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Anschrift des Autors:
Univ. Doz. Dr. Erich Ribolits
Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung
der Universitäten Innsbruck, Klagenfurt und Wien
Westbahnstraße 40
A-1070 Wien
ISBN 3-89019-415-X
Die Arbeit hoch? 7
INHALTSVERZEICHNIS
Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches sind knapp mehr als
zwei Jahre vergangen. Die Entwicklungen in dieser Zeit haben die
dem Buch zugrundeliegende Annahme einer gegenwärtigen, existen-
tiellen „Krise der Arbeitsgesellschaft“ leider vollinhaltlich bestätigt.
Viele der in diesem Zusammenhang angesprochenen Trends sind in
der Zwischenzeit sogar erst zur vollen Deutlichkeit gelangt. Kaum
mehr angezweifelt kann heute werden, daß der Arbeitsgesellschaft
zunehmend ihr namensgebendes Gut – die Lohnarbeit in ihrer „klassi-
schen“ Ausprägungsform – ausgeht. An ökonomische Verwertbarkeit
geknüpfte Arbeit wird unübersehbar auch in den Industrieländern zu
einem „Luxusartikel“, der für immer weniger Menschen zur Verfü-
gung steht.
Zugleich – und im engsten Zusammenhang damit – findet gegen-
wärtig auch eine deutliche Machtverschiebung im gesellschaftlichen
Kräftespiel von „Kapital“ und „Arbeit“ statt. Die in Europa allerorts
hohen und noch weiter steigenden Arbeitslosenzahlen, der anwach-
sende Zwang für viele Amerikaner, sogenannte „Mc-Jobs“ anzuneh-
men – Tätigkeiten gegen eine Entlohnung mit der sich nicht einmal
die grundsätzlichen Lebenshaltungskosten abdecken lassen – und der
sinkende Anteil der Löhne und Gehälter am Gesamteinkommen bei
steigenden Kapitalgewinnen sind insgesamt unübersehbare Indikato-
ren einer massiven „Entwertung“ des Faktors Arbeit. Durch die Glo-
balisierung der Wirtschaft, die Liberalisierung der Finanzmärkte und
die Möglichkeiten neuer Technologien hat sich das Kräfteverhältnis
von „Kapital und Arbeit“ in den letzten Jahren massiv zugunsten der
Kapitalbesitzer verschoben.
Vorwort zur zweiten Auflage 5
Die Folgen sind zum einen ein weltweiter Rückgang des Anteils
den die Lohnbezieher vom gesellschaftlichen Reichtum für sich ver-
buchen können und ein rapides Weniger-werden des Beitrags, den die
Vermögensbesitzer zur Finanzierung der staatlichen Ausgaben leisten,
was die bekannten Budgetprobleme in faktisch allen Industriestaaten
mitverursacht. Zum anderen bewirkt die Machtverschiebung zwischen
Kapital und Arbeit, daß Arbeitnehmer an der technologisch bedingten
erhöhten Produktivität in Form von Arbeitszeitverkürzungen nicht
bloß nicht partizipieren können, sondern sogar gezwungen sind, Ar-
beit immer häufiger auch unter Bedingungen anzunehmen, die weit
unter den Standards der letzten Jahre und Jahrzehnte liegen. Die Zahl
der Menschen, die anwachsende Phasen ihres Lebens ohne Lohnarbeit
auskommen müssen, wird zunehmend größer und zugleich ist die
kollektive Macht der verbleibenden „Träger der Ware Arbeitskraft“
einer massiven Erosion ausgesetzt.
Diese Entwicklung macht die im vorliegenden Buch aufgestellte
These von der drängenden Notwendigkeit, für das Leben einen ande-
ren Sinn zu finden als die Vernutzung in Arbeit und Konsum, nur
umso bedeutsamer. Denn bevor das unserer Gesellschaft immanente
Arbeitsethos nicht grundsätzlich relativiert wird, besteht überhaupt
keine Chance, die Situation des Weniger-werdens der Lohnarbeit
dafür zu nützen, um gesellschaftspolitische Alternativen jenseits der
Lohnarbeit zu entwickeln. Das verinnerlichte Arbeitsethos kettet die
Bewohner der industrialisierten Welt an die mit Ausbeutung, Zerstö-
rung und Ungleichheit verbundene Arbeitsgesellschaft und macht sie
zu „Mittätern“. Solange Arbeit zum Definitionsmerkmal der mensch-
lichen Existenz hochstilisiert und in der durch äußere Zwänge vorge-
gebenen Arbeit das wesentliche Strukturmerkmal humanen Lebens
gesehen wird, gibt es kein Entrinnen aus der Arbeitsideologie. Das
krampfhafte Festhalten am Arbeitsfetisch ist es, wodurch verhindert
wird, daß die Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die sich um
Arbeitsplätze immer heftiger konkurrieren müssen, und in solche,
6 Die Arbeit hoch?
Möglichkeit von „Bildung“ steht – einer Größe, die zwar nie losgelöst
von gesellschaftlichen Bedingungen gefaßt werden kann, aber den-
noch nur Sinn gibt, wenn sie in ihrer konkreten Auswirkung über den
gesellschaftlichen Status quo hinausweist –, ist aufgerufen, ihren Bei-
trag zu dieser notwendigen Neuorientierung zu leisten. Dazu wird es
erforderlich sein, den pädagogischen Stellenwert des Arbeitens radi-
kal zu hinterfragen und sich im Gegenzug des pädagogischen Stel-
lenwerts der Muße (neu) zu besinnen. Für eine Pädagogik, die sich in
ihrer Aufgabe als Hebamme humaner Entwicklung ernst nimmt,
scheint es heute hoch an der Zeit, sich von der „Ideologie der Arbeit“
zu emanzipieren.
Allerdings darf dabei auch nicht so getan werden, als ob, unabhän-
gig vom ökonomisch vermittelten Arbeitszwang, der Mensch sein
Verhältnis zur Arbeit frei definieren könne. Ein heute anstehendes
Besinnen der Pädagogik auf den Wert der Muße für die Entwicklung
des autonomen Individuums muß dementsprechend verbunden sein
mit einer Reflexion der gesellschaftlich-ökonomischen, also der poli-
tischen Rahmenbedingungen, unter denen die Sozialisierung zum
„Arbeits- und Konsumtier“ erfolgt. Ein bloßes pädagogisches Neu-
entdecken der „Muße als bildende Kraft“ ist genauso scheinheilig wie
eine Pädagogik, die sich unkritisch in den Dienst der Requalifizierung
der Krisenopfer stellen läßt, ohne gemeinsam mit den Betroffenen
nach Antworten auf die zugrundeliegenden, systembegründeten Ursa-
chen der Krise zu suchen. Ein idealistisch-wertfreies pädagogisches
Besinnen auf die Muße bleibt zahnlos und heuchlerisch angesichts der
Tatsache, daß die (Über-) Lebensmöglichkeiten der Menschen in der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auf das engste mit Lohnarbeit
verbunden sind. Das Denkkorsett der Arbeitsgesellschaft zu verlassen
bedeutet mehr als ein appellatorisches Einfordern einer Mußeorientie-
rung des Menschen, es bedeutet, die „politische Funktion“ der Ar-
beitsgesellschaft in den Focus einer, auch die eigene Disziplin selbst-
16 Die Arbeit hoch?
1 Vgl.: Bauer, L./Matis, H.: Geburt der Neuzeit. Vom Feudalsystem zur Marktge-
sellschaft. München 1988, S. 171f. und 174f.
2 Blumenberg, H. Zit. nach: Fischer, Der Mensch – animal laborans? Philosophi-
sche und pädagogische Rückfragen zur neuzeitlichen Karriere der „Arbeit“. In:
Fischer: Unterwegs zu einer skeptisch-transzendentalkritischen Pädagogik. Sankt
Augustin 1989, S. 183.
20 Die Arbeit hoch?
Als Folge davon, daß der Mensch die real vorfindbare Welt nun
nicht mehr als die – entsprechend unbegreiflich-göttlichem Ratschluß
– vollkommenste aller möglichen Welten interpretierte, hatte er sich
zwar befreit von der Unterworfenheit unter die Bedingungen der Vor-
sehung, war nun jedoch genötigt, durch vorausschauende Erkenntnis
und tätiges Tun in diese Schöpfung einzugreifen. Die Aufgabe des
Menschen stellte sich nicht mehr darin dar, das Joch der vorfindbaren
Bedingungen akzeptierend zu (er-)tragen, sondern darin, sich in der
Welt zu bewähren, indem er diese „nach seinem Willen“ gestaltet. Die
vorfindbare, von Gott dem Menschen zur „Vervollkommnung“ über-
lassene Welt galt es ab nun zu verbessern. Damit erschloß sich aber
für die vormals eher geschmähte Arbeit eine völlig neue Dimension.
Galt sie im Mittelalter als ein Aspekt der von Gott auferlegten, dies-
seitigen Existenz, als unausweichliche Notwendigkeit des Überlebens,
aber dem geistlichen Leben und der Frömmigkeit selbstverständlich
untergeordnet, tritt sie nun in das Zentrum der menschlichen Sinnsu-
che.
„Wenn die gegebene Welt nur ein zufälliger Ausschnitt aus dem
unendlichen Spielraum der Möglichkeiten ist, wenn die Sphäre der
natürlichen Fakten keine höhere Rechtfertigung und Sanktion mehr
ausstrahlt“ und es dementsprechend als Aufgabe erscheint, „nicht nur
das Wirkliche vom Möglichen her zu beurteilen und zu kritisieren,
sondern auch durch Realisierung des Möglichen […] das nur Fakti-
sche aufzufüllen“3, also ordnend in die gegebene Welt einzugreifen,
dann wird Arbeit zur Schlüsselgröße des Lebens. „Durch Arbeit recht-
fertigt sich das Leben als einbezogen in den Prozeß, das Vorfindliche
und Ereignishafte […] nicht länger letztlich hinzunehmen als Gewäh-
rung oder Heimsuchung, sondern […] rückhaltlos in den Griff zu
bekommen und aus oder mit ihm das zu machen, was dem Glück des
Menschen oder was auch immer als kollektives oder individuelles
3 Ebda., S. 186.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 21
4 Ebda,, S. 186.
5 Ebda., S. 186.
6 Vgl. Erich Weniger, der die „Geburtsstunde der pädagogischen Theorie“ sinn-
gemäß in der „Loslösung des Menschen aus der ständischen Gebundenheit“ or-
tet. Weniger, Zur Geistesgeschichte und Soziologie der Pädagogischen Fragestel-
lung. In: Röhrs (Hg.), Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit,
19672, S. 358.
7 Vgl. Rutschky, Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerli-
chen Pädagogik. Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1977, S. XXI.
22 Die Arbeit hoch?
8 Ebda., S. XXIII.
9 Ebda., S. XXIV.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 23
18 Campe, J.H.: Robinson der Jüngere. Ein Lesebuch für Kinder, 1. und 2. Teil,
Dortmund 1978 (1860), S. 202.
19 Zit. nach Asholt, W./Fähnders, W. (Hg.): Arbeit und Müßiggang 1789-1914.
Dokumente und Analysen. Frankfurt a.M. 1991, S. 10.
20 Wilhelm, Th.: Das Arbeitsethos der Gegenwart im Lichte der deutschen Bil-
dungsüberlieferung. In: Straatmann/Bartel (Hg.): Berufspädagogik. Ansätze zu
ihrer Grundlegung und Differenzierung. Köln 1975, S. 97.
21 Gamm 1974, a.a.O., S. 145.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 27
22 Nicht ohne Sarkasmus weist Dikau (unter Bezugnahme auf Blankertz) allerdings
darauf hin, daß die Ablehnung des Neuhumanismus gegenüber der aufklärungs-
pädagogischen Zielsetzung, einer „Erziehung zu Brauchbarkeit und Nützlich-
keit“, ihren pointiertesten Exponenten, Wilhelm von Humboldt, allerdings nicht
hinderte im „Litauischen Schulplan“ zu formulieren, „daß »jede Beschäftigung«
(also beispielsweise auch das Tischemachen) »den Menschen zu adeln« vermö-
ge: »Nur auf die Art, wie sie betrieben wird, kommt es an«, und auf die Mög-
lichkeit, damit humane Vollendung zu bewirken.“ Dickau, J.: Zum Verhältnis
von Arbeit und Bildung in historischer Perspektive. Referat auf dem 9. Kongreß
der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft am 27. März 1984 in
Kiel, Vortragsmanuskript, S. 14.
28 Die Arbeit hoch?
Grundlage sowohl für die spätere berufliche Ausbildung als auch für
die verantwortliche Mitgestaltung an der Welt durch mündige Indivi-
duen sein sollte. Mit dieser kritischen Qualität des Bildungsbegriffs
einerseits, verbunden mit der Abschottung von Bildung gegenüber
berufsrelevanten Inhalten andererseits, war der Weg geebnet für die
begriffliche Trennung von Bildung und Ausbildung; Bildung verstan-
den als Befähigung zu freiem Urteil und zu Kritik – Voraussetzung
für Emanzipation und Personalisation, Ausbildung als Anpassung an
vorgegebene Lebensverhältnisse – Grundlage für Entfremdung und
Ausbeutung. Die Distanz des Neuhumanismus zu gesellschaftlichen
Herrschaftsansprüchen und das idealistisch-humanistische Postulat
der Abschirmung der Bildung von gesellschaftlicher Verzweckung
hatte den der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft innewohnenden
„Widerspruch zwischen Bildung und Herrschaft“23 freigelegt.
Noch heute wird das Bildungsideal des Neuhumanismus in der
gymnasialen Allgemeinbildung tradiert, und die humanistischen Bil-
dungsvorstellungen sind bis in die Gegenwart Orientierung und Aus-
gangspunkt unzähliger pädagogisch-theoretischer Erörterungen. Den-
noch kann festgestellt werden, daß nicht die Idee von der Entfaltung
des Menschen durch die zweckfreie Beschäftigung mit dem Wahren,
Guten und Schönen die gesellschaftliche Realität der Bevölkerungs-
mehrheit in den letzten beiden Jahrhunderten geprägt hat, sondern die
Vorstellung, daß es die Arbeit ist, die den Menschen zum Menschen
macht und daß demgemäß auch die Zielsetzungen für Erziehung und
Bildung aus den gesellschaftlichen Arbeitsanforderungen herzuleiten
seien.
Wie schon skizziert, war die Überhöhung der Arbeit zum Garanten
für Fortschritt, Vernunft und Aufklärung, für gesellschaftliches und
individuelles Glück24 die grundlegende ideologische Basis der sich im
achtzehnten Jahrhundert herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft
23 Heydorn, a.a.O.
24 Vgl. Asholt/Fähnders, a.a.O., S. 9f.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 29
29 Zit. nach Wehnes, Franz-Josef: Theorien der Bildung – Bildung als historisches
und aktuelles Problem. In: Roth (Hg.): Pädagogik. Handbuch für Studium und
Praxis. München 1991, S. 263/264.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 33
30 Vgl. insbesonders: Blankertz, H.: Der Begriff des Berufs in unserer Zeit. In:
Arbeitslehre in der Hauptschule; hg. v. H. Blankertz. Essen 1967, S 75 ff., sowie
Stütz, a.a.O.
31 Blankertz, H.: Bildung im Zeitalter der großen Industrie. Pädagogik, Schule und
Berufsbildung im 19. Jahrhundert, Hannover 1969, S. 139.
34 Die Arbeit hoch?
Frage der Zeit: das Ident-Werden dessen, was weiterhin als Bildung
etikettiert wird, und der Arbeit; bald schon sollte die zur Qualifikation
degenerierte Bildung nicht mehr bloß Vorbereitung für die lebenslan-
ge Arbeitsverausgabung jenseits konkret-sinnlicher Bedürfnisse sein,
sondern selbst den Stellenwert sinnloser lebenslanger Arbeit bekom-
men.
Doch noch war es nicht soweit, noch galt es jenen seit Beginn der
Industrialisierung in Gang befindlichen, gewaltigen Prozeß der sozia-
len Disziplinierung zu Ende zu bringen und aus dem „naturwüchsigen
Knecht vom Lande“ und den „durch das Handwerk bereits vordres-
sierten Gesellen“39 den „neuen Menschen“ zu formen, der den Ar-
beitsanforderungen des Industriekapitalismus entsprach. Es galt bei
den Angehörigen des parallel zur Herausbildung des Kapitalismus
entstandenen Proletariats durch „Arbeitserziehung“ in den Volksschu-
len, den Industrieschulen und den nun neu hinzugekommenen „Be-
rufsschulen“ die Ideologie zu verankern, daß die ihnen abverlangte
Arbeitsleistung heilige Pflicht an der Gemeinschaft ist, daß also die
Bereitschaft zur Arbeitsverausgabung schon einen Wert an sich ver-
körpert, unabhängig vom Grad der Entfremdung, unter dem die Arbeit
zu leisten ist. Neben dem Denkkorsett eines von jeder Frage nach
Sinn und Nutznießern befreiten Arbeitsethos mußte dazu noch eine
weitere Ideologie in den Köpfen der Benachteiligten verankert wer-
den: nämlich jene, daß für höhere berufliche Positionen eine geringere
und vor allem auch spätere Koppelung zwischen Bildung und Arbeit
notwendig ist. Das zweigeteilte Bildungswesen, in dem sich die An-
nahme widerspiegelt, daß – je nach angeblicher Begabung – der Weg
zu der als Bildungsmythos aufrechterhaltenen „entfalteten Persönlich-
keit“ sowohl über berufliche Verzweckung als auch über eine wert-
freie Beschäftigung mit dem „Wahren, Guten und Schönen“ möglich
sei, mußte zur allgemein akzeptierten Ideologie werden. Nur so konn-
41 Marx, K.: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Marx/Engels: Gesam-
melte Werke, Bd. 23. Berlin (Ost) 198817, S. 57.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 41
42 Vgl. dazu insbesondere: Groth, G.: Die pädagogische Dimension im Werk von
Karl Marx. Neuwied/Darmstadt 1978, S. 5ff.
43 Seubert, R: Berufserziehung und Politik, Ein Beitrag zur Geschichte eines aktu-
ellen Konflikts. In: Lisop/Markert/Seubert: Berufs- und Wirtschaftspädagogik.
Eine problemorientierte Einführung. Kronberg/Ts 1976, S. 69.
44 Ebda., S. 65.
42 Die Arbeit hoch?
47 Dietzgen, J.: Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit (1869) Zit. nach
Klopfleisch, R.: Die Pflicht zur Faulheit. Düsseldorf/Wien/New York 1991, S.
29.
44 Die Arbeit hoch?
wesentlichen auf ihn zurück. Sein paradoxes Postulat lautete ja: Be-
freiung von der Arbeit durch Arbeit. Im Gegensatz zur bisherigen
Geschichte der Menschheit, wo die Freiheit von Wenigen immer nur
durch die Arbeit von Vielen möglich gewesen war, vermeinte er in
der Industrialisierung jene historische Situation zu erkennen, wo die
Möglichkeit besteht, durch die endgültige Entfesselung der Arbeit –
dadurch, daß sie zur vollen Höhe ihrer Möglichkeiten getrieben wird,
sie also quasi „totalisiert“ wird – die Arbeitsnotwendigkeit des Men-
schengeschlechts insgesamt ein für allemal aufzuheben. Marx siedelt
wahre „ Freiheit“ damit zwar jenseits der Arbeitsnotwendigkeit an,
sieht allerdings im Weg der Arbeit den einzigen gangbaren Weg zum
„Reich der Freiheit“.
Auf dem Hintergrund dieser Vorstellung war es möglich, auch die
unter entwürdigendsten Umständen zu erbringende Arbeit in der in-
dustriellen Frühphase im Sinne einer für die Menschheit insgesamt
positiven Entwicklung zu interpretieren. Damit ergab sich für die
Arbeiterbewegung zwar das politische Ziel, die ungerechtfertigten
Nutznießer der Arbeitsverausgabung der Massen, die Eigentümer der
Produktionsmittel, zu entmachten und der Arbeiterschaft den gerech-
ten Anteil ihrer Arbeitsleistung zukommen zu lassen, aber nicht, die
Verzweckung des Menschen unter die Arbeit anzuzweifeln. Denn die
Befreiung des Menschen von der Notwendigkeit des Arbeitens stellt
sich in diesem Sinn nicht primär als eine politische Aufgabe, sondern
ist als Effekt der historischen Entwicklung zu erwarten. Die zuneh-
mende Verwissenschaftlichung von Produktion und Arbeit – möglich
durch die Verbreiterung des gesellschaftlich verfügbaren Wissens –
sowie die damit mögliche endgültige Entwicklung des Maschinensys-
tems wurden als der Schlüssel angesehen für eine unermeßliche Stei-
gerung der Produktivität der menschlichen Arbeitskraft und eine da-
mit mögliche sukzessive Entlastung des Menschen von der Arbeit.
Nicht die Arbeit als historisches Faktum gilt es zu relativieren, son-
dern die Tatsache, daß den Arbeitern ein Teil des von ihnen erarbeite-
46 Die Arbeit hoch?
ren. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und damit auch der
Partizipationsmöglichkeit am gesellschaftlichen Reichtum ist Trieb-
kraft genug – gearbeitet wird heute, um morgen überhaupt noch einen
Arbeitsplatz zu haben.
Denn die wachstumsabhängige kapitalistische Wirtschaft stößt zu-
nehmend an ihre Grenzen; allenthalben wird heute eine „Krise der
Arbeitsgesellschaft“ konstatiert. Und es handelt sich dabei nicht nur
um eine der auch schon bisher periodisch aufgetretenen ökonomi-
schen Krisen als Folge von Konjunkturschwankungen – die kapitalis-
tische Produktionsweise selbst in ihrer Struktur und ihren grundsätzli-
chen Zusammenhängen scheint heute in Frage gestellt. Gemeint ist
damit, daß jenes etwa vier Jahrzehnte lang relativ gut funktionierende
Zusammenspiel von Massenproduktion, Massenbeschäftigung, wach-
sendem Massenwohlstand und permanent steigenden Profitraten zu-
nehmend außer Tritt gerät und es dadurch zu einem zwar periodisch
immer wieder unterbrochenen, aber insgesamt kontinuierlichem An-
steigen der Arbeitslosigkeit in allen Industriestaaten kommt. Das völ-
lig Neue dabei ist, daß das bisherige Generalrezept für kapitalistische
Krisen – das Ankurbeln der Wachstumsspirale – nur mehr vorüberge-
hend und nur in Teilbereichen des wirtschaftlichen Geschehens
greift53 sowie, daß heute kaum mehr darüber hinweg gesehen werden
kann, daß dieses Lösungsmuster nur eine noch viel ausweglosere,
global-ökologische Krise beschleunigt.
54 Benjamin, W.: Einbahnstraße (1928). Zit. nach Guggenberger, B.: Wenn uns die
Arbeit ausgeht. Die aktuelle Diskussion um Arbeitszeitverkürzung, Einkommen
und die Grenzen des Sozialstaats. München/Wien 1988, S. 41.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 51
55 Guggenberger, ebda.
52 Die Arbeit hoch?
57 Müller, C. W.: Von meiner eigenen Verlegenheit. In: Zeitschrift für Pädagogik,
19. Beiheft, Weinheim und Basel 1985, S. 99.
58 Diese Argumentation taucht häufig im Zusammenhang mit den sogenannten
„Reproduktionsarbeiten“ auf, die ja bis jetzt überwiegend von Frauen (Müttern,
Ehefrauen, Töchtern, Schwiegertöchtern) – vielfach neben einem Lohnarbeits-
verhältnis – unbezahlt erledigt werden. Bei einer solchen Ausweitung des Ar-
beitsbegriffs wird allerdings das zentrale Definitionsmerkmal von Arbeit im
Rahmen unserer Gesellschaft, nämlich der Entfremdungscharakter, negiert. Da
es einen Arbeitsbegriff „an sich“ jedoch nicht gibt, sondern der Arbeitsbegriff
nur einen Reflex auf die gegebene Gesellschaftsordnung darstellt, geht auf diese
Art der Arbeitsbegriff schließlich überhaupt verloren, „die Grenzen zwischen
Arbeit und Nichtarbeit, zwischen Arbeit, Tätigkeit und sogar Leben zerfließen,
[der Arbeitsbegriff] und arbeitsbezogene Bildung gerät in den Sog postmoderner
Beliebigkeit“. Vgl. Drechsel, R.: Einwände gegen eine Erweiterung des Arbeits-
54 Die Arbeit hoch?
begriffs aus bildungstheoretischer Sicht. In: Abschied von der Lohnarbeit. Dis-
kussionsbeiträge zu einem erweiterten Arbeitsbegriff. Bremen 1990, S. 195f.
Arbeit, Bildung und politisch-ökonomisches System 55
1 Vgl. Hirsch, J./Roth, R.: Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus
zum Post-Fordismus. Hamburg 1986.
58 Die Arbeit hoch?
Sinn für Tempo, Ausmaß und vor allem Zusammenhang der verschie-
denen Aspekte des Wandels kaum mehr herstellbar sind. Die fordisti-
sche Ausprägungsform der kapitalistischen Gesellschaft, die seit mehr
als einem halben Jahrhundert das Leben und die Arbeitsbedingungen
der Menschen in der industrialisierten Welt geprägt hat, scheint insge-
samt am Ende ihrer geschichtlichen Epoche angelangt zu sein. Ihre
tragenden Säulen, tayloristische Arbeitsorganisation, permanente
Steigerung der Arbeitsproduktivität, Massenproduktion von Konsum-
gütern und immer rascherer Warenumlauf durch die Ankurbelung des
Massenkonsums, beginnen heute rasant brüchig zu werden.
Der Begriff „Fordismus“, der sich in der sozialwissenschaftlichen
Literatur erst in den letzten Jahren als Bezeichnung für die von etwa
1920 bis 1980 dauernde Phase der modernen Warenproduktion einge-
bürgert hat, knüpft an historische Wurzeln an. Er verweist auf die
zentrale Symbolfigur der modernen Industrieproduktion, den Auto-
mobilbauer Henry Ford. In der kurzen Spanne zwischen 1903 und
1926 war es diesem gelungen – auf der Basis eines für damalige Ver-
hältnisse revolutionären Fertigungs- und Vermarktungskonzepts –,
seinen vormals unbedeutenden Betrieb mit acht Beschäftigten zu ei-
nem Konzern, bestehend aus 88 Fabriken mit 600 000 Beschäftigten
und einem Produktionsvolumen von zwei Millionen Automobilen pro
Jahr, auszubauen. Nicht nur dieser wirtschaftliche Erfolg, auch die
vergleichsweise hohen Löhne und der Achtstundentag in den Ford-
schen Fabriken sowie die „Demokratisierung“ des Automobils durch
den Verbilligungseffekt der Serienfertigung führten in der Folge so-
wohl bei Befürwortern als auch bei Kritikern der kapitalistischen
Wirtschafts- und Gesellschaftsformation zu geradezu euphorischen
Auseinandersetzungen mit dem „Fordismus“2.
cholsky drückte seine Bewunderung für das Fordsche Konzept damit aus, daß er
„Fortschritt“ gelegentlich als „Fordschritt“ schrieb. Alle Zitate nach Hirsch/Roth,
a.a.O.
3 Ebda, S. 45.
4 Kurz, a.a.O., S. 277.
60 Die Arbeit hoch?
5 Vgl. dazu insbesondere Kurz, a.a.O. sowie Rieseberg, H.J.: Arbeit bis zum Un-
tergang. Die Geschichte der Naturzerstörung durch Arbeit. München 1992.
6 Daß es derzeit, aufgrund des niedrigeren Lohnniveaus (und teilweise auch wegen
der geringeren Umweltauflagen), in verschiedenen Industriebereichen zu einem
massiven Arbeitsplätzetransfer von Westeuropa in ehemalige Ostblockländer
kommt, ist evident. Vgl. für die diesbezügliche österreichische Situation insbes.
„Wirtschaftswoche“ 33/ 12. August 1993. Auch daß die dadurch billiger produ-
zierten Produkte eine Konkurrenz für westeuropäische Firmen darstellen, leuch-
tet ein. Ob der Arbeitsplatztransfereffekt nicht zumindest zum Teil wieder kom-
pensiert wird durch das Entstehen neuer Arbeitsplätze im Westen gerade durch
die „Ostöffnung“, darüber gehen die Meinungen der Fachleute auseinander. Fest
steht, daß der Hinweis auf die geringeren Lohn- und Sozialkosten in Osteuropa
(aber beispielsweise auch in den USA) heute sehr häufig dafür verwendet wird,
um die sich laufend verschlechternde Situation am westeuropäischen Arbeits-
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 61
10 Die Tatsache, daß den Bewohnern der „Dritten Welt“ zwar einerseits permanent
durch Fernsehen und Touristen der Lebensstandard der Industriestaaten vor Au-
gen geführt wird, ihre realen Chancen, einen solchen Lebensstandard in ihren
Ländern jemals zu erreichen, für sie heute jedoch ständig sinken, läßt in nächster
Zukunft ein Völkerwanderungs-Szenario erwarten, demgegenüber die bisherige
Migration aus den ehemaligen Ostblockländern vergleichsweise harmlos anmu-
tet. „Millionen werden kommen“, prophezeit der Generalsekretär des Club of
Rome, Bertrand Schneider, um die zynisch-resignative Frage anzuschließen:
„Wer wird den Schießbefehl geben?“ „Spiegel“ Nr. 2/1993, .S. 103.
11 Zit. nach „Spiegel“ a.a.O.
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 63
antreten. Sie können nicht mehr einen definierten Mehrwert in Gestalt von
Gebrauchsgütern gegen die entsprechende Menge Geld „eintauschen“, wie der
zünftige Schuster gegen Brot und Fleisch, sondern sie müssen sich einen Anteil
an der Geldgestalt des gesamtgesellschaftlichen Mehrwerts in der Zirkulation
(herrührend aus vergangenen abstrakten Vernutzungsprozessen lebendiger Ar-
beit) erst „erkämpfen“ durch den Verkauf ihrer Produkte auf dem – in der Reali-
tät zwar niemals völlig, aber von seiner prinzipellen Konzeption dennoch weit-
gehend – freien Markt.
Wie groß der Anteil an der geldförmigen Gestalt des gesamtgesellschaftlichen
Mehrwerts ist, den sich eine einzelne betriebswirtschaftliche Einheit aneignen
kann, hängt von ihrem relativen Erfolg oder Mißerfolg am Markt ab. Die hier
herrschende Logik der Preisregulierung durch Angebot und Nachfrage wird zwar
permanent durch eine Vielzahl von Mechanismen unterlaufen (z.B. durch Preis-
absprachen oder Marktmonopole), allerdings können diese „Störeinflüsse“ nie
die Basislogik völlig außer Kraft setzen, daß diejenige betriebswirtschaftliche
Einheit am Markt den größten relativen Erfolg hat, die am billigsten anbieten
kann. Diese Fähigkeit wiederum hängt aufs engste mit der höheren oder geringe-
ren Produktivität des Unternehmens zusammen, also damit, mit einem möglichst
geringen Mitteleinsatz eine möglichst große und qualitativ „konkurrenzfähige“
Produktmenge herstellen zu können. Die kapitalistische Konkurrenz um die An-
eignung des Mehrwerts läßt sich damit als jene Triebkraft identifizieren, die die
Unternehmen um den Preis ihres Untergangs – der in der Regel erfolgt, wenn die
Profitrate für das eingesetzte Kapital unter einen kritischen Wert fällt – zur per-
manenten Steigerung der Produktivität zwingt. Vgl. Kurz, a.a.O, S. 81-89.
66 Die Arbeit hoch?
15 Genauso wenig wie die Produktion von Waren und Dienstleistungen das grund-
sätzliche Ziel der kapitalistischen Wirtschaft darstellt, ist auch die Beschäftigung
von Menschen bloß Nebenprodukt der letztlich angestrebten „Mehrwertproduk-
tion“. Die Industrieproduktion war demgemäß auch – von Anfang an – auf eine
menschenlose Produktion ausgerichtet. Die menschliche Arbeitskraft spielt in
diesem Produktionssystem im Grunde genommen nur eine Aushilfsrolle auf Zeit.
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 67
16 Allein in der österreichischen Industrie stieg durch die Modernisierung des Pro-
duktionsapparates und die Rationalisierung des Produktionsablaufes die Produk-
tivität je geleisteter Arbeitsstunde zwischen 1979 und 1992 um 87,4 Prozent. Die
gesamte Industrieproduktion hat im gleichen Zeitraum jedoch „nur“ um 40,8
Prozent zugenommen. Die Folge dieses unterschiedlichen Wachstums von
„Stundenproduktivität“ und allgemeiner Produktion ist ein zunehmend geringe-
rer Bedarf an Arbeitskräften in der industriellen Produktion, die Zahl der Indust-
riearbeiter ist demgemäß im angesprochenen Zeitraum auch um 26,6 Prozent zu-
rückgegangen. „Standard“ 16. August 1993, S. 20.
68 Die Arbeit hoch?
gleich, und es läßt sich derzeit eine daraus folgende, deutliche Ver-
schärfung des Gegensatzes von Arm und Reich in den verschiedenen
Ländern beobachten. Auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens
kommt es zu einer Vertiefung der sozialen Unterschiede.17 Diese Po-
larisierung ergibt sich jedoch nicht nur aus der Aufspaltung in Ar-
beitsplatzbesitzer und Arbeitslose, auch bei den Einkommen und bei
der Qualität und Sicherheit der Arbeitsplätze läßt sich ein zunehmen-
des Auseinanderdriften der sozialen Gruppen feststellen. Die Gruppe
jener Menschen, die schlecht bezahlte Jobs annehmen müssen und
permanent in Gefahr sind, in die Arbeitslosigkeit abgedrängt zu wer-
den, wächst derzeit genauso an wie die Zahl derjenigen, die bereits
unmittelbar von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Folge ist ein im-
mer hektischerer Wettlauf darum, nicht zu den Verlierern im allge-
net der Wirtschaftswissenschaftler zu den Kosten, die durch das Wachstum der
Wirtschaft entstehen, nicht nur Umweltschäden, sondern auch Kosten des Ge-
sundheitssystems, des Verkehrs, der Zersiedlung der Landschaft, der Kriminali-
tät und der Arbeitsunfälle. Klopfleisch weist allerdingsauch auf Experten hin, die
sogar die in dieser Höhe angesetzten Kosten des Wachstums noch als wesentlich
zu niedrig ansehen. Klopfleisch, a.a.O, S. 202/203.
72 Die Arbeit hoch?
21 Negt, O.: Lebendige Arbeit, enteignete Zeit. Politische und kulturelle Dimensio-
nen des Kampfes um die Arbeitszeit. Frankfurt a.M./New York 19873, S. 55.
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 73
23 King A./Schneider B.: Die globale Revolution. Bericht des Club of Rome 1991.
„Spiegel Spezial“ 2/1991, S. 69.
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 75
dann folgte Macao, nach Macao ging es nach Südkorea, Taiwan, Indonesien und
schließlich nach Thailand. Und der nächste Schritt ist schon vorbereitet, der
Lohnkostenlogik folgend, folgt als nächstes Vietnam. Ein anders diesbezügliches
Beispiel stellen die berühmten Seiko-Uhren dar, deren Produktion seinerzeit von
Japan nach Hongkong verlagert wurde, von dort nach Taiwan, von Taiwan nach
China und schließlich wieder zurück nach Japan. Der Grund für den Weg zurück
in das Ursprungsland war, daß man die Uhr in der Zwischenzeit vollautomatisch
produzieren kann und die Lohnkosten keine Rolle mehr spielen. Die Beispiele
stammen aus: Bauer, H.J.: Die Internationalisierung der wirtschaftlichen Bezie-
hungen. In: BMUK/ÖIIP: Die neuen globalen Herausforderungen – Die UNO an
der Schwelle zum nächsten Jahrtausend. Wien 1992, S. 53.
78 Die Arbeit hoch?
Der Staat wird immer mehr auf die Funktion einer Wirtschaftsför-
derungsagentur reduziert. Steuerbefreiungen und Zinsenzuschüsse für
Unternehmen, Stützungsaktionen für marode Betriebe, Ausfallshaf-
tungen für Großprojekte31 im Verkehr mit anderen Ländern und Ähn-
liches binden damit jedoch immer stärker die zur Verfügung stehen-
den Ressourcen. Für Sozialmaßnahmen bleibt – trotz der objektiv
immer größeren Notwendigkeit diesbezüglicher Politik – immer we-
niger Spielraum. Politik wird damit weitgehend reduziert zu einer
„Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln“. Die Aufgabe des
Staates fokussiert sich in erster Linie darin, förderliche Rahmenbe-
dingungen für das wirtschaftliche Geschehen und das ökonomische
Wachstum zu schaffen. Ausgaben in der volkswirtschaftlichen Ge-
samtrechnung, die nicht mit dem Wirtschaftsförderungsetikett verse-
hen werden können, sind immer schwerer argumentierbar. Diskussion
um die (angeblich zu) hohen Kosten für die staatliche Verwaltung, die
große Zahl von Beamten oder darüber, wieweit „wir“ uns die öffentli-
che Bezuschussung von Kranken- und Pensionsversicherungen leisten
können, sind Indikatoren dieser Entwicklung. Aber auch die Tatsache,
daß ökologisch sinnvolle Begrenzungen wirtschaftlichen Handelns
und das Einhalten diesbezüglicher umweltschonender Standards fak-
tisch nur über den Weg massiver staatlicher Unterstützungen erreicht
werden können (da der heimischen Wirtschaft ja sonst ein Wettbe-
werbsnachteil im internationalen Konkurrenzkampf erwachsen wür-
de), zeigt deutlich die Dimensionen heutiger einzelstaatlich-politi-
scher Handlungsmöglichkeiten auf.
Durch das skizzierte Dilemma des Staates, immer stärker in die
Rolle einer Wirtschaftswachstumsförderungsagentur gedrängt zu sein
nismen wieder unklarer, die dafür verantwortlich sind, daß die Mög-
lichkeiten, über die Legitimation „Bildung“ attraktive gesellschaftli-
che Positionen zu erreichen, äußerst ungleich verteilt sind.
Zusätzlich sollte nicht vergessen werden, daß der derzeitige Zu-
gangsmechanismus zur Weiterbildung nicht einmal dem formaldemo-
kratischen Kriterium der gleichen Zugangschancen gerecht wird. Das
was im Schul- und Erstausbildungssystem heute gilt, daß jeder – zu-
mindest formal – (im Rahmen der bildungshierarchischen Berechti-
gungen) die gleichen Chancen der Teilnahme hat und daß die mate-
riellen Barrieren für das Durchlaufen einer Bildungskarriere heute nur
mehr als relativ klein bezeichnet werden können 33, trifft überhaupt
nicht auf den Weiterbildungsbereich zu. Es gibt derzeit – obwohl von
Arbeitnehmerseite seit Jahren urgiert – kein Recht auf „Bildungsfrei-
stellung“ und nicht einmal Ansätze eines „Rechtes auf Weiterbil-
dung“. Ein großer Teil der außerbetrieblichen Weiterbildung wird
durch private Anbieter organisiert und ist absolut nicht für jedermann
erschwinglich. Zum überwiegenden Teil findet Weiterbildung jedoch
sowieso im Rahmen der Unternehmen und im Zusammenhang mit
Arbeitsverhältnissen statt; zu dieser betrieblichen oder betriebsbeauf-
tragten Weiterbildung wird man „entsandt“ oder bestenfalls durch die
entsprechende Unternehmensinstanz „zugelassen“. Die Möglichkeit,
eine Weiterbildungsveranstaltung gleichen Inhalts bei einem anderen
Anbieter besuchen zu können und ebenfalls vergütet zu bekommen
oder gar überhaupt einen anderen – nicht den aktuellen Unterneh-
mensinteressen entsprechenden – Kurs auf Firmenkosten zu besu-
chen, besteht nahezu nie. Zugleich gibt es nur in wenigen Bereichen
33 Eingeschränkt muß diesbezüglich auf jeden Fall werden, daß die materiellen
Barrieren für das Besuchen des derzeit expandierenden Privatschulwesens – das
ja seinen „guten Ruf“ oftmals der Tatsache verdankt, daß die Absolventen mit
besseren beruflichen Startchancen rechnen können – durchaus sehr hoch sind.
So können beispielsweise in Österreich die – im internationalen Vergleich eher
niedrigen – jährlichen Kosten für einen Privatschulbesuch bis zu 105.000.- ö.S.
betragen. „Gewinn“ 7/8/1993.
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 85
34 Vgl. dazu insbesonders Geißler A.: Auf dem Weg in die Weiterbildungsgesell-
schaft. In: Wittwer, W. (Hg.): Annäherung an die Zukunft. Zur Entwicklung von
Arbeit, Beruf und Bildung. Basel 1990, S. 161-188.
86 Die Arbeit hoch?
35 Ebda.
36 Siehe dazu auch die Fußnote 17 in diesem Kapitel.
88 Die Arbeit hoch?
Sowohl für den einzelnen als auch für die Gesellschaft leitet sich
Sinn und Zweck von Bildung heute im wesentlichen nur mehr aus
einer Abwägung von Kosten und quantifizierbarem Nutzen ab. Bil-
dung wurde „instrumentalisiert“, sie wurde endgültig degradiert zum
Einsatz beim gesamtgesellschaftlichen Verdrängungswettkampf und
damit auch in den Dienst des allgemeinen Wachstumsideals genom-
men. Fast niemand kann es sich noch „leisten“, Bildung unter der
Zielsetzung wahrzunehmen, sich selbst und die ihn umgebende Welt
zu verstehen sowie zu reflektiertem Handeln fähig zu werden; sie
wird heute fast ausschließlich als der Erwerb von Kenntnissen, Fähig-
keiten und Fertigkeiten gesehen, die sich durch Brauchbarkeit – im
Sinne der verkürzten Maßstäbe individueller und gesellschaftlicher
Effizienz – auszeichnen. Bildung erscheint unter den Bedingungen
der fortgeschrittenenen Konkurrenzökonomie faktisch ausschließlich
unter dem Aspekt der utilitaristischen Reduzierung auf abnehmeradä-
quate Qualifizierung. Damit ist die Beschränkung auf die Herausbil-
dung jener Arbeitsfähigkeiten gemeint, die „vermarktbar“ sind, das
heißt anderen wirtschaftliche Vorteile versprechen, indem damit ein
profitabel verkaufbares Gut oder eine entsprechende Dienstleistung
bereitgestellt werden kann. Mit anderen Worten: Bildung unter dem
konkurrenzökonomischen Aspekt der Reduzierung auf Qualifizierung
ist eindimensional auf die Förderung jener Fähigkeiten und Talente
ausgerichtet, die einen aktuellen ökonomischen Nutzen versprechen.
Der alle Poren der Gesellschaft durchdringende Konkurrenzkampf
im fortgeschrittenen Kapitalismus und die daraus folgende Unterord-
nung allen Strebens unter das ökonomische Kosten-Nutzen-Kalkül
läßt schließlich alles den Charakter einer Ware annehmen und zum
Einsatz beim großen Verdrängungswettkampf werden. Auch Bildung
wird in diesem System auf ihren Warencharakter reduziert, ihre effek-
tive Herstellung und ihr profitabler Einsatz, entsprechend ökonomi-
scher Kriterien, werden kalkulierbar und müssen in letzter Konse-
quenz auch kalkuliert werden, um nicht im alles bestimmenden Kon-
Die Krise des Fordismus und das „Zur Ware Werden“ der Bildung 89
1760 und 1780, ihr Ende zwischen 1830 und 1850 angesetzt, und sie wird allge-
mein als die Zeit des „Übergangs zum Fabriksystem“ angesehen. Von einer
„zweiten industriellen Revolution“ sprechen viele Autoren im Zusammenhang
mit dem „Übergang zur großindustriellen Massenproduktion“ in den letzten De-
kaden des 19. und den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Eine „dritte revolu-
tionäre Umwälzung der industriellen Fertigung“ wird schließlich verschiedent-
lich in der Einführung und Anwendung von Computertechnologien in Produkti-
on und Verwaltung seit Anfang der siebziger Jahre gesehen. Vgl.: Müller-
Jentsch/Stahlmann: Management und Arbeitspolitik im Prozeß fortschreitender
Industrialisierung. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 13 (1988). Heft
2, S. 6/7.
92 Die Arbeit hoch?
mals eine völlig neue Stufe in seiner Entwicklung – das mit Massen-
und Fließbandproduktion verknüpfte industriewirtschaftliche Produk-
tionsprinzip wurde eingeführt. Bis dahin war ja sogar das Auto, das
uns heute als das Symbol des Industriezeitalters schlechthin erscheint,
noch weitgehend nach den Prinzipien handwerklicher Produktionsra-
tionalität hergestellt worden – erst mit dem ab 1908 bei Ford in Ame-
rika gefertigten „Modell T“ war zum ersten Mal ein für das Fließ-
bandsystem entwickeltes Auto konzipiert und damit gleichzeitig ein
revolutionärer fertigungstechnischer Fortschritt in die Wege geleitet
worden.
Der Ursprung der hocharbeitsteiligen, durch einen mechanischen
Ablauftakt gesteuerten Arbeitsorganisation – und der damit verbun-
denen Degradierung der in der Produktion und teilweise auch der in
Büros tätigen Menschen zu „Handlangern der Maschine“ – ist wahr-
scheinlich in den Schlachthöfen Chicagos zu suchen, wo erstmalig ab
1905 die Arbeit entlang einem „Fließband“ organisiert wurde. Eine
wissenschaftliche Legitimation für das Organisationsprinzip, Men-
schen und Maschinen wie ein Uhrwerk miteinander zu verzahnen,
wurde 1911 vom ehemaligen Stahlarbeiter aus Philadelphia und späte-
ren Hochschullehrer an der Harvard-Universität, Frederik Winslow
Taylor, mit seinem Werk „The Principles of Scientific Management“
geliefert. Er legte die Grundlagen für Arbeits- und Zeitstudien und
wurde zum Vorkämpfer für die strikte Trennung der betrieblichen
Arbeitsbereiche, Planung und Ausführung. Die von Taylor entwickel-
ten Methoden waren schließlich bahnbrechend für eine in den nächs-
ten Jahren und Jahrzehnten vorangetriebene Umgestaltung der indus-
triellen Fertigung. Richtungsweisend war dabei die noch junge Auto-
industrie, wo die „Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung“
als erstes umgesetzt wurden.
Die Bezeichnung „Taylorismus“ gilt heute als das Synonym für
eine Arbeitsorganisation, die den Menschen zum Anhängsel einer
nach ökonomisch-rationalen Kriterien organisierten industriellen Me-
„Postmodernisierung“ der Arbeitswelt 93
3 Vgl. ebda., S. 5
„Postmodernisierung“ der Arbeitswelt 97
4 Meißl, G.: Von der Modernisierung zur Postmodernisierung der Arbeitswelt. In:
Tálos, E,/Riedlsperger, A. (Hg.): Zeit-Gerecht. 100 Jahre katholische Sozialleh-
re. Steyr 1991, S. 146.
5 Ebda.
„Postmodernisierung“ der Arbeitswelt 99
7 Vgl. Rürup, B.: Die Zukunft der Arbeit. Sozioökonomische Konsequenzen des
technologischen Wandels. Referat in Wien (Sommer) 1988 (hekt.).
102 Die Arbeit hoch?
kurze Zeit jenen Gehör, die zu einem Ausstieg aus dieser Wirtschafts-
und Lebensweise aufforderten.
• Schließlich begannen sich die demotivierenden Arbeitsbedin-
gungen der nach traditioneller industriewirtschaftlicher Logik organi-
sierten tayloristischen Arbeitsorganisation, vor dem Hintergrund der
in den sechziger und siebziger Jahren relativ gut ausgebauten Macht
der Arbeitnehmervertretungen, zunehmend zu einer allgemeinen
„Motivationskrise der Arbeit“8 zu verdichten. Die durch gesetzliche
und kollektivvertragliche Regelungen verhältnismäßig gut abgesicher-
te Position der Arbeitnehmer begann immer stärker das traditionelle
Arbeitsanreizsystem des Taylorismus zu unterlaufen, womit dieses
einen Teil seine Regulationskraft verlor und damit aber auch gleich-
zeitig die Tatsache der unbefriedigenden Arbeitsbedingungen stärker
ins allgemeine Bewußtsein treten konnte. Ein interessantes Indiz stellt
in diesem Zusammenhang beispielsweise die Tatsache dar, daß in den
achtziger Jahren für die europäischen Arbeiter in einigen Fällen bei
Tarifverhandlungen eine weitere Reduzierung der Arbeitszeit sogar
Priorität gegenüber Lohnforderungen erhielt.9
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß, unter den heute
vorfindbaren ökonomisch-technischen Bedingungen, sich die taylo-
ristische Arbeitsorganisation einerseits aus verschiedenen Gründen
immer deutlicher als wirtschaftlich kontraproduktiv herausstellt, aber
andererseits, angesichts der zunehmend zur Verfügung stehenden
„neuen Technologien“, ihre Aufrechterhaltung auch gar nicht mehr
notwendig ist. Der massiv verschärfte internationale Konkurrenz-
kampf erzwingt immer mehr eine „variantenreiche Serienproduktion“
sowie ein rasches und flexibles Reagieren auf sich verändernde
Marktbedingungen – Vorgaben, die im Rahmen traditionell-
8 Müller-Jentsch/Stahlmann, a.a.O, S. 6.
9 Vgl. Womack, J.P./Jones, D.T./Roos, D.: „Die zweite Revolution in der Auto-
mobilindustrie“. Konsequenzen aus der weltweiten Studie des Massachusetts In-
stitute of Technology. Frankfurt a.M./New York 1991, S. 52.
104 Die Arbeit hoch?
teres Abnehmen von 20 bis 30 Prozent wird für die nächsten zehn Jahre prognos-
tiziert. In Österreich fand zum Beispiel noch 1970 jeder zweite Beschäftigte sei-
ne Arbeit in einem Industriebetrieb, 1993 ist es nur mehr jeder dritte. Und diese
Entwicklung setzt sich – wie in allen Industriestaaten – noch weiter fort. „Wirt-
schaftswoche“ 31/29. Juli 1993, S. 14.
15 Vgl. insbesonders Gorz, A.: Und jetzt wohin? Berlin 1991.
16 Auch eine Untersuchung der Wirtschaftsprofessoren Barry Bluestone und Ben-
nett Harrison brachte ein ähnliches Ergebnis: Fast die Hälfte – 44 Prozent – der
zwischen 1979 bis 1985 in den Vereinigten Staaten neu entstandenen Arbeits-
plätzen erbrachten eine Entlohnung an der Armutsgrenze. Damit hat sich die
Quote der neu entstandenen Niedriglohnarbeitsplätze gegenüber den sechziger
und siebziger Jahren mehr als verdoppelt. Zit. nach: Kami, M.J.: Zehn Prozent
besser als die Konkurrenz. Worauf es heute ankommt, Schlüsselstrategien für
den Wettbewerb. Frankfurt a.M./New York 1990, S. 23.
112 Die Arbeit hoch?
21 Dieser Mechanismus greift im übertragenen Sinn auch dann, wenn die angespro-
chenen persönlichen Dienste nicht auf einem „freien Markt“ gehandelt werden,
sondern – wie zum Beispiel verschiedene Tätigkeiten in der Altenbetreuung –
durch Länder, Gemeinden oder öffentliche Körperschaften organisiert werden.
Denn auch dann kann eine Bezahlung in der Höhe eines adäquaten Standards nur
erfolgen, wenn öffentlicher Konsens darüber herrscht, daß das über Steuern und
Abgaben erworbene öffentliche Budget entsprechend belastet werden soll. Heute
läßt sich jedoch eher der Trend beobachten, die Steuerbelastung der Gutverdie-
nenden – und damit den finanziellen Spielraum des Staates einschließlich aller
seinen Gliederungen – zu verringern.
„Postmodernisierung“ der Arbeitswelt 115
plätze dar, sondern muß als die unmittelbare Folge der Verarmung
eines größer werdenden Bevölkerungsanteils begriffen werden. Gorz
faßt die heutige Entwicklung folgendermaßen zusammen: „Die sozia-
le und ökonomische Ungleichheit zwischen denen, die persönliche
Dienste leisten, und denen, die sie kaufen, ist zur Triebkraft der Schaf-
fung von Arbeitsplätzen geworden. ![…] Die Schaffung von Arbeits-
plätzen hat nicht mehr die Funktion, auf der gesamtgesellschaftlichen
Skala Arbeitszeit zu sparen, sondern Arbeitszeit zu verschwenden;
[…] ihr Zweck ist es vielmehr, die Produktivität zu vermindern, um
die Verausgabung von Arbeit durch die Entwicklung eines Dienstleis-
tungssektors ohne soziale Nützlichkeit zu erhöhen.“22
Fasziniert von den gegenwärtigen Anzeichen eines Abgehens von
der tayloristischen Produktionsform verengt sich der Betrachtungsfo-
kus häufig auf das damit vorstellbar gewordene Ende der monotonen
und zerstückelten Industriearbeit sowie die Vision einer interessanten,
verantwortungsvollen und abwechslungsreichen Tätigkeit in der in-
dustriellen Produktion, wo statt auf reagierende Funktionen reduzierte
Arbeiter, nun selbständige und mündige Menschen gefordert sind, die
kommunikativ und lernfähig sind und eine Vielzahl manueller und
intellektueller Fähigkeiten beherrschen. Gerne wird in diesem Zu-
sammenhang die Perspektive von souveränen und autonomen Mitar-
beitern entwickelt, die sich ihre Tätigkeit im Team selbst organisieren
und – von „flachen Hierarchien“ kaum eingeengt – eigenverantwort-
lich die Optimierung der Produktion vorantreiben. Diese Entwick-
lung, die weiter vorne als der Einzug der „Dienstleistungslogik“ in
die industrielle Produktion charakterisiert wurde, stellt jedoch nur die
eine Hälfte jenes „Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft“ dar, an
dessen Schwelle sich die industrialisierten Länder heute befinden. Die
weitaus weniger glänzende zweite Hälfte dieser Perspektive besteht
darin, daß es – wenn den gegenwärtigen Trends nicht entgegengesteu-
der Behauptung, daß dem Tüchtigen die Welt gehöre und jeder seines
Glückes Schmied sei, verliert die in der traditionellen Wertehierarchie
der Arbeiterbewegung äußerst hoch besetzte „Solidarität“ heute rasch
an Wert 27, was sich nicht zuletzt an der minimalen Beachtung zeigt,
die – sogar von potentiell stark Betroffenen – den steigenden Arbeits-
losenraten oder der Tendenz eines immer deutlicher gespaltenen Ar-
beitsmarktes entgegengebracht wird.
3 Vgl. dazu beispielsweise: Karmasin, H.: Produkte als Botschaften: Was macht
Produkte einzigartig und unverwechselbar? Wien 1993.
4 In der Opel-Konzernzeitung „Top-Business“ (Report IV/Oktober 1992) heißt es
dazu: „… und wenn der Fremdwörter-Duden das englische Wort »Sponsor« mit
»Gönner, Förderer, Geldgeber« übersetzt, so hat er nur rein sprachlich recht. In
Wirklichkeit bekommt der Sponsor etwas zurück, profitiert vom Imagetransfer,
bei dem positive Attribute des Sports wie Dynamik und Jugendlichkeit auf Un-
ternehmen und Produkte übergehen sollen.“
5 So sorgt sich McDonalds neuerdings in Anzeigenserien um den tropischen Re-
genwald, die Firma Citroen hilft den Österreichern beim „Freikaufen“ des Hain-
burger Auwaldes, und Mercedes-Benz mahnt neben einem Weltraumfoto der
Erdkugel – in ganzseitigen Hochglanzanzeigen auf schwer giftigem Tiefdruck (!)
– zu ökologischer Vernunft: „Für diesen Stern gibt es kein Ersatzteil“.
6 Vgl. insbesonders Peters, Th. J./Waterman, R. H.: Auf der Suche nach Spitzen-
leistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann.
Landsberg am Lech 1982, S. 321-334.
122 Die Arbeit hoch?
11 ,Aus einem Bericht über ein Symposium des Wirtschaftsforums für Führungs-
kräfte (WdF) zum Thema „Holistic Management“, „Industrie“, 24. Juni 1992, S.
31.
12 Bleicher, K.: Paradigmenwechsel im Management? In: Königswieser/Lutz,
a.a.O., S. 125.
Die Unternehmensstrategien des Post-Taylorismus 125
übersetzt), wurde zwar erst in den achtziger Jahren von John Krafcik,
einem Mitarbeiter des Forschungsprojekts IMVP – „International
Motor Vehicle Program“ – am Massachusetts Institute of Technology
geprägt21, gibt aber den entscheidenden Hinweis auf die attraktive
Besonderheit dieser Betriebsorganisation: Sie benötigt weniger Per-
sonal, kleinere Produktionsflächen, geringere Investitionskosten, kür-
zere Produktionszeiten und geringere Lagerbestände.
Damit ist auch schon das grundsätzliche Ziel der lean production
umschrieben, die Steigerung der Produktivität durch ein besseres
Ausnützen der zur Verfügung stehenden Ressourcen an Menschen,
Maschinen und Raumkapazität.22 Die somit angestrebte Effizienzstei-
gerung der Produktion und der Versuch, billiger, schneller und besser
zu produzieren, ist allerdings immanentes Ziel jedweder Rationalisie-
rungsstrategie unter kapitalistischen Wirtschaftsbedingungen und
hätte demgemäß, für sich allein genommen, auch noch keine so
durchschlagende Neuigkeit dargestellt. Das tatsächlich Neue der lean
production ist jedoch der Versuch, dieses Ziel durch die konsequente
Umsetzung einer einfachen und eigentlich auch schon lange bekann-
ten lernpsychologischen Erkenntnis zu erreichen, nämlich der Tatsa-
che, daß zufriedene und intrinsisch motivierte Arbeiter nicht nur mehr
leisten als solche, die am Produktionsablauf desinteressiert sind, son-
dern daß sie außerdem auch noch bereit sind, an einer laufenden Op-
timierung des Produktionsablaufs mitzuarbeiten und damit – bei der
entsprechenden Verlagerung der Verantwortung – auch selbst aktiv
21 Ebda.
22 So werden in dem, nach Prinzipien der lean production organsierten, neuen
Opel-Autowerk in Eisenach/BRD 2.000 Beschäftigte jährlich rund 150.000 Au-
tos herstellen, in der vergleichbaren Fertigung des Werkes Bochum, ebenfalls
BRD, sind für die Fertigung der doppelten Anzahl von Fahrzeugen dagegen
7.000 Mitarbeiter notwendig. Der kulminierte Zeitaufwand für die Herstellung
eines Autos wird in Eisenach nur mehr weniger als 20 Stunden – in anderen eu-
ropäischen Werken dagegen bis zu 36 Stunden – betragen. „Top-Business“ Re-
port IV, Oktober 1992.
130 Die Arbeit hoch?
selbst zu erwirtschaften, nimmt für die Zulieferer ab, gleichzeitig bleibt ihr Un-
ternehmensrisiko jedoch vollständig erhalten.
132 Die Arbeit hoch?
24 Osthold, Paul: Der Kampf um die Seele unseres Arbeiters. Düsseldorf 1926. Hier
zitiert nach: Witt, K.: Froh zu sein bedarf es wenig …? In: Ar-
beit/Mensch/Maschine. Der Weg in die Industriegesellschaft. Katalog zur ober-
österreichischen Landesaustellung 1987. Linz 1987. S. 148.
25 Vgl.: Moser, J.: Arbeit adelt – die Pflicht ruft. In: Arbeit/Mensch/Maschine. Der
Weg in die Industriegesellschaft. Katalog zur oberösterreichischen Landesaustel-
lung 1987. Linz 1987. S.121
134 Die Arbeit hoch?
28 Arnold, K.: Betriebs- und Arbeitsführung in der Front der deutschen Arbeit,
Leipzig 1936, S. 4. Hier zitiert nach Moser, a.a.O., S. 120.
29 Die Forscher hatten sich zur Aufgabe gemacht, die Effekte von Variablen, wie
beispielsweise Entlohnungssystem, Pausenregelung, Beleuchtung, Temperatur,
Farben im Arbeitsraum und ähnliches, auf das Arbeitsverhalten zu untersuchen.
Dabei stellten sie fest, daß, weitgehend unabhängig von objektiv vorgenomme-
nen Veränderungen, schon allein durch ihre Anwesenheit und ihr bloßes Interes-
se für die (Tätigkeit der) Beschäftigten – also die den Arbeitern gezollte soziale
Aufmerksamkeit – die Arbeitsmotivation und Leistung der Arbeitenden gestei-
gert worden war.
Die Unternehmensstrategien des Post-Taylorismus 137
zeigte sich, daß die Produktivität von Arbeitsgruppen, die sich die von
ihnen durchzuführende Arbeit selbst einteilen und zu Ende führen
konnten, um etwa ein Drittel höher war als bei traditionellen Arbeits-
organisationsformen, wobei gleichzeitig auch die Arbeitszufriedenheit
der Betroffenen anstieg.33
Lagen den Forschungen auf dem Gebiet der Arbeitsmotivation und
-zufriedenheit ursprünglich auch ausschließlich ökonomische Motive
zugrunde, stellten ihre Erkenntnisse dennoch in den sechziger und
siebziger Jahren die Grundlage für die – von arbeitnehmernahen Krei-
sen getragene – politisch argumentierte Bewegung zur „Humanisie-
rung der Arbeitswelt“ dar. Ausgehend von den politischen Ansichten
im Umfeld der sogenannten Studentenbewegung und dem dabei stark
in den Vordergrund gerückten Ideal der „Selbstbestimmung“ gerieten
damals verstärkt die Machtverhältnisse in den Betrieben und der Ge-
sellschaft ins Blickfeld. Die Veränderung der Machtverteilung zwi-
schen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurde massiv eingefordert, eine
„Erweiterung der Handlungs- und Entscheidungsspielräume“ der Ar-
beitenden sowie „Mitbestimmung“ statt der durch die Fremdbe-
stimmtheit in der Arbeit gegebenen „Entfremdung“. Veränderungen
der Arbeitsorganisation wurden mit einem Mal unter ideologisch-
politischen Zielsetzungen gefordert – der Effekt, damit auch die Pro-
duktivität steigern zu können, wurde im Zusammenhang mit den da-
mals aufgestellten emanzipatorischen Forderungen kaum thematisiert.
Die Tatsache, daß heute tatsächlich von einem Trend im Hinblick
auf neue Strukturen betrieblicher Arbeitsorganisation und einer damit
verbundenen tendenzionellen Verlagerung von Entscheidungen über
den Arbeitsablauf an hierarchisch niedrigere betriebliche Organisati-
onsebenen gesprochen werden kann, hat allerdings gar nichts mit der
Durchsetzung von emanzipatorisch-politischen Zielen zu tun. Für die
heutigen im Managementansatz der lean production kulminierenden
33 Vgl.: Gottschall, D.: Lean production – schneller, besser, billiger? In: „Psycho-
logie heute“, 19 (1992), 10, S. 62.
Die Unternehmensstrategien des Post-Taylorismus 139
35 Zit nach Arp, P./Santner, Ch.: Die sanfte Tour – ganzheitliches Management. In:
ORF-Nachlese, 10/1991, S. 20.
36 Vgl.: Womack/Jones, a.a.O. S. 38.
Die Unternehmensstrategien des Post-Taylorismus 143
40 Bechtler, Th. W., a.a.O., S. 15, unter Hinweis auf: Peters, Th./Waterman, R.: In
Search of Excellence. Lessons from America’s Best-Run Companies, 1982.
41 Eine Bezeichnung, die von amerikanischen Gewerkschaftern häufig für lean-
production-Betriebsorganisationsmodelle verwendet wird.
Die Unternehmensstrategien des Post-Taylorismus 147
André Gorz1
1 Gorz, A.: Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsge-
sellschaft. Berlin 1989, S. 163.
152 Die Arbeit hoch?
3 Vgl. dazu insbesondere: Bremer, R.: Was Hänschen gelernt hat, muß Hans ver-
gessen. In: „Pädagogische Korrespondenz“, Heft 5 (1989), S. 5-17.
4 Beck, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt
a.M. 1986, S. 245.
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 155
5 Ebda., S. 239.
156 Die Arbeit hoch?
on. Zwar steigt die Grenzqualifikation für den Einstieg ins Erwerbsle-
ben immer weiter an6, aber es ist dennoch immer weniger die beson-
dere berufsspezifische Qualifikation, die für das Erreichen von an-
strebenswerten Positionen im Beschäftigungssystem notwendig ist,
sondern die permanente Weiterqualifizierungsbereitschaft. Damit ist
die zur Qualifikation verkürzte Bildung aber nicht nur der gesell-
schaftskritischen Potenz beraubt, die dem ursprünglichen Bildungs-
begriff innegewohnt hatte, sie hat damit schließlich auch die Mög-
lichkeit verloren, sich als gerechtes Kriterium für die gesellschaftliche
Positionsverteilung anzubieten. Es ist so, wie wenn sich vorerst ein-
zelne Zuschauer bei einem Fußballspiel auf die Zehenspitzen stellen,
um besser zu sehen. Die Folge wird sein, daß sich auch die Dahinter-
stehenden auf die Zehenspitzen stellen, dann die nächsten und immer
mehr …, bis schließlich alle Zuschauer auf den Zehenspitzen stehen
und nun zwar alle unbequemer stehen, aber dennoch bloß genau so
gut sehen wie am Anfang. Mit der Qualifikation ist es zunehmend
genauso: sie bringt zwar nichts, aber sie ist notwendig, um überhaupt
die Position halten zu können. In ihrer instrumentalisierten Qualifika-
tionsvariante paralysiert die Bildung in letzter Konsequenz damit
sogar ihren individuellen Vorteil.
Schule und Erstausbildung dienen dementsprechend – auch wenn
das die wenigsten Lehrer heute schon wahrnehmen wollen und
krampfhaft weiter an der Illusion vom Lernen für den „Lebensberuf“
6 Beck weist anhand der Tatsache, daß der Nur-Hauptschulabschluß unter einem
historischen Blickwinkel heute schon in die Nähe zum Analphabetentum gerückt
ist, auf den permanenten Anstieg der „Grenzqualifikation“ für den Einstieg ins
Erwerbsleben hin: „Im achtzehnten Jahrhundert war es noch »selbstverständ-
lich«, ohne Kenntnis des Alphabets seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.
Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts wird die Beherrschung des Lesens und
Schreibens mehr und mehr zur Einstiegsvoraussetzung in das expandierende in-
dustrielle Beschäftigungssystem. Im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts
reicht schließlich sogar der Hauptschulabschluß allein immer weniger hin, um
arbeitsmarktvermittelt die materielle Existenz zu sichern.“ Beck, a.a.O., S.
245/246.
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 157
8 Dieser Tatsache entspricht auch der Trend, daß Weiterbildung immer mehr auch
als Anreiz für überdurchschnittliche Leistungen eingesetzt wird. Zu Weiterbil-
dungsveranstaltungen entsandt zu werden, gewinnt zunehmend, neben gewinn-
beteiligenden Salarisierungssystemen und anderen Formen der Beteiligung an
der Wertsteigerung des Unternehmens, für Mitarbeiter in höheren Positionen die
Bedeutung einer Gratifikation.
9 In logischer Konsequenz zum Bisherigen zeichnet sich heute schon der Trend ab,
daß es in Zukunft nicht einmal mehr genügen wird, die Bereitschaft zur Weiter-
bildung zu bekunden, zunehmend wird die „selbstorganisierte Weiterbildung“
eingefordert werden. In derselben Form, wie Arbeitnehmer in modernen Unter-
nehmensorganisationskonzepten heute aufgefordert sind, permanent über Ratio-
nalisierungsmöglichkeiten und Optimierungsmöglichkeiten des Produktionsab-
laufes nachzudenken und die Verantwortung für die Konkurrenzfähigkeit der je-
weiligen Produkte an die unteren Hierarchieebenen delegiert werden, wird ihnen
zunehmend auch die Verantwortung für die rechtzeitige Adaptierung ihrer Quali-
fikation zugespielt. In Zukunft wird wahrscheinlich der Arbeitnehmer gefordert,
der sich der Weiterbildung nicht im Sinne einer Notwendigkeit unterwirft, son-
dern Weiterbildung sucht und sich, entsprechend der von ihm erkannten Mög-
lichkeiten einer besseren Selbstvermarktung, Weiterbildung selbst organisiert
und auch noch selbst bezahlt. So wie sich Handwerker früher ihr Werkzeug
selbst kaufen mußten, läßt sich heute die Entwicklung absehen, daß Kosten und
Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Verwendbarkeit des „Humankapi-
tals“ quasi den Trägern des Humankapitals selbst zugespielt wird. Die ideologi-
sche Legitimation dieser Entwicklung lautet dann, daß aus dem ehemals unfreien
Arbeitnehmer nun der sich selbst vermarktende selbständige Unternehmer wird.
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 161
ren, daß sich auf der Ebene der Schlüsselqualifikationen die Interes-
sen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern treffen und sich in der For-
derung nach einer entsprechend ausgerichteten beruflichen Bildung
der „Widerspruch von Kapital und Arbeit“ gleichsam auflöst. Geißler
und Orthey, die den Schlüsselqualifikationsbegriff ob seiner Sub-
stanzlosigkeit polemisch, (aber durchaus treffend) als einen „Such-
begriff der Modernisierung“17 bezeichnen, haben neben einer Reihe
anderer Autoren aufgezeigt, daß der Terminus trotz beziehungsweise
offenbar gerade wegen seiner Unverbindlichkeit besonders gut geeig-
net war, gleichermaßen zu einem (berufs-)pädagogischen und bil-
dungspolitischen Zentralbegriff aufzurücken. Durch eine Verbindung
„plausibler Bildhaftigkeit“ mit genügender Abstraktheit18 ist es mit
diesem Begriff gelungen, positive Erwartungen bezüglich arbeits-
marktpolitischer Probleme auszulösen und gleichzeitig eine Befreiung
aus der Not des Hinterherhetzens hinter den permanent und immer
rascher sich verändernden Arbeits- und Qualifikationsanforderungen
zu versprechen.
Mertens verfolgte mit seinem Konzept die Absicht, angesichts des
Prognosedefizits der Bildungsplanung Schlüsselqualifikationen quasi
als Prognoseersatz einzusetzen und damit das ungelöste Problem der
Anpassung von Bildungs- und Beschäftigungssystem in den Griff zu
bekommen. Es ging ihm – durchaus im Sinne einer „wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Verwertung von Bildung“19 – um die Anpas-
sungsfähigkeit an nicht Prognostizierbares. Der Schlüsselqualifikati-
onsbegriff kann damit als Antwort auf die etwa Mitte der siebziger
Jahre einsetzende „Sinnkrise“ der (instrumentalisierten) Bildung ge-
20 In den folgenden Jahren war dann unter dem Titel der „Herstellung von mehr
Chancengleicheit“ auch der „Aufstieg durch Bildung“ für Kinder sozial weniger
privilegierter Schichten propagiert worden. Mit Hilfe materieller Unterstützun-
gen – wie zum Beispiel kostenloser Fahrt zur Schule, „Schulbuchaktion“ oder
Abschaffung der Studiengebühren – und dem Ausbau eines flächendeckenden
Netzes an höheren Schulen wurde versucht, Benachteiligten den Weg zur höhe-
ren Bildung zu ebnen. Rückblickend muß heute die Vorstellung eines sozialen
Aufstiegs durch den Besuch weiterführender Bildungsgänge jedoch als weitge-
hend gescheitert bezeichnet werden. Zwar haben diese Maßnahmen zu einer ge-
nerellen Anhebung des Qualifikationsniveaus geführt und in Einzelfällen wohl
auch eine schichtuntypische höhere Bildungs- und Lebenskarriere begünstigt,
insgesamt wurde die Sozialstruktur der Gesellschaft sowie die Reproduktion der
sozialen Schichtung damit jedoch nur marginal verändert. Vgl. dazu: Leschinsky,
A.: Bildung, Ungleichheit und Markt. In: Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993) 1,
S. 19-23.
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 165
21 Brater, M.: Arbeit – Beruf – Persönlichkeit. In: Beiheft 4 zur „Zeitschrift für
Berufs- und Wirtschaftspädagogik“, Wiesbaden 1983, S. 38.
166 Die Arbeit hoch?
der, der arbeitet und konsumiert. Damit auch nur der, der sich – im
heutigen Warenverständnis von (Weiter-)Bildung – „bildet“, also
Qualifikation konsumiert. Durch dieses tendenzielle Gleichwerden
von Bildung und Konsum trifft auf Bildung aber immer mehr auch
eine andere grundsätzliche Tatsache des kapitalistischen Marktes zu:
das nie eingelöste Versprechen der Wunscherlösung. Der kapitalisti-
sche Markt lebt vom permanenten Versprechen des Glücks und der
Befriedigung, nicht jedoch von der Erfüllung dieser Versprechungen.
Auch für die zur „Ware Qualifikation“ reduzierte Bildung trifft dieser
Mechanismus immer selbstverständlicher zu. Sie verspricht Glück in
Form einer abgesicherten gesellschaftlichen Position, kann dieses
Versprechen jedoch immer weniger einlösen, je mehr Menschen an
das Glücksversprechen glauben und „Bildung“ in der Hoffnung auf
Aufstieg konsumieren.
Das zwar auch heute weitgehend nur formal eingelöste sowie über
eine Vielzahl gesellschaftlicher Mechanismen gebrochene und unter-
laufene Eingangsversprechen der Moderne, daß prinzipiell jedem jede
gesellschaftliche Position offensteht und die Bereitschaft zur Leis-
tungserbringung über die erreichbare gesellschaftliche Position ent-
scheiden soll, führt in Kombination mit der sich zunehmend heraus-
bildenden post-fordistischen, „gespaltenen Gesellschaft“ dazu, daß die
Bedeutung definierbarer, auf eine bestimmte berufliche Tätigkeit be-
zogener Kenntnisse und Fertigkeiten derzeit relativ abnimmt, dagegen
die Bereitschaft, sich dem Zwang zu unterwerfen, „besser als andere“
zu sein, zur Primärtugend wird, um am Arbeitsmarkt reüssieren zu
können. Im Gegensatz zum „Richtig“, das immanent eine Grenze
beinhaltet, kann „Besser“ jedoch immer noch besser werden; besser
ist nach oben offen, es ist durch nichts begrenzt. „Wer aufgehört hat,
besser zu sein, hat aufgehört, gut zu sein“25 ist dementsprechend nicht
bloß ein Slogan zur Steigerung der Arbeitsbereitschaft der sich selbst
26 Gebhardt, E.: Abschied von der Autorität. Die Manager der Postmoderne. Wies-
baden 1991, S. 38, 12 und 11, Hervorhebungen E.R. Der Autor, Dr. Eike Geb-
hard – Kultur- und Sozialwissenschafter der an verschiedenen Universitäten lehrt
– gibt an, mit seinem auf postmoderner Philosophie aufbauenden Buch „Einsich-
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 171
30 Ebda., S. 58.
174 Die Arbeit hoch?
35 Genau das ist auch gemeint, wenn Heydorn über die schlußendliche, subversive
Durchsetzung des emanzipatorischen Auftrags von Bildung scheibt: „Das dialek-
tische Verhältnis von Bildung und Herrschaft, der unaufgehobene Widerspruch,
wird erst mit der fortschreitenden Geschichte zu seiner vollen Vergegenwärti-
gung gebracht; erst mit ihr gewinnt das Handeln einen universellen Charakter.
Erst mit der entwickelten Instrumentalisierung von Bildung, ihrem konsequenten
Einbezug in das System der gesellschaftlichen Macht, ihrer institutionellen Reife
vermag sie auch ihren emanzipatorischen Auftrag wahrhaft zu erkennen und die
in ihm enthaltene Konsequenz zu ziehen; erst nachdem sie, mit wachsender Ent-
lastung der Produktivkräfte, zum notwendigen Bestandteil aller Herrschaft ge-
worden ist, vermag sie sich in Wahrheit gegen die Herrschaft zu richten. Hey-
dorn, a.a.O., S. 9.
178 Die Arbeit hoch?
36 Aus einer Aussendung des Zentralkomitee der Deutschen Katholiken; zit. nach
Geißler, K.A.: Berufliche Weiterbildung im Aufbruch. Vortragsmanuskript
(hekt.).
37 Wie schon im vorigen Kapitel dargestellt, wird zunehmend auch in den Unter-
nehmen erkannt, daß der ultimative Einsatz der Arbeitenden davon abhängig ist,
wieweit sie in ihrer Tätigkeit einen Sinn sehen, der über das bloße Geldverdienen
hinausgeht. Im Zuge der verstärkten psychischen Ausbeutung der Arbeitnehmer
rückt damit das elementare Bedürfnis des Menschen, seiner Existenz einen trans-
zendenten Sinn zu geben und sich damit über das Diesseits zu erheben, immer
mehr in den Fokus arbeitskräftemotivierender Maßnahmen. Die amerikanischen
Unternehmensberater Peters und Waterman stellen bei Forschungen zu der Fra-
ge, was ein Unternehmen „erfolgreich“ werden läßt, fest, daß eine in sich schlüs-
sige Firmenkultur und eine „überaus reiche Mythologie“ dem genuin menschli-
chen Streben nach „Transzendenz“ entgegenkommt. Denn, so folgern sie, „das
Streben nach Sinn ist so stark, daß die meisten Menschen für Institutionen, die
ihnen dies bieten, bereitwillig viel an persönlicher Freiheit aufgeben.“ Und die
Sicherheit, die eine sinnvermittelnde Firmenkultur den Menschen zu vermitteln
scheint, ist es auch, die es japanischen Firmen ermöglicht, „rücksichtslos zu re-
organisieren“ und Arbeitskräfte je nach Bedarf im Unternehmen zu rochieren.
„Firmenkultur“ als Lebenssinnsurrogat – ebenfall ein Aspekt des profitsichern-
den Zugriffs auf die „Herzen und Köpfe“ der Beschäftigten! Vgl.: Pe-
ters/Waterman,a.a.O.
38 Gebhardt, a.a.O., S. 37.
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 179
kurz greifen. Denn immanent geht ein solches Konzept von einer
Sichtweise aus, die den arbeitenden Menschen als Objekt und nicht
als Subjekt im Produktionsprozeß begreift. Es zielt auf Anpassung
und Zurichtung ab, auch dann, wenn Postulate mit einer hohen Affini-
tät zur traditionell-pädagogischen Vorstellung vom mündigen Sub-
jekt, wie „Selbstbestimmung“ und „Selbständigkeit“, zum Ziel der
Qualifikationsprozesse erklärt werden. Das finale Ziel eines arbeits-
funktionell ausgerichteten berufs-„pädagogischen“ Konzepts ist das
Funktionieren unter bestimmten – dem jeweiligen Stand der Produk-
tivkraftentwicklung und dem Konkurrenzdruck geschuldeten – struk-
turellen Bedingungen gesellschaftlich organisierter Arbeit. Dabei
kann es jedoch nie um die Befähigung gehen, die gegebene Berufs-
und Arbeitswelt, ihre Nutznießer und ihre Folgen zu durchschauen
und dazu kritisch Stellung beziehen können und sicher auch nicht
darum, die (zukünftigen) Beschäftigten in die Lage zu versetzen, die
Arbeitsweltstrukturen – auch grundsätzlich, unter dem Gesichtspunkt
eines Relativierens der Logik der kapitalistischen Ökonomie – im
Sinne ihrer eigenen Bedürfnisse und Interessen beeinflussen zu kön-
nen. Das selbstbestimmte, (beruflich) mündige Subjekt definiert sich
aber gerade über die Fähigkeit, auf der Basis reflektierten Wissens
über Ursachen, Zusammenhänge und Auswirkungen der Rahmenbe-
dingungen, unter denen Lohnarbeit stattfindet, in diese – unter Über-
windung einer verinnerlichten ökonomischen Logik – eingreifen zu
können.
Die autonome, selbstbestimmte Persönlichkeit zum Ziel einer
zweckorientierten Ausbildung zu deklarieren, stellt einen Wider-
spruch in sich dar. Wenn die sich selbst bestimmende Person Gegens-
tand von Strategie und Kalkulation einer auf das Funktionieren unter
den entfremdeten Arbeitsbedingungen ausgerichteten beruflichen
Ausbildung ist, geht es bloß noch um eine Verhaltenskategorie. 39
längst angedacht und didaktisch zum Teil verwirklicht ist, konstatiert auch Hui-
singa eine Reduktion des Schlüsselqualifikationskonzepts auf den Bereich der
Schulung des Sozialverhaltens. Die von Mertens angepeilte wissenschaftspropä-
deutische Bildung für alle – also eine kritische Auseinandersetzung mit den
strukturellen Gegebenheiten von Arbeit und Beruf, die die Selbstverwirklichung
des Menschen in den Mittelpunkt der Reflexion stellt – fand bisher in der realen
Umsetzung, wie Huisinga am Beispiel des vielbeachteten und mit öffentlichen
Mitteln geförderten Modellversuchs „PETRA“ (Projekt- und transferorientierte
Ausbildung) der Siemens AG (BRD) zeigt, nicht statt und wird auch in den di-
versen Ausführungen zum Schlüsselqualifikationskonzept kaum angesprochen.
Die Ursache dafür sieht Huisinga in der fehlenden bildungswissenschaftlichen
Positionierung des Schlüsselqualifikationskonzeptes, also darin, daß das Konzept
nicht durch pädagogische Zielsetzungen, sondern arbeitsmarktpolitische Überle-
gungen legitimiert ist. Ganz im Sinne der Ausrichtung am Verhaltensaspekt stellt
Huisinga auch fest, daß im Zusammenhang mit den Schlüsselqualifikationen die
Organisationsform der Ausbildung und die Ausbildungsmethoden deutlich im
Vordergrund der Überlegungen der meisten Rezensenten stehen. Huisinga, R.:
Schlüsselqualifikation und Exemplarik. In: Harney, K./Pätzold, G. (Hg.): Arbeit
und Ausbildung, Wissenschaft und Politik. Frankfurt a.M. 1990.
182 Die Arbeit hoch?
40 Geißler/Kutscha, a.a.O., S. 25, unter Verweis auf Habermas, J.: Der philosophi-
sche Diskurs der Moderne (Frankfurt a.M. 1985, S.367).
Schlüsselqualifikationen – Ideologiebegriff des Post-Fordismus 183
3 Aus- und vor allem Weiterbildung wird in diesem Zusammenhang heute zu einer
beruflichen Überlebensfrage für „ältere“ Arbeitnehmer. Denn schaffen sie die
laufend geforderten Qualifikationssprünge nicht, laufen sie Gefahr, früher oder
später „ersetzt“ zu werden. Die traditionelle Hemmschwelle gegenüber dem Ent-
lassen von langjährigen Mitarbeitern verliert zunehmend an Bedeutung. Immer
häufiger entscheidet außerdem der Rechenstift über die (Weiter-)Beschäftigung
von „älteren“ Arbeitnehmern. Von jüngeren Arbeitnehmern wird eben nicht nur
erwartet, daß sie „flexibler“ sind und sich besser an neue Technologien und Or-
ganisationsformen anpassen können, sie sind in der Regel auch „billiger“. Als
Folge solcher Überlegungen lag z.B. die Arbeitslosigkeit, der über 50jährigen in
Österreich im Jahr 1992 schon um fast drei Prozentpunkte über der durchschnitt-
lichen Arbeitlosenquote was wieder dazu führte, daß bereits 23 Prozent der öster-
reichischen Arbeitslosen über 50 Jahre alt sind. Vgl. „Wirtschaftswoche“ Nr. 45,
5. Nov. 1992, sowie „Der Standard“ 5. Feb. 1993.
4 In Westeuropa betrug 1992 die durchschnittliche Arbeitslosenrate 9,9%; für 1993
wurde damals von den Experten der OECD eine Steigerung auf durchschnittlich
10,4% prognostiziert (ÖGB-Nachrichtendienst Nr.: 2665, Oktober 1992). Tat-
sächlich lag dann bereits im April 1993 die (saisonbereinigte) Arbeitslosenrate in
der EG bei diesem Wert, in den OECD-Ländern insgesamt, waren zu diesem
Zeitpunkt schon 35 Millionen Menschen arbeitslos – Tendenz weiter steigend. In
besonders hohem Maß sind dabei Frauen und Jugendliche betroffen. Auch in Ös-
terreich ist die durchschnittliche Arbeitslosigkeit zwischen 1992 und 1993 um
etwa 1% gestiegen. (ÖGB-Nachrichtendienst Nr. 2695, Juni 1993, sowie „Der
Standard“ 8. Juni 1993).
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 191
5 Negt, a.a.O., S. 7.
192 Die Arbeit hoch?
sächlich mit dem Hinweis auf eine damit eventuell geschwächte Kon-
kurrenzfähigkeit der heimischen Wirtschaft wird vielfach gemeint,
daß „wir“ uns eine Arbeitszeitverkürzung nicht leisten können.8 Im
Lichte der Tatsache, daß damit den Tausenden Menschen, die sich
derzeit mit einer „Arbeitszeitverkürzung auf die Null-Stunden-
Woche“ abfinden müssen, nicht nur die Möglichkeit genommen wird
am gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben, sondern ihnen in einer
Gesellschaft, die sich weitgehend über Erwerbsarbeit definiert, damit
gleichzeitig auch ihr gesellschaftlicher Wert geraubt wird, kann diese
Argumentation nur als zynisch bezeichnet werden.
Die Tatsache, daß in unserer Gesellschaft Arbeit offensichtlich in
erster Linie nicht bloß als Bedingung der Möglichkeit für ein ange-
nehmes und erfülltes Leben – im Einklang mit Natur und Mitmen-
schen – für alle begriffen wird, sondern daß „Erwerbsarbeit als Abs-
traktum“ die primäre gesellschaftliche Schlüsselgröße darstellt, be-
wirkt eine Reihe weiterer (scheinbarer) Widersprüche. So herrscht
beispielsweise hierzulande eine Art von „hilfloser Einigkeit“ darüber,
daß es durchaus vertretbar sei, die Produktion von Kriegsmaterial
oder von offensichtlich sinnlosen oder schädlichen Gütern aufrecht-
zuerhalten, um auf diese Art „Arbeitsplätze zu erhalten“. Mit dem
Argument, daß solche Produktionen sonst eben in anderen Ländern
durchgeführt würden und es noch allemal besser sei, den heimischen
Ganz in diesem Sinn hat sich auch das Tempo der Arbeitszeitreduzierung in den
letzten Jahren deutlich verlangsamt. War im Zeitraum zwischen 1964 bis 1975
die Arbeitszeit in Österreich noch um durchschnittlich 1,36% pro Jahr zurückge-
gangen, verringerte sich das Verkürzungstempo zwischen 1975 bis 1986 auf
0,3% und ging bis 1992 schließlich auf durchschnittlich 0,14% pro Jahr zurück.
„Der Standard“, 10. 5. 1993.
8 Neuerdings taucht im Gegensatz dazu – von der Arbeitgeberseite in der BRD
und auch in Österreich – sogar die Forderung auf, die allgemeine Arbeitszeit
wieder zu verlängern, um die „Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft“
zu steigern. Auch wenn derzeit eher nicht zu erwarten ist, daß dieser Wunsch
umgesetzt wird, so kann als Effekt der Diskussion mit einer beschleunigten Ent-
wicklung in Richtung flexibler Arbeitszeiten gerechnet werden. Vgl.: „Der Stan-
dard“, 28., 29. und 31. Aug 1992.
194 Die Arbeit hoch?
9 Ein „Recht auf Arbeit“ wurde erstmals vom französischen Sozialisten Charles
Fourier 1808 gefordert, heute ist es – faktisch allerdings wirkungslos – in der
Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen (Art. 23, Abs. 1) und in der
Europäischen Sozialcharta verankert.
10 Der, im Gegensatz zu seinem Schwiegervater Karl Marx, eher unbekannt geblie-
bene Paul Lafargue schrieb in seinem Büchlein „Das Recht auf Faulheit“ in die-
sem Zusammenhang vor ca. 100 Jahren: „Eine seltsame Sucht beherrscht die Ar-
beiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 195
Arbeit, so wie wir sie heute kennen, ist eine Erfindung der Moder-
ne. In dieser spezifisch historischen Gestalt fällt sie „weder zusammen
mit den tagtäglichen Notwendigkeiten, dem für den Lebensunterhalt
und die Reproduktion eines jeden erforderlichen »Tagewerk«, noch
mit der Mühsal – so anstrengend sie auch sein mag –, die ein Indivi-
duum zur Erfüllung einer Aufgabe vollbringt, deren Nutznießer es
selbst oder seine Angehörigen sind, noch mit den Tätigkeiten, die wir,
ohne Zeit und Mühe zu zählen, aus eigenem Antrieb zu einem Zweck
unternehmen, der nur in unseren Augen Bedeutung hat und den nie-
mand anderes an unserer Stelle verwirklichen könnte.“11 Das definie-
rende Merkmal der Arbeit, die unserer Gesellschaft zur Bezeichnung
„Arbeitsgesellschaft“ verholfen hat, ist, daß sie eine Tätigkeit dar-
stellt, deren Wert ausschließlich über die Bedingungen eines Marktes
– des Arbeitsmarktes – geregelt wird. Zu jener Arbeit, die wir „ha-
ben“, „suchen“ oder „verlieren“ können zählen nur Tätigkeiten, die
von anderen nachgefragt, als verwertbar anerkannt und – genau des-
halb – auch vergütet werden.
Jene das Leben in unserer Gesellschaft so grundsätzlich bestim-
mende Arbeit hat nur einen marginalen Zusammenhang mit der „Ar-
beit als anthropologische Kategorie“, sie tritt historisch auch erst spät,
im Zusammenhang mit dem Manufakturkapitalismus, als abstrakte
betriebswirtschaftliche Vernutzung menschlicher Arbeitskraft in die
Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massen-
elend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Er-
schöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht.
Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Öko-
nomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde und beschränkte
Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und unwürdige
Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wiederum zu Ehren zu
bringen gesucht. Ich, der ich weder Christ noch Ökonom, noch Moralist zu sein
behaupte, ich appelliere von ihrem Spruch an den ihres Gottes, von den Vor-
schriften ihrer religiösen, ökonomischen oder freidenkerischen Moral an die
schauerlichen Konsequenzen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft.“ La-
fargue, P.: Das Recht auf Faulheit. Wien o.J.
11 Gorz 1989, a.a.O., S. 27.
196 Die Arbeit hoch?
12 Das gilt genauso heute für jene Reste der Subsistenzarbeit, die weiterhin not-
wendig sind, da sie (noch) nicht als Nebeneffekte der „Mehrwertproduktion“
auftreten; insbesondere ist dabei zu nennen: Hausarbeit und die Betreuung von
Kindern und alten Menschen.
13 Arendt, a.a.O., S.78/79.
14 Die Übersetzung des althochdeutschen Wortes arabeit[i]. Das Wort Arbeit zeigt
eine semantische Verwandtschaft sowohl mit dem lateinischen avrum, das auf
avra, den „gepflügten Acker“, verweist, als auch mit dem germanischen arba,
was soviel wie „Knecht“ bedeutet. Das französische Pendant zum Arbeitsbegriff,
travail, dürfte vom vulgär-lateinischen tripalare („pfählen“ oder „quälen“) ab-
stammen, das russische rabota von rab, was „Sklave“ heißt (vgl. Guggenberger,
a.a.O., S. 32).
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 197
geregelt sein, d.h. es sollte nicht mehr Gewinn erzielt werden als
durch die eigene, in das Werk investierte Mühe gerechtfertigt er-
schien, und zwar auch dann, wenn der Markt mehr hergegeben hät-
te.17
Ganz in diesem Sinne waren auch die handwerklichen Produkti-
onsmethoden ausdrücklich festgeschrieben und oft sogar unter Straf-
androhung gegen Veränderungsversuche abgesichert. Die vereinzelt
bis ins 19. Jahrhundert wirksamen Zunftgesetze verhinderten nicht
nur willkürliche Preisfestsetzungen oder ein wahlloses Anwachsen
des Warenangebots, sondern auch die Konkurrenz unter den Zunftge-
nossen. Neue Techniken oder Maschinen durften, wenn sie nicht allen
zur Verfügung standen, vielfach gar nicht eingesetzt werden. Streng
wurde darauf geachtet, daß keiner dem anderen seine Kunden abwarb
und nur in dem Umkreis Waren verkauft werden durften, in dem es
von der Zunft erlaubt war. Genauso bestimmten die Zünfte die Dauer
der Arbeitszeit und legten die Entlohnung der Gesellen und Taglöhner
fest, womit sie sie jedes Feilschen entzogen. Außerdem war die Anla-
ge von Gewinnen im Betrieb und somit dessen Vergrößerung nur
bedingt erlaubt.18
Insgesamt war das christliche – und damit das damalige abendlän-
dische – Arbeitsverständnis bis zur Reformation geprägt durch den
biblisch vermittelten Arbeitsfluch. Der Mensch, der die Gemeinschaft
mit Gott durch den Sündenfall gebrochen hat, kann „sein Brot nur im
Schweiße seines Angesichts“ essen. Das Streben um eine Wiederher-
stellung der Gottesgemeinschaft stand im Zentrum des mittelalterli-
chen Lebens, woraus sich eine logische Unterordnung der Arbeit un-
ter das Primat des geistlichen Lebens beziehungsweise der Frömmig-
19 Vgl.: Bernath, K.: Thomas von Aquin und der Verlust der Muße. In: Tewes
(Hg.): Nichts Besseres zu tun. Über Muße und Müßiggang. Oelde 1989, S. 67.
20 Zit. nach Hund, W.D.: Arbeit. In: Sandkühler (Hg.): Europäische Enzyklopädie
zu Philosophie und Wissenschaften, Bd, 1. Hamburg 1990, S. 171.
21 Vgl. Bernath, a.a.O. Der Autor begründet im erwähnten Artikel übrigens sehr
plausibel, warum er der Meinung ist, daß mit dem „philosophischen Kunstgriff“,
mit dem Thomas von Aquin erfolgreich die Existenzberechtigung seines Ordens
verteidigte, der Grundstein dafür gelegt war, daß das Leben der Betrachtung und
200 Die Arbeit hoch?
der Muße von nun an sukzessive an Terrain verlor und schließlich völlig unter-
liegen mußte.
22 Zit. nach Kühnel, H. (Hg.): Alltag im Spätmittelalter. Graz/Wien/Köln 1984, S.
189.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 201
wicklung Vorschub, von der auch die Skeptiker der recht pointierten
These Webers, daß der Calvinismus den Kapitalismus hervorgebracht
habe, annehmen, daß sie die Industrialisierung begünstigt hat. Für die
Annahme einer Schlüsselfunktion der calvinistischen Wirtschaftsethik
bei der Entwicklung des Kapitalismus spricht z.B. die Tatsache, daß
das puritanische England in der Industrialisierung dem katholischen
Frankreich und dem protestantischen Deutschland um fast ein Jahr-
hundert voraus war.24
Historisch sind wir unserer heutigen Vorstellung von Arbeit nun
schon sehr nahe. Der Manufakturkapitalismus, der sich im 18. Jahr-
hundert durchzusetzen begann, schuf schließlich endgültig die Grund-
lagen für unser heutiges System der Erwerbsarbeit. Das besondere
und historisch noch nie Dagewesene an der sich nunmehr entwickeln-
den Ausprägungsform von Arbeit ist, daß der Anlaß für das Ingang-
setzen von Arbeitsprozessen sich vom ursprünglichen Zweck – der
Herstellung von Gebrauchswerten – nun völlig löst. In allen vorher-
gehenden Gesellschaftsformationen der menschlichen Geschichte
traten uns Warenproduktion und Arbeit in ihrer konkreten, unmittel-
bar-sinnlichen Gestalt entgegen: als das Schaffen von Gebrauchswer-
ten bzw. von Eintauschmöglichkeiten für andere Gebrauchswerte. Im
Gegensatz dazu stellt das Schaffen von Mehrwert die primäre An-
triebskraft der modernen Warenproduktion dar, das heißt, es geht in
erster Linie darum, daß eine in die Ingangsetzung von Arbeitsprozes-
sen investierte Menge an Geld durch Arbeit anwachsen soll. Was und
wo jeweils produziert wird, hängt dementsprechend – insbesondere
seit Kapital problemlos in verschiedenste Länder transferiert werden
kann – ganz allein von der erzielbaren Rendite für eingesetztes Kapi-
tal ab.
Zwar bleibt die offensichtliche Tatsache bestehen, daß durch Ar-
beit Gebrauchswerte geschaffen werden dadurch, daß sich aber die
26 Allerding lag eine ursprüngliche, ganz wesentliche Potenz des auf der Basis von
Konkurrenz und permanentem Wachstum funktionierenden Kapitalismus in sei-
ner schier unerschöpflichen Kapazität bei der „Vernutzung lebendiger Arbeits-
kraft“. Heute scheint dieser wirtschaftliche Mechanismus – allerdings durch kein
gesellschaftliches Regulativ positiv gewendet und dementsprechend begleitet
von den letalen Auswirkungen wachsender Arbeitslosigkeit – zu dem Punkt ge-
führt zu haben, an dem sich diese Fähigkeit zunehmend umkehrt. Die dem Kon-
kurrenzkampf laufend geschuldeten technologischen Verbesserungen und Ratio-
nalisierungen bewirken zunehmend, daß sich das Verhältnis von notwendigen
Arbeitskräften zu Sachmitteln (Maschinen, Roboter, Steuerungssysteme u.dgl.)
immer stärker zuungunsten der menschlichen Arbeitskraft verschiebt. Unter den
gegebenen Begleitumständen bewirkt die Tatsache, daß mit immer weniger Ein-
satz an lebendiger Arbeit immer mehr produziert werden kann, eine relative
Entwertung der menschlichen Arbeitskraft. Außerdem erfordert der erhöhte
Aufwand an den – für eine rationelle Produktion – notwendigen Sachmitteln
immer höhere Vorauskosten an Geldkapital, weiters bewirkt schließlich das per-
manente Mehr an Produktion, bei einem geringeren Erfordernis an menschlicher
Arbeitskraft, immer höhere soziale und ökologische Folgekosten der Produktion.
27 Vgl. Kurz, a.a.O., S. 85.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 205
möglichst hohen Mehrwerts, vermittels und nicht zum Zweck der In-
gangsetzung von Produktionsprozessen in die Geschichte trat – be-
wirkte gleichzeitig eine neuerliche Unterjochung der Mehrheit unter
das Diktat der Arbeit. In den vorindustriellen Gesellschaftsformen
manifestierte sich Arbeit, aufgrund des relativ geringen Standes der
Produktivkraftentwicklung, als den Lebenshorizont der Mehrheit ganz
und gar ausfüllende Mühe und Plage. Im gleichen Maß, wie die Pro-
duktivkräfte durch Industrialisierung und Verwissenschaftlichung
jedoch Zwang und Bann dieser „ersten Natur“ sprengten, wurden sie
wiederum eingebannt in einen gesellschaftlichen Sekundärzwang. Die
spezifische gesellschaftliche Reproduktionsform der Ware wurde nun
zur „zweiten Natur“, deren Notwendigkeit den Individuen heute eben-
so unerbittlich fordernd gegenübersteht wie diejenige der „ersten Na-
tur“, obwohl sie rein gesellschaftlich entstanden ist.28
Da das Herstellen von Waren und das Erbringen von Dienstleis-
tungen unter den gegebenen Bedingungen der Güterproduktion nur
„immanente Nebeneffekte“ der Kapitalvermehrung sind, treten auch
die in den Arbeitsprozessen eingebundenen Menschen nicht primär
als Subjekte in Erscheinung, deren Lebensqualität im Mittelpunkt der
Gestaltung und Ausrichtung dieser Arbeitsprozesse steht – ihre Be-
deutung gewinnen sie ja einzig als Kalküle betriebswirtschaftlicher
Kosten-Nutzen-Rechnungen. Damit wirken auch die Möglichkeiten
einer Verringerung von Arbeitsaufwand durch die Entfaltung der Pro-
duktivkräfte nicht primär und auch nicht selbstverständlich im Sinne
einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation der Arbeitenden,
sondern bewirken von vornherein nur eine schnellere und bessere
Kapitalakkumulation. Dementsprechend bedurfte es auch eines müh-
seligen und opfervollen, mehr als ein Jahrhundert dauernden Kamp-
fes, um den Arbeitenden einen adäquaten Anteil an der Produktiv-
kraftentwicklung zu sichern.
32 Vgl. dazu insbesondere Richter, H.E.: „Immer mehr“ macht uns krank. In:
Copray (Hg.): Immer mehr? Die Verführung zur Sucht, München 1991, S. 62-
79.
33 Gegenwärtig lebt jeder fünfte Bewohner in der sogenannten „Dritten Welt“ unter
der von der Weltbank definierten absoluten Armutsgrenze von weniger als 370 $
im Jahr. Zwei Drittel davon müssen sogar mit dem Gegenwert von 275 $ Jah-
reseinkommen „durchkommen“ – was nichts anderes heißt, als daß sie perma-
nent am Rande des Hungertodes vegetieren („Der Standard“, 30. 10. 1990). Aber
auch in den USA kann man – entsprechend den Kriterien einer Ende 1991 fertig-
gestellten Studie amerikanischer und europäischer Wissenschafter – 18,1% der
Haushalte als arm bezeichnen („Metall“, Nr. 11/91). In den EG-Staaten sind, im
Sinne der Definition einer in Ausarbeitung befindlichen Sozial-Charta, immerhin
ebenfalls 44 Millionen Menschen – das sind 14% der Bevölkerung – als arm an-
zusehen (ORF-Nachrichten 6.12. 1991). Die Obdachlosigkeit ist 1990 in 28 US-
Großstädten um 24%, 1991 um weitere 13% gestiegen („Die Presse“, 18. 12.
1991). In London sind 20.000 Menschen auf einen Schlafplatz in einem Asyl an-
gewiesen – ihre Zahl ist damit gleich hoch wie am Anfang dieses Jahrhunderts.
In Paris stellen die Clochards bereits 1% der Bevölkerung („Kurier“, 19. 1.
1992).
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 209
wenngleich derzeit auch noch schwer abschätzbar ist, wie die Ent-
wicklung am Arbeitsmarkt unmittelbar weitergehen wird, welche
Substitutionseffekte sich beispielsweise zwischen den Wirtschaftssek-
toren ergeben werden und wie rasch neue technische Möglichkeiten
im Sinne weiterer Arbeitszeitreduzierungen wirksam werden können,
scheint es doch eine ausgemachte Sache zu sein, daß wir uns tenden-
ziell einem Zustand annähern, in dem die Menschheit das Joch der
Arbeit weitgehend wird abgeschüttelt haben und „die vita activa zum
unbedeutenden Restposten einer Moderne“34 werden wird. Daraus
ließe sich dann schließen, daß der bestimmende Charakter der (ent-
fremdeten) Arbeit in unserer Kultur tendenziell ebenfalls schon wie-
der im Schwinden begriffen sei.
Aber, wie Hannah Arendt schon 1958 schrieb, „dieser Schein
trügt. Die Neuzeit hat im siebzehnten Jahrhundert begonnen, theore-
tisch die Arbeit zu verherrlichen, und sie hat zu Beginn unseres Jahr-
hunderts damit geendet, die Gesellschaft im Ganzen in eine Arbeits-
gesellschaft zu verwandeln. Die Erfüllung des uralten Traums (vom
leichten, von Mühe und Arbeit befreiten Leben für alle, E.R.) trifft
wie die Erfüllung von Märchenwünschen auf eine Konstellation, in
der der erträumte Segen sich als Fluch auswirkt. Denn es ist ja eine
Arbeitsgesellschaft, die von den Fesseln der Arbeit befreit werden
soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die
höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen die Befreiung
sich lohnen würde. Innerhalb dieser Gesellschaft […] gibt es keine
Gruppe, keine Aristokratie politischer oder geistiger Art, die eine
Wiederholung der Vermögen des Menschen in die Wege leiten könn-
te.“ Und im Hinblick auf die Entwicklung der permanent steigenden
Produktivität, also der Tatsache, daß immer mehr Produkte unter Ein-
satz von immer weniger menschlicher Arbeitskraft geschaffen werden
34 Alheit, P.: Abschied von der Lohnarbeit? Bemerkungen zu einer Erweiterung des
Arbeitsbegriffs. In: Alheit/Körber/Rabe-Kleberg (Hg.): Abschied von der Lohn-
arbeit. Bremen 1990, S. 11.
212 Die Arbeit hoch?
können, meint sie schließlich: „Was uns bevorsteht, ist die Aussicht
auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die
einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhäng-
nisvoller sein?“35
In diesem Sinn verspricht, abgesehen davon, daß, trotz eines unbe-
streitbaren Rückgangs des Anteils der (Lohn-)Arbeit an der Gesamt-
lebenszeit in den industrialisierten Ländern, ein kritisches Hinterfra-
gen der Behauptung von der permanenten und „dramatischen“ Ar-
beitszeitverkürzung angebracht bleibt36, auch die bloße Reduzierung
38 Vgl. Heitger, M.: Bildung und moderne Gesellschaft. München 1963, S. 184.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 215
Sinn vorgehen, ist demgemäß auch gar keine Frage der Moral, son-
dern eine Folge der gesellschaftlichen Produktionsweise, in der jeder
Kapitaleigner bei Strafe des Untergangs gezwungen ist, nach steter
Kapitalverwertung zu drängen. Eine von Erwerbsarbeit befreite Zeit
der Gesellschaftsmitglieder wurde, im Hinblick auf das notwendige
Moment des ungezügelten Konsums in unserer Gesellschaft, damit
förmlich zu einem wirtschaftlichen Zwang; Freizeit fungiert heute in
diesem Sinn primär als ein „Motor der Konsumbedürfnisse“. Für gan-
ze Wirtschaftszweige stellt der „Zugriff auf die Freizeit“ der Indivi-
duen in der Zwischenzeit durchaus eine „wirtschaftliche Überlebens-
notwendigkeit“ dar.
Die Umformung des Menschen zum „homo consumens“, und da-
mit seine Totalindienstnahme für die Zwecke der Kapitalvermehrung,
hat mit der sukzessiven Durchsetzung des Fordismus und somit – für
Europa – nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Der amerikanische
Psychologe Philip Cushman beschreibt die damals eingeleitete Ent-
wicklung als eine systematische „Entleerung des Selbst“39, da dieser
Prozeß bei den Gesellschaftsmitgliedern, parallel zum Schaffen der
psychischen Voraussetzungen für die Anpassung an den Wachstums-
zwang unserer Wirtschaft, auch das jahrhundertelang gepflegte Ideal
eines autonomen Selbst endgültig zerstört hat. Denn verständlicher-
weise ist nicht der Mensch, der selbst-bewußt und mündig über die
Gestaltung und Ausgestaltung seines Lebens entscheidet, der „Ideal-
konsument“ einer auf permanentes Wachstum programmierten Wirt-
schaft, in der es ja darum geht, möglichst hemmungs- und kritiklos zu
konsumieren, sondern der – wie ihn Riesmann40 treffend bezeichnet –
„außengeleitete Mensch“, ein anpassungsfähiger und flexibler Typ,
39 Zit. nach: Ernst, H.: Leben statt Lifestyle. Psychologie Heute, 19 (1991), Heft 6,
S. 22.
40 Vgl. Riesmann 1973, a.a.O.
216 Die Arbeit hoch?
der sich problemlos in den Strom von Waren, Versuchung und Kon-
sum eingliedern läßt.41
Der „Ort der Kontrolle“ darf sozusagen – im Sinne eines problem-
losen Funktionierens unserer Wirtschaftsordnung – nicht mehr im
autonomen Selbst der Individuen liegen, sondern bei den vielen Ma-
nipulationsinstanzen der Konsumgesellschaft. Waren es früher über-
wiegend die Familie, die Religion bzw. ein durch das soziale Bezugs-
system vermitteltes Weltbild, wodurch den Menschen Leitbilder und
Orientierungen geboten wurden, so wurde diese Funktion seit einigen
Jahrzehnten auch immer mehr von der Werbung und den Massenme-
dien übernommen. Heute kann man durchaus sagen, daß primär Wer-
be- und Marketingexperten die gängigen Normen für sozial korrektes
Verhalten, guten Geschmack sowie die Kriterien für Befriedigung und
Glück vorgeben. Die Folge ist eine unverkennbare Tendenz zur zu-
nehmenden „Standardisierung“ und „Uniformierung des Bewußt-
seins“ der Gesellschaftsmitglieder. Diejenigen, die es sich leisten
können, versuchen das, was gerade „in“ ist, an Lebensstil, Kleidung,
Verhaltensweisen und neuerdings immer häufiger auch Aussehen 42,
möglichst perfekt zu kopieren – der selbstbewußte Mensch, der sich
zu seinem einmaligen und unverwechselbaren Wesen bekennt, scheint
damit endgültig passé zu sein.
41 Vgl. auch Schelsky, H,: Einführung in Riesmann, D.: Die einsame Masse. Eine
Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters. Hamburg 1958,
S. 14.
42 So werden z.B. in der BRD bereits 180 Millionen Mark pro Jahr für „Schön-
heits“-operationen ausgegeben. Der SPIEGEL kommentiert diese Zahlen mit der
Bemerkung, daß damit etwas, was noch vor wenigen Jahren ein Minderheiten-
programm für reiche Witwen, alternde Playboys und Popstars war, heute bereits
ein Massenphänomen darstellt: das Korrigieren des Körpers, dem jeweiligen
Schönheitsideal entsprechend, sowie das Rückgängigmachen von altersbedingten
Körperveränderungen (den Spuren des Lebens!), um möglichst lange einem im
wesentlichen über die Medien vermittelten Bild des „Normalaussehens“ zu ent-
sprechen. „Der Spiegel“, 46 (1992), Heft 32, S. 108-119.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 217
43 Nicht zufällig findet sich die Drogenmetapher immer öfter auch in der Werbung:
„Wenn ich nur aufhören könnt’ …“ – geworben wird mit dem Anspruch, süchtig
zu machen, nur der Tonfall und die soziale Realität unterscheidet Junkies von
(angeblichen) Genießern von Keksen.
44 Richter a.a.O., S. 62.
218 Die Arbeit hoch?
49 Analysiert man die Symbole, mit denen Werbung arbeitet, läßt sich deutlich das
immanent mittransportierte Lebensversprechen erkennen. Man muß sicher kein
Psychoanalytiker sein, um z.B. im Einsatz der enthüllten weiblichen Brust ein
typisches „Lebenssymbol“ zu erkennen. Peter Sloterdijk meint zur Vermarktung
der Frauenbrust in der Werbung: „In der Warenwelt scheint nichts mehr ohne sie
zu gehen. Jeder spekuliert zynisch auf den Suchtreflex des anderen. Bei allem,
was nach Leben aussehen und Wünsche wecken soll, sind sie dabei, als Univer-
salornament des Kapitalismus. Alles was tot, überflüssig, entfremdet ist, macht
mit lachenden Formen auf sich aufmerksam. … Reklame und Pornographie sind
Sonderfälle des modernen Zynismus, der weiß, daß die Macht den Weg über die
Wunschbilder gehen muß und daß man die Träume und Süchte der anderen
zugleich reizen und frustrieren kann, um die eigenen Interessen durchzusetzen.“
Sloterdijk, P.: Kritik der zynischen Vernunft. Frankfurt a.M. 1983, S. 280/181.
222 Die Arbeit hoch?
50 Opaschowski, Horst W.: Konsum 2000 – Szenarien über die Zukunft von Kon-
sum und Freizeit. In: Rosenberger (Hg.): Konsum 2000. Veränderungen im
Verbraucheralltag. Frankfurt a.M./New York 1992, S. 217.
51 Ebda.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 223
Das Zeitbudget wird ähnlich kostbar wie das Geldbudget; Zeit ist
nun Leben und nicht mehr bloß Geld. Der deutsche Konsumforscher
Scherhorn berichtet, daß vor allem junge Menschen oft stolz darauf
sind, möglichst viel an „Frei“zeitaktivitäten „unterzubringen“ – Ge-
selligkeit, Konsum, sportliche Aktivitäten, alles in rascher Folge oder,
noch besser, gleichzeitig. Die Zeit stellt nicht unbedingt ein objektives
Hindernis dar, mit der begrenzten Zeit, die jedem zur Verfügung
steht, lassen sich immer noch mehr und teurere Konsumgüter kombi-
nieren – allerdings muß das Konsumieren selbst dabei immer flüchti-
ger werden.54 Je mehr an Waren und Dienstleistungen wir konsumie-
ren können und aufgrund des suggerierten „Lebensversprechens“
auch zu konsumieren bereit sind, desto weniger kommen wir zur Ru-
he. Wir werden zu Konsumenten der Zeit und verlieren damit, auch in
der (trotzdem noch so genannten) Freizeit, de facto immer mehr die
Verfügungsgewalt über die Zeit. Selbstverständlich passen auch fixe
oder überhaupt Ladenschlußzeiten zunehmend nicht mehr in das neue
Zeit-(und Konsum-)verständnis. Jeder will und soll jederzeit kaufen
können. In den noch „fortgeschritteneren“ Arbeits- Konsum-
Gesellschaften, wie zum Beispiel den USA oder Japan, ist es längst
verwirklicht: Wer Geld hat, kann immer einkaufen, 24 Stunden am
Tag und 365 Tage im Jahr.
Das ökonomisch-rationale Organisationsmuster der Industriege-
sellschaft zeigt sich allgegenwärtig. Ob Arbeits- oder Freizeit, alles
muß sich letztendlich dem Ziel der Gewinnproduktion durch perma-
nentes Wachstum, durch regionale, mengenmäßige oder strukturelle
Ausweitung unterordnen. Das „Immer-Mehr“ ist schon so tief in unse-
re Köpfe implantiert, daß es kaum noch kritische Stimmen dagegen
gibt. Auch die sukzessive Entgrenzung der arbeitsfreien Zeit und die
um sich greifende – endgültige – Ausrichtung der Arbeitszeit am wirt-
54 Vgl.: „Nur noch beim Kaufen fühlen sich die Menschen frei“. Ein Gespräch mit
dem Konsumforscher Professor Gerhard Scherhorn. In: „Psychologie heute“ 20
(1993) 1, S. 22-26.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 227
schaftlichen Bedarf stößt nur auf wenig Widerstand. Selten, und fast
nur von Vertretern von Religionsgemeinschaften, wird eine un-
verzweckte, der Be-sinn-ung gewidmete und auch entsprechend „ge-
schützte“ Zeit eingefordert. Ulrich Wilckens, Bischof von Holstein
und Lübeck, ist ein solcher verbliebener Mahner. Er formuliert: „Es
gehört seit jeher zur Lebensqualität einer Gesellschaft, daß es regel-
mäßige Zeiten der Besinnung auf die Tiefenschichten des Lebens, auf
Sinnzusammenhänge und grundlegende Werte und Normen gibt; Zei-
ten, in denen dies gemeinsam symbolisch erfahren werden kann.“ 55
Freizeit in der Form, wie sie uns heute überwiegend gegenübertritt
und so wie sie unter den Bedingungen der abstrakten Vernutzung
menschlicher Arbeitskraft zum Zweck der Mehrwertproduktion er-
möglicht wird, kann allerdings kaum (mehr) als eine solche Zeit der
Besinnung bezeichnet werden.
Die sich fast ausschließlich im Konsum artikulierende Freizeit
stellt sozusagen den anderen Pol der entfremdeten Arbeitsbedingun-
gen der modernen Industriegesellschaft dar, und die skizzierten Er-
scheinungsformen von Freizeit lassen sich insgesamt ebenfalls nur mit
dem Begriff der Entfremdung zusammenfassen. Für den derart unter
zweifach entfremdeten Bedingungen existierenden Menschen, kann
die Folge nur die totale Entfremdung der Person von sich selber sein.
Somit läßt der vorgenommene flüchtige Blick auf die beiden Gesich-
ter der Arbeits- Konsum-Gesellschaft wenig Chance, sich der radika-
len Diagnose zu entziehen, mit der Leo Kofler die Situation des Men-
schen in unserer Gesellschaft charakterisiert: „Der Mensch lebt heute
in der tiefsten Entfremdung, das heißt in der Entgeistigung, der Ent-
emotionalisierung […] [es] fehlt ihm die Fähigkeit, seine vielfältigen
Kräfte und schöpferischen Tendenzen zu gebrauchen. Der Mensch ist
55 Zit. nach Lenz, W.: „Arbeit und Bildung“ in ihrer historischen Entwicklung.
Manuskript, Graz 1988, S. 50.
228 Die Arbeit hoch?
56 Kofler, L.: Mit einer Zehe im echten Reich der Freiheit stehen. In: Ernst (Hg.):
Die Seele und die Politik. Psychologie heute Sonderband. Weinheim/Basel 1983,
S. 47.
57 Fromm, E: Wege aus einer kranken Gesellschaft. Eine sozialpsychologische
Untersuchung. München 1991, S. 99.
58 Ebda., S. 107.
Entfremdung in der Arbeits- Freizeit-Gesellschaft 229
59 Marx, K.: Die Frühschriften. Hg. von Friedrich Landshut. Stuttgart 1971, S. 361.
230 Die Arbeit hoch?
60 Vgl.: Kofler, L.: Der proletarische Bürger. Marxistischer oder ethischer Sozia-
lismus. Wien 1964, S. 58.
61 Vgl.: Kant, I.: Was ist Aufklärung? (1784). In: Kant: Werke, hg. von Cassirer,
E., Bd. IV. Berlin 1921-1923, S. 169.
7. MUSSE – DIE VERGESSENE CHANCE
lust und Genuß entfernt war als heute! Die These lautet: Nicht ein
unersättlicher Hedonismus macht uns zu Sklaven des „Immer-Mehr“,
sondern die zunehmende Entfremdung von unseren vitalen Lebensbe-
dürfnissen, die Disziplinierung unserer Sinne im Dienste einer immer
höheren Entwicklung der Arbeit und der Produktivität.
So wie Marx die Arbeiterklasse seiner Zeit als Menschen be-
schrieb, denen es „an Bedürfnissen fehlt“, kann heute generell davon
gesprochen werden, daß die Menschen unserer Gesellschaft keine
Bedürfnisse außer den zugewiesenen und somit erlaubten mehr ken-
nen. Unser Begehren ist weitgehend gegängelt von jenen Wünschen,
die uns die Werbung suggeriert, und zu wissen, was er wirklich be-
darf, kann heute wahrscheinlich kaum jemand von sich behaupten.
„Wir sind Genarrte des Reichtums, des Überflusses, Genarrte der
Möglichkeiten von Angeboten, nicht aber Genießer der Wirklichkeit,
auch da nicht, wo wir sie zu konsumieren vermögen. Wir leiden dar-
unter, daß Konsum uns zwar überleben, aber nicht leben, nicht das
Leben genießen läßt.“1 Die Entfremdung des Menschen der Industrie-
gesellschaften bedeutet eben auch die Entfremdung von seinen Be-
dürfnissen und Interessen. Wir stehen heute vor der Situation, daß
„die Bedürfnisse zugleich das Zentrum der Beherrschung der Indivi-
duen und Ausdruck des eigenen Willens sind […]. Bedürfnisse sind
der Ort der Unterworfenheit und der einwilligenden – d.h. nicht not-
wendigerweise bewußten – Unterwerfung unter Herrschaft.“2 Eine
Kritik an der heutigen Gängelung der Bedürfnisse sowie der ins u-
nermeßliche hochgeputschten Bedürfniseskalation bedeutet demge-
mäß nicht ein Votum für die Bedürfnislosigkeit. „Vielmehr läßt die
Ambivalenz der Bedürfnisse beides fordern, die Entfaltung von Be-
dürfnissen und die konsequente Verweigerung ihnen gegenüber. Be-
1 Pfaff, K.: Muße – eine Reise zu den Quellen der eigenen Kraft. In: Tewes, a.a.O.,
S. 36.
2 Gronemeyer, M.: Die Macht der Bedürfnisse. Reflexion über ein Phantom. Rein-
bek bei Hamburg 1988, S. 22/23.
234 Die Arbeit hoch?
3 Ebda. S. 25.
4 Ebda. S. 26.
5 Vgl: Wolf, A.: Die große Müdigkeit. In: „Psychologie heute“ 19 (1992) 4, S. 20-
23, sowie: Buchacher, R., Gergely, S.M., Kremsmayer, U.: „I bin aa so hin“. In:
„profil“, Nr. 16/13. April 1992, S. 72-75.
Muße – die vergessene Chance 235
8 Ganz in diesem Sinn läßt sich neuerdings auch ein Trend zur Abkehr von einem
allzu vordergründig zur Schau gestellten Luxus erkennen. Was zum Beispiel die
letzten Jahre als modern galt, das prestigeträchtige Firmenetikett möglichst groß
und deutlich außen an der Kleidung zu tragen, signalisiert nun zunehmend Sno-
bismus; „man“ zeigt heute Gediegenheit erst auf den zweiten Blick. Die Desig-
ner haben schon auf die Zeichen der Zeit reagiert. So werden besonders teure Hi-
Fi-Geräte neuerdings vielfach ohne optisch aufwendigen Schnickschnack ange-
boten, und für die schlichte Eleganz der exclusiven „No-names“-Moden sind
entsprechend situierte Kunden heute bereit, horrende Beträge zu bezahlen.
9 Weber, a.a.O., S. 42.
10 Ebda. S. 59.
238 Die Arbeit hoch?
gangen, daß das bestehende Modell von Arbeit und Konsum auf der
subjektiven Ebene in Ordnung und dem einzelnen tatsächlich ein
Mehr an Befriedigung, Glück und Zufriedenheit zu verschaffen im-
stande sei. Selbst in den Anklagen über die Zerstörung der Umwelt
und der Ausbeutung der Menschen in den armen Regionen der Welt
schwingt noch die Botschaft mit: Es geht uns gut – nur eben leider auf
Kosten anderer sowie einer unverantwortlichen Zerstörung der Um-
welt.
Eine tatsächliche Chance, die wahrlich in jeder Hinsicht zerstöreri-
sche Tretmühle des „Immer-Mehr“ zu überwinden, kann nach dem
vorher Gesagten allerdings nur im Durchschauen der grundsätzlichen
Täuschung liegen, daß dieses gesellschaftliche Metaziel, das die un-
mittelbare Folge einer auf abstrakte Mehrwertproduktion ausgerichte-
ten Wirtschaftsordnung darstellt, tatsächlich die subjektive Befriedi-
gung und das Glück der Individuen erhöht. Ein politischer Slogan der
letzten Jahre, in dem der für das im „Geist des Kapitalismus“ gefan-
gene Denken der Menschen in den Industrieländern prägende Ansatz
recht klar zum Ausdruck kam, lautete: „Es ist uns noch nie so gut
gegangen wie heute“. Ganz typisch wird bei dieser Aussage mit einer
immanenten Gleichsetzung von Warenvielfalt, materiellem
Wohlstand und individuellem Glück operiert. Es spricht allerdings
auch für sich, daß jene Menschen, denen es angeblich so gut wie nie
zuvor geht, durch Plakataktionen auf diesen Zustand erst aufmerksam
gemacht werden müssen. Ein wenig klingt das so, wie wenn Kinder
im finsteren Keller durch möglichst lautes Pfeifen und Singen ihre
Angst unbemerkbar machen wollen. Sind jene, denen da via Plakat
mitgeteilt wird, daß es ihnen gut geht (oder gefälligst gut zu gehen
hat!), vielleicht gar nicht so zufrieden? Sind vielleicht – ganz im Ge-
gensatz zur Plakatbotschaft – die grauen, mürrischen Gesichter, die
sich tagtäglich bei den Konsumenten in den diversen Einkaufspalästen
beobachten lassen, der tatsächliche Indikator für den Gemütszustand
der Menschen in der heutigen Welt des „Shopping macht happy“?
240 Die Arbeit hoch?
herauszuholen, was schon längst nicht mehr drin ist. Die Seminare für
Entspannungstechniken, Übungen zum positiven Denken oder zum
Erlernen effektiverer Methoden des Ausnützens der körpereigenen
Energiequellen sind symptomatisch für eine gesellschaftliche und
ökonomische Ordnung, die in jeder Hinsicht an die Grenzen ihrer
Ressourcen stößt.
Auch nicht eine „verzweckte“ Entspannung, im Sinne eines hekti-
schen Atemholens für die nächste Runde in der aus sich selbst nie-
mals zu einem Ende findenden Spirale der Mehrwertproduktion, wird
die Menschen aus der Tretmühle des „Immer-Mehr“ befreien. In letz-
ter Konsequenz wird kein Weg vorbeiführen an der Konfrontation mit
jenem Erschrecken, das sich bei einem tatsächlichen Heraustreten aus
der Vereinnahmung durch Arbeit und Konsum einstellt. In diesem
Augenblick bricht nämlich die Illusion der „machbaren“ Welt und des
„machbaren“ Lebens wie ein Kartenhaus zusammen, und der Mensch
ist konfrontiert mit jenem unbeeinflußbaren, unerbittlich bestimmen-
den Element der Existenz, das die Arbeits- Konsum-Gesellschaft sys-
tematisch verdrängt – mit dem Tod. Vieles deutet darauf hin, daß das,
was es den Individuen unseres Kulturraumes verunmöglicht, anstatt
sich mit den konsumierbaren Lebenssurrogaten zufriedenzugeben sich
tatsächlich zu ihren vitalen Bedürfnissen – zu Leben und Lebendig-
keit in seiner ursprünglichen Form – zu bekennen, in einem engen
Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Verdrängung der Endlich-
keit der (materiellen) Existenz des menschlichen Lebens zu sehen ist.
Unübersehbar ist, daß, parallel mit dem immer stärkeren Durch-
dringen aller Lebensbereiche durch das „Immer-Mehr“-Prinzip der
auf Wachstum programmierten modernen Gesellschaften, eine suk-
zessive Tabuisierung von Tod und eine Ausgrenzung des Sterbens aus
dem gesellschaftlichen Alltag Platz gegriffen hat. Alle antiken Kultu-
ren waren durchzogen von der Anerkennung des Todes als einem
integralen Bestandteil des Lebens, und auch für unsere „westliche“
Zivilisation läßt sich zumindest bis zum Beginn der Neuzeit ein star-
242 Die Arbeit hoch?
ker Einfluß des Themas Tod auf Alltag, Religion, Riten, Mythologie,
Kunst und Philosophie nachweisen.13 Die dann zunehmend total wer-
dende Entfremdung – wie beschrieben, zuerst in der Arbeit und dann
immer stärker auch in der von Erwerbsarbeit freien Zeit – artikulierte
sich auch in einer immer tieferen Entfremdung von den biologischen
Grundaspekten des Daseins. Dieser Prozeß hat sich am dramatischs-
ten auf die Grundtriade des Lebens – Geburt, Sexualität und Tod –
ausgewirkt. Die derzeit stattfindende hemmungslose Vermarktung der
sichtbar körperlichen Anteile der Sexualität sowie auch die Allge-
genwart des Todes in Form von Krieg, Mord und Gewalt in den Me-
dien sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Bereiche dem
heutigen Menschen als unmittelbare Zugangs- und Erkenntnisfelder
für eine Begegnung mit dem „Geschmack des Lebens“ weitgehend
verschlossen sind. In der Tat unterliegt in unserer Gesellschaft ja nicht
das Töten einem Tabu, sondern der Tod einschließlich seiner Antipo-
den, den Äußerungen der vitalen Lebendigkeit. „Die Lust am Leben
unterliegt schärferen Zensuren als die Lust an der Gewalt, an der Fol-
ter und am Töten.“14 Sowohl Lebenslust als auch Todesangst, beides
bestimmende Elemente einer „vollständigen“ menschlichen Existenz,
sind den Individuen der „zivilisierten Welt“ weitgehend entfremdet.
Noch im neunzehnten Jahrhundert übte das Sterben eines einzel-
nen Menschen einen tiefgreifenden Einfluß auf das soziale Leben der
Menschen einer Wohngemeinde, wie zum Beispiel eines Dorfes oder
Stadtviertels, aus. Der Tod war etwas Soziales und Öffentliches und
veränderte auf feierliche Weise das Leben einer großen Gruppe von
Menschen. Im Gegensatz zu heute, wo der Tod eines Menschen selbst
13 Mit der Verdrängung des Todes als integralen Bestandteils des Lebens aus dem
Bewußtsein der Menschen korreliert auch die zunehmende Verdrängung der Be-
gräbnisstätten aus den Zentren an die Peripherien der Städte, sowie die Tatsache,
daß heute kaum mehr jemand zu Hause, „im Kreise seiner Verwandten“, stirbt,
sondern das Sterben üblicherweise, klinisch „unterstützt“ im Spital stattfindet.
14 Negt, O.; Kluge, A.: Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unter-
scheidungsvermögen. Frankfurt a.M. 1992, S. 166.
Muße – die vergessene Chance 243
16 Ebda, S. 719. Aries weist übrigens darauf hin, daß die Kirche, mit ihrer Reaktion
auf die beschriebene Tatsache, den Begriff der „Letzten Ölung“ durch das „Sak-
rament des Kranken“ zu ersetzen, viel weitergegangen ist, als daran zu erinnern,
daß man bei vollem Bewußtsein zu sein hat, wenn man die Letzte Ölung erhält.
Das Sakrament wurde vom Tode abgetrennt und dient nun nicht mehr einer di-
rekten Vorbereitung auf ihn. – Ein Beitrag dazu, sich auch weniger mit dem na-
henden Tod auseinanderzusetzen.
Muße – die vergessene Chance 245
lich normal, daß sensible und vernünftige Männer und Frauen sich
durch ein gehöriges Maß von Willen und Charakterstärke während
der Trauerzeit völlig in der Gewalt behalten.“17 Die öffentliche Zur-
schaustellung der Trauer gilt als peinlich, das Bestehen auf einer
Trauerzeit und einer entsprechend geringeren Belastbarkeit als unge-
bührliche Einschränkung der gesellschaftlichen und beruflichen Ab-
läufe. Die Gesellschaft weigert sich, durch die emotionale Betroffen-
heit von Leidtragenden beeinflußt zu werden, wer Trauer öffentlich
und über eine kurze, gerade noch tolerierbare Zeit hinweg zeigt, pro-
voziert mit seinem Verhalten den Verdacht der psychischen Minder-
belastbarkeit. Im völligem Gegensatz zu den einhelligen Befunden der
Psychologie über die psychische Problematik der Verdrängung von
Trauer und Schmerz18 gelten öffentliche Tränen als Nervenkrise und
Charakterschwäche und werden bestenfalls noch alten Frauen zuge-
standen. Tod und Trauer sind heute schambesetzt und ähnlich tabui-
siert wie Liebe und Lust.
Die gesellschaftliche Tabuisierung des Todes und die entfremdeten
Bedingungen des Lebens in unserem Kulturraum sind bloß zwei Sei-
ten desselben Phänomens. Denn „das Leben ist nicht ohne den Tod zu
haben. Lebendigsein kann man nicht ohne die Wahrnehmung von
Gefährdung und Tod. Jeder Versuch, durch Verdrängung von Angst
und Gefahr eine künstliche Lebendigkeit zu erzeugen, bringt eine
psychische »Totenstarre« bei lebendigem Leibe mit sich und macht es
dem derart »lebendigen« Menschen unmöglich, sich für das Leben
und das seiner Nachkommen einzusetzen.“19 Auch in der Antike war
bekannt, daß für den, der nicht zu sterben weiß, das Leben ohnehin
17 Gorer, G.: Death, Grief and Mourning in Contemporary Britain. New York/
Doubleday, 1965. Hier zit. nach. Aries, a.a.O., S. 742.
18 Vgl. dazu insbesondere: Mitscherlich, A. und M.: Die Unfähigkeit zu trauern.
München 196712.
19 Bauriedl, T.: Das Leben riskieren. Psychoanalytische Perspektiven des politi-
schen Widerstands. München/Zürich 1988, S. 20.
246 Die Arbeit hoch?
28 Ebda. S. 164.
29 Vgl. Scharf, G.: Zeit und Kapitalismus. In: Zoll (Hg.): Zerstörung und Wieder-
aneignung von Zeit. Frankfurt a.M. 1988, S. 143/144.
Muße – die vergessene Chance 251
– etwa bei der Kochzeit eines Eies – mit Angaben wie: ein, zwei, drei
Ave Maria lang.
Bestimmend für das mittelalterliche Zeitverständnis war auch, daß
das Handwerk, als der neben der Landwirtschaft damals wichtigste
Wirtschaftszweig, nicht auf Bereicherung, sondern „nur“ auf das
standesgemäße Überleben der Handwerker ausgerichtet war. Die
handwerkliche Produktion war auftragsbezogen und war weder durch
Konkurrenz noch durch einen expansionsfähigen Markt zur Rationali-
sierung gezwungen. Damit orientierten sich die Zeitstrukturen des
Handwerks an den Zeitmaßen, die die künstlerische Gestaltung eines
Werkes, den damaligen Qualitätsstandards entsprechend, eben erfor-
derte. „Eine von dieser »Sachdimension« getrennte zeitliche Struktur
des Handelns existiert zunächst nicht. […] Die handwerkliche Pro-
duktion kann deshalb (damals) auch noch weitgehend den natürlichen
Rhythmen der lebendigen Arbeitsvermögen folgen, sowohl hinsicht-
lich des Umfangs der Arbeitszeit […], als auch hinsichtlich des Tem-
pos.“30
Die damaligen technologischen Möglichkeiten erlaubten auch
kaum ein Ausbrechen aus dem durch Naturablauf und Tradition vor-
gegebenen Korsett. Niemand konnte auf die Idee kommen, die „Natur
zu überlisten“ und sich einen „Überschuß an Zeit“ herauszuschinden,
Zeit zu „sparen“ oder einzubringen. Für uns heute selbstverständliche
Eingriffe in den Naturablauf, wie zum Beispiel durch den Einsatz von
künstlichem Licht, externen Nährstoffgaben oder – womit derzeit
experimentiert wird – durch gentechnische Veränderungen, Pflanzen
unabhängiger von den vorgegebenen Wachstumsbedingungen zu ma-
chen, Wachstumszyklen zu beschleunigen und schnellere Erntefolgen
zu erreichen, waren außerhalb der damals vorstellbaren Welt. Die
soziale Konstruktion von Wirklichkeit war ebenfalls – der Prägung
durch die zyklische Zeitwahrnehmung entsprechend – vorgegeben
34 Pascal, B.: Größe und Elend des Menschen. Auswahl, Übersetzung und Nach-
wort von W. Weischedel. Frankfurt a.M. 1978, S. 47.
Muße – die vergessene Chance 255
kann mit jedem Inhalt gefüllt werden.35 Zum anderen impliziert die
Idee des Zeit gewinnens und verlierens auch die mit der abstrakten
Zeitwahrnehmung eng verknüpfte Illusion, daß es möglich sei, mit
Lebenszeit zu schachern, sie quasi jetzt noch „nicht zu leben“ und zu
investieren, um sie später in einer qualitativ verbesserten Form – so-
zusagen verzinst – genußvoll aufzubrauchen, ihr Erleben erst später
zuzulassen.
In seinem Erwachsenenmärchen „Momo“ bereitet Michael Ende
dieses gesellschaftliche Phänomen als Geschichte auf: Da gibt es
graue Zeitdiebe, die den Menschen die Zeit stehlen, indem sie ihnen
einreden, sie könnten ihre Lebenszeit in einer Zeitsparkasse anlegen.
Das Mädchen Momo – ein kleiner Außenseiter – rettet schließlich alle
vor den Zeitdieben, die, wie Vampire von Frischblut, von der Lebens-
zeit anderer Leute leben. Diese Lösung der Geschichte macht die ein-
gekleidete Beschreibung dessen, was in unserer Gesellschaft letztlich
in einer ganz ähnlichen Form ja tatsächlich passiert, zum Märchen.
Auch im „wirklichen Leben“ verschieben die Menschen ihr Leben
immer hektischer auf eine ungewisse Zukunft und gleichen immer
mehr jenen Automaten, von denen sie demnächst ersetzt werden kön-
nen. Angesichts dieser Tatsache fällt es schwer, Hans-Jochen Gamm
nicht recht zu geben, wenn er meint, daß heute „die Erkenntnis von
der Unwiederholbarkeit der Zeit zu den bestgehütetsten Geheimnissen
der Gesellschaft zählt, denn diese ist aufgrund materieller Interessen
bemüht, ein solches Geheimnis weiter verriegelt zu halten. Wenn dem
Individuum nämlich schmerzhaft bewußt würde, daß es den unersetz-
baren Vorrat an Zeit ohne Sinn verschwendete und dafür buchstäblich
gar nichts als Gegenwert erhielte, so wäre wahrhaft unsicher, ob der
außengesteuerte Konsum im üblichen Maßstab fortgesetzt werden
könnte.“36
So zeigt sich, daß entfremdetes Leben immer auch aufgeschobenes
Leben bedeutet. Die Voraussetzungen für Muße als den Inbegriff be-
wußten Daseins und damit Gegenpol zum Leben in Entfremdung sind
somit erst dann gegeben, wenn es gelingt, aus dem der ökonomischen
Logik unterworfenen Verwertungszwang für Lebenszeit auszusteigen.
Das heißt, Muße erfordert den Entschluß zu einer Grenzziehung. Da-
mit ist nun überhaupt nicht gemeint, sich im Sinne der weiter vorne
zitierten moralischen Appelle Genuß und Lebensfreude zu versagen.
Für den Menschen unserer Gesellschaft erfordert Muße jedoch den-
noch einen ganz entscheidenden Verzicht, den Verzicht auf die eigene
Totalvermarktung. Das Kultivieren von Muße im Sinne eines Gegen-
projekts zur alles umfassenden Entfremdung beginnt mit dem Schaf-
fen unverzweckter – „nutzloser“ – Freiräume, also von Lebensberei-
chen, die nicht verpfändet werden für (die Hoffnung auf) späteres
36 Gamm, H.-J.: Umgang mit sich selbst. Grundriß einer Verhaltenslehre. Reinbek
1977, S. 57.
Muße – die vergessene Chance 257
Leben, die für sich selbst stehen und ihren Wert aus sich selbst schöp-
fen. Damit ist auch klargestellt, daß es sich bei der Muße weder um
eine besonders raffinierte Form des Hervorlockens schöpferischer
Reserven für Arbeitsprozesse handelt, noch um Erholung oder Ent-
spannung im Sinne einer Reproduktion von Arbeitskraft. Der Begriff
Muße steht für unvernutztes Leben, unmittelbares Dasein und die
nicht entfremdete Existenz – allerdings auch für die Konfrontation mit
der eigenen Sterblichkeit und der Angst vor dem Tod.
Der Müßiggänger ist damit keinesfalls das, als was er mit dem be-
kannten Spruch: „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ phantasiert
wird, nämlich einer, der bloß faul ist und nichts tut, sondern er ist
einer, der bewußt und im „hier und jetzt“ lebt und seine Existenz un-
ter keinem anderen Aspekt als den des Da-seins stellt. Das heißt, Mü-
ßiggang ist nicht das Gegenteil von Arbeit, sondern Müßiggang ist
etwas, was aus der Arbeitswelt herausfällt, was weder in die (heutige
Form von) Arbeit noch in die ihr korrespondierende Freizeit einzu-
ordnen ist, er ist ein Zustand, der die Werte der heutigen Arbeits-
Freizeit-Gesellschaft für sich nicht mehr anerkennt. Der Müßiggang
umfaßt sowohl Momente des totalen Ausatmens, des Nichtstuns als
auch Momente ganz konzentrierter Tätigkeit, der lustvollen Anstren-
gung37 in dem Sinn, wie sich beispielsweise Kinder bis zur Erschöp-
fung anstrengen, wenn ihnen etwas Spaß macht. Müßiggang meint
weder Faulheit im Sinne trägen geistlosen Dahinlebens noch blinde
Betriebsamkeit; sie steht für selbstbestimmtes Handeln und für die
ruhige Reflexion dieses Handelns. Zum Müßiggang gehören alle jene
Dinge, die wir selbstbestimmt und lustvoll nur um ihrer selbst willen
tun, und die Grenze des Müßiggangs ist erst dort erreicht, wo Verwer-
tungsinteressen einsetzen. Freie, bewußte Tätigkeit, die Teil des Mü-
ßiggangs ist, kennt auch nicht die den Entfremdungsbedingungen
37 Nicht zufällig stellen sich hier Assoziationen zum „Liebesspiel“ ein, einem der
letzten nicht dem Verwertungszwang und der Entfremdung unterworfenen Be-
reich menschlicher Tätigkeiten.
258 Die Arbeit hoch?
43 Ebda.
260 Die Arbeit hoch?
44 Ebda.
Muße – die vergessene Chance 261
Hans-Jochen Gamm 1
8 Ebda., S. 177/178.
Ohne Muße keine (berufliche) Bildung 267
9 Ebda., S. 178.
10 Heitger, a.a.O., S. 189.
11 Ebda., S. 190.
268 Die Arbeit hoch?
„Wer sterben gelernt hat, versteht das Dienen nicht mehr“ formulierte
schon im sechzehnten Jahrhundert Michel de Montaigne12, und Mar-
tin Buber hat den Sinn des Lebens geradezu im „Sterben lernen“ ge-
sehen13. Der Alltag des Menschen der zivilisierten Welt ist jedoch so
hektisch, daß ein Besinnen auf seine subjektive Begrenztheit und sei-
nen absolut sicheren Tod das letzte ist, wofür ihm Zeit bleibt. Zudem
ist das Aufrechterhalten der Bewußtheit der eigenen Endlichkeit ver-
bunden mit tiefer Angst und Verunsicherung, der sich die meisten
Menschen zu entziehen versuchen. Die traditionelle Form der diesbe-
züglichen Verdrängung, die darin besteht, den „Trost des Glaubens“
dafür zu „mißbrauchen“, um sich an das Leben zu klammern 14,
scheint in der gegenwärtigen Epoche des „Endes der großen Erzäh-
lungen“15 für viele Menschen nicht mehr adäquat zu sein. Heute, wo
allerorts das Brüchigwerden der traditionellen „Meta-Garantien“ pro-
klamiert wird, versuchen immer mehr Menschen, die rational unbe-
wältigbare Tatsache ihrer Endlichkeit durch die Flucht in Geschäftig-
keit sowie in Konsum- und Beziehungshektik zu verdrängen. Die
geheime Angst vor der Vergänglichkeit wird systematisch erstickt
durch ein Immer-Mehr an Gütern und Bequemlichkeiten.
16 Nichts ist im Leben eines Menschen sicherer, als die Tatsache seines unerbittlich
herannahenden Todes. Selbst Aufstieg und Höhepunkt der menschlichen Exis-
tenz sind nur Stufen und Mittel zu dem Zweck, dieses letztendliche Ziel zu errei-
chen. Der Tod ist das Ziel des Lebens. Diese unerbittliche Aussage ist – so er-
schreckend und unbegreiflich sie den der materiellen Existenz verhafteten Men-
schen auch erscheint – bloß der logische Schluß aus der Tatsache der Zielstre-
bigkeit und Zweckbestimmtheit des Lebens. In diesem Sinn gehen auch alle gro-
ßen Religionen der Welt davon aus, daß der Sinn des Lebens sich im Tod erfüllt,
und man kann die Religionen durchaus als komplizierte Systeme der Vorberei-
tung des Menschen auf den Tod interpretieren. (Vgl.: Jung, C.G.: Wirklichkeit
der Seele. München 1990, S. 120/121) Auch das christlich-abendländische Den-
ken war bis in die Epoche der Aufklärung in diesem Gedankengang verwurzelt.
Die zunehmende Distanzierung von der Betrachtungsweise des Lebens als Vor-
bereitungszeit auf den Tod, hat dem Menschen seine transzendente Orientierung
geraubt und seinen Blick in einer immer engstirnigeren Form auf das Diesseits
fokussiert. Zugleich hat das säkularisierte Denken auch das Bewußtsein der Ver-
antwortung gegenüber einer ewigen Ordnung abgebaut und kann somit durchaus
als die Quelle des menschenverachtenden und zerstörerischen Materialismus der
modernen Welt gedeutet werden.
270 Die Arbeit hoch?
27 Zoll, R.: Krise der Zeiterfahrung. In: Zoll (Hg.): Zerstörung und Wiederaneig-
nung von Zeit. Frankfurt a.M.1988, S. 22.
28 Becker-Schmidt, R.: Erfahrungen, Denken, Wirklichkeiten: Zur Komplexität
sozialen Lernens (1983). Zit. nach: Geißler 1992, a.a.O., S. 117.
Ohne Muße keine (berufliche) Bildung 277
nicht auch auf die Freizeit. Weil echte Freizeit heißt, mit der Lange-
weile umgehen zu können. Wo kämen wir hin, wenn die Menschen in
der Schule lernen würden, mit einem Überfluß an Zeit umzugehen?
Der Schaden im gelobten Bruttosozialproduktstaat wäre doppelt, sie
würden zu wenig produzieren, und sie würden ihre Freizeit verbrin-
gen, ohne zu konsumieren. Wer will das?“31
Peter Bichsel spricht hier mit „Langeweile“ gewissermaßen einen
„Antibegriff“ der heutigen, sich selbst weitgehend zur Didaktik ver-
kürzenden Pädagogik an. Langeweile wird von der Pädagogik be-
kämpft und in der Regel abgetan als etwas Unangenehmes, das päda-
gogische Handeln Störendes. Kaum ein Erziehungswissenschafter
zeigt heute forschendes Interesse dafür, was Langeweile signalisiert,
welche Widerstände, Sehnsüchte, Hoffnungen sich hinter ihr verber-
gen. Und in pädagogischen Lexika sucht man unter dem Stichwort
„Langeweile“ vergebens. „Motivieren“ lautet im Gegensatz dazu der
zentrale Begriff der heutigen Pädagogik. Und das Motivieren ist auch
die gängige „erziehungswissenschaftliche“ Antwort auf die Frage, wie
Menschen dazu gebracht werden können, in möglichst kurzer Zeit
möglichst viel von dem zu lernen, was sie zu brauchbarem „Human-
kapital“ macht. Kaum jemals wird die Frage gestellt, warum eigent-
lich in allen Lebenslagen motiviert und animiert werden muß. Geht
man dagegen von der Grundeinsicht aus, daß die Möglichkeit von
Bildung zu tun hat mit Suchen, Abschweifen und Phantasieren, mit
dem Gehen von Umwegen und Abwegen, dann muß rasch klarwer-
den, daß das ständige Motivieren für fremdbestimmte Ziele mit dem
Fördern der „entfalteten Persönlichkeit“ keinen Zusammenhang hat
und zugleich verliert auch die verpönte Lange-Weile schnell ihren
negativen Beigeschmack.
In der Langeweile artikuliert sich die einzige Erscheinungsform, in
der die Muße unter den Begleitumständen einer allumfassenden Stan-
31 Bichsel, P.: Arbeitserziehung. Die heutige Schule als Ersatz für die Kinderarbeit
(1980). Zit. nach Geißler 1992, a.a.O., S. 114/115.
280 Die Arbeit hoch?
ren unter den Bedingungen des Status quo zu bringen. Die dem ur-
sprünglichen Bildungsgedanken innewohnende emanzipatorische
Dimension, im Sinne einer Befähigung zur vernünftig-kritischen Re-
flexion der gegebenen gesellschaftlich determinierten Bedingungen
des Lebens, wird derzeit kaum mehr eingefordert. Der reflexive – zu
einer kritischen Sichtweise des Bestehenden befähigende – Aspekt der
Bildung ist am Altar des, der Profitökonomie geschuldeten, unge-
hemmten Wachstums geopfert worden. Indem die wirtschaftlich-
gesellschaftliche Formation „bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft“
mit dem Nimbus eines Naturgesetzes versehen worden ist, ist quanti-
tatives (Wirtschafts-)Wachstum zum sakrosankten Wert avanciert –
die Reduzierung des kritisch-emanzipatorischen Bildungsanspruchs
zum „ideologischen Aufputz“ war die logische Konsequenz. Alle
gesellschaftlichen Bereiche – und somit auch der „Bildungssektor“ –
mußten sich unter diesen Umständen dem Ziel „quantitatives Wachs-
tum“ unterordnen. Kritikfähigkeit, die ja per Definition keine sakro-
sankten Werte kennt, wurde an die Zügel genommen, auch sie wurde
funktionalisiert. Die Folge ist die Reduzierung einer „Bildung“, die
der dialektischen Verschränkung von Integration und Emanzipation
gerecht wird, zur bloßen Qualifizierung, die sich in der Anpassung an
die gegebenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen
erschöpft und im Sinne eines an profitökonomischen Kriterien ausge-
richteten Input-Output-Verhältnisses organisiert ist.
„Anpassungsbildung“ zwängt die Bildungsadressaten in ein Kor-
sett, ermöglicht ihnen nicht, eine selbstbestimmte Persönlichkeit zu
werden, sondern macht sie zu der als Humankapital bezeichneten
brauchbaren Person. So wie der Schauspieler im antiken Theater zur
„persona“, der Theatermaske, wurde, ist der Preis der unreflektierten
Anpassung an den Status quo der gesellschaftlichen Anforderungen
die „Charaktermaske“ des bürgerlichen Individuums. Funktionieren
bedeutet berechenbar zu sein, es bedeutet, sich an die geforderten
Rollen, Haltungen, Abwehrmechanismen zu halten, das heißt das
Ohne Muße keine (berufliche) Bildung 283
33 Jung, C.G.: Vom Werden der Persönlichkeit. In: Jung, a.a.O., S. 107.
34 Ebda., S. 97.
284 Die Arbeit hoch?
36 Zit. nach: Keen, S.: Sich Zeit nehmen für die Langeweile. In „Psychologie heu-
te“ 7 (1980), Heft 10, S. 24.
286 Die Arbeit hoch?
39 Ebda. S. 300.
40 Geißler, K.A.: Bess’re Zeiten. In: Zoll, a.a.O., S. 673.
288 Die Arbeit hoch?
Der heute allgemein verbreitete Horror vor der – dem „Diktat des
Nutzens“ entsprechend, nur als langweilig erlebbaren – ungenutzten
Zeit, vor einer Zeit also, die nicht fremdbestimmt ist, ist die Folge
dieser Einstellung. Diese Angst vor der nicht genutzten Zeit – quasi
die individuelle Auswirkung einer gesellschaftlichen Ordnung, die als
einziges Regulierungsprinzip die Prämissen der Konkurrenzökonomie
akzeptiert – läßt sich damit als jene Größe identifizieren, die verhin-
dert, daß Menschen eine liebevolle Beziehung zu sich selbst aufbauen
und sie in immer tiefere Entfremdung treibt. Zwischen der heute
weitverbreiteten Unfähigkeit zur Muße, jener Rastlosigkeit des Arbei-
tens um der Arbeit willen, und der Angst des heutigen Menschen, das
Tor der Langeweile zu durchschreiten und sich selbst zu begegnen,
steht als Vermittlungsinstanz die bürgerlich-kapitalistische Gesell-
schaft, die die ökonomisch verwertbare Leistung zum Fetisch erhoben
hat. Einem Bildungsideal, das an der Vorstellung von der Entfaltung
der Ganzheit des menschlichen Wesens festhält und sich am Ziel der
Befähigung zur reflektierten Auseinandersetzung mit sich und der
Umwelt orientiert, ist dementsprechend der Widerspruch gegen die
„Leistungsgesellschaft“ immanent. Mußefähigkeit ist Bedingung der
Möglichkeit von Bildung, ihre Herausbildung ist logisches Ziel eines
an Bildung orientierten Lehrens. Wird organisiertes Lernen dagegen
an dem durch Gesellschaft vermittelten, einseitig ökonomischen Leis-
tungsbegriff ausgerichtet, bleibt das Bildungsziel des mündigen Indi-
viduums auf der Strecke. Nur einem zur Muße fähigen Menschen
erwächst jener kritische Aspekt, der ihm erlaubt, über ideologische
und geschichtliche Selbstbeschränkungen hinauszuwachsen – ohne
Muße keine Reflexion und ohne Reflexion keine Mündigkeit im Sin-
ne der freien Urteilsfähigkeit!
Um Mußefähigkeit zu erwerben, braucht es mehr als Frei-Zeit, es
braucht dazu eine entsprechende Mußebiographie. Es bedarf einer
Erziehung, in der die reflektierende Auseinandersetzung mit sich und
der Umwelt eingeübt wird. Eine Erziehung, bei der es nicht primär
Ohne Muße keine (berufliche) Bildung 289
Inhalte, die für den Einsatz in der Berufs- und Arbeitswelt relevant
sind, die also gemeinhin zur Ausbildung gerechnet werden, zum An-
laß für Bildung werden. In jedem Fall sind die Wissensinhalte jedoch
nur das Material, an dem sich Bildung abarbeitet; nur über das „Prin-
zip Bildung“ bekommt die Beschäftigung mit Wissensinhalten einen
Sinn, der über die gesellschaftliche Funktionalisierung des Menschen
hinausweist. Erst eine Orientierung am Ideal der Entfaltung des genu-
in Menschlichen, der Reflexionsfähigkeit, unterstellt den Erwerb von
Wissen – gleichgültig, ob dieses nun unmittelbar oder bloß mittelbar
gesellschaftlich verwertbar ist – der Verantwortung gegenüber einer
außergesellschaftlichen Instanz.
Weder stellt sich Bildung automatisch ein, indem spezifisches
Wissen erworben wird oder ein bestimmter, quantitativ definierter
Grenzwert von Wissen überschritten wird, noch kann sie „nebenbei“,
im Sinne einer additiv erworbenen Befähigung, erreicht werden. Die
Vorstellung, Ausbildung und Bildung könnten zeitlich-örtlich ausei-
nandergerissen werden – wie zum Beispiel durch verschieden ausge-
richtete Lernorte, unterschiedlich gewichtete Lerngegenstände oder
eine zeitliche Abfolge von (Allgemein-)Bildung und (Berufs-)Ausbil-
dung –, geht von einem schizophrenen Menschenbild aus, davon, daß
sich der funktionelle und der humane Aspekt des Menschen real auf-
spalten ließe und quasi eine Trennung in „Mensch“ und „Funktionär“
vorgenommen werden könne. Bildung wird auf diese Art zur gesell-
schaftlich irrelevanten, unpolitischen Privatsache erklärt – der optima-
le Weg, um die Überwindung der Entfremdung als Postulat für päda-
gogische Festtagsreden aufrechtzuerhalten, dabei jedoch die realen
Entfremdungsbedingungen, die sowohl Grundlage als auch Auswir-
kung des gesellschaftlichen Status quo sind, nicht in Frage zu stellen.
In diesem Sinn greift es ja auch viel zu kurz, (Berufs-)Pädagogen, die
sich auf das Propagieren zukunftsträchtiger Wissensinhalte und das
Entwickeln von Strategien für deren optimierten Erwerb zurückzie-
hen, des Verrats am pädagogischen Ideal der entwickelten Persön-
292 Die Arbeit hoch?
„Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstig ist.“
Kopfnicken des Fischers.
„Sie werden also nicht ausfahren?“
Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen.
Gewiß liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am
Herzen, nagt in ihm die Trauer über die verpaßte Gelegenheit.
„Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?“
Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft
gesprochenen Wort über. „Ich fühle mich großartig“, sagt er. „Ich
habe mich nie besser gefühlt.“ Er steht auf, reckt sich, als wolle er
demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantas-
tisch.“
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er
kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz
zu sprengen droht: „Aber warum fahren Sie dann nicht aus?“
Die Antwort kommt prompt und knapp. „Weil ich heute morgen
schon ausgefahren bin.“
„War der Fang gut?“
„Er war so gut, daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich
habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Mak-
relen gefangen …“
Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touris-
ten beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck
erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender
Kümmernis.
„Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug“, sagt er, um
des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine von meinen?“
„Ja, danke.“
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der
Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera
aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede
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296 Die Arbeit hoch?
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