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August 2010
Kommunikationsbüros von Stuttgart 21. in den Nordflügel des Bahnhofs einge- gend. Erst Ende Juli musste die Bahn
D
ie 38. Montagsdemonstration der.“ Nachdem sie auf diese Weise ihr verkehr im Südwesten Deutschlands outen, indem man sich die grünen Ein- Schlossgarten, oder besser gesagt: das, den“, wie Ostertag mit einem Hauch von
endet mit einem feierlichen Ge- politisches Glaubensbekenntnis abge- völlig umkrempelt – falls es denn je fertig- kaufstaschen mit dem Logo „K21“ über was davon übrig ist. Zum einen wird der Pathos anfügt.
löbnis. Andreas Keller, der frü- legt haben, ziehen die Menschen zur gestellt wird. Die Demonstranten jeden- die Schultern wirft. Das Kürzel steht für Grünzug von mehrspurigen Straßen be-
here Intendant der Stuttgarter Stuttgarter Bahnzentrale. Später blo- falls hoffen immer noch auf das „Kopfbahnhof 21“, das Alternativkon- drängt und durchschnitten, sodass er stel-
Bachakademie, betet es den gut 4000 ckieren einige hundert wieder einmal die Scheitern: „Wir geloben mit all unserer zept der Bürgerinitiativen. lenweise nur noch den Charakter einer
Demonstranten im Regen vor. Gemein- Straßen vor dem Bahnhof. Erst spät am Kraft, für ein Moratorium zu werben“, Grüne, Altlinke, Hartz-IV-Empfän- Verkehrsinsel hat. Zum anderen wurde Ein Gutachten hegt
sam wiederholen sie: „Wir geloben, den Abend wird es ruhig, dann hält nur noch lautet eine Zeile aus dem Stuttgarter ger, Gewerkschafter, Kulturschaffende, vor knapp hundert Jahren der Stuttgar-
Bahnhof zu schützen, den Nordflügel, eine Mahnwache vor dem Bauzaun am Glaubensbekenntnis vom Montag. Doch Kommunisten, Spontis, neuerdings auch ter Hauptbahnhof einfach ins Tal beto- schwerwiegende
den Südflügel. Wir geloben, den Park zu Nordflügel die Stellung. die Forderung nach einem Aufschub des Mütter, dazwischen ein paar Wirtschafts- niert: Ein düster wirkender Monumental- Bedenken gegen S 21.
schützen, jeden Baum. Wir geloben, das Hinter dem Metallgitter lauert schon Baubeginns und einem Bürgerentscheid prüfer, Steuerberater und Ärzte aus den bau des Architekten Paul Bonatz, der
Wasser zu schützen für die Mineralbä- ein einsamer Abrissbagger. Er ist der stößt bei Bahn und Stadt auf kategori- Villenvierteln in Halbhöhenlage auf den Stilelemente der späteren NS-Architek-
Vorbote einer gigantischen Baumaschi- sche Ablehnung. Hügeln – sie alle haben sich zu einem tur vorweggenommen hat. Um eine ebe-
nerie, die in den nächsten Jahren hier „Man muss es jetzt machen“, bekräf- Bündnis zusammengeschlossen, das ein ne Fläche zu erhalten, musste damals ei- Doch damit ist es nach Ansicht von
auffahren soll. „Stuttgart 21“ heißt das tigt Wolfgang Drexler, der Vizepräsident bisschen wie ein Revival der 80er Jahre ne Rampe aufgeschüttet werden, die zum Ostertag vorbei, wenn die Pläne seines
Milliardenprojekt der Deutschen Bahn, des Landtags von Baden-Württemberg. wirkt, als die Ökobewegung gegen die Schlossgarten hin mit einer haushohen Kollegen Ingenhoven verwirklicht wer-
das nicht nur das Gesicht der Stadt verän- Der SPD-Politiker hält seit einigen Startbahn-West und die Wiederaufberei- Mauer abschließt. Seitdem zerteilen den: Denn quer unter dem mittleren
dern wird, sondern auch den Schienen- Monaten den Kopf hin als Sprecher des tungsanlage Wackersdorf ins Feld zog. Gleisanlagen die Stadt in zwei Hälften – Schlossgarten soll künftig der Bahnhof
Sie wollen wenigstens eine Bürgerbefra- eine Brache aus Stahl mitten in der City. verlaufen. Über der Erde wird davon
gung zu Stuttgart 21 erzwingen, denn sie Diesen Missstand wollen die Planer eine mit Gras bepflanzte Wölbung zu
wissen, es wäre das Aus für das Projekt. von Stuttgart 21 auf eine radikale Wei- sehen sein, auf der sich Lichtkuppeln
Einer ihrer Anführer ist Gangolf Sto- se beseitigen: Sämtliche Gleise des verteilen. „Ich halte diesen Wall gerade-
cker. Der 66-jährige Kunstmaler sitzt für Hauptbahnhofs sollen unter die Erde zu für ein städtebauliches Verbrechen“,
das Bündnis „Stuttgart-Ökologisch-So- verlegt und noch dazu um 90 Grad ge- sagt Ostertag. Nicht nur weil dafür
zial“ im Gemeinderat. Er kann nach dreht werden. Von der künftigen knapp 300 Parkbäume gefällt werden
16 Jahren Widerstand von den Risiken ICE-Neubaustrecke entlang der Auto- müssen. Vielmehr werde dadurch die
des Gipskeupers beim Tunnelbau naht- bahn A8 von Ulm werden die Züge über klimatische Be- und Entlüftung Stutt-
los zu eher demokratietheoretischen Fra- den Flughafen durch einen Tunnel zum garts gefährdet, aber auch die geistige.
gen wechseln. „Die Lage in Stuttgart Hauptbahnhof geleitet – und von dort Letztere war schon immer ein gewis-
spitzt sich permanent zu“, sagt Stocker. aus weiter auf die bestehende Trasse ses Problem, das räumen Befürworter
„In der Bevölkerung ist die Wut riesen- nach Mannheim. Was sich im Prinzip und Gegner von Stuttgart 21 gleicherma-
groß.“ Ihm kommt das nur gelegen. einfach anhört, ist nur ein kleiner Teil ßen ein. Die Stadt fristete noch Mitte des
In den vergangenen Tagen ist es erst- eines Infrastruktur- und Städtebaupro- 19. Jahrhunderts ein Dasein als unbedeu-
mals zu Auseinandersetzungen mit der jekts, dessen Kosten samt Neubaustre- tendes Provinznest, während München
Polizei gekommen. Es gab auch etliche cke derzeit auf insgesamt sieben Milliar- oder Berlin bereits aufblühten. Erst mit
Festnahmen, nachdem einige Aktivisten den Euro beziffert werden, Tendenz stei- der Industrialisierung wuchs Stuttgart
Süddeutsche Zeitung Nr. 180 Seite V2/5