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Königreich der Angst Gedanken zur

aktuellen politischen Krise 1st Edition


Martha Nussbaum Manfred Weltecke
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Königreich der Angst Gedanken zur aktuellen politischen


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Martha Nussbaum

KÖNIGREICH
DER ANGST
Gedanken zur aktuellen
politischen Krise

Aus dem Englischen von Manfred Weltecke


Titel der Originalausgabe: The Monarchy of Fear. A Philosopher
Looks at Our Political Crisis © 2018 Martha C. Nussbaum
Diese Ausgabe erscheint gemäß der Vereinbarung mit Simon &
Schuster Inc. in deutscher Erstübersetzung bei der Wissenschaft-
lichen Buchgesellschaft, Darmstadt.
Copyright der deutschen Übersetzung © 2019 Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation


in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.


Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung
durch elektronische Systeme.

wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.


© 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die
Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.
Lektorat: Dietlind Grüne, Heidelberg
Satz: Mario Moths, Marl
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-3875-4

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:


eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-3904-1
eBook (Epub): ISBN 978-3-8062-3903-4
INHALT

2016: Trump wird gewählt und bringt mich


zum Nachdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1 Einführung: alles eine Frage der Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2 Angst: Früh und machtvoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

3 Zorn als Kind der Angst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

4 Von Angst getriebener Ekel: Die Politik der Ausgrenzung. . . . 1 22

5 Das Reich des Neides. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

6 Ein giftiges Gebräu: Sexismus und Frauenfeindlichkeit. . . . . . 196

7 Hoffnung, Liebe und die Vision einer besseren Zukunft.. . . . . . 231

Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
Nachwort: Bemerkungen zur Situation in Europa. . . . . . . . . . . . . . . 287

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2016: Trump wird gewählt und
bringt mich zum Nachdenken

Die Wahlnacht der Präsidentschaftswahl des Jahres 2016 erlebte ich


am hellen Tag – in Kyoto, wohin ich gerade wegen einer Preisverlei-
hung gereist war, nachdem mich meine Kollegen zu Hause fröhlich
verabschiedet hatten. Ich war angesichts der erbittert gespaltenen
Wählerschaft ziemlich besorgt und dennoch recht zuversichtlich,
dass die Aufrufe zu Angst und Zorn zurückgewiesen werden würden
– obwohl es sehr viel harter Arbeit bedürfen würde, die Amerikaner
wieder zusammenzubringen. Meine japanischen Gastgeber kamen
wiederholt in mein Hotelzimmer und erklärten mir den Ablauf der
verschiedenen Zeremonien. Im Hintergrund dieser Gespräche – aller-
dings im Vordergrund meiner Gedanken – trafen stets die aktuellsten
Wahlergebnisse ein, die in mir zunächst eine immer größere Beunru-
higung auslösten, dann schließlich Trauer und auch eine tiefe Angst
um das Land, seine Menschen und Institutionen. Ich war mir dessen
bewusst, dass meine Angst nicht ausgewogen oder unparteiisch war –
also war ich selbst ein Teil des Problems, das mir Sorgen bereitete.
Ich war in Kyoto, um einen Preis entgegenzunehmen, der von ei-
nem japanischen Wissenschaftler, Geschäftsmann und Philanthro-
pen – außerdem Priester des Zen-Buddhismus – gestiftet worden war,

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2016: Trump wird gewählt

der diejenigen auszeichnen wollte, die „wesentlich zur wissenschaft-


lichen, kulturellen und spirituellen Verbesserung der Menschheit
beigetragen haben“. Während es mir sehr gefiel, dass Kazuo Inamori
die Philosophie als Disziplin anerkannte, die einen bedeutsamen Bei-
trag leistet, empfand ich die Ehrung eher als eine Herausforderung
denn als eine Auszeichnung. Ich fragte mich bereits, wie ich an die-
sem schwierigen Punkt der Geschichte der USA meinen Lorbeeren
gerecht werden könnte.
Als das Wahlergebnis klar war, musste ich zu meinem ersten offi-
ziellen Treffen mit den beiden anderen Preisträgern (beide Wissen-
schaftler) in den Büros der Inamori-Stiftung. Ich zog daher aufmun-
ternde Kleidung an, richtete mein Haar und versuchte, Glück und
Dankbarkeit auszustrahlen. Das erste offizielle Abendessen war eine
lästige Pflicht. Die geselligen, durch einen Dolmetscher gefilterten
Gespräche mit Fremden hatten keinerlei ablenkenden Charme. Ich
wollte meine Freunde umarmen, aber sie waren weit weg. E-Mails
sind eine tolle Sache, aber sie können nicht mit einer Umarmung kon-
kurrieren, wenn es um Trost und Zuspruch geht.
In dieser Nacht wachte ich aufgrund der Kombination aus poli-
tischer Angst und Jet-Lag immer wieder auf, sodass ich ins Nach-
denken kam. Gegen Mitternacht beschloss ich, dass meine Unter-
suchung der Gefühle in bisherigen Arbeiten nicht tiefgehend genug
war. Indem ich meine eigene Angst analysierte, dämmerte es mir
allmählich, dass Angst das zentrale Thema war – eine nebulöse und
vielgestaltige Angst, welche die Gesellschaft der USA durchdrang.
Ich hatte einige vorerst noch unvollständig durchdachte, aber viel-
versprechende Ideen in Bezug darauf, wie Angst mit anderen proble-
matischen Emotionen wie Wut, Ekel und Neid verbunden ist und sie
vergiftet. Ich arbeite nur selten mitten in der Nacht. Ich schlafe gut,
und meine besten Ideen kommen mir meistens nach und nach, wäh-
rend ich an meinem Computer sitze. Doch Jet-Lag und eine nationale

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2016: Trump wird gewählt

Krise können die Gewohnheiten ändern, und in diesem Fall hatte ich
das freudige Gefühl, eine Entdeckung gemacht zu haben. Ich dachte,
dass das Ergebnis dieses Aufruhrs möglicherweise ein gewisses Maß
an Einsicht sein würde, und – wer weiß? – es könnte eine Einsicht
sein, die auch andere auf gute Ideen bringen würde, wenn ich meine
Arbeit gut machen würde. Mit einem beruhigenden Gefühl der Hoff-
nung schlief ich wieder ein.
Am nächsten Tag stürzte ich mich – nach einem erfrischenden
morgendlichen Training – in die feierlichen Zeremonien. Ich zog
mein Abendkleid an und lächelte so gut ich konnte für das offizielle
Porträtfoto. Die Zeremonie auf der Bühne war ästhetisch anspre-
chend und daher ablenkend. Fasziniert lauschte ich den Lebensläu-
fen meiner Mitpreisträger und ihren kurzen Reden über ihre Arbeit,
da sie auf Fachgebieten tätig sind, über die ich wenig weiß (von selbst-
fahrenden Autos bis zu Grundlagenforschung in der Onkologie), und
ich war voller Bewunderung für ihre Leistungen. In meiner eigenen
kurzen Rede konnte ich einige der Dinge zum Ausdruck bringen, die
mir wirklich am Herzen liegen, und mich bei Menschen bedanken,
die mich während meiner gesamten Karriere unterstützt haben. Min-
destens genauso wichtig war mir, dass ich auch die Liebe zu meiner
Familie und meinen engen Freunden zum Ausdruck bringen konnte.
(Die ganze Rede hatte ich für den Dolmetscher im Voraus schreiben
müssen, sodass keine spontanen Änderungen möglich waren. Die
Gelegenheit, Liebe auszudrücken, war dennoch äußerst tröstlich.)
Bankette anlässlich von Preisverleihungen enden in Kyoto pünkt-
lich und extrem früh, sodass ich um 20.30 Uhr wieder in meinem
Zimmer war, und ich setzte mich an meinen Schreibtisch und
schrieb. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ideen, die mir in der Nacht
gekommen waren, Gestalt angenommen, und indem ich sie nieder-
schrieb, entwickelten sie sich immer weiter und wurden (zumindest
für mich!) immer überzeugender. Nach zwei Abenden Arbeit hatte

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2016: Trump wird gewählt

ich einen langen Blog-Beitrag verfasst, den ein befreundeter Jour-


nalist in Australien veröffentlichte, und dieser Blog-Beitrag nahm
gleichzeitig auch eine andere Form als Buchvorschlag an.
Aber wer bin ich denn, so könnte mich ein Leser fragen, und wie
bin ich dazu gekommen, mich so sehr für Gefühle politischer Einheit
und Spaltung zu interessieren? Ich bin natürlich eine Akademikerin,
lebe ein sehr privilegiertes Leben, umgeben von wunderbaren Kol-
legen und Studenten und mit jeglicher Unterstützung, die ich mir
für meine Arbeit wünschen könnte. Selbst in dieser Zeit, in der die
Geistes- und Kulturwissenschaften unter Druck geraten sind, unter-
stützt meine Heimatuniversität die Geisteswissenschaften nach wie
vor sehr. Als Philosophin ohne Jurastudium freut es mich besonders,
dass ich zum Teil an einer juristischen Fakultät unterrichten darf, wo
ich täglich etwas über die politischen und rechtlichen Fragen dieser
Nation lernen kann, während ich Lehrveranstaltungen zum Thema
Gerechtigkeit und zu politischen Ideen anbiete. Ich verfüge also über
einen günstigen Aussichtspunkt für einen Gesamtüberblick, doch er
mag zu distanziert erscheinen, um die Ängste der meisten Amerika-
ner teilen zu können.
Ich war auch ein privilegiertes Kind, jedoch auf viel kompliziertere
Weise. Meine Familie, die in Bryn Mawr, einem vornehmen Stadtteil
im Speckgürtel von Philadelphia lebte, gehörte zur oberen Mittel-
schicht und war ziemlich wohlhabend. Ich erfuhr Liebe, hatte mehr
als ausreichend zu essen und eine exzellente Gesundheitsvorsorge.
An einer ausgezeichneten Privatschule für Frauen erhielt ich eine erst-
klassige Ausbildung. Die Schule bot damals Anreize für herausragen-
de Leistungen – frei von geschlechtsspezifischem Gruppenzwang –,
wie sie eine öffentliche Schule Mädchen nicht auf ebenso gleichbe-
rechtigte Weise geboten hätte. (Meine Mutter sagte immer zu mir:
„Rede nicht so viel, sonst werden dich die Jungen nicht mögen“ – ein
guter Rat für die damalige Zeit, doch in der Schule musste ich ihn

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2016: Trump wird gewählt

nicht befolgen.) Ich habe schon immer gern gelesen, geschrieben und
Gedankengänge konstruiert. Außerdem gefielen meinem Vater die
von mir angestrebten Ziele, und er unterstützte sie. Er stammte aus
einer Arbeiterfamilie in Macon, Georgia, und hatte sich durch Bega-
bung und harte Arbeit zum Teilhaber einer führenden Anwaltskanzlei
in Philadelphia hochgearbeitet. Er glaubte und sagte das auch, dass
der amerikanische Traum allen offen stehe. Diese Überzeugung säte
in mir Zweifel. Er sagte immer wieder, dass Afroamerikaner in Ame-
rika nicht erfolgreich seien, weil sie einfach nicht hart genug arbeite-
ten; doch ich beobachtete seinen tiefsitzenden Rassismus, mit dem
er von Haushaltshilfen verlangte, dass sie ein separates Badezimmer
benutzten, und sogar damit drohte, mich zu enterben, wenn ich in der
Öffentlichkeit in einer größeren Gruppe (einer Theatergruppe) auf-
treten würde, zu der ein Afroamerikaner gehörte. Dadurch erkannte
ich, dass sein Glaubensbekenntnis der Situation der Afroamerikaner,
die durch Stigmatisierung und Rassendiskriminierungsgesetze un-
terdrückt und beleidigt wurden, nicht gerecht wurde. Der Abscheu
meines Vaters vor Minderheiten erstreckte sich auf viele, die (trotz
sozialer Hindernisse) durch harte Arbeit Erfolge erzielt hatten: ins-
besondere auf Afroamerikaner und Juden der Mittelschicht.
Er wusste, dass Frauen zu hervorragenden Leistungen fähig sein
können. Er freute sich über meinen Erfolg und ermutigte mich, unab-
hängig und sogar herausfordernd zu sein. Doch auch hier stellte ich
ein Problem fest, denn er hatte eine Frau geheiratet, die als Innenar-
chitektin gearbeitet hatte, und es verstand sich von selbst, dass sie zu
arbeiten aufhörte, was zur Folge hatte, dass meine Mutter für einen
Großteil ihres Lebens unglücklich und einsam war. Seine Einstel-
lungen waren äußerst widersprüchlich. Als ich sechzehn war, ließ er
mir die Wahl zwischen einem Debütantenball und dem Aufenthalt
bei einer Gastfamilie im Ausland im Rahmen eines internationalen
Programms (Experiment in International Living), und er freute sich

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2016: Trump wird gewählt

sehr, dass ich mich für Letzteres entschied – doch er selbst hätte eine
Frau, die sich nicht für Ersteres entschieden hätte, niemals geheira-
tet. Er war der Überzeugung, dass das Tragen gewagter modischer
Kleidung (bei Frauen und Männern) mit intellektuellem Anspruch
und Erfolg durchaus vereinbar sei; und der Spaß, den wir bei ge-
meinsamen Einkaufsbummeln hatten, wurde durch den subversi-
ven Plan, dass ich bei seinem Vortrag über „Ernennungsbefugnisse“
am Institut für juristische Praxis in einem leuchtend rosa Minirock
auftauchen würde, noch verdoppelt. Und doch fragte ich mich,
was er wirklich darüber gedacht haben mag, wohin all dies führen
würde – vor allem: zu welcher Art von Familienleben? Er ermutig-
te mich, genau mit jenen aufstrebenden, geschniegelten Männern
auszugehen, die – wie er – niemals eine berufstätige Ehefrau ge-
wollt hätten.
Zwischenzeitlich verstärkte jener Auslandsaufenthalt meine
Zweifel am Credo meines Vaters. Ich wurde zu einer Familie von
Fabrikarbeitern in Swansea in Südwales geschickt und begriff, wie
Armut, schlechte Ernährung, schlechte sanitäre Einrichtungen (Au-
ßentoilette) sowie schlechte Gesundheitsbedingungen (vor allem
der Kohlebergbau, der die Gesundheit etlicher Familienmitglie-
der ruiniert hatte) den Menschen nicht nur ein blühendes Leben,
sondern auch ihre Sehnsucht und Kraft raubt. Meine gleichaltri-
gen Gastschwestern in dieser Familie wollten nicht studieren oder
durch harte Arbeit glänzen. Wie in den britischen Arbeiterfamili-
en, die in Michael Apteds „Seven Up“ 1 und seinen Fortsetzungen
so schonungslos dargestellt werden, sahen sie für sich selbst keine
Zukunft, die rosiger war als das Leben ihrer Eltern, und ihre größte
Freude war es, in Kneipen zu gehen und die legalen Spielkasinos in

1 Anm. d. Übers.: Die „Up“-Serie ist eine Reihe von Dokumentarfilmen, die von
Granada Television für ITV produziert wurden und das Leben von vierzehn briti-
schen Kindern von 1964 an, als sie sieben Jahre alt waren, begleiten.

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2016: Trump wird gewählt

der Nähe aufzusuchen. Ich erinnere mich daran, wie ich im Bett lag,
einen Roman über die britische Oberschicht las – in diesem Haus
mit einer Außentoilette im Garten – und darüber nachdachte, wa-
rum Eirwen Jones, die in meinem Alter war, nicht das geringste
Interesse am Lesen und Schreiben, ja nicht einmal am Lernen der
walisischen Sprache hatte. Die durch Armut aufgebauten Hinder-
nisse sind oft tief im Inneren eines Menschen verwurzelt, und viele
benachteiligte Menschen können dem Weg meines Vaters nicht fol-
gen. (Er erzählte, dass er ausreichend zu essen, viel Liebe, geistige
Anregung und eine gute Gesundheitsversorgung bekommen und
irgendwie eine erstklassige Ausbildung erhalten hatte. Dabei war
ihm nicht bewusst, was für riesige Vorteile ihm die Tatsache, dass
er weiß war, brachte. Außerdem lebte er, geboren im Jahr 1901, in
einer Welt mit größeren Chancen für sozialen Aufstieg als es sie
heute selbst für arme Weiße gibt.) So sah ich mich selbst in einer
neuen Perspektive: nicht nur als sehr kluges Kind, sondern als Pro-
dukt sozialer Faktoren, die ungleich verteilt sind. Es war nicht über-
raschend, dass ich dieses Verständnis viel später durch die Mitarbeit
in einer internationalen Entwicklungsorganisation und durch eine
enge Partnerschaft mit Gruppen, die sich für die Bildung und die
Rechte von Frauen in Indien einsetzen, vertieft habe.
Wie die meisten der Leute, die ich in Bryn Mawr kannte, war ich
damals Republikanerin, und ich bewunderte die Ideen von Barry
Goldwater, der die individuellen Freiheitsrechte betonte. Ich glau-
be immer noch, dass Goldwater ein ehrenwerter Mann war und
dass er sich voll und ganz für das Ende der Rassentrennung ein-
setzte – er hatte seine Prinzipien sogar auf mutige Weise in sein
Familienunternehmen integriert. Ich denke, er glaubte tatsächlich,
dass sich die Menschen dafür entscheiden sollten, gerecht zu sein,
sich gegenseitig zu respektieren und zu helfen, allerdings ohne den
Zwang der Regierung. Während ich noch in der Highschool für sei-

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2016: Trump wird gewählt

nen Wahlkampf zu arbeiten begann, stellte ich jedoch fest, dass die
meisten meiner politischen Mitstreiter nicht von hoher Gesinnung,
sondern zutiefst rassistisch waren und den Liberalismus lediglich
in seiner Funktion als Schutzschirm für Ansichten unterstützten,
welche die Rassentrennung befürworteten. Die Hässlichkeit jener
Politik, welche die Vorherrschaft der Weißen zum Ziel hatte, stieß
mich ab und überzeugte mich davon, dass Goldwater naiv war und
dass allein die Gesetzgebung stark genug sein würde, die Rassen-
trennung zu überwinden. Mittlerweile (nach meinem Aufenthalt in
Swansea) hatte ich auch begriffen, dass wirkliche Gleichberechti-
gung gleichen Zugang zu einer guten Ernährung und Gesundheits-
versorgung erfordert. Ich begann, die politischen Ideale des New
Deal zu übernehmen, und mein Vater beschwerte sich bei meiner
Schule darüber, dass meine Geschichtslehrer mich „einer Gehirn-
wäsche unterzogen“ hätten – es war nicht das einzige Mal, dass er
die geistige Unabhängigkeit, die er so stolz gefördert hatte, unter-
schätzen sollte.
Ich erwähnte bereits das Theater: schon früh wurden die Künste,
insbesondere das Theater und die Musik, für mich zu einem Fenster
in eine weniger ausgrenzende Welt. Erstens war es eine Welt, die –
im Gegensatz zur weißen, angelsächsischen, protestantischen Kul-
tur („WASP-Kultur“) von Bryn Mawr – den Ausdruck starker Emo-
tionen unterstützte. Alle meine Lehrer förderten meinen Verstand,
aber der Theaterlehrer förderte meine gesamte Persönlichkeit.
Also fasste ich den Entschluss, Schauspielerin zu werden. Ich ar-
beitete für zwei Spielzeiten an einem Sommertheater, verließ das
Wellesley College nach drei Semestern, um eine Stelle bei einem
Repertoiretheater anzunehmen, und verfolgte meine Schauspiel-
karriere an der heutigen Tisch School of the Arts an der Universität
New York – bis ich einsah, dass ich keine sehr gute Schauspiele-
rin, dieses Leben zu unsicher und meine wahre Leidenschaft das

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2016: Trump wird gewählt

Nachdenken und Schreiben über die Stücke war. Doch als Amateu-
rin spiele und singe ich nach wie vor (aufgrund meiner Lebenserfah-
rung bin ich nun besser), und es bereitet mir Freude. Ich ermutige
auch meine Kollegen zum Schauspielen (in Stücken, die im Zu-
sammenhang mit unseren Konferenzen über Recht und Literatur
stehen). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es die juristische
Fakultät menschlicher macht und intellektuelle Freundschaften
bereichert, wenn ich mit meinen Kollegen Gefühle teile.
Im Theater begegnete ich zum ersten Mal Menschen, die offen
homosexuell waren. Ja, im Alter von siebzehn Jahren war ich ver-
narrt in einen schwulen Schauspieler, und ich verfolgte sein Leben
mit der gesteigerten Anteilnahme einer enttäuschten Verliebtheit.
Ich sah, dass er einen Lebenspartner hatte, der ihn besuchte und
mit dem er die Absolventenringe ausgetauscht hatte, dass sie jedoch
nur in der Welt des Theaters offen ein Paar waren und nicht in der
größeren Gesellschaft. Dies erschien mir völlig absurd und irrati-
onal. Er war sehr viel netter als die meisten Jungen, die ich kann-
te: Er zeigte mehr Verständnis und Respekt. Ich denke, ich hatte
mittlerweile verstanden, dass sich hinter Rassismus und Sexismus
oft ein abstoßendes Eigeninteresse verbirgt. Die Diskriminierung
aufgrund sexueller Orientierung, die mir – ebenso wie ihre Erschei-
nungsformen – bis dahin verborgen geblieben war, war ein weiteres
schlimmes amerikanisches Laster, das ich in der Folge auf meiner
Liste ergänzte.
Nachdem ich mich dagegen entschieden hatte, Schauspielerin zu
werden, wandte ich mich wieder dem akademischen Leben der Uni-
versität von New York zu und blühte dort auf. Bald darauf lernte ich
meinen späteren Mann kennen, verlobte mich und konvertierte zum
Judentum. Was mich am Judentum anzog und noch immer anzieht,
ist die vorrangige Bedeutung der sozialen Gerechtigkeit. Außerdem
liebte ich schon immer die jüdische Kultur, in die ich eingetreten bin,

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2016: Trump wird gewählt

und fand, dass in ihr Emotionen stärker ausgedrückt und Streitigkei-


ten auf eine offenere Weise ausgetragen werden als in der „WASP-
Kultur“. Einer meiner (sehr erfolgreichen) jüdischen Kollegen sagte
über seine eigene Zeit in führenden Anwaltskanzleien, WASP-An-
wälte würden einen nie kritisieren, sondern nach fünf Jahren einfach
plötzlich feuern, während jüdische Anwälte zwar herumschreien und
auf und ab springen, einen am Ende jedoch recht fair behandeln wür-
den. Obwohl ich nicht mehr verheiratet bin, habe ich meinen jüdi-
schen Namen und meine jüdische Religion beibehalten und bin jetzt
mehr am Leben meiner Gemeinde beteiligt, als ich es vorher war.
(Mit der mittleren Initiale „C“ ehre ich meinen Geburtsnamen, Cra-
ven.) Ich schloss mich also einer der Gruppen an, die mein Vater ver-
achtete, und er kam nicht zu meiner Hochzeit, obwohl meine Mutter
mir dabei half, sie zu organisieren. Zu der Zeit waren meine Eltern
bereits geschieden.
Ich hatte also ein in mancher Hinsicht begünstigtes Leben, aber
schon früh lernte ich, es als privilegiert zu betrachten und darüber
nachzudenken, dass andere von solchen Privilegien ausgeschlos-
sen waren. Eine Form der Diskriminierung, der ich nicht entgehen
konnte, war die Diskriminierung von Frauen, die in meiner frü-
hen Karriere eine große Rolle spielte (obwohl ich auch eine Menge
Ermutigung erfuhr) und die wahrscheinlich erklärt, warum ich in
Harvard keine Festanstellung bekam – obwohl bei einer knappen
Entscheidung und zwei gespaltenen Abteilungen eine Vielzahl von
Dingen angeführt werden könnte, um das Ergebnis zu erklären. Und
wie die meisten berufstätigen Frauen meiner Generation habe ich
die Probleme kennengelernt, die entstehen, wenn das Familienle-
ben um neue und noch nicht vollständig durchdachte Erwartungen
herum strukturiert wird. Selbst wenn beide Parteien die besten
Absichten haben, sind die männlichen Erwartungen aus einer frü-
heren Ära im Herzen schwer zu besiegen, besonders, wenn Kinder

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2016: Trump wird gewählt

im Spiel sind. Und manchmal können zwei Menschen, die sich lie-
ben, einfach nicht zusammenleben. Aber ich bereue gewiss nicht,
mich in das Abenteuer begeben zu haben. Meine Tochter, die jetzt
bei Friends of Animals in Denver für die Rechte von wilden Tieren
arbeitet, gehört zu den großen Glücksquellen meines Lebens. (Ihr
liebenswerter und unterstützender Ehemann, der im Alter von acht-
zehn Jahren in der DDR zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, weil
er ein politisches Plakat aufgehängt hatte, das den Kommunismus
kritisierte, hat mir die Perspektive eines Einwanderers eröffnet, der
die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren Freiheiten und ihren
Traditionen des Willkommenheißens und der Inklusion liebt.)
Manchmal sind Akademiker von den Realitäten des menschli-
chen Lebens zu weit entfernt, um gute Beiträge zu dessen Struk-
turen leisten zu können. Das ist ein Risiko, das mit der akademi-
schen Freiheit und dem sicheren Arbeitsverhältnis – wunderbaren
Institutionen, wie sie die Philosophen der meisten früheren Epo-
chen nicht geschützt haben – verbunden ist. Mein eigenes Engage-
ment und meine Bemühungen haben mich immer dazu geführt,
der Philosophie das breite Spektrum der behandelten Themen
zurückzugeben, das sie in der griechischen und römischen Anti-
ke auszeichnete: die Analyse der Emotionen und des Kampfes um
ein gelingendes Leben in schwierigen Zeiten; das Bedenken von
Liebe und Freundschaft sowie der menschlichen Lebensspanne
(einschließlich des Alterns, das von Cicero so großartig untersucht
wurde); die Hoffnung auf eine gerechte Welt. Ich hatte zahlreiche
Partner auf dieser Suche nach einer menschlichen Philosophie
(und mehrere großartige Mentoren, darunter Stanley Cavell, Hil-
ary Putnam und Bernard Williams). Doch ich hoffe, dass mir auch
meine eigene Geschichte – sowohl in ihren unverdienten Privilegi-
en als auch in ihrem Bewusstsein für Ungleichheiten – bei meiner
Suche geholfen hat.

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2016: Trump wird gewählt

Wenn ich an diesem Abend im November 2016 meine Freunde


hätte umarmen können, hätte ich dieses Buchprojekt vielleicht nicht
begonnen – oder zumindest nicht genau dann. Aber als ich diesen
Weg einmal eingeschlagen hatte, waren meine Freunde wichtige
Quellen der Unterstützung, des Verständnisses, skeptischer Her-
ausforderungen und nützlicher Vorschläge. Ehrerbietung ist Gift
für die intellektuelle Arbeit, und ich bin so glücklich, dass meine
Kollegen und Freunde alles andere als ehrerbietig sind. Doch es gibt
einen vor allen anderen, dessen skeptische Herausforderungen, pro-
vozierende Einsichten, zynischer Spott über alle Emotionen sowie
unerschütterliche Unterstützung und Freundschaft dazu führen,
dass ich mich meines Lebens und meiner Arbeit mehr freue und (so
hoffe ich) meine Arbeit besser mache. Daher widme ich dieses Buch
Saul Levmore.

18
1 Einführung: alles eine Frage
der Emotionen

In den USA gibt es heute sehr viel Angst, und diese Angst ist häu-
fig mit Zorn, Schuldzuweisungen und Neid vermischt. Angst blo-
ckiert allzu oft rationale Überlegungen, sie vergiftet die Hoffnung
und behindert eine konstruktive Zusammenarbeit für eine bessere
Zukunft.
Worum geht es bei der heutigen Angst? Viele Amerikaner füh-
len sich machtlos. Sie haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle über
ihr Leben verloren haben. Sie fürchten um ihre eigene Zukunft
und die Zukunft der Menschen, die sie lieben. Sie fürchten, dass der
amerikanische Traum – die Hoffnung, dass die eigenen Kinder er-
folgreich sein und es besser haben werden, als man es selbst hatte –
gestorben und ihnen alles entglitten ist. Diese Gefühle haben ihre
Grundlage in realen Problemen, unter anderem in der Stagnation
des Einkommens der unteren Mittelschicht, in der alarmierenden
Verschlechterung der Gesundheit und im Sinken der Lebenser-
wartung der Mitglieder dieser gesellschaftlichen Gruppe, insbeson-
dere der Männer, sowie in den explodierenden Kosten der Hoch-
schulausbildung in einer Zeit, in der ein Hochschulabschluss für
eine Anstellung zunehmend unerlässlich ist. Aber wirkliche Proble-

19
Einführung

me sind schwer zu lösen, und ihre Lösung erfordert lange, anstren-


gende Untersuchungen und Zusammenarbeit in Richtung einer
ungewissen Zukunft. Es kann daher nur allzu attraktiv erscheinen,
mit diesem Gefühl der Panik und Ohnmacht umzugehen, indem
man es in Schuldzuweisungen an Außenstehende wie Einwanderer,
ethnische Minderheiten und Frauen umwandelt und sich von ihnen
innerlich distanziert. „Sie“ haben uns unsere Jobs weggenommen.
Oder: Reiche Eliten haben uns unser Land gestohlen.
Die Probleme, welche die Globalisierung und Automatisierung
für Amerikaner der Arbeiterklasse mit sich bringen, sind real, fun-
damental und scheinbar unlösbar. Statt sich diesen Schwierigkei-
ten und Unsicherheiten zu stellen, können Menschen, die ihren Le-
bensstandard sinken sehen, sich auf Bösewichte stürzen, und eine
Fantasie nimmt Gestalt an: Wenn „wir“ „sie“ irgendwie draußen
halten (eine Mauer bauen) oder an „ihrem Platz“ (in untergebenen
Positionen) festhalten, können „wir“ unseren Stolz und Männer ihre
Männlichkeit zurückgewinnen. Angst führt also eher zu aggressiven
Strategien der Distanzierung von „den anderen“ als zu nützlichen
Analysen.
Gleichzeitig grassiert die Angst auch unter den „Linken“, die
eine größere soziale und wirtschaftliche Gleichstellung anstreben
und fest entschlossen sind, die hart erkämpften Rechte von Frau-
en und Minderheiten zu verteidigen. Viele Menschen, die über das
Wahlergebnis bestürzt waren, reagieren, als ob das Ende der Welt
unmittelbar bevorstehe. Eine Mehrheit meiner Studierenden, vie-
le Bekannte und viele Kollegen fühlen und sagen – oft mit großer
Angst –, dass unsere Demokratie am Rand des Zusammenbruchs
stehe, dass die neue Regierung in ihrer Bereitschaft, auf Rassismus,
Frauenfeindlichkeit und Homophobie einzugehen, beispiellos sei.
Sie befürchten vor allem das mögliche Verschwinden der demokra-
tischen Meinungs-, Reise-, Vereinigungs- und Pressefreiheit. Vor

20
Einführung

allem meine jüngeren Studierenden glauben, dass das Amerika,


das sie kennen und lieben, im Begriff ist zu verschwinden. Statt die
Dinge nüchtern zu analysieren, der anderen Seite Gehör zu schen-
ken und zu versuchen, die Dinge zu ordnen, verteufeln sie häufig die
andere Hälfte der amerikanischen Wählerschaft und stellen sie als
Monster, als Feinde alles Guten dar. Wie im Buch der Offenbarung
scheinen wir in den letzten Tagen zu leben, in denen ein Häuflein von
Rechtschaffenen gegen die Kräfte Satans antreten muss.
Wir alle müssen erst einmal tief durchatmen und uns an unsere
Geschichte erinnern. Als ich ein kleines Mädchen war, wurden Afro-
amerikaner im Süden gelyncht. Kommunisten verloren ihre Arbeit.
Frauen begannen gerade erst, an renommierten Universitäten zu
studieren und in die Arbeitswelt einzutreten; sexuelle Belästigung
war ein allgegenwärtiges Vergehen, und es gab keine Gesetze, die
als Abschreckung hätten wirken können. Juden konnten keine Part-
nerschaften in großen Anwaltskanzleien erwerben. Homosexuelle
Männer und Frauen, die nach dem Gesetz Verbrecher waren, hiel-
ten ihre sexuelle Orientierung fast immer geheim. Menschen mit
Behinderungen hatten keinen Anspruch auf öffentliche Räume und
staatliche Bildung. Transgender war eine Kategorie, für die es noch
keinen Namen gab. Amerika war alles andere als schön.
Diese Fakten sagen uns zwei Dinge, die meine Studierenden
wissen müssen. Erstens: Das Amerika, dem sie nachtrauern, hat
es nie gegeben, nie vollständig; es war ein laufendes Projekt, eine
Reihe dynamischer Bestrebungen, die durch harte Arbeit, Koopera-
tion, Hoffnung und Solidarität über einen langen Zeitraum in Gang
gehalten wurden. Ein gerechtes und inklusives Amerika war und
ist noch keine vollendete Realität. Zweitens mag die gegenwärti-
ge Zeit wie ein Rückschritt in unseren Bemühungen in Richtung
menschlicher Gleichberechtigung erscheinen, aber sie ist nicht die
Apokalypse, und es ist tatsächlich eine Zeit, in der Hoffnung und

21
Einführung

Arbeit viel Gutes bewirken können. Nicht nur werden auf linker wie
rechter Seite die Gefahren durch Panik übertrieben, sondern durch
diese Panik wird die Zeit noch viel gefährlicher, als es sonst der Fall
wäre, und dieser Umstand lässt wirkliche Desaster wesentlich wahr-
scheinlicher werden. Es ist wie in einer schlechten Ehe, in der Angst,
Misstrauen und Schuldzuweisungen sorgfältiges Nachdenken über
die wirklichen Probleme und ihre Lösung verdrängen. Stattdessen
werden diese Emotionen zu einem eigenen Problem und verhindern
konstruktive Arbeit, Hoffnung, Zuhören und Kooperation.
Wenn Menschen Angst voreinander und vor einer unbekann-
ten Zukunft haben, führt dies leicht dazu, dass ein Sündenbock
gesucht wird, dass Rachefantasien und ein giftiger Neid auf die
Bessergestellten (seien es die Wahlsieger oder die sozial und wirt-
schaftlich Mächtigeren) aufkommen. Wir alle erinnern uns an die
Aussage von Franklin D. Roosevelt, dass wir „vor nichts Angst
haben müssen, außer vor der Angst selbst“. Vor Kurzem hörten
wir den scheidenden Präsidenten Obama sagen: „Die Demokra-
tie kann zerbrechen, wenn wir der Angst nachgeben.“ Roosevelt
hatte unrecht, wenn wir seine Worte wörtlich nehmen: Obwohl wir
Grund hatten, Angst vor der Angst zu haben, hatten wir zu seiner
Zeit auch viele andere Dinge zu fürchten, wie etwa den Nazismus,
Hunger und soziale Konflikte. Die Angst vor diesen Übeln war ver-
nünftig, und in diesem Sinne brauchen wir keine Angst vor unse-
rer Angst zu haben, obwohl wir sie stets analysieren sollten. Doch
Obamas präzisere und bescheidenere Aussage ist sicherlich rich-
tig: Der Angst nachzugeben, das heißt, sich von ihren Strömungen
mitnehmen zu lassen und die skeptische Prüfung abzulehnen, ist
sicher gefährlich. Wir müssen genau über die Angst nachdenken
und darüber, wohin sie uns führt. Nachdem wir tief durchgeatmet
haben, ist es wichtig, dass wir alle uns so gut wie möglich selbst
verstehen, indem wir diesen Moment der Distanz nutzen, um her-

22
Einführung

auszufinden, woher die Angst und die damit verbundenen Gefühle


kommen und wohin sie uns führen.
Aber vielleicht sind meine Leser noch nicht davon überzeugt, dass
die Angst wirklich ein tief greifendes Problem für die demokrati-
sche Selbstregierung ist. Ich stelle mir daher einen kleinen Dialog
zwischen mir (MN) und einem Verteidiger der Angst vor, den ich
VA nenne.

VA: Aber wir wollen die Angst doch nicht vernichten. Ohne Angst
wären wir alle tot. Angst ist nützlich, und sie treibt uns zu lebens-
rettenden Handlungen an.
MN: Sicher, da hast du recht. Doch Angst hat eine starke Tendenz,
von uns Besitz zu ergreifen und uns zu egoistischen, gedanken-
losen und unsozialen Handlungen anzutreiben. Ich werde ver-
suchen, dir zu zeigen, dass diese Tendenz aus der Geschichte
der Evolution und der psychologischen Struktur dieser Emotion
stammt. Mehr als andere Gefühle bedarf die Angst sorgfältiger
Prüfung und Eindämmung, wenn sie nicht giftig werden soll.
VA: Davon bin ich noch nicht überzeugt. Doch ich möchte jetzt
auch wissen, warum du sagst, dass die Angst für die demokra-
tische Selbstregierung besonders gefährlich ist. Sicherlich sind
Demokratien häufig gut beraten, die Angst zu befragen, wenn es
darum geht, Gesetzen und Institutionen eine Struktur zu geben.
Sind unsere Verteidigungsbemühungen nicht etwa eine vernünf-
tige Antwort auf die legitime Angst vor Fremdherrschaft? Und wie
verhält es sich mit unserer Verfassung? Wurden ihre Väter nicht
von Angst geleitet, als sie die grundlegenden Freiheitsrechte nie-
derschrieben? Schließlich schrieben sie über all die Dinge, welche
die Briten verletzt oder ihnen genommen hatten: Ihre Angst, dass
sich ähnliche Dinge in der neuen Nation ereignen könnten, gab
der Demokratie einen guten, keinen schlechten Rat.

23
Einführung

MN: Es wäre dumm zu leugnen, dass Angst häufig gute Hand-


lungsempfehlungen gibt. Die Angst ist schließlich ein Teil un-
serer evolutionären Ausstattung für das Überleben. Doch deine
Beispiele beziehen sich auf eine Angst, die durch eine sorgfäl-
tige und ausführliche öffentliche Diskussion gefiltert wurde.
Du hast voreilige und ungerechtfertigte Feldzüge unerwähnt
gelassen. Du hast Fälle ausgelassen, in denen Rechte ungleich
verteilt oder Privilegien aufgrund weitverbreiteter Ängste has-
tig eingeschränkt wurden. Wir haben die Angewohnheit, in
Zeiten, in denen die Nation Belastungen ausgesetzt ist, misslie-
bige Menschen zu Sündenböcken zu erklären und ihre Rechte
auf eine Weise zu beschneiden, die später als völlig fehlgeleitet
erscheinen wird. Eugene Debs wurde wegen friedlicher Reden
gegen die Teilnahme der USA am Ersten Weltkrieg ins Gefängnis
geworfen. Gesetzestreue und friedliche japanische Amerikaner
wurden in Lagern interniert. Dies sind Fälle, in denen die Angst
uns nicht nur nicht in die Richtung verfassungsmäßiger Rechte
führte, sondern zur Folge hatte, dass bereits etablierte Rechte
zurückgenommen wurden, und dasselbe Klima der Angst führte
dazu, dass selbst unsere Gerichte dies damals nicht erkannten.
Angst ist oft schneller als das sorgfältige Nachdenken. Es ist diese
von Unsicherheit getriebene Flucht nach vorn, die ich mit großer
Skepsis betrachte. Diese Form der Angst untergräbt Brüderlich-
keit, vergiftet die Zusammenarbeit und lässt uns Dinge tun, für
die wir uns später zutiefst schämen.
VA: Nochmals: Ich warte auf deine Argumente! Du hast mich
davon überzeugt, dass hier ein Problem vorliegt. Doch ich sehe
noch nicht, wie groß es ist oder wie seine Lösung aussehen könnte.
Aber es gibt da noch eine andere Sache, die du versuchen musst,
mir zu erklären. Du verwendest den Titel „Das Königreich der
Angst“. Und du wiederholst ständig, dass Angst ein besonderes

24
Einführung

Problem für die demokratische Selbstregierung darstellt. Was ich


nicht verstehe, ist die besondere Verbindung, die du scheinbar
zwischen der Angst und einer Bedrohung der Demokratie fest-
stellst. Bedroht die Angst, soweit sie ein gesellschaftliches Prob-
lem ist, nicht alle Regierungsformen auf gleiche Weise?
MN: Nein, nicht wirklich. In einer absoluten Monarchie kann
der Monarch natürlich nicht übermäßig ängstlich sein, obwohl
er oder sie auch gut beraten wäre, nicht überstürzt zu handeln.
Doch Monarchen nähren sich von der Angst von unten. Die Angst,
vom Monarchen bestraft zu werden, garantiert regelkonformes
Verhalten. Und die Angst vor Bedrohungen von außen führt zu
freiwilliger Knechtschaft: Ängstliche Menschen wünschen sich
Schutz und Fürsorge, und bei ihrer Suche danach wenden sie
sich an einen starken, absoluten Herrscher. In einer Demo-
kratie müssen wir uns hingegen gleichberechtigt in die Augen
sehen, und dies bedeutet, dass die Bürger durch ein Vertrauen
auf Augenhöhe miteinander verbunden sein müssen. Vertrau-
enswürdigkeit ist mehr als Verlässlichkeit. Sklaven können sich
auf das brutale Verhalten ihres Herrn verlassen, aber natürlich
vertrauen sie ihm nicht. Vertrauen bedeutet, bereit zu sein, sich
anderen auszusetzen, die eigene Zukunft in die Hände der Mit-
bürger zu legen. Absolute Monarchen brauchen oder wollen kein
Vertrauen.
  Man denke an eine Ehe. In einer Ehe nach althergebrachtem
Muster, in der das männliche Familienoberhaupt einem Monar-
chen glich, bestand kein Bedarf an Vertrauen. Die Ehefrau und die
Kinder mussten lediglich Gehorsam leisten. Doch die Ehen, wie
sie die Menschen heute anstreben, sind ausgewogener und ver-
langen echte Verletzlichkeit, Gegenseitigkeit und beiderseitiges
Vertrauen. Und Vertrauen wird durch Angst untergraben. In dem
Maße, in dem ich dich als Bedrohung meines Lebens und meiner

25
Einführung

Ziele betrachte, werde ich mich vor dir schützen, und ich werde
geneigt sein, mich strategisch zu verhalten, ja, statt zu vertrauen,
mich sogar zu verstellen.
  Entsprechendes gilt in der Politik. Diese Weigerung zu ver-
trauen durchzieht jetzt das ganze Land. Meine Studierenden
vertrauen niemandem, der Trump gewählt hat, und sie betrach-
ten solche Menschen als eine feindliche Macht – bestenfalls als
„bedauernswerte Menschen“, schlimmstenfalls als Faschisten.
Viele Trump-Anhänger erwidern das Kompliment und sehen Stu-
dierende und Universitäten als subversive Feinde „echter Men-
schen“ an.
  Und es gibt noch eine andere Seite der Verbindung. Wenn Men-
schen sich ängstlich und machtlos fühlen, suchen sie gierig nach
Kontrolle. Sie können es nicht abwarten, zu sehen, wie sich die
Dinge entwickeln werden; sie müssen andere Menschen dazu
bringen, das zu tun, was sie wollen. Wenn sie sich also keinen
wohlwollenden Monarchen suchen, der sie beschützen könnte,
werden sie sich nur allzu wahrscheinlich selbst wie ein Monarch
verhalten. Später werde ich diese Tendenz auf die Art und Weise
zurückführen, mit der Babys versuchen, ihre Betreuungspersonen
zu Sklaven zu machen: Was können sie anderes tun als schreien,
wenn sie ihre eigene Ohnmacht erkennen? Auch auf diese Weise
untergräbt die Angst das gleichberechtigte Geben und Nehmen,
die Wechselseitigkeit, die für das Überleben von Demokratien
unerlässlich ist. Und das führt zu vergeltendem Zorn, der spaltet,
wenn es darum geht, einer ungewissen Zukunft auf konstruktive
und kooperative Weise zu begegnen.
VA: Du hast den Zorn erwähnt. Das führt mich zu einer anderen
Frage: Wozu diese Betonung der Angst? Gibt es nicht viele Gefüh-
le, welche die Demokratie bedrohen? Was hat es denn eigentlich
mit dem Zorn auf sich? Sollten wir uns angesichts seiner aggres-

26
Einführung

siven Tendenzen nicht mehr Sorgen um dieses Gefühl machen


als um die Angst? Bewegt nicht das Gefühl, ungerecht behandelt
zu werden, viele Amerikaner dazu, andere anzugreifen? Neid
wird ebenfalls häufig für eine große Bedrohung der Demokratie
gehalten, da er Klassenkonflikte anfacht. Und schließlich wurde
auch viel über die Rolle des Ekels im Rassismus sowie in anderen
Formen der Stigmatisierung und Diskriminierung geschrieben.
MN: Da hast du vollkommen recht, und die Kapitel dieses Buches
werden sich in der Tat mit diesen verschiedenen Emotionen und
den Zusammenhängen zwischen ihnen befassen. Aber nachdem
ich jahrelang über jede dieser Emotionen mehr oder weniger
isoliert von den anderen gearbeitet habe, habe ich erkannt, dass
meine bisherige Vorgehensweise einige äußerst wichtige Kausal-
zusammenhänge zwischen den Emotionen verdeckt hat. Insbe-
sondere habe ich erkannt – und ich werde versuchen, dich davon
zu überzeugen –, dass die Angst sowohl genetisch als auch kausal
eine Vorrangstellung hat und dass die drei anderen Emotionen,
die du angeführt hast, aufgrund einer „Ansteckung“ durch die
Angst vergiftet werden und die Demokratie bedrohen. Gewiss,
Menschen schlagen zurück, weil sie sich ungerecht behandelt füh-
len. Doch wie genau verhält es sich damit? Wie kommt es dazu?
Warum fühlen Menschen so, und unter welchen Bedingungen
wird die Schuldzuweisung zu einem politischen Gift? Es sind Fra-
gen dieser Art, die wir bei jedem der Gefühle stellen müssen, und
ich glaube, dass sie sich sämtlich auf Angst und Lebensunsicher-
heit zurückführen lassen.
VA: Aber was soll diese ganze Aufregung um Gefühle? Sicher-
lich sind die großen Probleme der amerikanischen Gesellschaft
struktureller Art, und wir benötigen strukturelle Lösungen, die
durch Gesetze realisiert werden können – unabhängig davon,
ob sie den Menschen gefallen oder nicht. Wir müssen nicht ab-

27
Einführung

warten, bis die Menschen besser oder sich ihrer selbst besser
bewusst werden, um die Dinge, die repariert werden müssen, zu
beheben, und die Konzentration auf Gefühle kann uns sogar von
der strukturellen Arbeit ablenken, die geleistet werden muss.
MN: Ich stimme dir voll und ganz darin zu, dass Strukturen und
Gesetze von entscheidender Bedeutung sind. Die Positionen,
die ich bezüglich dieser Fragen vertrete, werden sich im weiteren
Verlauf zeigen. Doch Gesetze lassen sich nicht ohne die Herzen
und Köpfe der Menschen in Kraft setzen oder aufrechterhalten.
In einer Monarchie ist das nicht der Fall; alles, was der Monarch
benötigt, ist ausreichend Angst, um Gehorsam zu bewirken. In
einer Demokratie benötigen wir viel mehr: Liebe zum Guten,
Hoffnung auf die Zukunft, Entschlossenheit, die zerstörerischen
Kräfte des Hasses, des Ekels und des Zorns zu bekämpfen – die
allesamt, so behaupte ich, durch die Angst genährt werden.

VA ist nicht zufrieden und sollte es auch nicht sein, da bislang nur
Behauptungen aufgestellt, jedoch keine Argumente oder Analysen
angeboten wurden. Dennoch sollte VA inzwischen eine allgemeine
Vorstellung davon haben, in welche Richtung meine Argumenta-
tion zielt. Die gegenwärtigen Probleme – wirtschaftliche, soziale
und die Sicherheit betreffende – sind kompliziert und widersetzen
sich einfachen Lösungen. Wir wissen kaum, wie die Arbeitswelt
sich entwickeln und in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird.
Auch die steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung stellen
jede Partei und jeden führenden Politiker vor unglaublich schwie-
rige Herausforderungen. Eine Hochschulausbildung, die für eine
dauerhafte Beschäftigung zunehmend wichtig wird, gerät für viele
amerikanische Bürger immer mehr außer Reichweite. Die verwir-
rende politische Situation im Nahen und im Fernen Osten sollte
zwar von allen verstanden werden, entzieht sich jedoch einer ein-

28
Einführung

fachen Analyse. Denken ist schwierig; sich der Angst zu ergeben


und andere zu beschuldigen, ist einfach.
VA könnte allerdings eine noch grundlegendere Frage stellen:
Warum sollten wir uns in dieser Zeit der Krise überhaupt an einen
Philosophen wenden? Worum geht es in der Philosophie, und wie
kann sie uns helfen?
Was Philosophie ist, wird in vielen unterschiedlichen historischen
Traditionen verschieden beantwortet. Für mich geht es in der Philo-
sophie nicht um dogmatische Aussagen. Es geht nicht darum, dass
eine Person behauptet, tiefsinniger zu sein als andere, oder angeb-
lich weise Aussagen trifft. Es geht darum, ein „geprüftes Leben“
zu führen, bescheiden angesichts der Tatsache, dass wir nur wenig
wirklich verstehen, mit der Verpflichtung zu präzisen, wechselsei-
tigen und aufrichtigen Argumenten sowie der Bereitschaft, ande-
ren als gleichberechtigten Partnern zuzuhören und auf das, was sie
vorbringen, zu reagieren. Philosophie in dieser sokratischen Form
zwingt, bedroht oder verspottet niemanden. Sie kommt nicht mit
nackten Behauptungen daher, sondern stellt stattdessen eine Denk-
struktur auf, die den Zuhörer Schlussfolgerungen aus Prämissen, die
er frei diskutieren kann, ziehen lässt.
Sokrates debattierte in der Demokratie Athens mit zahlreichen
Menschen. Er stellte fest, dass alle über die Fähigkeit zum Begrei-
fen und zum Verständnis ihrer selbst verfügten. (Platon bringt dies
zum Ausdruck, indem er zeigt, wie Sokrates ein Gespräch mit ei-
nem unterdrückten, ungebildeten Sklavenjungen führt und dieser
einen komplizierten geometrischen Beweis findet.) Philosophisches
Fragen geht von dieser grundlegenden Fähigkeit aus, doch es zeigt
auch, dass die meisten von uns es vernachlässigen, diese zu kulti-
vieren: Menschen (einschließlich Militärführer, kulturelle Autoritä-
ten und Politiker, wie Sokrates herausfand) legen sich nicht wirk-
lich Rechenschaft über das ab, was sie denken, und sie eilen auf der

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Einführung

Grundlage unausgegorener, oft inkonsistenter Ideen zum Handeln.


Die Philosophie lädt zum Dialog ein und respektiert den Zuhörer. Im
Gegensatz zu den übertrieben selbstbewussten Bürgern, die Sokra-
tes befragt hat (Euthyphro, Critias, Meletus), ist der philosophische
Redner bescheiden und verletzlich: Seine Position ist transparent
und damit möglicher Kritik ausgesetzt. (Seine oder ihre Position,
denn Sokrates sagte, er würde gerne Frauen befragen, wenn auch nur
im Jenseits, und Platon unterrichtete Frauen in seiner Akademie!)
Sokrates hatte recht mit der Aussage, dass seine Methode eng
mit den Zielen der demokratischen Selbstregierung verbunden
ist, in der das Denken jedes Einzelnen zählt, und indem er darauf
bestand, dass sie einen äußerst wertvollen Beitrag zum Leben in
einer Demokratie leistet und die Qualität der öffentlichen Diskussi-
on verbessert. Er sagte, er sei wie eine Bremse auf dem Rücken der
Demokratie, die er mit einem „edlen, aber trägen Pferd“ verglich:
Der Stachel der philosophischen Befragung sollte die Demokratie
wachrütteln, damit sie ihrer Aufgabe besser gerecht werden könne.
Dies ist kein Buch über öffentliche Ordnung oder Wirtschaftsana-
lyse, auch wenn beide Disziplinen für die Lösung unserer Probleme
von entscheidender Bedeutung sind. Es ist allgemeiner und intro-
spektiver. Sein Ziel ist ein besseres Verständnis einiger jener Kräfte,
die uns zum Handeln bewegen, und insofern bietet es allgemeine
Handlungsanweisungen. Doch sein vorrangiges Ziel ist Verstehen.
Verstehen ist immer praktisch ausgerichtet, denn ohne es fehlt dem
Handeln zwangsläufig die Richtung, und es wird von prinzipienlo-
sen Einzelentscheidungen hin und her geworfen.
Philosophen reden über viele Themen, die für die Demokratie re-
levant sind. Meine eigene Arbeit hat sich, wie viele philosophische
Arbeiten in den letzten Jahrzehnten, mit politischen Institutionen
und Gesetzen auseinandergesetzt und allgemeine Argumente dar-
über vorgelegt, was Gerechtigkeit ist und über welche Grundrechte

30
Einführung

oder -ansprüche sämtliche Staatsbürger verfügen. In den Kapiteln


über die Verhinderung von Neid und die Gestaltung von Hoffnung
werde ich einige dieser Ideen bezüglich der Handlungsfähigkeit
von Menschen und der „menschlichen Fähigkeiten“ ansprechen.
Ich bin der Meinung, dass sie uns auf unserem Weg helfen können,
doch wird das nicht der Hauptschwerpunkt dieses Buches sein.
In der anderen Hälfte meiner beruflichen Laufbahn habe ich
mich auf das Wesen der Gefühle sowie auf ihre Rolle bei unserer
Suche nach dem guten Leben konzentriert. Einer langen Tradition
folgend, die sich (in der westlichen Philosophie) von Platon über mo-
derne Denker wie Adam Smith und John Rawls erstreckt, habe ich
(gestützt auf Psychologie und psychoanalytisches Denken ebenso
wie auf Philosophie) dafür argumentiert, dass Gefühle eine wich-
tige Rolle in einem akzeptablen politischen Gemeinwesen spielen.
Sie können eine Gemeinschaft destabilisieren und fragmentieren.
Sie können aber auch eine bessere Zusammenarbeit und ein ener-
gischeres Streben nach Gerechtigkeit zur Folge haben. Gefühle sind
nicht von Geburt an festgelegt, sondern werden durch soziale Kon-
texte und Normen auf zahllose Art und Weise geprägt. Das ist eine
gute Nachricht, denn es bedeutet, dass wir viel Raum haben, die
Emotionen unserer eigenen politischen Kultur zu gestalten. Es ist
auch eine schlechte Nachricht – für Faulpelze und Menschen ohne
Wissbegier: Es bedeutet, dass wir das Wesen von Angst, Hass, Zorn,
Ekel, Hoffnung und Liebe erforschen und darüber nachdenken müs-
sen, wie wir sie so gestalten können, dass sie gute demokratische
Bestrebungen unterstützen, statt diese zu blockieren oder auszu-
höhlen. Wir können uns der Verantwortung nicht entziehen, indem
wir über unseren eigenen Hass oder unsere übertriebene Angst sa-
gen: „Es tut mir leid, aber so sind die Menschen nun einmal.“ Nein,
es gibt nichts Unvermeidliches oder „Natürliches“ an Rassenhass,
Angst vor Einwanderern, der Leidenschaft, Frauen als zweitrangig

31
Einführung

zu behandeln, oder dem Ekel vor den Körpern von Menschen mit
Behinderungen. Wir haben das zugelassen, wir alle, und wir können
und müssen es rückgängig machen.
Kurz gesagt: Wir müssen uns selbst erkennen und Verantwortung
für uns selbst übernehmen. So ist es etwa die Aufgabe einer anstän-
digen Gesellschaft, darauf zu achten, wie der Hass auf bestimmte
Gruppen durch soziale Anstrengungen und institutionelle Entwick-
lungen minimiert werden kann. Selbst eine so einfache politische
Entscheidung wie die Entscheidung, Kinder mit Behinderungen in
„normale“ Klassenzimmer zu inkludieren, hat offensichtliche Fol-
gen für die Ausprägungen von Angst und Aggression. Wir müssen
die betreffende Frage untersuchen – in diesem und in vielen anderen
Fällen – und dann, auf der Grundlage dessen, was wir verstanden
haben, Richtlinien auswählen, die Hoffnung, Liebe und Zusammen-
arbeit bewirken, und solche vermeiden, die Hass und Ekel nähren.
Manchmal können wir nur besseres Verhalten hervorbringen, wäh-
rend unter der Oberfläche weiterhin Hass brodelt. Manchmal kön-
nen wir jedoch tatsächlich ändern, wie Menschen einander sehen
und emotional aufeinander reagieren – wie dies im Fall der gemein-
samen Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderungen mit
Sicherheit geschieht. (Es hilft, früh damit zu beginnen.)
Die Philosophie für sich allein diktiert nicht sehr viele konkrete
politische Entscheidungen, denn diese müssen in einem bestimm-
ten Kontext getroffen werden und das Ergebnis einer Partnerschaft
von Philosophie, Geschichts-, Politik-, Wirtschafts- und Rechts-
wissenschaften sowie der Soziologie sein. Doch die Philosophie gibt
uns ein Gefühl dafür, wer wir sind, welche Probleme auf dem Weg
vor uns liegen und in welche Richtung wir uns bewegen sollten. Und,
wie gesagt, ihre Methoden, die eine gleichberechtigte Teilnahme,
Respekt und Gegenseitigkeit umfassen, antizipieren auch einige
wichtige Aspekte des Zustands, auf den wir uns zubewegen sollten.

32
Einführung

Sie ist Teil des Studiums unserer politischen Gegenwart, nicht das
Ganze, doch die Philosophie kann uns allen helfen, ein „geprüftes
Leben“ zu führen.
Die Philosophie ist, wie ich gesagt habe, eine sanfte Diszi-
plin. Sie nähert sich dem Menschen mit Respekt vor seiner vollen
Menschlichkeit und ist in diesem Sinne eine Form der Liebe. Häu-
fig kann sie unmissverständlich sagen: „Das ist falsch. Das ist keine
Art zu leben.“ Aber sie tut dies, ohne Menschen auszugrenzen; sie
verurteilt falsche Überzeugungen und schlechte Taten, behandelt
jedoch Menschen immer mit Aufmerksamkeit und Respekt. Ich
glaube, es ist nicht zu gewagt, die philosophische Herangehens-
weise an die Probleme Amerikas mit der Methode der gewaltfreien
politischen Veränderung zu verbinden, wie sie im Leben und Werk
von Martin Luther King Jr. beispielhaft zum Ausdruck kam. King
(der eine wichtige Person in diesem Buch sein wird) bestand auf
einer Haltung gegenüber anderen, die er Liebe nannte, auch wenn
er gegen ungerechte Verhältnisse äußerst heftig protestierte. Wir
müssen uns, so sagte er, unseren Gegnern trotz allem nicht mit
Wut, sondern mit Liebe nähern. Er betonte sogleich immer, dass
es sich dabei nicht um romantische Liebe handele, und sie erfor-
dere nicht einmal, dass wir die Menschen mögen. Die Liebe, die er
forderte, war eine Kombination aus Respekt vor der Menschheit,
gutem Willen und Hoffnung: Wir behandeln Menschen wie Men-
schen, die zuhören und mitdenken und die schließlich gemein-
sam mit uns etwas Schönes aufbauen können. Die Philosophie,
wie ich sie hier praktizieren werde, teilt diesen Vorsatz und diese
Hoffnung.

Meine Argumentation beginnt, nicht gerade überraschend, mit der


Angst und zeigt auf, dass diese sowohl chronologisch als auch kau-
sal eine Vorrangstellung hat, da sie sehr früh von uns Besitz ergreift

33
Einführung

und uns dann den Rest unseres Lebens mehr oder weniger stark be-
stimmt. Diese Analyse wird uns bereits einige Strategien aufzeigen,
mit denen sich die Angst eindämmen und „entgiften“ lässt, obwohl
sie auch zu dem Schluss gelangen wird, dass wir uns von ihren Ge-
fahren nicht vollständig befreien können.
Im Anschluss daran betrachte ich dann drei Gefühle, die in unse-
rem privaten und im öffentlichen Leben zum Teil unabhängig von
der Angst auftreten, jedoch besonders destruktiv werden, wenn sie
von Angst durchdrungen sind: Zorn, Ekel und Neid. Zunächst ana-
lysiere ich jedes der drei Gefühle und zeige dann ihre negativen Aus-
wirkungen auf das politische Leben in einer Demokratie auf.
Ein eigenes Kapitel widme ich sodann den negativen politischen
Gefühlen gegenüber Frauen, die in unserem jüngsten politischen
Diskurs eine so große Rolle gespielt haben. Ich analysiere die Be-
ziehung zwischen dem Sexismus (den ich als eine Ansammlung von
Ansichten definiere, die behaupten, dass Frauen Männern unterle-
gen sind) und der Frauenfeindlichkeit (die ich als Durchsetzungs-
strategie definiere, als eine Art von virulentem Hass und durch Hass
gesteuerten Verhaltens, das darauf abzielt, Frauen in einer unter-
geordneten Position zu halten). Ich verteidige hier die Auffassung,
dass Frauenfeindlichkeit, die normalerweise, aber nicht notwendig
auf sexistischen Überzeugungen beruht, generell ein toxisches Ge-
bräu aus strafendem Zorn, körperlichem Ekel (der mit sexuellem
Verlangen nicht unvereinbar ist) und Neid auf den zunehmenden
Erfolg von Frauen im Wettbewerb mit Männern ist.
Abschließend wende ich mich Hoffnung, Liebe und Arbeit zu,
beziehungsweise wieder zu, denn jedes Kapitel enthält konstruk-
tive Vorschläge zur Eindämmung oder Überwindung der schädli-
chen Aspekte der jeweils analysierten Gefühle. Was unsere Zukunft
betrifft, bin ich vorsichtig optimistisch, und meine philosophische
Analyse der Hoffnung schlägt Strategien vor, um Hoffnung, Glaube

34
Einführung

und die Liebe zur Menschheit zu fördern, gerade in einer Zeit, in der
es besonders schwer zu glauben scheint, dass uns diese guten Ge-
fühle leiten könnten. Obwohl ich einige aktuelle politische Beispiele
verwende, um meine Thesen zu unterstreichen, ist es mein Ziel, zum
Nachdenken, zur Selbstbeobachtung und zur kritischen Auseinan-
dersetzung einzuladen. Zu diesem Zweck gehe ich häufiger auf his-
torische Beispiele ein – vor allem aus dem antiken Griechenland und
Rom, mit denen ich mich in meiner wissenschaftlichen Forschung
lange eingehend beschäftigt habe. Wie ich in der Lehre festgestellt
habe, denken wir oft besser und treten besser zueinander in Bezie-
hung, wenn wir vom Alltag, in dem es um unsere unmittelbaren
Ängste und Wünsche geht, einen Schritt zurücktreten.

35
2 Angst: Früh und machtvoll

Du liegst im Dunkeln auf dem Rücken. Nass. Kalt. Hunger und


Durst melden sich pausenlos. Sie sind eins mit dir, und du bist
nichts als Schmerz. Du versuchst zu schreien, und es gelingt dir,
irgendwie ein Geräusch von dir zu geben – doch nichts geschieht.
Du versuchst oder beginnst zumindest damit, dich zu bewegen,
irgendwohin zu gelangen, ganz gleich wohin, nur weg von dieser
Qual. Aber deine Gliedmaßen bewegen sich nicht. Es gelingt dir
nicht, sie zu irgendetwas anderem zu bringen, als sich nutzlos in
der Luft hin und her zu bewegen. Du siehst, du hörst, du fühlst.
Doch du kannst dich nicht bewegen oder etwas tun. Du bist voll-
kommen hilflos, einfach hilflos.
Das ist der Stoff, aus dem Albträume bestehen. Die meisten von
uns haben solche Albträume von Hilflosigkeit, in denen wir versu-
chen, vor einer schrecklichen Gefahr davonzulaufen, aber unse-
re Beine ihren Dienst versagen; oder wir versuchen zu schreien,
bringen aber keinen Ton heraus oder niemand hört uns. In diesen Alb-
träumen empfinden wir eine schreckliche Angst vor bösen Menschen
oder Monstern, die uns verfolgen, aber eine noch größere Angst vor
unserer eigenen Ohnmacht und vielleicht auch Hass darauf.

36
Angst: Früh und machtvoll

Diese Horrorgeschichte ist zugleich der unspektakuläre Alltag


jedes menschlichen Babys. Kälber, Fohlen, Elefantenbabys, Wel-
pen, Giraffen- oder Delphinbabys – alle anderen Tiere lernen sehr
schnell, sich fortzubewegen, mehr oder weniger kurz nach der
Geburt. Wenn sie nicht aufrecht stehen, von der Mutter Milch
trinken und sehr bald neben der Mutter gehen oder schwimmen
und ihren eigenen Körper gebrauchen können, um die Nahrung
zu erlangen, die sie benötigen, dann sind sie schwer geschädigt
und werden so gut wie sicher sterben. Hilflosigkeit bedeutet das
Ende. Nur der Mensch ist sehr lange hilflos, und allein der Mensch
überlebt diesen hilflosen Zustand. Der römische Dichter Lukrez,
einer meiner Lieblingsautoren in Bezug auf das Thema Emotio-
nen, beschrieb im 1. Jahrhundert v. Chr. das Baby mit folgenden
Worten:

Wie der Schiffer, den rasende Wogen warfen an Land, liegt nackt es
am Boden, stumm und bedürftig jeglicher Hilfe des Lebens, sobald
in des Lichtes Bereiche es aus der Mutter Leib die Natur mit Wehen
geschleudert, füllt mit traurigem Schrein die Gegend, wie billig für
einen, dem soviel an Leid im Leben bleibt zu durchstehen.1

1 Zitiert nach: Lukrez, De rerum natura/Welt aus Atomen, übers. von Karl Bücher,
Philipp Reclam jun., Stuttgart 2008, 5, Zeile 222–227. Titus Lucretius Carus lebte
von etwa 99 bis 55 v. Chr., also zu Beginn des langen Abgleitens der Römischen
Republik in eine Tyrannei. Als Schüler des griechischen Philosophen Epikur (341–
270 v. Chr.) schuf er ein sechsbändiges episches Gedicht in daktylischen Hexame-
tern, um Epikurs Lehren über Angst, Aggression und den Aufbau des Universums
bekannt zu machen. Da Lukrez Zugang zu mehr Schriften Epikurs hatte als wir,
ist es schwer zu sagen, wie viel auf seinen schöpferischen Geist zurückgeht, doch
sicherlich stammen alle brillanten poetischen Bilder und zumindest ein Teil der
Philosophie (vor allem diejenigen Teile, die den Epikureismus mit römischen
Werten in Einklang bringen) von ihm. Es gibt viele gute Übersetzungen. In die-
sem Buch erstelle ich meine eigenen englischen Übersetzungen, die eher unbe-
holfen und wörtlich sind; meine Lieblingsübersetzung, die den Geist der Dich-
tung am besten einfängt, ist diejenige von Rolfe Humphries (Bloomington 2008).

37
Angst: Früh und machtvoll

Andere Tiere, so bemerkt er trocken, benötigten keine Rasseln


oder Babysprache; sie benötigten keine unterschiedliche Klei-
dung zu verschiedenen Jahreszeiten. Sie müssten sich nicht be-
waffnen, sie bedürften keiner hohen Stadtmauern. Schließlich
lieferten die Erde und die Natur selbst alles, was jedes andere
Tier brauche.
Wir werden in eine Welt geboren, der wir nicht gewachsen
sind. (Und in einem entscheidenden Sinn sind wir dies niemals
wirklich.) Furchtbar zart und verletzlich liegen wir hilflos da und
warten darauf, dass andere uns das geben, was wir brauchen –
Nahrung, Geborgenheit und Beruhigung. Nach dem Leben im
Mutterleib mit besänftigenden Wiegebewegungen, einer auto-
matischen Ernährung und unproblematischen Ausscheidung gibt
es plötzlich eine abrupte Trennung; man ist plötzlich der kalten
Luft ausgesetzt und auf schmerzlich einsame Weise ohnmäch-
tig. Die Diskrepanz zwischen der sehr langsamen körperlichen
Entwicklung des menschlichen Kindes und seiner schnellen ko-
gnitiven Entwicklung ist in vielerlei Hinsicht eine Albtraumge-
schichte.2 Man sieht, was man braucht, kann sich jedoch nicht
bewegen, um es zu erlangen. Man fühlt Schmerz, kann ihn aber
nicht beenden. Spätere Albträume erinnern uns zweifellos an die-
se frühe Qual. Neurologische Forschungen über die Angst gelan-
gen zu dem Schluss, dass die Narben der frühen Angstursachen
bleiben und sich dem Wandel widersetzen.3

2 Eine brillante Nachbildung, die im Detail auf dem basiert, was wir heute aus der
Forschung wissen, ist das Tagebuch eines Babys des Psychologen Daniel Stern
(München 1990); eine prosaischere Version findet sich in seinem Buch Die Le-
benserfahrung des Säuglings, Stuttgart 2003.
3 Vgl. die Diskussion über Joseph LeDoux weiter unten.

38
Angst: Früh und machtvoll

Tatsächlich wissen wir, was mit uns geschieht.4 Im Alter von einem
Monat kann ein Kind den Unterschied zwischen seinen eigenen Eltern
und anderen Menschen erkennen, obwohl es erst viel später eine Per-
son als Ganzes wirklich sehen kann oder versteht, dass die blinkenden
Bilder, die sich in sein Blickfeld und aus ihm heraus bewegen, stabile En-
titäten sind. Tatsächlich benötigt ein Kleinkind Monate, bis es den Un-
terschied zwischen Teilen seines eigenen Körpers (Füße, Hände) und
physischen Gegenständen außerhalb seines Körpers begreift. Klein-
kinder experimentieren ständig mit Gleichartigkeit und Äußerlich-
keit, greifen nach ihren eigenen Zehen, stecken sich Teile des eigenen
Körpers (Daumen, Finger) und äußere Gegenstände (das Ende einer
Decke, einen Schnuller) in den Mund. Doch all dieses Lernen entfaltet
sich – und bloßes Schreien wird allmählich zu halb artikulierten Sil-
ben – lange, bevor ein Kind selbstständig gehen oder gar krabbeln kann.
Normalerweise überleben wir diesen Zustand. Wir überleben ihn
jedoch nicht, ohne davon ge- und verformt zu werden. Die Angst,
genetisch gesehen die erste unter den Emotionen, bleibt als Unter-
grund aller Gefühle vorhanden. Sie infiziert sie alle und nagt an den
Rändern von Liebe und Gegenseitigkeit.
Es gibt aber auch gute Zeiten. Wie Lukrez weiß, ist diese Welt des
Schmerzes auch eine Welt der Freude. „An die Ufer des Lichts“ sind
wir gekommen, in eine Welt von bewundernswerter Schönheit und
voller aufregender Dinge. Das Licht verzaubert, und praktisch die
erste freiwillige Bewegung eines Kindes besteht darin, mit seinen

4 Meine Ansichten lehnen daher Freuds einfachen Hedonismus ab, der Säuglingen
nicht besonders viel an Objektbewusstsein zuschreibt; wie in anderen Arbeiten
auch, folge ich hier der Schule der „Objektbeziehungen“ von Denkern wie Wil-
liam R. D. Fairbairn und besonders Donald Winnicott, der in den USA heute der
dominierende Theoretiker in der Ausbildung von Psychoanalytikern ist. Melanie
Klein steht dieser Schule nahe, ist jedoch eine eigenständige Analytikerin, die
sich einer Kategorisierung entzieht. Detaillierte Diskussionen über die Ansichten
aller drei findet man in meinem Buch Upheavals of Thought: The Intelligence of
Emotions (New York 2001) in Kapitel 5.

39
Angst: Früh und machtvoll

Augen dem Licht zu folgen. Doch die beginnende Freude und Liebe
werden bald vom Schmerz der Not überwältigt.
Es gibt allerdings auch Zeiten einer ruhigen Behaglichkeit: Du
saugst an der Mutterbrust oder der Flasche. Du liegst auf einem
warmen Körper, der ein bisschen süß, ein bisschen salzig riecht.
Du wirst von tröstenden Armen umschlossen. Aber du selbst hast
das nicht herbeigeführt. Irgendwie ist es dir einfach zugestoßen,
und du hast noch keine Vorstellung davon, wie du es herbeiführen
kannst, wenn du es brauchst. Selbst wenn du zu entdecken be-
ginnst, dass dem Schreien (nach einer Pause) regelmäßig Nahrung
und Beruhigung folgt, ist es noch immer nicht so, dass du dich
selbst trösten oder ernähren könntest. Die einzige Möglichkeit,
das zu bekommen, was du brauchst, besteht darin, dass ein ande-
rer Teil der Welt es dir gibt.
Die Politik beginnt dort, wo wir beginnen. Die meisten poli-
tischen Philosophen waren Männer, und selbst wenn sie Kinder
hatten, verbrachten sie normalerweise keine Zeit mit ihnen oder
beobachteten sie nicht genau. Die poetische Fantasie von Lukrez
führte bereits ihn an Orte, an die er in seinem Leben wahrschein-
lich nicht kam. Doch die Philosophie machte große Schritte nach
vorn, als einer der großen frühen Theoretiker der Demokratie,
Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) – ein bedeutender Begründer
der revolutionären, anti-monarchistischen Politik des 18. Jahrhun-
derts – mit einem tiefen Verständnis der Psychologie der Kind-
heit und ihrer Gefahren für das demokratische Projekt über die
Erziehung von Kindern schrieb.5 Rousseau war das Gegenteil ei-

5 Rousseaus Ansichten sind nicht die meinen; sein Werk Der Gesellschaftsvertrag
(1762) schreibt unter der Überschrift „Zivilreligion“ eine zwingende Homogeni-
tät des Denkens und Sprechens vor, ohne Raum für die Rede-, Presse- und Verei-
nigungsfreiheit zu schaffen, die seinen amerikanischen Kollegen und britischen
Denkern wie John Locke und später John Stuart Mill so wichtig waren.

40
Angst: Früh und machtvoll

nes liebenden Vaters: Tatsächlich gab er sämtliche seiner Kinder


(vier oder fünf, alle unehelich) bei der Geburt in ein Findelhaus
und notierte sich nicht einmal ihre Geburtsdaten. Irgendwie aber
verstand er durch seine verschiedenen Experimente beim Unter-
richten von kleinen Kindern anderer Menschen, durch Gespräche
mit Frauen, durch Erinnerungen an seine eigene Kindheit, durch
seine genaue Lektüre von Lukrez und anderen römischen Philo-
sophen sowie durch seine eigene poetische Fantasie, wie die frühe
Not Probleme für die von ihm angestrebte Form der politischen
Ordnung schafft.
Das menschliche Leben, das verstand Rousseau, beginnt nicht
in der Demokratie, sondern in der Monarchie. Das Baby, an dem
die Menschen, die es pflegen, mit großer Liebe hängen, hat keine
andere Überlebensmöglichkeit, als andere zu versklaven. Babys
sind so schwach, dass sie entweder herrschen oder sterben müs-
sen. Da sie zu gemeinsamer Arbeit oder Gegenseitigkeit nicht
fähig sind, können sie nur durch Befehle und Drohungen etwas
bekommen, indem sie die bewundernswerte Liebe ausnutzen, die
ihnen von anderen entgegengebracht wird.6 (In Briefen erklärte
Rousseau, dass dieser Umstand der Grund dafür war, weshalb er
seine Kinder abgab: Er hatte einfach keine Zeit, nach der Pfeife
eines Babys zu tanzen.)

6 Rousseau, Émile oder Über die Erziehung, Leipzig o. J., Buch I: „So entsteht gera-
de aus ihrer Schwäche, der zunächst das Abhängigkeitsgefühl entspringt, später
die Vorstellung des Befehlens und Herrschens.“ Übers. von Herrman Denhardt,
gemeinfreier Text verfügbar unter www.zeno.org/Philosophie/M/Rousseau,
+Jean-Jacques/Emil+oder+Ueber+die+Erziehung (abgerufen am 22.10.2018).
Rousseau glaubte, dass man sehr früh damit anfangen kann, sich dieser ängstli-
chen Abhängigkeit zu erwehren, indem man freie Beweglichkeit und eigenstän-
dige Sorge um das eigene Selbst fördert. Den Einzelheiten seiner Ansichten folge
ich nicht; vielmehr entwickle ich Rousseaus ursprüngliche Einsichten auf meine
eigene Weise weiter, beeinflusst von Psychologen wie David Stern und vor allem
von den Ansichten Donald Winnicotts.

41
Angst: Früh und machtvoll

Welche Emotionen beginnen im sich entfaltenden Leben des


Kindes, Wurzeln zu schlagen? In Bezug auf das Leben im Mutter-
leib ist es schwer, von Emotionen zu reden, obwohl es gegen Ende
der Schwangerschaft schließlich Empfindungen gibt – denn Emo-
tionen erfordern ein gewisses – wenn auch verworrenes – Bewusst-
sein äußerer Objekte und einige Gedanken über diese Objekte,
wie rudimentär und ungeformt sie auch sein mögen. Emotionen
passen also in die Welt nach der Geburt, in der wir von den Quellen
des Guten getrennt sind und uns nach ihrer Anwesenheit sehnen,
wobei wir uns dunkel bewusst sind, dass sie irgendwo da draußen
existieren, unserer Kontrolle entzogen. Für den Säugling, der in
diesem Albtraumszenario gefangen ist, ist eine überwältigende
Emotion, die einen prägenden Einfluss auf das tägliche Leben hat,
die Angst. Erwachsene sind über das vergebliche Strampeln des
Babys amüsiert und von seinem Schreien ungestört, da sie wis-
sen, dass sie es füttern, kleiden, beschützen und pflegen werden.
Sie reagieren auf sein offenkundiges Verlangen nach Beruhigung,
indem sie es nahe bei sich halten, es in Babysprache anreden (die
schon im alten Rom bekannt war!), es schaukeln und so die Sicher-
heit der Gebärmutter nachahmen. Aber die Erwachsenen selbst
ängstigen sich nicht, da sie nicht denken, dass etwas Schlimmes
vor sich geht – es sei denn, es gibt andere Gefahrensignale, wie
etwa Fieber oder die Tatsache, dass das Baby keine Milch verträgt.
In der Welt des Babys kommen jedoch Vertrauen, Regelmäßigkeit
oder Sicherheit nicht vor. Seine begrenzte Erfahrung und kurzen
Zeithorizonte haben zur Folge, dass vollkommen wirklich nur die
gegenwärtige Qual ist, solange sie andauert, und die Momente
freudiger Beruhigung, flüchtig und instabil, führen allzu schnell
zurück zu Mangel und Schrecken. Auch die Freude selbst ist bald
von Angst beeinträchtigt, da sie dem Säugling flüchtig erscheint
und es allzu wahrscheinlich ist, dass sie ihm wieder entgleitet.

42
Die Definition von Angst

Die Definition von Angst


Wie Psychologen lieben auch Philosophen Definitionen. In jedem
Forschungsbereich gibt es Meinungsverschiedenheiten bezüglich
der Angst; im Licht der jüngsten interdisziplinären Forschung
über menschliche und tierische Emotionen hat sich dennoch ein
Konsens herausgebildet. Zu diesem Konsens gehört die Vorstel-
lung, dass fast alle Emotionen (sowohl bei Menschen als auch bei
anderen Tieren) eine Art Informationsverarbeitung in Bezug auf
das Wohlbefinden des Tieres beinhalten. Selbst Tiere, die über
keinerlei Sprache verfügen, haben in irgendeiner Form Gedanken
darüber, was gut und was schlecht für sie ist, und diese Gedanken
werden in ihre Emotionen integriert. Emotionen sind also nicht
wie geistlose Energiestöße: Sie konzentrieren sich auf die Außen-
welt und bewerten Objekte und Ereignisse in dieser Welt. Typi-
scherweise registrieren sie unsere animalische Verletzlichkeit,
unsere Abhängigkeit von und unsere Verbundenheit mit Dingen
außerhalb unserer selbst, die wir nicht vollständig kontrollieren
können. (Deshalb traten die griechischen und römischen Stoiker
in der Antike dafür ein, fast sämtliche Emotionen zu eliminieren,
abgesehen von einigen wenigen, wie etwa dem Staunen über das
Universum oder der heiteren Freude über die eigene Integrität,
die für sie keine unkluge Abhängigkeit von „Glücksgütern“ zu be-
inhalten schienen.7)
Angst ist nicht nur die erste Emotion im Leben des Menschen,
sie ist auch diejenige, welche wir mit den meisten Tieren gemein-
sam haben. Um Mitgefühl empfinden zu können, muss man über

7 Ich verteidige dieses Gesamtbild in: Upheavals of Thought: The Intelligence of


Emotions, New York 2001, wobei ich mich sowohl auf die Philosophie als auch auf
die Psychologie stütze. Einige Aspekte meiner Gesamtsicht sind zwar umstritten,
jedoch nicht die hier dargelegten allgemeinen Vorstellungen.

43
Angst: Früh und machtvoll

eine ziemlich komplexe Abfolge von Gedanken verfügen: dass ein


anderes Wesen leidet, dass dieses Leiden schlecht ist, dass es gut
wäre, wenn es gelindert würde. Einige Tiere (Affen, Elefanten)
haben diese Emotion, aber sie erfordert relativ komplizierte Ge-
dankengänge. Um nicht nur Irritation oder primitive Wut, sondern
wirklichen Zorn empfinden zu können, muss man kausal denken
können: Jemand hat mir etwas angetan, und das war falsch. Doch
um Angst haben zu können, braucht man nur das Bewusstsein
einer drohenden Gefahr. Aristoteles definiert Angst als Schmerz
angesichts der scheinbaren Anwesenheit einer bevorstehenden
schlechten Sache, kombiniert mit dem Gefühl, dass man keine
Macht hat, sie abzuwehren.8 Das ist eine recht gute Definition. Die
damit verbundenen Gedanken erfordern keine Sprache, sie erfor-
dern nur die Wahrnehmung und ein gewisses Bewusstsein vom
eigenen Wohl und Wehe, wie vage es auch immer sein mag. Etwas
Schlimmes droht, und ich sitze in der Klemme.
Doch wie steht es um Gefühle? Angst wird gewiss von starken
subjektiven Gefühlen begleitet; oft spricht man von einem „Zittern“
oder davon, dass es einen „schüttelt“. Sollten wir das in die Defini-
tion mit aufnehmen und sagen, dass, wenn diese Aspekte fehlen,
die Emotion nicht wirklich Angst sein kann? Es gibt drei Gründe,
aus denen wir das nicht tun sollten. Zunächst erleben verschiedene
Menschen Angst unterschiedlich, je nach ihrer Lebensgeschichte
und ihrem Charakter. Wollen wir wirklich behaupten, dass einem
mutigen Soldaten die Knie schlottern müssen, wenn er normale
menschliche Todesangst empfindet? Aristoteles sagte, dass selbst
die Mutigsten den Tod fürchten, und sie wären verrückt, wenn sie
es nicht täten.9 Wir wünschen uns keine Soldaten, denen ihr Leben

8 Aristoteles, Rhetorik, II, 5, 1382a21–25.


9 Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 9, 1117b7–16.

44
Die Definition von Angst

nichts wert ist. Doch im Falle des disziplinierten Soldaten drückt sich
das Bewusstsein der Gefahr meist nicht als Zittern aus.
Wir können noch weiter gehen: In vielen Fällen haben die Men-
schen Angst, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Jeden
Tag sind die meisten von uns in vielem von dem, was wir tun, durch
die Angst vor dem Tod motiviert. Wir laufen nicht vor Autos auf
die Straße (es sei denn, unsere Smartphones sind uns lieber als un-
ser Leben!). Wir versuchen, auf unsere Gesundheit zu achten, wir
gehen zum Arzt und so weiter. Die Angst vor dem Tod ist oft sehr
nützlich, aber sie ist meistens unbewusst, genau wie der Glaube an
die Schwerkraft oder der Glaube an die Festigkeit physischer Ge-
genstände – sie sind unbewusst und doch ist das Vertrauen darauf
allgegenwärtig.
Wir benötigen keine psychoanalytische Doktrin der Verdrän-
gung, damit wir verstehen, dass die Angst häufig unter der Oberflä-
che des Bewusstseins lauert. Doch ich denke, dass wir noch weiter
gehen können und sollten: Es ist für ein friedliches Alltagsleben von
wesentlicher Bedeutung, dass wir diese Angst in den Hintergrund
unseres Bewusstsein drängen. Lukrez, der wahrscheinlich der ers-
te Theoretiker der unbewussten Angst war, merkt an, dass diese
Anstrengung manchmal zur Last wird. Statt zu zittern, haben wir
vielleicht das Gefühl, dass ein „großer Berg auf unserer Brust sitzt“.
Oder wir zeigen ein hektisches Vermeidungsverhalten, eine rastlo-
se Aktivität, die nur auf Selbstablenkung abzielt. Denken wir an das
Reisen mit dem Flugzeug. Manche Menschen haben eine bewusste
Flugangst. Wesentlich mehr Leute drängen diese Angst jedoch in
den Hintergrund ihres Bewusstseins, empfinden aber dennoch eine
innere Last oder eine Anspannung und ein stärkeres Bedürfnis als
sonst, sich mit E-Mails, Essen oder ziellosen Gesprächen abzulen-
ken. Andere sind vielleicht einfach nur gereizter als sonst oder we-
niger fähig, sich zu konzentrieren.

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The third illustration facing page 134 is interesting as
representative of a type of coasting steamer introduced about the
year 1855. She shows very well the simplest form of an iron ship
propelled with a screw, and evinces sufficient resemblance to the
dying sailing ship before the steamer had taken on a distinctive
character of her own. In a word, here is the steamship not in her
crudity, as in the case of the Clermont, but certainly in her
elementary form without any of those extra decks and houses which
were still to come, and which to-day give such distinct personality to
the steamship. It will be seen that she is just a flush-decked vessel,
with a central protection amidships for her engines and boilers.
There is no forecastle, no poop, and in the development of type she
stands at the beginning. She was built for the North Sea trade, and
in bad weather must have been a singularly wet boat. She was only
of 677 tons gross register, and the absence of any shelter would,
when steaming to windward in a bad sea, cause her to be swept
from end to end. Similarly, her stern being equally unprotected by
either poop or quarter deck, she would be at the mercy of a bad
following sea. It was not surprising that this elementary type soon
gave way to those modifications that we shall see hereafter. In
design of her body this present model illustrates again Scott
Russell’s system of obtaining a capacious ship combined with the
qualities of slipping through the water with the minimum of
resistance. This will be especially noticeable by regarding the long
straight middle body. She was propelled by oscillating engines, and a
two-bladed screw, having also sails on her three masts.
And so we come to that famous monstrosity and wonder of her
decade the Great Eastern, some idea of whose appearance will be
obtainable from a model of her, illustrated herewith. Here again will
be found a repetition of a curious rig with the half-dozen masts, of
which the second and third carried yards and square-sails, and the
others the usual fore-and-aft sails set on the gaffs here seen.
Although she carried one triangular headsail, yet this was a staysail,
and it is significant that in this notable ship we find the
disappearance of the bowsprit, a change that is so characteristic of
the modern liner. Much more than either the Great Western or the
Great Britain this epoch-making monster stands for something
altogether distinctive in the evolution of the steamship. Frankly, in
spite of her virtues, she was a creature born out of due time.
Historically, she exhibits in no uncertain manner the extraordinary
and almost incredible speed at which the development of the
steamship had progressed in fifty years, during which period
designers, ship-builders, and engineers had to feel their way in the
most cautious manner. No ship was built with such a length as hers
until the White Star Oceanic in 1899; no vessel ever had such a
beam until the coming of the Mauretania and Lusitania, and even
they only exceed the Great Eastern’s extreme width by a mere five
feet. But it is half a century since the latter was built, when all the
experience that we possess now was not yet obtained.

THE “GREAT EASTERN” (1858).


From the Model in the Victoria and Albert Museum.
Originally she had been named the Leviathan, and her beginning
happened as follows: Already the fact had come to be appreciated
that there was a superior advantage in a large steamer compared
with a ship of smaller size when voyages of considerable distances
were contemplated, and that, as already pointed out on a previous
page, length of hull, other things being equal, makes for speed. In
designing the Great Eastern with an extreme length of 692 feet she
spanned over so large a number of wave-lengths that the possibility
of pitching was very decidedly reduced. But even in smooth water
length still means speed, and to take the case of a rowing “eight” and
compare it with a single “sculler,” we find that this law is well
exemplified. Without pursuing so interesting a point beyond our
limitations of subject, we might remark that quite recently an expert
took the trouble to work out data obtained from the performances
respectively of a Leander “eight” and a “sculler” as observed at a
Henley Regatta. Although the displacement of the eight-oared craft
works out at about 240 pounds per rowing man, or including the
coxswain at about 217 pounds, whilst the sculler only displaces 208
lb., yet for all that the speed of the longer boat was found to be
greater in the proportion as 9.75 knots are to 8.12 knots, and this,
bear in mind, while the eight is carrying a ninth man who contributes
nothing to the speed of the craft. We mention this as a simple
example of that important fact of the superiority of length in ship-
making, an importance that is now exhibited so clearly in the
enormous lengths of the latest liners.
Brunel, who had already broken steamship records by his
previous daring essays, suggested to the Eastern Navigation
Company the building of such a ship as would be able to carry an
unheard-of number of passengers, a very large amount of cargo,
and at the same time be capable of steaming all the way to Australia
without having to coal on the voyage. These virtues, together with
her speed of fifteen knots, would, it was thought, enable her to
attract such a large amount of business that she would handsomely
repay her owners. The contract was eventually given to Scott
Russell’s firm, who were entrusted with the building of the ship,
together with the paddle-wheel engines. The screw engines were
made by Messrs. James Watt and Co., so that three of the names
most prominently connected with the history of the steamship were
especially associated with the construction of this leviathan. Brunel
was assisted in the designing by Scott Russell, and the latter’s wave-
line principle was followed. The building of the ship began on the 1st
of May, 1854, and on the last day of January, 1858, she was sent
into the water at Millwall. But this was not done without some
difficulty. The first attempt to launch this enormous mass of 12,000
tons was unsuccessful. Her weight was resting on a couple of
gigantic cradles which were to slide down an incline to the water; but
they only moved a few feet and then stopped. Finally, three months
after the first effort, she was slowly persuaded into the water, side-
ways, by hydraulic machinery. Instead of running her on the route for
which she had been built, where her exceptional abilities might have
been utilised, she was put to compete with the steamships already
running on the Atlantic, for which short voyage she was not specially
suitable, and financially she spelt ruin all round. First, the attempts to
launch her, and the ensuing delay cost £120,000 and the company,
unable to bear the expense, was wound up. Then the new company
which bought her for £160,000 were ill-advised to employ her in the
American trade, for neither as a passenger ship nor as a cargo
carrier could she be made to pay her way. Subsequently she was
used in laying the Atlantic cable, and was handed over to the ship-
breakers in 1888, who brought her career to an end during the next
couple of years.
PADDLE ENGINES OF THE “GREAT EASTERN.”
From the Model in the Victoria and Albert Museum.
SCREW ENGINES OF THE “GREAT EASTERN.”
From the Model in the Victoria and Albert Museum.

The Great Eastern was, in accordance with Brunel’s idea,


propelled by both paddle-wheels and a screw. An illustration is here
given of a model of her paddle-engines, which were of the oscillating
type. It will be borne in mind that the leading advantages of this type
lay in the fact of their comparative lightness in weight, and their
economy as regards space. If the reader will just glance at the
illustration which faces page 138 of the Great Eastern’s longitudinal
section, he will be able to see what little room these engines actually
needed. It will be noticed in her paddle-engines that each of two
cylinders drove a crank, the cylinders being placed vertically but at
an inclined angle. Each paddle-wheel could, if desired, be driven
separately. The condensers were of the jet type, and there were two
air-pumps, which were driven by a single crank in the middle of the
paddle shaft. The paddle-wheels were tremendous, weighing ninety
tons each, and measuring fifty-six feet in diameter. But the Great
Eastern amply proved how unsuitable the paddle-wheel was for
ocean work. Every time the big monster rolled in a bad sea a great
strain was put on the machinery; these vast projections, too, offered
not merely increased windage and accentuated the ship’s general
unwieldiness, but afforded a fine target for the Atlantic waves to
smash against. Once the Great Eastern, during a gale in the year
1861, suffered pretty badly in this respect, when the paddle-wheels
were destroyed. She was afterwards fitted with wheels five feet
smaller in diameter, and of greater strength.
In the next illustration will be seen a model of her screw engines,
whose position in the ship will be found on referring again to the
longitudinal section. These were, it will be noticed, no longer of that
early type which needed gearing, but worked directly, the cylinders
being placed horizontally. The number of cylinders was four, each of
which had two piston-rods, and steam was supplied by half a dozen
double-ended tubular boilers of the rectangular or “box” type. For the
benefit of the non-technical reader we may explain that the object
seen in the foreground of the picture, extending from the centre to
the right-hand side, is what is commonly called the “link motion
gear,” which is employed for reversing the engines when it is
required to send the ship astern. This controls the slide valves which
allow the steam to enter the cylinders. The principle of the link
motion is just this: two eccentrics are placed side by side on the
shaft, but opposite to each other. Each of them is connected by a rod
to one end of the “link,” which is curved in shape. In this illustration it
will be easily recognised at the right-hand side in the front. Now, as
the link is moved up or down, so it controls the eccentric. If it is
lowered, for instance, then one eccentric only is working the valve,
but if the link is raised the other eccentric will control the valve, and
so the latter will work in the opposite direction to which it did before.
Thus, by using one eccentric, steam enters the cylinder at one end
first, while if the other eccentric is employed steam will enter first at
the other. Thus it becomes possible to make the engine turn in
whichever direction is desired by regulating the end of the cylinder
by which the steam shall first enter.
The Great Eastern’s propeller had four blades, and an interesting
arrangement was adopted so that when the ship was proceeding by
means of her paddles, sails, or both, the screw propeller was kept
revolving by means of two auxiliary engines in order that the speed
of the ship through the water might not be diminished by the drag of
the screw. Actual results showed that this ship could do her fifteen
knots with screw and paddles, but her average speed was one knot
less. Under screw alone she could do nine; under paddle power
alone she did seven and a quarter. It will thus be noticed that when
using both paddles and screw she ought to have done better, and
this failing is explained by asserting that the paddle-wheels and the
screw caused a resistance too great for their respective engines.
The construction of this ship calls for more space than we can
here devote thereto, but some of the important features may be
enumerated. She was of great strength longitudinally, and from the
keel to the water-line her hull was double. The longitudinal
bulkheads extended to the topmost deck, and materially added to
her strength, while the inner skin just mentioned not merely gave
added strength, but was an extension of the double-bottom idea, and
so increased her chances in case of collision. Furthermore, the
space between the two skins was available for water ballast, so as to
preserve the trim of the ship as she neared the end of her voyage,
and her coal bunkers were becoming lightened. Transversely, also,
the ship was divided by iron bulkheads into water-tight
compartments in addition to the longitudinal ones. The iron plates
out of which the ship’s skin was made varied from a half to three-
quarters of an inch thick. The Great Eastern was able to give the
world a very convincing proof of the utility of the double bottom, for
she had the bad luck to run on a rock, and although more than a
hundred feet of her outer hull was afterwards found to be damaged,
yet she was able to complete her voyage without the water getting
through into her hull proper.
For steering so large a vessel as the Great Eastern the usual
type of steering-wheel would clearly have entailed the expenditure of
very considerable physical effort; so, for the first time, was
introduced in this ship a steam steering gear, an example that is
nowadays followed by almost all steamers of any size, including
even excursion boats. This arrangement necessitates the use of a
miniature steam engine, the two cylinders working cranks, and the
shaft causing the drum containing the steering chain to revolve. Any
movement of the steering wheel admits steam, and as soon as the
steersman ceases to turn his wheel so quickly does the little engine
cease to work.
We have no desire to try the patience of the reader by presenting
a mass of statistics, but those who delight in comparisons may be
interested to learn how the Great Eastern would appear if put
alongside the Mauretania. The latter displaces 40,000 tons, the
Great Eastern displaced 32,000. The big Cunarder is 790 feet long,
between perpendiculars, while the Great Eastern was 680 feet. The
latter possessed a combined horse-power—paddle and screw
engines—of 11,600, while the Cunarder has 70,000. And so we
could continue. But now that we have seen to what unheard-of limits
the steamship had shown herself capable of reaching by the end of
the sixth decade in the nineteenth century—how she had, step by
step, grown from moderation to exaggeration—let us now examine
her progress during the next twenty years, in which she passed
through her transition period.
CHAPTER V
THE LINER IN HER TRANSITION STATE

The period which follows after about the year 1862 is notable as
witnessing not only the gradual universal adoption of the screw in
steamships, but the more general appreciation of iron as the material
from which to construct a vessel’s hull. After the prejudices which
already we have seen arising at different stages of the steamship’s
history, it was scarcely to be wondered at that iron should come in
for its full share of virulent criticism and opposition. The obvious
remark made on all sides was that to expect iron to float was to
suppose that man could act exactly contrary to the laws of Nature,
and this notwithstanding that already, besides barges, a few ships
thus built had somehow not only managed to keep afloat, but to
traverse channels and oceans in perfect safety, carrying such heavy
weights as their own machinery, to say nothing of their cargoes and
human freights. But slowly the public prejudice began to wane.
Already the Cunard Company had given way to iron in 1856, and in
1860 the Admiralty were at last convinced that the new method was
just and sound. Within the limited scope at our command we have
not space here to enter into the elaborate discussion of matters
which have to be taken for granted before the building of the
steamship begins. But the plain answer to the natural inquiry, as to
how and why a vessel made out of iron does not immediately sink to
the bottom as soon as ever she is launched, is this: whereas iron in
itself is far heavier than water, yet the iron ship has not the same
specific gravity as the iron from which it is made. Therefore, the ship
of this material will be supported by the water in which it is placed.
In actual displacement, an iron ship is proportionately lighter
than a ship built of wood, and by “displacement” is meant the amount
of water which a vessel displaces through being allowed to float. Of
course, the quantity of water which a ship displaces (or pushes to
one side) depends entirely on the weight of the vessel, and is exactly
equal to the weight of the ship. Thus, suppose we were to fill a dock
with water up to the level of the quay and then lower down into it by
means of gigantic cranes a Mauretania or Lusitania, the water would,
of course, flow over on to the quays. Now the amount of water thus
driven out would be the exact equivalent of the liner’s displacement.
When we say, for instance, that the displacement of the Mauretania
is 40,000 tons, when loaded, we mean that her total weight when
loaded is this number of tons, and her hull when afloat puts on one
side (or “displaces”) just that amount of water.
Now, as compared with wooden ships, the use of iron meant a
saving in displacement of about one-third, taking the wooden and the
iron ships to be of the same dimensions. From this followed the fact
that the iron ship could carry a greater amount of cargo with
consequent greater profit to her owners. And, as I have already
indicated in another chapter, before it was possible to build ships of
great length iron had to be introduced to enable them to endure such
longitudinal strains. Again, a wooden ship must have her skin and
ribs made of a thickness far greater than an iron ship, for the clear
reason that one inch of iron is much stronger than one inch of wood;
in other words, to obtain a given strength the iron will take up less
room in the ship. Thus in an iron steamer there will be more space
available for cargo than in a wooden ship of the same design. We
could go on enumerating the advantages of iron, and quote
instances of iron ships, whose cargo had got on fire, arriving safely
in port and coming into dock where the assistance of the local fire-
brigade had enabled the vessel’s own pumps to get the conflagration
under. It is only as recently as December of 1909 that the Celtic, the
well-known White Star liner, during a voyage between New York and
Liverpool, had the misfortune to get on fire while at sea. By means of
tarpaulins and injections of steam it was possible to control the
burning until the Mersey was reached, when it was intended to flood
her holds. Had she been a wooden ship instead of steel, or even
iron, the Celtic would undoubtedly have ended her days in the
Atlantic.
The first Atlantic company to build all its steamers of iron was the
Inman Line, which had been founded in 1850, and until 1892 was
one of the foremost competitors for the coveted “blue ribbon” of the
Atlantic. Their first ships had been the City of Glasgow and the City
of Manchester, and these, inasmuch as they were built of iron, and
were propelled by a screw at a time when prejudice had not yet died
down, were entirely different from the prevailing type of steamer; and
this, it should be remembered, at a period six years before the
Cunard had built their iron Persia. This City of Glasgow was built by
a Glasgow firm of shipbuilders, and Mr. Inman had sufficient
confidence in her to purchase her and form a company. Barque-
rigged, with a single funnel, she was of only 1,610 tons and 350
horse-power. Under the command of Captain B. E. Matthews, who
had been on the famous Great Western, she had already crossed
from Glasgow to New York and back in 1850, and on December 11th
of that year began her regular sailings between England and
America. The City of Glasgow—all the ships of this line were named
after cities—was fitted up in a manner which at that time called forth
the greatest admiration. “One room,” wrote a correspondent in the
Glasgow Courier, about that date, “is being fitted up as an
apothecary’s shop, from which the surgeon will dispense his
medicines.” She was provided with five water-tight bulkheads, and
had a propeller whose diameter was 13 feet, with an 18 feet pitch. It
was in connection with the Inman ships that the custom was
inaugurated of carrying steerage passengers on the best Atlantic
liners, although hitherto they had been taken across solely on board
sailing ships.
THE “CITY OF PARIS” (1866).
From the Model in the Victoria and Albert Museum.

THE “RUSSIA” (1867).


From a Painting. By Permission of the Cunard Steamship Co.

The City of Glasgow and the City of Manchester began to


quicken the pace, and at once ensued a contest between the
paddle-steamers and those propelled by screws. In 1857 this
enterprising company instituted the custom of calling at Queenstown
on the way to America, and began running their steamers to New
York in place of Philadelphia. Their success was so great that these
ships were followed by the City of Philadelphia, and, in 1866, by the
City of Paris, of which a beautiful little model is here illustrated. This
was the first of their steamships of that name, and is not to be
confused with another ship built in 1888. It will be seen that the liner
before us was ship-rigged and had a single screw. She measured
346 feet long, 40 feet wide, and 26 feet deep, her tonnage being
2,651. She was driven by horizontal trunk engines, with steam at 30
lb. pressure, consuming 105 tons of coal per day, and giving her a
speed of 13½ knots. Her name was afterwards changed to the
Tonquin, and the superstitious will find interest in the fact that she
subsequently foundered at sea in the year 1885. In the City of Paris
the reader will be able to remark some of the last traces of the old
sailing ship, which were destined presently to be altered
considerably. The long, narrow wooden deckhouse going down
almost the length of the ship, and leaving but little room for the
passengers to promenade; the high, stout bulwarks, which rise
almost to the top of the deckhouse, were among the last links which
connected the steamship with the sailing ship. We must not forget
that about the time when the City of Paris was built, the great clipper
sailing ships were enjoying their prime, and no one will deny that
their influence is very clearly marked in the model before us. As an
interesting lesson in comparisons, showing how the tendency since
the ’sixties has been to raise the decks of the steamships higher and
higher, the reader is invited to compare this illustration with that of
the Majestic, facing page 162, and also that of the Kaiser Wilhelm II.,
facing page 180. In the sailing ship the deckhouse had to be small,
for the reason that the deck space was required for the crew to work
the sails; in the steamer this space was encroached upon, so that
the deckhouse was elongated, and extended from the break of the
anchor deck to the hood at the stern.
The City of Paris’s great rival came with the launching of the
Cunard Company’s steamship Russia, which is here illustrated, and
began running across the Atlantic in 1867. But though the latter’s
quickest passage from New York to Queenstown was eight days
twenty-four minutes, the City of Paris, in 1867, crossed in eight days
four hours, which at the time had broken the record, though the City
of Brussels reduced it still further to under eight days. The Russia
was another Clyde-built boat, and measured 358 feet long, 43 feet
broad, and nearly 28 feet deep, having a gross tonnage of 2,960,
and an indicated horse-power of 2,800. Her average hourly speed
was 13 knots on a coal consumption of 90 tons per day. She was, of
course, built of iron and had a single screw—two characteristics
which practically all the crack Atlantic liners possessed from about
1862 until the end of 1883, if we except the Cunard Servia, which
was launched in 1881, although the Allan liner Buenos Ayrean had
been the first steel ship on the Atlantic.
During this period the liner was steadily adapting herself, her
design, her engines, and her build, to meet the increase of
experience gained at sea, and the increase of knowledge which
shipbuilders and engineers were accumulating was in readiness for
the continuity of advance. In 1881, after a period of much usefulness
and great popularity among passengers, the Russia was sold to the
Red Star Line, who lengthened her, changed her direct-acting
engines to compound engines, and named her the Waesland. But
the Russia was not the first screw-ship possessed by the Cunard
Company. Already I have mentioned that though this line had
introduced the screw-steamer into their fleet, it had not met with the
reception it had expected, and for a time a return had been made to
the paddle-wheel. It was the China, which had begun running in
1862 to New York, that helped to convince those who were
prejudiced against the newer form of propulsion. She was 326 feet
long, and was driven by a type of surface-condensing engine geared
down to the propeller shaft by means of tooth-gearing after the
manner already described, her engines being of the oscillating kind.
But we approach now another of those important crises in the
history of the steamship when her future, for some years to come,
became so definitely moulded. On other pages I have already
alluded to the boilers in use on the big steamers, and to the
important adoption of the compound engines using the expansive
force of steam to do additional work after it has entered one cylinder.
The increase of steam-pressure necessitated the adoption of a
different type of boiler, with a cylindrical shell and flues. Thus the
type which is known as the “Scotch” boiler was introduced about the
year 1870, and is still in use even on the Mauretania. It was not until
this type was adopted that the compound system began to make
progress. At the same time it is only fair to state that the latter
method had been introduced by the Pacific Steam Navigation
Company as far back as 1856, and by the National Line in the early
’sixties. But it is when we come to the pioneer steamship of the
White Star Line that we see the real influence which was at work to
make the final cleavage between the old-fashioned steamship and
the new type of liner. That flag which is now so familiar to all who
travel across the Atlantic used to fly at the masthead of a fleet of
sailing clippers. In 1867 the managing owner of the White Star Line
retired; Mr. T. H. Ismay took over the control and began by
introducing iron for the clippers instead of wood. Two years later and
a fleet of steamships, especially constructed for the American
passenger trade, was ordered to be built. The order was given to
that famous Belfast firm, Messrs. Harland and Wolff, who have built
the White Star steamships ever since. In August of 1870 was
launched the first Oceanic, which made the old-fashioned rub their
eyes in surprise and shake their heads in distrust. For the Oceanic
simply threw convention to the winds and set going an entirely new
order of things in the steamship world. From her have followed most
of the modern steamship improvements up to the coming of the
turbine. Some idea of her appearance may be gathered from the
illustration facing this page, but in the fewest words we will now
endeavour to indicate some of her especial characteristics.
THE “OCEANIC” (1870).
From a Painting by W. L. Wyllie, R. A. By Permission of Messrs. Ismay, Imrie & Co.

When she came into the Mersey that memorable day in


February of 1871 her immense length in comparison with her beam
was instantly noticeable. I have already explained the value of length
in ocean travel, but here was a ship with a beam exactly one-tenth of
her 420 feet length. Sir Edward Harland knew what he was about
when designing so novel a craft, and in spite of the general
comments that the Oceanic would prove a bad sea-boat, and unfit to
face the terrors of an Atlantic winter’s gale, she showed that science
in ship-building is of more avail than the blind following of an existing
convention. Nor did she encumber herself with the usual heavy, high
bulwarks that we noticed in the City of Paris, but, instead, she
substituted iron railings, and for a perfectly sound reason. The old
method gave to a ship a false security, for it could not altogether
prevent a sea from coming on board, and when the latter had come
over the ship the bulwarks tended to keep it there, whereas the
Oceanic’s railings allowed the sea to flow off immediately and freely,
as she shook herself and rose to the next wave. The long, narrow
wooden deck-house that we also noticed on the City of Paris was
also discarded, but another deck of iron was added. With her, too,
disappeared most of the objections to the propeller—at any rate, in
the higher-priced accommodation, since the saloon passengers for
the first time were placed not at the stern of the ship (where the
vibration and jarring of the propeller were most felt), but amidships
and forward of the machinery. The saloon extended the entire width
of the ship, whilst the numerous state-rooms were forward and abaft
of the saloon. Furthermore, to an extent that had never been known
on an Atlantic liner, the use of glass side-lights was employed, and
these were made much larger than was customary, so that the
interior of the ship was rendered much lighter, as it was also made
more airy.
The Oceanic also introduced an improved type of water-tight
doors. The old-fashioned candle-lamps which lit the rooms were
replaced by oil-lamps, and instead of the old-fashioned form for
seating, the passengers had the comfort of revolving arm-chairs,
which have since become such features of ocean travel. On deck,
her forward and stern ends were fitted with turtle decks, so that a
wave sweeping over this dome-like shape could swish across it
without doing the damage it could have effected on the first City of
Paris, for instance. The importance of this in a following sea of any
size is obvious, and we must remember that whereas to-day the
stern of a modern liner towers high above the waves, and can
usually defy them, yet in those days the Oceanic and her
contemporaries were still of modest altitude. From the illustration
before us some conception of the bow turtle deck, painted white,
may be gathered, but a much better idea may be seen of a similar
arrangement at the stern of the Britannic (facing page 154). The
addition of that extra deck of iron in the Oceanic shows the
commencement of the many-decked modern liner, to which attention
was drawn in the German liner and her successors, so that in the
Mauretania, as we look down on her decks, she seems to be built up
over every possible inch of space that is permissible.
But the Oceanic was something more than a comfortable boat
and an ingenious example of the naval architect’s originality; she
was also a “flyer.” With her four-cylinder compound engines she was
able to reel off her 14¼ knots on an average. There were two high-
pressure cylinders and two of low-pressure, the high-pressure
cylinder being above the low-pressure and driving the same crank.
Her indicated horse-power was 3,000, and her tonnage came out at
3,808 gross. She even attained to 14¾ knots, and showed herself to
be the fastest liner afloat, faster even than the Inman liner City of
Brussels. It is a proof of the excellence of her design and the
perfection of her build that on her sixty-second voyage in October,
1889, after she had been transferred to the Pacific service running
between San Francisco and Yokohama, she made the quickest
passage on record across the Pacific.

THE “BRITANNIC” (1874).


As she appeared as a transport during the South African War.
From a Photograph by F. G. O. Stuart, Southampton.
THE “SERVIA” (1881).
From a Painting. By permission of the Cunard Steamship Co.

The owners of the Oceanic followed up their success by the


Britannic and the Germanic in 1874. A photograph of the former is
here reproduced as she appeared when leaving Southampton during
the Boer War for South Africa, acting as a transport, with British
troops aboard. From this picture it will be noticed that she is purely a
steamship, but when launched she was rigged as a four-masted
barque with yards and sails, but, following the fashion of the
Oceanic, the bowsprit had been discarded. At one time the Britannic
was given a curious arrangement by which she could lower her
propeller so that it was almost level with the keel, and being placed
thus low it was hoped that all tendency to race when the vessel
pitched would be eradicated. To this end a hollow recess was made
in the hull at the stern so that the shaft could be made to work up or
down as desired. But the results were disappointing, so that after
giving the method several months’ trial it was discarded. Both the
Britannic and the Germanic were larger craft than the Oceanic, and
had a tonnage of just over 5,000 tons, and a length of 468 feet, with
45 feet beam. They also were fitted with compound engines, which
gave 5,000 indicated horse-power, and a pressure of 75 lbs. to the
square inch. The Britannic broke the record again by her speed of 16
knots, but the year after her launch the Inman Line, with the City of
Berlin, also developed 16 knots, and wrested the record from the

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