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Neue Konfessionen

im 20. Jahrhundert

Sehitlik-Moschee
Ahmadiyya-Moschee
Khadija-Moschee
Omar-Ibn-Al-Khattab-Moschee
Russische Kirche
Griechische Kirche
Koptische Kirche
Äthiopische Kirche
Buddhistisches Haus
Shaolin-Tempel
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Fo-Guang-Shan-Tempel
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Neue Konfessionen im 20. Jahrhundert

Über 200.000 Berliner Muslime tra- auf dem Friedhofsareal erbaut und und ein Besuch der Sehitlik-Moschee Friedhof umgibt dieses älteste ortho-
gen zur kulturellen und spirituellen nach den in den Kriegen des 19. Jahr- kann gewiss dazu beitragen. doxe Gotteshaus der Stadt. Wladimir
Vielfalt der Hauptstadt bei. Kritiker hunderts und dem Ersten Weltkrieg Dmitrijewitsch Nabokov, der Vater
beklagen häufig, dass es sich bei den gestorbenen, sogenannten „Märty- Ahmadiyya-Moschee des Literaten Vladimir Nabokov, liegt
meisten ihrer rund achtzig Gebets- rern“ benannt. Die älteste noch erhaltene Moschee hier begraben. Auf der Flucht vor
häuser um sogenannte Hinterhof- Deutschlands, aus dem Jahr 1924, der Oktoberrevolution gelangte die
Moscheen handelt, die sich der öf- Sehitlik-Moschee steht in Wilmersdorf. Der quadrati- Aristokratenfamilie nach Berlin, wie
fentlichen Wahrnehmung entziehen. Bis zu 1.000 Gläubige finden sich sche Saalbau mit zwei Minaretten, 350.000 weitere russische Emigran-
Doch auch beim Versuch, repräsen- freitags in Berlins schönster Moschee einer Zwiebelkuppel und zahlrei- ten, die in den 1920er Jahren in der
tative Bauvorhaben zu verwirklichen, mit ihren weiß strahlenden Mina- chen Ziertürmchen geht zurück auf Hauptstadt lebten. An Michail Glinka,
schlägt Muslimen oftmals Misstrau- retten ein. Bezaubernd wirken im missionarische Bestrebungen der den Komponisten des Bolero, der
en, gar Feindseligkeit entgegen. Im großen Gebetssaal die orientalischen indischen Ahmadiyya-Gemeinschaft. lange Zeit in Berlin lebte und dort
Ortsteil Heinersdorf bildete sich zum Verzierungen an Wänden und Ge- Entsprechend erinnert die Moschee 1857 starb, erinnert ein Denkmal auf
Beispiel eine Bürgerbewegung, um wölben und die bunten Glasmuster an das Taj Mahal in Miniatur. Die dem Friedhof.
die Errichtung der Khadija-Moschee der spitz zulaufenden Fenster. Das Türen dieses historischen Bauwerks
zu verhindern. Noch kurz vor der wertvollste Objekt ist hingegen un- sind seit 2007 aufgrund der stetig Bei dem Ort handele es sich um „ein
Eröffnung im Jahr 2008 wurde die scheinbar: Nahe der Kanzel hängt sinkenden Zahl an Gemeindemitglie- echtes Stück Russland,“ schwärmt die
Kuppel des Minarettgebäudes mit an der Wand ein handflächengroßes dern verschlossen. Nur zu speziellen Kirchenpflegerin Irina Sange sichtlich
Naziparolen beschmiert. schwarzes Tuch. Es verhüllte einst die Veranstaltungen, wie dem „Tag des stolz. Die freundliche Dame mit Kopf-
heilige Kasbah in Mekka. Der dortige offenen Denkmals,“ öffnet es seine tuch hat im wahrsten Sinne des Wor-
Osmanischer Friedhof Vorhang wird jährlich gewechselt, Pforten. Wer in der Nähe, rund um tes recht: Ende des 19. Jahrhunderts
Vor 150 Jahren lagen die Verhältnisse in viele einzelne Teile geschnitten den Fehrbelliner Platz, weilt, kann wurden 4.000 Tonnen Erde aus allen
noch anders. Das Osmanische Reich und in alle Welt, so auch nach Berlin, von außen einen Blick auf das idyl- Landesteilen Russlands in Eisenbahn-
und Preußen waren freundschaftlich verteilt. lisch von Bäumen eingewachsene waggons nach Berlin verfrachtet und
eng verbunden, zahlreiche Türken „Ein Leben in Bescheidenheit und Schmuckkästchen werfen. Es ist in auf das Areal aufgeschüttet. Auf die-
kämpften in der preußischen Armee. Nächstenliebe“ sind die zentralen die Jahre gekommen, der weiße Putz sem Boden entstanden 1893 Kapelle
Im Jahr 1863 schenkte König Wilhelm Aussagen des Korans, sagt Ron We- bröckelt bereits von den Fassaden. und Friedhof. Selbst die Bäume kom-
der türkischen Regierung ein Gelän- ber, der in einer christlich-jüdischen men aus dem Mutterland.
de am heutigen Columbiadamm. Familie aufwuchs, ehe er als junger Russische Kirche In der Kapelle überraschen sogleich
Diese legte einen Friedhof an, auf Erwachsener zum Islam übertrat. Er Am Rande Berlins, hinter dem Flug- die ungewöhnlichen Dimensionen.
dem Gefallene nach traditionellem kennt drei der fünf Weltreligionen hafen Tegel, nahe einer Autobahn, Der enge Raum ragt weit in die
Ritus beerdigt wurden. Es handelt aus eigener Erfahrung. 95 Prozent in einem Industriegebiet, umgeben Höhe. Wie alle orthodoxen Kirchen
sich um den ältesten islamischen der Moralvorstellungen und Werte von Autowerkstätten, liegt ein klei- ist auch diese reich beschmückt.
Friedhof Deutschlands, „bis heute im Christentum und Islam stimmten nes russisches Einöd. Eingekreist von Zu beiden Seiten des opulent ver-
gehört er dem türkischen Staat,“ er- überein, fügt er hinzu und findet unablässigen Verkehrsgeräuschen goldeten Altars stehen bedeutende
örtern Ender Cetin und Ron Weber. es bedauerlich, „dass ausgerechnet ragen die fünf märchenhaften blau- Ikonenbilder der Gottesmutter Maria.
Die zwei jungen Muslime führen über die fünf Prozent Abweichung so en Zwiebeltürme der russisch-ortho- Die Gemälde sind Schenkungen des
Besucher mehrmals die Woche durch viel gestritten wird.“ Es gilt also Vor- doxen Hl.-Konstantin-und-Helena- Klosters auf dem Heiligen Berg Athos
die Sehitlik-Moschee, im Jahr 2005 urteile auf beiden Seiten abzubauen, Kirche in die Höhe. Ein verträumter in Griechenland.
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Griechische Kirche Siddhartha, errichtete Dr. Paul Dahlke trachter ein China-Restaurant. Dabei Tausende Kacheln zieren die Wände
Jene griechisch-orthodoxe Gemein- in Berlin-Frohnau Das Buddhistische handelt es sich um den weltweit des Altarsaals. Auf jeder Fliese ist
de feiert ihre Liturgie in der Christi- Haus. Die denkmalgeschützte Anlage ersten Ableger des gleichnamigen eine Buddhafigur aufgemalt, stets in
Himmelfahrt-Kirche in Steglitz. Das aus Wohnvilla, Tempel und Garten chinesischen Muttertempels, der als leicht veränderter Form. „Die unter-
Gotteshaus von 1976 wirkt von au- zieht bis heute Interessierte aus aller Ursprungsort des Zen-Buddhismus schiedlichen Buddhas symbolisieren
ßen schlicht und unauffällig. Im In- Welt an, wenngleich die Besucher- gilt. Vier im Tempel lebende Shaolin- die Länder der Welt,“ führt Miao Yen
neren verfügt der an eine klassische zahlen überschaubar bleiben, was Mönche leiten religiöse Zeremonien aus. „Sie zeigen, dass die Menschen
Basilika angelehnte Raum über eine der Ruhe und Ausstrahlung des Ortes und geben öffentliche Kurse, von und Völker trotz ihrer Verschieden-
umso pompösere Ausstattung. Be- spürbar gut tut. Kung-Fu über Tai-Chi, bis hin zu Qi- heit harmonisch zusammenleben
sonders beeindruckend sind die aus Gong. Das breite Angebot für Körper können.“ Von einem solchen Ideal
Griechenland stammenden Wand- Durch ein steinernes Elefantentor und Geist zieht vor allem die einhei- ist die Welt noch weit entfernt, doch
malereien von biblischen Szenen wie betritt man das 36.000 Quadratmeter mischen Berliner an. Meisterin Miao Yens Aussage ist eine
der Geburt und Taufe Jesu Christi umfassende Gelände, und sogleich Aufforderung zu Toleranz und Res-
sowie eine in Kreta angefertigte holz- führen steile Treppen hinauf zur Fo-Guang-Shan-Tempel pekt gegenüber Andersdenkenden
geschnitzte Altarwand, Ikonostase Villa. Neben Wohnräumen für Mön- Vornehmlich Klänge in Mandarin und Andersgläubigen.
genannt. Diese dreitürige Bilder- che und Gäste des Hauses befindet vernimmt der Besucher im Fo-Gu-
wand zeigt Abbildungen der zwölf sich darin eine Bibliothek, mit einer ang-Shan-Tempel. In einem schläfri-
Apostel und des letzten Abendmahls. vergoldeten Buddhastatue als Mit- gen Teil des Weddings steht das von
Handgefertigte Schnitzereien stellen telpunkt. Sonntags werden in dem außen unauffällige Gebäude, dessen
Tiere, Pflanzen und mythische Wesen Lesesaal Vorträge zu fernöstlicher weitläufiger Altarsaal umso mehr
dar. Zu den liebsten Kunstwerken Religion und Philosophie gehalten. ein bauliches Juwel ist. Drei große
des Gemeindepfarrers Emmanuel Ein Stück Seelenfrieden findet der Buddhastatuen erstrahlen im Raum,
Sfiatkos zählt das „Bildnis der höchs- Wanderer auf den kleinen Wegen in und wohin das Auge blickt, entdeckt
ten Demut Jesu“. Es befindet sich in dem natürlichen Garten mit wilden es spielerische Details. Lotusblüten
einer Vitrine beim Altar und wurde Sträuchern, Teichen und verwitterten sind mehrfach an Decken und Wän-
im Libanon aus hunderten von na- Statuen. Irgendwann stößt er auf den abgebildet. Symbolisch veran-
turfarbenen Marmor-Mosaiksteinen ein zweites Bauwerk, das charakte- schaulicht die Pflanze das Streben
zusammengesetzt. ristische Pagodendach kündet von nach Reinheit und Weisheit, das der
einem Tempel im ostasiatischen Stil. buddhistischen Lehre innewohnt.
Buddhistisches Haus Architekturexperten werden gar de- „Die Blume wächst im Schlamm der
Rund 500 Millionen Anhänger welt- zente Anlehnungen an den Expressi- Teiche, erhebt sich über die Wasser-
weit zählt der Buddhismus, dessen onismus erkennen. oberfläche hinweg und erlangt so
Wurzeln in Indien liegen. Seit nahezu Schönheit und Vollkommenheit,“ er-
hundert Jahren übt die Religion Shaolin-Tempel klärt Dharma-Meisterin Miao Yen, die
zusehends eine Faszination auf zivi- Architektonisch weniger beein- mit den im Tempel lebenden Nonnen
lisationsgestresste Amerikaner und druckend ist der Shaolin-Tempel in jeden Mittwoch Meditations- und
Westeuropäer aus. Bereits im Jahr Berlin-Wilmersdorf. Hinter der rot- Yogakurse für Männer und Frauen
1923, nahezu zeitgleich mit der Ver- gelben Fassade des dreistöckigen anbieten.
öffentlichung von Hermann Hesses Plattenbaus vermutet mancher Be-
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1. Im Jahr 1999 erfolgte die Grundsteinlegung
zum Bau der vom türkischen Architekten
Muharrem Hilmi Senalp entworfenen Sehit-
lik-Moschee. Als bauliches Vorbild diente die
osmanische Architektur des 16. und 17. Jahrhun-
derts. Rund zwei Millionen Euro Spendengelder
sammelte die 300 Mitglieder starke DITIB-
Gemeinde, um den Bau zu realisieren.

2, 3. Die Moschee befindet sich auf dem Ge-


lände des ältesten islamischen Friedhofs in
Deutschland. Von den 1860er Jahren bis zum
Ersten Weltkrieg wurden hier türkische Soldaten
begraben, die an der Seite Preußens und später
des deutschen Kaiserreichs kämpften und ihr
Leben ließen. Von diesem Umstand leiten sich
Name von Friedhof und Moschee ab: Sehitlik
bedeutet Märtyrer. Bis heute befindet sich das
Areal im Besitz des türkischen Verteidigungsmi-
nisteriums.

4. Auf dieser Abbildung ist die erste Moschee


Deutschlands zu sehen, die 1915 in Zossen,
nahe Berlin, gebaut wurde. Die Holzkonstruktion 5 6
war für muslimische Kriegsgefangene, über-
wiegend aus Nordafrika und Indien, gedacht.
Durch deren gute Behandlung erhoffte sich das
deutsche Kaiserreich, sie auf die eigene Seite
ziehen zu können. Rund zehn Jahre nach der
Erbauung wurde die Moschee wieder abgerissen.

5-9. Im Hauptgebetsraum der Sehitlik-Mo-


schee finden sich freitags bis zu 800 Gläubige
ein. Etwa 16 Meter beträgt die Raumhöhe bis
zur Hauptkuppel. Diese wird von acht kleineren
Halbkuppeln umringt, welche die Außenwand
bilden. Zahlreiche Marmor- und Keramikelemen-
te dominieren die Innendekoration. Auffällig ist
zudem der tief hängende, mit vielen Glaslater-
nen versehene Kronleuchter. Die harmonisch
strukturierten Malereien stammen von Semih
Irtes, die Kalligraphien von Huseyin Kutlu.

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1-5. Ein zumeist unbeachtetes Juwel ist die äl-
teste noch erhaltene Moschee Deutschlands
im Stadtteil Wilmersdorf. Mehr als achtzig Mo-
scheen zählt Berlin, und diese aus dem Jahr 1924
gehört ohne Zweifel zu den schönsten. Weshalb
ausgerechnet das dem Taj Mahal nachempfun-
dene Gebetshaus seit 2007 geschlossen ist, liegt
daran, dass die aus dem indischen Subkontinent
stammende Ahmadiyya-Gemeinschaft als
Eigentümerin kaum mehr Mitglieder in der deut-
schen Hauptstadt zählt.

Der Bau der Wilmersdorfer Moschee ging einher


mit der Gründung der Berliner Muslimischen
Mission. In Indien gab es seinerzeit Bestrebun-
gen, den Islam in Europa zu verbreiten und zu
etablieren, und viele Geistliche glaubten, dass
kein Land besser dafür geeignet sei als Deutsch-
land. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg
entstünde hier ein Bedürfnis nach neuen Werten,
nach Frieden und einer neuen Ordnung, so die
Annahme. Im Zuge der missionarischen Bemü-
hungen erschien ab 1924 die Vierteljahreszeit-
2 schrift „Moslemische Revue“.

6-9. Heute ist von der einstigen Aufbruchstim-


mung rund um die Moschee mit ihren 32 Meter
hohen Minaretten wenig zu spüren. In einem
Dornröschenschlaf befindet sich das von großen
Bäumen umgebene Schmuckkästchen aus 1001
Nacht.

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1-5. Für bundesweites Aufsehen sorgte der Bau
der Khadija-Moschee, die im Jahr 2008 im
Beisein zahlreicher religiöser und politischer
Prominenz eröffnet wurde. Der Name Khadija,
„Chadidscha“ ausgesprochen, steht für die erste
Ehefrau des Propheten Mohammed.

Die Moschee stellt den ersten muslimischen


Repräsentationsbau im ehemaligen Ostber-
lin dar. Zahlreiche Anwohner gründeten eine
Bürgerinitiative gegen das Bauvorhaben, aktiv
unterstützt von politischen Gruppierungen vor
Ort. Hitzig verliefen die Diskussionen, deutlich
traten Ressentiments gegenüber dem Islam und
die Angst vor Überfremdung zutage. Namhafte
Politiker und viele Anwohner sprachen sich
jedoch für den Bau der Moschee aus, da die
Ahmadiyya Muslim Jamaat als friedfertige
Reformgemeinde des Islam gilt.

Das arabische Wort für Moschee bedeutet


„Masjid“, was ins Deutsche übersetzt „Ort der
Niederwerfung“ bedeutet. Damit ist der Ge-
betsritus gemeint, bei dem der kniende Gläubige 4 5
mit der Stirn den Boden berührt, als Zeichen
seiner Hingabe an den Willen Gottes. Zwei Ge-
betsräume finden sich in der Khadija-Moschee,
jeweils einer für Männer und einer für Frauen. Zu
dem 1,7 Millionen Euro teuren Gebäudekomplex,
finanziert durch Spenden einer islamischen
Frauenorganisation (AMJ), zählen außerdem
Gästeappartements, eine Bibliothek, Konferenz-
zimmer und Gemeindebüros.

6. An der U-Bahntrasse der Linie 1 ragt an einem


Eckgrundstück die Fassade der Omar-Ibn-Al-
Khattab-Moschee empor. Fast zwei Jahrzehnte
lag das Gelände mitten in Kreuzberg brach,
zuvor stand hier ein Bolle-Supermarkt, der bei
den Maikrawallen von 1987 abgebrannt wurde.

Die Bauarbeiten für dieses aus Spendengeldern


finanzierte Vorhaben des Islamischen Vereins
für Wohltätige Projekte (IVWP) sind weit
fortgeschritten, im Inneren jedoch noch nicht
beendet (Stand 2009). Neben einem Gebetssaal
für rund 1.000 Gläubige wird es Festsäle, zum
Beispiel für Hochzeitsfeiern, geben. Darüber
hinaus ist in dem siebenstöckigen Gebäude
die Eröffnung von Cafés, Boutiquen und einem
Supermarkt vorgesehen. Gespannt sein dürfen
die Berliner auf eine nach dem zweiten Kalifen
des Islam benannten Moschee, die nicht nur
spirituell-religiösen, sondern auch weltlichen
Bedürfnissen nachkommt.

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1. Ein Schmuckkästchen am Rande Berlins. Die
Heilige-Konstantin-und-Helena-Kirche steht
seit 1893 im heutigen Stadtteil Tegel, umgeben
von einem malerischen Friedhof. Beim Anlegen
des Areals wurden eigens 4.000 Tonnen Erde aus
jedem Landesteil Russlands nach Berlin verfrach-
tet. Sogar die Bäume auf dem Kirchhof stammen
aus Russland.

2. Der Friedhof dient seit Ende des 19. Jahr-


hunderts als Ruhestätte für zahlreiche russische
Exilanten und Migranten, die ihren Weg nach
Berlin gefunden haben. Doch auch Rotarmisten
und Generäle, die 1945 im Kampf um Berlin
gefallen sind, liegen hier begraben. Hier das Grab
von Wladimir Dmitrijewitsch Nabokov.

3. Weit in die Höhe ragt der Innenraum, der


kaum mehr als zwanzig Gläubigen Platz bietet.
Es handelt sich um die älteste erhaltene orthodo-
xe Kirche Berlins.

4. Das Ikonenbild der Gottesmutter mit


Jesuskind stammt aus dem Jahr 1893. Es wurde 2 3 4
vom griechischen Kloster auf dem Heiligen Berg
Athos zur Einweihung der Kirche gespendet.

5. Die vergoldete Altartür wird eingerahmt


von Abbildungen der Gottesmutter Maria, von
Jesus Christus und einigen seiner Apostel. Auf
der Spitze ist eine Szene des Letzten Abendmahls
zu sehen.

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1-6. Der Begriff Orthodoxie setzt sich zusam-
men aus dem griechischen Adjektiv „orthos“
(aufrecht, gerade) und dem Verb „dokeo“ (sich
bekennen). Hervorgegangen sind die ortho-
doxen Kirchen ab dem 4. Jahrhundert aus der
byzantinischen Kirche.

Die Ursprünge der griechisch-orthodoxen


Metropolie von Deutschland liegen weniger
weit zurück, die Vereinigung wurde 1963 gegrün-
det. Heute ist sie die drittgrößte christliche Kirche
Deutschlands. Die über 70 Gemeinden zählen
rund eine halbe Million Mitglieder.

In der Christi-Himmelfahrt-Kirche in
Steglitz versammeln sich mehrmals die Woche
griechisch-orthodoxe Christen, um die Liturgie
zu feiern. Beeindruckend sind die kunstvollen
Wandmalereien, Ikonenbilder und Holzschnitze-
reien aus Griechenland.

7. Pfarrer Emmanuel Sfiatkos vor einer in Kreta


angefertigten Ikonostase, einer dreitürigen
1 2 Bilderwand mit biblischen und mythischen
Motiven. Ikonen und Weihrauch, Gesänge und
reicher Kirchenschmuck sind die Merkmale aller
orthodoxen Kirchen und Messen, so auch in
Berlin-Steglitz.

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1. Im Stil des Historismus erbaute Robert
Leibnitz von 1903-1905 auf dem Lichtenberger
Roedeliusplatz die Glaubenskirche, heute idyl-
lisch von Linden- und Ahornbäumen umgeben.

2-5. So lange der Hauptsaal der Kirche mit dem


opulenten Kreuzrippengewölbe sanierungs-
bedürftig ist, feiert die koptisch-orthodoxe
Gemeinde Berlins ihre Gottesdienste in der
Taufkapelle. Messen dauern bis zu drei Stunden
und finden in arabischer wie auch in koptischer
Sprache statt.

Koptisch ist die abgewandelte Form des grie-


chischen Wortes aigyptios. Entsprechend steht
der Begriff für die ägyptischen Christen, die sich
selbst als die „wahren Ägypter“ bezeichnen, die
seit jeher das Land am Nil bevölkern. Rund 12
Millionen Kopten leben in Ägypten, und obwohl
sie mit 17 Prozent einen beträchtlichen Bevölke-
rungsanteil stellen, leiden sie unter zahlreichen
Benachteiligungen. Beispielsweise ist die Ver-
wendung der eigenen Sprache in der Öffent-
lichkeit verboten und nur Mönchen in Klöstern
vorbehalten.

6, 7. Es heißt, der Evangelist Markus habe be-


reits im 1. Jahrhundert die Kirche von Alexandria
gegründet, aus der die koptische Kirche her-
vorging. Rund 130 Mitglieder zählt die Berliner
Gemeinde, deren Fernziel es ist, die Glaubens-
kirche aus Spendengeldern zu finanzieren. Eine
Ikonostase aus Ägypten befindet sich bereits
im großen Kirchensaal der Glaubenskirche.

8. Priester Giurgis El Moharaky während einer


Taufe. Sein Nachname bezieht sich auf das
Kloster der Heiligen Jungfrau Maria (El
Moharak), dessen Orden er angehört.

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1-7. Wie die Koptische gehört auch die
Äthiopische Kirche zur Familie der orienta-
lisch-orthodoxen Kirchen. Historisch hat sich das
äthiopische aus dem koptischen Christentum he-
raus entwickelt, bis ins 4. Jahrhundert zurück
reichen die Wurzeln. Weltbekannt ist die Stadt
Axum im Hochland von Äthiopien, wo einst die
Königin von Saba residierte. Angeblich befinden
sich dort in einer Kapelle die Bundeslade und die
Gesetzestafeln des Moses, auf der die zehn Gebo-
te geschrieben stehen.

In Berlin versammelt sich die Gemeinde jeden


Sonntag in der Dorfkirche Schöneberg. Zahl-
reiche Feiertage rahmen das religiöse Jahr. Sie
werden von festlichen Prozessionen begleitet.
Der äthiopische Kalender unterscheidet sich vom
gregorianischen. Neujahrsbeginn ist beispiels-
weise der 11. September. Die Zeitmessung orien-
tiert sich ebenfalls an Christi Geburt und datiert
diese auf das Jahr Null, jedoch 7 Jahre und 9
Monate später als im gregorianischen Kalender.

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Im Jahr 1923 errichtete Dr. Paul Dahlke das
Buddhistische Haus in Berlin-Frohnau. Der
1865 in Ostpreußen geborene, vermögende
Homöopath war nach zwei Ceylon-Reisen
zum Buddhismus übergetreten und wurde zu
dessen Wegbereiter in Deutschland. So gab er
zum Beispiel zwischen 1917 und 1922 die „Neu-
buddhistische Zeitschrift“ heraus. 1928 verstarb
Paul Dahlke und wurde auf dem Gelände des
Buddhistischen Hauses an unbekannter Stelle
beigesetzt, da er kein Grab für sich wünschte.

1, 2, 5. Hinter dem Eingang, einem steinernen


Elefantentor, wartet eine rund 36.000 qm gro-
ße denkmalgeschützte Anlage. Im Garten weisen
Statuen den Besucher bereits auf die Hinwen-
dung zu fernöstlicher Kultur und Philosophie hin.

3, 7. Der Architekt Max Meyer entwarf 1924


den Tempel im ceylonesischen Stil sowie die
Gartenanlage. Mag Berlin-Frohnau als Ort für
eine solche Anlage untypisch erscheinen, so
passt der buddhistische Tempel doch in die Zeit
der 1920er Jahre, in der viele Europäer auf der 5
Suche nach neuen Lebenskonzepten ihr Heil in
der Kultur fremder und ferner Welten suchten.

4, 6. Das Herzstück des Buddhistischen Hau-


ses bildet der Bibliotheksraum. Eine von der
Sonne erleuchtete Buddha-Statue wacht über
die regelmäßig stattfindenden Lesungen und
Vorträge.

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1-8. Der Shaolin-Tempel in der chinesischen
Provinz Henan gilt als Ursprungsort des Zen-
Buddhismus. Zen bedeutet frei übersetzt „Zu-
stand meditativer Versenkung“, die Bewegung
datiert in das 5. Jahrhundert. Shaolin bedeutet
wiederum „junger Wald“ und verweist auf die
geografische Lage des Tempels.

Eine der zentralen Aussagen des Buddhismus


stellt das Karmagesetz dar, erklärt Dr. Ding, der
Leiter des Tempels und betont das Ursache-Fol-
ge-Prinzip: Jedes Tun eines Menschen setze eine
Bewegung in Kraft, die früher oder später auf ihn
zurückwirke. Handelt der Mensch positiv, werde
ihm Positives widerfahren, handelt er negativ,
strahle Negatives auf ihn zurück, so das Gesetz.
Lügen, Stehlen, Gier und Exzess gelten beispiels-
weise als negative Eigenschaften, denen positive
wie Bescheiden- und Besonnenheit, Hilfsbereit-
schaft und Ehrlichkeit gegenüberstehen.

Seit 2001 steht der bundesweit einzige Ableger


des Shaolin-Tempels in Berlin-Wilmersdorf.
1 2 Vier Mönche wurden aus dem Muttertempel
nach Deutschland gesandt und geben täglich
offene Kurse in Chan-Meditation, Qi-Gong,
Tai-Chi und Kung-Fu, nicht ohne Erfolg, wie die
zahlreichen von Schülern und Schülerinnen
gewonnenen Pokale beweisen. Einige der von
ihnen verwendeten traditionellen Waffen sind
bis zu 3.000 Jahre alt.

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1-5. Ein schmales Pagodendach und eine Auf-
schrift in lateinischen und chinesischen Schrift-
zeichen künden im Stadtteil Wedding von der
Existenz des Fo-Guang-Shan-Tempels, einem
spirituellen Ort für zahlreiche in Berlin lebende
Chinesen.
Das gleichnamige Mutterkloster liegt in Tai-
wan auf einem Berg (Fo-Guang-Shan bedeutet
„Berg des Buddha-Lichtes“). Im Berliner Fo-
Guang-Shan-Tempel leben vom taiwanesischen
Muttertempel gesandte Nonnen, die regelmä-
ßig stattfindende Meditations- und Tai-Chi-Kurse
sowie Andachten und Zeremonien leiten.

6. Drei Türen führen in den prachtvollen Tem-


pelraum, von denen Besucher eine der Seiten-
türen wählen, da die mittlere nur Mönchen und
Nonnen vorbehalten ist. Der Blick fällt sogleich
auf drei große Buddha-Statuen. Die Zahl 3 gilt
im Buddhismus als Zahl der Vollkommenheit:
Sie symbolisiert Buddha, seine Lehre und seine
Gemeinschaft. Ein Buddhist werde, wer sich zu
diesen drei „Kostbarkeiten“ bekenne, erklärt
Meisterin Miao Yen. Parallelen zum Christentum
treten hier deutlich zutage, dessen Heilige Drei-
faltigkeit aus Gott, Jesus und dem Heiligen Geist
besteht.

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