Sie sind auf Seite 1von 2

Seite V2/4 WOCHENENDE REPORT Samstag/Sonntag, 7. /8.

August 2010

Kommunikationsbüros von Stuttgart 21. in den Nordflügel des Bahnhofs einge- gend. Erst Ende Juli musste die Bahn

Eine Stadt entgleist


Ein schwieriger Posten, wie er einräumt. drungen waren. Einer von ihnen wurde die Kostenschätzung um 865 Millionen
„Wenn Sie hier für das Projekt sind, in Untersuchungshaft genommen. Seit- Euro nach oben korrigieren. Schon jetzt
dann werden Sie erst mal niederge- dem marschiert bei Treffen der Stutt- ist Stuttgart 21 eines der größten und
macht“, sagt Drexler und fährt sich mit gart-21-Gegner die Bereitschaftspolizei teuersten Bahnprojekte aller Zeiten.
dem Finger quer über die Kehle. Dann auf, Helm und Schlagstock griffbereit. Dafür aber könnte nach dem Jahr 2020
zieht er eine anonyme Morddrohung aus Auch die Diskussionskultur auf dem in Stuttgart ein neuer Stadtteil entste-
dem schwarzen Jackett hervor. Er hat Bahnhofsvorplatz hat unter der Wut in- hen, der in einen um 20 Hektar erweiter-
schon einige solche Briefe bekommen. zwischen gelitten. „Ich hau dir eine in die ten Park übergeht. Das werde eine der
Schon immer setzt Stuttgart auf Ordnung und Wohlstand. Ausgerechnet hier Stuttgart, sonst so solide und aufre- Fresse“, zischt ein Demonstrant dem Be- schönsten Wohnlagen Baden-Württem-
könnte der Protest gegen den Umbau des Bahnhofs und der City eskalieren. gend wie die E-Klasse von Mercedes, ist fürworter des Tiefbahnhofs nach, der bergs, versichert der Düsseldorfer Archi-
Eine bunte Front kämpft entschlossen gegen „Stuttgart 21“. Warum eigentlich? kaum wiederzuerkennen. Die schwäbi- sich während der ersten Mittwochsle- tekt Christoph Ingenhoven. Mittlerweile
sche Stadt hat sich zur Metropole des sung unter die Menge gewagt hat. Vorne ist es fast 13 Jahre her, dass er für seinen
Bürgerzorns entwickelt. Mittlerweile ver- wird derweil Martin Luther King zitiert. Entwurf des unterirdischen Bahnhofs
Von Sebastian Beck und Martin Kotynek geht kaum mehr ein Tag ohne Protestak- Die Pläne für Stuttgart 21 gelten hier den Zuschlag der Jury bekommen hat.
tionen vor dem Nordtrakt des denkmalge- als „unglaubliches Verbrechen“ und An- „Die Erweiterung der Innenstadt ist die
schützten Hauptbahnhofs. Auch an die- schlag auf die Menschenwürde. Unter eigentliche Chance“, sagt Ingenhoven.
sem Samstag werden sie dort demonstrie- den Bürgern hat sich Angst vor Verände- Er verfolgt fassungslos, wie die Gegner
Bahnprojekt Stuttgart 21 oberirdische Gleisanlagen und Bahnhofsflächen unterirdische Gleise neue Baugebiete
ren – und danach durch die Innenstadt rungen breitgemacht, vor dem Verlust ih- sein anfangs gefeiertes Jahrhundertpro-
ziehen. Der Anbau ist zum Symbol des rer Lebensqualität und der Zerstörung jekt zerpflücken und ihn zum „Lügen-
heute 2019 Widerstands geworden, weil er in den der Heimat. Lästerliche Bemerkungen pack“ aus Politik und Wirtschaft rech-
Rosensteinpark unterer
Schloss- 200 m 200 m über den alten Hauptbahnhof sollte man nen: „Es fällt mir schwer zu akzeptieren,
garten
ebenso unterlassen wie Sympathiebekun- wie die Linken nun in Robin-Hood-Ma-
dungen für Schnellfahrtrassen. „Das nier die moralische Keule rausholen, wo-
Der Ton ist rau: „Ich hau hier war mal einer der modernsten Bahn- nach eine böse Maschine über die Men-
höfe Europas“, hebt eine ältere Frau an schen in Stuttgart hinwegrollt.“
Rosensteinviertel
R o dir eine in die Fresse“, und redet sich schnell in Rage: Keines- Ingenhovens größter Widersacher ist
No
zischt ein Demonstrant. falls wolle sie 20 Jahre lang mit einer Bau- einer derjenigen, die aus der Halbhöhen-
rdb stelle leben. Und dann diese Bullaugen lage auf Stuttgart herabblicken. Er heißt
ah auf dem Dach des Tiefbahnhofs, einfach Roland Ostertag und unterrichtete Archi-
nh
ofs
tra schrecklich. Der könne in Singapur ge- tektur an mehreren Universitäten. Oster-
ße
nächsten Wochen Stein für Stein abgetra- baut werden oder sonst wo. Aber doch tag spricht gerne über Topographie und
gen wird. Genau hier sollen in einem bitte nicht hier. Denn Stuttgart, und das das „Grundgesetz der Stadt“. Nach sei-
Pragfriedhof Jahrzehnt die Gleise des unterirdischen betont sie gleich zweimal, Stuttgart sei nem Selbstverständnis ist er damit so et-
Hauptbahnhofs verlaufen und Stuttgart nun mal ein „gediegener Ort“. was wie ein Hüter der Verfassung.

e an die Magistrale von Paris nach Buda- Wer sich in diesen Tagen einen Über- In einem ehemaligen Künstleratelier
str pest anbinden. Auch der Nahverkehr, so blick über die Lage verschaffen möchte, hat Ostertag eine Ausstellung zur Bauge-
lf ram
Wo lautet das Versprechen, werde davon pro- der sollte einmal hinauf auf eine der An- schichte der Stadt zusammengetragen:
He mittlerer fitieren: Die Fahrzeit vom Hauptbahn- höhen wandern und von dort oben das Im Zentrum steht ein großes Stadtmo-
ilb Schloss- Europa- Dach des hof zum Flughafen verkürzt sich bei- politische Schlachtfeld betrachten: Als dell, an den Wänden wird es flankiert
ron garten Tiefbahnhofs
ne viertel spielsweise von 27 auf acht Minuten. Erstes fällt auf, dass sich hier eine Stadt von historischen Karten, von Fotos der
rS
tra Jedoch die Mehrheit der Bürger in in einen engen Talkessel zwängt wie ein Kriegsschäden und aus der Zeit des Wie-
ße
Hauptbahnhof Stuttgart, das zeigen auch Umfragen, Übergewichtiger in ein zu kleines Sakko. deraufbaus. Folgt man Ostertags Argu-
SZ-Graphik: Hanna Eiden oberer will „oben bleiben“. So steht es auf den Vom Stadtzentrum und dem Neuen mentation, dann lautet der Artikel 1 des
Quelle: Stadtmessungsamt Stuttgart; Hauptbahnhof
Bahnprojekt Stuttgart – Ulm e.V.; Schlossgarten Stickern, die überall in der Stadt zu se- Schloss aus zieht sich entlang der einsti- Stuttgarter Grundgesetzes: Die Stadt öff-
hen sind. Es ist ziemlich cool, sich als gen Bachaue ein kilometerlanger Park in net sich mit dem Schlossgarten zum Ne-
Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 zu nordöstlicher Richtung – es ist der ckartal hin, und zwar „seit Jahrtausen-

D
ie 38. Montagsdemonstration der.“ Nachdem sie auf diese Weise ihr verkehr im Südwesten Deutschlands outen, indem man sich die grünen Ein- Schlossgarten, oder besser gesagt: das, den“, wie Ostertag mit einem Hauch von
endet mit einem feierlichen Ge- politisches Glaubensbekenntnis abge- völlig umkrempelt – falls es denn je fertig- kaufstaschen mit dem Logo „K21“ über was davon übrig ist. Zum einen wird der Pathos anfügt.
löbnis. Andreas Keller, der frü- legt haben, ziehen die Menschen zur gestellt wird. Die Demonstranten jeden- die Schultern wirft. Das Kürzel steht für Grünzug von mehrspurigen Straßen be-
here Intendant der Stuttgarter Stuttgarter Bahnzentrale. Später blo- falls hoffen immer noch auf das „Kopfbahnhof 21“, das Alternativkon- drängt und durchschnitten, sodass er stel-
Bachakademie, betet es den gut 4000 ckieren einige hundert wieder einmal die Scheitern: „Wir geloben mit all unserer zept der Bürgerinitiativen. lenweise nur noch den Charakter einer
Demonstranten im Regen vor. Gemein- Straßen vor dem Bahnhof. Erst spät am Kraft, für ein Moratorium zu werben“, Grüne, Altlinke, Hartz-IV-Empfän- Verkehrsinsel hat. Zum anderen wurde Ein Gutachten hegt
sam wiederholen sie: „Wir geloben, den Abend wird es ruhig, dann hält nur noch lautet eine Zeile aus dem Stuttgarter ger, Gewerkschafter, Kulturschaffende, vor knapp hundert Jahren der Stuttgar-
Bahnhof zu schützen, den Nordflügel, eine Mahnwache vor dem Bauzaun am Glaubensbekenntnis vom Montag. Doch Kommunisten, Spontis, neuerdings auch ter Hauptbahnhof einfach ins Tal beto- schwerwiegende
den Südflügel. Wir geloben, den Park zu Nordflügel die Stellung. die Forderung nach einem Aufschub des Mütter, dazwischen ein paar Wirtschafts- niert: Ein düster wirkender Monumental- Bedenken gegen S 21.
schützen, jeden Baum. Wir geloben, das Hinter dem Metallgitter lauert schon Baubeginns und einem Bürgerentscheid prüfer, Steuerberater und Ärzte aus den bau des Architekten Paul Bonatz, der
Wasser zu schützen für die Mineralbä- ein einsamer Abrissbagger. Er ist der stößt bei Bahn und Stadt auf kategori- Villenvierteln in Halbhöhenlage auf den Stilelemente der späteren NS-Architek-
Vorbote einer gigantischen Baumaschi- sche Ablehnung. Hügeln – sie alle haben sich zu einem tur vorweggenommen hat. Um eine ebe-
nerie, die in den nächsten Jahren hier „Man muss es jetzt machen“, bekräf- Bündnis zusammengeschlossen, das ein ne Fläche zu erhalten, musste damals ei- Doch damit ist es nach Ansicht von
auffahren soll. „Stuttgart 21“ heißt das tigt Wolfgang Drexler, der Vizepräsident bisschen wie ein Revival der 80er Jahre ne Rampe aufgeschüttet werden, die zum Ostertag vorbei, wenn die Pläne seines
Milliardenprojekt der Deutschen Bahn, des Landtags von Baden-Württemberg. wirkt, als die Ökobewegung gegen die Schlossgarten hin mit einer haushohen Kollegen Ingenhoven verwirklicht wer-
das nicht nur das Gesicht der Stadt verän- Der SPD-Politiker hält seit einigen Startbahn-West und die Wiederaufberei- Mauer abschließt. Seitdem zerteilen den: Denn quer unter dem mittleren
dern wird, sondern auch den Schienen- Monaten den Kopf hin als Sprecher des tungsanlage Wackersdorf ins Feld zog. Gleisanlagen die Stadt in zwei Hälften – Schlossgarten soll künftig der Bahnhof
Sie wollen wenigstens eine Bürgerbefra- eine Brache aus Stahl mitten in der City. verlaufen. Über der Erde wird davon
gung zu Stuttgart 21 erzwingen, denn sie Diesen Missstand wollen die Planer eine mit Gras bepflanzte Wölbung zu
wissen, es wäre das Aus für das Projekt. von Stuttgart 21 auf eine radikale Wei- sehen sein, auf der sich Lichtkuppeln
Einer ihrer Anführer ist Gangolf Sto- se beseitigen: Sämtliche Gleise des verteilen. „Ich halte diesen Wall gerade-
cker. Der 66-jährige Kunstmaler sitzt für Hauptbahnhofs sollen unter die Erde zu für ein städtebauliches Verbrechen“,
das Bündnis „Stuttgart-Ökologisch-So- verlegt und noch dazu um 90 Grad ge- sagt Ostertag. Nicht nur weil dafür
zial“ im Gemeinderat. Er kann nach dreht werden. Von der künftigen knapp 300 Parkbäume gefällt werden
16 Jahren Widerstand von den Risiken ICE-Neubaustrecke entlang der Auto- müssen. Vielmehr werde dadurch die
des Gipskeupers beim Tunnelbau naht- bahn A8 von Ulm werden die Züge über klimatische Be- und Entlüftung Stutt-
los zu eher demokratietheoretischen Fra- den Flughafen durch einen Tunnel zum garts gefährdet, aber auch die geistige.
gen wechseln. „Die Lage in Stuttgart Hauptbahnhof geleitet – und von dort Letztere war schon immer ein gewis-
spitzt sich permanent zu“, sagt Stocker. aus weiter auf die bestehende Trasse ses Problem, das räumen Befürworter
„In der Bevölkerung ist die Wut riesen- nach Mannheim. Was sich im Prinzip und Gegner von Stuttgart 21 gleicherma-
groß.“ Ihm kommt das nur gelegen. einfach anhört, ist nur ein kleiner Teil ßen ein. Die Stadt fristete noch Mitte des
In den vergangenen Tagen ist es erst- eines Infrastruktur- und Städtebaupro- 19. Jahrhunderts ein Dasein als unbedeu-
mals zu Auseinandersetzungen mit der jekts, dessen Kosten samt Neubaustre- tendes Provinznest, während München
Polizei gekommen. Es gab auch etliche cke derzeit auf insgesamt sieben Milliar- oder Berlin bereits aufblühten. Erst mit
Festnahmen, nachdem einige Aktivisten den Euro beziffert werden, Tendenz stei- der Industrialisierung wuchs Stuttgart
Süddeutsche Zeitung Nr. 180 Seite V2/5

zur Großstadt mit 600 000 Einwohnern


heran und blieb doch stets bodenstän-
dig – oder wie Ostertag es formuliert:
„Stuttgart ist eine Stadt voller Minder-
wertigkeitskomplexe und Profilneuro-
Stuttgart kämpft – die Hauptakteure
sen. Die ökonomistische Betrachtung
steht immer an erster Stelle.“
Wahrscheinlich ist das auch einer der
Gründe dafür, warum in Stuttgart die
Städteplaner und Architekten nach dem

Fotos: AFP; Thomas Wagner;


H.G.Esch; Imagostock; ddp
Krieg so wüteten wie in kaum einer ande-
ren deutschen Stadt: Sie schlugen Ver-
kehrsschneisen in die Altstadt und rissen
bedenkenlos ab, was den Bombenhagel
überstanden hatte. An der Stelle histori-
scher Häuser entstanden sehr stuttgar-
terisch wirkende Zweckbauten, eine Mi-
schung aus Parkhaus- und Versiche-
rungsarchitektur, deren Tiefpunkt der „Ich werde seit drei Jahren persön- „Die Lage in Stuttgart spitzt sich „Die Erweiterung der Innenstadt ist „Ich halte diesen Wall geradezu für „Wenn Sie hier für das Projekt sind,
Landesbank-Riegel am Bahnhof mar- lich diffamiert und bedroht“, klagt permanent zu. In der Bevölkerung ist die eigentliche Chance“, sagt Chris- ein städtebauliches Verbrechen“, dann werden Sie erst mal niederge-
kiert. Wolfgang Schuster, 60. Stuttgarts die Wut riesengroß“, sagt Gangolf toph Ingenhoven, 50. Der Düssel- sagt der Architekt Roland Oster- macht“, sagt Wolfgang Drexler,
Von städtebaulichen Visionen will die CDU-Oberbürgermeister ist durch Stocker, 66. Der Stadtrat und Maler dorfer Architekt hat vor fast 13 Jah- tag, 79. Die Wölbung des neuen 64. Der SPD-Abgeordnete ist Vize-
Mehrheit im wohlhabenden Stuttgart die Debatte um Stuttgart 21 politisch ist einer der Anführer der Protestbe- ren für seinen Entwurf des Bahnhofs Bahnhofsdaches gefährde die klima- präsident des Landtags und Spre-
nichts mehr wissen – selbst wenn es ein in die Defensive geraten. wegung gegen Stuttgart 21. den Zuschlag der Jury bekommen. tische Be- und Entlüftung der Stadt. cher des Büros von Stuttgart 21.
Park mit 5000 neu gepflanzten Bäumen
ist oder ein futuristischer Tunnelbahn-
hof, neben dem sich der Bonatzbau wie ei-
ne Ordensburg ausnimmt. Stuttgart ten verspäteter Zug könne eine Ketten- Die politischen Verlierer der quälend Auch Architekt Ingenhoven hat mitt-
stellt sich jetzt einfach mal ganz stur. reaktion auslösen, die den gesamten langen Diskussion stehen bereits fest: Es lerweile so seine grundsätzlichen Zwei- Das Projekt Stuttgart 21 wird das
Die Bürgerinitiativen setzen dem Fahrplan durcheinanderbringe. Eine sind insbesondere die CDU und SPD. fel – allerdings an der Gesinnung der Gesicht der Stadt verändern. Der
S-21-Projekt der Bahn das eigene Engstelle sei auch der Tunnelbahnhof Stuttgarts CDU-Oberbürgermeister Projektgegner: Man habe doch allein im Hauptbahnhof und alle Gleise sollen
K-21-Konzept entgegen: Dessen Haupt- selbst: Statt wie bisher 16 Gleise soll es Wolfgang Schuster klingt verbittert und Rahmen des Planfeststellungsverfah- künftig unterirdisch liegen. Über der
vorteil wäre, dass der alte Kopfbahnhof künftig nur noch halb so viele geben. Die klagt über mangelnde Unterstützung: rens mehr als 11 000 Einwendungen Erde wird von dem Neubau nur eine
erhalten bliebe – damit aber auch die Züge müssen das Gleis daher schon kurz „Ich werde seit drei Jahren persönlich behandelt, referiert er. „Über das Pro- Wölbung vor dem alten Bahnhofs-
meisten Gleise im Tal. Der Anschluss an nach der Einfahrt in den Bahnhof wieder diffamiert und bedroht.“ Er sei der Einzi- jekt wurde auf jeder Ebene bis hin zum gebäude zu sehen sein, auf der sich
die ICE-Strecke nach Ulm müsste über ei- freimachen – auf verspätete Anschlusszü- ge gewesen, sagt Schuster, der sich öf- Bundestag abgestimmt. Es gab eine Lichtkuppeln verteilen.
ne neue Neckarbrücke bei Untertürk- ge können sie nicht mehr warten, sagen fentlich hingestellt und Vorträge gehal- Reihe von Gerichtsurteilen. Das Ergeb-
heim und einen kilometerlangen Tunnel die Planer von Vieregg-Rössler. ten habe. Es hat offensichtlich nichts ge- nis war immer zustimmend.“ Von den
erfolgen. Doch genau diese Variante wur- bracht, im Gegenteil: Kommunikativ sei Demonstranten wünsche er sich schon
de von der Bahn bereits in den 90er Jah- man in die Defensive geraten, das gibt er ein wenig mehr Respekt vor demokrati-
ren verworfen – auch aus Gründen des unumwunden zu. Bei den Demonstran- schen Beschlüssen.
Umweltschutzes. K 21 sei eben eine Ama- Es geht inzwischen ten hat er allerdings nie vorbeigeschaut. Doch auf den Straßen von Stuttgart
teurplanung, die noch präzisiert werden Drexler, der SPD-Mann, soll ihm jetzt geht es längst nicht mehr um Sinn und
müsste, räumen selbst Unterstützer der darum, wer in Stuttgart als Leiter des neuen Kommunikationsbü- Unsinn eines Milliardenprojekts. Es geht
Bürgerinitiative ein. Sie wissen genau, das Sagen hat. ros dabei helfen, Stimmung für das Pro- um viel mehr: Es geht um die Frage, wer
dass K 21 keine Alternative zu Stutt- jekt zu machen. „Wir bauen hier doch das Sagen hat in der Stadt. Es geht um
gart 21 ist. Wenn S 21 nicht gebaut wird, kein Atomkraftwerk, sondern einen neu- Demokratie und Politikverdrossenheit,
dann wird gar nichts gebaut – und das en Schienenweg“, verkündet Drexler im- um den Kampf zwischen Gut und Böse,
für mindestens ein Jahrzehnt. Das bestä- Engstellen haben die Münchner eben- mer wieder aufs Neue. Doch seine Paro- zwischen der „dunklen Seite der Macht“
tigt auch die Bahn, die außerdem gerade- so am Flughafen-Bahnhof erkannt, wo len kommen selbst in der eigenen Partei und den Lichtgestalten des Widerstands,
zu genüsslich die Kosten von K 21 vor- ICE-Züge und Regionalbahnen für bei- nicht wirklich an: Drexler, so heißt es, wie Grünen-Chef Cem Özdemir den
rechnet: Sie liegen demnach nur unwe- de Fahrtrichtungen nur ein Gleis ha- werde mit seinem Kurs die Sozialdemo- Demonstranten bei der Montagsdemo
sentlich unter jenen der S-21-Variante, ben; und auch entlang der Strecke gebe kraten im Land endgültig ruinieren. Ins- einschärft. Auf einer Internetseite linker
mit dem Unterschied, dass für das Bür- es mehrere Kreuzungen, an denen sich geheim schielen viele in der baden-würt- Aktivisten wird die moralische Botschaft
gerkonzept noch kein Baurecht besteht. Züge gegenseitig behindern. Zwar las- tembergischen SPD voll Neid zu den Grü- in einem Satz zusammengefasst: „Ge-
Doch auch gegen S 21 gibt es schwer- sen sich solche Probleme durch ausge- nen hinüber. Ausgerechnet die Öko-Par- spart wird bei den Schwachen und
wiegende Bedenken. Sie betreffen vor al- klügelte Fahrpläne mit Zeitpuffern lö- tei hat das Kunststück geschafft, sich Schwächsten der Gesellschaft, nicht
lem die Leistungsfähigkeit des Tunnel- sen; einige Schwachstellen seien in den mit dem Widerstand gegen ein Bahnpro- jedoch an Projekten, die Banken und Spe-
systems unter der Stadt und passen so vergangenen zwei Jahren auch bereits jekt zu profilieren. Mit dieser Strategie kulanten zugute kommen, wie S 21.“
gar nicht zu den Hochglanzbroschüren, beseitigt worden, heißt es bei SMA heu- kopiert sie das Erfolgsrezept der CSU, Es ist ein Kampf, der irrational er-
mit denen die Bahn die Stimmung dre- te. Doch je mehr Engstellen ein System die sich in Bayern jahrzehntelang mit scheint, denn das Projekt ist längst
hen will. Während dort von Kapazitäts- hat, desto weniger Spielraum lässt es dem Wind gedreht hat. beschlossen. Doch gerade weil Argumen-

Foto: Architekturfotografie Holger Knauf


steigerungen zu lesen ist, hat das Schwei- den Planern – und desto weniger Mög- In Stuttgart haben die Grünen ihre te und Konzepte keine große Rolle mehr
zer Ingenieursbüro SMA das Land Ba- lichkeiten hat die Bahn, im Betrieb auf Gegner von CDU und SPD bei der letz- spielen, erhält die Protestbewegung
den-Württemberg schon vor zwei Jahren Störungen zu reagieren. ten Kommunalwahl überholt und stellen immer mehr Zulauf. Der Widerstand
vor „knapp dimensionierter Infrastruk- Für die Kritiker des Projekts heißt nun die größte Fraktion im Stadtrat. wird von einer gewissen Lust an der
tur“, Fahrzeitverlängerungen und einem das: Staus und Verspätungen werden in Doch nicht nur in der Landeshauptstadt Revolte befeuert – jetzt erst recht, da die
„hohen Stabilitätsrisiko“ des Betriebes Stuttgart zum Normalfall, ausgerech- konnten die Grünen weit ins bürgerliche Bahn mit dem Abrissbagger Fakten
gewarnt. Das Land hat das Gutachten net die Bahnfahrer sind die Verlierer Lager eindringen. schafft. Nächstes Jahr sollen im Schloss-
selbst in Auftrag gegeben, über dessen Er- des Milliardenprojekts. Für Bahn-Chef Tübingens Oberbürgermeister Boris park die ersten Bäume gefällt werden. Es
gebnisse aber nicht berichtet. Erst in der Rüdiger Grube überwiegen hingegen Palmer werden gute Chancen einge- wird hässliche Bilder geben, wenn die
vergangenen Woche wurden die Unterla- die Vorteile des Projekts. Er kennt die räumt, dass er 2012 im Stuttgarter Rat- Polizei womöglich Ärzte und Künstler ge-
gen öffentlich, in denen die Schweizer Argumente der Gegner. Nein, sagt er, haus die Nachfolge von Schuster antritt. waltsam von Ästen holen muss. Und am
von einem „Gesamtsystem“ schreiben, die Kapazität der neuen Infrastruktur Schon bei seiner ersten OB-Kandidatur 27. März ist Landtagswahl in Ba-
das „nur sehr schwer beherrschbar“ sei. sei nicht kleiner als die des alten Bahn- im Jahr 2004 hatte es der grüne Palmer den-Württemberg.
Einige der geplanten Abschnitte seien so hofs; nein, auch bei Stuttgart 21 gebe es auf 21,5 Prozent gebracht. Und seine Bot- „Wir ziehen das jetzt durch“, sagt der
steil und stark ausgelastet, dass „Störun- genug Ausweichmöglichkeiten im Falle schaft ist in Stuttgart absolut mehrheits- Anführer der Revolte, Gangolf Stocker.
gen schnell übertragen werden“. einer Störung; und nein, die Züge behin- fähig: „Wenn dieses Projekt jetzt mit der „Wir können keine Kompromisse
Auch die Fachleute des Münchner Pla- dern sich nicht. „Das Gesamtvorhaben Brechstange durchgesetzt wird, zerstört mehr machen“, sagt der Chef-Lobbyist
nungsbüros Vieregg-Rössler klagen, dass steigert die Attraktivität des Standorts das hier mehr als den Bahnhof: das Ver- des Projekts, Wolfgang Drexler.
das Tunnelsystem unter der Stadt zu eng Stuttgart und Baden-Württemberg“, trauen breiter Schichten in die kommu- Es sind Sätze, die in diesen Tagen wie
bemessen sei. Schon ein um wenige Minu- ist Grube überzeugt. nale Demokratie.“ Drohungen klingen.

Das könnte Ihnen auch gefallen