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Der Pferdejunge

«Warum soll er nicht zwischen den Welten wandern, mit einem


Fuss in jeder, wie es auch viele neurotypische Menschen tun?»

«Der Pferdejunge» ist die Geschichte von Rowan Isaacson, geboren im Dezember
2001. Im April 2004 wurde bei ihm Autismus diagnostiziert – für seine Eltern ein harter
Schlag: «Es war, als hätte man mir mit einem Baseba!schläger ins Gesicht geschlagen. Ich empfand
Trauer und Scham – eine seltsame, irrationale Scham, als hätte ich diesem Kind fehlerha#e Gene
mitgegeben, es irgendwie verflucht und auf Lebenszeit dazu verurteilt, als Fremdling unter
Menschen zu leben», schreibt Rupert Isaacson.

Im Jahr 2007 lassen sich die Eltern mit Rowan auf der Suche nach Heilung auf ein
Abenteuer ein: Sie reisen in die Mongolei zu den Pferden und Schamanen. Der
Pferdejunge ist das Protokoll dieser Reise, die sie alle verändert – nicht nur Rowan, der
seine Wutanfälle, seine Hyperaktivität und seine Angst in der sibirischen Steppe zurück
lässt, sondern ebenso seine Eltern. Seine Mutter Kristin befreit sich von altem Ballast
und von ihrer Negativität, und sein Vater Rupert startet nach der Rückkehr ein
therapeutisches Pferdeprojekt für Kinder mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen.
Mit in der Mongolei war auch ein kleines Filmteam. Wer also nicht lesen will, kann
schauen: The Horseboy gibt es auf DVD (in Englisch), und hier gibts den Trailer dazu.

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Dass sich das Buch so süffig liest, liegt bestimmt auch daran, dass Rupert Isaacson
Journalist ist – noch dazu einer, der weiss, wie man packend schreibt. Den mitunter
unglaublich anstrengenden und frustrierenden Alltag mit einem autistischen Kind
beschreibt er ebenso eindrücklich wie seine eigene Ohnmacht, seine Liebe und seine
Wut dem kleinen, aber mächtigen Sohn gegenüber, der den Eltern soviel abverlangt und
aufzwingt. In all dem Drama darf dennoch gelacht werden, dann etwa, wenn Rupert
Isaacson seine Erfahrungen mit der mongolischen Küche schildert – und er, muss man
wissen, ist nicht zimperlich. Aber was ihm in der Mongolei aufgetischt wurde, brachte
selbst seinen weitgereisten und aufgeschlossenen Magen an existentielle Grenzen.

Nach Meinung des britischen Autismus-Experten Dr. Simon Baron-Cohen (übrigens der
Cousin des berühmten Borat und Ali G.) ist die Auffassung, dass Autismus etwas ist, das
behandelt werden muss, ziemlich umstritten: «Autismus ist mehr als eine Krankheit»,
sagt er im Interview mit Rupert Isaacson. «Es ist, wenn Sie so wollen, auch ein
Persönlichkeitstyp.» Rowans Vater sieht das ähnlich. Am Ende kommt er zu dem Schluss,
Rowan nicht «kurieren» zu wollen: «Warum soll er nicht zwischen den Welten wandern,
mit einem Fuss in jeder, wie es auch viele neurotypische Menschen tun?»

Tja, warum eigentlich nicht. Sofern unsere Welt ihn lässt.

Text: Claudia Fahlbusch

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