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Auflage: 1.000
CIP-Einheitsaufnahme durch
Câmara Brasileira do Livro, SP, Brasilien
Umschlaggestaltung: dH21
Satz: Rui Nagae
Gott ..................................................................................04
Vorwort.............................................................................07
Einführung .......................................................................13
Was ich nicht getan habe...................................................21
Was ich hätte tun sollen ....................................................27
Neue Pflichten ..................................................................29
In Erwartung eines Auftrags..............................................35
Ende des Urlaubs ..............................................................39
Alte Freundschaften ..........................................................53
Tage der Arbeit und göttlicher Gnaden .............................69
Der Tod ist das Zeugnis des Lebens...................................81
Drei Tage später ................................................................91
Wiedersehen im Himmel..................................................95
Kontrast ............................................................................99
Eine Frau und ein Hinweis .............................................103
Ein Mädchen und ein Ausflug ........................................107
Erste Anzeichen...............................................................117
Bei Rogério zu Hause......................................................123
Am nächsten Donnerstag................................................129
Das Jüngste Gericht ........................................................145
Ein Mann in Verlegenheit ...............................................149
Am Tag ...........................................................................153
Stets das Gesetz ...............................................................155
Erledigt ...........................................................................161
Gott
Ich geh und komme nicht, bin der Ewige und Gegenwärtige,
In euch war und werde ich immer die göttliche Wesenheit sein,
Eure Gegenwart ist in mir und ich will sie voll und ganz,
Über den Trugbildern sollt ihr in mir das ewige Leben verherrlichen.
Immer war, bin und werde ich in euch die Quelle der Milde sein,
Und im umfassenden Bewusstsein eure Heiligkeit abwarten,
Denn ich will keine Formen, keinen Tand, sondern bewusste Kinder,
Die mit mir zusammenarbeiten für die Einheit unseres Geistes.
Vorwort
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Juli 2002
Antonio Fernando Chester
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Einführung
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Neue Pflichten
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Danach begab ich mich mit ihm und der Frau in den
Garten, der sich vor der herrlichen Wohnung erstreckte. Hier
fuhr nun der Mann, indem er seine mächtige Hand auf meinen
Kopf legte, wie folgt fort: „Diese Lebensebene ist zwar schön,
doch das Schönste liegt im Innern von allem und allen, denn
es ist das GÖTTLICHE PRINZIP DES UNIVERSUMS, das
wir auf diese oder jene Art Gott nennen. Ich möchte, dass du
eine introspektive Übung wesentlich geistiger Natur machst.
Und ich möchte, dass du sie hier im Freien machst, denn Gott
ist nicht Sklave unserer Minderwertigkeiten. Denke also an
Gott und wir werden dir dabei behilflich sein.”
Und nun geschah mit mir das, was ich bereits vor
kurzem erwähnt hatte. Nach diesem beeindruckenden Ereignis
verabschiedete sich der Mann von mir, indem er mir Glück
wünschte. Er vertraute mich der Obhut jener glänzenden Dame
an und schickte mich zurück in mein Astralland, wo neue
Aufgaben auf mich warteten.
Die Frau brachte mich zurück zu der Quelle, wo sie mich
vorgefunden hatte, und als sie sich von mir verabschiedete, sagte
sie: „Vergiss nicht, Freund Alonso, dass neue Erkenntnisse auch
neue Möglichkeiten eröffnen und dass neue Möglichkeiten
neue Verantwortung mit sich bringen. Du siehst, dass höhere,
segensreiche Wesen über ihre weniger entwickelten Geschwister
wachen und für sie Sorge tragen. Jener Bruder, mein lieber
Freund, hat dein historisches Album in seinen Händen, das aus
ältesten Zeiten stammt, als er dein angebeteter Heiliger in einer
Kultur war, von der die Geschichte der Menschheit nicht die
geringste Kenntnis hat.
„Wie war denn sein Name”, fragte ich interessiert. „In
den Augen Gottes, sagen wir einmal so, wird das Wesen nach
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inkonsequent zu sein. Ich weiß sehr gut, dass Gott in allem auf
eine allgemeine, universelle Art ist, wie er ist. Und da er nach
Gesetzen regiert, muss er auch nach Gesetzen gesucht werden.
Alles andere, mein lieber Alonso, wäre unlogisch.”
„So muss es tatsächlich sein”, warf ich ein. „Wie
könnte Gott oder seine Gerechtigkeit im partikulären Interesse
handeln? Die Gesetze können höchstens auf partikuläre Weise
direkt sein, nie aber wird Gott den Fehler begehen, aus diesem
oder jenem Grunde manchmal die einen zu erhören und die
andern nicht. Wer nach Maßgabe der Werke gibt, hält sich
sicher an Gesetze, und diese Gesetze müssen festgelegt sein und
dürfen nicht in einem partikulären Sinne angewandt werden.”
„Genauso sehe ich es auch”, meinte der gute Mann.
Und erklärend fuhr er fort: „Im Bereich des selbsttätigen
Ablaufs der Reinkarnation und der damit zusammenhängenden
Ereignisse werden die Wesen von ihren eigenen Taten eingeholt,
wenngleich auch die Zeit den Anschein verbergen und die
Umgebung des Wirkens verändern mag. Betrachte einmal uns
beide, mein Freund, die wir seit Jahrhunderten durch ein
moralisch-intellektuelles Band und ernsthafte Verpflichtungen
aneinander gebunden sind, hier treffen wir uns wieder, um
Wege festzulegen und Probleme zu lösen. Vor scheinbar langer
Zeit war ich einmal ein großer Theoretiker, und du, mein
Freund warst mein fortgeschrittenster Jünger. Du hast gut
gelernt, vor allem, viel zu reden und wenig zu tun ...”
Hier hielt er inne, wie um die natürliche Reichweite der
Gesetze in ihren flexiblen, jedoch gerechten Möglichkeiten zu
erwägen. Dann fügte er nachdenklich hinzu: „Könntest nicht
du in deinem letzten Leben im Fleische das Motiv gewesen
sein, dessen sich die höchste Gerechtigkeit bedient hat, um
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mich nachdenken und leiden zu lassen und auf diese Weise die
Lage wieder ins Gleichgewicht zu bringen? Und in deinem Fall,
Alonso, könnte es nicht sein, dass du zu dem Punkt gelangt
bist, an dem du durch Aufklärung und Leiden selbst wieder
ins Gleichgewicht kommen und dich so auf bessere Tage und
Verhältnisse vorbereiten kannst?”
Er unterbrach sich erneut und gab dann zu bedenken:
„Wer hätte gedacht, dass das der Grund war, warum ich nie
in dein Recht auf freien Willen einzugreifen vermochte, wie
es in anderen Fällen oft geschieht, wenn der Schützling auf
einen besseren Weg gebracht werden kann? Denn immer wenn
ich versucht habe, dich durch Schmerz oder irgendein anderes,
leicht anzuwendendes Mittel zu etwas zu zwingen, kam einer
dazwischen und sagte: ‚Greif nicht zu diesem Mittel ... Lass
ihm seinen Willen ... Gott weiß, was er tut ... Leide zusammen
mit deinem Schützling ... usw.’”
„Und deine Vorgesetzten, haben die dir nie eine
Anweisung gegeben?”, fragte ich darauf. „In der strahlenden
Gegend, wo du warst, hat man dir da je direkt gesagt, was du zu
tun hättest? Ist es nicht vielmehr so, dass sie zwar die Richtung
angeben, nie aber den Weg selbst bestimmen?”
„Wie weißt du das?” - „Ich verfüge über dein Dossier,
aus dem sich die Richtschnur zu deinem und meinem Wohle
ergibt. Doch mehr als ich bereits gesagt habe, weiß ich nicht.
Alles ist irgendwie verschleiert, verschwommen ...”
„Kannst du dich an niemanden halten, der dir
Orientierungen zu geben vermag?” - „Für morgen ist ein
Gespräch mit dem Leiter für Versetzungen angesetzt. Ich
habe jedoch nicht die geringste Ahnung über den Zweck des
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Gott, mit Gott und bei Gott ist alles, wie es ist, nach einem
unabänderlichen Grund. Wenn wir sagen, dass etwas durch das
besondere Eingreifen Gottes geschieht, handelt es sich lediglich
um Reaktionen auf unser Tun, die nach den geltenden Gesetzen
erfolgen, in die Wesen und Ereignisse eingreifen oder zum
Eingreifen veranlasst werden. Als das Heilige und als innerster
Akteur steht Gott weit über unseren falschen Vorstellungen.
Das zeigt sich allein schon daran, Alonso, dass wir äußerst
relative Gesetze und ihre Folgen verkennen. Wie wollen wir
dann das höchste Gesetz selbst erkennen?”
Ich erinnerte mich meiner auf der Erde erworbenen
Kenntnisse, die ich mir dadurch angeeignet hatte, dass ich alles
las, was Offenbarungen betraf. Und da ich Unstimmigkeiten
zwischen Theorie und Praxis befürchtete, stammelte ich: „Die
Glaubensrichtungen auf der Welt mögen in ihren großen
Zügen zwar stimmen, aber von hier aus betrachtet sieht das
praktische Panorama ganz anders aus ... Dein Fall zum Beispiel
gibt mir viel zu denken. Denn obwohl du relativ friedlich
lebst, auf einer Ebene der Gerechtigkeit wohnst und viele
Ursachen kennst, bist du weiterhin Sklave einer Situation,
die sich aus deinem Tun ergeben hat, weil du frei gedacht
hast, wie du konntest oder wolltest. Scheint es hinsichtlich
der Religionen auf der Welt, die alle mit Wundern, Vergebung
und Vergünstigungen ausgeschmückt sind, nicht, dass sich ein
solcher Geist, dem all dies bewusst ist, von so viel Selbstbetrug
befreien müsste? Wo ist denn nun der partikuläre Gott
der merkantilistischen Religionen mit ihrem hierarchischen
Aufbau? Wo sind die verkäuflichen Himmel? Wo ist die
Vergebung? Wo ist der Zorn Gottes, von dem die Alten
sprachen? Wo ist die totale Freiheit der Wesen, wie sie die
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wird von heute an ein neuer, lichtvoller Tag für uns aufgehen.”
Meine Seele jubelte auf, mein ganzes Sein vibrierte
angesichts dieses erhabenen Ausdrucks von Spiritualität, die
in einem Wesen personifiziert war, von dem ich spürte, dass
es mir, meinem Schicksal und meinen tiefsten Interessen sehr
nahe stand. In jener Gegend voll himmlischen Glanzes, die ich
besucht hatte, war alles gut, größer, zu groß gewesen, sodass ich
mich eher übel als wohl gefühlt hatte. Und diese junge Frau mit
ihren faszinierenden geistigen Tugenden, schön wie ein Engel,
schien die Macht zu haben, die schmerzenden Wunden der
Seele zu lindern.
Man kann wohl sagen, dass der Himmel als Ganzes
unser Leben verwirren würde. Damit wir uns angesichts der
WAHRHEIT wohlfühlen können, ist es notwendig, dass sie
sich in kleinste Teilchen auflöst und sich uns in zarten Nuancen
darbietet, denn nur so können wir sie assimilieren oder in uns
aufnehmen. Und da Gott in seinen Gesetzen viel gerechter
vorgeht, als wir uns vorstellen können, stand hier nun diese
Gestalt, die unsere Wege erleuchten sollte. Schon lange war
mir bewusst, dass Gott oder andere hohe Instanzen nie direkt
eingreifen. Schon lange wusste ich, dass zwischen ihnen und
den von ihnen Geführten verzweigte Glieder ausgedehnter
Hierarchien liegen, Wesen, die sich auf dem Weg zu höheren
Lebensebenen befinden, und die dahin gelangen, indem sie
anderen dienen, so wie uns in diesem Falle. Gerade deshalb
stößt mich das ganze Gehabe auf der Welt mit ihren beiden
Ebenen ab, diese engstirnige Frömmelei, die Gott mit ekliger
Bigotterie zu vereinnahmen trachtet, während sie die Galle der
schlimmsten und unchristlichsten Verhaltensweisen über den
Nächsten ergießt.
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Ich erwartete also eine Welt von Dingen von jener jungen
Frau, die nichts anderes war als ein gut dosiertes Stückchen
Himmel. Sie sollte wie ein Stein auf dem Weg eines Franz
von Assisi sein ... eine Schwester, die einem dient und die
man bedient. Deshalb vernahm ich dankbar ihre Worte, als
sie sagte: „Begleitet mich!” Und noch ehe ich mich versah,
befand ich mich auf dem Weg in eine schöne Gegend, zu einem
einfachen Platz, verzaubert von himmlischer Ruhe. In die Luft
aufzusteigen, von höherer Kraft angetrieben zu reisen - allein
ihr Wille war genug, um dies zu veranlassen. Nicht dass mir
dies schwer fiele, aber dieses Mal geschah es, ohne dass ich es
gewollt hätte, und dabei atmete mein ganzes Herz reinen Trost,
süße Hoffnung und starkes Vertrauen. Sie war wie jemand, der
Gewicht hatte auf der Waage der alten Schätze meiner Seele.
Und ich spürte dies.
„Wie findet ihr diesen Ort?”, fragte sie, indem sie den
Blick rundum über die Erhebungen schweifen ließ und ihn
dann auf den weiten, von Tälern und Bergen eingerahmten
Horizont richtete.
„Allein schon die Landschaft spendet meiner Seele Trost”,
antwortete mein Freund entzückt. Und ich antwortete ihr:
„Hier herrscht ein Friede, der sich nicht mit anderen, die ich
kenne, vergleichen lässt, Frau Lourdes. Hier muss ich schon
einmal gelebt und geträumt haben, in dieser Wiege muss
ich geschlafen haben. Mein Sein scheint hier zu sich selbst
zurückzufinden, meine Seele scheint angesichts dieser Aussicht
zu ihrem natürlichen Zustand zurückzukehren. Du wirst mir
sicher erklären, was das bedeuten soll.”
„Ja, ja ...”, meinte sie zögernd. Und da ich sie besorgt
sah, räumte ich ein: „Wenn du es nicht sagen darfst ...” - „Alles
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Alte Freundschaften
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„So ist es! Na und ...”, meinte er, indem er seine breiten
Schultern einzog. - „Eigentlich nichts Besonderes ... Ich verstehe
nur nicht, wie wir hierher gekommen sind. Ich habe überhaupt
nichts vom Weg gemerkt.”
„Das ist auch weiter nicht wichtig”, erwiderte er. „Man
kann auf vielen Wegen und verschiedene Weisen hierher
kommen. Wichtig ist allein, dass man stets gut ankommt,
wenn man will oder kann.”
„Was ist denn das für ein Kontinent?” - „Asien. Die
materielle Heimat des göttlichen Meisters.”
„Darf ich fragen, warum wir hierher gekommen sind?”
- „Habe ich dir je verboten zu fragen, was du willst?” - sagte
er bescheiden. - „Nein, aber dieser Traum gefällt mir nicht
besonders”, gab ich zu bedenken und war mir dabei durchaus
bewusst, dass es an meinem außerkörperlichen Zustand lag,
wenngleich mein Körper ja der eines Entkörperten war, ein
perispritaler Körper.
„Weißt du, dass du träumst?”, fragte er überrascht. -
„Ich für meinen Teil bin mir ganz sicher, dass ich an dem
astralen Ort, von dem du mich hinweggeführt hast, einen
Körper im Bett zurückgelassen habe”, antwortete ich mit voller
Überzeugung.
„Kehren wir also unverzüglich in unsere Gegend zurück”,
sagte er darauf, „denn es gibt viel zu tun. Folge mir bitte!”
Er hätte nicht zu bitten brauchen, denn ich wollte sowieso
zurückkehren, und außerdem hatte er mich derart in seiner
Gewalt, dass ich ihm auch dann gefolgt wäre, wenn ich es
nicht gewollt hätte. Im selben Augenblick kehrten wir wieder
triumphierend an unseren Ausgangspunkt zurück. Da ich mich
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es im Vertrauen.”
„Dann begleite mich also”, sagte der Angestellte und
brachte mich zu einem komplizierten Gerät. Dann sagte er
zu mir: „Wenn du Schlaf bekommst, überantworte dich ihm
einfach.”
Und so geschah es. Ich habe erneut ein ganzes Leben
in jener Zeit durchlebt, in der der planetarische Führer unter
seinen in der Evolution zurückgebliebenen Brüdern lebte. Was
aber meine Aufmerksamkeit in ganz besonderem Maße erregte,
war ein gewisser Vorfall, bei dem ich zugegen war und leider
eine besondere Rolle gespielt habe.
„Welch wundersame Erinnerung!”, rief da der Vater von
Lourdes aus. Es waren seine ersten Worte, nachdem ich mit der
Erzählung meines seltsamen Traumes und dieser interessanten
Erfahrung begonnen hatte.
Da die anderen in ihrem Schweigen verharrten, fuhr
ich fort: „Zuerst entschwand ich mir sozusagen selbst. Dann
zog langsam eine herrliche Morgenröte herauf. Es war ein
herrlicher Tagesanfang im Palästina jener Tage, die für immer
im Gedächtnis der Menschen dieser Erde, das heißt all derer,
die zur demographischen Kolonne auf den zwei Lebensebenen
zählen, fortleben werden.
Ich lebte nun das Leben einer Person wieder. Das ist
wohl der richtige Ausdruck, denn ich war ganz und gar
wieder jene Person, ein dem Obskurantismus des Fleisches
verhafteter Mensch. An meiner Seite lebte eine unter der Last
der Jahre gebeugte alte Frau, die ich Mutter nannte und die
auch wirklich meine Mutter war. Die Straße, an der wir uns
befanden, führte zu einem entfernt liegenden Städtchen. Wir
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begreifen können, ein Nichts ist, denn wie soll ein noch so
großer Geist das unendliche Sein, die alles umfassende Synthese
verstehen können, wo er doch selbst nicht allumfassend ist
und keiner die Kraft der eingegossenen Erkenntnis besitzt?”
„Ich glaube”, sagte darauf Lourdes, „dass allein die
Kraft der eingegossenen Erkenntnis dies möglich machen
könnte, doch kenne ich kein menschliches Wissen, das nicht
auf relative, experimentelle, anstrengende, wenn nicht gar
schmerzvolle Weise erreicht worden wäre. Wenigstens bisher
kenne ich niemanden, dem Reinheit und Weisheit eingegossen
worden wäre. Von allen, einschließlich vom planetarischen
Meister weiß ich nur, dass alle so wie wir ihre Kenntnisse nach
und nach erworben haben.”
„Es gab einmal eine Zeit, in der die Vision eines
geläuterten, relativ weisen Menschen dazu führte, dass einige
in ihm die göttliche Wesenheit selbst in ihrer ganzen Fülle
offenbart sahen. Für mich ist Gott heute unendlich unfassbar.
Wenn ich auch jeden Wert respektiere, halte ich doch
das Verdienst eines jeden Teils in Bezug auf das GANZE
für unbedeutend. Ich habe bereits große Bekundungen
gesehen, habe ernsthafte Vergleiche angestellt, doch gerade
deshalb würde ich mich versündigen, wenn ich das Gegenteil
behaupten würde. Gott ist für mich das ALLES, während
alles Weitere nur Teil ist.”
„Deshalb ist das Begreifen des Lebenssinns das
Wichtigste”, fügte Lourdes ergänzend hinzu, „denn dieser
Sinn ist sogar wichtiger als das Leben selbst. Wenn wir so
denken und fühlen, Alonso, machen wir den Widerschein
Gottes in den Dingen und Wesen zum Geist der Religion,
und zwar einer reinen Religion, denn dann folgen wir dem
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schwindelerregend an, sodass das Leben sich mit Fragen und der
Geist mit Verlangen füllt. Mehr als im körperlichen Leben mit
seinen Wechselfällen gilt es hier, die Richtung zu bestimmen
und danach zu leben.
Doch wenden wir uns nun dem Fall jenes Protestanten zu,
der da aus dem Fleische scheiden sollte. Wie ich bereits erzählt
habe, befanden wir uns auf dem Weg zu diesem Anwärter
auf Befreiung. Wir waren mehr als dreißig an der Zahl, alles
Freunde und ihre Begleiter. Ich selbst hatte den angehenden
Toten nie besucht und wusste von ihm nur das, was die Familie
und seine Frau von ihm berichtet hatten.
Als wir den Raum betraten, sahen wir viele Menschen um
sein Bett versammelt. Viele waren noch jung; wahrscheinlich
waren es seine Neffen und Enkel, die sich am Bett des Sterbenden
eingefunden hatten. Obwohl eine gewisse Traurigkeit herrschte,
war psychisch alles in bester Ordnung. Es befand sich in diesem
Kreise kein einziger minderwertiger Geist. Auch die von der
Erde stammenden hatten mehr zu geben als zu erbitten. Ein
Sinn für Glauben war allen gemeinsam, und eine Frau, die dem
Sterbenden sehr ähnlich sah, übertrug anziehende Fluida auf
ihn, indem sie ihm die Hand auf die Stirn legte. Der Alte selbst
war völlig geschwächt, denn sein Zyklus war abgelaufen. Man
bekam den Eindruck, dass das kosmische Fluidum ihn dazu
veranlasste, das vibrierendste Element, sein geistiges Wesen,
dessen Fortbestand keine Grenzen kennt, auszustoßen, statt
ihn zu beleben. Ohne dies zu wissen, versuchte Edgard seinen
Leib zu verlassen. Dies geschieht auch bei spiritistischen
Kommunikationen, wenn das Fluidum des Mediums erschöpft
ist, wirkt es nach Beendigung des Zyklus nicht mehr anziehend,
sondern stößt ab.
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mein Freund, will vor allem, dass wir dem Nächsten Gutes
tun, das ist wichtiger als tausend Lieder oder theoretisches
Predigen über das Evangelium. Die so genannten religiösen
Handlungen sind es oft gar nicht, weil ihnen die Praxis abgeht.
Und was man als materielle, banale, alltägliche Handlungen in
den zwischenmenschlichen Beziehungen hinstellt, ist am Ende
von entscheidendem Gewicht auf der Waage der spirituellen
Stabilität.”
„Gut und schön”, meinte darauf der Alte, „das klingt
alles vernünftig und realistisch. Jedenfalls habe ich den
Glaubensakten großen Wert beigemessen ...”.
„Und diese haben sich in stimulierende Werte verwandelt.
Sie haben deinen Kopf mit schönen Bildern vom Himmel,
von der Liebe Gottes, den Gefahren der Hölle usw. angefüllt.
Unbedingt aufgeräumt werden muss allerdings mit all der
Abgeschmacktheit der Religiosismen auf der Welt, auf deren
Kosten schädliche Elemente, korrumpierende Akteure der
Rückständigkeit und Feinde der Evolution, wie etwa die
Klerikalisten jeder Couleur leben. Solange es auf Erden
Menschen gibt, die von der Religion leben, die sich ihres
institutionellen Adelstitels rühmen und auf diese Weise
Überlegenheit vorschirmen und Rechte beanspruchen möchten,
die weit würdigeren Menschen versagt werden, solange es so
etwas auf der Welt gibt, wird es eine Menge von Wesen geben,
die sich schnell und stetig auf die Abgründe des Schmerzes und
eine Reihe schmerzvoller Reinkarnationen zubewegen.”
Da rief jemand laut: „Edgard! Edgard!” an der Tür der
Einrichtung, in die der Alte sich für einige Tage zurückziehen
sollte, bis er den rechten Sinn erlangt hätte.
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Wiedersehen im Himmel
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„Die Dinge sind ganz anders, als ich mir vorgestellt hatte.
Die alten Lehren sind zu empirisch ... Ich hätte nie gedacht, dass
das Leben auf dieser Seite so wäre ... so natürlich, so liebevoll, so
viele edle Freunde, die uns mit ihrer Aufmerksamkeit umgeben
... Wie viele Dinge müssen die Menschen auf Erden noch
kennen lernen! ... Ich weiß auch nicht, wie viele von all dieser
Schönheit erfahren möchten ... Ich glaube, sie würden Christus
wieder töten, wenn er davon wie damals mitten auf der Straße
erzählen würde ...”
Erneut erklang Beifall zu seinen letzten Worten. Und
der gute Alte zeigte sich sehr fröhlich, gab aber trotzdem
nicht seine Nachdenklichkeit auf. In seiner der WAHRHEIT
verpflichteten Seele ging irgendetwas vor.
Bald darauf ging die Versammlung zu Ende. Arm in Arm
entfernte sich das Ehepaar und bezeugte mit seiner Haltung,
dass der Tod die Fortsetzung des Lebens ist. Sie waren auch das
beste Beispiel dafür, dass auf den höheren Ebenen des Lebens
die Dinge vielleicht anders sein mögen, dass aber auf den
unteren Ebenen noch viel irdisches Platz hat, wenn auch auf
eine relativ verfeinerte Art und Weise. Es zeigte sich auch, dass
keiner mit einem einzigen Sprung in jene Gefilde vordringt,
in denen die Liebe einen für uns unsäglichen und unfassbaren
Sinn erhält.
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Klerus hat die Lüge zur Religion gemacht, nur weil seine
Herren auf Kosten dieser Lüge essen und trinken wollen.”
Seine Großmutter unterbrach ihn an dieser Stelle und
ließ erkennen, dass sie über die Geschichte des Lebens - oder
der Leben - ihres Enkels sehr gut Bescheid wusste: „Wenn wir
selbst doch Kleriseien geschaffen haben!”
„Dann müssen wir eben unser Möglichstes tun, um die
Vergangenheit rückgängig zu machen!”, gab er ihr darauf zur
Antwort.
„Dies geschieht bereits, lieber Edgard. Alle großen
Gestalten, die bei der zyklischen Erneuerung etwas für den
Spiritismus getan und ihm eine organisierte Lehre gegeben
haben, waren dieselben, die in anderen Epochen in ihrer
Unterentwicklung Religionen auf festen Grundlagen geschaffen
haben, nur dass diese sehr grob ausgelegt wurden. Hat der
Meister nicht gesagt, dass Elias wiederkehren würde, um
die Dinge wiederherzustellen? Weißt du warum? Weil Elias
damals der Gründer des exklusivsten religiösen Prinzips
auf dem Planeten gewesen ist. Daher ist es die Aufgabe
eines jeden, der dem Herrn einmal als Werkzeug gedient,
aber dabei minderwertig gehandelt hat, sein Möglichstes für
die Abschaffung des Religiosismus und die Errichtung des
Wahrheitskults auf der Welt zu tun. So hat es nach dem Gesetz
zu geschehen, und so geschieht es auch.”
„Es freut mich, dies zu erfahren”, sagte Edgard darauf
voller Befriedigung.
„Die Religionsgründer wollen heute nur das Eine: Dass
sich auf Erden das Konzept Christi durchsetze, das da sagt „Die
Wahrheit wird euch befreien”. Denn jede geistige Frage ist eine
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Anfang oder ein Ende gegeben hat. Wie hätte wohl Gott,
das VÖLLIG WESENTLICHE, oder irgendeiner seiner
Entsandten gehandelt, um den Wesen und den Dingen diese
Veranlagungen zu geben? Und wie könnte man einen Verneiner
dieser ganzen Pracht mit aller Heftigkeit kritisieren, wenn die
Majestät selbst den Geist manchmal zur Unterscheidung unfähig
macht? Mir scheint es sehr einfach, sich ein GEMEINSAMES
PRINZIP aller Dinge vorzustellen, aber es ist fast unmöglich,
die unzähligen Abstufungen zu erahnen, in die sich dieses
PRINZIP entfaltet.
Die Synthese ist leicht zu finden: Die Macht der Analyse
ist mangelhaft. Viel Synthese bedeutet viel Unwissenheit. Wenig
Analyse entspricht schon einer ganzen Menge Weisheit. Man
sollte vor allem dies vor Augen haben, dass wir der analytischen
Ebene angehören, dem sogenannten Werk Gottes, das viel
mehr mit der analytischen oder relativistischen Ebene zu tun
hat als mit der der Synthese. Was wir sind hat seinen
Ursprung in der HÖCHSTEN SYNTHESE; alles, was wir
brauchen, leitet sich von ihr ab. In Wirklichkeit sind wir gerade
deswegen bedürftig, weil wir uns im Bereich der Ableitungen
bewegen. Keiner von uns gibt oder empfängt von der
HÖCHSTEN SYNTHESE, weil wir nur ein Schmuckelement
im relativistischen Rahmen sind und deshalb unter keinen
Umständen die Pflicht zu brüderlicher Zusammenarbeit
entbehren können.
Gott über alles zu lieben und unseren Nächsten wie uns
selbst? Ich glaube, dass dieses Gebot des Dekalogs nicht dem
Geist der HÖCHSTEN WESENHEIT entspricht, denn diese
ist ja auf gar keinen Fall egoistisch, sonst würde sie doch stets
den reichlich belohnen, der ihr ewiges Lob spendet, ansonsten
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Am nächsten Donnerstag
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trauriges Gesicht zu. Da ging sie zu ihm hin, gütig und leicht
wie eine Feder, und umarmte ihn mit den Worten: „Wenn es
mit Verzeihung zu tun hat, verzeihe! Wenn es um Buße geht,
tue Buße! Gott gegenüber können wir weder schlicht noch
stolz, weder tolerant noch nachtragend sein ... Unter uns aber
sollen gegenseitige Duldsamkeit und der Wunsch herrschen, in
Reinheit und Weisheit zu wachsen.”
„Halte dich fern von mir, siehst du nicht, dass ich voller
Schmutz und Ungeziefer bin?”, sagte der Priester, indem er sich
von ihr zu entfernen suchte. Sie aber drückte ihn an sich und
sprach zärtlich zu ihm: „Setze diesem Schmutz dein kraftvolles
Denken entgegen, aber tue es mit dem aufrichtigen Wunsch
der Rehabilitierung, dann wirst du es schaffen. Die Zeit deiner
Rehabilitierung ist gekommen, der Zyklus der Läuterung ist
nun abgeschlossen.”
„So helft mir bitte”, lallte der Mann und weinte viele
Tränen.
Die Ehrwürdige legte ihm die Hände auf den Kopf und
betete mit aller Kraft ihrer auf den Wegen der Liebe erzogenen
Seele. Und so erhielt in dieser Stunde ein weiterer Bruder,
der sich vergangen hatte, den Lohn dafür, dass er sich seiner
eigenen Fehler bewusst wurde. Es geschah eine Art Verklärung
im Kleinen. Die ehrwürdige Frau rief einen der Arbeiter heran
und übergab ihm den dankbaren Bruder. Dieser ging hinweg,
ohne ein Wort zu sagen, sein Antlitz aber drückte seine ganze
Dankbarkeit aus.
Nachdem einige Minuten vergangen waren, machten wir
uns auf den Weg zu unseren Penaten unter den Sternen, jeder
an den Ort, der ihm turnusgemäß oder wegen seiner Hingabe,
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Am Tag
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ich es selbst. Ich danke also dem absoluten Herrn aus ganzem
Herzen, weil ich weiß, dass meine relative Freiheit Teil seiner
höchsten Macht ist.”
Er schaute uns eine Weile an, um dann dankbar
fortzufahren: „Gott segne euch für euer Tun. Der Humanismus,
den ihr lebt, wird euch sicher in den heiligen Schoß des wahren
Christentums führen. Denn es gibt kein Christentum, ohne
dass ihm der Humanismus vorausgegangen wäre. Das ist von
unten nach oben gesehen der Inhalt des aufsteigenden Gesetzes.
Es irren all die, die den Himmel herausfiltern wollen, ohne
die Tränen, das Weinen, den Hunger, die Gefangenschaft,
das Witwentum, die Verwaisung, den Analphabetismus, den
Mangel an Krankenhäusern, Ärzten, Medikamenten usw. zu
berücksichtigen. Das Problem des Himmels ist das Problem
des Menschen, der einen Körper besitzt, der seine Intelligenz
entwickeln muss, der ein Herz hat, mit dem er den erhabenen
Glanz der Spiritualität erreichen kann, befinde er sich nun im
Fleische oder außerhalb desselben. Wer gegen diese Wahrheit
verstößt, leugnet die Gesetze Gottes.”
Ich war ganz begeistert von dem, was der ehemalige
Bettler da von sich gab. Mir ging dabei ein interessanter
Gedanke durch den Kopf. Jeder ist anders und denkt, so gut
er kann und nicht wie er möchte, und diese Vielfalt ist eine
Freude für unseren Geist, weil sie ihn bildet. Jeder gibt ein
bisschen von sich selbst, trägt seinen Anteil bei, und alles wird
ausgewogener auf dem Weg zur Vollkommenheit. Ich weiß
sehr wohl, meine Freunde, dass hier keiner für alle sprechen
kann, denn wir wissen noch sehr wenig. Aber ihr habt gemerkt,
dass selbst dann, wenn die Denkweisen aufeinanderstoßen,
wir in einer glücklichen, sehr glücklichen Stimmung leben.
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Habt ihr nicht selbst gesehen, dass elende Menschen aus der
Welt des Fleisches nach einer kurzen Einweisung Vorbilder des
Verständnisses und der Güte wurden?
Wir brachten nun den Mann zu dem Ort, der ihm
bestimmt worden war. Dann zogen wir durch die Räume
zurück zu unseren Wohnungen.
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Erledigt
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ENDE
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