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VP Zahlenbereiche und Variablen, WS 09, H.S.

Siller Universität Salzburg

Lehramt Mathematik Gerhard Mitterlechner

Schriftliche Ausarbeitung1 aus Zahlenbereiche und Variablen


Vektoren: die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt
Zusammenfassung
Diese Arbeit untersucht Vektoren und bedeutende nicht-elementare Operationen auf Vektoren
in erster Linie aus schulmathematischer Perspektive. Der mathematische Fokus liegt dabei auf der
Orthogonalprojektion und dem Kreuzprodukt. Deren wichtigsten Eigenschaften werden möglichst
intuitiv betrachtet, aber ebenso auch formal dargestellt und hergeleitet. Der überwiegende Teil des
mathematischen Inhalts dieser Arbeit ist in Anlehnung an Lehrstoaufbereitungen in Schulbüchern
entwickelnd und induktiv aufgebaut, und kann mit Mittelschulwissen nachvollzogen werden.

Die geometrische Anschauung steht im Vordergrund, welche durch die Visualisierung mittels
unzähliger selbstgefertigter Skizzen unterstützt wird. Besonderer Wert wird auch auf eine ziemlich
ausführliche natürlichsprachige Analyse und Interpretation der mathematischen Inhalte gelegt,
um den nicht-formal denkenden Leser nicht zu vernachlässigen. Zahlreiche Anwendungen sowohl
innermathematischer (zB Cauchy-Schwarz'sche Ungleichung, Herleitung der Ebenengleichung, Ab-
standsberechnungen) als auch auÿermathematischer Natur (Computergrak und Physik) werden
vorgestellt, um die verschiedenen Thematiken möglichst gut zu vernetzen. Hintergründe und weite-
re Zusammenhänge auf akademischem Niveau (Determinanten, Orthogonalisierungsverfahren von
Gram-Schmidt, komplexe Fourieranalyse) sind ebenso in der Arbeit vorzunden.

In der Arbeit wird weiters ein aus der regulären Lehramtsausbildung nicht geläuger, aber emp-
fehlenswerter fachdidaktischer Ansätz vorgestellt, nämlich das Prinzip der sogenannten Learners
Generating Examples (LGE). Es wird auÿerdem kompakt auf einige didaktische Prinizpien und
Methoden (zB das Prinzip der Anschaulichkeit und das Prinzip der Visualisierung) eingegangen,
auf welche beim Erstellen dieser Ausarbeitung Rücksicht genommen wurde.

1
Diese Arbeit wurde mit dem Textsatzsystem LATEXverfasst.

1
Inhaltsverzeichnis
1 Didaktischer Teil 4
1.1 Lehrplanbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Angewandte Didaktische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2.1 Indukive statt deduktive Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2.2 Genetisch-entwickelnder) Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2.3 Prinzip der Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.2.4 Prinzip der adäquaten Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2.5 Das EIS-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.6 Das Prinzip der Problemorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.2.7 Das Prinzip der Beziehungshaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.3 Mathematik als konstruktive Aktivität: Learners Generating Examples . . . . . . . . 9
1.3.1 Typen von Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.3.2 Strategien für den Einsatz von LGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.3.3 Ähnlichkeit zu anderen didaktischen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.3.4 Vorteile, Nachteile von LGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2 Mathematische Voraussetzungen 12
2.1 Vektoraddition, Skalarmultiplikation (Skalierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.2 Norm und Normierung eines Vektors: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.3 Skalarprodukt (Inneres Produkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.4 Cosinus und das Skalarprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
2.4.1 Negatives Skalarprodukt bei stumpfem Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.4.2 Orthogonalität, Parallelität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.5 Berechnungen am rechtwinkligen Dreieck mit Sinus und Cosinus . . . . . . . . . . . . . 16
2.6 Flächenberechnung Parallelogramm, Volumsberechnungen Parallelepiped . . . . . . . . 16

3 Die Orthogonalprojektion (Normalprojektion) 17


3.1 Problemstellung, Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3.2 Länge der Orthogonalprojektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3.3 Projektionsvektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3.4 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
3.4.1 Aufgaben zu technischen/geometrischen Problemen . . . . . . . . . . . . . . . . 19
3.4.2 Herleitung der Geradengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
3.4.3 Herleitung der Ebenengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.4.4 Abstandsberechnungen, Hessesche Normalform . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.5 Das Orthogonalisierungsverfahren von Gram-Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.6 Koordinaten eines Vektors sind Orthogonalprojektionen auf Basisvektoren . . . . . . . 26
3.7 Fourieranalyse: Fourierkoezienten sind Orthogonalprojektionen auf komplexe Expo-
nentialfunktionen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4 Das Kreuzprodukt (vektorielles Produkt bzw. Vektorprodukt) 29


4.1 Problemstellung, Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.2 Länge: Fläche Parallelogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.2.1 Bestimmung der Parallelogrammäche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.2.2 Allgemeine Herleitung des Kreuzproduktvektors: . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
4.3 Richtung: Rechte-Hand Regel (Dreingerregel) und Rechtssystem . . . . . . . . . . . . 32
4.3.1 Formel für Sinus: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.3.2 Weitere Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.4 Determinante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.5 Anwendungen des Kreuzprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

2
4.5.1 Minimalabstand zweier windschiefer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
4.5.2 Testen auf lineare Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.5.3 Eindeutigkeit der Lösung eines 2 × 2 Gleichungssystem . . . . . . . . . . . . . . 38
4.5.4 Richtung: nach links oder rechts abbiegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
4.5.5 Das Spatprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4.5.6 Physikalische Anwendungen: Drehmoment und Drehimpuls . . . . . . . . . . . 40

Literatur 43

3
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

1 Didaktischer Teil

1.1 Lehrplanbezug

Die mathematisch vorherrschenden Themen Orthogonalprojektion (in der Schule Normalprojektion


genannt) und Kreuzprodukt (vektorielles Produkt oder Vektorprodukt ) stammen aus dem Gebiet der
Linearen Algebra bzw. Analytischen Geometrie. Das Denieren des vektoriellen Produkts und Ermit-
teln von Normalvektoren im Raum ist Teil des Lehrplans der 6. Klasse AHS ([1], S.5). In [5] sind
die Richtungsbestimmung des Kreuzprodukts und die Begrie Rechtssystem und Dreingerregel als
Lehrsto für Real- bzw. Oberstufenrealgymnasien (RG2 bzw. ORG3 ), und die Volumsberechnungen
mit dem Kreuzprodukt als Erweiterungssto für ORG gekennzeichnet. In [11] ist vektorielle Flächen-
und Volumsberechnung für Gymnasien, das vektorielle Produkt mit seinen Eigenschaften für RG und
ORG vorgesehen. Beide Schulbücher stellen als Anwendung des Kreuzprodukts das Drehmoment vor.

Die Normalprojektion ist in den Lehrplänen nicht direkt aufzunden, würde aber thematisch zu den
Lehrplaneinträgen Arbeiten mit dem skalaren Produkt (5. Klasse AHS) bzw. Lösen von geometri-
schen Aufgaben der Ebene und des Raumes (6. Klasse AHS) passen. In [11] ist die Vektor-Projektions-
Formel als Kernsto für Gymnasien gekennzeichnet, aber mit anspruchsvoll markiert. In [5] ist die
Normalprojektion eines Vektors als Erweiterungssto gekennzeichnet. In beiden Büchern ist als physi-
kalische Anwendung der Normalprojektion die verrichtete Arbeit enthalten. Die Abstandsberechnung
mit der Normalprojektion (Hessesche Abstandsformel) ist Teil des Erweiterungsstos4 .

1.2 Angewandte Didaktische Prinzipien

In diesem Abschnitt möchte ich einige der Prinizipien, auf die bei der Abhandlung des mathematischen
Teils achtgebe, kurz eingehen.

1.2.1 Indukive statt deduktive Herangehensweise

Der induktive Weg besagt, dass man vom Bekannten, Einfachen und Konkreten hin zum Neuen,
Komplexen und Allgemeinen gelangen soll. Konkret kann man von einer Problemstellung ausgehen
und schrittweise durch Anwenden von bereits bekanntem Wissen (das in Abschnitt 2 noch einmal kurz
wiederholt wird) eine Lösung des Problems aufbauen.

Der akademische, deduktive Weg soll gezielt vermieden werden, um dem Schema der Universitäts-
mathematik - Denition, Satz, Beweis - zu entkommen. Beim deduktiven Weg wird versucht, sofort
die allgemeinste Form eines Sachverhalts anschreiben und danach zu beweisen (vgl. dazu [4], Kap.
4.4. und 4.5). Dabei werden die Fragen Woher kommen die Begrie? oder Wozu werden sie benö-
tigt? oft auÿer Acht gelassen. Der deduktive Weg widerpricht auch dem genetischen Prinzip des sich
schrittweise entwickelnden Unterrichts, und auch der historischen Entwicklung der Mathematik.

1.2.2 Genetisch-entwickelnder) Unterricht

Der genetische Unterricht soll im Hinblick auf die Mathematik authentisch ([16], S.124) und hin-
sichtlich der Entwicklung der Lernenden adäquat sein: also sich nicht an einer Axiomatik orientieren,
da diese ja meist das Endstadium einer langen Entwicklung darstellt, und die historische Entwicklung
auÿer Acht lässt. Der genetische Unterricht ist daher in enger Beziehung zum induktiven Weg zu
sehen.
2
Realgymnasien
3
Oberstufenrealgymnasien
4
Die erwähnten Schulbücher sind möglicherweise nicht mehr lehrplanaktuell.

4
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

1.2.3 Prinzip der Anschauung

In [16], S.122f. ndet sich folgende Aussage:


Jeder Sachverhalt soll, soweit dies möglich ist, auch anschaulich dargestellt werden.
Wichtig zu beachten ist dabei: soweit dies möglich ist, denn Anschaulichkeit ist gemäÿ [16] nicht
immer möglich5 . Das auch in der Aussage soll verdeutlichen, dass der Sachverhalt nicht nur an-
schaulich, sondern auch mathematisch authentisch, also auch formal korrekt, beschrieben werden soll.

Im mathematischen Teil dieser Arbeit versuche ich akademische Inhalte in eine schülergerechtere,
schulbuch- bzw. skriptumartige Darstellung zu transformieren. Vor allem ziele ich auf die geometrische
Anschauung ab, um die räumlich-geometrische Vorstellungskraft zu aktivieren. Auÿerdem wird ver-
sucht möglichst verständliche Erläuterungen wichtiger Konzepte und Zusammenhänge zu geben. Es
sind weiters sehr umfangreiche natürlichsprachige Interpretationen und Analysen enthalten. Das Ziel
dabei: vernetztes Denken, echtes Verstehen, Memorisieren durch Vorstellungskraft, und nicht durch
Auswendiglernen.

In [19], S.37, vertritt der Autor eine Extremposition hinsichtlich Anschaulichkeit einerseits und
reinen Formalismen andererseits, indem er den anschaulichen und den formal-mengentheoretischen
Zugang zum Problem, ein Quadrat in zwei disjunkte kongruente Teile zu teilen, miteinander vergleicht:
Es drängt sich hier der Gedanke auf, dass wir es mit einem Problem zu tun haben, das
im Kern anschaulich ist, für das der mengentheoretische Überbau nicht nur entbehrlich,
sondern sogar schädlich ist.
Eine These, welcher ich voll und ganz zustimme und welche auch in der universitären Mathematik-
Lehre Berücksichtigung nden sollte, wird daraus abgeleitet:
These: Viele Inhalte der Mathematik sind ihrem Wesen nach anschaulich. Ihre mengen-
theoretische Einfassung ist oft artfremd. Man sollte diese Inhalte anschaulich handhaben
lernen und Grundsätze für irrtumsfreies anschauliches Schlieÿen entwickeln.
Für die Anschauung, welche besonders in Vorlesungen ein Stiefkind der Mathematik sei, müsse man
besonders viel Phantasie aufwenden, um gute Darstellungen gegebener mathematischer Inhalte zu
nden. Dabei solle man bekannte Darstellungen verbessern, ergänzen und variieren, bzw. andere Dar-
stellungen als die üblichen für bekannten Inhalte zu nden. Als Beispiel fr eine solche untypische
Darstellung gibt er die Sinuskurve, welche durch das Abrollen eines Zylinders entsteht, auf dem die
Schnittkurve mit einer 45 Grad Ebene (Ellipse) eingezeichnet ist (Abb. 1).
Mathematische Anschauung kann in den folgenden verschiedenen Aufgabenbereichen für eine Fülle
an mathematischen Tätigkeiten sinnstiftend eingesetzt werden (Abb. 1).
Dabei können diese drei Aufgabenbereiche durch das Schema im Abb. 3 verkürzt dargestellt werden.

Lehr- und Lernziele mathematischer Anschauung: vgl. dazu [19], S.65:


• besseres Verstehen und Behalten, Anzeiz zur Ideenbildung und Kreativität
• ökonomisches Lernen (Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
• Befriedigung beim Herstellen von Anschauungsmaterial (Bilder, Modelle, Filme usw.), einschlieÿ-
lich der Einübung in Gruppenarbeit
• Verbesserung der räumlichen Vorstellung und der Zeichenfähigkeit
• Freude am künstlerischen Gestalten
Eine Übersicht über die Verschiedenen Aspekte mathematischer Anschauung ist in Abb. 4 ([19], S.72,
vorzunden.
5
Mit etwas Kreativität kann man aber meiner Meinung nach einiges kompensieren!

5
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Abbildung 1: Eine alternative Darstellung der Sinuskurve ([19], S.42). Rollt man das Blatt mit ein-
gezeichneter Sinuskurve auf, erhält man eine Zylinder, auf welchem Schnittlinie mit einer 45 Grad
Ebene eingezeichnet ist.

Abbildung 2: Aufgabenbereiche mathematischer Anschauung ([19],S.50).

Abbildung 3: Aufgabenbereiche mathematischer Anschauung (verkürzt, [19], S.50).

1.2.4 Prinzip der adäquaten Visualisierung

Gemäÿ des didaktischen Prinzips der adäquaten Visualisierung ([18], S.1) versuche ich, die meisten
der hier erwähnten Sachverhalte durch selbstgefertigte Skizzen (beliebig skalierbare Vektorgraken!),
inklusive einer ausführlicher Beschreibung, zu visualisieren. Auf dem Gebiet der Vektorrechnung im
R2 bzw. R3 ist dies relativ einfach direkt direkt möglich, man benötigt eigentlich keine Metaphori-
sierung oder besondere visuelle Codierung abstrakter mathematischer Sachverhalte. In dieser Arbeit
wird Wert auf den gezielten, aber sparsamen Einsatz von Farben gelegt, sowie auf die Verbindung
mit formalen Ausdrücken (siehe EIS-Prinzip, weiter unten). Die Lektüre über Visualisierung im Ma-

6
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Abbildung 4: Aspekte mathematischer Anschauung nach Wille ([19], S.72).

thematikunterricht [9] brachte trotz vielversprechenden Titels überhaupt keine methodisch-nützlichen


Hinweise zum Einsatz von Visualisierungsmitteln, mit Ausnahme der Empfehlung des Einsatzes von
dynamischer Geometriesoftware.

In [3], S.12, wird die Visualisierung für eine der geläugsten aller didaktischen Handlungsregeln ge-
halten, gemäÿ des Mottos Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.. Der Begri Visualisierung wird
aber keineswegs einheitlich gebraucht: so hat man früher die Begrie Anschauung und Anschau-
lichkeit verwendet, wobei letztere als didaktische Kategorie nicht nur das visuell, sondern überhaupt
das sinnlich Erfassbare meinte, und darüber hinaus sogar ganz allgemein die Erfahrung als Ausgangs-
lage jeglicher Begrisbildung - also als Gegensatz zur Abstraktion (vgl. [3], S.13). Eine praktische
Herangehensweise ist es, Visualisierung generell als Sichtbarmachung zu denieren.

Es werden weiters verschiedene Typen von Visualisierung unterschieden, wobei Visualisierung hier-
bei als eine Form der Kommunikation verstanden wird ([3], S.25):

• ikonische Visualisierung: dabei wird eine visuelle Repäsentierung erstellt, welches dem gemein-
ten Objekt visuell ähnlich ist: also zB eine (Ab)Zeichnung, eine Fotograe oder ein Video.

• symbolische Visualisierung: Symbole können willkürlich ohne Rücksicht auf Ähnlichkeit ver-
einbart werden. Es ist der Kern der Mathematik, Symbole sogar für rein Abstrakte und dadurch
nicht sichtbare Objekte zu vergeben.

• schematische Visualisierung: in der Bedeutung für den Unterricht ist diese Form enorm wichtig:
sie ist leichter zu fassen als die symbolische Form, dennoch stellt sie nicht ikonisch repräsentierba-
re oder sogar nicht sichtbar zu machende Objekte bildlich dar. Beispiele: Blutkreislauf-Schemata,
Klima- und Wetterkarten, Diagramme, Zeitleisten etc. Da diese Formen über die Welt des Kon-
kreten hinausgehen, ist sie für die Mathematik besonders geeignet.

7
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Die Rolle des geometrischen Denkens und der ästhetischen Vermittlung: Ein Argument
für das Visualisieren (allgemein das Veranschaulichen6 ) ist, dass der geometrisch-anschauliche Gehalt
in vielen mathematischen Sachverhalten den Wesenskern ausmacht. Dabei sei der Inhalt, der Sinn
und die Intuition entscheidend, nicht das Formale, wobei das Formale eine Konsequenz der Intuition
darstellt [19], S.74:

[...] Deshalb vollzieht sich der Übergang vom Alltagsdenken zum formalisierten Denken
natürlicherweise über das geometrische Denken. [...] Ein Lehrender, der den anschaulichen
Gehalt eines mathematischen Zusammenhangs verschweigt, begeht einen intellektuellen
Betrug am Lernenden! Leider ist diese Unsitte stark verbreitet.

Ein interessanter Aspekt von Visualisierung bzw. Veranschaulichung ist der ästhetische: dazu Wille
([19], S.75):

Harmonische Gliederung, gute Sprache, klarer Formeleinsatz und überzeugende Anschau-


ung müssen zusammen wirken. Wegen ihrer Nähe zur bildenden Kunst hat gerade die
Anschauung hier groÿe Möglichkeiten. [...] so ist das Einbringen künstlerischer Gesichts-
punkte in die mathematische Darstellung nicht nur eine reizvolle Laune, sondern eine ma-
thematische Notwendigkeit! Klarheit, Freude und Schaenslust werden dadurch gesteigert,
wahrhaft unerlässliche Triebfedern für die lebendige Entwicklung der Mathematik.

1.2.5 Das EIS-Prinzip

Wissen und Können gibt es gemäÿ J. Bruner in drei verschiedenen Darstellungsweisen (Repräsentati-
onsmodi, siehe [18], S.9.):
1. Enaktiv: Darstellung durch eine Handlung.

2. Ikonisch: Darstellung durch bildliche Mittel: zB Skizze.

3. Symbolisch: Darstellung durch Sprache: natürliche oder mathematische, formal durch Zei-
chen/Symbole.

Diese Darstellungsweisen sind für einen Lernerfolg wechselseitig miteinander in Beziehung zu setzen.
In dieser Arbeit wird häug die Verbindung der ikonischen und symbolischen Darstellung hergestellt.
Enaktive Darstellungen werden vernachlässigt.

1.2.6 Das Prinzip der Problemorientierung

Dieses Prinzip besagt dass bei der Wahl des Zugangs zu einem Thema mit einer konkreter Pro-
blemstellung begonnen werden soll (siehe dazu [16], Kapitel 3, und auch S.127). Das bedeutet nicht
notwendigerweise ein Anwendungsproblem, also eine Problemstellung in einem realem Kontext, son-
dern es reicht auch eine mathematische Problemstellung um mathematisches Denken in Gang zu
setzen. Das gestellte Problem gibt die Richtung des Arbeitens vor, der Schwierigkeitsgrad ist dabei
nicht entscheidend. Probleme motivieren den Lernenden, intensiv mathematisch zu denken. Probleme
sind Quellen mathematischer Erkenntnis, und geben mathematischen Sachverhalten einen Sinn.
Wichtig dabei sind folgende Punkte ([16], S.66f):

• Die Verstehbarkeit des Problems: das Problem muss natürlichsprachlich oder mathematisch
so formuliert sein, dass in der Problemstellung verwendete Begrie/Zeichen verstanden werden.
6
In der didaktischen Theorie bis zu den 1980er Jahren wurden die beiden Begrie Visualisierung und Veranschauli-
chung gemäÿ Boeckmann [3] vielfach äquivalent gebraucht.

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

• Die Verfügbarkeit von Wissen für das Finden der Lösung: die Lernenden müssen eine
Chance haben, mit dem bisher erworbenen Wissen und Können das Problem zu lösen. Falls es
nicht (mehr) verfügbar ist, soll es wieder aktiviert werden.

• Der Erkenntniswert eines Problems: die Schwierigkeit eines Problems ist nicht Maÿstab für
die Eignung zu problemorientiertem Lernen. Knobel- und Denksportaufgaben sind häug schwer
zu lösen, bringen aber keinen besonderen mathematischen Erkenntniswert. Andererseits gibt es
einfache Fragestellungen, die tiefe mathematische Untersuchungen auslösen (zB die Winkeldrei-
teilung). Wichtig ist, dass die gewonnene Erkenntnis in Sätzen oder Algorithmen explizit gemacht
wird.

• Der Zusammenhang: Probleme erzeugen weitere Probleme und dieser wiederum weitere Pro-
bleme usw. Dabei ist es wichtig, dass der rote Faden nicht verloren geht. Man kann dies Erreichen,
indem man immer wieder erwähnt was gerade gesucht wird (Teilproblem), welche Zwischener-
gebnisse bereits vorliegen und was zur Lösung des Problems noch fehlt.

1.2.7 Das Prinzip der Beziehungshaltigkeit

Dieses Prinzip besagt dass im Unterricht vielfältige inner- und auÿermathematische Beziehungen her-
gestellt werden sollen ([18], S.1., S.5.). Auf dieses Prinzip wird in der Arbeit ebenso Wert gelegt, um
ein Beziehungsnetz zu knüpfen. Sowohl zum Thema Normalprojektion als auch Kreuzprodukt wur-
den oensichtliche und weniger oensichtliche inner- und auÿermathematische Beziehungen hergestellt
(Normalprojektion: Abstandsberechnungen, Herleitung der Geraden- und Ebenengleichung, Lichtre-
exion, Schattenberechnung, Orthogonalisierungsverfahren von Gram-Schmidt, komplexe Fourierana-
lyse; Kreuzprodukt: Flächen- und Volumsberechnungen, Drehrichtungen bestimmen, Konvexität von
Ecken in einem Polygon bestimmen, Drehmoment und -impuls).

1.3 Mathematik als konstruktive Aktivität: Learners Generating Examples

In diesem Abschnitt wird die Unterrichtsstrategie Learners Generating Examples (LGE), vorgestellt
in [17], erklärt. Am Ende dieses Abschnitts wird dieses Unterrichtsprinzip auf die hier behandelten
mathematischen Inhalte angewandt.

Grundgedanke dieses Ansatzes ist es, S/S eigene Beispiele von mathematischen Objekten kon-
struieren zu lassen, mit dem Eekt der Transformation und Reorganisation von Wissen, sowie dem
Weiterentwickeln der mathematischen Vorstellungskraft der S/S [17]. Die These der Autoren besteht
darin, dass Mathematik eine kreative Aktivität ist und am besten gelernt werden kann, wenn S/S
aktiv Beispiele, Beziehungen, Fragen, Probleme und Bedeutungen konstruieren.

Was ist ein Beispiel? Der Begri example (Beispiel) ist dabei sehr umfassend zu sehen und bedeu-
tet zunächst alles wovon ein Lernender verallgemeinern kann. Der verwandte Begri examplication
(Exemplizierung) beschreibt dabei eine Situation, in der ein spezisches Objekt (ein Beispiel) prä-
sentiert wird, welches ein Repräsentant einer allgemeine Klasse ist mit der der Lernende vertraut
gemacht werden soll.

Eine S/S-Aufgabe aus der Geometrie 7 zum aktiven Konstruieren von Beispielen ([17], S.89):

Zeichne ein Viereck.


Zeichne ein Viereck mit zwei parallelen Seiten.
Zeichne ein Viereck mit zwei parallelen Seiten und zwei gleichen Winkeln.
Zeichne ein Viereck mit zwei parallelen Seiten, zwei gleichen Winkeln und zwei rechten
7
In [17] benden sich leider keine Aufgaben aus der Vektorrechnung.

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Winkeln.
Stelle jetzt sicher, dass du in jedem Schritt ein anderes Viereck gezeichnet hast, und dass
ein Viereck eines Schritts nicht schon die Eigenschaften des nächsten Schritts erfüllt (zB
dürfen im 2. Schritt keine zwei Winkel gleich sein).

Die Sinnhaftigkeit einer solchen Aufgabe liegt darin, dass der S/S durch eigene Aktivität verschiedene
Viereckstypen (allgemeine Vierecke, Trapez, Parallelogramm, Rechteck) zu unterscheiden lernt, und
die Form mit den mathematischen Eigenschaften verknüpft, ohne dass eine Lehrperson Denitionen
und Eigenschaften vorgibt und die S/S diese memorisieren müssen. Durch die letzte Teilaufgabe ist
sichergestellt, dass die S/S auch tatsächlich die unterschiedlichen Typen von Vierecken aufzeichnen,
und nicht bei allen Teilaufgaben ein Rechteck gezeichnet wird.

1.3.1 Typen von Beispielen

1. Zentrale (generische, dominante) Beispiele: sind repräsentativ, und kommen meist als
erstes in den Sinn. ZB: f (x) = kx + d als Beispiel einer allgemeinen Funktion, obwohl der
Begri Funktion weder die reellen Zahlen, noch Stetigkeit oder zusammenhängende Denitions-
/Wertebereiche, oder Injektivität bzw. Surjektivität voraussetzt. Ebenso wäre ein Rechteck ein
zentrales Beispiel für ein Viereck, da es mehrheitlich die Vorstellung eines Rechtecks dominiert.

2. Generalisierungen: um ein Beispiel mit gewissen Eigenschaften zu konstruieren, ist es oft nötig,
zuerst mit einem allgemeineren Objekt zu beginnen, um es dann durch Bedingungen wieder zu
konkretisieren (constraining the general ). Für ein Beispiel siehe wiederum das Vierecksbeispiel,
wo zu einem allgemeinen Viereck schrittweise Bedingungen hinzugefügt werden.

3. Extreme (spezielle, pathologische) Beispiele: es gibt mathematische Objekte, die sich auf
den ersten Blick nicht als Repräsentanten einer Klasse eignen, aber trotzdem zu der Klasse gehö-
ren. Sie liegen gewissermaÿen am Rand einer Klasse, und gehen zunächst gegen die Intuition.
Diese extremen Beispiele sind aber ausÿerordentlich wichtig, denn ohne diese extremen Beispiele
bekommt man womöglich eine falsche Vorstellung der Klasse. Beispielsweise:

• Zahlen, die durch Subtraktion/Division gröÿer werden


• ein Quadrat als Beispiel eines Trapezes
• die Multiplikation mit 0 als Gegenbeispiel dafür, das Division die Multiplikation rückgängig
machen würde
• f (x) = |x| als Beispiel, dass Stetigkeit nicht Dienzierbarkeit impliziert.

1.3.2 Strategien für den Einsatz von LGE

Die Autoren listen mehrere Strategien auf, welche bei Erstellen von LGE-Aufgaben berücksichtigt
werden können. Ich habe versucht Beispiele für Aufgaben die diesen Strategien folgen aus dem ma-
thematischen Inhalt dieser Arbeit zu geben:

Gib ein Beispiel; Gib ein Beispiel mit einigen Bedingungen: Mögliche Aufgaben dieser sehr
einfachen Strategie wären zB:

• Schreibe zwei Vektoren auf.

• Schreibe zwei Vektoren auf die normal aufeinander stehen, nicht die gleiche Länge besitzen, und
nicht parallel zur x- bzw. y -Achse sind.

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Füge Bedingungen schrittweise hinzu: Beispielsweise:

Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v auf die nicht normal aufeinander stehen.
Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v auf die nicht normal aufeinander stehen und verschiedene
Länge haben.
Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v auf die einen stumpfen Winkel einschlieÿen und verschiedene
Länge haben.
Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v auf die einen stumpfen Winkel einschlieÿen, und wo ~u länger
als ~v ist.
Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v auf die einen stumpfen Winkel einschlieÿen, wo ~u länger als ~v
ist, und wo die Projektion von ~u auf ~v der Vektor (1, 2) ist.

Denke dir weitere Beispiele (wie dieses bzw. nicht wie dieses) aus:

• Denke dir zwei Vektoren aus deren Kreuzprodukt negative z -Komponente besitzt. Denke dir
zwei weitere Vektoren wie diese auf.

• Denke dir zwei Vektoren im R3 auf die normal aufeinander stehen aus. Denke dir zwei Vektoren
die nicht aufeinander stehen aus.

Gib Gegenbeispiele; zerstreue falsche Erwartungen: Gegenbeispiele sind Beispiele die zur
Abgrenzung von verschiedenen Klassen von Objekten dienen. Mit ihnen kann man falsche, vorge-
fasste Erwartungen zerstreuen (hier zB die Erwartung dass zwei Vektoren aus dem R3 immer ein
Kreuzprodukt mit Länge gröÿer 0 besitzen).

Schreibe zwei Vektoren aus dem R3 (keiner darf der Nullvektor sein) auf, deren Vektor-
produkt eine Länge besitzt.
Schreibe zwei weitere auf.
Schreibe zwei weitere auf.
Gib jetzt ein Gegenbeispiel an: also zwei Vektoren (keiner der Nullvektor), wo der Kreuz-
produktvektor die Länge 0 besitzt.

In folgender Aufgabe wird die Erwartung zerstreut, dass der Projektionsvektor immer in die gleiche
Richtung wie der Vektor, auf den projiziert wird, zeigt:

Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v auf, und berechne den Projektionsvektor von ~u auf ~v . In welche
Richtung zeigt er?
Schreibe zwei weitere Vektoren ~u, ~v auf, und berechne den Projektionsvektor von ~u auf ~v .
In welche Richtung zeigt er?
Schreibe zwei Vektoren ~u, ~v mit spitzem eingeschlossenen Winkel auf, und berechne den
Projektionsvektor von ~u auf ~v . In welche Richtung zeigt er?

Drehe um (reverse bzw. bury the bone ): Diese Strategie dreht den normalen Prozess einer
mathematischen Rechnung um, und beginnt mit dem Ergebnis, um die S/S die zugehörige Aufgabe
ernden zu lassen. ZB:

• Die Lösung einer Aufgabe lautet: "Der Normalvektor ist (1,2,3).. Wie könnte die zugehörige
Aufgabe lauten?

• Ernde eine Situation, wo man einen Vektor auf den anderen projizieren muss.

• Ernde eine Geschichte mit Vektoren, an deren Ende steht Herr Müller ist nach links abgebo-
gen..

11
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Unterschiede erforschen: Unterschiede zwischen Konzepten/Klassen von Objekten/Eigenschaf-


ten von Objekten herauszunden ist ein Kern des Lernens und v.a. des Mathematiklernens. Als Bei-
spiel eignet sich wiederum gut das Beispiel der verschiedenen Typen von Vierecken von oben.

Finde...: Eine der einfachsten Strategien des LGE besteht im Stellen von Aufgaben die mit folgen-
den Worten beginnen: Finde ein (einige/alle) Beispiel(e) von ... welche..., und kann bei geeigneter
Fragestellung einige der vorher genannten Strategien abdecken.

1.3.3 Ähnlichkeit zu anderen didaktischen Prinzipien

Dadurch dass die Aktivität mathematische Objekte zu konstruieren im Vordergrund steht, ergibt sich
eine Beziehung zum genetisches Prinzip, wo der Prozess, und nicht das Resultat im Vordergrund steht.
Dadurch dass Beispiele konstruiert werden, ergibt sich eine Beziehung zum exemplarischen Prinzip.
Weiters kommen in LGE das Prinzip der Selbsttätigkeit ([18], S.9, [16], S.122), sowie das Prinzip des
aktiven Lernen ([18], S.1.) zum Tragen.

1.3.4 Vorteile, Nachteile von LGE

Als Vorteile dieser Methode kann man sicher anführen dass S/S aktiv und selbsttätig im Unterricht
lernen, was zur Motiviation und Selbstvertrauensstärkung beitragen kann. Auÿerdem schlieÿt diese
Methode kein Gebiet der Mathematik aus, und ist über alle Niveaustufen hinweg anwendbar (zB
die nicht-triviale Aufgabe: "nde eine Funktion die in einem Punkt dierenzierbar, aber nicht stetig
dierenzierbar ist.). Es regt kreative Denkprozesse an und dient bei richtigem Einsatz wohl enorm
zum Verständnisgewinn der S/S bei. In gewisser Form ermöglichen sie auch dierenzierten Unterricht,
da jeder S/S individuelle Beispiele konstruiert.

Als Nachteile könnte man angeben dass die Methode wahrscheinlich ziemlich zeitaufwendig ist.
Auÿerdem müssen Aufgaben so gestellt sein dass auch tatsächlich ein Lerneekt bzw. ein Verständ-
niszugewinn beim S/S einsetzen kann.

2 Mathematische Voraussetzungen
Für die Analyse der Orthogonalprojektion und des Kreuzprodukts werden einige mathematische Vor-
aussetzungen - insbesondere aus der Vektorrechnung bzw. der Linearen Algebra - benötigt. Im Sinne
einer einheitlichen Notation werden in diesem Kapitel diese Voraussetzungen noch einmal in knapper
Form abgehandelt.

2.1 Vektoraddition, Skalarmultiplikation (Skalierung)

Die Skizze in Abb. 5 soll die Vektoraddition bzw. -subtraktion illustrieren. Der Additionsvektor ~u + ~v
kann sowohl durch die Diagonale des durch ~u und ~v aufgespannten Parallelogramms, als auch durch
Hintereinanderhängen von ~u und ~v interpretiert werden. Die Subtraktion zweier Vektoren (hier w−~
~ v)
ergibt einen Vektor, dessen Spitze die Spitze von w ~ , und dessen Schaft die Spitze von ~v ist, nämlich
den Vektor ~u.
Die Vektorskalierung, also die Multiplikation eines Vektors ~u mit einem Skalar c, geschrieben als c · ~u
(Skalarmultiplikation), streckt bzw. staucht ~u auf das c-fache seiner ursprünglichen Länge.

12
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~u
~v

~v ~ = ~u + ~v
w

~u

Abbildung 5: Zwei verschiedene Möglichkeiten die Vektoraddition (und Subtraktion) zweier Vektoren
zu interpretieren: mit der Diagonale des aufgespannten Parallelogramms bzw. dem Hintereinander-
hängen.

2.2 Norm und Normierung eines Vektors:

Zur Wiederholung schreiben wir noch einmal auf, wie die (euklid'sche) Norm bzw. Länge 8 eines Vektors
aus dem R3 in naheliegender Weise mithilfe des Satzes von Pythagoras festgelegt ist (Abb. 6). Ein
Vektor der Länge 1 wird als Einheitsvektor bezeichnet. Aus einem Vektor ~u kann ein Einheitsvektor
derselben Richtung erzeugt werden, indem ~u durch seine Länge dividiert wird, was einer Skalierung
mit dem Kehrwert der Länge entspricht. Dieser Vektor wird mit ~u0 bezeichnet.

r q
q 2
k~uk = u2x + u2y + u2z = u2x + u2y + u2z ,
(1)
~u
~u0 = .
kuk

2.3 Skalarprodukt (Inneres Produkt)

Zwei Vektoren kann man auf eine ganz spezielle Art und Weise multiplizieren, was - wie wir später
sehen werden - einen sehr praktischen Zusammenhang zwischen den beiden Vektoren ergibt. Diese
Multiplikation sieht folgendermaÿen aus: man multipliziert die x-Komponenten miteinander, dann die
y -Komponenten, weiters die z -Komponenten, und addiert die Ergebnisse auf. Das Skalarprodukt eines
Vektors mit sich selbst ist folglich die Summe der Quadrate der Komponenten, was dem Quadrat der
Norm (Länge) des Vektors entspricht. Also:

(~u, ~v ) = ux · vx + uy · vy + uz · vz ,
(2)
(~u, ~u) = k~uk2 .

2.4 Cosinus und das Skalarprodukt

Das Skalarprodukt zwischen zwei Vektoren aus dem Rn liefert den Cosinus des eingeschlossenen Win-
kels, sofern das Skalarprodukt um die Längen der Vektoren (durch Skalierung, siehe oben) bereinigt
8
In der Schule wird die Länge des Vektors nicht durch die euklid'sche Norm, also mit Doppelstrichen, notiert, sondern
mit Betragsstrichen, zB |~u| für die Länge des Vektors ~u.

13
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~z

~u
uz
~y
ux q
u2x + u2y

uy
~x
rq 2 q
k~uk = u2x + u2y + u2z = u2x + u2y + u2z

Abbildung 6: Die Länge eines 3D-Vektors wird mit dem Satz von Pythagoras berechnet.

wird. Für zwei normierte Vektoren ist das Skalarprodukt also tatsächlich der Cosinus des eingeschlos-
senen Winkels:
cos θ = (~u0 , ~v0 )
 
~u ~v
= ,
k~uk k~v k (3)
(~u, ~v )
= .
k~ukk~v k

Die letzte Zeile ist die sogenannte Vektor-Winkel- bzw. VW-Formel ([11], S.118). Umgeformt erhält
man eine Formel für das Skalarprodukt:

(~u, ~v ) = cos (θ) · k~ukk~v k. (4)

Graphisch wird der Zusammenhang zwischen Skalarprodukt, Länge und Cosinus des Winkels in
Abb. 7 und Abb. 8 verdeutlicht.

Bemerkung 1: Wenn man zuerst das Skalarprodukt mithilfe des Cosinus deniert, wie es in der
akademischen Lehrbüchern (zB [2]) der Fall ist, dann kann man die Tatsache dass das Skalarprodukt
für Vektoren aus dem Rn durch komponentenweises Multiplizieren und Aufaddieren entsteht auch
mithilfe des Cosinussatzes herleiten ([2], S.146).

Bemerkung 2: In allgemeinen Vektorräumen wird das Skalarprodukt als eine Funktion in zwei
Variablen (Vektoren) deniert, welche eine Reihe von Kriterien erfüllen muss (vgl. [2], S.309). Diese
Kriterien führen jedoch nicht unbedingt zu einer eindeutigen Funktion. Sobald man aber aus (ir-
gend)einem gültigen Skalarprodukt eines Vektors mit sich selbst eine Norm (siehe Formel ??) bildet,
ist der Begri des Winkels mit Formel 3 in jedem reellen Vektorraum möglich und sinnvoll! In kom-
plexen Vektorräumen (wie zB auch in dem allgemeinen Funktionenraum von Abschnitt 3.7), wo das

14
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

w
~

θ ~v

 
~v (~v ,w)
~
cos θ = (~v0 , w
~ 0) = , w~~
k~v k kwk
= k~v k·kwk
~

Abbildung 7: Das Skalarprodukt zweier normierter Vektoren ist der Cosinus des Winkels zwischen
ihnen.

Abbildung 8: Das Skalarprodukt zweier normierter Vektoren ist der Cosinus des Winkels zwischen
ihnen.

Skalarprodukt ∈ C ist, gilt zumindest die Cauchy-Schwarz'sche Ungleichung:


|(~u, ~v )|
≤1
k~uk · kvk
welche eine der bekannteste Ungleichungen der Mathematik ist und je nach betrachtetem Vektorraum
und Skalarprodukt in vielen verschiedenen Einkleidungen auftaucht ([2],S.322).

2.4.1 Negatives Skalarprodukt bei stumpfem Winkel

Da der Cosinus für Winkel zwischen 90◦ und 180◦ (also wenn der eingeschlossene Winkel der bei-
den Vektoren stumpf ist) negativ ist, ist auch das Skalarprodukt zwischen Vektoren mit stumpfem
eingeschlossenen Winkel negativ (siehe Abb. 8).

2.4.2 Orthogonalität, Parallelität

Wir untersuchen jetzt zwei weitere Spezialfälle:


• Spezialfall 1 - Orthogonalität : bei Vektoren welche rechtwinklig bzw. orthogonal aufeinander
stehen, ist der Cosinus des eingeschlossenen Winkels immer 0, daher ist auch ihr Skalarprodukt
0, unabhängig von den Längen der Vektoren (wegen Formel 3).

15
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Eine weitere Begründung könnte man geben, indem man im R2 die Gestalt zweier orthogonaler
Vektoren untersucht: zu einem Vektor ~u sind zB folgende Vektoren ~v , w
~ , ~z orthogonal (Vertau-
schung der Komponenten und eine Komponente mit (-1) multiplizieren, bzw. vertauschen und
skalieren):
     
a b −b
~u = , ~v = ~=
, w , ~z = cvect−ba, c ∈ BbR
b −a a

wie man sofort sieht wann man das Skalarprodukt bildet.

• Spezialfall 2 - lineare Abhängigkeit : sind die Vektoren parallel (d.h. die Vektoren haben dieselbe
Richtung), so ist der Cosinus des Winkels gleich 1, denn gleiche Richtung bedeutet einen
eingeschlossenen Winkel von 0◦ . Sind die Vektoren entgegengesetzt (anti-parallel), so hat der
Cosinus den Wert -1, denn entgegengesetzte Richtung bedeutet einen Winkel von 180◦ . Tritt
einer der beiden Fälle ein, so sind die beiden Vektoren linear abhängig, denn es gilt ~u = c · ~v für
einen Skalar c.

Ähnlichkeit von Vektoren: Diese Eigenschaften können wir auch dazu verwenden um ein Maÿ
für die Ähnlichkeit von Vektoren zu erhalten: zwei Vektoren sind dann umso ähnlicher zueinander , je
stärker sie linear abhängig sind, bzw. je grösser der Betrag des Cosinus des eingeschlossenen Winkels
ist. Der Cosinus gibt in gewisser Weise den Richtungsanteil des einen Vektors im anderen an, wobei
das Vorzeichen bestimmt ob dieser Anteil in gleicher oder entgegegesetzter Richtung auftritt. Dieser
Anteil ist daher 0 wenn die Vektoren orthogonal sind.

Test auf lineare Abhängigkeit: Aufgrund von Formel 3 sehen wir weiters, dass zwei Vektoren ~
u
und ~v genau dann parallel oder entgegengesetzt (also linear abhängig) sind, wenn gilt:

|(~u, ~v )| = k~ukk~v k. (5)

Der praktische Nutzen dieses Tests auf lineare Abhängigkeit zweier Vektoren liegt darin, dass man
hierbei keine Winkelfunktionen oder Determinanten benötigt, und zB für die Implementierung in einer
Programmiersprache groÿe numerische Vorteile bietet [15].

2.5 Berechnungen am rechtwinkligen Dreieck mit Sinus und Cosinus

Für die Betrachtungen zur Orthogonalprojektion wird der Merksatz Sinus ist Gegenkathete durch
Hypotenuse, bezogen auf die Längen der jeweiligen Seiten am rechtwinkeligen Dreieck, benötigt. Im
Detail benötigen wir die Umformung Gegenkathete ist Sinus mal Hypotenuse. Für den Cosinus gilt
dementsprechend Ankathete ist Cosinus mal Hypotenuse.

2.6 Flächenberechnung Parallelogramm, Volumsberechnungen Parallelepiped

Für die Herleitung des Kreuzprodukts benötigen wir das Wissen, dass die Fläche eines Parallelogramms
errechnet werden kann aus dem Produkt der Länge der Grundlinie mit der Höhe des Parallelogramms
(Abb. 9).
Analog dazu wird das Volumen eines Parallelepipeds berechnet aus Grundäche mal Höhe (Abb.
10). Das Volumen einer Pyramide mit viereckiger Grundäche und Spitze an der Deckäche ist 1/3
des Volumens des entsprechenden Parallelepipeds. Das Volumen eines Tetraeders ist somit 1/6 des
Volumens des entsprechenden Parallelepipeds, da die dreieckige Grundäche eines Tetraeders 1/2 mal
der parallelogrammförmigen Grundäche des Parallelepipeds ist.

16
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

A=h·l
h

l
Abbildung 9: Die Fläche A des Parallelogramms ist gegeben durch die Länge l der Grundlinie mal der
Länge der Höhe h.

~z

h
~y

~x
V =A·h

Abbildung 10: Das Volumen V eines Parallelepipeds ist Grundäche mal Höhe.

3 Die Orthogonalprojektion (Normalprojektion)

3.1 Problemstellung, Motivation

Das Problem einen Vektor auf einen anderen zu projizieren tritt in vielen Anwendungen auf. Ein
Beispiel sind Aufgaben aus der newtonschen Mechanik, wo Kräfte in ihre Bestandteile zerlegt werden
sollen, oder Aufgaben aus der Vektorrechnung wo ein Lot benötigt wird.

Das Kernproblem ist sehr einfach zu beschreiben: wir suchen diejenige Länge p welche entsteht,
wenn man von der Spitze eines Vektors ~v senkrecht ein Lot auf den Vektor ~u fällt: siehe Abb. 11.

3.2 Länge der Orthogonalprojektion

Denjenigen Vektor, welcher sich durch die orthogonale Projektion von ~v auf ~u ergibt, schreiben wir als
p~u (~v ) (vgl. [2], S.150). In Schulbüchern ndet sich oft die Bezeichnung ~vu . Wir nennen diesen Vektor
Projektionsvektor. Siehe dazu Abbildung 12: der Projektionsvektor ist in Blau eingefärbt. Dessen
Länge p = kp~u (~v )k können wir zunächst einfach berechnen, indem wir den Cosinus am rechtwinkeligen

17
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~v

~u
θ p

Abbildung 11: Die Länge der Orthogonalprojektion von ~v auf ~u ist p.

Dreieck benützen (Ankathete ist Cosinus mal Hypotenuse).

p = kp~u (~v )k
= k~v k · | cos θ|
(6)
|(~u, ~v )|
= .
k~uk

In [11],S.119 ist die zweite Zeile dieser Gleichung Teil der sogenannten Vektor-Projektions- bzw. VP-
Formel.

~v

~u
θ p~~u (~v )
p
|(~
u,~
v )|
p = | cos θ| · k~v k = k~
uk

Abbildung 12: Die Länge p = k~ p~u (~v )k der Orthogonalprojektion des Vektors ~v auf den Vektor ~u ist in
rot eingezeichnet. Der Projektionsvektor p~~u (~v ) selbst ist blau.

Bemerkung: wir verwenden hier den Betrag des Cosinus bzw. des Skalarprodukts deshalb, weil wir nur
eine positive (Projektions-)Länge zulassen wollen, der Cosinus aber bei stumpfen Winkeln negative
Werte annimmt (siehe oben).

3.3 Projektionsvektor

Der Projektionsvektor selbst ist dann einfach der Einheitsvektor von ~u gestreckt/gestaucht (also ska-
liert ) auf die Länge p. Siehe dazu die Zeile 1 bzw. 2 der nächsten Gleichungen, die sogenannte Vektor-
Projektions-Formel. Der Projektionsvektor soll bei einem stumpfen Winkel in die zu ~u entgegengesetzte
Richtung zeigen. Deshalb lassen wir jetzt aber wieder ein negatives p zu, was mit ± angedeutet wird,

18
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

und durch Wegfallen der Betragsstriche um das Skalarprodukt ermöglicht wird. Die Beziehungen von
oben ergeben noch einige Vereinfachungen (ab Zeile 3), sodass die Berechnung des Projektionsvek-
tors ohne Normierung erfolgen kann (was zB numerische Vorteile in einer Computer-Implementierung
bietet [15]):

~u
p~u (~v ) = ±p · ~u0 = ±p ·
k~uk
(~u, ~v ) ~u
= ·
k~uk k~uk
(7)
(~u, ~v ) ~u
=p ·p
(~u, ~u) (~u, ~u)
(~u, ~v )
= · ~u.
(~u, ~u)

Ein weiterer Vektor ist noch interessant: zieht man nämlich vom Vektor ~v den Projektionsvektor ab,
entsteht ein Vektor w~ , welcher normal auf ~u steht. Seine Länge ist der Normalabstand der Spitze von ~v
zu ~u (Abb. 13). Diesen Vektor benötigen wir für das Orthogonalisierungsverfahren von Gram-Schmidt
(Abschnitt 3.5).

~v
~ = ~v − p~~u (~v )
w

~u
θ p~~u (~v )

~ = ~v − p~~u (~v ) steht normal auf ~u.


Abbildung 13: Vektor w

3.4 Anwendungen

3.4.1 Aufgaben zu technischen/geometrischen Problemen

In diesem Abschnitt werden Aufgaben präsentiert, welche den praktischen Nutzen der Orthogonalpro-
jektion für zwei wichtige unterschiedliche Problemstellungen demonstrieren. Die Lösungen sind meiner
Ansicht nach nicht auf den ersten Blick ersichtlich, obwohl sie nur sehr wenige Rechnenschritte erfor-
dern. Diese Beispiele würden sich vor allem durch den eleganten Einsatz der Orthogonalprojektion als
weiterführende Schulaufgaben gut eignen.

Schatten auf einer Ebene: Gegeben ist ein Stab der aus einer Ebene mit Normalvektor ~n ragt.
Der Stab ist repräsentiert durch einen Vektor ~u. Berechne weiters den Vektor ~v , der den Schatten
darstellt welcher auf die Ebene geworfen wird, wenn die Sonnenstrahlen aus Sicht der Ebene direkt
von oben kommen (Abb. 14).
Lösungsansatz: projiziere den Stabvektor ~u auf den Normalvektor ~n der Ebene. Der Projektionsvektor
~np bildet zusammen mit dem gesuchten Vektor ~v ein Rechteck mit Diagonale ~u. Da die Addition zweier
Vektoren die Diagonale des aufgespannten Parallelogramms bildet, ist der gesuchte Vektor ~v = ~u −~np ,
siehe Abb. 15.

19
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~n ~u

~v

Abbildung 14: Gesucht ist der Vektor ~v der den Schatten des Stabes ~u repräsentiert.

~n ~u
~np

~v

Abbildung 15: Gesucht ist der Vektor ~v der den Schatten des Stabes ~u repräsentiert. Man erhält ihn
durch Orthogonalprojektion von ~u auf ~n und anschlieÿender Subtraktion des Projektionsvektors ~np
von ~u.

Reexion eines Lichtvektors: Eine reektierende Tischplatte (Ebene mit Normalvektor ~n) wird
von einem Lichtstrahl (Vektor ~u) getroen. Der Lichtstrahl wird so reektiert, dass Einfallswinkel
gleich Ausfallswinkel ist (Abb. 16). Welcher Vektor ist der Reexionsvektor ~v ?
Lösungsansatz: projiziere den Vektor ~u auf ~n, wobei der Projektionsvektor ~np (welcher in entgegen-
gesetzte Richtung wie ~n zeigt) entsteht (Abb. 17). Den Vektor w ~ der Ebene erhält man wieder durch
Subtraktion des Projektionsvektors ~np von ~u. Die Addition von −~np (strichlierter roter Vektor) zu w ~
ergibt den gesuchten Reexionsvektor ~v . Das Ergebnis ist also: ~v = ~u − ~np + (−~np ) = ~u − 2~np .

3.4.2 Herleitung der Geradengleichung

Wir wollen jetzt mit Hilfe der Orthogonalprojektion zeigen, wie die Geradengleichung hergeleitet
werden kann. Gegeben sei also eine Gerade g im R2 , welche einen Normalvektor ~n besitzt. Denken wir
uns weiters einen Punkt P auf der Geraden, aufgefasst als Ortsvektor P~ . Denken wir uns auÿerdem ~n
vom Ursprung beginnend. Die Länge p der Orthogonalprojektion von P~ auf ~n ist dann bereits bekannt
(siehe Abb. 18):

20
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~n

~v

~u

Abbildung 16: Gesucht ist der Reexionsvektor ~v , der durch die Reexion von ~u an der Ebene entsteht.

~n

~v
−~np
~u

w
~

~np

Abbildung 17: Gesucht ist der Reexionsvektor ~v , der durch die Reexion von ~u an der Ebene entsteht.
Der Hilfsvektor w~ entsteht durch die Substraktion ~u −~np . Addieren des rot strichlierten Vektors (−~np )
liefert den gesuchen Reexionsvektor ~v . Kurz: ~v = ~u − 2~np .

|(P~ , ~n)|
p~n (P~ )k =
p = k~ .
k~nk
Für einen weiteren Punkt Q, welcher ebenso auf der Geraden liegt, muss aber dasselbe gelten, sowie
für alle weiteren Punkte auf g :
|(Q,
~ ~n)|
~
p = p~~n (Q) = .
k~nk
Wir schlussfolgern: alle Punkte welche die Gerade bilden besitzen - als Ortsvektoren interpretiert -
dieselbe Projektionslänge auf ~n!

Allgemein gilt also für einen beliebigen Punkt P auf g , dass das Skalarprodukt des Ortsvektors
P~ mit dem Normalvektor ~n eine Konstante c ist, also: (P~ , ~n) = c, welche bei Geraden durch den
Ursprung 0 ist. Somit können wir alle Punkte P auf g beschreiben, und erhalten eine Gleichung der
Geraden:

21
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~y
g
~n

P~

p
~
Q
~
p = p~~n (P~ ) = p~~n (Q)
~x

Abbildung 18: Die Längen der Projektionen der Punkte P und Q der Geraden g (als Ortsvektoren
interpretiert) auf den Normalvektor ~n der Geraden sind konstant gleich p.

   
x a
P = ∈ g, ~n = ⇒
y b (8)
(P~ , ~n) = ax + by = c.

Die Konstante c erhält man einfach durch Einsetzen eines beliebigen Punktes (zB Q = (Qx , Qy )) der
~ , mit Q ∈ g . Man sieht: die Koezienten a und b sind genau
Gerade, also durch Ausrechnen von (~n, Q)
die Komponenten des Normalvektors von g !

Die bekannte Gleichung y = kx + d erhält man dann folgendermaÿen9 (mit b 6= 0)):

ax + by = c ⇔
by = −ax + c ⇔
a c
y =− x+ ⇔
b b
a c
y = kx + d, mit k = − , d = .
b b

Eine weitere, ähnliche Methode der Herleitung der Geradengleichung ist gegeben durch folgenden
Ansatz. Seien zwei Punkte P ,Q ∈ g gegeben, mit denselben Komponenten wie im obigen Ansatz.
Dann gilt:
~ ) = (~n, P~ − Q)
(~n, QP ~ = (P~ , ~n) − (Q,
~ ~n) = 0 ⇔ (P~ , ~n) = (Q,
~ ~n).

Einsetzen der Koordinaten von Q sowie Ausmultiplizieren und Umformen führen zum selben Resultat
wie oben.

3.4.3 Herleitung der Ebenengleichung

Analog zu vorher verhält es sich in 3 Dimensionen (Ebenengleichung): die Projektion eines beliebigen
Punktes P der Ebene E (als Ortsvektor interpretiert) auf den vom Ursprung ausgehenden Normal-
vektor ~n ist konstant. Damit ist auch das Skalarprodukt zwischen P~ und ~n eine Konstante ( jetzt d
9
b 6= 0, da sonst Division durch 0, bzw. Geradengleichungen für Geraden parallel zur y -Achse aufgrund der Verletzung
der Funktionseigenschaft nicht aufgestellt werden können

22
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

genannt):
   
x a
P =  y  ∈ E, ~n =  b ⇒
z c (9)

(P~ , ~n) = ax + by + cz = d.

3.4.4 Abstandsberechnungen, Hessesche Normalform

Jetzt wollen wir den Normalabständ eines Punktes zu einer Gerade im R2 bzw. eines Punktes zu einer
Ebene berechnen. Dazu verwenden wir wieder die Orthogonalprojektion.

Wie vorher sei P ein Punkt auf der Gerade g . Wir wollen den Abstand vom Punkt Q zu g berechnen
(Q ∈/ g ). Indem wir nun den Normalvektor ~n = (a, b) von g nicht wie vorher in den Ursprung, sondern
in den Punkt P setzen, ergibt sich der (Orthogonal-)Abstand von Q zu g , bezeichnet mit d(Q, g), als
die Länge der Orthogonalprojektion von P~Q auf ~n! Siehe dazu Abbildung 19.

~y
~n
~
p = p~~n (P Q)

Q
P~Q p
p
g
P
~x

Abbildung 19: Der Orthogonalabstand vom Punkt Q zur Geraden g , bezeichnet als d(Q, g), ist die
Länge p der Orthogonalprojektion von P~Q auf ~n.

|(P~Q, ~n)|
d(Q, g) = k~p~n (P~Q)k =
k~nk
   
Qx − Px a
,
Qy − Py b
=  
a

b
|a(Qx − Px ) + b(Qy − Py )|
= √
a2 + b2
|aQx + bQy − (aPx + bPy )|
= √ .
a2 + b2
Es liegt nun aber P auf g , also erfüllt P die Geradengleichung ax + by = c, also ist aPx + bPy = c.

23
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Damit erhalten wir die sogenannte Hessesche Abstandsformel (vgl. [13], S.177 und [11], S.125)) eines
Punktes Q = (Qx , Qy ) von einer Geraden g mit Gleichung ax + by = c:

|aQx + bQy − c|
d(Q, g) = √ . (10)
a2 + b2
Da der Abstand für einen Punkt auf g gleich 0 ist, gilt für g die Gleichung:

ax + bx − c
g: √ = 0,
a2 + b2
deren linke Seite die Hessesche Normalform der Geraden (vgl. [13], S.177) ist.

Abstand Punkt von Ebene: Im R3 lautet der Abstand des Punktes Q von der Ebene E : ax +
by + cz = d dann mit gleicher Argumentation:

|aQx + bQy + cQz − d|


d(Q, E) = √ . (11)
a2 + b2 + c2
Aus dieser √
Darstellung erkennen wir auch gleich, dass der Orthogonalabstand des Ursprungs von der
Ebene |d|/ a2 + b2 + c2 beträgt.

Bemerkung zu Geraden im R3 : Die hier gezeigte Methode funktioniert nicht für Geraden im
R3 ,da unendlich viele mögliche Normalvektoren einer solchen Gerade existieren. Eine Möglichkeit ist
die Berechnung des Lotfuÿpunktes, indem die Gerade geschnitten wird mit derjenigen Ebene die Q
enthält und deren Normalvektor der Richtungsvektor ~g der Gerade ist. Eine einfache Berechnung ohne
Ermittlung des Fuÿpunktes ist auch mit dem Sinus des Winkels zwischen den Vektoren P~Q und ~g
möglich ([11], S.124f). Der Winkel selbst wird dabei mit der Cosinusformel 3 bestimmt.

3.5 Das Orthogonalisierungsverfahren von Gram-Schmidt

Das Orthogonalisierungsverfahren von Gram-Schmidt liefert im Rn aus einer Menge {~v1 , ~v2 , ...~vn }
von maximal n linear un abhängigen Vektoren10 eine Menge {~u1 , ~u2 , ...~un } von n Vektoren, die alle
orthogonal zueinander sind. Das Verfahren basiert auf der Tatsache, dass wenn ein Vektor ~v auf einen
Vektor ~u orthogonal projiziert wird, der enstehende Vektor ~v − p~~u (~v orthogonal zu ~u steht, wie in
Abschnitt 3.3 bereits beschrieben (Abb. 13).

Das Verfahren wird jetzt anhand dreier linear unabhängiger Vektoren ~v1 , ~v2 , ~v3 beschrieben. Zum
Start setzt man einfach

~u1 = ~v1 .
Als nächstes bilden wir aus ~v2 durch Projektion auf ~u1 und Subtraktion des Projektionsvektors pu1 (~v 2)
den Vektor ~u2 (Abb. 20), welcher normal auf ~u1 steht. Also:

~u2 = ~v2 − p~~u1 (~v 2).


Danach kommt Vektor ~v3 an die Reihe: er wird zuerst auf ~u1 und ~u2 projiziert, und die entstandenen
Projektionsvektoren werden addiert (Abb. 21).
10
Eine Menge von Vektoren heiÿt linear abhängig, wenn ein Vektor durch Linearkombination der übrigen dargestellt
werden kann, also zB falls für Skalare a, b, c gilt: ~v2 = a~v1 + b~v3 + c~v4 . Wenn das nicht der Fall ist, sind die Vektoren
linear unabhängig.

24
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~u1 = ~v1
u2 = ~v2 − p~~u1 (~v2 )
~v3

~u2 ~v2

~u2
~v1 = ~u1

Abbildung 20: Aus den Vektoren ~v1 , ~v2 und ~v3 werden Vektoren ~u1 , ~u2 und ~u3 gebildet, welche
orthogonal zueinander sind. Bei ~v2 geschieht dies, indem der Projektionsvektor von ~v2 auf ~u1 von v2
abgezogen wird. Es ensteht der Vektor ~u2 , der normal auf ~u1 steht.

~u1 = ~v1
u2 = ~v2 − p~~u1 (~v2 )
~v3

~u2 ~v2

~u (~
p v 3)
2 p
~u~ 1 (~
v3 ) + p
~u~ 2 (~
v3 )

~u2

~u (~
p v 3)
~v1 = ~u1
1

Abbildung 21: Aus den Vektoren ~v1 , ~v2 und ~v3 werden Vektoren ~u1 , ~u2 und ~u3 gebildet, welche
orthogonal zueinander sind. Zur Berechnung von ~v3 müssen zuerst die Projektionsvektoren von ~v3 auf
~u1 und ~u2 ausgerechnet (jeweils schwarz strichliert) und addiert werden. (Dieser Summenvektor der
Projektionsvektoren ist durchgehend schwarz eingezeichnet.)

Dieser Summenvektor liegt in der von ~u1 und ~u2 aufgespannten Ebene. Die Spitze dieses Summenvek-
tors bildet genau den Lotfuÿpunkt von ~v3 auf die Ebene, so dass nun ~v3 minus dieser Summe normal
auf die Ebene steht (Abb. 22), und dadurch auch auf ~u1 und ~u2 . Mathematisch notiert:

25
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~u3 = ~v3 − (~
p~u1 (~v3 ) + p~~u2 (~v3 )).

~u1 = ~v1
u2 = ~v2 − p~~u1 (~v2 )
~v3
~u3 = ~v3 − (~
p~u1 (~v3 ) + p~~u2 (~v3 ))
k−1 
~u3 P
~uk = ~vk − p~ui (~vk )
i=1

~u2 ~v2

~u (~
p v 3)
2 p
~u~ 1 (~
v3 ) + p
~u~ 2 (~
v3 )

~u2

~u (~
p v 3)
~v1 = ~u1
1

Abbildung 22: Aus den Vektoren ~v1 , ~v2 und ~v3 werden Vektoren ~u1 , ~u2 und ~u3 gebildet, welche
orthogonal zueinander sind. Bei v3 geschieht dies, indem man die Summe der Projektionen von ~v3 auf
die bereits berechneten ~u1 und ~u2 von ~v3 abzieht. Es entsteht der Vektor ~u3 , welcher normal auf ~u1
und ~u2 steht.

Somit haben wir die drei Vektoren ~u1 , ~u2 , ~u3 gefunden, welche alle orthogonal zueinander sind. Auf
den Rn erweitert würde der k -te orthogonalisierte Vektor uk analog folgendermaÿen aussehen:
k−1
!
X
~uk = ~vk − p~ui (~vk ) .
i=1

3.6 Koordinaten eines Vektors sind Orthogonalprojektionen auf Basisvektoren

Ein Vektor ~u im R2 oder R3 besteht aus Komponenten bzw. Koordinaten. Diese Koordinaten sind
immer in Bezug auf ein Koordinatensystem bzw. eine Basis 11 zu sehen. Als Beispiel: der Vektor
~u ∈ R2 besitzt Koordinaten bezüglich der (Standard-)Basis B , wobei12 :
     
ux 1 0
~u = und B = {~e1 , ~e2 } = , .
uy 0 1
Es gilt hierbei:      
ux 1 0
~u = = ux · e1 + uy · e2 = ux + uy .
uy 0 1
Das bedeutet intuitiv gesprochen nichts anderes als gehe (vom Ursprung aus) ux mal in Richtung ~e1 ,
und dann von dort uy mal in Richtung ~e2 . Oder anders gesprochen: ux ist der Anteil von ~e1 in ~u,
und uy der Anzeil von ~e2 in ~u.
11
Eine Basis ist eine linear unabhängige Menge von (nicht-trivialen) Vektoren, welche den betrachteten Vektorraum
aufspannen.
12
Die Vektoren
 dieser
 Basis
 sind
 anschaulicherweise linear unabhängig. Und sie spannen den R auf, da die Linear-
2

1 0
kombination a +b für beliebige Skalare a, b jeden Vektor im R2 erzeugen kann.
0 1

26
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Wenn die Basis aus orthogonalen Vektoren besteht, so sind die Koordinaten genau die (vorzeichen-
behafteten) Längen der Orthogonalprojektionen auf die Basisvektoren, siehe Abb. 23! Also:
(~u, ~e1 ) (~u, ~e2 )
ux = , uy = .
k~e1 k k~e2 k

~e2
ux ~u
(~
u,~
e2 )
uy = ke2 k
(~
u,~
e1 )
ux = ke1 k

uy

~e1

Abbildung 23: Koordinaten von Vektoren sind die Orthogonalprojektionen auf die Vektoren der Or-
thogonalbasis.

Wir können also sagen: der Vektor ~u ist eine Kombination der Basisvektoren e1 und e2 , welche mit
den Koordinaten ux bzw. uy , die durch Orthogonalprojektion von ~u auf die Basisvektoren entstehen,
gewichtet sind.

Falls zusätzlich die Basisvektoren Länge 1 besitzen (also k~ei k = 1), die Basis also eine sogenannte
Orthonormalbasis ist, dann sind die Koordinaten eines Vektors nichts anderes als nur die Skalarpro-
dukte des Vektors mit den Basisvektoren:

ux = (~u, ~e1 ), uy = (~u, ~e2 ).


Den Vektor selbst kann man konsequenterweise wieder darstellen als

~u = ux · e1 + uy · e2 = (~u, ~e1 )~e1 + (~u, ~e2 )~e2 .

Bemerkung: das gilt auch auch in allgemeinen Vektorräumen, zB in Funktionenräumen: sofern der
Raum von einer Orthogonalbasis aufgespannt wird, kann der Vektor (zB eine Funktion f ) durch Ko-
ordinaten (also Zahlen!) angeschrieben werden, und mithilfe der Koordinaten kann der Originalvektor
wieder aus den Basisvektoren durch Linearkombination zurückgewonnen werden. Als Beispiel werden
wir die Fourieranalyse in Abschnitt 3.7 betrachten.

Wir fassen zusammen: durch die Orthogonalprojektion auf die Basisvektoren kann ein Vektor zerlegt
werden. Mithilfe der Koordinaten kann er aber auch wieder zusammengebaut werden, nämlich durch
Bildung der Summe der Basisvektoren, welche mit Koordinaten gewichtet werden.

3.7 Fourieranalyse: Fourierkoezienten sind Orthogonalprojektionen auf kom-


plexe Exponentialfunktionen:

In diesem Abschnitt wird auf eine innermathematische Anwendung der Normalprojektion eingegan-
gen, welche in dieser Darstellung deutlich über Mittelschulniveau hinausgeht, aber umso mehr die
innermathematische Bedeutung der Normalprojektion unterstreicht.

27
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Wir verlassen den Rn und betrachten allgemein einen (unendlichdimensionalen) Raum von Funktio-
nen13 . Eine Funktion f : [0, 1] → R in diesem Raum möchten wir mithilfe der Orthogonalprojektion
zerlegen, sodass die Funktion auf dem Denitionsbereich als Kombination einfacherer Komponenten
dargestellt werden kann14 , welche mit den durch die Orthogonalprojektion ausgerechneten Koordina-
ten gewichtet werden (wie in Abschnitt 3.6 gezeigt).

Die Basisfunktionen sind gegeben durch die komplexen Exponentialfunktionen (vgl. [10], Kap.16):

em : R → C, em (t) := eiωmt = cos (mωt) + i sin (mωt),

wobei hier die sogenannte Kreisfrequenz ω = 2π ist15 .

Diese Funktionen besitzen Frequenz m, laufen also m-mal den Einheitskreis der Gauÿ'schen Zahle-
nebene durch, wenn t das Intervall [0, 1] durchschreitet (sie sind also periodisch). Die Umlaufrichtung
ist dabei gegen den Uhrzeigersinn. Auch negative Frequenzen sind zugelassen, was einer entgegen-
gesetzten Umlaufrichtung am Einheitskreis entspricht (also im Uhrzeigersinn).

Um projizieren zu können, benötigen wir ein auf Funktionen deniertes Skalarprodukt:

Z1
(f, g) := f (t) · g(t) dt.
0

Die Basisfunktionen bilden mit diesem Skalarprodukt ein Orthonormalsystem, denn

(em , en ) = 0 für m 6= n, und (em , em ) = 1 ∀m ∈ Z.


Die Fourierkoezienten, also die Amplituden der jeweiligen Basisfunktionen, sind dann nichts an-
deres als die Orthogonalprojektionen der Funktion auf die Basisfunktionen :
Z Z
(f, em ) 1 1
cm = = (f, em ) = f (t) · em (t) dt = f (t) · e−imωt dt.
kem k 0 0
Damit können die Fourierkoezienten cm als die Koordinaten von f bezüglich der Basis der komplexen
Exponentialfunktionen em interpretiert werden (Abb. 24)! Ein Fourierkoezient cm von f bezüglich
em ist also wieder als Anteil der Basisfunktion em im Originalsignal f zu sehen. Praktischerweise
gilt: ist die Funktion reell (wie wir hier angenommen haben), so sind auch alle Fourierkoezienten
reell.

Das Berechnen der Fourierkoezienten, also das Zerlegen mithilfe der Orthgonalprojektion, nennt
man auch Fourier-Analyse.

Das Originalsignal f erhält man wieder analog zu oben durch Bilden der Fourier-Reihe, also durch
Kombination der Basisfunktionen em gewichtet mit diesen Anteilen (also den Fourierkoezienten
bzw. Koordinaten) cm . Dieser Vorgang wird auch Fourier-Synthese genannt:
X
f (t) = cm em (t).
m∈Z
13
Die mathematischen Voraussetzungen, wie quadratische Integrierbarkeit, werden hier vernachlässigt.
14
Die Funktion kann sogar auf ganz R dargestellt werden, wenn f im Intervall [0, 1] periodisch fortgesetzt wird mit
Periode 1.
15
Durch Anpasssen der Kreisfrequenz ist es ebenso gut möglich die Funktion f auf anderen Intervallen als [0, 1] zu
denieren.

28
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

en f (f,em )
cm = kem k = (f, em )
R1
ek = f (t)em (t) dt
0
cn P
f (t) = cm em (t)
m∈Z
ck
em
cm

Abbildung 24: Fourierkoezienten (rot strichliert) sind die Projektionen der Funktion f auf die expo-
nentiellen Basisfunktionen (hier als Koordinatensystemachsen dargestellt). Sie können als Koordinaten
im (unendlichdimensionalen) Funktionenraum, welcher durch die Basisunktionen aufgespannt wird,
interpretiert werden. Bei der Synthese werden die Basisfunktionen mit den Fourierkoezienten ge-
wichtet aufsummert, es entsteht wieder die Originalfunktion f .

Je mehr Fourierkoezienten cm verwendet werden, desto genauer kann das Originalsignal f wiederher-
gestellt werden. In der technischen Praxis schneidet man (betragsmäÿig) hohe Frequenzen ab, indem
man sich zB nur auf m ∈ {−m0 , −m0 +1, ...−1, 0, 1, ...m0 −1, m0 } beschränkt. Je weniger Koezienten
werden, desto schlechter ist die Approximation.

Fachdidaktische Bemerkung: Die hier gezeigten Resultate sind Ergebnisse höchst theoretischer
und tiefgreifender mathematischer Zusammenhänge der Analysis sowie der Linearen Algebra ([8], [10],
[2]). Die Veranschaulichung mithilfe der Orthogonalprojektionen im R2 erlaubt aber eine sofortige
Eselsbrücke (Zurückgreifen auf bereits Bekanntes) und kann wesentlich zum intuitiven Verständnis
beitragen.
Im Schulunterricht (zB in einem Leistungskurs oder einer HTL) wird man zunächst die Fourieranalyse
aufgespaltet nach Sinus- und Cosinusanteil einführen, was graphisch sehr anschaulich mit Funktions-
überlagerungen eingeführt werden kann. Ein hypothetischer16 didaktischer Vorteil bei der Präsentation
der komplexen Variante ergäbe sich eben durch die Interpretation als Orthogonalprojektion, welche ein
Auswendiglernen der Formeln zur Bildung der Fourierkoezienten bzw. der Signalwiederherstellung
vollkommen unnötig macht, wenn man die komplexen Exponentialfunktionen und das zugehörige Ska-
larprodukt kennt! Auÿerdem ist auch mit der komplexen Darstellung die nachträgliche Aufspaltung
in reellwertige Anteile für Sinus und Cosinus mithilfe der Eulerformel relativ einfach möglich.

4 Das Kreuzprodukt (vektorielles Produkt bzw. Vektorprodukt)

4.1 Problemstellung, Motivation

Wir betrachten zwei Vektoren ~u und ~v aus dem R3 . Wir suchen nun einen Vektor (den sogenann-
ten Kreuzproduktvektor ) welcher senkrecht auf beide steht. Der Vektor soll berechnet werden können
indem die zwei ursprünglichen Vektoren möglichst einfach miteinander zum Kreuzprodukt bzw. vek-
toriellen Produkt oder Vektorprodukt kombiniert werden.

16
hypothetisch aufgrund der mangelnden Verankerung komplexer Zahlen im Lehrplan

29
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Unser Lösungsansatz: Wir betrachten der Einfachheit halber zunächst nur Vektoren ~u und ~v
die in der xy -Ebene liegen, deren z -Komponenten also 0 sind. Die x- und y -Komponenten des zu
bildenden Kreuzproduktvektors sind dann - aufgrund der Tatsache dass er normal auf beide Vektoren
der xy -Ebene steht - gleich 0, und nur die z -Komponente besitzt einen Wert ungleich 0 (siehe Abb.
25).

~z
~u × ~v

~y

~v
~u

~x

Abbildung 25: Der Kreuzproduktvektor ~u × ~v steht normal auf ~u und ~v .

4.2 Länge: Fläche Parallelogramm

Nun kennen wir bereits die grobe Gestalt des gesuchten Vektors. Seine Länge muss nun ebenso fest-
gelegt werden. Sie setzen wir jetzt gleich der Fläche des zwischen den Vektoren aufgespannten Par-
allelogramms (Abb. 26). Dies ist eine reine Festlegung, welche es aber erlaubt mit elementaren Re-
chenoperationen den Kreuzproduktvektor zu bilden, und sich auch in technischen Anwendungen (zB
Physik, siehe Abschnitt 4.5.6) als äuÿerst sinnvoll herausstellt.

~v

~u
θ

Abbildung 26: Die Länge des Kreuzprodukts zwischen zwei Vektoren ~u und ~v ist die Fläche des
aufgespannten Parallelogramms.

4.2.1 Bestimmung der Parallelogrammäche

Die Fläche eines Parallelogramms ist gegeben durch Seitenlänge mal Höhe (Abschnitt 2.6). Die Höhe
läÿt sich sehr einfach mit dem Sinus des Winkels ausrechnen (siehe auch Abb. 30, die Höhe ist in Blau

30
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

angegeben). Also:
A = l · h = k~uk · (| sin θ| · k~v k)
(12)
= k~ukk~v k sin θ.
Durch Anwenden des Satzes von Pythagoras am Einheitskreis (cos2 (θ) + sin2 (θ) = 1) erhalten wir:

A = k~ukk~v k · | sin (θ)|


p
= k~uk~v k · (1 − cos2 (θ)).
Danach können wir die Formel für cos (θ) (Formel 3) einsetzen:
s
(~u, ~v )2
A = k~ukk~v k · 1 −
k~uk2 k~v k2
s
k~uk2 k~v k2 − (~u, ~v )2 (13)
= k~ukk~v k ·
k~uk2 k~v k2
p
= k~uk2 k~v k2 − (~u, ~v )2 .
Somit haben wir eine Flächenformel für das aufgespannte Parallelogramm hergeleitet! Die Fläche des
aufgespannten Dreiecks (siehe Abb. 26), welche wir damit ebenso haben, ist somit 1/2 dieses Werts
(vgl. auch [11], S.129).

Jetzt setzen wir mit den Vektorkomponenten fort um eine nicht-vektorielle Schreibweise zu erhalten:
q
A= (u2x + u2y ) · (vx2 + vy2 ) − (ux · vx + uy · vy )2
q
= u2x vx2 + u2x vy2 + u2y vx2 + u2y vy2 − (u2x vx2 + 2ux vx uy vy + u2y vy2 ).
Durch Weglassen der sich aufhebenden Terme erhalten wir
q q
A = u2x vy2 + u2y vx2 − 2ux vx uy vy = (ux vy − uy vx )2 , also
(14)
A = |ux vy − uy vx |.

Bemerkung: allgemein liegende Vektoren im R3 Bei der Berechnung der Parallelogramm-


Fläche zwischen allgemeinen (also nicht in einer Koordinatenachsen-Ebene liegenden) Vektoren aus
dem R3 erhält man mit mehr Rechenaufwand, aber genau derselben Vorgehensweise die Flächenformel:
q
A = (uy vz − uz vy )2 + (uz vx − ux vz )2 + (ux vy − uy vx )2 (15)
Unser gesuchter Vektor hat also als z -Komponente: ux vy − uy vx ! siehe auch Abb. 27. Wir schreiben
daher:      
ux vx 0
~u × ~v =  uy  ×  vy  =  0 .
0 0 ux vy − uy vx
Diese Vorgehensweise lässt sich auf Vektoren übertragen welche nicht in der der xy -Ebene, sondern in
der yz -Ebende oder der zx-Ebene liegen. Etwa ergibt sich für Vektoren der yz -Ebene der Ausdruck
uy vz − uz vy , und für Vektoren der zy -Ebene der Ausdruck uz vx − ux vz . Die jeweiligen Resultate
komponentenweise zusammengesetzt und etwas umgeschrieben ergeben dann die allgemeine Formel
für das Kreuzprodukt :
     
ux vx uy vz − uz vy
~u × ~v =  uy  ×  vy  =  −(ux vz − uz vx )  . (16)
uz vz ux vy − uy vx

31
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~z
~u × ~v  
0
~u × ~v =  0 
ux vy − uy vx
~y

~v
~u

~x

Abbildung 27: Der Kreuzproduktvektor ~u×~v steht normal auf ~u und ~v . Die Länge entspricht der Fläche
des aufgespannten Parallelogramms. Das Tripel (~u, ~v , ~u × ~v ) bildet ein Rechtssystem. Für Vektoren
der xy -Ebene ist die Länge gegeben durch ux vy − uy vx .

Didaktische Bemerkung: Die Vorgehensweise, zur Herleitung zunächst Vektoren der Ebene zu
betrachten halte ich für sinnvoller als den Schülern schon zu Beginn die Herleitung für allgemeine
Vektoren zu präsentieren, welche der Vollständigkeit halber im Folgenden aufgeführt ist.

4.2.2 Allgemeine Herleitung des Kreuzproduktvektors:

In [11], S.131, wird folgende Herleitung gezeigt: durch die Forderung dass der gesuchte Kreuzprodukt-
vektor ~n senkrecht auf ~u (I) und ~v (II) steht, sowie seine Länge die Fläche des Parallelogramms sein
soll (III), ergibt sich mit Formel 15 folgendes Gleichungssystem:

I: (~u, ~n) = 0 ⇔ ux nx + uy ny + uz nz = 0
II: (~v , ~n) = 0 ⇔ vx nx + vy ny + vz nz = 0 (17)
III: n2x + n2y + n2z = (uy vz − uz vy ) + (uz vx − ux vz ) + (ux vy − uy vx )
2 2 2

Aus (I) und (II) bekommt man durch Eliminieren der ny (etwa indem man I mit vy , II mit (−uy )
multipliziert und I und II addiert), Herausheben und Umformung
uy vz − uz vy
nx = · nz
ux vy − vx uy
sowie durch Eliminieren der nx (I mit vx , II mit (−ux ) multiplizieren)
uz vx − ux vz
ny = · nz .
ux vy − vx uy
Durch Einsetzen dieser Ausdrücke in (III) sieht man: die Gleichung III wird erfüllt wenn gilt: nz =
ux vy −uy vx , da sich Nenner und nz in diesem Fall jeweils kürzen lassen. Daraus bekommen wir das Re-
sultat nx = uy vz − uz vy und ny = −(ux vz − uz vx ), was exakt mit der allgemeinen Kreuzproduktformel
16 übereinstimmt!

4.3 Richtung: Rechte-Hand Regel (Dreingerregel) und Rechtssystem

Die Richtung des durch das Kreuzprodukt ~u ×~v gebildeten Vektors zeigt in die Richtung des Daumens,
wenn der Zeigenger der rechten Hand (auf kürzestem Weg) von ~u nach ~v gekrümmt wird (Abb. 28).

32
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Auf die Koordinatenachsen des R3 angewandt sehen wir, dass der Kreuzproduktvektor zwischen x-
und y -Achse (jeweils in die positive Richtung zeigend) in die positive Richtung der z -Achse zeigt.
Durch Bildung des Kreuzproduktvektors erhalten wir also immer ein Rechtssystem.

Alternative: Eine Alternative zum obig beschriebenen Vorgehensweise ist folgende: der Daumen
zeigt in ~u-Richtung, der Zeigenger in ~v -Richtung, dann zeigt der resultierende Kreuzproduktvektor
in Richtung des Mittelngers (Abb. 29). Diese Alternative gibt es weiters in der Version dass der Zei-
genger in ~u-Richtung zeigt und der Mittelnger in ~v -Richtung, sodass dann der Daumen in Richtung
~u × ~v zeigt. Immer ist das System aus den drei Vektoren ein Rechtssytem.

Abbildung 28: Rechte-Hand-Regel: der Zeigenger zeigt in die Richtung, in die man auf kürzestem
Wege von ~u nach ~v kommt. Der Kreuzproduktvektor ~u × ~v zeigt dann in die Richtung des Daumens.

Abbildung 29: Rechte-Hand-Regel: das Standard-Koordinatensystem entspricht der Rechten-Hand-


Regel. Wenn der Daumen der rechten Hand in x-Richtung, der Zeigenger in y -Richtung, dann zeigt
das Kreuzprodukt ~x × ~y = ~z in Richtung des Mittelngers. (Eine ebenso gebräuchliche Variante: der
Zeigenger zeigt in x-Richtung, der Mittelnger in y -Richtung, dann zeigt der Daumen in z -Richtung.)

Ein orthogonales Vektorentripel, welches nicht der Rechten-Hand-Regel folgt, bildet ein sogenanntes
Linkssystem.

Drehrichtung und negative Fläche: Der ausgerechntete Ausdruck ux vy −uy vx kann auch einen
negativen Wert annehmen! Das Vorzeichen, welches hier ja dem Vorzeichen der z -Komponente ent-
pricht, wird durch die Rechte-Hand-Regel folgendermaÿen bestimmt: bewegt man sich auf kürzestem

33
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Wege von ~u nach ~v gegen den Uhrzeigersinn, so ist der Ausdruck positiv (dh der Daumen zeigt nach
oben in positive z-Richtung). Bewegt man sich hingegen im Uhrzeigersinn, so ist der Ausdruck negativ
(Daumen zeigt nach unten.) Somit kann man mithilfe des Kreuzproduktes und eines einfachen Vorzei-
chentests Drehrichtungen von Vektoren aus dem R2 bestimmen. (Die Rechte-Hand-Regel ist deshalb
auch als Schraubenregel bekannt, da sich eine Schraube bei Drehung im Uhrzeigersinn in die Richtung
des Daumens der rechten Hand bohrt, wenn der Zeigenger der rechten Hand der Drehrichtung folgt.)

Parallelität und Orthogonalität, minimale und maximale Fläche: Wenn die Vektoren par-
allel bzw. entgegengesetzt (also linear abhängig) sind, dann gilt sin (θ) = 0, und es folgt A = 0, da
das Parallelogramm zu einer Linie zusammenfällt (degeneriert ).
Wenn hingegen die Vektoren orthogonal stehen (also (sin θ = ±1), folgt dass die (vorzeichenbehaftete)
Fläche gerade A = k~uk · k~v k beträgt, also betragsmäÿig der Fläche des Rechtecks entspricht. Dies ist
die (betragsmäÿig) gröÿtmögliche Fläche zwischen zwei Vektoren dieser Längen, da | sin θ| = 1 für
alle möglichen Winkel θ am gröÿten ist. In anderen Worten: je verschiedener, bzw. orthogonaler die
Vektoren sind, desto gröÿer ist die Fläche ihres aufgespannten Parallelogramms, und damit im R2
auch der Betrag des Ausdrucks ux vy − uy vx , bzw. im R3 die Länge des Kreuzprodukts.

4.3.1 Formel für Sinus:

Aus der Herleitung der Flächenberechnung erhalten wir:

k~u × ~v k = k~ukk~v k| sin θ|, also folgt:


k~u × ~v k (18)
| sin θ| = .
k~ukk~v k

Diese Formel weist groÿe Ähnlichkeit mit der Formel für den Cosinus (Formel 3) auf, welche anstatt
des Kreuzprodukts jetzt das Skalarprodukt enthält. Die Resultate für zwei Vektoren der xy -Ebene
sind noch einmal zusammengefasst in Abb. 30.

~y

~v
k~
u×~vk
v k sin θ
k~ | sin θ| = k~
ukk~
vk
~u
θ
~x
A = k~
u × ~v k = k~
ukk~v k| sin (θ)| = |ux vy − uy vx |
Abbildung 30: Die Länge des Kreuzprodukts zwischen zwei Vektoren ~u und ~v ist die Fläche des aufge-
spannten Parallelogramms. Für sin θ ergibt sich dabei ein analoger Zusammenhang zum Kreuzprodukt
wie zwischen cos θ und dem Skalarprodukt.

4.3.2 Weitere Eigenschaften

Zusammenfassend sind die wichtigsten Eigenschaften des Kreuzprodukts (vektoriellen Produkts) zwei-
er Vektoren ~u und ~v :

1. ~u × ~v steht sowohl normal auf ~u als auch auf ~v .

34
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

2. Die Länge k~u ×~v k des Kreuzprodukts entspricht der Fläche des aufgespannten Parallelogramms.

3. Das (geordnete) Tripel (~u, ~v , ~u × ~v ) bildet ein Rechtssystem17 .

Weitere Eigenschaften, die sich durch Nachrechnen oder die geometrische Anschauung ergeben (wobei
~ ein weiterer Vektor, sowie c ein Skalar ist), vgl. [8], S.71 und [2], S.158:
w

1. Das Kreuzprodukt ist schiefsymmetrisch : ~u × ~v = −(~v × ~u)

2. Das Kreuzprodukt ist bilinear, also linear in beiden Variablen, was mathematisch Folgendes
bedeutet:

(a) ~u × (~v + w)
~ = ~u × ~v + ~u × ~v
(b) (~u + ~v ) × w
~ = ~u × w
~ + ~v × w
~
(c) k(~u × ~v ) = (k~u) × ~v = ~u × (k~v )

3. ~u × ~0 = ~0 × ~u = ~0

4. ~u × ~u = ~0

4.4 Determinante

Der Begri der Determinante einer Matrix liefert uns eine nützliche Abkürzung: jeder Ausdruck der
Form ac − bd für beliebige Zahlen a, b, c, d, kann geschrieben werden als die Determinante der Matrix
M (|M | = det(M ) = ac − bd), wenn die Matrix M folgendermaÿen aussieht:
 
a c
M= .
b d
Insbesondere können wir jetzt schreiben:
 
ux vx
M= , |M | = det(M ) = ux vy − uy vx .
uy vy
Damit können wir die Formel für das Kreuzprodukt (Formel 16) auch anschreiben als:
   

uy vy
 uz vz 
 
     
ux vx    
 ux vx 
~u × ~v =  uy  ×  vy  = 
 − uz vz 

uz vz  
 
  
 ux vx  

uy vy

Geometrisch kann man die Determinante einer 2 × 2-Matrix aufgrund der zuvor durchgeführten Rech-
nungen interpretieren als die (vorzeichenbehaftete) Fläche des von den Spaltenvektoren ~u und ~v auf-
gespannten Parallelogramms.

Determinanten von 3 × 3-Matrizen: Für das Ausrechnen einer 3 × 3-Matrix gibt es eine einfache
Merkregel: man hängt die ersen beiden Spaltenvektoren an das Ende der Matrix an, und addiert alle
Diagonalen von links oben nach rechts unten auf (indem die Elemente der Diagonalen multipliziert
werden), und substrahiert wieder alle Diagonalen von links unten nach rechts oben. Dies ist die
sogenannte Regel von Sarrus, vgl. [7] S.72, und wird in Abbildung 31 illustriert.
17
unter der Voraussetzung, dass ~u und ~v nicht linear abhängig sind

35
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Abbildung 31: Die Regel von Sarrus zur Berechnung einer 3 × 3 Matrix: die Diagonalen von links
unten nach rechts oben werden addiert, die Diagonalen von links oben nach rechts unten subtrahiert.
In jeder Diagonale werden die Komponenten aufmultipliziert.

Im R3 ist die Determinante einer 3 × 3-Matrix das (vorzeichenbehaftete) Volumen des von den drei
Spaltenvektoren aufgespannten Parallelepipeds. Wie wir weiter unten (Abschnitt 4.5.3) sehen werden,
besteht aufgrund dessen zwischen der Determinante und der eindeutigen Lösbarkeit von linearen
Gleichungssystemen, bzw. der linearen (Un)Abhängigkeit der Spaltenvektoren der Matrix ein enger
Zusammenhang.

4.5 Anwendungen des Kreuzprodukts

In erster Linie wird das Kreuzprodukt dazu verwendet, aus zwei Vektoren einen dritten zu generieren,
welcher rechtwinkelig auf die beiden ursprünglichen steht. Dies ist zB für Schulaufgaben notwendig,
wo eine Ebenengleichung aufgestellt werden muss, und zwei Vektoren (bzw. drei Punkte) der Ebene
bekannt sind. Die folgenden Anwendungen sind in dieser Form nicht Teil des (Mathematik-)Lehrplans,
benötigen jedoch fast ausschlieÿlich schulmathematische Rechnungen.

4.5.1 Minimalabstand zweier windschiefer Geraden

Gegeben sind zwei windschiefe Geraden g und h im R3 . Zu nden ist der minimale Abstand der beiden
Geraden, siehe Abb. 32. (Diese Aufgabe könnte anschaulicher wie folgt eingekleidet werden: in einem
Gebirge werden zwei (windschiefe) Stollen gebohrt. Finde die Länge des kürzesten Verbindungsstol-
lens.)
Lösungsansatz: bilde den Kreuzproduktvektor ~n, welcher normal auf die Richtungsvektoren beider
Geraden steht, also ~n = ~g × ~h. Wähle zwei beliebige Punkte P ∈ g , und Q ∈ h. Projiziere den Vektor
P~Q auf ~n. Die Länge der Projektion ist der gesuchte Abstand d (Abb. 33). Zusatzbemerkung: die
beiden Punkte auf den Geraden, wo der kürzeste Abstand angenommen wird, kann man zusätzlich
herausnden, indem man irgendeine Ebene aufstellt in welcher ~n liegt, und diese Ebene mit den
Geraden schneidet.

Hinweis: in [14],S.192, wird diese Methode ohne jedweder weiterer Erklärung mit folgender Formel
vorgestellt:
d(g1 , g2 ) = |(~a2 − ~a1 ) · (~b1 × ~b2 )/|~b1 × ~b2 |,
wobei die Geraden gi folgende Gestalt haben: ~x = ~ai + r~bi .

36
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~y
h

d =? g

~z

~x

Abbildung 32: Der kleinste Abstand d zwischen den Geraden g und h soll gefunden werden.

~y
h ~n = ~g × ~h
Q
P~Q g
d d
P

~z

~
d = p~~n (P Q)

~x

Abbildung 33: Der kleinste Abstand d zwischen den Geraden g und h soll gefunden werden: er ist
genau die Länge der Orthogonalprojektion von P~Q auf ~n.

4.5.2 Testen auf lineare Abhängigkeit

Eine weitere Möglichkeit zu bestimmen, ob zwei Vektoren aus dem R2 parallel bzw. entgegengesetzt
sind (siehe Formel 5), ergibt sich durch das Testen ob der Kreuzproduktvektor ~u × ~v , gebildet aus den
Vektoren ~u und ~v der xy -Ebene, der Nullvektor ist (bzw. ob seine z -Komponente 0 ist). Äquivalent
dazu ist der Test ob die Determinante der folgenden 2 × 2-Matrix den Wert 0 besitzt:
 
ux vx
uy vy

Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass die Determinante ja der (vorzeichenbehafteten) Fläche des
aufgespannten Parallelogramms entspricht, der Zusammenhang also auch geometrisch einleuchtend ist.
Im R3 ist die Determinante der 3×3-Matrix das Volumen des Parallelepipeds: ist das Volumen 0, dann
liegen die drei Spaltenvektoren der Matrix in derselben Ebene, und wir wissen dass die Spaltenvektoren
linear abhängig sind.

37
Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

4.5.3 Eindeutigkeit der Lösung eines 2 × 2 Gleichungssystem


Fasst man die Einträge einer n × n-Matrix M als Koezienten eines linearen Gleichungssystems
M~x = ~b auf, so gilt folgender Zusammenhang ([2] S.109, [8] S.174): das Gleichungssystem hat genau
dann eine eindeutige Lösung ~x, wenn die Determinante von M ungleich 0 ist, also, det(M ) 6= 0, wobei
~x ein Vektor mit den Komponenten x1 , ...xn ist. Dies ist gleichbedeutend mit: M hat genau n viele
linear unabhängige Zeilen und Spalten.

Schnittmenge zweier Geraden Im Falle einer 2 × 2-Matrix M enspricht die Lösung ~x des Glei-
chungssystems genau der Schnittmenge zweier Geraden g und h, also
     
~ a b x ~ c
M~x = b, M = , ~x = , b= , mit
d e y f

Gerade g : ax + by = c, und Gerade h : dx + ey = f.


Wir wissen aus Abschnitt 3.4.2, dass die Koezienten a, b die Komponenten des Normalvektors von g
sind, und die Koezienten d, e die Komponenten des Normalvektors von h sind. Von Abschnitt 4.5.2
wissen wir, dass die beiden Normalvektoren der Geraden (und damit auch die Richtungsvektoren)
genau dann linear unabhängig sind, wenn die Determinante der Matrix, deren Spalten die Normalvek-
toren bilden, ungleich 0 ist. Diese Matrix ist genau M , somit erhalten wir mit dem Test det(M ) 6= 0
ein Kritium, ob das Gleichungssystem eindeutig lösbar ist, und damit ob die beiden Geraden einen
eindeutigen Schnittpunkt S besitzen. Also:
 
a c
|M | = det = ae − cd 6= 0 ⇔ g ∩ h = {S}.
d e

4.5.4 Richtung: nach links oder rechts abbiegen

In vielen Anwendungen der Computergrak oder der Computergeometrie ist es notwendig zu über-
prüfen, ob Ecken eines Polygons konvex oder einspringend sind. Wenn man das Polygon gegen den
Uhrzeigersinn umläuft, dann ist eine Ecke genau dann einspringend, wenn die zugehörigen Kanten -
als Vektoren im Uhrzeigersinn aufgefasst - einen Rechtsknick beschreiben (siehe Abb. 34). Die Ecke ist
konvex, wenn die Kanten einen Linksknick beschreiben. Die Kantenvektoren sind in diesem Beispiel ~u
und ~v , die drei involvierten Ecken P1 , P2 , P3 , und die Konvexität der Ecke P2 soll bestimmt werden.

P3

~v
P2
~u ~v

P1

Abbildung 34: Die Abbiegerichtung zweier aneinandergehängter Vektoren kann mit dem Kreuzpro-
dukt bzw. mit Determinanten bestimmt werden. Dies kann verwendet werden, um bei Polygonen
festzustellen ob eine Ecke (hier: P2 ) konvex oder einspringend ist.

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Bei einem Linksknick muss die z -Komponenente des Kreuzprodukts zwischen den beiden Kantenvek-
toren aufgrund der Rechten-Hand-Regel positiv sein, bei einem Rechtsknick negativ. Das Vorzeichen
der z -Komponenten des Kreuzprodukts entspricht dem Vorzeichen der Determinante der folgenden
2 × 2-Matrix:
   
ux vx P2,x − P1,x P3,x − P2,x
= ,
uy vy P2,y − P1,y P3,y − P2,y
wobei:
 
Pi,x    
ux P 2,x − P 1,x
Pi =  Pi,y  , und ~u = = .
uy P2,y − P1,y
Pi,z
Wenn man sich das Ausrechnen der Kantenvektoren ersparen will, kann man ebensogut das Vorzeichen
der Determinante der folgenden 3×3-Matrix berechnen, welche nur die Komponenten der 3 beteiligten
Punkte P1 , P2 und P3 verwendet:
 
P1,x P1,y 1
 P2,x P2,y 1  .
P3,x P3,y 1
Der dabei entstehende Ausdruck dessen Vorzeichen zu überprüfen ist:

P1,x P2,y − P2,x P1,y − P1,x P3,y + P1,y P3,x + P2,x P3,y − P2,y P3,x
ist in beiden Fällen gleich, wie man durch Ausrechnen mit der Regel von Sarrus erkennt. Wiederum
gilt: ist die Determinante positiv, so handelt es sich um einen Linkknick, ist sie negativ, ist es ein
Rechtsknick. Auf dem Gebiet der Computergrak und Computergeometrie ist der Determinantentest
auf letzterer Matrix die gebräuchliche Methode zur Bestimmung der Abbiegerichtung [15]. Ist die
Determinante 0, sind die Kanten kolinear. Der Absolutbetrag der Determinante ist die Fläche des von
den zwei Vektoren aufgespannten Parallelogramms, und das 1/2-fache der Determinante ist die Fläche
des durch die drei Punkte gebildeten Dreicks.

4.5.5 Das Spatprodukt

Die Grundäche des in Abb. 10 bzw. 35 gezeigten Parallelepipeds ist ein Parallelogramm, aufgespannt
von ~u und ~v . Die Grundäche A ist ja wie mehrfach erwähnt die Länge des Kreuzprodukts:

A = k~u × ~v k.
Die Höhe h wiederum ist gegeben durch die Länge der Orthogonalprojektion von w
~ auf ~u × ~v , also:

h = k~
p~u×~v (w)k.
~
Durch Multiplizieren von A und h erhalten wir das Volumen V = A · h des Parallelepipeds (vgl.
Abschnitt 2.6):

V = A · h = k~u × ~v k · k~p~u×~v (w)k


~
~ ~u × ~v )|
|(w,
= k~u × ~v k · (19)
k~u × ~v k
= |(~u × ~v , w)|
~
Den Ausdruck in der letzten Zeile innerhalb der Betragsstriche nennt man das Spatprodukt von ~u, ~v
und w~ . Das Spatprodukt selbst ist - wie das Skalarprodukt - ein Skalar, und nicht etwa ein Vektor wie
das Kreuzprodukt. Der Betrag des Spatprodukts ist gleich dem Volumen des Parallelepipeds, woraus
sich Volumina anderer Körper (wie Pyramide oder Tetraeder, siehe Abb. 35) berechnen lassen.

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

~z ~u × ~v

w
~
h
~y

~v

~u
~x
h = k~
p~u×~v (w)k
~ V = |(~u × ~v , w)|
~

Abbildung 35: Mithilfe des Spatprodukts lässt sich das Volumen eines Parallelepipeds ausrechnen.
Die Höhe ist gegeben durch die Länge der Orthogonalprojektion von w ~ auf ~u × ~v . Die Grundäche
ist ein Parallelgramm, dessen Flächeninhalt der Länge des Kreuzproduktvektors ~u × ~v entspricht.
Eine Pyramide mit derselben Grundäche und Höhe besitzt genau ein Drittel dieses Volumens. Der
zugehörige Tetraeder (mit den Kanten ~u, ~v und w
~ ) besitzt ein Sechstel dieses Volumens.

Test auf lineare Abhängigkeit: Liegen alle drei Vektoren ~u, ~v und w
~ in einer Ebene (sind sie also
linear abhängig), so besitzt das Volumen den Wert 0. Dies kann also als Test verwendet werden, um
zu bestimmen ob drei Vektoren bzw. vier Punkte alle in derselben Ebene liegen.

Orientierung des Spatprodukts: Das Vorzeichen des Spatprodukts bestimmt ob die drei Vektoren
ein Rechtssystem oder Linkssystem bilden. Anders ausgedrückt bestimmt es den Umlaufsinnn der
kürzesten Rotation von ~u nach ~v um w
~ : ist das Spatprodukt positiv, so handelt es sich um eine Rotation
gegen den Uhrzeigersinn (Rechtssystem), ist sie positiv, so ist die Rotation im Uhrzeigersinn ([15],
S.57), und es liegt ein Linkssystem vor. Damit lassen sich zB die Richtungen von Abbiegevorgängen
von fahrenden/iegenden Objektion im 3D bestimmen.

4.5.6 Physikalische Anwendungen: Drehmoment und Drehimpuls

Drehmoment Greift eine Kräft so auf einen Körper an, dass auf ihn eine Drehwirkung ausgeübt
wird, so wirkt auf den Körper ein sogenanntes Drehmoment ([12], S.69). Wie stark dieses Drehmoment
wirkt (also eine wie starke Drehwirkung auf den Körper ausgeübt wird), hängt von mehreren Faktoren
ab: von der Länge und Richtung des Hebels, vom Betrag der (Zug)Kraft die auf den Hebel wirkt,
sowie von der Richtung dieser Kraft. Ebenso wird im Drehmoment beschrieben, in welcher Richtung
die Drehwirkung erfolgt. Das Drehmoment ist umso strärker, je normaler die Zugkraft auf den Hebel
wirkt, siehe Abb. 36 ([11],S.135) für ein Beispiel mit einem Schraubenschlüssel.

Dies alles kann durch Bildung eines Kreuzproduktvektors beschrieben werden: wird der Hebel durch
Vektor ~a ausgedrückt welcher vom Drehpunkt ausgeht, und die auf den Hebel wirkende Zugkraft durch
Vektor ~b, so ist das Drehmoment m~ beschrieben durch:

~ = ~a × ~b.
m

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Abbildung 36: Das Drehmoment ist ein Vektor, hier m ~ . Das Drehmoment ist das Kreuzprodukt aus
dem Drehhebelvektor ~a und der Zuggkraft ~b welche auf den Hebel wirkt. Das Drehmoment ist umso
gröÿer je stärker Hebel und Zugkraft sind, und je normaler die Zugkraft auf den Hebel wirkt. Der
Betrag des Drehmoments entspricht der Fläche des Parallelogramms (ganz leicht hellgrün hinterlegt)
welches von zwischen Hebel und Zugkraft aufgespannt wird. Die Richtung des Drehmoments gibt die
Drehrichtung (Rechte-Hand-Regel) an.

Die in der Abbildung hellgrüne Fläche entspricht dem Betrag des Drehmoments. Die dunklere, grau
hinterlegte Fläche ist ident dazu. Würde man also an dem Schraubenschlüssel genau mit 90◦ angreifen,
so würde man mit einem etwas kleineren Hebel (Länge d) dasselbe Drehmoment erreichen. Achtung:
die Regel Drehmoment ist Kraft mal Kraftarm gilt also nur falls die Kraft auch rechtwinkelig auf
den Kraftarm (Hebel) wirkt. In [14] (S.43) wird das Drehmoment deshalb beschreiben als Kraft mal
wirksamer Hebel.

So wie eine Translationsbewegung (Verschiebung) eines Körpers beschrieben werden kann durch
~
F = m · ~a (angreifende Kraft ist Masse mal Beschleunigung), so gilt für Rotationsbewegungen (Dre-
hungen) m~ = I ·α~ , also angreifendes Drehmoment ist Trägheitsmoment mal Winkelbeschleunigung.
Das Trägheitsmoment beschreibt dabei im Groben, wie schwierig es ist den Körper in eine Drehbewe-
gung zu versetzen.

Drehimpuls Ein Körper auf den keine Kräfte wirken bendet sich entweder im Zustand der Ruhe
oder in einer gleichförmigen (nicht beschleunigten) Bewegung (Trägheitssatz), vgl. [12], S.33. Ein
Körper in einer gleichförmigen Translationsbewegung besitzt einen sogenannten Impuls : dieser ist ein
Vektor p~, der gebildet wird aus der Geschwindigkeit ~v und Masse m des Körpers: p~ = m · ~v .

Für Drehbewegungen gilt Ähnliches: der Drehimpuls L ~ ist ebenso ein Vektor, gebildet aus der
Winkelgeschwindigkeit ω ~ = I·ω
~ sowie dem Trägheitsmoment I : L ~ . Die Richtung des Vektors wird
wieder mit der Rechte-Hand-Regel bestimmt.

Zusammenhang Drehmoment und Drehimpuls: die Regel vom gleichsinnigen Parallelis-


mus Ein Körper in einer gleichförmigen Rotationsbewegung dreht sich mit konstanter Winkelge-
schwindigkeit. Will man ihn (in derselben) Drehrichtung beschleunigen, so muss ein Drehmoment

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

ausgeübt werden, welches die gleiche Richtung wie der Drehimpulsvektor hat. In diesem Fall ent-
spricht die zeitliche Änderung der Strärke des Drehimpulses genau dem Betrag des angreifenden
Drehmoments. Im Falle dass das Drehmoment jedoch nicht dieselbe Richtung wie der Drehimpuls-
vektor besitzt, ändert sich nicht nur der Betrag des Drehimpulses, sondern auch seine Richtung! Es
gilt:

dL~
= m.
~
dt
Das bedeutet in Worten: der Drehimpuls weicht in die Richtung des Drehmoments aus, die Richtung
der Drehimpulsänderung stimmt also mit der Drehmomentrichtung überein. Zahlreiche interessante
physikalische Eekte lassen sich damit erklären, für zwei Beispiele siehe Abb. 37 und 38 ([12], S.79f).

Abbildung 37: Ein Rad bendet sich in einer gleichförmigen Rotationsbewegung, der Drehimpulsvektor
~ hat die Richtung wie es durch die Rechte-Hand-Regel bestimmt wird. Jetzt greift eine Kraft F~ an
L
die Drehachse an, wodurch ein Drehmoment M ~ entsteht, welches in eine andere Richtung wie der
Drehimpuls zeigt (wiederum wegen der Rechten-Hand-Regel). Durch die Regel vom gleichsinnigen
~ in Richtung M
Parallelismus beginnt sich L ~ zu ändern, die Richtung der Drehachse ändert sich und
das Rad beginnt eine Kurve in Richtung Ausgleichsbewegung zu fahren.

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Vektoren Die Orthogonalprojektion und das Kreuzprodukt Gerhard Mitterlechner

Abbildung 38: Ein Kreisel dreht sich in einem im Punkt P drehbaren Gehäuse um die Achse AB. Die
Richtung des Drehimpulsvektors ist durch den Vektor ω ~ angedeutet. Bewegt sich die Erde in die ein-
gezeichnete Richtung, so kommt der Kreisel in Stellung II. Dort übt die Schwerkraft ein Drehmoment
auf den Kreisel aus. Die Drehrichtung des Drehmoments wird durch den fetten Pfeil M beschrieben.
Das Drehmoment selbst zeigt genau in Richtung Norden. Aufgrund der Regel vom gleichsinnigen Par-
allelismus beginnt sich nun der Drehimpulsvektor, und damit die Kreiselachse in Richtung Norden
auszurichten, und der Kreisel dreht sich wie in Stellung III gezeichnet.

Literatur
[1] AHS-Lehrplan Mathematik, Bundesministererium für Unterricht, Kunst und Kultur. http://
www.bmukk.gv.at/medienpool/11859/lp_neu_ahs_07.pdf.
[2] Howard Anton. Lineare Algebra - Einführung, Grundlagen, Übungen. Spektrum Akademischer
Verlag, Berlin-Heidelberg, 1994. 3., durchgesehener Nachdruck 2004. Amerikanische Originalaus-
gabe bei John Wiley and Sons, Inc., New York.

[3] Klaus Boeckmann. Warum soll man im Unterricht visualisieren? Theoretische Grundlagen der
didaktischen Visualisierung. In Hermann Kautschitsch and Wolfgang Metzler, editors, Visuali-
sierung in der Mathematik, volume 6. Hölder-Pichler-Tempsky, 1982. Schriftenreihe Didaktik der
Mathematik, Universität für Bildungswissenschaften in Klagenfurt.

[4] Peter Borneleit. Skript: Didaktik der Mathematik. http://absolutmarcus.de/Downloads/


Didaktik%20Mathematik/Skript%20Didaktik%20der%20Mathematik.pdf, 2007. Universität
Leipzig.

[5] Heinrich Bürger, Roland Fischer, Günther Malle, Manfred Kronfellner, Thomas Mühlgasser, and
Franz Schlöglhofer. Mathematik Oberstufe. Verlag Hölder-Pichler-Tempsky Schulbuchverlag, Wi-
en, 1999.

[6] Siegfried Gottwald, Herbert Kästner, and Helmut Rudolph, editors. Meyers Kleine Enzyklopädie
Mathematik. Meyers Lexikonverlag, Mannheim, 1995. 14. Auage.

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[7] Martin Held. Geometrisches Rechnen - Lehrveranstaltungsunterlagen. http://www.cosy.sbg.


ac.at/~held/teaching/geom_rechnen/slides/math_slides.pdf, 2005. Universität Salzburg.
[8] Klaus Jänich. Lineare Algebra. Springer Verlag, Berlin-Heidelberg, 2000. 8. Auage, 1. korrigierter
Nachdruck 2001.

[9] Gert Kadunz. Visualisierung - Die Verwendung von Bildern beim Lernen von Mathematik. Prol
Verlag, München, 2003. Klagenfurter Beiträge zur Didaktik der Mathematik, Bd. 3.

[10] Konrad Königsberger. Analysis I. Springer Verlag, Berlin Heidelberg, 2001. 5. Auage.

[11] Hans-Christian Reichel, Robert Müller, Josef Laub, and Günter Hanisch. Lehrbuch der Mathe-
matik 6. öbv und hpt Verlagsgesellschaft, Wien, 1999. 4. Auage.
[12] Roman Sexl, Ivo Raab, and Ernst Streeruwith. Physik 1. Verlag Hölder-Pichler-Tempsky Schul-
buchverlag, Wien, 1992. 2. Auage.

[13] Rudolf Taschner. Mathematik 1. Oldenbourg, Wien, 1998.

[14] Uwe-Peter Tietze, Manfred Klika, and Hans Wolpers. Mathematikunterricht in der Sekundar-
stufe II - Didaktik der Analytischen Geometrie und Linearen Algebra. Vieweg Verlag, Braun-
schweig/Wiesbaden, 2000. Bd. 2.

[15] James M. Van Verth and Lars M. Bishop. Essential Mathematics for Games and Interactive
Applications - A Programmer's Guide. Morgan Kaufmann Publishers, Burlington, USA, 2008.
[16] Hans-Joachim Vollrath. Grundlagen des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe. Spektrum
Akademischer Verlag, Berlin Heidelberg, 2001.

[17] Anne Watson and John Mason. Mathematics as a Constructive Activity - Learners Generating
Examples. Lawrence Erlbaum Associates, Mahwah, New Jersey, 2005.
[18] H.-G. Weigand. Didaktische Prinzipien. www.didaktik.mathematik.uni-wuerzburg.
de/fileadmin/10040500/dokumente/Texte_zu_Grundfragen/weigand_didaktische_
prinzipien.pdf, 2009. Universität Würzburg.
[19] Friedrich Wille. Die mathematische Anschauung: Ihre Ziele, Möglichkeiten und Techniken. In
Hermann Kautschitsch and Wolfgang Metzler, editors, Visualisierung in der Mathematik, volu-
me 6. Hölder-Pichler-Tempsky, 1982. Schriftenreihe Didaktik der Mathematik, Universität für
Bildungswissenschaften in Klagenfurt.

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