7/2019

Jubiläums-
ausgabe
Forschung und Mythen
40
JAHRE

monds
im bann des
07

605902
4 190727

Vom Alten Ägypten bis zur Raumfahrt

Der Brenner Theodor Fontane

Alpenroute seit der Steinzeit Der große Erzähler Preußens
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 EDITORIAL

Liebe Leserin,
lieber Leser,
nicht nur Menschen können erwachsen
werden, auch Zeitschriften. 1979 kam
zum ersten Mal das Schülermagazin
»G – Geschichte mit Pfiff« heraus. Dr. Christian Pantle (l.) und Gründer
Viele Eltern lasen darin, und viele Dr. Franz Metzger mit dem ersten Heft
Heranwachsende blieben dem Magazin vor einem Stück der Berliner Mauer
nach der Schulzeit treu. So wurde die
Leserschaft mit den Jahren immer
erwachsener, und mit ihr der Inhalt des Hefts. »Der letzte Schritt war 2001 der Verzicht auf
›mit Pfiff‹«, erzählt der Gründer und erste Chefredakteur Franz Metzger im Interview ab
Seite 8. »Wir hoffen aber, dass wir damit den Pfiff nicht verloren haben!« Mit dieser Ausgabe
feiert das einstige Schülermagazin seinen sehr erwachsenen 40. Geburtstag.

2009 hat Franz Metzger den Staffelstab an Klaus Hillingmeier als neuen Chefredakteur
übergeben, vor zwei Jahren stieß ich dazu. Seither erlebe ich mit Dankbarkeit, wie sehr sich
unser Gründer weiterhin mit dem Magazin verbunden fühlt, uns mit Tipps und Anregungen
hilft und auch als Autor tätig ist. Im aktuellen Spezialheft G/GESCHICHTE PORTRÄT »Prag«
etwa finden Sie einen fesselnden Artikel von ihm über den Golem.

Ob es wohl auch Leser gibt, die dem Heft von Anbeginn bis heute verbunden sind, fragten
wir uns in der Redaktion, als wir begannen, diese Jubiläumsausgabe vorzubereiten. Wir
erkundigten uns bei der Abo-Verwaltung und erhielten eine Antwort, die uns tief bewegte:
Gleich 26 Abonnements laufen seit dem ersten Heft ununterbrochen bis heute. Vier dieser
Gründungs-Leser fragten wir, ob wir mit ihnen sprechen dürfen. Auf Seite 16 finden Sie ihre
Antworten, die ein größerer Ansporn für uns sind, als sie jeder Motivationstrainer geben kann.

Ihr

Dr. Christian Pantle, Chefredakteur

BILDNACHWEIS: BERNHARD SCHMIDT; TITELBILD: SHUTTERSTOCK/SCULPIES

Sonderteil ab
Seite 6

REDAKTION G/GESCHICHTE ABONNENTEN-SERVICE ABO-PREISE

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SONSTIGES AUSLAND: Weitere Auslandspreise auf Anfrage

Übrigens: Mit einem G/Abo verpassen Sie keine unserer Ausgaben. Einen Abo-Bestellcoupon finden Sie diesmal auf Seite 67.

G GESCHICHTE 7 | 2019 3
INHALT
G/GESCHICHTE · Juli 7/2019

AKTUELLES

6 40 Jahre
G/GESCHICHTE
Im Sonderteil erfahren Sie,
was uns antreibt und wie
ein Heft entsteht.
Außerdem: Wir verlosen
Bücher unserer Autoren
18 Forum & Chronik
Der Fußballkrieg zwischen
Honduras und El Salvador

TITEL

20 Der Mond
PROLOG
22 Kleiner Schritt,
riesiger Sprung
Vor 50 Jahren landen zum ersten

20
Mal Astronauten auf dem Mond
26 Fakten-Wissen
Wie kam die Erde zum Mond?
28 Buntes Wissen
Golfpartie im Weltraum
Mythischer Erdbegleiter

Mond und
1. KAPITEL: MYTHEN
30 Göttlicher Erdbegleiter
Fantastische Mythen
in alten Kulturen
34 Der Hase im Mond
Schon ewig erkennen die
­Menschen Wesen
auf dem ­Erdtrabanten
Mensch
36 Mondfest Der Himmelskörper zieht schon die ­
Tagelang feiern die Chinesen Alten Ägypter in seinen Bann. 1969 ­betreten
ein himmlisches Liebespaar
zum ersten Mal Menschen den Mond.
38 Volksglaube und Esoterik
Kann Mondlicht heilen und beim Geschichte einer Faszination
Tanzen gefährlich werden?
44 Der Werwolf
Die Angst vor dem
Ungezähmten in uns selbst

4 G GESCHICHTE 7 | 2019
 Dem Mond so nah
sind die drei Astronauten
in Jules Vernes Roman
»Reise um den Mond« von
1870. Der Vater der
Science-Fiction hat vieles
geradezu prophetisch
vorhergesehen
6 2. KAPITEL: FORSCHUNG
46 Galileo Galilei
JUBILÄUM Warum der Matheprofessor aus
G/GESCHICHTE wird 40 Padua seinen Augen nicht traut,
als er durch das Fernrohr blickt
50 Cyrano de Bergerac
Satirisches Himmelsfeuerwerk
SERIE 51 Jules Verne
Mit Kanonendonner
Der zum Erdtrabanten
Brenner- 52 Wettlauf ins All
pass USA gegen Sowjetunion: Das
größte Rennen der Weltgeschichte
68 58 NASA-Pläne
Wie vor mehr als 30 Jahren
die Zukunft aussah
60 Absturz nach dem Höhenflug
Heute kreisen ­Astronauten nur
noch ziellos durch den Erdorbit
64 Musik, Buch, Film
Top Ten im Bann des Monds
BILDNACHWEIS: AKG, BRIDGEMAN/THE ADVERTISING ARCHIVES, ISTOCKPHOTO.COM/GRAFISSIMO, BERNHARD SCHMIDT, WIKIMEDIA/ETTJO/UNVERÄNDERT (CC BY-SA 3.0)

PANORAMA

68 Serie: Brennerpass
Jenseits der Berge:
GESCHICHTE IM ALLTAG Handelsroute über die Alpen
Die Tapete 72 Geschichte im Alltag:
Die Tapete

72 Die Kleider für die Wände sind

mehr als nur Dekoration
74 Theodor Fontane
Zwischen Revolution
und Reaktion
78 Reihe: Welterbe
Altstädte von Wismar
und Stralsund
80 Ausstellungen
82 Impressum, Leserbriefe
& Vorschau

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Mehr zur aktuellen Ausgabe auf unserer
Seite im Internet. Besuchen
Sie uns auch auf Facebook und Twitter

G GESCHICHTE 7 | 2019 5
6 G GESCHICHTE 7 | 2019

Liebe Leserin,
lieber Leser,
wer wie ich in den 1960er-Jah-
ren in einem Dorf vor den Toren
Kölns aufgewachsen ist, führte
ein überschaubares Leben. Die
Tage flossen so gemächlich da-
hin wie der Rhein nebenan. Der
Geist der Adenauer-Ära prägte
den Alltag, der für uns Kinder
aus Schule, Spielen und Minis­
trieren bestand.
Wer die Enge dieser Welt ver-
lassen wollte, war auf Bücher
angewiesen. Es gab bunt bebil-
derte Kinder-Enzyklopädien, die
von einer erstaunlichen Zu-
kunftsgläubigkeit zeugten. Sie
zeigten Eisenbahnen, die wie Ra-
keten aussahen, und berichteten
von Kolonien auf dem Mond, wo
bald Menschen leben sollten. Für
Momente der Nachdenklichkeit
sorgten Sinnsprüche aller Art.
Einer davon stammte von Cicero
und beeindruckte mich tief:
»Nicht zu wissen, was vor deiner
Geburt geschehen ist, heißt im-
mer ein Kind bleiben.«
Mit einem Satz wurde hier die
ganze Tiefe und Reichhaltigkeit
des Fachs Geschichte vorge-
stellt. Dabei geht es um mehr als
um Jahreszahlen und Schlach-
tengemälde. Verhandelt wird der
Mensch und sein Wirken in der
Welt. Woher kommen wir? Was
prägt unser Denken und Han-
deln? Woran lag es, dass die
Menschen sich noch im Mittelal-
ter als einflusslose Figuren im
großen Bauplan Gottes sahen
und wenige Generationen später
die Vorherrschaft von Kirche
und Königen hinwegfegten?
Seit 40 Jahren hat ­­
G/GESCHICHTE es sich zur Auf-
40 JAHRE G/GESCHICHTE
gabe gemacht, solchen Fragen
nachzugehen und zu erzählen,
wie wir zu dem wurden, was wir
heute sind. Was unter der Füh-
rung von Gründungs-Chefredak-
teur Dr. Franz Metzger als liebe-
voll gemachte Schülerzeitschrift
»G — Geschichte mit Pfiff« be-
gann, hat sich in den vergange-
nen Jahren unter seinen Nach-
folgern Dr. Klaus Hillingmeier
und Dr. Christian Pantle zu ei-
nem modernen und spannenden
Geschichtsmagazin entwickelt.
In einer Welt, die immer
schneller, kurzatmiger und unbe-
rechenbarer zu werden scheint,
nimmt unsere Redaktion sich die
Zeit, innezuhalten und zurückzu-
blicken. Sie erinnert uns daran,
dass Demokratie, Toleranz und
Menschenrechte nicht selbstver-
ständlich sind, sondern über vie-
le Generationen von tapferen
und klugen Frauen und Männern
erkämpft wurden. Zu wissen,
was vor der eigenen Geburt ge-
schah, ist daher mehr als eine
Reise in die Vergangenheit. Es
schärft auch den Blick dafür, wo
man hinwill.
Horst Ohligschläger
Geschäftsführer der Bayard
Mediengruppe Deutschland,
BILDNACHWEIS: BAYARD
in der G/GESCHICHTE erscheint
G GESCHICHTE 7 | 2019 7
 Unsere neue Redak-
teurin interviewt den
Gründer: Sonja Nowack
mit Heraus­geber
Dr. Franz Metzger
Interview
»Geschichte
ist extrem
vielschichtig«
Wussten Sie, dass G/GESCHICHTE früher
eine Schülerzeitschrift war? Gründer
und Herausgeber Dr. Franz Metzger über
die Anfänge und was­­­­­­ G/GESCHICHTE
bis heute so besonders macht
[ INTERVIEW: SONJA NOWACK ]
8 G GESCHICHTE 7 | 2019
Herr Metzger, wie würden
Sie G/GESCHICHTE mit
drei Adjektiven beschreiben?
Dr. Franz Metzger: Kom­
pakt, kompetent und unterhalt­
sam. Gerade der Unterhaltungs­
aspekt und der Blick auf das
Menschliche sind uns wich­
tig. Geschichte besteht aus weit­
aus mehr als nur aus Schlachten
und politischen Reden. Sie ent­
hält zwar viele Tragödien, hat
aber auch ihre heiteren, komi­
schen Seiten und Momente. Da­
zu gehört etwa der Blick ins Fami­
lienleben – und gelegentlich ins
Schlafzimmer – der Großen die­
ser Welt, auf ihre Schwächen und
Eitelkeiten, auf Intrigen und Af­
fären. Auch die d­ iversen Formen
der Regenbogenpresse seit der
Antike sind Quellen, um eine Zeit
und ihre Menschen zu verstehen.
Wie kamen Sie auf die Idee,
G/GESCHICHTE zu gründen?

Das Magazin war ein Projekt
des Johann Michael Sailer Ver­
lags in Nürnberg, der hauptsäch­
lich Schülerzeitschriften wie zum
Beispiel den »Tierfreund« ver­
legt. Die Idee war, den bis dahin
oft einfallslosen, an Jahreszahlen
orientierten Geschichtsunterricht
für Schüler spannend und zu­
gleich originell zu ergänzen. Da­
her auch der ursprüngliche Name
»G – Geschichte mit Pfiff«.
Mittlerweile ist G/GESCHICH-
TE schon lange keine Schülerzeit-
schrift mehr. Wieso der Wandel?
Wir haben sehr schnell festgestellt,
dass sich viele Eltern für die Zeit­
schrift interessierten. So haben
wir das Magazin in Diktion und
Bildsprache Schritt für Schritt er­
wachsener gemacht. Der letzte
Schritt war 2001 der Verzicht auf
»mit Pfiff«. Wir hoffen aber, dass
wir damit den Pfiff nicht verloren
haben!
Wie sah die Redaktionsarbeit
vor 40 Jahren im Vergleich zu
heute aus?
Wir haben mit sehr einfachen
Mitteln angefangen: Alles, was
wir hatten, waren eine Schreibma­
schine und ein paar Handbücher.
Die erste Redaktion bestand aus
mir und Irmgard Kur, die über 30
Jahre lang der gute Geist der Re­
daktion blieb. Die ersten Auto­
rinnen und Autoren waren zum
größten Teil Studienkollegen von
mir. Die Manuskripte haben wir
noch auf der Maschine geschrie­
ben, dann wurden sie gesetzt und
in einen Film umgewandelt. Al­
le Fotos bekamen wir von den
Agenturen in einem dicken Um­
schlag zugeschickt und suchten
BILDNACHWEIS: BERNHARD SCHMIDT
dann das Bildmaterial aus. Das al­
les war ein großer Aufwand, den
man sich heute gar nicht mehr
vorstellen kann. Dafür sind vie­
le Aufgaben, die früher die Gra­
fik oder Technik gemacht haben,
inzwischen bei den Redakteu­
ren gelandet. Andererseits sind
die Möglichkeiten, die sich heute
durch die moderne Technik bie­
ten, schon fantastisch. Man kann
sich ausprobieren und ohne gro­
ßen Aufwand die Textlängen an­
passen. Früher musste man schät­
zen und dann doch noch mal kür­
zen. Vertippen durfte man sich
auch nicht.
»Die Geschichte
enthält zwar
viele Tragödien,
hat aber auch
heitere, komi-
sche Seiten«
Dr. Franz Metzger
Herausgeber
Gibt es einen Fauxpas, der Ih-
nen im Gedächtnis geblieben ist?
Einmal haben wir »Rattenfänger
von Hammeln« geschrieben, also
Hameln mit zwei »m«. Was auch
immer wieder mal vorkommt, ist
ein Zahlendreher in einer Jahres­
zahl. Solche Fehler sind peinlich,
aber das passiert nun mal und ist
ja auch menschlich.
Welche Themen haben Sie be-
sonders fasziniert?
Alle Themen haben Spaß gemacht
und waren spannend, sobald man
angefangen hat, sich damit zu be­
schäftigen. Es hat uns immer viel
Freude gemacht, wenn wir The­
men aufgreifen konnten, die
sonst in Zeitschriften kaum be­
achtet wurden, zum Beispiel die
Geschichte Koreas, Argentiniens
40 JAHRE G/GESCHICHTE
oder Mexikos. Uns war es auch
immer ein Anliegen, die weibli­
che Sicht auf die Geschichte zu
vermitteln. Wir hatten über die
Jahre eine ganze Serie über Frau­
en im Mittelalter, im alten Rom
oder Griechenland. Das waren
interessante Herausforderungen,
weil sie einen neuen Blick auf Ge­
schichte eröffnet haben.
Viele Magazine haben Mühe,
sich am Markt zu behaupten. Wa-
rum kann sich G/GESCHICHTE
schon so lange halten?
Neben der lockeren und vielsei­
tigen Darstellungsweise, weit weg
von Jahreszahlenpaukerei, ist der
Grund wohl vor allem, dass ein
Großteil des Hefts einem Haupt­
thema gewidmet ist. Die meisten
Wissensmagazine arbeiteten nach
dem Prinzip: »Wer vieles bringt,
wird jedem etwas bringen.« Wir
wollten von Anfang an einen an­
deren Ansatz wählen. Wir traten
mit dem Anspruch an, das jewei­
lige Hauptthema umfassend und
von vielen Seiten zu beleuchten.
Unser Ziel war und ist es, dass der
Leser durch unsere Hefte Epo­
chen und Ereignisse versteht und
sie in einem größeren Zusam­
menhang sieht.
Hat sich durch G/GESCHICHTE
in den vergangenen 40 Jahren et-
was verändert?
Geschichte ist extrem vielsei­
tig und vielschichtig. Manchmal
wird das im Schulunterricht nicht
entsprechend gewürdigt, und das
ist schade. Ich glaube, in den 40
Jahren ist der Geschichtsunter­
richt etwas weniger langweilig
­geworden, und wir sind ein klei­
nes bisschen stolz, dass wir da­
zu beigetragen haben. Ich denke,
dass so mancher Geschichtsleh­
rer, der heute einen spannenden
und guten Unterricht anbietet, ein
Leser von G/GESCHICHTE war
oder ist.
G GESCHICHTE 7 | 2019 9
 Wie das Magazin entsteht

G/GESCHICHTE
machen
Das Heft in den Händen zu halten ist auch für uns
immer wieder ein aufregender Moment. Von der ersten
Idee bis zum Druck arbeiten wir an jeder Ausgabe
über mehrere Monate hinweg. Ein Werkstattbericht

10 G GESCHICHTE 7 | 2019

Mitarbeiter der Redaktion
stimmen sich in einer
Konferenz ab. Von links:
Sonja Nowack, Christian Pantle,
­Sabine Pomberg, Michael
Feldhoff, Christine Richter,
Franz Metzger
40 JAHRE G/GESCHICHTE
Die Chefredakteure Dr. Klaus Hillingmeier (l.) und
Dr. Christian Pantle bei der Themenkonferenz
Einmal im Jahr treffen sich
Redaktion und Autoren
Am Anfang steht die Idee
A
Themenkonferenz mit den Autoren
lles beginnt mit der The­
menkonferenz, die einmal
im Jahr in Augsburg statt­
findet. Hierfür reisen unsere
langjährigen Autoren nach
Augsburg. Mit dabei sind
unsere Kollegen aus den
Niederlanden, wo seit 2010
BILDNACHWEIS: BERNHARD SCHMIDT, SEBASTIAN KIRSCHNER; TEXT: CHRISTINE RICHTER
eine fremdsprachige Lizenzausgabe von ­G/GE­
SCHICHTE erscheint. Bei der Konferenz disku­
tieren wir: Welche neuen Erkenntnisse lieferte
die Forschung, von der Sie als Leserinnen und
Leser unbedingt erfahren sollten? Welche Jah­
restage stehen an? Welches Thema ist für uns als
Gesellschaft heute wichtig? Wichtig sind für uns
auch immer wieder Anregungen, die Sie uns in
­Leserbriefen oder auch in den sozialen Medien
mit auf den Weg geben. Das Team hat den An­
spruch, einen umfang- und abwechslungsrei­
chen Blick auf die Vergangenheit zu werfen.
G GESCHICHTE 7 | 2019 11
40 JAHRE G/GESCHICHTE

Konkrete Planung Grafiker Daniel Baum (l.) und Art Director

Christoph Rauch gestalten die Seiten
Konzepte und Briefing

Nach der Themenkonferenz macht sich die Re­

daktion an die Arbeit. Sie recherchiert intensiv
Themen vor, plant einzelne Artikel und Darstel­
lungsformen für die jeweilige Ausgabe. Wichtig
ist uns ein roter Faden, eine Dramaturgie, die
Sie als Leser durch das Heft führen soll. Die Re­
dakteure bringen unterschiedliche ­Expertisen
mit: von der Früh- bis zur Zeitgeschichte. Eben­
so die Autoren, die ein Briefing erhalten und
dann die Texte recherchieren und schreiben.
G/GESCHICHTE versteht sich als Publikums­
magazin: Wir wollen auf Grundlage neuester
wissenschaftlicher Erkenntnisse informieren – An der Pinnwand besprechen
für alle verständlich und unterhaltsam. Grafiker und Redakteure das Layout

Heiße Produktionsphase
Von der Word-Datei ins Layout
Im nächsten Schritt werden die Texte der Au­
toren und Redakteure in der Redaktion gesam­
melt, geprüft und redigiert. Anschließend wer­
den zu jedem Text geeignete Bilder ausgesucht
und an die Grafiker der Agentur2 in München
übergeben. Diese überlegen gemeinsam mit
den Redakteuren, wie die Geschichten illust­
riert werden können, und gestalten das Layout.
Grafik und Redaktion arbeiten in diesem krea­
tiven Prozess Hand in Hand. Layout und Bild­
sprache sind für uns von großer Bedeutung. Die
fertig gestalteten Seiten gehen erneut an die Re­
dakteure, die die Texte an das Layout anpas­
sen, Bild­unterschriften verfassen, über Titelzei­
len diskutieren und die Vorspänne noch einmal
überarbeiten, um sie griffiger zu machen.
Kritischer Blick
Feinschliff in Lektorat und Grafik
Jetzt erst bekommen die Schlusslektoren die Tex­
te zu Gesicht. Sie haben so einen unabhängigen
Blick und unterziehen jede Seite einem strengen
Check: Stimmen alle Namen und Jahreszahlen?
Findet sich noch ein Rechtschreibfehler? Ist alles
korrigiert, bereitet die Grafik die Seiten für den
Druck vor. In der Reprografie erhalten die Bil­
der den letzten Schliff. Dann kontrolliert jeder
Redakteur noch einmal das komplette Magazin
als PDF-Datei Seite für Seite. Schließlich erteilen
die Chefredakteure die Freigabe für den Druck.
Wir lieben Print
Das Heft wird gedruckt
BILDNACHWEIS: BERNHARD SCHMIDT, EURO-DRUCKSERVICE GMBH; RÄTSEL: SABINE POMBERG

Nun übernimmt die Produktionsabteilung des

In der Druckerei laufen die
Maschinen auf Hochtouren
Verlags die Koordination. In der Druckerei prü­
fen Mitarbeiter die Daten und bringen sie in die
richtige Reihenfolge für die Druckbögen. Dann
werden die Druckplatten erstellt. Die Maschi­
nen erledigen präzise ihre Arbeit: Die Bögen
werden gedruckt und gefalzt, anschließend mit
dem Umschlag verleimt. Die fertigen Hefte ver­
schickt die Druckerei direkt an die Abonnen­
ten und den Handel. Am Ende kann man das
Ergebnis der Arbeit in der Hand halten – das ist
das Schöne an einem Print-Produkt.

ü
12 G GESCHICHTE 7 | 2019
 Großes Jubiläums-Rätsel
Zum Geburtstag von G/GESCHICHTE haben wir Fragen zu
historischen Ereignissen der letzten vier Jahrzehnte ausgesucht
Geben Sie die Lösung bis zum 15. Juli 2019 in das Online-Lösungsfeld unter
www.g-geschichte.de/heftraetsel-loesen oder schicken Sie eine Postkarte an:
Bayard Media, G/GESCHICHTE, Böheimstr. 8, 86153 Augsburg

Eine kleine Reise durch die Geschichte seit der Erstausgabe

1979: Sie war die erste Frau, die Premierminister von Großbritannien wurde:

2 9 36 13 4 5

1984: Von ihren eigenen Leibwächtern wird die Ministerpräsidentin

der einwohnerstärksten Demokratie der Welt ermordet:

6 1 24 18

1989: Mit den Montagsdemonstrationen beginnt in dieser Stadt der Anfang vom Ende der DDR:

10 23 11 20

1994: Nach 27 Jahren Haft gelingt ihm die Umwandlung seines Landes in eine Demokratie,
und er wird dort der erste Schwarze Staatspräsident:

26 3 14

1999: Zwei Schatzsucher entdecken eine über 4000 Jahre alte runde Bronzeplatte mit goldenen
Applikationen. Wie heißt diese weltweit älteste konkrete Darstellung astronomischer Phänomene?

35 15 31 12 33 7 8

16 21

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 13
40 JAHRE G/GESCHICHTE

2004: Das weltweit erste von einem Staat erlassene Rauchverbot tritt in Kraft.
Es gilt an allen Arbeits­plätzen, öffentlichen Einrichtungen und Restaurants. Wie heißt das Land?

38 32 27

2009: Ein Politiker mit afrikanischen Wurzeln zur US-Präsidentschaftswahl an und gewinnt.
Wie lautet sein Name?

17 22 34 30

2014: In Westafrika bricht die bis dahin größte Epidemie einer ansteckenden Krankheit
mit extrem hoher Todesrate aus. Wie wird sie bezeichnet?

19 25 28

2019: Ein Großbrand führt zur teilweisen Zerstörung einer weltberühmten Kathedrale. Wie heißt sie?

39 29 37

Lösung Ein Zitat von Ludwig Börne, deutscher politischer Schriftsteller und Kritiker (* 1786, † 1837)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

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Augsburg für zwei Personen
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Blick auf das »Hotel am Alten Park«

ü
14 G GESCHICHTE 7 | 2019
Bernd Brunner: Ulrich Graser: Regina Stürickow: Lothar Machtan: Tina und
»Nach Amerika« »Alles Mythos! »Mörder, Opfer, »Kaisersturz« Horst Herzig,
(C. H. Beck) Antike« (Theiss) Kommissare« (Palm) (Wbg-Theiss) Klaus Hillingmeier:
»London« (Stürtz)

Karin Schneider- Karina Urbach: Tina u. Horst Herzig, Christian Pantle: Konrad Jarausch:
Ferber: »Hitlers heimliche Klaus Hillingmeier: »Die Varusschlacht« »Zerrissene Leben«
»Philippine Welser« Helfer« (Theiss) »England und (Propyläen/List) (Wbg-Theiss)
(Friedrich Pustet) Wales« (Stürtz)

Christoph Driessen: Karin Feuerstein- Christoph Driessen: Christoph Driessen: Regina Dieterle:
»Kleine Geschichte Praßer: »Liselotte »Geschichte »Geschichte »Theodor Fontane«
Amsterdams« von der Pfalz« Belgiens« der Niederlande« (Hanser)
(Friedrich Pustet) (Friedrich Pustet) (Friedrich Pustet) (Friedrich Pustet)

Karin Schneider- Katharina Maier: Günter Müchler: Dirk Husemann: Christian

Ferber: »Isabeau »Ich lebe, um zu »Napoleon« »Das schwarze Pantle:
de Bavière« schreiben« (Marix) (Wbg-Theiss) Feuer von Byzanz« »Der Dreißigjährige
(Friedrich Pustet) (Bastei Lübbe) Krieg« (Propyläen)

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 15
 Von Anfang an dabei
26 unserer heutigen Leser haben das Magazin seit der ersten Ausgabe
abonniert und sind G/GESCHICHTE all die Jahre treu geblieben.
Mit vier von ihnen haben wir gesprochen

Bernd Scheune- Sieglinde Merz, Dr. Julian Geisler,

mann, Lübeck
Seit ich lesen kann,
habe ich mich für
Geschichte begeistert.
Das sprach sich her­
um, und als ich zehn
Jahre alt war, bekam
ich durch einen
Nachbarn, der Lehrer
war, das erste Heft.
Inzwischen bin ich
selbst Geschichtsleh­
rer am Gymnasium
und habe alle
480 Hefte daheim.
Erlangen Braunschweig
Das Heft habe ich Streng genommen bin
1979 abonniert, damit ich kein Leser der ers­
meine vier Kinder – ten Stunde, da ich erst
die 1961 bis 1969 1982 geboren wurde.
geboren wurden – Meine Familie ist seit
etwas zu lesen haben, 40 Jahren dabei: Das
Kathrin Geiger, das für sie geeignet Abo lief zunächst auf
Schwanstetten und anspruchsvoll meinen Vater, der
Als ich zwölf war, zugleich ist. G/GE­ leider verstorben ist.
stellte mein Latein­ SCHICHTE hat dann Das Magazin kenne
lehrer im Unterricht mir sehr geholfen, Bil­ und lese ich, seit ich
ein neues Geschichts­ dungslücken zu füllen, denken kann. Nun
heft vor. Die Aufma­ nachdem ich in der bin ich Historiker und
chung gefiel mir, und Schule kein einziges Lehrer für Geschichte.
so schlossen meine Jahr mit gutem
Eltern ein Abo für Geschichtsunterricht
mich ab. Später habe erlebt hatte. Dafür be­
ich Neuere Geschich­ sonderen Dank! Ich
te studiert. Ich freue liebe das ganze Heft,
mich jedes Mal auf als Theologin lese ich
das Heft und bin ge­ besonders gern über
spannt auf die Artikel. das Alte Testament.

Unsere Abonnenten über die ganzen 40 Jahre. Wir danken von Herzen!
Zwölf der Leser haben uns Michael Rose, Recklinghausen Johannes Mangels, Bad Aibling
erlaubt, ihren Namen zu nennen. Erich Schäfer, Ratingen Josef Bieker, Attendorn
Vier wählten wir nach dem Zufalls­ Jürgen Schmitt, Aschaffenburg Guiskard Eck, Braunschweig
prinzip (oben), die weiteren sind: Josef Katzameyer, Donauwörth Norbert J. Habermeier, Schlammersdorf

ü
16 G GESCHICHTE 7 | 2019
 40 JAHRE G/GESCHICHTE

Dr. Karina Urbach

Die Historikerin
promovierte an der
­Universität Cambridge
­und habilitierte sich in
ger. ­Metzger habe das Konzept­
Bayreuth. Sie a ­ rbeitet
an der ­Universität ­angelsächsischer Geschichtsma­
London und forscht gazine nach Deutschland g­ ebracht,
seit 2015 am Institute er wolle einer weiten ­Leserschaft
for Advanced Study zeigen, wie relevant Geschich­
in Princeton, USA. te für unsere Gegenwart ist und
Aufsehen erregte dass selbst die kompliziertesten
2015 ihr Buch
Themen – fern von überladenem
»Go-Betweens for
Hitler«, in dem sie die
Fachjargon – für eine b ­ reite Le­
ge­heimen Kontakte serschaft zugängig gemacht wer­
zwischen deutschem den können. Georg schrieb be­
und britischem Adel reits Artikel für das Magazin und
zur Nazizeit aufdeckte wollte mir unbedingt seinen neu­
en Freund vorstellen.
Franz Metzger war genauso,
wie Georg ihn mir beschrieben
Glückwunsch hatte: Ein energiegeladener Mann
mit einer Mission, immer vol­

»Ein Mann mit

ler neuer Ideen und ständig un­
terwegs mit unzähligen Bücher­
taschen. Obwohl ich gerade erst

einer Mission« mit meinem Geschichtsstudium

an der Ludwig-Maximilians-Uni­
versität München begonnen hat­
Als Studentin traf Karina Urbach G/GESCHICHTE- te, stellte er mich kurzerhand als
Gründer Franz Metzger und schrieb für das Magazin. freie ­Mitarbeiterin ein. Ich bekam
das Kürzel »ku« und durfte über
Heute ist sie renommierte Historikerin und Autorin
alle Themen schreiben, die mich

M
beschäftigten – von jüdischer
einen ersten Artikel – sein Todesurteil von 1945 hing. über britische, amerikanische, ös­
für ­G /GESCHICH- ­G eorg war kurz vor Kriegsende terreichische und NS-Geschichte.
TE habe ich Georg wegen wehrkraftzersetzender Äu­ Als ich zum Studium nach
Marischka (* 1922, ßerungen von einem Nazirich­ Cambridge wechselte, konnte ich
† 1999) zu verdan­ ter zum Tode verurteilt worden. ihm keine Beiträge mehr schi­
ken. Georg war Regisseur und der Nur ein Bombenangriff auf Würz­ cken, aber das Magazin und sein
beste Freund meiner Mutter, der burg hatte ihm das Leben gerettet, Mitarbeiterstab wuchsen immer
Schauspielerin Wera Frydtberg. er konnte aus seiner Zelle fliehen weiter. Franz Metzger und seine
Er lebte nur zwei Straßen von uns und sich bis zum 8. Mai 1945 ver­ Nachfolger Klaus Hillingmeier
entfernt in München, und ich be­ stecken. Später musste er mit vie­ und Christian Pantle haben mitt­
suchte ihn mehrmals die Woche, len ehemaligen Nazischauspielern lerweile ganze Generationen von
um mir Bücher auszuleihen. Ge­ Filme drehen, was für ihn, genau Schülern, Studenten und inter­
org sammelte nicht nur seltene wie für meine Mutter, nicht im­ essierten Lesern begeistert. Alle
Bücher, seine größte Leidenschaft mer leicht war. G-Mitarbeiter verdienen an
war es, Autographen zur Franzö­ Aber Georg sammelte sonst diesem 40. Geburtstag den
sischen Revolution und Napoleon nur sympathische Menschen um ­g rößten Dank. Happy Birthday,­
zu kaufen. Bei Georg sah ich zum sich, und eines Tages, es muss G/GESCHICHTE!
ersten Mal Originalbriefe von um 1990 herum gewesen sein, er­
BILDNACHWEIS: PRIVAT

­Robespierre, Danton und Marie zählte er mir, er habe einen sehr­

Antoinette. Am interessantesten ­interessanten Mann kennenge­
war jedoch seine Gästetoilette auf lernt, der ein Geschichtsmagazin
der – in einem goldenen Rahmen leite. Sein Name sei Franz Metz­ Dr. Karina Urbach

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 17
Vielerorts hat der
Dschungel Besitz
von den Tempel-
ruinen ergriffen

Bis zu 10 000 Besucher

strömen täglich
nach Angkor Wat

W
MONUMENTE DER KHMER er an Bauwerke in Chinesische Forscher haben jetzt
Kambodscha denkt, mithilfe modernster Radartechnolo-

Zerfall dem dürfte wohl als

Erstes Angkor Wat ein-
gie untersucht, wie wahrscheinlich
ein Kollaps ist. Das Ergebnis: Angkor

kaum zu
fallen – die gewaltige Wat ist zwar nicht unmittelbar ein-
Tempelanlage, die als größte der Welt sturzgefährdet, aber selbst kaum
gilt. Sie entstand während der Blüte- merkliche, natürliche Schwankungen

stoppen
zeit des Königreichs der Khmer, des Grundwasserpegels machen die
wahrscheinlich im 12. Jahrhundert

BILDNACHWEIS: INTERFOTO, ISTOCK/LORDRUNAR, ISTOCK/SONATALI,

Grundwasser- und Tempera-
turschwankungen gefährden
die Ruinen um Angkor Wat.
Forscher suchen händerin-
gend nach Lösungen
n. Chr. Ihre Bauten weisen schon lan-
ge Schäden auf, Experten warnen
eindringlich vor dem Zerfall. Bereits
jetzt finden sich an vielen Gebäuden
Holzstützen, die notdürftig vor dem
Einstürzen schützen sollen. Durch
die wachsende Besucherzahl steigt
der Wasserverbrauch in der Region
seit Jahren rapide. Dadurch könnte
auf lange Sicht der Grundwasserspie-
gel sinken und der Boden absacken.
Holzstützen gegen Einstürze
architektonischen Strukturen auf lan-
ge Sicht mürbe. Ebenso wie durch
ISTOCK/IGORBONDARENKO, PICTURE ALLIANCE
hohe Temperaturen ausgelöste Aus-
dehnungsprozesse unterschiedlicher
Baumaterialien.
Nun will man versuchen, den Grund-
wasserpegel künstlich stabil zu halten
und bei Restaurierungen nur noch
angepasste Baumaterialien zu ver-
wenden.

CHRONIK IM JULI

15. 7. 1099 13. 7. 1709 14. 7. 1789 »Dat krankheit in ein Irren-
Das Heer des ersten In Köln wird das Ge- Pariser Bürger haus eingesperrt. Das
Kreuzzugs erobert schäft G. B. Farina ge- ­stürmen die Bastille
Wasser Ereignis gilt als Beginn
nach einmonatiger gründet, aus dem nach und befreien die darin vun Kölle der Französischen
Belagerung Jerusalem Erfindung des »Eau de sitzenden sieben Häft- es jot« ­Revolution.
und massakriert Tau- Cologne« die heute linge. Zwei von ihnen Hit der Kölner
Band »Bläck Föss«
sende Bewohner der ­älteste Parfum-Fabrik werden am nächsten über den Rhein, 15. 7. 1869
Stadt. der Welt hervorgeht. Tag wegen Geistes- Kölsch und Parfum Der französische Che-

ü
18 G GESCHICHTE 7 | 2019
 FORUM & CHRONIK

Altägyptischer Glaube
Ohne Nase konnten die ver-
storbenen Gottheiten die
Grabräuber nicht aufspüren

ZEITZEICHEN: 14. 7. 1969

Nach dem Spiel ist

FRAGE DES MONATS

vor dem Einmarsch
Fußball hat sehr wohl mit Politik zu tun. Bis zu 3000 Tote
beim Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador
A
nfang Juni 1969 spielt die sal-
vadorianische Fußball-Natio-
nalmannschaft gegen Hondu-
ras um die Qualifikation zur
WM in Mexiko. El Salvador verliert
auswärts 0:1 und gewinnt das Rück-
spiel daheim mit 3:0. Beide Male
kommt es zu gewalttätigen Randalen.
Ein drittes Spiel auf neutralem Boden
bringt am 28. Juni mit 3:2 die Ent-
scheidung für El Salvador – wieder fol-
gen Ausschreitungen, es gibt Tote. Da-
raufhin schickt General Fidel Sánchez
Hernández, Präsident von El Salvador,
Danach gab es Krieg
Die Elf von El Salvador nach dem
3:2 gegen Honduras in Mexico City
Warum fehlt
äpyptischen
Statuen so oft
die Nase?
am 14. Juli 1969 ohne Kriegserklärung
Bomber und Bodentruppen nach Hon- Man könnte geneigt sein,
duras. Vier Tage dauert der Militär- es mit altersbedingtem
schlag und geht als »Fußballkrieg« in Zerfall zu erklären, und si-
die Geschichte ein. cherlich wird es in einigen
Jahre zuvor waren arme Bauern aus El Fällen auch tatsächlich so
Savador ins dünn besiedelte Honduras sein. Vermutlich war es je-
illegal ausgewandert. Sie wurden jetzt doch zuallererst ein zielge-
von der Militärführung von Honduras richteter Akt menschlicher
wieder zurückgeschickt – über El Sal- Zerstörung. Die alten Ägyp-
vador ergoss sich ein Flüchtlingsstrom. ter glaubten, dass die Skulp-
Die Fußballspiele zwischen beiden turen die Seelen der Ver-
Ländern waren zwar nicht die Ursache storbenen enthalten und
für den Krieg, aber der Anlass. dass Statuen, Gemälde und
andere Darstellungen eine
Art Portal zwischen der Welt
der Lebenden und dem Jen-
seits sind. Wissenschaftler
glauben, dass sich Grabräu-
ber vor den göttlichen Ver-
geltungsmaßnahmen schüt-
zen wollten und deswegen
die Nase entfernten, um den
Geist in der Statue zu »tö-
ten«, indem sie ihn daran
hinderten zu atmen.

Leichen am Wegesrand Soldaten aus

Honduras begutachten tote Salvadorianer

miker Hippolyte Mège- 3. 7. 1919 listen diese wieder zu US-Vizepräsident Ni- 12. 7. 1979
Mouriès erhält ein Pa- Die Weimarer National- Schwarz-Weiß-Rot. xon neben einer Küche Die Bergsteiger
tent für Butterersatz. versammlung bestimmt über die Vorzüge von ­Reinhold Messner und
Er mischt Milch, Was- Schwarz-Rot-Gold, die 24. 7. 1959 Kommunismus und Michael Dacher errei-
ser, Nierenfett und zer- Farben der Revolution Auf einer US-Ausstel- ­Kapitalismus. Das Ge- chen ohne Sauerstoff-
stoßene Kuheuter mit- von 1848, zu den lung in Moskau disku- spräch vor laufender geräte den Gipfel des
einander. Das Ganze Reichsfarben. 1933 än- tieren Sowjetchef Kamera wird als »Kü- K2, des zweithöchsten
nennt sich Margarine. dern die Nationalsozia- Chruschtschow und chendebatte« bekannt. Berges der Welt.

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 19
 PROLOG

Vernarbter
Wanderer am Himmel
Einschlagkrater und
die lavaüberfluteten dunklen
»Mondmeere« charakterisieren
den Erdbegleiter
BILDNACHWEIS: NASA/JPL

ü
20 G GESCHICHTE 7 | 2019
 T I T E LT H E M A

Der
Mond
Der bleiche Erdtrabant fasziniert die Menschen seit jeher.
Ewig zu- und abnehmend, inspirierte er alle Völker zu Mythen.
Noch im Zeitalter der Raumfahrt wirkt sein Zauber auf uns

PROLOG MONDLANDUNG
Vor 50 Jahren betreten
erstmals Menschen den
Erdbegleiter. Der Landeanflug
verläuft dramatisch
Seite 22

1. KAPITEL MYTHEN
Von den Göttern der Sumerer
über den buddhistischen
Hasen im Mond bis
zur modernen Mondmagie
Seite 30

2. KAPITEL FORSCHUNG
Galilei entdeckt Gebirge auf
dem Himmelskörper, der
später zum Ziel des teuersten
Rennens aller Zeiten wird
Seite 46

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 21
PROLOG

Die erste Mondlandung

Kleiner
Schritt,
riesiger
Sprung
Vor 50 Jahren erfüllt sich ein Traum der
Menschheit. Fast wäre die Mission gescheitert

E
[ VON KATHARINA MAIER ]

s kracht und rumpelt im

Cockpit, als die 111 Meter
hohe Saturn-V-Rakete am
16. Juli 1969 von Cape Cana-
veral abhebt. Das ist normal:
Die Astronauten an Bord
müssen nicht nur den Lärm
der gewaltigen Triebwer-
ke ertragen, sondern auch
den Schall, der vom Erdbo-
den zurückgeworfen wird. Weniger normal ist
die Mission »Apollo 11«, auf der sich Komman-
dant Neil Armstrong mit seinen Piloten ­Edwin
»Buzz« Aldrin und Michael Collins befindet:
Die Männer sollen den ersten Versuch einer
Mondlandung wagen.
Eineinhalbmal um die Erde —
und dann hinein ins All
Planmäßig hebt die Rakete ab, und die Astro-
nauten vollziehen eineinhalb Erdumdrehungen
BILDNACHWEIS: NASA

zum Schwungholen für den Flug zum Mond.

Ohne Probleme zündet Collins die letzte Stu-
fe der Saturn V und koppelt das Kommando­
modul »Columbia«, in dem die drei Männer sit-
zen, an die Mondlandefähre »Eagle« (Adler) Bild für die Ewigkeit Edwin »Buzz« Aldrin geht

ü
22 G GESCHICHTE 7 | 2019
auf dem Mond umher. Das Segel zu seiner Rechten fängt Partikel des Sonnenwinds ein. Von Neil Armstrong existiert kein solches Foto

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 23
 Die Crew Neil Armstrong, Michael Collins und Buzz Aldrin (von links) Geglückter Start Die Saturn V hebt ab
an. Ein T
­ raumstart. Und doch steigt die An-
spannung. Seit die Crew der Apollo 1 in der
Testphase durch ein Feuer im Cockpit starb (sie-
he Beitrag ab Seite 52), sind Tausende Mängel
an Raumschiff und Landefähre behoben wor-
den. Aber reicht das aus? Vieles konnte auf der
Erde gar nicht getestet werden; zu gering ist das
Wissen über die Bedingungen auf dem Mond.
Aldrin rechnet nur mit einer
60-prozentigen Überlebenschance
Drei Tage gleitet die Columbia durch den
Weltraum, alles verläuft reibungslos. Aber Arm-
strong, ein ehemaliger Kampf- und Testpilot,
weiß genau: Probleme treten dann auf, wenn du
sie am wenigsten erwartest. Höchste Aufmerk-
samkeit bei totaler Untätigkeit. Das zermürbt.
Denkt Buzz Aldrin jetzt daran, dass er sich
und seinen Kameraden nur eine 60-prozentige
Überlebenschance gegeben hat? Oder hat er im-
mer noch mit der empfundenen Zurücksetzung
zu kämpfen, dass er nicht als erster Mensch den
Mond betreten soll? Ihm, dem Piloten der Lan-
defähre, stünde es zu; doch der abgeklärte Arm-
strong passt besser in das Konzept der PR-Leute.
»Wir hatten so viel zu
tun. Für Gefühle
hatten wir da keine Zeit«
Neil Armstrong in einem Interview
ü
24 G GESCHICHTE 7 | 2019
Collins, der in der Columbia den Mond um-
kreisen wird, hat wenig Verständnis für Aldrins
Unmut. Sein Ziel ist es, die Mission zu erfül-
len, die Präsident Kennedy seinem Land 1961
auf die Fahnen geschrieben hat: vor Ende des
Jahrzehnts Menschen auf den Mond zu bringen.
Kein halbes Jahr bleiben den USA dafür noch,
und die Sowjetunion sitzt ihnen im Nacken. Da
gibt es wenig Raum für persönliche Ambitio-
nen. Das weiß auch Aldrin. Die drei sind im All,
um einen Job zu erledigen.
Der schwerste Teil des Jobs ist der Lande-
versuch auf dem Mond am 20. Juli 1969. Arm­
strong räumt dem Unterfangen wenig Chancen
ein. »No confidence – kein Vertrauen«, rutscht
es ihm noch in einem 2012 veröffentlichten
­Interview heraus.
Zwölf Minuten dauert die Abstiegssequenz
der Landefähre nach dem Abkoppeln von
der Columbia. Keine zwei Kilometer von der
Mondoberfläche entfernt gibt der Navigations-
computer plötzlich Alarm. Weitermachen, lau-
tet die Anweisung der Bodenstation. Ein Pro-
grammfehler, aber alles Wichtige funktioniert
noch. Doch schon wieder meldet der Compu-
ter ein Problem: Die Landefähre ist schneller
als berechnet und wird die geplante Landestelle
um mehr als vier Kilometer verfehlen. Das neue
Gebiet ist völlig ungeeignet: steil, voller Geröll
und Felsbrocken. Aber in spätestens drei Minu-
ten müssen sie runter oder abbrechen.
BILDNACHWEIS: NASA (4)
Armstrong übernimmt das Steuer vom
­Autopiloten und sucht nach einem besseren
Landeplatz, Aldrin liefert ihm ununterbrochen
Navigationsdaten. Unter der Fähre tut sich ein

Gelandet Aldrin steigt aus der Fähre »Eagle« Abflug vom Mond Die Eagle, fotografiert von Collins. Am Horizont leuchtet die Erde
Krater auf, auch da lässt es sich nicht landen. Im
Tank ist noch für 90 Sekunden Treibstoff, ehe
der Sinkflug abgebrochen werden muss, um
die Eagle zur Columbia zurückzubringen. Wei-
ter. Armstrong entdeckt jenseits des Kraters ei-
ne ebene Stelle, aber die Fähre wirbelt so viel
Mondstaub auf, dass er nicht einschätzen kann,
wie schnell sie sich dem Boden nähert. Noch
für 30 Sekunden Treibstoff. Armstrong orien-
tiert sich an ein paar großen Felsen, die aus dem
Staub ragen, dann meldet Aldrin plötzlich Bo-
denkontakt. »The Eagle has landed« (»Der Ad-
ler ist gelandet«), verkündet Armstrong. Der
Satz ist ihm wichtiger als jener beim Aussteigen,
der in die Geschichte eingehen wird: »Das ist
ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein
riesiger Sprung für die Menschheit.«
Und wenn sie für immer
da oben bleiben müssen?
Während Armstrong und Aldrin ihren zwei-
einhalbstündigen historischen Mondspazier-
gang absolvieren, umkreist Collins in der Co-
lumbia den Erdtrabanten. Gelassen erfüllt er
seine Aufgaben; eine Fehlfunktion am Kühler-
system behebt er, indem er die Steuerung von
Automatik auf manuell und zurück schaltet.
Und doch: Was, wenn die Starttriebwerke der
Eagle nicht zünden? Die NASA sieht für diesen
Fall ein Protokoll vor: Der Funkkontakt wird
abgebrochen, ein Geistlicher empfiehlt die See-
len der gestrandeten Astronauten den tiefsten
Tiefen an, und Collins kehrt allein zur Erde zu-
rück. Präsident Nixon hat bereits eine bewegen-
de Trauerrede vorbereiten lassen.
ü
PROLOG
Unten auf dem Mond hat Buzz Aldrin der-
weil mit seinem sperrigen Raumanzug den Zün-
dungsschalter für das Starttriebwerk beschädigt.
»Er hätte sich ja auch einen aussuchen können,
der unwichtig war«, scherzt Neil A ­ rmstrong in
dem Interview, das in seinem Todesjahr 2012
veröffentlicht wurde. Damit der wichtige Schal-
ter hält, wird er mit einer Filzstiftkappe fixiert.
Und die Eagle hebt ab. Präsident Nixon kann
seine Trauerrede einstampfen lassen.
Am 24. Juli 1969 tritt die Columbia wieder
in die Erdatmosphäre ein. Der Funkkontakt
bricht währenddessen ab, doch die Kapsel was-
sert wie vorgesehen im Pazifik. Acht Tage waren
die drei Astronauten im Weltraum, 19 weitere
Tage bleiben sie in Quarantäne – für den Fall,
dass es Mikroorganismen auf dem Mond geben
sollte. Dort, im Labor auf der Erde, merken sie,
dass es kaum Fotos von Neil Armstrong wäh-
rend seines Mondspaziergangs gibt. Alle ­Bilder,
die ihren Weg in die Geschichtsbücher fin-
den werden, zeigen Buzz Aldrin. Geschah das
aus Absicht, aus Eifersucht wegen dieses ersten
Schritts auf den Mond? Oder stand es einfach
nicht auf der Checkliste, die Armstrong und
­Aldrin abzu­arbeiten hatten? »Wir hatten so viel
zu tun«, sagt Armstrong Jahrzehnte später. »Für
Gefühle hatten wir da keine Zeit.«
DVD-TIPP
Damien Chazelle (Regie): »Aufbruch zum Mond«
mit Ryan Gosling als Neil Armstrong.
Universal Studios 2018, ca. € 14,–
G GESCHICHTE 7 | 2019 25
 Fakten-Wissen

Wie kam die Erde

Auch wenn sich der Mond um die Erde dreht – hier dreht sich alles um den

letztes Viertel
abnehmender Mond abnehmender Mond
(von der Erde aus gesehen)

Neumond Erde Vollmond

zunehmender Mond zunehmender Mond

erstes Viertel

Tage, Wochen, Monate und

immer wieder Mon(d)tag
Ein Jahr dauert in der Regel
365 Tage — so lange wie ein Son-
nenumlauf der Erde. Der Mond
braucht im Durchschnitt 29 Tage
und zwölf Stunden, um die Erde
zu umrunden. In Mondkalendern
richten sich danach die Monate.
Der von uns verwendete gregoria-
nische Kalender ist aber ein Son-
nenkalender. Der Montag ist trotz-
dem nach dem Mond benannt und
der Mondgöttin Luna gewidmet:
Der lateinische »dies lunae« wur-
de zu Mon(d)tag eingedeutscht.
Die dunkle Seite
Es ist immer dieselbe Mondhälf-
te der Erde zugewandt. Die andere
Seite (im Bild) ist aber keineswegs
dunkel. Bei Neumond etwa wird
sie von der Sonne angeleuchtet.

400 km 35 786 km
Raumstation ISS Geostationäre Umlaufbahn

Erde Die Apollo-11-Mission benötigte für die Strecke zum Mond gut drei Tage

20 000 km
GPS-Satelliten

ü
26 G GESCHICHTE 7 | 2019

zu einem Mond?
Mond. Ohne ihn könnten wir nicht leben
Die Entstehung
Alles begann mit einem Zusam-
menstoß, so die gängige Theorie:
Der marsgroße Himmeskörper Theia
krachte vor 4,5 Milliarden Jahren
in die Erde. Aus den in die Erdum­
laufbahn geschleuderten Bruch­
stücken formte sich der Mond.
BILDNACHWEIS: AKG ISTOCK/BECART, NASA, WIKIMEDIA, WIKIMEDIA/NASA, SCIENCE PHOTO/MARK GARLIC
Ohne den Mond kein Leben
Zwischen Erde und Mond wirken
starke Gravitationskräfte. Die An-
ziehungskraft des Monds ist durch
Ebbe und Flut direkt erfahrbar.
Maßstabsgetreu (1:1,05 Milliarden) sind hier die Größe der Erde, des Monds und ihre Distanz dargestellt
[ VON KATHARINA BEHMER ]
Die Kollision
Die Sonnenfinsternis
Sie ist zu beobachten, wenn sich
der Mond zwischen Erde und Sonne
schiebt. Dass der Mond am Himmel
genauso groß aussieht wie die Sonne,
liegt an den unterschiedlichen Ent-
Was man nicht unbedingt weiß, ist
die Tatsache, dass der Mond die
Erde ausbremst und die Erdrotati-
on so erst auf ein erträgliches
ü
PROLOG
Erde und entstehender Mond
fernungen und ist reiner Zufall. Der
bewirkt, dass bei einer totalen Son-
nenfinsternis der Mond die Sonne
exakt verdeckt und ein leuchtender
Ring, die Sonnenkorona, erscheint.
Maß gebracht hat. Gleichzeitig
stabilisiert er die Erdachse und
macht damit unser Leben auf
dem Planeten erst möglich.
384 400 km
Entfernung bis zum Mond
Mond
G GESCHICHTE 7 | 2019 27
PROLOG
Buntes Wissen
Golfpartie im
Welchen Einfluss der Mond auf den Menschen hat –
Galaktische
Grundstücke
Wem gehört eigentlich der
Mond? Einsam wehen auf sei-
ner Oberfläche fünf US-ameri-
kanische Flaggen (eine sechste
wurde beim Abheben einer
Raumkapsel aus Versehen um-
geworfen). Die »Stars and
Stripes« sind längst verblichen
— der Stoff ist nun dreckig weiß.
Die Flaggen waren immer nur
rein symbolisch: Die Vereinten
Nationen haben 1968 verein-
bart, dass kein Staat Besitzan-
spruch auf den Mond hat. Der
US-Amerikaner Dennis Hope
witterte eine Rechtslücke und
seine Chance: Da er keine Re-
gierung, sondern Privatmann
ist, sicherte er sich Rechte am
Mond. Seit 1984 ist das zwar
auch verboten, aber Hope ver-
kauft bis heute fleißig Grund-
stücke. Zu seinen Kunden zählt
er drei frühere US-Präsidenten:
Jimmy Carter, Ronald Reagan
und George W. Bush.
28 G GESCHICHTE 7 | 2019
Ist der Mond-
mann eine Frau?
»La-Le-Lu, nur der Mann im
Mond schaut zu.« Das Wiegen-
lied deutet schon an, welches
Geschlecht DER Mond hierzu-
lande hat. Männlich. Dies ist
auf die nordische Mythologie
zurückzuführen, in welcher der
Gott Mani das Mondgefährt
über das Himmelszelt lenkt.
Seine Schwester Sunna ist die
personifizierte Sonne.
In der griechisch-römischen
Mythologie ist es andersher-
um: Die Griechen verehrten
Helios und die Römer Sol als
männliche Sonnengötter und
kannten diverse Mondgöttin-
nen. Dementsprechend ist der
Mond in den romanischen
Sprachen weiblich konnotiert,
etwa »la luna« im Italienischen.
Inwiefern es überhaupt Sinn
ergibt, einem unbelebten
Erdtrabanten ein Geschlecht
zuzuordnen, steht auf einem
anderen Stern.
ü
Atomraketen
im Anflug!
Was zunächst wie eine irre
Verschwörungstheorie klingt,
ist tatsächlich bestätigt: Die
Sowjetunion plante am Höhe-
punkt des Kalten Kriegs Atom-
bombenabwürfe auf dem Mond.
Das belegen historische Unter-
lagen aus dem russischen
Staatsarchiv. Demnach sollten
eine Atom- und eine Wasser-
stoffbombe eigens zu diesem
Zweck entwickelt werden. Die
Starts waren für 1959 geplant.
Die Einschläge sollten mit spe-
ziellen Foto- und Filmkameras
dokumentiert werden. Doch im
Jahr zuvor scheiterten zwei
Testflüge, und das Projekt wur-
de eingestellt. Nicht zuletzt,
weil es auf dem Mond wegen
des Fehlens einer Atmosphäre
statt eines beeindruckenden
Atompilzes nur einen Lichtblitz
gegeben hätte – den man von
der Erde aus nicht einmal hät-
te sehen können.
 Alan Shepard war der erste Mensch, der auf dem Mond golfte
Weltraum
und der Mensch auf den Mond
Falsches
Mondgestein
Mittlerweile kann man in
Amsterdam über den Fall la-
chen: Ein angebliches Stück
Mondgestein stellte sich nach
Analysen des dortigen Rijks-
museums als ziemlich irdisch
BILDNACHWEIS: ISTOCK/ASNI MARYAN, STOCK/FONIKUM, ISTOCK/MARVID, ISTOCK/PENNAPAZZA, ISTOCKP/RAKDEE
heraus. Es handelte sich nicht
um einen extraterrestrischen
Felsbrocken, sondern nur um
ein Stück versteinertes Holz.
Das Exponat war vom nieder-
ländischen Ex-Ministerpräsi-
denten Willem Drees an das
Museum vererbt worden. Der
hatte es 1969 vom damaligen
US-Botschafter und der wiede-
rum angeblich direkt von der
Apollo-11-Besatzung. Kein Fake
sind dagegen Bäume vom
Mond: Apollo-14-Astronaut
Stuart Roosa hatte 500 Sa-
menkörner mit auf den Mond
genommen, die nach seiner
Rückkehr in den USA gepflanzt
wurden und zu sogenannten
Mondbäumen heranwuchsen.
[ VON KATHARINA BEHMER ]
Menstruation im
Mondrhythmus
Viele Menschen sind über-
zeugt, dass der Vollmond sie
am Schlaf hindert. 92 Prozent
der Deutschen glauben an ei-
nen Zusammenhang zwischen
den Mondphasen und dem
menschlichen Organismus (sie-
he auch Beitrag ab Seite 38).
Warum sonst sollte der weibli-
che Menstruationszyklus etwa
gleich lang wie ein Mondum-
lauf sein? Die Erklärung:
reiner Zufall! Bei anderen Säu-
getieren ist die Zeitlänge an-
ders. Wissenschaftliche Studi-
en lassen auch keinen Zusam-
menhang zwischen Mond und
Verhalten erkennen: Bei Voll-
mond etwa kommt es nicht zu
mehr Verbrechen als sonst.
Wohl aber ist ein Einfluss auf
manche Tierarten zu erkennen:
Die Meeresnacktschnecke
Tritonia diomedea passt ihre
Bewegungsrichtung dem Stand
des Monds an.
ü
Mitbringsel auf
Mondmission
Als der US-Astronaut Alan
Shepard 1971 mit der Apollo-
14-Mission auf den Mond reiste,
nahm er zwei Golfbälle mit und
ein Sechsereisen, das er an ei-
nem geologischen Instrument
befestigte. Den ersten Ball ver-
fehlte er zunächst, um ihn da-
nach zwei Meter voranzubrin-
gen. Der zweite Ball flog laut
Shepard »Meilen und Meilen
und Meilen«. Es waren wohl ei-
nige Hundert Meter. Die Bälle
liegen bis heute auf der Mond-
oberfläche. Buzz Aldrin brach-
te 1969 eine Hostie und Wein
mit zum Mond, um dort Kom-
munion zu feiern. Heute ist
strenger geregelt, was Astro-
nauten mitnehmen dürfen.
Grund dafür ist die Briefmar-
kenaffäre von Apollo 15: Die
Besatzung hatte Briefumschlä-
ge mit ins All geschmuggelt,
um diese später gewinnbrin-
gend privat zu verkaufen.
G GESCHICHTE 7 | 2019 29
 1. KAPITEL MYTHEN

Sin, Chons, Selene & Co.

Der göttliche
Erdbegleiter
Für den modernen Menschen hat der Mond seine geheimnisvolle
Aura längst verloren. Das war früher einmal anders. In den alten
Kulturen rankten sich um unseren Trabanten fantastische Mythen
[ VON KARIN FEUERSTEIN-PRASSER ]

Mit Musik, Opfern und

Gebeten beschwören
BILDNACHWEIS: INTERFOTO/SUPERSTOCK/FINE ART IMAGES

die frühen Ägypter

den Mondgott Chons.
Darstellung von 1905

ü
30 G GESCHICHTE 7 | 2019
D
ie Sumerer bangten
immer wieder um Sin,
ihren wichtigsten Gott.
In seinen verschie-
denen Erscheinungs-
formen erhellte er,
als Verkörperung des
Mondes, stets zuver-
lässig den nächtlichen
Himmel. Bisweilen
aber nahm er eine bedrohlich rötliche Färbung
an, und sein Licht strahlte nicht mehr. Dann
war es wieder so weit: Dämonen versuchten,
Sin in ihre Gewalt zu bringen, und die Pries-
ter mussten so lange für ihn beten, bis der Gott
seine Widersacher besiegt hatte. So zumindest
erklärten sich die Sumerer das Phänomen der
Mondfinsternis.
Im orientalischen Raum gehörte der Mond
ebenso wie die Sonne zu den wichtigsten Gott-
heiten. Auf die Sumerer geht der älteste bekannte
Mondkult zurück, der um 3400 v. Chr. entstand.
Sin (auch bekannt als Nanna) galt als Vater
aller Götter und Schutzgott der Stadt Ur im
Süden des heutigen Irak. Vor rund 4000 Jah-
ren errichteten deren Bewohner ihm zu Ehren
ein imposantes Heiligtum, den 25 Meter hohen
Stufentempel, Zikkurat genannt. Archäologen
haben ihn im 19. Jahrhundert ausgegraben.
Auf der nächtlichen Reise über den Himmel
wurde Sin von seiner Tochter Inanna (Ischtar)
begleitet. Sie übernahm schließlich die Rolle
ihres Vaters und stieg zur sumerischen Mond-
göttin auf. Ihr Attribut war die Mondsichel mit
Stern – ein Symbol, das sich auch heute in den
Flaggen islamischer Staaten wiederfindet.
Im Alten Ägypten verkörperte der Mondgott
Thot den Erdtrabanten. Später löste ihn Chons
(Khonsu) ab, der, wie sein Name verrät, »mit ei-
nem Boot über den Himmel gleitet«.
Zwei Gottheiten kämpfen
um das Licht
Der Überlieferung nach liebte Chons das
altägyptische Brettspiel Senet über alles und
brachte es darin zu wahrer Meisterschaft. Als
eines Tages Thot sein Partner war, beschlos-
sen die beiden, dass sie diesmal um das Licht
spielen wollten. Dann geschah das Unerwar-
tete: Obwohl Chons bereits glaubte, den Sieg
in der Tasche zu haben, erwies sich jetzt Thot
als der bessere Spieler und gewann die Partie.
Als Verlierer musste Chons einen Teil seines
Lichts abgeben und konnte deswegen nicht
ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 31
1. KAPITEL MYTHEN

Chons mehr so hell strahlen wie zuvor. Fortan war

er gezwungen, das ihm verbliebene Licht zu ra-
Herkunft: Ägypten tionieren. So sind nach altägyptischem Glau-
Gut für: Gesundheit, ben die wechselnden Mondphasen entstanden:
Lebensdauer Neumond, zunehmender Mond, Vollmond und
Besonderheit: Der
abnehmender Mond.
Mondgott wird oft Thot aber nutzte das gewonnene Licht, um
als Mumie dargestellt. den Kalender in Ordnung zu bringen. Der hatte
Im Alten Reich ein bislang aus zwölf Monaten mit jeweils 30 Tagen
Menschenfresser und bestanden. Die fünf fehlenden Tage schuf Thot
Krankheitsbringer, nun aus dem gewonnenen Mondlicht.
wandelt er sich später
Nicht nur die frühen Ägypter suchten nach
zum Heiler
(Amulett aus dem
einer Erklärung dafür, warum der Mond sei-
1. Jahrtausend v. Chr.) ne Gestalt ändert. Die Germanen beispielswei-
se glaubten, ihr Mondgott Mani, der mit seinem
Pferdegespann über den Nachthimmel preschte,
habe zwei Begleiter, die diesen Wechsel verursa-
chen: die Frauengestalt Bil (»die Abnehmende«)
und ihren Bruder Hjuki (»der Zunehmende«).
Für die Grönländer war der Mond ein junger
Mann namens Anningan, der zunächst gemein-
sam mit seiner Schwester Malina in einem Iglu
lebte. Im Schutz der Dunkelheit soll er sich Ma-
lina mehrfach unsittlich genähert haben, doch
das Mädchen hatte keine Ahnung, dass es sich
um den eigenen Bruder handelte. Um dem Un-
hold auf die Spur zu kommen, rieb sie sich eines
Abends mit dunklem Öl ein – und entdeckte
am folgenden Morgen entsetzt das verschmier-
te Gesicht ihres Bruders. Es folgte ein heftiger
Streit, Malina griff zu einem brennenden Holz-
scheit und ging damit auf Anningan los. Der
sprang daraufhin voller Panik an den Himmel
und verwandelte sich in den Mond. Die ihm
nachsetzende Malina aber wurde zur leuchten-
den Sonne.
Astarte Unerbittlich verfolgt die Sonne
Herkunft: Syrien und den Mond am Himmel
östliches Mittelmeer,
später auch Ägypten
Bis heute jagt Malina dem Mond hinterher,
dessen dunkle Flecken noch immer gut sicht-
Gut für: Liebe, bar sind. Anningan fühlt sich so gehetzt, dass er
Frucht-barkeit, Krieg
zeitweise nicht einmal zum Essen kommt und
Besonderheit: Auf dem immer weiter abnimmt. Nur bei Neumond ge-
Kopf trägt sie Kuhhörner lingt es ihm, sich vor Malina zu verstecken und
oder eine Mondsichel als so viel Nahrung zu sich zu nehmen, dass er wie-
BILDNACHWEIS: AKG (2), BRIDGEMAN, INTERFOTO

Symbol der Weiblichkeit.

der Kräfte sammelt und runder wird. Doch
Oft hat sie den Morgen-
und Abendstern bei sich dann geht die Verfolgung wieder von vorn los,
(Statuette aus der ein ewiger Kreislauf.
Seleukidenzeit) Nicht in allen Religionen standen männliche
Götter für den Mond. Im griechisch-römischen
Raum war der Mond weiblich – und er ist es in
den romanischen Sprachen bis heute: im Fran-
zösischen la lune, im Italienischen la luna.

ü
Griechen und Römer
verehrten den
weiblichen Mond
Das zeigt sich bis heute in
den romanischen Sprachen

Bei Griechen und Römern galten die wech-

selnden Mondphasen als Sinnbilder für das
Lebensalter der Frau: Die zunehmende Sichel
stand für die Jugend, der Vollmond für die reife
Frau, und der abnehmende Mond verkörperte
die Greisin.
Die liebestolle Mondgöttin
gebärt 50 Töchter
Die Griechen verehrten die Mondgöttin Se-
lene, die in den Nächten vornehmlich der Liebe
huldigte. Der wohl bekannteste Mythos erzählt
von dem schönen Endymion, einen Menschen,
in den sich die Göttin unsterblich verliebte. Un-
bedingt wollte sie verhindern, dass Endymions
irdisches Leben irgendwann einmal endete. Sie
suchte Hilfe bei Göttervater Zeus, der ihren Ge-
liebten in einen dauerhaften Schlaf versetzte,
um ihm ewige Jugend und Schönheit zu schen-
ken. Wenn Selene nun des Nachts in ihrem sil-
bernen Wagen über den Himmel fährt, sucht
sie stets den in einer Höhle schlummernden
Endymion auf. Wie es heißt, sollen aus dieser
Verbindung 50 Töchter hervorgegangen sein.
Als sich die griechische Mythologie weiter-
entwickelte und die olympischen Götter in den
Vordergrund traten, verschmolz Titanentoch-
ter Selene mit der Jagdgöttin Artemis, die ur-
sprünglich gar nichts mit dem Mond zu tun
hatte. Luna, Selenes römisches Pendant, wurde
entsprechend zur Jagdgöttin Diana.
Artemis war auch die Göttin der Frauen, Be-
schützerin des werdenden Lebens und der
Geburt. Dass sie nun zur Mondgöttin wur-
de, lag möglicherweise daran, dass die Men-
schen einen Zusammenhang zwischen dem
vierwöchigen Mondzyklus und dem weib-
lichen Fruchtbarkeitszyklus hergestellt
hatten (siehe Beitrag Seite 29). Auch wenn sich
dieser Glaube in esoterischen Kreisen bis heute
hält – von der Wissenschaft wurde er längst wi-
derlegt, wie auch viele andere Mythen rund um Selene
den Mond. Herkunft: Griechenland Besonderheit: Die Mond-
göttin trägt eine Fackel,
Gut für: den Wechsel
wenn sie durch die dunkle
LESETIPP von Tag und Nacht,
Nacht zu ihrem Geliebten
den sie gemeinsam mit
Gerhard Fink: »Who’s who in der Endymion eilt (Skulptur
der Morgenröte und dem
antiken Mythologie«. Dtv 2018, € 9,90 aus dem 3. Jh. v. Chr.)
Sonnengott vollbringt

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 33
 Vergeblich geht der Affenkönig
auf den Mondhasen los.
Aus Japan, 19. Jahrhundert

Überirdische Bewohner

Der Hase im Mond

Die Europäer sehen oft einen Mann im Mond, andere eine
schöne Frau, einen emsigen Hase oder eine Kröte:
Schon ewig erkennen die Menschen Wesen auf dem Erdtrabanten

ü
34 G GESCHICHTE 7 | 2019

[ VON FRAUKE SCHOLL ]
D
er Auftrag aus Hous-
ton ist klar: Die Crew
der Apollo 11 soll an
diesem Morgen des
20. Juli 1969 wachsam
sein und Ausschau
halten. »Nach einem
hübschen Mädchen mit einem großen
Hasen«, näselt der Sprecher der NASA-
Bodenstation über Funk in die Raum-
kapsel. Feierlich erzählt er die »alte
Legende des chinesischen Mädchens
Chang’e«, das »seit 4000 Jahren auf
dem Mond lebt«. Mit ihrem Gefährten,
»der leicht zu erkennen ist, weil er auf
seinen Hinterfüßen im Schatten eines
Zimtbaums steht«. Es piepst in der Lei-
tung. Rauschen, längere Pause. Dann,
kurz und amüsiert, die Antwort. »Okay,
wir werden das Hasen-Mädchen unter
die Lupe nehmen«, verspricht der Pi-
lot der Mondlandefähre, Buzz Aldrin,
der wenig später als zweiter Mensch
den Mond betritt (siehe Beitrag ab
Seite 22). Gelächter, dann endet das
Geplänkel. Ob das Apollo-11-Team
die schöne Chang’e am Ende entdeckt
hat, ist im NASA-Protokoll der histo-
rischen Mission nicht überliefert. Je-
denfalls sind Aldrins »bunny girl« und
der Hase nicht bloß ein Astronauten-
Gag. Sondern mythische Mondbewoh-
ner, die Geschichte geschrieben haben
– lange vor den Amerikanern.
Überall auf der Welt, besonders in
Asien und alten Indio-Kulturen, glau-
ben die Menschen früh an Wesen, die
den Mond bewohnen. Grund sind die
rätselhaften dunklen Flächen des Ge-
stirns, die die menschliche Fantasie
anregen. Bei Vollmond erscheinen die
Flecken als Umrisse von Gestalten – in
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/BAGI1998/AGENTUR2, ISTOCKPHOTO.COM
Europa macht der »Mann im Mond«
Karriere, anderswo wird ein Hase er-
kannt, eine Kröte, eine Frau. Was es
mit den Wesen auf sich hat, beschäftigt
»in alten Zeiten jeden Mondbeobach-
ter«, schreibt Historiker Jürgen Blunck.
Entsprechend lang ist die Liste der sa-
genhaften Bewohner. Nicht alle sind so
langlebig wie Chang’e.
Das Mädchen, das die NASA be-
geistert, ist als chinesische Mondgöttin
seit Jahrtausenden berühmt. Anders
Ein Langohr am Himmel
Oder doch nur erstarrte Lava?
Die Menschen in Ostasien machen gern
die Umrisse eines Hasen aus
als ihre Kolleginnen bei den Römern
und Griechen symbolisiert sie den
Erdtrabanten nicht, und sie zeigt sich
auch nicht bei Vollmond. Die »Frau
im Mond« wohnt einfach da oben. Für
ihre Legende gibt es mehrere Versio-
nen. Ins NASA-Protokoll schafft es die,
nach der die schöne Chang’e vom Jade­
kaiser aus dem Himmel auf die Erde
verbannt wird, weil sie einen Krug zer-
bricht. Dort heiratet sie den Helden-Jä-
ger Houyi, der die Welt vor neun sen-
genden Sonnen rettet, aber dann zum
Tyrannen wird. Chang’e stiehlt ihm ein
Unsterblichkeitselixier, mit dem er Üb-
les wollte, schluckt es und entschwebt
dadurch zum Mond. Dort lebt sie fort-
an mit einem Hasen, der unermüdlich
das Elixier des Lebens mörsert.
Das Mondmädchen
inspiriert sogar Mao
An die ewige Heldin erinnern die
Chinesen bis heute zum Mondfest und
mit Manga-Figuren – und mit ihrem
Mond-Programm: »Chang’e 4« heißt
die unbemannte chinesische Sonde, die
im Januar dieses Jahres als erste auf der
Rückseite des Monds landete. Chang’e
überwindet sogar politische Gren-
zen. Nicht nur die Crew der Apollo 11
schätzte sie, auch Kommunisten-Füh-
rer Mao Zedong: Er verewigt sie 1957
in einem Trauer-Poem. »Die einsame
Dame auf dem Mond, Chang’e, breitet
ihre Arme aus und tanzt für die guten
Seelen im unendlichen Himmel«, dich-
tete der Diktator.
Andere Mondbewohner sind ganz
unpolitisch. Etwa der Hase mit dem
Mörser, der auch in Japan, Korea, ­Tibet
ü
1. KAPITEL MYTHEN
oder Indonesien ein lunarer Held ist.
Auch ohne Chang’e ziert das Langohr
die Himmelsmythologie – überall da,
wo ihn seine Fans bei Vollmond er-
kennen. Unter einem Zimtbaum – wie
im NASA-Funkspruch – steht er da-
bei eher in der koreanischen als in
der chinesischen Lesart, immer hat er
aber die gleiche Funktion. Als Sym-
bol der Fruchtbarkeit, als Wächter des
Lebens(elixiers).
Auch der Buddhismus macht den
Hasen zum Mondbewohner. In den
Geschichten aus Buddhas Leben, den
uralten Jatakas, taucht seine Helden-
tat auf. Um einem hungernden Mann
zu helfen, will das Langohr den Feuer-
tod wählen und sich selbst als Braten
anbieten. Der Mann entpuppt sich als
König der Götter, der den Hasen rettet
und sein Bild zum Dank auf die Mond-
oberfläche malt.
Auch die Azteken kennen solch eine
Sage, bei ihnen bedankt sich der Gott
Quetzalcoatl. »Du magst nur ein Hase
sein, aber jeder wird sich an dich erin-
nern«, sagt er der Legende nach, bevor
er das Hasen-Bild im Mond verewigt.
Chang’e und der Hase dulden auch
andere Bewohner. Eine Kröte taucht in
der chinesischen Mythologie ebenso
auf wie bei den Indios. International ist
der Mann, der meist Holz oder Reisig
schultert. Bei den Chinesen ist es Holz-
fäller Wu Gang, der verbannt wurde,
im christlichen Raum ist es ein Frevler,
den Gott auf den Mond schickt, weil er
am Sonntag Holz schlägt. Der »Mann
im Mond« überdauert wie Chang’e, ob
bei »Peterchens Mondfahrt« oder im
Märchen von Ludwig Bechstein.
Jenseits des Mystischen sind die
dunklen Mondflächen Tiefebenen,
die seit Asteroideneinschlägen vor
­Milliarden Jahren mit dunkler Lava ge-
füllt sind. Aber mal ehrlich, »bunny girl«
& Co. liefern eindeutig die bessere
­Geschichte.
LESETIPP
Jürgen Blunck (Hg.): »Wie die Teufel
den Mond schwärzten. Der Mond in Mythen
und Sagen«. Spektrum 2003, € 9,99
G GESCHICHTE 7 | 2019 35
 Wenn der Mond am hellsten ist Das Mondfest wird in China ausgelassen gefeiert

D
ie Legende von
Chang’e, dem Mäd-
chen im Mond, exis-
Mondfest tiert in verschiede-
nen Versionen. Eine

China feiert
kam bei der ersten
Mondlandung sogar
ins NASA-Protokoll (siehe vorangegan-

das himmlische
gener Beitrag), aber es gibt auch eine
BILDNACHWEIS:: ISTOCKPHOTO.COM/MATT LEUNG, PICTURE ALLIANCE/PHOTOSHOT, PICTURE ALLIANCE/MATT LEUNG
wesentlich romantischere, wenngleich
traurige Variante: Chang’e stiehlt auch
hier dem Helden-Jäger Houyi sein Un-

Liebespaar sterblichkeitselixier und entschwebt

zum Mond. Doch Houyi liebt seine
Chang’e so sehr, dass er ihr den Dieb-
stahl verzeiht. Vor lauter Rührung über
In Teilen Asiens ist der 15. Tag im achten Monat eine so unerschütterliche Liebe macht
ein ganz besonderer. Der Mond eine Göttin auch den Jüngling unsterb-
lich und erhebt ihn zum König des
steht in der chinesischen Kultur über allem Reichs der Sonne. Aber Strafe für die
Frau im Mond muss sein. Nur einmal
[ VON MICHAEL FELDHOFF ]
im Jahr, am 15. Tag im achten Mond,
dürfen die beiden zusammenkommen.
Diesen Schicksalstag der beiden Lie-
benden feiern die Chinesen ausgiebig
als Mondfest, auch Mitherbstfest ge-
nannt. So lautet eine der Erklärungen
für den Feiertag – auch hier gibt es
mehrere Versionen. Das Datum vari-

ü
36 G GESCHICHTE 7 | 2019

Die Mondkuchen Sie sind süß gefüllt und machen richtig satt
iert mit dem Mondkalender, dieses Jahr
findet das Fest am 13. September statt.
In einzelnen Regionen dauern die Fei-
erlichkeiten bis zu einer Woche, min-
destens aber drei Tage, wenn der Mond
am hellsten scheint.
Der Vollmond symbolisiert Frieden,
Wohlstand, Zusammengehörigkeit
Die Chinesen begehen das Fest mit
vielen bedeutungsvollen und traditi-
onellen Zeremonien. Die Menschen
­reisen zu ihren Geburtsorten und
­Familien zurück, essen gemeinsam, be-
suchen Sehenswürdigkeiten und Parks,
führen Drachentänze auf und strecken
unzählige Himmelslaternen dem Him-
mel entgegen. Und natürlich huldigen
sie dem Mond.
Pomelos, eine Zitrusfrucht, und vor
allem der Mondkuchen gehören zum
Fest dazu wie bei uns zu Weihnachten
der Christstollen. Die runden, hand-
tellergroßen Mondkuchen haben tra-
ditionell einen Teigmantel. Die Fül-
lungen bestehen aus süßer Bohnen-
paste, Nußmischungen, getrockneten
Früchten oder Lotuspastete. Wertvolle-
re Exemplare enthalten in der Mitte ein
ü
­gesalzenes Eidotter als Symbol für den
Vollmond.
Der steht in der chinesischen Kul-
tur für Frieden und Wohlstand. Seine
Rundung symbolisiert Ganzheit und
Zusammengehörigkeit. In der Mitte
des achten Monats des chinesischen
Kalenders ist der Mond voll, und acht
ist auch eine beliebte Zahl in der chine-
sischen Kultur. Sie steht für Reichtum.
Diese Traditionen wandeln sich nun.
Die jungen Chinesen reisen lieber, sur-
fen im Internet und feiern mit ihren
Familien über das Smartphone. In Tai-
wan, das offiziell Republik China heißt,
hat sich das Mondfest mehr und mehr
zu einem »Nationalen Grilltag« ent-
wickelt. Der Geruch von Würstchen,
Hühnchen und Fisch wabert durch das
Land, und bei einem Spaziergang im
Park oder in der Stadt muss man da-
rauf achten, nicht aus Versehen einer
Familie in ihr Abendessen zu treten.
LESETIPP
Stefan Baron, Guangyan Yin-Baron:
»Die Chinesen. Psychogramm
einer Weltmacht«. Econ 2018, € 25,–
1. KAPITEL MYTHEN
i RELIGIONEN
Wie Christentum,
Judentum und
Islam sich nach
dem Mond richten
Ostern wird zwischen dem
22. März und 25. April gefeiert,
genauer gesagt: Am Sonntag
nach dem ersten Vollmond im
Frühling. So wurde es auf dem
Konzil von Nicäa im Jahr 325
festgelegt. Der Grund ist, dass
im Neuen Testament Sterben
und Auferstehung Christi in
eine Pessachwoche fielen.
Das jüdische Pessach wird ab
dem 15. Nisan gefeiert, wobei
der Monat Nisan zwischen Mit-
te März und Mitte April beginnt,
abhängig von Sonne und Mond.
Der islamische Kalender ist
ein reiner Mondkalender. Jedes
Jahr verschiebt sich der Fas-
tenmonat Ramadan um zehn
bis zwölf Tage nach vorn und
durchschreitet allmählich alle
Jahreszeiten.
Papst Franziskus erteilt den
Ostersegen »Urbi et Orbi«
auf dem Petersplatz in Rom
G GESCHICHTE 7 | 2019 37
 Der mit dem
Mond holzt
Sägewerksbesitzer
­Matthias Thiel setzt
2005 bei Vollmond die
Motorsäge an den Baum.
Der Unternehmer lässt
zwischen Vollmond und
abnehmendem Mond
»Mondholz« schlagen,
das angeblich fester und
widerstandsfähiger ist

ü
38 G GESCHICHTE 7 | 2019
 1. KAPITEL MYTHEN

Volksglaube und Esoterik

von der Antike bis heute

Die Magie
des Mondes
Kann Mondlicht heilen?
Beim Tanzen gefährlich
werden? Und beeinflussen,

W
wie die Pflanzen wachsen?
Seit Jahrtausenden fragen
sich Menschen, welchen
Einfluss der Mond auf
ihr Leben hat. Der Glaube
an seine Macht ist nicht
nur ein Phänomen der
Vergangenheit. Noch heute
suchen Menschen
bei ihm Orientierung
[ VON BERND BRUNNER ]

ie wirken die – angeblich – weiblichen Kräfte

des Monds mit den männlichen der Sonne zu
bestimmten Zeiten zusammen? Wie durchwan-
dert der Mond im Lauf eines Monats die zwölf
Tierkreiszeichen? Welche Mondphase emp-
fiehlt sich für Tätigkeiten, bei denen höchste
Konzentration nötig ist?
BILDNACHWEIS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/DPAWEBT

Vermutlich rätseln Menschen schon

­immer über die Wirkung des Mondlichts
Solchen Fragen liegt die romantische Vor-
stellung zugrunde, dass diejenigen, die einem
angeblich »ewigen Mondwissen« folgen, in voll-
endeter Harmonie mit den Rhythmen des Kos-
mos leben können. Vermutlich schon immer
haben Menschen darüber gerätselt, welche

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 39
1. KAPITEL MYTHEN
i ANTIKE
Plutarch
Der um das Jahr 45
n. Chr. geborene Philo-
soph glaubt, dass der
Mond aus Wasser
besteht und beim Zu-
nehmen Feuchtigkeit
vergießt
Ptolemäus
Der griechische
­Mathematiker,
­Astronom und Philo-
soph behauptet im
2. Jahrhundert n. Chr.,
ein ­abnehmender
Mond rufe Stumpf-
sinn hervor
unter anderem Aufschluss über die Mondphasen
40 G GESCHICHTE 7 | 2019
Wirkung das mal stärkere, mal schwächere
Mondlicht auf ihr Leben haben könnte, ob es
mehr oder weniger geheime Gesetzmäßigkei­
ten gibt. Der im 1. Jahrhundert n. Chr. lebende
griechische Philosoph Plutarch war zum Bei­
spiel davon überzeugt, der Mond bestehe aus
Wasser und vergieße beim Zunehmen Feuch­
tigkeit. Diese sei einigen Lebewesen zuträg­
lich, anderen abträglich. Sein Kollege, der As­
tronom Ptolemäus, hing danach dem Glauben
an, der zunehmende Mond fördere Ruhm, Ent­
schlossenheit und Offenheit. Beim Abnehmen
dagegen rufe er Trägheit und Stumpfsinn her­
vor. Die Kelten haben dem Mondlicht heilende
Kräfte zugeschrieben.
Kryptische Symbole zeigen den besten
Zeitpunkt für einen Aderlass an
Seit dem späten Mittelalter wurde der Mond­
glaube nicht nur weitgehend mündlich, son­
dern auch in schriftlicher Form verbreitet. Mit
kryptischen Symbolen versehene astrologische
Mondphasenkalender gaben Wetterprognosen
oder bestimmten die günstigsten Zeitpunkte für
Aderlass und Schröpfen. Bei den Bauernkalen­
dern des 16. und 17. Jahrhunderts drehte sich
vieles um Fragen der Landwirtschaft. Die Ver­
suchung, eine Verbindung mit den Mondpha­
sen herzustellen, war groß, schließlich hing das
Überleben gerade während der Kleinen Eiszeit
Multifunktional
Dieser vielseitige, ewige Kalender von 1765 gibt
ü
Luna-Darstellung aus dem
Kodex »De Sphaera«, der aus
dem 15. Jahrhundert stammt
zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert vom
Ernteerfolg ab. So heißt es im Calendarium des
Johannes Colerus von 1591: »Nota, Was im ab­
nehmenden Monden geseet wird/das wechst
vnter sich in die Wurtzel/als Rüben/Mohrrü­
ben/Zwippeln/etc. die werden gros. Was aber
im zunehmenden Monden geseet wird/dz
wechst vber sich ins kraut oder stengel/als Kohl/
Kraut/Stroh.«
Die gelehrte Astrologie büßte jedoch im Lauf
der Zeit ihre Legitimation ein. Die Koperni­
kanische Wende weg von dem geozentrischen
Weltbild (siehe G/GESCHICHTE 5/2012) und
nicht zuletzt die Berechnungen des Mathema­
tikers Johannes Kepler zu den Planetenbahnen
beförderten deren Niedergang. Dennoch: Auch
wenn sich die Welt der Wissenschaft im Um­
bruch befand, die Astrologie von der Astrono­
mie abgelöst wurde, dachten viele Menschen
gar nicht daran, ihren Mond-Aberglauben an
den Nagel zu hängen. Die Handlungsempfeh­
lungen gingen weiter, der alte Glaube wurde in
neue Schläuche gegossen.
Der Theologe Karl Wuttke machte sich 1860
in dem Buch »Deutscher Volksaberglaube der
Gegenwart« an die Sisyphusarbeit, die Vorstel­
lungen, die sich mit dem Mond verbanden, sys­
tematisch zu erfassen. Und er erkannte dabei
folgende Logik: »Alles, was zunehmen soll, ge­
schieht bei zunehmendem Monde, alles, was
abnehmen soll, bei abnehmendem Monde.«
Dieses Prinzip verlieh dem Ganzen eine Plausi­
bilität, die jedem einleuchten konnte.
 Die Menschen setzten alles Erdenkliche zu
den Mondphasen in Beziehung, über gelegent­
liche Widersprüche sah der Volksglaube groß­
zügig hinweg: Spinnen im Mondschein galt
als wenig nutzbringend, denn das Garn hal­
BILDNACHWEIS: AKG, AKG/NORTH WIND PICTURE ARCHIVES, BRIDGEMAN/LUISA RICCIARINI, GETTY IMAGES/SSPL/SCIENCE MUSEUM, PICTURE ALLIANCE/IMAGEBROKER
te nicht, so hieß es, und die Spinnerin spinne
für ihr Kind den Strick. Wenn man die Wäsche
im Mondschein hängen ließ, wird der, der sie
trägt, mondsüchtig. Auch tanzen sollte man
im Mondlicht nicht, glaubten laut Wuttke Be­
wohner der Oberpfalz, »weil dann die Erdde­
cke so dünn ist wie Spinnwebe, und die Geister
drunten durch das Tanzen heraufgelockt wer­
den.« Und Haare solle man sowieso am besten
bei zunehmendem Mond schneiden, damit sie
stark werden. Ist jemand, der im Augenblick
des Neumonds geboren wurde, wie man in
Mecklenburg zu sagen pflegte, nicht fortpflan­
zungsfähig? Was heute nach schrägen Anekdo­
ten klingt, wurde im 18. und 19. Jahrhundert
durchaus geglaubt.
Bei der Behandlung körperlicher Gebrechen
wurde häufig die Grenze zur Scharlatanerie
überschritten. Erklärte »Monddoktoren« ver­
sprachen noch im ausgehenden 18. Jahr­hundert
Heilung mithilfe des Mondlichts, das sie auf die
betroffenen Körperteile der Erkrankten schei­
nen ließen. Dabei war es egal, ob es sich um
Knochen- und Leistenbrüche oder entzündete
Augen handelte.
Der Literaturwissenschaftler Jacob Grimm
nahm im 19. Jahrhundert an, dass sich hinter
abergläubischen Gebräuchen Reste einer My­
ü
thologie verbargen, die in vorchristliche Zeiten Astronomen werfen ei-
zurückreichen. nen Blick in den ­Himmel.
Im »Handwörterbuch des Deutschen Aber­ Im Lauf der Zeit verliert
die gelehrte A­ strologie
glaubens«, das ab 1927 erschien und das
an Einfluss. Trotzdem
­e inen unerschöpflichen Fundus irrationaler
halten viele am Mond-
­Vorstellungen liefert, wurden als Quellen für glauben fest.
den Mondglauben das Naturempfinden der Reproduktion eines
frühdeutschen Zeit, der Volksglauben der Mit­ Holzschnitts von 1537
telmeerländer, die Magie des Altertums und
die wissenschaftliche Astrologie der Alten an­
geführt. Die Autoren, die Schweizer Volks­
kundler Eduard Hoffmann-Krayer und Hanns
­Bächtold-Stäubli, schickten ihrem viele Seiten
umfassenden Eintrag zum Thema »Mond« ei­
ne Warnung vorweg: »Wer aufmerksam das
Material zum Mondglauben des deutschen Vol­
kes überprüft, wird vergeblich versuchen, den
Knäuel der mannigfachen Vorstellungen in ei­
ner ihn befriedigenden Weise zu entwirren.«
Sie hatten natürlich Recht, zumal der Vergleich
des Mondglaubens verschiedener Regionen ne­
ben offensichtlichen Parallelen auch etliche Wi­
dersprüche zutage förderte.
Mit Maria Thuns »Aussaatkalender«
­erleben Mondregeln ein Revival
Neue Impulse erfuhren Mondregeln um die
Wende zum 20. Jahrhundert im Umfeld von
Theosophen und Lebensreformern, die astro­
logische Kalender in Umlauf brachten. In den
1960er-Jahren war es dann der »Aussaatkalen­
der« der Anthroposophin Maria Thun, der das
Gärtnern nach dem Mond populär machte
G GESCHICHTE 7 | 2019 41
1. KAPITEL MYTHEN
»Alles, was zunehmen soll,
geschieht bei zunehmendem Monde«
Der Theologe Karl Wuttke 1860 in »Deutscher Volksaberglaube«
und neben den Mondphasen unter anderem
den ­Mondlauf vor den Sternbildern und die
auf- und absteigende Mondhöhe berücksichtigt.
Thun bezog sich dabei allerdings nicht auf die
überlieferten alten Mondregeln, bei denen sie
viele Widersprüche ausmachte, sondern auf die
»Landwirtschaftlichen Vorträge« des Esoteri­
kers und Waldorfbegründers Rudolf Steiner so­
wie eigene gartenbaulichen Versuche.
Ein Beispiel für etwas, das bei abnehmendem
Monde erledigt werden solle, ist das Fällen von
Holz. Das vor Neumond geschlagene »Mond­
holz« gilt denen, die dieser Philosophie anhän­
gen, als ganz besonders belastbar. Ernst Zürcher,
Professor für Holzwissenschaften an der Ber­
ner Fachhochschule, hat nach eigenen Angaben
nachgewiesen, dass solches Holz mehr Wasser
Esoterik-Bestseller
Mit dem Mond
zum Erfolg
Nach eigenen Angaben sind Johanna Paungger und
­Thomas Poppe »das erfolgreichste Schriftsteller-
Ehepaar Europas«. Sie haben zahlreiche Ratgeber und
­Kalender rund um den Mond­rhythmus veröffentlicht
und damit eine Millionen-
auflage erreicht
ü
42 G GESCHICHTE 7 | 2019
in seinen Zellen speichert und deshalb schwe­
rer und stabiler sei als solches von Bäumen, die
unmittelbar vor Vollmond gefällt werden. Zür­
cher schreibt das der Wasserökonomie des Bau­
mes zu diesem Zeitpunkt zu. Er formulierte die
Hypothese, dass der Mond in seiner neuen Pha­
se die Erde vor Sonnenwinden schützt, die wie­
derum eine Wirkung auf die Bindung von Was­
ser in den Baumzellen haben. Ein Beleg also für
die alte Bauernregel? Unter Wissenschaftlern ist
der Befund umstritten, dennoch schwören viele
Menschen darauf; ob bei der Auswahl des Hol­
zes für den Geigenbau oder für Weinfässer.
Sondiert man das Feld weiter, gerät man
leicht tiefer in das Fahrwasser einer Mond-Eso­
terik, die sich nicht einmal mehr um rational
nachvollziehbare Kriterien bemüht: Ist bei Voll­
mond abgefülltes Quellwasser tatsächlich bes­
ser und rechtfertigt damit einen höheren Preis?
Hat »Mondscheinkäse«, der an »Licht-Blüten-
Tagen«, wenn der Mond vor den Sternbild­
regionen Zwillinge, Waage und Wassermann
vorbeizieht, eine höhere Qualität als anderer,
der nicht mit der Kraft des Monds gekäst wur­
de? Was ist von »magischem Vollmondbier«
oder Mondphasen-Teemischungen zu halten?
Das Feld ist kaum zu überschauen, es gibt im­
mer wieder neue Produkte und Wege, mond­
esoterische Bedürfnisse zu wecken.
Keine empirisch belegbaren F
­ akten
für bestimmte Mondregeln
Nur Eingeweihten, die an die Kraft des Erd­
trabanten glauben, dürfte auf Anhieb einleuch­
ten, warum der abnehmende Mond – idealer­
weise im Zeichen des Steinbocks – für das Jä­
ten und Ausreißen von Unkraut am besten sein
BILDNACHWEIS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/DPAWEB, ISTOCKPHOTO.COM/POWEROFFOREVER, VERLAGE
soll. Es gibt jedenfalls keine empirisch belegba­
ren Fakten dafür, dass Zeugung und Geburt bei
Vollmond günstiger verlaufen, Operationen bei
abnehmendem Mond. Oder dafür, dass Ent­
bindungen an den Tagen nach Vollmond
häufiger auftreten.
Lunar-astrologische Kalender
und Ratgeber, die seit Anfang
der 1990er-Jahre in Millio­
nenauflagen gedruckt wer­
den, vermitteln angeb­
lich aus den Tiefen der
Vergangenheit überliefer­
tes »ewiges« Wissen der »Al­
ten«. Zum Teil wird dieses frei
mit der unterstellten Wirkung von
Kräutern, Edelsteinen, Bachblüten,
Yoga und Akupressur verquickt. Die vermeint­
liche Bedeutung der Mondphasen und Sternzei­
chen für Bereiche wie Psyche und Verdauung
zu verstehen, gilt als verlässlicher Schlüssel für
ein sorgenfreies Leben.
Moderne Mond-Esoterik bedient
ein Bedürfnis nach Orientierung
Die Resonanz solchen Schriftguts beweist
zumindest eines: dass der Glaube an die Kräf­
te des Monds nichts von seiner Faszination
eingebüßt hat. In einer Zeit, in der Experten­
wissen zuweilen infrage gestellt wird, bedient
moderne Mond-Esoterik ein Bedürfnis nach
Orientierung besonders bei Themen, die sich
der Kontrolle und Berechenbarkeit ansonsten
weitgehend entziehen. Im Unterschied zum
Mond-Aberglauben des 19. Jahrhunderts geht
es dabei weniger um Unglück bringende Dä­
Abgefüllt
monen oder Hausgeister. Positives Denken ist
Braumeister Gustav Bauhöfer 2006
das verbindende Element dieser Schriften. Der mit seinem Bier, das er nur
Mond wird als wichtiger Begleiter stilisiert, als in Vollmond­nächten brauen lässt
Schlüssel zu unserem Schicksal.
Auch wenn sich handfeste, empirisch abge­
sicherte Zusammenhänge zwischen einer be­
stimmten Mondphase und diesem oder jenem
Abgeschnitten
Phänomen nicht herstellen lassen, hat es freilich
Mondkalender liefern den angeblich
einen gewissen Unterhaltungswert, sich in Spe­
perfekten Termin für einen
kulationen darüber zu ergehen. Der Rat­geber Friseurbesuch (Symbolfoto)
taugt allemal, um ein alltägliches Missgeschick
im Nachhinein zu rationalisieren. Ansonsten
gilt: Ist jemand felsenfest von seinem Mond­
glauben überzeugt, lege man sich besser nicht
mit ihm oder ihr an. Der Glaube an die Bin­
dung irdischen Daseins an höhere Mächte ist
und bleibt nicht verhandelbar.

ÜBER DEN AUTOR

Bernd Brunner ist Sachbuch­
autor. Oft schreibt er über
kulturhistorische Themen
wie die Erfindung des
Weihnachtsbaums oder des
Aquariums. »Schwierige
Erklärungen«, lobt ihn »Die
Zeit«, übersetze er »in eine
für Laien verständliche Spra­
che«. In Kürze erscheint sein
Buch »Mond und Mensch.
Die Geschichte einer besonderen Beziehung« im
AT Verlag (€ 26,–). Brunner erzählt darin vom Mann
im Mond, von Naturphänomenen und Mythen,
von der R
­ aumfahrt und Liebesgeschichten, aber
auch von der dunklen Seite des Erdtrabanten.

ü
 Stoff für Hollywood
In zahlreichen Filmen
verwandeln sich Männer bei
Vollmond in Werwölfe —
hier in »Wolfman« von 2010

D
ie uralte Angst vor
dem Tier im Men-
s chen, sie spricht
aus dieser Szene: »Er

Der Werwolf geht gebückt, und

er merkt nicht, dass
sein sonst spärlicher

Die Bestie Bart jetzt dick und rau und drahtig

­hervorgesprossen ist«, schreibt Horror-­
Großmeister Stephen King in »Das

erwacht bei
Jahr des Werwolfs«. »Er beugt sich vor
und fängt an, mit sich selbst zu spre-
chen … aber seine Stimme wird im-

Vollmond
In der Legende steckt die Angst vorm wilden
Tier – und vor dem Ungezähmten in uns selbst.
Werwölfe haben keinen guten Ruf
[ VON HEIKO SCHMITZ ]
mer tiefer, und immer mehr gleichen
die Worte einem Knurren […] Er spürt
den Mond irgendwo über den Wolken;
er spürt seine Kraft; seine Brust weitet
sich […] Er fühlt sich einfach … groß-
artig!« Stephen Kings Kurzgeschichte
vereint fast alle Zutaten, die unser Bild
vom Werwolf seit dem 20. Jahrhundert
bestimmen: Ein Mensch, klassischer-
weise selber durch einen Wolfsbiss
oder eine Verwundung zur Metamor-
phose verdammt, wird bei Vollmond
zur Bestie, zum Wolfsmenschen.
In Kings Buch wird dieser am En-
de von einem Jungen im Rollstuhl ge-
tötet, der eine Silberkugel aus einem
Revolver abfeuert. Der tote Werwolf,
auch das ist Bestandteil der Tradition,

ü
44 G GESCHICHTE 7 | 2019

verwandelt sich wieder zurück in den
Menschen. Der Zauber ist vorbei.
Der Werwolf ist eben doch nur eine
irdische Bestie. Ihm fehlt das Transzen-
dente, Schillernde, Glamouröse, meint
die Philosophin Ariadne von Schirach.
»Während der Vampir für Sehnsucht
nach Unsterblichkeit steht, für Sexua-
lität und kühle Noblesse, symbolisiert
der Werwolf Körperlichkeit, Instinkt-
natur und dunkle, aufbrechende Triebe.
Er ist das Tier in uns, das Verdrängte,
das Schmutzige.«
Schon im Gilgamesch-Epos
wird ein Mann zum Wolf
Vampiren ist der Werwolf meist
unterlegen. In Stephenie Meyers
»Twilight«-Saga mutiert er in der Figur
des Jacob zur »bronzefarbenen, haar-
losen Muskelmasse«. Der postmoder-
ne Werwolf ist hier kein Mann-Wolf,
­sondern metrosexuell.
An sich freilich ist der Werwolf ei-
ne uralte Figur. Zum Bestand seiner
Sagen gehört das Gilgamesch-Epos,
in dem ein Schäfer von der Göttin
BILDNACHWEIS: AKG (2)
Ischtar zum Wolf verwandelt wird.
Bei Feierlichkeiten der Skythen streif-
te sich jemand, Herodot zufolge, ein
Wolfsfell über und vereinte sich mit
ü
Doppelkopf
Werwolf-Abbildung in
Hartmann Schedels
Weltchronik von 1493
einem wolfsgestaltigen Gott. In der
isländischen Egils-Saga gibt es »Kvel-
dulfr«, den Abendwolf, der nachts
um die Häuser zieht. Fenrir, der Men-
schenwolf, tritt in der germanischen
Edda als Kind von Loki dem Riesen
und einer Trollfrau auf.
Der römische Historiker Plinius
der Ältere spottet über den Pöbel, der
sich von Werwolf-Sagen beeindru-
cken lasse – und über die Leichtgläu-
bigkeit der Griechen. Für die war die
Verwandlung in ein Tier etwas Furcht-
bares – anders als für die Ägypter, die
sich ihre Götter als Tiere oder mit Tier-
merkmalen vorstellten. In den »Meta-
morphosen« Ovids begegnet uns der
­A rkadier-König Lykaon, der Götter­
vater Zeus Menschenfleisch vorsetzt
und dafür zur Strafe in einen Wolf ver-
wandelt wird: »Im Maule sammelt die
frühere Wut sich, und seine gewöhn-
liche Mordgier richtet sich jetzt gegen
Schafe.« Die Sage geht auf angebliche
Menschenopfer zurück, die noch im
4. Jahrhundert v. Chr. im griechischen
Gebirge Lykaion weit verbreitet waren.
Lykaon ist wiederum der Namens-
geber der »Lyk­anthropie«, einer sel-
tenen psychischen Krankheit, bei der
Menschen dem Wahn verfallen, sich
1. KAPITEL MYTHEN
in ein Tier, insbesondere in einen Wolf,
zu verwandeln.
Klar ist: Werwölfe sind fast immer
Männer; bei den Grimms findet sich
mal eine Frau. Die Märchensammler
erzählen von der Hinrichtung zweier
Zauberer, die 1610 in Lüttich starben,
weil sie sich in Werwölfe verwandelt
und viele Kinder getötet haben sollen.
Wo echte Wölfe wüten,
ist auch der Werwolf nicht fern
Das Mittelalter war die Blütezeit der
Werwolf-Geschichten, die bestens ge-
diehen in einer Zeit, wo der Teufel je-
derzeit um die Ecke kommen konnte.
Mord und Raub wurden häufig Wer-
wölfen angelastet. Legendär ist der Pro-
zess gegen Peter Stump aus Bedburg im
Erftkreis, der 1589 gestand, 20 Jahre
lang eine teuflische Geliebte gehabt zu
haben: Die habe ihm einen Gürtel ge-
schenkt, mit dem er sich in einen Wer-
wolf verwandeln konnte. Häufig fan-
den Werwolf-Prozesse dort statt, wo
Wolfsplagen die Menschen gefährdeten.
Eine Renaissance feierte der Wer-
wolf im 19. Jahrhundert in Charles de
Costers »Ulenspiegel«, Karl Gutzkows
»Der Wärwolf« und Rudyard Kiplings
»Das Stigma des Tieres«. In der ers-
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebärt
dann der Film den Mythos, dass sich in
einen Werwolf verwandelt, wer von ei-
nem Wolf gebissen wird – und dass nur
die Silberkugel dem Monster Einhalt
gebieten kann.
Auch beim beliebten Zauberlehrling
Harry Potter, dürfen Werwölfe nicht
fehlen. Während der bemitleidenswer-
te Remus Lupin seine Verwandlung
mit sozialer Ausgrenzung bezahlt, ist
Fenrir Greyback in ­Joanne K. ­Rowlings
Werk beinahe ein blutrünstiger Kin-
dervertilger. Zum Sympathieträger
taugt der Werwolf also in keinem Fall
– trotz aller Faszination.
LESETIPP
Klaus Völker (Hg.): »Werwölfe und
andere Tiermenschen«.
Suhrkamp 1994, antiquarisch
G GESCHICHTE 7 | 2019 45
 2. KAPITEL FORSCHUNG
Galileo Galilei
Ringen um das
wahre Weltbild
Mit seinem verbesserten Fernrohr erkennt Galilei erstmals Krater auf
dem Mond. Er errechnet die Höhe der dortigen Gebirge und
erschafft ein völlig neues Bild von unserem Trabanten. Das hat Folgen
[ VON KARIN SCHNEIDER-FERBER ]
D
er Mathematikprofes-
sor aus Padua traut sei-
nen Augen nicht: Er
blickt einmal durch
sein Fernrohr, dann ein
zweites Mal und dann
noch ganz viele Male.
Was er in einer winter-
klaren Nacht 1609 an
einem fantastisch nah
gerückten Sternenhimmel entdeckt, bedeutet
eine handfeste Sensation. Darüber ist sich Ga-
lileo Galilei sofort im KIaren.
Eigentlich eine zufällige Entdeckung: An-
fangs wollte der 45-jährige Gelehrte und Hob-
by-Gerätebauer nur seine neueste Errungen-
schaft, ein von ihm weiterentwickeltes Fernrohr,
gewinnbringend an den Mann bringen – oder,
besser gesagt, an den Senat von Venedig.
Angefangen hatte es mit einem Gerücht von
BILDNACHWEIS: AKG/ORSI BATTAGLINI
neuartigen Vergrößerungsgeräten aus den Nie-
derlanden, die Galilei veranlassten, mit Linsen
zu experimentieren. Voller Stolz war er nach
Venedig gefahren, um am 21. August 1609
die Stadtväter auf dem Campanile hoch über
dem Markusplatz durch sein sonderbares, mit
ü
46 G GESCHICHTE 7 | 2019
Erstmals in
Nahaufnahme
Die detaillierte Mondzeichnung
fertigt Galilei 1610 an
k­ armesinrotem Stoff bezogenes Rohr blicken
zu lassen. Und in der Tat: Die hohen Herren er-
blickten »wirklich erstaunliche Einzelheiten in
der Lagune und der Stadt«. A ­ ngesichts des Nut-
zens des neuen Instrumentes für S­ eefahrt und
Admiralität erhöhten sie sein Jahresgehalt um
das Doppelte und bewilligten seine Professur
auf ­Lebenszeit.
Die Erde als Mittelpunkt des Universums?
Nicht für den Astronomen Galileo Galilei
Die wahre Schicksalsstunde der Wissen-
schaftsgeschichte nahte erst etliche Wochen
später, als Galilei sein Fernrohr von 20-facher
Vergrößerung auf den Nachthimmel richte-
te. Durch die geschliffenen L ­ insen nahm der
­Italiener Dinge wahr, die zuvor mit bloßem Au-
ge nicht zu sehen gewesen waren. Welch ein
Triumph, welch ein Erkenntnisgewinn für die
Wissenschaft!
Fasziniert starrte Galileo Galilei auf den
Mond. Hatte man ihn nicht immer für ma-
kellos, glatt und rund gehalten? »Unter die
­Lupe genommen« offenbarte er nun sein wah-
res ­G esicht mit Beulen, Ecken und Kanten:
»Ein sehr schöner und erfreulicher Anblick
 Blick in den Himmel
Zeitgenössische Darstellung Galileis von
Justus Sustermans aus dem Jahr 1636

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 47
2. KAPITEL FORSCHUNG

»Ich denke, mein Kepler, wir lachen

über die Dummheit der Masse«
Galileo Galilei 1610 in einem Brief an Johannes Kepler

ist es, den Mondkörper aus der Nähe zu die dunklen Stellen um sie herum als Täler, die
­betrachten«, jubelte Galilei. »Man erkennt da- noch im Schatten lagen, aber kleiner wurden,
bei aufgrund sinnlicher Gewissheit, dass der wenn die Sonne stieg.
Mond keineswegs eine sanfte und glatte, son-
Mit seinen Mondbeobachtungen
dern eine raue und unebene Oberfläche b ­ esitzt
und dass er, ebenso wie das Antlitz der Er- erschüttert Galilei die bisherige Weltsicht
de selbst, mit ungeheuren Schwellungen, tie- Aus der Länge der Schatten, die diese Berge
fen Mulden und Krümmungen überall dicht bei weiterem Aufgang des Sonnenlichts war-
­bedeckt ist.« fen, errechnete Galilei, dass einige Gipfel acht
Nacht für Nacht beobachtete er nun den Kilometer hoch sein müssten. Diese Annahme
Mond, während dieser aus u ­ nterschiedlichen war falsch, wie sich später herausstellte, denn
Winkeln von der Sonne angestrahlt wur- die höchsten Mondgipfel am Kraterrand des
de. Seine Beobachtungen hielt er in sorgfälti- ­Mare Imbrium erreichen nur 5,5 Kilometer Hö-
gen Tuschzeichnungen fest. Nur bei Vollmond, he. Die großen dunklen Mondgebiete, die keine
wenn die Sonne hoch über dem Trabanten Bergtäler sein konnten, hielt Galilei für Ozeane
stand, erschien die Mondoberfläche wegen des – ebenfalls ein Irrtum, wie sich herausstellte.
starken Lichteinfalls als strukturlos und glatt. Trotzdem schufen seine Beobachtungen ein
Anders dagegen, wenn der Lichteinfall wechsel- völlig neues Bild vom Mond: Berge, Täler, Kra-
te, bei zu- und abnehmendem Mond von links ter, Ozeane? War der Mond nichts anderes als
Galilei hielt seine Beob­ oder rechts eintraf. Galilei nahm Krater so- eine zweite Erde? Galilei hielt den Mond in der
achtungen im Buch
wie helle Lichtpunkte an der Grenze zwischen Tat der Erde für ähnlich und sah umgekehrt in
»Sidereus Nuncius«
(»Sternenbote«) fest.
­beleuchtetem und unbeleuchtetem Bereich des der Erde einen Himmelskörper wie den Mond,
Unten: Eines von zwei Sichelmonds wahr. Der sternenguckende Pro- der von der Sonne beschienen werde.
originalen Fernrohren, fessor deutete sie als Bergspitzen, die als Ers- Damit wirbelte der Italiener die seit Aristo-
die Galileo Galilei baute te vom Sonnenlicht beschienen wurden, und teles geltende Weltsicht durcheinander. Die-
se unterscheidet streng zwischen irdischer
und himmlischer Sphäre, ordnet den Mond
der himmlischen zu und definiert ihn somit
als göttliches Objekt. Die auf kugelförmigen
­Kristallschalen angehefteten Himmelskörper
umliefen nach dieser Sicht in perfekten Kreis-

BILDNACHWEIS: AKG/ERICH LESSING, AKG/ERIC VANDEVILLE, AKG/ORSI BATTAGLINI, ULLSTEIN/NMSI/SCIENCE MUSEUM/SCIENCE MUSEUM
bahnen die Erde. Einige Jahrzehnte nach Aris-
toteles, im 3. Jahrhundert v. Chr., behaupte-
te Aristarch von S­ amos das genaue Gegenteil:
Dass die Sonne im Mittelpunkt der Welt stehe
und alle Planeten um sie kreisen würden, ein-
schließlich der Erde, die ihrerseits vom Mond
umlaufen w ­ erde und zusätzlich um ihre eige-
ne Achse rotiere. ­Aristarch berechnete Abstand
und Größe des Monds. Doch sein heliozent-
risches Modell setzte sich nicht durch, bis es
Nikolaus Kopernikus 1543 wiederbelebte.
Alle nach Aristarch kommenden Astro-
nomen gingen vom Weltbild des Aristoteles
aus und machten sich mit höchst komplizier-
ten ­Rechenmodellen an die Bestimmung der
­Planetenbahnen. Dabei kamen sie zu recht be-
achtlichen Ergebnissen, wie zum Beispiel der in
Ägypten arbeitende Ptolomäus im 2. Jahrhun-
dert n. Chr., der die Mondbewegungen in sei-
nem Hauptwerk »Almagest« schon sehr ­genau
angab. Wichtig war dies für die Zeitgenossen,
weil man der Stellung der Planeten einen ­hohen
Einfluss auf die irdischen Vorgänge beimaß

ü
48 G GESCHICHTE 7 | 2019
 i VITA

Mathematiker
und Astronom
1564
Galileo Galilei kommt
in Pisa zur Welt

1592 — 1610
Lehrstuhl für
Mathematik in Padua
Das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert 1609
zeigt Galilei vor der Inquisition Galilei baut ver­
bessertes Fernrohr

(­ siehe auch Beitrag ab Seite 38). Dem Mond
als erdnächsten Himmelskörper sagte man ei-
ne ­besonders starke Macht nach. So wurde der
Trabant einerseits mathematisch berechnet, an-
dererseits mythisch überhöht. Doch nichts ging
über die eigene Beobachtung. Schon mit blo-
ßem Auge ließen sich auf der Mondoberfläche
unerklärliche Schatten und Flecken ausmachen,
und auch manche Planeten bewegten sich nicht
so, wie sie sollten. Erst mit Erfindung des Fern-
rohrs war die Zeit reif für das große Abenteuer
Wissenschaft.
Die Kirche lehnt Galileo Galileis
bahnbrechende Entdeckungen ab
Galilei weiß, dass er Revolutionäres gese-
hen hat. Darum kann es ihm gar nicht schnell
genug gehen, seine Erkenntnisse zu veröffent-
lichen. Schon im März 1610 liegt sein »Side-
reus ­Nuncius«, sein »Sternenbote«, in gedruck-
ter Form vor, 56 Seiten mit Abbildungen des
Monds, die es in sich haben. »Große Dinge lege
ich in dieser kleinen Abhandlung den einzelnen
Naturforschern zur Untersuchung und Betrach-
tung vor«, schreibt er als Einführung.
In der Tat birgt die dünne Schrift genü-
gend Sprengstoff, um das geozentrische Welt-
bild zum Einsturz zu bringen. Denn Galilei hat
nicht nur den Mond beobachtet, sondern auch
die Jupitermonde entdeckt und die Milchstraße
als r­ iesige Sternenanhäufung entlarvt – alles Er-
kenntnisse, die den Gestirnen ihre Stellung als
göttliche Objekte nehmen und das heliozentri-
sche Weltbild unterstützen.
Die Jupitermonde umkreisen den Jupiter wie
der Mond die Erde, obwohl alle zusammen­
genommen die Sonne umrunden. Als Galilei
kurze Zeit später entdeckt, dass die Venus die
1610
Er veröffentlicht das
gleichen Phasen durchläuft wie der Mond – was
Werk »Sternenbote«
ebenfalls nur möglich ist, wenn sie die Son- mit detaillierten
ne umkreist – ist er felsenfest davon überzeugt, Bildern des Monds
dass die Planeten sich um die Sonne bewegen
und die Sonne Mittelpunkt des Systems ist. 1632
Im »Dialog über die
Seine Umgebung ist es allerdings noch l­ange
beiden hauptsäch­
nicht. Immer noch weigern sich manche Ge- lichen Weltsysteme«
lehrte, auch nur einen Blick durch das neumodi- plädiert Galilei für
sche Fernrohr zu werfen. Selbst jene, die ­Galilei das heliozentrische
in seinen Entdeckungen zustimmen, wollen das Weltbild
heliozentrische Modell nur als Hypothese, nicht
1633
als bewiesene Tatsache annehmen. Der streit- Die Inquisition in Rom
bare Galilei bekommt bald ernsthafte Probleme zwingt ihn zum Wider­
mit der Inquisition. 1616 wird er von ihr »er- ruf seiner Lehren
mahnt«, das heliozentrische Modell nicht länger
1642
als wahr zu vertreten. Als er dagegen verstößt,
Tod in Arcetri
wird er 1633 zum Widerruf seiner Ansichten bei Florenz
gezwungen und bis zu seinem Tod 1642 unter
Hausarrest gestellt. 1992
Papst Johannes
Der Mond musste auf seine weitere Ent-
Paul II. rehabilitiert
zauberung noch eine Weile warten. Doch im- Galilei
mer mehr Forscher rückten dem schnöden
­Gesteinsbrocken über ihren Köpfen mit immer
stärkeren Teleskopen zu Leibe. Und sie schu-
fen Mondkarten von immer größerer Genauig-
keit. Galileo Galilei hatte auch hier den Anfang
gemacht – da störte es nicht, dass er in seinen
überwiegend stimmigen Zeichnungen auch­ei-
nen großen Mondkrater an der Licht-Schatten-
Grenze einzeichnete, den es in Wirklichkeit gar
nicht gibt.
LESETIPP
Thomas de Padova: »Das Weltgeheimnis.
Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels«.
Piper 2010, € 12,–

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 49
 Bunte Fluggesellschaft
Cyrano de Bergeracs
fantastische Reise in einer
Illustration um 1900

landet er im Paradies und trifft den

Propheten Elias. Wegen seiner ket-
zerischen Reden wird er aber schnell
vertrieben. Dann trifft er auf Tier-
menschen, die Krieg durchs Los ent-
scheiden. Allerdings stellen deren
Priester ihn aufgrund seiner Theori-
en über Mond und Erde vor Gericht
– so wie es irdische Inquisitoren eini-
ge Jahre zuvor mit dem Universalge-
lehrten Galileo Galileo getan haben.
Streitgespräche über Religion
und Naturwissenschaft
Auf der ­S onne wiederum leben
Cyrano de Bergerac grausame, fremdenfeindliche Vögel,
die den H­ elden hinrichten wollen,

Satirisches nur weil er ein Mensch ist. Vor die-

sen Kulissen lässt de Bergerac seine
Figuren religiös-naturwissenschaft-

Himmelsfeuerwerk liche Streitgespräche führen: Sie er-

örtern zum Beispiel die kirchliche
Lehre der Unsterblichkeit und phi-
Im 17. Jahrhundert beschreibt de Bergerac eine Reise losophieren über die Existenz der
zum Mond. Wie diese möglich sein könnte, Welt, ganz ohne Gottes Beitrag.
Mit den beiden burlesk-satiri-
ist noch kein Thema, wohl aber das neue Weltbild schen Romanen verfasste der Frei-
denker de Bergerac argumentative
[ VON SOPHIA SCHÜLKE ]
Streitschriften für eine neue Wis-
senschaft und das kopernikanische

A
Weltbild. In dessen Zentrum steht
ls Henri Lebret Anders als Jules Verne (siehe die Sonne und nicht etwa die Erde,
1657 und 1662 rechts) ging es de Bergerac nicht um und dort sind unendliche Welten
die beiden Roma- technische Möglichkeiten – abge- und andere Lebensformen möglich.
ne »Die Reise zum sehen von einer Art Hörbuch, das Das war der skeptisch-parodis-
Mond« und »Die sein Protagonist vom Dämon des tische Stoff, der an der Macht der
R eis e zur S on- ­S o­krates erhält. Der Autor war ein Kirche im 17. Jahrhundert gerüttelt
ne« veröffentlich- Anhänger der Lehren des Philo- hätte. Doch unzensiert erschienen
BILDNACHWEIS: AKG (2)

te, hatte er Angst vor der Reaktion
der Kirche. Die französischen Wer-
ke stammten von seinem streitbaren
Jugendfreund Cyrano de Bergerac,
der bereits 1655 gestorben war, und
sie enthielten für die damalige Zeit
verbotenes Gedankengut. Lebret
brachte die fantastischen Geschich-
ten daher lieber nur in einer zensier-
ten Fassung heraus.
sophen Descartes und des Astro-
nomen Kopernikus, und in diesen
Meilensteinen der barocken, utopi-
schen Literatur feuerte er Kritik auf
irdische Missstände ab.
In »Die Reise zum Mond« will
sein Ich-Erzähler die Theorie be-
weisen, der Erdtrabant sei eine Welt
wie die Erde. Dank eines Flugappa-
rates gelangt er auf den Mond. Dort
die Romane erst im Jahr 1910. Der
Gruß der Mondbewohner, »Seid
bedacht, frei zu leben!«, galt für de
Bergerac auch so.
LESETIPP
Savinien Cyrano de Bergerac:
»Reise zum Mond und zur Sonne«.
Eichborn 2005, antiquarisch

ü
50 G GESCHICHTE 7 | 2019
 2. KAPITEL FORSCHUNG

Mit »Reise um den Mond« führ-

te der wissenschaftsbegeisterte Au-
tor 1870 eine seiner abenteuerlichs-
ten Geschichten zum Höhepunkt:
Nach einer Flugzeit von 97 Stunden
Packende Reise sollen die Helden Impey Barbicane,
In einem Kapitän Nicholl und Michel Ardan
Kanonen­
auf dem Mond landen und Untersu-
geschoss fliegen
drei Freunde
chungen anstellen. Doch vor allem
zum Mond. aufgrund eines Rechenfehlers und
Dabei geht eines Meteoriten kommt alles an-
einiges schief ders als geplant.
Es war ein zur damaligen Zeit
grandioser Stoff, der 100 Jahre spä-
ter Realität werden sollte. Allerdings
Jules Verne nicht ganz so, wie es sich Verne aus-
gemalt hatte – auch wenn einige sei-

Mit Kanonendonner ner Beschreibungen in Hinblick auf

die Mondmissionen der NASA pro-
phetische Züge annahmen.

zum Erdtrabanten Verblüffende Vorhersage

des Flugs um den Mond
1865 und 1870 schickt Jules Verne drei Abenteurer ins Nach heutigen Erkenntnissen
Weltall. Er beschäftigt sich bereits mit der technischen hätten Jules Vernes Astronauten die
beim Start wirkenden Beschleuni-
Machbarkeit – und beweist teils prophetische Fähigkeiten gungen nicht überlebt. Zudem w ­ äre
die Detonationsgeschwindigkeit
[ VON SOPHIA SCHÜLKE ]
zu gering gewesen, um ihre Kap-
sel überhaupt die Erdanziehungs-

M
it einer riesigen
Kanone sind in
der Fantasie des
Science-Fiction-
Vorreiters Jules
Verne drei Ast-
ronauten ins All
gelangt. Dort erblicken sie sogar die
mysteriöse Rückseite des Monds,
die in Dunkelheit liegt: »Sekunden-
lang ging ein Meteoritenhagel auf
die Kapsel nieder, und dieser Feu-
erregen schwoll an und breitete sich
so weit aus, dass der Lichtschein bis
zur schwarzen Mondoberfläche hin-
abdrang«, schildert Verne. »Und die
Kontinente waren nicht grau und
leer, sondern von dichten Wäldern
bedeckt.«
1865 beschrieb der Franzose auf
­Grundlage der ­d amals bekannten
naturwissenschaftlichen Gesetze in
»Von der Erde zum Mond« die Vor-
bereitungen und den Start ins All.
Initiator des Weltraumprojekts ist
in dem Roman der Kanonenclub
von B ­ altimore. Der hatte nach dem
Amerikanischen Bürgerkrieg die
Voraussetzungen für die Reise ver-
wirklicht: mithilfe einer 10 000 Ki-
logramm schweren Granate, einem
Kanonenrohr von 270 Meter Länge
und 400 000 Pfund Schießbaumwol-
le als Antriebsstoff.
kraft überwinden zu lassen. Aller-
dings sah Verne eine Umrundung
des Monds vorher, wie sie 1970 die
Besatzung der pannengebeutel-
ten Apollo 13 absolvierte. Auch mit
den Annahmen, dass Raumfahrt­
geschosse zuvor an Tieren getestet
und Astronauten von Florida aus
ins All geschossen werden, behielt
er Recht. Seine vage Hoffnung, Vul-
kane auf dem Mond könnten Leben
bedeuten, widerlegten die echten
Mondfahrer allerdings.
LESETIPP
Jules Verne: »Reise um den Mond«.
Dtv 2012, antiquarisch

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 51
 USA gegen Sowjetunion

Wettlauf

Als Erster
im Weltall
12. April 1961 Kosmo-
naut Juri Alexeje-
witsch Gagarin wartet
in seinem Mini-Raum-
schiff »Wostok 1« auf
den historischen
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN, NASA

Start. Der 1,57 Meter

kleine Russe wird
dadurch zur größten
Raumfahrt-Ikone
seines Landes

ü
52 G GESCHICHTE 7 | 2019
 2. KAPITEL FORSCHUNG

ins All
Es war das wohl teuerste
und dramatischste
Rennen der Geschichte:
In den 1950er- und
1960er-Jahren setzen die
beiden Supermächte
alles daran, als Erste den Vorstufe zur
Weltraum zu erobern Mondlandung
Erfolgreicher Start
einer Saturn I am
28. März 1963. Aus
der 55 Meter hohen
Schwerlast-Rakete
wird bis 1967 die dop-
pelt so hohe Saturn-
V-Mondrakete entwi-
ckelt – die bis heute
größte und stärkste
Rakete, die je gebaut
wurde

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 53
 P
[ VON CHRISTOPH DRIESSEN ]

iep, piep, piep.« Die-
ses Geräusch empfängt
Heinz Kaminski am
5. Oktober 1957 im Kel-
ler seines Einfamilien-
hauses in Bochum. Sei-
ne Funkanlage ist selbst
konstruiert, und doch
ist Kaminski der Erste
in Westeuropa, der das
Piepsen registriert. Es kommt von weit drau-
ßen: Erstmals umkreist nicht nur der Mond die
Erde, sondern auch ein künstlicher Satellit. Das
kugelförmige Gerät heißt »Sputnik« (Begleiter),
wiegt gut 80 Kilogramm und ist etwa doppelt so
groß wie ein Medizinball. Am nächsten Tag ver-
kündet selbst die nüchterne »Frankfurter All-
gemeine Zeitung« in ihren größten Buchstaben
kündigt, und nun ist es die kommunistische So-
wjetunion, der große ideologische Gegner, der
dieses prestigeträchtige Projekt als Erster ver-
wirklicht. Was für eine Schmach! Der Sputnik-
Schock erschüttert das Selbstbewusstsein Ame-
rikas. Er zeigt, dass die UdSSR technologisch zu
den USA aufgeschlossen, ja sie vielleicht sogar
überholt hat. Und nicht nur technologisch, son-
dern damit auch militärisch: Denn die Rakete,
die den Sputnik ins All befördert hat, könnte
natürlich auch Bomben transportieren.
Deutsche Raketenkonstrukteure kommen
als lebende Kriegsbeute in die USA
»Wir haben die falschen Deutschen er-
wischt«, knurrt ein amerikanischer General.
Damit meint er Wernher Magnus Maximilian
Freiherr von Braun und dessen ebenfalls aus

BILDNACHWEIS: AKG/DETLEV VAN RAVENSWAAY/SCIENCE PHOTO LIBRARY, AKG/SCIENCE PHOTO LIBRARY, AKG/UNIVERSAL IMAGES GROUP/SOVFOTO, NASA
auf der Titelseite: »Das planetarische Zeitalter Deutschland stammende Mitarbeiter. Die Rake-
hat begonnen.« tenkonstrukteure der Nazis waren 1945 als le-
Für die USA ist die Nachricht ein Schock. bende Kriegsbeute in die USA geholt worden.
Präsident Dwight D. Eisenhower hat 1955 die Von Braun schien dazu vorbestimmt, den ers-
Konstruktion eines Satelliten öffentlich ange- ten Satelliten in den Erdorbit zu schießen. Die
finanzielle Ausstattung seiner Forschungsabtei-
lung ist jedoch bei Weitem nicht so, wie es zur
Verwirklichung der ehrgeizigen Pläne nötig wä-
re. Dazu kommt: Die amerikanischen Anstren-
gungen sind nicht gebündelt, vielmehr stehen
Programme der Armee und der Marine in Kon-
kurrenz zueinander.
Als sich das Nobelpreiskomitee beim sow-
jetischen Staatschef Nikita Chruschtschow er-
kundigt, wer denn als Chefkonstrukteur des
Sputniks mit der höchsten wissenschaftlichen
Auszeichnung bedacht werden könne, antwor-
tet dieser, es handle sich um eine Anstrengung
des gesamten sowjetischen Volks. Wer wirklich
Sergei Koroljow Wernher von Braun
dahinter steckt, hält er geheim. Doch das Super-
Genialer Chefkonstruk- Der Gegenspieler von hirn hat einen Namen: Sergei Koroljow. Für sei-
teur der Sputnik und Koroljow hat in Nazi-
ne Kollegen schlicht »Korol« – der König. Er hat
verantwortlich für Ga- Deutschland die V2
garins Flug ins All. Die entwickelt. 1945 wird er
ein eigenes rotes Telefon mit Direktleitung in
Sowjetunion hielt sei- in die USA geholt und den Kreml.
nen Namen bis zu sei- Chefkonstrukteur der Eigentlich sollte Koroljow nur Interkontinen-
nem Tod 1966 geheim Mondrakete Saturn V talraketen für das Militär konstruieren. Doch er

Das größte Rennen 4. 10. 1957

Die Sowjetunion schießt
3. 11. 1957
Sputnik 2 mit Hündin Lai-

aller Zeiten
mit Sputnik 1 den ersten ka an Bord wird von den
Satelliten ins All. Sein Sowjets ins All geschossen.
Pieps-Signal ist fast welt- Sie ist das erste irdische
Die Sowjets schaffen eine Pionierleistung nach der weit zu empfangen und Lebewesen im Weltraum
anderen, sind den USA jahrelang stets eine Nasenlänge versetzt die USA in Panik
voraus. Aber abgerechnet wird zum Schluss

ü
54 G GESCHICHTE 7 | 2019
 2. KAPITEL FORSCHUNG

verfolgte dabei von Anfang an seinen eigenen

Der erste Satellit Sputnik maß nur
58 Zentimeter im Durchmesser.
Sein Pieps-Signal löst im Oktober 1957
in den USA den »Sputnik-Schock« aus
Knapp vier Monate später ziehen die USA nach. Die leitenden
NASA-Angestellten William Pickering, James Van Allen und
Wernher von Braun (von links nach rechts) halten am 31. Januar
1958 triumphierend ein Modell ihres Satelliten Explorer 1 hoch
Traum: den Sprung in den Weltraum. Fünf Ta-
ge nach der Sputnik-Sensation hat er Staatschef
Chruschtschow schon wieder am Telefon, und
der fragt: »Sind wir in der Lage, zum 40. Jah-
restag der Oktoberrevolution am 7. November
etwas noch Spektakuläreres im Weltraum zu
zeigen?« Das ist keine Frage, das ist ein Befehl.
Also startet nicht einmal einen Monat nach dem
ersten Sputnik am 3. November 1957 Sputnik 2
– an Bord die Hündin Laika, das erste Lebewe-
sen im All. Zwar stirbt das arme Tier schon fünf
bis sieben Stunden später an Überhitzung, aber
erneut verbucht die Sowjetunion einen Tri-
umph – dank Koroljow.
Noch einen Monat später sind die USA end-
lich auch so weit. Von Cape Canaveral in Florida
soll die erste amerikanische Trägerrakete einen
Testsatelliten in den Weltraum bringen. Dahin-
ter steht nicht die Armee und auch nicht die
Marine, sondern eine zivile Forschungseinrich-
tung, die nicht mit Wernher von Braun zusam-
menarbeitet – die Deutschen sollen beim US-
Pionierflug außen vor bleiben. In starkem Kon-
trast zur Sowjetunion wird nichts geheim gehal-
ten: Journalisten aus der ganzen Welt sind an-
gerückt, der Start wird live im Fernsehen über-
tragen. Fünf, vier, drei, zwei, eins … Die Rakete
hebt ab – und explodiert. Kommentar der US-
Presse: »Kaputnik!«
Der geheimnisvolle »Mister X«
der Sowjetunion
Angesichts dieses hochnotpeinlichen Desas-
ters richten sich nun alle Hoffnungen auf Wern-
her von Braun. Knapp zwei Monate später lan-
ciert Hitlers ehemaliger Chefkonstrukteur am
31. Januar 1958 Amerikas ersten Satelliten, den
Explorer 1, und erlöst die Nation damit von ei-
nem Trauma. Allerdings ist sein Satellit viel
kleiner und leichter als der Sputnik.
Der Wettlauf ins All ist nun voll entbrannt,
und er wird zum Fernduell zweier Genies, die
sich nie begegnen werden: Auf amerikanischer

31. 1. 1958 2. 1. 1959 3. 3. 1959 13. 9. 1959

Als Amerikas Antwort
auf den »Sputnik-Schock«
bringt die NASA ihren
ersten Satelliten
»Explorer« ins All
Die Russen starten die
erste Mondsonde der
Geschichte, Lunik 1.
Sie fliegt am 4. Januar nur
knapp 6000 Kilometer
entfernt am Mond vorbei
Die USA schicken
die Sonde Pioneer 4
zum Mond, die am 4. März
in einer Entfernung
von 60 000 Kilometern
an ihm vorbeikommt
Die russische Sonde
Lunik 2 erreicht als erstes
menschgemachtes Objekt
den Mond und zerschellt
wie geplant auf dessen
Oberfläche

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 55
2. KAPITEL FORSCHUNG

»... noch vor Ende

Seite ist es Wernher von Braun, auf sowjeti-
scher das Phantom »Mister X« – die Identität
von Chefkonstrukteur Koroljow bleibt weiter-
hin unbekannt. Es sind zwei Workaholics, die
davon besessen sind, als Erste den Weltraum
zu erobern. Welches Gesellschaftssystem ih-
nen dafür die Mittel bereitstellt, ist ihnen re-
lativ gleichgültig. Sehr bald wird klar, was der
Hauptpreis am Ende dieses Rennens ist: Es geht
um den ersten bemannten Flug zum Mond.
Die amerikanische Öffentlichkeit ist nicht
scharf auf das NASA-Programm
Ein Riesenschritt dorthin gelingt den Sowjets
am 12. April 1961. Auf der kasachischen Step-
pe hebt eine Rakete mit dem Mini-Raumschiff
Wostok 1 ab. Darin eingezwängt: der 27 Jahre
alte Offizier Juri Alexejewitsch Gagarin. »Wir
wünschen dir einen guten Flug!«, ermuntert
ihn Koroljow über Funk. Gagarin erwidert: »Bis
bald, liebe Freunde!«
Fünf Minuten nach dem Start blickt er als
erster Mensch aus dem Weltraum auf die Erde.
»Was für eine Schönheit!« Er ist auch der Ers-
te, der die Schwerelosigkeit erfährt. Zu einer le-
bensgefährlichen Komplikation kommt es, als
die Wostok nach einmaliger Erdumkreisung
wieder in die Atmosphäre eintritt: Der Teil des
Raumschiffs, der das Bremstriebwerk und den
Treibstoff enthält, löst sich nicht vollständig,
sondern bleibt über einige Kabel mit der kugel-
förmigen Landekapsel verbunden. Das Raum-
schiff dreht sich wie wild um die eigene Achse.
Doch dann verglühen die Kabel, und das Treib-
stoffteil fällt ab. Per Schleudersitz wird Gaga-
rin aus der Landekapsel katapultiert und landet
knapp zwei Stunden nach dem Start an einem
Fallschirm auf einem Feld nahe der Wolga. Eine
Bäuerin und ihre Enkeltochter sehen ihn vom
Himmel schweben – er muss ihnen vorkommen
wie der Mann aus dem Mond.
Knapp einen Monat später haben auch die
USA ihren ersten Mann im Weltraum: Alan
Shepard – allerdings ist es nur ein Flug unter-
dieses Jahrzehnts
einen Menschen
auf dem Mond zu
landen und ihn
wieder sicher
zur Erde zurück­
zubringen«
John F. Kennedy am
25. Mai 1961
vor dem Kongress
halb des Erdorbits, ein kleiner Hüpfer ins All Die Sowjetunion ist im
von nicht mehr als 15 Minuten Dauer. Über- Mai 1961 beim Rennen
deutlich ist: Die USA hinken weiter hinter- ins All klar vorn. Die
USA haben noch nicht
her. In dieser Situation macht der neue Präsi-
einmal einen Menschen
dent John F. Kennedy am 25. Mai 1961 vor dem in die Erdumlaufbahn
amerikanischen Kongress eine ungeheuerliche gebracht, können kurz-
Ankündigung: »Ich glaube, dass diese Nation fristig nicht überholen.
sich das Ziel setzen sollte, noch vor Ende die- Also gibt US-Präsident
ses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond John F. Kennedy ein fer-
zu landen und wieder sicher zur Erde zurück- nes Ziel aus: den Mond
zubringen.« Es ist ein Appell an das New-Fron-
tier-Denken, an den Pioniergeist der Amerika-
ner. Dabei macht Kennedy intern immer wieder
deutlich, dass er sich weder für den Weltraum
noch für den Mond interessiert. Das Projekt ist
für ihn rein politisch. Seine Überzeugung: Wer
den Wettlauf zum Mond gewinnt, gewinnt auch
den Kalten Krieg.
Die amerikanische Öffentlichkeit ist anfangs
skeptisch. 58 Prozent finden es nach einer Um-
frage unsinnig, so viel Geld für einen »Mann
im Mond« zu verpulvern – während die USA
auf der Erde Probleme genug haben: Kuba­krise,
Rassenunruhen, Vietnamkrieg, soziale Unge-

7. 10. 1959 12. 4. 1961 25. 5. 1961 20. 2. 1962

Beim Wettlauf zum Mond
sind die Russen weiter
in der Pole-Position.
Lunik 3 fotografiert
erstmals die Rückseite
des Erdtrabanten
Juri Gagarin fliegt in der
winzigen Raumkapsel
Wostok 1 als erster Mensch
ins All und umrundet
in 1 Stunde 48 Minuten
einmal die Erde
US-Präsident John
F. Kennedy kündigt das
Apollo-Programm an:
Bis Ende des Jahrzents
soll ein Amerikaner
auf dem Mond landen
John Glenn erreicht
als erster US-Astronaut
die Erdumlaufbahn.
Schon am 5. 5. 1961
hatte Alan Shepard
einen Kurztrip ins All
übernommen

ü
56 G GESCHICHTE 7 | 2019
 Fallschirm
für Landung

Treibstoff-
tanks

Schleuder­
sitze

Querschnitt durch eine Gemini-

Kapsel mit zwei Astronauten an
Bord Mitte der 1960er-Jahre

rechtigkeit. Doch mit der Zeit entwickelt sich
das Mondprojekt gerade angesichts all der Kri-
sen zum positiven Kontrapunkt und beflügelt
die Fantasie von Millionen. Mit dem Gemini-
Programm startet ein umfangreiches Welt-
raum-Training: Die Astronauten proben Au-
ßenbordeinsätze, das Aneinanderkoppeln von
Raumschiffen, die Absprache mit Bodenstati-
onen. Parallel dazu wird im Apollo-Programm
der Mondflug selbst vorbereitet.
Zeitweise arbeiten 400 000 Menschen
am Projekt Mondlandung
Der schwerste Rückschlag ist 1967 der Tod
dreier Astronauten an Bord der Kapsel »Apol-
lo 1« bei einem Bodentest: Ein Feuer war ausge-
brochen. Doch die Anstrengungen gehen wei-
ter: An Heiligabend 1968 umrunden bei der
Mission Apollo 8 erstmals Menschen den Mond
– und lesen in einer weltweiten Fernsehübertra-
BILDNACHWEIS: NASA (3)
Die Sowjets müssen alle Hoffnung auf ei- 3. Juni 1965: Wieder
ne Mondlandung begraben. Wie ist es möglich, sind die USA Zweiter:
dass die zweite Supermacht so weit zurückgefal- Der Astronaut Edward
White unternimmt im
len ist? Die USA verfügen über viel größere Res-
Zug des Gemini-Pro-
sourcen als ihr Rivale. Anfangs hatten sie diese gramms einen Welt-
nicht mobilisiert, doch nach Kennedys Zielvor- raumspaziergang, ver-
gabe arbeiten zwischenzeitlich 400 000 Men- lässt also sein Raum-
schen am Projekt Mondlandung, ein Zehntel schiff. Der Erste war
davon allein bei der Raumfahrtbehörde NASA. knapp drei Monate zu-
Knapp ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor der Russe Alexei
der USA fließt in die Raumfahrt. Archipowitsch Leonow
Doch es liegt nicht nur am Geld. Die sowjeti-
sche Raumfahrt stirbt in gewissem Sinne schon
1966 – mit dem Tod von Sergei Koroljow bei ei-
ner ärztlichen Routineoperation. Erst jetzt erhält
er die Würdigung, die ihm zu Lebzeiten vorent-
halten worden ist: Er bekommt ein Grab in der
Kremlmauer. Und Werner von Braun liest zum
ersten Mal seinen Namen – in der Zeitung.

gung aus der biblischen Schöpfungsgeschich-

te vor. Ein Jahr später sind die Amerikaner am
Ziel – und damit auch Wernher von Braun. Er
hat seinen Kindheitstraum verwirklicht.
LESETIPP
Harro Zimmer: »Aufbruch ins All. Die Geschichte
der Raumfahrt«. Primus 2007, antiquarisch

16. 6. 1963 18. 3. 1965 3. 2. 1966 21. 7. 1969

Die Russin Walentina
Tereschkowa umkreist die
Erde in drei Tagen 48 mal.
Damit ist sie die erste
Frau im Weltraum — wieder
ein Punktgewinn für die
Sowjetunion
Der Russe Alexei Archipo-
witsch Leonow steigt erst-
mals aus einem Raum-
schiff aus und schwebt
zehn Minuten im All. Elf
Wochen später zieht sein
US-Kollege Ed White nach
Die sowjetische Lunik 9
landet als erste Sonde auf
dem Mond, ohne dabei zer-
stört zu werden. Sie funkt
Panorama-Bilder zu Erde:
die ersten Nahaufnahmen
der Mondoberfläche
Apollo 11 auf dem Mond:
Neil Armstrong und Edwin
Aldrin betreten als erste
Menschen den Erdtraban-
ten. Die USA haben end-
lich einen Wettlauf gegen
die Russen gewonnen

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 57
2. KAPITEL FORSCHUNG

So stellen sich NASA-Experten

1978 eine Mondstation vor,
in der Menschen leben können

Der NASA-Entwurf von

1975 für eine Weltraum-
Stadt mit 10 000 und mehr
Bewohnern. Wenn sich
das ringförmige Gebilde
im Kreis dreht, entsteht
durch die Zentri­fugal-
kraft eine künstliche
Schwerkraft

BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/NASA/NOVAPIX, NASA (3); TEXT: CHRISTIAN PANTLE

ü
Eine mobile
Treibstoff-Fabrik
auf dem Mars-
mond Phobos, die
mittels Atomenergie
dessen Oberfläche i NASA-PLÄNE
verdampft. NASA-
Illustration von 1986

Wie vor
mehr als
30 Jahren
die Zukunft
aussah

N
ach dem ge-
glückten Flug
zum Mond 1969
entwickelte die
NASA große Pläne — von ei-
ner Mondstation über Welt-
raumstädte bis zu Kolonien
auf dem Mars. Die ersten
Schritte wurden schon kon-
kret angedacht: »Den ers-
ten Vorbeiflug am Roten
Planeten hatten wir für
1975 angepeilt«, erzählte
2002 der deutsche Raum-
fahrtingenieur Harry Ruppe,
der während des Mondflug-
programms eine NASA-­
Abteilung für Zukunfts­
1986 präsentiert die US-Weltraumbehörde auch neue projekte leitete.
Entwürfe für eine Mondbasis. Zumindest optisch sind die Aus der Marsmission wurde
Zeichnungen gegenüber 1978 fortentwickelt bekanntlich nichts. Aber
das hindert die US-Welt-
raumbehörde bis heute
nicht daran, weiter grandio-
se Pläne zu veröffentlichen.
Hier eine Auswahl an
NASA-Illustrationen aus
den 1970er- und 1980er-
Jahren — die jetzt noch
so fantastisch anmuten
wie damals.

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 59
 Verstaubtes Relikt
großer Pläne
Die russische Raum-
fähre Buran verrottet in
einem riesigen Hangar
auf dem Weltraumbahn-
hof Baikonur in Kasachs-
tan. Mit dem Kollaps der
Sowjetunion brach auch
deren ambitioniertes
Raumfahrt­programm
zusammen

Bemannte
Raumfahrt

Absturz
nach
dem Höhenflug
Die erste Mondlandung sollte der Start für die Eroberung
des Weltraums sein. Doch das größte Abenteuer der Menschheit
endete abrupt: Seit 46 Jahren kreisen Astronauten nur noch
ziellos im niedrigen Erdorbit. Kommt ein neuer Aufbruch ins All?

ü
60 G GESCHICHTE 7 | 2019
 2. KAPITEL FORSCHUNG

A
[ VON CHRISTIAN PANTLE ]

uf offener Straße
bedrängte der Fil-
memacher Bart
Sibrel im Septem-
ber 2002 Buzz Al-
drin: Dieser sol-
le auf die Bibel
schwören, dass er
tatsächlich 1969 mit Neil Armstrong
auf dem Mond gelandet sei. »Geh weg
von mir«, antworte Aldrin, worauf Sib-
rel ihn beschimpfte: »Du bist ein Feig-
ling und ein Lügner und ein Dieb.«
Nun fiel die Antwort noch knapper aus:
Der d ­ amals 72-jährige Aldrin schlug
dem Filmemacher die Faust ins Gesicht
– und brachte ihn so vor laufender Ka-
mera zum Schweigen. Jedenfalls kurz- Der Letzte auf dem Mond Apollo-17-Astronaut Eugene Cernan verlässt am
fristig: Sibrel drehte weiter Filme, die 14. Dezember 1972 den Trabanten. Danach fliegt kein Mensch mehr tief ins All
behaupten, die Mondlandungen hätten
nur im Fernsehstudio stattgefunden.
Die Hauptargumente der Verschwö- Erfolg. Mit dem Flug Apollo 11 hat- Katastrophe endete. Schon im Dezem-
rungstheoriker wurden zwar ausführ- ten Armstrong, Aldrin und Kapsel-Pi- ber 1972, nur dreieinhalb Jahre nach
lich widerlegt (siehe Internet-Tipp), lot Michael Collins den Auftrag erfüllt, der ersten Mondlandung, betraten mit
trotzdem sind sie bis heute populär. den US-Präsident John F. Kennedy am Apollo 17 zum sechsten und letzten
Was ein grundlegendes Problem der 25. Mai 1961 erteilt hatte: noch vor dem Mal Menschen den Erdtrabanten.
gegenwärtigen Raumfahrt beleuchtet: Ende des Jahrzehnts einen Menschen 25 Milliarden Dollar – rund 190
Der letzte Flug eines Menschen zum wohlbehalten zum Mond und zurück Milliarden Dollar heutiger Kaufkraft –
Mond ist mehr als 46 Jahre her – und zu bringen (siehe Beiträge ab Seite 22 kostete das Mondflug-Programm. Die
wirkt heute wie ein so fernes Ereignis, und 52). »Das Problem war, dass man wissenschaftliche Ausbeute blieb im
dass es vielen Menschen ganz und gar sich damit ein konkretes Ziel gesetzt Vergleich dazu mager, allen NASA-Be-
unglaubhaft erscheint. hatte«, kommentiert der New Yorker teuerungen zum Trotz. 24 Männer flo-
In den 1970er-Jahren schien noch Astrophysiker und Fernsehmoderator gen in die Tiefen des Alls, zwölf davon
alles möglich zu sein: eine Mondstati- Neil deGrasse Tyson. »Der Mond hät- betraten den Erdtrabanten, alle kamen
on, Flüge zum Mars und der Weltall- te nur der Anfang sein dürfen, aber das heil zurück – ein Glück angesichts der
Massentourismus galten als greifbar Apollo-Programm war immer nur als damaligen Technik und des enormen
nahe. Nichts davon wurde wahr. Das ein Wettlauf dorthin konzipiert« – ge- Zeitdrucks. Die meisten Astronauten
Mond-Abenteuer endete 1972, seitdem gen die Sowjetunion. kalkulierten mit einer 30-prozentigen
dümpelt die bemannte Raumfahrt ziel- Wahrscheinlichkeit, nicht heimzukeh-
Die NASA verschießt rasch
los im niedrigen Erdorbit vor sich hin – ren, erzählt Buchautor Andrew Smith,
wo sie einst angefangen hat. Zwar plant ihre mächtigen Mondraketen der vor zehn Jahren für sein Buch
die US-Raumfahrtbehörde NASA of- Und wenn das Rennen gelaufen ist, »Moonwalker« alle damals noch leben-
fiziell eine Rückkehr zum Erdtraban- dann ist es eben vorbei. Der Vietnam- den Mondspaziergänger traf.
ten, und private Unternehmer wie Elon krieg beanspruchte alle Ressourcen, Hoffnung für All-Enthusiasten
BILDNACHWEIS: LAIF/KOMMERSANT PHOTO/POLARIS, NASA

Musk präsentieren fantastisch anmu- die Pläne für eine Mondstation und keimte noch einmal in den 1980ern auf,
tende Pläne für Reisen zum Mars und bemannte Marsmissionen verschwan- als die Sowjetunion die Super­rakete
darüber hinaus – doch Experten be- den in der Schublade. Statt weiter zu Energija baute, die annähernd so stark
zweifeln, ob die Vorhaben je realisiert den Sternen zu greifen, verschoss die war wie die Saturn V. Das vielseitige
werden. Aktuell kann niemand mehr NASA in schneller Folge ihre gewalti- Geschoss sollte den Space-Shuttle-ähn-
tief ins All reisen, allen Science-Fic- gen Saturn-V-Mondraketen. Das öf- lichen Raumgleiter Buran in den Orbit
tion-Visionen zum Trotz. Wie konnte fentliche Interesse erlosch rasch, und es tragen, unbemannt Schwerlasten stem-
es dazu kommen? flackerte nur noch einmal auf, als 1970 men und es ermöglichen, einmal Mond
Gescheitert ist das amerikanische die Mission Apollo 13 wegen eines ex- und Mars zu erreichen. Nach zwölf Jah-
Mondprogramm letztlich am eigenen plodierten Sauerstofftanks fast in einer ren harter Entwicklungsarbeit war

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 61
2. KAPITEL FORSCHUNG
der erste Energija-Buran-Testflug
1988 ein umjubelter Erfolg: Die ­Rakete
donnerte in den Weltraum, der mitge-
führte Raumgleiter umrundete zwei-
mal die Erde und landete punktgenau.
Dann brach die Sowjetunion ausein-
ander. Russlands Präsident Boris Jelzin
strich alle Gelder, und die Energija-Be-
standteile wurden eingemottet.
Die Amerikaner setzten derweil in
der bemannten Raumfahrt ganz auf
die wiederverwendbaren Space Shut-
tles, die den Weg ins All viel günstiger
machen sollten als die bisherigen Ein-
weg-Raketen. Doch das stellte sich als
Fehlkalkulation heraus: Die Belastung
für das Material erwies sich beim Flug
durch die Atmosphäre als so hoch, dass
es sogar teurer war, den Shuttle nach
jedem Flug wiederherzustellen, als ­eine
neue Rakete zu bauen. Die Explosio-
nen zweier Shuttles – der Challenger
1986 und der Columbia 2003 – brach-
ten die Raumfähren endgültig in Miss-
kredit: 2011 hob zum letzten Mal ein
Space Shuttle ab.
Seitdem verfügen die USA über kei-
ne bemannten Raumfahrzeuge mehr.
Menschliche Expeditionen ins All exis-
tieren nur noch auf bunten Illustratio-
nen der NASA, wenn wieder einmal ein
US-Präsident einen großartigen Plan
für Reisen zum Mond und darüber hin-
aus vorstellt. Aber nicht genügend Geld
Technik-Sackgasse Der Space Shuttle war nur für Flüge unter 645 Kilometer Höhe
konstruiert. Bei der Challenger-Katastrophe 1986 (r.) sterben alle sieben Astronauten
ü
Große Töne Amazon-Chef Jezz Bezos präsentiert am 9. Mai 2019 das Modell einer
Mondlandefähre: »Das ist ein unglaubliches Fahrzeug, und es wird zum Mond fliegen«
dafür bereitstellt – ein neuer Flug zum
Mond oder Mars würde mindestens so-
viel kosten wie das Apollo-Programm.
Auch Privatunternehmer werden
nicht die nötigen Mittel von mehr
als 200 Milliarden Dollar aufbrin-
gen, selbst wenn sie so reich sind wie
Tesla- und SpaceX-Chef Elon Musk
oder Amazon-Boss Jeff Bezos. Der
stellte erst im Mai diesen Jahres eine
Mondlandefähre und neue Pläne vor,
binnen fünf Jahren zum Mond zurück-
zukehren, »dieses Mal, um zu bleiben«.
Das Know-how stirbt mit den
Ingenieuren der Apollo-Ära
Man kann darauf wetten, das es
auch diesmal bei der Ankündigung
bleiben wird. Allein der Zeitplan ist
unrealistisch: Für eine Mondmission
muss die Technologie wieder neu ent-
wickelt werden. Mit den Astronauten
und Ingenieuren der Apollo-Ära starb
auch das praktische Know-how für be-
mannte Landungen auf fremden Him-
melskörpern.
Nur vier der zwölf Astronauten, die
den Mond besuchten, leben noch; der
Jüngste von ihnen ist 83 Jahre alt. Ih-
re Zahl wird weiter schwinden – bis es
wahrscheinlich keinen mehr gibt, der
berichten kann, wie es ist, dort zu ste-
hen und auf die Erde zu blicken.
Als einzige bemannte Raumschiffe
stehen noch russische Sojus- und chi-
nesische Shenzhou-Kapseln zur Ver-
fügung. Sie können Menschen nur in
niedrige Umlaufbahnen von weni-
gen Hundert Kilometer Höhe hieven:
Mangels Schubkraft kommen sie nicht
weiter von der Erde weg, als Mün-
chen von Lübeck entfernt ist. »Wenn
­Astronauten heute in 400 Kilometer
Höhe fliegen, kann man das doch nicht
Raumforschung nennen«, spöttelt
BILDNACHWEIS: GETTY IMAGES, WIKIMEDIA/NASA (2)
­Astrophysiker Tyson. »Das ist … 400
Kilometer hohes Fliegen.«
»Der Unterschied zwischen nah und
fern ist enorm«, resümiert Buchautor
Smith. »Die Astronauten in der Um-
laufbahn erleben den Planeten als rie-
sig und majestätisch, während er aus
der Ferne winzig, schön und schreck-
lich einsam wirkt.«
INTERNET-TIPP
Die private Seite www.mondlandung.pcdl.de
befasst sich eingehend mit den Argumenten
der Verschwörungstheoretiker. Diese beach-
ten oft nicht, dass auf dem luftlosen Mond
die Vakuumphysik gilt – mit vielen Effekten,
die für uns fremdartig wirken.
LESETIPP
Andrew Smith: »Moonwalker. Wie der Mond
das Leben der Apollo-Astronauten
veränderte«. S. Fischer 2009, antiquarisch
Die Magische an
der Moldau

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Musik, Buch, Film
Wo überall
der Mond
drin ist
Mit dem Erdtrabanten
befassen sich viele Spielfilme,
noch mehr Romane und
unzählige Songs. Unser Autor
Michael Feldhoff hat
seine Favoriten in den drei
Rubriken zusammengestellt.
Die Auswahl an Literatur
und Filmen ging ihm relativ
locker von der Hand. Bei der
Musik hingegen tat er sich
schwer – es gibt zu viel gutes
Liedwerk über den Mond
[ VON MICHAEL FELDHOFF ]
BILDNACHWEIS: ISTOCKPHOTO.COM/SKYNESHER
ü
64 G GESCHICHTE 7 | 2019
MUSIK
The Dark Side
of the Moon
(Pink Floyd, 1973)
Von der Kritik anfangs
zerrissen, das dritt-
erfolgreichste Album al-
ler Zeiten hinter Thriller
(Michael Jackson) und
Back in Black (AC/DC)
Moon River
(Audrey Hepburn, 1961)
Man on the Moon
Aus dem Film »Früh-
(REM, 1992)
stück bei Tiffany«.
Homage an den US-
Von Barbara Streisand
Komiker Andy Kaufman
bis Karel Gott unzählige
und Anspielung auf die
Male interpretiert. Das
Mondlandungs-
Original hier wurde mit
Verschwörungstheorie
dem Oscar preisgekrönt
Moonligt Serenade
(Glenn Miller, 1939)
Klassiker des Swings.
Einziger Hit, den Miller
selbst komponierte
Sister Moon
(Sting 1987)
Der Ex-Police-Front-
mann baut Rotwein an
Moonlight Shadow und nennt einen Chianti
(Mike Oldfield, 1983) nach seiner Ballade
Seinen kommerziell
größten Hit hat Oldfield
Sisters of the Moon
mit der Sängerin Maggie
Reilly aufgenommen.
(Fleetwood Mac, 1979)
Darin verarbeitet er den
Kommt anfang ruhig da-
her und endet in einem
Tod von John Lennon
furiosen Gitarren-Solo
Fly me to the Moon
(Frank Sinatra, 1964)
Die Astronauten der
Apollo 10 hörten den
Song 1969 beim Eintritt
in die Mondumlaufbahn
Goodnigt Moon
Moondance (Shivaree, 1999)
(Van Morrison, 1970) Alternative-Rock,
Einzigartige Mischung schaffte es in den
aus Rhythm & Blues, Soundtrack zu Kill Bill 2
Folk und Jazz.
Wird gerne bei Hoch­
zeiten gespielt

BELLETRISTIK
Peterchens
Mondfahrt
(Gerd Bassewitz, 1915)
Herr Sumsemann, der
Maikäfer, fliegt schon
seit über 100 Jahren
Der Mond und
die Feuer
Roter Mond (Cesare Pavese, 1950),
(Kim Stanley Robinson,
Über die Rückkehr eines
Auswanderers in sein
2019) Spielt im Jahr
italienisches Heimatdorf
2048. Die Menschheit
nach dem Krieg.
hat den Mond bevölkert.
Literaturklassiker
Ganz vorne dabei sind
die Chinesen
Reise zum Mond
und zur Sonne
(Cyrano de Bergerac,
1655). Abenteurer
gelangt auf den Mond
und landet dort im Para-
dies, aus dem er wegen
seiner Lästereien direkt
wieder verstoßen wird
(s. Beitrag S. 50)
Von der Erde
Die dunkle Seite zum Mond
des Mondes (Jules Verne, 1865)
(Martin Suter, 2000) Frühwerk der Sciene-
Staranwalt kommt mit Fiction, das die Mond-
halluzinogenen Pilzen in fahrt um etwa hundert
Kontakt, die seine Per- Jahre vorwegnimmt
sönlichkeit verändern (s. Beitrag S. 51)
Der halbe Mond
(Cobanli und Reichen-
berger, 2015) Umfassen-
de Familiengeschichte
über die deutsch-türki-
schen Beziehungen im
Wandel der Zeit. Mit
illustren Randfiguren
wie Zsa Zsa Gabor und
Giuseppe Roncalli.
Die ersten Menschen
auf dem Mond Der den Mond trägt
(H.G. Wells, 1901) (Linda Kreiss, 2018)
Schrifsteller landet Spannende Liebes­
auf dem Mond und ist geschichte, die in
überrascht, dass er Nepal spielt. Perfekte
dort nicht alleine ist Urlaubslektüre
ü
MOND-TIPPS
FILM
I ch — Einfach
unverbesserlich
(USA 2010, Animation,
Chris Meledandri) Super-
schurke Gru will den
Mond stehlen, damit sei-
ne Mutter stolz auf ihn
ist. Teil 4 ist in Planung
Die Reise zum Mond
 uch die Kleinen
A
(Frankreich 1902, Geor-
wollen nach oben
ges Méliès) Sechs Mann
(GB 1963, Richard Les-
fliegen in einer Kapsel
ter) Ein Professor in ei-
zum Mond. Technisch
nem fiktiven Fürstentum
weit seiner Zeit voraus.
entdeckt, dass Wein ein
Ein Meilenstein des Films
ausgezeichneter Rake-
tentreibstoff ist, und lan-
det vor wütenden Ame-
rikanern und Russen auf
dem Mond. Politsatire
aus dem Kalten Krieg
Apollo 13
(USA 1995, Ron Howard)
»Houston, wir haben ein
Problem« — unvergessli-
ches Understatement
2001: Odyssee nach der Explosion wäh-
im Weltraum rend der beinahe fatalen
(USA/GB 1968, Stanley Mondmission Apollo 13.
Kubrick) Visionäres und In der Verfilmung spricht
zugleich verstörendes Tom Hanks den Satz
Meisterwerk über Evolu-
tion, künstliche Intelli-
genz, außerirdisches Iron Sky
Leben. Mit Mondstation (Finnland 2012, Timo Vi-
orensola) Auf der abge-
wandten Seite des Mon-
des arbeiten geflohene
Alt-Nazis an der Rück-
kehr zur Erde. Mit Udo
Kier, Götz Otto und einer
riesigen Fangemeinde in
vielen Ländern
Moon
(UK 2009, Duncan
Jones) Astronaut über-
Aufbruch zum Mond wacht auf einer Mond-
(USA 2018, Damien station den Transport
Chazelle) Ryan Gosling von Rohstoffen und be-
spielt Neil Armstrong kommt langsam mit,
und zeigt die sensible dass es mehrere Klone
Seite des Mondhelden. von ihm gibt
Ohne Pathos
G GESCHICHTE 7 | 2019 65
 MENSCHEN · EREIGNISSE · EPOCHEN

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Anschrift Bestellung bis 05.07.2019 = € 60,– Gutschrift 23861
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tenschutzerklärung finden Sie unter www.abo.g-geschichte.com/datenschutz Datum
✗ Unterschrift Telefonnummer (für Rückfragen und bes. Angebote)
 Serie, Teil 11:
Der Brennerpass

Viel mehr als nur ein

Weg in den Urlaub
Neben dem Gotthardpass ist der Brenner die bekannteste
Alpenüberquerung. Die Verbindung existiert schon seit der Steinzeit.
Heute eint und teilt sie Europa zugleich
BILDNACHWEIS: MAURITIUS/DEREK CROUCHER/ALAMY

ü
68 G GESCHICHTE 7 | 2019

D
[ VON JANINA LINGENBERG ]
a ist die Sehnsucht einer Ge-
neration nach Dolce Vita.
Das Tor zur Leichtigkeit. Die
Pforte ins Glück. Für die, die
aus der anderen Richtung
reisen, nämlich von Süden
nach Norden, bedeutet es
dagegen die Flucht aus der
Armut und die Chance auf Arbeit.
Die Schlagader, die diese Nachkriegsträu-
me transportiert, ist der Brenner. Die Verbin-
dung zwischen Nord- und Südeuropa, zwischen
Sonne und Regen, ist der niedrigste Pass in den
ü
SERIE
Zentralalpen. Hier, zwischen Österreich und
Italien, zwischen Nord- und Südtirol, lässt sich
das Bergmassiv ganzjährig überqueren – und
das mit einem einzigen Pass auf einer Höhe von
1374 Metern.
Arbeitsmigranten ziehen nordwärts,
Sonnenhungrige südwärts über den Pass
Während die einen als Arbeitsmigranten in
den Norden ziehen, um dort Geld zu verdie-
nen und so ihre Familien zu ernähren, packen
die anderen ihre Kinder auf den Autorücksitz,
um in den Sommerurlaub ans Mittelmeer
Blick Richtung Süden kurz vor dem
Brennerpass. Im Vordergrund steht die
Kirche St. Jakob in Nösslach, Tirol
G GESCHICHTE 7 | 2019 69
SERIE
»Es war ein Tag, den man jahrelang in
der Erinnerung genießen kann«
Johann Wolfgang von Goethe auf dem Brenner am 8. September 1786
zu starten. So sitzen die Kleinen zehn oder
zwölf Stunden mit angezogenen Beinen im VW
Käfer, da der Papa den Fußraum auch für das
letzte Stückchen Gepäck inklusive der blau-ro-
ten Luftmatratze benötigt. Dann schnauft das
Auto bei Innsbruck mit niedriger Geschwindig-
keit die Berge hoch, Kurve um Kurve, bis sich
endlich vor Bozen das satte, grüne Tal öffnet.
All die Träumer, Sonnenhungrigen und
Glückssucher können seit Anfang der 1970er-
Jahre die Brenner-Autobahn nutzen, die ab
Innsbruck als A 13 über den Grenzübergang
Brenner bis nach Modena als A 22 reicht. Ge-
baut wurde sie schon in den 1960er-Jahren.
Die Fakten: Die Strecke ist etwa 349 Kilo-
meter lang. Die höchste Brücke, die Europa-
brücke über dem Wipptal, ist 190 Meter hoch.
Die maximale Steigung beträgt sechs Prozent
auf österreichischer Seite. Die Baukosten lagen
auf italienischer Seite bei 243 721 821 000 Lire.
Beide Länder besitzen eine eigene Betreiberge-
sellschaft. Im November 1963 begann der Bau
der ersten österreichischen Teilstrecke bei Inns-
bruck-Schönberg. Italien folgte am 21. Dezem-
ber mit einer 50 Kilometer langen Strecke zwi-
schen Bozen und Trient. Der letzte Abschnitt
Die Alpenroute zwischen Klausen und Bozen wurde am 11. Ap-
als Inspiration ril 1974 für den Verkehr eröffnet.
Um 1490 zeichnete
Die Menschen, die am Brenner leben, er-
Albrecht Dürer hofften sich Erlösung durch die neue Autobahn.
das Gemälde »Brenner­ Doch es ist immer noch so, dass die Fahrzeug-
straße im Eisacktal« kolonnen bei Stau auf die teilweise parallel lau-
ü
70 G GESCHICHTE 7 | 2019
fende alte Bundesstraße (B 182 und SS 12) aus-
weichen und sie verstopfen. Diese Trasse durch
das Eisacktal existiert seit Mitte des 19. Jahr-
hunderts und baut auf eine Fahrbahn auf, die
die Habsburgerin Maria Theresia 1777 beauf-
tragt hat.
Der Brenner ist schon lange ein Brennpunkt.
Hier treffen Kulturen und Lebenslinien aufein-
ander. Hier tauschen sich Menschen aus, trei-
ben Handel, führen Krieg. Kein Wunder also,
dass die Verbindung eine lange Historie vorzu-
weisen hat.
Als König hin und als Kaiser zurück.
Der Brenner als Krönungswegstrecke
Wissenschaftler gehen davon aus, dass der
Pass bereits zur Stein- und Bronzezeit genutzt
wurde. Aber wie so häufig waren es die Rö-
mer, die die steile Bernsteinstraße zur Römer-
straße ausbauten. Entlang der Strecke sorgten
pensionierte Legionäre für Erhalt und Obdach
der Reisenden. So entwickelte sich unter Kaiser
Septimius Severus der Pass ab dem 2. Jahrhun-
dert n. Chr. zur bedeutendsten Alpenüberque-
rung zwischen Augsburg und Bozen und löste
damit die Via Claudia Augusta ab, die über den
Reschenpass führte.
Würde Google Maps die Route im Mittelal-
ter anzeigen, so wäre sie wegen des sehr hohen
Verkehrsaufkommens oft rot gekennzeichnet.
Deutsche Könige fuhren nach Rom, und ka-
men als Kaiser zurück. Zudem blühte der Han-
del zwischen Norden und Süden. Die Fugger
nutzten viel und eifrig den Pass. Martin Luther
und Karl V. waren berühmte Überquerer und
auch Goethe, der am 8. September 1786 auf sei-
ner »Italienischen Reise« im Gasthaus auf dem
BILDNACHWEIS: AKG, AKG/ARKIVI, MAURITIUS IMAGES, WIKIMEDIA/ETTENHUBER 1950 BRENNERSTRASSE
Pass eine Übernachtung einlegte. Der Dichter-
fürst beschrieb seine Erlebnisse auf dem Weg
dorthin wie folgt: »Nun wurde es dunkler und
dunkler, das Einzelne verlor sich, die Massen
wurden immer größer und herrlicher, endlich,
da sich alles nur wie ein tiefes geheimes Bild vor
mir bewegte, sah ich auf einmal wieder die ho-
hen Schneegipfel vom Mond beleuchtet, und
nun erwarte ich, dass der Morgen diese Fel-
senkluft erhelle, in der ich auf der Grenzscheide
des Südens und des Nordens eingeklemmt bin.«
Zu dieser Zeit war der Tourismus in Italien
schon lange kein Geheimnis mehr. Dennoch
prägten gerade Goethes Reisebeschreibungen
die Sehnsucht deutscher Urlauber.
Warum übrigens der Ortsname »Brenner«
bis zum 13. Jahrhundert anders hieß, nämlich

1 Italien 1921
2 Österreich 1963
»Mittenwald« ist unklar. Eine Interpretation
lautet, dass es dort einen »Prenner de Mitten-
walde« gab, der seinen Unterhalt mit Brandro-
dung bestritt. Eine Urkunde berichtet später
von einem Ort oberhalb des »Prenners«.
Erst seit der italienischen Annexion Süd­tirols
1920 verläuft die Staatsgrenze zwischen Italien
und Österreich durch das Örtchen Brenner. Es
war Anlass für italienische Ultranationalisten
gleich nach dem Ersten Weltkrieg ein »o« auf
das Bahnhofsschild zu malen: »Brennero« statt
»Brenner«.
Ein Spiegelbild dessen, was
politisch in Europa geschieht
Hier offenbart sich die brennende Frage:
Wem gehört die Region? Italienern oder Öster-
reichern? Unter der faschistischen Regierung
Mussolinis wurden deutschsprachige Bewoh-
ner drangsaliert. Die Nationalsozialisten schlos-
sen für sie einen Pakt ab mit der Option: Wer
deutsch sein wollte, musste von Südtirol ins
Reich übersiedeln. Benito Mussolini und Adolf
Hitler trafen sich dreimal am Brenner.
Bis heute ist die Zugehörigkeit umkämpft.
Der »Befreiungsausschuss Südtirol« machte
den Brenner zur »Unrechtsgrenze« und forder-
te lange die Rückführung Südtirols nach Öster-
reich. Seit dem Beitritt Österreichs zur EU 1995
schmückten Spinnweben die Grenzposten, die
Kasernen standen leer. Ein trauriges Bild in
Beton zeigte sich an der Brücke Europas, wo
die Touristen nur noch durchrauschten und
nicht mehr zum Shoppen oder Tanken pausier-
ten. Die Einwohnerzahl sank Anfang des neuen
Jahrtausends auf einen Tiefstand.
ü
Grenze und
Verbindung
1 Grenzübergang
Ein italienischer
Zollbeamter vor dem
Schlagbaum
2 Europa­brücke
Mit einer Höhe von
190 Metern war sie
ab ihrer Fertigstellung
1963 rund zehn
Jahre lang die höchste
Brücke Europas
3 Brennerstraße
Eine Reisegesellschaft
3 Unterwegs 1950 aus den 1950er-Jahren
auf dem Weg in den
­Urlaub
Ein Outlet-Center sollte 2007 diesen Rück-
schritt ändern. Und in der Tat, es ist gut fre-
quentiert. Doch seit einiger Zeit überholt die
politische Situation die wirtschaftliche: Es gibt
einen neuen Schlagabtausch am Schlagbaum,
seit Flüchtlinge über den von Mussolini gebau-
ten Bahnhof in den Grenzort Brenner und wei-
ter nach Norden zu ziehen.
2018 streiten Österreich und Deutschland
um neue Grenzkontrollen und die Frage, ob
Deutschland bestimmte Asylbewerber zurück-
weisen darf. Angeblich ohne dass es einen Zu-
sammenhang damit gibt, führt Österreich zeit-
weilige Blockabfertigungen am Brenner ein:
Nur eine bestimmte Zahl an Lastwagen darf die
Grenze passieren. Die Folge sind wieder lange
Wartezeiten auch für deutsche Urlauber kurz
vor dem Adria-Aufenthalt.
Verkehrstechnisch ist der Brenner heute
mehr eine Alptraum- als eine Traumstraße.
Allein im Jahr 2017 donnerten 2,3 Millionen
Lastwagen über die Autobahn. Ein 55 Kilome-
ter langer Tunnel, der sich im Bau befindet, soll
Erlösung bringen.
Der Brenner war immer ein wichtiges
Durchgangslager für den Nord-Süd-Austausch
und wird es auch bleiben. Hier teilt sich nicht
nur das Wetter in Sonne und Regen, wenn sich
beidseitig der Alpen nach den engen Felsen das
grüne Tal öffnet und Verheißung verspricht.
LESETIPP
Othmar Kopp: »Brenner.o. Geschichten über
die Grenze«. Tyrolia 2018, € 39,95
G GESCHICHTE 7 | 2019 71
 GESCHICHTE IM ALLTAG
Die Tapete

Kleider für
die Wände
Tapeten sind mehr
als nur Dekoration.
In ihnen drücken
sich die Bewohner
selbst aus – immer
im Stil der Zeit
und mit deren
technischen Mitteln.
Eine kleine
Kulturgeschichte
[ VON KATHARINA BEHMER ]

Die? Oder lieber die?

Im England der
1950er haben Familien
große Auswahl

ü
72 G GESCHICHTE 7 | 2019

M
eine Tapete und
ich kämpfen ein
Todesduell. Ent-
weder sie muss
gehen oder ich«,
sagte angeblich der
irische Schriftstel-
lers Oscar Wilde, ehe er 1900 im Hôtel
d’Alsace in Paris verstarb. Das Modell,
das Wilde zum Sterben scheußlich ge-
funden haben soll, war ein kleinteiliges
Blumenmuster.
Tapeten sind wie Kleidungsstü-
cke für Wände – sie drücken den Ge-
schmack der Bewohner aus, irgendwo
zwischen Selbstdarstellung und Wohl-
fühlfaktor. Es beginnt mit gewebten
Wandteppichen, die die Paläste der ori-
entalischen und später auch westlichen
Herrscher dämmen und schmücken
sollen. Im mittelalterlichen Europa
hängen Bildteppiche mit Bibelmotiven
gemäldegleich an den Wänden – auf-
wendig, farbenprächtig und so teuer,
dass der französische Adel sie nicht aus
den Augen lassen will und im 15. Jahr-
hundert damit auf Reisen geht.
Im maurischen Spanien gönnt man
sich Leder – teils mit Golddekor – und
Pergament, im Italien des 14. Jahrhun-
derts Samtbrokat und Damast. Exo-
tische Motive und eine neue Technik
kommen im 16. Jahrhundert mit be-
malten Papierbögen aus China: Jetzt
entstehen Papiertapeten-Manufakturen
in England und Frankreich. Als Erfin-
der der Mustertapete gilt Jean-Michel
Papillon, er druckt im 18. Jahrhundert
mit Holzstempeln und von Hand fort-
laufende Blumenmotive auf einzelne
Papierbögen. Diese »Dominotiers«
können an der Wand zu ununterbro-
chenen Mustern zusammengesetzt
werden. Es wird genagelt – nicht ge-
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN (2), INTERFOTO
klebt. Schmuckbordüren verdecken die
kleinen Kupfernägel.
Eines der beliebtesten Motive bleibt
die Pflanzenwelt. Im Rokoko setzen
sich zudem Muscheln als »Rocaille«-
Dekor durch: Kitsch pur. Nach den kla-
ren, der Antike entlehnten Formen des
GESCHICHTE IM ALLTAG
Hoheit gestatten? Ludwig XIV. besichtigt Gibt’s das wirklich? Ja. Und die
eine Manufaktur für Gobelin-Tapeten 1970er liebten es so schön bunt
Klassizismus wird es im Biedermeier ßigkeit. Aber Pragmatiker schätzen sie,
einerseits bürgerlich brav – anderer- und einen berühmten Fan hat sie auch:
seits schmückt man ganze Wände mit »Sie ist gut. Sie ist leise. Sie ist Raufaser«
theatralischen Panoramatapeten. – der TV-Charakter Bernd das Brot liebt
Die Geschichte der Tapete geht es, stundenlang seine eintönige Rau-
Hand in Hand mit der Entwicklung fasertapete anzustarren.
von Druckverfahren. 1830 kommen Und natürlich gibt es Gegentrends.
in Großbritannien aufgerollte Tapeten »Vertreibt die rohen Wände mit einer
auf den Markt: Die Erfindung des Ro- bunten Tapete«, fordert die Werbung
tationsdrucks hat das Handwerk in- in den 1970er-Jahren. »Man kann unter
dustrialisiert. Nun überschlägt sich die 15 000 Farben und Mustern und vielen
Kreativität, Stilelemente werden wild Materialien wählen«, lockt die Deut-
durcheinandergeworfen. sche Tapeten-Gemeinschaft. Wirklich?
15 000 Farben und Muster? Für die
Aus schlicht wird schnöde —
nächsten Jahre beherrschen Braun und
die Raufaser setzt sich durch Orange, Kreise und abgerundete Vier-
Der Jugendstil verlangt dann nach ecke die Wohnzimmer. Freigeister leis-
mehr Eleganz: Im frühen 20. Jahrhun- ten sich Fototapeten mit Bergen und
dert schätzt man Helligkeit und flie- Wäldern – Naturkitsch für die einen,
ßende Formen wie Schlingpflanzen. Retro-Trend für die anderen.
Das Art déco bringt die neue Sachlich- Heute klebt, was gefällt – die Mode-
keit in den Raum, die Motive sind oft trends ändern sich ständig. Neu ist nur
wieder streng geometrisch. Das steigert das »Wandtattoo«: mehr oder weniger
sich schließlich zur Nüchternheit: Die inspirierte Lebensweisheiten als Ab-
Wände werden einfarbig – etwa mit ziehbildchen. Etwas sinnentleert kom-
dezenten Gelb- und Grüntönen in der men da Textbrocken großer Denker
Tapetenkollektion, die das Bauhaus um als Wandschmuck in Schnörkel-Schrift
1930 vorstellt. daher. Auch viele Oscar-Wilde-Zitate
Aus schlicht wird schnöde: Als güns- sind so erhältlich. Ob sich der Schrift-
tiger Wandbelag setzt sich nach und steller damit besser hätte anfreunden
nach die Raufasertapete durch. Hier können?
verstärken Holzfasern das Papier, was
der Oberfläche die typisch raue Struk-
tur verleiht. So lassen sich die oft lä- INTERNET-TIPP
dierten Wände in Altbauten kaschieren. Bunte Einblicke in die Tapetenwelt bietet
Zwar schmäht manch einer diese Tape- die »Sammlung Deutsches Tapetenmuseum«
tenart als Inbegriff der deutschen Spie- in Kassel: www.tapeten.museum-kassel.de
ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 73
 Theodor Fontane
Zwischen
Revolution und
Reaktion
1870 wird Fontane beinahe von den Franzosen
standrechtlich erschossen. Danach beginnt
sein schriftstellerischer Höhenflug
bis hin zu »Effi Briest« und »Der Stechlin«
[ VON THOMAS KRAMER ]
M
arcel Reich-Rani-
cki schätzte ihn als
den wichtigsten
deutschen Roman-
cier zwischen Goe-
the und Thomas
Mann. Für den Li-
teraturpapst war
Fontane »von unse-
ren großen Schrift-
stellern […] der unterhaltsamste und von unse-
ren unterhaltsamsten der intelligenteste«. Nicht
nur die erstaunliche Modernität seiner Ehe- und
Gesellschaftsromane wie »Effi Briest« fasziniert
Leser, auch historisch Interessierte kommen bei
der Fontane-Lektüre auf ihre Kosten. In seinen
»Wanderungen durch die Mark Brandenburg«
ist er so dicht dran an der der Materie, dass der
Leser sie spürt, fühlt und sieht. Und seine großen
Bücher über die Einigungskriege entfalten Pano-
ramen von cineastischer Wucht – bei gleichzei-
tig akribischer Darstellung militärischer Details.
In einer an Höhen und Tiefen reichen Biografie
spiegeln sich die Umbrüche seines Jahrhunderts.
Heinrich Theodor Fontane kommt am
30. Dezember 1819 als Sohn eines Apothekers
im brandenburgischen Neuruppin zur Welt.
Beide Elternteile, die sich 1847 trennen, sind
Nachkommen von Hugenotten. Der Vater, ei-
ne Spielernatur, verzockt Haus und Hof, was
ü
74 G GESCHICHTE 7 | 2019
den Verkauf der Neuruppiner Apotheke und
zahlreiche Umzüge zur Folge hat. Gleichzeitig
fördert er mit anschaulichen Erzählungen die
Geschichtsbegeisterung des Sohnes.
Nach seinen beruflichen Ambitionen gefragt,
antwortet der zehnjährige Theodor: »Professor
der Geschichte«. Doch nach dem Willen der El-
tern soll auch er Apotheker werden. Obwohl er
die Ausbildung erfolgreich absolviert und sogar
eine Festanstellung im Berliner Krankenhaus
Bethanien findet, entschließt er sich 1849, den
ungeliebten Beruf an den Nagel zu hängen und
freier Schriftsteller zu werden.
Hin- und hergerissen zwischen
politischen Einstellungen
In literarischen Vereinigungen wie dem
»Tunnel über der Spree«, die sich ausgiebig mit
den revolutionären Vorgängen beschäftigen, fin-
det Fontane Anschluss an Gleichgesinnte. Von
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/DE AGOSTINI PICTURE LIBRARY
gesicherten Lebensverhältnissen ist keine Rede.
Seine Frau Emilie Caroline Rouanet-Kummer,
die er 1850 geheiratet hat, sehnt sich nach mate-
rieller Sicherheit. Mehrfach zerschlagen sich sol-
che Hoffnungen, da ihr Mann das freie Autoren-
leben einer Festanstellung vorzieht.
Politisch lässt sich Fontane schwer festlegen.
Lebenslang entzieht er sich eindeutigen Urteilen.
1848 findet man ihn als Märzkämpfer auf den
Berliner Barrikaden. Doch sein revolutionärer
 PORTRÄT

VITA
Theodor
Fontane
1819
Geburt in Neuruppin
1836
Beginn Apotheker-
Laufbahn
1839
Erste Veröffentli-
chung einer Novelle:
»Geschwisterliebe«
ab 1855
Mehrjähriger Auf-
enthalt in England
als Journalist
1861/62
Erster von fünf
Bänden der »Wan-
derungen durch die
Mark Brandenburg«
1870
Festnahme als
vermeintlicher
Spion. Bismarck
interveniert
ab 1878
Veröffentlichung
von Romanen
und Erzählungen
in rascher Folge
1898jijied nnnS-
Stirbt an einem
Herzschlag

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 75
PORTRÄT
Elan erweist sich als Strohfeuer. Am 23. Feb-
ruar 1853 bekundet er reaktionär in einem Brief,
»dass ich Preußen und die Hohenzollern so auf-
richtig und so immer wachsend liebe«.
Den Lebensunterhalt der Familie mit vier
Kindern versucht Fontane durch journalisti-
sche Tätigkeit bei Zeitungen zu sichern. Zwi-
schen 1852 und 1856 arbeitet er als Presse-
korrespondent der preußischen Regierung in
London, danach ist er dort bis 1858 als Presse-
agent des preußischen Gesandten tätig. Dane-
ben schreibt er für britische und deutsche Zeit-
schriften Reportagen und Feuilletons. Mit dem
Buch »Jenseit des Tweed«, in dem er 1860 sei-
ne Streifzüge durch die schottischen Highlands
schildert, findet er zu seinem Stil der unterhalt-
samen Reisereportagen.
Mit den »Wanderungen durch die Mark
Brandenburg« begründet er seinen Ruhm
Was die Beurteilung des British Empire an-
geht, ist er zwiegespalten. Einerseits bewundert
Ein Buch nach er das Wiederaufstreben einer Weltmacht, an-
dem anderen dererseits fallen ihm die Kehrseiten des impe-
rialen Glanzes auf. Besonders empört ihn die
Die Erstausgaben von
brutale Niederwerfung des indischen Sepoy-
Werken Fontanes: 1
»Der Stechlin« (1899), Aufstandes 1857, als hindusitische und musli-
sein letzter Roman 2 mische Soldaten gegen ihre britischen Befehls-
»Fünf Schlösser« haber aufbegehren. 1859 kehrt er nach Berlin
(1889), letzter Band der zurück und arbeitet kurze Zeit als Redakteur
Reihe »Wanderungen bei der »Kreuzzeitung«, ein monarchisch-kon-
durch die Mark Bran- servativ geprägtes Blatt, was Fontanes politi-
denburg« 3 »Effi
sche Ambivalenz einmal mehr aufzeigt.
Briest« (1896), Fonta-
nes berühmtester Ro-
Gleichzeitig legt der Schriftsteller den
man, mehrfach verfilmt Grundstein für seinen späteren Ruhm und ver-
öffentlicht 1861 mit »Die Grafschaft Ruppin«
den ersten Band der »Wanderungen durch die
Mark Brandenburg«, die bis 1889 in fünf Bü-
chern erscheinen.
1
1864, nach dem Sieg
Preußens und Öster-
reichs über Dä-
2 nemark, ­bittet
ü
76 G GESCHICHTE 7 | 2019
Szene aus der Neuverfilmung
von Effi Briest mit Julia Jentsch
und Sebastian Koch 2009
man Fontane, ein Buch darüber zu schreiben.
Auf Grundlage akribischer Recherchen ent-
steht so »Der Schleswig-Holsteinische Krieg«.
Es folgen »Der deutsche Krieg von 1866« über
den preußisch-österreichischen Konflikt und
schließlich 1876 ein voluminöses Werk über den
Deutsch-Französischen Krieg.
Längst ist Fontane ein Günstling der herr-
schenden politischen Klasse in Deutschland,
sonst hätte er seine Recherchen womöglich nicht
überlebt. Am 27. August 1870 überschreitet er
die feindlichen Linien, um in Domrémy das Ge-
burtshaus von Jeanne d’Arc zu besichtigen. Dort
greift ihn eine französische Patrouille auf und
will ihn standrechtlich erschießen. Bismarck per-
sönlich interveniert und bittet die Franzosen,
den »harmlosen Gelehrten« laufen zu lassen.
Fontane verwandelt seine dramatischen Er-
lebnisse in klingende Münze: Das Buch »Kriegs-
gefangen. Erlebtes 1870« wird ein Bestseller.
BILDNACHWEIS: BRIDGEMAN/SZ PHOTO, GOTISCHES HAUS BERLIN-SPANDAU (4),
Doch der Schriftsteller, der sich auch mit The-
PICTURE ALLIANCE/DPA-REPORT, WIKIMEDIA, WIIKIMEDIA/H.-P. HAACK (3)
aterkritiken einen Ruf erworben hat, will mehr.
Mit fast 60 Jahren beginnt er mit dem, was er als
sein eigentliches Werk betrachtet: In den letzten
zwanzig Jahren seines Lebens entstehen sieb-
zehn Romane, darunter »Effi Briest« und »Der
Stechlin«. Dubslav von Stechlin, ein konserva-
tiver Junker mit unkonventionellen Ansichten,
ist in vielerlei Hinsicht das Alter Ego des Autors.
Der kann das Erscheinen seines letzten Ro-
mans nicht mehr erleben. Kurz nach Abschluss
der Korrekturarbeiten zu »Stechlin« erliegt Fon-
tane am 20. September 1898 einem Herzschlag.
LESETIPP
Der Autor dieses Artikels, Thomas Kramer, ist Kurator
der Ausstellung »Theodor Fontane und Karl May«
(siehe rechts) und Verfasser der gleichnamigen
Begleitpublikation (Stadtgeschichtliches Museum
Spandau – Zitadelle 2019, € 5,–)
 Theodor Fontane
i AUSSTELLUNG IN BERLIN
Fontane und
Karl May
Den preußischen und den sächsischen
Bestseller-Autor verbindet überraschend viel
[ VON THOMAS KRAMER ]
T
heodor Fontane und
Karl May, märkische
Alleen und Prärie –
wie passt das zu-
sammen? Wir sind
mit dem tragischen
Schicksal von »Effi Briest« ver-
traut. Ungezählte Tränen ver-
gossen wir bei Winnetous Ro-
man- oder Leinwandtod. Doch
was haben beide Autoren au-
ßer dem Schriftstellerberuf im
ü
Karl May
Bilder der Ausstellung: Von Napoleon über den
alten Dessauer (links unten) bis Kaiser Wilhelm I.
19. Jahrhundert gemeinsam?
Dieser Frage widmet sich nun
erstmals eine Berliner Ausstel-
lung. Sie zeigt die Sicht der
Autoren auf brandenburgisch-
preußische Historie vom Mit-
telalter bis zu den Einigungs-
kriegen. Neben seltenen Erst-
ausgaben sind Dioramen, Ge-
mälde, Waffen und Uniformen
zu sehen. Der Preuße Fontane
verfasste die Ballade »Der alte
Dessauer«, erzählte über die
Napoleonzeit und ließ einen
Romanhelden ins amerikani-
sche Felsengebirge fliehen.
Der Sachse Karl May schrieb
nicht nur reißende Wildwest-
märchen, sondern auch Humo-
resken um den »alten Dessau-
er«. In »Die Liebe des Ulanen«
verfolgt May die Schicksale ei-
ner preußischen Offiziersfami-
lie im 19. Jahrhundert. Leben-
dige Geschichte lädt so zu ei-
ner Reise zwischen Literatur
und Realität ein.
»Theodor Fontane
und Karl May«
Stadtgeschichtliches Museum
Spandau — Gotisches Haus,
Breite Straße 32, 13597 Berlin
bis 24. November 2019
Eintritt frei
www.gotischeshaus.de
G/GESCHICHTE ist Medien-
partner der Ausstellung
G GESCHICHTE 7 | 2019 77
WELTERBE

Da Stralsund an der Meerenge vor der

Insel Rügen liegt, wird die Hansestadt
auch das »Tor zu Rügen« genannt

S
Welterbe: Stralsund und Wismar tralsund und Wismar –
Kultur vor der Haustür: In unserer Reihe stellen wir zwei Städte, die sich
Welterbestätten in Deutschland und seinen Nachbarländern vor zum Wasser hin öffnen
und mit dem Auto rund

Das Erbe
150 Kilometer voneinan-
der entfernt liegen. Trotz
der Distanz bewarben sich beide ge-
meinsam um Aufnahme in die Welt-

der Hanse erbe-Liste – und schafften es. Seit 2002

gehören sie zum UNESCO-Welterbe
und teilen sich den Titel. Beide gehör-
ten einst dem im Mittelalter gegründe-
Backsteinbauten, Kaufmannshäuser und Häfen ten Kaufmannsbund Hanse an, stehen
prägen bis heute beinahe unverändert die für dessen Kultur und haben gut erhal-
tene Altstädte. Noch dazu findet sich
historischen Altstädte an der Ostseeküste dort jede Menge Backsteingotik.
[ VON UTE STRIMMER ]
Stralsund und Wismar repräsen-
tierten zwischen dem 13. und 15. Jahr-
hundert den Reichtum und die Macht
der Hanse. Die historischen Ker-
ne beider direkt am Meer gelegenen
­Städte begeistern noch heute mit na-
hezu u­ nveränderten mittelalterlichen
Grundrissen. Straßennetz, Plätze so-
wie Parzellen- und Grundstücksstruk-
tur verdeutlichen in den Hansezentren

ü
78 G GESCHICHTE 7 | 2019
 Viele Gebäude in Wismar
haben verzierte Giebel

Wismar von oben: Die Pfarrkirchen in

Backsteingotik fallen sofort ins Auge

Machtwechsel in Wismar

Belagerung im
Nordischen Krieg
Dieses zeitgenössische Gemälde von
Romeyn de Hooghe zeigt die
­Belagerung Wismars durch d­ änische,
brandenburgische und kaiserliche
Truppen im Jahr 1675. Später gehört
die Stadt zu Schweden.

die Anlage von Hafenstädten, die vom
Fernhandel geprägt waren: Die Stadt-
grundrisse sind zum Wasser hin ausge-
richtet. Bei Wismar hat sich das histo-
rische Hafenbecken bis heute erhalten.
Mit der »Frischen Grube« führt hier ei-
ner der ältesten künstlichen Wasserläu-
fe Deutschlands durch die Stadt.
Beide Orte waren außerdem wich-
tige Impulsgeber für die Entwicklung
und Verbreitung der berühmten Back-
steingotik der Region. Denn weil es in
der Norddeutschen Tiefebene kaum
ISTOCK/MIJE_SHOTS, MAURITIUS IMAGES/THE PICTURE ART COLLECTION/ALAMY
und Wismar. Nicht nur Studierende
der Kunstgeschichte kennen diese von
­Exkursionen.
Von der politischen und wirtschaftli-
chen Bedeutung beider Städte im Mit-
telalter zeugen darüber hinaus die auf-
wendig gestalteten Kaufmannshäuser.
Prächtig verzierte Häuser zeugen
vom Reichtum der Kaufleute
Wie die Perlen einer Kette reihen sie
sich aneinander. Mit ihren besonders
schön gestalteten Giebeln wiesen die
de wurde nicht von Anfang an nur als
Rathaus genutzt. Im Mittelalter diente
das Erdgeschoss als Einkaufszentrum:
40 kleine Läden soll es dort gegeben
haben.
Als weitere Highlights gelten Bau-
ten aus der Barockzeit: Im 17. und 18.
Jahrhundert waren Stralsund und Wis-
mar wichtige Verwaltungs- und Vertei-
digungsposten des Schwedischen Kö-
nigreichs. Der kulturelle E
­ influss bei-
der Städte erreichte damals ­erneut ei-
nen Höhepunkt. Aus dieser Zeit stam-

Natursteinvorkommen gibt, orientier- Kaufleute auf ihr reiches Warenangebot men das Wismarer Zeughaus und das
ten sich die Menschen dort an einer in hin, das sie auf dem Speicher lagerten Schwedische Regierungspalais in Stral-
BILDNACHWEIS: ISTOCK/BESTGREENSCREEN, ISTOCK/IURII BURIAK,

Oberitalien entwickelten Technik: Aus
Ton und Wasser formten und brannten
sie Backsteine, die übereinander ge-
schichtet wurden. Mehr als fünf Milli-
onen davon benötigte man nur für eine
einzige Kirche.
Einen repräsentativen Querschnitt
durch die berühmte Sakralarchitek-
tur der Hansestädte der Ostsee zeigen
die sechs aus Backstein errichteten mo-
numentalen Pfarrkirchen in Stralsund
und auch dort verkauften. Die schwe-
ren Güter transportierten die Kauf-
männer mit hölzernen Aufzugsrädern
nach oben.
Auch das Stralsunder Rathaus be-
sticht mit seiner reich verzierten Front.
Durch die prachtvollen Fenster und
Rosetten im oberen Teil des Gebäudes
kann man direkt in den Himmel se-
hen, denn es liegen keine Räume hin-
ter der Schmuckfassade. Das Gebäu-
sund. Die Schwedenzeit in Stralsund
endete 1815, Wismar wurde erst 1903
wieder offiziell deutsch.
AUSFLUGSTIPP
Im Olthofschen Palais in Stralsund gibt es zu
beiden historischen Städten eine dauerhafte
Welterbe-Ausstellung. → www.stralsund.de/
gaeste/museen/Welterbe_Ausstellung/

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 79
 Alfred Hitchcock,
1946 aufgenom-
men von ­Ernest
Bachrach

BILDNACHWEIS: FILMARCHIV AUSTRIA, PARAMOUNT PICTURES/JOHN KOBAL FOUNDATION, RKO/JOHN KOBAL FOUNDATION,
STIFTUNG PREUSSISCHE SCHLÖSSER UND GÄRTEN BERLIN-BRANDENBURG/ROLAND HANDRICK,
STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN MÜNZKABINETT/REINHARDT SACZEWSKI, MARTIN TOENGI
Bud Fraker
­porträtierte Audrey
Hepburn 1954

D
TRAUMFABRIK ie meist unbekannten Die ­Besucher können so in die

Glamour
­ orträt- und Standbild­
P ­Goldene Ära der kalifornischen
fotografen Hollywoods Filmindustrie eintauchen, die seit
­arbeiteten hinter dem den 1920er-Jahren Stars und Starlets,

im Pott
Die Ludwiggalerie in Ober-
hausen zeigt, wie Filmstars
in Szene gesetzt wurden
Scheinwerferlicht – und
dennoch schufen ihre Aufnahmen
Legenden. Die von Simon Crocker
und Robert Dance konzipierte Aus-
stellung »Hollywood Icons. Fotogra­
fien aus der John Kobal Foundation.
Greta Garbo, Humphrey Bogart,
­Alfred Hitchcock & Co.« wirft einen
Blick hinter die Kulissen der Traum-
fabrik. Mehr als 200 Werke aus der
Sammlung des Filmhistorikers Kobal
fangen den Mythos Hollywood ein.
Sie zeigen, wie die Fotografen zum
Glanz der Filmindustrie beitrugen.
aber auch Techniker und Regisseure
lockte. Die Macher versprechen ein
Wiedersehen mit Größen wie
­Elizabeth Taylor, James Dean, Judy
­Garland und Fred Astaire.
In der »Extraschicht« am 29. Juni
­erwarten die Besucher unter
­anderem Führungen durch die
Schau, Tipps vom Foto-Profi sowie
als weiteres Highlight Hollywood-
Make-up mit einer Maskenbildnerin.
Ludwiggalerie Schloss Oberhausen,
bis 15. September 2019,
→ www.ludwiggalerie.de

WEITERE AUSSTELLUNGEN

Bremen wie Kreative an sein Schon immer versuch- Erfurt seinen Facetten. Zum
»Wilhelm Wagenfeld. Werk anknüpfen. ten Menschen, Fische »Blau und Blaues. Beispiel brachten es
Leuchten« Bis 27. Oktober 2019, zu überlisten. Das Farbbetrachtungen die Menschen im Hoch-
Die 1924 entworfene www.wilhelm-wagen- Weißgerbermuseum der besonderen Art« mittelalter mit der
Bauhaus-Leuchte ist feld-stiftung.de skizziert die Entwick- Ins Blaue fahren oder Jungfrau Maria in Ver-
ein echter Klassiker. lung des Angeln zum mit einem blauen Auge bindung und machten
Das Wilhelm Wagenfeld Doberlug- Sport und Hobby. davonkommen: Das es so zu einer »mächti-
Haus zeigt, wie der De- Kirchhain Bis 8. September 2019, Museum für ­Thüringer gen« Farbe. Bis 8. März
signer die Bauhausidee »F(r)isch vom www.weissgerber­ Volkskunde widmet 2020, www.volkskunde-
weiterentwickelte und Haken« museum.de sich dem Blau in all museum-erfurt.de

ü
80 G GESCHICHTE 7 | 2019
 AUSSTELLUNGEN

»Preußischer Apoll«
Prinz Louis Ferdinand wird
bereits zu Lebzeiten verehrt

LOUIS FERDINAND GESTERN & HEUTE

Künstler Prozess der

& Krieger Ausgrenzung
Über die Gefahren
Eine kleine, aber feine
einer Polarisierung der
Ausstellung widmet Gesellschaft
sich dem Leben

H
des Hohenzollern ugo Bettauer entwarf
1922 in dem Roman

E
nfant terrible,
­Pianist, Kompo-
nist, Lebemann,
Krieger: Der Neffe Fried-
richs des Großen war noch keine 34
Jahre alt, als er 1806 im Kampf gegen
­Napoleon fiel. Seinem Mythos tat das
keinen Abbruch.
Die Ausstellung »Der preußische
Apoll. Prinz Louis Ferdinand
(1772 — 1806)« wirft einen Blick auf
das Leben und das künstlerische
Schaffen des Hohenzol-
lern, der mit Ludwig van
Beethoven befreundet war
und Komponisten wie Robert
Schumann beeinflusste. Darüber hi-
naus liefert die Schau einen Eindruck
von der Möblierung und Ausstattung
der beliebten Berliner Salons zu Leb­
zeiten des Adels-Sprosses.
Schloss Köpenick, Kunstgewerbe­
museum, Berlin, bis 6. Oktober 2019,
→www.smb.museum
»Stadt ohne Juden« ein
Szenario, das während
der NS-Zeit grausame Realität
wurde. »Die Stadt ohne. Juden
Ausländer Muslime Flüchtlinge«
zeichnet mit Blick auf das Buch
und den gleichnamigen Stumm-
film die Ausgrenzung nach und
schaut auf aktuelle Beispiele.
NS-Dokuzentrum München,
bis 10. November 2019, → www.
ns-dokuzentrum-muenchen.de

Kollwitz für Daheim

In der Ausstellung »Kollwitz im Esszimmer.
Leben mit schwerer Kost« berichten Sammler von
ihrer Faszination für die Werke der G
­ rafikerin.
Käthe Kollwitz Museum Köln, 4. Juli bis
29. September 2019, → www.kollwitz.de Szene aus dem
Stummfilm »Stadt ohne
Kollwitz-Werk über Juden« von 1924
­einer Kommode

Köln Ländern wie ­Togo, im Landesmuseum Trier ­Accessoires aus 250

»Geschenkt! Die Gabe Indonesien und Mexiko. Natur und Mensch. »Um angemessene Jahren Modegeschich-
der Diplomatie« Bis 22. September 2019, Mit seiner TV-Sendung Kleidung te. Die Besucher der
Was bringt man einem www.­museenkoeln.de »Expeditionen ins Tier- wird gebeten« Schau können sich auf
Staatsgast mit? Das reich« machte er auf Das Stadtmuseum Si- handgefertigte Unikate
Rautenstrauch-Joest- Oldenburg die Notwendigkeit des meonstift beschäftigt und Entwürfe von Dior
Museum präsentiert »SIELMANN!« Umweltschutzes auf- sich mit Dresscodes oder Vivian Westwood
noch nie gezeigte Der Tierfilmer Heinz merksam. Bis 3. No- vom Ballkleid bis zum freuen.
Staatsgeschenke aus Sielmann rückt in den vember 2019, www.­ Trauerflor. Zu sehen Bis 6. Oktober 2019,
außereuropäischen Fokus der Ausstellung naturundmensch.de sind 100­K
­ leider und www.museum-trier.de

ü
G GESCHICHTE 7 | 2019 81
LESERBRIEFE & GEWINNER
Leserbriefe
Schreiben Sie uns:
Bayard Media GmbH & Co. KG
Redaktion G/GESCHICHTE
Böheimstr. 8, 86153 Augsburg
Tel.: (0821) 45 54 81-42
E-Mail: g@bayard-media.de
Leserbriefe geben nicht die Meinung
der Redaktion wieder.
Zur Ausgabe 3/2019 »Hexen«
Das mainzische Bodenheim mit dem Ober-
hof, dem Gerichtshof des St.-Alban-Reichs-
ritterstiftes (= Ortsherr von Bodenheim) zu
Mainz, war von 1612 – 15 eine »Hochburg«
der Hexenverfolgung. In den drei Jahren
wurden 10 % der Gesamtbevölkerung und
zugleich 17 % der weiblichen Bevölkerung
Bodenheims Opfer dieses Wahns. 25 wur-
den verbrannt, davon ein Hexer, zwei star-
ben in Haft. Nur eine Angeklagte wurde,
nach Folter verkrüppelt, von den Richtern
wieder entlassen. […] Alle Interventionen
des ev. Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. ge-
gen die Prozesse im kath. Bodenheim wa-
ren erfolglos, da ihm die Hände gebunden
waren, denn, noch nicht volljährig, wur-
de die Kurpfalz damals durch eine reichs-
rechtliche illegitime Vormundschaftsregie-
rung verwaltet. Am Tage seiner Volljährig-
keit stellte der pfälzer Kurfürst einen Rei-
tertrupp zusammen und fiel am 16.  6.  1614
gewaltsam in das mainzische Bodenheim
ein und bewirkte eine Prozesspause. Erst
ein zweiter Schlag am 28. 5. 1615 brachte
das Ende der Prozesse, indem er die Ge-
fängnisse aufbrechen ließ und die vier rest-
lichen Gefangenen befreite.
Einer der Befreiten war so unvorsichtig,
1617 zurückzukehren. Dieser wurde sofort
wieder verhaftet und diesmal ins nahe, si-
chere Mainz geschafft. Das brachte die Bo-
denheimer Prozesse vor das Reichsgericht.
Alle Prozesse wurden nun von den ev. Uni-
versitäten Heidelberg, Rostock und Mar-
burg sowie der kath. Uni Köln geprüft und
alle Opfer freigesprochen. Was war hier das
Besondere? Alle Opfer waren ausnahmslos
pfälzer oder reichische Leibeigene, die als
Ausleute, als Gastarbeiter, im mainzischen
Bodenheim lebten und arbeiteten. […]
Es war Fremdenangst und Fremdenhass,
82 G GESCHICHTE 7 | 2019
der auch heute noch nicht ausgerottet ist.
Es waren alle Gesellschaftsschichten be-
troffen, von der Magd bis zu Gutsver-
walter- und Schultheißenfamilien. […]
Rainer Knußmann, per E-Mail
Zur Ausgabe 5/2019 »Turniere«
Es zeugt wohl von Hohn, das Bildnis
Bianca Maria Sforzas im Beitrag über die
Heldentaten Maximilians I. aufzunehmen.
Denn der »edle Rittersmann« hatte nicht
nur ihre enorme Mitgift verprasst, sondern
gerade sie jahrelang erniedrigt.
Wie so oft überließ er sie monatelang ihrem
Schicksal, so z. B. auch in Worms 1495, in-
dem er sie (mit seinen Schulden) beladen
einfach zurückließ und sich anderweitig
amüsierte. Sie dagegen litt unter Existenz-
ängsten und musste um Verpflegung ban-
gen. Abgesehen davon favorisierte er in
Worms ja öffentlich Rosina von Kraig. […]
H. Dürr, per E-Mail
RÄTSELAUFLÖSUNG / GEWINNER
Die Lösung des Preis­rätsels aus G/GESCHICHTE
5/2019 »Ritterturniere« lautet: Theuerdank
Auf Geschicklichkeit angelegte Turnierform: Buhurt
Aufenthaltsraum der Ritter auf einer Burg: Dürnitz
Spielleiter eines Ritterturniers: Herold
Schwer bewaffneter Reiter in Metallrüstung: Panzerreiter
Spezielle Turnierausrüstung eines Ritters: Rennzeug
Kampferprobter kühner Krieger: Recke
Handwerker, die Rüstungen herstellten: Plattner
Wir gratulieren den Gewinnern:
3 mal: Siegrid-Maria Größing
»Kaiser Maximilian I. & die Frauen« (Amalthea)
Hildegunde Schlärmann (49393 Lohne),
Anita Tankiewicz (50169 Kerpen),
Gesine Drewniok (17192 Waren OT Neu Falkenhagen)
3 mal: Werner Meyer »Ritter­turniere
im Mittelalter« (Nünnerich-Asmus)
Simone Menzinger (86568 Hollenbach), Thielo Freidt
(01877 Demitz-Thumitz), Andreas Barz (79877 Friedenweiler)
3 mal: Jörg Walz »Geschichte
des Motorsports« (Delius Klasing)
Sebastian Gruhne (06536 Südharz), Volker Meyer
(27299 Langwedel), Jutta Schneider (72149 Neustetten)
3 mal: Stefan Klein »Da Vincis Vermächtnis« (Fischer)
Patricia Steinegger (CH-8055 Zürich), Ralf Leve
(38259 Salzgitter), Robert Lechner (83417 Kirchanschöring)
ü
IMPRESSUM
G/GESCHICHTE, ISSN 1617-9412, B 7276
Herausgeber: Dr. Franz Metzger
Chefredakteure (v. i. S. d. P.):
Dr. Klaus Hillingmeier, Dr. Christian Pantle
Managing Editor: Christine Richter
Redaktion: Michael Feldhoff, Sonja Nowack,
Raphaela Rehwald, Dr. Christiane Schlüter
Lektorat: Die Lektorey
Kreuzer — Madl — R­ uschmann, München
Redaktionsassistenz: Sabine Pomberg
Art Direction: Klaus Springer, Christoph Rauch,
Agentur2 GmbH, München
Grafik: Daniel Baum, Christoph Rauch
Anschrift der Redaktion:
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 VORSCHAU

abe
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Ha

Notre-Dame
Gotisches Meisterwerk
Fassungslos blickte die Welt diesen
April nach Paris: Notre-Dame steht
in Flammen. Warum ist die Kathe­
drale so bedeutend? Und was
bringt der geplante Wiederaufbau?

1939: Adolf Hitler

nimmt in Polen
den Vorbeimarsch
einer deutschen
Infan­­­terie-Einheit ab

ÜBERFALL AUF POLEN

BILDNACHWEIS: AKG, BRIDGEMAN/COLLECTION BOURGERON, ISTOCKPHOTO.COM/ZODEBALA

Der Weg in den

Zweiten Weltkrieg
Vor 80 Jahren beginnt der Zweite Weltkrieg. Lange vor dem Überfall auf
Polen zeichnet sich ab, dass Hitler den »totalen Krieg« will. Von Beginn an
Panamericana
erklärt der Diktator die »Eroberung von Lebensraum im Osten« zu seiner
politischen Maxime. Welche Ideologie steckt dahinter? Welche Strategien Alaska bis Feuerland
­verfolgt er? Und wie erlebt die Bevölkerung in Polen Gewalt und Verfolgung? Rocky Mountains, Dschungel,
­Karibik-Feeling: Das Schnell­
Weitere Themen straßen-Netz verbindet Nord- und
Geschichte im Alltag: Darf man darüber lachen? – »Das Leben des Brian« Südamerika. Für viele ein Traum
Porträt: Pietro Aretino – Klatschjournalist im 16. Jahrhundert

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G GESCHICHTE 7 | 2019 83
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