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Der Speer der Götter

©2005 Dirk Schulte am Hülse


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- Kapitel 1 -

»Verdammt!« fluchte einer der Händler. »Die verreckt bald!


Dabei habe ich so viele Sesterzen in sie investiert.«
Einer der Karawanenwächter, die um ein Feuer saßen, schaute
zu dem lauthals fluchenden Mann hinüber und sagte leise:
»Hab’ ich doch gleich gewusst. Mit Sklavinnen durch die
Wüste. So eine dumme Idee.«
»Was faselst du da, Gallier?« fragte ein anderer Wächter.
»Ich bin kein Gallier, ich bin ein Nordmann!«
»Ist mir doch egal. Gallier, Nordmänner, ihr seid doch alles
nur Barbaren.«
»Ich schick dich gleich in die nächste Welt!«
Beide Männer sprangen auf und griffen nach ihren
Schwertern.
»Seid ruhig!« brüllte ein dritter und stellte sich zwischen die
Streitenden. »Asger, sei nicht so empfindlich und du Claudius,
lass ihn in Ruhe. Es werden noch die Tage kommen, an denen
ihr euren Kampfesmut beweisen könnt.«
Asger drehte sich um und brummte: »Arianus, diese Tage
habe ich bereits hinter mir.« Dann verlies der Nordmann das
Feuer der Wächter.
Wieder hörte er das Jammern des Händlers. »Was ist Euer
Problem?«
»Die Kleine verdurstet. Wir sind schon viel länger unterwegs
als ich erwartet hatte.«
»Und?«
»Das Wasser ist knapp geworden, es reicht nicht für alle. Ich
muss mich entscheiden, eines der Mädchen wird umkommen.
Sie ist die älteste und deshalb...«
Asger hörte dem Mann nicht weiter zu, er kannte die
Dummheit gerade der Sklavenhändler nur zu gut. Statt dessen

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ging er in die Knie und sah sich die junge Frau an, die vor ihm
auf dem Boden lag.
»Hübsch,« dachte er, »zu hübsch, um als Geierfutter zu
enden. Gut gebaut, die Kleine, schlank und an den richtigen
Stellen gut bestückt. Ein niedliches Gesicht hat sie auch. Sie
umkommen zu lassen, wäre echte Verschwendung. So ein
Narr.« »Ich kauf sie dir ab,« sagte Asger zu dem immer noch
klagenden Mann.
»Was?«
»Ich sagte, ich kauf sie dir ab. Wie viel?«
»Zehn Aurei.«
»Zuviel! Dafür, dass du sie sterben lassen würdest, willst du
reichlich viel haben. Wer weiß, ob sie den morgigen Tag noch
erleben wird.«
»Wie viel gibst du?«
»Zehn Sesterzen.«
»Das ist zu wenig.«
»Dann eben nicht. Du hast ja den Totalverlust, nicht ich.«
»Na gut, zwanzig Denari.«
»Zehn. Mehr nicht.«
»Schlag ein.«
Ein Handschlag besiegelte den Handel. Asger zahlte, hob die
halbtote Frau auf und trug sie zu seinen Pferden.
»Viel Spaß noch!« rief ihm der Händler hämisch hinterher.
Bei den Pferden angekommen legte Asger die junge Frau auf
eine Decke und nahm einen Wasserschlauch von seinem
Packtier. »Wasser, das Gold der Wüste,« murmelte er und füllte
seine hohle Hand. Vorsichtig benetzte er ihr Gesicht und ihre
Lippen, bevor er ihr langsam Wasser einflößte. Sie griff nach
seiner Hand, als wenn sie in ihr eine Quelle vermutete.
»Nicht so hastig,« sagte er ruhig. »Es ist genug da.«
Asger kannte dieses Verhalten nur zu gut. Er hatte oft erlebt,
dass halbverdurstete zu schnell tranken und dabei viel von dem
kostbaren Nass verschütteten. Viele überlebten dann trotzdem

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nicht, oft brachten sie zudem noch den Helfenden mit in
Lebensgefahr. Um dies zu vermeiden suchte er in seinen
Packtaschen nach einem Löffel. Mit diesem begann er der
Verdurstenden Wasser zu verabreichen.
»Langsam,« sagte er zu der gierig trinkenden, »so ist es gut.
Es ist genug da, keiner nimmt dir etwas weg.«
Während Asger der jungen Frau den Inhalt des
Wasserschlauches löffelweise zu trinken gab, kam Arianus
während seines abendlichen Rundgangs bei den Pferden vorbei.
»Na, Asger, was machst du denn da?«
»Was für eine Frage, siehst du doch.«
Arianus sah Asger zu und schüttelte den Kopf. »Ich versteh
dich nicht. Eben warst du noch kurz davor, dir mit Claudius
gegenseitig die Schädel einzuschlagen und jetzt willst du einer
Sklavin das Leben retten. Ihr Nordmänner seid wahrlich
komisch.«
»Claudius weiß was er riskiert. Er hat mich herausgefordert,
er wollte kämpfen. Außerdem ist er freiwillig hier, wegen der
guten Bezahlung, so wie wir alle. Sie nicht. Sie wurde nicht
einmal gefragt, ob sie überhaupt durch die Wüste ziehen
möchte. Das ist der Unterschied.«
Arianus sah Asger ungläubig an.
»Verstehst du nicht, ist es so?«
Arianus schüttelte den Kopf. »Na, denn noch viel Vergnügen.
Ist schließlich ein hübsches Mädchen,« sagte er und ging.
»Elendige Ratte,« zischte Asger. »Du denkst auch, jeder ist so
wie du.«
»Ach ja,« rief Arianus zu Asger hinüber. »Vergiss nicht, um
Mitternacht beginnt deine Wache! Sei pünktlich!«
»Eines Tages werde ich dir noch deinen kranken Kopf
abschlagen, Arianus,« dachte Asger. »Eines Tages. Und es wird
mir Freude bereiten.«
»Wasser! Durst!«

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Asger wurde von den schwachen Worten aus seinen
Gedanken gerissen.
»Wasser!«
»Gleich, du bekommst gleich welches.«
Er nahm den Wasserschlauch, befüllte den Löffel und gab ihr
dessen Inhalt zu trinken.
»Mehr! Bitte!«
»Gleich, du bekommst soviel wie du willst. Nur nicht auf
einmal, löffelweise ist wirklich besser. Glaub es mir.«
Asger gab ihr einen weiteren Löffel mit Wasser.
»Wie heißt du?« fragte er.
»Saphira,« antwortete sie schwach.
»Ein schöner Name. Er passt zu dir.«
»Wasser!«
Asger gab Ihr weiter löffelweise Wasser, solange, bis der
Schlauch leer war. Dann schaute er zum Himmel hinauf.
»Es ist bald Mitternacht, meine Wache beginnt.« Er nahm
weitere Decken und legte diese über Saphira. »Schlaf jetzt, ruh
dich aus.«
»Durst! Wasser!«
»Morgen früh. Dann kannst du soviel trinken, wie du willst.«
»Sieh an, Asger kommt doch noch. Und wir dachen, du wärst
noch mit deiner Kleinen beschäftigt. Oder bist schon mit ihr
fertig?«
Die Wächter um das Feuer lachten schäbig. Asger kannte ihre
Gedanken und was Arianus ihnen erzählt hatte. Es war genau
das, was sie alle an seiner Stelle getan hätten. Doch er wollte
nicht so sein, wie die anderen Wächter, die er hasste und
verabscheute.
»Halt dein schmutziges Maul, Claudius!« brüllte der
Nordmann. »Es gibt auch Männer mit Ehre! Auch wenn du
nicht mit dazu zählst!«
»Du brauchst ja nicht darüber reden!«
Wieder grölten alle.

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»Arianus, ich werde jetzt meine Wache antreten,« sagte Asger
und dachte: »Am liebsten würde ich euch alle umbringen. Einen
nach dem anderen. Keiner von euch wäre ein Verlust für die
Menschheit.«

Der Morgen graute, als Asgers Wache vorbei war. Er setzte


sich zu der schlafenden Saphira und lauschte, wie ihr Atem
ging. Nach einiger Zeit war er sich sicher, dass sie überlebt
hatte. »Welches Schicksal hat dich wohl hierher verschlagen?«
fragte er leise und strich ihr über die Haare. »Was für
Hintergedanken haben die Götter, dass sie uns hier in der Wüste
zusammengeführt haben?«
»Wo bin ich?« fragte Saphira, als sie erwachte. »Lebe ich
noch? Oder bin ich bereits im Paradies, bei unserem Heiland?«
»Eine Christin,« dachte Asger. »Sieh an. Wenn ich daran
denke, was Christen alles nachgesagt wird... Nein, das kann ich
mir bei ihr nicht vorstellen. Sie wirkt nicht so, wie immer
gesagt wird.« Leise sagte er zu ihr: »Ich enttäusche dich nur
ungern, aber du bist immer noch im Diesseits, mitten in der
Wüste. Bald werden wir aufbrechen. Kannst du reiten?«
»Ich weiß nicht. Wer seid Ihr?«
»Man nennt mich Asger, Sohn des Ronet.«
»Wo ist Kaeso Septimus?«
»Irgendwo. Keine Ahnung. Warum fragst du?«
»Ich gehöre ihm.«
»Nicht mehr. Er hat dich gestern Nacht halbtot an mich
verkauft.«
»Ich bitte Verzeihung, Herr.« Saphira zog sich ängstlich
zurück, um aus der direkten Reichweite von Asgers Händen zu
kommen. »Dann seid Ihr mein neuer Herr, Herr Asger?«
»Lass doch das »Herr« weg,« sagte Asger ruhig zu ihr. »Du
brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich tue dir nichts.«
»Ja, Herr. Danke, Herr.«

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Asger stand auf und sattelte das Pferd, das ihm zuvor als
Packtier gedient hatte, zum reiten. Sein Gepäck verteilte er
danach auf beide Pferde. »Wenn du im Sattel sitzt, halt dich am
Knauf fest. Ich werde das Tier führen. Und das solltest du
überziehen.« Er gab ihr sein Übergewandt. »Du hast ja kaum
etwas an. Es wird dich vor der Sonne schützen.«
»Ja, Herr. Danke, Herr. Und Ihr, Herr?«
»Ich werde es schon überleben. Wie so vieles.«
»Ja, Herr.«
Asger hob Saphira auf das Pferd, schwang sich auf das seine
und schloss sich der Karawane an.
»Sieh an, Asger gibt uns die Ehre,« wurden sie von Arianus
empfangen. »Nicht anderweitig beschäftigt?«
»Als wenn dich das etwas angehen würde,« zischte Asger
zurück. Doch seine Antwort ging im schallenden Gelächter der
Wächter unter.
»Los geht’s!« rief Arianus. »Wir müssen bis heute Abend die
Oase erreichen!«
»Ja, ja« dachte Asger. »Schon blöd, wenn man an alle
möglichen Handelswaren denkt, aber nicht an Wasser.«
Die Karawane setze sich in Bewegung. Asger ließ die
beladenen Pferde und Kamele passieren und wartete bis alle an
ihm vorbei waren. Er ritt immer am Ende des Zuges, um die
Rückseite zu decken.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als sich Arianus zu


Asger an das Ende der Karawane gesellte.
»Sei vorsichtig Asger.«
»Wieso?«
»Kaeso Septimus behauptet, du hättest ihn betrogen.«
»Wie kommt der denn darauf?«
Arianus deutete mit seinem Kopf auf Saphira. »Sie.«

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»Es war ein ganz normaler Handel. Der Dummkopf hätte sie
verdursten lassen. Heute morgen wäre nichts mit verkaufen
gewesen.«
»Wie auch immer, sei vorsichtig. Seine Worte fallen vor
allem bei Claudius auf sehr fruchtbaren Boden. Du weist, dass
er dich hasst.«
»Jedenfalls danke. Du hast was gut bei mir.«
Arianus ritt wieder an die Spitze der Karawane und Asger
drehte sich nach Saphira um, die wackelig im Sattel saß. »Sag
mal, hast du keinen Durst?«
»Doch Herr, schon seid langem.«
»Warum hast du nichts gesagt?«
»Ich möchte Euch nicht zur Last fallen, Herr. Ihr müsst Eure
Arbeit machen.«
»Du fällst mir nicht zur Last. Und schon gar nicht beim in die
Wüste schauen. Wenn du Durst hast, sage in Zukunft einfach.«
Asger hielt die Pferde an, nahm einen Wasserschlauch, den er
Saphira reichte. »Hier, trink. Soviel wie du nur möchtest.«
Während sie den Wasserschlauch leerte, beobachtete Asger,
wie die Karawane sich immer weiter entfernte.
»Herr, solltet Ihr Euch nicht beeilen, um die Karawane wieder
zu erreichen?«
»Wer sagt denn, dass ich das überhaupt will?«
Saphira sah Asger fragend an. Sie konnte nicht verstehen,
dass er die Sicherheit der Karawane verlassen wollte.
»Was Arianus gerade eben gesagt hat, war eindeutig. Es ist
besser, wenn wir die nicht mehr wiedersehen. Sie werden uns
ohnehin erst heute Abend vermissen.«
»Was wollt Ihr jetzt tun?«
»Erst einmal der Mittagshitze ausweichen. Das kann man ja
kaum aushalten.«
Asger stieß seinen Speer in den Boden und saß ab. Dann
befestigt er an der Waffe einige Decken, so dass sie ein
schattenspendendes Zelt bildeten.

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»Setz dich schon einmal hinein Saphira. Ich komme gleich.«
Asger legte eine flache Kupferschüssel auf den Boden und
füllte sie vorsichtig mit Wasser. Dorthin zog er die Pferde,
damit diese trinken konnten. Saphira beobachtete ihn dabei aus
dem Zelt heraus.
»Danke,« sagte sie leise, als er sich zu ihr setzte.
»Wofür?« fragte Asger, während er seinen Helm abnahm, der
scheppernd auf dem Boden aufschlug.
»Dass Ihr mich gut behandelt, dass Ihr Mitleid mit mir hattet
und mich nicht habt sterben lassen.«
Asger sah in ihre großen braunen Augen. Saphira hatte das
Gewandt, das ihr viel zu groß war, geöffnet und die
Kopfbedeckung abgenommen, so dass ihre glänzenden
schwarzen Locken auf ihre entblößten Schultern fielen. Asgers
Blick folgte den Locken.
»Ich kann keine Frau so einfach sterben lassen,« sagte er leise
und senkte seinen Blick zu Boden. »Auch wenn ich schon so
viele erschlagen habe, das kann ich nicht. Niemand verdient so
einen Tot.« Asger blickte wieder auf und hob vorsichtig
Saphiras Kopf, die seinem Blick gefolgt war, an. »Und schon
gar nicht so ein hübsches Mädchen wie du. Ich konnte dich
einfach nicht sterben lassen.«
Saphira senke wieder ihren Blick.
»Bist du verlegen?«
»Es ist das erste mal, dass sich jemand um mich sorgt, nur
weil ich es bin. Das kenne ich nicht.«
Asger grinste kurz und drehte sich dabei weg, so dass sie es
nicht sehen konnte. »Woher kommst du?«
»Meine Mutter stammte aus der Provinz Syria. Irgendwo
zwischen Syria und Ägypten bin ich geboren worden.
Zusammen wurden wir in Alexandria an Quintus Honorius
verkauft. Als mein Herr starb, bin ich an Kaeso Septimus
verkauft worden. Die Erben hatten keine Verwendung für
mich.«

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»Kaeso Septimus, dieser fette Hurensohn,« zischte Asger.
»Auch einer, den man einen Kopf kürzer machen sollte.«
Saphira schreckte wieder vor dem Nordmann zurück. »Du
brauchst keine Angst vor mir zu haben, wirklich nicht. Ich
würde dir nie etwas antun.« »Was ich bei vielen anderen nicht
garantieren würde,« fügte er in Gedanken hinzu.
»Darf ich Euch etwas fragen?«
»Nur zu.«
»Wo ist Eure Heimat? Ihr habt helle Haare und blaue Augen,
so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.«
»Ich bin ein Nordmann. Meine Heimat liegt an den Ufern der
Nordmeere.« Asger schaute aus dem Unterstand. »Die
Mittagshitze ist fast vorbei. Trink noch etwas, wir müssen bald
los.«
Der Nordmann sattelte wieder die Pferde und brach das Lager
ab. Danach half er Saphira auf ihr Tier und schwang sich auf
das seine. »Los geht’s!«
»Wo wollt Ihr hin?«
»Erst einmal einen Teil des Weges zurück. Abstand
gewinnen. Danach nach Norden, zum Meer. Dort werden wir
weitersehen.«

Sie ritten bis die Sonne unterging. Im letzten Licht des Tages
schlug Asger ein Lager auf und entzündete ein Feuer.
»Wärm dich daran, Saphira, die Nacht wird kalt. Ich werde
das Feuer bald wieder löschen, damit es niemand sieht. Hast du
Hunger?«
Saphira nickte. »Ja, Herr.«
Asger holte aus einer der Tragetaschen etwas Dörrfleisch und
gab es ihr. »Iss, du musst zu Kräften kommen.«
»Und Ihr?«
»Ich werde später essen.«
Nachdem Saphira gegessen hatte, gab Asger ihr seine Decken
und lösche das Feuer. »Schlaf jetzt Saphira. Es ist spät.«

- 10 -
»Ja, Herr.«

Der Mond stand hoch am Himmel, als Saphira aufschreckte.


Sie hörte ein leises Sirren und sah, wie eine Gestalt in der
Dunkelheit ein Schwert schwang.
»Habe ich dich geweckt?« fragte Asger. »Tut mir leid, das
wollte ich nicht.«
»Was macht Ihr?«
»Ich übe. Wenn man nicht regelmäßig das Schwert schwingt,
leidet die Beweglichkeit.«
»Ich verstehe, Herr.«
Asger ließ wieder sein Schwert durch die Luft sirren. Saphira
schaute ihm dabei fasziniert aber auch ängstlich zu und
beobachtete das Spiel seiner Muskeln.
Als er fertig war, schob Asger sein Schwert in die Scheide
zurück und setzte sich zu ihr. »Na, schläfst du immer noch
nicht?«
»Nein, Herr.«
»Solltest du aber. Ich sehe doch, dass du sehr müde bist.«
»Habt Ihr schon viele getötet?« fragte Saphira leise.
»Sehr viele. Ich habe bereits vor Jahren aufgehört zu zählen.
Warum fragst du?«
»Ich könnte so etwas nicht.«
Asger grinste und schüttelte seinen Kopf. »Eigentlich auch
gut so, die meisten gehen sich viel zu schnell gegenseitig an den
Hals. Dein Glaube verbietet es dir, nicht wahr?«
»Ja. Gottes Gebote sagen: Du sollst nicht töten!«
»Wenn sich alle daran halten würden. Wir hätten eine bessere
Welt.«
Saphira schaute Asger mir weit aufgerissen Augen an. »Das
sagt Ihr Herr, ein Krieger?« Sie schreckte vor ihrem eigenen
Mut zurück und sagte schnell: »Bitte verzeiht mir Herr, wenn
ich zu anmaßend war.«

- 11 -
»Ist schon gut. Vollkommen in Ordnung. Die Frage ist ja
auch berechtigt. Ich bin des Kämpfens müde. Meine Götter
erwarten von uns Menschen, dass wir im Kampf beweisen, es
wert zu sein, in Walhall einzuziehen. Ansonsten erwartet uns
das dunkle Totenreich der Hel. In Walhall werden die
gefallenen Krieger von Odin mit Met bewirtet, um am Tage
Ragnarök an seiner Seite in die letzte Schlacht zu ziehen. An
welches Totenreich glaubst du?«
»Wer die Gesetze Gottes befolgt, den wird der Herr nach dem
Tode in das himmlische Paradies aufnehmen. Das ewige Leben
in Frieden, ohne Sorge und Furcht.«
»Das hört sich gut an,« sagte Asger und schaute in den
Nachthimmel. Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wirklich gut.«

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- Kapitel 2 -

Die Sonne stieg über den Horizont als Asger Saphira weckte.
»Aufstehen! Baldur schenkt uns einen neuen Morgen.«
Saphira blinzelte und gähnte.
»Immer noch müde?«
»Ja, Herr«
»Dann solltest du früher schlafen gehen. Oder dich nicht in
der Nacht von mir wecken lassen,« lachte Asger und reichte ihr
etwas Dörrfleisch zum Essen. Nachdem sie alles aufgegessen
hatte, sagte der Nordmann: »So und jetzt wollen wir dich mal
richtig ausstatten.«
»Richtig ausstatten? Was meint Ihr damit?«
»Du sollst nicht sofort als Frau erkennbar sein.«
»Wieso?«
»Hier treiben sich viele Banden herum. Einen Mann und eine
Frau werden sie als leichte Beute ansehen, zwei Krieger eher
weniger.«
»Bitte nicht, Herr. Ich bin kein Krieger. Ich bin Christin. Ich
kann nicht kämpfen. Der Heiland schützt uns. Daran glaube
ich.«
Asger nahm sein Kettenhemd, legte es Saphira an und setzte
Ihr den Helm auf. Unter seinem Gepäck holte er einen
versteckten Gladius hervor, suchte einen Gürtel und band ihr
die Waffe um die Hüfte. »Na also,« sagte er. »Geht doch. Fehlt
nur noch der Bogen.«
Danach stand Saphira gerüstet und bewaffnet vor ihm.
»Ich kann mit keiner der Waffen umgehen,« sagte sie leise
und traurig.
»Brauchst du auch gar nicht. Aus der Entfernung wird man
dich für gefährlich halten und darum geht es. Die meisten sind
ohnehin feige und werden es gar nicht ausprobieren wollen, ob
du das kannst. Und um den Rest kümmere ich mich schon.«

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Die Sonne war bereits untergegangen, als Asger das Lager für
die Nacht vorbereitete.
»Was hast du?« fragte er Saphira, der Tränen über die Wange
liefen. »Warum weinst du?«
»Entschuldigt, Herr. Macht Euch keine Gedanken um mich.«
»Warum weinst du?« fragte Asger erneut. »Sag es mir. Bitte.«
Saphira sah Asger erstaunt an. Sie kannte es nicht, dass
irgendjemand sie um etwas bat, sie kannte nur Befehle, die sie
auszuführen hatte. »Ich, ich bin das nicht. Die Waffen, die
Rüstung. Ich bin das nicht. Ich kann so etwas nicht.«
Asger kniete sich vor die sitzende und legte seine rechte Hand
auf ihre Brust. »Ich weiß. Ich spüre ein sanftes Herz, das voller
Liebe ist.«
Saphira sah ihn mit großen Augen an. So etwas hatte sie nicht
erwartet.
»Ich fühle es. Und ich verstehe auch, dass du keine Rüstung
tragen möchtest.«
Sie nickte zustimmend.
»Du möchtest keine Waffen tragen.«
Sie nickte wieder.
»Das brauchst du auch nicht mehr. Ich möchte dich nicht
weiter dazu zwingen. Es war falsch von mir, bitte vergib mir.«
»Danke, Herr,«sagte Saphira leise und entledigte sich schnell
der Rüstung.
Asger entfachte ein Feuer, damit sie sich wärmen konnten.
»Verdammte Wüste,« brummte er dabei, »tagsüber so heiß, als
würde Loki persönlich das Feuer anheizen und nachts kälter als
in Nipfelheim.«
Saphira setzte sich an das Feuer und schaute
gedankenverloren in die Flammen. »Darf ich Euch etwas
fragen?«
»Ja, nur zu.«
»Was bedeutet Euer Name, Herr Asger?«

- 14 -
»Lass doch das »Herr«weg. Asger reicht völlig.«
»Ja, H... Wie Ihr wünscht.«
Asger schaute kurz zu Boden, grinste und schüttelte den
Kopf.
»Warum schüttelt Ihr Euren Kopf, Asger? Ist meine Frage zu
vermessen?«
»Oh, nein. Das nicht. Du kannst mich fragen, was du willst.
Mir ist nur durch den Kopf gegangen, wie sehr du das »Herr«
gewohnt bist. Dein ganzes Leben lang musstest du immer
jemanden so nennen.«
Saphira nickte, schaute auf den Boden und sagte leise: »Ja.«
Asger hob vorsichtig mit seiner Hand ihren Kopf, so dass sie
ihn wieder ansah. »Bei mir gibt es etwas ähnliches. Meine Hand
ist immer schnell am Schwert, das ist meine Angewohnheit, um
nicht zu sagen, mein Fluch. Selbst wenn ich schlafe, habe ich es
immer in Griffweite. Auch das entstand im Laufe meines
Lebens, durch das Kämpfen und die andauernde Bedrohung.
Doch wir beide können diese Angewohnheiten los werden.«
Saphira nickte zustimmend: »Ja.«
»Du möchtest doch wissen, was mein Name bedeutet?«
»Ja.«
»Mein Name kommt zum einen von den Asen, den Göttern
meines Volkes und der Ger ist ein schwerer Speer. Asger
bedeutet soviel wie: der Speer der Götter.«
»Der Speer Gottes,« sagte Saphira leise. »Ein guter Name.«

»Was ist das?« fragte Asger, beschattete seine Augen und


schaute auf den Horizont. »Was siehst du Saphira?«
Sie schaute in die selbe Richtung und antwortete: »Es sieht
aus wie ein Palast. Mitten in der Wüste. Glaubt Ihr an ein
Trugbild?«
»Da wir beide das gleiche sehen, ist es zumindest keine
Einbildung. Bei dieser verdammten Gluthitze am Mittag kann

- 15 -
man nichts genaueres sehen. Da ist schon ein halber Tag
zuviel.«
»Was wollt Ihr tun?«
»Es ist ohnehin zu heiß, um weiterzureiten. Wir werden hier
lagern. Nachher sehen wir weiter.«
Asger schlug das Lager auf, unter der schattenspendenden
Decke überlegte er, was er machen wollte. »So eine Siedlung
mitten in der Wüste muss Wasser haben. Das ist verlockend, bis
zum Meer sind es bestimmt noch zwei Tage und das Wasser
reicht wohl gerade so. Außerdem könntest du dich dort noch
etwas erholen. Schließlich warst du vor kurzen fast tot und ich
hetze dich darüber hinaus noch hier durch diese verdammte
Wüste.«
»Dann lasst uns doch dorthin gehen.«
»Eigentlich hast du recht. Ich frage mich nur, warum ich noch
nie von einem Palast oder allgemein einer Oase hier draußen
gehört habe. Zugegeben, wir sind weit ab von den üblichen
Karawanenwegen, aber trotzdem...«
»Glaubt Ihr doch an ein Trugbild?« fragte Saphira enttäuscht.
Sie hatte sich Hoffnung gemacht, dass sie in einem Palast zur
Ruhe kommen und etwas anderes sehen würden, als immer nur
die eintönigen Sanddünen.
»Nein, das nicht,« antwortete Asger. »Wir haben beide das
gleiche gesehen. Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll.
Das ist alles.«
»Warum wartet Ihr nicht, bis Ihr es beurteilen könnt?«
Asger schaute Saphira grinsend an: »Eine gute Idee. Warten
wir einfach, bis es kühler geworden ist und sehen dann weiter.«
Er streckte sich im Schatten aus und schloss die Augen. »Ruh
dich auch aus Saphira. Wir werden eine lange Pause einlegen.
Vielleicht werden wir bis spät in die Nacht reiten. «
»Asger?«
»Ja.«

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»Warum seid Ihr hier in der Wüste und nicht in Eurer
Heimat?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Erzählt Ihr sie mir?«

»Bei Thors Hammer und Odins meilenlangen Ger. Das werde


ich mir nicht bieten lassen!«
»Was ist, Thorgil? Hat dich Halfdans Tochter
zurückgewiesen? Hast du deshalb ein Thing einberufen?«
Alle freien Männer des Stammes hatten sich auf den
Thingplatz versammelt. Der Herzogssohn Thorgil hatte sie
zusammengerufen, um über einen Krieg gegen den
Nachbarstamm abstimmen zu lassen.
»Diese Beleidigung muss getilgt werden!«
»Ihr wisst, worüber wir abstimmen werden,« sagte Herzog
Leif, Thorgils Vater. »Wollen wir gleich abstimmen?«
»Warum?«
»Asger, du bist heute das erste mal beim Thing dabei. Daher
soll dir deine Frage nachgesehen werden.«
»Das Ihr Krieg wollt, ist mir auch klar,« entgegnete Asger
dem Herzog. »Doch wozu? Nur weil Lindrun Thorgil ablehnt?
Es wäre besser, wenn er es wie ein Mann nimmt und akzeptiert.
Nach alter Väter Sitte soll kein Mann eine Frau zur Ehe
zwingen. Weder mit List, noch mit Gewalt!«
»Ronet, was hast du deinem Sohn bloß beigebracht?« fragte
Leif Asgers Vater.
»All das, was uns unsere Väter bereits gelehrt haben,«
antwortete Ronet, »was schon seit dem Anfang der Zeit richtig
war. Das ist es, was den Göttern gefällt!«
Die anderen Männer des Stammes nickten zustimmend.
Solche Worte fielen bei Nordmännern immer auf fruchtbaren
Boden, noch mehr als die Worte des Krieges.

- 17 -
»Dennoch hat Lindrun mir Schmach angetan!« schrie Thorgil.
»Halfdan hat mir die Ehe zugesagt! So soll Frieden zwischen
den Stämmen geschlossen werden!«
»Den du gleich wieder brechen willst? Die Götter sollen
Halfdan richten,« sagte Asger zu den Männern. »Er hat gegen
das Recht der Väter verstoßen, wenn er seine Tochter
verspricht. Wenn Thorgil enttäuscht ist, so kann ein jeder Mann
dies verstehen. Dennoch, wenn er sich beleidigt fühlt, so dann
soll er das selber mit Halfdan austragen. Deswegen brauchen
wir den Frieden nicht zu brechen. Zumal Lindrun nur von ihrem
Recht gebrauch macht, so wie es einer Frau zusteht. Und ich
kann sie voll und ganz verstehen...«
»Asger!« schrie Thorgil und griff nach seinem Schwert. »Ich
werde dich...«
»Gar nichts wirst du,« warf der alte Halvar dazwischen. »Es
herrscht Thing-Friede, dieser darf nicht gebrochen werden!
Oder Leif? Willst du etwa zulassen, dass dein Sohn diesen
heiligen Ort entweiht?«
»Nein,« antwortete der Herzog zähneknirschend. »Thorgil
nimm deine Hand vom Schwert!«
Thorgil folgte der Anweisung seines Vaters nur widerwillig.
»Asger,« zischte er, » wir sehen uns noch!«
»Ja. Heute nacht, wenn der Mond aufgeht. Am Rabenrücken.
Mann gegen Mann.«
»So soll es sein!«
Der Mond stieg über den Hügel, den die Menschen den
Rabenrücken nannten. Im fahlen Licht stand Asger auf sein
Schwert gestützt und erwartete seinen Gegner. »Thorgil!« rief
er. »Komm schon raus aus deinem Versteck! Ich weiß, dass du
da bist. Stell dich wie ein Mann zum Kampf!«
»Sieh deinem Tot ins Auge!« schrie Thorgil, der mit
gezogenem Schwert auf Asger zustürmte. »Wenn du tot bist,
folgen mir die anderen gegen Halfdan.«

- 18 -
Asger riss sein Schwert aus dem Boden und parierte Thorgils
Hieb. Die Schwerter der Männer prallten immer wieder
krachend aufeinander, Angriff und Parade wechselten sich ab.
Nach einiger Zeit wurde Thorgil schwächer, er merkte, dass
Asger der bessere Schwertkämpfer war und so suchte er sein
Heil in der Hinterlist.
»Odin will nicht, dass einer von uns siegt,« sagte er und trat
einen Schritt zurück. »Lass uns auseinandergehen und Odins
Willen dem Thing mitteilen. Ich werde selbst mit Halfdan
kämpfen. So ist der Wille der Götter!«
»Gut, so soll es sein,« stimmt Asger zu und rammte wieder
die Spitze seines Schwertes in den weichen Boden. Darauf hatte
Thorgil nur gewartet und stieß mit seiner Klinge zu. Asger, der
bereits eine Hinterhältigkeit erwartet hatte, machte einen Schritt
zur Seite, riss wieder sein Schwert aus dem Boden und schlug
Thorgil mit einem gewaltigen Hieb den Kopf ab.

Asger schaute zur Seite und sah, wie Saphira mit


geschlossenen Augen neben ihm lag und ruhig atmete. »Meine
Geschichte scheint ja schlaffördernd zu sein,« sagte er leise,
stand auf und betrachtete das Gebäude in der
Nachmittagssonne. »Immerhin, Vater war bestimmt stolz auf
mich. Er und Mutter wussten, dass ich den Zweikampf
gewinnen würde. Wie es ihnen wohl weiter ergangen ist?«
Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wir werden uns in Wallhall
wiedersehen.«
»Woran denkt Ihr?«
Asger drehte sich um. »Na, wieder aufgewacht? Hast du gut
geschlafen?«
»Ja, danke, H... Asger. Aber ich habe nicht richtig
geschlafen.«
»Sondern?«

- 19 -
»Euch zugehört und mir alles bildlich vorgestellt. Es ist
wirklich hinterhältig, jemanden Frieden anzubieten und dann
doch anzugreifen.«
»Ja, ja. So ist es. Thorgil hat teuer dafür bezahlt. Ich glaube
nicht, dass er in Wallhall anzutreffen ist. Aber lassen wir die
Vergangenheit. Es ist an der Zeit aufzubrechen. Lass uns das
Tor zu dem Gebäude suchen.«

- 20 -
- Kapitel 3 -

»Dies scheint die Rückseite zu sein,« stellte Asger fest, als sie
ihr Ziel erreicht hatten. »Es ist nichts zu sehen, was wie ein
Eingang aussieht. Links oder rechts?«
Saphira schaute Asger entgeistert an. Sie wusste nicht, was
seine Frage bedeuten sollte.
»Was meinst du, in welche Richtung? Ich überlasse dir die
Entscheidung.«
»Warum mir? Warum entscheidet nicht Ihr?«
»Warum nicht? Du kannst auch mal entscheiden, wo wir lang
gehen. Ich vertraue auf deine weibliche Intuition.«
»Herr, führe und auf den Rechten Weg,« betete Saphira leise.
»Führe uns auf den rechten Weg und schütze uns.« Nach einer
Weile sagte sie: »Ich glaube nach rechts ist der rechte Weg.«
»Also nach rechts,« bestätigt Asger. »Mal sehen, was uns
erwartet.«
Sie ritten um das Gebäude herum und sahen ein von Säulen
getragenes Dach aus der Wand ragen.
»Eine gute Wahl, Saphira,« lobte Asger, »so schnell kann
man den Eingang finden. Wenn ich das richtig sehe, sind es
nicht einmal hundert Schritte bis dorthin. Denn wollen wir
mal.«
An den Säulen angekommen, stiegen sie von ihren Pferden ab
und betrachteten den Bau vor ihnen. Vom Boden der Wüste
führten drei Stufen auf eine Plattform mit unzähligen Säulen,
auf denen das Dach ruhte. Asger schaute die Säulen hoch und
sagte: »Recht ungewöhnlich. Viele Säulen, Treppenstufen,
keine Rampe.«
»Was meint Ihr damit?«
»Es gibt keinen Zugang für einen Wagen, nicht einmal für
Pferde.«
»Vielleicht auf der anderen Seite?«

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Asger schüttelte seinen Kopf. »Ich glaube nicht. Dieser
Eingang ist sicherlich der einzige. Dies ist bestimmt kein
Herrschaftspalast.«
»Doch nicht etwa ein Grab?« fragte Saphira erschrocken und
hielt sich an seinem Arm fest.
»Kein Grab,« antwortete Asger. »Es ist alles gut gepflegt. Der
Sand wird regelmäßig von den Stufen gefegt, viel öfter als es
selbst bei dem Grab einer hochgestellten Persönlichkeit zu
erwarten wäre.« Saphira atmete auf und ließ seinen Arm los.
»Weiter festhalten kannst du dich trotzdem gerne, Saphira. Ist
ganz angenehm...«
Langsam gingen sie durch die Säulen, dorthin, wo Asger
einen Durchgang in den Innenraum des Gebäudes vermutete.
Am Ende der Säulen erblickten sie einen weiten Hof, in dem
sich Gärten mit vielen verschiedenen Pflanzen befanden. An die
Außenwände kauerten sich kleine Bauten, in einigen brannten
Fackeln, deren Licht durch die drang. Ihnen gegenüber befand
sich ein Tempelbau, der ebenfalls von Säulen eingerahmt war.
»Sieh an,« sagte Asger, »eine Tempeloase. Mal sehen, was
und hier erwartet. Saphira?«
»Ja,« antwortete sie leise.
»Lass uns langsam auf den Tempel zugehen. Sie sollen uns
gut sehen können. Du brauchst keine Angst zu haben. Hier
leben Priester, keine Krieger.«
»Ja,« flüstere Saphira und fügte leise hinzu: » Herr, bitte
schütze uns. Bitte.«
Sie gingen langsam auf den Tempel zu. Asger spürte, dass sie
beobachtet wurden. Saphira war das alles zu unheimlich, sie
hielt sich an Asger fest und betete leise. Als sie die Stufen des
Tempels erreichten, traten ihnen Priester entgegen.
»Seid willkommen, Fremde,« begrüßte sie der Mann in der
Mitte der Priesterschar. »Seid willkommen im Tempel des Seth.
Ich bin der Hohepriester Nesamun.«

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»Ah ja,« dachte Asger, »Seth, der Gott der Wüste und der
Mörder des Osiris. Kein Wunder, dass ihr so weit draußen
euren Tempel habt. Woanders würde man euch auch gar nicht
dulden.« Er strich der ängstlichen Saphira über die Wange und
sagte zu ihr: »Ich hätte nie gedacht, hier draußen in der Wüste,
so weit vom Nil entfernt, auf Ägypter zu treffen.« Danach
wandte sich Asger an den Hohepriester: »Wir danken Euch für
Euer willkommen, Nesamun, Hohepriester des Seth. Mein
Name ist Asger, Sohn des Ronet, dies ist Saphira, meine Frau.
Wir sind Reisende auf dem Weg zum Meer.«
»So ruhet Euch von den Strapazen Eurer Reise aus. Wir
werden Euch Unterkunft gewähren.«
»Wir danken Euch, Hohepriester.«
Nesamun gab einem der untergeordneten Priester ein Zeichen.
Dieser deutete Asger und Saphira, ihm zu folgen.
»Wie ist Euer Name?« fragte Asger den Priester.
»Bakwerel.«
»Wo führt Ihr uns hin?«
Der Priester führte sie vom Tempel durch die Gärten zu
einem Gebäude an der Nordmauer. »Hier könnt Ihr Euch
ausruhen,« sagte Bakwerel. »Euch wird ein Bad bereitet
werden, ebenso wie ein Lager.«
»Besten Dank. Ihr haltet das Gastrecht hoch,« danke Asger.
»So wie es Seth befiehlt. Wir folgen nur seinen heiligen
Weisungen.«
Der Priester verließ seine Gäste. Saphira schaute sich um und
fragte: »Was haben diese Männer gesagt? Ich verstehe diese
Sprache nicht.«
»Es ist Ägyptisch,« antwortete Asger. »Verstehst du diese
Sprache nicht?«
»Nein,« antwortete Saphira und schüttelte ihren Kopf. »Ich
kann nur Griechisch und Latein.«
»Also, sie haben uns willkommen geheißen und Unterkunft
gewährt.«

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Saphira sah ihn fragend an. Sie glaubte nicht, dass das alles
war, was gesagt wurde.
»Dies ist ein Tempel des Seth,« sagte Asger weiter, »dem
Gott der Wüste und der Bruder des Totengottes Osiris.«
»Es gibt nur einen Gott,« sagte Saphira leise und Asger
lachte: »Das würde ich mit denen nicht ausdiskutieren wollen.
Lassen wir doch einfach jedem seinen Glauben. Immerhin hat
uns der Priester ein Bad versprochen und das können wir auch
gut gebrauchen.«

Eine alte, bucklige Frau klopfte an die Tür und sagte, dass sie
beauftragt worden sei, die Gäste des Tempels zum Bad zu
führen. Asger und Saphira folgten ihr und standen bald vor
einem großen Bottich, der mit heißem Wasser gefüllt war.
»Sie an, Seife gibt es auch,« stellte Asger fest, nachdem er die
Gegenstände auf einem Tisch neben dem Bottich überprüft
hatte. »Und auch ein Rasiermesser. Die haben wirklich an alles
gedacht.«
Er drehte sich nach Saphira um und sah, wie sie am Rand des
Gefäßes stand und wartete.
»Soll ich mich wieder umdrehen?« fragte er.
»Nein,« antwortete sie leise. »Das braucht Ihr nicht.«
»Wieso badest du noch nicht? Ich sehe doch, dass du es nicht
erwarten kannst.«
»Ich warte, bis Ihr gebadet habt. So wie es sich für eine...«
»Geh’ du zuerst ins Wasser,« unterbrach sie Asger. »Tu es
einfach!«
Saphira schlug die Augen nieder, schaute kurz auf das
dampfende Wasser und dann zu Asger. »Danke,« sagte sie
leise, zog ihr Gewandt aus und legte es ordentlich
zusammengefaltet auf einen Stuhl.
Asger sah ihr aus den Augenwinkeln dabei zu. Während sie
sich ins Wasser setzte, kämpfte er mit seiner

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Selbstbeherrschung. »Nein,« sagte er zu sich selbst, »du wirst
dich wie ein Mann von Ehre benehmen. Beherrsch dich!«
»Wollt Ihr nicht auch baden?« fragte Saphira, während sie
sich einseifte. »Das Wasser ist sehr angenehm und es ist genug
Platz.«
Asger warf seine Kleidung über einen anderen Stuhl und
kletterte schnell in den Bottich.
»Ein Bad ist doch etwas herrliches, nicht wahr?« fragte
Saphira. »Es ist wirklich sehr angenehm, sich wieder sauber zu
fühlen.«
»Ja, so ist es, du hast recht,« stimmte Asger zu. »Ohne Sand
auf der Haut fühlt man sich viel besser.« Er griff nach dem
Rasiermesser und begann, sich den Bart zu schaben.
»Verdammt noch mal!« fluchte er, als er sich schnitt. »Ich sollte
es bleiben lassen.«
»Kann ich Euch helfen?« fragte Saphira.
»Gute Idee,« antwortete er und gab ihr das Messer. »Sich zu
rasieren, ohne etwas zu sehen, wird auf Dauer blutig und
schmerzhaft.«
Vorsichtig schabte Saphira Asgers Gesicht. »Ich bin fertig,«
sagte sie und legte das Messer beiseite.
»Danke.« Asger spülte sich noch einmal sein Gesicht ab.
Danach überprüfte er mit seinen Händen die Rasur. »Perfekt,«
lobte er, »sauber und ohne Schnitte.«
»Danke. Danke für Euer Vertrauen.«
»Wieso? Du warst doch sehr vorsichtig.«
»Dennoch konntet Ihr nicht wissen, ob ich es kann oder Euch
absichtlich verletzen wollte.«
»Du kannst es doch. Außerdem bist du kein Mensch, der
andere absichtlich verletzt. So bist du wirklich nicht.«
Saphira senkte ihren Kopf. »Das könnte ich nicht. Wirklich
nicht.«
Asger hob vorsichtig ihren Kopf an und grinste. »Ist doch
auch gut so. Von meiner Sorte laufen ohnehin genug herum.

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Dennoch sollten wir allmählich aus dem Wasser steigen, es
wird langsam kalt.«
»Oh, wie schön,« freute sich Saphira. »Sie haben uns neue
Bekleidung gegeben.« Sie zog sofort das Kleid an und strich es
zurecht. »Wie sehe ich aus?«
Asger holte kurz Luft und sammelte sich. »Es steht dir
wirklich sehr gut. Der Schnitt ist sehr figurbetont, als wenn es
für dich gemacht worden sei.«
Sie kehrten in das Gästehaus zurück. Dort fanden sie auf dem
Tisch etwas zu essen, es war eine Schüssel mit verschiedenen
Früchten des Gartens. Saphira freute sich über die frischen
Früchte, Asger begnügte sich mit etwas Dörrfleisch aus seinen
Vorräten. Langsam kauend sah er gedankenverloren in das
Feuer des Kamins.
»Woran denkt Ihr?«
»Ich frage mich, wie viele Menschen hier leben. Es können
nicht viele sein, die Gärten sind ziemlich klein. Es gibt keine
Felder oder Palmenhaine mit Datteln, nicht einmal einen
Handelsplatz.«
»Befürchtet Ihr ein Falle?« fragte Saphira erschrocken und
sah die Frucht in ihrer Hand an. »Oder dass das Essen vergiftet
ist? Essen die vielleicht Menschen?«
»Nein, das nun wirklich nicht,« lachte Asger. »Wenn ich
befürchten würde, dass sie uns vergiften wollen, würde ich es
dir sagen. Oh nein, ich mag diese Früchte einfach nicht. Das ist
alles.« Saphira atmete auf und aß weiter. »Ich wundere mich
nur, sonst nichts. Ist aber auch egal, wir sollten bald schlafen
gehen. Ich sehe, dass du genauso müde bist wie ich.«
Asger musterte die Strohmatten, die ihnen als Bett dienen
sollten. Auf den Matten lagen ein paar Decken gegen die
nächtliche Kälte der Wüste.
»Man merkt, ein Tempel,« kommentierte Asger die
Schlafstellen. »Einfach und asketisch, wie es sich für Priester
gehört. Aber immer noch besser als der Wüstensand.«

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Er warf seine Toga über einen Stuhl, während Saphira ihr
Kleid fein säuberlich zusammenlegte.
»Wo möchtest du schlafen?« fragte Asger.
»Darf ich bei Euch schlafen? Ich fühle mich dann sicherer.
Dieser Ort ist mir unheimlich.«
»Wenn du möchtest, ja, gerne. Und Saphira, lass bitte das
»Ihr« und »Euch«. Ich bin Asger und du kannst auch du zu mir
sagen.«
»Ja, wenn Ih... du es so wünschst.«
»Sagen wir, ich würde es sehr begrüßen.« Asger setzte sich
auf eine der Matten, nahm eine Decke und gab Saphira die
restlichen. »Mach es dir bequem, mir langt das hier.« Danach
legte er sein Schwert griffbereit an seine Seite. »Man weiß ja
nie,« murmelte er, »sicher ist sicher.«
Saphira hatte sich hingelegt und schaute ihn an. »Du bist
anders,« sagte sie leise. »Du behandelst mich wie einen
Menschen, nicht wie eine Sklavin.«
»Darauf hast du auch ein Anrecht. Ich halte nichts von der
Sklaverei. Das ist Unrecht, ich lehne das ab. In meiner Heimat
wird jeder Mensch frei geboren, anders als im Imperium,«
erklärte Asger und legte sich auf seine Strohmatte. »Wohl
deshalb können die Legionen Roms die Völker meiner Heimat
nicht unterwerfen. Sie kämpfen um ihre Freiheit.«
»Frei geboren,« wiederholte Saphira leise, hielt sich an
Asgers Arm fest und schlief ein.

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- Kapitel 4 -

»Wie war dein Tag?«


»Ganz gut, die Gärten waren interessant,« antwortete Saphira
und schloss die Tür hinter sich. »Ich habe die Gartenarbeit
genossen, es war etwas ganz neues für mich.« Sie stellte einen
Korb mit Früchten auf den Tisch.
»Scheint so, als wenn die einfachen Bewohner ganz erfreut
waren, dass du mitgeholfen hast. So erschien es mir jedenfalls.«
»Leider konnten wir uns nicht miteinander unterhalten. Sie
haben alle nur ihre Sprache gesprochen. Und was hast du den
ganzen Tag über gemacht?« Saphira setzte sich und begann die
Früchte, die sie sich erarbeitet hatte, zu putzen, um sie danach
essen zu können.
»Ich habe die Pferde versorgt, die Wasserschläuche gefüllt
und etwas Tauschhandel getrieben. Ich hätte nie gedacht, dass
Dörrfleisch so begehrt sein könnte.«
»Und was hast du erhandelt?«
»Vor allem Brot. Das Dörrfleisch hängt mit inzwischen zu
Hals raus.« Asger stellte eine kleine Schatulle auf den Tisch.
»Und noch etwas für dich.«
»Für mich?« fragte Saphira mit großen Augen. »Was ist es
denn?«
»Sieh nach. Ich hoffe, dass es dir gefällt.«
Saphira öffnete das Kästchen und betrachtet den Inhalt. »Oh,
danke! Sehr nett von dir,« freute sie sich. »Sogar einen
Spiegel!«
»Soweit ich weiß, sind Dinge zum Schminken für euch
Frauen sehr wichtig. Ich dachte, ich könnte dir damit eine
Freude machen.«
»Danke, das hast du auch. Ich werde es gleich ausprobieren!«
Saphira nahm den Spiegel heraus und begann damit, etwas
roten Puder auf ihren Wangen zu verteilen.

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»Was hast du noch so gemacht?«
»Nebenbei habe ich versucht, etwas mehr über diesen Ort zu
erfahren.«
»Und?« Sie verteilte ein anderes Puder über ihren Augen und
betrachtete das Ergebnis kritisch im Spiegel.
»War recht schwierig, sie sind nicht sehr gesprächig. Das
einzige, was ich herausbekommen habe, ist, dass dieser Tempel
sich in der Zeit Alexanders isoliert hat. Das ist verdammt lange
her.«
»Sind wir die ersten Menschen, mit denen sie seid dem
wieder Kontakt haben?« Mit einem dünnen Pinsel und Farbe
zog sie ihre Lippen nach.
»Irgendwie glaube ich das nicht. Ich war auf den Mauern und
habe mir auch sonst alles angesehen, wo ich hingekommen bin.
Keine Felder, kein Vieh, nur die Gärten. Das langt nie und
nimmer. Sie werden von irgendwo her versorgt werden, da bin
ich mir sicher.«
»Dann sind sie doch nicht so isoliert, wie sie behaupten,«
stellte Saphira fest und fragte: »Wie sehe ich aus?«
Asger betrachtet ihr Gesicht. »Sehr hübsch. Du wendest es
dezent an, das gefällt mir. Du kannst wirklich gut damit
umgehen.«
»Danke.« Saphira sah sich im Spiegel von allen Richtungen
aus an. »Ja, doch. Ich bin zufrieden.« Dann gähnte sie und
sagte: »Ich bin müde, Gartenarbeit ist wirklich sehr
anstrengend.«
»Dann geh’ doch schlafen,« schlug Asger vor. »Das werde
ich auch gleich tun.«
Bevor er sich auf seine Matte legte, legte Asger wieder sein
Schwert an seine Seite und auf den Stuhl neben ihm den
Gladius. Über den warf er seine Kleidung, damit die Waffe
nicht auf den ersten Blick zu erkennen war.
»Warum machst du das?« fragte Saphira, die ihre Kleidung
ordentlich zusammengelegt hatte.

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»Ist so eine Angewohnheit. Das mache ich schon seit Jahren.«
Asger warf sich eine Decke über und legte sich hin. Als Saphira
seinen Arm nehmen wollte, legte er diesen um sie und zog sie
vorsichtig an sich heran. »Einverstanden?« fragte er. »Wenn du
es nicht möchtest, sag es ruhig. Ich wäre dir deswegen nicht
böse. Es ist dein gutes Recht, es nicht zu wollen.«
»Es ist gut so,« antwortet sie und legte ihren Kopf auf seine
Schulter. »Es ist so auch bequemer und viel, viel wärmer.«
Nachdem er sich sicher war, dass sie schlief, gab Asger
Saphira einen sanften Kuss auf die Stirn. »Schlaf gut,« sagte der
Nordmann leise. »Sammle Kraft. Morgen wird etwas
geschehen, ich weiß nicht was, aber ich spüre es. Ich kann es
fühlen, so nahe ist es.«

Asger schreckte auf und griff nach seinem Schwert. Er hatte


Saphira schreien gehört und wollte aufspringen, um sie zu
verteidigen. Soweit kam es aber nicht, als er aufstehen wollte,
blickte er auf die Lanzenspitze eines Priesters und sein Schwert
bekam er auch nicht zu fassen.
»Wir wollen nur die Frau,« sagte der Mann. »Seth sehnt sich
nach seiner Gemahlin. Sie wird Nephthys Platz einnehmen.«
»Verdammt noch mal!« fluchte Asger. Er ließ sich wieder auf
die Matte fallen und betrachtet seine Umgebung. Saphira war
weg, ihr Kleid lag noch auf dem Stuhl. Sein Schwert hatte der
Mann weggestoßen, ansonsten war auf seiner Seite alles so, wie
am Abend zuvor. Auch den Priester erkannte er, es war
Bakwerel, der ihn und Saphira am Abend ihrer Ankunft in
diesen Raum geführt hatte. »Du hättest mich umbringen sollen,
als du die Gelegenheit hattest,« dachte der wütende Nordmann.
»Das war dein letzter Fehler gewesen.« Bakwerel schaute
abwechselnd auf den Tempel und zu seinem Gefangenen, er
wollte seinen Gefangenen bewachen und gleichzeitig die
Zeremonie verfolgen. Asger wartete, bis der Priester wieder aus
dem Fenster sah und rollte sich zur Seite. Er zog an der Lanze

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und trat dem fallenden Mann in den Unterleib. Dann sprang er
auf, griff dabei nach dem versteckten Gladius und rammte
diesen Bakwerel in die Brust. »Der erste,« sagte Asger, als er
die Klinge aus dem Toten zog. »Mich würde durchaus
interessieren, was dir Osiris gerade alles so vorhält.«
Mit Gladius und Lanze bewaffnet stürmte Asger zum Tempel.
Er wollte verhindern, dass dort die Priester Saphira ihrem Gott
opferten. Die Bewohner der Tempeloase nahmen ihn überhaupt
nicht wahr, als er durch sie hindurchlief. Sie hatten alle ihre
Augen auf den Tempel gerichtet, wie in einem Rausch riefen
sie: »Seth!« Vor dem Tempel hatten sich die Priester
versammelt und schauten erwartungsvoll auf den offenen
Eingang, vor dem Saphira an einen Altar gekettet war. Zwei
Priester standen mit ihren Lanzen als Ehrenwache neben den
Treppen zum Tempel. Asger rannte durch die betenden
Menschen, wer ihm im Weg stand, wurde beiseite gestoßen.
Auch die überraschten Priester sprangen ihm aus dem Weg. Als
Asger den Altar erreicht hatte, durchschlug er mit seinem
Gladius Saphiras Ketten, stellte sich vor sie und streckte der
Menge seine Waffen entgegen. Den Priestern brüllte er
entgegen: »Wer von euch Hundesöhnen an ihr vergreifen will,
muss an mir vorbei! Na, wer will es versuchen? Osiris wartet
schon!«
Alle Priester wichen zurück, nur Nesamun nicht. Der
Hohepriester deute auf den Nordmann und rief die Wächter:
»Amenpanufer, Hascheri! Bringt ihn zum schweigen!« Die
beiden Wächter kamen mit vorgestreckten Lanzen auf den
Wütenden zu.
»Es geht los!« rief Asger erfreut und stieß die Lanze in den
Lehmboden vor dem Tempel. »Ihr beiden werdet als nächste
bezahlen.«
Seine Gegner kamen nebeneinander mit vorgestreckten
Lanzen auf ihn zu. Asger grinste und lief den zwei entgegen. Er
wich den Lanzen aus und streckte den ersten mit einem

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gewaltigen Hieb nieder. Dieser war noch nicht ganz auf dem
Boden aufgekommen, da hatte Asger dem anderen Mann seinen
Gladius in den Körber gerammt. Mit der bluttriefenden Klinge
stellte sich der Nordmann wieder vor Saphira und schüttelte
drohend die Waffe.
Aus dem Tempel erklang ein lautes Geräusch. Alle Bewohner
und Priester des Tempels wichen mit einem lauten »Seth«
zurück, gingen auf die Knie und verneigten sich. Asger drehte
sich um.
»Verdammt!« fluchte er. Aus der Tür des Tempels trat ein
Wesen mit dem Körper eines Mannes, auf dem ein Kopf mit
langer Schnauze und hochstehenden eckigen Ohren thronte.
»Seth!« riefen wieder die Menschen der Oase.
Asger wich langsam vor der, aus dem Tempel
heraustretenden, Gottheit zurück, so weit, bis er an die Lanze
stieß, die im Boden steckte.
Saphira, die zwischen Asger und Seth stand rief: »Es gibt nur
einen Gott! Er verlangt keine Blutopfer, weder Tiere noch
Menschen! Er hat uns seinen Sohn gesandt, um uns zu lehren
nach seinem Wohlgefallen zu leben! Weiche von mir, Dämon!
Ich fürchte dich nicht! Gott, der Herr wird mich schützen!«
Ihre mutigen Worte rissen Asger aus seiner Ehrfurcht der
fremden Gottheit gegenüber. Er zog die Lanze aus dem Boden,
stellte sich vor Saphira und schleuderte die Waffe, die Seth in
der Brust durchbohrte. Durch die Wucht wurde der Gott nach
hinten geworfen und schlug hart auf dem Boden des Tempels
auf. Eine Blutlache bildetet sich unter dem Körper und mit
einem Stöhnen hauchte er sein Leben aus.
Die Menschen vor dem Tempel wichen zurück, nur der
Hohepriester ging festen Schrittes auf Asger zu und schrie: »Du
Elendiger! Glaubst du wirklich, du könntest einen Gott töten?
Glaubst du, dass du Seth getötet hast?« Nesamun zog aus
seinem Gewandt einen Dolch hervor. »Empfange deine Strafe,
du Gotteslästerer!«

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Asger stellte sich schützend vor Saphira und erwartet den
Angriff. Als Nesamun mit seinem Dolch vorstieß, griff Asger
dessen Arm, drehte den Hohepriester um und hielt ihm den
eigenen Dolch an die Kehle.
»Nimm ihr die Ketten ab,« befahl Asger einem der Priester,
der sofort der Anweisung folge leistete. »Geht uns aus dem
Weg!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückte er
Nesamun den Dolch etwas kräftiger an den Hals. »Saphira,
nehme bitte mein Schwert. Wir werden jetzt unsere Sachen
holen und von hier verschwinden.«
»Wenn Ihr mich freilasst, sichere ich Euch freies Geleit zu,«
keuchte der Hohepriester.
»Und das soll ich dir glauben?« entgegnete Asger. »Vor zwei
Tagen gewährtest du uns Gastrecht, und heute? Oh nein, so wie
es jetzt ist, so ist es für uns am besten.«

Langsam zog Asger den Hohepriester mit zum Gästehaus,


dort setzte er ihm unsanft auf einen Stuhl. »Bring mir bitte aus
den Satteltaschen die Lederbänder, damit ich ihn fesseln kann,«
sagte Asger zu Saphira und zu Nesamun: »Du hältst dein Maul,
ich will keinen Ton von dir hören!«
Saphira gab ihm die Lederbänder und sagte: »Hier bitte. Das
waren alle, die ich finden konnte.«
»Danke, das wird reichen. Saphira, binde ihm die Hände
hinter dem Rücken zusammen. Sehr schön, und jetzt die Füße.
Danke Saphira, das machst du sehr gut.« Asger legte den Dolch
beiseite und knebelte Nesamun.
Saphira umarmte Asger. Während die Anspannung von ihr
abfiel, begann sie zu weinen. »Danke, dass du mich gerettet
hast. Ich hatte Angst davor, sterben zu müssen.«
»Das würde ich nie zulassen,« flüsterte Asger und drückte sie
an sich. »Niemals!« Er strich ihr die Tränen aus dem Gesicht,
gab ihr einen Kuss auf die Stirn und drückte sie wieder an sich.
»Du warst sehr mutig!«

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»Wieso?«
»Du hast dich Seth entgegengestellt, obwohl es tatsächlich
sich um einen Gott hätte handeln können. Auch ich bin
zurückgewichen. Du hast wirklich Mut.«
»Danke.«
Sie verließen die Tempeloase des Seth. Saphira führte die
Pferde durch die Säulen, Asger sicherte den Weg mit dem
Hohepriester als Geisel. Langsam zogen sie hinaus in die
Wüste, erst als sie außer Reichweite von Bogenschützen waren
ließ Asger Nesamun frei.
»Saphira, steig schon einmal auf. Wir werden gleich
losreiten.«
»Ja, lass uns hier weg. Ich möchte diesen Ort nie wieder
sehen.«
»Was ist mit mir?« fragte Nesamun.
»Du bist frei,« antwortete Asger und hielt dem Hohepriester
seinen Dolch hin. Als dieser die Waffe ergreifen wollte, drehte
Asger diese nochmals in seiner Hand und stieß sie Nesamun ins
Bein. Der Seth-Priester schrie vor Schmerz auf und sackte
zusammen.
»Ja, ja,« sagte Asger verächtlich und saß auf. »Anderen ohne
zu zögern Schmerz zufügen oder auch töten wollen, aber selber
bei dem kleinsten Kratzer umfallen. Das sind die Richtigen!«
»Warum hast du das getan?« fragte Saphira, als sie losritten.
»Wolltest du Rache nehmen?«
»So braucht er länger zurück und wir haben einen größeren
Vorsprung,« antwortete Asger. »Das ist alles.«
Saphira atmete auf und sagte leise: »Ich dachte schon, du
wolltest...«
».. Rache nehmen? Du magst keine Rache, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf. »Gott bestraft das Unrecht. Die
Rache ist mein, spricht der Herr. So steht es geschrieben.
Außerdem ändert es nichts an erlittenem Unrecht, wenn man
Rache nimmt.«

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»Da hast du Recht,« bestätige Asger ihre Sicht und fügte leise
hinzu: »Meist wird es dadurch nur noch schlimmer.«

Es war bereits nacht, als sie ihr Lager aufschlugen. Saphira


hatte aus den Decken ein warmes Nachtlager vorbereitet, in das
sie sich legte. Asger setzte sich zu ihr und schaute in den
Sternenhimmel.
»Danke,« sagte sie leise. »Danke, dass du mich gerettet hast.«
Asger sah sie an und flüsterte zurück: »Nein, ich habe dir zu
danken.«
»Wieso?« fragte sie und bekam vor Verwunderung große
Augen.
»Ich habe etwas gefühlt, was ich seit so vielen Jahren nicht
mehr gefühlt habe. Das Gefühl, das richtige zu tun, das, was
den Göttern gefällt. Zu retten, nicht zu vernichten.« Asger stand
auf und schaute wieder in den Himmel. »Es ist schwer zu
beschreiben. Ich fühle mich einfach wohl.«
Auch Saphira stand auf. »Ich glaube, ich weiß, was du
meinst,« sagte sie leise und umarmte ihn. »Vieles lässt sich
nicht beschreiben. Legst du dich gleich zu mir? Ich möchte
nicht alleine schlafen.« Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter,
während Asger sie fest in den Arm nahm. »Was hast du? Du
bist so steif.«
Asger atmete schwer. »Ich möchte dich nicht...«
Saphira hob ihren Kopf und sah ihn an. »Du möchtest mich
nicht zu irgendetwas zwingen, nicht war?«
»Ja.«
Sie rollte sich auf ihn und flüsterte: »Es ist lieb von dir,
wahrlich ehrenhaft.« Sie gab ihm einen Kuss. »Ich fühle mich
nicht gezwungen. Ich möchte es, genauso wie du.«

Die Morgensonne stieg über den Horizont und tauchte die


Wüste in ein warmes Licht, welches Saphira weckte. Sie lag in
Asgers Armen, die sie am Abend zuvor gehalten und an ihn

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gepresst hatten. Seine Hände hatten ihren Körper zärtlich
gestreichelt, seine Küsse waren so heiß gewesen, wie die
Strahlen der Sonne, die sie jetzt auf ihrer Haut spürte. Doch nun
fühlte sie, wie er an seinem ganzen Körper zitterte. Sie nahm
seine Hand und zog sie an ihre Brust, dorthin, wo ihr Herz
schlug. Asger hörte langsam auf zu zittern und drückte sie fester
an sich. »Welch ein Dämon muss sein böses Spiel mit seiner
Seele treiben?« dachte sie und betete: »Herr Gott, Vater im
Himmel, bitte hilf ihm. Vertreibe die Schatten und bringe dein
Licht. Bitte.«
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Asger
aufwachte. Er spürte nicht Saphira an seiner Seite und schreckte
auf. Seine Hand war bereits wieder an dem Heft seines
Schwertes, als er sich umblickte. Einige Schritte von ihm
entfernt entdeckte er Saphira, die nach Norden sah. Er ließ das
Schwert los, sprang auf und lief zu ihr.
»Guten Morgen, Saphira,« sagte er, als er sie erreichte und
legte seine Arme um sie.
»Den wünsche ich dir auch.« Saphira drehte ihren Kopf zu
ihm und gab ihm einen Kuss. »Das Meer,« sagte sie und deutete
auf die Küste vor ihnen. »Wir haben das Meer erreicht.«
»Ja, das haben wir.« Asger umarmte Saphira und drückte sie
an sich. »Wir haben es endlich erreicht.«
»Ja,« hauchte Saphira. Sie drehte sich zu ihm um, umarmte
ihn und drückte ihn an sich.
Auch Asger drückte sie fest an sich. »Saphira.«
»Ja?«
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch, Asger. Von ganzem Herzen. So wie du
mich. Sag jetzt bitte nichts. Halt mich einfach fest.«

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- Kapitel 5 -

»In ein oder zwei Tagen werden wir eine Stadt erreichen,«
sagte Asger abends am Feuer. »Dann können wir uns endlich
richtig ausruhen. So eine Reise durch die Wüste ist wahrlich
anstrengend.«
»Welche Stadt werden wir erreichen?« fragte Saphira mit
trauriger Stimme.
»Cyrene. Warum bist du so traurig, Saphira? Warst du schon
einmal dort?«
Sie schüttelte ihren Kopf. »Nein, ich war noch nie dort
gewesen. Aber in der Stadt bin ich wieder nur eine Sklavin, so
wie früher.«
»Die Erinnerung schmerzt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Du hast dein Leben immer in totaler Unterwürfigkeit
verbracht,« sagte Asger und nahm sie in seinen Arm, um ihr ein
Gefühl von Sicherheit und Schutz geben. »Nie hat jemand auf
deine Bedürfnisse Rücksicht genommen.«
Saphira nickte und fragte leise: »Hast du schon einmal die
Peitsche zu spüren bekommen?«
»Nein. Wieso?«
»Es schmerzt furchtbar. Tagelang. Wer einmal ausgepeitscht
worden ist, erträgt alles, wirklich alles, nur um es nicht wieder
erleben zu müssen.« Über Saphiras Wangen rollten Tränen und
sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. Asger schloss sie fest in
seine Arme, er spürte, wie sehr sie die Erinnerung schmerzte.
»Nur wenige Menschen waren nett zu mir,« sagte Saphira
leise und traurig. »Die meisten haben mich kaum beachtet. An
die wenigen Male kann ich mich gut erinnern.«
Asger nickte verständnisvoll und nahm ihre Hand. Er sagte
nichts, um ihren Redefluss nicht zu unterbrechen. Es war das

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erste Mal, dass sie ihm von ihrer Vergangenheit erzählte und er
wollte sie nicht unterbrechen.

»Saphira!«
»Ja, mein Herr?« Ein zehnjähriges Mädchen erschien an der
Tür der Schreibstube und verneigte sich tief. »Ihr habt mich
gerufen?«
»Ich möchte, dass du dieses Schreiben zu meinen Sohn
bringst.«
»Ja, Herr. Wie Ihr wünscht Herr«
Der alte Mann gab ihr einen zusammengerollten Papyrus.
»Gut, dann lauf jetzt los!«
»Ja, Herr.« Saphira verneigte sich und lief los. Sie ging durch
die Stadt zu dem Haus des Sohnes ihres Herrn Quintus
Honorius. Saphira war sehr stolz darauf, dass ihr Herr ihr so
viel Vertrauen entgegen brachte und sie mit solch einem
Botengang betraute. Außerdem mochte sie die
Schwiegertochter des Quintus sehr gerne, die Frau hatte sie
immer gut behandelt. Schnell hatte sie die Stadt durchquert und
stand vor ihrem Ziel. An der Pforte des Hauses klopfte sie.
»Wer dort?«
»Ich bringe eine Nachricht für deinen hohen Herrn,«
antwortete Saphira. »Sie ist von seinem Vater, dem hohen
Herrn Quintus Honorius!«
Die Tür öffnete sich und vor ihr stand ein großen, stämmiger
Mann. »Mein Herr ist nicht da. Gib mir den Papyrus, ich werde
ihn meinem Herrn nachher geben.«
»Ich darf ihn nur deinem Herrn oder deiner Herrin
aushändigen.« Saphira wollte ihren Auftrag perfekt erfüllen.
Schließlich konnte sie nicht wissen, ob der Mann tatsächlich die
Schriftrolle weiter geben würde.
»Es ist gleich, ob du den Papyrus mir oder meinem Herrn
gibst.«

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»Nein, ist es nicht,« bestand Saphira auf ihre Ansicht. »Ich
habe den Auftrag...«
»Komm herein,« brummte der Mann missmutig. »Dann musst
du eben noch warten.«
Sie wurde in die Empfangshalle des Hauses gebracht.
»Warte hier.«
»Ja.« Saphira sah sich neugierig um. Die Halle war groß, viel
größer als die im Hause ihres Herrn. An den Seiten standen
Staturen, der ganze Raum wirkte sehr repräsentativ. Sie ging zu
einer der Staturen, um sich diese genauer anzusehen.
»Herrin, ich habe zu ihr gesagt, sie soll mir die Rolle geben,«
hörte Saphira den Mann von der Tür hinter sich sagen. »Aber
sie bestand darauf.«
Saphira drehte sich um und verneigte sich.
»Saphira,« sagte die Herrin des Hauses, »was ist denn so
wichtig, dass du darauf bestehst, es persönlich zu übergeben?«
»Eine Nachricht von meinem Herrn, Herrin Julia,« antwortete
Saphira und gab der Frau die Schriftrolle. Die erbrach das
Siegel und las das Schreiben. »Oh, wie schön.
Selbstverständlich kommen wir,« freute sie sich. »Marcellus,
geh’ in die Küche und hole eine Belohnung für Saphira. Sag
dem Koch, er soll etwas für ein Mädchen zusammenpacken.«
»Ja, Herrin.« Marcellus zog sich zurück, um den Befehl
auszuführen.
»Und Marcellus!«
»Ja, Herrin?«
»Sag lieber dem Koch, es sei für eine junge Dame.«
»Ja, Herrin.«
Bald darauf kehrte Marcellus mit einem kleinen Korb voller
Früchte und Süßigkeiten zurück.
»Bitte, Saphira. Dein Botenlohn.«
»Oh danke, Herrin,« freute sich Saphira und bekam große
Augen. »Vielen, vielen Dank. Ist das wirklich alles für mich?«

- 39 -
»Ja,« lachte die Julia. »Und nun gehe zu meinem
Schwiegervater und richte ihm aus, dass wir für die Einladung
danken und kommen werden.«
»Ja, Herrin. Das werde ich, Herrin. Und nochmals vielen
Dank, Herrin.«
Saphira lief vor Freude strahlend durch die Stadt, das
Körbchen mit ihrer Belohnung fest in der Hand. Sie hatte sich
fest vorgenommen, sich die Süßigkeiten gut einzuteilen, um
lange etwas davon zu haben.
»Na, Kleine! Wohin des Weges?«
In der Gasse vor ihr standen vier junge Männer, die sie
schnell umstellt hatten.
»Nach Hause, zu meinem Herrn,« antwortete Saphira
freundlich.
»Was hast du in deinem Korb?«
»Eine Belohnung, die ich für meinen Dienst erhalten habe.«
»Gib’ mir den Korb!«
»Bitte lasst ihn mir, bitte.«
Der Mann vor ihr riss ihr den Korb aus der Hand und stieß sie
zu Boden. Die anderen lachten darüber.
»Dann wollen wir doch einmal sehen, was dort so drin ist.
Verdammt, nur Süßigkeiten.« Der Mann brüllte Saphira an:
»Wo hast du das Geld?«
»Ich habe kein Geld,« weinte Saphira. »Bitte lasst mich
gehen. Bitte. Behaltet den Korb. Aber bitte lasst mich gehen.
Bitte.«
»Wie schön du betteln kannst!« Die Männer lachten und
erfreuten sich an ihrem Leid.
Das Lachen verstummte, als eine riesige Gestalt in der Gasse
erschien. »So, so. Ihr Mistkerle wollt euch also an der Angst
eines kleinen Mädchens erfreuen.«
Saphira schaute auf und sah einen Legionär, voll gerüstet mit
Helm, Schienenpanzer und Schwert. Der Mann packte den
Anführer. »Mal sehen, ob ihr jetzt immer noch so mutig seid.«

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Die anderen drei Männer liefen schnell weg, um nicht in die
Hände des Legionärs zu gelangen. »Gib ihr ihre Sachen wieder
und entschuldige dich bei der Kleinen!« Um seinen Worten
Nachdruck zu verleihen, schüttelte der Legionär den anderen
Mann. Der gab Saphira schnell ihr Körbchen wieder, riss sich
los und lief seinen Kumpanen hinterher. »Feiglinge!« rief der
Legionär den Flüchtenden hinterher.
Saphira saß auf dem Boden und weinte.
»Du brauchst keine Angst mehr zu haben.« Der Legionär
hatte sich vor sie gekniet und strich ihr mit seiner Hand über die
tränennasse Wange, um sie zu beruhigen. »Die Feiglinge sind
weggelaufen, sie werden dir nichts mehr tun.«
»Danke,« schluchzte Saphira, »danke, dass Ihr mir geholfen
habt.«
»Das habe ich gerne getan,« sagte der Mann ruhig. »Meine
Eltern haben mich gelehrt, jemanden in Not zu helfen.«
Saphira nickte und sah den Mann mit großen Augen an. »Ihr
habt gute Eltern.«
Der Legionär grinste. »Sie haben mich alles gelehrt, was gut
und richtig ist. Und was den Göttern gefällt.«
»Hier bitte, nehmt.« Saphira hielt dem Mann ihr Körbchen
hin. »Nehmt es als Dank von mir.«
Der Legionär sah auf das Körbchen, dann auf das Mädchen
und spürte, wie sehr es sie schmerzte, dies zu tun. Um sie nicht
zu beschämen nahm er eine kleine Weintraube aus dem Korb
und sagte zu ihr: »Danke, doch die Traube reicht. Es ist sehr
nett von dir. Ich nehme sie mit Freuden, aber ich werde dir
nicht deinen einzigen Besitz wegnehmen.«
»Danke, Herr,« sagte Saphira leise. »Danke, dass ihr so gut zu
mir seid.« Danach sah sie auf ihr Kleid und wieder rollten die
Tränen über ihr Gesicht. Ihr Kleid war am Boden schmutzig
geworden und sie fürchtete, dafür bestraft zu werden.
»Du hast Angst, wegen deines Kleides Ärger zu bekommen,
nicht wahr?«

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Saphira nickte.
»Soll ich dich nach Hause bringen? Schließlich kannst du
nichts dafür.«
Sie nickte wieder.
Am Hause ihres Herrn angekommen, wurden Saphira und der
Legionär eingelassen.
»Saphira, Kind, was ist passiert?« fragte die Frau, die sie
einließ, erschrocken. »Du siehst ja erbärmlich aus.«
In der Halle wurde sie bereits von dem Herrn des Hauses
erwartet. Saphira verneigte sich tief und der Legionär grüßte
nach Art der Legion.
»Bringt Salz und Brot für unseren Gast.«
Schnell wurde beides aus der Küche herangeschafft.
»Ich danke Euch, Quintus Honorius,« bedanke sich der
Legionär und aß nach alter Sitte etwas von dem Angebotenen.
»Nun Saphira, hast du deinen Auftrag erfüllt?«
»Ja, Herr. Ich soll Euch ausrichten, dass sie sich freuen und
selbstverständlich kommen werden.«
»Gut. Und warum siehst du so aus?«
»Ich, ich...« stammelte Saphira und die ersten Tränen rollten
über ihr Gesicht.
»Sie ist überfallen worden,« antwortete der Legionär für sie.
»Vier Männer haben sie bedrängt und zu Boden geworfen.«
Über das Gesicht des Quintus huschte für einen Augenblick
Besorgnis und Mitleid, nur kurz und nur für das Auge eines
Geübten erkennbar. »Konntet Ihr schlimmeres verhüten?«
»Ja, hoher Herr. Die Männer sind geflohen, bevor sie ihr
weiteres antun konnten.«
»Hat sie sich zur Wehr gesetzt?«
»Kann ein Mädchen sich gegen einen Mann zur Wehr
setzen?«
»Wohl schlecht. Nein. Ihr habt recht. Saphira!«
»Ja, Herr?«
»Geh’, wasch dich und lass dir neue Kleidung geben.«

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»Ja, Herr. Danke Herr. Und auch Euch nochmals vielen
Dank, Herr Legionär.«
Der Legionär grinste. »Beeile dich, den Befehl deines Herrn
zu erfüllen.«
Saphira verneigte sich und verließ die Halle in Richtung der
Sklavenquartiere.

Asger hielt Saphira fest in seinem Arm. Sie weinte während


Ihrer Geschichte und er fühlte, wie sehr sie die Erinnerung
ängstigte.
Als Saphira eingeschlafen war, stand Asger noch einmal auf
und schaute nach Norden in den Sternenhimmel. »Odin,«
flüsterte er, »welche Überraschungen lässt du die Nornen noch
in das Schicksal weben?« Aus einem kleinen Beutel nahm er
eine alte verdorrte Weintraube, die er als Glücksbringer bei sich
trug. »Sie ist also das kleine Mädchen von damals. Und ich
hätte die Sache schon vergessen, wenn ich nicht diese
Erinnerung hätte.« Danach sah er zu Saphira und sagte leise,
kaum hörbar, zu ihr: »Saphira, meine Geliebte, du Licht meines
Lebens, nie wieder wirst du eine Sklavin genannt werden. Das
schwöre ich dir bei Thors Hammer und Odins meilenlangen
Ger.«

Die Sonne stieg über das Meer und weckte Asger mit ihren
warmen Stahlen. Er sah neben sich, fühlte Saphira in seinen
Armen. »Schlafe nur weiter,« sagte er leise. »Ruhe dich aus.
Vertreibe die Angst vergangener Tage und gewinne die Kraft
für das, was vor dir liegt. Mögest du dein wohlverdientes Glück
finden.« Er strich ihr eine Locke aus der Stirn. »Bitte, lass mich
ein Teil deines Glückes sein.«
»Ja,« sagte sie und schlug ihre Augen auf. »Ja, Asger. Sei ein
Teil meines, unseres Glückes.« Sie küsste ihn und legte ihren
Kopf auf seine Brust. »Ich hoffe, du verstehst, dass ich nicht
gerne über mein Leben spreche.«

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»Ja, das verstehe ich durchaus.«
»Gestern, gestern war... wie soll ich es sagen? Die Erinnerung
tut weh, ja. Aber im Leben einer Frau gibt es jeden Mond Tage,
an denen dies alles noch mehr weh tun kann. Die Tage an
denen...«
»Ich weiß, was du meinst.«
Saphira drehte ihren Kopf, so dass sie zu ihm hoch sah.
»Wirklich?«
»Ich habe Schwestern. An einigen Tagen waren sie
unerträglich, in den folgenden sehr verletzlich.«
»Ja. So ist es. Asger, bitte lass uns noch etwas hier an diesem
Ort bleiben. Ich fühle mich nicht wohl. Lass uns unsere Reise
erst morgen fortsetzen.«
»Wir werden erst dann wieder losreiten, wenn du dich besser
fühlst.«
»Danke.« Sie legte ihren Kopf wieder nach unten an seiner
Brust und kuschelte sich an ihn. »Du hast mir gestern Schutz
gegeben, Schutz, den ich früher dringend nötig gehabt und
bitter vermisst habe. Dafür danke ich dir.«
Saphira schloss wieder ihre Augen. Asger küsste sie und
drückte sie an sich. »Schlaf noch etwas,« flüsterte er. »Finde in
meinen Armen Sicherheit und Geborgenheit.«

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- Kapitel 6 -

Asger entfachte ein kleines Feuer und durchsuchte danach


seine Satteltaschen. »Das muss doch hier irgendwo sein,«
brummte er. »Das weiß ich genau. Ist wohl alles nach unten
gerutscht... Na, also. Geht doch.« Er holte einen kleinen
Tontopf mit Holzgriff und ein Stück Bronze aus der Tasche.
Saphira sah ihm dabei zu. »Was machst da?« fragte sie, da sie
nichts mit seinem Verhalten anfangen konnte.
»Lass dich überraschen,« antwortete Asger ausweichend.
»Ja.« Ihre Stimme klang traurig.
»Nicht traurig sein,« sagte Asger, ging zu ihr und strich ihr
zärtlich über ihre Wange. »Ich wollte nur sagen, dass du auf das
Ergebnis warten sollst. Es dauert nicht lange.«
»Ja.«
Asger legte das Stück Bronze in den Löffel und beides
zusammen ins Feuer. Danach nahm er seinen Dolch und
bearbeitete den Sand vor ihm. Saphira sah ihm dabei interessiert
zu. Sie wusste nicht, was er machte und was es werden sollte,
aber es faszinierte sie.
Nachdem die Bronze geschmolzen war nahm Asger den Topf
aus dem Feuer und goss den Inhalt vorsichtig in den Sand.
Nachdem dass Metall abgekühlt war, nahm er das Gussstück
aus dem Boden und betrachtete es von allen Seiten. Mit seinem
Dolch bearbeitete er einige Stellen vorsichtig nach. Danach
holte er aus seinem Geldbeutel ein paar Goldmünzen und warf
sie in den Schmelztiegel.
»Eine Form,« dachte Saphira, »er hat eine Form hergestellt.
Doch wozu? Was will er damit?« Ihre Neugierde war erwacht
und sie beobachtete sein Vorgehen noch genauer.
Das geschmolzene Gold goss Asger in die Bronzeform.
Während das Metall abkühlte holte er aus seiner Satteltasche
ein Tuch und ein dünnes Lederband. Saphira kannte das Tuch,

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er hatte es zum polieren seiner Waffen verwendet. Ebenso
kannte sie die dünnen Lederbänder, mit solchen hatten sie den
Sethpriester Nesamun gefesselt. Nachdem das Gold abgekühlt
war, drehte Asger die Form um und fing den Inhalt mit seiner
Hand auf. Saphira sah, wie er das Gussergebnis noch kurz
nachbearbeitete und dann polierte. Aber sie konnte nicht
erkennen, um was es sich handelte.
Bald darauf war Asger fertig und warf die Bronzeform weit
auf das Meer hinaus. »Es gibt Dinge, die darf man nur ein
einziges Mal verwenden,« sagte er leise. »Saphira?«
»Ja?«
»Schließt du bitte einmal deine Augen?«
Sie nickte und erwartete gespannt, was passieren würde. Bald
darauf spürte sie kaltes Metall auf ihrer Haut und wie Asger das
Lederband in ihrem Nacken verknotete.
»Darf ich meine Augen wieder öffnen?« fragte sie ungeduldig
und konnte es kaum erwarten, zu sehen, was er für sie gemacht
hatte.
»Ja.«
Saphira sah auf ein kleines, goldenes Kreuz, durch das Asger
einen schmalen Ring für das Lederband gezogen hatte. »Oh,
danke!« freute sie sich riesig über das Geschenk. »Vielen,
vielen Dank.«
»Gefällt es dir?«
»Oh ja! Es ist wunderschön! Danke!« Sie umarmte Asger,
küsste und drückte ihn an sich.
»Ich wollte dir eine kleine Freude bereiten. Und soweit ich
weiß, ist das Kreuz ein wichtiges Symbol für euch Christen. Es
ist vielleicht nicht sehr wertvoll...«
Saphira hielt Asger ihren Zeigefinger vor den Mund. »Es ist
sehr schön und für mich unendlich wertvoll. Du hast es mit
Liebe für mich gemacht, um mir eine Freude zu bereiten. Daran
wird es mich immer erinnern. Das ist viel mehr wert, als alles
Gold der Welt!«

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Die Sonne stand hoch am Himmel, als sie die Kuppe einer der
Dünen erreichten und in der Ferne hinter riesigen
Weizenfeldern eine Stadt sahen.
»Cyrene!« rief Asger.
»Endlich,« freute sich Saphira, »endlich sind wir da.«
»Ja,« stimmte ihr Asger zu, »ich kann die verdammte Wüste
auch nicht mehr sehen. Wenn wir dort sind, suchen wir uns erst
einmal eine Herberge für die Nacht. Und noch einen Stall für
die Pferde.«
Sie fanden ein freies Zimmer in einer Herberge mit Stall,
deren mürrischer Wirt den Namen Marius Primus trug. Asger
brachte die Pferde in den Stall während Saphira vor dem offnen
Tor wartete.
»Ein hübsches Mädchen,« bemerkte einer der zwei
Stallknechte. »Ob die gut reiten kann?«
»Mit Frauen ist es wie mit Pferden,« sagte der andere. »Man
muss sie nur richtig zureiten.«
Die beiden Männer lachten. Nicht lange, Asger packte den
ersten, den er zu fassen bekam, schleuderte ihn zu Boden und
sagte hart: »Noch ein Wort und du wirst nie wieder einen
dummen Spruch ablassen können.«
»Ist ja schon gut,« stammelte der. »Wir wollten doch nur...«
»Sei still!« fuhr Asger den Mann an. »Keine dummen
Sprüche über meine Frau! Ansonsten hau ich dich in Stücke!
Klar? Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« Um seinen
Worten Nachdruck zu verleihen, legte er eine Hand auf den
Griff seines Schwertes.
Die Knechte nickten und verschwanden in die andere Ecke
des Stalls.
»Was war denn gerade im Stall los?« fragte Saphira, als
Asger durch das Tor kam. »Ich habe Stimmen gehört.«

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»Ich habe den Stallknechten ein wenig Benehmen
beigebracht. Lass uns jetzt auf unser Zimmer gehen, ich bin
gespannt, was uns da erwartet.«
Sie ließen sich von dem Wirt der Herberge zu ihrem Zimmer
bringen, in dem kaum mehr als ein Bett stand.
»Immerhin, ein Ort zum schlafen,« beurteilte Asger das
Zimmer. »Besser, als die Wüste.«
»Ja, da hast du recht,« stimmte Saphira zu. Sie setzte sich auf
das Bett und überprüfte es. »Das Bett ist ganz angenehm, schön
weich. Wir werden gut darin schlafen können. Mit dem Zimmer
bin ich zufrieden. Aber ich mag den Wirt nicht.«
»Ich auch nicht. Wir werden die Tür gut verriegeln. Dann
kann er uns nicht stören.«
»Ja. Aber lass uns zuerst noch etwas essen. Ich bin hungrig
und müde. Und ein Bad würde ich auch noch gerne nehmen.«

Am nächsten Morgen fand Saphira neben sich eine


Papyrusrolle und einen kleinen Beutel. »Was ist das?« fragte sie
müde. »Was steht auf diesem Papyrus? Und was ist in diesem
Beutel?«
»Es ist deine Freilassungsurkunde,« antwortete Asger, der auf
der Kante des Bettes saß, leise. »Und in dem Beutel ist
genügend Gold, dass du einige Zeit davon leben kannst.«
»Was hat das zu bedeuten? Ich verstehe nicht.«
»Das bedeutet, du bist frei. Ein freier Mensch. Du kannst
gehen, wohin du willst. Das Gold ist dafür, dass du nicht
mittellos bist.«
»Aber...«
Asger sah Saphira an und sagte mit sanfter Stimme: »Ich liebe
dich Saphira. Mein Wunsch ist es, mit dir zusammen zu leben.
Mit dir als meine Frau, nach der Tradition meines Volkes mir
gleichgestellt. Nicht als Sklavin oder mittellose Konkubine, die
keine andere Wahl hat.«

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»Ich möchte auch mit dir alt werden, Asger.« Sie setzte sich
auf seinen Schoß und legte ihren Kopf an seine Schulter. »Ich
dachte eben, du wolltest mich wegjagen.«
Asger legte seine Arme um Saphira. »Nein, das würde ich nie
tun. Aber ich möchte, dass du aus deiner eigenen Entscheidung
bei mir bleibst, nicht weil du es musst. Das ist es, das ist mir
wichtig.«
»Asger, ich liebe dich,« sagte Saphira und küsste ihn zärtlich.
Eine Träne rollt über ihre Wange. »Nein, ich bin nicht traurig.
Es ist eine Freudenträne. Ich bin glücklich darüber, frei zu sein.
Und glücklich, mit dir zusammen zu sein. Es ist ein schönes
Gefühl, so unbeschreiblich schön.«
»Saphira?«
»Ja?«
»Möchtest du meine Frau werden?«
»Ja, Asger. Sehr gerne.«
»Danke, Saphira.« Asger drückte Saphira glücklich an sich.
»Asger, ich möchte dir eine Frage stellen.«
»Frage mich, was immer du willst.«
»Warum handelst du so?«
Asger senkte seinen Blick zu Boden. »Eigentlich... ja,
eigentlich ist es ganz einfach. Damals in der Wüste... du hast
mir leid getan. Ohne Möglichkeit, dich gegen dein Schicksal zu
wehren. Ja, du warst dem Schicksal ausgeliefert. Wie soll ich es
sagen... es war... ich wollte, nein, ich konnte dich nicht sterben
lassen. Alles andere, so wie ich vorher gelebt und wonach ich
gestrebt hatte, Ruhm, Gold... plötzlich war das alles unwichtig.
Es war neu für mich, doch es war gut. Mein Leben hatte sich
verändert. Vorher habe ich viel gekämpft, fast jeden Tag.
Krieger meines Stammes, Legionär in Diensten Roms und
Wächter von Karawanen, all das war ich. Ich tränkte die Erde
mit dem Blut meiner Feinde und füllte die Totenreiche mit
ihnen. Bis zu jenem einen Tag.« Asger sah Saphira in die
Augen. »Der Tag, an dem du in mein Leben tratst. Ich wollte

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ein neues Leben beginnen, es mir dir beginnen. Nur das sollte
gelten, was richtig ist, was den Göttern gefällt. Nicht mehr
Hass, Krieg und Gewalt, nicht mehr der schnelle Griff zum
Schwert und das Wissen, dass eines Tages jemand schneller,
stärker oder hinterhältiger sein wird. Frieden und Liebe, das ist
es, was ich mit dir erstreben will.«
»Frieden und Liebe.« Saphira umarmte Asger und drückte
seinen Kopf an ihre Brust. »Ja, das wollen wir gemeinsam
erstreben.« Sie küsste seinen Kopf und drückte ihn noch fester
an sich. »Lass uns unsere Hochzeit feiern...«

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- Kapitel 7 -

»Schon wieder zurück, Asger?« fragte Saphira verträumt und


räkelte sich im Bett. »Hast du schon die Ringe bekommen? Das
ging aber schnell.«
Ȇberraschung! Ich bin nicht dein Barbar. Aber ich kann
auch alles, was er auch kann. Sogar noch besser.«
»Was, was wollen Sie?« fragte Saphira erschrocken. »Wer
sind Sie? Wie kommen Sie hier herein?«
»Ich bin der Wirt dieser Herberge und will mir ein wenig
Zuschlag holen,« lachte der Eindringling und sah sie dabei
lüstern an. »Wenn du still bleibst wird niemand davon
erfahren.«
Saphira sprang auf, bedeckte sich mit einer Decke und schrie
den Mann an: »Lass deine Finger von mir! Verschwinde! Hau
ab!«
»Stell dich nicht so an,« spottete der. »Dich hört ohnehin
keiner.«
»Ich schon,« zische Asger, der plötzlich aus dem Schatten
hinter dem Mann auftauchte. Er packte dem Eindringling an der
Schulter, riss ihn herum und rammte ihm seine Faust in den
Bauch. Dann knallte er ihn gegen die Wand und schlug ihm ins
Gesicht, so dass sein Gegner betäubt zusammen sackte.
»Asger!« rief Saphira und fiel ihm in die Arme. »Asger!«
Asger drückte die zitternde Saphira fest an sich. Sie begann
zu weinen, als sich ihre Anspannung löste. »Alles ist gut,« sagte
er ruhig. »Er wird dir nichts mehr tun.«
»Gut, dass du da bist,« schluchzte Saphira. »Er wollte
mich...«
»Hat er aber nicht. Da hast dich gut zur Wehr gesetzt.« Asger
drückte Saphira fest an sich.

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»Was ist hier los? Das Geschrei kann man noch auf der
Straße hören! «
Asger drehte sich um und sah einen Tessarius der Legion.
»Mein Name ist Marius Primus,« jaulte der Wirt am Boden.
»Mir gehört diese Herberge.«
»Und?« fragte der Tessarius.
»Sie wollten ihre Miete nicht zahlen, statt dessen hat dieser
Barbar versucht, mich umzubringen! Lasst Euch nicht täuschen,
Tribun! Der Wilde ist gefährlich!«
»Ich bin Tessarius, kein Tribun.« Die Legionäre schauten sich
in dem Zimmer um und entdeckten Asgers Gladius. Der
Tessarius sah sich die eingeritzte Inschrift auf dem Griff an und
sah das Zeichen der Legio XIII. »Ward Ihr in der Legion?«
fragte er den Nordmann.
»Ja, in Dakien. Es ist lange her,« antwortete Asger und nickte.
»Habt Ihr Euren Entlassungsbrief?«
»Ja.« Asger holte aus einer Satteltasche einen Papyrus und
gab ihn dem Offizier. Der sah sich das Schriftstück an. »Gehen
wir ins Lager. Der Centurion soll entscheiden, wie es weiter
geht.«
»Was soll das heißen?« fragte der aufgebrachte Marius. »Ich
werde in meinem Haus zusammengeschlagen und Ihr...«
»Wenn dieser Mann in der Legion gedient hat,« schnitt der
Tessarius Marius barsch das Wort ab, »dann ist es auch Sache
der Legion. Jeder, der gedient hat, kann sich jederzeit auf die
Hilfe der Legion verlassen.« Und zu Asger sagte er: »Nehmt
Euer Weib mit, wir werden jetzt gehen.«
Asger spannte eine Decke aus einander, damit sich Saphira
unbeobachtet ankleiden konnte. Der Tessarius und die
Legionäre der Patrouille brachten sie zusammen mit dem
zeternden Marius in das Lager der Legion.
»Wartet hier!« befahl der Tessarius, als sie im Wachzimmer
angekommen waren. Dann gab er den Legionären noch die
Anweisung, niemanden aus dem Raum zu lassen und ging.

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Nachdem er die Tür des Wachzimmers hinter sich geschlossen
hatte, machte der Tessarius sich auf den Weg, seinen
Vorgesetzten zu suchen.
Asger holte zwei Schemel und sagte zu Saphira: »Setzen wir
uns, es kann noch einige Zeit dauern, bis ein Centurion hier
auftaucht.«
Saphira setzte sich neben ihn und hielt sich an seinem Arm
fest. »Was passiert jetzt?«
»Der Tessarius wird einen Centurion holen. Wenn wir Glück
haben, können wir bald gehen.«
»Und was ist mit mir?« fragte Marius mit sich
überschlagender Stimme. »Soll ich etwa stehen?«
Einer der Legionäre, die sie bewachten, antwortete:
»Kümmert Euch selbst um etwas zu sitzen.«
»Es gibt keine Stühle mehr.«
»Dann setzte Euch auf den Boden oder bleibt stehen,«
antwortete der Legionär missmutig. »Sucht es Euch selbst aus.«

»Was geht hier vor, Tessarius?«


Der Angesprochene drehte sich um, grüßte und antwortete:
»Ave, Praefectus Gnaeus. Ein Streit, Praefectus. Ein Mann
behauptet, der Besitzer der Herberge, in der er wohnt, hätte sich
seiner Frau in seiner Abwesenheit unsittlich genährt und er
hätte sie verteidigt. Der Wirt Marius Primus wiederum
behauptet, sie wollten ihre Schuld nicht zahlen und der Mann
hätte versucht, ihn umzubringen.«
»Und warum sind die dann hier? Es ist nicht Sache der
Legion, Geldstreitigkeiten zu schlichten. Dafür sind andere
zuständig.«
»Der Mann, der zugeschlagen hat, war in der Legion
gewesen. Er hat mir seinen Entlassungsbrief gegeben.«
»Ah ja. Die Legion kümmert sich um ihre Veteranen. Wenn
ich daran denke, wie viele von denen Probleme machen... Was
soll’s, habt Ihr den Entlassungsbrief?«

- 53 -
Der Tessarius zeigte die Urkunde dem Praefectus Castorum,
der einen Blick darauf warf. »Asger?« las er den Namen und
grinste. »Ich möchte mir den Mann selbst ansehen.«
»Wie Ihr wünscht, Praefectus.«
Der Tessarius öffnete die Tür und betrat den Wachraum.
»Na endlich!« rief Marius. »Ich dachte schon, Ihr wolltet
mich mit diesem Gallier alleine lassen!«
»Ich bin kein Gallier!« fauchte Asger. »Ich bin ein
Nordmann!«
»Verneigt euch vor dem Praefectus Castorum Gnaeus!«
befahl der Tessarius.
»Gnaeus?« fragte Asger leise Saphira. »Habe ich das richtig
verstanden?«
»Ja,« flüsterte sie zurück. »Kennst du ihn?«
»Ein früherer Kamerad von mir hieß Gnaeus. Inzwischen
könnte er tatsächlich ein hoher Offizier sein.« Nach dem er sich
wieder aufgerichtet hatte, sah sich Asger den Praefectus genau
an und grinste. »Mal sehen, ob er sich erinnert,« dachte er.
Gnaeus stellte sich vor Asger und fragte: »Laut diesem
Schriftstück seid Ihr Asger, Sohn des Ronet, vor zehn Jahren
nach fünfjährigem Dienst in der Legion XIII ehrenvoll
entlassen worden.«
»So ist es. Aber das würdet Ihr auch ohne Papyrus wissen,
nicht wahr Praefectus?«
»Ich kannte mal einen Mann, der so hieß,« antwortete der
Praefectus Castorum, »doch ich habe keine Kenntnis darüber,
was aus ihm geworden ist.«
»Ich bin nach dem ersten Dakienfeldzug des Imperators
Traian ehrenhaft aus der Legion ausgeschieden.«
»Das steht in dem Entlassungsbrief, ja.«
»Necho, der Ägypter,« begann Asger die Namen der
gefallenden Kameraden aufzuzählen, die einst mit ihnen in
Dakien gekämpft hatten. »Darius, der Perser, Hykonos, der
Grieche, Sargon, der Assyrer, Aetius Scipio...«

- 54 -
Gnaeus nickte. »Für wahr, ich erinnere mich nur zu gut. Und
daran, dass du immer darauf bestanden hast, Nordmann zu sein
und kein Gallier.« Der Praefectus Castorum sah sich Marius an,
dessen Gesicht inzwischen angeschwollen war. »Sieht ja gar
nicht so schlimm aus. Du hast Glück gehabt, dass du noch
lebst.«
»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der aufgebrachte Marius.
»Hätte er mich etwa erschlagen sollen?«
»Früher hätte er wohl. Außerdem kann ich jeden Mann
verstehen, der dich erschlagen würde.«
»Ihr glaubt einem dahergelaufenen Barbaren mehr als mir,
einem respektablen römischen Bürger? «
»Dieser Mann,« sagte Gnaeus erbost, »ist ebenfalls ein
Bürger Roms. Und bestimmt ein besserer als du. Ich habe mit
ihm vor vielen Jahren Seite an Seite gekämpft. Ihm glaube und
vertraue ich. Du Marius Primus, genießt dagegen den Ruf eines
Betrügers und Schwerenöters. Warum sollte ich dir auch nur ein
Wort glauben?« Gnaeus wandte sich an die Legionäre: »Schafft
ihn mir aus den Augen!«

»Tessarius!«
»Praefectus?«
»Asger und seine Frau werden als meine Gäste hier bleiben.
Sorgt für eine angemessene Unterbringung.«
»Ja, Praefectus. Soll ich auch ihr Eigentum aus der Herberge
holen lassen?«
»Eine gute Idee,« antwortete diesmal Asger, der nicht einfach
über sich bestimmen lassen wollte.
»Tut das Tessarius,« befahl Gnaeus.
»Ja, Praefectus!« bestätigte der Tessarius und ging, um seine
Befehle auszuführen.
»Sollen wir dich begleiten Praefectus Gnaeus?« fragte Asger.
»Wohin geht es?«

- 55 -
»Ja, kommt mit. Ich werde die Spiele mit beaufsichtigen, auf
Einladung und persönlichen Wunsch des Stadthalters. Du
kannst dich ja auch von der Loge aus von den Gladiatoren
unterhalten lassen.«
»Welch gesellschaftliches Ereignis,« kommentierte Asger die
Aussicht. »Na gut, langweilen wir uns gemeinsam.«
»Muss das sein?« fragte Saphira leise Asger. »Ich mag diese
Veranstaltungen nicht.«
»Mir wäre das Theater zwar lieber,« antwortet Asger, »aber
wir können doch die freundliche Einladung nicht ausschlagen.«
»Das Theater wäre mir auch lieber,« stimmte Gnaeus zu.
»Was gefällt Euch an den Spielen nicht, Saphira?«
»Es ist mir zu brutal,« antwortet sie leise und blickte zu
Boden. »Ich kann mich nicht daran erfreuen, Menschen sterben
zu sehen.«
»Sie ist sehr feinfühlig,« sagte Asger und nahm Saphira in
den Arm. Er hatte genau gesehen, wie Gnaeus sie kritisch
ansah. »So ziemlich das Gegenteil von mir.«
»Saphira, ich bewundere Euch,« lachte Gnaeus. »Dass Ihr es
mit solch einem groben Holzklotz wie Asger aushaltet. Na ja,
ich bin wohl auch nicht viel besser. Macht wohl die Legion.
Jetzt aber zum Statthalter, bevor er mich vermisst.«

In der Loge über der Arena stellte Gnaeus seine Gäste dem
Statthalter vor. Sie nahmen Platz und erwarteten das
Geschehen.
»Was steht heute auf dem Programm?« fragte Asger und
nahm sich einen Becher Wein.
»Gladiatorenkämpfe, was sonst?« antwortet Gnaeus. »Für
mehr ist die Arena nicht geeignet.«
»Na wie schön,« brummte Asger. »Gnaeus, ich gehe mal
dorthin, wo ein Mann alleine hingeht. Bis gleich Saphira.
Statthalter.«

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Asger verschwand in den Katakomben. Während dessen
fragte Saphira, die sich von dem Geschehen in der Arena
weggedreht hatte: »Praefectus Gnaeus, woher kennt Ihr Asger?«

Eine Patrouille von zehn Legionären marschierte auf einem


Pfad entlang der Felsen entlang der römisch-dakischen Grenze.
»Hoffentlich sind wir wieder bald im Lager. Ich möchte heute
keinen Dakern begegnen.«
»Wenn nicht heute, dann eben morgen, Gnaeus. Beklag dich
nicht,« fuhr der Tessarius den jungen Legionär an.
»Lasst gut sein, Tessarius. Der Junge ist ja noch recht frisch.«
»Trotzdem, Asger. Ein Legionär sollte voller Kampfesmut
sein!«
»Ja, ja,« brummte Asger. »Voller Kampesmut oder tot.«
Die Patrouille durchquerte eine Schlucht, als der Tessarius
aufschrie und mit einem Pfeil in Hals nach hinten fiel.
»Verdammt!« schrie Asger. »Daker!«
Die Legionäre stellten ihre Schilde auf den Boden und gingen
hinter ihnen in Deckung. Pfeile prasselten gegen die Schilde
und die Kampfschreie der Daker erfüllten das Tal.
»So Jungs, jetzt wir’s ernst,« sagte Asger zu seinen
Kameraden. »Wir ziehen uns ein Stück zurück. An die Stelle,
an der gerade mal drei Mann nebeneinander stehen können.«
»Und dann?«
»Halten wir sie auf, was sonst?«
»Sollten wir nicht das Eindringen der Daker im Lager
melden?«
»Nein, unser Centurion weiß, was los ist, wenn wir überfällig
sind. Er kennt auch den Weg, den wir genommen haben und der
Tribun wird mit der Legion nachrücken. Außerdem haben uns
die Daker kalt gemacht, bevor wir aus der Schlucht heraus
sind.«
Unter dem Pfeilhagel der Daker zogen sich die Legionäre an
die schmalste Stelle der Schlucht zurück.

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»Wir kämpfen zu dritt,« wies Asger seine Kameraden an.
»Die anderen können sich ausruhen und lösen die vorderen
immer wieder ab. Gefallende und Verwundete werden sofort
ersetzt. Alles verstanden?« Die Legionäre nickten. »Je länger
wir aushalten, desto eher überleben wir!«
Die vorderste Linie der Daker erreichte das kleine Häuflein
der Legionäre. Mutig wehrten diese den Angriff ihrer Feinde
ab, viele Daker fielen und auch die Zahl der Legionäre schmolz
zusammen.
Es standen nur noch Asger und Gnaeus auf ihrem Posten, als
die Daker zurückwichen. Auf die Schultern der zwei legten sich
Hände, als sie sich mit erhobenen Waffen umdrehten, sahen sie
ihren Centurion und hinter ihm eine ganze Legion.
»Die Ablösung ist da,« sagte der Centurion stolz. »Ihr habt
gut gekämpft, ruht euch aus. Den Rest erledigen wir.« Und zu
den Legionären rief er: »Männer, wenn eine handvoll Legionäre
eine Armee von Dakern aufhalten, was macht eine ganze
Legion mit ihnen? Zeigt euch euren Kameraden würdig!«
Die Legion stürmte den Dakern entgegen, und überrannte
deren ersten Schlachtreihen. Bereits nach kurzer Zeit erschall
auf dem Schlachtfeld der Ruf: »Roma victor!«

»Ich werde nie vergessen, wie der Centurion mir auf die
Schulter fasste,« sagte Gnaeus. »Nach der Schlacht wurden wir
von unseren Kameraden gefeiert. Asger wurde auf eigenen
Wunsch ehrenhaft aus der Legion entlassen, mich hat unser
Tribun zum Centurion befördert.« Gnaeus machte eine Pause
und sah, wie in der Arena gerade ein Gladiator zu Boden fiel.
»Ich habe nie wieder einen Mann so kämpfen gesehen, wie
damals Asger.«
»Na Gnaeus, schwelgt du in der Vergangenheit?« fragte
Asger, der gerade aus den Katakomben zurück gekehrt war.
»Hast du die Heldengeschichte auch gut ausgeschmückt?«

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»Ist doch selbstverständlich,« antwortete der Praefectus
Castorum. »Schließlich sind solche Erzählungen von
heldenhaften Kämpfen voll und ganz im Interesse der Legion.«
Asger setzte sich wieder zu Saphira, die bereits die ganze Zeit
demonstrativ nicht in die Arena gesehen hatte.
»Asger,« flüsterte sie, damit weder Gnaeus noch der
Statthalter es hören konnten, »warum hast die Legion
verlassen?«
»Weil ich nicht mehr für das Imperium kämpfen wollte,«
flüsterte er ihr seine Antwort zurück ins Ohr. »Rom wollte
Dakien unterwerfen und am Ende haben die Legionen das Land
erobert. Die Daker kämpften für ihre Freiheit, so wie die
Menschen meiner Heimat. Ich konnte sie nur zu gut verstehen.
Daher habe ich die Möglichkeit genutzt, die Legion zu
verlassen und das auch noch als Held.«

»Euer Freund scheint sich nicht sonderlich für die Gladiatoren


zu interessieren Praefectus,« sagte der Statthalter zu Gnaeus.
»Recht ungewöhnlich für einen Veteranen.«
»Würdet Ihr Euch bei einer hübschen Frau an Eurer Seite für
fette Kerle interessieren, Statthalter?« fragte Gnaeus zurück.
»Ich nicht.«
»Da habt Ihr recht!« lachte der Statthalter und beobachtete
sowohl Saphira wie auch Asger. Nach einiger Zeit fiel ihm auf,
dass beide die Gladiatorenkämpfe keines Blickes würdigten.
»Praefectus,« sagte er, »was wisst Ihr über diesen Nordmann?«
»Er ist ein alter Kamerad von mir. Wir kämpften zusammen
in Dakien. Es gibt keinen Grund an seiner Treue zum Imperium
zu zweifeln.«
»Dakien ist lange her.«
»Ja, Statthalter. Asger ist auch älter und ruhiger geworden.
Dennoch, ich kenne ihn, an seiner Einstellung hat sich nichts
geändert. Er fühlt sich immer noch an seinen Treueschwur

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gegenüber dem Imperium gebunden. So wie es bei den
Nordmännern Tradition ist.«
»Gut, und was ist mit seiner Frau?«
»Was meint Ihr, was mit ihr ist?«
»Ich meine, was wisst Ihr über die Frau?«
»Wenig, nur das sie Asgers Frau ist « antwortete Gnaeus.
»Sonst eigentlich gar nichts. Warum fragt Ihr?«
»Sie scheint Gladiatorenkämpfe abzulehnen. Und ich glaube,
dass sie um ihren Hals ein Kreuz als Anhänger trägt. So wie
diese Christen, die das Opfer für unseren hohen Herrscher
Traian verweigern. Es sind Feinde des Imperiums.«
»Nun Statthalter, ich kann nicht sagen, ob sie so eine Christin
ist,« entgegnete der Praefectus. »Außerdem schaue ich der Frau
eines Kameraden nicht in den Ausschnitt ihres Kleides.« Der
Statthalter rümpfte seine Nase bei Gnaeus’ Bemerkung. »Asger
sagt von ihr, dass sie feinfühlig wäre und deshalb keine
Gladiatorenkämpfe mag. Vielleicht sind es auch nur die
Ereignisse der letzten Stunden.«
»Welche Ereignisse?«
»Sie waren in der Herberge von Marius Primus abgestiegen.
Ihr wisst, was das heißt.«
»Ah, ja. Marius Primus. Na gut, das kann schon schwer für
eine Frau sein. Ich nehme mal an, dass Euer Freund seine Frau
vor Marius geschützt hat.«
Gnaeus nickte. »So ist es Statthalter. Sie wird im Augenblick
nur an ihm interessiert sein.«
»Dennoch... Habt ein Auge auf sie... Beide!«
»Ja, Statthalter.«

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- Kapitel 8 -

In der Arena fiel wieder ein Gladiator und die Menge forderte
den Tot des Unterlegenen. »Tot! Tot!« erschall es von allen
Seiten. Der Satthalter stand auf und streckte den Daumen seiner
rechten Hand waagerecht von sich.
Saphira hielt sich die Ohren zu, sie wollte die blutrünstige
Menge nicht hören und sah Asger fragend an. Er verstand, dass
sie wissen wollte, ob es sein musste, dass jemand zur
Belustigung der Massen stirbt.
»Statthalter,« sagte Asger, »der Mann hat gut gekämpft.
Erkennt es an und zeigt Euch großzügig. Lasst ihn leben.«
Der Statthalter sah zuerst Asger und dann Gnaeus an. »Man
kann gute Kämpfer belohnen, auch wenn sie verloren haben,«
sagte der Praefectus Castorum. »Es ist Eure Entscheidung.«
Langsam hob der Statthalter seinen Daumen, um ihn dann
schnell zu senken. Unter dem Jubel der Menge stach der
siegreiche Gladiator zu.
»Drusus, der unbesiegbare Daker!« rief der Gladiatorenlehrer,
der zu dem Sieger in die Arena geeilt war. »Wer könnte ihn
besiegen? Ich sage euch: Niemand!«
»Großmaul,« brummte Asger. »In einem Jahr heißt er Drusus
der Tote.«
»Ich biete eintausend Sesterzen demjenigen, der Drusus
besiegt!« pries der Mann in der Arena seinen Schützling an.
»Wer tritt gegen ihn an?« Die Stimmen verstummten, es wurde
still in der Arena. »Hat niemand den Mut?« rief der
Gladiatorenlehrer wieder. »Ich erhöhe auf zehntausend
Sesterzen!«
»Eine Menge Geld,« sagte Asger leise. »Sehr verlockend.«
»Ich wusste, dass hier niemand Mann genug ist, gegen Drusus
den unbesiegbaren zu kämpfen!« Der Gladiatorenlehrer deutet
in Richtung der Statthalterloge. »Alle fürchten diesen Mann!«

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Asger holte Luft und war kurz davor, dem Mann in der Arena
passende Worte zuzubrüllen.
»Bitte, Asger,« sagte Saphira und legte ihre Arme um seinen
Hals. »Er meint nicht dich. Er will nur provozieren. Bitte bleib
hier Asger. Bitte!«
Asger atmete kräftig aus. »Ja, du hast recht. Es gehört mit
dazu. Trotzdem würde ich ihm gerne sein großes Mundwerk
stopfen.«

Die Spiele waren zu Ende, Saphira und Asger


verabschiedeten sich von dem Statthalter und verließen
zusammen mit Gnaeus die Ränge der Arena. Sie zwängten sich
durch die Menschenmenge, die den Platz vor dem Gebäude
füllte.
»Lasst uns noch etwas trinken, bevor wir ins Lager
zurückkehren,« sagte Gnaeus. »Dort drüben ist eine Taverne.«
Die drei stellten sich an einen Tisch vor der Taverne und
bestellten bei dem Wirt eine Amphora Wein mit drei Bechern.
»Aus dem Weg! Hier kommt Drusus, der unbesiegbare!« rief
der Gladiatorenlehrer über den Platz. »Macht Platz für den
stärksten Gladiator aller Zeiten!«
Die Menschen machten Platz für den Gladiator. Im Gegensatz
zu Asger, der es nicht einsah, auch nur ein Stück von der Stelle
zu weichen.
»Macht Platz!« rief der Gladiatorenlehrer wieder.
»Es ist genug Platz,« brummte Asger zurück. »Ansonsten
nehmt die andere Seite der Straße. Dort ist auf jeden Fall genug
Platz.«
»Willst du etwa Drusus...«
»... den möchte gern unbesiegbaren nicht aus dem Weg
springen?« vollendetet Asger die Frage. »Nein, das werde ich
nicht. Wenn er vorbeigehen will, bitte. Ich habe nicht vor, ihn
daran zu hindern. Aber ich werde ihm nicht aus dem Weg
gehen. Ansonsten wartet er eben.«

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»Asger, bitte,« sagte Saphira leise und legte ihre Hand auf
seinen Arm. »Bitte keinen Streit.«
»Soll nicht an mir liegen,« sagte Asger ruhig zu ihr. »Nur
springe ich dem Großmaul nicht aus dem Weg.«
»Fürchte mich!« erklang es dumpf aus dem Helm des Drusus.
»Ich besiege jeden!«
»Wenn du meinst,« brummte Asger. »An deiner Stelle würde
ich ganz einfach weitergehen. Ich habe schon viele wie dich
sterben gesehen.«
»Hör lieber auf dein Weib,« sagte der Gladiatorenlehrer und
gab Saphira einen Klaps auf ihr Hinterteil, wodurch sie
erschrocken aufschrie. »Vielleicht mag sie ja auch Drusus.«
»Halt dein schmutziges Maul!« fuhr Asger den Mann an und
schlug ihm seine Faust ins Gesicht. »Und fass nicht meine Frau
an!« Durch die Wucht des Schlages wurde der
Gladiatorenlehrer zurückgeschleudert und blieb bewusstlos auf
der Straße liegen.
»Wie kannst du es wagen? Ich werde dich in Stücke hauen!«
schrie Drusus den Nordmann an. Der Gladiator ging einen
Schritt zurück und zog sein Schwert.
Asger reagierte schnell, er nahm die Amphora und warf
Drusus den Weinkrug an den Kopf. Danach sah er sich nach
einer Waffe um, er benötige etwas, womit er den Gladius seines
Gegners abwehren konnte.
»Nimm das hier.« Gnaeus hielt ihm seine Waffe hin, die er
als Praefectus Castorum standesgemäß trug.
»Danke!« Asger ging auf Drusus, der durch die Amphora
zurückgetaumelt war, zu. »Nun denn, es geht los!«
Die Schwerter krachten aufeinander, um die zwei Männer
bildete sich schnell eine Menschentraube, alle wollten den
Kampf sehen.
Saphira sah mit angstvoll aufgerissenen Augen zu. Gnaeus
hingegen machte es sich an dem Tisch bequem und genoss die
besonders gute Sicht auf den Zweikampf. Je länger der Kampf

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dauerte, desto unruhiger wurde Saphira. Jedes Mal, wenn die
Schwerter krachend aufeinander trafen, zuckte sie zusammen.
»Asger spielt mit ihm,« sagte Gnaeus, um Saphira zu
beruhigen.
»Wie bitte?« fragte sie aufgeregt. »Was ist daran ein Spiel?«
Gnaeus lachte. »Asger hätte Drusus schon mindestens fünf
mal töten können, Drusus konnte ihm nicht einmal ein Haar
abschneiden. Vor zehn Jahren wäre Drusus schon lange im
Hades gewesen.«
»Ich hoffe, dass es bald vorbei ist. Ohne, dass jemand stirbt.«
Auch Asger hatte inzwischen von dem Kampf genug. In
Drusus Augen hinter dem Geschichtsschutz des Helmes konnte
der Nordmann dessen Angst sehen. Die Angst eines Mannes,
der sich für unbesiegbar hielt und nun erkennen muss, dass er
besiegt ist. Asger blockierte das Schwert seines Gegners, drehte
sich schnell und rammte Drusus seinen Ellenbogen in den
Gesichtsschutz. Der Gladiator taumelte zurück. Währenddessen
zog Asger ihm die Füße weg, so dass Drusus rücklings auf den
Boden fiel. Die Menge auf der Straße hielt den Atem an, als
sich Asger über den Besiegten stellte.
»Töte ihn!« rief ein Mann und alle anderen stimmten in
diesen Ruf ein. Asger schaute sich um, ging zu dem Mann hin,
der zuerst gerufen hatte und drückte ihm Gnaeus Gladius in die
Hand.
»Wenn du ihn tot sehen willst, dann mach es doch selber,«
knurrte Asger den Mann an. »Ich werde es nicht tun!«
»Ich?« fragte der erschrockene Mann und ließ die Waffe
fallen. »Ich? Oh, nein!«
»Asger! Asger!« rief Saphira und fiel ihm in die Arme.
»Asger!« Sie weinte vor Freude und drückte ihn fest an sich.
»Ist dir etwas passiert?«
»Nein, alles in Ordnung,« antwortete er und küsste sie auf
ihren Kopf.

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»Mach so etwas nie wieder, ja? Bitte! Ich habe doch nur
dich.«
»Ja, wir haben nur wirklich uns. Ich werde in Zukunft nicht
mehr zum Vergnügen kämpfen. Nur noch, wenn es wirklich
nicht mehr anders geht.«
»Das ist gut,« stimmte Saphira zu und drückte ihren Kopf fest
an seine Brust.
»Ich unterbreche euch zwei Turteltauben ja nur ungern,«
sagte Gnaeus, der sich inzwischen seine Waffe wiedergeholt
hatte. »Aber ich denke, es ist an der Zeit, ins Lager
zurückzukehren.«
»Ja, gehen wir,« stimme Asger zu. »Hier ist es mir zu
ungemütlich. Was meinst du Saphira?«
Saphira nickte zustimmend, auch sie wollte diesen Ort schnell
verlassen.
Schon bald erreichten sie das Legionslager, einen viereckigen
Steinbau, um dessen Hof herum sich viele Räume aneinander
reihten. Hier bekamen Asger und Saphira ein Zimmer, als Gäste
der Legion.
»Du weist mit Sicherheit, wo was ist,« sagte Gnaeus zu
Asger. »Die Legionslager sind schließlich alle gleich
aufgebaut.«
Asger nickte. Er hasste diese Situation und er hasste die
Legion. Insgeheim verfluchte er Marius Primus. »Ich hätte
diesen Hund von hinten aufspießen sollen,« dachte er. »Dann
hätten wir jetzt unsere Ruhe.«
»Wir danken Euch, Praefectus,« bedanke sich Saphira
freundlich. »Bitte habt Verständnis dafür, dass wir uns ein
wenig ausruhen möchten. Der Tag war sehr ereignisreich für
uns.«
Gnaeus verneigte sich und drehte sich um den Raum zu
verlassen. Dabei sah er das Kreuz, dass Saphira um ihren Hals
trug. »Was tragt ihr um Euren Hals Saphira?«

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»Oh, es ist ein Anhänger, den Asger für mich gemacht hat,«
antwortete sie stolz. »Ich trage ihn Tag und Nacht. Ist
irgendetwas damit nicht in Ordnung?«
»Doch, doch. Er ist mir nur aufgefallen, dass ist alles.« »Doch
eine Christin,« dachte der Praefectus Castorum. »Verdammt!«
Ergab zum Abschied zuerst Saphira und danach Asger die
Hand. »Achte gut auf sie,« sagte er leise zu seinem alten
Kameraden.

»Ich habe Hunger,« sagte Saphira am Abend. »Ich möchte


gerne etwas Essen. Aber die Küche hat schon zu, wenn ich
richtig gehört habe.«
»Mach’ dir nichts daraus. Der Fraß ist wirklich ekelhaft. Um
die Ecke ist eine kleine Taverne. Dort gibt es bestimmt auch
etwas essbares.«
In der Taverne setzten sie sich an einen Tisch in der hinteren
Ecke, um sich ungestört unterhalten zu können. Sie bestellten
etwas zu essen und zu trinken.
»Seid Ihr nicht der Mann, der heute Nachmittag Drusus
besiegt hat?« fragte der Wirt. »Die Leute sprechen immer noch
davon. Es heißt, dass der Gladiatorenlehrer einen Mann sucht,
der wie Ihr aussieht.«
»Gladiatorenschulen suchen immer kräftige Männer,«
antwortete Asger ausweichend. »Und das wird auch ewig so
bleiben. Lasst Euch nicht von deren Beschreibung täuschen.«
»Danke,« flüsterte Saphira, nachdem der Wirt gegangen war.
»Danke, dass du nicht mit deinem Sieg prahlst.«
»Ich bin ein Krieger,« antwortete Asger. »Ich habe schon
viele Männer besiegt, die besser kämpften als er. Warum sollte
ich mir wegen so einem Großmaul unnötigen Ärger
einhandeln?«
Nachdem ihnen ihre Bestellung gebracht wurde und sie
gezahlt hatten fragte Asger: »Sag’ mal Saphira, hast du hier
schon eine Gemeinde gefunden?«

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»Nein, so schnell geht das nicht. Christliche Gemeinschaften
bleiben häufig im verborgenen. Je nachdem, wie die
Herrschenden unserem Glauben gegenüberstehen. Warum
fragst du?«
»Ich glaube, dass es besser wäre, aus Cyrene zu
verschwinden. Ich fürchte, hier kennen mich inzwischen zu
viele.«
»Etwa wieder durch die Wüste?« fragte Saphira erschrocken.
»Oh nein. Die Wüste kann ich auch nicht mehr sehen. Ich
dachte über das Meer, nach Latinum.«
»Und warum dorthin?«
»Weil mich dort ganz sicher niemand kennt...«

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- Kapitel 9 -

Die Taverne vor dem Legionslager begann sich zu füllen.


Bald waren alle Tische besetzt, nur noch wenige Stühle waren
noch frei.
»Darf ich mich mit an Euren Tisch setzen?«
Asger schaute auf und sah einen alten Mann mit einem
Becher Wein, einer Feder mit Tinte und einigen Papyri in
seinen Händen.
»Bitte, setzt Euch,« antwortete Saphira freundlich.
»Danke.« Der alte Mann setzte sich und begann, etwas auf
einen Papyrus zu schreiben. »Ich habe Euch heute auf der
Straße kämpfen gesehen.«
Asger drehte seinen Kopf zu dem Alten hin und sah ihn
durchdringend an. »Und?«
»Ich fand es eindrucksvoll, dass Ihr Drusus besiegt, aber nicht
getötet habt. Ebenso fiel mir auf, dass Ihr, meine Dame, über
den Kampf nicht erfreut ward.«
»Ich kann mich nicht daran erfreuen, Menschen kämpfen zu
sehen,« sagte Saphira leise. »Auch nicht, sie sinnlos sterben zu
sehen. Das ist nicht richtig. So etwas soll nicht sein.«
Der Alte malte einen stilisierten Fisch in eine Ecke seines
Papyrus.
Saphira nickte und Asger sah sie fragend an.
»Kommt morgen abend an den Ausfluss der Cloaca
Maxima,« flüsterte der Alte leise. Dann stand er auf und
verabschiedete sich freundlich.
»Was wollte der denn?« fragte Asger neugierig.
»Das sage ich dir später,« flüsterte Saphira. »Hier sind zu
viele Ohren.«
»So geheim?«
Sie nickte.

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»Du hast recht,« sagte Asger für die anderen Gäste gut
hörbar. »Es ist schon spät. Wir sollten nach Hause gehen.«
»Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Asger Saphira,
nachdem sie die Taverne verlassen hatten. »Was wollte der
Alte?«
»Weist du wofür der Fisch steht?«
»Nein.«
»Es ist ein Zeichen für Christus. Er hat mir gesagt, wie ich
Kontakt mit der Gemeinde aufnehmen kann.«

Asger und Saphira standen bei Sonnenuntergang am Eingang


der Cloaca Maxima, dem großen Entwässerungskanal. Saphira
ging ein Stück hinein und drehte sich zu Asger um. »Asger, wo
bleibst du?«
»Im Glauben meines Volkes liegen unter der Erde Jotunheim
und das Reich der Hel. Beides Orte, die ein Mensch nicht
aufsuchen soll.«
Saphira gluckste und versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
»Der Kanal verläuft doch unter der Oberfläche. Er ist doch nur
ein Abfluss für das Regenwasser.«
»Wenn es hier mal regnet. Ja, ich weiß. Trotzdem, ohne
Waffe fühle ich mich unter der Erde unbehaglich.«
»Da kommt es ’raus,« dachte Saphira. »Auch Asger der
starke Nordmann fürchtet sich vor etwas.« Sie ging zu ihm
zurück, nahm seine Hand und flüsterte ihm in sein Ohr: »So wie
ich dich kenne, hast du doch bestimmt irgendwo einen Dolch
versteckt, nicht war?«
»Na ja, man weiß ja nie...«
»Also wirst du keinem Dämon unbewaffnet gegenüber
stehen.« Saphira musste wieder ein Lachen unterdrücken.
Asger atmete kräftig durch. »Gehen wir!«
Sie gingen in den dunklen Kanal hinein, nur durch die
Öffnungen zur Straße drang noch ein wenig Licht.

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»Hat er nicht gesagt, an der Cloaca und nicht in?« fragte
Asger, der die Cloaca überhaupt nicht mochte.
»Wir werden bestimmt gleich jemanden treffen. Es ist nicht
mehr weit. Sieh, da vorn macht der Kanal eine Biegung.«
Hinter der Biegung konnten sie den Schein einer Fackel
erblicken.
»Was wollt Ihr?« fragte der Mann, der die Fackel trug.
»Wer seid Ihr?« fragte Asger zurück. Er blinzelte, seine
Augen hatten sich an die Dunkelheit des Kanals gewöhnt und
so blendete ihn das helle Licht der Fackel.
»Wir wollten uns die Cloaca ansehen,« antwortete Saphira.
»Wir kommen aus der Wüste und haben so etwas noch nie
gesehen. Ich fürchte, wir haben uns wohl verirrt. Könnt Ihr uns
helfen, den rechten Weg zu finden? Ihr seid bestimmt jemand,
der den Zustand des Kanals überprüft und kennt Euch aus.«
Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannte
Asger den Alten aus der Taverne.
»Folgt mir,« sagte der Mann und drehte sich um. »Ich werde
Euch den rechten Weg zeigen.«
Nach einiger Zeit erreichten sie einen Ausgang, an dem
mehrere Menschen warteten.
»Der Herr sei mit Euch,« grüßte Saphira die Wartenden.
»Möge sein Segen auf Euch ruhen.«
»Mögt auch Ihr seinen Segen empfangen,« grüßten sie
zurück.
»Mein Name ist Petronius,« stellte sich der alte Mann, der sie
geführt hatte, vor. »Ich bin der Älteste der Gemeinde. Wie sind
Euere Namen?«
»Ich heiße Saphira und das ist mein Mann Asger.«
»Sei willkommen Saphira, sei willkommen Asger.«
»Danke,« sagte Asger, während Saphira sich verneigte.
»Dennoch, möchte ich eins gleich klar stellen. Ich bin kein
Christ und begleite nur meine Frau, die Eures Glaubens ist.
Eure Gemeinschaft wächst nur um eine Gläubige.«

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Viele der Anwesenden sahen sich erschrocken um.
»Wir sind allein gekommen,« sagte Saphira schnell. »Es
besteht keine Gefahr. Wir sind in Frieden hier.«
»Ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit. Ihr versucht
wenigstens nicht, uns etwas vorzuspielen. Habt Ihr eine
Waffe?« fragte Petronius Asger. Der zog aus seinem
Stiefelschaft ein schmales Messer hervor und reichte es dem
Alten als Zeichen des gegenseitigen Vertrauens.
»Ich glaube Euch,« sagte Petronius und die Menschen der
Gemeinde atmeten auf. »Ich habe Euch kämpfen gesehen,
Asger. Ihr habt um den Sieg gekämpft, doch wolltet Ihr das
Leben Eures Gegners schonen. Dennoch, ich habe auch
gesehen, dass Ihr ein Krieger seid, der auch ohne zu zögern
tötet. Aber, ich habe auch gesehen, wie Ihr nach Eurem Sieg
Eure Frau umarmt habt, wie sehr Ihr sie liebt. Ihr werdet sie
nicht verraten und auch uns nicht.«
Asger nickte. »Ihr habt mein Wort.«
»Wir haben uns heute zu einem Gottesdienst getroffen, wir
wollen beten und singen. Kommt mit uns und werdet ein Teil
unserer Gemeinde.«
Asger hielt sich etwas abseits und sah sich den Gottesdienst
der Christen an. Er wollte die Betenden nicht stören und fühlte
sich unbehaglich. Er hatte eine gewisse Ehrfurcht gegenüber
fremden Göttern, doch waren ihm die Gebete fremd, er verstand
nur, dass es um Schuld und Vergebung ging. »Ich sollte Saphira
bitten, mir die Riten zu erklären,« dachte er. »Sonst versteh’ ich
gar nichts von denen. Das könnte sich eines Tages noch als
Nachteil erweisen.«
Nach dem Gottesdienst ging Saphira wieder zu Asger und
setzte sich zu ihm. »Warum bleibst du so abseits? Auch wenn
du nicht mitbetest, kannst du dich doch zu mir setzen.«
»Ich weiß nicht. Ich könnte mich leicht daneben benehmen.
Meine Götter sind anders.«

- 71 -
Saphira lachte herzhaft. »Wie süß, du befürchtest dich
daneben zu benehmen. Das ist das erste mal, dass ich so etwas
von dir höre.«
»Einmal ist immer das erste mal. Du könntest mir die Riten
erklären, dann wäre es kein Problem mehr.«
Sie legte ihren Arm um seinen Hals und zog ihn an sich
heran. »Gerne erkläre ich es dir. Es ist ja auch alles neu für
dich. Unsere Gottesdienste sind bestimmt ganz anders, als du es
kennst.«
»Es ist schön, euch zwei hier zusammen zu sehen.« Vor ihnen
stand ein Paar mittleren Alters. »Ich bin Claudia, mein Gatte
Gaius.« Die Frau deutete auf den Mann neben ihr. »Wir sind die
gewählten Vorsitzenden und möchten euch noch einmal
persönlich in unserer Gemeinde willkommen heißen.«
»Danke, sehr nett von euch,« sagte Saphira und Asger nickte
zustimmend.
»Ich finde es schön, wie ihr eure Liebe zueinander zeigt,«
fuhr Claudia fort. »Das ist ohnehin selten, ich weiß nur von
wenigen Paaren, die es so zeigen. Leider auch in unserer
Gemeinde.«
»Ja, wie lieben uns,« bestätigte Saphira. »Warum sollten wir
es nicht zeigen?«
»So ist es,« stimmte Asger zu. »Wir zeigen unsere Liebe.
Wem es nicht passt, der kann ja wegsehen.«
»Ich wünschte, es wäre bei uns genauso,« sagte Claudia leise
und fragte dann Saphira: »Am Sonntag wird das Kind unserer
Schwester Helena getauft. Du kommst doch bestimmt?«
»Ja, sehr gerne,« antwortete Saphira. »Ist die Mutter hier?«
»Nein, sie erholt sich noch von der Geburt. Aber Sonntag
wirst du sie kennen lernen.«
Asger sah Saphira fragend an. »Ich erkläre dir nachher alles,«
flüsterte sie ihm zu. »Ganz in Ruhe.«
»Woran glaubst du eigentlich Asger?« fragte Gaius. »Du
kennst unseren Glauben, aber wir nicht den deinen.«

- 72 -
»Meine Götter sind die des Nordens,« antwortete Asger. »Die
Asen und die Vanen. Die Welt teilet sich in drei Bereiche, unter
der Erde befinden sich das Totenreich der Hel und Jotunheim,
die Heimat der Riesen und der Zwerge. Dann kommt Midgard,
die Welt der Menschen, der Ort an dem wir leben. Und über
allem erstreckt sich Asgard, das Reich der Götter. Verbunden
wird alles durch die Weltesche Yggdrasil. Ihre Wurzeln reichen
tief hinab bis zur Hel, ihre Krone bis nach Asgard.«
»Hat niemand versucht die Weltesche zu finden und ihren
Wipfel zu erklimmen um zu euren Göttern zu gelangen?«
»Gaius,« sagte Claudia vorwurfsvoll.
»Schon gut, es stört mich nicht. Nun Gaius, wie kommst du
zu deinem Gott. Ich meine, was musst du tun, um zu ihm zu
gelangen?«
»Sterben,« antwortete Gaius. »Wenn der Körper gestorben ist,
so steigt die unsterbliche Seele zum Himmel und zu Gott auf.«
»Bei uns ist so, dass jemand, der im Kampf fällt, zu den
Göttern gerufen wird. Alle anderen kommen in das dunkle
Reich der Hel.«
»Warum unterscheidet ihr danach? Nicht danach, ob jemand
im Leben gut oder schlecht gewesen war?«
Claudia zog Saphira an ihrem Kleid. »Wollen wir gehen?«
fragte sie leise. »Solche Themen sind mir viel zu ungemütlich.«
»Ja,« stimme Saphira zu und sah Asger, der zustimmend
nickte, an. Während die Frauen die beiden Männer verließen
hörten sie noch, wie Asger weiter erklärte: »Die Götter
brauchen Krieger für den Tag Ragnarök. An jenem Tag, an dem
sich die Toten aus der Hel nach Midgard ergießen und die
Dämonenkinder Lokis Krieg gegen die Götter führen.«

»Verstehst du jetzt meine Glauben?« fragte Saphira. Sie saß


zusammen mit Asger in ihrem Zimmer im Legionslager und
hatte ihm den ganzen Abend über die christlichen Rituale beim
Gottesdienst erklärt.

- 73 -
»Ja,« antwortete der Nordmann, »ich verstehe. Für mich ein
bisschen fremd, aber darum geht es nicht. Vielleicht solltet ihr
Christen euren Glauben nicht so im verborgenen leben. Das
könnte viele Fehl- und Vorurteile über euch beenden.«
»Meinst du?«
»Na ja, zumindest könnte niemand sagen, dass ihr eine
Bedrohung seid. Die meisten würden euch nicht verstehen, aber
wohl akzeptieren.«
»So wie du?«
»Ich akzeptiere jede Religion. Soll jeder Glauben, was ihm
gefällt, solange andere nicht zu Schaden kommen.«
»Ist es in deiner Heimat so üblich?«
»In meiner Heimat... Eigentlich habe ich keine richtige
Heimat,« sagte Asger langsam. »Es gibt ein Land, in dem ich
geboren wurde und ein Land in dem ich lebe. Aber eine
Heimat...« Er sah Saphira an und spürte, dass sie in diesem
Moment das Gleiche dachte und fühlte wie er. »Ich würde
sagen, dass wir uns unsere Heimat und unser Heim noch
schaffen müssen. Wir beide zusammen.«
Saphira setzte sich auf seinen Schoß, legte ihre Arme um
seinen Hals und ihren Kopf an seine Schulter. »Ja, zusammen.«

Am nächsten Morgen holte Asger die Pferde aus dem Stall,


gemeinsam verließen sie die Stadt und ritten an den Feldern
wogenden Weizens entlang bis zum Meer. Sie folgten der
Küste, bis sie eine Bucht fanden, die von hohen Felsen und
einer flachen Landzunge eingerahmt war.
»Das ist unsere Bucht,« freute sich Saphira. »Schön
abgelegen, ein ruhiges Meer zum baden. Hier stört uns
niemand!«
»Das ist wahr,« stimmte Asger zu.
Sie ritten auf den Strand und suchten sich eine geschützte
Stelle, um dort den Tag zu genießen.

- 74 -
»Das Wasser ist so schön blau,« schwärmte Saphira. »Ich
gehe schwimmen.«
»Tu das. Ich wünsche dir viel Vergnügen. Ich werde mich
lieber erst einmal hier hinlegen.«
»Du Faulpelz!« neckte sie ihn. »Kommst du wenigstens
nachher zu mir?«
»Nachher,« sagte Asger und legte sich in den warmen Sand.
»Kommst du mit ins Wasser?« fragte Saphira. »Es ist sehr
erfrischend!«
»Gleich!« Asger stand auf und sah sie bereits ein ganzes
Stück weit im Meer. »Zu weit hinaus sollte sie besser nicht
schwimmen,« brummte er. »Diesmal kann ich sie nicht retten.«
Er folgte ihr ins Wasser, nur soweit, wie er stehen konnte.
»Komm doch her zu mir!« rief sie ihm zu. »Ich warte auf
dich!«
»Geht nicht!« rief er zurück. »Ich kann nicht schwimmen.«
Saphira schwamm zu ihm und fragte sichtlich erstaunt: »Wie,
du kannst nicht schwimmen? Du hast doch erzählt, deine
Heimat liegt am Meer.«
»Stimmt schon,« antwortete Asger. »Ich kann auch ein Schiff
steuern und alles andere, was zur Seefahrt gehört. Nur eben
nicht schwimmen.«
»Das kann ich dir beibringen. Willst du?«
Die Sonne schien leuchtend Rot auf das Meer. Asger und
Saphira lagen zusammen in der sanften Brandung und
betrachteten den Sonnenuntergang.
»Wie schön es aussieht,« schwärmte sie. »So richtig
romantisch.« sie rollte sich auf ihn und gab ihm einen Kuss.
»Liebesbedürftig?« fragte Asger und umarmte sie.
»Ja,« antwortete sie und gab ihm noch einen Kuss. »Aber
nicht jetzt!« Keck drückte sie ihm ihren Zeigefinger auf den
Mund. »Lass uns in der Taverne noch etwas trinken und dann
auf unser Zimmer. Die Nacht gehört uns...«

- 75 -
- Kapitel 10 -

Asger begleitete Saphira durch die Cloaca Maxima zu dem


Platz, an dem der Gottesdienst stattfand.
»Ich hasse diesen Weg,« murmelte Asger. »Verdamme
Cloaca.«
»Was hast du gesagt?« frage Saphira, die ihn nicht verstehen
konnte.
»Ich sagte, dass ich lieber einen anderen Weg nehmen würde.
Einer der nicht durch die Cloaca führt.«
»Fürchtest du etwa, deine Dämonen könnten aus dem Boden
springen?« neckte sie ihn. »Trotzdem stimme ich dir zu. Aber
ich glaube, Petronius wird uns bestimmt einen besseren verraten
können.«
»Das hoffe ich auch. Spätestens, wenn es regnet wird dieser
Weg versperrt sein.«
»Wir fragen nachher Claudia. Sie wird uns bestimmt einen
besseren Weg zeigen. Einen ohne die Gefahr von Dämonen im
Boden.«
Asger atmete schwer durch und sagte um sie abzulenken:
»Wir sind gleich da.«
Am Ausgang der Cloaca wurden sie von Claudia in Empfang
genommen. »Willkommen ihr zwei. Schön dass ihr da seid.«
»Vielen Dank, wir freuen uns willkommen zu sein,« danke
Saphira.
»So ist es,« stimmte Asger zu. »Auch wenn es ein schwerer
Weg ist.«
»Der Weg zu Gott ist nicht immer leicht,« entgegnete Claudia
geheimnisvoll. »Aber ich werde Petronius bitten, euch einen
anderen Weg zu zeigen. Ich möchte ihn dabei nicht einfach
übergehen.«
»Das ist gut,« sagte Asger. »Der Weg durch die Cloaca ist
nicht so angenehm.«

- 76 -
»Oh, da vorne ist er ja!« Claudia drehte sich um und rief:
»Petronius! Kommst du mal bitte zu uns?«
»Hallo Saphira, hallo Asger. Was ist denn?« fragte der Alte,
als er die drei erreichte.
»Kannst du Asger einen anderen Weg hierher beschreiben?«
»Ja, mache ich. Asger, wie gut kennst du dich in Cyrene
aus?«
»Gut, während ihr euch über den Weg unterhält, entführe ich
kurz Saphira.« Claudia harkte Saphira ein und ging mit ihr zu
dem Rest der Gemeinde. Asger konnte noch hören, wie sie
sagte: »Saphira, du musst unbedingt Helena kennen lernen. Sie
kann es auch schon kaum erwarten.«
»Kommst du zu mir, Asger?« fragte Saphira vor Beginn des
Gottesdienstes. »Bleib doch nicht immer so außen vor. Setzt
dich doch einfach zu mir. Bitte.«
Asger setzte sich an ihre Seite und sah sich an, was die
Gemeinde so machte. »Was passiert jetzt?« fragte er Saphira
leise.
»Ein Kind wird getauft. Ein wahrlich freudiges Ereignis.
Doch zuvor wird noch das Wasser gesegnet, mit dem das Kind
getauft wird. Das habe ich dir doch alles erzählt.«
»Ja, das hast du. Aber es zu sehen und dabei zu sein, ist doch
etwas ganz anderes.«

»Was hast du Saphira?« fragte Asger. Er sah, wie Saphira die


Taufe traurig verfolgte.
»Es ist nichts,« antwortete sie ausweichend. »Wirklich
nichts.«
»Oh doch. Ich sehe es. Du bist traurig. Warum?«
»Weil... weil... ich kann...« Saphira vergrub ihr Gesicht in
Asgers Tunika und weinte.
Asger legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. »Eine
Erinnerung?«
Saphira schüttelte ihren Kopf.

- 77 -
»Was ist es denn?«
»Ich kann keine Kinder gebären,« schluchzte sie. »Kaeso
Septimus hat in Ägypten an mir eine Operation vornehmen
lassen, damit ich keine Kinder bekommen kann. Es wird mir
ewig verwehrt bleiben.«
Asger drückte Saphira fest an sich und gab ihr einen Kuss auf
den Kopf. Er wusste nicht was er sagen sollte, ihm fielen keine
tröstenden Worte ein.
Am Ende des Gottesdienstes wollte sich Saphira schnell
verabschieden. Niemand sollte sehen, dass sie geweint hatte. Es
war ihr unangenehm, bei einem freudigen Ereignis der
Gemeinde traurig gewesen zu sein.
»Schade, dass ihr schon gehen wollt,« verabschiedete
Petronius die beiden. »Aber wenn es so sein muss. Wir sehen
uns bestimmt bald wieder.«
»Bestimmt,« sagte Asger, der Saphira in seinem Arm hielt.
»Dennoch Petronius, eine kleine Frage hätte ich noch.«
»Welche denn?«
»Ja, welche?« fragte auch Saphira und sah Asger mit großen
Augen an.
»Könnt ihr auch eine Hochzeit zwischen einer Gläubigen und
einem, der nicht euren Glaubens ist, ausrichten? Ist das
möglich?«
»Wirklich eine gute Frage,« sagte Petronius langsam. »Das
weiß ich nicht so genau. Ich werde mal Gaius und Claudia
fragen, vielleicht wissen die etwas.«
»Tu das Petronius. Und lass uns möglichst bald die Antwort
wissen.«

»Asger, warum hast du Petronius das gefragt?« Sie saßen


wieder in ihrem Zimmer im Legionslager, der Weg, den sie
zurück gegangen waren, war sehr viel kürzer gewesen als der
durch die Cloaca.

- 78 -
»Ich möchte mich nochmals zu dir bekennen. Egal, was in der
Vergangenheit war.«
»Das ist sehr lieb von dir. Dennoch werden wir kinderlos
bleiben. Das ist dir doch klar.«
»Du sagtest doch, es war eine Operation.«
Saphira nickte traurig.
»Also von Menschenhand.«
»Ja.«
»Ich glaube, dass göttliches Geschick unser Leben bestimmt.
Ob du jemals Kinder gebären wirst, wird göttlich bestimmt sein,
nicht von Menschen.«
»Danke, dass du mich trösten willst.« Saphira nickte und sah
Asger traurig an. Sie teilte seine Ansicht über den göttlichen
Einfluss auf ihr Leben, dennoch war sie nicht so voller
Hoffnung zu Zuversicht wie er. »Petronius wird uns bestimmt
keine gute Nachricht zukommen lassen.«
»Wieso nicht?«
»Du weist doch, dass eine religiöse Zeremonie nur zwischen
zwei Gläubigen vollzogen werden kann.«
»Wo steht das?«
Saphira sah Asger sehr erstaunt an. Sie fand es
bemerkenswert, dass er sich damit beschäftigte, obwohl es nicht
sein Glaube war. »Ich weiß es nicht, aber...«
»Ich weiß es auch nicht,« unterbrach er sie mit sanfter
Stimme. »Aber so wie ich dich und auch die Vorlesungen aus
eurem Buch während des Gottesdienstes verstanden habe,
besteht keine Vorschrift, dass eine Christin nicht einen
Nichtchristen heiraten darf. Und auch nicht, dass dies nicht mit
der Gemeinde gefeiert werden darf.«
»Ja, da hast du recht,« stimmte Saphira zu. »Nur, ob sie das
genauso sehen? Claudia bestimmt, aber Gaius und die
anderen?«
»Das werden wir bald wissen.«

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Asger suchte nach einem Weg, Saphira aufzuheitern. Durch
den Marktbereich der Stadt zu schlendern hielt er für eine gute
Idee und lud Saphira dazu ein. Zusammen machten sie sich auf
den Weg und ihre Laune verbesserte sich. Je mehr Stände und
kleine Geschäfte sie durchstöberten, um so fröhlicher wurde sie.
An einem Stand entdeckte Saphira eine Flöte. Sie nahm diese
und begann darauf zu spielen.
»Das klingt sehr schön,« lobte Asger ihr Spiel. »Toll, wie du
das kannst. Lass uns die Flöte mitnehmen.«
»Oh ja!« rief sie begeistert. »Ja, lass uns sie kaufen!«
Asger wandte sich an den Händler: »Wie viel verlangt Ihr
dafür?«
Die Männer wurden sich schnell handelseinig, während
Saphira begeistert weiter spielte. Nachdem Asger gezahlt hatte,
sagte der Händler zu ihm: »Ich wünsche Euch dann noch viel
Vergnügen. Eure Frau wird Euch bestimmt was flöten.«
Asger packte den Mann und knurrte ihn an: »Wie soll ich das
verstehen?«
»Wirklich rein künstlerisch,« stammelte der. »Ehrlich. Ich
habe selten jemanden so gut spielen hören.«
Asger ließ den Händler los und fragte Saphira: »Wollen wir
weiter?«
»Ja, gerne,« antwortete sie und hielt ihre neue Flöte fest in der
Hand.
»Es ist lieb von dir, dass du mit mir hierher gegangen bist,«
sagte Saphira fröhlich. »Es ist schön hier und macht mir jede
Menge Spaß.«
»Das es dir Spaß macht, freut mich. Nur die dunklen Wolken
gefallen mir nicht. Was ist das?« Es fing an zu regnen, es war
ein warmer Regen, der vom Himmel fiel. »Wir sollten uns
unterstellen,« sagte Asger, »sonst werden wir noch gänzlich
nass.«

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»Tu das,« entgegnete Saphira und tanzte im Regen. »Ich
möchte es genießen. Ich habe selten solch einen schönen Regen
erlebt.«
»Du kannst wirklich sehr gut tanzen!« rief Asger
anerkennend. »Wo hast du das alles gelernt?«
»Es gibt einige Dinge, die du nicht allzu genau zu wissen
brauchst,« entgegnete sie. »Sieh es doch so, dass ich tanzen und
Flöte spielen kann.«
»Das hört sich gut an. Lass uns zurück gehen, bevor wir uns
noch etwas einfangen.«
»Ach, es ist schön, in diesem Regen. Lass es mich noch etwas
genießen, bevor wir los gehen, ja?«
Als sie im Legionslager ankamen, war Saphira völlig
durchnässt. Ihr Kleid klebte an ihrem Körper und ließ viel mehr
erkennen, als es Asger lieb war. Sie gingen über den Hof zu
ihrem Zimmer und Asger spürte, wie die Augen der Legionäre
auf Saphira gerichtet waren. Und er ahnte deren Gedanken,
wofür er sie alle am liebsten, einen nach dem anderen, quer
über den Hof geprügelt hätte.

»Hast du eine Nachricht von ihnen bekommen?« fragte


Saphira, als Asger mit einem Papyrus das Zimmer betrat. Sie
saß auf dem Bett und unterbrach ihr Flötenspiel. »Ich meine
von Claudia oder Gaius oder von Petronius?«
»Ja. Woher weist du das?«
»Ich sehe den kleinen Fisch auf dem Papyrus.«
Asger drehte den Papyrus um und erkannte das geheime
Zeichen der Christen. »Na, wie gut, dass die Männer in der
Wache keine Ahnung haben,« brummte er. »Mal sehen, was
drin steht... Na ja, hätte schlimmer sein können.«
»Was schreiben sie?« fragte Saphira aufgeregt. »Eine gute
Nachricht?«
»Zumindest keine schlechte,« antwortete Asger und hielt
Saphira den Papyrus hin. »Lies es selbst.«

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Saphirs sah ihn mit traurigen Augen an. »Das kann ich nicht.«
»Wie, du kannst es nicht?«
»Ich kann nicht lesen. Und auch nicht schreiben.«
Asger setzte sich zu ihr und legte seinen Arm um sie. »Sie
schreiben, dass sie es selbst nicht so genau wissen und den
Bischoff fragen wollen. Beim nächsten Gottesdienst hoffen sie
mehr sagen zu können.«
Saphira nickte traurig. »Wie ich befürchtet hatte. Das heißt
wohl, es geht nicht.«
»Das heißt, dass sie es nicht wissen,« sagte Asger sanft. »Und
dass es Hoffnung gibt.«
Saphira sah Asger mit ihren großen braunen Augen an. »Ja,
du hast recht.«
Asger nickte. »So, und jetzt werde ich dir lesen beibringen.
Einen interessanten Übungstext haben wir ja.«

»Bist du dir sicher, dass du hier in der Therme baden


möchtest?« fragte Asger. Er stand zusammen mit Saphira vor
der Therme des Lagers und ihm gefiel die offene Bauweise
überhaupt nicht.
»Was spricht dagegen?«
»Dass hier zu viele Kerle sind. Die meisten von denen...«
»... haben mich bereits in Gedanken ausgezogen. Nicht wahr?
Das wolltest du doch sagen?«
»Ja,« antwortete Asger leise. »Ich weiß nur zu gut, wie die
sind.«
Saphira sah ihn an. »Wir sollten uns nicht von denen
einschränken lassen. Wenn sie solche Gedanken haben, müssen
sie sich schämen, nicht wir.«
»Du hast ja recht. Trotzdem...«
Saphira legte Asger ihren Zeigefinger auf den Mund.
»Gnaeus hat versprochen, dass heute Nachmittag nur wir Zutritt
zu der Therme haben. Das Wasser ist geheizt und alles

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vorbereitet. Lass uns die Gelegenheit nutzen, ich fühle mich so
unrein.«
Asger atmete durch. »Ja, du hast recht. Gehen wir.«

Am nächsten Morgen saßen sie beim Essen in der Kantine des


Lagers. Asger beobachtete dabei die Legionäre, die sich vor
allem für Saphira interessierten. Sie war der Anziehungspunkt
der Blicke der meisten Männer in dem Raum.
»Ob sie auch einmal mit mir baden gehen würde?« fragte
einer der Legionäre seine Kameraden. »Ich würde auch die
Terme heizen und ihr den Rücken schrubben.«
»Da kommst du wohl zu spät, sie ist bereits in festen
Händen,« antwortete ein anderer. »Selbst wenn du Tribun
wärst. So schön die Aussicht gestern gewesen sein mag, das
kannst du wohl vergessen.«
»Du kannst ja mal ihren Mann fragen, ob er sie dir ausleiht,«
warf ein dritter ein. »Schließlich teilen Legionäre alles.«
Die anderen Legionäre in der Kantine grölten. Im Gegensatz
zu den Legionären fand Asger das gar nicht witzig und auch
Saphira fühlte sich in der Kantine nicht mehr wohl.
»Lass uns bitte nach draußen gehen,« sagte sie.
»Eine gute Idee,« stimmt Asger zu. »Sonst werde ich hier
noch...«
Nachdem sie die Kantine verlassen hatten, folgten ihnen die
drei Männer. Asger sah aus seinen Augenwinkeln, wie sie
immer wieder auf Saphira zeigten und dabei lachten.
»Ich denke, es wird an der Zeit, ein Exempel zu statuieren,«
sagte er. »Es gibt nur eine Sprache, die solche Kerle verstehen.«
Schnell griff er zwei der stumpfen Übungsschwerter, die überall
herumstanden und stellt sich den drei Legionären entgegen.
»Na, ihr drei Großmäuler! Ihr braucht wohl ein wenig
Erziehung. Anscheinend wisst ihr nicht, wie man sich in
Gegenwart einer Dame zu benehmen hat.«

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»Was willst du, alter Mann?« fragte einer der Drei. »Ich
würde sagen, dass du das Großmaul bist. Und das werde ich dir
jetzt stopfen.« Der Mann riss seinen Gladius aus der Scheide
und stürmte aus den Nordmann zu. Seine Kameraden taten es
ihm gleich, zu dritt wollten sie Asger niederschlagen. Der aber
war schneller als seine Gegner und bereits nach wenigen
Augenblicken hatte er den ersten mit den Übungswaffen zu
Boden geschlagen. Die umstehenden Legionäre unterbrachen
ihre Kämpfe, um sich anzusehen, wie ein Mann gegen drei
kämpft.
»Was ist hier los?« Gnaeus bahnte sich einen Weg durch die
Menge. »Macht Platz, verdammt noch mal!« brüllte der
Praefectus Castorum die Legionäre an. Danach stellte er sich
zwischen Asger und den letzten der drei Legionäre. »Was ist
hier los?« fragte er noch einmal.
»Die drei Männer haben mich in der Kantine belästigt,« sagte
Saphira zittrig. »Und als wir gegangen waren, sind sie uns
gefolgt.«
»Na, wie schön,« brummte Gnaeus. »Asger, es ist nicht deine
Aufgabe, den Jungs hier Benehmen beizubringen. Das ist
meine.« Der Praefectus drehte sich um und schlug den letzten
stehenden Mann nieder. »Denk daran. Damit ist die Sache erst
einmal beendet.«

»Kommst du mit?«
»Wohin?«
»Mit zum Gottesdienst.«
»Ich bringe dich hin. Danach werde ich mich nach ein paar
leere Wohnungen am anderen Ende der Stadt umsehen.«
»Wieso das denn?«
»Möchtest du hier wohnen bleiben?«
Saphira schüttelte ihren Kopf. »Nein, nicht wirklich.«
»Siehst du, ich auch nicht. Ich werde nach freien Wohnungen
Ausschau halten und nachher sehen wir uns die gemeinsam an.«

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»Ja, das ist gut.« stimmte sie zu.
Asger brachte Saphira zu dem Versammlungsort der
Gemeinde. Er hatte während des gesamten Weges dorthin das
Gefühl, dass etwas geschehen würde. Etwas entscheidendes und
er hoffte darauf, dass es eine gute Nachricht war, die sie
erwartete.
»Hallo ihr zwei,« wurden sie von Claudia begrüßt. »Schön,
dass ihr gekommen seid. Leider habe ich noch nichts vom
Bischoff gehört, aber das ist eigentlich immer ein gutes
Zeichen. Je länger er braucht, desto besser.« Die Vorsteherin
der Gemeinde sah, dass Saphira in ihrer Hand ihre Flöte trug
und rief erfreut: »Oh, wie ich sehe hast du eine Flöte
mitgebracht Saphira! Das ist schön, du könntest uns damit bei
den Liedern begleiten. Ich freue mich darauf.«
»Danke Claudia, das tue ich gerne. Asger muss gleich wieder
weg, er hat noch etwas wichtiges zu erledigen,« sagte Saphira,
umarmte und küsste Asger. »Bis nachher.«
»Sind eigentlich schon alle da?« fragte Asger Claudia. Etwas
störte ihn, er wusste nur nicht genau was.
»Bis auf Isenius, aber der kommt bestimmt bald. Der
verspätet sich öfters.«
»Viel Spaß,« sagte Asger zu Saphira und drückte sie kräftig
an sich. »Ich hole dich nachher ab.«
»Ist gut. Sei’ aber pünktlich. Du weist, ich warte nicht so
gerne.«
Sie umarmten sich noch einmal und gaben sich einen
Abschiedskuss. Dann gingen Claudia und Saphira zu den
anderen.

»Bleibt wo ihr seid!« Legionäre versperrten der Gemeinde


den Weg und kreisten sie ein. »Leistet keinen Widerstand! Ihr
seid alle festgenommen!«

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»Was ist der Grund?« fragte Gaius. »Wir sind alle gute
Bürger des Imperiums. Keiner von uns hat sich etwas zu
schulden kommen lassen. Was wird und vorgeworfen?«
»Verschwörung gegen den Imperator und das Imperium!«
»Wie bitte? Wir sollen uns...« Gaius schrie vor Schmerz auf,
als ihm ein Legionär den Schaft seines Pilums in die Seite stieß.
»Seid alle still!« brüllte der befehlshabende Optio und befahl
den Legionären: »Fesselt sie!«
Während ihr von einem Legionär die Hände brutal auf ihrem
Rücken gefesselt wurden, liefen Saphira einige Tränen über das
Gesicht. »Asger,« sagte sie leise. »Asger. Verzeih mir.«

»Saphira?« fragte Asger, als er das dunkle Zimmer betrat.


»Bist du hier? Du warst nicht mehr beim...«
»Sie ist nicht hier. Und sie wird auch nicht mehr hierher
kommen.«
Asgers Hand war schnell dort, wo früher immer sein
Schwertgriff gewesen war. »Gnaeus? Was machst du hier? Wo
ist Saphira?«
»Fort gebracht, verhaftet.«
»Weswegen?«
»Der Stadthalter hat einige Christen Cyrenes verhaften lassen.
Saphira ist auch darunter. Die gesamte südliche Gemeinde. Sie
werden der Verschwörung gegen den Imperator und das
Imperium beschuldigt.«
»Und so etwas glaubst du?«
»Nein.«
»Warum hast du es dann befohlen?«
»Habe ich gar nicht. Ich habe erst davon erfahren, als die
Verhaftungen durchgeführt waren. Der Stadthalter misstraut
mir, zumindest was Christen betrifft. Na ja, ich kann ihn auch
nicht leiden.«
»Ich erinnere mich an einen Gnaeus, der zu Ruhme des
Imperiums in den Kampf gezogen war. Um das zu verteidigen,

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was das Imperium stark gemacht hat. Dazu gehört auch, dass
ein jeder das glauben mag, was er will. Sehe ich einen Gnaeus
vor mir, der alle Verantwortung von sich weisen will? Sich
hinter den Anweisungen eines anderen versteckt?«
»Du weist ganz genau, dass Dakien ein Eroberungskrieg war.
Verteidigt haben wir nichts, wir haben erobert! Nach dem ersten
Feldzug war ich im Rang eines Primus Pilus, der Einmarsch in
Sarmizegetusa und der Sieg über Decebalus im zweiten Feldzug
haben mich zum Praefectus Castorum gemacht. Ja, auch ich bin
älter geworden und habe viele Ideale verloren, genauso wie du.
Falls du überhaupt einmal welche gehabt hast. Erinnerst du
dich, dass ich zu dir gesagt habe, du sollst gut auf deine Frau
aufpassen?«
»Ja. Ich erinnere mich. Und verstehe jetzt.«
»Ja, das meinte ich damit. Der Stadthalter ist sehr
christenfeindlich. Das Kreuz, das sie um ihren Hals trägt, ist
sehr verräterisch.«
»Ich denke, es ist besser, wenn du gehst.« Asger drehte sich
von Gnaeus weg. Er war viel zu aufgewühlt, um das Gespräch
weiter fortzusetzen ohne dem Praefectus an den Hals zu gehen.
»Das werde ich auch. Doch vorher werde ich einem alten
Kameraden noch einen kleinen Gefallen erweisen. Ich habe
nicht vergessen, dass ich in Dakien ohne dich nicht überlebt
hätte.«
Asger drehte sich wieder zurück und fixierte Gnaeus mit
seinen Augen. »Welchen Gefallen?«
»Du willst deine Frau wieder haben und ich kann dir sagen
wie. Wenn du sie hast, verschwindest du aus Cyrene.«
»Was schlägst du vor?«

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- Kapitel 11 -

»Nun, mein Herr, hier sind sie,« sagte der Kerkermeister zu


dem Mann neben ihm. Der Besucher trug einem weiten Mantel,
der ihn fast vollständig verhüllte und eine Kapuze verbarg sein
Gesicht. »Seht Ihr die Kleine dort hinten?« Die Gestalt nickte.
»Eigentlich Verschwendung. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch
mit Ihr vergnügen, bis sie morgen in die Arena kommt.« Der
Wächter steckte seinen Schlüssel in das Schloss der vergitterten
Kerkertür und rief: »Du dahinten! Ich meine dich!« Er zeigte
auf Saphira. »Komm hier her!«
Saphira drehte sich weg, um dem Kerkermeister zu zeigen,
dass sie gar nicht daran dachte, seinen Anweisungen folge zu
leisten.
»Du wirst schon sehen, was du davon hast,« zischte der
Wächter, griff nach seiner Peitsche und öffnete der Tür des
Verlieses. In diesem Augenblick packte der Vermummte den
Kerkermeister, riss ihn herum und schlug ihm mit der Faust
mitten ins Gesicht. Danach rammte der Mann den Kopf seines
Opfers gegen die Mauer und schleuderte den Bewusstlosen in
das Verließ.
»Asger!« rief Saphira und lief ihm entgegen. »Asger! Ich
wusste, dass du kommen würdest! Ich wusste es!«
Asger schloss Saphira in seine Arme, küsste sie und sagte zu
ihr: »Ich würde dich nie hier drin lassen. Niemals! Eher würde
ich sterben.«
Saphira sah ihm mit großen Augen an. »Wirklich?«
»Ja. Schließlich liebe ich dich. Außerdem ist es die Sitte
meiner Väter.«
Saphira drückte Asger fest an sich. »Ein Glück, dass du
gekommen bist.«
»Lasst uns jetzt von hier verschwinden. Und zwar alle! Ich
habe alles vorbereitet.«

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»Lasst mich hier,« sagte der alte Petronius. »Ich bin zu alt
und würde euch doch nur zur Last fallen.«
»Ich sagte alle,« wiederholte Asger, während er den
Kerkermeister fesselte und knebelte. »Das heißt auch wirklich
alle.«
»Und wenn wir nicht wollen?« fragte Isenius überheblich.
»Ich bin bereit, als Märtyrer in der Arena zu sterben.«
»Schön für dich Isenius. Dein Glaube ist wirklich sehr fest,«
antwortete Asger und dachte: »Nur müsste man dann deinen
Leichnam in die Arena schleifen, da ich dich vorher umbringe.
Deine Todessehnsucht erfülle ich dir gerne.«
»Es ist Gottes Wille, dass wir gerettet werden,« erhob
Petronius seine Stimme. »Wir danken dir, oh Herr!«
Asger zog den gefesselten Kerkermeister in die hinterste Ecke
des Verlieses. Als an Petronius vorbei kam, flüsterte er: »Jetzt
weist du, wozu ich dich brauche.« An seinem Ziel
angekommen, warf Asger den langsam wieder zu Bewusstsein
kommenden Wächter gegen die Wand und zischte: »Für meine
Frau, Bastard,« und schlug ihm noch einmal mit der Faust
mitten ins Gesicht.
»Wie willst du uns hier rausbringen?« fragte Saphira, als
Asger wieder an der Tür angekommen war.
»Eins nach dem anderen. Zuerst einmal müssen wir aus dem
Kerkerbereich. Danach wird es einfacher. Folgt mir, aber
leise!«
Er führte die Gruppe durch die Gänge bis zum Ausgang der
Verliese. Am dem Tor zur Straße angekommen, flüsterte er:
»Wir müssen warten, bis die Patrouille vorbei ist. Danach
laufen wir einer nach dem anderen in die Gasse gegenüber. Ist
einer drüben folgt der nächste. Die Frauen und Kinder zuerst.«
Und zu Saphira sagte er noch: »Pass auf die Patrouillen auf. Gib
mir ein Zeichen, wenn eine kommt.«
Saphira nickte und lief los. Schnell erreichte sie die andere
Seite des Platzes. Dort schaute sie sich nach Patrouillen um und

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winke. Asger schickte die nächste los, so ging es weiter, bis alle
Gefangenen den Platz überquert hatten und sich in der Gasse
befanden. Gerade als er loslaufen wollte, deutete ihm Saphira,
dass Wachen kamen.
»Verdammte Schnecken,« dachte Asger, »wenn die nicht so
lahm gewesen wären...«
Er versteckte sich hinter der Wand des Torbogens und wartete
bis er keine Schritte der Caligae mehr hören konnte. Dann sah
er zu Saphira hinüber und erst als auch sie die Wächter nicht
mehr sehen konnte, gab sie ihm das Zeichen, dass auch er
kommen konnte.
»Alle da?« fragte er, als er den Platz überquert hatte. »Alle
ruhig?«
»Ja,« antwortete Saphira. »Wie soll es jetzt weiter gehen?«
»Bis an das Ende der Gasse.« Asger nahm Saphira an die
Hand und schlängelte sich mit ihr an die Spitze der Gruppe.
»Folgt uns!«
Am Ende der Gasse wartete Valerianus, der Mann von Helena
mit ihrem Kind. Zusammen mit ihm und Spurius, der am Hafen
auf sie wartete, hatte Asger Kleidung und verschiedene andere
Utensilien deponiert. Schnell erklärten die zwei Männer, wer
welche Rolle in dem von ihnen geplantem Szenario spielen
sollte. Nach ihrer Vorstellung sollten sie einer Patrouille einen
reichen Herrn vorspielen, der mit seinem Gefolge von einer
nächtlichen Feier heimkehrt. Jeder in der Gemeinde warf sich
schnell die ihm zugedachte Kleidung über, Asger selbst
schlüpfte in seine Rüstung und gürtete sein Schwert. Dann
nahm er noch Lanze und Schild.
»Auch wenn die anderen ihre Rollen schlecht spielen,« sagte
Petronius zu ihm, »den Wächter nimmt dir jeder ab.«
»Den braucht Asger ja auch gar nicht zu spielen,«
kommentierte Saphira Petronius. »Er ist schließlich der Speer
Gottes!«

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»Jetzt sollten wir langsam verschwinden,« sagte Asger zu
Saphira, »die Nacht neigt sich bald ihrem Ende entgegen.« Er
sah sich um, ob alle fertig waren. »Valerianus, sind auch bei dir
alle fertig?«
So zog die kostümierte Gruppe in Richtung des Hafens der
Stadt. Asger hoffte, dass sie unterwegs keiner Patrouille der
Legion begegnen würden. Den morgens müden Legionären
vorzuspielen, es würde sich um einen reichen Herrn handeln,
der nach einem nächtlichen Gelage mit seinem Schiff auf das
Meer hinaussegeln wolle, sollte ihnen nicht schwergefallen.
Viele Reiche kamen auf die komischsten Ideen, die Legionäre
waren einiges gewohnt. Dennoch könnte sich jemand an solch
einen Vorfall erinnern, wenn die Flucht der Christen aus dem
Verlies entdeckt werden würde.
Im Hafen angekommen führte Asger die Geflohenen auf ein
vorbereitetes kleines Schiff, auf dem Spurius wartete. Es
dämmerte bereits, als sie ablegten und auf das offene Meer zu
segelten.
»Warum flüchten wir über das Meer?« fragte Isenius. »In den
Bergen könnten wir uns doch viel besser verstecken.«
»Damit ich dich ertränken kann,« dachte Asger und
antwortete mit der Gegenfrage: » Isenius, was glaubst du, wo
sie zuerst suchen?«
»In der Stadt, in den Katakomben oder der Cloaca. Dort wo
wir uns bevorzugt aufgehalten haben.«
»Und wenn sie dort nichts finden?«
»In den Bergen, das ist mir auch bewusst. Nur hätten wir
dann mindestens einen halben Tag Vorsprung und könnten uns
verstecken. Auf See sind wir doch schutzlos. Die Galeeren sind
viel schneller als wir.«
»Berittene Legionäre auch. Sie würden die meisten von euch
innerhalb eines Tages wieder eingefangen haben. Ich weiß,
wovon ich spreche. Das alles habe ich selbst schon in meiner
Dienstzeit mitgemacht.« Gaius, der sich zu den zwei gesellte

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hatte, schluckte, während Asger weitersprach: »Vielleicht
werden sie gar nicht daran denken, dass wir über das Meer
fliehen. Soweit ich weiß, kann keiner von euch ein Schiff
steuern. Und wenn jemand die Idee haben sollte, dann sind ein
paar Tage vergangen und wir weit weg.« Insgeheim dachte der
Nordmann: »Ich hoffe, dass Gnaeus dicht hält.«
Saphira genoss es zu sehen, wie die Gemeinde plötzlich auf
Asger angewiesen war. Noch vor wenigen Tagen hatten viele,
ganz besonders Gaius und Isenius, ihn von oben herab
behandelt. Die Gemeinde des wahren Glaubens, Asger der
Heide, der nur geduldet wurde, weil er mit einer Gläubigen
verheiratet war. Und jetzt als einziger fähig war, sie alle vor der
Arena zu retten. Jetzt lag ihr aller Schicksal in seiner Hand. Sie
ging zu ihm an das Steuerruder und fragte: »Asger, wohin
bringst du uns?«
»Ihr möchtet doch bestimmt in euer gelobtes Land, nicht
war?«
»Ja, willst du dorthin?«
»So ist es. Dort werden wir mit Sicherheit einen Platz finden,
wo wir in Ruhe leben können. Ich erinnere mich daran gehört
zu haben, dass es dort fruchtbare und abgeschiedene Täler
geben soll. In so einem werden wir eine Heimat finden.«
»Ja,« stimmte sie ihm zu und umarmte ihn. »Das werden
wir!«

Die Küste war nicht mehr zu sehen, als Asger die Vorsteher
der Gemeinde zu ihm ans Ruder bat. »Ich habe uns so weit wie
möglich auf das offene Meer gebracht,« sagte er zu ihnen. »Hier
sind wir erst einmal in Sicherheit.«
»Das ist gut,« stimmte Gaius zu. »Doch du wirst uns
bestimmt nicht deswegen hierher gebeten haben, um uns dies
mitzuteilen.«
»Du hast recht, nicht nur deswegen. Ich warte immer noch
eine Antwort. Die schuldet ihr mir noch.«

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»Antwort?« fragte Gaius irritiert. »Worauf? Auf welche
Frage?«
»Auf meine Frage mit der Hochzeit,« antwortete der
Nordmann. »Ich denke, auf eine Antwort des Bischoffs braucht
ihr jetzt wohl nicht mehr zu warten. Es ist an euch, zu
entscheiden.«
»Ja,« stimme Claudia Asger zu. »Wir müssen jetzt
entscheiden. Ich werde noch Petronius dazu holen.« Sie rief den
Ältesten: »Petronius! Wir brauchen dich mal eben hier. Es gibt
etwas wichtiges zu klären.«
Der Alte kam zu ihnen an das Heck und fragte: »Was denn?
Was gibt es zu besprechen?«
»Asgers Frage nach einer Hochzeit zwischen ihm und
Saphira.«
»Ich weiß nicht,« sagte Petronius, »es ist eine schwere
Frage.«
»Stimmt,« sagte auch Gaius. »Nirgendwo steht etwas darüber.
Weder, dass es untersagt wäre, noch dass es erlaubt ist.«
»Ich sehe, ihr wollt euch in meiner Gegenwart nicht
festlegen,« sagte Asger zu den dreien. Mit einem Seil legte er
das Ruder fest und sah Claudia, Gaius und Petronius an. »Ich
werde jetzt zu Saphira gehen. Nach dem Gesetz des Imperiums
sind wir verheiratet. Und ich glaube, sie würde sich über eine
zeremonielle Hochzeit vor und mit der Gemeinde sehr freuen.
Wie immer ihr euch entscheidet, teilt es uns mit. Wir werden
eure Entscheidung akzeptieren, wie auch immer sie ausfällt.
Unsicherheit ist das schlimmste, was ihr jemanden zumuten
könnt.«
Claudia nickte zustimmend.
»Was hast du mit ihnen besprochen?« fragte Saphira. Sie war
gerade aufgewacht, gähnte und streckte sich.
»Ich habe sie gebeten, eine Entscheidung wegen unserer
Hochzeit zu treffen,« antwortete Asger. »Die sind sie uns schon
seit langem schuldig.«

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»Ja, da hast du recht.« Saphira umarmte ihn und legte ihren
Kopf an seine Brust. »Was glaubst du, wie werden sie
entscheiden?«
»Ich weiß es nicht. Immerhin diskutieren sie. Lass uns
inzwischen etwas essen. Ich habe Hunger und du?«

Bald darauf setzte sich Claudia zu ihnen. »Wir haben uns


entschlossen, dass einer zeremoniellen Hochzeit von euch
beiden nichts im Wege steht. Nirgendwo steht geschrieben, dass
es untersagt ist, euch vor Gott in den heiligen Stand der Ehe zu
geleiten.«
»Danke Claudia,« rief Saphira freudig und umarmte Asger.
»Wann soll die Trauung stattfinden?«
»Darüber haben wir auch gesprochen und auch über den
Ablauf. Wir bräuchten so etwas wie ein Altar. Ich werde Lucius
bitten, etwas zu improvisieren. Wenn ihr möchtet, können wir
noch heute die Zeremonie vornehmen.«
»Oh ja! Das wäre toll! Was sagst du dazu Asger?«
Asger drückte Saphira an sich, küsste sie und rief: »Lucius!«

»Praefectus Gnaeus!« schall die Stimme des Statthalters über


den Platz des Legionslagers. »Praefectus, wo seid ihr?«
Gnaeus kam aus seinen Räumen, die etwas abgelegen von
denen der Legionäre waren. »Was wünscht ihr, Statthalter?«
fragte er müde und gähnte.
»Veranlasst sofort eine Suche!«
»Wieso?«
»Die Christen sind geflohen.«
»Die Christen sind aus den Verliesen geflohen?« Gnaeus
schüttelte sich vor Lachen. »Und ich dachte immer, die Verliese
wären sicher,« stichelte er schadenfreudig.
»Euren Spott könnt Ihr Euch sparen,« maulte der Statthalter.
»Schließlich waren es Eure Leute, die versagt haben.«

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»Ihr habt die Anweisungen gegeben,« erinnerte Gnaeus den
Statthalter barsch, »nicht ich. Ihr habt mich bereits bei den
Festnahmen übergangen und für die Bewachung ward auch Ihr
verantwortlich.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Dass sie mir nicht abhanden gekommen wären. Genau das.
Ihr habt Mist gemacht und ich soll jetzt wieder alles gerade
biegen?« Gnaeus genoss diesen Augenblick der Niederlage des
von ihm ungeliebten Statthalters. »Ich werde Eurem Befehl
folgen, ja, so wie es meine Pflicht ist. Dennoch werdet Ihr die
Verantwortung übernehmen müssen. Wie sind die Christen
geflohen?«
»Ein Mann hat den Kerkermeister niedergeschlagen und
danach die Gefangenen befreit,« sagte der Optio aus dem
Gefolge des Statthalters
Gnaeus fixierte den Mann, den der Praefectus als einen
Verräter ansah, mit seinen Augen. »Wie das denn? Man kann
dort doch nicht einfach rein und rausgehen, wie es einem
beliebt.«
»Er hat dem Kerkermeister vorgegaukelt, dass er sich mit
einer der Frauen vergnügen wollte...«
»Kurz gesagt, er hat den Kerkermeister bestochen und danach
zusammengeschlagen.«
»Ja.«
Gnaeus lachte aus vollem Hals. »Geschieht dem Kerl ganz
recht. Vermutlich sind sie in die Berge geflohen, ich werde
Reiter aussenden.«
»Tut das!« befahl der Statthalter, dem Gnaeus Schadenfreude
nicht gefiel.
Gnaeus winke einen der Centurionen heran und befahl: »Lasst
die erfahrensten Männer sich mit Pferden auf die Suche im
Gebirge begeben. Weit können die Geflohenen noch nicht sein.
Sie sollen daran denken, dass wir vor allem Frauen suchen.«

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»Ja, Praefectus,« bestätigte der Centurion den Befehl und
machte sich daran die Männer für den Auftrag auszuwählen.
Gnaeus sah den Legionären nach, schüttelte seinen Kopf und
dachte: »Asger, du bist noch verrückter als ich dachte. Wir
hatten von deiner Frau gesprochen und nimmst gleich alle mit.
Ich weiß nicht, welchen Weg du nimmst, nur im Gebirge bist du
nicht. Soviel ist sicher. Viel Glück Kamerad, wo immer du auch
sein magst.«

Gegen Mittag hatte Lucius aus verschiedenen Kisten einen


kleinen Altar gebaut, über dem eine Decke lag. Lucius bestand
darauf, ihm selbst gefiel die Bastelei nicht sonderlich. Im
Gegensatz zu ihm hätte es Saphira überhaupt nicht gestört, sie
wollte nur die Zeremonie vollziehen. Und so stand sie
zusammen mit Asger bei spiegelglatter See und Windstille vor
dem Altar und erwartete die Trauung.
Gaius stand vor dem Altar und hielt salbungsvoll eine Rede
über die Heiligkeit der Ehe im allgemeinen und des Gelöbnisses
im besonderen. Während Saphira jedes Wort in sich
aufzusaugen schien, begann Asger ungeduldig zu werden. »So
lange kann es doch bis zu dem entscheidenden Moment nicht
dauern,« dachte er, »und einige Stellen hat er auch schon
mindestens einmal wiederholt.«
Zu Asgers Erleichterung kam Gaius zum Ende seiner
Ansprache: »Und so, liebe Gemeinde, wollen wir unsere
Schwester Saphira zusammen mit Asger in den heiligen Stand
der Ehe geleiten.« Gaius winkte Saphira und Asger zu sich an
den Altar. »Wollt ihr beide geloben einander zu lieben und zu
ehren, bis der Tot euch scheidet? So antwortet mit: Ja, ich will.«
»Ja, ich will,« antwortete Saphira sofort und auch Asger
sprach laut die selben Worte.
»So seid ihr jetzt mit Segen des Herrn Mann und Frau.« Gaius
legte ihre Hände aufeinander und sagte zu Asger: »Du darfst die
Braut jetzt küssten.«

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»Wieso jetzt erst? Das habe ich schon oft getan.« Asger
grinste, zog Saphira an sich und küsste sie. Die Gemeinde
klatschte Beifall und alle gratulierten dem Paar.

»Was wollt Ihr, Praefectus?« fragte der Statthalter barsch. Er


fühlte sich von Gnaeus belästigt, nachdem der Praefectus
Castorum Zutritt zu seiner Villa verlangt hatte.
»Ich wollte Euch nur Bericht erstatten,« antwortete Gnaeus
lächelnd. »Die Legionäre sind zurück.«
»Und?«
»Leider konnten sie niemanden finden. Genauso wenig wie
die Männer, die ich in die Katakomben und die Cloaca
geschickt habe.«
»Dann sucht weiter!«
»Ich habe auch bereits die Wohnhäuser der reicheren Christen
und die der Eheleute absuchen lassen. Die meisten waren nicht
sehr begeistert gewesen, vor allem weil wir niemanden
gefunden haben.«
Der Statthalter sah Gnaeus an. »Und was gedenkt Ihr jetzt zu
tun?«
»Gar nichts. Die Christen sind weg und das entspricht doch
auch irgendwie dem, was Ihr erreichen wolltet. Sie sind nicht
mehr hier in Cyrene. Soviel ist sicher. Wir sollten die ganze
Angelegenheit jetzt auf sich beruhen lassen.«
Der Statthalter drehte sich wutschnaubend um und deutete
dem gut gelaunten Gnaeus zu gehen.

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- Kapitel 12 -

Nach einigen weiteren Tagen auf See erreichte das Schiff mit
den Geflohenen eine Küste.
»Wo sind wir?« fragte Petronius. »Ich weiß nur, dass wir
nach Osten gesegelt sind.«
»An der Küste von Samaria oder Judäa,« antwortete Asger.
»So genau kann ich das nicht sagen. Wir werden es sehen.«
»Das gelobte Land,« sagte Saphira und umarmte Asger. »Wir
sind an dem Ziel unserer Reise angekommen. Gott sei Dank.«
Das Schiff legte am Strand an. Nachdem alle das Schiff
verlassen und am Strand ein Lager aufgeschlagen hatten,
berieten sie, was sie als nächstes tun wollen.
»Was wollt ihr?« fragte Asger in die Runde der Gemeinde.
»Wenn wir alle zusammen bleiben wollen, würde ich
vorschlagen, dass wir uns ein fruchtbares und schwer
zugängliches Tal suchen. An solch einem Ort kann man in
Frieden leben.«
»Ich bin Kaufmann, kein Bauer,« warf Gaius ein. »Ich
glaube, keiner von uns weiß allzu viel über Landwirtschaft. Das
ist das Problem.«
»Petronius schon,« sagte Saphira. »Er kann es uns
beibringen.«
Petronius nickte. »Ja, ich weiß wie man Felder bestellt. Doch
ich bin zu alt, es selbst zu tun.«
»Das ist nicht unbedingt ein Problem,« sagte Asger. »Wenn
alle mit anpacken, bekommen wir das hin. Nur muss jeder,
wirklich jeder, seinen Teil dazu beitragen.«
Alle nickten zustimmend, dennoch war die Begeisterung recht
verhalten.
»Hört zu,« sagte Asger und schaute in die Runde. Er spürte,
dass er die Entscheidungsfindung der Gemeinde behinderte.
»Mir ist es egal, was ihr machen wollt. Ich möchte nur mit

- 98 -
Saphira in Ruhe leben können, egal wo.« Er schüttelte seinen
Kopf. »Ich werde jetzt an den Strand gehen und den
Sonnenuntergang genießen. Kommst du mit Saphira?«
Sie nickte und stand auf. »Ja, gerne.«
»Nutzt die Zeit und diskutiert darüber, was ihr wollt. Wenn
ihr zu dem Ergebnis kommt, jeder soll sein Glück allein
versuchen, werde ich es akzeptieren. Beschließt ihr zusammen
eine Siedlung zu gründen, so werde ich mich euch
anschließen.« Asger legte seinen Arm um Saphiras Hüfte,
gemeinsam gingen sie zum Meer.
Die Sonne versank in der See und sandte ihre letzten warmen
Strahlen auf den Strand, als Petronius zu Saphira und Asger
kam.
»Wir haben beschlossen,« sagte er zu den beiden, »dass wir
uns gemeinsam hier in diesem Land ansiedeln.«
»Das ist gut,« sagte Saphira und Asger nickte zustimmend.
Petronius holte Luft. »Da du dich anscheinend hier am besten
auskennst, haben wir auch beschlossen, dass du, Asger, den Ort,
an dem wir uns niederlassen, bestimmen sollst. Wir vertauen
darauf, dass Gott dein Urteil leiten wird.«
»Danke,« sagte Asger und drehte sich zu Petronius um.
»Muss euch schwergefallen sein.«
»Du hast recht. Es war uns sehr schwer gefallen. Dennoch,
wir sind dir dankbar dafür, dass du uns gerettet hast. Daher
vertrauen wir dir.«
»Das müsst ihr wohl auch,« sprach Saphira aus, was alle drei
dachten. »Nun, mein Geliebter, es scheint so, dass die
Verantwortung für die Gemeinde nun bei dir liegt.« Sie
kuschelte sich an ihn heran und flüsterte: »Lass uns in unser
Zelt. Die Nacht wird bestimmt kalt und wir werden uns
gegenseitig wärmen müssen...«

Am Morgen wurde Saphira durch den Geruch von Feuer


geweckt. Sie schreckte auf und sah neben sich. Asgers Lager

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war leer, doch seine Rüstung und Waffen lagen noch dort, wo
er sie am Abend hingeworfen hatte. Nur der Bogen und die
Pfeile fehlten. Saphira stand auf, zog sich schnell ihr Kleid über
und lief aus dem Zelt. Draußen sah sie, warum es nach Feuer
roch. Das Schiff, mit dem sie gekommen waren, brannte und
Asger schoss noch einen brennenden Pfeil ab. »Asger, was
machst du?« rief sie aufgeregt. »Warum steckst du das Schiff in
Brand?«
»Dreizehn Pfeile,« antwortete Asger geheimnisvoll. »So viele
Pfeile wie Monde in einem Jahr. Ein Schiff für die Götter.« Er
sah Saphira an und sagte zu ihr: »Wenn wir über Land
weiterziehen, brauchen wir es nicht mehr. Wenn es verbrannt
und die Reste gesunken sind, führen keine Spuren von uns
hierher. So sind wir sicherer.« Er lies den Bogen fallen, drehte
sich schnell und hob Saphira hoch.
»Asger!« rief sie überrascht. »Was machst du?«
»Dich in unser Zelt zurücktragen,« antwortete er und küsste
sie. »Nach alter Väter Sitte, so zu sagen.«
»Und wenn ich nicht will?«
»Dann lass ich dich wieder runter und du musst selber
laufen.«
»Das meine ich nicht. Ich meine das mit alter Väter Sitte.«
»Bezog sich nur auf das Tragen. Über das, was danach
kommt, schweigen auch die sich aus...«
Der Geruch des Feuers trieb auch die restlichen Mitglieder
der Gemeinde aus ihren Zelten. Fassungslos standen sie am
Strand und sahen zu, wie das brennende Schiff unterging.
»Warum hast du das getan?« fragte Petronius, als Asger mit
Saphira auf seinen Armen an ihm vorbei kam.
»Brauchen wir es noch?« fragte Saphira als Antwort. »Nein.
Und wenn es weg ist, hinterlassen wir keine Spuren.«
»Das stimmt,« sagte der Alte leise. »Du hast recht.
Dennoch...«

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»Asger,« flüsterte sie ihm leise in sein Ohr, »warum macht es
mir so viel Spaß, so frech zu sein?«
»Weil... Hmm, mal nachdenken. Ah, ja. Ich glaube, ich weiß
warum.«
»Und?«
»Weil du dich frei fühlst und dir nun nichts mehr gefallen
lassen musst.«
Saphira wiegte ihren Kopf hin und her. »Ja, dass auch. Das ist
aber nicht alles. Schließlich weiß ich, dass die auf uns
angewiesen sind. Und die wissen das auch.«
»Und deshalb müssen sie sich auch jede Frechheit von dir
gefallen lassen. Das willst du doch damit sagen, nicht wahr?«
»Genau. Schließlich hilfst du denen nur wegen mir. Sag’, dass
du ihnen nur meinetwegen hilfst. Sag’ es!«
Asger öffnete ihr Zelt. »Ja, ich helfe denen nur deinetwegen.
Und das weist du auch ganz genau.« Er nahm sie fest in seine
Arme und drückte sie an sich. Saphira legte ihren Kopf an seine
Brust.
»Es tut gut, so etwas zu hören,« sagte sie. »Vor allem bei
deren vorherigen Arroganz.« Sie sah zu Asger hinauf und
küsste ihn. »Gleich im Zelt habe ich als Hausherrin das Sagen,«
flüsterte sie. »Entspann’ dich und lass dich überraschen...«

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Asger und


Saphira ihr Zelt verließen. Die restliche Gemeinde saß am
Strand und unterhielt sich.
»Na, ihr zwei,« wurden sie von Petronius begrüßt, »ihr seht
richtig glücklich aus. Ich möchte euch ja nur ungern mit
profanen Dingen belästigen, aber wie soll es weitergehen?«
Die zwei setzten sich zu den anderen, die einen weiten Kreis
auf dem Strand bildeten. »Ja,« sagte Asger, »wie soll es
weitergehen? Zuerst sollten wir die Gegend erkunden und
feststellen, wo wir sind. Danach müssen wir zumindest
Packtiere organisieren. Wir haben zwar nicht allzu viel mit,

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aber auf Dauer wird das wenige auch schwer zu tragen. Erst
dann können wir losziehen, um einen Ort für uns zu suchen.
Zusätzliche Reittiere wären auch nicht schlecht, dann könnten
wir schneller voran kommen.« Seine Worte fanden viel
Zustimmung. Asger wurde bewusst, dass sie noch einige Zeit an
diesem Ort verbringen mussten. Die Menschen benötigten noch
etwas Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. »Lasst
uns Späher aussenden,« schlug er vor. »Die können sich
umsehen, während der Rest hier im Lager wartet.«
»Wie viele von uns sollen denn losgehen?« fragte Gaius.
»Drei oder vier,« antwortete Asger. »Dass sollte reichen. Wer
meldet sich freiwillig?«
Es meldeten sich Gaius, Lucius, Valerianus und Lucius als
Freiwillige und machten sich zum Aufbruch bereit. Asger gab
den Männern letzte Anweisungen: »Schaut euch auf eurem Weg
gut um, achtet vor allem auf Hinweise von Städten,
Legionslagern oder ähnlichem. Daraus können wir erfahren, wo
wir sind. Und merkt euch vor allem den Weg zurück. Das ist
das wichtigste. Ich erwarte euch heute Abend zurück.«
Die Männer zogen los. Asger schaute ihnen hinterher und
überlegte, wie er den Rest am besten beschäftigen könnte.
»Woran denkst du?« fragte Saphira, als sie sich zu ihm setzte.
»Dieser Ort ist gut, um mit einem Schiff anzulanden,«
antwortete er. »Aber schlecht, um längere Zeit zu bleiben. Der
Strand ist von See her offen und auch von Süden gut
einsehbar.«
Saphira nickte. Auch ihr war dies aufgefallen, ebenso, dass
eine Meile nördlich der Strand von Felsen, zu denen sie ihren
Kopf drehte, abgelöst wurde.
»Ja,« stimmte ihr Asger zu, »daran habe ich auch schon
gedacht. Nur jetzt das Lager dorthin verlegen, ohne zu wissen,
ob dort ein geeigneter Ort ist...«
»Ich werde nachsehen!«
Asger sah Saphira erstaunt an. »Du willst...«

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»Traust du mir das etwa nicht zu?« fragte sie und ihre Augen
funkelten.
»Doch, doch,« antwortete er schnell. »Ist nur etwas neues für
mich, das ist alles.«
Sie standen auf, Asger nahm Saphira in seine Arme, drückte
und küsste sie. »Ich werde dich im Auge behalten,« flüstere er,
»damit dir nichts passiert.«
»Ich weiß.« Sie gab ihm noch einen Kuss und machte sich auf
ihren Weg.
Asger beobachtete, wie sie leichtfüßig zu den Felsen lief.
»Hoffentlich ist dort niemand,« dachte er angespannt. »Ich
bräuchte zu lange, um dorthin zu kommen.« Es schien ihm wie
eine Ewigkeit, bis sie zu ihm zurückkehrte. Er schloss sie in
seine Arme, so, als wenn sie lange Zeit getrennt gewesen
wären. »Was hast du gesehen?«
»Zwischen den Felsen gibt es eine Stelle, die genug Platz für
unser Lager bietet. Sie ist auch von Land aus schlecht
einsehbar, von See aus gar nicht.«
»Gut, dann werden wir unsere Sachen packen und dorthin
ziehen.«
»Was ist mit denen, die du losgeschickt hast?«
»Die erwarten wir beide am Abend. So, jetzt überbringen wir
denen im Lager die gute Nachricht.«
»Sie werden begeistert sein!«
»Das glaube ich auch. Ich freue mich schon darauf, ihre
erfreuten Gesichter zu sehen.«
»Du meinst wohl die langen.«

Am Abend erwarteten Asger und Saphira die Rückkehr der


ausgesandten Späher.
»Ich würde gerne wissen, wo wir sind,« sagte Saphira und
seufzte. Sie hatte sich auf Asgers Schoß gesetzt und ihren Kopf
an seine Schulter gelegt.

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Asger küsste sie. »Das werden wir bald wissen. Wenn die
Männer zurückgekehrt sind und ihre Beobachtungen erzählt
haben, kann ich einschätzen in welchem Land wir uns
befinden.« Er legte seine Arme um seine Geliebte, um sie zu
wärmen. »Die könnten sich ruhig beeilen. Es wird langsam
kalt!«
Kurz nach Sonnenuntergang traf auch Isenius als der letzte
Späher ein. Gemeinsam gingen sie zu ihrem Lager, wo die
Männer bereits sehnsüchtig erwartet wurden.
Alle Erwachsenen saßen um das Feuer in der Mitte der Zelte
herum und erwarteten gespannt die Berichte.
»In meiner Richtung gab es nur ein paar Dörfer,« berichtete
Gaius als erster. »Die Bewohner waren nicht sehr gesprächig,
ich habe nichts erfahren.«
»Bei mir war es genauso,« stimmte Lucius Gaius zu. »Ich
hatte den Eindruck, sie verstanden kein Latein. Und das im
Imperium Romanum.«
»Was habt ihr eigentlich erwartet?« fragte Asger genervt. Ihn
störte die wiedererstarkende Überheblichkeit der Gemeinde. Er
wusste, dass sie so nicht weiterkommen würden. »Dass die
Bewohner dieses Landes euch mit offenen Armen empfangen?«
Alle schwiegen, ihnen wurde schlagartig bewusst, dass es nicht
so war wie sie es sich auf See ausgemahlt hatten. Sie wurden
nicht im gelobten Land als Glaubensbrüder willkommen
geheißen, das Gegenteil war der Fall. »Ihr seid Fremde in
diesem Land,« fuhr Asger fort. »Ist doch klar, dass die
Bewohner euch gegenüber vorsichtig sind.«
»Was sollen wir tun?« fragte Petronius, der als erster wieder
Worte fand.
»Erst einmal akzeptieren, dass wir nicht mehr in Cyrene
sind,« antwortete Asger. »Euer frühres Leben ist nun vorbei.
Egal, was ihr vorher gewesen wart, ob wohlhabend,
einflussreich oder arm, die Situation hat sich geändert.« Asger
schaute in die sprachlose Runde. »Ich hoffe, euch ist die

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Situation jetzt klar.« Alle nickten. »Gut. So, dann wollen wir
mal weitermachen. Also, wie sahen die Menschen aus?«
»So wie Hirten,« antwortete Lucius. »Bewaffnete habe ich
nicht gesehen. Ihre Sprache konnte ich nicht verstehen.«
»Glaubst du, dass man bei ihnen Lasttiere kaufen könnte.«
»Ein paar Esel vielleicht. Ich habe nur wenige gesehen, viel
haben die Menschen hier nicht.«
»Na also,« sagte Asger, »wir sind doch etwas weiter
gekommen. Wie schön. Morgen werden wir zusehen, dass wir
einige Esel besorgen. Dabei können wir bestimmt noch etwas
mehr erfahren.«

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- Kapitel 13 -

Das Feuer war bereits niedergebrannt, als Asger alleine auf


einem Felsen saß und gedankenverloren in den Nachthimmel
sah.
»Kommst du gleich?« fragte Saphira, die sich gegen die Kälte
der Nacht in eine Decke gehüllt hatte.
»Ja,« antwortete er leise. »Ja, meine Geliebte. Ich komme
gleich zu dir.«
»Asger, warum warst du vorhin so?« fragte sie mit zittriger
Stimme. »Man konnte Angst bekommen. Du warst sehr
aggressiv.«
»Setz dich bitte zu mir, Saphira.«
Sie nickte und setzte sich neben ihn auf den Felsen.
»Siehst du die Sterne?«
»Ja.«
»Sie sind hell, nur kleine Punkte, dennoch sie überstrahlen die
Dunkelheit der Nacht. Doch wenn die Sonne aufgeht, dann
verblassen auch die hellsten Sterne.« Asger nahm Saphira in
seine Arme. »Saphira, du bist für mich die Sonne, die mein
Leben erhellt und die Dunkelheit aus meinem Herzen
vertreibt.«
»Danke. Ich fühle so wie du. Auch ich habe lange Zeit in der
Dunkelheit gelebt und mich nach den warmen Strahlen der
Sonne gesehnt.« Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter.
Nach einer Pause fragte sie wieder: »Aber, warum warst du
vorhin so?«
»Um sie alle auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen.
Ihnen klar zu machen, dass sie ihre Überheblichkeit ablegen
sollen.«
Saphira nickte zustimmend. »Die Gemeinde des wahren
Glaubens,« sagte sie leise.

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»Das sagen die Menschen hier auch von sich. Egal ob in
Judäa oder Samaria.«
»Ist es, weil sie dich nur geduldet haben?«
»Nein.« Asger schüttelte seinen Kopf. »Das ist es nicht. Ich
werde schon seid Jahren nur geduldet. Als Nordmann in der
Legion, zwar mit Bürgerrecht aber immer noch ein Barbar.
Später als Karawanenwächter... Ich bin es gewöhnt.«
»Was ist es dann?«
»Ihre Überheblichkeit ist contraproduktiv. So kommen wir
nicht weiter. Irgendwie habe ich mehr erwartet.«
»Von wem?«
»Von unseren Spähern. Gaius ist doch Händler, er hätte
wissen müssen, wie man Informationen bekommt. Lucius ist
ein guter Handwerker, auch er sollte eigentlich wissen, wie man
mit Fremden ins Gespräch kommt. Valerianus war im Vergleich
zu denen erheblich aufmerksamer, obwohl ich es von ihm am
wenigsten erwartet hätte. Es war da echt eine Überraschung.«
»Und was ist mit Isenius?«
»Ja, der war mir heute auch ein wenig zu ruhig. Sonst hat der
auch immer ein großes Mundwerk, gleich nach Gaius...« Asger
verstummte und dachte kurz nach. »Verdammt!«
»Was hast du?« fragte Saphira erschrocken.
»Wer war an dem Tag in Cyrene als letzter gekommen? Ich
meine den Tag, an dem die Legionäre über euch hergefallen
sind. Die müssen erst nach Beginn eures Gottesdienstes
gekommen sein, sie wären mir vorher aufgefallen.«
»Isenius,« antwortete Saphira langsam. »Willst du etwa
sagen...«
»... dass Isenius ein Verräter ist?« vervollständigte er ihre
Frage. »Vermuten ja, behaupten nein. Aber ich werde über
Nacht die Augen offen halten.«
»Ich bleibe bei dir.«
»Bist du nicht müde? Du brauchst nicht wach zu bleiben.«

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Saphira nickte zustimmend. »Trotzdem. Ich möchte bei dir
sein.«
Der Mond stand in seiner ganzen Fülle am Himmel und
tauchte die Ebene zwischen den Felsen und der Küste in sein
fahles Licht. Saphira war in Asgers Armen eingeschlafen und er
hatte sie vorsichtig hingelegt.
»Alles ist so ruhig,« dachte er, »etwas zu ruhig. Keine Tiere,
nichts. Ob wir stören oder...« Im fahlen Licht sah der
Nordmann zwei Gestalten leise über die Ebene vor dem Lager
huschen. »Späher,« schoss es ihm durch den Kopf.
Unwillkürlich sah er zu dem Lager hinüber. »Mal sehen, ob
jemand zu denen hinüber will.« Er glitt leise von dem Felsen
hinunter und lauerte versteckt vor dem Eingang des Lagers, auf
das sich die zwei Männer zielstrebig zugbewegten.
»Hier ist es,« flüsterte der eine mit einer Asger
wohlbekannten Stimme. »Der Barbar hat es verlegt.«
»Isenius, du Bastard,« dachte Asger nur.
»Gar nicht so dumm, der Kerl,« flüsterte der andere Mann
zurück. »Die Stelle ist schlecht von außen einzusehen und gut
zu verteidigen. Geh zurück, damit niemand Verdacht schöpft.
Morgen werden wir sie gefangen nehmen.«
»Falsch,« zischte Asger und sprang die Männer von hinten
an. Isenius rammte er seine Faust ins Genick, so dass der
Verräter sofort betäubt zu Boden fiel. Mit der anderen Hand
packte er den feindlichen Späher, riss ihn herum und schlug ihn
mit der Stirn gegen einen Felsen. Auch dieser Mann kippte um
und blieb bewusstlos liegen. Asger hörte hinter sich, wie ein
Körper auf dem Boden aufschlug. Er drehte sich um und sah,
wie ein dritter Mann unter Saphiras Decke auf dem Boden lag.
Dahinter stand eine zitternde Saphira.
»Er wollte dich von hinten angreifen,« sagte sie aufgeregt.
»Ich habe meine Decke über ihn geworfen, um ihn zu irritieren.
Er ist gestolpert und auf den Boden gefallen.«

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Asger umarmte die immer noch zitternde Saphira und drückte
sie an sich. »Danke, Saphira. Du hast mir das Leben gerettet!«
»So wie du mir. Wir wollen immer für einander da sein.«
»Wir sollten sie fesseln bevor sie wieder zu sich kommen,«
sagte Asger nach einer Pause.
Saphira nickte. »Ja, du hast recht. Warte hier, ich werde etwas
holen.« Sie kehrte mit ein paar Bändern und Gürteln zurück.
»Das ist alles, was ich gefunden habe.«
»Danke, das langt.«

Am nächsten Morgen entdecken die Menschen im Lager die


gefesselten Gefangenen. Asger schlief daneben gegen einen
Felsen gelehnt, Saphira war mit ihrem Kopf auf seinem Schoß
eingeschlafen.
»Das ist doch Isenius!« rief Lucius überrascht, als er die
Gefangenen betrachtete.
Auch Petronius sah sich die Männer am Boden an und fragte:
»Aber wer sind die anderen? Was hat das alles zu bedeuten?«
»Das werden uns Saphira und Asger erklären, wenn sie
wieder wach sind,« sagte Claudia zu den Fragenden. »Da bin
ich mir ganz sicher!«
»Ja, ich würde auch sagen, dass sie es uns erklären müssen,«
stimme Gaius seiner Frau zu. »Außerdem denke ich, dass Asger
heute entspannter sein wird als gestern.«
»Wie kommst du darauf?«
»So wie die zwei da liegen... Aua!«
Claudia trat erbost ihrem Mann gegen das Schienbein.
»Männer!« fluchte sie und ging.
»Dass die Frau einfach keinen Spaß versteht,« beschwerte
sich Gaius. »Eigentlich sollte sie mich kennen.«
»Wirklich witzig war das auch nicht,« stimmte Lucius
Claudia zu. »Warten wir, bis sie wach sind.«
»Da braucht ihr nicht mehr lange zu warten.« Asger sah die
überraschten Männer an. Auch Saphira wurde langsam wach

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und gähnte herzhaft. »Leute, Leute, ihr seid vielleicht laut,«
beschwerte sich Asger. »Euch hört man sicher noch in Athen.
Und Gaius, lass es mit deinen Witzen bleiben. Die kommen bei
keinem gut an.«
»Ja, ja. Aber was ist mit Isenius und den anderen Männern?«
Asger und Saphira erzählten die Geschehnisse der letzten
Nacht. Alle hörten gespannt zu und waren über Isenius’ Verrat
empört.
»Was sollen wir mit ihm machen?« fragte Lucius. »Welche
Strafe ist dafür angemessen?«
»Gott wird ihn richten,« antwortete Saphira schnell. »Ihn
richten und strafen!«
»Du hast recht,« stimmte Petronius zu. »Aber zuerst werden
wir ihn aus unserer Gemeine verstoßen!«
Alle Anwesenden nickten und stimmten dieser Maßnahme zu.
»Was für eine harte Strafe,« dachte Asger. »Nicht, dass die
mir noch unmenschlich werden.« Er ging zu einem der anderen
Männer und drehte den Gefesselten auf den Rücken.
»Und?« fragte Saphira. »Was ist er?«
»Schlecht zu sagen. Jedenfalls sieht er nicht unbedingt so aus,
wie ein Legionär.« Asger zog an dem Gewand des Mannes.
»Gekleidet wie ein Hirte, ist wohl Tarnung. Wahrscheinlich ein
Späher, der die Lage erkunden sollte.« Er sah Petronius und
Lucius an. »Egal was er ist, wir müssen weg von hier. Alle
sollen sich zum Aufbruch vorbereiten. Nehmt nur das Nötigste
mit, die Zelte lassen wir hier.« Asger packte Isenius und zog ihn
hinter sich her. »So mein Freund, ich habe noch ein Wörtchen
mit dir zu reden!«
Saphira lief dem Nordmann hinter her. »Was hast du vor?«
»Ihn ausquetschen,« antwortete er. »Nach Art der Legion. Ich
glaube, das ist nichts für dich Saphira. Es ist besser, wenn auch
du dich zum Aufbruch vorbereitest.«
»Bitte Asger,« sagte sie geschockt und ihr lief eine Träne
über die Wange. »Bitte nicht.«

- 110 -
»Er hat euch zweimal verraten,« entgegnete Asger hart.
»Schon beim ersten mal hätte er euch alle sterben lassen.
Vielleicht kannst du ihm vergeben, ich nicht!« Er umarmte die
traurige Saphira und flüsterte ihr ins Ohr: »Entschuldige, aber
ich will ihm nur Angst machen. Ich verspreche es dir. Du
kannst ihn dir nachher ansehen.«
»Ja,« sagte sie leise. »Danke.«
Asger packte wieder Isenius und zog ihn hinter sich her. Aus
seinem Zelt holte der Nordmann sein Schwert und schleuderte
seinen Gefangenen gegen einen Felsen. »So, du Bastard,«
zischte er. Seine linke Hand hatte Asger gegen den Felsen
neben Isenius gedrückt und sah dem Verräter in die Augen. »Es
geht so: Ich frage, du antwortest. Ja oder nein. Wenn ich denke,
dass du lügst... na ja, du weist, was ich meine.«
Isenius nickte, seine Augen waren angsterfüllt aufgerissen. Er
ahnte, wozu der wütende Nordmann fähig war.
»Also, Syria.«
Isenius schüttelte seinen Kopf.
»Judäa?«
Isenius nickte.
»Die Männer. Prätorianer?«
Isenius verneinte.
»Legionäre?«
Isenius nickte.
Asger warf den Gefangenen auf den Boden und ging zurück
zu Saphira. »Wir müssen los! Spätestens gegen Mittag wimmelt
es hier von Soldaten.«
»Isenius?« fragte Saphira.
»Ich habe es dir versprochen. Es geht im gut. Den Umständen
entsprechend.«
»Ich weiß. Ich habe dich beobachtet. Danke.«

»Wohin soll es gehen?« fragte Saphira stellvertretend für alle


anderen, die hinter ihr auf den Aufbruch warteten.

- 111 -
»Nach Süden,« antwortete Asger und zeige auf die
Felsenküste vor ihnen, die nach Norden verlief. »Wir müssen
erst einmal einen gewissen Abstand zwischen uns und dem Ort
hier bringen.«
»Aber...« Gaius wollte Asger auf die Widersprüchlichkeit
seiner Worte und Handlung hinweisen, doch der Nordmann
deutete ihm leise zu sein und zeigte auf die Zelte, in die er die
Gefangenen gebracht hatte.
Asger warf sich seine Rüstung und Waffen über die Schulter,
nahm die zusammengerollten Decken und deutete den anderen
ihm zu folgen. Schweigend zogen sie nach Norden.

»Lucius, du bist doch nach Norden gegangen?« fragte Asger,


als sie eine Rast einlegten.. »Wann könnten wir eine größere
Siedlung erreichen?«
»Ich war nicht so nah am Meer unterwegs gewesen, mehr im
Landesinneren,« antwortete der Gefragte. »Aber wenn wir nach
Osten gehen, dann müssten wir heute noch ein Dorf erreichen.«
»Gut.« Asger drehte sich um und wandte sich an alle: »Ruht
euch aus, wir haben noch einen langen Weg vor uns.« Er setzte
sich ein wenig abseits von den anderen und überlegte, wie es
weiter gehen sollte. Saphira setzte sich mit etwas Brot zu ihm.
»Hast du Hunger?« fragte sie und hielt ihm das Brot hin.
»Iss du,« antwortete er. »Du brauchst Kraft für den Weg.«
»Du nicht?«
Asger lachte. »Doch, ich auch. Aber ich mag im Augenblick
nichts essen.«
»Warum hältst du dich immer abseits von allen anderen?
Dich beißt niemand.«
»Das befürchte ich auch nicht,« antwortete er und schüttelte
seinen Kopf. »Außerdem fällt das Beißen eher in meinen
Zuständigkeitsbereich. Nein, das ist es nicht. Ich kann so besser
nachdenken. Das ist alles.«

- 112 -
»Hab’ Vertrauen in Gott.« Saphira legte ihre Hand auf seinen
Arm. »Dann wird alles gut werden.«
»Um dein Gottvertrauen beneide ich dich. Wirklich.« Asger
sah auf den Boden. »Meine Götter sind so wie die Menschen,
die sie verehren. Kämpferisch und auch hinterhältig. Es ist wie
mit den Göttern der Römer, Gallier und was weiß ich noch
kaum anders. Ich verlasse mich nicht auf göttliche Hilfe. Die
Götter beeinflussen unser Leben, ja. Aber nur so, wie es ihnen
gefällt.«
»Bitte komm mit mir,« bat Saphira eindringlich. »Vertreib die
Dämonen von deiner Seele.« Sie umarmte und küsste ihn.
»Komm.«

- 113 -
- Kapitel 14 -

»Sieh an, ein Dorf!« rief Asger. »Na endlich, ich dachte
schon, dass wir an allen Siedlungen vorbei gelaufen wären.« Es
war früher Nachmittag, als ein Dorf in Sichtweite kam. »Lasst
uns anhalten. Lucius, warst du in diesem Dorf gewesen?«
»Ja, ich denke schon.« Lucius sah konzentriert auf die
Ansammlung von Hütten. »Kann ich schlecht sagen. Irgendwie
sehen die alle gleich aus. Warum fragst du?«
»Es geht nur darum, wer versuchen soll, dort ein paar Esel zu
erwerben.«
»Also, wehr geht?«
»Ich,« sagte Petronius. »Ich werde gehen. Ein alter Mann ist
am unauffälligsten. Wir wissen nicht, ob Lucius oder Gaius hier
bekannt sind. Und du Asger bist als Nordmann ohnehin viel zu
auffällig. An dich wird sich jeder in diesem Land erinnern. An
einen alten Mann nicht.«
»Gut, du hast recht,« stimmte Asger zu. »Dennoch sollte dich
jemand begleiten. Am besten eine Frau.«
»Ich könnte doch so tun, als wenn ich seine Tochter wäre,«
sagte Saphira. »Das ist unauffällig genug.«
»Besser seine Enkelin,« warf Gaius dazwischen. »Das wäre
besser. Ein Greis, der mit seiner Enkelin ein paar Esel kaufen
geht. Petronius, du kannst doch bestimmt einen sturen alten
Greis spielen.«
»Damit wärt ihr zwar auffällig, würdet aber kaum als
Bedrohung wahrgenommen werden,« kommentierte Asger den
Vorschlag. Er machte ein erstes Gesicht und unterdrückte ein
Grinsen. »Zu unauffällig sein zu wollen, könnte auch wieder
auffallen. Die Idee gefällt mir. Und du Saphira hast eine gute
Möglichkeit mit jemandem ins Gespräch zu kommen.«

- 114 -
Asger sah Saphira und Petronius hinterher. Aus der
Entfernung schienen sie sich über ihre Vorgehensweise zu
unterhalten.
»Was mögen die zwei gerade besprechen,« dachte er.
Plötzlich fiel ihm ein, dass keiner der beiden die Landessprache
beherrschte. »Verdammt!« fluchte er und zog damit sofort die
Aufmerksamkeit der anderen auf sich. »Ich wusste, dass ich
was vergessen habe.« Bis auf sein Schwert warf er seine
Waffen auf den Boden und zog sich sein weites Gewandt an.
»Bleibt hier!« wies er die erstaunten Menschen an. »Wartet, bis
wir alle zurück sind!«
»Wohin gehst du?« fragte Claudia. »Saphira und Petronius
können das auch selbst erledigen. Du brauchst nicht immer den
einsamen Helden zu spielen. Wir sollten uns an die Abmachung
halten.«
»Welche Sprachen sprichst du?« fragte Asger, während er
sich weiter gürtete.
»Latein und Griechisch. So wie jeder zivilisierte Mensch.«
»Und die anderen?«
»Genauso.«
»Was glaubst du, welche Sprache sprechen die Menschen
hier?«
»Die selbe wie wir?«
»Falsch. In Judäa spricht man Aramäisch und Hebräisch«
erkläre Asger »Und keiner von uns spricht das eine oder das
andere. Die Menschen in Judäa lassen sich nicht einfach
römische Sitte und Sprache aufzwingen. Sie wollen
eigenständig bleiben.« »Was eigentlich auch ihr gutes Recht
ist«, fügte er leise hinzu.

»Kannst du die Sprache dieses Landes?« fragte Saphira.


»Nein,« antwortete Petronius. »Du stammst doch aus Syria,
nicht wahr? Das ist doch im Norden. Du kannst bestimmt die
Sprache der Menschen hier.«

- 115 -
Saphira schüttelte ihren Kopf. »Nein. Ich habe nur die
Sprachen der Römer und Griechen gelernt. Mehr habe ich nicht
benötigt.«
»Dann haben wir ein Problem.«
Saphira blieb stehen, dachte kurz nach und sagte dann:
»Haben wir nicht.«
Petronius sah sie verdutzt an. »Wie meinst du das?«
»Wir tun so, als wenn wir nicht sprechen und hören könnten.
Wenn wir dies überzeugend machen schaffen wir es. Verstehen
können wir die Menschen im Dorf ohnehin nicht.«

Asger schlich Saphira und Petronius hinterher. Er hielt sich in


einem Abstand, der es ihm erlauben sollte, bei Schwierigkeiten
schnell einzugreifen ohne vorher aufzufallen. Aus der
Entfernung sah er, wie Saphira einem der Hirten andeutete, dass
sie nicht hören und sprechen könne. Zusammen mit Petronius
unterhielt sie sich mit den Dorfbewohnern mit Händen und
Füßen.
»Schlaues Mädchen,« dachte Asger. »So kann man sich auch
aus der Affäre ziehen. Unauffällig auffällig. Und Taubstumme
werden mit Sicherheit nicht von unseren Verfolgern gesucht.«
Petronius erwarb fünf Esel, genug, um das wenige
verbliebene Gepäck zu transportieren. Asger erwartete die zwei
auf ihrem Weg zurück zur Gemeinde.
»Gut gemacht!« empfing er sie. »Ich meine nicht nur die Esel.
Wie ihr das Sprachproblem gelöst habt, war wirklich genial.«
»Das Lob gebührt Saphira,« sagte Petronius. »Es war ihre
Idee so zu tun, als wenn wir nicht hören und sprechen könnten.
Ich habe an das Sprachproblem gar nicht gedacht.«
»Ich zunächst auch nicht,« gab Saphira zu. »Doch dann ist es
mir bewusst geworden.«
»Und du hast es elegant gelöst,« sagte Asger. »Ich denke, wir
haben alle zuerst nicht daran gedacht, dass wir die
Landessprache nicht sprechen können.«

- 116 -
Saphira hielt Asger ihre Hand hin und sagte überheblich zu
ihm: »Du darfst dich jetzt bei mir dafür bedanken, dass wir
keine Legion auf den Fersen haben.«
»Oh, vielen Dank!« Asger nahm ihre Hand und küsste sie.
»Wie gnädig von ihnen.«
Saphira kicherte vergnügt und Petronius machte ein dummes
Gesicht. »Sollten wir nicht langsam zurückgehen?«

»Habt ihr irgendetwas herausgefunden?« fragte Gaius als


erster die Zurückgekommenen. »Wisst ihr, wo wir sind?«
»Irgendwo im Judäa,« antwortete Petronius bissig. »Schon
einmal versucht, dich mit jemandem zu unterhalten, dessen
Sprache du nicht sprichst?«
Asger grinste und machte sich daran, die Esel zu beladen.
Petronius hatte klugerweise daran gedacht, für die Esel
Transportsättel mitzuerwerben, so dass alles Gepäck nur gut
verteilt werden musste.
»Ist es nicht lustig,« sagte er zu Saphira, »wie sich der
Vorsitzende und der Älteste der Gemeinde miteinander
streiten?«
»Schadenfreude?« fragte Saphira zurück.
»Nein, das nicht. Ich freue mich über die Normalität, die
wieder so schnell eingekehrt ist. Wenige Tage nach unserer
Flucht aus Cyrene.« Asger schüttelte kurz seinen Kopf. »Kleine
Streiterein kommen immer mal vor, was soll’s? Solange man
sie friedlich austrägt.«
Saphira sah Asger erstaunt an und hob eine Augenbraue,
womit sie zum Ausdruck bringen wollte, dass sie solche Worte
von ihm nicht erwartet hätte.
Während Asger die Esel belud, fragte er Saphira beiläufig:
»Du hast bestimmt irgendetwas mitbekommen. Richtig?«
»Klar. Da sie uns für taub hielten, haben sie sich alle sehr frei
unterhalten. Verstanden habe ich leider nichts, nur fiel immer
der Name Caesarea. Was hat das zu bedeuten?«

- 117 -
»Caesarea ist eine Hafenstadt,« erklärte Asger. »Vermutlich
nicht weit nördlich von hier.« Er dachte kurz nach und grinste.
»Und wir wollten ihnen entfliehen.«
»Was meinst du?« Saphiras Stimme bekam einen ängstlichen
Unterton.
»In Caesarea residieren üblicherweise die römischen
Statthalter,« antwortete Asger ruhig. »Sie werden mit Sicherheit
uns nicht so nahe bei ihnen vermuten. Die meisten Menschen
laufen vor einer Gefahr davon, nicht darauf zu.«
»Befinden wir uns in Gefahr?« fragte Saphira immer noch
ängstlich.
»Nein. Sie wissen doch gar nicht, wo wir sind. Außerdem
kann es gut sein, dass sich der hiesige Statthalter gar nicht für
uns interessiert. Wenn der schon länger hier ist, ist er von den
Judäern bestimmt schon einiges gewohnt. Mit dem Kaiseropfer
haben die es auch nicht und überhaupt legen die sehr viel wert
auf ihre eigenen Identität, egal wer sie regiert. Weshalb sollte
sich dann der Statthalter ausgerechnet für ein paar Christen aus
Cyrene interessieren? Selbst wenn Isenius entflohene Christen
angezeigt hat.«
Saphira atmete erleichtert aus. Sie hatte bereits eine erneute
schnelle Flucht mit ungewissem Ausgang befürchtet.

»Lasst uns hier unser Lager aufschlagen!« rief Asger den


erschöpften Menschen zu. Sie waren bereits seit mehreren
Tagen durch das Land geirrt auf der Suche nach einem Ort, an
dem sie leben konnten. »Dieser Ort ist geschützt und wir
können jeden sehen, der sich uns nähert.« Er setzte sich in den
Schatten eines Felsen und schloss seine Augen.
»Wie soll es weitergehen?« fragte Saphira, die sich zu ihm
gesetzt hatte. »Wann wird unsere Suche ein Ende finden?«
»Ich weiß es nicht,« antwortete der Nordmann leise. »Ich
habe keine Ahnung, wann und wo es ein Ende haben wird.«

- 118 -
Saphira nahm seine Hand. »Du bist ratlos,« stellte sie erstaunt
fest.
»So kann man es auch ausdrücken,« gab Asger zu. »Wir
haben keine richtigen Späher und ich kann nicht alles alleine
machen. Wir brauchen mehr Informationen über dieses Land.«
»Du kennst dich hier nicht aus? Das erschien mir vorher
anders.«
Asger nickte zustimmend. »Ich bin das erste Mal in Judäa.
Alles, was ich über dieses Land weiß, habe ich von Händlern
erfahren. Einige in den vielen Karawanen stammten von hier
und haben Land und Leute recht detailliert beschrieben. Doch
das reicht wohl nicht, wie man sieht.«
Saphira sah ihm in die Augen. »Komm mit mir zu den
anderen,« sagte sie mit warmer Stimme. »Ruh dich aus. Du bist
erschöpft, genauso wie wir alle. Entspann dich. Vertrau auf
Gott, er wird uns leiten.«

Asger erwachte bei Sonnenaufgang. Müde und doch fasziniert


verfolgte er das Spiel von Licht und Schatten, das die
Felswände vor ihm boten.
»Was ist da vorne?« fragte Saphira, die neben ihm aufwachte.
»Es sieht aus, wie eine Vertiefung im Fels. Eine Höhle oder
eine Schlucht vielleicht.«
»Du hast recht,« stimmte Asger zu. »Das werde ich mir gleich
einmal genauer ansehen.«
»Wir uns genauer ansehen,« berichtigte Saphira. »Schließlich
habe ich es entdeckt!«
Asger schulterte sein Schwert und ging zusammen mit
Saphira zu der Felsspalte. Der Eingang war schmal, gerade ein
Mann passte hindurch. Beide zwängten sich nacheinander
hinein und folgte den Gang. Bereits nach wenigen Schritten
weitete sich die Schlucht.
»Nicht schlecht,« murmelte Asger. »Im Notfall leicht zu
verteidigen.«

- 119 -
»Ist das alles, woran du denkst?«
»Nein. Wichtig ist genügend Platz, Wasser und fruchtbarer
Boden.«
Saphira nickte zustimmend. »Gehen wir weiter?«
Sie folgten dem Weg, der sich bald wieder verengte und
anstieg.
»Wir sollten zurückgehen und den anderen Bescheid sagen,«
schlug Saphira vor. »Sonst vermissen sie uns noch.«
»Lass uns noch etwas weiter gehen. Ich glaube, wir sind bald
am Ende des Weges angelangt.«
Die Schlucht endete und eröffnete ihnen den Blick auf ein
weites Tal. Asger und Saphira sahen einen Bach, der irgendwo
in den Felsen entsprang, quer durch das Tal floss und wieder in
den Felsen verschwand. Seine grünen Ufer stellten einen
auffälligen Kontrast zu den schroffen Felsen, die das Tal
einschlossen, dar.
»Ist es das, was du meintest?« fragte Saphira freudig und
hoffte, dass die Flucht ein Ende hatte.
»Ja, so ist es,« antwortete Asger. »Es ist groß genug und
unbewohnt. Lass uns die anderen holen.«

»Mein Gott, was für ein Ort!« rief Gaius begeistert, als das
Tal erblickte. »Ein Paradies inmitten der Felsen!«
»Ja,« stimmte Claudia ihrem Mann zu. »Als wenn Gott uns
einen Garten Eden geschaffen hätte.«
»Dass ich das noch erleben darf!« Auch der alte Petronius
war vor Freude überwältigt. »Lasst uns dem Herrn dafür
danken, dass er uns hierher geführt hat!«
»Saphira hat den Eingang entdeckt,« sagte Asger zu der
Gemeinde. »Ihr solltet vor allem ihr danken.«
Saphira nahm Asgers Arm und legte ihren Kopf an seine
Schulter. »Was für ein schöner Ort,« schwärmte sie. »Hier
können wir in Frieden Leben.«
»Eine Heimat finden,« sagte Asger leise.

- 120 -
»Ja, eine Heimat.«

- 121 -
- Kapitel 15 -

»Wir sind da!«


»Jerusalem,« sagte Saphira leise. »Die Heilige Stadt.«
»Ja,« stimme Asger zu, »und wir haben viel zu erledigen.«
»Ich bin gespannt, was und hier alles erwartet,« freute sich
Saphira über die, von ihr erhoffte, Abwechslung vom Alltag
ihres heimatlichen Tales. »Ich möchte gerne die gesamte Stadt
sehen. Vor allem die Stätten, an denen unser Heiland gewirkt
hat.«
»Machen wir noch alles. Doch zuerst kommen wir unseren
Pflichten nach.«
Es waren inzwischen zwei Jahre vergangen, seit dem sie aus
Cyrene geflohen waren. Das Tal, in dem sie eine Heimat
gefunden hatten, hatten sie urbar gemacht, auf den Feldern
wuchs das Korn so gut, dass sie mehrere Ernten im Jahr
einbringen konnten. Und so erreichte die Gemeinde durch Fleiß
und geschickten Handel wieder einen bescheidenen Wohlstand,
auf dessen Basis sie es sich gut gingen ließen.
»Ganz schön hinüber,« brummte Asger, als er und Saphira die
Stadt betraten. »Ja, ja, die Legion leistet immer ganze Arbeit.
Vor allem wenn es um Zerstörungen geht.«
Sie führten ihre schwer beladenen Esel in Richtung des
Marktplatzes. Dort wollten sie das Getreide, dass sie geladen
hatten, verkaufen. Gaius hatte erfahren, dass in der einstigen
Hauptstadt Judäas ein hoher Preis zu erzielen sein sollte.
»Mal sehen, ob das alles stimmt,« brummte Asger, während
sie die verschlungenen Gassen der Stadt zum Marktplatz
folgten. »Gaius hat manchmal merkwürdige
Informationsquellen.«
»Glaubst du, dass wir getäuscht wurden?« fragte Saphira
erschrocken.

- 122 -
»So dumm ist er ja nun auch nicht,« antwortete Asger. »Nur
würde ich einen zuverlässigen und vertrauenswürdigen
Handelspartner bevorzugen.«
»Woran erkennst du, dass jemand vertrauenswürdig ist?«
»Gute Frage. Woran? Daran, dass er einen guten Preis macht
und nicht immer neu verhandeln will. Was ein guter Preis ist,
kann ich vorher ermitteln.«
»Alles nur am Preis? Gibt es nichts anderes?«
»Doch. Aber das bezieht sich nur auf den Handel. Bei einem
guten Preis können beide Seiten zufrieden sein und werden
sicherlich weiterhin miteinander Geschäfte machen. Was den
Handel betrifft baut sich dann Vertrauen auf. Ansonsten kommt
man nie ein zweites Mal ins Geschäft.«
»Hat dir Kaeso Septimus auch einen guten Preis gemacht?«
fragte Saphira provozierend und signalisierte, dass sie eine
Antwort erwartete.
Asger holte tief Luft. »Du bist mehr wert als alles Gold dieser
Welt,« antwortete er diplomatisch. »Kein Preis wäre zu hoch
gewesen.«
Saphira sah ihn kritisch an, so dass er nicht mehr wusste, was
er sagen sollte. »Na gut, das will ich mal gelten lassen.« Sie zog
ihren Esel hinter sich her und freute sich schelmisch darüber,
den sonst so gerissenen Nordmann in Verlegenheit gebracht zu
haben.

»Das ist also der Markt,« stellte Asger fest, als sie den großen
Platz in der Mitte der Stadt erreicht hatten. »Nicht schlecht.
Aber etwas zu voll.«
Die Menschen drängten sich durch die Wege zwischen den
Ständen, es gab kaum ein durchkommen.
»Was machen wir jetzt?« fragte Saphira, der das Gewimmel
auf dem Platz zu eng war.

- 123 -
»Gaius sagte, wir sollen nach dem Stand eine gewissen
Samuel aus Periträa suchen. Der würde uns alles abkaufen.
Auch der Preis ist bereits vereinbart.«
»Und wo ist dieser Samuel?«
»Keine Ahnung. Irgendwo auf dem Markt.«
Asger zog seinen Esel zwischen den Ständen hindurch, dicht
gefolgt von Saphira mit dem zweiten Tier. Die Gänge zwischen
den Ständen waren sehr schmal und mit Menschen überfüllt.
Asger kämpfte sich seinen Weg frei, er schob und rempelte
jeden beiseite, der ihm im Weg stand, was ihm eine Menge
Beschwerden einbrachte. Saphira eilte ihm hinterher, im
Gegensatz zu Asger entschuldige sie sich, wenn sie jemanden
anstieß, was bei ihr viel seltener vorkam als bei dem massigen
Nordmann. Nachdem sie die andere Seite des Platzes erreicht
hatten, standen sie vor einer Straße, die erkennbar aus der Stadt
heraus führte.
»Weist du jetzt, wo dieser Samuel seinen Stand hat?«
»Äh, nein,« antwortete Asger verlegen. »Ich habe keinen
Getreidehändler gesehen.«
Saphira drückte ihm die Zügel ihres Esels in die Hand. »Ware
hier, ich werde ihn suchen. Mit dir und den Eseln über den
Markt zu laufen ist nicht sehr sinnvoll.«
Nach einiger Zeit kehrte Saphira zu Asger und den Eseln
zurück. »Da hätten wir lange suchen können,« sagte sie zu dem
Wartenden. »Du hast einen Getreidehändler gesucht, dieser
Samuel ist aber ein Bäcker. Hat Gaius dir das nicht gesagt?«
»Nein,« brummte Asger. »Darüber werde ich noch mit ihm
sprechen. Wo ist der Stand?«
»Shalom,« empfing Samuel die zwei. »Ihr bringt mir die
Lieferung von Gaius?«
»Ja,« antwortete Saphira und Asger nahm einen der Säcke
von dem ersten Esel, damit der Bäcker das Getreide überprüfen
konnte.

- 124 -
»Eine sehr gute Qualität,« stellte Samuel bei seiner Prüfung
fest. »Aber es war von Weizen die Rede, nicht von Gerste.«
»Warum wusste ich das?« murmelte Asger verdrossen. »So
etwas war ja zu erwarten.«
»Sind wir umsonst hergekommen?« frage Saphira enttäuscht.
»Haben wir den ganzen langen Weg umsonst gemacht?«
»Nicht ganz,« antwortete Asger. »Die Stadtbesichtigung
werden wir uns nicht entgehen lassen.«
»Na ja, Gerste kann ich auch gebrauchen, so ist das nicht,«
sagte Samuel zu den beiden. » Nur halt zum Preis von Gerste
und nicht zu dem von Weizen.«
»Ist schon klar,« brummte Asger. »Wie viel bietet Ihr?«

»War der Preis gut, den er gezahlt hat?«


»In Caesarea hätten wir auch nicht mehr bekommen. Sieh es
positiv, Saphira. Du kannst ganz in Ruhe deine heiligen Stätten
besuchen.«
»Oh ja!« rief sie begeistert. »Lass uns gehen!«
Bei ihrem Weg durch Jerusalem erzählte Saphira Asger alles
über die letzten Tage Jesu, sie suchte nach allen Orten, von
denen sie gelesen hatte. Nachdem beide vom zerstörten Tempel
aus alle Stationen der Passion abgegangen waren, erreichten sie
schließlich einen Hügel vor der Stadt, der wie eine
Schädeldecke aussah und unter dem Namen Golgatha bekannt
war.
»Hierhin haben sie Jesus getrieben und gekreuzigt,« sagte sie
und fragte: »Wie können Menschen nur so brutal sein?«
»Es ist typisch für Römer,« erklärte ihr Asger, »dass sie
Verurteilte peinigen und der Lächerlichkeit preisgeben.
Besonders wenn es sich um jemanden mit Einfluss handelt.
Damit will das Imperium seine Dominanz demonstrieren. Und
die brutalen Strafen dienen dazu, andere abzuschrecken. Hat
alles bloß nie so richtig funktioniert.«

- 125 -
»Dennoch, es ist nicht richtig. Nur durch Nächstenliebe
erreicht man Frieden. Nicht durch Gewalt.« Saphira stand
schweigend vor einer Höhle, die in den Steinhügel geschlagen
wurde, ihre Hände zum Gebet gefaltet.
»Was bedeutet das?« fragte Asger leise und deutete auf die
Höhle.
»Dies ist das Grab Christi,« antwortete Saphira. »Hier wurde
unser Heiland begraben, um nach drei Tagen wieder
aufzuerstehen und gen Himmel zu fahren. Hier hat Jesus den
Tod besiegt.«
»Den Tod besiegt,« wiederholte Asger leise und dachte: »Wer
den Tod besiegt, kann auch Leben geben, wenn keines mehr
erwartet wird.« Der Nordmann dachte nach und fasste einen
Entschluss: »Du, der du bist der Gott der Christen, ich mache
dir ein Angebot: Ich gebe das wertvollste, das ich besitze, mein
Leben, dafür, dass Saphira ein Kind gebären kann. Wenn du
wirklich allmächtig bist, so lass den Handel besiegelt sein. Und
wenn du gnädig bist, dann lass mich so sterben, wie es eines
Nordmannes würdig ist.«

Am Abend quartierten sie sich in dem Stall einer kleinen


Herberge ein, in einem Dorf unweit der Stadt. Asger verstand
nicht, warum es ausgerechnet der Stall sein musste, zumal in
der Herberge noch einige Zimmer frei waren.
»Lass uns etwas von dem Geld sparen,« hatte Saphira zu ihm
gesagt. »Der Ertrag unserer Reise war schließlich geringer als
erhofft. Und im Stroh können wir es uns auch kuschelig
machen.«
Saphira rückte zu Asger, der sie in seine Arme nahm.
»Scheint so, als wenn der Tag sie mitgenommen hätte,« dachte
er. »Sie zeigt wieder ihr ich-fühle-mich-nicht-so-gut-nimm-
mich-in-die-Arme Verhalten.«
»Woran denkst du?«

- 126 -
»Daran, dass es für dich ein unangenehmer Tag gewesen
war.«
»Warum?«
»Wir waren doch an dem Ort, an dem dein Heiland getötet
wurde. Und ich vermute, dass dich das traurig macht.«
Saphira schüttelte ihren Kopf. »Er starb für unsere Sünden.
Nein, ich bin nicht traurig.« Asger machte ein verduztes
Gesicht, womit er sie zum lachen brachte. »Ich empfand es als
etwas besonderes, die heiligen Stätten besucht zu haben. Früher
hätte ich nicht einmal gewagt, davon zu träumen.« Saphira
kuschelte sich an Asger heran und umarmte ihn. »Es war ein
schöner Tag,« flüsterte sie, »und ich möchte ihn genauso
ausklingen lassen.« Sie küsste ihn innig, während er sie zärtlich
an sich zog.

Asger erfuhr die gute Nachricht auf dem Feld. Saphira lief
freudestrahlend auf ihn zu und rief: »Asger! Komm her zu
mir!«
Der Nordmann war über die Unterbrechung seiner monotonen
und anstrengenden Arbeit erfreut. Niemand in der Gemeinde
pflügte gerne mit einem Esel das Feld, der Nordmann war der
einzige, der diese Arbeit freiwillig ausführte. »Was gibt es denn
so wichtiges, dass du mir sagen willst?« fragte er, als er seine
Geliebte in die Arme schloss.
»Meine Gebete wurden erhört,« antwortete sie geheimnisvoll.
»Einer unserer größten Wünsche geht in Erfüllung.«
»Du bist...? Bist du dir wirklich sicher?«
»Ja, ich bin! Ich erwarte ein Kind von dir. Ich habe es schon
seid langem gefühlt, seid wir in Jerusalem waren. Doch erst
heute bin ich mir wirklich sicher!«
Asger hob Saphira vor Freude in die Höhe und küsste ihren
Bauch. »Ich habe es auch schon geahnt,« sagte er, während er
sie vorsichtig wieder herunter ließ. »Du hast am Bauch

- 127 -
zugenommen und bist überhaupt körperlich etwas,... wie soll
ich sagen,... ähm,... weiblicher geworden.«
»Ach, so siehst du das. Ich bin also weiblicher geworden.
War ich das vorher nicht?«
»Doch, doch. Du weist schon was ich meine. Ist ja auch
richtig so. In Zukunft werde ich vorsichtiger mit dir umgehen.«
Saphira küsste Asger. »Wie lieb von dir. Wie ist es eigentlich,
wenn du mit jemandem unvorsichtig umgehst?«
»Schwere Arbeiten wirst du auch nicht mehr verrichten, da
können sich die anderen soviel beschweren, wie sie wollen.«
»Na, so schwer brauche ich hier auch nicht arbeiten. Und ich
möchte nicht faul herumsitzen.«
»Trotzdem, keine schweren Arbeiten. Es gibt auch so noch
genug zu tun. Und das wird jetzt etwas für unsere feine
Gesellschaft. Schau es dir an und kommandiere sie. Genieße
es!«
»Ja, das werde ich,« stimmte sie und kuschelte sich an ihn.
Asger drückte Saphira fest aber vorsichtig an sich. »Wer weiß
noch davon?«
»Eigentlich niemand. Vielleicht ahnt Helena etwas, ich habe
sie nach einigen Dingen gefragt. Warum fragst du?«
»Wollen wir es nicht den anderen mitteilen?«

Im fahlen Licht des Mondes sah Petronius eine Gestalt, die


auf einem der Felsen das Schwert schwang. Nach genauerem
hinsehen war er sich sicher, dass es sich um Asger handelte.
Langsam ging der Alte dorthin, in der Hoffnung, dass es nur der
übertriebene Schutzwille des werdenden Vaters war, der den
Nordmann auf den Felsen trieb und nicht die Ankündigung von
Unheil. »Asger, was machst du hier?« fragte Petronius. »Es ist
spät und...«
»Ich werde bald sterben,« antwortete Asger leise, aber
bestimmt. »Die mir verbleibenden Tage sind gezählt.«
»Was soll das heißen?«

- 128 -
Asger erzählte Petronius von seinem Schwur und davon, dass
er hoffte, als Krieger sterben zu können. »Verrate nichts
Saphira,« sagte er zu dem Alten. Der erkannte sofort, dass mit
dem Nordmann nicht zu spaßen war. »Es ist unabwendbar und
würde sie nur unnötig belasten. Es tut mir leid zu wissen, dass
ihre ganzen schönen Hoffnungen zerstört werden. Aber auch
das wird sie überwinden. Dennoch, mit einem Kind wird sie
viel länger Freude haben, als mit mir.« Asger senke seinen
Blick zu Boden. »Nicht mehr lange werde ich ihre Wärme
spüren. Die Wärme ihres Körpers und ihrer Liebe. In wenigen
Monden wird mein Körper die Kälte der ewigen Nacht spüren.«
Er machte eine Pause und fuhr trübsinnig fort: »Einst kämpfte
ich jeden Tag und fürchtete den Tod nicht, er war mein
ständiger Begleiter. Doch jetzt... ich möchte nicht daran denken.
Ich fürchte das Ende.«
»Gott ist gnädig und wird so etwas nicht zulassen,« sagte
Petronius hoffnungsvoll.
»Ich habe eine Abmachung getroffen,« entgegnete Asger hart.
»Und ich werde meinen Teil einhalten. Ohne wenn und aber.«
»Dennoch...«
»Du bist doch auch jemand, der seinen Tod vor Augen haben
muss,« sagte Asger hart. »Bei dir das Alter, bei mir ein
Schwur.«
»Ich weiß, auch ich werde irgendwann sterben. Aber ich lege
es nicht so darauf an wie du. Na ja, vielleicht werde ich dich
überleben.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Asger sah Petronius
durchdringend an und sagte zu dem Alten: »Innerhalb der
nächsten sieben Monate werde ich meinem Tod begegnen. Wir
werden sehen, wer von uns beiden diesen Weg zuerst
beschreiten wird.«
»Ja,« stimmte Petronius gelassen dem Nordmann zu, »dass
werden wir.«

- 129 -
- Kapitel 16 -

»Asger, wohin gehst du?« fragte Petronius und hielt den


Nordmann am Arm fest. »Saphiras Niederkunft steht bevor.«
»Ich weiß, deshalb werde ich auch bald meinem Tod
begegnen. Meine Väter können es kaum erwarten, mich in ihrer
Mitte aufzunehmen.«
»Aber...«
Asger schüttelte Petronius Hand ab. »Ich werde meinen Teil
der Abmachung mit eurem Gott erfüllen.«
Von dem Eingang des Tales aus konnte Asger über die weite
Ebene sehen. Wie in seinem Traum kamen Reiter, er wusste,
dass sie zum Plündern und morden kamen. In diese verlassene
Gegend verirrte sich kaum jemand, es sei denn er hat schlimmes
vor. Keiner der Reiter durfte in das Tal, in die kleine Siedlung
hinter der Schlucht. Asger lehnte seine Lanze an einen der
Felsen und stellte seinen Schild dagegen. An dieser Stelle
konnte nur ein Mann durch und würde genau in seine Lanze
laufen. Griffbereit daneben stellte er die Streitaxt, dann nahm er
seinen Köcher mit Pfeilen und Bogen. Langsam trat er vor die
Schlucht.
»Tja, Odin,« sagte Asger, während er den Bogen spannte, »du
solltest schnell einen neuen Stuhl und einen Becher an deine
Tafel stellen, wenn du den Kampf nicht verpassen willst. Und
deine Walküren kannst du auch schon losschicken, schließlich
ist es von Asgard aus ein langer Weg hierher.«
Mit dem ersten Pfeil an der Sehne wartete Asger. Nicht lange,
schon bald befanden sich die Reiter in Schussweite seines
Bogens.
»Hier vorne muss es sein!« rief einer der Männer. »Ich weiß
es genau! Alles Christen, leichte Opfer! Wir werden eine
Menge Spaß haben!«

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»Nicht nur Christen,« dachte Asger und schoss den Mann von
seinem Pferd. Auch die nächsten Pfeile trafen und dezimierten
die Zahl der Angreifer um die Hälfte. Asger drehte sich, warf
den Bogen und die Pfeile beiseite und nahm Lanze und Schild.
»Wo ist er hin?«
»Dort in der Schlucht! Ich werde ihn...« Der Angreifer
preschte mit seinem Pferd genau in Asgers Lanze hinein. Ross
und Reiter fielen von der Waffe durchbohrt auf den Boden, das
tote Tier versperrte den nachfolgenden den Weg.
»Absitzen!« schrie der Anführer. »Lasst ihn uns fertig
machen!«
Den ersten, der über den Kadaver sprang, spaltete Asgers Axt
den Schädel, den zweiten stieß er mit seinem Schild zurück,
bevor der Nordmann die Axt zielsicher auf den Mann
schleuderte.
»Das war ein Volltreffer, was meinst du Claudius?«
»Pech gehabt, Rufus. Ist wohl der falsche Felsen gewesen.«
»Claudius?« rief Asger zu den Angreifern hinüber. »Immer
noch so feige wie früher?«
»Asger? Wie ich mich freue! Wir haben ohnehin noch ein
Hühnchen zu rupfen. Verdammter Gallier!«
»Nordmann, du Holzkopf! Komm her, damit ich ihn dir
runterschlagen kann!«
»Hab’ es nicht immer so eilig! Übrigens, Arianus ist auch hier
und kann es kaum erwarten, wiedersehen zu feiern!«
»Warum glaube ich das einfach nicht?« brummte Asger und
zog sein Schwert.
Arianus und Claudius kamen langsam in die Felsenenge. Sie
deckten sich mit ihren Schilden und streckten ihre Speere
voraus. Asger wich zurück, er brauchte mehr Platz um seinen
Gegnern ausweichen zu können. Arianus stieß vor und während
Asger auswich stieß Claudius dem Nordmann seinen Speer
durch das Kettenhemd in die linke Schulter. Asger drehte sich

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und stieß mit dem Schwert vor. Die Klinge glitt an Arianus’
Schild ab und traf Claudius im Gesicht.
»Du Hund!« schrie der Getroffene, warf seinen Schild
beiseite und riss sein Schwert aus der Scheide. »Ich werde
dich...«
Asger hatte die Gelegenheit genutzt und dem ungeschützten
Claudius einen Hieb mit der Schwerspitze an den Hals versetzt.
Aus der Wunde sprudelte das Blut und Claudius viel vornüber
auf den Boden.
»Claudius, Claudius,« sagte Arianus zynisch, »du bist einfach
viel zu unbeherrscht. Das hast du nun davon.«
Auch aus Asgers Wunde lief Blut und tropfte den schlaffen
Arm hinunter.
»Wenn ich daran denke, dass wir einmal Kameraden gewesen
waren... Was meinst du, Asger?«
»Das jeder, der ins Tal will, an mir vorbei muss!«
»So soll es sein!«
Arianus zog sein Schwert und seinen Dolch. Mit beiden
Waffen in den Händen griff er an. Asger wehrte die Hiebe
zunächst ab, doch im Laufe des Kampfes gewann Arianus
scheinbar mehr Vorteile.
Arianus stieß mit dem Schwert vor, um Asger aufzuspießen.
Der aber drehte sich zur Seite, so dass Arianus an ihm vorbei
lief und ihm von unten seinen Dolch in den Bauch stieß. Asger
spürte, wie die Klinge in seinen Körper eindrang, trotz des
Schmerzes schlug der mit dem Schwert zu. Er wollte
niemanden, der dem Dorf feindlich gesinnt war, durchlassen.
Sein Hieb trennte Arianus den Kopf ab. Asger stieß sein
Schwert in den Boden, sackte auf die Knie und hielt sich am
Griff der Waffe fest. Er hustete und spuckte dabei Blut. Ihm
war jetzt endgültig bewusst, dass er nicht mehr lange zu leben
hatte. Er konnte dem Tot diesmal nicht entkommen, wie er es
früher immer wieder geschafft hatte.

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»Du bist gerade Vater geworden,« sprach hinter ihm
Petronius. »Saphira hat Zwillingen das Leben geschenkt, einem
Jungen und einem Mädchen. Ich bin zu dir gekommen, um dir
die gute Nachricht zu überbringen. Solange du noch lebst.«
»Danke, Petronius,« keuchte Asger und hustete wieder Blut.
»Für wahr, eine gute Nachricht. Sag’ Saphira, dass ich sie liebe
und in der nächsten Welt auf sie warte. Versprich es mir!«
»Ja, ich werde es ihr sagen.«
»Gut...« Asger hustete noch einmal und stürzte neben sein
Schwert.

»Asger! Asger!« schrie Saphira. »Nein! Verlass mich nicht!«


Die Männer der Gemeinde hatten den leblosen Körper des
Nordmannes in sein Haus gebracht. Saphira war von der Geburt
erschöpft, dennoch warf sie sich auf ihn. Niemand konnte sie
davon abhalten, alle wohlgemeinten Ratschläge überhörte sie.
»Warum nur? Es hätte der schönste Tag in unserem Leben
sein können. Warum?«
»Er hat seine Schuld bezahlt,« sagte Petronius leise. »Gott hat
ihn zu sich gerufen.«
»Welche Schuld? Wovon sprichst du?«
»In Jerusalem, am Grabe Christi,« erklärte der Alte tonlos,
»hat er Gott einen Handel angeboten. Sein Leben bot er dafür,
dass du einem Kind das Leben schenkst.«
»Nein!« Saphira drückte ihr Gesicht gegen Asgers Brust und
weinte bitterlich. »Wie könnte Gott nur so grausam sein?«
»Als du schwanger wurdest,« fuhr Petronius fort, »wusste er,
das sein Ende nahte. Er ist gestorben, so wie er sich zu sterben
wünschte. Siegreich im Kampf. Seine letzte Worte waren, dass
er dich liebt und im Paradies auf dich wartet.«
»Lasst uns für ihn beten,« sagte Claudia leise. »Damit auch
seine Seele Gottes Gnade empfängt. Lasst uns für ihn beten und
um ihn trauern.«

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»Asger,« wimmerte Saphira. Ihre Tränen benetzten sein
Gesicht, als sie ihm einen letzten Kuss gab, mit dem sie sich
verabschieden wollte. »Asger.«
Das Tuch auf Asgers Schulter färbte sich rot und aus seiner
Kehle entsprang ein Röcheln.
»Asger,« rief Saphira, »komm zurück zu mir! Herr, zeige
deine Gnade, gib mir meinen Geliebten zurück. Lass seine
Kinder nicht als Waisen aufwachsen!«
»Saphira,« sagte Helena sanft und legte ihre Hand auf
Saphiras Schulter. Sie glaubte, dass Saphira durch den Schmerz
des Verlustes und die Anstrengungen der Geburt sich das alles
nur einbilden würde. Doch dann hustete Asgers und Blut quoll
aus seinem Mund. »Er lebt!« rief sie erstaunt. »Mein Gott er
lebt!«
»Schnell, holt Tücher!« befahl Petronius den
Herumstehenden. Er hatte als erster die Situation erfasst,
während die anderen noch nicht begriffen hatten, was
geschehen war. »Wir müssen seine Wunden verbinden. Er darf
kein Blut mehr verlieren. Mein Gott, mit solchen Verletzungen
sollte ein Mann tot sein.«
»Asger, komm zurück zu mir.« Saphira drückte ihn an ihre
Brust und weinte vor Glück.
»Du musst dich ausruhen,« röchelte Asger und spukte wieder
Blut. »Unsere Kinder brauchen dich. Sei vernünftig, meine
Geliebte. Es langt doch, wenn einer von uns verrückt ist.«
Saphira drückte ihn fest an sich, während Petronius die
Verbände seiner Wunden fest anzog.

Asger und Saphira standen auf einem Felsen über dem Fluss,
der ihrer Heimat das Leben schenkte. Asger hielt sein Schwert
in der Hand, sah gen Norden und sprach feierlich: »Ich habe das
Schwert meiner Väter immer in Ehren gehalten. Doch statt Ehre
und Glück brachte es mir nur den Tod als Begleiter. Dies soll
jetzt vorbei sein. Asger, der Nordmann, der Krieger, starb bei

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dem Kampf an den Felsen, die unsere Heimat schützen.« Asger
schleuderte die Waffe weit hinaus in den Fluss. »Jetzt sollen nur
noch die Tage des Friedens folgen. Die Zeit des Kampfes ist
vorbei. Endgültig!«
»Ja,« stimmte ihm Saphira zu. »Lass uns in Frieden leben.«
Beide umarmten sich und sahen, wie das Schwert in den
Wellen des Flusses versank.

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