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»Deutschland dürfte moderner sein, was die Gleichwertigkeit eines jeden Menschen angeht.«
#FRAUENLAND ZUSAMMENLEBEN
4 Titelfotos: Ellen von Unwerth (Dress Temperley London, Necklace Dior), Sigrid Reinichs, Anne Morgenstern, Katharina Bosse,
Freigeister Die Sängerin
Ingrid Caven im SPIEGEL-
Gespräch über das Spiel
der Geschlechter . . . . . . . . . . . 82
INSZENIEREN
Frederike Helwig, Herlinde Koelbl, Paula Winkler, Eva Baales, Ute Mahler, Monika Höfler, Amira Fritz, Jelka von Langen 5
Das deutsche Nachrichten-Magazin
S
ie mussten immense Widerstände überwinden, konnte die insgesamt schwächelnde Branche vor allem
am 12. November vor 100 Jahren gewannen durch Leserinnen erreichen. Doch welche Zeitschriften ha-
Frauen den jahrzehntelangen Kampf: In der noch ben zugelegt? Die »Gala«, die »Neue Welt«, das »Echo der
jungen Weimarer Republik wurde das Frauen- Frau«. Bei den großen Qualitätsmedien liegt der Anteil der
wahlrecht eingeführt. Somit galt das 20. Jahrhundert in Leser eklatant höher als der der Leserinnen. Bei der »FAZ«
Rückblicken immer wieder als Säkulum der Frauen. sind es 66 zu 34 Prozent, bei der »SZ« 61 zu 39, bei der
Aber war es das? 50 Jahre nach der Einführung des Frauen- »Zeit« 62 zu 38, beim SPIEGEL sind es 72 zu 28 Prozent.
wahlrechts, während des Revoltejahres 1968, waren Um den Befund polemisch zuzuspitzen, lässt sich noch
Frauen so unzufrieden mit der Entwicklung, dass eine anführen, dass Frauen bei einem anderen SPIEGEL-Wissens-
Studentin auf einem Kongress Männer mit Tomaten test immerhin besser über die Sängerin Beyoncé Bescheid
bewarf. Frauen forderten Männer wussten als Männer. Aber nun
auf, sich endlich mit der Unter- kommt die argumentative Kehrtwen-
drückung der Frau im Privaten zu de: Es spricht nichts dagegen, sich
befassen – das Private wurde mit Beyoncé auszukennen. Die Afro-
politisch. Die neue Frauenbewegung amerikanerin ist mit ihrem Mix aus
begann. R’n’B und dem männerdominierten
Vor einem Jahr im Oktober Rap eine bedeutende Stimme des
ging von den USA schließlich die schwarzen Amerika geworden. Das
#MeToo-Bewegung aus, die auch wiederum ist politisch, wie Beyoncé
in Deutschland aufgenommen auch einen Feminismus propagiert,
worden ist – hier wiederum ist das an den zwar Fragen zu stellen wären,
Intime politisch geworden. der aber interessant ist. Und – Ach-
100 Jahre, 50 Jahre, 1 Jahr – Fort- tung: Ökonomie – sie ist eine der
schritt ist mal zäh, mal schwindel- reichsten Musikerinnen der Welt, die
erregend schnell. Es hilft, Zäsuren zu Popkultur hat sowieso einen mächti-
setzen und sich zu besinnen. Des- gen Wirtschaftszweig hervorgebracht.
wegen dieses Heft. Wer sich mit Beyoncé befasst, hat
Analysen gelingen immer dann, mit großen Themen zu tun. Das
wenn Themenfelder eingeengt Private kann durchaus politisch sein.
werden, aus diesem Grund haben Plakat für das Frauenwahlrecht, Aber man tut den Redaktionen
wir uns hier vor allem die Lage 1914 (Ausschnitt) von »Gala« und »Neue Welt« nicht
in Deutschland vorgenommen: Wie zu wenig Ehre an, wenn man fest-
modern ist dieses Land? stellt, dass deren Ehrgeiz, diese Din-
Nur den Fortschritt zu feiern kann nicht die Aufgabe von ge politisch zu interpretieren, sich in Grenzen hält. Das Pri-
Journalismus sein. Es geht auch darum, Schmerzpunkte auf- vate ist nur dann politisch, wenn man es auch so ausdeutet,
zuspüren. Und einer davon kommt nun. Aus dem Wahlrecht wie es die neue Frauenbewegung und #MeToo getan haben.
ergibt sich auch eine Pflicht, nämlich die, sich tatsächlich für Wer zudem einordnen kann, wie kompliziert sich Russland
Politik zu interessieren. Zwar ist die Wahlbeteiligung bei Män- und die Nato zueinander verhalten, ist noch besser dran. Es
nern und Frauen etwa gleich hoch, doch Studien belegen gibt kein gutes und kein schlechtes Wissen. Wissen schließt
immer wieder, dass Frauen sich deutlich weniger für Politik sich nicht gegenseitig aus.
im klassischen Sinne interessieren als Männer. Dementspre- Es ist die Aufgabe von Qualitätsmedien, das Politische
chend ist ihr Wissen über Grunddaten der Politik auch deut- zu vermitteln, denn als reine Wirtschaftsunternehmen
lich geringer. Eine SPIEGEL-Umfrage ergab, dass dieses Wis- sind sie nie gedacht gewesen. Die meisten von ihnen sind
sen im Schnitt nicht ausgeprägter sei als bei Hauptschülern: nach der NS-Zeit gegründet worden, um die Demokratie
63 Prozent der Männer beantworteten die Frage nach der zu verteidigen. Wir handeln mit Werten. Daher müssen
Höhe der Arbeitslosenquote korrekt, aber nur 39 Prozent der wir zwar unsere bisherige Leserschaft unbedingt bewahren,
Frauen, 67 Prozent der Männer wussten, dass Russland nicht aber auch andere Perspektiven zulassen und mehr Frauen
in der Nato ist, aber nur 32 Prozent der Frauen. gewinnen. Dass wir es versuchen, soll dieser SPIEGEL hier
Wie kann das sein? Mädchen und junge Frauen schnei- demonstrieren.
den in Schule und Universität im Schnitt besser ab als Frauen sollen sich von Politik und Medien gemeint
gleichaltrige Jungen und junge Männer. Für den Buchmarkt fühlen. Sich aber auch gemeint fühlen zu wollen, das liegt
und für Printmedien sind Frauen bedeutsam. Zuwächse an ihnen. Susanne Beyer
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Frauenbilder
Der SPIEGEL hat zwölf der renommiertesten deutschen Fotografinnen
gebeten, Frauen zu porträtieren, die sie beeindrucken. Und die Porträtierten geben
ihre Antwort auf die Frage: »Wie modern ist dieses Land?«
»Das kommt auf die Perspektive an. Im internationalen
Vergleich sind wir sicher modern. Aber Deutschland
könnte moderner sein, wenn es sich an seine sozial-
staatlichen Versprechen erinnern würde.«
Sandra Hüller, Schauspielerin (»Toni Erdmann«), fotografiert
von Anne Morgenstern am 31. August 2018 in Leipzig
9
»Frauen sind in der Polizei nicht mehr wegzudenken, etwa als
Ansprechpartnerinnen für geschädigte Frauen nach häuslicher
Gewalt. Daher finde ich, dass das Land gerade im Bereich
Behörden modern ist. Im Bereich der freien Wirtschaft sieht das
jedoch meiner Meinung nach ganz anders aus.«
Janine Burmeister, Polizistin, fotografiert von Katharina Bosse am
24. August 2018 in Hamburg
10
»In der Musikindustrie arbeiten so tolle Frauen,
in den Führungsetagen aber leider nicht.
Es zu erzwingen klingt für mich aber auch nicht
richtig. Ich kenne den richtigen Weg leider
nicht, was ich aber hundertprozentig sagen kann:
The future is female!«
Ace Tee, Musikerin (»Bist du down«), fotografiert von
Monika Höfler am 13. September 2018 in Hamburg
13
FASHION: MIKE ADLER (ADB AGENCY); HAIR & MAKE UP: MANIACHA (B-AGENCY); 1ST ASSISTANT: STAN REY-GRANGE; DIGITAL OPERATOR: AURORE DE BETTIGNIES; FASHION ASSISTANT: MAHATMA MICHAEL; PRODUCER: CLARA REA, LAYLA NÉMÉJANSKI; DRESS AND CHOKER: DIOR
»Viele kämpferische Frauen haben unser Land
schon weit vorangebracht. Wir wissen aber
auch: Die Arbeit für gleiche Rechte und Chancen
ist noch lange nicht getan.«
Angela Merkel, Bundeskanzlerin, fotografiert von
Herlinde Koelbl am 12. April 2018 in Berlin
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»In welcher Moderne leben wir denn gerade eigentlich?
Wenn hinter der Frage steht, wie frei wir sind, wie
tolerant, wie gerecht, dann würde ich sagen: auf einer
Skala von 1 bis 10 ungefähr 5,5. Da geht noch was.«
Marie Steinmann, Künstlerin und Gründerin
der Hilfsorganisation »One Fine Day«, fotografiert von
Jelka von Langen am 3. September 2018 in Berlin
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»Ich wünschte, eine Frauenquote
wäre nicht notwendig. Ich halte
wenig von Zwang. Ich will einen Job
aufgrund meiner Leistungen, nicht
meines Geschlechts. Manchmal
braucht gesellschaftlicher Wandel
aber einen Schubs.«
Katharina Ebel, Leiterin des Syrien-Programms
der SOS-Kinderdörfer, fotografiert von Sigrid
Reinichs am 26. August 2018 in den Isarauen
bei Schäftlarn, Bayern
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1 2 F O T O G R A F I N N E N – 1 2 P O R T R ÄT S
Anne Morgenstern, geboren in Leipzig, studierte Fotografie Herlinde Koelbl, 78, ist Künstlerin, Fotografin und Autorin,
in München und Zürich, wo sie heute lebt und arbeitet. – die ihre Unabhängigkeit schätzt und einen ganz speziellen
Über die von ihr porträtierte Schauspielerin Sandra Hüller, Blick auf Menschen und Milieus hat. – An Bundeskanzlerin
40, sagt die Fotografin: »Sandra Hüller schafft es, ihre Angela Merkel, 64, schätzt sie, »dass sie sich in all
Figuren auf eine sinnliche, kraftvolle und unaufgeregte Art den Jahren ihr analytisches Denken in Krisensituationen
von Klischees zu befreien. Das berührt mich sehr. Es ist bewahrt hat, uneitel den Versuchungen der Macht wider-
elementar, dass das Körperliche und das Intuitive und das stand, souverän männlicher Machtprahlerei gegenübersteht
Weibliche mehr Raum in der öffentlichen Wahrnehmung und Deutschland im Ausland durch ihre Politik großes
einnehmen. So werden Rollen endlich neu erzählt.« Ansehen bereitet hat«.
Amira Fritz, 39, lebt nach vielen Jahren in Paris und London Ellen von Unwerth, 64, war zunächst als Model erfolgreich,
mit Freund und Sohn und Hund wieder in Berlin. – Sie bevor sie Mitte der Achtzigerjahre hinter die Kamera wech-
hat sich entschieden, die Politikerin Sahra Wagenknecht, selte. Sie hat für alle großen Modemagazine gearbeitet und
49, zu porträtieren, »weil Klugheit, Kompetenz und Macht, gilt als Entdeckerin des Models Claudia Schiffer. Unwerth
Eleganz, Femininität und Schönheit sich nicht ausschlie- lebt in Paris. – Warum sie Liv Lisa Fries, 27, ausgewählt
ßen. Leider wird das in Deutschland (im Gegenteil zu hat: »Diese Schauspielerin verkörpert für mich die moderne
Frankreich) viel zu oft angenommen und deshalb von vielen Frau, offen, unverblümt, frech und charmant. Durch die
Frauen unterdrückt – was für eine Verschwendung«. Serie ›Babylon Berlin‹ ist sie mir ans Herz gewachsen, und
als ich sie zu meinem großen Vergnügen für den SPIEGEL
fotografieren konnte, hatten wir eine enge Verbindung,
Katharina Bosse, 50, ist Professorin am Fachbereich Ge- als würden wir uns schon ewig kennen.«
staltung der FH Bielefeld, in der Stadt, in der sie mit ihren
beiden Kindern lebt. Ihre Arbeiten sind unter anderem in
der Sammlung des MoMA in New York und in der Maison Jelka von Langen, 40, geboren und aufgewachsen an
Européenne de la Photographie in Paris vertreten. – Die Poli- der deutschen Nordseeküste, lebt seit 16 Jahren mit ihrem
zistin Janine Burmeister, 27, ist für sie eine bemerkenswer- Freund und ihrem Sohn in Berlin. – Warum sie von der
te Frau, »weil sie sich für Recht und Gesetz des demokrati- Künstlerin Marie Steinmann, 43, fasziniert ist: »Ich halte
schen Staates einsetzt. Auf der Straße und bei Veranstaltun- sie für einen Freigeist mit Courage und Humor. Marie
gen wird von ihr Präsenz gefordert, große innere Stärke, Steinmann hat eine berührende Videoinstallation mit
Objektivität, Kommunikationsfähigkeit und Verlässlichkeit«. Kindern in Kibera, einem Slum in Nairobi, gedreht und
arbeitet an neuer Videokunst.«
Eva Baales, 36, lebt mit ihrer Familie in Köln und arbeitet
für Magazine wie »Achtung«, »L’Officiel«, »Zoo« und das Ute Mahler, 68, lebt in Oranienburg. In der DDR war sie
»Zeit Magazin«. – Über die Autorin Charlotte Roche, 40, freiberuflich als Fotografin tätig, unter anderem für die
sagt sie: »Das ist die Frau, die sich bis zum Schluss nie »Sibylle«. 1990 war sie Gründungsmitglied der Agentur Ost-
irrt, die stratosphärenhohe Mauern erklimmt, bei Sonnen- kreuz. Neben ihrer Arbeit für große Magazine verwirklicht Ute
untergang zu Schwänen spricht und vorwärts, zum Licht, Mahler freie künstlerische Projekte. – Warum hat sie ihre
strebt – ein einziges Sonett an die Freiheit.« Verwandte Erika Wylezich, 75, vor die Kamera geholt? »Die
Arbeit von Menschen, die aus Liebe und Verantwortung he-
raus Angehörige pflegen, wird in unserer Gesellschaft weder
Monika Höfler, gebürtige Münchnerin, lernte durch ihre ideell noch finanziell entsprechend gewürdigt. Erika hat ihre
zahlreichen Reportagen viel über das Leid und das Glück Mutter zu sich geholt und elf Jahre lang gepflegt, als diese
der unterschiedlichsten Menschen. Sie lebt für diese Be- Hilfe brauchte. Damals war sie 64, ein Alter, in dem andere
gegnungen, jede bleibt für sie einzigartig. – Über die Sänge- nach einem Leben voller Arbeit noch Träume verwirklichen.«
rin Ace Tee, 25, sagt die Fotografin: »Schön, dass es Frauen
wie Ace Tee gibt, die mit ihrem Soul, Style und Spirit so
großartig unser Land bereichern. Die einfach funky und easy Sigrid Reinichs lebt in München. Die Fotografin erstellt über-
bleiben in unserer so komplexen Welt.« wiegend Porträts und Reportagen. – Warum Katharina Ebel,
39, ihr Modell ist: »Katharina Ebel arbeitet als Nothilfe-
Koordinatorin bei den SOS-Kinderdörfern. Ich habe großen
Frederike Helwig, 50, lebt seit Anfang der Neunzigerjahre Respekt vor Katharinas Einsatz, ihrem Mut, sich in Kriegs-
in London. Sie begann als Porträtfotografin für Zeitschriften und Krisengebiete zu begeben, um Menschen in Not zu
wie »i-D« und »The Face« und arbeitet an Buchprojekten unterstützen, zum Beispiel im Irak. Es ist ihr ein besonderes
im Bereich der sozialen Dokumentarfotografie. – Über die Anliegen, Brückenbauer zwischen den Welten zu sein.«
Zeitzeugin Anita Lasker-Wallfisch, 93, sagt die Fotografin:
»Sie wurde mit 18 Jahren deportiert und hat den Holocaust
nur überlebt, weil sie unter der Leitung von Alma Rosé Paula Winkler, 38, lebt mit ihrer Pudeldame Susi in Berlin-
im Mädchenorchester von Auschwitz spielte. Anita Lasker- Kreuzberg und fotografiert am liebsten die unterschied-
Wallfisch ist eine der letzten deutschen Zeugen des Gesche- lichsten Menschen. – Sie wollte die Politikerin Malu Dreyer,
hens, bei dem viele unserer Groß- oder Urgroßeltern die Täter 57, porträtieren, weil »sie für ihre Werte brennt. Man
waren. In der momentanen politischen Lage in Deutschland merkt ihr an, dass sie ihren Job liebt. Das hat eine enorme
ist es wichtig, Menschen wie ihr ganz genau zuzuhören.« Anziehungskraft«.
Dinge, die sonst nur aufgefallen: Mist, wir haben keine Frau dabei. Die Frau
haben wir vergessen.
Es war zur Gewohnheit geworden, dieses Denken,
wenn es um Podien, Kongresse oder auch manche Talk-
show ging: Wir brauchen eine Frau. So als wäre das die
M
produzenten Harvey Weinstein Übergriffe von Belästi-
anchmal kommen auch schöne Sätze aus Bay- gung bis hin zur Vergewaltigung vorwarfen; der Hashtag
ern, schöne Ideen. Sie werben für Toleranz und MeToo, verbreitet von der Schauspielerin Alyssa Milano,
Achtung, für Solidarität mit den Schwächeren wurde zum Weltereignis. »Me too!« – »Ich auch!« Es sam-
und für Gleichberechtigung zwischen Mann melten sich Geschichten von Diskriminierung, Belästi-
und Frau. Diese sei »anzunehmen, einzuüben und auch gung, Missbrauch und manchmal auch nur von missglück-
selbstbewusst zu vertreten«. ten Komplimenten. In Deutschland wurden Vorwürfe laut
Dass es Menschen gibt, die diese Gleichberechtigung gegen den Regisseur Dieter Wedel (in der »Zeit«) und den
ablehnen, auch das wird gesehen. Derjenige kann dann WDR-Fernsehspielchef Gebhard Henke (im SPIEGEL),
verpflichtet werden, »sich einem Grundkurs über die Wer- beide haben sie bestritten.
te der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu Eine Vielzahl von Geschichten über Männer und
unterziehen«. Männerverhalten wird seitdem erzählt. Jetzt wird gespro-
Die Sätze richten sich an Migranten und stehen im chen. Leise und anonym – oder laut. Manchmal
Bayerischen Integrationsgesetz. Solche Sätze sind immer auch überlaut.
wieder gesagt worden nach der Silvesternacht von Köln,
E
nach jedem Fall, in dem ein Migrant eindeutig Täter war –
oder auch nicht. Die Sätze sind wichtig, für Migranten, in bisschen erstaunlich ist es schon. »Ich bin ja
aber nicht nur für sie. keine Feministin, aber ...«: In diesem Defensiv-
Ein Gedanke steht hinter diesen Sätzen: Wer den modus kam jahrzehntelang daher, wer für Frau-
Zustand einer Gesellschaft beurteilen will, der betrachte enrechte eintrat. Die letzte Welle des Feminis-
den Umgang mit den Rechten von Frauen. Die Gleichbe- mus war verplätschert in den späten Achtziger-, frühen
rechtigung kann als Indikator dienen: Wie modern ist die- Neunzigerjahren – damals, als viele soziale Bewegungen
ses Land, wie modern sind die Menschen, die da leben? am Ende waren und überhaupt das Wort »sozial« seine
Die Idee ist nicht neu; von dem frühen Sozialisten positive Färbung verlor.
Charles Fourier ist die Ansicht überliefert, dass »der Grad Feminismus war nicht cool. Feminismus war ein
der weiblichen Emanzipation das natürliche Maß der all- schmutziges Wort.
gemeinen Emanzipation« sei, der Nachfolger August Wie der Sozialismus so erschien auch der Feminismus
Bebel stimmte nachdrücklich zu. als ein peinliches Relikt aus vergangener Zeit. Ein Ismus,
Es ist kein schlechter Maßstab, er passt in diese auf- über den sich ein starkes Individuum erheben kann,
geregten Tage mit Rollendebatten und Geschlechter- selbstständig, eigenverantwortlich, nicht auf das angewie-
schlachten, mit Anklagen, mit Verteidigung, Selbstkritik, sen, was man »Bewegung« nennt.
Befremden. Freundlich und manchmal ein wenig herablassend
Also, wie sieht es aus? sahen diejenigen, die altfeministische Zeiten noch kann-
Manchmal kommen Politiker an die Macht in dieser ten, auf Jüngere, die sich plötzlich im Netz austobten,
Republik, denen es schwerfällt, Gleichberechtigung »anzu- für gendergerechte Wörter kämpften, über Nacktfeminis-
nehmen, einzuüben und auch selbstbewusst zu vertreten«. mus debattierten und »Aufschreie« losließen, weil ein
Innenminister Horst Seehofer, CSU, erträgt es nur schwer, FDP-Politiker zu tief ins Dekolleté geblickt hatte. Ach,
eine Chefin zu haben, er hat versucht, die Kanzlerin zu wenn ihr wüsstet, seufzen die Älteren, wie schlimm es
destabilisieren und zu demütigen, wo er nur kann. früher war. Als auf vielen Fluren, Hierarchieebenen,
Vielleicht hat der Bayer Seehofer einen Integrations- Konferenzen noch keine Frau war, keine einzige, wenn
kurs nötig: Der Gedanke drängte sich auf beim Blick auf sie nicht dasaß, um Protokoll zu führen. Im Fernsehen
20 Fotos: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat / DPA PICTURE-ALLIANCE; Maurizio Gambarini / Anadolu Agency / ABACA / DDP IMAGES
Innenminister Seehofer bei der Vorstellung seiner Staatssekretäre
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rauchten Männer und führten das Wort. Minister waren schrittlich ist der Feminismus in Deutschland? #MeToo,
Männer. Konzernchefs sowieso. Und die Eltern zu Hause als Bewegung einer wohlinformierten Mittelschicht – lässt
sagten nicht: Klar, du wirst mal Chefin sein. Sondern: sie nicht einen Teil der Wirklichkeit aus dem Blick?
Handarbeitslehrerin in Teilzeit? Ist doch was Schönes für
E
eine Frau.
Das Nichtteilhaben, das Nichtmitreden – es war so in Hamburger Supermarkt nach einem halben
lange normal gewesen, dass geringe Fortschritte groß Jahr Berichterstattung über #MeToo, ein Mann
erschienen. Die letzte Welle der Frauenbewegung, in den und eine Frau vom Personal im Gespräch, der
Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, hat der Mann blickt auf sein Handy. »Weinstein«, liest
Republik Gleichstellungsbeauftragte, Frauenquoten, der Mann. »Weinstein, wer ist denn das?« – »Ach, nur
Väter in Elternzeit und eine Kanzlerin verpasst, und man so ein Typ, der Frauen auf den Po geklatscht hat, und
könnte ja denken: ist doch schon mal was. Ist es nicht, jetzt regen sich alle auf«, sagt die Frau. Nichts Wichtiges,
denkt heute ein anspruchsvoller Teil jüngerer Frauen, der sagt ihr Ton.
es für selbstverständlich hält, dass Es ist heilsam, so etwas mitzuhören. Die Szene
Frauen ganz oben mitspielen. bewahrt vor dem Glauben, die Debatte habe die gesamte
Es kommt nicht Bilder wie das von Seehofers Män-
nerriege werden heute als grotesk
Gesellschaft erfasst.
Das soll nicht heißen: Es passiert nichts, abseits der
zwangsläufig empfunden, generationenübergrei-
fend. Und wer sich bei diesem
Mittelklasse-Diskurse. Da passiert sehr wohl etwas.
Die »Süddeutsche Zeitung« hat vor ein paar Monaten
Fortschrittliches Anblick ärgert, muss sich generatio-
nenübergreifend derselben Frage
diejenigen zu Wort kommen lassen, von denen kaum
jemand spricht: die Krankenschwester, die Kassiererin,
heraus, wenn stellen: Was wollen die Frauen
eigentlich, wenn sie oben mitspie-
die Putzfrau, die Kellnerin. Protokolle, die mit großer
Selbstverständlichkeit von Übergriffen berichten, die
eine Frau sich len? Die bessere Karriere? Die besse-
re Welt?
einen froh, dass endlich jemand zuhört, andere verwun-
dert, dass sich jetzt jemand dafür interessiert – weil
etwas denkt. Als eine der Wichtigen im westli-
chen Feminismus gilt Sheryl Sand-
es doch normal sei, dass sich Männer so benehmen,
immer schon. Plastisch illustrieren diese Protokolle das
berg, die Facebook-Chefin, »Lean Machtgefälle, das diese Übergriffe erlaubt. Es geht ja
In« heißt ihr Buch. Es ist auch in nicht einfach um Lust, die sich nicht um Grenzen
Deutschland ein großer Erfolg. »Lean in« heißt: Arbeite schert. Es geht auch darum, wer die Spielregeln bestimmt.
an dir. Mach mit. Optimiere dich selbst, nicht die Welt da Männer sind das, in den allermeisten Fällen. Und im
draußen, los, nicht schlappmachen, knechte dich. Kampf für Frauenquoten schwingt die Hoffnung,
Sandbergs Buch beweist, dass nicht zwangsläufig Fort- vielleicht auch die Unterstellung mit, dass mit der weib-
schrittliches dabei herauskommt, wenn eine Frau sich lichen Führung automatisch eine freundlichere
etwas denkt. Hauptsache, du führst: Das ist die Botschaft. einkehre, dass mehr Frauenkarrieren ein Schritt seien
Was du führst, ist sekundär. Du kannst einen Konzern zur besseren Welt.
führen, der sich weigert, Steuern zu zahlen; du kannst Und nun ist da die Schauspielerin Asia Argento, eine
ein Unternehmen führen, das seine Arbeiterinnen der Anklägerinnen im Fall Weinstein, und wird selbst
schlecht bezahlt; du kannst Chefin einer Atom- oder der Übergriffe an einem jungen Schauspielkollegen
Rüstungsfirma sein: egal. beschuldigt.
Es ist ein einverstandener Feminismus, marktkonform. Nun ist da die dekonstruktivistische Geisteswissen-
Er erfüllt die Bedürfnisse des globalisierten Kapitalismus, schaftlerin Avital Ronell, hoch angesehen in ihrem Sektor,
der ja nach »Diversity« ruft. Er tut das vor allem, seit Stu- und ein Doktorand wirft ihr massive Übergriffe vor.
dien ergeben haben, dass ein Unternehmen besser Nun ist da an einem deutschen Max-Planck-Institut
dasteht, wenn es mehr Frauen, mehr ethnische Vielfalt in eine Direktorin, die nicht der Übergriffe, aber des Macht-
die oberen Ränge bringt. terrors beschuldigt wird von Wissenschaftlern, deren Vor-
gesetzte sie war.
W
Was bedeutet Feminismus: Eine Frau geht ihren Weg?
arum der marktkonforme Feminismus so Indem sie Dinge tut, die sonst nur Männer tun? Dann
stark geworden ist, dazu hat die britische wären diese drei, wenn die Vorwürfe zuträfen, immer
Publizistin Susan Watkins eine Theorie: noch Feministinnen.
Sehr gezielt, so schreibt sie, haben Stiftun- Dann wäre Alice Weidel Feministin, die Fraktions-
gen wie die amerikanische Ford Foundation den markt- chefin der immer weiter nach rechts driftenden AfD. Sie
liberalen, einverstandenen Feminismus finanziell unter- ist eine Frau, geht in der Männerwelt ihren Weg, und
stützt. Sie boten Jobs, Gehälter, Kontakte, hochkarätige lesbisch ist sie auch noch.
intellektuelle Unterstützung an, so Watkins, »und als Feminismus als Freiheitsmoment, das ist die eine Seite,
dann Aktivistinnen zu bezahlten Angestellten wurden, eine wichtige, das war sie schon immer, aber sie reicht
führte die Angst, den Lebensunterhalt zu verlieren, zu eben nicht. Was fehlt immer wieder? Haltung. Ja doch,
wachsendem Konservatismus und Selbstzensur«. darf man es aussprechen? Moral. Parteilichkeit vielleicht,
Feminismus ist kein eingetragenes Warenzeichen. im Sinne der Schwächeren, egal, ob die männlich, weib-
Niemand kann Sheryl Sandberg daran hindern zu sagen: lich oder etwas ganz anderes sind.
Ich bin Feministin. Aber wenn das Feminismus ist: Allerdings gibt es so etwas Ähnliches schon: Es heißt
Wie nützt er einer Frau, die mühsam ihren Lebensunter- Humanismus. Vielleicht wäre das dann wirklich
halt verdient? Was hat eine Arbeiterin beim VW-Zuliefe- modern – eine Gesellschaft, in der der Feminismus im
rer davon, wenn im VW-Aufsichtsrat eine Porscheerbin Humanismus aufgehen kann. Aber bis dahin ist noch
sitzt? Es ist Zeit, die Frage zurückzuspielen: Wie fort- allerhand zu tun. I
Seite 24 – 40 Deutschland
im 13. Jahr Merkel
REGIEREN
MÜTTERBONUS
Wer darf das Kind wie oft bei sich haben? Wer bestimmt, wo es zur Schule geht?
Scheidungsväter fühlen sich beim Streit um den Umgang oft benachteiligt,
denn das klassische Rollenkonzept sieht die Kinder bei der Mutter. Neue Modelle
können das ändern – doch noch sind sie selten.
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Wie modern sind die deutschen Gesetze? Geld, Beruf, Sex, Ge- ser-Schnarrenberger, FDP, sagt im SPIEGEL -Gespräch: »Die Gleich-
walt, Familie – die Gesetzgebung regelt, wie die Menschen damit berechtigung ist auf dem Papier weitestgehend erreicht« (siehe
umgehen sollen. Normen und Vorstellungen ändern sich, das spie- Seite 32). Ist sie das? Wie steht es um die Machtbalance zwischen
gelt sich in Paragrafen wider. Ist das deutsche Recht auf der Höhe Mann und Frau? Zwei Geschichten über Gesetze und ihre Folgen –
der Zeit? Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheus- und eine Auswahl von Regelungen, die zurzeit in der Kritik stehen.
W
ie genau Madeleines Vater sich tete im Krankenhaus, besuchte Fachkon- So ist das im traditionellen Rollenver-
fühlen soll, weiß er nicht. Er gresse, arbeitete auch an Wochenenden. ständnis, aber das ändert sich allmählich.
ist glücklich einerseits, dass er Falck konnte ohne große Probleme ein Väter wünschen sich mehr Zeit mit ihren
seine Tochter weiterhin sehen Jahr Elternzeit nehmen, er ist Unterneh- Kindern, jeder dritte von ihnen nimmt
darf, dass er gleich viel Zeit mit mensberater. Er sagt, die beiden seien im- Elternzeit. Mütter arbeiten, wollen selbst
ihr verbringen darf wie seine Ex-Frau. Und mer stolz darauf gewesen, das Paar zu sein, für sich sorgen, wollen erfolgreich sein.
er ist wütend und verzweifelt andererseits, dass es anders mache: Der Vater kümmert Das Wechselmodell ist ein Versuch, ei-
dass er dieses Recht immer wieder vertei- sich um das Baby, die Mutter verfolgt wei- ner modernen Rollenverteilung gerecht zu
digen muss, wie zuletzt vor einem Ober- ter ihre Karriere. Als sie sich trennten, ging werden: Es soll beiden Elternteilen gleich
landesgericht. Falck davon aus, dass er und seine Ex-Frau viel Zeit für den Beruf und die gemeinsa-
Carsten Falck sagt: »Eine Regelung die Tochter zu gleichen Anteilen betreuen men Kinder geben. Doch bisher ist es noch
bringt doch nichts, wenn wir am Ende eh würden. Die Mutter war skeptisch, ließ selten. Mal scheitert es an den Gerichten,
wieder vor Gericht landen.« sich aber auf das Wechselmodell ein. mal an den Eltern selbst.
Die Tochter ist sechs Jahre alt und heißt Der Tochter zuliebe versuchen die bei- Martin Fischer, auch er ein getrennter
nur in diesem Text Madeleine, auch der den zu kooperieren. Als Madeleine nach Vater, hätte gern ein Betreuungsmodell,
Name des Vaters, er ist 40 Jahre alt, lautet einem Urlaub wegen einer Magen-Darm- wie es Familie Falck praktiziert. Fischer
in Wirklichkeit anders. Von seiner Ex-Frau Infektion ins Krankenhaus musste, küm- ist 42 Jahre alt und hat zwei Söhne, neun
lebt er seit fünf Jahren getrennt. Madeleine merten sich die Eltern zusammen um die und vier Jahre alt. Kurz nach der Geburt
wohnt abwechselnd bei ihrer Mutter und des jüngeren trennte er sich von der Mut-
bei ihrem Vater, bei beiden verbringt sie ter. Seitdem wohnen die Jungen haupt-
etwa gleich viel Zeit. »Wechselmodell« sächlich bei ihr. Im Alltag, sagt er, komme
nennt sich diese Lebensform im Familien- es wegen der Kinder häufig zu Konflikten.
recht. Seit fast drei Jahren kämpft seine Die beiden machten Da bringe es ihm nichts, dass sie auf dem
Ex-Frau dagegen. Und Falck kämpft dafür. Papier gemeinsam das Sorgerecht haben.
Erst vor wenigen Monaten hatte Falck es anders: Er kümmerte Fischer will mehr Einfluss auf das Leben
vor einem Amtsgericht in Süddeutschland seiner Kinder nehmen, will sie häufiger se-
gewonnen, alles, was es zu gewinnen gibt: sich ums Baby, sie hen, nicht nur an jedem zweiten Wochen-
Das Wechselmodell sollte bleiben, das Auf- ende und zusätzlich jeden Mittwochnach-
enthaltsbestimmungsrecht für die Tochter sich um ihre Karriere. mittag, was schon unter »erweiterter Um-
und die Entscheidung darüber, welche gang« läuft. Die Kinder seiner neuen Part-
Schule sie besucht, gingen an den Vater. nerin, elf und sieben Jahre alt, sieht er häu-
Falck war überglücklich, er hatte nicht da- figer als seine eigenen. Ihre Jungs leben
mit gerechnet. Aber Madeleines Mutter Tochter. Als sie einen Schulranzen brauch- ebenfalls in einer Art Wechselmodell – bei
ließ es nicht dabei bewenden. te, kauften sie gemeinsam einen. Und bei ihnen klappt es gut.
Sie wollte das »Residenzmodell«, das Madeleines Ballettaufführungen sitzen die Wer Fischer und seine neue Familie im
die Gerichte beim Umgangsstreit in den Eltern nebeneinander. bayerischen Geisenhausen besucht, findet
meisten Fällen favorisieren. Das Kind lebt Aber dann gibt es doch immer wieder einen Garten mit Obstwiese und Schaukel,
dann hauptsächlich bei einem Elternteil, Streit. Mehrmals trafen sich die beiden vor eine Tischtennisplatte, in der Garage ein
und das ist meist die Mutter: 90 Prozent Gericht, um Alltagsdinge zu klären – und Dutzend Mountainbikes. Vier Jungs er-
der Alleinerziehenden sind Frauen. immer wieder die Frage, bei wem Made- füllen das Ganze mit Leben, an Besuchs-
Der Elternteil, bei dem das Kind nun leine wann wie viel Zeit verbringt. wochenenden jedenfalls.
lebt, hat mehr Pflichten, aber auch mehr Nun, vor Madeleines Einschulung, brach Fischer mag es, wenn es wuselt und laut
Rechte bei der Erziehung, hat das Aufent- erneut der Konflikt aus. Wo sollte das Kind ist. Jedes zweite Wochenende erscheint
haltsbestimmungsrecht und darf bei »An- in die Schule gehen? Auf halber Strecke die Welt ihm hier heil.
gelegenheiten des täglichen Lebens« Ent- zwischen beiden? In der Nähe der Mutter? Doch im vergangenen Jahr hat sein
scheidungen treffen, ohne den anderen Oder könnte das Kind nicht doch haupt- neunjähriger Sohn angefangen zu klauen,
Elternteil einzubeziehen. Für den anderen, sächlich zur Mutter ziehen? Die Entschei- Kleinigkeiten wie Spielzeug, Lego, Stifte.
also meistens den Vater, bedeutet das, dass dung des Amtsgerichts im Mai dieses Jah- Ein Hilferuf, glaubt Fischer, der Junge be-
er seine Kinder nur jedes zweite Wochen- res: Falck bestimmt über die Schule, das komme den Streit seiner Eltern mit.
ende sieht – und Unterhalt bezahlen muss. Wechselmodell bleibt. Alles spreche für das Wechselmodell,
Falcks Geschichte verlief anders, sie Was die Mutter davon hält, besagt ein findet Fischer. Seit einem Beschluss des
folgte nicht dem klassischen Rollenmodell. Zitat, das vor drei Jahren fiel und in den Bundesgerichtshofs im Februar 2017 kann
Es war der Vater, der sich im ersten Jahr Gerichtsakten steht: »Der Vater ist der An- es, wenn die Eltern das gemeinsame Sor-
hauptsächlich um die Tochter gekümmert sicht, dass Vater und Mutter absolut gleich- gerecht haben, auch gegen den Willen
hatte. Die Mutter, sie ist Ärztin, setzte wertig wären. Dies stimmt aber nicht. Ich eines Elternteils angeordnet werden –
nach der Geburt nicht lange aus. Sie arbei- bin die Mutter.« wenn das Gericht der Ansicht ist, dass dies
Herdprämie
len lassen, erst dann wird der Steuersatz
ermittelt. So lässt sich viel Geld sparen –
solange ein Ehepartner gar nichts verdient
oder sehr viel weniger als der andere.
Diese Regelung hatte erzieherischen
Zweck. »Die Bestrafung der Erwerbs-
E
tätigkeit von Ehefrauen war in den Fünf-
s ist das eine, Gesetze bis auf den FINANZEN Verheiratete Paare zigerjahren ein ausdrückliches Ziel der
letzten Buchstaben zu kennen. Et- Steuerpolitik«, sagt die Juristin und Sozial-
was ganz anderes ist es, ihre Wir- können mit dem Ehe- wissenschaftlerin Wersig. Die Adenauer-
kung zu spüren, wenn es hart auf Regierung setzte nach den verstörenden
hart kommt. Das musste die Steuer- gattensplitting Steuern Kriegsjahren auf die Restauration der
beraterin Reina Becker feststellen, als ihr sparen – doch es treibt bürgerlichen, traditionell organisierten
Mann starb. Familie.
Natürlich wusste Becker schon vorher viele Frauen in finanzielle Der Schutz von Ehe und Familie – das
um die teils irrwitzigen Ergebnisse des ist noch heute das Hauptargument von
sogenannten Ehegattensplittings, über das Abhängigkeit. Feminis- Konservativen, die am Ehegattensplitting
verheiratete Paare Steuern sparen können. tinnen wollen die Regelung festhalten wollen. Vehement verteidigt
Eine Ermäßigung von 6000 oder 7000 wird das Modell beispielsweise von Kris-
Euro im Jahr sei bei vielen ihrer Mandan- deshalb seit Jahrzehnten tina Schröder, 41. Die CDU-Politikerin
ten üblich, sagt Becker. Manche bringen war von 2009 bis 2013 Bundesfamilien-
es auf 15 000 Euro. Die Hausfrauenehe abschaffen. Kommt jetzt ministerin – die erste, die während ihrer
lohnt sich in Deutschland. ihre Chance? Amtszeit ein Kind auf die Welt brachte.
Auch Reina Becker, Jahrgang 1962 und Schon ein Jahr vor dem Amtsende war ihr
im niedersächsischen Westerstede zu Hau- klar, dass der Ministerjob nicht mit ihrer
se, profitierte viele Jahre lang vom Ehe- Von Anne Seith Vorstellung vom Familienleben zu verein-
gattensplitting, allerdings in unüblicher baren war.
Rollenverteilung: Mit ihrem Beraterbüro Sie verzichtete deshalb darauf, sich
war sie die Hauptverdienerin der Familie. noch mal für ein ähnliches Amt ins Ge-
Ihr Mann kümmerte sich vor allem um die Jahrzehnten ganz oben auf der Prioritä- spräch zu bringen, arbeitete noch einige
beiden Kinder. tenliste. Die Regelung sei unfair gegenüber Jahre als Bundestagsabgeordnete und hat
Nach seinem Tod im Jahr 2006 – er war nicht verheirateten Paaren mit Kindern mittlerweile ihre dritte Tochter bekom-
plötzlich an einer Lungenentzündung ver- und Alleinerziehenden, finden sie. Und men. »Ich werde für ein Jahr beruflich et-
storben – war Becker von einem Tag auf sie treibe Millionen Frauen in die finan- was kürzertreten«, sagt sie. »Bei meinen
den anderen allein verantwortlich für die zielle Abhängigkeit von ihrem Mann. beiden ersten Kindern musste ich immer
beiden Töchter, damals 8 und 13 Jahre alt. Obwohl heute schon ein Drittel aller nach acht Wochen wieder voll einsteigen,
Zur seelischen Belastung kam noch eine Kinder außerehelich geboren wird und fast da es für Abgeordnete kein Recht auf
ökonomische hinzu. Das Splitting entfiel. 40 Prozent aller Ehen zerbrechen, hält Elternzeit gibt.«
Was das in Zahlen bedeutete, merkte sich das Ehegattensplitting beharrlich. Wa- Schröder fordert Wahlfreiheit gerade
Becker bei ihrer Steuererklärung für 2008. rum eigentlich? für Eltern – und wittert Beeinflussungs-
Obwohl sie nach dem Schicksalsschlag Bis in die späten Fünfzigerjahre wurden versuche nicht durch das Splitting, son-
eines der schlechtesten Jahre ihrer Selbst- Ehepartner vielfach ohne Splitting steuer- dern durch die Versuche, es abzuschaffen.
ständigkeit hinter sich hatte, spuckte ihre lich gemeinsam veranlagt. Dadurch zahl- Den Splittinggegnern wirft sie vor, sie
Software eine enorme Steuersumme aus. ten sie nach der Heirat sogar mehr Steuern wollten »die Menschen umerziehen, und
»Ich habe dann mal ausgerechnet, was ich als zuvor, weil in Deutschland ein progres- das ist mir zutiefst zuwider«. Der Staat,
zahlen müsste, wenn ich noch einen Ehe- siver Steuertarif gilt: Je höher das Einkom- sagt sie, habe sich nicht einzumischen in
partner ohne Verdienst hätte«, sagt Becker. men, desto höher ist der Steuersatz. die Frage, wie Ehepartner die Arbeit un-
Und schon sank die Steuerlast um mehr tereinander aufteilten. »Der Staat hat aber
als 7000 Euro. Dem Schutz von Ehe und Familie, den das grundsätzlich ein Interesse daran, dass
Dieser Mehrbetrag, den Becker seit dem Grundgesetz garantiert, widerspreche die- zwei Menschen die Ehe eingehen – weil
Wegfall des Splittings bezahlen muss, wird se Situation. So entschied das Bundesver- sie sich damit auch dazu verpflichten,
sich voraussichtlich auf 120 000 Euro sum- fassungsgericht im Jahr 1957. Oft wird die- finanziell füreinander einzustehen. Des-
miert haben, wenn ihre Kinder mit der Aus- ses Urteil als Grund angeführt, warum das halb ist es gerecht, ihr Einkommen zusam-
bildung fertig sind. »Man muss sich mal vor- Ehegattensplitting in Deutschland unum- men und immer in der gleichen Höhe zu
stellen: Ich als Alleinerziehende muss gänglich sei. Tatsächlich aber ließen die besteuern. Egal wer wie viel dazu bei-
120 000 Euro mehr an Steuern bezahlen Karlsruher Richter verschiedene Möglich- trägt.«
als ein Alleinverdiener, dessen Ehefrau oder keiten offen, das Problem zu lösen. Davon Die CDU-Politikerin gibt zu, dass »Al-
Ehemann zu Hause sitzt und sich ganz dem ist jedenfalls die Professorin Maria Wersig leinerziehende finanziell viel besser unter-
Haushalt widmen kann«, sagt Becker. Das überzeugt, deren Doktorarbeit die Entste- stützt werden müssen, da hat auch meine
findet sie so ungerecht, dass sie mittlerweile hungsgeschichte des umstrittenen Steuer- Partei noch Nachholbedarf«, nennt das
Verfassungsbeschwerde beim Bundesver- vorteils aufgearbeitet hat. Ehegattensplitting aber das »falsche Instru-
fassungsgericht eingereicht hat. Wersig zufolge wäre eine Möglichkeit ment«.
Damit ist Becker zu einer Heldin der gewesen, Ehepartner künftig konsequent Sie vertritt die Auffassung, dass es letzt-
deutschen Frauenbewegung geworden – getrennt voneinander zu besteuern. lich in einer Ehe keine Rolle spiele, wer
denn der Kampf gegen das Ehegatten- Doch die Politik entschied sich für das was verdiene – schließlich werde gemein-
splitting steht bei vielen Feministinnen seit Splitting. Seitdem können Ehepartner ihre sam gewirtschaftet.
4%
4% ja nein
Gefragt wurden
‣ Frauen: Könnten Sie sich
25% vorstellen, eine langfristige
22 %
Beziehung mit einem
Mann einzugehen, der
4% 3% deutlich weniger verdient
Männer Frauen
als Sie?
gut nicht gut betrifft/interessiert ‣ Männer: Könnten Sie
mich nicht sich vorstellen, eine solche
Beziehung mit einer Frau
Zwei Drittel der Befragten finden die Debatte positiv – überraschend viele angesichts
massiver Gegenstimmen in der Öffentlichkeit. Noch überraschender: Die Zustimmung einzugehen, die deutlich
liegt bei den Männern exakt so hoch wie bei den Frauen. mehr verdient als Sie?
Infografik: DER SPIEGEL / Quelle: Kantar Public; vom 27. September bis 1. Oktober; 1048 Befragte 31
REGIEREN
D
SPIEGEL: Frau Wieczorek-Zeul, was haben
ie drei Frauen duzen sich sofort, als SPIEGEL: Frau Süssmuth, Sie waren die ers- Sie als junge Frau in der Politik erlebt?
sie sich im Berliner SPIEGEL-Büro te Frauenministerin der Bundesrepublik. Wieczorek-Zeul: Ich bin ja nicht als Femi-
treffen, sie kennen sich schon so Wie hat man Sie behandelt? nistin geboren. Aber ich habe recht schnell
lange, haben so viel miteinander Süssmuth: Eben wie eine Frau und nicht gemerkt, dass ich als Frau anders bewertet
erlebt. Rita Süssmuth, 81, war von wie einen Menschen. Wenn Frauen damals wurde. Alles ging gut, solange ich brav war,
1985 bis 1988 Familienministerin im Kabi- im Bundestag redeten, dachten ja alle: aber wenn es um die Spitze geht, ist man
nett Helmut Kohl, bis sie bei ihm in Un- »Ach, das geht schon vorüber.« Es wurde entweder das kleine Dummchen, das nicht
gnade fiel. Heidemarie Wieczorek-Zeul, über piepsige Stimmen gelästert, über das weiß, wie Politik gestaltet wird, oder aber
75, war sowohl im Kabinett von Gerhard äußere Erscheinungsbild. Ich habe auch man wird dämonisiert. Ich war die Schlan-
Schröder als auch von Angela Merkel Ent- die Geringschätzung meiner Kompetenz ge, die Hexe, die Zicke. Ich habe im Bundes-
wicklungsministerin und führte das Haus erlebt. Man schmähte mich, wenn es um tag häufig eine unterschwellige Abwertung
von 1998 bis 2009, so lange wie niemand Themen ging, bei denen ich Verantwortung von Frauen gespürt.
anders. Sabine Leutheusser-Schnarren- hatte. Stattdessen durften Männer reden SPIEGEL: Sie waren schon in den Siebziger-
berger, 67, war Justizministerin im Kabi- und verhandeln. Es war sehr verletzend. jahren die erste Juso-Bundesvorsitzende.
nett Kohl, trat 1996 wegen des Großen SPIEGEL: Sie galten recht schnell als Wieczorek-Zeul: Meine erste Erfahrung in
Lauschangriffs zurück – und saß 13 Jahre Rebellin. der Politik: Ich war 1966 bei einer Juso-
später wieder am Kabinettstisch. Süssmuth: Meine Kollegen hatten ange- Unterbezirkskonferenz und die einzige
Die drei sprechen über die Getränke. nommen, ich würde zahm sein. Ich glaube etwas Buntere unter lauter ernsten, grau
Alle möchten einen Kaffee, nur Leutheus- nicht, dass es ein Herzensanliegen des gekleideten, männlichen Jugendlichen. Als
ser-Schnarrenberger nicht. Sie habe auf Kanzlers Kohl war, eine Frauenministerin es um die Wahl des Schriftführers ging,
dem Flug nach Berlin einen gehabt, der so zu haben. Aber die CDU hatte schon ge- sagte der Unterbezirksvorsitzende: »Da-
gut schmeckte, dass sie jetzt keinen möch- merkt, dass sie beim Thema Frauen, also hinten sitzt eine Genossin, die kann doch
te, sagt sie. Wieczorek-Zeul kann das sozialer Gerechtigkeit, Gleichstellung, An- sicher schreiben.« Ich habe es hinunter-
kaum glauben: »Ein leckerer Kaffee im erkennung von Kompetenzen und Verant- geschluckt und ihn im nächsten Jahr als
Flugzeug?« wortung, nicht beim Alten bleiben konnte. Vorsitzende selbst abgelöst. Als ich später
Sie reden darüber, wie sich das Fliegen Ich wurde ins Amt berufen, als die Grünen für den Vorsitz der SPD kandidierte, stieß
in den vergangenen Jahrzehnten verändert schon im Bundestag waren. Auch die SPD das auf großes Entsetzen: Wie konnte eine
habe, dass man nun alles einzeln buchen war weiter als wir. Kohl hätte wissen kön- Frau es wagen anzutreten, wo doch auch
müsse, Gepäck, Reservierung, Getränk nen, dass ich nicht ganz einfach bin. Im Gerhard Schröder und Rudolf Scharping
mit Snack. »Der Service von früher ist lei- Vorgespräch habe ich ihm schon gesagt: die Position haben wollten. Ich habe aber
der weg«, sagt Süssmuth. »Früher war so- »Was den Abtreibungsparagrafen 218 be- 130 000 Stimmen in der Urabstimmung
wieso alles besser«, sagt Leutheusser- trifft, da bin ich anderer Meinung.« Er sag- erhalten.
Schnarrenberger – und alle drei fangen SPIEGEL: Unter Gerhard Schröder waren
laut an zu lachen. »Na ja«, sagt Wieczo- Sie Entwicklungsministerin. Er nannte
rek-Zeul dann, »bei dem Thema, über das Das Gespräch führten die Redakteurinnen Frauenpolitik »Gedöns«. Wie kamen Sie
wir heute sprechen, aber nicht.« Nicola Abé und Ann-Katrin Müller. mit ihm zurecht?
Fotos: Lêmrich 33
Wieczorek-Zeul: Gerhard Schröder hat ei- Wieczorek-Zeul: Wenn es irgendwo einen
nen nur respektiert, wenn man klare Kan- Skandal gibt, dann ist es diese Lücke beim
te zeigte. Und er war auch ein Lernender, Einkommen. Das hat Auswirkungen. Dass
das muss man sagen. Und manchmal hat Frauenrenten in der Realität deshalb kaum
es lange gedauert, bis er zur Einsicht kam. mehr als die Hälfte der Männerrenten aus-
SPIEGEL: War er ein echter Machotyp? machen, ist wirklich unerträglich.
Wieczorek-Zeul: Er war nie ein Heuchler. Süssmuth: Wir haben 100 Jahre aktives
Wer in Sachen Frauenrechte wirklich der und passives Wahlrecht. Das ist die Rechts-
zivilisierteste Mann war, war Willy Brandt. lage. Aber sehen wir uns faktisch die Rie-
Als es in unserer Programmkommission gen der Macht an und wie viele Frauen da
um die Frage ging, wollen wir den Satz wirklich mitgestalten. Das ist in manchen
mit aufnehmen: »Wer die menschliche Entwicklungsländern fast besser.
Gesellschaft will, muss die männliche über- Wieczorek-Zeul: Ruanda hat mehr weib-
winden.« Da gab es einen Aufstand. liche Abgeordnete als die europäischen
Brandt hat es durchgebracht. Länder.
SPIEGEL: Frau Leutheusser-Schnarrenber- Süssmuth: Es gibt eine Welt, die nicht be-
ger, Sie wurden 1992 Justizministerin unter legbar ist, aber real existiert. Einerseits
Helmut Kohl und waren damit die erste haben auch erfolgreiche Frauen heute das
Frau in einem klassischen Ressort. Wie ist »Die jungen Frauen sind Gefühl, dass wir rechtlich alles durchge-
es Ihnen ergangen? setzt haben. Eigentlich müsste demnach
Leutheusser-Schnarrenberger: Von einem aktiv, permanent am alles gut sein. Aber viel schwieriger wird
klassischen Ressort zu sprechen ist ja es, wenn wir in die Gesellschaft blicken.
schon an sich eine Diskriminierung. Ein Smartphone. Nur bringt Da ist Diskriminierung viel subtiler und
klassisches Ressort – also eines nur für versteckter.
Männer. Natürlich bin ich da hingekom- das am Ende nicht viel.« SPIEGEL: In den Führungsetagen deutscher
men, weil es eine Wettbewerbssituation Unternehmen hat sich nicht viel getan in
gab. Die FDP wollte die erste Partei sein, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den vergangenen Jahrzehnten. Wäre die
die eine Frau in diesem Amt hat. Aber Quote ein Weg, oder ist sie ungerecht?
nicht alle fanden das gut. Denn im Justiz- Wieczorek-Zeul: Ich bin 75 Jahre alt. Mir
ministerium kann man eben an Gesetzes- ist nicht als Frauenanwältin gekommen, kann keiner mehr was erzählen. Wenn wir
vorhaben arbeiten und wirklich Verände- sie hat unserem Kompromiss zu Paragraf nicht Ende der Achtzigerjahre die Quote
rungen anstoßen. 218 nicht zugestimmt. Sie war nicht für in der SPD eingeführt hätten, dann hätten
SPIEGEL: Die FDP hat bis heute ein echtes eine Quote. Wir haben uns erst allmählich wir heute mit Sicherheit keine 40 Prozent
»Frauenproblem«. Haben Sie sich damals angenähert. Aber als sie merkte, wie es in weibliche Bundestagsabgeordnete. Und:
ernst genommen gefühlt? der Bundesrepublik wirklich zugeht, hat Aktive Frauenförderung bringt Ergebnisse.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich persön- sich ihre Haltung stark verändert. Als ich als Entwicklungsministerin 1998
lich habe kaum Sexismus erlebt. Natürlich SPIEGEL: Wenn man alles zusammenzählt, begann, gab es dort sieben Prozent Frauen
musste ich kämpfen: Einige in der FDP dann bringen Sie 65 Jahre Bundestags- in Führungspositionen. Als ich als Minis-
dachten, dass da jetzt eine Unbekannte im erfahrung an diesen Tisch. Darunter 22 Jahre terin ausschied, waren wir bei 36 Prozent.
Justizministerium sitzt, der man diktieren als Ministerinnen. Sie haben die Kabinette Süssmuth: Ich bin nicht mehr für die Quo-
kann, was sie tut. von Helmuth Kohl, Gerhard Schröder und te. Die Quote in den Parteien war unver-
SPIEGEL: Hatten Sie das Gefühl, dass Sie Angela Merkel geprägt. Wie weit ist zichtbar, sonst hätten wir gar keinen Fuß
als Frau besser sein mussten als Männer? Deutschland in Sachen Gleichstellung? in die Tür bekommen. Aber die Quote ist
Leutheusser-Schnarrenberger: Also nicht Leutheusser-Schnarrenberger: Die rechtli- viel zu schwach. Ich bin jetzt für Parität.
direkt besser ... che Gleichberechtigung ist in weiten Teilen Wieczorek-Zeul: Das ist das Ziel. Aber
Süssmuth: Also einen Zacken besser durchgesetzt worden. Man muss sich das mein Eindruck ist, in Zeiten, in denen die
schon. mal vorstellen: Früher mussten Frauen Gleichheit aller Menschen nicht mehr
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube, noch darum streiten, dass sie überhaupt grundsätzlich akzeptiert ist, sinkt auch der
dass Frauen sich weniger Schwächen er- arbeiten konnten ohne die Zustimmung Wert der Gleichstellung der Frau. Ich den-
lauben können. Schwächen werden sofort eines Mannes. ke an die Nationalisten und Populisten, die
gegen sie verwendet. Aber es hat sich auch Wieczorek-Zeul: Das hätte sich mal einer auf dem Vormarsch in Europa und welt-
viel verändert. Frauen werden heute als trauen sollen, mir die Berufstätigkeit ver- weit sind. Es gibt da einen Zusammen-
Bedrohung wahrgenommen, weil sie es bieten zu wollen. hang: Diese Parteien achten die Menschen-
genau dahin schaffen können, wo die Män- Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, aber we- rechte nicht und fallen in die traditionellen
ner auch hinwollen. Das war vor 25 Jahren niger selbstbewusste Frauen kamen nicht Rollenmuster der Geschlechter zurück.
noch nicht der Fall. aus dem Haushalt raus. Mütter mit unehe- Das muss man wirklich bekämpfen. Nichts
SPIEGEL: Sie haben zuerst Kanzler Schrö- lichen Kindern bekamen einen Vormund ist für immer errungen.
der erlebt und dann Kanzlerin Merkel. Hat für ihre Kinder! Es ist auch gerade mal Leutheusser-Schnarrenberger: Die Rechts-
sich im Lauf der Jahre der Umgang mit 20 Jahre her, dass die Vergewaltigung populisten in den europäischen Parlamen-
Frauen verändert? in der Ehe strafbar wurde. Das war nur ten, auch bei uns, haben ein rückständiges
Wieczorek-Zeul: Sie hat natürlich einen möglich, weil sich überfraktionell Frauen Frauenbild. Wir sind da in den Dreißiger-
anderen Stil. Aber sie war keine Politike- zusammengetan hatten. Nun ist die Gleich- jahren. Es ist die Frau am Herd, ideolo-
rin, die sich in der Sache besonders für berechtigung auf dem Papier weitestge- gisch unterfüttert. Wir hätten uns vor ein
Frauen einsetzte. hend erreicht – aber wir müssen uns fra- paar Jahren doch gar nicht vorstellen kön-
Süssmuth: Als sie politisch einstieg – unter gen, wie die Realität aussieht. Und die ist nen, dass wir ernsthaft noch mal die Fa-
dem Schlagwort »Kohls Mädchen« – war düster. Das geht bei gleicher Bezahlung milienvorstellungen diskutieren müssen,
ihr vieles in der Bundesrepublik fremd. Sie für gleiche Arbeit los. die etwa der polnische Staat heute vertritt.
Süssmuth: Es gibt derzeit einen großen, ziele unterschrieben. Da steht, dass wir
weltweiten Rückschlag gegen alles Libera- Diskriminierung von Frauen in jeder Form
le, Humane und Feministische. Das ist er- beenden wollen und weltweit Aids be-
schreckend. kämpfen. In Afrika südlich der Sahara
SPIEGEL: Und zugleich haben wir eine De- machen Mädchen 74 Prozent aller neuen
batte, die Sexismus und sexuelle Belästi- HIV-Infektionen unter Heranwachsenden
gung thematisiert. aus, unter ihnen viele, die Sex durch Ge-
Süssmuth: Es ist richtig, dass sexuelle Be- walt erlitten haben. Wir können dagegen
lästigung, diese wirklich schreckliche Form etwas tun. Aber die Mittel im Haushalt
männlicher Verfügungsmacht, thematisiert stagnieren.
wird. Wir haben gar nichts überwunden. SPIEGEL: Die #MeToo-Debatte wurde viel-
Ich frage mich, was wir versäumt haben. fach auch als hysterisch und überzogen
Wir haben zwar den Missbrauch von Kin- kritisiert. Sind die Frauen hier zu weit ge-
dern thematisiert. Der skandalöse Miss- gangen?
brauch von Frauen kam in der konsequen- Leutheusser-Schnarrenberger: Das Gerede
ten Bekämpfung zu kurz. von einer Hexenjagd ist doch Quatsch, da-
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, mit will man die Debatte totmachen. Das
es ist gut, dass die Debatte jetzt geführt finde ich durchsichtig. Als könne man kein
wird. Kompliment mehr machen, nicht mehr »Ich bin nicht mehr
Wieczorek-Zeul: Sie darf sich aber nicht flirten oder allein mit der Kollegin Fahr-
auf bestimmte Gruppen beschränken. Es stuhl fahren. Keiner verlangt ein Gesetz, für die Quote. Die Quote
muss klar sein, dass sexistische Diskrimi- wo wir reinschreiben, das ist erlaubt und
nierung in der Wirklichkeit breiter aus- das nicht. Natürlich brauchen wir keine ist viel zu schwach.
sieht. deutsche Gründlichkeit, die jetzt vorgibt,
Leutheusser-Schnarrenberger: So schwer- wie sexueller Kontakt am besten passieren Ich bin jetzt für Parität.«
wiegend sexuelle Belästigung ist, es geht sollte. Das machen die Menschen schon
um mehr: sexistische Machtstrukturen. von allein ganz gut. Aber wir müssen eben Rita Süssmuth
Ich weiß gar nicht, ob es dazu zum Bei- auch hinsehen, wo Strukturen existieren,
spiel jemals eine Debatte im Bundestag aufgrund derer unterdrückt und ausge-
gegeben hat. nutzt werden kann. Wieczorek-Zeul: Außerparlamentarische
Wieczorek-Zeul: Es geht auch um Solidari- Süssmuth: Mir geht es auch um die Män- Bewegungen aus der Zivilgesellschaft sind
tät mit Frauen weltweit. Jedes Jahr sterben ner, nicht nur darum, sie zu sanktionieren, wichtig. Jede Bewegung muss aber auch
300 000 Frauen überwiegend in den Ent- sondern sie aus bestimmten Rollen und in Politik umgesetzt werden. Das war bei
wicklungsländern bei oder nach der Ge- Mustern herauszubringen. Wir brauchen der 68er-Bewegung und bei der Frauen-
burt eines Kindes. Das ist eine grausame einen gesellschaftlichen und individuellen bewegung auch so. Und heute sehe ich
Zahl. Man braucht doch nur die Gesund- Lernprozess, die Entdeckung einer neuen das wenig. Deswegen erleben wir diese
heitssysteme entsprechend auszubauen. Männlichkeit. Rückschläge zum Beispiel beim Paragra-
Wir haben 2015 die UN-Nachhaltigkeits- SPIEGEL: Wie soll denn diese neue Männ- fen 219a und bei der Anzahl der Frauen
lichkeit aussehen? im Bundestag.
Süssmuth: Ich habe viel Hoffnung, wenn Süssmuth: Wir dürfen die Welt nicht so
ich mir die jüngere Generation ansehe. in Ruhe lassen. Wir haben zu meiner Zeit
Mein Vater hätte niemals einen Kinder- vor allem durch überfraktionelle Zusam-
wagen durchs Dorf geschoben. Die jungen menarbeit viel erreicht, was den Partei-
Männer heute fühlen sich wohl dabei. Es oberen nicht immer gefallen hat. Ich habe
geht um neue bereichernde Erfahrungen das Gefühl, das fehlt heute völlig. Ohne
mit Kindern, um sensibles Einfühlungsver- Vernetzung und Solidarität können Frau-
mögen und Fürsorge, um Partnerschaft en ständig gegeneinander ausgespielt
und Offenheit für ein verändertes Selbst- werden.
verständnis. Da sind die neuen gesell- SPIEGEL: Kooperieren Männer einfach bes-
schaftlichen Bilder sehr stark. ser als Frauen?
SPIEGEL: Haben Sie den Eindruck, dass Süssmuth: Leider habe ich sogar erlebt,
#MeToo die Gesellschaft verändern kann? dass Frauen gegen Frauen agierten. Es war
Leutheusser-Schnarrenberger: Die jungen ihnen wichtiger, von den Männern ge-
Frauen sind sehr aktiv, in einer Welt, die schätzt zu werden. Männer kooperieren
sich auch durch Digitalisierung stark ge- sehr gut in Machtfragen, Frauen oft eher
wandelt hat. Sie haben große Kompeten- in Sachthemen. Und wenn sie da zusam-
zen und bringen sich ein. Aber sie gehen menarbeiten, dann sind sie ja unglaublich
weit weniger auf die Straße und auch nicht gut. Aber die Machtfrage ist immer noch
»Wenn es um die Spitze in die Institutionen. Natürlich ist es poli- ein ungelöstes Problem.
tisch, was sie tun. Aber sie engagieren sich Leutheusser-Schnarrenberger: Da muss
geht, wird man dämoni- nicht in der Politik, auch weil das im Mo- aber Machtwille dazukommen. Nur Wat-
ment offenbar nicht sehr attraktiv ist. Sie tebäuschchen und Intelligenz reichen
siert. Ich war die Schlange, äußern sich also in den sozialen Netzwer- nicht.
ken; sind permanent am Smartphone. Und SPIEGEL: Frau Leutheusser-Schnarrenber-
die Hexe, die Zicke.« dann haben sie das Gefühl, doch etwas ger, Frau Süssmuth, Frau Wieczorek-Zeul,
getan zu haben. Nur bewirkt das am Ende wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Heidemarie Wieczorek-Zeul oft doch nicht so viel.
35
Merkel ist nicht laut, sondern leise, sie ist sachlich,
Nicht.
Frau Schwesig, was haben Sie mit Frau Merkel gemein?
Schwesig: Dass mir Statussymbole nicht so wichtig sind.
»Es wäre schön, wenn Sie ins Schweriner Schloss
kommen könnten.« So steht es in der Mail, mit der der
Pressesprecher Ort und Zeit des Gesprächs festgelegt hat.
»Schloss« klingt ein wenig prätentiös im ersten Moment,
aber jeder, der sich in der mecklenburg-vorpommerischen
M A C H T F R A G E N I I Vor 25 Jahren wurde die erste Politik auskennt, weiß, dass im Schloss der Landtag zu
Ministerpräsidentin gewählt, seit 13 Jahren ist Hause ist, und Manuela Schwesig, seit Juli 2017 Minister-
präsidentin, ist dort selbst nur Gast. Sie darf ein kleines
Angela Merkel Bundeskanzlerin. Was hat Besucherzimmer nutzen, nichts Prätentiöses.
sich verändert? Gibt es eine weibliche Form des Sie sitzt vor einem Glas Sprudelwasser. Sie ist sich
Regierens? Antworten von einem Mann nicht sicher, ob sie alles, was sie gleich sagt, später auch
in der Zeitung lesen will. Aber zunächst einmal hat sie
und sechs Frauen, die es wissen müssen. selbst Fragen.
»Welche Regierungschefin besuchen Sie noch?«
»Nur Sie. Sie sind die einzige Ministerpräsidentin, die
Von Marc Hujer ich besuche.«
Schwesig hat das erwartet. Es gibt ja nur zwei.
25 Jahre ist es nun her, dass Heide Simonis in Schles-
A
wig-Holstein zur ersten Ministerpräsidentin der Bundes-
n einem jener Tage mit mehr als 30 Grad im republik Deutschland gewählt wurde. Seitdem hat es nur
Schatten betritt Anton Hofreiter die Cafeteria fünf weitere deutsche Ministerpräsidentinnen gegeben,
des Bundestags in Berlin, eilt auf dem Weg die beiden, die aktuell regieren, inbegriffen: Schwesig in
zur Terrasse am Tresen vorbei, bestellt einen Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer in Rhein-
frisch gepressten Orangensaft und einen Erdbeerbecher land-Pfalz. Der Rest: 14 Männer.
mit Sahne, trinkt den Saft, löffelt den Becher aus und Schwesig ist sich nicht sicher, ob sie das alles so sagen
sagt, als der Kellner wieder vor ihm steht und wissen will, kann, wie sie es möchte, weil man ja immer etwas ver-
ob er noch etwas bringen darf: »Ich glaub, ich hätt gern allgemeinern muss, wenn man über Männer und Frauen
einen Kamillentee.« spricht. Und dann muss man als Frau besonders aufpas-
Hofreiter wartet, bis der Kellner verschwunden ist. sen, vor allem als mächtige Frau.
Er hat das Gefühl, dass er seine Bestellung erläutern muss. »Macht und Einfluss wird immer noch Männern zuge-
»Ich hab für viele Leute ’ne ungewöhnliche Leidenschaft«, ordnet«, sagt Schwesig. »Es wünschen sich zwar viele,
sagt er. »Ich trinke gern Kamillentee. Kamillentee dass mehr Frauen in Spitzenpositionen gelangen, aber es
schmeckt mir wirklich.« würde viele Menschen befremden, wenn man als Frau
Es gibt ein klares Bild davon, was klischeehaft männ- mit Macht so offen umginge wie Männer. Ich liebe es zum
lich ist. Füße hochlegen gehört dazu. Im dicken Dienst- Beispiel, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren.«
wagen vorfahren. Zigarre rauchen. Bodyguards haben. Es gibt einen alten Männerspruch, den sie nicht leiden
Kamillentee gehört nicht dazu. kann, der für die alte Ordnung steht: »Jetzt stellt euch
Anton Hofreiter passt nicht ins Muster. Er ist nett, mal nicht so an.« Er drückt die Selbstverständlichkeit
freundlich, manchmal beinahe niedlich, ein Mann, aus, mit der Männer regiert haben und manchmal noch
der über südamerikanische Inkaliliengewächse promo- immer regieren. Als müsste das, was sie sagen, nicht
viert hat und sich für die aussterbende Art schwim- hinterfragt werden.
mender Hausschweine begeistern kann. Sie zum Beispiel habe in Mecklenburg-Vorpommern
Männer wie er wurden früher belächelt, sie galten als die »Unart« der Nachtsitzungen abgeschafft, ein unnöti-
nicht hart genug für die Politik, als ungeeignet für das ges Drama, das von Männern gern gepflegt werde, nicht
gnadenlose Geschäft des Regierens. Aber Hofreiter ist nur in ihrem Bundesland. »Man trifft sich abends, spät
heute nicht nur ein prominentes Gesicht in Berliner genug, damit man der erstaunten Bevölkerung nachts um
Politikerkreisen, er hat es zum Fraktionschef der Grünen drei Uhr sagen kann: ›Wir haben uns geeinigt.‹ Wir fan-
im Bundestag geschafft, ein Amt mit Ansehen und Ein- gen mit den Sitzungen jetzt vormittags an, dann ist schon
fluss. am späten Nachmittag alles vorbei. Kein Drama mehr,
Männliches Regieren, im klassischen Sinn, lebt von sondern ganz konkrete Ergebnisse, alles ganz unaufge-
Statussymbolen, von Machtdemonstrationen, es ist prot- regt.« Als Frau, sagt Manuela Schwesig dann noch,
zig, laut, selbstgefällig, paternalistisch. »bringt man eine neue Lebenswirklichkeit in die Politik:
Seit 13 Jahren regiert Angela Merkel die Bundesrepu- Die Erfahrung als Mutter zum Beispiel, wie schwer es
blik Deutschland, als erste Frau nach sieben Männern in immer noch ist, Familie und Beruf miteinander zu
Folge. Merkel verkörpert in vielerlei Hinsicht das Gegen- verbinden. Aber auch die Erfahrung, in der Politik einer
teil ihres Vorgängers Gerhard Schröder, des Prototyps Minderheit anzugehören«. Es mache Frauen umsichtiger,
männlichen Regierens. toleranter, rücksichtsvoller.
Ursula von der Leyen, 60, CDU sie nicht als laut, als hysterisch gelten oder »schwarze
Frau von der Leyen, was haben Sie mit Angela Merkel Witwe« genannt werden wollen oder »Eisprinzessin«.
gemein? 100 Jahre Frauenwahlrecht reichen da nicht.
Von der Leyen: Gelassenheit. »Fast alle Frauen in Führungspositionen haben gelernt,
Sie war gerade noch im Gespräch mit einer Mitarbeite- sich in männlich dominierten Kreisen durchzusetzen«,
rin, weshalb ihr Sprecher einen kurzen Spaziergang in sagt von der Leyen. Dazu gehöre auch das Gespür für die
den langen Fluren des Verteidigungsministeriums empfoh- eigene Wirkung, für die tradierten Klischees und nicht
len hatte, da stürmt Ursula von der Leyen schon mit zuletzt auch für die eigene Stimme. »Männer können
unzerstörbarer Gutlaunigkeit aus ihrem Büro, lässt sich ihren Bass nutzen, wenn es lauter wird und sie sich durch-
vor der Ahnengalerie der Verteidigungsminister in ein setzen müssen«, sagt von der Leyen. »Frauen, die klug
kurzes Gespräch über die Frage verwickeln, wie lange sie sind, versuchen die Stimme zurückzunehmen, damit alle
noch braucht, um ihre Vorgänger zu überleben, um zuhören.« Es ist eine Reaktion gegen die Intuition.
schließlich in ihr Büro zu bitten. Sie selbst sei mit fünf Brüdern aufgewachsen, sie habe
Sie passiert ihr Vorzimmer, zeigt auf die Kommode in sich zu wehren gelernt, sie habe gezankt und – wenn es
ihrem Büro, beige lackiert, freundlich. Früher, bevor sie sein musste – geschrien, aber was im Umgang mit
Verteidigungsministerin wurde, stand dort ein dunkelbrau- Geschwistern noch funktioniere, funktioniere nicht mehr
ner Schrank. Eiche massiv. Sie geht weiter zu einer Sofa- so einfach in Führungsetagen. »Geht die Stimme von
ecke, ebenfalls hell, weiß-goldfarben gestreiftes Polster. Frauen hoch, wird es unangenehm.«
Früher sei da mal eine dunkle Ledergarnitur gewesen, sagt Für sie war es ein langer Weg ins Verteidigungsministeri-
sie. Altmännercharme. Nur die Bilder sind noch die alten. um. Als sie noch eine »kleine Assistenzärztin« war, habe
Sie kann ja nicht alles ändern, jedenfalls nicht so schnell. sie »brüllende Chefärzte« erlebt, die dachten: »Was will
Sie ist seit fast fünf Jahren im Amt, es gab Männer vor die Kleene eigentlich.« Auch als junge Familienministerin
ihr, die noch länger im Amt waren als sie. Aber sie hat sei sie von Männern angebrüllt worden. Aber man lernt
schon jetzt alle geschlagen. Sie hat ein »Alleinstellungs- nicht nur selbst, Ämter verändern auch die Sicht anderer
merkmal«, wie sie es nennt: die erste Verteidigungsminis- auf eine Person. Sie marschiert ein paar Schritte durch ihr
terin der Bundesrepublik Deutschland zu sein. »Frauen Büro, setzt sich und sagt: »In der Amtshierarchie bin ich
in Toppositionen sind so rar, die brauchen nicht noch ’ne automatisch das Alphatier, das heißt, ich brauche mich
dicke Uhr, um aufzufallen.« stimmlich nicht durchzusetzen. Wenn ich basta sagen
Es gibt trotzdem noch Leute, die sich nicht dazu durch- muss, wird meine Stimme eher leise und scharf in der For-
ringen können, sie »Frau Ministerin« zu nennen. Sie mulierung. So. Geht. Es. Nicht. Dieser Satz reicht.«
schaffen es nicht, aus Ignoranz, aus Trotz. Sie nennen sie
stattdessen »Frau Minister«, es klingt dann, als wäre sie
eine Kreuzung aus Frau und Mann. Katrin Göring Eckardt, 52, Die Grünen
Ursula von der Leyen verweist auf die Hirnforschung, Frau Göring-Eckardt, was haben Sie mit Frau Merkel gemein?
auf die »Abkürzungen«, die das menschliche Hirn über Göring-Eckardt: Dass wir uns kurz, knapp, schnell,
Jahrmillionen erlernt hat. Die Frau: warm und weich. Der verbindlich verabreden können. Dass es nicht darauf
Mann: kalt und hart. Die alten Klischees. Es sind Gren- ankommt, wer mehr Redezeit hat, sondern dass wir
zen, die für Frauen so schwer zu überwinden sind, wenn am Schluss sagen: Der Deal steht.
Katrin Göring-Eckardt empfängt in ihrem Büro in heute zu zwei Dritteln verloren habe, aber weiß, was ich
der dritten Etage im Jakob-Kaiser-Haus, Blick über den am Ende erreichen will, dann reicht mir das.«
Tiergarten. Ihr Büro als Fraktionsvorsitzende der Grünen »Sind Frauen leidensfähiger als Männer?«
ist deutlich kleiner als das, was sie als Bundestagsvize- »Das wäre mir zu biblisch.«
präsidentin im Reichstag hatte, wahrscheinlich nicht ein-
mal halb so groß.
»Schöner Blick über den Tiergarten, Frau Göring- Sahra Wagenknecht, 49, Die Linke
Eckardt.« Frau Wagenknecht, was haben Sie mit Frau Merkel
»Ja, auf die Currywurstbude.« gemein?
»Da wissen Sie wenigstens, wer mit wem essen Wagenknecht: O Gott. Da muss ich aber länger nach-
geht.« denken. Ich hoffe, ich irre mich nicht, aber ich glaube,
»Ja, aber ich weiß auch, wer dahinter pinkeln geht.« Frau Merkel wird nach Amtsende nicht als bezahlte
Bei den Grünen war es von Beginn an Programm, mit Lobbyistin für ein Unternehmen tätig werden. Und das
den alten Statussymbolen zu brechen, sie nicht ganz kann ich in jedem Fall auch von mir sagen.
abzuschaffen, sondern neu zu definieren. Statt Anzug Sahra Wagenknecht ist in Eile, sie jongliert mit Termi-
und Kostüm trugen sie Jeans und Turnschuhe, statt der nen und will wissen, wie lange das Gespräch voraussicht-
Aktentasche wurde das Strickzeug zum Machtsymbol. lich dauern wird. »Ich würde als Frau gern sagen, dass
Sie waren stolz auf ein kleines Büro, einen kleinen Dienst- Frauen in der Regel weicher, menschlicher, sozialer regie-
wagen, besser noch kam man mit dem Fahrrad. ren«, sagt Wagenknecht, »aber ich glaube nicht, dass sich
Als Bundestagsvizepräsidentin hatte Göring-Eckardt das belegen lässt. Denken Sie zum Beispiel an Maggie
einen eigenen Dienstwagen, einen 1er BMW, und stellte Thatcher, die brutal neoliberale Gesetze durchgesetzt hat.
fest, dass Limousine nicht gleich Limousine ist. Sie fuhr Auf der anderen Seite gibt es auch Männer wie Willy
beim Bundespräsidenten vor und wurde nicht durch die Brandt. Der hat das Land sozialer gemacht.«
Pforte gewinkt. »Der war denen nicht dick genug«, sagt Gerade in Deutschland, findet sie, sei die Gefahr groß,
Göring-Eckardt. Was für sie natürlich keine Niederlage den Kontrast zwischen Gerhard Schröder und Angela
ist, sondern eine Heldengeschichte. »Der CO²-Verbrauch Merkel zu verallgemeinern und einfach zu glauben, das
ist mir wichtiger als die Größe des Wagens. Dann bin ich eine sei typisch männlicher, das andere typisch weiblicher
halt gelaufen.« Regierungsstil. »Schröder ist ein Macho par excellence,
Wenn man Göring-Eckardt fragt, was sie mit anderen es gibt keine Entsprechung als Frau. Ich kenne jedenfalls
Politikerinnen gemein hat, sagt sie: »Frauen verbindet, keine Regierungschefin, die mit Zigarre rumläuft. Aber ist
dass sie über Männer lachen können, und ohne Männer seine Art deshalb schon typisch männlicher Regierungs-
kann es dann sehr lustig werden. Frauen haben einen stil? Umgekehrt ist Merkels Regierungsstil,
feinsinnigeren Humor.« der eigentlich aus Lavieren und Aussitzen besteht, auch
Und sie sagt auch: »Wir müssen nicht täglich immer die nicht typisch weiblich, sondern eben Merkel.«
Größten sein.« Und doch, sagt sie, gebe es Unterschiede. »Einer Frau,
Männer, so sieht sie das, hätten eine Art »Punktekon- die basta sagt, wird mehr Unmut entgegenschlagen, als
to«, und dieses Punktekonto müsse am Abend möglichst einem Mann, der basta sagt.«
voll sein, sonst hielten sie das nicht aus. »Die Mehrzahl Auch Streit zwischen Frauen in der Politik werde
der Führungsmänner schaut abends auf dieses Punkte- anders wahrgenommen als Feindschaften zwischen Män-
konto und fragt sich: Hab ich heute im Wesentlichen nern. »Bei Frauen«, sagt Wagenknecht, »hat das sofort
gewonnen oder im Wesentlichen verloren? Die Mehrzahl die Bewertung Zickenkrieg, bei Männern wird das oft gar
der Führungsfrauen dagegen sagt sich: Selbst wenn ich nicht zum Thema gemacht.« Auch wenn man einmal aus
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der Rolle fällt, wie Frank-Walter Steinmeier. Der wurde Ihre Partei gilt aber in gewisser Weise noch immer ein
als Außenminister vom rechten Pöbel so lange beschimpft, wenig als eine Partei von gestern, als Männerpartei. Ein
bis er, für ihn äußerst selten, aus der Haut fuhr. »Er männlicher, fast übermächtiger Vorsitzender, viele männ-
hat kurzzeitig seine Contenance verloren«, sagt Wagen- liche Parteimitglieder, viele männliche Wähler. Keine
knecht, »was in Ordnung war. Bei einem Mann ist das andere Partei außer der AfD gilt als so männerlastig wie
dann die Demonstration von Emotionalität, bei einer die FDP, ausgerechnet diese Partei, die sich so jung und
Frau wird das schnell als hysterisch abgewertet.« modern gibt.
»War’s das?«, fragt Wagenknecht, sie lächelt dankbar, »Gibt es weibliches Regieren, Frau Suding?«
»das ging schnell.« »Ich glaube, dass es das gar nicht gibt.«
Es dauert ein bisschen, dann fallen Katja Suding doch
ein paar Unterschiede ein. Zum Beispiel, dass Männer
Barbara Hendricks, 66, SPD auch dann mit sich zufrieden seien, wenn sie für einen
Frau Hendricks, was haben Sie mit Frau Merkel gemein? bestimmten Erfolg eigentlich gar nicht so sehr verant-
Hendricks: Ich sach mal so was wie Unaufgeregtheit. wortlich sind. »Sie können sich trotzdem gut fühlen.«
Barbara Hendricks empfängt in ihrem Büro, einem Männer hätten auch ein größeres Problem, wenn schlecht
schmucklosen Raum im Jakob-Kaiser-Haus. Es sieht noch über sie geschrieben oder geredet werde. »Merkel ist
ein wenig unbewohnt aus. Bis März war sie Ministerin ziemlich egal, wenn man ihr etwas unterstellt, zum Bei-
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und spiel, dass sie führungsschwach sei, wobei da ja auch
hatte ein schönes Büro im Ministerium. Jetzt ist sie eine durchaus was dran ist. Dann war die Frisur nicht gut.
von 709 Abgeordneten im Bundestag. Dann waren die Klamotten nicht gut. Dann hingen die
Hendricks sagt: »Ich will eigentlich gar nicht so lange Mundwinkel herunter. Ich denke, ein Schröder wäre ver-
über das Thema reden.« Man soll gar nicht erst denken, rückt geworden und wäre dagegen angegangen.« Aber
sie hätte eine allgemeingültige Erklärung parat. »Ich den- grundsätzlich, dabei bleibt Suding, verhielten sich Män-
ke, dass man das Phänomen am besten durch die Abgren- ner und Frauen gar nicht so unterschiedlich. Neulich hat
zung vom männlichen Regieren beschreiben kann«, sagt sie mit einem männlichen Kollegen das Büro getauscht.
Hendricks. »Ob das, was übrig bleibt, spezifisch weibli- Ein Telefonat genügte. Der Mann hatte das größere, hel-
ches Regieren ist, ist die Frage.« lere Büro, aber das war ihm völlig egal, er wollte lieber
Hendricks ist in einer Männerwelt groß geworden, in das andere haben, weil es verkehrstechnisch günstiger
der man noch ungeniert den Macho geben konnte, im war.
ersten Kabinett Gerhard Schröders stieg sie zur Parlamen- Sie will nicht den Eindruck erwecken, dass Frauen
tarischen Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium schon die gleichen Startbedingungen wie Männer hätten.
auf, das damals Oskar Lafontaine leitete, zumindest »Frauen müssen immer noch doppelt so gut sein, um
anfangs. Sie war eine Empfehlung der SPD-Finanzpoliti- das Gleiche zu erreichen wie Männer.« Aber sie will
kerin Ingrid Matthäus-Maier, eine Kandidatin von außen. nicht jammern, nicht wieder ein weibliches Klischee
Es fällt ihr schwer zu sagen, was man typisch weiblich bestätigen. Frauen hätten auch ihre Waffen, in politi-
nennen könnte. Vielleicht, dass bei Frauen Sachfragen schen Talkshows zum Beispiel. »Es gibt ja Männer,
im Vordergrund stünden, sagt sie. »Männer machen Sach- die Beißhemmungen gegenüber Frauen haben. Das sind
fragen zu Machtfragen.« In der Ressortabstimmung die Männer, die beim Tennis nie draufhauen, wenn sie
zwischen den Ministerien habe sie erlebt, dass männerge- gegen Frauen spielen.«
führte Ministerien sehr darauf achteten, stets ihre relative
Wichtigkeit im Ranking der Ministerien zu behaupten,
egal um was es im Einzelfall gegangen sei. »Unabhängig Anton Hofreiter sitzt vor seinem Kamillentee und denkt
von der konkreten Sachfrage achten sie darauf, dass noch immer über das Klischee männlichen und weibli-
Ministerium A wichtiger als Ministerium B bleibt. Da chen Regierens nach. In seinem aktiven politischen Leben
wird nach oben hin eskaliert. Frauen machen das nicht.« hat er nur drei Kanzler erlebt. Kohl. Schröder. Merkel.
Barbara Hendricks kennt noch die alten Männerbünde, »Zwei Männer und eine Frau: Das ist definitiv eine zu
damals vor Jahrzehnten, als auch ihre Genossen Ämter geringe Grundgesamtheit.«
unter sich aufteilten, etwa im Verwaltungsrat einer Spar- Er redet jetzt nicht mehr als Politiker, sondern als Bio-
kasse, und zweimal im Jahr zusammen essen gingen und loge. »Manchmal würde ich mir ja Zeitreisen wünschen«,
danach gemeinsam in den Puff. Männer hätten Seilschaf- sagt Hofreiter. »Man könnte damit so viele wissenschaft-
ten geschaffen, die Frauen so nie hätten bilden können. liche Fragen beantworten.« Es gebe zum Beispiel Hin-
»Wenn Männer so etwas machen, entstehen Bünde jen- weise, dass vor dem Beginn der Agrargesellschaft die
seits von sachlichen Fragen. Das können nur sie. Es gibt körperlichen Unterschiede zwischen Frau und Mann gar
nichts Entsprechendes, was Frauen zusammen machen.« nicht so groß gewesen seien. Die Tatsache, dass Männer
einen kräftigeren Oberarm hätten als Frauen, sei erst jün-
geren Datums.
Katja Suding, 42, FDP Wie werden sich diese Unterschiede in Zukunft entwi-
Frau Suding, was haben Sie mit Frau Merkel gemein? ckeln? Vielleicht ist es irgendwann umgekehrt. Vielleicht
Suding: Ein Freund von mir sagt, dass wir ganz viele gibt es auch irgendwann einen weiblichen Basta-Kanzler?
Dinge gemeinsam haben, in der unaufgeregten Art, wie »Evolution«, sagt Hofreiter, »ist das Ergebnis von Unter-
wir Dinge tun. schiedlichkeit und differenziellem Fortschrittserfolg. Man
Katja Suding bietet Kaffee an, sie selbst bleibt beim weiß nie genau, wohin das einen führt.«
Wasser. Sie hat die Bonner Republik nicht aktiv als Poli- Seine Tasse ist leer. Er könnte noch viel mehr erzählen.
tikerin erlebt, aber sie stellt sich vor, dass dann ganz Herr Hofreiter, eine letzte Frage: Was haben Sie mit Frau
andere Getränke auf dem Tisch gestanden hätten. Man Merkel gemein?
lebt in einer anderen Zeit. Hofreiter: Das naturwissenschaftliche Denken. I
N
Frauen grundsätzlich anders seien als Män-
icole Höchst müsste eigentlich nersache. Und doch wächst die Zahl der ner, und andererseits der Gleichheitsfemi-
eine einzige Provokation für ihre rechten Frauen, die auf die politischen Büh- nismus, für den Geschlechteridentität ein
Parteifreunde sein. Eine geschie- nen treten. Sie werden zunehmend sicht- soziales Konstrukt ist. Für feministische
dene, berufstätige, alleinerziehen- barer, lauter und selbstbewusster, und viele Forderungen wie das Frauenwahlrecht
de Mutter von vier Kindern – und sehen sich als bessere Feministinnen als die oder das Recht auf Bildung waren beide,
AfD-Bundestagsabgeordnete. In ihrer Frei- politische Gegenseite. auch wenn sie sonst wenig teilten.
zeit geht Höchst zum Karatetraining, sie Es mag für liberale Ohren eigenartig Die Rechte schließt sich vor allem an
trägt auch im Büro gern mal Minirock, und klingen: Aber unter Rechten gibt es Frau- den Differenzfeminismus an – und hat in
bevor die 48-Jährige im vergangenen en, die sich als Feministinnen verstehen. den Gender Studies ein willkommenes
Herbst für die AfD in den Bundestag ein- Für sie ist rechter Feminismus kein Feindbild (siehe Seite 114). Dass Männer
zog, hatte sie mehrere Jahre lang an einer Widerspruch in sich. Die neue rechts- Männer und Frauen Frauen sind und alle,
Berufsschule mit vielen migran- die das bestreiten, politische
tischen Schülern in Rheinland- Gegner sind: Darauf kann sich
Pfalz unterrichtet. die gesamte Rechte einigen.
Höchst will so gar nicht in das »Gleichstellungstotalitarismus«
Bild passen, das die neue Rechts- nannte Höchst die aktuelle bun-
partei von der idealen deutschen desrepublikanische Geschlech-
Frau zeichnet. Blickt man in die terpolitik in der Bundestags-
Programme und Verlautbarun- debatte zum Weltfrauentag, ech-
gen der AfD, findet man Tiraden te Feministinnen seien heute
gegen alleinerziehende Frauen, »wertekonservativ«, die Linke
sogenannte fremdbetreute Kin- zwinge Frauen geradezu in die
der und den Ruf nach staatlichen Lohnarbeit. Die aus ihrer Sicht
Vergünstigungen für »Mütter, die angebliche strukturelle Benach-
in geordneten Verhältnissen le- teiligung von Frauen im Berufs-
ben«. »Der ideale Betreuungs- leben verglich sie mit dem Berg-
platz für ein Kleinkind ist auf Ma- geist Yeti: »Jeder spricht darüber,
mas Schoß«, lautet ein geflügel- aber noch niemand hat ihn ernst-
tes Wort in der AfD. Doch die haft gesehen.«
Kinder von Nicole Höchst kann- Tatsächlich sehen AfD-Frauen
ten von früh an Tagesmütter und wie sie die Politik, die sie für ihr
Kita-Erzieher. eigenes Geschlecht betreiben,
Was will Höchst in der AfD? in einem größeren Kontext als
Warum engagieren sich selbst- nur im Spannungsfeld zwischen
bewusste, gebildete Frauen wie Mann und Frau. Aus ihrer Sicht
sie überhaupt in einer Bewe- gibt es genügend Regeln gegen
gung, die sich nicht groß um ih- Diskriminierung oder unfaire Be-
ren Frauenanteil schert und in zahlung. Höchst will sich dafür
der ein Spitzenfunktionär einer einsetzen, dass der Staat es Müt-
hübschen blonden Parteifreun- tern ermöglicht, bei den Kindern
din ungestraft den Ratschlag zu bleiben – »Familie und Kar-
erteilen kann, sie solle doch lie- riere zugleich ist schlicht nicht
ber »an der Stange tanzen«, als der Wunsch einer jeden Mutter«.
ihre Zeit mit Politik zu ver- Zunächst aber, so Höchst, würde
schwenden? es ihr schon reichen zu verhin-
Noch immer sind die Frauen, dern, dass ihre zwei Töchter spä-
die sich im rechten politischen ter ein Kopftuch tragen müss-
Milieu engagieren, eine kleine AfD-Bundestagsabgeordnete Höchst ten – und dass die deutschen
Gruppe. Rechte Politik ist Män- Rechter Feminismus? Frauen endlich ihren »wegen der
In Zusammenarbeit mit:
REGIEREN
KEIN
HATE
Sollen die
Jungs immer das
Eis bezahlen?
Ist #MeToo für die
Mädchen ein
Thema? Was sind
die Rollen
von Männern und
Frauen?
Zwei Teenager-
cliquen aus
Wuppertal erzählen
aus ihrem
Leben. Über Körper,
Mode, Arbeit –
und Glück.
Links:
Wuppertaler Mädchenclique
Angi, Vicky, Alessia
Fotos: Lêmrich 45
Von Barbara Hardinghaus und
Michael Graupner
U
Und dann gibt es ja auch noch Teenager,
Töchter und Söhne des Landes, zwei
Millionen insgesamt, die zwischen 15
und 17 Jahre alt sind. Was sagen sie?
Was denken sie?
Was die Liebe angeht, sind sie eher auf
»emotionale Sicherheit statt Selbstverwirk-
lichung« aus, sagt eine Sinus-Studie von
2016. Bis spätestens Mitte 30 möchten die
meisten »in einer dauerhaften glücklichen
Beziehung« leben, wollen Familie, mög-
lichst zwei Kinder, einen sicheren Job, ein
Haus, einen Garten.
Das, so die Sinus-Forscher, liege vor
allem an ihrer Elternorientierung: »Der
Wertekanon der Jugend ist nahezu dersel-
be wie bei den Erwachsenen, er reflektiert
die Vielfalt der Orientierungen und Le-
bensstile einer pluralisierten Gesellschaft.«
Der Begriff »Mainstream« sei bei der
Mehrzahl kein Schimpfwort wie für die
meisten über 30, sondern ein »Schlüssel-
begriff« einer pragmatischen, strebsamen
Jugend.
Sind sie wirklich so? So angepasst? So
ohne Rebellion?
Fragen wir sie direkt, drei Mädchen und Freunde Luca R., Dennis, Luca H. (o.), Vicki, Angi (r.u.)
drei Jungs aus einer Realschule, möglichst »Du willst mit Jungs über was reden, und dann kommt nur so: nö«
durchschnittlich im besten Sinne. Welche
Rollenbilder haben sie? Wie denken sie
übereinander? Wie wollen sie leben? Was immer Polizist. Möchte eine Homo-Partei Angi: »Man hat bei dem Wort gleich
hat es von den Erfahrungen ihrer Mütter, gründen. Hat eine Freundin, bezeichnet einen Typ Mädchen im Kopf: die Hose bis
die selbst schon eine Welle des Feminis- sich selbst als Transgender. unter die Achseln gezogen, einen halben
mus erlebt haben, in die nächste Genera- Alessia, 16, hat zwei jüngere Geschwis- DM-Drogeriemarkt im Gesicht.«
tion geschafft? ter, Mutter Italienerin und Einzelhandels- Vicky: »Es sind doch alle verschieden!«
Wir haben Schulleiter angeschrieben: in kauffrau, Vater Soldat, mag Deutsch, Angi: »Alessia, die passt schon am ehes-
Wuppertal, denn dort leben anteilig so vie- Kunst und Englisch. Hat Spotify, kein ten in das Klischee von diesem typischen
le Jugendliche wie im gesamten Deutsch- Facebook, wünscht sich eine PlayStation. Mädchen heute.«
land. Schminkt sich gern. Ist hetero, hat einen Was ist für euch typisch männlich?
Heraus kam, von uns nicht gesteuert, Freund. Vicky: »Muckibude. Autos. Motor-
die Begegnung mit einer Mädchenclique Vicky, 16, hat einen älteren Bruder, El- räder.«
der Hermann-von-Helmholtz-Realschule, tern aus Russland, beide arbeiten in einem Angi: »Die sind genauso wie Mädchen,
die jetzt in die zehnte Klasse wechselt, und Reinigungsunternehmen, mag Englisch, nur dass sie andere Interessen haben.
mit einer Jungsgruppe von derselben Schu- Deutsch, Kunst. Zeichnet Mangas, sam- Sie achten auch auf ihr Äußeres, immer
le, ehemals 10A, die jetzt in die Ausbil- melt Mangas, hat schon hundert. Hört die neuesten Schuhe, enge Skinny-Jeans
dung startet. Die Gespräche wurden im Blackbear, einen US-Hip-Hopper, eher und so.«
Sommer geführt. härtere Texte. Ist »pan«, das Wort hat sie Was macht Jungs kompliziert?
beim Googeln gefunden, es kommt von Vicky: »Dass die so stur sind! Du willst
Die Mädchen, das sind: Angi, 16, hat »pansexuell« und bedeutet: Der Charakter mit ihnen über was reden, und dann
einen jüngeren Bruder, Mutter Kranken- zählt, nicht das Geschlecht des Menschen, kommt nur so: nö.«
pflegerin, Vater Maler, mag Deutsch, Bio, den man liebt. Alessia: »Jungs haben halt auch ihre
Kunst, Musik von Marcus & Martinus, das Es geht los. Tage, also so im Sinne von Genervtsein,
sind Popmusiker aus Norwegen, und Alli- Was ist für euch typisch weiblich? Blockaden aufbauen. Kann man ihnen
gatoah, einem deutschen Rapper. Mag Alessia: »Shoppen, Schminke, aufs Aus- nicht verübeln, sie sind ja auch nur Men-
sehr: YouTube. Wollte nie Prinzessin sein, sehen achten.« schen und auch in der Pubertät.«
Angi: »Aber das ist ja jetzt wieder Es ist was los. Oft genug ist nichts los. Was- Dennis: »Ja.«
ein Männerklischee, der Mann muss ser steht in den Straßen. Vicky wohnt mit Luca R.: »Denke schon. Zeigt ja auch
stark sein.« ihrer Familie in einem Hochhaus in der eher Stärke.«
Vicky: »Stimmt aber doch. Ich habe siebten Etage. Sie ist zum ersten Mal stolz Dennis: »Ich habe schon aus Wut ge-
meinen Vater noch nie weinen sehen.« darauf. weint. Wenn ich einen Streit mit meiner
Alessia: »Dabei spricht nichts dagegen, Ein paar kurze Fragen. Mutter habe, gehe ich raus, um Wut abzu-
wenn Männer Gefühle zeigen. Eigentlich Müssen Jungs das Eis ausgeben? bauen.«
macht es sie stärker. Das ist aber eine Er- Alessia: »Mein Freund lädt mich gern Was auch noch auffällt: Jungs, diese zu-
wartungshaltung der Gesellschaft an die ein, ich lass ihn, habe aber selbst auch mindest, mögen kein Meta. Sie reden meis-
Jungs. Das ist wie mit Pink und Hellblau, nichts dagegen, wenn ich ihm etwas aus- tens gleich konkret, über ihre Mütter,
nur auf Verhalten bezogen.« gebe.« Freundinnen.
Müssen Frauen gut aussehen? Warten Mädchen auf den ersten Kuss? Habt ihr Vorbilder?
Vicky: »Nein.« Alessia: »Es soll derjenige machen, der Luca R.: »Meine Eltern auf jeden Fall.«
Angi: »Fakt ist doch, wenn eine Person mehr Mut hat.« Die anderen beiden nicken.
nicht attraktiv ist, dann schert man sich Wann ist ein Junge toll? Was macht sie zu Vorbildern?
erst gar nicht um sie. Das ist wie auf den Angi: »Weiß nicht, kommt drauf an. Ich Luca R.: »Die bereiten einen aufs Le-
Datingseiten, Tinder oder so. Du guckst kenne Jungs, die sind so richtig macho, ma- ben vor, sind immer da für einen. Sagen
dir erst mal das Bild an.« chen immer nur dumme Sprüche über mei- einem, wenn man was falsch macht, sagen
Alessia: »Genau, liken oder weg! Es gibt ne Orientierung, meine Kleidung. Das sa- einem, wie was richtig geht. Das hilft
diese Schönheitsideale eben, sieht man gen sie mir aber nie ins Gesicht, sie reden schon weiter.«
ja in Zeitschriften: volle Lippen, große nur hinterm Rücken. Die sind, kein Hate, Eher die Mutter oder eher der Vater?
Oberweite, großer Hintern, schmale Taille, dann schon mal nicht toll.« Dennis: »Kommt auf den Bereich an.
supertop geschminkt. Die Nachricht da- Das heißt, es gibt bei euch Jungs, die Im handwerklichen Bereich eher der Vater.
hinter ist ja: Wenn ich gut aussehe, mögen richtig blöd zu Frauen sind? Sonst die Mutter. Man hilft ja auch schon
mich alle.« Angi: »Gibt es. Nicht nur mir gegenüber. mal in der Küche.«
Angi: »Ich denke, es ist aber auch die Die machen auch eine Freundin von uns Luca H.: »Bei mir ist es ganz anders he-
Natur: Wenn man jemanden attraktiv fin- an auf eine Art, die sagt: Dich kann eh je- rum: Meine Mutter kann gar nicht kochen.
det, nimmt man ihn. Ich bin schon der der haben.« Ich und mein Vater kochen.«
Meinung, meine Freundin sollte hübsch Alessia: »Genau, einmal nehmen und Luca R.: »Echt? Mein Vater kann viel-
sein.« dann weiterschicken.« leicht drei Sachen: Spiegelei, Kartoffel-
Vicky: »Und es gibt Mitschüler, die total Herrscht zu wenig Respekt zwischen püree, Nudeln.«
gut sind in der Schule, aber nicht ernst Männern und Frauen? Dennis: »Bei uns kochen alle.«
genommen werden, weil sie nicht gut Angi: »Auf jeden Fall.« Luca H.: »Ich muss zu Hause selbst
aussehen.« Passen Jungs und Mädchen gut zusam- kochen, und abends kocht mein Vater.«
Angi: »Okay, das machen aber auch nur men? Werdet ihr gern älter?
die Doofen.« Alessia: »Ich mit meiner Orientierung Dennis: »Zurzeit schon.«
Die Handys der Mädchen melden sich, sage, dass ich besser mit einem Jungen zu- Luca R.: »Das Alter ist im Moment ganz
eines nach dem anderen. Es hagelt, weht, sammenpasse.« okay. Für manche Dinge wünscht man sich
Krankenwagen, Feuerwehren fahren durch Angi: »Kommt drauf an. Es passen auch aber, ein bisschen älter zu sein. Zum Bei-
die Stadt. Ihre Mütter wollen wissen, ob Junge und Junge gut zusammen, Mädchen spiel, um eine große Motorradmaschine
alles okay ist. Das finden sie gut irgendwie. und Mädchen.« zu fahren oder ein Auto.«
Dennis: »Mein Bruder ist mit 19 von zu
Und was sagen die Jungs? Sollten Hause ausgezogen, hat seine eigene Woh-
Jungs immer das Eis ausgeben? nung. Fände ich auch schön, weniger Auf-
Luca R.: »Ab und zu schon.« gaben im Haushalt.«
Warten die Mädchen auf den ers- Luca H.: »Mehr Aufgaben im Haus-
ten Kuss? halt!«
Luca R.: »Glaub schon.« Dennis: »Ich geh jeden zweiten Tag mit
Luca H.: »Kann ich bestätigen.« dem Hund. Das hab ich, wenn ich ausge-
Was macht Mädchen toll? zogen bin, nicht mehr. Lästige Sachen
Luca R.: »Die reden mit einem muss ich dann nicht mehr machen.«
über Probleme.« Luca R.: »Du hast halt dann andere
Luca H.: »Meine Freundin ist Sachen. Putzen zum Beispiel.«
lustig, sie hat einen offenen Humor. Dennis: »Ja, das mach ich dann frei-
Sie lacht gern über sich selbst. Und willig.«
ich find sie hübsch.« Was wird euch vermittelt, wie ihr als
Dennis: »Wenn man sich gut ver- Jungs oder junge Männer sein sollt?
steht.« Luca H.: »Muskeln haben, aber nicht
Luca H.: »Man sich boxt.« so krasse Muskeln, sondern einfach nur
Luca R: »Ja, so Spaßboxen.« die schönen Muskeln.«
Die Jungs sind jetzt auch drau- Luca R.: »Mir ist das aber egal.«
ßen. Es führen Treppen ans Ufer Dennis: »Ich mach mir nichts aus einem
der Wupper, sie setzen sich, spielen Idealbild. Ich bin halt so, wie ich bin.«
mit Steinen, sind in Bewegung, wer- Was wäre ein Idealbild?
den gesprächiger. Luca R.: »Schlank, muskulös, 1, 90 Me-
Dürfen Männer weinen? ter.«
Luca R.: »Klar dürfen sie das.« Brauchen Männer ein Sixpack?
49
ZUSAMMENLEBEN
Luca H.: »Auf keinen Fall.« Vicky: »Das sollten Frauen mal tun, ten, zierliches Gesicht, Bart, behaarte Bei-
Müssen denn Frauen schlank sein? schlecht über Männer singen. Dann wären ne. Auch ein Transgender. Er nimmt schon
Luca R.: »Nee.« die so richtig angepisst.« Hormone, sagt sie. Das will sie auch.
Dennis: »Nee.« Was sind für euch Schlampen? Heute sitzen sie in einem Thai-Restau-
Aber in der Werbung und im Fernsehen Vicky: »Leute, die jede Woche einen rant. Alessia isst zum ersten Mal Sushi, die
herrscht ja ein anderes Bild: Frauen sind neuen Typen haben. Oder die dauernd er- anderen essen Duck-Burger, alle trinken
da meistens schlank. zählen, sie hätten so harten Sex gehabt.« kübelweise süße Cocktails, ohne Alkohol.
Luca H.: »Ja, aber das find ich unnötig. Angi: »Man ist doch viel stolzer drauf, Wie leben eure Eltern?
Mich interessiert auch nicht, was die im wenn man es schafft, eine Beziehung zu Vicky: »Eigentlich ist es so, dass die Mut-
Fernsehen für ein Frauenbild zeigen.« halten, oder?« ter der Chef im Haus ist. Egal wie männ-
Was sind Schlampen? Können Männer Schlampen sein? lich der Mann ist.«
Dennis: »Wenn jemand kacke oder Alessia: »Ja, männliche Schlampen.« Angi: »Ist bei uns auch so. Meine Mut-
scheiße ist. Meistens Frauen. Die meisten Angi: »Die sind sogar häufiger Schlam- ter hat meinen Papa voll unter Kontrolle.«
nutzen das als Beleidigung.« pen als Frauen. Aber das heißt dann nicht Welche Konflikte habt ihr mit euren
Hast du das schon mal benutzt? schlampig, sondern cool.« Eltern?
Dennis: »Kann sein.« Ist das immer noch so? Angi: »Wegen jeder Kleinigkeit. Im Mo-
Luca R.: »Hab ich auch schon mal gesagt. Angi: »Ja. Ein Mann ist maximal ein ment jeden Tag wegen meinem Transgen-
Schlampig ist ja unordentlich. Wir benutzen Macho.« der-Ding. Ich darf noch nicht mal eine
es in einem anderen Zusammenhang.« Pause. Am Tresen der Pizzeria bestellen Homo-Flagge im Zimmer haben.«
Aber schon auch nur Frauen? sich zwei junge Frauen Weißwein. Mini- Was ist schwer am Leben?
Luca R.: »Ja.« rock. Rote Lippen. Sie flirten mit dem Bar- Alessia: »Verstanden zu werden.«
Spielt Sex schon eine Rolle? keeper. Angi: »Man soll plötzlich weise sein,
Luca R.: »Ja, ab und zu.« Spielt Sex für euch schon eine Rolle? aber woher soll man die Weisheit nehmen,
Dennis: »Bei mir nicht.« Alessia: »Nein.« wenn man noch nicht so viel Lebenserfah-
Luca H.: »Ja, bei mir auch. Das Nervige Vicky: »Auf jeden Fall. Auch, wenn rung hat? Und ich werde dauernd mit an-
ist nur, dass man als Junge immer Kondo- man selbst noch keinen Sex hatte, merkt deren Kindern verglichen. Der Johannes,
me kaufen muss.« man es denen an, die bei uns schon Sex der spielt ja auch ein Instrument! Das
Alle lachen. hatten.« nervt.«
Dürfen Rapper schlecht über Frauen Wie? Alessia: »Ja, genau. Warum hat der
rappen? Vicky: »Die sind dann immer so anhäng- Max eine Zwei und du eine Vier? Ich ma-
Luca H.: »Die, die ich höre, rappen lich.« che mir doch selbst schon genug Druck.«
nicht schlecht über Frauen.« Angi: »Vielleicht sollte man nicht mit Vicky: »Bei mir ist die Last die Zeit.
Luca R.: »Meiner Meinung nach dürfen zwölf anfangen.« 24 Stunden am Tag reichen mir nicht. Ich
sie das nicht.« Alessia: »Ich finde, man könnte auch muss zu viel machen. Ich soll ja Abitur ma-
stolz drauf sein, wenn man mit 17 oder 20 chen, ich soll gute Arbeit finden, denn
Und die Mädchen? Was sagen sie über noch Jungfrau ist.« wenn ich keine gute Arbeit finde, komme
Rapper? Dürfen Rapper schlecht über Müssen Jungs ein Sixpack haben? ich im Leben nicht weiter.«
Frauen singen? Alle: »Nein!« Was wird euch vermittelt, wie Heran-
Alessia: »Machen sie ja einfach.« Vicky: »Aber Jungs gehen pumpen. Pas- wachsende sein sollen?
Angi: »Ich höre keinen Rap. Ich höre cal hat eins. Sieht cool aus.« Vicky: »Von Social Media, dass man
eher so Kitschmusik. Kuschelrock.« Alessia: »Klar.« man selbst sein soll.«
Vicky: »Ich finde weicher besser, Alessia: »Sei du selbst, ja. Aber dann
da kann man reinkneifen.« kommen diese perfekten Frauen mit allem
Und Frauen? Müssen die schlank Drum und Dran, und dann wird das kom-
sein? plette Bild wieder zerstört.«
Vicky: »Ich mag es, wenn Frau- Angi: »Man redet sich das aber auch
en mehr Gewicht auf den Hüften selbst ein. Ich ziehe mein Ding tatsächlich
haben.« ziemlich durch, muss ich sagen.«
Alessia: »Frauen können ruhig Vicky: »Ich finde blöd, dass Mädchen
Kurven haben. Haben sie ja auch.« in Geschichten oft naiv dargestellt werden.
Die drei sind jetzt aus der Pizze- So Geschichten, in denen Mädchen oder
ria raus. Sie gucken sich die Stadt Frauen einen Prinzen brauchen, der sie
an, sogar in manchen Geschäften in retten muss.«
der Einkaufspassage steht Wasser. Werden auch Männer benachteiligt?
Sie ziehen umher. Sie wollen Angi: »Ich habe ein Praktikum im Kin-
bummeln, Schuhe shoppen, landen dergarten gemacht. Und da war auch ein
aber bei New Yorker. Sie haben nur Erzieher. Viele sagen, wenn man als Mann
fünf Euro Taschengeld in der ein Erzieher ist, sei man weniger männlich.
Woche. Vicky und Angi probieren Dabei war er sehr gebildet und gar nicht
Hüte in der Herrenabteilung. Ales- weniger männlich.«
sia kauft Nagellack. Ist die Unterscheidung zwischen Mann
Der nächste Tag. Alessia hat und Frau überhaupt wichtig?
neue Nägel, fliederfarben. Sie hat Vicky: »Außer den Geschlechtsteilen da
sie selbst angeklebt. Ins Nagel- unten ist ja nichts anders eigentlich.«
studio darf sie erst ab 16. Angi Alessia: »In gewissen Teilen schon. Ich
entdeckt einen jungen Mann um stehe ja auf Jungs, da ist mir das schon
die 20, gelbes Tanktop, breite Hüf- wichtig.«
Was wäre für euch denn das perfekte
Leben?
Luca R.: »Ein Haus, zwei Kinder, einen
guten Job.«
Dennis: »Sehe ich genauso.«
Luca H.: »NBA-Spieler sein.«
Und was glaubt ihr, wie werdet ihr tat-
sächlich leben?
Luca R.: »Schon ungefähr so.«
Im Grunde aber wollen die Jungs leben
wie ihre Eltern. Sie träumen von einem
festen Job, einer festen Beziehung und
irgendwann auch einem festen Haus.
Ein geradliniges Leben. Zumindest zwei
von ihnen.
Stilfrage
nicht klar zu ziehen.
Schönheit ist zu einer Währung geworden. Wer gut
aussieht, hat es leichter, in der Liebe und im Beruf. Attrak-
tive Menschen finden leichter Freunde, sie verdienen
mehr Geld. Mit dem Wunsch, gut aussehen zu wollen,
lassen sich also enorme Geschäfte machen. Von überall-
her schallt die Botschaft, in erster Linie an Frauen:
Du könntest noch viel schlanker, langbeiniger, charisma-
S C H Ö N H E I T Lippenstift und Freiheitsstreben, tischer, faltenloser, straffer, verführerischer, jünger,
Stilettoabsätze und Emanzipation, natürlicher, perfekter aussehen, wenn du dich nur mehr
bemühen würdest.
wie passt das zusammen? Gar nicht, fanden Kann man sich als denkender Mensch an diesem Rin-
kämpferische Frauen in den Siebzigerjahren. gen ernsthaft beteiligen? Muss man dem Zirkus als
Eben doch, sagen wohlgeschminkte Feministin nicht konsequent den Rücken kehren? Doch
zugleich existiert nach wie vor eine Festschreibung,
Feministinnen dieser Tage. Sie wollen gut die von unsympathischen Leuten ewig wiederholt wird:
aussehen – warum? Feministinnen sind unattraktiv. Solchen Dummköpfen
mag man auf hohen Absätzen gern das Gegenteil beweisen.
Stark oder schön, beides geht nicht – dieses Schubladen-
Von Claudia Voigt denken hat historische Gründe. Nach dem Zweiten
Weltkrieg, nach den entbehrungsreichen späten Vierziger-
jahren galten Make-up und schöne Kleider in Deutsch-
D
land als Ausdruck einer wiedergewonnenen Normalität.
er Widerspruch ist immer wieder zu entde- Die Frauen, die über Jahre gelitten hatten, genossen es,
cken – wenn es denn ein Widerspruch ist. Kön- wieder schön auszusehen. Damit einher ging ein Rückzug
nen feministische Ansichten von einer Frau ins Private, Hausfrau und Mutter zu sein wurde als Zei-
mit makellosem Make-up formuliert werden? chen eines wachsenden Wohlstands verstanden, man
Sollen Schauspielerinnen in tief dekolletierten Kleidern konnte es sich leisten, dass die Frau zu Hause blieb. Sie
ihre Solidarität mit der #MeToo-Bewegung zeigen? Was wurde zur Zierde des Patriarchats.
ist davon zu halten, wenn die Sängerin Beyoncé sich Mit welcher Selbstverständlichkeit sich dieses Rollen-
in einem Video für den Feminismus starkmacht und dabei verständnis zu Beginn der Fünfzigerjahre in Deutschland
ein glitzerndes Trikot trägt, die Füße stecken in High ausbreitete, ist rückblickend noch immer erstaunlich.
Heels, die langen, offenen Haare wehen dekorativ im Denn während des Krieges und in den Jahren danach ging
Bühnenwind? gar nichts ohne die Frauen. Und dann sollten sie nur noch
Beyoncé ließ dazu einen Text der nigerianischen elegant dasitzen.
Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie rezitieren. In Als Ende der Sechzigerjahre die zweite Welle des Femi-
diesem Text plädiert sie für Wettbewerb unter Frauen – nismus von Frankreich her Deutschland erreichte, rebel-
aber nicht um Männer, sondern um Leistung und Jobs. lierte eine junge Generation auch gegen das Rollenbild
Die Überschrift: »We Should All Be ihrer Mütter. Deren Styling, wie man heute sagen würde,
Feminists«. die tadellosen Frisuren, das gepflegte Make-up, Röcke
Das Wort hässlich Adichies Rede wurde im Netz fast
zwei Millionen Mal geklickt, seitdem
und Kleider wurden als Ausdruck eines unfreien Lebens
verstanden. Der Feminismus der Sechziger- und Sieb-
leitet sich von Hass ab; gilt die Schriftstellerin als feministi-
sche Ikone. Dass sie ihren Erfolg
zigerjahre wollte die Frauen nicht nur von der gesetzlich
verankerten Bevormundung durch ihre Ehemänner befrei-
dass Feministinnen auch dafür nutzte, einen Vertrag mit
der englischen Drogeriekette Boots
en, sondern auch von BHs und Lippenstift. Schönheit – das
galt ihnen als Unterwerfung unter den männlichen Blick.
hasserregend und abzuschließen und für deren Make-
up zu werben, sorgte mindestens
Eine Provokation? Ja, das auch. Die Mehrheit empfand
es jedenfalls so, reagierte mit Beschimpfungen, Beleidi-
hässlich seien, hat sich für Irritationen. Adichie sagte dazu:
»Ich liebe Make-up, ich kann mich
gungen. Das Wort hässlich leitet sich von Hass ab; dass
Feministinnen hasserregend und hässlich seien, hat sich
damals festgesetzt. dadurch vorübergehend verwandeln.
Es geht nicht darum, so auszusehen,
damals festgesetzt. Dabei spielte es keine Rolle, dass Alice
Schwarzer Entwürfe französischer Designer trug. Sie
wie man aussehen sollte. Es geht war zu jener Zeit die Frontfrau des Feminismus und galt
darum, was ich mag. Was mich zum als Inbegriff des Hässlichen.
Lächeln bringt, wenn ich mein eigenes Spiegelbild
A
betrachte.«
Feminismus und Schönheit bilden ein schwieriges Paar. uch wenn die Gleichberechtigung von Frauen
Sich zu schminken und ein tolles Kleid auszuwählen kos- und Männern seitdem deutlich vorangekommen
ten Aufmerksamkeit und Zeit. Vor allem, und das bringt ist, hat sich das Verhältnis von Feministinnen
das große Ungleichgewicht, treiben Frauen deutlich mehr zur Schönheit nie wirklich entspannt. Die
Aufwand als Männer. Dabei ist es schwer zu sagen, wie Beschimpfung einer Frau als hässlich ist eine scharfe Waffe
viel Freiwilligkeit in dem ganzen Schmücken und Schmin- geblieben, sie rührt ans Selbstwertgefühl. Bis heute.
ken steckt. Selbst wenn man versucht, ehrlich zu sich Die Autorin Maaike Kellenberger veröffentlichte dazu
selbst zu sein, sind die Grenzen zwischen den gesellschaft- einen Text, in dem sie das Zerstörerische dieser Beschimp-
lichen Rollenerwartungen und der eigenen Freude daran, fung herausgearbeitet hat. Sie schrieb: »Jemand will mich
D
Aber wie begegnet man ihm? Die
erreichen, wenn ich einen Idee, aus der eigenen Attraktivität
Kraft zu ziehen, sie zu nutzen, um
ie Soziologin Barbara Kuchler hat im Zuge
der #MeToo-Debatte einen kämpferischen
engen Rock und sich selbst zu rüsten, ist ein Weg.
Das Kämpferische an der Schönheit,
Essay veröffentlicht, in dem sie die massive
Ungleichheit in Bezug auf den Schönheitswahn
hohe Schuhe trage? der Attraktivität oder des aufregen-
den Stylings tritt dabei in den Vor-
zwischen Männern und Frauen beklagt und die Frauen
zum Handeln aufruft: »Wenn radikal sein heißt, ein Pro-
dergrund. Die Schönheit wird zum blem bei der Wurzel zu packen, dann müssen Frauen
Instrument. aus dem asymmetrischen Regime des Gutaussehens aus-
Die Amerikanerinnen haben dafür das markige brechen. Sie müssen aufhören, sich zu schminken, zu
Schlagwort »Empowerment« geprägt. Sie haben auch schmücken und zu stylen, sich selbst permanent als Kör-
die Ikone der Schönheit-macht-stark-Ideologie per zu präsentieren. Sie müssen einfordern, dass beruf-
schlechthin hervorgebracht, die Sängerin Madonna. In liche Dresscodes symmetrisiert werden und auch für Frau-
den Neunzigerjahren war es wirklich eindrucksvoll, en eine stilvolle, aber nicht körperbetonte Businessklei-
Madonnas wechselnde Selbstinszenierungen zu verfolgen, dung zur Verfügung steht.«
ihr Spiel mit weiblichen Rollenbildern, ihre Autonomie. Es ist eine wahrlich radikale Aufforderung von Kuchler,
Eine Zeit lang verkörperte sie die Verschmelzung von fortan auf flachen Schuhen in uniformhafter Kleidung
Feminismus, Schönheit und Erfolg. An ihr lässt sich und ohne Make-up herumzulaufen. Ein einheitliches
seitdem aber auch gut beobachten, wie aufwendig das Erscheinungsbild für alle feministisch gesinnten Frauen
sein muss. erinnert an die letzte Welle der Frauenbewegung, als die
lila Latzhose das Symbol weiblicher Befreiung war.
S
Doch Kuchler macht einen wichtigen Punkt, wenn sie
chönheit ist Arbeit – mit ungerechten Arbeits- Frauen kritisiert, die behaupten, sie würden sich nur für
bedingungen. Sie ist ja nicht gleich an jede und an sich selbst schön machen.
jedes Alter verteilt. Aber härter als früher pras- Es sei naiv, sagt Kuchler, zu glauben, vorgeführte Reize
selt die Botschaft auf Frauen ein: Du bist selbst würden von anderen nicht bemerkt. Niemand könne so
dafür verantwortlich. Mach eine Schönheits-OP. Lass tun, als lebe er in einer Welt ohne andere Menschen. Hot-
dir endlich Botox spritzen. Lern auf YouTube, wie man pants sind keine Aufforderung für Anmache. Gleichzeitig
sich schminkt. sendet ihre Trägerin ein Signal, das sich nicht einfach
Eine der erfolgreichsten Influencerinnen ist Tara, sie ignorieren lässt. Verlangen könne man allerdings, so
studiert Wirtschaftsingenieurwesen, kennt sich aber auch Kuchler, dass die Mitmenschen »dem Bemerken von Rei-
mit Mascara und Lidschattenfarben bestens aus. Ihrem zen nicht den Übersprung ins Handeln folgen lassen«.
Beauty-Kanal folgen mehr als 500 000 Abonnenten, und Weder die strikte Abkehr von der Schönheit, wie sie
wenn Tara, die ihren Nachnamen nicht nennt, dort der Siebzigerjahre-Feminismus propagierte, noch die
Schritt für Schritt zeigt, wie sie sich die Augen schminkt, Anstrengungen des Empowerments helfen heute weiter
benutzt sie ernsthaft drei verschiedene Arten von Wim- bei der Frage, wie Feminismus und Schönheit zu verein-
perntusche. baren sind. Wie man dem Druck entkommt, perfekt sein
Es geht auf solche Internet-Schminkschulen zurück, zu wollen, und dem Überangebot an Produkten gewach-
dass nicht wenige junge Frauen im Alltag mit einem sen ist, die dabei angeblich helfen.
Make-up wie von einem professionellen Maskenbildner Da bringt einen nur der eigene Kopf weiter. In unserer
herumlaufen. Auch zwölf Jahre »Germany’s Next Top individualisierten Zeit kommt man, kommt eine Frau um
Model« und Heidi Klum hinterließen ihre Spuren. Diese die aufrichtige Auseinandersetzung mit einigen entschei-
Einflüsse haben nichts mehr mit Empowerment zu tun, denden Fragen nicht herum: Warum ist schlank zu sein so
sie haben nur den Druck auf die Frauen verstärkt: Opti- wichtig? Will ich etwas Spezielles erreichen, wenn ich
miert euch. einen engen Rock und hohe Schuhe trage? Welche Rollen-
Davon sind auch die berufstätigen Frauen nicht aus- bilder haben mich geprägt?
genommen, im Gegenteil, Karriere und eine strahlende Diese Liste ist fortzusetzen, von jeder selbst. Denn
oder wenigstens gefällige Erscheinung sind aneinander- eigene Gedanken lassen sich sehr gut mit einem schicken
gekoppelt. Kleid kombinieren, auch mit lackierten Fingernägeln
Die Psychologin und Sachbuchautorin Sandra Konrad oder mit Smokey Eyes. Vielleicht nicht alles auf einmal.
erklärt dies damit, dass Schönheit für Frauen historisch Aber das ist eine Frage des Stils. I
56
»Dabei gab es
SPIEGEL: Wie wirkt sich das aus?
Röck: Als deutsche Frau wissen Sie, dass
Frauen und Männer eigentlich gleich-
berechtigt sein sollten. Die Frauen, die zu
J
überhaupt nicht positiv besetzt. Sie lebt
ahura Khatun, 36, kam 2016 aus Ban- SPIEGEL: Die Leiterin eines Interkulturel- heute allein mit ihren zwei Kindern, ist
gladesch nach Düsseldorf, um dort len Hauses in Berlin sagte, ihre Einrich- mittlerweile über vierzig, aber einen neuen
mit ihrem Mann zusammenzuleben. tung sei auch deswegen gegründet worden, Partner hat sie nie gefunden. Ihre Mutter
Ein Jahr und acht Monate später zog weil Migrantinnen in anderen Frauen- vermittelt ihr bis heute: Du hast versagt.
sie ins Internationale Frauenhaus. häusern rassistische Erfahrungen gemacht SPIEGEL: Wieso ist der Anteil von Migran-
Khatun sagt: Ich kann mich nicht erinnern, hätten. tinnen in Frauenhäusern insgesamt so groß?
wie oft mein Ehemann gewalttätig wurde. Röck: Das gibt es. Ich habe es erlebt, dass Röck: Frauen, die in Deutschland aufge-
Er beschimpfte mich als Prostituierte, ver- deutsche Frauen nicht bei uns bleiben wol- wachsen sind, haben eher eine Freundin
prügelte mich, eine Tages bedrohte er mich len und sagen: »Ich lebe doch nicht unter in Köln oder eine Tante in Berlin, wo sie
mit einem Messer. Vor Angst konnte ich Ausländerinnen.« Außerdem sagten Mi- mal unterkommen können. Hier bei uns
nachts nicht mehr schlafen. Als er einmal grantinnen, die vorher in anderen Frauen- leben oft Frauen, die über die Familienzu-
mit einer Stehlampe auf mich einschlug, tat häusern waren: »Die gehen nicht so sensi- sammenführung nach Deutschland kamen.
mein Kopf hinterher so weh, dass ich mich bel mit uns um.« Dort wird erwartet, dass Sie kennen außer der Familie des Mannes
den ganzen Tag übergeben musste. Meine die Bewohnerinnen sich dem deutschen niemanden. Sie wohnen mit ihrem Mann
Hausärztin war nicht da, deshalb ging ich Rollenbild anpassen. Aber in Marokko in einer Wohnung, obendrüber wohnt der
ins Krankenhaus. Die Ärztin wollte die Poli- oder Bangladesch sind diese Frauen ja Schwiegervater, ein Haus weiter der Bru-
zei rufen, aber ich hielt sie davon ab. Ich ganz anders aufgewachsen. der des Mannes. Da nützt es nichts, wenn
dachte damals noch, damit würde ich meine der Mann von der Polizei der
Familie zerstören. Dabei gab es nie eine Fa- Wohnung verwiesen wird. Sie
milie. Ich hoffte, alles würde gut, wenn wir bleibt abhängig von ihrem
ein Kind kriegen. Aber ich habe kein Kind. Mann.
Er kam nie zu mir. Nie. Ich durfte ihn nicht SPIEGEL: Es gibt eine schon
mal anfassen oder ansprechen. Ich kochte, etwas ältere Dunkelfeldstudie
er nahm das Essen und ging in sein Zimmer. aus dem Jahr 2004, der zufol-
Ich putzte und bügelte die ganze Zeit. Ich ge osteuropäischstämmige und
war nur ein Hausmädchen. Das war mein türkischstämmige Frauen häu-
Leben. Ich war ganz allein auf der Welt. figer als der Durchschnitt Op-
fer häuslicher Gewalt sind.
Die Sozialpädagogin Silvia Röck, 55, leitet Röck: Es gibt in anderen Kul-
das Internationale Frauenhaus in Düssel- turen eine geringere Hemm-
dorf, in dem Khatun Zuflucht gefunden hat. schwelle, Gewalt auszuüben,
Es wird betrieben von der AWO-Tochter- auch von russischen Männern
gesellschaft Familienglobus und hat Platz kann ich das bestätigen. In
für maximal acht Frauen und vier Kinder. Deutschland ist Gewalt gegen
Wird ein Platz frei, dauert es keine zehn Frauen öffentlich geächtet. Heu-
Minuten, bis jemand anruft, weil eine te zumindest, vor 50 Jahren war
Frau dringend Schutz vor ihrem Partner das auch noch nicht so. Aber
sucht. was heißt das, wenn mehr rus-
SPIEGEL: Frau Röck, Ihr Haus hat sich auf sische Männer ihre Frau schla-
Migrantinnen spezialisiert. Wieso braucht gen als deutsche? Wichtiger ist
es so ein Angebot? es zu überlegen, welche Hilfe
Röck: Wir kennen uns mit Aufenthaltsge- Frauen brauchen. Und was
setzen aus. Und wir wissen über die Rolle man präventiv tun kann, damit
der Frau in den Herkunftsländern Bescheid. es gar nicht erst so weit kommt.
Fotos: Lêmrich 57
ZUSAMMENLEBEN
SPIEGEL: Aber für erfolgreiche Prävention Für mich ist das Ausbeutung. Es ist Frauen- SPIEGEL: Wann beginnt typischerweise die
muss man doch anerkennen, dass es Unter- handel. Was den Tätern dabei hilft, ist un- Gewalt?
schiede gibt. ser Aufenthaltsgesetz. Röck: Häufig ist die Geburt eines Kindes
Röck: Ja, man kann diese Unterschiede be- SPIEGEL: Wo ist der Fehler? der Auslöser. Der Mann fühlt sich nicht
schreiben. Ich lehne es aber ab, dass auf- Röck: Wer weniger als drei Jahre mit seinem mehr wichtig, die Frau fokussiert sich auf
grund dessen bestimmte Gruppen diskri- Ehepartner in Deutschland zusammenlebt, das Baby. Eine unserer Frauen hat das ge-
miniert werden. Die konservative Familien- hat kein eigenes Aufenthaltsrecht. Wenn rade erlebt. Sie wurde schwanger, da ging
struktur, die einer Frau kein Recht auf den sich die Frauen in Sicherheit bringen, laufen es los mit den Schlägen. Sie verstand die
eigenen Willen lässt, ist entscheidender als sie Gefahr, dass sie nicht hierbleiben dürfen. Welt nicht mehr, es war ein Wunschkind
die Nationalität. Und diese Familienstruk- Das ist eine Ehe mit Rückgaberecht. Des- für beide. Sie ist seit zwei Wochen hier,
tur gibt es auch unter Deutschen. halb schreibe ich jedes Jahr Härtefallanträ- das Kind ist ein paar Monate alt. Kritisch
ge, damit die Frauen dennoch bleiben dür- wird es aber auch oft, wenn der Partner
Khatun sagt: Meine Eltern starben, als ich fen. Bisher haben wir damit positive Erfah- arbeitslos wird. Das bedeutet Stress. Oder
ein Kind war. Auch zwei meiner Brüder rungen gemacht, aber die Männer wissen wenn die Frau eine Ausbildung beginnt
sind bereits tot. Ich wohnte mit meiner um ihre Macht. Wir hatten hier einmal eine und dann womöglich einen höheren Bil-
Schwägerin und ihren zwei Kindern in der Frau, bei der sich herausstellte, dass bereits dungsabschluss hat als der Mann.
Hauptstadt Dhaka und arbeitete als Lehre- ihre Vorgängerin bei uns gelandet war. Die
rin. Mein Ehemann ist 52, ebenfalls aus erste Frau konnte zum Glück in Deutsch- Khatun sagt: Zum ersten Mal geschlagen
Bangladesch, lebt aber seit ungefähr 20 Jah- land bleiben, aber der Mann hat sich einfach hat er mich einige Monate nachdem ich
ren in Deutschland. Er hat lange als Lage- die nächste aus seinem Heimatland geholt nach Deutschland gekommen war. Ein
rist gearbeitet, seit Kurzem ist er arbeitslos. und sie genauso schlecht behandelt. Freund von ihm hatte Urlaub und über-
Vor unserer Hochzeit hatten wir oft tele-
foniert, seine Verwandten hatten mich be-
gutachtet. Zuerst wollte ich gar nicht hei-
raten, aber er klang sehr nett, also willigte
ich ein. Die Feier fand im April 2014 in
Bangladesch statt. Knapp zwei Jahre später
durfte ich im Rahmen des Familiennach-
zugs offiziell nach Deutschland kommen.
Ich hatte einen großen Traum: ein Mann,
ein Kind, eine eigene Familie.
Ich habe mich getäuscht. Einen Ehemann
habe ich nicht bekommen. Wir lebten von
Anfang an in zwei getrennten Zimmern. Bei
meiner Ankunft fragte er mich, in welchem
Zimmer ich schlafen möchte. Ich warf mich
auf den Boden, umklammerte seine Beine
und rief: »Warum tust du das? Wenn es mei-
ne Schuld ist, vergib mir.« Er blieb hart. Un-
sere erste gemeinsame Nacht verbrachte ich
weinend vor seiner Zimmertür.
58
nachtete bei uns. Jeden Abend gingen die te den Platz für mich. Hier lebe
beiden aus und blieben bis in die frühen ich seit einigen Monaten, bald
Morgenstunden weg. In dieser Zeit schlief ziehe ich in eine eigene Woh-
der Freund in meinem Zimmer und ich im nung. Ich will den B2-Sprach-
Zimmer meines Mannes auf dem Boden. kurs schaffen und dann arbei-
Das war sehr unbequem. Eines Nachts be- ten. Als Erzieherin oder Lehre-
schloss ich, mich in sein Bett zu legen, bis rin. Beim Jobcenter haben sie
er nach Hause kommt. Ich wollte einiger- gesagt, meine Abschlüsse seien
maßen fit sein, jeden Morgen hatte ich den gut dafür.
Sprachkurs, Level B1. Seit ich weg aus der Woh-
Als die beiden gegen vier Uhr morgens nung meines Mannes bin, habe
nach Hause kamen und mein Mann mich ich nie wieder Kontakt zu ihm
in seinem Bett entdeckte, legte er sich da- gehabt. Seinetwegen habe ich
neben auf den Fußboden, um dort zu schla- alles verloren. Ich hatte kein
fen. Ich wachte auf und protestierte: »Die eigenes Konto, das Handy
Frau auf dem Bett, der Mann auf dem nahm er mir ab – und das gan-
Boden, das geht doch nicht. Komm, wir ze Gold, das ich besaß.
tauschen!« Er schrie mich an, ich solle In Bangladesch war mein
schweigen, aber ich konnte einfach nicht. Leben okay, doch jetzt kann ich
Das fühlte sich so falsch an. Er wurde im- nicht mehr zurück. Alle sagen,
mer wütender, das hörte ich an seiner es sei meine Schuld. Denn es
Stimme. Ich saß noch immer in seinem ist immer die Frau, die versagt,
Bett, als er plötzlich das Licht anmachte wenn sich der Mann trennt.
und mir ohne irgendeine Vorwarnung mit Meine beiden Schwägerinnen
voller Wucht mit dem Fuß ins Gesicht trat. Frauenhausleiterin Röck reden kein Wort mehr mit
Dann zog er mich an den Haaren hoch und »Ehe mit Rückgaberecht« mir, der Rest meiner Familie ist
schlug mir ins Gesicht, immer wieder, bis tot. Was würde ich machen,
ich das Bewusstsein verlor. Sein Freund wenn ich zurückmüsste? Was
griff nicht ein. Röck: Keine große. Die Frauenhäuser sind esse ich? Wo soll ich bleiben? Ich muss in
Irgendwann wachte ich davon auf, dass schon seit Jahren voll. Verschärft wird die Deutschland bleiben.
mir jemand Wasser ins Gesicht schüttete. Lage durch die Wohnungsnot. Der Woh-
Wie lange ich weg war, weiß ich nicht. nungsmarkt ist in vielen Gegenden so be- SPIEGEL: Wie viele Frauen gehen zu ihrem
grenzt, dass die Frauen länger brauchen, Partner zurück?
SPIEGEL: Beim Stichwort Gewalt denkt um eine Wohnung zu finden. Röck: Zum Glück immer weniger. Aber es
man inzwischen auch an Männer als Opfer. SPIEGEL: Sie meinen Frauen, die weg von geschieht. Da ist die Hoffnung auf Ver-
Röck: Ja, laut Interventionsstellen gegen ihrem Mann wollen und keinen Platz fin- söhnung. Die Angst, ein eigenes Leben an-
häusliche Gewalt ist die Anzahl der Täte- den? zufangen. Die Einsamkeit. Wenn es ge-
rinnen in den vergangenen Jahren gestie- Röck: Ja, das ist ein Drama! Die Landesre- schieht, versuchen wir, einen Sicherheits-
gen. Männer trauen sich heutzutage eher, gierung von Nordrhein-Westfalen plant, plan zu erstellen. Wo lagert sie ihre Papiere?
Hilfe zu suchen. Allerdings haben die einen 50 neue Plätze zu schaffen, will aber die Hat sie ein zweites Handy, von dem er
ganz anderen Bedarf als Frauen. Personalgelder nicht aufstocken. nichts weiß? Wir sensibilisieren sie dafür,
SPIEGEL: Inwiefern? SPIEGEL: Warum steigt der Bedarf? darauf zu achten, wann es wieder losgeht.
Röck: Viele männliche Opfer haben ihre Röck: Der Bedarf war schon immer da. Im vergangenen Jahr war es nur eine, die
geregelte Arbeit, ihr Einkommen, ihr Aber heute sind zum Beispiel die Jugend- zurückgegangen ist.
Auto. Es besteht keine materielle Abhän- ämter sensibilisiert. Es gibt mehr Bericht- SPIEGEL: Wieso hat sie das getan?
gigkeit von der Partnerin. Es geht seltener erstattung. Und immer mehr Frauen wis- Röck: Sie hatte Sorge, dass sie nicht in
um körperliche als um psychische Gewalt. sen, dass es uns gibt. Deutschland bleiben darf.
Gegen Frauen kommt es viel häufiger SPIEGEL: Warum wäre das so schlimm? Ist
zu Bedrohungen. Wir haben in der Regel Khatun sagt: Vergangenen Herbst lag ein das Leben mit der Tortur wirklich besser
zwei bis drei Frauen hier, denen mit Mord Brief eines Rechtsanwalts auf dem Küchen- als das Leben im Heimatland?
gedroht wird. Das ist bei Männern viel tisch. Darin stand, dass mein Mann sich Röck: Die Frau war eine Muslimin aus Ma-
seltener. trennen wolle. Er verlangte von mir, dass rokko. Sie wäre von ihren sehr konservati-
SPIEGEL: In Kandel wurde eine Jugendliche ich bestätige, unsere Ehe sei nie vollzogen ven Eltern nicht mehr aufgenommen wor-
von ihrem Ex-Freund, einem afghanischen worden. Ich habe nicht verstanden, warum den. Sie hatte mindestens eine jüngere
Flüchtling, erstochen. Sind das für Sie so- er mich eigentlich geheiratet hat, und ich unverheiratete Schwester. Wenn sie zurück-
genannte normale Fälle von häuslicher Ge- verstand nicht, warum er sich jetzt trennen gegegangen wäre, gebrandmarkt, dann hät-
walt? wollte. Ich war völlig verzweifelt. Zum ers- te die jüngere Schwester auch nicht heiraten
Röck: Eine Tötung ist kein normaler Fall ten Mal verließ ich die Wohnung, ohne ihn können. Es geht dort immer dem Alter nach.
mehr. Ich glaube, das hatte etwas mit dem zu fragen. Ich ging zu einem seiner Freunde Die Ausländerbehörde argumentiert
Rollenbild des mutmaßlichen Täters zu und wollte wissen, was ich jetzt tun solle. manchmal, die Frau könne doch in eine
tun. Ich will das nicht entschuldigen. Wahr- Er sagte nur: Warum bist du nicht vorher andere Stadt in ihrem Heimatland ziehen.
scheinlich dachte er so etwas wie: Das war gekommen? Aber das funktioniert nicht. Sie kann nicht
meine Freundin, und die hat zu tun, was Gerettet hat mich meine Deutschkurs- einfach arbeiten, ohne zu erklären, wo
ich sage. Sonst bestrafe ich sie. lehrerin. Sie hatte mich schon vorher auf ihre Familie ist. Diese Frauen leben dann
SPIEGEL: Welche Rolle spielt es für Ihre Ar- meine blauen Flecken angesprochen, und in ihrem Herkunftsland auf der Straße
beit, dass Deutschland viele Geflüchtete ich hatte ihr die Wahrheit erzählt. Sie er- oder prostituieren sich.
aufgenommen hat? zählte mir vom Frauenhaus und organisier-
D
Lesungen hat oder Interviews gibt. len in der Debatte aufeinander.
ie Bilder von ihren nackten Auf einen normalen Job ist sie nicht Auf der einen Seite stehen Feminis-
Brüsten im Internet wird Zana mehr angewiesen. Ramadani stammt aus tinnen, die dem Islam kritisch begegnen
Ramadani wohl nie wieder los. dem heutigen Mazedonien, sie ist seit Jah- wie Alice Schwarzer. Oder wie Zana Ra-
Wie sie oben ohne die Bühne ren CDU-Mitglied und kann von ihren Ein- madani, die Hidschab, Nikab und Burka
von Heidi Klums Topmodel- nahmen als Berufsfeministin leben. Ihr als »Leichentücher der freien Gesell-
Liveshow stürmte oder wie sie Kampf gilt den patriarchalen Strukturen schaft« bezeichnet. Muslimische Feminis-
halb nackt vor einer Berliner tinnen wie Khola Maryam
Moschee protestierte: »Fuck Hübsch oder Kübra Gümüşay
Islamism« stand in großen wiederum werben um mehr
schwarzen Buchstaben auf Verständnis für ihre Religion
ihrem Oberkörper. Fünf Jahre und auch für das Kopftuch.
ist das her, aber »jeder, der Häufig agieren die »Kopftuch-
mich googelt, sieht diese Fo- lobbyistinnen«, wie Ramada-
tos«, das ist ihr klar. ni sie nennt, im Schulter-
Früher einmal war sie schluss mit Frauen wie der
Rechtsanwaltsfachangestellte, Netzfeministin Anne Wizorek
dann baute sie den deutschen oder Gesine Agena, der stell-
Ableger der feministischen vertretenden Bundesvorsit-
Bewegung Femen mit auf. zenden und frauenpolitischen
Heute ist sie 34 Jahre alt, hat Sprecherin der Grünen. Frau-
sich von Femen verabschiedet en wie sie wünschen sich eben-
und glaubt: »Einen normalen falls mehr Toleranz für die
Job werde ich mit großer muslimische Minderheit und
Wahrscheinlichkeit nie wie- warnen davor, mit in ihren Au-
der machen können. Ich bin gen islamophoben Argumen-
als das Tittenmädchen abge- ten die politische Rechte zu
stempelt.« stärken.
Ob sie das schlimm findet? Kanäle, um sich zu streiten,
»Eigentlich nicht«, sagt Rama- finden die Frauen in großer
dani. »Meine Überzeugungen Zahl: Talkshows, Blogs oder
sind ja immer noch dieselben. Zeitungen. Was es hingegen
Und das ist mir wichtiger.« nicht gibt, ist ein Forum oder
Außerdem haben die Aktio-
nen sie deutschlandweit be-
kannt gemacht. Islamkritikerin Ramadani
Ramadani sitzt in einem »So viele Leute haben Beiß-
Eiscafé in der deutschen Pro- hemmungen«
60
eine Bewegung, die versucht, Muslimin Hübsch
einen gemeinsamen Nenner »Sexuelle Reize einsetzen?
zu finden. Das ist unfeministisch«
Wo liegt das Problem?
Ramadani hat als Antwort
einige traurige Geschichten bunden, schreibt Hübsch in
aus ihrer muslimischen Fami- einem Essay. Die Macht der
lie parat, die seit Anfang der Berührung sei nicht zu unter-
Neunzigerjahre in Deutsch- schätzen, aber dies habe
land lebt. Etwa wie sie selbst »ganz sicher nichts mit einer
als 18-Jährige ins Frauenhaus angenommenen ›Unreinheit‹
geflüchtet sei, weil sie befürch- der Frau« zu tun.
tet habe, ihre Onkel könnten Khola Hübsch stellt Teewas-
sie nach Mazedonien entfüh- ser auf und geleitet ins Wohn-
ren. Oder wie ihre Mutter sie zimmer. Trotz des Fasten-
als Hure beschimpft habe, nur monats Ramadan serviert sie
weil sie es gewagt habe, als Selbstgebackenes, frische Erd-
Kind ein Zimmer mit Män- beeren und Quark. Am heuti-
nern zu betreten. Auch das gen Tag fastet sie nicht, »erst
Schicksal ihrer Cousine hat sie morgen wieder«, was kein Pro-
zur Hardlinerin gemacht. Die blem sei, denn Pausen seien
Cousine, erzählt Ramadani, im Ramadan durchaus legitim,
sei Psychologiestudentin in auf Reisen etwa, wenn es ge-
Skopje gewesen und von ihrer sundheitsgefährdend werden
Familie verheiratet worden. kann oder wenn Frauen ihre
Weil das Mädchen auch nach Menstruation haben.
der Hochzeit noch darauf Sie hat Routine darin, ihre
bestanden habe, seinen Ab- Religion zu erklären. Sie stelle
schluss zu machen, habe der sich den Fragen gern, das helfe,
Ehemann es sitzen lassen. Das Paar sei nur initiiert hatte. Allerdings konnte das Dop- Ängste abzubauen. Häufig allerdings wer-
nach islamischem Recht getraut worden, pelinterview nie gedruckt werden, weil de sie mit sehr stereotypen Fragen kon-
eine offizielle Scheidung sei nicht nötig Hübsch sich nach eigenen Angaben in der frontiert. Etwa, ob sie den Hidschab denn
gewesen. geschriebenen und gekürzten Version auch wirklich aus freien Stücken trage.
Um die Ehre der Familie wiederherzu- nicht ausreichend und zu defensiv wieder- »Selbstverständlich tue ich das. In erster
stellen, habe die Cousine schließlich den gegeben fand. Linie aus spirituellen Gründen. Es ist wich-
Nächstbesten geheiratet, »der sich ihrer tig für mich, um Allah so nah wie möglich
erbarmte«, einen ungebildeten, konserva- Khola Hübsch öffnet die Tür zu ihrem zu sein.« Aber es gebe für sie durchaus
tiven Mann. »Heute läuft sie nur noch voll Haus in Frankfurt-Kalbach und bittet auch »einen feministischen Antrieb«, sagt
verschleiert durch Skopje, ansonsten küm- freundlich herein. Ihr braunes Haar fällt sie. »Für mich bedeutet das Tuch auch
mert sie sich um Haushalt und Kinder«, ihr über die Schultern; im Kreis der Familie Widerstand.«
sagt Ramadani. »Das ist die Realität für und auch wenn sie weibliche Gäste emp- Frauen würde in dieser kapitalistischen
viele, die in islamisch-patriarchalen Ge- fängt, trägt die 37-jährige Muslimin keinen westlichen Welt von klein auf eingetrich-
sellschaften leben müssen.« Hidschab. Es ist ein ungewohnter Anblick. tert, dass es wichtig sei, wie sie aussähen
Frauen, die sich freiwillig verhüllen, In der Öffentlichkeit verschwindet ihr Haar und wie sie sich kleideten. »Während sich
sind für Ramadani deshalb zu einem Feind- unter einem Tuch. Sie bindet es meist so Männer in der Arbeitswelt für uniformier-
bild geworden. »Ignorant und kurzsichtig« streng, dass es auch das Kinn bedeckt. te Anzüge entscheiden, um nicht vom
seien diese. »Sie verweigern Frauen wie Hübsch hat ein Buch geschrieben mit dem Fachlichen abzulenken, tragen Frauen häu-
meiner Cousine die Solidarität.« Außer- Titel »Unter dem Schleier die Freiheit«. fig figurbetonte Kostüme und High Heels.
dem: »Je mehr Musliminnen sich dafür Seitdem ist sie eine der bekanntesten Stim- Warum? Sie halten es für selbstverständ-
entscheiden, bestimmten Kleidungsvor- men unter den deutschen Musliminnen. lich, dass sie ihre sexuellen Reize einsetzen
schriften zu folgen, desto natürlicher wir- Die Ahmadiyya, der sie angehört, zählt sollen und sogar müssen, um Erfolg zu ha-
ken solche Gebote. Irgendwann ist der zu den ältesten muslimischen Gemeinden ben«, sagt Hübsch. »Das sollte so nicht
Punkt erreicht, da erachten Frauen ihre hierzulande und unterscheidet sich in we- sein. Das ist unfeministisch. Ein Kopftuch
Unterdrückung als frei gewählte Entschei- sentlichen Punkten vom orthodoxen sun- setzt dem etwas entgegen.«
dung.« nitischen Islam, so steht der Ahmadiyya Die Haltung von Frauenrechtlerinnen
Wenn es nach Ramadani ginge, dürften etwa noch heute ein Kalif vor. Sie gilt als wie Schwarzer oder Ramadani findet
diese »Pseudofeministinnen« deshalb erst vergleichsweise fortschrittlich. Die Ge- Hübsch »bevormundend, eurozentrisch
gar nicht in einem Text über Frauenrechte meinde vertritt offiziell eine Trennung von und veraltet.« Unbestritten würde das
genannt werden – Frauen wie Khola Ma- Staat und Religion und verwahrt sich strikt Kopftuch auch von Fundamentalisten als
ryam Hübsch beispielsweise, eine Blogge- gegen Gewalt und Terror, insbesondere im Mittel missbraucht, Frauen kleinzuhalten.
rin und Autorin, die das Kopftuch trägt Namen einer Religion. Kritiker allerdings »Aber ich lasse mir doch nicht von sol-
und dies auch als feministisch versteht. sprechen von sektenartigen Strukturen chen Leuten die Deutungshoheit neh-
»Diese Frauen ärgern mich maßlos«, sagt und weisen auf ein fragwürdiges, konser- men«, sagt sie.
Ramadani. vatives Geschlechterverständnis hin. Sie wehrt sich gegen den Vorwurf der
Ramadani und Hübsch kennen sich von Händeschütteln zwischen Männern und fehlenden Solidarität zum Beispiel mit
einer Talkshow in Wien und von einem Frauen ist nicht gern gesehen. Damit sei Frauen in Iran, die nicht ohne Verschlei-
Streitgespräch, das eine deutsche Zeitung aber keine Wertung der Geschlechter ver- erung das Haus verlassen dürfen. »Einen
12,1
mert? Es kann viele individuelle Wege ge- Life-Flexibility« sei wichtig, heißt es bei
ben – und es ging hier nicht darum zu wer- Beiersdorf. Bei E.on seien »flexible Arbeits-
ten, welches Modell das bessere ist. zeitmodelle bereits seit Jahren gelebte
»Mit der Berufung zum Vorstand ver- Praxis«. Nur für die Topmannschaft scheint
liert man völlig die Hoheit über seinen Ter- Deutschland diese Versorgungskette wegzubrechen.
minkalender, in dem private und familiäre Schon darüber zu sprechen trauen sich of-
Bedürfnisse Berücksichtigung finden könn- fensichtlich nur wenige CEOs zu – oder
ten. Das ist erschreckend, aber es ist die Frauenanteil in den halten es schlichtweg nicht für notwendig.
Realität, da helfen auch keine Sonntags- Vorständen der jeweils 30 größten Dabei gibt es Beispiele, dass es auch
reden«, sagt Michael Ensser, Deutschland- Börsenunternehmen* anders geht. Zum Beispiel Cedrik Neike,
Chef der Personalberatung Egon Zehnder. 45 Jahre alt, bei Siemens Vorstand für
Warum aber wagt kaum einer der Vor- Dabei haben manche Chefs nicht grund- Energiemanagement und Asien. Er bringt
stände, das zu sagen? Weil es die Verein- sätzlich ein Problem damit, Privates zu be- auch schon mal die Katze zum Tierarzt
barkeitsprogramme im eigenen Unterneh- richten. Kasper Rorsted, 56 Jahre alt, von und hilft den Kindern bei den Hausauf-
men ad absurdum führt? Vereinbarkeit Adidas, immerhin Vater von vier Kindern, gaben, seine Frau arbeitet in einer
ja – aber wenn ein hoch qualifizierter Mit- ist so ein Beispiel. Er erzählt in Interviews, anspruchsvollen Position in Vollzeit. Oder
arbeiter auf dem Sprung in den Vorstand dass seine Familie nicht in Herzogen- auch Jacqueline Hunt, 50 Jahre alt, Vor-
ist, sind kranke Kinder, Hausaufgaben aurach lebe und er gern morgens um standsmitglied der Allianz: «Mein Mann
oder pflegebedürftige Eltern plötzlich ver- 5.20 Uhr mit dem Rad zur Arbeit fahre, und ich teilen uns die Hausarbeit, und wer
schwunden oder ein Tabuthema? um dort das Fitnessstudio zu besuchen. von uns gerade zu Hause ist, der kocht.«
Foto: Lêmrich; Infografik: DER SPIEGEL, Quelle: Allbright Stiftung; * Stand April 2018 65
Geplante Pausen Biergärten erkunden
»Work-Life-Balance? Natürlich schlägt das Pen- »Work-Life Balance impliziert, dass die beiden Lebensbereiche voneinander
del eindeutig in Richtung Arbeit aus. Aber das getrennt sind. In der Realität ist die Arbeit aber ein großer Bereich in
hat mich nicht überrascht, als ich zu Thyssen- meinem Leben, und es gelingt nicht immer eine ausgewogene Balance.
krupp kam. Wir führen als Vorstand ein 160 000- Momentan – und als neues Vorstandsmitglied ist das kaum überraschend –
Menschen-Unternehmen, und wir wollen das widme ich meiner Arbeit mehr Aufmerksamkeit als meinem Privatleben.
verantwortungsvoll und erfolgreich tun. Das Meine Frau und mein Sohn leben in meiner Heimat Australien. Wenn sie
kostet Zeit und Kraft. Mit meiner Familie habe mich in Deutschland besuchen, verbringe ich so viel Zeit wie möglich
ich das besprochen, deshalb ist es für uns okay. mit ihnen. Mein Sohn hat auch schon ganz konkrete Pläne für seinen
Oft plane ich Pausen von der Arbeit wie die Besuch im Sommer. Er möchte viele Städte in Deutschland und Europa
Arbeit selber, dann geht es. Manchmal muss ich bereisen und die Biergärten hier in München erkunden. Dann gehe ich
mich treiben lassen, um mich wieder fokussieren zeitig aus dem Büro und genieße den Abend mit der Familie. So stimmt
zu können.« auch wieder die ›Bilanz‹.«
Oliver Burkhard, 46, Arbeitsdirektor Niran Peiris, 57, Vorstand Allianz, Global Insurance Lines & Anglo Markets,
und Vorstand Personal, Thyssenkrupp Insurance Middle East & Africa
Kerstin Ney, 54, Vorständin Personal der Business Area Ilse Henne, 40, Vorständin der Ländergesellschaften Deutschland,
Components Technology, Thyssenkrupp Westeuropa, Asien/Pazifik für Materials Services, Thyssenkrupp
Anteil der
größten Börsen-
90% 68,9 53,5 50 20 16,7 unternehmen
mit mindestens
zwei Frauen
Polen Deutschland
im Vorstand*
Großbritannien Frankreich
Schweden
USA
Anteil der größten
Börsenunter-
M
Frauen fürchten, dass sie das männliche Ego
eist war es die finanzielle Not, der jetzigen Rentnergeneration ein eigenes ihres Partners, seine Rolle als Familien-
die sie zur Arbeit trieb, und die Einkommen hatten. ernährer, infrage stellen, wenn sie mehr ver-
Scham war oft groß. Nur ein Wenn eine Frau Vollzeit arbeitet, folgt dienen als er. Indem sie zu Hause in die
Drittel der Erwerbstätigen wa- daraus allerdings nicht, dass sich ihr Einsatz traditionelle Rolle schlüpfen, stellen sie die
ren Frauen in der frühen Bun- im Haushalt entsprechend verringert. Chris- Geschlechtsidentitäten wieder her, die durch
desrepublik, als Konrad Adenauer Kanzler tina Boll, Forschungsdirektorin am Hambur- ihre Karriere bedroht zu sein scheinen.«
war. Männer waren stolz auf den Satz: »Mei- gischen Weltwirtschaftsinstitut, hat bis auf Vielleicht aber wollen sie auch der Ge-
ne Frau muss nicht arbeiten.« Und tat sie es die Minute genau untersucht, wie Paare ihre sellschaft beweisen, dass sie trotz Karriere
doch, folgerten Nachbarn und Bekannte: Zeit verbringen. Laut Befragungen aus den keine Rabenmütter sind. Noch immer
Der Mann verdient nicht genug, wie pein- Jahren 2012 und 2013 kümmerten sich Frau- stimmt eine Mehrheit befragter Deutscher
lich. Oder er hat sogar seinen Job verloren. en ohne Kinder täglich 67 Minuten mehr der Aussage zu, dass ein Familienleben lei-
Heute, drei Generationen später, sitzt An- um den Haushalt als Männer; Mütter waren det, wenn die Frau einem Vollzeitjob nach-
gela Merkel im Kanzleramt, und drei Viertel sogar zwei Stunden und 45 Minuten länger geht. Oder ist es Güterabwägung, wie eine
der Frauen erwirtschaften ihr eigenes Geld. zu Hause beschäftigt. Studie aus Spanien insinuiert? Weil Männer,
Eine beeindruckende Zahl, im direkten Die Männer nehmen das häufig nicht so die traditionell weibliche Aufgaben über-
Vergleich jedenfalls, doch sie relativiert sich wahr. Unbefangen erklären sie in Umfragen, nehmen, sexuell unattraktiv wirkten, heißt
schnell. Fast jede zweite Frau arbeitet in Teil- sie seien der Meinung, sich alle Aufgaben es darin, spüle die Karrierefrau im Interesse
zeit, durchschnittlich 16 Stunden weniger mit der Partnerin zu teilen. der eigenen Lust am Ende lieber selbst.
als die männlichen Kollegen, und mit jedem Doch auch das weibliche Verhalten ist oft Eigentlich, das ist zumindest das Ergebnis
Kind wächst der Unterschied zwischen den doppelbödig: Frauen klagen, entlassen ihren zahlreicher Umfragen, möchte die Mehrheit
Geschlechtern um knapp sechs Stunden. Mann aber aus der Pflicht. Selbst in den der Paare gleichberechtigt leben. Und we-
Mehr als zwei Drittel der erwerbstätigen wenigen Haushalten – zehn Prozent sind es nigstens was den Umgang mit Kindern be-
Mütter mit Kindern unter 18 haben einen etwa –, in denen Frauen das Haupteinkom- trifft, tut sich etwas: Eine wachsende Anzahl
Teilzeitjob, aber nur sechs Prozent der Väter. men der Familie verdienen, bügeln und sau- von Vätern nimmt Elternzeit – und jeder
Zwar arbeiten viele Frauen deutlich mehr gen sie nach Dienstschluss, als gäbe es kei- dritte Mann gibt an, er würde gern mehr
als viele Männer – aber eben häufiger un- nen belastbaren Partner. Nur wenige Paare Zeit mit seinem Nachwuchs verbringen.
bezahlt. Sie kümmern sich um Kinder und versuchen gleichberechtigt faire Lösungen »Anders als früher betrachten Väter die
alte Eltern, um Haushalt und Nachbarn, zu finden wie Christopher und Sarah Prinz Zeit mit ihren Kindern heute seltener als
und wer all diese Beschäftigungen addiert, (siehe Gespräch auf der nächsten Seite). Verlustgeschäft und Karrierekiller«, meint
kommt auf eine Menge unbezahlter Arbeit Frauen hätten oft Probleme, die Macht Christina Boll. »Vor allem junge Männer
im Wert von 987 Milliarden Euro im Jahr. über den Haushalt und die Kinder abzu- sehen in Familienaufgaben die Chance auf
Das haben Sachverständige für den Gleich- geben, sagt die Darmstädter Soziologin eine neue männliche Identität.« Vielleicht
stellungsbericht der Bundesregierung 2017 ist es also nur eine Frage der Zeit, bis Män-
errechnet. ner sich dafür verantwortlich fühlen, dass
»Gender Care Gap« nennen Soziologen die Wäsche der Familie gebügelt im Schrank
die ungleiche Aufteilung der Fürsorge, an- liegt und der Kühlschrank gefüllt ist.
gelehnt an den »Gender Pay Gap«, der für Vermutlich ist es eine Mischung aus ge-
die Kluft bei Löhnen und Gehältern steht. sellschaftlichen Missständen und persön-
Und diese Kluft verschwindet nicht: Hat licher Verbohrtheit, die dem bislang ent-
eine Frau die gleiche Position, Qualifikation gegenstand.
und Erfahrung wie der männliche Kollege, Frauen müssten lernen, ihre Macht in der
erhält sie trotzdem durchschnittlich sechs Familie zu teilen, meint Koppetsch. Und
Prozent weniger. noch etwas steht an: Frauen sollten ihren
Weil Frauen insgesamt so viel weniger Erziehungsstil überdenken. Laut einer Stu-
verdienen, erwartet sie im Alter die dritte die des Leibniz Instituts für Sozialwissen-
große Ungleichheit: der »Gender Pension schaften helfen Kinder im Haushalt mit,
Gap«. Die Altersversorgung bemisst sich wenn sie von ihren Eltern dazu angehalten
fast ausschließlich an bezahlter Arbeit. Und werden. Bereits in den ersten Lebensjahren
so beziehen Rentnerinnen in der alten Bun- leisten die Mädchen mehr. Mit steigendem
desrepublik heute im Durchschnitt dürftige Alter lassen die Söhne immer weiter nach –
583 Euro, während es in den neuen Ländern Vater Prinz mit Sohn und die Mütter lassen es geschehen.
immerhin 860 Euro sind, weil mehr Frauen Nicht in die Falle tappen
Fotos: Lêmrich 69
Familie Prinz
»Du findest in einer sauberen
Küche schmutzige
Stellen, die nicht einmal einem
Gaststätten-Inspektor
auffallen würden«
70
WIRTSCHAFTEN
Haushalt allein gekümmert; in der Woche anschließend darüber zu debattieren, wa- sie unbezahlt ist, bringt sie jede Menge
zuvor war es genau andersherum. rum ich sie nicht von allein erledigt habe. Nachteile mit sich. Deshalb überweise ich
Sarah Prinz: Aber wir mussten die gleich- Nun weiß ich ja schon länger, dass du gern von meinem Gehalt jeden Monat Geld
berechtigte Rollenverteilung lernen, am diskutierst; im Grunde schätze ich es auch. an dich, um deine Einkommensverluste
Anfang unserer Elternschaft sind wir häu- Also schlucke ich in 50 Prozent der Fälle und die Einbußen auszugleichen, die dir
figer aneinandergeraten. Doch es hilft ei- meinen Ärger runter. durch die schlechtere Steuerklasse entste-
nem ja nicht weiter, wenn man die Abende Sarah Prinz: Manchmal merke ich das. hen. Du steckst diese Summe in eine pri-
mit Gezänk verbringt. Also war irgend- Auch das mussten wir nach der Geburt vate Rentenvorsorge, damit du trotz Teil-
wann klar, dass wir Regeln finden mussten. unseres Sohnes lernen: anders mit derlei zeit später nicht schlechter dastehst als ich.
Christopher Prinz: Das wirkt jetzt sehr ab- Konflikten umzugehen. Vorher haben wir Und sollte ich in eine schlechtere Steuer-
geklärt, Konflikte haben wir natürlich eher nach dem Motto gelebt: noch nicht klasse wechseln und weniger verdienen,
immer noch. Wir veranschlagen für einige erledigt? Egal, dann irgendwann! Wir hat- wirst du mir das Geld überweisen.
Aufgaben unterschiedlich viel Zeit. Falte ten weniger Zeitdruck, und unser gemein- Sarah Prinz: Wir haben das bis auf den letz-
ich die Wäsche, bin ich eher eine Dreivier- samer Kalender war voll mit coolen Ter- ten Cent ausgerechnet und gleichen die
telstunde beschäftigt, während du meinst, minen. Restaurantbesuche, Verabredun- Summe immer wieder an – je nachdem,
es lasse sich in 20 Minuten erledigen – wo- gen mit Freunden; wenn die Luft zwischen wie viel wir gerade verdienen. Erst vor-
bei du das seltener als ich erledigst und uns dick war, bin ich ins Kino gegangen, gestern saßen wir hier am Tisch mit Stift
weniger gut beurteilen kannst. Ähnlich ist bis der Ärger verflog. Solche Ausweich- und Zettel. Diese Sitzungen sind anstren-
es, wenn wir putzen. strategien sind nicht mehr möglich, seit gend, aber warum sollte ich die Nachteile
Sarah Prinz: Da bist du anders als ich, wir im Alltag rund um die Uhr gemeinsam einer Familiengründung allein tragen? Die
gründlicher. Du kannst dich sehr penibel funktionieren müssen. Rentenvorsorge ist mir wichtig, vor allem
in Kleinkram verlieren. Christopher Prinz: Ich finde das übrigens für den Fall einer Trennung. Natürlich
Christopher Prinz: Den Eindruck gebe ich nicht schlimm. Wir sind junge Eltern, das möchte ich mich nicht von dir scheiden
zurück. Du findest in einer sauberen Küche gehört dazu. Und ich möchte auch mög- lassen, aber die Statistiken sprechen nun
schmutzige Stellen, die nicht einmal einem lichst viel Zeit zu Hause verbringen, damit einmal eine eigene Sprache. Und wenn am
Gaststätten-Inspektor auffallen würden. Ende mit uns alles gut ausgeht, haben wir
Sarah Prinz: Und schon sind wir bei der im Alter beide etwas von der zusätzlichen
eigentlichen Herausforderung: Gleichbe- Rente.
rechtigt den Alltag miteinander zu orga- Christopher Prinz: Manchmal überlege ich,
nisieren heißt zu ertragen, dass der Part- »Du denkst an Geburtstage, warum ich das alles genauso sehe. In un-
ner einiges anders erledigt, als man es seren Elternhäusern haben wir einen
selbst für richtig hält. Ich lege abends die besorgst Geschenke, gleichberechtigten Alltag ja eher nicht ge-
Kleider für den Kleinen heraus, du ziehst lernt. Unsere Väter haben beide als Inge-
ihm morgens andere an. Ich würde ihn du bist tatsächlich kein alt- nieure häufig im Ausland gearbeitet, un-
am liebsten trösten, wenn er seinen Wil- sere Mütter haben sich um die Kinder und
len nicht bekommt; du findest, er müsse modischer Mann.« das Haus gekümmert.
solche Situationen mittlerweile häufiger Sarah Prinz: Als du und ich zusammen-
aushalten. Eigentlich sollte man in diesen kamen, habe ich an so etwas wie Gleich-
Momenten gelassen schweigen. Leider ge- berechtigung auch definitiv nicht gedacht.
lingt mir das nicht immer. Und dann rea- ich unsere Kinder genauso gut kennen- Aber meine Mutter hat mir schon zu ver-
gierst du zuweilen beleidigt, so wie vor- lerne wie du. Ich will ihnen ja auch meine stehen gegeben, dass sie mir ein eigenstän-
hin. Sicht der Welt vermitteln. Wenn sie dabei diges Leben wünscht. Auch mein Vater hat
Christopher Prinz: Ich dachte, wir hätten mitbekommen, dass du und ich um Kom- mir immer vermittelt, wie wichtig es ist,
das bereits zu Ende besprochen. promisse ringen, ist das nur gut. Wir beide dass ein Mensch die eigenen Möglichkei-
Sarah Prinz: Ich erwähne es nur, weil der meinen ja auch, dass Eltern gleicher- ten ausschöpft – egal ob es sich um einen
Moment so typisch war: Die Waschmaschi- maßen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Jungen oder um ein Mädchen handelt. Das
ne war durchgelaufen, du warst im Keller, Kinder nehmen sollten. Dass manche wirkt nach. Selbst wenn du Geschäftsfüh-
und ich fand, du hättest die Wäsche mit Männer diese Aufgabe fast vollständig der rer von Google wärst, würde ich meinen
nach oben nehmen können, selbst wenn Frau übertragen, kann ich schwer nach- Job niemals aufgeben.
ich fürs Wäschewaschen zuständig bin. vollziehen. Christopher Prinz: Ich wäre auch sehr un-
Christopher Prinz: Ich habe in dem Moment Sarah Prinz: Du bist da tatsächlich über- gern allein für unser Familieneinkommen
schlicht nicht daran gedacht und wusste haupt kein altmodischer Mann. Auch dass verantwortlich. Die klassische Rollenauf-
auch nicht, dass du gerade Wäsche du dich um unser Sozialleben im selben teilung bedeutet für Männer ja durchaus
wäschst. Maß kümmerst wie ich, finde ich super: Druck. In den ersten Jahren unserer Part-
Sarah Prinz: Du hast seltener als ich im Du bringst ja nicht nur unseren Sohn jeden nerschaft hatte ich sogar überlegt, später
Blick, was sich nebenbei noch eben erle- Tag in die Kita, du denkst auch an Geburts- einmal Hausmann zu werden. Von der
digen lässt. Mal zwischendurch die Spül- tage, du besorgst Geschenke, du fragst Idee habe ich mich allerdings verabschie-
maschine ausräumen, mal eben Blumen die Babysitter an. Andererseits ist es nur det. Selbst wenn das jetzt blöd klingen
mit Wasser versorgen. Es sind letztlich gerecht. Warum sollte ich das alles erledi- mag: Ich möchte weder auf die Erfolgs-
Kleinigkeiten, und ich bin da wahrschein- gen? Doch jetzt lass uns über Geld reden! erlebnisse noch auf das soziale Prestige
lich auch kleinlich. Trotzdem ärgert es Sonst vergessen wir es noch, obwohl es so im Job verzichten. Und ich möchte eine
mich. Ich würde mir wünschen, dass du wichtig ist. Frau haben, die vergleichbare Erfahrun-
mehr auf diese Dinge achtest. Christopher Prinz: Unser Prinzip ist schnell gen mit nach Hause bringt. Das finde ich
Christopher Prinz: Es kann sein, dass ich da erzählt: Im Moment arbeitest du im Job viel attraktiver.
eher auf Abruf unterwegs bin. Aber letzt- zehn Stunden weniger als ich und ver-
lich erledige ich die Aufgaben ja. Und ich bringst zwei Stunden am Nachmittag mit
finde es manchmal wirklich anstrengend, unserem Sohn. Auch das ist Arbeit. Weil Interview: Katja Thimm
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WIRTSCHAFTEN
Wo seid ihr? spiele«, sagen sie. »Ich ertrage dieses Gegockel nicht mehr,
will mich nicht ständig beweisen müssen«, höre ich. »Ich
will mich mit Inhalten beschäftigen, nicht mit Eitelkeiten.«
Kommen dann noch Kinder dazu, flüchten sich viele
Frauen ins Familienleben, in die Teilzeit, die viel zu oft
K O M M E N T A R Sobald es im Berufsleben noch das Karriereaus bedeutet.
anstrengender wird, ducken sich Frauen Und sie haben ja recht: Natürlich ist es manchmal wahn-
sinnig anstrengend, allen Ansprüchen gerecht zu werden,
gern weg. Sie seien eben nicht so vor allem aber den eigenen. Alles im Griff zu haben –
machtgeil wie die Männer, sagen sie. Ver- oder auch nur so zu tun. Auch ich verspüre manchmal eine
dammt, so ändert sich doch nie was! unendliche Müdigkeit. Ich sitze immer noch erstaunlich
oft als einzige Frau in Sitzungen mit Männern zwischen fünf-
zig und Anfang sechzig. Die meinen, mir eine Welt erklären
Von Susanne Amann zu müssen, die sie selbst längst nicht mehr verstehen.
Als ich vor Jahren beim SPIEGEL anfing, wurde mir von
V
meinem damaligen Chef gesagt, er halte mich für eine gute
or einiger Zeit saß ich mit zwei Freundinnen zu- Führungskraft. Weil man hier als Frau aber keine Leitungs-
sammen. Es ging um das Thema Altersvorsorge. Sie funktionen übernehmen könne, solle ich mir doch eine
erzählten von ihrem Rentenbescheid, wonach sie andere Redaktion suchen. Ein paar Jahre später wurde mir
rund 800 Euro Rente erhalten würden, wenn sie die von wohlmeinenden männlichen Kollegen nahegelegt,
nächsten 25 Jahre so weiterarbeiteten wie bisher. mich nicht auf bestimmte Führungspositionen
Ich sagte erst mal gar nichts. zu bewerben, ich hätte ja kleine Kinder.
Das Gespräch drehte sich weiter, es ging um die Frage, In solchen Momenten packt mich die hei-
ob man zur Altersabsicherung nicht doch eine Wohnung lige Wut. Weil ich dank meiner Sozialisa-
oder ein Haus kaufen solle, auch wenn man nicht genug tion in meinem ganzen Leben nicht auf
verdiene. Aber vielleicht werde der Ehemann ja demnächst den Gedanken kam, NICHTS aus mei-
mehr verdienen, das wäre doch schön. nen Fähigkeiten zu machen, schon gar
Das war zu viel für mich. In der mir eigenen, sehr direk- nicht aufgrund meines Geschlechts.
ten Art fragte ich die beiden Freundinnen, ob ihnen erstens Diese Wut treibt mich: jetzt erst recht.
klar sei, dass sie ihre Rente versteuern müssten, also weni- Die Wut richtet sich nicht nur gegen
ger als 800 Euro bekämen. Und ob sie auch mal in Erwä- die männlichen Kollegen. Sie richtet
gung gezogen hätten, sich selbst darum zu kümmern, dass sich auch gegen die Frauen, die ihren
genügend Geld für den Hauskauf, das Alter und generell Männern plötzlich lieber den Rücken
für den Rest des Lebens vorhanden sei. Sich also nicht auf freihalten, statt für ihre Wünsche einzu-
den Mann an ihrer Seite zu verlassen. treten. Die für den Marathon trainieren
Ich gebe zu, ich bin familiär vorbelastet. Ich bin mit oder das Ausrichten von Kindergeburtstagen
berufstätigen Eltern aufgewachsen. Mein Vater hat perfektionieren, weil ihnen sonst die Herausforderun-
seinen drei Töchtern Anfang der Neunzigerjahre einen gen fehlen. Und die dabei nicht merken, dass sie sich
Computer ins Kinderzimmer gestellt, weil er sich da- intellektuell kleinhalten und in die Abhängigkeit begeben.
rüber geärgert hatte, dass in den ersten Informatikkursen Ich finde es sogar manchmal unfair. Weil sie uns, die
an der Schule nur picklige Jungs saßen. Mit denen ich des- wenigen Frauen, die sich durchbeißen, die es durchhalten,
halb auch Turbo Pascal lernen musste. die etwas verändern wollen, alleinlassen. Weil sie uns die
Meine Mutter hat uns meistens machen lassen, was wir Solidarität entziehen, indem sie einfach verschwinden.
wollten, hat uns aber zwei Grundsätze mitgegeben: Vor allem aber finde ich es schade. Nicht nur weil es
»Kümmert euch nicht um euer Aussehen, kümmert euch Spaß macht, Entscheidungen zu treffen, die Bestimmerin
um euren Verstand«, lautete der erste. »Werdet nie finan- zu sein. Oder weil es sich gut anfühlt, selbst genügend Geld
ziell abhängig von einem Mann«, der zweite. Ich habe zu verdienen. Sondern weil es sich lohnt, nicht aufzugeben.
das als Teenager so hingenommen und gedacht, dass das Wir wollen die Spielregeln ändern, die Unternehmens-
wahrscheinlich jede Mutter ihren Töchtern so sagt. kultur, wir wollen, dass Karrieren in Teilzeit möglich wer-
Was für ein Irrtum. den und Meetings nicht mehr nach 16 Uhr stattfinden.
Seit ich vor gut 20 Jahren anfing zu studieren, sind mir Aber dann müssen wir das auch durchboxen. Und das geht
die Frauen abhandengekommen. Natürlich sind sie noch nur, wenn wir mehr werden, wenn wir viele sind. Dafür
da, die Schulfreundinnen, die Mitstudentinnen, die Kolle- braucht es dringend Vorbilder. Immer häufiger kommen
ginnen. Die Nachbarinnen, die befreundeten Mütter, die jüngere Kolleginnen zu mir und bedanken sich: dafür, dass
zufällig ins Leben gestolperten Bekanntschaften. ich da bin, dass ich anders führe als meine männlichen Kol-
Mir aber fehlen die Frauen, die den Ehrgeiz haben, Kar- legen. Und dafür, dass ich ganz selbstverständlich mitspiele.
riere zu machen, sich im Berufsleben auszutoben, zu mes- Dann bedanke ich mich im Stillen bei meiner Mutter.
sen. Die die Zähne zusammenbeißen, wenn es gerade nicht Weil sie mir das Selbstverständnis mitgegeben hat, das
gut läuft, die ins Risiko gehen, die mit spielerischer Unge- mich trotz aller Anstrengung, trotz des Frustes, trotz des
duld das System ändern wollen. Die vor allem aber keine Widerstands der männlichen Strukturen an einem nie hat
Lust darauf haben, dieses große, bunte Feld nur den Jungs zweifeln lassen: dass ich das Richtige mache. I
»HERVORRAGEND,
Schweden galt
DANKE«
lange als
Musterland der
Gleichberechtigung.
Hat es diesen
Ehrentitel noch
verdient?
Eine Reise zu
zufriedenen
Männern und
beunruhigten
Frauen, zu uralten
Sorgen – und
neuen Ideen
76
Ein Land, viele Meinungen: In der südschwedischen Stadt Malmö Wie zufrieden sind Sie mit dem Verhältnis zwischen Männern und
haben die Fotografen Andrea Grambow und Joscha Kirchknopf Frauen in Ihrem Land? Wie steht es mit der Freiheit und der Ge-
Menschen, denen sie zufällig begegnet sind, ihre Fragen gestellt: rechtigkeit? Können andere Länder von Schweden etwas lernen?
Der soziale Staat, die emanzipierte Frau, geht – Schweden steht in der Spitzengrup-
die weltoffene Gesellschaft – ein Traum- pe, das ist seit Jahren so.
land der Fortschrittlichen, das ist der Ruf, Bleibt also die Frage, was zu lernen ist
den Schweden traditionell genießt. Doch von diesem Land und seinen Widersprü-
auch Schweden ist aus manchen Träumen chen. Ein Besuch in einem Land, in dem
aufgewacht: Die »erste feministische Re- viele denken, wie es in Deutschland nicht
gierung der Welt«, so nannte sie sich, hat üblich ist.
bei der Wahl im September deutlich ver-
loren, die rechtspopulistischen »Schwe- Dem schwedischen Mann geht es her-
dendemokraten« haben ein Rekordergeb- vorragend, danke der Nachfrage. Lars Trä-
nis erzielt, und #MeToo ist ein Thema, gårdh lehnt in seinem Sessel, sein Haar hat
heftig sogar: Ein Skandal im Umfeld der er zu einer silbernen Mähne zurückge-
Schwedischen Akademie hat dazu ge- wellt, dunkelblaues Hemd, bunt getupfte
führt, dass dieses Jahr kein Literatur-
nobelpreis vergeben wird. Ein berühmter
Socken. Er sieht aus wie jemand, der das
Leben nicht bloß aus den vielen Büchern
»Männer verdienen bei
Theaterintendant hat sich umgebracht –
er war von schwedischen Medien an den
kennt, die er gelesen hat. Aus seinem Pro-
fessorenzimmer geht der Blick weit über
uns mehr Geld als Frauen und
Pranger gestellt, nach seinem Tod aber
entlastet worden.
die Stockholmer Stadtlandschaft: Wasser,
Inseln, prächtige Häuser. Die Schweden
werden deshalb mehr
Was bleibt also vom schwedischen Mo-
dell? Zahlen, zunächst einmal. Sie zeigen,
haben es geschafft, beeindruckenden
Wohlstand mit einem hohen Anspruch an
respektiert, das ist nicht fair.«
dass wenige Länder die Gleichberechti- Gerechtigkeit zu verbinden. »Der schwe-
gung von Männern und Frauen so ernst dische Sozialvertrag ist in mancher Hin- Emil, 17, mit David, einem
nehmen wie Schweden. Laut einem aus sicht extrem«, sagt Trägårdh. Das sei gleichaltrigen Freund
vielen Quellen errechneten Index des bri- »nicht nur eine gute Nachricht für Frauen,
tischen »Economist« liegt das Land in die- für die Sache des Feminismus, sondern
sem Jahr weltweit an der Spitze, wenn auch für Männer«. dann, wenn es sich um eine dauerhafte
man die Situation berufstätiger Er kann das erklären. In Büchern und Partnerschaft handele. »Ein Liebesverhält-
Frauen betrachtet, vor Norwe- Zeitungsartikeln analysiert Trägårdh die nis ist für uns immer eine Verbindung auto-
gen, Island und Frankreich. schwedische Gesellschaft, er ist Historiker nomer Individuen«, sagt Trägårdh.
Deutschland rangiert in dieser mit einem ausgeprägten Interesse an der Moment, autonome Individuen? Auch
»Gläserne-Decke-Tabelle« auf Gegenwart. in Schweden gibt es Auseinandersetzun-
Platz 20. »Vor allem unser Individualismus ist ex- gen zum Thema #MeToo, Vorwürfe, An-
Auch in einer »Eurobaro- trem«, sagt Trägårdh. »Ich nenne das auch klagen, Verteidigungen.
meter«-Umfrage zur Gleich- die schwedische Theorie der Liebe.« Trägårdh sagt: »Ja, ist es nicht bizarr,
berechtigung schneiden die Er genießt den Moment der Verwirrung, dieser Ausbruch, hier in Schweden? Es gibt
Schweden besonders gut ab. den er mit diesem Satz geschaffen hat. zwei Theorien, mit denen man herumspie-
Fast alle dort Befragten gaben Jetzt kann er alles darlegen, den schwedi- len kann. Die eine: Es war immer bloß ein
an, dass gleiche Chancen für schen Individualismus, das Verhältnis von Mythos, dass die schwedischen Männer
Frauen und Männer wichtig Frauen und Männern, die Liebe. nicht mehr die brutalen Wesen seien, die
für eine faire und demokra- Leicht zugespitzt kann man sagen: Männer eben sind. Die andere: Es gibt hier
tische Gesellschaft sind. Rund Trägårdh zeichnet das Bild eines Landes, eine so große Sensitivität bei diesen The-
90 Prozent sind gegen die in dem die Männer in der besten aller men – und was in anderen Ländern als ge-
traditionelle Arbeitsteilung möglichen Welten leben. Und zwar des- ringfügige Grenzüberschreitung angese-
zwischen Mann und Frau. Wo halb, weil der Feminismus es so weit ge- hen wird, ist hier inakzeptabel.«
immer es um Glück, Gesund- bracht hat. Vielleicht stimmt auch beides, Trä-
heit und soziale Gerechtigkeit Möglich wurde das durch einen Wohl- gårdh sieht »zum einen Formen von
fahrtsstaat, der den Einzelnen radikal aus Hysterie. Auf der anderen Seite hat es
der Abhängigkeit von familiären Bindun- wirklich schwere Übergriffe von Männern
gen befreit. Staatliche Leistungen, so er- gegeben«.
»In Schweden gibt klärt es Trägårdh, stehen jedem zu, vom
Geld für ein Studium bis zur Pflege im
Der Staat kann nicht alles mildern, ab-
puffern, kann nicht alle Probleme lösen,
es für Frauen Alter. Und so verwandelt sich die soziale
Sicherheit in persönliche Freiheit: Jeder
Trägårdh weiß es wohl.
Trägårdh wurde 1953 geboren, seine
keine No-go-Areas.« kann seinen Lebensweg gehen, ohne auf
Verwandte angewiesen zu sein.
Eltern trennten sich, als er zwei Jahre alt
war. Das ist die Kehrseite des schwedi-
Dadurch, sagt er, lernten die Schweden schen Individualismus: Auch beim Anteil
Amanda Nilsson, 20, von klein auf, dass Beziehungen zwischen der Singlehaushalte und bei der Schei-
Erzieherin Erwachsenen etwas Freiwilliges seien, auch dungsrate liegt das Land in Europa an der
77
eigentlich entschlossen war, keine Kinder Alle hatten Kinder. Sie hatten nichts ge-
zu haben«, sagt er. Mit 55 Jahren wurde gen Männer, wollten aber unabhängig sein.
er dann doch noch Vater. »Und jetzt ge- Wie fand ihr Freund die Frauenbewegung?
nieße ich es sehr.« Sie sagt: »Es war nicht einfach für die Män-
ner damals.« Die Idee der Gleichberechti-
Die schwedische Frau ist schon ein wenig gung könne man sich leicht zu eigen ma-
stolz auf das, was sie als Feministin er- chen, als ideologisches Projekt. »Aber
reicht hat. Gunilla Thorgren hat in den wenn man selbst die Macht teilen muss,
Garten ihres gelb gestrichenen Holzhauses dann ist es viel schwieriger.«
in Vaxholm eingeladen, den Hauptort der So war das zumindest am Anfang. Heu-
Stockholmer Schären. Sie lebt hier mit te leuchtet ihr das ein, was Lars Trägårdh
ihrem Partner, dem Schriftsteller Per Olov sagt: »Es stimmt, die Männer können alles
Enquist. Zwei kleine Hunde toben unter haben.« Es dauerte eben, bis die schwedi-
Bäumen herum. schen Männer das gemerkt haben.
Thorgren blickt zurück auf ein halbes Die Gruppe 8 ging jetzt auf die Straße,
Jahrhundert, ihre Biografie ist eng verbun- der Zulauf bei Demonstrationen war
den mit der Geschichte der schwedischen überwältigend. Dass wirklich etwas im
Frauenbewegung. Land vor sich ging, spürten sie auch an
1965 bekam sie ihr erstes Kind, sie war den Anfeindungen. »Es hieß, wir seien
»Ich hatte immer Anfang zwanzig, nicht verheiratet und
fand keinen Betreuungsplatz. Krippen-
sexuell frustriert und hässlich und neuro-
tisch und hysterisch.« Sie hielten zusam-
die Freiheit, die ich und auch Kitaplätze waren damals eine
Seltenheit. Eine Zeit lang arbeitete sie als
men, sagt sie. »Wir haben den Kampf auf-
genommen.«
haben wollte.« Sekretärin, während eine Freundin sich
um ihre Tochter kümmerte. Dann wollte
Schweden wurde zu einer anderen Ge-
sellschaft, viele wirkten daran mit: Sozial-
sie Wirtschaft studieren, erhielt dafür aber demokraten, Unternehmer, Gewerkschaf-
Mona Sinclair, ehemalige Kunst- keine staatliche Unterstützung, weil sie als ter. Dem Land ging es wirtschaftlich gut,
lehrerin, Mutter zweier Töchter alleinerziehende Mutter nicht als Familie es brauchte Arbeitskräfte, deshalb waren
zählte. »Ich war so wütend«, sagt sie, »es Frauen willkommen. Schweden wurde
war so gemein.« Ihre Stimme bebt auch zum Modell: Der Staat baute die Kinder-
Spitze. Nach der Scheidung, so war es je- jetzt noch. betreuung aus, er liberalisierte die Abtrei-
denfalls in Trägårdhs Kindheit, blieb das Thorgren beschwerte sich beim Bil- bung. Und er veränderte das Steuersystem
Kind bei der Mutter. Der Vater zahlte Un- dungsminister, sie rief ihn an, einfach so, auf eine Weise, die Thorgren als »Revolu-
terhalt und sah das Kind in den Sommer- das ging damals in Schweden. Sein Name tion« bezeichnet.
ferien und unter dem Weihnachtsbaum. war Olof Palme, der Olof Palme, der spä- Seit 1971 werden erwerbstätige Ehepart-
Der nacheheliche Unterhalt wurde vor ter als Ministerpräsident berühmt wurde, ner in Schweden individuell besteuert. Bis
Jahrzehnten abgeschafft. Alle dürfen, alle ehe ihn 1986 die Revolverkugel eines At- dahin wurde das Einkommen der Frau bei
müssen für sich selbst sorgen, ob verhei- tentäters tödlich traf. Thorgren sagt: »Ich der Steuerberechnung automatisch zu
ratet oder nicht. Und im Notfall springt hatte ihn ziemlich durcheinandergebracht, dem des Mannes hinzugerechnet, sodass
der Staat ein. Für die Männer, die im alten weil ich so wütend war.« Sie habe ihm er- wegen der Progression ein sehr hoher Steu-
patriarchalischen System als Versorger klärt, dass sie und ihre Tochter eine Fami- ersatz fällig wurde. Thorgren sagt: »Die
gefragt waren, ist das Leben leichter ge- lie seien, mit denselben Anrechten wie
worden. andere Familien. Palme habe gesagt, das
Vor allem durch die großzügige Eltern- Kind müsse doch einen Vater haben, er
zeit in Schweden hat sich die Vaterrolle könne leider nichts machen. »Nach dem
verändert. Trägårdh sagt: »Frauen versu- Gespräch war ich noch wütender«, sagt
chen immer, die Männer zu zivilisieren, Thorgren.
aber sie scheitern oft.« Es seien die Kinder, Eine Freundin erzählte ihr von der
denen das gelinge. »Gruppe 8«, einer Gruppe emanzipierter
Er überlegt. Was hat sich für die Männer Frauen mit bis heute legendärem Ruf, be-
verändert? Sie gehen wie früher zur Ar- nannt nach der Anzahl derer, die beim ers-
beit, verwirklichen sich dort. Sie haben ten Treffen dabei waren. »Die meisten wa-
die fürsorgliche Vaterrolle dazugewonnen, ren älter als ich, sie waren Lehrerinnen,
die Versorgerpflichten aber sind sie los. Politikerinnen, lehrten an Universitäten«,
Schöne neue Männerwelt. sagt sie. Der Anfang war schwierig. »Die
Und die Frauen? Leben wie Männer, anderen wollten diskutieren, ich wollte,
sagt Trägårdh, »eigentlich gibt es in Schwe-
den nur noch den männlichen Lebens-
dass etwas getan wird.« Sie lacht, ein brei-
tes, ansteckendes Lachen.
»Alle Menschen haben hier
stil. Funktional betrachtet sind Männer
und Frauen bei uns identisch«. Mit dem
Die Gruppe hielt Seminare ab zum The-
ma Abtreibung, über die Benachteiligung
dieselben Rechte,
kalten Blick des Analytikers kann man
das so sehen.
der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in
der Sozialversicherung. Steuersystem, Ta-
die Schweden nehmen das
Trägårdh muss los, er hat noch einen
Termin: Seinen beiden Jungs, elf Jahre al-
rifverträge, Rüstungsausgaben. Ein Jahr
lang ging das so. »Wir wollten wissen«,
wirklich ernst.«
ten Zwillingen, hat er versprochen, dass sagt sie, »wie viele Kindergartenplätze
er mit ihnen nach der Schule Fußball spielt. man für den Preis eines Kampfflugzeugs Adama Obama Diakhato, 39,
»Ich war der typische Individualist, der einrichten kann.« Dolmetscher aus dem Senegal
78
VERGLEICHEN
Familien verloren sogar Geld, wenn man Männer oft die besser bezahlten Jobs?« und studiert dort Verhaltenswissenschaft.
noch Fahrtkosten und Kinderbetreuung Das sind nur zwei der Fragen, die sie im- Beim Gespräch in einem Café, zu dem ihn
dazurechnete.« Nicht wenige Männer hät- mer wieder stellt, wenn sie jetzt mit Mi- seine Freundin begleitet, wirkt er nach-
ten ihren Frauen deshalb schlicht unter- nistern oder Kulturleuten diskutiert. denklich, ein Mann, der es gewohnt ist,
sagt, eine Arbeit anzufangen. Fragen muss sie sich, ob jetzt der Back- sorgfältig zu formulieren.
Die Steuerreform kam, »und sie verän- lash kommt. Die rot-grüne Minderheits- In die Feministische Initiative sei er
derte alles für die Frauen«, sagt Thorgren. regierung, die sich selbst als feministisch eingetreten, weil er mithelfen wolle, die
Auch die Sozialversicherung wurde auf verstand, wurde abgestraft. Die rechts- schwedische Gesellschaft zu verändern,
einen rein individuellen Ansatz umgestellt. populistischen Schwedendemokraten ha- sagt Södergren. »Alles geht sehr langsam.«
Es wundere sie, sagt sie, »dass es in ben an Einfluss gewonnen. Auch wenn sie Seine Partei hatte bei der Wahl im Sep-
Deutschland immer noch das Ehegatten- nicht mitregieren, sie verändern das poli- tember gehofft, die Vierprozenthürde für
splitting gibt«. tische Klima des Landes. Ihr Hauptthema das nationale Parlament zu überspringen,
Thorgren ist Journalistin geworden, erst ist seit Langem die Abwehr von Migranten, aber sie schnitt deutlich schlechter ab als
mit einem unabhängigen kleinen Magazin aber sie haben auch eine gesellschafts- vier Jahre zuvor.
zur wilden Politzeit, später Chefredak- politische Agenda. Sie wollen, dass Ehe- Wie wurde er Feminist? »Ich empfand
teurin einer Zeitschrift. Für eine Weile ging paare sich auf Wunsch wieder gemeinsam es als sehr frustrierend, in einem System
sie in die etablierte Politik, trat nach der besteuern lassen können, und sie wollen groß zu werden, in dem noch keine wirk-
Ermordung Palmes den Sozialdemokraten das Recht auf Abtreibung einschränken. liche Gleichheit herrscht«, sagt er. »Als
bei und wurde Staatssekretärin für Kultur. Im Wahlkampf spielten diese Themen kei- Mann bin ich nicht glücklich mit der Rolle,
»Wenn man staatliches Geld verteilt, kann ne große Rolle. »Aber wer weiß, was noch die mir zugeschrieben wird, mit den tradi-
man verlangen, dass mindestens 40 Pro- kommt«, sagt Thorgren. tionellen Merkmalen von Dominanz und
zent der Mittel an Frauen vergeben wer- Konkurrenzdenken anstelle von Hilfsbe-
den.« So habe sie es als Politikerin immer Der schwedische Feminist will mehr reitschaft.«
gemacht, »es waren tolle Jahre«. Tempo. Henric Södergren ist Mitglied der Aus der Schulzeit ist ihm eine Situation
Der Kampf für die Rechte der Frauen Partei Feministische Initiative, die einige besonders in Erinnerung geblieben. Sie er-
in Schweden sei noch nicht gewonnen, fin- Mandate in den Rathäusern schwedischer scheint unspektakulär, aber anscheinend
det sie. »Warum verdienen wir immer Städte hat, auch in Stockholm. Der 25-Jäh- hat sie einen tiefen Eindruck hinterlassen:
noch weniger Geld? Warum bekommen rige ist in der Hauptstadt groß geworden Während die Sozialkundelehrerin etwas
erzählte, stellte sie sich hinter einen der Die größte politische Verbesserung der
männlichen Schüler und packte mit beiden letzten Zeit ist aus seiner Sicht ein neues
Händen seine Stuhllehne. »Viele in der Gesetz, das im Juli in Kraft trat. Es schreibt
Klasse fühlten sich in diesem Moment un- vor, dass Sex nur noch dann erlaubt ist,
wohl«, sagt Södergren. Die Lehrerin habe wenn die Partner deutlich ihre Einwilli-
das ganz bewusst getan, um etwas zu zei- gung dazu gegeben haben. Sex ohne Zu-
gen: »Wenn eine Frau das mit einem Mann stimmung kann jetzt in Schweden als mög-
macht, drückt sie damit ein Machtverhält- liche Vergewaltigung verfolgt werden. Im
nis aus, an das wir nicht gewöhnt sind.« Parlament wurde das Gesetz mit breiter
Eine Grenzüberschreitung, die bei einem Mehrheit beschlossen.
Mann vielleicht keine gewesen wäre. »Gesetze sind für den Feminismus wich-
Vor drei Jahren bekamen alle 16-jähri- tige Mittel, um etwas zu erreichen«, sagt
gen Schüler des Landes ein Manifest in Södergren. »In Gesetzen drückt sich aus,
die Hand gedrückt. Es trägt den Titel »We
Should All Be Feminists«, geschrieben hat
was die Gesellschaft erwartet, was sie ak-
zeptiert, was sie nicht duldet.«
»Wir verdienen beide
es die berühmte Schriftstellerin Chima-
manda Ngozi Adichie aus Nigeria.
Er hat davon gehört, dass eine deutsche
Zeitung zu einem Bericht über das neue
gleich viel, das hilft
100 000 Exemplare ließ das Bildungs-
ministerium für diese Einmalaktion
Gesetz die Schlagzeile formulierte: »Schwe-
den ist jetzt das unromantischste Land der
uns, Arbeit und Elternzeit
drucken und machte damit deutlich, was
die Regierung von ihren jungen Bürgern
Welt«. Södergren hat das nicht verstanden.
»An Sex ohne Einverständnis ist doch
fair aufzuteilen.«
erwartet. Södergren lächelt, so etwas nichts Romantisches, oder?« Aus seiner
gefällt ihm. Sicht steht Schweden, bei allen Problemen, Lotte Larsen, 38, Angestellte der
Natürlich sei der Feminismus vor allem im internationalen Vergleich immer noch Universität Lund, Rasmus
eine Bewegung für Frauen. Aber auch für sehr gut da. Carlsson, 35, Verlagsmanager
Männer gebe es viel zu gewinnen. Er
spricht vom Tabu, Gefühle zu zeigen, das Der schwedische Feminismus wurde
auch für schwedische Jungs und Männer über die Jahre zur Staatsangelegenheit, das Programmen auf, mit denen sie in die
immer noch gelte. Er sagt: »Das ist nicht hat Spuren hinterlassen. Seit Januar gibt es neuen Problemzonen der Gleichstellung
gesund, glaube ich.« eine nationale »Agentur für die Gleichstel- vordringen will: Jugendforen, Projekte ge-
Warum begehen viel mehr Männer als lung der Geschlechter« mit Sitz in Göte- gen Gewalt aus Gründen der Familienehre,
Frauen Selbstmord? Weil die meisten Män- borg. Der Standort ist eine bewusste Wahl, Konferenzen über männliche Rollenbilder.
ner, sagt Södergren, weniger stabile soziale der Stadtteil Angered gilt als Problem- Vor allem die Gewalt von Männern ge-
Netzwerke knüpften als Frauen. Weil sie bezirk. Die meisten Bewohner sind Einwan- gen Frauen ist ein großes Thema für Ag
nicht darin geübt seien, über ihre Gefühle derer oder Kinder von Einwanderern. und ihre Agentur, es betreffe Menschen
zu sprechen, auch nicht mit Freunden. Lena Ag ist Generaldirektorin der neu- aus allen sozialen Gruppen. »Gewalttätige
en Gleichstellungsagentur, in der sich am Männer müssen die Chance bekommen,
Ende der Aufbauphase 80 Mitarbeiter da- Verantwortung zu übernehmen und ihr
für einsetzen sollen, die Geschlechterge- Verhalten zu ändern«, sagt Ag.
rechtigkeit in Schweden zu verbessern. Ag, Sie spricht von Männern – nicht nur
60, hat für Greenpeace und Frauenorga- von männlichen Migranten. Es geht um
nisationen gearbeitet, für das Außen- und alle, das ist ihr wichtig, es geht nicht um
das Justizministerium, sie ist gut vernetzt. rassistische Klischees.
Es gebe in Schweden viele gute Gesetze, Wie es nicht laufen sollte, hat Ag neulich
sagt Ag. Aber die wirklich große Heraus- in einer Runde mit Vertretern schwedi-
forderung sei nicht durch noch mehr Ge- scher Kommunen erfahren. Manche film-
setze oder neue Verordnungen zu schaffen. ten ihre Verwaltungsleute beim Umgang
»Wir müssen die Herzen und Köpfe der mit den Bürgern – und waren »vom Er-
Menschen erreichen.« gebnis schockiert«, sagt Ag. Frauen seien
Zwangsehen, sogenannte Verbrechen aus deutlich schlechter beraten worden als Män-
verletzter Ehre: Das sind die Probleme, die ner, »Immigrantenfrauen am schlechtesten,
es vor ihrer Bürotür gibt, wie so oft in Stadt- obwohl sie am hilfsbedürftigsten sind«.
vierteln mit hohem Migrantenanteil. Von Auch Geld könne verräterisch sein. Aus
Parallelgesellschaften und No-go-Areas ist einer der Gemeinden in der Runde hieß
oft die Rede, manchmal brennen Autos, es, dass die vor allem von Männern ge-
immer wieder kommt es zu Schießereien. nutzte Eishockeyhalle dort mit Millionen-
Es ist der Stoff, aus dem die Wahlerfolge aufwand hergerichtet wurde. Die aus
»Mich fragen Leute, warum der Schwedendemokraten gemacht sind.
Ag spricht von Leuten in den Stadtvier-
70 Mädchen bestehende Tanzsportgruppe
musste in einem schlecht ausgestatteten
ich ein Kopftuch trage. teln, weiblich und männlich, die nicht an-
ziehen dürfen, was sie wollen, nicht treffen,
Keller trainieren.
Was kann man daraus lernen, für
Der Rassismus nimmt zu.« wen sie wollen, »das ganze Spektrum bis
hin zu schweren Rechtsverletzungen«.
Deutschland? Ag sagt: »Gleichstellungs-
politik funktioniert dann richtig gut, wenn
Nicht wenige in Schweden glauben, sie die Lebensqualität der Bürger verbes-
Noor Munhel, 18, dass der Staat zu oft wegschaue, wenn in sert.« Ein bürokratischer Satz. Aber wahr-
Modedesignstudentin (r.) mit Einwandererfamilien gegen Gesetze ver- scheinlich stimmt er.
ihrer Freundin Esra Shaker, 17 stoßen werde. Ag zählt eine Reihe von
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»Wenn ein Mann mir bewusst. Für mich stellt die Renais-
sance des Puritanismus in der Tat eine Ge-
fahr dar, und wir, Sie und ich, beide Frauen
und Mitglieder einer relativ stabilen Ge-
E
Schauspielerinnen, ausgegangen.
ine Hotellobby am vornehmen Bou-
levard Saint-Germain, draußen
FREIGEISTER Sie stammt Caven: Auslöser waren ja die Vergewal-
tigungen dieses Filmproduzenten, Harvey
herrscht die flirrende Pariser Hitze. aus Deutschland, lebt in Weinstein. Daraufhin haben viele Frauen
Drinnen ist es angenehm düster und aufbegehrt, die sich ansonsten nicht ge-
kühl, Ingrid Caven, 80, sitzt in einem Frankreich, plädiert für traut hätten, den Mund aufzumachen. Das
niedrigen Sesselchen und trinkt Evian. ist eine gute Sache. Aber dann entstand
Eine Sängerin und Schauspielerin aus
das Recht, belästigt zu plötzlich etwas, das ich als sehr unange-
Deutschland, die seit Jahrzehnten in Paris werden. Die Sängerin Ingrid nehm empfand. Da waren auf einmal in-
lebt; eine Künstlerin, die ihre Erfahrungen quisitorische Elemente, eine äußerst häss-
und Einsichten gesammelt hat über beide Caven fürchtet, dass ein liche Sache. Das hat eine Diskussion zu-
Länder, über beide Geschlechter – auch nehmend unmöglich gemacht.
über sehr spezielle Menschen wie den deut- neuer Puritanismus droht. SPIEGEL: #BalanceTonPorc hieß die Initia-
schen Regisseur Rainer Werner Fassbinder, tive in Frankreich. »Verpfeif dein Schwein«.
mit dem sie nicht nur gearbeitet hat, son- Caven: Ja, aber Frankreich ist anders als
dern auch verheiratet war. In diesen Tagen Amerika. Was einen Großteil von Frank-
taucht ihr Name im Zusammenhang mit es als unmännlich galt. Es passte nicht zu reich ausmacht, von seiner Kultur, ist die
der #MeToo-Debatte auf – sie hat einen denjenigen, die in der Gesellschaft wort- französische Sprache. Und die ist so man-
kritischen Aufruf unterschrieben, klagt wörtlich ihren Mann stehen mussten. nigfaltig, die kennt so ein großes Vokabu-
zusammen mit Catherine Deneuve und Manchmal denke ich, dass viele Frauen lar, so viele Nuancen. In Frankreich konnte
99 anderen Frauen das Recht ein, belästigt heute in dieselbe Falle tappen. Sie denken, man immer über alles sprechen, unter-
zu werden. Sie trinkt ihr Wasser und lacht sich zunehmend viril zu verhalten, bedeu- schiedlicher Meinung sein und trotzdem
manchmal kehlig. Im Hintergrund singt te Gleichberechtigung. diskutieren.
Amy Winehouse von der Liebe und davon, SPIEGEL: Sie mögen es nicht, wenn Frauen SPIEGEL: Und das haben Sie in diesem Fall
dass diese ein »losing game« sei. Männer imitieren? Um dann selbst an vermisst? Haben Sie deshalb eine Art Ge-
Machtpositionen zu gelangen? genmanifest zu #MeToo unterzeichnet?
SPIEGEL: Frau Caven, mit Männern hätten Caven: Ich halte das für gefährlich. Natür- Caven: Wenn es nur noch eine Art von Welt-
Sie kein Problem, sagten Sie einmal. Aber lich sollen Frauen in diese Positionen ge- anschauung gibt, dann empfinde ich das als
mit der Männerwelt schon. Was für eine langen können, aber bitte ohne die Nuan- brutales Diktat. Deshalb habe ich meinen
Welt ist das? cen zu verdrängen, die ich »weiblich« nen- Namen unter diesen Aufruf setzen lassen,
Caven: Es ist diese uralte, jetzt vielleicht ne. Es muss möglich sein, Zweifel zu ha- als die Publizistin Catherine Millet mich frag-
endlich anachronistisch anmutende Welt, ben, nicht immer die Stärkere zu sein. Man te. Und nein, in diesem Text ging es nicht
in der man – also vor allem der Mann – muss ja nicht immer die Eiche sein. Man darum, Vergewaltigungen zu tolerieren.
dazu angehalten war, Erfolg zu haben. kann auch den Bambus als Symbol wählen, SPIEGEL: Sie plädieren darin für das Recht
Den Ton anzugeben. Eine Welt, in der der ist geschmeidiger, biegsamer. Manch- einer Frau, von Männern belästigt werden
man eine Machtposition einnehmen muss- mal kommt man damit besser durch einen zu dürfen.
te, um etwas zu gelten. Darwinistisch, Sturm. Ich bin für mehr Offenheit und we- Caven: Wenn ein Mann, wenn eine Frau
männlich. Ich habe mir das immer anstren- niger Paranoia. Überhaupt: mehr Spiel- dich auf eine Weise anmacht, die ein wenig
gend vorgestellt und die Männer bewun- risiko, auch wenn es gefährlich wird. vulgär oder ordinär ist – na und? Aus un-
dert, die es quasi nebenher schafften, sich SPIEGEL: Kommt der Spaß zwischen den serem Aufruf wurde uns schnell ein Strick
auch noch etwas Privates zu ergattern. Geschlechtern heute zu kurz? gedreht. Es war anscheinend nicht erlaubt,
SPIEGEL: Was meinen Sie damit? Caven: Wenn ich über das Verhältnis zwi- anderer Meinung zu sein.
Caven: Männer haben ja auch weibliche schen Männern und Frauen spreche, dann SPIEGEL: Die jüngeren Frauen reklamie-
Elemente. Auch Männer brauchen und ren – in Anspielung auf Ihren Text – das
wollen Zärtlichkeit. Und natürlich wollen Recht, eben nicht belästigt zu werden.
sie manchmal selbst zärtlich sein. Das aber Das Gespräch führte die Redakteurin Julia Caven: Vielleicht war die Überschrift etwas
war ganzen Generationen untersagt, weil Amalia Heyer. missverständlich, mag sein. Und natürlich
82 Fotos: Lêmrich
Künstlerin Caven in Paris
»Ich bin für mehr Offenheit und weniger Paranoia«
83
Meinung zu suchen scheint. Ich hat-
te immer Freundschaften, mit Män-
nern und mit Frauen, die Kämpfen
glichen. Mit Rainer zum Beispiel.
SPIEGEL: Rainer Werner Fassbinder,
mit dem Sie verheiratet waren.
Caven: Ich habe mich oft gegen ihn
gestellt und hatte oft recht. Und
manchmal hatte ich auch unrecht.
Das gefiel aber so jemandem wie
ihm. Freunde sagten: »Die Caven ist
die Einzige, die Fassbinder wider-
sprechen darf.« Dabei ging es nicht
um das Dürfen. Ich habe das einfach
gemacht.
SPIEGEL: Ging Fassbinder mit Män-
nern anders um als mit Frauen?
Caven: Die Hysterie der Frau hat
ihn sehr interessiert, bei seiner Ar-
beit. Ich wollte das ja nie sein, so
eine Fassbinder-Figur. Mit mir aber
wollte er auch gar nicht unbedingt
arbeiten, sondern ich sollte eher bei
ihm sein als Denk- und Gesprächs-
partner. Wir haben dieselben Bü-
cher gelesen und dieselbe Musik
gehört. In Rainers Filmen aber soll-
ten die Leute, egal ob Männer oder
Frauen, ganz genau das machen,
was er sich ausgedacht hatte.
SPIEGEL: Und das hat Sie, den Frei-
geist, nie gestört?
Caven: Nein, warum auch? Er hatte
einen Plan, er war genial. Gestört
hat mich, als wir verheiratet waren,
dass er mich einsperren wollte.
Dass ich nur noch bei ihm sein soll-
te. Er wollte, dass ich auch Fass-
binder heiße. Er wollte auch drin-
gend ein Kind. Aber ich konnte mir
das nicht vorstellen: dass ich mit
gutem Gewissen meinem Beruf
nachgehe und dafür das Kind abge-
be, da wird man doch verrückt.
Außerdem verlief mein Leben auch
Exildeutsche Caven: »Wir sind alt, wir hatten unseren Spaß, immer ziemlich chaotisch, und ich
aber die jungen Frauen sagen zu allem Nein!« dachte, es gibt so viele Kinder auf
der Welt, da braucht es nicht auch
noch unseres.
hat jeder das Recht, unseren Text abzuleh- verschwendet wird, um gegen uns, eine an- SPIEGEL: Haben Sie diese Entscheidung je
nen. Andererseits: Es gibt sicherlich dere Generation von Frauen, zu revoltie- bereut?
Schlimmeres auf der Welt als so ein Text- ren. Glauben Sie mir, das müssen Sie nicht! Caven: Nein.
chen, das ja doch das Denken stimulieren Wir sind alt. Wir sind entweder tot und SPIEGEL: Die Mutterschaft wird ja in
könnte, und ich habe nie verstanden, wa- hatten unseren Spaß – oder, auf ein paar Deutschland und Frankreich ziemlich un-
rum das zu einem solchen Aufreger wurde. von uns trifft das zumindest zu, haben ihn terschiedlich gelebt. Die Mütter gehen
SPIEGEL: Vielleicht, weil eine Generation noch. Aber die jungen Frauen sagen zu schnell wieder arbeiten, die Kinder werden
von Frauen jetzt einfach mal will, dass allem Nein! Und das hilft am Ende nie- ganz selbstverständlich von anderen betreut.
Schluss ist mit der Belästigung. In Ihrem mandem. Caven: Ich hab mich manchmal gefragt,
Stück plädieren Sie auch für Gelassenheit SPIEGEL: Das sagen wir nicht. Aber viel- was mir da lieber wäre. So eine deutsche
gegenüber sogenannten Frotteuren – leicht erscheint es Ihnen so, weil sich die Kindheit verläuft wahrscheinlich geborge-
Männern, die sich in der Metro an Frauen Kommunikation verändert hat – durch die ner. Die Freiheit der Mutter gegen die Ge-
reiben. sozialen Netzwerke, wo sich die Meinun- borgenheit des Kindes, das ist natürlich
Caven: Wenn das einer bei mir macht, dann gen bündeln. Und auch die Wut. eine schwierige Sache. Ich sehe hier in
geb ich dem ’nen Tritt vor den Bug. Aber Caven: Sie meinen also, ich sei zu alt, um Paris immer die Nannys mit den ihnen
natürlich ist es wunderbar, dass Ihre, dass mich da zurechtzufinden? Ich halte es für anvertrauten Kindern. Wer weiß, vielleicht
die jüngere Generation, jetzt laut Nein sagt. gefährlich, dass man in diesen Netzwerken ist so eine Nanny sogar manchmal die
Schade finde ich, wenn diese Energie vor allem nach Bestätigung für die eigene bessere Mutter.
85
www.dva.de
VERGLEICHEN
Unternehmerin Knecht
»Für Recherchen empfehle ich Wikipedia /Transgender«
Z
drei der Umwandlung von Herrn Beat zu
uerst mutet sie ihnen nur ihre Stim- Was die Mitarbeiter in Zürich auf dem Frau Bea. In Boston werden aus Bauchfett
me zu. Ihre Stimme muss reichen, Bildschirm nicht sehen, sind Knechts Ängs- weibliche Brüste geformt. In Kanada wird
sie ist noch fast die alte, normal tief, te und Qualen. Sie sehen nur das Ergebnis. helles Echthaar auf die Kopfhaut gepflanzt.
ruhig, überlegt, schweizerdeutscher Sie sehen einen Menschen, der den Ent- Knecht schluckt Pillen, um das Testosteron
Dialekt. »Ich habe«, sagt die Stim- schluss gefasst hat, eine Frau zu werden, im Körper herunterzufahren.
me via Skype-Telefonat mit ausgewählten und die Umsetzung akribisch geplant hat. Heute fühlt sich Bea Knecht, als hätte
Mitarbeitern, »eine gute Nachricht.« Erst Wie sonst die Businesspläne für ihr Unter- sie sich von einem Sorgenpaket befreit,
mal die Angst nehmen, findet sie. Ihre Mit- nehmen. das auf ihren Schultern lastete. Heute sagt
arbeiter sollen nicht denken, der Chef habe sie: »Ich bin selbst erstaunt, wie glücklich
Krebs oder »er will sich davonmachen«. Begonnen hat sie zwei Jahre zuvor mit ich bin.« Ihr neues Leben fühle sich an
Sie sitzt am Pool in Kalifornien, als sie einer Art Beweisaufnahme. Sie führte Ge- »wie ein stilles, ruhiges Gewässer, ein wun-
diesen Satz sagt, aber das verschweigt sie. spräche mit mehr als hundert Transgen- dervolles Gefühl tiefster Zufriedenheit«.
Für die Angestellten ist sie im viermonati- der-Menschen und stellte immer dieselbe Hier könnte das Besondere an Beas
gen Sabbatical, diese Information muss rei- Frage: »Und? Habt ihr eure Umwandlung Geschichte zu Ende sein, aber in Wahrheit
chen. Sie verschweigt auch, dass sie furcht- bereut?« Die meisten bereuen sie nicht. beginnt es erst. Denn Knecht arbeitet nach
bar nervös ist, wie ihre Nachricht wohl Dann, es war Anfang 2012, das Sabbatical, wie vor, ist heute 51 Jahre alt und ist in
aufgenommen wird. Und dass sie dieses Phase zwei: In San Francisco lässt sich einem Unternehmen mit rund 125 Mit-
Telefonat wieder und wieder durchgespro- Beat das Eckige an seinen Kieferknochen arbeitern in Zürich und in Berlin tätig. Als
chen und geprobt hat, mit einer Trainerin, wegfräsen, die Operation macht sein Ge- Mann erfand, programmierte, gründete
wochenlang. sicht ovaler. In Dallas, bei weiteren Spe- sie das Start-up Zattoo, eine der ersten In-
Sie holt tief Luft, klickt auf das Kamera- zialisten, werden per Laser rund 30 000 ternetplattformen in Europa, auf denen
symbol, es poppt ein Videobild von ihr Barthaare entfernt, einzeln, es dauert Wo- man Fernsehprogramme streamen kann.
auf, dazu liest sie einen Text. chen. In Colorado ist das Sprechtraining, Jetzt hat es Millionen monatliche Nutzer,
»Ich war ein Mann«, beginnt der Text. seine Stimme soll höher werden. »Das ein großer Erfolg. Bis heute besetzt sie eine
»Jetzt lebe ich als Frau und als nichts klappt heute noch nicht ganz einwandfrei«, hohe Position im Unternehmen – als Frau.
anderes. Ich freue mich, den Übergang sagt Bea Knecht. Knecht kennt beide Seiten, war Chef
während meiner Auszeit ge- und Chefin, hat als Mann in den Acht-
macht zu haben. Trotz meiner zigern Informatik in Berkeley studiert, ar-
äußeren Veränderung bin ich beitete viele Jahre lang als Unternehmens-
dieselbe Person, dafür aber berater für McKinsey und Co., hat einen
glücklicher. Ich pflege weiter- geschulten Blick dafür, wie Frauen perfor-
hin dieselbe Arbeit, dieselben men in der digitalen Technikwelt. In die-
Freunde. Natürlich bedingt sem »Boys Club«, in dem sich, wie viel-
dies eine gegenseitige Anpas- leicht sonst nur beim Militär, Geschlech-
sung. Beispielsweise benutze terklischees manifestieren.
ich fortan den Vornamen Welche Frau, wenn nicht diese, könnte
Bea. Wenn wir im gegen- also besser Auskunft darüber geben, was
seitigen Umgang auch Fehler schiefläuft in der gemischtgeschlechtlichen
machen mögen, so ist es wün- Arbeitswelt? Ob Frauen wirklich schlech-
schenswert, dass wir zu- ter performen als Männer? Ob sie, Bea
sammen in der besten Art Knecht, als Führungskraft anders wahrge-
vorwärtsgehen, die wir zu- nommen wird als früher und heute ihre
stande bringen. Ich begegne Mitarbeiter anders führt? Und vielleicht
Bedenken und Fragen, solan- Rezepte hat, wie Frauen schneller aufstei-
ge sie nicht zu privat sind. gen und besser leiten?
Für Recherchen empfehle Bea Knecht empfängt im Zattoo-Büro,
ich https://wikipedia.org/wiki/ einem blau verspiegelten Glasbau in
Transgender.« einem Zürcher Büroquartier. Sie trägt
DANN
HALT EBEN
90 Foto: Andrea Grambow & Joscha Kirchknopf, Kostüm: Sara Wendt; Foto (r.): Floto + Warner, Josefine Meckseper
Zwei Künstlerinnen über Frauenkunst,
Männergeschmack und die
Frage, ob ihre Welt eine Gegenwelt ist
Josephine Meckseper (u.)
MIT
NAGELLACK
Installationsansicht »Pellea[s]« Filmset, 2018 (Aufnahmeort Studio Meckseper'), VG Bild-Kunst, Bonn 2018 91
Von Ulrike Knöfel heiten und Chancen, den Eindruck hatte ihm wird verbissen gekämpft (und nirgend-
D
sie wenigstens, waren für alle da, für Män- wo härter als in New York, dem wichtigs-
ner und Frauen. Und auch im Idyll konnte ten Marktplatz).
man ein politischer Mensch sein. Ihre Mut- Das letzte Wort hat die Kundschaft, die
ter, eine Fotografin, war eine Zeit lang die besteht oft aus Unternehmern, Selfmade-
Vorsitzende der Grünen in Worpswede. milliardären, die ihr Vermögen in anderen
Sie selbst war schon als Schülerin auf De- Branchen verdienen und es dann unter an-
mos unterwegs. derem in Kunst investieren. »Viele interes-
West-Berlin, wo Josephine Meckseper sieren sich für Kunst aus spekulativen
in den späten Achtzigerjahren Kunst stu- Gründen, es ist, als würden sie ›Monopoly‹
dierte, kam ihr dagegen altmodisch vor. spielen, nur dass sie durchaus echte Ge-
An Deutschlands Hochschulen unterrich- winne machen wollen«, sagt Meckseper.
Das Atelier von Josephine Meckseper be- teten die Malerfürsten, Künstler wie Manchmal würden Werke von jungen
findet sich in einem alten Gebäude einer Georg Baselitz oder Markus Lüpertz, die Künstlern günstig erworben, und dann
schmalen Straße, die an Chinatown grenzt. sich als Genies inszenierten. Auch an ihrer werde strategisch daran gearbeitet, dass
Viele kleine Geschäfte, viele Menschen, Akademie, der Berliner Hochschule der die Preise hochschnellten.
viele Nationalitäten, viel Alltag, viel Laut- Künste, lehrte kaum eine Professorin. Diese Klientel hält mit ihrem Geld den
stärke, viel Leben. Diese Gegend in Man- Sie wechselte nach Kalifornien, machte Kunstbetrieb am Laufen, deshalb zählt
hattan ist so inspirierend wie der Rest der dort ihren Abschluss, blieb im Land. Da- ihr Geschmack. Die Sammlerschaft, wei-
Stadt. Gar nicht weit entfernt sind auch mals schienen die USA kein schlechter testgehend männlich, kauft auch vor-
noch die wichtigsten Museen des Planeten Platz für Frauen zu sein. Künstlerinnen zugsweise Kunst von Männern (und da-
und die mächtigsten Galerien ansässig. wie Jenny Holzer und Cindy Sherman, 10, nach richtet sich das Angebot der Gale-
Die deutsche Künstlerin Meckseper 15 Jahre älter als sie, wurden ernst genom- risten). Unter den 500 höchstbezahlten
liebt diese Metropole, die zufällig das Zen- men, wurden auch berühmt. Künstlern des Marktes finden sich nur
trum der Kunstwelt ist – aber was ist das Josephine Meckseper ist heute eine der 19 Frauen.
eigentlich für eine Welt? bekanntesten Konzeptkünstlerinnen Ame- Die solventen Kunden wünschen sich
Dem Klischee zufolge ist die sogenannte rikas, ihre Werke wurden und werden in etwas, was man eine Männerkunst nennen
Kunstszene unangepasster, mondäner, in- bedeutenden Museen gezeigt, dem Muse- könnte: Trophäen, die auffällig sind, dabei
ternational vernetzter, aufregender und um of Modern Art, dem Whitney Museum, aber noch gefällig, die nicht wirklich stö-
vor allem fortschrittlicher als der Rest der es gibt Lob von den strengen Kritikern in ren. Obwohl Kunst doch gerade das sein
Gesellschaft. New York. Und doch sagt sie, in Sachen sollte: ein Störfaktor.
Nur: Sobald es die Frauen betrifft, er- Gleichberechtigung tauge New York nicht
weist sie sich als erstaunlich rückständig, oder jedenfalls nicht mehr. Die Kunstszene
in New York, in Berlin, eigentlich überall ist eben keine bessere Gegenwelt, dort
auf der Welt. nicht, nirgendwo.
Spricht man mit Meckseper darüber, In dieser Kunstwelt wurde übrigens ver-
glaubt man fast eine gewisse Ungläubig- sucht, eine ähnliche Debatte wie in Holly-
keit, gar eine Fassungslosigkeit zu spüren, wood auszulösen. Meckseper gehört zu
dass es so gekommen ist. Denn genau da- den mehr als 2000 Menschen aus aller
mit war früher, als sie ein Kind war, nicht Welt, auch aus Deutschland, die nach dem
zu rechnen, es sah so aus, als schlügen die Vorbild der Filmleute einen offenen Brief
Leute (und vor allem die Künstler) eine im Internet veröffentlicht haben, der unter
andere Richtung ein. Als würden nicht alle der Überschrift »Wir sind nicht überrascht«
einen Schritt zurückvollziehen. sexuelle Übergriffe in Galerien, Museen
Josephine Meckseper wurde sozusagen und an anderen Orten der Kunst themati-
in einer Utopie groß. Sie wuchs auf un- sierte. Der Umsturz blieb aus.
ter Künstlern und Schriftstellern, und Zwar hat Meckseper unterschrieben,
zwar an einem Ort, der in jeder Hinsicht aber sie sagt, dass sie den Verlauf der De-
weit weg ist von New York – in dem batte schwierig finde. Diese Diskussion
verwunschen wirkenden Künstlerdorf um ein paar Schuldige, das Skandalisieren
Worpswede. Ihr Urgroßonkel hatte diese von Vorfällen, »es lenkt ab von dem grund-
norddeutsche Kolonie Ende des 19. Jahr- legenderen Problem« – von der »fortlau-
hunderts mitgegründet, und schon von fenden, systematischen Benachteiligung
der Geschichte dieser Gemeinschaft geht von Frauen«. Auch sie selbst bekomme
eine leicht ermutigende Botschaft aus: dies zu spüren, »sogar jeden Tag«.
Die Malerin Paula Modersohn-Becker ge- Wie sich das bemerkbar macht?
hörte mit zur Worpswede-Clique, eine Zum Beispiel, ganz alltäglich, an den
der wenigen Frauen dieser Zeit, die von Witzen, die sie von Männern in der Kunst-
der Kunstgeschichte anerkannt werden. szene über die #MeToo-Bewegung zu hö-
Auch Clara Rilke-Westhoff lebte seiner- ren bekomme. »Aber auch an den Preisen
zeit dort, früh forderte sie Freiheit für für meine Werke. Wären sie von einem
Künstlerinnen. Mann, könnten und würden Galeristen
Mecksepers Vater, ein Maler und Grafi- vermutlich das Doppelte verlangen.«
ker, hatte seit 1961 sein Atelier im Dorf. Künstlerinnen stoßen an Grenzen, an
Das Leben sei ihr frei erschienen und un- die männliche Künstler nicht stoßen, und
geheuer weltoffen in ihrer Kindheit in den das hat überhaupt viel mit Geld zu tun.
Siebzigerjahren, sagt Meckseper. Die Frei- Kunst ist ein Markt, ein Weltmarkt, auf
92 Foto: Floto + Warner, Josefine Meckseper Installationsansicht »Pellea[s]« Filmset, 2018 (Aufnahmeort Studio Meckseper'), VG Bild-Kunst, Bonn 2018
INSZENIEREN
Sie hoffe, sagt Meckseper, dass in Zu- zu einem filmischen Werk angeregt, es ist auch Künstlerinnen gibt. Sogar Direk-
kunft mehr Frauen in größerem Stil sam- fürs Museum gemacht, hat aber Kinoqua- torenposten gingen an Frauen, wenngleich
melten, dass sie dabei »auch mehr Risiken lität, ein Independent-Stück. die wichtigsten Häuser weltweit, vom
eingehen«. Sie selbst ist bekannt für poin- In dem Film leiten Aufnahmen der Louvre bis hin zum Museum of Modern
tierte Gesellschaftskritik. Auch ihre Werke Paraden zu Trumps Amtseinführung und Art, überwiegend in Männerhand geblie-
verstecken sich dabei nicht. Denn sie sind des Protests der Frauen am Tag danach ben sind. Aber niemand will sich mehr
großformatig, füllen oft Räume aus, drän- hin zu einer bitteren Liebesgeschichte. Als nachsagen lassen, er fördere nicht doch
gen mit allen Mitteln zum Betrachter. Vorlage für dieses Beziehungsdrama irgendwie die Frauen.
Da sind ihre minimalistisch eleganten verwendete sie ein französisches Schau- Die Szene ist also plötzlich voller Femi-
Vitrinen aus Glas und Stahl, die sie mit spiel aus dem 19. Jahrhundert, »Pelléas et nisten. Nur: Meinen die es ernst?
scheinbar absurden Arrangements füllt. Mélisande«. Doch kämpfen bei ihr nicht Wer bei der Beantragung von Fördergel-
Mit Damenstrumpfhosen, Flakons, Klo- wie im Original zwei Brüder um ein Mäd- dern für Forschungsprojekte Begriffe wie
bürsten, blitzenden Autofelgen und mit chen, sondern zwei Frauen um einen Sol- »Gender« verwende, löse oft reflexartige
T-Shirts, deren Aufdruck fordert, Vetera- daten. Meckseper verkehrte in ihrem Film, Ablehnung aus, sagt die Kunsthistorikerin
nen zu danken. Weil die Krieger von einst den sie »Pellea(s)« nannte, einstige Zu- Alma-Elisa Kittner, die an der Universität
in die Jahre gekommen sind, gibt’s auch schreibungen ins Gegenteil, bei ihr sind Duisburg-Essen unterrichtet. Beschäftige
Rollatoren. Die Männer (und die Idee der die Frauen mächtiger als der Soldat. sich eine Expertin mit Geschlechterfragen,
Männlichkeit) sind alt geworden, doch die Auf die männerdominierte Welt antwor- etwa damit, wie Frauen und Männer typi-
Klischees haben sich gut gehalten, haben tet sie mit ihrer Kunst, ihrer Unbeugsam- scherweise dargestellt seien und welche
auf jeden Fall überlebt. Wie ein Bumerang, keit. »Dass es immer noch eine große Hür- Rückwirkungen das auf die Gesellschaft
so sieht Meckseper es, kehrten die alten de ist, als Frau erfolgreich zu sein«, sei für habe, werde sie leicht als Frauenbeauftrag-
gesellschaftlichen Gewohnheiten zurück, sie ein Ansporn. Sie werde schon deshalb te angesehen und nicht als Wissenschaftle-
die traditionellen Rollenbilder, gerade in nicht resignieren, weil es dann »noch eine rin. Daran habe auch die #MeToo-Debatte
den Staaten. Deutschland erscheint der Künstlerin weniger gäbe«. nichts geändert. Das Fach Kunstgeschichte,
Künstlerin zurzeit geradezu fortschrittlich aus dem ja auch die meisten Museumsleute
im Vergleich zu den USA. Immerhin, sagt Die Machtfrage in der Kunst wird immer- hervorgehen, nennt sie »sehr konservativ«.
sie, regiere in Berlin eine Frau. In den USA hin neu gestellt in diesen Tagen, und Meck- Im Grunde, sagt sie, seien Teile der Wis-
sei das Thema Frau eines, das gerade sogar sepers Analyse mag überraschen ange- senschaft noch auf dem Stand des 16. Jahr-
in den »toten Winkel« gerate. sichts dessen, was sich in den vergangenen hunderts, als der italienische Maler, Archi-
Vor knapp zwei Jahren hat »die Nicht- vier, fünf Jahren getan hat. Museen von tekt und Schriftsteller Giorgio Vasari – für
wahl von Hillary Clinton« die Künstlerin Berlin bis London entdeckten, dass es viele der erste Kunsthistoriker – den Frau-
en die ganz große, genialische Schöpfer-
kraft abgesprochen habe. »Diesem Denk-
modell des männlichen Künstlerheroen
folgen einige noch heute«, sagt Kittner.
Jahrhundertelang wurde vermittelt,
nur Männer könnten große Künstler sein,
nur ihre Kunst hing in den Museen. Der
Maler Georg Baselitz sagte noch 2013 im
SPIEGEL, Frauen könnten nicht malen.
Der Satz machte Karriere, auch interna-
tional. Baselitz hatte hinzugefügt, Frauen
fehle die notwendige Brutalität, Männer
hätten da kein Problem.
Vorurteile wurden Teil des Bildungs-
kanons, dann der Allgemeinbildung. Wis-
senschaftler der Luxemburger Universität
stellten fest, dass die Testpersonen ihres
Experiments ein Kunstwerk immer dann
mehr wertschätzten, wenn sie glaubten, es
stamme von einem Mann, und dass sie es
schlechter benoteten, wenn sie vermute-
ten, eine Frau habe es geschaffen.
Die Ungleichbehandlung betrifft nicht
nur die, die immerhin von ihrer Kunst le-
ben können. Sogar unterhalb des Existenz-
minimums sind Unterschiede auszuma-
chen. Einer Studie des Berliner Instituts
für Strategieentwicklung zufolge verdie-
nen in dieser Stadt die Künstler zu wenig
und Künstlerinnen noch weniger. Männer
nehmen mit dem Verkauf ihrer Werke
Konzeptkünstlerin Meckseper
Die Leute sammeln, als würden sie
»Monopoly« spielen
93
rend. Es kann den OP-Tisch verlassen, es
tanzt, torkelt unbeholfen zu softer Musik.
Wahrscheinlich denken die Zuschauer
an Frankenstein. Dessen Erfinderin, die
britische Schriftstellerin Mary Shelley,
führte im frühen 19. Jahrhundert ein ver-
gleichsweise freies Leben, hatte einen Be-
ruf, Erfolg, bekam Kinder vor der Hoch-
zeit. Immer wieder gab es ja Momente in
der Geschichte, die den Anschein erweck-
ten, die Welt drehe sich doch weiter und
lasse unnötige Konventionen hinter sich.
Als Effinger den Film im Frühjahr bei
einer Gruppenschau erstmals öffentlich
zeigte, wirkte sie fast ein wenig nervös, sie
saß irgendwann mit Freunden lieber drau-
ßen vor der Tür. Ihr Werk war dasjenige,
das am meisten über das Hier und Jetzt
zu sagen wusste, über die trügerische Glät-
te des modernen Lebens, und womöglich
hat es die zuständige Jury gerade deshalb
Videokünstlerin Effinger: Den Rückenwind selbst produzieren überfordert. Effinger gehörte, obwohl ihre
Arbeit wohl die stärkste war, am Ende
nicht zu den Gewinnern des ausgelobten
11 662 Euro im Jahr ein, Frauen 8390 Eu- namen trug und als eine Wegbereiterin der Stipendiums. Wenige Wochen später er-
ro – die Ignoranz der Galeristen gegen- Emanzipation gilt. hielt sie ein anderes, es sieht einen drei-
über Künstlerinnen trägt mit dazu bei. Die An der Hochschule für Gestaltung in monatigen Aufenthalt in China vor.
Verfasser der Studie betonen, es gehe um Karlsruhe gründete Effinger 2012 mit Sie bekam schon früh Anerkennung. Sie
den Verbleib der Frauen in der Kunst. Und anderen Studentinnen das Feministische stellte in Baden-Baden bei der Schau
außerdem darum, »gesellschaftliche Miss- Arbeits-Kollektiv, abgekürzt Fak, das »Übermorgenkünstler« aus und nahm an
stände wie die Benachteiligung von Frau- klingt einprägsam wie der englischsprachi- einer Basler Ausstellung mit dem Titel
en« nicht noch zu reproduzieren. ge Fluch »fuck«. Sie forderten mehr Pro- »Jungs, hier kommt der Masterplan« teil.
Dass die Frauen nicht darauf warten, fessorinnen und »die Umsetzung bisher Es lief gut an, und es läuft gut weiter.
dass etwas für sie getan wird, davon ist die ungedachter Möglichkeiten«. Fak galt erst Und doch ahnt sie, dass da noch viele
Kunsthistorikerin Kittner aber auch über- als Ärgernis und wurde später mit einem Stolpersteine herumliegen.
zeugt. Unter den Künstlerinnen entwickle Förderpreis ausgezeichnet. Feminismus sei Ihrer Beobachtung nach fällt es Leuten
sich eine »unerschrockene und ziemlich inzwischen geradezu ein Modewort, Main- beiderlei Geschlechts leichter, Frauen zu
coole Generation«, die auf Vorbehalte pfei- stream, jedenfalls in Berlin, sagt Effinger. kritisieren als Männer. Auch das ist ein
fe und sich »ganz locker« zum Feminismus In ihrer Kunst blinkt die Geschlechter- kleines Machtspiel mit großer Wirkung,
bekenne. frage auf, auf eine irritierende Art. Die nicht nur in der Kunst. Sie erlebte das auch,
Hochglanztöne ihrer Grafiken erinnern an als sie während des Studiums gemeinsam
Lotte Meret Effinger ist eine dieser jun- Nagellack oder an Autolackierungen, je mit einer Freundin anfing, als DJane auf-
gen Unerschrockenen, sie ist Anfang drei- nach Sicht der Dinge. Sie produziert auch zulegen. Manche Techniker trauten ihnen
ßig und dabei, sich einen Namen zu ma- Filme, und als Erstes fällt die Schärfe der kaum zu, die Anlage zu bedienen.
chen. Sie hat ein paar Antworten auf die Bilder auf, diese fast surreale HD-Ästhetik. Viele Freunde sind Musiker, ihr Lebens-
Frage, ob das für eine Frau immer noch Sie lässt die Kamera auf Hautflächen, Kör- gefährte ist DJ. Auch in jener Sparte, das
schwieriger sei als für einen Mann. perstellen, auf die ganze Äußerlichkeit ahnt sie, hielten Männer Gleichberechti-
Seit ein paar Monaten lebt sie wieder richten, die eben zum Menschen gehört gung eher für »so ein Frauenthema«. Aber
in ihrer Heimatstadt Berlin, sie war lange (und von der diverse Industrien leben). immerhin seien die Leute in dieser Szene
weg, hatte eine Zeit lang in New York ge- Eine Frau mit Bodybuilding-Muskeln schon weiter darin, Netzwerke zu bilden,
jobbt, dann in Karlsruhe studiert und an- erscheint in einem Film. Der Körper wirkt die den Frauen durchaus weiterhelfen soll-
schließend ein Stipendium der Kunstaka- männlich, doch ist sie zurechtgemacht wie ten. Sie selbst hat, mit ihrem Partner und
demie Jan van Eyck in Maastricht erhalten, eine Schönheitskönigin, allein das Rouge, einem Freund zusammen, eine Plattform
dort verbrachte sie das vergangene Jahr. der Bikini, der Strass. Vielleicht ordnet sie gegründet: »Sexes Work«. Geschlechter
In ihrer WG in Kreuzberg hängt, um sich Diktaten unter, die einander wider- funktionieren.
Platz zu sparen, der Wäscheständer unter sprechen, vielleicht macht sie nur, was sie Es braucht Rückenwind, das weiß sie und
der Decke. Die Gegend vor der Haustür will. Effingers Kunst lässt einen nachden- produziert ihn mit Freunden zusammen
ist ihr von früher ebenso vertraut wie die ken über äußere Zwänge und die innere selbst. Effinger glaubt an Veränderungen,
Geschichte des Feminismus, die entspre- Freiheit, über die Frage, wie Persönlichkeit sie sei überhaupt eher optimistisch, sagt sie.
chenden Bücher standen zu Hause im entsteht, was sie prägt. Wie viel unbeein- Sie hat einen besonderen Humor, man be-
Regal. Ihre Mutter hatte sich im Studium flusstes Ich bleibt eigentlich noch übrig? merkt ihn auch, wenn man ihre Werke sieht.
mit Genderthemen befasst. Wobei die Dann ist da, in einem anderen Film, die- Eher ernst sagt sie nun, sie stelle sich
Tochter sich nach Barbiepuppen sehnte, ses groteske Wesen, das von Frauenhän- eine ideale Welt vor, in der nur die Arbeit,
bevor sie dann als Jugendliche zu den den im Labor zusammengesetzt wird, nur das Geleistete zähle. Allerdings bereite
Schriften George Sands griff – jener fran- mehr schlecht als recht. Schließlich ist es sie sich darauf vor, dass der Mann-Frau-
zösischen Schriftstellerin des 19. Jahrhun- fertiggestellt: eine Personifikation der Un- Konflikt es schafft, sie zu überleben.
derts, die als Pseudonym einen Männer- vollkommenheit, geschlechtslos und rüh-
Sterneköchinnen?
G Die Spitzenküche ist männlich, das ders. Bei ihr, so hat es Johanna Maier Warum machen
gilt als der Normalfall, und wenn eine gesagt, herrsche »von halb sieben
Frau ganz oben mitkocht, wie Douce abends bis elf Uhr trotz Hektik Stille«. eher die Männer den
Steiner vom »Hirschen« im badischen
Sulzburg, dann wundern sich die Kriti-
Sie brauche das, um sich aufs
Abschmecken zu konzentrieren. Heiratsantrag?
ker und feiern das noch mal speziell. ‣ Die Arbeitszeiten. Ständig abends
Mögliche Erklärungen: im Einsatz zu sein, ständig am G Noch immer warten einige Frau-
‣ »Kochen ist körperliche Schwerst- Wochenende – »bei mir kommt nie- en darauf, dass er auf die Knie fällt,
arbeit«, sagt die österreichische Spit- mand unter zehn Sunden täglich aus wenn geheiratet werden soll. Eine
zenköchin Johanna Maier. der Küche«, sagt der Stuttgarter Ster- mögliche Erklärung liegt in der Ge-
‣ Beim Schleppen von Töpfen kann nekoch Vincent Klink. »Koch sein ist schichte des Antrags. Lange Zeit
man sich helfen lassen; wichtiger ist der unsozialste Beruf, den es gibt«, war es die Familie des Mannes, die
für viele Frauen vermutlich: der Ton. sagt der Hamburger Profi Tim Mälzer. die Frage stellte, und zwar ursprüng-
Gebrüll ist immer noch üblich in vielen Mittlerweile schreckt das nicht mehr lich nicht der Braut, sondern deren
Küchen, und das mögen eine Menge nur Mütter ab, sondern auch Väter, ein Vater. Und das aus wirtschaftlichen
Frauen nicht. Es geht aber auch an- Problem für die Branche. BSU oder politischen Gründen. Erst im
18. und 19. Jahrhundert kritisierten
Künstler der europäischen Romantik
eine auf Vernunft basierende Part-
nerschaft und forderten die Liebes-
Wieso herrscht keine ehe. Die Idealisierung der Liebe mit
einem romantischen Antrag hält sich
Gleichberechtigung an der Hose? bis heute, erfuhr wegen feminis-
tischer Bewegungen nur kurze Brü-
G Frauen haben eher Handtaschen, Männerhosen Taschen eingenäht, für che. »Derzeit leben alte Hochzeits-
selten tragen sie Gegenstände in Frauen setzte sich die Handtasche praktiken wieder auf«, sagt Fleur
der Jeanstasche. Wie auch? Da ist durch, in der sie Parfums aufbewahr- Weibel, die an der Universität Basel
gar kein Platz. Nur in 40 Prozent der ten, Alkohol oder Bonbons. Mode- zu dem Thema promoviert. In einer
Taschen passt ein Smartphone, in die designer zementierten das Patriarchat Zeit, in der alles auf Social Media
Hälfte ein Portemonnaie. Das hat »The der Jeanstasche. Weiterhin galt, was dokumentiert wird, feiern manche
Pudding« recherchiert, eine New Yor- Christian Dior 1954 sagte: »Männer die Anträge als Event, als Spiel mit
ker Newssite für Datenjournalismus. haben Taschen, um Dinge zu transpor- alten Rollenbildern. Weibels Beob-
Wie lässt sich das erklären? Im Mittel- tieren, Frauen zur Dekoration.« Die US- achtung: »Wegen der Annahme, die
alter trugen die Menschen noch eine Bloggerin Hollishillis wehrt sich und Geschlechter seien gleichgestellt,
Hüfttasche unter ihrer Kleidung. Ab fordert: »Näht verdammt noch mal erscheint das Inszenieren patriar-
dem 17. Jahrhundert aber wurden in echte Taschen an meine Hosen.« CAT chaler Bräuche ungefährlich.« CAT
E
s sitzen in den Regieklassen heute
mehr Frauen als Männer, aber auf der
Bühne zu sehen ist Männerwerk. Nur
22 Prozent der Stücke an den großen
Theatern werden von Regisseurinnen
inszeniert. Wie kann sich das ändern?
Wenn junge Feministinnen die Bühne be-
treten? Josephine Witt, 25, studierte Philo-
sophie in Hamburg, wurde Aktivistin bei
der Frauenrechtsgruppe Femen und setzte
dann auf selbstständige Protestaktionen.
Das Wort »Patriarchat« kommt ihr leichter
über die Lippen als manch anderem ein
»Hallo«. Ins Café im Prenzlauer Berg
kommt sie direkt aus der Ernst-Busch-Schu-
le. Dort, an der renommierten Ausbildungs-
stätte für Schauspiel und Regie, hat sie im
September 2017 angefangen zu studieren,
zusammen mit fünf weiteren Frauen – das
erste Mal in der Geschichte des Studien-
gangs ist es eine rein weibliche Klasse.
keine Karte mehr bekommen hatte. Den eigentlich schiefläuft. Wir haben unserem SPIEGEL: Ihre Tochter ist noch kein Jahr
Abend werde ich nie vergessen. Birgit Dozenten gesagt: Wir erleben ständig Ver- alt. Kurz vor einer Premiere sind die Pro-
Minichmayr und Martin Wuttke lagen in gewaltigungen auf der Bühne und können benzeiten ausufernd, oft von früh bis spät.
diesem riesigen, zuasphaltierten Raum in als Zuschauerinnen damit nicht umgehen. Wie kriegen Sie das hin als Mutter?
einem Zelt und haben in einer Weise ge- Also wollen wir es als Theatermacherin- Witt: Das ist so eine Frage, das wissen Sie
spielt, wie ich es noch nie gesehen hatte. nen hinterfragen. ja selbst, die man nur einer Frau stellt. Sie
Ich saß mit offener Kinnlade in meinem SPIEGEL: In Ihrer Regieklasse an der Ernst- würden so etwas nie einen Mann fragen,
Sessel und habe gedacht: Wow, was pas- Busch-Schule sitzen zum ersten Mal aus- ob der nicht lieber Vater sein will und das
siert hier eigentlich? Aber natürlich ist das schließlich Frauen. ein Problem für ihn ist.
Stück, gerade in Bezug auf Castorfs Frauen- Witt: Ja, das war schon eine kleine Sensa- SPIEGEL: Fehlen Ihnen erfolgreiche weib-
bild, eher problematisch. tion, die zu unserem Alltag geworden ist. liche Vorbilder?
SPIEGEL: Es gibt kaum eine Inszenierung Unsere Klasse kann nicht gespalten wer- Witt: Ich habe eigentlich nie viel von Vor-
von Castorf, bei der nicht eine nackte Frau den, wie es manchmal passiert, wenn ein bildern gehalten.
auf hohen Schuhen kreischend über die männlicher Dozent männliche Studenten SPIEGEL: Auch nicht zur Inspiration?
Bühne läuft. Muss man sich da nicht die respektiert oder bevorzugt behandelt, weil Witt: Nein, ich lasse mich auch von mei-
Frage stellen: Was soll das? er ihnen mehr zutraut. Wir verstehen uns ner Zimmerpflanze inspirieren. Generell
Witt: Das ist eine gute Frage, die man dem als Klassenkollektiv. mag das ein Problem sein. Aber ich per-
Theater immer stellen sollte. Was bringt SPIEGEL: Wo bleibt da die männliche Per- sönlich saß nie verzweifelt an meinem
das für die Inszenierung? Eine schreiende spektive? Schreibtisch und habe gesagt: Ich könnte
Nackte ist nicht zwangsläufig immer nur Witt: Machen Sie sich mal keine Sorgen: jetzt arbeiten, wenn ich nur mehr weibli-
dazu da, die eingeschlafenen männlichen An unserem Institut gibt es ausschließlich che Vorbilder hätte. Auf der anderen Sei-
Zuschauer aus ihren Sesseln aufzuschre- männliche Professoren. Unter den Dozen- te habe ich in Zeiten der Verzweiflung
cken. Die Schauspielerin kann auch selbst- ten und Gastdozenten sind Frauen, aber schon erlebt, dass ich Madonna gehört
bestimmt auftreten. Die Frage ist doch, ob keine hat eine Professur. Regie ist eine sehr habe, um weiterzumachen. Weil sie die
es einen künstlerischen Mehrwert hat. Bei männlich geprägte Domäne. Queen of Pop ist. Die Mutter Gottes. Als
Castorf hatte ich bisher immer das Gefühl, SPIEGEL: Der sogenannte männliche Blick Künstlerin war Madonna superwichtig
dass eine künstlerische Strategie dahinter- ist also immer präsent? für mich. Sie hat uns auch bei Femen stark
steckt. Man darf das Theater ja nicht un- Witt: Das fängt schon auf der ganz prakti- beeinflusst.
terschätzen, es kann sexistische Klischees schen Ebene an: In all unseren Lehrunter- SPIEGEL: Als Aktivistin saßen Sie wochen-
durchaus auffangen, damit umgehen und lagen, in den theoretischen Texten wird lang in Tunesien im Gefängnis, Sie haben
in einen Kontext setzen. von »dem Regisseur« gesprochen. Als Frau, sich mit Leibwächtern des russischen Prä-
SPIEGEL: Im Theater herrscht eine hohe In- die sich im Patriarchat in der Welt bewegt, sidenten Wladimir Putin angelegt und
tensität und Körperlichkeit, auch deshalb ist man ständig mit der männlichen Sicht- Mario Draghi, den Präsidenten der Euro-
wurde #MeToo hier so ein großes Thema. weise konfrontiert. Gerade als Frauenklas- päischen Zentralbank, mit Konfetti bewor-
Man verbringt viel Zeit miteinander, unter se bedeutet das für uns, das immer mitzu- fen. Was wollen Sie im Theater?
großem Druck. Gehört das Übertreten reflektieren. Das geht bis zur Frage, was Witt: Damals bei Femen war es Teil un-
von Grenzen nicht dazu? Regie als Beruf überhaupt bedeutet, wie seres künstlerischen Konzepts, dass wir
Witt: Im Kern kreist dieses Argument etwas man mit der Hierarchie bei Proben umgeht. von unseren Aktionen immer als politische
schüchtern um die Frage: Braucht künst- Diese Hierarchie, an dessen Spitze der Re- Aktionen sprechen. Natürlich haben wir
lerische Freiheit einen vermeintlichen Frei- gisseur steht, ist ja nicht vom Himmel ge- es aber eigentlich als Performance ange-
raum, um sich entwickeln zu können, in fallen, sondern entspringt einem System, legt. Es war Teil der Performance, davon
dem man dann eben auch Sexismus tolerie- das von Männern geschaffen wurde. zu sprechen, dass es um politische Aktio-
ren muss? Oder in dem ein männlicher Re- SPIEGEL: Und wenn eine Regisseurin an nen geht und nicht um künstlerische. Das
gisseur eine weibliche Schauspielerin erst der Spitze steht? war ein Duktus, den wir uns selbst aufer-
sexistisch glaubt beleidigen zu müssen, bis Witt: Per se kann man nicht sagen, dass legt haben. Mein Weg in die Kunst ist eine
sie »endlich aus sich rauskommt«? Wenn dann alles anders wäre. Frauen gestalten Weiterführung dieses Ansatzes. In der
eine Schauspielerin fragt, was konkret ihre das Patriarchat und den Kapitalismus ja Gruppe habe ich viel gelernt über Inter-
Aufgabe in der Szene ist, und der Regisseur auch mit. Das logische Prinzip dieses Sys- vention, über Bildsprache. Im Studium
antwortet: »Du sollst die kleine sexy Maus tems, das eben auch im Theater gilt, ist, sind meine Hauptfragen: Lässt sich auf der
sein«, um sie unter Druck zu setzen – so et- dass alles auf Führungskräfte hinausläuft. Bühne ein matriarchales, utopisches Ge-
was lehne ich ab. Darin sehe ich keine Schaf- Dieses System wird auch von Frauen mit- sellschaftsbild erlebbar machen, das dem
fung von kreativem Freiraum, sondern bloß getragen. Im Theater ist es vielleicht nicht Patriarchat entgegensteht? Und kann
eine faule Reproduktion reaktionärer Ge- so extrem wie in einem Dax-Unterneh- Theater ein Raum für Widerstand und
schlechterverhältnisse, kurz: Sexismus. Wir men. Aber in den seltensten Fällen gibt es Protest sein?
diskutieren viel darüber, wie Geschlechterk- aktiven Widerspruch zu den vorherrschen- SPIEGEL: Theater ist häufig staatlich finan-
lischees auf der Bühne reproduziert werden. den Ideen von Führung. ziert. Der Staat ermöglicht Ihnen die Ar-
Wie man so etwas spielerisch aufgreifen SPIEGEL: Hat die #MeToo-Debatte etwas beit mit einer fast schon generösen Geste:
kann. Ob das überhaupt geht. verändert? Hier ist Geld, jetzt spiel uns was vor.
SPIEGEL: Gibt es etwas, das überhaupt Witt: Sie hat dazu geführt, dass sich Ka- Witt: Das ist das Prinzip Stadttheater, ja.
nicht geht? merateams plötzlich für junge Frauen am Es kann auch sein, dass man scheitert und
Witt: Vergewaltigungen als Teil der Insze- Theater interessiert haben. Dass Vereine feststellen muss, dass durch den künstle-
nierung sind problematisch. Das wird oft wie »Pro Quote« mehr Auftrieb bekom- rischen Rahmen alles Revolutionäre ein-
leichtfertig eingesetzt, als extremes Ele- men haben. Und dass unser Asta ein Se- gehegt ist. Aber Scheitern ist auch ein Prin-
ment, als dramatischer Höhepunkt. Das xismus-Seminar organisiert hat. zip der Kunst.
kann in Ausnahmen sinnvoll sein, aber SPIEGEL: Haben Sie es besucht?
wenn man so was ständig sieht, wieder Witt: Nein, ich konnte nicht, weil ich gera-
und wieder, fragt man sich schon, was da de auf meine Tochter aufpassen musste. Interview: Xaver von Cranach
»Fick dieses
Frauenrap-Stigma«
HIP-HOP Deutschrap
sei prollig und
frauenfeindlich, so
heißt es. Doch
auch die Musikerin
Antifuchs rappt
über Schlampen,
Fickfinger, Schwanz-
vergleiche. Ist das
nun Antifeminismus?
A
ls das Mädchen beschloss, ein
Fuchs zu sein, der über ausge-
streckte Mittelfinger und Schlam-
pen rappt, stand ein Mann vor ihr,
groß, mit Cap, und sagte im Ton-
fall eines Predigers: »Du kannst doch nicht
so fluchen, das gehört sich nicht.« Dann:
»Für ein Mädchen.« Sie stand auf der Büh-
ne eines Jugendzentrums, was ein üblicher
Auftrittsort für junge Rapper ist, und dach-
te sich: »Doch. Jetzt erst recht«, bekam
eine Fuchsmaske geschenkt von einem
Freund, rot, aus Plastik, und gab sich einen
neuen Namen, Antifuchs. Der Fuchs als
Symbol, schlau und zäh. Das Anti für die
Haltung, gegen alles.
Antifuchs, die eigentlich Emilia heißt
und ihren Nachnamen lieber nicht mit
der Öffentlichkeit teilt, erzählt diese Ge-
schichte fünf Jahre, ein Mini- und ein De-
bütalbum später. Ihre Stimme klingt
wie in Dreck gewälzt, alles hört sich coo-
ler an in so einem Ton. Sie ist, gerade
noch, 28 Jahre alt, trägt: die blonden Haa-
re offen, kein Make-up, schwarze Leg-
gings, weiße Sneaker und sitzt: mit ange-
zogenen Knien auf der Rückbank eines
VW Passat, Mitte. Ein Mann vom Platten-
label fährt, auf dem Beifahrersitz ist ihre
DJane Farah, auf der Rückbank ihre Cou-
sine Julez, auch Rapperin und ihre zweite
Stimme bei Konzerten.
98
Das Auto ist an einem Samstag im Juli Auf ihrer Homepage lässt sie sich selbst Schultern, hab mich neu orientiert / Denn
in Sachsen-Anhalt unterwegs, auf der A 9 eine »cholerische Zicke« nennen und von als man mir dann ein Mic gab, wusst ich,
von Berlin zu einem Auftritt in Bayreuth. einem Rapper auf ihrem Album eine ich bin diese Frau / Die den Männern jetzt
Dort wird Antifuchs ihre Maske überstrei- »Schlampe«. Es ist kurz nach 13 Uhr, als beweist, woran niemand wirklich glaubt
fen, mittlerweile hat sie sich eine hochwer- man sie danach fragt im VW Passat, sie
tige beschafft, schwarz, aus Leder, von lacht, auch das klingt verdreckt, und sagt: Ein wenig ausführlicher geht ihre Ge-
einer Designerin in New York. Im Auto »Wo ist das Problem? Das sind doch meine schichte so: Antifuchs wird geboren im Juli
dreht Antifuchs das Teil in der Hand, sagt: Kumpels.« 1989, in einem Dorf in der Steppe Kasach-
»Damals, im Jugendzentrum, habe ich Das Auto rollt auf eine Raststätte, parkt stans. Als die Mauer gefallen ist, wandern
mir gedacht: Es geht doch ums Battle, Al- vor Burger King. Da raucht Antifuchs ih- ihre Eltern mit ihr aus nach Deutschland,
ter. Aber ich werde als Frau belächelt, weil ren zweiten Joint an diesem Tag, teilt ihn erst in ein Spätaussiedlerlager im Norden,
ich fluche. Da streif ich lieber die mit Farah und mit Julez. dann in ein Backsteinhaus am Rand von
Maske über, nehm den weiblichen Das Gras muss weg, bevor sie über die Flensburg, Stadt am Meer. Von da an wi-
Aspekt aus meiner Musik.« bayerische Grenze fahren. Die Cousine, derspricht ihre Story dem Klischee von
Ist das jetzt Feminismus? Weil schwarzes Haar, gestylte Augenbrauen, sagt, Rap: Die Bücherregale ihrer Eltern sind
Antifuchs, wie früher nur männ- für Farah auf Englisch: »We are going to get voll mit Tolstoi und russischen Märchen,
liche Rapper, über Schwanzverglei- arrested. Bavaria is like another country.« im Wohnzimmer steht ein E-Piano, so
che rappt, Fickfinger, Schlampen, Antifuchs winkt ab, Joint zwischen den lernt das Mädchen, elf, zwölf Jahre alt,
ohne sich reduzieren zu lassen auf Lippen, erzählt von einem Festival, auf »Für Elise« in a-Moll. Ein wenig später ent-
ein veraltetes Rollenbild? dem sie gefeiert habe, mit anderen Rap- deckt sie Hip-Hop, eine verheißungsvolle
Oder Antifeminismus, weil sie pern und zu viel Gras, über das sie auch Welt in einer Nachbarschaft, in der es
sich einschleicht in einen ehemali- in ihren Texten schreibt und das so ziem- nichts gibt außer einer Fabrik von Moto-
gen Männerklub und darin dump- lich jeder rauche in der Szene. Sie sagt: rola. Vielleicht wird die Musik so schnell
fen Regeln nachhechelt? »Es macht mich kreativ. Wenn ich kiffe, so wichtig, weil nichts so quälend ist in der
Die Frage danach, was Frauen schreibe ich die besten Texte.« Sie holt Jugend wie lange, leere Stunden.
darstellen im Rap, treibt noch viele In den Jahren, in denen Antifuchs auf-
um, obwohl die Jugendradiosender wächst, sind in Deutschland vor allem Rap-
und Onlinemagazine Rapperinnen per angesagt wie Kool Savas, Bass Sultan
schon seit Jahren feiern. Aber im- Hengzt und Musiker vom Label Aggro
mer noch auf Listen, in denen sie Das Auto parkt vor Berlin, die über Drogen rappen und über
getrennt aufgeführt werden von das Leben im Plattenbau, die Frauen de-
ihren männlichen Kollegen, als herr- Burger King. Antifuchs gradieren zu Menschen zweiter Klasse,
sche in der Musik Geschlechtertren- gerade gut genug fürs Bett.
nung wie auf öffentlichen Toiletten. raucht ihren zweiten Es ist die wichtigste Variable in der For-
Seit Jahren steht auf diesen Listen mel für Gangsterrap, den Macker zu mar-
auch ihr Name, Antifuchs. Joint an diesem Tag. kieren. Die Musiker wurden dafür von
Sie hat monatlich 14 000 Hörer jungen Männern gefeiert, und auch von
auf Spotify, um die 10 000 Follower jungen Frauen, die die Alben auf Repeat
auf Instagram, das sind Zahlen, mit in ihren Ghettoblastern laufen lassen, Oet-
denen man den Erfolg abwiegt in sich einen Whopper, geht im Auto ihre An- tinger auf Parkplätzen trinken und nicht
der digitalen Welt. Sie gehört noch sagen durch für das kommende Konzert, darüber nachzudenken scheinen, worum
nicht zu den Schwergewichten in hat sie ausgedruckt auf DIN A4. »Zwi- es in den Texten eigentlich geht.
der Branche wie Marteria, die Be- schen den Songs spreche ich zu viel«, sagt Rappende Frauen gibt es wenige zu
ginner, SXTN. Doch man kommt sie. Das Label fände das nicht gut, wolle, dieser Zeit, die alten Alben von Cora E
an ihr auch nicht vorbei, wenn man dass alles cooler wirke, professionell. »Ich gelten immer noch als Pionierarbeit im
sich für deutschen Hip-Hop inte- kenn keinen, der über Nacht berühmt ge- Deutschrap, doch Antifuchs hört Tic Tac
ressiert. worden ist.« Auch Deutschrap lebt von Toe, schaut sich von ihnen ihre Haltung
Die Musikkritiker bewundern den Details, die nur durchs Üben perfekt ab, ein trotziger Feminismus. Als die Grup-
sie für ihren Flow. Die raue Stimme. werden, durch die richtige Vermarktung. pe auseinanderbricht auf einer Pressekon-
Ihre Texte. Der Text von »Wie ein Antifuchs vermarktet sich selbst, oder ferenz, sieht das Mädchen vor dem Fern-
Mann« geht so: vielmehr Details von sich, auf ihrem Al- seher zu, trauert.
bum »Stola«. Im Titel »1989« rappt sie Antifuchs sucht sich andere Idole, singt
Ich ficke locker alles weg mit einem über ihre Vergangenheit und davon, dass mit, wenn Kool Savas von »Schwänzen«
Atemzug / Ich bin Anti, nenn mich ihre Familie auf Russisch flucht, im Ori- und vom »Blasen« rappt, am meisten aber
Fuchs, so wie ein Mann / Die meis- ginal klingt es wortgewandt: »Idi na chuj hört sie den Battle-Rap aus den USA, in
ten Rapper zählen für mich schon suka bljat!« Übersetzt auf Deutsch mit denen sich Rapper mit Texten duellieren,
als Hund und nicht als Mann / »Fick dich, du scheiß Schlampe« klingt es Missy Elliott, Snoop Dogg, Dr. Dre, vor
Komm wir vergleichen unseren wenig eloquent. allem Eminem, auch eine Ausnahme im
Schwanz / Der Fuchs hat buschig, Rap, als Weißer unter lauter Schwarzen.
dick und lang / Und wenn du nicht Aufgewachsen zwischen Digga, kaltem Sie, ein junges Mädchen, pafft Zigaretten,
deinen Mund hältst, stopf ich damit Wind und bisschen platt / russisch fluchen- Marlboro Red, »schreibt Texte«, wie sie
deinen Rand den Verwandten ›Idi na chuj suka bljat!‹ / In sagt, »hängt ab und hört stundenlang die-
der Schule Außenseiter, weil die Baggy auf selben Mixtapes wie so ein Hip-Hop-
halb acht / Jeden Sonntag aufm Platz, trotz- Teenie eben«, tapeziert ihre Kinderzim-
Rapperin Antifuchs dem Abitur geschafft / Weil nichts ging, merwände mit jedem Schnipsel aus der
»Ich bin ziemlich geil, aber du dann noch studiert, es bereut und akzep- »Bravo« über Eminem, kann jede Zeile
kannst genauso geil sein« tiert / Ich klopf den Staub von meinen seiner Songs, egal wie prollig sie ist oder
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verachtend. Wohl auch, weil jeder ihn sie von ihrer Musik, hat ihr Studium in mich nicht für was Besseres. Ich bin ziem-
bewunderte für seine Reime und seine »Internationale Fachkommunikation« im lich geil, aber du kannst genauso geil sein«,
Kindheit im Trailerpark. 13. Semester abgebrochen und tourt mit so sagt sie es, wieder dieses Lachen, grob
Der VW ist jetzt kurz vor Bayreuth, da ihrem Album durchs Land, um berühmt wie ihre Texte. »Ich sage ›Fick dich‹, aber
erklärt Emilia, dass das kein Widerspruch darin zu werden. das ist ein freundliches ›Fick dich‹.«
für sie ist: herabwürdigende Texte zu hö- Es ist halb neun am Abend in Bayreuth, Ein Abend in Berlin, 22 Uhr, es däm-
ren und sie, als Frau, zu genießen. »Das Antifuchs steht auf der Bühne, hinter dem mert am Platz vor dem Olympiastadion,
ist die Attitüde von Battle-Rap«, sagt sie, MacBook Farah, daneben Julez, die Cou- im Hintergrund verschwinden die fünf Rin-
hält inne, als überprüfe sie die Aussage: sine. Antifuchs trägt Maske, Hoodie, Rad- ge in der Dunkelheit. Antifuchs geht in die
»Es ist halt was anderes, ob ein Rapper lerhose, rappt: »Fick dieses Frauenrap-Stig- Hocke vor einem 22 Jahre alten, schwar-
prollig rappt oder ob er Frauen backstage ma. Darf ich, nur weil ich Titten hab, nicht zen Jeep Wrangler Sport, sie hat Hotpants
dumm anmacht.« dreckig spitten?« Und irgendeiner steht im an aus Leder, Tanktop, Weste, ihre Maske
Sie sagt es, als könnte man das trennen. Publikum, Mitte 20, mit Markencap und vorm Gesicht, die Haare streng nach hin-
Der VW Passat parkt kurz vor der Alt- ten zu einem hohen Zopf, in der Hand hält
stadt in Bayreuth, die Hitze brennt auf sie, natürlich, einen Joint. Sie dreht eine
Ziegeldächer. Drei Frauen, die Augen rot, Szene für das neue Video »Anti Army«,
die Pupillen groß, laufen zum Tourbus von so nennt sie auch ihre Fans.
Red Bull, hochpoliert, in Blau und Weiß, Im Video sieht man zwei Der Qualm steigt in den Nachthimmel,
mit Bühne auf dem Dach, der auf dem verdeckt kurz ihre Maske, da wirkt die
Ehrenhof steht vor dem Alten Schloss mit Frauen in einer Rauch- Szene surreal. Antifuchs hält ihren Mittel-
Vorbogenfenstern. Dort soll sie später auf- finger in die Kamera, auf dem rechten
treten, 21 Uhr. wolke. »Duck dich, denn steht das Wort »Flying«, eine Anspielung
Schlagartig wurde Antifuchs bekannt – auf einen anderen ihrer Songs »Flying
2013 mit einem Auftritt bei einem Rap- ich schieße, du Bastard.« Fuck«. Der Beat geht los:
Contest im Internet, BRT. Die Videos, die
sie einschickte, sind noch heute im Netz Anti alles, anti jeden, außer uns, außer
vergraben. In einem textet sie über sich uns / Was bist du bereit zu geben für den
als MC, das bedeutet »Master of Ceremo- Markenshirt und Markenröhrenjeans und Fuchs, für den Fuchs? / Wenn du keine Fick-
nies« und ist ein anderes Wort für Rapper, sagt, halblaut, fast zu sich selbst: »Fotze«. finger hast, bist du kein Teil von uns, kein
ihre Stimme klingt unentschieden damals, Auf der Bühne rappt Antifuchs einen Teil von uns / Wenn du einen Fickfinger
schwächer: Satz im selben Song, der ein Kommentar hast, werf ihn stolz in die Luft / Anti fürs
sein könnte auf seine Beleidigung: »Alter, Leben, wuh
Von mir gibt es harte Raplines mit einer fick dich, ich meine, fick dich, bitte.«
Prise Sex / Mit der Stimme mach ich Mo- Nach dem Konzert, als man ihr von Das »Wuh« rappt sie nicht, sie singt es
ney und mein Körper bringt die Extras / Ich dem Typen erzählt, verzieht sie kurz die nicht, sie spuckt es aus, fast als würde sie
geb ein Fick auf jeden von euch / Kein MC Lippen, nicht verärgert, so als wäre es ihr es kläffen.
ist besser / Talentiert, top in Form und hab egal, sagt dann: »Ich denk mir: Wenn du Hinter ihr dieses bonzige Auto, ein Kli-
Skills wie ’n Typ dumm bist, kann ich doch nichts dafür. schee, tausendfach gesehen in einer Szene
Aber darüber ärgern, das mache ich nie.« voller Prolls, oder nicht? Sie sagt: »Nee,
Sie schafft es mit ihren Videos, bei denen Sie pöbelt ja selbst, protzt mit ihrem Ego, ich wollte so was paramilitärisch Stylishes.
sie von ihrem Körper spricht, ihn aber auch das gehört für sie zu Rap. »Ich halte Die wollten erst ’ne Limousine buchen,
nicht ausstellt, ins Achtelfinale. das wäre zu angeberisch, gar nicht ich.«
Es reicht, sie wird von Rooq Die letzte Videoeinstellung, inzwischen
entdeckt, Produzent. Bis heute ist es Nacht. Antifuchs sitzt auf der Kühler-
macht er ihre Beats. Es geht haube des Jeeps. Julez ist auf dem Dach,
schnell dann: Sie nimmt ihr hält brennende Bengalos, längliche Fackeln,
erstes kurzes Album auf, da- in der Hand. Sie werfen rote Flammen.
nach ihr Debüt, wird gelobt Der Wagen rollt nach vorn, im fertigen
und verglichen, mit Männern Video sieht man später das Auto und die
natürlich: mit Kool Savas für zwei Frauen in einer Rauchwolke, Anti-
ihre »Battle-Rap-Ader« und fuchs bewegt die Lippen: »Duck dich, pew,
mit Samy Deluxe wegen »ihrer denn ich schieße, du Bastard.« Als sie spä-
Attitüde«. ter die Aufnahmen sieht, sagt sie: »Nice,
Die Arbeit an den Aufnah- ey. Die Anti Army annektiert das Land.«
men in dieser Zeit beschreibt Im selben Video lässt sie in einem Hotel-
sie als zäh, wie so viele Frauen zimmer eine Frau, in Hotpants, für sich tan-
in der Branche. Als hätten sie zen, die Kamera zoomt auf deren Hintern.
in Tonstudios nur ein Besucher- Und Antifuchs, im Bademantel, schlägt mit
visum, als würden sie sich nur der flachen Hand darauf. Es fällt schwer,
umsehen wollen im Hip-Hop, die Szene nicht als sexistisch zu verstehen.
statt selbst etwas zu tun. Anti- »Ich hatte mit vielen Freundinnen diese
fuchs sagt: »Ich musste nerven, Diskussion«, sagt sie in einem Charlotten-
dass mir jemand Studiozeit burger Café an einem Tag, an dem sie ent-
gibt, musste nerven, dass sich spannt genug ist, um in Ruhe zu reden.
jemand mit mir hinsetzt, muss- »Ich bin ganz ehrlich, klar würde ich mir
te nerven, dass mir irgendwer keinen Auftritt der Chippendales ansehen.
den Beat macht.« Heute lebt Aber ich finde es ästhetisch, wenn eine
Hip-Hopperin Antifuchs mit Fan (l. u.), im »Backstage Club« (o.): Sie hasst das »in« im Wort Rapperin, will einfach rappen
Frau für mich tanzt. Die Frauen machen che und so rappe«, sagt Antifuchs. »Ich Ihre Widersprüche, denkt man, wenn
das ja, weil sie das mögen.« Sie spricht von benutze starke Worte, stelle mich damit man sie so sieht, sind ihr egal. Sie ist eine,
SXTN, die zwei populäre Rapperinnen mit den Männern gleich.« die sich hinter einer Maske verbirgt, nur
sind in der Szene. Sie tun das, was Anti- Antifuchs spricht dann von selbst über damit keiner sie mehr aburteilt aufgrund
fuchs in ihren Texten nur andeutet, haben ihre Rolle als Frau im Rap. Immer wieder ihres Geschlechts. Und dann pöbelt, flucht,
Tracks, millionenfach gestreamt, in denen fragen Reporter sie danach, immer ist es beleidigt sie, weil sie das mag, sagt sie.
sie sich selbst »Fotzn« nennen. Im Video ihre erste Frage, als hätten Frauen nichts Und weil sie provozierend gern Mitglied
zu »Deine Mutter« eskalieren sie im Club, zu suchen in einer härteren Umgebung. ist in einem Klub, den Männer eigentlich
eingehüllt in Badeschaum, winden sich Antifuchs sagt: »Allein das Wort Frauen- für sich reservieren wollten. Dabei sieht
Frauen im Bikini, der Text geht: »Ich ficke rap, das klingt doch schon wie Paralym- sie Frauen, die Tänzerin im Video oder
deine Mutter ohne Schwanz.« pics!« Sie selbst will diese Trennung nicht, auch sich selbst, eigentlich wie durch Män-
Antifuchs selbst kennt die beiden Rap- hasst das »in« im Wort Rapperin, will ein- neraugen an, sie bedient die Klischees.
perinnen, ist mal mit ihnen aufgetreten, fach rappen, unbehelligt von dummen Wenn das irritiert, soll es ihr recht sein.
hat in ihnen Vorbilder gefunden, sagt: Kommentaren irgendwelcher Männer, die Weil sie eigentlich nur macht, was sie ge-
»Das sind so liebe Mädels. Ich feiere die ihr Revier verteidigen wie Hunde. Versteht rade will.
so hart.« Und: »Wieso darf eine Frau sich nicht, wieso eine Frau die Sparkasse ver- Antifuchs steht auf, geht auf die Bühne,
nicht wohlfühlen in knappen Klamotten? klagt hat, weil sie »Kundin« genannt wer- wirft um kurz vor 22 Uhr die Fäuste ins
Wieso darf sie nicht fluchen?« den wollte und nicht »Kunde«. Publikum, alles ist getaucht in rotes Licht,
Antifuchs spricht über Widersprüche, »Wenn man da zwei Worte dafür hat, alles an diesem Auftritt eine Ansage. Anti-
Flüche, sagt sie, seien nicht schlimm. Rap- da produziert man doch erst Ungleich- fuchs rappt: »Denn ich geb ’n Flying Fuck.
perinnen aus der Generation vor ihr, zu heit«, sagt sie. »Das ist doch nicht femi- Mit der Fick-dich-Attitüde und dem Kopf
der auch Lady Bitch Ray gehört, haben nistisch.« durch die Wand.«
Begriffe wie »Schlampe« oder »Bitch« von München, Ende Juli, sie ist im »Back- Mittelfinger hoch.
den Männern zurückerobert, beleidigende stage Club«, in einem Raum hinter der
und pornografische Deutungen davon ab- Bühne. Sie schminkt sich am Spiegel an
geklopft, als wären sie bloß Staub. Zum der schwarzen Wand, trägt Rouge auf und Video
Ist das schon
Hip-Hop gehöre es, finden sie, andere zu Lippenstift, zieht ihre Maske über, setzt Feminismus?
beleidigen, sich selbst größer darzustellen, sich auf ein zerschlissenes Ledersofa. Bläst spiegel.de/sp542018antifuchs
als sie in Wahrheit sind. »Ich liebe die Pro- Plastikteile auf, rot, geformt wie Fäuste oder in der App DER SPIEGEL
vokation, wenn ich über Schwanzverglei- mit ausgestreckten Mittelfingern.
»Lesbisch? Feministisch?
Intellektuell ist viel schlimmer«
FERNSEHEN Das Leben ist voll
seltsamer Männer, an-
strengender Frauen, Haupt-
und Nebenwidersprüche
und roter Teppiche, die man
überwinden muss. Maren
Kroymann macht Satire
daraus.
D
ie Sängerin, Kabarettistin, Schau-
spielerin Maren Kroymann sitzt in
einem Park in Berlin-Charlotten-
burg und redet sprudelnd dreispra-
chig, Hochdeutsch, Schwäbisch,
Berlinerisch. Sie ist 69 Jahre alt, was man
ihr nicht ansieht, was sie aber nicht ver-
schweigt: »In my Sixties« heißt doppel-
deutig ihr aktuelles Bühnenprogramm. Ins
Fernsehen kam sie 1988 mit »Oh Gott,
Herr Pfarrer«, einer Serie, die Kroymann
bekannt machte und Pietisten erschütterte:
unerhört, dass sie als schwäbische Pfarrers-
frau den Pfarrer direkt nach der Beerdi-
gung zum Sex empfing. Fünf Jahre später
outete sie sich als lesbisch – und da war
erst mal Schluss mit romantischen Fernseh-
komödien. Als »Nachtschwester Kroy-
mann« durfte sie noch ein paar Jahre be-
weisen, dass durchaus Frauen mit Humor
existieren, denen man eine eigene Sendung
anvertrauen kann. 1997 war das vorbei, da-
nach war Pause, jahrelang. Jetzt, mit Ver-
spätung, erscheint die »Nachtschwester«
als DVD. Jetzt hat sie auch wieder eine ei-
gene Satiresendung: Schlicht »Kroymann«
heißt die neue Serie, mit der sie dieses Jahr
im März einen Grimme-Preis gewann. Die
nächsten Folgen laufen am 8. November
und 6. Dezember im Ersten. Kroymanns
Absicht: böse sein. Zu allen.
SPIEGEL: Frau Kroymann, überall ist stellt sich doch die Frage: Ist es ein Vorteil, führen. Es reicht nicht, Komplimente zu
#MeToo, überall hört man Berichte über Lesbe zu sein? machen. Gut, sie können sagen: »Schöne
Männer, die sich schlecht benehmen. Da Kroymann: Ja. Ich finde es super! Praktisch Beine.« Dagegen habe ich nichts.
alle wissen, dass ich nicht nur feministisch, SPIEGEL: Die Feministin hat nichts gegen
sondern auch lesbisch bin. Es ist an- Komplimente?
Das Gespräch führte die Redakteurin genehm, weil den Männern klar ist: Sie Kroymann: Natürlich nicht! Solange das
Barbara Supp. müssen eine richtige Diskussion mit mir nicht das Einzige ist, was sie sagen. Das
Fotos: Andrea Grambow & Joscha Kirchnknopf, Location: Theater Bar jeder Vernunft 103
INSZENIEREN
SPIEGEL: Die Linke hatte die Klassenfrage Kroymann: Das Wesentliche ist ja nicht, Kroymann: Wir Frauen haben ja nicht nur
im Sinn, nicht die Geschlechterfrage. dass Einzelne an den Pranger gestellt wer- das Recht, uns zu beschweren, wenn wir
Kroymann: Dieses Frauenzeug – das war den. Klar – bei Vergewaltigungen zum Bei- vergewaltigt worden sind. Es stimmt, bei
der Nebenwiderspruch, so hieß das ja. spiel müssen die Täter bestraft werden, Henke wurden viele Vorwürfe anonym er-
SPIEGEL: Und es bedeutete: Erst mal sollten und das sollte die Öffentlichkeit auch er- hoben. Die Frauen hatten einfach Angst,
alle anderen Probleme gelöst werden, dann fahren. Aber mindestens genauso wichtig keine Jobs mehr zu kriegen. Zeigt das nicht,
löse sich das Frauenproblem von allein. ist es doch, die Machtstrukturen aufzu- dass in der Diskussion etwas schiefläuft?
Kroymann: Besonders lustig haben wir das decken, und diese beiden Ansätze sollten SPIEGEL: Wer also weiblich ist und in der
in der DDR erlebt. Wir waren eingeladen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Kulturszene etwas werden will, hat Pech?
zum »Festival des politischen Liedes«, An- Die Strukturen drücken sich ja oft in Klei- Kroymann: Es gibt einen bestimmten Mo-
fang der Achtzigerjahre. Wir sollten eigent- nigkeiten aus. Man sieht das sehr gut im ment in der Karriere, da sind Frauen im
lich öffentlich das Stöckelschuh-Programm Fall Gebhard Henke ... Vorteil. Weil sie auf Fotos gut aussehen.
spielen. Es endete mit einem Auftritt SPIEGEL: … dem früheren WDR-Fernseh- »Abbildungskarriere« nenne ich das. Sie
nachts um zwölf im »Haus der Jungen spielchef, der jegliches Fehlverhalten be- kommen in der »Bunten« und der »Gala«
Talente« – wo sich die Mitwirkenden und streitet. vor, sie sind sexy, sind modisch ein Vorbild,
die Funktionäre trafen. Die Frauen im Kroymann: Ja, bei ihm ging es eben um we- sie haben mit berühmten Männern zu tun.
Sozialismus brauchten das nicht, hieß es: niger gravierende Vorwürfe, die aber trotz- SPIEGEL: Und das hilft?
Die sind ja emanzipiert. dem alle ziemlich ekelhaft waren. Wenn Kroymann: Es ist Selbstvermarktung. Da
SPIEGEL: Eine schöne Illusion. die Vorwürfe zutreffen, ging es wirklich erinnern sich die Casterin, der Regisseur,
Kroymann: Die Illusionen gab es nicht nur um Fragen von Machtmissbrauch. Da gab der Produzent daran: Die ist immer wie-
im Osten. Glauben Sie mir: Wenn eine der in der »Bunten«. Die ist ein bekanntes
Frau als lesbisch, feministisch, intellektuell Gesicht. Die nehmen wir.
gilt, dann ist intellektuell das größe Erfolgs- SPIEGEL: Wirklich? Weil sie in der »Bun-
hindernis. ten« zu sehen ist, wie sie auf einem roten
SPIEGEL: Wie kommen Sie darauf? Teppich steht?
Kroymann: Wie schrieb der Kritiker der Kroymann: Dazu ist der rote Teppich ja da:
»Süddeutschen Zeitung« so schön über dass Fotos in Umlauf kommen. Mir wurde
Anke Engelke, die die Nachfolge von Ha- auch gesagt, ich müsse über den roten Tep-
rald Schmidt angetreten hatte: »Wer will pich. Ich habe das tapfer gemacht und wur-
sich abends von einer Frau die Welt er- de gelobt: Du hast solche Fortschritte ge-
klären lassen?« macht in deiner öffentlichen Präsentation.
SPIEGEL: Jetzt, in Zeiten von #MeToo, hört SPIEGEL: Und wer nicht so gut aussieht?
man solche Töne seltener. Kroymann: Sagen wir es so: Wer eher aus-
Kroymann: Da hat sich wirklich etwas ver- sieht wie eine Intellektuelle, kurze graue
ändert, Gott sei Dank! Natürlich gab es im- Haare, Brille, macht keine Abbildungskar-
mer Übergriffe, Diskriminierung, wir hat- riere. Da muss man dann halt den Nobel-
ten Sketche dazu im »Nachtschwester preis kriegen wie die Biologin Christiane
Kroymann«-Programm vor bald 25 Jahren. Schauspielerin Kroymann Nüsslein-Volhard.
Aber da gab es keine Massenbewegung, »Ich will diese aggressive SPIEGEL: Auch schön.
die sagte: Das ist wichtig, dass das jemand Komponente« Kroymann: Hat sie geschafft. Ist aber an-
thematisiert. Wer von Diskriminierung strengend. Für ein paar Jahre, am Anfang
sprach, das waren doch nur die schmallip- der Karriere, haben Frauen tatsächlich die
pigen Feministinnen, die selbst diskrimi- es dann schnell den Brief der 16 Frauen, besseren Chancen. Männer haben diese
niert wurden und mit denen man nichts zu die sich auf seine Seite gestellt haben, mit Anschubhilfe nicht. Das mit den Fotos ist
tun haben wollte. Man wollte weiblich sein, dem Tenor: Der hat künstlerisch eine tolle leichter. Damals bei »Oh Gott, Herr Pfar-
sexy und erotisch – auch für die Männer. Arbeit geleistet, und außerdem, uns hat er rer« war Robert Atzorn der Hauptdarstel-
Und jetzt kriegen die Frauen mit: Die hat- nichts getan. Mich hat das einigermaßen ler, aber die bunten Blätter wollten lieber
ten damals recht, diese Feministinnen. Da irritiert, ich fand das unsolidarisch den über die Frau berichten, die seine Ehefrau
könnte man eigentlich solidarisch sein. Frauen gegenüber. spielt. Fand ich skurril.
SPIEGEL: Auf die Vorwürfe gegen den SPIEGEL: Nicht alle Vorwürfe, die jetzt laut SPIEGEL: Als Sie in dieser Serie die feminis-
Hollywoodproduzenten Harvey Wein- werden, sind juristisch relevant. tische schwäbische Pfarrersfrau spielten,
stein folgte die Kampagne #MeToo – wa- Kroymann: Aber darf man alles tun, was wusste noch niemand, dass Sie lesbisch sind.
ren Sie überrascht, dass daraus ein welt- juristisch nicht relevant ist? In einem un- Kroymann: Da war ich’s ja auch noch nicht.
weiter Aufschrei wurde? serer neuen Sketche bei »Kroymann« Ich bin ja über den zweiten Bildungsweg
Kroymann: Schon. Aber vor allem erfreut. geht es um Coaching, ich berate Männer, gekommen. 1993 habe ich mich dann ge-
Ich denke, Donald Trump hat mitgeholfen, wie sie weiter ihre Macht ausspielen outet, und dann war erst mal Pause. Ein
dass es dazu kam. Diese Sprüche wie: können, ohne dass sie erwischt werden. Jahr lang kam nichts, kein Angebot. Als
»Wenn du Macht hast, darfst du den Frau- Sie dürfen nach wie vor Frauen bei Beför- Lesbe dauert es halt etwas, bis man sich
en zwischen die Beine fassen«, die haben derungen übergehen, sage ich, das ist straf- durchgesetzt hat, weil man diese Anschub-
den Widerstand beflügelt. Das ist das ein- rechtlich nicht relevant. Sie dürfen Frauen hilfe nicht hat. Wir sind nicht Opfer, nein,
zig Gute, das Trump bewirkt hat. ständig unterbrechen und ihnen Dinge aber wir brauchen ein bisschen länger für
SPIEGEL: Hat #MeToo das Verhältnis zwi- sagen, die sie schon wissen. Strafrecht- die Karriere. Ich habe Glück, dass ich noch
schen den Geschlechtern wirklich ver- lich nicht relevant. Sie dürfen ihre Arbeit nicht tot bin und die Sendung erleben darf,
bessert? Oder, wie Kritiker – und Kriti- schlechtmachen. Strafrechtlich nicht rele- die ich jetzt mache. Jetzt, mit 69.
kerinnen – sagen: mehr Rohheit in den vant. SPIEGEL: Frau Kroymann, wir danken Ih-
Diskurs gebracht? Und Männer an den SPIEGEL: Ist es denn für die Öffentlichkeit nen für dieses Gespräch.
Pranger gestellt? relevant?
JENSEITS VON
EDEN
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Der Breitfußbeutelmäuserich rammelt Dies sei die Natur des Menschen, hieß führen: Das relativ große, träge Ei ist viel
sich zu Tode. In der Paarungssaison macht es lange, und Evolutionspsychologen be- schwieriger zum Mann zu tragen als um-
dieses australische Tierchen nichts anderes, stätigten die These vom balzenden, auf gekehrt die flotten, winzigen Samenzellen
bespringt jedes Weibchen, das ihm über Risiko und Wettbewerb getrimmten Sil- zum Weib. Nötig wäre also nur, das Weib-
den Weg läuft, umgreift es, beißt sich in berrücken und dem keuschen Weib da- chen zu verführen und die Spermien in
den Pelz und juckelt los. heim in der Hütte. die Nähe der Eizelle zu befördern, dann
Der Akt dauert bis zu 14 Stunden. Dann Ein Bild entstand, das sich bis heute in ist der Begatterjob erledigt. Wer dann die
ist die nächste Maus dran. den Köpfen hält. Es erlaubt einem Mario meisten Nachkommen zeugt und so das
Zwei Wochen lang geht das so, das Barth, mit seinen Simpelsprüchen Arenen Evolutionswettrennen gewinnt, wäre jener
Beuteltiermännchen frisst nicht, es schläft zu füllen, es inspiriert Autoren dazu, Bü- Mr Right, der in der Konkurrenz zu ande-
nicht. Der Stress setzt ihm zu. Das Fell cher mit Titeln wie »Warum Männer im- ren Männchen alle Rivalen aussticht.
wird matt, sein Fleisch beginnt zu faulen, mer Sex wollen und Frauen von der Liebe Wenn das so wäre, müsste es sich mes-
die Maus siecht. Spätestens zwei Wochen träumen« zu schreiben. sen lassen, dachte in den Vierzigerjahren
nach der letzten Kopulation sind alle Dieses Bild von Mann und Frau begrün- der britische Genetiker Angus John Bate-
Männchen tot. det die Rollenverteilung zwischen den Ge- man und ersann ein geniales Experiment
Selbstmordsex. schlechtern, wie sie immer noch in den mit Drosophila-Fliegen.
Lange rätselten Forscher, welchen Sinn meisten Teilen der Welt herrscht. So legi- Es sollte für Jahrzehnte die Forscher in
das bizarre Liebesleben der Breitfußbeu- timiert es, ganz nebenbei, das Patriarchat die Irre führen.
telmaus habe. Irgendwann stellte sich und macht es zu einer unumstößlichen Wenn das Wesen der Paarung im Wett-
heraus: Die weiblichen Tiere werden alle Wahrheit. bewerb der Männchen läge, so dachte Bate-
zugleich brünstig. Die einzige Chance für Denn was lässt sich schon gegen die Na- man, würde es Gewinner geben, die sehr
ein Männchen sich fortzupflanzen liegt tur selbst ausrichten? viele Nachkommen zeugen – und Loser,
also darin, so schnell wie möglich so viele »Wir sind nun einmal Tiere, in der Evo- die nie zum Zuge kommen. Bei den Weib-
Weibchen wie möglich zu begatten. lution entstanden durch die brachialen chen hingegen dürften sich wenige Unter-
Dass der Mäuserich stirbt, ist der Preis, Kräfte der Selektion«, so beschreibt es schiede im Fortpflanzungserfolg zeigen.
den er zahlt, damit seine Gene weiterleben. In Glasflaschen ließ Bateman seine Flie-
Ein Paarungsverhalten wie das der Beu- genmänner auf die Weibchen los. Und tat-
telmaus räumt auf mit einem Mythos, der sächlich, etwa jedes fünfte Männchen zähl-
in der Biologie lange den Blick auf das te zu den Mauerblümchen und befruchtete
wahre Wesen tierischer Sexualität ver- Beim Sex gibt es gar keine Eier, die anderen dagegen umso
sperrt hat. Und damit auch: den Blick auf mehr. Kinderlose Weibchen indes gab es
den Menschen. Gewinner und Verlierer. kaum. Und die Weibchen bekamen auch
Diesem Mythos zufolge steht das männ- kaum mehr Fliegenkinder, wenn sie mit
liche Tier seit Urzeiten in testosteron- Aber andere, als mehr Partnern Sex hatten.
geschwängerter Konkurrenz ums Weib, Merke: Herumvögeln lohnt sich nur für
der Großwildjäger von heute trachtet da- die Forscher glaubten. Männchen.
nach, mit Rolex, Maserati und Macht alle Darwin schien bewiesen, und so kam
Rivalen auszustechen und die Gunst des es, dass das Paarungsverhalten der Frucht-
schönsten, jüngsten It-Girls zu ergattern. fliege auch auf den Menschen übertragen
Das er allerdings, sobald er es erfolgreich Gijsbert Stoet, Psychologieprofessor an wurde, beschrieb es doch offenbar ein
geschwängert hat (und es Falten wirft), der britischen Leeds-Beckett-Universität. universelles Gesetz des geschlechtlichen
gern betrügt mit der nächsten fertilen In der Steinzeit habe es sich »für Männer Miteinanders. Und ja, viele spätere Be-
Beautyqueen. Die einst Angebetete, so der ausgezahlt, Jäger zu sein, und für Frauen, fragungen und Beobachtungen des Homo
Mythos, legt all ihr Streben in die Aufzucht sich um die Babys zu kümmern«. Die Na- sapiens ergaben Ähnliches.
seiner Kinder. Fremdgehen? Eigenes ero- tur habe einige der dafür benötigten Fer- So bestätigte eine viel zitierte Studie
tisches Begehr? Ist ihr fremd. tigkeiten in die Hardware unseres Gehirns der US-Psychologen Russell Clark und
Die Theorie dahinter: Mann wie Weib geschrieben; das könne man »nicht so Elaine Hatfield, dass amerikanische Stu-
streben nach dem größten Fortpflanzungs- leicht ändern«. denten es halten wie Drosophila: Die meis-
erfolg. Die Frau vermag jedoch wegen Um zu verstehen, wie es dazu kam, dass ten Jungs wollen immer, die Mädels nie.
Schwangerschaften, Stillzeiten und einem so viele Wissenschaftler an eine Grund- Die Frage war nur, wieso? Vielleicht
endlichen Vorrat an Eizellen nur eine be- beschaffenheit der Geschlechter glaubten, würden sich mehr Frauen enthemmt in
grenzte Anzahl von Sprösslingen in die muss man sich in die Spielarten tierischer sexuelle Abenteuer stürzen, wenn sie
Welt zu setzen; deswegen kümmert sie Sexualität vertiefen. Man muss sich das wüssten, dass der Sex mit dem Gegenüber
sich darum, dass diese überleben und sich Treiben der Fruchtfliegen anschauen und wirklich Freude macht. Die Wahrschein-
ihrerseits fortpflanzen können. das Alphamännchen-Getue der Schimpan- lichkeit ist leider gering. So ergab eine gro-
Dazu wählt sie, wie die Hirschkuh den sen, die wilde Promiskuität der Löwinnen ße Studie in den USA, dass junge Frauen
Bullen mit dem größten Geweih, den bes- und, natürlich, die Beutelmäuse. nur bei etwa einem von zehn One-Night-
ten Mammutjäger als Vater: einen Versor- Charles Darwin war es, der als Erster Stands einen Orgasmus erleben.
ger, der sie und die Kleinen ernähren kann. eine Art Gesetz im Liebesspiel der Tiere zu Was daran lag, dass die meisten der
Sie investiert gleichsam in die Qualität des erkennen glaubte. In seinem Buch »Die Ab- befragten Collegestudenten zwar fanden,
Nachwuchses. stammung des Menschen« schrieb er, dass dass es für einen Mann generell wichtig
Der Mann mit seinem unerschöpflichen »die Männchen beinahe aller Tiere stärkere sei, befriedigt zu werden, für eine Frau
Spermienreservoir kann theoretisch Tau- Leidenschaften haben als die Weibchen«. aber nur: in einer festen Beziehung zu sein.
sende Kinder zeugen, am besten mit ver- Das Weibchen seinerseits sei »weniger be- »Mir ist es superwichtig, dass sie
schiedenen Frauen. Dewegen geht er no- gierig« als das Männchen: »Es ist spröde.« kommt«, sagte einer der Teilnehmer im
torisch fremd. Er investiert in die Quan- Darwin glaubte, dies sei letztlich auf Interview. Die Studienautoren fragten
tität. die Geschlechtszellen der Tiere zurückzu- nach: »Sie meinen mit ›sie‹ Frauen all-
gemein oder eine bestimmte?« Er: »Die Fine nimmt dafür einen darwinschen alle zwei oder drei Tage zuteil werden –
feste Freundin. Bei einer Spontanbegeg- Mr Perfect an, der sich aufmacht, hundert schon bei einem normalen, gesunden Paar
nung ist mir das scheißegal.« Kinder im Jahr mit hundert verschiedenen liegt die Chance, bei einem bestimmten
Frauen zu zeugen. Nur: In einer Welt, in Geschlechtsakt schwanger zu werden, nur
Wenn Darwin und Bateman recht hätten, der es auf den größten Fortpflanzungs- bei drei Prozent.
müssten Männer mehr Interesse am erfolg ankäme, wären zu einem gegebe- Selbst wenn man alle Schwierigkeiten
Fremdgehen zeigen als Frauen. Aber das nen Zeitpunkt die meisten fruchtbaren außer Acht lässt, beträgt Mr Perfects
tun sie nicht. Die Langzeitstudie »Stu- Frauen schwanger oder stillten. Selbst Chance auf Erfolg exakt 0,0000000000
dentische Sexualität im Wandel«, bei der wenn Mr Perfect nun unverschämtes 000000000000000000000000000000
deutsche Studenten zwischen 20 und 30 Glück hätte und eine Frau in der kurzen 000000000000000000000000000000
zu ihrem Liebesleben befragt werden, kam Zeit nach dem Abstillen und vor der 000000000000000000000000000000
in ihrer jüngsten Erhebungswelle 2012 zu nächsten Schwangerschaft erwischte, 00000000000748.
dem Ergebnis, dass acht Prozent der Frau- müsste diese just um diesen Termin herum »Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann
en und neun Prozent der Männer ihren ihren Eisprung haben. Und seinen Verfüh- zu Lebzeiten von einem Meteoriten ge-
gegenwärtigen Partner mindestens einmal rungskünsten erliegen. Und dieses Glück tötet wird, ist 0,000004«, rechnet Fine ge-
betrogen haben. müsste ihm plus erfolgreicher Begattung nüsslich vor. »Und da heißt es, Wunsch-
Läge die Bestimmung des Mannes denken finde sich nur im Feminismus.«
tatsächlich darin, mit seinen außeror- Tatsächlich müsste ein promisker Mann
dentlich vielen und laut Darwin mit we- mit mehr als 130 Frauen schlafen, kalku-
nig Aufwand produzierten Spermien (im liert Fine weiter, um mit 90-prozentiger
Ejakulat des Homo sapiens wimmeln Ob Fadenwurm, Mehl- Chance einen monogamen Mann zu über-
300 Millionen) möglichst viel Nachwuchs treffen, der ein Kind pro Jahr zeugt.
mit möglichst vielen Frauen zu zeugen, käfer oder Lachs – Was also, wenn Darwin und seine Erben
würde er scheitern. Das führt auf sehr falsch lagen? Bateman jedenfalls hatte sich
amüsante Weise die britische Psychologin die Weibchen sind sich zu geirrt – aber das blieb fast 60 Jahre lang
Cordelia Fine in ihrem Buch »Testosterone unentdeckt. Offenbar hatten die Frucht-
Rex« vor. schade für einen allein. fliegenmachos zu vielen Forschern zu gut
in den Kram gepasst: Sein Experiment wagte, die alte Darwin-Lehre zur sexuel- Spiel der Geschlechter bringen, fußt ja
wurde mehr als 1500-mal zitiert, vor allem len Selektion in Zweifel zu ziehen. darauf, dass die Produktion von Spermien
Soziobiologen waren fasziniert. Dabei leuchten die Vorteile des Herum- und ein kurzer Geschlechtsakt keine große
Erst im Jahr 2007 kamen die amerika- hurens für Weibchen sofort ein. Lassen sie Investition bedeuten.
nischen Evolutionsbiologen Brian Snyder sich vom Erstbesten bespringen und es Aber das, so hat sich herausgestellt,
und Patricia Gowaty auf die Idee, Bate- dabei bewenden, riskieren sie viel – der stimmt eben nicht. Allein schon der Ange-
mans Experiment noch mal genauer zu Liebste könnte ja unfruchtbar sein. Oder beteten den Hof zu machen kostet viel.
durchleuchten: »Unsolide«, lautet ihr ver- sein schlappes Immunsystem vererben; Der Posterboy männlicher Opferbereit-
nichtendes Fazit, »seine Schlussfolgerungen möglicherweise passen auch die Gene schaft ist der Beutelmäuserich mit seinem
sind fragwürdig.« Sie unterzogen Batemans nicht zusammen. Selbstmordsex – er kann sich nicht einmal
Urdaten einer erneuten Analyse, nun aber mehr an den Kinderchen erfreuen.
mit modernen statistischen Methoden; au- Dass das Lotterleben mit vielen Lovern Die Natur, so zeigt sich, wenn man ge-
ßerdem packten sie die Ergebnisse von wei- sich lohnt, zeigt sich spätestens beim Hin- nauer hinschaut, schrieb nicht das eine
teren Teilen des Experiments dazu, die aus dublatthühnchen. Das hält sich einen Ha- weltgültige Gesetz in die Gene und Schä-
unerfindlichen Gründen getrennt analysiert rem von bis zu vier Männchen. Mit denen del. Speziell der Homo sapiens hat sich
worden waren. Dabei kam heraus: Wildes kopuliert es reihum; vom Sexdienst befreit in der Evolution weit von seiner tierischen
Paaren mit vielen Partnern lohnt sich glei- sind nur jene, die gerade Eier bebrüten Verwandtschaft entfernt, indem er ein
chermaßen für beide Geschlechter. Auch oder Junge füttern. Da die Männchen die komplex verschaltetes Frontalhirn ent-
Weibchen, die Sex mit mehr Gespielen ha- Kükenbetreuung komplett übernehmen, wickelt hat.
ben, bekommen mehr Nachwuchs. kann das Hindublatthühnchen viermal so Nach dem wahren, tief in der Urge-
Was auch viel besser zu dem passt, was viele Nachkommen in die Welt setzen wie schichte angelegten Kern menschlicher
Verhaltensforscher längst in freier Wild- eine monogame Vogeldame. Sexualität zu suchen, der allein in der Fort-
bahn beobachtet und Genetiker anhand Andersherum gewinnt nicht immer der pflanzung liegt, führt in die Irre, nicht
von Vaterschaftstests herausgefunden ha- größte Haudrauf unter den Alphamänn- zuletzt homosexuelle Begierden künden
ben. Eine jüngere Übersichtsstudie listet chen den Wettbewerb ums brünstige davon. Und schon gar nicht lassen sich all
allein 39 Arten auf, von denen bekannt Weib – im vergangenen Jahr erst kam die anderen Faktoren, die den Mensch
ist, dass die weiblichen Tiere promisk le- heraus, dass dominante Bonobomännchen zum Menschen machen, subtrahieren, und
ben und mehr Nachkommen in die Welt mehr Babys zeugen als die deutlich bruta- als Ergebnis erhielte man die nackte Natur,
setzen als treues Ehegespons. Ob Faden- leren Gruppenchefs bei ihren Vettern, den eine Art Reinzustand von Adam und Eva
wurm oder Rauhfußkauz, Mehlkäfer, Schimpansen. im Garten Eden.
Lachs oder Kreuzotter – die Weibchen Manchmal lohnt es sich für Männchen Welchen Kerl Frauen auf ihre Matratze
sind sich zu schade für einen allein. sogar, das abwartende, wählerische Ge- ziehen, darüber bestimmt offenbar nicht
Lange diente Soziobiologen die Vogel- schlecht zu sein. Die These Darwins, dass eine angeborene Präferenz für einen
balz als Paradebeispiel fürs darwinsche sie die »stärkeren Leidenschaften« ins saturierten Versorger. In Ländern mit
Modell des gockelnden Männ- zunehmender Geschlechter-
chens und der wählerischen gerechtigkeit bedeuten Brief-
Weibchen; der beste Tänzer, tasche und Status der Männer
Sänger, Showman darf die entsprechend weniger.
meisten Eier besamen. So hält Dort wirkt Gleichheit als
es der Grasläufer, ein unschein- Aphrodisiakum: Man verliebt
barer Watvogel. Der Balzge- sich in eine, in einen, der ähn-
winner war der wahrste Weib- lich tickt wie man selbst. Eine
chenheld, am Ende ließen sie Architektin verknallt sich in
nur noch ihn an sich ran. So den Designfan, mit dem sie
schien es jedenfalls. stundenlang über Sichtachsen
DNA-Tests ergaben dann, philosophieren kann, ein Chi-
dass ganze 59 Nebenbuhler rurg liebt die Biologin, der er
den Nachwuchs in 47 Gelegen minutiös erklären darf, wie er
gezeugt hatten, völlig verbor- die Schrauben bei der nächs-
gen vor den Augen der For- ten Wirbelsäulen-OP setzt.
scher. Es gab mehr Väter als Den Menschen, so viel ist
Mütter – eine Sensation. klar, hat die Evolution geformt
Leichter ließen sich zuvor zu einer feinst verschraubten
schon Löwinnen als Königin- Anpassungsmaschine. Und
nen der Promiskuität enttar- das austarierte und flexible
nen, sie paaren sich manchmal Zusammenspiel der Gene,
hundertmal am Tag mit ver- Hormone und Hirnzellen
schiedenen Männchen. Dies macht es möglich, dass wir –
war bekannt, aber jahrzehnte- je nachdem, wie unsere Eltern
lang fügte kein Forscher dies uns fit machen für die Welt,
zu einem Modell, einer neuen wer unsere Freunde sind, wo
These zur Vielmännerei der wir zur Welt kommen und
Weibchen zusammen. »Theo- wann – unser Leben und Lie-
retisch sollte es das Phänomen ben leben.
nicht geben«, schrieb Sarah Die Kultur ist die Natur des
Blaffer Hrdy, eine der ersten Menschen.
Evolutionsbiologinnen, die es
109
ERFORSCHEN
Zukunftsmacher*innen
TECHNIK Frauen und IT? Eine andere, Physikerin, 32 Jahre alt, »Auf den Kongressen sieht es in gewisser
erzählt, dass ihr Klassenlehrer alle Mäd- Weise aus wie in Informatik-Studiengän-
Das kann ja nichts chen automatisch der schlechtesten Infor- gen«, sagt Constanze Kurz, 44 Jahre alt,
matikgruppe zugeordnet hätte, »dabei war Sprecherin des Chaos Computer Clubs
werden, denken immer ich eine der Besten«. Eine dritte musste und selbst eine Berühmtheit in der Szene.
noch viele Nerds. sich als Vortragende auf der Bühne fragen Sie spricht über den jährlichen Hackertreff
lassen, ob sie wisse, was HTML sei, ja, im Dezember, den Chaos Communication
Also hacken Frauen danke, es ist die Sprache, mit der man Congress, auf dem es überall blinkt, an
Webseiten erstellt. Einer vierten wurde bei Schuhen, Skateboards, Geländern. Im
nun unter sich und einem Besuch in ihrem Stamm-Hacker- Jahr 2017 trafen sich auf Zehntausenden
widmen sich der Frage: space erklärt, was ein Hackerspace ist. Und Quadratmetern 15 000 Gäste, die meisten
sie alle erzählen von Männern, die ihnen davon Männer, viel weniger Frauen.
Warum sollen nur schon mal in die Tastatur gegriffen haben. Fiona Krakenbürger ist eine von ihnen.
Im Baumhaus wollen sie nicht nur Ruhe »Hier wird die Welt von morgen gestaltet
Männer definieren, was haben vor solchen Typen. Sie organisieren und entwickelt«, sagt sie auf dem Kongress,
Fortschritt ist? Kurse, für türkischstämmige Mädchen bei- »aber Technologien, die von einer Minder-
spielsweise; sie wollen sich und anderen heit entwickelt werden, bedienen auch nur
Zugang verschaffen zu einer Welt, die de- die Bedürfnisse dieser Minderheit.« Mit
Von Judith Horchert nen, die in ihr zu Hause sind, gute Jobs Minderheit meint sie Männer, meist aus
verspricht – und Macht. der Mittelschicht, überwiegend weiß.
Es sind immer noch wenige, die sich mit Es scheint tatsächlich, als stehe die
W
der Technik wirklich auskennen, eine digi- IT-Szene nicht im Fokus des feministischen
er zum »Damensalon« möchte, tale Elite. Interesses, als sei das Silicon Valley der
sollte schwindelfrei sein. Nur Sie sind die Leute, die beispielsweise im tote Winkel der Emanzipation. Zwar be-
eine Metallleiter führt ins Silicon Valley sitzen, die Wünsche kreieren klagen sich die Frauen dort schon seit
Obergeschoss des Backstein- und auch gleich Wege, wie man sie in Zu- Jahren über Sexismus in der Branche, viel-
häuschens in einem Kreuzber- kunft erfüllen kann. An Orten wie dem leicht sind sie aber zu wenige und zu
ger Hinterhof, ein Griff bietet Halt beim Baumhaus herrscht allerdings die Über- unbekannt, um öffentlichkeitswirksam so
heiklen Schritt zwischen letzter Sprosse zeugung, dass es der Zukunft nicht guttut, viel zu verändern wie die Schauspielerin-
und Eingangstür, man schwingt sich wenn immer die gleichen männlichen nen bei #MeToo. Dabei gibt es auch unter
hinein und sieht: eine Menge Kabel und Nerds entscheiden, wie sie wird. Hackern einen Starkult, manche Männer
ein paar Frauen. dort werden wie Rockstars ver-
Es ist Donnerstagabend, offener Treff, ehrt. Viele Frauen, so wirkt es,
willkommen sind alle »Frauensternchen«, suchen sich nur einen Platz in
also diejenigen, die sich, hauptsächlich den Zuschauerrängen.
zumindest, als Frau fühlen. So steht es Und das ist paradox, denn
auf der dazugehörigen Website, sie heißt es ist eigentlich Ziel der Szene,
»Heart of Code« (»Herz aus Code«). Dies nicht nur Technik zu hacken,
hier ist ein Hackerspace, eine Mischung sondern auch die Gesellschaft.
aus Klubhaus und Werkstatt, wo Frauen Da sollen nicht nur Systeme
ungestört über Technologie sprechen kön- und Schlösser geknackt und
nen, schrauben, löten, programmieren. geöffnet werden, sondern auch
Offenbar ist so ein Ort nötig in der Ha- Strukturen. »Wir sind eine
ckerszene, die sich doch für tolerant und galaktische Gemeinschaft von
offen hält. Die aber mittlerweile so oft mit Lebewesen, unabhängig von
Sexismusvorwürfen konfrontiert wird, Alter, Geschlecht und Abstam-
dass sie sich ihnen stellen muss. Die Frauen, mung sowie gesellschaftlicher
die hier oben im »Baumhaus« sitzen, wie Stellung, offen für alle mit neu-
sie es auch nennen, sehen es jedenfalls so. en Ideen«, schrieb der Chaos
Vor aufgeklapptem Laptop sitzt zum Computer Club 2005 in seiner
Beispiel Fiona Krakenbürger, 28 Jahre alt, »Unvereinbarkeitserklärung«.
Techniksoziologin und Aktivistin, bekannt Das war die Idee, eine Utopie,
geworden in der Szene mit ihrem Blog und die auf den bunten Hacker-
ihren Vorträgen über genderspezifische kongressen schon gelebt wird.
Gestaltung von Technologie. Doch, sagt Herzlich wird aufgenommen,
sie, Frauen dürften heutzutage schon mit- wer anderswo aneckt, hier darf
reden, wenn es um Technik gehe. Aber abseits von Konventionen ge-
abseits vom Baumhaus »wird man schon dacht, gelebt und geliebt wer-
mal gefragt, ob denn der Freund was in Aktivistin Krakenbürger den. Trotzdem fallen auch dort
dem Bereich macht«. Nicht nur die Technik knacken, auch die Gesellschaft herablassende, paternalistische
110
Bemerkungen, trotzdem wer-
den dort Menschen belästigt,
und trotzdem fühlen sich Men-
schen dort unwohl.
»Bei meinem ersten Kon-
gress vor Jahren in Berlin bin
ich an der Tür wieder umge-
dreht und nach Hause gefah-
ren«, erzählt Krakenbürger,
»ich habe mich nicht reinge-
traut.« Sie will, dass sich das än-
dert, und hat vor ein paar Jahren
die »Chaospatinnen« gegrün-
det. Besucherinnen, die schon
häufiger auf dem Kongress wa-
ren, nehmen die an die Hand,
die zum ersten Mal dabei sind.
Krakenbürger und ihr Team
haben ihren Bereich in der
Messehalle diesmal wie einen
Garten gestaltet, mit einem
Teich aus Pappe und Blumen
aus Papier. Er soll ein Zuhause
sein für Neue auf dem Kon-
gress, eine sichere Anlaufstelle, Hackerinnentreff in Kreuzberg: Ohne Männer, die einem in die Tastatur greifen
wo keiner und keine blöd an-
gemacht wird.
Immer wieder äußern Frauen Vorwürfe, erstaunt: Interessiert die Frauen das The- folgt? Der Club, das seien »Männer, die
bei denen es keineswegs nur um männli- ma nicht? Oder haben sie zwischen Weih- Frauen hassen«, so lautet die Überschrift
che Überheblichkeit geht oder darum, wer nachten und Neujahr zu viel zu tun?« Im eines Blogeintrags, und der Club weiß
wem in die Tastatur gegriffen hat. Es geht Jahr darauf lud sie gemeinsam mit einer nicht recht, wie er damit umgehen soll.
auch um Missbrauch, sexuelle Belästigung, Mitstreiterin explizit zu einem Workshop Der Chaos Computer Club reagiert hilf-
selbst Vergewaltigungsvorwürfe hat es ge- für Hackerinnen ein und hatte bereits ei- los auf die Vorwürfe, denkt über Konse-
geben. Einige davon richteten sich gegen nen Namen dafür: Haecksen. »Es kamen quenzen nach, ist sich dabei noch immer
Jacob Appelbaum, der in der Vergangen- sofort 20 Frauen. Es wirkt, Frauen explizit unschlüssig, welche das sein könnten.
heit auch für den SPIEGEL geschrieben anzusprechen.« »Mittlerweile gucken wir genauer hin, wer
hatte, und Julian Assange, beide Stars der Tangens zählt ebenfalls zur Prominenz einen Vortrag halten darf«, sagt die Spre-
Szene. Gegen keinen der beiden ist je ein der Szene, die alte Gruppierung namens cherin Constanze Kurz. »Wenn es solche
Urteil ergangen, die großteils anonymen Haecksen gibt es immer noch. Sie existiert Vorwürfe gäbe, würden wir den Kandida-
Vorwürfe gegen Appelbaum wurden we- parallel zu den vielen anderen Gruppen, ten wohl gar nicht mehr in Erwägung zie-
der zur Anzeige gebracht noch führten sie die sich mit der Geschlechter- und Sexis- hen.« Ungerecht sei es aber, unter Umstän-
zu einem Ermittlungsverfahren, das Ver- musfrage in der Hackerszene auseinander- den jemanden allein wegen Anschuldigun-
fahren gegen Assange wurde eingestellt, setzen. »Allerdings gibt es da heute auch gen nicht mehr auf die Bühne zu lassen.
bis heute ist nicht geklärt, was passiert ist. manche Gruppen, denen es gar nicht mehr Tatsächlich tut sich hier ein Spannungs-
Beide hatten die Vorwürfe bestritten, doch um die Inhalte der Konferenz geht, son- feld auf zwischen zu viel Freiheit und zu
beide fielen tief, nicht nur von den Bühnen dern nur noch um Identität, darum, wer harten Grenzen für die Kreativen der Sze-
der IT-Konferenzen. wie behandelt und wie angesprochen wer- ne. Manche von ihnen fordern mit Nach-
Ist es ähnlich wie in der Kunst, wo ein den will«, sagt Tangens. Sternchen- und druck einen Code of Conduct, ausgerech-
Geniekult um sich selbst großartig fin- Genderdebatten, Empfindlichkeiten, Vor- net ein Regelwerk für die Hacker, die
dende Männer bewirkt, dass einige Män- würfe, Drama. Das sei heikel, »die Aufge- Regelwerke doch so verabscheuen.
ner glauben, Grenzen gebe es für sie nicht? regtheit in der Diskussion tut unseren The- Die Kreuzberger Hackerinnen sehen
Immer wieder flammen Diskussionen da- men nicht gut«. So ließen sich Probleme sich nicht als Abspaltung vom Chaos Com-
rüber auf, auch im Chaos Computer Club: kaum noch offen und sachlich besprechen. puter Club, eher als Korrektiv. »Wir wol-
Begünstigt die Hackerszene in ihrer jetzi- Dabei ist das dringend nötig. Auch beim len nämlich keine parallele Community
gen Form den Sexismus? Oder ist die Zahl vergangenen Jahrestreff des Chaos Com- etablieren«, sagt Fiona Krakenbürger. Ir-
der Vorfälle und Beschwerden noch ver- puter Clubs beschwerte sich eine Person gendwann, so hofft sie, brauche es ihre
gleichsweise niedrig angesichts dessen, via Twitter, ihr Ex-Partner sei von den Or- Organisation nicht mehr.
dass aus dem Treff einer verschworenen ganisatoren nicht von der Konferenz aus- Die Frauen im Baumhaus sind der Über-
Gemeinschaft eine Großveranstaltung ge- geschlossen worden, obwohl er ihr Gewalt zeugung, dass es sie gibt, die computer-
worden ist? Die Debatte ist fast so alt wie angetan habe. Von anderer Seite hieß es, affinen Frauen, mit deren Hilfe man den
der Club selbst. Die Datenschutzaktivistin ein Mann dürfe auf die Bühne, obwohl er Club verändern kann; man muss sie nur
Rena Tangens war Ende Dezember 1988 jemanden sexuell belästigt habe. Es ist die finden. Und dann wackelt es tatsächlich
zum ersten Mal dabei, als sich die Hacker- Grundfrage der #MeToo-Ära: Ist es unge- an der Leiter, es sind zwei Frauen, die
szene traf, damals noch im Bürgerhaus in recht, wenn jemand aufgrund juristisch Computer mögen. Sie bekommen Sitz-
Hamburg-Eidelstedt. Neben rund 350 nicht abgesicherter Beschuldigungen Sank- säcke, freundliches Lächeln und die für-
Männern habe sie dort genau 2 weitere tionen erfährt? Oder ist es ungerecht, sorgliche Frage: »Braucht ihr auch Strom?«
Frauen gefunden, so erzählt sie. »Ich war wenn nichts aus diesen Beschuldigungen
14%
lassen mich ja nach wie vor nicht kalt.
Informatik kann man als Handwerk in
ganz vielen verschiedenen Bereichen
der Eltern erwarten nutzen, zum Beispiel bei Stiftungen,
von ihren Töchtern
eine Karriere sozialen oder öffentlichen Einrichtun-
im MINT-Bereich ... gen, Non-Profit-Organisationen oder
in Thinktanks und Social-Business-
... und Start-ups.«
Quelle: OECD
39% Stella Maler, 22, Informatikstudentin
von ihren Söhnen
Vorsprung durch Technik 40 Prozent. Das zeigt eine Studie der Universitäten in Leeds und
Missouri, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde. Die Forscher
Auch weltweit studieren junge Frauen selten MINT-Fächer. Das vermuten, dass MINT-Fächer für die Frauen ein Sprungbrett aus
Überraschende: In Ländern wie Schweden und Deutschland, wo gesellschaftlichen Zwängen in ein selbstbestimmteres Leben
der Gendergap, die Ungleichheit der Geschlechter, eher gering sind. Frauen in einer gleichberechtigten Gesellschaft folgen häu-
ist, finden sich besonders wenige Frauen in solchen Fächern. In figer ihren persönlichen Neigungen und studieren die Fächer, in
Ländern mit hoher Ungleichheit wie Algerien oder den Vereinig- denen ihre Noten noch besser waren als in Physik oder Mathe: in
ten Arabischen Emiraten dagegen liegt der Frauenanteil bei rund Literaturwissenschaft oder Kunst.
42 % Frauenanteil
unter den
MINT-Absolventen Algerien
Albanien Tunesien
38 %
Vereinigte Arabische Emirate
Vietnam Türkei
Indonesien
34% Mazedonien
Georgien
Rumänien
Italien
Portugal
Griechenland
30% Großbritannien Bulgarien
Dänemark Mexiko
Luxemburg
Neuseeland
Polen Südkorea
Spanien
26 %
Frankreich Brasilien
Estland Slowakei
Irland USA Tschechien
Schweden Schweiz
Thailand Katar
Slowenien
22 % Österreich
Norwegen
Niederlande Ungarn
Finnland
Lettland Litauen
Belgien
18 %
ein Wort
lor- oder Masterabschluss zu machen? Um
welche Inhalte geht es in ihren Veranstal-
tungen? Was wollen sie mit dem Studium
anfangen?
Ein guter Ort, um mehr darüber zu er-
fahren, ist die Berliner Humboldt-Uni-
U
versität. Seit mehr als 20 Jahren gibt es
ngefähr 19 000 Studiengänge GESCHLECHTER Die Gender dort das »Zentrum für transdisziplinäre
gibt es an den deutschen Hoch- Geschlechterstudien«, es ist die größte Ein-
schulen, sie haben Namen wie Studies werden vom Papst richtung dieser Art im Land. Für die Gen-
Lusitanistik, International Retail der-Gegner ist das Berliner Zentrum so
Management oder Gesundheits- attackiert und von der etwas wie das Hauptquartier einer gefähr-
kommunikation. Die meisten dieser Stu- AfD, auch die Feministin lichen Sekte.
diengänge besetzen nur eine akademische Die Wände im Flur des Zentrums in der
Nische, kaum jemand kennt sie genau, nie- Alice Schwarzer mag sie Georgenstraße 47 sind von einem milden
mand regt sich darüber auf. Beige, nirgendwo auffällige Graffiti, Toi-
In einer dieser Nischen gibt es auch die nicht. Warum die Auf- letten gibt es ganz konventionell für »Da-
Gender Studies. Kaum jemand kennt sie regung? Eine Erkundung men« und »Herren«. Es sieht nicht so aus,
genau, aber viele regen sich darüber auf. als würde hier eine Revolution geplant,
Und wie: »Hokuspokus«, »Antiwissen- bei Studierenden und aber vielleicht täuscht dieser Eindruck ja?
schaft«, »Gendergaga« »Genderwahn«, Nicht weit entfernt, im Uni-Haupt-
das Wörterbuch der Empörung hat eine Lehrkräften, die davon gebäude verteilen sich etwa 40 Zuhörer
Menge Vokabeln. Es kommt vor, dass überzeugt sind, dass sie auf den knarrenden Sitzbänken eines alten
Lehrkräfte in ihren E-Mails Beleidigungen Hörsaals, gleich wird es um »Amato-
und Vergewaltigungsdrohungen finden. das Richtige tun. normativity and Hermeneutical Injustice«
Zu den lautesten Gegnern der Gender- gehen. So lautet der Titel eines Vortrags.
Theorie gehören, wenig überraschend, die Er ist Teil einer Veranstaltungsreihe über
Politiker der AfD. »Die Gender-Lehrstüh- Von Dietmar Pieper »Themen der feministischen Philosophie«,
le sollten abgewickelt werden«, sagt Bea- die dabei helfen soll, »die Brücke von der
trix von Storch, stellvertretende Fraktions- Genderforschung in eine größere Öffent-
vorsitzende der AfD im Bundestag. Dort lichkeit zu bauen«.
werde keine Wissenschaft betrieben, son- einflusst wie niemand sonst. Ihre bekann- Amatonormativität, eine seltsame Brü-
dern »linke Indoktrination«. teste Idee ist es, die geschlechtliche Iden- cke.
Es ist ein Kulturkampf mit globalen Di- tität eines Menschen ausschließlich als so- Wer den Weg durch die Empfangshalle
mensionen. Vorbild der Rechtspopulisten ziales Konstrukt zu betrachten. So ähnlich genommen hat, ist an der Inschrift aus
ist Ungarn, wo die Regierung im August hat es vor vielen Jahren schon die franzö- DDR-Zeiten vorbeigelaufen: »Die Philo-
angekündigt hat, dass an den Universitä- sische Feministin Simone de Beauvoir ins sophen haben die Welt nur verschieden
ten des Landes mit den Gender Studies Gespräch gebracht, aber erst durch Butler interpretiert, es kommt aber darauf an, sie
Schluss sein soll. Der vielen Katholiken ist der Konstruktivismus zu einer macht- zu verändern.« Karl Marx.
als liberal geltende Papst Franziskus wirft vollen Theorie geworden.
den Anhängern der Gender-Theorie vor, Eine Theorie, gegen die Schwarzer an- Oben im Hörsaal spricht jetzt Esa Díaz-
sie führten einen »Weltkrieg zur Zerstö- kämpft. »Butler und ihre Anhängerschaft León von der Universität in Barcelona.
rung der Ehe«. All das weckt Interesse am halten ihre radikalen Gedankenspiele für Auch sie will die Welt verändern.
Besuch einer Fakultät, die das umstrittene Realität« – zu Unrecht, meint Schwarzer. In ihrem auf Englisch gehaltenen Vor-
Fach anbietet. »Sie suggerieren, jeder Mensch könnte hier trag nennt Díaz-León das sperrige Wort,
Die Attacken, so ist zu lesen, kommen und jetzt sein, wonach ihm gerade zumute das sie in die Überschrift gestellt hat, kein
auch von ganz anderer Seite. »Gender Stu- ist.« Aber: »Leider sind wir in der bunten weiteres Mal, sie erklärt es nicht. Man
dies – die Sargnägel des Feminismus?« Welt der Queerness noch nicht angekom- kann das Wort googeln und sieht, dass es
hieß im vorigen Jahr die Überschrift eines men.« Die wirkliche Welt sei weiterhin eine gesellschaftliche Norm beschreibt: die
Artikels in der Zeitschrift »Emma«. Der vor allem von Frauen und Männern bevöl- Annahme, eine Langzeitbeziehung auf der
Autor, der das Fach selbst studiert hat, er- kert und deshalb vom »Machtverhältnis Grundlage romantischer Gefühle sei der
hob den Vorwurf, es sei »heute über weite der Geschlechter« bestimmt. Wer die Ge- beste Weg zum Glück. Diese Annahme
Strecken eine Mischung aus Ressentiment, schlechter zur reinen Konstruktion erkläre, findet Díaz-León falsch. Sie hält die Ehe,
Gruppentherapie und antiimperialistischer sei blind für dieses Machtverhältnis. auch die gleichgeschlechtliche, und über-
Ideologie«. Die Studierenden seien zu Natürlich hat sich Butler zusammen mit haupt jede Art von Paarbeziehung für
bedauern, denn »ihr Verstand wird nicht deutschen Gender-Denkerinnen gegen die überschätzt und sieht darin eine Ungerech-
geschärft, sondern vernebelt«. »Emma«-Vorwürfe verteidigt. Sie bedau- tigkeit. Benachteiligt durch die Amatonor-
In der Auseinandersetzung, die nun folg- erten die »Verfemung und Verleumdung«, mativität seien alle, »die ihr Leben nicht
te, ging »Emma«-Herausgeberin Alice die »Grammatik der Härte«, die »schiere auf eine langfristige romantische Partner-
Schwarzer vor allem auf Judith Butler los. Freude an der Zerstörung«. Es ist ein bit- schaft aufbauen«.
Butler lehrt im kalifornischen Berkeley terer Konflikt. Aber die aufgeregten Kon- Auf ihrer Liste der Diskriminierten
und hat das Gender-Denken so stark be- troversen zeigen noch lange nicht die gan- stehen Singles, Asexuelle, Zölibatäre,
schiedliche sexuelle Orientierungen zu ak- mit Gender zu tun hat. Es verunreinigt Zukunft. Von außen gesehen wirkt es auf
zeptieren: »Warum fühlen sich Menschen einen irgendwie, weil es einen verdächtig viele wie eine mutwillige Verschandelung.
davon angegriffen, wenn es doch ihre macht, etwas Ideologisches zu tun.« Die Kluft zwischen den Positionen ist groß.
eigene Lebensrealität nicht im Geringsten Bruns hat als Historikerin angefangen
einschränkt?« und ist jetzt Professorin für Kulturwissen- Was passiert, wenn die Studierenden
Ein Seminar, das Miehlke sehr gefiel, schaft an der Humboldt-Uni. Gender ist den Schutzraum der Universität wieder
handelte von Biologie und der Art, wie nur ein Teil dessen, wofür sie sich interes- verlassen, welche Berufsperspektive ha-
diese Wissenschaft betrieben wird. Es siert, das überwölbende Thema seien Un- ben sie? Die Antwort der meisten ist erst
habe ihm »die Augen dafür geöffnet, dass gleichheiten, erklärt sie. »Sie haben eine einmal ein Aufstöhnen.
die Forschung meistens von vornherein mindestens ebenso große gesellschaftliche Robin Miehlke fühlt sich an die Gesprä-
mit bestimmten Annahmen darüber arbei- Relevanz wie Identitätsfragen. Wie funk- che mit seinem Vater erinnert: »Er fragt
tet, was männlich und was weiblich ist«. tionieren Ausgrenzung und Diskriminie- mich immer, Mensch, Kulturwissenschaft
Die Dozentin, von der Miehlke beein- rung? Diese Frage macht einen großen Teil und Gender Studies, was willst du denn
druckt war, heißt Kerstin Palm und leitet der Gender Studies aus.« Es gehe darum, damit machen?« Miehlke denkt an Me-
die »Arbeitsgruppe Gender & Science«. Sie Faktoren wie Geschlecht, Ethnie, Religion, dien, Kunstgalerien und andere »moderne
sei »begeisterte Biologin und ebenso begeis- Armut in ihrem Zusammenspiel zu erfas- Unternehmen, in denen diese Kompeten-
terte Gender-Wissenschaftlerin«, sagt sie. sen, zum Beispiel in der doppelten Benach- zen sicherlich gebraucht werden«.
Auf keinen Fall möchte sie »Biologie- teiligung schwarzer Frauen. Wer die Stu- Justus-Lou Witte hofft, nach einem Mas-
Bashing betreiben«, ihr sei aber methodi- dierenden befragt, findet große ter in Philosophie zu promovieren und an
sche Strenge wichtig, ausgerichtet an den Zustimmung dafür, dass das Fach seinen der Hochschule bleiben zu können. Eine
Standards der Naturwissenschaften. »Das Horizont weiter aufgezogen hat und die »Idealvorstellung«, das ist ihm klar.
führt zu einer sehr zurückgenommenen Methoden und Erkenntnisse aus unter- Lioba Söhner möchte an ihren Nebenjob
Aussage darüber, was Geschlecht und was schiedlichen Disziplinen zusammenführt. in der Boulder-Anlage anknüpfen. Sie denkt
Geschlechterdifferenz ist, weil vieles bloß an Kurse und Kletterreisen speziell für Frau-
spekulativ erforscht wurde. Beispielsweise en »oder für Frauen, Lesben, Trans-Perso-
wurden Korrelationen oft zu Kausalitäten nen«, sie sieht da Bedarf, »weil es auch im
erklärt.« Auf die alte Frage nach typisch Sport oft eine männliche Dominanz gibt«.
weiblichen oder männlichen Eigenschaf- »Ach, Gender Studies, Wozu die Gender Studies denn gut sei-
ten gebe es nur komplexe Antworten. en, wird immer wieder gefragt. Die Berufs-
Palm nimmt das sehr genau, vor Fest- da laufen doch diese aussichten für Absolventen helfen nicht,
legungen scheut sie nicht zurück. »Biolo- die Frage zu beantworten. Aber das gilt
gische Geschlechtsmerkmale entwickeln ganzen Sprachpolizis- so ähnlich auch für einige altehrwürdige
sich im Zusammenspiel aus körperlichen Geisteswissenschaften und noch andere
Vorgaben und Umweltreizen«, sagt sie. Im tinnen herum.« Studiengänge unter den 19 000, die es in
Gehirn oder auch beim Muskel- und Or- Deutschland gibt.
ganwachstum würden diese Prozesse sicht- Die Gender Studies werden sicherlich
bar. Als Ausdruck dafür benutzt sie das weiterhin viel Kritik und Polemik auf sich
englische Wort Embodiment. Einig sind sich alle auch darin, dass Spra- ziehen. Das politische Klima ist danach.
In den Gender Studies gilt Palms For- che und Schrift den Willen zur Verände- Claudia Bruns, die Kulturwissenschaftle-
schungsgebiet gerade als die neue, heiße rung ausdrücken sollen. rin, sieht darin geradezu den Beweis dafür,
Theorie. »New Materialism« lautet das ak- Dass die verbale Genderisierung viel »wie wichtig und aktuell« das Fach sei.
tuelle Schlagwort. Es geht darin wieder Widerstand hervorruft, auch Spott und Bruns hat wohl recht, wenn sie sagt,
mehr um die materiellen Eigenschaften Häme, wissen sie. Justus-Lou Witte sagt: »dass die Gender Studies die neuen Denk-
des Körpers, nicht ausschließlich um seine »Bevor ich mit dem Studium anfing, haben modelle nicht an die Gesellschaft heran-
Bedeutung. Der von Judith Butler gepräg- mir einige gesagt, ach, Gender Studies, da tragen – sie finden sie dort bereits vor«.
te Konstruktivismus sei weiterhin wichtig, laufen doch diese ganzen Sprachpolizistin- Zu allen Zeiten bis zurück in die Antike
er müsse aber ergänzt werden, sagt Palm. nen herum. Das hat mir regelrecht Angst habe es Formen gegeben, die Geschlecht-
»Plötzlich interessieren sich alle ganz bren- gemacht.« Völlig zu Unrecht, findet er nun. lichkeit jenseits der Frau-Mann-Beziehung
nend dafür, was die kritische Biologie über Das ist die Perspektive von innen. In auszuleben und darzustellen.
die Körperlichkeit zu sagen hat.« Umso dieser Perspektive gibt es keine Sprach- Ist es falsch, daraus ein eigenes Studien-
mehr schmerzt es sie, dass sie keine feste polizei, sondern den Wunsch nach einer fach zu machen? Wer so denkt, trauert
Professorenstelle hat. »gendersensiblen Sprache«. Eine Sprache, wahrscheinlich traditionellen Gewisshei-
Nirgends in Deutschland gibt es einen in der das generische Maskulinum um eine ten hinterher, die vorbei sind. Man könnte
Lehrstuhl für Biologie und Gender, auch weibliche Form ergänzt wird, durch ein die Gender Studies abschaffen, aber da-
an der Humboldt-Uni fehlt das Geld dafür. Binnen-I, ein Sternchen oder einen Unter- durch würden die vielen Motive, Wünsche
Palm hatte eine Fünfjahresprofessur, be- strich. Viele Studierende bemühen sich, und Erkenntnisse, die sich darin gesam-
zahlt aus Sondermitteln, aber die ist im die Sonderzeichen mitzusprechen, indem melt haben, nicht verschwinden, genauso
März ausgelaufen. Jetzt arbeitet sie auf ei- sie etwas bei »ProfessorInnen« oder Le- wie Portugal nicht verschwindet, wenn
ner 70-Prozent-Stelle. serInnen« das Binnen-I betonen. Es gibt man die Lusitanistik beseitigt.
So expansiv, wie die Kritiker des Fachs auch andere Formen wie »Professorx«. In allen Lebensbereichen gibt es so viele
suggerieren, scheinen die Gender Studies Wer Gender Studies studiert oder unter- Optionen wie noch nie, und auch aus der
auch sonst nicht zu sein. Palms Kollegin richtet, lebt sprachlich in zwei Welten, denn Gender-Vielfalt, die diese Studierenden re-
Claudia Bruns sagt: »Es gibt immer noch drinnen gelten andere Regeln als draußen. präsentieren, führt kein Weg mehr zurück,
Fachbereiche, die sich gegen die Integrati- Die schriftlichen Sonderzeichen sollen ob man sie mag oder nicht. Da können der
on der Gender-Perspektive wehren, und einen Raum eröffnen, in dem die Diskrimi- Papst, die AfD und Alice Schwarzer sagen,
es kommt vor, dass man als Wissenschaft- nierungen schon aufgehoben sind – als was sie wollen.
lerin abgewertet wird, wenn man etwas utopische Vorwegnahme einer besseren
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Wir müssen
und dennoch wissen wir oder ahnen vielmehr, dass seine
Großzügigkeit, seine Leidenschaft auch eine dunkle Seite
gehabt hat.
Irma Nelles, die seine persönliche Assistentin gewesen
ist, hat dies in ihrem Buchporträt in aller Fairness ausdrü-
Augstein erwähnen
cken können: wie groß Augstein denken konnte, wie sehr
sie sich von ihm unterstützt gefühlt hat und welche Zu-
mutung er ihr zugleich gewesen ist – das Vorstellungs-
gespräch im Hotelzimmer, er im Morgenmantel. Avancen,
immer wieder. Und da Augstein ein Vorbild gewesen
ist, hat er auch die Kultur im Haus bis heute geprägt, und
dazu gehört der Umgang zwischen Mann und Frau.
E S S A Y Der SPIEGEL begann als Männerladen, »Wir müssen Augstein erwähnen«, ja, das haben wir
getan in unserem ersten Artikel über den Fall Weinstein.
er blieb es jahrzehntelang. Die Herren hatten die Es kamen dann viele Artikel über die #MeToo-Bewegung,
Posten, die Macht. Und heute? Wie ist die in den Wochen und Monaten nach den ersten Berich-
das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ten über Weinstein entstanden ist, es waren Enthüllungen
dabei, auch über andere Medienhäuser. Und so beschlos-
in Zeiten von #MeToo? sen wir, dass es im SPIEGEL diesen Artikel über den
SPIEGEL geben müsste, darüber, wie Augstein und die
Seinen die Unternehmenskultur hier geprägt haben, was
Von Susanne Beyer geblieben ist davon und was wir heute daraus machen.
Das Haus schwirrt vor Geschichten und Gerüchten.
Das Schwimmbad im alten SPIEGEL-Gebäude an der
E
Brandstwiete, bunt ausgestattet im psychedelischen Stil
s war in jenen Tagen im Oktober vor einem Jahr, der Sechzigerjahre, auch die Sauna dort sind so sagenum-
als die ersten Meldungen zum Fall Weinstein auf- woben wie die Feste auf den Fluren: Männer, die Frauen
kamen. Ich führte damals beim SPIEGEL die ungefragt umarmten, küssten – aber was davon stimmt?
Geschäfte, so heißt das hier im Haus, wenn der Was davon ist nur genährt von den Fotos und Filmszenen
Chefredakteur oder einer seiner Stellvertreter oder eben jener Sechzigerjahre, der Zeit, in der der SPIEGEL groß
seine Stellvertreterin das nächste Heft plant, das »Blatt geworden ist? Und was davon ist heute da?
macht« – noch so ein Journalistenbegriff. Im Laufe meiner Recherche habe ich Kolleginnen
Der Produzent Harvey Weinstein war ein wichtiger gebeten, mir anonymisierte Berichte zukommen zu las-
Mann im Filmgeschäft, er war, ein weiteres Jahr zuvor, sen, über das, was sich heute zuträgt in der gesamten
2016 also, im amerikanischen Wahlkampf für die SPIEGEL-Gruppe – der SPIEGEL ist ja im Laufe der
Demokraten eingetreten und war somit auch eine politi- Jahrzehnte zu einem multimedialen Unternehmen gewor-
sche Figur. den, mit etwa 1000 Mitarbeitern, SPIEGEL ONLINE,
Wir besprachen an einem Montag in einer Ressortleiter- SPIEGEL TV, Außenbüros im In- und Ausland, einer neu-
konferenz, wie wir über die ersten Vorwürfe, Weinstein en gläsernen Zentrale in der Hamburger HafenCity,
habe Schauspielerinnen systematisch belästigt, berichten die als architektonisches Sinnbild der Gemeinsamkeit und
sollten. In den nächsten beiden Tagen wurde die Sache der Transparenz gedacht ist.
immer größer, also lud ich am Mittwoch in meinem Büro In den anonymisierten Berichten lese ich über Prakti-
zu einer Konferenz nur zu diesem Thema ein. kantinnen, die von immer wieder denselben Redakteuren
Wir sprachen über die Verquickung von Sex und nach Dienstschluss in die Bar gebeten werden. Von jun-
Macht. Und dann stellte einer meiner Kollegen diese Fra- gen Kolleginnen, die nach ihren Beziehungen gefragt wer-
ge: »Wenn wir das groß machen, was ist mit dem den und sich dann Andeutungen gefallen lassen müssen,
SPIEGEL, was mit Rudolf Augstein? Wir müssen dann dass der Freund ja nichts wissen müsse von Affären.
Augstein erwähnen.« Von zweideutigen nächtlichen SMS, die wiederum junge
Wir anderen blickten einander an und wussten sofort, Frauen hier bekommen. Von Kolleginnen, die an ihrem
dass der Kollege recht hatte. Schreibtisch erstarren, wenn sich Männer über sie beugen
2016 ist das Buch unserer früheren Kollegin Irma Nelles und dann das tun, was die Kolleginnen An-der-Wange-
erschienen: »Der Herausgeber« handelt vom SPIEGEL- entlang-Hauchen nennen. Von Frauen, die sich ärgern,
Gründer, langjährigen Chefredakteur und Herausgeber weil sie den Eindruck haben, ihnen werde mehr auf
Rudolf Augstein, geboren im Jahr 1923, gestorben im Jahr die Brüste als in die Augen gesehen. Noch mal: Es sind
2002. Augsteins Leitspruch »Sagen, was ist« hängt in keine Berichte aus früheren Zeiten, es sind Berichte von
silbrigen Lettern im Atrium unserer SPIEGEL-Zentrale in heute.
Hamburg, er ist unser Credo. Und natürlich haben wir Von schweren Übergriffen erfahre ich nichts. Das heißt
alle auch eine Bindung an diesen Mann, den die wenigs- nicht, dass es sie nicht gegeben hat, es heißt zunächst
ten von uns noch näher gekannt haben. Für ihn war Jour- nur, dass meine Recherche ein anderes erstes Ziel hatte,
nalismus Stärkung der Demokratie durch Kontrolle und nämlich zu fragen, inwiefern sich das Verhältnis der
Kritik, das hat ihn ins Gefängnis gebracht. Er hat im Geschlechter zueinander darauf auswirkt, wie Frauen sich
SPIEGEL Bedingungen geschaffen, die es bis heute mög- im Beruf entwickeln oder eben nicht entwickeln.
lich machen, dass alle Mitarbeiter im Haus ihren Aufga- Außerdem ist dies ja kein im Sinne des SPIEGEL übli-
ben leidenschaftlich nachgehen können. Denn Journalis- cher Text. Hier blickt jemand von innen nach innen. Es ist,
mus und alles, was dazugehört, ist eine Leidenschaft, und als hätte ich mir zur Aufgabe gemacht, Ornithologin und
Vogel zugleich zu sein. Die Erzählperspektive zu klären Die Befragung ergab unter anderem:
gehört hier unbedingt dazu. Wer ist das, die hier schreibt? ‣ Rund 64 Prozent der teilnehmenden Frauen und Män-
Seit 22 Jahren bin ich beim SPIEGEL, er ist Teil meiner ner haben in den vergangenen zwölf Monaten keine
Identität. Dass ich zurzeit noch in der Chefredaktion des Art der sexuellen Belästigung erlebt.
Hefts bin, erweist sich für diesen Text als Chance und ‣ Rund 40 Prozent geben an, in ihrem gesamten Beschäf-
Grenze zugleich. In meiner derzeitigen Position bin ich tigungszeitraum beim SPIEGEL keine sexuelle Belästi-
einerseits freier, auch Unangenehmes zu benennen, ande- gung erlebt zu haben.
rerseits bin ich allen Kollegen gegenüber zu Loyalität ver- ‣ Gut ein Drittel der Teilnehmenden aber gibt an, in den
pflichtet, und zwar gleichermaßen. Das Thema sexuelle vergangenen zwölf Monaten eine sexuelle Belästigung,
Belästigung aufzuarbeiten, das muss von innen, aber auch unangemessene Witze eingeschlossen, erlebt zu haben.
von außen geschehen. ‣ Die Verursacher beobachteter Belästigungen waren
Die derzeitigen Chefredaktionen und die Geschäftsfüh- sowohl aus der Sicht von Männern als auch von Frauen
rung haben eine 30-köpfige Kommission aus SPIEGEL- in nahezu allen Fällen Männer.
Mitarbeitern eingesetzt, die Vorschläge machen sollte, ‣ Anzügliche Äußerungen wurden am häufigsten, körper-
wie mit dem Thema #MeToo hier umzugehen sei. Einer liche Handlungen seltener beobachtet.
der Vorschläge ist bereits umgesetzt worden: Die Freibur- Das komplizierte Geflecht zwischen Mann und Frau
ger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaft wurde mit lässt sich auch, aber nicht nur in Zahlen ausdrücken. Es ist
einer Mitarbeiterbefragung beauftragt. An der Umfrage immer auch gebunden an die jeweilige Zeitgeschichte, die
haben sich 45 Prozent der Belegschaft beteiligt. Die wiederum den Zeitgeist prägt. Was drücken Zahlen aus?
Ergebnisse der Umfrage unter Männern und Frauen lie- Wenn die Studie zu dem Ergebnis kommt, übergriffiges
gen seit Juli vor. Verhalten sei nahezu ausschließlich bei Männern beobach-
SPIEGEL-Leute hätten ein »sensibles Verständnis von tet worden, ist das eine ernst zu nehmende Tatsache, die
sexueller Belästigung« heißt es: »Sie schließen auch unan- Führung des Hauses hat daraus ihre Schlüsse zu ziehen.
gemessene Witze in ihre Begriffsdefinition mit ein.« Im Aber ist darüber hinaus ein anderer Aspekt zu beach-
Bundesdurchschnitt werde sexuelle Belästigung deutlich ten? Wird das Verhalten von Frauen prinzipiell anders
»enger verstanden«: »Männer und Frauen teilen in dieser wahrgenommen als das Verhalten von Männern? Artikel
Hinsicht beim SPIEGEL eine ähnliche Auffassung.« über weiblichen Machtmissbrauch sind erst in neuerer
119
ERFORSCHEN
Zeit häufiger zu lesen, Tenor dieser Texte ist, wie 23 Jahre alt, als er 1947 die Lizenz für den SPIEGEL
schwer es für Menschen sei, etwas zu erkennen, was sie bekam. Zeitzeugen, die den späten Augstein gekannt
nicht gewohnt sind zu erkennen. haben, den Augstein, der zu viel getrunken hat, sagen, er
Ein Dilemma der #MeToo-Bewegung war und ist, dass habe ständig von diesem Krieg geredet. Frau Rank bestä-
die Geschichten, die bisher überwiegen, die von Opfern tigt das nicht. Wenn die Rede auf den Krieg und den
und Tätern, von gut oder böse, von schwarz oder weiß Nationalsozialismus und die Folgen für die frühe SPIEGEL-
sind. Was ist mit den vielen Grautönen dazwischen? Mit Zeit kommt, wird sie vorsichtig. Da seien Männer ge-
der systemischen Frage, wie alles mit allem zusammen- wesen, »nett und wohlerzogen« – Frau Rank macht eine
hängt? Pause und sagt dann: »Ich habe nichts gemerkt.« In »ge-
Auch deswegen dieser Text. Der SPIEGEL soll stellver- wissen Gefilden« seien diese Männer während des Krie-
tretend stehen für Systeme, für andere Medienhäuser, für ges wohl gewesen, das Wort »Nazis« benutzt sie nicht.
Firmen, für Behörden, Bildungsanstalten, Krankenhäuser, Die Perspektive von heute auf damals, sie ist Frau Rank
Theater, Filmcrews. fremd, auch der heutige Blick auf die Männer und Frauen
Ein Brief geht raus an ehemalige Kolleginnen und Kol- beim SPIEGEL von damals. Sie muss lachen, als sie den
legen mit der Bitte um Gespräche. Annahme: Sie werden Begriff »Männerladen« hört, »das Thema gab es nicht«.
freier sein, mit mir zu reden als die noch tätigen Kollegen. Natürlich – es habe nur wenige Frauen beim SPIEGEL
Doch es kommen Absagen, vor allem von Männern, viel- gegeben, aber es seien halt auch kaum welche gekommen.
leicht lag es an dem Moment, an dem ich die Briefe losge- Es sei doch ganz einfach gewesen: Wer wollte, konnte auf-
schickt habe: Die #MeToo-Bewegung war fortgeschritten, tauchen beim SPIEGEL und habe »dazugehört«.
Männer äußerten sich verstört, fühlten sich unter General- Sie spricht auch nicht von »Männern« und »Frauen«.
verdacht gestellt. Ein Kollege antwortete mir auf meinen Sie seien so jung gewesen, »wir waren wie Mitschüler«.
Brief: »So etwas macht man nicht.« Die Liebe, so klingt es bei Frau Rank, war eine ernste
Texte haben ihre Entstehungsgeschichte, das Thema Sache: Die Männer, auch Augstein, waren früh verheira-
gibt den Ton vor, aus Zusagen und Absagen ergibt tet, die Frauen, die heirateten, hörten meist sofort auf zu
sich eine Dramaturgie. Dieser Text blickt nun aus der arbeiten. Die Liebe war zugleich aber auch unschuldig,
Sicht einzelner Frauen auf mehr als 70 Jahre SPIEGEL. wie ihre eigene zu einem Kollegen: »Glauben Sie mir, da
war fast nichts, das war alles nicht so wie heute.«
Hat diese erste SPIEGEL-Generation im Krieg zu früh
Maria Rank – die Mitschülerin erwachsen werden müssen und konnte deswegen Großes
Sie war die erste Dokumentarin beim SPIEGEL, hat bald leisten? Und sind dieselben Leute zugleich Kinder geblie-
nach dem Krieg das Archiv mitaufgebaut und das miter- ben – Kinder, die spielen wollen?
funden, was heute und schon lange zum Wesenskern Frau Rank würde das so nicht sagen. Frau Rank inter-
des SPIEGEL gehört: Dokumentare überprüfen die Fak- pretiert nicht, sie erzählt, zum Beispiel diese Szene: Der
ten in den Texten. Der SPIEGEL hat die größte Presse- SPIEGEL war schon von Hannover nach Hamburg gezo-
dokumentationsabteilung im europäischen Journalismus. gen, Augstein konnte sich bereits einen Chauffeur leisten,
Heute ist Maria Rank 92 Jahre alt. und der fuhr ihn über den Jungfernstieg. Da habe Aug-
Das Interview mit ihr ergibt sich zufällig. Sie ist zu stein sie gesehen, wie sie einen »Bretterwagen« gezogen
Besuch in unserer Redaktion, möchte noch einmal zu Gast habe, er sei ausgestiegen, habe sich auf den Bretterwagen
sein in unserer Großen Konferenz am Montag, die gesetzt und sich von ihr in die Redaktion schieben lassen.
»Blattkritik« heißt – das neue Heft wird von Gästen oder Warum sie 1961 beim SPIEGEL aufgehört hat, daran
Kollegen aus dem Haus kritisiert. Maria Rank hat die erinnert sich Frau Rank nicht mehr. Ein Kollege aus der
digitale Ausgabe des neuen Heftes auf ihrem iPad gelesen, Dokumentation findet im Hausarchiv Akten, aus denen
es steckt in ihrer Tasche, die an ihrem Rollator hängt. sich das Bild einer Frau mit sehr eigenen Vorstellungen
Nach der Blattkritik gehen wir in die Kantine, Frau Rank ergibt. Der SPIEGEL hat sich, vielleicht genau deswegen,
bestellt einen Salat. Als am nächsten Tag eine meiner Kol- von ihr getrennt. »Es tut mir leid«, schreibt der damalige
leginnen bei ihr anruft, um zu fragen, ob sie gut wieder zu Verlagschef an das »Fräulein Rank«, »daß wir mit Ihnen
Hause in Hannover angekommen sei, wird Frau Rank sich nicht zu Rande kamen«.
entschuldigen, dass sie vor lauter Reden den Salat nicht
aufgegessen hat – es gehöre sich doch, aufzuessen.
Sie beginnt die Geschichte von sich und dem SPIEGEL Ariane Barth – die Vertraute
in der Vorkriegszeit. Maria Rank wurde 1926 geboren, Fahrt zu Ariane Barth. Sie ist seit 2002 nicht mehr beim
drei Jahre nach Rudolf Augstein. Die meisten Lehrer SPIEGEL. Ariane Barth kam 1967 als Redakteurin ins
damals waren Kinder des 19. Jahrhunderts, des rigiden Haus, sie beschreibt sich selbst als »damals das einzige
Wilhelminismus. 1933 erzählte der Klassenlehrer, es sei weibliche Wesen im schreibenden Männerkollektiv«. Aug-
jemand ans »Ruder gekommen«, der den Versailler Ver- stein habe auf sie gezeigt in der ersten Montagskonferenz,
trag, mit dem Deutschlands Gegner den Ersten Weltkrieg in die sie sich, Wochen nachdem sie angefangen hatte,
beendet hatten, rückgängig machen wolle. Maria Rank getraut hat zu gehen: »Was sehe ich hier, ich sehe eine
hat damals nicht verstanden, was das heißt, »ans Ruder Frau.« »Na ja«, habe sie geantwortet: »In dem Kreis wäre
kommen«. Sie habe sich Hitler als Ruderer vorgestellt. ich auch lieber ein Mann.« Alle hätten gelacht, und
Die jungen Leute, die bald nach dem Zweiten Welt- Augstein habe gesagt: »Das hat ja ein Gutes, dann ma-
krieg den SPIEGEL gegründet haben – wie Frau Rank chen wir keine unanständigen Witze mehr.«
zwischen zwei Kriegen geboren –, waren die Jüngsten Ariane Barth, Jahrgang 1942, in Posen geboren, auf der
unter jenen Deutschen, die nie wieder als unschuldig Flucht aus dem Osten 1945 in Dresden bombardiert,
gelten würden. wohnt heute am Deich in einem reetgedeckten Haus, ein-
Augstein ist an der Front im Osten gewesen, er war gerichtet mit Möbeln aus der ganzen Welt. Ihr exzellenter
21 Jahre alt, als er aus dem Krieg zurückkam, und er war Geschmack, ihre Kreativität sind überall sichtbar. Es ist
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ERFORSCHEN
dass sie den Test bestanden hatte – obwohl sie kaum digen Urteilen. Ein viel älterer Kollege, ein Star beim
etwas gesagt hatte. SPIEGEL, erzählte mir einmal, wie er sich in seinen ersten
Frauen, so habe sie gelernt, galten als schnell beleidigt, Jahren unten auf die Treppe zum Wasser gesetzt und
nachtragend, weinerlich. Das alles nie und nimmer zu geweint habe. Der SPIEGEL, so hieß es, sei die »Soldates-
sein, diesen Auftrag habe sie sich selbst gegeben. Bei den ka« des Journalismus. Übersetzt heißt Soldateska: rohes
Männern beobachtete sie eine »regelrechte Verhaltensun- Kriegsvolk. Nicht jeder ist gern im Krieg. Ohne das Leid
sicherheit. Die hatten kein Muster für den Umgang«. Die der Männer gering bewerten zu wollen, kam für Frauen die
Verhaltensregeln der Nachkriegszeit, die ein Erbe des prinzipielle Skepsis über ihr Können eben noch dazu.
Wilhelminismus waren, gingen durch die 68er-Bewegung Die Skepsis kam zudem von außen. Wenn Informanten
verloren, neue waren noch nicht gefunden. anriefen, konnte es passieren, dass sie darauf bestanden,
Sie habe immer nur Hosen getragen, sei nach drei Jah- einen Mann zu sprechen, auch wenn sie die Expertin
ren weg aus der Zentrale und ins Stuttgarter SPIEGEL- am Telefon hatten. Wenn ein Redakteur und eine Redak-
Büro gegangen, später nach München. teurin zu SPIEGEL-Gesprächen fuhren, konnte es vor-
Wenn sie von heute auf damals blickt, staunt sie über kommen, dass ihr Gesprächspartner ausschließlich bereit
die Fortschritte in der Gleichstellung von Mann und Frau – war, auf die Fragen des Mannes zu antworten. Einmal
aber diese Fortschritte seien spät eingetreten, in den fuhren eine Kollegin und ein Kollege gemeinsam zu
vergangenen zehn Jahren. »Man kann die Fortschritte einem Gespräch, die Frau stellte die kritischeren Fragen,
erst ermessen, wenn man weiß, woher man kommt.« der Gesprächspartner antwortete aber nur dem Kollegen,
mit der Begründung, die Frequenz der weiblichen Stimme
1996 habe ich beim SPIEGEL angefangen, Augstein kam sei zu hoch, er verstehe sie akustisch nicht. Entsetzt
noch manchmal in die Konferenzen am Montag, der über den Verlauf dieses Gesprächs hat sich mir gegenüber
Raum erstarrte jedes Mal vor Ehrfurcht. Augstein wirkte, der Mann geäußert, nicht die Frau. Für sie war eine solche
als bedauerte er das, als sehne er sich nach den alten Erfahrung nicht neu.
Mitschüler-Zeiten zurück. Heute blicke ich befremdet auf meine ersten Texte im
Zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 1998 lud er alle Mit- SPIEGEL. Die wenigsten Autorinnen und Autoren durften
arbeiter zu einem Fest im Zelt ein, sang »Bolle reiste ihre Artikel mit Namen zeichnen, der Ton war noch ein-
jüngst zu Pfingsten«, und die Gäste verwandelten sich für heitlich und schnittig. Das hatte in der Gründungszeit des
diesen Moment tatsächlich in eine Schar Mitschüler. Wir Hauses seine Funktion gehabt, es war richtig gewesen,
glühten vor Rührung und vor Stolz auf diesen Mann, der unerbittlich gegen Restaurationsmomente der Adenauer-
uns sein fantastisches Lebenswerk hinterließ und zugleich Zeit vorzugehen, der böse Geist des Nationalsozialismus
ein freier Mensch geblieben war. war lange noch da, er musste weg.
Ein Jahr zuvor aber hatte es ein großes Fest zum Meine Generation der um die 50-Jährigen ist zwar
50. Geburtstag des SPIEGEL gegeben, eine Begebenheit noch verfangen gewesen in der fatalen Kette aus Wilhel-
machte bald die Runde: Augstein minismus – Erster Weltkrieg – Nationalsozialismus –
habe sich gegenüber der Frau Zweiter Weltkrieg – Kalter Krieg, wir sind in einem geteil-
Unsere schiere biologi- eines Kollegen so anzüglich, so
unmöglich verhalten, dass sie das
ten Land aufgewachsen, einer Zeit der Ideologien, haben
dann aber die deutsche Einheit erlebt und die Digitali-
sche Andersartigkeit Fest verlassen habe. Zu jener
Zeit wurde ich gefragt, ob ich Aug-
sierung und Globalisierung mitgestaltet. Wir haben erfah-
ren, dass Geschichte sich zum Guten hinwenden kann,
sprengte das Bild. Wir stein vorlesen möge, seine Augen
waren schlecht geworden. Ich
sich aber alles immer rasanter und umfassender verän-
dert. Somit sind unsere Gewissheiten wandelbare Größen.
waren Vorboten einer lehnte ab. Ich hätte ihn gern kennen-
gelernt und ihm auch gern vorge-
Unsere Erfahrung ist die, dass auch Gegensätzliches stim-
men kann. Es gibt zwar die Lüge, und die Lüge ist falsch,
Zeit, deren Kernbegriff lesen, aber er war ein mächtiger
Mann – nichts wäre mehr als meine
auch die diplomatische Lüge ist falsch, und Lügen offenzu-
legen, das wird immer der Auftrag investigativen Journa-
die Vielfalt sein würde. eigene Leistung angesehen worden,
mir wäre seine Protektion unter-
lismus sein. Aber jenseits der Lüge ergibt sich heute ein
vielfältiges Spektrum an Wahrheiten. Es gibt unveräußer-
stellt worden, und das wollte ich liche Wahrheiten, durchaus, aber eben nicht nur eine. Das
nicht. genaue Hinsehen wird bleiben, aber es kann nicht mehr
Die Trauerfeier für Augstein im Hamburger Michel nur den einen Ton, die eine Sprachhaltung geben.
2002 war das Ende des alten SPIEGEL, der ganz auf den Und vielleicht lag die Irritation, die beim SPIEGEL von
einen Patriarchen ausgerichtet war. Mit seinem Tod ero- Frauen ausging, genau hier. Ende der Neunzigerjahre
dierte diese Machtstruktur, die sich einerseits überlebt, waren wir Frauen als Gruppe zu klein, um selbstverständ-
andererseits für Klarheit und Halt gesorgt hatte. Bis heute lich zu sein, aber zu groß, um nicht als das wahrgenom-
gibt es im Haus eine diffuse, fast kindliche Sehnsucht men zu werden, was wir ohne eigenes Zutun waren. Unse-
nach dem einen Mann, der alles richtet, denn es ist immer re schiere biologische Andersartigkeit hat das einheitliche
leichter, die Verantwortung bei einem anderen zu suchen Bild gesprengt. Wir waren Vorboten einer Zeit, deren
und nicht bei sich selbst, am eigenen Platz – nur so viel Kernbegriff die Vielfalt sein würde. Insofern mag sich im
hierzu: Gut ist das nicht. prinzipiellen Zweifel über unser Können, in der perma-
Ob Frauen überhaupt schreiben können, dieser Zweifel nenten Bewertung von allen Aspekten unseres Aussehens
waberte durch die Flure in meinen ersten Jahren beim (über eine Kollegin hieß es, sie könne nicht schreiben,
SPIEGEL, mal in scherzhaftem Ton, mal in ernsthaftem. Es aber ihr Po sei so schön rund), in den Anzüglichkeiten,
hat mich verunsichert, mich um Jahre zurückgeworfen den Belästigungen eines ausgedrückt haben: Angst. Angst
in dem, was ich dem SPIEGEL hätte sein können. Auch die vor dieser neuen Zeit, die für Männer zwar Gewinne,
Texte von Männern wurden scharf angeschaut, wirklich je- aber eben auch Verluste mit sich bringen würde. Und weil
der Text, jede Zeile. Auch Männer litten unter diesen stän- Angst zwar ein starkes Gefühl ist, das stärkste überhaupt,
A
lles ist gut? Nein. Die Ergebnisse der Mitarbeiter-
studie und das, was junge Kolleginnen heute
anonym berichten, zeigt, dass es noch nicht gut
ist. Und noch etwas kommt hinzu: Es heißt,
neue Tabus hätten sich ergeben, die Grenzen des Sagba-
SPIEGEL-Gründer Augstein (2. v. l.) in der Großen Konferenz 1991 ren würden enger, gerade über Frauen oder gegen Frauen
lasse sich offen jedenfalls nichts mehr sagen.
»Sagen, was ist«, Rudolf Augsteins Credo – ist es in
sie zu haben aber nicht als Ausdruck der Stärke gilt, kop- Gefahr?
pelte sich die Angst an Gesten der Macht. Wir sind zu viert in der Chefredaktion des Heftes gewe-
Mit der Zeit ist der Ton im SPIEGEL vielfältiger gewor- sen, drei Männer, eine Frau, also ich. Wir sind unter
den; seinen eigenen zu finden war irgendwann sogar der Woche kaum je zu Hause gewesen, wir haben gelebt
erwünscht, und so wurden die Dinge leichter, auch da- im SPIEGEL, und wir hätten das nun wirklich nicht aus-
durch, dass Kolleginnen zusammenhielten. gehalten, wenn wir nicht ständig Witze übereinander
Es waren zwar zu viele Männer, die ihre Sprüche klopf- gemacht hätten. Wir haben uns auch kritisiert. Wer han-
ten, als dass es die Atmosphäre nicht geprägt hätte, die delt, macht Fehler, das ist normal, aber Fehler zu wie-
meisten Kollegen aber verhielten sich anständig, im bes- derholen, das sollte man vermeiden: also Kritik. Über-
ten Sinne kollegial, freundschaftlich. Das gehört zum haupt ist das ja Journalismus: Kritik. Aber die Basis von
Bild dazu. Wir gingen gemeinsam in die Kantine, Tag für allem, übrigens auch die Basis von Journalismus, sollte
Tag, wir reisten zusammen, wir saßen bis in die Nächte Respekt sein. Immer. Und wenn Respekt füreinander
an Texten. Wir hatten gemeinsame Probleme jenseits der da ist, dann ist alles sagbar. Bei uns im Team ging es, also
Gleichstellungsfrage. Es war eine schwierige Zeit, es war geht es auch generell: Witze, Kritik und Respekt.
eine schöne Zeit, beides ist wahr. Der SPIEGEL wird sich im nächsten Jahr eine neue
Es dauerte zwar dann noch lange, bis Frauen Führungs- Betriebsstruktur geben, die Redaktionen des Heftes und
positionen übernahmen, doch nun ist es so weit. In die- von SPIEGEL ONLINE werden zusammengelegt, das ist
sem Jahr ist der SPIEGEL vom Verein Pro Quote, der schon lange ein Ziel. Eine neue Chefredaktion wird Anfang
über die Gleichstellung in Medienhäusern wacht, zum Sie- nächsten Jahres antreten. Das ist verkündet worden, einen
ger unter den Print-Leitmedien gekürt worden. Tag nachdem Maria Rank, die 92-jährige frühere SPIEGEL-
Frauen werden inzwischen schwanger zu Ressortleite- Dokumentarin, uns hier im Haus besucht hat. Wir standen
rinnen berufen, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, gemeinsam am Empfang, Klaus Brinkbäumer, der Chefre-
ist aber ein großer Fortschritt, wenn man bedenkt, wie dakteur, Frau Rank und ich. Klaus Brinkbäumer stellte
lange es für Frauen hier kaum vorstellbar gewesen ist, mich Frau Rank als erste Frau in der Chefredaktion in der
überhaupt schwanger zu werden, nicht nur wegen der Geschichte des SPIEGEL vor. Frau Rank sah mich über-
Atmosphäre beim SPIEGEL, sondern auch wegen der rascht an, so als bekomme sie einen Schreck, dann erzählte
desaströsen Betreuungslage für Kinder bis vor gar nicht sie, wie Rudolf Augstein sie bei einer Feier beim Tanz
so langer Zeit in Deutschland. Frauen kehren inzwischen gefragt habe, ob sie seine Assistentin werden wollte: »Ich
nach längeren Elternzeiten wieder auf Führungsposten habe mir das nicht zugetraut.« Auch ich habe einen großen
zurück. All das ist normal geworden. Und es ist richtig. Schreck bekommen, als mir meine jetzige Position ange-
Natürlich muss das andere ebenfalls möglich sein und boten wurde. Natürlich habe ich mich selbst gefragt, ob mir
normal werden: dass Frauen und Männer nach der Eltern- das überhaupt zuzutrauen ist. Doch beim SPIEGEL habe
zeit nicht mehr auf Führungsposten zurückkehren. Auch ich gelernt, dass Zweifel gar nicht schlecht sind. Zweifel
wenn es ein Ziel sein sollte, sind die Erfordernisse des sind der Ausgangspunkt von Journalismus. Das prinzipielle
Arbeitgebers nicht immer in Einklang zu bringen mit per- Zutrauen aber in sich und vor allem in andere, das sollte
sönlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten. davon nicht beschädigt werden. Wir Frauen beim SPIEGEL
Denn worum geht es, wenn ein Unternehmen wie der haben dem SPIEGEL zugetraut, den Wandel zu schaffen.
SPIEGEL auf Gleichstellung zielt? Erstens geht es um Wandel braucht Zeit. Ungeduld ist verständlich, wenn
Glaubwürdigkeit. Wir handeln mit Werten. Wir geben die Dinge so klar sind – warum sie nicht von hier auf jetzt
unseren Leserinnen und Lesern zu verstehen, dass wir ändern? Leider funktioniert das nicht. Menschen agieren
uns immer noch als das »Sturmgeschütz der Demokratie« aus ihren Erfahrungen heraus, immer. Und erst auf der
verstehen, und Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes Grundlage der Erfahrung, dass der Wandel Gutes mit sich
schreibt die Gleichstellung von Mann und Frau vor. Unse- bringt, ist Fortschritt möglich. Zweifel gehören dazu und
re Leitsprüche »Sagen, was ist« und »Keine Angst vor der Kritik und: »Sagen, was ist.« I
123
Personalien
#feminismus
G Es war nachts, im Januar 2013, auf Twit-
ter: Die Journalistin Laura Himmelreich
hatte kurz zuvor die Belästigung durch den
FDP-Politiker Rainer Brüderle publik ge-
macht – und viele Frauen posteten ähnliche
Geschichten. Da twitterte die Feministin
Anne Wizorek, geboren 1981: »Wir sollten
diese Erfahrungen unter einem Hashtag sam-
meln.« Sie schlug #aufschrei vor. Das war
fast fünf Jahre vor #MeToo, damals loderte
eine Debatte auf, wie es sie in Deutschland
nie gegeben hatte – über sexualisierte Gewalt
gegen Frauen und Diskriminierung. Dafür
bekam #aufschrei einen Grimme Online
Award, als erstes Hashtag überhaupt. Doch
das ist das Schwierige bei einem Kampf ge-
gen veraltete Strukturen: Es war nicht leicht
für Wizorek und andere, das Thema so zu
verankern, dass es blieb. Viele Frauen, die
sich geäußert hatten, wurden still. Der Dis-
kurs wurde leiser; Wizorek und andere fach-
ten ihn immer wieder an. Doch es brauchte
schon #MeToo mit einem Knall, der aus Hol-
lywood ertönte, um eine breitere Öffentlich-
keit aufzuschrecken. Wizorek sagt, sie sei
etwas frustriert gewesen, weil in den Medien
diskutiert worden sei, als wäre die Debatte
neu. »Müssen es erst Vergewaltigungen sein,
um darüber sprechen zu dürfen?«, fragt sie.
»Mussten die betroffenen Frauen berühmt
sein, damit zugehört wird?« 2014 schon hat
Wizorek ein Buch geschrieben, es heißt:
»Weil ein #aufschrei nicht reicht«. Sie behielt
recht. Und macht weiter. CAT
Die Augenzeugen ihrer Kamera »eine Brücke zwischen sich und ihren Prota-
gonisten«. Das Spiel mit Masken und Menschen faszinierte sie
Vieraugenprinzip besonders; lohnend, aber schwierig war die Arbeit mit den
Wuppertaler Jugendlichen für das Stück »Kein Hate«, denn:
»Wir waren ganz klar nicht das Wichtigste in deren Leben.«
Zeigen, was ist: Fünf gemischte Doppel aus Fotogra- Die Illustratoren von Studio Pong, bestehend aus Till Christ
fin und Fotograf, Illustratorin und Illustrator waren für und Anne Kathrin Schuhmann, porträtierten Politiker, entwar-
fen die Kapitelaufmacher und stürzten sich in »Diskussionen
dieses Heft damit beschäftigt, die Welt aus jeweils über den Status quo der gerechten Arbeitsteilung in der eige-
zwei Perspektiven zu sehen. nen Familie«. In der Arbeit sieht das so aus: »Till ist die Hand,
Anne das Gehirn.« Im Privaten: »Till kocht, Anne fährt das
G Die Titelbilder und die Porträtstrecke am Anfang dieser Auto.«
besonderen SPIEGEL-Ausgabe waren in Frauenhand; im übri- Wie das Heft letztlich aussieht, dafür sind zwei weitere
gen Heft ging es paritätisch zu. Drei Fotografenteams und ein Doppel verantwortlich: die Bildredakteure Susanne Döttling
Illustratorenteam, jeweils bestehend aus einem Mann und und Thorsten Gerke sowie die Layouter Lynn Dohrmann
einer Frau, erweiterten die Geschichten und Berichte um ihre und Nils Küppers.
Blickwinkel und erzählten damit eige-
ne Geschichten.
Die Berliner Andrea Grambow und
Joscha Kirchknopf erlebten, wie
schwierig der Diskurs über Gleichheit
sein kann, das beschäftigte sie etwa
bei dem Stück über Feminismus und
Islam. Im Team, sagen sie, arbeiteten
sie »redundant« und multiplizierten
sich, wie sie es nennen, zu »einem
vieräugigen, mehrgeschlechtlichen
Organismus«.
Das Münchner Duo Ulrike Myrzik
und Manfred Jarisch reizte es, abstrak-
te Inhalte wie Sorgerecht zu erfassen Kirchknopf, Grambow Jarisch, Myrzik
und »mit allen Beteiligten weiterzuden-
ken«, ohne dabei vor lauter Inhalt zu
vergessen, dass ein Bild auch für sich
steht. Als intensiv erlebten sie das Por-
trätieren von Bea Knecht, von deren
»starkem Charakter« sie beeindruckt
waren. Die beiden teilen sich die
Arbeit auf. Jarisch habe sich, klassisch,
ums Technische gekümmert, Myrzik
um die Organisation und die dekorati-
ven Details.
Alina Emrich und Kiên Hoàng Lê
aus Frankfurt am Main, als Team
nennen sie sich LÊMRICH, suchen mit Hoàng Lê, Emrich Christ, Schuhmann
Fotos: Monika Keiler / DER SPIEGEL; Imago (u.r.); Heinz-Dieter Falkenstein / DDP Images (o.) 125
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126 Ein Impressum mit dem Verzeichnis der Namenskürzel aller Redakteure finden Sie unter www.spiegel.de/kuerzel
Nachrufe Manche Frauen hätten in dieser Rubrik Platz finden sollen in der Woche, als die Nachricht von
ihrem Tode kam, und wurden verdrängt, weil jemand Prominenteres starb. Vier Nachträge.
Unausgewogen dabei muss man sich nur die aktuelle Ge- Wenn – wie die Überschrift des Artikels
schlechterverteilung im neu gewählten suggeriert – »Chefs gesucht« werden für
Nr. 40/2017 Leserbriefe: Kritik an der Auswahl Bundestag anschauen. Dafür sind nicht die Leitung von Grundschulen, wird die
Es mag Zufall sein oder Absicht. Es mag die Wähler verantwortlich, sondern der Suche wahrlich schwierig! Schon vor fünf
nur beim SPIEGEL so sein oder auch bei Machtapparat der Parteien. Auch dadurch Jahren waren 100 Prozent der Lehr-
anderen Printmedien. Aber: Das Ge- wird der Sexismus weiter befeuert werden. personen an der Grundschule in unserem
schlechterverhältnis der Leserbriefver- Schade, für meine Kinder hätte ich mir ge- Stadtteil (damals die größte Grundschule
fasser ist extrem unausgewogen. Seit mir wünscht, dass sie es in Bezug auf ihre Kar- Baden-Württembergs) Frauen – also Leh-
dies zum ersten Mal aufgefallen ist, zähle riere leichter haben werden als meine rerinnen. Bemerkenswert finde ich es,
ich inzwischen bei jeder Ausgabe die Zahl Babyboomer-Generation. dass die zwei Autorinnen und der Autor
der Zuschriften von Männern und Frauen. Dr. med. Birgit Leibbrand, Bad Salzuflen (NRW) des Artikels diese Verhältnisse ausblen-
Nie war es mehr als ein Drittel Frauen. den und konsequent auf eine geschlech-
Julia Feldmann, Hamburg tergerechte Sprache verzichten.
Im Sinne der einfacheren Lesbarkeit
DER SPIEGEL Liebe Frau Feldmann, Sie hätten sie sich ja für eine der geschlechts-
haben recht, wir drucken fast nur Leser- bezeichnenden Formen entscheiden
briefe von männlichen Absendern. Zufall können, die die Realität in dem Schul-
ist das nicht. Jedoch auch keine Absicht: lehrkörper besser abbildet. Dann hätten
Der größte Teil der vielen Hundert Zu- sie die Suche nach Schulleiterinnen, Che-
schriften, die uns jede Woche erreichen, finnen, Lehrerinnen, Kolleginnen, Mana-
stammt von Männern, schätzungsweise gerinnen, Buchhalterinnen beschreiben
85 Prozent. Auch bei den Reaktionen auf können. Denn: Erziehungsberufe, »Care«-
die Artikel, die wir hier dokumentieren, Berufe und mittlerweile auch Lehrberu-
war das der Fall. Ob das daran liegt, dass fe – sie sind weiblich! Die Herren Lehrer,
wir mehr männliche Leser haben als Chefs, Direktoren, Manager mögen sich
weibliche, oder daran, dass Männer be- bei dieser vereinfachenden Form einfach
sonders gern öffentlich ihre Meinung einmal auch mitangesprochen fühlen,
kundtun, ist unklar. Bei der Auswahl der liebe Autoren!
Briefe, die im SPIEGEL abgedruckt wer- Karin Vorhoff, Freiburg i. Breisgau (Bad.-Württ.)
den, schauen wir zunächst auf spannende
Argumente und interessante Positionen Friedlichere Frauen?
zu unseren Artikeln und nicht auf das Ge-
Nr. 23/2018 Geschlechterrollen: Die
schlecht des Absenders. Wenn dann die Suche nach einem neuen Männerbild
grobe Auswahl getroffen ist und mehrere
Briefe zur Wahl stehen, achten wir aber Was wäre, wenn Frauen die Mehrheit der
darauf, nicht ausgerechnet die Frauen- #MeToo in allen Ehren, darüber brau- Regierungsriegen bilden würden? Wäre
stimmen zu streichen. Wir wünschen uns chen wir null zu diskutieren. Aber wie die Welt friedlicher? Vielleicht. Wäre sie
auch ein ausgewogeneres Geschlechter- distanzlos von Frauen, Feministinnen unverändert chaotisch? Vielleicht. Was
verhältnis auf unseren Leserbriefseiten und jetzt auch von Frau Himmelreich wäre, wenn Seehofers Innenministerium
und, dass uns mehr Frauen ihre Meinung Hollywood bemitleidet wird, das ent- nur aus Frauen und einem einzigen Mann
schreiben – so wie Sie. behrt jeder Klugheit. Den Hort der Heu- bestünde? Hätten die Leute diese Tat-
Herzliche Grüße chelei schlechthin? Gerade Angelina sache als Fortschritt gefeiert? Vielleicht.
Charlotte Klein, Redakteurin im Deutschlandressort Jolie, die überall in der Welt als UN- Hätten sie die Homogenität als sexistisch
Botschafterin über Gewalt gegen Frauen kritisiert? Vielleicht. Lasst es uns doch ein-
Waffe gegen Belästigung spricht, hatte in den vergangenen Jahren fach testen, dann wissen wir mehr.
nicht den Einfluss und die Macht, Harvey Stephanie Schüssele, Durmersheim (Bad.-Württ.)
Nr. 43/2017 Sexismus: Die #MeToo-
Bewegung in sozialen Medien befeuert Weinstein als Belästiger zu enttarnen???
eine längst überfällige Debatte über Eine Frau im Übrigen, die von sich selbst Mehrwert der Handtasche
das Verhältnis von Männern und Frauen; sagt, keine weiblichen Freunde zu haben?
Interview mit der Journalistin Laura Nr. 29/2018 Karrieren: Die junge Staats-
Judka Strittmatter, Berlin
Himmelreich über die #aufschrei- sekretärin Sawsan Chebli gerät zwischen
Debatte und die Folgen die Fronten des Nahostkonflikts
Bitte differenzieren
Das ist doch nicht neu! Jede berufliche Abgesehen von der Urkrankheit, dass bei
Nr. 44/2017 Debatten: Jochen Gutsch
und nicht berufliche Karriere wird in ir- über die Frage: Was genau ist eigentlich Frauenporträts das Äußere immer noch
gendeiner Form durch »Sexismus« beein- Sexismus? eine phänomenale Wichtigkeit hat. Wa-
flusst. Die beste Waffe gegen sexuelle Be- rum muss man das beschreiben? Was hat
lästigung am Arbeitsplatz wäre die ver- Ich kann Herrn Gutsch nur zustimmen. die »teure Handtasche« für einen Mehr-
bindliche Einführung der Quote, in allen Sexismus sollte differenziert behandelt wert bei dieser Geschichte? Mich interes-
Berufen und auf allen hierarchischen Ebe- werden. siert, was sie sagt und tut und erlebt hat.
nen. Wir waren schon einmal deutlich wei- Rosemarie Hartmann, Oberstudienrätin, Pfinztal Nicht, welches Kleid sie trägt.
ter in Bezug auf die Gleichberechtigung, (Bad.-Württ.) Anja Dargatz, Stuttgart
Zitate
Der »Tagesspiegel« über das SPIEGEL-
FEMALE
Interview »Ein beschissener Moment«
(Nr. 3/2018) mit Regisseur Woody Allen,
Aus dem Wochenblatt »Der Reporter« bei dem er mit der #MeToo-Debatte
EMPOWERMENT
konfrontiert wurde. Seit Jahren wird
Allen selbst von seiner Adoptivtochter
Dylan Farrow des sexuellen Missbrauchs
AT ITS BEST!
beschuldigt:
Aus den »Badischen Neuen Nachrichten«
Ein aktuelles Interview, das der
Regisseur dem SPIEGEL zum Start seines
Aus der »taz«: Films »Wonder Wheel« gegeben hat,
»Wenn Drogenhändler und zeigt allerdings auch, wie groß der Ge-
Konsument*innen vertrieben werden, sprächsbedarf ist – und wie ausgeprägt
ziehen sie eben weiter.« zugleich der Hang zum Verdrängen.
BUSINESS Allen weicht entsprechenden Fragen
konsequent aus. Auch der nach
FUTURA
AUFWACHEN, EUROPA!
Gelingt die digitale Aufholjagd?
Auf breiter Ebene durchlaufen Wirtschaft und
Gesellschaft rasante Umbrüche und tiefgreifenden
Wandel. Neben der technologischen Umsetzung
gilt es sich auf die beschleunigte Dynamik der
anstehenden Veränderungen einzustellen.
ANDERS INDSET DR. ROBERT MAYR ANN METTLER PROF. DR. STEPHAN RAMMLER
Wirtschaftsphilosoph DATEV eG Europäische Institut für
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2018
Ran ans Werk –
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