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Walter Jaeschke Hegel-

Handbuch
Leben – Werk – Schule

2., aktualisierte Auflage

Sonderausgabe

Verlag J. B. Metzler
Stuttgart · Weimar
Bibliografische Information Der Deutschen
Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN 978-3-476-02337-7
ISBN 978-3-476-00502-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-00502-1

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Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und
Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2010
www.metzlerverlag.de
info@metzlerverlag.de
Inhaltsübersicht

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . XI 4. Jenaer Schriften und Entwürfe


(1801–1806) . . . . . . . . . . . . . . . 100
Hinweise zur Lektüre, Siglen . . XIII 5. Bamberger Abhandlungen und
Fragmente (1807–1808) . . . . . . . . . 200
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe
I. Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 (1808–1816) . . . . . . . . . . . . . . . 202
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) . . 254
0. Stuttgart (1770–1788) . . . . . . . . . . 1 8. Berliner Schriften und Entwürfe
1. Tübingen (1788–1793) . . . . . . . . . 3 (1821–1831) . . . . . . . . . . . . . . . 272
2. Bern (1793–1796) . . . . . . . . . . . . 10 9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen
3. Frankfurt (1797–1800) . . . . . . . . . 15 (1816–1831) . . . . . . . . . . . . . . . 319
4. Jena (1801–1806) . . . . . . . . . . . . 19
5. Bamberg (1807–1808) . . . . . . . . . . 26
6. Nürnberg (1808–1816) . . . . . . . . . 30
7. Heidelberg (1816–1818) . . . . . . . . . 37
III. Schule . . . . . . . . . . . . . . . . 501
8. Berlin (1818–1831) . . . . . . . . . . . 42
1. Zur Situation der Philosophie
im frühen Vormärz . . . . . . . . . . . 501
2. Der Streit um die Religion . . . . . . . 505
II. Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3. Der Streit um Recht und Staat . . . . . 525
4. Der Streit um die Metaphysik . . . . . 530
1. Der Übergang von Tübingen nach Bern
(1793–1794) . . . . . . . . . . . . . . . 59
2. Berner Entwürfe (1795–1796) . . . . . 65
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) . . . 76 IV. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . 539
Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI 6.3. Politik . . . . . . . . . . . . . . . . 34


6.4. Erlösung aus dem Schul-Katzen-
Hinweise zur Lektüre, Siglen . . XIII jammer . . . . . . . . . . . . . . . . 36
7. Heidelberg (1816–1818) . . . . . . 37
7.1. Lehrtätigkeit . . . . . . . . . . . . . 37
I. Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
7.2. Die Heidelberger Jahrbücher . . . . 38
7.3. Familienleben . . . . . . . . . . . . 39
0. Stuttgart (1770–1788) . . . . . . . 1
7.4. Kollegenkreis . . . . . . . . . . . . 40
1. Tübingen (1788–1793) . . . . . . . 3 7.5. Berufung nach Berlin . . . . . . . . 41
1.1. Aufnahme in die Universität
8. Berlin (1818–1831) . . . . . . . . . 42
Tübingen und ins »Stift« . . . . . . 3
8.1. Politische Situation . . . . . . . . . 42
1.2. Studium der Philosophie . . . . . . 4
8.2. Lehrtätigkeit . . . . . . . . . . . . . 46
1.3. Studium der Theologie . . . . . . . 5
8.3. Geselligkeit . . . . . . . . . . . . . 47
1.4. Freundeskreis im Tübinger Stift . . 6
8.4. Akademie der Wissenschaften . . . 48
1.5. Übersiedelung nach Bern . . . . . . 9
8.5. Jahrbücher für wissenschaftliche
2. Bern (1793–1796) . . . . . . . . . . 10 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.1. Politische Lage . . . . . . . . . . . 10 8.6. Philosophische Gegner . . . . . . . 50
2.2. Hofmeister im Hause Steiger . . . . 11 8.7. Kunst und Kunstreisen . . . . . . . 51
2.3. Briefwechsel mit Hölderlin 8.8. Religionsstreit . . . . . . . . . . . . 54
und Schelling . . . . . . . . . . . . 12 8.9. Hegels letztes Jahr . . . . . . . . . 55
2.4. Übergang nach Frankfurt . . . . . . 13
3. Frankfurt (1797–1800) . . . . . . . 15
3.1. Hofmeisterleben und Geselligkeit . 15
II. Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
3.2. »Bund der Geister« . . . . . . . . . 16
1. Der Übergang von Tübingen
3.3. Literarische Projekte . . . . . . . . 17
nach Bern (1793–1794) . . . . . . . 59
3.4. Übergang nach Jena . . . . . . . . . 18
1.1. Volksreligion und Christentum . . . 60
4. Jena (1801–1806) . . . . . . . . . . 19 1.2. Die erste Bearbeitungsphase . . . . 60
4.1. Hegel und Schelling . . . . . . . . . 19 1.3. Die zweite Bearbeitungsphase . . . 63
4.2. Habilitation . . . . . . . . . . . . . 20
2. Berner Entwürfe (1795–1796) . . . 65
4.3. Lehrtätigkeit . . . . . . . . . . . . . 21
2.1. Das Leben Jesu (1795) . . . . . . . 65
4.4. Geselligkeit . . . . . . . . . . . . . 22
2.2. Manuskript zur Psychologie und
4.5. Außerordentliche Professur
Transzendentalphilosophie
für Philosophie . . . . . . . . . . . 23
(1795/96) . . . . . . . . . . . . . . 67
4.6. Das Ende der Jenaer Jahre . . . . . 24
2.3. Studien zur Positivität der christ-
4.7. Übergang nach Bamberg . . . . . . 26
lichen Religion (1795/96) . . . . . . 69
5. Bamberg (1807–1808) . . . . . . . 26 2.4. Staatsrecht und Kirchenrecht . . . . 72
5.1. Die Bamberger Zeitung . . . . . . . 26 2.5. Bericht über eine Alpenwanderung
5.2. Weitere Pläne . . . . . . . . . . . . 27 (1796) . . . . . . . . . . . . . . . . 74
5.3. Geselligkeit . . . . . . . . . . . . . 27 2.6. Eleusis. An Hölderlin
5.4. Politische Zensur . . . . . . . . . . 28 (August 1796) . . . . . . . . . . . . 75
5.5. Erlösung vom Zeitungsjoche . . . . 28
3. Frankfurter Entwürfe
6. Nürnberg (1808–1816) . . . . . . . 30 (1797–1800) . . . . . . . . . . . . . 76
6.1. Hegel als Professor und Rektor . . . 30 3.1. Das älteste Systemprogramm
6.2. Heirat, Geselligkeit . . . . . . . . . 31 des deutschen Idealismus . . . . . . 76
Inhaltsverzeichnis VII

3.2. Vertrauliche Briefe über das vor- 4.6.2. System der Sittlichkeit . . . . . . . 152
malige staatsrechtliche Verhältniß 4.6.3. Vorlesungen über Naturrecht . . . . 155
des Waadtlandes (Pays de Vaud) 4.6.4. Fragmente aus Vorlesungsmanus-
zur Stadt Bern . . . . . . . . . . . . 80 kripten (1803) . . . . . . . . . . . . 157
3.3. Erste Württemberg-Schrift . . . . . 82 4.6.5. Systementwurf I (1803/04) . . . . . 160
3.4. »Der Geist des Christentums« 4.6.6. Systementwurf II (1804/05) . . . . . 164
und Verwandtes (1797–1799) . . . . 85 4.6.7. Systementwurf III (1805/06) . . . . 169
3.5. Zwei Fragmente des Systems . . . . 91 4.7. Phänomenologie des Geistes . . . . 175
3.6. Überarbeitung der Positivitäts- 4.7.1. Werkgeschichte und systematische
schrift . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 176
3.7. Entstehung der Dialektik und des 4.7.2. Vorrede zum System . . . . . . . . . 181
systematischen Grundgedankens . . 97 4.7.3. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 184
4.7.4. Formen und Gestalten des
4. Jenaer Schriften und Entwürfe erscheinenden Geistes . . . . . . . 186
(1801–1806) . . . . . . . . . . . . . 100 4.7.5. Geist und Geschichte . . . . . . . . 198
4.1. Fragmente einer Kritik der Verfas- 4.8. Sekundäre Überlieferung, Zweifel-
sung Deutschlands (1799–1803) . . 100 haftes, Verschollenes . . . . . . . . 199
4.2. Dissertatio philosophica de orbitis 4.8.1. Jenaer Notizenbuch (1803–1806) . . 199
planetarum . . . . . . . . . . . . . . 106 4.8.2. Fragment vom Dreieck der Drei-
4.3. Differenz des Fichte’schen und ecke . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Schelling’schen Systems 4.8.3. Zeichnung aus Dreiecken . . . . . . 199
der Philosophie . . . . . . . . . . . 109
4.3.1. Zur Entstehungssituation . . . . . . 109
4.3.2. Das Absolute und das System . . . . 110 5. Bamberger Abhandlungen
4.3.3. Darstellung des Fichte’schen und Fragmente (1807–1808) . . . . 200
Systems . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.1. Wer denkt abstract? . . . . . . . . . 200
4.3.4. Schellings Princip und System 5.2. Zwei Fragmente zur Logik . . . . . 201
der Philosophie . . . . . . . . . . . 119
4.3.5. Kritik der Philosophie Reinholds . . 122
4.3.6. Philosophiehistorische Bedeutung . 124 6. Nürnberger Schriften und
4.4. Kritiken aus der Erlanger Literatur- Entwürfe (1808–1816) . . . . . . . 202
Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6.1. Gymnasialkurse . . . . . . . . . . . 202
4.5. Abhandlungen aus dem Kritischen 6.1.1. Quellen, Lehrgegenstände,
Journal der Philosophie . . . . . . . 128 Methode . . . . . . . . . . . . . . . 202
4.5.1. Zur Herausgabe des Kritischen 6.1.2. Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Journals . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.1.3. Naturphilosophie . . . . . . . . . . 207
4.5.2. Einleitung. Über das Wesen der 6.1.4. Geisteslehre . . . . . . . . . . . . . 208
philosophischen Kritik überhaupt, 6.1.5. Rechts-, Pflichten- und Religions-
und ihr Verhältniß zum gegen- lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
wärtigen Zustand der Philosophie 6.1.6. Religionslehre . . . . . . . . . . . . 218
insbesondere . . . . . . . . . . . . . 129 6.1.7. Philosophische Enzyklopädie . . . . 219
4.5.3. Wie der gemeine Menschenver- 6.2. Die Wissenschaft der Logik . . . . 221
stand die Philosophie nehme . . . . 131 6.2.1. System der Logik – Wissenschaft
4.5.4. Verhältniß des Skepticismus zur der Logik . . . . . . . . . . . . . . 221
Philosophie . . . . . . . . . . . . . 132 6.2.2. Metaphysik als Logik . . . . . . . . 222
4.5.5. Glauben und Wissen . . . . . . . . 136 6.2.3. Logik als Metaphysik . . . . . . . . 225
4.5.6. Über die wissenschaftlichen 6.2.4. Methode . . . . . . . . . . . . . . . 226
Behandlungsarten des Naturrechts . 144 6.2.5. Die Lehre vom Sein . . . . . . . . . 232
4.6. Systementwürfe (1801–1806) . . . . 150 6.2.6. Die Lehre vom Wesen . . . . . . . 236
4.6.1. Fragmente aus Vorlesungsmanus- 6.2.7. Die Lehre vom Begriff . . . . . . . 242
kripten (1801/02) . . . . . . . . . . 150 6.2.8. Übergang zur Realphilosophie . . . 252
VIII Inhaltsverzeichnis

7. Heidelberger Schriften 8.9.1. Entstehung im geschichtlichen


(1817–1818) . . . . . . . . . . . . . 254 Zusammenhang . . . . . . . . . . . 312
7.1. Aus den Heidelbergischen Jahr- 8.9.2. Analyse der Situation und der
büchern der Literatur . . . . . . . . 254 Lösungen . . . . . . . . . . . . . . 314
7.1.1. Jacobi-Rezension . . . . . . . . . . 254
7.1.2. Verhandlungen in der Versammlung 9. Heidelberger und Berliner
der Landstände des Königreichs Vorlesungen (1816–1831) . . . . . 319
Würtemberg . . . . . . . . . . . . . 257 9.0. Ein System in Vorlesungen . . . . . 319
7.2. Enzyklopädie der philosophischen 9.1. Enzyklopädie . . . . . . . . . . . . 325
Wissenschaften im Grundrisse . . . 259 9.2. Logik und Metaphysik . . . . . . . 327
7.2.1. Entstehung und Funktion . . . . . . 259 9.2.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 327
7.2.2. Die Auflagen 1827 und 1830 . . . . 260 9.2.2. Enzyklopädische Logik (1817)
7.2.3. Die drei Vorreden . . . . . . . . . . 261 und »Wissenschaft der Logik«
7.2.4. Das Einleitungsproblem . . . . . . 263 (1812–1816; 1832) . . . . . . . . . . 327
7.2.5. Die Stellungen des Gedankens 9.3. Philosophie der Natur . . . . . . . . 331
zur Objektivität . . . . . . . . . . . 264 9.3.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 331
7.2.6. Die Konzeption des absoluten 9.3.2. Systemform . . . . . . . . . . . . . 332
Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . 267 9.3.3. Der Begriff der Natur . . . . . . . . 333
7.2.7. Die drei Schlüsse der Philosophie . 268 9.3.4. Naturwissenschaft und Natur-
philosophie . . . . . . . . . . . . . 336
8. Berliner Schriften und Entwürfe 9.3.5. Mechanik . . . . . . . . . . . . . . 340
(1821–1831) . . . . . . . . . . . . . 272 9.3.6. Physik . . . . . . . . . . . . . . . . 341
8.1. Grundlinien der Philosophie 9.3.7. Organische Physik . . . . . . . . . . 343
des Rechts . . . . . . . . . . . . . . 272 9.4. Philosophie des Geistes . . . . . . . 347
8.1.1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . 272 9.4.1. Überlieferung und Systemform
8.1.2. Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . 274 des subjektiven Geistes . . . . . . . 347
8.1.3. Rezeption . . . . . . . . . . . . . . 276 9.4.2. Der Begriff des Geistes . . . . . . . 350
8.1.4. Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . 278 9.4.3. Anthropologie . . . . . . . . . . . . 353
8.2. Vorrede zu Hinrichs . . . . . . . . . 279 9.4.4. Phänomenologie des Geistes . . . . 356
8.3. Anmerkungen zu Creuzers Proclus- 9.4.5. Psychologie . . . . . . . . . . . . . 359
Edition . . . . . . . . . . . . . . . . 282 9.5. Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . 364
8.4. Fragment zur Philosophie des 9.5.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 364
subjektiven Geistes . . . . . . . . . 283 9.5.2. Naturrecht, Rechtsphilosophie,
8.5. Über das Sehen und die Farben . . 285 Philosophie des objektiven Geistes . 365
8.6. Ueber die Bekehrten . . . . . . . . 286 9.5.3. Freiheit und Notwendigkeit . . . . 369
8.7. Rezensionen aus den Jahrbüchern 9.5.4. Systemform der Philosophie des
für wissenschaftliche Kritik . . . . . 288 objektiven Geistes . . . . . . . . . . 373
8.7.1. Von der »Kritischen Zeitschrift 9.5.5. Das abstrakte Recht . . . . . . . . . 377
der Literatur« zu den »Jahrbüchern 9.5.6. Die Moralität . . . . . . . . . . . . 381
für wissenschaftliche Kritik« . . . . 288 9.5.7. Die Sittlichkeit . . . . . . . . . . . 385
8.7.2. Humboldt-Rezension . . . . . . . . 290 9.5.7.1. Der Begriff der Sittlichkeit . . . . . 385
8.7.3. Solger-Rezension . . . . . . . . . . 293 9.5.7.2. Die Familie . . . . . . . . . . . . . 386
8.7.4. Hamann-Rezension . . . . . . . . . 296 9.5.7.3. Die »bürgerliche Gesellschaft« . . . 387
8.7.5. Göschel-Rezension . . . . . . . . . 300 9.5.7.4. Der Staat . . . . . . . . . . . . . . . 390
8.7.6. Repliken . . . . . . . . . . . . . . . 303 9.5.8. Staat und Religion . . . . . . . . . . 395
8.7.7. Ohlert-Rezension . . . . . . . . . . 306 9.5.9. Souveränität gegen Außen und
8.7.8. Görres-Rezension . . . . . . . . . . 307 Äußeres Staatsrecht . . . . . . . . . 398
8.8. Rede zur dritten Säkularfeier der 9.6. Philosophie der Weltgeschichte . . 400
Augsburgischen Konfession . . . . . 310 9.6.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 400
8.9. Über die englische 9.6.2. Weltgeschichte und Geschichtlich-
Reformbill . . . . . . . . . . . . . . 312 keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
Inhaltsverzeichnis IX

9.6.3. Die Konstitution von Geschichte . . 406 1.1. Das Epochenbewußtsein . . . . . . 501
9.6.4. Die Vernunft in der Geschichte . . . 408 1.2. Die »Freundesvereinsausgabe« als
9.6.5. Theodizee . . . . . . . . . . . . . . 412 Basis der Wirkungsgeschichte . . . 502
9.6.6. Fortschritt im Bewußtsein der Frei- 1.3. Der weitere Ausbau des Systems . . 504
heit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
2. Der Streit um die Religion . . . . 505
9.7. Philosophie der Kunst . . . . . . . . 418
2.1. Christliche Philosophie vs. Ver-
9.7.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 418
nunftphilosophie . . . . . . . . . . 505
9.7.2. Systemform . . . . . . . . . . . . . 420
2.2. Persönlichkeit Gottes und Un-
9.7.3. Selbstbewußtsein des Geistes
sterblichkeit der Seele . . . . . . . 510
und Schönheit . . . . . . . . . . . . 422
2.3. Der Primat der Idee oder der
9.7.4. Die Geschichte der »Kunstformen« 429
Geschichte . . . . . . . . . . . . . . 515
9.7.4.1. Die symbolische Kunst . . . . . . . 429
2.4. Die Spaltung der Schule . . . . . . 517
9.7.4.2. Die klassische Kunst . . . . . . . . 431
2.5. Politische Implikate des Streits
9.7.4.3. Die romantische Kunst . . . . . . . 433
um die Religionsphilosophie . . . . 519
9.7.5. Das System der Künste . . . . . . . 437
2.6. Christlichkeit und Antichristlichkeit 520
9.7.5.1. Architektur . . . . . . . . . . . . . . 438
9.7.5.2. Skulptur . . . . . . . . . . . . . . . 439 3. Der Streit um Recht und Staat . . 525
9.7.5.3. Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . 439 3.1. Der Kampf um den »christlichen
9.7.5.4. Musik . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Staat« . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
9.7.5.5. Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . 442 3.2. Das Ende der unmittelbaren
9.7.6. Das Ende der Kunst . . . . . . . . . 445 Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . 528
9.8. Philosophie der Religion . . . . . . 450
9.8.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 450 4. Der Streit um die Metaphysik . . . 530
9.8.2. Systemform . . . . . . . . . . . . . 452 4.1. Religionskritik und »Ende der
9.8.3. Religion als Selbstbewußtsein Metaphysik« . . . . . . . . . . . . . 530
des Geistes . . . . . . . . . . . . . . 454 4.2. Transformation oder Begrenzung
9.8.4. Der Begriff der Religion . . . . . . 457 der »Metaphysik« . . . . . . . . . . 531
9.8.5. Die bestimmte Religion . . . . . . . 459 4.3. Anthropologie vs. »Metaphysik« . . 533
9.8.6. Die vollendete Religion . . . . . . . 467
9.8.7. Das Ende der Religion . . . . . . . 474
9.9. Geschichte der Philosophie . . . . . 477 IV. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . 539
9.9.1. Überlieferung und »Vorgeschichte« . 477
9.9.2. Philosophiegeschichte als Philo- 1. Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . 539
sophie . . . . . . . . . . . . . . . . 478 2. Literaturhinweise . . . . . . . . . 541
9.9.3. Der Anfang der Philosophiege- 2.1. Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . 541
schichte . . . . . . . . . . . . . . . 483 2.2. Bibliographien . . . . . . . . . . . . 542
9.9.4. Vorbegriff, Periodisierung, Quellen 485 2.3. Periodica . . . . . . . . . . . . . . . 542
9.9.5. Antike . . . . . . . . . . . . . . . . 488 2.4. Biographien, Einführungen
9.9.6. Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . 491 und Sammelbände . . . . . . . . . . 542
9.9.7. Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . 493 2.5. Dokumentationen . . . . . . . . . . 543
9.10. Beweise vom Dasein Gottes . . . . 497 2.6. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . 544
9.10.1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . 497
9.10.2. Stellung im System . . . . . . . . . 498 3. Werkregister . . . . . . . . . . . . 548
3.1. Werke Hegels . . . . . . . . . . . . 548
3.2. Werke anderer Autoren . . . . . . . 552
III. Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 3.3. Periodica . . . . . . . . . . . . . . . 557
4. Sachregister . . . . . . . . . . . . . 559
1. Zur Situation der Philosophie
im frühen Vormärz . . . . . . . . . 501 5. Personenregister . . . . . . . . . . 577
Vorwort

Hegel: Für den jungen Karl Marx repräsentiert er werden nicht mehr um seine Person, sondern um
die »Weltphilosophie unserer Zeit«, und noch seine Philosophie geführt. Aber auch sie gleiten
gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist er für Carl häufig zurück – von der Orientierung an der
Ludwig Michelet, den letzten seiner Getreuen, »Sache«, nämlich am »Begriff«, in die alten ideen-
der »unwiderlegte Weltphilosoph«. Schon seine politischen Gegensätze und Grabenkämpfe um
Zeitgenossen nennen ihn den »deutschen Ari- seine politischen und religiösen Optionen, die
stoteles« oder den »deutschen Proklos«, und im sich, so scheint es, nicht ignorieren lassen, zu-
20. Jahrhundert stellt Karl Barth die – wenn auch mindest noch nicht. Dies allerdings verschafft
rhetorische – Frage, warum er für den Protestan- der Auseinandersetzung um Hegel eine Leben-
tismus nicht dasselbe geworden sei wie Thomas digkeit und eine Gegenwart, die für andere, uns
von Aquin für die römische Kirche. Doch an- zeitlich näherstehende Denker nicht in gleicher
dererseits: Für Schopenhauer ist er ein bloßer Weise zu verzeichnen ist. Wie alle »klassischen«
»Scharlatan« – und vieles andere und Schlimme Werke der Philosophie widersetzt sich auch He-
mehr; Friedrich Schlegel bescheinigt ihm, als gels Werk der vollständigen Historisierung, der
einem kastrierten und nachgeäfften Fichte, »ab- Versenkung in die Philosophiegeschichte – aber
soluten Stumpfsinn für alles Göttliche«. Aufs darüber hinaus ist es gegenwärtig als ein Werk,
Tierreich greift auch Schelling zurück: Hegel sei das trotz der historischen Distanz von zwei Jahr-
ein »ins Affenartige« geratener, durch und durch hunderten in vielem noch in den zeitgenössi-
prosaischer und »verneinender Geist«, der jedoch schen Streit hineinreicht. Es ist präsent in den
»belustigend wird, sobald er sich übers Negieren gegenwärtigen Debatten um Politik und Ge-
versteigt«. Ein Vierteljahrhundert nach Hegels schichte, um Kunst und Religion, um Philosophie
Tod entwirft Rudolf Haym das Phantasiebild des der Natur und Philosophie des Geistes – und
Berliner Hegel als eines satten und selbstzufrie- nicht zuletzt um die Metaphysik. Denn deren
denen Übermächtigen und Übermütigen: »Ge- Geister lassen sich auch durch die Proklamation
tragen von der Gunst der Mächtigen, schwelgend des »Endes der Metaphysik« und eines »nach-
in den Erfolgen und in dem Ruhm seines Werkes, metaphysischen Zeitalters« nicht schlechthin
sah er sich, ein philosophischer Dictator über bannen – zumal sie sich nicht dort aufhalten, wo
Deutschland, am Ziel seines Strebens.« Und sie vermutet werden.
nachdem Hegel zuvor die Unvereinbarkeit seiner Und so oft Hegels Denken heute »Eurozen-
philosophischen Prinzipien mit dem preußischen trismus« vorgeworfen wird – ein anachronisti-
Staate bescheinigt worden ist, erhält er nun, scher Vorwurf für einen Denker des frühen 19.
rückwirkend, seine Ernennungsurkunde zum Jahrhunderts, der zudem nicht einmal zutrifft! –:
»preußischen Staatsphilosophen« ausgestellt. Im Die Wirkung seines Denkens beschränkt sich seit
20. Jahrhundert wird er gar zu dem mittleren langem nicht auf Europa. Sie unterliegt Kon-
Pfeiler stilisiert, der das Verhängnis der deut- junkturen, aber sie ist nicht allein in Europa,
schen Geistesgeschichte trägt: von Luther über sondern ebenso in Asien zu greifen wie auch in
Hegel zu Hitler. Nord- und in Südamerika. Sie ist weder an Re-
Diese Blütenlese ist kurz – allzu kurz, gemes- gionen noch an Religionen gebunden, und auch
sen an der Zahl der in zwei Jahrhunderten ge- nicht an Voraussetzungen wie die Herrschaft spe-
wachsenen Blüten, zumal der übelriechenden. zifischer gesellschaftlicher Systeme.
Dennoch vermittelt schon sie einen Eindruck von In dieser weltweiten Anknüpfung – und Ab-
den Kämpfen, die um Hegels Werk geführt wor- stoßung – stehen nicht immer dieselben Themen
den sind und geführt werden. Auch heute sind im Vordergrund. Im Wechsel der Zeiten und Orte
die religiösen und politischen Motive der Ausein- und der bewußtseinsgeschichtlichen Konstella-
andersetzung um ihn noch lebendig. Freilich ste- tionen richtet sich das Interesse auf jeweils wech-
hen sie nicht mehr im Vordergrund, zumindest selnde Partien seines Werkes. Es antwortet auf
nicht der akademischen Diskussionen: Diese Hegels umfassenden Erkenntnisanspruch: zu er-
XII Vorwort

kennen, »was die Welt im Innersten zusammen- Überlieferungsgestalt dieser Philosophie genom-
hält« – aber freilich nicht, wie für Faust, in Form men hat – auf die Auseinandersetzungen in He-
der Magie, sondern des begreifenden Denkens, gels letzten Lebensjahren und vor allem inner-
des »Begriffs«, wie Hegel kurz und kryptisch sagt. halb der »Schule«. Sie lassen sich jedoch nicht
Und er beläßt es ja nicht beim bloßen Anspruch rein schul-immanent verstehen, sondern nur als
auf Erkenntnis, sondern er bietet eine Fülle von Folge der Streitigkeiten der »Schule« mit ihrer
Erkenntnis und von Wegen zur Erkenntnis, die geistigen Umwelt in der repressiven Atmosphäre
sich auch dort noch produktiv erweist, wo wir sie des »Vormärz«. In diesem Kontext gewinnt He-
nicht einfach übernehmen können – und wo wäre gels Werk erst diejenige Gestalt, die seiner wei-
dies schon der Fall. teren Wirkungsgeschichte zu Grunde liegt. Und
Es ist aber gerade diese Breite seines Werkes, zugleich werden damals die Grundlinien des Ver-
die Vielzahl seiner Aspekte, verbunden mit dem ständnisses seines Werks gezogen, die dessen
allseits bekannten hohen Schwierigkeitsgrad sei- Rezeption bis in die Gegenwart leiten.
nes Verständnisses, die es heute nicht allein dem
Philosophen von Profession, sondern selbst dem ***
»Hegel-Forscher« erschwert, dieses Werk als ein Diese einleitenden Bemerkungen zur kontrover-
Ganzes zu überschauen – und zudem sowohl in sen Einschätzung der Philosophie Hegels sind
seiner entwicklungsgeschichtlichen Differen- erstmals im Frühjahr 2003 geschrieben worden;
ziertheit wie in seiner systematischen Grund- sie gelten unverändert. Verändert hat sich in den
legung und Ausfaltung. Dieser Schwierigkeit soll seither verstrichenen Jahren jedoch die For-
das vorliegende Handbuch abhelfen. Es beginnt schung. Es sind zwar – um das alttestamentliche
mit einer knappen Darstellung von Hegels Leben Traumbild heranzuziehen – keine ›sieben fetten
(Teil I). Der dem »Werk« gewidmete Hauptteil ist Jahre‹ gewesen, aber doch auch keine ›mageren‹,
in sich nochmals zweigeteilt: in eine entwick- sondern Jahre des kontinuierlichen Interesses an
lungsgeschichtlich angelegte Darstellung von He- der Philosophie Hegels und der ebenso kon-
gels Manuskripten und veröffentlichten Werken, tinuierlichen Durcharbeitung fast der gesamten
von seinen ersten Aufzeichnungen bis zu seinen Breite ihrer Problemfelder – also Jahre der Vor-
letzten Publikationen (Teil II, Kapitel 1–8), und herrschaft derjenigen Form der ›Bewegung des
in eine Darstellung des späten »Systems«, das Begriffs‹, die auch für Hegels eigene Entfaltung
Hegel freilich nie ausgeführt, sondern abgesehen seiner Philosophie so charakteristisch ist. Diese
vom ersten Teil, der Wissenschaft der Logik, nur erfreuliche Entwicklung hat es nahegelegt, den
in Vorlesungen skizziert und antizipiert hat (Teil Ertrag dieser Jahre in die ohnehin erforderliche
II, Kapitel 9). Den Abschluß bildet ein Blick auf Neuauflage des Hegel-Handbuchs aufzunehmen
die Wirkungsgeschichte seiner Philosophie (Teil und sie als ›aktualisierte Neuauflage‹ zu gestal-
III). Die Breite und die Kontinuität dieser Wir- ten.
kung erzwingen jedoch eine Beschränkung auf
die erste, entscheidende Phase dieser Wirkung,
die zugleich noch erheblichen Einfluß auf die Berlin, im Frühjahr 2010
Hinweise zur Lektüre, Siglen

Ein Hegel-Handbuch kann sich nicht auf die Dar- grenzter bei den großen Werken, zu denen es
stellung der vergleichsweise wenigen zentralen ohnehin in neueren Editionen umfangreiche Li-
Werke beschränken, die Hegel selber veröffent- teraturhinweise oder gar eigene Bibliographien
licht hat. Es muß die gesamte Breite seines Werks gibt. Öfter als zweimal zitierte Titel werden beim
einbeziehen – ja sogar »kleineren Texten«, wenn ersten Mal in ausführlicher Form, danach als
sie nicht im Ganzen verschwinden sollen, eine Kurztitel mit dem Erscheinungsjahr zitiert (bei
überproportionale Aufmerksamkeit widmen. Werken, die im selben Jahr erschienen sind,
Und es muß auch diejenigen Partien umfassend unter Hinzufügung von Buchstaben) und noch-
berücksichtigen, in denen Hegel seine Philoso- mals in ausführlicher Form im Literaturver-
phie jenseits der systematischen Hauptwerke im zeichnis.
akademischen Vortrag entfaltet hat, zumal sie die
Wirkung seiner Philosophie entscheidend ge-
prägt haben: die Vorlesungen. AA Akademie-Ausgaben:
Für alle Teile seines Werks, insbesondere aber Kant: Werke. Hg. von der Preußischen
für diejenigen, die erst spätere Editoren ver- Akademie der Wissenschaften. Berlin
öffentlicht haben, ist die Qualität der Edition von 1902ff.
entscheidender Bedeutung. Soweit es der gegen- Schelling: Historisch-kritische Ausgabe.
wärtige Bearbeitungsstand erlaubt, werden He- Im Auftrag der Schelling-Kommission
gels Schriften nach der historisch-kritischen Aus- der Bayerischen Akademie der Wissen-
gabe zitiert: Hegel: Gesammelte Werke. Hamburg schaften hg. von Hans Michael Baum-
1968 ff. (»GW«). Hegels Vorlesungen werden gartner, Wilhelm G. Jacobs, Hermann
nach Möglichkeit zitiert nach der Reihe Hegel: Krings, Hermann Zeltner und Jörg Jant-
Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und zen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff.
Manuskripte. Hamburg 1983ff. (»V«), die die ADB Allgemeine Deutsche Biographie. Berlin
Neuausgabe der Vorlesungen im Rahmen der Ge- 1877ff.
sammelten Werke gegenwärtig vorbereitet. Auf B Immanuel Kant: Critik der reinen Ver-
frühere, oft unter dubiosen Bedingungen ver- nunft. Zweyte hin und wieder verbes-
anstaltete und heutigen wissenschaftlichen An- serte Auflage. Riga 1787.
forderungen nicht genügende Ausgaben wird nur Br Briefe von und an Hegel. Hg. von Jo-
in dem Ausnahmefall zurückgegriffen, daß Texte hannes Hoffmeister. Hamburg 11956,
in den beiden genannten kritischen Reihen noch Bde. I-III: Hamburg 31969, Bde. IV/1
nicht zur Verfügung stehen. und IV/2: Hg. von Friedhelm Nicolin.
Lang ist die Liste der im Folgenden, jeweils am Hamburg 1977 bzw. 1981.
Ende eines Abschnitts, aufgeführten Titel – aber BSchr Hegel: Berliner Schriften (1818–1831).
weit länger ist die – imaginäre – Liste der nicht Voran gehen Heidelberger Schriften
genannten. In einer forschungsgeschichtlichen (1816–1818). Hg. von Walter Jaeschke.
Situation, in der eine tendenziell vollständige Hamburg 1997.
Bibliographie umfangreicher ist als dieses Hand- GA Johann Gottlieb Fichte: Gesamtausgabe.
buch, ist dies unausweichlich. Die Auswahl der Hg. von Reinhard Lauth u. a. Stuttgart-
zitierten Titel ist geleitet von ihrer Bedeutung für Bad Cannstatt 1962ff.
die gegenwärtige Forschung, sie dient nicht der GW Hegel: Gesammelte Werke. In Verbin-
Dokumentation der Forschungsgeschichte. dung mit der Deutschen Forschungsge-
Durch die neuere Forschung überholte Arbeiten meinschaft hg. von der Nordrhein-West-
werden nicht erwähnt, auch wenn sie sich zu fälischen (1968–1995: Rheinisch-Westfä-
ihrer Zeit erhebliche Verdienste erworben haben lischen) Akademie der Wissenschaften.
mögen. Die Literaturhinweise sind vergleichs- Hamburg 1968ff.
weise ausführlicher bei »kleineren Texten«, be- HBZ Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen.
XIV Hinweise zur Lektüre, Siglen

Hg. von Günther Nicolin. Hamburg N Hegels theologische Jugendschriften


1970. nach den Handschriften der Kgl. Biblio-
HJb Hegel-Jahrbuch. Begründet von Wil- thek in Berlin hg. von Herman Nohl.
helm Raimund Beyer. Hg. von Andreas Tübingen 1907, ND Frankfurt am Main
Arndt, Karol Bal und Henning Ottmann. 1966.
Seit HJb 1993/94: Berlin. PhJb Philosophisches Jahrbuch. Im Auftrag
HS Hegel-Studien. Hg. von Friedhelm Nico- der Görres-Gesellschaft herausgegeben.
lin und Otto Pöggeler (Bde. 1–35) bzw. Freiburg / München.
Walter Jaeschke und Ludwig Siep (Bde. PLS Philosophisch-literarische Streitsachen.
36 ff.). Bonn 1961–1997 bzw. Hamburg 4 Doppelbände, hg. von Walter Jaeschke.
1998 ff. Hamburg 1990–1995. Auch erschienen
HSB Hegel-Studien Beihefte. Hg. von Fried- unter den Einzeltiteln Bd. 1: Der Streit
helm Nicolin und Otto Pöggeler (Bde. um die Grundlagen der Ästhetik
1–46) bzw. Walter Jaeschke und Ludwig (1795–1805); Bd. 2: Der Streit um die
Siep (Bde. 47 ff.). Bonn 1963–1999 bzw. Gestalt einer Ersten Philosophie; Bd. 3:
Hamburg 2000 ff. Der Streit um die Göttlichen Dinge; Bd.
Ig Hegel: Vorlesungen über Rechtsphiloso- 4: Der Streit um die Romantik. Hamburg
phie 1818–1831. Edition und Kommentar 1999.
in sechs Bänden von Karl-Heinz Ilting. R Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegel’s Leben.
Stuttgart-Bad Cannstatt. Bd. 1: 1973; Berlin 1844.
Bde. 2–4: 1974 (mehr nicht erschienen). StA Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke.
Jb, Jbb Jahrbuch, Jahrbücher Große Stuttgarter Ausgabe. Hg. von
JWA Friedrich Heinrich Jacobi: Werke. Ge- Friedrich Beißner und Adolf Beck. Stutt-
samtausgabe hg. von Klaus Hammacher gart 1943–1985.
und Walter Jaeschke. Hamburg und SW Friedrich Wilhelm Joseph Schelling:
Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff. Sämtliche Werke. Hg. von Karl Friedrich
KFSA Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe. August Schelling. Stuttgart und Augs-
Hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung burg 1856–1861.
von Jean-Jacques Anstett und Hans Eich- V Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Manu-
ner. Paderborn u. a. 1958ff. skripte und Nachschriften. Hamburg
KGA Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: 1983ff.
Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Hans- W Hegel: Werke. Hg. von einem Verein von
Joachim Birkner u. a. Berlin / New York Freunden des Verewigten. Berlin
1980 ff. 1832–1845.
LM Gotthold Ephraim Lessing: Sämtliche WA Goethe: Werke. Hg. im Auftrage der
Werke. Hg. von Karl Lachmann und Großherzogin Sophie von Sachsen. Wei-
Franz Muncker. Stuttgart 1886–1924, ND mar 1887–1919 (Weimarer Ausgabe).
Berlin 1979. ZphF Zeitschrift für philosophische Forschung.
MEW Karl Marx / Friedrich Engels: Werke. Frankfurt am Main.
Hg. vom Institut für Marxismus-Leni-
nismus beim ZK der SED. Berlin 1956ff.
I. Leben

0. Stuttgart (1770–1788) die Definitionen der idea clara schon von seinem
zwölften Jahr völlig inne« (R 26) – wahrschein-
Nach einem Dictum von Hegels Biographen Karl lich auf Grund des Wolffianischen Handbuchs
Rosenkranz ist die Geschichte eines Philosophen Elementa philosophiae rationalis sive compen-
»die G e s c h i c h t e s e i n e s D e n k e n s , die Ge- dium logicae. In usum publicum scholarum Wir-
schichte der Bildung seines Systems.« Doch läßt tembergicarum adornatum, dessen Verfasser ver-
sich diese Geschichte des Denkens zumeist nicht mutlich der bis 1774 amtierende Rektor des Gym-
unter Ausblendung der Geschichte des Lebens nasium illustre, Johann Christoph Knaus, ist
darstellen. Auch Rosenkranz hat deshalb jene (Pozzo 1989, 8–10; 1999, 16). Die ersten Ein-
Geschichte mit dieser verknüpft. Ohnehin gibt es tragungen des Tagebuchs gelten jedoch der Ge-
wohl kaum einen Philosophen, bei dem die Sta- schichte. Am 26.6.85 notiert Hegel sich nach
tionen seines Lebenswegs so eng an die Stationen einer Predigt über die »Confessio Augustana« von
seines Denkwegs gebunden sind wie bei Hegel. 1530, eine Bekenntnisschrift der Lutheraner, daß
Er widerlegt gleichsam antizipierend Diltheys hierdurch zumindest seine »Historische Kennt-
Behauptung über ihn, »daß die Epochen der in- niß« vermehrt worden sei; die Eintragung des
neren Entwicklung des Philosophen nicht über- folgenden Tages: »Noch keine Weltgeschichte hat
einstimmen mit dem jeweiligen Wechsel des Auf- mir besser gefallen als Schröks« impliziert eine
enthaltsorts.« Eine weitere Übereinstimmung der frühere Lektüre anderer, uns unbekannter »Welt-
Geschichten des Denkens und des Lebens sieht geschichten«, und in derselben Woche, am
Rosenkranz zurecht darin, daß sie, trotz aller 1.7.85, notiert er sich eine Definition von »prag-
Wandlungen, die sie durchlaufen, einer eigent- matischer Geschichte«. Sein »HauptAugenmerk«
lichen Dramatik entbehren: Wie der Lebensweg richtet er aber auf das »Griechische und La-
zwar durch mehrere geistige und politische Epo- teinische« (GW 1.30) und auf die Welt der An-
chen und Katastrophen hindurchführt, jedoch tike; sie bildet auch den Gegenstand einiger
keine »Katastrophen seines Schicksals« aufweist, Pflichtaufsätze aus diesen Jahren (GW 1.37–50).
so ist auch der Denkweg trotz einer Reihe von Eine Reihe weiterer Tagebuch-Eintragungen gilt
Zäsuren insgesamt durch Kontinuität geprägt – der Mathematik – ein Interesse, das dadurch
und dies, obgleich er nicht einmal als Weg eines verstärkt worden sein dürfte, daß Hegel zusätz-
Philosophen beginnt. lichen Privatunterricht in »Geometrie und etwas
Hegel besucht wahrscheinlich seit 1776 das Astronomie« beim »Obristen D u t t e n h o f e r« er-
Gymnasium, seit 1784 das »Obergymnasium« sei- hält, der ihn auch – mit anderen Schülern – »zum
ner Vaterstadt Stuttgart – und bereits hier tritt er Feldmessen vor’s Thor hinaus« nimmt (R 6).
durch schriftliche Leistungen hervor, während Zeitgenössische Politik wird im Tagebuch nicht
sein schlechter Vortrag schon damals mehrfach erwähnt – abgesehen von der Bemerkung, daß
getadelt wird. Über seine damaligen Interessen Bauern, »verwünschte Leute«, »dem Herzog alle
geben seine Exzerpte und auch sein »Tagebuch« Fenster in dem Schloß zu Scharnhausen einge-
Auskunft (Juni 1785 bis Januar 1787, GW 1.1–33) worfen« haben (GW 1.5). Auch neuere Literatur
– letzteres eigentlich eine Art »Bildungschronik«, wird hier nicht genannt – nur das Faktum, daß
ein Itinerar seiner Bildung, in dem er teils in der etwa Achtjährige von einem seiner »vereh-
deutscher, teils in lateinischer Sprache vor allem rungswürdigsten Lehrer«, dem Praeceptor Jo-
Details seines Werdegangs festhält. Die Eintra- hann Jakob Löffler, 18 Bände von Eschenburgs
gungen lassen jedoch nicht speziell philosophi- Shakespeare-Übersetzung geschenkt erhält (GW
sche, sondern sehr breit gefächerte Interessen 1.8). Ergänzend zum Tagebuch erwähnt Rosen-
erkennen. Hegel wird zwar schon im Gymnasium kranz nicht mehr überlieferte Exzerpte aus
in die damals herrschende Philosophie einge- » R o u s s e a u s Bekenntnissen«, eine Abschrift
führt. Nach seinem eigenen Bericht hat er die von Klopstocks Oden sowie Exzerptsammlungen
Wolffsche Logik »schon von seinem vierzehnten, zur Ästhetik, in denen »alle Lieblingsschriftstel-
2 I. Leben

ler jener Zeit« erscheinen: » R a m m l e r, Der Grundton der Spätaufklärung prägt auch
Dusch, Lessing, Wieland, Engel, Eber - die – nur noch sekundär überlieferten – Exzerpte
h a r d u . a .«. In der Herzoglichen Bibliothek in aus den Jahren 1785–1788 (GW 3.1–206). Sie
Stuttgart liest Hegel ein Kapitel aus »Batteux bilden eine wichtige, aber insofern einseitige
Einleitung in die schöne Wissenschaften« in Quelle unseres Wissens von Hegels Bildungs-
Ramlers Übersetzung – allerdings mit der Be- gang, als seine gut belegte Beschäftigung mit
gründung, »weil andere Bücher nicht da waren« antiker Literatur und Geschichte hier keinen Nie-
(GW 1.10). Kein Echo findet sich im Tagebuch derschlag findet. Gegenstand der Exzerpte sind
und in den Abhandlungen von den die Epoche primär philosophisch-pädagogische Werke – Fe-
der klassischen deutschen Philosophie einläuten- ders Der neue Emil, Dusch’ Briefe zur Bildung
den philosophischen Werken dieser Jahre: von des Geschmacks, Wünsch’ Kosmologische Unter-
Kants Kritik der reinen Vernunft oder von Jacobis haltungen für die Jugend, Zimmermanns Über
Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den die Einsamkeit, Campes Kleine Seelenlehre für
Herrn Moses Mendelssohn. Gegenstand des Kinder, Garves Versuch über die Prüfung der Fä-
Schulunterrichts – wie auch der Unterhaltung mit higkeiten sowie Sulzers Kurzer Begriff aller Wis-
seinem Lehrer bei Spaziergängen – ist vielmehr senschaften. Charakteristisch für die Spätaufklä-
die Lektüre von Mendelssohns Phädon (GW rung sind auch Friedrich Nicolais Beschreibung
1.10), und ausführlich exzerpiert Hegel Mendels- einer Reise durch Deutschland und die Schweiz
sohns Abhandlung Über die Frage: was heißt sowie die exzerpierten Periodica: die Allgemeine
aufklären? aus der Berlinischen Monatsschrift deutsche Bibliothek (die Hegels Vater abonniert
vom September 1784. hat), die Neue Bibliothek der schönen Wissen-
Trotz der thematischen Orientierung an der schaften und freyen Künste, die Berlinische Mo-
Antike atmen die überlieferten Texte Hegels den natsschrift und die Allgemeine Literaturzeitung.
Geist der etwas trockenen Spätaufklärung der Zumindest in dort erschienenen Rezensionen ist
zweiten Jahrhunderthälfte, der am Stuttgarter Hegel erstmals der Philosophie Kants begegnet:
Gymnasium sicherlich stärker ausgebildet war als seinem Begriff der Freiheit und seiner Bestim-
in den Klosterschulen des Landes, die Hölderlin mung des Verhältnisses von Metaphysik und Reli-
und Schelling besucht haben. Er durchzieht nicht gion (GW 3.189ff.).
allein Hegels offizielle Rede beim Abgang vom
Text: GW 1.1–50, GW 3.1–205. – Quellen: Lebensdoku-
Gymnasium (25.9.88), die den »allgemeinen und
mente in Br IV/1.3–17; Christiane Hegel, in HBZ 3 f. –
ausgebreiteten Nutzen der Wissenschaften« ins- Periodica: Friedrich Nicolai (Hg.): Allgemeine deut-
besondere darin sieht, »dem Staat für seine Be- sche Bibliothek. 1765–1796. Bde. 1–106: Berlin / Stet-
dürfnisse brauchbare und nützliche Mitglieder zu tin, Bde. 107–118: Kiel; Allgemeine Literatur-Zeitung.
erziehen« (GW 1.49), sondern auch das Tagebuch Jena / Leipzig 1788, 1792, 1796; Friedrich Gedike /
und die Abhandlungen. Der Aufsatz Ueber die Johann Erich Biester (Hg.): Berlinische Monatsschrift.
Berlin 1784, 1787; Neue Bibliothek der schönen Wis-
Religion der Griechen und Römer (10.8.87) sieht
senschaften und freyen Künste. Bd. 8. Leipzig 1769;
in den Anhängern der antiken Volksreligionen darin: Christian Garve: Versuch über die Prüfung der
»Menschen ohne Aufklärung, mit einer lebhaften Fähigkeiten. – Monographien: Johann Georg Sulzer:
Einbildungskraft« (GW 1.43), die allzu leicht den Kurzer Begriff aller Wissenschaften und andern Theile
klügeren und listigeren Priestern zum Opfer fal- der Gelehrsamkeit, worin jeder nach seinem Inhalt,
len. Dieses Verhältnis charakterisiert aber nicht Nuzen und Vollkommenheit kürzlich beschrieben wird.
2. ganz veränderte und sehr vermehrte Auflage. Leipzig
nur die Anfänge der Religionsgeschichte: »Der
1759; Johann Jakob Dusch: Briefe zur Bildung des
Pöbel aller Völker schreibt der Gottheit sinnliche Geschmacks. An einen jungen Herrn von Stande, T. 2.
und menschliche Eigenschaften zu und glaubt an Leipzig / Breslau 1765; Charles Batteux: Einleitung in
willkührliche Belohnungen und Bestrafungen« – die Schönen Wissenschaften. Nach dem Französischen
und dies »war beinahe zu allen Zeiten gleich.« des Herrn Batteux, mit Zusätzen vermehret von Karl
(GW 1.44) Im Aberglauben auch noch seiner Wilhelm Ramler, 3. und verbesserte Auflage, 4 Bde.
Leipzig 1769, ND Wien 1770; Moses Mendelssohn:
»aufgeklärten« Zeitgenossen findet Hegel diese
Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele, in drey
Einschätzung bestätigt – etwa in deren Glauben Gesprächen, 3. vermehrte und verbesserte Auflage.
an das »Wütende Heer« –, der ihn mit Cicero Berlin / Stettin 1769; [J. G. H. Feder]: Der neue Emil
ausrufen läßt: »o tempora! o mores!« (GW 1.9). oder von der Erziehung nach bewährten Grundsätzen.
1. Tübingen (1788–1793) 3

Erlangen 3 1774; Willhelm Shakespeare: Schauspiele. (1785–1787). Kulturstiftung der Länder – Patrimonia
Hg. von Joh. Joach. Eschenburg. Neue verbesserte Auf- 214. Hg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbin-
lage. 22 Bde. Straßburg 1778 / Mannheim 1783; Chri- dung mit der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer
stian Ernst Wünsch: Kosmologische Unterhaltungen Kulturbesitz. Berlin 2002.
für die Jugend. Bd. 2: Von den auf der Erde sich
ereignenden Phänomenen. Leipzig 1779; Johann Hein-
rich Campe: Kleine Seelenlehre für Kinder. o. O. 1784; 1. Tübingen (1788–1793)
Johann Georg Zimmermann: Ueber die Einsamkeit.
Leipzig 1784; Friedrich Nicolai: Beschreibung einer 1.1. Aufnahme in die Universität
Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre
1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Indu- Tübingen und ins »Stift«
strie, Religion und Sitten. Bde. 4–5. Berlin / Stettin
1785. – Literatur: Grundlegend für Hegels Biographie, Mehr noch als Karl Rosenkranz hat Rudolf Haym
wenn auch in vielen Details zu korrigieren, ist immer hervorgehoben, daß in den Tübinger Studien-
noch Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegel’s Leben. Berlin jahren »im Stillen« eine geistige Entwicklung He-
1844. – Neuere Biographien: Jacques D’Hondt: Hegel. gels erfolgt sei, »die wir nicht übersehen und
Biographie. Paris 1998; Terry Pinkard: Hegel. A Bio-
nicht unterschätzen dürfen, wenn wir seine spä-
graphy. Cambridge u. a. 2000; Hans Friedrich Fulda:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel. München 2003, teren Leistungen begreifen wollen« (31); die spä-
22–61,268–301. – Die lebendig geschriebene, aber mit tere Forschung ist ihm hierin gefolgt. Doch sind
Fehlern durchsetzte Darstellung von Horst Althaus: aus dieser Zeit keine direkten Zeugnisse über-
Hegel und Die heroischen Jahre der Philosophie. Eine liefert, die ausführliche oder wenigstens zuver-
Biographie. München / Wien 1992, gleitet mehrfach ins lässige Auskunft über sein Leben und seine Inter-
Romanhafte ab.
essen gäben. Die Forschung ist deshalb ange-
Zu Stuttgart: R 3–25; Carmelo Lacorte: Il primo
Hegel. Firenze 1959; Bernhard Teyssèdre: Hegel à wiesen auf allgemeine Übersichten über die Si-
Stuttgart. In: Revue philosophique de la France et de tuation an der Universität und im herzoglichen
l’étranger 150 (1960), 197–227; Hegel 1770–1970. Le- »stipendium theologicum«, dem »Tübinger Stift«,
ben, Werk, Wirkung. Eine Ausstellung des Archivs der sowie auf spätere Nachrichten Dritter. Auch die
Stadt Stuttgart. Katalog von Friedhelm Nicolin. Stutt- ausführlicheren Nachrichten über Hölderlins und
gart 1970, 9–57; Friedhelm Nicolin (Hg.): Der junge
Schellings Leben im Stift erlauben einige Rück-
Hegel in Stuttgart. Aufsätze und Tagebuchaufzeichnun-
gen 1785–1788. Stuttgart 1970; Hölderlin. Zum 200. schlüsse auf Hegel.
Geburtstag. Eine Ausstellung des Schiller-Nationalmu- Die bekannten Namen dieses »Dreigestirns«
seums Marbach a. N. Katalog von Werner Volke. Mün- lassen heute leicht übersehen, daß die damalige
chen 1970, 11–45; José Maria Ripalda: Poesie und Poli- Lage der Universität wie des Stifts keineswegs als
tik beim frühen Hegel. HS 8 (1973), 91–118; Christoph günstig zu beurteilen ist. Hegel wird am 27.10.88
Jamme / Otto Pöggeler (Hg.): »O Fürstin der Heimath!
an der – damals bereits 300 Jahre alten – Eber-
Glükliches Stuttgard«. Politik, Kultur und Gesellschaft
im deutschen Südwesten um 1800. Stuttgart 1988; Ric- hard-Karls-Universität immatrikuliert, die zu die-
cardo Pozzo: Hegel: »Introductio in philosophiam«. Da- ser Zeit von Herzog Carl Eugen zu Gunsten der
gli studi ginnasiali alla prima logica (1782–1801). Fi- von ihm gegründeten »Karlsschule« vernachläs-
renze 1989; Volker Schäfer: Hegel im Landexamen. sigt wird, was auch in stark sinkenden Studenten-
Eine Ergänzung. HS 24 (1989), 15–20; Friedhelm Nico- zahlen zum Ausdruck kommt. Bereits am
lin: Von Stuttgart nach Berlin. Die Lebensstationen
21.10.88 wird Hegel – auf herzoglichen Befehl
Hegels. In: Marbacher Magazin. Sonderheft 56 (1991);
Gonzalo Portales: Hegels frühe Idee der Philosophie. vom 16.9. – in das »Stift« aufgenommen, dem
Zum Verhältnis von Politik, Religion, Geschichte und allerdings die besondere Sorgfalt des Herzogs
Philosophie in seinen Manuskripten von 1785 bis 1800. gilt. Im Stift lebt ein Großteil der Studenten; sie
Stuttgart-Bad Cannstatt 1994; Ricardo Pozzo: Zu Hegels werden dort über die universitäre Lehre hinaus-
Kantverständnis im Manuskript zur Psychologie und gehend sowohl durch die klösterlich-strenge Le-
Transzendentalphilosophie aus dem Jahre 1794 (GW 1,
bensführung wie auch durch wissenschaftliche
Text Nr. 27). In: Martin Bondeli / Helmut Linneweber-
Lammerskitten (Hg.): Hegels Denkentwicklung in der und praktische Übungen auf den künftigen Beruf
Berner und Frankfurter Zeit. München 1999, 15–29; des Pfarrers vorbereitet, und diese »Stiftler« bil-
Hermes Spiegel: Zur Entstehung der Hegelschen Philo- den gegenüber den übrigen, in der Stadt Tü-
sophie – Frühe Denkmotive. Die Stuttgarter Jahre bingen lebenden Studenten, den »oppidani«, eine
1770–1788. Frankfurt am Main 2001; Georg Wilhelm besondere – und auch etwas elitäre – Gruppie-
Friedrich Hegel. Tagebuch aus der Schulzeit in Stuttgart
rung. In der vorgeschriebenen Verpflichtungsur-
4 I. Leben

kunde, die Hegel und sein Vater bei der Auf- sechs Wochen nach ihrer Immatrikulation, am 3.
nahme ins Stift unterzeichnet haben, wird Hegel Dezember 1788, in einem feierlichen Akt die
in den Mund gelegt, er sei »auf mein unter- Baccalaureatswürde. Als Primus der Stuttgarter
tänigstes Bitten und Anhalten, mich zu fruchtba- »Promotion«, d. h. der Absolventen eines Jahr-
rer Vollbringung meiner angefangenen Studien gangs, hat Hegel hierbei die – nicht überlieferte –
(die ich dann mit Verleihung göttlicher Gnade, Dankesrede zu halten (Br 4/1.34). Die gleich-
allein auf die Theologiam, damit ich mit der Zeit zeitig im Rückgriff auf ein Stuttgarter Manuskript
in der Kirchen GOttes, oder bei Schulen, zu (GW 1.46–48) entstandene, dem Bildungssystem
einem Diener, nach seinem göttlichen Willen, gegenüber kritische Abhandlung Über einige Vor-
und Ihrer Herzogl. Durchlaucht, auch Dero ver- theile, welche uns die Lektüre der alten klassi-
ordnetem Beruf gemäß, gebraucht werden möge, schen Griechischen und Römischen Schriftsteller
zu richten, endlichen fürnehmens) in Ihrer Her- gewährt (GW 1.51–54) könnte mit der Verleihung
zoglichen Durchlaucht Theologisches Stipen- der Würde, wenn auch nicht mit der Rede in
dium zu Tübingen gnädigst aufgenommen« – mit Verbindung stehen.
der Maßgabe, im Falle einer Verweigerung künf- An der Philosophischen Fakultät lehren damals
tiger Dienste oder der Unwürdigkeit zu solchen der Ephorus des Stifts und Orientalist Christian
Diensten die »a dato meiner Rezeption auf mich Friedrich Schnurrer, der Naturwissenschaftler
gewendete Unkosten, und zwar für jedes Jahr, und Mathematiker Christoph Friedrich Pfleide-
allein vor die Kost, Sechzig Gulden, ohngewei- rer (ein hervorragender Kenner Euklids), der
gert und vollkommentlich zu refundieren« (Br Historiker Christian Friedrich Roesler sowie die
IV/1.19 f.). Philosophen August Friedrich Boek, der an der
Die Aufnahme in das Tübinger Stift zeigt nicht späten Aufklärung orientiert ist, aber auch über
etwa Bedürftigkeit an; es werden vielmehr in der Geschichte der Philosophie und alte klassische
Regel die Söhne aus der geistig führenden und Schriftsteller lehrt, und Johann Friedrich Flatt,
keineswegs mittellosen Schicht der Beamten und der sich kritisch mit Kant und auch mit Jacobi
Geistlichen, der »Ehrbarkeit«, aufgenommen. auseinandersetzt und 1792 in die Theologische
Die Jahre, die Hegel im Stift verbringt, dürften zu Fakultät wechselt; an seine Stelle tritt der vor-
den spannungsreichsten in dessen Geschichte malige Repetent Johann Friedrich Gaab. Der Lo-
zählen. Wenige Jahre vor seinem Eintritt haben giker Gottfried Ploucquet hält damals seiner Er-
Wilhelm Ludwig Wekhrlin und Karl Friedrich krankung wegen keine Vorlesungen mehr; er
Reinhardt (der spätere Pair von Frankreich) hef- stirbt 1790 (Br 4/1.23–25). Welche der damals in
tige Kritik an den dortigen Zuständen geübt; die der Philosophischen Fakultät gehaltenen Vorle-
Differenz, so Reinhardt, zwischen »der freyen, sungen (Br 4/1.23–25) Hegel gehört hat, ist nicht
beynahe ausgelassenen Denkungsart […] und bekannt; das Magisterprogramm hält lediglich
der höchst sclavischen Behandlungsart, der man fest: »Praeter consueta audiit Dn. Prof. R o e s -
unterworfen ist« – etwa den Karzerstrafen, die l e r, novellas tradentem; Dn. Prof. F l a t t libros
auch Hegel 1791 wegen unerlaubter Abwesenheit de natura Deorum et Psych. empiricam expli-
verbüßen mußte – lasse »den Denker eine Revo- cantem; nec non Dn. M. Rep. B a r d i l i de usu
lution ahnden, die beynahe unvermeidlich ist« scriptorum profanorum in Theologia disseren-
(Hegel 1770–1970, 80). Neue Statuten werden tem« (letzteres ist eine Lehrveranstaltung im
aber erst am 12. Mai 1793 eingeführt, also zwei Stift) (Br 4/1.34). Parallel zu den philosophi-
Monate bevor Hegel Stift und Universität wieder schen hört Hegel auch theologische Vorlesungen.
verläßt. Rosenkranz erwähnt die »sehr gut nachgeschrie-
benen Collegienhefte« Hegels zu Schnurrers öf-
fentlicher Vorlesung über Apostelgeschichte und
1.2. Studium der Philosophie Privatvorlesung über den ersten Teil der Psalmen
(1788/89), den zweiten Teil der Psalmen und die
Das Studium baut sich auf aus einem zweijähri- öffentliche Vorlesung über die katholischen
gen Studium der Philosophie, gefolgt von einem Briefe (1789), zu Roeslers Privatvorlesung von
dreijährigen Studium der Theologie. Im Philo- 1789/90 über Geschichte der Philosophie (»fata et
sophiestudium erhalten die Studenten bereits opiniones praecipuorum Philosophorum«) und
1. Tübingen (1788–1793) 5

zu Flatts Vorlesungen über Ciceros De natura 1.3. Studium der Theologie


deorum (1789) sowie über Metaphysik und über
natürliche Religion (1790). Diese Hefte sind 1855 Am 22. November 1790 immatrikuliert Hegel
bei einer Reduzierung von Hegels Nachlaß durch sich an der theologischen Fakultät; dort lehren
die Söhne vernichtet worden. – Ferner lassen sich damals Gottlob Christian Storr sowie der Kanzler
aus den Inauguralthesen zum Magisterprogramm der Universität, Johann Friedrich Le Bret, Jo-
(Br 4/1.30–32) und aus den Themen der Speci- hann Friedrich Märklin und Ludwig Joseph Uh-
mina dieser Jahrgänge die an der Universität land, seit 1792 auch Flatt. Nach Rosenkranz hört
behandelten Themen ersehen – wobei der starke Hegel im »eigentlich theologischen Cursus
Anteil an mathematischen Arbeiten überrascht. 1790–93« fast nur bei Storr, und zwar »das Evan-
Der Einfluß dieser Professoren auf Hegel läßt gelium Lukas, Matthäus, Johannes, den Römer-
sich durch die Wirkung von Flatts Psychologie- brief und andere Briefe, außerdem aber die Dog-
Vorlesung auf Hegels Berner Manuskript zur Psy- matik« (R 25). Bekannt ist ferner, daß im Stift drei
chologie und Transzendentalphilosophie (s. 67 ff.) Jahre lang, bis 1793, die loci nach dem Compen-
belegen, sonst jedoch allenfalls vermuten – etwa dium Theologiae Dogmaticae (1782) von Chri-
auf Grund der Bedeutung, die Pfleiderer für stoph Friedrich Sartorius, einer sehr konserva-
Schellings Platon-Studien gewinnt. Mehr noch tiven Dogmatik, durchgearbeitet werden. Hegel
als die Professoren der Universität haben an- mischt sich jedoch (nach Christoph Theodor
scheinend die Repetenten im Stift – und insbe- Schwab) in diese Erörterungen und Streitigkei-
sondere die kantianisierenden Repetenten, allen ten nicht ein und kann die angesehene Glaubens-
voran Immanuel Carl Diez, der »Kantische en- lehre Storrs auch nicht leiden. Dies spricht so-
ragé« – auf die Bildung der Studenten Einfluß wohl für die Glaubwürdigkeit von Christiane He-
gewonnen. Diese Beziehungen scheinen jedoch gels Bericht, daß er »als Magister noch die Rechte
mehr individueller Natur gewesen zu sein; es studieren« will, als auch von Leutweins Bemer-
lassen sich keine Rückschlüsse etwa von der ge- kung, es sei »seines Vaters Entgegenstreben« ge-
sicherten Bedeutung Karl Philipp Conz’ für Höl- wesen, was ihn davon abgehalten habe. Mit dem
derlin auf sein Verhältnis zu Hegel ziehen. Wechsel des Studiums wäre auch ein Austritt aus
Am 22.9.90 erhält Hegel das Magisterdiplom, dem Stift – mit Rückerstattung der entstandenen
das zwar weniger angesehen ist als der anderen- Kosten – verbunden gewesen.
orts verliehene Grad eines »Doktors der Welt- Während des Theologiestudiums ist Hegel im
weisheit«, diesem aber formell als gleichrangig Jahr 1791 wegen eines anhaltenden Fiebers
gilt. Das für diesen Tag angekündigte Magister- mehrfach für eine Kur nach Stuttgart beurlaubt,
Programm hält – neben dem Rückblick auf von ebenso zu Beginn des Jahres 1793. Die einzigen
Hegel besuchte Vorlesungen sowie auf seine Bac- Zeugnisse seines Studiums, die vier überlieferten
calaureatsrede – hierzu fest: »Dissertationem de- Predigten aus den Jahren 1792/93, bilden Pflicht-
fendit Praeside Dn. Prof. B o e k , de limite offi- übungen, die noch nirgends auf Hegels etwa
ciorum humanorum seposita animi immortali- gleichzeitig einsetzende Studien über die Reli-
tate.« Rosenkranz hat dies mißverstanden, als sei gion vorausweisen. Im Juni 1793 schließt er sein
Hegel der Verfasser dieser Dissertation gewesen; Theologiestudium ab; er verteidigt gemeinsam
Hegel verteidigt aber nur – gemeinsam mit Fink, mit Hölderlin und sieben weiteren Kandidaten
Autenrieth und Hölderlin – dem vorherrschen- eine theologische Dissertation Le Brets: »De ec-
den Brauch entsprechend die von Boek geschrie- clesiae Wirtembergicae renascentis calamitati-
bene Dissertation. Ferner erwähnt das Magister- bus«. In seiner Promotion nimmt Hegel den vier-
Programm noch zwei von Hegel (im Jahr 1790 ten Rang ein. Das Abschlußexamen aus dem Tü-
ebenfalls im Umkreis von Boek) geschriebene, binger Stift hält sowohl seine Stärken als auch
jedoch bereits Rosenkranz unbekannt gebliebene seine Schwächen fest; so heißt es unter anderem
Specimina: »Ueber das Urtheil des gemeinen »Studia theologica non neglexit« und »Philologiae
Menschenverstands über Objectivitaet und Sub- non ignarus«, jedoch »philosophiae multam ope-
jectivitaet der Vorstellungen« und »Ueber das Stu- ram impendit« – und nicht, wie durch einen
dium der Geschichte der Philosophie« – ein späteren Abschreibefehler entstanden und durch
Thema, das Hegel sein Leben lang gefesselt hat. Eduard Zeller verbreitet, »philosophiae nullam
6 I. Leben

operam impendit« (1845, 205 f.) – ein Fehler, der Freunde nach ihrer räumlichen Trennung ge-
Hegels späteren Kritiker Rudolf Haym (1857, 40) wechselt haben. In seinem ersten Brief an Hegel
zu der Behauptung veranlaßt, Hegels Lehrer hät- erinnert Hölderlin daran, daß sie »mit der Lo-
ten ihm das Zeugnis auf den Weg mitgegeben, sung ›Reich Gottes‹ voneinander schieden«
daß er »ein Idiot in der Philosophie sei«. (10.7.94). Ähnlich betont Hegel gegenüber Schel-
Wenig später, am 10.7., also noch vor dem ling: »Vernunft und Freiheit bleiben unsre Lo-
Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die sung, und unser Vereinigungspunkt die unsicht-
»Irreligiosität« im Stift, verläßt Hegel Tübingen – bare Kirche« – und: »Das Reich Gottes komme,
wie der Ephorus Schnurrer leicht mißgünstig an und unsre Hände seien nicht müßig im Schoße«
J. E. H. Scholl schreibt, »unter dem Vorwande (Ende Januar 95). Es gibt aber keinen Anlaß,
einer Cur«; und Schnurrer fährt fort: »sein langer diese Formeln als Zeugnisse für eine exklusive
Aufenthalt zu Hauß, wo er selbst vielleicht mehr Freundschaftsbeziehung Hegels, Hölderlins und
gilt als der Vater, möchte keine eigentliche Vorbe- Schellings zu interpretieren. Für Hegels Freun-
reitung auf das nicht eben zwanglose Leben eines deskreis werden vorwiegend andere Namen ge-
Hofmeisters seyn.« Wahrscheinlich entsteht erst nannt – Christian Philipp Friederich Leutwein,
in der Muße dieser Sommer- und Herbstmonate der bereits erwähnte Fallot, aber auch Hegels
in Stuttgart das sog. »Tübinger Fragment«, zumal Kompromotionalen Karl Christian Renz, Jakob
dieses (GW 1.99 f.) – wie auch seine vierte Pre- Friedrich Märklin und insbesondere Johann
digt (vom 16.6.93) (GW 1.555–557) – die Kennt- Christian Friedrich Fink. Hegel hat ihn mehrfach
nis von Kants erst zur Ostermesse 1793 erschiene- in seinem Heimatort besucht, wie auch jener ihn
ner Religionsschrift voraussetzt. in Stuttgart und auch später noch in Frankfurt auf
der Durchreise (R 34); beide haben auch im
Briefwechsel gestanden. Rosenkranz bezeichnet
1.4. Freundeskreis im Tübinger Stift ihn als »Hegel’s treuesten Camaraden« oder
»Herzenscamaraden« (R 29 f.) – wobei allerdings
Etwas reichhaltiger, wiewohl keineswegs lücken- zu berücksichtigen ist, daß Fink eine Hauptquelle
los sind die Nachrichten über Hegels geselligen seiner Darstellung der Stiftszeit ist.
Umgang im Stift. Sie stimmen darin überein, daß Die Nachrichten über Schelling und Hölderlin
Hegel trotz seines gelegentlich »genialischen Be- widersprechen dem aber nicht. Hölderlin steht in
tragens« ein angenehmer und gern gesehener engem Freundschaftsbund mit Christian Ludwig
Gesellschafter gewesen sei – auch beim Karten- Neuffer und Rudolf Magenau, der auch durch
spiel und beim reichhaltig genossenen Wein. Und Briefe hinreichend belegt ist. Mitte November
obgleich ihm sein Mangel an körperlicher Ge- 1790 schreibt er zwar seiner Schwester, er wolle
wandtheit, ja seine Unbeholfenheit oft hinderlich mit Hegel einen Spaziergang zur Wurmlinger
gewesen sei, und dies nicht allein beim Tanzen, Kapelle machen – aber dies verrät keine be-
sei er gegenüber den Mädchen sehr »küsselustig« sondere Beziehung, ebensowenig wie Hölderlins
gewesen. Sein Kommilitone Georg Friedrich in einem Brief an die Mutter ausgedrückter
Fallot zeichnet Hegel allerdings in dessen Schmerz darüber, daß er »in der Lokation um die
Stammbuch als einen gebückten, auf zwei Stöcke zwei Stuttgarder, Hegel und Märklin, hinunter-
gestützten alten Mann und fügt die Worte hinzu: gekommen« sei. Auch die Nachricht, Hegel habe
»Gott stehe dem alten Mann bey« – allerdings mit Hölderlin und Schelling – also nach dessen
auch die Losung »Vive A!«, die nicht auf die Eintritt ins Stift im Jahre 1790 – dieselbe Stube
Heroen der Revolution anspielt, sondern auf Au- bewohnt, darf nicht zur Retrojektion des aus spä-
guste Hegelmeier, die Tochter eines verstorbenen terer Zeit berühmten Dreigestirns in die Tü-
Tübinger Theologieprofessors, der damals viele binger Studienzeit führen. Denn Hölderlin
und so auch Hegel den Hof machen. schreibt im erwähnten Brief an die Schwester
Die Quellen aus der Tübinger Zeit deuten nicht weiter: »Sieben von meiner Promotion sind
an, daß Hegel damals in einer besonders engen drauf. Ich darf Dir nicht erst sagen, daß das
Verbindung mit Hölderlin und Schelling gestan- angenemer ist, als 6 andere Unbekannte. Und die
den habe. Ihr Schweigen scheint jedoch durch die Wenigen andern sind auch brave Leute, darunter
ersten Briefe korrigiert zu werden, die die [Karl Wilhelm Friedrich] Breier und Schelling« –
1. Tübingen (1788–1793) 7

also zumindest zehn Studenten. (Bertaux 1969, sein.« (R 41) Die Sympathie für die Französi-
50, wörtlich übernommen von Jamme 1983, 35, schen Revolution war allerdings im Stift weit
unterdrückt den Hinweis auf die sieben Kompro- verbreitet – und nicht nur wegen der zahlreichen
motionalen und resümiert, Hölderlin habe also Studenten aus dem französischen, jedoch dem
mit Hegel, Schelling und Breyer die Stube ge- Herzog von Württemberg unterstehenden Möm-
teilt.) pelgard (Montbéliard) (Jacobs 1989, 12 f.; Kon-
Über damalige Verbindungen Hegels mit dylis, 186–217). Gerade deshalb kann sie aber die
Schelling sind keine Zeugnisse erhalten. Schel- Behauptung besonders enger Beziehungen zwi-
lings Sohn Karl Friedrich August hingegen be- schen Hegel und Schelling nicht stützen. Und die
richtet, die Freundschaft zwischen seinem Vater von Albert Schwegler mehr ausgeschmückte als
und Hegel habe sich »mehr auf ihre wissen- überlieferte »mythische« (R 29) Erzählung, Schel-
schaftliche Denkweise« bezogen »als aufs Ge- ling und Hegel seien an einem schönen klaren
sellige, dem Hegel anderwärts nachging«. Viel- Frühlingsmorgen »mit noch einigen Freunden
leicht habe nur ein »starkes, dauerndes Verbin- auf eine Wiese unweit Tübingen gegangen und
dungsmittel« Hegel und Schelling einander genä- hätten dort einen Freiheitsbaum aufgerichtet«, ist
hert, »nämlich Kant.« Im Blick auf die jetzt durch Vergleich mit Schweglers Quelle –
philosophische Lektüre Hegels bieten die Quel- dem Bericht Leutweins – als Produkt seiner my-
len jedoch gegensätzliche Nachrichten. Leutwein thopoietischen Kraft zu verwerfen – bestenfalls
berichtet, Hegels »Held war Jean Jacques Rous- als Kontamination mit einem späteren Vorgang
seau, in dessen Emil, contrat social, confessions; (Plitt 3.251 f.). Nach einer anderen Nachricht sol-
[…] Auf seine nachmaligen Ansichten gerieth er len revolutionär gesinnte Stiftler den Freiheits-
erst im Auslande; denn in Tübingen war ihm baum am 14.7.93 errichtet haben, dem Jahrestag
nicht einmal Vater Kant recht bekannt.« Über des Sturms auf die Bastille (StA VI.618; Beck
Kant habe Leutwein deshalb in einem anderen 1947, 38) – doch hat Hegel damals Tübingen
Kreis konversiert; bei Hegel habe er damit »we- bereits verlassen; von der Zeit der Terreur
nig Anklang finden« können. »Dieser war ein (2.6.93–27.7.94) verbringt Hegel ohnehin nur
Eklektiker; und schweifte noch im Reiche des noch die ersten vier Wochen in Tübingen.
Wissens cavalieremente herum.« Schwab hinge- An die Stelle dieser früheren mythopoietischen
gen berichtet von eben den frühen Studienjahren, Ausgestaltung der Überzeugung von der Revolu-
in denen Leutwein mit Hegel befreundet war, tionsbegeisterung »der Stiftler« treten heute
dieser sei »eifrig mit der Philosophie beschäftigt« quasi-historische Detailaussagen – daß etwa He-
gewesen; »er ›pritschte‹, wie seine Freunde er- gel und Hölderlin den Untergang der »Gironde«
zählten, den Kant«. Die Briefe, die Hegel aus am 31.5.93 als Katastrophe erlebt hätten (Jamme
Bern an Hölderlin und Schelling gerichtet hat, 1983, 197), oder daß »die Stiftler« die Hinrich-
lassen jedoch nicht auf ein sehr intensives Kant- tung Ludwigs XVI. am 21.1.93 nicht als »Va-
Studium in der Tübinger Zeit schließen; sie spre- termord«, sondern als einen (gerechtfertigten)
chen eher für Leutweins Bericht. (Auch im Blick Tyrannenmord gedeutet hätten (Bertaux 1969,
auf die Behauptung, Hegel sei ein »derber Jakobi- 53, unter Hinweis auf StA III.63,95). Solche Be-
ner« gewesen, und auf die Legende vom Frei- hauptungen lassen eines leicht übersehen: Es gibt
heitsbaum ist Schwabs Überlieferung mit Vor- keine einzige zeitgenössische Aussage von oder
sicht zu betrachten.) über Hegel zu seiner damaligen Stellung zur Re-
Rosenkranz – dessen Urteil sich auf Aussagen volution und den in ihrem Gefolge entstandenen
nicht genannter Dritter, vermutlich Finks, stützt – Richtungen – anders als etwa bei Hölderlin. Die
setzt den Ursprung der späteren Bindungen zwi- Spärlichkeit der Überlieferung verleitet zu Ge-
schen Hegel und Schelling nicht in ein gemein- neralisierungen einzelner Nachrichten. Diese
sames Interesse an Kants Philosophie, sondern in zwar verständliche, aber für eine historische For-
politische Sympathie und in das Zusammentref- schung unakzeptable Tendenz manifestiert sich
fen im politischen »Clubb«, dem sog. »Unsinns- bereits im gängigen, potentielle Differenzen me-
kollegium«: »Daß die Philosophie als solche da- thodisch einebnenden Plural »die Stiftler« oder
mals eine d i r e c t e Verbindung unter ihnen be- gar in der Rede von einer »Tübinger Axiomatik«
gründet hätte, scheint nicht der Fall gewesen zu (Kondylis, passim) – als ob »die Stiftler« in politi-
8 I. Leben

schen und theologischen Dingen jeweils homoge- Württembergischen Magisters [1802]. Hg., eingeleitet
ner Ansicht gewesen sein müßten. und kommentiert von Johannes Weber. Frankfurt am
Die Grenzen zur Mythisierung überschreitet Main 1989; R 25–41; Immanuel Hermann Fichte: He-
gels philosophische Magister-Dissertation und sein Ver-
wiederum die Rede von einer »apokalyptischen hältniß zu Schelling. In: Zeitschrift für Philosophie und
Stimmung«, »die die Schriften der Tübinger speculative Theologie 13 (1844), 142–154; Christoph
Freunde beseelt«. »Die eschatologische Erwar- Theodor Schwab: Hölderlins Leben. In: Hölderlin:
tung, der Glaube, das Reich Gottes stehe vor der Sämtliche Werke. Bd. 2. Stuttgart und Tübingen 1846,
Tür und die Schicksalstunde der Menschheit 279; Rudolf Haym: Hegel und seine Zeit. Vorlesungen
habe schon geschlagen, sowie die Lust, an die- über Entstehung und Entwickelung, Wesen und Werth
der Hegel’schen Philosophie. Berlin 1857, 29–38; Karl
sem Vorgang, in dem sich Himmel und Erde zu Klüpfel: Geschichte und Beschreibung der Universität
verschmelzen scheinen, zumindest geistig teilzu- Tübingen. Tübingen 1849, 260–275; Eduard Zeller:
nehmen, bilden die eigentliche Quelle der In- Ueber Hegels theologische Entwicklung. In: Theologi-
spiration der Stiftler […]. Ihre Theologie ist Of- sche Jbb 4 (1845), 192–206; K. F. A. Schelling: Schel-
fenbarung und revolutionäres Sektierertum, ihre lings Leben. In: G. L. Plitt (Hg.): Aus Schellings Leben.
Politik ist Übertragung von eschatologischen Er- In Briefen. 3 Bde. Leipzig 1869, Bd. 1. 1–89; Julius
Klaiber: Hölderlin, Hegel und Schelling in ihren
wartungen auf weltliche Vorgänge.« (Kondylis, 46 schwäbischen Jugendjahren. Eine Festschrift zur Jubel-
et passim) Diese Deutung kann sich zwar auf feier der Universität Tübingen. Stuttgart 1877, ND
Hölderlins Berufung auf die »Reich-Gottes«-Lo- Frankfurt am Main 1981, 61–102; Wilhelm Dilthey: Die
sung stützen – und doch braucht man nur Hegels Jugendgeschichte Hegels und andere Abhandlungen
Briefe oder Manuskripte zu lesen, um diese Lo- zur Geschichte des deutschen Idealismus [1905]. In:
sung zu relativieren. Auch Kondylis räumt ein, Dilthey: Gesammelte Schriften. Bd. 4. Stuttgart 1959,
5–187; Walter Betzendörfer: Hölderlins Studienjahre
daß »die apokalyptische Stimmung im Tübinger im Tübinger Stift. Heilbronn 1922, 99; Adolf Beck: Aus
Fragment [s. 60 ff.] selbst nicht ausdrücklich zur der Umwelt des jungen Hölderlin. Stamm- und Tage-
Sprache gebracht wird«; dennoch sei sie »seine bucheinträge. In: Hölderlin-Jb 1947, 18–46; Heinrich
tragende Kraft: sie treibt Hegel an, zur Feder zu Hermelink: Geschichte der evangelischen Kirche in
greifen, und zwar […] als selbstbewußter Volks- Württemberg von der Reformation bis zur Gegenwart.
erzieher« (77). Man muß sehr wenig von der Das Reich Gottes in Wirtemberg. Stuttgart / Tübingen
1949, 310–314; Martin Leube: Das Tübinger Stift
ursprünglichen Bedeutung der Worte »Apokalyp- 1770–1950. Stuttgart 1954, 106–113; Gisela Schüler:
tik« oder »eschatologische Erwartung« wissen, Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften. HS 2
wenn man sie in Verbindung mit dem Denken (1963), 111–159; Dieter Henrich: Leutwein über Hegel.
»der Stiftler« oder gar mit dem allgemein spätauf- Ein Dokument zu Hegels Biographie. HS 3 (1965),
klärerischen Programm einer Volkserziehung 39–77; Martin Brecht / Jörg Sandberger: Hegels Be-
bringt. – Ein plastisches, wiewohl ironisches Bild gegnung mit der Theologie im Tübinger Stift. Eine
neue Quelle für die Studienzeit Hegels. HS 5 (1969),
der damals im Stift und seinem weiteren Umkreis 47–81; Pierre Bertaux: Hölderlin und die Französische
herrschenden Spannungen zwischen Revoluti- Revolution. Frankfurt am Main 1969; Joachim Ritter:
onsbegeisterung und Ernüchterung entwirft hin- Hegel und die französische Revolution. In: Ritter: Me-
gegen Pahls zeitgenössischer Roman, die Ge- taphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel.
schichte des Magisters Ulrich Höllriegel (1802). Frankfurt am Main 1969, 183–255; Manfred Riedel:
Studien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt am
Quellen: GW 1; Lebensdokumente in Br IV/1.17–55; Main 1969, 1 Stuttgart 2 1982; Hegel 1770–1970, 58–95;
HBZ 7–19; Hölderlin: Sämtliche Werke. Große Stutt- Hölderlin. Zum 200. Geburtstag, 84–143; Dieter Hen-
garter Ausgabe, Bd. 6,1.53,57; Gottlob Christian Storr: rich: Historische Voraussetzungen von Hegels System.
Adnotationes quasdam theologicas ad philosophicam In ders.: Hegel im Kontext. Frankfurt am Main 1971,
Kantii de religione doctrinam. Tübingen 1793; deutsch: 41–72; Martin Brecht: Hölderlin und das Tübinger Stift
Bemerkungen über Kant’s philosophische Religions- 1788–1793. In: Hölderlin-Jb 18 (1973/74), 20–48; Mar-
lehre. Aus dem Lateinischen. Nebst einigen Bemer- tin Brecht: Die Anfänge der idealistischen Philosophie
kungen des Uebersezers über den aus Principien der und die Rezeption Kants in Tübingen (1788–1795). In:
praktischen Vernunft hergeleiteten Ueberzeugungs- Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen
grund von der Möglichkeit und Wirklichkeit einer Of- 1477–1977. Tübingen 1977, 381ff.; Panajotis Kondylis:
fenbarung in Beziehung auf Fichte’s Versuch einer Cri- Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der gei-
tik aller Offenbarung. Tübingen 1794, ND Bruxelles stigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel
1968. – Literatur: Johann Gottfried Pahl: Ulrich Höll- bis 1802. Stuttgart 1979; Philippe Muller (Hg.): Reli-
riegel. Kurzweilige und lehrreiche Geschichte eines gion et politique dans les années de formation de Hegel.
1. Tübingen (1788–1793) 9

Lausanne 1982; Christoph Jamme: ›Ein ungelehrtes goldenen Ochsen« in Stuttgart, Johannes Brod-
Buch‹. Die philosophische Gemeinschaft zwischen Höl- hag, der auch zuvor schon in die Vermittlung
derlin und Hegel in Frankfurt 1797–1800. HSB 23
Schwindrazheims eingeschaltet gewesen ist;
(1983); Dieter Henrich: Philosophisch-theologische
Problemlagen im Tübinger Stift zur Studienzeit Hegels, Brodhag zieht über Hegel Erkundigungen ein
Hölderlins und Schellings. In: Hölderlin-Jb 25 und teilt am 28.7. v. Rütte mit, daß seine Ge-
(1986/87), 60–92, ND in Henrich: Konstellationen. währsmänner »dem H. M: Hegel das Beste zeug-
Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen nis gegeben, daß er ein rechtschaffener Mensch
Philosophie (1789–1795), 171–213; Wilhelm G. Jacobs: seye, u. sehr guth vor Junge Herren als Hof-
Zwischen Revolution und Orthodoxie? Schelling und
meister Tauge«. Brodhag ist auch Ende August
seine Freunde im Stift und an der Universität Tü-
bingen. Texte und Untersuchungen. Stuttgart-Bad nochmals vermittelnd tätig, durch Weiterleitung
Cannstatt 1989; Riccardo Pozzo: Hegel: »Introductio in des Briefes Hegels an v. Rütte vom 24.8.93. Hier
philosophiam«. Dagli studi ginnasiali alla prima logica erwähnt Hegel »gegenwärtige Verhältnisse«, die
(1782–1801). Firenze 1989; Michael Franz: Schellings es ihm nicht erlauben, »eine bestimmte Erklä-
Tübinger Platon-Studie. Göttingen 1996; Dieter Hen- rung vor 14 Tagen« geben zu können, aber auch
rich (Hg.): Immanuel Carl Diez: Briefwechsel und Kan-
gewisse Bedenken, ob die ihm angebotenen »15
tische Schriften. Wissensbegründung in der Glaubens-
krise. Tübingen / Jena (1790–1792). Stuttgart 1997; Louisd’or zur Bestreitung der notwendigen Be-
Dieter Henrich: Grundlegung aus dem Ich. Untersu- dürfnisse hinreichend sein werden«. In seinem
chungen zur Vorgeschichte des Idealismus. Tübingen – Beibrief vom 25.8. präzisiert Brodhag diese Be-
Jena 1790–1794. Frankfurt a. M. 2004. denken durch die Erwähnung von »25 Louisd’or
zur Schwabenväter-Legende: Robert Schneider: Salarium«, die ein Hegel bekannter Hofmeister
Schellings und Hegels schwäbische Geistesahnen.
in Genf erhalte (HBZ 20–23). Mit Schreiben vom
Würzburg-Aumühle 1938; Ernst Benz: Johann Albrecht
Bengel und die Philosophie des deutschen Idealismus. 11.9. teilt Hegel v. Rütte mit, die zuvor erwähnten
In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissen- Umstände hätten sich nun so gefügt, daß ihn
schaft und Geistesgeschichte 27 (1953), 528–554; Gün- nichts mehr abhalte, die Berner Stellung anzu-
ter Rohrmoser: Zur Vorgeschichte der Jugendschriften nehmen. Diese »Umstände« könnten darin lie-
Hegels. ZphF 14 (1960), 182–208; zur Kritik an ihr: gen, daß Hegel vor einer Zusage noch die Zulas-
Martin Brecht / Jörg Sandberger: Hegels Begegnung
sung zur vorzeitigen Prüfung durch das Stutt-
mit der Theologie im Tübinger Stift. Eine neue Quelle
für die Studienzeit Hegels. HS 5 (1969), 47–51; Rainer garter Konsistorium und die Erlaubnis zum Ver-
Piepmeier: Aporien des Lebensbegriffs seit Oetinger. lassen Württembergs benötigt; sie könnten auch
Freiburg / München 1978, 233 f. (Fußnote). darin liegen, daß Hegel von einer Hofmeister-
stelle in Schillers Umkreis (bei Frau von Kalb)
gehört hat und sich die Entscheidung noch offen-
1.5. Übersiedelung nach Bern halten will. Am 20.9. schreibt Gotthold Friedrich
Stäudlin an Schiller, daß Hegel »bereits als Hof-
Die Umstände der Übersiedelung Hegels nach meister nach Bern engagiert ist und nunmehr
Bern sind durch Hans Strahms Forschungen na- allen andern Absichten auf immer entsagt« und
hezu lückenlos erhellt. Der Berner Patrizier Carl seinen Freund Hölderlin auf die Stelle bei Frau
Friedrich v. Steiger bittet zunächst den Berner von Kalb aufmerksam gemacht habe. Auch Höl-
Schulschreiber oder Schreibmeister, David v. derlin kommt in seinem ersten, über Neuffer und
Rütte, um Vermittlung bei der Bestallung eines Christiane Hegel gesandten Brief nach Bern
Hauslehrers; dieser bekommt einen Magister (10.7.94) hierauf zurück: »Wäre unsere Freund-
Schwindrazheim aus Tübingen empfohlen. Ein schaft nicht, Du müßtest ein wenig ärgerlich sein,
sonst nicht weiter bekannter Berner Friedrich v. daß Du Dein gutes Schicksal mir abtratest.« Ob
Sinner zieht bei seinem Freund (Johann Karl Hegel diese »Abtretung« vornimmt, weil er die
Friedrich?) Hauff, einem Stuttgarter, der derzeit Republik Bern dem abgelegenen Waltershausen
in Tübingen lebt, Erkundigungen über diesen vorzieht oder weil er sich dort den revolutionären
Kandidaten ein, der von Hauff wie auch von Ereignissen in Frankreich näher glaubt oder ob
anderen als wenig geeignet eingestuft wird; statt ein dritter Grund den Ausschlag für den Vorzug
seiner empfiehlt Hauff am 10.7.93 Hegel – viel- Berns gibt, ist nicht mehr zu erkennen. Doch sind
leicht nicht zufällig am Tage von dessen Abreise Hölderlins spätere Bemühungen, Hegel eine Hof-
aus Tübingen. v. Sinner teilt dies v. Rütte mit, und meister-Stelle in Frankfurt zu verschaffen, auch
dieser wendet sich nun an den »Gastgeber zum
10 I. Leben

vor dem Hintergrund dieser »Abtretung« zu se- Berner Patriziat läßt sich auch Hegels Polemik
hen. gegen Carl Ludwig v. Haller, einen Wortführer
Ende August, spätestens Anfang September der Restauration, in den Grundlinien der Philo-
dürfte Hegel wegen der ihm angebotenen Stel- sophie des Rechts §§ 219 und 258 verstehen; Hal-
lung beantragt haben, das Abschlußexamen vor ler war zu Hegels Berner Zeit als Kommissions-
dem Stuttgarter Konsistorium vorzeitig abzule- sekretär der Regierung tätig. Bei seiner Kritik
gen; am 13.9. ist ihm dies »auf den 19. Sept. a. c. orientiert Hegel sich aber nicht nur an der vor-
morgens um 8 Uhr« bewilligt worden, und am dergründig wahrnehmbaren politischen Atmo-
20.9. hat Hegel die Prüfung »zur Zufriedenheit sphäre; Exzerpte aus dieser Zeit (GW 3.223–233)
erstanden«. Vom Konsistorium wird Hegel »die wie auch seine späteren Anmerkungen zu Carts
Annahme einer Hofmeisterstelle bei dem Haupt- Vertraulichen Briefen belegen, daß er sich ein
mann von Steiger in Bern unter der Bedingung fundiertes Bild der Berner Verfassung zu ver-
gestattet, daß er sich fleißig im Predigen übe, schaffen sucht.
woran es ihm noch sehr fehle, und jedem Ruf in Aber nicht allein die Berner Verhältnisse bean-
sein Vaterland sogleich Folge leiste. Man versehe spruchen Hegels Aufmerksamkeit – ebenso die
sich überhaupt, daß er seiner Hauptbestimmung Ereignisse in Frankreich. In den Berner Jahren
eingedenk das Studium der Theologie nicht ver- werden erstmals die Grundzüge von Hegels Stel-
nachlässigen und dem H[ochwürdigen] Cons[i- lung zur Französischen Revolution faßbar, die in
storio] von Zeit zu Zeit von seiner Lage Nachricht Tübingen noch etwas blaß geblieben sind. Am
geben solle.« Den »Abend des Abschieds«, den Weihnachtsabend 1794 berichtet er Schelling, er
9.10., feiert Hegel im Kreis seiner Stuttgarter habe mit Konrad Engelbert Oelsner, dem »Ver-
Freunde; am 10.10. wird er nach Bern abgereist fasser der Dir wohl bekannten Briefe in Archen-
sein. holz’ Minerva« gesprochen (D’Hondt 1968,
7–43), der ihm »Nachricht von einigen Württem-
bergern in Paris« gegeben habe, und ebenso, daß
2. Bern (1793–1796) der Prozeß gegen (den für Massenhinrichtungen
in Nantes verantwortlichen und am 16.12.94 guil-
2.1. Politische Lage lotinierten) Jean Baptiste Carrier »die ganze
Schändlichkeit der Robespierroten enthüllt«
In Bern erwartet ihn nicht allein die ungewohnte habe. Diese, für die Zeitgenossen insgesamt cha-
berufliche Situation des Hofmeister-Daseins, rakteristische Ambivalenz von Zustimmung zu
sondern auch die ihm fremde politische Atmo- den Idealen der Revolution und Enttäuschung
sphäre eines oligarchischen Patrizierstaates. Zu- über ihren Verlauf bleibt für Hegel konstant.
dem ist dieser damals durch die Französische Noch in den späten Vorlesungen über die Ästhetik
Revolution politisch gespalten in die an Preußen rühmt er an Klopstocks späten Revolutionsoden,
und England orientierte »Kriegspartei« um den »dem Herzen des Greisen« mache »die Theil-
Schultheißen Niklaus Friedrich Steiger und die nahme an der Erscheinung Ehre, daß ein Volk die
der Entwicklung in Frankreich gegenüber Ketten aller Art zerbrach, tausendjähriges Un-
freundliche »Neutralisten- oder Friedenspartei«. recht mit Füßen trat, und zum erstenmale auf
Aber auch abgesehen von diesen Spannungen Vernunft und Recht sein politisches Leben grün-
zeichnet Hegel ein abschreckendes Bild von den den wollte« – während ein »um so schärferer
politischen Zuständen Berns. Vom Urteil im Brief Grimm« sich des Dichters bemächtigte, »als die-
an Schelling vom 16.4.95 über Wahlen zum »con- ser schöne Morgen der Freiheit sich in einen
seil souverain«, bei denen es so menschlich zu- greuelvollen, blutigen, freiheitsmordenden Tag
gehe, daß »alle Intrigen an Fürstenhöfen durch verwandelte« (W X/3.477 f.). In diesen Worten
Vettern und Basen nichts sind gegen die Kombi- schildert Hegel im Rückblick nicht weniger den
nationen, die hier gemacht werden«, über Carts Wandel seiner eigenen Stellung zur Französi-
Vertrauliche Briefe (s. 80 ff.) zieht sich seine Kritik schen Revolution.
dieses Patriziats bis in die Reformbill-Schrift
(GW 16.330). Als partiellen Nachhall seiner aus
diesen Jahren stammenden Abneigung gegen das
2. Bern (1793–1796) 11

2.2. Hofmeister im Hause Steiger Wesentlichere der Charakterbildung wird ein


Hofmeister nur wenig Einfluß haben können,
Die spärlichen Nachrichten lassen nicht erken- wenn der Geist der Eltern nicht mit seinen Be-
nen, wieweit diese regionalen und weltpoliti- mühungen harmoniert.«
schen Probleme den Alltag Hegels als »Gouver- Zu dieser Klage über die Hofmeister-Situation
neur des enfants de notre cher et féal Citoyen tritt die Klage über die »Entfernung von den
Steiguer de Tschougg« (Br 4/1.70) in Bern, in Schauplätzen literarischer Tätigkeit« hinzu.
einem prächtigen Haus an der Junkerngasse Schelling gegenüber betont Hegel, »wie wohl es
(Nr. 51), bzw. in den Sommermonaten auf dem mir tut, in meiner Einsamkeit von Dir und mei-
Landsitz in Tschugg berühren. Sein Dienstherr, nen andern Freunden von Zeit zu Zeit etwas zu
der Hauptmann Carl Friedrich von Steiger, ist hören« (30.8.95). Strahm und Bondeli haben den
Angehöriger einer der führenden Patrizierfami- daraus entstandenen und insbesondere durch
lien, wenn auch in gewisser Distanz zur Berner Hugo Falkenheim gezeichneten negativen Ein-
Regierung. Auch über Hegels Unterricht und sein druck abzuschwächen gesucht durch Verweis auf
Verhältnis zu den ihm anvertrauten Kindern – der die reiche Bibliothek in Tschugg wie auch auf die
bei Dienstantritt achtjährigen Maria Catharina Berner Burger-Bibliothek und das damalige gei-
und dem sechsjährigen Friedrich Rudolf – ist stige Leben Berns. Doch bleibt die Frage offen,
weiter nichts bekannt. Aus dem von Strahm mit- wieweit Hegels Stellung es ihm ermöglicht hat,
geteilten Briefwechsel geht jedoch hervor, daß an diesem Leben teilzunehmen. Die Grüße, die
Steiger »Kenntnisse in der reformierten Religion, Hölderlin und Schelling mehrfach an den Tü-
in den Sprachen, besonders in den französi- binger Kompromotionalen Friedrich Heinrich
schen Schriftstellern, über Naturgeschichte, Ge- Wolfgang Mögling auftragen, der ebenfalls als
schichte, Geographie und Arithmetik«, ferner Hofmeister in Bern, oder, wie Schelling ironisch
»gute Conduite und Kenntnisse in der Musik« schreibt, »auf seinem Dörfchen« wirkt (Br
erwartet. Dem einzigen erhaltenen Brief Hegels 1.10,13,29,34,36), deuten auf eine zumindest ge-
an seinen Dienstherrn (9.7.95) läßt sich lediglich legentliche Verbindung; es ist jedoch nur be-
entnehmen, daß er, wie auch sonst bei Hofmei- kannt, daß Mögling auch im Hause Steiger ver-
stern üblich, bei Abwesenheit des Hausherrn ne- kehrt hat. So bleibt als Nachricht über Hegels
ben den pädagogischen Aufgaben Aufsichtsfunk- gesellige Kontakte nur Rosenkranz’ Hinweis auf
tionen für das Hauswesen, etwa über die Arbeiten den früheren Bildhauer und Stukkateur Johann
in der Kiesgrube, wahrnehmen und darüber be- Valentin Sonnenschein, damals Professor für
richten muß. So ist es nicht unverständlich, daß »akademische Zeichnung«, einen aus seiner Hei-
er gegenüber Schelling klagt, seine »zu hetero- mat geflohenen und nun in Bern ansässigen
gene und oft unterbrochene Beschäftigung« lasse Schwaben, in dessen Familie Klavier gespielt
ihn »zu nichts Rechtem kommen« (24.12.94, ähn- wird und insbesondere Schillers Gedichte ge-
lich Ende Januar 1795). Eine Konfliktsituation sungen werden (R 43). Hölderlin erwähnt am
läßt sich hieraus nicht ersehen; nur ein Brief des 10.7.94 den Aufenthalt von Emilie von Berlepsch
Bruders von Hegels Dienstherrn an diesen deutet und Jens Baggesen in Bern und bittet, daß Hegel
eine Mißstimmung an – doch stammt dieser Brief »recht viel von beiden« schreiben solle – doch
vom 7.11.96, also aus der Zeit von Hegels Weg- erwähnt Hegel sie in den erhaltenen Briefen nie.
gang von Bern; sie könnte hierdurch – aber auch Auch mit dem Kreis um den Aufklärungsphilo-
durch mannigfache andere Gründe – veranlaßt sophen Philipp Albert Stapfer scheint Hegel nicht
sein. Ein vages Indiz für den Hintergrund der in Berührung gekommen zu sein. Ein Grund für
Mißstimmung könnte in dem Anflug von Resi- diese Isolierung mag in den gesellschaftlichen
gnation hinsichtlich seines Berner Erziehungser- Problemen liegen, die mit seiner Tätigkeit als
folgs zu erkennen sein, die er gleichzeitig (No- Hofmeister verbunden sind; aber auch die langen
vember 1796) gegenüber Hölderlin im Blick auf Sommeraufenthalte auf dem Landsitz der Familie
seinen bevorstehenden Wechsel zur Familie Go- Steiger in Tschugg, nahe dem Bieler See, mögen
gel und seine künftigen Zöglinge ausspricht: der Pflege der Berner Geselligkeit nicht eben
»den Kopf derselben mit Worten und Begriffen zu förderlich gewesen sein.
füllen, gelingt zwar gewöhnlich, aber auf das Diese Aufenthalte dürften Hegel jedoch durch
12 I. Leben

die dortige reiche Bibliothek entschädigt haben. (Ende Januar 1795). Auch im Brief vom 16.4.95
Gleichwohl versteckt sich hinter seiner Klage schlägt er dieses Thema an: »Religion und Politik
über die »Entfernung von mancherlei Büchern«, haben unter e i n e r Decke gespielt, jene hat ge-
oder daß ihm »Gebrauch einer Bibliothek abgeht« lehrt, was der Despotismus wollte, Verachtung
(16.4.95), wohl nicht bloß der Wunsch nach Ent- des Menschengeschlechts, Unfähigkeit desselben
schuldigung für seine Unproduktivität, für sein zu irgend einem Guten, durch sich selbst etwas zu
philosophisches Zurückbleiben hinter den sein.« Wie in dieser Analyse ein Nachhall von
Freunden, die teils in Tübingen, teils in der Nähe Kants Was ist Aufklärung? mitschwingt, so auch
Jenas an den philosophischen Zeitereignissen in Hegels Versuch, diese Situation mit Kant zu
unmittelbaren Anteil nehmen. Denn trotz aller bewältigen: Er habe seit einiger Zeit »das Stu-
Schätze, die diese Bibliothek fraglos birgt – wie dium der Kantischen Philosophie wieder hervor-
sich aus dem von Schneider und Waszek ver- genommen« (Ende Januar 1795). Entgegen
öffentlichten späteren Versteigerungskatalog er- Schellings Diagnose, »daß die Theologie, welche
sehen läßt –, fehlen in ihr doch diejenigen schon hektisch zu werden anfing, nun bald ge-
Werke, an denen sich der rasche Gang der dama- sünder und stärker als jemals einhertreten wird«,
ligen Diskussion verfolgen läßt, die den Brief- äußert Hegel die Zuversicht, daß die Theologen,
wechsel Hegels mit Hölderlin und Schelling be- indem sie »dem Kantischen Scheiterhaufen« kri-
stimmt. tisches »Bauzeug« »entführen, um die Feuers-
brunst der Dogmatik zu verhindern«, »immer
auch brennende Kohlen«, nämlich philosophi-
2.3. Briefwechsel mit Hölderlin sche Ideen heimtragen und verbreiten. Schellings
und Schelling enthusiastischer Hoffnung auf Fichte setzt Hegel
etwas distanziert entgegen, daß Fichtes Versuch
Dieser Briefwechsel setzt erst spät ein – mit einer Kritik aller Offenbarung der theologischen
Hölderlins Brief vom 10.7.94 bzw. Hegels Brief an Mißdeutung Kants »Tür und Angel geöffnet«
Schelling vom 24.12.94 – also ein Jahr bzw. ein- habe. Statt die Wurzeln dieses »Unfugs« bereits in
einhalb Jahre nach seinem Weggang aus Tü- Kants Postulatenlehre zu finden, bemerkt er viel-
bingen. Hegels erster Brief an Schelling ist veran- mehr, wenn er Zeit hätte, würde er untersuchen,
laßt durch seine Lektüre von dessen Abhandlung »wieweit wir – nach Befestigung des moralischen
Ueber Mythen, historische Sagen und Philoso- Glaubens die legitimierte Idee von Gott jetzt
pheme der ältesten Welt in Paulus’ Memorabilien. rückwärts brauchen, z. B. in Erklärung der
Hegel findet Schelling hier auf dem »alten Wege Zweckbeziehung u.s.w., sie von der Ethikotheo-
[…], wichtige theologische Begriffe aufzuklären logie her jetzt zur Physikotheologie mitnehmen
und nach und nach den alten Sauerteig auf die und da jetzt mit ihr walten dürften.« Mit diesem
Seite zu schaffen zu helfen« (24.12.94). Auffal- Programm ist er nicht so weit entfernt von der
lend im Briefwechsel ist die Differenz der Sicht- Aneignung Kants durch die Tübinger Theologie.
weisen: Schelling führt beredte Klage über die Er hält auch fest an dem von Kant erhobenen
korrumpierende Adaptation der Kantischen Phi- Anspruch, das Dasein eines persönlichen Gottes
losophie durch die Tübinger Theologie, die nun wenigstens mit den Mitteln der Ethikotheologie
»alle möglichen Dogmen« »zu Postulaten der zu sichern, und fragt deshalb etwas verständnis-
praktischen Vernunft« stempelt und den morali- los bei Schelling nach, ob dieser denn glaube, daß
schen Gottesbeweis so »an der Schnur zu ziehen« wir nicht bis zum Gedanken des individuellen,
weiß, daß als deus ex machina »das persönliche, persönlichen Wesens hinreichten. Wohl um He-
individuelle Wesen, das oben im Himmel sitzt«, gel nicht zu kränken, wendet Schelling diese
hervorspringt (6.1.95). Hegel geht zwar darauf Rückfrage so, als habe jener sich nur hinsichtlich
ein – aber nicht auf die von Schelling beklagte Schellings Denkart zu vergewissern gesucht, da
Manipulation der praktischen Vernunft, sondern es für Hegel, als den Vertrauten Lessings, ja als
er gibt dem Thema eine religionspolitische Wen- entschieden gelten müsse, daß die orthodoxen
dung: Die Orthodoxie sei »nicht zu erschüttern, Begriffe von der Gottheit nicht mehr für uns seien
solang ihre Profession mit weltlichen Vorteilen – und er fügt dem das Bekenntnis hinzu, er sei
verknüpft in das Ganze eines Staats verwebt ist« inzwischen Spinozist geworden (4.2.95).
2. Bern (1793–1796) 13

Während Hegel noch vom »Kantischen System 26.1.95 in seinem Vorhaben, wenn auch nicht
und dessen höchster Vollendung […] eine Revo- ohne kritischen Unterton: »Daß Du Dich an die
lution in Deutschland« erwartet und zu einem Religionsbegriffe machst, ist gewiß in mancher
»neuern Studium der Postulate der praktischen Rücksicht gut und wichtig; den Begriff der Vorse-
Vernunft« ansetzt (16.4.95), gelingt es ihm nur hung behandelst Du wohl ganz parallel mit Kants
mühsam, die philosophische Revolution nachzu- Teleologie.« Auf diesen Plan dürfte Hegel in sei-
vollziehen, über die ihm Hölderlin und Schelling nem Brief an Schelling vom 30.8.95 zurückblik-
berichten. Ihr erstes Moment liegt in Fichtes ken: »Ich war einmal im Begriff, es mir in einem
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre Aufsatz deutlich zu machen, was es heißen
(1794/95) – doch während die Freunde in der könne, sich Gott zu nähern, und glaubte, darin
Rezeption bereits fortgeschritten sind und Schel- eine Befriedigung des Postulats zu finden, daß
ling sogar in zwei Schriften auf Fichte repliziert die praktische Vernunft der Welt der Erschei-
hat, nimmt Hegel sich am 16.4.95 erst vor, die nungen gebiete, und der übrigen Postulate.« Kei-
Wissenschaftslehre »auf den Sommer zu studie- nes der überlieferten Fragmente läßt sich mit
ren«. Hegel ignoriert zunächst auch ihr zweites diesem »Aufsatz« identifizieren, wenn auch das
Moment, die durch Jacobis Ueber die Lehre des Thema GW 1.105 anklingt und GW 1.195 unter
Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendels- Rekurs auf Schelling wieder aufgenommen
sohn wider Willen ausgelöste Spinoza-Renais- wird.
sance der 1790er Jahre – obgleich er Spinozas Hegels Berner Jahre werden von zwei Reisen
Philosophie zumindest am Ende seiner Gym- unterbrochen. Die erste läßt sich nur erschlie-
nasialzeit in der Rezension einer Schrift Reh- ßen: Am 15. Mai 1795 stellt die Berner Kanzlei
bergs begegnet ist (GW 3.192). Auf Schellings Hegel einen Paß für eine Reise nach Genf aus,
Bekenntnis zu Spinoza geht Hegel in seinem und am 23. Mai erhält Hegel bei seiner Rückreise
Antwortschreiben mit keinem Wort ein. Deshalb eine »Torbescheinigung« (Br 4/1.70 f.). Als Grund
verfehlt er auch das dritte Moment dieser Revolu- dieser – nirgends von ihm erwähnten – Reise
tion, die Gleichsetzung von Fichtes »absolutem mag man seine Hochschätzung Rousseaus ver-
Ich« mit Spinozas Substanz in den Briefen Schel- muten – aber ebensogut einen Besuch bei einem
lings vom 6.1. und 4.2.95 sowie Hölderlins vom ihm bekannten Hofmeister (Br 1.433). Die zweite
26.1.95. Reise unternimmt Hegel vom 25.–31.7.96 ge-
Es ist aber nicht nur Hegels Entfernung von meinsam mit drei sächsischen Hofmeistern; hier-
den literarischen Schauplätzen, die ihn hinter über informiert sein durch Rosenkranz überlie-
den Freunden zurückbleiben läßt: Die neueren ferter ausführlicher Bericht über eine Alpenwan-
Bemühungen, in »tiefere Tiefen einzudringen«, derung (s. 74 f.).
scheinen ihm mehr »nur für die theoretische
Vernunft von näherer Bedeutung als von großer
Anwendbarkeit auf allgemeiner brauchbare Be- 2.4. Übergang nach Frankfurt
griffe zu sein«. »Ich kenne daher diese Bemü-
hungen in Ansehung ihres Zwecks nicht näher« Zu dieser Zeit erwartet Hegel sehnlichst die Ge-
(Ende Januar 1795). Er bleibt am Kantischen legenheit, Bern verlassen zu können. Die Pläne
Sollen orientiert (16.4.95) und antwortet auf die für diesen Wechsel reichen weit zurück: Höl-
von Schelling angeschnittenen Probleme mehr- derlins Brief vom 25.11.95 läßt erkennen, daß er
fach mit Worten des »Lebensläufers«, d. h. aus sich schon zuvor bemüht hat, Hegel eine Hofmei-
Theodor v. Hippels Roman Lebensläufe in auf- sterstelle in Frankfurt zu vermitteln, während
steigender Linie; hingegen geht er nur um »we- dieser sich zur gleichen Zeit auch mit dem Ge-
nigstens den guten Willen« zu beweisen, auf danken an eine Repetentenstelle in Tübingen
Schellings Fichte-Rezeption ein (30.8.95). trägt – wovor Hölderlin ihn am 24.10.96 durch
Die Überlegungen zur Ethikotheologie und ein abstoßendes Bild warnt: »Das Stipendium
Physikotheologie und zur Idee der Vorsehung, die riecht durch ganz Württemberg und die Pfalz
Hegel Ende Januar 1795 gegenüber Schelling herunter mich an wie eine Bahre, worin schon
äußert, muß er zuvor schon Hölderlin mitgeteilt allerlei Gewürm sich regt.«
haben, denn dieser bestärkt Hegel bereits am »Anfang des Sommers« 1796 unterrichtet Höl-
14 I. Leben

derlin, wie er ebenfalls am 24.10.96 erinnert, der Erscheinungen hineingemacht hat […]. Ich
Hegel erstmals über die Hofmeisterstelle im habe an dieser Hypochondrie ein paar Jahre bis
Hause Noë Gogels. Auf diesen (verlorenen) Brief zur Entkräftung gelitten; jeder Mensch hat wohl
geht die im Gedicht Eleusis (s. 75 f.) gestaltete überhaupt einen solchen Wendungspunkt im Le-
Erwartung des Wiedersehens mit Hölderlin zu- ben, den nächtlichen Punkt der Kontraktion sei-
rück. Auch Schelling bemüht sich zu dieser Zeit nes Wesens, durch dessen Enge er hindurch-
um eine Stelle für Hegel in Jena oder Weimar, gezwängt und zur Sicherheit seiner selbst befe-
weiß aber bereits am 20.6.96 durch Johann Gott- stigt und vergewissert wird«. Und auch Hegels
lob Süsskind, daß Hegel die Stelle in Frankfurt Schwester Christiane erinnert sich noch nach
vorziehen würde. Am 24.10.96 kann Hölderlin seinem Tod hieran: »Herbst 1793 Schweiz, über 3
endlich dem Freund mitteilen, daß die Stelle im Jahre; kam in sich gekehrt zurück, nur im trau-
Hause Gogel für ihn bereitstehe. Hegel folgt er- lichen Zirkel fidel. Anfang 1797 nach Frankfurt.«
freut Hölderlins Ruf, teilt diesem aber im Novem- (HBZ 27)
ber 1796 mit, daß er erst »gegen das Ende des Text: GW 1, GW 3.221–233; Br 1.4–6,9–45. – Literatur:
Jahrs« seine Berner Stellung verlassen und nicht R 41–80; Hugo Falkenheim: Eine unbekannte politische
früher als Mitte Januar in Frankfurt ankommen Druckschrift Hegels. In: Preußische Jahrbücher 138
könne. Am 10.1.97 genehmigt das Stuttgarter (1909), 193–210, ND in: Helmut Schneider / Norbert
Waszek (Hg.): Hegel in der Schweiz (1793–1796).
Konsistorium Hegels Übersiedelung nach Frank-
Frankfurt am Main u. a. 1997, 261–285; Hans Strahm:
furt (Br 4/1.71); unter demselben Datum be- Aus Hegels Berner Zeit. In: Archiv für Geschichte der
richtet Hölderlin jedoch bereits Johann Gottfried Philosophie 41 (1932), 514–533, ND in: Schneider /
Ebel, Hegel sei inzwischen eingetroffen (HBZ Waszek (Hg.): Hegel in der Schweiz (1997), 287–316;
33). Paul Chamley: Les origines de la pensée économique de
Den Jahreswechsel verbringt Hegel bei seinem Hegel. HS 3 (1965), 228ff.; Hans Haeberli: Die Biblio-
thek von Tschugg und ihre Besitzer. In: Festgabe Hans v.
Vater und seiner Schwester in Stuttgart; hier lernt
Greyerz zum 60. Geburtstag 5. April 1967. Hg. von E.
er auch deren Freundin Nanette Endel kennen, Walder, P. Gilg, U. Im Hof, B. Mesmer. Bern 1967,
die damals im Hause des Vaters lebt. Sie hat in 731–745; Jacques D’Hondt: Hegel secret. Recherches
einem, an Hegels Schwester Christiane gerichte- sur les sources cachées de la pensée de Hegel. Paris
ten Gedicht zu Hegels 57. Geburtstag nicht allein 1968, 7–43: »Minerva«; deutsch: Verborgene Quellen
berichtet, daß sie für seine Krawatten gesorgt des Hegelschen Denkens. Berlin 1972; Ludwig Hasler:
Aus Hegels philosophischer Berner Zeit. HS 11 (1976),
habe und genötigt gewesen sei, seinen Kuß ab-
205–211; Wilhelm Raimund Beyer: Aus Hegels Berner
zuhalten, sondern auch, er habe »In des 96er Zeit. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 26 (1978),
Jahres letzter Stunde« aus Karoline v. Wolzogens 246–250; Martin Bondeli: Hegel in Bern. HSB 33
Roman »Agnes von Lilien« vorgelesen, soweit er (1990); Christoph Jamme / Helmut Schneider (Hg.):
1796 in Schillers Horen erschienen war (HBZ Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel.
28 f.): »Wir ließen Schlaf und Traum, / Wagten zu Frankfurt am Main 1990; Cinzia Ferrini: Die Bibliothek
in Tschugg: Hegels Vorbereitung für seine frühe Natur-
atmen kaum, / Aug und Ohr hing an seinem
philosophie. In: Schneider / Waszek (Hg.): Hegel in der
Munde.« Schweiz (1997), 237–259; Catalogue de la précieuse
Mehrere Quellen belegen übereinstimmend bibliothèque de feu M. l’Avoyer Christoph de Steiger de
eine psychische Veränderung Hegels durch die Tschugg. […] Ebd. 319–379; Alexandra Birkert: Hegels
Berner Jahre. Schelling diagnostiziert und kriti- Schwester. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Frau
siert an Hegel bereits am 20.7.96 einen »Zustand um 1800. Ostfildern 2008, 88–92.
zur Französischen Revolution: Quellen: GW 3.217 f.
der Unentschlossenheit und […] sogar Nieder-
– Literatur: Georg Lukács: Der junge Hegel. Über die
geschlagenheit«, und auch Hölderlin warnt Hegel Beziehungen von Dialektik und Ökonomie. Zürich /
am 20.11.96: »Ich sehe, daß Deine Lage Dich Wien 1948; Joachim Ritter: Hegel und die Französische
auch ein wenig um den wohlbekannten immer- Revolution. Köln / Opladen 1957, ND Frankfurt am
heitern Sinn gebracht hat.« Auf diese Phase Main 1965 sowie in Ritter: Metaphysik und Politik.
dürfte sich Hegels Rückblick im Brief an Win- Frankfurt am Main 1969; Jacques D’Hondt: Hegel se-
cret; Andreas Wildt: Hegels Kritik des Jakobinismus.
dischmann (27.5.10) beziehen: »Ich kenne aus
In: Oskar Negt (Hg.): Aktualität und Folgen der Philo-
eigner Erfahrung diese Stimmung des Gemüts sophie Hegels. Frankfurt am Main 1971, 269–296; Jür-
oder vielmehr der Vernunft, wenn sie sich einmal gen Habermas: Hegels Kritik der Französischen Revo-
mit Interesse und ihren Ahndungen in ein Chaos lution. In: Theorie und Praxis. Sozialphilosophische
3. Frankfurt (1797–1800) 15

Studien. Neuwied / Berlin 1967, 89–107; Henry Silton Haus, »das eines der schönsten in Frankfurt ist
Harris: Hegel and the French Revolution. In: Clio 7 und auf einem der schönsten Platze in Frankfurt,
(1977), N. 1, 5–17; Norbert Waszek: 1789, 1830 und
dem Roßmarkte, steht«. Hegel werde dort, »was
kein Ende. Hegel und die Französische Revolution. In:
U. Herrmann / J. Oelkers (Hg.): Französische Revolu- nicht unwichtig ist, ein eigenes Zimmer bewoh-
tion und Pädagogik der Moderne. Weinheim / Basel nen«, ein Gehalt von 400 Gulden sowie die Reise-
1990, 347–359. kosten erhalten und »sehr guten Rheinwein oder
französischen Wein über Tisch trinken«. Gegen-
über Nanette Endel bestätigt Hegel am 9.2.97
Hölderlins Bemerkungen hinsichtlich der Fami-
3. Frankfurt (1797–1800) lie Gogel: »der Ton in unserem Haus ist gleich
weit entfernt von Steifheit als von müßigen geist-
3.1. Hofmeisterleben und und herzlosen Gesprächen; was getan, gesagt
Geselligkeit wird, kommt aus Freundschaft und Heiterkeit«.
Und auch dem Berner Freund Sonnenschein teilt
Die bereits für die Tübinger wie auch für die Hegel mit, daß es ihm gut gehe (R 80).
Berner Zeit charakteristische Diskrepanz zwi- Aus Frankfurt haben sich – neben dem Brief an
schen dem philosophischen Ertrag dieser Peri- Schelling vom 2.11.00 – nur Hegels Briefe an
oden und dem, was aus ihnen von Hegels Leben Nanette Endel erhalten. Sie zeichnen ein nicht
bekannt ist, gilt verstärkt für die Frankfurter Zeit. sehr tiefgründiges Bild seines Lebens: die Lek-
Die überraschende Dürftigkeit der Quellen wird türe der Fortsetzungen des Romans Agnes von
überspielt durch voluminöse, mittels einer Addi- Lilien, den Besuch von Bällen, denen Hegel »sehr
tion von Informationen unterschiedlicher Her- gut« ist, aber auch der Komödie – zumindest
kunft fast schon romanhaft ausgeschmückte Kol- einmal wöchentlich – und der Oper; namentlich
lagen: Die jeweils zu einer der Personen aus genannt werden die Zauberflöte und der Don
Hegels Lebenskreis überlieferten Nachrichten Juan, auf den Hegel »der Musik wegen sehr
werden summiert, mit der Versicherung, »die begierig« ist. Andererseits spricht er gesell-
Freunde« hätten so gedacht, die Lektüre des ei- schaftskritisch-rousseauistisch »von den Schlak-
nen müsse auch der andere geteilt haben, und an ken, die die Gesellschaft, das Stadtleben, die
einem Vorgang, der aus dem Leben des einen daraus entspringende Zerstreuungssucht in uns
berichtet wird, müsse der andere ebenso teilge- einmischt«, und preist der Freundin das Land-
nommen haben. Auf diese Weise entsteht auch leben: wie er sich auf dem Lande im Arme der
aus kargen Quellen ein gleichwohl dichtes und Natur mit sich selbst und den Menschen aus-
farbenfreudiges, methodologisch allerdings frag- söhnte, so flüchte er sich nun »oft zu dieser treuen
würdiges Bild. Mutter, um bei ihr mich mit den Menschen, mit
Über die Bedingungen seiner Hauslehrertätig- denen ich in Frieden lebe, wieder zu entzweien
keit im Hause des Weinhändlers und späteren und mich unter ihrer Aegide von ihrem Einflusse
Senators Noë Gogel berichten lediglich Hölder- zu bewahren und einen Bund mit ihnen zu hinter-
lins Briefe nach Bern vom 24.10. und 20.11.96: treiben.« Und er gesteht der Freundin: »Seit Sie
Herr und Frau Gogel seien »anspruchslose, unbe- mich nicht mehr zur Frömmigkeit anhalten, ist es
fangene, vernünftige Menschen«, die trotz ihrer ganz aus damit; ich komme an den Kirchen im-
gesellschaftlichen Stellung und ihres Reichtums mer nur vorbei« (13.11.97). Statt dessen erwähnt
»doch größtenteils sich selbst leben«. Hegel er das Baden im Main (das er auch in einem
werde »zwei gute Jungen zunächst zu bilden ha- »seinsollenden« Gedicht Mondscheinbad vom
ben, von neun bis zehn Jahren«, daneben aber 21.8.00 verherrlicht, R 84), aber auch einen Be-
auch einige Mädchen, und Hölderlin beruhigt such in Mainz im Frühjahr 1798, nach dem er die
Hegel wegen der zu befürchtenden zusätzlichen Verwüstungen durch das Vordringen der französi-
pädagogischen Aufgabe, daß auch er sich gern schen Revolutionstruppen schildert – ohne jeg-
»mit so einem guten Dinge eine Viertelstunde« liche politische Kommentierung, als ob es sich
unterhalten, und dieses wohl behalten werde, bei ihnen um ein Naturereignis gehandelt hätte.
daß Deutschland in Europa liege. Hegel werde Vom 19.–22.9.00 besucht er, wie wiederum ein
»durchgängig ungeniert« leben können in Gogels Reisepaß belegt, nochmals das inzwischen fran-
16 I. Leben

zösisch gewordene Mainz (Br 4/1.77) – wobei kranz’ Hinweise lassen die Bedeutung dieses
sich über den Zweck seiner Reise nur Mutma- Kreises nicht erahnen; als Bekannte in dieser Zeit
ßungen anstellen lassen. erwähnt er ferner – ohne Quellen anzugeben –
Gesellige Kontakte unterhält Hegel in Frank- Friedrich Muhrbeck, Johann Erich v. Berger
furt zu Wilhelm Friedrich Hufnagel, damals Se- (wohl nur wegen seiner Verlesung »Berger« statt
nior des Geistlichen Ministeriums in Frankfurt, »Breyer«, R 144), Johann Erichson (*1777, da-
dessen Gattin Caroline die Tochter von Hegels mals Student der Theologie in Jena und Greifs-
Taufpaten Johann Friedrich Breyer (eines Vetters wald) und Johann Benjamin Erhard (der damals
seines Vaters) ist. Auch wenn die Behauptung aber Arzt in Ansbach und seit 1799 in Berlin war;
nicht belegt werden kann, daß Hegel wie auch siehe ADB 6.201). Daß Hegel zu Joseph Franz
andere berühmte Männer der Fürsprache Huf- Molitor, Nicolaus Vogt und Johann Gottfried Ebel
nagels, »welche sie als Hauslehrer in Frankfurter hingegen kein persönliches Verhältnis gehabt
Familien einführte, wichtige Verbindungen, Mit- habe (R 81), entnimmt Rosenkranz wahrschein-
tel zu weiterer Fortbildung und damit den Weg zu lich Sinclairs Brief vom 16.8.10 – wobei sein
ihrem Ruhme« verdankten (HBZ 35), so beweist Hinweis auf Ebel nicht berücksichtigt, daß dieser
doch Hegels Brief vom 30.12.01 aus Jena – mit ohnehin 1796–1802 in Paris gelebt hat.
Dank für »Schuhe, Tee, Geld, Würste« – ein sehr Die vielfältigen und voluminösen Studien zu
herzliches Verhältnis. diesem Freundschaftsbund verdecken das
Rosenkranz berichtet ferner, daß Hegel, »als Schweigen der überlieferten Quellen – insbe-
ein ächter Faust«, damals einen Pudel gehalten sondere was Hegels Stellung in diesem Kreis
habe, dessen »Nothwendigkeit« er akkurat in Ver- betrifft. Dies bestätigt indirekt auch noch die
sen beschrieben habe, »welche wahrscheinlich jüngste Darstellung dieses Bundes (Waibel 2002).
nach seiner Intention Distichen sein sollten« Um dem abzuhelfen, erlangen sogar dubiose
(R 83). Auch über die weiteren problematischen Quellen großes Gewicht: Dieter Henrich und
Resultate der poetischen Ambitionen Hegels fällt Hannelore Hegel deuten Sinclairs Reportage-Ge-
Rosenkranz ein – verständliches – vernichtendes dicht Die Bekanntschaft auf eine Begegnung mit
Urteil. Günstiger fällt sein Hinweis auf Hegels Hegel (1797), Otto Pöggeler (1983) und Chri-
philosophische Interessen aus: Damals noch vor- stoph Jamme auf eine Begegnung mit Friedrich
handenen Bücherrechnungen entnimmt Rosen- Schlegel (1806) – und dies mit besseren Argu-
kranz, daß Hegel »vorzüglich S c h e l l i n g s menten. Hölderlins Briefe bieten zwar einen
Schriften und G r i e c h i s c h e C l a s s i k e r in den Hinweis auf sein Verhältnis zu Hegel, aber keinen
besten, neuesten Ausgaben kaufte. Besonders Einblick in den damaligen »Bund der Geister«.
muß er den P l a t o n und S e x t u s E m p i r i k u s An Neuffer schreibt er am 16.2.97: »Hegels Um-
viel studirt haben« (R 100). gang ist sehr wohlthätig für mich. Ich liebe die
ruhigen Verstandesmenschen, weil man sich so
gut bei ihnen orientiren kann, wenn man nicht
3.2. »Bund der Geister« recht weiß, in welchem Falle man mit sich und
der Welt begriffen ist«. Bereits am 20.11.96 pro-
Eigentümlich ist es, daß keines der aus Hegels phezeit er Hegel: »Du bist so manchmal mein
Umkreis erhaltenen Zeugnisse den aus seinen Mentor gewesen, wenn mein Gemüt zum dum-
Fragmenten erschließbaren philosophischen men Jungen mich machte, und wirst’s noch
Grundton der Frankfurter Jahre berührt: den manchmal sein müssen.« In den anderen noch
Frankfurt-Homburger »Bund der Geister« mit erhaltenen Briefen des Freundeskreises – Sin-
Hölderlin, Jacob Zwilling und Isaak von Sinclair. clairs oder Zwillings – wird Hegel nicht erwähnt.
Sinclair hat sich im Oktober 1792 an der Univer- 1797 erscheint Hölderlins Hyperion, und Hegel
sität Tübingen für Rechtswissenschaften imma- besitzt ein Exemplar – aber es gibt kein Zeugnis,
trikuliert; Hölderlins Hinweis im Brief an Hegel wie er Hölderlins Dichtung gelesen hat. Einige
vom 25.11.95 läßt eine Bekanntschaft Hegels mit wenige Hinweise gibt Hegels späterer Briefwech-
Sinclair aus dieser Zeit vermuten. Nach einem sel mit Sinclair – aber Hegels Briefe an Sinclair
Studium in Jena steht er seit 1796 im Dienst des sind vernichtet. Im Entwurf eines Briefes an Sin-
Landgrafen von Hessen-Homburg. Auch Rosen- clair vom Oktober 1810 läßt Hegel den ihm per-
3. Frankfurt (1797–1800) 17

sönlich unbekannten Molitor grüßen und sich 3.3. Literarische Projekte


entschuldigen, weil er für die Zusendung eines
Aufsatzes nicht gedankt habe; und er fährt fort: Trotz der fehlenden direkten Zeugnisse ist es
»Grüße mir auch den hohen Feldberg und Alkin, nicht zweifelhaft, daß der Frankfurt-Homburger
nach dem ich von dem unglückseligen Frankfurt Freundeskreis große Bedeutung für die Entwick-
so oft und so gern hinübersah, weil ich Dich an lung von Hegels Philosophie gehabt hat – insbe-
ihrem Fuße wußte.« sondere für die im weiten Sinn religionsphiloso-
Dem entspricht auch das ausführlichste Zeug- phischen Manuskripte zum Geist des Christen-
nis; es stammt aus späterer Zeit und von einer am tums und ihrem Umkreis. Auch die Ausarbeitung
»Bund der Geister« Unbeteiligten. Die Prinzessin der Schrift über die Verfassung Deutschlands
Wilhelm von Preußen, geb. Marianne von Hes- dürfte in diesem Freundeskreis zumindest inso-
sen-Homburg, notiert 1830 nach einem Essen mit fern eine Wurzel haben, als Sinclair seit 1796 im
dem »weltberühmten Professor Hegel« in ihrem Dienst des Landgrafen von Homburg steht und in
Tagebuch, sie habe Hegel auf Sinclair angespro- dieser Funktion in die damaligen diplomatischen
chen: »da sprach er von ihm, von Bonamös [sc. Aktivitäten verstrickt ist; so nimmt er 1798 auch
dem Frankfurter Vorort Bonames], von seinen am Rastatter Kongreß teil. Doch nicht alle dama-
Wanderungen mit ihm auf unseren Bergen, ligen Projekte Hegels lassen sich auf diesen Kreis
nannte jeden beim Namen – da fing er von Höl- zurückführen. Das rege politische Interesse, das
derlin an, der für die Welt verschollen ist – von er bereits in Bern ausgebildet hat, führt im Jahr
seinem Buch Hyperion«. 1798 zur ersten Publikation: Er veröffentlicht an-
onym Vertrauliche Briefe über das vormalige
Literatur: Käthe Hengsberger: Isaak von Sinclair, der staatsrechtliche Verhältniß des Waadtlandes (Pays
Freund Hölderlins. Berlin 1920; Ludwig Strauß: Jacob de Vaud) zur Stadt Bern – die mit Anmerkungen
Zwilling und sein Nachlaß. In: Euphorion 29 (1928),
versehene Übersetzung einer Streitschrift Jean-
368–396; Werner Kirchner: Hölderlin. Aufsätze zu sei-
ner Homburger Zeit. Hg. von A. Kelletat. Göttingen Jacques Carts gegen die Politik des Berner Pa-
1967, 120 f.; Dieter Henrich: Hegel und Hölderlin. In triziats (s. 80 ff.). Die Anonymität wird zwar
ders.: Hegel im Kontext (1971), 9–40; Hannelore He- schon in Meusels Gelehrtem Teutschland von
gel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und 1805 gelüftet (HBZ 57), doch wird Hegels Ver-
Hegel. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der idea- fasserschaft erst durch Hugo Falkenheim allge-
listischen Philosophie. Frankfurt am Main 1971; dies.:
mein bekannt. Die Veröffentlichung einer nur
Reflexion und Einheit. Sinclair und der »Bund der
Geister« – Frankfurt 1795–1800. In: Rüdiger Bubner noch fragmentarisch erhaltenen Flugschrift über
(Hg.): Das älteste Systemprogramm. HSB 9 (1973), die politischen Verhältnisse in Württemberg hat
91–106; Otto Pöggeler: Hölderlin, Hegel und das äl- Hegel vermutlich auf den Rat seiner Freunde hin
teste Systemprogramm. Ebd. 211–259; Pöggeler: Sin- unterlassen (s. 82 ff.).
clair – Hölderlin – Hegel. Ein Brief von Karl Rosen- Auch über diese beiden Projekte hinaus haben
kranz an Christoph Th. Schwab. HS 8 (1973), 9–53;
in einem weiten Sinn politische Ereignisse seine
Pöggeler: Hegels praktische Philosophie in Frankfurt.
HS 9 (1974), 73–107; Christoph Jamme (Hg.): Sinclairs Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Rosenkranz
Briefe an Hegel 1806/07. HS 13 (1978), 17–52; Jamme: berichtet über – nunmehr verschollene – Ex-
»Ein ungelehrtes Buch« (1983); Jamme / Pöggeler zerpte Hegels aus englischen Zeitungen und
(Hg.): Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistes- überliefert Auszüge aus seiner kritischen Stel-
geschichte. Stuttgart 1981; Jamme / Pöggeler (Hg.): lungnahme zum Allgemeinen Landrecht für die
»Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde«. Das Schick-
Preußischen Staaten. Die Überlegungen des ver-
sal einer Generation der Goethezeit. Stuttgart 1983;
Jakob Zwillings Nachlaß. Eine Rekonstruktion. Mit antwortlichen Großkanzlers v. Carmer, die Lei-
Beiträgen zur Geschichte des spekulativen Denkens. besstrafen abzuschaffen und statt dessen den
Hg. und erläutert von Dieter Henrich und Christoph Strafvollzug »durch gänzliche Einsamkeit und
Jamme. HSB 28 (1986); Isaak von Sinclair. Politiker, Isolirung von aller Communication mit Men-
Philosoph und Dichter zwischen Revolution und Re- schen, durch Abschneidung gewohnter Bedürf-
stauration. Anhand von Originaldokumenten darge-
nisse und Bequemlichkeiten« zu erschweren, ver-
stellt von Christoph Jamme. Bonn 1988; Violetta Wai-
bel: »Bund unserer Geister«. In: Ulrich Gaier u. a.: »Wo wirft Hegel als » I r o k e s e n -mäßig, die auf Qua-
sind jezt Dichter? Homburg, Stuttgart 1798–1800 (= len für ihre gefangenen Feinde sinnen und mit
Hölderlin Texturen 4). Tübingen 2002, 24–55. Wollust jede neue Marter ausüben«. »Die m o r a -
18 I. Leben

l i s c h e Wo l l u s t des Strafens und der Absicht betracht der vielfältigen Projekte Hegels im er-
der Besserung ist nicht viel verschieden von der sten Halbjahr seiner Jenaer Tätigkeit muß man
Wollust der Rache« (R 85 f.). annehmen, daß er diese – heute verschollenen –
Unter diesen politischen Interessen sind je- naturphilosophischen Untersuchungen schon in
doch auch die im engeren Sinne philosophischen Frankfurt angestellt und in einer gereiften Form
Arbeiten nicht zu kurz gekommen. Rosenkranz nach Jena mitgebracht habe (vgl. GW 5.624,
berichtet, Hegel habe vom 10.8.98 ab Kants Meta- 634).
physik der Sitten »einem strengen Studium« un-
terworfen und »hier schon« versucht, Kants Ent-
gegensetzung von Legalität und Moralität »in
einem höheren Begriffe zu vereinigen, den er in 3.4. Übergang nach Jena
diesen Commentaren häufig schlechthin L e -
b e n , später S i t t l i c h k e i t nannte.« Als ein wei- Genau in der Mitte der Frankfurter Jahre erhält
teres Interesse dieses jetzt ebenfalls verscholle- Hegel von seiner Schwester Christiane die Nach-
nen Kommentars hebt Rosenkranz die Überwin- richt, daß ihr Vater am 15.1.99 gestorben sei. Zur
dung des Dualismus von Staat und Kirche hervor. Regelung der Nachlaßfragen erteilt er am 24.2.99
Wenn das Prinzip des Staates ein vollständiges dem Stiefbruder seines Vaters, Johann Christoph
Ganzes sei, » s o k a n n K i r c h e u n d S t a a t Günzler, damals Expeditionsrat in Stuttgart, »die
u n m ö g l i c h v e r s c h i e d e n s e i n . Was diesem uneingeschränkte Vollmacht, alles bei der Inven-
das Gedachte, Herrschende ist, das ist jener eben tur und dem etwa folgenden Verkauf von, was es
dasselbe Ganze als ein lebendiges, von der Phan- sei, Gehörige von mir Vorzunehmende in mei-
tasie dargestelltes. Das Ganze der Kirche ist nur nem Namen vorzunehmen«. In dieser Vollmacht
dann ein Fragment, wenn der Mensch im Ganzen erklärt er auch seinen Willen, »daß nach Inventur
in einen besondern S t a a t s - und besondern K i r - sogleich zum Verkauf und dann erst zur Teilung
c h e n m e n s c h e n zertrümmert ist.« (R 87 f.) geschritten werde«; vom 9.–28.3.99 reist er aber
Rosenkranz gewährt noch einen weiteren Ein- auch selber nach Stuttgart. Das hinterlassene Ver-
blick in Hegels Frankfurter Arbeiten: Vom 19.2. mögen wird unter den Geschwistern – Hegel,
bis zum 16.5.99 habe er einen glossierenden seinem Bruder Georg Ludwig und der Schwester
Kommentar zur deutschen Übersetzung von Steu- – zu gleichen Teilen geteilt; darüber hinaus wird
arts Untersuchung der Grundsätze der Staats- vereinbart, daß die beiden Brüder von ihrem
wirtschaft geschrieben, »der noch vollständig er- Erbteil »der Schwester eine Entschädigung für
halten ist. Es kommen darin viel großartige die durch ihre Ausbildung entstandenen Kosten
Blicke in Politik und Geschichte, viel feine Be- in Höhe von 500 f zum Voraus geben wollen« –
merkungen vor. Stewart war noch ein Anhänger und zwar der »Magister« 350 f und Georg Ludwig
des Merkantilsystems. Mit edlem Pathos, mit 150 f (Br 4/1.72–74). Der Hegel verbleibende
einer Fülle interessanter Beispiele bekämpfte Anteil von 3154 Gulden bietet ihm die Möglich-
Hegel das Todte desselben, indem er inmitten keit, ein Ende seiner Hauslehrertätigkeit anzu-
der Concurrenz und im Mechanismus der Arbeit streben.
wie des Verkehrs das G e m ü t h des Menschen zu Es gibt jedoch keinen Beleg für Rosenkranz’
retten strebte.« (R 86) Bericht, Hegel habe »jetzt sehr lebhaft« daran
Ein weiteres Gebiet der philosophischen Stu- gedacht, »in die akademische Sphäre überzutre-
dien nennt Rosenkranz zunächst jedoch nicht: die ten«, oder gar für seine Ergänzung: »Hegel wollte
Naturphilosophie. Man kann sie nur aus seiner nach Jena, dem damaligen philosophischen Eldo-
späteren Nachricht erschließen, Hegel habe das rado, gleichsam als verstünde es sich von selbst.«
Thema seiner Habilitation vom Sommer 1801 (R 142) Erst gut ein Jahr nach dem Tod des
»schon lange mit sich herum« getragen: »Auszüge Vaters, am 23.5.00, bittet Hegel das Stuttgarter
aus Kant’s Schriften zur Mechanik und Astro- Konsistorium »um Erlaubnis, einige auswärtige
nomie, aus Kepler, Newton u. A. finden sich bei Universitäten besuchen zu dörfen und zugleich
ihm schon viel früher. […] Diese Manuscripte um einen Beitrag zu den Reisekosten«. Jena ist
und ein Wust von zu ihnen gehörigen Rech- hier zumindest nicht ausdrücklich genannt. Noch
nungen sind noch vorhanden.« (R 151 f.) In An- in der »Summarischen Übersicht von 1804« über
4. Jena (1801–1806) 19

die examinierten Stipendiaten wird Hegel als Quellen: GW 2; Hegel’s Theologische Jugendschriften
»auf der Reise« aufgeführt (Br 4/1.75 f.). nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin.
Hg. von Herman Nohl. Tübingen 1907. – Literatur: R
Den ersten Beleg für das Reiseziel Jena bietet
80–99,141–143; Haym: Hegel und seine Zeit (1857),
Hegels Brief an Schelling vom 2.11.00, mit dem er 123; Hegel 1770–1970, 112–125; Hölderlin. Zum 200.
die mehrere Jahre unterbrochene Korrespondenz Geburtstag (1970), 164–239; Hartmut Buchner: Hegel
wieder aufnimmt – jedoch schreibt er nur »um im Übergang von Religion zu Philosophie. Philoso-
eines partikulären Wunsches willen«, nämlich phisches Jb 78 (1971), 82–97; Dieter Henrich: Der
wegen einiger Adressen in Bamberg. Dort hat Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins
Denken (1795–1795). [Stuttgart 1992], insbesondere
Hegel den Freund zu treffen und einige Zeit zu
23–31.
verbringen gehofft, jedoch erfahren, daß Schel-
ling bereits nach Jena zurückgekehrt sei, und so
bittet er ihn um Adressen für einen Aufenthalt in
Bamberg oder in einer anderen Stadt – und er 4. Jena (1801–1806)
fügt hinzu, er würde »eine katholische Stadt einer
protestantischen vorziehen; ich will jene Religion 4.1. Hegel und Schelling
einmal in der Nähe sehen.« Rosenkranz berichtet
jedoch, Hegel habe sich (von Schelling?) be- Die einzigartige Situation des geistigen Lebens in
stimmen lassen, »von Frankfurt sogleich nach Jena um 1800, die große Zahl von bedeutenden
Jena zu gehen«, und sei dort im Januar 1801 Namen – genannt seien nur Fichte, Schelling,
eingetroffen (R 147 f.). Friedrich und August Wilhelm Schlegel und
Die Spärlichkeit der Überlieferung läßt leicht nicht zuletzt Schiller und Goethe – läßt leicht die
übersehen, daß Hegel den Freund nicht wegen Fraktionierungen, ja die »Kabalen« unter den
einer geplanten akademischen Tätigkeit an- Genannten vergessen. Zudem verblaßt der Ruhm
spricht. Sein Brief unterstellt, daß sein Wunsch, Jenas damals bereits: Fichte ist bei Hegels An-
sich »dem literarischen Saus von Jena« anzuver- kunft bereits in Folge des »Atheismusstreits« ent-
trauen, Schelling bereits von dritter Seite be- lassen (1799) und nach Berlin gegangen; dort
kannt sei. Hegels eigentlicher Korrespondenz- nimmt zur gleichen Zeit auch August Wilhelm
partner in Jena ist uns nicht bekannt; es kann der Schlegel seine Vorlesungen über schöne Literatur
im Brief genannte Karl Wilhelm Friedrich und Kunst auf. Und parallel zur räumlichen Ent-
Breyer, ein Vetter Schellings, sein, damals Privat- fernung Fichtes von Jena vollzieht sich auch der
dozent in Jena, aber auch Friedrich Immanuel philosophische Bruch zwischen Schelling und
Niethammer, der damals mit Hölderlin in enger Fichte. Die immer schon vorhandenen Differen-
Verbindung steht, 1801 an Hegels Habilitations- zen werden mit Schellings Konzeption des Sy-
verfahren beteiligt ist und bis ans Ende der Nürn- stem des transzendentalen Idealismus auch für
berger Jahre Hegels Mentor bleibt. Daß Hegel Fichte deutlicher, und nach außen hin wird der
»mit N[iethammer] seit 1800 in engem Freund- Bruch offenkundig durch Schellings Darstellung
schaftsverhältnis« gestanden habe (Br 4/2.241), meines Systems der Philosophie, die bereits im
hat sich jedoch bisher nicht bestätigen lassen. Die Titel die Distanz zu Fichte sucht. Auch für die
Verbindung nach Jena könnte auch zu Heinrich erstaunten Zeitgenossen tritt Schelling damals
Eberhard Gottlob Paulus bestanden haben, der, heraus aus der Rolle eines Jüngers Fichtes, in der
wie Hegels Brief an Hufnagel vom 30.12.01 zeigt, sowohl dieser als auch jene ihn zunächst gesehen
ebenfalls mit diesem bekannt ist; an Paulus und haben; zugleich tritt Hegel – für das Publikum
seine Familie schließt Hegel sich in Jena bald wie für den Meister – in die Rolle eines Jüngers
sehr eng an. Gleichwohl zeichnet Hegel Schelling Schellings. Diese Zuordnung zeigt sich nicht so
aus: »Von allen Menschen, die ich um mich sehe, sehr dadurch, daß Schelling etwa G. E. A. Meh-
sehe ich nur in Dir denjenigen, den ich auch in mel, dem Herausgeber der Erlanger Literaturzei-
Rücksicht auf die Aeußerung und die Wirkung tung, statt seiner »Dr. Hegel im Klipsteinischen
auf die Welt als meinen Freund finden möchte«. Garten in Jena« als einen Rezensenten empfiehlt,
Insbesondere in der genannten »Rücksicht« von dem er eine »durchaus tüchtige und ein-
schwingt die Erfahrung der Trennung von Höl- dringende Arbeit erwarten« dürfe (HBZ 39); He-
derlin mit, dessen Bild Hegel bei seinem Kom- gel wohnt auch mit Schelling zusammen, wie er
men nach Frankfurt vorgeschwebt hat.
20 I. Leben

seinen Frankfurter Bekannten Hufnagel am ersten Hefte des zweiten Bandes Hegels Abhand-
30.12.01 mitteilt. lungen Glauben und Wissen sowie Über die wis-
Doch gerade diese Zeit des Umbruchs erleich- senschaftlichen Behandlungsarten des Natur-
tert es Hegel, in Jena Fuß zu fassen. Trotz des rechts.
Fehlens von biographischen Zeugnissen aus den Quellen: GW 4. – Literatur: Hartmut Buchner: Hegel
ersten Monaten seines Aufenthalts läßt sich er- und das Kritische Journal der Philosophie. HS 3 (1965),
kennen, daß er sich ohne Zögern in den »literari- 95–156.
schen Saus von Jena« stürzt. Das erste Zeugnis
seiner Zusammenarbeit mit Schelling bildet
seine Schrift über die Differenz des Fichteschen 4.2. Habilitation
und Schellingschen Systems der Philosophie. Ihre
Ausarbeitung muß Hegel kurz nach seiner An- Gleichwohl ist das erste Jenaer Jahr Hegels nicht
kunft in Jena begonnen haben, zumal er die allein dieser Auseinandersetzung mit der Philo-
»Vorerinnerung« bereits »im Juli 1801« unter- sophie der Gegenwart gewidmet. Wichtiger für
schreibt. Fraglos hat er die Differenz-Schrift nicht seinen Eintritt in den nicht nur literarischen,
ohne enge Abstimmung mit Schelling nieder- sondern auch akademischen Saus Jenas ist seine
geschrieben, auch wenn dieser sie am 3.10.01 mit Habilitation im August 1801. Hierfür aber hat
den diplomatisch-distanzierten Worten an Fichte Hegel sich ein anderes Thema gewählt: die Na-
sendet, es handle sich um ein Buch, »an dem ich turphilosophie. Angesichts der eben erwähnten
keinen Anteil habe, das ich aber auch auf keine Arbeiten des ersten Halbjahres 1801 muß man
Weise verhindern konnte«. annehmen, daß die von Rosenkranz erwähnten
Ein zweites Zeugnis der Zusammenarbeit bil- (R 151 f.) ausführlichen Vorarbeiten hierfür aus
det das Kritische Journal der Philosophie. Nach- der Frankfurter Zeit stammen.
dem zuvor mehrere Pläne für eine gemeinsame Im Blick auf das Habilitationsverfahren scheint
Zeitschrift Fichtes, Schellings und der Brüder Hegel von falschen Erwartungen ausgegangen zu
Schlegel oder gar unter Mitwirkung Goethes und sein. Am 8.8.01 sucht er bei der philosophischen
Schillers gescheitert sind, sind Schelling und He- Fakultät um die »Nostrifikation« seines in Tü-
gel bei diesem neuen Projekt die einzigen Her- bingen erworbenen Magister-Titels nach, und
ausgeber, und nach den Absagen August Wilhelm dies heißt, nicht allein um dessen Anerkennung
Schlegels und Schleiermachers sind sie auch die als gleichrangig mit dem Titel eines Doktors der
einzigen Autoren. Ihre philosophische Überein- Philosophie, sondern um seine Anerkennung als
stimmung manifestieren sie dadurch, daß sie ihre Voraussetzung der Lehrbefugnis. Der Dekan der
Beiträge nicht namentlich kennzeichnen. Daß philosophischen Fakultät fordert jedoch, daß He-
auch dieses Projekt eine Spitze gegen Fichte ent- gel – neben einigen Formalitäten – »Eine Habili-
hält, sieht man an Schellings Absicht, das erste tationsdisputation, oder eine Probevorlesung
Heft des ersten Bandes Fichte »unverhofft« zuzu- noch vor dem Abdruk des C a t a l o g i [d. i. des
senden – wie Caroline Schlegel, damals bereits in Vorlesungsverzeichnisses] zu halten hätte; im
engem Verhältnis zu Schelling, ihrem Mann Au- letztern Falle aber doch noch vor Abdruk des zu
gust Wilhelm am 23.11.01 mitteilt. Bereits am Ostern herauskommenden Lectionscatalogs eine
4.1.02 übersendet Schelling dieses Heft – zu dem Disputation halten müsse.« Die Hälfte der Fakul-
Hegel die beiden Abhandlungen Über das Wesen tätsmitglieder verwirft jedoch diesen sehr ent-
der philosophischen Kritik überhaupt und Wie der gegenkommenden Vorschlag des Dekans – nicht
gemeine Menschenverstand die Philosophie ohne besorgten Blick auf das starke Anwachsen
nehme beigesteuert hat – an August Wilhelm des Lehrkörpers durch die Emigration der »Her-
Schlegel und Fichte (HBZ 43). Der Plan zu die- ren Schwaben« – unter Verweis auf die Statuten,
sem Journal reicht also fraglos in die erste Jah- namentlich darauf, daß die Fakultät gerade »vor
reshälfte 1801 zurück; im März 1802 erscheint 6. Tagen einmüthig festgesetzt« habe, daß die
bereits das zweite Heft, mit Hegels ausführlicher Disputation der Erteilung der venia legendi vor-
Abhandlung über das Verhältniß des Skepticismus ausgehen müsse. Aus der Unkenntnis dieses Be-
zur Philosophie, und während Schelling das schlusses dürfte sich Hegels Annahme erklären,
dritte Heft allein bestreitet, enthalten die beiden daß es zur Erteilung der venia allein eines No-
4. Jena (1801–1806) 21

strifikationsgesuchs bedürfe. Der Dekan über- 4.3. Lehrtätigkeit


mittelt Hegel am 15.8. diesen Fakultätsbeschluß;
am gleichen Tag sucht Hegel eine Modifikation Mit dem Beginn seiner Lehrtätigkeit im Winter
dieser Auflagen zu erreichen: Der Dekan könne 1801/02 beginnt Hegel die Ausarbeitung seines
»selbst urtheilen, daß in den zwölf bis vierzehn Systems. Die zuerst nur flüchtigen Skizzen ver-
Tagen innerhalb welcher die Anzeigen für den tieft er in den sechs folgenden Jahren in seinen
Katalog der Praelektionen eingegeben werden Vorlesungen über grundlegende Disziplinen die-
müssen, eine Disputation nicht geschrieben, ge- ses Systems: Einleitung in die Philosophie, Logik
drukt, ausgegeben und vertheidigt werden kan; und Metaphysik, Naturrecht, Enzyklopädie der
aber ich zweifle nicht, daß, wenn ich den größten Philosophie, Natur- und Geistesphilosophie (wo-
Theil oder die ganze Dissertation vor diesem bei das lateinische »philosophia mentis« in der
Termin eingebe, Sie und die philosophische Fa- deutschen Übertragung im Intelligenzblatt der
kultät befriedigt seyn werden; indem, so wenig Allgemeinen Literatur-Zeitung mehrfach fälsch-
ich die Nostrifikation ohne die Erlaubniß zu le- lich als »Philosophie des menschlichen Verstan-
sen, und die Ankündigung hievon suchen würde, des« wiedergegeben wird) und Geschichte der
ich ebensowenig, durch Verspätung des Druks Philosophie, aber auch einmal über Arithmetik.
und der Vertheidigung der Dissertation, welche Einer seiner ersten Hörer, Ignaz Paul Vitalis Trox-
alsdenn im Lauffe des nächsten Monats gesche- ler, hält freilich auch fest, daß diesen Vorlesungen
hen könnte, etwas erreichen würde, da ja die anfangs kein voller Erfolg beschieden ist: Hegels
philosophische Fakultät eine Suspension der Er- Logik-Kolleg 1801/02, zu dem sich zunächst elf
laubniß in Händen hat.« (Dokumente, 31 f.) Die Hörer einschreiben, »löste sich auf, da nur we-
Fakultät verwirft diesen Vorschlag und besteht auf nige wie Friedrich Schlosser (Goethes Neffe
der Disputation; in weiteren Verhandlungen wird […]) und Troxler dem Vortrag zu folgen ver-
Hegel jedoch – wie ein Jahr zuvor Friedrich mochten. Letztere setzten sich dann mit Hegel in
Schlegel – überraschend erlaubt, über »Theses« Privatbeziehung« (Düsing 1988, 13). Diesen Miß-
zu disputieren, wenn er sich verpflichte, die Ha- erfolg hat Hegel selber teils prognostiziert, teils
bilitationsschrift und auch die Probevorlesung herbeigeführt: Ein weiterer Hörer der Logik-
vor dem Beginn der Vorlesungen nachzuliefern. Vorlesung, Bernhard Rudolf Abeken, berichtet,
Hegel läßt deshalb innerhalb von fünf Tagen »Gott, Glaube, Erlösung, Unsterblichkeit, wie sie
zwölf Dissertationi Philosophicae de Orbitis Pla- sich früher in mir festgesetzt, wollten sich mit der
netarum Praemissae Theses drucken. Die Dis- neuen Lehre nicht verbinden, ja schienen ihr zu
putation findet am 27.8.01 statt, seinem 31. Ge- widersprechen; und Hegel, den Schelling bald
burtstag; Opponenten sind die Professoren Niet- herangezogen, hatte beim Beginn seiner Vorträge
hammer, Schelling und der Student Schwarzott, uns die Worte Dantes zugerufen: Lasciate ogni
Respondent ist Schellings Bruder Karl. In den speranza voi ch’entrate. Ich weinte die bittersten
folgenden Wochen arbeitet Hegel – fraglos ge- Tränen …« (HBZ 41).
stützt auf das bereits genannte naturphilosophi- In Hegels Ankündigung für dieses erste Seme-
sche Konvolut – seine lateinische Dissertation de ster heißt es zudem, »disputatorium philosophi-
Orbitis Planetarum aus, und zwar ursprünglich in cum communiter cum Excell. S c h e l l i n g i o diri-
deutscher Sprache. Am 18.10.01 reicht er sie der get.« Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Abeken
Fakultät ein, und am Tage darauf hält er seine und Troxler belegen, daß dieses Disputatorium
Probevorlesung; über sie ist leider nichts be- entgegen Rosenkranz’ Vermutungen stattgefun-
kannt. den hat. Ihren Berichten lassen sich auch Einzel-
heiten über den Verlauf des Disputatoriums ent-
Quellen: GW 5.221–253. – Literatur: Dokumente zu
Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801–1807). Hg. von
nehmen: Es wurden von den Teilnehmern the-
Heinz Kimmerle, HS 4 (1967), 21–99; Kurt Rainer matisch vielleicht an Schellings gleichzeitige Vor-
Meist: Texte zur Habilitation (1801), GW 5.611–651. lesung angelehnte, aber nicht gebundene Thesen
»von der damaligen Art metaphysischer Specula-
tion« aufgestellt und in damals üblichen Formen
»lebhaft« diskutiert (GW 16.79) Hegel hielt sich
jedoch – obgleich er als Mitveranstalter auftrat –
22 I. Leben

in diesem Disputatorium so zurück, daß sein ich von diesem Menschen je etwas wieder lesen;
Name in den Berichten der Teilnehmer nicht die Zeit wird mir immer kostbarer.« (HBZ 56)
einmal genannt wird. Spätestens im Sommer 1802 wird Hegel August
Quellen: Br 4/1.83–85. – Literatur: Kimmerle: Doku-
Wilhelm Schlegel kennengelernt haben (HBZ
mente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit, 21–99; 46), der jedoch Schelling gegenüber Hegels
Friedhelm Nicolin: Aus Schellings und Hegels Dis- Glauben und Wissen tadelt. Und wie Schelling
putatorium im Winter 1801/02. Ein Hinweis. HS 9 sich Fichte gegenüber von Hegels Differenz-
(1974), 43–48; Solgers Schellingstudium in Jena Schrift distanziert, so stimmt er auch Schlegel am
1801/02. Fünf unveröffentlichte Briefe. Mitgeteilt und 19.8.02 »in allen Stücken bei, ausgenommen, daß
erläutert von Wolfhart Henckmann. HS 13 (1978),
53–74; Schellings und Hegels erste absolute Metaphy-
er [sc. Hegel] Fichtes Bestimmung des Menschen
sik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnach- als in philosophischer Rücksicht nicht geschrie-
schriften von I.P.V. Troxler, hg., eingeleitet und mit ben hätte betrachten sollen«. (HBZ 48) Caroline,
Interpretationen versehen von Klaus Düsing. Köln damals formell noch Schlegels Frau, steht jedoch
1988. – wiederum über Schelling – in persönlicher
Beziehung auch zu Hegel und erwähnt ihn häufig
in ihrer Korrespondenz – als Besuch, anläßlich
4.4. Geselligkeit gemeinsamer Weinbestellungen und als Liebha-
ber von Würsten (HBZ 44 f.,47,49). Später, am
Schelling hat Hegel nicht allein den Eintritt in 4.10.09, kolportiert Hegel jedoch eine recht de-
das akademische, sondern auch in das gesell- spektierliche Äußerung (aus der Familie Paulus?)
schaftliche Leben Jenas erleichtert. So vermittelt über ihren Tod: Er bezeichnet sie »als jene Sep-
er den Besuch Hegels bei Goethe am 21.10.01 tem« – also als ein zänkisches altes Weib (freund-
und führt ihn auch in den illustren Kreis um licher Hinweis von Orrin F. Summerell) –, »deren
Johann Diederich Gries ein (HBZ 39,41), eines Tod wir neulich hier vernommen, und von der
Juristen, der insbesondere als Übersetzer Tassos, einige hier die Hypothese aufgestellt haben, daß
Ariosts und Calderons bekannt geworden ist. der Teufel sie geholt habe.«
Hingegen ist ungewiß, ob Hegel damals auch Zu Beginn der Jenaer Zeit knüpft Hegel jedoch
Friedrich Schlegel persönlich kennengelernt zwei Freundschaften, die jahrzehnte- bzw. le-
habe. Er berichtet zwar später: »Friedrich Schle- benslang dauern: mit dem vier Jahre älteren
gels Auftreten mit Vorlesungen über Transzen- Friedrich Immanuel Niethammer und mit dem
dentalphilosophie erlebte ich noch in Jena«, je- neun Jahre älteren Heinrich Eberhard Gottlob
doch nur im Blick auf den angeblich vorzeitigen Paulus. Beide kamen aus dem Tübinger Stift und
Abbruch dieser Vorlesungen. Hierin wiederholt waren damals Professoren der Theologie in Jena.
Hegel aber nur eine Behauptung Schellings ge- Niethammer hat sich nach seinem Konsistorial-
genüber Fichte (31. 10. 1800), so daß sich eine examen 1789 noch bis April 1790 in Tübingen
persönliche Bekanntschaft zwischen ihm und aufgehalten und auch im Stift Privatunterricht
Friedrich Schlegel dadurch nicht belegen läßt. So erteilt (Henrich 1997, CI); damals könnte Hegel
bleibt nur ein in einem anonymen Pamphlet ge- ihn bereits kennengelernt haben; 1801 nimmt er
gen Hegels Philosophie aus dem Jahre 1831 über- an Hegels Disputation teil. Die Verbindung mit
liefertes Zeugnis eines »durchaus glaubwürdigen Paulus scheint durch Hegels Frankfurter Be-
Mannes« und Augenzeugen, daß Hegel Schlegels kannte Hufnagel vermittelt, denen Hegel am
»1800 in Jena gehaltenen Vorlesungen über 30.12.01 berichtet, daß Paulus »auf Ostern« eine
Transzendentalphilosophie« beigewohnt habe neue Spinoza-Ausgabe veröffentlichen werde.
(Anonymus 1831, XXVII) – was sich allenfalls auf Von seiner späteren Mitarbeit an Band 2 dieser
die Zeit zwischen Mitte Januar und Ende März Ausgabe (GW 5.513–516) erwähnt er hier noch
1801 beziehen könnte. Auch Schlegels drasti- nichts, sondern nur von dem voraussichtlichen
scher Äußerung vom 26.3.04 gegenüber dem Bru- Eindruck auf die Zeitgenossen: »das gelehrte alt-
der läßt sich keine persönliche Bekanntschaft theologische Publikum aber, das diesen Paulus
entnehmen: Schelling sei »nun einmahl an das schon lang für einen Saulus ansah, wird ohne
Stehlen gewohnt« – aber: »Noch eckelhafter je- Zweifel finden, daß er sich durch die Auflage des
doch sind mir die Hegeleien. – Schwerlich werde Spinoza (die er noch dazu auf eigne Kosten
4. Jena (1801–1806) 23

macht!) in die zweite Potenz des Saulus erhoben von beiden herausgegebenen Kritischen Journals
habe.« besiegelt, wie überhaupt das Ende ihrer philo-
Literatur: Anonymus [Hülsemann]: Ueber die Wissen-
sophischen Zusammenarbeit. Ihre enge Verbin-
schaft der Idee. Erste Abtheilung. Die neueste Identi- dung lebt noch eine Weile insofern fort, als Schel-
tätsphilosophie und Atheismus oder über immanente ling in seinem Rechtsstreit mit dem Verleger
Polemik. Breslau 1831; Ernst Behler: Friedrich Schle- Gabler Hegel als Vertreter benennt und seinen
gel und Hegel. HS 2 (1963), 203–250; Ernst Behler: Anwalt Assal anweist, »keinen Schritt zu tun oder
Friedrich Schlegels Vorlesungen über Transzendental- etwas Bedeutendes einzureichen, als mit seiner
philosophie Jena 1800–1801. PLS 2.52–71; Henrich
(Hg.): Diez (1997).
[sc. Hegels] vorläufigen Genehmigung« (HBZ
51). Schelling lädt Hegel am 14.7.04 auch ein zur
Mitarbeit an seiner künftigen Zeitschrift, den
4.5. Außerordentliche Professur Jahrbüchern der Medizin als Wissenschaft, doch
für Philosophie Hegel antwortet hierauf erst am 3.1.07 – weil er
seine Bereitschaft hierzu »zugleich durch die Tat«
Wie der Weggang Fichtes aus Jena und sein beweisen wollte, aber keine Gelegenheit dazu
späteres Zerwürfnis mit Schelling dessen enge fand.
Verbindung mit Hegel fraglos begünstigt hat, so Diese neue, für die Universität Jena prekäre
scheint auch der weitere Verfall der Universität Situation erlaubt es Hegel andererseits, aus dem
Hegels Etablierung entgegengekommen zu sein. Schatten Schellings herauszutreten. Bereits am
1803 verlassen mehrere angesehene Lehrer Jena; 16.11.03, mit der Gratulation zum Ruf nach
Schelling spricht am 31.8.03 geradezu von einem Würzburg, meldet er Schelling: »ich habe das
»Auseinanderspringen des bisherigen Indiffe- Lesen wieder angefangen und komme damit bes-
renzpunktes von Norden und Süden in Jena, wo ser aus als sonst.« Seine Einschätzung wird auch
nun ein Teil nach Süden, ein andrer nach Norden durch Urteile anderer gestützt: Im Sommer 1803
geworfen wird.« Die Allgemeine Literatur-Zei- empfiehlt Schiller gegenüber Wilhelm v. Hum-
tung wird ins preußische Halle verlegt; Gottlieb boldt Hegel als »einen gründlichen philosophi-
Hufeland und Paulus werden im Zuge der Neu- schen Kopf«, der jedoch »etwas kränklich und
organisation der dortigen Universität nach Würz- grämlich« sei – letzteres eine Charakterisierung,
burg berufen; ihnen folgt ein Jahr später Niet- die sich aus anderen Äußerungen nicht belegen
hammer. Auch Hegel trägt sich bereits damals mit läßt. Aber am 9.11.03 berichtet er Goethe, »unser
dem Gedanken, Jena zu verlassen und zurück Dr. Hegel soll viel Zuhörer bekommen haben, die
nach Frankfurt an ein Gymnasium zu gehen, wie selbst mit seinem Vortrag nicht unzufrieden sind«
aus Hufnagels Brief vom 4.5.03 zu erschließen ist: (HBZ 52 f.). Schiller und Goethe schmieden im
Ich konnte »kaum ahnen, daß Sie die akademi- November / Dezember 1803 den Plan, Hegel und
sche Laufbahn mit einer gymnasiastischen ver- Fernow einander anzunähern, damit Hegel lerne,
tauschen würden. Unser Consistorium ist mit seinen Idealismus zu verständigen, und Fernow,
einem gothaischen Lehrer durch mich in Unter- aus seiner Flachheit herauszugehen. Goethe er-
handlungen getreten, da das Prorektorat erledigt wähnt Hegel mehrfach in seinem Tagebuch als
ist am Gymnasium; aber das E n d w o r t erwarte Gesprächspartner oder Teilnehmer einer Abend-
ich noch«. gesellschaft, und Charlotte Schiller empfiehlt ihn
Auch Schelling verläßt zusammen mit Caro- als Gesprächspartner für Madame de Staël (HBZ
line, damals noch »Mme. Schlegel«, im Mai Jena 54 f.).
und reist nach Württemberg, von wo er am Ein gutes Jahr später schreibt K. F. E. From-
11.7.03 Hegel mitteilt, daß er nun mit seiner mann, Hegel werde »diesen Winter von seinen
Freundin verheiratet sei. Um diese Zeit kursieren Zuhörern sehr gelobt und geliebt« (HBZ 58), und
bereits Gerüchte über seine Berufung nach Würz- selbst K. Ch. F. Krauses Freund Ch. F. Lange, der
burg, und während er am 31.8.03 nur von einer im Winter 1804/05 noch »unbefriedigt durch He-
»sehr entschiednen Stimmung« für ihn berichten gel und Fries« gewesen ist, berichtet nun Krause:
kann, gratuliert Hegel ihm am 16.11.03 dazu, daß »Hegels Vortrag hat sich sehr gebessert, und ich
er nun an seinem »fixen Ort und Stelle ange- hoffe, daß er bei dem hohen ihn beseelenden
kommen« sei. Damit ist zugleich das Ende des Geiste mir die Bahn zum Besseren wird zeigen
24 I. Leben

können.« (HBZ 57 f.) Seit diesen Jahren sammelt Trotz dieser Anerkennung bleibt seine Situa-
Hegel einen Kreis von Schülern um sich, mit tion weiterhin unbefriedigend, zumal mit der
denen er zum Teil auch später noch in Verbindung Ernennung kein Gehalt verbunden ist. Im Som-
steht – u. a. Georg Andreas Gabler, seinen späte- mer 1805 bemüht Hegel sich deshalb in einem,
ren Nachfolger in Berlin, der auch über weitere nach den überlieferten Entwürfen sehr eindring-
Schüler berichtet: über den Niederländer Peter lichen Schreiben an Johann Heinrich Voß, der
Gabriel van Ghert, den Hegel später auf seinen von Jena nach Heidelberg gegangen ist, dort um
Reisen besucht hat (s. 52, 54), sowie über den eine Stelle: In Heidelberg werde »eine neue Mor-
etwas genialischen Hermann Suthmeyer und den genröte für das Heil der Wissenschaften auf-
bereits von der Schwindsucht gezeichneten Chri- gehen« – doch Voß antwortet, daß vorerst, »bis
stian Gotthilf Zellmann, der »am meisten in das die notwendigen Fächer versorgt sein werden, an
innere Verständnis von Hegel eingedrungen« sei nichts Außerordentliches zu denken ist.« Auch
(HBZ 59–62). Karl Wilhelm Gottlob Kastner, der als Professor
In diesen Jahren verfolgt Hegel – in Verbin- für Chemie ebenfalls von Jena nach Heidelberg
dung mit Goethe, Thomas Johann Seebeck und geht, berichtet, Voß habe von zuständiger Stelle
Franz Joseph Schelver – ein starkes naturphiloso- eine »durchaus abschlägige Antwort erhalten« (Br
phisches Interesse; Goethe sagt von den drei 1.95–103). Lange, der zuvor in Jena Krause favo-
Genannten, sie machten »allein eine Akademie risiert und sich dann Hegel genähert hat, be-
aus« (HBZ 86). Mit Goethe und Seebeck macht richtet diesem am 4.12.05 aus Heidelberg, daß
Hegel in der camera obscura »Versuche wegen Carl Daub sich sehr für ihn interessiere – jedoch:
der mehr oder weniger wärmenden Kraft der »isoliert steht der Treffliche da und will von Geist
gefärbten Lichter« (HBZ 73). Am 30.1.04 wird sprechen solchen, die von Wasser übergossen
Hegel zum Assessor der Herzoglichen Mineralo- sind.« Niethammer gegenüber, der sich anschei-
gischen Sozietät ernannt; am 1.8.04 wird er Mit- nend für einen Ruf Hegels nach Würzburg einge-
glied der naturforschenden Gesellschaft West- setzt hat, das durch den Frieden von Preßburg
falens. In diesem Zusammenhang könnte auch zunächst wieder von Bayern abgetrennt wurde,
eine geplante Reise nach Göttingen und in den äußert Hegel am 14.1.06 gleichwohl ein Interesse
Harz stehen, für die er am 30.5.04 einen Paß sei es an Würzburg, sei es an einer neugegrün-
erhält (Br 4/1.87 f.). deten oder erweiterten Universität in Bayern
Trotz solcher erfreulichen Entwicklungen oder in der reorganisierten Universität Tübin-
bleibt seine Situation als Privatdozent der Philo- gen; aus Sinclairs Brief vom 25.5.06 geht hervor,
sophie – und somit ohne Besoldung – jedoch daß Hegel auch Hoffnung auf die Gründung einer
unbefriedigend. Am 7.9.04 bittet er den nach Universität in Berlin gesetzt hat. Alle diese Hoff-
Heidelberg gereisten Gries zu erkunden, »wie die nungen aber erfüllen sich nicht. Niethammer ruft
Witterung in Ansehung der Universität dort ihm deshalb am 26.5.06 zum Trost zu: »Der Herr
steht; […] Ich höre, daß dort noch ein Lehrstuhl wird aber schon noch Israel erlösen«, und Goethe
unbesetzt ist«. Nahezu gleichzeitig, am 29.9.04, erwirkt Hegel am 24.6.06 wenigstens ein Jahres-
wendet er sich an Goethe: Er höre, daß einige gehalt von 100 Talern: »Zwar wünschte ich mehr
Kollegen »der gnädigsten Ernennung zur Pro- anzukündigen; allein in solchen Fällen ist man-
fessur der Philosophie entgegensehen« und ches für die Zukunft gewonnen, wenn nur einmal
werde hierdurch daran erinnert, daß er »der äl- ein Anfang gemacht ist.«
teste der hiesigen Privatdozenten der Philoso-
phie« sei, und er glaube, »wenigstens vorigen
Winter nicht ohne die Zufriedenheit meiner zahl- 4.6. Das Ende der Jenaer Jahre
reichen Hörer gelesen zu haben« – und er kündigt
eine im Winter 1804/05 zu vollendende »rein Diese Zukunft nimmt jedoch eine unerwartete
wissenschaftliche Bearbeitung der Philosophie« Gestalt an: Kurz nach dem erneuten Ausbruch
an. Im Februar 1805 wird er zum außerordentli- des Krieges mit Frankreich wird Jena am
chen Professor der Philosophie ernannt – aller- 13.10.06 von den Franzosen besetzt. Am selben
dings gemeinsam mit Fries (Br 1.456), der sich Tage berichtet Hegel Niethammer: »den Kaiser –
damals bereits als Gegner der Philosophie Fich- diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum
tes und Schellings profiliert hat.
4. Jena (1801–1806) 25

Rekognoszieren hinausreiten; – es ist in der Tat Frommann und dessen Sohn Friedrich Johannes,
eine wunderbare Empfindung, ein solches In- die übereinstimmend berichten, daß Hegel »mit
dividuum zu sehen, das hier auf einen Punkt seinem ganzen Hause, sechs Personen, bei uns
konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die logierte« und sich an der Rettung von Gegen-
Welt übergreift und sie beherrscht.« Nur einige ständen aus dem vom Brand bedrohten Haus
Einwohner seien »durch ungeschicktes Verhalten Seebecks beteiligte (HBZ 75 f.).
und unterlassene Vorsicht« in Verlegenheit ge- Größer noch als seine Sorge um das Wohler-
setzt worden. Dies stimmt etwa überein mit der gehen der Stadt scheint Hegels Sorge um seine
späteren Schilderung Gablers: Hegel habe ihm Manuskripte zur Phänomenologie des Geistes ge-
erzählt, »daß er anfangs noch ziemlich glücklich wesen zu sein. Der größte Teil des Manuskripts
gewesen sei. Es seien einige Infanteristen in ist zwar, wie er am 13.10. schreibt, bereits am 8.
seine Wohnung gedrungen mit drohendem Aus- und 10.10. abgegangen, und er ist in Sorge, ob es
sehen und fähig, das Schlimmste zu verüben; er auch im Verlag in Bamberg angekommen sei. Die
habe jedoch einen derselben, welcher das Kreuz letzten Bogen aber hat Hegel bei der Plünderung
der Ehrenlegion trug, bei der Ehre, deren Zei- noch bei sich. Sie sind zwar nicht vernichtet
chen er auf der Brust trage, zu packen gewußt und worden, aber »freilich haben die Kerls meine
ihn mit seinen Kameraden dazu gebracht, daß sie Papiere wie Lotterielose in Unordnung gebracht,
die von ihm ausgesprochene Erwartung einer so daß es mich die größte Mühe kosten wird, das
ehrenhaften Behandlung wirklich rechtfertigen; Nötige herauszufinden«. Am 20.10., so teilt er
er habe ihnen zu essen und zu trinken gegeben, zwei Tage zuvor Niethammer mit, will er diese
was er hatte, und sei so, bis sie wieder gingen, letzten Bogen absenden, »die ich seitdem immer
ganz friedlich mit ihnen ausgekommen.« Diese in der Tasche herumschleppe mit einem Briefe
Nacht hat er, wie sein Postscriptum zum Brief aus der Schreckensnacht vor dem Brande.«
vom 13.10. ausweist, in »Amtskommissär Hell- Wegen der Kriegsereignisse ist die akademi-
felds Haus« logiert und die Feuer »der französi- sche Tätigkeit unterbrochen; da Hegel den zu
schen Bataillons, die sie aus den Fleischbänken, erwartenden Unannehmlichkeiten – »Teurung,
Trödelbuden und dergl. auf dem ganzen Markte Dieberei u.s.f.« – entgehen und lieber in Bam-
haben«, angesehen. berg den Druck der Phänomenologie überwachen
Fünf Tage später lauten Hegels Nachrichten will, hält er sich von Anfang November bis Mitte
anders: Am 13.10. hat Jena gebrannt, »der Stadt Dezember in Bamberg in der Nähe Niethammers
ist es so schlecht als uns gegangen«; er sei – wie auf. Von seiner Reise nach Bamberg gibt er From-
viele andere – geplündert worden. Gabler erzählt mann am 17.11.06 einen ironischen Bericht: »Auf
weiter: »Als in den Tagen des 14. Okt. überall in dem ganzen Wege habe ich von den Franzosen
der Stadt Zerstörung und Verwüstung war und genug zu Rühmens [!] gehört; – sie haben allent-
nur wenige Häuser der Plünderung entgingen, halben den Leuten die Langeweile erspart, täg-
kam Hegel, der in seiner Wohnung sich nicht für lich von ihrem Korn, Stroh, Heu und den übrigen
sicher hielt, nebst seiner Wärterin, welche einen häuslichen Effekten etwas Weniges zu gebrau-
Korb auf dem Rücken trug, zu uns, um in un- chen und denselben Akt immer zu wiederholen;
serem Hause eine einstweilige Unterkunft zu fin- wozu dieses langsame Volk sonst Jahre und Tage
den.« Gabler vermittelte ihm eine leerstehende nöthig hatte, dies haben die Franzosen in einem
Studentenstube, »in welcher er einstweilen seine Tage bewerkstelligt. Weil es jedoch nicht gut ist,
Aufwärterin mit der mitgebrachten Habe ließ. Es daß der Mensch ohne Arbeit sei, haben sie ihnen
dauerte dies indessen nicht lange. Als ich nach die hinterlassen, ihre Häuser von neuem zu er-
einigen Stunden wieder nach Hause kam, hörte bauen und somit sie jetzt moderner einrichten zu
ich, daß er alles wieder abgeholt habe.« (HBZ können.« Am 3.1.07 schreibt Hegel wieder aus
67 f.) Er scheint aber nicht in seine Wohnung Jena an Schelling, und noch vor dem 16.1.07
gegangen zu sein, in der er nach Gablers Bericht sendet er das Manuskript der Vorrede zur Phäno-
»dem Ungestüm und Andrang der überall ein- menologie nach Bamberg.
brechenden französischen Soldaten ebenfalls Die ohnehin schwierige Situation in Jena ist
ausgesetzt war und zuletzt [sc. zu Gabler] wei- durch den Krieg noch drückender geworden.
chen mußte«, sondern zu Karl Friedrich Ernst Franz Joseph Schelver, der inzwischen aus Jena
26 I. Leben

nach Heidelberg berufen ist, ermuntert Hegel Anbetracht einer unerwarteten Kürzung des Ho-
Ende Januar 1807, wenn er »als einzelner Mann norars macht Niethammer Hegel Hoffnung, ihm
Jena verlassen« könne, ebenfalls nach Heidelberg als Ausgleich »die Stelle eines Religionslehrers
zu kommen und an einem »kritischen Institut«, bei dem Seminar« zu verschaffen; vor allem aber
d. h. an den zu gründenden Heidelberger Jahr- verrät er Hegel das »Geheimnis«, daß er bereits
büchern mitzuarbeiten. Gleichzeitig richtet Hegel Ostern »als Referendär bei dem geheimen Schul-
ein Gesuch an Goethe, sowohl die durch Schel- und Studien-bureau in München« beschäftigt
vers Weggang freie Besoldung zu erhalten als werde. Hegel dankt ihm am 20.2. »mit umlau-
auch »die gegenwärtig unbenutzte Wohnung des fender Post« für diesen Hinweis, zumal er ja auch
herzoglichen botanischen Gartens zu beziehen«. stets »die Weltbegebenheiten mit Neugierde ver-
Er plane, seine in die Schweizer Zeit zurück- folge«. Er könne jedoch »dieses Engagement
reichenden botanischen Studien wieder aufzu- nicht für etwas Definitives ansehen« – wobei er
nehmen, so daß er bald auch »botanische Vor- sowohl auf Niethammers künftige einflußreiche
lesungen neben den philosophischen« halten und Stellung als auch auf die Möglichkeit eines Rufs
Goethe über den Siderismus unterhalten könne. nach Heidelberg verweist. Auch Schelling teilt er
Über diesen hatte ihm Schelling am 11.1.07 am 23.2.07 den Plan mit, »die Redaktion der
neuere Nachrichten mitgeteilt. politischen Bamberger Zeitung« zu übernehmen,
Sowohl Schelvers Hinweis, Hegel solle »als doch er erwähnt ebenfalls seine Hoffnung, künf-
einzelner Mann« kommen, als auch die Bitte um tig als Redakteur eines Kritischen Journals der
die Wohnung haben wahrscheinlich denselben Deutschen Literatur nach Heidelberg zu gehen,
Hintergrund: Am 5.2.07 wird in Jena Georg Lud- und zugleich entwirft er Maximen des Journals
wig Friedrich Fischer geboren (zu ihm s. insbe- der deutschen Literatur (GW 4.509–514).
sondere Birkert 2008); sein Vater ist Hegel, seine Anfang März trifft Hegel in Bamberg ein, und
Mutter Christiane Charlotte Burckhardt, »eines von dort richtet er über Goethe ein Gesuch an den
Gräflichen Bedienten verlassenes Eheweib«; die Herzog um Urlaub von seiner Jenaer Professur
Taufpaten sind »Friedrich Frommann, Buchhänd- zur Wahrnehmung »eines Privatgeschäfts, das
ler allhier«, und Hegels Bruder »Georg Ludwig temporär ist«. Seine Hoffnung, auf Grund dieser
Hegel, Lieutenant im Königl. Würtemberg. Regi- Formulierung noch etwas länger im Genuß seines
ment Kronprinz«. Den Namen Fischer erhält der Gehalts von 100 Talern zu bleiben, erfüllt sich
Sohn nach dem Geburtsnamen seiner Mutter, die jedoch nicht: Wie er Knebel am 30.08.07 mitteilt,
zuvor bereits zwei andere Kinder »in Unehren« ist die Zahlung bereits mit Ablauf des April einge-
geboren hat: Auguste Theresia, am 18.10.01, und stellt worden.
am 9.3.04 einen Sohn, der aber am 30.11.06, also Quellen: GW 4, GW 5. – Literatur: R 147–230; Hegel
zwischen der Plünderung Jenas und der Geburt 1770–1970, 126–142; Birkert 2008, 280–292.
Ludwigs, gestorben ist (Br 4/1.231). Der Sohn
wird in Jena im Knabenerziehungsinstitut einer
Schwägerin Frommanns, Johanna Sophia Bohn, 5. Bamberg (1807–1808)
und ihrer Schwester Betty Wesselhöft aufgezo-
gen, bis Hegel ihn 1817 in seine Familie auf- 5.1. Die Bamberger Zeitung
nimmt.
In Bamberg erwartet Hegel eine im Vergleich mit
Jena angenehme Situation: Sein Engagement für
4.7. Übergang nach Bamberg die Bamberger Zeitung läßt ihm Zeit, seiner »wis-
senschaftlichen Arbeit fortzuleben«; er vereinbart
Die durch die Geburt des Sohnes nochmals er- mit dem Verleger Schneiderbanger die Möglich-
schwerte Situation löst sich auf unerwartete keit einer kurzfristigen Beendigung seiner Re-
Weise durch einen Vorschlag Niethammers vom daktionstätigkeit im Fall weiterer Berufungen,
16.2.07: In Bamberg ist die Redaktion der dorti- und er einigt sich mit ihm auf eine Halbierung
gen Zeitung verwaist; Niethammer wird ange- des Gewinns, so daß ihm gut 1300 Gulden blei-
fragt, ob er diese Aufgabe nicht übernehmen ben. Zudem kommt die neue Aufgabe seinen
könne, und schlägt statt seiner Hegel vor. In politischen Interessen entgegen. Allerdings
5. Bamberg (1807–1808) 27

schreibt er bereits am 30.8.07 an Knebel, sein desdirektionsrat für Schul- und Kirchenwesen zu
»Hang zur Politik« habe sich durch die Zeitung wirken. Etwa zu dieser Zeit kommt aber Hegels
»vielmehr geschwächt, als daß er dadurch Nah- Jenaer Bekannter Paulus als Kreis- und Schulrat
rung gefunden hätte«. Und zugleich sucht er Kne- nach vierjähriger Tätigkeit in Würzburg mit sei-
bel als Berichterstatter zu gewinnen: Dessen Ein- ner Familie nach Bamberg; ihr herzliches Verhält-
weihung »in die höhere Politik« sei »imstande, nis ist jedoch – gerade wegen der engen Verbin-
die niedrigere Zeitungsschreibers-Politik in et- dung – heute nur noch in den Briefen faßbar, die
was zu erheben«. Und Knebel steuert auch wirk- während einer Krankheit Hegels gewechselt wur-
lich – obgleich dies nicht sein »Fach« ist – ein paar den. Dorothea Schlegel berichtet Sulpiz Boisse-
»politische Neuigkeiten« zu Hegels Zeitung bei. rée am 20.8.08 sogar, Hegel sei »alle Abend bei
Paulus«, und beide hätten sie so weit gebracht,
»daß ich über allerlei mit ihnen disputieren und
mich blosgeben mußte«: »Dabei sind aber Grund-
5.2. Weitere Pläne sätze von ihrer Seite zum Vorschein gekommen,
von denen man gar keinen Begriff hat! Nicht
Diese günstigen Verhältnisse lassen Hegel denn
allein eine total verkehrte Ansicht, sondern ganz
auch ausrufen: »Was will ich in dieser Welt viel
und gar nicht die geringste Kenntnis von dem
Zeitliches mehr?« Und dennoch empfindet er
Stand der Dinge! Kurz über alle Begriffe ver-
seine Redaktionstätigkeit als eine Verbannung
kehrt! – Es darf nicht besser gehen in der Welt,
von seiner eigentlichen, philosophischen Auf-
solange dergleichen regiert.« (HBZ 89)
gabe. Um dieser wieder näherzukommen, faßt er
Freilich beschränkt sich Hegels geselliger Ver-
gleich zu Beginn seiner Bamberger Zeit eine
kehr nicht auf die Familie Paulus. Am 8.7.07
Tätigkeit an Gymnasien ins Auge, für die er auf
schreibt er Niethammer, Oberjustizrat Johann
die Unterstützung Niethammers rechnet. Über
Heinrich Liebeskind und seine Frau, die beide
diesen sendet er am 30.5.07 eine – verschollene –
auch mit Schelling und seiner Frau bekannt sind,
Denkschrift »Ansichten in Ansehung einer Ly-
»sind für mich eine große Akquisition, ich gehe
zeums- oder Gymnasiums-Stelle« an den bayeri-
fast nur in dieses Haus«. Gleichwohl liebt er es,
schen Geheimrat v. Zentner. Dem von Nietham-
nach dem Abendessen ein Glas Wein »bei dem
mer anvisierten »Auftrag zur Ausarbeitung einer
ehrlichen Hofrat Ritter« zu trinken (8.8.07). Im
Logik für die Lyzeen« steht Hegel hingegen recht
Juli 1807 lernt Hegel auch Jean Paul bei dessen
skeptisch gegenüber, weil eine solche Logik nur
Besuch in Bamberg kennen, und dieser urteilt
eine faßliche Form der »alten Logik« sei und es
trotz seiner Freundschaft mit Jacobi: »Hegel ge-
vielmehr auf eine »neue Wissenschaft« ankomme
fällt mir über alle Erwartungen hinaus« (HBZ
(20.5.08). Noch weniger kann er sich freilich mit
86). Daneben pflegt Hegel den Briefwechsel mit
dem Gedanken anfreunden, an Bamberger Schu-
seinen Jenaer Freunden Knebel und Thomas Jo-
len unter Aufsicht der protestantischen Kirche
hann Seebeck, der ihn über neue chemische Ver-
» a u f g e k l ä r t e Religionslehre« zu unterrichten
suche unterrichtet. Der Briefwechsel mit Schel-
– dies heiße, »Weißtüncher und Schornsteinfeger
ling hingegen bricht mit dessen Brief vom 2.11.07
zugleich sein«. Er, »der viele Jahre lang auf dem
ab, in dem er Hegel mitteilt, er habe bisher nur
freien Felsen bei dem Adler nistete und reine
die Vorrede zur Phänomenologie gelesen und sei
Gebirgsluft zu atmen gewohnt war, sollte jetzt
nicht gewillt, die dort vorgetragene Polemik ge-
lernen, von den Leichnamen verstorbener oder
gen den Formalismus auf sich selbst zu beziehen
(der modernen) totgeborner Gedanken zehren
statt lediglich auf die »Nachschwätzer«, die er
und in der Bleiluft des leeren Geschwätzes vege-
selber »vom Hals zu bekommen« wünsche. Sin-
tieren« (November 07).
clair hingegen gewinnt aus Bachmanns Rezen-
sion der Phänomenologie den Eindruck, daß He-
gel sich dort gegen »die Scharlatanerie Schellings
5.3. Geselligkeit und seiner Konsorten« richte, die »nichts als Me-
thodelosigkeit und unerwiesenes Geschwätz ist,
Bereits einen Monat nach Hegels Ankunft verläßt das sich heuchlerisch hinter einem läppischen
Niethammer Bamberg, um in München als Lan- Enthusiasmus verbirgt« (16.8.10).
28 I. Leben

5.4. Politische Zensur hängt ganz davon ab, ebenso die Subsistenz
zweier verheirateter Arbeiter und einiger andern
Die von Hegel geleitete Bamberger Zeitung ist Personen. Dies alles wird durch einen einzigen
damals, verglichen mit den regierungsamtlichen Artikel, der als anstößig gefunden wird, aufs
Zeitungen, ein privates Blatt mit regionaler Ver- Spiel gesetzt; ich bin es, der einen solchen Arti-
breitung; sie untersteht gleichwohl der strengen kel aufgenommen hätte und zugleich ist mehr
Zensur durch die örtlichen Behörden. Bei der als je ungewiß, was Anstoß geben kann; ein
politischen Redaktion ist es Hegel fraglos zugute Zeitungsschreiber tappt darüber nur im Blinden
gekommen, daß er die Tendenz der damaligen herum.« Und dies sind keine bloßen Befürchtun-
Regierung durchaus teilt: die Neugliederung und gen: Die »Bayreuther und Erlanger Zeitung«
innere Strukturierung der deutschen Staaten sind damals bereits suspendiert, und wenige
durch Napoleon. Ihm schreibt Hegel die Aufgabe Monate nach Hegels Weggang wird auch die
zu, all das zu organisieren, wovon die deutschen Bamberger Zeitung verboten, und die Drucker-
Fürsten keinen Begriff haben: »Der große Staats- pressen werden versiegelt (20.2.09). So sehnt er
rechtslehrer sitzt in Paris.« (29.8.07). Der politi- sich auch aus diesem guten Grunde danach, von
sche Zustand in Frankreich ist für Hegel schlecht- seiner »Zeitungs-Galeere endlich wegzukom-
hin vorbildhaft, und zwar durchaus nach der men« (15.9.08).
Seite der größeren Demokratisierung: »dies
Sprechen der Regierung mit dem Volke über ihre
und seine Interessen ist eines der größten Ele- 5.5. Erlösung vom Zeitungsjoche
mente der Kraft des französischen und engli-
schen Volkes.« (22.2.08) Diese Befreiung steht damals kurz bevor – wenn
Die kleineren Zeitungen, die keine eigenen auch nicht in der eigentlich erwünschten Weise.
Verbindungen zu politischen Kreisen und auch Wie schon in den späten Jenaer Jahren, so richtet
keine Möglichkeiten zu recherchieren haben, sich Hegels Blick auch jetzt auf unterschiedliche
entnehmen damals ihre Artikel gemeinhin an- Orte und Tätigkeiten. Dem Jenaer Freund Fried-
deren Blättern, sofern diese ebenfalls unter Zen- rich Frommann teilt er am 9.7.08 mit, er ginge
sur erscheinen. Die Handschrift des Redakteurs am liebsten nach Jena zurück, aber: »ohne or-
kommt somit nur bei der Auswahl und Verbin- dentliche Besoldung kann ich nicht hin, mit einer
dung solcher Nachrichten zur Geltung. Im Kon- solchen aber würde ich herzlich gern, und wenn
fliktfall bietet diese Praxis ein Moment der Si- ich’s recht bedenke, nirgend lieber hingehen; zu
cherheit für den Redakteur: Auch Hegel hat sich einer honetten Arbeit zurückzukommen, ver-
am 9.11.08 genötigt gesehen, sich auf die von ihm zweifle ich fast außer Jena«. Zugleich pflegt er
ausgewerteten, in Gotha und Erfurt erscheinen- jedoch seine Heidelberger Kontakte, und als
den Blätter zu berufen. Dieses Verfahren scheint Creuzer ihn am 29.5.08 zur Mitarbeit an den
jedoch nicht den von der bayerischen Regierung Heidelberger Jahrbüchern der Literatur einlädt,
gewünschten Disziplinierungseffekt gehabt zu schlägt er am 28.6.08 neben dem allgemeinen
haben, denn sie schreibt bereits am 16.3.08 ver- Hinweis auf philosophische Werke einige Titel
bindlich vor, daß »nur o f f i z i e l l e Nachrichten namentlich vor: etwa August Wilhelm Schlegels
aus o f f i z i e l l e n Quellen in die Zeitung einge- Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle
rückt werden« dürften – und als »offiziell« gelten, d’Euripide (das sich auch in seiner Bibliothek
wie der für Bamberg zuständige »Regierungs- erhalten hat), Fichtes Reden an die deutsche Na-
Commissär des Main-Kreises«, Baron v. Stengel, tion, aber auch Jacobis und Schellings Akademie-
Hegel mitteilt, nur noch der französische und der Reden mit den gegen sie erschienenen Broschü-
westfälische Moniteur (GW 5.688). Das gereizte ren, die »das allgemeinere Interesse haben könn-
und nicht kalkulierbare Vorgehen der bayeri- ten, die bayerische Art und Weise überhaupt und
schen Regierung hat Hegel das Redaktionsge- insbesondere, Produkte höherer fremder Bildung
schäft insbesondere in den letzten Monaten sehr aufzunehmen.«
problematisch werden lassen: »Das Zeitungs- In dieser letzteren Hinsicht lebt Hegel damals
Etablissement enthält den beträchtlichen Teil des im Zwiespalt: Einerseits wendet er sich gegen
Vermögens einer Familie, meine Subsistenz den »neukatholischen Dünkel« gegenüber den
5. Bamberg (1807–1808) 29

aus dem nördlichen Deutschland nach Bayern ist verlornes, verdorbenes Leben« (1.10.08). Am
gekommenen Gelehrten (November 1807). Hef- 26.10.08 benachrichtigt Niethammer Hegel, er
tige Kritik übt er am 23.12.07 an Karl Rottman- sei »zum Professor der philosophischen Vorberei-
ners Pamphlet gegen Jacobi: »Herr R.« habe sich tungswissenschaften und zugleich zum Rektor
»mit allen bayrisch-pöbelhaften Ansichten assozi- des Gymnasiums zu Nürnberg ernannt worden«,
iert und die Aeußerung derselben für Pflicht der also in der Stadt, in der auch sein Freund Paulus
Philosophie ausgegeben«. Auffallend ist der Ge- bereits kurz zuvor zum Kreisschulrat berufen
gensatz dieser Wertung gegenüber Schellings Be- worden ist. Und so stattet Hegel am 28./29.10.08
richt an Windischmann vom 31.12.07: Rottman- Niethammer seinen Dank ab – freilich nicht ohne
ners Schrift gegen Jacobi sei »immer gut genug zugleich einen Blick auf die Erneuerung der pro-
für den Gegenstand«, und es sei erfreulich, einen testantischen Universität Altdorf und eine dortige
jungen Mann wie ihn hier zu Lande zu erblicken, wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Nietham-
und hingegen traurig, »daß endlich sogar Kinder mer zu werfen, aber doch mit deutlichen Worten:
und Unmündige schreien müssen, was die Er- »Sie sind dieser mein Schöpfer, ich Ihr Ge-
wachsenen und Alten nicht sehen wollen.« In schöpf«. Clemens Brentano hingegen schreibt ge-
diesem Konflikt deutet sich bereits die Abwen- genüber Savigny Hegels Berufung dem Einfluß
dung Hegels von Schelling und seine Zuwendung Schellings zu (HBZ 93) – wie Brentanos »Be-
zu Jacobi an. richte« auch sonst mehrfach in den Bereich der
Auch sonst spart Hegel bereits in Bamberg Dichtung gehören.
nicht mit seiner Kritik an den Zuständen in Bay- Auch für seinen Dienstantritt in Nürnberg be-
ern, wie er sich zuvor in Jena gegen Preußen antragt Hegel noch die Genehmigung des Würt-
gewandt hat. Doch andererseits richtet er seine tembergischen Ministeriums für Geistliche An-
Hoffnung auf eine Anstellung in Bayern durch die gelegenheiten, schon um das Recht zur Rückkehr
Fürsorge Niethammers. An ihn richtet er bereits nach Württemberg nicht zu verlieren, und diese
am 23.12.07 die beschwörende Bitte: »Hier und Genehmigung wird ihm auch – mit einer wenig
an der Zeitung lassen Sie mich nicht.« Er denkt schmeichelhaften Begründung – erteilt: »Profes-
dabei insbesondere an eine protestantische Uni- sor Hegel scheint, nach der Richtung, welche seit
versität wie Erlangen (11.2.08), freut sich aber mehreren Jahren seine Studien genommen ha-
auch über Niethammers Anfrage vom 8.5.08, ob ben, zu einem kirchlichen Amte weder die ge-
er nicht »Rektor eines Gymnasiums« »in irgend hörige Tüchtigkeit noch die erforderliche Nei-
einer unsrer Hauptprovinzstädte« werden wolle – gung mehr zu haben, und eine Lehrstelle, wozu
ein Vorschlag, den Hegel am 20.5.08 aufgreift und derselbe tauglich wäre, ist gegenwärtig nicht va-
in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken kant.« (Br 4/1.96)
sucht: »Man sei in einem Staate, was man sei, so Der Dienstantritt verzögert sich zwar etwas,
ist es am besten, es in der Hauptstadt zu sein; der weil das »allerhöchste Rescript« vom 4.11.08 erst
Aufenthalt in einer Provinzialstadt kann immer den Weg der Bürokratie durchlaufen muß; Paulus
für eine Verweisung angesehen werden«. Allen- sendet den bereits nach Nürnberg gereisten He-
falls eine Universitätsstadt könne »mit einer gel zunächst noch einmal nach Bamberg zurück,
Hauptstadt rivalisieren«. Und so spielt er mit dem und Niethammer muß am 17.11.08 seinen »klein-
Gedanken einer kurzfristigen Tätigkeit in Mün- gläubigen Freund« beruhigen und ihn ein zweites
chen und dem baldigen Wechsel nach Erlangen. Mal nach Nürnberg beordern. Am 23.11.08 erhält
Bei einem Besuch Hegels in Nürnberg am Hegel endlich seine Ernennung – und er richtet
5.8.08 scheinen dann nähere Details für Hegels an den Herzog Karl August die Bitte um Entlas-
Tätigkeit an einem Gymnasium abgesprochen sung aus dem Dienst als außerordentlicher Pro-
worden zu sein, denn Hegel spricht am 20.8.08 fessor der Philosophie zu Jena im November
gegenüber Niethammer bereits von seiner »No- 1808. So entfernt Hegel sich mit seinem Amts-
mination«, auch wenn diese »nicht obenan ste- antritt in Nürnberg einerseits von der Universi-
hen« werde. Doch treibt ihn die Besorgnis um, tät; andererseits kommt er der Wissenschaft wie-
daß ein erneuter Ausbruch des Krieges auch seine der einen Schritt näher, und damit derjenigen
eigene »Erlösung vom Zeitungsjoche« verzögern Tätigkeit, die ihm geboten erscheint: »Die theo-
könne: »jede Minute bei meinem Zeitungswesen retische Arbeit, überzeuge ich mich täglich mehr,
30 I. Leben

bringt mehr zustande in der Welt als die prakti- bei der III. in der Einleitung in die Kenntnis des
sche; ist erst das Reich der Vorstellung revolu- allgemeinen Zusammenhangs der Wissenschaf-
tioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus.« ten 4 St. und bei der I. in Religions-Rechts- und
(28.10.08) Pflichtenkenntnis 4 St., wozu ich Heil und Sal-
Quellen: GW 5.389–447,682–696. – Literatur: R
bung wünsche.«
230–235; Hegel 1770–1970, 143–148; Wilhelm Rai- Anfang Dezember wird das Gymnasium mit
mund Beyer: Zwischen Phänomenologie und Logik. einer Rede von Paulus und der Eidesleistung
Hegel als Redakteur der Bamberger Zeitung. Köln Hegels neu eröffnet. Hegel berichtet Niethammer
2 1974; Manfred Baum / Kurt Rainer Meist: Politik und
am 14.12.08, es habe dreißig Schüler, »davon acht
Philosophie in der Bamberger Zeitung. Dokumente zu in der Oberklasse«, und nachdem zuvor Prü-
Hegels Redaktionstätigkeit 1807–1808. HS 10 (1975),
87–127.
fungen zur Einstufung der Schüler stattgefunden
hätten, habe auch der Unterricht inzwischen be-
gonnen. Er dankt Niethammer »drei-, sieben-
6. Nürnberg (1808–1816) und neunmal« für die in dessen Normativ vorge-
sehene »Emporhebung des Studiums der Grie-
6.1. Hegel als Professor und Rektor chen« wie auch für die »Ausmerzung aller der
Schnurrpfeifereien von Technologie, Oekono-
Das Doppelamt des Professors für die philoso- mie, Papillonfangen u.s.f.« Hegels »eigentüm-
phischen Vorbereitungswissenschaften und Rek- liches Pensum« gilt den »philosophischen Vorbe-
tors hat Hegel völlig unvorbereitet angetreten. reitungswissenschaften«; er übernimmt aber
Noch am 22.11.08 teilt er Niethammer mit: »Ich auch den mathematischen Unterricht in der
weiß auch noch gar nichts weder über die philo- Oberklasse, da der hierfür vorgesehene Lehrer
sophischen Lehrgegenstände oder Wissenschaf- »keine Buchstabenrechnung versteht«, und über-
ten, die auf einem Gymnasium zu lehren sein läßt ihm dafür »die Religions- und Pflichtenlehre
werden, noch über Bücher, die dabei als Leit- in der Unterklasse«. (s. 214)
faden zugrunde zu liegen haben, noch ob mein Hegels Unterricht in der »philosophischen Pro-
Unterricht verschiedenen Klassen, also verschie- pädeutik« ist teils durch seine Manuskripte, teils
den, wie ich […] fast fürchten muß, zugeteilt durch Diktatnachschriften von Schülern (von
werden wird.« Seine persönliche Unkenntnis ist Schreiberhand ausgefertigt) oder durch Nach-
jedoch nur das Komplement zur damals allge- schriften seiner frei vorgetragenen Erläuterungen
meinen Verwirrung, die Hegel am 12.2.09 so überliefert. Diese Materialien vermitteln weniger
ausdrückt, daß »für nichts eine Fürsorge noch den Eindruck eines Gymnasiasialunterrichts
getroffen ist und eben allenthalben das Geld denn denjenigen einer kontinuierlichen Ausar-
fehlt«. Sein Freund und – als Kreis- und Schulrat beitung weiter Partien seines Systems, insbeson-
– auch Vorgesetzter Paulus warnt Hegel bereits dere der Logik und der Enzyklopädie. Und er
am 28.11.08, daß »die Herrn Idealisten von oben« selber äußert am 24.3.12 gegenüber Niethammer
uns von dem materiellen, schmutzigen Wesen zunächst die Ansicht, im Gymnasium werde zu-
des Mammons ganz rein erhalten – freilich nicht viel Philosophie gelehrt: »in der Unterklasse
ohne hinzuzufügen: »God damn all the Idea- ließe sie sich füglich entbehren«. Am 23.10.12
lism.« sendet er Niethammer seine »Gedanken über den
Auch die Organisation der Lehrtätigkeit ist Vortrag der Philosophie auf Gymnasien« – und
zunächst noch nicht allgemein bekannt, doch ist hier erwägt er die provokante Ansicht, »daß viel-
Niethammers Normativ, das die Lehrinhalte re- leicht aller philosophischer Unterricht an Gym-
gelt, schon »antecedenter« in Paulus’ Hand, und nasien überflüssig scheinen könnte, daß das Stu-
so kann dieser in ironischer Form Hegel an- dium der Alten das der Gymnasialjugend ange-
weisen, »die letzte Weihung« der in Kürze zur messenste und seiner S u b s t a n z n a c h die
Universität übergehenden Schüler der I. Klasse wahrhafte Einleitung in die Philosophie sei.«
werde sich »durch Dero os aureum über sie un- Trotz dieser Zweifel am Sinn des Philoso-
vermeidlich […] ergießen müssen; bestehend bei phieunterrichts treffen sich alle von Dritten über-
der II. Classis in der Einleitung in die Philo- lieferten Aussagen in der Hochschätzung von He-
sophie nebst logikalischen Uebungen 4 Stunden, gels Unterrichtsweise und Amtsführung. Selbst
6. Nürnberg (1808–1816) 31

ein damaliger Schüler und späterer Gegner, der spruch zwischen seinem »Nürnberger Patriotis-
dem »spekulativen Theismus« zuzurechnende Jo- mus« und seinem »Privatinteresse« gebracht –
hann Georg August Wirth, rühmt aus seiner Erin- denn das Ende des Gymnasiums hätte ihn viel-
nerung sowohl Hegels Lehrmethode als auch die leicht der Erfüllung seiner eigentlichen Bestim-
Form seines Umgangs mit den Schülern, die mung, der Rückkehr an die Universität, näherge-
»freie Erziehung«: »als Rektor in Nürnberg wirkte bracht (3.11. und 22.12.10).
Hegel unendlich segensreich« (HBZ 114–116,
128–136).
Dieses Wirken als Rektor umfaßt jedoch auch 6.2. Heirat, Geselligkeit
eine Vielzahl von Dingen jenseits der eigent-
lichen pädagogischen Aufgabe: zunächst die Die Sicherung seiner Lebensverhältnisse erweckt
Sorge dafür, daß zwei Schulgebäude mit einem in Hegel einen anderen Wunsch, den er am
»Abtritt« ausgestattet werden. So muß sich Hegel 4.10.09 Niethammer gegenüber erstmals aus-
an das Generalkommissariat wenden, »um durch pricht: »ein anderes Geschäfte wünschte ich auch
die Polizei Abhülfe zu erhalten – weil in einem endlich vorzunehmen, und auszuführen, nämlich
der Lokale das Militär und die Nachtwächter den eine Frau zu nehmen oder vielmehr zu finden!
notwendigen Ort in Besitz haben« –, und er klagt […] Ich bin nächstens 40 Jahre alt und ein
darüber, daß er mit diesem »Abtrittsjammer« Schwabe; ich weiß daher nicht eigentlich, ob ich
seine Zeit vertrödele (12.2.09). nicht geschwind vorher noch, eh ich es ganz
Seine Bemühungen um die Beseitigung dieser werde, diesen Schritt zu tun habe, weil es nach-
und anderer Bedrängnisse dürften zudem in ei- her nicht mehr erlaubt wäre; oder aber ob sich
ner wenig erfreulichen Atmosphäre stattgefun- bereits die Wirkung der schwäbischen 40 Jahre
den haben. Hegels Freund, der Marktvorsteher bei mir äußert …« Trotz dieser, wohl auf ein
Paul Wolfgang Merkel, berichtet 1812 hierüber an Sprichwort zurückgehenden Befürchtung und je-
Knebel: »Die Forderungen der Regierung an ihre nes Wunsches ist er aber am 15.3.10 wenig er-
Diener sind kaum zu erfüllen, und man kann es baut, als sein Freund Paulus ihm seine Tochter
in zehn Fällen kaum einmal recht machen, und »Emmi« »überträgt« – hierfür sei er nicht der
dann wird man so undelikat behandelt und zum Mann. Vielleicht kennt er damals bereits seine
Mißmut gereizt. Das meiste, was man verlangt, künftige Frau, die gut zwanzig Jahre jüngere
besteht in elenden, geistlosen Formen und Tabel- Maria Helena Susanna v. Tucher, denn am 11.5.10
len, womit man halb tot geplagt wird.« (HBZ 112) spricht er bereits Niethammer gegenüber davon,
Ähnlich beklagt sich Hegel am 26.6.09 gegenüber er stehe auf dem Punkte, entweder ewig glücklich
Niethammer: »Dieses Abschreiben von allen zu werden oder einen Korb zu bekommen – und
möglichen Berichten, Attestaten, Kommunikatio- auch davon, daß sein Freund Merkel in dieser
nen, Listen u.s.f. ist die verdrießlichste Seite Sache vermittle. Auch die Familie Paulus ist in
meines Amtes, und ich dächte, dies Geschäfte Hegels Pläne eingeweiht, denn am 15.12.10 läßt
sollte dem Rektor nicht zugemutet werden«. Caroline Paulus sich bereits durch Hegel bei
Doch trotz Hegels Klage über seine vielen ad- Fräulein von Tucher empfehlen. Am 13.4.11 wirbt
ministrativen Verpflichtungen wird ihm am er in einem Gedicht um Marie, drei Tage später
13.12.13 als Nachfolger von Paulus das »Referat kann er sie »mein« nennen, und am folgenden
in Schul- und Studiensachen bei dem König- Tag besingt er sein Glück in einem weiteren
lichen Stadtkommissariat dahier allergnädigst Gedicht. Doch selbst Niethammer, dem vertrau-
übertragen« – was Hegel sich wegen der damit testen Freund, teilt er erst am 18.4.11 den Namen
verbundenen Gehaltsverbesserung um 300 Gul- seiner Braut mit – allerdings ebenso (wohl nicht
den gefallen läßt. Und nur ein Jahr nach Auf- ganz ohne Absicht), daß sein Glück zum Teil an
nahme seiner Amtsgeschäfte wird – während die Bedingung gebunden sei, daß er eine Univer-
Niethammers Abwesenheit – in München die sitätsprofessur erhalte. Doch obgleich diese Hoff-
Schließung des Nürnberger Gymnasiums be- nung zunächst nicht erfüllt wird, findet die Hoch-
schlossen (was allerdings durch verschiedentli- zeit am 16.9.11 statt, und Hegel resumiert am
che Interventionen wieder rückgängig gemacht 10.10.11 an Niethammer: »Ich habe damit im gan-
wird). Hegel sieht sich hierdurch in einen Wider- zen – einige noch wünschenswerte Modifikati-
32 I. Leben

onen abgerechnet – mein irdisches Ziel erreicht, Kanne als Professor für Geschichte. Alle drei
denn mit einem Amte und einem lieben Weibe ist haben sich in diesen Jahren in der Wissenschaft
man fertig in dieser Welt.« Nach dem raschen einen Namen gemacht: Pfaff als Mathematiker,
Verlust eines am 27.6.12 geborenen Mädchens Kanne als Philologe und »Mythologe«, Schubert
wird am 7.6.13 Karl Friedrich Wilhelm geboren, bereits zuvor durch seine Ansichten von der
am 25.9.14 Thomas Immanuel Christian. Nachtseite der Naturwissenschaft (1808), die He-
Nach Hegels Heirat, und wohl nicht ohne Zu- gel schon am 28.6.08 rezensieren wollte. Hegel
sammenhang mit ihr, zeigen sich bei seiner bezeichnet Schubert gegenüber Dritten mehrfach
Schwester Christiane die ersten Spuren einer als »Freund«, äußert aber am 13.3.10 an Niet-
Gemütskrankheit. Hegel bietet ihr am 9.4.14 an, hammer etwas spitz, auch »irdischer Trost«
zu ihm nach Nürnberg zu ziehen; sie besucht ihn werde Schubert »noch wohltun neben dem
dort, doch entschließt sie sich im November himmlischen, den er bei den Pietisten zu suchen
1815, in den Umkreis ihres Vetters Ludwig Fried- anfängt und, Gott stärke ihn! vielleicht erst in der
rich Göriz nach Aalen zu ziehen, mit sehr herz- Alleinseligmachenden findet«. Schubert hat
lichem Dank für »alle mir erwiesene Liebe und Schelling über sein erneutes Zusammentreffen
alles Gute, das mir bei Euch (sc. Hegel und seiner mit Hegel berichtet, und Schelling charakterisiert
Frau) zuteil wurde« (Br 2.58), und doch zugleich in seiner Antwort Hegel: »Ein solches reines
»voll ›tiefen Hasses‹ gegen ihre Schwägerin« Ma- Exemplar innerlicher und äußerlicher Prosa muß
rie Hegel und »›hoher Unzufriedenheit‹ mit ih- in unsern überpoetischen Zeiten heilig gehalten
rem Bruder«, aber auch über etliche andere ihr werden. Uns alle wandelt da und dort Senti-
nahestehende Personen (Br 2.486 f.). Nach einer mentalität an; dagegen ist ein solcher verneinen-
erneuten Verschlechterung ihres Zustands lebt der Geist ein treffliches Korrektiv, wie er im
sie von 1820 bis Mitte 1821 in einer Anstalt in Gegenteil belustigend wird, sobald er sich übers
Zwiefalten, danach in Stuttgart, ärztlich betreut Negieren versteigt. Die Wirkung, wegen der
durch Karl Eberhard Schelling (den Bruder des Faust über Mephistopheles klagt, kann er bei
Philosophen) und finanziell durch Hegel in ge- dem, der ihn einmal begreift und übersieht, nicht
ringem Umfang unterstützt. Nur drei Monate hervorbringen.« In seinen späteren Lebenserin-
nach dessen Tod, aber wohl unabhängig davon, nerungen hat Schubert diese Charakteristik – um
macht sie – nach mehreren gescheiterten Versu- die kritischen Töne gekürzt – mitgeteilt und be-
chen – ihrem Leben durch einen Sprung in die tont, man müsse Schellings Worte »in jenem eh-
Nagold ein Ende (R 425, Birkert 2008). rend anerkennenden Sinne nehmen, welchen der
Bis 1810, dem Jahr der Berufung von Paulus Schreiber des Briefes damit verband.« (HBZ 95 f.,
nach Ansbach und Heidelberg, lebt Hegel insbe- 101) Wie groß die philosophische Differenz zwi-
sondere mit ihm und seiner Familie in sehr herz- schen Schelling und Hegel damals aber schon
lichem Einvernehmen und Fortführung der lan- geworden war, läßt eine Bemerkung Hegels ge-
gen Freundschaft aus den Jenaer und Bamberger genüber Niethammer vom 23.10.12 erkennen:
Jahren. Auch mit anderen Kollegen steht Hegel »Schelling hat mich hier freundschaftlich be-
in freundschaftlicher Verbindung, vor allem mit sucht; Philosophica haben wir nicht berührt« –
Kollegen vom »Realinstitut«, der zweiten höhe- und dies im Jahr des Erscheinens von Schellings
ren Schule neben dem Gymnasium. 1809 wird Polemik gegen Jacobi im »Streit um die Gött-
Johann Wilhelm Andreas Pfaff dorthin berufen, lichen Dinge« oder besser: im »Theismusstreit«.
der von 1791–1793 im Tübinger Stift und von Während sich Hegels Verhältnis zu Schelling
daher Hegel sicherlich bekannt war; mit Pfaff hat abkühlt, bessert sich das durch seine Polemik in
Hegel in freundschaftlichem Umgang gestanden, Glauben und Wissen (1802) sehr gespannte Ver-
wie auch Pfaffs ausführliche, sachlich kritische hältnis zu Friedrich Heinrich Jacobi, vor allem
Stellungnahme zu Hegels Logik im Sommer 1812 durch Vermittlung Niethammers. Die Wurzeln
beweist. Am 7.5.09 dankt Hegel Niethammer: des Wandels in Hegels Verhältnis zu Jacobi liegen
Dieser habe ihm für das »Realinstitut« »wackre vor allem im Politischen und im Persönlichen,
Männer zur Freundschaft und Umgang« gesandt weniger im Philosophischen. Seit seinen Bam-
– seinen und Schellings Jenaer Hörer Gotthilf berger Jahren erwähnt Hegel Jacobi im Brief-
Heinrich Schubert als Rektor und Johann Arnold wechsel mit Niethammer häufig, im Interesse
6. Nürnberg (1808–1816) 33

einer Versöhnung mit Jacobi – auch aus berufli- Atheismus bezichtigt hat, und Schelling hat hier-
chen Gründen. Implizit gesteht Hegel seine auf mit der ganzen Kraft seiner Polemik geant-
Schuld an der Belastung des Verhältnisses zu wortet (PLS 3/1). Hegels Stellung zu diesem
Jacobi ein, wenn er schreibt, daß die erwünschte Streit ist eigentümlich zurückhaltend. Durch sei-
Änderung nicht möglich sei, »ohne feurige Koh- nen Freundeskreis wird er auf Jacobis Seite ge-
len aufs Haupt zu bekommen, die ich sogar selbst zogen, was insbesondere aus einem Brief von
aufzulegen helfen würde.« (30.05.07). Und ob- Caroline und Heinrich Eberhard Gottlob Paulus
gleich er zunächst distanziert und ironisch bleibt vom Sommer 1812 erhellt. Paulus ruft hier gegen
(8.8.07), erwähnt er doch in der Bamberger Zei- Schelling aus: »Und daß der Wicht den Galgen
tung vom 1.8.07 Jacobis Rede zur Neubegrün- für Jacobi aus Ihren und Schlegels Beinen baut
dung der Bayerischen Akademie der Wissen- und seine Hände in Unschuld waschen will!!«. Es
schaften. Er läßt sich sogar aus München Exem- ist wohl aus diesen persönlichen Beziehungen zu
plare senden und vertreibt sie im »Komptoir der verstehen, daß Hegel zu diesem Streit nie aus-
Zeitung« – wenn auch in unmittelbarer Nachbar- drücklich Stellung bezogen hat. Denn obgleich
schaft mit einem Buch über »Obstbaumzucht« Hegel dem Programm einer vernünftigen, »wis-
(GW 5.427). Über die Rede selber schreibt er senschaftlichen« Erkenntnis Gottes – das Schel-
Niethammer am 29.8.07, Jacobis Zitationen ab- ling hier noch ein letztes Mal vertritt – in der
gerechnet, sei »sich der darin ausgedrückten ed- Sache nahesteht, so läßt er sich doch durch des-
len Gesinnungen über Wissenschaft u. s. f. gewiß sen mehrfache Lockungen nicht in den Streit
zu freuen, und ich habe Ihren biblischen Spruch hineinziehen. Auch in seiner Rezension der
wiederholt: wenn solches am dürren Holze ge- Werke Jacobis sagt er hierzu wenig mehr als nur,
schieht, was wirds erst am grünen werden?« Jacobis diesen Streit auslösende Schrift sei »noch
Wie man seinen folgenden Briefen an Niet- so in der Erinnerung des Publikums, daß es
hammer (23.12.07) und an Creuzer (28.6.08) ent- unzweckmäßig seyn würde, sich länger dabey
nehmen kann, bilden die vielfachen Verdäch- aufzuhalten.« (GW 15.22; s. 257)
tigungen und Angriffe, denen Jacobi als fremder Zur gleichen Zeit, im Sommer 1812, besucht
und zudem protestantischer Präsident der Baye- Jacobi auf einer Reise auch Nürnberg; im Vor-
rischen Akademie der Wissenschaften ausgesetzt blick hierauf notiert er, er werde dort »Hegel,
ist, den Anlaß für eine Revision des zuvor so Kanne, Schubert, lauter Menschen« finden, »die
gespannten Verhältnisses. Niethammer macht Ja- ich nie gesprochen habe.« Nach diesem Aufent-
cobi von sich aus mit Hegels freundlichen Äuße- halt konstatiert Jean Paul, es sei unmöglich, Ja-
rungen vertraut (22.1.08) und leitet damit die cobi »nicht zu lieben; und sogar sein philoso-
Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden phischer Feind Hegel liebt ihn jetzt.« (HBZ 108)
ein, die zunächst durch die Übermittlung von Dieser schreibt am 19.7.12 an Niethammer, Jaco-
Grüßen gepflegt wird. Zu einer Begegnung zwi- bis »gütige Gesinnungen gegen mich und die gute
schen Hegel und Jacobi und einem herzlichen Aufnahme habe ich Ihnen zu danken und halte es
Verhältnis kommt es wenig später in zeitlicher recht hoch, was ich Ihnen darüber zu danken
Nachbarschaft eines erneuten philosophisch- habe.« (vgl. 13.8.12) Hegels Logik allerdings hat
theologischen Streites: des Streits zwischen Ja- Jacobi – wie er Fries am 29.10.12 mitteilt – »nur
cobi und Schelling um die Göttlichen Dinge einmal angesetzt und dann auf immer bei Seite
(1811/12). gelegt« (Henke, 324). Zu solcher Reaktion sieht
In diesem dritten philosophisch-theologischen Jacobi sich damals, seines fortgeschrittenen Al-
Streit (nach dem Pantheismusstreit von 1785 und ters wegen, immer häufiger gedrängt. Im zitier-
dem Atheismus-Streit von 1798) geht es nicht ten Brief räumt er außerdem ein, Reinhold ma-
mehr um einen fixen Gegensatz des Theismus che es ihm »zu sauer«, und für Herbarts Philo-
einerseits und des Pantheismus oder Atheismus sophie sei sein Kopf »ganz vernagelt«. – Aller-
andererseits, sondern um einen vertretbaren Be- dings nennt Jacobi Fries’ Rezension der Logik
griff des Theismus selbst – weshalb jüngst vorge- Hegels »trefflich« und eine »großmüthige Scho-
schlagen worden ist, diesen Streit als »Theismus- nung gegen Grobianismus« (ebd. 330 bzw. HBZ
streit« zu bezeichnen (PLS 3.4 f.). Ausgelöst hat 118,142 f.).
ihn Jacobi, indem er Schelling öffentlich des Im Frühherbst 1815 besucht Hegel in München
34 I. Leben

auch Jacobi, und kurz darauf, am 21.10.15, setzt ben haben Hegels vielfältige neue Verpflichtun-
sich Jacobi bei Nicolovius für Hegels Berufung gen, zunächst in Heidelberg und kurze Zeit dar-
nach Berlin ein – allerdings nur als Ersatz für auf sein Wechsel nach Berlin, seinen Briefwech-
Jakob Friedrich Fries: »Ich versprach Hegeln, da sel mit Niethammer und damit auch die Verbin-
er jüngst hier war, seiner bei Dir zu erwähnen. Er dung zu Jacobi weniger dicht werden lassen.
ist gar nicht mehr, der er in Jena war, und ich Unberührt davon ist die Herzlichkeit des Ver-
könnte ihn Dir, wenn die Partei wider Fries dort hältnisses geblieben: Zu Beginn der Berliner
zu mächtig war, nach diesem wohl empfehlen. Zeit, am 19.1.19, teilt Niethammer Hegel mit:
Dieses will ich denn auf alle Fälle noch getan »Jacobi hat mich zuletzt fast jedesmal, so oft er
haben, und zwar auf das nachdrücklichste« (HBZ mich sah, gefragt: Noch immer kein Brief von
119). Danach senden beide sich neben den Grü- Hegel?« Aber noch bevor Hegel antwortet, erhält
ßen nun auch ihre Publikationen: Hegel durch er die Nachricht von Jacobis Tod, und er schreibt
Vermittlung Niethammers (20.9.15) vermutlich mit Trauer an Niethammer: »Jacobis Tod hat
den zweiten Band der Logik (nicht, wie Hoff- mich außer dem persönlichen Schmerz auch
meister annimmt, den dritten, da dieser erst ein darum überfallen, daß, wie Sie schreiben, er
Jahr später erschienen ist (GW 12.326) und von öfters nach Nachrichten von mir gefragt und nun
Hegel durch den Verleger Schrag am 6.10.16 an keine von mir aus Berlin mehr erhalten hat. Man
Jacobi gesandt wird). Jacobi sendet Hegel Bd. 2 fühlt sich immer verlassen, je mehr dieser alten
der Ausgabe seiner Werke (28.12.15), den Hegel Stämme, zu denen [man] von Jugend auf hinauf-
vom »liebsten, besten Jacobi« bereits im Novem- geschaut hat, eingehen. Er war einer von denen,
ber »mit Sehnsucht« erwartet, »um wieder einmal die einen Wendepunkt der geistigen Bildung der
an Philosophie erinnert und erregt zu werden« Zeit sowie der Individuen formierten und die für
(23.11.15). – Am 28.12.15 schreibt Hegel darüber die Welt, in der wir uns unsere Existenz vor-
an Niethammer: »Ich habe nur noch die erste stellen, einer der festen Halte waren.« (26.3.19)
Lektüre, die der Neugierde vornehmlich ange- Literatur: Gotthilf Heinrich Schubert: Der Erwerb aus
hört, gemacht, und des Trefflichen und Neuen in einem vergangenen und die Erwartungen von einem
der schönen Zugabe sehr vieles gefunden. Sie künftigen Leben. 2 Bde. Erlangen 1855; Ernst Theodor
wirft auf die ganze Idee ein neues, erhellendes Ludwig Henke: Jakob Friedrich Fries. Aus seinem
und erwärmendes Licht. Des Wunsches für den handschriftlichen Nachlasse dargestellt. Leipzig 1867;
lieben Greis konnte ich mich nicht enthalten, daß Hans-Christian Lucas (Hg.): »An Mademoiselle Chri-
stiane Hegel«. Ein unveröffentlichter Brief Hegels und
das Schmerzliche der polemischen Seite ihm für ein Briefkonzept des Dekans Göriz. HS 22 (1987), 9–16;
immer untergesunken und nur der Genuß seines Birkert 2008, 198, 225–264, 293–307.
edlen Geistes und herrlichen Gemüts ihm unge-
trübt und ganz abgeschlossen erhalten werde.«
Wie man Niethammers Schreiben vom 19.1.16 6.3. Politik
entnehmen kann, war Jacobi sogar für eine Pa-
tenschaft ausersehen – ein Plan, der wegen einer Politisch gesehen sind Hegels Nürnberger Jahre
Fehlgeburt Marie Hegels Ende 1815 nicht ver- die Jahre zunächst des größten Triumphes Napo-
wirklicht werden konnte: »Unser herrlicher Ja- leons, dann aber auch seiner Niederlage. An die-
cobi hat über die verlorne Gevatterschaft ein so sem Punkt markiert Hegels Kollege Schubert ei-
aufrichtiges Bedauern geäußert, daß sie (!) in der nen tiefen Dissens zwischen ihm selbst sowie
Tat ernstlich auf einen Ersatz werden Bedacht zu Pfaff und Kanne einerseits und Hegel anderer-
nehmen haben«. Zu solchem »Ersatz« ist es je- seits: Dieser erschien ihnen »als ein zu unbe-
doch wegen weiterer Fehlgeburten nicht mehr dingter Verehrer des großen Feldherrn und Völ-
gekommen, deshalb auch nicht zu einer Paten- kerbezwingers«. In Hegels politischer Option
schaft Jacobis und auch nicht mehr zu einem verbinden sich, wie schon in Jena, zwei Mo-
persönlichen Treffen. mente: die Faszination für Napoleons Größe und
In den letzten Nürnberger oder ersten Heidel- der Abscheu gegenüber der reaktionären Politik,
berger Monaten schreibt Hegel jedoch die Rezen- als deren Vertreter ihm in diesen Jahren Öster-
sion des im Sommer 1816 erschienenen dritten reich und Rußland vor Augen stehen. Am 7.5.09
Bandes der Werkausgabe Jacobis (s. 254). Dane- gratuliert er Niethammer zur »Befreiung von den
6. Nürnberg (1808–1816) 35

Feinden«, d. h. den Österreichern, und äußert punkt des Ganzen, der Grund, daß diese Masse
seine Genugtuung darüber, daß »die Friedrich Gewalt hat und als der Chor übrig und obenauf
Schlegelsche Befreiung und Katholizierung unser bleibt, ist, daß die große Individualität selbst das
aller, geradezu vor die Schweine gegangen ist und Recht dazu geben muß und somit sich selbst
derselbe es für Glück wird anzusehen haben, zugrunde richtet.«
wenn nur der Galgen von ihm befreit bleibt.« Daß Und nicht allein diese Umwälzung – auch die
einige Nürnberger eingedrungenen österreichi- mit ihr einsetzende Reaktion beansprucht Hegel
schen Ulanen »ein brüderliches Vivat! entgegen- vorausgesagt zu haben (5.7.16). Sie äußert sich
gebracht« haben, führt er nicht darauf zurück, damals in Bayern in der Revision der in den
daß in der ehemaligen Freien Reichsstadt viele Jahren 1808/09 liberal begonnenen Konfessions-
Einwohner traditionell »kaiserlich« und nicht und Schulpolitik, die Niethammer bereits am
bayerisch gesinnt waren, sondern daß »Fr. Schle- 19.11.15 zu der Bemerkung veranlaßt: »zum
gel hier viele seinesgleichen, arbeitslose und aus- Glück bedarf die Bildung ihr Asyl nicht mehr in
gehauste Lumpen hat«. Völlig verständnislos ist Bayern zu suchen, wo man sie ohnehin nur her-
er angesichts der nationalen Begeisterung über eingelockt zu haben scheint, um sie totzuschla-
die Befreiung von Fremdherrschaft. Wenn er gen!« Der König tadelt Niethammers Bemühun-
über die »vortrefflichen Befreier« spricht, assozi- gen um eine Verbesserung der Ausbildung für die
iert er »Kosaken, Baschkiren, preußische Patrio- Protestanten, und dieser sieht darin den Beweis,
ten« (21.5.13). Er verschmäht es, »unsere Be- »daß die Protestanten in diesem Lande förmlich
freier durchziehen zu sehen«, und stellt dafür in rechtlos sind. […] Doch, was wollten auch die
Aussicht: »wenn einmal par hazard Befreite zu Protestanten darüber klagen? Wessen Rechte
sehen sein werden, werde ich mich auch auf die sind denn überhaupt durch die Konstitution ge-
Beine machen«. Vorerst aber vergleicht er das sichert?« (16.7.16). Hegel setzt diesen Klagen am
Verhalten und die Kosten für die Einquartierung 5.7.16 die Gewißheit entgegen, daß die »unge-
eines Franzosen mit denen eines Bayern, Öster- heuerste Reaktion, die wir gesehen, gegen Bona-
reichers oder gar Russen, räumt aber auch ein, parte«, im Wesen der Dinge nicht viel verändert
daß einer »honetten Bürgersfrau« drei Russen habe, und »daß der Weltgeist der Zeit das Kom-
noch lieber waren als einer von den 44 Frei- mandowort zu avancieren gegeben. Solchem
willigen der Stadt (23.12.13). Die Sorge vor der Kommando wird pariert; dies Wesen schreitet
Restauration der »alten Herrlichkeit« verstellt wie eine gepanzerte, festgeschlossene Phalanx
ihm sogar ein nüchternes Urteil über die militäri- unwiderstehlich und mit so unmerklicher Bewe-
sche Situation. Noch am 10.4.14, als die alliierten gung, als die Sonne schreitet, vorwärts durch dick
Truppen bereits in Paris eingezogen sind, hofft er und dünn.«
darauf, daß sie sich »damit nur von ihrem Unter- In dieser Gewißheit bestärkt er am 12.7.16
gang in Etwas herausgerissen haben«. Das ein- Niethammer in dessen konfessionspolitischen
zige Befreiungserlebnis besteht für ihn darin, Bemühungen durch seine eigene Sicht des Unter-
»des Surrogatsaufens enthoben« zu sein und wie- schieds »des Katholischen und Protestantischen«:
der Kaffee trinken zu können (29.4.14). Doch »Wir haben keine Laien; der Protestantismus ist
beansprucht er jetzt, nach Napoleons Abdankung, nicht der hierarchischen Organisation einer Kir-
nicht allein, die »Umwälzung« bereits mit seiner che anvertraut, sondern liegt allein in der all-
Kritik der absoluten Freiheit in der Phänomeno- gemeinen Einsicht und Bildung. Diesen Ge-
logie vorausgesagt zu haben. Er gibt ihr auch eine sichtspunkt möchte ich noch zu dem des Be-
überraschende, aber nachdenkenswerte Wen- dürfnisses vorzüglicherer Geistesbildung der
dung: »Es sind große Dinge um uns geschehen. protestantischen Geistlichen hinzufügen; er
Es ist ein ungeheueres Schauspiel, ein enormes scheint mir sogar der wesentlichste. Ich will Ge-
Genie sich selbst zerstören zu sehen. – Das ist das legenheit nehmen, ihn wo anzubringen und aus-
tragikotaton, das es gibt. Die ganze Masse des zuführen. Unsere Universitäten und Schulen sind
Mittelmäßigen mit seiner absoluten bleiernen unsere Kirche.« Diese, den späteren Kulturpro-
Schwerkraft drückt ohne Rast und Versöhnung so testantismus vorbereitende Sicht macht Hegel
lang bleiern fort, bis es das Höhere herunter, auf bereits am 3.11.10 und noch am 10.10.16 in etwa
gleichem Niveau oder unter sich hat. Der Wende- gleichlautenden Wendungen geltend: »der Prote-
36 I. Leben

stantismus besteht nicht so sehr in einer beson- Hegel ebenfalls am 20.7. auch gegenüber Boisse-
dern Konfession als im Geiste des Nachdenkens rée erwähnt, dem er für sein »ganz freundschaft-
und höherer, vernünftiger Bildung«; die höheren liches Interesse« an seiner Berufung dankt. Am
Bildungsanstalten sind ihm deshalb so teuer »als 30.7. gibt Paulus Hegel nochmals einige Rat-
die Kirchen, und gewiß sind sie so viel wert als schläge wegen letzter finanzieller Regelungen,
diese«, und auf sie »blicken alle Protestanten als und schon am gleichen Tag fragt der Theologe
auf ihr Rom und bischöfliche Sitze hin«. und spätere Freund Hegels, Carl Daub, an, ob
Hegel »geneigt« sei, »die Stelle eines ordentlichen
Professors der Philosophie bei der hiesigen Uni-
6.4. Erlösung aus dem Schul- versität anzunehmen.« Nun sieht Hegel, wie er
Katzenjammer Paulus am 8.8.16 schreibt, der »Erlösung aus dem
Katzenjammer unseres Schul- und Studienwe-
Trotz des Erreichens seiner irdischen Ziele – Amt sens« entgegen; an Niethammer fügt er am 11.8.
und Ehe – bezeichnet Hegel am 10.10.11 pauschal auch noch den »Organisationskatzenjammer«
einige »Modifikationen« »wünschenswert«; An- hinzu. Noch einem präzisierenden Schreiben
fang 1813 präzisiert er sie in einem Briefentwurf Carl Daubs vom 16.8. sagt Hegel am 20.8. zu.
an Sinclair: »mein einziges und letztes Ziel ist, Nachdem Hegel so lange vergeblich auf einen
Lehrer auf einer Universität zu sein«. Um dieses Ruf gewartet hat, erhält er im Sommer 1816
Ziel zu erreichen, richtet Hegel seinen Blick auch deren gleich drei. In Berlin war noch über die
von Nürnberg aus auf viele Orte – auf Tübingen Nachfolge des 1814 verstorbenen Fichte zu ent-
(28.12.11, 5.2.12), auf Heidelberg und nach Fich- scheiden. Dort hatte de Wette die Berufung von
tes Tod auf Berlin (30.7.14), ja selbst auf Holland, Fries betrieben und hierbei auf Nicolovius’ Hilfe
wo sein Jenaer Schüler van Ghert eine Chance für gehofft (s. 34) – doch der sei »Mitglied der Bibel-
ihn sieht (4.8.09, 16.12.09). Doch selbst Niet- gesellschaft, zu welcher auch Marheineke gehört,
hammers kontinuierliche Bemühungen, Hegel und dieser soll öfter zu ihm gehen und gegen Sie
einen Ruf nach Erlangen zu verschaffen, bleiben und für Hegel sprechen. Es war einmal das Ge-
lange Jahre ebenso erfolglos wie Hegels andere rücht, daß Hegel gerufen werden solle. Ich er-
Vorstöße. klärte mich sehr stark dagegen in Beisein Solgers,
Eine Gelegenheit ergibt sich erst, als Hegel von und dieser nahm ihn als einen sehr tiefsinnigen
Fries’ Berufung von Heidelberg nach Jena hört. Kopf in Schutz. Was ist da zu machen? … Der
Am 2.5.16 fragt er Paulus in Heidelberg nach Mystizismus herrscht hier ungeheuer, und wie
seinen Aussichten; Caroline Paulus hatte ja schon tief man gesunken ist, zeigt der Gedanke an
am 16.8.14 bekräftigt, daß Hegel nach ihrer Hegel. Keinen verwirrtern Kopf kenne ich nicht!«
»Schicksalstheorie« nun ebenfalls nach Heidel- (HBZ 117) Bei der Abstimmung am 6.3.16 erhält
berg kommen müsse, nachdem sie bereits in Hegel die meisten Stimmen für den Lehrstuhl für
Jena, Bamberg und Nürnberg vereint gewesen spekulative Philosophie, Fries jedoch die meisten
seien, und hinzugefügt: »Was wollen Sie in dem für die praktische Philosophie. Die Berufung ver-
sandigen Berlin, wo man den Wein aus Finger- zögert sich jedoch, denn de Wette gibt ein Sepa-
hüten trinkt?« Auch Sulpiz Boisserée wendet sich ratvotum gegen Hegel ab; er nennt seinen Vortrag
am 11.6.16, bei seinem Besuch in Nürnberg, an verworren und sucht ihn beim zuständigen Mini-
seinen Bruder Melchior, um in Heidelberg Er- ster v. Schuckmann – der die Naturphilosophie
kundigungen über Hegels Chancen einzuholen haßt – als einen Schellingianer und somit Natur-
(HBZ 122), und Paulus rät Hegel am 28.5.16, ihm philosophen zu diskreditieren (HBZ 121). So be-
einen »ostensiblen Brief« zu schreiben, was Hegel darf es erst eines Besuchs Friedrich Georg Lud-
nur zu gern am 13.6.16 erledigt. Paulus’ Antwort wig v. Raumers im Juli in Nürnberg, um wieder
vom 11.7. ist zwar verloren, doch läßt Hegels Bewegung in das Verfahren zu bringen. Er be-
Antwort vom 20.7. erkennen, daß die Dinge an richtet v. Schuckmann über mannigfache Gesprä-
der Universität bereits weitgehend geregelt sind: che mit Hegel und über dessen am 2.8.16 brief-
Es geht bereits um Reisegeld, Miete und die lich mitgeteilte »Gedanken über den Vortrag der
Höhe des Witwengehalts; nur die Entscheidung Philosophie auf Universitäten«; Hegels Gespräch
der Regierung in Karlsruhe steht noch aus, wie sei »geläufig und verständig«, so daß er nicht
7. Heidelberg (1816–1818) 37

glaube, »dem Kathedervortrag mangeln diese Ei- des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 48
genschaften« (HBZ 124). Um diese Zeit besucht (1958), 306–313; Beyer, Wilhelm Raimund: Hegel als
praktischer Verwaltungsbeamter (Lokal-Schulrat in
auch Barthold Georg Niebuhr auf der Durchreise
Nürnberg). In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 9
Hegel und teilt am 4.8. Nicolovius Hegels Inter- (1961), 747–766; Georg Wilhelm Friedrich Hegel in
esse an Berlin und auch seinen guten Eindruck Nürnberg 1808–1816. Mit Beiträgen von Wilhelm Rai-
von Hegel mit (HBZ 123 f.). Am 24.8. trifft mund Beyer, Karl Lanig, Karlheinz Goldmann. Nürn-
schließlich bei Hegel ein Schreiben v. Schuck- berg 1966 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt
manns ein, in dem ihn dieser bittet, zu den Nürnberg, Bd. 13); Hegel 1770–1970, 149–171; Georg
Wilhelm Friedrich Hegel als Rektor des Nürnberger
Bedenken gegen seinen Vortrag selber Stellung
Gymnasiums 1808–1816. Ausgewählte Dokumente.
zu nehmen. Doch am gleichen Tag trifft das Nürnberg 1977; Wilhelm Raimund Beyer (Hg.): Die
Schreiben Hegels in Heidelberg ein, mit dem er Logik des Wissens und das Problem der Erziehung.
den Ruf dorthin annimmt, und wiederum vom Nürnberger Hegel-Tage 1981. Hamburg 1982, 1–39;
gleichen Tag datiert Hegels Gesuch um Entlas- Friedrich Strack: Hegels Persönlichkeit im Spiegel der
sung aus bayerischen Diensten. Tagebücher Sulpiz Boisserées und der Lebenserinne-
rungen C. H. A. Pagenstechers. HS 17 (1982), 25–40;
Am Tage darauf beschließt endlich das Mini-
Wilhelm Raimund Beyer: Nürnberg als die Geburts-
sterium in München – dem Hegel sein alsbaldi- stadt der entoptischen Farben. (»Gevatter« Hegel). In
ges Entlassungsgesuch bereits angekündigt hat – ders.: Gegenwartsbezüge Hegelscher Themen. Mit un-
ihn auf die »Direktorsstelle an dem philologi- bekannten Hegel-Texten zur Farbenlehre. Königsstein /
schen Seminarium zu Erlangen nebst der ordent- Ts. 1985, 49–120.
lichen Lehrstelle der Beredsamkeit, Dichtkunst,
dann der klassischen, griechisch und römischen
Litteratur« zu berufen. Hegel muß sich dem 7. Heidelberg (1816–1818)
Stadtkommissariat in Nürnberg gegenüber er-
klären, ob er »nicht die nunmehr zu Erlangen 7.1. Lehrtätigkeit
erhaltene Stelle dem Rufe nach Heidelberg vor-
ziehe?« (5.9.16). In seiner Antwort verweist He- Mit Rückkehr an die Universität ist Hegel – nach
gel darauf, daß er inzwischen sogar seine Beru- Amt und Ehe – auch der letzte noch offen geblie-
fung an die »berühmte Universität zu Berlin« bene Wunsch erfüllt. Am 28.10.16 leitet er seine
wegen seiner bereits erfolgten Entscheidung für Vorlesungen mit einer »Antrittsrede« ein: Es sei
Heidelberg ablehnen mußte. ihm besonders erfreulich, seine philosophische
In dieser Formulierung schwingt nicht allein Laufbahn zu diesem Zeitpunkt wieder aufzuneh-
die Genugtuung über die Ablehnung des lange men, zu dem die Kämpfe um die Wirklichkeit
erhofften und nun zu spät eingetroffenen Rufes beendet seien und die Philosophie sich wieder
nach Erlangen mit, sondern auch die bereits am Aufmerksamkeit und Liebe versprechen dürfe.
11.8. Niethammer mitgeteilte Erwägung: »Viel- Die » d e u t s c h e N a t i o n« habe »sich a u s d e m
leicht auch, so wenig meine Frau davon hören G r ö b s t e n h e r a u s g e h a u e n , da sie ihre N a -
will, wäre die dasige (sc. Berliner) Stelle das t i o n a l i t ä t , d e n Grund alles l e b e n d i g e n
Vorzüglichere, das töricht wäre, dem erstern (sc. L e b e n s g e r e t t e t h a t«. Diesen Ton hat Hegel,
Heidelberg) nachzusetzen.« Und so drückt er von Napoleon fasziniert, zuvor nicht angeschla-
auch am 28.8. v. Schuckmann gegenüber sein gen – aber er präzisiert sehr genau, was er sich
Bedauern darüber aus, durch die Annahme des von solcher nationalen Wiedergeburt erhofft:
Rufs nach Heidelberg »auf die Aussicht zu dem »daß neben dem S t a a t e , der alles Interesse in
ausgebreitetern Standpunkt an der Universität in sich verschlungen, […] auch wieder an d a s
Berlin […] bereits Verzicht geleistet zu haben.« R e i c h G o t t e s gedacht werde, mit andern Wor-
ten, daß neben d e m p o l i t i s c h e n und s o n -
Quellen: GW 10. – Literatur: R 246–295; Max Lenz: s t i g e n an die gemeine W i r k l i c h k e i t gebun-
Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Uni- denen Interesse a u c h d i e reine W i s s e n -
versität zu Berlin. Halle 1910, Bd. 1.578–580; K. Gold-
s c h a f t , die f r e y e v e r n ü n f t i g e We l t d e s
mann: Hegel als Referent für das Nürnberger Lehrer-
seminar und Volksschulwesen 1813–1816. ZphF 11 G e i s t e s w i e d e r e m p o r b l ü h e .« Die Eigen-
(1957), 387–394; Hussel, Kurt: Hegel als Rektor und tümlichkeit und der besondere Beruf der deut-
Lehrer am Gymnasium in Nürnberg. In: Mitteilungen schen Nation bestehen darin, die Bewahrer des
38 I. Leben

heiligen Feuers der Philosophie zu sein, »wie wegen religionsphilosophischer und kirchenpoli-
früher der Weltgeist die jüdische Nation für das tischer Fragen in Verbindung steht, und Hermann
höchste Bewußtseyn seiner selber sich aufgespart Friedrich Wilhelm Hinrichs, zu dessen Religi-
hatte, daß er aus ihr als ein neuer Geist hervor- onsphilosophie er 1822 ein Vorwort schreibt
ginge.« (GW 18.3–8) Und so polemisiert er gegen (s. 279). Zu nennen sind aber auch Richard Ro-
die » F l a c h h e i t u n d S e i c h t i g k e i t« der Phi- the, der seinem Vater mehrfach über Hegels Vor-
losophie seiner Zeit – mit einer jedem seiner lesungen berichtet und diesem auch mit etwas
Hörer verständlichen Wendung gegen seinen Vor- Verzögerung nach Berlin folgt (HBZ 683), und
gänger Fries, der sich gerade in diesen Jahren der estnische Baron Boris v. Uexküll. Dieser be-
durch »Judenhaß und Teutonismus« hervortut sucht noch nach Hegels Weggang aus Heidelberg,
(Boisserée an Goethe, 9.10.17). im Winter 1818/19, ein »Conversatorium des
Die Rückkehr an die Universität hat Hegel aber Doctor H i n r i c h s , worin sich Disputirende aus
zugleich als Übergang zu etwas Neuem emp- allen vier Facultäten einfanden und bei welchem
funden. Trotz der Jahre als Privatdozent und die Erklärung der Phänomenologie des Geistes
außerordentlicher Professor in Jena bekennt er den Leitfaden ausmachte« (R 303), bevor er eben-
Niethammer am 11.12.17: »Ich bin erst ein ange- falls Hegel nach Berlin folgt (Kreysing 1996,
hender Universitätsprofessor« – und zudem habe 6–10).
er die von ihm vorgetragenen Wissenschaften
»eigentlich meist erst zu machen«. Daraus erklärt
sich, daß Hegel in den vier Heidelberger Seme- 7.2. Die Heidelberger Jahrbücher
stern seine Vorlesungen wiederholt: Er liest drei-
mal über Enzyklopädie (1816/17, 1818 sowie als Noch in Jena hat Hegel sich mit dem Plan eines
Privatvorlesung für Prinz Gustav von Schweden »kritischen Instituts« in Heidelberg getragen
1817/18, s. GW 13.628), zweimal über Ge- (Schelver an Hegel, Ende Januar 1807; Hegel an
schichte der Philosophie (1816/17, 1817/18), Schelling, 23.2.07); nach seiner Ankunft in Hei-
zweimal über Ästhetik (1817, 1818) sowie je ein- delberg tritt er in die Redaktion der Heidelbergi-
mal über Logik (1817), Anthropologie und Psy- schen Jahrbücher der Litteratur ein, die in den
chologie (1817) und Naturrecht (1817/18). Zu- wenigen Jahren ihres Bestehens bereits ein re-
mindest im späten Winter 1816/17, wahrschein- spektiertes Rezensionsorgan geworden sind. Ein
lich geringfügig zeitlich versetzt zur ersten Enzy- frühes, unerwartetes Resultat dieser Tätigkeit ist
klopädie-Vorlesung, läßt er seine Enzyklopädie jedoch der Bruch seines ebenfalls noch in Jena
der philosophischen Wissenschaften im Grund- begründeten herzlichen Verhältnisses mit Paulus.
risse (s. 259) als Kompendium für künftige Vor- Dessen Philosophische Beurteilung der von Wan-
lesungen drucken, und er bedauert am 19.4.17, genheim’schen Idee der Staatsverfassung wird
daß sie nicht rechtzeitig zum Sommersemester von der Gesamtheit der Redaktoren als zu lang
fertiggeworden sei; sie erscheint erst »zwischen abgelehnt – woraufhin Paulus die Verbindung mit
Anfang Juni und dem 23. Juni« 1817 (GW 13.631; Hegel abbricht. Entscheidend ist freilich weniger
HBZ 145). die Länge der Rezension als vielmehr der Um-
Mit seinem Lehrerfolg ist Hegel zufrieden. stand, »daß sie in der Art und Weise, wie sie sich
Nachdem er am 29.10.16 seiner Frau klagt, er als Ganzes zeigte, aufzunehmen nicht tunlich sei«
habe zu einem Kollegium nur vier Hörer, teilt er – so die Redaktoren Hegel, Wilken und Thibaut
Frommann am 19.4.17 mit, daß seine Logik- am 29.1.17. Deutlicher wird der politische Hin-
Vorlesung siebzig Hörer habe, »und es ist mir tergrund in Hegels Brief an Niethammer vom
lieber, sie in meinem zweiten Semester als im 19.4.17: Paulus’ Kritik an Karl August v. Wangen-
ersten zu haben«. Auch wenn »die meisten seiner heim, dem württembergischen Minister und Ge-
zahlreichen Zuhörer« über seinen Vortrag klagen sandten beim Bundestag (der dort die »Trias-
(HBZ 144), schließen sich doch einige an ihn an, idee«, d. h. den Plan einer dritten Kraft im deut-
mit denen er lebenslang verbunden bleibt: Fried- schen Bund zwischen den Großmächten Preußen
rich Wilhelm Carové, der sich wegen seiner Tä- und Österreich vertrat), nennt Hegel »quoad per-
tigkeit als Burschenschaftler später nicht habili- sonam hämisch« und »quoad rem höchst phili-
tieren kann, Isaak Rust, mit dem Hegel später sterhaftig«.
7. Heidelberg (1816–1818) 39

Die wohl immer schon vorhandene – wenn- sich ferner dadurch, daß er sich jetzt in der Lage
gleich nirgends ausgesprochene – theologische sieht, seinen Sohn Ludwig (s. 26) zu sich zu
Differenz zwischen Paulus’ Rationalismus und nehmen. Bereits am 28.8.16 teilt Hegel seinem
Hegels spekulativer Religionsdeutung läßt sich Jenaer Bekannten Frommann diese Absicht mit;
aus dem sehr drastischem Vergleich zwischen im April 1817 verläßt Ludwig Jena und trifft –
Paulus und dem an Hegel angelehnten Carl Daub nach einem Aufenthalt in Franken – in Heidel-
ermessen, den Ludwig Feuerbach wenig später berg ein (Br 4/1.234 f.). Am 31.5.17 teilt Hegel
(1823) in Briefen an seinen Vater zieht; sie wiederum Frommann mit, Heinrich Voß habe
scheint aber die Herzlichkeit des privaten Um- Ludwig »überbracht«, und er habe ihm den Tod
gangs nicht beeinträchtigt zu haben, zumal sie seiner Mutter (den er durch Voß erfahren habe)
lange Zeit durch eine politische Übereinstim- eröffnet: »Er hat ihn mehr als mich affiziert. Mein
mung ausbalanciert wird. Noch am 23.5.13 Gemüt ist längst mit ihr fertig gewesen; ich
schreibt Paulus – bereits aus Heidelberg – an konnte nur noch unangenehme Berührungen
Hegel, er blicke »auf den Rhein und die Vogesen derselben mit Ludwig – und damit indirekt mit
hinüber, woher alles Heil kommt«; Caroline Pau- meiner Frau – und mir äußerst Unangenehmes
lus entrüstet sich am 12.12.15 über das »erz- besorgen.« Am 9.7.08 hat Hegel noch gegenüber
dumme Menschenvolk«, das »den salto mortale Frommann bedauert, daß er Frau Burkhardt, »die
in das Deutsch d u m m gemacht hat und sich mit die Mutter meines Kindes ist und die dadurch
Kreuzen aller Art behängt«, an denen nur die jede Art von Pflicht an mich aufzufordern hat, aus
deutsche Freiheit gekreuzigt werde. Doch bereits ihrer Lage nicht ganz bisher herausreißen
in diesem Brief spricht sie die »vaterländischen konnte«; bereits am 18.5.11 hat er jedoch von der
Landstands-Geschichten« an, in denen Paulus »Unverschämtheit der Burkhardt« gesprochen
sich in den Folgejahren sehr nachdrücklich enga- und darum gebeten, daß seine Heiratspläne die-
giert; Hegel nennt ihn am 19.4.17 geradezu den ser nicht vorzeitig bekannt werden.
»Gott unserer Landstände«. Über den Sohn jedoch schreibt Hegel weiter:
Die politische Differenz scheint auch sonst das »An Ludwig erfreue ich mich und meine Frau.
gesellige Leben Heidelbergs beeinträchtigt zu ha- […] er zeigt einen guten Kopf; er geht jetzt ins
ben. Sulpiz Boisserée notiert am 13.7.17 Ein- hiesige Gymnasium, das freilich besser sein
drücke von einer Bootsfahrt: »Revolutionäres re- könnte. Aber ich bin höchst verwundert, wie viel
spektloses Pack. […] Flegelei unterdessen im er im Lateinischen diesen Winter gelernt hat.«
Schiff, von Welcker gegen Daub bei Gelegenheit, Die Nachrichten aus den folgenden Jahren sind –
daß Hegel des Kronprinzen von Schweden Ge- für alle drei Söhne – spärlich. In Berlin schreibt
sundheit ausbringt. ›Der mag sich seinen Lorbeer Ludwig sich am 5.11.21 im Collège Français ein –
erst verdienen, die Deutsch Freiheit – die Stände unter dem Namen »Georgius Ludovicus Frederi-
sollen leben!!‹« (HBZ 147 f.) In diese Ausein- cus Hegel«. Nach Ludwigs Konfirmation wendet
andersetzungen greift auch Hegel im Herbst die- Hegel sich am 8.4.22 an Frommann mit dem
ses Jahres mit seiner Schrift Verhandlungen in Vorschlag, Ludwig – der nach eigenen Angaben
der Versammlung der Landstände des Königreichs den Wunsch gehabt hat, Medizin zu studieren –
Würtemberg ein, in der er sich gegen die Ver- in einer beiden bekannten Stuttgarter Handlung
fechter des »alten Rechts« auf den Boden der in die Lehre zu geben. Er habe sich sehr ge-
durch Napoleon geschaffenen staatlichen Verfas- bessert, sei reifer geworden und habe ein Ehrge-
sung in Deutschland stellt (s. 257). fühl bekommen, aber die Gesellschaft sei für ihn
nach wie vor gefährlich, und deshalb wolle er ihn
nicht »unter Unbekannten ohne freundschaftliche
7.3. Familienleben Aufsicht« lassen. 1823 trägt Ludwig wieder den
Namen »Fischer« – ob von Hegel erzwungen, wie
Nach Nürnberg ist Hegel 1808 als Junggeselle Varnhagen auf Grund einer Erzählung Heinrich
übergesiedelt; nach Heidelberg folgt ihm seine Leos aus dem Jahr 1844 berichtet, muß ange-
Frau mit den beiden Söhnen, und auch »Fritz«, sichts anderer Irrtümer seines Berichts offen-
Maries jüngere Schwester, bleibt bis zum Herbst bleiben (Br 3.434 f.). Im gleichen Jahr ist Ludwig
1817 in Heidelberg. Sein Hausstand vergrößert wohl gegen seinen Wunsch in diese Stuttgarter
40 I. Leben

Handlung eingetreten und hat sie 1825 nach ei- baut sein. Bei ihm nimmt Hegel auch an musika-
nem Streit mit seinem »Prinzipal« wieder ver- lischen Abenden teil. Ferdinand Walter berichtet
lassen. Briefe von Johanna Frommann aus den über Hegels Interesse: »Dieser kalte, scharfe,
Jahren 1824/25 an Sophie Bohn und Betty Wes- aber für alles Wahre und Große empfängliche
selhöft, die Ludwig aufgezogen haben, schreiben Geist, horchte erst genau zu und legte sich dann
ihm ein »verstocktes Herz« oder gar einen Stein die Sache für seine Zwecke zurecht. Er ging so
an Stelle des Herzens zu. Ein inniges Verhältnis darauf ein, daß er sich mehrmals Aufführungen
hat er zu seiner (sechs Jahre älteren) Schwester in seinem Hause erbat.« (HBZ 157)
Therese Burckhardt gehabt. Sein Verhältnis zu Zu seinen Freunden zählt Hegel auch Carl
Hegel hat Ludwig aus seiner Perspektive be- Daub und Friedrich Creuzer. Mit diesem ver-
schrieben: »Als ich von Jena nach Heidelberg bindet ihn das Interesse am Neuplatonismus,
kam, täuschte ich mich in der Hoffnung, eine insbesondere an Proclus. Obgleich die Wege bei-
liebevolle Erziehung und Behandlung zu genie- der sich Mitte der 1820er Jahre getrennt haben,
ßen, ganz gewaltig. Als Stiefkind, denn mein hat Creuzer in seinen Lebenserinnerungen Hegel
Vater, – wie ich ihn jetzt nicht mehr nennen einen großen Anteil am Zustandekommen seiner
werde, – ward ich von der Stiefmutter, die selbst Edition von Proclus’ Institutio theologica zuge-
2 Kinder hatte, nachgesetzt, und auf diese Art sprochen: Hegel hat die Druckbogen durchgear-
lebte ich immer in Furcht, nie aber in der Liebe beitet und mit Bemerkungen versehen, und Creu-
zu meinen Eltern, – ein Verhältnis, das eine stete zer hat ihm diese Edition gewidmet (s. 282). –
Spannung hervorbringen mußte, die niemals gut Daub jedoch ist derjenige der Heidelberger
tun konnte.« Nach seiner Abreise aus Stuttgart ist Freunde, bei dem sich die persönliche Freund-
Ludwig in niederländische Militärdienste getre- schaft am engsten mit der philosophischen Re-
ten. Nach Hegels Besuch in den Vereinigten Nie- zeption verbindet. Nach Hegels Übersiedelung
derlanden im Herbst 1827 (s. 54) erbietet sich nach Berlin hält Daub Vorlesungen über die Phä-
sein Schüler und Freund aus der Jenaer Zeit, van nomenologie des Geistes; er ist es, der den jungen
Ghert, Ludwig zu nützen (23.5.28); eine Antwort Ludwig Feuerbach nach Berlin zu Hegel schickt;
Hegels ist nicht bekannt. Am 28.8.31 ist Ludwig auf dessen Bitte hin überwacht er 1826/27 in
in Djokjakarta an »Febris Inflammatoria« ver- Heidelberg den Korrekturgang für die zweite
storben (Br 4/1.237–246; Birkert 2008, 280– Auflage der Enzyklopädie, und nach Hegels Tod
292). stellt er seiner Dogmatischen Theologie die Wid-
mung voran: »Dem Andenken Hegels, seines ver-
ewigten Freundes, in der Aussicht auf baldige
7.4. Kollegenkreis Nachfolge freudig gewidmet.«
Einen Höhepunkt des kollegialen Zusammen-
Im bereits genannten Brief vom 31.5.17 an From- seins in Heidelberg bildet nach den erhaltenen
mann geht Hegel auch auf die geselligen Kon- Quellen der erste Besuch Jean Pauls in den Som-
takte im Kollegenkreis ein: Es finde zwar kein mermonaten 1817. Am Ende eines Punschabends
häufiges Zusammenleben statt, jedoch ein kor- bei Heinrich Voß am 11.7.17 regt Hegel die Eh-
diales Verhältnis ohne Sauerteig, »der glückli- renpromotion Jean Pauls an; schon fünf Tage
cherweise vor meiner Ankunft zu Ihnen exorziert später beschließt die Fakultät, »dem edlen Dich-
worden ist« – nämlich Fries. Paulus’ Unruhe und ter Jean Paul Friedr. Richter, der gerade jetzt in
Vieltuerei verderbe nichts, nütze aber auch unsern Mauern weilt, ein vom Dekan abzufassen-
nichts, und mit Thibaut stehe er »auf einem des Ehrendiplom zu überreichen« – einmütig
freundschaftlichen, fast vertraulichen Fuß; er ist zwar, aber gegen Bedenken eines Kollegen, »er-
ein ehrlicher und gern ein offener Mann«. Thi- stens, weil es mit Jean Pauls Christentum nicht
bauts Auseinandersetzung mit Savigny um die ganz geheuer stünde, zweitens, weil seine Mora-
Kodifikation eines bürgerlichen Gesetzbuchs lag lität auch nicht ganz koscher wäre, sintemalen
damals nur kurz zurück; Hegels massive Kritik an Jean Paul gern ein Glas über den Durst tränke«.
Savignys Kodifikationsfeindlichkeit in § 211 der Hegel aber habe diesem Kollegen mit großem
Grundlinien der Philosophie des Rechts dürfte Ernst und ungewohnter Beredtsamkeit – und ei-
noch ein Nachklang dieser Verbindung mit Thi- nem Schalk im Nacken – bewiesen, »daß Jean
7. Heidelberg (1816–1818) 41

Paul ein ganz herrlicher Christ sei«. Am 17.7. Herbst besucht Karl Siegmund Franz v. Stein zum
überbringen Hegel und Creuzer das Doktordi- Altenstein Heidelberg, wahrscheinlich insbeson-
plom, und am 19.7. feiern alle »einen großen dere der Gemäldesammlung Boisserées wegen,
Doktorschmaus«, bei dem Hegel »seine könig- und dabei lernt er auch Hegel persönlich kennen
liche Freude« darüber hat, daß der Argwohn des – mit dem Bedauern, daß der Ruf nach Berlin
einen Kollegen hinsichtlich der Christlichkeit »durch einen unglücklichen Zufall« zu spät ge-
Jean Pauls doch noch nicht ganz ausgeräumt ist. kommen sei. Nach seiner Ernennung zum Chef
Auch Jean Paul berichtet seiner Frau über diesen eines neu gebildeten »Ministeriums für Geist-
»herrlichen Abendzirkel und Regenbogen« mit liche, Unterrichts- und Medizinalangelegenhei-
lauter Professoren, Künstlern und »Kunstken- ten« im Jahre 1817 – ein Amt, das er bis 1839, in
nern und -inhabern wie Boisserée« (HBZ das Jahr vor seinem Tod, ausüben wird – bemüht
149–152). er sich unter anderem um die Wiederbesetzung
Mit Sulpiz Boisserée ist Hegel bereits seit von Fichtes Lehrstuhl. Hierfür wendet er sich in
Nürnberg vielfältig verbunden; er genießt seine einem persönlich gehaltenen Schreiben vom
Gemäldesammlung, die damals noch in Heidel- 26.12.17 an Hegel: »Ich mißkenne die Verpflich-
berg aufgestellt ist, und lernt dort die Maler tungen nicht, welche Sie an Heidelberg zurück-
Xeller, Schlesinger und Köster kennen, mit de- halten können, allein Sie haben noch größere
nen er auch später noch in Berlin in Verbindung Verpflichtungen für die Wissenschaft, für die sich
stehen wird (HBZ 452). Sulpiz Boisserée ver- Ihnen hier ein ausgebreiteterer und wichtigerer
mittelt jedoch auch die Erneuerung der seit Jena Wirkungskreis eröffnet. Sie wissen, was Ihnen
unterbrochenen Verbindung Hegels mit Goethe. Berlin in dieser Hinsicht gewähren kann. Ihre
Zum Jahreswechsel 1812/13 ist Goethe sogar Erwartungen sollen aber, wie ich hoffe, noch
über Hegel betrübt, weil er ein von Troxler aus übertroffen werden, wenn sich verschiedene
dem Zusammenhang gerissenes und als Motto Pläne näher entwickeln, deren Verfolgung für
verwendetes Zitat aus Hegels Phänomenologie mich Pflicht ist« – womit er auf die geplante
als gegen »die herrlichen Bemühungen« der Na- Reorganisation der Berliner Akademie der Wis-
turphilosophie gerichtet empfindet – ein Ver- senschaften anspielt. Hegel dankt am 24.1.18,
dacht, den Hegels Freund Seebeck jedoch aus- nicht ohne noch einige finanzielle Wünsche gel-
räumen kann (V 6.413 f.) Sogleich bei Erscheinen tend zu machen, und hierauf trägt Altenstein dem
der Enzyklopädie sendet Boisserée einige Blätter König seinen Vorschlag vor: »Der einzige Ge-
über das Licht und »Newtons Lehre von der lehrte, welchem der Unterricht in der Philoso-
Bewegung der Himmelskörper«; Goethe bedankt phie auf der Universität hier in einem hohen
sich umgehend dafür, daß Hegel ihm »so mächtig Grade mit Zuversicht […] anvertraut werden
zu Hülfe kommt«, und sendet ihm zunächst über könnte, ist nach meiner Überzeugung der Pro-
Boisserée Materialien zur Farbenlehre, am 8.7.17 fessor Hegel […], ein Mann von reinstem Cha-
aber auch direkt seine soeben erschienene Ab- rakter, von seltenen mannigfaltigen Kenntnissen,
handlung Zur Naturwissenschaft überhaupt. Da- von Reife des Geistes und von philosophischem
mit wird die bereits in Jena bestehende und auch Scharfsinn, wovon seine verschiedenen Schriften
in Berlin weitergeführte Zusammenarbeit beider zeugen. Gleich weit entfernt von religiöser
an der Farbenlehre wieder aufgenommen. Schwärmerei und von Unglauben, hat er bei sei-
ner philosophischen Tiefe doch auch schätzbare
Ansichten in der allgemeinen Erziehungskunst
7.5. Berufung nach Berlin und sogar praktische Kenntnisse in solcher.«
(HBZ 168) Am 16.3.18 teilt das Ministerium He-
In Hegels Briefen aus Heidelberg fehlt erstmals gel mit, daß seine Forderungen bewilligt seien,
ein Thema, das das vorangehende Jahrzehnt und Altenstein fügt dem am 18.3. noch ein pri-
durchzieht: der Wunsch nach einer Veränderung vates Schreiben an; am 31.3. nimmt Hegel den
seiner beruflichen Situation, nach der Erlösung Ruf an.
sei es von der Zeitungsgaleere, sei es vom Schul- Bereits am 20.5.08 hat Hegel an Niethammer
katzenjammer. Und doch erfolgt gerade hier die geschrieben, es sei am besten, in einer Haupt-
Veränderung überraschend schnell. Bereits im stadt zu leben – und dabei an München gedacht.
42 I. Leben

Am 12.9.18 stützt er sich seiner Schwester gegen- Quellen: GW 13, GW 15, GW 18; Ludwig Feuerbach:
über auf dasselbe Argument: »Berlin ist ein gro- Gesammelte Werke. Hg. von Werner Schuffenhauer.
Bd. 17. Briefwechsel I (1817–1839). Berlin 1984, 33–38.
ßer Mittelpunkt für sich« – und er fügt noch
– Literatur: R 295–312; Pöggeler: Hegel und die Ro-
hinzu: »die Philosophie war von jeher mehr im mantik. Bonn 1956; Friedhelm Nicolin: Hegel als Pro-
nördlichen Deutschland Bedürfnis und zu Haus fessor in Heidelberg. Aus den Akten der philosophi-
als im südlichen«. Noch am 9.6.21 schreibt er an schen Fakultät 1816–18. HS 2 (1963), 71–98; Wilhelm
Niethammer, er sei nach Berlin gegangen, »um in Raimund Beyer: Aus Hegels Familienleben. Die Briefe
einem Mittelpunkt und nicht in einer Provinz zu der Susanne von Tucher an ihre Tochter Marie Hegel
(1816–1832) (Fortsetzung). In: HJb 1967, 114–137; He-
sein.« Diese Erwägungen haben offenbar auch
gel 1770–1970, 172–188; Hans-Georg Gadamer: Hegel
seine Frau überzeugt; Hegel schreibt der Schwe- und die Heidelberger Romantik. In Gadamer: Hegels
ster weiter, der Gedanke, Heidelberg zu ver- Dialektik. Fünf hermeneutische Studien. Tübingen
lassen, sei Marie anfangs sauer geworden, »aber 1971, 71–81; Pöggeler: Hegel und Heidelberg. HS 6
sie gibt sich jetzt mit Mut und Zuversicht darein«. (1971), 65–133; Strack: Hegels Persönlichkeit im Spie-
Und auch die Mutter Susanna v. Tucher bestärkt gel der Tagebücher Sulpiz Boisserées und der Lebens-
erinnerungen C. H. A. Pagenstechers. HS 17 (1982),
sie: »man muß die Landkarte nehmen und das
25–40; Wilhelm Raimund Beyer: Sulpiz Boisserée als
kleine Fleckchen Land neben das Große stellen, Wegbegleiter Hegels in Nürnberg und Heidelberg. In
wo Kinder und Kindeskinder ihre Hütten zu ders.: Gegenwartsbezüge Hegelscher Themen. Mit un-
bauen, Platz genug finden werden.« (HBZ 171) bekannten Hegel-Texten zur Farbenlehre. Königsstein /
Richard Rothe, Hegels Heidelberger und nach- Ts. 1985, 78–84; Christoph Burchard: H. E. G. Paulus in
mals Berliner Schüler, berichtet allerdings auch Heidelberg (1811–1851). In: Semper Apertus. Sechs-
hundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
noch von anderen Erwägungen: Der damalige
1386–1986. Festschrift in sechs Bänden. Bd. 2. Berlin
Streit um die badische Erbfolge sei »auch mit eine u. a. 1985, 222–297; Katharina Comoth: Ein Dokument
von den Ursachen, welche Hegeln bewogen ha- über Hegels Aufenthalt in Heidelberg. HS 20 (1985),
ben, den Ruf nach Berlin anzunehmen; denn da 117–120; Helmuth Kreysing: Boris Uexkülls Aufzeich-
auf diese Weise Heidelberg leicht bayrisch wer- nungen zum subjektiven Geist – Eine Vorlesungsnach-
den könnte, hätte er zu fürchten gehabt, einmal schrift? In: Jahrbuch für Hegelforschung. Hg. von Hel-
mut Schneider. Bd. 2. Sankt Augustin 1996, 5–25.
wieder unter den bayerischen Zepter zu kom-
men, der ihm überaus verhaßt ist.« (HBZ 174)
Und einen weiteren Grund deutet Hegel in sei- 8. Berlin (1818–1831)
nem Entlassungsgesuch vom 21.4.18 an das badi-
sche Innenministerium an: »vornehmlich die 8.1. Politische Situation
Aussicht zu mehrerer Gelegenheit in weiter vor-
rückendem Alter von der prekären Funktion, Phi- Das Preußen, in das Hegel im Oktober 1818
losophie auf einer Universität zu dozieren, zu kommt, ist durch tiefgreifende Spannungen zwi-
einer andern Tätigkeit übergeben und gebraucht schen Reform- und Restaurationstendenzen ge-
werden zu können«. Er stützt sich hierbei auf die kennzeichnet. Der Höhepunkt des Wirkens der
Andeutungen, die v. Altenstein ihm am 18. März Reformer wie auch die Universitätsgründung lie-
1818 konkretisiert hat: »Ich beabsichtige eine gen fast ein Jahrzehnt zurück, und an sein Ver-
große Veränderung bei der Königlichen Akade- sprechen vom 22.5.15, dem Staat eine Verfassung
mie der Wissenschaften hier und hoffe dabei zu geben, läßt König Friedrich Wilhelm III. sich
Gelegenheit zu haben, Ihnen eine sehr schöne nicht mehr gern erinnern – auch wenn der Staats-
Wirksamkeit zu eröffnen und Ihre Einnahme kanzler v. Hardenberg ihm am 17.1.20 durch den
künftig zu erhöhen.« Zwang der tagespolitischen Ereignisse eine Wie-
Wahrscheinlich am 18.9.18 verläßt Hegel mit derholung des Verfassungsversprechens abnöti-
seiner Familie Heidelberg; am 19.9. schreibt er gen kann. Preußen hat sich auf dem Wiener
von Frankfurt aus an das Preußische Kultusmini- Kongreß als eine europäische Großmacht eta-
sterium, vom 23.–26.9. besucht er die Bekannten bliert – neben und in enger Verbindung mit
in Jena und Weimar – Frommann, Goethe und Österreich und Rußland, mit denen es in der
Knebel –, und etwa am 29.9. trifft er – über »Heiligen Allianz« zusammengeschlossen ist. Die
Weißenfels, Leipzig und Wittenberg – in Berlin Politik Metternichs wird von der Versammlung
ein. der deutschen Staaten, dem Bundestag in Frank-
8. Berlin (1818–1831) 43

furt, allgemein unterstützt. Reformer wie Wil- Begründung eines Nationalstaats. Zur Reforma-
helm v. Humboldt und Karl Friedrich v. Beyme tionsfeier im Oktober 1817, beim Wartburgfest,
treten 1819 zurück; statt dessen formiert sich manifestiert sich das neu erwachte Nationalbe-
allmählich die »Kronprinzenpartei« – oder mit wußtsein – aber mit ihm zugleich zeigen sich
dem despektierlichen Namen: die »Hofkama- bereits die finsteren Seiten dieses Nationalbe-
rilla« – als politischer Faktor, dem v. Hardenberg wußtseins: Judenhaß und Bücherverbrennung,
in seinen letzten Lebensjahren keine persönliche darunter die Geschichte des deutschen Reiches
Energie und politische Macht mehr entgegen- des Literaten und russischen Staatsrats August
zusetzen hat. Insbesondere die Universitäten Kotzebue. Als Abgeordneter der Erlanger Bur-
werden zum Objekt einer zunehmend restau- schenschaft marschiert Karl Ludwig Sand als Eh-
rativen Politik. Als ein glücklicher Umstand er- renwache neben dem Fahnenträger zur Wartburg
weist sich jedoch, daß im Jahr 1817 die für die – und gut ein Jahr später ermordet er in Mann-
Kulturpolitik zuständige Abteilung aus dem In- heim Kotzebue. Es ist ein Indiz für die Vergiftung
nenministerium herausgelöst und zu einem neu- des politischen Klimas, daß dieser Meuchelmord
gebildeten Ministerium unter Führung Alten- damals nicht nur von seinen Gesinnungsgenos-
steins ausgebaut worden ist, das den direkten sen unter den Burschenschaftlern, sondern auch
Zugriff der Restaurationspartei auf die Univer- von einigen mit ihnen sympathisierenden Pro-
sitäten verhindert und viele restriktive Anord- fessoren als eine aus der »besten Überzeugung«
nungen so lange verschleppt und verwässert, bis entsprungene und somit auch gute, ja »beste« Tat
sie gegenstandslos geworden sind. beschönigt wird.
Diese komplexen Zusammenhänge sind Hegel Mit diesem radikal gesinnungsethischen (und
noch nicht deutlich, als er in Berlin eintrifft und somit für Hegel gegen die wirkliche Sittlichkeit
in seiner, gegenüber der Heidelberger nur ge- des Staates verstoßenden) Argument rechtfertigt
ringfügig erweiterten Berliner Antrittsrede vom Hegels Berliner Kollege, der protestantische
22.10.18 an die Reformzeit anknüpft, indem er Theologe de Wette, ein enger Freund von Fries,
deren Topos aufgreift, daß »Preussen auf Intelli- der Mutter Sands gegenüber den Mord, und er
genz gebaut« sei (GW 18.4). Für die Kulturpolitik fährt fort: die durch »diesen reinen frommen
dieser Jahre bleibt dieser Topos auch in den Jüngling, mit diesem Glauben, mit dieser Zuver-
folgenden Jahren leitend: Hegels Berufung bildet sicht« geschehene Tat sei »ein schönes Zeugnis
ein zwar wichtiges, aber doch nur e i n Beispiel der Zeit. Ein Jüngling setzt sein Leben daran,
für Altensteins Bestrebungen, namhafte Gelehrte einen Menschen auszurotten, den so viele als
sehr unterschiedlicher Strömungen für Preußen einen Götzen verehren; sollte dieses ohne alle
und insbesondere für die Berliner Universität zu Wirkung sein?« (Br 2.445) De Wette wird darauf-
gewinnen. Diese Bestrebungen sind zwar nicht hin fristlos entlassen; einen Protest des akademi-
immer erfolgreich – August Wilhelm Schlegel schen Senats gegen die Entlassung weist der
zieht die neue preußische Universität Bonn vor, König schroff zurück: »Ich würde mein Gewissen
und Ludwig Tieck lehnt schon aus Pietät den Ruf verletzen, wenn ich einem Manne, der den Meu-
auf die Nachfolge seines Freundes Solger ab –, chelmord unter Bedingungen und Voraussetzun-
doch entsteht verbreitet der Eindruck, den Goe- gen gerechtfertigt hält, den Unterricht der Ju-
the angesichts der Berufungen Hegels und See- gend ferner anvertrauen wollte.« (Br 2.446) Unter
becks gegenüber Sulpiz Boissereé so formuliert: den Professoren aber führt die Entlassung zu
»Minister Altenstein scheint sich eine wissen- einer scharfen Konfrontation darüber, ob der
schaftliche Leibgarde anschaffen zu wollen.« Staat das Recht hierzu habe. Hegel tritt für dieses
(HBZ 173) Recht des Staates ein, »einen Lehrer abzusetzen,
Nicht allein in Berlin herrscht damals eine wenn er ihm nur seinen Gehalt lasse«; Schleier-
politisch gespannte Atmosphäre. Die bereits be- macher, mit dem Hegel noch am 2.5.19 am Fest
stehenden Königreiche (Preußen und Österreich) der Burschenschaftler auf dem Pichelsberg teil-
wie auch die von Napoleon neu begründeten genommen hat (HBZ 193 f.), bezeichnet diese
behaupten sich – und nicht selten mit repressiven Ansicht als »erbärmlich«, und Hegel repliziert
Maßnahmen – gegen die häufig mit den Befrei- darauf »mit gleicher Grobheit« (Br 2.450) – doch
ungskriegen verbundenen Hoffnungen auf die beteiligt er sich mit 25 Talern an einer Sammlung
der Kollegen für de Wette (HBZ 199).
44 I. Leben

Die Regierungen beantworten jenen Mord und Hundsfott Carové, den ich immer in der letzten
diese Rechtfertigungen mit einer erneuten Ver- Zeit in Jena schon haßte und den ich nun noch
schärfung der Repression durch die »Karlsbader viel ärger hasse. […] Nur glauben auch die Un-
Beschlüsse« vom August 1819, die am 20.9.19 gleichen gleich zu sein. Freund Carové oder Gar-
einstimmig vom Frankfurter Bundestag ange- o-weh! nun hat sie so ans Allgemeine und rein
nommen werden: Die frühere Zensurfreiheit der Vernünftige gewöhnt, daß sie in ihrem höchst
Universitäten wird aufgehoben, an den Univer- allgemeinen Schlendrian gern noch fortgegangen
sitäten werden Regierungskommissare einge- wären … Ist die Burschenschaft deutsch und faßt
setzt, die mit großer Macht ausgestattet sind; sie einmal einen kräftigen Entschluß, liederliche
Professoren wie Studenten, die im Verdacht dem- Bestien oder dergl. abzuschaffen, so müßte sie
agogischer Umtriebe stehen, droht die Entlas- doch das Zeug sein lassen«. In dieser Spannung
sung bzw. die Relegation. Die neuere Empörung läßt sich deutlich die auf das »Allgemeine und
über diese weit überzogene und zu Gesinnungs- rein Vernünftige« zielende »Hegelsche« Linie von
schnüffelei führende »Demagogenverfolgung« ist der gegen Juden und Ausländer sowie auf die
jedoch geneigt, deren Opfer pauschal als »liberal« Liquidierung »liederlicher Bestien« gerichteten
zu stilisieren und hinwegzusehen über die da- Linie unterscheiden. Asverus geht jedoch mit
mals enge Verbindung solcher Berufung auf die Hegel nach Berlin; in Briefen an seine Eltern legt
»deutsche Freiheit« mit dumpfem Fremden-, ins- er klar den mäßigenden Einfluß von Hegels
besondere Franzosenhaß etwa im Umkreis des Staatslehre auf sein Denken dar. Dennoch wird er
»Turnvaters Jahn« und mit dem Haß auf die Ju- am 15.7.19 im Zuge der Demagogenverfolgung
den, der sich auch bei einem Treffen der Bur- verhaftet; Hegel sucht – auch durch Stellung
schenschaftler in Darmstadt in einem Pogrom einer Bürgschaft – seine Freilassung zu errei-
entlädt. chen, die sich jedoch noch bis zum 7.6.20 hin-
Der Eindruck, den die politischen Konflikte zieht. Am 11.10.21 schreibt Asverus an einen
dieser Zeit auf Hegel machen, spiegelt sich wohl Freund, die Burschenschaft dürfe »keine politi-
am besten in seinen Worten an den Heidelberger schen Zwecke haben; denn das ist Torheit. Wie
Freund Friedrich Creuzer vom 30.10.19: »Ich bin wollen wir junge Laffen, die keine Idee vom Staat
gleich 50 Jahre alt, habe 30 davon in diesen ewig haben, unsere verwickelten politischen Verhält-
unruhvollen Zeiten des Fürchtens und Hoffens nisse übersehen und resp. verbessern? […] Nur
zugebracht und hoffte, es sei einmal mit dem das Politische weg, […] weil sonst die Burschen-
Fürchten und Hoffen aus. Nun muß ich sehen, schaft nichts als ein politischer Klub ist und zu
daß es immer fortwährt, ja, meint man in trüben Torheiten verleitet wird. […] Dieser Unsinn
Stunden, immer ärger wird.« Schon in seinem kommt aber von niemandem in die Burschen-
ersten Berliner Jahr wird Hegel mehrfach in schaft als von Mr. Luden und Mr. Wesselhoeft,
solche Auseinandersetzungen hineingezogen. denen ich beiden von Herzen gram bin. Freiheit,
Noch in Heidelberg promoviert bei ihm Friedrich Wahrheit, Vaterland kommt immer aus ihrem
Wilhelm Carové mit einer Arbeit über eine Ver- infamen Rachen, und dabei sind sie die größten
fassung der Burschenschaft. Carové (Br Egoisten, eitelsten Narren und schauderhaftesten
2.455–468) nimmt auch am Wartburgfest teil; er Spiegelfechter und Lügner« – und er beschließt
ist eine führende Gestalt in der Heidelberger den Brief, indem er dem Freund empfiehlt, sich
Burschenschaft, setzt sich jedoch für eine nicht- an Hegel anzuschließen (Br 2.432–442). Arnold
nationalistische Ausrichtung der Burschenschaft Ruge berichtet später, daß Asverus seiner Be-
ein. Gustav Asverus, ein Sohn von Hegels Jenaer geisterung für Hegel wegen »von der Jenaer Bur-
Bekannten, kommt im Sommer 1818 aus Jena schenschaft förmlich in Verruf erklärt worden
und tritt auch der Heidelberger Burschenschaft war.« (HBZ 424)
bei – doch berichtet er empört einem Freund über Ein abschließendes Urteil formuliert Hegel im
die dort übergroße Liberalität: »Denke nur, wenn Brief vom 9.6.21 an Niethammer: »Die demago-
Du dies denken kannst, wir haben jetzt eine gische Not habe ich ohne Gefährde bestanden«.
a l l g e m e i n e Burschenschaft, […] Sie wollen Er habe beide Seiten kennengelernt, »einesteils
alle Juden, alle Ausländer, daß Gott erbarm. […] die Jämmerlichkeit und das wohlverdiente
Vorzüglich ist aber daran schuld der dumme Schicksal« der »demagogischen Individuen«, an-
8. Berlin (1818–1831) 45

derenteils »die bei so nebulosen Dingen freilich zum »Hof« getreten ist: durch den Bericht der
nicht gleich anfängliche, aber schließliche Ge- Prinzessin Wilhelm von Preußen von einem Fest-
rechtigkeit der Behörden und noch mehr als dies« mahl während seines Rektorats (s. 17) und durch
– womit er auf die Anstellung des zuvor als einen dubiosen Bericht Arnold Ruges von einem
Demagogen verdächtigten und inhaftierten Gespräch mit dem Kronprinzen (s. 365). Es ge-
v. Henning als Repetenten verweist. lingt Altenstein auch nicht, die im Berufungs-
In der Sache ähnlich äußert sich sein Kollege schreiben angedeuteten Pläne zu verwirklichen,
Solger über »das Gewäsch der Wa r t b u r g s r e d - Hegel zum Präsidenten der Königlichen Aka-
n e r« oder über diejenigen, die den Studenten demie der Wissenschaften zu berufen; anders als
seit zehn Jahren vorgepredigt haben, »sie seien viele seiner Kollegen wird Hegel nicht einmal
die Weisen und Vortrefflichen, von denen die zum Geheimrat ernannt, und auch der Rote Ad-
Wiedergeburt des Staats und der Kirche aus- lerorden 3. Klasse, den er in seinem letzten Le-
gehen müsse«. Und Solger nennt auch diejenigen bensjahr – gemeinsam mit Schleiermacher – er-
beim Namen, denen er die Verbreitung dieses hält, bestätigt nur noch die Distanz zum Hof.
»aufgeblasenen dummen Hochmuts« zuschreibt: Denn es handelt sich hierbei um eine recht ge-
S[chleiermache]r, F[rie]s und d[e] W[ette]. He- ringe Auszeichnung, und zudem notiert Varnha-
gel zitiert diese Sätze – ohne Nennung der drei gen in seinem Tagebuch, daß diese Ordenverlei-
Namen – später in seiner Solger-Rezension (GW hung bereits 1827 erwartet worden sei und daß
16.90 f.), und er kommentiert sie aus seiner eige- 1830 nicht der von Altenstein vorgeschlagene
nen Erfahrung: So bedauerlich es sei, daß Solger Hegel, sondern die durch Alexander v. Humboldt
damals die nötige Auseinandersetzung nicht öf- vorgeschlagenen Professoren Encke und Mit-
fentlich geführt habe, so sei es ihm doch zu scherlich diesen Orden erhalten hätten – und er
gönnen, daß ihm dadurch für seine letzten, we- wertet dies als Beleg dafür, »daß eine Art Neben-
nigen Lebensmonate »die zu erwartende böse ministerium besteht, das mehr Gunst hat, als das
Anfeindung, Verunglimpfung von serviler Gesin- eigentliche.« (HBZ 335,410)
nung usf. erspart« geblieben sei (s. 295). Hegel zählt fraglos nicht allein zur »wissen-
Denn gegen ihn selber ist dieser Vorwurf der schaftlichen«, sondern auch zur politischen
Servilität und der Akkomodation an die beste- »Leibgarde« des Ministeriums Altenstein. Dar-
henden Verhältnisse erhoben worden – auch sein über hinaus aber ist das Spektrum seiner politi-
späterer Titel eines »preußischen Staatsphiloso- schen Optionen erstaunlich weit gespannt: Er
phen« besagt ja nichts anderes. Veranlaßt haben trinkt jährlich am 14. Juli auf die Erstürmung der
dies seine kompromißlose Ablehnung des politi- Bastille (HBZ 299, vgl. 214); sein Interesse und
schen Mordes und sein mäßigender Einfluß auf seine Verehrung für Napoleon bleiben unge-
die Studentenschaft, seine Grundlinien der Philo- schmälert – aber er hält auch seine Familie an, am
sophie des Rechts (1821) und schließlich der Um- Geburtstag des Königs ein Glas auf dessen Ge-
stand, daß er und über seinen Tod hinaus auch sundheit zu leeren – denn »es ist eine würdige,
seine Philosophie sich der stetigen Unterstützung werte Gesundheit« (10.8.26). Die blinde Formel
seitens des Kultusministers Altenstein erfreuen vom »preußischen Staatsphilosophen« hingegen
durften. Doch zum einen ließ Altenstein seine identifiziert die selbst stets umstrittene Politik
Unterstützung – und auf Grund der Lage der des Ministeriums Altenstein mit dem »preußi-
Dinge sogar in weit höherem Maße – auch denen schen Staat« und ignoriert die unterschiedlichen,
angedeihen, die politisch anders optierten, wie ja gegensätzlichen politischen Gruppierungen
etwa Schleiermacher, den er mehrfach dem Zu- und Bestrebungen dieser Jahre.
griff der Restaurationspartei entzog. Und zum Literatur: Max Lenz: Geschichte der Universität Berlin
anderen mußte Altenstein seine überaus erfolg- (1910), Bd. 2/1: Ministerium Altenstein, 177–404: Un-
reiche Linie der Kulturpolitik gegen erhebliche ter dem Gestirn Hegels; Hans-Joachim Schoeps: Das
Widerstände und Angriffe seitens der zuneh- andere Preussen. Konservative Gestalten und Probleme
mend einflußreichen restaurativen »Kronprin- im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV. Berlin 4 1974; Rein-
zenpartei« und »Hofkamarilla« verteidigen. Aus hart Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolu-
tion. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale
den langen Jahren sind nur zwei Gelegenheiten Bewegung von 1791 bis 1848. Stuttgart 2 1975.
bekannt, an denen Hegel in direkte Verbindung
46 I. Leben

8.2. Lehrtätigkeit Freund Friedrich v. Gentz, dem Sekretär Met-


ternichs, Hegel gehöre »nicht zu den Philoso-
Die zeitgenössischen Nachrichten über Hegels phen, die ihre Wirkung bloß ihren Ideen über-
Lehrtätigkeit unterscheiden sich sehr stark, je lassen wollen, er macht Schule und macht sie mit
nach der politischen und gesellschaftlichen Per- Absicht.« (HBZ 380) Hegels Hörer Wilhelm Hae-
spektive. Sein Kollege Karl Wilhelm Ferdinand ring, bekannter unter seinem Schriftsteller-
Solger – mit dem er sich noch von Heidelberg aus Pseudonym Willibald Alexis, drückt dies noch
über die Lehrveranstaltungen im Winter 1818/19 etwas plastischer aus: »Der große Philosoph war
abgestimmt hat (Br 2.189) – schreibt damals an noch ein viel größerer Feldherr, der seine Trup-
Tieck: »Ich war begierig, was der gute Hegel hier pen aus Kantonen rekrutiert, wo andere Feld-
für einen Eindruck machen würde. Es spricht herren kaum ihren Troß herbeigezogen hätten.
niemand von ihm, denn er ist still und fleißig. Es Er wußte alle Kräfte zu benutzen.« (HBZ 302)
dürfte nur der dümmste Nachbeter hergekom- Hegels Lehrerfolg und seine Tendenz zur
men sein, dergleichen sie gar zu gern einen hät- Schulbildung sind zumindest nicht selbstver-
ten, so würde großer Lärm geschlagen, und die ständlich angesichts seines Vortragsstils, der ja
Studenten zu Heil und Rettung ihrer Seelen in noch 1816 Bedenken gegen seine Berufung nach
seine Collegia gewiesen werden.« (GW 16.121) Berlin genährt hatte. Die zahlreichen Schilderun-
Zwei Grundzüge seiner Berliner Wirksamkeit gen (HBZ 181, 203, 207, 246, 274, 276, 284,
sind jedoch unstrittig. Zum einen sind Hegels 375–379, 421 f., 442–444, 548) stimmen überein
Berliner Jahre eine Zeit des konsequenten Aus- in der Beschreibung seines, von Husten und
baus des Systems – eines Ausbaus weniger durch Räuspern wie auch vom Blättern in unterschiedli-
Publikationen als durch seine Vorlesungen. Er chen Manuskripten unterbrochenen Vortrags,
veröffentlicht in diesen Jahren nur noch ein grö- seines mehr nach innen als den Hörern zuge-
ßeres Werk: Im Oktober 1820 erscheinen die wandten Sprechens, das gegen Schleiermachers
Grundlinien der Philosophie des Rechts. Die En- glänzende Rhetorik abstach. Sie stimmen aber
zyklopädie der philosophischen Wissenschaften ebenso darin überein, daß Hegels Vortrag, wenn
und das erste Buch der Wissenschaft der Logik man sich erst einmal an seine Absonderlichkeit
legt Hegel nur in zweiten Auflagen vor, die aller- gewöhnt habe, einen gedanklichen Reichtum of-
dings fast den Charakter neuer Bücher haben, fenbarte, den mancher äußerlich glänzende Vor-
während die rasch folgende dritte Auflage der trag vermissen ließ. Hegel hat deshalb stets vor
Enzyklopädie sich nur noch geringfügig von der einem großen – und durchaus nicht auf Studen-
zweiten unterscheidet. Diese neuen Auflagen wie ten beschränkten – Publikum gelesen. Die »Akme
auch die Neubearbeitung der Disziplinen seines der Lehrtätigkeit« – nicht im Blick auf die Hörer-
Systems im Rahmen von Vorlesungen sind ge- zahlen, sondern auf Hegels Vortrag – datiert Jo-
kennzeichnet einerseits von der tieferen Durch- hann Eduard Erdmann auf den Beginn des Win-
dringung und Ausarbeitung seines Systemgedan- tersemesters 1827/28, nach Hegels Rückkehr aus
kens, andererseits von der Fülle der Materien, Paris (HBZ 355).
die Hegel sich in diesen Jahren auf allen Ge- Einige, auch vertraute dieser Schüler sind nicht
bieten seiner Philosophie erarbeitet. Eigens her- durch philosophische Schriften, sondern nur aus
vorgehoben seien seine intensive Rezeption der dem lebensgeschichtlichen Umkreis Hegels be-
zeitgenössischen naturwissenschaftlichen, aber kannt geworden: Heinrich Wilhelm August Stie-
auch der »asiatischen« Forschungen. glitz, Heinrich Beer oder Friedrich Förster; viele
Der andere Charakterzug seiner Lehrtätigkeit nehmen bereits in diesen oder in späteren Jahren
liegt in der deutlichen Tendenz zur Schulbildung. an der weiteren Ausbildung der Hegelschen Phi-
Savigny berichtet bereits am 26.11.21 nach Mar- losophie oder an den Auseinandersetzungen der
burg: »In der Philosophie herrscht Hegel, der Schule teil, wie Gans, Erdmann, v. Henning,
sehr eifrige unduldsame Schüler zieht, von den Hinrichs, Hotho oder Michelet. In den Berichten
allermeisten gar nicht verstanden, und von den über das gesellige Leben fehlen jedoch die Na-
Polen (die weder deutsch können, noch etwas men der drei Schüler, die über den Kreis der
begreifen) schwärmerisch verehrt wird.« (HBZ Schule hinaus Hegels Denken aufgenommen,
230) Wilhelm v. Humboldt berichtet seinem aber auch weiter verarbeitet und dadurch eine
8. Berlin (1818–1831) 47

eigene geschichtliche Bedeutung in der Philo- Hegel in seinem Dankesschreiben entgegen der
sophie, der Theologie und der Geschichtswissen- Etikette stets als »Euer Hochwohlgeboren« an-
schaft erlangt haben: Ludwig Feuerbach, David redet. – Mit Karl August Varnhagen von Ense
Friedrich Strauß und Johann Gustav Droysen. steht Hegel in langjähriger und guter, wiewohl
Literatur: zu Feuerbach: Simon Rawidowicz: Ludwig
nicht sonderlich enger Verbindung, in die auch
Feuerbachs Philosophie. Ursprung und Schicksal. Ber- Rahel Varnhagen einbezogen ist (HBZ 345 f.).
lin 21 964. – zu Droysen: Jörn Rüsen: Begriffene Ge- Das Verhältnis zu den Kollegen beschränkt sich
schichte. Genesis und Begründung der Geschichtstheo- hingegen im besseren Fall auf den – zur inneren
rie Johann Gustav Droysens. Paderborn 1969; Chri- Reserve hinzutretenden – gegenseitigen Respekt,
stoph Johannes Bauer: »Das Geheimnis aller Bewegung wie etwa seitens August Boeckhs (HBZ
ist ihr Zweck«. Geschichtsphilosophie bei Hegel und
Droysen. HSB 44 (2001).
298,302,318–322), aber auch Wilhelm v. Hum-
boldts (HBZ 379 f.), und im weniger guten auf die
allzu diplomatische Förmlichkeit, die Alexander
8.3. Geselligkeit v. Humboldt bei einem Konflikt an den Tag legt
(Br 3.424–426). Daneben steht die kaum ver-
Einen Höhepunkt des geselligen Lebens im Kreis hüllte Gegnerschaft, die das Verhältnis zu Sa-
der Schüler bildet die Feier zu Hegels Geburtstag vigny oder zu Schleiermacher prägt – wobei beide
am 27.8.26 – wobei die Feier seines Geburtstags paradigmatisch für ihre Fakultäten stehen.
traditionell mit der Feier von Goethes Geburtstag Sehr eng knüpft sich in diesen Jahren das
am folgenden Tage verknüpft wurde. Die Vossi- Verhältnis zu Goethe – vor allem durch Hegels
sche Zeitung hat dieses »schöne Doppelfest« für bereits in die Jenaer Jahre zurückreichendes In-
wichtig genug gehalten, um ausführlich über das teresse an Goethes Farbenlehre, die freilich
zu berichten – sehr zum Mißfallen des ebenfalls schon von den Zeitgenossen nicht als eine wis-
im August geborenen Königs, der daraufhin Be- senschaftlich seriöse Alternative zu Newtons Op-
richte über private Feiern untersagt (HBZ tik anerkannt wird (s. 285). Goethe sieht Hegel
303–315, 318). nicht allein als einen willkommenen Mitstreiter,
Zunächst jedoch bildet der Wechsel nach Ber- sondern als den Philosophen, dessen Blick man-
lin für Hegels geselligen Umgang keine erfreu- ches auch für ihn selber zur tiefern Klarheit bringt
liche Zäsur. Noch ein Jahr nach seiner Ankunft (HBZ 224–226). Zudem steht Hegel in engem
vergleicht Hegel in einem Brief an Creuzer seine Kontakt mit Christoph Ludwig Friedrich Schultz,
neue Situation mit der Heidelberger, die aller- der nicht allein Regierungsbevollmächtigter für
dings in den Jahren, die er dort verbracht hat, die Universität ist, sondern ebenfalls ein An-
noch nicht von den immer heftiger werden Frak- hänger der Farbenlehre. Auch seinen Schüler v.
tionierungen zerrissen war: »Den Kreis der Henning begeistert Hegel für Goethes Farben-
Freunde habe ich noch nicht gefunden.« lehre: v. Henning hält sogar Vorlesungen über die
(30.11.19) Auch in den folgenden Jahren findet Farbenlehre, besucht Goethe öfters in Weimar
Hegel seine Freunde weniger im Kollegenkreis – und experimentiert in einem eigens hierfür ein-
abgesehen von dem Theologen Philipp Marhei- gerichteten Raum in der Berliner Akademie der
neke und dem Sprachwissenschaftler und Indo- Wissenschaften. Dieses gemeinsamen Interesses
logen Franz Bopp. Eng befreundet ist er hingegen wegen schenkt Goethe Hegel am 13.4.21 ein »ge-
mit Johannes Schulze, dem Ministerialrat im Mi- trübtes Glas«, an dem man das »Urphänomen«,
nisterium Altenstein, aber auch Hörer und Nach- die Entstehung der Farben an der Grenze zwi-
barn Hegels. Hegels Beziehung zum Minister v. schen Hellem und Dunklem, studieren kann –
Altenstein enthält private Züge, die sich trotz der und er setzt die Widmung hinzu: »Dem Ab-
Distanz in der gesellschaftlichen Stellung auch soluten empfiehlt sich schönstens zu freundlicher
daraus ergeben, daß Altensteins Schwester wohl Aufnahme das Urphänomen. Weimar Sommers-
mit Marie Hegel bekannt und deshalb bereits bei Anfang 1821«.
der Übersiedelung nach Berlin behilflich ist (Br Die Beziehung beider beschränkt sich jedoch
2.180,188,192). Das Kondolenzschreiben, das nicht nur auf die Farbenlehre. Goethe steht der
Hegel am 27.5.30 nach ihrem Tod an Altenstein schriftlichen Darstellung der Philosophie Hegels
sendet, beeindruckt den Minister so tief, daß er zwar stets befremdet gegenüber, doch: »was bei
48 I. Leben

gedruckten Mitteilungen eines solchen Mannes aber zunächst nicht weniger gegen eine Auf-
uns unklar und abstrus erscheint, weil wir sol- nahme Fichtes gerichteten Argument, die höch-
ches nicht unmittelbar unserem Bedürfnis aneig- ste und allgemeinste transzendentale und meta-
nen können, das wird im lebendigen Gespräch physische Spekulation sei »ein ganz einsames
alsobald unser Eigentum, weil wir gewahr wer- Geschäft, welches jeder im Innern seines Geistes
den, daß wir in den Grundgedanken und Ge- vollenden muß«; es gehöre deshalb nicht in die
sinnungen mit ihm übereinstimmen und man Akademie, in der gemeinschaftliche Werke un-
also in beiderseitigem Entwickeln und Aufschlie- ternommen werden sollen (KGA I/11.11) – ein
ßen sich gar wohl annähern und vereinigen Argument, das Schleiermacher nicht daran ge-
könne.« (HBZ 358) Hegel besucht deshalb Goe- hindert hat, seine eigene Philosophie in der Aka-
the mehrfach in Weimar – 1818 beim Umzug nach demie vorzutragen und das schließlich zur Aus-
Berlin, 1827 bei seiner Rückkehr aus Paris und trocknung und völligen Aufhebung der philo-
1829 auf der Rückreise von Karlsbad. sophischen Klasse und zur Bildung einer histo-
Literatur: Max Lenz: Geschichte der Universität Berlin
risch-philologischen Klasse beigetragen hat. Erst
(1910), Bd. 2/1: Ministerium Altenstein, 177–404: Un- 1830 hat sich zumindest in dieser Klasse die
ter dem Gestirn Hegels; Hugo Falkenheim: Anhang zu Einsicht durchgesetzt, daß eine Aufnahme Hegels
Kuno Fischer: Hegels Leben, Werke und Lehre. Bd 2. nicht zu umgehen sei, und selbst Schleiermacher
Heidelberg 2 1911, 1216–1223 bzw. 1223–1229; Hegel in hat sich genötigt gesehen, gemeinsam mit Wil-
Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Äs- helm und Alexander v. Humboldt (HBZ 412)
thetik. Zum 150. Todestag des Philosophen. Hg. von
Otto Pöggeler. Berlin 1981; Hegel und die »Gesetzlose
lebhaft dafür zu plädieren – doch ist Hegel ver-
Gesellschaft«. Ein neu aufgefundenes Dokument mitge- storben, noch bevor die Zuwahl stattgefunden
teilt von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond. HS 20 hat.
(1985), 113–116.
Literatur: Adolf Harnack (Hg.): Geschichte der Kö-
niglich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin. Bd 1/2. Berlin 1900, 691ff.,726–730,734–741,
8.4. Akademie der Wissenschaften 753ff.,760–763; Max Lenz: Geschichte der Universität
Berlin (1910), Bd. 2/1.177–404: Unter dem Gestirn
Hegels.
Nicht alles ist jedoch in diesen Jahren nach
Wunsch verlaufen. Unerfüllt geblieben ist vor
allem die 1817/18 von Altenstein geweckte »Aus-
sicht zu mehrerer Gelegenheit in weiter vor- 8.5. Jahrbücher für wissenschaftliche
rückendem Alter von der prekären Funktion, Phi- Kritik
losophie auf einer Universität zu dozieren, zu
einer andern Tätigkeit übergeben und gebraucht Als eine Kompensation für Hegels Nichtauf-
werden zu können« – wie Hegel sich in seinem nahme in die Akademie wird zuweilen die Be-
am 21.4.18 an das Badische Innenministerium gründung der »Sozietät für wissenschaftliche Kri-
gesandten Entlassungsgesuch ausdrückt. Ge- tik« und ihrer Jahrbücher angesehen – eine Deu-
meint ist hiermit die Präsidentschaft der König- tung, die sich vornehmlich auf Hegels nunmehr
lichen Akademie der Wissenschaften nach ihrer ebenso entschlossenen Widerwillen gegen die
Neustrukturierung – ähnlich den Positionen Ja- Aufnahme Schleiermachers in die »Sozietät« be-
cobis und Schellings in München. Doch Hegel rufen kann. Die Gründung der Jahrbücher darf
hat nicht einmal Aufnahme in diese Akademie aber nicht primär in dieser Perspektive verstan-
gefunden. Die jahrelangen, für die Akademie den und beurteilt werden. Hegel hat bereits in
nicht eben rühmlichen und für ihre philosophi- Jena einen derartigen Plan verfolgt (GW
sche, dann philologisch-historische Klasse auch 4.507–514,549–553) und in Heidelberg als Re-
schädlichen Auseinandersetzungen um seine dakteur der Heidelbergischen Jahrbücher (s. 38)
Aufnahme sind erst durch seinen Tod beendet gewirkt. So ist es naheliegend, daß er nach seiner
worden. Schleiermacher hat lange Zeit Hegels Berufung nach Berlin den Plan zur Begründung
Aufnahme in die Akademie verhindert – mit dem einer Zeitschrift wieder aufnimmt – zumal die
bereits in seinem ersten Akademievortrag am Berliner Universität damals noch nicht über ein
29.1.11 vertretenen, vorgeblich sachorientierten, repräsentatives Publikationsorgan verfügt. Die
8. Berlin (1818–1831) 49

Allgemeine Literaturzeitung ist zwar 1804 von letzterer Hinsicht sind sie von Beginn an in einer
Jena nach Preußen verlegt worden – aber nicht prekären Lage: Da es wenig Hoffnung gibt, daß
nach Berlin, sondern nach Halle, in die Stadt der sie sich ohne finanzielle Unterstützung tragen
damals angesehensten preußischen Universität. könnten, beantragt die Redaktion bereits 1826
Im Winter 1819/20 finden Gespräche zwischen eine staatliche Unterstützung – denn andere För-
Hegel und dem zuständigen Minister v. Alten- derinstanzen gibt es damals nicht. Dem Wunsch
stein über die Gründung einer Zeitschrift statt, nach staatlicher Förderung steht jedoch immer
und am 27. Februar 1820 überreicht Hegel dem schon die Befürchtung entgegen, daß derartige
Minister einen Vorschlag Über die Einrichtung Zuwendungen auch den Versuch der staatlichen
einer kritischen Zeitschrift der Literatur (s. 288). Einflußnahme nach sich ziehen würden (HBZ
Dieser Plan Hegels ist auf eine Zeitschrift unter 336). Doch trotz der erheblichen finanziellen
staatlichem Patronat gerichtet, analog zu den auf Schwierigkeiten und der jahrelangen Bemühun-
Veranlassung Metternichs begründeten Wiener gen seitens der »Societät« bewilligt das Kultusmi-
Jahrbüchern der Literatur und insbesondere zum nisterium erst – nach Intervention des Verlegers
Journal des Savans. Er ist aber nicht verwirklicht Cotta und nach Verlegung des Druckorts nach
worden – aus einer Reihe von Gründen, die man Berlin – ab 1830 jährlich eine vergleichsweise
nicht einfach auf die Schlagwörter »liberal« und geringe Beihilfe von 800 Talern für das defizitäre
»staatlich« reduzieren darf (Obenaus 1994). Unternehmen –, nicht, um es hierdurch zu einer
Trotz der über fast zwei Jahrzehnte verfolgten »Staats-Zeitung« zu machen, sondern um seine
Journal-Pläne Hegels ist die Begründung der drohende Einstellung zu verhindern. Die Mög-
Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik im Jahr lichkeit zur staatlichen Einflußnahme besteht oh-
1826 nicht auf seine Initiative hin erfolgt, sondern nehin schon deshalb, weil die Jahrbücher wie
im wesentlichen ein Verdienst seines Freundes andere Publikationen der Zensur unterworfen
und jüngeren Kollegen an der juristischen Fakul- sind. Zu Lebzeiten Hegels versucht die preußi-
tät, Eduard Gans (Br 3.390–399). Dessen eigen- sche Regierung nur einmal, im Februar 1831,
ständigem Vorstoß vom Sommer 1825 beim Ver- inhaltlichen Einfluß auf die Jahrbücher zu neh-
leger Johann Friedrich v. Cotta zur Gründung men und eine kritische Besprechung einer Schrift
einer Berliner Literaturzeitung steht Hegel zu- Jarckes durch Gans zu verhindern, da Jarcke als
nächst durchaus zögerlich gegenüber (HBZ Redakteur des Berliner Politischen Wochenblatts
325–330) – schon deshalb, weil er eine Literatur- vorgesehen ist, das als Vereinigungspunkt der
zeitschrift unter einer privaten Trägerschaft so- konservativen und restaurativen Tendenzen in
wohl aus ökonomischen als auch aus wissen- Preußen gedacht ist (Obenaus 1994, 28–38).
schaftlichen Gründen als nicht tragfähig ansieht Der Vorwurf andererseits, daß die Jahrbücher
(GW 16.432 f.). Den ersten Hinweis auf die ge- eine »Hegel-Zeitung« seien, ist dadurch herauf-
planten Jahrbücher gibt Carl Daubs Brief an He- beschworen, daß Hegel und seine Schüler fraglos
gel vom 29.3.26, nach einem Besuch von Gans in in der »Societät« wie auch in der Redaktion der
Heidelberg; im Frühjahr führt Gans Gespräche Jahrbücher eine zentrale Rolle spielen. Anderer-
insbesondere mit Hegel und Varnhagen von Ense, seits ist das Bemühen der Initiatoren nicht zu
und am 18.7.26 lädt Hegel zu einer Sitzung am verkennen, das Unternehmen von Anfang an auf
23.7.26 ein, auf der sich die »Societät für wissen- eine breite, keineswegs nur durch Hegels Schule
schaftliche Kritik« konstituiert. Sie gliedert sich gebildete Basis zu stellen – und nicht ohne Erfolg,
in die philosophische, naturwissenschaftliche wie die Namen Boeckh, Bopp, Creuzer, Goethe
und historisch-philologische Klasse, denen je- (vgl. WA 42/1.20–54), W. v. Humboldt, A. W.
weils ein Sekretär vorsteht; ihr erster General- Schlegel, Rückert, Thibaut, Varnhagen zeigen –
sekretär ist zunächst Gans, seit 1828 Leopold v. wenn auch einige der Genannten dem Unter-
Henning. nehmen nicht ohne Bedenken beigetreten und
Schon die Gründungsmodalitäten lassen er- andere aus Verärgerung über einzelne Rezen-
kennen, daß zwei bereits von Zeitgenossen gegen sionen oder über den Stil der »Societät« wieder
die Jahrbücher erhobene Bedenken ihren Cha- ausgetreten sind. Schwerlich dürfte sich jemals
rakter und Zweck verfehlen: Sie sind weder eine wieder eine so illustre Schar zur Herausgabe
»Hegel-Zeitung« noch eine »Staatszeitung«. In einer Zeitschrift vereint haben. Das heutige In-
50 I. Leben

teresse an den Rezensionen Hegels und einiger 8.6. Philosophische Gegner


seiner Schüler verdeckt den Umstand, daß deren
Arbeiten einen quantitativ geringen Anteil an den Mit der öffentlichen Anerkennung, die Hegels
Jahrbüchern haben. Ihnen stehen naturwissen- Philosophie seit Mitte der 1820er Jahre zuteil
schaftliche, mathematische, medizinische, histo- wird, steigt auch die Zahl derer, denen er »unge-
rische Rezensionen gegenüber, die keinerlei Be- mein verhaßt« ist, wie etwa Johann Peter Fried-
zug zu Hegels Philosophie haben. Zum Zwecke rich Ancillon (HBZ 345), dem Verfasser einer
der Propagierung der Philosophie Hegels hinge- restaurativen Staatslehre (1820) und »Wirkli-
gen wäre eine personelle Beschränkung auf seine chem Geheimen Legationsrat« im Außenministe-
Schule und eine thematische Beschränkung auf rium. Eine nicht politische, sondern philosophi-
die Philosophie und verwandte Gebiete vorteil- sche, aber zugleich über alle philosophische Dif-
haft gewesen. Treffend beschreibt Varnhagen He- ferenz hinausgehende, nahezu krankhafte Aver-
gels Vorgehen: Er suche »eine Faktion zu bilden sion bestimmt Arthur Schopenhauers Verhältnis
[…], einen persönlichen, mehr auf Umstände als zu Hegel. Schon vor seiner Habilitation findet er
auf Gesinnung gegründeten Anhang« (HBZ 323). als Zeit für seine Vorlesungen »am passendsten«
Dem entspricht auch Hegels Begründung gegen- die Stunde, »wo Herr Prof. Hegel sein Haupt-
über Niethammer und Roth: »Il faut enfin avoir la kollegium liest«; auch die Reibereien bei der Ha-
parole« (11.9.26, vgl. GW 16.428). Und am bilitation lassen sich nicht als rein philosophische
29.10.29 spricht Hegel sich nochmals gegenüber Auseinandersetzungen verstehen (HBZ 202, 212).
Niethammer über das Ziel der Jahrbücher aus: er Der Hauptgegner der Philosophie Hegels in
habe »mit den Jahrbüchern ein Organ, ja mehr als den Jahren bis 1828 ist jedoch Friedrich Schlegel.
ein Organ, eine ›schneidende Waffe‹ gegen Ob- Er sieht in Hegel »nicht sowohl, wie er selbst
skurantismus, gleich ob er von dieser oder von glaubt, einen verbesserten und durch allerhand
jener Seite, ob in mystischen Verquerungen oder innere Luftstreiche der Abstraktion, höher poten-
in plattester Trivialität sich bemerkbar mache zierten, als vielmehr nur einen kastrierten
[…] schaffen wollen« (Br IV/2.72). Fichte« (HBZ 227). An Stelle der »edlen Inkon-
Bemerkenswert im Blick auf den Streit um die sequenz« Fichtes sieht er in Hegels Schriften »die
Jahrbücher ist ein Zeugnis August Boeckhs. In viel gemeinere Beschränkung eines absoluten
den frühen Berliner Jahren betont er mehrfach, Stumpfsinns für alles Göttliche bei einem unend-
er und Hegel seien keine Freunde; am 5.8.27 lichen Fluß und Zufluß des leeren abstrakten
jedoch schreibt er an Karl Otfried Müller: »Übri- Denkens eintreten«; »die abstrakten Verzerrun-
gens wird Hegel jetzt hier von allen Seiten attak- gen eines solchen nachgeäfften F i c h t e« könnten
kiert, und zwar auf eine plumpe und ungerechte »nur Widerwillen erregen«. Auf der Rückreise
Weise, während er gerade anfängt, sich zu mäßi- von Wien im Herbst 1824 begegnet Hegel in
gen; alle dergleichen leidenschaftlichen Angriffe einem Freundeskreis in Dresden auch Schlegel,
sind mir so zuwider, daß gerade nichts mehr als der ihm jedoch, wie er am 8.10.24 seiner Frau
diese mich mit ihm aussöhnen. Und es ist gerade schreibt, »erst nach seinem Weggehen bekannt
nicht zu verkennen, daß diejenigen, die gegen wurde«. Ranke berichtet am 10.3.28 bei einem
ihn Partei machen, von einer blinden Leiden- Besuch in Wien, Schlegel nenne »Hegel den letz-
schaft hingerissen sind, die ohne alles Maß ist, ten aller Menschen« (HBZ 381). Dennoch geht es
und daß es ihnen nicht um die Sache, sondern in diesem Streit nicht um das Persönliche, son-
bloß um Persönlichkeit zu tun ist« (HBZ 345). dern um die Entscheidung zwischen Vernunft-
Quellen: GW 16; BSchr 101–428. – Literatur: Max philosophie und christlicher Philosophie (s. 505).
Lenz: Geschichte der Universität Berlin (1910), Bd August Wilhelm Schlegel hat dies 1827 in den
2/1.308; Pöggeler (Hg.): Hegel in Berlin (1981); Chri- Anfangsversen seines Spottgedichts zum Aus-
stoph Jamme (Hg.): Die »Jahrbücher für wissenschaft- druck gebracht (HBZ 362):
liche Kritik« – Hegels Berliner Gegenakademie. Stutt-
gart-Bad Cannstatt 1994; darin 15–56: Sibylle Obenaus:
Schlegel predigt gegen Hegel,
Berliner Allgemeine Literaturzeitung oder »Hegel-
blatt«? Die »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« im Für den Teufel schieb’ er Kegel.
Spannungsfeld preußischer Universitäts- und Presse- Hegel spottet über Schlegel,
politik der Restauration und des Vormärz. Sagt, er schwatzt’ ohn’ alle Regel.
8. Berlin (1818–1831) 51

Zum Teil durch dasselbe Motiv bestimmt, jedoch Peetz. Frankfurt am Main 1990. – Literatur: BSchr
weniger offen ist die Gegnerschaft Schellings, LXIII-LXVII.
seit er im gleichen Jahr an der neugegründeten
Universität München seine Vorlesungen wieder
aufnimmt. Sulpiz Boisserée berichtet am 16.1.28 8.7. Kunst und Kunstreisen
Goethe, Schelling habe eingeräumt, daß ihm in
seiner früheren Naturphilosophie nicht alles nach Es läßt sich schwer mit dem Bild Hegels als des
Wunsch gelungen sei; Hegel habe »seinen Ver- grämlichen, bleichen Philosophen vereinigen,
such wiederholt, und habe gerade alles Unvoll- daß er zugleich – neben der Sopranistin Hen-
kommene, Willkürliche und Unnatürliche nach- riette Sontag und dem Kritiker Moritz Saphir –
geahmt, so daß er ganz ins Affenartige geraten« als eines der »Hauptelemente des damaligen Ber-
sei (HBZ 372 f.). Hermann v. Leonhardi berichtet liner Lebens, welche öffentlich zündeten«, ge-
K. Ch. F. Krause, Schellings »Polemik gegen He- nannt wird (HBZ 301). Seine Liebe zu Ausstel-
gel, Jacobi usf. ist sehr gehässig, und darin miß- lungen, aber insbesondere zum Theater und zur
fällt er den meisten«, und Krause – nicht eben ein Oper führt ihn anscheinend mehr als viele seiner
Freund Hegels – räumt ein: »Es ist nicht gut, Kollegen in die Kreise der Kunst und auch in die
daß Schelling sich in nur zum Teil treffenden Salons, in denen die Künstler verkehren, insbe-
Witzreden wider Hegel gefällt.« (HBZ 412 f., sondere in die Häuser Mendelssohn und Beer
417) (HBZ 344). Und sein Urteil scheint Gewicht ge-
Hegel scheint dies verborgen geblieben zu sein. habt zu haben. Henriette Sontag singt damals am
Dies wird aus den beiden Schilderungen deut- Königsstädtischen Theater; Ludwig Wilhelm
lich, die Schelling und Hegel von ihrem zufäl- Wichmann, ein Schüler Rauchs, hat ihre und
ligen Zusammentreffen in Karlsbad ihren Frauen Hegels Büste geschaffen, und Goethe hat beide
geben. Schelling schreibt, er habe »eine etwas Büsten »günstig aufgestellt« (HBZ 418, Br 3.401).
unangenehme, halb bekannte Stimme« nach ihm Moritz Saphir, der dritte Genannte, stammt aus
fragen hören; nachmittags sei Hegel nochmals Ungarn und ist über Wien nach Berlin gekom-
»sehr empressiert und ungemein freundschaft- men, wo er sich insbesondere als Verfasser von
lich« gekommen, »als wäre zwischen uns nichts Satiren und als Begründer der Berliner Schnell-
in der Mitte«. Es sei aber nicht zu einem wissen- post für Literatur, Theater und Geselligkeit be-
schaftlichen Gespräch gekommen, und da Hegel kannt macht; auch Hegel trägt 1826 hierzu eine
ein gescheiter Mensch sei, habe er sich mit ihm in Besprechung der Bekehrten, eines Stücks des mit
den Abendstunden gut unterhalten, ihn aber ihm befreundeten Autors Ernst Benjamin Salomo
nicht besucht: Es sei ihm »etwas zu weit« (HBZ Raupach, bei (s. 286). Auch den Berliner Courier
403). Hegel hingegen berichtet Marie am 3.9.29 – und den literarischen Verein »Tunnel über der
etwas naiv – über diese Begegnung: »Wir sind Spree«, dem später noch Fontane angehört hat,
beide darüber erfreut und als alte kordate begründet Saphir in den wenigen Jahren seines
Freunde zusammen. Diesen Nachmittag haben Berliner Aufenthalts; Hegel dient ihm sogar ein-
wir einen Spaziergang miteinander gemacht und mal als Cartellträger bei einem Streit – und sorgt
dann im Caffeehaus die Einnahme von Adriano- zugleich für dessen unblutige Beilegung.
pel in dem österreichischen Beobachter offiziell Über Hegels Vorliebe für Oper und Theater
gelesen und den Abend miteinander zugebracht«; kursieren zahlreiche, fraglos oft stilisierte Be-
den nächsten Tag habe er mit Schelling zu Mittag richte. Theodor Mundt erinnert sich später: Man
gespeist. Daub teilt er am 27.9.29 mit: »ich lebte habe Hegel gesehen, »sobald die Universitäts-
in Karlsbad 5 Tage mit Schelling in alter kordater glocke sechs geschlagen und er eben seinen Satz
Freundschaft zusammen«; ebenso an Friedrich beendigt hatte: ›daß die Musik die Kunst des
Förster am 3.10.29 und auch Varnhagen (HBZ leeren Träumens‹, nun hastig in das geradüber-
404). liegende Opernhaus hinüberzuschweifen, wo
eine Oper von Gluck gegeben wurde und er die
Quellen: Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe (hg.
Behler), VIII.595; Schelling: System der Weltalter. Sängerin Milder enthusiastisch beklatschte. Oder
Münchener Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von er nahm sich wohl eine Droschke und fuhr nach
Ernst von Lasaulx. Hg. und eingeleitet von Siegbert dem königstädtischen Theater hinaus, um die
52 I. Leben

Sontag zu hören.« Hegel verehrt die großen Sän- berg an der Sammlung Boisserée huldigen kön-
gerinnen dieser Jahre: Anna Pauline Milder- nen – seiner Liebe zur Oper hingegen erstmals
Hauptmann, die auch oft bei ihm zu Gast ist, seit seinen Frankfurter Jahren wieder in Berlin.
Angelica Catalani, und Henriette Sontag. Auch Der Reichtum der Berliner Sammlungen und
mit der Schauspielerin Auguste Stich, nachmals Aufführungen ermuntert ihn jedoch nur noch
Crelinger, ist er persönlich bekannt. mehr, auch andere Städte und Länder kennenzu-
Die überkommenen Berichte lassen nicht mehr lernen – Dresden, die Niederlande, Wien und
erkennen, wie Hegel seine Gunst zwischen der Paris.
Königlichen Oper, dem Hoftheater und dem Kö- Seine erste »Kunstreise« führt ihn im August /
nigstädtischen Theater verteilt; sie können insbe- September 1820 nach Dresden. Er kommt dort
sondere nicht die Urteile seiner Vorlesungen über am 26.8. an (HBZ 215) und steht zum ersten Mal
Ästhetik ersetzen. Hegel schätzt die Komödien »vor der Madonna Sistina Raphaels, vor der
des befreundeten Raupach – aber er beklatscht Nacht Correggios« (HBZ 213 f.; Friedrich Förster
ebenso Ludwig Devrient in Molières Tartüffe vermischt jedoch Hegels ersten Besuch in Dres-
(HBZ 276). Er läßt – angeblich – keine Gluck- den mit seiner Erinnerung an die Erstürmung der
Oper aus, schätzt Mozarts Zauberflöte und Don Bastille und verlegt ihn somit auf Mitte Juli).
Juan und betitelt hingegen mit seiner Frau Carl Hegel trifft dort auch Böttiger und bei einer Feier
Maria von Webers Preziosa als »Zierliesel« zu Goethes Geburtstag auch Ludwig Tieck, der
(11.9.24) – aber dennoch will er im Jahr darauf den Othello vorliest – wobei es wahrscheinlich zu
Webers Euryanthe hören (HBZ 284), ohne frei- einer Differenz über die Einschätzung von Shake-
lich in die nationale Begeisterung für den deut- speares Gemüt kommt, die aber keineswegs zum
schen Weber gegen den italienischen Spontini Bruch zwischen Hegel und Tieck führt (HBZ 217)
einzustimmen. Er läßt sich »ein Parkett-Billet zur – denn schon ein Jahr später ist Hegel wieder in
Olympia« von Gasparo Spontini reservieren Dresden, besucht die Umgebung und Pillnitz, wo
(7.2.24) – aber er hält ein anderes Mal mit Kritik er die königliche Familie speisen sieht; in der
nicht zurück: »Es war soviel Skandal auf der Galerie mustert er »die alten lieben Bekannten«,
Bühne und im Orchester, daß ich die Musik nicht abends hört wiederum Tieck vorlesen und läßt
gehört habe.« (HBZ 378) Nach seinem Erlebnis sich von Böttiger »die Antiken im Fackelschein
der Opern Rossinis in Wien äußert er sich be- zeigen« (20.9.21), und auch auf seiner Rückreise
geistert – aber dessen Zelmira hat ihn »im ersten aus Wien geht er nach der Ankunft in Dresden
Teile besonders ennuyiert« (23.9.24), und in Pa- am 10.10.24 »sogleich zu Tieck«.
ris, nach einer Aufführung von Rossinis Semi- Im September / Oktober 1822 reist Hegel in die
ramide, bedauert er am 30.9.27, »daß man in Vereinigten Niederlande – über Magdeburg (wo
Berlin vorzüglich nur solches Zeug, wie ›Italiener er den vormaligen Kriegsminister der Revolu-
[!] in Algier‹ als Rossini’sches kennt oder dafür tionszeit und Napoleons besucht: Lazare Nicolas
ausgibt«. 1829 wird er Zeuge eines musikge- Carnot), Köln (wo er Windischmann persönlich
schichtlichen und zugleich kulturpolitischen Er- kennenlernt und die Gemäldesammlungen Ly-
eignisses: Zweimal besucht er die von Mendels- versbergs und Wallraffs sowie die Glasfenster-
sohn dirigierte Matthäus-Passion. Nach Zelters sammlung von Frau Hirn sieht) und Aachen (wo
Zeugnis notiert Mendelssohn zwar in Hegels Vor- er die Gemäldesammlung Bettendorf sieht und
lesungen über Ästhetik, Bach »sei keine rechte sich auch auf den Stuhl Karls des Großen setzt –
Musik; man sei jetzt weiter gekommen, wiewohl doch »die ganze Satisfaktion ist, daß man darauf
noch lange nicht aufs Rechte« (HBZ 392), doch gesessen hat«). Er reist durch Leuven (»eine
nach dem Zeugnis der Edition spricht er – offen- große Stadt mit schönen Häusern, gotischem Rat-
sichtlich im Blick auf die Aufführung der Mat- haus«), besucht in Brüssel seinen Jenaer Schüler
thäus-Passion – von Bach als dem »Meister, des- van Ghert und fährt zunächst mit ihm nach Gent
sen großartige, echt protestantische, kernige und und Antwerpen, sodann über Breda (wo er ein
doch gleichsam gelehrte Genialität man erst neu- fälschlich Michelangelo zugeschriebenes Mauso-
erdings wieder vollständig hat schätzen lernen.« leum besucht), Den Haag, Amsterdam und Ham-
(W X/3.208) burg zurück. In Brüssel spürt er die »Versu-
Seiner Liebe zur Malerei hat Hegel in Heidel- chung«, in nur drei Tagen mit der »Diligence«
8. Berlin (1818–1831) 53

nach Paris zu fahren – und ähnlich von Rotterdam den Sammlungen – der kaiserlichen, der Lich-
aus in nur 24 Stunden mit dem »Dampfboot« nach tensteinschen und Esterhazyschen Galerie, der
London. Zoologischen Sammlung, der Bibliothek, der
Die nächste Reise, im September / Oktober Schatzkammer, der Sammlung des Erzherzogs
1824 führt Hegel nach Wien – dank einer fi- Karl – und er resümiert: »was man bei uns müh-
nanziellen Unterstützung durch das Ministerium selig zusammenklaubt, unvollständig besitzt,
Altenstein. Auf dem Wege besucht er zunächst große Aufsätze darüber macht, – ist hier in Hülle
wieder Dresden (wo er wieder die Gemäldegale- und vollauf.« Er sieht den Kaiser und die Kaiserin
rie und mit Böttiger die Antiken »durchsieht« und – »jener ist in der Tat ein sehr würdiger, schöner
auch wieder Tieck besucht, schließlich aber be- Kopf«, aber er sieht »auch den kleinen Napoleon,
kennt: »ich habe überhaupt genug an Dresden«); […] ein schöner Knabenkopf, dunkelblonde
dann reist er über Teplitz nach Prag, wo er sein Haare, ruhig ernst und natürliche Haltung«. Er
Besichtigungsprogramm gemäß der Instruktion erregt sich über die »Berlinisch-Potsdamische
seines Kollegen Hirt einrichtet. Der Hradschin Schmutzigkeit«, überall Eintrittsgelder zu ver-
sei ein moderner Palast, »nicht so ein eckiges, langen, selbst für die Grabstätte der Hunde
winkelhaftes, unförmliches, unwohnliches, fen- Friedrich des Großen – aber er lobt den Flor der
sterloses, fünfeckiges, ungestaltetes und indefi- Berliner Pfaueninsel gegenüber dem kaiserlichen
nissables Ding wie die Burg von Nürnberg«. Privatgarten.
Karlstein charakterisiert er als ein altes Schloß, Drei Jahre später, von August bis Oktober 1827,
»wo noch alte Bilder hängen, sonst aber nichts zu unternimmt Hegel seine längste und weiteste
sehen ist«. Am 20.9. kommt er abends in Wien an Reise: über Kassel, Koblenz, Trier (wo er sich
und geht sofort in die italienische Oper, die da- »die merkwürdigen römischen Ruinen« zeigen
mals mit der »Elite von ganz Italien« dort gastiert: läßt), Luxemburg und Metz vorbei an den Stätten
»denn Mde. Milder […] hatte mir so befohlen«; aus dem ersten Revolutionskrieg und an den
sie habe ihm »Ordre« gegeben, »nach Wien zu Katalaunischen Feldern nach Paris, in die
gehen – der italienischen Oper wegen – und des »Hauptstadt der zivilisierten Welt«. Diese Tage
Volksgartens«. Am ersten Abend hört er Doralice verbringt er zumeist mit dem französischen Phi-
von Mercadante, am zweiten von Rossini Otello, losophen Victor Cousin, den er bereits in Heidel-
am dritten dessen Zelmira und am vierten ist er berg kennengelernt hat (HBZ 158 f.); in Berlin
»beim weltberühmten Kasperl, d. h. im Leopold- hat er sich für ihn eingesetzt, als er im Auftrag der
städtischen Theater«, da es keine italienische eifrigen Demagogenverfolger der Mainzer Unter-
Oper gibt; am fünften aber hört er wieder Ros- suchungskommission in Dresden verhaftet wor-
sini, den Barbier von Sevilla, am sechsten geht er den ist (HBZ 272 f.). Er schildert seiner Frau Paris
wieder »zum geliebten Harlekin und seiner teu- als eine Stadt, in der »seit vielen Jahrhunderten
ren – ach rührend teuren und getreuen Colom- kunst- und prachtliebende Könige und zuletzt
bine«, am siebten in Mozarts Figaro, am achten vollends der Kaiser Napoleon und reiche Große
ins Burgtheater, am neunten in Rossinis Corra- […] Reichtümer aller Art zusammengehäuft ha-
dino, und am zehnten nochmals in den Barbier ben«; alles sei drei-, vier-, zehnfach größer als in
von Sevilla usf. Und er gesteht: »ich habe nun Berlin. Im Louvre findet er »von den edelsten
bereits meinen Geschmack so verdorben, daß Meistern berühmte Stücke« – »von Raphael, Cor-
dieser Rossinische ›Figaro‹ mich unendlich mehr reggio, Leonardo da Vinci, Tizian u.s.f.«; im
vergnügt hat als Mozarts ›Nozze‹«, weil nämlich Theater sieht er Voltaires Alzire und Molières
»die italienischen Kehlen in dieser gehaltnern L’école des maris und auch eine englische Schau-
Musik nicht so viele Gelegenheit zu haben schie- spielertruppe um Charles Kemble, deren Spiel-
nen, ihre brillianten Touren zu entwickeln, die es weise ihm aber ebensowenig zusagt wie v. Rau-
so süß war zu hören«; von Rossinis Musik hinge- mer, den er in Paris trifft: »Das englische Wüten
gen sagt er, sie habe »nur Sinn als gesungen« und habe ich nun in seinem ganzen Glanze gesehen;
sie mache auch ihm »zuweilen als Musik Lan- es ist wunderbar, wie sie den Shakespeare ver-
geweile«. hunzen.« Sein Gesamteindruck ist nicht so über-
Während die Abende somit zumeist dem italie- wältigend wie in Wien; am 13.9. schreibt er gar
nischen Gastspiel gewidmet sind, gelten die Tage seiner Frau: »Mein Pariser Lebwesen von dieser
54 I. Leben

Woche wirft nicht viel Mannigfaltiges ab, Dir zu Äußerung von Hegel erbeten und die Anklage
erzählen; im Gegenteil, es ist sehr einförmig zurückgewiesen, doch trotz dieses staatlichen
gewesen«. Schutzes bleibt bei Hegel die Furcht zurück, das
Die Rückreise führt über Brüssel – von wo er »armselige Pfaffengeköch in Berlin« könnte ihm
nochmals einen Ausflug nach Gent und Brügge doch noch den Kupfergraben, in dem er »leben
macht, um die in Gent verbliebenen Teile des und sterben« wollte, »vollends entleiden«
Altars und weitere Gemälde von van Eyck und (12.10.27).
Memling zu sehen –, Leuven, Lüttich und Aa- Dieser konfessionelle Konflikt hat jedoch nur
chen nach Köln; bis hierhin begleitet ihn Victor punktuelle Bedeutung. Gravierender ist es, daß
Cousin. Auf der Weiterreise besucht er nochmals sich schon seit der Mitte der 1820er Jahre die
Windischmann und auch August Wilhelm Schle- Verdächtigungen der Philosophie Hegels als Pan-
gel in Bonn sowie Goethe in Weimar (HBZ theismus und wenig später gar als Atheismus
350). häufen. Vorgebracht werden sie auch von be-
Literatur: Inge Blank (Hg.): Dokumente zu Hegels
kannten Autoren wie dem pietistischen Theo-
Reise nach Österreich. HS 16 (1981), 41–55; Rudolf logen Friedrich August Gotttreu Tholuck (freilich
Honegger: Goethe und Hegel. Eine […] literarhistori- anonym) und dem Philosophiehistoriker Gottlob
sche Untersuchung. In: Jb der Goethe-Gesellschaft 11 Benjamin Jäsche. Der Zurückweisung solcher
(1925), 38–111; Emil Wolff: Hegel und Shakespeare. Angriffe gibt Hegel nicht allein in seinen Vor-
[…] In: Fritz Martini (Hg.): Vom Geist der Dichtung. lesungen breiten Raum (V 3.273–277); er sieht
Gedächtnisschrift für Robert Petsch. Hamburg 1949,
120–179; Pöggeler (Hg.): Hegel in Berlin; Otto Pögge-
sich auch genötigt, sich in Publikationen dagegen
ler / Annemarie Gethmann-Siefert (Hg.): Kunsterfah- zu verwahren – bereits in der Vorrede und in
2 § 573 der Enzyklopädie (s. 261) wie auch in
rung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. HSB 22
(1983). eigens gegen solche Schriften gerichteten Re-
pliken (s. 303). Denn derartige Angriffe sind
damals nichts weniger als harmlos. Noch keine
8.8. Religionsstreit drei Jahrzehnte zuvor hat Fichte im Atheismus-
Streit seinen Jenaer Lehrstuhl verloren – was
Ein wichtiges Thema bei Hegels zweiten Besuch noch in Hegels letzten Lebenstagen heftig disku-
bei van Ghert (7.10.27) bilden die Fragen nach tiert wird (Varnhagen an Hegel, 4.11.31), vermut-
dem Verhältnis von Kirchen und Staat wie auch lich im Blick auf den damals aktuellen »Halli-
der Konfessionen zueinander. Auch zuvor be- schen Streit«: In Halle herrscht in den 1820er
richtet van Ghert – der in Brüssel als Staats- Jahren noch der bereits etwas abgelebte theo-
Referendar für kirchliche Angelegenheiten zu- logische Rationalismus (dem auch Hegels frü-
ständig ist – brieflich über die Konfessions- herer Freund Paulus zugehört), vertreten durch
kämpfe in den Niederlanden, und Hegel antwor- Julius August Ludwig Wegscheider und Wilhelm
tet ihm sehr zuversichtlich am 8.3.26: »Wir sind Gesenius. Als Friedrich August Gottreu Tholuck
hier in Preußen aus allem diesem heraus und 1826 von Berlin nach Halle geht, ermuntert Hegel
wissen von Anfechtungen dieser Art nichts; es ist ihn noch: »bringen Sie ein Pereat dem alten
ein Zustand der Freiheit bei uns, der ausgezeich- Hallischen Rationalismus« (HBZ 289). 1830 je-
net ist.« doch werden Wegscheider und Gesenius von sei-
Diese sehr affirmative Aussage muß vor einem ten des Bündnisses der wiedererstarkten Ortho-
aktuellen Hintergrund gesehen werden. Im Win- doxie, des Neupietismus und der politischen Re-
tersemester 1825/26 wird Hegel von einem Ka- stauration (vertreten durch die der Kronprinzen-
plan der St. Hedwigskathedrale beim Minister partei bzw. der »Hofkamarilla« angehörenden
Altenstein wegen Verunglimpfung der katholi- Brüder Gerlach) als theologisch unorthodox de-
schen Religion verklagt: Er hatte bei der Ab- nunziert – und dies bedeutet damals zugleich: als
handlung der Transsubstantiationslehre die Be- politisch unzuverlässig. Auch dieser erneute An-
merkung gemacht, daß eine Maus, die die ge- schlag auf die Freiheit wird damals durch das
weihte Hostie gefressen habe, dann ebenso wie besonnene Vorgehen des Ministeriums Alten-
auch ihre Exkremente göttliche Verehrung genie- stein vereitelt (Schrader 1894, 165 ff.) – doch
ßen müßten. Der Minister hat darauf hin eine deuten sich hier bereits die Konstellationen an,
8. Berlin (1818–1831) 55

die ein Jahrzehnt später, nach Altensteins Tod, Heidelberger Schüler Hinrichs; Karl Rosenkranz,
die Auseinandersetzung um Hegels Schule prä- sein späterer Biograph, findet erst in diesen Jah-
gen. ren zu Hegels Philosophie. Und an den Univer-
Quellen: BSchr (hg. Hoffmeister) 572–575. – Literatur:
sitäten außerhalb Preußens – etwa Göttingen,
Wilhelm Schrader: Geschichte der Friedrichs-Univer- Heidelberg, München oder Tübingen – trifft
sität zu Halle. Bd 2. Berlin 1894; Rolf J. de Folter: Van seine Philosophie ohnehin auf geschlossene Ab-
Ghert und der Hegelianismus in der Politik der Nieder- lehnung.
lande. HS 14 (1979), 243–277. Nur einen Monat nach Hegels Rede zur Säku-
larfeier der Confessio Augustana im Juni 1830
erschüttert die Nachricht von der Juli-Revolution
8.9. Hegels letztes Jahr in Frankreich die politische Ruhe – und in ihrem
Gefolge die Nachrichten von den Unruhen in
Hegels letztes Lebensjahr zeigt ihn nach außen Polen und der belgischen Revolution, an der He-
auf dem Höhepunkt seines Wirkens und Anse- gel besonderen Anteil nimmt, weil hierdurch das
hens. Vom Herbst 1829 bis zum Herbst 1830 Werk seines Freundes van Ghert zerstört wird.
bekleidet er das Amt des Rektors der Universität, Varnhagen, der zuvor mehrfach notiert, wieviel
das er zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltet – Konstitutionelles, ja Französisches und Engli-
und eben nicht des Rektors einer beliebigen Uni- sches in Hegel sei, berichtet, Hegel sei unter dem
versität, sondern der Universität des »Mittel- Eindruck dieser Unruhen »ganz absolutistisch«
punkts« Preußens. Sie hatte auf Grund ihrer geworden: »Die belgischen Unruhen besonders
durch Wilhelm v. Humboldt und andere gepräg- haßte er voll Grimm, und als dieselben nicht
ten Konzeption schon in den gerade zwei Jahr- gedämpft werden konnten, war er ganz außer
zehnten ihres Bestehens eine Vorrangstellung un- sich.« (vgl. HBZ 323,355 mit 333) Neigungen für
ter den deutschen Universitäten erlangt. Hegel das Restaurationsregime in Frankreich lastet
wird mit dem Roten Adlerorden 3. Klasse ausge- auch der spätere Historiker Johann Gustav Droy-
zeichnet (was allerdings keine sehr hohe Ehrung sen Hegel an. Einem Freunde schreibt er, er wolle
ist). Seine Hörer überraschen ihn mit einer von sich »das Privatvergnügen ausbitten, Hegel als
August Ludwig Held gestochenen Medaille (HBZ den Philosophen der Restauration darzustellen
419 f.), die er vielen seiner Freunde schenkt – und womöglich nach Cherbourg zu begleiten«
wobei Zelter und Goethe jedoch mit der Rück- (HBZ 431) – eine Anspielung auf den Ort, von
seite, die ein Kreuz zeigt, nichts anzufangen wis- dem aus Charles X. die Fahrt ins Exil nach Eng-
sen (HBZ 420,430). land angetreten hat. Haym schreibt später, »ein
Aus der Anerkennung, die ihm zuteil wird, läßt Mißbehagen ohne Grenzen« habe sich der re-
sich jedoch nicht schließen, daß auch seine Philo- aktionären Politiker des Wiener Kongresses wie
sophie breite Anerkennung erfahre. Daub klagt auch Hegels, des Philosophen der Restauration,
ihm am 11.10.29 aus Heidelberg: »geht es Ihrem bemächtigt (459). Auch Rosenkranz berichtet, die
System j e t z t hier nicht wie anderwärts, Berlin Julirevolution habe Hegel »auf das Furchtbarste«
ausgenommen?« Aber selbst in Berlin beschränkt erschüttert; er räumt zwar ein, es fehle »an grö-
Hegels Einfluß sich auf die Philosophische Fakul- ßeren schriftlichen Dokumenten, den Gemütszu-
tät. Die Theologische Fakultät wird von Schleier- stand Hegels in dieser Zeit genauer zu schildern«,
macher beherrscht, hier hat er nur Konrad Phil- um dann einen prekären Ausweg zu suchen: »al-
ipp Marheineke zum Freund und Mitstreiter für lein man kann ihn gewiß dem von N i e b u h r
eine spekulative Theologie; und in der Juristi- vergleichen, wenn Hegel auch ruhiger, gefaßter
schen Fakultät ist Eduard Gans nicht allein iso- und nicht so von der Vorstellung eines verwil-
liert, sondern gehaßt und verachtet; v. Savigny dernden Kriegs- und Militärdespotismus gemar-
hat sich seit Gans’ Berufung sogar von den Fakul- tert war, als der Römische Historiker« (R 418) –
tätsgeschäften zurückgezogen. Auch an den an- eine Behauptung, die Karl Hegel später korrigiert
deren preußischen Universitäten ist seine Philo- hat, indem er zwar bestätigt, daß sein Vater »mit
sophie keineswegs stark vertreten – weder in Schrecken« in der Julirevolution eine Katastro-
Königsberg noch in Bonn, weder in Breslau noch phe gesehen habe, »die den sicheren Boden des
in Greifswald; allein in Halle lehrt sein früherer vernünftigen Staates wankend zu machen schien,
56 I. Leben

aber anders als Niebuhr dachte er doch nicht, daß auch durch den polnischen Aufstand (an Preu-
sie uns zum Despotismus und zur Barbarei hin- ßens Ostgrenze) in den Bereich des Möglichen
führen werde« (HBZ 415). Hegel ist ja in all gerückt. Dieser Furcht vor einem neuen Krieg
diesen Jahren ein Gegner der deutschen wie der gibt er in ähnlichen Formulierungen Ausdruck
französischen Restaurationsideologie; er kriti- wie Jahrzehnte früher, wenige Tage vor der
siert v. Haller und Friedrich v. Schlegel ebenso Schlacht bei Jena: Wenn es damals (17.9.06)
wie den Abbé Lamennais und v. Eckstein (GW heißt, daß eine Sorge alles andere verschlinge –
18.188 f.) Carl Ludwig Michelet, einer seiner ge- die Sorge, daß »Gott sei bei uns – der Krieg
treuesten Schüler, notiert etwas differenzierter, ausbricht«, wodurch am meisten die Gelehrten in
daß Hegel »nicht einmal der Julirevolution seine Mitleidenschaft gezogen würden, so schreibt er
Billigung gewährte«, weil nämlich die neue Re- jetzt, am 13.12.30, an Göschel: »Doch hat gegen-
gierung »schwankend und somit unzuverlässig wärtig das ungeheure politisches Interesse alle
sei«. An Ancillons Tisch aber – also im Gespräch anderen verschlungen, – eine Krise, in der alles,
mit einem Vertreter der Restauration – habe He- was sonst gegolten, problematisch gemacht zu
gel bemerkt, »man werde mit dem Bürgerkönige werden scheint.« (vgl. 30.3.31 an Rakow). Noch
wohl auskommen, wenn er vernünftig handele« am 29.1.31 schreibt Hegel an Schultz, es liege
(HBZ 415). Sein Freund Victor Cousin wird, wie »noch eine Schwüle über diesen Verhältnissen
er Hegel schreibt, von der neuen Regierung zum durch das Erscheinen von französischen, gegen
»Conseiller d’Etat, et officier de la legion d’hon- die gerechte Demütigung noch erbitterten,
neur« ernannt (13.9.31). ruhms- und eroberungssüchtigen Gesinnungen,
Fraglos erlebt Hegel den partiellen Zusam- die sich so laut zu vernehmen geben«.
menbruch der mühsam genug etablierten politi- In seinen Vorlesungen hat Hegel sich an zwei
schen Ordnung nicht mit der Begeisterung seiner Stellen mit der Juli-Revolution beschäftigt: am
Studenten, die sich bereits als Zeugen einer Re- Schluß der Vorlesungen über die Philosophie der
volution wähnen, deren welthistorische Bedeu- Weltgeschichte sowie in einem Passus der reli-
tung die der Revolution von 1789 noch bei wei- gionsphilosophischen Vorlesungen, der – wohl
tem übersteigt. Er erliegt nicht den Verlockungen seines von der Weltgeschichte abgelegenen Ortes
der »Enthusiasmusperiode«, mit der Heinrich wegen – selten zur Interpretation herangezogen
Heine wenig später in seiner Denkschrift Ludwig wird. Das Bild, das Hegel von der Juli-Revolution
Börne abrechnet (DHA 11.9–132). Auch Droysen entwirft, hat allerdings wenig Ähnlichkeit mit
schreibt nach Hegels Tod, also wenig später, die dem Gemälde von Eugène Delacroix: Es fehlt
nachdenklichen Sätze: »Wir haben es verabredet, ihm die Begeisterung für die revolutionären
daß Niebuhrs und Hegels Weise mit dem Juli zu Volksmassen; es fehlt ihm vor allem die Zuver-
Ende war, aber es scheint fast mehr der Impuls sicht, daß die Freiheit, die das Volk führt, eine
des Juli selbst zu Ende zu sein. Warum sonst die recht verstandene Freiheit sei. Andererseits ist
Gewitterschwüle über der Welt?« (HBZ 490) seine zögernde Stellungnahme aber auch nicht
Schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit fehlen. geeignet, die vorschnellen Behauptungen über
Hegel spielt zwar in einigen Briefen auf die politi- das namenlose Entsetzen des Restaurationsphilo-
schen Ereignisse an – aber diese Anspielungen sophen über die Revolution zu bestätigen. In den
nehmen in den Briefen vom August 1830 bis vorangehenden Jahren und noch im Folgejahr
Januar 1831 nicht mehr Raum ein als die Erwäh- macht Hegel ja erhebliche Vorbehalte gegen das
nung seiner Krankheit, eines »kalten Fiebers«, französische Restaurationsregime geltend – ins-
die Korrespondenz über Weinlieferungen und besondere im Blick auf den Zusammenhang von
vor allem die Honorarabrechnung für die Neu- Politik und Religion.
auflage der Enzyklopädie. Fraglos dominiert für Das alles verschlingende politische Interesse
Hegel die geschichtliche Erfahrung, daß sich an wird auch manifest in Hegels Abhandlung über
die erste Revolution in Frankreich ein Viertel- die Reform-Bill, die er Ende April 1831 in der
jahrhundert Krieg angeschlossen hat – und ein preußischen Allgemeinen Staatszeitung veröf-
neuer Krieg war sowohl durch Frankreichs Er- fentlicht (s. 312). Wie von den französischen
neuerung des Anspruchs auf die Rheingrenze Ereignissen, so befürchtet er auch von diesen
(also gegen Preußens Westgrenze gerichtet) als englischen Auseinandersetzungen um die Neure-
8. Berlin (1818–1831) 57

gelung der Wahlen zum Unterhaus eine Destabi- das Vorwort zur Neuauflage des ersten Bandes
lisierung der staatlichen Ordnung. der Wissenschaft der Logik – im »Zweifel, ob der
Diese politischen Unruhen bedrücken Hegel laute Lerm des Tages und die betäubende Ge-
zudem in einer persönlich bedrohlichen Situa- schwätzigkeit der Einbildung […] noch Raum für
tion: Vom September bis Dezember 1830 plagt die Theilnahme an der leidenschaftslosen Stille
ihn und seine Frau ein »kaltes Fieber«, das den der nur denkenden Erkenntniß offen lasse« (GW
Verlauf seiner Vorlesungen stört und Zelter zu 21.20).
mehreren besorgten Berichten an Goethe veran- Am Freitag, den 11.11.31, hält Hegel seine letz-
laßt (HBZ 417–420). Zur »Befestigung der Ge- ten Vorlesungen über Geschichte der Philosophie
sundheit«, wie Hegel am 29.5.31 an Cotta und Rechtsphilosophie; als letzten Satz notiert
schreibt, mietet er im Sommer 1831 eine Woh- David Friedrich Strauß: »Die Freyheit ist das
nung im ersten Stock eines Gartenhauses auf dem Innerste, und aus ihr ist es, daß der ganze Bau der
Kreuzberg, vor den Toren des damaligen Berlin; geistigen Welt hervorsteigt.« (Ig 4.925) Am Sonn-
in diesem »Schlößchen am Kreuzberg« verbringt abend hält Hegel noch gemeinsam mit v. Raumer
Hegel die Sommermonate; dort feiert er auch Prüfungen ab (HBZ 465); am Sonntag Vormittag
seinen letzten Geburtstag mit seiner Familie so- klagt er nach einem heiteren Frühstück über Ma-
wie Zelter und Stieglitz samt dessen Frau Char- genschmerz und Übelkeit, und trotz ärztlicher
lotte (nach der Überlieferung durch Stieglitz und Bemühungen stirbt er am 14.11. nachmittags –
Zelter, HBZ 434,436), und am folgenden Tag im nach der immer wieder bezweifelten Diagnose
nahegelegenen »Lustort« Tivoli Goethes Ge- der Ärzte »an der intensivsten Cholera« (HBZ
burtstag, unter anderem mit Zelter, Rösel, dem 457). Mit einer besonderen Genehmigung wird
Maler Xeller und Rosenkranz, der »als Gast Mar- er nicht außerhalb der Stadt, sondern neben
heinekes mit diesem und seiner Frau« ebenfalls Fichte und Solger bestattet – wie er dies anläßlich
teilnimmt (HBZ 433; Rosenkranz bezeichnet der Beerdigung Solgers selber gewünscht hat
diese Feier als »Geburtstagsfeier Hegels«) (30.10.19, an Creuzer). In seiner Trauerrede im
Auch in dieser heiteren Runde verstummt das großen Hörsaal der Universität vergleicht Mar-
Gesprächsthema dieser Tage nicht ganz, und He- heineke ihn mit dem »Erlöser […], dessen
gel berührt es ebenso in seiner Danksagung für Namen er stets verherrlicht hat in allem sei-
die Glückwünsche Heinrich Beers: »gegen die bei nem Denken und Tun«; in der Rede am Grabe
uns Tag und Nacht immerfort besprochene Cho- zieht Friedrich Förster einen anderen Ver-
lera, die langsam herankriecht, ist nach allem gleich: »den erledigten Thron Alexanders wird
Gesundheit und Konduite nebst einigen Präser- kein Nachfolger besteigen, Satrapen werden sich
vationen das zuverlässigste […] Mittel. […] Ich in die verwaisten Provinzen teilen« (HBZ
bin noch immer des Glaubens, daß wir sie gänz- 473–478).
lich entfernt halten können. Ich habe Freitags
Quellen: GW 14–21; BSchr; Hegel: Berliner Schriften.
geschlossen, mich auf mein Schlößchen einquar-
Hg. von J. Hoffmeister. Hamburg 1956, 507–577: Gut-
tiert und werde hier abwarten, was da werden achten und Stellungnahmen; 579–674: Aus den Akten
soll« (29.8.31). Mit dem Verlag Duncker & Hum- der philosophischen Fakultät; Heinrich Heine: Ludwig
blot, bei dem dann die Sämtlichen Werke er- Börne. Eine Denkschrift [1840]. In: Heinrich Heine:
scheinen, schließt er noch zwei vom 1.10.31 da- Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Hg.
tierte Verträge für eine Neuauflage der Phänome- von Manfred Windfuhr. Bd. 11. Hamburg 1978. – Lite-
ratur: R 315–428; Hegel 1770–1970, 189–242; Pöggeler
nologie des Geistes und für eine Schrift Über das
(Hg.): Hegel in Berlin (1981); Walter Jaeschke: Politik,
Dasein Gottes. Ende Oktober, zum Beginn des Kultur und Philosophie in Preußen. In: Pöggeler /
Wintersemesters, zieht Hegel jedoch wieder in Gethmann-Siefert (Hg.): Kunsterfahrung und Kultur-
die Stadt; hier unterzeichnet er am 7.11.31 noch politik im Berlin Hegels. HSB 22 (1983), 29–48.
II. Werk

1. Der Übergang von Tübingen Diskussion um Hegels Religionsphilosophie und


nach Bern (1793–1794) die Möglichkeit einer spekulativen Theologie er-
langt. Rosenkranz prognostiziert diesen Texten
Angeregt durch Wilhelm Diltheys Jugendge- jedoch eine Funktion für die künftige Theologie:
schichte Hegels hat sein Schüler Herman Nohl die »man wird auf sie zurückkommen und besonders
aus Tübingen, Bern und Frankfurt überlieferten die Theologen werden es thun müssen, denn sie
Aufzeichnungen Hegels im Jahre 1907 erstmals enthalten im wesentlichen auf positive Weise die
umfassend herausgegeben und damit eine neue neue Theologie, deren wir bedürfen« (1870, 40 f.)
Epoche der Auseinandersetzung mit Hegels Phi- – eine trotz der intensiven Rezeption dieser Texte
losophie eingeleitet. Er hat diese Texte jedoch fast durch das ganze 20. Jahrhundert gleichwohl
unter den Titel Theologische Jugendschriften ge- irrige Prognose.
stellt – obgleich sie weder im gängigen Sinn Literatur: Karl Rosenkranz: Aus Hegels Leben. In: R. E.
theologisch noch auch philosophisch-theologisch Prutz (Hg.): Literarhistorisches Taschenbuch. Bd. 1.
Leipzig 1843, 89–200; R 45–62,462–470; Eduard Zeller:
sind. Sie sind frühe Zeugnisse der Religions-
Ueber Hegels theologische Entwicklung. In: Theologi-
philosophie, die sich in Anlehnung an Kants Ethi- sche Jbb 4 (1845), 192–206; Ludwig Noack: Der Reli-
kotheologie im letzten Jahrzehnt des 18. Jahr- gionsbegriff Hegels. Darmstadt 1845; Haym: Hegel und
hunderts allererst als eigenständige Disziplin im seine Zeit (1857); Rosenkranz: Hegel als deutscher
Kanon der philosophischen Wissenschaften her- Nationalphilosoph. Leipzig 1870, 35–43; Wilhelm Dil-
ausbildet, als Surrogat der von Kant vernichteten they: Die Jugendgeschichte Hegels. Berlin 1905, in:
Dilthey: Gesammelte Schriften. Bd. 4. Stuttgart / Göt-
natürlichen Theologie – und sie sind zugleich
tingen 1959, 8–16; Theodor Steinbüchel: Das Grund-
Zeugnisse für Hegels politisches, auf die gesell- problem der Hegelschen Philosophie. Darstellung und
schaftspolitische Dimension der Religion gerich- Würdigung. Bd. 1. Die Entdeckung des Geistes. Bonn
tetes Interesse. Zudem hat die Ungunst der Über- 1933; Georg Lukács: Der junge Hegel. Über die Bezie-
lieferung – daß nur seine religionsphilosophi- hungen von Dialektik und Ökonomie. Zürich / Wien
schen Texte aus dem fraglichen Jahrzehnt er- 1948; Antonio Negri: Stato e diritto nel giovane Hegel.
Studio sulla genesi illuministica della filosofia giuridica
halten sind – den Eindruck entstehen lassen, als
e politica di Hegel. Padova 1958; Carmelo Lacorte: Il
habe sich der junge Hegel nur mit solchen oder primo Hegel. Firenze 1959; Adrian Peperzak: Le jeune
gar theologischen Themen beschäftigt – ein Ein- Hegel et la vision morale du monde. La Haye 1960;
druck, gegen den Georg Lukács nachdrücklich Wolf-Dieter Marsch: Gegenwart Christi in der Gesell-
protestiert hat. schaft. Eine Studie zu Hegels Dialektik. München 1965;
Diese Studien sind ausnahmslos Fragmente, Hans-Otto Rebstock: Hegels Auffassung des Mythos in
seinen Frühschriften. München 1971; Henry S. Harris:
wenn auch zum Teil erst durch fragmentarische
Hegel’s Development. Toward the Sunlight. 1770–
Überlieferung. Daß sie in das von den »Freunden 1801. Oxford 1972; Herbert Scheit: Geist und Ge-
des Verewigten« geschaffene Corpus Hegelianum meinde. Zum Verhältnis von Religion und Politik bei
keinen Eingang gefunden haben, liegt jedoch Hegel. München / Salzburg 1973, 13–95; Masakatsu
nicht allein an dieser fragmentarischen Gestalt, Fujita: Philosophie und Religion beim jungen Hegel.
sondern fraglos auch daran, daß sie sich nicht der Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auseinan-
dersetzung mit Schelling (HSB 26); Hubertus Busche:
Systemform einfügen, an deren öffentlichkeits-
Das Leben der Lebendigen. Hegels politisch-religiöse
wirksamer Präsentation die Freundesvereinsaus- Begründung der Philosophie freier Verbundenheit in
gabe primär interessiert ist. Gleichwohl sind sie seinen frühen Manuskripten HSB 31 (1987); Gonzalo
von Rosenkranz noch in der Abschlußphase die- Portales: Hegels frühe Idee der Philosophie. Zum Ver-
ser Ausgabe 1843 und 1844 auszugsweise bekannt hältnis von Politik, Religion, Geschichte und Philo-
gemacht worden. Zeller und Noack haben über sophie in seinen Manuskripten von 1785 bis 1800.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1994; Thomas Sören Hoff-
sie gehandelt; Haym hat sie bereits gegen den
mann: Hegel. Eine Propädeutik. Wiesbaden 2004,
späten Hegel ausgespielt, und Dilthey ist ihm 73–113; Nikolaj Plotnikov: Gelebte Vernunft. Konzepte
hierin – wie in so vielem – später gefolgt. Gleich- praktischer Rationalität beim frühen Hegel. Stuttgart-
wohl haben sie keine Bedeutung für die damalige Bad Cannstatt 2004.
60 II. Werk

1.1. Volksreligion und Christentum ersten Hälfte seiner Berner Jahre weiter (Texte
17–26,28–30); einige der späteren Texte sind
(1) Für die erste Gruppe dieser Fragmente, aus deutlich als Überarbeitungen früherer zu erken-
den Jahren 1793/94, hat Nohl den glücklichen nen (vgl. u. a. GW 1.103 mit 138 und 155). Der
Titel Volksreligion und Christentum gewählt. In erstmalige Wechsel des Ortes bedeutet also noch
ihnen tritt Hegel erstmals als der Philosoph her- keine Zäsur im Blick auf das Projekt, wenngleich
vor, als den ihn seine Tübinger Kommilitonen eine Verschiebung des Akzents die gedankliche
noch nicht kennengelernt haben. Die aus der Einheit dieser Fragmente allmählich aufbricht.
Stuttgarter Gymnasialzeit überlieferten Aufzeich- Erstausgabe: N 3–71. – Text: GW 1.55–164,195–203. –
nungen (GW 1.1–54) erlauben einen Einblick in Literatur: Friedhelm Nicolin: Verschlüsselte Losung.
Hegels geistige Entwicklung im Spannungsfeld Hegels letzte Tübinger Predigt. In: Philosophie und
von Aufklärung und Orientierung an der Antike; Poesie. Otto Pöggeler zum 60. Geburtstag. Hg. An-
ihnen kommt aber noch kein eigentlicher Werk- nemarie Gethmann-Siefert. Bd. 1. Stuttgart-Bad Cann-
charakter zu (s. 1 f.). Gleiches ist für die vier statt 1988, 367–399; Thomas M. Schmidt: Anerken-
nung und absolute Religion. Formierung der Gesell-
Niederschriften für Übungspredigten zu sagen, schaftstheorie und Genese der spekulativen Religions-
die Hegel gemäß den »Statuten des Theologi- philosophie in Hegels Frühschriften. Stuttgart-Bad
schen Stipendii« 1792/93 im Speisesaal während Cannstatt 1997, 24–55.
des Essens zu halten hat (GW 1.55–72). Ihre
schablonenhafte Durchführung läßt noch weni-
ger Eigenes erkennen als seine Schulaufsätze (an- 1.2. Die erste Bearbeitungsphase
ders Nicolin 1998). Und auch der Umstand, daß
Hegel selber sie aufbewahrt hat, berechtigt nicht (1) Der im Blick auf die verhandelte Thematik
zu der Annahme, er habe sie im emphatischen passende Titel Volksreligion und Christentum
Sinne als sein Werk anerkannt. bringt jedoch nicht zum Ausdruck, daß diese
(2) Innerhalb der Textgruppe Volksreligion und Fragmente einen selber durch innere Spannun-
Christentum lassen sich zwei Arbeitsphasen un- gen zerrissenen Protest gegen die Zerreißung des
terscheiden. Die erste umfaßt das Fragment Reli- neuzeitlichen gesellschaftlich-religiösen Lebens
gion ist eine der wichtigsten Angelegenheiten bilden. Sie fragen nicht nach der Wahrheit der
(Text 16) und die darauf bezogenen Notizenblät- Religion, sondern ausschließlich nach ihrer Eig-
ter (Texte 12–15). Zur Bezeichnung des Frag- nung als Remedium für die gedankliche und die
ments hat sich der Name »Tübinger Fragment« gesellschaftliche Entzweiung – übrigens in Über-
eingebürgert, doch ist es eher wahrscheinlich, einstimmung mit der Debatte um die gesell-
daß es erst nach Hegels Abreise aus Tübingen schaftliche Rolle der Religion im revolutionären
entstanden sei. Es setzt die Kenntnis nicht allein Frankreich. Hegels Aussage, wenn man von öf-
von Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenba- fentlicher Religion spreche, so verstehe »man
rung voraus – wahrscheinlich nach der im Früh- darunter die Begriffe von Gott und Unsterblich-
jahr 1793 erschienenen zweiten Auflage –, son- keit« (GW 1.86), nimmt diese, auch von Robes-
dern auch von Kants Schrift über Die Religion pierre verfolgte Thematik auf. Diese zeitge-
innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, die schichtlichen Elemente stehen wenig ausge-
zur Ostermesse 1793 erschienen ist (GW 1.99 f.); glichen neben Anspielungen auf Rousseau, der
Reflexe von ihr zeigen sich auch in der Predigt damaligen Empfindsamkeitskultur, der Begeiste-
vom 16.6.93. Seit dem 10.7. ist Hegel ohnehin rung für das schöne griechische Leben und
nicht mehr in Tübingen, und so ist anzunehmen, einem sich kontinuierlich verstärkenden Kantia-
daß das »Tübinger Fragment« vielmehr nach dem nismus, der ja ebenfalls »Gott und Unsterblich-
Ende des Studiums in den Stuttgarter Sommer- keit« als Postulate der praktischen Vernunft in die
monaten vor der Abreise nach Bern geschrieben philosophische Debatte dieser Jahre zurück-
sei. Vielleicht bedurfte es zu seiner Abfassung führt.
auch nicht allein dieser Muße, sondern mehr Unter Rückgriff auf Kants Religionsschrift läßt
noch der Befreiung von der drückenden Atmo- sich schließlich die zentrale Problemstellung des
sphäre des Stifts. Fragments formulieren – auch wenn es nicht
Diese Studien führt Hegel auch noch in der ursprünglich aus dieser Thematik erwachsen sein
1. Der Übergang von Tübingen nach Bern (1793–1794) 61

mag: Wenn die Diskrepanz zwischen dem Ver- es der Parallelismus nahegelegt hätte – die »fides
nunft- und dem Fetischglauben, dem Glauben an qua creditur«, also denjenigen inneren Glauben,
die religiöse Relevanz äußerlicher Gegenstände auf Grund dessen ein Inhalt geglaubt wird. An ihr
und Handlungen, unüberbrückbar ist, Volksreli- interessiert Hegel nur die praktische Seite: Sie
gion aber anscheinend nicht auf bloße Vernunft »aüssert sich nur in Empfindungen und Hand-
gebaut sein kann, sondern stets positive Mo- lungen«, sie ist Wirksamkeit im Inneren und
mente – Geschichte, Tradition, mithin Ansatz- Tätigkeit nach außen. Auf sie kommt alles an; sie
punkte dieses Fetischglaubens – einschließt, »so ist tendenziell allgemein, tritt aber anscheinend
fragt es sich, […] wie eine Volksreligion im all- geschichtlich nicht ohne objektive Religion auf,
gemeinen eingerichtet seyn müsse«, um – negativ wiewohl diese »nur einen kleinen, zimlich un-
– möglichst wenig am Buchstaben und den Zere- wirksamen Theil« der subjektiven ausmacht (GW
monien zu kleben und – positiv – zu erreichen, 1.87 f.). Die Privatreligion – die erst in der zwei-
»daß das Volk zur VernunftReligion geführt ten Bearbeitungsphase an Bedeutung gewinnt –
[würde], Empfänglichkeit dafür bekäme« –, aber umfaßt nur »die Ausbildung des einzelen seinem
auch, was solche Volksreligion zu vermeiden Charakter gemäß« (GW 1.102); eine Volksreli-
habe, um diesen Zweck nicht zu verfehlen (GW gion hingegen muß die Vermittlung von objekti-
1.99 f., 103). ver und subjektiver Religion leisten, durch die
Kant hat in seiner Religionsschrift dieses Pro- objektive Seite auf Einbildungskraft und Herz
blem der Notwendigkeit einer Vermittlung zwi- wirken und der Seele Kraft und Enthusiasmus
schen Vernunftreligion und positiver, durch gött- einhauchen. Sie ist damit deutlich umfassender
liche Offenbarung gegebener Religion berührt, bestimmt als die »religion civile« in Rousseaus
doch hat er es schwerlich überzeugend gelöst. Contrat social IV,8, deren Konzeption sich aus
Denn er hat weder die Frage behandelt, wie es dem naturrechtlichen Problem des Prioritäts-
angesichts des rein moralischen Charakters der streits zwischen staatlicher und religiöser Ver-
Religion überhaupt zur Ausbildung von Positivi- bindlichkeit herleitet.
tät, von nicht-moralischen, geschichtlich vorge- Wie Kant, so sieht auch Hegel die Religion als
gebenen Inhalten komme, noch hat er plausibel primär »praktisch«, aber nicht als streng auf Mo-
gemacht, wie eine positive, nicht-vernünftige Re- ral, auf die Gültigkeit des Sittengesetzes bezogen.
ligion der moralischen Religion »Faßlichkeit« ge- Sein Blick ist hier – wie der Jacobis oder später
ben und als »Vehikel« der Vernunftreligion fun- Feuerbachs – auf den »ganzen Menschen«, den
gieren könne (VI.165,118), wenn doch die Ver- »Menschen überhaupt« gerichtet – und dabei fin-
nunftreligion allgemein einsichtig, die positive det er, »daß Sinnlichkeit das HauptElement bei
Religion aber sowohl in ihrer Geltung regional allem Handeln und Streben der Menschen ist«.
begrenzt als auch einer geschichtlichen Erläute- Auf Sinnlichkeit sei aber nur durch Sinnlichkeit
rung bedürftig sei (Jaeschke 1986a, 89). einzuwirken; auch die religiösen Triebfedern
(2) Zur Lösung dieses Problems arbeitet Hegel müßten somit sinnlich sein (GW 1.84–86). Hegel
eine neuartige, sowohl in der Anschauung des verharrt insofern zunächst bei der Triebfeder-
geschichtlichen Phänomens »Religion« als auch lehre der Kritik der reinen Vernunft, die auch derb
in der Theorielage seiner Zeit verankerte Reli- sinnliche Triebfedern wie die Verheißungen von
gionsphilosophie aus. Sein Religionsbegriff ist Belohnungen oder die Androhung von Bestra-
durch eine doppelte Dichotomie strukturiert: fungen im Jenseits als Triebfedern zuläßt, weil
durch den – von ihm bereits vorgefundenen – nur durch sie das Sittengesetz davor bewahrt
Gegensatz von subjektiver und objektiver Reli- werde, zum bloßen »Hirngespinst« herabzusin-
gion einerseits, Privatreligion und Volksreligion ken (KrV B 839). Seine Überzeugung von der
andererseits. Subjektive Religion ist aber keines- Notwendigkeit sinnlicher Triebfedern dürfte ihm
wegs mit Privatreligion kongruent, ebensowenig in dieser ersten Bearbeitungsphase den Blick auf
wie objektive mit Volksreligion. Als objektive Re- Kants Selbstrevision in der Kritik der praktischen
ligion bezeichnet Hegel mit dem traditionellen Vernunft verstellt haben, daß um der Reinheit der
Terminus die »fides quae creditur«, also den Moral willen nicht allein das Gesetz, sondern
Glaubensinhalt, der in Form eines theologischen auch die zum Handeln bewegenden Triebfedern
Systems gelehrt und an den geglaubt wird. Unter rein moralisch sein müßten: wie im moralischen
subjektiver Religion versteht er aber nicht – wie Gefühl der Achtung vor dem Sittengesetz.
62 II. Werk

(3) Aus diesem vage gefaßten, zwar prakti- der Phantasie wenigstens einen schönen Weg zu
schen, aber nicht im Kantischen Sinn rein morali- zeigen, den sie sich dann mit Blumen bestreuen
schen Religionsbegriff in Verbindung mit der kan«. Die christliche Religion mit ihrer Orientie-
ebenfalls weiter gefaßten Triebfederlehre folgen rung auf den »Schauplatz« Erde stecke zwar der
die Antworten auf die beiden Fragen nach den Phantasie ein Ziel, lasse daneben aber »noch eine
Kriterien einer Volksreligion, die das Fragment Menge Pläze übrig«, wo sie, »wenn sie mit
stellt: wie muß Volksreligion beschaffen sein, und schwarzer Galle gefärbt ist – sich eine fürchter-
was hat sie zu vermeiden? Die Antwort auf die liche Welt ausmahlen kann«, während anderer-
letztere fällt ohnehin kurz aus: Sie hat den Fe- seits gerade hier »unser großer christlicher Epo-
tischglauben zu vermeiden, und zwar auch den peendichter majestätischere Gemählde, schau-
aufgeklärten, »daß man den Foderungen der Ver- erlichere Szenen, und rührendere Züge geschöpft
nunft durch Tiraden über Aufklärung u. drgl. hat, als je in eines Dichters Seele vorher ge-
Genüge geleistet zu haben glaubt« und »sich über kommen waren.« (GW 1.79) Klopstocks Messias
dogmatische Lehren ewig in den Haaren liegt« – denn dieser ist hier gemeint – ist gleichwohl
(GW 1.103). Komplexer, nämlich dreifach ist die aus zwei Gründen nicht geeignet, die Forderung
Antwort auf die erstgenannte Frage. nach Befriedigung der Phantasie und Sinnlich-
»I. Ihre Lehren müssen auf der allgemeinen keit zu erfüllen: Zum einen wendet er sich an die
Vernunft gegründet seyn.« Denn nur solche Leh- Gebildeten, aber »die Einbildungskraft des Volks
ren, die jedem denkenden Menschen angemutet hat keine Leitung« – und zum anderen schließt
werden können, beziehen sich unmittelbar auf die hier entworfene Phantasiewelt an eine
Moralität, während all jene Empfehlungen eines fremde Vorstellungswelt an. Diesem Argument
besonderen Weges zum göttlichen Wohlgefallen liegt eine auf Herder gestützte Theorie über die
teils Gegenstand der Kritik, teils Gegenstand des Einheit einer mythischen Bilderwelt mit dem sie
Mißbrauchs, der »Herrschsucht der Priester« produzierenden Volksgeist zu Grunde. Sie betrifft
werden. Ein Implikat dieser Allgemeinheit ist die nicht nur die künstlerische Produktion, sondern
Einfachheit; die Lehren bedürfen »weder eines ebenso die schlichte, an geschichtlich gemeinten
Apparats von Gelehrsamkeit, noch eines Auf- Erzählungen orientierte Vorstellungswelt. In der
wands von mühsamen Beweisen«. Als ein zweites christlichen Religion sei die Phantasie »mit der
Implikat nennt Hegel die Menschlichkeit – »eine Urgeschichte der Menschheit – mit der Ge-
große und schwere Foderung« –, die er jedoch schichte eines fremden Volkes – den Thaten und
primär als Angemessenheit zu der jeweiligen Unthaten ihrer Könige angefüllt die uns nichts
Stufe der »GeistesCultur« und Moralität versteht. angehen« (GW 1.80). Einem Volk hingegen, das
Als ein Beispiel hierfür nennt er den Glauben »an durch seinen Gottesdienst Phantasie, Herz und
eine weise und gütige Vorsehung«, der auf rechte Vernunft zugleich befriedigt, würde es nicht ge-
Weise zur »gänzlichen Ergebenheit in Gott« führt, nügen, »die Ohren alle 7 Tage Phrasen und Bil-
während der »anmaßende Vorwitz« die Wege dern zu leihen, die nur vor einigen 1000 Jahren in
Gottes erkunden und meistern zu können ver- Syrien verständlich und an ihrem Plaze waren«
meint (GW 1.103 f.). (GW 1.126). Denn diese Bilder seien »orien-
(4) Mit diesem ersten Kriterium der Lehren talisch – nicht auf unserm Boden gewachsen«;
einer Volksreligion bleibt Hegel auf dem Boden der Bekenner der Religion »kan sich nie damit
der Aufklärung. Mit dem zweiten scheint er ihn assimiliren« (GW 1.140). Die Befriedigung von
zu verlassen: »II. Phantasie, Herz und Sinnlich- Herz, Phantasie und Sinnlichkeit, die die Volks-
keit müssen dabei nicht leer ausgehen«; die religion leisten soll, unterstellt Hegel somit na-
Volksreligion soll die schönen Fäden der Natur in tionalen Beschränkungen, die er jedoch gegen-
ein edles Band flechten. Doch kommt Hegels über der griechischen Phantasiewelt nicht in glei-
kritisches und normatives Interesse gerade hier cher Weise geltend macht.
am stärksten zum Ausdruck: denn die sich selbst (5) Umfassend ist das dritte Kriterium einer
überlassene Phantasie kann auch Ungeheuer ge- Volksreligion: »III. sie muß so beschaffen sein,
bähren. So rät er dazu, »um abentheuerliche Aus- daß sich alle Bedürfnisse des Lebens – die öffent-
schweifungen der Phantasie zu verhüten, schon lichen StaatsHandlungen daran anschliessen«.
mit der Religion selbst Mythen zu verbinden, um Sie muß den Menschen überall hin begleiten –
1. Der Übergang von Tübingen nach Bern (1793–1794) 63

den ernsten Angelegenheiten ihre Würde geben punkte für eine befriedigende Antwort zu mar-
und selbst seine Ausschweifungen heiligen. kieren.
Schleiermachers bekannter, wenig später nieder-
geschriebener Satz könnte auch diesem Hegel-
schen Fragment entstammen: »die religiösen 1.3. Die zweite Bearbeitungsphase
Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles Thun
des Menschen begleiten; er soll alles mit Religion (1) In der ersten Hälfte seiner Berner Jahre, bis
tun, nichts aus Religion.« (KGA I/2.219) Zu- etwa Mitte 1795, hat Hegel diese frühen Ansätze
sammen mit den politischen Verhältnissen hat sie teils erweitert, teils überarbeitet und dabei mit
den Geist eines Volkes zu bilden – denn dieser schärferen Akzenten versehen. Den einen Brenn-
Geist, Geschichte, Religion und der Grad der punkt der Überarbeitung bildet sein nunmehr
politischen Freiheit sind »in ein Band zusammen- strengerer Kantianismus (Kondylis 1979, 235–
verflochten« (GW 1.103,109–111). 256), den anderen der Begriff der Privatreligion.
Die christliche Religion wird diesem Idealbild Dieser Begriff ist in der ersten Phase noch
einer Volksreligion freilich in keiner der drei wenig konturiert, so daß er irrtümlich sogar mit
Hinsichten gerecht: Ihre Lehre geht über die dem der »subjektiven Religion« identifiziert wor-
allgemeine, einfache und menschliche Vernunft den ist (Timm 1979, 35). In der zweiten Phase
hinaus; ihre Ausbildung für die Phantasie wird wird er zu einem Schlüsselbegriff für die Beurtei-
bereits verhindert durch ihre programmatische lung der christlichen Religion. Die in der ersten
Forderung, Gott im Geist und in der Wahrheit zu Bearbeitungsstufe erwiesene mangelnde Eignung
verehren, und ihrer umfassenden politischen des Christentums zur Volksreligion erklärt Hegel
Aufgabe kann sie schon deshalb nicht gerecht nun daraus, daß die von Jesu gestiftete Religion
werden, weil sie die Menschen zu »Bürgern des ursprünglich Privatreligion sei. Die Moral Jesu
Himmels« erziehen will. Auf allen drei genann- sieht er in Übereinstimmung mit der »erhaben-
ten Ebenen expliziert sich die Philosophie der sten Moral« – eigentümlicher Weise deshalb,
Religion als Kritik der christlichen Religion. weil »der unbedingteste Gehorsam gegen das
Doch beansprucht Hegel, der christlichen Reli- Gesez darin eingeschärft wird«. Dann aber ist zu
gion nicht ein bloßes Ideal einer Volksreligion erklären, wie es von dieser frühen Form zur
entgegengesetzt zu haben; deren geschichtliches späteren Perversion kommen kann. Eine Ursache
Urbild glaubt er in den schönen Lebensverhält- sieht Hegel darin, daß »fälschlich was nur für
nissen der Griechen erkennen zu können. eine kleine Familie angeht – auf die bürgerliche
Die naheliegende Frage nach den Ursachen der Gesellschaft ausgedehnt wurde«. Frühchristliche
Diskrepanz der schönen griechischen Welt und Sitten wie das Almosengeben, die Gütergemein-
der modernen bleibt allerdings ohne prägnante schaft oder der Verzicht auf bewaffneten Wider-
Antwort. Man kann sie in Hegels Kontrastierung stand seien nur im Rahmen einer Privatreligion
des »Genius der Griechen und Deutschen« im- möglich, nicht einmal »als Grundsatz nur einer
plizit beantwortet und zugleich blockiert finden – kleinen Gemeine, eines geringen Dorfs«; auch
zumal der »Genius der Deutschen« (»ihre gröste für eine Privatreligion passende Zeremonien ver-
Ergözlichkeit z. B. schrekliches Saufen über- lören ihren Sinn und Geist, wenn sie in eine
haupt«, GW 1.81) dann den Genius der ger- öffentliche Religion übernommen würden. Inso-
manischen und eigentlich auch der romanischen fern wäre die spätere Ausartung der christlichen
Welt einschließen müßte. Man kann sie auch Religion eine nicht vorhersehbare und gleich-
durch Hegels Hinweise auf die jüdische, der grie- wohl unausweichliche Folge ihres weltgeschicht-
chischen in so vielen Hinsichten entgegenge- lichen Erfolgs (GW 1.150,129–131).
setzte Religion beantwortet finden – wobei sich (2) Neben dieser Argumentationslinie steht
gleichwohl die weitere Frage nach der Ursache aber noch eine zweite: Der Übergang von der
des geschichtlichen Erfolgs dieser Tradition Privat- zur Volksreligion hat deshalb fatale Kon-
stellt. Hegel verfügt damals noch nicht über eine sequenzen, weil bereits in der ursprünglichen
Theorie der gesellschaftlich-geschichtlichen Dif- Gestalt ein »Keim« liegt, dessen ganze Schädlich-
ferenzierung der Bedingungen menschlichen Le- keit sich erst unter der Bedingung der geschicht-
bens, die im Stande wäre, zumindest Ansatz- lichen Entfaltung offenbart – die Hegel sich nun
64 II. Werk

durch Edward Gibbons Schilderungen des Greu- gend – entsprechend »unserm Hang zu Idealen,
els und Elends bereits der christlich gewordenen die Mehr als menschlich sind« (GW 1.149).
Spätantike illustriert. Die Kirchenzucht etwa liegt (3) Diese Auffassung Jesu als eines Ideals,
bereits in der Privatreligion – aber hier, im Kreis einer personifizierten Idee der Tugend, entnimmt
der Familie, zunächst noch ohne die Folgen, die Hegel Kants Religionsschrift, deren Rezeption –
»Herrschsucht und Heuchelei« (GW 1.133) her- zusammen mit der Rezeption der Kritik der prak-
aufbeschworen haben. Weitere solcher negativen tischen Vernunft – diese zweite Phase prägt. Wäh-
Keime fördert der für die späte Aufklärung typi- rend er in der ersten betont, daß nur sinnliche
sche Vergleich zwischen Sokrates und Christus zu Triebfedern auf Sinnlichkeit wirken könnten,
Tage: Jener lehrt, dieser predigt; jener hat eine folgt er nun Kants Hochschätzung der prakti-
offene Schülerschar, dieser einen geschlossenen schen Vernunft: Die Vernunft führe unwidersteh-
Kreis von Jüngern, die dereinst »General- und lich »auf den grossen Grundsaz von der Selbstge-
HofmarschallStellen« einzunehmen wünschen; nügsamkeit der Pflicht und der Tugend«, gegen
und auch »die verkehrten und unmoralischen den »heterogenere Beweggründe« schon Enthei-
Begriffe der Juden« – ihr Haß »gegen andre Völ- ligung seien (GW 1.141 f.). Mit diesem Thema
ker« und die »Intoleranz ihres Jehova« – dringen beschäftigt sich auch eine Rezension von Mau-
»in die Praktik und Theorie der christlichen Reli- charts Allgemeinem Repertorium für empirische
gion« ein und stiften dort fortwährenden Schaden Psychologie, und verwandte Wissenschaften in
(GW 1.121). Der Abweg von der Moral ist somit der Oberdeutschen allgemeinen Literaturzeitung,
bereits in der Urgeschichte der christlichen Reli- die Hegel sich am 24.12.94 von Schelling erbittet.
gion angelegt: vom »tut Buße« Johannes des Täu- Die Wirkung der Religion setzt Hegel nun nur
fers über Jesu »tut Buße und glaubet an das noch in die »Verstärkung der Triebfedern der
Evangelium« bis zum »Glaubet an Christum« der Sittlichkeit durch die Idee von Gott als morali-
Apostel (GW 1.151). Erst auf dem Umweg über schen Gesezgebers« (GW 1.153) – womit er sich
die Verehrung Christi und Gottes führt das Chri- zwar auf das gedankliche Niveau der Kantischen
stentum wieder zur Moral zurück. Im Hinter- Lösung erhebt, aber zugleich die Probleme ihrer
grund der Kritik Hegels stehen die Worte der religionsgeschichtlichen Angemessenheit und ih-
Sittah aus Lessings Nathan über die Christen (2. rer internen Stimmigkeit in seine eigene Position
Aufzug, V. 82–85): einführt. Der Konflikt der Sinnlichkeit und Phan-
tasie mit der Vernunft wird nun zu deren Gunsten
Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her, entschieden: Sie fordert Handlungen der Pflicht,
Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt, und damit sind die »heiligen Gebräuche« nicht
Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist: mehr vereinbar. Hegel sieht hierin aber nicht
Weils Christus lehrt; weils Christus hat gethan. allein einen Angriff von außen; diesem entspricht
eine innere Erosion der religiösen Einrichtungen
Daraus erwächst ihm die Aufgabe, »manches in und Phantasiewelt, die teils nicht mehr verstan-
dieser Heilsordnung zu beleuchten – bis gesün- den, teils als Ausgeburten von Herrschsucht ent-
dere Vorstellungen allgemeiner Plaz gegriffen ha- larvt werden. Er registriert aber auch, daß mit
ben« (GW 1.153). diesen geschichtlichen »Fortschritten der Ver-
Doch andererseits weiß auch Hegel um die nunft« viele Empfindungen unaufhaltsam verlo-
praktische Bedeutsamkeit dieses Umwegs, da er ren gingen – ein Verlust, den »wir oft nicht mit
zur Bildung eines Ideals führt. Er analysiert eine Unrecht bedauern« (GW 1.124).
merkwürdige Verkehrung: Sokrates, ein Mensch, (4) Einer analogen immanenten Erosion sieht
der mit menschlichen Kräften menschliche Kon- Hegel die Geschichtswahrheiten unterworfen,
flikte überwindet, wäre zugleich ein würdiges auf die die christliche Religion gebaut ist. Daß
Vorbild der Tugend; Christus hingegen, mit gött- das Wunderbare in ihnen stets dem Unglauben
licher Kraft ausgestattet, kennt weder den Kon- unterworfen ist, ist solange gleichgültig, als sie
flikt von Sinnlichkeit und Pflicht noch den Man- Privatreligion ist, wird aber zum ernsten Pro-
gel an Mitteln. Und dennoch qualifiziert gerade blem, wenn sie als öffentliche Religion den Glau-
diese Beimischung des Göttlichen den tugend- ben daran fordert. Wenn aber die Vernunft sich
haften Menschen Jesus zu einem Ideal der Tu- erst ihrer Autonomie vergewissert und den »hi-
2. Berner Entwürfe (1795–1796) 65

storischen Glauben und seine Beweisgründe elende Antwort«, »die ein herzleerer Kirchenva-
gänzlich nicht achtet« und deshalb verklagt wird, ter [nämlich Augustin] ausgebrütet« hat: die Tu-
sucht sie im Gegenzug diese Geschichtswahr- genden der Heiden als »glänzende Laster« zu
heiten zu zerstören. Hegel erkennt damit die in denunzieren (GW 1.164,195–203,156).
der Aufklärung beginnende historische Kritik der Tendenziell vollständiger Erstdruck: Hegels theologi-
biblischen Texte als einen Kampf, in dem sich die sche Jugendschriften nach den Handschriften der Kgl.
Vernunft auf die Ebene des Historischen begibt, Bibliothek in Berlin hg. von Herman Nohl. Tübingen
um »den historischen Glauben mit seinen eige- 1907, 3–71,355–367. – Text: GW 1.75–114 (erste Phase)
nen Waffen« zu schlagen – und er stellt sich auch bzw. 115–164,195–203 (zweite Phase). – Quellen: Gott-
hold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Ein Drama-
in diesem Kampf auf die Seite der »Avtonomie«
tisches Gedicht, in fünf Aufzügen. Berlin 1779; Edward
der Vernunft – gegen die Autorität derer, denen Gibbon: The History of the Decline and Fall of the
die Sorge um die »Fortpflanzung der Geschichts- Roman Empire. A new edition. Bd. 1. Basil 1787;
wahrheiten anvertraut« ist (GW 1.140,159 f.). H. C. A. Hänlein und C. F. Ammon (Hg.): Neues theo-
(5) Auf einem dritten Gebiet bleibt aber auch logisches Journal. Bde. 2–4. Nürnberg 1793–1794. –
Hegel noch schwankend: in der Beurteilung der Literatur: Franz Rosenzweig: Hegel und der Staat.
München / Berlin 1920, Bd. 1.17–30; Hans Liebe-
Reichweite der Vernunft angesichts der Jenseits-
schütz: Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von
erwartungen. Er verwirft zwar die bekannten »re- Hegel bis Max Weber. Tübingen 1967; Klaus Düsing:
ligiösen Ausschweifungen der Phantasie« ins Jen- Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den
seits als »Ausbrüche der traurigsten ängstlichsten frühen philosophischen Entwürfen Schellings und He-
Verzweiflung, die die Organe von Grund aus zer- gels. In: Rüdiger Bubner (Hg.): Das älteste System-
rüttet und haüfig unheilbar« – doch sieht er die in programm (1973), 53–90; José Maria Ripalda: Poesie
und Politik beim frühen Hegel. HS 8 (1973), 91–118;
allen Religionen vorkommende »Erwartung der
Bernhard Dinkel: Der junge Hegel und die Aufhebung
Belohnungen und Strafen in einer andern Welt« des subjektiven Idealismus. Bonn 1974; Ripalda: The
mit Kant als »natürlich in dem praktischen Be- Divided Nation. The Roots of a Bourgeois Thinker.
dürfnis der Vernunft« gegründet, einen morali- G. W. F. Hegel. Assen / Amsterdam 1977, 15–84; Kon-
schen Zusammenhang dieses Lebens mit dem dylis: Entstehung der Dialektik (1979); Hermann
zukünftigen herzustellen. So beschränkt er sich Timm: Fallhöhe des Geistes. Frankfurt am Main 1979;
Robert Legros: Le jeune Hegel et la naissance de la
lediglich darauf, Vorsicht bei der Ausschmückung
pensée romantique. Bruxelles 1980, 11–69,260–308;
der Jenseitserwartung zu empfehlen, damit sie Laurent Paul Luc: Le statut philosophique du Tübinger
einer moralischen Religion würdig bleibe. Dane- Fragment. HS 16 (1981), 69–98; Bondeli: Hegel in Bern
ben erwägt er aber auch, ob nicht unser moder- (1990), 96–146; Hans Friedrich Fulda / Rolf-Peter
nes, der Antike entgegengesetztes Verständnis Horstmann (Hg.): Rousseau, die Revolution und der
eines Unglücks als eines Unrechts und die daraus junge Hegel. Stuttgart 1991; Schmidt: Anerkennung
und absolute Religion (1997), 24–55.
erwachsende Forderung nach ausgleichender Ge-
rechtigkeit eine überzogene Vorstellung von einer
moralischen Weltordnung voraussetze: »wir müs-
sen uns mehr gewöhnen, uns mehr von der Natur 2. Berner Entwürfe (1795–1796)
abhängig zu betrachten« (GW 1.146 f.).
(6) Die – auch durch die Briefe an Schelling 2.1. Das Leben Jesu (1795)
belegte – Wiederaufnahme der Lektüre Kants,
später auch Fichtes und im Frühjahr 1795 (1) »Von sehr grosser praktischer Wichtigkeit
schließlich der philosophischen Erstlingsschrift aber ist die Geschichte Jesu« (GW 1.148). Dieser
Schellings Ueber die Möglichkeit einer Form der Satz aus der zweiten Phase der Arbeit an Volks-
Philosophie überhaupt (AA I/1.263–300) über- religion und Christentum weist gleichsam auf das
zeugt Hegel davon, daß »nur praktische Vernunft Manuskript Hegels voraus, das unter dem Titel
einen Glauben an einen Gott gründen« könne. Das Leben Jesu bekanntgeworden ist. Ihm
Hieraus erhellt auch die Möglichkeit einer all- kommt in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstel-
gemeinen Verbreitung der Tugend. Bei Annahme lung zu. Als einziges aus den Berner Jahren ist es
des Glaubens an Christum und an die »abge- – trotz einer inneren Bruchstelle (GW 1.216) – als
schmackte Vorstellung« seines Strafleidens als Ganzes nicht fragmentarisch. Durch die Notie-
einer Vorbedingung der Tugend bleibt nur »die rung der Anfangs- und Enddaten »9. Mai
66 II. Werk

1795–24. Juli 1795« zeichnet Hegel es als ein politische sowie seinen Jüngern betrügerische
abgeschlossenes, gleichsam zur Publikation ferti- Absichten zu unterstellen. Reimarus kämpft ge-
ges Werk aus. Dennoch erwähnt er es nicht in gen den Schein der historischen Fundierung der
seinem Brief an Schelling vom 30.8.95. Mögli- Glaubensaussagen; Hegel geht darauf nicht mehr
cher Weise hat Hegel beabsichtigt, seinem Leben mit einem Wort ein. Er stützt sich auf die Evange-
Jesu noch »eine Paraphrase der Paulinischen lien und arbeitet hierzu wahrscheinlich, wie man
Briefe« folgen zu lassen; zumindest läßt sich eine ebenfalls der Aufschrift des Deckblattes durch
Notiz Hölderlins im Brief vom 25.11.95 so deu- Rosenkranz entnehmen kann, eine »Harmonie
ten. der Evangelien nach eigener Übersetzung« bzw.
(2) Den Titel Leben Jesu hat Rosenkranz auf »Schemata zu einer Vereinigung der in den ver-
einem Umschlagblatt notiert – unter dem Ein- schiedenen Evangelien teils verstreuten, teils ab-
druck der damals erbitterten theologischen und weichend erzählten Tatsachen« aus (R 51) – doch
auch theologisch-politischen Kontroversen um er berücksichtigt alle Zeugnisse nur »innerhalb
das Leben Jesu des Hegels-Schülers David Fried- der Grenzen der bloßen Vernunft«. Die mythi-
rich Strauß von 1835/36 – das gravierende Folgen schen Partien der Geburtserzählung entfallen;
auch für den Zusammenhalt der Hegel-Schule Jesus hat Maria und Joseph zu seinen Eltern; die
und darüber hinaus für das Verhältnis von sy- Versuchungsgeschichte geht – wie manches an-
stematischer Theologie und historisch-kritischer dere – nur vor seiner Einbildungskraft vorüber;
Forschung gehabt hat (s. 515 ff.). Rosenkranz stellt er tritt als Lehrer der Moral auf; er tut keinerlei
Hegels Berner Manuskript somit in eine Tradi- Wunder, und er verweist die Samaritanerin auf
tion, die man mit dem Leben Jesu des Zürchers die Zeit, in der alle Gott verehren werden in dem
Johann Jakob Heß (1768) beginnen lassen und in Geist, »in dem allein Vernunft und ihre Blüthe,
die man auch das Werk eines anderen Zürchers das Sittengesez herrscht«. Hegels frühere Be-
stellen kann: Johann Kaspar Lavaters Pontius denken gegen die Phantasiefeindlichkeit dieser
Pilatus. Doch auch wenn Heß’ Werk theologiege- Aussage verstummen jetzt vor seinem Kantianis-
schichtlich dem frühen Rationalismus zugerech- mus. Die Gebete und die Rede vom »himmli-
net wird, wirkt es auf den mit Schleiermachers schen Vater«, die er Jesu über die bloße Moralität
Leben-Jesu-Vorlesungen oder gar mit Strauß Ver- hinaus zugesteht, halten sich noch im Rahmen
trauten kaum weniger empfindsam als das Werk eines aufgeklärten Deismus. Nur einmal fällt Je-
Lavaters. Dem kritischen Gehalt nach steht He- sus aus der ihm zugewiesenen Rolle des Predi-
gels Paraphrase des Leben Jesu dem Werk näher, gers der Moral: Auf die Frage des Oberpriesters,
das kurz zuvor einen epochalen Streit ausgelöst ob er »ein Sohn der Gottheit« sei, antwortet er:
hat: den Fragmenten des »Wolfenbütteler Unge- »Ja, ich bin es, […] und diesen verachteten Men-
nannten«, d. h. Hermann Samuel Reimarus’ Apo- schen, der der Gottheit und der Tugend geheiligt
logie oder Schutzschrift für die vernünftigen Ver- war, werdet ihr einst mit Herrlichkeit bekleidet
ehrer Gottes, aus der Lessing in den 1770er Jah- und über die Sterne erhaben erblicken« (GW
ren u. a. die beiden Fragmente Ȇber die Aufer- 1.213,271). Daraufhin wird er verurteilt, gekreu-
stehungsgeschichte« und »Von dem Zwecke Jesu zigt, und begraben. Weiter ist nichts über ihn zu
und seiner Jünger« veröffentlicht hat – und berichten.
Schelling nennt Hegel den »Vertrauten Lessings« (4) Die »Entmythologisierung«, die Hegel hier
(4.2.95). Auch wenn diese Wendung primär – noch ohne den Mythosbegriff heranzuziehen –
durch die große Bedeutung veranlaßt sein mit seiner moralischen Reduktion an den evan-
könnte, die Lessings Nathan der Weise für Hegel gelischen Berichten vollzieht, geht erheblich über
gewonnen hat, so ist es doch schwer vorstellbar, die erst auf ihn folgende Leben-Jesu-Forschung
daß Hegel von Lessings theologischen Streit- des Rationalismus – auch seines persönlichen
schriften keine Kenntnis gehabt haben sollte. Freundes H. E. G. Paulus oder Karl August Hases
(3) Freilich fehlt Hegels Leben Jesu völlig der – oder gar Schleiermachers hinaus. Trotz seiner
kaum verborgene Haß, der die Zeitgenossen ge- akribischen Evangelienharmonie verhält er sich
gen Reimarus’ Werk (bzw. dessen von Lessing gegenüber dem biblischen Text erheblich freier
herausgegebene Fragmente) empört hat, und ins- als die Genannten: Er nimmt die in das Leben
besondere Reimarus’ Versuch, Jesu gescheiterte Jesu verwobenen supranaturalen Züge gar nicht
2. Berner Entwürfe (1795–1796) 67

zur Kenntnis und entgeht so den Peinlichkeiten Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelschen Un-
der rationalistischen Exegese, sie mehr schlecht genannten. Hg. von G. E. Lessing. Braunschweig 1778;
Johann Kaspar Lavater: Pontius Pilatus. Oder Die Bibel
als recht ins Menschlich-Vernünftige umbiegen
im Kleinen und Der Mensch im Großen. 4 Bde. Zürich
zu müssen. Statt dessen macht Hegel sich das von 1781–85; Heinrich Eberhard Gottlob Paulus: Philolo-
Kants Religionsschrift empfohlene probate her- gisch-kritischer und historischer Kommentar über das
meneutische Prinzip vernünftiger und wohlden- neue Testament, in welchem der griechische Text, nach
kender Volkslehrer zu eigen: die heiligen Schrif- einer Recognition der Varianten, Interpunctionen und
ten so lange zu deuten, »bis sie dieselben ihrem Abschnitte, durch Einleitungen, Inhaltsanzeigen und
ununterbrochene Scholien als Grundlage der Ge-
wesentlichen Inhalte nach nachgerade mit den
schichte des Urchristentums bearbeitet ist. 4 Bde. Lü-
allgemeinen moralischen Glaubenssätzen in beck 1800–1812; ders.: Das Leben Jesu, als Grundlage
Übereinstimmung brachten« (AA VI.111). Er einer reinen Geschichte des Urchristenthums. Die Ge-
schließt sich niemals enger an Kant an als in den schichterzählung nach den vier vereint geordneten
Jahren 1794/95 und insbesondere in seiner Evangelien in Beziehung auf eine wortgetreue, erklä-
Schrift über das Leben Jesu. Auch aus anderer rende, synoptische Uebersetzung derselben. 2 Bde.
Heidelberg 1828; David Friedrich Strauß: Das Leben
Feder gibt es keinen Text, der Kants moralische
Jesu, kritisch bearbeitet. 2 Bde. Tübingen 1835/36;
Interpretation der biblischen Texte in gleicher Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Vorlesungen
Weise bis ins Extrem triebe, um die historische über das Leben Jesu [1819–1832]; künftig KGA II/15. –
Tragfähigkeit des moralischen Religionsbegriffs Literatur: Horst Renz: Geschichtsgedanke und Chri-
auszuloten. stusfrage. Zur Christusanschauung Kants und deren
(5) Deshalb läßt gerade das Scheitern dieser Fortbildung durch Hegel. Göttingen 1977, 55–75; Bon-
deli: Hegel in Bern (1990), 147–165.
extremen Interpretation das Leben Jesu folge-
richtig zur Peripetie in Hegels Kantianismus ins-
gesamt und des moralischen Religionsbegriffs im
besonderen werden. Denn die Evangelien er- 2.2. Manuskript zur Psychologie und
weisen sich als resistent gegenüber dem Versuch Transzendentalphilosophie (1795/96)
ihrer totalen Restriktion auf Moral. Nicht-morali-
sche Züge gehen selbst in Hegels Leben Jesu ein, (1) In eine den religionsphilosophischen Studien
und in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zu gegenüber fremde Denkwelt führt Hegels Manu-
diesem Text verbirgt er sich auch damals nicht, skript zur Psychologie und Transzendentalphilo-
daß zur Religion Jesu weit mehr als moralisches sophie. Seine Entstehungszeit wird unterschied-
Leben und Lehren gehört: »Neben der Empfeh- lich beurteilt: Die Herausgeber datieren es – nach
lung einer Tugendreligion muste Jesus auch noth- der buchstabenstatistischen Methode, also der
wendig immer sich, den Lehrer derselben, ins Datierung mittels signifikanter Veränderungen in
Spiel bringen – und Glauben an seine Person der Schreibung einzelner Buchstaben – auf 1794
fodern«. Seine Autorität wurde zum »Princip der (GW 1.484), Eva Ziesche – wegen der Überein-
Verbindlichkeit zur Moralität« (GW 1.290 f.) – stimmung des Wasserzeichens des Papiers mit
und damit ist das Moment der Positivität wie- dem Großteil der Positivitätsschrift – auf
derum als das Kriterium für den Unterschied von 1795/96.
reiner Moral und Religion geltend gemacht. Um Das Manuskript beginnt mit einer Einteilung
dieses Thema kreisen Hegels religionsphiloso- der Psychologie in die empirische, die die Seele
phische Überlegungen in seinem letzten Berner »durch Aufzählung der Theile« erkenne, und die
Jahr. rationale, deren Begriff in keiner Erfahrung liege
Erstdruck: Hegels theologische Jugendschriften, und der somit eine Untersuchung ihrer Möglich-
73–136. – Text: GW 1.205–278. – Quellen zur dama- keit vorausgehen müsse. Der »I. Abschnitt. Er-
ligen Leben-Jesu-Forschung: Johann Jakob Heß: Ge- kenntnisVermögen« (auf den aber kein zweiter
schichte der drey letzten Lebensjahre Jesu. Nebst einer folgt) ist gegliedert in Empfindung und Phanta-
Einleitung, welche die Jugendgeschichte Jesu enthält. 2 sie, d. i. die beiden unteren Erkenntnisvermögen,
Bde, vierte durchaus verbesserte Auflage Zürich 1774
und Verstand und Vernunft, d. i. das obere Er-
(11768); G. E. Lessing: Zur Geschichte und Literatur.
Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wol- kenntnisvermögen. Das Kapitel »Empfindung«
fenbüttel. 4. Beitrag 1777, darin u. a. »Über die Aufer- handelt vom äußeren und inneren Sinn (GW
stehungsgeschichte«; Von dem Zwecke Jesu und seiner 1.169–173), das Kapitel »Phantasie« von Aufbe-
68 II. Werk

halten und Wiedererweckung der Vorstellungen, sich jedoch auch auf eine dort enthaltene Bespre-
Rekognition, Erinnerung und Dichtungsvermö- chung des Aufsatzes von Rapp: Ueber moralische
gen; hierbei kommen auch Themen wie Som- Triebfedern beziehen.
nambulismus und Swedenborgs Geisterseherei (3) Aber nicht allein wegen seines Themas
zur Sprache (GW 1.173–184). Das Kapitel »Ver- nimmt dieses Manuskript eine Sonderstellung
stand« schließlich thematisiert zunächst »A. Ver- ein, sondern auch deshalb, weil Hegel zumindest
mögen der Begriffe« und »B Vermögen zu ur- nicht im strengen Sinn als sein geistiger Urheber
theilen« (GW 1.184,16–186,11), dann folgt ein bezeichnet werden kann: Es folgt inhaltlich weit-
Einschub über Kants transzendentale Logik (GW gehend Flatts Psychologie-Kolleg, wahrschein-
1.186,12–189,19), bevor die Hauptlinie der Erör- lich vom Winter 1789/90, das Hegel – wie das
terung mit den Worten »Die Vernunft ist das Magisterprogramm von 1790 festhält – gehört hat
Vermögen zu schliessen« nochmals kurz aufge- (Br 4/1.34). Die in den Anmerkungen zur Edition
nommen wird; danach geht es unter dem zuvor partiell wiedergegebene, von Dieter Henrich
nicht angekündigten Titel »Kosmologie« (GW (1965, 70 f.) in der Universitätsbibliothek Tü-
1.190–192) zu einer knappen Skizze von Kants bingen aufgefundene Nachschrift dieses Kollegs
Einteilung der Ideenlehre in rationale Psycho- durch Hegels Kommilitonen August Friedrich
logie und Kosmologie über und bricht mit Be- Klüpfel »deckt sich über weite Passagen inhaltlich
merkungen zur Antinomie der reinen Vernunft und vielfach wörtlich mit Hegels Ms« (GW
(ohne Verwendung dieses Terminus) ab. Das 1.484). Doch schließen die in die Berner Periode
dritte Hauptstück der transzendentalen Dialektik weisende Buchstabenstatistik und Papierqualität
Kants, die Lehre vom Ideal der reinen Vernunft, aus, daß es sich bei Hegels Manuskript ebenfalls
wird nicht erwähnt. Das Thema »Transzendental- um eine Vorlesungsnachschrift handle, wie sein
philosophie« ist somit hier in die Erörterung der erster Herausgeber Hoffmeister vermutet. Dem
Erkenntnisvermögen innerhalb der Psychologie Manuskript liegt jedoch fraglos eine Nachschrift
eingebettet. zu Grunde – sei es eine fremde (vielleicht aus
(2) Dieses Manuskript unterbricht die Reihe dem Kreise der Berner Kantianer, über dessen
der religionsphilosophischen Fragmente. Dies Verbindung mit Hegel wir jedoch nichts wissen,
könnte der Grund sein, weshalb diejenigen, die oder durch seinen Kompromotionalen Mögling,
es vermutlich zuerst in Händen hatten, es nicht der damals ebenfalls in Bern lebt und mit dem
erwähnt haben. Rosenkranz nennt neben Hegels vorhin erwähnten Süskind Kontakt hält), sei es
»theologischen Studien« nur » h i s t o r i s c h e« (R eine eigene, die Hegel nach der Überarbeitung
59), aber nicht das Manuskript zur Psychologie vernichtet haben könnte, zumal Rosenkranz bei
(es sei denn, man deutet den knappen Hinweis R seiner Auflistung von Hegels Nachschriften keine
86 f. darauf), und auch Haym und Nohl ver- aus diesem Kolleg erwähnt (R 25).
schweigen es – vermutlich um die Geschlossen- (4) Rätselhaft ist jedoch der Zweck des Manu-
heit der Deutung dieser Epoche als einer theo- skripts zur Psychologie. Um einen Publikations-
logischen nicht zu durchbrechen. Doch belegen plan Hegels kann es sich wegen der Nähe zu
auch andere Quellen aus dieser Zeit Hegels Inter- Flatts Vorlesung nicht handeln, auch wenn das
esse an der Psychologie: Er exzerpiert eine 1792 Manuskript sich nicht auf die bloße Wiedergabe
erschienene Rezension von Schmids Empirischer des Vortrags beschränkt, sondern bei der Be-
Psychologie (GW 3.209 f.), und am 24.12.94 bittet handlung von »Verstand und Vernunft« weitere
er Schelling, Johann Gottlob Süsskind (Schel- Quellen einbezieht: Zunächst, bei der Abhand-
lings Kompromotionale, nicht zu verwechseln lung der niederen Erkenntnisvermögen und dem
mit seinem Bruder Friedrich Gottlieb Süsskind, Beginn des Kapitels »Verstand« (GW
dem damaligen Repetenten und Verfasser der 1.167–186,11), lehnt es sich eng an Flatts Kolleg
Bemerkungen zur Übersetzung von Storrs An- an; bei der Darstellung des »Vermögen zu ur-
notationes) möge ihm eine Rezension von Mau- theilen« orientiert es sich an Kants Kritik der
charts Allgemeinem Repertorium für empirische reinen Vernunft und Kritik der Urteilskraft sowie
Psychologie in der Oberdeutschen allgemeinen insbesondere an Johann Schulze (d. i. Schultz):
Literaturzeitung übersenden. Hegels Interesse Erläuterungen über des Herrn Professor Kant
an dieser – sehr ausführlichen – Rezension kann Critik der reinen Vernunft, und nur noch einmal,
2. Berner Entwürfe (1795–1796) 69

zu Beginn der Abhandlung der Vernunft als »Ver- Eva Ziesche: Der handschriftliche Nachlaß Georg Wil-
mögen zu schliessen« (GW 1.189,20–190,6), folgt helm Friedrich Hegels und die Hegel-Bestände der
Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz.
es kurz Flatts Kolleg, dann wieder Kant und
Wiesbaden 1995, 2 Teile. (=Staatsbibliothek zu Berlin
Schulze, während der Fortgang von Flatts Kolleg Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriften-
nicht berücksichtigt ist. abteilung. Hg. von Tilo Brandis. Zweite Reihe: Nach-
Diese Ergänzung der Kollegnachschrift durch lässe. Bd. 4). II.26,65 f.; Riccardo Pozzo: Zu Hegels
Kant und Schulze ist fraglos ein aufwendiges Kantverständnis im Manuskript zur Psychologie und
Verfahren; sie wäre überdies der früheste Beleg Transzendentalphilosophie aus dem Jahre 1794 (GW 1,
Text Nr. 27). In: Bondeli / Linneweber-Lammerskitten
für eine Auseinandersetzung Hegels mit Kants
(Hg.): Hegels Denkentwicklung in der Berner und
Kritik der reinen Vernunft. Riccardo Pozzo (1999, Frankfurter Zeit (1999), 15–29.
24) hat jedoch die Vermutung geäußert, »daß
Hegel keine eigene Kompilation abgefaßt, son-
dern aus einer ihm zur Verfügung stehenden 2.3. Studien zur Positivität der
Nachschrift exzerpiert hat«, die nicht – wie die christlichen Religion (1795/96)
Nachschrift Klüpfel – allein das Kolleg Flatts
wiedergibt, sondern bereits die Verbindung der (1) Etwa gleichzeitig mit dem Manuskript zur
genannten drei Quellen enthält. Diese Hypothese Psychologie nimmt Hegel in seinem letzten Ber-
hat den Vorzug, daß sie die – erratische – Stellung ner Jahr die bereits im Übergang von Tübingen
dieses Manuskripts im Kontext der Berner Arbei- nach Bern begonnenen Arbeiten wieder auf; ei-
ten erklärt und sowohl sein Verschweigen durch nige Partien können wiederum als Überarbeitun-
Rosenkranz wie auch das Fehlen aller Hegel ei- gen sowohl dieser als auch der frühen Berner
gentümlicher Wendungen plausibel macht; es Manuskripte angesehen werden. Seine Ausfüh-
gäbe – abgesehen von der Handschrift – ja kei- rungen bewegen sich jetzt jedoch auf einem
nerlei Grund, Hegel als Verfasser zu vermuten. durchgängig höheren Reflexionsniveau; auch die
Gegen Pozzos Hypothese scheinen die – freilich Fähigkeit zu umfassenden Problemlösungen ist
nur blassen – Spuren zu sprechen, die Hegels augenfällig höher entwickelt. Die drei überlie-
Lektüre einer Rezension von Schmids Empiri- ferten Fragmente bilden vermutlich Teile eines
scher Psychologie im Manuskript zur Psychologie Gesamtplans, auch wenn sich dessen Disposition
und Transzendentalphilosophie hinterlassen hat nicht mehr erkennen läßt.
(GW 1.167,1–3; 167,15; 167,16); aus dieser Re- (2) Die Niederschrift des ausführlichsten Frag-
zension hat Hegel sich auch »eher etwas später« ments man mag die widersprechendste Betrach-
(GW 1.486) eine Passage exzerpiert (GW tungen … (GW 1.281–351) hat Hegel wohl um
3.209 f.). Da die erstgenannte der drei Beleg- die Jahresmitte 1795 begonnen; bereits gegen
stellen jedoch nur den – damals durchaus ge- Ende des Manuskripts notiert er das Datum »2.
läufigen – Terminus »rationale Psychologie« be- Nov.« 1795, und auf den letzten Seiten den »29
trifft und die beiden weiteren sich auf Hegels Apr. 96«. An diesem Tag könnte er die Nieder-
Marginalien zum Manuskript beziehen, kann schrift auch abgeschlossen haben. – In diesem
man aus diesem Verhältnis auch ein Indiz für Fragment entwickelt Hegel seine neue Problem-
Pozzos Hypothese gewinnen. stellung. Seine Frage ist nun nicht mehr, wie eine
Volksreligion beschaffen sein müsse, sondern wie
Erstdruck: Hoffmeister (Hg.): Hegels erster Entwurf es sich begreifen lasse, daß eine zunächst morali-
einer Philosophie des subjektiven Geistes (Bern 1796).
sche Religion zu einer positiven pervertiert sei.
In: Logos 20 (1931), 141–168. – Text: GW 1.165–192. –
Quellen: Johann Schulze [d. i. Schultz]: Erläuterungen Anders als im Leben Jesu, in der moralisch sti-
über des Herrn Professor Kant Critik der reinen Ver- lisierten und purifizierten Darstellung Jesu als
nunft. Königsberg 1789, Neue und verbesserte Auflage eines Ideals der reinen praktischen Vernunft,
Frankfurt / Leipzig 1791; Carl Christian Erhard geht es hier um das Verstehen der inneren Logik
Schmid: Empirische Psychologie. Jena 1791: vgl. GW der Geschichte der christlichen Religion, in Ver-
3.209 f.; Oberdeutsche allgemeine Literaturzeitung
bindung mit den äußeren Umständen, die die
(1792/93); J. D. Mauchart (Hg.): Allgemeines Reperto-
rium für empirische Psychologie. Nürnberg 1792ff. – Herausbildung der christlichen als einer posi-
Literatur: Dieter Henrich: Leutwein über Hegel. Ein tiven Religion bestimmt haben. Doch auch für
Dokument zu Hegels Biographie. HS 3 (1965), 39–77; diese historische Problemstellung bleibt Kants
70 II. Werk

moralischer Begriff der Religion konstitutiv: Mit zip der Legalität beherrschte Religion kann auch
Kant betont Hegel, daß »der Zwek und das Wesen Moralität nicht anders als durch Rekurs auf Lega-
aller wahren Religion und auch unserer Religion lität eingeführt werden. Die damals verbreitete
– Moralität der Menschen sei« (GW 1.282). Zum Messiaserwartung bildet zwar eine Alternative
Problem wird jedoch Kants Lösung des Verhält- zum Gesetzesdenken – aber auch sie bleibt in den
nisses von moralischer und statutarischer Reli- Fesseln des Autoritätsglaubens befangen. Auch
gion. Dem geschichtlichen Rückblick erweist sich unter ihren Auspizien kann Jesu Lehre nur Ein-
sehr rasch, daß die statutarische Religion keines- gang finden, wenn er den auf ihn gerichteten
wegs die von Kant behauptete Funktion eines messianischen Hoffnungen nicht direkt wider-
Vehikels der moralischen übernimmt – im Ge- spricht, sondern sie vorsichtig ins Moralische
genteil. Die Entwicklung führt von der anfänglich umzubiegen sucht. Es ist gleichsam die Tragik
moralischen Religion Jesu ab und mündet in die des Lehrers der reinen Moral, daß er seiner
positive, statutarische Religion ein. In diese, von Lehre nur dadurch Gehör verschaffen kann, daß
Kants Religionsschrift her konzipierte Problem- er ihr Proprium verrät und damit den Grund zur
stellung läßt sich zudem zwanglos das in Lessings späteren Fehlentwicklung legt.
Nathan herausgearbeitete Problem einbeziehen, An diesen Kristallisationskern der Positivität
daß die Bekenner der christlichen Religion die schließen sich zwanglos eine Reihe weiterer
Leitlinien ihres Handelns nicht aus ihrer eigenen Züge an. Der außerordentliche Eindruck der Er-
Vernunft gewinnen, sondern stets erst auf dem scheinung Jesu, seine Lebens- und Leidensge-
Umweg über die Gestalt Jesu – der glücklicher schichte, sein ungerechter Tod nehmen die Ein-
Weise ein guter Mensch gewesen sei (2. Auftritt, bildungskraft gefangen, so daß sie bald den Ge-
Vers 86 f.). halt seiner Lehre überwuchert. Auch hierfür ist
(3) Auf die Frage nach den Ursachen für den die religiöse Umwelt der Verkündigung Jesu ent-
rapiden und verhängnisvollen Abfall der christli- scheidend, doch fällt ein Makel auch auf den
chen Religion von ihrem Ursprung in der reinen Lehrer der Moral – etwa durch die Wahl seiner
Moralität Jesu in die Positivität begnügt Hegel Jünger wie überhaupt die Bildung eines begrenz-
sich nicht mit einer einzigen Antwort; er listet ten Jüngerkreises, durch die institutionelle For-
vielmehr eine lange Reihe ihrem Charakter wie men in die reine Tugendreligion hineingetragen
auch ihrem Gewicht nach sehr unterschiedlicher, werden. Hegel greift hier nochmals auf die früher
sowohl struktureller als auch psychologischer Ar- schon bemühte Sokrates-Christus-Parallele zu-
gumente dafür auf, daß der Lehrer der reinen rück: Die Weise, wie Sokrates mit seinen Freun-
Moral Veranlassung zu einer positiven Religion den verkehrt, verhindert ein Hineingleiten in
wird. Jesus ist zwar »selbst frei von der an- Positivität. Er wird um seiner Tugend und Philo-
stekenden Krankheit seines Zeitalters und seiner sophie willen geliebt, und nicht die Tugend um
Nation«; er ist »Lehrer einer reinmoralischen, seinetwillen. Wenn zudem die Bedingung der
nicht positiven Religion« (GW 1.283,285). Seligkeit nicht allein in der Tugend, sondern im
Gleichwohl ist die Tendenz zur Positivität nicht Glauben an Jesum liegt, so ist »die Vernunft zu
eine erst nachträgliche Verfallserscheinung; sie einem bloß empfangenden, nicht gesetzgeben-
ist bereits in den Bedingungen seines Wirkens den Vermögen« gemacht. Von ihm sind Worte
angelegt. überliefert, die »nur in dem Munde eines Lehrers
(4) Hegels erstes Argument bedient sich der einer positiven Religion, nicht in dem Munde
von der zeitgenössischen Neologie zu apologe- eines Tugendlehrers möglich« sind (GW 1.297).
tischen Zwecken ausgebildeten Akkomodations- Weitere, nicht allein auf die Verstrickung der
these, spitzt sie aber kritisch zu: Um überhaupt Juden im Legalitätsdenken rückführbare Züge
wirken zu können, muß Jesus seine Wirkungs- seiner Verkündigung verstärken diese Positivität
weise der statutarischen Verfassung der jüdischen – etwa die kurzfristige Aussendung der Jünger,
Religion, deren blindem Gehorsam gegen posi- die auf rasche Erfolge angelegt ist und das Bild
tive Gebote anpassen. So muß er seine Lehre »auf eines moralischen Lebens gar nicht entstehen
die gleiche Autorität gründen, auf Vernunft allein lassen kann, und insbesondere natürlich die
sich berufen zu wollen, hätte den Fischen pre- Wunder, die Jesu zugeschrieben werden. Selbst
digen geheissen« (GW 1.289). In eine vom Prin- wenn sie in der damals wundersüchtigen Zeit gar
2. Berner Entwürfe (1795–1796) 71

nicht sonderlich aufgefallen zu sein scheinen, gilt wird jetzt das Moment, daß sie »das Sittengesetz
doch: »Nichts hat wohl sosehr als dieser Glauben den Menschen als etwas gegebenes aufstellt«,
an Wunder dazu beigetragen, die Religion Jesu während doch – mit Kant – die einzig moralische
positiv zu machen, sie gänzlich selbst ihrer Tu- Triebfeder die Achtung für das Sittengesetz sei.
gendlehre nach auf Autorität zu gründen.« (GW Und so beantwortet Hegel seine abschließende
1.291) Frage: »Was hat dann das Menschengeschlecht
(5) Diese Hinweise beantworten die Eingangs- durch das mühsame RegelSystem der Kirche ge-
frage, wie es von der rein moralischen Religion wonnen?« (GW 1.344) lediglich mit dem Hinweis
Jesu zur positiven Lehre des Christentums ge- darauf, daß es dem Despotismus den Weg ge-
kommen sei, mit einer Korrektur der Fragestel- ebnet habe. Damit aber ist der Gedanke einer
lung: Die Religion Jesu ist von Anfang an keine »rein moralischen Religion« als ein hölzernes
reine, sondern eine »positive Tugendlehre«. Da- Eisen durchschaut.
mit aber ist Jesus auch nicht mehr ein Ideal der (6) Das kleine Fragment Ein positiver
reinen praktischen Vernunft. Und die geschicht- Glaube … (GW 1.352–358) unterstreicht diese
liche Entwicklung führt ständig tiefer in diese Kritik, indem es vom Begriff der Autorität aus zu
immer schon angelegte Positivität hinein. Zur einer scharfen Kritik der Postulatenlehre Kants
Erklärung greift Hegel zurück auf seine Über- übergeht, die man als ein Echo des Briefwechsels
legungen zur Logik des Übergangs von einer zwischen Hegel und Schelling verstehen kann:
Privatreligion zu einer öffentlichen Religion. Er Nachdem die Orthodoxie eingestehen muß, daß
macht jedoch die Differenz nicht so sehr an der eine Begründung der Moral durch reine Vernunft
bloßen Zahl der Bekenner fest, sondern an dem sehr wohl möglich sei, sucht sie sich an einem
Umschlag in die qualitativ veränderten Rechts- letzten Punkt festzuhalten: Sie bestimmt den
verhältnisse auf Grund der Stiftung einer Ge- Endzweck der Menschheit so, daß seine Realisie-
meinschaft. Mit dem Eintritt in eine solche Ge- rung als abhängig gedacht wird von einem dem
sellschaft unterwirft man sich ihren Statuten; Menschen fremden Wesen, dem die Zuteilung
man glaubt, »weil es die Gesellschaft gebot zu der Glückseligkeit und somit die Herrschaft über
glauben« (GW 1.310). Und diese Unterwerfung die Natur zugesprochen werden kann. Dieses,
nimmt noch in dem Maße zu, als die kirchliche wie Hegel ironisch sagt, »berühmte Bedürfniß«
Gemeinschaft sich an die staatliche anlehnt und (GW 1.358) nach Harmonie von Sittlichkeit und
endlich diese für ihre Zwecke instrumentali- Glückseligkeit – angeblich ein Bedürfnis der Ver-
siert. nunft, in Wahrheit aber der Sinnlichkeit – hat
Diese Überlegungen münden in einen gene- freilich kein anderer als Kant zu einem Postulat
rellen Zweifel, daß die Kirche Moral befördern der reinen praktischen Vernunft erhoben und der
könne – in die Alternative zwischen »Abhängig- Orthodoxie ins Arsenal geliefert.
keit von der Gottheit« und Autorität einerseits, (7) Das dritte Fragment, Jedes Volk … (GW
Freiheit und Autonomie des Willens andererseits 1.359–378), ist wahrscheinlich als letztes ge-
(GW 1.342 f.). Hegels über Kants Buchstaben schrieben worden, wie sowohl die Buchstaben-
hinaus gesteigerter Kantianismus zersprengt die statistik als auch Anspielungen auf Schellings
Einheit von Moral und Religion, die Kant in Philosophische Briefe über Dogmatismus und
seiner Formel festzuhalten sucht, es gebe einen Kritizismus (AA I/3.47–112) erkennen lassen. –
unumgänglichen, unausbleiblichen Übergang Es bildet zunächst eine Reprise des bereits be-
von der Moral zur Religion (VI.618), und Reli- kannten Themas der nationalen Eigenart des My-
gion sei das Verständnis der moralischen Gebote thos und der Klage, das Christentum habe die
als göttlicher Gebote (V.129,480). Denn diese »Nationalphantasie« aller Völker zerstört, die es
Formel ignoriert nicht allein die Bedeutung der in seinen Bann gezogen habe. Auch das schon
mannigfaltig induzierten Positivität für den Reli- früher damit verknüpfte Thema der gesellschaft-
gionsbegriff; sie verdeckt vor allem, daß ein sol- lichen Kluft zwischen Gebildeten und »Volk« fin-
ches Verständnis der moralischen Gebote als gött- det sich hier erneut. Hegel schärft sehr nach-
licher Gebote eben diese moralischen Gebote als drücklich ein, daß es »von jeher vergeblich« ge-
moralische aufhebt und in positive transformiert. wesen sei, »die verlorne Phantasie einer Nation
Vordringlich im Begriff der positiven Religion wiederherzustellen«. Die Empfänglichkeit des
72 II. Werk

gebildeteren Teils der Nation für die griechische auf dem Wege der Überwindung dieser meta-
Mythologie wertet er als Indiz für deren »grös- physischen Kluft: »Ausser früheren Versuchen
sere Selbstständigkeit und Unabhängigkeit vom blieb es unsern Tagen vorzüglich aufbehalten, die
Verstande«, die einen freien ästhetischen Genuß Schäze, die an den Himmel verschleudert wor-
ermögliche. Die rhetorische Frage hingegen, die den sind, als Eigenthum der Menschen wenig-
Klopstock in der Ode Der Hügel und der Hain stens in der Theorie zu vindiciren, aber welches
gegen die beginnende Graecomanie seiner Zeit- Zeitalter wird die Kraft haben, dieses Recht gel-
genossen richtet, »ist denn Achaja der Tuiskonen tend zu machen, und sich in den Besiz zu setzen?«
Vaterland?« beantwortet Hegel jetzt mit der Ge- (GW 1.372)
genfrage: »Ist denn Judäa der Thuiskonen Vater- Das eigentliche Komplement aber ist der Ge-
land?« Allerdings wird das Problem der gesell- danke des objektiven Gottes selbst – als ein Kom-
schaftlichen Entfremdung durch den Rückweg plement der Bedürfnisnatur des Menschen; die
nach Achaia ebensowenig behoben wie durch Generierung von Komplementen ist zuhöchst ein
Klopstocks Weg nach Judäa: Beide bleiben den theogonischer Prozeß, parallel zur sozialen und
»Gebildeten« vorbehalten (GW 1.362). geschichtlichen Entwicklung des Menschen. »Die
Neben diese Wiederaufnahme des Bekannten Objektivität der Gottheit ist mit der Verdorben-
in sowohl sprachlich wie auch gedanklich ge- heit und Sklaverei des Menschen in gleichem
reifterer Form tritt eine Deutung des Nieder- Schritte gegangen, und jene ist eigentlich nur
gangs der antiken Welt in der Perspektive der eine Offenbahrung, nur eine Erscheinung dieses
gesellschaftlichen Arbeitsteilung und des Verlusts Geists der Zeiten. Auf diese Art, durch seinen
der politischen Freiheit und Unabhängigkeit. Objektiven Gott offenbarte sich dieser Geist, als
Diese, zumindest teilweise durch Edward Gib- die Menschen so erstaunlich viel von Gott zu
bons History of the Decline and Fall of the Roman wissen anfingen«.
Empire angeregte Schilderung der gesellschaft- Erstdruck: Hegels theologische Jugendschriften,
lichen Depravation der nach-republikanischen 152–239. – Text: GW 1.279–351,352–358,359–378. –
Antike, ihrer Ohnmacht und Schwäche, ihrer Literatur: Peter Cornehl: Die Zukunft der Versöhnung.
Sittenverderbnis, bildet zugleich den Ausgangs- Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung, bei
punkt für eine generelle, die Religion des spät- Hegel und in der Hegelschen Schule. Göttingen 1971,
antiken Rom insgesamt und auch speziell die 93–119; José Maria Ripalda: Poesie und Politik beim
frühen Hegel. HS 8 (1973), 91–118; Ripalda: The Divi-
christliche betreffende Religionskritik. Sie bleibt ded Nation. The Roots of a Bourgeois Thinker. G. W. F.
zwar an Radikalität hinter der französischen Auf- Hegel. Assen / Amsterdam 1977, 15–84; Bondeli: Hegel
klärung eines Baron d’Holbach zurück, weist aber in Bern, 165–207; Schmidt: Anerkennung und absolute
ersichtlich auf die spätere Kritik Ludwig Feuer- Religion (1997), 61–87.
bachs voraus.
Unter den drückenden Lebensverhältnissen
der spätantiken Welt wird dieser beklagenswer- 2.4. Staatsrecht und Kirchenrecht
ten irdischen Sphäre eine himmlische entgegen-
gestellt, deren Ausstattung reziprok zur irdischen (1) Der philosophische Gehalt des Fragments
entworfen wird. Die Menschen erdenken eine man mag die widersprechendste Betrachtungen
bestens ausstaffierte Gegenwelt als Komplement erschöpft sich aber keineswegs in der Frage nach
ihrer Bedürfnisse: Dem irdischen Elend korre- den Ursachen der Positivität der christlichen Re-
spondiert die himmlische Glückseligkeit, der ligion. Die beiden im Kontext der Entstehung von
Verworfenheit hier die Gnade dort – und die Positivität vorkommenden Stichworte »Staat«
Armut hier kann allenfalls durch einen Teil des und »Kirche« lassen Hegel sein eigentliches
dorthin projizierten Reichtums gelindert werden. Thema nahezu vergessen und zu einer Analyse
Es ist aber nicht eigentlich ein Ressentiment, das der unterschiedlichen Logik der Erscheinungs-
solche Gegenwelten erdenkt, in denen es der- formen kirchlicher und staatlicher Gemeinschaft
einst über seine Peiniger triumphieren wird; die übergehen – also zu einem Thema, das ihn bis in
Erfindung der Gegenwelt verdankt sich eher ei- seine letzten Arbeiten beschäftigen wird. Hegel
nem unvermeidlichen psychischen Mechanis- verbindet diese staatskirchenrechtlichen Ausfüh-
mus. Seine Gegenwart sieht Hegel jedoch bereits rungen zwar mit dem Thema »Positivität«, und er
2. Berner Entwürfe (1795–1796) 73

verklammert sie hiermit auch augenfällig durch chenrecht«. Der Staat hat die Rechte seiner Bür-
ausführliche Zitate aus Lessings Nathan. Sie set- ger – ungeachtet ihres Glaubens – zu schützen,
zen aber rechtsphilosophische Studien über das sofern diese die Rechte anderer nicht verletzen.
Verhältnis von Recht und Moral sowie über die Die Kirche hingegen kann mit Recht denjenigen
Begründung von Rechten und Pflichten voraus, ausschließen, der sich ihrer Gesetzgebung nicht
die aus dem Kontext der damaligen staatsrechtli- unterwirft. Der bürgerliche Staat brauchte zwar
chen Arbeiten Hegels stammen und erst sekun- dem geistlichen Staate hierin nicht zu folgen – da
där in den Kontext »Positivität« übernommen beide aber dem Umfang nach kongruent sind,
sein dürften. Man wird sie auch als Reflex der entsteht eine Kollision, in der regelmäßig die
gerade in diesen Jahren leidenschaftlichen fran- Kirchen ihr Recht gegen das des Staates durch-
zösischen Diskussionen um das Verhältnis von setzen. Der Verlust der kirchlichen Rechte führt
Kirche und Staat lesen müssen. somit zum Verlust auch der bürgerlichen. Der
(2) Hegels Interesse gilt hier nicht mehr der geistliche Staat kann sich im Konfliktfall gegen
Entstehung von Positivität, sondern der Verände- den bürgerlichen behaupten, weil er für diesen
rung der Rechtslage beim Übergang von der frü- konstituierende Funktionen ausübt. Schon der
hen Kirche zu einem »geistlichen Staat«, d. h. zu Akt des Eintritts in den bürgerlichen Staat ist –
einer staatsförmigen Organisation der Kirche. damals – ja ein kirchlicher Akt: die Taufe; glei-
Während ein Verlassen der frühen Kirche die ches gilt für die Eheschließung als Begründung
bürgerlichen Rechte nicht berührt, verliert derje- einer bürgerlichen Lebensgemeinschaft wie auch
nige, der aus dem »geistlichen Staat« austritt oder für den Todesfall. In diesen Dingen hat der bür-
ausgeschlossen wird, wegen der Kongruenz die- gerliche dem geistlichen Staat »seine Rechte und
ses »geistlichen Staates« mit dem bürgerlichen sein Amt abgetretten« – oder historisch ange-
Staat zugleich seine bürgerliche Existenz. Den messener: Er wird diese Rechte erst im 19. Jahr-
Staatscharakter sowohl der protestantischen als hundert beanspruchen. Er überläßt der Kirche
auch der katholischen Kirche begründet Hegel auch das Recht zur Erziehung – und sie versteht
hier noch – gut aufklärerisch – damit, »daß die dies zugleich als die Pflicht, »den Glauben so bis
Kirche ein Vertrag eines mit allen, und aller mit ins Mark der Seele einzudrükken«, daß das ge-
einem ist, sich, jedes Mitglied der Gesellschaft in samte menschliche Denken und Handeln da-
einem bestimmten Glauben, und bestimmten re- durch geprägt ist (GW 1.317,325).
ligiösen Meinungen zu beschüzen, zur Erhaltung (4) Hegel sieht jedoch auch, daß die jeweiligen
derselben, zu Befestigung jedes Mitgliedes in Inhalte der vertragsrechtlichen Konstitution von
demselben Anstalten zu machen«. Diese vertrags- bürgerlichem und geistlichem Staat keine genaue
rechtliche Konstruktion denkt Hegel – analog Entsprechung erlauben: Im bürgerlichen Vertrag
zum bürgerlichen Unterwerfungsvertrag – als könne man den individuellen Willen dem all-
Unterwerfung (und zwar im Fall der Kirche als gemeinen Willen unterwerfen und ihn als Gesetz
freiwillige Unterwerfung) unter den allgemei- anerkennen; es sei aber »gegen die Natur der
nen, durch den Souverän ausgedrückten Willen Meinung«, die eigene Meinung einer Stimmen-
des geistlichen Staates; dieser wird dadurch mehrheit zu unterwerfen. Ein gesellschaftlicher
»eine von bürgerlichen ganz unabhängige Quelle Vertrag in Glaubensachen sei deshalb »ganz null
von Rechten und Pflichten«. Hegel faßt sie unter und nichtig«. Dies gelte auch für Konzilsbe-
dem Titel »reines Kirchenrecht« zusammen und schlüsse, die mit Stimmenmehrheit über Glau-
betont ausdrücklich, daß dieses Recht – schon bensfragen entscheiden wollen, selbst wenn die
wegen seiner vertragsrechtlichen Begründung – Versammlungen, wie in der Frühzeit, repräsen-
die »natürlichen Rechte jedes Menschen« nicht tativen Charakter haben, geschweige denn später
beeinträchtige (GW 1.315). (GW 1.328 f.).
(3) Probleme ergeben sich jedoch daraus, daß (5) Die freie Religionsausübung bezeichnet
der Kirche dieses reine Kirchenrecht nicht ge- Hegel hier als ein Recht, das dem Menschen
nügt. Sie verbindet sich mit dem Staat, obgleich nicht erst als Mitglied einer Kirche, sondern als
reines Kirchenrecht und bürgerliches Recht un- Staatsbürger zukomme, ja als »ein Menschen-
terschiedlichen Gesetzgebungen folgen. Aus ih- recht, das durch keinen Eintritt, in welche Art
rer Nivellierung entsteht das »vermischte Kir- von Gesellschaft es sei, aufgegeben werden kan«
74 II. Werk

– als »das unveraüsserliche MenschenRecht« auf Lebensweise, Kleidung und Nahrung, ihrer Ge-
Selbstgesetzgebung (GW 1.335,351). Er lobt des- wohnheiten, Geschäftstüchtigkeit, ihrer politi-
halb – hier wie noch 1830 – die Fürsten, die bei schen Rechte und Sprache, durchflochten mit
der Überreichung der Confessio Augustana ästhetischen Urteilen, historischen Erinnerungen
(1530, s. 310) für dieses Recht der freien Reli- an Wilhelm Tell und belehrenden Hinweisen auf
gionsausübung eingetreten seien. Hegel artiku- die Käsezubereitung oder die Anstrengungen zur
liert bereits hier die eigentümliche geschichtliche Lawinensicherung.
Grunderfahrung des deutschen Protestantismus (2) Diese Wanderung dürfte Hegel im Blick auf
und insbesondere des Luthertums, daß der seinen bevorstehenden Abschied von Bern unter-
Schutz der freien Religionsausübung und damit nommen haben, denn zu dieser Zeit hat Höl-
auch der Denkfreiheit bei den staatlichen In- derlin ihm bereits die erste Nachricht von der
stanzen weit besser aufgehoben sei als auf Seiten Hofmeisterstelle im Hause Gogel zukommen las-
der Kirche. Aus dieser Erfahrung speist sich auch sen. Am 25. Juli 1796 bricht Hegel morgens in
seine spätere Option für den Staat als den Garan- Bern »mit drei sächsischen Hofmeistern, T h o -
ten der Freiheit. Der Grundfehler des Systems m a s , S t o l d e und H o h e n b a u m« auf. Thomas
der Kirche sei »die Verkennung der Rechte einer war Hauslehrer bei Johann Rudolf Steiger, dem
jeden Fähigkeit des menschlichen Geistes, be- Bruder von Hegels Dienstherrn; sonst ist über
sonders der ersten unter ihnen, der Vernunft« – Hegels Beziehung zu ihnen nichts bekannt. Der
und dem entsprechend könne das kirchliche Sy- Weg folgt weitgehend der von Christoph Meiners
stem nur eines »der Verachtung der Menschen in seinen Briefen über die Schweiz beschriebenen
sein« (GW 1.349). Weil die Kirche auf die Ge- Reiseroute; Meiners Berichte und Hinweise wer-
sinnungen wirken wolle, unterdrücke sie die den nach Möglichkeit geprüft und teils bestätigt,
Freiheit des Willens; sie lehre die bürgerliche teils modifiziert oder gar durch die Mitteilung
Freiheit und den Genuß des Lebens »als Koth eines Scherzgedichts aus einem Hüttenbuch kor-
gegen die himmlischen Güter verachten« (so rigiert. Insgesamt ziehen Meiners Briefe sich wie
dürfte der Satz entgegen GW 1.345 zu lesen sein), ein roter Faden durch Hegels Darstellung.
und damit leiste sie dem Despotismus Vorschub – (3) Philosophisch interessant ist diese wegen
womit Hegel gleichsam seine Bemerkung gegen- ihrer Stellung zur Natur. Bereits zu Beginn der
über Schelling konkretisiert, daß Despotismus Reise hat die Enge der Täler für Hegel »etwas
und Kirche unter einer Decke gespielt hätten Einengendes, Beängstigendes«. Das »Gedonner«
(16.4.95; s. 12). der Lütschinen verursacht »zuletzt Langeweile«.
Text: GW 1.306–351. – Literatur: Rosenzweig: Hegel
Vom Staubbach in Lauterbrunnen hingegen sieht
und der Staat (1920), Bd. 1.34–39. er sich – entgegen Meiners, aber als Leser von
Schillers Anmut und Würde (1793) – »völlig be-
friedigt«, denn »das anmutige, zwanglose, freie
2.5. Bericht über eine Alpen- Niederspielen dieses Wasserstaubs« hat »etwas
wanderung (1796) Liebliches« – und dies nicht im Sinne einer
schlechten Idylle: »Indem man nicht eine Macht,
(1) Über Hegels Reise nach Genf unterrichten nur eine große Kraft erblickt, so bleibt der Gedanke
die offiziellen Reisepapiere; über seine einwö- an den Zwang, an das M u ß d e r N a t u r entfernt
chige Wanderung durch das Berner Oberland ins und das Lebendige, immer sich Auflösende, Aus-
Rhonetal und zurück über den Vierwaldstätter einanderspringende, nicht in Eine Masse Ver-
See bis nach Luzern berichtet er hingegen selber einigte, ewig sich Fortregende und Thätige bringt
sehr ausführlich. Rosenkranz hat diesen Bericht vielmehr das Bild eines freien Spieles hervor« –
in Hegels Leben überliefert; seitdem ist er ver- als ob sich hier gleichsam die Notwendigkeit der
schollen. Es handelt sich nicht um Tagebuch- Natur in die Freiheit der Kunst auflöste. Hinge-
Aufzeichnungen, sondern um einen nach der gen bietet die Betrachtung der Gletscher »weiter
Reise geschriebenen, vermutlich mit der Absicht nichts Interessantes dar. Man kann es nur eine
einer Veröffentlichung literarisch stilisierten Be- n e u e A r t v o n S e h e n nennen, d i e a b e r d e m
richt – eine ausgewogene Mischung von Schilde- Geist schlechterdings keine weitere
rungen der Landschaft, ihrer Bewohner, ihrer B e s c h ä f t i g u n g g i b t«; ihr Anblick hat »weder
2. Berner Entwürfe (1795–1796) 75

etwas Großes noch Liebliches«. Und so resumiert auch bei der von den Schiffern erzählten »rühren-
Hegel – in einer Weise, die auf seine Schilderung den Geschichte« handeln, wie die »Kindlein-
des Sitzens auf dem Stuhl Karls des Großen in mord«-Kapelle zu ihrem Namen kam (GW
Aachen (s. 52) vorausweist: »Außer der Befriedi- 1.396 f.).
gung, jetzt einem solchen Gletscher so nahe zu Erstdruck: R 470–490. – Text: GW 1.381–398. – Quelle:
sein, daß ich ihn berührte und sein Eis anblicken Christoph Meiners: Briefe über die Schweiz. T. 1–4.
konnte, habe ich weiter keine gefunden«. Statt Berlin 11784–1790, T. 1–2 2 1788. – Literatur: Ruth und
der Leblosigkeit der Bergwände und Gletscher Dieter Groh: Zur Kulturgeschichte der Natur. Bd. 1:
beeindruckt den Zuschauer Hegel wiederum »das Weltbild und Naturaneignung. Frankfurt am Main
11 991; Hegel: Journal d’un voyage dans les alpes ber-
ewige Leben, die gewaltige Regsamkeit« des
noises (du 25 au 31 juillet). Traduction de Robert
Wasserfalls des Reichenbachs: » i n d i e s e m Legros et Fabienne Verstraeten. Grenoble 1988 (mit
Fa l l e s i e h t e r e w i g d a s g l e i c h e B i l d , Rekonstruktion der Reiseroute und Illustrationen);
und sieht zugleich, daß es nie dasselbe Bondeli: Hegel in Bern (1990), 212–214.
i s t .« Das Andrängen der tosenden Wellen gegen
die Felsen gibt ihm hingegen einen »reinen Be-
griff vom M ü s s e n der Natur« – es fehlt darin das 2.6. Eleusis. An Hölderlin
Moment des freien Spiels. Der Anblick der Fel- (August 1796)
sen, »dieser ewig toten Masen«, erweckt in ihm
lediglich »die einförmige und in die Länge lang- (1) Karl Rosenkranz hat harte, wenn auch nicht
weilige Vorstellung: e s i s t s o .« (GW 1.383–392) ungerechte Urteile über Hegels »seinsollende«
Und so spricht Hegel der Natur nirgends Schön- Gedichte gefällt (R 84). Nicht eingeschlossen in
heit zu, ja nicht einmal Erhabenheit. diese Kritik hat er das »mystische« Gedicht Eleu-
(4) Von einer Ästhetisierung der Natur hält sis, das Hegel, »voll der glühendsten Sehnsucht
Hegel sich ebenso entfernt wie von ihrer Morali- nach dem Freunde«, im August 1796 an Hölderlin
sierung und Theologisierung: sei es in der früh- richtet – obschon auch diese vergleichsweise voll-
neuzeitlichen Form, die die gewaltigen Formen kommenen Verse Hegels überreich an metrischen
der Berge als Folgen des Sündenfalls versteht, sei Sünden sind.
es in der zeitgenössischen, die die Natur als von Das Gedicht erinnert an die in Tübingen ge-
Gott für den Menschen zweckmäßig eingerichtet meinsam verbrachte Zeit, an den »alten Bund«,
begreifen will. Vielmehr könne man an dieser und vor diese Erinnerung schiebt sich die Erwar-
Natur studieren, daß sie die Felsblöcke »zweck- tung des Wiedersehens und der Befestigung des
los« über einander türmt, und auch wenn der alten Bundes, »der freyen Wahrheit nur zu leben,
Mensch dann und wann deren zufällige Lage für Frieden mit der Sazung, die Meinung und Emp-
seine Zwecke zu benutzen weiß, so darf doch findung regelt, nie nie einzugehn«. Geschrieben
selbst » d e r g l ä u b i g s t e T h e o l o g e« es nicht ist es noch im Monat nach der Rückkehr von der
wagen, der trostlos-zwecklosen Natur » d e n Alpenwanderung am Sommersitz der Familie
Zweck der Brauchbarkeit für den Men - Steiger in Tschugg, am Bieler See, dessen »heller
s c h e n zu unterlegen«. Die Bergbewohner zu- Streif« im Gedicht freundlich herüberblinkt.
mindest hätten niemals den Teil der Physikotheo- Hierin schwingt fraglos die Erinnerung an Rous-
logie erfunden, »der dem Stolze des Menschen seau mit, der diese Gegend um den Bieler See
beweist, wie die Natur für seinen Genuß und und die St. Petersinsel nicht mehr verlassen
Wohlleben Alles hinbereitet habe; e i n S t o l z , wollte. Doch steht die Zeitgleichheit mit dem
der zugleich unser Zeitalter charak - Bericht von der Wanderung allen Versuche entge-
t e r i s i r t.« (GW 1.390 f.) Und noch in einer wei- gen, im Gedicht »Naturmystik« finden zu wollen.
teren Hinsicht begleiten Hegels religionsphiloso- Der beherrschende Kontrast ist nicht der zwi-
phische Studien ihn auch auf dieser Wanderung: schen (rousseauistischer) Natur und Gesellschaft,
Immer wenn der »Kindersinn dieser Hirtenvöl- sondern zwischen dem »langweiligen Lärmen«
ker« an Naturgestaltungen einen Mythos an- des Tages und der »Befreierin Nacht«; es ist mehr
knüpft, so bringt doch »die christliche Einbil- »Hymne an die Nacht« als »Naturhymnus«. Den
dungskraft nichts als eine a b g e s c h m a c k t e Gegensatz zwischen der Geschäftigkeit des Tages
L e g e n d e« hervor – und darum dürfte es sich und der Ruhe und Freiheit der Nacht setzt Hegel
76 II. Werk

in Parallele mit dem Gegensatz zwischen dem 3. Frankfurter Entwürfe


Schweigen des von der hohen Lehre erfüllten (1797–1800)
Mysten und dem jetzt alles erfüllenden »hohlen
Wörterkram« der neueren Ewigtoten – in einer 3.1. Das älteste Systemprogramm
Schillers Die Götter Griechenlands nachempfun-
des deutschen Idealismus
denen Klage über den Verlust der schönen Welt.
(2) Bei seiner Erstedition dieses Gedichts hat (1) Unter diesen Titel hat Franz Rosenzweig in
Rosenkranz nicht eigens darauf hingewiesen, daß seiner Erstedition das in Hegels Handschrift vor-
er es gemeinsam mit den anderen Manuskripten liegende Fragment eine Ethik. gestellt. Es wird
aus Hegels Nachlaß erhalten habe. Doch gehörte hier als erster Text der Frankfurter Zeit Hegels
es in diesen Nachlaß, und deshalb ist es wahr- behandelt, obgleich es nicht als gesichert gelten
scheinlich, daß Hegel das Gedicht zwar »An Höl- kann, daß es dort entstanden sei. Gesichert ist
derlin« gerichtet, ihm aber gar nicht gesandt nicht einmal, daß Hegel nicht nur der Schreiber
habe. Die freimaurerische »klandestine Kommu- dieses Fragments, sondern auch sein Verfasser
nikation« (Bondeli 1990, 67, im Blick auf sei. Rosenzweig spricht es Hegel ab und nimmt es
d’Hondt) hat somit wahrscheinlich gar nicht für Schelling in Anspruch – schon wegen des
stattgefunden; die Hölderlin zugedachte doppelt »jugendlich-sieghaften Tons«, den 1796 in
verschlüsselte Warnung, nicht so unvorsichtig zu Deutschland nur einer gehabt habe, und auch
schreiben (Bertaux 1969, 111 f.), ist nie an ihren wegen der sorglos-stolzen Programmatik »ich
Adressaten abgegangen. Es gibt auch weder von werde« (wobei der Wunsch des Anti-Hegelianers,
Hegels noch von Hölderlins Seite einen Hinweis durch gleichsam höhere Fügung ein Schelling-
darauf, daß dieser eine Abschrift des Gedichts Manuskript zu entdecken, nicht ganz unbeteiligt
erhalten habe, und die einzige Stelle, an der ist). Adolf Allwohn und Kurt Schilling bezweifeln
Eleusis kurz anklingt, deutet auf das Gegenteil: In die gedankliche Zuordnung zu Schelling, insbe-
dem Brief vom November 1796, in dem er Höl- sondere zum Zeitpunkt 1796; Wilhelm Böhm
derlin hocherfreut sein Kommen zusagt (aber nimmt aus gleichem Grund das Systemprogramm
dennoch eine Reihe von finanziellen Regelungen für Hölderlin in Anspruch, und Ludwig Strauss
anspricht), schreibt Hegel: »Wie viel Anteil an sucht Böhm zu widerlegen (worauf dieser jedoch
meiner geschwinden Entschließung die Sehn- repliziert) und optiert wiederum für Rosenzweigs
sucht nach Dir habe, wie mir das Bild unseres Zuweisung des Textes an Schelling. Nach län-
Wiedersehens, der frohen Zukunft, mit Dir zu gerer Pause im Verfasserstreit plädiert Otto Pög-
sein, diese Zwischenzeit vor Augen schweben geler für Hegel auch als Verfasser, und auf einer
würde – davon nichts.« 1969 zur Klärung veranstalteten Tagung votieren
Hermann Braun und Xavier Tilliette wiederum
Erstdruck: Rosenkranz: Aus Hegels Leben. In: R. E.
Prutz (Hg.): Literarhistorisches Taschenbuch. Bd. 1.
für Schelling, Friedrich Strack für Hölderlin,
Leipzig 1843, 89–200, hier 94–102; vgl. R 78–80. – Text: während Klaus Düsing und Otto Pöggeler (wie
GW 1.399–402. – Literatur: Johannes Hoffmeister: He- später auch Michael Franz) wiederum für Hegel
gels Eleusis. Eine geistesgeschichtliche Studie über die eintreten. Frank-Peter Hansen schließt sich dem
Erlebnisgrundlagen der Hegelschen Philosophie. In: in seiner ausführlichen Darstellung der Rezep-
Geisteskultur 40 (1931), 209–226; Jacques d’Hondt: tionsgeschichte und Interpretation an, zieht je-
Hegel secret. Recherches sur les sources cachées de la
pensée de Hegel. Paris 1968, 227–281; deutsch:
doch die bisher einmütig angenommene Datie-
193–237; Bertaux: Hölderlin und die Französische Re- rung 1796/97 in Zweifel und plädiert für Früh-
volution (1969); Manfred Züfle: Prosa der Welt. Die jahr/Sommer 1795. In den letzten Jahren werden
Sprache Hegels. Einsiedeln [1968], 269–301; Herbert die alten Optionen von einer neuen Generation
Anton: »Eleusis«. Hegel an Hölderlin. In: Hölderlin-Jb wieder neu gehandelt, teils auch mit neuen Argu-
19/20 (1975–77), 285–302; Jamme: »Ein ungelehrtes menten gestützt: Eckart Förster votiert für Höl-
Buch« (1983), 133–138; Bondeli: Hegel in Bern (1990),
72–83.
derlin, Manfred Baum für Schelling, Helmut
Hühn, Hubertus Busche und Violetta Waibel für
Hegel. Und selbst in der – für Rosenzweig noch in
der göttlichen Ökonomie begründeten – Prä-
misse, daß nur einer der drei Genannten der
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 77

Verfasser sein könne, besteht heute keine Einmü- stamme »Aus Friedrich Försters Nachlaß«, also
tigkeit mehr – wenn auch der Versuch, es Fried- des Hegelschülers, der – gemeinsam mit Ludwig
rich Schlegel zuzuschreiben, wenig überzeugend Boumann – im Rahmen der Freundesvereinsaus-
ist. Dennoch sollte die kürzlich erfolgte über- gabe die Vermischten Schriften zu edieren und als
raschende Aufklärung der lange umstrittenen Au- erster den gesamten schriftlichen Nachlaß Hegels
torschaft Klingers an den Nachtwachen des Bona- in Händen hatte. Dabei hat er die meisten der von
ventura etwas zur Vorsicht gegenüber einer engen ihm edierten Stücke behalten (was damals durch-
Begrenzung des Kreises der möglichen Verfasser aus nicht unüblich ist); sie sind zu Beginn des 20.
mahnen. Jahrhunderts, kurz vor dem Systemprogramm,
(2) Der Streit über die Verfasserfrage ist – nach ebenfalls aus seinem Nachlaß in den Autogra-
nunmehr bald einem Jahrhundert – noch nicht phenhandel gelangt.
beigelegt; gleichwohl ist er nicht vergebens ge- Rosenzweig datiert das Fragment mit den –
führt worden: Er hat die gedankliche Erschlie- durch Herman Nohls Edition der Theologischen
ßung dieses Textes, vor allem aber seines wei- Jugendschriften zur Verfügung gestellten – Mit-
teren Umfelds in einem Maße gefördert, wie es teln der Buchstabenstatistik »mit einer an Sicher-
bei Eindeutigkeit der Urheberschaft schwerlich heit grenzenden Wahrscheinlichkeit vor der Nie-
der Fall gewesen wäre. Er hat auch ein reich derschrift des Gedichtes« Eleusis, nämlich auf die
gefülltes Arsenal philologischer und philosophi- Monate zwischen dem 29.4. (den Schlußpartien
scher Methoden erschlossen: die Nachlaßfor- der Positivitätsschrift) und dem August 1796.
schung, die Analyse des Wasserzeichens, der Diese Datierung erweist sich jetzt als brüchig:
Schrift – einschließlich der Techniken des Ab- Das Fragment ist auf Papier einer Memminger
schreibens von Eigenem oder Fremdem und so- Papiermühle geschrieben, das im Jahr 1796 her-
gar potentieller Hörfehler –, des Stils, des gestellt und nachweislich um die Jahreswende
Sprachrhythmus, der Worthäufigkeit, des biogra- 1796/97 benutzt worden ist. Daß Hegel dieses
phischen und gedanklichen Kontextes, der lite- Papier bereits in Bern verwendet haben könnte,
rarischen Form, der Entwicklungsgeschichte der ist angesichts der damals lokalen Verbreitung von
Verfasserkandidaten und schließlich der theoreti- Papieren sehr unwahrscheinlich. Im Brief an Na-
schen Potentiale für die Entwicklung philoso- nette Endel vom 22.3.97 erinnert Hegel sich,
phischer Systeme. Stark beeinträchtigt wurden »durch Memmingen gereist zu sein« – vermutlich
diese Forschungen dadurch, daß das Manuskript Ende 1796 auf der Rückreise von Bern nach Stutt-
in Folge der durch den 2. Weltkrieg bedingten gart; dabei könnte er das Papier erworben haben.
Ereignisse bis vor kurzem nicht zugänglich war Es ist aber nicht auszuschließen, daß es nur we-
und durch eine Photographie aus dem Besitz von nige Tage später auch im – näher an Memmingen
Rosenzweig (später von Ludwig Strauss und gelegenen – Stuttgart erhältlich war. Hierauf deu-
Martin Buber) vertreten werden mußte. Erst seit tet, daß Hegel bereits für ein frühes Tübinger
knapp zwei Jahrzehnten ist es in der Biblioteka Notizenblatt (GW 1.80) – älteres – Memminger
Jagiellonska, Krakow, mit den anderen Bestän- Papier verwendet.
den der Handschriftenabteilung der ehemaligen (3) Der Text beginnt fragmentarisch – auch
Preußischen Staatsbibliothek, wieder zugänglich. wenn es den Anschein hat, als sei sein Gedanken-
So konnten die erforderlichen Schritte der For- gang auf diesem Blatt vollständig erhalten. Die
schung nicht in der natürlichen Reihenfolge beiden ersten Worte »eine Ethik.« bilden deutlich
durchgeführt werden; wichtige Informationen den Schluß eines vorhergehenden Satzes. Es gibt
sind erst in den beiden letzten Jahrzehnten be- keinen Anlaß, sie als Titel zu lesen, und ebenso-
kannt geworden. wenig für die Annahme, Hegel habe seine Nie-
Das Blatt ist im März 1913 bei einer Verstei- derschrift mit diesen Worten erst begonnen. Man
gerung der Autographenfirma Leo Liepmanns- könnte diese Annahme darauf stützen wollen,
sohn angeboten und von der Königlichen Biblio- daß Hegel das – jetzt vorhandene – einzelne Blatt
thek zu Berlin, der nachmaligen Preußischen wahrscheinlich erst nach dessen Abtrennung am
Staatsbibliothek, erworben worden. Dieter Hen- linken Rande von einem damit zusammenhän-
rich hat herausgefunden, daß das Handexemplar genden Blatt beschrieben hat. Denn es ist ohne
des Lagerkatalogs vermerkt, das Manuskript Textverlust abgetrennt, obgleich es ohne Rand
78 II. Werk

beschrieben ist. Doch kann der Beginn des Textes schichte« verso Z. 9, da man den hierfür ursäch-
auf einem beliebigen anderen Blatt gestanden lichen Vorgriff auf das darunterstehende Wort
haben, das später entweder von Hegel oder von ebensogut als Lesefehler des Diktierenden ver-
Förster oder einem Dritten aus unbekanntem stehen kann.
Grund vernichtet worden ist. Auch weitere Verfahren haben bislang nicht zu
Einmütigkeit bestand bis vor kurzem darüber, einer eindeutigen Zuschreibung geführt. Xavier
daß es sich bei dem – in der für Hegel atypischen Tilliette – der die rauhe Hand Esau-Hegels zu
Weise ohne Rand geschriebenen – Fragment sehen und die lautere Stimme Jakob-Schellings
nicht um einen Entwurf handle, sondern um eine zu hören glaubt – sucht die philosophische Argu-
Abschrift; es zeigt mehrere Fehler, die sich als mentation für die Urheberschaft Schellings durch
Abschriftfehler interpretieren lassen. Rosen- einen wortstatistischen Vergleich zwischen Hegel
zweig hat darüber hinaus (und nicht sehr über- und Schelling zu untermauern, der, wenn auch
zeugend) einen leicht vergrößerten Wortabstand nicht eindeutig, zu Gunsten des letzteren ausfällt;
und ein (unnötiger Weise gestrichenes) Komma eine von Friedhelm Nicolin mitgeteilte ältere
so gedeutet, daß Hegel seine Vorlage sorgfältiger Statistik des Sprachrhythmus spricht hingegen
bewahren wollte, als es bei einer Abschrift von für Hegel. – Das nicht-philosophische Instru-
Eigenem der Fall zu sein pflegt. Hieraus hat er mentarium für eine Zuschreibung dürfte damit –
geschlossen, Hegel habe hier eine fremde Ur- ohne eindeutiges Resultat – ausgeschöpft sein.
schrift abgeschrieben – die ihn auch dazu an- (4) Dem Streit um die Verfasserschaft steht
geregt habe, für ihn damals nicht-typische s- hingegen eine weitgehende Einmütigkeit in der
Formen zu verwenden. philosophischen Beurteilung des Textes gegen-
Der Reinschriftcharakter des Blattes und die über. Das Systemprogramm stammt aus einem
Suche nach dem Verfasser haben eigentümlicher theoretischen Umfeld, wie es etwa durch das
Weise die Textkritik in den Hintergrund treten Tübinger Stift bestellt ist; es wendet sich (»Ihr
lassen, obgleich das Systemprogramm wohl der seht …«) an einen Kreis von Rezipienten, der mit
meistedierte Text dieser Epoche ist. Zwei wich- der Kantischen – und durch Schiller erweiterten
tige Emendationen hat Dieter Bremer erst jüngst – Problemlage vertraut ist. Als programmatische
beigesteuert: Statt des Anakoluths recto Z. 33–34 Selbstdarstellung in einem Kreis, der auch mit
»Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der den Diskussionen um Fichtes Wissenschaftslehre
Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein vertraut ist, wäre es zumindest deplaziert. Entge-
ästhetischer Akt ist«, muß verstanden werden: gen Rosenzweigs Ansicht ist es nicht bloß nicht
» … daß der höchste Akt der Vernunft, der, in das älteste Systemprogramm des deutschen Idea-
dem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer ist«. lismus, sondern eigentlich gar kein Systempro-
Plausibel ist auch sein Vorschlag, verso Z. 23–25 gramm – eher ein philosophisches Agitations-
statt »die Mythologie muß philosophisch werden, programm oder zumindest die bloße Ankündi-
und das Volk vernünftig, und die Philosophie gung dessen, was der Verfasser auszuführen ge-
muß mythologisch werden, um die Philosophen denkt, ohne daß die Mittel erkennbar wären, die
sinnlich zu machen«, den Parallelismus herzu- ihm für eine systematische Durchführung zu Ge-
stellen: »die Mythologie muß philosophisch wer- bote stehen.
den, um das Volk vernünftig, und die Philosophie Dieter Henrich hat die Doppelbödigkeit des
muß mythologisch werden, um …«. Beide Vor- Systemprogramms herausgestellt: Es bedient sich
schläge überzeugen auch unabhängig von Bre- einer an Kant angelehnten Begrifflichkeit, um ein
mers Begründung, daß es sich hier nicht um philosophisches Programm zu entwickeln, das
Abschreibefehler, sondern um Hörfehler Hegels nicht auf Kants Boden angesiedelt werden kann.
handle – wofür er auch noch den Wechsel von Da alle Metaphysik künftig in die Moral falle –
Klein- zu Großschreibung bei »So müssen end- »wovon Kant mit seinen beiden praktischen Po-
lich aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand stulaten nur ein Beispiel gegeben« (übrigens eine
reichen« (verso Z. 22–23) anführt. Alle bisher als Mißdeutung Kants) –, entwirft das Systempro-
Abschreibefehler aufgefaßten Verschreibungen gramm eine Ethik als vollständiges System aller
lassen sich auch als Hörfehler deuten – selbst Ideen oder aller praktischen Postulate. Die erste
(gegen Rosenzweig) die Streichung von »Ge- Idee sei »die Vorstellung von m i r s e l b s t , als
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 79

einem absolut freien Wesen«, mit der zugleich gen die Zuschreibung. Die mit hohem und mitt-
»eine ganze Welt« aus dem Nichts hervortrete. lerweile wohl erschöpfendem argumentativen
Von hier aus will der Verfasser »auf die Felder der Aufwand vorgetragenen Analysen sind deshalb
Physik herabsteigen« und die Frage beantworten: jeweils dort überzeugend, wo sie nachweisen,
»Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen daß ein Begriff oder Gedankengang des System-
beschaffen sein?« Von der Natur will er »aufs programms mit der Entwicklungsgeschichte ei-
Menschenwerk« übergehen, zur »Idee der nes der zur Diskussion stehenden Verfasser zur
Menschheit« – und zeigen, daß es vom Staat fraglichen Zeit unvereinbar sei – wobei freilich zu
keine Idee gebe, weil der Staat etwas Mecha- berücksichtigen ist, daß der Jahreswechsel
nisches sei und freie Menschen nur wie »Räder- 1796/97 als Terminus ante quem auch ein frü-
werk« behandle; er will »die Prinzipien für eine heres Entstehen der Vorlage der Niederschrift
G e s c h i c h t e d e r M e n s c h h e i t niederlegen, (oder des Diktats) keineswegs ausschließt. Denn
das ganze elende Menschenwerk von Staat, Ver- zum Jahreswechsel 1796/97 haben sowohl Schel-
fassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die ling als auch Hölderlin in ihren theoretischen
Haut entblößen« und sodann auf »die Ideen von Entwürfen sowohl eine Fragestellung als auch ein
einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblich- Instrumentarium zu ihrer Beantwortung ausge-
keit« zu sprechen kommen – und auf den »Um- bildet, die den Stand des Systemprogramms
sturz alles Afterglaubens« und des Vernunft heu- deutlich hinter sich lassen. Gegen Hegels Ver-
chelnden Priestertums »durch die Vernunft fasserschaft spricht trotz mancher Elemente, die
selbst«. Der höchste Akt der Vernunft, der, in dem sich in sein Denken einfügen, nach wie vor der
(so die Konjektur Bremers) sie alle Ideen umfaßt, Stil, in dem das Systemprogramm abgefaßt ist.
sei ein ästhetischer; die höchste Idee, die alle Und auch die Absicht des Verfassers, »das ganze
anderen vereinigt, sei die Idee der Schönheit. – elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Re-
Damit endet die eigentliche Skizze des Systems, gierung, Gesetzgebung bis auf die Haut [zu] ent-
und der Verfasser leitet auf sein volkspädago- blößen«, steht – trotz der zeitüblich-neutralen
gisches Anliegen über: auf die Vermittlung des Erwähnung der »Staatsmaschine« (vgl. GW
Monotheismus der Vernunft und des Herzens mit 1.369) – so sehr im Widerspruch zu allen Zeug-
dem Polytheismus der Einbildungskraft und der nissen über sein Staatsdenken und insbesondere
Kunst (vgl. zu Goethe PLS 3/1.324 f.) – und auf zu seinem Interesse an der Entwicklung in Frank-
die Forderung einer »neuen Mythologie«, die reich, die sich ja in den Verfassungen wider-
eine »Mythologie der Vernunft« sein müsse, um spiegelt, daß er aus dem Kreise der potentiellen
das Volk vernünftig und die Philosophen sinnlich Verfasser ausscheidet. Auch das heutige Wissen
zu machen. über den Diskussionsstand der Mitte der 1790er
(5) Die vielfältigen Bemühungen um das Sy- Jahre ist noch nicht detailliert und umfassend
stemprogramm haben – mit der Korrektur der genug, um das vom Systemprogramm aufgege-
Datierung und der Aufklärung der Herkunft des bene Rätsel zu lösen.
Manuskripts aus dem Hegel-Nachlaß – zwei Erstdruck: Das älteste Systemprogramm des deutschen
wichtige Resultate erbracht. Ferner haben sie die Idealismus. Ein handschriftlicher Fund. Mitgeteilt von
Unzuverlässigkeit der Datierung kurzer Manu- Franz Rosenzweig. Heidelberg 1917 (Sitzungsberichte
skripte mittels buchstabenstatistischer Methoden der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-
erneut in Erinnerung gerufen – zu Gunsten der hist. Klasse 1917, Abh. 5). – Text: u. a. GW 2. – Lite-
ratur: Wilhelm Böhm: Hölderlin als Verfasser des »Äl-
Wasserzeichenanalyse. Die Debatte um die Ver-
testen Systemprogramms des deutschen Idealismus«.
fasserfrage haben sie aber nicht entscheiden, ja In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissen-
kaum beeinflussen können; hierzu bedarf es in- schaft und Geistesgeschichte 4 (1926), 339–426; Adolf
haltlicher Argumente. Erschwert wird die Zu- Allwohn: Der Mythos bei Schelling. Berlin 1927 (Kant-
schreibung jedoch durch eine in der Sache lie- Studien, Ergänzungsheft 61), ND Vaduz 1978; Ludwig
gende Asymmetrie: Daß ein im Systemprogramm Strauss: Hölderlins Anteil an Schellings frühem Sy-
stemprogramm. In: Deutsche Vierteljahrsschrift […] 5
ausgedrückter Gedanke sich in die Denkentwick-
(1927), 679–734; Böhm: Zum »Systemprogramm«:
lung eines potentiellen Verfassers einfügt, reicht Eine Erwiderung. Ebd. 734–743; Otto Burger: »Eine
für die Zuschreibung nicht aus; daß er sich nicht Idee, die noch in keines Menschen Sinn gekommen
einfügt, ist jedoch ein hinreichender Grund ge- ist.« (Ästhetische Religion in deutscher Klassik und
80 II. Werk

Romantik). In: Albert Fuchs und Helmut Motekat aller Ideen«. Zum ältesten Systemprogramm des deut-
(Hg.): Stoffe, Formen, Strukturen. Studien zur deut- schen Idealismus, ebd. 341–363.
schen Literatur. München 1962, 1–20; Otto Pöggeler:
Hegel, der Verfasser des Ältesten Systemprogramms
des Deutschen Idealismus. HSB 4 (1969), 17–32; Bub- 3.2. Vertrauliche Briefe über das
ner (Hg.): Das älteste Systemprogramm (1973); Pögge- vormalige staatsrechtliche Verhältniß
ler: Hölderlin, Hegel und das älteste Systemprogramm.
In: HSB 9 (1973); Bernhard Dinkel: Der junge Hegel des Waadtlandes (Pays de Vaud) zur
und die Aufhebung des subjektiven Idealismus. Bonn Stadt Bern
1974, 215–244; Michael Franz: Hölderlin und das »Äl-
teste Systemprogramm des deutschen Idealismus«. In: (1) Auch die zweite »Frankfurter« Arbeit Hegels
Hölderlin-Jb 19/20 (1975/77), 328–357; Friedhelm Ni- ist nur mit Einschränkungen dieser Periode zuzu-
colin: Aus der Überlieferungs- und Diskussionsge-
schichte des Ältesten Systemprogramms. HS 12 (1977),
rechnen: seine anonyme Veröffentlichung der
29–42; Friedrich Strack: Nachtrag zum »Systempro- Vertraulichen Briefe, einer kommentierten Über-
gramm« und zu Hölderlins Philosophie. In: Hölderlin- setzung der Lettres de Jean-Jacques Cart à Ber-
Jb 21 (1978/79), 67–87; Manfred Frank: Die Dichtung nard Demuralt, Trésorier du Pays de Vaud, sur le
als »Neue Mythologie«. In: Recherches Germaniques 9 droit public de ce Pays, et sur les événemens
(1979), 122–140, ND in Karl-Heinz Bohrer (Hg.): My- actuels, Paris 1793. In den Auseinandersetzungen
thos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruk-
tion. Frankfurt am Main 1983, 15–40; Klaus Düsing:
um seine politische Philosophie im 19. Jahr-
Ästhetischer Platonismus bei Hölderlin und Hegel. In: hundert ist diese erste Veröffentlichung Hegels
Christoph Jamme / Otto Pöggeler (Hg.): Homburg vor unbekannt; erst Hugo Falkenheim macht 1909
der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Stuttgart einen »anspruchslosen, aber nicht ganz uninter-
1981, 101–117; Frank: Der kommende Gott. Vorlesun- essanten Fund«: Die Bücherverzeichnisse von
gen über die Neue Mythologie. 1. Teil. Frankfurt am Meusel (1805) und Kayser (1834/35) schreiben
Main 1982, 153–187; Christoph Jamme / Helmut
Schneider (Hg.): Mythologie der Vernunft. Hegels Ȋl-
diese Schrift Hegel als Herausgeber zu. Als wei-
testes Systemprogramm« des deutschen Idealismus. teren Beleg für seine Herausgeberschaft führt
Frankfurt am Main 1984; Bernhard Dinkel: Neuere Falkenheim die Analogie zwischen dem Spott
Diskussionen um das sog. »Älteste Systemprogramm über das Verfahren der Wahlen zum Großen Rat
des deutschen Idealismus«. PhJb 94 (1987), 342–361; (in der Anmerkung, S. 194–198) mit Hegels Brief
Jamme: Ideen und Mythos. Replik zu B. Dinkel: an Schelling vom 16.4.95 an (s. 10). Inzwischen
Neuere Diskussionen um das sog. Ȁlteste System-
programm des deutschen Idealismus«. PhJb 95 (1988),
sind weitere Indizien für die Richtigkeit der Zu-
371–375; Frank-Peter Hansen: »Das älteste System- schreibung hinzugetreten: die Verzeichnung die-
programm des deutschen Idealismus«. Rezeptionsge- ser Schrift im Versteigerungskatalog der Biblio-
schichte und Interpretation. Berlin / New York 1989; thek Hegels (Nrr. 1219–1221) und seine Exzerpte
Jamme: »Ist denn Judäa der Tuiskonen Vaterland?« Die zum Berner Staatswesen (GW 3.221–233).
Mythos-Auffassung des jungen Hegel (1787–1807). PLS (2) Carts Schrift hat Hegel fraglos in Bern
1.137–158; Ulrich Stadler: System und Systemlosigkeit.
Bemerkungen zu einer Darstellungsform im Umkreis
kennengelernt, und auch die Materialien für
idealistischer Philosophie und frühromantischer Lite- seine Anmerkungen haben ihm eher in Bern und
ratur. Ebd. 52–68; Eckart Förster: »To Lend Wings to Tschugg als in Frankfurt zur Verfügung gestan-
Physics Once Again«: Hölderlin and the »Oldest Sy- den; da die genannten Exzerpte auf Berner Papier
stem-Programm« of German Idealism. In: European geschrieben sind, wird Hegel auch die Anmer-
Journal of Philosophy 3 (1995), 174–198; Helmut kungen in Bern abgefaßt haben. Es fehlt aller-
Hühn: Mnemosyne. Zeit und Erinnerung in Hölderlins
Denken. Stuttgart / Weimar 1997, 106–110; Dieter Bre-
dings jeder sekundäre Hinweis auf den Plan zu
mer: Zum Text des sogenannten ältesten Systempro- dieser Veröffentlichung, so daß nicht mehr zu
gramms des deutschen Idealismus. In: Hölderlin-Jb 30 entscheiden ist, ob er seine Arbeiten bereits in
(1996/97), 432–438; Hubertus Busche: Hegels frühes Bern abgeschlossen habe. Eine Publikation war
Interesse an einer Mythologie der Vernunft – Zur Vorge- dort freilich ausgeschlossen, da bereits die Lek-
schichte des ›Ältesten Systemprogramms‹. In: Bondeli türe des französischen Originals verboten war.
/ Linneweber-Lammerskitten (Hg.): Hegels Denkent-
wicklung in der Berner und Frankfurter Zeit (1999),
(3) Hegel übersetzt Carts Schrift nicht bloß, er
295–320; Manfred Baum: Nochmals: Zum Ältesten Sy- verschärft ihre Wirkung durch Kürzungen – nicht
stemprogramm des deutschen Idealismus, ebd. allein persönlicher Schlußwendungen, sondern
321–340; Violetta L. Waibel: »ein vollständiges System bis hin zur Streichung der Briefe 8 und 9 des
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 81

Originals. Statt dessen fügt er ihr Anmerkungen sprichwörtlichen Berner Stolz und Hochmut des
hinzu – teils als Fußnoten, teils ausführlicher am Patriziats. Strahm ist dem unter Hinweis auf die
Ende eines der zwölf Briefe. Sie betreffen in freundliche und noble Atmosphäre im Hause
thematischer Übereinstimmung mit dem Inhalt Steiger und auf die Distanz von Hegels Dienst-
der Briefe sowohl Details der Schweizer Ge- herrn zum Berner Patriziat entgegengetreten; er
schichte (für die Hegel sich unter anderem auf deutet Hegels Schrift eher als Nachhall des Stei-
den von ihm auch exzerpierten François Seigneux gerschen »Familiengrolls gegen das Regiment in
sowie auf Johannes v. Müller stützt) als auch Bern« – vermutlich eine Übertreibung nach der
Einzelheiten des Abgabenwesens und die Zusam- gegenteiligen Seite, zumal es keinen Hinweis
mensetzung des Großen wie des Kleinen Rats darauf gibt, daß Hegel sich dem Haus Steiger so
und schließlich die als Mittel politischer Repres- verbunden gefühlt hätte, daß er in dessen Inter-
sion eingesetzten Verfahrensweisen bei der Ein- esse die Bearbeitung der Schrift Carts auf sich
quartierung der Berner Truppen in der Waadt genommen hätte.
(1791/92). Hierdurch vertieft Hegel mit wenigen Weit näher liegen die von Falkenheim genann-
Strichen das von Cart entworfene Bild der Berner ten politischen Gründe: Hegels publizistischer
Oligarchie, die das sogenannte »alte Recht« der Kampf gegen eine Staatsform, die eine Politik
Waadt allenthalben verletzt. Nur dort, wo Cart fördert, die unter dem Deckmantel freiheitlicher
einen Zusammenhang zwischen der englischen Elemente und des Rechts noch unter das Niveau
Freiheit und der Selbstbesteuerung herstellt, der Intrigen an Fürstenhöfen zurückfällt. Hegel
weicht Hegel von ihm mit dem Hinweis ab, daß offenbart mit dieser Schrift ja nicht einen priva-
»in den letztverflossenen Jahren« (also unter Wil- ten Groll; er greift mit ihr in die politischen
liam Pitt d. J.) die politischen Umstände sich dort Auseinandersetzungen um Bern und die Waadt
so verschlechtert hätten, daß das Volk im Parla- ein. Auf deren Seite stehen Frédéric César de La
ment seine Stimme nicht mehr geltend machen Harpe, das nachmalige Mitglied des Direkto-
könne; hierdurch sei »die Achtung der englischen riums der Helvetischen Republik, und Jean-Jac-
Nation selbst bei vielen ihrer stärksten Bewunde- ques Cart, ein Anwalt, der Anfang 1790 die
rer gesunken« (81) – wobei die Rolle Englands in Rechte eines Teils der Waadt gegen Bern ver-
den Koalitionen gegen Frankreich Hegels kriti- teidigt und im Zuge der entstehenden Unruhen
schen Blick in die englischen Zeitungen (R 85) von Bern proskribiert wird; er flieht im März 1793
geschärft haben dürfte. Ein besonders abschrek- nach Frankreich sowie wegen der Niederlage der
kendes Bild zeichnet Hegel von der in anderen Gironde weiter nach Amerika – wo er aber kei-
Quellen gerühmten Berner Rechtspflege: Es neswegs stirbt, wie das Titelblatt von Hegels
werde noch »torquiert«; das Bekenntnis des De- Schrift, aus Unwissenheit oder um Spuren zu ver-
linquenten sei für ein Todesurteil nicht notwen- wischen, behauptet. Auf der Berner Seite tut sich
dig, Angeklagte würden so eingeschüchtert, daß u. a. Carl Ludwig v. Haller hervor, insbesondere
sie sich selber nicht verteidigten; bis vor kurzem mit seiner auch gegen den zurückgekehrten Cart
habe die öffentliche Verteidigung erst nach dem persönlich gerichteten Polemik in den Helveti-
Urteilsspruch (und ohne Rückwirkung auf die- schen Annalen 1799. Von daher dürfte Hegels
sen) als ein verbales Schaugefecht stattgefunden, Aversion gegen v. Haller datieren, die noch 1821
und nun sei mit der Abschaffung dieser em- in § 219 und § 258 der Grundlinien der Philo-
pörenden Farce auch der noch übrige »Schatten sophie des Rechts zum Ausdruck kommt und sich
eines der schätzbarsten Rechte der Bürger ge- dort mit aktuellen Befürchtungen mischt (s. 274).
sitteter Staaten vertilgt«. Und so werde in keinem (5) Falkenheim macht darauf aufmerksam, daß
Kanton im Verhältnis zur Größe »so viel gehängt, Hegels Schrift bei ihrem Erscheinen »bis zu ei-
gerädert, geköpft, verbrannt« (116–120). nem gewissen Grade« veraltet gewesen sei: durch
(4) Einen Teil der Gründe für die Veröffentli- den Einmarsch der von La Harpe zur Interven-
chung dieser scharfen Anklage der politischen tion in der Schweiz aufgeforderten Franzosen am
Verhältnisse Berns vermutet Falkenheim – und 28.1.98 und die Kapitulation Berns vom 5.3.98.
im Anschluß an ihn Rosenzweig – in »dem Dün- Die Rede vom »vormaligen« Verhältnis und der
kel, der ihm [sc. Hegel] im Kreise des Steiger- »ehemaligen« Oligarchie Bern auf dem Titelblatt
schen Hauses stündlich entgegentrat«, sowie im wie auch Hegels »Vorerinnerung« setzen diese
82 II. Werk

Entwicklungen voraus, so daß man eine nachträg- Hegels Vergessen der (in Bern noch gewürdigten) nord-
liche Änderung des Titels der Schrift vermuten amerikanischen Revolution. Von der Cart-Schrift zu den
Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. In:
muß. Es ist aber nicht auszuschließen, daß Hegel
Schneider / Waszek (Hg.): Hegel in der Schweiz (1997),
sich erst unter dem Eindruck der kriegerischen 207–236; ders.: Der junge Hegel zwischen Revolution
Zuspitzung der Ereignisse und der gesteigerten und Reform. Politische und rechtsphilosophische Op-
öffentlichen Aufmerksamkeit zur Publikation tionen Hegels im Übergang von Bern nach Frankfurt.
entschlossen hat. Denn in den Auseinanderset- In: Bondeli / Linneweber-Lammerskitten (Hg.): He-
zungen Berns mit der Waadt und Frankreich gels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter
Zeit (1999), 251–276.
hätte seine Anprangerung der Berner Politik oh-
nehin neben Carts Original keine Bedeutung er-
langen können. Vordringlich für Hegel dürften 3.3. Erste Württemberg-Schrift
die »Nutzanwendungen« für die deutschen Ver-
hältnisse gewesen sein, von denen er in der »Vor- (1) Von der zweiten politischen Schrift des Jahres
erinnerung« sagt, er brauche sie nicht eigens 1798, der sog. Ersten Württemberg-Schrift (im
auszuführen, da die Begebenheiten der Zeit für Kontrast zur zweiten von 1817), hat bereits Karl
sich laut genug sprächen: »sie schreien laut über Hegel – ausweislich einer Bleistiftnotiz auf dem
die Erde: Discite justitiam moniti, die Tauben Manuskript – nur »Ein Fragment« (R 91: »einige
aber wird ihr Schicksal schwer ergreifen« (vgl. Fragmente«) vorgefunden. Da Hegel diese Schrift
Vergil: Aeneis VI,620). Für diese Beweisabsicht aber – wie Rosenkranz erwähnt – drei Freunden
seiner Schrift ist das Ende der Berner Oligarchie in Stuttgart mitgeteilt hat, ist sie nur durch die
eine notwendige Voraussetzung: Als Beispiel für Überlieferung fragmentarisch – und als Grund
den politischen Erfolg einer zwar nicht nur, aber dafür läßt sich unschwer der politisch brisante
auch publizistisch betriebenen Agitation bildet Inhalt erraten. Rosenkranz teilt den »schönen
Carts Schrift ein Menetekel für die ebenfalls un- Eingang« der Schrift mit; einige weitere Passagen
haltbaren Zustände im absolutistischen Deutsch- ergänzt wenig später Rudolf Haym aus einer ihm
land, denen Hegel hier ein analoges Schicksal vorliegenden Abschrift.
prognostiziert. Rosenkranz berichtet über Änderungen des Ti-
tels der Schrift, jedoch unpräzise und inkorrekt.
Erstdruck und Text: [Anonym:] Vertrauliche Briefe Im Titel »Daß die Magistrate von den Bürgern
über das vormalige staatsrechtliche Verhältniß des
gewählt werden müssen. An das Wirtembergi-
Waadtlandes (Pays de Vaud) zur Stadt Bern. Eine völlige
Aufdekkung der ehemaligen Oligarchie des Standes sche Volk. 1798.« ergänzt er »Magistrate« zu
Bern. Aus dem Französischen eines verstorbenen » W ü r t e m b e r g e r Magistrate«, und er läßt
Schweizers übersezt und mit Anmerkungen versehen. auch nicht erkennen, daß Hegel den Titel seiner
Frankfurt am Main 1798, ND Göttingen 1970; GW 2. – Flugschrift bereits während der Niederschrift
Quellen: GW 3.221–233: Exzerpte zum Berner Staats- dieses Titels zweifach geändert habe: (1) »Daß
wesen; Jean Jacques Cart: Lettres à Bernard Demuralt,
die Stä[nde]« in »Daß die Magistrate«, und (2)
Trésorier du Pays de Vaud, sur le droit public de ce Pays,
et sur les événements actuels. Paris 1793. – Literatur: »vom Vol[k]« in »von den Bürgern«. Als gültigen
Hugo Falkenheim: Eine unbekannte politische Druck- Titel nennt er: »Ueber die neuesten i n n e r e n
schrift Hegels. In: Preußische Jahrbücher 138 (1909), Ve r h ä l t n i s s e W ü r t e m b e r g s , besonders
193–210, ND in Schneider / Waszek (Hg.): Hegel in der über die Magistratsverfassung«. Schon Haym hat
Schweiz (1997), 261–285; Rosenzweig: Hegel und der moniert, daß der Schluß heißen müsse: »über die
Staat (1920), Bd. 1.47–54; Strahm: Aus Hegels Berner
Gebrechen der Magistratsverfassung«. Ferner
Zeit (1932), 514–533, ND in Schneider / Waszek (Hg.):
Hegel in der Schweiz (1997), 287–316; Jacques verdeckt Rosenkranz, daß der erste Titel von
d’Hondt: Hegel secret, 76 ff.; Rolf Konrad Ho čevar: fremder Hand gestrichen und durch den zweiten
Stände und Repräsentation beim jungen Hegel. Ein ersetzt sei. Und auch die Dedikation »An das
Beitrag zu seiner Staats- und Gesellschaftslehre sowie Wirtembergische Volk« ist nicht von Hegel, son-
zur Theorie der Repräsentation. München 1968, dern von der fremden Hand gestrichen und zu-
128–137; Wolfgang Wieland: Nachwort zu: Hegels er-
nächst durch »Wirtembergs Patrioten gewidmet«
ste Druckschrift. Göttingen 1970; Wilhelm Raimund
Beyer: Der »alte Politicus« Hegel. Frankfurt am Main ersetzt, das aber wiederum gestrichen ist. Diese
1980, 14–20: Hegel und die Waadtlandschrift; Bondeli: Änderung des Titels wirft wahrscheinlich Licht
Hegel in Bern (1990), 25–36; Hans-Christian Lucas: nicht auf etwa veränderte politische Umstände,
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 83

sondern auf eine interne Verschiebung in der ben dürfte. Hingegen läßt die Einleitung sowohl
Argumentation der Schrift: von einer politischen offen, ob die unterstellte »Nothwendigkeit einer
Forderung nach Wahl der Magistrate durch die Veränderung« wirklich gegeben ist (R 93; 1842
Bürger zu einer Betrachtung über die inneren wird dies eine Programmformel Ludwig Feuer-
Verhältnisse Württembergs. bachs), und ebenso, wie im gegebenen Fall zu
(2) Auf seinem Weg von Bern nach Frankfurt verfahren sei.
hält Hegel sich zum Jahreswechsel 1796/97 für Im Blick auf die ihm in Abschrift noch vor-
einige Wochen in Stuttgart auf und findet dort liegenden anschließenden Partien attestiert
eine politisch äußerst angespannte Situation vor: Haym jedoch, Hegel habe »mit kundiger Feder«
Zum 22.9.96 beruft der Herzog erstmals seit 1770 die Schwachstellen der Württembergischen Ver-
einen Landtag ein, um neue Steuern bewilligen fassung und die daraus entspringenden Mißbräu-
zu lassen. Sie sind erforderlich, um die an Frank- che analysiert. Seine »kritischen Nachweisun-
reich zu zahlende Kriegsentschädigung aufbrin- gen« seien »schlagend«, seine Reformvorschläge
gen zu können. Die Einberufung des Landtags hingegen blieben in Bedenken stecken, die er
verschärft jedoch nur die ohnehin brisanten Aus- unter Hinweis auf die Unterscheidung des eng-
einandersetzungen: Die früheren Spannungen lischen Oppositionsführers Charles James Fox
zwischen Herzog und »ständischem Ausschuß« zwischen freiheitsgewohnten Engländern (denen
werden nun überlagert durch den erbitterten man weitere Freiheitsrechte zugestehen könne)
Machtkampf zwischen Herzog und Landtag, der und vom Absolutismus verknechteten Franzosen
insbesondere durch den Regierungsantritt von (als Analogon der Württemberger) politisch ab-
Herzog Friedrich Ende 1797 aufs schärfste zuge- sichert: Es sei vielleicht nicht ratsam, »einem
spitzt wird. unaufgeklärten, an blinden Gehorsam gewöhn-
(3) Die noch überlieferten Bruchstücke der ten und von dem Eindruck des Augenblicks ab-
Schrift erlauben keinen klaren Überblick über hängigen Haufen plötzlich die Wahl der Vertreter
Hegels Position im Kontext dieses Konflikts und zu überlassen«. In der herrschenden Situation
der heute in 18 Bänden gesammelten 168 Einzel- »würden Volkswahlen nur dazu dienen, den völli-
schriften der »Landtagspublizistik«, von denen gen Umsturz unserer Verfassung herbeizuführen.
Hegel auch mehrere in seiner Bibliothek hatte Die Hauptsache wäre, das Wahlrecht in die
(Lucas 1983, 80). Für die landesgeschichtliche Hände eines vom Hofe unabhängigen Corps von
Forschung (Hölzle, Vopelius-Holtzendorff) sind aufgeklärten und rechtschaffenen Männern nie-
Hegels Fragmente deshalb allein wegen des derzulegen. Aber ich sehe nicht ein, von welcher
klangvollen Namens ihres Verfassers von Inter- Wahlart man sich eine solche Versammlung ver-
esse. Die von Rosenkranz mitgeteilten Einlei- sprechen könnte, sei es auch, daß man die aktive
tungspartien beschränken sich auf allgemeine Be- und passive Wahlfähigkeit noch so sorgfältig be-
trachtungen. Hierunter fällt auch die bereits aus stimmte.« So sieht Haym einen unaufgelösten
der Cart-Schrift bekannte Forderung, das kleine Kontrast: Die eine Seite der Schrift Hegels bilden
Privatinteresse aufzugeben und » G e r e c h t i g - »die positivsten und detailliertesten Auseinan-
k e i t z u ü b e n« – aber darin sind sich stets alle dersetzungen über den Inhalt und die Konse-
Parteien einig, so lange es nicht zur Konkretion quenzen der alten zwischen Herrschaft und
kommt, was im gegebenen Fall gerecht sei. Landschaft geschlossenen Recesse«, verbunden
Ebenso einmütig werden sich alle gewesen sein mit scharfer Kritik der durch den Herzog korrum-
hinsichtlich des Satzes »Wenn eine Veränderung pierten Spitzen der Beamtenschaft, der Advoka-
geschehen soll, so muß etwas verändert werden«. ten und Konsulenten (vermutlich insbesondere
Hegel glaubt diese »kahle Wahrheit« jedoch aus- des Konsulenten Amandus Stockmayer d. Ä.) und
sprechen zu müssen, um den Unterschied ins auch des Herzogs selbst, »der ex providentia ma-
Bewußtsein zu heben, ob die notwendigen Verän- jorum alle Gewalten in sich vereinigt und für
derungen mit der » A n g s t , d i e m u ß ,« gefühlt seine Anerkennung und Achtung der Menschen-
oder mit dem » M u t , d e r w i l l ,« vollzogen wer- rechte keine Garantie gibt«; die andere Seite
den – eine rhetorische Formel, bei der dem Ken- jedoch bildet das Eingeständnis, keinen Ausweg
ner der Antike Senecas Wort »ducunt volentem zu wissen, »so lange« die Situation so sei, wie sie
fata, nolentem trahunt« vor Augen gestanden ha- sei, und die Hoffnung, daß die geschichtliche
84 II. Werk

Entwicklung selber den Ausweg finden werde, gens nicht andere Einrichtungen in Absicht auf
der sich der prognostischen Kraft des Theoreti- die Gesetzgebung gemacht sind, kommt bei vie-
kers verschließe. Und so resümiert Haym: Hegels len Landtagen gerade so viel heraus, als wenn in
»Forderungen werden stumpf an der Wahrneh- 27 Jahren einmal Einer gehalten wird. Sie sind
mung der tatsächlichen Zustände als der not- nicht viel mehr, als eine neue Last für das ge-
wendigen Bedingungen aller Reformen, und sein täuschte Volk. Auch die Entlassung der Land-
Reformeifer wie sein rednerisches Pathos schlägt stände, welche Sie ganz allgemein hingelegt ha-
in die Resignation des Nichtwissens und in theo- ben, ist eben so nichts weniger, als willkürlich.«
retische Ratlosigkeit um.« Eine ähnliche Kon- Dieser »Rat« offenbart selber eine tiefe Ratlosig-
stellation wird auch noch Hegels letzte politische keit angesichts der verfahrenen innenpolitischen
Schrift – die Reformbill-Schrift (s. 312) – cha- Lage.
rakterisieren. Die innere Problematik wird zudem noch
(4) Über Hegels persönliche Beziehungen zu durch die außenpolitische verstärkt: durch das
anderen Kritikern der Württembergischen Zu- Verhalten der Franzosen, das die württembergi-
stände gibt es wenige sichere Nachrichten außer schen »Patrioten« nur als Verrat empfinden kön-
der allgemeinen Verstrickung auch der Schwester nen. Das Direktorium und Napoleon torpedieren
Hegels in das revolutionäre Umfeld und Hegels einen mit dem Stab General Augereaus abge-
Übermittlung eine konspirativen Briefes (Birkert sprochenen Aufstandsplan (Bertaux 1969, 97),
2008). Zwar ist Sinclair mit Christian Friedrich und auch sonst unterstützen die Franzosen aus
Baz, der beherrschenden Figur der »Patrioten«, militär- und bündnistaktischen Gründen seit
seit Mai 1798 befreundet – aber da dürfte Hegels 1796 die revolutionären Strömungen nicht mehr;
Schrift zumindest nahezu vollendet gewesen statt dessen ist ihr Interesse beim Frieden von
sein. Sicherlich werden Sinclair, Hölderlin und Campo Formio wie auf dem Rastatter Kongreß
Hegel über diese alle bewegenden Fragen ge- gänzlich auf den Ländererwerb, zunächst auf das
sprochen haben – aber diese Annahme bleibt linke Rheinufer, gerichtet. Deshalb heißt es im
inhalts- und folgenlos. – Rosenkranz berichtet, Brief an Hegel weiter: »Die Sachwalter der gro-
Hegel habe seine Schrift drei Stuttgarter Freun- ßen Nation haben die heiligsten Rechte der
den mitgeteilt: »Diese gaben ihm noch einige Menschheit der Verachtung und dem Hohn un-
Winke für passende Änderungen, verstärkten serer Feinde Preis gegeben. Ich kenne keine Ra-
noch seine Materialien, rieten aber am Ende, den che, die ihrem Verbrechen angemessen wäre.
Druck zu unterlassen, da die Schrift nicht nur Unter diesen Umständen würde auch die Be-
nichts helfen, vielmehr unter den herrschenden kanntmachung Ihres Aufsatzes für uns mehr ein
Umständen eher schaden würde.« Man muß dar- Übel als eine Wohltat sein.« (R 91) – Es ist
aus auf eine ausführlichere Korrespondenz vielleicht kein Zufall, daß die Rede von den
schließen, die jedoch verloren ist; auch die Na- »Menschenrechten«, deren Hegel sich in seinen
men der Freunde teilt Rosenkranz (aus politi- späteren Berner Manuskripten und auch in der
schen Gründen?) nicht mit. Die Einblicke, die Ersten Württemberg-Schrift (Haym, 67) ganz ge-
diese Korrespondenz gewährt, tragen auch nur läufig bedient, seitdem bei ihm zurücktritt (Arndt
wenig zur Übersicht über das Themenspektrum 2001).
von Hegels Schrift bei – z. B. nichts zu der Frage,
ob er sich über den Anspruch der Stände auf Erstdruck: Fragmentarische Überlieferung durch Ro-
senkranz, R 91–94, und Haym: Hegel und seine Zeit,
selbständige Außenpolitik geäußert habe (in de-
65–68,483–485; Hegel: Kritik der Verfassung Deutsch-
ren Tendenz auf die Vergrößerung Württembergs lands. Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Ver-
die einzige Übereinstimmung mit der Politik des fassers hg. von Georg Mollat. Nebst einer Beilage.
Herzogs gelegen haben dürfte). Nur in einer Hin- Kassel 1893, 138–143. – Text: GW 2. – Literatur: R
sicht erlaubt die Korrespondenz einen Rück- 90–94; Rosenzweig: Hegel und der Staat (1920), Bd.
schluß: Hegel hat wahrscheinlich die Forderung 1.54–63; Erwin Hölzle: Das alte Recht und die Revolu-
tion. München / Berlin 1931, 181–184; Ho čevar: Stände
nach Periodizität des Landtags erhoben, denn
und Repräsentation (1968), 137–147; Bertaux: Hölder-
einer der Freunde äußert sich hierzu am 7.8.98 lin und die Französische Revolution (1969), 96–103;
skeptisch: »So lange« (auch hier begegnet wieder Hans-Christian Lucas: »Sehnsucht nach einem reine-
das von Haym inkriminierte »So lange«) »übri- ren, freieren Zustande«. Hegel und der württembergi-
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 85

sche Verfassungsstreit. In: Jamme / Pöggeler (Hg.): ner Gottheit anschaut (und hierin liegt ein An-
»Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde« (1983), satzpunkt zu einer Religionssoziologie des Noma-
73–103; Barbara Vopelius-Holtzendorff: Das Recht des
dentums, aber auch für eine Feuerbachsche
Volkes auf Revolution? Christian Friedrich Baz und die
Politik der württembergischen Landstände von Projektionstheorie) (N 368–373). Hegel ver-
1797–1800 unter Berücksichtigung von Hegels Frank- gleicht den für Abrahams Schicksal bestimmen-
furter Schrift von 1798. Ebd. 104–134; Andreas Arndt: den Akt der Entzweiung mit dem Schicksal Mac-
Zum Problem der Menschenrechte bei Hegel und beths, das August Wilhelm Schlegels Shake-
Marx. In: Konrad Wegmann u. a. (Hg.): Menschen- speare-Übersetzung damals eindringlich vor Au-
rechte: Rechte und Pflichten in Ost und West. Münster
gen stellt – doch bleibt dieser Akt konstitutiv auch
2001, 213–236; Birkert 2008, 100–124.
für das Volk, das durch ihn begründet wird, und
für dessen Religion. Wie Abraham die Bezie-
3.4. »Der Geist des Christentums« hungen zu seinen Mitmenschen und zur Natur
und Verwandtes (1797–1799) zerreißt, weil er nicht lieben will, so verharrt
auch sein Volk in »strenger Entgegensetzung«
(1) Parallel zu den beiden genannten politischen gegen die feindselige Natur und die es umge-
Schriften führt Hegel in den Frankfurter Jahren benden Völker – gegen eine »schlechthin ent-
seine religionsphilosophischen Studien fort, und gegengesetzte Welt«, die von einem »fremden
auch in diesen Jahren arbeitet er seine Konzep- Gott« beherrscht wird (wie Hegel einen Terminus
tion weiter aus, wie zahlreiche kontinuierliche Marcions in anti-marcionitischer Weise verwen-
Überarbeitungen und Neuansätze zeigen. Leider det). An diesem Gott hat nichts in der Natur
liegt noch keine zuverlässige Edition vor, die Anteil, er läßt aber auch keine anderen Götter
diese sehr differenzierte Entwicklung veran- neben sich gelten; er ist ein unsichtbares ab-
schaulichte und eine detaillierte Interpretation solutes Objekt – und eben deshalb behauptet sich
erlaubte. Hegels Entwürfe werden deshalb hier der Mensch ihm gegenüber als absolutes Subjekt.
als Einheit behandelt. In diesem Verhältnis sieht Hegel »sozusagen die
Gegenüber den späten Berner Arbeiten weisen einzige Synthese, und die Antithesen sind das
bereits die ersten Texte dieser Epoche einen deut- jüdische Volk einerseits, und andererseits das
lich veränderten Charakter auf. Sie schließen ganze übrige Menschengeschlecht und die Welt.«
zwar insofern an deren Fragestellung an, als sie Die Beziehungen des jüdischen Volkes zu an-
die Wurzel der Positivität nun ausführlich hinter deren Völkern werden deshalb durch den »Dä-
das Neue Testament zurückverfolgen und sie im mon des Hasses« regiert, durch das »odium ge-
»Geist des Judentums« auffinden, letztlich im neris humani«, und alle späteren Zustände des
Verlust des Glaubens an die Natur durch eine jüdischen Volkes »bis auf den schäbigten, nieder-
Naturkatastrophe, nämlich die Sintflut (die inso- trächtigen, lausigten Zustand, in dem es sich
fern als datierbares Ereignis fungiert, nach dem noch heutigtags befindet, sind nichts als Folgen
Vorbild von Hemsterhuis’ Alexis (JWA 5.7–102) und Entwicklungen ihres ursprünglichen Schick-
und Hölderlin; vgl. Kondylis 1979, 69,468). Die sals«, von dem sie mißhandelt werden, »bis sie es
durch sie bedingte »Entzweiung mit der Natur« durch den Geist der Schönheit aussöhnen und so
nötige dazu, die »Herrschaft über die Natur« zu durch Versöhnung aufheben«. Diese Prognose
gewinnen. Als weitere Kristallisationspunkte die- ließe sich als Aufforderung zur Emanzipation
ses »Geistes des Judentums« behandelt Hegel durch Assimilation verstehen – wenn nicht der
Abraham und Moses – Moses, der in der Schule »Geist des Judentums« auch dem »Geist des Chri-
der Priester und am Hofe herangebildet ist und in stentums« zum Schicksal geworden wäre: Der
der Einsamkeit den Plan zur Befreiung seines erhabene Versuch Jesu, »das Ganze des Schick-
Volkes schmiedet, das freilich zwischen Sen- sals zu überwinden, mußte darum in seinem
dungsbewußtsein und Abfall schwankt und nur Volke fehlschlagen und er selbst ein Opfer des-
durch Zwang gebändigt werden kann, und vor selben werden.« (N 243–261)
allem Abraham, den Nomaden, der sich von den (2) Den begrifflichen Horizont dieser Deutung
Vereinigungen mit der Natur losreißt, sein Vater- Israels bildet nicht mehr die Frage nach der
land verläßt und seinen Erhaltungstrieb im Spie- Entstehung von Positivität im Umkreis einer rein-
gel seines »hohen«, »unendlichen Objekts«, sei- moralischen Religion, sondern die Kontrastie-
86 II. Werk

rung von Entzweiung und Vereinigung. Dilthey setz und Neigung überwindet und ihre Überein-
hat diesen Wandel als eine Wendung Hegels vom stimmung als »das plhrwma des Gesetzes«
Kantianismus zum »mystischen Pantheismus« ge- denkt, wird die moralische Terminologie Kants
faßt (43–187) und beklagt, daß die Wirkung von für ihn insgesamt gegenstandslos: Die Überein-
Shaftesbury, Hemsterhuis und Herder auf Hegel stimmung ist »Leben, und als Beziehung Ver-
nicht durch Zitate nachweisbar sei (148). Henrich schiedener, Liebe« (N 268,390).
hat diese von Dilthey nur berührte Tradition nä- Das systematische Gewicht dieses neu gewon-
her charakterisiert als die aus platonischen Quel- nenen Liebesbegriffs nötigt Hegel zur genaueren
len fließende Vereinigungsphilosophie, und er Analyse wie auch zur prophylaktischen Abwehr
hat sie als bestimmendes Motiv bei Shaftesbury, potentieller Mißverständnisse: Als Vereinigung
in Hemsterhuis’ Lettre sur les désirs, Herders des Lebens setzt Liebe Entzweiung voraus, und je
Liebe und Selbstheit und darüber hinaus in Schil- mannigfaltiger die Anknüpfungspunkte sind, de-
lers Theosophie des Julius und auch noch in sto inniger kann die Liebe sein – doch gilt auch:
Hölderlins Hyperion aufgewiesen; Kondylis je inniger sie ist, »desto ausschließender ist sie,
(261–409,450–529) hat diese Beziehungen breit desto gleichgültiger für andere Lebensformen«;
ausgeführt, und Halfwassen hat jüngst den neu- sie sondert sich ab und erschafft sich sogar Feind-
platonischen Hintergrund von Hegels Frankfur- schaften. Schon diese Einsicht verbietet es Hegel,
ter Konzeption betont. (Eigentümlicher Weise solche Liebe zu vermischen mit der »Unnatur und
charakterisiert Kondylis (501) gleichwohl den Schalheit der prächtigen Idee einer allgemeinen
Ton auch der Frankfurter Texte Hegels als »ohne Menschenliebe«; diese hält er für eine »charak-
jeden Zweifel apokalyptisch« – weil Hegel einmal teristische Erfindung der Zeiten, welche nicht
im Durchlaufen mehrerer Bibelstellen Mt 4,17 umhin können, idealische Forderungen, Tugen-
zitiert.) den gegen ein Gedankending aufzustellen, um in
Aus Hegels damaliger Vertrautheit mit Höl- solchen gedachten Objekten recht prächtig zu
derlin und mit dessen durch Fichte hindurch- erscheinen (N 322 f.,295) – ein Seitenhieb, der
gegangenem Denken läßt sich begreifen, daß er insbesondere Schillers Ode An die Freude gelten
mit Beginn der Frankfurter Jahre die Kantische dürfte, die Hegel in Bern noch mit seinen Freun-
und Fichtesche praktische Philosophie durch die den gesungen hat (s. 11).
Vereinigungsphilosophie ersetzt – und somit Die Fragmente dieser Zeit liegen zum Teil in
»Moralität« – den bisherigen Leitbegriff seiner mehreren Fassungen vor (Jamme 1982), die ihr
Religionsdeutung – zunächst durch »Liebe«, un- erster Herausgeber in einander gearbeitet hat;
mittelbar anschließend und bis in die späten zum Teil sind sie – wie das Fragment Moralität,
Frankfurter Jahre durch »Leben« und schließlich Liebe, Religion – schwerlich in einem Zuge nie-
in Jena durch »Geist«. Die früheren Kontrastie- dergeschrieben: Sein Beginn orientiert sich an
rungen »Moralität vs. Positivität« werden nun der Begrifflichkeit des praktischen Teils von Fich-
selber im Denkhorizont der Vereinigungsphiloso- tes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre,
phie interpretiert: »Positivität«, zuvor als nicht in die vermutlich etwas spätere Fortsetzung (»Reli-
Moralität auflösbare Bestimmtheit einer Reli- gion, eine Religion stiften«) an der Vereinigungs-
gion, wird nun als Vereinigung von Unverein- philosophie (Kondylis, 444,451, vgl. N 374 f. ge-
barem verstanden (N 377), und »Moralität« im genüber N 376 f.). Deshalb läßt sich die Heraus-
Kantischen Sinne gilt Hegel nun als Herrschaft, bildung von Hegels neuer Begrifflichkeit gegen-
»Unterjochung des Einzelnen unter das Allge- wärtig – vor Erscheinen der historisch-kritischen
meine, der Sieg des Allgemeinen über sein ent- Ausgabe – nicht stets mit der erforderlichen Di-
gegengesetztes Einzelnes«; richtig verstanden sei stinktion nachvollziehen, auch wenn sich in der
sie jedoch »Erhebung des Einzelnen zum All- Literatur erste Ansätze zur Unterscheidung der
gemeinen, Vereinigung – Aufhebung der beiden Fassungen – etwa des Geistes des Christentums –
Entgegengesetzten durch Vereinigung« (N 387). finden (Jamme 1983, 271ff.,295,382,395). Hegel
Das Kantische Pflichtgebot komplementiert He- scheint bereits in den ersten Frankfurter Mona-
gel nun – in den Spuren von Schillers Anmut und ten den Begriff der Liebe – als Vereinigung von
Würde – durch die »Neigung«, die »Gesinnung«. Natur und Freiheit, von Subjekt und Objekt – als
Doch indem Hegel die Entgegensetzung von Ge- einen religionsphilosophischen Grundbegriff
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 87

eingeführt zu haben: »Die Religion ist eins mit in seiner Ganzheit wieder her[zu]stellen«. Diese
der Liebe.« (N 377) Andererseits ist Religion kein Restitution läßt sich nicht schon dadurch voll-
bloßes Einssein mit dem Objekt; das religiöse ziehen, daß der Positivität oder Legalität der
Verhältnis bedarf einer Objektivierung – und moralischen Gebote der Gedanke der morali-
auch hier ließe sich von »Projektion« sprechen: schen Autonomie entgegengesetzt wird: denn so
»Diese Liebe von der Einbildungskraft zum We- wird nur die zuvor äußere Herrschaft durch eine
sen gemacht, ist die Gottheit« (N 376). Insofern innere Herrschaft, eine »teilweise Knechtschaft
versteht Hegel »Religion« als ein Verhältnis, das unter einem eigenen Gesetze« (N 293) abgelöst:
über »Liebe« hinausgeht: »Gesinnung hebt die »für das Besondere, Triebe, Neigungen, patholo-
Positivität, Objektivität der Gebote auf; Liebe die gische Liebe, Sinnlichkeit, oder wie man es
Schranken der Gesinnung, Religion die Schran- nennt, ist das Allgemeine notwendig und ewig
ken der Liebe.« (N 389) Diese Differenzierung ein Fremdes, ein Objektives; es bleibt eine unzer-
zwischen Liebe und Religion prägt etwa Hegels störbare Positivität übrig« (N 266). Der Gedanke
Deutung des Abendmahls als eines Liebesmahls: der Liebe gewinnt sein Profil aus Entgegenset-
»Liebe ist noch nicht Religion, dieses Mahl also zung gegen Herrschaft, auch gegen die innere des
auch keine eigentliche religiöse Handlung; denn Moralgesetzes, »den Selbstzwang der Kantischen
nur eine durch Einbildungskraft objektivierte Tugend« (N 293). Jesus, im Leben Jesu ein Kan-
Vereinigung in Liebe kann Gegenstand einer reli- tianer strenger Observanz und in der Positivitäts-
giösen Verehrung sein« (N 297). Denselben Ge- schrift bereits in merklicher Distanz zur rein-
danken wiederholt Hegel im anderen Kontext: moralischen Interpretation der Religion, wird
»Diese Liebe [sc. der Mitglieder der Gemeinde nun zum Antikantianer schlechthin: Er predigt
unter einander] ist ein göttlicher Geist, aber noch nicht Achtung für das Gesetz, sondern tritt – in
nicht Religion; daß sie dazu würde, mußte sie Umdeutung von Mt 5,17 – als derjenige auf, der
zugleich in einer objektiven Form sich darstellen; das Gesetz erfüllt und damit als solches aufhebt:
sie, eine Empfindung, ein Subjektives mußte mit durch das plhrwma des Gesetzes, die Überein-
dem Vorgestellten, dem Allgemeinen zusammen- stimmung der Neigung mit dem Gesetz, die »Le-
schmelzen, und damit die Form eines anbetungs- ben« ist (N 268).
fähigen und würdigen Wesens gewinnen.« (N Hegels Wendung gegen die dominierende Be-
332) deutung der Kantisch gefaßten Moralität wird
Diesem vom »Vereinigungsgedanken« (im besonders anschaulich in seiner Deutung der
Sinne einer erst unentwickelten Einigkeit) her (wie er weiß: aus mehreren Überlieferungen ver-
gedachten Liebesbegriff stellt Hegel jedoch einen bundenen) Erzählung, »die berühmte schöne
konkreteren entgegen, der den Begriff der Refle- Sünderin« Maria Magdalena habe Jesu mit kost-
xion (logisch gesprochen: des Nicht-Identischen) barem Nardenwasser die Füße gesalbt. Gegen-
als sein inneres Komplement enthält – und dieser über den denunziatorischen, gegen ihren Le-
entwickelte Liebesbegriff hebe sowohl den der benswandel gerichteten Worten des Pharisäers
sich selbst zerstörenden Einseitigkeit der Refle- Simon zeichnet Hegel die Ansicht der Jünger, das
xion wie auch den des unentwickelten Einigen in Wasser hätte zu Gunsten der Armen verkauft
sich auf (N 379). »Religiöses ist also das plhrwma werden können, als »ein viel edleres, ein mora-
der Liebe (Reflexion und Liebe vereint, beide lisches Interesse« aus. Dennoch bleiben auch die
verbunden gedacht).« (N 302) In diesem Ge- Jünger von seiner Kritik nicht verschont: »ihre
danken des Religiösen ist ein Begriffsverhältnis wohlberechnende Klugheit, ihre aufmerksame
von der logischen Struktur der Identität der Iden- Tugend mit Verstand verbunden ist nur eine Ro-
tität und der Nichtidentität erreicht. heit; denn sie faßten die schöne Situation nicht
(3) Dieses Begriffsinstrumentarium setzt Hegel nur nicht, sie beleidigten sogar den heiligen Er-
zur Deutung nicht nur der jüdischen, sondern guß eines liebenden Gemüts«, das »ein s c h ö n e s
auch der christlichen Religion ein: Er deutet sie Werk« an Jesu getan habe (N 292 f.).
als Versuch Jesu, die Entzweiungen, die er in Der Regelung menschlichen Lebens durch das
seinem Volk vorfindet, durch Liebe zu verei- Herrschen und Beherrschtwerden in moralischen
nigen, die Knechtschaft der Gebote durch die Verhältnissen läßt Hegel nun Jesum »das reine
Subjektivität zu überwinden und »den Menschen Gefühl des Lebens« entgegensetzen. Als solches
88 II. Werk

entzieht es sich der begrifflichen Fixierung. »Gott Gott sei das Sein in allem Dasein (JWA 1.39,117;
lieben ist sich im All des Lebens schrankenlos im Baum, 47 f.; vgl. Kondylis, 513). (N 303–305)
Unendlichen fühlen« (N 296). Das in diesem Mit der Lokalisierung dieses Gefühls des rei-
Gefühl gegenwärtige Göttliche ist reines Leben, nen Lebens in Jesu Bewußtsein der gott-mensch-
und deshalb darf, »wenn von ihm, und was von lichen Einheit ist freilich das geschichtliche
ihm gesprochen wird, nichts Entgegengesetztes Scheitern dieses Gefühls ebenso entschieden wie
in sich enthalten; und alle Ausdrücke der Refle- in der Positivitätsschrift das des Gedankens der
xion über Verhältnisse des Objektiven oder über reinen Moralität Jesu; die Erklärung braucht
Tätigkeit wegen objektiver Behandlung dessel- nicht einmal modifiziert zu werden. Die Bedin-
ben [müssen] vermieden werden«. »Ueber Gött- gungen des Mißerfolgs dieser Vereinigung sieht
liches kann darum nur in Begeisterung gespro- Hegel auch hier in der kulturellen Umwelt Jesu,
chen werden.« Präsent ist es allein in seiner doch spricht er sie sehr viel drastischer aus als
Wirkung, der liebenden »Vereinigung der Gei- zuvor: »die an geistigen Beziehungen so arme
ster« (N 304 f.). In der Entgegensetzung des Be- jüdische Bildung« nötigt Jesum, das Geistigste in
wußtseinsverhältnisses läßt es sich nicht fixieren. sprachliche Wendungen hineinzuzwingen, die
Um reines Leben zu denken, wäre es erforder- »der dürren Wirklichkeit« angehören (N 305 f.)
lich, »alle Taten, alles zu entfernen, was der Wegen der »Verunreinigung des Lebens«, der
Mensch war oder sein wird« – also seine reine Gefangenschaft »unter der Gewalt des Jüdi-
Gegenwart festzuhalten. Aber nicht zufällig er- schen« könne Jesus das Reich Gottes nur im
setzt Hegel hier zweimal die Begriffe »Selbst- Herzen tragen (N 328). »Die Idee von Gott mag
bewußtsein« bzw. »reines Selbstbewußtsein« noch so sublimiert werden, so bleibt immer das
durch »Reines Leben« bzw. »Bewußtsein reinen jüdische Prinzip der Entgegensetzung des Ge-
Lebens«, und gleichwohl spricht er im Irrealis: dankens gegen die Wirklichkeit, des Vernünfti-
»Bewußtsein reinen Lebens wäre ein Bewußtsein gen gegen das Sinnliche, die Zerreißung des
dessen, was der Mensch ist« – aber nicht im Lebens, ein toter Zusammenhang Gottes und der
Sinne einer Abstraktion von allem Bestimmten, Welt, eine Verbindung, die nur als lebendiger
deren Resultat nur »das negative Unbestimmte« Zusammenhang genommen, und bei welchem
ist. Man könnte dieses »reine Leben« auszuspre- von den Verhältnissen der Bezogenen nur my-
chen suchen als Einheit des Unendlichen und des stisch gesprochen werden kann.« (N 308) Der
Endlichen oder als substantielle Einheit der gött- unendliche Geist hat »nicht Raum in dem Kerker
lichen und menschlichen Natur – aber auch diese einer Judenseele« (N 312).
Wendungen befestigen sprachlich noch die Diffe- (4) In einer philosophiegeschichtlichen Situa-
renz, deren Überwindung sie auszusagen vorge- tion, die dem späteren Systemgedanken Hegels
ben. »Reines Leben« kann deshalb allein mit der nicht einmal mehr historisch gerecht zu werden
Formel angedeutet werden, die Hegel aus Höl- vermochte, hat Diltheys Behauptung dogmatisie-
derlins Denken und insbesondere wohl aus dem rend gewirkt, Hegel habe »nichts Schöneres ge-
Fragment Urtheil und Seyn (StA IV.216 f.) ver- schrieben« als diese religionsphilosophischen
traut ist, zur Bezeichnung dessen, was aller Ent- Fragmente der Frankfurter Jahre; in ihnen offen-
gegensetzung vorausliegt: »Reines Leben ist bare sich »die ganze historische Genialität Hegels
Sein.« (N 303) Kondylis und Baum haben darüber in ihrer ersten Frische und noch frei von den
hinaus gezeigt, daß Hegels Rede von diesem Fesseln des Systems« (Dilthey 1905, 68). So hat
»Sein« wie auch von »Leben« »nahezu unver- die von ihm angeregte Forschung nicht allein
ständlich« bleiben müsse, wenn man hinter ihr über so manches Nicht-Schöne wortlos-großzü-
(und damit auch hinter Hölderlins Lebensbe- gig hinweggesehen; sie hat auch Hegels Texte als
griff) nicht Jacobis »Grundgedanken der Liebe 3
ein kalòn ergon, als ein sich sowohl über die
als der Selbsterfahrung des Lebens in der Bezie- Kantischen Entzweiungen erhebendes als auch
hung der Lebendigen aufeinander und der darin dem späteren angeblich verknöcherten System
liegenden Darstellung Gottes« höre – wenn auch überlegenes »schönes Werk« aufgefaßt, ohne
unter Absehen von Jacobis »theistischer Schöp- auch nur die Frage zu stellen, wieweit die an
fungsmetaphysik« und statt dessen vor dem Hin- Hölderlins Vereinigungsphilosophie im Hyperion
tergrund von Jacobis Formel des Pantheismus, und im Empedokles gewonnene Begrifflichkeit
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 89

sich als ein religionsphilosophisch fruchtbares erzeugt hingegen seine Entgegensetzung gegen
Instrumentarium erweise. »Natur« und »Welt« als das strukturelles Komple-
Dabei hätte bereits der Umstand, daß die zi- ment jener Einheit: »Die Existenz des Jesus war
tierten, nicht entschuldbaren Wendungen gegen also Trennung von der Welt, und Flucht von ihr in
die jüdische Religion sämtlich aus Hegels Frank- den Himmel«. Diese Entgegensetzung läßt sich
furter Zeit stammen (mit einem Nachhall in der aber nicht als Folge der ersten begreifen (entge-
in Frankfurt begonnenen Verfassungsschrift, GW gen N 328 f.).
5.158), zur Warnung dienen können. Geschicht- Im Blick auf die Entstehung der christlichen
liche Züge, die ihm in Bern als Indiz einer repu- Gemeinde sieht Hegel aber sehr scharf, daß eine
blikanischen Tradition des Judentums gelten Vereinigung, die sich der Absonderung gegen-
(GW 1.371), interpretiert er nun als ein letztes über anderen Menschen verdankt, die Struktur
Aufbäumen des jüdischen Fanatismus (vgl. N der Entgegensetzung perpetuiert und im Nega-
324). Man kann sie zwar auf die lokale Bedingung tiven befangen bleibt: »Das Wesen ihres Bundes
zurückführen, daß Hegel erst damals in nähere war Aussonderung von den Menschen, und Liebe
Berührung mit jüdischem Leben gekommen sein untereinander; beides ist notwendig verbunden;
könnte – zumal das Frankfurter Ghetto 1796 [aber] diese Liebe sollte und konnte nicht eine
durch die Kriegshandlungen zerstört worden ist Vereinigung der Individualitäten sein, sondern
und die jüdische Bevölkerung notdürftig unter- die Vereinigung in Gott, und in Gott allein, im
gebracht werden mußte. Doch Hegels hier so Glauben kann nur das sich vereinigen, was eine
verständnislose und historisch verfehlte Abwer- Wirklichkeit sich entgegensetzt«. Das Verhältnis
tung der jüdischen Religion ist das begriffliche zur Welt bleibt hingegen durch eine »Aengstlich-
Resultat der prekären Logik der religionstheo- keit vor ihren Berührungen […], eine Furcht vor
retischen Applikation des Vereinigungsgedan- jeder Lebensform« geprägt, weil jedes Sichein-
kens: Sie setzt sich die Absonderung, die Ent- lassen mit der Objektivität der Welt die Entzwei-
zweiung als eine geschichtliche Realität voraus, ung mit Gott zur Folge hätte (N 330). Die von
um den aus völlig heterogenen Quellen ent- Jesus gelebte und noch mehr die von ihm ge-
sprungenen Vereinigungsgedanken systematisch stiftete Vereinigung ist deshalb immer auch par-
plausibel einführen zu können – ähnlich wie in tiell mißlungen, und dies aus logischen Gründen,
Hegels Berner Deutung der Gedanke der reinen nicht auf Grund der jüdischen Bildung der Evan-
Moral sich die bloße Positivität voraussetzt oder gelisten. Die Einsicht in diese Struktur deutet
wie im weiteren religionsgeschichtlichen Kontext Hegel selber einmal an, indem er einräumt, um
der Erlösungsgedanke erst sekundär die Deutung der Liebe willen sei »es notwendig, daß sie sich
der Welt als einer solcher Erlösung harrenden absondert, daß sie sich sogar Feindschaften er-
erzeugt. Die zufällig-kulturellen Gründe, die He- schafft« (N 322) – und analog erschafft auch
gel für das Scheitern des religiösen Vereinigungs- Hegels vereinigungsphilosophische Deutung der
programms verantwortlich macht, müssen viel- evangelischen Texte sich notwendig Feindschaf-
mehr als strukturelle Gründe erkannt werden, ten.
die teils aus der Logik der Vereinigungsphiloso- (5) Dieses Verfehlen der Vereinigung analysiert
phie, teils aus der Logik des religiösen Verhält- Hegel an mehreren Themen der späteren christ-
nisses überhaupt folgen. lichen Religion. In der symbolischen Handlung
Diese doppelte Determination von Hegels des Abendmahls »soll das Essen und Trinken –
Deutung des Schicksals Jesu spiegelt sich wider und das Gefühl des Einssein in Jesu Geist zusam-
in dessen doppelter Entgegensetzung: gegen den menfließen; aber das Ding und die Empfindung,
»Genius« des jüdischen Volkes (N 317) und gegen der Geist und die Wirklichkeit vermischen sich
die »Welt«. Die strenge Focussierung des Prinzips nicht«. »Es ist immer zweierlei vorhanden, der
der Liebe und der Vereinigung in der Gestalt Jesu Glauben und das Ding, die Andacht und das
depraviert erst den alttestamentlichen Bund zum Sehen oder Schmecken«. »Etwas Göttliches kann,
»alten Bund des Hasses«, wie sie andererseits den indem es göttlich ist, nicht in der Gestalt eines zu
periodischen Abfall Israels zum Baalsdienst als Essenden und zu Trinkenden vorhanden sein«;
Ahndung »schönerer Geister« stilisiert (N 257 f.). »es war etwas Göttliches versprochen, und es ist
Jesu Bewußtsein von seiner Einheit mit Gott im Munde zerronnen« (N 300 f.).
90 II. Werk

Wie in der Sakramentenlehre, so mißlingt die xion. Daß diese durchaus auch im Dienste des
Vereinigung von Geist und Wirklichkeit auch – Lebens stehen könnte, läßt sich an einem von
und in doppelter Weise – in der Christologie. Hegel gewählten Beispiel veranschaulichen: Die
Jesu Bewußtsein der Vereinigung mit Gott wird dem Verstandesdenken entgegengesetzte »leben-
als »Verschiedenheit des Wesens Jesu und derer, dige Beziehung Lebendiger« etwa führe zur Iden-
in denen der Glauben an ihn zum Leben ge- tifizierung des Einzelnen mit dem Ganzen, sei-
worden, in denen selbst das Göttliche ist«, miß- nem Stamm, und daraus folge für die Krieg-
verstanden, und aller Protest Jesu »gegen Persön- führung »bei einem solchen natürlichen ungeteil-
lichkeit, gegen eine seinen vollendeten Freunden ten Volke«, daß »jeder Einzelne aufs grausamste
entgegengesetzte Individualität seines Wesens niedergemacht wird«, während »im jetzigen Eu-
(gegen den Gedanken eines persönlichen Gottes) ropa« »nicht gegen den Einzelnen, sondern gegen
von welcher der Grund eine absolute Besonder- das außer jedem liegende Ganze Krieg geführt«
heit seines Seins gegen sie wäre«, verhallt (N werde (N 308) – eine Humanisierung des Krie-
315 f.). Und nach Jesu Tod findet zwar das in Jesu ges, die vereinigungsphilosophisch gesehen frei-
angeschaute, durch den Tod vernichtete reine lich ein Manko darstellt.
Leben im Bild des Auferstandenen, »in dieser Unabhängig vom Ansatz an der Vereinigungs-
gestalteten Liebe«, eine das religiöse Bedürfnis philosophie ist Hegels Analyse der christlichen
befriedigende Form. Dennoch tritt in dieser Religion in zumindest einem Aspekt methodolo-
»Apotheose«, in der »Deifikation«, zum Bilde des gisch vorbildlich: in seiner Unterscheidung der
Auferstandenen etwas »vollkommen Objektives, »Wahrheit« eines religiösen Gedankens von der
Individuelles hinzu«, das »dem Vergötterten im- »Wirklichkeit« im Sinne einer der historischen
mer wie Blei an den Füßen hängt, das ihn zur Forschung zugänglichen Realität (N 340). Für
Erde zieht«: die eigentlich »im Grabe abgestreifte Hegel, den »Vertrauten Lessings« (Br 1.21), steht
Hülle der Wirklichkeit« und Individualität. Wäh- es außer Frage, daß Religion nicht in Geschichts-
rend die Griechen nur dem zum Gott gewor- wahrheiten gründen könne. Es geht in einer Reli-
denen Herakles Altäre weihen, beten die Chri- gion nicht um eine historische Begebenheit, son-
sten auch den am Kreuz Hängenden an. »Diese dern stets darum, »wie sie in der Phantasie und in
ungeheure Verbindung ist es, über welche seit so dem erinnernden Leben der Juden vorhanden
vielen Jahrhunderten Millionen gottsuchender war« (N 249). Über die Wirklichkeit im histori-
Seelen sich abgekämpft und gemartert haben.« schen Sinn ist »damit nichts gesprochen« (N 292).
Doch die Vereinigung mit einem Individuum ist Die von der Religion berichteten »Facta« ent-
ewig unmöglich (N 334 f.). stammen ohnehin erst aus der Zeit, nachdem der
(6) Die Gültigkeit der in Hegels Satz ausge- Geist über die Zeugen gekommen war (N 340).
drückten Bewertung beruht darauf, daß sich der Die biblischen Zeugnisse sind keine historischen
Vereinigungsgedanke als religionsphilosophi- Dokumente; sie verdanken sich erst der Ausgie-
scher Zentralbegriff bewährt. Dies ist aber nicht ßung des Geistes; sie bieten – mit dem modernen
einmal für die griechische Volksreligion voraus- Ausdruck – ein kerygmatisches Geschichtsbild,
zusetzen. Ferner hat es den Anschein, daß Hegel aber keine historische Wirklichkeit.
die Plausibilität seiner Deutung durch Ignorieren (7) Ähnlich wie die Fragmente der Berner Posi-
weiter Partien sowohl der alttestamentlichen als tivitätsschrift enthalten auch die Entwürfe zum
auch der neutestamentlichen Überlieferungen er- Geist des Christentums eine vom dominierenden
kauft – die Paulinische Theologie etwa blendet er religionsphilosophischen Interesse weitgehend
völlig aus. Und schließlich stellt seine vereini- unabhängige Partie. Analog zu den staatskirchen-
gungsphilosophische Sicht gerade denjenigen rechtlichen Ausführungen dort findet sich hier
Zug der Religion Israels unter ein pauschales ein Exkurs zum Thema »Verbrechen, Strafe und
Verdikt, der in neuerer Zeit gern als Indiz der Versöhnung« (N 276–289). Inhaltlich berührt er
weltgeschichtlichen Rationalisierungsleistung sich mehr mit den von Rosenkranz überlieferten,
dieser Religion angeführt wird: Die Entgötterung oben (s. 17 f.) erwähnten Ausführungen zur Straf-
der Welt erscheint in vereinigungsphilosophi- rechtsbegründung im preußischen Allgemeinen
scher Terminologie lediglich als ein fundamen- Landrecht, und er weist zugleich auf die spätere
taler Mißgriff der trennenden Verstandesrefle- Theorie des Verbrechens und der Strafe in den
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 91

Grundlinien voraus. Doch unterscheidet er sich »Geist des Christentums« und Hölderlins »Empedok-
davon durch die Einbettung der Thematik von les«. In: Jamme / Pöggeler (Hg.): »Frankfurt aber ist
der Nabel dieser Erde« (1983), 300–324; Baum: Entste-
Verbrechen und Strafe in den Zusammenhang
hung der Hegelschen Dialektik (1986), 38–75; Schmidt:
des »Lebens«: »das Verbrechen ist eine Zerstö- Anerkennung und absolute Religion (1997), 88–122;
rung der Natur; und da die Natur einig ist, so ist Jens Halfwassen: Die Rezeption des Neuplatonismus
im Zerstörenden so viel zerstört, als im Zerstör- beim Frankfurter Hegel – Neue Quellen und Perspekti-
ten.« »Die Strafe ist Wirkung eines übertretenen ven. In: Bondeli / Linneweber-Lammerskitten (Hg.):
Gesetzes«, und in diesem Gebiet ist die Ent- Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter
Zeit (1999), 105–125; ders.: Hegel und der spätantike
gegensetzung von Verbrechen und Strafe unüber-
Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des
windlich und keine Versöhnung möglich – aber Einen und des Nous in Hegels spekulativer und ge-
»die Strafe als Schicksal [ist] die gleiche Rück- schichtlicher Deutung. HSB 40 (1999); Yoichi Kubo:
wirkung der Tat des Verbrechers selbst«; im Der Weg zur Metaphysik. Entstehung und Entwicklung
Schicksal erkennt der Mensch sein eigenes Le- der Vereinigungsphilosophie beim frühen Hegel. Mün-
ben, es »bewirkt eine Sehnsucht nach dem ver- chen 2000.
lorenen Leben.« – Und noch an einem weiteren
Punkt setzt sich das in diesen Jahren an Kant,
dem Allgemeinen Landrecht und Steuart ge- 3.5. Zwei Fragmente des Systems
schulte rechtsphilosophische Interesse Hegels
gegen sein religionsphilosophisches durch: die (1) Unter den Titel Systemfragment hat Herman
religiöse Forderung nach Verachtung des Reich- Nohl in seiner Ausgabe der Theologischen Ju-
tums etwa gilt ihm als »eine Litanei, die nur in gendschriften zwei Fragmente eines umfangrei-
Predigten oder in Reimen verziehen wird, denn chen Manuskripts gestellt, dessen Ende Hegel
eine solche Forderung hat keine Wahrheit für datiert hat: »14. Sept. 1800«. Da die beiden noch
uns. Das Schicksal des Eigentums ist uns zu erhaltenen Bogen die Zählung »hh« bzw. »yy«
mächtig geworden, als daß Reflexionen darüber tragen, ist es wahrscheinlich, daß der Umfang des
erträglich, seine Trennung von uns, uns denkbar ursprünglichen Textes knapp zwei »Alphabete« zu
wäre.« (N 273) je 24 Bogen, d. h. eine mit »a, b, c« usf. und eine
mit »aa, bb, cc« usf. gezählte Folge, also 47 Bogen
Erstdruck: N 368–385,385–402,243–342. – Text: künf- umfaßt hat – gegenüber den 19 Bogen der Posi-
tig GW 2. – Literatur: Dilthey: Die Jugendgeschichte
tivitätsschrift. Bereits Rosenkranz hat umfang-
Hegels (1905), 54–60; Dilthey: Friedrich Hölderlin. In:
ders.: Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing-Goethe- reiche Auszüge aus beiden Fragmenten mitgeteilt
Novalis-Hölderlin. Göttingen 14 o. J., 242–317; Dieter (R 94–99; nicht allein, wie er irrtümlich schreibt,
Henrich: Hölderlin über Urteil und Sein. Eine Studie aus dem Mitte September vollendeten »Schluß«).
zur Entwicklungsgeschichte des Idealismus. In: Höl- Er hat sie zwar in den Kontext von Hegels »Kritik
derlin-Jb 14 (1965/66), 73–96, ND in ders.: Konstella- des Begriffs der positiven Religion« gestellt, je-
tionen. Probleme und Debatten am Ursprung der idea-
doch bereits erwogen, ob Hegel in diesem Manu-
listischen Philosophie (1789–1795). Stuttgart 1990,
49–80; Bernard Bourgeois: Hegel à Francfort ou Juda- skript »den B e g r i f f d e r R e l i g i o n mit Bezie-
isme – Christianisme – Hégélianisme. Paris 1970; Die- hung auf sein System der gesammten Philoso-
ter Henrich: Hegel und Hölderlin. In ders.: Hegel im phie, woran er in diesen Jahren arbeitete, in
Kontext. Frankfurt am Main 1971, 9–40; Thomas Bau- einem Manuscript entwickelte, von welchem
meister: Hegels frühe Kritik an Kants Ethik. Heidelberg noch einige [!] mit Buchstaben bezeichnete Bo-
1976; Werner Hartkopf: Der Durchbruch zur Dialektik
gen vorhanden sind« (R 94). Auch Haym sieht
in Hegels Denken. Studien zur Entwicklung der moder-
nen Dialektik III. Meisenheim am Glan 1976, 103–156; Hegel hier an der »Schwelle« (86) seines Systems
Werner Hamacher: pleroma – zur Genesis und Struktur stehen, von der es nur noch eines letzten Schrit-
einer dialektischen Hermeneutik bei Hegel. In: Hegel: tes bedarf.
»Der Geist des Christentums«. Schriften 1796–1800. Zum Titel Systemfragment hat Nohl (N 345)
Mit bislang unveröffentlichten Texten. Hg. und einge- sich teils durch den errechneten erheblichen Um-
leitet von Werner Hamacher. Frankfurt am Main u. a.
fang des ursprünglichen Manuskripts berechtigt
1978; Hegels Frankfurter Fragment »welchem Zwekke
denn«. Mitgeteilt und erläutert von Christoph Jamme. gesehen, teils durch Hegels Bemerkung gegen-
HS 17 (1982), 9–23; Jamme: »Ein ungelehrtes Buch« über Schelling – wenige Wochen nach der Voll-
(1983); Jamme: Liebe, Schicksal und Tragik. Hegels endung dieses Manuskripts –, »das Ideal des
92 II. Werk

Jünglingsalters« habe sich »zur Reflexionsform, »alllebendiges, allkräftiges, unendliches Leben,


in ein System zugleich verwandeln« müssen und nennt es Gott« – und könnte es auch »einen
(2.11.00). Welche Gestalt und welche Begrün- Geist nennen, […] denn Geist ist die lebendige
dungsstruktur dieses »System« gehabt haben Einigkeit des Mannigfaltigen im Gegensatz gegen
könnte, ist jedoch auf Grund der gegenwärtigen dasselbe als seine Gestalt«.
Überlieferungslage nicht mehr festzustellen; es Durch die Verbindung mit dem Geist als dem
ist nicht einmal gewiß, daß das ursprüngliche belebenden Gesetz werden die mannigfaltigen
Manuskript sich nicht wiederum nur auf Religion »Einzelleben Organe, das unendliche Ganze ein
bezogen, sondern tatsächlich Systemcharakter unendliches All des Lebens«. Auch aus dieser
gehabt habe und insofern für die beiden erhalte- Vereinigung der Einzelleben wäre jedoch »eine
nen Bogen der eingebürgerte Name Systemfrag- Entgegensetzung, nämlich das Tote«, ausge-
ment berechtigt sei. Die Ähnlichkeit der beiden schlossen – »aber das Leben kann eben nicht als
in den Jahren 1907 bzw. 1917 eingeführten Titel Vereinigung, Beziehung allein, sondern muß zu-
hat jedoch dazu geführt, daß das Systemfragment gleich als Entgegensetzung betrachtet« werden,
selbst von einer Reihe namhafter Hegel-Inter- als »Verbindung der Entgegensetzung und Bezie-
preten bis in die jüngste Zeit mit dem Ältesten hung«. Aber auch diese komplexe Formel gilt
Systemprogramm verwechselt wird. Hegel hier nicht als befriedigende begriffliche
(2) Dilthey hat zurecht betont, daß die eigen- Lösung, sondern lediglich als Indiz der Unange-
tümlichen Züge der religionsphilosophischen messenheit der Reflexion, und deshalb wählt er
Fragmente dieser Jahre »am deutlichsten« in den den Konjunktiv, um sie einzuführen: »ich müßte
beiden Systemfragmenten entgegentreten (141). mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung
Die Niederschrift des Ganzen hat Hegel wahr- der Verbindung und der Nichtverbindung«. Und
scheinlich unmittelbar nach Beendigung der auch diese Formel führt noch in einen unendli-
zweiten Fassung des Geist des Christentums be- chen Regreß, in ein »Fortgetriebenwerden ohne
gonnen. Dessen Begrifflichkeit prägt auch die Ruhepunkt«. Aus ihm befreit nur die Reflexion
Systemfragmente, doch wird sie von ihnen in (die Hegel hier aber nicht mehr so nennt, son-
freier Form, ohne die stete Rückbeziehung auf die dern mit der Formel umschreibt, es dürfe nicht
jüdische oder christliche Religion entfaltet. vergessen werden), daß diese sogenannte »Ver-
(3) Das erste der beiden Fragmente (N bindung der Synthesis und Antithesis« nicht ein
345–348) bildet etwa den Beginn des letzten Vier- Reflektiertes sei, »sondern sein für die Reflexion
tels des Gesamttextes. Es setzt ein mit der be- einziger Charakter sei, daß es ein Sein außer der
kannten Terminologie von Entgegensetzung und Reflexion ist.«
Vereinigung, wendet sich jedoch der Klärung der In der Beziehung zu diesem »Objekt« (wie He-
hierin implizierten logischen Struktur zu: »Der gel dieses Sein dennoch, eigentlich inkorrekt,
Begriff der Individualität schließt Entgegenset- nennt), ist das »denkende Leben« »nimmer den-
zung gegen unendliche Mannigfaltigkeit, und kend«; sie ist nicht mehr philosophische Refle-
Verbindung mit demselben in sich«; das Indivi- xion, die im Frankfurt-Homburger Freundeskreis
duum hat sein Sein in der Beziehung auf alles mit »Trennung« konnotiert wird, sondern eine
Leben außer ihm, aber ebenso in der Entgegen- »Erhebung« »vom endlichen Leben zum unendli-
setzung gegen sie. Für unsere Betrachtung ist das chen Leben«, und damit Religion, Anbetung Got-
»außer unserm beschränkten Leben gesetzte Le- tes. »Die Philosophie muß eben darum mit der
ben ein unendliches Leben […]; als Vielheit, Religion aufhören, weil jene ein Denken ist, also
eine unendliche Vielheit von Organisationen, In- einen Gegensatz teils des Nichtdenkens hat, teils
dividuen, als Einheit, ein einziges organisiertes des Denkenden und des Gedachten«. Philosophie
getrenntes und vereinigtes Ganzes – die Natur«. hat – als Reflexion – nicht nur ihre Grenze an der
Die Natur ist also »diese Vereinigung des End- Religion; sie hat für diese eine propädeutische
lichen und Unendlichen und die Trennung des- Funktion: »sie hat in allem Endlichen die End-
selben in ihr«; weil sie aber nicht selbst Leben ist, lichkeit aufzuzeigen, und durch Vernunft die Ver-
hebt das die »Natur betrachtende, denkende Le- vollständigung desselben [zu] fordern […] und
ben« aus ihren Entgegensetzungen ein Leben- so das wahre Unendliche außerhalb ihres Um-
diges heraus, das »frei vom Vergehenden« ist, ein kreises [zu] setzen.«
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 93

Diese Formulierungen zeigen einen in der Tat Den aller Himmel Himmel nicht umschloß,
an mystisches Denken erinnernden Kampf He- Der liegt nun in Mariä Schoß.
gels mit der Sprache, auch das noch sprachlich
fassen zu müssen, was doch über alle Fixierungen Bereits Dilthey (1905, 150) hat vermutet, daß ein
der Sprache und des Denkens hinausliegen soll. in diese Thematik eingestreut wirkender Ge-
So spricht er von einem denkenden Leben, das danke eine implizite Auseinandersetzung Hegels
»nimmer denkend« sei, von einem »Objekt«, das mit Schleiermachers 1799 anonym erschienenen
aber »nichts Reflektiertes« sei, von einem »Sein Reden Über die Religion. Reden an die Gebildeten
des Unendlichen«, das jedoch nicht durch Refle- unter ihren Verächtern (KGA I/2.187–326) ent-
xion gesetzt werde und nicht durch Komple- halte. Hegel unterscheidet hier – soweit sich
mentierung des Beschränkten durch das Be- wegen des fragmentarischen Beginns noch er-
schränkende zu denken sei, weil sonst auch das kennen läßt – zwischen einer reinen räumlichen
Beschränkende wieder als Beschränktes gedacht Objektivität, die den »Vereinigungspunkt für
werden müsse, und von einem Charakter des viele« gebe, und einer aus der Subjektivität ge-
Seins für die Reflexion, der einzig darin bestehe, borenen, aber nur »möglichen Objektivität«. Ge-
»daß es ein Sein außer der Reflexion ist«. Der gen eine etwaige Betonung solcher Subjektivität
unendliche Regreß der philosophischen Refle- wendet er ein: »Göttliches Gefühl, das Unend-
xion, der durch die religiöse Erhebung ersetzt liche vom Endlichen gefühlt, wird erst dadurch
und überwunden werden soll, reproduziert sich vervollständigt, daß Reflexion hinzukommt, über
in einem nicht minder unendlichen Progreß der ihm verweilt«. Ihr Verhältnis zum Gefühl sei aber
Erhebung – und in einem Progreß der Formulie- nur ein Erkennen des Gefühls, »getrennte Refle-
rungen zu seiner Vermeidung, dessen potentielle xion über dem getrennten Gefühl«. Gegenüber
Unendlichkeit jedoch durch das Abbrechen des Schleiermachers Subjektivierung des religiösen
Fragments umgangen wird. Verhältnisses, seiner Akzentuierung des Gefühls
(4) Das zweite der beiden Fragmente (N (oder der Anschauung) als des zentralen Begriffs
349–351) bildet den Schluß des Manuskripts. der Religion, betont Hegel somit bereits hier die
Vom ersten ist es durch 15 Bogen, also sechzig »Objektivität« als die bestimmende Kategorie für
Seiten getrennt. Die Grundbegriffe der Konzep- das religiöse Verhältnis.
tion sind hier bereits entwickelt, doch bietet die- Dem scheint zu widersprechen, daß Hegel es
ses Fragment Ansatzpunkte zur Lehre vom reli- als »das Wesen des Gottesdienstes« bestimmt,
giösen Kultus wie auch zum Verständnis der To- »die beschauende oder denkende Betrachtung
talität der Religionen und schließlich Gesichts- des objektiven Gottes aufzuheben, oder vielmehr
punkte zur Stellung Hegels zu einigen seiner mit Subjektivität Lebendiger in Freude zu ver-
Zeitgenossen. schmelzen«. Solche Subjektivität manifestiert
Der Beginn von Hegels Deutung des Kultus ist sich jedoch nicht in Form der von Schleiermacher
verloren, doch ist einem Rückblick zu entneh- propagierten individuellen »Anschauung des
men, daß er zuvor die Objektivität des Göttlichen Universums«; sie hat ihren Ort in den Formen
im Kultus im Blick auf die Zeit behandelt hat. kultischen Gemeinschaftslebens – in Gesang und
Nachdem »oben« »die Antinomie der Zeit, der Tanz – und erfordert deshalb eine »Ordnung, die
Moment und die Zeit des Lebens als notwendig als Lebendes ein Ordnender« ist. Diese Argu-
gesetzt« worden sei, beschreibt Hegel nun eine mentationsfigur der Deduktion des »Priesters«
analoge Antinomie im Blick auf den Raum. Reli- weist sowohl auf die Wissenschaft der Logik (GW
gionen verleihen auch dem Raum eine religiöse 12.236) als auf die Grundlinien der Philosophie
Qualität – die Richtung nach Sonnenaufgang oder des Rechts (§ 279) voraus: Bei bedürfnisvollem
auch nur das »Gestaltlose des bestimmten äußeren Leben – also in der arbeitsteiligen Ge-
Raums«. Mit der Präsenz Gottes im Kult sei »die sellschaft – ist der Priester gleichfalls ein Ausge-
objektive Antinomie in Ansehung des Gegen- sonderter.
stands gesetzt; das in der Unermeßlichkeit des Im Kontext dieser Ausführungen über den reli-
Raums unendliche Wesen ist zugleich im be- giösen Kultus skizziert Hegel ferner eine Theorie
stimmten Raume« – eine Bestimmung, der etwa des Opfers – und hierbei greift er auch wieder auf
der Vers des Kirchenlieds Ausdruck gibt: Elemente der Vereinigungsphilosophie zurück.
94 II. Werk

Im religiösen Leben herrsche ein durchaus ambi- kommeneren Vereinigung, unglückliche hinge-
valentes Verhältnis zum »Objekt« – Belebung der gen » m ü s s e n in der Trennung um Erhaltung
Objekte, aber auch Bestehenlassen des Objekti- eines Gliedes derselben, um Selbständigkeit sich
ven als Objektiven und sogar Objektivierung von bekümmern; sie dürfen diese nicht zu verlieren
Lebendigem. Denn in den religiösen Vereini- suchen, ihr höchster Stolz muß sein, die Tren-
gungen könne der Mensch die Bedingungen der nung fest, und das Eine zu erhalten«: mit der
Religion nicht erfüllen, »von absoluter Objektivi- Selbständigkeit der Subjektivität zugleich das un-
tät frei zu sein« und sich völlig über endliches erreichbare göttliche Objekt. Und unter dieser
Leben zu erheben, weil er sich nicht vom Eigen- kulturellen Bedingung der Entgegensetzung, des
tum und der Vernichtung von Objekten im Dienst Fixierens des Subjektiven und Objektiven, ist es
endlicher Zwecke befreien könne. Im Opfer aber nochmals »zufällig«, die Übermacht Gottes zu
vernichte der Mensch einen Teil seines Eigen- fürchten »oder sich als reines Ich, über den Trüm-
tums vor der Gottheit, ohne dabei einen end- mern dieses Leibes und den leuchtenden Son-
lichen Zweck zu verfolgen, »und durch diese nen, über den tausendmaltausend Weltkörpern,
Zwecklosigkeit des Vernichtens allein, durch dies und den so viele Male neuen Sonnensystemen als
Vernichten um des Vernichtens willen macht er eurer alle sind, ihr leuchtenden Sonnen – zu
sein sonstiges partikuläres Verhältnis des zweck- setzen« – wie Hegel Fichtes Appellation an das
mäßigen Vernichtens gut, und hat zugleich die Publikum zitiert (GA I/5.451 f. – und nicht etwa
Objektivität der Objekte durch eine auf sich nicht »parodiert« wie Kondylis 1979, 497, annimmt).
bezogene Vernichtung, ihre völlige Beziehungs- Und obgleich Hegel noch im Geist des Chri-
losigkeit, Tod, vollendet«. stentums den Kantischen Gottesgedanken um der
Hegel beschließt sein Manuskript mit einem darin implizierten Entgegensetzung willen scharf
Ausblick auf die Totalität der Religionen, der im kritisiert, beschließt er nun sein »System« mit
Vergleich mit anderen Religionsdeutungen seiner dieser Apologie des als Atheisten angeklagten
Zeit in mehrfacher Hinsicht überrascht. Ein er- Fichte (die allerdings in der Literatur zum Athe-
stes Charakteristikum liegt im Stillschweigen ismusstreit nicht zur Kenntnis genommen wird):
hinsichtlich des damals noch dominierenden Ge- Fichtes Gottesgedanke sei zwar nicht »schön
dankens einer natürlichen Religion. Er zeichnet menschlich«, sondern »fürchterlich erhaben«,
auch keine Religion als ›Normalreligion‹ aus, und die Seligkeit seines durch Herrschaft ausge-
sondern er operiert nur mit einem formalen Be- zeichneten Ich sei »gleichbedeutend im Grunde«
griff von Religion: Sie sei »irgend eine Erhebung mit dem christlichen Gott, diesem »absolut frem-
des Endlichen zum Unendlichen« – aber es sei den Wesen, das nicht Mensch werden kann« oder
keineswegs nötig, daß in dieser Erhebung »so »wenn es dies (also in der Zeit) geworden wäre,
wenig Endliches […] bleibe als möglich«. Analog auch in dieser Vereinigung ein absolut Besonde-
wird Hegel später die Religionen insgesamt unter res, nur ein absolutes Eins bliebe« – so daß es also
den Begriff des absoluten Geistes stellen. Auch keinerlei Grund für die Anklage des Atheismus
damit ist nicht eine normative, eine Vollendungs- gibt. Unter den zeitgenössischen Bedingungen,
gestalt bezeichnet; vielmehr gilt wie schon hier: unter denen »die Vereinigung mit der Zeit unedel
»auf welcher Stufe der Entgegensetzung und Ver- und niederträchtig wäre« (und dieser Konjunktiv
einigung die bestimmte Natur eines Geschlechts »wäre« ist hier nicht als Irrealis zu lesen wie im
von Menschen stehen bleibe, ist zufällig in Rück- vorigen Satz!), erscheint die Fichtische Entge-
sicht auf die unbestimmte Natur.« Deshalb sucht gensetzung des Ich gegen alle Objektivität sogar
Hegel hier nicht, die Religionen am Maßstab des nicht allein als »gleichbedeutend«, sondern als
Gelingens der Vereinigung in einer hierarchisch »das Würdigste und Edelste«.
geordneten Religionsgeschichte zu systematisie- Erstdruck: N 345–351. – Text: künftig GW 2. – Lite-
ren. Die geschichtlichen Ausformungen der reli- ratur: Dilthey: Jugendgeschichte Hegels (1905),
giösen Erhebung unterscheiden sich auch nicht 141–144,148–153; Manfred Baum: Zur Vorgeschichte
des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs. HS 11 (1976),
danach, ob den Völkern eine Offenbarung zuteil
89–124; Baum: Entstehung der Hegelschen Dialektik
geworden sei oder nicht, sondern einzig in Rela- (1986), 68–75; Shen Zhang: Hegels Übergang zum Sy-
tion zu ihrer geschichtlich zufälligen Lebens- stem. Eine Untersuchung zum sogenannten »System-
form. Glückliche Völker gelangen zu einer voll- fragment von 1800«. HSB 32 (1992).
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 95

3.6. Überarbeitung der Positivitäts- lichen Natur und ihrer Bedürfnisse: Eine Reli-
schrift gion, die »der Natur ihres Zeitalters« angemessen
ist, ist nicht als positive zu bezeichnen – selbst
(1) Nur zehn Tage nach dem Abschluß des sog. wenn diese Natur als noch so elend erscheinen
»Systems« und unmittelbar nach der Rückkehr mag. Denn die »allgemeinen Begriffe von der
von seiner zweiten Reise nach Mainz beginnt menschlichen Natur sind zu leer, als daß sie einen
Hegel am 24.9.00, den Anfang der Positivitäts- Maßstab für die besondern und notwendig man-
schrift zu überarbeiten – ein Zeichen dafür, daß er nigfaltigern Bedürfnisse der Religiosität abgeben
weiterhin auf ihre Publikation hofft, obgleich sich könnten.« (N 141) Erst durch einen geschichtli-
sein philosophischer Ansatz seit den beiden spä- chen Wandel, etwa im Freiheitsbewußtsein, also
ten Berner Jahren erheblich gewandelt hat. Ei- durch die bewußtseinsgeschichtliche Herausbil-
gentümlicher Weise zeigen sowohl die Überar- dung eines Mißverhältnisses zwischen ihrer sta-
beitung der Einleitung wie auch des Beginns der bilen Erscheinungsform und dem gewandelten
eigentlichen Abhandlung zwar einen deutlichen Bedürfnis wird eine Religion zu einer positiven.
Fortschritt im Blick auf die Exposition der Pro- Diese Korrektur des Begriffs einer positiven
blemstellung, aber keine Spuren der Vereini- Religion führt jedoch in einen massiven histori-
gungsphilosophie der Frankfurter Jahre – als ob schen Relativismus, der nur noch über den Maß-
Hegel bestrebt gewesen sei, den historischen stab der Übereinstimmung einer Epoche mit sich
Charakter und damit auch die gedankliche Ein- selbst verfügt: »der schwachsinnigste, härteste
heit dieser Schrift nicht durch seine spätere Be- Aberglauben ist für ein seelenloses, menschliche
grifflichkeit gravierend zu verändern. Die von Gestalt habendes Wesen nichts Positives«; der
ihm beabsichtigten Änderungen betreffen den Aberglaube unterschiede sich nur dadurch vom
Begriff der Positivität (2), die Präzision der Pro- Glauben, daß er nicht mehr allgemein geteilt
blemstellung (3) und die Stellung zur Religions- würde. Hegel sieht sich deshalb genötigt, die
kritik der Aufklärung (4). Folgen seiner Korrektur des Positivitätsbegriffs
(2) Das wichtigste Ergebnis der Überarbeitung durch eine Differenzierung zwischen den Per-
besteht darin, daß der Begriff der Positivität, den spektiven der Anhänger und der Betrachter einer
Hegel zuvor ohne Bedenken verwendet hat, sel- Religion zu entschärfen: Für seine Anhänger hat
ber fraglich wird. Während er ursprünglich die der Aberglaube nichts Positives; »für den Beur-
»Positivität« einer Religion in Entgegensetzung teiler aber ist er notwendig ein Positives, eben
gegen ihren moralischen Charakter bestimmt, weil diesem als Beurteiler ein Ideal von Mensch-
erscheinen nun die Begriffe der menschlichen heit vorschweben muß.« Damit scheint die Ent-
Natur und der natürlichen Religion als ihre Ge- scheidung über »Positivität« doch wieder der Ver-
genbegriffe. Doch erweist Hegel eben diese Ge- nunft anheim zu fallen – und so ist Hegel genö-
genbegriffe als problematisch: Sie beruhen auf tigt, nochmals zu präzisieren: »Ein Ideal der
der in einer jahrhundertelangen Entwicklung er- menschlichen Natur ist aber ganz etwas anderes,
worbenen und gleichwohl unzutreffenden Vor- als allgemeine Begriffe über die menschliche Be-
aussetzung, daß sich die geschichtliche Mannig- stimmung«. Es lasse Besonderheit zu; es fordere
faltigkeit der Erscheinungen der menschlichen sogar religiöse Gefühle und Handlungen, die vor
Natur in Einen Begriff zusammenfassen lasse – dem »Laternenlicht der allgemeinen Begriffe« als
doch lasse der Begriff der menschlichen Natur überflüssig erscheinen – unbefangene Handlun-
unendliche Modifikationen zu. Diese seien aber gen, unschuldige Gefühle, schöne Darstellungen
nicht bloß Zufälliges gegen den Begriff, sondern der Phantasie, die das Ewige an ein Zufälliges
das eigentliche Lebendige, Natürliche und knüpfen. Mit dieser Forderung kehrt Hegel je-
Schöne. doch nicht zum Ausgangspunkt seiner Religions-
Die Positivität einer Religion kann somit nicht philosophie zurück; vielmehr markiert er nun
im Kontrast gegen reine Moralität oder gegen sehr scharf den Punkt des Abgleitens in die Posi-
eine abstrakte menschliche Natur bestimmt wer- tivität: »Nur wenn das Ueberflüssige die Freiheit
den; sie kann überhaupt nicht inhaltlich fixiert aufhebt, wird es positiv, das heißt, wenn es Prä-
werden, sondern nur als Gegenbegriff gegen die tension gegen den Verstand und die Vernunft
geschichtlich variable Ausformung der mensch- macht, und deren notwendigen Gesetzen wider-
96 II. Werk

spricht.« Verstand und Vernunft haben auch keine stimmt auch noch seine späteren religionsphilo-
Kompetenz, sich in alle menschlichen Verhält- sophischen Vorlesungen (V 3.107).
nisse einzumischen; sie sind nur dann legitime Diese Modifikationen der menschlichen Natur
Richter, »wenn an sie appellirt wird; was keinen versteht Hegel hier aber als statisch und ge-
Anspruch darauf macht, verständig, oder ver- schichtlich-zufällig – gleichsam positivistisch und
nünftig zu sein, gehört durchaus nicht in ihre relativistisch. Er sieht sie zwar »in Verbindung
Gerichtsbarkeit.« (N 142) mit den Sitten und dem Charakter der Völker und
Mit diesen Überlegungen zur Deutung der Re- Zeiten« (N 144), als Ausdruck eines jeweils in
ligion verschafft Hegel sich ein flexibles, die hi- unterschiedlicher Weise vorhandenen Bedürfnis-
storische Besonderheit der Religionen berück- ses der menschlichen Natur – aber er denkt diese
sichtigendes Instrumentarium. Dessen kritisches Mannigfaltigkeit noch nicht als durch ein Prinzip
Potential ist jedoch stark limitiert: Verwerfliche geordnet. Auf dieser Basis wäre eine Religionsge-
»Positivität« liegt nicht schon dort vor, wo der schichte nur möglich als Naturgeschichte des
Mensch das Ewige und Heilige an etwas Zu- menschlichen Bedürfnisses – »Naturgeschichte«
fälliges knüpft, sondern nur, »wenn das Zufällige verstanden im traditionellen Sinne einer »histo-
als solches, als dasjenige, was es für den Verstand ria«, einer Erzählung von den differenten Er-
ist, Ansprüche auf Unvergänglichkeit und Heilig- scheinungsformen der menschlichen Natur, nicht
keit und auf Verehrung macht. Dann tritt das als kontinuierliche Entwicklung dieser Natur.
Recht der Vernunft ein, von Positivität zu spre- Ein Grundzug aber bleibt anscheinend von sol-
chen.« (N 143) Diese Bedingung trifft aber auf cher Modifikation ausgenommen: »daß in der
frühere Religionen nicht zu, weil sie nicht unter menschlichen Natur selbst das Bedürfnis [ist],
der Herrschaft des Verstandes und des Gerichts- ein höheres Wesen, als das menschliche Tun in
hofs der Vernunft stehen. Ihre moderne Verketze- unserem Bewußtsein ist, anzuerkennen« und sich
rung als Aberglauben verrate umgekehrt »einen der Anschauung dieses Wesens auch abgesehen
grellen Aberglauben« an den Verstand, der schon von den Nützlichkeiten des Lebens zu widmen (N
terminologisch als Pendant zum »grellen Posi- 146 f.). Hegel sieht es nun als »Bedürfnis der
tiven« der Religion fungiert, d. h. zu der Ansicht, Zeit« an, aus diesem Bedürfnis der menschlichen
daß »die menschliche Natur absolut geschieden Natur die von der Aufklärung »verworfene Dog-
wird von dem Göttlichen« und »keine Vermitt- matik abzuleiten, ihre Natürlichkeit und Not-
lung derselben – außer nur in Einem Individuum wendigkeit aufzuzeigen.« Diese Aufgabenstel-
– zugelassen« wird. Der Versuch jedoch, eine lung verrät eine zwar implizite, aber gleichwohl
solche Vermittlung zu denken, müsse »am Ende deutliche Selbstkritik. Denn seit dem Beginn der
in eine metaphysische Betrachtung des Ver- Berner Zeit sind Hegels religionsphilosophische
hältnisses des Endlichen zum Unendlichen über- Schriften von demjenigen Geist der Aufklärung
gehen« – und damit würde sie den Horizont der geprägt, von dem er nun sagt, er biete dem nach
Frankfurter Manuskripte überschreiten (N Brot verlangenden Kind Steine dar (N 142 f.). So
144,146). bewährt sich Hegel auch in dieser Revision als
Gegenüber dem »entsetzlichen Gewäsche« ei- »Vertrauter Lessings« – denn dieser bekennt am
nes sich aufgeklärt dünkenden religionskriti- 9.1.71 gegenüber Moses Mendelssohn: »Doch ich
schen Gestus spricht Hegel das Prinzip, das seine besorge es nicht erst seit gestern, daß, indem ich
Interpretation nun leitet, fast provozierend aus – gewisse Vorurteile weggeworfen, ich ein wenig zu
die Annahme, »daß die Ueberzeugung vieler viel mit weggeworfen habe, was ich werde wie-
Jahrhunderte, das, was die Millionen, die in derholen müssen.« (N 142–144)
diesen Jahrhunderten darauf lebten und starben, (3) Im Anschluß an diese religionswissen-
für Pflicht und heilige Wahrheit hielten, – daß schaftliche Methodologie in nuce bestimmt He-
dies nicht barer Unsinn und gar Immoralität, gel den Zweck seiner Abhandlung: als Unter-
wenigstens den Meinungen nach, gewesen ist.« suchung, »ob in der unmittelbaren Entstehung
Aufgabe einer Interpretation sei es, »die Ange- der christlichen Religion Veranlassungen lagen,
messenheit der Religion an die Natur zu zeigen, daß sie positiv wurde« – ob in der Art, wie die
wie die Natur in verschiedenen Jahrhunderten christliche Lehre »aus Jesu Mund und Leben
modifiziert war« (N 143 f.). Dieses Prinzip be- entsprang, […] Umstände vorkommen, welche
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 97

eine unmittelbare Veranlassung zur Positivität ge- Doch mit dieser Frage bricht die Überarbeitung
ben konnten, dazu, daß Zufälligkeiten, als solche, des Beginns der Positivitätsschrift ab.
für Ewiges genommen wurden, daß die christ- Erstdruck: N 139–151. – Text: künftig GW 2. – Lite-
liche Religion überhaupt auf einer solchen Zufäl- ratur: Hartkopf: Durchbruch zur Dialektik in Hegels
ligkeit gegründet, wäre eine Behauptung welche Denken (1976), 198–206.
von der Vernunft verworfen und von der Freiheit
zurückgestoßen würde.« (N 147 f.,145; vermut-
lich so zu lesen statt: »gegründet wäre,«) Unter 3.7. Entstehung der Dialektik und
dem Eindruck der Abwendung des Frankfurter des systematischen Grundgedankens
Hegel von seinem Berner Kantianismus ist über-
sehen worden, daß diese Problemstellung wört- (1) Die Texte, die Hegel bis in die letzten Frank-
lich an Kants Religionsschrift anschließt. Für furter Monate schreibt, unterscheiden sich so-
Kant hat die christliche Religion »den großen wohl in formeller wie in inhaltlicher Hinsicht von
Vorzug vor dem Judenthum, daß sie a u s d e m denjenigen, die er seit Beginn der Jenaer Zeit
M u n d e d e s e r s t e n L e h r e r s als eine nicht verfaßt. Er schreibt sie zwar mit der Absicht einer
statutarische, sondern moralische Religion her- Publikation, doch bleiben zumindest einige von
vorgegangen, vorgestellt wird« (AA VI.167). Den ihnen Fragment, und auch die nicht-fragmen-
Gegenpol hierzu bildet die Fraktion derer, die tarischen hält Hegel zurück (auch wenn er sie ein
den Vorzug der christlichen Religion darin sehen, Leben lang aufbewahrt) – sei es, daß er keinem
daß sie »positiv aus dem Munde Jesu gekommen« von ihnen den für eine Publikation erforderlichen
sei (N 145). Der Zweck der Positivitätsschrift Reifegrad zuerkannt hat, sei es, daß er zugleich
liegt somit in der historischen Klärung der Rich- mit der Vollendung eines Manuskripts die darin
tigkeit der Behauptung Kants – im Lichte des jeweils ausgearbeitete Position wieder verlassen
zumindest späteren positiven oder – mit Kant – hat, oder sei es lediglich, daß sich keine Möglich-
»statutarischen« Charakters der christlichen Re- keit zur Publikation ergab. Die Texte hingegen,
ligion. die er vom Jahr 1801 ab schreibt, sind zum un-
Es geht Hegel nicht um die Frage, ob die mittelbaren Eingreifen in die zeitgenössische
Lehren der Religion, gemessen an den allge- Diskussion bestimmt. Vor allem aber sind diese
meinen Begriffen des modernen Verstandes, et- Texte nicht mehr primär religionsphilosophi-
was Zufälliges, »etwas Ueberflüssiges und damit schen Fragestellungen oder aktuellen politischen
Unvernünftiges und Unnötiges wären«. Denn sol- (Cart-Schrift, Württemberg-Schrift) oder literari-
ches Zufällige verdankt sich erst den Abstrak- schen (Kants Metaphysik der Sitten) Anlässen
tionsleistungen der aufklärerischen Reflexion. Es gewidmet; sie entstehen im Umkreis der aka-
geht ihm vielmehr um solche Zufälligkeiten, »die demischen Lehre der Philosophie, und sie bilden
als Gegenstand der Religion selbst als Zufällig- Beiträge zu einem System der Philosophie oder
keiten bestehen sollen, die als etwas Vergäng- zumindest zur Kontroverse um ein solches Sy-
liches eine hohe Bedeutung, als etwas Beschränk- stem. Schon von den frühesten Systementwürfen
tes Heiligkeit haben und der Verehrung würdig des Semesters 1801/02 läßt sich eine ununter-
sein sollen«. Denn nur das der Religion imma- brochene Linie zum späten System der Berliner
nente, für sie selber Zufällige kann nach dem Jahre ziehen. Dies berechtigt dazu, hier – und
neuen Begriff von Positivität als Positives verwor- nicht erst mit der »Entscheidung« für die Erkenn-
fen werden (N 147). barkeit des Absoluten (1802) (Kondylis 1979,
Wenn jedoch die Entscheidung über die Posi- 526) – eine Zäsur anzusetzen und die noch nicht
tivität einer Religion von der Entscheidung zwi- durch den Systemgedanken organisierten Schrif-
schen den beiden Arten des Zufälligen – dem des ten als »Frühe Schriften« – wenn auch nicht als
modernen Verstandes und dem der Religion im- »Theologische Jugendschriften« – zu bezeichnen.
manenten – abhängt, so stellt sich die Frage: Die Rede von einem Einschnitt unterstellt aber
»Was ist nun das Zufällige, das in der Handlungs- zugleich Kontinuität – und nicht allein die Kon-
und Sprechart des Jesus vorkommt, und fähig tinuität eines Lebenszusammenhangs, sondern
war, für sich als Zufälliges, für ein Heiliges ge- auch Kontinuitätsmomente innerhalb der Ent-
nommen und so verehrt zu werden?« (N 151) wicklung des Denkens. Denn diese wird durch
98 II. Werk

eine Zäsur wohl nie völlig durchtrennt, sondern sche Theologie verkürztes – und zudem verfehl-
nur periodisiert oder in ihrer Richtung abge- tes Bild der christlichen Religion entwirft und
wandelt. So stellt sich mit der Frage nach der ihm eine ärgerliche Karikatur der Religion Israels
Zäsur zugleich die Frage nach der Identifikation vorordnet, um diesem schiefen Bild mehr Plausi-
von Momenten einer Problemkontinuität – und bilität zu verleihen. Religionstheoretisch gesehen
die weitergehende Frage nach dem auch im spä- führt auch dieser Ansatz in eine Sackgasse – und
teren System aufbewahrten philosophischen Er- Hegels Absicht in den letzten Frankfurter Mona-
trag der frühen Schriften. ten, die Berner Fragmente der Positivitätsschrift
(2) Die Einsichten, die Hegel in seinen Berner für eine Publikation zu überarbeiten, könnte ein
Manuskripten in die durch Kant (und einige Indiz dafür sein, daß ihm dies bewußt geworden
nach-kantische Variationen) bestimmte Problem- ist. Zumindest ist sein Frankfurter Religionsbe-
lage der moralischen Interpretation von Religion griff für seine späteren religionsphilosophischen
gewinnt, bleiben auch in seinem späteren Den- Vorlesungen ebenso irrelevant wie der Berner.
ken gültig: Von der Moral her läßt Religion sich (4) Dennoch bleibt der Ertrag dieser Jahre
nicht umfassend verstehen – und sie läßt sich nicht nur, wie der der Berner, negativ. Denn aus
auch nicht, könnte man mit Schleiermachers Re- der Problemstellung der Vereinigungsphiloso-
den sagen, aus Metaphysik und Moral übel zu- phie lassen sich teils mit ihr, teils gegen sie,
sammennähen (KGA I/2.199). Sie ist eine Denk- Einsichten in Begriffsverhältnisse gewinnen, die
und Lebensform, in der sich der Mensch zu gänzlich unabhängig von der verfehlten religions-
derjenigen umfassenden Wirklichkeit ins Ver- theoretischen Applikation dieses Ansatzes sind
hältnis setzt, deren Moment er doch zugleich ist. und die Hegel in Stand setzen, in die zeitge-
Die von Hegel – vor dem Hintergrund der Reli- nössischen Auseinandersetzungen um Transzen-
gionspolitik im revolutionären Frankreich – im dentalphilosophie und Substanzphilosophie ein-
Anschluß an Kants Religionsschrift formulierten zugreifen – schon deshalb, weil das Begriffs-
Problemstellungen, seine Fragen nach dem Ver- instrumentarium der damaligen Gestalt der Ver-
hältnis von rein-moralischer und positiver Reli- einigungsphilosophie selber dieser Debatte
gion und nach der Entstehung von Positivität, entstammt. Henrich (1971, 39) hat dies auf die
sind jedoch nur in diesem Kantisch-nachkanti- Formel gebracht: »Vor der Frankfurter Begeg-
schen Problemkontext relevant. Sie sind Folge- nung mit Hölderlin war Hegel ein Kritiker der
probleme der (unzutreffenden) Kantischen Prä- Kirche und ein Analytiker historischer und poli-
misse von der Ursprünglichkeit der rein-morali- tischer Verhältnisse im Bund mit der Gironde. Im
schen Religion (AA VI.167); schon deshalb kann Anschluß an Hölderlin u n d im Abstoß von ihm
ihnen nach dem Ende des Streits um die morali- ist er zum Philosophen seiner Epoche gewor-
sche Religion Ende der 1790er Jahre für seine den.« Doch das dieser Deutung zu Grunde lie-
spätere Philosophie keine konstitutive Bedeutung gende Modell des einen Grundgedankens, aus
mehr zukommen. Sowohl im Blick auf die Ent- dem sich »ohne Bruch« das spätere System – und
wicklung der nachkantischen Philosophie insge- in eins mit ihm die Hegelsche »Dialektik« – her-
samt wie auch im Blick auf seinen individuellen leiten ließe, ist durchaus problematisch.
Denkweg erweist sich diese Thematik als eine (5) In dieser Ausbildung dialektischen Den-
Sackgasse. Ihre Erkundung führt Hegel zwar zu kens wird häufig der systematische Gewinn der
mannigfaltigen Einsichten in die gedanklichen, frühen Schriften Hegels gesehen – eine Über-
geschichtlichen und politischen Bedingungen re- zeugung, in der sich sehr gegensätzliche Deutun-
ligiösen Lebens, hindert ihn aber zugleich daran, gen berühren. Für eine theologische Interpreta-
den Gang der zeitgenössischen Philosophie zu tion hat sie das Interesse, daß Hegel an biblischen
verfolgen. Texten, insbesondere am Prolog des Johannes-
(3) In religionsphilosophischer Perspektive ist evangeliums und am Trinitätsgedanken, zum Phi-
Analoges über seinen Frankfurter Versuch zu sa- losophen geworden sei; für die marxistische In-
gen, Religion mit dem Instrumentarium der Ver- terpretation im Umkreis von Lukács haben He-
einigungsphilosophie zu begreifen. Er verschafft gels Analysen gesellschaftlicher Verhältnisse
sich eine scheinbare Plausibilität, indem er ein dazu geführt; und auch für einen Kritiker von
einseitiges – um die Eschatologie und die Paulini- Lukács wie Hartkopf lassen die frühen Schriften
3. Frankfurter Entwürfe (1797–1800) 99

»die Grundschicht des Dialektischen und ent- Briefen Ueber die Lehre des Spinoza (vgl. JWA 1)
scheidende Motive für die Entfaltung der Dialek- deutet. Dieses Fragment führt das aus der Kritik
tik erkennen« (222 f.). Er sieht den »Durchbruch der reinen Vernunft bekannte Wort »Antinomie«
zur Dialektik in Hegels Denken« schon sehr früh, in die Vereinigungsproblematik ein. Die Einheit,
bereits in der Positivitätsschrift (37, vgl. N in der die »Antinomie«, d. i. zwei Entgegenge-
219–229), aber nicht als originäre Entdeckung, setzte vereinigt sind, sei hier »nicht ein von den
sondern als eine eigentümliche, auf dem Felde vereinigten Entgegengesetzten verschiedenes
des Humanen geerntete Frucht der Anregung drittes Relat, sondern die Tätigkeit des Vereini-
durch Fichtes Wissenschaftslehre und Schellings gens selbst«, die als reflektierte zum Gegenstand
Frühschriften – und auch als Rückfall hinter des- des Glaubens werde (49). Dieser Gedanke be-
sen Dialektik (29,220ff.). Deshalb könne »Hegel reitet aber – nach Baum – auf dieser Stufe der
keineswegs die Konzeption der modernen Dia- Ausbildung von Hegels Denken noch Probleme,
lektik zugesprochen werden, nicht einmal der die dieser im Kontext einer »Lebensmetaphysik«
Hauptteil an ihrer Entfaltung« (208). – Eine der- zu bewältigen suche.
art äußerliche Erklärung kann nicht als Lösung Hegels Einsicht in die Bedingung von Vereini-
des Problems gelten; ein berechtigtes Moment gung läßt sich auch in das erste der beiden Sy-
enthält sie jedoch insofern, als sie den Ursprung stemfragmente verfolgen, in dem er die ange-
der Dialektik in Hegels Begrifflichkeit und nicht zielte Einheit von Verbindung und Nichtverbin-
in seinen Quellen oder Themen (wie der Trinität) dung dadurch vor dem unendlichen Progreß ei-
zu finden sucht. Hegels Auseinandersetzung mit ner stets erneuerten Komplementierung durch
dem Prolog des Johannesevangeliums (N 306 f.) das Moment der »Nichtverbindung« zu bewahren
zeigt ja sehr deutlich, daß er wie auch Fichte sucht, daß er die Formel von der »Verbindung der
seine Begrifflichkeit nicht am Text gewinnt, son- Verbindung und der Nichtverbindung« als unpas-
dern diesen im Lichte seiner Begrifflichkeit send verwirft und den Progreß durch den Ge-
liest. danken eines nur noch dem Glauben zugängli-
Gegenüber dem Rückgang auf die Berner Ma- chen »Seins außer der Reflexion« abschneidet
nuskripte hat sich in den drei letzten Jahrzehnten (s. 93).
die Ansicht durchgesetzt, daß die Genese der Dennoch kommt Hegel mit diesem Gedanken
Dialektik – wenn überhaupt in den frühen Schrif- seinem späteren Begriff der Dialektik so nahe
ten – in Hegels eigentümlicher Rezeption der wie an keiner anderen Stelle seiner frühen
Vereinigungsphilosophie zu finden sei, in den Schriften – allerdings ohne ihn zu erreichen.
Begriffen der Liebe und des Lebens. Baum unter- Denn die erhaltenen Frankfurter Quellen bele-
scheidet eine »Vorgeschichte« dieser Genese, die gen nicht mehr den hierfür erforderlichen letzten
er vornehmlich am Fragment Die Liebe (N Schritt von der konjunktivischen Einführung der
378–382) illustriert: Es enthalte »Beschreibungen Formel »Verbindung der Verbindung und der
des Menschen und der Liebe, die den späteren Nichtverbindung« hin zu ihrer Ausformung im
Beschreibungen dialektischer Sachverhalte sehr Gedanken einer »dialektischen« Philosophie des
nahe kommen«; eine eigentliche logische Ter- Absoluten – im Prinzip der Identität der Identität
minologie sei aber noch nicht ausgebildet. »An- und der Nichtidentität. Dieser gedankliche
sätze zu einer dialektischen Behandlung von Ge- Schritt deutet sich an mit dem Ortswechsel von
gensätzen beziehungsweise Widersprüchen« Frankfurt nach Jena, von der religions- und ver-
sieht Baum erst in der Überarbeitungsphase die- einigungsphilosophischen Thematik zur Explika-
ses Fragments im Winter 98/99, in der Hegel das tion des Absoluten im System der Philosophie.
Leben »im Selbstgefühl der Liebe als Einheit von Hegel vollzieht ihn aber erst durch die Einsicht,
Verdoppelung und Einigkeit« denkt (1986, daß diejenige Verbindung, die er als »Verbindung
38,43). der Verbindung und der Nichtverbindung« zu
Die eigentlichen »Anfänge der Dialektik« denken sucht, nicht eine den beiden Relaten
(48–75) findet Baum erst im Fragment Glaube vorausgehende Einheit sei, sondern »nur der ent-
und Sein (N 382–385), das er als Auseinander- wickelte Begriff der Relation selber ist« (Henrich
setzung Hegels mit Kant – auf der Basis der 1971, 36) Doch bedarf es noch etlicher Jahre der
Begriffe des Glaubens und des Seins in Jacobis Systementwicklung, bis es Hegel gelingt, seinen
100 II. Werk

›spekulativen‹ Begriff nicht allein als ein Krite- die Schritte auf Hegels Denkweg, die zuvor einer
rium gegen eine ›tote‹ Auffassung von Identität Springprozession zur »phänomenologischen Kri-
zu setzen, sondern ihn, verbunden mit dem Ge- sis des Systems« (R 201) zu ähneln schienen, in
danken der Negation, zum Prinzip der dialekti- ihrer geradlinigen, für Hegel so charakteristi-
schen Entfaltung der logischen Bestimmungen zu schen Konsequenz deutlich geworden.
machen – und es bedarf vor allem der Einführung Literatur: Heinz Kimmerle: Zur Chronologie von He-
und Entfaltung des Begriffs des Geistes als des gels Jenaer Schriften. HS 4 (1967), 125–176; Kimmerle:
Grundbegriffs des späteren Systems. Die Chronologie der Manuskripte Hegels in den Bän-
den 4 bis 9. In: GW 8.348–361; Henrich / Düsing (Hg.):
Literatur: Henrich: Hegel und Hölderlin (1971), 27–34;
Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die
Hartkopf: Durchbruch zur Dialektik (1976); Kondylis:
Zusammenarbeit mit Schelling. HSB 20 (1980); Henry
Entstehung der Dialektik (1979), 494–526; Baum: Ent-
S. Harris: Hegel’s Development. Night Thoughts (Jena
stehung der Hegelschen Dialektik (1986), 48–73; Hen-
1801–1806). Oxford 1983; Eva Ziesche: Der hand-
rich: Der Grund im Bewußtsein. [Stuttgart 1992].
schriftliche Nachlaß Hegels (1995).

4. Jenaer Schriften und Entwürfe 4.1. Fragmente einer Kritik der


(1801–1806) Verfassung Deutschlands (1799–1803)
Hegels Wechsel von Frankfurt nach Jena, vom (1) Zwei Projekte Hegels werden jedoch von der
Hauslehrerdasein zur akademischen Lehrtätig- genannten Zäsur nicht betroffen: seine natur-
keit im Umkreis Schellings, von privaten literari- philosophischen (4.2.) und seine politischen Stu-
schen Versuchen zur öffentlichen Wirksamkeit dien. Sein Plan zu einer Kritik der Verfassung
durch Lehre und Publikation, bildet den stärk- Deutschlands, oder kurz, zu seiner Verfassungs-
sten Einschnitt in seinem Schaffen – nicht allein schrift, reicht bis in die Mitte der Frankfurter
lebensgeschichtlich, sondern auch werkge- Jahre zurück, etwa in die Zeit, in der er sich
schichtlich: Noch im Jahr seiner Ankunft in Jena entschlossen hat, die Württemberg-Schrift nicht
beginnt Hegel im Kontext seiner im Winterseme- zu veröffentlichen. Aber noch die ersten drei
ster 1801/02 begonnenen Vorlesungen, seine Phi- Jahre seiner Jenaer Zeit hält er an diesem Plan
losophie in Systemform auszuarbeiten – und zu- fest, der jedoch stets aufs neue überrollt wird
mal in einer Systemform, die die spätere anti- durch die rasch auf einander folgenden politi-
zipiert. Kontinuitäten mit den Frankfurter Schrif- schen Ereignisse (1798 Rastatter Kongreß, zwei-
ten sind freilich auch hier zu verzeichnen (s. 4.1 ter Koalitionskrieg gegen Frankreich, 9.2.01 Frie-
und 4.2) – doch die Differenzen überwiegen bei den von Lunéville). Erst nach dem »Reichsdepu-
weitem. tationshauptschluß« (25.2.03), der Entscheidung
Dies ist allerdings erst in der gegenwärtigen über die Entschädigungen für die an Frankreich
Rezeptionsphase deutlich geworden. Rosenkranz verlorenen linksrheinischen Gebiete und die da-
hat diese Zäsur durch seine Fehldatierung des für durchgeführte Säkularisation, gibt Hegel sei-
Systementwurfs II (1804/05) in die Frankfurter nen Publikationsplan auf – ohne daß sein An-
Zeit verwischt (R 102–133), und Rudolf Haym hat liegen inzwischen erfüllt gewesen wäre. Der
seine Angaben zwar partiell, aber nicht im er- Leitsatz der Verfassungsschrift, »Deutschland ist
forderlichen Umfang korrigiert. Nach Hoffmei- kein Staat mehr«, ist ja sogar erst am 6.8.06, mit
sters Editionen der Realphilosophien haben letzt- dem von Napoleon erzwungenen Verzicht Franz
lich erst die Arbeiten im Vorfeld der historisch- II. auf die deutsche Kaiserkrone, in einer Weise
kritischen Edition, vor allem durch Heinz Kim- bestätigt worden, die Hegel selbst bei der Be-
merle, die Chronologie der Texte vollständig endigung seiner Arbeiten so gar nicht antizi-
revidiert – gestützt vor allem auf die buchstaben- pieren konnte.
statistische Analyse der Entwicklung von Hegels Die Verfassungsschrift hat keine Aufnahme in
Handschrift und auf Vorlesungsankündigungen. die Freundesvereinsausgabe gefunden. Rosen-
Diese neue Chronologie ist im wesentlichen be- kranz hat als erster über sie berichtet und auch
stätigt worden durch Eva Ziesches Analyse der Auszüge mitgeteilt – unter der irrtümlichen An-
Wasserzeichen. Erst durch diese Arbeiten sind nahme, Hegel habe diese Texte erst nach der
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 101

formellen Auflösung des Deutschen Reiches Württemberg-Schrift – und durch die zeitge-
1806, also im Umkreis seiner Redaktion der Bam- schichtlichen Erfahrungen vermittelt – ist Hegels
berger Zeitung, geschrieben, und zwar als Ana- kritische Sicht der Außenpolitik des revolutio-
logon zu Fichtes Reden an die deutsche Nation. nären Frankreich: Das von dort herüberdrin-
Schon Haym (1857, 485) hat aus besserer Kennt- gende (und in Deutschland begierig aufgenom-
nis der Ereignisse um 1800 diese Fehleinschät- mene) »Freyheitsgeschrey«, der »Freyheitswahn«
zung korrigiert und weitere Fragmente veröf- (GW 5.132,148) verdecke lediglich die faktisch
fentlicht. auf Länderschacher und die Auflösung des
(2) Bei der Verfassungsschrift handelt es sich Reichs gerichtete sehr zielstrebige Machtpolitik –
streng genommen nicht um eine »Schrift«, son- wie schon im Dreißigjährigen Krieg die »treu-
dern um ein umfangreiches, wenn auch sowohl herzigsten menschenfreundlichsten Manifeste«
vor als auch nochmals nach Rosenkranz’ und Gustav Adolphs (GW 5.215,126) nur über dessen
Hayms Durchsicht reduziertes Konvolut von frag- Machtpolitik hinwegtäuschen sollten. Hegels
mentarischen Vorarbeiten, Entwürfen, einer Kritik gilt hier auch Napoleon, der einerseits die
Reinschrift vom Spätherbst 1802 und Exzerpten, Republik Genf von der politischen Landkarte
letztere vornehmlich aus dem Werk des damals verschwinden läßt, aber der Republik San Ma-
führenden Staatsrechtlers Johann Stephan Pütter rino »ein paar Kanonen zum Geschenk« macht,
sowie aus zeitgeschichtlichen Quellen. Auf weil es hier nur gilt, »den Mund mit den Nahmen
Grund von Heinz Kimmerles Chronologie der einer Achtung für Republiken vollzunehmen«
Jenaer Schriften (GW 8.352–355) und im Zusam- (GW 5.141). Die Schärfe der Kritik Hegels an
menhang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen, solcher Zweizüngigkeit ist wohl daraus zu ver-
z. T. in leichter Differenz zu Eva Ziesche (27–29), stehen, daß er hierbei mit Illusionen abrechnet,
sind die einzelnen Texte nun durch die Heraus- die er früher selber geteilt hat. Alle geschichtli-
geber von GW 5 datiert und vier Bearbeitungs- chen Beispiele lehren, daß es vergebens sei, der
stufen zugeordnet worden. Es muß allerdings inneren Logik der Machtpolitik souveräner Staa-
offen bleiben, in welchem Umfang es verlorene ten moralische Appelle entgegenzusetzen: »So
Vorstufen aus der Frankfurter Zeit gegeben hat. thöricht sind die Menschen, über idealischen
(3) Die Fragmente der Verfassungsschrift sind Gesichten der uneigennützigen Rettung von Ge-
insgesamt in einem Gestus geschrieben, der sich wissen und politischer Freyheit, und in der in-
markant von den wenigen Überbleibseln der er- nern Hitze der Begeisterung die Wahrheit, die in
sten Württemberg-Schrift unterscheidet: durch der Macht liegt, zu übersehen, und so ein Men-
die bittere Ironie. Die damals von seinen Freun- schenwerk der Gerechtigkeit, und ersonnene
den formulierte Erfahrung, daß die Sachwalter Traüme gegen die höhere Gerechtigkeit der Na-
der Menschenrechte diese zu Gunsten einer zyni- tur und der Wahrheit sicher zu glauben, welche
schen Machtpolitik preisgegeben hätten, bildet aber der Noth sich bedient, die Menschen unter
nicht allein den zeitlichen, sondern auch den ihre Gewalt, aller Überzeugung und Theorie und
sachlichen Ausgangspunkt der Verfassungs- innern Hitze zum Trotz zu zwingen.« (GW
schrift. Sie bildet insgesamt eine schonungslose 5.107)
Analyse des damaligen Zustands des Deutschen Diese Formel von der »Wahrheit, die in der
Reiches und der hierfür ausschlaggebenden Fak- Macht liegt«, ist mehrfach unter lautstarker und
toren seit dem Dreißigjährigen Krieg, durchzo- publikumswirksamer Beschwörung moralischen
gen mit bitterer Ironie gegenüber denen, die mit Entsetzens zitiert und verworfen worden – als
ihren Verlautbarungen und Handlungen das frühestes Indiz des Hegelschen »Machtstaat-Den-
Deutsche Reich seinen inneren wie auch äußeren kens« (Heller 1921). Solche Kritik sucht aber
Feinden zum Gespött werden ließen. Die Spät- durch Isolierung der Formel von ihrem Kontext
phase dieser Entwicklung hat Haym (1857, 69) in vergessen zu machen, daß sie nicht als mora-
die prägnante Formel gefaßt: »Die Reichsstände lischer Maßstab für das Verhalten von Staaten
verließen und verriethen den Kaiser: der Kaiser beurteilt werden will, sondern als Beschreibung
verließ die Stände und verrieth das Reich.« ihres faktischen Verhaltens, als illusionsloses »fa-
Die Misere Deutschlands ist aber auch von bula docet« der politischen Geschichte der frühen
äußeren Faktoren abhängig. Neu gegenüber der – und nicht nur der frühen – Neuzeit. Seine
102 II. Werk

Formel ist deshalb nicht durch moralische Entrü- interesse verwechselte – Interesse ihres Staates
stung, sondern allein durch historische Kritik zu auf Kosten sowohl anderer Einzelstaaten als auch
entkräften – durch den Nachweis, daß die ge- des Deutschen Reiches verfolgen – ohne gewahr
schichtliche Entwicklung durch andere Motive zu werden, daß sie mit dieser Politik auch ihr
bestimmt worden sei. Doch verständlicher Weise eigenes wohlverstandenes Interesse schädigen.
unternimmt keiner der moralisierenden Kritiker Trotz dieser verderblichen Orientierung an ihrem
auch nur einen (ohnehin vergeblichen) Versuch Partikularinteresse halten die souveränen Staaten
zur Korrektur des Bildes der damaligen politi- am Reichsverband und an der Forderung fest, daß
schen Lage, das Hegel auf mehreren hundert Deutschland ein Staat sein solle. Hierin liegt der
Seiten akribisch zeichnet. »Widerspruch«, »die Verhältnisse der Stände so
zu bestimmen, daß kein Staat möglich noch wirk-
Das liebe heil’ge Röm’sche Reich lich ist, und doch soll Deutschland schlechthin
Wie hält’s nur noch zusammen?« als ein Staat gelten« (GW 5.194). Auf der Ebene
(Faust. Auerbachs Keller) des Interesses löst sich dieser »Widerspruch«
allerdings insofern, als auch das vermeintliche
(4) Diese Frage haben damals nicht allein die Interesse am »Reichszusammenhang« letztlich
Zechgenossen in Auerbachs Keller gestellt. Hegel nur ein Interesse am eigenen Vorteil ist (GW
hat sich nicht gescheut, dieses politisch und des- 5.44). Auf der Ebene des Staatsrechts hingegen
halb garstig Lied zu singen. Die überkommenen bleibt er bestehen. Hegel greift deshalb zu para-
Fragmente der Verfassungsschrift bilden den wie- dox anmutenden Formulierungen: Die Deut-
derholten Erweis des immer wieder angeschlage- schen seien »wohl das einzige Volk, dessen
nen provozierenden Kernsatzes: »Deutschland ist StaatsVerbindung so organisirt ist, daß keine
kein Staat mehr«. Ihre retrospektive Analyse der StaatsVerbindung statt finde«; das Staatsrecht sei
deutschen Misere reicht über den Dreißigjähri- »gegen das Recht des Staates« organisiert (GW
gen Krieg zurück ins Lehenssystem und zum 5.56 f.). Der staatsrechtliche Ausdruck »Reich« sei
Prinzip der »deutschen Freiheit«, das er – mit ein bloßer Euphemismus an Stelle des Faktums,
Montesquieu – in den »germanischen Wäldern« daß Deutschland kein Staat mehr sei. Die Verbin-
beheimatet sieht. Verfehlt sei jedoch nicht dieses dung der souveränen Einzelstaaten unter ein-
Prinzip der »deutschen Freiheit«, sondern die ander sei lockerer als sonstige Bündnisse mit
Form seiner neueren Entfaltung. Sie perpetuiert Staaten außerhalb des Reiches; die Einzelstaaten
die gleichsam privatrechtlichen Lehensverhält- verbänden sich nur mit einander, »ohne doch
nisse unter den Bedingungen der souveränen etwas gemeinschafftliches haben zu wollen«.
Staaten der Neuzeit und verwechselt somit Pri- Deutschland sei deshalb ein Staat nur »in Ge-
vatrecht und Staatsrecht (GW 5.11 et passim). In danken, und kein Staat in der Wirklichkeit«: der
dieser Verwechselung liegt für Hegel die Wurzel »Formalität« nach ein Staat, der Realität nach ein
der zeitgenössischen Misere: Deutschland ist »NichtSeyn des Staates«, also ein bloßes Gedan-
kein Staat mehr, weil dasjenige Recht, das sein kending oder »Gedankenstaat« (GW 5.194).
öffentliches Recht bilden müßte, als Privatrecht (5) Über dieser schonungslosen Entlarvung so-
gehandhabt wird. Diese Einsicht erklärt einen wohl der staatsrechtlichen als auch der faktischen
Teil der Vehemenz, mit der er später in § 258 der Realität des damaligen Deutschland – und zudem
Grundlinien der Philosophie des Rechts gegen v. über der moralischen Entrüstung über die von
Hallers Programm der Restauration der Staats- Hegel akzentuierte reale Bedeutung politischer
wissenschaften polemisiert, das auf die Abschaf- Macht – ist ein zweiter, kaum weniger wichtiger
fung der neu begründeten öffentlich-rechtlichen Aspekt übersehen worden: die in der Verfas-
Verhältnisse zu Gunsten privatrechtlicher, patri- sungsschrift gewonnene Einsicht in das Verhält-
monialer zielt. nis von Religion und Staat. Hegel erarbeitet sich
Diese von Hegel beklagte Verwechselung von hier eine Einsicht, die im Anschluß an Carl
Privatrecht und Staatsrecht ist freilich kein bloßer Schmitt erst von der politischen Ideengeschichte
»Kategorienfehler«: Sie ist der begriffliche Aus- der letzten Jahrzehnte aufgenommen und zur
druck der (vermeinten) Interessenlage der deut- Geltung gebracht worden ist: Die Entstehung des
schen Fürsten, die das – zudem mit ihrem Privat- modernen Staates ist wesentlich das Produkt der
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 103

konfessionellen Bürgerkriege des späten 16. und bildung eines neuen Prinzips korrigiert, gleich-
des 17. Jahrhunderts. sam durch eine den bewußten Zwecken über-
In diesem Prozeß sind jedoch zwei Phasen zu legene immanente Vernunft der gesellschaftli-
unterscheiden, die man als »Destruktion« und chen Verhältnisse: Da sich unter den politischen
»Adaptation« unterscheiden kann. Die Konfes- Bedingungen der deutschen Staaten die Einheit
sionsspaltung zerreißt den traditionellen Staat – von Konfession und Staat nicht mehr verwirkli-
weil dieser Staat seinem Selbstverständnis zu- chen läßt, erhält die faktische »Trennung« einen
folge mit der Religion eine Einheit bildet. »Die anderen Gegenstand und eine andere Funktion:
Religion, statt durch ihre eigne Spaltung sich vom Sie zerreißt nicht den Staat, sondern sie hebt das
Staate abzusondern, hat vielmehr diese Spaltung Prinzip der Einheit von Religion und Staat auf
in den Staat hineingetragen, und am meisten und führt zur Einsicht, »daß verschiedener Reli-
beygetragen, den Staat aufzuheben, und sich so in gionen ungeachtet, ein Staat möglich ist.« (GW
das was Verfassung heißt hineingeflochten, daß 5.22) Indem »die Religion den Staat vollständig
sie Bedingung von Staatsrechten ist.« Für zerrissen hat, hat sie auf eine wunderbare Weise
Deutschland ist dieses Zerreißen der Einheit von doch zugleich die Ahndung einiger Grundsätze
Religion und Staat besonders bedrohlich, da auf gegeben, worauf ein Staat beruhen kan; indem
Grund des gegenüber anderen Ländern lockeren ihre Spaltung die Menschen in dem innersten
Staatsverbandes hierdurch »gewissermassen fast Wesen auseinanderriß, und doch noch eine Ver-
das einzige Band zerrissen war« (GW 5.96). Eben bindung bleiben sollte, so muß sie sich über
deshalb wird diese Destruktion hier noch ziel- äussere Dinge, Kriegführen u. s. w. äusserlich ver-
bewußt gefördert: Es liegt damals im partikulari- binden; eine Verbindung, die das Princip der
stischen Interesse der Fürsten, am Prinzip der modernen Staaten ist.« (GW 5.99) Hegel faßt
Einheit von Religion und Staat festhalten, um deshalb den Ertrag der geschichtlichen Entwick-
dadurch den Reichsverband zu schwächen: »die lung zu einem staatsrechtlichen Prinzip zusam-
Trennung der Religion hat wohl am meisten bei- men: »Daß nur ein Staat möglich ist, ist die
getragen, diß Staatsverband zu zerreissen, und Trennung der Religion und Politik nothwendig«
diß Zerreissen gesezlich zu machen; weil die (GW 5.46).
Fürsten keine bessere Hülfe dazu als im Ge- Diese Einsicht Hegels steht konträr zu der ro-
wissen ihrer Unterthanen finden konnten, oder mantisierenden Tendenz nicht allein seiner Zeit,
auch weil die Zeiten worein diese Religions- die von einer Rückkehr zur Einheit der Kon-
Trennungen fielen, zu ungeschikt waren, die Kir- fessionen im größeren Rahmen einer idealisier-
che vom Staat zu trennen, und der Trennungen ten mittelalterlichen Einheit von Kirche und Staat
des Glaubens ungeachtet, den Staat ganz zu er- träumt – exemplarisch in Novalis’ Die Christen-
halten.« (GW 5.20–22, vgl. 98) Ein Beispiel hier- heit oder Europa (1799). In Hegels Perspektive
für bietet etwa das staatsrechtliche Institut der wäre solche Rückkehr – ungeachtet der Frage
»itio in partes«: daß der Reichstag in verschie- ihrer Realisierbarkeit – genau der falsche Weg
dene konfessionelle Gruppierungen auseinan- zur Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens,
dergeht, ohne daß die eine die andere über- weil er ein mühsam errungenes Prinzip poli-
stimmt. Für Religionssachen durchaus angemes- tischer Freiheit wieder aufhöbe.
sen, wirkt es darüber hinaus als fatales Instru- (6) Rudolf Haym kritisiert den Hegel der Ver-
ment zur Blockierung eigentlich politischer fassungsschrift wie schon den der Württemberg-
Entscheidungen. Dieses Interesse an der politi- Schrift als »den Theoretiker, welcher in’s
schen Paralysierung des Reiches durch die Kon- Schwanken geräth, sobald er aus seinen Vorder-
fessionsspaltung wird auch von der französischen sätzen den praktischen Schluß ziehen soll« (1857,
Politik geteilt, die sehr bewußt den religiösen 74). Man kann diese Ansicht teilen, wenn man
Gegensatz als ein machtpolitisches Instrument die Verfassungsschrift ausschließlich als eine po-
zur Schwächung Deutschlands einsetzt und somit litische Flugschrift liest. Hierhin mag man He-
dort eine Situation fördert, die sie im eigenen gels Vorschlag rechnen, die Neugestaltung
Lande mit Gewalt verhindert (GW 5.128). Deutschlands einem Repräsentativsystem anzu-
Doch diese destruktiven Tendenzen und vertrauen, das sich an Österreich anlehnt, dessen
Zwecke werden durch die geschichtliche Heraus- Verfassung bereits das Moment der Repräsenta-
104 II. Werk

tion enthalte – im Unterschied zu Preußen. Aber vor dem Licht dieser Sonne verschwindet dem
schon Hegels Behauptung, eine Einigung geblendeten Blick des Denkers alle innere Man-
Deutschlands zu einem »Staat« könne angesichts nigfaltigkeit staatlichen, alle geistige Fülle natio-
des herrschenden Partikularismus nur durch Ge- nalen Lebens.« (109) Doch hier entschwindet
walt erfolgen, läßt sich nicht als ein solcher wan- dem geblendeten Blick des Interpreten weit mehr
kelmütiger »praktischer Schluß« betrachten, son- als dem von ihm fast böswillig entstellten Den-
dern als eine vielleicht mißliebige, gleichwohl ker.
hellsichtige Prognose: »Der gemeine Hauffen des Deutschland ist kein Staat mehr, weil dem
deutschen Volks, nebst ihren Landständen, die Reich nicht die Souveränität im Sinne Jean Bo-
von gar nicht anderm als von Trennung der deut- dins, die »summa potestas«, die höchste Gewalt,
schen Völkerschafften wissen, und denen die Ver- zukommt – allenfalls noch als gedachte, aber
einigung derselben etwas ganz fremdes ist, nicht als wirkliche. Ein politisches Gebilde ohne
müßte durch die Gewalt eines Eroberers in Eine Souveränität aber ist nicht »Staat« im prägnanten
Masse versammelt sie müßten gezwungen wer- neuzeitlichen Sinne. Die Ignorierung dieses
den, sich zu Deutschland gehörig zu betrachten.« Grundbegriffs des modernen Staates als des Zen-
(GW 5.157) Die Forschung hat sich mehr mit trums der politischen Macht läßt den Reichs-
Identifikationsbemühungen abgegeben, wen He- verband zum Gespött sowohl der eigenen Fürsten
gel denn mit dem »Theseus« gemeint habe, dem als auch der auswärtigen Eroberer werden und
er diese Vereinigungstat zuschreibt – ob Napo- gibt ihn deren Machtinteressen Preis. Gegen
leon (Dilthey 1905, 137) oder Erzherzog Karl, diese basale theoretische und von Deutschlands
den Bruder des Kaisers Franz II. und als Leiter Nachbarstaaten auch praktizierte Einsicht hilft es
der Staatskanzlei und Hofkriegsrat um 1800 den nichts, mit Rosenzweig die »geistige Fülle natio-
›starken Mann‹ Habsburgs (Rosenzweig 1920, Bd nalen Lebens« aufzubieten; die Machtlosigkeit
1. 126 f., Pöggeler 1977, 99). Wichtiger ist es zu des Staates führt vielmehr zum Verlust eben die-
sehen, daß die Vorgeschichte der Reichsgrün- ses »nationalen Lebens« – zur faktischen Zer-
dung siebzig Jahre später diese Prognose bestä- splitterung und über die Jahrhunderte hinweg
tigt hat: Der Partikularismus der deutschen Staa- kontinuierlichen Amputation des Reiches durch
ten hat sich allein durch »Gewalt« überwinden diejenigen Mächte, deren Politik Hegel die zuvor
lassen – wobei die Ebene des Faktischen nicht mit träumerisch geschlossenen Augen geöffnet und
der des Erwünschten zu verwechseln ist. über das Wesen des modernen Staates belehrt
(7) Die Bedeutung der Verfassungsschrift liegt hat.
jedoch weniger in dem – ihr fraglos zukommen- Die Kritik des Hegelschen »Machtstaates« ver-
den – Charakter einer politischen Flugschrift als schweigt ferner den grundlegend defensiven
vielmehr darin, daß Hegel in ihr die politische Charakter dieses Staates: Unter dem Titel »Be-
Publizistik zu einer Staatsphilosophie weiterent- griff des Staats« beginnt Hegel mit der Defini-
wickelt und hierbei entscheidende und bleibende tion: »Eine Menschenmenge kann sich nur einen
Charakteristika seines Staatsverständnisses erar- Staat nennen, wenn sie zur gemeinschafftlichen
beitet – etwa im Blick auf das eben berührte Vertheidigung der Gesammtheit ihres Eigen-
Verhältnis von Staat und Religion. thums verbunden ist (GW 5.165, vgl. 66–68).
In dem Begriff des Staats, den Hegel aus der Dieser Zusammenschluß zur Bildung einer ober-
kontrastierenden Erfahrung der deutschen und sten Gewalt im Interesse der Verteidigung des
der französischen Geschichte seit dem Westfä- Eigentums (wie Hegel mehrfach wiederholt)
lischen Frieden gewinnt, dominiert das Moment macht den Kern des Staates und den Kristallisa-
der »Macht« – und damit das Moment, das Hegel tionspunkt für zwei essentielle »HauptGewalten«
als einen der Vorreiter des Machtstaatsgedankens aus: Auch in einer politischen Situation, die von
erscheinen läßt. Franz Rosenzweig hat stilbil- der früher offenen Gewalt zu berechneter, wohl-
dend für einen Zweig der Hegelkritik gewirkt, als dosierter Gewalt übergegangen ist (GW 5.92),
er im Blick auf die Verfassungsschrift seine ganze bedarf es eines einheitlich geführten, schlagkräf-
Abneigung gegen Hegel in den Satz gekleidet hat: tigen Heeres, das nicht, wie die »Reichsarmee«,
»›Macht, Macht und abermals Macht‹ steht über nur zum Material für Anekdoten taugt. Und es
dem Eingang dieses Staatsgebäudes geschrieben; bedarf einer einheitlichen Finanzverwaltung
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 105

(GW 5.81–87), die nicht durch die periodischen nes, geistloses Leben« – im revolutionären
öffentlichen Berichte darüber, daß die Reichs- Frankreich wie unter anderen Prämissen in sei-
kriegskasse noch 500 und wenig später nur noch nem scheinbaren Gegensatz, im absolutistischen
300 Gulden enthalte, allenfalls zur Erheiterung Preußen. Ein alteuropäisches Ideal der unmittel-
der Feinde des Reiches beitrage (GW 5.84,184). baren Teilnahme an der zentralen Beratung und
Die Kritik des Hegelschen »Machtstaates« ver- Entscheidung sei zwar unter den Bedingungen
schweigt ferner beharrlich, daß Hegel vehement der modernen Flächenstaaten nicht mehr mög-
dafür plädiert, die aus dem Gedanken des Staates lich; gleichwohl seien die nicht zur Verteidigung
als der höchsten Gewalt fließenden Funktionen des Eigentums erforderlichen Geschäfte der Ver-
auf die beiden genannten zu begrenzen: auf die waltung durch die Bürger zu überlassen (GW
Gewalt zur Verteidigung und auf die Finanzho- 5.172–177).
heit. Rosenzweig räumt dies zwar einmal ein (8) Trotz seiner erklärten Absicht, die von ihm
(111), sucht diesen markanten Zug gerade dieses schonungslos bloßgestellten verkehrten Verhält-
frühen Hegelschen Staatsbegriffs aber möglichst nisse »zum Bewußtseyn zu bringen« (GW 5.54),
herunterzuspielen – obschon Hegel hier überaus erwartet Hegel von solchem besseren Bewußt-
klar ist: Was nicht für die Organisation der höch- sein keine unmittelbaren politischen Auswirkun-
sten Gewalt zur Erhaltung der äußeren und in- gen, weil »der Begriff und die Einsicht der Noth-
neren Sicherheit erforderlich ist, müsse die Re- wendigkeit viel zu schwach ist, um aufs Handeln
gierung »der Freyheit der Bürger überlassen«, selbst zu wirken; der Begriff und Einsicht führt
und Hegel betont, »daß ihr nichts so heilig seyn etwas so mistrauisches gegen sich, mit, daß er
müsse, als das freye Thun der Bürger in solchen durch die Gewalt gerechtfertigt werden muß,
Dingen gewähren zu lassen und zu schützen, dann unterwirft sich ihm der Mensch.« (GW
ohne alle Rücksicht auf Nutzen, denn diese Frey- 5.158) Auch dies ist eine – vielleicht defätistische
heit ist an sich selbst heilig« (GW 5.175). Nicht – Deskription, die jedoch nicht schon aus morali-
einmal die Einheit des bürgerlichen Rechts gilt schen Bedenken zu verwerfen, sondern gege-
ihm als konstitutiv für einen Staat – eine Behaup- benenfalls durch eine historisch angemessenere
tung, die er durch einen Rückblick auf die sehr zu ersetzen ist. Freilich läßt eine derartige Ein-
partikularistische Rechtsverfassung des vorrevo- schätzung am Sinn einer politischen Flugschrift
lutionären Frankreich und durch das Gedanken- zweifeln. Andererseits sieht Hegel aber dennoch
experiment zu erweisen sucht, daß auch eine einen Zweck seiner Ausführungen: »das Verste-
einheitliche Geltung des römischen Rechts in den hen dessen was ist, und damit die ruhigere An-
europäischen Staaten diese nicht zu einem Ge- sicht, so wie ein in der wirklichen Berührung und
samtstaat konstituierte (GW 5.69 f.). Der vielge- in Worten gemässigtes Ertragen derselben zu be-
schmähte Hegelsche ›Machtstaat‹ umfaßt inso- fördern.« (GW 5.163) Mit diesen Worten spricht
fern weit weniger Funktionen als irgendein heu- Hegel erstmals programmatisch aus, was für ihn
tiger Staat, und er ist in diesem Sinne erheblich später nicht mehr die enge Aufgabe politischer
»liberaler«. Publizistik bezeichnet, sondern die Aufgabe sei-
Das Gegenteil eines solchen Freiheit gewäh- ner Philosophie insgesamt: »das Verstehen des-
renden Staates sieht Hegel nunmehr dort ver- sen was ist«.
wirklicht, wo für ihn zuvor die Freiheit behei-
matet war: im revolutionären Frankreich. Jetzt Erstdruck: Hegel: Kritik der Verfassung Deutschlands.
Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers
unterzieht er dessen innere Struktur einer schar-
herausgegeben von Dr. Georg Mollat. Nebst einer Bei-
fen Kritik: Die von »seynwollenden Philosophen lage. Kassel 1893. – Text: GW 5.1–219, 453 f.; Edito-
und Menschheitrechtelehrern« aufgestellte und rischer Bericht: 552–611. – Quelle: Johann Stephan
in Frankreich verwirklichte Politik suche mit »pe- Pütter: Historische Entwickelung der heutigen Staats-
dantischer Sucht«, alle Lebensverhältnisse bis ins verfassung des Teutschen Reiches. 3 Bde. Göttingen
kleinste Detail »von oben herunter« zu regeln. Sie 1786–1787. – Literatur: R 235–246; Haym: Hegel und
seine Zeit (1857), 68–80,485–492; Dilthey: Jugend-
lebe von dem »Grundvorurtheil, daß ein Staat
geschichte Hegels (1905), 126–137; Rosenzweig: Hegel
eine Maschine mit einer einzigen Feder ist, die und der Staat (1920), Bd. 1.104–130; Hermann Heller:
allem übrigen unendlichen Räderwerk die Bewe- Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in
gung mittheilt« – aber sie erzeuge nur ein »leder- Deutschland. Ein Beitrag zur politischen Geistesge-
106 II. Werk

schichte. 11921, ND Aalen 1963; Hans Maier: Einige 30). Hierdurch ist Hegel erheblich in Zeitnot
historische Vorbemerkungen zu Hegels politischer Phi- geraten. Er hat erst am 18.8. Nachricht erhalten,
losophie. In: Bubner (Hg.): Das älteste Systempro-
daß er, wenn schon nicht auf der Grundlage einer
gramm (1973), 151–165; Shlomo Avineri: Hegels Theo-
rie des modernen Staates. Frankfurt am Main 1976 gedruckten Schrift nebst beigefügter Thesen,
(englisch 1972), 49–81; Ho čevar: Stände und Repräsen- doch zumindest (wie zuvor schon Friedrich
tation (1968), 147–182; Otto Pöggeler: Hegels Option Schlegel) auf Grund gedruckter Thesen disputie-
für Österreich. Die Konzeption korporativer Repräsen- ren und vor Beginn des Semesters seine Probe-
tation. HS 12 (1977), 83–128; Marie Jeanne Königson- vorlesung halten und seine Dissertation drucken
Montain: L’écrit de Hegel sur la constitution de l’Alle-
lassen müsse, um noch im Winter lesen zu kön-
magne (1799–1802). In: Henrich / Horstmann (Hg.):
Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechts- nen. Trotz der knappen Zeit hat Hegel die Auf-
formen und ihre Logik. Stuttgart 1982, 38–55; Udo lagen der Fakultät erfüllt und am 27.8., seinem
Rameil: Restitutio Imperii? Betrachtungen zu Sinclairs Geburtstag, disputiert: » R e s p o n d e n s war
Entwurf einer Verfassung Deutschlands mit Rücksicht Herr S c h e l l i n g [sc. der Bruder des Philoso-
auf Hegels Verfassungsschrift. In: Jamme / Pöggeler phen] aus dem Wirtembergischen o p p o n e n t e s
(Hg.): »Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde«
Herr Prof. N i e t h a m m e r, Herr Prof. S c h e l -
(1983), 135–167; Domenico Losurdo: Hegel und das
deutsche Erbe. Philosophie und nationale Frage zwi- l i n g und Herr S c h w a r z o t t«, ein Student
schen Revolution und Reaktion. Köln 1989, insbeson- (Kimmerle 1967, 43).
dere 135–141; Matthias Pape: Revolution und Reichs- (2) Die zwölf Praemissae Theses hat Hegel als
verfassung – Die Verfassungsdiskussion zwischen Für- Grundlage für seine Disputation somit zwischen
stenbund und Rheinbund. In: Elisabeth Weisser-Loh- dem 18. und dem 22.8. entworfen und drucken
mann / Dietmar Köhler (Hg.): Verfassung und
lassen. Sie sollten über die Dissertatio hinaus die
Revolution. Hegels Verfassungskonzeption und die Re-
volutionen der Neuzeit. HSB 42 (2000), 40–84; Hegel: Tiefe und Breite des akademischen Profils des
Über die Reichsverfassung. Hg. von Hans Maier. Nach Habilitanden in der theoretischen und prakti-
der Textfassung von Kurt Rainer Meist. München schen Philosophie verdeutlichen und natürlich
2002. auch durch ihre paradoxe Formulierung Stoff zur
regen Diskussion bieten (GW 5.616–618). Sie
deuten mehrere Themen an, die für die weitere
4.2. Dissertatio philosophica Ausbildung der Philosophie Hegels bestimmend
de orbitis planetarum geworden sind – insbesondere die Thesen I
(»Contradictio est regula veri, non contradictio,
(1) Es ist nicht mehr bekannt, wann und unter falsi.«), II (»Syllogismus est principium Idea-
welchen Umständen Hegel sich entschlossen hat, lismi.«) und VI (»Idea est synthesis infiniti et
die Habilitation in Jena anzustreben (s. 20 f.). finiti, et philosophia omnis est in ideis.«). Auffäl-
Genau bekannt sind hingegen seit Kimmerles lig ist die Kritik an Kant (VII: »Philosophia critica
Forschungen die einzelnen Schritte des Verfah- caret ideis, et imperfecta est Scepticismi forma.«)
rens. Sie sind im sog. »Modell-Buch« der Univer- und im Gegenzug die Hervorhebung Spinozas
sität Jena sowie durch zusätzliche Fakultätsbe- (These VIII); auch von den Thesen zur prak-
schlüsse geregelt. Zumindest mit den letzteren tischen Philosophie (IX-XII) wenden sich die
scheint Hegel nicht vollständig vertraut gewesen Thesen X und XII implizit gegen den Kritizis-
zu sein; er scheint angenommen zu haben, sein mus.
Gesuch vom 8.8.01 um »Nostrifikation«, d. h. um (3) Hinweise auf den Verlauf der Disputation
Anerkennung seines Tübinger Magistergrades geben ein Doppelblatt, auf dem Hegel sich la-
durch die Jenaer Fakultät, reiche als Vorausset- teinische Wendungen Zur Disputation notiert
zung für die Aufnahme von Vorlesungen aus. Er hat, sowie Notizen Schellings auf dessen Exem-
wird jedoch durch die Fakultät darauf verwiesen, plar der Praemissae Theses. Die letzteren machen
daß er vor Erteilung der Lehrerlaubnis und der deutlich, daß die festgefügte Rollenverteilung
Aufnahme in den Lektionskatalog eine Habilita- während der Disputation ins Wanken geraten ist,
tionsdisputation oder eine Probevorlesung zu so daß der »Opponent« Schelling zu Gunsten
halten habe. Soweit sich erkennen läßt, ist dieses Hegels seinen Bruder auf dessen Funktion als
Verfahren erst Anfang August von der Fakultät »Respondent« hinweist (GW 5.229–231,611–
»einmüthig festgesetzt« worden (Kimmerle 1967, 616).
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 107

(4) Die vorgeschriebene lateinische Disserta- und Geistesphilosophie dominieren, verwundert


tion – De orbitis planetarum – hat Hegel erst es, daß Hegel sich mit einer naturphilosophi-
zwischen der Disputation und dem Beginn seiner schen Arbeit habilitiert. Dies erregt den Verdacht,
Vorlesungen Mitte Oktober 1801 drucken lassen – daß er mit der Wahl dieses Themas entgegen
und zwar auf der Grundlage einer umfangrei- seinen philosophischen Schwerpunkten, Schel-
cheren deutschsprachigen Vorstufe. Rosenkranz lings naturphilosophischen Interessen Tribut
berichtet, er habe im Nachlaß »eine sehr schöne zollt. Doch der Eindruck der naturphilosophi-
Arbeit über das Verhältniß Kepplers und Newtons schen Abstinenz des jungen Hegel entspringt le-
gefunden«; Hegel habe »die Arbeit über das Ge- diglich der Ungunst der Überlieferungslage. Ro-
setz der Planetenabstände offenbar drei mal ge- senkranz’ Berichte über Frankfurter Studien,
macht, erstens im reinen Calcul, den ich auch auch über Hegels Lektüre der einschlägigen
noch gefunden habe; zweitens in dieser deut- Schriften Schellings (R 100), belegen hinlänglich
schen Abhandlung, die eigentlich dasselbe ein genuines Interesse Hegels an der Naturphilo-
Thema hat, als Schellings Buch von der Welt- sophie. Mit der Wahl des Themas der Himmels-
seele, d. h. die Unterscheidung des Mechani- mechanik wie auch mit seiner Deutung des Ver-
schen und Organischen und vorzüglich der ab- hältnisses Newtons zu Kepler betritt er zudem ein
soluten Mechanik von der endlichen. Drittens in Gebiet, das für Schelling allenfalls am Rande
der lateinischen Dissertation die nur 1/3 der steht (AA I/5.193; vgl. aber SW I/4.473). Rosen-
deutschen umfaßt.« (GW 5.537, vgl. 634 sowie R kranz urteilt zwar, wie eben zitiert, Hegels um-
151 f.) fangreiche deutschsprachige Schrift habe ganz
Diese Arbeit ist fraglos aus den Frankfurter dasselbe Thema wie Schellings Weltseele. Gleich-
Exzerpten zur Naturphilosophie erwachsen, auf wohl gewinnt Hegel mit der lateinischen Dis-
die Rosenkranz durch seine Bemerkung anspielt, sertation sowohl thematisch als auch methodisch
Hegel habe das Thema der Planetenabstände ein eigenes Profil – was Schelling damals durch
schon lange mit sich herumgetragen (R 151). Hinweise auf Hegels Arbeiten ausdrücklich aner-
Hegels vielfältige Arbeiten des Jahres 1801 ma- kennt (SW I/4.330,432).
chen es zudem wahrscheinlich, daß die deutsch- Der Abhandlung der Planetenbahnen liegt
sprachige Schrift bereits in Frankfurt entstanden letztlich ein methodologisches, ja ein ›wissen-
sei. Unklar ist jedoch, wann Hegel aus der um- schaftstheoretisches‹ Problem zu Grunde: die
fangreichen deutschen Vorlage die lateinische Frage nach dem Verhältnis von Mathematik, Phy-
Druckfassung hergestellt hat. Mit Datum vom 16. sik und Philosophie bei der Erklärung der Natur.
August betont Hegel gegenüber dem Dekan, daß Hegel geht davon aus, daß die Gesetze, »quas
in den »zwölf bis vierzehn Tagen« bis zur Redak- scientia astronomica exhibet, ab alia scientia, a
tion des Vorlesungsverzeichnisses »eine Disputa- Mathematica potius originem ducere, quam ex
tion nicht geschrieben, gedrukt, ausgegeben und ipsa natura vere petitas, seu a ratione constructas
vertheidigt werden kann; aber ich zweifle nicht, esse« – und gegen diese Vermischung von Ma-
daß, wenn ich den größten Theil oder die ganze thematik und Physik richtet sich der Stoß seiner
Dissertation vor diesem Termin eingebe, Sie und Dissertation: »caveamus, ne rationes pure ma-
die philosophische Fakultät befriedigt seyn wer- thematicas cum rationibus physicis confundamus,
den«. (Kimmerle 1967, 31) Da Hegel hier nichts lineas, quibus geometria ad construendas theo-
von einer deutschsprachigen Fassung erwähnt, rematum demonstrationes utitur, temere vires aut
steht zu vermuten, daß er damals bereits über virium directiones putantes.« (GW 5.238) Hegel
einen zumindest partiellen lateinischen Text der sucht diesen Kritikpunkt in immer neuen Wen-
Dissertation verfügt (anders GW 5.630). Auch dungen einzuschärfen: Demjenigen, das bloß in
das Titelblatt der Ende August gedruckten Dis- der Mathematik Realität hat, darf man nicht phy-
putationsthesen nennt bereits den Titel der zwei sikalische Realität zugestehen. Und diese inkri-
Monate später erscheinenden Dissertation: Dis- minierte blinde Vermischung wirft er Newton
sertationi philosophicae de orbitis planetarum (und wohl richtiger dem Newtonianismus des
praemissae theses. späten 18. Jahrhunderts) vor. Kepler hingegen
(5) Sowohl von den Frühen Schriften Hegels hätte die von ihm entdeckte physikalische Gestalt
als auch vom späteren Werk her, in dem Logik der unveränderlichen Gesetze leicht in eine rein
108 II. Werk

mathematische Formel kleiden können – doch doch wiederum eben diese Engführung von Pla-
habe er solche Konfusion nicht ertragen können. netenabständen und arithmetischer Progression.
(6) Die Dissertation De orbitis planetarum hat Denn gerade w e n n man die Titius-Bodesche
Hegel die akademische Laufbahn eröffnet; sie hat Reihe zu Grunde legt, dürften diese drei Plane-
jedoch zugleich Vorurteile gegenüber seiner Phi- toiden und vor allem der Planet Neptun nicht
losophie geschaffen und zementiert – und dies existieren – und so haben diese letzteren Ent-
auf Grund einer Verkehrung des Sinnes seines deckungen Hegels Zweifel an der existenzbewei-
Textes und einer gefälligen Anekdote, die sich um senden Kraft arithmetischer Progressionen wie-
ihn rankt – als habe der spekulative Philosoph derum bestätigt (von den modernen ganz zu
mittels der Empirie entdeckte Planeten mit der schweigen). Es ist deshalb zwar verständlich,
Floskel »um so schlimmer für die Tatsachen« wenn Hegel später, in der ersten Auflage der
wegdemonstrieren wollen. Enzyklopädie, von seiner Planetenschrift ab-
Am Schluß seiner Dissertation kommt Hegel rückt: »Was die Reihe der Planeten betrift, so hat
im Kontext des Verhältnisses von »natura« und die Astronomie über die nächste Bestimmtheit
»ratio«, von Empirie und rationaler Erklärung, derselben, die E n t f e r n u n g , noch kein wirk-
auf den damals als mißlich empfundenen Um- liches Gesetz, vielweniger etwas Vernünftiges
stand zu sprechen, daß in der Titius-Bodeschen entdeckt. – Was ich in einer früheren Dissertation
Planetenreihe dem fünften Glied der arithmeti- hierüber versucht habe, kann ich nicht mehr für
schen Progression (4, 7, 10, 16, 28, 52, 100) kein befriedigend ansehen.« (1 § 225, vgl. V 7.43) In
(damals bekannter) Planet entspreche. Er ver- dem entscheidenden Punkt allerdings, ob diese
weist die Berufung auf eine derartige arithmeti- Entfernungen durch mathematische Reihen zu
sche Progression aus der Philosophie (»ad philo- fassen seien, bedarf es ersichtlich gerade keiner
sophiam nullomodo pertinet«) und macht darauf Selbstkorrektur. Die bis in die Gegenwart ver-
aufmerksam, daß, w e n n man statt dessen die breitete Kritik bietet hier in einer konfusen Mi-
pythagoräische Reihe (1, 2, 3, 4, 9, 16, 27) zu schung aus Ressentiment und Ignoranz das Bei-
Grunde legte, an dieser Stelle kein Planet zu spiel einer »verkehrten Welt«: Der vermeintliche
erwarten wäre: »Quae series si verior naturae Spekulant und Empiriefeind Hegel argumentiert
ordo sit, quam illa arithmetica progressio, inter gerade gegen den Schluß aus abstrakten Model-
quartum et quintum locum magnum esse spa- len auf empirische Realität, während die angeb-
tium, neque ibi planetam desiderari apparet.« lich naturwissenschaftlich arrivierte Titius-Bode-
(GW 5.252) Es ist jedoch keineswegs Hegels sche Reihe gerade nicht auf Empirie, sondern auf
Absicht, mit seiner ausdrücklich hypothetischen eben der »theologisch-apriorischen« Annahme
Überlegung diese zweite Reihe als die wahrhafte über die Tätigkeit des Schöpfers beruht, die He-
zu behaupten. Er wendet sich vielmehr generell gel zum Vorwurf gemacht wird (Neuser 1986, 56).
dagegen, die Existenz natürlicher Dinge durch
Erstdrucke bzw. Manuskript: Dissertationi Philosophi-
Rekurs auf vergleichsweise beliebige Reihen be-
cae de Orbitis Planetarvm Praemissae Theses […].
gründen zu wollen, aus denen sich gleicherma- Ienae o. J. – Manuskript: Zur Disputation. – Dissertatio
ßen beliebige Ergebnisse ableiten lassen (vgl. philosophica de orbitis planetarum […]. Jena 1801. –
Schelling, SW I/4.472 f.). Text: GW 5.223–228 bzw. 229–231 bzw. 233–253. –
Nun schien Piazzis Entdeckung des ›Planeten‹ Literatur: R 151–159; Kimmerle: Dokumente zu Hegels
Ceres zwischen Mars und Jupiter (1.1.01), die im Jenaer Dozententätigkeit (1801–1807). HS 4 (1967),
21–99, bes. 28–43; Theodor G. Bucher: Wissenschafts-
Verlauf der folgenden Jahre von der Vermutung
theoretische Überlegungen zu Hegels Planetenschrift.
zur gesicherten Erkenntnis erhoben wurde, die HS 18 (1983), 65–137; Hegel: Dissertatio Philosophica
heuristische Funktion der Titius-Bodeschen de Orbitis Planetarum. Philosophische Erörterung über
Reihe und somit die Reduzierbarkeit natürlicher die Planetenbahnen. Übersetzt, eingeleitet und kom-
Verhältnisse auf arithmetische Reihen zunächst mentiert von Wolfgang Neuser. Weinheim 1986; Ric-
glanzvoll zu bestätigen und Hegels Zweifel – wie cardo Pozzo: »Der Natur näher«. Zu Hegels Kritik an
Descartes in der Dissertatio de orbitis planetarum. HJb
übrigens auch die Zweifel anderer namhafter
1989, 57–62; Stefan Büttner: Wozu taugt Hegels spe-
Astronomen – zu dementieren. Die wenig späte- kulative Naturphilosophie? Eine unzeitgemäße Natur-
ren Entdeckungen der Planetoiden Pallas (1801), betrachtung dargestellt am Beispiel der spekulativen
Juno (1804) und Vesta (1807) dementierten je- Rekonstruktion des Sonnensystems. In: Philosophie
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 109

und Religion. Schriftenreihe des Forschungsinstituts Die räumliche Trennung zwischen Fichte und
für Philosophie Hannover. Jb 1990/91. Hg. von Peter Schelling begünstigt aber auch die Artikulation
Koslowski und Reinhard Löw. Hildesheim 1990, 68–97;
ihrer ohnehin schon lange Jahre vorhandenen,
Cinzia Ferrini: Guida al »De orbitis planetarum« di
Hegel ed alle sue edizioni e traduzioni. Bern / Stuttgart zuvor jedoch überspielten philosophischen »Dif-
/ Wien 1995; Kurt Rainer Meist: Editorischer Bericht. ferenz«. Spätestens durch die Veröffentlichung
GW 5.622–651. von Schellings System des transscendentalen
Idealismus (1800) zeichnet sich ab, daß Schel-
lings Naturphilosophie nicht einen Teilbereich
4.3. Differenz des Fichte’schen oder eine Ergänzung der Wissenschaftslehre dar-
und Schelling’schen Systems der stellt. Schelling schreibt ihr einen spezifischen
Philosophie systematischen Sinn zu, der einen eigenen, dua-
len Aufriß der Philosophie erfordert und mit dem
Ansatz der Wissenschaftslehre Fichtes nicht ver-
4.3.1. Zur Entstehungssituation
einbaren ist. Diese Differenzen schlagen sich nie-
(1) Die Situation der Philosophie, die Hegel zu der in Fichtes Bemerkungen bei der Lektüre von
Beginn des Jahres 1801 in Jena vorfindet, unter- Schellings transscendentalem Idealismus (1800)
scheidet sich prägnant von der Lage des Jahres und dem Briefwechsel beider (PLS 2/1.183–232)
1798, in dem Schelling nach Jena berufen wird. – auch wenn sie damals zunächst noch nicht für
Diese Veränderung ist teils unmittelbar durch das Publikum offenkundig geworden sind.
den »Atheismusstreit« der Jahre 1798/99, teils (2) Diese, durch fortschreitende Fraktionie-
durch seine Folgen bewirkt. Wegen dieses Strei- rung charakterisierte philosophische Situation
tes hat Fichte 1799 seine Professur verloren und bietet Hegel nach seiner Ankunft in Jena sehr
ist von Jena nach Berlin übergesiedelt (Kodalle / rasch die Gelegenheit zu der »Rückkehr zum
Ohst 1999). Und auch über die lokalen Umstände Eingreifen in das Leben der Menschen«, nach der
hinaus ist die philosophische Lage durch zu- er im Brief an Schelling vom 2.11.00 noch sucht.
nehmende Zersplitterung gekennzeichnet. Der Nach vielen vorangegangenen – und abgesehen
Brief Jacobis an Fichte vom März 1799 (PLS von der Cart-Schrift nicht zur Publikation ge-
2/1.3–43, JWA 2.189–258), der zunächst der Ent- diehenen – Projekten ist seine Schrift über die
lastung Fichtes von der Anklage des Atheismus Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen
dienen sollte, erscheint in der Form, in der er als Systems der Philosophie seine erste eigentliche
»Sendschreiben« veröffentlicht wird, eher als und zudem seine erste philosophische Veröffent-
Verstärkung der Beschuldigung, und somit be- lichung. Er hat sie unmittelbar nach seinem Ein-
wirkt er eine bleibende Entfremdung zwischen treffen in Jena, Anfang 1801, begonnen – vermut-
Jacobi und Fichte. Auch zwischen Reinhold und lich unter partiellem Rückgriff auf Frankfurter
Fichte kommt es zum Bruch – und zwar nicht Vorlagen. Das erste Heft von Reinholds Beiträ-
wegen seines mit dem Brief Jacobis gleichzeiti- gen, auf das Hegel sich häufig bezieht, ist viel-
gen »Sendschreibens« an Fichte (PLS 2/1.47–56), leicht schon Ende Januar erschienen. Wahr-
sondern wegen Reinholds wenig später vollzoge- scheinlich hat Hegel die Niederschrift bereits im
ner Anlehnung an Christoph Gottfried Bardilis April 1801 abgeschlossen, denn er erwähnt das
Grundriß der Ersten Logik (1800). Im ersten Heft zweite, wohl im April erschienene Heft von Rein-
seiner Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zu- holds Beiträgen nur in einer Fußnote als eine seit
standes der Philosophie beym Anfange des 19. der ursprünglichen Niederschrift erschienene
Jahrhunderts (1801) verkündet Reinhold seinen Publikation (GW 4.80), und Schellings im Mai
Übergang von der Wissenschaftslehre Fichtes zur 1801 erschienene Darstellung meines Systems der
Logik Bardilis; seine Versuche, auch Fichte zu Philosophie wird gar nicht genannt. Dies läßt sich
diesem Schritt zu bekehren, weist dieser mit durch die Annahme erklären, daß die Differenz-
seiner Bardili-Rezension (1800) schroff ab – und Schrift im Mai und Juni 1801 gesetzt worden sei;
provoziert dadurch ein erneutes »Sendschreiben« die – üblicher Weise erst nach dem Satz des
Reinholds, auf das er mit einem »Antwortsschrei- Haupttextes geschriebene – »Vorerinnerung« ist
ben« repliziert, auf das wiederum Reinhold du- mit »Jena im Juli 1801« datiert. Noch vor Mitte
pliziert (PLS 2/1.126–181). August ist das Buch, wie Hegel an Mehmel
110 II. Werk

schreibt (Br IV/2.6), »unter der Presse«, also im Ernst Schulze in seiner Schrift Aenesidemus oder
Druck. Dieses Datum wird auch vom Jenaer Pro- über die Fundamente der von dem Herrn Prof.
fessor Ulrich indirekt bestätigt; am 13.8.01 teilt er Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philoso-
seinen Kollegen mit, er habe für Hegels Schrift phie (1792) vernichtend kritisiert hat, sondern
»die Censur geholt« – wobei jedoch das Datum gegen die Form, in der Fichte in seiner Grund-
für diesen Vorgang nicht genannt wird. In den lage der gesammten Wissenschaftslehre diesen Sy-
letzten September- oder in den ersten Oktober- stemgedanken in modifizierter Form aufgenom-
tagen ist die Differenz-Schrift erschienen, denn men und durch die Formulierung dreier Grund-
Schelling bezieht sich in seinem Brief vom sätze weitergebildet hat (GA I/2.255–282) – wo-
3.10.01 an Fichte auf sie als auf ein Buch, das bei er nicht wissen kann, daß Fichte in seinem
»erst dieser Tage […] erschienen« sei (GW Vortrag der »Wissenschaftslehre nova methodo«
4.524). im akademischen Jahr 98/99 selber von diesem
ersten Ansatz abrückt. Auch der gegenüber Rein-
hold bereits verbesserte Begründungsversuch
4.3.2. Das Absolute und das System
Fichtes aus dem Jahr 94/95 trage seine »Nichtig-
(1) Der geläufige Kurztitel Differenz-Schrift keit schon in sich; denn ein durch die Reflexion
bringt nicht zum Ausdruck, daß der Akzent des gesetztes, ein Satz ist für sich ein Beschränktes
ausführlichen Titels dieser Schrift auf dem Wort und Bedingtes, und bedarf einen andern zu sei-
»System« liegt – und somit auf demselben Wort, ner Begründung u.s.f. ins Unendliche.« Und so
das Hegel bereits im Brief an Schelling vom nennt Hegel einen derartigen Systemgedanken
2.11.00 überraschend einführt. Das systematische sehr drastisch einen »Wahn«, der sich insbeson-
Interesse seiner Schrift besteht nicht darin, dem dere dann für gerechtfertigt halte, »wenn das
staunenden Publikum die Einsicht in die Diffe- System selbst das Absolute, das sein Princip ist,
renz zwischen Fichte und Schelling zu eröffnen in der Form eines Satzes oder einer Definition
oder gar diesem selbst »im Spiegel der D i f f e - ausdrükt, die aber im Grunde eine Antinomie ist,
r e n z die Echtheit seines Standpunktes gegen- und sich deßwegen als ein Gesetztes für die
über Fichte« anschaulich zu machen (Tilliette blosse Reflexion selbst aufhebt« (GW 4.23 f.).
1980, 15), von der doch im Briefwechsel zwi- (2) In der Differenz-Schrift führt Hegel den
schen beiden aus dem Jahre 1801 ohnehin ständig Begriff des Absoluten in seine Philosophie ein –
die Rede ist. Hegels Interesse gilt vielmehr der einen Begriff, der seit dem ersten Drittel der
Frage nach dem Systemgedanken und der Sy- 1790er Jahre zentrale Bedeutung für die an Kant
stemform der Philosophie. Nicht erst bei der anschließende Philosophie gewinnt. Kant selber
»Darstellung des Fichte’schen Systems«, sondern spricht zwar dem Adjektiv »absolut« große Be-
bereits in den auf den eigenen Ansatz vorauswei- deutung zu (A 324), doch die Nominalform »das
senden Vorüberlegungen »Mancherlei Formen, Absolute« findet sich anscheinend nur einmal in
die bey dem jetzigen Philosophiren vorkommen« einer Randbemerkung seines Handexemplars (A
wendet Hegel sich sehr nachdrücklich gegen ei- 265), obgleich Kant nicht allein mehrfach vom
nen Systemgedanken, der ein »System als eine »Unbedingten« oder vom »Vernunftbegriff der
Organisation von Sätzen« in einem obersten, unbedingten Totalität« spricht, sondern auch kei-
durch sich selbst gewissen und somit absoluten nen Zweifel darüber läßt, daß es eigentlich um
Fundamentalsatz begründen zu können glaubt. dieses Unbedingte zu tun sei (B XX, 444, 592 f.,
Dies jedoch ist der Systemgedanke, den zunächst 787 f.). In der Philosophie vor Kant aber finden
Reinhold in seiner »Elementarphilosophie« ent- sich – wenn auch nur sporadisch – zwei unter-
faltet hat, um hierdurch Kants Vorstellung von schiedliche Traditionen, den Begriff des Absolu-
»der Form eines Ganzen der Erkenntnis«, von ten zu fassen. Einerseits wird das Absolute ge-
einem »nach notwendigen Gesetzen zusammen- dacht als ein schlechthin Erstes, Unbedingtes,
hängenden System« der Transzendentalphiloso- das alles weitere bedingt – und zwar sowohl im
phie »aus einem Prinzip« zu verwirklichen (B 673). ontologischen wie im logischen Sinne. In diesem
Hegel wendet sich jedoch nicht mehr ausdrück- Sinne eines »Unbedingten« spricht auch Leibniz
lich gegen Reinhold, dessen Versuch, die Philo- mehrfach von der »idee de l’absolû« (ed. Ger-
sophie aus Einem Prinzip zu entwerfen, Gottlob hardt 6.592; auch Nouveaux Essais II,2,17, § 3),
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 111

und noch Fichtes Rede von einem »absolutersten, sich eine interne Logik, die von der Semantik
schlechthin unbedingten Grundsatz« (GA I/2. dieses Begriffs angetrieben wird: Auch dasjenige,
255) steht in dieser Tradition. was nicht durch anderes bedingt ist, jedoch an-
Andererseits wird das Absolute seit Nicolaus deres bedingt, ist eben durch dieses Bedingungs-
Cusanus De docta ignorantia I,2 gedacht als »ab- verhältnis von seinem Bedingten nicht losgelöst
solute Größe« (»maximitas absoluta«): »Maxi- und somit nicht »ab-solut«. Nur dasjenige kann
mum itaque absolutum unum est quod est omnia; im vollen Sinne als »das Absolute« gedacht wer-
in quo omnia, quia maximum. Et quoniam nihil den, das nicht in Relation zu einem Anderen
sibi opponitur, secum simul coincidit minimum. steht. Und weil das Absolute somit – wenn es
Quare et in omnibus. Et quia absolutum, tunc est denn richtig gedacht ist – nichts außer sich haben
actu omne possibile esse«. Cusanus zwar ist um kann, muß es notwendig alle Bestimmtheit in
1800 nahezu unbekannt, doch dieser Gedanke sich haben und als seine eigene Bestimmtheit
des Absoluten findet sich auch bei Giordano setzen. »Das Absolute« muß deshalb – wenn man
Bruno, der im Jahr 1600 in Rom als Ketzer ver- denn diesen Begriff gemäß seiner internen Logik
brannt worden ist. Die Wirkungsgeschichte sei- denken will und ihn nicht schlechthin verwirft –
ner Philosophie ist zwar wegen der Vernichtung in der hier eingeführten zweiten Bedeutung ge-
seiner Bücher nur schmal; Jacobi aber stellt Bru- dacht werden, die Hegel später prägnant so aus-
nos Philosophie – in Beilage I zu Ueber die Lehre gespricht: »Das Wahre ist das Ganze.« (GW 9.19)
des Spinoza (JWA 1.185–205) – als »Spinozismus Denselben Gedanken drückt Hegel bereits in der
ante Spinozam« heraus und löst hierdurch ihre Differenz-Schrift mit ähnlichen Worten aus: Das
breite Rezeption aus – von philosophiegeschicht- »Absolute, weil es im Philosophiren von der Re-
lichen Werken bis hin zu Schellings Dialog Bruno flexion fürs Bewußtseyn producirt wird, wird
oder über das göttliche und natürliche Princip der hierdurch eine objektive Totalität, ein Ganzes von
Dinge (1802). In seiner Schrift De la causa, prin- Wissen, eine Organisation von Erkenntnissen; in
cipio e uno (1584), insbesondere zu Beginn des dieser Organisation ist jeder Theil zugleich das
fünften Dialogs, versteht Bruno das Absolute als Ganze, denn er besteht als Beziehung auf das
das alles umfassende, nichts außer sich habende Absolute; als Theil, der andre außer sich hat, ist
und in sich differenzierte Ganze. Gerade diese – er ein Beschränktes und nur durch die andern;
im Licht der Diskussionen um 1800 brisante – isolirt als Beschränkung ist er mangelhaft, Sinn
Passage bezieht Jacobi aber nicht in seine Teil- und Bedeutung hat er nur durch seinen Zusam-
übersetzung von De la causa ein – ein Indiz dafür, menhang mit dem Ganzen.« (GW 4.19)
daß der Terminus »das Absolute« Ende der (4) Mit dem Verständnis des Absoluten als des
1780er Jahre noch kein »Reizwort« ist und erst im Ganzen ist die Entscheidung für eine spezifische
Zuge der von Jacobi ausgelösten Spinoza- und Systemform verknüpft. Ein »System« der Philo-
Bruno-Renaissance der 1790er Jahre zu einem sophie ist nicht zu konzipieren als eine Folge von
gängigen Begriff wird: Das »unum quod est om- Sätzen, die sich auf einen schlechthin unbeding-
nia« – oder mit dem ebenfalls von Jacobi über- ten Grundsatz gründet – oder auf eine Sequenz
lieferten griechischen Ausdruck: das en6 kaì pãn von sei es der Form, sei es dem Inhalt nach
(JWA 1.16) – ist das Absolute. bedingten und unbedingten Grundsätzen. Ein Sy-
(3) Hegels Rede vom »Absoluten« steht in die- stem der Philosophie ist vielmehr so zu ent-
ser zweiten Tradition – und dies nicht zufällig. Er werfen, daß das Absolute als das in sich differen-
denkt das Absolute nicht als ein vorangestelltes zierte »Ganze« oder der intern strukturierte Ge-
Unbedingtes, da er diesen Gedanken entweder in samtzusammenhang von Wirklichkeit im Den-
einen unendlichen Regreß führen oder in Leer- ken erfaßt und nachkonstruiert wird. »Das
heit verharren sieht. Selbst wenn es ein schlecht- Absolute soll fürs Bewußtseyn konstruirt wer-
hin Erstes und Unbedingtes gäbe, hätte dieses den«, und es kann nur nach seiner inneren (»or-
gleichwohl das von ihm Bedingte außer ihm – ganischen«) Verfassung, also als »System« kon-
zwar nicht als seine Bedingung, aber doch so, daß struiert werden. Das Absolute zu begreifen heißt
es hierdurch begrenzt und somit eben nicht das somit, es als »System« zu begreifen. Das System
schlechthin Unbedingte wäre. In der Problemge- ist gleichsam die Abbildung der inneren Struktur
schichte des Begriffs des Absoluten manifestiert des Absoluten als des Ganzen oder die »Anschau-
112 II. Werk

ung des sich selbst in vollendeter Totalität ob- nen Verfassung oder im »Leben« des Absoluten
jektiv werdenden Absoluten« – eine Sicht, der begründet: in der Spannung zwischen der Aus-
Hegel zudem religiöse Konnotationen verleiht: differenzierung des Vielen, des Endlichen, und
Sie sei »die Anschauung der ewigen Mensch- der Aufhebung dieses Nichtidentischen in die
werdung Gottes« (GW 4.75). Den hinter dieser übergreifende Identität. Das Absolute sei sowohl
religiösen Wendung verborgenen systematischen Identität als auch Differenz, also »Identität von
Sinn sieht Hegel eben darin, daß im Gedanken Identität und Nichtidentität«. In der Philosophie
des Absoluten das innerste Prinzip aller Wirk- könne »kein gesetztes ohne Beziehung aufs Ab-
lichkeit zur äußeren Wirklichkeit gestaltet wird solute stehen« (GW 4.27). Eine Philosophie, die
und Objektivität gewinnt – und insofern gleich- sich nur mit dem Nichtidentischen befaßte, also
sam der Logos Fleisch wird. das Endliche nicht in Beziehung auf die Identität
(5) In dieser Konstruktion des Absoluten durch setzte, verfehlte die »Aufgabe der Philosophie« –
das Bewußtsein sieht Hegel die »Aufgabe der die Konstruktion des Absoluten für das Bewußt-
Philosophie«. Man könnte diese »Konstruktion« sein: Sie würde zu einer Wissenschaft des End-
angemessener als »Rekonstruktion« beschreiben: lichen. In den entgegengesetzten Fehler verfiele
Das Absolute wird ja nicht erst durch das Be- eine Philosophie, die allein die Identität themati-
wußtsein hervorgebracht. Es bildet vielmehr die sieren und das Nichtidentische verdrängen
»Voraussetzung« des Bewußtseins – w e n n man wollte: Sie verlöre darüber sowohl die Sprache
dies in der »Form der Reflexion« ausdrücken will. als auch das Denken.
Als » I n s t r u m e n t d e s P h i l o s o p h i r e n s«, In dieser Verfassung des Absoluten als des in
also der Konstruktion des Absoluten als System, sich differenzierten »Ganzen« sind die Schwierig-
nennt Hegel die » R e f l e x i o n als Vernunft« (GW keiten begründet, es in der Form von Sätzen
4.16). Das Wort »Reflexion« verwendet Hegel auszusagen. Denn »ein Satz ist für sich ein Be-
hier (wie auch in den gleichzeitigen Systement- schränktes und Bedingtes, und bedarf einen an-
würfen, s. 151) nicht bloß als Gegenbegriff zur dern zu seiner Begründung u. s. f. ins Unend-
»Spekulation« (Düsing, 1969), sondern in einem liche.« Von allem, was »ist«, muß sowohl das Sein
breiten und auch ambivalenten Sinne, der erst als auch das Nichtsein, sowohl es selbst als auch
durch eine Vielzahl von Hinzufügungen präzisiert sein Entgegengesetztes ausgesagt werden. Die
wird: Hegel spricht in e i n e m Kontext von der Reflexion als Verstand »hat die Entgegengesetz-
»isolirten Reflexion« und der »Reflexion als Ver- ten seines Gesetzten, seine Gräntze, Grund und
mögen des Endlichen«, aber auch von der »Refle- Bedingung richtig aufzuzeigen, aber die Vernunft
xion … als Spekulation« und der »Reflexion … vereint diese Widersprechenden, setzt beyde zu-
als Vernunft« (GW 4.16–18). Die »Reflexion« gleich und hebt beyde auf.« Die Reflexion »ver-
setzt die Bestimmtheit und Entgegensetzung; mag nicht die absolute Synthese in einem Satz
aber sie verharrt nicht (wie der Verstand) in der auszudrükken, wenn nemlich dieser Satz als ein
Entgegensetzung, sondern hebt diese (als Ver- eigentlicher Satz für den Verstand gelten soll; sie
nunft) auch wieder auf und produziert hierdurch muß, was in der absoluten Identität Eins ist,
das Absolute für das Bewußtsein. Diese Produk- trennen und die Synthese und die Antithese ge-
tion umfaßt beide Momente – das Setzen u n d trennt, in Zwei Sätzen, in einem die Identität, im
das Aufheben von Bestimmtheit. »Reflexion« be- andern die Entzweyung, ausdrükken.« (GW
zeichnet somit hier nichts als die Bewegung des 4.23 f.)
Denkens in seinen gegensätzlichen Funktionen. Die formale Struktur dieses Sachverhalts sucht
Sie produziert die Philosophie als die zu einem Hegel an den beiden Sätzen »A = A« und »A =
System organisierte Totalität des Wissens, die als nicht-A« (oder »A = B«) zu veranschaulichen: Im
solche gleichsam ein Bild des Absoluten ist und Satz »A = A« sei nur auf die »reine Gleichheit«
somit seine »Anschauung« ermöglicht. abgehoben und von der Ungleichheit abstrahiert,
(6) Diese Spannung im Begriff der »Reflexion« die darin besteht, daß das auf der einen Seite des
und ihrer Produktion resultiert nicht aus einer Gleichheitszeichens stehende »A« ein anderes sei
Defizienz, die von der Reflexion selber zu über- als das andere – und diese Ungleichheit werde
winden oder durch eine andere Erkenntnisform durch den zweiten Satz »A = nicht-A« ausge-
zu beseitigen wäre. Sie ist vielmehr in der inter- drückt. Das Gleichsetzen von Etwas mit Etwas
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 113

erfordert, daß eine Differenz von Etwas und An- Angriffe der »Vorrede« zum System von 1807 auf
derem vorhanden sei und von ihr abstrahiert die Reflexionslosigkeit lassen sich auch als eine
werde. Zur weiteren – und nicht unproblemati- Spur dieser Selbstkorrektur lesen. In ihnen wird
schen – Veranschaulichung dient die aus Fichtes die »Nacht« nicht durch die Reflexion verursacht,
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre sondern durch den Verzicht auf sie (s. 181 f.).
(GA I/2.256 f.) geläufige Substitution des »A« Nicht allein im Blick auf ihren thematischen Zu-
durch »Ich«: Denn das Ich, das sich auf sich schnitt und auf den geringen Stand ihrer Durch-
beziehe, sei ein anderes Ich als das zweite; jenes arbeitung, auch im Blick auf solche entwicklungs-
sei Subjekt, dieses Objekt. Beide Sätze seien geschichtlichen Differenzen ist es nicht unpro-
»Sätze des Widerspruchs«; »der erste [d. h. der blematisch, die Differenz-Schrift als Einleitung in
Satz] der Identität sagt aus, daß der Widerspruch Hegels Philosophie zu lesen.
= 0 ist; der Zweyte, insofern er auf den ersten Freilich bleibt auch in der Differenz-Schrift das
bezogen wird, daß der Widerspruch eben so Wissen nicht rein negativ, durch »Vernichtung«
nothwendig ist, als der Nichtwiderspruch; beyde konnotiert: »Ausser dieser negativen Seite hat
sind als Sätze, für sich Gesetzte von gleicher das Wissen eine positive Seite, nemlich die An-
Potenz.« Die Gleich-Gültigkeit (d. h. die skepti- schauung.« Diese beiden Seiten, die »negative«
sche »Isosthenie«) beider Sätze bezeichnet Hegel der Reflexion und die »positive« der Anschauung,
im verbalen Rückgriff auf Kants transzendentale hält Hegel hier methodologisch noch strikt ge-
Dialektik als »Antinomie«, und in ihr sieht er den trennt: Das »positive« ist nicht – wie später (s.
»Ausdruk der absoluten Identität« – allerdings als 231) – ein Resultat des Widerspruchs, sondern es
einen Ausdruck, der nicht wirklich adäquat ist tritt von außen zu ihm hinzu (wie Fichte dies ja
(GW 4.25 f.). auch gegen Schelling eingewandt hat; siehe PLS
Deshalb schränkt Hegel in der Differenz- 2/1.200). Beide sind jedoch notwendige Mo-
Schrift die Bedeutung der »Antinomie« auf das mente des Wissens, wie Hegel in einer sprachlich
Formelle und Negative ein: »Wenn man bloß auf an Kant (B 75) erinnernden Wendung erläutert:
das formelle der Spekulation reflektirt, und die »Wissen ohne Anschauung« sei »Vernichtung der
Synthese des Wissens, in analytischer Form fest- Entgegengesetzten im Widerspruch; Anschauung
hält, so ist die Antinomie, der sich selbst auf- ohne diese Synthese Entgegengesetzter ist em-
hebende Widerspruch, der höchste formelle Aus- pirisch, gegeben, bewußtlos. Das transcenden-
druk des Wissens und der Wahrheit« – oder mit tale Wissen vereinigt beydes, Reflexion und An-
anderen Worten: Der Widerspruch ist nur »die schauung« (GW 4.27).
rein formale Erscheinung des Absoluten«. Die Mit »Reflexion und Anschauung« ist das für das
Antinomie ist nur »die negative Seite des Wis- »philosophische« oder »transzendentale« oder
sens, das formale, das von der Vernunft regiert »spekulative Wissen« konstitutive Begriffspaar
[negiert?], sich selbst zerstört« (GW 4.26 f.) – und bezeichnet. »Anschauung« versteht Hegel hier
zwar im denkbar größten Umfang: »die Spekula- nicht im Sinne von empirischer, sondern von
tion fodert in ihrer höchsten Synthese des Be- »transzendentaler«, auf »die Identität des Sub-
wußten und Bewußtlosen, auch die Vernichtung jektiven und Objektiven« gerichteter Anschauung
des Bewußtseyns selbst, und die Vernunft ver- – ein eigentümlicher, von Hegel später nicht
senkt damit ihr Reflektiren der absoluten Identi- mehr in dieser Grundlegungsfunktion verwende-
tät und ihr Wissen und sich selbst in ihren eignen ter Begriff (Zimmerli 1974, 205 f.). Der syste-
Abgrund«, in die »Nacht der blossen Reflexion matische Sinn der Einführung des Begriffspaars
und des räsonnirenden Verstandes, die der Mit- »Reflexion und Anschauung« liegt aber weniger
tag des Lebens ist« (GW 4.23). im Nachweis der Herkunft der »positiven« gegen-
In dieser Entgegensetzung von Reflexion oder über der »negativen Seite« des Widerspruchs als
Verstand und »Leben« schwingt noch ein Nach- in der Einführung der Differenzierung der Sphä-
hall der Antithesen fort, die in Hegels Frank- ren des Subjektiven und des Objektiven: Als »Re-
furter Entwürfen zur Überordnung der Religion flexion und Anschauung« sei das transzendentale
über die Reflexionskultur der Philosophie führen Wissen »Begriff und Seyn zugleich« – wobei He-
(s. 92). Doch bereits seit Beginn der Jenaer Jahre gel die Reflexion zwar primär dem Begriff, die
beseitigt Hegel diese Relikte: Die vehementen Anschauung primär dem Sein zuordnet, aber
114 II. Werk

gleichwohl eine »absolute Entgegensetzung des der Fixierung der Selbständigkeit des Endlichen.
Seyns und Begriffs« vermeidet. Ding und Begriff Sie ist ein Indikator eines verletzten Lebens, und
sind beide »Form des Absoluten« und können erst aus ihr geht das Bedürfnis der Wiederher-
nicht auseinandergerissen werden: »Im philo- stellung dieses Lebens – und damit das »Be-
sophischen Wissen ist das Angeschaute eine Thä- dürfniß der Philosophie« – hervor: »Wenn die
tigkeit der Intelligenz und der Natur, des Be- Macht der Vereinigung aus dem Leben der Men-
wußtseyns und des Bewußtlosen zugleich; es ge- schen verschwindet, und die Gegensätze ihre
hört beyden Welten, der ideellen und reellen lebendige Beziehung und Wechselwirkung ver-
zugleich an – der ideellen, indem es in der Intelli- loren haben, und Selbstständigkeit gewinnen,
genz, und dadurch in Freyheit gesetzt ist, – der entsteht das Bedürfniß der Philosophie« (GW
reellen, indem es seine Stelle in der objektiven 4.14).
Totalität hat, als ein Ring in der Kette der Noth- Zu der »Aufgabe der Philosophie«, die vorhin
wendigkeit deducirt wird.« (GW 4.27 f.) (s. 112) theoretisch als Konstruktion des Absolu-
(7) Diese Betonung der Dualität von »Begriff« ten für das Bewußtsein bestimmt worden ist, tritt
und »Sein« – nicht im Sinne ihrer Entgegen- hiermit eine praktische Komponente hinzu: He-
setzung, sondern ihrer differenzierten Harmonie gel bezeichnet es nun als »Aufgabe der Philo-
– weist bereits voraus auf die spätere Unter- sophie, die Entzweyung aufzuheben« (GW 4.64).
scheidung von »Begriff« und »Realität« als Seiten In diesem Bedürfnis nach »Wiederherstellung
der »Idee« (s. 247 ff.). In einem anderen Aspekt der Totalität« sieht er sogar »das einzige Interesse
bilden die skizzenartigen Einführungspassagen der Vernunft« – womit er auf einen eigentümli-
der Differenz-Schrift hingegen ein Dokument des chen, aber systematisch wichtigen Begriff Kants
Übergangs von Frankfurt nach Jena, wie bereits zurückgreift (B 832 u. ö.). Diesem praktischen
im Blick auf die Abwertung der »Nacht der Refle- Interesse läßt sich auch die theoretische Seite
xion« gegenüber dem »Leben«: in Hegels Ausfüh- zuordnen: Die Konstruktion des Absoluten für
rungen über das »Bedürfnis der Philosophie«. das Bewußtsein erfolgt im Dienste des Interesses
Auch hierbei spielt wiederum der Begriff des der Vernunft an der Aufhebung der festgewor-
»Lebens« die entscheidende Rolle: Es ist eigent- denen Gegensätze. Hegel weist der Philosophie
lich ein Defekt des Lebens, der die Philosophie hier eine therapeutische Funktion zu, die sie in
hervortreibt – seine »Entzweyung«. Dieser Be- Frankfurt noch nicht übernehmen konnte – denn
griff fungiert bereits in der »Vereinigungsphiloso- der damaligen Konzeption zufolge überwindet
phie« der Frankfurter Jahre als Gegenbegriff zu sie nicht die Sphäre der Entzweiung. Die Philo-
»Vereinigung« (s. 86 ff.), doch erst die Differenz- sophie kann die absolute Entzweiung im Ge-
Schrift versteht »Entzweyung« als »Quell d e s B e - danken aufheben, weil diese ihren Ort auch nur
d ü r f n i s s e s d e r P h i l o s o p h i e« (GW 4.12). im Gedanken hat und weil die Philosophie eben
Zudem erhält der Begriff der Entzweiung jetzt im Gedanken des Absoluten über diese Entzwei-
etwas prägnantere Konturen durch Hegels Unter- ung hinausgeht. Sie vernichtet die »Totalität der
scheidung zwischen »relativer« und »absoluter Beschränkungen«, indem sie diese als Erschei-
Entzweyung«. »Relative Entzweyung« ist eine un- nung des Absoluten begreift und damit als fi-
aufhebbare Bestimmung, die mit dem Begriff der xierte zum Verschwinden bringt (GW 4.15,13).
absoluten Identität selber gegeben ist. Solche Während »relative Entzweiung« eine ontologi-
Entzweiung liegt bereits in der internen Rela- sche Kategorie ist, die die interne Struktur und
tionsstruktur des Absoluten und in der notwendi- das Verhältnis des Absoluten zur Erscheinung
gen Form seiner Erscheinung. Ohne sie wäre aussagt, ist »absolute Entzweiung« eine kultur-
»Identität« relationslos und somit ein sinnloses philosophische Kategorie. Ihr Gebrauch provo-
Wort. In dieser ersten Bedeutung bezeichnet ziert die beiden Fragen, wie es denn auf der Basis
»Entzweyung« eine ontologische Voraussetzung der notwendigen relativen zu solcher verfehlten
für Leben überhaupt: »die nothwendige Ent- absoluten Entzweiung komme – warum die
zweyung ist Ein Faktor des Lebens« (GW 4.13). Macht der Vereinigung schwinde und welchen
Die davon unterschiedene »absolute Ent- Status ihre Aufhebung habe. Würde sie durch die
zweyung« hingegen besteht in der Isolierung der Philosophie dauerhaft aufgehoben, so würde
Erscheinung des Absoluten vom Absoluten, in diese sich selber überflüssig machen. Auf diese
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 115

Fragen geht Hegel jedoch nicht ausdrücklich ein. seinen Nachweis der Unmöglichkeit einer Ge-
Zwar setzt er die Entzweiung ins Verhältnis zur schichtsphilosophie am Ende seiner Allgemeinen
»Bildung des Zeitalters« und zur modernen Ver- Uebersicht der neuesten philosophischen Litte-
standeskultur, doch forscht er hier nicht nach der ratur (1797/98) geprägt (AA I/4.188–190).
Bedingung dafür, daß die genannten Kulturfor- Die gleiche Antithetik von »Wissen« und »Ge-
men sich zu herrschenden Formen zumindest des schichte« liegt Hegels Kritik der geschichtlichen
modernen Lebens entwickeln. Hegels Rede von Behandlung philosophischer Systeme zu Grunde.
einer »zerrissenen Harmonie« (GW 4.12) läßt Zwar könnten alle Systeme der Philosophie ge-
einen einstigen Zustand der unversehrten Har- schichtlich behandelt werden – aber nur in dem
monie wie auch einen einstigen Zustand ihrer Sinne, daß sich keines vor solcher verfehlten
Wiederherstellung assoziieren – gemäß dem be- Behandlung schützen könne. Der lebendige Geist
liebten, aber inakzeptablen mythischen Denk- eines Systems offenbare sich jedoch nur einem
modell, das auch noch das Fragment seiner Na- »verwandten Geist« und nicht der geschichtli-
turrechtsvorlesung prägt (s. 155 f.). Für eine be- chen Behandlung, die eine Philosophie nur in
friedigende Antwort (etwa durch den Hinweis Augenschein nehme, um damit »die übrige Kol-
auf eine invariante Struktur des Denkens oder lektion von Mumien und den allgemeinen Hauf-
durch die Skizze einer sogar erwähnten »Ge- fen der Zufälligkeiten zu vergrößern«.
schichte der Vernunft«) läßt die Differenz-Schrift Hegels Kritik richtet sich jedoch nicht allein
jedoch noch keine Ansätze erkennen – und dies gegen eine registrierende und musealisierende
wohl nicht unabhängig von der Weise, wie Hegel Philosophiehistorie. Sie gilt nicht minder dem
sich in ihr dem Thema »Geschichte« überhaupt damals neuartigen Ansatz – und Hegel nennt
zuwendet. wiederum Reinhold –, Philosophiegeschichte als
(8) Hegel beginnt seine »allgemeinen Refle- Geschichte einer fortschreitenden Entwicklung
xionen« sogar mit Bemerkungen über die »Ge- zu schreiben. Die »teleologische Ansicht« der
schichtliche Ansicht philosophischer Systeme« Philosophie, der Gedanke ihrer »Perfektibilität«,
(GW 4.9–12) – veranlaßt durch die damals ein- erniedrigten die Philosophie zu einer »Art von
setzenden Debatten über die Theorie der Philo- Handwerkskunst«, zu einer mechanischen Kunst,
sophiegeschichtsschreibung (Geldsetzer 1968) die einer fortschreitenden Verbesserung fähig sei.
und insbesondere den Beitrag Reinholds zu ih- Gegen eine derartige Sicht führt Hegel zwei Ar-
nen. Erst in diesen Debatten kristallisiert sich gumente ins Feld, deren erstes später von an-
gegenüber der »historia critica« des 18. Jahr- deren gegen seine Philosophie gerichtet wird:
hunderts diejenige Konzeption der Philosophie- Die »teleologische Ansicht« degradiere die bishe-
geschichtsschreibung als einer eigenständigen rigen Systeme zu »Vorübungen großer Köpfe«.
Disziplin innerhalb des Kanons der philosophi- Der geschichtlich spätere Denker wäre dann ge-
schen Wissenschaften heraus, die zwei Jahr- gen den früheren immer schon im Recht. Dies ist
zehnte später in Hegels Vorlesungen ihre klassi- – streng genommen – kein Argument, sondern
sche Gestalt gewinnt (s. 477). eher eine moralische Mißbilligung der überhebli-
In der Differenz-Schrift verhält Hegel sich je- chen Gewißheit der Gnade der späten Geburt.
doch fast ausschließlich polemisch gegen die Philosophisch ist hingegen das zweite Argument:
»Geschichtliche Ansicht philosophischer Sy- Das Absolute und seine Erscheinung, die Ver-
steme« (Kolmer 1998, 154 ff.). Sein abschätziges nunft, seien ewig ein und dasselbe; jede Vernunft,
Urteil dürfte noch durch die Erinnerung an frü- die sich auf sich selbst gerichtet und sich erkannt
here »Geschichten der Philosophie« (im Sinne hat, hat »eine wahre Philosophie producirt, und
von Historien = Erzählungen über Lebensum- sich die Aufgabe gelöst, welche, wie ihre Auf-
stände und Entwürfe von Philosophen) vorge- lösung, zu allen Zeiten dieselbe ist.« »Jede Philo-
formt sein, und ebenso durch die – für den Ratio- sophie ist in sich vollendet, und hat, wie ein
nalismus charakteristische – Annahme einer un- ächtes Kunstwerk, die Totalität in sich.«
überbrückbaren Differenz zwischen den Sphären Aber auch dieses Argument hat eher Bekennt-
des Apriorischen und des Geschichtlichen. Sie nischarakter. Es bietet kein Kriterium dafür, wann
hat auch noch Schellings unmittelbar vorausge- ein Entwurf, der sich für Philosophie ausgibt,
hende Antithese von Wissen und Geschichte und dieser Aussage genügt, und es unterstellt eine
116 II. Werk

konkurrierende Sicht des Verhältnisses des »Ab- der etwas unbestimmten Forderung, daß der »le-
soluten« zur Gestalt eines philosophischen Sy- bendige Geist« einer Philosophie »durch einen
stems, die nicht weniger strittig ist als der Perfek- verwandten Geist gebohren« werden müsse (GW
tibilitätsgedanke. Zusätzlich ist es mit dem 4.9). Schon die systematische Absicht der Diffe-
Problem der Mannigfaltigkeit der Erscheinungs- renz-Schrift erfordert ja eine Basis für Kritik und
formen des ewig identischen Absoluten konfron- Affirmation. Das Kriterium zur Beurteilung sol-
tiert, das sich im Bereich der Kunst – für Apelles cher Philosophien sieht Hegel in der Überein-
und Raphael, für Homer und Shakespeare – zu- stimmung von »ächter Spekulation« und »Sy-
mindest nicht in derselben Weise stellt wie für stem« oder von »Philosophie des Systems« und
die Philosophie, die durch ihren Wahrheitsan- »System« – oder nochmals anders: in der Über-
spruch charakterisiert ist. einstimmung zwischen dem »Princip« einer Phi-
Diese Identität der Vernunft macht Hegel auch losophie und der Form seiner systematischen
gegen die Rede von »Eigenthümlichkeiten« in der Explikation.
Philosophie geltend: Die Erhebung der philo- Dieses vermeintlich immanente Kriterium
sophischen Spekulation zur ewig »einen und all- spricht jedoch dem Interpreten die Kompetenz
gemeinen Vernunft« sei gerade eine Befreiung zu, angesichts eines philosophischen Systems
von solchen Schranken der Eigentümlichkeit. zwischen »Princip« und »System« zu differenzie-
Und doch formuliert er hier den einen Satz, der ren: besser als der Autor zu beurteilen, ob dessen
geeignet ist, seine brüske Ablehnung des Ge- philosophische Intention in der gewählten sy-
schichtlichen wenig später aufzubrechen: »Das stematischen Form zur Geltung gekommen sei –
wahre Eigenthümliche einer Philosophie ist die oder ob beide auseinander fielen. Ein System, in
interessante Individualität, in welcher die Ver- dem »sich das zum Grunde liegende Bedürfniß
nunft aus dem Bauzeug eines besondern Zeit- nicht vollkommen gestaltet hat,« werde zwar als
alters sich eine Gestalt organisirt hat«. Diese solches Dogmatismus, »aber die wahre Spekula-
Formulierung (in der man – historisch wohl zu tion kann sich in den verschiedensten sich gegen-
Unrecht – einen Anklang an Friedrich Schlegel zu seitig als Dogmatismen und Geistesverirrungen
hören glaubt) stellt eben den Bezug zwischen verschreyenden Philosophieen finden.« Die kriti-
Vernunft und Geschichte her, den Hegel zuvor so sche Aufgabe des Interpreten besteht demnach
vehement bestreitet. Die Richtung auf die Ge- darin, diese innere Intention einer Philosophie
schichte wird auch zu Beginn des folgenden Ab- auch gegen deren äußere Systemgestalt heraus-
schnitts über das »Bedürfniß der Philosophie« zuheben und zu aktualisieren: »Die Geschichte
verstärkt: Die besondere Form einer Philosophie der Philosophie hat allein Werth und Interesse,
entspringe einerseits aus der »lebendigen Origi- wenn sie diesen Gesichtspunkt festhält; sonst
nalität des Geistes«, der sich in ihr ausspreche, giebt sie nicht die Geschichte der in unendlich
doch andererseits »aus der besondern Form, wel- mannichfaltigen Formen sich darstellenden ewi-
che die Entzweiung trägt, aus der das System gen und einen Vernunft« (GW 4.31).
hervorgeht«. Trotz dieses Ansatzpunktes reflek- (2) Diesen Ansatz zu einer möglichen – philo-
tiert Hegel jedoch nicht darauf, daß diese »be- sophischen! – Geschichte der Philosophie skiz-
sondere Form« nicht eine zufällig-besondere und ziert Hegel nicht in seinen methodologischen
somit unbegreifliche ist, sondern daß sie ge- Bemerkungen über die »geschichtliche Ansicht
schichtlich vermittelt ist – und daß hierdurch der philosophischer Systeme«, sondern – nach einer
Faktor »Geschichte« auf die Konstitution der phi- Antizipation in der »Vorrede« – erst im Übergang
losophischen Systeme einwirkt, die aus solcher zu seiner »Darstellung des Fichte’schen Sy-
Entzweiung hervorgehen (GW 4.9–12). stems«. Man könnte ihn als Generalisierung der
Leitlinien seiner Fichtekritik beschreiben: Hegel
gesteht Fichte wiederholt »die gründlichste und
4.3.3. Darstellung des Fichte’schen Systems
tiefste Spekulation, ein ächtes Philosophiren« zu
(1) Hegels Kritik der »geschichtlichen Ansicht (GW 4.34), »das kühn ausgesprochne ächte Prin-
philosophischer Systeme« schließt keineswegs cip der Spekulation.« Doch er fährt fort: »So wie
den kritischen Rückbezug auf vorangegangene aber die Spekulation, aus dem Begriff, den sie
Philosophie aus. Sie erschöpft sich auch nicht in von sich selbst aufstellt, heraustritt, und sich zum
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 117

System bildet, so verläßt sie sich und ihr Princip seyns und des empirischen« aufgehoben bzw. »die
und kommt nicht in dasselbe zurück« (GW 4.6). objektive Totalität des empirischen Wissens
Es handelt sich hierbei aber nicht etwa um eine gleich gesetzt dem reinen Selbstbewußtseyn«
Vorwegnahme des modernen Verdachts gegen die (GW 4.35 f.).
Systemgestalt von Philosophie überhaupt, son- Diese Bestimmung der Philosophie sieht Hegel
dern lediglich um die Kontrastierung eines philo- jedoch durch Fichtes Wissenschaftslehre verletzt:
sophischen Prinzips mit seiner – in Hegels Augen Deren erster Grundsatz »Ich=Ich« habe nur die
– spezifisch-inadäquaten Systemform. Bedeutung des reinen, dem empirischen entge-
(3) Hegels Ausführungen über die Inadäquat- gengesetzten Selbstbewußtseins, und auch in der
heit der Form des Fichteschen Systems basieren weiteren Entfaltung komme es nicht zur wirkli-
unausgesprochen auf seiner Option für die Sy- chen Vereinigung beider. Diese Kritik verbindet
stemform Schellings. Diese stellt er als die glück- Hegel mit der Kritik an der durch Reinhold ge-
liche Einlösung der Aufgaben einer systemati- prägten Systemform, die von einem vorangestell-
schen Philosophie und somit auch als das Krite- ten »Grundsatz« ausgeht, oder eben wie bei
rium vor, an dem andere Entwürfe zu messen Fichte gar von einer »Mehrheit absoluter Akte«
seien. In dieser Perspektive erscheint Fichtes Phi- oder Grundsätze: dem unendlichen Setzen des
losophie als ein herausragender und dennoch Ich, dem absoluten Entgegensetzen, und der
defizienter Ansatz – gleichsam als ein erster (versuchten) Vereinigung der beiden ersten. In
Schritt auf dem Wege zu Schellings System. Den- dieser Synthese aber sei das reine Bewußtsein,
noch finden sich in Hegels Kritik mehrere das subjektive Ich, Ich=Ich, und das empirische
Aspekte, die auch im Kontext einer immanenten Bewußtsein, das objektive Ich, »Ich=Ich+Nicht-
Kritik berechtigt wären. Ich«; eine wirkliche Synthese sei schon deshalb
Seine Kritik an der Systemform Fichtes orien- unmöglich, weil »die Akte des ersten und zwey-
tiert sich ausschließlich an dessen Grundlage der ten Grundsatzes absolut entgegengesetzte Thä-
gesammten Wissenschaftslehre (1794/95) (GA I/ tigkeiten sind« (GW 4.37 f.).
2); andere Texte – etwa den im Philosophischen Fichtes System sei deshalb nicht – wie Rein-
Journal 1797/98 veröffentlichten Versuch einer hold behaupte – ein »System der absoluten Sub-
neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (GA I/ jektivität« oder ein »dogmatischer Idealismus« –
4.183–281) – zieht Hegel nicht heran. Und ob- denn dies bedeutete, daß er »das Subjektive als
wohl er die Wissenschaftslehre zum Gegenstand Realgrund des Objektiven« setzte. Fichte setze
seiner Kritik macht, kommt das Wort »Wissen- vielmehr »das Subjektive und Objektive auf glei-
schaftslehre« im Text fast nicht vor – denn Hegel chen Rang der Realität und Gewißheit«. Da es
interpretiert Fichtes frühes Hauptwerk nicht als aber dem Ich zukomme, sich selbst oder Dinge zu
»Wissenschaft des Wissens«, sondern als eine setzen, »so wird Ich sich im System nicht selbst
defiziente Identitätsphilosophie. Subjekt = Objekt; das Subjektive ist wohl Subjekt
Seine »Darstellung des Fichte’schen Systems« = Objekt, aber das Objektive nicht, und also nicht
beginnt mit einer Reformulierung des Pro- Subjekt gleich Objekt.« (GW 4.40) Oder anders:
gramms der Wissenschaftslehre auf dem Boden Das Ich sei zwar ein »subjektives Subjektobjekt«,
des Schellingschen Systemkonzepts. Den Begriff das Objektive jedoch kein »objektives Subjekt-
des Wissens bestimmt Hegel als »identischseyn objekt« (GW 4.65).
alles empirischen Bewußtseyns mit dem reinen«, Es gelinge Fichte somit nicht, die am Beginn
»und die Philosophie, die dieß identischseyn der Wissenschaftslehre konstatierte »absolute
weiß, ist die Wissenschaft des Wissens; sie hat Entgegensetzung«, den als Faktum aufgenomme-
die Mannichfaltigkeit des empirischen Bewußt- nen »Anstoß« durch ein »absolutes Objekt« zu
seyns als identisch mit dem reinen, durch die überwinden – und dies scheidet ihn in Hegels
That, durch die wirkliche Entwiklung des Ob- Augen selbst vom »Idealismus«. Denn für Fichte
jektiven aus dem Ich zu zeigen und die Totalität erscheine die objektive Welt als unaufhebbare
des empirischen Bewußtseyns als die objektive Bedingung des Selbstbewußtseins; das »Princip
Totalität des Selbstbewußtseyns zu beschreiben«. des Idealismus« hingegen sei, daß »die Welt ein
Durch die Philosophie werde »die scheinbare Produkt der Freyheit der Intelligenz ist« – und es
Entgegensetzung des transcendentalen Bewußt- könne Fichte nicht gelingen, dieses Prinzip zu
118 II. Werk

einem System zu konstruieren (GW 4.43). Und Unter diesen Bedingungen gilt die Beschrän-
dies gelte nicht allein für den theoretischen, son- kung, der »Nothstand«, als »absolute Nothwen-
dern auch für den praktischen Teil der Wissen- digkeit«, und Hegel befürchtet, daß sie – einmal
schaftslehre. Ihre höchste Synthese sei das »Sol- etabliert – bis zur »Antinomie der unbegränzten
len«: »Ich s o l l gleich Ich seyn« – aber eben damit Begränztheit« ausgeweitet wird – bis zur Recht-
nur eine gedachte oder geforderte und nicht eine fertigung von Zwangsmaßnahmen zur Vorbeu-
wirkliche Synthese. Unter diesen Bedingungen gung gegen potentielle Verletzungen der Freiheit
sei auch Freiheit »nicht das Aufheben der Ent- und bis in das Detail der Regulierung der gesell-
gegengesetzten, sondern die Entgegensetzung schaftlichen Verhältnisse, wo »die Policey so
gegen dieselben« (GW 4.45). ziemlich weiß, wo jeder Bürger zu jeder Stunde
Diese Entgegensetzung erscheine auch unter des Tages sey und was er treibe«. Mit den einzel-
der Form einer Entgegensetzung von Natur und nen Vorschlägen, die Fichte hier macht, anti-
Ich im subjektiven Subjektobjekt. Während Frei- zipiert er allerdings weitgehend das gegenwärtig
heit und Natur für den transzendentalen Stand- übliche Verfahren auch sogenannter »liberaler«
punkt »eines und ebendasselbe« seien und ihre Staaten; Hegel hingegen setzt diesem »Noth-
Verschiedenheit nur in die Erscheinung falle, staat« hier noch eine an die Frankfurter Entwürfe
bilde für die Reflexion »eins die Bedingung des gemahnende Vision entgegen: das »wahrhaft
andern«, und statt zu einer wirklichen »Synthesis freye, für sich selbst unendliche und unbe-
der Natur und der Freyheit« zu kommen, gerate schränkte, d. h. schöne Wechselverhältniß des
die Natur in die Botmäßigkeit der Reflexion; das Lebens«, oder das Volk als einen »organischen
Subjektive werde zum Herrschenden, das Ob- Körper eines gemeinsamen und reichen Lebens«.
jektive, die Natur, zu einem Beherrschten; sie Seine Kritik steht aber auch im größeren Kontext
erhalte »den Charakter der absoluten Objektivität der nachrevolutionären Entgegensetzung der Me-
oder des Todes« (GW 4.49–51). tapher des Staates als eines Mechanismus bzw.
(4) In dieser Insistenz Hegels auf dem Ge- eines Organismus: Die in den 1790er Jahren im
danken einer wahrhaften Versöhnung der Natur Umkreis der Romantik aufkommende Kritik ei-
klingt Schellings Systemkonzept am deutlichsten ner mechanistischen – und somit deterministi-
an. Den Übergang zu dessen Darstellung bereitet schen – Weltdeutung trennt die beiden seit der
Hegel jedoch zusätzlich dadurch vor, daß er das frühen Neuzeit bedeutungsgleichen Metaphern
Thema »Knechtschaft der Natur unter dem Be- der Welt oder des Staates als einer vollkomme-
griff« in Fichtes praktischer Philosophie weiter- nen Maschine und eines vollkommenen Organis-
verfolgt – zunächst in der Grundlage des Natur- mus – ein Prozeß, der sich bis in Jacobis zwei-
rechts (1796; GA I/3–4). In der dort geführten malige Ersetzung von »organische Maschine«
»Deduktion der Natur« zeige sich »die absolute durch »organisches Wesen« in der zweiten Auf-
Entgegensetzung der Natur und der Vernunft, lage seines David Hume (1815) verfolgen läßt
und die Herrschaft der Reflexion in ihrer ganzen (JWA 2.82). Das atomistische Gesellschaftsmo-
Härte.« Hegel beschränkt seine Bemerkungen dell, das ausschließlich am Individuum, an der
zum Naturrecht auf dieses Thema der Entgegen- Vielheit der »absoluten Substantialität der
setzung von Freiheit und »Knechtschaft unter Punkte« orientiert sei, könne die Verbindung zwi-
dem Begriff«. Seine Ausführungen lassen bereits schen ihnen nur noch durch einen äußeren Ver-
ein Thema anklingen, das auch noch seine späte stand, durch das Recht als Zwangsrecht herstel-
Rechtsphilosophie durchzieht: Der Begriff der len (GW 4.53–58).
Freiheit wird verfehlt, wenn man sie zunächst als (5) Diesen verfehlten Ansatz von Herrschaft
einen rein ideellen Faktor, als »absolute Unbe- und Unterwerfung sieht Hegel auch Fichtes Sy-
stimmtheit« denkt, die erst sekundär in der Ge- stem der Sittenlehre bestimmen (1798, GA I/5) –
meinschaft mit anderen einzuschränken sei. He- mit dem Unterschied, daß im naturrechtlich kon-
gels Kritik richtet sich ebenso gegen Rousseau zipierten Staat das Herrschende über den In-
und Kant – hier noch unausgesprochen, später dividuen bestehe, während in der Moralität die-
ausdrücklich: »Wenn die Gemeinschaft der Ver- ses Herrschaftsverhältnis in das Individuum ver-
nunftwesen wesentlich ein Beschränken der wah- lagert werde: »in der Sittenlehre muß der Begriff
ren Freyheit wäre, so würde sie an und für sich und die Natur in einer und ebenderselben Person
die höchste Tirannei seyn«. vereinigt gesetzt werden«. Durch diese Hinein-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 119

nahme des Gegensatzes von Freiheit und Natur Princips der Philosophie mit dem Fichte’schen« –
in den Menschen aber werde er zu einer inneren ist in doppelter Hinsicht nicht angemessen. Zum
und deshalb widernatürlichen »Unterdrükkung einen geht es hier weniger um einen Vergleich
der Natur«: Wenn »das Gebietende in den Men- des »Princips«, sondern der Systemform. Denn
schen selbst verlegt, und in ihm ein Gebietendes die Differenz zwischen Fichte und Schelling liegt
und ein Bottmäßiges absolut entgegengesetzt ist, primär in dieser Form und nicht so sehr im
so ist die innre Harmonie zerstört, Uneinigkeit Prinzip. Und zum anderen handelt es sich nicht
und absolute Entzweyung machen das Wesen des eigentlich um einen »Vergleich«, zumindest nicht
Menschen aus.« Angesichts der »fixen, absoluten um einen unvoreingenommenen, sondern Hegel
Polarität der Freyheit und Nothwendigkeit« sei stellt der Systemform Fichtes die Konzeption
»an keine Synthese und an keinen Indifferenz- Schellings als überlegene entgegen. Dabei orien-
Punkt zu denken«; »absolute Bestimmung der tiert er sich eigentümlicher Weise fast ausschließ-
Natur nach einem Begriff ist die absolute Beherr- lich an dem Stand der Ausbildung, den Schellings
schung des Herzens durch den Verstand« (GW Philosophie nach seinen Entwürfen zur Natur-
4.58–61). philosophie im Jahr 1800 im System des trans-
Trotz dieser Diagnose sieht Hegel in Fichtes scendentalen Idealismus gefunden hat – obgleich
praktischer Philosophie einen Ansatzpunkt für Schellings Darstellung meines Systems der Philo-
eine bessere Lösung: Auch Fichte spreche »von sophie bereits im Mai 1801 erschienen ist (PLS
dem ästhetischen Sinne als einem Vereinigungs- 2/1.196 f.), also zwei Monate vor Unterzeichnung
band zwischen Verstand und Herz«. Doch die der Vorrede zur Differenz-Schrift. Vermutlich hat
»ästhetische Bildung« sei hier nur zur »Beförde- Hegel die Differenz-Schrift damals bereits in Satz
rung des Vernunft-Zweks« funktionalisiert: Sie gegeben. Dieser Rückgriff auf Schellings System
sei kein Selbstzweck, sondern habe nur die Auf- des transzendentalen Idealismus – also auf einen
gabe, der Moralität den Boden zu bereiten, »so durch Schellings Entwicklung überholten Stand-
daß, wenn die Moralität eintritt, sie schon die punkt – verrät sich in den zahlreichen Zitaten,
halbe Arbeit gethan findet, nemlich die Befreiung aber auch schon in Hegels Skizze von Schellings
aus den Banden der Sinnlichkeit«. Zum anderen Parallelführung von Transzendental- und Natur-
sieht Hegel in Fichtes Modell der »Beherr- philosophie (GW 4.67 f.), als deren Hintergrund
schung« gar keinen Raum für eine derartige Ver- Spinozas Lehrsatz »ordo, et connexio idearum
mittlung. Fichte drücke sich »vortreflich aber in- idem est, ac ordo et connexio rerum« (Ethica II,7)
konsequent in Rüksicht auf sein System« aus. Daß durchscheint (GW 4.71).
das Gehorchen ein uns-selbst-Gehorchen sei, be- Da Hegels Fichte-Kritik von Schellings Sy-
deute lediglich, daß unsere Naturneigung un- stemkonzept her entworfen ist, deutet sie bereits
serem Sittengesetz gehorchen müsse, und ein diejenigen Aspekte an, in denen Hegel Schellings
solches »Getrenntsein des Gehorchens« wider- Überlegenheit sieht. Ein erster Aspekt besteht in
strebe einer ästhetischen Anschauung. So perpe- der Einheit von »Princip« und »System«. Beide
tuiere Fichte selbst auf dem Punkt, an dem er sich fallen hier nicht mehr, wie bei Fichte, ausein-
am nächsten mit Schelling berühre – in der Wer- ander, sondern stehen in Harmonie, denn das
tung der ästhetischen Anschauung – doch nur den Prinzip, das Subjekt-Objekt, bildet nicht nur den
Grundmangel seines Systems, die absolute Ent- Anfang, ohne im Fortgang des Systems zu sich
gegensetzung. (GW 4.60–62) selbst zurückzufinden; Prinzip und System bilden
hier eine Einheit – und zwar deshalb, weil Schel-
ling dem »subjektiven Subjektobjekt« als ein
4.3.4. Schellings Princip und System
Komplement ein »objektives Subjektobjekt« ge-
der Philosophie
genüberstellt, weil er also die Natur, die für
(1) Im Anschluß an diese Kritik der Kluft zwi- Fichte ein vom Subjekt, vom »Begriff« bloß Be-
schen dem Prinzip und der Systemform der Phi- herrschtes ist, selber als ein Subjekt-Objekt
losophie Fichtes referiert Hegel das Systemkon- denkt. »Hierinn besteht allein die wahre Identi-
zept Schellings, das das bisher verschwiegene tät, daß beyde ein Subjektobjekt sind, und zu-
Kriterium seiner Kritik bildet. Der Titel dieses gleich die wahre Entgegensetzung, deren sie fä-
Abschnitts – »Vergleichung des Schelling’schen hig sind.« (GW 4.66)
120 II. Werk

(2) Hinter diesen etwas schematisch wirken- als »Transzendentalphilosophie« den allein wahr-
den Formeln verbirgt sich eine unterschiedliche, haften Ansatz der Philosophie überhaupt bildet,
nicht auf Entgegensetzung, sondern auf Vermitt- auf dessen Grundlage auch erst »Natur« zum
lung des Entgegengesetzten ausgerichtete Auffas- Gegenstand werden kann, sucht Schelling »Na-
sung von Wirklichkeit und von Philosophie als tur« und »Selbstbewußtsein« in eigenen Wissen-
Begreifen dieser Wirklichkeit. Man verkennt die schaften zu entfalten, jedoch so, daß ihre paral-
Struktur, und man zerstört den Gedanken der lele Struktur, ihre Bezogenheit aufeinander, ihre
Einheit von Wirklichkeit, wenn man sie auf die innere Einheit erhellt – eben indem sie beide als
Entgegensetzungen – von Subjekt und Objekt, »Subjekt-Objekt« begriffen und im System expli-
Unendlichem und Endlichem, Selbstbewußtsein ziert werden. Anders als die Transzendentalphi-
und Natur – restringiert sieht, in denen die Refle- losophie Fichtescher Prägung versteht dieser An-
xion sich vollendet. Hegel setzt die »formale Auf- satz die Bestimmtheit der Natur nicht nur als
gabe der Philosophie« in die »Aufhebung der »eine ihr vom Wissen geliehene Form«, sondern
Entzweyung«. Solche Aufhebung könne aber als ihre eigene Bestimmtheit: »Natur und Selbst-
nicht durch Vernichtung eines der Entgegenge- bewußtseyn sind a n s i c h so, wie sie in der
setzten vollzogen werden, auch nicht durch des- eigenen Wissenschaft einer jeden von der Spe-
sen Steigerung ins Unendliche, sondern: »Um die kulation gesetzt werden«. Die beiden Wissen-
Entzweyung aufzuheben, müssen beyde Entge- schaften verhalten sich nicht so zu einander, daß
gengesetzte, Subjekt, und Objekt aufgehoben die eine nur das »Subjekt« und die andere nur das
werden; sie werden als Subjekt und Objekt aufge- »Objekt« thematisierte; sie haben ja beide ein
hoben, indem sie identisch gesetzt sind«, aber »Subjekt-Objekt« zum Gegenstand, und ihr Un-
auch ihre Differenz bewahrt bleibt. Hierdurch terschied liege nur darin, daß in der Transzen-
seien sie in der »absoluten Identität« nicht bloß dentalphilosophie die Intelligenz und in der Na-
vernichtet, sondern sie haben in ihr auch ihre turphilosophie die Natur das Erste, die Substanz,
Realität: Sie sind Getrennte und davon unge- sei, und das jeweils andere das Accidenz – oder
trennt zugleich Identische. Philosophie müsse anders: in der einen das subjektive, in der an-
deshalb beides – Trennung und Identität – in deren das objektive Subjektobjekt (GW
ihrem Zugleich festhalten: »Das Absolute selbst 4.65–67).
aber ist darum die Identität der Identität und der (4) Über diese, durch Schellings System des
Nichtidentität; Entgegensetzen und Einsseyn ist transzendentalen Idealismus repräsentierte Sy-
zugleich in ihm.« (GW 4.63 f.) stemkonzeption blickt Hegel jedoch hinaus – auf
(3) Dieser Gedanke der Identität und Differenz Schellings »Identitätssystem«: Es gebe einen »hö-
von »Subjekt« und »Objekt« findet hier keine heren Standpunkt« als den der Explikation des
erkenntnistheoretische Vertiefung; es geht Hegel Absoluten in den beiden Systemen der Intelli-
allein um Schellings Systemkonzept, um das Ver- genz und der Natur – allerdings auch eine drei-
hältnis von Transzendental- und Naturphiloso- fache Gefahr, ihn zu verfehlen. Er skizziert hier –
phie. Im System des transzendentalen Idealismus um den späteren Ausdruck vorwegzunehmen –
wird ja offenkundig, was zuvor erschlossen wer- drei »Stellungen des Gedankens zur Objektivität«
den mußte: daß Schelling »Transzendentalphilo- (s. 264). Die erste Fehlentwicklung sieht Hegel in
sophie« nicht im Sinne Kants, Fichtes oder auch einem »Vermengen« beider Wissenschaften
Jacobis als Titel eines philosophischen Ansatzes durch ihre kausale Beziehung auf einander, das
versteht, im Gegensatz etwa gegen eine Form des bei Einmischung der Naturwissenschaft ins Sy-
»Realismus«, und auch nicht als ein anderes Wort stem der Intelligenz zu »transcendenten Hypo-
für »Wissenschaftslehre«, sondern als die eine thesen«, bei Einmischung der Intelligenz ins Sy-
der beiden Seiten eines dualen Systems der Phi- stem der Natur zu »hyperphysischen, besonders
losophie, als »System der Intelligenz« gegenüber teleologischen Erklärungen« führe – also zu der
dem »System der Natur«. Thematisch ist deshalb im 18. Jahrhundert herrschenden Physikotheo-
nicht das Verhältnis von Subjekt und Objekt im logie. Diese Kritik dürfte sich insgesamt gegen
engeren Sinne, sondern allein das Verhältnis die- die traditionelle Metaphysik richten. – Die zweite
ser beiden »Systeme« oder Wissenschaften. An- mögliche Verfehlung sieht Hegel in einem – wohl
ders als Fichte, für den die »Wissenschaftslehre« die empirische Wissenschaft charakterisierenden
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 121

– friedlichen »Dualismus« der beiden Systeme, der Erscheinung des Absoluten selbst begründet:
der sie nicht ihrem – widersprechenden – An- »Erscheinen und sich entzweyen ist Eins«. Hier-
spruch nach als »Wissenschaften des Absoluten« für versichert Hegel sich auch noch der Autorität
nehme – und dagegen erklärt Hegel kategorisch: eines ungenannten »älteren Philosophen«, näm-
»das Absolute ist kein Nebeneinander« – eine lich Spinozas, der die Einheit der beiden unter-
Wendung, die man aber auch als Kritik der dua- schiedenen »Systeme« ausgesprochen habe (s.
len Systemkonzeption Schellings lesen kann. 119). Und er sucht die Verzahnung der beiden
Als den dritten und »merkwürdigsten Stand- »Systeme« nicht allein über die Terminologie des
punkt« führt er den »gewöhnlich so genannten – subjektiven oder objektiven – Subjekt-Objekts
transcendentalen Idealismus« an, für den die herzustellen, sondern auch über die Begriffe von
»Wissenschaft des subjektiven Subjektobjekts Freiheit und Notwendigkeit sowie des Theoreti-
selbst eine der integrirenden Wissenschaften der schen und des Praktischen: Auch Freiheit und
Philosophie, aber auch nur die Eine ist.« Diesen Notwendigkeit lassen sich nicht auf die beiden
Ansatz erläutert Hegel überraschender Weise – »Systeme« verteilen; sie kommen beiden zu –
vielleicht unter Rückgriff auf ein älteres Manu- Notwendigkeit auch dem »System der Intelli-
skript – nur an Hand des Kantischen Natur- genz« und Freiheit auch dem »System der Natur«:
begriffs. Die Kritik der Urteilskraft betrachte Sie sei nicht nur ein Sein, sondern auch ein
zwar das Naturprodukt als Naturzweck und ma- Werden; »ihre bewußtlose Entwiklung ist eine
che somit scheinbar die Natur zum Subjekt-Ob- Reflexion der lebendigen Kraft, die sich endlos
jekt – aber doch nur für die reflektierende Ur- entzweyt, aber in jeder beschränkten Gestalt sich
teilskraft, die nichts über die Realität der Natur selbst setzt, und identisch ist; und insofern ist
aussage: »die Betrachtungsart bleibt also ein keine Gestalt der Natur beschränkt, sondern
durchaus subjektives, und die Natur ein rein ob- frey.« Und obgleich die »Wissenschaft der Natur«
jektives, ein bloß gedachtes«. Für Kants Meta- insgesamt der theoretische Teil der Philosophie
physische Anfangsgründe der Naturwissenschaft sei, so habe sie doch auch einen praktischen Teil,
sei die Natur ohnehin nur eine Materie, ein Ge- wie auch andererseits die »Wissenschaft der In-
genstand der Mechanik, der »mit der Armuth von telligenz« einen theoretischen Teil.
Anzieh- und Zurükstoßungskräften« »schon zu Indem aber diese beiden Wissenschaften als
reich gemacht« sei, da solche Kraft bereits »ein Formen der Darstellung des Absoluten auf ein-
sich selbst setzen, = Ich«, sei, das vom rein ideali- ander bezogen sind, »müssen sie zugleich in Ei-
stischen Standpunkt der Materie nicht zukom- ner Kontinuität, als Eine zusammenhängende
men könne. Entgegen dem Anschein sei somit Wissenschaft betrachtet werden.« In ihrer Zwei-
die Natur für diesen dritten Standpunkt »nur heit sind sie »relative Totalitäten«; sie streben
Materie, nicht Subjekt-Objekt«, und der gesuchte nach dem »Indifferenzpunkt«, der als Identität in
höhere Standpunkt sei somit verfehlt. Hegel ihnen, als Totalität außer ihnen liege; so seien sie
schreibt sogar der physikotheologischen Betrach- die Formen der »Selbstkonstruktion der Identität
tungsweise »in Rüksicht der Vollständigkeit« ei- zur Totalität«, und diese die »Selbstkonstruktion
nen Vorzug zu – was übrigens auf Grund der des Absoluten«. Damit ist »die Aufhebung der
großen wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung Trennung beyder Wissenschaften« vollzogen,
der Physikotheologie für das 18. Jahrhundert und Hegel resumiert: »dieß ist der einzige höhere
nicht unplausibel ist (GW 4.68–71). Standpunkt, auf welchem beyde Wissenschaften
(5) Nach dieser Abgrenzung gegen solche Kon- ineinander verlohren sind«.
zeptionen von Wissenschaft, die die Explikation Von diesem »höheren« und höchsten Punkt aus
des Absoluten verfehlen, setzt Hegel durch wei- beschreibt Hegel den immanenten Prozeß des
tere Erläuterungen des Verhältnisses der beiden Systems der Philosophie mit einem – vielleicht
»Systeme« der Intelligenz und der Natur zum blasphemisch erscheinenden – Rückgriff auf tra-
entscheidenden Schritt zu dem »höheren Stand- ditionelle Mythologeme und Theologeme: »Die
punkt« an, indem er die Notwendigkeit sowohl ursprüngliche Identität, welche ihre bewußtlose
der dualen Verfassung der beiden Wissenschaften Kontraktion – subjektiv, des Fühlens, – objektiv
als auch ihrer Identität betont. Die polare Struk- der Materie, in das endlos organisirte Neben-
tur sei nichts bloß Faktisches; sie sei im Begriff und Nacheinander des Raums und der Zeit, in
122 II. Werk

objektive Totalität ausbreitete, und dieser Expan- »mehr als Bewußtseyn, und im Bewußtseyn aus-
sion die durch Vernichtung derselben sich kon- gebreitetes Thun subjektiver Vernunft, welche
stituirende Kontraktion in den sich erkennenden die Objektivität und das Bewußtlose aufhebt«,
Punkt (subjektiver) Vernunft, – die subjektive oder »mehr als ein in seiner unendlichen An-
Totalität entgegensetzte, muß beydes vereinigen schauung sich selbst erzeugendes«. Kunst und
in die Anschauung des sich selbst in vollendeter Spekulation seien »in ihrem Wesen der Gottes-
Totalität objektiv werdenden Absoluten, – in die dienst; beydes ein lebendiges Anschauen des ab-
Anschauung der ewigen Menschwerdung Gottes, soluten Lebens, und somit ein Einsseyn mit
des Zeugens des Worts vom Anfang.« Wie aber ihm.« (GW 4.75–77)
die auf neuplatonische Gedanken zurückgehen-
den und in der Kabbala geläufigen Termini »Ex-
4.3.5. Kritik der Philosophie Reinholds
pansion« und »Kontraktion« hier ihren früheren
Sinn verlieren, indem sie nicht mehr Phasen des (1) Die eigentliche Darstellung der Differenz der
kosmogonischen Prozesses benennen, sondern Philosophie Fichtes und Schellings ist damit ab-
die strukturelle Polarität von Natur und Intelli- geschlossen; Hegel fügt ihr jedoch noch eine
genz, so auch die Rede von der »Anschauung der scharfe Kritik der Philosophie Reinholds an, die
ewigen Menschwerdung Gottes«: Die Darstel- er bereits im selten zitierten vollständigen Titel
lung der Selbstproduktion des Absoluten im Sy- seiner Schrift ankündigt – als Replik auf Rein-
stem der Philosophie ist die Wahrheit des Ge- holds, der Absicht nach vernichtende, Kritik an
dankens, der in der Religion unter dem Titel Schellings System des transzendentalen Idealis-
»Menschwerdung Gottes« ausgesprochen ist mus (vgl. GW 4.564–566). Auch Schelling macht
(GW 4.71–75). deswegen Reinhold zu dieser Zeit zur vornehm-
(6) Hegel beschließt seine Darstellung der Sy- sten Zielscheibe seiner Polemik (PLS
stemkonzeption Schellings mit einer Skizze des 2/1.261–333). Um den in der Einbeziehung Rein-
Verhältnisses der Philosophie zu anderen Formen holds liegenden konzeptionellen Bruch zu ver-
des geistigen Lebens – nicht eigentlich mit einer tuschen, leitet Hegel diesen Abschnitt mit der
»Systemskizze«, wie zumeist formuliert wird Bemerkung ein, es sei noch »theils etwas von
(Jaeschke 1986 a, 149), und schon gar nicht mit Reinholds Ansicht der Fichte’schen
einem eigenen Systemkonzept, wie schon aus der und S c h e l l i n g s c h e n P h i l o s o p h i e , theils
eigentümlichen Unbestimmtheit der Terminolo- von seiner eigenen zu sprechen.«
gie durch den häufigen Gebrauch der Wörter Im Blick auf die Systeme Fichtes und Schel-
»mehr« bzw. »überwiegend« zu erkennen ist, der lings wirft Hegel Reinhold vor, »fürs erste die
etwa auch in Schellings Vorlesungen über die Differenz beyder als Systeme übersehen, und sie
Philosophie der Kunst begegnet (SW I/5.380). – fürs andere nicht als Philosophieen genommen«
Die im Wesen des Absoluten selber liegende zu haben. Der erste Vorwurf betrifft freilich
Polaritätsstruktur durchziehe auch noch die For- ebenso Fichte – und mit ihm alle anderen an den
men seiner Anschauung, nämlich Kunst und Spe- damaligen Debatten Beteiligten. Denn die seit
kulation, und auf Seiten der Kunst kontinuiere Beginn der Publikationstätigkeit Schellings zwi-
sich die Polarität abermals in die beiden Formen schen ihm und Fichte vorhandenen systemati-
der Kunst im engeren Sinne und der Religion. schen Differenzen bleiben bis zum Erscheinen
Die Religion wird somit der Kunst im weiten seines Systems des transzendentalen Idealismus
Sinne untergeordnet und der Kunst im engeren bewußt unterdrückt, und selbst hier werden sie
Sinne nebengeordnet. Das Kunstwerk sei dau- nicht offen ausgesprochen. Auch Fichte legt sich
ernd, Produkt »des Genies, aber der Menschheit erst nach Erscheinen von Schellings System über
angehörend«, die Religion »ein lebendiges Be- diese zuvor schon geahnten Differenzen zusam-
wegen«, Produkt »einer allgemeinen Genialität, menhängend Rechenschaft ab – und im Interesse
aber auch jedem einzelen angehörend«. In der der geschichtlichen Wirkung der Transzenden-
Kunst erscheine die Anschauung des Absoluten talphilosophie ist er zugleich bemüht, diese Dif-
»mehr in einen Punkt koncentrirt und das Be- ferenzen nicht öffentlich bekannt werden zu las-
wußtseyn niederschlagend« und »mehr in der sen (PLS 2/1.216).
Form des absoluten Seyns«, in der Spekulation Den zweiten Vorwurf konkretisiert Hegel nicht
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 123

durch Kritik an Reinholds Fichte-, sondern an Princips, und der Philosophie erhalten hätte.
seiner Schelling-Deutung. Hegel wirft Reinhold Man kann eine solche Wendung eine Erbärmlich-
ein Mißverständnis der Einleitung zum System keit, einen Nothbehelf der Erbitterung, u.s.w. wie
des transzendentalen Idealismus vor – aber er man will, nennen und schimpfen; denn so was ist
verweist auch auf spätere Texte Schellings aus der vogelfrey.« Philosophie gehe zwar aus der »Un-
Zeitschrift für spekulative Physik, die gleichzeitig sittlichkeit« hervor, nämlich aus der »Zerrüttung
mit oder gar erst nach der Abfassung von Rein- des Zeitalters« – aber nur um gegen sie »den
holds Beiträgen veröffentlicht wurden. Menschen aus sich wiederherzustellen« (GW
Hegels Kritik wendet sich zum einen gegen 4.77–81). In ähnlicher Weise kritisiert Schelling
Reinholds Mißverständnis von Schellings Begriff schon in den Philosophischen Briefen (AA I/3.58)
des Absoluten als der »absoluten Identität«, der diese Verquickung von philosophischer Differenz
Subjekt-Objektivität. Zum anderen weist er Rein- und moralischer Anklage: »Wer an die Demon-
holds Vorwurf zurück, daß die bisherige Philo- strationen unsrer neusten Philosophen nicht
sophie – gleichsam psychologistisch – »das Den- glaubt, auf dem haftet das Anathem m o r a l i -
ken unter dem Charakter einer blos subjektiven s c h e r Verworfenheit.«
Thätigkeit vorgestellt hat«. Die »Abstraktion vom (2) Der Rückblick auf Reinholds Verhältnis zu
subjektiven der transcendentalen Anschauung« Fichte und Schelling dient jedoch nur als Vorspiel
sei vielmehr »der formelle Grundcharakter« der – zur Auseinandersetzung mit Reinhold um die
Philosophie Schellings – und er belegt dies mit Form der Begründung eines philosophischen Sy-
einem Zitat: » We n n d i e M e n s c h e n e r s t stems, aber auch zu Hegels Spott über die vielfa-
l e r n e n w e r d e n , r e i n t h e o r e t i s c h , bloss chen »Revolutionen«, die Reinhold in den Jahren
objektiv ohne alle Einmischung von Sub- zuvor durchlaufen habe – vom Kantianer zum
jektivem z u d e n k e n , s o w e r d e n s i e d i e ß Fichteaner und Jacobianer –, vor allem aber zu
v e r s t e h e n l e r n e n .« Hierin liegen die ersten Hegels Auseinandersetzung mit Reinholds letz-
Wurzeln für Hegels späteren Begriff des »ob- tem Standpunkt: seiner Konversion zu Christoph
jektiven Denkens«. Gottfried Bardilis Grundriß der Ersten Logik.
Ein dritter Aspekt betrifft die Differenz der Reinhold hat diese – schon im Herbst 1799
Methode und der Zielsetzung von Philosophie: erschienene – Schrift Bardilis mit »Jubel« und
Für Reinhold bestehe »das wesentlichste Ge- »Entzücken« begrüßt – sehr zum Verdruß vieler
schäfte« der Philosophie darin, »die Realität der seiner Freunde. Er hat sie sowohl Jacobi als auch
Erkenntniß durch Analysis d. h. Trennen zu be- Fichte wärmstens empfohlen, letzterem als »eine
gründen«; die »höchste Aufgabe« der Spekulation völlig neue Darstellung des transcendentalen
hingegen liege darin, »die Trennung in der Iden- Idealismus – oder eigentlich eine Erfindung de-
tität des Subjekts und Objekts aufzuheben«, »ab- ßelben von neuen und auf einem völlig anderen
solute Vereinigung« zu bewirken. Die hierdurch Wege« (PLS 2/1.67,69) – obgleich er selber wenig
markierte Differenz illustriert Hegel an der Stel- später seinen durch Bardili vermittelten Stand-
lung zum Materialismus; Reinhold nehme ihn punkt als »rationalen Realismus« benennt. Fichte
nur »von der Seite einer Geistesverirrung, die hat Bardilis Grundriß sowohl in Briefen an Rein-
Deutschland nicht einheimisch sey, und er er- hold als auch in einer Rezension als völlig unzu-
kennt darin nichts von dem ächten philosophi- länglich kritisiert; Reinhold hat öffentlich auf
schen Bedürfniß, die Entzweyung in der Form diese Rezension geantwortet – und über dieser
von Geist und Materie aufzuheben« – und eben- Frage ist es zum Bruch zwischen Fichte und
sowenig, daß die Fremdheit des Materialismus in Reinhold gekommen (PLS 2/1.110–134). Hegel
Deutschland die Folge »einer entgegengesetzten knüpft an Fichtes Kritik an; sein Votum gegen
Einseitigkeit der Bildung« sein könne. Bardili und Reinhold ist ein indirektes Votum für
Schließlich wendet Hegel sich noch sehr nach- Fichte, wie er auch andererseits Jacobi von Rein-
drücklich gegen Reinholds moralische Imputa- hold zu trennen sucht (GW 4.88, 34–35, 84–85
tion der Systeme Fichtes und Schellings: daß er Fußnote).
»die Partikularität dieser Systeme aus der Unsitt- Hegel erhebt gegen Bardilis Grundriß den Vor-
lichkeit erklären wird, und zwar so, daß die wurf der »Verwandlung der Philosophie ins For-
Unsittlichkeit in diesen Systemen die Form eines male des Erkennens, in Logik«, ja der Reduktion
124 II. Werk

der Philosophie auf Logik – einen Vorwurf, der in in seiner Wissenschaft der Logik bedenkt und
der Wirkungsgeschichte seiner Philosophie ge- verwirft (GW 11.34 f.). In der Differenz-Schrift
gen ihn selber gewendet wird. In der Darstellung wendet Hegel ein, daß »mit einem hypotheti-
dieser »Reduktion« orientiert Hegel sich fast aus- schen und problematischen [Wahren] überhaupt
schließlich an Reinholds Präsentation Bardilis – gar nichts begründet« sei. Und er äußert den
an der Unterscheidung der Begriffe des Denkens, Verdacht, derartige Vorübungen seien nur Aus-
der »Anwendung des Denkens« und der »Materie druck einer »haltungslosen Ängstlichkeit, die sich
der Anwendung des Denkens« – einer Unter- in ihrer Geschäftigkeit immer nur vermehrt« –
scheidung, die in Hegels Sicht das Denken ge- einer »Angst, ins Wissen hineinzugerathen«, der
radezu zu einer bloß subjektiven Tätigkeit macht nichts übrig bleibe, »als an ihrer Liebe und ihrem
und insofern Reinholds Forderung widerspricht. Glauben, und ihrer zielenden fixen Tendenz mit
Auf Logik werde die Philosophie dadurch redu- Analysiren, Methodisiren und Erzählen sich zu
ziert, daß Reinhold in der Nachfolge Bardilis die erwärmen.«
»wahre Philosophie« in »die Analysis der Anwen- Dieser Begründungsreflexion, die schließlich
dung des Denkens als Denkens« setze, durch die eben »dieß Anlaufen zum wahren Werk« mache,
»das Urwahre mit dem Wahren, und das Wahre stellt Hegel eine andere, nicht mehr externe
durch das Urwahre« entdeckt und aufgestellt Form der Begründung entgegen: Philosophie be-
werden solle. gründet »als Ganzes sich, und die Realität der
Ausführlicher geht Hegel auf das Verhältnis Erkenntnisse, ihrer Form und ihrem Inhalt nach,
Bardilis zu Reinholds »Elementarphilosophie« in sich selbst«. Als Explikation und Selbstexplika-
ein – und hierin folgt er trotz Reinholds Protestes tion des Absoluten ist sie gar keiner anderen
wiederum Fichtes Bardili-Rezension, der Bardilis Begründung fähig als einer derartigen immanen-
Buch » e i n e U m a r b e i t u n g d e r R e i n h o l - ten Ausbildung des Zusammenhangs des Wis-
d i s c h e n , w e i l a n d E l e m e n t a r- P h i l o s o - sens. Sie begründet sich dadurch, »daß sie jeden
p h i e« genannt hat (PLS 2/1.115 f.). Hegel fügt ihrer Theile absolut setzt, und hierdurch in dem
dem nur noch einen ausführlicheren Vergleich Anfang und in jedem einzelnen Punkt eine Iden-
der »Logik« Bardilis mit Reinholds Versuch einer tität und ein Wissen konstituiert; als objektive
neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsver- Totalität begründet das Wissen – sich zugleich
mögens zum Beweis hinzu – und charakterisiert immer mehr, je mehr es sich bildet, und seine
deshalb Reinholds Freude über Bardilis Grund- Theile sind nur gleichzeitig mit diesem Ganzen
riß als die Freude eines Mannes, »der zu seiner der Erkenntnisse begründet«. Mit diesen Worten
größten Zufriedenheit, aus dem eigenen Keller greift Hegel bereits voraus auf die Begründungs-
unwissenderweise bewirthet wurde« (GW form des Systems der Philosophie, mit dessen
4.81–90). Ausarbeitung er jedoch erst nach Beendigung der
(3) In anderer Hinsicht ist jedoch Reinholds Differenz-Schrift beginnt (GW 4.81–83).
Verabschiedung seiner früheren »Elementarphi-
losophie« offenkundig: im Blick auf das Begrün-
4.3.6. Philosophiehistorische Bedeutung
dungsproblem der Philosophie. In seinen Schrif-
ten aus den Jahren 1789–1791 hatte Reinhold (1) In der Differenz-Schrift gibt der eben in Jena
versucht, das Begründungsproblem eines Sy- Angekommene sein philosophisches Debut. Der
stems der Philosophie durch den Rückgang auf damals hitzige Streit um die Grundlagen der
einen durch sich selbst gewissen Satz, den Satz Philosophie bietet ihm rasch die Gelegenheit
des Bewußtseins, zu lösen (s. 110). Das Scheitern »zum Eingreifen in das Leben der Menschen«,
dieses Ansatzes, auch die Bedenken gegen dessen auf die er in seinem Brief an Schelling vom
Modifikation durch Fichtes Wissenschaftslehre, 2.11.00 noch sehr unbestimmt hofft. Die Weise,
haben Reinhold davon überzeugt, das Begrün- wie er sie nutzt, ist durch seine damals enge
dungsproblem auf vorsichtigere Weise zu lösen: Verbindung mit Schelling geprägt. Denn die Nö-
Die Philosophie müsse mit einem bloß hypo- tigung, »Fichtes und Schellings Sache immer
thetisch und problematisch vorausgesetzten Wah- mehr zu trennen« (an Mehmel, Br IV/2.6), ent-
ren beginnen und erst im Fortgang von ihm zum spricht der Tendenz zur Distanzierung von
Urwahren gelangen – ein Ansatz, den Hegel noch Fichte, die Schelling bereits im System des tran-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 125

szendentalen Idealismus angebahnt hat, die er für das Denken des eben erst in Jena Ange-
seit November 1800 in seinem – Hegel sicherlich kommenen, der sich offensichtlich bei seinem
bekannten – Briefwechsel mit Fichte betreibt ersten öffentlichen Schritt in der Philosophie den
(PLS 2/1.185–232) und die er mit der Veröffentli- systematischen Absichten und der Leitung seines
chung der Darstellung meines Systems der Philo- Mentors anvertraut – und sie zumindest nicht
sophie im Mai 1801 publik macht. Der Titel ausdrücklich in Frage stellt.
»meines Systems« ist mit Bedacht gewählt, um Vor allem aber zeigt sie Hegel noch vor seiner
die Eigenständigkeit dieses Systemprogramms Habilitation – und somit auch noch vor der Aus-
vor dem Publikum zu unterstreichen. bildung seines Systems. Sie handelt aus der Per-
Der Briefwechsel zwischen Fichte und Schel- spektive Schellings über das Verhältnis des Fich-
ling zeigt, daß die »Differenzen« beider – von de- teschen und des Schellingschen Systems, aber
nen in ihm so viel die Rede ist – fast an den Be- nicht aus einer eigenen Systemkonzeption Hegels
ginn ihrer philosophischen Bekanntschaft zurück- heraus. Soweit für die ersten Monate des Jahres
reichen. Auch ihre öffentliche Artikulation im 1801 überhaupt von einem solchen »System« zu
Jahr 1801 ist nicht durch Hegels Ankunft in Jena sprechen ist, wird es durch die letzten Frank-
veranlaßt, sondern teils durch die Auseinander- furter Texte repräsentiert. Deshalb ist die Diffe-
entwicklung der philosophischen Ansätze beider, renz-Schrift ein Text, der sich weder zur Ein-
teils durch persönliche Empfindlichkeiten. Auch führung in Hegels Philosophie noch zur Kritik
Reinhold hebt im zweiten Heft seiner Beiträge seines späteren Systems und auch nicht zur au-
auf solche Differenzen ab. Hegels Rolle in diesem thentischen Darlegung der »Differenz« Fichtes
Streit beschränkt sich darauf, diese an sich vor- und Schellings eignet. Die Ausbildung der spezi-
handenen Differenzen nicht nur von außen, wie fischen, heute mit dem Namen Hegel verknüpf-
Reinhold, zu bemerken – denn dies konnte leicht ten Systemform setzt erst mit dem Beginn seiner
als Taktik eines Gegners abgewertet werden. He- Vorlesungen im Winter 1801/02 ein (s. 150).
gel hingegen vollzieht den Bruch zwischen »Fich- Erstdruck: Differenz des Fichte’schen und Schelling’
tes und Schellings Sache« von innen, aus dem schen Systems der Philosophie in Beziehung auf Rein-
Lager der Transzendentalphilosophie heraus und hold’s Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustands
macht ihn dadurch unwidersprechlich glaubhaft. der Philosophie zu Anfang des neunzehnten Jahrhun-
Gegenüber Fichte aber gibt Schelling am 3.10.01 derts, Istes Heft. Jena 1801. – Text: GW 4.1–92. –
Quellen: Carl Leonhard Reinhold: Versuch einer neuen
die Differenz-Schrift als eine gleichsam neutrale
Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens.
Stimme des Publikums aus: »So ist erst dieser Prag / Jena 1789; Reinhold: Beyträge zur Berichtigung
Tage ein Buch von einem sehr vorzüglichen Kopf bisheriger Mißverständnisse der Philosophen. Jena
erschienen, das zum Titel hat: D i f f e r e n z d e s 1790–1794; Reinhold: Ueber das Fundament des philo-
Fichteschen und Schellingschen Sy - sophischen Wissens nebst einigen Erläuterungen über
s t e m s d e r P h i l o s o p h i e, an dem ich keinen die Theorie des Vorstellungsvermögens. Jena 1791;
[Gottlob Ernst Schulze:] Aenesidemus oder über die
Antheil habe, das ich aber auch auf keine Weise
Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena
verhindern konnte.« (PLS 2/1.222) Darin liegt gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Ver-
die »philosophiepolitische«, wirkungsgeschicht- theidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen
liche Bedeutung der Differenz-Schrift: Sie be- der Vernunftkritik. [Helmstädt] 1792; Christoph Gott-
endet die Periode, in der die Transzendental- fried Bardili: Grundriß der Ersten Logik, gereiniget
philosophie als Einheit erscheinen konnte. von den Irrthümern bisheriger Logiken überhaupt, der
Kantischen insbesondere; […]. Stuttgart 1800; Fichte:
(2) Um dieser Bedeutung willen ist der Diffe-
Bardili-Rezension. PLS 2/1.115–123; Carl Leonhard
renz-Schrift bis heute große Aufmerksamkeit ent- Reinhold (Hg.): Beyträge zur leichtern Uebersicht des
gegengebracht worden – und sei es auch nur Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahr-
darin, daß sie von Anhängern Fichtes erbittert hunderts (1801). – Literatur: Helmut Girndt: Die Diffe-
bekämpft worden ist (Girndt 1965, Lauth 1987). renz des Fichteschen und Hegelschen Systems in der
Andererseits erscheint sie – als eine Erstlings- Hegelschen »Differenzschrift«. Bonn 1965; Manfred
Zahn: Fichtes, Schellings und Hegels Auseinander-
schrift – besonders zur Einführung in die sy-
setzung mit dem »Logischen Realismus« Christoph
stematischen Intentionen Hegels geeignet. Doch Gottfried Bardilis.« ZphF 19 (1965), 201–223, 453–479;
ist sie gerade zu diesem Zweck weniger geeignet Ingtraud Görland: Die Kantkritik des jungen Hegel.
als jeder andere Text Hegels. Sie ist ein Zeugnis Frankfurt am Main 1966, 16–53; Lutz Geldsetzer: Die
126 II. Werk

Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahr- nere, ist Duttenhofer, Versuch, schon angezeigt.«
hundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiege- (Br IV/2.5 f.) Die Schriften Fichtes, Grohmanns
schichtsschreibung und -betrachtung. Meisenheim
und Duttenhofers waren damals jedoch schon in
1968; Ludwig Siep: Hegels Fichtekritik und die Wis-
senschaftslehre von 1804. Freiburg / München 1970; der Erlanger Litteratur-Zeitung besprochen;
Helmut Girndt: Hegel und Reinhold. In: Reinhard Rückerts Idealismus und Schulzes Kritik werden
Lauth (Hg.): Philosophie aus Einem Prinzip. Karl von Schelling bzw. Hegel nach dem Ende der
Leonhard Reinhold. Sieben Beiträge nebst einem Erlanger Litteratur-Zeitung im Kritischen Jour-
Briefekatalog aus Anlaß seines 150. Todestages. Bonn nal scharf kritisiert (GW 4.239ff. bzw. 197ff.;
1974, 202–224; Walter Christoph Zimmerli: Die Frage
s. 132ff.); für die Erlanger Litteratur-Zeitung re-
nach der Philosophie. Interpretationen zu Hegels »Dif-
ferenzschrift«. HSB 12 (1974); Xavier Tilliette: Hegel in zensiert Hegel – dem Gebrauch der Zeit folgend
Jena als Mitarbeiter Schellings. In: Henrich / Düsing anonym – statt dessen Bücher von Werneburg,
(Hg.): Hegel in Jena (1980), 11–24; Reinhard Lauth: Krug, Gerstäcker, Fischhaber und Herder.
Hegel vor der Wissenschaftslehre. Mainz / Stuttgart (2) Mehmel sendet Bouterweks Anfangs-
1987; Petra Kolmer: Philosophiegeschichte als philo- gründe am 16.08.01 an Hegel, und dieser antwor-
sophisches Problem. Kritische Überlegungen nament-
tet bereits am 26.8.01 mit der umfangreichen
lich zu Kant und Hegel. Freiburg / München 1998;
Klaus-M. Kodalle / Martin Ohst (Hg.): Fichtes Entlas- fertigen Rezension – nur einen Tag vor seiner
sung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren. Würzburg Habilitationsdisputation. Hegel findet in den An-
1999; Ludwig Siep: Der Weg der »Phänomenologie des fangsgründen Eklektizismus, und zudem einen
Geistes«. Ein einführender Kommentar zu Hegels »Dif- Eklektizismus von Positionen, die er fast sämtlich
ferenzschrift« und zur »Phänomenologie des Geistes«. als der Philosophie widerstreitend verwirft: die
Frankfurt am Main 2000, 24–51.
bereits in der Differenz-Schrift kritisierte Me-
thode des provisorischen Philosophierens, den
Rückgriff auf die Psychologie zur Grundlegung
4.4. Kritiken aus der Erlanger der Philosophie sowie einen lockeren Rückgriff
Literatur-Zeitung auf Momente der Transzendentalphilosophie
Kants – vorgetragen zudem in einer empörend
(1) Schon vor der Veröffentlichung der Differenz- laxen Sprache. Selbst wo Bouterwek sich zur
Schrift bietet sich Hegel noch eine weitere Gele- »Idee des Absoluten« erheben wolle, bleibe er in
genheit zum erhofften »Eingreifen in das Leben der Entgegensetzung eines »Idealprincips« und
der Menschen«: Durch Rezensionen stürzt er sich eines »Realprincips« befangen. Damit würden die
in den »literarischen Saus« nicht allein Jenas, Anfangsgründe dem selbst gestellten Problem
sondern der Epoche überhaupt. Die Bahn hierzu keineswegs gerecht, das gerade in den Jahren bis
eröffnet ihm eine Empfehlung durch Schelling: zur Phänomenologie des Geistes auch ein zen-
Am 4.7.01 nennt dieser dem Herausgeber der trales Problem Hegels ist: der Begründung einer
Erlanger Litteratur-Zeitung, Gottlieb Ernst Au- spekulativen Philosophie durch eine Widerle-
gust Mehmel, als Rezensenten von Bouterweks gung des Skeptizismus, die sich zunächst selbst
Anfangsgründen der spekulativen Philosophie an der »skeptischen Methode« bediene und den
seiner statt Hegel; von ihm dürfe Mehmel eine Skeptizismus von innen heraus überwinden
»durchaus tüchtige und eindringende Arbeit er- wolle. Bouterweks sogenannte »Widerlegung«
warten« (GW 4.527). Hieran knüpft sich ein bestehe jedoch lediglich »in der positiven Be-
Briefwechsel zwischen Mehmel und Hegel; die- hauptung dessen, was der Skeptiker negirt; –
ser nimmt Anfang August 1801 die Einladung zur wenn sie gründlicher genommen wird, in der
Rezension an und schlägt weitere Schriften vor: Einsicht, daß der Skepticismus eigentlich un-
»Fichtes sonnenklaren Beweis« (den er »als einen widerlegbar ist.« Deshalb setzt Hegel Bouterweks
unseligen, subjektiven Versuch, die Spekulation »Realprincip« der Entgegensetzung von Subjekt
zu popularisieren«, behandeln müßte) sowie die und Objekt schließlich die eigene Konzeption
in den Meßkatalogen angezeigten, ihm noch entgegen: »daß ganz allein darum philosophirt
nicht bekannten Bücher »Rückerts Idealismus, wird, um die Entgegensetzung des Subjekts und
Schulzes Kritik der theoretischen Philosophie, – Objekts […] aufzuheben« (GW 4.95–104).
vielleicht: Über Offenbarung und Mythologie als (3) Bouterweks Programm der Begründung
Nachtrag zu Kants Religion. Soviel ich mich erin- apodiktischer Gewißheit durch immanente Über-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 127

windung des Skeptizismus ist formal vergleich- Gerstäcker »zu den höchsten Gründen des Wis-
bar mit demjenigen, das Hegel in seinen Jenaer sens emporsteigen« bzw. die Deduktion des
Jahren skizziert. Die drei anderen, ebenfalls sehr Rechts »aus den tiefsten Tiefen der Vernunft her-
scharfen Rezensionen in der Erlanger Litteratur- aufpumpen« – und dabei gelange er zu den bei-
Zeitung zu Schriften Werneburgs, Gerstäckers den Unendlichen, dem freien Ich und den äuße-
und Krugs stehen hingegen in größerer Distanz ren Kräften, über deren Verbindung aber nichts
zu Hegels systematischen Intentionen; es handelt mehr auszusagen sei: »Beyde müssen ewig unver-
sich um Gelegenheitsarbeiten ohne tiefere Be- einbar bleiben, jedes der entgegengesetzten ist
deutung für die Ausbildung seiner eigenen Philo- ein Absolutes für sich, und doch jedes auch durch
sophie. Hegel hat sie zu Beginn des Jahres 1802 das andere bedingt.« In dieser Antwort sieht He-
geschrieben, vermutlich in Einem Zuge, denn am gel den »allergewöhnlichsten und formellsten
26.3.02 sendet er sie – mit einer Rezension über Dualismus mit Fichte’schen Farben, und gehörig
Fischhaber – an den Herausgeber Mehmel. erbaulichen und rednerischen Amplifikationen
An den beiden »Broschüren« Werneburgs ver- übertüncht«. Eine wirkliche Deduktion des
wirft Hegel die »sehr großen Prätensionen«, mit Rechts sei nirgends zu erblicken, »sondern nichts
denen der Verfasser nicht allein »die Grundlosig- als Kantische Moralphilosophie und Worte des
keit des Fichte’schen Systems beweisen«, son- Fichte’schen Idealismus als ein Dualismus aufge-
dern sich als der ersehnte »Schiedsrichter« über faßt, mit leerem deklamatorischem Schwung vor-
den philosophischen Parteien der Zeit aufspielen getragen« (GW 4.107–111).
wolle. Der Kern von Hegels Anzeige besteht in Am kürzesten verfährt Hegel mit der Anzeige
einem längeren Zitat, das das »Hauptprincip« von Krugs Entwurf eines neuen Organon’s der
Werneburgs formuliert – die Aufgabe des Philo- Philosophie: Statt auf das Buch einzugehen, ver-
sophen, das »im Bewußtseyn Urvereinte« zu tren- schanzt er sich einerseits hinter Krugs Forderung,
nen und das Urgeteilte wieder zu »urvereinen«; sein Organon nicht ohne Kenntnis einer erst
» d a s D i n g ( d a s D u ) , das Urnothwendige« noch erscheinen sollenden Beilage zu beurteilen,
und » d i e I n t e l l i g e n z , d e r G e i s t (das Ich), andererseits verweist er auf »die Beurtheilung
das U r f r e y e«, seien »urvereint«; die Abstraktion der philosophischen Bestrebungen des Hrn. Kr’s
vom ersten sei Idealismus, vom zweiten Dogma- überhaupt in dem krit. Journal der Philosophie
tismus. Insgesamt sei Werneburgs Schrift ein von Schelling und Hegel« – also auf seine eigene
»eintöniges, hypochondrisches, apostrophiren- Kritik Krugs (s. 131 f.) – und er schließt mit dem
des Entgegensetzen des Idealismus und Dogma- Rat an Krug, sich in der geplanten Beilage »die
tismus«; Hegel räumt zwar ein, daß in ihrer Mühe, in diesem Organon eine philosophische
»Grundidee« »die Idee der Philosophie ausge- Tendenz nachzuweisen, zu ersparen, da es offen-
drückt seyn könnte« – aber darüber entscheide bar eine vergebliche Mühe ist« (GW 4.112).
die (hier nicht gegebene) wissenschaftliche (4) Neben diesen drei Rezensionen schreibt
Durchführung (GW 4.105 f.). Hegel drei weitere, heute jedoch verschollene.
Ausführlicher, aber nicht wohlwollender refe- Die Rezension über Fischhabers Fichte-Darstel-
riert Hegel Gerstäckers »Deduktion des Rechts- lung sendet er am 26.3.02 an Mehmel, gemein-
begriffs« – als einen Versuch, »die Deduktion aus sam mit den genannten Rezensionen; über ihren
den höchsten Gründen des Wissens mit Gemein- Inhalt und die Gründe ihrer Nichtveröffentli-
faßlichkeit zu vereinigen« – wobei aber wie ge- chung ist nichts bekannt. Der Beginn der Rezen-
wöhnlich die Gemeinfaßlichkeit die Oberhand sion – so schreibt Hegel an Mehmel – beziehe
gewinne. Er verwirft Gerstäckers einleitende Un- sich »auf eine tönende Recens. in der hiesigen
terscheidung von »Metaphysik« und »Physik des Zeitung«; dies läßt vermuten, daß seine eigene
Rechts« als Trennung des formalen Rechtsbe- Rezension demgegenüber eine kritische Tendenz
griffs von der Realität des Rechts. Im ersten der gehabt habe (GW 4.517,554 f.).
drei Teile der Abhandlung suche Gerstäcker Die Rezension der Neuauflage von Herders
»dem gemeinen Menschenverstand den allge- Gott hat Hegel zunächst zurückgestellt, wie er
meinen Begriff seines rechtlichen Urtheilens ab- Mehmel im genannten Brief vom 28.8.01 mit-
zuhören« – wobei er aber sogleich nur seine teilt: »von Herder muß ich den alten Gott vorher
eigenen Begriffe anhöre. Im zweiten Teil wolle zu Handen bekommen, da ich mein Exempl.
128 II. Werk

nicht hier habe, um vom neuen Rechenschafft Rezensiert: Friedrich Bouterwek: Anfangsgründe der
geben zu können; – soviel seh ich daß er das speculativen Philosophie. Versuch eines Lehrbuchs.
Göttingen 1800; Johann Friedrich Christian Werne-
weggelassen hat, wovon Jacobi in den Briefen
burg: Kurze wissenschaftliche Darlegung der Unhalt-
spricht [sc. JWA 1.219–231]; wenn er diß eigent- barkeit und Grundlosigkeit sowohl des transcenden-
lich gefaßt hätte, so hätte er a l l e s müssen weg- talidealistischen Systems von Fichte, als auch des Sy-
lassen.« Am 26.3.02 berichtet er Mehmel, er stems der eitlen Genußlehre seiner Gegenfüßler und
werde die Erstausgabe »in ein paar Tagen« er- des kritischen Systems. Leipzig 1800; Werneburg: Ver-
halten und dann »auch diesen Posten vollends suchte, kurze, faßliche Vorschilderung der AllWissen-
schaft-Lehre oder der alleinigen sogenannten Philo-
schleunig berichtigen«. Hegel stellt diese Rezen-
sophie, und faßlichere Darstellung der Grundlosigkeit
sion auch fertig; Rosenkranz hat sie noch in Hän- beider extrematischen Systeme des Idealismus und des
den und teilt mit, daß sie »den Unterschied der- Dogmatismus, […]. O. O. 1060 [d. i. 1800]; Johann
selben von der ersten Ausgabe mit milder Schärfe Gottfried Herder: Gott. Einige Gespräche. Gotha 11787
auseinandersetzt« (R 223). Wahrscheinlich sen- bzw. Gott. Einige Gespräche über Spinoza’s System;
det Hegel sie nicht mehr ab, weil die Erlanger nebst Schaftesburi’s Naturhymnus. Zweite, verkürzte
und vermehrte Ausgabe. Gotha 1800; Wilhelm Traugott
Litteratur-Zeitung 1802 ihr Erscheinen einstellt
Krug: Entwurf eines neuen Organon’s der Philosophie
(GW 4.517,554). oder Versuch über die Prinzipien der philosophischen
Verschollen ist noch eine weitere von Hegel Erkenntniß. Meissen und Lübben 1801; Karl Friedrich
geschriebene Rezension für die Hallische All- Wilhelm Gerstäcker: Versuch einer gemeinfaßlichen
gemeine Litteratur-Zeitung. Sie geht auf eine Deduction des Rechtsbegriffs aus den höchsten Grün-
Empfehlung Niethammers an den Herausgeber, den des Wissens als Grundlage zu einem künftigen
System System der Philosophie des Rechts. Breslau
Christian Gottfried Schütz, vom 29.11.05 zurück.
1801; Gottlob Christian Friderich Fischhaber: Ueber
Aus der Korrespondenz geht hervor, daß Hegel das Prinzip und die Haupt-Probleme des Fichteschen
auf Wunsch Niethammers ein Buch von Jakob Systems, nebst einem Entwurff zu einer neuen Aufloe-
Salat rezensieren sollte, doch ist nicht bekannt, sung derselben. Carlsruhe 1801; Jakob Salat: (wahr-
welche der zahlreichen Schriften sein Gegen- scheinlich:) Ueber den Geist der Verbesserung im Ge-
stand war – vielleicht Ueber den Geist der Ver- gensatze mit dem Geiste der Zerstörung. Ein Versuch,
mit besonderer Hinsicht auf gewisse Zeichen unserer
besserung im Gegensatze mit dem Geiste der Zer-
Zeit. Den Freunden des Vaterlandes und der Mensch-
störung (1805). Hegel stellt die Rezension etwa heit gewidmet. München 1805. – Literatur: Ulrich
im Mai 1806 fertig und sendet sie an die All- Dierse: Bouterweks Idee einer Apodiktik. PLS
gemeine Litteratur-Zeitung. Am 6.8.06 bemerkt 2.32–51.
Hegel gegenüber Niethammer, die Rezension sei
noch nicht erschienen und »sie wird auch wohl
nicht erscheinen – sie hat unter anderem auch 4.5. Abhandlungen aus dem
den Fehler zu groß zu seyn«. Seine Vermutung Kritischen Journal der Philosophie
bestätigt sich – trotz einiger Interventionen Niet-
hammers –, wenn auch wohl nicht aus dem von
4.5.1. Zur Herausgabe des Kritischen
ihm genannten Grund, sondern weil die All-
Journals
gemeine Litteratur-Zeitung sehr kritisch gegen
Schellings und Hegels, doch sehr affirmativ ge- Die Zusammenarbeit Hegels und Schellings, die
gen Salats Philosophie eingestellt ist; und da für die Differenz-Schrift und die Rezensionen für
Niethammers Verhältnis zu Salat gespannt ist, die Erlanger Litteratur-Zeitung zu unterstellen
dürfte auch Hegels Rezension sehr kritisch ausge- ist, wird durch die gemeinsame Herausgabe des
fallen sein (GW 4.518,555 f.). Kritischen Journals der Philosophie (1802/03) auf
Erstdruck: Zu Bouterwek: Litteratur-Zeitung. Hg. von einen institutionellen Boden gestellt. Die voraus-
G. E. A. Mehmel. Erlangen 1801, Bd. 2, Nr 181, 15. gehenden Bemühungen teils Fichtes und Schel-
September (Sp. 1441–1448), Nr 182, 16. September lings, teils Schellings, der Brüder Schlegel und
(Sp. 1449–1451). – Zu Werneburg: Litteratur-Zeitung. Schleiermachers, in wechselnden Koalitionen ein
Hg. von G. E. A. Mehmel und K. Chr. Langsdorf. Er-
»kritisches Institut« zu begründen, möglichst un-
langen 1802. Anzeigenblatt. Nr 14, 9. April (Sp.
105–107). – Zu Gerstäcker: ebd. Kritikenblatt. Nr 35 ter Teilnahme Goethes und Schillers, verlaufen
(28. April) (Sp. 276–280). – Zu Krug: ebd. Anzeigen- unerfreulich und fruchtlos – wegen wechselsei-
blatt. Nr 22, 4. Juni (Sp. 169). – Texte: GW 4.93–112. – tiger Berührungsängste und (wirklichen oder be-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 129

fürchteten) Vormachtstrebens der einen oder an- A. W. Schlegel und Schleiermacher zu einem Bei-
deren Seite sowie schließlich wegen der im Jahr trag gegen Jacobi zu gewinnen, schlägt fehl (GW
1801 erfolgenden Parteiungen in transzendenta- 4.535). Vom Umfang her sind ihre Beiträge etwa
len Idealismus, Spekulation, rationalen Realis- gleichgewichtig; Hegels Abhandlungen kommt
mus und Romantikerkreis sowie schließlich we- allerdings für die Entwicklung seiner Philosophie
gen der damit verbundenen persönlichen Ausein- eine größere Bedeutung zu als den drei längeren
andersetzungen zwischen Fichte und Reinhold Beiträgen Schellings – einer Polemik gegen Rein-
sowie Fichte und Schelling und der Streitigkeiten holds Ueber das absolute Identitäts-System und
zwischen Schelling und Friedrich Schlegel. In sein Verhältniß zu dem neuesten (Reinholdischen)
dieser Situation gewinnt Schelling den renom- Dualismus sowie den beiden Abhandlungen Ue-
mierten Verleger Cotta für den Plan, gemeinsam ber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Phi-
mit Hegel das Kritische Journal zu veröffentli- losophie überhaupt und Ueber die Construction in
chen – einen Plan, den er auch vor Fichte geheim der Philosophie (Bd. 1, 1. bzw. 3. Stück).
hält. Seine spätere Frau Caroline schreibt am Die Abhandlungen sind sämtlich nicht nament-
23.11.01 an ihren (damaligen) Mann August Wil- lich gezeichnet, wohl nicht nur dem damaligen
helm Schlegel in Berlin (wo sich auch Fichte Rezensionswesen entsprechend, sondern um den
aufhält), Schelling veröffentliche mit Hegel ein Eindruck einer nahtlosen Übereinstimmung der
kritisches Journal: »Du sollsts Fichte noch nicht Autoren zu vermitteln. Und obgleich die Zeit-
sagen, er will ihm gern das erste Stück unverhofft genossen Hegels Beiträge schon wegen ihres
zuschicken« (HBZ 40). Einen guten Monat später, »schlechten Vortrags« (GW 4.541) identifizieren,
in den letzten Dezembertagen 1801 oder den kommt es doch nach seinem Tod zu einer Ausein-
ersten Januartagen 1802, erscheint bereits das andersetzung um die Autorschaft, als seine
erste Stück des ersten Bandes. Freunde und Schüler auch die Abhandlung Ueber
Daß Hegel bei diesem Unternehmen die Rolle das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philo-
des ›Juniorpartners‹ zugedacht ist – also die sophie überhaupt in die Werkausgabe aufneh-
Rolle, in der Fichte stets Schelling gesehen hat –, men, unter Hinweis auf eine (wirkliche oder
kommt schon auf dem Titelblatt zum Ausdruck, vermeintliche) Behauptung Hegels, er sei der
das nicht allein gegen die alphabetische Folge Autor (GW 4.543–546) – was nicht allein wegen
verstößt (»herausgegeben von Fr. Wilh. Joseph des ausdrücklichen Anspruchs Schellings, son-
Schelling und Ge. Wilhelm Fr. Hegel«), sondern dern auch aus inhaltlichen Gründen unplausibel
Schellings Namen auch noch typographisch her- ist (Jaeschke 1986a, 162–181). Über die Zuschrei-
vorhebt und den nahezu unbekannten Hegel so- bung der größeren Abhandlungen gibt es kei-
mit zu seinem Famulus degradiert. Die Zeit- nen Dissens; gleichwohl wird auch der jeweilige
genossen fassen das Verhältnis beider weithin so Partner einen nicht mehr meßbaren Einfluß
auf; Friedrich Köppen bezeichnet Hegel als eine auf die Niederschrift genommen haben (GW
bloß »dem Schellingischen Systeme angehörige 4.533–536).
Individualität« (GW 4.541) – obschon er nach Literatur: Hartmut Buchner: »Hegel und das Kritische
Jacobis Wort nicht » a u s seinem Vo r t r a g e als Journal der Philosophie.« HS 3 (1965), 95–156; GW
ein Schüler Schellings zu erkennen« wäre (JWA 4.529–549: Editorischer Bericht; Klaus Vieweg (Hg.):
2.339). So ist es verständlich, daß Hegel die Gegen das ›unphilosophische Unwesen‹ – Das Kriti-
Gelegenheit nicht verstreichen läßt, wenigstens sche Journal der Philosophie von Schelling und Hegel.
den Verfasser der objektiv falschen Nachricht, In: Kritisches Jahrbuch der Philosophie 7, Würzburg
2002.
»daß Schelling sich einen rüstigen Vorfechter aus
seinem Vaterlande nach Jena g e h o h l t habe, und
d u r c h denselben dem staunenden Publicum
4.5.2. Einleitung. Ueber das Wesen der
k u n d t h u e , daß auch Fichte tief unter seinen
philosophischen Kritik überhaupt, und ihr
Ansichten stehe«, für einen » L ü g n e r« zu er-
Verhältniß zum gegenwärtigen Zustand der
klären (GW 4.190).
Philosophie insbesondere.
Schelling und Hegel sind nicht allein die Her-
ausgeber; sie sind auch die einzigen Autoren des (1) Während sich die größeren Abhandlungen
Kritischen Journals - denn Schellings Versuch, mit der genannten Einschränkung jeweils einem
130 II. Werk

der beiden Verfasser zuweisen lassen, erlaubt die Zu begrüßen sei hingegen der – zweite – Fall,
Einleitung keine gesonderte Zuschreibung. He- daß »die reine Idee der Philosophie ohne wissen-
gel bezeichnet sie in einem Lebenslauf aus der schaftlichen Umfang mit Geist als eine Naivetät
Jenaer Zeit als sein Werk; Schelling teilt am sich ausdrückt, welche nicht zur Objectivität ei-
31.10.38 C. H. Weiße mit, sie sei »zum Theil von nes systematischen Bewußtseyns gelangt; es ist
H[egel] geschrieben, viele Stellen, die ich jedoch der Abdruck einer schönen Seele, welche die
im Augenblick nicht genau zu bezeichnen wüßte, Trägheit hatte, sich vor dem Sündenfall des Den-
so wie die Hauptgedanken sind indes von mir; es kens zu bewahren, aber auch des Muths ent-
mag wohl keine Stelle sein, die ich nicht wenig- behrte, sich in ihn zu stürzen, und seine Schuld
stens revidirt« (GW 4.541 f.). Ein Hegel fremder bis zu ihrer Auflösung durchzuführen, darum
Zungenschlag begegnet etwa in dem Satz: »Die aber auch zur Selbstanschauung in einem ob-
Philosophie ist ihrer Natur nach etwas exote- jectiven Ganzen der Wissenschaft nicht ge-
risches, für sich weder für den Pöbel gemacht, langte.« Repräsentant dieser Gruppe dürfte Ja-
noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig«; cobi sein; bemerkenswert ist der Anklang an
auch die Abwehr der Folgen des Cartesischen Fichtes Brief an Jacobi vom 30.8.95: Hätte die
Dualismus erinnert an Schellings unmittelbar an- Menschheit von der verbotenen Frucht der Philo-
schließende Kritik des »neuesten (Reinholdi- sophie nie gekostet, so könnte sie ihrer entbehren
schen) Dualismus« (GW 4.124 bzw. 126). Doch ist – doch der Trieb zu diesem Sündenfall sei ihr
es nicht sinnvoll, in Gemeinschaftswerken ein- eingepflanzt und könne »nur durch kühnes Vor-
zelne Anteile abgrenzen zu wollen, die selbst die schreiten bis zum höchsten Punkte, von welchem
Verfasser später nicht mehr zu identifizieren ge- aus der spekulative und praktische vereinigt er-
wußt haben. scheinen, beigelegt werden«. »Wir fingen an zu
(2) Die Einleitung formuliert die Bedingung philosophiren aus Uebermuth, und brachten uns
für die Aufgabe des Kritischen Journals, nämlich dadurch um unsre Unschuld; wir erblickten un-
die Bedingung, unter der Kritik als objektive sere Nacktheit, und philosophiren seitdem aus
Beurteilung erst möglich werde: Wie in der Noth für unsere Erlösung.« (GA III/2.392 f.)
Kunst »die Idee schöner Kunst«, so sei in der Eine dritte Gruppierung nehme die »Idee der
Philosophie »die Idee der Philosophie« die unver- Philosophie« bereits »wissenschaftlicher« – aber
zichtbare Bedingung und Voraussetzung einer im- entweder noch nicht »zur Klarheit freyer An-
manenten Kritik, die nicht allein Subjektivitäten schauung erhoben«, und hier dürfe »die Kritik
gegen Subjektivitäten, sondern »das Absolute ge- […] das Streben nicht verkennen«; oder die Idee
gen das Bedingte« setzen und dadurch Objektivi- sei deutlicher erkannt worden, doch die Sub-
tät des Urteils beanspruchen könne. Gleichwohl jektivität suche sich der Philosophie zu erwehren,
sei die »Idee der Philosophie« ein nicht überall um sich zu retten – und in diesem Fall seien »die
geteiltes Kriterium, und demnach richte sich »die Winkelzüge aufzudecken, welche die Subjectivi-
Kritik« (eine Wendung, die auf die Junghegelia- tät, um der Philosophie zu entgehen, anwen-
ner vorausweist) an einen unterschiedlichen, det«.
vierfachen Kreis von Adressaten. Die vierte Gruppierung schließlich kommt mit
Für die »Unphilosophie« sei sie »ein fremder der ersten in der »Plattheit« überein – doch be-
Gerichtshof«, und ihr gegenüber bleibe kein Weg, steht sie aus jenen, die sich im Besitze der Philo-
als ihre »Plattheit« bloßzustellen. Auf diese Fälle sophie wähnen, aber nur leeren Wortdunst ohne
läßt sich beziehen, was Hegel am 30.12.01 Huf- Gehalt von sich geben: »Da es nichts ekelhafteres
nagel berichtet: Das Journal habe die Tendenz, giebt, als diese Verwandlung des Ernsts der Phi-
»dem unphilosophischen Unwesen Ziel und Maß losophie in Plattheit, so hat die Kritik alles aufzu-
zu setzen; die Waffen, deren sich das Journal bieten, um dieß Unglück abzuwehren.« (GW
bedienen wird, sind sehr mannigfaltig; man wird 4.117–120)
sie Knittel, Peitschen und Pritschen nennen; – es (3) Das durch Kant und Fichte etablierte
geschieht alles der guten Sache und der gloriae Selbstverständnis der Philosophie als einer Wis-
Dei wegen; man wird sich wohl hie und da senschaft habe bewirkt, daß »jedes philosophi-
darüber beschweren; aber das Kauterisieren ist in sche Beginnen sich zu einer Wissenschaft und
der Tat notwendig gewesen.« einem System erweitert« – daß es für Schande
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 131

gelte, sich nach einer schon vorhandenen Philo- bereits der leitende Gedanke aus Glauben und
sophie zu nennen »und das Selbstdenken meynt Wissen an, daß in der vollständigen Exposition
sich allein durch Originalität, die ein ganz eige- der Reflexionsphilosophie und überhaupt der Re-
nes und neues System erfindet, ankündigen zu flexionskultur der Zeit die geschichtliche Ver-
müssen«. Doch handle es sich hierbei nur um mittlung zur wahren Philosophie liege (GW
eine »besondere Reflexionsform«, um » B e s o n - 4.120–128).
d e r h e i t , die sich f ü r O r i g i n a l i t ä t hält und Erstdruck: Kritisches Journal der Philosophie. Bd. 1,
ausgibt« – was sich schon darin zeige, daß sie sich Stück 1. Tübingen 1802, III-XXIV. – Text: GW
»den Nahmen einer e i g e n e n P h i l o s o p h i e« 4.117–128.
beilege, statt die Idee der Philosophie in anderen
Systemen zu erkennen. Die kritische Philosophie
4.5.3. Wie der gemeine Menschenverstand
habe diesem Treiben »einen vorzüglich guten
die Philosophie nehme
Dienst geleistet«; sie habe nämlich durch ihre
Lehre, daß sich die theoretische Vernunft »nur in Die zunächst für die Erlanger Litteratur-Zeitung
Widersprüche verwickelt«, dem Empirismus Vor- geplante (s. 127) Rezension von Wilhelm Trau-
schub geleistet, doch habe sie andererseits »we- gott Krugs Entwurf eines neuen Organon’s der
nigstens einen großen Umfang endlicher Formen Philosophie veröffentlicht Hegel statt dessen im
verdächtig oder unbrauchbar gemacht« und da- Kritischen Journal – gemeinsam mit der Kritik
mit den Zeitgenossen zur »Einsicht in ihre Be- zweier weiterer Schriften Krugs: seiner gegen
schränktheit und einer Art von bösem Gewissen« Fichte gerichteten Briefe über die Wissenschafts-
verholfen; dies resultiere jedoch nur in einem lehre und seiner Briefe über den neuesten Idea-
problematischen und hypothetischen Ausgang lism, d. h. über Schellings System des transzen-
vom Endlichen, dem es trotz seiner Prätention, dentalen Idealismus.
zum Wahren zu gelangen, »hauptsächlich um die Krugs Schriften gelten Hegel fraglos als Reprä-
Rettung der Endlichkeit zu thun« sei. Diese Kritik sentanten der vorhin genannten vierten, durch
richtet sich somit, wie schon in der Differenz- die »Verwandlung des Ernsts der Philosophie in
Schrift, gegen Reinholds, durch Bardili vermit- Plattheit« charakterisierten Gruppe. Krugs Kritik
telten, »rationalen Realismus«. der Wissenschaftslehre wirft er vor, sie verfehle
»Rettungen des Beschränkten« – unter diesen im Theoretischen deren entscheidenden Punkt,
Titel stellen die Verfasser (und hier ist Hegels nämlich die transzendentalphilosophische Lehre
Stimme zu hören) die zeitgenössischen philo- von der Idealität u n d Realität der Außenwelt,
sophischen Entwürfe – aber obschon sie der »Re- und sie stehe dem Gedanken der Selbstbeschrän-
flexionskultur« verhaftet blieben, so sei doch »die kung des Ich verständnislos gegenüber. Krugs
Form der höchsten Abstraction des Gegensatzes Kritik an Schellings System sei gleichen Inhalts,
von der höchsten Wichtigkeit und von diesem jedoch »kecker« in der Darstellung. Ihr erster
schärfsten Extrem der Uebergang zur ächten Phi- Einwand richte sich gegen den (angeblichen) Wi-
losophie um so leichter«. Die gleiche Tendenz derspruch zwischen der beanspruchten Voraus-
gehe auch vom Gebiet der Wissenschaften aus; setzungslosigkeit der Philosophie und ihrer Vor-
sie hätten sich auf die der nordwestlichen Welt aussetzung des Absoluten; die » z w e y t e Incon-
immanente, von Descartes in philosophischer sequenz« sehe Krug im Anspruch des transzen-
Form ausgesprochene dualistische Zerreißung dentalen Idealismus, alles zu deduzieren,
des Lebendigen gegründet – doch »die Lange- obgleich dieser weder Hund noch Katze, ja nicht
weile der Wissenschaften – dieser Gebäude eines einmal »Hrn. Krug’s Schreibfeder« deducire.
von der Vernunft verlassenen Verstandes, der, was »Krug’s Schreibfeder« ist seitdem zu einem
das ärgste ist, mit dem geborgten Nahmen ent- Topos geworden – nicht zuletzt durch die beiden
weder einer aufklärenden oder der moralischen Versuche Hegels, die Forderung nach ihrer De-
Vernunft, am Ende auch die Theologie ruinirt duktion abzuweisen. Dabei gerät aus dem Blick,
hat«, mache »die ganze flache Expansion uner- daß Krug diese Forderung weder (wie behauptet
träglich« und errege wenigstens die Sehnsucht wird) gegen »die Wissenschaftslehre« noch über-
»nach einer Erkenntniß des Lebendigen, die al- haupt erhebt, sondern lediglich ein Argument
lein durch Vernunft möglich ist«. Hier deutet sich Schellings umdreht und damit zurückweist. Die-
132 II. Werk

ser wendet gegen eine »dogmatische« bzw. reali- Doch Hegels eigentliches Argument ist auch in
stische Erkenntnistheorie ein, es habe noch nie- der Krug-Rezension nicht die Verschiebung der
mand »unternommen die Art und Weise jener Deduktion ad calendas graecas. Er weist Krugs
äußern Einwirkung zu beschreiben oder darzu- Angriff auf Schelling mit einer doppelten Strate-
thun, welches doch als nothwendiges Erforder- gie zurück: Die vermeintlich gnädige Forderung
niß einer Theorie, von welcher nichts weniger als einer Deduktion von etwas vermeintlich Unbe-
die ganze Realität des Wissens abhängt, billiger deutendem kompliziere solche Deduktion in
Weise erwartet werden könnte.« (SW I/3.429) Wahrheit, da sie die Deduktion des Allgemei-
Krug repliziert lediglich: Der Realist »könnte« neren (hier etwa des Metalls) voraussetze – und
auf die idealistische Forderung erwidern: »Es hat für diese verweist er Krug an die Naturphiloso-
noch kein Idealist unternommen, die Art und phie, »von deren Unterschied vom transscenden-
Weise der Entstehung einer bestimmten Vorstel- talen Idealismus er gar nichts zu wissen scheint«.
lung von einem aüßern Gegenstande (z. B. mei- Solche für den transzendentalen Idealismus un-
ner Schreibfeder) zu beschreiben oder darzu- begreiflichen Bestimmtheiten gehörten der Na-
thun« (Briefe über den neuesten Idealism, 74). turphilosophie an – allerdings nur, »so weit von
Schon dieser – heute allgemein mißachtete – ihnen – wie von Hrn. Krs. Schreibfeder nicht – in
Kontext der Forderung Krugs macht zweierlei der Philosophie die Rede seyn kann«. Hegel
deutlich: Krug fordert nicht die Deduktion des schreibt somit hier der Naturphilosophie diese
Daseins der Schreibfeder, sondern er weist die Aufgabe der »Deduktion« zu – im Sinne des
idealistische Kritik der realistischen Erkenntnis- Begreifens auch der »Organisation einer Eiche,
theorie ab, indem er zeigt, daß der Idealismus Rose, Hund und Katze« –, und zwar ebenso aus-
ebenfalls mit unerfüllbaren Forderungen konfron- drücklich, wie er die Forderung nach Deduktion
tiert werden kann; das Scheitern dieser »Deduk- einzelner Gegenstände abweist. Die Phänomeno-
tion« der Schreibfeder bedeutet für Krug deshalb logie des Geistes pariert wenig später die Forde-
lediglich den Erweis der Isosthenie von Rea- rung nach Deduktion durch die Gegenforderung,
lismus und Idealismus: Wie dieser das einzelne daß jene » s a g e , welches d i e s e s Ding oder
Endliche nicht deduzieren könne, so jener nicht welchen d i e s e n Ich, sie meyne; aber diß zu
das Detail des Erkenntnisvorgangs erklären. sagen ist unmöglich.« (GW 9.66)
Hegel mißversteht die erkenntnistheoretische
Forderung, die Entstehung der Vorstellung einer Erstdruck: Kritisches Journal der Philosophie. Bd. 1,
Stück 1. Tübingen 1802, 91–115. – Text: GW 4.174–187.
Schreibfeder zu beschreiben, als eine ontologi- – Rezensiert: Wilhelm Traugott Krug: Briefe über die
sche und aus dem Interesse an der Endlichkeit Wissenschaftslehre. Nebst einer Abhandlung über die
entspringende – doch sei es »überhaupt im jetzi- von derselben versuchte Bestimmung des religiösen
gen Augenblicke zunächst Interesse der Philo- Glaubens. Leipzig 1800; ders.: Briefe über den neue-
sophie«, »einmal wieder Gott absolut vornehin an sten Idealism. Eine Fortsetzung der Briefe über die
die Spitze der Philosophie als den alleinigen Wissenschaftslehre. Leipzig 1801; ders.: Entwurf eines
neuen Organon’s der Philosophie oder Versuch über die
Grund von allem, als das einzige principium es- Prinzipien der philosophischen Erkenntniß. Meissen
sendi und cognoscendi zu stellen« – und nicht und Lübben 1801. – Literatur: Henrich: Hegels Theorie
mehr neben die Endlichkeiten oder gar »ganz ans über den Zufall. In ders.: Hegel im Kontext (1971),
Ende als ein Postulat, das von einer absoluten 157–186; Konrad Utz: Die Notwendigkeit des Zufalls.
Endlichkeit ausgeht«. Diese Wendung kann den Hegels spekulative Dialektik in der »Wissenschaft der
Anschein erwecken, als habe Hegel es für mög- Logik«. Paderborn u. a. 2001, 298–310.
lich gehalten, im Zuge des Fortschritts der Wis-
senschaften dereinst auch Krugs Forderung zu
4.5.4. Verhältniß des Skepticismus
erfüllen – wenn die Spekulation »mit allem
zur Philosophie
Wichtigern im Himmel und auf Erden in der
Gegenwart und Vergangenheit im Reinen sey«, (1) Hegels Skeptizismus-Aufsatz ist erwachsen
wie er später im Rückblick formuliert, als er die aus dem Plan, Gottlob Ernst Schulzes Kritik der
»Ohnmacht« und die »Zufälligkeit« als konstitu- theoretischen Philosophie für die Erlanger Litte-
tive Momente der Natur bezeichnet und deshalb ratur-Zeitung zu rezensieren. Es handelt sich hier
die Deduktionsforderung abweist (§ 250). um ein neues Werk des Mannes, der 1792 unter
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 133

dem Namen des antiken Skeptikers Aenesidemus und Stäudlin schreibt eine Geschichte des Skep-
die Vernunftkritik Kants und Reinholds Versuch tizismus – die Hegel allerdings später als »Ge-
der Grundlegung zu ihrer Entfaltung in syste- schwätz« apostrophiert (GW 4.211). In den Ber-
matischer Gestalt kritisiert hat (s. 110). Hegel ner Jahren verweist Schelling Hegel auf eine
selbst schlägt Mehmel, dem Herausgeber der Schrift Zeenders, die sowohl den neuen als den
Litteratur-Zeitung, diesen Titel zur Rezension alten Skeptizismus betrifft; wahrscheinlich war
vor (s. 126); sie erscheint jedoch nicht dort, son- Hegel mit dem in Bern lebenden Zeender per-
dern im März 1802 im Kritischen Journal. Die sönlich bekannt (Hasler 1976). Für die Frank-
Form der Rezension ist sogar noch insofern ge- furter Jahre schließlich läßt sich – nach Rosen-
wahrt, als die bibliographischen Angaben von kranz – aus Buchhändlerrechnungen ersehen,
Schulzes Werk zu Beginn des Textes genannt daß Hegel insbesondere »den P l a t o n und S e x -
werden; inhaltlich jedoch handelt es sich nicht t u s E m p i r i k u s viel studirt haben« müsse (R
mehr um eine Rezension, sondern um eine eigen- 100). Und auch andere Zeitgenossen – nament-
ständige Abhandlung. Über Hegels Autorschaft lich Schlegel – schenken dem Skeptizismus ihre
hat es von Beginn an keinen Zweifel gegeben; Aufmerksamkeit (Vieweg 1999).
schon Goethe notiert am 15.03.02, zwei Tage (3) Hegels Abhandlung zeigt eine enge Ver-
nach einem Besuch Schellings, der ihm vermut- trautheit mit dem antiken sowohl als mit dem
lich das neue Heft übergibt, in seinem Tagebuch: modernen Skeptizismus – und den letzteren cha-
»Hegel Skeptizismus« (GW 4.538). rakterisiert sie als einen schwächlichen »Bastard«
(2) Die thematischen Schwerpunkte seiner Ab- (GW 4.206): Vom systematischen Gehalt und
handlung nennt Hegel im – selten vollständig von der Differenziertheit des antiken habe der
zitierten – Titel dieser Abhandlung: »Verhältniß moderne nicht einmal ein historisch angemes-
des Skeptizismus zur Philosophie, Darstellung senes Verständnis, obgleich er sich mit dem Na-
seiner verschiedenen Modificationen, und Ver- men eines antiken Skeptikers (Aenesidemus)
gleichung des neuesten mit dem alten«. Es geht schmücke. Der moderne sei vielmehr das genaue
Hegel dabei nicht allein um den Skeptizismus Gegenteil des antiken: Denn die zehn älteren
Schulzes, sondern allgemein um das Verhältnis Tropen des pyrrhonischen Skeptizismus, mit de-
des Skeptizismus, des alten wie des neuen, zur nen der antike beginne, beträfen allein die »Un-
Philosophie – und dies aus aktuellem Anlaß: Am sicherheit der sinnlichen Wahrnehmung«; sie
Ende des 18. Jahrhunderts genießt der Skeptizis- seien nicht gegen die Philosophie, sondern »ge-
mus in weiten Kreisen Ansehen und Aufmerk- gen den Dogmatismus des gemeinen Menschen-
samkeit. Seine neue Stoßrichtung erhellt aus dem verstandes«, gegen das gemeine Bewußtsein ge-
Untertitel bzw. dem Titel der Schriften Schulzes: richtet, das sich auf »Thatsachen«, auf die ver-
Sie zielen teils auf die »Vertheidigung des Skep- meintliche Wahrheit des Endlichen berufe.
ticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunft- Erst mit dem geschichtlichen Differenzie-
kritik« (1792), teils auf die »Kritik der Systeme rungsprozeß in der nachklassischen Philosophie
des realistischen Dogmatismus« und – nochmals setze die Wendung des Skeptizismus »theils ge-
– »des Kantischen transscendentalen Idealis- gen den Dogmatismus [sc. der Stoiker] theils
mus«. Im selben Kontext steht auch Salomon gegen die Philosophie selbst« ein – formuliert in
Maimons Skepsis. Doch anders als in der frühen den » s p ä t e r n f ü n f Tr o p e n«. Diese wertet
Neuzeit, in der Tradition, der auch noch Pierre Hegel ambivalent: »Es gibt keine tauglicheren
Bayle angehört, dient die skeptische Verwicke- Waffen gegen den Dogmatismus der Endlich-
lung der Vernunft in Widersprüche nun nicht keiten, aber sie sind völlig unbrauchbar gegen die
mehr dem apologetischen Interesse der Inthroni- Philosophie« (GW 4.218 f.). Denn sie gehören
sierung des Glaubens – eher der Etablierung der der Vernunft an, »die neben den einen vom Dog-
Position des »common sense«. matismus behaupteten Theil der nothwendigen
Aber auch den antiken Skeptizismus hat Hegel Antinomie den andern stellt« – aber die Philo-
schon früh kennengelernt. Er ist Gegenstand der sophie gehe über diesen Reflexionsgegensatz
akademischen Lehre in Tübingen; Niethammer hinaus. Hegel sucht die vermeintliche – und de-
veröffentlicht noch zu Hegels Studienzeit die saströse – Alternative »Dogmatismus oder Skep-
»Probe« einer Übersetzung des Sextus Empiricus, tizismus« zur Dreiheit von Dogmatismus, Skep-
134 II. Werk

tizismus und Philosophie zu erweitern – zu einer also ein auch von Kant geltend gemachtes
Dreiheit, die er bereits in der antiken Kontrastie- »Dogma«. Diesen Zusammenhang zwischen
rung von Dogmatismus, Skeptizismus und neue- Skeptizismus und Kantianismus spricht Hegel
rer Akademie vorgebildet sieht. Die »Philoso- bereits in seiner Habilitationsthese VII aus: »Phi-
phie« müsse sich der skeptischen Kritik gegen losophia critica caret ideis, et imperfecta est Scep-
den – ebenfalls unphilosophischen – Dogmatis- ticismi forma.« (GW 5.227) Und so sieht er Schul-
mus bedienen; sie dürfe aber nicht bei der bloßen zes »Skepticismus« weniger in der Tradition des
Entgegensetzung, der »Antinomie«, verharren. wirklichen Skeptizismus als vielmehr Kants –
Die Bedingung der Möglichkeit der »Philoso- und näher eines Kantianismus, der sich nach der
phie« im emphatischen Sinne liegt somit darin, Kritik an Locke und Leibniz schließlich auf
daß der vom Skeptizismus heraufbeschworene sechshundert Seiten gegen Kant selbst richte
Widerspruch kein Letztes ist, sondern ein posi- (GW 4.224–228).
tives Resultat hat. (5) Die Bedeutung des Skeptizismus-Aufsatzes
(4) Dem vorgeblichen Skeptizismus Schulzes liegt nicht in der Kritik an Schulze; sie liegt darin,
hingegen wirft Hegel nicht allein vor, unter Miß- daß Hegel in Auseinandersetzung insbesondere
achtung der Philosophie in der Alternative von mit dem antiken Skeptizismus das Verhältnis von
Dogmatismus und Skeptizismus zu verharren. Er Skepsis und Philosophie neu bestimmt und vor
vereinige sich zudem mit dem »rohsten Dogma- diesem Hintergrund erstmals die Bedeutung des
tismus«, denn er verfalle im strikten Gegensatz skeptischen Verfahrens für die Methode seiner
zum Pyrrhonismus in die »Barbarey, die unläug- eigenen Philosophie herausarbeitet. Seine neue
bare Gewißheit und Wahrheit in die Thatsachen Sicht faßt er in dem Satz zusammen: »Ohne die
des Bewußtseyns zu legen«. Darüber hinaus ver- Bestimmung des wahren Verhältnisses des Skep-
stehe er »auch noch die Physik und Astronomie ticismus zur Philosophie, und ohne die Einsicht,
neuerer Zeiten« als »Wissenschaften, die allem daß mit jeder wahren Philosophie der Skepticis-
vernünftigen Skepticismus Trotz böten«. Er be- mus selbst aufs innigste Eins ist, und daß es also
ginne mit populären Deklamationen über die eine Philosophie gibt, die weder Skepticismus
Vergeblichkeit der so oft wiederholten Versuche noch Dogmatismus, und also beydes zugleich ist,
der Philosophen, Wahrheit zu finden, als einen können alle die Geschichten und Erzählungen
»Erbfehler« der Philosophie, und er propagiere und neue Auflagen des Skepticismus zu nichts
statt solcher erfolgloser Bemühungen die »philo- führen.« (GW 4.206) Skeptizismus und Philo-
sophische Apragmosyne«, die »für sich selbst mit sophie stünden sich nicht feindselig gegenüber;
dem Tode speculativer Vernunft behaftet« sei. der »ächte Skepticismus«, dessen »edles Wesen«
Schulzes Kritik der theoretischen Philosophie so oft verkannt werde, sei nicht ein besonderes,
kulminiert in der Formulierung von drei Grün- dem Dogmatismus entgegengesetztes System,
den gegen die Möglichkeit einer sich als Wissen- sondern habe seinen Ort in der Philosophie
schaft begreifenden theoretischen Philosophie: selbst, da die »wahre Philosophie nothwendig
(a) Eine als Wissenschaft auftretende Philosophie selbst zugleich eine negative Seite hat, welche
bedürfe unbedingt wahrer Grundsätze – doch gegen alles Beschränkte, und damit gegen den
solche Grundsätze seien unmöglich; (b) die ober- Haufen der Thatsachen des Bewußtseyns« ge-
sten Prinzipien der theoretischen Philosophie kehrt ist; er sei nur »die negative Seite der Er-
seien »bloß in Begriffen aufgefaßt und gedacht« – kenntniß des Absoluten«. Als das vollendete »Do-
doch der mit bloßen Begriffen beschäftigte Ver- kument und System des ächten Skepticismus«
stand sei »kein Vermögen, etwas der Wirklichkeit erkennt Hegel Platons Parmenides, da dieser Dia-
gemäß auch nur vorstellig machen zu können«; log nicht einen bloßen Zweifel an Verstandes-
(c) die theoretische Philosophie stütze ihr Wissen wahrheiten enthalte, »sondern auf ein gänzliches
von den absoluten Prinzipien auf Schlüsse von Negiren aller Wahrheit eines solchen Erkennens«
der Beschaffenheit der Wirkung auf die Beschaf- ausgehe – und hierin schließt Hegel sich der
fenheit der Ursache – und so lasse sich nicht Interpretation des Parmenides an, die sein Resul-
schließen. Für Hegel sind diese Gründe keines- tat für rein negativ hält, im Gegensatz zur theo-
wegs »skeptisch«; sie drücken »nichts als das Eine logischen Deutung der Neuplatoniker (GW
Dogma aus: daß Begriff und Seyn nicht Eins ist« – 4.197,206–208).
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 135

In Platons Parmenides trete der Skeptizismus hung, die sie um ihrer Bestimmtheit willen gegen
»in seiner reinen e x p l i c i t e n Gestalt« auf, in einander haben. Doch zeigt Hegel nicht, inwie-
jedem anderen »ächten« philosophischen System fern der Widerspruch zweier Sätze nicht ein bloß
in impliziter Gestalt – denn »ächte« Philosophie negatives Resultat habe, die Vernichtung des
verlange die Vernichtung der Endlichkeit, auch Endlichen, sondern zugleich ein positives. Diese
des in endlichen Entgegensetzungen befangenen Beschränkung der »Dialektik« auf das später so
Verstandes. Sie werde durch das von Sextus Em- genannte »negativ-Vernünftige« ist jedoch keine
piricus formulierte »Princip des Skepticismus« Besonderheit des Skeptizismus-Aufsatzes; sie
˛
vollzogen: panti logw logoü ’isoü antikeitai entspricht seiner gleichzeitigen Logik (s. 151;
˘
(GW 4.208). Jedem »Logos« einen gleichwerti- GW 4.208).
gen entgegenzustellen heiße aber, jeweils gegen (7) Hegels Skeptizismus-Aufsatz hat eine bis
den Satz des Widerspruchs zu verstoßen. Die vor kurzem unbekannte, jetzt von Kurt Rainer
Integration des Skeptizismus in die Philosophie Meist aufgedeckte Nachgeschichte gehabt, die
gelinge somit nur um den Preis der Aufhebung zugleich eine wichtige Etappe in der Vorge-
des Satzes vom Widerspruch – und Hegel ist sich schichte der Phänomenologie des Geistes bildet.
dieser Konsequenz bewußt: »Der sogenannte Nur ein Jahr nach Hegels Abhandlung erscheinen
Satz des Widerspruchs ist daher so wenig auch – so der Untertitel – »Von einem für dieses Mal
nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daß ungenannten, aber nichts weniger als unbekann-
im Gegentheil jeder Vernunftsatz in Rücksicht auf ten Verfasser« Aphorismen über das Absolute –
die Begriffe einen Verstoß gegen denselben ent- vermeintlich eine Arbeit zumindest aus dem Um-
halten muß«. kreis Schellings und Hegels, wenn nicht gar aus
(6) Das skeptische Verfahren der Aufstellung ihrer eigenen Feder, doch in Wahrheit von G. E.
kontradiktorisch entgegengesetzter Sätze be- Schulze. Er verfolgt die Absicht, »durch eine kon-
zeichnet Hegel hier nicht als »Dialektik«, sondern sequente (trügerische) Akkomodation an die me-
als Aufstellung von »Antinomien«. Durch die thodischen bzw. metatheoretischen Postulate des
Wahl dieses Ausdrucks verbindet er verbal den von Schelling (und Hegel) propagierten Begriffs
Skeptizismus mit Kants Lehre von der Antinomie des Absoluten als der Grundlage eines ›absolu-
der reinen Vernunft (B 432–595). Sowohl hier- ten‹ Systems der Wissenschaften jedermann un-
durch als auch durch sein Programm der Integra- widersprechlich zu demonstrieren, daß hier eine
tion des Skeptizismus als eines Moments der verfehlte Prinzipiendisposition widersinnig
wahren Philosophie deutet Hegel die Möglich- schon in ihrem Ansatz scheitern müsse« (Meist
keit einer Auflösung dieser Antinomien an – und 1993, 192). Trotz dieser Einwände Schulzes ver-
diese Aufgabe schreibt er der Vernunft zu. Sie tritt Schelling in seinen Aphorismen zur Ein-
liege jedoch nicht schon in der bloßen kontra- leitung in die Naturphilosophie (1806) weiterhin
diktorischen Entgegensetzung und damit in der diesen Begriff des Absoluten. Zudem verweist er
Aufhebung zweier Sätze. Auch wenn Hegel sich Schulze zur Belehrung auf den »trefflichen« Skep-
in diesem Kontext nicht in eine ausführliche Er- tizismus-Aufsatz (SW I/7.153) – als ob nicht
örterung des Schrittes von der (negativen) Aufhe- Schulzes Aphorismen über das Absolute eine Re-
bung des Widerspruchs zur (positiven) Vernunft- plik auf eben diesen Aufsatz wären. Schulze ant-
erkenntnis einläßt, deutet er doch an, auf wel- wortet noch ein zweites Mal – diesmal unter
cher Ebene der Widerspruch und auch das Ver- seinem Namen – mit seiner Schrift Die Hauptmo-
nünftige angesiedelt sei: »wenn in irgend einem mente der skeptischen Denkart über die mensch-
Satze, der eine Vernunfterkenntniß ausdrückt, liche Erkenntniß (1805), in der er sich prinzipiell
das Reflectirte desselben, die Begriffe, die in ihm mit dem »absoluten Idealismus« auseinander-
enthalten sind, isolirt, und die Art, wie sie ver- setzt.
bunden sind, betrachtet wird, so muß es sich Im Anschluß an die Lehre des Skeptizismus-
zeigen, daß diese Begriffe zugleich aufgehoben, Aufsatzes von der Aufhebung des Entgegenge-
oder auf eine solche Art vereinigt sind, daß sie setzten im Absoluten entlarvt Schulze das Ab-
sich widersprechen«. Der Widerspruch liegt so- solute der spekulativen Philosophie als »lauterste
mit in der Repugnanz der in einem Vernunftsatz Einfachheit und reinste Einheit, i n d e r n i c h t s
enthaltenen Begriffe, in der negativen Bezie- voneinander unterschieden werden
136 II. Werk

k a n n« (PLS 2/1.344) – eine Formulierung, die funcione dei tropi. In: Lo scetticismo antico. Napoli
Hegels spätere Kritik an dem Absoluten als der 1981, Bd. 1.47–60; Giuseppe Varnier: Skeptizismus und
Dialektik. HS 21 (1986), 129–141; Michael Forster:
Nacht, »worin […] alle Kühe schwarz sind« (GW
Hegel and Skepticism. Cambridge, Mass., London
9.17), als eine durch Schulze veranlaßte Selbst- 1989; Hartmut Buchner: Skeptizismus und Dialektik.
revision seiner zuvor mit Schelling geteilten Posi- In: Manfred Riedel (Hg.): Hegel und die antike Dialek-
tion erkennen läßt. Und noch weitere polemische tik. Frankfurt am Main 1990, 227–244; Giuseppe Var-
Wendungen Schulzes werden von Hegel in der nier: Ragione, negatività, autocoscienza. La genesi
»Vorrede« zur Phänomenologie aufgenommen – della dialettica hegeliana a Jena tra teoria della cono-
scenza e razionalità assoluta. Napoli 1990; Kurt Rainer
etwa durch die Wendung, daß die im Schlaf
Meist: »Sich vollbringender Skeptizismus«. G. E. Schul-
empfangene Weisheit auch nur aus Träumen be- zes Replik auf Hegel und Schelling (1993). PLS
stehe (vgl. PLS 2/1.378 mit GW 9.14), oder daß 2.192–230; Hans Friedrich Fulda / Rolf Peter Horst-
die Wissenschaft dem Individuum die »Leiter« zu mann (Hg.): Skeptizismus und spekulatives Denken in
reichen habe und daß die Substanz als Geist die der Philosophie Hegels. Stuttgart 1996; Klaus Vieweg:
»verklärte Wesenheit« sei (vgl. PLS 2/1.350 mit Philosophie des Remis. Der junge Hegel und das ›Ge-
spenst des Skeptizismus‹. München 1999; Dietmar H.
GW 9.22 f.). Wichtiger noch als diese pointierte
Heidemann: Hegels Realismus-Kritik. Philosophisches
Anknüpfung an Schulze in der »Vorrede« ist es, Jb 109 (2002), 129–147; Massimiliano Biscuso: Hegel,
daß Hegel in der »Einleitung« in Auseinander- lo scetticismo antico e Sesto Empirico. Lo scetticismo e
setzung mit Schulzes skeptizistischer Argumenta- Hegel. Napoli 2005; Klaus Vieweg: Skepsis und Frei-
tion seine Konzeption der »Wissenschaft des er- heit. Hegel über den Skeptizismus zwischen Literatur
scheinenden Wissens« als eines »sich vollbrin- und Philosophie. München 2007; Gilles Marmasse:
Hegel und der antike Skeptizismus in den Jenaer Jah-
genden Skepticismus« (GW 9.56) entwickelt.
ren. In: Thomas Sören Hoffmann (Hg.): Hegel als
Dieses programmatische Selbstverständnis der Schlüsseldenker der modernen Welt. Hamburg 2009
Phänomenologie ist durch die jahrelange Kon- (HSB 50), 134–150.
troverse mit Schulze geprägt – und insofern
kommt dessen – in Hegels Sicht unvollkomme-
4.5.5. Glauben und Wissen
nem – Skeptizismus eine nicht geringe sollizitie-
rende Bedeutung für deren Konzeption zu. (1) Nur vier Monate nach dem Skeptizismus-
Aufsatz erscheint Hegels Abhandlung Glauben
Erstdruck: Kritisches Journal der Philosophie. Bd. 1, und Wissen – entgegen der Zeitfolge als erstes
Stück 2. Tübingen 1802, 1–74. – Text: GW 4.197–238. –
Heft des zweiten Bandes des Kritischen Journals,
Rezensiert: Gottlob Ernst Schulze: Kritik der theoreti-
schen Philosophie. 2 Bde. Hamburg 1801. – Quellen: um, wie es auf dem Titelblatt und in einer Ver-
F. I. Niethammer: Probe einer Uebersetzung aus des lagsanzeige heißt, »den ersten Band dieses Jour-
Sextus Empirikus drei Büchern von den Grundlehren nals nicht unverhältnißmäßig zu vergrößern«
der Pyrrhoniker. In: Georg Gustav Fülleborn (Hg.): (GW 4.313,505). Diese Begründung ist nicht bloß
Beyträge zur Geschichte der Philosophie. H. 2, Zül- vorgeschoben: Das im Dezember 1802 nachgelie-
lichau / Freystadt 1792; Salomon Maimon: Versuch
ferte dritte Heft des Bandes I mit Abhandlungen
einer neuen Logik oder Theorie des Denkens. Nebst
angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus. Schellings umfaßt tatsächlich rund hundert Sei-
Berlin 1794; [Gottlob Ernst Schulze:] Aphorismen über ten weniger. Schelling sendet Glauben und Wis-
das Absolute. Von einem für dieses Mal ungenannten, sen am 16.07.92 an A. W. Schlegel und distanziert
aber nichts weniger als unbekannten Verfasser. In: sich abermals von Hegel (s. 20): Jacobis spe-
Neues Museum der Philosophie und Litteratur. Hg. von kulative Seite sei »recht gut verfolgt; nur finden
Friedrich Bouterwek. Bd 1, H. 2. Leipzig 1803, 107–148
Sie vielleicht zu wünschen, daß der Theil, wel-
(PLS 2/1.337–355); Schulze: Die Hauptmomente der
skeptischen Denkart über die menschliche Erkenntniß. cher ihn betrifft, selbst gezänk- und wolkenloser
Ebd. Bd. 3, H. 2. Leipzig 1805, 3–57 (PLS 2/1.356– wäre, […]; so wie es um die erste Idee, die
383); Schelling: Aphorismen zur Einleitung in die Na- vortrefflich ist, wirklich Schade scheinen könnte,
turphilosophie. In: Jahrbücher der Medicin als Wissen- daß sie nicht mit mehr Klarheit und Correctheit
schaft. Hg. von A. F. Marcus und F. W. J. Schelling. herausgearbeitet ist. Wegen Fichte’s könnte Ihre
1805/06. SW I/7.140–197. – Literatur: Hartmut Buch-
Freundschaft wirklich einigermaßen ins Ge-
ner: Zur Bedeutung des Skeptizismus beim jungen
Hegel. HSB 4 (1965), 49–56; Ludwig Hasler: Aus He- dränge kommen; jedoch, wenn Sie es nur immer
gels philosophischer Berner Zeit. HS 11 (1976), damit vereinigen können, wünsche ich fast, daß
205–211; Valerio Verra: Hegel e lo scetticismo antico: la Sie ihm dieses Stück nicht zeigen, da ich für
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 137

meinen Theil wirklich überzeugt bin, daß er nicht Mit dieser philosophiegeschichtlichen Argu-
das Geringste davon versteht, und es ganz unbe- mentationsfigur greift Hegel vorangegangene
greiflich findet, wie man ihn mit der Aufklärerei Sukzessionsmodelle auf: Kants Präsentation des
und dem Berlinismus zusammenarbeiten kann«. kritischen Weges als des dritten gegenüber dem
Einem Brief Schellings vom 19.08.02 ist zu ent- dogmatischen und dem skeptischen (B 789) und
nehmen, daß Schlegel Hegels Aufsatz tadelt – Fichtes – dann von Schelling aufgegriffene – neue
wenn auch u. a. mit dem Argument: er hätte Entgegensetzung des Dogmatismus und Kritizis-
»Fichte’s Bestimmung des Menschen als in philo- mus (GA I/2.264–282). Ähnlich zeichnet Jacobi
sophischer Rücksicht nicht geschrieben« betrach- später ein Bild der kritischen Philosophie und
ten sollen. Gegen diesen Vorwurf allerdings ver- ihrer älteren (Fichteschen) und jüngeren (Schel-
teidigt Schelling den Freund: Er habe wenigstens lingschen) Tochter (JWA 3.75 f.). Gegenüber die-
gezeigt, daß Fichtes Schrift »in dieser Rücksicht sem einflußreichen Modell einer (verlängerba-
wirklich null ist« – und doch sei sie »wirklich die ren) geschichtlichen Linie von Kant über Fichte
Blüthe seiner Philosophie« (GW 4.538 f.). zu Schelling hebt Hegel – mit Kant und Fichte –
(2) Glauben und Wissen ist Hegels erste Ab- auf die Vollständigkeit des Zyklus der durch-
handlung, die keinen Rezensionscharakter hat; laufenen Formen ab: Ihr Erweis bildet die hin-
sie setzt sich in freier Form mit dem Gesamtwerk längliche Berechtigung zur geschichtlichen In-
Kants, Jacobis und Fichtes auseinander und stellt troduktion einer neuen, und zwar der wahren
deren Philosophie überraschend unter den ge- Gestalt des Denkens. Deshalb läßt auch Hegel in
meinsamen Titel »Reflexionsphilosophie«. Mit einem größer gefaßten geschichtlichen Rahmen
diesem Wort bezeichnet Hegel die Position, »daß der »Reflexionsphilosophie« als dem »Dogmatis-
das Wissen ein formales ist, und die Vernunft als mus des Denkens« noch den »Dogmatismus des
eine reine Negativität ein absolutes Jenseits, das Seins« vorangehen; in diesem weiteren Sinne
als Jenseits und Negativität bedingt ist, durch ein umfaßt »die Vollständigkeit der Bildung« die dog-
Dießeits und Positivität«, so daß »Unendlichkeit matische »Metaphysik der Objectivität« und die
und Endlichkeit, beyde mit ihrer Entgegenset- »Metaphysik der Subjectivität« (GW 4.412 f.) –
zung gleich absolut sind« (GW 4.346). Kant, Ja- ein Terminus, dem Hegel später im Systement-
cobi und Fichte seien in dieser Entgegensetzung wurf II eine andere Bedeutung gibt (s. 164).
befangen geblieben, und so seien sie – entgegen (3) Hegels überraschende Parallelisierung
ihrem Selbstverständnis – auch nicht aus dem Kants, seines Kritikers Jacobi und des von diesem
»Grundcharakter des Eudämonismus und der ebenfalls kritisierten Fichte erhält eine vorläufige
Aufklärung« herausgetreten, sondern hätten die- Legitimation dadurch, daß die zeitgenössische
sen »vielmehr nur aufs höchste vervollkomm- Ausformung des traditionellen Gegensatzes von
net«: »Ihre bewußte Richtung geht unmittelbar »Glauben und Wissen« in besonderer Weise mit
gegen das Princip des Eudämonismus, aber da- dem Werk der drei Genannten verbunden ist: mit
durch, daß sie nichts als diese Richtung sind, ist Kants Wendung, er habe das Wissen aufheben
ihr positiver Charakter jenes Princip selbst«. Sie müssen, »um zum G l a u b e n Platz zu bekom-
verharrten in der absoluten Entgegensetzung des men« (B XXX), mit Jacobis (auf Hamann ge-
Unendlichen und des Endlichen, nämlich eines stützter) Einführung des Glaubensbegriffs (JWA
der Vernunft unbegreiflichen Göttlichen und des 1.115 f.) sowie ihrer (auf Hume gestützten) Recht-
endlichen »absoluten Subjekts«, und so bleibe fertigung (JWA 2.7–100); und in Fichtes Bestim-
»über dieser absoluten Endlichkeit und absoluten mung des Menschen schließlich bilden »Wissen«
Unendlichkeit, das Absolute als eine Leerheit der und »Glaube« die Titel des zweiten bzw. dritten
Vernunft, und der fixen Unbegreifflichkeit und Buches. Hegel verknüpft diese drei – sehr unter-
des Glaubens«. Innerhalb dieses Prinzips bilde- schiedlichen – Rückgriffe vom Wissen auf den
ten sie zwar Gegensätze: Kant die objektive, Ja- Glauben, indem er sie als Indizien einer von ihm
cobi die subjektive Seite und Fichte die Synthese – wie schon zuvor von Jacobi – erkannten, wenn
beider. Doch weil sie somit die Totalität der mög- auch noch nicht so genannten »Dialektik der
lichen Formen dieses Princips repräsentierten, Aufklärung« interpretiert: Die aufklärende Ver-
erschöpfe es sich in ihnen geschichtlich (GW nunft, die sich dem religiösen Glauben (und man
4.319–321). könnte erweitern: der Positivität überhaupt) nur
138 II. Werk

entgegensetze, gelange in den herausragenden Bewußtseinsgeschichte, der von seinen Schülern


Denkern der Zeit zur Selbsterkenntnis ihrer Be- später erstmals unter den Titel »Säkularisierung«
schränktheit und werde hierdurch dazu genötigt, (im Sinne einer kulturgeschichtlichen Kategorie)
»daß sie das Bessere, als sie ist, da sie nur Ver- gestellt wird. Die Wurzeln dieses Prozesses blei-
stand ist, als ein J e n s e i t s in einem G l a u b e n ben jedoch im Dunkeln; Hegel bemüht lediglich
a u ß e r u n d ü b e r sich setzt«. Die Aufklärung ein »Princip des Nordens«, das, »religiös ange-
erfasse ihre eigene Negativität, doch hierbei zer- sehen«, der Protestantismus sei. Die Vertiefung
falle sie teils in ein positives Wissen des End- des Subjekts in sich erscheint damit noch nicht
lichen und Empirischen, teils in die »Subjectivität als späte, aber notwendige Etappe einer welt-
des Sehnens und Ahndens« des Ewigen, mit der geschichtlichen Ausbildung der Subjektivität,
sie den sonst unendlich leeren Raum des Wissens und auch nicht als eine Folge der christlichen
erfülle. – Hegel analysiert damit an den philo- Religion überhaupt.
sophischen Systemen seiner Zeit dieselbe Ten- Gleichwohl beschreibt er die ambivalente Wir-
denz, die seine Schüler Heine, Echtermeyer und kung dieses Prinzips sehr anschaulich: Die Flucht
Ruge später in der Entstehung der Romantik der in sich fixierten Subjektivität über das als
aufzeigen: Entgegen dem Anschein ihrer »ka- nichtig geltende Endliche hinaus überläßt dieses
tholisierenden« Züge sei sie das Produkt eines dem verdinglichenden Verstand: Das Schöne
unbefriedigten Protestantismus – vornehmlich wird »zu Dingen überhaupt, der Hayn zu Höl-
der »armen Dursthälse, die im Märk’schen Sande zern«, und wenn die Ideale nicht »in der völlig
saßen« und nach einem Wunderelixier lechzten verständigen Realität genommen werden können
(PLS 4/1.141–325, insbes. 153). als Klötze und Steine«, so würden sie zu »Erdich-
Hegel thematisiert damit erstmals den inneren tungen«, und jede Beziehung auf sie erscheine
Zusammenhang zwischen der transzendentalphi- »als wesenloses Spiel oder als Abhängigkeit von
losophischen Ausformung des Prinzips der Sub- Objecten und als Aberglauben«. In dieser Bewe-
jektivität und dessen übergreifender bewußt- gung sieht Hegel somit eben das geschehen, was
seinsgeschichtlicher Bedeutung als einer »mäch- Jacobi lediglich als Folge des Kantischen Kritizis-
tigen Geistesform«. Geographisch gesehen be- mus anprangert (JWA 2.261–330): Die Vernunft
stimmt er es als »Princip des Nordens«, wird zu Verstande gebracht.
konfessionsgeschichtlich als Prinzip des Prote- Hegels Deutung erkennt die bewußtseinsge-
stantismus. Die Vertiefung der »schönen Sub- schichtlichen Voraussetzungen der neuzeitlichen,
jectivität des Protestantismus« in sich reiße eine durch den Verstand geprägten Weltinterpretation
Kluft zur Objektivität auf; sie degradiere das Ob- in der Vertiefung des Subjekts in sich. Deren
jektive zu demjenigen, »was keinen Werth hat, Verhältnis zur Verstandesdeutung der Welt läßt
und Nichts ist« – zum bloß Positiven, das das sich jedoch auch unter dem Primat des Verstan-
Subjekt lediglich beflecke. Weil es aber seine desbegriffs beschreiben. In dieser Weise sucht
Tempel und Altäre nur noch im Herzen erbaue der von Hegel unter dem Stichwort »Sehnsucht
und seine Versöhnung nicht mehr in dieser äuße- nach dem Unendlichen« kritisierte Jacobi den-
ren Wirklichkeit finden könne, greife es in seiner selben Prozeß zu verstehen. Der Primat darin
Sehnsucht notwendig über die Endlichkeit hin- kommt der neuzeitlichen Verstandeswissenschaft
aus – in ein leeres, unbegreifliches Jenseits, zu zu: Angesichts ihrer Erfolge werfe sich der
einem unerkennbaren Gott, »der jenseits der Mensch nicht mehr vor der »Herrlichkeit und
Gräntzpfähle der Vernunft liegt« und kein Gegen- Majestät des Himmels« auf die Knie; er erstaune
stand der Anschauung sein könne, weil diese sich »allein vor dem menschlichen Verstande, der […]
nur auf Positives, Endliches beziehen könne. Die durch Wissenschaft dem Wunder ein Ende zu
hier noch nicht ausdrücklich erwähnte »schöne machen, den Himmel seiner Götter zu berauben,
Seele« bildet dafür ebenso ein Beispiel wie etwa das Weltall zu entzaubern vermochte« (JWA
Jacobis Wendung gegen den »religiösen Materia- 2.399). Jacobi gibt damit – wohl erstmals – das
lismus« (JWA 3.46–48). seit Max Webers Wissenschaft als Beruf geläufige
Hegel gibt somit – wiederum erstmals – eine Stichwort der »Entzauberung« – aber anders als
zwar nur skizzenhafte, aber gleichwohl übergrei- Hegel versteht er die Entzauberung der Welt
fende Deutung des Teilprozesses der neueren nicht als Folge, sondern vielmehr als Voraus-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 139

setzung der Vertiefung der Subjektivität in sich. phie« tritt Hegel, der nachmalige Philosoph der
Denn die Entzauberung durch die Naturwissen- Subjektivität, als Kritiker des »Princips der Sub-
schaften bewirkt eine mechanistische, ja determi- jectivität« auf, und er wertet es als einen mildern-
nistische Deutung des Weltzusammenhangs; sie den Umstand zu Gunsten Kants, daß er dieses
schmiedet damit das (um nochmals mit Weber zu Prinzips wenigstens »geradezu geständig« sei.
sprechen) »stahlharte Gehäuse«, das das Subjekt Mit der wahren Philosophie, deren einzige Idee
zum Rückzug in sich selbst zwingt, weil es nur »das absolute Aufgehobenseyn« der Reflexions-
noch in dieser Vertiefung in sich das Bewußtsein gegensätze Geist und Welt, Seele und Leib oder
seiner Freiheit und seines Gottes festzuhalten Ich und Natur sei, komme die Kantische zwar
vermag (Jaeschke 2003). darin überein, daß sie »Idealismus« sei. Doch
Weder Hegels »subjektivitätsgeschichtliche« indem sie die endliche Erkenntnis für die einzig
noch Jacobis »rationalitätsgeschichtliche« Deu- mögliche erkläre, falle sie zurück »in absolute
tung beantworten die Frage, was die betreffenden Endlichkeit und Subjectivität« und sei »nicht das
Prozesse letztlich ausgelöst habe – doch fraglos Erkennen des Absoluten, sondern das Erkennen
läßt sich Jacobis Deutung leichter mit Max We- dieser Subjectivität oder eine Kritik der Erkennt-
bers Analysen vereinen. Hegel wirft jedoch ein nißvermögen«. Diese Behauptung sucht Hegel
von Jacobi nicht behandeltes Problem auf: die zudem durch ein langes Zitat aus Lockes Essay zu
Diskrepanz zwischen dem ursprünglich nach ewi- untermauern.
ger Schönheit und Seligkeit sich sehnenden Sub- Auf Grund dieser Zuordnung erscheinen ei-
jekt und dem schließlichen Eudämonismus sei- nige spekulative Einsichten, die Hegel beim ra-
nes sich Einhausens in der Endlichkeit. Dieses schen Durchlaufen der drei Kritiken Kants her-
letztere sieht Hegel als Wirkung des »Grund- vorhebt, als eher zufällige Funde. Eine »wahr-
charakters des Eudämonismus und der Aufklä- hafte Vernunftidee« erkennt Hegel bereits in
rung, welcher die schöne Subjectivität des Prote- Kants Frage nach der Möglichkeit synthetischer
stantismus in eine empirische, die Poesie seines Urteile a priori – doch er versteht »a priori« als
Schmerzes, der mit dem empirischen Daseyn alle »absolut identisch« und attestiert Kant, die rich-
Versöhnung verschmäht, in die Prosa der Be- tige Antwort auf seine Frage gefunden zu haben:
friedigung mit dieser Endlichkeit und des guten Synthetische Urteile a priori seien möglich
Gewissens darüber, umgeschaffen hatte«. Doch »durch die absolute Identität von ungleicharti-
an die Stelle der geforderten Einsicht in die gem«. In ähnlicher Weise kommentiert und be-
Gründe dieses Umschlagens setzt Hegel eine iro- wertet Hegel auch weitere zentrale Lehrstücke
nische Anspielung: »Nachdem die Zeit gekom- der Kritik der reinen Vernunft aus der Perspektive
men war, hatte die unendliche Sehnsucht über einer Philosophie der absoluten Identität: die
den Leib und die Welt hinaus, mit dem Daseyn transzendentale Deduktion, den Paralogismus
sich versöhnt«. Die biblische Wendung für das und die Antinomie der reinen Vernunft, schließ-
Kommen des Gottesreiches bezeichnet hier iro- lich auch die Kritik der spekulativen Theologie,
nischer Weise den Beginn der schlechten Versöh- ferner äußerst knapp die Kritik der praktischen
nung mit dem Reiche der »gemeinen Wirklich- Vernunft und die Kritik der Urteilskraft.
keit«, in der das empirische Subjekt bei sich ist Als ein »Verdienst Kants« hebt Hegel hervor,
und sich genießt: Die »allmächtige Zeit und ihre »daß er das Denken oder die Form, nicht sub-
Cultur« haben diesen Standpunkt einer mit Sinn- jectiv, sondern an sich genommen, nicht als etwas
lichkeit affizierten Vernunft für die Philosophie formloses, die leere Apperception, sondern daß
fixiert. Die Philosophie einer Zeit muß somit er das Denken als Verstand, als wahrhafte Form,
zwar in ihrer immanenten geschichtlichen Ent- nemlich als Triplizität begriffen hat«. In ihr liege
wicklung thematisiert werden – doch stellt Hegel »der Keim des Speculativen«, weil in ihr »die
diese Entwicklung zugleich in den größeren Rah- Möglichkeit der Aposteriorität selbst liegt,« und
men einer allgemeinen Bewußtseinsgeschichte, diese dadurch »aufhört, dem Apriori absolut ent-
zu deren Thematisierung ihm allerdings das er- gegengesetzt« zu sein. Doch insgesamt überwiegt
forderliche Instrumentarium hier noch fehlt (GW eine scharfe Kritik.
4.315–324,412–414). Am Paralogismus bemängelt Hegel, Kant habe
(4) Im Kapitel über die »Kantische Philoso- »das Ich denke zu einem absoluten intellectuellen
140 II. Werk

Puncte« gemacht und somit »die vorherige dog- auf dem Gebiet der Vernunft befinde« (GW
matische objective in eine dogmatische subjective 4.325–346).
absolute Endlichkeit umgewandelt«; an der Anti- (5) Auch Jacobis Position stellt Hegel an Hand
nomie, Kant habe die Vernunft allein nach ihrer aller seiner größeren Werke dar, einschließlich
negativen Seite gebraucht, zur Aufhebung der einer Anspielung auf den Roman Woldemar; das
Reflexionsgegensätze. In der Kritik der speku- Sendschreiben Jacobi an Fichte bleibt jedoch für
lativen Theologie jedoch sei ȟber die entsetz- das Fichte-Kapitel aufgespart. РInnerhalb der
liche Verblendung der vorhergehenden Philoso- von der absoluten Endlichkeit geprägten gemein-
phie der vollständige Sieg der Unphilosophie schaftlichen Sphäre deutet Hegel Jacobis Werk
davon getragen«, zumal Kant den ontologischen als »den entgegengesetzten Pol zu der Kantischen
Gottesbeweis »in der schlechtesten Form, wel- Philosophie«. Gegenüber deren objektiver Form
cher er fähig ist«, widerlegt habe, nämlich in der mache Jacobi »die Subjectivität ganz subjectiv zur
Form Mendelssohns, die die Existenz als eine Individualität; dieß Subjective des Subjectiven
unter den Eigenschaften Gottes behaupte – woge- gewinnt, als solches, wieder ein inneres Leben,
gen sich bereits Hobbes’ Einwand gegen Des- und scheint damit der Schönheit der Empfindung
cartes’ Meditationen richtet. fähig zu werden.« Andererseits scheine Jacobi
Das Resultat der Kritik der reinen Vernunft wegen seiner im Namen des Realismus vorge-
sieht Hegel hier in der »völligen Zertretung der tragenen Kritik am transzendentalen Idealismus
Vernunft, und dem gehörigen Jubel des Verstan- Kants das Moment des Objektiven zuzukommen
des, und der Endlichkeit sich als das Absolute – doch die hierin liegende scheinbare Verbesse-
decretirt zu haben«. In ihrer positiven Form heiße rung konstituiere »in Wahrheit einen absoluten
diese Endlichkeit »praktische Vernunft«. Von ihr Dogmatismus und Erhebung des Endlichen zu
behandelt Hegel nur die Dialektik, und zwar einem An-sich«.
nicht das Postulat der Unsterblichkeit (denn Hegel läßt sich mit Jacobi in eine detaillierte
Kants Darstellung entbehre hier »aller eigenen Auseinandersetzung über Spinoza ein. Seine Spi-
Seiten, von denen sie einer philosophischen Be- noza-Kenntnis dürfte auch durch die Mitarbeit an
trachtung fähig wäre«), sondern das Postulat Got- der Spinoza-Ausgabe seines damaligen Freundes
tes. Hegel sieht in ihm »nichts ausgedrückt, als und Mentors H. E. G. Paulus gefördert worden
die Idee, daß die Vernunft zugleich absolute Rea- sein (GW 5.513,720–729). Hegel kritisiert, Jacobi
lität habe, daß in dieser Idee aller Gegensatz der habe an vielen Stellen erst Verhältnisse der End-
Freyheit und Nothwendigkeit aufgehoben, daß lichkeit in Spinozas Philosophie hineingetragen –
das unendliche Denken zugleich absolute Realität nicht unverständlich, denn Jacobi könne sich oh-
ist, oder die absolute Identität des Denkens und nehin nicht von der Endlichkeit und der Erschei-
des Seyns« – aber all dies in einer bloß sub- nung lösen, die für ihn absolut seien. Bei ihm und
jektiven, unzulänglichen Darstellung. Herder findet Hegel übereinstimmend das Be-
Als »der interessanteste Punct des Kantischen mühen, eine für das wissenschaftliche Erkennen
Systems« erscheint Hegel bereits hier, daß es vorhandene Form wegzuschaffen; Jacobis »In-
»eine Region erkennt, welche eine Mitte ist zwi- stinkt gegen das vernünftige Erkennen« wende
schen dem empirisch Mannichfaltigen und der sich gerade gegen den spekulativen Punkt der
absoluten abstracten Einheit«, ein »Mittelglied Kantischen Philosophie und suche durch falsches
zwischen Naturbegriff und Freiheitsbegriff« – Zitieren einen leichten Sieg über ihn davonzu-
nämlich in der Kritik der Urteilskraft. Hier werde tragen – und dies heiße, mit Kant noch »schlech-
Kant auf die Idee eines »urbildlichen, i n t u i - ter als mit einem todten Hunde umgehen« – eine
t i v e n Ve r s t a n d e s« als auf eine »absolut noth- Verschärfung des von Jacobi in den Spinoza-
wendige Idee geführt« – auf die Idee »einer Briefen überlieferten Wortes Lessings, die Leute
Vernunft, in welcher Möglichkeit und Wirklich- redeten »von Spinoza wie von einem todten
keit absolut identisch« sind. Doch Kant mache Hunde« (JWA 1.27).
diese Idee nicht zum organisierenden Zentrum Hegels Abhandlung enthüllt eine reichhaltige
eines philosophischen Systems; vielmehr zeige Palette massiver Vorwürfe – »frostiges und schaa-
sich in der Weise, wie Kant über sie spreche, les Herzergießen«, »Galimathias fortschwatzen«,
»nicht die leiseste Ahndung, daß man sich hier »Verdrehungen bis zum Hämischen«, »Schmä-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 141

hen«, »Gepolter«, »Gepoche«, »Gezänke«, net: Jacobis Bekenntnis, er wolle lügen, »wie
»Schnur von Unsinnigkeiten« –, die in der Folge Desdemona sterbend log; […] Aehren ausraufen
jedoch gegen seine eigene Darstellung gewendet am Sabbath, auch nur darum, weil mich hungert,
wird. Die Heftigkeit dieser Vorwürfe läßt ver- und das Gesetz um des Menschen willen gemacht
muten, daß erst Jacobis, gegen Ende des Jahres ist, nicht der Mensch um des Gesetzes willen«
1801, also kurz zuvor erschienene Kant-kritische (JWA 2.211). Auch später zitiert Hegel diese Pas-
Abhandlung Ueber das Unternehmen des Kriticis- sage (GW 15.20, s. 256), obschon sie – wie auch
mus, die Vernunft zu Verstande zu bringen (JWA weitere Beispiele Jacobis – für sich genommen
2.261–330) zum endgültigen Zerwürfnis zwi- als »Vernachlässigung der gesetzlichen und ob-
schen Jacobi und Schelling sowie Hegel geführt jectiven Seite«, als »bewußter Mangel an Objec-
habe. tivität« ebenfalls nur eine Einseitigkeit gegenüber
Hegel wirft Jacobi einen »Dogmatismus der der Kantisch-Fichteschen Gesetzlichkeit aus-
absoluten Endlichkeit und Subjektivität« vor, der drücke. Dennoch schätzt Hegel sie sehr hoch –
über die Vernichtung des Endlichen durch die wohl deshalb, weil »bey Jacobi die protestanti-
idealistische Philosophie »ein ungebährdiges sche Subjectivität aus der Kantischen Begriffs-
Zettergeschrey« erhebe. Selbst den Begriff des form zu ihrer wahren Gestalt, einer subjectiven
Glaubens nehme Jacobi »von den Ur- und Grund- Schönheit der Empfindung und der Lyrik himm-
empirikern Hume und Locke« auf (womit Hegel lischer Sehnsucht zurückzukehren scheint«. Un-
Hamanns Vermittlungsrolle ignoriert), und er be- ter den Bedingungen der Absolutheit des Gegen-
zeichne mit diesem Wort die Gewißheit empi- satzes von Endlichem und Unendlichem aber
rischer Wirklichkeit. Deshalb verteidigt Hegel kann eine solche Rückkehr nicht gelingen: An die
sogar Mendelssohn, der dies in seiner Ausein- Stelle einer schönen Individualität setze Jacobi
andersetzung mit Jacobi nicht für möglich ge- »höchste Peinlichkeit, sehnsüchtigen Egoismus
halten habe. Und doch kenne Jacobi neben die- und sittliche Siechheit«, und seine Romanhelden
sem Glauben an die Endlichkeit auch noch einen lebten in der »Quaal der ewigen Beschauung
Glauben an das Ewige »als absolutes Object«. Im ihrer selbst« und trieben »Unzucht mit sich
unbefangenen, wahrhaften Glauben versinke die selbst«, um »affektirte oder unbedeutende Weiber
»ganze Sphäre der Endlichkeit, des selbst Etwas und empfindsame Bürger« dadurch zu erbauen
seyns, der Sinnlichkeit, […] vor dem Denken (GW 4.380–384).
und Schauen des Ewigen, was hier Eins wird, alle (6) Ähnlich wie in der Differenz-Schrift schlägt
Mücken der Subjectivität verbrennen in diesem Hegel auch hier einen Bogen zu Schleiermacher,
verzehrendem Feuer«. Dieser unbefangene den sich Schelling und Hegel ja auch – erfolglos –
Glaube lasse sich jedoch nicht in die Philosophie als Mitstreiter im Kritischen Journal gegen Ja-
hinüberretten: »Glaube in die Philosophie einge- cobi gewünscht hatten (s. 129). Doch Schleier-
führt, verliert völlig jene reine Unbefangenheit«; machers Reden Über die Religion (KGA I/
er sei vom Reflexionsgegensatz infiziert, und des- 2.185–326) erscheinen nun als »die höchste Po-
halb stehe seinem Übersinnlichen »eine unver- tenzirung« des Jacobischen Prinzips, als die
rückte Sinnlichkeit« entgegen (GW 4.346–380). höchste Spitze eines Protestantismus, »der im
Auf dem Gebiet der praktischen Philosophie Diesseits Versöhnung sucht, […] ohne aus sei-
verkehrt sich jedoch Hegels Bewertung Kants nem Character der Subjectivität herauszutreten«.
und Jacobis. Er kritisiert Kants praktische Ver- Damit verändere aber auch das Diesseits seine
nunft ähnlich wie in der Differenz-Schrift: Sie Gestalt: In den Reden sei »die Natur als eine
könne wegen ihres Objektivitätsverlangens Sammlung von endlichen Wirklichkeiten ver-
»nichts anderes als ein System der Tyrannei und tilgt, und als Universum anerkannt, dadurch die
des Zerreißens der Sittlichkeit und Schönheit Sehnsucht aus ihrem über Wirklichkeit Hinaus-
produzieren«; seine Rechtslehre habe »nothwen- fliehen nach einem ewigen Jenseits zurückge-
dig die sittliche Natur mit den grellsten Schänd- hohlt, die Scheidewand zwischen dem Subject,
lichkeiten besudeln müssen«. Jacobis Haß gegen oder dem Erkennen und dem absoluten uner-
den Begriff verschmähe hingegen die Form des reichbaren Objecte niedergerissen« und somit die
Gesetzes – und so gelange er hier zu einer Posi- Versöhnung beider verwirklicht. Gleichwohl
tion, die Hegel als »schön und ganz rein« bezeich- solle »diese Subject-objectivität der Anschauung
142 II. Werk

des Universums doch wieder ein Besonderes und nachdem das falsche Vorurtheil sich verbreitet
Subjectives bleiben«, ein Werk der »Virtuosität hatte, daß es nicht das System des gemeinen
des religiösen Künstlers«, der »subjectiven Eigen- Menschenverstands, sondern ein speculatives Sy-
heit der Anschauung« – und Hegel fügt spitz stem seye, gibt es sich wie billig alle Mühe, in
hinzu: »Idiot heißt einer, insofern Eigenheit in neuern Darstellungen dieß Vorurtheil auszureu-
ihm ist«. Die »wahrhafte Virtuosität« hätte »in ten.« Dieser Seitenhieb zielt auf Fichtes Bestim-
den Gesetzen und in dem Körper eines Volkes mung des Menschen (1800), die bei Abfassung der
und einer allgemeinen Kirche ihre Objectivität Differenz-Schrift (in der auch Hegel dieses »Vor-
und Realität erhalten« müssen – statt in einer urteil« verbreitet) zwar schon erschienen ist, aber
»allgemeinen Atomistik« der Virtuosen auf alle von ihm nicht mehr berücksichtigt wird und nun
Objektivität Verzicht zu thun (GW 4.383–386). »vorzüglich« zum Gegenstand der Kritik wird.
(7) Kant und Fichte haben Hegels scharfe Kri- Eigentümlicher Weise geht Hegel nirgends dar-
tik nicht erwidert, ja sie wahrscheinlich gar nicht auf ein, daß Fichtes Bestimmung des Menschen
zur Kenntnis genommen; Jacobi hingegen bis in den Wortlaut hinein eine unmittelbare
schreibt am 10.08.02 an Reinhold, er habe einen Replik auf Jacobis Sendschreiben Jacobi an
argen Angriff Schellings und Hegels auf ihn vor- Fichte bildet (JWA 2.187–258) – obgleich er doch
ausgesagt – und nun sei dies eingetroffen. »We- Jacobis »Grundsatz« des absoluten Dualismus mit
gen des schlechten Vortrags« sei er gewiß, daß Fichtes »Princip« identifiziert.
Hegel der Verfasser sei: »Wenn nur der ver- Trotz der behaupteten Orientierung »vorzüg-
wünschte Hegel besser schriebe; ich habe oft lich« an der Bestimmung des Menschen geht He-
Mühe, ihn zu verstehen.« Und er beantwortet gel wiederum sehr breit und detailliert auf Fich-
Hegels Angriff mit gleicher Schärfe: in seinen tes Philosophie ein – von der Grundlage der
(lediglich literarischen) Drei Briefen an Friedrich gesammten Wissenschaftslehre über seine prakti-
Köppen vom August und September 1802, die er sche Philosophie bis hin zu den Schriften zum
als Anhang zu Köppens Schellings Lehre oder das Atheismusstreit, und er ignoriert die Zäsur, die
Ganze der Philosophie des absoluten Nichts ver- die Bestimmung des Menschen von diesen frü-
öffentlicht (JWA 2.331–372). Im ersten dieser heren Schriften trennt.
Briefe referiert Jacobi Hegels Schimpfworte und Schon durch die Anlage seiner Abhandlung
Vorwürfe sehr ausführlich, wohl um sie schon konstruiert Hegel Fichtes Philosophie als Syn-
dadurch bloßzustellen, und er sucht sie ins Lä- these von Jacobis »Sehnen« und Kants »Objectivi-
cherliche zu ziehen. Den Vorwurf der falschen tät«. Und wie zuvor Kant, so stellt er nun Fichte in
Zitation weist er gegenüber Köppen im Detail die »durch die Lockesche und Humesche Cultur«
zurück, doch erspart Jacobi sich eine prinzipielle (und nicht etwa durch Descartes!) geprägte Tra-
Auseinandersetzung – wohl in der Annahme, daß dition, die Welt »vom Standpunct des Subjects«
sich das Problem von selbst erledigen werde: aus zu berechnen und zu erklären. Damit sei die
»Lustig ist es, wie diese Leute nun auf einmal »absolute Entgegensetzung« von Subjekt und Ob-
über Fichte herfallen, als hätten sie nie etwas mit jekt schon vorgezeichnet, die entgegen der Pro-
ihm gemein gehabt. […] Diese ganze Sippschaft grammatik auch durch die Ausarbeitung des Sy-
ist rein toll; man muß sie unter einander sich die stems nicht wieder aufgehoben werde: Fichte
Hälse brechen und toben lassen, bis sie um- gehe von etwas schlechthin Wahrem und Ge-
fallen.« (Zoeppritz I.311 f.) wissem aus, doch dieses werde zum Prinzip der
(8) Jacobis Bemerkung bezieht sich darauf, daß Deduktion allein dadurch, daß es sich als unvoll-
Hegel – zumindest zum Teil wegen des inzwi- ständig und somit als das Unwahre erweise. Das
schen vollzogenen Bruchs zwischen Schelling Ideelle müsse durch das Reelle integriert, d. h.
und Fichte – dessen Philosophie in Glauben und das anfangs ganz leere Wissen durch die em-
Wissen weitaus schärfer kritisiert als in der Diffe- pirische Realität aufgefüllt werden, die auch für
renz-Schrift. Dort wendet er sich gegen ihre Sy- Fichte »absolute Realität« habe. Deshalb gelange
stemform, billigt ihr aber ein »ächt speculatives Fichtes Philosophie der absoluten Subjektivität
Princip« zu (s. 116); jetzt hingegen wirft er Fich- nie über den von Jacobi geforderten Dualismus
tes System vor, es trete »nicht aus dem Princip des hinaus, und somit habe Jacobi gar keinen Anlaß
allgemeinen Menschenverstandes heraus, und zu befürchten, Fichtes »Nihilismus der Tran-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 143

scendental-Philosophie wolle ihm sein Herz aus benenfalls auch zu Trümmern, über denen die
dem Busen reißen« (GW 4.387–401). freien Vernunftwesen schweben könnten: »wie
Die »absolute Entgegensetzung« zeichne die Natur in der Physikotheologie der Ausdruck
ebenso die Grundstruktur der praktischen Philo- ewiger Wahrheit ist, so ist sie in der Kantischen
sophie vor: »die Subjectivität, Ich, reiner Wille, und Fichteschen Moraltheologie [!], ein zu Ver-
entgegengesetzt der Objectivität ist in absolutem nichtendes, an dem der Vernunftzweck ewig erst
Gegensatz, und die Aufgabe der Identität und zu realisiren ist, von Wahrheit entblößt, das Ge-
Integration schlechthin nicht zu lösen.« Unter setz der Häßlichkeit und Vernunftwidrigkeit an
diesen Bedingungen werde Moralität zu Herr- sich tragend«. Eine so, als Gegenstand, aber auch
schaft, ja zu »absoluter Tyrannei«, und es bleibe als Impediment der moralischen Handlungen ge-
»nichts als die hohle Declamation, daß das Gesetz dachte Natur wird konsequent zum (ungeeigne-
um des Gesetzes willen, die Pflicht um der Pflicht ten) Adressaten der moralischen Forderung: » s o
willen erfüllt werden müsse, und wie das Ich sich kann es aber nicht immerdar bleiben
über das Sinnliche und Uebersinnliche erhebe, s o l l e n .«
über den Trümmern der Welten schwebe« – letz- Gegen diese »absolute Entgegensetzung« stellt
teres eine Anspielung auf eine Formulierung Hegel nicht allein einen von der »absoluten Iden-
Fichtes, der Hegel am Ende seiner Frankfurter tität« her gedachten Naturbegriff; er sucht sich
Zeit affirmative Seiten abzugewinnen gewußt hat auch der Hilfe Platons und der Religion zu verge-
(s. 94). wissern. Für jenen habe die Vernunft Gottes die
Gegen diese »erhabene Hohlheit und einzig Welt »als einen seligen Gott gebohren«, und diese
consequente Leerheit« stellt Hegel einen an fasse das Übel nicht als vermeidbar und im Fich-
Schelling orientierten Begriff der »Natur« – und teschen Progreß des allmählichen Erlöschens der
er kritisiert den »ungeheuren Hochmuth« und Vulkane, der Linderung der Krankheiten und
»Wahnsinn des Dünkels« des »Ich« im ersten Orkane minimierbar. Sie begreife »vielmehr das
»Aufzug« der Bestimmung des Menschen, der dar- Böse als Nothwendigkeit der endlichen Natur, als
über wehmütig werde, »daß die ewige Natur in Eins mit dem Begriff derselben«, setze aber die-
ihm handle«. Die in diesem »Aufzug« (so Hegel ser Notwendigkeit eine ewige, nämlich »wahrhaft
ihrer theatralischen Szenerie wegen) vorhandene reale und vorhandene Erlösung« entgegen und
»Natur« zeichnet Fichte allerdings als rein de- biete der Natur »eine mögliche Versöhnung«:
terministisch, als aller Freiheit des Ich unver- »deren ursprüngliche Möglichkeit, das Subjec-
mittelbar entgegengesetzt – aber er entwirft hier tive, im ursprünglichen Abbilde Gottes, ihr Ob-
nur das Bild einer verfehlten, zu überwindenden jectives aber, die Wirklichkeit in seiner ewigen
Konzeption (was aus Hegels Kritik nicht deutlich Menschwerdung, die Identität jener Möglichkeit
wird). Gleiches gilt für den zweiten »Aufzug«, in und dieser Wirklichkeit aber durch den Geist als
dem der »Ich« nunmehr über den Verlust dieser das Einsseyn des Subjectiven mit dem Mensch
Natur durch das Wissen der Transzendentalphi- gewordenen Gotte, also die Welt a n s i c h recon-
losophie »wieder ebenso trostlos« klage; auch struirt, erlöst, und auf eine ganz andere Weise
hier entwirft Fichte zwar ein an seiner vorherigen geheiligt« als durch die von Fichte anvisierte
Transzendentalphilosophie orientiertes, nun aber Welt, die schlechthin nicht so bleiben soll, wie sie
zu überwindendes Bild. ist, aber doch auch nicht anders werden darf, weil
Doch daß Hegel der Aufstiegsbewegung inner- sie sonst nicht mehr zum Material der Pflicht
halb der Bestimmung des Menschen – vom De- taugte.
terminismus über die Transzendentalphilosophie (9) Angesichts der kein Detail verschmähen-
zum Glauben – nicht gerecht wird, entkräftet den Ausführlichkeit und Schärfe der Kritik He-
nicht schon seinen eigentlichen Einwand: Für gels überrascht die versöhnliche Wendung, mit
den Determinismus wie für die Physikotheologie der er in den Schlußpartien der »Reflexions-
und auch für die Transzendentalphilosophie sei philosophie« gleichwohl eine gute Seite abge-
die »Natur« an sich selbst »ein absolut Unheiliges winnt: Obschon sie in der Entgegensetzung von
und Todtes«, das seinen Zweck nicht in sich Endlichkeit und Unendlichkeit befangen bleibe,
selbst habe. Sie werde zum bloßen Material – und mache sie doch die Unendlichkeit zu ihrem Ab-
sei es zum »Material der Pflicht« – und gege- soluten, und solche »Philosophie der Unendlich-
144 II. Werk

keit« stehe »der Philosophie des Absoluten näher 4.5.6. Über die wissenschaftlichen
als die des Endlichen«. Der »Philosophie des Behandlungsarten des Naturrechts
Absoluten« kommt damit eine gedoppelte Auf-
gabe zu: Sie muß verhindern, daß »die Unend- (1) Hegels Naturrechtsaufsatz ist die letzte grö-
lichkeit, Ich, […] auf diesem Punkt sich fixirte ßere Abhandlung des Kritischen Journals. Sein
und zur Subjectivität wurde«, und sie muß das in Hauptteil erscheint 1802 im zweiten, der Be-
den genannten Philosophien vorhandene Mo- schluß 1803 im dritten Stück – wahrscheinlich
ment der Negativität, »den Schmerz, der vorher aus verlegerischen Erwägungen, um das zweite
nur in der Bildung geschichtlich und als das Stück nach dem umfangreichen ersten (mit Glau-
Gefühl war, worauf die Religion der neuen Zeit ben und Wissen) nicht erneut übermäßig an-
beruht, das Gefühl: Gott selbst ist todt, […] rein schwellen zu lassen; es sind jedoch auch Exem-
als Moment, aber auch nicht als mehr denn als plare bekannt geworden, in denen beide Teile
Moment, der höchsten Idee bezeichnen«. Mit der (mit unterschiedlichem Seitenumbruch) im zwei-
Formel »Religion der neuen Zeit« stellt Hegel die ten Stück zusammengebunden sind. Hegel hat
Reflexion über die Aufgabenstellung der Philo- beide Teile wahrscheinlich gleichzeitig in Satz
sophie nicht so sehr in einen zeitdiagnostischen gegeben; da das zweite Stück des Kritischen Jour-
als in einen umfassenden religionsgeschichtli- nals im Dezember 1802 erschienen ist (GW
chen Kontext: Das »Heitre, Ungründlichere und 4.539), wird er seine Abhandlung im Sommer
Einzelnere der dogmatischen Philosophieen, so und Frühherbst verfaßt haben – also etwa parallel
wie der Naturreligionen« ermangelt der Tiefe der zu seiner ersten Vorlesung über »ius naturae,
Negativität, der Vernichtung des Endlichen, und civitatis et gentium« im Sommer 1802.
so muß es verschwinden; aber ebenso muß eine (2) Auch wenn Probleme der praktischen Phi-
Philosophie überwunden werden, die diese – losophie bereits in Hegels frühere Texte, insbe-
auch von der Religion ausgesprochene, aber als sondere in die politischen Schriften hineinspie-
Moment ausgesprochene – Negativität zwar er- len, bildet der Naturrechtsaufsatz Hegels erste –
kennt, jedoch in absoluter Entgegensetzung ge- erhaltene – Arbeit auf diesem, ihm gegenüber
gen das Endliche festhält. Indem die Philosophie Schelling eigentümlichen Gebiet. Die größere
den unendlichen Schmerz in ein Moment der Eigenständigkeit zeigt sich auch in der literari-
höchsten Idee verwandelt, geht sie nicht allein schen Form: Entgegen den bisherigen Abhand-
über die dogmatische und die kritische Philo- lungen löst Hegel sich hier sowohl von der Re-
sophie hinaus. Sie schließt auch an die Religion zensionsform als auch von der Form der über-
an, aber sie gibt dem historischen Karfreitag der greifenden Kritik vorausgegangener Systeme, die
Religion seine angemessene Existenz in einem noch Glauben und Wissen prägt. Die philosophi-
»speculativen Charfreytag« und macht ihn somit sche Grundlegung seines Ansatzes oszilliert hin-
zur Vorbedingung einer Auferstehung der Totali- gegen noch zwischen der identitätsphilosophi-
tät in der heitersten Freiheit ihrer Gestalt (GW schen Systemkonzeption Schellings – so in seiner
4.401–414). Systemskizze (GW 4.433) – und seinem eigenen,
im Wintersemester 1801/02 erstmals skizzierten
Erstdruck: »Glauben und Wissen oder die Reflexions- Ansatz – so insbesondere in Hegels Wendungen,
philosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit auch der empirischen Wissenschaft müsse in all
ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichte- ihrer Mannigfaltigkeit »zugleich das Bild und das
sche Philosophie.« In: Kritisches Journal der Philo-
Bedürfnis der absoluten Einheit aller dieser zu-
sophie. Bd. 2, Stück 1. Tübingen 1802, 1–189. – Text:
GW 4.315–414. – Quellen: Fichte: Die Bestimmung des sammenhanglosen Bestimmtheiten und einer ur-
Menschen. Berlin 1800, GA I/6.189–309; Friedrich sprünglichen einfachen Nothwendigkeit vor-
Köppen: Schellings Lehre oder das Ganze der Philo- schweben«, ein »Reflex […] des Absoluten«.
sophie des absoluten Nichts. Hamburg 1803; Rudolf (GW 4.418,422 f., vgl. s. 151).
Zoeppritz (Hg.): Aus F. H. Jacobi’s Nachlaß. Unge- (3) Gemeinsam mit dem wenig späteren Sy-
druckte Briefe von und an Jacobi […]. 2 Bde. Leipzig
stem der Sittlichkeit dient der Naturrechtsaufsatz
1869. – Literatur: Görland: Kantkritik des jungen He-
gel (1966), 16–53; Jaeschke: Der Zauber der Entzaube- der »Rehabilitierung der klassischen praktischen
rung. In: Glauben und Wissen. HJb 2004. Berlin 2004, Philosophie« (Siep 1979, 159) – im Gegenzug
11–19. gegen das neuzeitliche Naturrecht insbesondere
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 145

in seiner Kantisch-Fichteschen Form als »Ver- ken, Pflichten und Rechten schwebe »zugleich
nunftrecht«. Zum Ausgangspunkt nimmt Hegel das Bild und das Bedürfniß der absoluten Einheit
das Verhältnis der »Wissenschaft des Natur- aller dieser zusammenhanglosen Bestimmun-
rechts« zur Philosophie überhaupt. Sie sei zwar gen«, als »Reflex […] des Absoluten«. Diese ab-
eine philosophische Wissenschaft, jedoch – wie solute Einheit erscheine zum einen als »einfache
auch andere Teile der Philosophie – aus dem von Einheit, die wir die ursprüngliche nennen kön-
der Metaphysik besetzten Zentrum der Philo- nen« – teils als fiktiver Naturzustand, teils als
sophie in immer größere Entfernung von ihr und Natur und Bestimmung des Menschen –, zum
in die Nähe der Erfahrung gedrängt worden. anderen »als Totalität in dem Reflex des em-
Hegel versteht somit die diagnostizierte Akzent- pirischen Wissens«. Die empirisch-wissenschaft-
verschiebung in der »Wissenschaft des Natur- liche Behandlung fasse jedoch beide Einheiten
rechts« vom Apriorischen zur Erfahrung nicht als als getrennte, nicht in ihrer Identität. Sie bringe
ihr freiwilliges Abwandern in das Gebiet der es nur zu einer »trüben Ahndung von ursprüng-
Erfahrungswissenschaften, sondern als einen, licher und absoluter Einheit«; sie sehe die wider-
von einem starken Philosophiebegriff erzwunge- streitenden Bestimmungen sich in ein »bellum
nen, dann aber akzeptierten Ausbürgerungspro- omnium contra omnes« verwickeln und erkenne
zeß, der zugleich die Aberkennung des Wissen- nicht, daß sie sich auf Nichts reduzierten.
schaftscharakters des Naturrechts einschließt. Schließlich stelle sie diesem Naturzustand das
Folgerichtig spricht Hegel den »frühern Behand- Gegenbild der Göttlichkeit des Rechtszustandes
lungsarten des Naturrechts […] für das Wesen gegenüber – und damit sei folgerichtig »das Ver-
der Wissenschaft alle Bedeutung« ab und erklärt hältniß der absoluten Unterwürfigkeit der Sub-
sie zum Gegenstand einer bloßen »Neugierde jecte unter jene höchste Gewalt« gesetzt.
über das geschichtliche der Wissenschaft«. Den Hegel analysiert somit den Widerspruch, in
transzendentalen Idealismus Kants und Fichtes den diese »wissenschaftliche Empirie« durch ihre
hingegen, der »das Absolute ganz in die prakti- immanente Struktur treibt: Die Wissenschafts-
sche Philosophie gelegt« habe, versteht er als eine form trägt in die eigentlich empirische Anschau-
Gegenbewegung gegen diesen Prozeß der unend- ung der Totalität ein Moment von Reflektiertheit,
lichen Ausbreitung der Empirie – jedoch als eine von Über- und Unterordnung und damit von
Erneuerung der Wissenschaftsform, die sich Herrschaft ein. Die Nachahmung des Bildes des
nicht mit der Empirie vermittle und somit als Absoluten mit unzureichenden begrifflichen Mit-
eine »rein f o r m e l l e Wissenschaft« der empiri- teln endet in dessen Verzerrung. Gegenüber sol-
schen als Komplement bloß entgegensetze (GW cher »Consequenz« nicht erst der zweiten »un-
4.417–421). ächten« Form, sondern schon der wissenschaftli-
(4) Für Hegel hingegen gibt es keine bloße, von chen Empirie spricht Hegel der »alten durchaus
allem Widerschein des Absoluten unberührte inconsequenten Empirie« ein relatives Recht zu.
Empirie, und so charakterisiert er auch die erste Für den Verstand sei zwar nichts leichter, als mit
dieser beiden »unächten Arten« der wissenschaft- seinen »wesenlosen Abstractionen« über diese
lichen Behandlung des Naturrechts – in Antizipa- herzufallen – und doch habe sie der Vermischung
tion seiner hier noch nicht entfalteten Idee der von Empirie und Reflexion gegenüber ein vielfa-
»absoluten Sittlichkeit« – hinsichtlich der »Weise, ches Recht: indem sie fordere, daß die Wissen-
wie die absolute Idee nach den Momenten der schaft des Naturrechts »sich an der Erfahrung
absoluten Form in ihr erscheint«. Auch die Em- orientiren müsse«; indem sie das »Gerüste und
pirie suche sich durch Vorstellung und interne Künsteley von Grundsätzen« verwerfe; indem sie
Strukturierung einer Totalität die Form der Wis- behaupte, »daß die Theorie […] der nothwendi-
senschaft zu geben. Aus der »Einheit eines orga- gen Praxis widerspreche«; und indem sie daran
nischen Verhältnisses« sondere sie einzelne Be- erinnere, daß die Empirie dem Philosophieren
stimmungen ab (wie etwa die einzelnen Begrün- »den Inhalt seiner Begriffe liefert«. So sieht He-
dungen staatlichen Strafens) und setze sie zu gel die naive Empirie trotz ihrer inkonsequenten
anderen in ein Herrschaftsverhältnis. Doch über Vernetzungen des Inhalts näher an der Idee der
der aus diesem Verfahren resultierenden Man- organischen Totalität als die »Zerstücklung« und
nigfaltigkeit von Grundsätzen, Gesetzen, Zwek- »Erhebung wesenloser Abstractionen und Einzel-
146 II. Werk

heiten zur Absolutheit« schon durch die wissen- fehlte – systematische Grundlegung des Gedan-
schaftliche Empirie (GW 4.421–430). kens des negativen Absoluten identifiziert er zu-
(5) Diese Kritik an der Reflexion verschärft nächst den dritten Grundsatz aus Fichtes Grund-
Hegel gegenüber der »reinformellen« Behand- lage der gesamten Wissenschaftslehre: »das
lung des Naturrechts. Er entfaltet sie in zwei Entgegensetzen eines theilbaren Ichs einem
Stufen: Das reinformelle Naturrecht legt einen theilbaren Nicht-Ich im Ich« (vgl. GA I/2.272).
falschen Begriff des Absoluten zu Grunde, und Eine so begründete Konzeption bringt es in He-
deshalb ist es ihm unmöglich, von diesem Begriff gels Augen nur zu einer »Nichtidentität des ide-
aus zum sittlichen Inhalt, zu einem »System der ellen und reellen«; deshalb setzt er ihr eine an
Sittlichkeit« zu gelangen. Schellings Identitätsphilosophie angelehnte Kon-
In weiterer Ausführung seiner bereits in der zeption des Absoluten als der »absoluten Identität
Differenz-Schrift und in Glauben und Wissen er- des ideellen und reellen« entgegen. Es sei zu
hobenen Einwände kritisiert Hegel, dieses for- denken als »die Einheit der Indifferenz und des
melle »Naturrecht« – d. h. Fichtes Grundlage des Verhältnisses; und weil dieses ein gedoppeltes
Naturrechts (1796, GA I/3–4) und Kants Meta- ist, ist die Erscheinung des Absoluten bestimmt,
physik der Sitten (1797, AA VI) – habe zwar »das als Einheit der Indifferenz, und desjenigen Ver-
Absolute ganz in die praktische Philosophie ge- hältnisses, oder derjenigen relativen Identität, in
legt« (GW 4.419), aber es sei statt zum wahren zu welcher das Viele das Erste, das positive ist, –
einem nur negativen Absoluten gelangt. Deshalb und als Einheit der Indifferenz und desjenigen
polemisiert er gegen dessen »falschen Versuch in Verhältnisses, in welchem die Einheit des Erste
dem negativ Absoluten ein wahrhaft Absolutes und positive ist; jene ist die physische, diese die
aufzuzeigen«. Als »negativ« bezeichnet Hegel die- sittliche Natur.« (GW 4.433) Auch den gedankli-
ses Absolute, weil es nur die »Abstraction der chen Hintergrund dieser Konzeption spricht He-
Form«, und als »reine Identität, unmittelbar reine gel deutlich aus: Spinozas Metaphysik der Sub-
Nichtidentität oder absolute Entgegensetzung« stanz, deren beide Attribute die Substanz aus-
sei. Somit sei das Prinzip dieser Philosophie die drückten und absolut und unendlich seien. Neu
Entgegensetzung der reinen Einheit der Vernunft gegenüber Spinoza und Schelling ist jedoch He-
gegen das Viele, Reelle, das eben dadurch als ein gels Versuch, die »Erscheinung des Absoluten«
Unvernünftiges, zu Negierendes bestimmt, mit relational zu bestimmen, als ein komplexes,
dem »Ekelnahmen des Empirischen« (GW 4.423) mehrstufiges Verhältnis von Einheit und Vielheit.
gebrandmarkt sei, während umgekehrt das Ide- Doch trotz dieses Hegelschen Spezifikums steht
elle ihm bloß entgegengesetzt bleibe und nicht diese Systemskizze nicht allein isoliert im Kon-
zur Realität komme. Hegel räumt zwar ein, daß text des Naturrechtsaufsatzes; sie steht zudem in
beides, sowohl dieser Zwiespalt als auch die einem Kontrast zu der relativ konstanten System-
reine Einheit der praktischen Vernunft, im em- entwicklung in seinen damaligen Vorlesungen
pirischen Bewußtsein zu finden sei – aber er (s. 150–175), der sich allein aus der damaligen
sucht diesen Standpunkt als die eine Seite der philosophischen Gemeinschaft mit Schelling er-
relativen Identität des Unendlichen und End- klären läßt.
lichen zu begreifen und bestreitet, daß er »der (7) Im Anschluß an die Grundlegung analysiert
absolute Standpunkt« sei. Als einseitiger Stand- Hegel in einem zweiten Schritt, gleichsam als
punkt, der sich zum absoluten aufspreizt, sei er Probe auf die Richtigkeit der Kritik des Prinzips,
vielmehr »das Princip der Unsittlichkeit« (GW »wie das Unendliche, oder das negative Absolute
4.430–437). es vergebens zu einer positiven Organisation zu
(6) In einem exkursartigen Einschub (GW bringen sucht« (GW 4.421). Hierbei kann er
4.431–433) sucht Hegel die Grundlinien seiner durchaus an das Selbstverständnis Kants anknüp-
Kritik am negativen Begriff des Absoluten in fen, daß es erforderlich sei, die praktische Philo-
einem Systemgedanken zu verankern, der unge- sophie auf ein formales Prinzip zu begründen.
achtet seiner Neuartigkeit und Eigenständigkeit Die Differenz beider zeigt sich erst in der Beur-
sowohl konzeptionell als auch terminologisch teilung der Leistung eines solchen Ansatzes für
deutliche Spuren seiner damals noch engen Zu- die praktische Philosophie – und hier liegt das
sammenarbeit mit Schelling aufweist. Als – ver- gedankliche Zentrum des Naturrechtsaufsatzes
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 147

und zugleich der Punkt, an dem sich Kants und Damit ist Hegels Differenz gegenüber Kants
Hegels Ethik und auch ihr Vernunftbegriff von praktischer Philosophie auf den Punkt gebracht:
einander trennen. Die Abstraktion von aller Ma- Ist praktische Vernunft als apriorische Vernunft
terie des Willens, die Beschränkung der Vernunft oder als eine mit »dem Charakter des Ganzen und
auf eine Selbstgesetzgebung, die die Prüfung der seiner Individualität«, also mit Geschichte ver-
Tauglichkeit der Maximen des Willens zum Prin- mittelte Vernunft zu begreifen? Es wird Hegel
zip einer allgemeinen Gesetzgebung zum ein- damals nicht bewußt gewesen sein, daß seine
zigen Inhalt hat, sieht Hegel notwendig in Tauto- Option für Montesquieu und einen mit Ge-
logien enden: »Und in der Production von Tavto- schichte vermittelten Begriff von Vernunft ihn
logien besteht nach der Wahrheit das erhabene einem Denker nahebringt, den er nur wenige
Vermögen der Avtonomie der Gesetzgebung der Monate zuvor scharf angegriffen hat: in die Nähe
reinen praktischen Vernunft« (GW 4.435). der Kritik an einer aufklärerischen »Vernunft,
Diese Kritik ist nicht schon durch den nahelie- welche nicht die Vernunft ist«, die Jacobi eben-
genden Einwand zu entkräften, daß Kant sich falls unter gelegentlicher Berufung auf Montes-
keineswegs in bloßen Tautologien herumtreibe, quieu formuliert (JWA 4).
sondern sowohl eine Ethik als eine Rechtslehre Den hier ausgesprochenen Gedanken entfaltet
auf sein Prinzip baue. Doch dies ist auch Hegel Hegel zuvor, im Anschluß an seine Kritik der
nicht unbekannt geblieben – sein Vorwurf ist beiden »unächten Arten« des Naturrechts, unter
vielmehr, daß solcher Inhalt sich aus dem forma- dem Titel »absolute Idee der Sittlichkeit« – und
len Prinzip nicht auf redlichem Wege herleiten in diesem Zusammenhang greift er bereits auf die
lasse, sondern durch Vermischung der absoluten zitierten Schlußpartien voraus, indem er dem
Form mit bedingtem Inhalt erschlichen, ja durch »negativen Absoluten« des reinformellen Natur-
»Taschenspielerei« hervorgezaubert sei. Aller- rechts das Positive entgegensetzt, »daß die ab-
dings hat Hegel es hier versäumt, sich – seiner solute sittliche Totalität nichts anderes als ein
eigenen Forderung gemäß – in den Umkreis der Volk ist«. Trotz der – nach der Französischen
Stärke des Gegners zu stellen und seine Kritik Revolution aufgekommenen, damals also »mo-
auch an dem komplexen Verhältnis der Formalität dernen« – Entgegensetzung der »organischen
des kategorischen Imperativs zu Kants Gedanken Einheit« gegen das »bloß Mechanische« und trotz
eines Endzwecks zu bewähren (GW 4.434–449). der sich später dem Organismusbegriff anheften-
(8) Der entscheidende Punkt des Dissenses den biologistischen Modelle versteht Hegel
zwischen Kant und Hegel läßt sich zudem auch »Volk« hier nicht in einem naturalistischen, son-
unter Absehen von der Möglichkeit ethischer und dern im »politischen Sinn«, als »ein sittlich ver-
rechtlicher Orientierung auf Grund formaler faßtes Kollektiv« (Schnädelbach 2000, 43). Mit
Sätze der praktischen Vernunft formulieren. Erst dieser Orientierung am Begriff des Volkes ver-
in den Schlußpartien des Naturrechtsaufsatzes binden sich jedoch die Ablehnung der »Gestalt-
notiert Hegel dessen organisierenden Gedanken losigkeit des Kosmopolitismus« und »der Leer-
– und er beruft sich hierfür auf Montesquieus heit der Rechte der Menschheit, und der gleichen
»unsterbliches Werk« De l’esprit des lois: Im Ge- Leerheit eines Völkerstaats und der Weltrepu-
gensatz zu den beiden »unächten Arten« des Na- blik«, zwischen denen Hegel hier nicht unter-
turrechts habe es »die einzelnen Einrichtungen scheidet (GW 4.484).
und Gesetze nicht aus der sogenannten Vernunft Die »absolute Sittlichkeit« denkt Hegel jedoch
deducirt, noch sie aus Erfahrung abstrahirt, son- nicht als einen in sich struktur- und spannungs-
dern […] ganz allein aus dem Charakter des losen, geschichtslosen Gesellschaftszustand. Un-
Ganzen und seiner Individualität begriffen« – ter Berufung auf Platon und Aristoteles führt er
und damit habe es gezeigt, »daß die Vernunft, und eine – in der »absoluten Nothwendigkeit des
der Menschenverstand, und die Erfahrung, aus Sittlichen« begründete Gliederung in die beiden
welchen die bestimmten Gesetze herkommen, Stände der Freien und Nicht-Freien ein – eine
keine Vernunft und Menschenverstand a priori, Differenz, die gleichwohl dem geschichtlichen
auch keine Erfahrung a priori, was eine absolut Wandel unterliegen kann, wie Hegels Berufung
allgemeine wäre, sind, sondern ganz allein die auf Gibbons History of the Decline and Fall of the
lebendige Individualität eines Volkes« (GW Roman Empire zeigt: »der lange Friede und die
4.481).
148 II. Werk

gleichförmige Herrschaft der Römer führte ein Augen notwendige, zeitinvariante Differenzie-
langsames und geheimes Gift in die Lebenskräfte rung der Gesellschaft in absolutes vs. empirisches
des Reichs.« (GW 4.456; hiermit hängt Hegels, zu Bewußtsein, in lebendigen Geist vs. leibliche und
seiner Zeit nicht unübliche und in der Retro- sterbliche Seele erläutert und legitimiert; moder-
spektive nicht völlig unverständliche Überzeu- nitätskritische Aspekte kommen lediglich in der
gung von der »Nothwendigkeit des Krieges« zu- Deutung der neueren Komödie zur Geltung (GW
sammen – nicht bloß im Sinne seiner Unvermeid- 4.454–462).
lichkeit, sondern im Dienste der »sittlichen Ge- Der systematische Akzent der Ausführungen
sundheit der Völker«, ihrer Bewahrung vor der Hegels liegt ohnehin nicht auf der Anwendung
»Fäulniß«, in welche sie »ein dauernder, oder gar ästhetischer Kategorien auf die ständische Glie-
ein ewiger Frieden versetzen würde«; GW 4.450; derung der Gesellschaft; er liegt auf dem Erweis
s. 399). Weite Kreise des römischen Reiches seien der strukturellen Überlegenheit des Geistes über
damals »in die matte Gleichgültigkeit des P r i - die Natur. Hegel sucht hier unter Rückgriff auf
v a t l e b e n s gesunken, das Volk sei insgesamt in Schellings Begrifflichkeit dessen identitätsphilo-
den Stand der Nicht-Freien herabgesunken – und sophische Konzeption gleichwohl zu überbieten.
diese Allgemeinheit des Privatlebens beschreibt Die »Idee des absoluten Lebens der Sittlichkeit«
Hegel als das »formale Rechtsverhältniß« – wie er manifestiere ein »Einsseyn der Unendlichkeit
ja auch in der Phänomenologie die römische Welt und der Realität«, in dem »die göttliche Natur«
als »Rechtszustand« (GW 9.260–264) charakte- erscheine. Das »System« der Erde »resumirt sich
risiert. erst in der absoluten Indifferenz der sittlichen
Die »absolute Sittlichkeit« aber bedarf einer Natur allein in die vollkommene Gleichheit aller
ständischen Differenzierung. In der modernen Theile und das absolute reale Einsseyn des ein-
Welt nimmt sie die Spannung zwischen dem »ab- zelnen mit dem Absoluten«. Die Natur bringe es
soluten Bewußtseyn der Sittlichkeit« und dem nie »zur absoluten Indifferenz mit dem Wesen
»bourgeois« an, der seine »politische Nullität« und der Substanz«; allein die Intelligenz sei als
durch den sicheren Genuß der Früchte seines »absolute Einzelheit« zugleich »absolute Allge-
Erwerbs kompensieren kann. Die hierin liegende meinheit«, als »absolute Negation und Subjectivi-
Entgegensetzung, aber auch Versöhnung sucht tät« zugleich »absolute Position und Objectivität«.
Hegel durch einen überraschenden, exkursarti- Die Natur sei wohl »das absolute Selbstan-
gen Rückgriff auf die Theorie der Tragödie und schauen«, doch der Geist sei »das Anschauen
Komödie begreiflich zu machen: Das Absolute seiner als seiner selbst oder das absolute Erken-
spiele ewig mit sich selbst eine »Tragödie im nen«, und somit sei der Geist höher als die Natur
sittlichen«: »Das Göttliche in seiner Gestalt und und der eigentliche Begriff des Absoluten (GW
Objectivität hat unmittelbar eine gedoppelte Na- 4.462–464).
tur, und sein Leben ist das absolute Einsseyn (9) Die zuletzt betrachteten Ausführungen am
dieser Naturen« – aber zugleich eine Bewegung Schluß des zweiten Stücks lesen sich wie ab-
des absoluten Widerstreits und der Aufopferung schließende Partien; doch kann der im dritten
beider Naturen. Diese Deutung, die Hegel durch Stück folgende »Beschluß« (GW 4.467–470) nicht
ein kurzes Referat der Orestie veranschaulicht, ist nachträglich angefügt sein, da sein Inhalt bereits
fraglos ein Reflex von Schellings gleichzeitigen im Titel des Naturrechtsaufsatzes angekündigt
Vorlesungen über die »Philosophie der Kunst« – wird: das »Verhältniß des Naturrechts zu den
und zwar bis in den Wortlaut hinein (vgl. GW positiven Rechtswissenschaften« (GW 4.470).
4.459 mit SW I/5.698). Auch Hegels Rede von der Dessen Erörterung schickt Hegel noch kurze Aus-
»göttlichen Komödie« spielt auf Schellings dama- führungen über das Verhältnis der »absoluten
lige Begeisterung für Dante an – doch versteht Sittlichkeit« zur »realen absoluten Sittlichkeit«
Hegel unter der »göttlichen« die antike Komödie des Einzelnen und zum Verhältnis von Naturrecht
im Unterschied zur modernen. Und ohnehin ist und Moral voraus, in denen er »der Moral nur das
der Rückgriff auf die Tragödientheorie zur Deu- Gebiet des an sich negativen«, »die Sittlichkeit
tung der gesellschaftlichen Verhältnisse ein Pro- des bourgeois oder des Privatmenschen« zuweist,
prium Hegels. Er ist hier jedoch nicht moder- »dem Naturrecht aber das wahrhaft positive, nach
nitätskritisch, da Hegel durch ihn die in seinen seinem Nahmen, daß es construiren soll, wie die
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 149

sittliche Natur zu ihrem wahrhaften Rechte ge- wissenschaft zeige den Grund dessen, »was in der
langt« – womit er diesem, bei Kant bereits ambi- Gegenwart keinen wahrhaften lebendigen Grund
valent erscheinenden Wort eine eigentümliche hat«, in der Vergangenheit auf – aber sie bleibe
Bedeutung unterschiebt. auf die rein geschichtliche Erklärung beschränkt:
Es dürfte eine Folge von Hegels früher Er- Sie würde »ihre Bestimmung und Wahrheit über-
kenntnis der Notwendigkeit der »Positivität« ei- schreiten, wenn durch sie das Gesetz, das nur in
ner Religion sein, daß er die »Positivität« der einem vergangenen Leben Wahrheit hatte, für
Rechtswissenschaften im Sinne ihres empiri- die Gegenwart gerechtfertigt werden soll«. Somit
schen Verfahrens, ihres Bezugs »auf individuelle erarbeitet Hegel sich bereits hier die Position, die
Systeme bestehender Verfassungen und Gesetz- er zwei Jahrzehnte später gegen die erst dann
gebungen«, nicht schon als einen Grund ansieht, formierte »historische Rechtsschule« geltend ma-
sie aus der Philosophie auszuschließen – denn es chen wird (s. 375): Die geschichtliche Rechts-
müsse »nichts so anwendbar auf die Wirklichkeit kenntnis ist bloß an »verlornen Sitten und einem
seyn, […] als das, was aus der Philosophie erstorbenen Leben« orientiert; für die Gestaltung
kommt«. Zu »positiven Wissenschaften« in kri- gegenwärtiger Rechtsverhältnisse hat sie weder
tischer Bedeutung werden sie für Hegel auf zwei- kritische noch affirmative Bedeutung, während
erlei Weise: zum einen dadurch, daß sie sich es der Philosophie zukommt, den Gedanken der
nicht allein auf das Geschichtliche, sondern auf »absoluten Sittlichkeit« zu entfalten – als den
dasjenige beziehen, »was an sich der Vernunft Gedanken der Selbstanschauung und Selbster-
angehört und eine innere Wahrheit und Noth- kenntnis des absoluten Geistes (GW 4.470–485).
wendigkeit ausdrücken soll«, dieses jedoch gegen Erstdruck: Ueber die wissenschaftlichen Behandlungs-
die Philosophie festhalten und dadurch dem arten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen
»Meynen« verfallen. Dieser Grund für die Posi- Philosophie, und sein Verhältniß zu den positiven
tivität der Rechtswissenschaft liege in der Form: Rechtswissenschaften. In: Kritisches Journal der Philo-
»indem nemlich dasjenige, was ideell, ein ent- sophie. Bd. 2, Stück 2 bzw. Stück 3. Tübingen 1802,
gegengesetztes, einseitiges ist, und allein in der 1–88, bzw. 1803, 1–34. – Text: GW 4.417–485. – Lite-
ratur: Rosenzweig: Hegel und der Staat (1920). Bd. 1.
absoluten Identität mit dem entgegengesetzten 155–174; Manfred Riedel: Hegels Kritik des Natur-
Realität hat, isolirt, für sich seyend gesetzt, und rechts. HS 4 (1967), 177–204; Scheit: Geist und Ge-
als etwas reelles ausgesprochen wird« – als etwas meinde (1973), 96–126; Hegel: Frühe politische Sy-
dem absoluten Zusammenhang des Ganzen ge- steme. System der Sittlichkeit; Über die wissenschaftli-
genüber Selbständiges. chen Behandlungsarten des Naturrechts; Jenaer Real-
Aber auch von Seiten der »Materie« kann »Posi- philosophie. Hg. und kommentiert von Gerhard
Göhler. Frankfurt u. a. 1974; Ulrich Claesges: Legalität
tivität« entstehen – und nicht etwa durch die und Moralität in Hegels Naturrechtsschrift. Zur Pro-
notwendige Besonderheit überhaupt, sondern blematik der praktischen Philosophie im Deutschen
durch eine Ungleichzeitigkeit im Leben eines Idealismus. In: Ute Guzzoni / Bernhard Rang / Ludwig
Volkes, die in einem Nebeneinander von Le- Siep (Hg.): Der Idealismus und seine Gegenwart. Fest-
bendigem und Abgestorbenem und in der hierin schrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag. Hamburg
1976, 53–74; Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip
begründeten Trennung von Sitte und Gesetz re-
der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu He-
sultiert: »Als Sitte und Gesetz Eins war, war die gels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg / Mün-
Bestimmtheit nichts positives, aber wie mit dem chen 1979; Andreas Wildt: Autonomie und Anerken-
Wachsthum des Individuums das Ganze nicht nung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-
gleichmäßig fortschreitet, so trennt sich Gesetz Rezeption. Stuttgart 1982, 312–320; Bernard Bour-
und Sitte, […] und es ist in der Gegenwart des geois: Le droit naturel de Hegel (1802–1803).
Commentaire. Contribution à l’étude de la genèse de la
Ganzen kein absoluter Zusammenhang und
spéculation hégélienne à Iéna. Paris 1986; Pierluigi
Nothwendigkeit mehr.« Hegel arbeitet hier mit Valenza: Logica e filosofia pratica nello Hegel di Jena.
einem geschichtsphilosophischen Begriff von Dagli scritti giovanili al sistema dell’eticità. Padova
»Positivität«, von dem er die Brücke zu einer 1999, 299–353; Herbert Schnädelbach: Hegels prakti-
geschichtlichen Rechtswissenschaft schlagen sche Philosophie. Ein Kommentar der Texte in der
kann: Die geschichtliche Entwicklung eines Vol- Reihenfolge ihrer Entstehung. Frankfurt am Main 2000,
11–75.
kes führe zu einem »inneren Widerspruch der
Gesetze unter sich«; die geschichtliche Rechts-
150 II. Werk

4.6. Systementwürfe (1801–1806) selbst in ein Einleiten verwandelt, oder daß das
Einleiten für Philosophie genommen werde«. In
dieser Überzeugung mag der Grund liegen, wes-
4.6.1. Fragmente aus Vorlesungs-
halb Hegel später nie wieder eine Vorlesung zur
manuskripten (1801/02)
»Einleitung in die Philosophie« gehalten hat. In
(1) Seine akademische Lehrtätigkeit beginnt He- der Vorlesung 1801/02 zeichnet er allerdings eine
gel im Wintersemester 1801/02 an der Universi- Hinsicht aus, in der eine Einleitung in die Philo-
tät Jena mit zwei Vorlesungen über Logik und sophie gleichwohl möglich sei: »als eine Art von
Metaphysik und über Einleitung in die Philo- Bindungsmittel und Brükke zwischen den sub-
sophie; neben ihnen leitet er gemeinsam mit jektiven Formen und der objektiven und absolu-
Schelling ein philosophisches Disputatorium (s. ten Philosophie«. In diesem Zusammenhang ver-
21). Rosenkranz hat einige Fragmente aus diesen bindet Hegel die beiden angekündigten Themen
Vorlesungen mitgeteilt, und seine – bereits frag- – die Verständigung über das »praktische Inter-
mentarischen – Nachrichten haben lange Zeit die esse« und die Einleitungsfunktion – mit einander,
einzige Quelle für unser Wissen gebildet. In- und dabei kommt er – wie gleichzeitig in der
zwischen sind aber die von ihm benutzten Frag- Differenz-Schrift – auf das »Bedürfniß der Philo-
mente wieder aufgefunden worden. Sie geben sophie« zu sprechen: Die Frage nach dem Bedürf-
kein ausführliches Bild dieser beiden Vorlesun- nis der Philosophie sei eins mit der Frage »inwie-
gen, aber sie bieten doch einen Einblick sowohl fern ist die Philosophie praktisch?« – und »das
in Hegels erste übergreifende Systemskizze als wahre Bedürfniß der Philosophie geht doch wohl
auch in seinen frühesten Versuch, die erste Dis- auf nichts anders als darauf, von ihr und durch sie
ziplin dieses Systems zu konzipieren. Ergänzt leben zu lernen« (GW 5.259–261). Die prägnante
und bestätigt werden diese Fragmente durch eine Schärfe dieser Bestimmung der Philosophie er-
kurze Zusammenfassung der »Hauptideen von hellt erst vor dem Hintergrund des Gegensatzes
Hegels Vorlesung über Logik und Metaphysik« von Philosophie und Leben, den Fichte nur kurz
durch Ignaz Paul Vital Troxler, einen damaligen zuvor so ausgesprochen hat: »Leben ist ganz
Hörer Schellings und Hegels. eigentlich Nicht-philosophiren; philosophi-
(2) Die Vorlesungen Introductio in philoso- ren ist ganz eigentlich Nicht-leben; und ich
phiam kündigt Hegel auf einem handschriftli- kenne keine treffendere Bestimmung beider Be-
chen Anschlag als »unentgeldliche Vorlesungen griffe als diese« (PLS 2/1.61).
über das praktische Interesse der Phi - Anders als das erste Fragment bietet das
l o s o p h i e« an. Man müßte hierunter eine dritte zweite, Die Idee des absoluten Wesens …, Ein-
Vorlesung verstehen, hätte er nicht – vielleicht blick in die früheste Systemkonzeption Hegels –
genötigt durch den Ordinarius Hennings, der der und hierdurch erweist es zugleich die erstaun-
Ankündigung zustimmen mußte – am Rande prä- liche Konstanz dieser Systemkonzeption, von der
zisiert: »als Einleitung in dieselbe« (sc. in die ersten Vorlesung Hegels bis zu seinen letzten
Philosophie). Demnach scheint die Konzeption Texten. Die Systemform der Philosophie ist
dieses Kollegs bis kurz vor Vorlesungsbeginn un- durch den Begriff des Absoluten als des sich
bestimmt gewesen zu sein – zunächst als all- selbst realisierenden Wahren vorgegeben: Wie
gemeine Einleitungsvorlesung angekündigt, das absolute Wesen in der Idee gleichsam sein
dann als Vorlesung ȟber das praktische Interesse Bild entwerfe, sich in der Natur realisiere und als
der Philosophie« geplant. Geist in sich zurückkehre und sich selbst er-
Das erste der beiden überlieferten Fragmente kenne, so müsse auch die Philosophie zunächst
Diese Vorlesungen … beginnt denn auch mit der – die Idee für die Erkenntnis entfalten, sodann in
für eine Einleitungsvorlesung überraschenden, die Differenz auseinandergehen, sie aber immer
gegen »Kriticismus, skeptische Methode, Ver- zugleich in der Einheit erhalten, und schließlich
wahrung von Dogmatismus« gerichteten – Wen- »die ganze Entfaltung der sittlichen und geistigen
dung, »daß die Philosophie als Wissenschafft we- Natur in der Einen Idee zusammenfassen, oder
der einer Einleitung bedarf, noch eine Einleitung vielmehr nur die Reflexion am Ende noch darauf
verträgt«. Vielmehr sei »nichts so sehr zu ver- machen, daß sie immer in die Eine Idee zusam-
meiden, als daß nicht die ganze Philosophie mengefaßt geblieben ist.«
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 151

Bereits diese Systemskizze zeigt keine Spuren sicht der Tauglichkeit«, und er hält an ihm drei
der spezifisch identitätsphilosophischen Balance Jahrzehnte bis in seine letzte Berliner Vorlesung
von Naturphilosophie und Transzendentalphilo- fest, obgleich sich ihm das Verhältnis der beiden
sophie im »Indifferenzpunkt« des Absoluten und Komponenten »Logik« und »Metaphysik« am
auch keine Spuren einer Konstruktion von »Sub- Ende der Jenaer Zeit verschiebt (s. 201, 223).
jekt-Objekten« – anders als die Systemskizzen, In dieser ersten Vorlesung über Logik und Me-
die Hegel damals unter den Augen Schellings taphysik ist das interne Verhältnis der beiden
publiziert. Aufgabe der Philosophie ist die Re- Teildisziplinen noch nicht eindeutig festgelegt.
konstruktion der Bewegung des Absoluten, von Der Logik schreibt Hegel die Aufgabe zu, die vom
der »Idee« über die Realisierung in der Natur bis Verstand isolierten Formen der Endlichkeit auf-
zu seiner Resumtion und Selbsterkenntnis im zustellen und sie zu vernichten – eine Aufgabe,
Geiste. Diese Bestimmung der »Idee des absolu- die aber in allen erforderlichen Schritten durch
ten Wesens« prägt die Grundstruktur des Systems die Vernunft geleitet sein muß. Insofern verhalten
der Philosophie – und zwar bis in die Struktur der sich Logik und Metaphysik nicht als die Wissen-
Enzyklopädie mit ihrer Folge von Logik und Me- schaften des Verstandes und der Vernunft, der
taphysik, Naturphilosophie und Geistesphiloso- Reflexion und der Spekulation zu einander. Denn
phie. Man kann die gesamte spätere System- auch der Verstand ist vernunftgeleitet, und auch
entwicklung Hegels als modifizierende, konkreti- in der »Reflexion« der Logik muß die Vernunft
sierende, aber bruchlose Entfaltung dieser ersten präsent sein – teils als vom Verstand kopiertes
Systemskizze betrachten. Sie weist sogar schon »Urbild«, teils als »negatives Erkennen« der Ver-
die systematische Höherstufung der – erst ansatz- nunft. Von der »spekulativen Seite« her, daß die
weise skizzierten – Philosophie des Geistes ge- Logik den Gehalt der endlichen Formen des Er-
genüber der Naturphilosophie aus: Den Fortgang kennens für die Vernunft aufzeigt, könne zwar
von der Natur zum Geist beschreibt Hegel als ein »allein die Logik als Einleitung in die Philosophie
»sich emporreissen« zu derjenigen Gestalt, in der dienen«, und von ihr werde »der Übergang zur
die Idee in sich zurückkehrt und sich erkennt. eigentlichen Philosophie oder zur Metaphysik
Gegenüber dieser erstaunlichen Konstanz der gemacht«. Daraus ist aber nicht (mit Düsing 1969
Systemkonzeption ist die – wegen des tempo- sowie 1988, 158) zu schließen, daß sie als Ein-
rären Verlustes der Texte – vieldiskutierte Frage leitung noch im Vorhof der »Wissenschaft« stehe.
nebensächlich, ob Hegels System damals drei- Denn dann könnte sie der Reflexion auch nicht
oder viergliedrig gewesen sei. Fraglos trifft letz- »gleichsam in einem Widerschein immer das
teres zu, denn Hegel spricht davon, daß ein Bild des Absoluten« vorhalten. Als Einleitung in
»freyes Volk« »endlich im 4ten Theil in der Philo- die Wissenschaft gehört sie doch zugleich schon
sophie der Religion und Kunst zur reinen Idee zur Wissenschaft – ein Verhältnis, das auch in den
zurükkehrt, und die Anschauung Gottes organi- anschließenden Jahren bis hin zur Phänomeno-
sirt«. Dies bedeutet aber lediglich, daß Hegel die logie des Geistes in Kraft bleibt. Hegel bezeichnet
später so genannte »Philosophie des absoluten die Logik oder den »Idealismus« deshalb auch
Geistes« damals nicht als dritten, abschließenden ausdrücklich als »ausgedehnte Wissenschafft der
Teil seiner Geistesphilosophie konzipiert, son- Idee als solche«, und er sagt von ihr, sie werde,
dern als einen eigenständigen Systemteil im An- »wie [sie] als Wissenschaft der Idee selbst Meta-
schluß an das – primär als »Reich des Bedürfnis- physik ist, die falsche Metaphysik der Beschränk-
ses und des Rechts« konzipierte Reich des Geistes ten philosophischen Systeme vernichten« (GW
(GW 5.262–265). 5.263).
(3) Die zweite Vorlesung, Logica et Metaphy- Im Kontrast zu diesen sehr detaillierten Aus-
sica, muß Hegel wegen der Abwanderung zu- sagen über die – negative – systematische Funk-
mindest einiger seiner anfangs elf Hörer abbre- tion der Logik bleibt Hegels Auskunft über die
chen, doch setzt er sie noch eine Weile in Form Inhalte der Metaphysik sehr blaß. Sie habe »das
eines Privatvortrags für zwei Studenten – Troxler Princip aller Philosophie vollständig zu konstrui-
und Schlosser – fort. Den Titel dieser Vorlesung ren«; aus ihr werde die Überzeugung hervor-
rechtfertigt Hegel hier nicht allein durch den gehen, »daß es zu allen Zeiten nur Eine und eben
Verweis auf die Tradition, sondern auch in »Rük- dieselbe Philosophie gegeben hat«, und sie habe
152 II. Werk

»das älteste Alte herzustellen« und vom Mißver- Winter 1802/03 (GW 8.354), also in die Nähe des
stand der modernen Unphilosophie zu reinigen. Naturrechtsaufsatzes wie auch der letzten Nie-
Ferner verspricht Hegel seinen Hörern, er werde derschriften zur Verfassungsschrift und der bei-
»das Gespenst des Skepticismus mit dem man die den ersten Vorlesungen Hegels über Naturrecht
Philosophie zu schrekken gesucht hat, […] dem im Sommer 1802 und im Winter 1802/03. Das
Tage zeigen, und in seiner Blösse erkennen« und System der Sittlichkeit ist jedoch kein Vorlesungs-
schließlich eine Darstellung des Kantischen und manuskript, auch keine Manuskriptvorlage für
des Fichteschen Systems anschließen. Doch ge- die von Hegel 1802/03 angekündigten Diktate,
rade dieser Vorblick sowohl auf seinen Skeptizis- sondern eine im Blick auf eine Publikation ver-
mus-Aufsatz als auf Glauben und Wissen unter- faßte Reinschrift – auch wenn sie, wie häufig bei
streicht, daß zumindest die überlieferten Frag- ihm, gegen Ende flüchtiger wird.
mente keinen gegenüber der Logik eigenstän- (2) Dem System der Sittlichkeit kommt in He-
digen systematischen Gehalt der Metaphysik gels Werk eine Ausnahmestellung zu – nicht al-
erkennen lassen (GW 5.269–275). Das Verhältnis lein als seiner ersten systematischen Gestaltung
beider Teildisziplinen ist von Anfang an in der der praktischen Philosophie, sondern durch seine
Schwebe – bis Hegel es in seinen Bamberger doppelte Prägung durch die Bedingungen seiner
Entwürfen (s. 223) zu Gunsten der Logik ent- Entstehungszeit: die Zusammenarbeit mit Schel-
scheidet. ling und den Gegensatz gegen Fichte. Wahr-
Partieller Erstdruck: R 189–192. – Text: GW 5.255–275.
scheinlich steht seine Abfassung im weiteren Zu-
– Literatur: Klaus Düsing: Spekulation und Reflexion. sammenhang mit Hegels Plan einer Kritik des
Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena. Fichteschen Naturrechts (Meist 2002), den er
HS 5 (1969), 95–128; Eva Ziesche: Unbekannte Manu- zunächst in einer Vorlesung des Winters 1802/03
skripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner auszuführen gedachte – bis ihm dies auf Grund
Hegel-Nachlaß. ZphF 29 (1975), 430–444; Jaeschke: der Statuten der Jenaer Fakultät untersagt wurde.
Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion. Eine
Skizze der systematischen Geschichte des Reflexions-
Doch obgleich das System der Sittlichkeit insge-
begriffs in Hegels Logik-Entwürfen. HS 13 (1979), samt einen Gegenentwurf gegen das neuzeitliche
85–117; Manfred Baum: Zur Methode der Logik und Naturrecht bildet, wie es Hegel in Kants Meta-
Metaphysik beim Jenaer Hegel. In: Henrich / Düsing physik der Sitten (AA VI) und insbesondere in
(Hg.): Hegel in Jena (1980), 119–138; Düsing: Schel- Fichtes Grundlage des Naturrechts (GA I/3–4)
lings und Hegels erste absolute Metaphysik vor Augen stand, enthält es sich fast stets der
(1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnach-
schriften von I. P. V. Troxler, hrsg., eingeleitet und mit
unmittelbaren Polemik; deren Ort ist der gleich-
Interpretationen versehen von Klaus Düsing. Köln zeitig veröffentlichte Naturrechtsaufsatz.
1988; Varnier: Ragione, negatività, autocoscienza Ein zweites Indiz für die Entstehungszeit die-
(1990), 41–132; Anne-Kristina Kwade: Grenze. Hegels ses Werks bildet seine Schellingianisierende Me-
»Grenz«-Begriff 1804/5 als Keimzelle der Dialektik. thode: Die Form seiner Begriffsentwicklung, die
Würzburg 2000, 36–68.
Methode der wechselseitigen Subsumtion von
Anschauung und Begriff, von Allgemeinem und
Besonderem, um die »vollkommene Gleichheit«
4.6.2. System der Sittlichkeit
von Begriff und Anschauung zu erzielen, die Me-
(1) In Hegels Nachlaß hat Rosenkranz ein Rein- thode der Konstruktion von »Potenzen« ist eine
schriftmanuskript zur praktischen Philosophie einzigartige Hommage an Schelling. Bereits
gefunden und ihm – im Anschluß an eine hier Haym hat diesen typischen Zug des Systems der
vorkommende Wendung – den inhaltlich ange- Sittlichkeit drastisch ausgesprochen als »Schema-
messenen Namen System der Sittlichkeit gege- tismus des gegenseitigen Subsumirens und Ad-
ben. Er hat dieses Manuskript jedoch irrtümlich äquatsetzens, des Different- und wieder Indiffe-
für den Abschluß von Hegels Frankfurter »ur- rentsetzens von Begriff und Anschauung«; »auf
sprünglichem System« gehalten, das er – wie- der Oberfläche b r e i t e t s i c h d i e S c h e l l i n g ’ -
derum irrig – aus späteren Jenaer Systement- s c h e C o n s t r u c t i o n s m a n i e r a u s , und vor
würfen zu einem in sich heterogenen Ganzen unseren Augen zeigt sich der absolute Geist und
zusammengestellt hat. Neuere Forschungen da- dessen Momente unter dem Namen und Cha-
tieren die Reinschrift hingegen auf den Herbst/ rakter der Schelling’schen absoluten Indifferenz
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 153

oder Identität und der Schelling’schen Potenzen Lebensverhältnisse gedacht, innerhalb deren
dieser Identität« (Haym 1857, 174). Moral oder Recht lediglich abstrakte Momente
(3) Doch unter dieser schematischen »Ober- bilden. Unter dem Titel »Sittlichkeit« begreift
fläche« – die Hegel später niemals erneuert hat – Hegel Formen, in denen sich menschliches Le-
bewährt sich sein scharfer Blick für das reiche ben gestaltet. Sie können – wie bei der Ehe – bis
Detail des Aufbaus der sittlichen Welt. Er be- in die Sphäre des Biologisch-Natürlichen hinab-
schränkt sich nicht auf die im neuzeitlichen Na- reichen, bilden aber im wesentlichen eine eigene,
turrecht stereotyp wiederkehrenden Themen – dem geistigen Leben immanente, ihm gleichsam
Naturzustand, Vertrag, Pflichtenlehre, Rechts- natürliche und dennoch geschichtlich wandel-
lehre – und auf die Methode ihrer Ableitung, bare Form.
sondern er bezieht tendenziell sämtliche Phäno- Hegel entwirft dieses Bild eines ursprünglich-
mene der sozialen Welt in seinen Ansatz ein und sozialen, nicht erst sekundär aus menschlichen
baut ihn erst hierdurch zu einem wirklichen Sy- Atomen konstruierten »sittlichen Lebens« im Wi-
stem der Sittlichkeit aus: Er bietet eine vollstän- derspruch gegen die spezifisch neuzeitliche ver-
dige »Phänomenologie« der »absoluten Sittlich- tragstheoretische Begründung menschlichen Zu-
keit« als der sozialen »Natur« – und hierdurch sammenlebens. Er erweckt hierdurch den Ein-
wird die schematische und gleichwohl inkonse- druck einer »antikisierenden«, antimodernen
quente Grundkonstruktion aufgebrochen. Der Deutung des gesellschaftlichen Lebens, ja den
gedankliche Gehalt erschließt sich nicht von der Eindruck, es gehe ihm stillschweigend um die
Konstruktion, sondern von der Fülle der behan- »Wiederherstellung des antiken Lebensgehalts«
delten Themen her – praktisches Gefühl, Arbeit, (Haym 1857, 161). Die »absolute« sittliche Ge-
Werkzeug, Maschine, Anerkennung, Tausch, Ver- meinschaft des Volkes bildet hier den letzten
trag, Geld, Handel, Herrschaft und Knechtschaft, Horizont menschlichen Lebens, gemäß dem ari-
Verbrechen, bis hin zur »absoluten Sittlichkeit« – stotelischen (GW 8.257), übrigens auch von Ja-
Volk, Staatsverfassung, Regierung, Gerechtigkeit, cobi häufig zitierten Prinzip: »Totum parte prius
Staatsformenlehre und ihrer Verbindung mit der esse necesse est« (JWA 1.111,115).
Religion. Es geht hier aber nicht allein um die Differenz
Nicht minder bemerkenswert als diese thema- zwischen einer individualistischen und einer kol-
tische Ausweitung ist andererseits eine themati- lektivistischen Deutung sozialer Verhältnisse.
sche Verkürzung, die zur Signatur der praktischen Das sittliche Volk ist nicht die numerische Ge-
Philosophie Hegels insgesamt geworden ist: Be- samtheit der Bürger der modernen Staaten – wie
reits das System der Sittlichkeit kennt keine von ja überhaupt im System der Sittlichkeit der Begriff
der Beschreibung der gesellschaftlichen Verhält- des Staates geradezu provokativ fehlt –; es ist
nisse systematisch gesonderte Ethik. Die Dualität aber zudem das idealisierte Volk der antiken Po-
von »Rechtslehre« und »Tugendlehre« (Kant) bzw. lis. Es ist »lebendige Indifferenz«; »alle natürliche
von Grundlage des Naturrechts und System der Differenz« ist in ihm vernichtet; »es gelangt zur
Sittenlehre (Fichte), die sich erst im Verlauf des höchsten Subjectobjectivität; und diese Identität
18. Jahrhunderts aus dem zuvor einheitlichen aller ist ebendadurch nicht eine abstracte, nicht
Naturrecht ausdifferenziert hat, wird hier wieder eine Gleichheit der Bürgerlichkeit, sondern eine
in eine intern differenzierte Einheit zurückge- absolute, und eine angeschaute im empirischen
nommen: »Hier ist denn der Unterschied der Bewußtseyn«. Das »Anschauen und Einsseyn« ist
Moral vom Naturrecht gesetzt, nicht als ob sie unmittelbar, nicht bloß symbolisch; die formell
getrennt, jene von diesem ausgeschlossen wäre, noch vorhandenen Gegensätze »fallen so sehr
sondern ihr Innhalt ist völlig im Naturrecht, die innerhalb der absoluten Anschauung selbst, daß
Tugenden erscheinen am absolut sittlichen, aber sie nur als Spiele sich darstellen«; die »Allge-
nur in ihrer Vergänglichkeit.« (GW 5.328) meinheit, welche die Besonderheit schlechthin
(4) Der Schlüsselbegriff für die erneute In- mit sich vereinigt hat, ist die Göttlichkeit des
tegration der beiden zuvor getrennten Diszipli- Volkes, und dieses Allgemeine in der ideellen
nen ist jedoch nicht mehr der des neuzeitlichen Form der Besonderheit angeschaut, ist der Gott
Naturrechts, sondern der Begriff der »Sittlich- des Volks« (GW 5.325 f.). Was in Hegels späterem
keit«. In ihm ist die Gesamtheit der menschlichen Denken eine Defizienz der antiken Sittlichkeit
154 II. Werk

anzeigen wird – daß sich die Sphäre des ab- mus« nahestehenden – Überlegungen zur Regu-
soluten Geistes noch nicht vom objektiven Geist lierung solcher Verhältnisse eine »Mischung von
gesondert hat –, erscheint hier noch uneinge- tiefbohrender Erkenntnis und hoffender Utopie«
schränkt als Indiz der erwünschten Geschlossen- attestiert, die sich allerdings später verloren habe
heit des sittlichen Lebens. (1920, Bd. 1. 148–153). Diesem Ziel einer Vermitt-
(5) Und doch ist der auf die genannten Indizien lung des politisch und ökonomisch depotenzier-
gestützte »antikisierende« Eindruck nur einseitig. ten Einzelnen mit einem von ihm nicht mehr er-
Selbst der Hinweis auf das idealisierte Volk der kennbaren Ganzen dient auch Hegels Lehre von
antiken Polis wird ambivalent in einer Zeit, in der den Ständen – dem »Stand der absoluten freyen
Strömungen innerhalb der Französischen Revo- Sittlichkeit«, dem »Stand der Rechtschaffenheit«
lution eine Erneuerung solcher antiken Formen und dem »Stand der unfreyen, oder natürlichen
beabsichtigen. Und ohnehin wird das antik-mo- Sittlichkeit« (GW 5.334) – wobei es bemerkens-
derne Doppelantlitz des Systems der Sittlichkeit wert ist, daß Hegel den damaligen »zweiten
gleich zu Beginn durch die Begriffswahl sichtbar: Stand«, die Geistlichkeit, in der Vorbereitungs-
Von der »absoluten Sittlichkeit« sagt Hegel, »ihre phase des Reichsdeputationshauptschlusses
Anschauung ist ein absolutes Volk; ihr Begriff ist (1803) keiner Erwähnung mehr würdigt. Der Um-
das absolute Einsseyn der Individualitäten« (GW stand, daß seit den politischen Auseinanderset-
5.279). Beides – »absolutes Volk« und »absolutes zungen des späteren 19. Jahrhunderts eine stän-
Einsseyn« ist konstitutiv für den Begriff der Sitt- dische Gliederung als ein untaugliches Relikt er-
lichkeit. Und so verwundert es nicht, daß Hegel scheint, verstellt den Blick darauf, daß gerade
trotz seiner sehr bewußt bewahrten Distanz zum einer revidierten Ständelehre damals eine »mo-
Naturrecht nicht allein dessen Themen – Tausch, derne« Funktion zugeschrieben wird: Gegenüber
Vertrag, Geld – abhandelt; er greift sogar über das dem mechanischen Staatsideal der Aufklärung sol-
Naturrecht hinaus zu den Themen der modernen len die Stände die neue, »organische« Struktu-
»Nationalökonomie« und führt den Begriff der rierung des gesellschaftlichen Lebens durch Ein-
Arbeit in einen »naturrechtlichen« Kontext ein. bettung des Einzelnen in das Ganze bewirken.
Es liegt in der internen Logik der Arbeit, daß sie Und schließlich berührt Hegel hier erstmals
sich in sich »vertheilt« und »ein einzelnes Arbei- noch zwei weitere Themen, die er erst in den
ten« wird; »das Werkzeug geht in die M a s c h i n e folgenden Jenaer Ansätzen weiter ausführt: die
über«, und als Komplement zu dieser mechani- Themen »Anerkennung« sowie »Herrschaft und
schen Produktion, die nicht der Befriedigung des Knechtschaft« (GW 5.290 bzw. 305; siehe s. 163).
eigenen Bedürfnisses dient, sondern dem Ge- Es ist eine eigentümliche Korrektur der Wir-
brauch anderer, wird die Befriedigung der an- kungsgeschichte seiner – gegen Fichtes Grund-
deren Bedürfnisse durch gesellschaftliche Ar- lage des Naturrechts gerichteten – Schrift, daß
beitsteilung vorausgesetzt (GW 5.297). Das »Sy- sich ihre gegenwärtige Reputation gerade diesen
stem des Bedürfnisses« wird hierdurch zum »Sy- beiden, durch Fichtes Werk initiierten Themen
stem der allgemein gegenseitigen physischen verdankt.
Abhängigkeit von einander«; »keiner ist für die Partieller Erstdruck: Hegel: System der Sittlichkeit. Aus
Totalität seines Bedürfnisses für sich selbst, seine dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers hrsg.
Arbeit, oder welche Weise des Vermögens der von Georg Mollat. Osterwieck / Harz 1893. – Text: GW
Befriedigung seines Bedürfnisses, sichert ihm 5.277–361. – Literatur: R 103, 124–133; Haym: Hegel
und seine Zeit (1857), 159–179; Rosenzweig: Hegel und
nicht diese Befriedigung; es ist eine fremde
der Staat (1920), Bd. 1. 130–155; Heinz Kimmerle: Das
Macht, über welche er nichts vermag, von wel- Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels
cher es abhängt, ob der Überfluß, den er besitzt, »System der Philosophie« in den Jahren 1800–1804.
für ihn eine Totalität der Befriedigung ist; der HSB 8 (1970), 215–243; Scheit: Geist und Gemeinde
Werth desselben, d. h. dasjenige, was die Bezie- (1973), 96–126; Hegel: Frühe politische Systeme. Sy-
hung des Überflusses auf das Bedürfniß aus- stem der Sittlichkeit; Über die wissenschaftlichen Be-
handlungsarten des Naturrechts; Jenaer Realphiloso-
drückt, ist unabhängig von ihm, und wandelbar.«
phie. Hg. und kommentiert von Gerhard Göhler. Frank-
(GW 5.350) furt u. a. 1974; Walter Christoph Zimmerli: Schelling in
(6) Rosenzweig hat diesen Analysen Hegels Hegel. Zur Potenzenmethode in Hegels »System der
und seinen – einem »gemäßigten Merkantilis- Sittlichkeit«. In: Hasler (Hg.): Schelling. Seine Bedeu-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 155

tung für eine Philosophie der Natur und der Ge- senschaft« in Form der Idealität, in der Religion
schichte. Stuttgart 1981, 255–278; Pierluigi Valenza: in Form der Realität, und deshalb habe diese
Logica e filosofia pratica nello Hegel di Jena. Dagli
neben der spekulativen noch eine » p o s i t i v e
scritti giovanili al sistema dell’eticità. Padova 1999,
299–353; Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie Seite«, nämlich eine »aus dem e m p i r i s c h e n
(2000), 76–116; Christine Weckwerth: Metaphysik als Dasein des Volkes entnommene Begrenzung«.
Phänomenologie. Eine Studie zur Entstehung und Nach Hayms Bericht sieht Hegel in der Religion
Struktur der Hegelschen »Phänomenologie des Gei- eines Volkes »durchaus und nur das Spiegelbild
stes«. Würzburg 2000, 37–69; Hans-Christoph Schmidt seines national-politischen Gesammtzustandes;
am Busch: Hegels Begriff der Arbeit. Berlin 2002; Kurt
sein Gott ist der Maaßstab für den Grad der
Rainer Meist: Einleitung zu: Hegel: System der Sittlich-
keit [Critik des Fichteschen Naturrechts]. Hg. von Göttlichkeit des Volkes, oder für den Grad, bis zu
Horst D. Brandt. Hamburg 2002, IX–XXXIX; Steffen welchem die Idee der Sittlichkeit in ihm ent-
Schmidt: Hegels System der Sittlichkeit. Berlin 2007. wickelt ist« (GW 5.465).
Als ein weiteres Proprium der Religion (im
Unterschied zu Kunst und »Wissenschaft«) be-
4.6.3. Vorlesungen über Naturrecht
greift Hegel das Praktische – aber dieses nicht im
(1) In unmittelbaren Zusammenhang mit dem Sinne der Kantischen Ethikotheologie, sondern,
System der Sittlichkeit stellt Rosenkranz zwei komplementär zu Kunst und Wissenschaft, als
weitere, heute verschollene Manuskripte Hegels: ein Tun: Religion ist primär »der C u l t u s , der
Eine kurze, angeblich noch aus Frankfurt stam- die Subjectivität und Freiheit zu ihrem höchsten
mende Passage betrachtet er als ersten Abschluß Genuß erhebt, indem er […] einen Theil der
der Geistesphilosophie. Dieser Abschluß habe Einzelheit o p f e r t , und durch diese Hingabe das
Hegel jedoch nicht mehr genügt, »als er später in übrige Eigenthum frei macht.« Diesen, auch für
Jena mit seiner Philosophie zur mündlichen den Naturrechtsaufsatz und das System der Sitt-
Mittheilung kam« – also in seinen von Sommer lichkeit wichtigen Gedanken des Opfers setzt He-
1802 bis zum Sommer 1805 häufig wiederholten gel jedoch in Beziehung zu einem zentralen Be-
Vorlesungen über Naturrecht. Hegel habe nun griff der Frühromantik: »Dies Thun, die I r o n i e
»den Begriff des Unterschiedes der Verfassun- auf das sterbliche und nützliche Thun der Men-
gen« weiter ausgearbeitet und vor allem sein schen, ist die Ve r s ö h n u n g , die Grundidee der
ursprüngliches System mit einer Abhandlung der Religion.«
Religion beschlossen (R 132 f.). Aus ihr teilt Ro- (3) Das zweite, ausführlichere Fragment ent-
senkranz, bestätigt durch Haym, ein kürzeres und wirft ein mythisches, wenn auch historisch kon-
ein ausführlicheres Fragment mit; sie bilden je- kretisiertes Schema der »Religionsgeschichte« –
doch keinen fortlaufenden Gedankengang und eine Folge von ursprünglicher Einheit, Entzwei-
dürften unterschiedlichen Kollegien der genann- ung und Rekonstruktion der Einheit, oder von
ten Jahre angehören. Identität, Differenz mit relativer Identität und
(2) Beide Fragmente unterscheiden sich durch Subsumtion der relativen Identität unter die ab-
ihre Thematik deutlich von den letzten Frank- solute. Als Epoche der ursprünglichen Versöh-
furter Texten, aber auch von der Schellingiani- nung bezeichnet Hegel die griechische »Natur-
schen ›Systemskizze‹ der Differenz-Schrift (GW religion«: »Der Phantasie ihres Pantheismus ist
4.75 f.), und ebenso von Schellings »historischer die Natur an und für sich selbst ein Geist und
Construktion des Christenthums« (Jaeschke heilig.« Auf Einzelnem mag hier zwar ein Fluch
1986 a, 159–181) – obgleich sie partiell der Be- liegen, »aber kein Allgemeines der Natur ist von
grifflichkeit Schellings verpflichtet bleiben. Ein Gott verlassen.« Gegen diese »schöne Götter-
gleichgroßer Abstand trennt sie jedoch von den welt« bietet Hegel eine strenge Notwendigkeit
religionsphilosophischen Partien des Systement- auf: Sie »muß« untergehen; das »ideelle Princip
wurfs III. Im ersten Fragment sind Kunst, Reli- muß sich in der Form der Allgemeinheit consti-
gion und Philosophie nicht mehr im identitäts- tuiren«, der »Geist muß seine Wohnung in der
philosophischen Schema vereinigt, sondern in lebendigen Natur verlassen«; der »sittliche
einer Form, die bereits auf ihre spätere Zuord- Schmerz mußte unendlich sein«. Doch über den
nung vorausweist. Religion und »Wissenschaft« Grund dieses vielfachen »muß« schweigt Hegel –
haben denselben Inhalt, doch sei er in der »Wis- und dies nicht zufällig, da er hier noch nicht über
156 II. Werk

den ausgearbeiteten Geistbegriff verfügt, mit aber er verwandle den »Cyklus des Schmerzes
dem er später derartige Entwicklungen nicht bloß und seiner Versöhnung in die Sehnsucht, die
mythisch schematisieren, sondern historisch be- Sehnsucht aber in das Denken und Wissen von
greifen wird. Hier hingegen unterwirft er zu- der Versöhnung«, und hierdurch konnte er »in die
nächst nur eine historisch nachweisbare Folge empirische Versöhnung mit der Wirklichkeit des
einer anonymen Notwendigkeit. Daseins, und ein unvermitteltes, nicht gestörtes
Gleichwohl lassen sich einige seiner Aussagen, Versenken in die Gemeinheit der empirischen
die formal als Setzungen erscheinen, als Resul- Existenz und der alltäglichen Nothwendigkeit
tate von Analysen erkennen: Indem das ideelle übergehen.«
Prinzip sich in Form der Allgemeinheit konstitu- Rosenkranz referiert weiter, Hegel habe ge-
iert, setzt sich das reelle als Einzelheit, und die glaubt, »daß aus dem Christenthum durch die
Natur bleibt »zwischen beiden als ein e n t w e i - Ve r m i t t e l u n g d e r P h i l o s o p h i e eine
h e t e r L e i c h n a m liegen«. In der Zeit der Zer- d r i t t e Form der Religion sich hervorbilden
rissenheit »mußte die ursprüngliche Identität werde«. Denn nachdem »der Protestantismus die
[…] ihre ewige Kraft über ihren Schmerz erhe- fremde Weihe ausgezogen, kann der Geist sich
ben«, und der Schauplatz dieser Wiedererwek- als Geist in eigener Gestalt zu heiligen und die
kung »mußte« das verworfenste Volk sein, »weil ursprüngliche Versöhnung mit sich in einer
in ihm der S c h m e r z am tiefsten und sein Aus- n e u e n R e l i g i o n herzustellen wagen, in wel-
sprechen eine der ganzen Welt verständliche che der unendliche Schmerz und die ganze
Wahrheit haben mußte«. Dieses stereotype »Müs- Schwere seines Gegensatzes aufgenommen, aber
sen« erscheint unvermeidlich dubios, wenn man ungetrübt und rein sich auflöst, wenn es nämlich
es als eine teleologische Geschichtskonstruktion ein f r e i e s Vo l k geben und die Vernunft ihre
versteht – und nicht als Versuch eines Begreifens Realität als einen sittlichen Geist wiedergeboren
der gedanklichen Implikate des spätantiken Syn- haben wird, der die Kühnheit haben kann, a u f
kretismus und ihrer Wirkungsgeschichte. eigenem Boden und aus eigener Maje -
Durch diese weltgeschichtliche Situation sieht s t ä t s i c h s e i n e r e i n e« (Haym: religiöse)
Hegel die »zwei nothwendigen Elemente« der » G e s t a l t z u n e h m e n .« (Haym 1857, 165)
neuen Religion präformiert: »die Entgötterung Es ist hervorzuheben, daß Hegel sich hier nicht
der Natur, also die Verachtung der Welt, und daß der vom Ältesten Systemprogramm (s. 76) oder
in dieser unendlichen Trennung doch ein Mensch von Friedrich Schlegels Rede über die Mythologie
die Zuversicht des Einssein mit dem Absoluten in erhobenen Forderung einer »neuen Mythologie«
sich trug.« Diese interne Polarität von Identität anschließt (KFSA II.311–322). Gefordert ist nicht
und Differenz, die Christus zum » N a t i o n a l - eine neue Mythologie, die unter den Bedingun-
g o t t d e s G e s c h l e c h t s« erhebt, bleibt kon- gen der Moderne bestenfalls eine Traumwelt er-
stitutiv für die weitere, ambivalente Geschichte schaffen oder gar den ideologischen Schein einer
der christlichen Religion: Die Göttlichkeit des vermeintlich unmittelbaren Einheit verbreiten
Menschen Jesus stiftet eine neue Weihe der Welt, könnte; gefordert ist vielmehr die Erkenntnis,
seine Einzigkeit hingegen ihre kontinuierte Ver- »wohin die große Nothwendigkeit will«, also die
achtung, ja einen »Vertilgungskrieg« gegen sie. Erkenntnis der der Geschichte immanenten Ten-
Die christliche Religion vereinigt diese beiden denzen. Und diese Erkenntnis schreibt Hegel der
widerstrebenden Tendenzen, die Versöhnung Philosophie zu: Allein sie vermöge die Erkennt-
und den unendlichen Schmerz: Ohne den nis der ganzen »Energie des Leidens und des
Schmerz hat die Versöhnung keine Bedeutung, Gegensatzes, der ein paar tausend Jahre die Welt
und deshalb muß die christliche Religion » e w i g und alle Formen ihrer Ausbildung beherrscht hat,
diesen Schmerz produciren, um ewig zugleich in sich zu schließen und sich über ihn zu
v e r s ö h n e n z u k ö n n e n .« erheben«.
Im Katholizismus sieht Hegel jedoch das Mo-
Erstdruck: R 133–135 bzw. 135–141; Haym: Hegel und
ment einer individualisierten »neuen Weihe« do-
seine Zeit (1857), 164 f.,414–416. – Text: GW 5.459–460
minieren, und hierdurch werde er zu einer »schö- bzw. 460–465; 465–467. – Literatur: Johann Heinrich
nen Religion«; der Protestantismus hingegen Trede: Mythologie und Idee. Die systematische Stel-
hebe diese »Poesie der Weihe« zwar zunächst auf, lung der »Volksreligion« in Hegels Jenaer Philosophie
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 157

der Sittlichkeit (1801/03). In: Bubner (Hg.): Das älteste »Sammlung von Zufälligkeiten, […] deren Ein-
Systemprogramm (1973), 167–210; Jaeschke: Kunst zelnheiten doch zugleich die Fäden sind, woran
und Religion. In: Falk Wagner / Friedrich Wilhelm Graf
eine blinde verborgene Macht den einzelnen in
(Hg.): Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels
Religionsphilosophie. Stuttgart 1982, 163–195; ihr verwirrtes Spiel unwiderstehlich mit fortreißt
Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Studien zur und wie alles andere verschwinden macht.«
Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels. Stutt- Das Bewußtsein suche sich zwar »dem Spiele
gart-Bad Cannstatt 1986, 157–181. jener Nothwendigkeit« zu entreißen: »Dieses
Stemmen aber gegen jene absolute blinde Macht
ist nur ein Betrug, die Überzeugung, ihr ein Stück
4.6.4. Fragmente aus Vorlesungs-
ihres Reichthums abgerungen, und eine eigene
manuskripten (1803)
Sphäre eingerichtet zu haben, ist nur eine Taü-
(1) Unter diesem Titel stehen drei Fragmente, schung; denn jene Fäden die du meynst in dein
die bereits Rosenkranz in dieser Form vorge- Gewebe verflochten zu haben, sind der Macht der
funden hat, da sein Referat nirgends über den Welt, der sie angehören nicht entgangen, und
heute vorliegenden Textumfang hinausgeht. Ihre deine Thätigkeit des Zurechtrichtens derselben
Zuordnung zu einer bestimmten Vorlesung ist ist nichts anders als daß du dich selbst in sie
nicht in gleicher Weise gesichert wie bei den hineingeflochten und dich jener Macht vollkom-
Vorlesungsmanuskripten (1801/02). Die Hand- men zu eigen gegeben hast.« Das Ich stehe in
schrift weist ins Sommersemester 1803, in dem seinem »Kampf« gegen die »blinde Macht der
Hegel Vorlesungen über Naturrecht sowie über Nothwendigkeit« und das »Gewebe von Zufällig-
»Philosophiae universae delineationem, ex com- keiten« »selbst in dessen Gewalt«.
pendio currente aestate (Tub. Cotta.)« angekün- Diese dramatische Beschreibung scheint das
digt hat. Das Kompendium ist jedoch ebenso- Weltverhältnis des Ich überhaupt zu betreffen;
wenig wie die anderen damals von Hegel ange- ein spezifischer Zeitbezug scheint erst durch eine
kündigten Bücher erschienen, und ob die Vorle- weitere Bemerkung Hegels zu erfolgen: Das
sung stattgefunden hat, ist nicht bekannt. reine Ich stehe eben in seiner »absoluten Ent-
Möglicherweise handelt es sich bei den drei gegensetzung« in »absoluter Beziehung« auf die
Fragmenten um Ausarbeitungen sowohl für die Welt, und die »absolute Freyheit«, die es für sich
Vorlesung als auch für das Lehrbuch; ein Indiz in Anspruch nehme, sei »nur der höchste Aus-
hierfür bildet ihre – im Vergleich zu den Vorle- druck jener Taüschung«. Selbst der Versuch,
sungsmanuskripten (1801/02) – zugleich freiere »eine Art von gemeinschafftlichem Thun« zu er-
und anspruchsvollere Gedankenführung. sinnen – nämlich die Determiniertheit der Natur
(2) Das Fragment ist auf das Allgemeine … als ihre vom Bewußtsein selbst intendierte
thematisiert das Verhältnis des »erwachenden Be- Zweckmäßigkeit auszugeben –, führe lediglich in
wußtseyns« »zu Gott und Welt«. Hegel schließt eine »betrüglich vorgespiegelte Übereinstim-
hier insofern zunächst an Einsichten des tran- mung«.
szendentalen Idealismus an, als er die ›Ichkon- Gleichwohl bestimmt Hegel es als »Aufgabe
stitution‹ nicht als einen gesonderten, der ›Welt- der Philosophie, die Einzelnheit des Individuums
konstitution‹ vorhergehenden Akt des Bewußt- mit dem allgemeinen der Welt zu versöhnen« –
seins betrachtet, sondern die Identität beider be- und er hält hierfür zwei Lösungen bereit. Die
tont: »unmittelbar in einem und demselben Akte erste korrigiert die Ausgangsannahme über das
ist ihm ein Verhältniß zu anderem entstanden«. Verhältnis von Ich und Welt: »die Welt selbst
Doch trotz dieses Beginns geht es Hegel nicht enthält die Auflösung des Gegensatzes der Ein-
um eine Theorie des Verhältnisses von Ich- und zelnheit gegen sie«. Wenn aber die Welt die zuvor
Weltkonstitution, sondern um eine Diagnose und genannte »blinde verborgene Macht« wäre,
Therapie der Entzweiungen seiner Zeit – auch könnte der Hinweis, daß jeder sich immer schon
wenn er dies zunächst verbirgt. Die Welt, zu der im Verhältnis zur Welt vorfinde, dieses Problem
das erwachende Bewußtsein ins Verhältnis tritt, nicht lösen. Deshalb bedarf es offensichtlich ei-
erscheint diesem nicht als ein transzendental- ner Korrektur des zunächst als allgemein einge-
philosophisch konstituiertes und kontrolliertes führten Weltbegriffs: An sich sei die Welt keines-
Reich seiner Gegenstände, sondern als eine wegs das vermeintlich verwirrte Spiel der blin-
158 II. Werk

den Notwendigkeit, als das sie dem erwachenden wenn Hegel die Überlegenheit des Geistes über
Bewußtsein erscheine, sondern »in dem Systeme die Natur bereits zuvor mehrfach vermerkt (s.
der Gesetze des zweckmässigen Betragens gegen 148), legt er den Begriff des Geistes doch erst-
die Natur, und der Klugheit, alsdenn in dem mals hier vergleichsweise ausführlich dar – in
Systeme der Sitten und dessen, was als gerecht Wendungen, deren Eindringlichkeit bereits sein
und gut gilt, in dem Ganzen der Wissenschafften spätes Fragment zur Geistesphilosophie anklin-
und endlich in der Gestaltung der religiösen An- gen läßt (s. 283): Geist ist nicht ein Sein, sondern
schauung, ist die Organisation eines Ganzen und ein Gewordensein, Tätigkeit, Erkenntnis der Na-
Allgemeinen errichtet, das als allgemeines für tur als seines Anderen und eben darin Aufheben
sich ist, und wieder, indem es der Geist jedes seines Anderen, Befreiung seiner selbst, Rück-
einzelnen ist, die gefoderte Harmonie vollkom- kehr zu sich, Beisichsein und Sichselbstgleich-
men leistet.« heit.
Dieser Hinweis auf die an sich vorhandene Hegel formuliert hier einen auch später nicht
Versöhnung von Welt und Ich ist jedoch nur mehr revidierten Grundgedanken seiner Geistes-
retrospektiv; er ignoriert, daß eben diese Harmo- philosophie – und zwar unter Berücksichtigung
nie durch das »Erwachen des Bewußtseyns« zer- von Einsichten, die er im Rahmen seiner Ausein-
stört werde. Hierdurch werde ihre ideale Diffe- andersetzung mit der Transzendentalphilosophie
renzierung zur realen Entgegensetzung, und die erworben hat, insbesondere der Problematik der
Bestimmtheit der gesellschaftlichen und religiö- Entgegensetzung: In der »Energie des Charak-
sen Verhältnisse erscheine nun erst als die in so ters« könne der einzelne Geist die Natur von sich
düsteren Farben gemalte »formlose, blinde Noth- entfernt halten und verachten – und »in der That
wendigkeit«. Eben in dem zuvor so dramatisch ist der einzelne nur insoweit groß und frey, als
beschriebenen Weltverständnis finden die, durch groß seine Naturverachtung ist.« Aber in dieser
die Transzendentalphilosophie radikalisierten Entgegensetzung wird er selber nur »ein beson-
kulturellen Auflösungstendenzen der Zeit einen deres«, und »darin nicht wahrhaffter Geist«. Die
spezifischen Ausdruck. scheinbare Überlegenheit über die Natur durch
Aber auch diese Diagnose ist nicht Hegels letz- Abstraktion von ihr und Verachtung »ist also nicht
tes Wort: Aus dem »Zwist« zwischen Ich, Welt ein beysichselbstseyn, und bleiben des Geistes«.
und Gott entstehe das Bedürfnis der Philosophie, In komplexen und dennoch prägnanten Wen-
und zwar – wie eben die geschichtliche Entgegen- dungen bestimmt Hegel das Verhältnis von Natur
setzung gegen die Transzendentalphilosophie und Geist – und er setzt sich hierin sowohl von
zeigt – nicht irgendeiner Philosophie, sondern ihrer transzendental- als auch von ihrer identi-
»der Philosophie« im emphatischen Sinn. Ihr tätsphilosophischen Bestimmung ab: »die Natur,
schreibt Hegel die zweite, prospektive Lösung indem sie das Andersseyn des Geistes ist, ist sie
des Verhältnisses von Ich und Welt zu. Denn in für sich das sich selbstgleiche, das nicht weiß,
dieser Philosophie gebe »der Geist des leben- daß es ein anderes, entgegengesetztes ist, oder
digen Lebens« sich eine neue, ideale, absolut das s i c h in seiner sichselbstgleichheit nicht ein
freie Gestalt. Dieser Ausblick ist offensichtlich anderes ist, und daher in Wahrheit ein anderes an
eine modifizierte Konkretion des Gedankens, sich selbst ist.« Der Geist schaue sein Bild in der
den Hegel am Schluß der Naturrechtsvorlesung Natur an, stelle sich sich gegenüber, höre darin
formuliert: Während er dort die Geburt einer auf, Natur zu sein, und verliere sich selbst: »er ist
neuen Religion aus dem Geiste der Philosophie das Leere, dem die ganze Fülle des Universums
erwartet (s. 156), ist hier nur noch von der Philo- gegenübersteht, hiedurch ist das negative der
sophie die Rede – vom reinen durchsichtigen Befreyung gesetzt«. Doch diese negative Befrei-
Äther des Erkennens, »das sich unendlich in sich ung ist noch nicht die wahrhafte: »die lebendige
gestaltet.« (GW 5.365–369) Befreyung oder das [Setzen des] Lebens in ihn
(3) Das eigentliche Thema des Fragments Das ist, diß daß er diß Universum als sich selbst
Wesen des Geistes … ist nicht der Geist-, sondern erkennt« – oder mit anderen Worten: »er ist frey,
der Naturbegriff. Gleichwohl ist es von heraus- indem er das leere wird, das die ganze Natur
ragender Bedeutung für die Entwicklungsge- gegen sich hat, und er ist lebendig, indem er
schichte von Hegels Geistesphilosophie. Auch dieses Ganze als ihm selbst gleich setzt.«
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 159

Dieses Verhältnis erläutert Hegel näher durch eben hierdurch mit sich und den anderen Göttern
eine Skizze von ›drei Stellungen des Gedankens in Konflikt geraten und insofern (mit einem An-
zur Natur‹: Das gemeine Erkennen nehme die klang an die Frühromantik) »die Ironie in sich
Natur nur als das Anderssein des Geistes, als selbst haben«.
geistlose, empirische Notwendigkeit. Diesem Er- Diese Theogonie durch lebendig-freie Gestal-
kennen bleibe die »Natur selbst« »ein unbekann- tung des ›absoluten Geistes‹ zu einer der Diffe-
tes, ein Jenseits, das gleichgültig ist, Gott oder renziertheit des Sittlichen angemessenen Fülle
Natur zu nennen« – eine Anspielung auf Spinozas göttlicher Individualitäten erfolgt für Hegel stets
Formel »Deus sive Natura«. Die ›zweite Stellung‹ im Horizont eines jeweils beschränkten Volks-
bildet die poetische Anschauung; sie fasse die geistes – und dies veranlaßt ihn in einer Randbe-
Natur als Ganzes und erkenne – wie Hegel in merkung zu einem keineswegs unproblemati-
Anspielung auf Goethes Faust (WA I,14.163) sagt schen, zumindest sehr einseitigen Seitenhieb auf
– »im Busche, in der Lufft und im Wasser die einen Aspekt der Religion Israels: »der Geist
Brüder«. Aber diese Lebendigkeit sei in der Ge- eines Volkes, muß die Geister anderer Völker
staltung eine Unendlichkeit von einzelnen In- neben sich anerkennen und diese Individuen sind
dividualitäten, die sich gegenseitig zerstörten. in seinem Gotte selbst als lebendige Momente,
Die Poesie müsse das Unendliche gestalten und und als besondere Götter, ein Volk, das neben
somit über die Natur hinausgehen, zu den sittli- seinem Gott keine andre erkennen den seinigen
chen Individuen und den Göttergestalten – aber zum allgemeinen und als Volksgeist doch nur zu
auch sie blieben beschränkt, und »der absolute seinem machen würde, würde das schlechteste,
Geist« (der hier noch nicht im späteren Sinne zu und seine Religion abscheulich seyn«.
verstehen ist) »entflieht der Poësie selbst; er ist Die Ausbildung der Mythologie schreibt Hegel
allein in der Philosophie auszusprechen«. Die hier der »Mnemosyne« und mehr noch der Kunst
›dritte Stellung des Gedankens zur Natur‹ als der »absoluten Muse« zu. Die Mythologie sei
schließlich bildet die Philosophie der Natur. Erst selbst ein »Kunstwerk«, aber nicht das Werk eines
sie erhebe »die Natur zu einem nicht formalen einzelnen Künstlers (etwa Hesiods oder Homers,
sondern zu einem absoluten Ganzen«, über die wie Hegel später häufig Herodot zitiert); viel-
einzelnen, beschränkten Lebendigkeiten hinaus mehr sei sie »das Werk aller«, und der einzelne
zum Reichtum ihres Lebens (GW 5.370–373). Künstler, der das Werk vollendet, sei zwar der
(4) Anders als die beiden ersten behandelt das »Liebling der Mnemosyne«, aber dennoch nur
Fragment seiner Form … ein spezielles Gebiet, ein ›Agent des Volksgeistes‹. Und weil die My-
nämlich die Gestaltung des ›absoluten Geistes‹ thologie ein Werk nicht des Einzelnen, sondern
eines Volkes durch die Kunst. Das Fragment be- des Geistes als eines allgemeinen ist, hat sie eine
ginnt mit einem Rückblick auf die griechische Geschichte; sie entwickelt sich von Generation zu
Mythologie – aber diese wird nun nicht mehr Generation, nach dem Maßstab der »Befreyung
schlicht zur »Naturreligion« und Stufe der »ur- des absoluten Bewußtseyns«. Der Schein der Un-
sprünglichen Versöhnung« erklärt, wie in der Na- mittelbarkeit und Ursprünglichkeit, der noch in
turrechtsvorlesung (s. 155). Der absolute Inhalt der Naturrechtsvorlesung die schöne Mythologie
läßt sich – aus strukturellen Gründen – nicht umgibt, ist bereits hier einer geschichtlichen
durch eine einzelne Gestalt erschöpfen; die eine Sicht gewichen. Eben deshalb verweist Hegels
»Gestalt muß nothwendig andere Gestalten ne- geschichtliche Interpretation des Zusammen-
ben sich haben, und der Himmel sich mit Göttern hangs von Mythologie und Kunst schon hier auf
bevölkern«. Der »Stoff« für diese Gestaltungen seine spätere These vom »Ende der Kunst« vor-
wird zunächst aus der Natur, später aus dem aus: Wenn die lebendige Welt das Kunstwerk
sittlichen Leben genommen; die alten Naturgöt- nicht mehr in sich bildet, »muß der Künstler sich
ter »treten zurück an die Gräntzen der bewußten [in] seiner Einbildung in eine vergangene Welt
Welt«, während das Selbstbewußtsein des sittli- versetzen, er muß sich eine Welt traümen, aber es
chen Lebens die Mannigfaltigkeit seiner Aspekte ist seinem Werke auch der Charakter der Traü-
in einer Vielzahl der sittlichen Götter gestaltet, merey, oder des nichtlebendigseyns, der Vergan-
die jedoch, als Individualitäten, »ihr bestimmtes genheit schlechthin aufgedrückt« (GW 5.374–
Werk in absoluter Freyheit vollbringen«, aber 377).
160 II. Werk

Partieller Erstdruck: R 180 f., 187 f. – Text: GW Naturphilosophie. Dies überrascht angesichts des
5.363–377. – Literatur: Henrich / Düsing (Hg.): Hegel Umstands, daß die bisher behandelten Texte –
in Jena (1980).
abgesehen von der Habilitationsschrift De orbitis
planetarum – keine Ausbildung der Naturphilo-
sophie erkennen lassen. Doch der Zufall der
4.6.5. Systementwurf I (1803/04)
Überlieferung hat hier ein verzerrtes Bild der
(1) Von Hegels frühestem Jenaer System haben Schwerpunkte von Hegels philosophischer Arbeit
sich lediglich die oben (s. 150, 157) besprochenen entstehen lassen. Rosenkranz berichtet ja über
wenigen Fragmente erhalten. Der erste, wenn Hegels Arbeit an der Naturphilosophie schon in
auch nicht vollständig, so doch vergleichsweise der späten Frankfurter Zeit. Für einen deutlichen
ausführlich überlieferte Systementwurf stammt naturphilosophischen Akzent sprechen ferner
aus dem Wintersemester 1803/04, aus dem Um- seine Habilitation und die bis 1803 enge Zusam-
kreis der Vorlesung »philosophiae speculativae menarbeit mit Schelling – auf dessen Deutung
systema, complectens a) Logicam et Metaphysi- auch gleich die Anfangspartien des Systement-
cam, sive Idealismum transscendentalem b) phi- wurfs I Bezug nehmen.
losophiam naturae et c) mentis.« Der Ausdruck Und auch über sie hinaus ist Schelling in der
»spekulative Philosophie« umfaßt hier also nicht Naturphilosophie des Systementwurfs I weithin
bloß Logik und Metaphysik, sondern auch Natur- präsent – schon durch die identitätsphilosophi-
und Geistesphilosophie. Schiller schreibt da- sche Terminologie, von der Hegel sich hier noch
mals, am 9.11.03, an Goethe: »unser Dr. Hegel nicht völlig gelöst hat. Dennoch reduziert sich
soll viele Zuhörer bekommen haben, die selbst sein Entwurf nicht auf eine Kopie der Natur-
mit seinem Vortrag nicht unzufrieden sind« (HBZ philosophie Schellings – schon deshalb nicht,
53); eine noch erhaltene Liste verzeichnet drei- weil er die Natur bereits hier als eine Gestalt auf
ßig eingeschriebene Hörer. dem Wege vom »absoluten Wesen« zum Geiste
Die aus dieser Vorlesung überlieferten Texte faßt, als das Andere des Geistes. Leider fehlt –
bilden jedoch kein fortlaufendes Vorlesungsma- vielleicht wegen des fragmentarischen Anfangs –
nuskript, sondern eine Reihe von Fragmenten, eine ausführliche Abhandlung dieses Verhältnis-
deren wiederholte Ansätze, einen Gedanken prä- ses von Natur- und Geistbegriff. Deutlich ist je-
gnant auszudrücken, sich mehrfach inhaltlich doch Hegels Versuch, »Natur« nicht bloß in ihrer
überschneiden. Zum ersten Systemteil, zu Logik Faktizität hinzunehmen, sondern ihren Aufbau,
und Metaphysik, sind keine Fragmente erhalten ihre »Gegliederung« als ein System von Stufen zu
– vermutlich, weil Hegel die hier verwendeten verstehen, das zum Bereich des Geistes hin-
Materialien später überarbeitet und die ur- führt.
sprünglichen Fassungen vernichtet hat. Daß er Die überlieferten Fragmente addieren sich
damals auch »Logik und Metaphysik« vorgetra- nicht zu einem tendenziell fortlaufenden Argu-
gen hat, belegt lediglich ein Rückverweis zu Be- mentationsgang. Zum Teil bilden sie parallele
ginn der Geistesphilosophie: »Der erste Theil der Ansätze, in denen Hegel einen Gedanken in un-
Philosophie construirte den Geist als Idee; und terschiedlicher Weise und Konkretion ausführt.
gelangte zu der absoluten sichselbstgleichheit zur Sie beginnen mit einer Thematik, die in De orbi-
absoluten Substanz« (GW 6.268). Die »System- tis planetarum nicht mehr abgehandelt wird: mit
entwürfe« der folgenden Jahre 1804/05 und dem Übergang vom »himmlischen« zum »irdi-
1805/06 umfassen hingegen nie alle Teile des schen System«. Hegel beschreibt ihn als »Reduc-
Systems – vermutlich wegen der fortschreitenden tion der Bewegung zur Ruhe« und »Ausserein-
Ausarbeitung, die es nicht mehr erlaubt hat, das anderfallen beyder«, durch das beide jedoch
Ganze zum Gegenstand des Vortrags zu machen: »schlechthin a u f e i n a n d e r b e z o g e n « sind.
Der Systementwurf II enthält nur noch Logik, Das »irdische System« entfaltet sich in drei »Po-
Metaphysik und Naturphilosophie, und der Sy- tenzen« – zunächst im Mechanismus, der in den
stementwurf III gar nur die Philosophien der Chemismus und schließlich in die organische
Natur und des Geistes. Physik übergeht (GW 6.19 f.).
(2) Mehr als drei Viertel der überlieferten Die Mechanik (GW 6.23–42) stellt Hegel unter
Fragmente des Systementwurfs I betreffen die den Titel »Einsseyn der todten Masse und
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 161

der Bewegung«. Neben den Themen, die hier endlichkeit Einsseyn, diß existirt in d e m o r g a -
zu erwarten sind, wie Hebelgesetz, Schwere und n i s c h e n .« (GW 6.184) Hegel entwickelt zu-
Fallbewegung, spricht er hier aber auch andere nächst dessen allgemeine Idee und geht dann zu
Phänomene an, wie Ebbe und Flut als »Ausdrücke einer sehr detaillierten Abhandlung »der Exi-
der himmlischen Bewegung an die Erde«, oder stenz des organischen« über (GW 6.193).
Elektrizität (GW 6.32 bzw. 40). Im Chemismus Diese erste erhaltene naturphilosophische
(GW 6.42–109) entwickelt Hegel zunächst den Konzeption zeigt ein Ringen um das angemes-
Begriff der chemischen Elemente, als zwar nicht sene Verhältnis von naturwissenschaftlicher Em-
teilbar und auflösbar, aber nicht als schlechthin pirie und philosophischer Spekulation. Hegel be-
unveränderbar, sondern als mit einander ver- zieht sich auf eine Fülle physikalischer oder che-
bindbar. Hegel setzt sich hier auch mit Begriffen mischer Arbeiten seiner Zeit; er nennt die
der zeitgenössischen Chemie auseinander, etwa Namen Bergmann, Berthollet, Blumenbach, Che-
mit dem Begriff des »Wärmestoffs«, dessen an- nevix, Forster, Lichtenberg, de Luc, Prévost,
gebliche Imponderabilität gerade seiner Mate- Priestley, J. W. Ritter, Steffens, Trommsdorff,
rialität widerstreite, oder mit dem Begriff der Volta und Winterl, und seine Kenntnis einer
»Latescenz«, mit dem die Chemie an der Grenze gleich großen Zahl weiterer zeitgenössischer, ins-
von Realität und Idealität stehenbleibe und nicht besondere chemischer Werke läßt sich aus seinen
zum absoluten Begriff übergehe, »daß die Realität Fragmenten erschließen. Dies belegt eine inten-
als eine Bestimmtheit an sich ideell ist, und in sive Rezeption der Forschung seiner Zeit. Rosen-
ihrem seyn in ihr entgegengesetztes übergeht«, kranz berichtet für diese Jahre von einem »klei-
während die Chemie diese Stoffe » a l s S t o f f e nen Folianten«, der vornehmlich »seinen Excerp-
festhält, und selbst in ihrem Verschwinden sie ten aus naturwissenschaftlichen Büchern gewid-
noch existiren läßt mit der Ausrede ihrer Ve r - met war« (GW 5.485). Auch im Gebiet der
b o r g e n h e i t« (GW 6.48). Hegel hebt hervor, Naturphilosophie ist Hegels Intention auf die –
daß die Chemie »den todten Begriff« der Einfach- schwierige – Vermittlung zwischen empirischer
heit der chemischen Elemente aufhebe und auf Forschung und gedanklicher Durchdringung ge-
eine Einheit hindeute, »die der Einfachheit ent- richtet – nicht anders als in der Geistesphiloso-
gegengesetzt ist« (GW 6.59). Gegen den Begriff phie.
der chemischen Elemente setzt er hier den der (3) Den auf die Naturphilosophie folgenden
»physischen Elemente« (Feuer, Luft, Wasser, Systemteil kündigt Hegel im Winter 1803/04
Erde) (GW 6.74), deren Aspekte er im folgenden erstmals als »philosophia mentis« an – in einer
abhandelt – unter dem Titel »Feuer« auch das damals mißverständlichen Wendung, denn die
Phänomen der Farbe, wobei er auch kurz auf die deutsche Version der Ankündigung lautet hier
Differenz zwischen Newton und Goethe eingeht »Seelenlehre«. Diese Übersetzung dürfte indes-
(GW 6.83) – ein Thema, das ihn dann bis in seine sen ebensowenig von Hegel stammen wie die
Berliner Zeit begleitet (s. 285). Das Verhältnis spätere der Ankündigung für den Sommer 1806,
dieser Elemente behandelt Hegel sodann noch- in der »philosophia mentis« als »Philosophie […]
mals ausführlich unter dem Titel »Physik« (GW des menschlichen Verstandes« wiedergegeben
6.110–173) – ohne jedoch das Verhältnis dieses wird – was Hegel nachträglich zu »Geistesphilo-
Abschnitts zum »Chemismus« zu klären. So sophie« korrigiert (Kimmerle 1967, 54 f.).
kommt er auch hier wieder auf Begriffe der Che- Denn unter »Geist« versteht Hegel jetzt weit
mie zu sprechen, etwa auf den Streit um den mehr, als traditionell mit »mens« ausgedrückt
Begriff der »Wahlverwandtschaft« (GW wird – und darin formuliert er hier, über seine
6.151–156). – Den ausführlichsten Teil der Natur- frühere Rede von »Geist« hinaus, die eigentüm-
philosophie bildet die Abhandlung des Organi- liche Struktur des Geistes (Henrich 1980, 109ff.):
schen – als der »Reflexion die die Natur auf sich, Geist ist Beziehung auf sich im Anderen seiner
wie sie im chemischen Processe ist, selbst macht« selbst. Deshalb ist Geist nicht eine eigentümliche
(GW 6.173–265). Diese Sphäre unterscheidet Wirklichkeit bloß neben der Natur, wie die »res
sich von den vorhergehenden methodisch: »Was cogitans« neben der »res extensa«, sondern er ist
bisher unsre Reflexion war, daß die Momente der das Wesen der Natur: » I m G e i s t e e x i s t i r t
Totalität wesentlich eine Beziehung in der Un- d i e N a t u r, a l s d a s w a s i h r We s e n i s t .«
162 II. Werk

In der Natur existiert der Geist nicht als solcher, Standpunkte, die eine Bestimmtheit entweder in
sondern »als verborgen, nur als ein andres seiner das Objekt oder in das Subjekt setzten. Auf diese
selbst«. In ihr ist deshalb »unser Erkennen« »der Weise aber sei »die Streitfrage auf die rohste
existirende Geist« – eine Äußerlichkeit und Un- Weise« gestellt – und deshalb sei »über einen
gleichheit, die dort aufgehoben ist, wo Geist sich solchen unvernünftigen Streit eigentlich nichts
auf Geist richtet, also »unser Erkennen« »ein vernünftiges zu sagen«. Der Idealismus, der die
Erkennen des Geistes selbst« und somit seine Bestimmtheit nur ins Subjekt setze und damit das
Selbsterkenntnis ist. Als erste Form der Existenz Subjekt bewahren wolle, sei »ein vollkommen
des Geistes bestimmt Hegel hier das Bewußtsein, lächerlicher Idealismus«, der nicht begreife, daß
das in der Natur existiert und deshalb auf die durch die Vernichtung der Relation auch das Sub-
natürlichen Elemente zurückbezogen ist, ob- jekt nicht mehr Subjekt sei. Gleiches wäre gegen
gleich es sich doch negativ auf die Natur bezieht, den Realismus zu sagen: Er wäre ein ebenso
also »die I d e a l i t ä t d e r N a t u r ist« (GW alberner Realismus, wie jener ein lächerlicher
6.265–281). Idealismus. Und so wendet Hegel sich pronon-
Diese negative Beziehung entwickelt Hegel ciert gegen diese beiden einseitigen Erkenntnis-
hier – noch in terminologischer Anlehnung an modelle und ihren nicht zu schlichtenden Streit:
Schellings Methode – in Form der drei »Poten- »der Geist das Bewußtseyn diß Absolute ist es
zen« Sprache / Gedächtnis, Werkzeug / Arbeit was wir betrachten« (GW 6.290–296).
und Gut / Familie – wobei unter jedem Begriffs- In der »praktischen Potenz«, der Potenz des
paar eine Totalität abgehandelt wird. »Sprache« Werkzeugs, bezieht das Bewußtsein sich »auf ein
ist die »Totalität des idealen« (GW 6.297), »theo- absolut Entgegengesetztes e i n t o d t e s D i n g«.
retische Potenz« – und unter diesem Titel ent- Diese negative Beziehung entfaltet Hegel in den
faltet Hegel eine rudimentäre Zeichentheorie, Stufen der animalischen Begierde, der Arbeit und
ferner das »Gedächtniß«, d. h. aber im allgemei- des Werkzeugs im engeren Sinne, das »die existi-
neren Sinne diejenige ›Instanz‹, die das Sinn- rende vernünftige Mitte existirende Allgemein-
liche, Raum und Zeit »zu einem gedachten heit des praktischen Processes« ist – denn »es
macht« oder das noch äußerliche »Zeichen« zu erscheint auf der Seite des thätigen gegen das
einem »Nahmen«, einem Element der Sprache. passive; ist selbst passiv nach der Seite des ar-
An keiner späteren Stelle seines Systems hat beitenden, und thätig gegen das bearbeitete«
Hegel sich so intensiv mit dem Problem der (GW 6.297–299).
Sprache befaßt wie hier (Bodammer 1969; GW Gegenüber diesen beiden » i d e a l e n P o t e n -
6.282–289). z e n« ist die »Potenz des Besitzes, und der Fami-
In dieser frühen »Geistesphilosophie« entwik- lie« eine Totalität, da in ihr die Vermittlung auf
kelt Hegel keine Lehre von verschiedenen For- beiden Seiten erfolgt – im »lebendigen Einsseyn«
men des Erkennens; vielmehr formuliert er hier in Liebe und Ehe. Im Hintergrund der Betonung
programmatisch seinen spezifischen Ansatz am des »Familienguts« steht (wie selbst noch im Sy-
Bewußtsein als einer Totalität: »Wir betrachten stementwurf III, GW 8.213) fraglos die Aristoteli-
die Momente des sich organisirenden Bewußt- 3
sche Tradition des oikoü, und traditionell er-
seyns weder auf der Seite des Subjects in der scheint auch Hegels vehemente Polemik gegen
Form von Vermögen, Neigungen, Leidenschaff- Kants bloß vertragstheoretische Deutung der
ten Trieben u.s.w. noch auf der andern Seite des Ehe. Doch neben diesen traditionsverhafteten
Gegensatzes, als eine Bestimmtheit der Dinge, Zügen zeigen sich auch sehr ›moderne‹ wie die
sondern wie es als Einheit und Mitte von bey- anerkennungstheoretische Deutung der Familie:
dem, absolut für sich ist«. Es ist nicht nur die eine In ihr sei das Bewußtsein für sich selbst ge-
Seite des Gegensatzes gegen die Seite der Gegen- worden: »das Individuum schaut in dem andern
ständlichkeit, sondern das Ganze, »das Wesen«, sich selbst an; das andre ist dasselbe Ganze des
»die absolute Substanz«. Mit diesem Ansatz wen- Bewußtseyns und es hat sein Bewußtseyn in dem
det Hegel sich nachdrücklich gegen die seit Jaco- andern« (GW 6.301–306).
bis David Hume scharf ausgetragene erkenntnis- Im letzten Fragment dieses Systementwurfs I
theoretische Debatte zwischen »sog. Idealismus« zeigt Hegel, wie die drei Potenzen sich in ihrer
und »sog. Realismus«: Beide seien einseitige Wirklichkeit »im Volke« gegenüber ihrem zu-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 163

nächst entwickelten Begriff verändern, indem je- sich mit sich vermittelnde Wirklichkeit des gei-
weils das Natürliche in Geistiges oder die zu- stigen Lebens eines Volkes. Zu ihrer Basis hat sie
nächst vorhandene Einzelheit in Allgemeinheit »das gegenseitige A n e r k e n n e n überhaupt«.
umschlägt. Anschaulich wird dies insbesondere Zudem nennt Hegel den Volksgeist das »gemein-
an der Arbeit: Sie zielt zwar nur auf das Bedürfnis schafftliche Werk aller« – also mit dem Begriff,
des Einzelnen, doch sie wird im Volk eine all- der zuvor die Mythologie bezeichnet (s. 159). Mit
gemeine. Sie ist nicht Instinkt, sondern etwas dem Werkbegriff ist auf das Moment der »Thätig-
Geistiges, und deshalb muß sie erlernt werden. keit« abgehoben, entgegen der bloßen Unmittel-
Das Werkzeug wird durch die Maschine ersetzt, barkeit des Vorhandenseins: Der Volksgeist »ist
die für den Menschen arbeitet – doch dieser nur als ein ewiges Werden zum Geiste«, und
Betrug an der Natur rächt sich am Menschen, und dieses Werden ist er nur als die »That« der Ein-
die ihm verbleibende Arbeit wird nun selbst ma- zelnen, die aber eben in dieser »That« als Ein-
schinenmäßiger, und je mehr sie dies wird, desto zelne aufgehoben sind: »diß ihr Werk ist s o m i t
weniger Wert hat sie, obgleich die Produktion ihr eigner Geist selbst. Sie erzeugen ihn, aber sie
steigt – wie Hegel unter Hinweis auf Adam verehren ihn als ein für sich selbst seyendes«
Smith’s Inquiry into the Nature and Causes of the (GW 6.274,281,307–326).
Wealth of Nations ausführt. Die Arbeit wird ge- (5) Diesen Begriff des »Anerkennens« führt
sellschaftlich organisiert; sie richtet sich nicht Hegel bereits im Naturrechtsaufsatz und im Sy-
mehr auf die Wirklichkeit der Befriedigung der stem der Sittlichkeit ein. Doch erst im Systement-
Bedürfnisse, sondern nur noch auf deren Mög- wurf I gewinnt er systematische Bedeutung, und
lichkeit, die im Geld liegt. Zwischen die Arbeit im Systementwurf III wird er schließlich zum
des Einzelnen und die Befriedigung seiner Be- grundlegenden Begriff der Vergesellschaftung.
dürfnisse schiebt sich »die Arbeit des ganzen Eine zentrale Funktion behält er auch in der
Volkes ein« – doch dieser Zusammenhang wird Phänomenologie des Geistes (s. 187 f.); danach
unübersehbar und somit zu einer » b l i n d e n verliert er an Bedeutung, bis hin zu dem harten
A b h ä n g i g k e i t«. Wort, auf den Standpunkt der Anerkennung ge-
(4) Die wirkliche Totalität und »Substanz« bil- höre die Sklaverei (GW 25.114).
det aber noch nicht – wie es zunächst scheint – Als erster hat Fichte in seiner Grundlage des
die Familie, sondern erst »der absolute Geist Naturrechts (GA I/3.349–360) »Anerkennung«
eines Volkes«. Erst in ihm haben die ideellen als ein für die Genese von Individualität kon-
»Potenzen« wie die Sprache ihr Bestehen, und stitutives Prinzip herausgearbeitet – als einen
auch der Einzelne ist erst als Mitglied eines Vol- wechselseitigen praktischen Akt, auf dem die
kes »ein sittliches Wesen«, durch Teilhabe an den interpersonale Struktur des Rechts beruht. Hegel
Sitten des Volkes. Erst hier, im Aufgehobensein stellt diesen Begriff in den Kontext der Genese
im »absoluten Bewußtseyn« des Volksgeistes, des »absoluten Geistes« eines Volkes, und da-
sieht Hegel das empirische Bewußtsein am Ende durch erhält der Prozeß der Anerkennung über
seines Weges als Geist realisiert. Den Volksgeist Fichte hinaus eine Zuspitzung zum »Kampf auf
bezeichnet Hegel als » a b s o l u t e « , ja als » d i e Leben und Tod«. Denn Hegel faßt das Bewußt-
a b s o l u t e i n f a c h e lebendige, e i n z i g e S u b - sein des Einzelnen als ein »ideellseyn der Welt«,
s t a n z« – und damit spricht er ihm wiederum den so daß »jede Einzelnheit seines Besitzes, und
Primat vor dem Einzelnen zu: Ein rechtliches, seines Seyns, an sein ganzes Wesen geknüpft
sittliches und religiöses, aber auch ein arbei- erscheint, in seine Indifferenz aufgenommen ist«.
tendes Wesen ist der Einzelne nur als Mitglied So sind die Einzelnen »als negative absolute Ein-
einer Gemeinschaft. Wegen dieses Primats lehnt zelnheit Totalität«; darin verletzen sie den an-
Hegel eine vertragstheoretische Konstruktion des deren, negieren ihn als Totalität, gehen »auf den
Volkes hier ausdrücklich ab. Tod des andern« und setzen sich dabei selbst dem
Gleichwohl ist die Relation zwischen Einzel- Tod aus. Sie geraten somit in den »absoluten
nem und »Volksgeist« komplexer, als dieser An- Widerspruch«, sich als Totalität der Einzelheit zu
satz zunächst erwarten läßt. »Substanz« ist ja setzen und zugleich sich als diese Totalität aufzu-
keine mysteriöse Entität, aber auch keine bio- heben. Doch das Bewußtsein erkennt selbst diese
logisch vorgegebene Einheit, sondern eben die Bewegung, »daß die einzelne Totalität indem sie
164 II. Werk

als solche sich erhalten, seyn will, sich selbst Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1967),
absolut aufopfert, sich aufhebt; und damit das 21–99; Kimmerle: Problem der Abgeschlossenheit des
Denkens (1970), 147–161; Kimmerle: Die Chronologie
Gegentheil dessen thut, worauf sie geht«. Dieser
der Manuskripte Hegels in den Bänden 4 bis 9 (1976),
Kampf um Anerkennung wird jedoch nur auf der GW 8.348–361; Dieter Henrich: Absoluter Geist und
Ebene der Einzelnen ausgetragen, nicht zwischen Logik des Endlichen. In: Henrich / Düsing (Hg.): He-
dem einzelnen und dem allgemeinen Bewußt- gel in Jena (1980), 103–118; Wildt: Autonomie und
sein. Dieses ist nicht Kontrahent, sondern Resul- Anerkennung (1982), 325–336; Jaeschke: Vernunft in
tat: Das einzelne Bewußtsein setzt sich selbst als der Religion (1986); Varnier: Ragione, negatività, auto-
coscienza (1990), 133–206; Paul Ziche: Mathematische
ein aufgehobenes und »ist hiemit absolut all-
und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie
gemeines Bewußtseyn. Diß Seyn des aufgeho- Schellings und Hegels. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996;
benseyn der einzelnen Totalität ist die Totalität Klaus Vieweg (Hg.): Hegels Jenaer Naturphilosophie.
als absolut allgemeine als absoluter G e i s t« (GW München 1998; Nicolas Février: La théorie hégélienne
6.307–312). du mouvement à Iéna. Paris 1999; Schnädelbach: He-
(6) Soweit die fragmentarische Überlieferung gels praktische Philosophie (2000), 117–157; Hans-
Christoph Schmidt am Busch: Hegels Begriff der Ar-
erkennen läßt, ist der »absolute Geist« hier noch
beit. Berlin 2002.
strikt innerhalb des Horizonts des Volksgeistes zu Anerkennung: Ludwig Siep: Anerkennung als
angesiedelt. Doch das in den Umkreis des Sy- Prinzip der praktischen Philosophie (1979); Henry S.
stementwurfs I gehörende Fragment ist nur die Harris: The Concept of Recognition in Hegel’s Jena
Form (GW 6.330 f.) erweckt den Eindruck, daß Manuscripts. HSB 20 (1980), 229–248; Wildt: Auto-
der Abschluß des Systems bereits hier nicht mehr nomie und Anerkennung (1982), 336–343; Edith Dü-
sing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavio-
in den Begriffen der sittlichen Sphäre formulier-
ristische, phänomenologische und idealistische Be-
bar sei. Es nennt als letztes die Beziehung des gründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und He-
einzelnen Bewußtseins auf das absolute: »die le- gel. Köln 1986, 308–327; Axel Honneth: Kampf um
bendige Beziehung wäre, daß ein Volk als das Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer
Bewußtseyn in der Form der Einzelnheit ein all- Konflikte. Frankfurt am Main 1992; Robert R. Wil-
gemeines Werk vollbrächte, in welchem sie ihr liams: Recognition. Fichte and Hegel on the Other.
Albany 1992; Williams: Hegel’s Ethics of Recognition.
absolutes Bewußtseyn als Gestalt anschauten«.
Berkeley u. a. 1997.
Aber dieses absolute Bewußtseyn, das vorge-
stellte Göttliche, ist für das einzelne ein »ab-
4.6.6. Systementwurf II (1804/05)
solutes Jenseits«, vor dem es »sich nur vernichten
kann«; auch die Kunst kann dem absoluten Be- (1) Wie der Systementwurf I, so ist auch dieses
wußtsein keine angemessene Gestalt geben. »Fragment einer Reinschrift« fragmentarisch so-
Auch hier klingt wieder das von den frühen bis zu wohl durch Abfassung als auch durch Überliefe-
den späten Schriften konstante Motiv der Escha- rung: Es enthält das System nicht in seinem
tologiekritik an: Die Aufsplitterung des absoluten gesamten Umfang, sondern ohne die – im Sy-
Inhalts in ein »Jenseits der Vergangenheit und stementwurf I ja bereits ausgeführte – »Geistes-
der Zukunft« ist zu überwinden und der absolute philosophie«, und es hat schon Rosenkranz frag-
Selbstgenuß muß in Form der Spekulation ver- mentarisch vorgelegen: Zu Beginn der Logik feh-
wirklicht werden (Jaeschke 1986 a, 190 f.). len aus unbekanntem Grund mehrere Bogen und
Lagen. Sein Reinschriftcharakter verweist auf die
Erstdruck: Jenenser Realphilosophie I. Die Vorlesun- vom Sommer 1803 bis 1805 stereotypen Ankündi-
gen von 1803/04. Aus dem Manuskript hg. von Jo-
gungen einer Publikation über das »System der
hannes Hoffmeister. Leipzig 1932. – Text: GW 6. –
Quellen: Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Philosophie« – sowohl in Verlags- als auch in
Causes of the Wealth of Nations. London 11776, 3 1791; Vorlesungsanzeigen. Und zu Beginn seiner Vor-
Edward Gibbon: The History of the Decline and Fall of lesungen über »totam philosophiae scientiam,
the Roman Empire. A new edition. Bd. 1. Basil 1787. – i. e. philosophiam speculativam, (logicam et me-
Literatur: Theo Bodammer: Hegels Deutung der Spra- taphysicam) naturae et mentis, ex dictatis«
che. Interpretationen zu Hegels Äußerungen über die
schreibt Hegel am 29.09.04 auch an Goethe, er
Sprache. Hamburg 1969; Jürgen Habermas: Arbeit und
Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenaer »Philo- wolle »diesen Winter« für seine Vorlesungen
sophie des Geistes«. In ders.: Technik und Wissenschaft »eine rein wissenschaftliche Bearbeitung der Phi-
als Ideologie. Frankfurt am Main 1969; Kimmerle: losophie« fertigstellen und sie Goethe vorlegen.
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 165

An diesem Publikationsplan hat Hegel noch im kens«, mit »Begriff«, »Urtheil« und »Schluß« der
Hauptentwurf zu einem Brief an Voss vom Mai erste Teil der späteren Begriffslogik vorgeformt
1805 festgehalten; hier kündigt er eine Arbeit an, ist. Und die unter »III. Proportion« abgehandel-
die aus seinen »Vorlesungen über die gesamte ten Themen Definition, Einteilung und Erken-
Wissenschaft der Philosophie« erwachsen sei; er nen weisen auf deren dritten Teil, die Ideenlehre,
werde sie »auf den Herbst als ein System der voraus. Damit zeichnet sich nicht allein der The-
Philosophie darlegen«. Doch auch diesen Pu- menbestand der Wissenschaft der Logik im Um-
blikationsplan hat Hegel wenig später aufgege- riß ab, sondern auch die übereinstimmende Folge
ben und statt dessen das zunächst als Reinschrift von seins-, wesens- und begriffslogischen Denk-
begonnene Manuskript stellenweise stark über- bestimmungen. – Doch trotz dieser inhaltlichen
arbeitet – insbesondere die Logik. Gemeinsamkeit ist die Jenaer Logik durch ihren
(2) Der »Logik« dieses Manuskripts kommt systematischen Sinn von der späteren strikt ge-
eine Sonderstellung für die Entwicklung dieser schieden: Auch hier versteht Hegel sie noch als
Disziplin zu. Nach den nur flüchtig skizzierten eine von der Metaphysik getrennte, ihr vorgeord-
und zudem stark fragmentarischen Partien aus nete Disziplin.
dem Wintersemester 1801/02 (s. 151) ist sie die (3) Die Metaphysik dieses Entwurfs hat eine
einzige in den drei Jenaer Systementwürfen über- der Logik analoge Sonderstellung: Abgesehen
lieferte Logik – und sie steht im Blick sowohl auf von der genannten dürftigen Skizze des Winters
ihre interne Struktur als auch auf den Grad ihrer 1801/02 ist sie die einzige aus den Jenaer Jahren
Ausarbeitung näher an der Wissenschaft der Lo- überlieferte Fassung dieser Disziplin – und an-
gik als an den ersten Skizzen. Ihr Entwicklungs- ders als die Logik ist sie vollständig erhalten.
stand setzt eine intensive Bearbeitung dieser Dis- Dadurch werden aber auch die Schwierigkeiten
ziplin voraus, die vor allem im Umkreis der spe- der Konzeption einer Metaphysik nach Kant au-
ziellen Vorlesungen Hegels über »Logik und Me- genfällig. Ihr zentraler Begriff ist der des Erken-
taphysik« erfolgt sein wird. Sie hat ihn dazu nens, das sich hier nicht auf Anderes richtet,
verleitet, vom Sommer 1802 bis zum Frühjahr sondern sich selber zum Gegenstand wird. Im
1803 sowohl in Vorlesungs- als auch in Verlags- ersten Teil dieser Metaphysik handelt Hegel un-
ankündigungen ein Buch speziell über »Logik ter dem Titel »Das Erkennen als System von
und Metaphysik« anzuzeigen – sogar als »nundi- Grundsätzen« die Sätze der Identität, des ausge-
nis instantibus proditurum« –, ohne daß es dazu schlossenen Dritten und des Grundes ab – und
gekommen wäre. Die Früchte seiner Arbeit an somit Inhalte, die traditionell ihren Platz in der
der Logik zeigen sich deshalb erstmals und allein Logik gefunden haben, zuletzt in Kants tran-
im Systementwurf II – und danach erst wieder in szendentaler Logik im »System aller Grundsätze
den Nürnberger Entwürfen. des reinen Verstandes« (B 187) – und hierauf
Dieser fortgeschrittene Entwicklungsstand er- spielt ja auch der Titel dieses ersten Teils an.
laubt sogar einen Vergleich mit der Wissenschaft Hegel ordnet sie jedoch der Metaphysik zu – mit
der Logik – auch wenn die Gliederung des Jenaer dem methodologischen Argument, daß die für
Manuskripts in [»I. Einfache Beziehung«], »II. die Logik charakteristische Form der in unser
Das Verhältniß« und »III. Proportion« zunächst Bewußtsein fallenden, sich bewegenden Refle-
keine Berührungen erkennen läßt. Doch unter- xion hier verabschiedet und das Erkennen in
halb dieser Gliederungsebene zeigt sich ein ana- diesen Grundsätzen auf sich selbst bezogen sei
loger gedanklicher Aufbau. Hegel beginnt mit (GW 7.128–138).
den Begriffen der Qualität, geht dann über zu Der zweite Teil läßt die ambivalente Stellung
Quantität und Quantum und weiter zur »Unend- dieser Metaphysik gegenüber der früheren be-
lichkeit«. Der Begriffsrahmen der späteren sonders deutlich hervortreten. Selbst Rosenkranz
»Seinslogik« ist hierin unschwer zu erkennen. nennt diese »mit äußerster Anstrengung durch-
Gleiches gilt für Teil II, Abschnitt »A. Verhältniß geführte Entwicklung« »sehr dunkel« (R 110).
des Seyns«: Hier behandelt Hegel, wie später in Dieser Teil führt zwar den neuen Titel »Meta-
der Wesenslogik, die Relationskategorien Sub- physik der Objectivität«, folgt aber – mit den
stantialität, Kausalität und Wechselwirkung, Themen Seele, Welt und »höchstes Wesen« –
während in Abschnitt »B. Verhältniß des Den- strikt dem Aufbau der vorkantischen »metaphy-
166 II. Werk

sica specialis«. Doch die Ausgestaltung dieses »Gattungsproceß«, und diesen als das Scheitern
vorgegebenen Rahmens dementiert wiederum der Selbsterhaltung des Einzelnen und dessen
den plakativen Traditionsbezug: Zur Seele leitet Untergang; der Gattungsprozeß wird so zur »Exi-
Hegel über von den Begriffen des Grundes und stenz der Welt« (GW 7.142–150).
des Erkennens; sie sei verwickelt mit dem Inhalt Diese, vermeintlich der Sphäre des natürlichen
des Erkennens, aber sie hebe zugleich ihre Bezie- Lebens zugehörenden Begriffe »Selbsterhaltung«
hung auf diesen Inhalt und somit ihre Bestimmt- und »Gattung« bilden das tragende Begriffspaar
heit auf und sei »absolute Reflexion in sich nicht allein dieser ›rationalen Kosmologie‹, son-
selbst«. Nur im Vorübergehen streift er die frü- dern auch noch der ›theologia naturalis‹, nämlich
heren Versuche, »die Unsterblichkeit der Seele zu des Kapitels vom »höchsten Wesen«. In einer
behaupten und zu beweisen«. Er bezeichnet die überraschenden Wende sucht Hegel von ihnen
Seele zwar als »Substanz« – aber nicht mehr im aus sogar den zentralen Gedanken der Meta-
Sinne der vorkritischen »substantia simplex«, physik zu gewinnen – die Identität von Denken
sondern auf Grund ihrer Tätigkeit als Reflexion und Sein: »Wenn wir den Proceß der Selbst-
in sich. Und so präzisiert er den Substanzbegriff erhaltung, als den, in welchem das absolutbe-
zugleich in einer Wendung, die die spätere, be- stimmte sich selbst gleich, die vielen Bestimmt-
rühmte antizipiert: »die Substanz ist vielmehr, heiten in sich ideell setzt, und indifferent in
Subject«, ja »das Eins der Substantialität und ihrem Aufheben sich selbst [gleich] bleibt, Den-
Subjectivität; und weder wahrhaffte Substanz, ken nennen; den Proceß der Gattung aber, worin
noch wahrhafftes Subject« (GW 7.138–142; s. das Einzelne selbst nur im Allgemeinen, […]
182). Seyn oder Ausdehnung, als das für welches
Mehr noch als die Ausführungen über die Seele schlechthin ein mögliches ist, nennen, welches
spiegelt die Behandlung der beiden anderen The- beydes Eins ist, so ist Denken und Ausdehnung
men der metaphysica specialis, »Welt« und oder Seyn schlechthin Eins.« Die Gattung als
»höchstes Wesen«, die methodischen und inhalt- »absolute Gattung« ist selbst »das höchste Wesen«
lichen Schwierigkeiten des Versuchs, eine nach- – nicht eine Existenz gegen andere, »vielmehr die
kritische Metaphysik zu entwerfen. Sie erschei- absolute Existenz selbst, nicht ein Nothwendiges,
nen fast als Parodie der früheren rationalen Kos- sondern die Nothwendigkeit selbst, nicht das
mologie und Theologie. Die traditionellen und gemeinschafftliche leere Allgemeine, sondern
durch Kants Antinomienlehre verabschiedeten die Idealität dessen, dessen gemeinschafftliches
Themen ›Begrenztheit oder Nichtbegrenztheit es nur wäre, also ihr Wesen oder ihre Substanz
der Welt‹ oder ›Einfachheit der Materie‹ bleiben ist.« Und Hegel unterstreicht noch die anti-carte-
ausgespart. Das Thema des ›dritten Widerstreits‹ sianische, spinozistische Färbung dieses Gedan-
der reinen Vernunft, ›Freiheit und Notwendig- kens: »Diß höchste Wesen hat den Gegensatz des
keit‹, nimmt Hegel zwar auf, sucht es jedoch – sich selbsterhaltenden oder des Denkens, und
anders als Kant – nicht durch eine Verteilung des Seyns, oder der Ausdehnung, schlechthin nur
dieses Begriffspaars auf die ›Dinge an sich selbst‹ als ein Attribut, als Moment, als ideelles in sich,
und die ›Erscheinung‹ zu lösen: Freiheit und nicht als Substanz, ansichseyendes, sondern es ist
Notwendigkeit seien nicht »verschiedene Ansich- vielmehr dessen An sich seyn, und die Unter-
ten einer und derselben Sache«; ihr »Zugleich- schiede gehören nur der Idealität, dem Nichts an
seyn […] ist nicht ein Schein«, sondern »jedes ist sich an.«
das Moment des andern«. Auf Grund dieser Bestimmungen betont Hegel
Neben dieses Begriffspaar treten zwei weitere: – und zwar mit zunächst feierlich wirkender Wie-
Den Begriff der Seele bestimmt Hegel näher als derholung –, es sei »erwiesen«, daß das höchste
den der Monade, und mittels des – ebenfalls Wesen das An sich, und nur das höchste Wesen
Leibnizischen – Begriffs der »Verkettung der Mo- das An sich sei. Ihm stehe die erschaffene Welt
naden« geht er zu den Begriffen des Gattungs- als Negation, als Nichtexistenz, und auch das
und Selbsterhaltungsprozesses – wobei wie- Böse als das sich in sich einbildende Prinzip
derum Leibnizens, aber insbesondere Spinozas gegenüber. Und doch hebt Hegel sowohl diese
Begriff des »conatus in suo esse perseverandi« Gegenüberstellung als auch die Kraft des Be-
anklingen. Den Weltprozeß bestimmt Hegel als weises wieder auf: Das Negative verschwinde
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 167

zwar im höchsten Wesen, aber eben darin habe es Dritte zum »subjektiven« und »objektiven Geist«:
sein Fürsichsein und bleibe getrennt vom »ab- Kunst, Religion und Philosophie. Er analysiert
soluten Wesen« – das somit entgegen seinem hier zunächst die Struktur von Geist überhaupt:
Begriff nicht wirklich ein »höchstes Wesen« ist. »Geist« ist das Ich, das sich gefunden hat, und
Und er kritisiert auch die Form des Beweises seine Struktur »ist die Einheit der beyden Re-
dieses (vermeintlich) »höchsten Wesens«: Der flexionen, sich auf sich selbst beziehend; die eine
(kosmologische) Beweis gehe nur in dieses zu- ist die sich selbst erhaltende, die aber allgemein
rück, aber nicht aus ihm, sondern aus der »Exi- geworden ist, und die andere die der Gattung, die
stenz« hervor. In seiner Wahrheit ist das »höchste allgemeine welche in sich selbst die absolute
Wesen« somit »die absolute Negation«, und zwar Einzelnheit hat.« Der Geist ist Selbstbeziehung in
»als diß einfache, als absoluteinfache Reflexion in der Beziehung zum Anderen; er setzt sich die
sich selbst, als Ich oder Intelligenz« (GW Unendlichkeit aus sich selbst entgegen, aber
7.150–154). diese »ist dasselbe, was der Geist ist.« Er schaut
Dieser Übergang von der »Metaphysik der Ob- deshalb nicht nur sich, sondern auch sein An-
jectivität« zur »Metaphysik der Subjectivität«, deres als sich an, ist sich und dem Anderen
vom »höchsten Wesen« zum theoretischen und gleich, und: »Diese Einheit ist der absolute
praktischen Ich zerstört die systematische Funk- Geist«.
tion der früheren metaphysica specialis. Die An- In diesem Begriff des absoluten Geistes kulmi-
knüpfung an die traditionelle Struktur der Meta- niert Hegels »Metaphysik«. Er wendet ihn auch
physik ist nicht ein Indiz dafür, daß die im Sy- gegen Schelling, der unmittelbar zuvor, in Philo-
stemaufriß auf sie folgende »Bewußtseinsthema- sophie und Religion (1804), die von Spinoza ab-
tik nur als eine Entfaltung des absoluten gewehrte Frage nach einem Übergang vom Un-
Bewußtseins vorkommen« könne (Kimmerle endlichen zum Endlichen (JWA 1.18,31) erneut
1970, 130). Hegel überführt vielmehr die The- aufwirft und sie durch die Metapher des »Sprun-
men der metaphysica specialis ihrer inneren Un- ges« oder des »Abfalls vom Absoluten« zu ent-
wahrheit: Das Ich ist die Wahrheit des »höchsten scheiden sucht (SW I/6.38ff.). Ihm hält Hegel
Wesens«; denn für die Monade, und mehr noch entgegen: »Es kann nicht gefragt werden, wie das
für das »höchste Wesen«, ist das Andere nur die Unendliche zum endlichen werde, oder heraus-
Negation; für das Ich hingegen »ein dem Ich gehe, und was dergleichen begrifflose Ausdrücke
gleiches«. Die Darstellung der Metaphysik ist sind.« Denn eine andere Unendlichkeit, ein an-
auch hier zugleich ihre Kritik. deres, ›höheres‹ Absolutes als das des Geistes
Dieses »Ich« ist aber kein Einfaches, Unstruk- gibt es nicht. Allerdings ist dieser »absolute
turiertes. Hegel arbeitet deshalb die wider- Geist« in der Metaphysik zunächst nur für das
sprüchliche Struktur des theoretischen Ich, we- Erkennen, »für uns«, absoluter Geist, oder: »Der
niger des praktischen, heraus, und diese Analy- Geist, wie er aufgezeigt worden ist, ist darum nur
sen zählen zu den ausführlichsten und eindring- Idee« – »absolute Idee«, könnte man von der
lichsten auf diesem Gebiet. In seiner Einzelheit Wissenschaft der Logik her sagen –, und »seine
sei das Ich »absolut allgemeines«; es sei in sich Idee ist absolut realisirt, erst indem die Momente
reflektiert und doch »Theil der Welt«, sich selbst des Geistes selbst dieser Geist sind, aber dann ist
Gleiches und doch »absolut bestimmtes«. Und als auch kein darüberhinausgehen mehr.« (GW
ursprüngliche erscheine diese Bestimmtheit (mit 7.154–178)
Fichtes Ausdruck) als »unendlicher Anstoß […] (4) Der Systementwurf II ist – zumindest für
im inneren absoluten Wesen des Ich selbst«. Das uns – der erste, der ausführlichen Einblick in die
Ich sei nur »als ein sich findendes,« nichts zuvor Differenz von Logik und Metaphysik erlaubt –
Vorhandenes, und »daß es diß Finden seiner und er ist zugleich der letzte, der diese Differen-
selbst [ist], diß ist seine absolute Unendlichkeit.« zierung durchführt. Bereits in den Skizzen von
Als sich Findendes sei das theoretische Ich Geist 1801/02 wirkt die traditionelle und bereits durch
überhaupt, und als realisiertes praktisches Ich Kant unterhöhlte Unterscheidung beider Diszi-
»absoluter Geist«. plinen künstlich, und sie ist selbst dort schon
Mit diesem Begriff bezeichnet Hegel hier noch terminologisch partiell durchbrochen (s. 151 f.).
nicht – wie später in seiner Enzyklopädie – das Die Ausgestaltung beider Disziplinen im ausge-
168 II. Werk

führten Systementwurf II läßt dann entgegen He- Geistes antizipiert die spätere der »absoluten
gels ursprünglicher Absicht offenkundig werden, Idee« auch darin, daß Hegel die weiteren Ge-
daß sie weder methodologisch noch inhaltlich stalten des Systems als »Werden des absoluten
von einander zu scheiden sind. Geistes«, dieses »lebendigen Gottes«, versteht –
Hegel sucht die Trennung von Logik und Meta- und »das erste Moment des sich realisirenden
physik auf die methodologische Unterscheidung Geistes« ist die Natur (GW 7.187,177 f.). Sie ist
von Dialektik (oder »Idealismus«) und Nicht- »der sich auf sich beziehende absolute Geist« –
Dialektik, von Reflexion und »Negation der Re- aber als »befangener Geist«, so daß sie »an sich
flexion überhaupt« zu stützen (GW 7.127, 111 f.). selbst den Widerspruch […] gegen ihr Wesen,
Doch entgegen diesem Methodenkonzept über- absoluter Geist zu seyn, hat«; sie ist »der absolute
greift »Dialektik« als Form der immanenten Re- Geist als das Andre seiner selbst«.
flexion, der »Selbstbewegung des Begriffs«, beide Material lehnt sich die Naturphilosophie des
Disziplinen. Deren Methodendifferenz wäre prä- Systementwurfs II weitgehend an den nur ein
ziser als je besondere Ausprägung des Verhältnis- Jahr früheren Systementwurf I an, wobei dessen
ses von Selbstbeziehung und Beziehung auf An- fragmentarischer Charakter einen durchgehen-
deres zu fassen, wie sie aber auch innerhalb der den Vergleich verhindert. Auch die Beziehung
Logik variiert. Und auch die Differenz zwischen zwischen der Logik und der Naturphilosophie
dem »Fürsich« und »Füruns«, zwischen imma- beider Entwürfe ist dadurch nicht klar ersicht-
nenter und äußerlicher Reflexion, die Hegel we- lich. Augenfällig ist jedoch, daß sich die spätere
nig später zum Motor der Begriffsentwicklung Fassung terminologisch stark an der »Logik« die-
der Phänomenologie des Geistes macht (s. 185), ses Entwurfs orientiert und dadurch fast voll-
durchzieht sowohl Logik als auch Metaphysik ständig von der in der früheren Fassung noch
(Jaeschke 1978, 106ff.) vorherrschenden Terminologie der Identitätsphi-
Wenn aber die Annahme einer Methodendiffe- losophie Schellings löst.
renz entfällt, läßt sich auch die inhaltliche Tren- Im neuen, sehr ausführlichen Entwurf ist erst-
nung der Disziplinen nicht aufrecht erhalten. mals der Beginn der Naturphilosophie überlie-
Ihre Vereinigung ist aber nicht als Zusammen- fert, mit dem allgemeinen Begriff der Natur und
wachsen zu beschreiben, sondern als Zerfall der dem vollständigen »System der Sonne« – doch
– ohnehin nur noch verkümmerten – »Meta- endet das Manuskript fragmentarisch vor der
physik« und als Inkorporation ihrer materialen Abhandlung des Organischen, und somit fehlt
Relikte in andere Disziplinen. Der erste Teil der das Zentrum der Naturphilosophie, der Begriff
»Metaphysik«, das »System von Grundsätzen«, ist des Lebens. Denn die Natur ist Geist, und wenn
traditionell ohnehin Bestandteil der Logik, und auch nicht »in Geistesgestalt«, als sich erken-
es findet später seinen systematischen Ort in der nender Geist, so doch als in sich reflektiert, als
»Wesenslogik«. Wegen des Zerfalls der »Meta- »Leben«, das sich im Lebensprozeß in einer
physik« bezeichnet Hegel die aus diesem Prozeß Reihe von fürsichseienden Momenten entfaltet
entstehende Wissenschaft als »Logik« – obgleich (GW 7.179–186).
bis zum Systementwurf II die »Metaphysik« den Der Detailreichtum dieser Reihe verbietet eine
systematischen Primat gegenüber der »Logik« ge- ausführliche Darstellung und nötigt zur Be-
habt hat. Schon in der Bezeichnung dieses Kol- schränkung auf einige herausragende Aspekte. –
legs wie auch in der Ankündigung eines folgen- Wie der frühere, so ist auch dieser Entwurf noch
den dominiert die Bezeichnung »Logik« (Kim- einer älteren Kosmologie verhaftet, indem er die
merle 1967, 62,87). Und während die Thematik Hauptdifferenz zwischen das »System der Sonne«
der »Metaphysik der Subjectivität« später in die und das »Irrdische System« legt. Als Grundbe-
»Philosophie des Geistes« wandert – wenn auch griffe des ersten nennt Hegel den »Äther« oder
mit Ausstrahlung auf den Begriff der »absoluten die »absolute Materie«, ein allgemeines, unend-
Idee« –, ist dem Zentrum der »Metaphysik«, der liches, sich absolut gleiches, »absolut elasti-
in Anlehnung an die metaphysica specialis kon- sches«, formloses und deshalb jede Form an-
zipierten »Metaphysik der Objectivität«, im spä- nehmendes Substrat der Natur überhaupt. Schon
teren System kein Weiterleben beschieden. in ihm sucht Hegel die Struktur der Selbstbezie-
(5) Die systematische Stellung des absoluten hung aufzuweisen und in Aufnahme der pythago-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 169

räischen Tradition metaphorisch auszudrücken – als Vorarbeit zum Systementwurf III einzustufen
als ein »Sprechen« des Äthers, als »Articulation ist (GW 8.294–308,359).
der Töne der Unendlichkeit, die vernommen Partieller Erstdruck: R 104–123. – Erstdruck: Hegels
vom sichselbstgleichen als absolute Melodie ab- erstes System. Hg. von H. Ehrenberg und H. Link.
solute Harmonie des Universums sind.« Auch die Heidelberg 1915. – Text: GW 7. – Literatur: Kimmerle
Rede von einer »Contraction der Gediegenheit (Hg.): Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit
des Äthers« in den Punkt des Sterns bedient sich (1967); Kimmerle: Problem der Abgeschlossenheit des
Denkens (1970), 120–200; Scheit: Geist und Gemeinde
einer geschichtlich weit zurückreichenden Ter-
(1973), 127–140; Klaus Düsing: Problem der Subjek-
minologie. Doch für die »absolute Vielheit« die- tivität in Hegels Logik (1976), 150–198; Jaeschke: Äu-
ser Contractionen zeigt Hegel nur Verachtung: ßerliche Reflexion und immanente Reflexion (1978);
Sie sei »an sich unvernünftig, und eine Erhaben- Rolf P. Horstmann: Über das Verhältnis von Metaphysik
heit, so leer, als ihre Bewunderung gedankenlos der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in
ist« – offensichtlich eine schroffe Antithese gegen Hegels Jenaer Schriften. In: Henrich / Düsing (Hg.)
Hegel in Jena (1980), 181–195; Varnier: Ragione, nega-
Kants »Bewunderung und Ehrfurcht« für den ge-
tività, autocoscienza (1990), 206–222; Christophe Bou-
stirnten Himmel (AA V.161). ton: Temps et esprit dans la philosophie de Hegel. De
Ausgehend vom Grundbegriff des Äthers, aber Francfort à Iéna. Paris 2000; Rainer Schäfer: Die Dia-
in wachsender Distanz zu ihm wie auch zur Be- lektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik.
grifflichkeit der Logik und Metaphysik sucht He- Hamburg 2001 (HSB 45), 91–157.
gel den Begriff der Natur in ihrer Totalität zu
entfalten: zunächst die Begriffe von Raum und
4.6.7. Systementwurf III (1805/06)
Zeit und mit ihnen den der Bewegung als den
tragenden Begriff dieses »Systems der Sonne«. Er (1) Auch der partielle, nur die Realphilosophie
prägt auch noch die Anfangspartien der Dar- enthaltende Systementwurf III, das Manuskript
stellung des »irrdischen Systems«, jedoch nun in zur »Naturphilosophie und Philosophie des Gei-
den irdischen Formen der Fallbewegung, Wurf- stes«, ist im Zusammenhang mit Hegels Vor-
bewegung und Pendelbewegung als Gegenstand lesungen entstanden. Für das Wintersemester
der Mechanik, die Hegel jedoch bis zu einer 1805/06, und nochmals für den Sommer 1806,
»Construction der realen Materie« weiterzufüh- kündigt er an: »Philosophiam realem, i. e. na-
ren gedachte (GW 7.250). Im zweiten, dem idea- turae et mentis ex dictatis«; außerdem liest er im
len und realen »Proceß der Materie« gewidmeten Winter erstmals »Historiam philosophiae« und
Teil dominiert der Begriff des Chemismus, der im Sommer »Philosophiam speculativam s. logi-
»Flüssigkeit der chemischen Elemente«. Hieran cam«. Neben diesen philosophischen Vorlesun-
schließt Hegel noch einen sehr ausführlichen gen kündigt Hegel vom Wintersemester 1805/06
dritten, »Physik« überschriebenen Teil, dessen bis zum Sommersemester 1807 auch Vorlesungen
Aufgabe wohl als zusammenfassende Vertiefung an über Conrad Diedrich Martin »Stahls Anfangs-
der beiden vorangehenden Teile zu beschreiben gründe der reinen Arithmetik« und Johann
ist – in Antizipation des Abschnitts »III. Totaler Friedrich »Lorenz erster Cursus der reinen Ma-
Proceß« aus der Naturphilosophie des System- thematik« – doch haben sich hierüber keine
entwurfs III. Doch anders als dort folgt im Sy- Nachrichten erhalten. Der Systementwurf III ist
stementwurf II nicht noch eine Abhandlung des hingegen fast vollständig überliefert; es fehlen
Organischen. Hegel führt zwar den Begriff des lediglich der Beginn der Naturphilosophie sowie
Neutralisierungsprozesses bis hin zum Begriff der Übergang von der Natur- zur Geistesphilo-
des Organischen – doch damit bricht dieses sophie.
»Fragment einer Reinschrift« ab. Es ist wenig (2) Die Abhandlung der Naturphilosophie be-
wahrscheinlich, daß es ursprünglich auch noch ginnt mit der Überschrift »I Mechanik« – und
eine Philosophie des Organischen oder gar eine darin liegt bereits der wichtigste Unterschied die-
Geistesphilosophie umfaßt habe – auch wenn ses Entwurfs gegenüber dem vorhergehenden.
Hegel fraglos über Materialien hierzu verfügt hat. Dort war zwar auch eine derartige Überschrift zu
Zu ihnen könnte das »Gliederungsfragment zur erschließen (GW 7.228) – aber erst zu Beginn des
Naturphilosophie« gehören, das nach der neuen »irrdischen Systems«. Jetzt hingegen geht dem
»Chronologie der Manuskripte Hegels« jedoch irdischen nicht wie früher ein getrenntes »System
170 II. Werk

der Sonne« voraus: Hegel gibt diese Unterschei- über die Differenz der männlichen und weib-
dung auf und integriert den Inhalt des früheren lichen Geschlechtsorgane (J. F. Ackermann 1805,
»Systems der Sonne« in die Mechanik, die nun- G. H. Schubert 1806; s. die Anmerkungen zu GW
mehr sowohl Himmels- als auch irdische Me- 8). Es scheint, als habe Hegel beabsichtigt, bei
chanik umfaßt – entsprechend der Aufhebung der der beabsichtigten Publikation seines zweiten Sy-
Trennung von Himmels- und sublunarer Sphäre stementwurfs das Detail zu Gunsten der über-
in die differenzierte Einheit des neuzeitlichen greifenden Linien zurückzustellen. – Leider hat
Weltbildes. Die zweite gravierende Differenz sich der Abschluß der Naturphilosophie wie auch
zum Systementwurf II besteht in der erneuten der Beginn der Geistesphilosophie nicht erhal-
Abhandlung des Organischen im dritten Teil. ten, so daß nicht mehr zu erkennen ist, wie Hegel
Durch diese beiden Änderungen gelangt Hegel damals den Übergang von der Natur zum Geist
hier zu der Dreigliederung der Naturphilosophie, gestaltet hat.
die auch noch den enzyklopädischen Grundriß (3) Von diesem fragmentarischen Anfang abge-
bestimmt – auch wenn er später den Titel des sehen enthält der zweite Teil dieses Manuskripts
zweiten Teils von »Gestaltung und Chemismus« die erste vollständige Durchführung der Geistes-
in »Physik« ändert. philosophie. Augenfällig ist ihre Distanz gegen-
Die erstgenannte Veränderung führt jedoch zu über dem Systementwurf I: Die frühere schelling-
einer weitgehenden Umgestaltung dieser »Me- ianisierende Terminologie und Anlehnung an die
chanik«: Während in der Mechanik des System- Form einer Potenzenlehre ist entfallen; die Gei-
entwurfs II Wurfbewegung, Pendelbewegung, steslehre gliedert sich nun in die drei Abschnitte
Hebelgesetz und die Begriffe der Masse und der »I. Der Geist nach seinem Begriffe« (so eine
Flüssigkeit im Zentrum stehen, beginnt Hegel erschlossene Formulierung als Ersatz für die ver-
nun mit den Begriffen des früheren »Systems der lorene erste Überschrift), »II. Wirklicher Geist«
Sonne« – Raum und Zeit –, bevor er zu Masse und »III. Constitution«.
und Bewegung übergeht (GW 8.3–34). Im zwei- Im ersten Abschnitt entwickelt Hegel unter den
ten Abschnitt bringt Hegel Themen der Physik Titeln »Intelligenz« und »Willen« eine – noch
(»Gestaltung«) und Chemie in eine eher äußer- sehr rudimentäre – Vorform der späteren Philo-
liche Verbindung. Dem Begriff der »Schwere« in sophie des subjektiven Geistes. Das erste, der
der Physik läßt Hegel im »Chemismus« den der »Intelligenz« gewidmete Kapitel weist mit der
»Wärme« entsprechen. Doch er sucht ohnehin Abhandlung von »Zeichen« und »Nahme« noch
die physikalisch-chemische Differenz im Begriff eine enge materiale Beziehung zum Systement-
des »Totalen Processes« zu vermitteln, in dem wurf I auf. Vor dem Hintergrund dieser Ähnlich-
nochmals »Mechanik« und »Chemismus« des keit hebt sich jedoch das Hervortreten des Geist-
»physischen Körpers« oder des »irrdischen Feu- begriffs gegenüber dem früheren Bewußtseins-
ers« ins Verhältnis gesetzt werden (GW begriff ab: Das Verhältnis des Geistes ist nicht ein
8.34–108). Unter dem Titel »Das Organische« Bewußtseinsverhältnis (als Verhältnis zu Ande-
thematisiert er zunächst den Rückgang des Un- rem), sondern ein Selbstverhältnis. Der Gegen-
organischen ins Organische und im Organischen stand ist hier nicht mehr ein äußerer; er ist
in sich selbst, bevor er in einer zweifachen Unter- überhaupt nicht mehr das, » w a s er ist«, sondern
gliederung den »Vegetabilischen Organismus« sein selbständiges Sein ist aufgehoben, »mein
und den »Animalischen Proceß« abhandelt (GW F ü r m i c h s e y n ist Gegenstand als We s e n des
8.108–184). Dings«; der Gegenstand ist in den Geist aufge-
Anders als im Reinschriftmanuskript, im Sy- nommen, im Schatze des Geistes aufbewahrt.
stementwurf II, bezieht Hegel sich in diesem Damit gilt er aber nicht als in das Licht des
dritten Entwurf seiner Naturphilosophie wieder Geistes getaucht, sondern als in seine »Nacht«, in
im Detail auf naturwissenschaftliche Forschun- den Schacht des Geistes versenkt. Dieses Bild
gen seiner Zeit – von einer Studie Ueber die gestaltet Hegel in düsteren Wendungen aus, die
Aehnlichkeit der ehemaligen Erdoberfläche mit an die Entdeckung der »Nachtseite« des Men-
der gegenwärtigen des Mondes (J. L. Heim, 1802) schen im Umkreis der Romantik erinnern: »Der
über die Fallgesetze und Theorien über den Wär- Mensch ist diese Nacht, diß leere Nichts, das
mestoff bis hin zu soeben erschienenen Arbeiten alles in ihrer Einfachheit enthält – ein Reichthum
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 171

unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren kei- (4) Wie im ersten Abschnitt sich erstmals
nes ihm gerade einfällt –, oder die nicht als ge- Strukturen der späteren Lehre vom »subjektiven
genwärtige sind. Diß die Nacht, das Innre der Geist« andeuten, so im zweiten Abschnitt, »Wirk-
Natur, das hier existirt – r e i n e s S e l b s t, – in licher Geist«, Strukturen des »objektiven Gei-
phantasmagorischen Vorstellungen ist es rings stes«. Auch dieser Abschnitt ist zweigeteilt; und
um Nacht, hier schießt dann ein blutig Kopf, – da der erste Teil auf der Grundlage des »Aner-
dort eine andere weisse Gestalt plötzlich hervor, kanntseyns« zunächst die Bestimmungen Arbeit,
und verschwinden ebenso – Diese Nacht erblickt Tausch und Eigentum expliziert und von ihnen zu
man wenn man dem Menschen ins Auge blickt – »b. Vertrag« und »c. Verbrechen und Strafe« fort-
in eine Nacht hinein, die f u r c h t b a r wird, – es geht, zeichnet sich hier schon die Gliederung des
hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen.« späteren Abschnitts über das »abstrakte Recht«
(GW 8.187 f.) ab. Im zweiten Teil, »das Gewalt habende Ge-
Die Seite des Praktischen, die – nach der frag- setz«, handelt Hegel hingegen in noch wenig
mentarischen Überlieferung zu urteilen – im Sy- strukturierter Folge eine Fülle weiterer rechts-
stementwurf I im Kapitel über die »Potenz des philosophischer Themen ab – von der Ehe über
Werkzeugs« lediglich am Rande erwähnt wird, die Rechtspflege bis zur peinlichen Gerichtsbar-
stellt Hegel nun erstmals unter den Titel »Wil- keit.
len«. Dieses Kapitel umfaßt aber auch die The- Auch der dritte Abschnitt, »Constitution«,
men »Trieb«, »Arbeit« sowie »Erkennen«, »Liebe« weist deutliche Kompositionsprobleme auf. Zum
und »Familie«, um von hier zu den Themen »An- einen gehört sein Gegenstand, der Staat, fraglos
erkennen« und »Erzeugen des Rechts« überzu- in das vorherige Gebiet des »Wirklichen Gei-
leiten. Recht ist Anerkennen, somit nicht ein stes«; zum anderen findet sich auch hier an Stelle
natürliches, sondern ein geistiges, aus dem Be- einer systematischen Durchbildung eine rhap-
griff erzeugtes Verhältnis. Gegen die naturrecht- sodische Folge prinzipieller Ausführungen zum
liche Lehre vom Recht der »ursprünglichen Be- Staatsbegriff, zu einer Ständelehre und einer ru-
sitzergreifung« (prima occupatio) beharrt Hegel dimentären Philosophie des absoluten Geistes.
darauf, daß ein Rechtsverhältnis allein durch die Der in der frühen Jenaer Zeit dominante Begriff
Bewegung des Anerkennens begründet wird. Da- des Volkes ist hier – trotz terminologischer
mit setzt er sich implizit von Kants Metaphysi- Schwankungen – wegen seiner Unstrukturiert-
schen Anfangsgründen der Rechtslehre (AA heit durch den Begriff des Staates abgelöst. Ihn
VI.258–270) ab, die in dieser Frage ambivalent führt Hegel ein als die absolute geistige Macht,
bleiben, und er schließt sich enger als im System- die sich selbst zum Zweck macht – als »All-
entwurf I an Fichtes Begriff der Anerkennung an. gemeinheit in der vollkommnen Freyheit und
Das Anerkannte gilt durch sein Sein – aber dieses Selbstständigkeit der Einzelnen«, Das Grundpro-
Sein ist nichts Unmittelbares, sondern ein gei- blem des Staates ist deshalb die Vermittlung von
stiges, » e r z e u g t a u s d e m B e g r i f f e«. Den Einzelnem und Allgemeinem – das »Werden des
Akt der Aufhebung konstruiert Hegel im neuen einzelnen zum Allgemeinen und Werden des All-
geistesphilosophischen Ansatz nicht mehr über gemeinen [zum Einzelnen?]«, jedoch nicht als
den Begriff der Totalität des Bewußtseins, son- »blinde Nothwendigkeit, sondern durchs Wissen
dern über den des Willens: Das einzelne Fürsich- vermittelte; oder jeder ist sich selbst Zweck da-
sein stellt sich als Willen dar, »als ein solches dem bey, d. h. der Zweck ist schon das bewegende«.
nicht mehr sein Daseyn, das es als Besitz hatte, Diese doppelte Bewegung weist Hegel – mit Ari-
gilt, sondern d i ß s e i n g e w u ß t e s F ü r s i c h stoteles gegen Rousseau – in dessen Begriff des
s e y n ; dessen Seyn die reine Bedeutung des »allgemeinen Willens« auf: »Er hat s i c h z u e r s t
Wissens von sich hat, und so zur Existenz kommt. aus dem W i l l e n d e r E i n z e l n e n z u c o n s t i -
Solches Darstellen aber ist das durch sich voll- t u i r e n als allgemeiner, so daß jener das Princip
brachte Aufheben des Daseyns«. Die sich als Für- und Element scheint, aber umgekehrt ist er d a s
sichsein Wissenden gehen aus dem »Kampf auf E r s t e und das We s e n, und die einzelnen haben
Leben und Tod« so hervor, daß jedes »das andre sich durch N e g a t i o n ihrer, Entaüsserung und
als reines Selbst gesehen« hat und »ein W i s s e n Bildung, zum allgemeinen zu machen, er ist frü-
d e s W i l l e n s« ist, der dadurch allgemeiner her als sie, e r i s t a b s o l u t d a für sie, s i e sind
Wille, Anerkanntsein ist (vgl. s. 187). gar nicht u n m i t t e l b a r derselbe« – und damit
172 II. Werk

thematisiert Hegel die innere Dialektik des neu- und den Soldatenstand rechnet. Auch hier wie-
zeitlichen Staates (GW 8.253–257). derholt Hegel seine Bedenken im Blick auf das
In dieser Spannung kehrt das Problem wieder, Verhältnis der Staaten zu einander: Sie stehen im
das bereits im vorhergehenden Teil Hegels Ab- Naturzustand, und selbst wenn sie sich durch
handlung der Ehe prägt: Er akzentuiert die Be- Verträge binden, so haben diese – wegen der
deutung der freien Willenserklärung, doch ver- fehlenden Sanktion von Verletzungen – nicht den
wirft er eine kontraktualistische Interpretation Charakter bürgerlicher Verträge: »Es ist dieser
der Ehe. Im Politischen löst Hegel diese Span- ewige Betrug, Tractaten zu schliessen, sich zu
nung, indem er den einzelnen Willen als an sich verpflichten, und diese Verpflichtung wieder ver-
allgemeinen versteht – und die Erhebung des schwinden zu lassen. – Ein allgemeiner Völker-
wirklichen, nur an sich allgemeinen in einen verein zum ewigen Frieden, wäre die Herrschafft
wirklich allgemeinen Willen ist die Wirkung des Eines Volks, oder es wäre nur ein Volk – ihre
»grossen Menschen«, der den reinen, an sich Individualität vertilgt – Universalmonarchie.«
allgemeinen Willen der Einzelnen gegen ihren (GW 8.266–277)
bewußten Willen mobilisiert: er »hat jenen auf (5) Von dieser Ständelehre geht Hegel wenig
seiner Seite, und sie m ü s s e n , ob sie schon nicht vermittelt zur Abhandlung von »Kunst, Religion
wollen«. und Wissenschafft« über – und hier gewinnt der
In dieser spannungsvollen Einheit von Indivi- Begriff des »absoluten Geistes« die Bedeutung,
dualität und Allgemeinheit, die den Staat charak- die für die weitere Systementwicklung bestim-
terisiert, liegt auch seine Differenz zur griechi- mend bleibt. Der Ausdruck »absoluter Geist« hat
schen Sittlichkeit. Hegel operiert hier nicht mehr stets dem latenten Verdacht neue Nahrung gege-
mit den mythischen Formeln vom Zerbrechen ben, daß Hegel mythologische Wesen in die Phi-
einer unmittelbaren Einheit, und es ist auch nicht losophie introduziere – und wenn sich dieser
allein sein geschichtlicher Realitätssinn, der ihn Verdacht schon gegen den »Geist« überhaupt oder
darüber belehrt, daß »die schöne glükliche Frey- den »Volksgeist« und den »Weltgeist« richtet, so
heit der Griechen, die so sehr beneidet worden noch viel mehr gegen den »absoluten Geist«.
und wird«, nicht mehr wiederkehrt. Dies wäre Andere sehen in ihr ein Indiz für die Abwendung
nun auch gar nicht mehr wünschenswert. Denn des späten Hegel von der Analyse gesellschaft-
der neuzeitliche Staat ist durch eine »höhere licher Widersprüche und für seinen Rückfall in
Abstraction«, einen »tieferen Geist« charakteri- eine überkommene, aber überholte Vorstel-
siert. Das » h ö h e r e P r i n c i p d e r n e u e r n lungswelt.
Z e i t , das die A l t e n d a s P l a t o nicht k a n n t e«, Und doch liegt alle Mythologie hier ebenso
liege eben in der »höheren Entzweyung«, sein fern wie der vermutete Quietismus. »Absoluter
Selbst als das allgemeine Wesen zu wissen, »vom Geist« bezeichnet lediglich diejenige Sphäre gei-
daseyenden Allgemeinen abgetrennt, doch ab- stigen Lebens, in der der Geist sich aus der
solut zu seyn – i n s e i n e m W i s s e n s e i n A b - äußeren Wirklichkeit löst, sich auf sich zurück-
s o l u t e s u n m i t t e l b a r z u b e s i t z e n« (GW wendet und sich zum Gegenstand macht – und
8.258–265). eben insofern absolut ist: bei sich ist und darin
Mit diesen den Abschnitt »Constitution« ein- frei ist. Diese Erkenntnis seines Wesens gewinnt
leitenden Überlegungen zur Signatur des neu- der Geist in drei Formen: in Kunst, Religion und
zeitlichen Staates vollzieht Hegel eine dramati- Philosophie. »Absolut« also ist derjenige Geist,
sche Wendung in seiner praktischen Philosophie der nicht – als subjektiver – als eine Form von
– und zugleich einen Abschied vom Ideal auch ›Innerlichkeit‹ (etwa Bewußtsein oder Wille) auf
seiner Jugend. Die beiden folgenden Teile hinge- ein ihm Äußerliches, nicht Geistiges bezogen ist;
gen entwickeln in vertrauter Form die Gliede- aber auch nicht – als objektiver – die von den
rung des »sich selbst wissenden Geistes« als des einzelnen Subjekten zwar hervorgebrachte, aber
»daseyenden Organismus« in »die niedern Stände gleichsam über ihnen und in sich selbst ruhende
und Gesinnungen« (Bauernstand und Gewerbs- Sphäre der Sittlichkeit ist. Die Strukturdifferenz
stand) und den »Stand der Allgemeinheit«, den des »absoluten Geistes« als der höchsten Sphäre
»Geschäftsmann« (im Sinne der Sorge für die des geistigen Lebens vom subjektiven und ob-
Staatsgeschäfte), zu dem er auch den Gelehrten jektiven ist leicht einsehbar: Als »absoluter« wen-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 173

det er sich auf sich zurück, macht sich zum Ge- Kunst ist die, deren Inhalt der Form gleich ist« –
genstand und erkennt sich als das, was er ist. Erst doch eben diese Forderung kann die Kunst für
hier ist damit der Begriff des Geistes – als Begriff Hegel nicht einlösen. Sie »erzeugt die Welt als
einer denkenden Selbstbeziehung – vollendet. geistige« – aber ihr Element, die Anschauung, ist
Als den Boden dieser Rückwendung des Gei- dem Geist unangemessen; sie kann deshalb »nur
stes auf sich selbst versteht Hegel das Selbst- einen beschränkten Geist geben«. Die Schönheit
bewußtsein einer geistigen Gemeinschaft, also ist Form – aber sie ist nur Form: eine »Taüschung
einer »Gemeinde«, wie es sich in Kunst, Religion der absoluten Lebendigkeit«; die dargestellte Un-
und Philosophie oder »Wissenschaft« darstellt – endlichkeit ist nur » g e m e y n t e Unendlichkeit«.
und es lassen sich schwerlich weitere Formen Gegen die Verbindung von Schönheit und Wahr-
geistigen Lebens finden, von denen sich Gleiches heit, wie sie sowohl Schiller in Die Künstler
sagen ließe. Sie unterscheiden sich dadurch, daß (Nationalausgabe. I.202) als auch Schelling im
der Kunst primär die Anschauung zugeordnet ist, Bruno (SW I/4.226 f.,220) knüpfen, wendet He-
der Religion die Vorstellung und der Philosophie gel lapidar ein: »die Schönheit ist vielmehr der
das begreifende Denken. Man mag daran zwei- Schleyer, der die Wahrheit bedekt, als die Dar-
feln, ob diese drei Formen wirklich in der von stellung derselben«. Und die für die Kunst cha-
Hegel als »absolut« ausgezeichneten Weise als rakteristische Diskrepanz von schöner Form und
Selbstverhältnisse des Geistes zu begreifen seien beschränktem Inhalt läßt sich auch nicht durch
– als Formen, in denen Geistiges sich auf sich die Reduktion von Kunst auf die bloße Form und
selbst wendet und sich erkennt. Doch kann kein den Verzicht auf den Inhalt überwinden: denn
Zweifel sein, daß »absoluter Geist« nicht ein phi- »diesen Inhalt lassen sich die Menschen nicht
losophisch domestiziertes mythologisches Wesen nehmen«. Und so ist die Kunst in ihrer Wahrheit
ist, und auch nicht etwas, über dessen Existenz Religion: »Wissen des a b s o l u t e n Geistes von
sich sinnvoll streiten ließe. sich als absolutem G e i s t e« (GW 8.277–280).
(6) Spezifisch für den Systementwurf III ist (7) »In der Religion aber wird der Geist sich
jedoch der eigentümliche systematische Ort des Gegenstand, als absolut allgemeines, oder als
»absoluten Geistes«: Formal gesehen ist er wei- Wesen aller Natur [, des] Seyns und Thuns, und
terhin in die Sphäre des Staates eingebunden; in d e r G e s t a l t des unmittelbaren Selbsts « .
Hegel bezeichnet den Staat sogar als den »ein- Diesen Begriff der Religion gewinnt Hegel an der
fachen absoluten Geist, der seiner selbst gewiß christlichen, der »absoluten Religion«. Denn wie
ist« (GW 8.258). Inhaltlich jedoch hat sich diese im staatlichen Leben, so gilt jetzt auch im religiö-
Sphäre gegenüber dem Staat emanzipiert – und sen die griechische Welt als durch ein inferiores
deshalb heißt es zu Beginn, der absolut freie Prinzip bestimmt. In der mythologischen »schö-
Geist bringe »eine andre Welt hervor; eine Welt, nen Religion« herrsche zwar nicht mehr die »Na-
welche die G e s t a l t seiner selbst hat; wo sein turmacht, worin das Selbst nur nichtig ist«, doch
Werk vollendet in sich ist, und er zur Anschauung ihr Gehalt sei »ein Spiel, das des Wesens nicht
s e i n e r als s e i n e r gelangt.« Vom »daseyenden würdig, ohne G r ü n d l i c h k e i t und T i e f e i s t ,
Geist« der sittlichen Welt unterscheidet sich w o d a s T i e f e das u n b e k a n n t e S c h i c k s a l
diese »andre Welt« als »wissender Geist«, und ist. Die absolute Religion aber ist das
sein Wissen hat in Relation zu den subjektiven T i e f e , d a s z u Ta g e h e r a u s g e t r e t e n – diß
Formen »Anschauung«, »Vorstellung« und »be- Tiefe ist das Ich – es ist der Begriff, die absolute
greifendes Denken« die dreifache Gestalt der reine Macht.«
Kunst, Religion und Philosophie – wobei jedoch Doch schon diese Rede vom »Ich« macht deut-
der Trias des absoluten Geistes entwicklungsge- lich, daß Hegels neue geistesphilosophische In-
schichtlich gesehen der Primat vor derjenigen terpretation der christlichen Religion sich un-
des subjektiven Geistes zukommt. mittelbar in einer Spannung zu deren traditio-
Schon hier verfügt Hegel über die Skizze eines nellem Verständnis expliziert: »Die absolute Reli-
Systems der Künste – von der Plastik über die gion ist diß Wissen – d a ß G o t t die T i e f e d e s
Malerei und die Poesie zur Musik –, und auch die s e i n e r s e l b s t g e w i s s e n G e i s t e s i s t , – da-
Hierarchie der Formen des absoluten Geistes durch ist er das Selbst aller – Es ist das We s e n
liegt bereits fest. Zwar heißt es »Die absolute das reine Denken, – a b e r d i e s e r A b s t r a c -
174 II. Werk

tion entaüssert, ist er wirkliches nicht Selbst«. Daraus resultiert ihre Ambivalenz:
S e l b s t ; er ist ein M e n s c h , der g e m e i n e s Einerseits trennt sie die »Reiche der Wirklichkeit
r a ü m l i c h e s u n d z e i t l i c h e s D a s e y n hat – und des Himmels« und findet die Versöhnung nur
u n d d i e s e r e i n z e l n e sind a l l e E i n z e l n e n im »Jenseits dieser Welt«, nicht in der Gegen-
– d i e g ö t t l i c h e N a t u r i s t n i c h t eine a n d r e wart. Andererseits schlägt diese Diskrepanz in
a l s d i e m e n s c h l i c h e«. Und dieser »Entaüs- den »Fanatismus der Kirche« um, » d a s E w i g e ,
serung« des abstrakten göttlichen Wesens korre- das Himmelreich als solches auf Erden
spondiert die Entäußerung des Menschen: eine e i n f ü h r e n z u w o l l e n , d .h . d e r W i r k l i c h -
vollständige Entäußerung nicht allein der Bil- k e i t d e s S t a a t e s e n t g e g e n« – weil sie nicht
dung und des sinnlichen Daseins, sondern »der bedenkt, daß eben der Staat » d i e W i r k l i c h -
ganzen Wirklichkeit« – eine Zuspitzung, die He- k e i t d e s H i m m e l r e i c h s« ist. Der Religion
gel später (GW 17.277) an der Differenz zwi- fällt beides auseinander, sie ist der Geist in der
schen stoischer und christlicher, aus dem »unend- Form des Mißverständnisses seiner selbst; ihr
lichen Schmerz« hervorgehender Freiheit erläu- Inhalt »ist wohl w a h r ; aber diß Wa h r s e y n ist
tert. eine Versicherung – ohne Einsicht.« (GW
Es ist somit die dem Geistbegriff analoge 8.280–286)
Struktur der christlichen Religion, die sie zur (8) »Diese Einsicht ist die Philosophie, ab-
»absoluten« macht. Ihr Gedanke der Mensch- solute W i s s e n s c h a f f t«. Hier ist somit der Ort
werdung Gottes ist ein in Vorstellungsform ge- im System, an dem die Philosophie sich selbst
kleideter spekulativer Gedanke: »Der Gedanke – zum Gegenstand wird – doch wie später im
Innre Idee – der absoluten Religion ist diese Schlußabschnitt der Enzyklopädie, so weiß Hegel
speculative Idee, daß das Selbst, das Wirkliche, auch hier nicht viel über sie zu sagen. Er be-
Denken ist; – Wesen und Seyn dasselbe, – und stimmt ihren Begriff im Rückblick teils auf das
diß so gesetzt, daß G o t t , d a s j e n s e i t i g e a b - »Volk«, vor allem aber auf die Religion, und dies
s o l u t e We s e n , M e n s c h g e w o r d e n – dieser in der bereits habituellen eschatologiekritischen
w i r k l i c h e « – aber ebenso als Wirklichkeit in Wende: Sie ist ein »Wissen des absoluten Gei-
den Geist der Gemeinde aufgehoben ist. Der stes« im Begriff; sie zielt nicht auf »eine a n d r e
Inhalt des reinen Bewußtseins wird vorgestellt in Natur « , eine » u n g e g e n w ä r t i g e Einheit«; sie
der immanenten Trinitätslehre, wie die Vermitt- ist »nicht eine Versöhnung, deren Genuß und
lung dieses reinen Bewußtseins und der Welt in Daseyn jenseits und zukünftig ist, sondern h i e r
der ökonomischen Trinitätslehre: »das a n s i c h - – h i e r erkennt Ich das Absolute« (GW
s e y e n d e Wesen; d. h. Gott tritt in der Natur 8.286 f.).
auf – a l s w i r k l i c h e s ; alles Jenseits ist ent- (9) In diesem Abschnitt über die Philosophie
flohen« (so ist statt GW 8.283,4–6 zu lesen). ist jedoch eine, für die Entwicklung der System-
Wie die Deutung der Kunst, so impliziert auch konzeption Hegels sehr wichtige Skizze ver-
die geistesphilosophische Religionsdeutung nicht steckt. Zu »Form des B e g r i f f s« führt Hegel aus:
allein eine vielleicht ungewöhnliche Akzentuie- »a) speculative Philosophie absolutes S e y n , das
rung, sondern mit der Affirmation der Religion sich andres, ( Ve r h ä l t n i ß wird) Leben und Er-
zugleich ihre Kritik: Die religiösen Lehren sind kennen – und wissendes Wissen, Geist, Wissen
»eine Vorstellung für das Bewußtseyn«, und der des Geistes von sich«. Diese knappe Skizze hat
Kultus ist »die Ergreiffung jener Vorstellung«. besonderes Interesse erweckt und eine ausführ-
Doch es ist nicht für die Religion, daß sie solches liche Debatte ausgelöst (Schäfer 2001, 159–176) –
Wissen in Form von Vorstellung ist. Sie ist »der denn sie hat eine Schlüsselstellung für das Wis-
vorgestellte Geist, das Selbst das sein reines Be- sen um Hegels damalige Logik-Konzeption, vor
wußtseyn und sein wirkliches nicht zusammen allem aber um deren Verhältnis zur Phänomeno-
bringt, dem der Inhalt von jenem in diesem als logie des Geistes. Von ihr sagt Hegel, daß ihre
ein anderes gegenübertritt«. Deshalb kann sie Gestalten jeweils einem Begriff der Logik ent-
dem Inhalt dieses reinen Bewußtseins auch nicht sprächen – wobei er unausgesprochen läßt, auf
gerecht werden. Sie ist »der denkende Geist, der welche Logik-Konzeption er sich bezieht –
sich aber n i c h t s e l b s t denkt«; ihr Inhalt ist schwerlich auf die des Systementwurfs II, aber
»nur gesagt nicht eingesehen – nicht Begriff, auch nicht auf die noch gar nicht ausgearbeiteten
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 175

der Bamberger und Nürnberger Jahre, und der sion, in die Hegels Werk eingreifen sollte, ist bei
Systementwurf III – eigentlich bloß eine Real- dessen Erscheinen verstummt: die Furie des Wi-
philosophie – enthält keine Logik. So ist es plau- derlegens, die ein ›System‹, das doch selbst kaum
sibel, die Logik der Phänomenologie von dieser erschienen war, sogleich durch das nächste ver-
Skizze aus zu erschließen und Argumente für die drängte, so daß Jean Paul in seinen Politischen
Konsistenz ihres Baus zu gewinnen. Fastenpredigten dazu geraten hat, jeweils sechs
Weniger Aufmerksamkeit gefunden hat der bis acht solcher Systeme zusammenkommen zu
nicht weniger wichtige Hinweis, mit dem Hegel lassen, das widerlegende früher als die wider-
diese Geistesphilosophie schließt, obschon auch legten zu lesen und sich durch dieses Rückwärts-
er auf die Phänomenologie vorausweist: der Hin- lesen so glücklich zu e n tzaubern, wie sich die
weis auf die Entzweiung des Geistes in die Natur Hexen durch das Rückwärtsbeten des Vaterunser
und in Wissen von sich, in sich als » r u h e n d e s b ezaubern lassen (SW I/14.286). Kant ist 1804
Kunstwerk – das s e y e n d e U n i v e r s u m , und verstorben, Novalis bereits 1801, und Fichte,
die We l t g e s c h i c h t e .« Diese Entzweiung liegt Schelling, Hegel wie auch Schlegel und Schleier-
dem Prozeß des Geistes zu Grunde: Denn das macher lehren nicht mehr an Universitäten.
seiende Universum ist »unmittelbar frey vom Fichte produziert zwar rastlos neue Entwürfe sei-
Geiste – aber muß zu ihm zurükkehren«. Die ner »Wissenschaftslehre«, ohne sie jedoch zu ver-
Weltgeschichte ist die Bewegung des Geistes, öffentlichen, und Schelling wendet sich zwei
diese Entzweiung zu vermitteln: »In ihr hebt sich Jahre später sehr dezidiert gegen den »Idealis-
diß auf, daß nur a n s i c h die Natur und Geist ein mus« und damit implizit gegen seine eigenen
We s e n ist – der Geist wird zum Wissen dersel- Anfänge (SW I/7.333–352), bevor er für Jahr-
ben.« (GW 8.286 f.) zehnte fast völlig verstummt. Jedoch läßt sich
Partieller Erstdruck: R 193–198. – Erstdruck: Jenenser
dieser Situation auch eine symbolische Seite ab-
Realphilosophie II. Die Vorlesungen von 1805/06. Aus gewinnen: Hegels Werk erscheint – zumindest
dem Manuskript hg. von Johannes Hoffmeister. Leipzig für die philosophische Öffentlichkeit – nicht so
1931. – Text: GW 8. – Literatur: Kimmerle: Problem sehr als eine Variante der vorangegangenen Phi-
der Abgeschlossenheit des Denkens (1970), 162–165; losophie, sondern als neuer Anfang, ja als »wahre
Düsing: Problem der Subjektivität (1976), 156–189; Geburtsstätte und Geheimnis der Hegelschen
Wildt: Autonomie und Anerkennung (1982), 343–370;
Jaeschke: Vernunft in der Religion (1986), 191–198;
Philosophie« (Marx, MEW Ergänzungsband
Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie (2000), 1.571) – was ihre zeitgenössische Rezeption aller-
117–162; Schäfer: Dialektik und ihre besonderen For- dings zusätzlich erschwert hat.
men (2001), 164–176. Für Hegel selber wie auch für die gegenwärtige
Forschung bildet die Phänomenologie hingegen
die Frucht der Systementwicklung der Jenaer
4.7. Phänomenologie des Geistes Jahre. Dennoch hat sie eine eigentümliche Stel-
lung in der Entwicklungsgeschichte der Hegel-
Mit der Phänomenologie des Geistes stellt Hegel schen Philosophie überhaupt: Sie ist gleichsam
sich, nach mehrfachen uneingelösten Publika- ein ›erratischer Block‹, der sich nicht als Moment
tionsankündigungen, den Zeitgenossen erstmals in die lineare Systementwicklung integrieren
als Philosoph vor – nicht nur als scharfsinniger läßt. Man kann die Entwicklung des Hegelschen
Analytiker der Differenz des Fichte’schen und Denkens – der Logik wie auch der Natur- und
Schelling’schen Systems der Philosophie, sondern Geistesphilosophie – im Übergang von Jena nach
als gleichrangiger Denker, der sich mittels eines Bamberg und Nürnberg rekonstruieren, ohne die
eigenen »Systems« ausweist. Doch der Zeitpunkt Phänomenologie auch nur zu erwähnen. Doch
ihres Erscheinens, das Frühjahr 1807, wenige dies macht sie keineswegs überflüssig; es unter-
Monate nach der Besetzung Jenas durch die streicht vielmehr ihre Eigenständigkeit und ihren
Franzosen, ist denkbar ungünstig: Die Kriegs- außergewöhnlichen Rang.
handlungen dauern an, die Universität Jena ist Bis an die Schwelle der gegenwärtigen Rezep-
zwar wieder geöffnet, doch ist sie von Professo- tionsphase seit Beginn der 1960er Jahre hat diese
ren und Studenten entblößt; ihre große Epoche Sonderstellung der Phänomenologie dazu ver-
ist vorüber. Und auch die philosophische Diskus- leitet, in ihr eine eigenständige Systemgestalt
176 II. Werk

neben dem späteren enzyklopädischen zu sehen – werth: Metaphysik als Phänomenologie (2000); Arndt /
vielleicht sogar die bessere, noch nicht durch die Bal / Ottmann (Hg.): Phänomenologie des Geistes. T. 1.
HJb 2001. Berlin 2002; Hegels ›Phänomenologie des
spätere ›Begriffsscholastik‹ belastete Alternative,
Geistes‹ heute. Hg. von Andreas Arndt / Ernst Müller.
wenn nicht überhaupt die eigentlich produktive Berlin 2004; Klaus Vieweg / Wolfgang Welsch (Hg.):
und geniale, ja ›faustische‹ Gestalt der Hegel- Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer
schen Philosophie. Ungeachtet ihrer Unangemes- Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne.
senheit hat diese Deutung der Phänomenologie Frankfurt a.M. 2008; Hoffmann (Hg.): Hegel als Schlüs-
als eigenständiger Systemgestalt ihre Wirkungs- seldenker der modernen Welt (2009); Birgit Sandkau-
len u. a. (Hg.): Gestalten des Bewußtseins. Genealo-
geschichte im Marxismus, im französischen Exi-
gisches Denken im Kontext Hegels. Hamburg 2009,
stentialismus und im Neuhegelianismus stark ge- HSB 52.
prägt; sie ist hier jedoch nicht darzustellen (vgl.
zuletzt Siep 2000, 259–268, Weckwerth 2000,
13,103–127).
4.7.1. Werkgeschichte und systematische
Erstdruck: Bamberg 1807. – Text: GW 9. – Literatur: Funktion
Jean Paul: Politische Fastenpredigten. In ders.: Sämt-
liche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. I, Bd. (1) Rosenkranz berichtet, Hegel habe in seinen
14. Weimar 1939, 286; Karl Marx: Ökonomisch-philo- Einleitungen zur Logik und Metaphysik »den
sophische Manuskripte. MEW Ergänzungsband 1. Ber-
Begriff der E r f a h r u n g , welche das B e w u ß t -
lin 1968; Haym: Hegel und seine Zeit (1857), 232–260;
Hans-Georg Gadamer (Hg.): Hegel-Tage Royaumont s e i n v o n s i c h s e l b s t m a c h t«, entwickelt,
1964. HSB 3 (1966); Pierre-Jean Labarrière: Structures und hieraus sei »seit 1804 die Anlage zur Phäno-
et mouvement dialectique dans la »Phénoménologie de menologie« entsprungen (R 202,214). Das erste
l’Esprit« de Hegel. Paris 1968; Werner Becker: Hegels Zeugnis für die Arbeit an der späteren Phänome-
Phänomenologie des Geistes. Eine Interpretation. nologie bietet das Fragment Das absolute Wissen,
Stuttgart 1971; Hans Friedrich Fulda / Dieter Henrich
das nach dem Mai 1805 geschrieben ist (GW
(Hg.): Materialien zu Hegels »Phänomenologie des
Geistes«. Frankfurt am Main 1973; Otto Pöggeler: He- 9.465) – vermutlich bald danach, da der Druck
gels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg / der Phänomenologie bereits im Februar 1806 be-
München 1973, 2 1993; Reinhold Aschenberg: Der gonnen worden ist (an Niethammer, 6.8.06) –,
Wahrheitsbegriff in Hegels »Phänomenologie des Gei- und auch in der gleichzeitigen Geistesphilosophie
stes«. In: Klaus Hartmann (Hg.): Die ontologische (1805/06) ist – nicht weiter konkretisiert – von
Option. Studien zu Hegels Propädeutik, Schellings He-
der »Erfahrung des Bewußtseyns« die Rede (GW
gel-Kritik und Hegels Phänomenologie des Geistes.
Berlin / New York 1976, 211–308; Eugen Fink: Phäno- 8.196). Zu Beginn des Druckes geht Hegel noch
menologische Interpretationen der »Phänomenologie davon aus, sein gesamtes »System« in diesem
des Geistes«. Frankfurt am Main 1977; Claus-Artur Buch zu veröffentlichen, denn er kündigt für den
Scheier: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänome- Sommer 1806 an: »Philosophiam speculativam s.
nologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinen- logicam ex libro suo: System der Wissenschaft,
den Wissens. Freiburg / München 1980, 2 1986; Ulrich
proxime prodituro«. Hier sind jedoch weder der
Claesges: Darstellung des erscheinenden Wissens. Sy-
stematische Einleitung in Hegels Phänomenologie des spätere Titel noch die Gliederung in zwei oder
Geistes. HSB 21 (1981); Michael N. Forster: Hegel’s mehr Teile erwähnt.
Idea of a Phenomenology of Spirit. Chicago / London Rosenkranz berichtet sodann, Hegel habe im
1993; Terry Pinkard: Hegel’s Phenomenology. The So- Sommer 1806 bereits die Phänomenologie vorge-
ciality of Reason. Cambridge, Melbourne 1994; Gustav- tragen und seinen Hörern einzelne Druckbogen
H. H. Falke: Begriffne Geschichte. Das historische Sub-
ausgehändigt, und ferner: »Hegel’s Auszug aus
strat und die systematische Anordnung der Bewußt-
seinsgestalten in Hegels Phänomenologie des Geistes. dem Ganzen, den er zum Behuf des Vortrags
Interpretation und Kommentar. Berlin 1996; Henry S. machte, ist noch vorhanden. Er verknüpfte die
Harris: Hegel’s Ladder. 2 Bde. Indianapolis 1997; Ro- Phänomenologie in der Weise mit der Logik, daß
bert B. Pippin: Hegel’s Idealism. The Satisfaction of er jene als Einleitung zu dieser nahm und aus
Self-Consciousness. Cambridge / New York 1997; Diet- dem Begriff des absoluten Wissens unmittelbar
mar Köhler / Otto Pöggeler (Hg.): Hegel. Phänomeno-
zu dem des Seins überging.« (R 214) Während
logie des Geistes. Berlin 1998; Jon Bartley Stewart
(Hg.): The Phenomenology of Spirit Reader. Critical des Sommers ist Hegels Manuskript jedoch noch
and Interpretive Essays. Albany 1998; Siep: Weg der nicht vollendet; erst am 20.10.06 hat er die letz-
»Phänomenologie des Geistes« (2000), 63–258; Weck- ten Bogen an den Verlag gesandt (an Nietham-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 177

mer, 18.10.06) – und auch sie wohl noch ohne die 1.5.07 spricht Hegel selber sich hierüber rück-
»Vorrede«. haltlos aus: »Das Hineinarbeiten in das Detail
Erst zu diesem Zeitpunkt wird das Werk den hat, wie ich fühle, dem Ueberblick des Ganzen
endgültigen Titel erhalten haben. Denn im Som- geschadet; dieses aber selbst ist, seiner Natur
mer kündigt Hegel für den Winter 1806/07 noch nach, ein so verschränktes Herüber- und Hin-
an: » L o g i c a m et M e t a p h y s i c a m s[ive] phi- übergehen, daß es selbst, wenn es besser heraus-
losophiam speculativam, praemissa P h a e n o - gehoben wäre, mich noch viele Zeit kosten
m e n o l o g i a mentis ex libri sui [!]: System der würde, bis es klarer und fertiger dastünde. – Daß
Wissenschaft, proxime proditura parte prima«. auch einzelne Partien noch mannigfaltiger Unter-
Damit ist zwar bereits das Stichwort »Phänome- arbeitung, um sie unterzukriegen, bedürften,
nologie« genannt, doch geht Hegel noch davon brauche ich nicht zu sagen, Du wirst es selbst nur
aus, daß dieser erste Teilband seines »Systems« zu sehr finden. – Die größere Unform der letztern
im wesentlichen »Logik und Metaphysik« ent- Partien [betreffend] halte Deine Nachsicht auch
halten, und die »Phänomenologie« nur »voraus- dem zugute, daß ich die Redaktion überhaupt in
geschickt« werde. Daß Hegel nicht mehr mit dem der Mitternacht vor der Schlacht bei Jena ge-
Einschluß auch der Natur- und Geistesphiloso- endigt habe.«
phie rechnet, folgt aus seiner Ankündigung, diese Die hierin schwingenden Befürchtungen hin-
Disziplinen »ex dictatis« zu lesen. In der Selbst- sichtlich der Rezeption sind sehr berechtigt ge-
anzeige seines Buches – in der nun von ihm wesen: Fries schreibt an Jacobi, Hegels Werk sei
redigierten Bamberger Zeitung vom 25.11.07 – »seiner Sprache wegen mir fast ungenießbar«;
heißt es schließlich, der zweite Band werde »das Hegel wolle »eine allgemeine philosophische Ge-
System der L o g i k als speculativer Philosophie, schichte des menschlichen Geistes oder der Ver-
und der zwey übrigen Theile der Philosophie, die nunft geben. Diese ist völlig Schellings Natur-
W i s s e n s c h a f t e n der N a t u r und des G e i - philosophie nur auf der Seite der Geistes ausge-
s t e s enthalten (GW 9.447). führt, auf die Schelling in der Regel nie hat
Doch nicht allein die Amputation des Systems hinüber kommen können.« Schelling hingegen
der Wissenschaft zur – eigentlich nur voraus- schreibt recht verächtlich an Windischmann, ihn
zuschickenden – Phänomenologie fällt in die Zeit verlange zu sehen, »wie Sie den Weichselzopf
des Drucks; Hegel ändert auch den Titel dieses entwirrt haben; hoffentlich haben Sie diesen
ersten Teils. Dessen ursprünglicher (zwischen nicht von der gottesfürchtigen Seite genommen,
»Vorrede« und »Einleitung« stehender) Zwi- so unrecht es wäre, ihm andrenteils die Art hin-
schentitel lautet: »Wissenschaft der Erfahrung gehen zu lassen, womit er, was seiner individuel-
des Bewußtseyns« – eine Formulierung, die erst len Natur gemäß und vergönnt ist, zum allge-
in der »Einleitung« gerechtfertigt wird (GW meinen Maß aufrichten will« – analog zu dem
9.61). Erst nach dem Druck des gesamten Werkes Vorwurf Friedrich Schlegels, Jacobi verwechsele
einschließlich der Vorrede, also erst Anfang 1807, die »Friedrich-Heinrich-Jakobiheit« mit der
läßt Hegel diesen Titel durch »I. Wissenschaft »Menschheit« (PLS 1/1.263). Anders als Fries hat
der Phänomenologie des Geistes« austauschen – Jean Paul diese Distanz Hegels zu Schelling emp-
eine Anweisung, die jedoch nicht alle Buchbinder funden; Hegel habe ihn überrascht »durch seine
befolgt haben, so daß einige Exemplare beide Klarheit, Schreibart, Freiheit und Kraft; auch er
Titelblätter enthalten (GW 9.51,444,469–471). hat sich vom Vater-Polypen Schelling abgelöset;
Dies ist zwar verwirrend, doch impliziert der wiewohl man alle diese nach einander abgehen-
Wechsel des Titels keine Konzeptionsdifferenz: den Arm- und Kopfpolypen leicht wieder in den
»Erfahrungsgeschichte und Phänomenologie sind Vater-Polypen stecken kann.« (HBZ 87–89)
eher zwei Aspekte derselben Sache als zwei Me- (3) Diese von der Entstehungsgeschichte hin-
thoden, die verschiedene Teile des Buches cha- terlassenen Spuren, aber auch das Problem der
rakterisierten.« (Siep 2000, 63). zweifachen Gliederung des Werkes durch römi-
(2) Fraglos hat der zeitliche und schließlich sche Ziffern bzw. Großbuchstaben und schließ-
auch der politische Druck, unter dem Hegel die lich die spätere Einbeziehung einer – stark ver-
Phänomenologie geschrieben hat, seine Spuren kürzten – »Phänomenologie des Geistes« in die
im Werk hinterlassen. Im Brief an Schelling vom Philosophie des subjektiven Geistes in den drei
178 II. Werk

Fassungen der Enzyklopädie haben seit dem Die Zuschreibung einer derartigen Ambivalenz
Neuhegelianismus zu unzutreffenden Hypothe- ist ein Charakteristikum der Jenaer Entwürfe
sen über die ursprüngliche Konzeption, über an- Hegels; sie läßt sich über den Systementwurf II
gebliche Brüche und nachträgliche Erweiterung bis in seine erste Skizze vom Winter 1801/02
der Phänomenologie geführt. Diese Irrwege der zurückverfolgen – doch dort kommt diese Dop-
werkgeschichtlichen Deutung sind inzwischen pelfunktion der Logik zu: Als erster Systemteil
erkannt (s. Pöggeler und Fulda); sie sind hier dient sie zugleich der Einleitung in das System,
nicht nachzuzeichnen. näher in die Metaphysik (s. 151). Indem die
Für die Ursprünglichkeit der 1807 verwirklich- Logik jedoch ihren Charakter wandelt und
ten Konzeption sprechen – neben dem Fehlen schrittweise die Metaphysik als die eigentlich
von Belegen für eine nachträgliche Erweiterung spekulative Wissenschaft verdrängt und ersetzt,
und zahlreichen positiven Hinweisen des Textes kann sie die Funktion der Einleitung nicht mehr
selbst – Rosenkranz’ Bericht, Hegel sei im Som- wahrnehmen.
mer 1806 vom »Absoluten Wissen« zum »Sein« Diese Vakanz bildet jedoch keinen hinreichen-
der Logik übergegangen, sowie die neueren Un- den Grund für die Ausarbeitung eines neuen
tersuchungen zur »Logik« der Phänomenologie. Systemteils, für den es zudem keinerlei Vorbild
Hegel behauptet ja an deren Ende, »jedem ab- gibt. Die Notwendigkeit einer Rechtfertigung,
stracten Moment der Wissenschaft« (also der Lo- einer Begründung der »Wissenschaft« spricht He-
gik) entspreche »eine Gestalt des erscheinenden gel in »Vorrede« und »Einleitung« übereinstim-
Geistes« (GW 9.432). Diese Auskunft hat die mend aus – trotz des Scheiterns sowohl des Kan-
Forschung zunächst insofern ebenfalls irrege- tisch-Fichteschen Systemgedankens der Begrün-
führt, als Hegels damalige Logikkonzeption ja dung der Wissenschaft auf e i n Prinzip, e i n e n
nicht allein in raschem Wandel begriffen ist, son- absolut ersten Grundsatz (s. 110 f.), als auch von
dern im Umbruch von der Trennung von Logik Reinholds späterem Versuch des Anfangs mit ei-
und Metaphysik zur einheitlichen metaphysi- nem hypothetischen und problematischen Wah-
schen Logik. Deshalb können weder die frühere ren (s. 124) als schließlich von Schellings Beru-
Konzeption von 1804/05 noch die späteren der fung auf die »intellektuelle Anschauung« (SW I/
frühen Nürnberger Zeit oder gar diejenige der 4.368). Die Differenz zwischen dem Wissen des
Wissenschaft der Logik zur Erläuterung der inter- »natürlichen Bewußtseins«, des unmittelbaren
nen Logik der Phänomenologie herangezogen Daseins des Geistes, und der »Wissenschaft« nö-
werden; am nächsten kommt ihr die knappe Sy- tigt diese dazu, über ein »trockenes Versichern«
stemskizze im Systementwurf III. Sie ermöglicht hinauszugehen und ihren Wahrheitsanspruch un-
es, den Gesamtaufriß der »Gestalten« der Phäno- ter Beweis zu stellen – denn das unmittelbare
menologie auf die Struktur der Logik abzubilden Selbstbewußtsein ist ein »Absolutes«: Es hat »ab-
(s. 174). Dies ist allerdings nicht überraschend, solute Selbstständigkeit«, ist »absolute Form« und
denn Hegel hat sie parallel zum Druck der Phä- hat »unbedingtes S e y n« (GW 9.23). Die »Wis-
nomenologie und wohl im Blick auf sie nieder- senschaft« kann deshalb nicht mit sich selbst und
geschrieben – doch ist keine Logik bekannt, die einem Appell an das unmittelbare Selbstbewußt-
diese Skizze realisierte. Sie bildet eher eine Ab- sein beginnen, sich zu ihr zu erheben. Sie muß
straktion von der Phänomenologie denn einen den Nachweis führen, daß das natürliche Be-
Grundriß für ihre Konstruktion. wußtsein die Bewegung zum wahren Wissen an
(4) Die zentrale Frage an die Phänomenologie ihm selbst hat und durch seine immanente Bewe-
ist deshalb nicht die Frage nach derartigen Über- gung »zum wahren Wissen dringt« (GW 9.55) –
einstimmungen, sondern die Frage nach ihrem daß die aufgezeigte Bewegung seine eigene Be-
Status im und ihrer Funktion für das »System«. wegung ist: »Diß Werden der W i s s e n s c h a f t
Laut Rosenkranz’ Bericht (R 214) und Hegels ü b e r h a u p t , oder des W i s s e n s , ist es, was
Brief an Schelling (1.5.07), nicht aber nach dem diese P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes, als der
Text der Phänomenologie, ist sie »Einleitung« in erste Theil des Systems derselben, darstellt.«
das System, und somit steht sie eigentlich außer- (GW 9.24) Und dieser »Weg, wodurch der Begriff
halb desselben; laut Titelblatt und Zwischentitel des Wissens erreicht wird«, kann nicht beliebig
ist sie hingegen selber erster Teil des Systems. sein, so daß die »Wissenschaft« zu einem zu-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 179

fälligen Fund würde. Er erhält seine Richtung Aufsatz empfiehlt er sein Verfahren als die bes-
und Bestimmtheit durch die Denkbestimmungen sere Alternative gegenüber dem zeitgenössischen
»und wird durch sie gleichfalls ein nothwendiges Skeptizismus Gottlob Ernst Schulzes (s. 134 ff.).
und vollständiges Werden, so daß diese Vorberei- Von ihm ist zwar nicht explizit die Rede. Hegel
tung aufhört, ein zufälliges Philosophiren zu antwortet jedoch ersichtlich auf den Spott, den
seyn, […] sondern dieser Weg wird durch die Schulze in seinen anonymen Aphorismen über
Bewegung des Begriffs die vollständige Welt- das Absolute über Schellings Begriffe des Ab-
lichkeit des Bewußtseyns in ihrer Nothwendig- soluten und der »intellektuellen Anschauung« er-
keit umfassen.« (GW 9.28 f.) »Die Wissenschaft gießt – und zwar nicht durch eine ebenso spötti-
dieses Wegs ist Wissenschaft der E r f a h r u n g , sche Zurückweisung, sondern durch eine verän-
die das Bewußtseyn macht« (GW 9.29,61). Sofern derte Konzeption, die auch Züge einer Selbstrevi-
die Phänomenologie diesen Weg als »Darstellung sion trägt. Schulzes Ironie, das Absolute der
des erscheinenden Wissens« nachzeichnet, steht Identitätsphilosophie sei »die lauterste Einfach-
sie außerhalb der immanenten Entfaltung der heit und reinste Einheit, in der nichts von ein-
Wissenschaft; sofern dieser Weg aber selber ein ander unterschieden werden kann« (PLS
notwendiger und damit im Element der Wissen- 2/1.344), verstärkt Hegel durch seine Invektive
schaft ist, steht auch sie nicht außerhalb des gegen »die Naivität der Leere an Erkenntniß«,
»Systems der Wissenschaft«, sondern bildet ihren das Absolute »für die Nacht auszugeben, worin,
ersten Teil. wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind«
(5) Der Weg des natürlichen Bewußtseins zur (GW 9.17). Schulze ironisiert die von der Identi-
Wissenschaft aber ist ein Weg nicht der naiven tätsphilosophie angepriesene Erkenntnis des Ab-
oder feierlichen Erhebung, sondern ein Weg der soluten als eine »Verklärung des Geistes ver-
Zerstörung und des Zweifels – und nicht bloß des mittelst seiner Versenkung in das Absolute« (PLS
Zweifels an dieser oder jener vermeintlichen 2/1.350); Hegel repliziert, indem er den Begriff
Wahrheit, sondern der »Weg der Verzweiflung«. der Substanz durch die Einbeziehung der Refle-
Er erweist »die Unwahrheit des erscheinenden xion konkretisiert und zugleich dynamisiert: das
Wissens« überhaupt. Darin berührt er sich mit Element der Philosophie habe »seine Vollendung
der Skepsis – denn auch der antike Skeptizismus und Durchsichtigkeit selbst nur durch die Bewe-
zerstört die vermeintlichen Wahrheiten des na- gung seines Werdens«; die Substanz des Geistes
türlichen Bewußtseins (s. 133): »Der sich auf den sei zwar »die v e r k l ä r t e We s e n h e i t«, jedoch
ganzen Umfang des erscheinenden Bewußtseyns als »die Reflexion, die selbst einfach oder die
richtende Skepticismus macht […] den Geist erst Unmittelbarkeit ist« (GW 9.22). Von der Philo-
geschickt zu prüffen, was Wahrheit ist, indem er sophie als der »Tochter des Himmels« spottet
eine Verzweiflung an den sogenannten natür- Schulze, die »irdischen Dinge« bildeten keine
lichen Vorstellungen […] zustande bringt.« Doch »Leiter, auf der man zu ihr nach und nach em-
in der Perspektive der Phänomenologie fällt der porsteigen könnte« (PLS 2/1.350); Hegel räumt
Skeptizismus schließlich selber in die Reihe der ihm ein, das Individuum habe »das Recht zu
unwahren Bewußtseinsgestalten, denn er gelangt fordern, daß die Wissenschaft ihm die Leiter
bei seiner Aufhebung des unwahren Bewußtseins wenigstens zu diesem Standpunkte reiche« (GW
immer nur zum reinen Nichts und abstrahiert 9.23; vgl. Meist 1993). So sucht Hegel (nach
davon, »daß diß Nichts, bestimmt das Nichts Rosenkranz: seit 1804), berechtigte Momente der
d e s s e n ist, w o r a u s e s r e s u l t i r t«, also »be- skeptischen Kritik an der Identitätsphilosophie
stimmte Negation« und somit eine neue in der (aus dem Jahre 1803) in seinen Ansatz zu in-
Reihe der Bewußtseinsgestalten. Deshalb ist er tegrieren, um dem skeptischen Vorstoß die Spitze
für sich genommen auch nicht als Einleitung abzubrechen. Denn erst diejenige »Wissen-
brauchbar, und die Phänomenologie ist erst der schaft«, die den Skeptizismus nicht außer sich
wahrhafte, der »sich vollbringende Skepticis- hat, sondern sich auf dem Fundament des
mus« (GW 9.56 f.) »durchgeführten« oder »vollbrachten Skepticis-
Hegel reklamiert diesen Begriff des Skeptizis- mus« (1§ 36) erhebt, kann sich vor dessen An-
mus für seine Position nicht, um sich in die antike griffen sicher wissen.
Tradition zu stellen. Wie schon im Skeptizismus- Durch diesen Kontext der Auseinandersetzung
180 II. Werk

zwischen Identitätsphilosophie und Skeptizismus tung voran, und in den beiden späteren Fassun-
um den Begriff des Absoluten sind fraglos einige gen auch noch eine ausführliche Einleitung in die
zeitspezifische Momente in die Phänomenologie, Logik: die Abhandlung der drei Stellungen des
vor allem aber in die »Vorrede« zu ihr einge- Gedankens zur Objektivität (§§ 26–78). Hier-
gangen. Am Ende seines Lebens, bei der Vorbe- durch scheint sich die systematische Funktion der
reitung der zweiten Auflage der Phänomenologie, Phänomenologie von der ursprünglichen Einlei-
hat Hegel sich hierüber Rechenschaft abgelegt, in tung zu einem Teil der Geistesphilosophie zu
einer Notiz zur Überarbeitung des Werkes von verlagern – und damit stellt sich zugleich die
1807: »Eigenthümliche frühere Arbeit, nicht Um- weitere Frage nach dem systematischen An-
arbeiten, – auf die damalige Zeit der Abfassung spruch der Phänomenologie überhaupt.
bezüglich – in Vorrede: d a s a b s t r a c t e A b - Bereits Hegels Schüler und Gegner haben
s o l u t e – herrschte damals« (GW 9.448). Hier- diese verwirrende Situation ausführlich erörtert,
mit bezieht er sich auf seine frühere Polemik und sie sind dabei mitunter zu phantasievollen
gegen die »Eintönigkeit und die abstracte All- Lösungen gelangt (Fulda 1965, 57–78). Doch im
gemeinheit für das Absolute« (GW 9.17). Diese Grundzug ist Hegels Lösung sehr klar: (1) Er hält
Zeitbedingtheit gilt jedoch nicht für den Text der an der Einleitungsfunktion der Phänomenologie
Phänomenologie insgesamt, sondern für die »Vor- fest: Diese erzeugt den Begriff der »reinen Wis-
rede«. Auch die Notiz zur Überarbeitung des Wer- senschaft«, also der Logik (1§ 36), oder mit an-
kes von 1807 ist als ›Notiz für eine neue Vorrede‹ deren Worten: Sie erweist die Notwendigkeit des
zu verstehen – wie es ja auch in ihrer ersten Zeile Standpunkts der philosophischen Wissenschaft
heißt: »n[eu]e Vorrede« (statt »re. Vorrede«, GW (§ 25). (2) Er berücksichtigt jetzt jedoch, daß
9.448). Auch Hegels Freund Johannes Schulze auch das Bewußtsein als Gegenstand der Phäno-
berichtet – unter Berufung auf diese Notiz wie menologie »nicht ein absoluter Anfang [ist], son-
auch auf Gespräche –, die Überarbeitung, die dern ein Glied in dem Kreise der Philosophie«
Hegel noch begonnen habe, sollte den Text »im (1§ 36). (3) Er bezeichnet die Phänomenologie
Wesentlichen unverändert lassen und nur im Ein- jedoch nicht mehr als ersten Teil des Systems der
zelnen, wo ihm der Ausdruck weniger angemes- Wissenschaft. Er bezeichnet die erste Auflage der
sen, oder die Gliederung der Sätze nicht deutlich Wissenschaft der Logik zwar nicht ausdrücklich
genug hervorzutreten schien, der Darstellung als den zweiten Teil der »Wissenschaft«, aber er
durch leichte Aenderungen nachzuhelfen su- nennt die Logik in der Vorrede doch »die erste
chen.« (GW 9.478; s. den Auflagenvergleich, GW Folge zur Phänomenologie« (GW 11.8). In einem
9.9–26) Zusatz zur zweiten Auflage der Logik stellt er
(6) Die schwerwiegende Veränderung in He- jedoch klar, der ursprüngliche Titel eines ersten
gels späterer Sicht betrifft nicht den Gedanken- Teils des Systems der Wissenschaft werde der für
gang, sondern die systematische Stellung der das Frühjahr 1832 geplanten Neuauflage der Phä-
Phänomenologie: Er nimmt sie nicht in den enzy- nomenologie »nicht mehr beygegeben werden«
klopädischen Grundriß seines Systems auf und (GW 21.9).
erklärt statt dessen, die geforderte »Verzweif- Auch in der gleichzeitig entstandenen Notiz zur
lung« sei »eigentlich in dem Entschluß, r e i n Überarbeitung des Werkes von 1807 erläutert He-
d e n k e n z u w o l l e n , durch die Freyheit voll- gel: »erster Theil eigentlich a) Voraus, der Wis-
bracht, welche von Allem abstrahirt, und ihre senschaft« (GW 9.448). Dies ist jedoch keine
reine Abstraction, die Einfachheit des Denkens, späte Revision der Einschätzung ihrer systemati-
erfaßt.« (1§ 36) Gleichwohl schließt Hegel die schen Funktion: Schon die erste Auflage der En-
Thematik ihrer Anfangskapitel in den enzyklopä- zyklopädie spricht davon, daß die Phänomeno-
dischen Grundriß ein, jedoch in die Philosophie logie »der reinen Wissenschaft vorausgehen
des subjektiven Geistes – zunächst nur implizit, solle« (1§ 36), und bereits der Lektionskatalog für
als die »Erhebung der Gewißheit zur Wahrheit«, den Winter 1806/07 kündigt noch vor ihrer Ver-
bis hin zur »Vernunft« als dem Begriff des Geistes öffentlichung spekulative Philosophie »praemissa
(1§ 334), später auch ausdrücklich (§§ 413–439). P h a e n o m e n o l o g i a mentis« an; auch hier gilt
– Statt der Phänomenologie stellt er den drei die Phänomenologie also bereits als »Voraus, der
Fassungen der Enzyklopädie eine neue Einlei- Wissenschaft«.
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 181

Literatur: Otto Pöggeler: Zur Deutung der Phänome- nen Unphilosophie zu reinigen (s. 152). Der
nologie des Geistes. HS 1 (1961), 255–294; Hans Fried- Geist ist zwar stets »in immer fortschreitender
rich Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels
Bewegung begriffen«, doch insbesondere die Ge-
Wissenschaft der Logik. Frankfurt am Main 1965; Pög-
geler: Die Komposition der Phänomenologie des Gei- genwart ist die Zeit eines qualitativen Sprunges
stes. HSB 3 (1966), 27–74; Fulda: Zur Logik der Phäno- in seiner Umgestaltung. Die Reflexion auf die
menologie. HSB 3 (1966), 75–101, beide auch in: Fulda geschichtlichen Bedingungen einer Philosophie
/ Henrich (Hg.): Materialien zu Hegels »Phänomeno- gewinnt jetzt eine konstitutive Funktion für deren
logie des Geistes« (1973), 329–390 bzw. 391–425; Horst Begriff – und nicht mehr im Sinne einer, dem
Henning Ottmann: Das Scheitern einer Einleitung in
Wandel entgegenwirkenden Orientierung an ih-
Hegels Philosophie. Eine Analyse der Phänomenologie
des Geistes. München 1973; Kurt Rainer Meist: »Sich rer vermeintlich zeitlosen Gestalt. Hegel setzt die
vollbringender Skeptizismus«. G. E. Schulzes Replik auf Philosophie jetzt in ein produktives Verhältnis zu
Hegel und Schelling (1993). PLS 2.192–230; Siep: Weg diesem ständigen Fortschreiten des Geistes, da er
der »Phänomenologie des Geistes« (2000), 63–82; Schä- es jetzt als dessen eigene Entfaltung erkennt:
fer: Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), Geschichte ist gleichsam das Leben des Geistes.
164–176.
Das Programm der »Erhebung der Philosophie
zur Wissenschaft«, der » L i e b e zum W i s s e n«
zum » w i r k l i c h e n W i s s e n«, richtet sich ge-
4.7.2. Vorrede zum System
gen das zeitgenössische – empfindsame oder ro-
(1) Vorreden werden zu Hegels Zeit erst nach mantisierende – Verlangen nach Gefühl, An-
dem Druck eines Werkes geschrieben. Sie blik- schauung oder unmittelbarem Wissen des Ab-
ken zwar auf das Werk voraus, jedoch in der soluten – letztlich nach » E r b a u u n g«, statt nach
Retrospektive vom gedruckten Werk aus. Für He- » E i n s i c h t«. Diesen Forderungen billigt Hegel
gels »Vorrede« gilt dies nur zum Teil, denn sie ist zwar insofern eine gewisse Plausibilität zu, als es
die Vorrede nicht speziell zur Phänomenologie, nach der früheren ausschließlichen Richtung des
sondern zum System überhaupt, dessen erster Blicks auf die »jenseitige Gegenwart« Gottes ge-
Teil im Aufbau des Buches konsequent erst auf sie boten scheinen kann, die Menschen der neueren
folgt. So bezieht sie sich teils im Modus des Zeit »aus der Versunkenheit ins Sinnliche, Ge-
Vorblicks zurück auf die Phänomenologie, teils meine und Einzelne« herauszureissen«. Vom Wis-
jedoch voraus auf die ihr erst folgende »Wissen- senschaftscharakter der Philosophie her seien
schaft des Wahren« (GW 9.9–30 bzw. 30–49). derartige Forderungen jedoch abschlägig zu be-
Nach Hegels Selbstanzeige der Phänomenologie scheiden: »Wer nur Erbauung sucht, […] mag
erklärt sich die Vorrede über das, was ihrem zusehen, wo er diß findet; […] Die Philosophie
Verfasser »Bedürfniß der Philosophie auf ihrem aber muß sich hüten, erbaulich seyn zu wollen.«
itzigen Standpuncte zu seyn scheint; ferner über (GW 9.9–15)
die Anmaßung und den Unfug der philosophi- (3) Der erwünschte Umbruch des Denkens
schen Formeln, der gegenwärtig die Philosophie zeigt jedoch auch prekäre Züge: den Verlust des
herabwürdigt, und über das, worauf es überhaupt Reichtums früherer Formen, das Fehlen von Be-
bey ihr und ihrem Studium ankommt.« (GW stimmung, von »Ausbreitung und Besonderung
9.446 f.) des Inhalts«. Hierauf führt Hegel den Mangel an
(2) Dieses gegenwärtige »Bedürfniß der Philo- allgemeiner Verständlichkeit und den Anschein
sophie« ist ihre Erhebung zur Wissenschaft – zurück, Philosophie sei nun ein »esoterisches Be-
denn ihre wahre Gestalt sei »allein das wissen- sitzthum einiger Einzelnen«. Gegen diese Ten-
schaftliche System derselben«. Das Denken der denz – und gegen seine eigene frühere Abwer-
Gegenwart aber ist keineswegs homogen; sie ist tung des Verstandes – rechtfertigt er nun die
»eine Zeit der Geburt und des Uebergangs zu Forderung des Bewußtseins, »durch den Verstand
einer neuen Periode«: »Der Geist hat mit der zum vernünftigen Wissen zu gelangen«. Diese
bisherigen Welt seines Daseyns und Vorstellens Forderung nach »verständiger Form der Wissen-
gebrochen«. Und anders als zu Beginn der Jenaer schaft« richtet Hegel insbesondere gegen den
Jahre geht für Hegel das Bedürfnis der Philo- neuen »Formalismus«, der alles Bestimmte nur
sophie jetzt nicht mehr darauf, »das älteste Alte im »Abgrund des Leeren« versenkt und versi-
herzustellen« und vom Mißverstand der moder- chert, im Absoluten sei alles eins – wodurch das
182 II. Werk

Absolute als die Nacht ausgegeben wird, in der »Werden seiner selbst«. Im Begriff der Subjektivi-
»alle Kühe schwarz sind« (s. 135 f.). Die Alterna- tät spricht Hegel dieses Werden der Substanz zu
tive hierzu ist jedoch nicht, auf den Gedanken des sich aus: »Subject, oder sich selbst Werden«.
Absoluten zu verzichten, sondern das »Erkennen Diese »Bewegung des sich selbst Setzens« ist
der absoluten Wirklichkeit« über seine eigene jedoch nicht allein die interne Struktur eines
Natur zu verständigen (GW 9.15–18). denkenden Subjekts, sondern die Struktur der
(4) Die für solches Erkennen entscheidende Wirklichkeit überhaupt – der logischen wie auch
»Einsicht« spricht Hegel in seinem wohl am häu- der natürlichen und der geistigen. »Leben« etwa
figsten zitierten und gleichwohl am wenigsten läßt sich nicht anders deuten denn als natürliche
verstandenen Wort aus, es komme »alles darauf Form von Reflexivität, die wir im Selbstbezug
an, das Wahre nicht als S u b s t a n z , sondern eines Organismus erkennen können. Hegel erin-
eben so sehr als S u b j e c t aufzufassen und auszu- nert in diesem Zusammenhang auch an Aristo-
drücken« (GW 9.18). Probleme für das Verständ- teles’ Begriff des Zwecks: »der Zweck ist das
nis bereitet nicht so sehr der Substanz- als der Unmittelbare, das Ruhende, welches selbst be-
Subjektbegriff. Denn »Substanz« ist das, was ist, wegend, oder Subject ist«. Im täglichen Leben ist
das eigentlich, in Wahrheit Seiende. Die Rede es wohl richtig, daß sich selbstbewußte Subjekte
vom »Subject« hingegen löst Assoziationen an das ein Handeln nach Zwecken zuschreiben. In Ana-
»neuzeitliche Subjekt« oder gar an das Kantisch- logie hierzu hat sich deshalb die große, keines-
Fichtesche »absolute Subjekt« aus – und nichts wegs bloß erbauliche, sondern wissenschaftsge-
trifft weniger zu. Man kann die Philosophie so- schichtlich bedeutende Bewegung der Physiko-
wohl Kants als auch Hegels als »Philosophie des theologie eine in der Natur vorkommende
Subjekts« bezeichnen – doch sind sie es in grund- Zweckbeziehung nur als eine durch ein göttliches
verschiedener Bedeutung. Das Wahre oder das Subjekt gestiftete Beziehung denken können. Mit
Absolute als Subjekt zu begreifen, heißt zu erken- dem prinzipiellen Ende der Physikotheologie
nen, daß es die Verfassung von Subjektivität habe. aber sind solche Zweckbeziehungen, soweit sie
Und Hegel sucht deshalb, im Vorgriff auf die als objektiv in der Natur vorhanden gedacht wer-
»Darstellung des Systems«, zu skizzieren, was den, nicht mehr als Indizien für das Dasein eines
damit gesagt ist. selbstbewußten göttlichen Subjekts zu denken.
Das basale Charakteristikum von Subjektivität Die Struktur der immanenten Zweckmäßigkeit
ist Tätigkeit, und diese Tätigkeit muß – als Tätig- der Wirklichkeit ist vielmehr zu denken ent-
keit des Absoluten – zwei Bedingungen genügen: weder transzendentalphilosophisch als Begriff
Sie kann – erstens – nicht einem vorausgesetzten der reflektierenden Urteilskraft oder spekulativ
Substrat zugeschrieben werden – denn was wäre als Ausdruck der Subjekthaftigkeit der Substanz.
dies für ein Substrat außerhalb des Absoluten? Tätigkeit, Beziehung, Selbstbeziehung und
Und sie kann – zweitens – nicht auf etwas anderes Zweckbeziehung sind basale Momente des Be-
als auf sich selbst gerichtet sein – denn worauf griffs von Subjektivität; sie erschöpfen ihn jedoch
sonst könnte sie bezogen sein, wenn nichts au- nicht. Höherstufige Momente sind Wissen und
ßerhalb des Absoluten ist? Für eine solche Tätig- Sich-Wissen des Geistes. Indiz der Subjektivi-
keit hat die Philosophiegeschichte einen – frei- tätsverfassung der Substanz ist deshalb zum ei-
lich paradoxen – Begriff geprägt: Spinozas Be- nen das Auftreten geistiger Wesen oder »Sub-
griff der »causa sui«. Bereits in diesem Begriff jekte«, die durch solches Wissen von Anderem
sind zwei Momente des Subjektivitätsbegriffs ge- und durch wissende Selbstbeziehung ausgezeich-
dacht: absolute Spontaneität und Selbstbezüg- net sind. Zum anderen prägt diese Struktur der
lichkeit. Sie sind jedoch aus ihren ursprünglichen wissenden Selbstbeziehung – über diese isolier-
Kontexten einer Theorie der reinen bzw. der ten Subjekte hinaus – die Verfassung des ge-
empirischen Subjektivität herausgelöst und zu samten geistigen Lebens. Denn die Formen der
Momenten der Subjektivität des Absoluten – oder wissenden Selbstbeziehung des Geistes, also die
der »absoluten Subjektivität« – geworden. drei Formen des »absoluten Geistes«, sind für
Die auf sich selbst gerichtete, sich selbst her- Hegel solche Formen seines Sich-Wissens, die
vorbringende Tätigkeit der als Subjekt begriffe- zwar nicht ohne das Sich-Wissen einzelner Sub-
nen Substanz wird von Hegel näher bestimmt als jekte gedacht werden können; die höherstufigen,
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 183

geistigen Momente von Subjektivität – Wissen Rede vom »Subject« hat Hegel selber antizipiert
und Sich-Wissen – sind fraglos an die Wirklich- und widerlegt – freilich ohne durchschlagenden
keit geistiger Wesen gebunden. Doch läßt sich Erfolg: das Mißverständnis nämlich, als wolle
ihre Verfassung nicht einfach aus dem Sich-Wis- seine Formel sagen, daß das Absolute als fixiertes
sen einzelner Subjekte ableiten; sie erschöpfen »Subjekt« im durch die Sprache geläufigen Sinne
sich nicht im Wissen und Sich-Wissen solcher zu fassen sei – oder noch deutlicher: daß damit –
Subjekte, sondern sie bilden über diese hinaus- in einem der kirchlichen Lehre vergleichbaren
gehend die höchste Sphäre der Wirklichkeit als Sinn – die Persönlichkeit oder gar die Mensch-
geistiger. Denn die Substanz ist nicht schon da- werdung Gottes behauptet sei. Dieser Ansicht
durch Subjekt, daß sie einzelne Subjekte hervor- liegt zwar ein berechtigtes »Bedürfniß« zu
bringt, sondern daß sie insgesamt die Verfassung Grunde – eben das »Bedürfniß, das Absolute als
von Subjektivität hat. S u b j e c t vorzustellen«. Schon Hegels Wahl des
Daß das Wahre als Substanz, und diese ebenso- Wortes »vorstellen« ist jedoch charakteristisch
sehr als Subjekt zu begreifen sei, findet für Hegel und kritisch, und so sieht er auch die Sätze, in
seinen höchsten Ausdruck in der Formulierung, denen sich dieses Bedürfnis ausspricht, als eher
daß das Absolute Geist sei. Im Begriff des Geistes geeignet an, die richtige Erkenntnis der Sub-
sind die vorhin aufgezählten Momente von Sub- jektivität des Absoluten zu verstellen. Denn mit
jektivität versammelt und in einen systemati- Hilfe solcher Sätze wird das Absolute als ein fixes
schen Zusammenhang gebracht: Tätigkeit, Wer- Subjekt vorgestellt, dem nachträglich Prädikate
den, Selbstbeziehung, Wissen und – als höchste angeheftet werden – und damit ist die Erkenntnis
Form – wissende Selbstbeziehung, die Identität der Subjektivität der Substanz oder des Absoluten
von Wissendem und Gewußtem. In der Entfal- vielmehr verstellt. Hegel ist deshalb hier über-
tung dieser Momente tritt Hegels Begriff des raschend eindeutig: »Jene Anticipation, daß das
Geistes die Nachfolge des transzendentalphiloso- Absolute Subject ist, ist daher nicht nur nicht die
phischen Begriffs des Ich oder des Selbstbewußt- Wirklichkeit dieses Begriffs, sondern macht sie
seins an. sogar unmöglich, denn jene setzt ihn als ruhen-
»Geist« ist die Substanz, die ebensosehr als den Punkt, diese aber ist die Selbstbewegung.«
Subjekt zu denken ist. »Geist« ist ein Dasein, das Und positiv formuliert: »Der Geist, der sich so als
als Wissen wirklich ist und keine andere Wirk- Geist weiß, ist die W i s s e n s c h a f t .« (GW
lichkeitsform hat als das Wissen. Er ist diejenige 9.18–22)
Form der Wirklichkeit, in der Begriff und Realität (6) Der zweite Teil der »Vorrede« antwortet auf
ineins fallen. Deshalb ist der Begriff des Geistes die Frage, wieso es sinnvoll sei, zunächst den
der zunächst im Substanzbegriff gesuchte und Weg des erscheinenden Geistes bis zur »Wissen-
zum Subjektbegriff weiterbestimmte Begriff des schaft des Wahren« nachzugehen, statt sich so-
Absoluten. Aber auch wenn Geist ein Dasein ist, gleich dem Wahren zuzuwenden. Die Frage
das Wissen ist – und auch dies gehört zum ent- selbst erweist sich als verkürzt: Sie setzt eine fixe
falteten Begriff von Subjektivität –, so ist doch Unterscheidung des Wahren und Falschen vor-
der Inhalt dieses Wissens nicht notwendig zu- aus, und sie unterschlägt die unterschiedliche
gleich dieses Dasein. Das Dasein, das Wissen ist, Natur der historischen, mathematischen und phi-
kann auch anderes als sich wissen – auch solches, losophischen Wahrheiten. Historische Wahrhei-
in dem es nicht zu sich selbst im Verhältnis steht, ten betreffen zwar nur ein einzelnes Dasein nach
sondern zu anderem. Die vollendete, die absolute der Seite seiner Zufälligkeit – aber selbst sie sind
Gestalt des Geistes ist deshalb erst diejenige, in kein bloßes »naktes Resultat«, sondern bedürfen
der einerseits seine Realität als Wissen des Gei- einer »Bewegung des Selbstbewußtseyns«. Ma-
stes von sich selbst zu begreifen ist und anderer- thematische Wahrheiten sind zwar, wie die philo-
seits der Gegenstand des Wissens nichts anderes sophischen, Gegenstand der Einsicht, aber »die
als der Begriff des Geistes ist – oder, wie Hegel Bewegung des mathematischen Beweises […] ist
später sagt, in der sowohl die Realität des Geistes ein der Sache ä u s s e r l i c h e s T h u n«. Dieser
als auch sein Begriff »das W i s s e n der absoluten Äußerlichkeit wegen sieht Hegel sie – trotz ihrer
Idee« ist (§ 553). unbestreitbaren Evidenz – als Beispiele für ein
(5) Ein naheliegendes Mißverständnis seiner mangelhaftes Erkennen. Die Philosophie hinge-
184 II. Werk

gen betrachte »das W i r k l i c h e , sich selbst set- Subjekt »zerfließt« jeweils in das vermeintliche
zende und in sich lebende, das Daseyn in seinem Prädikat; dieses erhält substantielle Bedeutung,
Begriffe«, als einen Prozeß, »und diese ganze die »Bedeutung seines Begriffs« (GW 9.42–49).
Bewegung macht das Positive und seine Wahrheit Diese Problematik des spekulativen Satzes bil-
aus«. »Wahrheit« ist für Hegel hier nicht Wahrheit det den Hintergrund der späteren Urteilslogik
von Urteilen, nicht epistemische, sondern ontolo- Hegels, insbesondere seiner Einschätzung,
gische Wahrheit. Wahrheit lasse sich nicht in Form eines Urteils
Der eigentliche Begriff dieser Bewegung aber, ausdrücken (GW 12.28). Sie bezeichnet jedoch
so Hegel, »gehört der Logik an oder ist vielmehr nicht ein spezifisches Methodenproblem der Phi-
diese selbst«; die Beschreibung, die Hegel hier losophie Hegels, sondern philosophischer Aus-
von ihr gibt, ist nichts als »eine anticipirte Ver- sagen überhaupt; im Anschluß an ihn hat Ludwig
sicherung«. Abgesehen von dieser Antizipation Feuerbach später Sätze der theologischen Tradi-
weist die »Vorrede« zur Phänomenologie nur ver- tion umgekehrt und umgewertet: den Satz »Gott
fehlte Formen zurück: insbesondere die geome- ist die Liebe« in »Die Liebe ist göttlich«. Doch hat
trische Methode, aber auch die »noch unbegriffne er diese bei Hegel gelernte Verwandlung des
Tr i p l i z i t ä t« Kants und sogar die »Construc- Prädikats in das Subjekt zur Methode der re-
tion« Schellings. Beide stehen hier im Verdacht formatorischen Kritik der s p e k u l a t i v e n P h i -
des »Formalismus« und damit der »Taschenspie- l o s o p h i e ü b e r h a u p t« ausgeweitet (Feuer-
lerkunst«. »Die Wissenschaft darf sich nur durch bach, GW 9.244).
das eigne Leben des Begriffs organisiren«. Zur Literatur: Frank-Peter Hansen: Hegels »Phänomeno-
Legitimation dieses Methodenideals bezieht He- logie des Geistes«. »Erster Teil« des »Systems der Wis-
gel sich auf seine zuvor formulierte ontologische senschaft« dargestellt an Hand der »System-Vorrede«
»Einsicht, welche sich durch die Darstellung des von 1807. Würzburg 1994; Jaeschke: Substanz und Sub-
Systems selbst rechtfertigen muß« (GW 9.18): Da jekt. In: Tijdschrift voor Filosofie 62 (2000), 439–458;
»die Substanz an ihr selbst Subject ist, ist aller Hoffmann: Hegel 2004, 197–278..
zum spekulativen Satz: Reinhard Heede: Die gött-
Inhalt seine eigene Reflexion in sich«, seine liche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Unter-
»Selbstbewegung«, und es bedarf keiner ihm suchungen zum Verhältnis von Logik und Religions-
fremden, äußerlichen Reflexion, die lediglich philosophie bei Hegel. Diss. phil. Münster 1972,
»den immanenten Rythmus der Begriffe« störte. 205–254: »Der spekulative Satz«; Günter Wohlfart: Der
Selbst die geforderte »Anstrengung des Begriffs« spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spe-
kulation bei Hegel. Berlin / New York 1981; Schäfer:
charakterisiert Hegel nicht konstruktiv, sondern
Dialektik und ihre besonderen Formen (2001),
fast kontemplativ, als »Aufmerksamkeit auf ihn 177–193.
als solchen«, als ein »Zusehen« bei der »Arbeit
des Begriffs« (GW 9.30–42).
4.7.3. Einleitung
(7) Ein weiteres Mißverständnis des »Begriffs
des philosophischen Beweisens« erwächst nicht (1) Die »Vorrede« ist die zuletzt, die »Einleitung«
aus einem äußerlichen Formalismus, sondern aus die zuerst, etwa ein Jahr früher gedruckte Text-
der Struktur der Sprache: Sie suggeriert die Vor- partie. Gleichwohl gibt es keine konzeptionellen
stellung eines ruhenden Subjekts, auf das der Differenzen zwischen ihnen. Die »Einleitung« hat
Inhalt als Akzidenz oder Prädikat bezogen wird – jedoch nur ›regionale‹ Bedeutung, nur für die
während eigentlich »das Prädicat die Substanz Phänomenologie; sie beginnt damit, daß sie de-
ausdrückt, und das Subject selbst ins Allgemeine ren Methode als bessere Alternative zu der »na-
fällt«. Es handelt sich hier um einen »Conflict der türlichen Vorstellung« einer der Erkenntnis vor-
Form eines Satzes überhaupt, und der sie zer- ausgehenden Kritik empfiehlt – freilich nicht,
störenden Einheit des Begriffs«, in dem »die Na- ohne diese vermeintlich berechtigte Forderung
tur des Urtheils oder Satzes überhaupt, die den als eine Vorstellung zu entlarven, die sich eines
Unterschied des Subjects und Prädicats in sich plumpen Instrumentariums bedient (»Werk-
schließt, durch den speculativen Satz zerstört zeug«, »Leimruthe«). Zudem beruhe dieses ver-
wird«. Hegel erläutert diese Umkehrung an den meintlich sorgfältige Vorgehen auf unausgewie-
Sätzen » G o t t i s t d a s S e y n« und »das W i r k - senen und sogar obsoleten Annahmen über das
l i c h e ist das A l l g e m e i n e«: Das vermeintliche Erkennen und sein Getrenntsein vom Absoluten:
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 185

Denn außerhalb des Absoluten kann es weder Wahre dem Wissen oder das Wissen dem Wah-
Erkenntnis noch Wahrheit geben. Die Erkenntnis ren, ob der Gegenstand dem Begriff oder der
der Wahrheit erfolgt deshalb nicht v o r, sondern Begriff dem Gegenstand entspricht, ist jeweils
vielmehr i m Prozeß der »Darstellung des er- dasselbe; » B e g r i f f u n d G e g e n s t a n d , f ü r
scheinenden Wissens«, als Befreiung der Wis- e i n a n d e r e s , und an s i c h s e l b s t seyn«, fallen
senschaft vom Schein und Erhebung »zum wah- beide in das untersuchte Bewußtsein. Es ist Be-
ren Wissen«. wußtsein des Gegenstandes und Bewußtsein sei-
Das Erreichen dieses Zieles steht unter einer ner selbst, des Wahren und seines Wissens von
doppelten Bedingung: zunächst des Durchlau- diesem, des An-sich und des Für-es dieses An-
fens der » Vo l l s t ä n d i g k e i t der Formen des sich. Der Versuch, den Gegenstand gegen das
nicht realen Bewußtseyns« in ihrem notwendi- Bewußtsein auszuspielen, scheitert notwendig,
gen, durch die »bestimmte Negation« gestifteten da ja jeder Gegenstand ein gewußter ist. Jeder
Zusammenhang. Diesem Vollständigkeitskrite- Versuch, das Wissen auf ein Wahres jenseits des
rium hat Hegel später seine Darstellung ge- Wissens hin zu übersteigen, endet doch stets im
schichtlicher Prozesses nicht mehr unterworfen – Wissen dieses vermeintlich jenseits seiner ange-
und dies aus dem gutem Grund, daß es sich siedelten Wahren. Wenn das Bewußtsein sein
weder einlösen läßt noch auch nur zum Erreichen Wissen dem Gegenstand nicht angemessen fin-
des Ziels erforderlich ist. Die zweite Bedingung det, verändert sich auch sein Gegenstand. Und
liegt in der Verwirklichung der Entsprechung von Hegel resümiert: »Diese d i a l e k t i s c h e Bewe-
Begriff und Gegenstand. Sie ist dort erreicht, »wo gung, welche das Bewußtseyn an ihm selbst,
die Erscheinung dem Wesen gleich wird, seine sowohl an seinem Wissen, als an seinem Gegen-
Darstellung hiemit mit eben diesem Punkte der stande ausübt, i n s o f e r n i h m d e r n e u e
eigentlichen Wissenschaft des Geistes zusam- G e g e n s t a n d daraus e n t s p r i n g t , ist eigent-
menfällt [sc. also im Geist-Kapitel], und endlich, lich dasjenige, was E r f a h r u n g genannt wird.«
indem es selbst diß sein Wesen erfaßt, wird es die In dieser Analyse fehlt jedoch noch ein wesent-
Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen.« liches Moment. Daß der neue Gegenstand durch
(2) Fundamental für diese Konzeption ist He- eine »Umkehrung des Bewußtseyns« entstanden
gels Überzeugung, der Weg der Erfahrung des ist, ist eine dem untersuchten Bewußtsein fremde
Bewußtseins lasse sich als Prozeß der »bestimm- Betrachtung, ist »unsere Zuthat« – und diese erst
ten Negation« rekonstruieren, also eines Bewußt- ist es, »wodurch sich die Reihe der Erfahrungen
seinsprozesses, in dem das Resultat des Wider- des Bewußtseyns zum wissenschaftlichen Gange
spruchs nicht bloß Nichts ist, sondern einen erhebt«. Die notwendige Bewegung, in der dem
neuen Gegenstand bildet. Diesen Prozeß denkt Bewußtsein der neue Gegenstand entsteht, geht
Hegel nicht als eine » P r ü f f u n g d e r R e a l i t ä t »gleichsam hinter seinem Rücken« vor. Sie ist ein
d e s E r k e n n e n s« durch die »Wissenschaft« – An-sich, das nicht für es, sondern nur für uns
denn hierzu bedürfte es eines vorausgesetzten Betrachter ist – und erst: »Durch diese Noth-
Maßstabs. Er denkt ihn vielmehr als »Wissen- wendigkeit ist dieser Weg zur Wissenschaft
schaft der Erfahrung des Bewußtseyns«, als Pro- selbst schon W i s s e n s c h a f t , und nach ihrem
zeß der Selbstprüfung des Bewußtseins mittels Inhalte hiemit Wissenschaft der E r f a h r u n g
der Bestimmungen »Wissen« und »Wahrheit« – d e s B e w u ß t s e y n s .« (GW 9.53–62; vgl. GW
und nirgends wird das transzendentalphilosophi- 9.29)
sche Erbe Hegels deutlicher sichtbar als in der
Literatur: Martin Heidegger: Hegels Begriff der Erfah-
Beschreibung dieses Verfahrens. Das Bewußtsein rung. In ders.: Holzwege. Frankfurt 4 1963, 105–192;
unterscheidet von sich einen Gegenstand, sein Werner Marx: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die
Wahres, sein »Ansich« – aber es bezieht sich Bestimmung ihrer Idee in »Vorrede« und »Einleitung«.
zugleich durch sein Wissen auf diesen Gegen- Frankfurt am Main 1971; Konrad Cramer: Bemerkun-
stand; das »Ansich« ist also ein »Ansich« nur für gen zu Hegels Begriff vom Bewußtsein in der Einleitung
zur Phänomenologie des Geistes (1976). In: Rolf Peter
das Bewußtsein. Das, was das Bewußtsein zum
Horstmann (Hg.): Seminar: Dialektik in der Philo-
Wahren erklärt, ist der »Maßstab«, an dem sein sophie Hegels. Frankfurt am Main 1978, 360–393; An-
Wissen gemessen wird – aber dieser Maßstab nette Sell: Martin Heideggers Gang durch Hegels »Phä-
fällt offenbar ebenfalls in das Wissen. Ob das nomenologie des Geistes«. HSB 39 (1998).
186 II. Werk

4.7.4. Formen und Gestalten (A). Am Beginn des Weges muß die einfachste
des erscheinenden Geistes Form stehen, die »sinnliche Gewißheit« (I), das
» W i s s e n des u n m i t t e l b a r e n oder S e y e n -
(1) Die Erfahrung des Bewußtseins als Gegen- d e n«. Doch dieses Wissen, das zugleich den
stand der Phänomenologie umfaßt »das ganze »unendlichen Reichthum« der Sinneserkenntnis
System desselben, oder das ganze Reich der beansprucht, erweist sich als ein armes, da es als
Wahrheit des Geistes«. Der Weg der »Bildung« unmittelbares nur das Sein seines Gegenstandes
zur Wissenschaft, den das natürliche oder un- aussagt – und im Versuch des Aussagens ent-
mittelbare Bewußtsein zu durchlaufen hat, ist schwindet ihm zudem sein Gegenstand. Aller-
deshalb ein gedoppelter: Er ist Geschichte der dings erscheint Hegels Darstellung weniger als
Formen des einzelnen Bewußtseins, seiner »ab- eine ›Phänomenologie der sinnlichen Gewißheit‹
stracten, reinen Momente« (in Anlehnung an die denn als Variation philosophiegeschichtlich ver-
transzendentalphilosophische »Geschichte des trauter Argumentationsmuster – wie bereits ein
Selbstbewußtseins«) und zugleich allgemeine, Blick in seine Vorlesungen über die Geschichte der
datierbare Geschichte der » G e s t a l t e n d e s B e - Philosophie, insbesondere zum Megariker Stilpo,
w u ß t s e y n s« (GW 9.61). Hegel hat diese beiden zu den Kyrenaikern, zu Gorgias, Epikur und Sex-
Wege nicht streng unterschieden. Er beginnt mit tus Empiricus, aber auch zu David Hume zeigt.
der Abhandlung der Erfahrung, die das einzelne Gleichwohl läßt sich seine Darstellung der »sinn-
Bewußtsein macht. Doch Momente des Bewußt- lichen Gewißheit« nicht als bloße philosophiege-
seins, die zunächst nur dem ersten Weg anzuge- schichtliche Reminiszenz lesen. Sie ist fraglos ein
hören scheinen, können auch »als ihrer bewußte Konstrukt, wie auch die folgenden Formen –
Erscheinung in der Geschichte des Geistes« auf- doch erfüllt es seine systematische Funktion,
treten (GW 9.117), und im Verlauf des Werkes nämlich den Nachweis, daß eine Erkenntnis-
werden die Momente zunehmend durch Gestal- form, die die Wahrheit in die unmittelbare sinn-
ten dieser Geschichte ersetzt. Erst von ihr her, die liche Gewißheit setzt, vielmehr sprachlos und
für ihn zur neuen und eigentlichen Geschichte überhaupt nicht wahrheitsfähig ist (GW
des Selbstbewußtseins wird, macht er schließlich 9.63–70).
den Übergang zur »Wissenschaft«. Für die zweite Bewußtseinsform, die »Wahr-
Die systematische Funktion der Phänomeno- nehmung« (II), ist der Gegenstand zunächst »das
logie besteht im Durchlaufen dieses Weges. Für Allgemeine, in seiner Einfachheit ein v e r m i t -
ihren Leser sind jedoch häufig bereits die Sta- t e l t e s« und somit ein » D i n g v o n v i e l e n
tionen dieses Weges das Ziel. Denn ihre Be- E i g e n s c h a f t e n« – in Form einer »atomisti-
schreibungen zeichnen sich aus durch erschrek- schen Dingontologie« (Siep 2000, 90). Doch hier
kend hellsichtige Analysen wie durch überra- erfährt das Bewußtsein, daß »der in der Wahr-
schende Pointen, aber auch durch spitz gezeich- nehmung für wahrgehaltene Inhalt, in der That
nete Karikaturen und beißenden Sarkasmus, nur der Form angehört, und in ihre Einheit sich
durch den der Denker des Absoluten die gar nicht auflöst« (GW 9.83,71–81).
so absolut scheinende Wirklichkeit geißelt. Die In Kapitel III, »Krafft und Verstand«, ist der
Bilder dieser Galerie des sich verwirklichenden Gegenstand nicht unmittelbar für das Bewußt-
Absoluten faszinieren die Forschung in unter- sein, sondern er ist ein » i n n e r e s Wa h r e s«
schiedlicher Intensität auch als einzelne – unab- und liegt in einem » J e n s e i t s«, einer übersinnli-
hängig von ihrer Stellung innerhalb des Ganzen chen wahren Welt als einem ruhigen Reich von
oder gar ihrer systematischen Funktion innerhalb Gesetzen. Dieses wird jedoch zu einer »verkehr-
dieses Ganzen. Den überschäumenden Reichtum ten Welt« gemacht, wenn es wiederum als sinn-
dieses Ganges, dieses »bachantische[n] Tau- liche Welt vorgestellt wird – wobei die Differenz
mel[s], an dem kein Glied nicht trunken ist« (GW zwischen den beiden Welten verlorengeht. Hier
9.35), kann jedoch allein die Lektüre des Buches arbeitet Hegel wiederum mit mannigfachen,
vermitteln; selbst ein ausführlicher Kommentar wenn auch sehr verdeckten Anspielungen auf
kann ihn nicht ersetzen. Leibniz, Kant und wiederum auf den Skeptizis-
(2) Hegel beginnt den Weg des Geistes mit der mus, aber auch auf die neuere Wissenschaftsge-
Thematisierung dreier Formen des Bewußtseins schichte und das Gravitationsgesetz. Und auch
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 187

hier überführt er das Bewußtseinsverhältnis, also Genese von Rechtsverhältnissen hat, steht sie
die Trennung zwischen einem Bewußtsein und hier im Kontext der Genese des Selbstbewußt-
einem »Ding«, seiner inneren Unwahrheit. Das seins, und damit wiederum näher an Fichtes
Bewußtsein stehe vielmehr auf beiden Seiten der Einführung des Anerkennungsbegriffs. Erst in
Relation, so daß »nicht allein das Bewußtseyn der Anerkennung ist »ein S e l b s t b e w u ß t s e y n
vom Dinge nur für ein Selbstbewußtseyn möglich f ü r e i n S e l b s t b e w u ß t s e y n«. Dessen Wirk-
ist, sondern daß diß allein die Wahrheit jener lichkeit erfordert seine »Verdopplung«, denn erst
Gestalten ist.« Das ›Selbstbewußtsein‹, das hier das Selbstbewußtsein ist sowohl Ich als Gegen-
entsteht, ist somit nicht individualpsychologisch stand: » D a s S e l b s t b e w u ß t s e y n e r r e i c h t
zu fassen, sondern als epistemisches Prinzip (GW seineBefriedigungnurineinemandern
9.82–102). S e l b s t b e w u ß t s e y n .«
Literatur: Joachim C. Horn: Hegels »Wahrheit des Anders als im Systementwurf III verbindet He-
Sinnlichen« oder die »Zweite übersinnliche Welt«. In: gel den ›Kampf um Anerkennung‹ hier mit den
Kant-Studien 54 (1963), 252–258; Hans-Georg Gada- Themen ›Herrschaft und Knechtschaft‹ und ›Ar-
mer: Die verkehrte Welt; Reiner Wiehl: Über den Sinn beit‹. Und auch darüber hinaus bezieht Hegel nun
der sinnlichen Gewißheit in Hegels »Phänomenologie
in seine »›transzendentale‹ Frage nach dem Ver-
des Geistes«. Beide in: Hegel-Tage Royaumont (1964),
HSB 3 (1966), 135–154 bzw. 103–134; Wolfgang Wie- hältnis von Wissen und Gegenstandskonzeptio-
land: Hegels Dialektik der sinnlichen Gewißheit nen Themen und Inhalte ein, die in keiner tradi-
(1966). In: Materialien zu Hegels »Phänomenologie des tionellen und kaum einer gegenwärtigen Epi-
Geistes« (1973), 67–82; Klaus Düsing: Die Bedeutung stemologie zu finden sind« (Siep 2000, 97) – im
des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnli- Interesse einer breiten bewußtseinsgeschichtli-
chen Gewißheit. HS 8 (1973), 119–130; Robert Zimmer-
chen Fundierung des Wissensbegriffs. Hierfür
man: Hegel’s »Inverted World« Revisited. In: The Phi-
losophical Forum 13/4 (1982), 342–370; L. J. Goldstein: greift er weit hinter die neuzeitliche Wissen-
Force and the Inverted World in Dialectical Retrospec- schaftsgeschichte zurück, auf ein frühes Stadium
tion. In: International Studies in Philosophy 20/3 der Philosophie- und Religionsgeschichte: auf
(1988), 13–28; Kenneth R. Westphal: Hegel’s epistemo- die »Freyheit des Selbstbewußtseyns«, die im
logical realism: A study of the aim and method of Stoizismus als selbstbewußte Gestalt aufgetreten
Hegel’s Phenomenology of Spirit. Dordrecht / Boston
sei. Im Skeptizismus sei sie zu einem Moment
1989; Matthias Kettner: Hegels »Sinnliche Gewißheit«.
Diskursanalytischer Kommentar. Frankfurt / New York des Selbstbewußtseins geworden, das »in der
1990; Annette Sell: Das Problem der sinnlichen Gewiß- Gewißheit seiner Freyheit« seine Gegenstände in
heit. Neuere Arbeiten zum Anfang der Phänomenologie einer negativ-dialektischen Bewegung ver-
des Geistes. HS 30 (1995), 197–206; Fulda / Horstmann schwinden lasse. Er erscheint als »Ataraxie des
(Hg.): Skeptizismus und spekulatives Denken in der sich selbst Denkens«, als »unwandelbare und
Philosophie Hegels. Stuttgart 1996; Kenneth R. West-
w a h r h a f f t e G e w i ß h e i t s e i n e r s e l b s t« –
phal: Hegel, Hume und die Identität wahrnehmbarer
Dinge. Historisch-kritische Analyse zum Kapitel doch weil das Bewußtsein »die a b s o l u t e d i a -
»Wahrnehmung« in der Phänomenologie von 1807. l e k t i s c h e U n r u h e« ist, erweist sich sein stän-
Frankfurt am Main 1998; Andreas Graeser: Hegels diger Widerspruch schließlich als gedankenloses
Porträt der sinnlichen Gewißheit; Joseph C. Flay: He- »Gezänke eigensinniger Jungen«, die sich durch
gel’s Inverted World (1970). Beide in: Köhler / Pögge- ihren Selbstwiderspruch die Freude erkaufen,
ler (Hg.): Hegel. Phänomenologie des Geistes, 33–51
mit einander im Widerspruch zu bleiben (GW
bzw. 89–105; Dietmar H. Heidemann: Kann man sagen,
was man meint? Untersuchungen zu Hegels »Sinnlicher 9.103–121).
Gewißheit«. Archiv für Geschichte der Philosophie 84 Diesen Rückgriff wird man mit Hegels gleich-
(2002), 46–63; Brady Bowman: Sinnliche Gewißheit. zeitigen Vorlesungen über die Geschichte der Phi-
Zur systematischen Vorgeschichte eines Problems des losophie (1805/06) in Verbindung bringen dürfen
Deutschen Idealismus. Berlin 2003. (s. 478) – ebenso wie seinen Begriff des »unglück-
(3) Zur systematischen Einführung des Begriffs lichen Bewußtseins« mit den religionsphiloso-
des Selbstbewußtseins (B) oder der »Wahrheit phischen Studien. In seinem breiten, Wissen-
der Gewißheit seiner selbst« (IV) greift Hegel auf schafts-, Philosophie- und Religionsgeschichte
seine Geistesphilosophie zurück, auf das Thema übergreifenden bewußtseinsgeschichtlichen An-
»Anerkennung« (s. 163, 171). Doch während satz führt Hegel dieses »unglückliche Bewußt-
»Anerkennung« dort ihren Ort im Kontext der sein« als eine auf den Skeptizismus folgende Ge-
188 II. Werk

stalt ein, die » f ü r s i c h das gedoppelte Bewußt- und »die Einzelnheit des Bewußtseyns ihm an
seyn seiner, als des sich befreyenden, unwandel- sich absolutes Wesen ist, entdeckt es sie als
baren und sichselbstgleichen, und seiner als des s e i n e neue wirkliche Welt«, in der es »seine
absolut sich verwirrenden und verkehrenden, – eigne Wa h r h e i t und G e g e n w a r t« hat. Den
und das Bewußtseyn dieses seines Widerspruchs Begriff dieser neuen Epoche läßt Hegel den
ist.« Diese Momente des Unwandelbaren und »Idealismus« aussprechen: »Die Vernunft ist die
Einzelnen gestaltet das »unglückliche Bewußt- Gewißheit des Bewußtseyns alle Realität zu
seyn« zu einem trinitarischen Gottesgedanken. seyn«.
Doch auch hier wiederholt Hegel seine von den Trotz dieses spezifischen Bezugs ist »Idealis-
frühen Schriften bis in die späten Vorlesungen mus« hier primär eine umfassende kulturge-
stereotype Kritik (s. 164, 474): Eben »durch die schichtliche Kategorie. Sie bezeichnet das neue
G e s t a l t u n g des Unwandelbaren«, die als Ver- Verhältnis von Denken und Wirklichkeit, das
mittlungsinstanz zu fungieren bestimmt ist, ist grundlegend auch für solche Bereiche der Wirk-
»das Moment des Jenseits nicht nur geblieben, lichkeit ist, die man sonst nicht mit »Idealismus«
sondern vielmehr noch befestigt«. Denn diese zu assoziieren pflegt: Das Bewußtsein weiß die
Gestaltung ist nun »ein undurchsichtiges sinn- Vernunft »als gleiches Wesen der Dinge und sei-
liches E i n s , mit der ganzen Sprödigkeit eines ner selbst«. Und diese Gewißheit der Vernunft, in
W i r k l i c h e n« behaftet. Deshalb weiß das »un- der Welt Gegenwart zu haben »oder daß die
glückliche Bewußtseyn« nicht, »daß dieser sein Gegenwart vernünftig ist«, liegt dem neuzeit-
Gegenstand, das Unwandelbare, welches ihm lichen Weltverhältnis insgesamt zu Grunde –
wesentlich die Gestalt der Einzelnheit hat, e s selbst der Wissenschaft als »beobachtender Ver-
s e l b s t ist«. Und so stellt es sich zu diesem nunft«, und der »Beobachtung der Natur« ebenso
Gegenstand in die drei Verhältnisse der »An- wie der »Beobachtung des Selbstbewußtseyns«
dacht«, der »Begierde und Arbeit«, und des und seiner Beziehung »auf seine unmittelbare
Kampfes gegen seine »thierischen Functionen«. Wirklichkeit«, in der »Physiognomik und Schä-
Letztere – an sich gleichgültig und nichtig – dellehre«. Auch das Beobachtete soll ja nicht die
werden dadurch »gerade zum Wichtigsten«, und Bedeutung eines » s i n n l i c h e n d i e s e n«, son-
das sich stets von neuem als verunreinigt empfin- dern »eines A l l g e m e i n e n«, eines Falles von
dende »unglückliche Bewußtseyn« fristet schließ- allgemeiner Gesetzlichkeit haben. Allerdings
lich sein Dasein als »sich bebrütende, eben so sieht Hegel dieses Beobachten noch in einem
unglückliche als ärmliche Persönlichkeit« (GW Mißverständnis seiner selbst befangen: Weil es
9.122–131). nämlich »Vernunft i s t aber ihm die Vernunft noch
nicht als solche Gegenstand ist«, sage es, »daß es
Literatur: Fulda / Henrich (Hg.): Materialien zu Hegels
»Phänomenologie des Geistes« (1973). Darin 133–188: n i c h t s i c h s e l b s t , sondern im Gegentheil
Alexandre Kojève: Zusammenfassender Kommentar zu d a s We s e n d e r D i n g e a l s d e r D i n g e erfah-
den ersten sechs Kapiteln der »Phänomenologie des ren wolle«. Dieses Mißverständnis gipfelt
Geistes« (1958); 189–216: George Armstrong Kelly: schließlich in der Aussage, »daß das Selbst ein
Bemerkungen zu Hegels »Herrschaft und Knechtschaft« Ding ist« oder »daß d a s S e y n d e s G e i s t e s e i n
(1965); 217–242: Hans-Georg Gadamer: Hegels Dia-
K n o c h e n i s t« – in Lavaters Physiognomik und
lektik des Selbstbewußtseins; Siep: Anerkennung als
Prinzip der praktischen Philosophie (1979), 68ff.,97ff., in der Schädellehre Galls (vgl. GW 5.507 f.). Aber
203–222; Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbst- selbst darin findet das Bewußtsein »das Ding als
bewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und sich, und sich als Ding« (GW 9.132–192,193).
idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Die Korrespondenzstruktur der Vernunft, die
Fichte und Hegel. Köln 1986, 312–327; Werner Marx: bereits der »beobachtenden Vernunft« zu Grunde
Das Selbstbewußtsein in Hegels Phänomenologie des
liegt, erhellt jedoch insbesondere dort, wo das
Geistes. Frankfurt am Main 1986.
Selbstbewußtsein sich nicht auf ein »Ding«, son-
(4) Die folgende Stufe, »Gewißheit und Wahrheit dern auf ein anderes Selbstbewußtsein richtet.
der Vernunft« (C/AA, V), verklammert Hegel mit Im Blick auf dieses Verhältnis spricht Hegel be-
der des Selbstbewußtseins auch geschichtlich: reits vorgreifend vom »Geist«, »der die Gewiß-
Erst, nachdem das Bewußtsein als »unglückli- heit hat in der Verdopplung seines Selbstbewußt-
ches« »das Grab seiner Wahrheit verloren« hat seyns und in der Selbstständigkeit beyder seine
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 189

Einheit mit sich selbst zu haben.« Diese »Verwirk- trug«, der vielmehr am »Genuß s e i n e s e i g e -
lichung des vernünftigen Selbstbewußtseyns« n e n Thuns« interessiert ist. Das Bewußtsein
oder der »selbstbewußten Vernunft« findet ihre macht hier die Erfahrung, »was die N a t u r d e r
»vollendete Realität« darin, »in der Selbstständig- S a c h e s e l b s t ist«, nemlich weder nur Sache
keit des A n d e r n die vollständige E i n h e i t mit noch nur Tun zu sein, »sondern ein Wesen, des-
ihm anzuschauen«. Doch das glückliche Leben sen S e y n das T h u n des e i n z e l n e n Indivi-
des »freyen Volks« der Antike ist noch nicht die duums und aller Individuen, und dessen Thun
Verwirklichung dieser Vernunft. Hegels Darstel- unmittelbar f ü r a n d r e , oder eine S a c h e ist,
lung des erforderlichen Weges ist zugleich bei- und nur Sache ist als T h u n A l l e r und J e d e r ;
des: Legitimation und kaustische Kritik der Neu- das Wesen, welches das Wesen aller Wesen, das
zeit. Unter den ebenso spannungsgeladenen wie g e i s t i g e We s e n ist« – »von der Individualität
kryptischen Titeln »Die Lust und die Nothwen- durchdrungene Substanz« und damit »Subject«
digkeit«, »Das Gesetz des Herzens, und der (GW 9.214–228).
Wahnsinn des Eigendünkels« und »Die Tugend In den Abschnitten über die »gesetzgebende«
und der Weltlauff« arbeitet Hegel die Wider- und die »gesetzprüffende Vernunfft« kritisiert He-
sprüche heraus, die sich im Versuch der Verwirk- gel die naive Annahme, »daß die g e s u n d e Ve r -
lichung der Einheit des Selbstbewußtseins und n u n f t unmittelbar weiß, was r e c h t und g u t
seines Anderen einstellen – teils mit Anspielun- ist«. Die beiden vermeintlichen Gesetze » J e d e r
gen auf Goethes Faust und Jacobis Woldemar, s o l l d i e Wa h r h e i t s p r e c h e n« und » L i e b e
teils als unbestechlicher Beobachter seiner auf- d e i n e n N ä c h s t e n , a l s d i c h s e l b s t« blieben
klärerischen und den höchsten Idealen der beim Sollen stehen; sie drückten keinen absolu-
Menschheit huldigenden revolutionären Gegen- ten Inhalt aus, sondern nur »die r e i n e F o r m
wart: »Das Herzklopfen für das Wohl der d e r A l l g e m e i n h e i t« oder die Tautologie des
Menschheit geht darum in das Toben des ver- Bewußtseins. Mit dieser Wendung leitet Hegel
rückten Eigendünkels über«. »Was öffentliche über zur Kritik an Kants Begriff der praktischen
O r d n u n g scheint, ist also diese allgemeine Be- Vernunft, die er hier jedoch nicht als autonome,
fehdung, worin jeder an sich reißt, was er kann«. sondern nur als »gesetzprüffende Vernunfft« the-
Die »pomphafften Reden vom Besten der matisiert. Zur Prüfung wäre ein Maßstab erfor-
Menschheit« und die Kämpfe der »Ritter der derlich – doch der Maßstab, den die reine prakti-
Tugend« erweisen sich als leere »Spiegelfechte- sche Vernunft anzulegen sucht, ist der Gedanke
rey« – und so sieht Hegel nicht ohne Sympathie, der Widerspruchsfreiheit. Hegel zeigt nun nicht,
wie die »Tugend« vom »Weltlauff« besiegt wird. daß etwa die Prinzipien »Eigenthum« und »Nicht-
Dieser sollte zwar »die Verkehrung des Guten eigenthum« beide widerspruchsfrei seien, son-
seyn, weil er die I n d i v i d u a l i t ä t zu seinem dern daß vielmehr beide gleichermaßen wider-
Princip hatte; allein diese ist das Princip der sprechend und – als einfach vorgestellt – »nicht
W i r k l i c h k e i t«. Das »Fürsichseyn des Welt- widersprechend« seien, und so kommt er zum
lauffs« und »das A n s i c h der Tugend« erweisen Resultat: »Der Maßstab des Gesetzes, den die
sich somit als zusammengehörige, notwendige Vernunft an ihr selbst hat, paßt daher allem gleich
Momente der Vernunft, »die itzt an und für sich gut, und ist hiemit in der That kein Maßstab.«
ihrer Realität gewiß, sich nicht mehr als Z w e c k Gegen die Vorstellungen des Gesetzgebens als
im G e g e n s a t z e gegen die unmittelbarseyende des Gesetzprüfens betont Hegel unter Berufung
Wirklichkeit erst hervorzubringen sucht« (GW auf Sophokles’ Antigone das Sein des ungeschrie-
9.193–214). benen und untrüglichen Rechts: »Nicht darum
Eine analoge Entwicklung zeigt Hegel auch im also, weil ich etwas nicht widersprechend finde,
ersten Abschnitt des letzten Teils des Vernunft- ist es Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es
Kapitels auf: »Das geistige Thierreich und der Recht.« Dies ist für ihn nun nicht eine andere
Betrug, oder die Sache selbst«. Wie zuvor die Form der Tautologie, denn »ob diese oder die
Differenz von »Tugend« und »Weltlauff«, so hebt entgegengesetzte Bestimmung das Rechte sey, ist
er hier die Entgegensetzung von »Thun« und a n und f ü r s i c h bestimmt«, nämlich »in der
»Sache« auf. Die Prätention, bloß um der »reinen sittlichen Substanz« (GW 9.228–237).
Sache« willen zu handeln, erweist sich als »Be-
190 II. Werk

Literatur: Klaus Düsing: Der Begriff der Vernunft in worden durch die des »sich entfremdeten Gei-
Hegels »Phänomenologie«. In: Hans Friedrich Fulda / stes« (GW 9.238–240).
Rolf Peter Horstmann (Hg.): Vernunftbegriffe in der
»Geist« ist, wie schon im Systementwurf III,
Moderne. Stuttgart 1994, 245–260; Klaus Erich Kähler /
Werner Marx: Die Vernunft in Hegels »Phänomeno- der Begriff, in dem das komplexe Verhältnis zwi-
logie des Geistes«. Frankfurt am Main 1992; Gary Sha- schen den ›geistigen Leistungen‹ der einzelnen
piro: Notes on the Animal Kingdom of the Spirit. In: Subjekte und der ihnen vorausliegenden, aber
Stewart (Hg.): The Phenomenology of Spirit Reader auch durch sie hervorgebrachten »Substanz« ge-
(1998), 225–239. dacht ist – und spezifischer die Relation zwischen
der Substantialität des geistigen Lebens eines
(5) Den »Geist« führt Hegel erst in der Mitte Volkes, deren Differenz zur vereinzelten Wirk-
seiner Phänomenologie des Geistes als eigene Ge- lichkeit und der »unendlichen Mitte« des Selbst-
stalt ein (C/BB, VI): Er ist das » a n und f ü r - bewußtseins, das beide vereint und damit »die
s i c h s e y e n d e Wesen« […], welches sich zu- Einheit seines Selbsts und der Substanz als s e i n
gleich als Bewußtseyn wirklich und sich sich We r k« hervorbringt. Unter dem Titel »Der
selbst vorstellt«. Erst er ist »das sich selbsttra- wahre Geist« skizziert Hegel, im Rückgriff auf
gende absolute reale Wesen«, und Bewußtsein, Aischylos’ Sieben gegen Theben und Sophokles’
Selbstbewußtsein und Vernunft nur »Abstractio- Antigone, den Weg von der einfachen »sittlichen
nen desselben«, »Momente«. Deshalb sind erst Substanz« durch die in ihr aufbrechenden Wider-
seine Gestalten »Gestalten einer Welt«, und nicht sprüche zum » w i r k l i c h e n S e l b s t b e w u ß t -
nur des Bewußtseins. Dennoch schließt Hegel s e y n«, in dem die Sittlichkeit zu Grunde geht –
von diesem Begriff des Geistes hier noch die im Rechtszustand der römischen Welt (GW
Religion aus – so sehr er auch hier schon auf 9.240–264).
religiöse Phänomene eingeht. Deshalb entspricht Schon im Titel des zweiten Teils stellt Hegel
der Umfang dieses Begriffs des »Geistes« am eine provokante Beziehung zwischen »Bildung«
ehesten dem des späteren »objektiven Geistes«. und »Entfremdung« her – und er gebraucht dieses
Hegel thematisiert hier aber nicht Begriffe, wie Wort in vielfacher Bedeutung (Siep 2000,
später im Kontext der Geistesphilosophie, son- 189–191), jedoch nicht in der durch Karl Marx
dern eben »Gestalten einer Welt« in ihrer ge- geprägten gesellschaftskritischen. Fundamental
schichtlichen Bewegung – vom »wahren Geist« ist die Bedeutung von »Entfremdung« als Struk-
der antiken Sittlichkeit über den »sich entfremde- turprinzip des Geistes. »Geist« ist ja nach dem
ten Geist« der Bildung bis zum »seiner selbst (durchaus problematischen) Modell von Selbst-
gewissen Geist« seiner Gegenwart. bewußtsein als vermittelter Selbstbeziehung ge-
Gleichwohl erscheint die Abfolge dieser Ge- dacht, und deshalb bildet auch »Entfremdung« als
stalten, als geschichtliche genommen, willkürlich Relation des einzelnen Geistes zu seiner Substanz
und zu sehr auf die Neuzeit konzentriert. Es als zu einem Anderen die Grundstruktur des
scheint jedoch, als habe Hegel zunächst einen Geistes: »das u n m i t t e l b a r d. h. o h n e E n t -
anderen Aufriß beabsichtigt. Als die drei Ge- f r e m d u n g an und für sich geltende Selbst ist
stalten, »als deren Ziel und Resultat das wirkliche ohne Substanz, […] s e i n e Substanz ist also
Selbstbewußtseyn des absoluten Geistes hervor- seine Entäußerung selbst«. »Entfremdung« ist so-
treten wird«, nennt er in einer Gliederungsskizze mit konstitutiv für Geistigkeit überhaupt – sie ist
die »sittliche Welt, die in das Disseits und Jen- geradezu die »Substanz« des Geistes: es gibt
seits zerrissene Welt und die moralische Welt- nichts Geistiges, das nicht ein Entfremdetes
anschauung« (GW 9.240). Dies läßt vermuten, wäre.
daß er zunächst beabsichtigt hat, als »zerrissene An diese Grundbedeutung schließen die wei-
Welt« das Mittelalter zu behandeln. Hierauf deu- teren, geschichtlich variablen Bedeutungen an –
ten auch mehrere Anspielungen: die Anknüpfung denn sie bezeichnen sämtlich Formen der Ent-
an den Rechtszustand der römischen Welt, die zweiung, die eine konstitutive Funktion für die
Betonung des »Jenseits« sowie eines Reiches, das Ausbildung geistigen Lebens haben, auch wenn
nur »im Glauben« ist, oder der » F l u c h t aus der sie jeweils wieder überwunden werden müssen.
wirklichen Welt« (GW 9.264–266). Dann wäre Zu ihnen zählt zunächst die religionskritische
die Darstellung der »zerrissenen Welt« ersetzt »Entfremdung« in eine »in das Disseits und Jen-
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 191

seits zerrissene Welt« (GW 9.240), deren eines es sie auch an sich selbst, und so ist es nicht bloß
die entfremdete Wirklichkeit des anderen bildet. »ein e n t f r e m d e t e s«, sondern »wesentlich an
»Das Ganze ist daher, wie jedes einzelne Mo- ihm selbst sich entfremdet«, unterschieden in die
ment, eine sich entfremdete Realität«. Die Ent- beiden Seiten der »reinen Einsicht« und des
fremdung besteht darin, »in zweyerlei Welten das Glaubens. Dessen Gegenstand liege »zwar eben-
Bewußtseyn zu haben«, da der Glaube »die falls im Element des reinen Selbstbewußtseyns,
F l u c h t aus der wirklichen Welt« ist (GW aber i m D e n k e n , nicht in B e g r i f f e n , i m
9.264–267). reinen Bewußtseyn, nicht im reinen
Anderer Art – und für dieses Kapitel tragend – S e l b s t b e w u ß t s e y n«; er sei zwar » r e i n e r
ist die im Begriff »Bildung« gedachte Entfrem- G e d a n k e«, erhalte jedoch im Bewußtsein »die
dung: Sie beruht darauf, daß das Selbstbewußt- Bedeutung eines gegenständlichen » S e y n s , das
sein seines natürlichen Seins, »seiner Persönlich- jenseits des Bewußtseyns des Selbst liegt«; der
keit sich entäussert, hiedurch seine Welt hervor- Gegenstand fällt aus dem Denken in die Vor-
bringt, und sich gegen sie als eine Fremde so stellung herab und wird zu einer übersinnlichen
verhält, daß es sich ihrer nunmehr zu bemächti- Welt, »welche wesentlich ein A n d e r s des
gen hat«; es erhebt sich in dieser Beziehung zum Selbstbewußtseyns sey.« Wegen dieser Abkunft
Allgemeinen und hat darin seine Wirklichkeit. aus der realen Welt liegt deren Gliederung der
Den historischen Bezug des Abschnitts »I. Die trinitarischen »Organisation« des »absoluten Ge-
Welt des sich entfremdeten Geistes« hat Hegel genstandes« zu Grunde. – In der »reinen Ein-
vage gelassen. Einige Wendungen lassen sich als sicht« hingegen ist allein das Selbst sich Gegen-
Anspielungen auf die Religion und den Feuda- stand, »oder der Gegenstand hat nur Wahrheit,
lismus des Mittelalters lesen (»Glaube«, »Flucht«, insofern er die Form des Selbsts hat.« Und Hegel
»stolzer Vasall«); andere auf den Absolutismus resumiert: »das Selbst weiß sich als reines Selbst
der frühen Neuzeit (»Staatsmacht« als »die ab- sein Gegenstand zu seyn; und diese absolute
solute Sache selbst« oder die Rede von den Edlen, Gleichheit beyder Seiten ist das Element der
die »nicht nur als zum Dienst der Staatsmacht reinen Einsicht.« Somit sei sie »der Geist, der
bereit, sondern als Z i e r r a t h e n sich um den a l l e m Bewußtseyn zurufft: s e y d f ü r e u c h
Thron stellen« und »dem, der darauf sitzt, es s e l b s t , was ihr Alle a n e u c h s e l b s t seyd, –
immer s a g e n , was er i s t«). Die Signatur dieser v e r n ü n f t i g .« (GW 9.286–292)
Welt der Entfremdung als Bildung sieht Hegel in Mit dieser Variation des Kantischen »sapere
der Sprache, die hier »in ihrer eigenthümlichen aude« (AA VIII.35) macht Hegel den Übergang zu
Bedeutung« auftrete – als Sprache des Preises, »II. Die Aufklärung«. Sie sei die »Verbreitung«
der Schmeichelei, der Zerrissenheit, zu deren der »reinen Einsicht«, die erst in ihrer Entgegen-
Charakteristik er sich mehrfach auf Goethes 1805 setzung gegen den Glauben »in eigentlicher Thä-
erschienene Übersetzung von Diderots Rameaus tigkeit« erscheine. Sie führe ihren »Kampf mit
Neffe bezieht (GW 9.266–286). dem Aberglauben« als Kampf gegen »Pfaffenbe-
Innerhalb dieser entfremdeten Welt stellt He- trug und Volkstäuschung«, gegen den »Hokuspo-
gel der Bildung »die unwirkliche Welt d e s r e i - kus der taschenspielerischen Priester« »schmerz-
n e n B e w u ß t s e y n s oder des D e n k e n s« ge- los« und »nicht blutig«: Als »unsichtbarer und
genüber – durch Erinnerung an die gesetzge- unbemerkter Geist, durchschleicht sie die edeln
bende und gesetzprüfende Vernunft (s. 189), de- Theile durch und durch, und hat sich bald aller
ren Begriffe »nicht die Bestimmung der Eingeweide und Glieder des bewußtlosen Götzen
Wirklichkeit« haben, aber insbesondere in Ge- gründlich bemächtigt«. Doch mache sie sich in
stalt der Religion. Ihr ist auch hier noch »nicht die diesem Kampf einer ähnlichen Taschenspielerei
F o r m d e s G e d a n k e n s das Geltende«; sie hat schuldig: Erst sie beraube den absoluten Inhalt
die »Bestimmtheit des Gegensatzes gegen die des Glaubens seiner Bedeutung und mache »das,
Wirklichkeit als d i e s e überhaupt, und gegen die was dem Geiste ewiges Leben und heiliger Geist
des Selbstbewußtseyns insbesondere, sie ist da- ist, zu einem wirklichen v e r g ä n g l i c h e n
her wesentlich nur ein G l a u b e n .« Da das D i n g e«, zu einem Stein, einem Holzblock oder
» r e i n e B e w u ß t s e y n des absoluten Wesens« Brotteig, zu einem »Ungeheuer des Aberglau-
die Welt der Wirklichkeit sich gegenüber hat, hat bens«. Hegel wirft der Aufklärung sogar vor, erst
192 II. Werk

sie verführe den Glauben zu einer Berufung auf »das D e n k e n ist D i n g h e i t , oder D i n g h e i t
»zufälliges W i s s e n v o n z u f ä l l i g e n Begeben- ist D e n k e n«. Hegel versteht den Cartesianis-
heiten«, die als solche den absoluten Inhalt frag- mus somit nicht, wie im allgemeinen in dessen
los nicht tragen können – wie er in impliziter Wirkungsgeschichte, als Dualismus, sondern als
Anknüpfung an Lessings theologische Kontrover- Monismus, dessen eigentlicher Begriffsgehalt
sen zugesteht (LM 13.1–8). So schließe sie alle zwar durch die Aufhebung des Gegensatzes zwi-
Bestimmtheit aus dem Absoluten aus und mache schen Glauben und Aufklärung innerhalb dieser
es zu einem jenseitigen Leeren, das aber positiv an sich realisiert, aber noch nicht für sie selbst
auf die sinnliche Wirklichkeit bezogen sei und geworden ist (GW 9.292–316).
diese zu einem Nützlichen mache. Dies wie- Die praktischen Konsequenzen der Aufhebung
derum sei dem Glauben »ein Greuel« und des Gegensatzes zwischen realer und übersinnli-
»schlechthin a b s c h e u l i c h«. Er habe somit ge- cher Welt sowie zwischen Gegenstands- und
gen die Aufklärung »das göttliche Recht«, weil sie Selbstgewißheit bei gleichzeitigem Fortbestehen
ihn verdrehe; die Aufklärung hingegen habe »nur der Trennung zwischen reinem Denken und ab-
menschliches Recht« gegen den Glauben. Doch strakter Materie thematisiert Hegel in »III. Die
weil ihr Recht »das Recht des Selbstbewußt- absolute Freyheit und der Schrecken« – in seiner
seyns« sei, behaupte sie zugleich »das absolute Deutung der Französischen Revolution. Der
Recht«, und der Glaube könne es ihr nicht ver- Geist sei sich nun in seiner reinen Persönlichkeit
weigern. Denn sie bringe nur die Gedanken des aller Realität bewußt; »alle Realität ist nur gei-
Glaubens zusammen, die er, als irdische und stiges; die Welt ist ihm schlechthin sein Willen,
himmlische Welt, in doppelter Haushaltsführung und dieser ist allgemeiner Willen«, und er erhebe
und doppeltem Bewußtsein nebeneinander be- sich »auf den Thron der Welt, ohne daß irgend
stehen lasse. Die Aufklärung verbündet sich eine Macht ihr Widerstand zu leisten ver-
gleichsam mit dem »wachen« Bewußtsein des möchte«. In diesen Worten faßt Hegel – kurz vor
Glaubens gegen sein schlafendes, dem der Inhalt Napoleons Sieg bei Jena – die Bedeutung von
des Glaubens begrifflos, »eine Reihe von selbst- Rousseaus »volonté générale« für die Französi-
ständigen G e s t a l t e n und ihre Bewegung ein sche Revolution. Auch den Gegensatz zwischen
G e s c h e h e n«, also eine mit sinnlichem Sein einzelnem und allgemeinem Bewußtsein sieht
verknüpfte »Vorstellung« sei. Hierdurch werde Hegel hier aufgehoben, indem das einzelne selbst
das Reich des Glaubens »ausgeplündert« und sein zum allgemeinen geworden ist: »Das J e n s e i t s
vormaliger Inhalt der Erde als ihr Eigentum vin- dieser seiner Wirklichkeit schwebt über dem
diziert und zurückgegeben (s. 72). Durch diesen Leichname der verschwundenen Selbstständig-
Verlust werde der Glaube dasselbe wie die Auf- keit des realen oder geglaubten Seyns nur als die
klärung: »Bewußtseyn der Beziehung des ansich- Ausdünstung eines faden Gases, des leeren Etre
seyenden Endlichen auf das prädicatlose, uner- suprême.«
kannte und unerkennbare Absolute« – doch sei Doch eben wegen dieser Negativität gegenüber
sie »die b e f r i e d i g t e , e r aber die u n b e f r i e - allem Bestimmten kann die »absolute Freyheit«
d i g t e Aufklärung« – ein »Sehnen des trüben nicht zu einem positiven Werk kommen; »sie ist
Geistes, der über den Verlust seiner geistigen nur die F u r i e des Verschwindens«, die » u n v e r -
Welt trauert«, »im Hinterhalte«. m i t t e l t e reine Negation«: »Das einzige Werk
Die vorherige Entzweiung zwischen Aufklä- und That der allgemeinen Freyheit ist daher der
rung und Glauben erzeuge sich hierdurch erneut To d , und zwar ein To d , der keinen innern
innerhalb der Aufklärung; als siegende Partei Umfang und Erfüllung hat, denn was negirt wird,
nehme sie das ihr zuvor entgegengesetzte Prinzip ist der unerfüllte Punkt des absolutfreyen Selbsts;
in sich auf. Ihre eine Richtung verstehe das ab- er ist also der kälteste, platteste Tod, ohne mehr
solute Wesen als das »prädicatlose Absolute«, Bedeutung, als das Durchhauen eines Kohlhaupts
»die andere nennt es Materie«. In ihrer Trennung oder ein Schluck Wassers.« Und Hegels Analyse
seien sie jedoch »nicht zum Begriffe der Cartesi- der Französischen Revolution antizipiert zugleich
schen Metaphysik gekommen, daß a n s i c h die Menschenverachtung neuerer totalitärer Sy-
S e y n und D e n k e n dasselbe ist«, also zu dem steme: » Ve r d ä c h t i g w e r d e n tritt daher an die
für Hegels Epistemologie wichtigen Resultat: Stelle, oder hat die Bedeutung und Wirkung des
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 193

S c h u l d i g s e y n s , und die äusserliche Reaction Handeln stets einen bestimmten Zweck habe. So
gegen diese Wirklichkeit, die in dem einfachen sei sie, mit Kant gegen Kant, »ein g a n z e s N e s t
Innern der Absicht liegt, besteht in dem trocknen gedankenloser Widersprüche«, die »Antinomie«,
Vertilgen dieses seyenden Selbsts, an dem nichts »daß es ein moralisches Bewußtseyn gibt, und
sonst wegzunehmen ist, als nur sein Seyn daß es keines gibt« (GW 9.323–340).
selbst.« Aus der Auflösung dieser Widersprüche geht
Diese »absolute Freyheit« ist aber weder ge- für Hegel hier ein »drittes Selbst« hervor, das
schichtlich noch gedanklich ein Letztes. Hegel » S e l b s t d e s G e w i s s e n s, der seiner unmittel-
deutet an, wie es aus ihr in der politischen Welt bar als der absoluten Wahrheit und des Seyns
wieder zu einer »Organisation« kommt – aber gewisse Geist«. Für die Überordnung dieses
dieser Schritt liegt nicht eigentlich in der Logik »Selbst« über die »Pflicht« spielt Hegel auf Jaco-
der »absoluten Freyheit«, weil in ihr nicht die bis Satz an, das Gesetz sei um des Menschen, und
Besonderheit liegt. Um hier zu einer begriffli- nicht der Mensch um des Gesetzes willen (JWA
chen Lösung zu kommen, »geht die absolute 2.211, s. 141). Doch hierdurch verrät dieses Ge-
Freyheit aus ihrer sich selbst zerstörenden Wirk- wissen seine Verwandtschaft mit der »absoluten
lichkeit in ein anderes Land des selbstbewußten Freyheit«: Es »erkennt keinen Inhalt für es als
Geistes über« – des Geistes, in dem der »all- absolut, denn es ist absolute Negativität alles
gemeine Wille« » r e i n e s W i s s e n u n d Wo l - Bestimmten«, es hat »die Majestät der absoluten
l e n « i s t (GW 9.316–323). Avtarkie, zu binden und zu lösen«. Eine Objektivi-
Dieses neue Land trägt den Namen »C. Der tät finde es erst in der Transformation seiner
seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität«. In unmittelbaren Gewißheit in die »Versicherung«,
ihm sieht Hegel den Gegensatz des Bewußtseins, also in der Sprache als dem »Daseyn des Geistes«
»der Gewißheit seiner selbst und des Gegen- – einer dem »dritten Selbst« eigenen dritten Form
standes«, aufgehoben und hierdurch das Wissen der Sprache, deren Inhalt » d a s s i c h a l s We s e n
des Selbstbewußtseins zur Substanz geworden: w i s s e n d e S e l b s t« sei. In der Erhebung über
»Das absolute Wesen ist daher nicht in der Be- alle Bestimmtheit sei das Gewissen »schöne
stimmung erschöpft, das einfache We s e n des Seele«, die kraftlos in sich verglimmt, aber auch
D e n k e n s zu seyn, sondern es ist alle W i r k - »moralische Genialität, welche die innere
l i c h k e i t , und diese Wirklichkeit ist nur als Stimme ihres unmittelbaren Wissens als gött-
Wissen«. Das Bewußtsein hat hier alle Gegen- liche Stimme weiß«, und somit selber »göttliche
ständlichkeit in sich hineingezogen und ist »ab- Schöpferkrafft« und Anschauen seiner eigenen
solut frey, darin daß es seine Freyheit weiß«. Und Göttlichkeit, aber durch seine Sprachlichkeit
doch erscheint das Bewußtsein gerade hier als auch Allgemeines. Durch diese Sprachlichkeit
»zur Verrüktheit zerrüttet« und »in sehnsüchtiger gehe es über in den »Gottesdienst einer G e -
Schwindsucht« zu zerfließen. m e i n d e« und in Religion, »die als angeschautes
Zwischen diesen beiden Polen oszilliert Hegels oder daseyendes Wissen das Sprechen der Ge-
Auseinandersetzung mit der »moralischen Welt- meinde über ihren Geist ist.«
anschauung« – der Ethik Kants und Fichtes und Hier sieht Hegel zugleich die Versöhnung des
der an sie anschließenden Romantik. Die Lehre Geistes mit sich vollzogen: Dieser ist »das reine
der Kritik der praktischen Vernunft vom »höch- Wissen seiner selbst als a l l g e m e i n e n Wesens«
sten Gut« und von den Postulaten des Daseins – aber »in seinem Gegentheile, in dem reinen
Gottes und der Unsterblichkeit der Seele ist für Wissen seiner als der absolut in sich seyenden
Hegel seit seinem frühen Briefwechsel mit Schel- E i n z e l n h e i t«. Beide Ich, allgemeines sich
ling obsolet (s. 12 f.); die spezifische Kritik der selbst Wissen und insichseiendes Wissen, sind
Phänomenologie an ihr ist, daß die »moralische »reines Wissen«, also dasselbe, und damit sind
Weltanschauung« zwar den Gegenstand erzeuge, Allgemeinheit und Einzelheit vermittelt. Ihr
somit als sich selbst setze und ihn doch » a u s s e r »versöhnendes Ja« faßt Hegel als ein »gegen-
s i c h hinaus, als ein Jenseits seiner« setze und seitiges Anerkennen, welches der a b s o l u t e
damit letztlich Moralität unmöglich mache. Zu- G e i s t ist«, ja als »den erscheinenden Gott mitten
dem fordere sie, aus reiner Pflicht zu handeln – unter ihnen, die sich als das reine Wissen wis-
doch dies bedeute, gar nicht zu handeln, weil sen.« (GW 9.340–362)
194 II. Werk

Literatur: Emanuel Hirsch: Die Beisetzung der Ro- Selbstbewußtseins – und so ist sie insgesamt
mantiker in Hegels Phänomenologie (1924). In: Fulda / Geschichte der »Menschwerdung Gottes«. Dies
Henrich (Hg.) Materialien zu Hegels »Phänomenologie
bedeutet aber, wie Hegel ausdrücklich betont,
des Geistes« (1973), 245–275; Willi Oelmüller: Die
unbefriedigte Aufklärung. Beiträge zu einer Theorie keineswegs, daß der Gott in Menschengestalt
der Moderne von Lessing, Kant und Hegel. Frankfurt und »als S e l b s t b e w u ß t s e y n v o r g e s t e l l t
am Main 1969, 9–34; Judith N. Shklar: Freedom and wird« – sonst wäre die Religionsgeschichte be-
Independence. A Study of the Political Ideas in Hegel’s reits an ihrem Beginn vollendet. Doch das » v o r -
»Phenomenology of Mind«. Cambridge / New York g e s t e l l t e Selbst ist nicht das w i r k l i c h e«:
1976; Sergio Dellavalle: Freiheit und Intersubjektivität.
»das Vorgestellte hört nur dadurch auf, vorge-
Zur historischen Entwicklung von Hegels geschichts-
philosophischen und politischen Auffassungen. Berlin stelltes und seinem Wissen fremd zu seyn, daß
1998, 137–171; Moltke S. Gram: Moral and Literary das Selbst es hervorgebracht hat, und also die
Ideals in Hegel’s Critique of the Moral World View Bestimmung des Gegenstandes als die s e i n i g e ,
(1978). In: Stewart (Hg.): The Phenomenology of Spirit somit sich in ihm anschaut«. »Menschwerdung
Reader (1998), 307–333. Gottes« ist die Religionsgeschichte eben als fort-
(6) Die Stellung des Kapitels »VII. Die Religion« schreitende Ersetzung des vorgestellten Selbstes
(C/CC) ist umstritten; es durchtrennt den An- durch das wirkliche – als Rückgabe der an den
schluß des »Absoluten Wissens« an den »Seiner Himmel verschleuderten Schätze an die Erde (s.
selbst gewissen Geist«, während sich von seinem 72) oder – mit Feuerbach – als Durchschauen und
Ende kein Übergang zum »Absoluten Wissen« damit als Rückholung der Projektion. Für Hegel
abzeichnet (Jaeschke 1983, 61–63). Eigentümlich ist dieses Durchschauen jedoch nicht gegen die
ist zudem, daß Hegel zu Beginn des Geist-Kapi- Religionsgeschichte gerichtet, sondern deren
tels den Geist als »das sich selbsttragende ab- spekulativer Sinn liegt eben in der sukzessiven
solute reale Wesen«, und Bewußtsein, Selbst- Herausarbeitung dieser Einsicht in den Zusam-
bewußtsein und Vernunft als seine »Abstractio- menhang von wirklichem Geist und religiöser
nen« und »Momente« versteht (GW 9.239); zu Vorstellung.
Beginn des Religions-Kapitels hingegen nennt er Die hier anvisierte Religionsgeschichte hält
auch den »Geist« als eines der »Momente«, deren sich indessen fast ausschließlich im Rahmen der
Verlauf weder im Verhältnis zu einander noch zur abendländischen Tradition – abgesehen von den
Religion »in der Zeit vorzustellen« sei, und er vagen, schematischen Hinweisen auf die »Blu-
unterscheidet den »Geist in seinem weltlichen menreligion« (Herder, SW XVI.68) und »Thierre-
Daseyn« als » z u s a m m e n g e f a ß t e« und die ligion«, die beide in Indien beheimatet sind (GW
Religion als » e i n f a c h e Totalität«. Erst sie sei 9.376: »Kasten«). Die (ägyptische) Religion des
»die d a s e y e n d e W i r k l i c h k e i t des ganzen »Werkmeisters« hat ja seit Herodot und Plutarch
Geistes«, der »sich als seiner selbstbewußter im Gesichtskreis griechischer Historiker und Phi-
Geist wirklich und G e g e n s t a n d s e i n e s B e - losophen und somit der Kultur des Mittelmeer-
w u ß t s e y n s« wird, somit Selbstbewußtsein des raumes gestanden. Und das »Lichtwesen«, das
Geistes, in dem seine Selbstgewißheit seiner früher als Hinweis auf die iranische Religion
Wahrheit gleich ist. Und auch diese Identität gedeutet worden ist, ist vielmehr eine Chiffre für
denkt Hegel nicht als unmittelbare, sondern als den Gott Israels, wie ein Vergleich mit Hegels
Bewegung von der Unmittelbarkeit des Sichwis- religionsphilosophischem Manuskript belegt
sens des Geistes zur vollkommenen Gleichheit (Jaeschke 1986 a, 210–214). Am Ende der Jenaer,
seiner Gestalt und seines Wissens – von der ja noch zu Beginn der Berliner Jahre verfügt
»Natürlichen Religion« des Orients über die Hegel nicht über differenzierte Kenntnisse der
»Kunst-Religion« der griechischen Antike zur Religionen des Orients oder gar Afrikas (GW
»Offenbaren Religion« (GW 9.363–368). 9.369–375).
Diese geistesphilosophische Deutung der Reli- Eng vertraut ist ihm hingegen die »Kunst-Reli-
gionsgeschichte bietet Hegel den Schlüssel zu gion« Griechenlands. Sie ist dem sittlichen oder
ihrer Einheit: Sie ist die fortschreitende Aufhe- wahren Geist zugeordnet, doch da sie, anders als
bung der Differenz zwischen dem Bewußtsein er, bereits »das Princip der reinen Einzelnheit des
und dem Selbstbewußtsein des Geistes; sie gibt Selbstbewußtseyns« kennt, tritt sie »in ihrer Voll-
dem Gegenstand des Bewußtseins die Form des endung erst im S c h e i d e n von seinem B e s t e -
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 195

h e n auf«, wenn nämlich »die Substanz des Volks dualität führe zur Auflösung »der gedankenlosen
in sich geknickt ist«. Sie ist bereits die Frucht der Vermischung der Individualität und des Wesens«
»Nacht, worin die Substanz verraten ward, und und somit zur »Entvölkerung des Himmels«, zur
sich zum Subjecte machte«. Die Kunst-Religion »Vertreibung solcher wesenlosen Vorstellungen«.
wird »Meister« über das »ungestaltete Wesen«; Die Komödie setze diesen Prozeß fort, und
sie nimmt den eigentümlichen Stoff für ihre Göt- schließlich enthebe das vernünftige Denken »das
ter aus den Leidenschaften des Menschen (GW göttliche Wesen seiner zufälligen Gestalt« und
9.378) – wie Hegel die Kritik, die Clemens Ale- erhebt sie »in die einfachen Ideen des S c h ö n e n
xandrinus an den heidnischen Philosophen übt und G u t e n empor«. Im »Bewußtseyn der Dialec-
(V 4.662), auf die Künstler bezieht und ins Affir- tik«, im Denken und Handeln hebe sich alles auf,
mative umwertet. Dieser Welt spricht Hegel gar was gegen das Selbstbewußtsein »die Form von
eine »absolute Kunst« zu. Mit diesem Begriff Wesenheit gegen es annimmt«; alles Allgemeine
bezeichnet er hier, anders als im Systementwurf werde in das »Eine Pantheon« der Gewißheit
III (s. 173), prägnant die geschichtliche Stufe seiner selbst versammelt (GW 9.402), so daß der
zwischen dem früheren »instinctartigen Arbei- Gehalt der Kunst-Religion in dem Satz kulmi-
ten« des Geistes und der späteren »höheren Dar- niere: » d a s S e l b s t i s t d a s a b s o l u t e We -
stellung«, die den Begriff zu ihrer Gestalt hat. s e n« (GW 9.376–400).
Gleichwohl umfaßt die Kunst-Religion noch Die dritte Stufe, die christlichen Religion,
eine weite Spanne von Formen des Gottesge- nennt Hegel die »offenbare«, weil in ihr »das
dankens und des religiösen Lebens. Zunächst sei göttliche Wesen g e o f f e n b a r t« sei – und das
das Wesen des Gottes »die Einheit des allge- heißt: »Sein Offenbarseyn besteht offenbar darin,
meinen Daseyns der Natur und des selbstbewuß- daß gewußt wird, was es ist«, nämlich Selbst-
ten Geistes«. In der Differenz zwischen der Bild- bewußtsein. Das Bewußtsein wisse den Gegen-
säule und der selbstbewußten Tätigkeit des stand, das absolute Wesen, hier als ein nicht
Künstlers lasse sich diese Einheit jedoch nicht Fremdes, Geheimes, sondern als sich selbst. Sein
verwirklichen; dem Götterbild fehle das Selbst- Gegenstand sei das Selbst, und dieses »ist eben
bewußtsein, und der Künstler sei Meister des diß in sich reflectirte Innre, das unmittelbar da,
Gottes. Ein höheres Moment des göttlichen Da- und die eigne Gewißheit desjenigen Selbsts ist,
seins sei die Sprache. Als Sprache des Orakels sei für welches es da ist.« Damit erläutert er zugleich
sie »für das religiöse Selbstbewußtseyn Sprache die kurze Formulierung des Systementwurfs III,
eines f r e m d e n Selbstbewußtseyns«, ebenso als »daß Gott die Tiefe des seiner selbst
Sprache des Sokratischen Daimonion, die eben- g e w i s s e n G e i s t e s i s t« (s. 173). Und er
falls nur über Zufälliges spricht. Selbstbewußtes grenzt diesen Gedanken auch noch implizit gegen
Dasein habe sie in den Hymnen des Kultus, als die christliche Dogmatik ab: »die göttliche Natur
der tätigen Erhebung des Bewußtseins zum ist dasselbe, was die menschliche ist, und diese
Selbstbewußtsein – zunächst in den Mysterien; Einheit ist es, die angeschaut wird.«
nicht so sehr im »lebendigen Kunstwerk«, in dem Den geschichtlichen Weg zur »offenbaren Reli-
die Bildsäule des menschengestaltigen Gottes gion« nimmt Hegel nochmals über die Gestalten
durch ein » l e b e n d i g e s Selbst« ersetzt sei, je- des ›Selbstbewußtseins‹, über die » g e d a c h t e
doch insbesondere im »geistigen Kunstwerk«. Im Person des Stoicismus und die haltlose Unruhe
Epos stelle sich »dem Bewußtseyn dar, was im des skeptischen Bewußtseyns« hin zum »unglück-
Cultus a n s i c h zu Stande kommt, die Beziehung lichen Bewußtseyn«. Dieses zeichnet Hegel hier
des Göttlichen auf das Menschliche«, und in hö- als Gegenposition zum »komischen Bewußt-
herer Form in der Tragödie: Sie zeige » s e l b s t - seyn«, als »das Bewußtseyn des Verlustes aller
b e w u ß t e Menschen, die ihr Recht und ihren We s e n h e i t in d i e s e r G e w i ß h e i t seiner
Zweck, die Macht und den Willen ihrer Be- und des Verlustes eben dieses Wissens von sich –
stimmtheit w i s s e n und zu s a g e n wissen.« In- der Substanz wie des Selbsts, es ist der Schmerz,
dem diese wirklichen Menschen Schauspieler der sich als das harte Wort ausspricht, d a ß G o t t
sind und Masken tragen, zeige sich zwar, »daß die g e s t o r b e n i s t .« (zum »Tod Gottes« s. Jaeschke
Kunst das wahre eigentliche Selbst noch nicht in 1983, 64–68)
ihr enthält.« Doch die Entwicklung der Indivi- Der von Hegel hier rekonstruierte Prozeß um-
196 II. Werk

faßt zwei gegenläufige Bewegungen: die Ent- gleichzeitigen Systementwurf III. Insbesondere
äußerung des Selbstbewußtseins zur Substanz – e i n Begriff, den er dort fast zögernd einführt,
daß es sich als das allgemeine Wesen weiß und wird seit der Phänomenologie zum Schlüsselbe-
» f ü r e s es ist, daß die Substanz Selbstbewußt- griff für das Verständnis zunächst der christlichen
seyn, und ebendadurch Geist ist«, und die Ent- Religion und später der Religion überhaupt: der
äußerung der Substanz zum Selbstbewußtsein. Begriff der Vorstellung. Hegel versteht »Vorstel-
So lange die letztere noch unzureichend oder nur lung« nun als »synthetische Verbindung der sinn-
eingebildet ist, muß die Kluft zwischen dem An- lichen Unmittelbarkeit, und ihrer Allgemeinheit
sich des Gegenstandes und seiner Erscheinung oder des Denkens«. Darin ist die Kritik der Vor-
für das Bewußtsein durch allegorische Exegese stellung bereits angedeutet: Sie ist die unvoll-
überbrückt werden: ein Indiz dafür, daß der Geist endete Vermittlung beider, und noch nicht Den-
des Interpreten weiter in Richtung der Vergeisti- ken in Begriffsform. Das Vorgestellte ist noch
gung des Absoluten fortgeschritten ist als der nicht begriffen – doch erst die Begriffsform gibt
gegenständliche Geist. dem wahren Inhalt seine wahre Form. Die Vor-
Die Religionsgeschichte ist die Geschichte der stellung gibt dem Inhalt die Form eines äußeren
Menschwerdung Gottes, und die christliche Reli- und als solchen unbegreiflichen Geschehens, na-
gion ist die »absolute Religion«, denn ihr Inhalt türlicher Verhältnisse, einer zeitlichen Einmalig-
ist eben diese »Menschwerdung des göttlichen keit, einer »unversöhnten Entzweyung in ein Dis-
Wesens, oder daß es wesentlich und unmittelbar seits und Jenseits«. Sie fixiert das »absolute We-
die Gestalt des Selbstbewußtseyns hat« – und sen« in Gestalt eines isolierten Subjekts und ver-
zwar nicht nur in der »Einbildung, sondern es ist stellt eben damit die Einsicht in das
w i r k l i c h a n d e m.« Diese »Wirklichkeit« kann Selbstbewußtsein des Geistes, das die christliche
aber nirgend anders als im Wissen sein. Deshalb zur »offenbaren Religion« macht.
formuliert Hegel etwas gewunden: Die Mensch- Diese durch die Vorstellungsform bedingten
werdung »erscheint nun so, daß es der G l a u b e Verzerrungen analysiert Hegel im Durchlaufen
d e r We l t ist, daß der Geist als ein Selbstbe- der drei von der religiösen Vorstellung vorgege-
wußtseyn d. h. als ein wirklicher Mensch d a i s t , benen, isolierten »Elemente« des Denkens, der
daß er für die unmittelbare Gewißheit ist, daß das Vorstellung i. e. Sinn und des Selbstbewußtseins
glaubende Bewußtseyn diese Göttlichkeit s i e h t (vgl. V 3.12–69). Doch weil dieser Inhalt insge-
und f ü h l t und h ö r t .« Und doch bildet gerade samt in der Vorstellungsform verbleibe, habe die
die Aufhebung dieser sinnlichen Gegenwart des Gemeinde »nicht auch das Bewußtseyn über das,
absoluten Gegenstandes die Voraussetzung des was sie ist; sie ist das geistige Selbstbewußtseyn,
Selbstbewußtseins des Geistes: »erst dadurch, das sich nicht als dieses Gegenstand ist«. Sie
daß es ihn nur gesehen, gehört h a t , wird es verstehe das Selbstbewußtsein des Geistes als
selbst geistiges Bewußtseyn«. Erst in dem »Ver- »Handlung einer f r e m d e n Genugthuung«. Die
schwinden des unmittelbaren Daseyns des als Versöhnung zerfalle ihr in ein »Fernes der Z u -
absoluten Wesen gewußten« entsteht » d a s a l l - k u n f t« und eine »Ferne der Ve r g a n g e n h e i t«;
g e m e i n e S e l b s t b e w u ß t s e y n der Ge- sie sei zwar »in ihrem Herzen, aber mit ihrem
meine«: Sie entsteht nicht vor ›Ostern‹, sondern Bewußtseyn noch entzweyt, und ihre Wirklich-
erst in der mit ›Pfingsten‹ beginnenden Aus- keit noch gebrochen.« Das Ansich werde ihr zum
bildung des absoluten Inhalts. Deshalb wendet Jenseits, und das Diesseits zu etwas, was seine
Hegel sich vehement – und sehr unlutherisch – »Verklärung noch zu gewarten hat«. So ist Hegels
dagegen, hinter die geschichtliche Ausbildung Darstellung der christlichen als der »offenbaren
oder gar hinter ›Pfingsten‹ zurückgehen zu wol- Religion« zugleich eine scharfe Kritik – und zu-
len »auf die Vorstellungen der ersten unvollkom- dem in einem Umfeld, das noch keine Religions-
menen Gemeine, oder gar auf das, was der wirk- kritik ausgebildet hat (GW 9.400–421).
liche Mensch gesprochen hat« – auf »die geistlose
Literatur: Harald Schöndorff: Anderswerden und Ver-
Erinnerung einer einzelnen gemeynten Gestalt
söhnung Gottes in Hegels »Phänomenologie des Gei-
und ihrer Vergangenheit«. stes«. Ein Kommentar zum zweiten Teil von VII. C. »Die
Hegels Deutung der christlichen Religion ist offenbare Religion«. In: Theologie und Philosophie 57
hier erheblich breiter ausgeführt als im fast (1982), 550–567; Jaeschke: Die Religionsphilosophie
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 197

Hegels. Darmstadt 1983, 59–68; Jaeschke: Vernunft in detailliert zu beschreiben. Ihre beiden Stränge
der Religion (1986), 198–218; Josef Schmidt: »Geist«, werden gebildet durch den » h a n d e l n d e n sei-
»Religion« und »absolutes Wissen«. Ein Kommentar zu
ner selbst gewissen Geist« und durch die Reli-
den drei gleichnamigen Kapiteln aus Hegels Phänome-
nologie des Geistes. Stuttgart / Berlin / Köln 1997; Luis gion. Diese bildet die Seite des Ansich, der Ent-
Mariano de la Maza: Knoten und Bund. Zum Verhältnis wicklung des absoluten Inhalts in der Vorstellung
von Logik, Geschichte und Religion in Hegels Phäno- – aber somit als Vorstellung des Tuns eines An-
menologie des Geistes. Bonn 1998; Matthias Häußler: deren. Der seiner selbst gewisse Geist hingegen,
Der Religionsbegriff in Hegels »Phänomenologie des die Seite des Fürsich, sei »eignes T h u n des
Geistes«. Freiburg / München 2008.
S e l b s t s« – »Wissen des Thuns des Selbsts in
(7) Dem kurzen abschließenden Kapitel, »Das sich als aller Wesenheit und alles Daseyns, das
absolute Wissen« (C/DD, VIII), fällt die Aufgabe Wissen von d i e s e m Subjecte als der S u b -
zu, im Rückblick auf den Gang des erscheinenden s t a n z , und von der Substanz als diesem Wissen
Geistes die Grundlegungsfunktion der Phänome- seines Thuns«. In dieses Wissen fällt deshalb die
nologie für das »System« zu verdeutlichen. Doch Vereinigung der beiden Stränge, die Gleichheit
gilt es weithin schon wegen seines im Titel erho- von Wahrheit und Gewißheit als die Bedingung
benen Anspruchs als diskreditiert – als »unhalt- der spekulativen »Wissenschaft«.
bare Anmaßung«, als »hybrid« (vgl. Siep 2000, Hegel schreibt somit der Religion – als der
18 f.): Absolut zu wissen sei lediglich, daß es kein Seite der »Substanz« – eine zwar konstitutive,
absolutes Wissen gebe. Im Zeitalter des anti- aber dennoch begrenzte Bedeutung für die Be-
metaphysischen Affekts scheint dies so einleuch- wußtseinsgeschichte zu. Sie vollziehe auf ihrer
tend, daß man sich die Frage ersparen zu können Seite ebenfalls eine Vermittlung des Einzelnen
scheint, was Hegel denn eigentlich unter diesem und des Allgemeinen – und doch sei sie »das rohe
Reiztitel behandle – nämlich weder epistemolo- Bewußtseyn, das ein um so barbarischeres und
gische Allmachts- und Allwissenheitsphantasien, härteres Daseyn hat, je tiefer sein innerer Geist
noch eine mögliche Gestalt des Wissens, die es ist«. Ihre Offenbarkeit »ist in der That Verborgen-
künftig zu verwirklichen gelte: sondern diejenige heit, […] und offenbar ist sich nur die Gewißheit
Form des Wissens, die er am Ende der Aufklä- seiner selbst.« Die Religion spreche wohl »früher
rung geschichtlich verwirklicht sieht. in der Zeit, als die Wissenschaft, es aus, was der
»Absolut« nennt Hegel dieses Wissen – analog G e i s t i s t , aber diese ist allein sein wahres
zu anderen Wortbildungen wie »absolute Kunst« Wissen von ihm selbst.« Hegels Rückblick auf die
oder »absolute Religion« –, weil es sich auf sich » w i r k l i c h e G e s c h i c h t e« des »absoluten
selbst bezieht, Wissen des Geistes von sich, von Wissens« beginnt deshalb zwar mit der Religion,
seinem Wesen ist: »der sich als Geist wissende doch verläßt er sie mit dem Mittelalter und geht
Geist«. Er weiß von sich, indem er das ihm über zur Renaissance sowie zur Philosophie- und
vermeintlich vorgegebene, ihm gegenüberste- Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit. Sowohl
hende und es zu begrenzen scheinende Objekt in ihre theoretische Seite – den Empirismus und
Bestimmungen der Subjektivität transformiert Rationalismus – als ihre praktische Seite führt
und somit in seinem Gegenstand, in seinem An- Hegel – mit einem Seitenblick auf die Aufklärung
deren sich weiß und bei sich ist – als »der sich in und die Französische Revolution – über die Phi-
Geistsgestalt wissende Geist oder das b e g r e i f - losophie Fichtes und Schellings bis an die
f e n d e W i s s e n .« Der Weg des erscheinenden Schwelle seiner eigenen Philosophie, also zur
Wissens ist der Weg der Herausbildung des »ab- Überwindung des Gegensatzes des Bewußtseins
soluten Wissens«; es ist geschichtlich vermittel- und zum Begriff des »Begriffs« und der »Wissen-
tes Wissen, der Knoten, in dem sich die Fäden schaft« – und damit auf die Ebene, auf der sein
der Bewußtseinsgeschichte – des Bewußtseins, »System« angesiedelt ist (GW 9.422–434).
des Selbstbewußtseins, der Vernunft, des Geistes
und der Religion – in einander verschlingen und Literatur: Jaeschke: »Das absolute Wissen.« In: Arndt /
Bal / Ottmann (Hg.): Phänomenologie des Geistes. T. 1.
die »Substanz« als »Subject« erweisen.
HJb 2001. Berlin 2002, 286–295; Hans-Friedrich Fulda:
Für das Verständnis dieses Prozesses verweist Das absolute Wissen – sein Begriff, Erscheinen und
Hegel jedoch nicht einfach auf eine amorphe Wirklichwerden. In: Revue de Métaphysique et de Mo-
Bewußtseinsgeschichte. Er sucht ihre Struktur ral. Paris 55 (2007), 3, 338–401.
198 II. Werk

4.7.5. Geist und Geschichte Hegel hat das philosophische Bewußtsein we-
gen dessen Blindheit für seine Genese mehrfach
(1) Die neuere Forschung hat versucht, bei He- kritisiert. Im »Idealismus« etwa trete das Selbst-
gels Vorgängern oder Zeitgenossen, bei Lambert bewußtsein mit dem Anspruch auf, »alle Realität
oder beim späten Fichte, terminologische An- zu seyn« – aber es sei diese Realität »erst dadurch,
knüpfungspunkte für das Projekt einer »Phäno- daß es diese Realität w i r d , oder vielmehr sich
menologie« aufzuzeigen. Doch die Konzeption als solche e r w e i s t .« Sofern der »Idealismus«
der Hegelschen Phänomenologie des Geistes ist jedoch mit diesem Anspruch auftrete, bleibe er
einzigartig in der Philosophiegeschichte. Wenn eine unmittelbare Gewißheit, eine »reine Ve r -
sie auch keine ausdrückliche Nachfolge gefunden s i c h e r u n g , welche sich selbst nicht begreift,
hat, so hat sie doch den begrifflichen Zusammen- noch sich andern begreiflich machen kann« –
hang von »Geist« und »Geschichte« bleibend ver- »denn jener vergessene Weg ist das Begreiffen
ändert: »Geist« ist seitdem als geschichtlich, wie dieser unmittelbar ausgedrückten Behauptung«.
auch umgekehrt »Geschichte« als geistig zu Der »absolute Begriff« umfasse auch »die B e w e -
denken. Dieser Zusammenhang von Geist- und g u n g s e i n e s G e w o r d e n s e y n s« (GW
Geschichtsbegriff ist so auch noch nicht der 9.133 f.). Eine analoge Kritik ließe sich für alle
»Geistesphilosophie« des Systementwurfs III Stationen der Geschichte der Philosophie formu-
(1805/06) zu entnehmen, trotz ihrer Überleitung lieren, und auch für Hegels System, sofern es sich
von der »Philosophie« zur »Weltgeschichte« (GW nicht seiner geschichtlichen Bedingtheit verge-
8.286 f.); Hegel hat ihn erstmals in der Phänome- wisserte – sei es in Form philosophiegeschichtli-
nologie ausgearbeitet – vielleicht auch im ver- cher, besser noch bewußtseinsgeschichtlicher
schollenen Manuskript seiner ersten Vorlesung Vorlesungen oder der Phänomenologie, die diese
über die Geschichte der Philosophie (1805/06). Vergewisserung nicht bloß historisch, sondern in
(2) Vor dem Hintergrund der ohnehin unstritti- einer Verbindung historischer Rückblenden mit
gen Kompositionsprobleme hat dieses neue Ver- systematischen Argumenten durchführt.
hältnis von Geist und Geschichte Kritiker wie Somit leitet die Phänomenologie in das System
Rudolf Haym zu einem vernichtenden (Fehl-)Ur- ein, indem sie dessen Voraussetzung, die Einheit
teil veranlaßt: »die Phänomenologie ist eine von Denken und Sein, rechtfertigt, und dies,
d u r c h d i e G e s c h i c h t e i n Ve r w i r r u n g indem sie die Herausbildung des Gedankens die-
und Unordnung gebrachte Psychologie ser Einheit in der Geschichte der Gestalten des
und eine durch die Psychologie in Zer - Geistes aufzeigt. Diese ist ja nichts bloß Fakti-
r ü t t u n g g e b r a c h t e G e s c h i c h t e .« (Haym sches, sondern eben die Explikation des Geistes
1857, 243) Es ist in der Tat wenig aussichtsreich, als der »Substanz«, die sich darin als »Subject«
sämtliche Entscheidungen Hegels über Methodo- erweist. Dem hier erreichten »Wissen« schreibt
logie und Architektonik wie auch alle Urteile Hegel die Aufgabe zu, daß es »nur betrachtet, wie
seines Werkes nachträglich rechtfertigen zu wol- das Unterschiedne sich an ihm selbst bewegt, und
len. Entscheidend ist jedoch seine Einsicht in die in seine Einheit zurückkehrt.« Diese Bestimmung
Geschichtlichkeit des Geistes und deshalb in die unterschlägt fraglos die konstruktive Rolle der
Notwendigkeit einer bewußtseinsgeschichtlichen Momente, die in jeder ›Betrachtung‹ und a for-
Grundlegung des Erkenntnisanspruchs seines tiori in der Phänomenologie als der Darstellung
Systems – oder weiter gefaßt: einer geschichtli- des erscheinenden Geistes wirksam sind. Und
chen Grundlegung der Epistemologie überhaupt. doch kann Hegel für seine Konzeption in An-
Es kann ja nicht ernstlich bestritten werden, daß spruch nehmen, daß sie die innere »Nothwendig-
die Begriffe, in denen sich das Denken expliziert, keit« aufzeige, mit der die »reine Bewegung«
selber geschichtlichen Charakter haben: daß sie (GW 9.431 f.) von früheren Epochen der Bewußt-
durch mannigfache geschichtliche Konnotatio- seinsgeschichte bis an das Ende der Aufklärung
nen erst ihre spezifische Bestimmtheit erhalten – fortgehe – nicht in dem Sinne, daß diese »Bewe-
auch wenn diese geschichtliche Prägung in ihrem gung« auf Hegels Philosophie zuliefe, sondern
Gebrauch nur selten reflektiert wird. Zumeist daß diese Philosophie ihren eigenen systemati-
liegt sie dem Bewußtsein, das sie als unmittelbar schen Ansatz durch die Vergewisserung dieser
gebraucht, unerkannt ›im Rücken‹ – und dies Geschichte des erscheinenden Geistes formuliert
nicht ohne Folgen. und rechtfertigt.
4. Jenaer Schriften und Entwürfe (1801–1806) 199

4.8. Sekundäre Überlieferung, Dreiecksverhältnissen, aber auch unter Rückgriff


Zweifelhaftes, Verschollenes auf Platons Timaeus das trinitarische Verhältnis
der Reiche des Vaters, des Sohnes und des Gei-
stes – als ein Verhältnis, in dem durch eine Folge
4.8.1. Jenaer Notizenbuch (1803–1806) jeweils unterschiedlicher »Mitten« eine vollstän-
Aus dem Umkreis seiner Arbeiten an Hegels Bio- dige Vermittlung von Gott und Universum be-
graphie berichtet Rosenkranz im Königsberger wirkt wird, so daß das dritte Dreieck »die R ü c k -
Literatur-Blatt 1842, nach Schellings Weggang k e h r v o n A l l e m i n G o t t s e l b s t , oder das
aus Jena habe Hegel in einem »kleinen Folianten, Ausgegossensein der Idee über Alles« darstellt.
der eigentlich seinen Excerpten aus naturwissen- Rosenkranz wertet dieses Fragment als Beleg
schaftlichen Büchern gewidmet war«, auch »kriti- dafür, daß Hegels »Speculation anfänglich einen
sche Bemerkungen über den Charakter der Zeit, t h e o s o p h i s c h e n Charakter hatte, in welchem
über das Wesen der Philosophie, über das Ver- aber die Energie des dialektischen Denkens mit
hältniß derselben zur Epoche, in der sie hervor- der Bildlichkeit der gnostischen Anschauungs-
tritt«, eingestreut. Eine Auswahl solcher »im mo- formen in arge Entzweiung gerieth und bald zu
mentanen Drang hingeschleuderten« Kritischen einer reineren, logischeren Form nöthigte.« (R
Xenien hat Rosenkranz zunächst im Königsberger 101) Kimmerle (1967, 162) datiert das Fragment
Literatur-Blatt, später – teils absichtlich, teils in den Umkreis des Systementwurfs I (1803/04),
unabsichtlich verkürzt – im Anhang zu Hegel’s weil Rosenkranz berichtet, Hegels »trianguläre
Leben veröffentlicht. Construction« sei »im Speciellen noch durch die
Es ist Rosenkranz jedoch entgangen, daß viele Natur hindurchgeführt« und breche bei der »Con-
dieser »Aphorismen« ebenfalls Exzerpte bilden. struction des T h i e r e s« ab. Dieser Hinweis
So ist der umfangreiche Faust-Aphorismus, den dürfte das Fragment jedoch nicht in den Kontext
er zu einer »Prometheischen Confession« Hegels des Systementwurfs I, sondern der platonischen
stilisiert, ein Exzerpt aus einer anonym erschie- und pythagoräischen Kosmosspekulation stellen
nenen, von Johann Gottfried Gruber stammen- (GW 5.707 f.).
den Sammelrezension der Romane Friedrich Ma- Erstdruck: Karl Rosenkranz: Hegel’s ursprüngliches
ximilian Klingers. – Diese Herkunft wie auch die System. – In: Literaturhistorisches Taschenbuch. 2. Jg.
anderer »Aphorismen« ist erst im Zuge der histo- Leipzig 1844, 158–164; vgl. R 101 f. – Text: GW
risch-kritischen Ausgabe durch Manfred Baum 5.479–482. – Literatur: Heinz Kimmerle: Zur Chrono-
und Kurt Rainer Meist aufgeklärt worden; für logie von Hegels Jenaer Schriften. HS 4 (1967),
125–176; GW 5.706–708.
weitere »Aphorismen« ist zu vermuten, daß sie
ebenfalls Exzerpte bilden.
Erstdruck: Kritische Xenien Hegel’s aus der Jenenser 4.8.3. Zeichnung aus Dreiecken
Periode 1803–6, mitgetheilt von Karl Rosenkranz. In:
Königsberger Literatur-Blatt redigirt von Alexander In Hegels Nachlaß hat sich eine sorgfältig ausge-
Jung. 1. Jg. Königsberg 1841/42, Nr. 31,32,38,42,43; führte Zeichnung erhalten, die ein Dreieck zeigt,
vgl. R 537–555. – Text: GW 5.488–508. – Literatur: R an dessen Spitzen jeweils ein kleines Dreieck
198–201: Hegel’s Wastebook 1803–1806; Unbekannte steht. Beschriftet ist sie auf jeder Seite des zen-
Aphorismen Hegels aus der Jenaer Periode. Mitgeteilt tralen Dreiecks mit dem Wort »spiritus« sowie
von Friedhelm Nicolin. HS 4 (1968), 9–19; Manfred
Baum / Kurt Meist: Hegels »Prometheische Confes-
mit magisch-astrologischen Symbolen. Dies hat
sion«. Quellen für vier Jenaer Aphorismen Hegels. HS 8 Behauptungen über Hegels »Beziehungen zu Al-
(1973), 79–90; GW 5.709–716,812–824. chemie, Gnosis, Rosenkreuzerei, Freimaurerei,
Astrologie« sowie über sein »Interesse für alle
mystischen und irgendwie obskur-geheimnisvol-
4.8.2. Fragment vom Dreieck der Dreiecke
len Dinge« veranlaßt (Schneider, 73), die indes
In Hegels frühe Frankfurter Zeit datiert Rosen- nirgends belegt sind – anders als bei manchem
kranz das von ihm im Kontext einer längeren seiner Zeitgenossen.
Paraphrase im Auszug mitgeteilte, seitdem ver- Die Zeichnung bildet keine Illustration des
schollene Fragment »vom g ö t t l i c h e n D r e i - eben behandelten Fragments vom Dreieck der
e c k«. In ihm interpretiert Hegel mit Hilfe von Dreiecke; sie steht auch nicht im Zusammenhang
200 II. Werk

mit anderen Texten Hegels. Da das Wasserzei- »das eigenthümlich Coquette, was im Allgemei-
chen des Papiers bei seinen Manuskripten sonst nen den Berliner bis zu Nante Strumpf hinunter,
nicht vorkommt, ist zu vermuten, daß er sie nicht oft mit großem Reiz, charakterisirt« (R 355 f.).
selber gezeichnet, sondern vielleicht als Ge- Hoffmeister hat den Aufsatz in die »Jenaer Zeit
schenk erhalten hat. Merkwürdig ist zudem, daß (1807/08)« [!] datiert, und Kimmerle hat die
Rosenkranz sie nicht erwähnt, obgleich er für die Datierung schließlich auf »April 1807 oder einige
Zeit von Hegels früher Entgegensetzung gegen Monate später«, also auf die frühe Bamberger
die Aufklärung »eine mystische Phase« (R 199) Zeit präzisiert – teils wegen des Schriftbefundes,
behauptet und zudem das Fragment vom Dreieck teils wegen der Anspielung des Aufsatzes auf ein
der Dreiecke überliefert. Es kann somit nicht Preisausschreiben im Morgenblatt für gebildete
ausgeschlossen werden, daß die Zeichnung sogar Stände vom 2.1.07; Einsendeschluß war der
erst nach Hegels Tod in seinen Nachlaß gelangt 1.7.07 (GW 5.678 f., GW 8.360).
sei. (2) Hegels Aufsatz wird nicht als Einsendung
Erstdruck: Georg Stuhlfauth: Das Dreieck. Die Ge-
für dieses Preisausschreiben gedacht gewesen
schichte eines religiösen Symbols. Stuttgart 1937, sein, denn der Preis war auf eine »Satire in
Abb. 16. – Abbildung: GW 5.533. – Literatur: Helmut gereimten Versen über den Egoismus« ausgesetzt.
Schneider: Zur Dreiecks-Symbolik bei Hegel. HS 8 Gleichwohl wendet er sich an solche »gebildeten
(1973), 55-77; GW 5.734-736. Stände«, an die »schöne Welt«, und er sucht sie
weniger zu »amüsiren«, wie Rosenkranz meint,
als sie über sich aufzuklären. Hegel dementiert
5. Bamberger Abhandlungen zwar, daß er sich hierzu einer »Hinterlist« be-
und Fragmente (1807–1808) diene, mit der »unter dem Scheine einer leichten
Conversation das Denken und das Abstracte ein-
5.1. Wer denkt abstract? geschwärtzt« und schließlich der »fremde Gast«
als alter Bekannter entdeckt werden sollte. Doch
(1) Dieser Aufsatz ist in seiner Art einzig im besteht seine eigentliche Hinterlist eben in der
Corpus Hegelianum – eine Gelegenheitsarbeit, Beruhigung, die dieses Dementi erzeugt. Denn
im Ton eher satirisch als philosophisch-wissen- Hegel unterstellt zunächst, daß man »in guter
schaftlich, enthält er doch eine dezidiert-philo- Gesellschafft«, in der »wir« uns befinden (wo-
sophische Aussage. Überliefert ist er als Manu- durch er sich mit dieser Gesellschaft zu identifi-
skript; ein Druck zu Hegels Lebzeiten ist nicht zieren scheint und sie in Wahrheit als nicht-gute
bekannt. Die Herausgeber des Bandes XVII der entlarvt), immer schon wisse, »Was Denken, was
Freundesvereinsausgabe, Förster und Boumann, Abstract ist«. Lediglich die Frage bleibe noch,
haben ihn unter die Vermischten Schriften aus der » w e r es sey, der abstract denke?«.
Berliner Zeit aufgenommen, und deshalb haben Auf sie gibt Hegel eine Antwort, die zwar nicht
sie Hegels Wendung, beim »preussischen« Mili- den mit seiner Philosophie Vertrauten, wohl aber
tär habe der Soldat als »Canaille« das passive »die gute Gesellschaft« mit ihrem »Vorurtheil«
Recht, geprügelt zu werden, durch »österreichi- und ihrer »Achtung für das abstracte Denken«
schen« ersetzt – wohl nicht allein, weil Hegels überrascht: Es ist »der ungebildete Mensch, nicht
Wendung in den 1830er Jahren politisch inoppor- der gebildete.« ›Abstrakt denken‹ heißt, aus einer
tun, sondern weil sie nach Scharnhorsts Refor- konkreten Totalität eine einzelne Eigenschaft
men (1808/13) auch nicht mehr korrekt gewesen herauszusondern, zu abstrahieren, und sie zum
wäre. – Durch diese implizite Datierung in die einzigen Gesichtspunkt zu erheben – etwa »in
Berliner Zeit verleitet, hat Rosenkranz den Auf- dem Mörder nichts als diß Abstracte, daß er ein
satz nicht allein ausdrücklich in diese Jahre ge- Mörder ist, zu sehen, und durch diese einfache
setzt, sondern ihn auch als »merkwürdiges Pro- Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm
duct« der »Berliner Manier« betrachtet – als »selt- vertilgen«: »Dem gemeinen Volke ist er nichts
same, einzige Mischung von Metaphysik, Spaß, weiter als ein Mörder.« Es wehrt mit Heftigkeit
Satire, schneidenster [!] Satire, ja erschüttern- alle Versuche ab, in dem Verurteilten mehr zu
dem Humor«. Allerdings räumt schon Rosen- sehen als eben nur den Mörder – ob nun »Da-
kranz ein, Hegels »Schwäbischer Naivetät« fehle men« frivoler Weise ihn als schönen, interessan-
5. Bamberger Abhandlungen und Fragmente (1807–1808) 201

ten Mann wahrnehmen oder ein »Menschen- 5.2. Zwei Fragmente zur Logik
kenner« widrige Umstände seiner Bildungsge-
schichte hervorhebt, oder ob es bei anderer Gele- (1) Parallel zur Gelegenheitsarbeit Wer denkt ab-
genheit das Elaborat eines »Bücherschreibers« stract? nimmt Hegel die Arbeit an seinem System
(Goethe) abstrakt auf die »Vertheidigung des wieder auf, von dem er ja – entgegen seinen
Selbstmordes« (des jungen Werther) reduziert. Ankündigungen – bisher erst die Phänomeno-
Wer solche Abstraktion vermeiden will, kann logie als Einleitung veröffentlicht hat. In der
allerdings in »die entgegengesetzte Abstraction« Selbstanzeige der Phänomenologie – in der nun
verfallen – wie »eine feine empfindsame Leip- von ihm redigierten Bamberger Zeitung vom
ziger Welt«, die das Rad, auf das ein Verbrecher 25.11.07 – kündigt er an, der zweite Band werde
geflochten war, und ihn selbst mit Blumenkrän- »das System der L o g i k als speculativer Philo-
zen »bestreute und beband« – vermutlich eine sophie, und der zwey übrigen Theile der Philo-
Anspielung auf einen nicht mehr bekannten Vor- sophie, die W i s s e n s c h a f t e n der N a t u r und
fall oder eine literarische Fiktion. Dieses Blu- des G e i s t e s enthalten (GW 9.447). Zu den bei-
menstreuen sei vielmehr »eine oberflächliche, den realphilosophischen Disziplinen haben sich
kotzebuische Versöhnung, eine Art liederlicher aus Bamberg keine Zeugnisse erhalten, wohl
Verträglichkeit der Empfindsamkeit mit dem aber zur Logik. Als Niethammer ihm den Auftrag
Schlechten.« Und während Hegel zunächst sagt, zur »Ausarbeitung einer Logik für die Lyzeen« in
dem »gemeinen Volke« sei der Mörder nichts als Aussicht stellt, antwortet Hegel am 8.7.07: »Ich
Mörder, sieht er schließlich eine »gemeine alte arbeite, so viel sichs tun läßt, an meiner all-
Frau, ein Spitalweib, die Abstraction des Mör- gemeinen Logik und werde so bald damit nicht
ders tödten«: indem sie dessen abgeschlagenes fertig sein«. Ein Jahr später, am 20.5.08, spricht
Haupt von »Gottes Gnadensonne« beschienen er Niethammer gegenüber von seiner »Logik, wie
und somit »in der höhern Sonne ihn zu Gnaden sie jetzt zu werden anfängt, zu der ich in Jena
angenommen« sieht. kaum den Grund gelegt und nicht ausführlich
(3) In einer detaillierten Stilanalyse, wie sie für gelesen habe«. Eine Frucht dieses »Werdens« bil-
Hegels Werke sonst nicht durchgeführt worden den die beiden Fragmente Zum Erkennen und
ist, hat Anke Bennholdt-Thomsen Hegels Auf- Zum Mechanismus, Chemismus, Organismus
satz, der ja »eine Erkennungsszene intendiert«, und Erkennen. Sie sind sowohl von der Schrift-
»als eine Art von Komödie« bezeichnet, deren entwicklung als auch von der Papierqualität in die
Subjekt die Gesellschaft sei (182,193). »Wie der Bamberger Jahre zu datieren, und auch in der
Gedankengang den Handlungsverlauf auf der Entwicklungsgeschichte der Logik nehmen sie
Bühne ersetzt, so der Stil eine lustspielhafte Ge- einen Platz zwischen den letzten Jenaer und den
staltung.« (195) Die von Hegel hier beabsichtigte ersten Nürnberger Arbeiten ein.
Versöhnung der Gesellschaft mit sich selbst sei (2) Das erste Fragment, Zum Erkennen, bildet
»eine Versöhnung, die mit einer Komödie ver- eine vollständig formulierte Vorstufe zum letzten
gleichbar ist«. Insofern widerspricht sie der im Abschnitt des zweiten, »Das Erkennen«. Dieses
Preisausschreiben angeregten »Satire«, die nach letztere Fragment ist die einzige Quelle für einen
Hegels späterer Sicht keine »ächte poetische Auf- Ausschnitt aus einer Logik-Konzeption, die aus-
lösung« und somit keine »ächte Versöhnung« zu schließlich den Bamberger Jahren angehört. Die
Stande bringen kann. Die »gebildete Gesell- zentralen Fragen der Umgestaltung der Logik-
schaft« hingegen werde versöhnt, »indem sie er- Konzeption lassen sich an Hand dieses Frag-
kennt, daß das D e n k e n es ist, das sie zu einer ments zwar nicht erörtern. Gleichwohl leistet es
gebildeten o d e r ungebildeten Gesellschaft insofern einen wichtigen Beitrag zur Entwick-
macht« (194) – d. h. zu einer konkret oder ab- lungsgeschichte der Logik, als es – mit der Ab-
strakt denkenden. handlung des »Freyen Mechanismus« und des
Erstdruck: W XVII. 400–405. – Text: GW 5.379–387. –
»Chemismus« – Elemente enthält, die zum späte-
Literatur: Anke Bennholdt-Thomsen: Hegels Aufsatz: ren Kapitel »Objectivität« hinführen. Damit geht
Wer denkt abstract? Eine Stilanalyse. HS 5 (1969), das Fragment über die Jenaer Konzeptionen hin-
165–199; GW 5.677–681. aus, auch über die letzte Logik-Skizze (GW
8.286).
202 II. Werk

Der eigentümliche Ansatz dieses Fragments Corpus Hegelianum durch die Einbeziehung der
besteht darin, daß es erstmals die Themen »Me- Nürnberger Texte wird jedoch dadurch geschmä-
chanismus«, »Chemismus« und »Organismus« lert, daß er sie in einer für neuere Ansprüche an
nicht als naturphilosophische, sondern als The- eine Interpretation gänzlich unzureichenden
men der Logik behandelt, übrigens unter starker Form dargeboten hat: Er hat die Differenzen
Akzentuierung des Begriffs des Schlusses und zwischen den mehrfach wiederholten Kursen
vermutlich in Fortsetzung einer vorausgegange- eingeebnet und sich erhebliche Freiheiten in ih-
nen Schlußlehre. Es geht jedoch ohne Abhand- rer Darbietung erlaubt, so daß diese Texte zwar
lung des Zweckbegriffs und ohne Zäsur vom als ein Moment der Entwicklungsgeschichte der
»Chemismus« zum »Organismus« und zum »Er- Philosophie Hegels zwischen Jena und Heidel-
kennen« über, während »Leben« und »Erkennen« berg erkennbar werden, ihre interne Differen-
seit dem ersten Nürnberger Entwurf ihren sy- ziertheit jedoch nicht sichtbar wird. Und noch in
stematischen Ort in einer gesonderten »Ideen- anderer Hinsicht hat Rosenkranz den Texten die-
lehre« finden. Das Fragment ist somit ein Zeug- ser Epoche geschadet: Nicht alle entliehenen Ma-
nis für eine Station der Entwicklung der Logik, in nuskripte hat er Hegels Witwe und dem Freun-
der sie zwar die später unter dem Titel »Objec- desverein zurückgegeben; einige sind über sei-
tivität« abgehandelten Themen zu integrieren be- nen Großneffen Arnold Genthe in die Vereinigten
ginnt, ihren Abschluß jedoch noch nicht in einer Staaten von Amerika gelangt, und dort scheint
»Ideenlehre« findet. ein Teil verlorengegangen und nur ein zweiter in
Erstdruck: Otto Pöggeler (Hg.): Fragment aus einer
die Houghton Library der Harvard University
Hegelschen Logik. Mit einem Nachwort zur Entwick- gelangt zu sein (Henrich 1981, 586 f.). Aus diesem
lungsgeschichte von Hegels Logik. HS 2 (1963), 11–70. hat Jakob Löwenberg zu Beginn des 20. Jahr-
– Text: GW 12.257 f. bzw. 259–298. hunderts einige Texte veröffentlicht; danach hat
Johannes Hoffmeister eine neue Ausgabe der
Nürnberger Schriften veranstaltet, für die er je-
6. Nürnberger Schriften doch wegen des inzwischen eingetretenen Ver-
und Entwürfe (1808–1816) lustes einiger Manuskripte teilweise auf Rosen-
kranz’ Erstedition zurückgreifen mußte. Einen
6.1. Gymnasialkurse weiteren, lange verloren geglaubten Teil hat Eva
Ziesche vor drei Jahrzehnten in der Staatsbiblio-
6.1.1. Quellen, Lehrgegenstände, Methode
thek zu Berlin wieder aufgefunden, und zusätz-
(1) Die Ausarbeitung des Systems im Kontext der lich sind einige Nachschriften von Schülern He-
philosophischen Lehrtätigkeit Hegels am Nürn- gels (Meinel, Abegg) neu zum Corpus der Texte
berger Gymnasium in den Jahren 1808–1816 hat dieser Zeit hinzugetreten.
stets im Schatten seines in diesen Jahren ver- Der bisher sehr unbefriedigende Editionsstand
öffentlichten Hauptwerks gestanden: der Wissen- ist erst jetzt durch Band 10 der Gesammelten
schaft der Logik. Die im »Verein von Freunden Werke soweit behoben, als es die Überlieferungs-
des Verewigten« verbundenen Freunde und Schü- lage erlaubt. Diese ist nicht allein lückenhaft,
ler haben zwar über umfangreiche Manuskripte sondern auch einseitig: Die erhaltenen Quellen –
Hegels aus dieser Zeit verfügt, doch haben sie teils Manuskripte Hegels, teils (von fremder
diese zunächst aus ihrer Ausgabe ausgeschlossen. Hand abgeschriebene und von ihm überarbeitete)
Ihre Bedeutung für die Entwicklung von Hegels Diktatnachschriften der Schüler, teils freie Nach-
Philosophie hat als erster Karl Rosenkranz er- schriften Hegelscher Erläuterungen – stammen
kannt, als er diese Texte »auf einer Durchreise ausschließlich vom Beginn und aus der Mitte der
durch Berlin im Herbst 1838« entdeckt hat; dar- Nürnberger Jahre (1808–1813). Dies ist aber
aufhin sind sie – nach Überwindung einiger Wi- wohl kein bloßer Zufall der Überlieferungslage,
derstände seitens des »Vereins von Freunden des sondern eine Folge des Umstands, daß Hegel sich
Verewigten« – der Freundesvereinsausgabe nach- in den späteren Jahren nicht in derselben Weise
träglich als Band XVIII angehängt worden. intensiv auf seinen Unterricht vorbereitet hat wie
Rosenkranz’ Verdienst um die Einführung ei- in den frühen. Vor allem aber hat er Materialien
nes entwicklungsgeschichtlichen Elements in das aus früheren Jahren weiterverwendet und über-
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 203

arbeitet, ohne daß man diese Überarbeitungen Form als »System der besonderen Wissenschaf-
stets zweifelsfrei einzelnen späteren Kursen zu- ten« – der Oberklasse vorbehalten, ebenso wie
weisen könnte. die Geisteslehre der Mittelklasse. Die Logik je-
(2) Die Ziele wie auch die Gegenstände des doch behandelt Hegel auch in der Mittelklasse
Unterrichts sind Hegel im Umriß vorgegeben (1810/11) und sogar in der Oberklasse (1809/10),
durch den Unterrichtsplan, das Allgemeine Nor- während er die Rechts-, Pflichten- und Religions-
mativ der Einrichtung der öffentlichen Unter- lehre primär in die Unterklassen verlegt. Diese
richts-Anstalten in dem Königreiche aus der Fe- Abweichungen begründet Hegel in einem Privat-
der seines Freundes Immanuel Niethammer, des gutachten für Niethammer über den Vortrag der
damals als Oberschulrat für das Schulwesen in Philosophie auf Gymnasien, in dem er seine Er-
Bayern Zuständigen – und somit nicht unabhän- fahrungen und Absichten zusammenfaßt – wobei
gig von Hegels eigenem Konzept von Philoso- er unter anderem bemerkt, daß die Naturphiloso-
phie. Als »wesentliche Aufgabe« nennt das Nor- phie weniger für den Gymnasialunterricht geeig-
mativ, »die Schüler zum s p e c u l a t i v e n Denken net sei, da »die Naturbetrachtung noch wenig
anzuleiten, und sie darinn durch stufenweise Reize für die Jugend« habe, und auch »eine p h i -
Übung bis zu dem Punkte zu führen, auf dem sie l o s o p h i s c h e A n s i c h t d e r G e s c h i c h t e«
für das systematische Studium der Philosophie, könne teils entbehrt, teils in der Religionswissen-
womit der Universitäts-Unterricht beginnt, reif schaft abgehandelt werden. Die Ästhetik aber
seyn sollen.« In der Unterklasse solle »der Anfang fehle im Unterrichtsplan: Es wäre »höchst nütz-
der Übung des s p e c u l a t i v e n D e n k e n s mit lich, wenn die Gymnasiasten […] bestimmtere
dem formellen Theil der Philosophie, nämlich Begriffe von der N a t u r d e s E p o s , der Tr a -
mit der L o g i k , gemacht werden.« Für die Mit- g ö d i e , der K o m ö d i e u. dergl. erhielten. Die
telklasse ist der Aufriß der traditionellen meta- Aesthetik könnte einer Seits die neuern, bessern
physica specialis bestimmend, allerdings in der Ansichten von dem Wesen und dem Zwecke der
Perspektive der Kantischen Kritik an ihr: in der Kunst geben, anderer Seits aber müßte sie ja
unteren Mittelklasse die Kosmologie und natür- nicht ein bloßes Gewäsche von der Kunst bleiben
liche Theologie, für die auf Kants Kritik des – sondern sich, wie gesagt, auf die besonderen
kosmologischen und des physikotheologischen Dichtungsarten und die besonderen antiken und
Gottesbeweises verwiesen wird, und in der obe- modernen Dichtungsweisen einlassen, in die
ren Mittelklasse die Psychologie sowie die sich charakteristische Bekanntschaft mit den vor-
hier anschließenden » e t i s c h e n und r e c h t l i - nehmsten Dichtern der verschiedenen Nationen
c h e n B e g r i f f e«, wobei für die Psychologie auf und Zeiten einleiten, und diese Bekanntschaft
[Friedrich August] Carus (ganz gegen Hegels Ur- mit Beispielen unterstützen. – Es würde dieß
teil; s. 349) und für Ethik und Recht wiederum eben ein so lehrreicher als angenehmer Kursus
Kant verwiesen wird; in der Oberklasse schließ- seyn; er enthielte lauter solche Kenntnisse, die
lich »werden die zuvor einzeln behandelten Ob- für Gymnasiasten höchst passend sind; und es
jecte des speculativen Denkens in einer p h i l o - kann als ein reeller Mangel gelten, dass diese
s o p h i s c h e n E n c y k l o p ä d i e zusammenge- Wissenschaft keinen Lehrgegenstand in einer
faßt.« (65, vgl. R 254 f.) Gymnasial-Anstalt ausmacht.« (GW 10.823–
Hegel begrüßt dieses Normativ – so sehr, daß 828).
er noch im Winter 1820/21 bei der Vorbereitung (3) Über die Methode seines Unterrichts äußert
eines preußischen Schulgesetzes mit dem Ge- Hegel sich ebenfalls in diesem Privatgutachten
danken spielt, auf der Grundlage dieses Plans sowie in dem Brief an Niethammer vom 23.10.12,
»ein Buch über Staatspädagogik zu schreiben« (an dem das Gutachten beiliegt. Auch nach dem Nie-
Niethammer, 9.6.21). Dennoch folgt er dem Nor- dergang der Schulphilosophie des 18. Jahrhun-
mativ nicht bis in die Einzelheiten. Soweit die derts bleibe die Philosophie »nicht weniger
lückenhafte Überlieferung erkennen läßt, handelt ein systematischer Komplex i n h a l t s v o l l e r
Hegel die angegebenen Gegenstände mit bemer- S c i e n t i e n «, und »die Erkenntniß des a b s o -
kenswerten Freiheiten in sehr unterschiedlicher l u t - A b s o l u t e n« erfordere »die Erkenntniß der
Akzentuierung ab. Zwar bleibt die »Enzyklopä- To t a l i t ä t in ihren Stufen eines Systems«. Der
die« – auch in ihrer um die »Logik« verkürzten Philosophieunterricht habe zum Ziel, »die höch-
204 II. Werk

sten v e r n ü n f t i g e n G e d a n k e n ü b e r d i e trag vorkommen«. Es bleibe zwar das Ziel, doch


w e s e n t l i c h e n G e g e n s t ä n d e […] i n d e n müsse der Unterricht als vorbereitend sich auf
K o p f z u b e k o m m e n«: »Die Philosophie muß das Abstrakte und allenfalls das Dialektische be-
g e l e h r t u n d g e l e r n t w e r d e n , so gut, als schränken (GW 10.830–832).
jede andere Wissenschaft.« Hegel polemisiert In Anbetracht dieser Einschätzung ist es nicht
hier gegen die »moderne Sucht, besonders der verwunderlich, daß Hegel dem Brief an Niet-
Pädagogik, […] daß man o h n e I n h a l t p h i l o - hammer, dem das Gutachten beiliegt, noch eine
s o p h i r e n l e r n e n soll«. Der Philosophieunter- »Schlußanmerkung« anfügt, über die er aber mit
richt habe nicht »zum S e l b s t d e n k e n und e i - sich selbst noch uneins sei: »nämlich daß viel-
g e n e n P r o d u c i r e n zu erziehen« – freilich leicht aller philosophische Unterricht an Gymna-
nicht deshalb, weil Hegel etwas gegen das sien überflüssig scheinen könnte, daß das Stu-
»Selbstdenken« einzuwenden hätte, sondern weil dium der Alten das der Gymnasialjugend ange-
er ein vom Inhalt der Philosophie losgelöstes messenste und s e i n e r S u b s t a n z n a c h die
»Selbstdenken« für Illusion hält und dieses Den- wahrhafte Einleitung in die Philosophie sei.«
ken gerade durch die Rezeption dieses Inhalts am Zwei Gründe hätten ihn davon abgehalten, dieses
besten fördern zu können glaubt: Allein dadurch Fazit in das Gutachten aufzunehmen: Als »Pro-
trete die Wahrheit an die Stelle von » M e i n u n g , fessor der philosophischen Vorbereitungswissen-
Wa h n , H a l b h e i t , S c h i e f h e i t , U n b e - schaften« wolle er sich nicht die eigene ratio
s t i m m t h e i t .« (GW 10.828–830) essendi entziehen und »selbst das Brot und Was-
Entgegen der Forderung des Normativs, »die ser abgraben«. Sein zweiter Grund aber ist sach-
Schüler zum s p e c u l a t i v e n Denken anzulei- licher Natur: Er befürchtet, daß »die ganz gelehrt
ten«, glaubt Hegel den Gymnasialunterricht auf werdende und zur Wortweisheit tendierende Phi-
das »abstrakte« und allenfalls auf das »dialekti- lologie«, die »wortkritische und metrische Ge-
sche« Denken beschränken zu müssen. Die ab- lehrsamkeit«, die nun die frühere »ästhetische
strakte Form sei zunächst die Hauptsache: »Der Salbaderei« verdränge, die Philosophie ebenso
Jugend muß zuerst das Sehen und Hören ver- »ziemlich leer ausgehen« lasse.
gehen, sie muß vom konkreten Vorstellen abge-
zogen, in die innere Nacht der Seele zurück-
6.1.2. Logik
gezogen werden«. Der Aufstieg vom Sinnlichen
zum Abstrakten sei zwar » n a t u r g e m ä ß e r, (1) Die Nürnberger Jahre bilden – nach den
aber darum der u n w i s s e n s c h a f t l i c h e We g« Jenaer und Bamberger – die dritte und entschei-
– und zudem sei der letztere auch leichter: »Weil dende Phase der Entwicklungsgeschichte der Lo-
das Abstrakte das Einfachere ist, ist es leichter gik. Hegels erklärte Absicht, nun – nach der
aufzufassen.« (vgl. an Niethammer, 10.10.11) Phänomenologie – die Logik zu veröffentlichen,
Diese abstrakte Form ergebe eine » v e r s t ä n - hat zur Folge, daß er, wie schon in Bamberg, auch
d i g e P h i l o s o p h i e«, eine »systematische in der ersten Hälfte der Nürnberger Jahre einen
Masse abstrakter gehaltvoller Begriffe« – aber starken Akzent auf die Ausarbeitung der Logik
gerade diese sonst von Hegel kritisierte Form legt. Er behandelt sie sowohl im Rahmen spe-
scheint ihm »das Vorherrschende in der Gym- zieller Kurse als auch der »Enzyklopädie« und
nasial-Sphäre seyn zu müssen«. Die zweite Weise sogar in Verbindung mit der Geistesphilosophie.
des Denkens, die dialektische, die an Hand der Trotz dieser Intensität der Bearbeitung kommt
Kantischen Antinomie der reinen Vernunft geübt der propädeutischen Logik, anders als den Je-
werden sollte, bezeichnet Hegel als schwerer wie naer Entwürfen, wegen ihrer zeitlichen und kon-
auch als weniger interessant für die Jugend; dem zeptuellen Nähe zur Wissenschaft der Logik keine
Lehrer stehe es deshalb frei, »allenthalben den eigenständige Bedeutung zu. Ihre Bedeutung
Versuch mit der Dialektik zu machen, so oft er liegt darin, daß sie es erlaubt, die einzelnen
mag, und, wo sie keinen Eingang findet, ohne sie Schritte der Entwicklungsgeschichte der Logik
zum nächsten Begriff überzugehen.« Das »eigent- nach dem letzten Ausarbeitungsstand im Jenaer
lich S p e k u l a t i v e , das heißt, die Erkenntniß Systementwurf II (1804/05), also nach den gro-
des E n t g e g e n g e s e t z t e n i n s e i n e r E i n - ßen Lücken in der späten Jenaer und auch der
h e i t«, könne »nur sparsam im Gymnasial-Vor- Bamberger Zeit, nunmehr von den Bamberger
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 205

Fragmenten bis hin zur Wissenschaft der Logik Die Grundzüge der publizierten Gestalt der
nahezu lückenlos zu verfolgen. Sie dokumentiert Logik hat Hegel somit zwischen dem letzten Je-
Hegels kontinuierliche Arbeit an der Architektur naer und dem ersten Nürnberger Entwurf ausge-
sämtlicher Teilbereiche der Wissenschaft der Lo- arbeitet. Da die Jahre 1805/06 vor allem der
gik, von ihrer Zweigliederung in objektive und Phänomenologie des Geistes gewidmet waren,
subjektive Logik und ihrer Dreigliederung in muß man annehmen, daß die Neukonzeption der
Seins-, Wesens- und Begriffslogik über die Ein- Logik insbesondere in die Bamberger Jahre
fügung des Bereichs »Objektivität« in die letztere 1807/08 fällt, aus denen auch die beiden oben
bis hin zur Ausbildung der Ideenlehre. In der behandelten Fragmente überliefert sind (s.
Entfaltung des Details der »Selbstbewegung des 201 f.). Wegen der Bestimmung dieser Texte für
Begriffs« bleibt die propädeutische Logik jedoch den Schulunterricht bleibt die Durcharbeitung
wegen ihrer Bestimmung für den Schulunterricht des Details freilich hinter dem Stand der Ver-
und des dadurch bedingten geringen Ausarbei- öffentlichung (1812–1816) zurück – allerdings
tungsgrades hinter der Logik des Jenaer System- ebenso hinter dem der Jenaer Logik und der
entwurfs II zurück. Bamberger Fragmente. Hingegen läßt sich nicht
(2) Die überlieferten Quellen erlauben Ein- stets mit Bestimmtheit sagen, ob einzelne kon-
blicke in drei Entwicklungsphasen der Logik: in zeptionelle Differenzen als spätere Klärung oder
das Anfangsstadium 1808/09, die Überarbeitung ob der frühere, im Rahmen der philosophischen
1810/11 sowie in eine nochmals spätere Über- Propädeutik vorgetragene Entwurf als eine bloß
arbeitung, die sich wegen des Mangels an Datie- ›didaktische Modifikation‹ einer in Wissen-
rungen wie auch an datiertem Vergleichsmaterial schaftsform bereits weiter ausgebildeten Konzep-
zeitlich nicht exakt fixieren läßt. Bereits nach tion zu beschreiben seien.
dem frühesten Nürnberger Text, der »Enzyklopä- Den ersten Abschnitt dieser Logik, die »ontolo-
die (Oberklasse 1808/09)«, umfaßt die Logik gische Logik« (vgl. GW 11.32) bezeichnet Hegel
»sowol das System der Begriffe des seyenden als »System der reinen Begriffe des Seyenden«
Verstandes überhaupt, als der Begriffe des selbst- (§ 8). Sie beginnt hier bereits mit beiden Kapiteln
bewußten Verstandes. In so fern jeder ihrer Be- »Seyn« (mit der Begriffstrias Sein, Nichts, Wer-
griffe diese beiden Bestimmungen unmittelbar in den) und »Wesen«, doch behandelt Hegel die
sich vereinigt, ist sie zugleich reine speculative Relationskategorien Substanz, Ursache, Wechsel-
Philosophie, denn die speculative Betrachtungs- wirkung hier noch in einem eigenständigen, nach
art der Dinge ist Nichts Anderes, als die Betrach- »Seyn« und »Wesen« dritten Kapitel unter dem
tung des Wesens der Dinge, welches eben so sehr Titel »Wirklichkeit«. Die markanteste Differenz
reiner, der Vernunft eigenthümlicher Begriff, als dieser Seinslogik gegenüber derjenigen der Wis-
die Natur und das Gesetz der Dinge ist.« (§ 6) senschaft der Logik besteht darin, daß das Dritte
Unmittelbar zu Beginn der Nürnberger Jahre, zu »Qualität« und »Quantität« noch nicht das
im Schuljahr 1808/09, begegnet somit die Logik »Maß«, sondern die »Unendlichkeit« ist. Größer
erstmals als die »reine Wißenschaft« oder die ist die Distanz im Kapitel »Wesen«, in dem Hegel
»Wißenschaft der reinen Begriffe«, die nicht den »Begriff des Wesens«, den »Satz« (d. h. die
mehr der Metaphysik als Einleitung und zugleich drei Sätze der Identität, der Verschiedenheit und
erster Systemteil vorangeht, wie noch vier Jahre der Entgegensetzung, in Anlehnung an die Jenaer
zuvor im Systementwurf II. Nun, nach dem Metaphysik, GW 7.128–138) und den »Grund«
Durchlaufen der Phänomenologie des Geistes, abhandelt, und in der erwähnten Eigenständig-
sind die vermeintlichen Seinsbestimmungen der keit des Kapitels »III.) Wirklichkeit« (GW
Ontologie als identisch mit den Denkbestim- 10.62–69).
mungen der Logik erkannt. Damit ist bereits im Den zweiten Abschnitt, die »subjektive Logik«,
frühesten Nürnberger Entwurf der entschei- charakterisiert er als »System der reinen Begriffe
dende Schritt in der Entwicklungsgeschichte zu des Allgemeinen« (§ 9). Sie enthält jedoch nur
einer spekulativen Logik zurückgelegt. Und auch eine Begriffs-, Urteils- und Schlußlehre. Allein
seine Durchführung weist stärker auf die Wissen- indem Hegel von der Schlußlehre zum Begriff
schaft der Logik voraus als auf die Jenaer Ansätze des Zwecks übergeht, deutet sich hier die Keim-
zurück (GW 10.61 f.). zelle des späteren Kapitels »Objektivität« an (GW
206 II. Werk

10.69–75). Die »Ideenlehre« (untergliedert in (4) Einen gegenüber diesen beiden Varianten
»Idee des Lebens«, »Erkenntniß« und »Absolute des Schuljahres 1808/09 deutlich fortgeschritte-
Idee oder Das Wißen«) bildet nach dieser ersten nen Grad der Ausarbeitung weist die »Subjective
Nürnberger Konzeption einen gegenüber der ob- Logik (Oberklasse 1809/10)« auf. Überliefert ist
jektiven und subjektiven Logik eigenständigen sie sowohl durch Hegels Überarbeitung der – nur
dritten Abschnitt (GW 10.75–79). bis zur Urteilslehre reichenden – subjektiven Lo-
(3) Zeugnisse von Hegels Arbeit an der Logik gik aus der »Einleitung in die Geisteslehre
finden sich im gleichen Jahr auch in der »Geistes- (1808/09) als durch eine Diktatnachschrift aus
lehre als Einleitung in die Philosophie« (Mittel- dem Jahr 1809/10 (wiederum mit Überarbeitun-
klasse Logik 1808/09), die als Manuskript und als gen Hegels aus späteren Schuljahren). Die Verän-
Diktatnachschrift überliefert ist (GW 10.29–60 derungen gegenüber dem Kurs von 1808/09 be-
bzw. 116–136) In ihr leitet Hegel – nach Erreichen treffen sowohl die Urteils- und Schlußlehre als
des Vernunftbegriffs – in § 30 zur Abhandlung der auch die auf die Begriffslehre folgende Abhand-
Gesetze der Vernunft, also zur Logik, über. Doch lung der »Realisierung des Begriffs«. Hegel stellt
obgleich er diese Logik ebenfalls in objektive, sie unter den Titel »B Teleologischer Schluß«
subjektive und »Logick der Ideen« gliedert (§ 31 (§ 66), mit dem er den Begriff des Zwecks aus der
– die im Manuskript nachträgliche Einfügung der »Enzyklopädie (1808/09)« stärker an die Schluß-
Ideenlehre ist in der Diktatnachschrift bereits lehre anzuknüpfen sucht (GW 10.263-291).
enthalten), unterscheidet sich diese ›psychologi- Bei seiner Überarbeitung der Diktatnachschrift
sche Logik‹ von der ›enzyklopädischen Logik‹, (1809/10) in den Jahren 1811/12, 1812/13 und
die er im selben Schuljahr in der Oberklasse 1814/15 gestaltet er diesen Abschnitt zu einem
vorträgt. Hier strukturiert er die objektive Logik gegenüber der »Begriffslehre« eigenständigen
nach »Verstand«, Urtheilskraft« und »Vernunft«: Kapitel »II Die Objectivität« um. Der ursprüng-
»als festgesetzte« gehören die logischen Bestim- lich dritte Teil dieser subjektiven Logik, »III. Der
mungen »dem Verstande an, in Beziehung gesetzt Proceß« wird durch diese Überarbeitung zu einer
der Urtheilskraft, nach ihrer dialecktischen Seite zweiten Unterteilung des neuen Kapitels »Objec-
der Vernunft« (§ 32). Der Abschnitt »Verstand« tivität«, nach dem »Mechanismus« und gefolgt
entspricht inhaltlich dem der »enzyklopädischen vom »Zweck«. Die »Ideenlehre« folgt bereits in
Logik«; im Abschnitt »Urtheilskraft« behandelt der Diktatnachschrift (1809/10) als dritter Ab-
Hegel die »allgemeinen Beziehungen des Seyns« schnitt im Rahmen der »subjectiven Logik«, ent-
als »ontologische Urtheile«, und zwar als identi- gegen ihrer eigenständigen Stellung im Vorjahr
sche Urteile (Identität, Widerspruch) sowie als 1808/09. Somit ist also die Architektonik der
synthetische Urtheile (Verschiedenheit, Entge- Konzeption der subjektiven Logik bereits im Jahr
gensetzung, Grund; § 48). Die »Dialecktick der 1809/10 weitgehend entworfen, obgleich Hegel
Vernunft« demonstriert Hegel schließlich an sie im Kontext der Wissenschaft der Logik erst
Kants Antinomie der reinen Vernunft, deren vier 1816 veröffentlicht (GW 10.291–309).
Formen er wiederum auf seine Logik zurück- Dennoch unterzieht er die Ideenlehre dieses
bezieht: Die erste Kantische Form des Wider- Entwurfs einer späteren Überarbeitung. Die Dik-
streits bezeichnet er als »Dialecktick der Katego- tatnachschrift 1809/10 unterteilt sie in einem Vor-
rien des Seyns«, die zweite als »Dialektik der blick in »die Idee des Lebens oder der Schön-
Kategorie des Wesens« und die (nicht mehr be- heit«, »die Idee der Erkenntniß und des Guten«
zifferte) dritte als »Dialecktick der unbedingten und »die Idee der Wissenschaft oder der Wahr-
Verhältniße« (da hierzu ja die Kategorien der heit selbst« (§ 82) – also in Anlehnung an die
Substanz und Kausalität gehören) (§§ 54–83). traditionelle Ideentrias des Wahren, Guten und
Die vierte Kantische Form erwähnt Hegel hier Schönen, aber in revidierter Reihenfolge. Bei
nicht mehr, sondern er geht – analog dem Über- seiner späteren, nicht genau datierbaren Über-
gang von den Relationskategorien des Kapitels arbeitung hat Hegel die Wörter »oder der Schön-
»Wirklichkeit« in der ›enzyklopädischen Logik‹ – heit« eingeklammert, sie jedoch in der folgenden
zur subjektiven Logik über, deren Ausarbeitung Titelzeile stehenlassen und das Wort »Schönheit«
allerdings mit einer ausführlichen Urteilslehre auch nicht aus dem folgenden Text getilgt, ob-
abbricht (GW 10.29–60). gleich dieser ohnehin weit mehr vom »Leben« als
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 207

von der »Schönheit« handelt. Hierin zeigt sich hang über die Antinomien«, der wiederum die
noch ein deutliches Schwanken hinsichtlich des Bedeutung der Lehre Kants von der »Antinomie
Umfangs und der Struktur der Ideenlehre. Die der reinen Vernunft« für die Ausbildung der Dia-
daran anschließenden Ideen der Erkenntnis so- lektik Hegels unterstreicht: »Kant hat vornemlich
wie des Guten und Wahren nehmen jedoch be- auf die Antinomien aufmerksam gemacht jedoch
reits die Gliederung, wenn auch nicht den Gehalt die Antithetik der Vernunft nicht erschöpft, in-
der entsprechenden Partien der Wissenschaft der dem er nur einige Formen derselben aufgestellt
Logik vorweg, obgleich Hegel im Blick auf die hat.« (§ 79; GW 10.158–181 bzw. 227–246)
»Idee des Wissens« hier nicht – wie schon in § 98 Die subjektive Logik dieses Entwurfs von
der »Enzyklopädie 1808/09« – von der »absoluten 1810/11 hat denselben Umfang wie bereits in der
Idee« spricht, sondern in Anlehnung an die Phä- Logik für die Oberklasse 1809/10. Der erste, dem
nomenologie vom »absoluten Wissen«: »Das ab- »Begriff« gewidmete Abschnitt mit der Urteils-
solute Wissen ist der Begriff der sich selbst zum und Schlußlehre bildet ohnehin ein weitgehend
Gegenstand, und Inhalt hat, somit seine eigene konstantes Element. Der zweite Abschnitt trägt
Realität ist« (§ 109). hier den Titel »Zweck, oder teleologischer Be-
(5) Hegels intensive Überarbeitung der Diktat- griff« und bleibt auch gänzlich am Thema
nachschrift zur »Geisteslehre als Einleitung in die »Zweckmäßigkeit« orientiert. Insofern steht er
Philosophie (Mittelklasse 1808/09)« betrifft auch der »Subjectiven Logik für die Oberklasse
die »Subjecktive Logik«. Von ihr ist jedoch nur 1809/10« näher als der vorhin erwähnten späte-
die »Begriffslehre« ausgeführt, und auch diese ren Überarbeitung, die diese Thematik zu einem
nur bis zur Urteilslehre, so daß sich hieraus keine Abschnitt über die »Objectivität« weiterentwik-
Hinweise auf eine Fortschreibung der Gesamt- kelt. Analog ordnet auch die Ideenlehre der Lo-
konzeption ergeben (GW 10.127–136). Eine der- gik 1810/11 die Idee des Schönen der des Lebens
artige Änderung zeichnet sich hingegen in der zu, während die erwähnte Überarbeitung bereits
»Logik (Mittelklasse 1810/11)« ab, die sowohl dazu ansetzt, die Idee des Schönen aus der Logik
durch ein fragmentarisches Manuskript als auch zu eliminieren. Daraus läßt sich erschließen, daß
durch eine Diktatnachschrift belegt ist. Sie zeigt diese Überarbeitung eine gegenüber der Logik
zunächst, daß die Seinslogik nunmehr ihre 1812 1810/11 spätere, mangels datierten Vergleichsma-
veröffentlichte Form im Umriß gefunden hat; sie terials aber nicht exakt datierbare Entwicklungs-
schließt nicht mehr wie 1808/09 mit der »Unend- stufe bilde (GW 10.181–195 bzw. 246–262).
lichkeit«, sondern mit dem »Maaß« als dem Be-
griff eines Quantums, das »durch die Natur der
6.1.3. Naturphilosophie
Sache, durch die Qualität bestimmt ist« (§ 30).
Die Binnendifferenzierung der Kapitel »Quanti- (1) Die »Wissenschaft der Natur« hat Hegel in
tät« und »Maaß« hat Hegel jedoch für die Publika- Nürnberg nicht in einem eigenen Kursus, son-
tion erheblich weiter entfaltet (GW 10.157 f. bzw. dern nur, gemeinsam mit der »Wissenschaft des
221–227). Geistes«, im Kontext des »Systems der besonde-
Die an die Seinslogik anschließende Wesens- ren Wissenschaften« oder der »angewandten
logik umfaßt nun, nach den »Bestimmungen des Wissenschaften« vorgetragen – und dies sowohl
Wesens« und der »Erscheinung« (»Ding«, »Er- in Übereinstimmung mit dem »Normativ« als
scheinung«, »Verhältniß«) in einem dritten Ab- auch aus eigener Einschätzung: Die Naturbe-
schnitt die »Wirklichkeit«, die in der »Enzyklopä- trachtung habe »wenig Reize« für die Jugend, die
die (1808/09)« als ein dritter Teil der »objectiven hierin mehr »eine theoretische Müßigkeit, in Ver-
Logik« auf die Wesenslogik gefolgt war. Unter gleichung gegen menschliches und geistiges
dem Titel »Wirklichkeit« handelt Hegel jedoch – Thun und Gestalten« sehe. Zudem sei die Natur-
wie schon zuvor – nur die Relationskategorien ab. betrachtung schwerer: »denn der Geist, indem er
Das erste Kapitel der später veröffentlichten We- die Natur begreift, hat das G e g e n t h e i l des
senslogik, »Das Absolute«, fehlt hier noch, und B e g r i f f s in den Begriff zu verwandeln«, und
die Modalkategorien sind in die Abhandlung der schließlich setze die Naturphilosophie »Bekannt-
»Substanz« einbezogen. Den Abschluß der We- schaft mit den Naturerscheinungen, – mit der
senslogik bildet nun ein sehr ausführlicher »An- empirischen Physik – voraus« (GW 10.827).
208 II. Werk

Anders als für die Logik, deren Ausbildung mit sik des Unorganischen«, weiter in »Mechanik«
den Nürnberger Texten in ein neues und ent- (§§ 23–37), »Allgemeine Physik des Unorgani-
scheidendes Stadium tritt, greift Hegel für die schen oder die Materie im realen Gegensaz«
Naturphilosophie auf seine umfangreichen Je- (§§ 38–45: Schwere, Licht, Farbe, Körper, Ele-
naer Ausarbeitungen zurück. Deren dreigliedri- mente) und »Besondere Physik des Unorgani-
ger Aufbau liegt auch in allen Nürnberger Texten schen oder die individualisirte Materie«
(1808/09, 1809/10, 1810/11) fest – allerdings mit (§§ 46–53: Magnetismus, Elektrizität, Chemis-
einer doppelten Modifikation gegenüber dem mus). Im Anschluß hieran skizziert Hegel auch
letzten Stand der Jenaer Naturphilosophie: In der den in der »Enzyklopädie (1808/09)« nur ange-
»Philosophie der Natur und des Geistes« (1805/ kündigten Teil »Physik des Organischen«
06) bezeichnet Hegel den ersten Teil als »Me- (§§ 54–61). Bereits hier, wie auch später in der
chanik«, in Nürnberg wie auch noch in der Enzy- Heidelberger Enzyklopädie, behandelt er als er-
klopädie (1817) als »Mathematik«. Den primären ste Gestalt den »Erdkörper«, da dieser »ein orga-
Gegenstand dieses Abschnitts bilden jeweils die nisches System« sei, wenn auch eines, das sich
Begriffe von Raum und Zeit, die Erörterung ihrer »nicht durch fortdauernde Selbsterzeugung er-
Dimensionen. Doch geht Hegel in Folge dieser hält, sondern dessen Bildungsproceß ein vergan-
abweichenden Organisation in Nürnberg vom gener ist«. Nach der Erwähnung der hierauf bezo-
Thema »Raum und Zeit« zu Arithmetik und Geo- genen Wissenschaften Geologie und Mineralogie
metrie sowie zu Differential- und Integralrech- geht Hegel zur Physiologie, Botanik und Zoologie
nung über, während er in Jena unter dem Titel über (GW 10.85–97).
»Mechanik« im Anschluß an die Begriffe von (3) Diese Konzeption bleibt auch – in nochmals
Raum und Zeit ihre »Realität« in der »Bewegung« weiter ausgeführter Gestalt – im »System der
sowie den Begriff der Materie abhandelt. besondern Wissenschaften« für die Oberklasse
Dieses aus dem neugebildeten Abschnitt »Ma- 1810/11 erhalten, das in einer von Hegel in den
thematik« ausgeschlossene Thema stellt Hegel Folgejahren stark überarbeiteten Diktatnach-
nun – und ebenso noch in der Enzyklopädie schrift vorliegt (GW 10.311–339), und sie bleibt
(1817) – unter dem früheren Titel »Mechanik« an auch für die Erstausgabe der Enzyklopädie (1817)
den Beginn des zweiten Abschnitts, den er – bestimmend. Insofern bildet auch die Nürnber-
wiederum von der Jenaer Naturphilosophie ab- ger Naturphilosophie trotz der mehr summari-
weichend – als »Physik des Unorganischen« be- schen Abhandlung ihrer Gegenstände ein wichti-
zeichnet, der in einem dritten Abschnitt die »Wi- ges Stadium in der Entwicklungsgeschichte die-
ßenschaft der organischen Natur« folgen soll ser Disziplin.
(§ 100). In der Durchführung weist die Diktat-
nachschrift 1808/09 jedoch eine Unklarheit auf:
6.1.4. Geisteslehre
Den zweiten Abschnitt bezeichnet Hegel als »II.)
Physik überhaupt«, und als deren erste Disziplin (1) Den – nach der Logik – zweiten Schwerpunkt
behandelt er die aus dem ersten Abschnitt ausge- der Systementwicklung der Nürnberger Zeit bil-
schlossene »Mechanik« (§ 111). Danach beginnt det die Geistesphilosophie, fraglos im Zusam-
aber nochmals ein Abschnitt, der den Haupttitel menhang mit einem Publikationsplan: Bereits am
trägt, nämlich »II.) Physik des Unorganischen« 10.10.11 kündigt Hegel Niethammer an, er wolle
(§ 116), und mit ihr bricht diese Diktatnachschrift seiner Logik – deren Publikation er für Ostern
ab; die in § 100 als dritte Disziplin der Natur- 1812 erhofft – »späterhin« seine »Psychologie«
wissenschaft angekündigte »Wißenschaft der or- folgen lassen. Die Arbeit an ihr vollzieht sich auf
ganischen Natur« ist nicht mehr ausgeführt (GW drei Ebenen: (2–4) unter dem Aspekt der Ein-
10.80–83). führungsproblematik im Kursus »Geisteslehre als
(2) Die – nur bis zum Ende der Naturphiloso- Einführung in die Philosophie (1808/09)«; (5–6)
phie reichende – Diktatnachschrift des »Systems als systematische Abhandlung der Geisteslehre
der besonderen Wissenschaften« aus dem Jahre im Kursus »System der besondern Wissenschaf-
1810 folgt dieser Konzeption, klärt jedoch die ten (1810/11)« und seiner späteren Überarbeitung
vermerkte Unstimmigkeit auf: Sie differenziert sowie (7) als Vertiefung eines speziellen Aus-
den zweiten Teil der Naturphilosophie, die »Phy- schnitts der Geistesphilosophie in dem mehrfach
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 209

gehaltenen Kursus »Rechts-, Pflichten- und Reli- Behandlung nun als Lehre vom »Bewußtseyn«
gionslehre (1810/11, modifiziert 1811/12)«. bzw. von der »Seele« (§ 2). Zum Strukturprinzip
(2) Die Geisteslehre sieht Niethammers Nor- der Bewußtseinslehre nimmt er die erwähnte
mativ für die »obere Mittel-Classe« des Gym- Dreigliederung in das Bewußtsein abstrakter Ge-
nasiums vor. In dieser Klasse könne »der Jüngling genstände sowie der Welt des endlichen und des
mit seinem Philosophiren in sich selbst zurück- absoluten Geistes (§ 6). Die neu konzipierte Be-
geführt, und zum zweiten materiellen Haupt- wußtseinslehre hat damit denselben Umfang wie
object der spekulativen Denkübung die P s y c h o - die Phänomenologie des Geistes, und diese Nähe
l o g i e gewählt werden.« (66, vgl. R 255). Diese unterstreicht Hegel noch dadurch, daß er dieser
Vorgabe der Psychologie als Lehrstoff für die zweiten Konzeption insgesamt den Titel »Gei-
»obere Mittelklasse« greift Hegel jedoch in einer steslehre als Einleitung in die Philosophie« gibt.
Niethammers Absichten zuwiderlaufenden Weise Er beabsichtigt also nicht – wie es nach der
auf. Denn nach diesem sollte sich die Abhand- ursprünglichen Konzeption scheint – eine Gei-
lung der Psychologie an [Friedrich August] Carus steslehre als Disziplin des Systems der Philo-
orientieren; Hegel jedoch erklärt im Privatgut- sophie, sondern als eine der Phänomenologie
achten für Niethammer (1812), daß bei Carus für nahestehende »Einleitung in die Philosophie«
die Psychologie nichts zu holen sei (s. 349). (GW 10.8–29).
Und nicht allein durch diese brüske Ablehnung Aber auch diese zweite, sowohl durch ein Ma-
der Verstandespsychologie der späten Aufklärung nuskript Hegels als auch durch eine von ihm stark
als eines Gegenstandes seiner philosophischen überarbeitete Diktatnachschrift belegte Konzep-
Propädeutik verstößt Hegel gegen Niethammers tion führt er nur partiell aus. Bereits in ihrem
Vorgaben. Er verändert auch zweimal die Kon- ersten Abschnitt, »Das Bewußtseyn abstracter
zeption dieses – unmittelbar nach seiner Ankunft Gegenstände«, bricht er nach Erreichen des Ver-
in Nürnberg begonnenen – Kurses. Er beginnt nunftbegriffs ab und geht von ihm zur Logik über,
zunächst mit dem Titel »Geisteslehre. Pneumato- wie sie oben (s. 206) bereits als Variante zur
logie. Von den Arten des Bewußtseyns, Wissens ›enzyklopädischen Logik‹ (1808/09) kurz skiz-
und Erkennens«, führt jedoch nur drei Paragra- ziert worden ist – und der Logik widmet er den
phen zu den Themen »sinnliches Bewußtsein«, weitaus größten Teil dieses Kurses. Im Bericht
»Verstand«, »Ding und Eigenschaften« aus (GW über seine Unterrichtsgegenstände stellt er ihn
10.5 f.). Damit bricht dieser ursprüngliche, offen- deshalb folgerichtig unter den Titel »Logik«: »Es
bar nur kurz erwogene Ansatz ab. In der Rand- wurde mit der L e h r e von dem B e w u ß t s e y n
spalte derselben Seite (206r) schließt Hegel noch und dessen Arten angefangen; hierauf zu den
zwei Skizzen an, die die zweite Konzeption vor- K a t e g o r i e n , und dann zu den sich auf sie
bereiten (§§ 2,6): eine Zweigliederung der »Be- beziehenden A n t i n o m i e n und deren D i a l e k -
wußtseyns- und Seelenlehre« nach den Arten des t i k fortgeschritten, worauf noch zu der eigent-
Gegenstandes des Geistes und »nach den ver- lichen L o g i k übergegangen wurde« – d. h. zur
schiedenen Arten seiner T h ä t i g k e i t« mit den subjektiven Logik (GW 10.879, Editorischer Be-
beiden ersten Paragraphen, sowie eine Dreiglie- richt). Somit trägt Hegel in diesem ersten Schul-
derung der Bewußtseinslehre: »A. Das Bewußt- jahr – entgegen dem Normativ wie auch entge-
seyn von Abstracten Gegenständen«; »B. Das Be- gen seinem ursprünglichen Ansatz – sowohl in
wußtseyn von der Welt des endlichen Geistes« der Ober- wie auch in der Mittelklasse Logik vor,
und »C. Das Bewußtseyn von dem absoluten Gei- und daneben nur noch Mathematik.
ste gnwui seazton« (GW 10.6 f.). (3) Die erste Konzeptionsänderung wirft, noch
Die zweite Konzeption ist erheblich umfang- vor dem Erscheinen der Wissenschaft der Logik,
reicher ausgearbeitet; sie umfaßt 30 Paragraphen. das in neuerer Zeit vieldiskutierte Problem nach
Trotz der Kürze der ursprünglichen Konzeption der Funktion der Phänomenologie des Geistes
läßt sich erkennen, daß die zweite signifikant von hinsichtlich des späteren Systems auf. Die beiden
ihr abweicht. Die eben erwähnte Zweigliederung erwähnten Skizzen für die zweite Fassung zeigen,
mit den angehängten Paragraphen nimmt Hegel daß Hegel mit der Ersetzung des zunächst ge-
zum Ausgangspunkt der zweiten Konzeption. Er planten Themas »Pneumatologie« durch die
identifiziert die beiden genannten »Arten« der »Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie«
210 II. Werk

die Absicht verbindet, dem Kurs seine Phänome- Konzeption noch die systematische Funktion der
nologie des Geistes zu Grunde zu legen – und Phänomenologie des Geistes. Deren Verkürzung
zwar tendenziell ihrem Gesamtumfang nach, bis zum Zweck des Unterrichts rechtfertigt Hegel
hin zum »Bewußtseyn von dem absoluten Gei- ausdrücklich in seinem Privatgutachten für Niet-
ste«. Wie seine Datierungen zeigen, steht Hegel hammer von 1812: Er teile die Abhandlung der
am 3. Januar 1809 bei der Abhandlung des Selbst- Psychologie in die des erscheinenden und des an
bewußtseins, und hier bricht auch die Zählung und für sich seienden Geistes; »in jenem handle
der Paragraphen in seinem Manuskript (mit § 17) ich das B e w u ß t s e y n , nach meiner P h ä n o -
ab. Sein Entschluß, den bis zum »absoluten m e n o l o g i e d e s G e i s t e s , aber nur in den
Geist« ausgreifenden Plan fallenzulassen und die dort bezeichneten drei ersten Stufen […], in
»Geisteslehre als Einleitung« nur bis zum Kapitel diesem die Stufenfolge von G e f ü h l , A n -
»Vernunft« zu führen, ist somit nicht durch Zeit- s c h a u u n g , Vo r s t e l l u n g , E i n b i l d u n g s -
knappheit veranlaßt, da er danach ja sehr aus- k r a f t usf. ab.« (GW 10.825)
führlich die zunächst gar nicht vorgesehene Lo- Eine veränderte Konzeption – jedoch ein auf
gik abhandelt; und auch nicht durch einen Man- Grund der Überlieferungslücken wenig verän-
gel an Material, da er ja nur auf seine Phänome- dertes Bild – bietet die »Geisteslehre für die
nologie zurückzugreifen brauchte. Den Ausschlag Mittelklasse (1809/10)«. Ihr Thema bildet, nach
zu Gunsten der Themenänderung dürfte seine Hegels Bericht, die »Lehre von den Stuffen des
Einsicht in die Bedeutungsdifferenz zwischen ei- Bewußtseyns, alsdann der theoretische Theil der
ner wissenschaftlichen »Einleitung in das System Psychologie, nemlich die Lehre von der Intelli-
der Wissenschaft« und einer didaktischen »Ein- genz« (GW 10.879, Editorischer Bericht). Als
leitung in die Philosophie« bewirkt haben: Die Vorlage für diesen Kurs dient Hegel eine von ihm
von der Phänomenologie geleistete Rechtferti- intensiv, wenn auch nicht stets konsequent über-
gung des Standpunktes des Hegelschen Systems arbeitete Diktatnachschrift des Einleitungskurses
durch Rekonstruktion der in ihm kulminierenden von 1808/09. So übernimmt er die Überschrift
Entwicklung der Bewußtseinsgeschichte ist prin- »Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie«
zipiell unterschieden von einer auf Gymnasiasten unkorrigiert. Hingegen ersetzt er konsequent den
abzielenden Einführung in die Philosophie. früheren Ausblick auf den Umfang der an der
Hierzu eignen sich allenfalls diejenigen Partien Phänomenologie orientierten Bewußtseinslehre
der Phänomenologie, die unmittelbar zugängli- – bis hin zum »Bewußtseyn von dem absoluten
che, der Geschichte des Individualbewußtseins Geiste« (§ 6) – durch die Reduktion auf die Stu-
angehörende Einsichten betreffen, aber nicht die fen des Bewußtseins: »a) Bewußtseyn überhaupt,
Gestalten der Geschichte des kollektiven Be- oder aüsserliches Bewußtseyn; b) Selbstbewußt-
wußtseins. seyn; c) Vernunft.« Noch im Abschnitt über den
(4) Hegels Rückgriff auf die Phänomenologie Verstand, in § 17, geht seine partielle Überarbei-
zum Zwecke einer »Einleitung in die Philoso- tung in eine zusammenhängende Niederschrift
phie« wie auch ihre Verkürzung im Verlauf der einer neuen, die vorhergehende ersetzenden
»Mittelklasse (1808/09)« erlauben deshalb keine Textfassung über – allerdings nur bis zur Ab-
Einsicht in die Gestalt der damaligen »Philo- handlung des Vernunftbegriffs (abgesehen von
sophie des Geistes« oder gar in die Rolle einer Hegels hier thematisch nicht einschlägiger Über-
verkürzten Phänomenologie in deren Aufbau – arbeitung der »subjektiven Logik« dieses Heftes
eben weil das geänderte Unterrichtsthema gar für den Logikkurs in der Oberklasse 1809/10)
nicht mehr die »Geistesphilosophie« ist. Sie be- (GW 10.99–115). Mit der Abhandlung des Ver-
rechtigen aber auch nicht zu der Annahme, daß nunftbegriffs endet auch die Überlieferung des
sich Hegels Sicht der systematischen Funktion Mittelklassen-Kurses 1809/10 durch Karl Rosen-
der Phänomenologie als »Einleitung« bereits so kranz (W XVIII.79–90). Der in Hegels Bericht
rasch gewandelt habe; er beabsichtigt ja zunächst, über seine Lehrgegenstände erwähnte »theoreti-
sie als Ganze vorzutragen, bevor er vom Stich- sche Teil der Psychologie, nämlich die Lehre von
wort »Vernunft« aus zu einer modifizierten Ge- der Intelligenz«, ist weder durch ein Manuskript
stalt der Logik überleitet – und die Möglichkeit Hegels noch durch eine Diktatnachschrift über-
eines solchen Übergangs dementiert weder die liefert.
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 211

(5) Einen Einblick in den Stand der Ausarbei- bezeichnen gewesen, mit der ersten Untergliede-
tung der Geisteslehre erlaubt deshalb erst das rung in »I. Der theoretische Geist«. Diese Unge-
»System der besondern Wissenschaften (1810/ nauigkeit dürfte zu Lasten Hegels gehen; man
11)«. Dieser Text ist nicht im Manuskript, son- wird annehmen dürfen, daß Hegel auch im Kur-
dern wiederum durch eine Diktatnachschrift sus 1810/11 die Lehre vom »Geist in seinem
überliefert. Im Anschluß an die Naturphilosophie Begriffe« in diejenige vom theoretischen und
behandelt Hegel, als zweiten Teil der »besonde- vom praktischen Geist einteilen wollte – wie auch
ren Wissenschaften«, »Die Lehre vom Geiste«. bei seiner späteren Überarbeitung dieses Kurses,
Der Kreis ihrer Themen ist gegenüber sowohl im Privatgutachten für Niethammer (GW 10.826)
der früheren als auch der späteren (1811/12) und bereits in der Geistesphilosophie des Sy-
»Geisteslehre« erheblich ausgeweitet – auf den stementwurfs III (GW 8.185–222).
Umfang der Philosophie des Geistes der Enzy- Die Grundstruktur der Lehre vom theoreti-
klopädie: Sie behandelt »1.) den Geist in seinem schen Geist bildet die Trias von »Gefühl«, »Vor-
Begrif, Psychologie überhaupt. 2) Realisirung des stellung« und »Denken«. Dem »Gefühl« (gleich-
Geistes Staatswissenschaft und Geschichte 3) die gesetzt mit »Empfindung«) sind nur drei Para-
Vollendung des Geistes in Kunst, Religion und graphen gewidmet (§§ 69–71); sehr ausführlich
Wissenschaft« (§ 67). Die sonst abgehandelte (§§ 72–105) handelt Hegel hingegen über die
»Geisteslehre« wird hier zum ersten Teil eines »Vorstellung«, wenn auch in einer nicht immer
erweiterten Konzepts. Im Gegenzug wird ihre plausiblen, sich überschneidenden Zu- und Un-
duale Binnendifferenzierung in »Phänomenolo- terordnung der einzelnen ›Vermögen‹ (ein Wort,
gie« und »Psychologie« zurückgenommen; Hegel das Hegel allerdings vermeidet). So unterteilt er
erwähnt die »Phänomenologie des Geistes« nur etwa die erste Form der »Vorstellung«, »a. Erinne-
kurz als die Betrachtung des Bewußtseins oder rung«, nochmals in »Anschauung«, »Vorstellung«
des erscheinenden Geistes (§ 65), ohne sie eigens und »Erinnerung«; die zweite, »b.) Einbildungs-
abzuhandeln (GW 10.339–365). kraft«, in »Reproduction der Vorstellung über-
Somit zeigt dieser Entwurf ein Janusantlitz: In haupt«, »thaetige Einbildungskraft« und »produc-
der Reduktion des ersten Teils der systemati- tive Einbildungskraft« – wobei er unter der »thae-
schen Geisteslehre auf die Lehre vom »Geist in tigen Einbildungskraft« auch Phänomene erör-
seinem Begriffe« orientiert Hegel sich am Jenaer tert, die später in die Anthropologie fallen:
Systementwurf III (1805/06, GW 8.185–222). In »Traumschlaf«, »Somnambulismus«, »Verrükt-
der genannten Dreigliederung der umfassenden heit« und »Ahndungen, Visionen der Schwaer-
Geistesphilosophie (die in einem Zwischenkor- merei«. Die dritte Form der »Vorstellung«, »c.)
rekturgang sogar zur Viergliederung wird) zeich- das Gedächtnis«, gliedert Hegel in »das Zeichen
net sich hingegen erstmals eine Vorform ihrer überhaupt«, »die Sprache« und »reproductives
späteren Struktur (subjektiver, objektiver und ab- Gedächtnis«. Übersichtlicher ist die Einteilung
soluter Geist) ab, die im Systementwurf III trotz der letzten Form des theoretischen Geistes, des
der inhaltlichen Selbständigkeit von »Kunst, Re- »Denkens« (§§ 106–124), in »Verstand«, »Ur-
ligion und Wissenschafft« durch ihre formale theil« (im Sinne von Urteilskraft) und »Vernunft«
Zuordnung zur Ständelehre – unter dem Titel – wobei die letztere nochmals in »negative oder
»Constitution« – noch nicht erkennbar ist (GW dialectische«, »raisonirende« und »schliesende
8.[VI]). Vernunft« untergliedert wird, und die letztere
Die Orientierung über den ersten Abschnitt nochmals in »formale Vernunft« (im Prozeß des
dieser Geisteslehre wird erschwert durch eine Schließens), »teleologische Vernunft« (Vernunft,
inkonsistente Gliederung: Auf die Überschrift »I. sofern sie Zwecke betrachtet und setzt) und
Der Geist in seinem Begriffe« (§§ 68ff.) folgen schließlich »Vernunft Idee«: »der Begriff, in so
eine zweite: »II. Der practische Geist« (§ 125), fern seine Aeusserlichkeit oder seine Realität,
und hierauf die beiden weiteren Abschnitte: durch ihn vollkommen bestimmt ist, und nur in
»Zweiter Abschnitt. Realer Geist« und »Dritter ihrem Begriffe existirt« (§ 124). Wie schon bei
Abschnitt. Geist in seiner reinen Darstellung« der Logik, so wirkt auch hier und im Folgenden
(§§ 150 bzw. 160). Statt dessen wäre der erste die Darstellung im Vergleich mit der Jenaer Gei-
Abschnitt als »Der Geist in seinem Begriffe« zu steslehre weniger argumentierend und diskursiv
212 II. Werk

als schematisch aufzählend – wohl entsprechend und Exekutive – von den »realen Gewalten« (ge-
der Absicht Hegels, den Schülern mehr einen richtliche und polizeiliche, finanzielle, admini-
summarischen Überblick über diese Sphäre zu strative, militärische und polytische [!] Gewalt),
vermitteln als die einzelnen Begriffe prägnant »in deren ieder eigentlich iene 3 ersten abstrak-
herauszuarbeiten (GW 10.342–353). ten Momente vorkommen« (§ 153). In diesem
Im Vergleich mit der Konzeption des »theo- Entwurf markiert Hegel erstmals – im Anschluß
retischen Geistes« ist die des »praktischen« weit an die Abhandlung des Staats – den systemati-
weniger klar strukturiert. Wie schon in Jena be- schen Ort der Geschichtsphilosophie: Die hi-
ginnt Hegel hier mit dem Begriff des Willens, storische Geschichte betrachte die Entwicklung
und an ihn schließt er die Begriffe der Tätigkeit eines Volksgeistes in seiner Verfassung und sei-
und Handlung sowie des praktischen Gefühls nen Gesetzen und Schicksalen »auf äußerliche
und des Triebs und der Begierde an. Mit der Weise«, die »philosophische Geschichte« hinge-
Begründung: »Das Verhältnis des Geistes nach gen fasse das Prinzip eines Volksgeistes und be-
seinem reinen Begriff, wird theils m o r a l i - trachte »hauptsächlich in der Weltgeschichte den
s c h e s , theils r e c h t l i c h e s Ve r h ä l t n i s«, be- allgemeinen Weltgeist, wie er von den Anfängen
zieht er aber auch noch die Abhandlung von seines kindlichen Bewustseyns an sich in die
Recht (Eigentum, Vertrag, Strafe) und Moralität Höhe seines Selbstbewustseyns« durch die ge-
(Verhältnisse des Menschen zu sich selbst, Fami- trennt erscheinenden Nationen hindurch seine
lienverhältnis, moralisches Verhältnis) in den er- Bildungsgeschichte durchläuft (§§ 157 f.; GW
sten Abschnitt seiner Geisteslehre ein (GW 10.359–362).
10.353–359). Der dritte Abschnitt, »Geist in seiner reinen
Für den zweiten Abschnitt, »Realer Geist« Darstellung«, umfaßt nur sechs (bzw. fünf ge-
(§§ 150–159), bleibt deshalb allein der Staat üb- zählte) Paragraphen (§§ 160-[167]), und hiervon
rig, der »eben so sehr eine durch die Natur ge- sind die ersten vier der Kunst sowie je einer der
gründete als durch freyen Willen eingegangene Religion und der »Wissenschaft« gewidmet. Die
Verbindung ist und so sehr auf dem Rechte, als entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieses
auf der Moralität beruht«. Trotz der Nennung der Abschnitts liegt darin, daß Hegel hier erstmals
beiden konstitutiven Momente – Natur und Wil- dem »Geist in seinem Begriffe« und dem »realen
len – betont Hegel aber auch hier den Primat des Geist« die Sphäre von Kunst, Religion und Wis-
Allgemeinen, des in sich einigen individuellen senschaft entgegenstellt und in ihr sein System
Volksgeistes, vor der Individualität des einzelnen kulminieren läßt. Inhaltlich hingegen bleibt die-
Bürgers. Dieser Primat hebt jedoch die Relation ser Abschnitt – schon seiner Kürze wegen – hin-
nicht auf: »Die wesentliche Gesinnung der Bür- ter der Geistesphilosophie des Jenaer System-
ger gegen den Staat und dessen Regierung ist entwurfs III (1805/06) zurück.
weder der blinde Gehorsam gegen ihre Befehle Im Abschnitt über die Kunst unterscheidet He-
noch daß zu den Einrichtungen in Maaßregeln gel, angelehnt an die Querelle des Anciens et des
des Staats jeder seine individuelle Einwilligung Modernes, zwischen den beiden Hauptgestalten
zu geben hätte, sondern Vertrauen und auch der antiken (plastisch-objektiven) und der mo-
einsichtsvoller Gehorsam gegen denselben.« dernen (romantisch-subjektiven) Kunst. Die
(§§ 150–152) »Sitten, Gesetze und Verfassung Kunstgattungen ordnet er der äußeren Anschau-
machen das organisirte innere Leben eines Volks- ung (Malerei, Skulptur) bzw. der inneren An-
geistes aus« (§ 156). Die Gliederung nach Stän- schauung zu (Musik, Poesie); Redekunst und
den beruhe »vornehmlich auf der Ungleichheit Baukunst seien »nicht reine schöne Künste, weil
des Reichthums der Erziehung und Bildung so ihnen noch ein anderer Zwek zu Grunde liegt, als
wie diese zum Theil wieder auf der Ungleichheit die Darstellung des Schönen.« – Die Religion
der Geburt ruhen« (§ 154); die Verfassung regele wird ihrer mittleren Stellung insofern gerecht,
vornehmlich die »Rechte der Individuen im Ver- als sie »die Darstellung des absoluten Geistes
hältniß zu dem Staat und den Antheil der Mitwir- nicht bloß für Anschauung und Vorstellung, son-
kung derselben« (§ 155). In der Lehre von der dern auch für den Gedanken und die Erkenntniß«
Gewaltenteilung unterscheidet Hegel die drei gebe. Sie greift somit auch auf die beiden für die
»abstrakten Momente« – Legislative, Judikative anderen Gestalten charakteristischen Erkennt-
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 213

nisweisen aus, um hierdurch das Individuum einem späteren, nicht genau datierbaren Zeit-
zum absoluten Geist »zu erheben, seine Einigkeit punkt. Daß er dabei die Gliederungsziffer »II«
mit ihm hervorzubringen und es derselben zu (für die Geisteslehre als zweiten Teil der »be-
vergewissern.« – Die »Wissenschaft« schließlich sonderen Wissenschaften«) durch eine »III« er-
ist »die begreifende Erkenntniß des absoluten setzt (GW 10.339), deutet auf einen Enzyklopä-
Geistes«; indem sie ihn in Begriffsform faßt, »ist die-Kurs, der die insgesamt in Nürnberg domi-
alles Fremdseyn im Wissen aufgehoben und nierende Zweigliederung in »Logik« und »be-
diese hat die vollkommene Gleichheit mit sich sondere Wissenschaften« (mit nochmaliger
selbst erreicht, es ist der Begriff, der sich selbst Zweigliederung der letzteren) durch eine Drei-
zum Inhalte hat und sich begreift« (GW gliederung des Ganzen ersetzt. Dies könnte be-
10.363–365). reits bei der »Philosophischen Enzyklopädie« der
(6) Nach diesem auf das Ganze des Geistes Oberklasse 1811/12 gewesen sein, in der Hegel
ausgreifenden Ansatz beschränkt Hegel die »Gei- nach »einer Wiederholung der Logik« »die
steslehre (1811/12)« wieder auf die »Psycholo- Grundbegriffe der besonderen Wissenschaften in
gie«, in der bereits 1809/10 geplanten Form: Ihr systematischer Ordnung vorgetragen« hat, aber
erster Teil, die »Lehre vom Bewußtseyn« ebensogut bei einem der späteren, ebenfalls drei-
(§§ 6–48), behandelt erneut den auf einen sei- stündigen Enzyklopädie-Kurse 1812/13, 1813/14
enden Gegenstand gerichteten, erscheinenden oder 1815/16, während der Kurs 1814/15 an-
Geist, in der Bewußtseinslehre oder »Phänome- scheinend nur Natur- und Geistesphilosophie
nologie des Geistes« (Diktatnachschrift Meinel, umfaßt (GW 10.881–883, Editorischer Bericht).
§ 4), in der nun schon standardisierten Kurzform Auf diese Wiederholungen des Enzyklopädie-
der Abhandlung des Bewußtseins, des Selbst- Kurses deutet auch, daß sich drei Stufen von
bewußtseins und der Vernunft. Ihr stellt Hegel als Hegels Überarbeitung dieser Diktatnachschrift
zweiten Teil wiederum die »eigentliche Geistes- nachweisen, wenn auch nicht stets von einander
lehre« entgegen (§§ 49–94), in der der Geist unterscheiden lassen. Und auch der Umstand,
»durch seine Selbstthätigkeit seine Unabhängig- daß Hegels Eingriffe primär Änderungen der Sy-
keit« vom Objekt erzeugt (§ 5). Diese Fassung stemarchitektur betreffen und das Detail zumeist
bestätigt somit einerseits die gegenüber der Phä- unberührt lassen, deutet auf einen Vortragskon-
nomenologie des Geistes verkürzte Fassung der text, der einen Überblick über das Ganze der
»Phänomenologie« im Kontext der Geisteslehre; Philosophie zu geben sucht.
andererseits belegt sie, daß Hegels Übergehen Die erste und die zweite Überarbeitungsstufe
dieser »Phänomenologie« in der »Geisteslehre ordnen dem »Geist in seinem Begriffe« die
(1810/11)« als eine Verkürzung zu betrachten ist, 1810/11 nicht abgehandelte »Phänomenologie«
die nicht aus einer systematischen Intention, son- vor und gelangen so zu einer viergliedrigen Gei-
dern lediglich aus der Zeitnot beim Vortrag des steslehre. Erst in der dritten, wohl auf das Ende
ganzen Geistes geboren ist. der Nürnberger Jahre zu datierenden Überarbei-
Die Überlieferungslage der »Geisteslehre tung gelangt Hegel zu der seit der Enzyklopädie
(1811/12)« erlaubt zugleich einen Einblick in He- (1817) üblichen Neustrukturierung des ersten
gels Unterrichtsgestaltung: Das Manuskript Mei- Teils der Geisteslehre in »Anthropologie«, »Phä-
nels umfaßt die 94 Paragraphen in doppelter nomenologie« und »Psychologie« (GW 10.339–
Form: zunächst als Diktatnachschrift (GW 341). Hier aber ist diese Gliederung insofern
10.523–543), und hiervon getrennt als Nach- noch nicht konsequent durchgeführt, als die
schrift der freien Erläuterungen Hegels (GW »Psychologie« weiterhin als zweite (statt als
10.545–606). In gleicher Weise hat Meinel auch dritte) Teildisziplin gezählt ist; die vorhandene
die »Philosophische Encyklopädie (1812/13)« Überarbeitung deutet nirgends an, daß die drei
überliefert, deren freie Erläuterungen auch Ab- genannten Teildisziplinen nun zunächst Unter-
egg mitgeschrieben hat (GW 10.641–715 bzw. gliederungen einer »Philosophie des subjektiven
717–792). Geistes« bilden, und Hegel zieht auch keine wei-
(7) Nicht nur die Naturphilosophie – auch die teren Folgen für die Neustrukturierung der Gei-
Geistesphilosophie des »Systems der besonderen stesphilosophie insgesamt. Zudem sagt er über
Wissenschaften (1810/11)« überarbeitet Hegel zu die neue Disziplin »Anthropologie« nur dies: Sie
214 II. Werk

betrachte den Geist »in seinem bloß natürlichen 6.1.5. Rechts-, Pflichten- und Religionslehre
Daseyn und seiner unmittelbaren Verbindung mit
dem organischen Körper, und seiner daher rüh- (1) Bei der Bestimmung der Lehrgegenstände für
renden Abhängigkeit von dessen Affectionen und die Unterklasse enthält das Normativ, wie Hegel
Zuständen, Astrologie, siderische, terrestrische feststellt, eine Unklarheit: In der ausführlichen
Einflüsse Krankheiten Klimatische Unter- Darstellung schreibt es »Logik« vor, um »den
schiede« (GW 10.340). Die gegenwärtige Über- Scharfsinn der Jünglinge zu üben«, in einer Ta-
lieferungslage läßt nicht erkennen, daß Hegel in belle ist hingegen die Rede von »Religions-,
seinen Nürnberger Kursen diese Stichworte we- Recht- und Pflichten-Kenntniß«. Bei seinem er-
nigstens zu Grundlinien einer »Anthropologie« sten Unterricht in der Unterklasse (1809/10) be-
ausgeführt hätte, doch bestätigt die schon etwas ginnt Hegel zwar mit der »Logik« (GW 10.879),
ausführlichere Skizze in der Wissenschaft der Lo- doch geht er auch hier zur »Rechts-, Pflichten-
gik (GW 12.197 f.), daß Hegel nun – 1816 – zu der und Religionslehre« über; diese zieht er der »Lo-
später gültigen Form dieses ersten Teils der Gei- gik« vor, weil dieser » L e h r g e g e n s t a n d p a s -
steslehre gefunden hat, auch wenn seine brief- s e n d sey, den A n f a n g d e r E i n l e i t u n g i n
liche Erwähnung der »Psychologie mit Anthropo- d i e P h i l o s o p h i e zu machen«. Ihr Inhalt sei
logie« (an v. Raumer, 2.8.16) eher geeignet »für das Alter dieser Klasse ganz zugänglich« und
scheint, diesen bereits gefundenen Aufriß zu werde »durch das natürliche Gefühl der Schüler
verdecken. unterstützt, er hat eine W i r k l i c h k e i t im In-
Ein zweiter Komplex von Überarbeitungsno- nern derselben; denn er ist die Seite der innern
tizen hat eine vergleichbare Bedeutung für die Wirklichkeit selbst«. (GW 10.824) Hegel ändert
Konzeption einer Philosophie des objektiven Gei- jedoch die Reihenfolge der Themen: Statt der
stes. Während die Diktatnachschrift (1810/11) vom Normativ geforderten »Religions-, Recht-
Recht und Moralität im ersten Abschnitt der Gei- und Pflichten-Kenntniß« trägt er, entsprechend
steslehre abhandelt und im zweiten (»Realer seiner Systemkonzeption, »Rechts-, Pflichten-
Geist«) allein den Staat (GW 10.359 ff.), skizziert und Religions-Lehre« vor (GW 10.369–420), und
Hegel nun in einer Randnotiz zum Titel »1.) Das zwar 1809/10 im zeitlichen Anschluß an die Lo-
Recht« den Aufbau der späteren Rechtsphiloso- gik, ab 1810/11 jedoch als einen eigenständigen,
phie: »a) R e c h t s w i s s e n s c h a f t […] b.) Moral vierstündigen Kurs; im letzten Schuljahr,
[…] c) Staatswissenschaft« (GW 10.355 f.) – aller- 1815/16, beschränkt er sich sogar auf die Rechts-
dings auch hier ohne die hieraus folgenden Um- lehre (GW 10.884).
strukturierungen in der Diktatnachschrift vorzu- Trotz ihres häufigen Vortrags ist diese »Rechts-,
nehmen. Ein dritter Komplex von Notizen be- Pflichten- und Religionslehre« nur durch Rosen-
zieht sich auf die Philosophie der Kunst, jedoch kranz’ Edition überliefert; über seine Quellen
nicht als Konzeptionsänderung, sondern als Kon- und Editionsmethode ist nichts bekannt. Es ist
kretion des zuvor (§ 163) nur pauschal erwähnten anzunehmen, daß Rosenkranz Schülerhefte, viel-
Begriffs der Poesie durch dessen Einteilung in leicht auch Manuskripte Hegels aus mehreren
seine »Hauptgattungen« episch, lyrisch, drama- Jahren vorgelegen haben, die er zu einem – na-
tisch und die Zuordnung von literarischen For- hezu – einheitlichen Argumentationsgang ver-
men zu diesen Gattungen. Diese Ergänzungen schmolzen hat, der es jedoch nicht mehr erlaubt,
nimmt Hegel wahrscheinlich in der »Philosophi- die Entwicklung dieser Disziplin zu verfolgen.
schen Enzyklopädie« (1814/15) vor, denn im Be- Rosenkranz teilt nur seine Vermutung mit, daß
richt über seine Lehrgegenstände gibt er an, er Hegel die hier mitgeteilten, sehr präzisen Er-
habe in diesem Kursus »bei dem ästhetischen läuterungen wohl noch »zum Behuf von Abschrif-
Theile« der Geisteslehre »länger verweilt« (GW ten für die Schüler später selbst überarbeitet ha-
10.883, Editorischer Bericht) – und somit das ben muß.« (W XVIII.VI)
bereits im Privatgutachten für Niethammer be- Nicht allein die Einrichtung dieses Kurses –
klagte Fehlen der Ästhetik im »wissenschaftli- auch seine Ausführung ist auf die Erfordernisse
chen Zyklus« kompensiert (s. 203). des Schulunterrichts zugeschnitten, was zwar
nicht durchgängig, aber doch an mehreren Stel-
len ersichtlich ist. Soweit aus der Edition zu
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 215

ersehen ist, stellt Hegel dem Kurs eine allge- der und als »absoluter«, d. h. als reiner Selbst-
meine »Einleitung« voran (§§ 1–12), in der er beziehung, für die Sphäre des Praktischen zu-
den Willen »und zwar nach dem Verhältniß des kommt: In ihr verläßt der Mensch »die Sphäre
besonderen Willens zum allgemeinen Willen« als des niederen Begehrungsvermögens« und erhebt
allgemeine Grundlage dieser Sphäre des Prakti- sich in die reine Selbstbeziehung des Ich, das nur
schen bestimmt. Die »rechtlichen, sittlichen und sich zum Inhalt hat. Von dieser »praktischen ab-
religiösen Begriffe« seien »Gegenstände, die in soluten Reflexion« geht Hegel in § 14 zur »Frei-
dem Geist selbst ihren Grund haben«, somit zur heit des Willens« und bestimmt sie als »die Frei-
intelligiblen Welt gehörten (§ 2) und durch das heit im Allgemeinen«; »alle andern F r e i h e i -
Handeln »ein äußerliches Dasein« erhielten t e n« – wie »Preßfreiheit«, bürgerliche, politi-
(§ 4). Als weitere Begriffe dieser Sphäre führt sche, religiöse Freiheit – sind blos Arten davon.«
Hegel die Unterscheidung zwischen »Trieb« und Im Anschluß hieran erörtert Hegel in § 22 Cha-
»eigentlichem Willen« als dem »höheren Begeh- rakteristika der Rechts – wie dessen Unabhängig-
rungsvermögen« ein, ferner zwischen »Tat« und keit von Absicht, Überzeugung und Gesinnung,
»Handlung«, die nur dasjenige umfasse, »was von sodann in § 23 den Unterschied von Recht und
der That im Entschlusse liegt oder im Bewußt- Moral, den er insbesondere in die wesentliche
sein war, was somit der Wille als das Seinige Bedeutung der Gesinnung für die Moral setzt;
anerkennt.« In der Freiheit des Willens, in der doch obgleich somit der Wert einer Handlung
Kenntnis der Bestimmungen der Handlungen nicht in ihren Folgen liege, seien diese doch mit
und im Sichentschließen zu ihnen liege die Mög- in die moralische Betrachtung aufzunehmen. Be-
lichkeit der »Schuld«. Als den eigentlichen reits hierin zeichnet sich ab, daß Hegel Recht und
Grundbegriff der Rechts-, Pflichten- und Reli- Moral nicht mittels eines einzigen Kriteriums
gionslehre bestimmt Hegel den Willen, und zwar unterscheidet, sondern eine »mehrseitige Be-
nicht den bloß formell freien Willen, der man- trachtung« vornimmt. Als einen weiteren Ge-
nigfachen äußeren Inhalt in sich aufnehmen sichtspunkt führt er ein, daß der Mensch für das
könne, sondern den wahrhaft und absolut freien Recht »als ein absolut freies Wesen« Gegenstand
Willen, der nicht auf einen besonderen Inhalt, sei, für die Moral hingegen nach seiner Beson-
sondern nur auf sich selbst als freien und all- derheit »als Familienmitglied, als Freund, als ein
gemeinen Willen gerichtet ist. Mit diesem Be- solcher Charakter u. s. f.«; sie verlangt nicht allein
griff des freien Willens, dessen Freiheit eben die Freiheit des Anderen, sondern auch sein
darin liegt, daß sie sich selber will, ist der Aus- Wohl, seine »Glückseligkeit« als einen fortdau-
gangspunkt der Grundlinien der Philosophie des ernden Zustand des Glückes, der allerdings vom
Rechts erreicht (GW 10.369–371). »Glück« – nun im Sinne des Zufalls – abhängig
(2) An diese Einleitung schließt Rosenkranz und somit nicht die Gott allein zukommende
erheblich detailliertere »Erläuterungen zur Ein- »Seligkeit« sei. Und noch in anderer Hinsicht
leitung« an. Deren separate Paragraphenzählung unterscheidet Hegel die Sphären der Moralität
(§§ 1–25) läßt vermuten, daß Rosenkranz hier und der Religion: Der moralische Wille habe
Material aus einem anderen Schuljahr einschiebt. zwar »das Z i e l d e r Vo l l k o m m e n h e i t«,
Denn wenn es sich bei der Differenz zwischen werde zu ihm aber – sehr unkantisch – »auch
»Einleitung« und »Erläuterungen« um eine Diffe- durch die Triebfeder der Sinnlichkeit und Einzel-
renz zwischen der Nachschrift von diktiertem heit getrieben« und habe auch nicht die Mittel zur
und von frei gesprochenem Text handelte, Verwirklichung des Wohles anderer in seiner
stimmte die Paragraphenzählung überein. – He- Macht; die Religion hingegen (§ 25) betrachte
gel beginnt diese »Erläuterungen« mit einem »das göttliche Wesen, die Vollendung des Wil-
Rückgriff auf den Begriff des Bewußtseins und lens«, sowohl nach der » Vo l l k o m m e n h e i t
Bestimmungen des theoretischen Geistes, etwa d e r G e s i n n u n g« als der » Vo l l k o m m e n -
auf das Verhältnis von »Vorstellung«, »Einbil- h e i t d e r M a c h t, die heiligen Zwecke zu errei-
dungskraft« und »Denken«, bevor er zum eigent- chen« (GW 10.372–389).
lichen Thema, dem »praktischen Vermögen« (3) Der erste der drei Abschnitte, die »Rechts-
übergeht. Hier erörtert er ausführlich die Rolle, lehre«, umfaßt die beiden Kapitel »Recht« und
die der »Reflexion« als »relativer«, vergleichen- »Staatsgesellschaft«. »Recht« denkt Hegel als
216 II. Werk

Wirklichkeit des allgemeinen, auf sich als freien »Moralität, Religion, Wohlstand und Reich-
gerichteten Willens, und hierin liege die Forde- thum«, wie wichtig diese auch seien. Aus dem
rung, »daß jeder Einzelne von dem Andern als ein gleichen Grund unterscheidet Hegel den Staat als
freies Wesen respectirt und behandelt werde« Rechtsgemeinschaft vom »Volk« als einem »durch
(§ 3), d. i. als Person. Aus diesem Begriff der Sprache, Sitten und Gewohnheit und Bildung«
Freiheit der Person folgert er – hier in Überein- konstituierten Zusammenhang (§ 24) und als
stimmung mit Kant –, daß rechtlicher Weise »Al- Rechtszustand vom »Naturzustand« – als einem
les, was die Freiheit der Anderen nicht be- Zustand der Gewalt und des Unrechts –, aus dem
schränkt oder keinen Act derselben aufhebt«, der Mensch in einen Zustand übergehen müsse,
rechtlich erlaubt sei (§ 7). Eine Handlung hinge- »in welchem der vernünftige Wille das Herr-
gen, »welche die Freiheit eines Andern be- schende ist« (§ 25). Das innere Staatsrecht be-
schränkt oder ihn nicht als freien Willen aner- stimmt Hegel als Verhältnis der in der »allge-
kennt«, sei »widerrechtlich«, und (allein) um die- meinen Staatsgewalt« vereinigten besonderen
sen widerrechtlichen Zwang aufzuheben, sei Gewalten: der gesetzgebenden (die den allge-
rechtlicher Zwang zulässig (§ 6). Diese vorausge- meinen, an und für sich seienden Willen aus-
setzte Freiheit verbiete es, den Menschen als drückt), der Regierungsgewalt (unterteilt in ad-
Sache – etwa als Sklaven – zu behandeln; positive ministrative und finanzielle), der unabhängigen
Gesetze, die dies erlaubten, seien »der Vernunft richterlichen und polizeilichen Gewalt und der
oder dem absoluten Recht entgegengesetzt« (§ 5) militärischen Gewalt oder der Gewalt, »Krieg zu
– wobei Hegel ersichtlich den Begriff des »Natur- führen und Frieden zu schließen« (§ 28). In der
rechts« vermeidet. »Erläuterung« greift Hegel auf die antike Lehre
In der Folge behandelt er die traditionellen von den Staatsformen und ihren Ausartungen
natur- bzw. vernunftrechtlichen Themen: die Er- zurück, ohne jedoch einen Kreislauf der Staats-
werbung durch ursprüngliche Besitzergreifung formen zu behaupten. Die Demokratie könne nur
einer herrenlosen Sache oder durch ihre Formie- »bei einfachen, unverdorbenen Sitten und einem
rung; das Verhältnis von bloßem Besitz und recht- kleinen Umfange des Staates« »stattfinden und
lichem, durch andere anerkannten Eigentum; die sich erhalten«; die Aristokratie privilegiere ge-
unveräußerlichen Güter, die »meine eigenste Per- wisse Familien; Hegels Präferenz gilt deshalb der
son ausmachen oder in meinem Wesen enthalten Monarchie – und dies aus einem in heutiger
sind, als Freiheit des Willens, Sittlichkeit, Reli- Perspektive unerwarteten Grund: weil in ihr »die
gion u. s. f.« (§ 13), und die Formen der Veräuße- bürgerliche Freiheit mehr geschützt« sei als in
rung, d. h. den Vertrag mit seinen unterschiedli- anderen Verfassungen. – Das »äußere Staats-
chen Formen. Im Anschluß hieran gewinnt Hegel recht« regele das Verhältnis der Staaten durch
aus den unterschiedlichen Formen der Verletzung besondere Verträge, das Völkerrecht. Doch weil
des Rechts die Begriffe des Zivilrechts (im Blick die Staaten »sich mehr in einem natürlichen als
auf die Negation meines besonderen Rechtes) rechtlichen Verhältniß zu einander« befänden,
und des »peinlichen Rechts« (im Blick auf die werde dieses gebrochen und durch Krieg ver-
Negation des Rechts überhaupt, die nicht allein drängt (§ 31)(GW 10.399–403).
unwirksam gemacht, sondern durch »Wieder- (4) Der zweite Abschnitt, die »Pflichtenlehre
vergeltung« auf positive Weise, durch Strafe, auf- oder Moral«, beginnt mit längeren Ausführungen
gehoben werden müsse) (§§ 20 f.) (GW 10.389– über den Begriff der Moralität, die auch dessen
399). Verhältnis zum Rechtsbegriff nochmals erörtern.
Das zweite Kapitel behandelt die »Staatsgesell- Dem Recht ordnet Hegel den Begriff der »Schul-
schaft« als die Sphäre der Wirklichkeit des digkeit« und der äußeren Befolgung zu, der Mo-
Rechtsbegriffs. Sie gliedert sich hier noch in die ral hingegen den der »Pflicht« und der »Ge-
»Familie« als »die natürliche Gesellschaft, deren sinnung«. Er schließt hier einerseits an Kants
Glieder durch Liebe, Vertrauen und natürlichen praktische Philosophie an: Die Moralität »betrifft
Gehorsam (Pietät) verbunden sind«, und den wesentlich die Gesinnung und fordert, daß die
»Staat« als »die Gesellschaft von Menschen unter Handlung aus A c h t u n g vor der Pflicht ge-
rechtlichen Verhältnissen« (§ 23). Das Recht sei schehe«, und auch das rechtliche Verhalten sei
der »unmittelbare Zweck« des Staates, und nicht moralisch, »insofern es die Achtung vor dem
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 217

Rechte zum Beweggrunde hat«. Doch versteht er sein der A b s o l u t h e i t d e s S t a a t s«, d. h. sei-
die »Gesinnung« nur als »die subjektive Seite der ner Priorität gegenüber den Einzelwillen und
moralischen Handlung«, zu der die inhaltliche vertragstheoretischen Konstruktionen. Der Ab-
Seite hinzutreten müsse. Deshalb erscheint hier handlung der »Pflichten gegen Andere«
die Sphäre der Moral als inhaltlich reicher als die (§§ 59–70) widmet Hegel breiten Raum; er nennt
Rechtssphäre, und der Mensch gelte in ihr auch hier »Rechtschaffenheit«, »Wahrhaftigkeit«, die
nicht nur als abstrakte Person, deren Freiheit »Pflicht der allgemeinen Menschenliebe«, die
nicht angetastet werden dürfe, sondern nach sei- sich aber näher auf diejenigen erstrecke, »mit
ner Besonderheit und einzelnen Wirklichkeit, welchen wir im Verhältniß der Bekanntschaft und
der positiv Gutes zu erweisen sei (§§ 32–39) Freundschaft stehen«, ferner »Klugheit« und
(GW 10.403–408). »Höflichkeit« (GW 10.408–418).
Das eigentliche Corpus dieses Abschnitts bildet (5) Zum dritten, sehr kurzen Abschnitt, zur
jedoch die Erörterung (I) der »Pflichten gegen »Religionslehre« (§§ 71–80), leitet der Begriff
sich«, (II) der »Familienpflicht«, (III) der »Staats- des »moralischen Gesetzes« über: Es sei das
pflichten« und schließlich (IV) der »Pflichten ge- »ewige Vernunftgesetz, das wir unwiderstehlich
gen Andere«. Dieser Aufriß verschränkt die Ori- achten müssen«. »Wir sehen aber eben so un-
entierung an einer Typologie der sozialen Ver- mittelbar die U n a n g e m e s s e n h e i t unserer
hältnisse – des Menschen als Einzelwesen, Fami- Individualität zu demselben ein, erkennen es als
lienmitglied, Staatsbürger und in Relation zu ein Höheres, als wir, als ein von uns unabhän-
anderen – mit dem Pflichtenkatalog des traditio- giges, selbstständiges, absolutes Wesen«, das sich
nellen Naturrechts, doch finden die dort stets in unserem Bewußtsein offenbare. Dieses » W i s -
aufgeführten »Pflichten gegen Gott« keine Er- s e n v o n d e m A b s o l u t e n ist selbst ein a b -
wähnung. Die »Pflichten gegen sich« (§§ 41–48) s o l u t e s und unmittelbares Wissen und kann
leitet Hegel aus dem Doppelcharakter des Men- nicht etwas Endliches zu seinem positiven
schen als physischen Einzelwesens und geistig- Grunde haben oder durch etwas, das es nicht
vernünftigen Wesens her – als Pflicht zur Selbst- selbst ist, als einen Beweis vermittelt sein«; es
erhaltung und zur Erhebung zu seiner allgemei- müsse aber vom Gefühl und Glauben zu einer
nen Natur. Die »Familienpflicht« (§§ 49–52) gilt »Erkenntniß Gottes« fortgehen, die »nicht über
ihm als die erste der Pflichten gegen andere. Sie die Vernunft« sei, da diese vielmehr selber der
ergebe sich daraus, daß die Mitglieder einer Fa- »Widerschein Gottes« sei. Dann aber führt Hegel
milie »wesentlich nur Eine Substanz, nur Eine den Begriff der Religion als »Vergegenwärtigung«
Person« ausmachen und erst dann Personen ge- des absoluten Wesens durch Gefühl, Gedanken
geneinander werden, »wenn das moralische und Vorstellung ein und bestimmt es weiter als
Band sich aufgelös’t hat«. Die Ehe faßt Hegel hier absoluten Geist, als »das reine Wesen, das sich
wie auch später als »weder blos n a t ü r l i c h e , zum Gegenstande macht, aber darin nur sich
thierische Vereinigung, noch bloßer C i v i l v e r - selbst anschaut« – und dies ergänzt Hegel noch
t r a g«, jedoch nicht als sittliche Institution, son- durch die traditionellen Prädikate Gottes: Heilig-
dern als »moralische Vereinigung der Gesinnung keit, Macht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit.
in gegenseitiger Liebe und Zutrauen«. Dieser Der Mensch könne sich durch seine Freiheit von
weiter gefaßte Begriff des Moralischen zeigt sich Gott als dem Allgemeinen trennen und »absolut
auch bei der Abhandlung der »Staatspflichten« für sich zu sein« streben, und insofern sei seine
(§§ 53–58): Der Staat gehe über die bloße Natur als böse zu betrachten. Sie sei aber ebenso
Rechtssphäre hinaus und »vermittelt als ein »Gleichheit des Wesens mit sich selbst« und inso-
wahrhaft höheres moralisches Gemeinwesen die fern »an sich göttlicher Natur«, und diese »Er-
Einigkeit in Sitten, Bildung und allgemeiner kenntniß, daß die menschliche Natur der gött-
Denk- und Handlungsweise«. Die »Staatspflich- lichen Natur nicht wahrhaft ein Fremdes ist, ver-
ten« (Gehorsam gegen Regierung, Anhänglich- gewissert den Menschen der göttlichen G n a d e
keit an Fürsten und Verfassung sowie Gefühl der und läßt ihn dieselbe ergreifen, wodurch die
Nationalehre) gründet Hegel nicht auf eine »Be- Ve r s ö h n u n g Gottes mit der Welt oder das Ent-
rechnung« des Vorteils auf Grund der Schutz- schwinden ihrer Entfremdung von Gott zu Stande
funktion des Staates, sondern »auf das Bewußt- kommt.« (GW 10.419 f.)
218 II. Werk

6.1.6. Religionslehre »Gott ist 1) das S e y n in allem Seyn« – also mit


eben der Formel, in der Jacobi den Gehalt des
(1) Die »Religionslehre« trägt Hegel jedoch nicht spinozistischen Gottesbegriffs zusammenfaßt:
nur im Rahmen der »Rechts-, Pflichten- und Reli- »Der Gott des Spinoza, ist das l a u t e r e Prinzi-
gionslehre« vor, sondern vom Schuljahr 1811/12 pium der Würklichkeit in allem Würklichen, des
bis 1815/16 in einem separaten einstündigen S e y n s in allem Daseyn« (JWA 1.39). Das »reine
Kurs, gemeinsam für die Ober- und Mittelklasse. Seyn« interpretiert Hegel mit Hilfe seiner Logik
Und Hegel begrüßt diese Änderung, denn es als »an ihm selbst das Einfache, das negative
scheine ihm »mit jedem Jahr mehr, daß in dem Beziehung auf sich ist; sich selbst bestimmende
Gymnasium fast des philosophischen Unterrichts R e f l e x i o n«, und er fügt schließlich noch als
schon etwas zu viel war; daß nun wegen der dritte Bestimmung hinzu: »Gott ist Subject«, »an
Religion eine Stunde wegfällt, tut etwas.« (an und für sich und Geist«. Den zweiten Teil des
Niethammer, 10.10.11) Zuvor hat er sich jedoch Manuskripts bzw. der Diktatnachschriften bilden
aus anderem Grund lebhaft dagegen ausgespro- Ausführungen »Von der Religion«. Hier entwirft
chen, Religionsunterricht zu erteilen. Noch im Hegel eine dreistufige Religionsgeschichte – von
November 1807 schreibt er an Niethammer: »zu- der »Verehrung Gottes als bildlosen Wesens« über
gleich theologischen Unterricht zu geben, – und die »Religion der Kunst« zur »geistigen Religion«
zwar der den Trichtern, durch welche er weiter (§§ 12–18)(GW 10.197–209).
ans Volk kommen sollte, gemäß ist, – und Logik Unter diesem Titel steht sodann der Kursus des
schreiben, wissen Sie wohl, wäre Weißtüncher Jahres 1812/13. Dennoch behandelt Hegel hier
und Schornsteinfeger zugleich sein, Wiener nicht – wie man nach § 18 des Vorjahres erwarten
Tränkchen nehmen und Burgunder dazu trinken; könnte – die christliche Religion; sein Manu-
[…] Theologie auf einer Universität wollte ich skript bezieht sich sogar überwiegend auf die
gern vortragen und hätte es wohl nach einigen griechische Antike, und im Diktat – das hier
Jahren fortgesetzter philosophischer Vorlesungen etwas freier vom Manuskript abweicht – gibt er
getan, – aber a) a u f g e k l ä r t e Religionslehre, eine Phänomenologie einer »geistigen Religion«:
aber b) für S c h u l e n , aber g) in Bamberg, aber Er handelt von der Notwendigkeit der »Beleh-
d) unter der Aussicht der daraus entstehenden rung«, von der Differenz zwischen endlichem
Ansprüche der christlich protestantischen hie- Geist und reiner Vernunft und schließlich von der
sigen Kirche an mich; – eine Berührung, deren Auffassung der Geschichte »als Werk der Vorse-
Gedanke mir eine Erschütterung durch alle Ner- hung oder als Darstellung des göttlichen Han-
ven gibt, als ob die christliche Kirche eine ge- delns«. Auch die freien Erläuterungen Hegels,
ladene galvanische Batterie wäre, e, y, h u.s.f. – wiedergegeben in den »Anmerkungen«, erwei-
Herr! gib, daß dieser Kelch vorüber gehe!« tern diese Darstellung der »geistigen Religion«
(2) Hegels Stoßgebet ist zwar nicht erhört wor- durch natur- und geistesphilosophische Bestim-
den, doch hat er sich der zunächst gefürchteten mungen, ohne sich jedoch auf eine einzelne Reli-
Aufgabe in einer Weise angenommen, die mit gion zu beschränken (GW 10.210–218).
den Prinzipien seines sonstigen Unterrichts in (3) Die Diktate der Schuljahre 1811/12 und
Einklang steht. Die Kurse aus den Schuljahren 1812/13 wie auch die Anmerkungen zum letz-
1811/12 und 1812/13 sind in einem Manuskript teren zeigen zum einen keine Spur der Religions-
Hegels wie auch in Nachschriften sowohl der auffassung, die sich gleichzeitig in Hegels Brief-
Diktate als auch der freien Erläuterungen Hegels wechsel mit Niethammmer manifestiert und die
durch Meinel (1811–1813) und Abegg (1812– man mit dem späteren Wort als »Kulturprotestan-
1813) überliefert. Hegels Manuskript beginnt zu- tismus« bezeichnen kann (Jaeschke 2003). Zum
nächst mit einer Stoffsammlung, an deren Ende anderen bestätigen sie nicht Hegels Bericht über
er schließlich zu ersten Gliederungsskizzen und seine Lehrgegenstände 1811/12, daß die Gottes-
zu Formulierungen gelangt, die dann auch in die beweise und ihre Kritik durch Kant eine größere
Diktatvorlage eingehen. Im Schuljahr 1811/12 Rolle gespielt hätten. Hegel kommt nur in den
diktiert Hegel zunächst 11 Paragraphen »Über einleitenden, noch wenig strukturierten Partien
den Begriff Gottes«. Er beginnt überraschender, seines Manuskripts auf sie zu sprechen – ob auch
fast provokativer Weise mit der Bestimmung im Kursus, ist nicht bekannt. Auch für die Jahre
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 219

1813/14 und 1814/15 hebt Hegel in seinen Be- Entsprechend der Forderung des Normativs
richten die Gottesbeweise als zentrales Thema trägt Hegel die »Philosophische Enzyklopädie« in
hervor, doch haben sich hierzu keine Zeugnisse allen Schuljahren jeweils in der Oberklasse vor.
erhalten. Die Schlüsselstellung, die er in den Doch obgleich dieser Vortrag somit den Kern
Berichten dem Thema »Gottesbeweise« zuweist, seiner Lehrtätigkeit bildet, steht er gerade der
bringt Hegel auch in seinem Privatgutachten für »Enzyklopädie« sehr distanziert gegenüber. Dies
Niethammer zur Sprache: Kants Kritik der natür- macht er auch in seinem Privatgutachten für
lichen Theologie sei »besonders für einen drei- Niethammer deutlich: »Sie kann nichts Anderes
resp. vierjährigen Kursus nicht unwillkommen«. enthalten, als den a l l g e m e i n e n I n h a l t d e r
»Es hat Interesse, Theils eine Kenntniß von den P h i l o s o p h i e , nämlich die Grundbegriffe und
so berühmten Beweisen vom Daseyn Gottes zu Principien ihrer besondern Wissenschaften«. Sie
geben; – Theils mit der eben so berühmten kant’- gebe nur eine Übersicht, die teils zweckmäßig,
schen Kritik derselben bekannt zu machen; – teils aber überflüssig sei, »weil die in der Ency-
Theils diese Kritik wieder zu kritisiren« (GW klopädie k u r z zu betrachtenden Wissenschaften
10.826). Dieses Thema wird für Hegel damals so in der That schon selbst a u s f ü h r l i c h e r –
wichtig, daß er eine Schrift über die Gottes- g r ö ß t e n t h e i l s d a g e w e s e n s i n d (GW
beweise plant: In der Wissenschaft der Logik 10.826). Nur eine Disziplin trägt Hegel lediglich
verweist er 1816 auf »eine andere Gelegenheit, im Kontext der »Enzyklopädie« vor, die Natur-
den vielfachen Mißverstand, der durch den logi- philosophie – doch diese hält er ohnehin für
schen Formalismus in den ontologischen, so wie weniger geeignet für den Schulunterricht.
in die übrigen sogenannten Beweise vom Daseyn Aus der mißlichen Situation, die »Enzyklopä-
Gottes gebracht worden ist, wie auch die Kanti- die« vortragen zu sollen und doch nicht nur an-
sche Kritik derselben näher zu beleuchten, und derswo ausführlicher Gesagtes in einen flüch-
durch Herstellen ihrer wahren Bedeutung die tigen Überblick zusammendrängen zu wollen,
dabey zu Grunde liegenden Gedanken in ihren hilft Hegel sich durch unterschiedliche Akzentu-
Werth und Würde zurückzuführen.« (GW ierung seines jeweiligen Vortrags. So behandelt
12.129) er in der Oberklasse 1808/09 unter dem Titel der
»philosophischen Vorbereitungswissenschaften«
fast ausschließlich die Logik, gefolgt vom Beginn
6.1.7. Philosophische Enzyklopädie
der Naturphilosophie. Auch in der Oberklasse
(1) Die Entwicklung der genannten einzelnen 1809/10 trägt er bis Ostern 1810 ausführlich die
Disziplinen resumiert sich in der Ausbildung der subjektive Logik vor, und erst in den noch ver-
Architektonik des Systems als ganzen, in der bliebenen Monaten unter dem Titel »System der
»Philosophischen Enzyklopädie«. Ihr gilt zudem besondern Wissenschaften« die Naturphiloso-
ein besonderer Kurs, gefordert durch das Norma- phie. In der Oberklasse 1810/11 übergeht er die
tiv: »In der O b e r - C l a s s e des Gymnasiums Logik (was sich aus den Angaben über seine
endlich werden die zuvor einzeln behandelten Kurse nicht ersehen läßt); er beginnt das »System
Objecte des speculativen Denkens in einer p h i - der besondern Wissenschaften« wiederum mit
l o s o p h i s c h e n E n c y k l o p ä d i e zusammen- der Naturphilosophie und geht von ihr zur
gefaßt.« (66, vgl. R 255) Diesen Titel für die »Lehre vom Geiste« über, so daß er erstmals hier,
Darstellung des Systems insgesamt hat Hegel im dritten Anlauf, den Bogen bis zum Ende des
anscheinend erst aus dem Normativ aufgegriffen. Systems schlägt, wenn auch unter Verzicht auf die
Die deutschsprachige Ankündigung für das Som- »Logik«. Vom Schuljahr 1811/12 an zweigt Hegel
mersemester 1803 lautet zwar bereits »Encyklo- vom vierstündigen Enzyklopädiekursus eine
pädie der Philosophie Hr. Adj[unct] Kirsten und Stunde für die »Religionslehre« ab und trägt nun
nach s. Handb. Hr. D. Hegel« – doch stammen, – wie man dem Überblick über seine Lehrtätig-
wie man aus seinen Korrekturen späterer An- keit entnehmen kann – im Enzyklopädiekursus
kündigungen sehen kann, diese Übersetzungen die »Grundbegriffe der besonderen Wissenschaf-
nicht von Hegel; er selber kündigt »Philosophiae ten in systematischer Ordnung« wohl nochmals
universae delineationem« an (Kimmerle 1967, komprimiert vor, aber weiterhin mit unterschied-
54). licher Akzentuierung der einzelnen Disziplinen.
220 II. Werk

So legt er 1811/12 besonderes Gewicht auf die vermerkt, daß »auf den Unterschied von Sub-
Logik, 1812/13 auf die Naturphilosophie, und jectivem und Objectivem […] kein besonderes
1814/15 übergeht er die Logik ganz zu Gunsten Gewicht zu legen« sei und die Logik »bestimm-
der Geistesphilosophie und insbesondere der Äs- ter« in die des Seins, des Wesens und des Begriffs
thetik, deren Fehlen im Lehrplan er ohnehin für zu gliedern sei (GW 11.32). In der Enzyklopädie
einen »reellen Mangel« hält (s. 203). (1817) hat die Zweigliederung der Logik keine
(2) Aus dem Schuljahr 1808/09 liegt eine bis architektonische Bedeutung mehr. Nicht minder
zur Naturphilosophie reichende, von Hegel für deutlich ist die dichotomische Unterteilung des
das Folgejahr überarbeitete anonyme Diktatnach- »Systems der besonderen Wissenschaften« in
schrift vor (GW 10.61–83), und ebenso aus dem »Naturphilosophie« und »Geistesphilosophie«;
folgenden Jahr 1809/10, die sich jedoch nur auf deren erster Abschnitt gliedert sich wiederum in
das »System der besondern Wissenschaften« er- »theoretischen« (»Phänomenologie« und »Psy-
streckt (GW 10.85–97). Der Kursus 1810/11 ist chologie«) und »praktischen Geist« (»Recht« und
ebenfalls durch eine – in den vier Folgejahren »Moralität«) wie auch der zweite in »Familie« und
überarbeitete – Diktatnachschrift belegt (GW »Staatsgesellschaft« – und lediglich der dritte in
10.311–365), und der Kursus 1812/13 durch die die Trias von Kunst, Religion und Wissenschaft.
Diktatnachschrift Meinel sowie zwei Nachschrif- Seit der Mitte der Nürnberger Jahre nimmt He-
ten der Anmerkungen Hegels durch Abegg und gel eine kontinuierliche triadische Umstrukturie-
Meinel (GW 10.641–792). Somit ist die Entwick- rung des Systems vor – paradigmatisch mit der
lung der »Enzyklopädie« gut belegt, allerdings Ersetzung der Dichotomie von ›spekulativer Phi-
nur für die erste Hälfte der Nürnberger Zeit. losophie‹ und ›Realphilosophie‹ durch die Glie-
Dennoch lassen die erhaltenen Quellen insge- derung der Philosophie in die »drei Hauptwis-
samt – nicht allein zur »Enzyklopädie« – erken- senschaften« Logik, Natur- und Geistesphiloso-
nen, daß Hegels Nürnberger Kurse in einem weit phie im Privatgutachten für Niethammer (GW
höheren Sinne die Entwicklungsgeschichte der 10.826), aber ebenso durch die Aufwertung der
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaf- Dreigliederung der Logik in Seins-, Wesens- und
ten im Grundrisse bilden als die Jenaer System- Begriffslogik wie auch durch die Einfügung der
entwürfe. In den Nürnberger Kursen gewinnt das »Anthropologie« in die Geistesphilosophie zur
System die Form, in der Hegel es im Herbst 1816, Trias von Anthropologie, Phänomenologie und
kurz nach seinem Wechsel nach Heidelberg, als Psychologie oder des »freien Geistes« als des
Kompendium für seine Vorlesungen in Satz gibt. Dritten zum theoretischen und praktischen Geist;
Der Schein, daß Hegel die Enzyklopädie (1817) lediglich die Philosophie des objektiven Geistes
»ungewöhnlich schnell geschrieben« habe (Fulda hat ihre spätere Form noch nicht gefunden.
2003, 126), verdankt sich lediglich der bis zur
Publikation von GW 10 unzureichenden Editi- Erstdruck: W1 XVIII. – Text: GW 10. – Quellen: Fried-
rich Immanuel Niethammer: Philanthropinismus – Hu-
onslage.
manismus. Texte zur Schulreform. Bearbeitet von W.
Ein äußerliches Charakteristikum dieser Ent- Hillebrecht. Weinheim u. a. 1968. Darin 46–67: All-
wicklung besteht in der Vereinheitlichung der gemeines Normativ der Einrichtung der öffentlichen
Architektonik des Systems: Trotz stets vorhande- Unterrichts-Anstalten in dem Königreiche; Teilabdruck
ner triadischer Strukturen dominiert in Nürnberg in R 254–258; Hegels Entwürfe zur Enzyklopädie und
zunächst die dichotomische Gliederung des Sy- Propädeutik nach den Handschriften der Harvard-Uni-
versität. Mit einer Handschriftenprobe. Hg. von Jakob
stems in die »Logik« und das »System der be-
Löwenberg. In: Hegel-Archiv Bd. 1, Heft 1. Leipzig
sonderen Wissenschaften«. Beide sind zudem 1912, 15–58. – Literatur: Gerhart Schmidt: Hegel in
wiederum dichotomisch strukturiert. Auch wenn Nürnberg. Untersuchungen zum Problem der philo-
Hegel schon zu Beginn der Nürnberger Jahre sophischen Propädeutik. Tübingen 1960; Hegels pro-
eine Dreigliederung in objektive Logik, subjek- pädeutische Logik für die Unterklasse des Gymna-
tive Logik und Ideenlehre erwägt, bildet die Ein- siums. Hg. und besprochen von Friedhelm Nicolin. HS
3 (1965), 9–38; Kimmerle: Dokumente zu Hegels Je-
teilung in »objektive« und »subjektive Logik« die
naer Dozententätigkeit (1801–1807). HS 4 (1967);
dominierende und auch in der Wissenschaft der Heinz-Joachim Heydorn: Bildungstheorie Hegels. In:
Logik verwirklichte Gestalt – obschon Hegel be- Heydorn / Gernot Koneffke: Studien zur Sozialge-
reits in der »allgemeinen Eintheilung derselben« schichte und Philosophie der Bildung. II. Aspekte des
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 221

19. Jahrhunderts in Deutschland. München 1973, 6.2. Die Wissenschaft der Logik
85–131; Eva Ziesche: Unbekannte Manuskripte aus der
Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nach-
laß. In: ZphF 29 (1975), 430–444; Friedhelm Schnei- 6.2.1. System der Logik – Wissenschaft
der: Hegels Propädeutik und Kants Sittenlehre. In: der Logik
Hartmann (Hg.): Die ontologische Option (1976),
31–115; Friedhelm Nicolin: Pädagogik – Propädeutik – (1) Die Veröffentlichung eines Buches über »Lo-
Enzyklopädie. In: Otto Pöggeler (Hg.): Hegel. Ein- gik und Metaphysik« – oder in der ausführli-
führung in seine Philosophie. Freiburg / München cheren lateinischen Version: »Logica et Meta-
1977, 91–105; Fragen und Quellen zur Geschichte von
physica sive systema reflexionis et rationis« –
Hegels Nachlaß. I. Dieter Henrich: Auf der Suche nach
dem verlorenen Hegel. II. Willi Ferdinand Becker: kündigt Hegel bereits für das Jahr 1802 an, ohne
Hegels hinterlassene Schriften im Briefwechsel seines damals diese Zusage einlösen zu können. Seit
Sohnes Immanuel. In: ZphF 35 (1981), 585–591 bzw. 1803 verspricht er – mit dem gleichen Erfolg –
592–614; Roland W. Henke: Die didaktischen Prinzi- sogar das Erscheinen eines Kompendiums seines
pien von Hegels Philosophieunterricht, aufgewiesen an gesamten Systems (s. 157). In der Selbstanzeige
der »Rechts-, Pflichten- und Religionslehre für die Un-
seiner Phänomenologie geht er im Juni 1807 da-
terklasse«. Diss. phil. Bonn 1986; Kunio Kozu: Zur
Chronologie von Hegels Nürnberger Fassungen des von aus, daß sein »System der L o g i k als specula-
Selbstbewußtseinskapitels. HS 21 (1986), 27–64; Kunio tiver Philosophie« demnächst in einem Band mit
Kozu: Das Bedürfnis der Philosophie. Ein Überblick den beiden übrigen Teilen der Philosophie, näm-
über die Entwicklung des Begriffskomplexes ›Bedürf- lich den » W i s s e n s c h a f t e n der N a t u r und
nis‹, ›Trieb‹, ›Streben‹ und ›Begierde‹ bei Hegel. Bonn des G e i s t e s«, erscheinen werde (GW 9.447).
1988 (HSB 30); Udo Rameil: Der systematische Aufbau
Aber auch jetzt gelingt es ihm nicht, diese An-
der Geisteslehre in Hegels Nürnberger Propädeutik.
HS 23 (1988), 19–49; Udo Rameil: Die Phänomenologie kündigung einzulösen. Vielmehr gelangt er bei
des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: seiner Weiterarbeit an der Logik ein Jahr später
Lothar Eley (Hg.): Hegels Theorie des subjektiven Gei- (20.5.08 an Niethammer) zu der Einschätzung,
stes in der ›Enzyklopädie der philosophischen Wissen- daß er zur Logik »in Jena kaum den Grund
schaften im Grundrisse‹. Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, gelegt« habe. Deshalb verstreichen bis zum Er-
84–130; Udo Rameil: Bewußtseinsstruktur und Ver-
scheinen auch nur des ersten Bandes der Wissen-
nunft. Hegels propädeutischer Kursus über Geistes-
lehre von 1811/12. In: Franz Hespe / Burkhard Tusch- schaft der Logik, der »objektiven Logik«, noch-
ling (Hg.): Psychologie und Anthropologie des Geistes. mals vier Jahre. Und auch dieser Band wird –
Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 155–187; Udo Rameil: allerdings nicht aus inhaltlichen, sondern aus
Der teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Umfangs- und wohl auch aus Zeitgründen –
Entstehung des Kapitels ›Objektivität‹ in Hegels pro- nochmals unterteilt: Ihr erstes Buch, die Seins-
pädeutischer Logik. HS 28 (1993), 165–191; Texte zu
logik, erscheint im April oder Anfang Mai 1812,
Hegels Nürnberger Phänomenologie. Hg. und erläutert
von Udo Rameil. HS 29 (1994), 9–61; Hegels ›Philo- ihr zweites, die Wesenslogik, trotz des Erschei-
sophische Enzyklopädie‹ in Nürnberg. Mit einer Nach- nungsdatums 1813 bereits im Dezember 1812.
schrift von 1812/13 hg. und erläutert von Udo Rameil. Doch bis zum Erscheinen des zweiten Bandes,
HS 30 (1995), 9–38; Udo Rameil: Die Entstehung der der subjektiven Logik, verstreichen abermals vier
›enzyklopädischen‹ Phänomenologie in Hegels propä- Jahre. Diese Verzögerungen sind fraglos auch
deutischer Geisteslehre in Nürnberg. In: Köhler / Pög-
durch äußere Umstände bedingt – teils durch
geler (Hg.): Hegel. Phänomenologie des Geistes. Berlin
1998, 261–287; Kunio Kozu: Bewußtsein und Wissen- Hegels aufwendige Amtstätigkeit (s. 30 f.), teils
schaft. Zu Hegels Nürnberger Systemkonzeption. durch die erfreulichen Veränderungen in seinem
Frankfurt am Main u. a. 1999; Udo Rameil: Aufbau und Privatleben. So schreibt er am 5.2.12 an Niet-
systematische Stellung der Ideenlehre in Hegels pro- hammer: »Es ist keine Kleinigkeit, im ersten
pädeutischer Logik. In: Ulrich Vogel / Burkhard Tusch- Semester seiner Verheuratung ein Buch des ab-
ling (Hg.): Hegels enzyklopädisches System der Philo-
strusesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben. –
sophie. Stuttgart-Bad Cannstatt 2003; Fulda: Hegel
(2003); Jaeschke: Hegels Begriff des Protestantismus. Aber injuria temporum! Ich bin kein Akademi-
In: Richard Faber / Gesine Palmer (Hg.): Der Prote- kus; zur gehörigen Form hätte ich noch ein Jahr
stantismus – Ideologie, Konfession oder Kultur? Würz- gebraucht, aber ich brauche Geld, um zu leben.«
burg 2003, 77–91; Kunio Kozu: Bewusstsein, Idee und (2) Entsprechend der Veränderung seiner Lo-
Realität im System Hegels. Frankfurt am Main 2007; gik-Konzeption kündigt er das Werk nun nicht
Klaus Grotsch: Editorischer Bericht zu GW 10.
mehr, wie in Jena, unter dem Titel »Logik und
222 II. Werk

Metaphysik« an, sondern als »System der Logik« 6.2.2. Metaphysik als Logik
– so bereits in der Selbstanzeige der Phänomeno-
logie und noch im Katalog für die Ostermesse (1) Eine allgemeine Charakteristik des Pro-
1812 (GW 12.322–325). Daß das Werk bei seinem gramms der Wissenschaft der Logik kann sich auf
Erscheinen statt dessen den Titel Wissenschaft die Ausführungen zum Status dieses Systemteils
der Logik trägt, ist wohl nicht als programmati- stützen, die Hegel primär in dessen einleitenden
sche Akzentuierung des Wissenschaftsanspruchs Partien (unter Einschluß der »Drei Stellungen
dieses Werkes zu verstehen, der ohnehin im Titel des Gedankens zur Objectivität« in der Enzy-
»System der Wissenschaft« (GW 9.1) mit hin- klopädie) vorträgt. Denn das Selbstverständnis,
länglicher Bestimmtheit erhoben wird. Es han- das sich in ihnen ausspricht, steht im Einklang
delt sich wahrscheinlich um eine Reaktion auf sowohl mit den Tendenzen der Entwicklungsge-
den für Hegel ärgerlichen Umstand, daß im schichte seiner Logik als auch mit ihrer
Herbst 1811 bereits ein System der Logik er- 1812–1816 publizierten Konzeption – auch wenn
schienen ist – und zwar aus der Feder seines Hegel in den genannten Anfangspartien der Lo-
Gegners Jakob Friedrich Fries. Dieses System gik kaum auf ihren zweiten Band, die »subjektive
und namentlich die beigegebenen »Erläuterun- Logik«, vorausblickt. Dies mag damit zusammen-
gen« bezeichnet Hegel – in der wohl längsten und hängen, daß Hegel zur Zeit der Abfassung der
schärfsten Polemik, die sich in seinen Briefen Einleitungspartien die »subjektive Logik« noch
findet, als »gänzlich seicht, geistlos, kahl, trivial, nicht ausgearbeitet vorgelegen hat. Aber auch bei
das saloppste erläuternde unzusammenhängend- der späteren Überarbeitung dieser Partien, in der
ste Kathedergewäsche, das nur ein Plattkopf in zweiten Auflage, kommt der »subjektiven Logik«
der Verdauungsstunde von sich geben kann.« (an keine gleichrangige Bedeutung für die Entwick-
Niethammer, 10.10.11; vgl. GW 11.23; 12.311 f.) lung des Programms der Logik zu. Dieser An-
(3) In der Wissenschaft der Logik findet die nahme einer Koinzidenz von Selbstdarstellung
Logik – nach einem Jahrzehnt der Arbeit an ihr – und Durchführung widerspricht die – hermeneu-
als die nunmehr erste Disziplin des Systems ihre tisch folgenreiche – Einschätzung, Hegel tue »mit
gültige, wenn auch nicht endgültige Form. In fast unglaublicher Virtuosität, wovon er zugleich
veränderter Fassung geht sie in die drei Auflagen nicht weiß, was es ist«, so daß es die Aufgabe des
der Enzyklopädie und somit auch in Hegels Hei- Interpreten sei, die »Sache« gegen Hegels bloße
delberger und Berliner »Vorlesungen über Logik »Meinung« von ihr zu vertreten und dem von der
und Metaphysik« ein (s. 327 ff.). Seit 1827, als nur »Bewußtlosigkeit über sein eigenes Tun« geplag-
noch geringe Bestände der Erstauflage der Wis- ten Verfasser der Logik »zu einem angemessenen
senschaft der Logik verfügbar sind, trägt Hegel Bewußtsein dessen zu verhelfen, was er faktisch
sich mit dem Plan einer Neuausgabe, und hierfür tut« (Theunissen 1978, 88 f. u. ö.).
sieht er eine »Umschmelzung in vielen Partien«, Eine andere Frage ist es, ob Hegel das Pro-
die »eine längere Zeit erfodert« (an den Verlag gramm seiner Logik vielleicht deshalb nicht stets
Schrag, 29.10.27) als notwendig an. Im Januar mit der erforderlichen Präzision zu formulieren
1831 beendet er die Neubearbeitung; die Vorrede vermochte, weil ihm zu seiner Zeit eine hierfür
zu ihr, zur »Lehre vom Seyn«, unterzeichnet er angemessene Wissenschaftssprache noch gar
am 7.11.31, eine Woche vor seinem Tod. Er plant nicht zur Verfügung gestanden hat. Seine Logik
auch die Überarbeitung der restlichen Teile der sei zu verstehen als eine »Metalogik«, als » a l l -
Logik und verspricht der Setzerei, sie »in einigen g e m e i n e M e t h o d e n l e h r e des reflektieren-
Wochen« nach dem Druck des ersten Teils zu den Denkens und am Ende der Philosophie über-
liefern – doch haben sich hierzu keine Zeugnisse haupt« (Stekeler-Weithofer 1992, XVI,9), als
erhalten (GW 21.400–403). » M e t h o d e n l e h r e jeder […] B e d e u t u n g s -
Erstdruck: Bd. 1, Buch 1 (Seinslogik): Nürnberg 11812, o d e r S i n n a n a l y s e« und eben damit als
Stuttgart und Tübingen 2 1832; Bd. 1, Buch 2 (Wesens- » s p e k u l a t i v e W i s s e n s c h a f t« (ebd. 21).
logik): Nürnberg 1813; Bd. 2 (Begriffslogik): Nürnberg Diese Interpretationsrichtung stellt Hegels Logik
1816. - Text: GW 11–12 ; GW 21 (Seinslogik 2. Auflage). in den Horizont einer einflußreichen Strömung
– Quellen: Jakob Friedrich Fries: System der Logik. Ein
der Gegenwartsphilosophie; sie erschließt jene
Handbuch für Lehrer und zum Selbstgebrauch. Heidel-
berg 1811. mit deren Instrumentarium, formuliert sie in der
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 223

Sprache der Gegenwartsphilosophie und begreift formuliert er auch das Programm seiner Logik im
sie als einen in vielfacher Hinsicht antizipatori- Rückbezug fast auschließlich auf diesen, obgleich
schen Beitrag, der heute nicht allein diskutabel, Hegel sich an anderer Stelle – insbesondere in
sondern sogar geeignet sei, als Korrektiv gegen seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen –
Verkürzungen in der Gegenwartsphilosophie zu ausführlich auch auf Fichte und Schelling als
wirken. Vorläufer seines eigenen Ansatzes beruft. Die von
Trotz der fraglosen Berechtigung eines solchen ihm diagnostizierte Verschiebung im Gefüge von
Versuchs basiert die folgende Skizze auf der Prä- Logik und Metaphysik spricht Hegel sehr poin-
misse, daß Hegel sehr wohl über einen adäquaten tiert aus: Die kritische Philosophie habe bereits
Begriff der Problemstellung der von ihm entwor- die Metaphysik zur Logik gemacht (GW 11.22).
fenen »Wissenschaft« verfüge – wenn auch nicht Eine derartige Identifikation beider Disziplinen
aller ihrer problemgeschichtlichen Voraussetzun- hat letztlich nicht in Kants Absicht gelegen, doch
gen oder jedes einzelnen Gedankenschrittes ih- ist sein Ansatz nicht allein von Hegel so ver-
rer Durchführung – und daß es darauf ankomme, standen worden, sondern etwa auch von Jacobi
dieses Selbstverständnis zu entfalten. (JWA 2.136) und von Fichte – und dies nicht ohne
(2) Die oben (s. 201) zitierte Einschätzung Grund.
Hegels, er habe zur Logik »in Jena kaum den Kant versteht ja die »transzendentale Logik« als
Grund gelegt«, beruht auf dem fundamentalen eine »Wissenschaft, welche den Ursprung, den
Konzeptionswandel dieser Wissenschaft, der für Umfang und die objektive Gültigkeit« von Er-
seinen letzten Jenaer Systementwurf und für die kenntnissen a priori bestimmt (B 76–82). Damit
Bamberger Arbeitsphase zu vermuten, in der gewinnt die »transzendentale Logik« eine Schlüs-
Nürnberger Propädeutik zu erkennen und in der selstellung für die Antwort auf die Frage, wie
Wissenschaft der Logik ausgearbeitet und be- Metaphysik als Wissenschaft möglich sei. Logik
gründet ist. Sie vereinigt nun die »Logik« mit und Metaphysik stehen hierdurch nicht in einem
einem Restbestand der »Metaphysik« des Jenaer bloß engeren Verhältnis als in der Tradition, aber
Systementwurfs II, »Erkennen als System von doch weiterhin als eigenständige Disziplinen;
Grundsätzen«, das inhaltlich ohnehin der Logik vielmehr beruht die epistemologische Legitimität
und nicht der Metaphysik zuzuordnen ist. und Dignität der Metaphysik ausschließlich auf
Diese Absorption der Metaphysik durch die der transzendentalen Logik. Hinzu tritt der Um-
Logik läßt sich nicht vor dem Hintergrund der stand, daß Kant die Transzendentalphilosophie
Entwicklungsgeschichte Hegels allein erörtern. als »System aller Prinzipien der reinen Vernunft«
Die Eigenständigkeit der beiden traditionell un- nicht ausarbeitet (B 25–27) und somit nicht ver-
terschiedenen Disziplinen reicht ja bis in den deutlicht, ob und gegebenenfalls wie sich eine
Anfang der Differenzierung der Philosophie in künftige »Metaphysik als Wissenschaft« von der
Disziplinen im antiken Aristotelismus zurück. In »transzendentalen Logik« unterschiede. Dies
dessen Organon findet – neben anderem – auch wird von seinen Nachfolgern als Indiz dafür ge-
die spätere Logik im Sinne einer ›Wissenschaft wertet, daß er die »transzendentale Logik« als
von den Denkgesetzen‹ ihren systematischen legitime Nachfolgedisziplin der früheren Meta-
Ort, während die später so genannte Metaphysik physik verstanden wissen will. Zudem kann He-
als ›Wissenschaft von den Prinzipien‹ von ihr gel auch ausdrückliche Aussagen Kants für seine
unterschieden ist. Allerdings berühren sich beide Deutung in Anspruch nehmen – etwa dessen
Disziplinen bereits bei Aristoteles: Insbesondere Formulierung, man könne die Kopernikanische
die in der Kategorienschrift des Organon – als Wende in »der Metaphysik« »auf ähnliche Weise
einer semantischen Analyse – aufgestellten Kate- versuchen«, und die hieran anschließende, mit
gorien gewinnen in anderen Kontexten seiner den beiden Teilen der transzendentalen Logik
Philosophie zugleich ontologische Bedeutung; identische Zweiteilung der »Metaphysik« (B
sie gelten sowohl als Prädikations- wie auch als XVII-XIX).
Seinsformen. Die Ersetzung der traditionellen »metaphysica
Die nähere Vorgeschichte von Hegels Verbin- generalis« oder »Ontologie« durch den ersten Teil
dung der beiden Disziplinen beginnt – nach sei- der transzendentalen Logik, die »transzendentale
nem Selbstverständnis – mit Kant, und deshalb Analytik«, bildet zudem nur den einen – und eher
224 II. Werk

noch glimpflichen – Aspekt der Metaphysikkritik lich vollständigen und methodisch geregelten –
Kants. Die »transzendentale Logik« entscheidet Aufstellung der Denkbestimmungen zu lösen,
vor allem insofern über das Geschick der Meta- das Kant – in Hegels Augen – mit seiner Kritik an
physik, als sie in ihrem negativen Teil, als »trans- Aristoteles’ empirischem Aufraffen der Katego-
zendentale Dialektik«, die Destruktion der vor- rien und mit der Ableitung der Kategorientafel
kritischen metaphysica specialis vollzieht – der aus der Urteilstafel (B 107) zwar gestellt, aber
rationalen Psychologie, Kosmologie und Theo- sowohl dem Umfang nach als auch methodolo-
logie. Die traditionellen Problemfelder dieser gisch verfehlt hat.
Disziplinen werden jedoch nicht in die neue »Lo- Den ersten Teil seiner Logik, die »objektive
gik« integriert – auch wenn Kant den Themen der Logik«, konzipiert Hegel als Nachfolgedisziplin
rationalen Psychologie und Theologie – Gott und sowohl der traditionellen Ontologie als zugleich
Unsterblichkeit der Seele – in der Kritik der der »transzendentalen Analytik« Kants, die ja be-
praktischen Vernunft eine neue, philosophiege- reits die Umformung der Metaphysik in Logik
schichtlich gesehen allerdings ephemere Funk- vorwegnimmt, und er nennt sie deshalb mehr-
tion zuweist. fach die »metaphysische oder ontologische Lo-
(3) Die Grundlinien des Hegelschen Ansatzes gik« (u. a. an Niethammer, 5.2.12). Über diese
sind durch diese problemgeschichtliche Situation Zusammenhänge hat Hegel sich prägnant in sei-
der transzendentallogischen Kritik Kants an der nem Privatgutachten für Niethammer ausgespro-
traditionellen Metaphysik weitgehend vorge- chen, also im Jahr der Publikation des ersten
zeichnet. Hegel macht sich auch das negative Bandes seiner Logik. Dennoch wird diese zen-
Resultat zu eigen: die Zerstörung der metaphy- trale Aussage für die Interpretation der Logik nur
sica specialis der Schulphilosophie. Trotz seiner selten herangezogen: »Nach meiner Ansicht des
Klage über den Verlust der Metaphysik zu Beginn Logischen fällt ohnehin das M e t a p h y s i s c h e
der Logik bilden rationale Psychologie, Kosmo- ganz und gar dahinein. Ich kann hiezu Kant als
logie und Theologie nicht mehr einen Teil seiner Vorgänger und Autorität citiren. Seine Kritik re-
neuen – mit der Metaphysik identischen – Logik. ducirt das seitherige Metaphysische in eine Be-
Der Problembereich der metaphysica generalis, trachtung des Verstandes und der Vernunft. Logik
der Ontologie, den Kants »transzendentale Dia- kann also nach kant’schem Sinne so genommen
lektik« hingegen nicht pauschal in Frage stellt, werden, daß außer dem gewöhnlichen Inhalt der
sondern den Bedingungen des transzendental- sogenannten a l l g e m e i n e n Logik, die von ihm
philosophischen Ansatzes gemäß reformuliert, als t r a n s c e n d e n t a l e Logik bezeichnete, da-
erhält auch bei Hegel eine veränderte systemati- mit verbunden und vorausgeschickt wird; näm-
sche Stellung: Die Seinsbestimmungen der tradi- lich dem Inhalte nach die Lehre von den K a t e -
tionellen Metaphysik, die nicht in gleicher Weise g o r i e n , R e f l e x i o n s - B e g r i f f e n , und dann
aus einer philosophischen Prinzipienlehre ver- den Ve r n u n f t b e g r i f f e n . – A n a l y t i k und
wiesen werden können wie der Themenbestand D i a l e k t i k . – Diese objektiven Denkformen
der speziellen Metaphysik, werden als Denkbe- sind ein selbstständiger Inhalt, die Parthie des
stimmungen erkannt und abgehandelt. Ontologie aristotelischen O r g a n o n d e c a t e g o r i i s , –
ist nur noch als Logik möglich. oder die vormalige O n t o l o g i e . Ferner sind sie
Demgemäß sieht Hegel seinen eigenen Ort in unabhängig vom metaphysischen System; – sie
der Problemgeschichte des Verhältnisses von Lo- kommen beim transcendentalen Idealismus eben
gik und Metaphysik auf der Basis dieser prinzi- so sehr vor, wie beim Dogmatismus; dieser nennt
piellen, in seinen Augen durch Kant eingeleiteten sie Bestimmungen der E n t i u m , jener des Ver-
Vereinigung beider. Er versteht seine eigene Kon- standes. – Meine objektive Logik wird, wie ich
zeption einer (Metaphysik und Logik umfassen- hoffe, dazu dienen, die Wissenschaft wieder zu
den) Wissenschaft der Logik als eine Wiederauf- reinigen, und sie in ihrer wahren Würde darzu-
nahme des Kantischen Programms – freilich als stellen. Bis sie mehr gekannt wird, enthalten jene
eine Erneuerung, die eine Reihe von Inkonse- kant’schen Unterscheidungen bereits das Noth-
quenzen und Fehleinschätzungen dieses Pro- dürftige oder Grobe davon.« (GW 10.825 f.)
gramms zu beseitigen hat. Er weist ihr die Auf- (4) Und nicht allein nach dieser Seite der prin-
gabe zu, das Problem der systematischen – näm- zipiellen Programmatik erweist sich Kants
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 225

»transzendentale Logik« als bestimmend für He- Vernunftbegriffen einerseits und der Operations-
gels Konzeption, sondern auch im Detail: Die formen des Urteilens und des Schließens an-
Struktur der Kategorientafel Kants zeichnet sogar dererseits.
die Binnenstruktur der »objektiven Logik« He- Diese erst seit dem Bamberger Neuansatz der
gels vor. Den Kernbestand ihres ersten Buches, Arbeit an der Logik gewonnene Einsicht führt
der Lehre vom Sein, bilden – wenn auch in Hegel zur Umkehrung des früheren Verhältnisses
umgekehrter Reihenfolge, wie Hegel selber kri- von Logik und Metaphysik: In den Jenaer Ent-
tisch anmerkt (GW 11.41) – Kants Kategorien- würfen hat die Logik der Metaphysik gegenüber
gruppen der Quantität und der Qualität – und eine vorbereitende Funktion (s. 151); nun nimmt
nicht allein diese Titel, sondern auch die unter die Logik die transformierten Restbestände der
ihnen stehenden Kategorien, wie etwa die Quali- Metaphysik in sich auf, und dadurch wird sie zum
tätskategorien Realität, Negation, Limitation. Zu »System der reinen Vernunft« schlechthin (GW
ihnen tritt in der Grundstruktur seit der »Logik 11.21). Dieser prinzipielle Wandel läßt Hegel – in
(Mittelklasse 1810/11)« die Kategorie des Maßes durchaus angemessener Einschätzung seiner Vor-
als dritte hinzu – neben einer Reihe von Be- arbeiten – sagen, er habe zur Logik »in Jena kaum
stimmungen (etwa »Sein« und »Nichts«), die He- den Grund gelegt« (s. 201).
gel der traditionellen Ontologie entnimmt – etwa
Baumgartens Metaphysica, § 7 – und dem neuen
6.2.3. Logik als Metaphysik
Kontext einfügt. In ähnlicher Weise bilden Kants
Relations- und Modalkategorien den bereits in (1) Ungeachtet der dominierenden Rolle der
den propädeutischen Logikentwürfen präsenten »transzendentalen Logik« Kants und ihrer Kate-
und stabilen, wenn auch später vielfach erweiter- gorien und Reflexionsbegriffe sowohl für die the-
ten kategorialen Grundbestand des zweiten matischen Begriffe als auch für die Struktur der
Buches der »objektiven Logik«. »objektiven Logik« (und in der Folge für die
(5) Während somit die traditionelle Ontologie Gesamtkonzeption der Logik) gibt Hegel den
und Kants »transzendentale Logik« den Themen- Denkbestimmungen jedoch eine Kant-kritische
bereich der »objektiven Logik« Hegels vorgeben systematische Bedeutung. Denn in Hegels Augen
und auch ihre interne Struktur präformieren, bil- geht Kant bei seiner Ersetzung der Ontologie
det die »allgemeine Logik« – die Begriffs-, Ur- durch die transzendentale Logik einen Schritt zu
teils- und Schlußlehre, und nicht speziell in ihrer weit: Er macht zwar die Metaphysik zur Logik,
Kantischen Form – den im Wechsel der Entwürfe gibt aber »aus Angst vor dem Object den logi-
beharrenden Kern der »subjektiven Logik«, auch schen Bestimmungen eine wesentlich subjective
wenn diese – als Aufstellung von Vernunftbe- Bedeutung« (GW 11.22). Diesen Fehler schreibt
griffen – schon in den frühesten Propädeutiken Hegel ebenso dem »späteren Idealismus« – also
mehr ist als »allgemeine Logik«. Somit werden Fichte und dem frühen Schelling – zu: Er besei-
die beiden früher eigenständigen Disziplinen tige zwar das Gespenst des Kantischen Ding-an-
»Metaphysik« und »Logik« zur Wissenschaft der sich, verstärke aber somit die Tendenz zur Sub-
Logik als »spekulativer Logik« umgeformt – als jektivierung und gelange zu einem noch radika-
Folge der durch die »transzendentale Logik« her- leren, konsequenten Idealismus – statt, wie He-
aufgeführten systematischen Transformation: gel es für geboten hält, nicht allein mit Kants
Denn wenn die Seinsbestimmungen der früheren »transzendentaler Deduktion« die objektive Gül-
Ontologie von der kritischen Philosophie als tigkeit der Denkbestimmungen, sondern auch
Denkbestimmungen erkannt sind, so ist auch die ihre Bedeutung als Seinsbestimmungen zu si-
Kluft überwunden, die die frühere Metaphysik chern und das Denken als »objektives Denken« zu
(als Lehre von Seinsbestimmungen) von der Lo- begreifen (GW 11.19).
gik (als Lehre von Denkgesetzen) trennt. Beide Diesen Schritt von der subjektiven Auffassung
Disziplinen haben dann dasselbe Thema: die der Denkbestimmungen zu ihrer Erkenntnis als
Eine Vernunft oder das Denken – und zwar diffe- Bestimmungen des »objektiven Denkens« sieht
renziert nach den beiden auch von Kant hervor- Hegel erst durch seine Phänomenologie des Gei-
gehobenen unterschiedlichen Funktionen des stes vollzogen. Er nennt sie die »Deduction« des
Denkens, der Ausbildung von Verstandes- und Begriffs der reinen Wissenschaft und fügt sogar
226 II. Werk

noch hinzu, daß der Begriff der Wissenschaft Logik der Reflexion. Hegel-Tage Chantilly 1971. HSB
»keiner andern Rechtfertigung fähig« sei (GW 18 (1978); Michael Theunissen: Sein und Schein. Die
kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt am
11.20) – und diese frühen Aussagen, die der
Main 1978; dazu Fulda / Horstmann / Theunissen
Phänomenologie eine herausragende Bedeutung (Hg.): Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Dis-
zusprechen, wiederholt Hegel unverändert auch kussion über Hegels »Logik«. Frankfurt am Main 1980;
in seiner späten Überarbeitung (GW 21.32 f.) In- Klaus Hartmann: Die ontologische Option. In: Hart-
dem die Phänomenologie »die Befreyung von mann (Hg.): Die ontologische Option, 1–30; Stefan
dem Gegensatze des Bewußtseyns« vollbringt Majetschak: Die Logik des Absoluten. Spekulation und
Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels. Berlin 1992;
(GW 11.21), überwindet sie den vermeintlich
Hermann Schmitz: Hegels Logik. Bonn 1992; Pirmin
fixen Gegensatz zwischen subjektiven Bewußt- Stekeler-Weithofer: Hegels Analytische Philosophie.
seinsinhalten und objektiver Welt. Trotz der in- Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der
zwischen erfolgten materialen Einbeziehung ei- Bedeutung. Paderborn u. a. 1992; Klaus Hartmann: He-
nes Teilgebiets der Phänomenologie in die »Gei- gels Logik. Berlin / New York 1999; Iris Harnisch-
steslehre« (s. 209f.) bekräftigt Hegel hier die Funk- macher: Der metaphysische Gehalt der Hegelschen
Logik. Stuttgart-Bad Cannstatt 2001; Fulda: Hegel
tion der Phänomenologie als einer »Einleitung«
(2003), 93–126; Hoffmann: Hegel 2004, 278–383; Mi-
in das System – freilich nicht im Sinne einer chael Spieker: Wahres Leben denken. Über Sein, Leben
didaktischen Heranführung an es, sondern seiner und Wahrheit in Hegels Wissenschaft der Logik. Ham-
begrifflichen und bewußtseinsgeschichtlichen burg 2009 (HSB 51).
»Rechtfertigung«, »daß die Wahrheit das reine
Selbstbewußtseyn sey, und die Gestalt des Selbsts
habe, daß d a s a n s i c h s e y e n d e d e r B e g r i f f , 6.2.4. Methode
und d e r B e g r i f f d a s a n s i c h s e y e n d e ist.« Ich habe manche Zeit damit verloren,
Die »Befreyung von dem Gegensatze des Be- Denn ein vollkommner Widerspruch
wußtseyns« erhebt die Denkbestimmungen über Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für
den subjektiven, Ȋngstlichen, unvollendeten Thoren.
Standpunkt« und resultiert im Begriff des »ob- Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
jectiven Denkens«, im » G e d a n k e n , i n s o f e r n Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
er eben so sehr die Sache an sich selbst Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
i s t«, und: »Dieses objective Denken ist denn der So schwätzt und lehrt man ungestört;
I n h a l t der reinen Wissenschaft.« (GW 11.20 f.) Wer will sich mit den Narrn befassen?
(2) Trotz der materialen Affinität der Hegel- Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur
schen Logik zur Transzendentallogik Kants ist Worte hört,
ihre systematische Intention – und im Einklang Es müsse sich dabei doch auch was denken
lassen.
hiermit ihre gesamte Konzeption – somit durch- Faust. Hexenküche.
greifend verändert: Ihre Aufgabe ist es nicht zu
zeigen, wie unter der Voraussetzung der als (1) Um diesen Mephistophelischen Zweifel zu
Denkbestimmungen, als Leistungen der Subjek- zerstreuen, muß die Erkenntnis der Denkbe-
tivität erkannten logischen Bestimmungen Ob- stimmungen an ihnen selbst in einer Wissen-
jektivität konstituiert werde und Erfahrung mög- schaft der Logik zwei Bedingungen genügen: Auf
lich sei. Es geht ihr einzig um die Erkenntnis Grund ihres Wissenschaftsanspruchs erfordert
dieser Bestimmungen an ihnen selbst: »wie sie an sie – zum einen – ein Prinzip oder Instrumenta-
und für sich, ohne eine solche Beschränkung und rium zur Sicherung der Vollständigkeit der Denk-
Rüksicht [sc. auf ihren vermeintlich subjektiven bestimmungen und somit zur Abgrenzung ihres
Ursprung], das Logische, das Rein-vernünftige Bereichs. Eine derartige Forderung ist keines-
sind.« (GW 11.22) Als solches sind sie selbst »das wegs Hegel eigentümlich; schon Kant erhebt sie
Wahre«, ja die Wahrheit und Wirklichkeit selbst – für seine »transzendentale Logik« gegenüber Ari-
und in diesem spezifischen Sinne ist die »Logik« stoteles’ »empirischem Aufraffen« der Denkbe-
eben zugleich »Metaphysik«. stimmungen, und er sucht sie durch seinen –
Literatur: Fulda: Problem einer Einleitung (1965); Dü- nicht unproblematischen – Rückgriff auf die »Ur-
sing: Problem der Subjektivität in Hegels Logik (11976); teilstafel« der »allgemeinen Logik« zu erfüllen (B
Henrich (Hg.): Die Wissenschaft der Logik und die 104 f.). Da Hegel diese Begründungsstrategie als
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 227

zirkulär, als Vorgriff auf ein erst im Gang der der sich auf sie stützenden subjektiven, »äußeren
Logik zu erweisendes Prinzip verwirft, ist er ge- Reflexion« hineinnehmen darf – auch wenn He-
nötigt, ein alternatives Verfahren zur Sicherung gel auf Grund seiner veränderten Fragerichtung
der Vollständigkeit der Denkbestimmungen zu die erfahrungskonstituierende Funktion der
entwickeln. Denkbestimmungen weniger emphatisch betont
Aus dem nämlichen Grund erfordert die Er- als Kant. Und aus der Stellung der Logik als
kenntnis der Denkbestimmungen – zum anderen »erster Philosophie« folgt, daß dieser Gang sich
– die methodisch geregelte Erkenntnis ihres Ge- auf Grund interner Evidenzen selbst organisieren
samtzusammenhangs – sonst wäre die Wissen- sein muß. Entgegen dem üblichen Verständnis
schaft der Logik weder »Wissenschaft« noch »Lo- kann ihre »Methode« nicht ein dem Inhalt äußer-
gik«, sondern eine auf die Analyse einzelner Be- liches Prinzip der zweckmäßigen Anordnung des
griffe oder partikulärer Begriffsaggregationen Inhalts sein, das zur freien Disposition des Autors
ausgerichtete begrenzte Semantik. Und auch für steht. Sie ist gar nichts von der internen Organi-
diese über Kant hinausgehende, für den Wissen- sation des Inhalts Unterschiedenes, sondern die
schaftsanspruch der Logik konstitutive Forde- Rekonstruktion begrifflicher Relationen. Da
rung beruft Hegel sich wiederum auf die Tradi- diese Relationen jedoch nicht bloß partiell oder
tion der Transzendentalphilosophie: Fichte habe gar punktuell auftreten, erwächst aus ihrem
das (zwar nicht »unendliche«, aber immerhin) Nachvollzug die Wissenschaft der Logik als »Sy-
»tiefe Verdienst, daran erinnert zu haben, daß die stem der Logik« oder als das von Kant geforderte,
D e n k b e s t i m m u n g e n in ihrer N o t h w e n - aber nicht verwirklichte »System der reinen Ver-
d i g k e i t aufzuzeigen, daß sie wesentlich a b - nunft« (GW 11.21).
z u l e i t e n seyen.« (§ 42) Der Methodenbegriff der Logik läßt sich somit
Diese Forderung, die Denkbestimmungen »in als notwendiges Implikat ihres Begriffs erfassen.
ihrer N o t h w e n d i g k e i t« abzuleiten, läßt sich Die Möglichkeit einer diesen Begriff realisieren-
jedoch nicht durch Rückgriff auf ein vorausge- den Wissenschaft beruht somit auf der internen
setztes Prinzip erfüllen. Denn als ›prima philo- Verfassung der in ihr abzuhandelnden Denkbe-
sophia‹ kann die Logik sich nicht auf eine andere, stimmungen. Sie muß von einer Art sein, die es
ihr vorausgehende Wissenschaft berufen, die ein erlaubt, einen logik-immanenten, umfassenden
solches Deduktionsprinzip zur vollständigen Er- und wohlgeordneten Zusammenhang der Denk-
fassung ihres Bereichs und für dessen innere bestimmungen aufzuweisen, der als Übergang
Strukturierung bereitstellte. Sie ist die sich selber von der einen Denkbestimmung zur anderen ver-
begründende Wissenschaft und muß deshalb in- standen werden kann und sich in deren voll-
nerhalb ihrer selbst ein Verfahren entwickeln und ständigem System vollendet. Er darf deshalb
zugleich begründen, das sich als geeignet zeigt, nicht als eine bloß statische Begriffshierarchie
den beiden genannten Forderungen gerecht zu gedacht werden, sondern muß sich als dyna-
werden. Sie erweisen sich damit als wesentlich mischer Zusammenhang ihrer Erzeugung, als
auf einander bezogen: Mangels eines vorauszu- »Selbstbewegung« des Begriffs (GW 11.24) er-
setzenden Prinzips, das die Zahl und Ordnung kennen und rekonstruieren lassen.
der Denkbestimmungen bestimmte, kann die (2) Diese Bewegung stellt Hegel unter das
Vollständigkeit ihrer Verzeichnung wie auch ihre Stichwort »Dialektik« – obgleich dieser Titel auf
Ordnung und die spezifische Form ihres Zusam- seine Zeitgenossen eher als ein Indiz für die
menhangs allein auf Grund der methodisch kon- Fragwürdigkeit seines Unternehmens gewirkt
trollierten Rekonstruktion ihrer Totalität gesi- haben dürfte. In der bis in die Antike zurück-
chert werden. reichenden Geschichte des Wortes »Dialektik«
Hierin liegt der Grund sowohl der Bedeutung dient es zwar über lange Strecken hinweg und bis
der »Methode« für Hegels Logik als auch der in die frühe Neuzeit als Äquivalent für »Logik«.
Anforderungen, denen diese gerecht werden Doch läßt die spezifische Bedeutung, die Kant
muß. Aus ihrem Wissenschaftsanspruch folgt, der »Dialektik« gibt, Hegels Wortwahl zunächst
daß sie die Denkbestimmungen in einem rein als ungeschickt, wenn nicht als verräterisch er-
immanenten Gang entwickeln muß: daß sie scheinen: Für Kant ist »Dialektik« ja eine »Logik
nichts von »außen«, d. h. aus der Erfahrung oder des Scheins«. Seine »transzendentale Dialektik«
228 II. Werk

versteht sich deshalb – entgegen der unmittel- Vernunft, sich in einem Bereich jenseits der Er-
baren Wortbedeutung – gerade nicht als »Dialek- fahrung zu bewegen, sondern als Einsicht in die-
tik«, sondern als » K r i t i k des d i a l e k t i s c h e n jenige interne Verfassung der Vernunft, die die
S c h e i n s« (B 86), als Aufdeckung der » n a t ü r - Voraussetzung der Einlösung des Programms der
l i c h e n und unvermeidlichen I l l u s i o n«, die Logik bildet – und darüber hinaus als Einsicht in
allen Urteilen anhängt, die über den Bereich der die Verfassung von Wirklichkeit überhaupt. Diese
Erfahrung hinausgehen (B 354). Umdeutung der Einsicht und Intention Kants bil-
Gleichwohl gibt gerade Kants Kritik der Dia- det die Voraussetzung von Hegels Kritik der
lektik den Ausschlag für Hegels Wortwahl. Denn Lehre von der »Antinomie der reinen Vernunft«,
in Kants »transzendentaler Dialektik« findet He- die er in der Logik ausführt und auch in seinem
gel die Erkenntnis des der Vernunft immanenten Privatgutachten für Niethammer formuliert:
Widerspruchs ausgesprochen, die er jedoch – Kants Antinomien »enthalten eine tiefe Grund-
entgegen Kants Intention – in das für seine ei- lage über das Antinomische der Vernunft, aber
gene Ausarbeitung des Zusammenhangs der logi- diese Grundlage liegt zu verborgen und sozu-
schen Bestimmungen konstitutive Prinzip trans- sagen gedankenlos und zu wenig in ihrer Wahr-
formiert. Hierdurch gewinnt Kants »transzenden- heit erkannt in ihnen«; in ihrer Kantischen Fas-
tale Dialektik« nach der Bedeutung, die sie durch sung seien die Formen des Widerstreits »weiter
die Aufhebung der »metaphysica specialis« be- nichts, als geschrobene Antithesen«, und die
reits für die Begrenzung des Kernbereichs der »Dialektik der alten Eleatiker« sei »unendlich
Logik auf die »metaphysica generalis« und die besser« (GW 10.831). In der Einleitung zur Logik
»allgemeine Logik« hat, noch eine weitere und hebt Hegel diese Grundlage jedoch präziser her-
nicht minder wichtige Bedeutung für die »Me- aus: Kants dialektische Darstellung der Antino-
thode« der Logik. mien verdiene »freylich kein großes Lob; aber die
Hegel macht von Kants Entdeckung jedoch ei- allgemeine Idee, die er zu Grunde gelegt und
nen eigentümlichen Gebrauch, der geradezu wi- geltend gemacht hat, ist die O b j e c t i v i t ä t des
dersinnig scheinen könnte: Zum einen greift er S c h e i n s und N o t h w e n d i g k e i t des W i d e r -
Kants Einsicht in »das Antinomische der Ver- s p r u c h s , der zur N a t u r der Denkbestim-
nunft« auf (GW 10.831), und er übergeht dieje- mungen gehört« (GW 21.40). Und so schreibt
nigen Anhaltspunkte in Kants Text, die den von Hegel, in eigentümlicher Häufung des Adjektivs,
diesem aufgedeckten »Widerspruch« nicht der Kants Lehre zugleich ein »unendliches Verdienst«
Vernunft schlechthin, sondern nur einer in ihrem zu (GW 12.243): »Es ist als ein unendlich wichti-
natürlichen Gebrauche behinderten, von frem- ger Schritt anzusehen, daß die Dialektik wieder
den Interessen mißleiteten Vernunft zuschreiben. als der Vernunft nothwendig anerkannt worden,
Hegels Interesse ist nicht auf eine Rehabilitie- obgleich das entgegengesetzte Resultat gegen
rung der Vernunft, auf ihre »Rettung« durch den das, welches daraus hervorgegangen, gezogen
Nachweis ihrer letztinstanzlichen Widerspruchs- werden muß.« (GW 12.242)
freiheit gerichtet, sondern im Gegenteil auf die Dieses »unendliche Verdienst«, das Hegel hier
noch tiefere Verankerung des Widerspruchs in Kant zubilligt, liegt somit nicht in dessen Resul-
der Vernunft selbst. Deshalb sind für ihn die tat, sondern in dem von Kant bereitgestellten
einzelnen Partien der »transzendentalen Dialek- Potential, das letztlich über sein Ergebnis hinaus-
tik« nicht in gleicher Weise wichtig: Dem »Para- führt. In Hegels Augen leistet Kant einen Beitrag
logismus« oder der Kritik der Gottesbeweise zur Überwindung des bisherigen Standpunkts,
kommen für die Ausarbeitung der Dialektik He- den » W i d e r s p r u c h und die N i c h t i g k e i t
gels keine Bedeutung zu; hingegen ist Kants der aufgestellten Bestimmungen« als Resultat der
Lehre von der »Antinomie der reinen Vernunft« Dialektik auszugeben (GW 12.243). Dieser
sowohl für Hegels Aneignung Kants wie auch für Standpunkt komme in der Philosophiegeschichte
seine Abstoßung von ihm zentral. unter zwei entgegengesetzten Formen vor. Die
Zum anderen zieht Hegel aus Kants Einsicht in eine, in klassischer Weise von den Eleaten reprä-
die dialektische Verfassung der Vernunft einen sentierte, denke den Widerspruch als (der Ab-
dessen Intention zuwiderlaufenden Schluß: He- sicht nach) objektiven, in der Wirklichkeit selbst
gel wertet sie nicht als Erweis der Unfähigkeit der liegenden – aber deshalb schließe sie auf das
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 229

Nichtsein des vermeintlich Widersprüchlichen. chen Voraussetzungen nicht mehr schließt, stellt
Die zweite, sowohl der antiken Skepsis als auch sich das Problem des Widerspruchs erneut und
der Neuzeit angehörende Form denke den Wi- verschärft. Kants »unendliches Verdienst« besteht
derspruch als subjektiven, der Erkenntnis ange- somit nicht darin, das Problem gelöst, sondern es
hörenden und werte ihn als Beleg für die Mangel- gestellt zu haben. Den Weg zur Auflösung sieht
haftigkeit der Erkenntnis. Beide – entgegenge- Hegel erst durch Fichtes Wissenschaftslehre vor-
setzt scheinenden – Deutungen kämen darin gezeichnet (§ 42).
überein, daß sie der Dialektik ein nur negatives Neben diesem philosophiehistorischen Rück-
Resultat zuerkennten. Doch obgleich Hegel Kant blick enthält der vorhin zitierte Satz Hegels zu-
zumeist – wie auch am Anfang der Logik (GW gleich einen wichtigen Hinweis auf sein Ver-
11.19) – unter diese letztgenannte, die subjektive ständnis von »Dialektik«: Er verknüpft die Forde-
Form des Verfehlens von »Dialektik« subsumiert, rung nach »Betrachtung der D e n k b e s t i m -
billigt er ihm am Ende der Logik zu, in einer m u n g e n a n u n d f ü r s i c h« mit der für seine
entscheidenden Hinsicht über dieses bloß nega- Konzeption unverzichtbaren Annahme, daß die
tive Resultat hinausgegangen zu sein. Die beiden Dialektik ein nicht bloß negatives Resultat habe.
genannten Varianten stimmten nicht allein darin Hätte sie ein bloß negatives Resultat, so käme ihr
überein, daß sie der Dialektik ein negatives Re- allenfalls die Funktion eines methodischen Skep-
sultat zuschrieben, sondern auch in dem Ver- tizismus mit partikularer Bedeutung zu. Sie
fahren, daß von ihnen die Bestimmungen, die könnte dann lediglich eine dem »System der
vom subjektiven Erkennen am Gegenstand »als reinen Vernunft« vorausgehende Funktion wahr-
einem D r i t t e n aufgezeigt werden, unbeachtet nehmen – wenn sie sich überhaupt regional oder
bleiben, und als für sich gültig vorausgesetzt sind. temporär beschränken ließe. Als eine solche be-
Auf diß unkritische Verfahren ist es ein unend- grenzte Disziplin mit negativem Resultat sieht
liches Verdienst der kantischen Philosophie die auch Hegel in Jena die Dialektik – und deshalb
Aufmerksamkeit gezogen, und damit den Anstoß verlegt er sie in eine einleitende Disziplin am
zur Wiederherstellung der Logik und Dialektik, Beginn oder gar jenseits des Beginns des Systems
in dem Sinne der Betrachtung der D e n k b e - (s. 151). Doch mit dem Wandel in Hegels Ver-
s t i m m u n g e n a n u n d f ü r s i c h , gegeben zu ständnis der Leistung der Dialektik – von einem
haben.« (GW 12.243 f.) bloß negativen zu einem zugleich positiven Ver-
(3) Die Leistung, die Hegel hier Kant zubilligt, fahren – entfällt sowohl der Grund für die Be-
läßt sich aus dessen Behandlung der Dialektik grenzung der Dialektik auf die Logik als auch für
nicht ersehen; es bedarf eines Umwegs, sie Kant die (in seinen frühen Entwürfen ohnehin stets
zuzuschreiben. Denn Kant erwägt ja zur Auf- problematische) Unterscheidung der Logik von
lösung der von ihm herausgearbeiteten Antino- der Metaphysik.
mie nirgends eine »Betrachtung der D e n k b e - Spuren dieser Geschichte zeigen sich auch
s t i m m u n g e n a n u n d f ü r s i c h«, und er vin- noch in der Terminologie der Nürnberger und
diziert der Dialektik auch nicht ein positives be- der späteren Jahre. So verwendet Hegel teils
griffliches Resultat, sondern allein »großen einen engen, teils einen weiten Begriff von »Dia-
Nutzen«, weil sich von ihr her ein zusätzliches lektik«: Indem er » d i e d i a l e k t i s c h e oder
Argument für den transzendentalen Idealismus n e g a t i v - v e r n ü n f t i g e« und » d i e s p e c u l a -
gewinnen lasse (B 519, B 535). Dieser von Kant t i v e oder p o s i t i v - v e r n ü n f t i g e« Seite des
gewiesene Weg zur Auflösung der Antinomie Logischen unterscheidet (§§ 79–82), ist die frü-
bleibt der nachkantischen Philosophie jedoch here Restriktion des Begriffs der Dialektik auf
verschlossen, da sie seine Entgegensetzung von das Negative beibehalten. Doch an anderer Stelle
»Dingen an sich« und »Erscheinungen« nicht läßt die neue Auffassung der Dialektik die Diffe-
übernimmt. Der kontradiktorische Widerstreit renz zwischen dieser und der »Spekulation« ver-
zweier Behauptungen läßt sich nicht mehr »in schwinden: Im »Dialektischen«, d. h. »in dem
einen bloß dialektischen« im Sinne eines schein- Fassen des Entgegengesetzten in seiner Einheit,
haften herabstufen (B 532–535). Da somit Kants oder des Positiven im Negativen, besteht d a s
»Schlüssel zu Auflösung der kosmologischen Dia- S p e c u l a t i v e .« (GW 21.40 f.)
lektik« (B 518) unter den gewandelten begriffli- (4) In dieser Formulierung »Fassen des Ent-
230 II. Werk

gegengesetzten in seiner Einheit« klingt der tra- Dies setzt voraus, daß sowohl diese vermeintlich
ditionelle Gedanke der »coincidentia opposito- bloß positiven Bestimmungen als auch ihre Be-
rum« an, als dessen Repräsentant zu Hegels Zeit ziehungen nicht ohne den Begriff der »Negation«
nicht Nikolaus von Kues, sondern Giordano zu denken seien. Vor allem in den Anfangspartien
Bruno gilt. Hegel schenkt diesem Gedanken zwar der Logik erläutert und begründet Hegel diese
Aufmerksamkeit, und er notiert ihn, wo er ihn in Annahme mehrfach mit Wendungen, die ihre
anderem Kontext – in einem Brief Hamanns – systematische Voraussetzung und zugleich ihre
antrifft (GW 16.170). In seinen philosophiege- gedankliche Herkunft verraten – etwa so: »Das
schichtlichen Vorlesungen sagt er jedoch darüber N i c h t s e y n so in das Seyn aufgenommen, daß
nur, die »Einheit der Entgegengesetzten« werde das concrete Ganze in der Form des Seyns, der
von Bruno »näher erörtert« (W XV.239), und es Unmittelbarkeit ist, macht die B e s t i m m t h e i t
sei »in Bruno ein großer Anfang, die konkrete, als solche aus.« (GW 21.97) Anders gesagt: Das
absolute Einheit zu denken« (V 9.58). Über diese »Dialektische« fällt in die Denk b e s t i m m u n -
Erwähnungen hinaus weist Hegel dem Koinzi- g e n , weil Bestimmtheit Negation ist.
denz-Prinzip jedoch keine Bedeutung für seine Hierin liegt eine genuin Hegelsche Pointe –
Konzeption der »Dialektik« zu – im Unterschied und dennoch beruht sie auf einem weiteren Rück-
zur eben zitierten zweiten Formulierung, die »das griff auf die Philosophiegeschichte. Im Zusam-
Dialektische« als ein Erfassen »des Positiven im menhang der Erläuterung seines Begriffs der
Negativen« beschreibt. Dialektik spricht Hegel nicht allein Kant ein »un-
Dieses Erfassen »des Positiven im Negativen« endliches« und Fichte ein »tiefes Verdienst« zu.
hat seinen systematischen Ort in der »Betrach- Einen vergleichbaren Rang weist er einem wei-
tung der D e n k b e s t i m m u n g e n a n u n d f ü r teren Denker zu: »Die Bestimmtheit ist die Nega-
s i c h«. Der »Widerspruch«, den das Denken in tion als affirmativ gesetzt, ist der Satz des Spi-
diesen Bestimmungen aufdeckt, entsteht somit noza: Omnis determinatio est negatio, dieser Satz
nicht dadurch, daß ein Denken, das über Erfah- ist von unendlicher Wichtigkeit« (GW 21.101).
rung hinausgeht, Erscheinungen mit Dingen an Damit gibt Hegel auch den Ausführungen Spino-
sich selbst verwechselte und diesen etwa die zas aus einem Brief an Jarig Jelles vom 2. Juni
Prädikate der Anfangslosigkeit oder der Teilbar- 1674 – die in ihrem Kontext eher beiläufig schei-
keit zuschriebe – und ebensowenig dadurch, daß nen – eine prinzipielle Bedeutung für seinen
beliebigen Subjekten kontradiktorisch wider- eigenen Ansatz. Er greift diesen Satz auch gar
sprechende Prädikate beigelegt würden. Von ei- nicht in seiner ursprünglichen Fassung auf, son-
ner weiteren Form, dem »realen Widerspruch«, dern in der prägnanten Formulierung, die Jacobi
ist auf der Ebene der Logik ohnehin noch nicht ihm in seinen Briefen Ueber die Lehre des Spi-
die Rede, sondern allein von demjenigen Wider- noza (JWA 1.22,100) gegeben hat: »determinatio
spruch, der – wie Hegel versichert – »zur Natur est negatio«. Und er unterstreicht die bereits von
der Denkbestimmungen« gehört (GW 21.40). Jacobi gespürte fundamentale Bedeutung dieses
Daran knüpft sich die doppelte Frage, zum einen, Satzes noch dadurch, daß er ihm seit seiner Ja-
wie dieser Widerspruch zu denken sei, und zum cobi-Rezension (s. 255) – und auch in der hier
anderen, was aus dieser Verlagerung des Wider- zitierten zweiten Auflage der Logik – noch ein
spruchs in die Natur der Denkbestimmungen »omnis« voranstellt.
folge – vor allem, ob hierdurch die desolaten Die Bestimmtheit eines Begriffs liegt lediglich
Konsequenzen vermieden werden, die ja in der in der Negation, d. h. im negativen Bezug auf sein
Logik zur Formulierung des Widerspruchsver- Anderes. Um einen Begriff zu denken, darf man
bots geführt haben. nicht im Gedanken bei ihm stehenbleiben, bei
(5) Es ist konstitutiv für Hegels Ansatz, daß die seiner bloßen Identität mit sich, sondern muß
»Dialektik« nicht auf der Ebene der logischen Zu- notwendig zu seinem Negativen übergehen. Da-
und Absprechung zu suchen und zu verhandeln durch wird die negative Beziehung auf sein An-
sei, sondern sich in ihrer Wahrheit allein einer deres einem Begriff immanent, und somit wird
Betrachtung der Denkbestimmungen an und für sie zu einem konstitutiven Moment des ersten
sich zeige, also ihren systematischen Ort in den Begriffs selbst. Dasjenige, was die Negation eines
Denkbestimmungen und ihren Relationen habe. Begriffs ist, muß in diesen Begriff selbst hinein-
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 231

gedacht werden; ein Begriff enthält somit sich Die negative Beziehung – oder der »Wider-
und zugleich sein Negatives in sich, Identität und spruch« – bleibt nichts Statisches, und sie ist auch
Nichtidentität. Hierdurch aber ist der Wider- keine wechselseitige Aufhebung und Vernichtung
spruch in diesen Begriff hineingelegt, in seiner derer, die sich negativ auf einander beziehen, wie
Beziehung auf sich zugleich Beziehung auf sein der Skeptizismus meint. Es macht die Natur der
Anderes zu sein – und durch sie geht das Denken Denkbestimmungen, ihre »innere N e g a t i v i -
– oder der Begriff im emphatischen Hegelschen t ä t« aus, die negative Beziehung auf das Andere
Sinne – über von einem Begriff zum nächsten, bis als konstitutives Moment des eigenen Begriffs zu
sich dessen Bestimmtheit in der Totalität begriff- haben, so daß »in einem systematischen Ganzen
licher Relationen vollendet. jeder neue Begriff durch die D i a l e k t i k d e s
(6) Dieser Gedanke, daß Bestimmtheit durch Vo r h e r g e h e n d e n entsteht« (GW 10.831) –
negative Beziehung tendenziell auf die Totalität und schließlich ein vollständiges und geordnetes
des Anderen hergestellt wird, läßt sich noch System der Denkbestimmungen, ein System der
durch einen weiteren Rückgriff auf die Philo- reinen Vernunft. Denn das Entgegengesetzte
sophiegeschichte erläutern: auf Kants Gedanken wird nicht bloß als Entgegengesetztes aufgefaßt –
der durchgängigen Bestimmbarkeit eines Be- hierdurch käme keine fortschreitende Bewegung
griffs und der durchgängigen Bestimmung eines zu Stande –, sondern zugleich »in seiner Einheit«.
Dinges: »Ein jeder Begriff ist in Ansehung des- Dadurch erhält der Widerspruch ein positives
sen, was in ihm selbst nicht enthalten ist, unbe- Resultat: »In diesem Dialektischen […] und da-
stimmt, und steht unter dem Grundsatz der B e - mit in dem Fassen des Entgegengesetzten in sei-
s t i m m b a r k e i t ; daß nur eines, von jeden zwei ner Einheit, oder des Positiven im Negativen
einander kontradiktorisch-entgegengesetzten besteht d a s S p e c u l a t i v e .« (GW 11.27; vgl.
Prädikaten ihm zukommen könne« (B 599). Zur § 81).
durchgängigen Bestimmung eines Dinges be- (8) Dieses Methodenideal einer Exposition der
dürfte es der Vergleichung dieses Dinges mit dem reinen Denkbestimmungen, die nur der ›Natur
Inbegriff aller möglichen Prädikate. Aber auch des Begriffs‹ folgt und keine äußeren Reflexionen
Kant macht diese Einsicht nicht für eine Methode in den immanenten Gang des Denkens hinein-
der Generierung von Bestimmtheit fruchtbar – mischt, scheint als Resultat ein völlig invariables
denn es bleibt unbestimmt, in welcher Reihen- System der Denkbestimmungen zu fordern. In-
folge die »Vergleichung« vorzunehmen ist. Kant dessen veranschaulicht die entwicklungsge-
hebt ja lediglich darauf ab, daß von zwei kontra- schichtliche Betrachtung vielmehr den ständigen
diktorisch entgegengesetzten Prädikaten jeweils Wechsel des systematischen Ortes der einzelnen
nur eines im Begriff gedacht werden dürfe. Auch Denkbestimmungen innerhalb des logischen Zu-
dadurch wird das jeweils ausgeschlossene Prädi- sammenhanges. Gleichwohl ist diese Einsicht in
kat zu einem bestimmenden Moment in der Bil- den faktischen Wandel nicht geeignet, Hegels
dung eines Begriffs – jedoch ohne daß sich aus Anspruch außer Kraft zu setzen, daß die Logik
dieser Einsicht der Begriff eines geregelten Ver- die Denkbestimmungen in einem rein immanen-
fahrens zur Aufstellung von Denkbestimmungen ten, nichts von außen hineinnehmenden Gange
gewinnen ließe. exponiere. Die vielfach wechselnde Disposition
(7) Das Proprium Hegels liegt in dieser An- der Materie der Logik ist ja nicht als Anzeichen
nahme, daß sich aus der Einsicht in den Zusam- für die Beliebigkeit des Zusammenhangs der
menhang von Bestimmtheit und Negation eine Denkbestimmungen zu werten. Sie ist der Aus-
Methode der wissenschaftlichen Erzeugung lo- druck eines allenfalls in der Wissenschaft der
gischer Bestimmungen gewinnen lasse – nicht Logik und auch in ihr nur zur vorübergehenden
allein ein Schaukelsystem paarweise aufzustel- Ruhe kommenden Bemühens, denjenigen Zu-
lender Negationsbeziehungen, etwa der Bewe- sammenhang aufzufinden und zu explizieren, in
gung vom Sein zum Nichts und wieder zurück dem die Denkbestimmungen zu einander stehen.
zum Sein oder vom Endlichen zum Unendlichen Es dürfte jedoch aussichtsreicher sein, diesen
und wieder zurück zum Endlichen, sondern viel- Zusammenhang über eine Betrachtung der logi-
mehr eine kontinuierlich auf ein höchstes Prinzip schen Inhalte – und damit der Denkbestim-
fortschreitende »Selbstbewegung des Begriffs«. mungen an ihnen selbst – zu erkennen und zu
232 II. Werk

konstituieren, als ihn mittels genetischer Opera- des Vernunftbegriffs. Hamburg 1994; Dieter Wand-
tionen rekonstruieren zu wollen. schneider: Grundzüge einer Theorie der Dialektik. Re-
konstruktion und Revision dialektischer Kategorienent-
Die Möglichkeit dieser Varianz führt zugleich
wicklung in Hegels »Wissenschaft der Logik«. Stuttgart
vor Augen, wie wenig fester Boden mit Hegels 1995; Anton Friedrich Koch: Die Selbstbeziehung der
viel zitierter Aussage gewonnen ist, daß jeweils Negation in Hegels Logik. ZphF 53 (1999), 1–29; Utz:
die erste und die dritte Bestimmung einer Sphäre Die Notwendigkeit des Zufalls (2004).
»als die m e t a p h y s i s c h e n D e f i n i t i o n e n
G o t t e s angesehen werden« können, während
6.2.5. Die Lehre vom Sein
die zweiten Bestimmungen solche der Differenz
und des Endlichen seien. Wenn die entwick- (1) Es ist eine zwingende Folge dieses Begriffs
lungsgeschichtliche Betrachtung sehen lehrt, wie von »Methode« – als der immanenten Organisa-
ein und dieselbe Bestimmung in dem einen Ent- tionsform des Inhalts des Systems –, daß das seit
wurf in dieser, in dem nächsten Entwurf in jener Reinhold und Fichte so gravierende Problem des
Stellung auftritt, so lassen sich Zweifel an der »Anfangs« und der Grundlegung des Systems der
Aussagekraft, zumindest an der texterschließen- Philosophie für Hegel in verschärfter Weise viru-
den Kraft einer derart glatten Auskunft kaum lent wird. Er ist sich dieser philosophiegeschicht-
mehr beschwichtigen. Doch ist nicht allein mit lichen Bedingung seines systematischen Pro-
der entwicklungsgeschichtlichen Varianz gegen blems wohlbewußt: »In neuern Zeiten erst ist das
den Sinn dieser Formel zu argumentieren. Be- Bewußtseyn entstanden, daß es eine Schwierig-
reits in der weichen Formulierung »können […] keit sey, einen A n f a n g in der Philosophie zu
angesehen werden« liegt ja eine merkliche Di- finden, und der Grund dieser Schwierigkeit so
stanzierung und ein Hinweis, daß es sich hier um wie die Möglichkeit, sie zu lösen, ist vielfältig
eine an traditionelle Vorstellungen adressierte besprochen worden« – insbesondere von Rein-
captatio benevolentiae handele, und nicht um hold und Fichte (GW 21.53; vgl. 11.34). Hegel
eine konstitutive Aussage der Logik. Zudem beginnt deshalb seine Logik mit der ausführli-
macht Hegel im Anschluß an diese Formel recht chen Erörterung dieser Frage »Womit muß der
deutlich, was er von der Form von Definitionen Anfang der Wissenschaft gemacht werden?« –
hält: Ihr Subjekt wäre »nur ein g e m e y n t e r und er beantwortet sie umgehend: »Der Anfang
Gedanke, ein für sich unbestimmtes Substrat« – der Philosophie muß entweder ein Ve r m i t t e l -
und deshalb »ist die Form eines Satzes, wie jenes t e s oder U n m i t t e l b a r e s seyn, und es ist leicht
Subject, etwas völlig Ueberflüssiges« (3§ 85). zu zeigen, daß es weder das Eine noch das Andre
Literatur: Werner Becker: Hegels Begriff der Dialektik seyn könne«.
und das Prinzip des Idealismus. Stuttgart 1969; Arend Diese Auskunft erinnert wohl nicht zufällig an
Kuhlenkampff: Antinomie und Dialektik. Zur Funktion Friedrich Schlegels Athenäumsfragment Nr. 53:
des Widerspruchs in der Philosophie. Stuttgart 1970; »Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu
Andries Sarlemijn: Hegelsche Dialektik. Berlin / New
haben, und keins zu haben. Er wird sich also wohl
York 1971; Günther Maluschke: Kritik und absolute
Methode in Hegels Dialektik. HSB 13 (1974); Dieter entschließen müssen, beides zu verbinden.«
Henrich: Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in (KFSA II.173) Auch Hegel entschließt sich, den
die »Wissenschaft der Logik«. In: Ute Guzzoni / Bern- Anfang der Philosophie sowohl als ein Vermittel-
hard Rang / Ludwig Siep (Hg.): Der Idealismus und tes als auch als ein Unmittelbares zu nehmen. Er
seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum durchläuft die dogmatischen und die skepti-
65. Geburtstag. Hamburg 1976, 208–230; Rolf-Peter
schen, die kritizistischen und die auf eine »innere
Horstmann (Hg.): Seminar: Dialektik in der Philo-
sophie Hegels. Frankfurt am Main 1978; Jürgen Nae- Offenbarung« pochenden Antworten – und er
her: Einführung in die idealistische Dialektik Hegels. kommt zu einer präzisen Antwort: Die Logik
Opladen 1981; Michael Wolf: Der Begriff des Wider- setzt aus der Phänomenologie des Geistes voraus,
spruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels. »daß sich als dessen letzte, absolute Wahrheit das
Meisenheim 1981; Terry Pinkard: Hegel’s Dialectic. r e i n e W i s s e n ergibt.« (GW 11.33) Entgegen
The Explanation of Possibility. Philadelphia 1984; Wolf-
der häufig vertretenen Behauptung, die Phäno-
gang Röd: Dialektische Philosophie der Neuzeit. Mün-
chen 11974, 2 1986; Hegel et la dialectique. Revue Inter- menologie verliere später ihre Einleitungsfunk-
nationale de Philosophie 139/140 (1982); Andreas tion, bleibt diese Antwort auch in der zweiten
Arndt: Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion Auflage der Logik gültig: »Die Logik hat insofern
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 233

die Wissenschaft des erscheinenden Geistes zu terschieden: Für Hegel sind sie nicht Produkte
ihrer Voraussetzung, welche die Nothwendigkeit des Selbstbewußtseins, des subjektiven Ich, die
und damit den Beweis der Wahrheit des Stand- den Dingen, wie sie an sich selber sind, gegen-
punkts, der das reine Wissen ist, wie dessen überstehen, sondern sie sind Produkte eines »ur-
Vermittlung überhaupt, enthält und aufzeigt.« Das sprünglichen Thuns«, das sich gleichsam ›hinter
Resultat der Phänomenologie – »die Idee als rei- dem Rücken des Bewußtseins‹ vollzieht – eines
nes Wissen« – bildet weiterhin die Voraussetzung »von dem Gegensatze des Bewußtseyns befreyten
der Logik, und von ihr aus geht Hegel jeweils objectivirenden Thuns«. Deshalb haben sie eben-
zum Begriff des reinen Seins über (GW 21.54 f.). sowohl subjektive als auch objektive Bedeutung
In beiden Auflagen erwägt Hegel jedoch eine (GW 11.30–32).
Alternative: »der A n f a n g d e r a b s o l u t e n (3) Die »objective Logik« tritt jedoch nicht
W i s s e n s c h a f t muß selbst a b s o l u t e r A n - allein an die Stelle der »transcendentalen Logik«,
f a n g seyn, er darf n i c h t s v o r a u s s e t z e n . Er sondern eben deshalb – wie diese auch – an die
muß also durch nichts vermittelt seyn, noch einen Stelle der metaphysica generalis, der Ontologie,
Grund haben; er soll vielmehr selbst der Grund der Wissenschaft des »Ens«, also eigentlich des
der ganzen Wissenschaft seyn. […] Der Anfang ›Seienden‹. ›Das Seiende‹ ist für Hegel jedoch
ist also das r e i n e S e y n .« (GW 11.33) Dieser eine bereits vermittelte Bestimmung; deshalb be-
Alternative, die auf die Voraussetzungslosigkeit ginnt die Logik nicht mit ihm, sondern mit dem
der reinen Wissenschaft abhebt, stellt Hegel – »Seyn«. Dieses »Seyn« aber ist eben deshalb nicht
wie schon in Enzyklopädie 1§ 36 – in der zweiten mehr der Inbegriff alles Seienden, die über-
Auflage der Logik noch eine Überlegung voran: schwengliche Fülle, aus der alles Einzelne nur
»Nur der Entschluß, den man auch für eine Will- durch Individualisierung entstünde; es ist für
kühr ansehen kann, nemlich daß man nur das Hegel aber auch nicht – wie für Kant – lediglich
D e n k e n a l s s o l c h e s betrachten wolle, ist vor- die absolute »Position eines Dinges«, eines durch
handen.« (GW 21.56) – Durch diese beiden Wege Prädikate gedachten Gegenstandes (B 626 f.),
ist beiden Einsichten Genüge getan: daß der An- sondern es ist die ärmste Denkbestimmung: die-
fang entweder ein Vermitteltes oder Unmittel- jenige, die allem Gedachten bereits a l s Gedach-
bares oder vielmehr keines von beiden sein ten notwendig zukommt. Allein auf Grund dieser
könne. Daß aber ein derartiger freier »Entschluß« Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit, ja Ubiqui-
selber einen wohlbestimmten philosophie- und tät eignet sie sich für den »Anfang« der Wissen-
bewußtseinsgeschichtlichen Ort habe – daß er schaft – wie dies übrigens auch Fichte zwar noch
nämlich den in der Phänomenologie beschrie- nicht in seiner Wissenschaftslehre (1794) aus-
benen Gang des erscheinenden Wissens voraus- führt, wohl aber in seinen privaten Notizen, die
setze –, dies hätte Hegel am wenigsten bestrit- Hegel nicht kennen konnte, gegen Schellings
ten. Darstellung meines Systems der Philosophie ein-
(2) Das Element der »reinen Wissenschaft« ist wendet: »Der Anfang kann nur das Unbe-
im »absoluten Wissen« der Phänomenologie er- stimmteste, Unfertigste sein, weil wir sonst von
reicht; es liegt in der »Einheit des Subjectiven ihm aus weiter zu gehen und ihn durch Fort-
und Objectiven« oder in der »Einheit, daß das denken schärfer zu bestimmen gar keine Ursache
Seyn reiner Begriff an sich selbst, und nur der hätten« (PLS 2/1.200).
reine Begriff das wahrhafte Seyn ist.« Diese Ein- Seit der Abhandlung von Dieter Henrich über
heit ist das Medium aller Denkbestimmungen, »Anfang und Methode der Logik« (1963), die in
auch wenn sie sich im Prozeß ihrer Entfaltung der Geschichte der Interpretation der Logik Epo-
wieder in »objective« und »subjective« und dem- che gemacht hat, bildet der Anfang der Seinslogik
gemäß in eine »objective« und eine »subjective mit der Trias Sein, Nichts und Werden einen
Logik« differenzieren. Die »objective Logik« ent- Schwerpunkt der Diskussion. Strittig ist zunächst
spricht zwar, wie Hegel sagt, »dem Inhalte nach dieser Begriff des Seins: In ihm, als der ersten
zum Theil dem […], was bey Kant t r a n s c e n - Gedankenbestimmung, muß »die reine Unbe-
d e n t a l e L o g i k ist.« Doch auch wenn die stimmtheit und Leere« gedacht werden, und
Denkbestimmungen übereinstimmend lauten, so zwar so gedacht werden, daß aus ihr die Bewe-
ist ihre systematische Bedeutung doch strikt un- gung oder auch der gedankliche Umschlag zur
234 II. Werk

folgenden Denkbestimmung erhellt – die Mög- ungen, und so findet sich in der Logik eine Fülle
lichkeit, von ihr zum Begriff des Nichts und in philosophie- und wissenschaftsgeschichtlicher
einem weiteren Schritt zum »Werden« zu ge- Anspielungen und ausdrücklicher Bezüge. Sie
langen. Strittig ist ebenso das Verhältnis dieses bieten freilich nicht das Prinzip der methodi-
ersten, methodologisch ausgezeichneten Gedan- schen Exposition der Denkbestimmungen – ob-
kenschrittes der Logik zu den folgenden. Die schon Hegel, vermutlich noch in Jena, auch die-
›Relation‹ – uneigentlich gesprochen – zwischen sen Weg einmal verfolgt hat (s. 464). Erst die
»Seyn« und »Nichts« charakterisiert Hegel ja als Logik beansprucht, gleichsam in einem implizi-
Identität: Das Nichts sei »dieselbe Bestimmung ten zweiten Gedankenschritt die Denkbestim-
oder vielmehr Bestimmungslosigkeit, und damit mungen in ihrem immanenten Zusammenhang
überhaupt dasselbe, was das reine S e y n ist.« Das zu entfalten. Die Logik ist somit die Philosophie-
Sein ist in das Nichts immer schon übergegan- geschichte, in systematische Form gebracht. Was
gen; insofern weist Hegel diesem »unmittelbaren dort nur in historischer Folge, ist hier auf der
Verschwinden« beider in einander eine Sonder- Ebene des sich denkenden Denkens in systemati-
rolle zu gegenüber der sonstigen Bewegungsform sche Folge gebracht. So exponiert die Logik ten-
der seinslogischen Bestimmungen, dem »Über- denziell die Totalität der reinen Denkbestim-
gehen« von einer zur anderen vermittels der Ne- mungen, und zwar nicht als eine unstrukturierte
gation (GW 11.43–58; 21.68–95). oder durch äußerliche Gesichtspunkte geordnete
(4) Hegel knüpft in seiner Logik an Kant nicht Vielzahl, sondern als einen am Leitfaden der
allein darin an, daß er die »objective Logik« an Negation entwickelten Zusammenhang. Die
die Stelle der transzendentalen Logik treten läßt. Denkbestimmungen erhalten ihre Bestimmtheit
Kants Kategorientafel erhält zugleich eine den ja allein durch die negative Beziehung auf ihr
Inhalt der Logik strukturierende Funktion – ob- Anderes, die der »Selbstbewegung des Begriffs«
schon Hegel die Aufstellung dieser Tafel stets als zu Grunde liegt. In dieser Denkbewegung wer-
methodologisch unausgewiesen kritisiert hat. den die einzelnen Bestimmungen »aufgehoben« –
Die beiden ersten Gruppen, die Kategorien der im spezifisch Hegelschen dreifachen Sinn: ne-
Quantität und der Qualität, formen das begriff- giert, aufbewahrt und auf eine höhere Ebene
liche Gerüst der Seinslogik, die Relations- und gehoben. Ihre Aufhebung impliziert aber nicht
Modalkategorien bilden einen Schwerpunkt der ihre gänzliche Annihilation; sie bleiben ja unver-
Wesenslogik. In der Logik der Enzyklopädie wird zichtbare Bestimmungen des Denkens. Aufge-
dies noch deutlicher als in der Wissenschaft der hoben werden sie lediglich nach der Seite ihres
Logik. Während Kant jedoch diese Kategorien Wahrheitsanspruchs, die höchsten Begriffe die-
nur auf seiner Tafel einführt und ihre weitere ses sich selbst denkenden Denkens zu sein.
Explikation in das »System der Transzendental- Dies läßt sich etwa am Begriff der Unendlich-
Philosophie« verweist (B 106 f.), sucht Hegel die keit veranschaulichen. Der Gedanke der End-
Bestimmtheit, die internen logischen Beziehun- lichkeit, den Hegel über die Denkbestimmungen
gen dieser Begriffe selber zu denken – und nicht »Negation und Schranke« einführt, ist ein leerer
allein das Verhältnis von Quantität und Qualität, Gedanke, wenn er nicht gegen den der Unend-
sondern die Relationen der unter diese Titel lichkeit profiliert wird. Ohne diese Beziehung
subsumierten Kategorien der Einheit, Vielheit kann er gar nicht gedacht werden – denn was
und Allheit bzw. der Realität, Negation und Li- hieße es, etwas als »endlich« zu bezeichnen, ohne
mitation, d. h. der »Grenze«, und tendenziell den impliziten Rückbezug auf einen vorausge-
ebenso sämtlicher anderer. Er beschränkt sich setzten, zunächst unthematischen Gedanken des
hierbei keineswegs auf Kants Tafel, aber er ge- Unendlichen. Dieses wird also zunächst als das
winnt die Denkbestimmungen auch nicht durch Andere des Endlichen eingeführt – aber eine
eine Art gedanklicher ›Urzeugung‹, sondern er Unendlichkeit, die nur das Andere des Endlichen
hebt sie in beständigem Rückgriff aus der ge- ist, ist selber ein Endliches, und somit nicht das
samten Geschichte der Philosophie wie auch der Andere des Endlichen; solche Unendlichkeit
Geschichte der Naturwissenschaften und der Ma- hätte am Endlichen ihre Schranke und erwiese
thematikgeschichte heraus. Diese bieten ein rei- sich dadurch als eine unwahre Form von Unend-
ches Feld für die Gewinnung der Denkbestimm- lichkeit. Der Gedanke der Unendlichkeit muß
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 235

also so gedacht werden, daß das Unendliche nicht Qualität, Quantität, und Unendlichkeit«, führt
erst dort beginnt, wo das Endliche aufhört, son- Hegel 1810/11 das »Maaß« ein (GW 10.30 bzw.
dern daß es dieses umgreift und es gleichsam in 157) – mit dem Argument, Kant habe nach Quan-
sich selbst schließt – als Identität von Endlichkeit tität, Qualität und Relation die Modalität abge-
und falscher, nämlich selbst endlicher Unendlich- handelt, damit aber nicht das richtige Dritte ge-
keit. In der zweiten Auflage sucht Hegel dieses funden; er habe »die unendlich wichtige Form
Verhältnis in nochmals gesteigerter Komplexität der Triplicität, so sehr sie bey ihm nur erst als ein
zu entfalten. Dieser Gedanke der »affirmativen formeller Lichtfuncken erschienen, nicht auf die
Unendlichkeit« hat erhebliche Folgen für andere Gattungen seiner Kategorien (Quantität, Qualität
Bereiche – insbesondere für den Gottesgedan- u. s. f.) wie auch diesen Nahmen, nur auf deren
ken: Er dementiert die geläufige Auffassung, die Arten angewendet; daher hat er nicht auf das
dem Endlichen ein festes Sein zuschreibt, jen- Dritte der Qualität und Quantität kommen kön-
seits dessen Gott als der oder das Unendliche nen.« Ähnliches gelte für Spinoza; für ihn sei »der
sein Wesen hätte und triebe. Doch ein solches Modus überhaupt die abstracte Aeusserlichkeit,
Unendliches wäre selbst nur ein anderes End- die Gleichgültigkeit gegen die qualitativen wie
liches (GW 11.78–85; 21.116–143). gegen die quantitativen Bestimmungen«, »das
(5) Hegel exponiert den Begriff der Unendlich- Maaßlose« – und dagegen setzt Hegel: »Hier hat
keit jedoch auch im Kontext des Quantitätsbe- der Modus die bestimmte Bedeutung das M a a ß
griffs – und hier geht er ausführlich auf das zu seyn.« Das Maß sei »zwar äusserliche Art und
damals vieldiskutierte Problem des »infinitum Weise«, aber zugleich » d i e c o n c r e t e Wa h r -
actu« ein, im Zusammenhang mit der Diskussion h e i t d e s S e y n s ; in dem Maaße haben darum
der Infinitesimalrechnung, die ihm sowohl in der die Völker etwas Unantastbares, Heiliges ver-
Newtonschen als in der Leibnizschen Form des ehrt«; »Gott ist das M a a ß aller Dinge«.
Kalküls geläufig ist. Hier sucht er gedankliche »Die Entwicklung des Maaßes« bezeichnet He-
Inkonsistenzen in dem damals noch unzureichen- gel als »eine der schwierigsten Materien« – nicht
den Stand der Grundlegung der Infinitesimal- zuletzt deshalb, weil »die verschiedenen Formen,
rechnung herauszuheben – insbesondere im in welchen sich das Maaß realisirt, auch v e r -
Blick auf die Anweisungen zeitgenössischer Ma- schiedenen Sphären der natürlichen
thematiker, man könne im Kalkül Glieder wegen R e a l i t ä t angehören«. Von hier aus wäre zu ei-
ihrer quantitativen Unbedeutendheit weglassen. ner » M a t h e m a t i k d e r N a t u r« fortzugehen –
Statt dessen sucht er die qualitativen Momente doch die »vollständige, abstracte Gültigkeit des
dieser zunächst bloß quantitativ erscheinenden entwickelten Maaßes d. i. der G e s e t z e dessel-
Operationen freizulegen. Ebenso sucht er den ben kann nur in der Sphäre des M e c h a n i s m u s
Begriff der Unendlichkeit von der Vorstellung Statt haben« (GW 21.324–328).
eines »unendlichen Progresses« abzukoppeln: Gegen Newton gerichtet fordert Hegel, eine
Nicht dieser sei das wahrhafte Unendliche, son- » M a t h e m a t i k d e r N a t u r« müsse »wesentlich
dern dasjenige, das in seiner qualitativ-quantita- die Wissenschaft der Maaße seyn« – nämlich
tiven Bestimmtheit zwischen endliche Größen nicht bloß die empirische Kenntnis von Größebe-
eingeschlossen sei. Und zur Veranschaulichung stimmungen, aber auch nicht deren bloße In-
dieses Gedankens zieht er die Figur aus Spinozas tegration zu allgemeinen Gesetzen und deren
Ethica (II,9) heran, die auch dessen Opera post- Beweis durch Aufzeigen der Übereinstimmung
huma in geringfügig veränderter Form als Vi- der einzelnen Wahrnehmung und des Gesetzes.
gnette vorangestellt ist (vgl. GW 11.428). Eben so »Es muß aber noch ein höheres B e w e i s e n die-
ausführlich behandelt Hegel den ersten und den ser Gesetze gefodert werden; nemlich nichts an-
zweiten Widerstreit der »Antinomie der reinen ders als daß ihre Quantitätsbestimmungen aus
Vernunft« (B 454–471). den Qualitäten, oder bestimmten Begriffen, die
(6) Zu den beiden Titeln »Qualität« und »Quan- bezogen sind, (wie Zeit und Raum) erkannt wer-
tität« tritt erst spät als Drittes das »Maß« hinzu. den.« Davon aber finde sich »in jenen mathemati-
Während es zu Beginn der Nürnberger Zeit, in schen Principien der N a t u r p h i l o s o p h i e«
der »Logik für die Mittelklasse (1808/09)«, noch oder weiteren Arbeiten dieser Art keine Spur
lapidar heißt: »Die Kategorien des Seyns sind die (GW 21.340).
236 II. Werk

Hegels ausschließliche Orientierung an den bleibt, daß die Specifischen a n s i c h oder im


Naturwissenschaften bildet aber zugleich ein In- Absoluten d a s s e l b e u n d e i n s sind, […]. Was
diz für die eingeschränkte Bedeutung dieser hier noch fehlt, besteht darin, daß diese Refle-
Denkbestimmung des Maßes. Im Physikalischen xion, nicht die ä u s s e r e Reflexion des d e n -
(d. h. hier im Chemismus) und im Organischen k e n d e n , subjectiven Bewußtseyns, sondern die
werde das Maß bereits durch einen »Conflict von eigene Bestimmung der Unterschiede jener Ein-
Qualitäten« gestört – obschon Hegels Abhand- heit sey, sich aufzuheben, welche Einheit denn so
lung des Maßes insbesondere auf Vorstellungen sich erweist, die absolute Negativität, ihre
der zeitgenössischen Chemie wie das Gesetz der Gleichgültigkeit g e g e n s i c h s e l b s t , gegen
Wahlverwandtschaft zurückgreift. Und zudem: ihre eigene Gleichgültigkeit, eben so sehr als
»Noch weniger aber findet im Reich des Geistes gegen das Andersseyn zu seyn.« Die Bestimmun-
eine eigenthümliche, freye Entwicklung des Maa- gen sind damit nicht mehr äußerlich, wie die
ßes Statt.« Die Maßverhältnisse sind hier zwar Bestimmungen des Seins; sie sind als unmittel-
ebenfalls relevant, sie haben etwa Bedeutung für bare aufgehoben: »Das Bestimmen und Be-
den bekannten Umschlag des Quantitativen ins stimmtwerden ist nicht ein Uebergehen, noch
Qualitative – aber sie lassen sich nicht mehr, wie äusserliche Veränderung, noch ein H e r v o r t r e -
im Mechanismus, in Form von Gesetzen prägnant t e n der Bestimmungen an ihr, sondern ihr eige-
formulieren: »Im Geistigen als solchen kommen nes Beziehen auf sich, das die Negativität ihrer
Unterschiede von I n t e n s i t ä t des Charakters, selbst, ihres Ansichseyns, ist« – und dies ist der
S t ä r k e der Einbildungskraft, der Empfindun- Begriff des Wesens (GW 21.375 f.,380–383).
gen, der Vorstellungen u. s. f. vor; aber über diß Literatur: Dieter Henrich: Anfang und Methode der
Unbestimmte der S t ä r k e oder S c h w ä c h e geht Logik. HSB 1 (1963), 19–35, sowie in: Henrich: Hegel
die Bestimmung nicht hinaus.« (GW 21.328) im Kontext (1971), 73–94; Karin Schrader-Klebert: Das
Hierin sieht Hegel den Übergang aus der Problem des Anfangs in Hegels Philosophie. Wien /
Seinslogik zur Wesenslogik angedeutet: »Es liegt München 1969; Hans Georg Gadamer: Hegels Dialek-
in dem Maaße bereits die Idee des We s e n s , tik. Sechs hermeneutische Studien. Tübingen 2 1980,
65–85: Die Idee der Hegelschen Logik; Wolfgang Wie-
nemlich in der Unmittelbarkeit des Bestimmt- land: Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik. In:
seyns identisch mit sich zu seyn« (GW 21.326). Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60.
Den eigentlichen Übergang macht Hegel jedoch Geburtstag. Pfullingen 1973, 375–414; Pirmin Stekeler-
an der Denkbestimmung »Indifferenz« – und er Weithofer: Zu Hegels Philosophie der Mathematik. In:
spielt sehr deutlich auf deren zentrale Stellung in Christoph Demmerling / Friedrich Kambartel (Hg.):
Schellings Darstellung meines Systems der Philo- Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik.
Frankfurt am Main 1992; Ulrich Ruschig: Hegels Logik
sophie (1801) und auf die damit verbundene Re- und die Chemie. Fortlaufender Kommentar zum »Rea-
duktion der Unterschiede auf ihre quantitative len Maß«. HSB 37 (1997); Andreas Arndt / Christian
Bedeutung an: »Das A b s o l u t e als Indifferenz Iber (Hg.): Hegels Seinslogik. Interpretationen und
hat nach dieser Seite den zweyten Mangel der Perspektiven. Berlin 2000.
q u a n t i t a t i v e n Form, daß die Bestimmtheit
des Unterschieds nicht durch dasselbe determi-
6.2.6. Die Lehre vom Wesen
nirt ist, wie es daran den ersten hat, daß die
Unterschiede an ihm nur überhaupt h e r v o r - (1) Daß die Lehre vom Wesen der schwierigste
t r e t e n , d. i. das Setzen desselben etwas un- Teil der Logik sei (3§ 114), gilt nicht allein – wie
mittelbares nicht seine Vermittlung mit sich es zumeist verstanden wird – für die methodolo-
selbst ist.« Die »absolute Indifferenz« erklärt He- gischen Probleme, die gerade dieses Buch auf-
gel zur letzten Bestimmung des Seins, die die wirft. Es bestätigt sich auch in Bezug auf die
Sphäre des Wesens noch nicht erreiche – und er verwirrenden Umstrukturierungen ihrer Konzep-
bezieht sich hierfür zwar expressis verbis auf tion. Mit der Wesenslogik entwirft Hegel zwar
Spinoza, in Wahrheit jedoch auf Schelling: Die nicht einen neuen Theorietypus, aber doch eine
»absolute Indifferenz« habe den Unterschied nur neue Theorie eines so zuvor nicht gesehenen
quantitativ an ihr; sie sei »nicht als das f ü r s i c h - Bereichs der – logischen – Wirklichkeit. Sie kann
s e y e n d e Absolute gedacht«. »Oder es ist die sich deshalb nicht in ähnlicher Weise wie die
ä u s s e r e R e f l e x i o n , welche dabey stehen beiden anderen Bücher der Logik an Vorbilder
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 237

aus der philosophischen Tradition anlehnen. Bei menen Materials entwirft Hegel die gültige Ge-
seiner Ausarbeitung der Wesenslogik in den stalt der Wesenslogik. Er nimmt Modal- und
Nürnberger propädeutischen Logikentwürfen (s. Relationskategorien, Reflexionsbegriffe und An-
204 ff.) ist Hegel deshalb zu einer Vielfalt stark tinomie auf, ja er wählt sie partiell zum Leitfaden
variierender Ansätze genötigt; die anderen Teile einer Entwicklung der Wesenslogik, der Dialek-
seiner Logik – die Seins- und Begriffslehre – sind tik der wesenslogischen Bestimmungen – wenn
seit der mittleren Jenaer Zeit (1804/05) zumin- auch stets in der Absicht, durch die Revision des
dest in einem Kernbereich bereits stärker fixiert theoretischen Ansatzes auch eine Revision der
als die Wesenslogik. Die Seinslogik wird durch Kantischen Resultate bewirken zu können.
die Zweiheit von Qualität und Quantität kon- Der Prozeß der Entstehung der Wesenslogik ist
zeptionell weitgehend festgelegt. Ähnlich hat die deshalb der Prozeß einer von Entwurf zu Entwurf
Begriffslogik – ungeachtet der Fragen der Stel- veränderten und vertieften Disposition derjeni-
lung der Ideenlehre zur Begriffslehre und der gen Theorieelemente, die Hegel als »Bauzeug«
späteren Einfügung des Objektivitätskapitels – seiner Logik vorgegeben waren. Dies macht es
einen Fixpunkt in der Urteils- und Schlußlehre. zumindest nicht leicht, die Entwicklung der logi-
Sie kann sich hier auf reiches Material der Tradi- schen Bestimmungen zugleich als einen Prozeß
tion stützen – auch wenn sie ihre Aufgabe gerade der Genese eines in sich geschlossenen Zusam-
darin sieht, dieses Material neu zu interpretieren. menhangs von Denkbestimmungen mittels einer
Entsprechend geradliniger sind die Entwicklun- »Methode«, etwa der Wiederholung der Argu-
gen dieser beiden Bücher der Logik verlaufen, mentationsfigur von der Selbstbeziehung der Ne-
während die Relations- und die Modalkategorien gation oder irgendeiner anderen »Grundopera-
für die Wesenslogik nicht in gleicher Weise eine tion« (s. 251) zu beschreiben – so sehr durch
das Ganze organisierende Bedeutung haben. derartige Interpretationsansätze die Einsicht in
Über deren Integration hinaus hat sie insbeson- die Struktur der Hegelschen Gedankenentwick-
dere diejenigen Konzeptionsprobleme zu bewäl- lung vertieft worden ist. Die Entwicklung der
tigen, die aus der Eingliederung des »Systems Wesenslogik zeigt eine derartige Flexibilität, eine
von Grundsätzen« aus der Metaphysik des Jenaer derartige Freiheit in der Disposition vorgege-
Systementwurfs II (1804/05) in die Logik resul- bener Theorieelemente, daß sich zumindest der
tieren (s. 165–168). Verdacht aufdrängt, jeder Anspruch auf eine
Aus diesem Grund ist Hegels philosophiege- streng immanente Entfaltung der logischen Be-
schichtlicher Hinweis, daß die Wesenslogik »vor- stimmungen an Hand vergleichsweise weniger
nehmlich die Kategorien der Metaphysik und der komplexer Strukturen oder Operationen könne
Wissenschaften überhaupt« enthalte (3§ 114), kaum etwas anderes beabsichtigen als eine me-
zwar nicht unzutreffend, aber auch nicht sonder- thodologische Indemnitätserklärung vorausge-
lich hilfreich, wenn man nicht allein die philo- gangener inhaltlicher Entscheidungen.
sophiegeschichtliche Herkunft der einzelnen (2) Wegen des schmaleren Umfangs der We-
Denkbestimmungen, sondern die Kompositions- sens- und der Begriffslogik, also aus buchbinderi-
probleme dieses Buches der Logik verstehen schen Gründen, ist die Wesenslogik seit der
will. Erheblich mehr Aufschluß bietet sein Hin- Freundesvereinsausgabe zumeist mit der Be-
weis auf Kants transzendentale Logik. Ihre Be- griffslogik zusammengebunden worden. Hegel
deutung speziell für die Wesenslogik tritt in der versteht sie jedoch als zweiten Teil der »objecti-
Wissenschaft der Logik zwar nicht mehr so auffäl- ven Logik«, und somit ebenfalls als Nachfolge-
lig hervor wie in den frühen Nürnberger Jahren disziplin der früheren Ontologie gleichsam in der
der Formierung der Wesenslogik (s. 204 ff.). Die zweiten Generation: Wie das »Ens« der Onto-
entwicklungsgeschichtliche Betrachtung aber logie sowohl mit »Sein« als auch mit »Wesen« zu
zeigt auf, daß die frühe Wesenslogik gekenn- übersetzen sei, so umfasse die »objective Logik«
zeichnet war von Hegels Bemühen, die in Kants eine Seins- und eine Wesenslogik (GW 11.32).
transzendentaler Logik bereitgestellten Theo- Und auch den Umstand, daß die Sprache für die
rieelemente in einem neuen Zusammenhang be- Vergangenheitsform von » s e y n « die Form » g e -
grifflich konsistent abzuleiten. Im Zuge dieser w e s e n« gebildet habe, wertet Hegel als Indiz für
Durcharbeitung des aus der Tradition überkom- die Zusammengehörigkeit dieser beiden Berei-
238 II. Werk

che (GW 11.241). In anderen Formulierungen »selbst nicht ein A n d e r e s als anderes, noch
lockert er jedoch diese Dichotomie von objektiver Beziehungen a u f A n d e r e s […]; sie sind Selbst-
und subjektiver Logik: »Das Wesen steht zwi- ständige aber damit nur solche, die in ihrer Ein-
schen S e y n und B e g r i f f und macht die Mitte heit mit einander sind.« (GW 11.242) Die Be-
derselben und seine Bewegung den U e b e r - stimmungen dieser Sphäre treten deshalb vor-
g a n g von Seyn in den Begriff aus.« (GW 11.243) nehmlich paarweise auf – Wesentliches und
Diese Tendenz verstärkt sich im Aufriß der enzy- Unwesentliches, Identität und Unterschied,
klopädischen Logik (1817): Diese ignoriert die Positives und Negatives, Grund und Begründe-
Einteilung in objektive und subjektive Logik zu tes, Form und Materie, Form und Inhalt, Be-
Gunsten der Dreiteilung in Sein, Wesen und dingtes und Unbedingtes usf. Und sie erhalten
Begriff. ihre Bestimmtheit allererst aus diesem Bezug auf
(3) Der Sphäre des Seins gegenüber beschreibt ihr Anderes; sie sind nicht zunächst etwas für
Hegel die des Wesens durch das Wortfeld »erin- sich, sondern sie haben ihren systematischen
nern, Erinnerung« – in dem wörtlichen Sinne des Sinn allein in dieser Relation: »Sie sind sich auf
Innerlichwerdens, des »Insichgehens«, wobei je- sich beziehende und damit der Bestimmtheit ge-
doch die Gegenbewegung von innen nach außen, gen Anderes zugleich entnommene Bestimmun-
der Entäußerung des »Wesens« in seiner »Er- gen.« (GW 11.259) Darin unterscheiden sie sich
scheinung«, sogleich mitgedacht wird. Dies ent- von den seinslogischen Kategorien. Qualität und
spricht ja auch der Unterscheidung von »Sein« Quantität sind wohl negativ auf einander be-
und »Wesen« im gewöhnlichen Sprachgebrauch: zogen, aber nicht in gleicher Weise wie Identität
»Wesen« bezeichnet eine Sphäre, die tiefer liegt und Unterschied, deren vollständige Bestim-
als die äußerliche Unmittelbarkeit des Seins; des- mung in ihrer negativen Beziehung auf einander
sen Oberfläche muß erst durchstoßen werden, liegt.
um zum Wesen zu gelangen. Diesem Übergang (4) Das Hauptthema des ersten Abschnitts,
vom Sein zum Wesen liegt insgesamt eine Ein- »Das Wesen als Reflexion in ihm selbst«, bildet
sicht zu Grunde, die Hegel einmal für die Refle- die Abhandlung der Reflexionsbestimmungen
xionsbestimmung des Grundes im besonderen »Identität«, »Unterschied« (Verschiedenheit, Ge-
ausspricht: »was i s t , ist nicht als s e y e n d e s gensatz) und »Widerspruch« sowie »Grund«. Die-
u n m i t t e l b a r e s , sondern als g e s e t z t e s zu ses Thema hat Hegel in Jena der »Metaphysik«
betrachten« – wodurch also »das Seyn als solches zugeordnet: in seinem Kapitel »Das Erkennen als
in seiner Unmittelbarkeit für das Unwahre und System von Grundsätzen« (GW 7.128–138). Jetzt
wesentlich für ein gesetztes, der Grund aber für aber korrigiert Hegel sehr bewußt diese zuvor
das wahrhafte Unmittelbare erklärt wird« (GW gängige und auch von ihm selbst vertretene
11.293). Äußerlich ließe sich diese Bewegung » F o r m v o n S ä t z e n« oder von allgemeinen
vom Sein zum Wesen beschreiben als Abstrak- Denkgesetzen: Den Reflexionsbestimmungen
tion, als Negation alles Endlichen und Bestimm- »als in sich reflectirtem Gesetztseyn liegt die
ten – doch in dieser Perspektive erschiene das Form des Satzes selbst nahe. – Allein indem sie
Wesen als etwas von der äußerlichen Reflexion als a l l g e m e i n e D e n k g e s e t z e ausgespro-
durch Aufheben der Bestimmtheit Produziertes, chen werden, so bedürfen sie noch eines Subjects
und nicht als Produkt seiner selbst, als eigenes ihrer Beziehung« – also eines vorausgesetzten
»Aufheben des Andersseyns und der Bestimmt- Subjekts, dem dieses Denken als ein besonderer
heit« und »vollkommene Rückkehr des Seyns in Akt zugeschrieben wird –, und diese Form von
sich« (GW 11.242). Sätzen mit einem Subjekt sei nicht allein »etwas
Die Sphäre des Wesens unterscheidet sich von überflüssiges«, sondern auch etwas Schiefes, weil
der des Seins jedoch nicht allein durch diese sie durch den Rekurs auf ein derartiges Subjekt
Vermittlung, sondern ihre Bestimmungen sind die Sphäre des Seins wiedererweckt. Zudem wi-
durch ihre spezifische logische Struktur von den dersprächen sich derartige Sätze, wenn sie als
vorangegangenen unterschieden: Sie sind nicht allgemeine Denkgesetze aufgestellt würden. Es
bloß – über die Sphäre des Seins hinaus – zusätz- komme deshalb vielmehr darauf an, die Refle-
liche Bestimmungen, sondern »die Bestimmun- xionsbestimmungen »an und für sich zu betrach-
gen des Wesens haben einen andern Charakter ten« – wie bereits die Kategorien der Seinslogik.
als die Bestimmtheiten des Seyns«; sie sind
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 239

Und so analysiert Hegel die Reflexionsbestim- vorhandenen Widerspruch erfassen – und dabei
mungen in ihrem Verhältnis zu einander – beschränkt es sich nicht bloß darauf, den Wider-
mit exkursähnlichen Rückgriffen auf Lehrstücke spruch in der Weise der » g e i s t r e i c h e n Refle-
der Philosophiegeschichte und auf die Rechen- xion« in der Vorstellung anzudeuten: »Die d e n -
arten –, und er zeigt, daß ihnen in ihrer Iso- k e n d e Vernunft aber spitzt, so zu sagen, den
lierung gegeneinander keine Wahrheit zukom- abgestumpften Unterschied des Verschiedenen,
me. die blosse Mannichfaltigkeit der Vorstellung, zum
Als letzte dieser Reflexionsbestimmungen – w e s e n t l i c h e n Unterschiede, zum G e g e n -
oder als vorletzte, wenn man den »Grund« mit- s a t z e , zu. Die Mannichfaltigen werden erst, auf
zählt – behandelt Hegel die Bestimmung des die Spitze des Widerspruchs getrieben, regsam
»Widerspruchs«, als die für seine Dialektik ent- und lebendig gegen einander, und erhalten in
scheidende Bestimmung. Er macht hier mit Hilfe ihm die Negativität, welche die inwohnende Pul-
eines impliziten Rückbezugs auf die Philosophie- sation der Selbstbewegung und Lebendigkeit ist«
geschichte sehr deutlich, wie er diesen »Wider- – und hierdurch werde der Widerspruch » a b -
spruch« verstanden wissen will: Der Wider- s o l u t e T h ä t i g k e i t , und absoluter Grund«
spruch komme den Dingen selber zu; sie dürften (GW 11.288 f.). Mit »Widerspruch« bezeichnet
nicht – aus übergroßer Zärtlichkeit – von ihm Hegel somit primär diese interne, in der nega-
gereinigt und freigesprochen werden. Hegel legt tiven Beziehung gegen einander liegende Struk-
hier wie auch an anderer Stelle großen Wert tur von Wirklichkeit – von logischer, natürlicher
darauf, daß dieser »Widerspruch« nicht etwa – und geistiger Wirklichkeit –, die sich nicht ein-
wie von Kant – »in die subjective Reflexion ge- fach durch die Formulierung des Satzes vom zu
schoben« wird. Er sei auch keineswegs eine bloße vermeidenden Widerspruch hinwegdekretieren,
»Abnormität« oder »vorübergehender Krank- sondern sich nur in Form einander widerspre-
heitsparoxysmus«, sondern vielmehr »das Princip chender Sätze aussagen läßt. Gleichwohl »ist der
aller Selbstbewegung« und deshalb auch in aller Einwand abwegig, er [sc. Hegel] erkläre ›alles‹
Bewegung vorhanden, ja die »äusserliche sinn- für vernünftig und mache den haarsträubenden
liche Bewegung selbst ist sein umittelbares Da- Versuch, den Widerspruch zu ›ontologisieren‹.«
seyn« – und zwar darin, daß ein bewegter Körper (Fulda 2003, 119 f.) Tragfähig wäre ein derartiger
in einem Jetzt an einem Ort und zugleich an Einwand nur, wenn er zugleich zeigte, daß die
einem anderen ist. Wäre er nur an einem Ort, so Wirklichkeit eine andere als die von Hegel be-
bewegte er sich nicht – selbst wenn man die schriebene Verfassung habe.
Zeitspanne noch so klein dächte. Er wäre viel- (5) Dieser Abhandlung der Reflexionsbe-
mehr zum Stillstand gekommen. Deshalb gelangt stimmungen schickt Hegel in der Wissenschaft
Hegel zum Resultat: »Man muß den alten Dia- der Logik – anders als in der Logik der Enzy-
lektikern [sc. den Eleaten] die Widersprüche zu- klopädie – ein Kapitel über den »Schein« voraus,
geben, die sie in der Bewegung aufzeigen, aber das die Bestimmungen »Wesentliches und Unwe-
daraus folgt nicht, daß darum die Bewegung nicht sentliches«, »Schein« und vor allem »Reflexion«
ist, sondern vielmehr daß die Bewegung der d a - behandelt – wobei Hegel den »Schein« als »die
s e y e n d e Widerspruch selbst ist.« Reflexion als u n m i t t e l b a r e« versteht; »für den
Dies gilt freilich nicht allein für die äußerliche in sich gegangenen, hiemit seiner Unmittelbar-
Bewegung – es gilt für die Selbstbewegung des keit entfremdeten Schein, haben wir das Wort der
Lebendigen, den Trieb, und überhaupt für alles fremden Sprache, die R e f l e x i o n .« (GW
Lebendige: »Etwas ist also lebendig, nur insofern 11.249) Unter dieser »Reflexion« oder »absoluten
es den Widerspruch in sich enthält, und zwar Reflexion«, unterschieden in »setzende«, »äus-
diese Kraft ist, den Widerspruch in sich zu fassen sere« und »bestimmende Reflexion«, versteht He-
und auszuhalten« – anderenfalls geht es »in dem gel hier ausdrücklich nicht eine Leistung des
Widerspruch zu Grunde«. Und es gilt ebenfalls subjektiven Geistes, etwa des entgegensetzenden
und insbesondere für die Sphäre des Denkens: Verstandes, sondern Begriffsverhältnisse, unter-
»Das s p e c u l a t i v e D e n k e n besteht nur darin, schiedliche Strukturen interner, » r e i n e r Ve r -
daß das Denken den Widerspruch und in ihm m i t t l u n g« – im Unterschied zum »Grund« als
sich selbst festhält« (GW 11.287). Es muß ja den der » r e a l e n Ve r m i t t l u n g des Wesens mit
240 II. Werk

sich« (GW 11.292). Diese Formen der Reflexion (7) Im dritten Abschnitt, »Die Wirklichkeit«,
und der ihnen zugeordneten Formen von Un- erörtert Hegel zentrale Lehrstücke der logischen
mittelbarkeit haben in neuerer Zeit lebhafte Auf- und metaphysischen Tradition: den Begriff des
merksamkeit im Blick auf ihren Beitrag zu Hegels Absoluten sowie die relations- und die modallo-
Methodenbegriff gefunden, da sie einen Ansatz gischen Kategorien. Im Begriff des Absoluten
zu deren Entschlüsselung zu bieten scheinen sieht er »alle Bestimmtheit des We s e n s und der
(Henrich 1971) – wobei allerdings der Umstand, E x i s t e n z , oder des S e y n s überhaupt sowohl
daß Hegel dieses Kapitel nicht in die Enzyklopä- als der R e f l e x i o n aufgelöst« – denn sonst wäre
die aufnimmt, geeignet ist, dessen übergreifen- es ja nicht das schlechthin Unbedingte. Würde es
den methodologischen Stellenwert in Zweifel zu aber bloß als die Negation aller Prädikate ge-
ziehen (GW 11.244–322). dacht, so wäre es lediglich das Leere – obschon es
(6) Den zweiten Abschnitt der Wesenslogik, doch als dessen Gegenteil, nämlich als die Fülle
»Die Erscheinung«, durchzieht die Auseinander- schlechthin gedacht sein soll. Diesem Absoluten
setzung mit Kant als ein roter Faden. Vor diesem – wenn sein Begriff denn adäquat gedacht sein
Hintergrund erhellt die implizit provokative Be- soll – kann nun nicht noch ein Denken als äußere
deutung zahlreicher Sätze wie etwa: »Die Er- Reflexion gegenüberstehen, denn hierdurch
scheinung ist das, was das Ding an sich ist, oder würde ja der Begriff des Absoluten aufgehoben,
seine Wahrheit.« Es geht also nicht allein darum, und es gäbe vielmehr deren zwei und somit gar
die transzendentalphilosophische Differenz zwi- keines. Wenn aber keine Reflexion jenseits des
schen »Ding an sich« und »Erscheinung« zu til- Absoluten stehen kann, so kann auch die Ausle-
gen, sondern indem Hegel die »Erscheinung« zur gung des Absoluten nicht in eine ihm äußere
»Wahrheit« des »Ding an sich« erklärt, kehrt er Reflexion fallen. Sie muß vielmehr seine eigene
zudem die Wertigkeit beider Begriffe um: Was Auslegung sein – und diese ist nichts anderes als
etwas an sich ist, zeigt sich nirgends als in seiner »das bisherige Ganze der logischen Bewegung
Erscheinung – und es ist sinnlos, hinter ihrem der Sphäre des S e y n s u n d d e s We s e n s , de-
Rücken wie auch hinter dem Rücken des Bewußt- ren Inhalt nicht von aussen als ein gegebener und
seins noch ein Reich des »Ansich« erbauen und z u f ä l l i g e r aufgerafft, noch durch eine ihm äus-
ihm gar Wahrheit zusprechen zu wollen. Die sere Reflexion in den Abgrund des Absoluten
»Erscheinung« ist die »höhere Wahrheit« sowohl versenkt worden« ist.
gegen das »Ding an sich« als auch gegen die Welche Vorstellungen man sich auch vom »Ab-
unmittelbare Existenz, denn sie ist die »wesent- soluten« machen mag: Wenn man es zu denken
liche, da hingegen die Existenz die noch wesen- sucht, erfordert die Logik seines Begriffs den
lose Erscheinung ist« (GW 11.341). Und noch Einschluß des Endlichen wie auch der Reflexion.
einen weiteren Gegensatz löst Hegel in den Be- Endlichkeit und Reflexion können nur als Mo-
griff der Erscheinung auf: den Gegensatz von mente des Absoluten gedacht werden, nicht als
Gesetz und Erscheinung. Beide haben »einen und etwas ihm Gegenüberstehendes, wenn anders es
denselben Inhalt«. »Das Reich der Gesetze ent- als das Absolute gedacht sein soll. Es kann auch
hält nur den einfachen, wandellosen aber ver- nicht als etwas »Erstes, Unmittelbares« gedacht
schiedenen Inhalt der existirenden Welt«; es »ist werden – sonst fehlte ihm ja das Moment der
das r u h i g e Abbild der existirenden und erschei- Vermittlung und der Freiheit. Das Vollkommene
nenden Welt. Aber vielmehr ist beydes Eine To- kann nicht am Anfang stehen – ein Gedanke, der
talität, und die existirende Welt ist selbst das sich seit den spätantiken Auseinandersetzungen
Reich der Gesetze« (GW 11.348,345). Als Totalität um das Problem der Theodizee bis zu Schelling
ist die an und für sich seiende Welt jedoch wieder und Hegel durchhält. Es kann aber auch nicht von
»eine gegen die Welt der Erscheinung verschie- etwas anderem hervorgebracht werden – sonst
dene Selbstständigkeit«, und diese ist negativ auf wäre es ja von diesem abhängig –, sondern es
jene bezogen, so daß also »die an und für sich muß erst durch sich zu sich werden. Deshalb
seyende Welt die v e r k e h r t e der erscheinenden kann die Auslegung des Absoluten nur gedacht
ist« – wie Hegel hier fraglos nicht ohne Rückbe- werden als »sein eignes Thun, und das b e y s i c h
zug auf die Phänomenologie des Geistes formu- a n f ä n g t , wie es b e y s i c h a n k o m m t .« Hegel
liert (s. 186 f.; GW 11.323–368). schärft die Kontur dieses Begriffs des Absoluten
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 241

noch durch eine Kritik an Spinoza, hinter deren lich nichts anderes als die Zufälligkeit selber sei
Fassade er jedoch die Auseinandersetzung mit (GW 11.380–392).
Schelling führt: »jenes Absolute, das nur als a b - (9) Den Übergang zur Begriffslogik macht He-
s o l u t e I d e n t i t ä t ist, ist nur d a s A b s o l u t e gel jeweils – in der Wissenschaft der Logik wie in
e i n e r ä u s s e r n R e f l e x i o n « – nämlich das der Enzyklopädie – von den Relationskategorien
Absolute der Identitätsphilosophie Schellings aus. Zunächst aber führt er hier den Substanzbe-
(GW 11.370–379). griff im Anschluß an den Begriff der absoluten
(8) Auch diese Exposition des Begriffs des Ab- Notwendigkeit ein: Sie sei »das S e y n , das ist,
soluten übernimmt Hegel nicht in die Logik der w e i l es ist, das Seyn als die absolute Vermittlung
Enzyklopädie; dort geht er vom »Verhältnis« un- seiner mit sich selbst« – also »das Seyn in a l l e m
mittelbar zur Abhandlung der Modalkategorien Seyn«, wie er hier wiederum mit Jacobi formu-
über, die jedoch nicht ein eigenes Kapitel, son- liert (JWA 1.39). Er analysiert hier jedoch nicht
dern lediglich eine Hinführung zu den Relations- mehr das Verhältnis von Substanz, Attribut und
kategorien bildet (s. 329 f.). Aber auch in der Modus, das bereits Thema des Kapitels »Das
Wissenschaft der Logik schließt Hegel den Begriff Absolute« ist, sondern das Verhältnis von Sub-
der »Wirklichkeit« im zweiten Kapitel nicht ei- stanz – als »absoluter Macht« – und Akzidenz,
gentlich an den Begriff des Absoluten an, sondern sowie dessen Weiterbestimmung zum Kausali-
er rekapituliert nochmals den Gang der logischen tätsverhältnis, das er nochmals detailliert in »for-
Bestimmungen – vom »Seyn« bis hin zur »Wirk- melle Causalität«, »bestimmtes Causalitätsver-
lichkeit«, als dem begrifflichen Ausgangspunkt hältniß« und »Wirkung und Gegenwirkung« auf-
der Modallogik. Anders als Kant weist Hegel den gliedert – letzteres noch im Unterschied zum
Modalkategorien nicht einen gesonderten Status Begriff der »Wechselwirkung«. In ihr sieht Hegel
zu, und ebenfalls im Unterschied zu Kant stellt er »die Causalität zu i h r e m a b s o l u t e n B e -
sie nicht zu den Kategorienpaaren »Möglichkeit / g r i f f e zurükgekehrt, und zugleich zum B e -
Unmöglichkeit«, »Dasein / Nichtsein« und »Not- g r i f f e selbst gekommen.«
wendigkeit / Zufälligkeit« so zusammen, daß die Dieser Übergang zum »Begriff«, von der »ob-
Notwendigkeit als Einheit von Existenz und Mög- jectiven« zur »subjectiven Logik«, bereitet Hegel
lichkeit gedacht wird (B 106). Hegel ordnet in allerdings erhebliche Probleme, so daß er ihn in
einem sehr komplexen Argumentationsgang zu- den einleitenden Partien der Begriffslogik – mit
nächst dem Titel »Zufälligkeit« die »formelle geringen Akzentverschiebungen – wiederholt.
Wirklichkeit, Möglichkeit und Nothwendigkeit« Die »objective Logik« sei insgesamt »die g e n e -
zu, sodann dem Titel »Relative Nothwendigkeit« t i s c h e E x p o s i t i o n d e s B e g r i f f e s«; die
die »reale Wirklichkeit, Möglichkeit und Noth- » d i a l e k t i s c h e B e w e g u n g der S u b s t a n z
wendigkeit«, während er schließlich die »abso- durch die Causalität und Wechselwirkung hin-
lute Nothwendigkeit« als die Wahrheit von Wirk- durch ist daher die umittelbare G e n e s i s des
lichkeit und Möglichkeit überhaupt entwickelt. B e g r i f f e s« – und diese Bewegung sei zugleich
Das absolut Notwendige » i s t a l s o , w e i l e s »die einzige und wahrhafte Widerlegung des Spi-
i s t«. nozismus« (GW 12.11–15) – also der nach Jacobi
Damit erreicht Hegel den Begriff, der gemein- auf dem Boden und mit den Mitteln der reinen
sam mit dem Begriff des »ens realissimum« den Metaphysik unwiderleglichen Philosophie (JWA
Gipfelpunkt des ontologischen Gottesbeweises 1.154). Am Ende der Wesenslogik greift Hegel
der vorkritischen natürlichen Theologie gebildet ebenfalls zurück auf das Verhältnis der Wechsel-
hat: den Begriff des schlechthin notwendigen wirkung, doch geht er hier – anders als in der
Wesens, des »ens necessarium«. Kant hat bereits Begriffslogik – vom Begriff der »passiven Sub-
gegen diesen Begriff eingewandt, daß es sich bei stanz« zum »Allgemeinen« sowie vom Begriff der
ihm um eine bloße Nominaldefinition handle, »activen Substanz« zum »Einzelnen« über, sowie
durch die man »um nichts klüger« werde; es von der Identität beider zur » B e s o n d e r h e i t ,
könne sogar sein, daß man durch diesen Begriff welche vom Einzelnen das Moment der B e -
»vielleicht gar nichts denke« (B 620 f.). Analog s t i m m t h e i t , vom Allgemeinen das Moment
erklärt Hegel die absolute Notwendigkeit für d e r R e f l e x i o n - i n - s i c h in unmittelbarer
» b l i n d«, für ein »lichtscheues« Wesen, das letzt- Einheit enthält.« In diesen drei Totalitäten – All-
242 II. Werk

gemeinheit, Besonderheit und Einzelheit – sieht zeitgenössischen Versuchen, »auf den B e g r i f f


Hegel in der Bestimmtheit zugleich »einen v o l l - alle üble Nachrede zu häuffen« – seinen Begriff
k o m m e n d u r c h s i c h t i g e n U n t e r s c h i e d« des Begriffs zu rechtfertigen.
erreicht, » b e s t i m m t e E i n f a c h h e i t« oder Hierfür erinnert Hegel an die »Natur des Ich« –
» e i n f a c h e B e s t i m m t h e i t , welche ihre Eine denn: »Der Begriff, insofern er zu einer solchen
und dieselbe Identität ist. – Diß ist der B e g r i f f , E x i s t e n z gediehen ist, welche selbst frey ist, ist
das Reich der S u b j e c t i v i t ä t oder der F r e y - nichts anderes als I c h oder das reine Selbst-
h e i t .« (GW 11.393–409) bewußtseyn. Ich h a b e wohl Begriffe, das heißt,
Literatur: Peter Rohs: Form und Grund. Interpretation bestimmte Begriffe; aber Ich ist der reine Begriff
eines Kapitels der Hegelschen Wissenschaft der Logik. selbst, der als Begriff zum D a s e y n gekommen
HSB 6 (11969, 2 1972); Dieter Henrich: Hegels Logik der ist.« Um diesen Gedanken philosophiegeschicht-
Reflexion. In: Henrich (Hg.): Die Wissenschaft der lich zu profilieren, bezieht Hegel sich auf Kants
Logik und die Logik der Reflexion. Hegel-Tage Chan-
Begriff der ursprünglich-synthetischen Einheit
tilly 1971. HSB 18 (1978), 203–324; Manfred Wetzel:
Reflexion und Bestimmtheit in Hegels Wissenschaft der Apperzeption, und er führt hier eine der
der Logik. Hamburg 1971; Christa Hackenesch: Die gedanklich dichtesten Auseinandersetzungen mit
Logik der Andersheit. Eine Untersuchung zu Hegels Kants Begriffen der »Objectivität« der Erkenntnis
Begriff der Reflexion. Frankfurt am Main 1987; Ger- und der »Wahrheit« (GW 12.17–28). Doch mit
hard Martin Wölfle: Die Wesenslogik in Hegels »Wis- seiner Unterscheidung zwischen dem »Haben«
senschaft der Logik«. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994;
und dem »Sein« des Begriffs greift er primär –
Klaus J. Schmidt: Georg W. F. Hegel, Wissenschaft der
Logik. Die Lehre vom Wesen. Einführender Kommen- ohne dies ausdrücklich zu sagen – Jacobis Unter-
tar. Paderborn 1997; Birgit Sandkaulen: Die Ontologie scheidung zwischen adjektivischer und substan-
der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die tivischer Vernunft auf – zwischen der Vernunft,
Faktizität des Einzelnen. In: Internationales Jb des die der Mensch hat, und derjenigen, die den
Deutschen Idealismus 5 (2007), 235–275. Menschen hat. Die erste versteht Jacobi als »eine
Beschaffenheit des Menschen, die er nach und
6.2.7. Die Lehre vom Begriff nach erlangt, ein Werkzeug, dessen er sich be-
(1) Diesen Schritt vom Wesen zum Begriff, aus dient, s i e g e h ö r t i h m z u .« Oder in Hegels
dem »Reich der Nothwendigkeit« in das »Reich Worten: Sie erscheint als »ein Ve r m ö g e n oder
der F r e y h e i t«, sieht Hegel in den einleitenden E i g e n s c h a f t , die in dem Verhältnisse zu Ich
Partien zur Begriffslogik, »Vom Begriff im all- stehe, wie die Eigenschaft des Dings zum D i n g e
gemeinen«, darin vollzogen, daß »die a n u n d selbst, […]. Nach dieser Vorstellung h a b e Ich
f ü r s i c h s e y e n d e I d e n t i t ä t , welche die Begriffe und den Begriff, wie ich auch einen
Nothwendigkeit der Substanz ausmacht, zugleich Rock, Farbe und andere äusserliche Eigenschaf-
als aufgehoben, oder als G e s e t z t s e y n ist«. Das ten habe.« Durch die zweite hingegen » b e s t e h t
Moment der Freiheit also liegt in diesem Hinaus- der Mensch; er ist eine Form, die sie angenom-
gehen über den Rest von »Seyn« oder »Unmittel- men hat« (JWA 1.259 f.) – eben die Form der
barkeit«, der aus dem Begriff der Substanz nicht freien Existenz des Begriffs.
zu tilgen ist. Unter »Begriff« versteht Hegel die Damit sind »Begriff« und »Ich« nicht etwa
Identität des Allgemeinen und des Einzelnen – schlechthin identifiziert, sondern ihre Identität
nämlich in dem Sinne, daß beide, Allgemeines steht unter der Bedingung des »insofern«: Nicht
und Einzelnes, Totalität sind; »jedes enthält die schon der in der Logik thematische, nicht-exi-
Bestimmung des andern in sich, und darum sind stierende, sondern erst der zur freien Existenz
diese Totalitäten eben so schlechthin nur E i n e , gediehene Begriff ist »Ich«. Die Denkbestim-
als diese Einheit die Diremtion ihrer selbst in den mungen der Logik können nicht »Ich« zu sich
freyen Schein dieser Zweyheit ist«. Dieses logi- sagen. Die Voraussetzung dieser differenzierten
sche Verhältnis findet sich noch nicht in der Identität liegt in der Strukturanalogie von »Be-
»objectiven Logik«; Hegel bezeichnet es als den griff« und »Ich«: Wie der Begriff, so ist auch das
» B e g r i f f d e s B e g r i f f e s« – wohl wissend, daß Ich » e r s t l i c h reine sich auf sich beziehende
dieser Begriff »von demjenigen abzuweichen Einheit, und diß nicht unmittelbar, sondern in-
scheinen kann, was man sonst unter Begriff ver- dem es von aller Bestimmtheit und Inhalt ab-
stehe«. Und so sucht er – auch gegenüber den strahirt, und in die Freyheit der schrankenlosen
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 243

Gleichheit mit sich selbst zusammengeht. So ist selbe ist, da ist, zu beobachten« – »die nach ihren
es Allgemeinheit«. Schon in dieser Wendung ist inneren Gesetzen, ohne alles äussere Ziel, noth-
die Unendlichkeit des Ich, analog der Unendlich- wendig verfahrende Vernunft überhaupt« oder
keit des Begriffs, angedeutet – doch noch prä- »die Vernunft in ihrem nothwendigen Handeln«
gnanter spricht Hegel sie in seiner Erläuterung (GA I/3.316). Ebensowenig ist es ein Handeln,
dieser zuletzt genannten »Allgemeinheit« aus: das von einer vorausgesetzten Substanz dann und
Die Einheit des Ich ist zwar eine »sich auf sich wann als eine sekundäre Tätigkeit vollzogen –
beziehende Einheit« – aber diese Selbstbezie- oder auch nicht vollzogen – würde, sondern Sub-
hung besteht »nur« in dem negativen Verhalten jektivität besteht eben in diesem notwendigen
der Abstraktion, im Auflösen »von aller Be- und kontinuierlichen Handeln. Die zu seiner Be-
stimmtheit und Inhalt«. Diese Allgemeinheit ist schreibung verwendeten Begriffe gehören des-
»Einheit, welche nur durch jenes n e g a t i v e Ver- halb nicht einer Selbstbetrachtung des Ich an; sie
halten, welches als das Abstrahiren erscheint, sind nicht ihm verfügbar, etwa mittels Introspek-
Einheit mit sich ist, und dadurch alles Bestimmt- tion oder psychologischer Betrachtungen, son-
seyn in sich aufgelöst enthält.« dern sie sind allein Gegenstand einer transzen-
Für eine adäquate Erfassung der Strukturiden- dentallogischen oder spekulativen Analyse der
tität von Begriff und Ich ist insbesondere dieses Funktionsweise des Ich. Dies gilt auch für den
»nur« hervorzuheben: Auch die Einheit des Sub- Begriff der »unendlichen Subjektivität«: Er erfaßt
jekts ist nicht etwas an sich Vorhandenes, Voraus- diese, nur der logischen Analyse zugängliche not-
gesetztes. Sie ist aber ebensowenig das Resultat wendige Tätigkeit des Ich, die eben nichts als die
einer bewußten Selbstbeziehung, die das Ich Tätigkeit des Begriffs selber ist. – Und Hegel
durch einen Akt der Freiheit erst herstellte, und vervollständigt seine Bestimmung der Identität
sie wird deshalb auch nicht durch einen Akt von Begriff und Ich durch den weiteren Ge-
konstituiert, der einer Introspektion zugänglich danken, daß die sich auf sich beziehende Nega-
wäre. Deshalb liegt sie allen Zirkeln voraus, in tivität des Begriffs zugleich das principium in-
die das Subjekt sich bei seinem Versuch, sich zu dividuationis enthalte: daß sie Allgemeinheit und
begreifen, verstricken könnte. Das Ich geht nicht zugleich Einzelheit, individuelle Persönlichkeit
auf seine Selbsterkenntnis aus, sondern es geht sei – also »absolute A l l g e m e i n h e i t , die eben
aus seiner Verwicklung mit Anderem immer wie- so unmittelbar absolute Ve r e i n z e l u n g ist.«
der in sich selbst zurück – oder richtiger: Es ist Absolute Allgemeinheit, die unmittelbar Verein-
aus seiner Bestimmtheit durch Anderes immer zelung ist: Auch wenn hier die logischen Termini
schon »in die Freyheit der schrankenlosen gebraucht werden, ist durch sie hindurch die
Gleichheit mit sich selbst« zurückgegangen. Ge- philosophisch-theologische Formel zu hören:
nau hierin liegt seine Identität mit dem Begriff Wie der Begriff, so ist das Ich ist Eins und Alles,
und seine Unendlichkeit: Das »unendliche Sub- 6 kaì pãn (GW 12.15–17).
en
jekt« hat zwar »Bestimmtheit und Inhalt« – doch (2) Diesen »Begriff des Begriffs« leitet Hegel
wird es hierdurch nicht beschränkt. Im Gegen- im ersten Abschnitt, »Subjektivität«, nochmals
teil; es löst alles Bestimmtsein in sich auf und ist aus der »Genesis« des Begriffs her – aus der
eben dadurch – und nur dadurch – »schranken- Bewegung des Gedankens vom »Seyn« über das
lose Gleichheit mit sich selbst«. »Wesen«, vom »Uebergehen in Anderes« zum
Dieses »negative Verhalten« und »Abstrahiren« »Setzen« und wieder zur Rückkehr zum » u r -
kann man als eine Tätigkeit beschreiben – aber s p r ü n g l i c h e n Seyn«, das er hier aber näher als
als eine notwendige Tätigkeit, oder – um mit das des »Begriffs« charakterisiert, also als ein
Fichte zu sprechen – als ein »nothwendiges Han- logisches Verhältnis, das auf den vorangegan-
deln« der Vernunft, und nicht etwa als ein freies. genen Stufen des Gedankens noch nicht erreicht
Auch für Fichte hat der »wahre Philosoph« durch war. Das zunächst vermeintlich Ursprüngliche,
den einzigen ihm erlaubten »Akt der Willkühr«, schlechthin Unmittelbare, erweist sich auf die-
»welcher der freie Entschluß philosophiren zu sem Wege als ein Vermitteltes, immer schon im
wollen selbst ist« (s. 233), »die Vernunft in ihrem Begriff Enthaltenes. Im »Begriff des Begriffs« ist
u r s p r ü n g l i c h e n u n d n o t h w e n d i g e n Ver- – im Unterschied zu einer Vorstellung – die in-
fahren, wodurch sein Ich und alles, was für das- terne logische Struktur eines Sachverhalts ge-
244 II. Werk

dacht, als seine Strukturierung durch » A l l g e - An diese Exposition der Momente des Begriffs
m e i n h e i t , B e s o n d e r h e i t und E i n z e l n - schließt Hegel seine Urteilslogik an – denn »Ur-
h e i t«. Die vorhergegangenen Denkbestimmun- theilen« ist für ihn, neben dem Begreifen, inso-
gen verhalten sich nicht zu einander wie fern » d i e a n d r e Function des Begriffes, als es
Allgemeines, Besonderes und Einzelnes; deshalb das B e s t i m m e n des Begriffes durch sich selbst
gehen sie in einander über bzw. sie »scheinen« in ist«. Erst in diesem Fortgang vom Begriff zum
ihr Anderes. Doch ein Sachverhalt ist erst wirk- Urteil zeige sich, was »es für bestimmte Begriffe
lich »begriffen«, wenn er in den Bestimmungen g i b t«. Hegels Urteilslogik unterscheidet sich von
von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zeitgenössischen – etwa derjenigen Kants – durch
gedacht ist. Diese Begriffsbestimmungen schlie- drei Spezifika: Da Hegel das Urteil als ein solches
ßen sich nicht aus, sie greifen in einander und » B e s t i m m e n des Begriffes durch sich selbst«
durch einander hindurch – wie etwa in der Natur faßt, unterscheidet er es streng vom bloßen
im Verhältnis von Gattung, Art und Individuum. »Satz«, dessen Elemente sich nicht wie Begriffs-
Das Besondere ist dem Allgemeinen nicht ent- bestimmungen zu einander verhalten. Das Urteil
gegengesetzt, sondern in ihm enthalten, ebenso hat stets die Struktur, daß einem Subjekt ein
wie das Einzelne in beiden. Das Allgemeine darf Prädikat zugeschrieben und somit jenes erst
nicht als eine bloße Abstraktion vom Besonderen durch dieses bestimmt wird; es ist nicht eine
verstanden werden, sondern es ist ein konkretes, » Ve r b i n d u n g z w e y e r B e g r i f f e«, zweier ur-
die Besonderheit in sich enthaltendes Allgemei- sprünglich selbständiger Extreme, sondern »die
nes. Den Weg der Abstraktion zu einem immer Diremtion des Begriffs durch sich selbst« – oder
höheren und höchsten Allgemeinen bezeichnet nach der damals – etwa in Hölderlins Fragment
Hegel schlicht als »Abweg« vom Wege des Be- »Urtheil und Seyn« – kursierenden, wenn auch
griffs – denn erst die von der Abstraktion »ver- falschen Etymologie: die ›Ur-Theilung‹ des Be-
schmähte Einzelnheit ist die Tiefe, in der der griffs, »die u r s p r ü n g l i c h e T h e i l u n g des ur-
Begriff sich selbst erfaßt, und als Begriff gesetzt sprünglich Einen«. Hiermit ist bereits der Primat
ist.« »Leben, Geist, Gott, – so wie den reinen der »ursprünglichen Einheit des Begriffes« ge-
Begriff, vermag die Abstraction deßwegen nicht genüber »der Selbstständigkeit der Extreme«
zu fassen, weil sie von ihren Erzeugnissen, die ausgesprochen.
Einzelnheit, das Princip der Individualität und Durch diese Rückbindung an eine spezifische
Persönlichkeit, abhält, und so zu nichts, als leb- logische Form ist der Gesamtbereich möglicher
und geistlosen, farb- und gehaltlosen Allgemein- Urteile erheblich geringer als derjenige mögli-
heiten kommt.« Das konkrete Allgemeine hinge- cher Sätze. Trotz dieser Beschränkung unter-
gen greift über das Besondere und Einzelne über; scheidet Hegel ebensoviele Urteilsformen wie
Hegel beschreibt es deshalb metaphorisch als die Kant in seiner »Urteilstafel« (B 95), nämlich zwölf
» f r e y e Macht« oder gar als »die f r e y e L i e b e , – und in seinen Urteilsformen sind die Kanti-
und s c h r a n k e n l o s e S e e l i g k e i t« – »denn es schen unschwer zu erkennen, obschon Hegel in
ist ein Verhalten seiner zu dem U n t e r s c h i e - den Bezeichnungen und in der Reihenfolge ge-
d e n e n nur als z u s i c h s e l b s t , in demselben ringfügig variiert: An Stelle der Kantischen Ru-
ist es zu sich selbst zurückgekehrt.« Und auch brik »Qualität« steht für Hegel das »Urtheil des
sonst bedient Hegel sich mehrfach eines theo- Daseyns«; an Stelle der »Quantität« das »Urtheil
logischen Vokabulars: Er bezeichnet den Begriff, der Reflexion«, an Stelle der »Relation« das »Ur-
das »wahrhafte, unendliche Allgemeine«, als eine theil der Nothwendigkeit« und an Stelle der »Mo-
» s c h ö p f e r i s c h e M a c h t«, deren » G e s e t z t - dalität« das »Urtheil des Begriffs« – jeweils mit
s e y n die unendliche, durchsichtige Realität ist, den zugehörigen einzelnen Formen wie »singu-
worin er seine S c h ö p f u n g , und in ihr sich läres Urtheil« usf. Hegel führt diese Urteilsfor-
selbst anschaut.« Dies ist aber nicht als Apotheose men aber nicht in einer »Tafel« ein, über deren
des »Begriffs« zu verstehen, sondern als ein Akt Zustandekommen die Kritik der reinen Vernunft
der logischen Reduktion: Das Verhältnis, das in bekanntlich keine Auskunft gibt, sondern er sucht
der Religion als Verhältnis Gottes zu seiner sie im kritischen Durchgang allererst zu gewin-
Schöpfung vorgestellt wird, ist vielmehr als Ver- nen – vom (positiven) »Urtheil des Daseyns« bis
hältnis des Begriffs als des konkreten Allgemei- zum (apodiktischen) »Urtheil des Begriffs«. Das
nen zum Einzelnen zu denken (GW 12.32–52). Prinzip der Aufstellung der Urteilsformen bildet
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 245

somit deren logische Genese. Hierdurch sucht Der Schluß ist für Hegel nicht allein »das Ve r -
Hegel Kants oder Aristoteles’ ›empirisches Auf- n ü n f t i g e«, sondern » A l l e s Ve r n ü n f t i g e i s t
raffen‹ der Urteilsformen durch eine ›wissen- e i n S c h l u ß«. Der Sinn dieser zunächst kryp-
schaftliche‹ Ableitung zu ersetzen. tisch wirkenden Behauptung erhellt aus der Aus-
Dieses Programm hat zugleich und unaus- einandersetzung, die Hegel zu Beginn dieses Ka-
weichlich zur Konsequenz, daß die Urteile sich pitels mit der Tradition, insbesondere wiederum
nicht als bloß verschiedene zu einander verhal- mit Kant führt. Er geht auch hier von Kant aus,
ten. Im dialektischen Gange ist ja das folgende von dessen Unterscheidung des logischen und
jeweils ›die Wahrheit‹ des vorangehenden, und des realen Gebrauchs der Vernunft: Vernunft ist
so bilden die Urteilsformen vielmehr eine Hier- sowohl das Vermögen zu schließen als auch » d a s
archie, geordnet nach dem Kriterium ihrer Wahr- Ve r m ö g e n d e r P r i n z i p i e n«, da sie selbst
heitsfähigkeit. Dieses Kriterium der »Wahrheit« »den Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze
eines Urteils – im Unterschied zu seiner bloßen enthält«. Auch für Kant stehen diese beiden Be-
»Richtigkeit« – liegt im Verhältnis zwischen der deutungen von »Vernunft« keineswegs bezie-
jeweiligen Form und dem jeweiligen Inhalt des hungslos nebeneinander, denn die Vernunftbe-
Urteils. Während es etwa für Kant keinen Anlaß griffe sind auch für ihn »geschlossene Begriffe«
gibt, die Wahrheit eines korrekt gebildeten »be- (B 355 f.,366). Diese Einheit sieht Hegel von Kant
jahenden« Urteils zu bezweifeln, ist für Hegel das jedoch nicht herausgearbeitet, so daß seines Er-
entsprechende »positive Urtheil« schon auf achtens bei Kant »nicht erhellt, wie jene Vernunft,
Grund seiner Form nicht wahrheitsfähig – denn welche schließt, und diese Vernunft, welche die
diese Form ›S ist P‹ habe den logischen Sinn: Quelle von Gesetzen und sonstigen ewigen Wahr-
» D a s E i n z e l n e i s t A l l g e m e i n«. Es ist aber heiten und absoluten Gedanken ist, mit einander
deutlich, daß die Allgemeinheit des Prädikats der zusammenhängen.« Deshalb fordert Hegel, die
Einzelheit des Subjekts nicht entspricht, der Sub- formelle logische Vernunft müsse »wesentlich
jektbegriff also durch den Prädikatbegriff nicht auch in der Vernunft, die es mit einem Inhalte zu
angemessen bestimmt wird – und so sei es um thun hat, zu erkennen seyn.« Und auf die Frage,
»dieses r e i n l o g i s c h e n I n h a l t s willen« er- »was es in allen jenen Gegenständen [sc. den
forderlich, vom »positiven Urtheil« zum »nega- Vernunftbegriffen] ist, um dessen willen sie ver-
tiven« fortzugehen – und ebenso von diesem zum nünftig sind«, lautet die entschiedene Antwort, es
»unendlichen« usf. Die Form des Urteils liegt sei eben ihr Schlußcharakter: Die Vernunft »ist
jeweils in diesem »logischen Inhalt« – und des- die Einheit als von bestimmten Extremen; so aber
halb ist die Form des Urteils insgesamt nicht ist d a s Ve r n ü n f t i g e nur d e r S c h l u ß .« (GW
geeignet, Wahrheit auszusagen. Doch sind die 12.90 f.)
höherstufigen Urteilsformen wie das »Urtheil der Anders als noch in einem Fragment zur Schluß-
Nothwendigkeit« oder das »Urtheil des Begriffs« logik aus der frühen Nürnberger Zeit (GW
diesem »logischen Inhalt« besser angemessen als 12.299–309) orientiert Hegel sich bei der Ab-
die basalen Formen des »Urtheils des Daseyns« handlung der einzelnen Schlußformen am Aufriß
oder des »Urtheils der Reflexion«. Erst im letzten der Urteilsformen – in den Gruppen »Schluß des
»Urtheil des Begriffs«, im »apodiktischen Ur- Daseyns«, »der Reflexion« und »der Nothwendig-
theil« (»die Handlung so und so b e s c h a f f e n ist keit« – wobei die vierte Gruppe der Urteilsfor-
r e c h t«), entsprechen sich Subjekt und Prädikat, men, das »Urtheil des Begriffs«, kein Gegenstück
denn Subjekt und Prädikat sind »jedes als der in der Schlußlogik hat. Und wie er die Urteils-
ganze Begriff«. Die Begriffseinheit scheint zu- formen in einem fortschreitenden Gang hier-
nächst nur in dieser unmittelbaren Beschaffen- archisch entwickelt, so auch die Schlußformen.
heit zu liegen – aber diese verbindet die Extreme Beim »Schluß des Daseyns« führt Hegel die tradi-
des Begriffs: »sie ist die e r f ü l l t e o d e r i n - tionellen vier Figuren des Schlusses auf; den
h a l t s v o l l e C o p u l a des Urtheils, die aus dem »Schluß der Reflexion« untergliedert er in den
U r t h e i l , worin sie in die Extreme verloren war, »Schluß der Allheit«, »der Induction« und »der
wieder hervorgetretene Einheit des Begriffs. Analogie«, sowie den »Schluß der Nothwendig-
D u r c h d i e s e E r f ü l l u n g d e r C o p u l a ist das keit« in den kategorischen, hypothetischen und
Urtheil zum S c h l u s s e geworden.« (GW 12.53– disjunktiven Schluß.
89)
246 II. Werk

In diesem letzteren habe sich der » F o r m a l i s - wie in der rationalistischen Metaphysik, um den
m u s d e s S c h l i e s s e n s« aufgehoben, der darin Aufweis, daß im Gedanken Gottes als des »aller-
besteht, »daß das Vermittelnde der Extreme, der realsten Wesens« das »Sein« als eine der »Rea-
Begriff als a b s t r a c t e Bestimmung, und da- litäten« enthalten sei, und auch nicht um die
durch von ihnen, deren Einheit sie ist, v e r - Explikation des Begriffs Gottes als des »notwen-
s c h i e d e n ist.« »Die verschiedenen Gattungen digen Wesens«. Deshalb ist Hegels Versuch einer
der Schlüsse aber stellen die Stuffen der E r f ü l - Erneuerung des systematischen Sinnes des »on-
l u n g oder Concretion der Mitte dar.« In ihrem tologischen Gottesbeweises« nicht immer schon
Durchlaufen sieht Hegel sein Programm der voll- durch Kants Argumente gegen diese beiden Be-
ständigen Vermittlung verwirklicht, das er bereits weisformen widerlegt. Die frühere »Form jenes
in der frühen Jenaer Zeit unter Rückgriff auf Beweises« bezeichnet Hegel ja selber als
Platons Gedanken vom »schönen Band« einführt »schlechte Form des formalen Schlusses«. An-
(s. GW 4.65). Die Bestimmungen des Begriffs dererseits ist sein eigenes Argument hierdurch
müssen jeweils einmal als »Mitte« und einmal als nicht schon immun gegen eine anders verfah-
Extreme des Schlusses vorkommen, so daß »der rende Kritik – zumal es keineswegs selbstver-
Unterschied des Vermittelnden und Vermittelten« ständlich ist, daß gerade dieser Übergang zur
wegfällt und keine unvermittelten Voraussetzun- »Objectivität« im Sinne »des a n u n d f ü r s i c h
gen verbleiben: »Das, was vermittelt ist, ist selbst s e y e n d e n S e y n s d e s B e g r i f f e s«, und nicht
wesentliches Moment seines Vermittelnden, und insgesamt »jener logische Verlauf die unmittel-
jedes Moment ist als die Totalität der Vermittel- bare Darstellung der Selbstbestimmung Gottes
ten.« Diese Vollendung des Schlusses sieht Hegel zum Seyn wäre.« Zudem behandelt Hegel dieses
zugleich als Aufhebung der Vermittlungsbewe- Thema nicht erschöpfend; er verweist vielmehr
gung insgesamt und als Genese einer neuen »Un- »auf eine andere Gelegenheit, den vielfachen
mittelbarkeit, die durch A u f h e b e n d e r Ve r - Mißverstand, der durch den logischen Formalis-
m i t t l u n g hervorgegangen« ist – der »Objectivi- mus in den ontologischen, so wie in die übrigen
tät« (GW 12.92–126). sogenannten Beweise vom Daseyn Gottes ge-
(3) Dieses Kapitel über die »Objectivität« ist bracht worden ist, wie auch die Kantische Kritik
dasjenige Hauptstück der Logik, das Hegel als derselben näher zu beleuchten, und durch Her-
letztes in ihre Konzeption eingefügt hat. Ein stellen ihrer wahren Bedeutung die dabey zu
Fragment über »Mechanismus, Chemismus, Or- Grunde liegenden Gedanken in ihren Werth und
ganismus und Erkennen« (GW 12.259–298; s. Würde zurückzuführen.« (GW 12.127–132; s.
201 f.) stammt zwar bereits aus der Bamberger 497 ff.)
Zeit, doch scheint es in den größeren Zusammen- Als erste Form der Objektivität behandelt He-
hang einer Schlußlogik zu gehören, von der aus gel den »Mechanismus«. Die Einführung des
Hegel ohne Zäsur zu den Themen übergeht, die »Mechanismus« wie auch des »Chemismus« als
seit Beginn der Nürnberger Entwürfe in eine logischer und nicht bloß naturphilosophischer
abgesonderte Ideenlehre fallen. Erst nachträglich Begriffe hat häufig den Verdacht erregt, Hegel
bildet Hegel, vom Zweckbegriff ausgehend, das vermische hier diese beiden Sphären mit ein-
Kapitel über die »Objectivität« aus, als ein Mitt- ander. Doch Hegel bestimmt den Mechanismus
leres zwischen der »Subjectivität« und der Ide- formal als Verhältnis » v o l l s t ä n d i g e r und
enlehre. s e l b s t s t ä n d i g e r O b j e c t e , die sich daher
Von diesem neu konzipierten Übergang von der auch in ihrer Beziehung nur als s e l b s t s t ä n -
»Subjectivität« des Begriffs zu seiner »Objectivi- d i g e zu einander verhalten, und sich in jeder
tät« sagt Hegel, daß er »seiner Bestimmung nach Verbindung ä u s s e r l i c h bleiben« – und hiermit
dasselbe ist, was sonst in der M e t a p h y s i k als greift er hinter die Naturphilosophie, hinter den
der S c h l u ß vom B e g r i f f e , nemlich vom B e - »materiellen Mechanismus« zurück, auf die all-
g r i f f e G o t t e s auf s e i n D a s e y n , oder als der gemeine Ebene des Logischen – obschon zu sei-
sogenannte o n t o l o g i s c h e B e w e i s vom D a - ner Zeit der »Mechanismus« und »Determinis-
s e y n G o t t e s vorkam.« Hieraus erhellt bereits, mus« fraglos primär Prinzipien einer umfassen-
daß der theoretische Kontext des ontologischen den Deutung des Naturzusammenhangs sind.
Beweises hier völlig verändert ist. Es geht nicht, Zudem ist Hegel trotz der dominierenden natur-
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 247

philosophischen Terminologie offensichtlich be- jedoch diese eigentümliche Vertauschung – denn


müht, den Mechanismus als eine logische Be- der Mechanismus erweitere sich »durch die ab-
stimmung auszuzeichnen, die ebenso im Reiche stracte A l l g e m e i n h e i t zu einem A l l d e r
des Geistes ihren Ort hat (GW 12.133–147). K r ä f t e , einem G a n z e n von gegenseitigen Ur-
Dies gilt auch für die zweite Form der »Objec- sachen. Der Mechanismus zeigt sich selbst da-
tivität«, für den »Chemismus«: Die Form der durch als ein Streben der Totalität, daß er die
elementarischen Natur bezeichnet Hegel zwar als Natur f ü r s i c h als ein G a n z e s zu fassen sucht,
den »eigentlichen« Chemismus, und er greift ins- das zu s e i n e m Begriffe keines andern bedarf
besondere hier häufig auf eine naturphilosophi- [sc. als »Substanz« im Sinne Spinozas, vgl.
sche Terminologie zurück. Dennoch trifft er ana- Ethica. Definitiones, 3], – eine Totalität, die sich
loge Verhältnisse auch im Geistigen an: Der Che- in dem Z w e c k e und dem damit zusammen-
mismus mache »auch für die geistigen Verhält- hängenden ausserweltlichen Verstande nicht fin-
nisse der Liebe, Freundschaft u. s. f. die det.« Der Zweck – im Sinne der äußeren Zweck-
f o r m a l e Grundlage« aus – darin nämlich, daß mäßigkeit – geht hingegen immer nur auf Parti-
er » d i e e r s t e N e g a t i o n der g l e i c h g ü l t i - kuläres – und so resümiert Hegel: »Als Resultat
g e n Objectivität« ist (GW 12.148–153). ergibt sich hiemit, daß die äussere Zweckmässig-
Die dritte Form der »Objectivität«, die Teleo- keit, welche nur erst die Form der Teleologie hat,
logie, bildet den entwicklungsgeschichtlichen eigentlich nur zu Mitteln, nicht zu einem ob-
und auch systematischen Kristallisationspunkt jectiven Zwecke kommt«. Sie kommt zu »Mit-
für die Ausarbeitung des Objektivitätskapitels teln« und auch zu »Werkzeugen«, die ein Höheres
insgesamt. Am Begriff des Zweckes läßt sich der sind als die endlichen Zwecke der äußeren Zweck-
Übergang aus der Subjektivität in die Objektivität mäßigkeit und dem Menschen von der » L i s t der
ja insbesondere veranschaulichen: Der Zweck Vernunft« an die Hand gegeben werden: »An
gehört der Subjektivität an, doch seine Realisie- seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht
rung fällt in die Sphäre der Objektivität. Hegels über die äusserliche Natur, wenn er auch nach
Abhandlung der Teleologie ist in zweifacher Hin- seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.«
sicht durch die zeitgenössische Diskussion ge- Ein Spezifikum der damaligen Diskussion liegt
prägt. Für das allgemeine Bewußtsein ist jedoch darin, daß Kant, in Anknüpfung an Ari-
»Zweckmäßigkeit« damals an einen zwecksetzen- stoteles, dieser äußeren den Gedanken einer in-
den Verstand gebunden – und somit die Möglich- neren Zweckmäßigkeit entgegengestellt hat. Die-
keit einer teleologischen Welterklärung an die sen Gedanken erläutert Hegel am dritten Wider-
Annahme »eines a u s s e r w e l t l i c h e n Verstan- streit der Antinomie der reinen Vernunft und an
des«. Hieraus resultiert ein Dilemma: »Je mehr der Kritik der Urteilskraft – und er kritisiert hier,
das teleologische Princip mit dem Begriffe eines daß Kant das teleologische Prinzip lediglich »ei-
a u s s e r w e l t l i c h e n Verstandes zusammen- ner r e f l e c t i r e n d e n U r t h e i l s k r a f t zu-
hängt, und insofern von der Frömmigkeit begün- schreibt« und es »zu einem verbindenden M i t -
stigt wurde, desto mehr schien es sich von der t e l g l i e d e zwischen d e m A l l g e m e i n e n der
wahren Naturforschung zu entfernen, welche die Ve r n u n f t und d e m E i n z e l n e n d e r A n -
Eigenschaften der Natur nicht als fremdartige, s c h a u u n g« mache. Dennoch sieht er auch in
sondern als i m m a n e n t e B e s t i m m t h e i t e n dieser Differenzierung eines »der grossen Ver-
erkennen will, und nur solches Erkennen als ein dienste K a n t s um die Philosophie« – auch wenn
B e g r e i f f e n gelten läßt.« Die teleologische er dieses Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit
Deutung erscheine deshalb als ein » h e t e r o g e - hier nicht mehr ausführlich diskutiert, sondern
n e s Element«, während der Mechanismus, ob- von ihm – als der Vermittlung von Subjektivität
schon er die Bestimmtheit eines Objekts nur als und Objektivität – zur »Idee« übergeht (GW
äußerliche nimmt, »für eine i m m a n e n t e r e An- 12.154–172).
sicht gilt, als die Teleologie« – während das (4) Dieses ambivalente Verhältnis zu Kant
Zweckverhältnis dem Begriff eigentlich weit an- kennzeichnet auch Hegels Begriff der »Idee«. Er
gemessener ist als der Mechanismus, zumal es kritisiert zunächst die gängige, vom englischen
das »Princip der Freyheit« kennt und »die Wa h r - »idea« herrührende Verwendung des Wortes
h e i t d e s M e c h a n i s m u s« ist. Hegel bekräftigt »Idee« im Sinne von bloßer »Vorstellung«. K a n t
248 II. Werk

hingegen habe »den Ausdruck: I d e e wieder dem Realität zu sein. Wäre sie ohne Begriff, begrifflos,
Ve r n u n f t b e g r i f f vindicirt.« Allerdings sieht so wüßten wir nichts von ihr; wäre sie ohne
Hegel hierin nur einen ersten Schritt: »Auch Ve r - Realität, wäre sie ein bloßes Hirngespinst. Was
n u n f t b e g r i f f ist ein etwas ungeschickter Aus- i s t , ist ebenso ein Gedachtes als ein Reelles –
druck; denn der Begriff ist überhaupt etwas Ver- und dies nicht im Sinne einer äußerlichen Koin-
nünftiges; und insofern die Vernunft vom Ver- zidenz zweier von einander getrennter Sphären,
stande und dem Begriff als solchem unterschie- sondern der Bestimmung der Objektivität durch
den wird, so ist sie die Totalität des Begriffs und den Gedanken (GW 12.173–178).
der Objectivität. – In diesem Sinne ist die Idee Bei der nachfolgenden Konkretion der »Idee«
das Ve r n ü n f t i g e«, und damit ist sie auch das sucht Hegel dem möglichen Mißverständnis vor-
Unbedingte, weil nur dasjenige Bedingungen zubeugen, als stehe das Folgende im Verhältnis
hat, was auf eine nicht durch es selbst gesetzte einer »angewandten Logik« zur vorangehenden
Objektivität bezogen ist – und »das Unbedingte« Begriffsentwicklung. Er ist sich noch kurz vor
ist ja nur ein deutsches Wort für »das Absolute«. Veröffentlichung der Wissenschaft der Logik
Hier ist der Begriff insofern frei, als er nichts nicht ganz schlüssig gewesen, welche Themen er
Fremdes mehr zum Gegenüber hat, sondern hier abzuhandeln habe. So hat er auch mehrfach
»diese seine objective Welt in seiner Subjectivität, angesetzt, die »Idee des Schönen« hier einzube-
und diese in jener erkennt« (GW 12.30). ziehen, doch hat er sie ebenso oft wieder getilgt
Eben deshalb aber ist »Idee« nicht ein bloßes (s. 206 f.). Hingegen gehört das »Erkennen« zum
» Z i e l«, etwa ein ins – platonische oder transzen- festen Bestandteil der Ideenlehre – denn wenn
dentalphilosophische – » J e n s e i t s« verscho- »die absolute Wahrheit der Gegenstand der Lo-
benes » U r b i l d«, dem man sich in einem wo- gik, und d i e Wa h r h e i t als solche wesentlich
möglich unendlichen Progreß anzunähern habe. i m E r k e n n e n ist, so müßte das E r k e n n e n
Alles Wirkliche ist (im emphatischen Sinne) nur wenigstens abgehandelt werden.« Und als dessen
insofern, »als es die Idee in sich hat, und sie notwendige Voraussetzung behandelt Hegel »die
ausdrückt«. Sie ist der aus der Unmittelbarkeit u n m i t t e l b a r e Idee; denn indem das Erkennen
»zu seiner Subjectivität befreyte Begriff, welcher der Begriff ist, insofern er für sich selbst aber als
sich von seiner Objectivität unterscheidet, die Subjectives in Beziehung auf Objectives ist, so
aber eben so sehr von ihm bestimmt und ihre bezieht er sich auf die Idee, als v o r a u s g e -
Substantialität nur in jenem Begriffe hat.« Damit s e t z t e oder u n m i t t e l b a r e. Die unmittelbare
ist nicht jegliche Inkongruenz zwischen Begriff Idee aber ist das Leben.«
und Objektivität in Abrede gestellt. Ihre Möglich- Beim Begriff des Lebens hat Hegel denselben
keit beruht für Hegel darauf, daß die Idee, »so Verdacht abzuwehren wie beim »Mechanismus«
wesentlich sie Einheit des Begriffs und der Reali- und »Chemismus«: Er sieht sich genötigt, »das
tät, eben so wesentlich auch deren Unterschied logische Leben« gegen das Leben in der Natur-
ist«. Diese Seite der Inkongruenz ist jedoch die und in der Geistesphilosophie zu profilieren, und
Seite der Endlichkeit und Unwahrheit der Reali- so bestimmt er es als eine vom Begriff schlechthin
tät, die mit dem Übergang zur »Idee« keineswegs durchdrungene Objektivität: Es »ist nur als diese
beseitigt ist. Doch ein Wirkliches, dessen Objek- n e g a t i v e E i n h e i t seiner Objectivität und Be-
tivität dem Begriff gar nicht angemessen wäre, sonderung sich auf sich beziehendes, für sich
wäre schlechthin »das Nichts«. Unter dem Titel seyendes Leben, eine Seele. Es ist damit wesent-
»Idee« ist deshalb nicht eine neue, vielleicht gar lich E i n z e l n e s , welches auf die Objectivität
eine feierlich-erhabene Sphäre neben derjenigen sich als auf ein Anderes, eine unlebendige Natur
des Seins gedacht, sondern es ist lediglich dasje- bezieht.« Schon hier mischen sich jedoch unüber-
nige angemessen gedacht, was bereits im Begriff hörbar Anklänge an die Naturphilosophie in den
des Seins zu denken versucht worden ist: » S e y n allgemeinen Begriff des Lebens – und noch mehr
hat die Bedeutung der Wa h r h e i t erreicht, in- bei den folgenden Themen »lebendiges Indivi-
dem die Idee die Einheit des Begriffs und der duum«, »Lebensproceß« und Proceß der Gat-
Realität ist; es i s t also nunmehr nur das, was tung« oder gar bei den Bestimmungen der »Sen-
Idee ist.« Alle Wirklichkeit hat diese Verfassung, sibilität«, »Irritabilität« und »Reproduction« wie
in sich differenzierte Einheit von Begriff und auch des »Schmerzes«, in dem Hegel »das Vor-
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 249

recht lebendiger Naturen« sieht (GW 12.179– gegriffen, und den Punkt, worauf es ankommt,
191). aufs lichteste und tiefste herausgehoben, daß
Erst bei der Abhandlung der »Idee des Erken- nemlich solche Methode der Demonstration
nens« löst Hegel sich von dieser Natursphäre – er schlechthin in den Kreis der starren Nothwendig-
nennt sie ja auch häufig »Idee des Geistes«. Doch keit des Endlichen gebunden ist, und die F r e y -
gerät er nunmehr in Abgrenzungsprobleme ge- h e i t , das ist, d e r B e g r i f f , und damit a l l e s ,
genüber seiner Geistesphilosophie: » D e n k e n , w a s w a h r h a f t i s t , jenseits derselben liegt,
G e i s t , S e l b s t b e w u ß t s e y n , sind Bestim- und von ihr unerreichbar ist.« Hierdurch sieht
mungen der Idee, insofern sie sich selbst zum Hegel die Einsicht vorbereitet, daß die Idee im
Gegenstand hat, und ihr D a s e y n d. i. die Be- synthetischen Erkennen die Wahrheit noch nicht
stimmtheit ihres Seyns ihr eigener Unterschied erreiche – »wegen der Unangemessenheit des
von sich selbst ist.« Hingegen gelingt ihm eine Gegenstandes zu dem subjectiven Begriffe« (GW
klare Unterscheidung sowohl gegenüber der ra- 12.192–230).
tionalistischen » M e t a p h y s i k d e s G e i s t e s«, Die » p r a k t i s c h e Idee, d a s H a n d e l n«, die
die sich mit »Substanz, Einfachheit, Immateriali- »Idee des Guten«, erklärt Hegel für »höher als die
tät« als Prädikaten der – unsterblichen – Seele zu Idee des betrachteten Erkennens« – denn im
schaffen gemacht hat, als auch gegenüber Kants Theoretischen stehe der subjektive Begriff »der
Kritik des Paralogismus der rationalen Seelen- objectiven Welt entgegen, aus der er sich den
lehre. Denn sosehr er Kants Kritik zustimmt, bestimmten Inhalt und die Erfüllung nimmt. In
sosehr verwirft er doch dessen Rede von der der praktischen Idee aber steht er als Wirkliches,
Natur des Selbstbewußtseins und des Ich. Ein dem Wirklichen gegenüber«. Hier habe der sub-
Selbstbewußtsein oder ein Ich, das sich zur Er- jektive Begriff die Gewißheit seiner Wirklichkeit
kenntnis des Ichs seiner selbst bedienen müsse und zugleich der Nichtigkeit der ihm gegenüber-
und so in einen Zirkel gerate, seien »barbarisch stehenden Objektivität. Aber auch hier über-
zu nennende Vorstellungen« – und das Selbst- winde er seine Endlichkeit nicht: Das Gute, das
bewußtsein sei »eben der d a s e y e n d e , also doch in der Geschichte der Metaphysik so lange
e m p i r i s c h w a h r n e h m b a r e , reine B e - den höchsten Rang in der Begriffshierarchie ein-
g r i f f , die absolute Beziehung auf sich selbst«. genommen hat und von Kant im »guten Willen«
In Anlehnung an die traditionelle Ideentrias zwar der Subjektivität zugeordnet, jedoch in sei-
untergliedert Hegel die »Idee des Erkennens« ner Reinheit bewahrt worden ist (AA IV.393),
weiter in die » t h e o r e t i s c h e Idee« und die wird hier zum Inhalt eines endlichen Zwecks –
» p r a k t i s c h e Idee«. Bei der ersten, der »Idee und damit zu einem Endlichen und Unbestän-
des Wahren«, polemisiert Hegel zunächst noch- digen: »Ist das Gute auch wieder als ein E n d -
mals gegen Kants Verständnis der Kategorien als l i c h e s fixirt, und wesentlich ein solches, so
lediglich subjektiver Denkbestimmungen, wor- kann es auch, seiner innerlichen Unendlichkeit
aus die Annahme einer »unbekannten D i n g - unerachtet, dem Schicksale der Endlichkeit nicht
h e i t - a n - s i c h h i n t e r dem Erkennen« aller- entgehen«: Es trete ins äußere, zufällige Dasein,
dings notwendig folgt. Im Anschluß daran behan- werde zerstört, in »die Collision und den Wider-
delt er jedoch die Formen »analytisches« und streit des Guten« hineingezogen und zum Bösen
»synthetisches Erkennen«, und hierunter dessen korrumpiert, während die »Idee des vollendeten
Momente »Definition«, »Eintheilung« und »Lehr- Guten« als ein absolutes Postulat in einem »Reich
satz« – im Rückgriff sowohl auf die Mathematik- der Subjectivität in den Räumen des durchsich-
als auf die Philosophiegeschichte. Als Musterbei- tigen Gedankens« einem »unaufgeschlossenen
spiel für synthetisches Erkennen habe lange Spi- Reich der Finsterniß« als einer unüberwindlichen
nozas geometrische Methode gegolten: »In der Schranke machtlos gegenüberstehe. Deshalb
That aber ist durch K a n t und J a c o b i die ganze sucht Hegel die theoretische und die praktische
Weise der vormaligen Metaphysik und damit ihre Idee mit einander zu vermitteln: Die Wirklich-
Methode über den Hauffen geworfen worden.« keit ist ja nicht ein opakes unmittelbares Dasein,
Und Hegel fährt mit deutlicher Präferenz für sondern das durch den Begriff Bestimmte, und
Jacobi fort, dieser habe die Metaphysik »vornem- das Gute nicht ein beschränkter, aus der Refle-
lich von Seiten ihrer Weise zu demonstriren an- xion geborener, allererst zu realisierender
250 II. Werk

Zweck: »die vorgefundene Wirklichkeit ist zu- reichte Wissen, »daß die Bestimmtheit nicht die
gleich als der ausgeführte absolute Zweck be- Gestalt eines I n h a l t s hat, sondern schlechthin
stimmt, aber nicht wie im suchenden Erkennen, als F o r m« ist. Statt »daß ein gegebenes Object
bloß als objective Welt ohne die Subjectivität des die Grundlage seyn könnte, zu der sich die ab-
Begriffes, sondern als objective Welt, deren in- solute Form nur als äusserliche und zufällige
nerer Grund und wirkliches Bestehen der Begriff Bestimmung verhielte, hat sich diese vielmehr als
ist. Diß ist die absolute Idee.« (GW 12.231–235) die absolute Grundlage und letzte Wahrheit er-
Zur Bestimmung dieser höchsten »Definition wiesen.« Aller vermeintlich unmittelbare, gege-
des Absoluten« – wenn es denn in der Logik um bene Inhalt, jedes »es gibt«, ist hier in die Selbst-
Definitionen des Absoluten ginge – schwingt bewegung des Begriffs, also des reinen Denkens
Hegel sich zu beinahe hymnischen Formulierun- aufgelöst, so daß »der Begriff Alles, und seine
gen auf: »Alles Uebrige ist Irrthum, Trübheit, Bewegung die a l l g e m e i n e a b s o l u t e T h ä -
Meynung, Streben, Willkühr und Vergänglich- t i g k e i t , die sich selbst bestimmende und rea-
keit; die absolute Idee allein ist S e y n , unver- lisirende Bewegung ist.« Die am Anfang stehende
gängliches L e b e n , s i c h w i s s e n d e Wa h r - vermeintliche » S u b s t a n t i a l i t ä t der D i n g e«
h e i t , und ist a l l e Wa h r h e i t .« Sie ist für Hegel wird nun als ein Produkt des sich wissenden
»der einzige Gegenstand und Inhalt der Philo- Begriffs erkannt.
sophie« – aber nicht etwa in dem Sinne, daß die In diesen Wendungen spricht sich ein neuer
Philosophie ihre anderen Themen zu vergessen Entwurf von Wirklichkeit überhaupt aus. Daß die
hätte, sondern daß sie diese anderen Themen äußere, dem Auge sich darbietende Wirklichkeit
insgesamt als Formen der Selbstbestimmung der nicht als die wahre zu gelten hat, ist unter Philo-
absoluten Idee und diese in ihnen erkennt: Natur sophen zwar nicht ungewöhnlich. Für Hegel ist
und Geist als die Formen ihres Daseins sowie die wahre aber auch nicht ein Reich der Dinge,
Kunst und Religion als »ihre verschiedenen Wei- wie sie an sich selber sind, als unterschieden von
sen, sich zu erfassen und ein sich angemessenes ihrer Erscheinung. Was sie zur Wirklichkeit im
Daseyn zu geben« – und die Philosophie schließ- emphatischen Sinne macht, ist eben nichts als ihr
lich als »die höchste Weise, die absolute Idee zu logischer Gehalt oder das sich denkende Denken
erfassen«. selbst. Und auch über dieses hinaus ist keine
Gemessen an diesen euphorischen Wendungen wahre Welt zu suchen.
kann die Lektüre des auf sie Folgenden ernüch- Die Logik als die reine Wissenschaft erfaßt
tern. Denn Hegel führt hier, wie schon am Schluß ihren Begriff jedoch nicht durch eine nachträg-
der Phänomenologie des Geistes, im Kapitel »Das liche Revision und Umwertung ihrer Inhalte,
absolute Wissen«, nicht eine wirklich neue Denk- sondern durch die Verständigung über den Weg,
bestimmung ein, auf welche seine Wendungen zu der zu diesem Resultat geführt hat, also über ihre
beziehen wären, sondern er gibt im wesentlichen Methode. Hegel spricht hier selber häufig von
einen Rückblick auf die zurückgelegten Stationen »Methode« – obschon es klar ist, daß es hier nicht
des Weges des Begriffs. Dieser Rückbezug hat um »Methode« im Sinne eines, von der äußer-
jedoch – hier wie dort – nicht den Status einer lichen Reflexion gewählten möglichen Weges
erzählenden Verständigung, sondern er ist Aus- zum Ziel zu tun sein kann, sondern allein um die
druck dessen, daß »die l o g i s c h e W i s s e n - »absolute Methode« der immanenten Fortbildung
s c h a f t ihren eigenen Begriff erfaßt hat«. Das, des Gedankens. Zur Konkretion greift Hegel
was sie ist, kann an ihrem Anfang nur in eine nochmals zurück auf das Anfangsproblem der
äußere Reflexion fallen, aber noch nicht ihr eige- Logik, das sich aus der Retrospektive insofern
nes Wissen sein. Erst in ihrem Verlauf und letzt- modifiziert darstellt, als jetzt, an ihrem Ende,
lich an ihrem Ende zeigt sich, daß sie nicht ein gewußt wird, was das Unmittelbare des Anfangs
äußerliches Wissen eines von ihr unterschiede- und was das Absolute ist, als dessen »erste Defi-
nen Gegenstandes ist, sondern sie ist »selbst der nition« das anfängliche Sein gegolten hat. Auch
reine Begriff, der sich zum Gegenstande hat, und hier bekräftigt Hegel nochmals – gegen Rein-
[…] sich zum Ganzen seiner Realität, zum Sy- hold –, daß der Anfang nicht ein provisorisch und
steme der Wissenschaft ausbildet«. Auf seine prä- hypothetisch angenommenes Wahres sein dürfe,
gnanteste Formel gebracht besagt dieses hier er- sondern das Sein als die ärmste Denkbestim-
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 251

mung sein müsse – aber ihr systematischer Sinn Sinne der Betrachtung der D e n k b e s t i m m u n -
hat sich unvermeidlich im weiteren Fortgang ge- g e n a n u n d f ü r s i c h , gegeben […]. Der Ge-
wandelt: »Die Methode, die sich hiemit in einen genstand, wie er ohne das Denken und den Be-
Kreis schlingt, kann aber in einer zeitlichen Et- griff ist, ist eine Vorstellung oder auch ein Nah-
wicklung es nicht anticipiren, daß der Anfang men; die Denk- und Begriffsbestimmungen sind
schon als solcher ein abgeleitetes sey«. Und wie es, in denen er i s t , was er i s t .«
der Sinn des »Seyns«, so ändert sich auch der Im Anschluß an diese philosophiehistorische
Sinn der Logik überhaupt: »Bey dem S e y n , dem Orientierung gibt Hegel eine gültige, wenn auch
Anfange ihres I n h a l t s erscheint ihr Begriff als vergleichsweise abstrakte und deshalb bei wei-
ein demselben äusserliches Wissen in subjectiver tem nicht hinreichende Skizze seines logischen
Reflexion. In der Idee des absoluten Erkennens Verfahrens: Ein »allgemeines E r s t e s a n u n d
aber ist er zu ihrem eigenen Inhalte geworden. f ü r s i c h b e t r a c h t e t« zeige »sich als das Andre
Sie ist selbst der reine Begriff, der sich zum seiner selbst«. Das somit entstandene Zweite sei
Gegenstande hat«. Man muß zwar mit dem Ab- »das N e g a t i v e des Ersten« und selbst »das e r -
soluten anfangen, sonst käme man nie bei ihm s t e N e g a t i v e« – aber eben »nicht das l e e r e
an, zumal aller Fortgang notwendig seine Selbst- N e g a t i v e , das N i c h t s«, sondern als »das A n -
explikation ist – aber eben deshalb ist sein Begriff d e r e d e s E r s t e n , das N e g a t i v e des U n -
erst am Ende erreicht: »Nur in seiner Vollendung m i t t e l b a r e n«, also das Vermittelte, aber zu-
ist es das Absolute.« gleich das Vermittelnde. Diese negative Bestim-
Seine Ausführungen zur »Methode« stellt He- mung sei auf das Andere bezogen, schließe also
gel hier ausdrücklich unter den Titel »Dialektik« » i h r eigenes Andres in sich, und ist somit a l s
– und er knüpft nochmals an die beiden Philo- d e r W i d e r s p r u c h , die g e s e t z t e D i a l e k -
sophen an, mit denen sich der Begriff der Dialek- t i k i h r e r s e l b s t«, und die Bewegung dieses
tik in herausragender Weise verbindet: an Platon zweiten Negativen bestehe darin, »die E i n h e i t
und an Kant. Bei Platon sieht er seine Methode zu setzen, die in ihm enthalten ist.« In dieser
der immanenten Entwicklung der Denkbestim- Negativität liege der » We n d u n g s p u n k t der
mungen vorgebildet – fraglos in den späten Dia- Bewegung des Begriffs« – und damit »der inner-
logen, insbesondere im Sophistes und im Parme- ste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und gei-
nides: Das Erkennen habe »die D i n g e a n u n d stiger Selbstbewegung, die dialektische Seele,
f ü r s i c h s e l b s t z u b e t r a c h t e n , […] sie al- die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es
lein vor sich zu haben, und was ihnen immanent allein Wahres ist; denn auf dieser Subjectivität
ist, zum Bewußtseyn zu bringen.« Kant sieht er allein ruht das Aufheben des Gegensatzes zwi-
als denjenigen, der diese Methode wieder erneu- schen Begriff und Realität und die Einheit, wel-
ert habe, und er betont, es sei »als ein unendlich che die Wahrheit ist.« Es sei »das i n n e r s t e ,
wichtiger Schritt anzusehen, daß die Dialektik o b j e c t i v s t e M o m e n t des Lebens und Gei-
wieder als der Vernunft nothwendig anerkannt stes, wodurch ein S u b j e c t , P e r s o n , F r e y e s
worden, obgleich das entgegengesetzte Resultat ist.« Diese sind also nichts Unmittelbares, son-
gegen das, welches daraus hervorgegangen, ge- dern allein von der bezeichneten logischen Struk-
zogen werden muß«: nämlich weder, wie schon tur her zu begreifen – und: »Die höchste zuge-
im spätantiken Skeptizismus, die (subjektive) schärfteste Spitze ist die r e i n e P e r s ö n l i c h -
Nichtigkeit der einander widersprechenden Be- k e i t , die allein durch die absolute Dialektik, die
stimmungen und die Mangelhaftigkeit des Er- ihre Natur ist, ebensosehr A l l e s i n s i c h b e -
kennens, noch die (objektive) Nichtigkeit der f a ß t und hält«.
sich widersprechenden Dinge, wie schon bei den Hegel sucht diesen Gang des Begriffs durch die
Eleaten. Und Hegel hebt es nochmals als »ein Einführung von Zahlen noch weiter zu veran-
unendliches Verdienst der kantischen Philoso- schaulichen – doch zeigt es sich rasch, daß der-
phie« hervor, die Aufmerksamkeit auf das »un- gleichen Zahlenspiele eher Mißverständnisse
kritische Verfahren« gezogen zu haben, daß die evozieren. Das Zweite könne auch als das Dritte,
Dialektik » n u r e i n n e g a t i v e s R e s u l t a t die Triplizität auch als Quadruplizität genommen
habe«. Hiermit habe Kant »den Anstoß zur Wie- werden – weil eben nichts an der »abstracten
derherstellung der Logik und Dialektik, in dem Zahlform« liegt, ebenso wie später bei der Trini-
252 II. Werk

tät (s.470 ff.). Sie gibt allein zum Mißbrauch An- Chong-Fuk Lau: Hegels Urteilskritik. Systematische
laß: »Der Formalismus hat sich zwar der Triplici- Untersuchungen zum Grundproblem der spekulativen
Logik. München 2004; Georg Sans: Die Realisierung
tät gleichfalls bemächtigt, und sich an das leere
des Begriffs. Eine Untersuchung zu Hegels Schluss-
S c h e m a derselben gehalten; der seichte Unfug lehre. Berlin 2004; Miriam Wildenauer: Epistemologie
und das Kahle des modernen philosophischen freien Denkens. Die logische Idee in Hegels Philo-
sogenannten C o n s t r u i r e n s , das in nichts be- sophie des endlichen Geistes. Hamburg 2004 (HSB 47);
steht, als j e n e s formelle Schema, ohne Begriff Andreas Arndt / Christian Iber / Günter Kruck (Hg.):
und immanente Bestimmungen überall anzuhän- Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss. Berlin
2006.
gen, und zu einem äusserlichen Ordnen zu ge-
brauchen, hat jene Form langweilig und übel
berüchtigt gemacht.« Hier nimmt Hegel wie- 6.2.8. Übergang zur Realphilosophie
derum Schelling und seine naturphilosophischen
Anhänger in den Blick – doch läßt sich dem auch (1) Ähnlich wie der Anfang der Logik hat auch ihr
eine Warnung vor dem Versuch einer Formalisie- Übergang zur »Realphilosophie«, im engeren
rung der Hegelschen Dialektik entnehmen, zu- Sinne zur Naturphilosophie, stets als eine ihrer
mal deren bisherige Versuche (u. a. Günther besonders problematischen Partien gegolten.
1978) nicht sonderlich erhellend gewesen sind. Hier jedoch geht es nicht um die Frage, wie in die
Indem das Resultat der Dialektik nicht ein bloß Logik hineinzukommen, sondern wie aus ihr, aus
Negatives ist, sondern ein neuer Begriff, wird der der »Wissenschaft nur des göttlichen B e g r i f f s«,
Inhalt des Erkennens im logischen Gange selbst wieder herauszukommen sei. Als Problem des
abgeleitet und erwiesen: »Die Methode selbst Übergangs vom Unendlichen zum Endlichen hat
erweitert sich durch diß Moment zu einem S y - dieses Problem die gesamte Epoche immer wie-
s t e m e«, zu einem » S y s t e m d e r To t a l i t ä t«, der beschäftigt, seit Jacobis Bericht über sein
zunächst jedoch zu einem System nur der Logik. Gespräch mit Lessing: »Er verwarf also jeden
Sie stellt sich »als einen in sich geschlungenen U e b e r g a n g des Unendlichen zum Endlichen;
K r e i s dar, in dessen Anfang, den einfachen überhaupt alle Causas transitorias, secundarias
Grund, die Vermittlung das Ende zurückschlingt; oder remotas; und setzte an die Stelle des ema-
dabey ist dieser Kreis ein K r e i s v o n K r e i - nierenden ein nur i m m a n e n t e s Ensoph; eine
s e n « , und die einzelnen Wissenschaften sieht inwohnende, ewig i n s i c h unveränderliche Ur-
Hegel als die »Bruchstücke dieser Kette«. Diese sache der Welt, welche mit allen ihren Folgen
Rede von »einzelnen Wissenschaften« deutet we- zusammengenommen – Eins und dasselbe wäre.«
niger auf die Wissenschaft der Logik denn auf das (JWA 1.18) Vom Systemanspruch Hegels her ist
»System« überhaupt, doch steht sie zunächst noch nicht ein »Sprung« oder ein »vollkommenes Ab-
im Kontext des »reinen Gedankens«. Erst im brechen von der Absolutheit« oder ein » A b f a l l
Anschluß daran bereitet Hegel den Übergang von von dem Absoluten« gefordert – wie Schelling
der Logik zur Realphilosophie vor: »die reine dies einmal formuliert (SW I/6.38) und später an
Wahrheit wird als letztes Resultat auch der A n - Hegel kritisiert –, sondern ein systematischer Zu-
fang einer andern Sphäre und Wissen - sammenhang, eine Vermittlung zwischen der
s c h a f t .« (GW 12.236–253) Sphäre des reinen Gedankens und seiner Wirk-
lichkeit in Natur und Geist, ja seine »Realisation«
Literatur: Wolfgang Krohn: Die formale Logik in He- in dieser Wirklichkeit. Hegel sucht diesen Über-
gels »Wissenschaft der Logik«. Untersuchungen zur
gang zunächst durch die Bestimmung begreiflich
Schlußlehre. München 1972; Gotthard Günther: Idee
und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die zu machen, daß die Idee »sich nemlich als ab-
Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen […]. solute E i n h e i t des reinen Begriffs und seiner
Hamburg 2 1978, darin Anhang: »›Materialien zur For- Realität setzt, somit in die Unmittelbarkeit des
malisierung der dialektischen Logik und der Morpho- S e y n s zusammennimmt« und als deren Totalität
grammatik 1973–1975‹ von Rudolf Kaehr«; Ludovicus die » N a t u r« sei. Doch ist er genötigt, diesen
de Vos: Hegels Wissenschaft der Logik: Die absolute
Übergang etwa von demjenigen von der Sub-
Idee. Einleitung und Kommentar. Bonn 1983; Anton
Friedrich Koch / Alexander Oberauer / Konrad Utz jektivität zur Objektivität zu unterscheiden. Dies
(Hg.): Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der ist schon aus einer formellen Erwägung plausi-
Hegelschen »Subjektiven Logik«. Paderborn u. a. 2003; bel: Die Logik ist ja mit der »absoluten Idee«
6. Nürnberger Schriften und Entwürfe (1808–1816) 253

nicht allein an ein Ende, sondern zu ihrer Voll- freier »Entschluß« zugeschrieben werden könnte.
endung gelangt, und so kann schon aus diesem Doch wie von einem freien Willen, so kann auch
immanenten Grund hier nicht ein logisches Ver- von einem solchen göttlichen Subjekt hier nicht
hältnis angesetzt werden, das analog zu den frü- die Rede sein. Zwar scheint Hegel genau dies
heren zu denken wäre – sonst wäre die Logik ja behauptet zu haben, wenn man den häufigen und
vielmehr nicht vollendet. in der Gegenwart noch zunehmenden Zitationen
Hegel geht deshalb einen anderen, und einen Glauben schenkt, er habe seine Logik als Dar-
zweifachen Weg. Zunächst führt er aus, die reine stellung der Gedanken Gottes vor Erschaffung
Idee sei »vielmehr absolute B e f r e y u n g , für der Welt ausgegeben. Dann wäre nach einem
welche keine unmittelbare Bestimmung mehr ist, Kandidaten für einen freien Willensakt nicht
die nicht ebensosehr g e s e t z t und der Begriff ist; lange zu suchen. Doch diese schon fast dogmati-
in dieser Freyheit findet daher kein Uebergang sche Behauptung ignoriert unbekümmert und
Statt, das einfache Seyn, zu dem sich die Idee großzügig den Text; sie unterstellt Hegel ein neu-
bestimmt, bleibt ihr vollkommen durchsichtig, platonisches und später christianisiertes Denk-
und ist der in seiner Bestimmung bey sich selbst modell, das er seiner Logik gerade nicht zu
bleibende Begriff.« Diese Rede von »absoluter Grunde legt. Vielmehr schreibt er, die Logik, »als
B e f r e y u n g« läßt sich aus ihrem Kontext hin- das System der reinen Vernunft, als das Reich des
länglich verstehen: Am Ende der Logik ist mit reinen Gedankens«, sei »die Wahrheit selbst, wie
der »absoluten Idee« ein Gedanke erreicht, gegen sie ohne Hülle an [und] für sich selbst ist; man
den es keine unmittelbare Bestimmung mehr kann sich deßwegen ausdrücken, daß dieser In-
geben kann. Denn das gesamte ›Reich des reinen halt die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem
Gedankens‹ ist ja nichts als die fortschreitende ewigen Wesen, vor der Erschaffung der Natur
Entfaltung dieser Idee. Insofern ist sie darin und eines endlichen Geistes ist.« (GW 11.21).
›frei‹, von allem Gegensatz und aller Unmittel- Auch abgesehen also von der distanzierten For-
barkeit befreit – und dies zeigt sich auch in dem mulierung, man könne sich so ausdrücken, ist
Verhältnis, das innerhalb der Logik zwischen der Hegels Aussage klar: Die Logik ist nicht Dar-
»absoluten Idee« und dem »Seyn« stattfindet: stellung der Gedanken eines ihr vorausgesetzten
»das einfache Seyn, zu dem sich die Idee be- göttlichen Subjekts, sondern gleichsam die Dar-
stimmt bleibt ihr vollkommen durchsichtig, und stellung dieses Göttlichen selbst – nämlich derje-
ist der in seiner Bestimmung bey sich selbst nigen wahren Wirklichkeit, die der Natur und
bleibende Begriff.« dem endlichen Geiste vorausliegt. In der Enzy-
Von diesem Logik-immanenten Verhältnis un- klopädie (1§ 17) spricht er der Logik deshalb vom
terscheidet Hegel in einem zweiten Ansatz das Ende des Systems her »die Bedeutung s p e c u l a -
Übergehen zur » A e u s s e r l i c h k e i t d e s t i v e r T h e o l o g i e« zu – eine Aussage, die er
R a u m s u n d d e r Z e i t«, und auch seine Vor- zwar in den späteren Auflagen so nicht wieder-
schau, daß der Begriff » i n d e r W i s s e n s c h a f t holt, die aber gleichwohl in Kraft bleibt, wie sich
d e s G e i s t e s seine Befreyung durch sich voll- auch von der Religionsphilosophie her erkennen
endet«, setzt eine weitere, neue Verwicklung der läßt (s. 456 f.). Ein vorausgesetztes göttliches
logischen Idee mit Unmittelbarkeit voraus, näm- Subjekt, dem Gedanken zugeschrieben werden
lich in ihrem Verhältnis zur Natur, zum »An- könnten, wäre für Hegel eine bloße religiöse
deren« des Begriffs. Hier spricht er davon, »daß Vorstellung – und zudem eine solche, die das
die Idee sich selbst f r e y e n t l ä ß t«, ja von einem begreifende Denken blockiert, statt es zu beför-
»nächsten Entschluß der reinen Idee sich als äus- dern (s. 183).
serliche Idee zu bestimmen«. Diese Auskunft (2) Dennoch bleibt es zweifelhaft, ob dieser
wirft viele Fragen auf, und vor allem diejenige, Übergang als ein »freies Entlassen« oder als »Ent-
was hier mit »Befreyung« und »Freyheit« gemeint schluß« oder gar als »Abfall« angemessen gedacht
sein könne – denn von einem Akt des freien sei – ganz abgesehen von dem unaufhebbar meta-
Willens kann hier nicht die Rede sein. Sie weckt phorischen Charakter dieser Wendungen. Für
nicht allein geistesphilosophische Assoziationen, den Systemanspruch entscheidend sind jedoch
sondern auch theologische, denn sie scheint ein nicht diese nebulösen Wendungen, die sich als
göttliches Subjekt anzusetzen, dem ein solcher Einsicht in den Übergangsprozeß von der Logik
254 II. Werk

zur Naturphilosophie ausgeben, jedoch eher eine 7. Heidelberger Schriften


Verlegenheit als eine Lösung indizieren. Ent- (1817–1818)
scheidend ist vielmehr, ob sich der »Begriff« in
der Wirklichkeit auffinden läßt. In der Logik 7.1. Aus den Heidelbergischen
antizipiert Hegel dieses Verhältnis, und er denkt
Jahrbüchern der Literatur
es als ein Begründungsverhältnis: Die Logik ist
zwar die »Wissenschaft der absoluten Form«,
7.1.1. Jacobi-Rezension
aber die »reinen Bestimmungen von Seyn, Wesen
und Begriff, machen […] die Grundlage und das (1) Als erstes Werk veröffentlicht Hegel in Hei-
innere einfache Gerüste der Formen des Geistes delberg zu Beginn des Jahres 1817, also nur ein
aus«. Wegen dieses Begründungscharakters ist Vierteljahr nach seinem Eintreffen, eine Rezen-
die logische Form von der ungeistig-natürlichen sion des im Sommer 1816 erschienenen dritten
wie auch von der »geistigen Gestalt des Begriffs« Bandes der noch von Jacobi veranstalteten Aus-
unabhängig, aber sie selber ist das Fundament gabe seiner Werke. Seine Rezension erscheint in
dieser realphilosophischen Sphären (GW 12.20). den beiden ersten Nummern dieses Jahrgangs
Deshalb kann Hegel ebenso formulieren, daß die der Heidelbergischen Jahrbücher, die er damals
konkreten Wissenschaften der Natur und des auch als Redakteur betreut.
Geistes »das Logische oder den Begriff zum in- Vor dem Hintergrund der überzogenen, weder
nern Bildner haben und behalten, wie sie es zum im Tone noch in der Sache angemessenen Pole-
Vorbildner hatten« (GW 12.25). Daß dies so sei, mik, mit der Hegel 1802 Jacobi in Glauben und
erhellt aber nicht schon aus der Logik, und schon Wissen (s. 136 ff.) bedacht hat, überrascht die
gar nicht aus den kryptischen Wendungen, in hohe und keineswegs nur taktisch motivierte
denen sie in ihrem letzten Abschnitt dieses Ver- oder vordergründig aufgetragene Wertschätzung
hältnis anzudeuten sucht. Im Nachweis, daß ein Jacobis, die sich in Hegels Rezension ausspricht –
solches Begründungsverhältnis vorliege, liegt trotz aller Kritik im einzelnen, an der Hegel auch
vielmehr erst die systematische Aufgabe der Na- jetzt nicht spart. Dieser Umschwung ist nicht
tur- und der Geistesphilosophie – und allein mit etwa durch einen Wandel im Denken Jacobis
ihrer Auflösung, nicht schon durch die Meta- veranlaßt. Die in dem besprochenen Band ver-
phern am Ende der Logik, ist der Systemzusam- öffentlichten Werke gehören ohnehin zumeist be-
menhang gewahrt, den Hegel nur ein Jahr später, reits der frühen Zeit vor Glauben und Wissen an –
in seiner Enzyklopädie der philosophischen Wis- wie etwa das Sendschreiben Jacobi an Fichte –,
senschaften im Grundrisse, erstmals insgesamt und die später verfaßten – wie die Schrift Von den
darstellt und auch publiziert. Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung – wei-
Literatur: Karl-Heinz Volkmann-Schluck: Die Entäuße- chen im Ansatz nicht von den frühen ab.
rung der Idee zur Natur. HSB 1 (1964), 37–44; Hermann Aber auch Hegels zwischenzeitlich erschienene
Braun: Zur Interpretation der Hegelschen Wendung: Schriften lassen noch nicht die neue Stellung zu
frei entlassen. In: Hegel. L’Esprit Objectif. L’Unité de Jacobi erahnen. In der Phänomenologie des Gei-
l’Histoire. Actes du IIIeme Congres International de
stes ist Jacobi zwar vielfach präsent (Falke 1996),
l’Association Internationale pour l’Étude de la Philo-
sophie de Hegel. Lille 1968, 51–64; Henrich: Hegels doch ohne daß aus diesen Anspielungen schon
Theorie über den Zufall, 164 f.; L. Bruno Puntel: Dar- ein prinzipieller Wandel in Hegels Urteil erkenn-
stellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur bar wäre. In der Wissenschaft der Logik bezieht
Einheit der systematischen Philosophie G. W. F. Hegels. Hegel sich wenig auf Jacobi – und erst in der 1816
HSB 10 (1973); Dieter Wandschneider / Vittorio Hösle: erschienenen Begriffslogik (GW 12.229) –, ob-
Die Entäußerung der Idee zur Natur und ihre zeitliche
schon Jacobis Kant-Kritik bereits zuvor hierzu
Entfaltung als Geist bei Hegel. HS 18 (1983), 173–199;
Brigitte Falkenburg: Die Form der Materie. Zur Meta- mannigfachen Anlaß geboten hätte. Erst die Neu-
physik der Natur bei Kant und Hegel. Frankfurt am bearbeitung des ersten Buches der Logik, die
Main 1987; Stefan Büttner: Natur als sich fremde Ver- »Lehre vom Sein« (1832), geht, lange nach Jaco-
nunft. Studien zu Hegels Naturphilosophie. Diss. phil. bis Tod, ausführlicher auf Elemente seiner Philo-
München 1991, Darmstadt 1993, 44–46; Marco Bor- sophie ein (GW 21.82–85), und zwar offensicht-
mann: Der Begriff der Natur. Eine Untersuchung zu
lich entlang den durch die Rezension vorgezeich-
Hegels Naturbegriff und dessen Rezeption. Herbolz-
heim 2000, 30–60. neten Linien.
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 255

(2) Hegels Urteil über Jacobi hat sich in diesen mus«, und von ihr gelte, nicht anders als zuvor
Jahren wohl erst durch die Vermittlung Niet- von der Substanzphilosophie Spinozas, daß sie
hammers und die durch ihn geförderte persön- als konsequente Philosophie den Gottesgedan-
liche Bekanntschaft gewandelt (s. 32–34). An die ken nicht denken könne. – Und nach einem
Stelle des rauhen polemischen Tons, in dem He- weiteren guten Jahrzehnt hat Jacobi einen hefti-
gel in Glauben und Wissen Schelling zu über- gen Streit mit Schelling um das richtige Verständ-
bieten trachtet, ist nun eine philosophisch wie nis des Theismus geführt, den »Streit um die
auch historisch gerechtere Sicht der ebenso zen- Göttlichen Dinge« oder »Theismusstreit«. Der
tralen wie eigentümlichen Rolle getreten, die Hegel zur Besprechung vorliegende Band vereint
Jacobi während der drei Jahrzehnte von 1785 bis Jacobis ausführliche Kant-Kritik (Ueber das Un-
1815 in der Philosophie ausgefüllt hat. ternehmen des Kriticismus die Vernunft zu Ver-
Hegel gehört ja zu der Generation von Philo- stande zu bringen, 1802) mit seinen Schriften
sophen, die am Ausgang der Aufklärung entschei- zum Pantheismusstreit (Jacobi an Fichte, 1799)
dende Anstöße durch Jacobis Briefe Ueber die und zum Theismusstreit (Ueber eine Weissagung
Lehre des Spinoza (1785, JWA 1) empfangen hat. Lichtenbergs, 1802, und Von den Göttlichen Din-
Die Wirkung dieses Buches beruht nicht so sehr gen und ihrer Offenbarung, 1811)
auf der vordergründig erörterten Frage, ob Les- (4) Der Besprechung dieser vier Schriften
sing ein Spinozist gewesen sei – denn dies ist schickt Hegel eine Eloge auf Jacobis Bedeutung
keine philosophische Frage; sie hat kaum mehr für die Philosophie seiner Zeit voraus: Den »kah-
als ein biographisch-historisches Interesse, das len Resten«, in denen die Metaphysik am Ende
zudem nicht wirklich befriedigt wird, da als ein- der Aufklärung »ein ermattetes Leben dürftig
ziges Zeugnis von diesem Gespräch Jacobis Be- fristete«, sei Jacobi in einer »ausgezeichneten
richt vorliegt. Die Wirkung des Buches beruht Ueberlegenheit« aufgetreten; er habe ihnen »die
vielmehr auf der Einschätzung, die Jacobi in ihm höchste Anschauung« des Absoluten entgegenge-
so nachhaltig einschärft: daß die Philosophie Spi- setzt, und zwar nicht bloß in Gefühl und Vor-
nozas die einzige konsequente Philosophie sei – stellung, sondern im Gedanken, denn er habe mit
daß sie aber als konsequente Verstandesphiloso- Spinoza erkannt, »daß sie das l e t z t e w a h r -
phie unausweichlich in den Pantheismus und gar h a f t e R e s u l t a t d e s D e n k e n s ist, daß jedes
Atheismus münde und deshalb alle solche Ver- consequente Philosophiren auf den Spinozismus
standesphilosophie zu verabschieden sei. Mit führen muß« – auf den Begriff der absoluten
dieser These hat Jacobi den »Spinozastreit« oder Substanz als der Negation der Negation, in der
»Pantheismusstreit« ausgelöst, der – entgegen das Endliche als Negatives gesetzt, also negiert
seiner Absicht – eine Welle der Spinoza-Rezep- ist. In diesem Rückblick prägt Hegel übrigens
tion nach sich gezogen hat. Namen wie Herder, erstmals, in Anlehnung an Jacobis Referat Spino-
Fichte, Hölderlin, Schelling und Schleiermacher, zas (JWA 1.22,100), die vollständige Formel »om-
aber auch Goethe sind hier zu nennen. Im Ge- nis determinatio est negatio«. Doch Hegel
folge dieser Rezeption hat Hegels Freund Hein- schreibt hier Jacobi vor allem die weiterführende
rich Eberhard Gottlob Paulus eine neue Ausgabe Einsicht zu, daß das Wahre gleichwohl nicht in
der Werke Spinozas veranstaltet, an der auch Gestalt der absoluten Substanz Spinozas zu fassen
Hegel mitgearbeitet hat (s. 22). sei, weil es so »noch nicht als der a b s o l u t e
(3) Nur ein gutes Jahrzehnt nach dem Pan- G e i s t erfaßt ist«. Jacobi habe »diesen Uebergang
theismusstreit hat ein neuer Streit die Zeitge- von der absoluten Substanz zum absoluten Gei-
nossen erregt: der Atheismusstreit, in dessen ste, in seinem I n n e r s t e n gemacht, und mit
Verlauf Fichte seine Jenaer Professur verloren hat dem unwiderstehlichen G e f ü h l e d e r G e w i ß -
(1798/99). Diesen Streit hat zwar nicht Jacobi h e i t ausgerufen: G o t t i s t G e i s t , d a s A b -
ausgelöst, aber er hat in ihn eingegriffen und s o l u t e i s t f r e y u n d p e r s ö n l i c h .« Diese
durch sein zunächst als Verteidigung Fichtes be- Einschätzung charakterisiert Jacobi als den Den-
absichtigtes, jedoch als Verstärkung der Angriffe ker, der die Parole für Hegels eigenen gedankli-
wirkendes Sendschreiben Jacobi an Fichte (JWA chen Weg von der Substanz zum Subjekt ausgibt.
2.187–258) die innere Verbindung mit dem Pan- Insbesondere das – in Hegels Denken ja recht
theismusstreit aufgewiesen: Fichtes Transzen- unvermittelt auftretende – Wort »Geist« führt er
dentalphilosophie sei »umgekehrter Spinozis- hier auf Jacobi zurück (GW 15.7–13).
256 II. Werk

Aber auch jetzt noch sieht Hegel Jacobis » B e - in der t h e o r e t i s c h e n Seite als Princip erkannt
w u ß t s e y n d e s a b s o l u t e n G e i s t e s in der zu haben«, nämlich das im Begriff der transzen-
Form des u n m i t t e l b a r e n , nur s u b s t a n - dentalen Apperzeption liegende Prinzip der
t i e l l e n W i s s e n s«, ja des reflektierenden Be- Selbstbestimmung. Demgegenüber hebt er wie-
wußtseins verharren. Jacobi mache gleichsam derum Jacobis Kritik an der » e r z ä h l e n d e n
nur den einen Schritt über Spinoza hinaus – nur Manier« Kants heraus, um Jacobi als Kronzeugen
über dessen Substanzbegriff, aber nicht zugleich gegen das Unternehmen seiner »Freunde« anzu-
den zweiten, über die Unmittelbarkeit, die doch rufen, die eine » Ve r b e s s e r u n g der kritischen
das Komplement der Substantialität bildet, hin zu Philosophie« darin gefunden zu haben glaubten,
der Bewegung des Wissens, die dem Geist zu- »daß sich die Erkenntniß des erkennenden Gei-
kommt. Und so gewinne der Geist- und Ver- stes zur Sache einer A n t h r o p o l o g i e machen
nunftbegriff für Jacobis Denken nicht die organi- lasse, – zu einem simpeln Erzählen von T h a t -
sierende Funktion, die eigentlich in ihm angelegt s a c h e n , die im Bewußtseyn sollen v o r g e f u n -
sei; er unterlasse es, das Erkennen nach der d e n werden« – womit er einmal mehr gegen
vorangegangenen »Wassertaufe des Verstandes« Jakob Friedrich Fries’ Neue Kritik der Vernunft
nun mit Vernunft und Geist zu taufen. Doch trotz (1807) polemisiert.
dieser Vorbehalte spricht Hegel Jacobi eine Das Sendschreiben Jacobi an Fichte (1799,
Schlüsselstellung für das Denken seiner Zeit zu: JWA 2.187–258) stellt Hegel nicht in die ur-
Es sei das »gemeinsame Werk« Jacobis und Kants sprüngliche Perspektive des Atheismusstreits
gewesen, »der v o r m a l i g e n M e t a p h y s i k (1798/99), sondern der Kritik Jacobis am Kan-
nicht so sehr ihrem Inhalte nach, als ihrer We i s e tisch-Fichteschen »Moral-Princip der Ve r -
d e r E r k e n n t n i ß , ein Ende gemacht und damit n u n f t« (eigentlich nur des Verstandes). Das gute
die Nothwendigkeit einer völlig veränderten An- Recht Jacobis, dieser abstrakten eine » c o n c r e t e
sicht des L o g i s c h e n begründet zu haben. Ja- Vernunft, unter dem populären Namen H e r z«
cobi hat hiedurch […] in der Geschichte der entgegenzustellen, unterstützt Hegel durch einen
Philosophie überhaupt eine bleibende Epoche ge- Rückgriff auf Aristoteles’ Kritik an der Aufhe-
macht.« (GW 15.11–13,24–29) bung der alogischen Seite der Seele durch die
(5) Von den vier Abhandlungen des zu rezen- Sokratische Moral – doch er kritisiert Jacobi, weil
sierenden Bandes sagt Hegel, sie seien »dem dieser »das H e r z hier dem a n s i c h G u t e n ,
Publicum sattsam bekannt; aber die Leidenschaft dem a n s i c h Wa h r e n gegenüberstellt«. Auch
der Zeit, in der sie erschienen, kann als vorbey hier referiert Hegel die oben (s. 141) bereits
gegangen angesehen werden« – und so könne zitierte »schöne Stelle«, in der Jacobi dem Kan-
sich die Betrachtung »auf das Wesentliche be- tisch-Fichteschen Vernunftgesetz, dem reinen
schränken«. – Jacobis Abhandlung Ueber das Un- »Willen, d e r N i c h t s w i l l ,« die »Absolutheit«
ternehmen des Kriticismus die Vernunft zu Ver- und » g ö t t l i c h e N a t u r« des Selbstbewußtseins
stande zu bringen (1802, JWA 2.259–330) billigt entgegengesetzt. Aber auch hier macht Hegel
Hegel zu, Kants Philosophie »auf die wahrhafte geltend, Jacobis Appell »an die unbestimmte
Weise, nämlich d i a l e k t i s c h , behandelt« zu ha- Seite der Majestät der Persönlichkeit« spreche
ben. Mit Jacobi wertet Hegel Kants Frage nach ebenfalls »einen absoluten W i l l e n aus, der
der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori als N i c h t s will« – ein unbestimmtes Allgemeines,
selbst noch durch die Denkweise der Metaphysik das die sittlichen Bestimmungen nur beseitige
seiner Zeit begrenzt, durch die Herrschaft der und ihnen ein »positives G e l t e n« abspreche.
abstrakten Identität. Doch macht er gegen Jacobi Die Philosophie jedoch habe sowohl »diese Noth-
geltend, daß der Erweis der Leerheit solcher wendigkeit der sittlichen Bestimmungen und ih-
Abstraktionen nicht bloß in eine äußerliche Re- res Geltens, als auch das Höhere aufzuzeigen, in
flexion fallen dürfe, sondern ihre »immanente welchem sie gegründet sind, das eben darum
Nichtigkeit« durch eine » o b j e c t i v e Dialektik« auch Macht und Majestät über sie hat.« (GW
erwiesen werden müsse. Und er wendet vor al- 15.18–22)
lem ein, daß Jacobi »das unendliche Verdienst« Auch die Schrift Von den Göttlichen Dingen
der Kritik der reinen Vernunft nicht herausge- und ihrer Offenbarung (1811, JWA 3), der Jacobi
hoben habe: »die F r e y h e i t d e s G e i s t e s auch seine frühere Abhandlung Ueber eine Weissagung
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 257

Lichtenbergs (1802) vorangestellt hat, entnimmt einem System der Freiheit, er, Jacobi, hingegen
Hegel ihrem ursprünglichen Kontext, dem nur durch einen Sprung: Hegel »mag wohl recht
»Theismusstreit« zwischen Jacobi und Schelling. haben, und gern wollte ich mit ihm noch einmal
Sie sei »von ihrer ersten Erscheinung her noch so alles durchversuchen, was die Denkkraft allein
in der Erinnerung des Publikums, daß es un- vermag, wäre nicht der Kopf des Greises zu
zweckmäßig seyn würde, sich dabey länger aufzu- schwach dazu.« (HBZ 142 f.) Und auch Jean Paul
halten« – mehr aber wohl aus einem anderen bestätigt diese neue Stellung Hegels zu Jacobi; er
Grund: »Es würde eine vergebliche und unfrucht- schreibt ihm am 3.9.17: »Hegel ist Dir viel näher
bare Mühe seyn, die Mißverständnisse entwirren gekommen, nur einen Punkt über den Willen
zu wollen, die in den Verhandlungen hierüber abgerechnet.« (HBZ 156)
vorgekommen sind«. Mit dieser diplomatischen Erstdruck: Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur.
Bemerkung entledigt Hegel sich der heiklen Auf- 10. Jahrgang, 1. Hälfte. 1817. – Text: GW 15.7–29;
gabe, nachträglich in diesen Streit einzugreifen – BSchr 8–40. – Literatur: Gustav-H. H. Falke: Begriffne
zumal er zwar persönlich Jacobi zuneigt, philo- Geschichte. Das historische Substrat und die systemati-
sophisch jedoch in diesem Streit auf Schellings sche Anordnung der Bewußtseinsgestalten in Hegels
Phänomenologie des Geistes. Interpretation und Kom-
Seite steht, oder, wie er hier unpersönlich formu-
mentar. Berlin 1996; Birgit Sandkaulen: Grund und
liert: auf Seiten der »Naturphilosophie«. Und so Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis. München 2000,
wirbt er um Verständnis für Schellings »Natur- 51,55,75,238; Christoph Halbig: Objektives Denken.
philosophie«, die teils ihre » w i s s e n s c h a f t - Erkenntnistheorie und Philosophy of Mind in Hegels
l i c h e F o r m« noch nicht gefunden, teils in kei- System. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 279–324.
ner ihrer Darstellungen ihren Inhalt erschöpft –
und somit »einer Polemik Seiten für vortheilhafte
7.1.2. Verhandlungen in der Versammlung
Angriffe« geboten habe. Den »positiven Ideen«
der Landstände des Königreichs Würtemberg
Jacobis spricht Hegel nur den Wert »von Ve r -
s i c h e r u n g e n« zu, von glücklichen Eingebun- (1) Entgegen dieser versöhnlichen Tendenz der
gen und sinnreichen Erfindungen. Und so sehr er Jacobi-Rezension hat Hegels zweite, allerdings
Jacobis »Dämmerung des Geistreichen« gegen- anonyme Veröffentlichung in den Heidelbergi-
über der Aufklärung begrüßt, so erscheint sie ihm schen Jahrbüchern eine polemische Stoßrich-
– gegenüber dem inzwischen hell leuchtenden tung: seine sogenannte Zweite Württemberg-
»Licht der Vernunft« – schlicht als »Dunkelheit«. Schrift oder Landstände-Schrift, d. h. seine Re-
Um aber seine Rezension nicht mit diesem Miß- zension der Verhandlungen in der Versammlung
ton zu beenden, kehrt Hegel am Schluß wieder zu der Landstände des Königreichs Würtemberg.
einer Charakteristik der allgemeinen Bedeutung Formal ist diese Schrift eine Rezension der Pu-
Jacobis zurück (GW 15.22–29). blikation der Verhandlungsakten der Jahre 1815
(6) Hegels Rezension hat viel Zustimmung er- und 1816; material ist sie die umfang- und ein-
fahren – etwa durch N. v. Thaden, der am 26.4.18 flußreichste politische Flugschrift Hegels.
an Hegel schreibt, die Rezension habe »der guten Hegels frühes politisches Engagement im Blick
Sache einen außerordentlichen Dienst geleistet, auf Württemberg (s. 82–84) und Briefstellen aus
– und wahrlich, dies Lob haben Sie in hohem mehreren Jahren belegen, daß er an den dortigen
Maße verdient: Wie milde die Schwäche berührt! politischen Verhältnissen kontinuierlich und zu-
Wie freundlich alles zum Besten gekehrt!« Auch meist sehr polemisch Anteil genommen hat. Als
Jacobi hat sie erfreut, obgleich nicht ohne Ein- Redakteur der Heidelbergischen Jahrbücher hat
wände aufgenommen, wie seine Briefe sowie ein er, gemeinsam mit seinen Redaktionskollegen,
Brief Hegels an Niethammer (19.4.17) und das eine in der Perspektive der Landstände verfaßte,
anhaltend herzliche Verhältnis Hegels und Jaco- gegenüber dem König und dem Ministerium
bis belegen. Im Brief an Johann Neeb vom Wangenheim kritische Auseinandersetzung sei-
30.05.17 beschreibt Jacobi sehr präzise den Un- nes langjährigen Freundes H. E. G. Paulus aus
terschied zwischen sich und Hegel: Auch für Umfangsgründen zunächst abgelehnt. Paulus, so
diesen sei der Spinozismus das letzte, wahrhafte schreibt Hegel am 19.4.17 an Niethammer, sei
Resultat des Denkens, doch Hegel komme auf »der Gott der Landstände«; er sei mit ihm wegen
dem Wege des Gedankens darüber hinaus zu seiner »quoad personam hämisch behandelten
258 II. Werk

und quoad rem höchst philisterhaftig und Gemei- die » Z a u b e r f o r m e l« (GW 15.80) des »alten
nen-Menschenverstand-mäßigen« Kritik am Mi- Rechts« geht es – mit Marx zu sprechen – in
nisterium Wangenheim »zu einem Billetieren als Hegels Augen lediglich darum, »die Niederträch-
Redakteur« gekommen. Dies, und wohl über- tigkeit von gestern« (MEW 1.380) in der künfti-
haupt ihr in der nachnapoleonischen Zeit aufge- gen Verfassung Württembergs als Rechtszustand
brochener politischer Gegensatz, haben zum un- von heute und morgen erneut festzuschreiben.
heilbaren Bruch zwischen beiden geführt. Die angebliche Herrschaft des »alten Rechts« cha-
(2) Der Konflikt zwischen König und Land- rakterisiert Hegel als einen bloßen Zustand der
ständen wird um die Verfassung ausgetragen, die »Versumpfung ins Privatinteresse«, ja der »intel-
der König 1815 – als Herrscher des nunmehr lectuellen Versumpfung« und der »Privat-Plünde-
souveränen, gegenüber dem früheren Herzogtum rung« des Landes, insbesondere durch die
territorial erheblich vergrößerten Staates – ver- Schicht der »Schreiber« (GW 15.48,57,97).
kündet, während die von ihm einberufenen (3) In vielen Partien, insbesondere in der Kritik
Landstände ihn auf das »alte« oder gar »gute alte des »Schreiberey-Unfugs«, zeigt die Landstände-
Recht« der vorrevolutionären Zeit verpflichten Schrift ein kräftiges Lokalkolorit. An anderer
wollen. In diesem Streit ergreift Hegel nahezu Stelle treten aber auch in ihr Grundzüge von
uneingeschränkt die Partei des Königs – und dies Hegels politischer Philosophie überhaupt hervor.
aus einer verfassungsrechtlichen Erwägung und Den Grund der politischen Misere sieht Hegel,
einer historischen Erfahrung: Die politischen wie schon in der Verfassungsschrift (s. 102) und
Umwälzungen seit der Französischen Revolution, später in den Grundlinien, in der Depravierung
in denen auch »der Unsinn der Einrichtung, wel- von Staatsrecht zu Privatrecht: »Der Uebergang
cher d e u t s c h e s R e i c h« und treffender »Con- von Verwaltung eines Privatbesitzes in Verwal-
stituierung der Anarchie« genannt, »endlich sein tung von S t a a t s r e c h t e n ist einer der wichtig-
verdientes, […] schimpfliches Ende erreicht« hat sten, welcher durch die Zeit eingeleitet worden«
(GW 15.31, s. 100 ff.) und Württemberg aus ei- (GW 15.42). Deshalb polemisiert Hegel auch hier
nem Reichslehen zum souveränen Königreich gegen die vertragsrechtliche Interpretation des
aufgestiegen ist, haben in seinen Augen die ver- Verhältnisses von König und Ständen oder Fürst
fassungsrechtliche Basis so radikal verändert, und Unterthanen: Der Vertragsgedanke sei zwar
daß ein Pochen auf das »alte Recht« dem Pochen »an die Stelle der vormals gedanken- und ver-
des Reeders auf das Recht an seinem untergegan- nunftlos genommenen Vorstellung, daß die Re-
genen Schiff gleicht. Hegel begrüßt deshalb die gierungen und die Fürsten auf göttlicher Autori-
Verfassungsurkunde des Königs als generöse Ge- tät beruhen, getreten« (GW 15.60) – doch zum
ste, die (absolutistische und zudem wenig aufge- einen verstößt er gegen das Prinzip der »organi-
klärte) »Macht«, auf die das Königreich seit Na- schen Ordnung«, und zum anderen ist er verfehlt,
poleon gegründet ist, nun durch den »Willen« der weil er einen »Praetor« bzw. eine Staatsmacht
Nationalrepräsentation zu ergänzen. Da die erfordert, die im Konfliktfall entscheidet und
Stände sich hingegen auf ihr vorrevolutionäres deshalb nicht ihrerseits vertragsrechtlich begrün-
»altes Recht« berufen, überträgt Hegel den da- det sein kann. Ein weiterer bleibender Zug seiner
mals gegen die französischen Remigranten erho- Rechtsphilosophie liegt in der Kritik an dem vom
benen Vorwurf auf die Landstände: » s i e h a b e n König vorgesehenen Wahlmodus, und zwar so-
n i c h t s v e r g e s s e n u n d n i c h t g e l e r n t«, wohl am Ausschluß gerade der Staatsdiener von
sondern die lehrreichen letzten 25 Jahre » v e r - der Wahlberechtigung als an der Bindung des
s c h l a f e n« (GW 15.61 f.). Wahlrechts an eine Leibrente. In diesen letzt-
In diesem Vergleich der Landstände mit den genannten Bestimmungen wie auch in der spezi-
Remigranten deutet sich bereits der Erfahrungs- fischen Fassung des Repräsentationsgedankens,
hintergrund für Hegels scharfe Kritik der Stände in der Vereinzelung der Wähler zu »isolirten Ato-
an: Das »gute alte Recht«, das sie einfordern, sind men«, sieht Hegel den königlichen Verfassungs-
letztlich die Privilegien einer quasi »bürgerlichen entwurf geradezu » f r a n z ö s i s c h e n A b s t r a c -
Aristokratie«, deren früher ungehemmte Ausnut- t i o n e n von bloßer A n z a h l und Ve r m ö g e n s -
zung zur Verelendung der Bevölkerung beige- q u a n t u m« verhaftet (GW 15.37ff.,44).
tragen hat. Unter dem Schein der Berufung auf (4) In dieser Kritik von Wahlmodus und Reprä-
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 259

sentationsmodell weicht Hegel vom Entwurf des haben so im Jahre 1819 teils auf der ganzen Linie
Königs ab; im allgemeinen jedoch plädiert er für gesiegt, so die Ablehnung der Gültigkeit des alten
diesen Entwurf in der ursprünglichen, vom Mini- Rechts, das Lob der Vernunft, der Kampf gegen
sterium in den Verhandlungen mit den Ständen Kasse und Ausschuß; teils sind sie nach Parteien
sogar schon revidierten Fassung. Seine dezidierte auseinander getreten.« (Bd. 2.57–60)
Parteinahme hat nicht allein zu einer zusätzlichen Erstdruck: Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur.
Verbreitung seiner Schrift durch Separatdrucke 10. Jahrgang, 2. Hälfte. 1817. – Text: GW 15.30–125. –
geführt; sie hat auch die Frage nach den Motiven Literatur: Haym: Hegel und seine Zeit (1857),
für seinen »sehr unspekulativen Nebenausfall« 347–356; Rosenzweig: Hegel und der Staat (1920), Bd.
(an Niethammer, 31.1.18) zu Gunsten von König 2.30–62; Ho čevar: Stände und Repräsentation (1968),
183–208; P. Gehring: Um Hegels Landständeschrift.
und Ministerien heraufbeschworen und nach He-
Friedrich List im Spiel? ZphF 23 (1969), 110–121;
gels Tod die Denunziationen Rudolf Hayms: He- Christoph Jamme: Die Erziehung der Stände durch sich
gel habe das württembergische »Zaunkönigthum selbst. Hegels Konzeption der neuständisch-bürgerli-
mit asiatischer Lobberedsamkeit« verherrlicht – chen Repräsentation in Heidelberg 1817/18. In: Lucas /
letztlich um durch den Minister Wangenheim die Pöggeler (Hg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusam-
Kanzlerstelle der Universität Tübingen zu er- menhang der europäischen Verfassungsgeschichte.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, 149–173; Rolf Grawert:
halten. Doch bereits Rosenzweig hat darauf hin-
Der württembergische Verfassungsstreit 1815–1819. In:
gewiesen, daß Haym diese (auch heute noch kur- Jamme / Pöggeler (Hg.): »O Fürstin der Heimath!
sierende) Anschuldigung erheblich später an ent- Glükliches Stutgard«. Politik, Kultur und Gesellschaft
legener Stelle zurückgenommen habe und Hegels im deutschen Südwesten um 1800. Stuttgart 1988,
Argumentation ohnehin der Politik Wangen- 126–158; Dieter Wyduckel: Die Idee des Dritten
heims gerade nicht gefolgt sei (Bd. 2.51–55). Deutschland im Vormärz. Ein Beitrag zur trialistischen
Verfassungskonzeption des Freiherrn von Wangen-
(5) Allerdings haben, wie Hegel weiß, auch die
heim. Ebd. 159–183.
Zeitgenossen die Landstände-Schrift durchaus
zwiespältig aufgenommen. Selbst Niethammer
wirft Hegel am 27.12.17 vor, er habe »eine
schlimme Sache geistreich« geführt; er geht diffe- 7.2. Enzyklopädie der philosophi-
renziert und kenntnisreich auf die Auseinander- schen Wissenschaften im Grundrisse
setzungen zwischen König und Landständen ein
und spricht sowohl diesen als auch den Mini-
7.2.1. Entstehung und Funktion
sterialen gleichermaßen »Vernunft« und Unver-
nunft zu. Schelling, dem Niethammer die Land- (1) Unmittelbar nach seiner so lange erfolglos
stände-Schrift mitteilt, beobachtet, daß Hegel erstrebten Rückkehr an eine Universität verwirk-
den Bund oder Bundestag »indirekt = 0 setzt, licht Hegel seinen bereits in Jena (s. 157) ge-
indem er sie ignoriert – das Beste vielleicht, was hegten Plan der Veröffentlichung eines Kompen-
man tun kann. Das Unrecht der Landstände war diums zu seinen Vorlesungen: einer Enzyklopä-
also eigentlich, was sie wollten, nicht sagen zu die der philosophischen Wissenschaften. Er kann
dürfen; […] Hegel meint aber wohl: ›Wer nicht dieses Projekt so überaus schnell realisieren, da
kann, was er will, soll wollen, was er kann‹ er es ja seit 1808 in den Nürnberger Fassungen
müßte auch hier gelten.« (HBZ 163) Bei Über- der »Enzyklopädie« vorbereitet hat (s. 219 f.). Da
sendung der späteren Bogen seiner Schrift sucht Hegel im Oktober 1816 nach Heidelberg kommt,
Hegel diese Kritik durch Hinweise auf die Spezi- die ersten Druckbogen bereits zu Beginn des
fik der Ständeverhandlungen zu entkräften (an Sommersemesters an seine Hörer verteilt, das
Niethammer, 31.1.18). Vorwort »im May 1817« unterzeichnet und der
Rosenzweig hat jedoch aufgezeigt, daß bereits Band Mitte Juni 1817 vorliegt (GW 13.631), so ist
kurz nach Hegels Schrift die Parteien des 1819 anzunehmen, daß er seine Heidelberger Enzy-
neu gewählten Landtags die Berufung auf das klopädie – wie sie zumeist genannt wird – im
»alte Recht« aufgegeben und sich viele seiner wesentlichen in Nürnberg verfaßt und in Heidel-
Argumente zu eigen gemacht haben – auch die berg im Winter 1816/17 lediglich im Rahmen
»Liberalen«, vor allem jedoch die »Bürger- seiner Enzyklopädie-Vorlesung eine abschlie-
freunde«: »Die von Hegel vertretenen Gedanken ßende Revision vorgenommen habe – zumal in
260 II. Werk

die letzten Monate des Jahres 1816 neben seinen Über diesen Status der Enzyklopädie als eines
Vorlesungen, die ihn stark beanspruchen (an Vorlesungskompendiums spricht Hegel sich stets
Niethammer, 11.12.17), auch noch die Ausarbei- sehr klar aus: Der Titel Enzyklopädie an Stelle
tung seiner Jacobi-Rezension fällt. von ›System‹ »sollte theils den Umfang eines
(2) Mit der Enzyklopädie verwirklicht Hegel Ganzen, theils die Absicht anzeigen, das Einzelne
seine Konzeption, daß »das Wahre nur als Totali- dem mündlichen Vortrage vorzubehalten.« (GW
tät, und nur durch Unterscheidung und Bestim- 13.5) In den beiden späteren Auflagen erläutert
mung seiner Unterschiede die Nothwendigkeit er diese duale Konzeption von Kompendium und
derselben und die Freyheit des Ganzen seyn Vortrag nochmals präziser: Ein »encyclopädischer
kann; sie ist also nothwendig S y s t e m .« (1§ 7) Leitfaden« steht nicht für sich selbst; auch nach
Und doch enthält sein Buch gerade nicht dieses den späteren Erweiterungen bleibt es seine Be-
»System«. Hegel gibt deshalb seinem Werk nicht stimmung, als »Vorlesebuch zu dienen, das durch
den früher in Lektions- und Verlagskatalogen mündlichen Vortrag seine nöthige Erläuterung zu
angekündigten und auch noch der Phänomeno- erhalten hat.« (GW 19.5; 20.27,31)
logie vorangestellten Titel »System der Wissen- Die Enzyklopädie bildet somit insgesamt einen
schaft«; er nennt es Enzyklopädie der philosophi- integralen Bestandteil dieser Vorlesungen – nicht
schen Wissenschaften im Grundrisse. Man kann allein der spezifischen »Vorlesungen über die En-
dies als eine Weiterführung des traditionellen zyklopädie« (s. 325 f.), sondern auch weiterer
und ihm durch Niethammers Normativ (s. 203) Einzeldisziplinen seines Systems. Zwar hat Hegel
nochmals nahegelegten Titels lesen. Vor allem nicht alle Disziplinen seines Systems auf der
aber muß man es als Hinweis darauf werten, daß Basis der Enzyklopädie vorgetragen, aber doch
Hegel dieses Werk ausdrücklich nicht als ver- die Logik, die Naturphilosophie und die Philo-
bindliche Darstellung seines »Systems« verstan- sophie des (subjektiven) Geistes. In diesen Dis-
den wissen will: »Als E n c y k l o p ä d i e aber ist ziplinen bilden die Ausführungen der Enzyklopä-
die Wissenschaft nicht in der ausführlichen Ent- die einen Bestandteil der Vorlesungen, so daß es
wicklung ihrer Besonderung darzustellen, son- sich auch hier nahelegt, sie im Kontext der Vor-
dern ist auf die Anfänge und Grundbegriffe der lesungen über die jeweilige Disziplin zu behan-
besondern Wissenschaften zu beschränken.« (1§ 9) deln (s. 327–364).
Diesen Aspekt bringen die beiden dem Titel
angefügten Worte »im Grundrisse« noch deutli-
cher zum Ausdruck: Es handelt sich nicht um eine
7.2.2. Die Auflagen 1827 und 1830
gültige Darstellung des »Systems der Wissen-
schaft« – dessen ersten Teil nun nicht mehr die (1) Hegel legt die Enzyklopädie des Jahres 1817
Phänomenologie, sondern die Wissenschaft der ein Jahrzehnt lang – weit länger als die beiden
Logik bildet –, sondern lediglich um einen späteren Fassungen – seinen Vorlesungen als
»Grundriß« dieses Systems »Zum Gebrauch sei- Kompendium zu Grunde. Während dieser langen
ner Vorlesungen« – nach der damals zwar nicht Jahre arbeitet er kontinuierlich an dem in ihr
mehr allgemein geforderten, aber noch weithin entworfenen Gerüst weiter. Ein Zeugnis dieser
üblichen Praxis, Vorlesungen ein Lehrbuch zu Weiterarbeit bildet sein Handexemplar zur Gei-
Grunde zu legen. Für seine erste Vorlesung über stesphilosophie. Er läßt es sich mit eingeschos-
Enzyklopädie im Winter 1816/17 kann Hegel senen Blättern für seine späteren Notizen binden,
sein Buch noch nicht heranziehen; vielmehr redi- wie vermutlich auch Exemplare für die beiden
giert er wahrscheinlich parallel zu ihr die Endge- anderen Teile der Enzyklopädie, die Logik und
stalt des Textes. Die Enzyklopädie legt er erst- die Naturphilosophie, die jedoch nicht erhalten
mals im Sommer 1817 den Vorlesungen über sind. Nicht alle dieser Notizen lassen sich in den
Logik und Metaphysik (V 11) sowie – wie aus Nachschriften der späteren Vorlesungen wieder
einem Eintrag in seinem Handexemplar hervor- auffinden; gleichwohl sind sie ein Dokument der
geht (GW 13.311) – über Anthropologie und Psy- kontinuierlichen Arbeit an dieser Thematik (GW
chologie zu Grunde, ferner seiner Privatvorle- 13.250–543). Ein weiteres Zeugnis seiner Weiter-
sung für Prinz Gustav von Schweden vom Winter arbeit an der Materie der Enzyklopädie bilden
1817/18 (GW 13.628). Diktate (GW 13.581–596) und zusätzliche Manu-
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 261

skripte, von denen aber wohl nur noch ein Teil ausgabe beeinflußt sein. Denn diese verändert
erhalten ist (GW 13.545–580; 19.419–435). den Charakter von Hegels Enzyklopädie nach-
Hegels weitere Arbeit an der Enzyklopädie be- haltig durch die Beigabe von »Zusätzen«, die in
schränkt sich jedoch nicht bloß auf diese ergän- einem nicht mehr durchsichtigen Verfahren vor
zenden Texte. Bereits am 30.7.22 spricht er ge- allem aus Vorlesungsnachschriften, aber auch aus
genüber Duboc seine Absicht einer Neubearbei- Manuskripten Hegels komponiert sind. Diese Er-
tung aus: Er habe sich vorgenommen, »auf die weiterungen haben in der Tat ein neues Buch
Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft hin- entstehen lassen, oder besser drei neue Bücher,
zuarbeiten. […] Eine Uebersicht habe ich in mei- geteilt in Logik, Naturphilosophie und Geistes-
ner Enzyklopädie zu geben versucht, die aber philosophie. Manifest wird diese Veränderung
sehr einer Umarbeitung bedarf.« Aber erst, nach- insbesondere in dem Titel, den der Herausgeber
dem die erste Auflage 1825 vergriffen ist, beginnt Michelet 1842 dem zweiten Teil der früheren
er 1826 die Neubearbeitung, die sich bis Anfang Enzyklopädie gibt: »Vorlesungen über die Natur-
1827 hinzieht; sie erscheint – mit der Hilfe seines philosophie als der Encyclopädie der philosophi-
Heidelberger Freundes, des Theologen Carl schen Wissenschaften im Grundrisse Zweiter
Daub, bei der Revision – wohl kurz nach Beginn Theil«. Gleichwohl wird dieses in seinem Cha-
des Wintersemesters 1827/28 (GW 19.462). rakter völlig veränderte Werk der Hegel-Schule
Trotz ihres übereinstimmenden Aufrisses ist bis in die Gegenwart allgemein als ein Werk
diese zweite Auflage gegenüber der ersten ei- Hegels rezipiert. Es ist insofern folgerichtig,
gentlich ein neues Buch. Sie ist nicht allein um wenn auch lediglich die Folge dieser Zerstörung
hundert Paragraphen angewachsen, sondern des spezifischen Werkcharakters der Enzyklopä-
auch in der Diktion und in der Berücksichtigung die, daß Hermann Glockner diese erweiterte Fas-
des Details durchgängig verändert. Gleichwohl sung in seiner Jubiläumsausgabe, einem Nach-
versteht auch sie sich unverändert als Vorlesungs- druck der Freundesvereinsausgabe, gar nicht
kompendium, nicht als Darstellung des »Systems mehr unter den Titel einer Enzyklopädie der
der Wissenschaft«. Geringfügig erscheinen dem- philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
gegenüber die Abweichungen der dritten Auf- stellt, sondern unter den neuen, Hegels aus-
lage, die auf Grund der gestiegenen Hörerzahlen drückliche Intention konterkarierenden Titel
Hegels bereits 1830 erforderlich wird; in Hegels »System der Philosophie«. Bis zur Neuedition der
Gesammelten Werken (GW 20) sind sie in einem Enzyklopädie (31830) durch Friedhelm Nicolin
besonderen Apparat verzeichnet. und Otto Pöggeler im Jahre 1959 ist die Enzy-
(2) Nach Rosenkranz’ Urteil enthält die Erst- klopädie ausschließlich in dieser wirkungsge-
ausgabe der Enzyklopädie »noch ganz den schöp- schichtlich einflußreichen, jedoch pervertierten
ferischen Hauch der ersten Production. Die spä- Gestalt als ›Hegels System‹ rezipiert worden.
teren Ausgaben sind in der Ausführung des Ein-
zelnen, namentlich aber in polemischen und apo-
7.2.3. Die drei Vorreden
logetischen Anmerkungen, viel ausführlicher
geworden; um aber Hegel’s System in seiner (1) Der von Rosenkranz bemerkte »polemische
concentrirten Totalität zu haben, wie es mit der und apologetische« Ton der späteren Ausgaben
ganzen Kraft des primitiven Erscheinens hervor- der Enzyklopädie drängt sich wohl am stärksten
trat, wird man immer auf diese erste Ausgabe bei einem Vergleich der beiden Vorreden zur
zurückkommen und sie daher auch wieder ab- ersten und zur zweiten Fassung auf. Zwar polemi-
drucken müssen.« (R 306) Allerdings berück- siert bereits die erste Vorrede (1817, GW 13.5–7)
sichtigt dieses Urteil zu wenig die lange Entste- gegen zeittypische Erscheinungen – gegen die
hungsgeschichte der Enzyklopädie in den Nürn- »Seichtigkeit« und den Gedankenmangel der spä-
berger Kursen; auch die Erstausgabe ist ja nicht, ten Aufklärung ebenso wie gegen ihren Wider-
wie Athene, in voller Rüstung Zeus’ Haupt ent- part, die »Willkühr« der Romantik, die eine Zeit
stiegen, sondern sie ist die späte Frucht einer lang imponiert habe, aber jetzt »für eine selbst bis
langjährigen Entwicklung. Zudem könnte Rosen- zur Verrücktheit gesteigerte Aberwitzigkeit ge-
kranz’ Sicht bereits durch die Neuausgabe der halten« werde. Diesen abgelebten Gestalten hält
dritten Auflage im Rahmen der Freundesvereins- Hegel »den deutschen Ernst« und die »Morgen-
262 II. Werk

röthe des verjüngten Geistes« entgegen, wie Hegel bezichtigt deshalb Tholuck, den »be-
schon in seiner Heidelberger und wenig später in geisterten Repräsentanten pietistischer Rich-
der Berliner Antrittsrede (GW 18.1–8,9–31). Und tung«, in drei Fußnoten und unter Verweis auf
gegen die bloße Berufung auf »unmittelbares 2 § 573 – ohne ausdrückliche Erwähnung seiner

Wissen« und »Gefühl« erinnert Hegel an den Denunziation – der gewöhnlichen Verstrickung in
auch in diesem wirksamen »Trieb vernünftiger die Entgegensetzungen des Verstandes sowie ei-
Einsicht«, der jenen Standpunkt selbst noch als ner »eigenthümlichen Ungeschicklichkeit und
» R e s u l t a t philosophischen Wissens« versteht – Verkehrung« und der Teilnahme am »Gerede von
wörtlich übereinstimmend mit seiner Jacobi-Re- dem P a n t h e i s m u s« – und zudem noch einer
zension (GW 15.9). inhaltsleeren, die Trinitätslehre preisgebenden
(2) Die zweite Vorrede (1827, GW 19.5–18) Theologie. Ihr gegenüber beruft er sich auf Franz
hingegen gibt der Polemik und Apologie nicht von Baader, mit dem er sich damals in der Hin-
allein breiten Raum; sie verrät zudem fast durch- wendung zu einem objektiven Inhalt der Religion
gängig das Bewußtsein »mea res agitur«. Bereits einig glaubt – obgleich er die spezifische Form
Ende Mai 1821 äußert Hegel gegenüber Creuzer der »Gnosis« Baaders im selben Zusammenhang
seine Befürchtung, »die eigentümliche Frömmig- relativiert und ablehnt. Statt der Beschäftigung
keit unserer Zeiten, und der üble Wille derselben mit »den trüberen Gestaltungen« der Offenba-
und anderen – Demagogen, bei denen bekannt- rung des Göttlichen, mit »gnostischen und kabba-
lich die Frömmigkeit hoch blüht, wird leicht für lischen Phantasmagorien«, empfiehlt Hegel den
solche Führer sorgen [sc. die die spekulative Rückgang auf die Gestaltung, die die Idee durch
Philosophie auf Atheismus zurückführen] und Platon und Aristoteles gefunden habe, als eine
das fast vergessene Schlagwort: Atheismus, nach- »unendlich würdigere« und als das Wahre, das
dem es einmal wieder genannt worden, wieder in (nach Spinoza!) »index sui et falsi« sei.
Aufnahme bringen.« Wenig später, während des (3) Die schon die zweite Vorrede prägende
Ausklingens der »Demagogenverfolgung«, in der apologetische Tendenz verstärkt sich nochmals in
durch Verdächtigungen geschwängerten Atmo- der dritten (1830, GW 20.27–32). Die Vielzahl
sphäre der Restauration, muß Hegel sich gegen und die zunehmende Schärfe der theologisch-
die erstmals 1823 von Friedrich August Gotttreu religiös motivierten Angriffe auf seinen »Pan-
Tholuck anonym gegen ihn erhobene Anklage theismus« und »Atheismus« nötigt Hegel – ergän-
des »Pantheismus« zur Wehr setzen (11823, 234; zend zu seinen Repliken (s. 303 ff.) – auch hier zu
2 1825, 231; vgl. V 4.763). »Pantheismus« (oder einem Gegenangriff auf diejenigen, »welche im
»Spinozismus«) bezeichnet damals ja nicht bloß ausschließlichen Besitz der Christlichkeit zu seyn
eine theologische Irrlehre, sondern zugleich den versichern« und sich deshalb das Recht anmaßen,
Bankerott aller Moral: Denn wenn für Spinozis- »die Schlüssel Petri zu handhaben« und Zeit-
mus und Identitätssystem Alles Eins sei, so sei genossen »in die höllische Verdamniß zu verur-
auch der Unterschied zwischen Gott und Mensch theilen« – und nicht allein nur bereits Verstor-
wie auch zwischen Gut und Böse zum bloßen bene, wie bei Dante, und zudem »in Kraft der
Schein herabgesetzt und alle Sittlichkeit aufge- Begeisterung göttlicher Poësie«. Um sich diesem
hoben – und somit auch die Basis, um eine bür- ihm prognostizierten Schicksal zu entziehen, bie-
gerliche Stellung zu bekleiden, gar als Lehrer der tet Hegel eine Fülle von Bibelstellen auf – ohne
studentischen Jugend. Hegels Verteidigung ge- freilich seine Ankläger damit zu überzeugen oder
gen diese auch damals noch gefährliche Denun- wenigstens zu beschwichtigen. Zudem räumt He-
ziation bedient sich nicht so sehr der Distanzie- gel der Position der prononcierten »Christlich-
rung vom Spinozismus als vielmehr der Aufklä- keit« in einem Punkte sogar ein gewisses Recht
rung über Spinoza, der der Zeit trotz des Pan- ein: Ihre »Prätension der anklagenden Frömmig-
theismusstreits (1785) immer noch als »todter keit« ist nicht unverständlich angesichts der ihr
Hund« gilt: Im Gedanken der Einheit der Sub- entgegengesetzten »Prätension der freyen Ver-
stanz Spinozas liege freilich kein Unterschied – nunft«. Diese sei zwar »die Kategorie des u n -
aber eben deshalb, weil die Wortpaare Gott / e n d l i c h e n R e c h t s des Geistes« – doch habe
Mensch oder gut / böse auf dieser gedanklichen sie sich zum bloßen »Formalismus des Nega-
Ebene noch gar keinen Ort haben. tiven« versteift und ihre »Abstractionen des abge-
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 263

standenen, nicht lebendigen rationalistischen »ihrer selbst als a l l e s S e y n s bewußt wird«


Verstandeswassers« verbreitet – letzteres fraglos (1§ 5). Sie umfaßt das Wahre als »Totalität«, als
ein Seitenhieb auch auf seinen früheren Freund »System« – jedoch nicht als ein System, das wie
und seit 1817 erbitterten politischen Gegner, den das transzendentalphilosophische auf einem spe-
rationalistischen Theologen Paulus (s. 257 f.). ziellen Grundsatz basiert (1§ 8, s. 111, 117, 178).
Vor allem aber diagnostiziert Hegel eine Vor- (2) Die Einleitungen von 1827 und 1830 wie-
aussetzung und eine Folge dieser unerfreulichen derholen diese Bestimmung der Philosophie als
Auseinandersetzungen für die Philosophie: Der »Wissenschaft der Ve r n u n f t« nicht; sie charak-
aus dem »unbedingten Interesse der mensch- terisieren die Philosophie nun als » d e n k e n d e
lichen Natur« entspringende »tiefe und reiche B e t r a c h t u n g« (2§ 2) der Wirklichkeit (im em-
Gehalt« des Geistes ist »verkommen«; die phatischen Sinne verstanden). Als solche stehe
fromme und die reflektierende Religiosität fin- die Philosophie im Verhältnis teils zur Religion,
den gemeinschaftlich »die höchste Befriedigung teils zu den empirischen Wissenschaften – und
ohne Inhalt« – und damit ist auch »die Philo- ihre »Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit
sophie ein zufälliges, subjectives Bedürfniß ge- und Erfahrung« bezeichnet Hegel gar als äußeren
worden.« Doch auch hier zeigt sich der Grundzug »Prüfstein der Wahrheit«. Das »Nachdenken« als
des Hegelschen Denkens: Er ergeht sich nicht in Prinzip der Philosophie schließe »Erfahrung« kei-
bloßen Klagen über diesen Verlust des meta- neswegs aus – zumal alles, was im Bewußtsein
physischen Gehalts; vielmehr setzt er der resi- ist, erfahren werde. Sie habe zwar auch einen
gnativen Verführung, das ›Ende der Metaphysik‹ Kreis von Gegenständen – » F r e i h e i t , G e i s t ,
zu beklagen, eine neue Gewißheit entgegen: Die G o t t« –, der nicht dem Felde der endlichen
Philosophie sei nun »ganz dem freyen Bedürfniß Dinge angehöre – doch habe es »einen richtigen
des Subjects anheimgegeben; es ergeht keine Art und gründlichern Sinn, daß die E n t w i c k l u n g
von Nöthigung dazu an dasselbe, vielmehr hat der Philosophie, der Erfahrung zu verdanken ist.«
diß Bedürfniß, wo es vorhanden ist, gegen Ver- (2§ 12) In dieser starken Akzentuierung des Er-
dächtigungen und Abmahnungen standhaft zu fahrungsbegriffs – bei gleichzeitigem Verzicht auf
seyn; es existirt nur als eine innere Nothwendig- die rationalistische Formel von der »Wissenschaft
keit die stärker ist als das Subject, von der sein der Ve r n u n f t« und sonst weitgehend identi-
Geist dann ruhelos getrieben wird, ›daß er über- schem Wortlaut – liegt die differentia specifica
winde‹, und dem Drange der Vernunft den wür- dieser späteren Einleitungen gegenüber der frü-
digen Genuß verschaffe. So ohne Anregung ir- hen.
gend einer auch nicht der religiösen Autorität, (3) Sowohl die frühe als auch die späteren
vielmehr für einen Ueberfluß und gefährlichen Einleitungen haben lediglich den Charakter einer
oder wenigstens bedenklichen Luxus erklärt, vorläufigen Orientierung, eines räsonnierenden
steht die Beschäftigung mit dieser Wissenschaft Vorgriffs auf die nachfolgende »Wissenschaft«;
um so freyer allein auf dem Interesse der Sache sie haben nicht die Funktion der wissenschaftli-
und der Wahrheit.« chen »Einleitung« in das System der Philosophie,
die Hegel 1807 der Phänomenologie zugeschrie-
ben hat. Auf diese wichtige Differenz kommt
7.2.4. Das Einleitungsproblem
Hegel, wiederum mit kleinen Subdifferenzen,
(1) Während Hegel somit in den drei »Vorreden« jeweils im »Vorbegriff« der Logik zu sprechen. In
sein Denken in Relation zum Geist und Ungeist Jena habe er, so Hegel in 1§ 36, die Phänomeno-
der Zeiten stellt, skizzieren die beiden Formen logie als »wissenschaftliche Geschichte des B e -
der »Einleitung« und des »Vorbegriffs« zur Logik w u ß t s e y n s , in dem Sinne als ersten Theil der
einige Grundbestimmungen seines Verständnis- Philosophie behandelt, daß sie der reinen Wis-
ses von Philosophie überhaupt und ihrer spe- senschaft vorausgehen solle, da sie die Erzeugung
ziellen, bereits oben angesprochenen Präsenta- ihres Begriffs ist.« Aber auch dieses Bewußtsein
tionsform in einer »Enzyklopädie«. In der Ein- sei kein »absoluter Anfang, sondern ein Glied in
leitung (1817) charakterisiert er Philosophie als dem Kreise der Philosophie«; eine alternative
»Wissenschaft der Ve r n u n f t« – aber nicht einer Einleitungsform wäre der Skeptizismus – doch
bloß subjektiven, sondern einer Vernunft, die was er leisten könnte, die » Ve r z w e i f l u n g a n
264 II. Werk

A l l e m«, sei »eigentlich in dem Entschluß, r e i n gleich als Erhebung zum Begriff des objektiven
d e n k e n z u w o l l e n , durch die Freyheit voll- Denkens gelten soll: »Die dem Denken zur Ob-
bracht, welche von Allem abstrahirt«. In diesem jectivität gegebenen Stellungen sollen als nähere
»Entschluß« scheint deshalb die Einleitungspro- Einleitung, um die Bedeutung und den Stand-
blematik aufgehoben zu sein – ohne daß die punkt, welcher hier der Logik gegeben ist, zu
Bedingungen zur Sprache kämen, unter denen erläutern und herbeizuführen, nun betrachtet
ein derartiger »Entschluß« steht. werden.«
Differenzierter ist die Begründung in § 25 der
zweiten und dritten Auflage: Die Phänomeno-
7.2.5. Die Stellungen des Gedankens
logie habe mit dem » u n m i t t e l b a r e n B e -
zur Objektivität
w u ß t s e y n« anfangen und seinen Fortgang
nachzeichnen wollen, doch habe sie nicht »beim (1) Die erste Stellung (§§ 26–36) charakterisiert
Formellen des bloßen Bewußtseyns« stehenblei- Hegel als das » u n b e f a n g e n e Verfahren, wel-
ben können und »die concreten Gestalten des ches noch ohne das Bewußtseyn des Gegensatzes
Bewußtseyns« voraussetzen und »in jene zu- in und gegen sich den G l a u b e n enthält, daß
nächst nur auf das Formelle beschränkt schei- durch das N a c h d e n k e n die Wa h r h e i t e r -
nende Entwicklung des Bewußtseyns« einbezie- k a n n t« werde. Historisch gesehen umfaßt sie
hen müssen, so daß die Darstellung »verwickel- die Metaphysik von ihren Anfängen bis hin zu
ter« geworden sei: »was den concreten Theilen Kant. In seinen Vorlesungen über Logik und Me-
angehört, fällt zum Theil schon mit in die Ein- taphysik (GW 23) ordnet er ihr ausdrücklich auch
leitung.« Hier beschreibt Hegel knapp und ange- die griechische Philosophie zu – und auf sie
messen das Darstellungsproblem der Phänome- bezieht sich seine Bemerkung, daß diese erste
nologie: Sie muß die Resultate der Wissenschaft Stellung auch » ä c h t e s s p e c u l a t i v e s Philo-
voraussetzen, um in diese einleiten zu können. sophiren« sein könne (§ 27). Es wäre unbillig,
Doch beläßt Hegel es hier nicht bei dem bloßen gegen eine derart weit gefaßte Skizze epochaler
Verzicht auf eine Erhebung auf den »Standpunkt« Characteristica einzelne Einwände geltend ma-
des Systems: Er ersetzt sie durch eine Erhebung chen zu wollen – etwa auf den antiken Skep-
zu dem Begriff, »um dessen Bestimmung und tizismus oder auf den Cartesischen Zweifel zu
Gültigkeit das Interesse des philosophischen verweisen, die sich nicht zwanglos dem Stichwort
Standpunkts jetziger Zeit und die Frage um die »unbefangenes Verfahren« zuordnen lassen. Oh-
Wa h r h e i t und die Erkenntniß derselben sich nehin könnte Hegel beide Gestalten ausdrücklich
dreht.« Als diesen »absoluten G e g e n s t a n d« für sein Schema in Anspruch nehmen, da er den
führt Hegel den schon aus der Wissenschaft der antiken Skeptizismus primär gegen die Sinnlich-
Logik bekannten Begriff des »objektiven Den- keit gerichtet sieht und Descartes’ methodische
kens« ein – eine paradox erscheinende, »unbe- Skepsis letztlich auch diejenige Form der vor-
queme« Begriffsbildung. Doch gerade darin liegt kritischen Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts
ihr systematischer Rang: Sie bezeichnet den Ge- Metaphysik begründet, die Hegel im folgenden
danken, der nicht bloß als Erzeugnis selbstbe- paradigmatisch in den Blick nimmt – als dieje-
wußten Denkens im Kontrast zur Wirklichkeit nige Grenzgestalt, die trotz ihres »unbefangenen
gilt, sondern den Gedanken als einen zugleich Verfahrens« »in e n d l i c h e n Denkbestimmun-
objektiven, als »Vernunft in der Welt«, als ›ob- gen« und »in dem n o c h u n a u f g e l ö s t e n Ge-
jektive Vernunft‹, die wiederum der Gegenstand gensatze« verweilt.
der ›subjektiven Vernunft‹ ist. Entgegen der allgemeinen Abwertung der ra-
(4) Die Sittlichkeit, Politik, Religion und ›Wis- tionalistischen Metaphysik zeichnet Hegel diese
senschaft‹ umfassende Bewußtseinsgeschichte, sogar in Einer Hinsicht aus: Sie betrachte »die
die die Phänomenologie als Erhebung auf den Denkbestimmungen als die Grundbestimmun-
Standpunkt des »absoluten Wissens« und damit gen d e r D i n g e « , und sie stehe wegen ihrer
des Systems durchläuft, wird somit hier auf den Überzeugung, »daß das, was i s t , damit daß es
kleinen – wenn auch systematisch zentralen – g e d a c h t wird, a n s i c h erkannt werde, höher
Aspekt einer Typologie der drei »Stellungen des als das spätere kritische Philosophiren« – wobei
Gedankens zur Objectivität« beschränkt, die zu- sich dieser Rang nach dem Maßstab seiner eige-
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 265

nen Philosophie bemißt. Doch erhebt er zugleich völlig unkritische und bewußtlose Weise« zu ge-
zwei Einwände, die diesen Vorzug wieder zu- brauchen, somit einer schlechten Metaphysik zu
nichte machen: Sie lege diese Denkbestimm- verfallen und sein Resultat, das Allgemeine, nicht
ungen dem Absoluten als Prädikate bei, ohne zu als Allgemeines und Notwendiges zu erkennen
untersuchen, ob die Form des Urteils Wahrheit (§§ 37–39).
enthalte; und sie nehme ihre Gegenstände – (3) In eben dieser Erkenntnis liegt eine wich-
Seele, Welt, Gott – aus der Vorstellung auf. Diese tige Differenz der Philosophie Kants zum Em-
Kritik richtet sich ersichtlich nicht gegen die »un- pirismus. Hegel jedoch ordnet die kritische Phi-
befangene« Annahme der Übereinstimmung des losophie dem Empirismus zu, da sie ebenfalls die
Denkens und des Gedachten, sondern lediglich Erfahrung als einzigen Boden der Erkenntnisse
gegen Form und Inhalt der rationalistischen Me- nehme; doch anders als der Empirismus lasse sie
taphysik, in der die erste Stellung des Gedankens diese nicht als Wahrheiten, sondern nur als Er-
ihre geschichtlich letzte Form gefunden hat scheinungen gelten. (»Empirismus« bezeichnet
(§§ 26–36). hier einen »ersten«, an Hume exemplifizierten,
(2) Unter dem Titel »zweite Stellung des Ge- nicht den räsonnierenden und in seiner »Conse-
dankens zur Objectivität« vereint Hegel zwei quenz« dogmatischen, materialistischen und na-
Richtungen des Denkens, die in anderer Per- turalistischen Empirismus, vgl. § 60). Die hieran
spektive als Gegensatz erscheinen: den Empiris- anschließende Skizze der Philosophie Kants folgt
mus und die Philosophie Kants – und dies nicht den bereits aus der Wissenschaft der Logik be-
etwa in der Absicht einer Diffamierung des Kriti- kannten Linien, die Hegel später, in seinen Vor-
zismus. Vielmehr zeichnet Hegel ein sehr affir- lesungen über die Geschichte der Philosophie,
matives, seiner eigenen Philosophie angenäher- nochmals nachzeichnet. Und auch wenn sie sich
tes Bild des Empirismus: Im Empirismus liege in vielen Punkten auf Andeutungen beschränkt,
»diß große Princip, daß was wahr ist, in der bildet sie doch die systematisch geschlossenste
Wirklichkeit seyn und für die Wahrnehmung da Auseinandersetzung mit der kritischen Philoso-
seyn muß« – und nicht etwas bloß Gesolltes und phie überhaupt.
Jenseitiges. »Wie der Empirismus erkennt […] Das thematische Problem diskutiert Hegel zu-
auch die Philosophie nur das was i s t«. Und zu- nächst an der transzendentalen Analytik der Kri-
dem entdeckt Hegel im Empirismus – anders als tik der reinen Vernunft – und trotz einiger pro-
im Rationalismus! – »das wichtige Princip der blematischer Formulierungen erkennt er sehr ge-
F r e i h e i t […], daß nämlich der Mensch, was er nau, daß Kant hier die vorhergehenden Annah-
in seinem Wissen gelten lassen soll, s e l b s t se- men über die Stellung des Gedankens zur
hen, sich s e l b s t darin p r ä s e n t wissen soll.« Objektivität revolutioniert: Die Begriffe von Ob-
Zwar suche der Empirismus das Wahre nicht jektivität und Subjektivität erhalten einen neuen
im Gedanken selbst, sondern in der Erfahrung – systematischen Sinn. Sie bezeichnen nun »den
doch diese Erfahrung sei dem Denken keines- Unterschied der Elemente i n n e r h a l b der Er-
wegs bloß entgegengesetzt. Vielmehr erhebe der fahrung. Die O b j e c t i v i t ä t heißt hier das Ele-
Empirismus den der einzelnen Wahrnehmung ment von A l l g e m e i n h e i t und N o t h w e n -
angehörigen Inhalt »in die F o r m a l l g e m e i n e r d i g k e i t , d. i. von den Denkbestimmungen
Vo r s t e l l u n g e n , S ä t z e und G e s e t z e «. Er selbst, – dem sogenannten A p r i o r i s c h e n .«
arbeitet gleichsam von seiner Seite auf den Ge- Und weil es auf Grund der Resultate der tran-
danken zu – doch verkennt er den wahren Cha- szendentalen Ästhetik kein Außerhalb der Erfah-
rakter seines Resultats, indem »diese allgemei- rung mehr gibt, fällt sie insgesamt »in die S u b -
nen Bestimmungen (z. B. Kraft) keine weitere j e c t i v i t ä t« – eine Lösung, die Hegel als »ein
Bedeutung und Gültigkeit für sich haben sollen s u b j e c t i v e r (platter) I d e a l i s m u s«, und in-
als die aus der Wahrnehmung genommene, und soweit als zu teuer erkauft gilt. Von der kritischen
kein als in der Erscheinung nachzuweisender Philosophie werde die vormalige »unbefangene«
Zusammenhang Berechtigung haben soll.« Darin Einheit von Denken und Gegenstand, die im
liegt der Kern der Kritik Hegels: »Die Grund- Wissen um die Differenz beider zerbrochen ist,
täuschung im wissenschaftlichen Empirismus« lediglich durch einen Konstitutionsakt des Sub-
besteht darin, die Denkbestimmungen »auf eine jekts wieder hergestellt – aber so verbleibe sie
266 II. Werk

strikt innerhalb der Einheit des Selbstbewußt- der »dritten Stellung, die dem Denken zur Wahr-
seins. Ihr gegenüber scheine nur noch das »Ding heit gegeben wird« (wie er hier einmal abwei-
an sich« zu stehen (womit Hegel sich dem Singu- chend formuliert, § 73). Ihr Characteristicum be-
lar Jacobis anschließt und damit auch dem Miß- steht darin, »das Denken als Thätigkeit nur d e s
verständnis, als sei unter dem Ding an sich »auch b e s o n d e r n aufzufassen und es auf diese Weise
der Geist, Gott, befaßt«) – aber so, als Resultat gleichfalls für unfähig zu erklären, Wahrheit zu
einer vollständigen Abstraktion von aller Be- erfassen.« Dieses »Dritte« ist also nicht Negation
stimmtheit, als vermeintlich vermittlungsloser der Negation, Erhebung über die Endlichkeit,
Gegensatz zum Denken, sei es vielmehr selbst sondern eine weitere Form von Endlichkeit; für
gedacht als ein bloßes » P r o d u c t des Denkens«, sie sind die Denkbestimmungen nur »Anthropo-
als »Caput mortuum« der Abstraktion pathismus«, und das Denken »die Thätigkeit,
(§§ 40–45). n u r z u v e r e n d l i c h e n .« Die »Kategorie« wird
Weit mehr Platz und auch Gewicht räumt He- hier nicht allein, wie von Kant, wegen ihres
gel der transzendentalen Dialektik als der »zwei- subjektiven Ursprungs, sondern »als solche für
ten Seite der Ve r n u n f t k r i t i k ein; und diese endlich erkannt.«
zweite ist für sich wichtiger als die erste.« Trotz So wenig diese Ansicht für Hegel letztlich eine
aller Kritik des Details von Kants Kritik der vor- akzeptable Lösung bietet, so räumt er doch ein,
maligen metaphysica specialis sucht Hegel doch daß auch sie etwas Wahres ausspreche, nämlich
bei keinem ihrer Themen – Paralogismus, Anti- die Wahrheit über das Feld des Endlichen, auf
nomie und Gottesbeweis – jene Metaphysik ge- dem die Naturwissenschaften ihre »glänzenden
gen Kants Kritik wiederherzustellen. Vielmehr Erfolge« feierten: »Jacobi sah mit Recht keinen
versucht er in Kants Argumentation eine Dyna- andern Ausgang auf dem Wege des bloßen Fort-
mik des Gedankens aufzuzeigen, die auch über gehens in Ve r m i t t l u n g e n .« Unrecht hat er
diesen hinaus, zum Begriff des »objektiven Den- hingegen darin, daß er diesem Verharren in der
kens« weitertreibt (§§ 46–52). Schritte auf die- Endlichkeit nur den Sprung in eine Vernunft
sem Wege sieht Hegel bereits in Kants prakti- entgegensetzt, die » u n m i t t e l b a r e s W i s s e n ,
scher »Forderung, daß das Gute weltliches Da- G l a u b e« ist. Hegels Kritik dieses »unmittel-
seyn, äußerliche Objectivität habe d. i. daß der baren Wissens« ist jedoch nun, verglichen mit
Gedanke nicht blos s u b j e c t i v, sondern objectiv früher, sehr moderat: Das »unmittelbare Wissen«
überhaupt sey«, und mehr noch in der Kritik der wisse, »daß das Unendliche, Ewige, Gott, das in
Urteilskraft, im »Princip eines a n s c h a u e n d e n unserer Vorstellung ist, auch i s t , – daß im Be-
Ve r s t a n d e s«. In ihm findet Hegel »den Ge- wußtseyn mit dieser Vo r s t e l l u n g unmittelbar
danken d e r I d e e ausgesprochen«, das wahr- und unzertrennlich die Gewißheit ihres S e y n s
hafte Verhältnis des » A l l g e m e i n e n des Ver- verbunden ist.« Und dem widerspreche »die Phi-
standes zum B e s o n d e r e n der Anschauung« – losophie« keineswegs – sondern nur der aus-
wenn auch vorerst nur in antizipatorischer und schließenden, isolierten Stellung, die solches
mit dem Konzept abstrakt-allgemeiner Vernunft »unmittelbare Wissen« gegenüber der Philoso-
unvermittelter Form, nämlich noch ohne »die phie beanspruche, und ferner, daß es »als T h a t -
Einsicht, daß jenes das w a h r h a f t e , ja die s a c h e genommen werden soll«, als » F a c t u m
Wa h r h e i t selbst i s t .« (§§ 53–60) des B e w u ß t s e y n s« und Kriterium der Wahr-
(4) Bereits in seiner Jacobi-Rezension billigt heit, unter Ausschluß der ihm notwendig zu
Hegel Jacobi zu, gemeinsam mit Kant »der v o r - Grunde liegenden Vermittlungen und Erhebung.
m a l i g e n M e t a p h y s i k nicht so sehr ihrem Und so überführt Hegel diese dritte Stellung
Inhalte nach, als ihrer We i s e d e r E r k e n n t - ihrer faktischen Unwahrheit und läßt sie – doch
n i ß , ein Ende gemacht und damit die Nothwen- wohl gegen ihr Selbstverständnis – als ihre ei-
digkeit einer völlig veränderten Ansicht des L o - gentliche Einsicht aussprechen, »daß weder die
g i s c h e n begründet zu haben. Jacobi hat hie- I d e e als ein blos s u b j e c t i v e r Gedanke, noch
durch […] in der Geschichte der Philosophie blos ein S e y n für sich das Wahre ist«, sondern
überhaupt eine bleibende Epoche gemacht.« (s. »die Idee nur v e r m i t t e l s t des Seyns, und um-
256) Die Konkretion dieser Einschätzung trägt er gekehrt das Seyn nur v e r m i t t e l s t der Idee,
ein Jahrzehnt später nach, in seiner Beurteilung d a s Wa h r e i s t .«
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 267

Diese Einsicht charakterisiert Hegel zunächst »Entschluß, r e i n d e n k e n z u w o l l e n«, nicht in


jedoch nicht als den entscheidenden Schritt zur einer dem eigenen wissenschaftlichen Anspruch
Erhebung auf den Boden seiner eigenen Philo- adäquaten Weise rechtfertigen.
sophie, sondern als Rückkehr zum Anfang der Literatur: Hegel: Der »Vorbegriff« zur Wissenschaft der
» u n b e f a n g e n e n Metaphysik«, zu Descartes. Logik in der Enzyklopädie von 1830. Hg. von Alfred
Dessen »Cogito, ergo sum« bezeichnet er als den Denker / Annette Sell / Holger Zaborowski. Freiburg /
Satz, »um den, wie man sagen kann, sich das München 2010.
ganze Interesse der neuen Philosophie dreht« –
denn er behaupte die »einfache Untrennbarkeit
des D e n k e n s und S e y n s des Denkenden«, und
7.2.6. Die Konzeption des »absoluten Geistes«
ebenso »die Unzertrennlichkeit der Vorstellung
von G o t t und seiner E x i s t e n z«. Hingegen wei- (1) Gestützt auf die Enzyklopädie als »Vorlese-
che der »moderne Standpunkt« von Descartes buch« (s. 260) trägt Hegel in seinen Vorlesungen
darin ab, daß er dessen Methode des wissen- die Einzeldisziplinen Logik und Metaphysik, Na-
schaftlichen Erkennens auf die Endlichkeit be- turphilosophie und Philosophie des (subjektiven)
schränke; somit behalte er für die Erkenntnis des Geistes vor – nicht jedoch die Philosophie des
Unendlichen keine Methode übrig und überlasse objektiven Geistes, für die er ein eigenes Kom-
sich »der wilden Willkühr der Einbildungen und pendium, die Grundlinien, ausarbeitet (s. 272),
Versicherungen, einem Moralitäts-Eigendünkel und auch nicht die Philosophien der Weltge-
und Hochmuth des Empfindens« (§§ 61–78). schichte sowie des »absoluten Geistes«, für die er
Damit scheint ein weiterer Schritt erforderlich eigene Manuskripte anlegt (s. 400 ff.). Gleich-
– und nicht allein negativ die Einsicht in die wohl behandelt er den »absoluten Geist« im
» g ä n z l i c h e Vo r a u s s e t z u n g s l o s i g k e i t« Schlußkapitel der Enzyklopädie (1§§ 453–477,
der Wissenschaft oder der »Entschluß, r e i n 3 §§ 553–577). Die Differenz zwischen dieser

d e n k e n z u w o l l e n«, wie Hegel in § 78 – im Darstellung und den Vorlesungen über Ästhetik,


Rückgriff auf 1§ 36 – sagt. Erforderlich ist viel- über Religionsphilosophie und über Geschichte
mehr die Ausbildung einer Methode auch für die der Philosophie ist offensichtlich: Entgegen der
Erkenntnis des Unendlichen – oder besser einer umfassenden systematischen und geschichtlichen
allgemeinen, den Gesamtbereich des Wissens Ausarbeitung der jeweiligen Einzeldisziplinen in
umgreifenden Methode – oder nochmals mit den den Vorlesungen thematisiert die Enzyklopädie
Worten der Jacobi-Rezension: eine »völlig verän- nach kurzer Einleitung (§§ 553–555) die Kunst
derte Ansicht des L o g i s c h e n« (s. 256). vorwiegend als griechische Kunst (§§ 556–563),
(5) Doch diese angedeutete, durch Anknüp- die Religion als christliche Religion (§§ 564–571)
fung wie auch durch Kritik vollzogene Überlei- und die Philosophie – mit besonderem Blick auf
tung zum »näheren Begriff« seiner Logik kann Hegels System – implizit als neuzeitliche Philo-
nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Form sophie (2§§ 572–574 bzw. 3§§ 572–577).
der »Einleitung« in die Logik und damit zugleich Dies hat zur Überlegung veranlaßt, ob die enzy-
in das enzyklopädische System kein Äquivalent klopädische Philosophie des absoluten Geistes
zur Phänomenologie bietet. Formell gesehen wie- bloß dessen verkürzte, auf die Vollendungsge-
derholt sich der Zirkel, den er nun selber gegen stalten der drei Partialgeschichten der Kunst, Re-
seine Phänomenologie einwendet: Wenn diese ligion und Philosophie beschränkte Version biete
auf Inhalte und Methode der »Wissenschaft« vor- oder ob sie vielmehr die eigenständige Exposi-
greifen muß, die doch erst durch sie gerechtfer- tion einer »Systematik des absoluten Geistes« sei,
tigt werden soll, so setzt Hegels neuer Versuch, die diesen in Form einer »absoluten Geschichte«
die Dynamik der neuzeitlichen Philosophiege- entfalte, eines Prozesses von der griechischen
schichte in nuce als eine auf seine eigene Phi- Kunst zur christlichen Religion und zur neuzeit-
losophie zulaufende Bewegung darzustellen, a lichen Philosophie. In diesem Fall wäre der enzy-
fortiori den Vorgriff auf die erst der Logik an- klopädische Grundriß der Philosophie des ab-
gehörenden Denkbestimmungen als Kriterium soluten Geistes nicht einfach durch die Substitu-
voraus. Er kann zwar das Verlangen nach Be- tion seiner drei Formen Kunst, Religion und Phi-
griffsklärungen erwecken – aber er kann den losophie zu konkretisieren; seine Einheit würde
268 II. Werk

hierdurch vielmehr gesprengt (Fulda 1965, 7.2.7. Die drei Schlüsse der Philosophie
225–251; 2001, 242–255).
(1) Den letzten vier Paragraphen der Enzyklopä-
Unstrittig ist der gute Sinn der Unterscheidung
die, die die sogenannten »Schlüsse der Philo-
einer Geschichte des absoluten Geistes von der
sophie« exponieren (§§ 574–577), hat die For-
Weltgeschichte. Jene bildet deren geistige Sub-
schung der letzten Jahrzehnte besondere Auf-
stanz; sie ist insofern gleichsam das Innerste der
merksamkeit geschenkt. Dennoch ist sie nicht zu
Weltgeschichte. Strittig ist hingegen, ob jene sich
einem weitgehend akzeptierten Ergebnis gekom-
auf die drei Gestalten der griechischen Kunst, der
men; ihr Resultat besteht vielmehr in der weitest-
christlichen Religion und der neuzeitlichen Phi-
gehenden Diskrepanz der Deutungen. Sie be-
losophie beschränke und nicht vielmehr die To-
ginnt beim wörtlichen Verständnis und sie endet
talität der Partialgeschichten von Kunst, Religion
bei der Frage, welche Funktion diesen Schlüssen
und Philosophie umfasse, innerhalb deren jene
für die Gesamtkonzeption der Philosophie He-
drei Vollendungsgestalten freilich herausgeho-
gels zukomme. Versuche, in den Schlüssen vor-
bene Stadien darstellen. Das stärkste Argument
handene Schriften oder Systemteile zu identifi-
für die Beschränkung der »absoluten Geschichte«
zieren, wechseln mit Überlegungen, ob er hier
auf die Vollendungsgestalten liegt in deren Ab-
vielleicht neben der Enzyklopädie eine alterna-
folge im Kapitel über den »absoluten Geist«. Aber
tive Form seines Systems konzipiere – oder gar
auch hier hat Hegel sich keineswegs prägnant zu
deren mehrere.
dieser Lesart bekannt. Der Abschnitt über die
(2) Zudem geben die genannten Paragraphen
Kunst geht ja auch auf die nicht-klassische, auf
noch entwicklungsgeschichtliche Rätsel auf. In
die symbolische und die romantische Kunst ein
der Erstfassung der Enzyklopädie sind sie ent-
(§§ 561 f.), und der Abschnitt über die Philo-
halten (1§§ 474–477), doch fehlen sie in der Fas-
sophie läßt überhaupt keinen expliziten Zeitbe-
sung von 1827, während die dritte wiederum mit
zug erkennen. Vor allem aber steht Hegels eigene
den Schlüssen der Philosophie endet. Diese Än-
Ausführung dieses enzyklopädischen Grundris-
derungen haben auch deutliche Spuren in der
ses in den Notizen in seinem Handexemplar die-
Formulierung des Details hinterlassen. Gründe
ser Deutung entgegen: Sie behandelt Kunst, Reli-
für diesen sonst nicht üblichen Wechsel lassen
gion und Philosophie tendenziell in derselben
sich nicht mit Sicherheit benennen; an Mutma-
geschichtlichen und geographischen Breite wie
ßungen fehlt es nicht, und eine weitere Inter-
auch die Vorlesungen; sie läßt keine Differenz
pretation sei am Schluß dieses Abschnitts er-
zwischen der Totalität der Geschichten der
wogen. Der Verzicht auf die Lehre von den
Kunst, Religion und Philosophie und einer auf
Schlüssen in der zweiten Ausgabe und ihre Wie-
die jeweiligen Vollendungsgestalten beschränk-
deraufnahme in der dritten scheinen jedenfalls
ten »absoluten Geschichte« erkennen. Sie enthält
nicht im Zusammenhang mit anderen Konzep-
sogar einen ausdrücklichen Aufriß der gesam-
tionsänderungen zu stehen, sondern eher eine
ten Philosophiegeschichte (GW 13.503–543;
gewisse Unsicherheit in der Gestaltung auszu-
Jaeschke 2000, 387). Leider sind Hegels Vor-
drücken. Leider tragen auch Hegels handschrift-
lesungen über die Enzyklopädie nicht durch
liche Notizen (GW 13.537–543) nichts Definitives
Nachschriften überliefert (s. 325), so daß auch
zum Verständnis der drei Schlüsse bei.
aus ihnen keine zusätzlichen Argumente für oder
(3) Trotz der unbestreitbar schlußlogischen
gegen die Annahme einer speziellen »absoluten
Konzeption der §§ 575–577 ist es nicht unpro-
Geschichte« zu erhalten sind. Und zudem zählen
blematisch, ihre Struktur auf die Schlußlehren
für Hegel nicht allein die Vollendungsgestalten –
der Wissenschaft der Logik oder der Enzyklopä-
die griechische Kunst, die christliche Religion
die abzubilden und mit Bestimmtheit zu sagen,
und die neuzeitliche Philosophie –, sondern alle
welche Schlußfiguren den Paragraphen jeweils
Gestalten der Kunst, Religion und Philosophie
zu Grunde liegen. Deutlich ist jedoch, daß Hegel
zum »absoluten Geist«, so daß wenig für eine
sie als einen vollständigen Syllogismus konzi-
»Geschichte des absoluten Geistes« spricht, die
piert: als einen Schluß aus drei Schlüssen, in dem
weniger als die Gesamtheit seiner Gestalten um-
jedes Glied sowohl Anfang als auch Mitte und
faßte – sonst hätte Hegel sie schwerlich so umfas-
Resultat ist. Das Vorbild hierfür bildet die Lehre
send thematisiert.
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 269

des Platonischen Timaeus (31c-32a) vom »schö- die Idee«. Und zum anderen ist sie nur »Durch-
nen Band«. Hegel zitiert diesen Gedanken bereits gangspunkt und negatives Moment«. Die Notizen
in seiner Differenz-Schrift – und zwar in dem präzisieren: » N a t u r das Vermittelnde; das ab-
Kontext, in dem er seine Formel von der »Identi- stracte Andersseyn, Als sich aufhebendes – End-
tät der Identität und Nichtidentität« entwickelt lichkeit – aus dem sich der Geist in sich reflectirt
(GW 4.65). In dieser Kreisstruktur sieht Hegel und mit dem logischen identisch setzt – Erfüllung
sein Ideal vollständiger Vermittlung erfüllt. Denn – Concretwerden des Logischen«. Sodann unter-
nur durch diese Weise der Vermittlung bleiben streichen die Notizen noch die Aussage des Cor-
keine unvermittelten, unbewiesenen Prämissen pus, daß die Vermittlung des Begriffs »die äus-
zurück. serliche Form des Ü b e r g e h e n s« habe: »Aber
(4) Erhebliche Meinungsverschiedenheiten be- Ü b e r g e h e n die Hauptsache«. Damit schreibt
stehen darüber, was eigentlich der Inhalt der vier Hegel dieser Vermittlung den Bewegungsmodus
Paragraphen sei – und dies, obgleich Hegel diese der seinslogischen Kategorien zu – das Über-
Frage vergleichsweise deutlich zu beantworten gehen in ein Anderes (§ 161) –, wie ja auch die
scheint. § 574 hat die Logik zum Thema – aber Erstfassung mit dem Hinweis schließt, die Wis-
nicht in dem Sinne, wie sie den Anfang der senschaft habe in diesem Schluß die Form »eines
Enzyklopädie gebildet hat. Dort wird sie aufge- S e y n s«.
faßt gleichsam als » D a r s t e l l u n g G o t t e s […] (5) § 576 behandelt die zweite Form der Er-
vor der Erschaffung der Natur und eines scheinung. Im Mittelpunkt steht hier der end-
e n d l i c h e n G e i s t e s« (GW 21.34). Hier hinge- liche Geist als die subjektive Tätigkeit des Erken-
gen hat das Logische die Bedeutung der im kon- nens. Es steht der Natur aber bekanntlich nicht in
kreten Inhalt – eben in der Natur- und Geistes- der Weise gegenüber, daß es sie s e t z t , sondern
philosophie – » b e w ä h r t e n Allgemeinheit«. lediglich v o r a u ssetzt und mit dem Logischen
Hegels Notizen präzisieren: Das Logische sei Re- zusammenschließt, insofern es das Logische in
sultat und »nicht eine isolirte, abgesonderte Ent- ihr erkennt und heraushebt. Daß der »Zweck«
wiklung neben dem übrigen Reichthum der Na- dieses subjektiven Erkennens »die Freyheit und
tur« – »und des Geistes« wäre sinngemäß zu es selbst der Weg ist, sich dieselbe hervorzu-
ergänzen. Und zur vermeintlichen »Unmittelbar- bringen«, fügt Hegel erst der dritten Auflage
keit« und Anfänglichkeit der Logik erläutern die hinzu. – Nur bei diesem zweiten Schluß greift er
Notizen: »Im Anfang – Man will diesen Stand- ausdrücklich auf seine Schlußlogik zurück, indem
punkt u n m i t t e l b a r nehmen« (GW 13.537). er ihn den »Schluß der geistigen R e f l e x i o n in
Dies deutet an, daß er in Wahrheit nicht auf diese der Idee« nennt – ohne allerdings diesen Rückbe-
Unmittelbarkeit zu beschränken – daß er nicht zug unter Hinweis auf die in sich wiederum drei-
nur als ein Anfängliches, Unmittelbares zu neh- gliedrige Struktur des »Schlusses des Reflexion«
men sei, sondern ebenso als Resultat. Und zur (§ 190) auszuführen. Kaum mehr als eine Andeu-
Rede vom »Resultat« der Wissenschaft erläutert tung dieses Zusammenhangs kann man finden
die Erstauflage: »die Vo r a u s s e t z u n g ihres Be- zwischen der Aussage der Notizen, »daß es Ein-
griffs oder die Unmittelbarkeit ihres Anfangs, zelne Individuen sind, welche philosophiren«,
und die Seite der E r s c h e i n u n g , die sie darin und der ersten Figur des Reflexionsschlusses, des
an ihr hatte, ist aufgehoben.« »Schlusses der Allheit«, daß in ihm die Mitte
Dieses Stichwort »Erscheinung« nehmen die »zugleich als A l l e e i n z e l n e c o n c r e t e Sub-
§§ 575–577 wieder auf. § 575 stellt die »erste jecte« zu denken sei. Die hierher gehörenden
Erscheinung« – die Natur – in den Mittelpunkt weiteren Formen – die Schlüsse der Induktion
und gibt ihr somit zugleich die Stellung eines und der Analogie – sind ohnehin nicht auf § 576
Mittelbegriffs in diesem ersten Schlusse. Diese abzubilden.
Vermittlung durch die Natur darf jedoch nicht als (6) Vom dritten, in § 577 dargestellten Schluß
eine affirmative Leistung eines Selbständigen gibt Hegel zwar keine Schlußart an. Doch charak-
verstanden werden, »das als Andres nur Andere terisiert er ihn als »die Idee der Philosophie,
zusammenschlösse«. Denn zum einen ist die Na- welche d i e s i c h w i s s e n d e Ve r n u n f t , das
tur kein wahrhaft Selbständiges; ihr kommt keine Absolut-Allgemeine zu ihrer M i t t e hat«. Inhalt-
eigene Wirklichkeit zu, und sie ist nur » a n s i c h lich verweist dies auf den Beginn von § 574, wo
270 II. Werk

Hegel den Begriff der Philosophie als » d i e s i c h stellt, und in ihrer Entwiklung durch b e s o n -
d e n k e n d e Idee, die wissende Wahrheit« ein- d e r e Sphären zugleich Moment, diese Eine Idee
führt. Und strukturell gesehen verweist es auf ist«. Insgesamt bildet dieser Rückblick der Noti-
den »Schluß der Notwendigkeit«: Auch er hat – zen offensichtlich eine Vorform des letzten
nach der dritten Schlußfigur (B-A-E) – das All- Hauptsatzes von § 577. Doch gegenüber der dort
gemeine zur Mitte. Weiter lassen sich noch spe- sehr unbestimmt gelassenen Formulierung »es
zielle Übereinstimmungen mit der dritten Art vereinigt sich in ihr« sagen sie sehr viel be-
dieses Schlusses aufweisen, mit dem disjunktiven stimmter, daß die drei Schlüsse in diesem letzten
Schluß. In ihm ist nach Auskunft der Logik »das vereinigt sind – daß die beiden ersten nur die
vermittelnde A l l g e m e i n e auch als Totalität sei- Momente dieses letzten bilden: § 575 hat die
ner B e s o n d e r u n g e n , und als ein e i n z e l n e s Bewegung der »Natur der Sache« in der »Form
Besonderes, ausschließende Einzelnheit, gesetzt, des Ü b e r g e h e n s« (§ 575) zum Gegenstand,
[…] so daß eins und dasselbe Allgemeine in und § 576 die Bewegung der Tätigkeit des Erken-
diesen Bestimmungen als nur in Formen des nens. Und sie sagen auch bestimmt, was sonst
Unterschieds ist.« (§ 191) Dem entspricht in nur zu erschließen ist: daß der »absolute Geist«,
§ 577 nicht allein die Wendung, daß dieses All- von dem in § 577 die Rede ist, nicht auf die Seite
gemeine »sich in G e i s t und N a t u r entzweyt«, der »Thätigkeit des Erkennens« gehört, sondern
sondern auch die Rede von einem » S i c h - U r - ein Drittes gegenüber den Bewegungen der Na-
t h e i l e n der Idee in die beyden Erscheinungen«, tur und des Erkennens ist.
die in §§ 575 f. betrachtet worden sind. Dies letz- (8) Hegels Exposition der drei Schlüsse ist
tere nimmt eine Formulierung der Notizen auf; außerordentlich vielschichtig und undurchsich-
sie bemerken: »Philosophie hebt selbst ihre Sub- tig. Es verwundert deshalb nicht, daß sie ebenso-
jectivität auf, d. h. erkennt die Diremtion ihrer viele Interpreten wie Deutungen gefunden hat.
Idee in diese 2 Extreme«. Deren Gemeinsamkeit besteht fast nur darin, daß
Während das im konkreten Inhalt bewährte sie sämtlich schwer mit dem in der Enzyklopädie
Logische als die sich wissende Vernunft in § 574 ausgeführten Systemaufriß in Harmonie zu brin-
nur als Resultat in den Blick kam, bildet es hier gen sind. An den zwei Fragen nach dem Verbleib
die Mitte, deren Manifestationen »die beiden der Logik und des objektiven Geistes sei dies
Erscheinungen« sind: die Natur (von der es in näher erläutert.
§ 575 geheißen hatte, sie sei » a n s i c h die Idee«) Von der Logik sagt § 574, sie sei »die im con-
als der Prozeß der an sich seienden Idee und der creten Inhalte […] b e w ä h r t e Allgemeinheit«.
endliche Geist als der Prozeß der subjektiven Gleichwohl bleibt die Frage nach ihrer Stellung
Tätigkeit der Idee. Sie bilden damit aber nicht im Systemaufriß. Auch als » b e w ä h r t e« wird sie
gewissermaßen gleichrangige Momente – wie vom absoluten Geist ja nicht erübrigt und ver-
man aus § 577 folgern könnte. Die Erstfassung schlungen. In §§ 575 f. redet Hegel von der Logik
hält sehr deutlich fest: als ein solches Extrem der anscheinend im ursprünglichen Sinne. Deshalb
Diremtion sei »die Natur unmittelbar nur ein findet in diesen Paragraphen der absolute Geist
Gesetztes, so wie der Geist eben dieß an ihm keine Erwähnung. Dieses Verhältnis kehrt sich in
selbst, nicht die Voraussetzung sondern die in § 577 – sehr wahrscheinlich – um. Wäre unter
sich zurückgekehrte Totalität zu seyn.« dem »absolut-Allgemeinen«, das sich in Natur
(7) Und noch ein weiteres mögliches Miß- und Geist entzweit (§ 577), der absolute Geist zu
verständnis kann durch den Rückgang zwar nicht verstehen, so hätte die Logik keinen Ort im Sy-
auf die Erstfassung, aber auf die Notizen zu ihr stem. Würde hingegen die Logik selber (und
ausgeschlossen werden: die Ansicht, als bildeten nicht als im Konkreten bewährte) darunter ver-
die drei Schlüsse gleichsam einen fortlaufenden standen, so wäre der absolute Geist ortlos – es sei
Zusammenhang. Demgegenüber halten die Noti- denn, er würde auf der Seite des subjektiven
zen ausdrücklich fest: »Alle 3 Standpunkte sind in Erkennens angesiedelt, wofür aber nichts spricht.
Einem vereinigt a.) es ist die Natur der Sache, die – Diese Schwierigkeit erinnert an die frühesten
sich fortbewegt b.) Bewegung Thätigkeit des Er- Systemskizzen Hegels, die er zu Beginn seiner
kennens c.) eben darin weder subjectiv noch Jenaer Jahre, zur Zeit der Zusammenarbeit mit
objectiv – sondern die E i n e I d e e die sich dar- Schelling niedergeschrieben hat (s. 150 f.). Auch
7. Heidelberger Schriften (1817–1818) 271

in der dort entfalteten Philosophie des absoluten wohl aber in Schellings Kritik eines derartigen
Indifferenzpunktes hat die Logik – neben dem Ansatzes, dessen Urheber er zwar nicht nennt,
Subjektiven und der Natur – keinen rechten Ort. der aber mit Sicherheit als Hegel zu identifizieren
Und nicht allein die Logik findet in der in § 577 ist. Im Kontext einer Kritik der Bedeutung der
umrissenen Konzeption keinen Ort. Alle drei Logik für die Philosophie skizziert Schelling eine
Schlüsse thematisieren den endlichen Geist nur Konzeption, die das Absolute der Form und der
als subjektiven; den objektiven erwähnen sie Materie nach in je drei Schlüsse auseinander-
nicht. Der Geist geht somit nur in derjenigen fallen läßt, und er legt dort »Bruno« die harsche
Bestimmung in die drei Schlüsse ein, die er schon Kritik in den Mund: »Von allen also, welche in
als das transzendentalphilosophische Moment dieser Art der Erkenntniß die Philosophie su-
der absoluten Indifferenz gehabt hat. Auch auf chen, das Seyn aber des Absoluten auf diesem
die Frage nach dem systematischen Ort des ob- Wege oder überhaupt beweisen wollen, werden
jektiven Geistes wird man an die frühe Konzep- wir urtheilen, daß sie noch nicht die Schwelle der
tion der Identitätsphilosophie weiterverwiesen. Philosophie begrüßt haben.« (SW I/4.300). Auch
(9) Daraus läßt sich nur der eine Schluß zie- in seiner wenig späteren Schrift Philosophie und
hen: Die Schwierigkeit der Deutung der drei Religion nimmt Schelling nochmals hierauf Be-
Schlüsse ist – zumindest zum Teil – dadurch zug: Den Reflexionsphilosophen entgehe, daß
bedingt, daß Hegel hier der Enzyklopädie ein die »Formen, in denen das Absolute ausgespro-
Vermittlungsmodell aufpfropft, das der frühesten chen werden kann, und in denen es ausgespro-
Phase seiner Systemkonzeptionen angehört. chen ist, sich auf die drey einzig möglichen re-
Dem Vermittlungsmodell, das Hegel in § 577 ent- duciren, die in der Reflexion liegen, und die in
wirft, liegt die frühe Konstruktion des Absoluten den drey Formen der Schlüsse ausgedrückt sind,
durch die Entgegensetzung einer subjektiven und und daß nur die unmittelbare anschauende Er-
einer objektiven transzendentalen Anschauung kenntniß jede Bestimmung durch Begriff unend-
zu Grunde – »jene Ich, diese Natur, beides die lich übertrifft.« (PLS 3/1.106).
höchsten Erscheinungen der absoluten sich selbst Dieser doppelte – konzeptuelle wie terminolo-
anschauenden Vernunft.« (GW 4.77) Lediglich in gische – Rückgriff der Lehre von den Schlüssen
der Überordnung der Seite des Geistes über die auf die frühesten Entwürfe zeigt aber nicht eine
Natur zeigt sich eine Spur von Hegels späterer, wirkliche Rückkehr zu den Jenaer Anfängen an.
aber bereits seit 1803 gewonnener Einsicht in die Er ist ein Rückgriff auf ein Instrumentarium, das
höhere Stellung des Geistes. der späteren Konzeption nicht mehr angemessen
Sonst aber lassen sich die Beziehungen bis in ist. Denn es erlaubt nicht, den systematischen Ort
die Wortwahl hinein verfolgen. Schon die Rede der Logik zu bestimmen, und es bringt Verwir-
von »Erscheinungen« im letzten Zitat ist ein Indiz rung in Hegels Geistesphilosophie überhaupt, da
dafür, und nicht das einzige: Die Differenz- es die Existenz des objektiven Geistes ebenso
Schrift formuliert im Blick auf die Zweiheit der ignoriert wie den Umstand, daß die Abhandlung
Philosophien der Natur und der Intelligenz: »Wir des absoluten Geistes nicht mehr – wie die der
haben bisher beyde Wissenschaften bey ihrer absoluten Indifferenz – den beiden Wissenschaf-
innern Identität einander entgegengesetzt; in der ten der Natur und des subjektiven Geistes
einen ist das Absolute ein subjektives, in der schlechthin entgegengesetzt, sondern innerhalb
Form des Erkennens, in der andern ein objektives der e i n e n Geistesphilosophie das Dritte zum
in der Form des Seyns.« (GW 4.74) Nach der subjektiven und objektiven Geist bildet.
Erstfassung der Enzyklopädie hat die Wissen- Diese Inkompatibilität der Lehre von den drei
schaft in der ersten Form der Erscheinung die Schlüssen mit der späteren Systemkonzeption
Form »eines Seyns« (1§ 475, vgl. 3§ 575), und in mag der Grund dafür sein, daß Hegel sie 1827 aus
der zweiten erscheint sie »als ein subjectives E r - der Enzyklopädie ausschließt. Dort heißt es in
k e n n e n.« (1§ 476, vgl. 3§ 576) § 574 zunächst übereinstimmend mit der dritten
Und auch die Rede von »drei Schlüssen« weist Fassung, das Logische sei das Resultat als das
auf die Zeit der Genese der Systemkonzeption Geistige, doch dann fährt Hegel fort: »welches
zurück. Eigentümlicher Weise läßt sie sich nicht sich als die an und für sich seyende Wahrheit
in Hegels Schriften aus dieser Zeit nachweisen, erwiesen, und aus ihrem voraussetzenden Ur-
theilen, der concreten Anschauung und Vorstel-
lung ihres Inhalts in sein reines Princip zugleich
272 II. Werk

als in sein Element sich erhoben hat.« Dieser 8. Berliner Schriften und Entwürfe
Abschluß des Systems entspricht der neuen Kon- (1821–1831)
zeption der Geistesphilosophie überhaupt und
des absoluten Geistes im besonderen. Hegel ver- 8.1. Grundlinien der Philosophie
wirft ihn jedoch ebenfalls wieder – möglicher
des Rechts
Weise, weil dieser Abschluß seine Idee einer
umfassenden Selbstvermittlung seines Systems
8.1.1. Entstehung
der Philosophie – wie er sie im zitierten Anschluß
an Platons Timaeus und auch in § 192 zum Aus- (1) Das letzte Buch, das Hegel – abgesehen von
druck bringt – nur unbefriedigend verwirklicht. den späteren Neuauflagen der Enzyklopädie und
So nimmt er die Lehre von den drei Schlüssen der Logik – veröffentlicht, sind die Grundlinien
wieder in der Form auf, die sie in der Erstfassung der Philosophie des Rechts oder, nach dem we-
der Enzyklopädie gefunden hat – mit nur gering- niger bekannten Haupttitel, Naturrecht und
fügigen Abänderungen, die eher geeignet sind, Staatswissenschaft im Grundrisse. Das im 18.
diese Konzeption zu verdunkeln als zu erhellen. Jahrhundert aufkommende Wort »Staatswissen-
Erstdruck: Heidelberg 11817; 2 1827; 31 830. – Text: GW schaft« greift Hegel nicht etwa aus v. Hallers
13; GW 19; GW 20. – Quelle: [Friedrich August Gott- Restauration der Staatswissenschaft (1816–1834)
treu Tholuck]: Die Lehre von der Sünde und vom auf; er verwendet es bereits in Nürnberg als
Versöhner, oder: Die wahre Weihe des Zweiflers. Ham- Komplement zu »Rechtswissenschaft« (s. 211,
burg 11823; 2 1825. – Literatur: Karl Rosenkranz: Kriti-
sche Erläuterungen des Hegelschen Systems. Königs-
214), und ebenso im Titel seiner Heidelberger
berg 1840 (ND Hildesheim 1963); Fulda: Problem einer Vorlesungen (V 1.1). »Philosophie des Rechts«
Einleitung (1965); 169–202; Reinhard Heede: Die gött- hingegen ist damals eine neue, auf Verwunde-
liche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Unter- rung stoßende Wortbildung, die sich vermutlich
suchungen zum Verhältnis von Logik und Religions- auf Grund von Hegels Vorlesungen durchgesetzt
philosophie bei Hegel. Diss. phil. Münster 1972, hat – zumal er selber diesen Titel favorisiert hat,
276–303; Bruno L. Puntel: Darstellung, Methode und
Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systemati-
etwa in der Ankündigung für das Wintersemester
schen Philosophie G. W. F. Hegels. Bonn 1973; Emil 1819/20: »Ius naturae et civitatis, i. e. philoso-
Angehrn: Freiheit und System bei Hegel. Berlin / New phiam iuris« (Br IV/1.114).
York 1973; Ernst Behler: Friedrich Schlegels Enzy- Wie die Enzyklopädie, so sind auch die Grund-
klopädie der literarischen Wissenschaften im Unter- linien kein für sich selbst stehender Teil eines
schied zu Hegels Enzyklopädie der philosophischen ausgeführten »Systems«, sondern, wie das Titel-
Wissenschaften. HS 17 (1982); Vittorio Hösle: Hegels
System. Der Idealismus der Subjektivität und das Pro-
blatt weiter belegt, ein Kompendium »Zum Ge-
blem der Intersubjektivität. 2 Bde. Hamburg 11987; brauch für seine Vorlesungen«. Es ist aus seinen
Karen Gloy / Rainer Lambrecht: Bibliographie zu He- Heidelberger und frühen Berliner Vorlesungen
gels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaf- über Rechtsphilosophie hervorgegangen und
ten im Grundrisse«. Primär- und Sekundärliteratur liegt wiederum den späteren Vorlesungen zu
1817–1994. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995; Herbert Grunde, und somit bildet es selber einen Be-
Schnädelbach (Hg.): Hegels »Enzyklopädie der philo-
sophischen Wissenschaften« (1830), Frankfurt am Main
standteil dieser Vorlesungen – auch wenn man
2000; darin: Christa Hackenesch: Die Wissenschaft der nicht annehmen wird, daß Hegel bei seinem
Logik (§§ 19–244); Wolfgang Neuser: Die Naturphilo- Vortrag zunächst den jeweils thematischen Para-
sophie (§§ 245–376); Hermann Drüe: Begriff des Gei- graphen vorgelesen und ihn anschließend kom-
stes (§§ 377–387), Der subjektive Geist (§§ 388–482); mentiert hätte. Wegen dieser Verschränkung von
Schnädelbach: »Der objektive Geist (§§ 483–552); An- Kompendium und Kommentierung wird hier, um
nemarie Gethmann-Siefert: Die Kunst (§§ 556–563);
Walter Jaeschke: »Die geoffenbarte Religion« (§§ 553–
Wiederholungen zu vermeiden, erst im Kontext
555, 564–571), »Die Philosophie« (§§ 572–577); Fulda: der Vorlesungen über Rechtsphilosophie inhalt-
Hegels Begriff des absoluten Geistes. HS 36 (2001), lich auf die Konzeption der Rechtsphilosophie
171–198; Halbig: Objektives Denken (2002), 219–324: eingegangen (s. 364–400).
Drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität; Hans- (2) Die Vorlesungen über Naturrecht und
Christian Lucas / Burkhard Tuschling / Ulrich Vogel Staatswissenschaft vom Winter 1817/18 (Heidel-
(Hg.): Hegels enzyklopädisches System der Philoso-
phie. Von der ›Wissenschaft der Logik‹ zur Philosophie
berg) und 1818/19 (Berlin) hat Hegel nicht an
des absoluten Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt 2004. Hand seiner Enzyklopädie gehalten – wohl we-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 273

gen deren zu geringen Ausführlichkeit –, sondern drucken zu lassen, als die Bundestagsbeschlüsse
auf der Grundlage von Diktaten. Die rasche Wie- ankamen. Da wir jetzt [wissen,] woran wir mit
derholung dieser Vorlesungen hat v. Thaden an- unserer Zensurfreiheit sind, werde ich [sie] jetzt
nehmen lassen, daß Hegel ihre Veröffentlichung nächstens in Druck geben.«
beabsichtige (an Hegel, 12.11.18); es gibt jedoch Dieser Passus ist so mißverstanden worden, als
keinen Beleg dafür, daß Hegel damals oder gar habe Hegel damals – im »Spätsommer« oder
schon in Heidelberg eine Publikation der Rechts- »Frühherbst« (so im Anschluß an Ilting noch
philosophie erwogen hätte. Der bloße Umstand, Schnädelbach 2000, 165,170) – über ein »druck-
daß Hegel sich am 1.2.18 vom Heidelberger Ver- fertiges Manuskript« (Ig Bd. 1.64,67, Bd. 2.7) der
leger Winter »Hugo’s Rechtsgeschichte« erbittet Grundlinien verfügt und sich nun genötigt ge-
(Riedel, Bd. 1.15), gegen die er später in den sehen, sie umzuarbeiten, um sich den neuen Ver-
Grundlinien polemisiert, ist ja kein hinlänglicher hältnissen zu akkomodieren – und daraus erkläre
Beleg für einen Publikationsplan. Erst im Brief an sich, daß sie erst Anfang Oktober 1820 erschie-
Niethammer vom 26.3.19 spricht Hegel diese nen seien. Ilting (1975, 69 f.) behauptet gar, Hegel
Absicht aus: »Auf die Leipziger Messe soll ich habe auf Grund der Karlsbader Beschlüsse »seine
noch ein Buch schreiben (mein Naturrecht in Konzeption des modernen Staates geopfert und
§§).« Diese knappe Mitteilung enthält mehrere um der Anpassung an bestehende Verhältnisse
wichtige Informationen: Daß Hegel das Buch willen seine Theorie des modernen Staates in
noch »schreiben« soll, deutet darauf hin, daß er zwei Teile auseinanderfallen lassen, die mitein-
nicht daran gedacht hat, lediglich seine Diktat- ander unvereinbar sind. Es ist vermutlich die
vorlage in Satz zu geben; seine Erwähnung von Dunkelheit seiner Darstellung, auf die man es
Paragraphen deutet auf ein Vorlesungskompen- zurückzuführen hat, daß dieser entscheidende
dium; die genannte Messe kann allein die Mi- Bruch – man ist fast versucht, von einem Verrat an
chaelismesse im Herbst 1819 sein, da die Jubila- den eignen Prinzipien zu sprechen – bislang noch
temesse ja unmittelbar bevorsteht, und das »soll« keineswegs die Aufmerksamkeit gefunden hat,
deutet an, daß Hegel damals schon mit dem die er verdient.«
Verlag in Kontakt, vielleicht sogar im Kontrakt Ein unvoreingenommener Blick auf Hegels An-
steht. Auch die – wohl im August verfaßte – kündigungs- und Publikationspraxis – seit den
Ankündigung für das Wintersemester verweist ersten Jenaer Jahren – hätte lehren können, daß
auf ein demnächst erscheinendes Lehrbuch: »ad die vermeintlich politisch bedingte Verzögerung
compendium proxime in lucem proditurum« (Br nichts Geheimnisvolles in sich birgt: Publika-
IV/1.114). tionsankündigungen hat Hegel wenn überhaupt,
Das nächste Zeugnis für die Entstehungsge- dann stets mit Verspätung eingelöst. Vor allem
schichte ist Hegels Brief an Creuzer vom 30.10.19 aber hat er – wie auch andere Autoren dieser Zeit
– und um diesen Brief ranken sich Legenden – seine Publikationen nicht als ganze, sondern in
über eine angebliche Verzögerung der Rechts- kleineren Partien in Satz gegeben, sie in einzel-
philosophie aus Furcht vor der Zensur (s. dage- nen Druckbogen zurückerhalten und gegebenen-
gen Lucas / Rameil). Der stets verbreiteten Sehn- falls an Hörer oder Freunde verteilt. Dieses Ver-
sucht nach Legendenbildung kommt dieser Brief fahren hat Hegel offensichtlich auch hier be-
auch deshalb entgegen, weil er in einer politisch folgen wollen. Er spricht Creuzer gegenüber ja
sehr aufgewühlten Zeit geschrieben ist: zur Zeit von »ein paar Bogen« – daraus ist gerade nicht auf
der »Demagogenverfolgung«, nach den »Karls- ein vollständiges druckreifes und dann zurück-
bader Beschlüssen« der dort tagenden Minister gehaltenes Manuskript zu schließen, sondern le-
und kurz nach Übernahme der vom Frankfurter diglich, daß Hegel den Anfang – wohl die »Ein-
Bundestag verabschiedeten restriktiven Be- leitung« – nunmehr für druckfertig hielt. Und er
schlüsse durch die Regierungen der deutschen kündigt Creuzer auch keineswegs an, daß sich
Länder, auch Preußens (s. 44). Hegel schreibt, er sein Buch auf Grund der neuen politischen Lage
hätte ein Buchgeschenk Creuzers gern »mit ein verzögern, sondern daß er diese Partien »jetzt
paar Bogen §§ über Rechtsphilosophie« erwidert nächstens in Druck geben« werde. Da das Seme-
– doch sei er nicht »so fleißig und frisch in den ster aber bereits begonnen hatte, wären die er-
Arbeiten« wie Creuzer. »Ich wollte eben anfangen sten Bogen für die Studenten ohnehin zu spät
274 II. Werk

gekommen, und so hat Hegel die weiteren Par- piert und vielmehr den Einklang der Philosophie
tien wohl parallel zu seinem Vortrag der Rechts- mit denjenigen Grundsätzen zu beweisen, welche
philosophie ausgearbeitet und erst am 9.6.20 die die Natur des Staates überhaupt braucht, am un-
erste Hälfte »(oder etwas darüber)« an den Ver- mittelbarsten aber den Einklang mit demjenigen,
lag, die »Nicolaische Buchhandlung«, gesandt – was unter seiner [Majestät des Königs] erleuchte-
mit der Bitte, diese erste Hälfte bereits zur Zen- ten Regierung und unter der weisen Leitung
sur einzureichen, aber »den Druck nicht anfangen E[uer] D[urchlaucht] der Preußische Staat, dem
zu lassen, bis auch der Rest, den ich bald nach- ebendarum anzugehören mir selbst zu besonde-
senden werde, aus der Zensur zurück ist« (Br IV/ rer Befriedigung gereichen muß, teils erhalten,
2.34). Zu diesem Zeitpunkt werden die Grund- teils noch zu erhalten das Glück hat.« Schwerlich
linien im wesentlichen vollendet gewesen sein; wird dem Staatskanzler der – unter den damals
die Unterzeichnung der Vorrede am 25.6.20 mar- politisch-korrekten untertänigen, heute devot er-
kiert das Ende seiner Arbeiten. scheinenden Wendungen verborgene – Hinweis
Und auch hinter dem Umstand, daß die Grund- auf die Einlösung des Verfassungsversprechens
linien Anfang Oktober 1820, jedoch mit dem entgangen sein – wenn er den Brief denn über-
Datum »1821« erscheinen, sind keine geheimnis- haupt zur Kenntnis genommen hat.
vollen Vertuschungsabsichten zu wittern – denn
dies ist ein auch heute übliches Verfahren. So läßt
8.1.2. Vorrede
sich denn von keiner Passage der Grundlinien mit
Grund behaupten, daß sie sich einem politischen (1) Nicht in die rechtsphilosophischen Vorlesun-
Standortwechsel oder gar einer nachträglichen gen eingegangen ist Hegels »Vorrede« zu den
Akkomodation verdanke. Eher kann es verwun- Grundlinien (GW 14.7–19). Deren Rezeptions-
dern, daß sie gegen Friedrich Carl v. Savigny geschichte hat sie jedoch entscheidend geprägt.
überaus deutlich zu Gunsten der Kodifikation von Fraglos ist sie einer der brillantesten, aber auch
Gesetzbüchern (und somit implizit auch für die brisantesten Texte Hegels. Auch heute noch wird
Kodifikation einer Verfassung) optieren (§ 211, sie als »publizistisches Unglück« und »philoso-
vgl. GW 4.470) und zudem in der sog. »Haller- phiepolitisches Pamphlet« gelesen (Schnädel-
Diatribe« (§§ 258,219) den hauptsächlichen bach 2000, 327), ja als Manifest der politischen
Wortführer der damaligen Restauration und Restauration – freilich von Kritikern, die nicht zu
Günstling der nachmaligen preußischen »Kron- erkennen geben, daß sie sich jemals mit den
prinzenpartei«, Carl Ludwig v. Haller, in kaum politischen Entwürfen der damaligen Restaura-
zu überbietender Schärfe angreifen (Jaeschke tionspartei beschäftigt hätten. Und die kritischen
1986 b, 227–234). Vorbehalte, die die »Vorrede« geweckt hat, sind
Am 10.10.20 übersendet Hegel die Grundlinien auch nicht auf die Grundlinien beschränkt geblie-
an den Minister v. Altenstein – und er vermerkt ben; mehrfach hat sie Hegels Philosophie insge-
im Entwurf zum Übersendungsschreiben, sein samt in Mißkredit gebracht.
Buch bringe es mit sich, »daß ich auf diese Weise (2) Der restaurative Charakter der »Vorrede«
Nachricht über den Umfang derjenigen Grund- erscheint gleichsam fokussiert in der Gnome
sätze abgebe, die ich über den vorliegenden Ge- » Wa s v e r n ü n f t i g i s t , d a s i s t w i r k l i c h ;
genstand vortrage – eine Rechenschaft, welche und was wirklich ist, das ist vernünf -
ich bei der wahrhaften Freiheit des Philosophie- t i g .« (GW 14.14) Es bedarf indes nur geringer
rens, die in den königlichen Landen und unter hermeneutischer Künste, um sich davon zu über-
der hohen Leitung E[uer] E[xzellenz] eines so zeugen, daß dieser »Doppelsatz« nicht als platte
gerechten Schutzes und [einer zu] bewundern- Rechtfertigung bestehender politischer Verhält-
den Beförderung sich zu erfreuen hat, […] ab- nisse zu lesen ist. Denn die »Vorrede« beschreibt
zulegen für meine Schuldigkeit halte.« Deutli- die » S t e l l u n g d e r P h i l o s o p h i e z u r W i r k -
cher erklärt er sich im Entwurf zu einem Über- l i c h k e i t« insgesamt mittels einer ›ontologi-
sendungsschreiben an den Staatskanzler, Fürst schen Differenz‹ zwischen der »wirklichen Ver-
Hardenberg: Sein wissenschaftliches Bestreben nunft« und den »auf der Oberfläche sich zeigen-
gehe dahin, »von der Philosophie dasjenige aus- den Gestaltungen und Zufälligkeiten«. Wie die
zuscheiden, was diesen Namen fälschlich usur- Philosophie die in der Natur »gegenwärtige,
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 275

w i r k l i c h e Vernunft, nicht die auf der Ober- schen Umtriebe‹ unter denselben Begriff stellt:
fläche sich zeigenden Gestaltungen und Zufällig- »Haß gegen das Gesetz« (GW 14.10). Diesen Haß
keiten, sondern ihre ewige Harmonie, aber als erkennt Hegel einerseits dort, wo die Berufung
ihr i m m a n e n t e s Gesetz und Wesen zu erfor- auf das »Gefühl« oder » d i e h e i l i g e K e t t e d e r
schen u n d b e g r e i f e n d zu fassen habe«, so F r e u n d s c h a f t« (von der dann bestimmte
auch in ihrer Erkenntnis der sittlichen Welt (GW Gruppen der Bevölkerung ausgeschlossen wer-
14.8): Sie hat deren immanente Gesetzmäßigkeit den) die Vernunfterkenntnis ersetzen will. Den
herauszuarbeiten – die interne Logik des Staates, »bittersten Haß gegen alle G e s e t z e , G e s e t z -
die »Architectonik seiner Vernünftigkeit, die gebung, alles förmlich und gesetzlich
durch die bestimmte Unterscheidung der Kreise b e s t i m m t e R e c h t e« erkennt er gleicherweise
des öffentlichen Lebens und ihrer Berechtigung bei den Repräsentanten der Restauration: »Der
und durch die Strenge des Maßes, in dem sich Haß des G e s e t z e s , g e s e t z l i c h bestimmten
jeder Pfeiler, Bogen und Strebung hält, die Stärke R e c h t s ist das Schiboleth, an dem sich der
des Ganzen aus der Harmonie seiner Glieder Fanatismus, der Schwachsinn, und die Heucheley
hervorgehen macht« (GW 14.10). Denn diese der guten Absichten offenbaren und unfehlbar zu
immanente Vernunftstruktur ist das eigentlich erkennen geben, was sie sind, sie mögen sonst
»Wirkliche« und als solches der Gegenstand der Kleider umnehmen welche sie wollen.« (§ 258
Philosophie – und nicht der Streit um Tages- Fußnote)
politik oder gar die politische Agitation. (3) Zum philosophiepolitischen Traktat wird
Deshalb polemisiert Hegel gegen eine sich die »Vorrede« somit nicht durch ihre angebliche
selbst als Philosophie verstehende Strömung, die Rechtfertigung des zufällig Bestehenden oder gar
in seinen Augen durch ihre Berufung auf »Un- der programmatischen Restauration des bereits
mittelbarkeit« »diesen gebildeten Bau in den Brey Vergangenen, sondern vielmehr durch ihren Ver-
des ›Herzens, der Freundschaft und Begeiste- such, die Philosophie aus solchen tagespoliti-
rung‹ zusammenfließen« lasse: Dieses »Ge- schen Auseinandersetzungen herauszuhalten und
treibe« verfehle nicht allein den Philosophiebe- auf die apolitische Erkenntnis der Vernunftstruk-
griff, sondern es bringe zudem die Philosophie in tur der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu ver-
Mißkredit. Namentlich nennt er den Mann, in pflichten. Sie müsse die »bunte Rinde« des
dem er gleichsam die Inkarnation dieses »Ge- Reichtums von Erscheinungen durchstoßen: »Die
treibes« erblickt: den »Heerführer dieser Seich- unendlich mannichfaltigen Verhältnisse aber, die
tigkeit, die sich Philosophiren nennt«, seinen sich in dieser Aeußerlichkeit, durch das Scheinen
alten Gegner Jakob Friedrich Fries. Diese Kritik des Wesens in sie, bilden, dieses unendliche Ma-
ist gelegentlich als schäbig bezeichnet worden, da terial und seine Regulirung, ist nicht Gegenstand
Fries damals wegen seiner ›demagogischen Um- der Philosophie. Sie mischte sich damit in Dinge,
triebe‹, insbesondere wegen seiner Rede auf dem die sie nicht angehen« (GW 14.14 f.) – und zwar
Wartburgfest seine Stellung verloren hatte. Doch nicht, weil sie sie mit schlechtem Gewissen igno-
wiederholt Hegel hier einerseits nur seine frü- rierte, sondern weil sie der Erkenntnis des All-
here Kritik – aus der Zeit, als er noch Schulmann gemeinen verpflichtet ist.
in Nürnberg, Fries aber Professor in Heidelberg Dieses – im Sinne der Tagespolitik apolitische
war –, und vor allem darf über Fries’ Verdiensten – Programm impliziert allerdings einen weiteren
um die Philosophie nicht der nationalistische und stabilisierenden Aspekt: Das Erkennen der im-
antisemitische Bodensatz seiner politischen Agi- manenten Vernunft der geistigen Welt kann stets
tation verschwiegen werden, der sich nahtlos nur ein Erkennen dessen sein, was ist; es kann
verbindet mit einem anderen von Hegel kritisier- die Gegenwart nicht überspringen. Wie das In-
ten Ingredienz der zeitgenössischen »Seichtig- dividuum ohnehin »ein S o h n s e i n e r Z e i t« ist,
keit«: mit der Frömmigkeit, die damals ja auch so ist auch die Philosophie » i h r e Z e i t i n G e -
zur Legitimation des politischen Meuchelmords d a n k e n e r f a ß t«. Gleichwohl läßt sich noch
aufgeboten wurde (s. 43). nicht einmal von ihr sagen, daß sie in der reinen
Es ist bisher nicht bemerkt worden, daß Hegel Gegenwart lebe: »Als der G e d a n k e der Welt
seine Kritik einerseits der Restauration, anderer- erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirk-
seits der ihr entgegengerichteten ›demagogi- lichkeit ihren Bildungsproceß vollendet und sich
276 II. Werk

fertig gemacht hat. […] Wenn die Philosophie ihr selben Kollegs 1819/20 durch Ringier folgt ohne-
Grau in Grau mahlt, dann ist eine Gestalt des hin den Grundlinien: »was vernünftig ist, ist
Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt wirklich und umgekehrt« – und sie präzisiert
sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; durchaus im Sinne der Grundlinien: »aber nicht
die Eule der Minerva beginnt erst mit der ein- in der Einzelheit und dem Besonderen, das sich
brechenden Dämmerung ihren Flug.« Auf diese verwirren kann.« (V 14.8).
Erkenntnis ist die Philosophie verpflichtet; sie (5) Die Brisanz des »Doppelsatzes«, zumindest
hat den Staat nicht zu konstruieren, wie er sein seine »leichte Mißverständlichkeit« im Sinne ei-
soll, sondern: »Das w a s i s t zu begreifen, ist die nes politischen Quietismus (R 335), hat Hegel
Aufgabe der Philosophie, denn das w a s i s t , ist genötigt, den Sinn dieser »einfachen Sätze« in der
die Vernunft.« (GW 14.15 f.) zweiten Fassung der Enzyklopädie (2§ 6) zu prä-
In diesem ausschließlich auf die Erkenntnis zisieren – durch Unterscheidung zwischen »Er-
dessen, was ist, verpflichteten Philosophiebegriff scheinung« und »Wirklichkeit« im emphatischen
hat man einen durch die Restauration bedingten Sinne wie überhaupt durch Berufung auf die dif-
resignativen Zug erkennen wollen. Eine derar- ferenzierte Begrifflichkeit von Dasein, Existenz
tige zeitliche Zuordnung ignoriert jedoch, daß und anderen Bestimmungen in seiner Logik. Es
Hegel bereits in der Verfassungsschrift die Philo- wäre aber nicht gerechtfertigt, diese Erläuterung
sophie durch diese Rolle einer nachträglichen als Ausflucht zu werten, als Rückzug aus der
Erkenntnis dessen, was ist, charakterisiert sieht rauhen Welt der Politik in die leidenschaftslose
(s. 105) – also unter politischen Auspizien, die Stille der nur denkenden Erkenntnis. Denn sie
von denen der Restaurationszeit weitestgehend geht keineswegs über die Differenzierung zwi-
geschieden sind. Die These vom resignativen schen zufälliger »Erscheinung« und »Wirklich-
Charakter dieses Philosophiebegriffs wird durch keit« hinaus, die seine »Vorrede« ohnehin durch-
diese Analogie freilich weniger bestritten als be- zieht. Auch sie spricht von »Wirklichkeit« ja im
stärkt. Damit ist jedoch noch nichts über die Sinne eines Gegenbegriffs gegen die platte Fakti-
Angemessenheit dieses Begriffs ausgemacht. zität der politischen Verhältnisse. Ebenso betont
(4) Die Einbettung der Gnome von der Ver- Hegel auch jetzt, nur im gemeinen Leben nenne
nünftigkeit des Wirklichen in den sie erklären- man »jede noch so verkümmerte und vergäng-
den Kontext hat nicht das fatale Mißverständnis liche Existenz zufälligerweise eine W i r k l i c h -
verhindert, als sei es Hegel um die Rechtferti- k e i t«. Doch selbst einem »gewöhnlichen Ge-
gung eben der zufälligen Erscheinung gegangen, fühl« sei die Differenz zwischen dem bloß Zu-
mit der die Philosophie gerade nach seinem An- fälligen und dem im affirmativen Sinne Wirkli-
satz nichts zu tun hat. Die unmittelbaren Vor- chen bekannt, und dieses Wirkliche sei Moment
formen der Äquivalenzformel sind diesem Miß- der Idee, die weder zu vortrefflich noch zu chimä-
verständnis weniger ausgesetzt. So durchzieht risch sei, um sich Wirklichkeit zu geben: »Man
die Formel »was vernünftig ist, muß geschehen« muß aber wissen, was wirklich ist.« (V 8.50)
die Nachschrift des Kollegs 1817/18 (V 1.192
u. ö.), und aus dem Kolleg 1819/20, also aus der
8.1.3. Rezeption
Zeit der Arbeit an den Grundlinien, wenn auch
wohl noch nicht der »Vorrede«, ist eine ähnliche (1) Anders als die großen Werke der Phänomeno-
Formel überliefert: »Was vernünftig ist, wird logie oder der Logik haben die Grundlinien bei
wirklich, und das Wirkliche wird vernünftig.« den Zeitgenossen ein starkes Echo ausgelöst –
(Henrich 1983, 51) Hier tritt die kritische Potenz jedoch ein für Hegel durchweg unerfreuliches.
hervor, die der »Doppelsatz« (Henrich) zumin- Dies ist keineswegs unverständlich – denn mit
dest ebenso in sich enthält. Auch Heinrich Heines den Grundlinien hat Hegel sich in ein gespanntes
Erzählung eines (wohl fiktiven) Gesprächs mit Verhältnis zu allen Parteien gesetzt, die an den
Hegel hebt auf sie ab: »Als ich einst unmutig war damaligen literarischen Auseinandersetzungen
über das Wort: ›Alles, was ist, ist vernünftig‹, beteiligt waren: mit der historischen Rechts-
lächelte er sonderbar und bemerkte: Es könnte schule wegen der Kritik an Hugo, mit v. Savignys
auch heißen: ›Alles, was vernünftig ist, muß politischer Option wegen der Forderung nach
sein.‹« (HBZ 235) Doch die Überlieferung des- Kodifikation eines Gesetzbuches, mit der Restau-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 277

ration wegen der scharfen Polemik gegen v. Hal- setzung bemüht sind; fast ausschließlich pole-
ler, und mit denjenigen, die den deutschen Natio- misch ist hingegen die anonym erschienene Re-
nalismus der Wartburg-Redner teilten, wegen zension seines früheren Freundes und (seit dem
der »Vorrede«. Die philosophische Substanz der Württembergischen Verfassungsstreit, s. 257 f.)
Grundlinien ließ sich hingegen nur schwer er- nachmaligen Gegners Paulus, die sich vor allem
schließen. Selbst ein guter Bekannter wie Karl auf Hegels »Vorrede« bezieht, die allerdings auch
Johann Friedrich Roth bekennt am 18.12.20 zu in den anderen Rezensionen einen wichtigen
seinem »Bedauern, daß ich die Paragraphen gar Raum einnimmt. Dies hat Hegel freilich selber
nicht und auch in den Anmerkungen manches provoziert; am 9.5.21 schreibt er an Daub, er
nicht verstehe. […] Es scheint mir unmöglich, habe mit der »Vorrede« »dieser kahlen und anma-
daß ein Mann von solcher Geisteskraft der Isago- ßenden Sekte – dem Kalbe, wie man in Schwaben
gik nicht mächtig sein sollte, die meines Be- zu reden pflegt – ins Auge schlagen wollen.« Und
dünkens im Anfange, obgleich nicht im Fort- an Niethammer formuliert er am 18.7.22 ebenso
gange, populär sein muß.« Ähnliche Probleme drastisch: Man könne über derartige Materien
hat auch Niethammer, doch resümiert er am ohnehin nur von wenigen Zustimmung erhoffen;
16.4.21: »Aber bei allem Bedenken, das ich fin- »daß ich aber bei unserem Freiheitsgesindel nicht
den mag, sage ich mir doch, daß es Zeit war, dem besser ankommen wollte, habe ich bereits aus-
Stumpf- und Flachsinn nicht bloß unsrer politi- drücklich selbst bezeugt.« Über die Allgemeine
schen Kannegießer, sondern unsrer Staatswissen- Literaturzeitung, die sein Verdikt über Fries als
schaftler selbst so zu kommen, und wenn Sie sich persönliche Verunglimpfung eines ohnehin schon
bei diesen keinen Dank verdienen, so sind Sie Gestraften bezeichnete, hat er sich jedoch so
dessen bei andern nur um so gewisser.« Und v. erregt, daß er sich den Vorwurf abschreibt und »in
Thaden, der sich einen treuen Freund und eifri- einem weitläufigen Schreiben vom Ministerium
gen Schüler Hegels nennt, faßt am 8.8.21 die des Unterrichts Schutz gegen diese Denuncia-
Wirkung des Buches prägnant zusammen: »Sie tion, wie es es nannte«, verlangt (R 336 f.) –
haben einen neuen Feldzug, größer denn je be- übrigens ohne jeglichen Erfolg.
gonnen und Freund und Feind ohne Schonung Die Hauptzielscheibe der Kritik bildet neben
beleidigt und verwundet […] Die große Sache ist Hegels heraklitischer »Verschlossenheit« und
nun auf die Spitze getrieben, und wenn der Krieg »Undurchdringlichkeit« (Paulus; Riedel 1975,
auf dem Boden des Geistes mit den legitimen 1.53) sein »Doppelsatz« von der Vernünftigkeit
Waffen der Wissenschaft geführt wird, so muß es des Wirklichen und der Wirklichkeit des Ver-
sich bald entscheiden, wer das rechte Recht dar- nünftigen, der als bloße Apologie des Bestehen-
gestellt, mithin wirklich recht hat.« Einzig der den aufgefaßt wird – bis hin zur platten Identifi-
Minister v. Altenstein dankt Hegel, wenn auch zierung: »was w i r k l i c h ist, – d. h. was unmittel-
erst verspätet, am 24.8.21: Indem Hegel darauf bar wahrgenommen wird, also das Empirische«
dringe, »das Gegenwärtige und Wirkliche zu er- (Allgemeine Literaturzeitung; Riedel 1975,
fassen, und das Vernünftige in der Natur und 1.147). Weitere allgemeine Kritikpunkte bilden
Geschichte zu begreifen, geben Sie der Philo- Hegels Angriff auf Fries’ »Seichtigkeit« (so meint
sophie, wie mir scheint, die einzig richtige Stel- Paulus, manche »Erscheinung der Zeitumstände«
lung zur Wirklichkeit, und so wird es Ihnen am hätte »eine gesunde moralische Ansicht mit dem
Sichersten gelingen, Ihre Zuhörer vor dem ver- Schleier der Vergangenheit zugedeckt« lassen sol-
derblichen Dünkel zu bewahren, welcher das len; Riedel, 55) sowie seine Ausrichtung der Phi-
Bestehende, o h n e e s e r k a n n t z u h a b e n , ver- losophie auf das Begreifen dessen, »was ist«, statt
wirft und sich besonders in Bezug auf den Staat in auf ein moralisch begründetes Sollen. An diesen
dem willkürlichen Aufstellen inhaltsleerer Ideale Gesichtspunkt schließt Z. C. als erster den bis in
gefällt.« (R 337) die Gegenwart immer wieder erneuerten Ein-
(2) Die Rezensionen der Grundlinien hat Man- wand: »Eine solche Philosophie kann sich freilich
fred Riedel unter den Titel »mißlungene Rezep- nach allem akkomodieren, was eben an der Ta-
tion« gestellt (1975, 1.17–20) – und dies, obschon gesordnung ist.« (Riedel 1975, 1.102)
einige von ihnen (Herbart, Z. C., Collmann) sehr Neben diesen gemeinsamen Einwänden ma-
ausführlich und um eine sachliche Auseinander- chen alle Rezensionen spezifische Perspektiven
278 II. Werk

geltend: Gustav Hugo kritisiert – ebenfalls rein Zerstreute Blätter bilden ein frühes Zeugnis einer
negativ – Hegels Behandlung des römischen kurzen, produktiven Phase der Wirkungsge-
Rechts (und seiner eigenen Rechtsgeschichte), schichte der Grundlinien, die sich dann bis zu
worauf Hegel mit einer Erklärung dupliziert Karl Marx’ Zur Kritik der Hegelschen Rechts-
(GW 14.289 f.). Die anderen Rezensionen suchen philosophie (1843) fortsetzt.
jedoch die philosophische bzw. rechtswissen-
schaftliche Auseinandersetzung. Probleme berei-
8.1.4. Ergänzungen
ten auch zwei Punkte, die heute unstrittig sind:
Hegels Unterscheidung von »Staat« und »bürger- (1) Dem gedruckten Text der Grundlinien sind
licher Gesellschaft« (Z. C.; Riedel 1975, 1.134) nachträglich zwei Ergänzungen hinzugefügt wor-
sowie seine Einführung der Begriffe »Philosophie den. Eine erste hat Hegel selber vorgenommen:
des Rechts« oder »Rechtsphilosophie« an Stelle Wie von der Enzyklopädie (1817), so hat Hegel
des alten »Naturrechts« (Z. C. und Collmann; sich auch von den Grundlinien ein Handexem-
Riedel, 1.107,159). plar mit »durchschossenen Blättern« binden las-
Die Rezensenten vermerken zwar etliche Über- sen. Das überlieferte Exemplar umfaßt jedoch
einstimmungen, und sie spenden teilweise auch nur den ersten Teil der Grundlinien (bis ein-
»Lob« – doch die Kritik überwiegt bei weitem. schließlich § 180). Vermutlich hat Hegel für den
Herbart sieht Hegel als einen zwar »männlichen zweiten Teil ebenfalls ein solches Handexemplar
Denker«, der jedoch, mit hinabgerissen durch gehabt, doch gibt es hierfür keinen Beleg. Diese
Schellings »Unfall des Versinkens in den Spino- Notizen hat erstmals Georg Lasson im Hegel-
zismus«, in den Grundlinien einen überarbei- Archiv (1914–1916) herausgegeben; danach hat
teten Spinozismus, vermischt mit Ingredienzien er sie seiner Edition der Grundlinien hinzuge-
Kantischer transzendentaler Freiheit und Plato- fügt, und spätere Herausgeber haben sich dem,
nischer Ideenlehre biete (Riedel 1975, 1.98). Die jeweils mit Verbesserungen, angeschlossen, zu-
Allgemeine Literaturzeitung diagnostiziert eben- letzt die Gesammelten Werke (GW 14.292–773).
falls – in stillschweigender Adaption einer Wen- Zusätzlich zu diesen Notizen seines Handexem-
dung Jacobis (vgl. JWA 1.122) – » u n e n t w i k - plars hat Hegel wahrscheinlich noch über weitere
k e l t e n, oder n e u v e r w o r r e n e n Spinozis- Manuskripte verfügt, die sich jedoch bis auf einen
mus« (Riedel 1975, 1.151), und auch Z. C. be- geringen Rest (GW 14.285–288) nicht erhalten
dauert, daß Hegel »durch die Brille der haben.
Identitätslehre« geblickt habe und nicht »auf der (2) Die zweite Ergänzung fällt in die Zeit nach
Bahn fortgegangen« sei, »die vor ihm ein Hufe- Hegels Tod: 1833 hat Hegels Schüler und Freund
land, Hoffbauer, Maaß etc. betreten haben«. Coll- Eduard Gans die Grundlinien im Rahmen der
mann schließlich sieht die Grundlinien als »ein Freundesvereinsausgabe veröffentlicht und dabei
riesiges Werk, das aber eben wegen seiner unge- – wie nach ihm die Herausgeber der Enzyklopä-
messenen Höhe weit über Menschliches hinaus- die – aus Vorlesungsnachschriften »Zusätze«
geht« – und somit notwendig scheitere (Riedel komponiert. Für die Wirkung der Rechtsphiloso-
1975, 1.144 f. bzw. 167). phie Hegels bis in die Gegenwart sind diese
(3) Rosenkranz hat hervorgehoben, Hegels »Zusätze« sehr wichtig geworden – und weniger
Rechtsphilosophie habe, »namentlich als Kathe- deshalb, weil sie den Grundlinien mehrfach sonst
dervortrag, außerordentlich segensreich« gewirkt unbekannte Erweiterungen beigeben, als viel-
(R 337). Eine Wendung in der öffentlichen Re- mehr, weil die Sprache der Vorlesungsnachschrif-
zeption der Grundlinien ist jedoch erst nach He- ten, zudem in der freien Redaktion durch Gans,
gels Tod eingetreten: Denen, die den unverstan- dem Verständnis weit geringere Hindernisse ent-
denen »Doppelsatz« als ein Danteskes »Lasciate gegensetzt als der Text der Hegelschen Para-
ogni speranza« über dem Tor zur Hegelschen graphen und selbst der Anmerkungen. Aber wie
Begriffshölle anbringen, hält Eduard Gans in sei- bei der Enzyklopädie, so bilden auch hier diese
nem Vorwort zur Neuausgabe der Grundlinien Zusätze keinen Bestandteil des von Hegel ver-
entgegen, Hegels Werk sei vielmehr »aus dem öffentlichten Buches. Durch die gesonderten Edi-
einen Metalle der Freiheit errichtet« (W VIII.X). tionen der Vorlesungsnachschriften sind sie jetzt
Und auch Carl Friedrich Göschels fast vergessene inhaltlich überholt; sie lassen sich den heute
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 279

vorliegenden Nachschriften Hotho und Gries- 8.2. Vorrede zu Hinrichs


heim zuordnen. Gleichwohl behalten sie ihre
rezeptionsgeschichtliche Bedeutung – aber eben (1) In die damaligen Auseinandersetzungen greift
nur diese. Hegel auch mit der Vorrede zur Dissertation sei-
Erstdruck: Grundlinien der Philosophie des Rechts.
nes Heidelberger Schülers Hermann Friedrich
Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Ber- Wilhelm Hinrichs (1794–1861) ein – und wenn
lin 1821. – Text: GW 14. – Rezensionen: [H. E. G. auch nicht in die rechtsphilosophischen, so doch
Paulus], in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur, in die gewiß nicht minder zugespitzten Streitig-
April 1821, 392–405, Nrr 25–26; Gustav Hugo, in: Göt- keiten um die Religionsphilosophie. Hinrichs hat
tingische Gelehrte Anzeigen, 61. St., 16.4.21, 601–607;
bereits Mitte Oktober 1820 und mehrfach danach
Anonym, in: Allgemeines Repertorium der neuesten in-
und ausländischen Literatur für 1821, Leipzig 1821, seinen ehemaligen Lehrer um ein Vorwort zu
436–441; [J. F. Herbart], in: Leipziger Literaturzeitung, seinem Buch gebeten (an Hegel, 14.10.20,
20.–22.2.22, 353–371, Nrr 45–47; Z. C. [Carl Salomo 14.3.21, 22.4.22, 28.5.21), und Hegel hat ihm dies
Zachariae?], in: Hermes oder Leipziger kritisches Jahr- am 7.4.21 zugesagt. Nachträglich sind ihm jedoch
buch der Literatur, Januar 1822, Bd. 1.309–351; An- Bedenken hinsichtlich der Publikation einer
onym, in: Allgemeine Literaturzeitung, Halle, Februar
Schrift religionsphilosophischen Inhalts gerade
1822, 305–317, Nrr 39–40; [K. Chr. Collmann], in:
Jenaer Allgemeine Literatur-Zeitung, Januar 1828, Er- in diesen politisch-religiös aufgewühlten Jahren
gänzungsblätter Nrr 2–7, S. 9–53; alle in Riedel: Mate- gekommen – fraglos nicht unabhängig davon,
rialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt 1975, daß er im Sommer 1821 sein erstes Kolleg über
Bd. 1.53–206. – Literatur: Carl Friedrich Göschel: Zer- Religionsphilosophie gelesen hat.
streute Blätter aus den Hand- und Hülfsacten eines Unter dem Eindruck der aktuellen Streitig-
Juristen. 3 Bde. Erfurt / Schleusingen 1832–1842; Karl
keiten und des Klimas der Verdächtigungen no-
Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie
(Manuskript und gedruckte Einleitung, 1843), MEW tiert Hegel in einem Ende Mai 1821 geschrie-
1.201–333 bzw. 378–391; Haym: Hegel und seine Zeit benen Entwurf eines Briefes an seinen Heidelber-
(1857), 357–391; Hanns Henning Ritter (Hg.): Eine ger Freund Friedrich Creuzer die Sorge, ob Hin-
polemische Erklärung Hegels zur Rechtsphilosophie. richs’ Buch auch wirklich alles vermeide, was ihn
HS 5 (1969), 31–39; Hegel: Vorlesungen über Rechts- in den Verdacht des Atheismus bringen könne:
philosophie 1818–1831. Edition und Kommentar in 6
»Ich werde Hinrichs selbst über diese Seite
Bänden. Hg. von Karl Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cann-
statt. Bd. 1 1973, 23–126: Einleitung; Manfred Riedel: schreiben. Ich habe sein Manuskript nach diesem
Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. 2 Bde. Gesichtspunkt damals, als ich es in Händen hatte,
Frankfurt am Main 1975; darin 52–78: Karl-Heinz Il- nicht näher angesehen, – inwiefern es zu Miß-
ting: Die Struktur der Hegelschen Rechtsphilosophie; verständnissen in Ausdrückungen Gelegenheit
Hans-Christian Lucas / Udo Rameil: Furcht vor der geben könnte.« Auch Hinrichs ist sich der pre-
Zensur? Zur Entstehungs- und Druckgeschichte von
kären Situation wohl bewußt. So trägt er Hegel
Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts. HS 15
(1980), 63–93; Dieter Henrich (Hg.): Hegel. Philo- am 13.10.21 selbst sein Bedenken vor, der ihm für
sophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer seine Schrift eigentlich angemessen erschei-
Nachschrift. Frankfurt am Main 1983; Jaeschke: Die nende Titel »Philosophische Begründung der Re-
Vernünftigkeit des Gesetzes. Hegel und die Restaura- ligion durch die Wissenschaft« sei »etwaiger zu
tion im Streit um Zivilrecht und Verfassungsrecht. In: erregender Mißverständnisse wegen wohl nicht
Lucas / Pöggeler (1986), 221–256; Adriaan Th. Pe-
ratsam«. Statt dessen schlägt Hinrichs in diesem
perzak: Philosophy and Politics. A Commentary on the
Preface to Hegel’s Philosophy of Right. Dordrecht 1987; Brief als Titel vor: »Philosophische Begründung
Ludwig Siep (Hg.): G. W. F. Hegel, Grundlinien der der von Jacobi, Kant, Fichte und Schelling ge-
Philosophie des Rechts. Berlin 1997; Schnädelbach: machten Versuche, die Religion wissenschaftlich
Hegels praktische Philosophie (2000), 163–370; zu erfassen und nach ihrem Hauptinhalt zu ent-
Jaeschke: Ein Schwabe als preußischer Staatsphilo- wickeln.« Am 25.1.22 berichtet Hinrichs noch-
soph? In: Patrick Bahners / Gerd Roellecke (Hg.):
mals ausführlich über den Stand seiner Arbeiten
Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück. Stuttgart
2001, 249–259. – wobei er auch mehrfach das Verhältnis der
Philosophie Hegels zur Religion anspricht.
(2) Diesen Bericht zitiert Hegel am Ende seines
Vorworts, mit einigen stilistischen, aber auch ei-
nigen signifikanten Änderungen: Er wendet alle
280 II. Werk

Äußerungen Hinrichs’ über destruktive Wirkun- führt hier den bekannten, freilich nicht namentli-
gen der Hegelschen Philosophie, die öffentlich chen Angriff auf Schleiermacher, mit dem er seit
gegen ihn verwandt werden konnten, ins All- den Auseinandersetzungen um de Wette (s. 43)
gemeine. Hinrichs schreibt am 25.1.22: ohnehin in gebrochenem, wenn auch durch for-
» I h r e Wissenschaft nahm mir aber dieses vor- mell-höfliche Briefe (16.11.19) geglättetem Ver-
stellende Element, und was war natürlicher, als hältnis lebt: »Gründet sich [nach § 9 der Glau-
daß ich […] die durch I h r e Wissenschaft in mir benslehre Schleiermachers] die Religion im Men-
bewirkte höchste Entzweiung und höchste Ver- schen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig
zweiflung aufzuheben […] bemüht war. […] keine weitere Bestimmung, als das G e f ü h l s e i -
Kann ich das, was […] in dem Christentum als n e r A b h ä n g i g k e i t zu seyn, und so wäre der
die absolute Wahrheit vorliegt, nicht durch d i e Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am
H e g e l s c h e Philosophie in der reinen Form des stärksten in sich, und lebt vornehmlich in diesem
Wissens begreifen, […] so will ich nichts mehr Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund,
von i h r wissen«. wenn seinem Hunger durch einen Knochen Be-
Hegel veröffentlicht hingegen eine neutrale friedigung wird.« (GW 15.137)
Version, in der nicht mehr von s e i n e r Philo- Mit dieser Wendung wiederholt Hegel ledig-
sophie, sondern schlechthin von »der« Wissen- lich seine bereits in der Berliner Antrittsrede
schaft oder Philosophie die Rede ist: vorgetragene Kritik des Gefühls als der » t h i e r i -
» D i e Wissenschaft nahm mir aber das vor- s c h e n Form des vernünftigen Selbstbewußt-
stellende Element, […] und was war natürlicher, seyns« (GW 18.24) – aber durch ihre – wenn auch
als daß ich die durch d i e Wissenschaft in mir unausgesprochene – Adressierung an Schleier-
bewirkte höchste Entzweiung und höchste Ver- macher verleiht er ihr nun eine spezifische
zweiflung aufzuheben […] bemüht war. […] Schärfe. In dieser Form ist sie »im Stil gewiß eine
kann ich das, was in dem Christenthum als die Entgleisung, in der Sache aber nur die konse-
absolute Wahrheit vorliegt, nicht durch d i e Phi- quente Spitze der Argumentation« Hegels gegen
losophie in der reinen Form des Wissens be- eine Begründung der Religion auf das Gefühl
greifen, […] so will ich nichts mehr von a l l e r (Lange 1983, 218). Gegenüber Hinrichs spielt
P h i l o s o p h i e wissen.« (GW 15.142) Hegel am 4.4.22 diese Polemik herunter, indem
Diese – hier hervorgehobenen – Abänderun- er sein Vorwort so charakterisiert: »auf unsre
gen spricht Hegel auch in dem Brief an, mit dem jetzige Theologie hat es hin und wieder direkten
er Hinrichs, drei Tage nach dem Hauptteil, den Bezug«. Doch hält die Entrüstung über die Hef-
Schluß seiner Vorrede zusendet – und zwar mit tigkeit des Hegelschen Ausfalls in manchen Krei-
der sehr bestimmten Aufforderung, seine Kor- sen bis in die Gegenwart an. Sie hat allerdings
rekturen nicht etwa wieder rückgängig zu ma- auch dazu geführt, daß man sich ein sachliches
chen: »Die Worte in Ihrer Abfassung, die meine Eingehen auf die Probleme des Gefühlsbegriffs,
Philosophie näher ausdrücken, habe ich wegge- die Hegel in dieser Kritik an Schleiermacher
strichen. […] wenigstens so, wie es lautet, ist es berührt, ersparen zu können geglaubt hat. Auch
gut und muß so bleiben.« (7.4.22) Schleiermacher selber hat auf diesen Angriff be-
(3) Den von Hegel befürchteten Anstoß wegen wußt nicht geantwortet und dies am 28.12.22
etwaiger atheistisch zu mißdeutender Wendun- brieflich gegenüber Karl Heinrich Sack sowie im
gen hat Hinrichs’ Schrift nicht erregt. Daß sie Sommer 1823 gegenüber de Wette begründet
gleichwohl erheblich Anstoß erregt hat, ist nicht (Briefe 4.306,309).
durch ihren Verfasser verschuldet, sondern viel- (4) Zwei Dimensionen der Kritik Hegels an
mehr durch Hegels Vorwort. Denn Hegel beklagt Schleiermachers Glaubenslehre sind zu unter-
hier nicht allein den allgemeinen Verlust der scheiden – eine philosophische und eine theo-
Theologie und den »Mangel an g e w u ß t e r logie- bzw. kirchenpolitische. In seinem Brief-
Wa h r h e i t , e i n e m o b j e c t i v e n I n h a l t , e i - wechsel mit Hinrichs und seinen Heidelberger
n e r G l a u b e n s l e h r e«, der gegenüber »das Freunden steht die kirchenpolitische Dimension
Vieh in der That die viel reinere, wahrhafte, im Vordergrund. Hegel nutzt die Gelegenheit der
nemlich die ganz unbefangene Bescheidenheit Hinrichs-Vorrede, um einen öffentlichen Streit
der Unwissenheit besitzt.« (GW 15.131,134) Er um die theologische Richtung der eben begrün-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 281

deten Kirche der preußischen Union zwischen Volkes (V 4.64). Noch enger sieht er jedoch den
Lutheranern und Reformierten auszulösen. Des- Zusammenhang zwischen dem Abhängigkeitsge-
halb schreibt er auch am 4.4.22 an Hinrichs, er fühl und der römischen Religion: Das Abhängig-
erwarte von dem Heidelberger Theologen und keitsgefühl führe zur religiösen Verehrung der
Freund Carl Daub »eine offene Erklärung, ob politischen Macht und in letzter Konsequenz zur
denn das die Dogmatik der unierten evangeli- Teufelsanbetung: »Den Teufel anbeten, aus Ab-
schen Kirche sei, was man uns, – freilich in einem hängigkeitsgefühl / Kaiser – einen wirklichen
e r s t ersten Teile, vermutlich weil man für Wei- Menschen als Gott verehren – Ursache von Zu-
teres in diesen Zeiten der Unterdrückung, wie ständen, viel ärger als Fieber und Pest – Herr
man es heißt, nicht traut, – als solche zu bieten über Hunger, unmittelbar über Leben – den Teu-
die Unverschämtheit und Plattheit gehabt hat.« fel angebetet – hierin das Abhängigkeitsgefühl
Und am 7.4.22 schreibt er weiter: »Es tut not, daß am stärksten« (V 4.648). In der christlichen Reli-
wir nach und nach lauter werden. Sagen Sie gion hingegen sieht er dafür keinen Platz; sie
D a u b ganz im Stillen, es sei ein Gedanke des bildet für ihn geradezu den Gegenpol zu solcher
Ministers, ihn und S c h w a r z hieher einzuladen, Rede von »Abhängigkeit«: Denn wo der Geist des
um über Theologie und Kirche zu konferieren. Herrn ist, da ist nicht Abhängigkeit, sondern
[…] Wenn mir der Herr Minister davon spricht, Freiheit (2. Kor. 3,17; vgl. Jaeschke 1985, 1158 f.).
werde ich ihm sagen, er brauche nur die beiden Selbst »in den schlechtesten Religionen«, in de-
Herrn 1) um die Artikel Ihrer Union [gemeint nen »die Knechtschaft und damit der Aberglaube
sind Ausführungen zur Badischen Union] und 2) am mächtigsten ist, ist für den Menschen in der
um eine Kritik der Dogmatik der evangelischen Erhebung zu Gott der Ort, wo er seine Freiheit,
Kirche (wovon der Verfasser mit dem 2ten Teil, Unendlichkeit, Allgemeinheit, d. i. das Höhere,
der schon Weihnachten erscheinen sollte, sich was nicht aus dem Gefühle als solchem, sondern
wohl nicht getraut herauszurücken) ersuchen, so aus dem Geiste stammt, fühlt, anschaut, ge-
werde er schon klar genug finden können, was sie nießt.« (GW 15.137)
von Theologie und solcher Berliner Theologie Hinsichtlich des zweiten Elements, des Ge-
halten.« – Diese Erwartungen Hegels haben sich fühls, läßt sich Hegels Kritik auf eine knappe
jedoch nicht erfüllt. Formel bringen. Ausführlicher entfaltet ist sie in
Philosophisch ist Hegels Kritik gegen die bei- seinen religionsphilosophischen Vorlesungen,
den Begriffe in der Grundlegung von Schleier- insbesondere in der Partie aus dem Kolleg 1824,
machers Glaubenslehre gerichtet, die gemeinsam die die Lehre von den Formen des religiösen
die Formel vom »Gefühl der Abhängigkeit« tra- Bewußtseins noch unter dem frischen Eindruck
gen: gegen die Rede von »Abhängigkeit« und der Auseinandersetzung mit Schleiermacher for-
gegen die Rede von »Gefühl«. Jeder Gedanke an muliert (V 3.175–183): Der Inhalt der Religion
»Abhängigkeit« liegt Hegels Verständnis der müsse auch im Gefühl sein – aber das Gefühl sei
christlichen Religion fern – auch wenn er die eine leere Form, die beliebigen – guten wie bösen
Rolle eines derartigen Abhängigkeitsgefühls in – Inhalt zwar in sich aufnehmen, aber eben des-
früheren Religionen keineswegs unterschätzt. Er halb nicht als berechtigt erweisen könne. Hierfür
bestreitet zwar nicht, daß ein solches Abhängig- kann Hegel nicht allein Bibelzitate, sondern auch
keitsgefühl in Religionen vorkomme – aber es sonst gute Argumente anführen, und er könnte
bilde geradezu einen Index des Verfehlens des sich hier auch mit Kants Kritik des Gefühls einig
wahren Gehalts der Religion. In seiner Rezeption wissen: Legitimierende Kraft hat nicht das
des ersten Bandes der Glaubenslehre, unmittel- Gefühl, sondern allein das Denken. Eine andere
bar nach ihrem Erscheinen Ende Juni 1821 (KGA Frage ist, ob Schleiermachers Rede vom from-
I/7,1.XXX), stößt er sich in seinen religions- men Gefühl und vom Gefühl der Abhängigkeit
philosophischen Vorlesungen vom Sommer 1821 überhaupt unter den angedeuteten Gefühls-
deshalb sogar primär an Schleiermachers Rede begriff zu subsumieren sei und wie diese Formeln
von Abhängigkeit. Die Formel vom »Grundgefühl anderenfalls zu verstehen seien – eine Frage, an
der Abhängigkeit« fließt ihm zuerst in die Dar- deren Antwort bekanntlich auch heute noch
stellung der Religion Israels ein, in den Kontext vielfältig gearbeitet wird (Arndt 1996, 1200–
der »Furcht des Herrn« und der Knechtschaft des 1209).
282 II. Werk

Erstdruck: Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs: Die kannten: »Aber unser Herr Professeur Cousin hat
Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft. sich nicht schön gegen mich benommen. Was
Nebst Darstellung und Beurtheilung der von Jacobi,
helfen alle Flatterien? – Sie wissen doch, daß er
Kant, Fichte und Schelling gemachten Versuche, die-
selbe wissenschaftlich zu erfassen, und nach ihrem selbst sagte, er verstehe kein Griechisch. Nun
Hauptinhalte zu entwickeln. Mit einem Vorworte von mutete er mir ein[fach zu] a) ich solle ihm meine
Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Heidelberg 1822. Vor- Sammlungen zum Proclus abgeben [für] nur 500
wort: I-XXVIII. – Text: GW 15.126–143, BSchr 62–86. – fl. – ohne die Mühe –, b) ich solle ihm, damit er
Literatur: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Der den Proclus herausgebe, einen deutschen Ver-
christliche Glaube nach den Grundsätzen der evan-
leger suchen. Ich dachte, keine Antwort ist auch
gelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt
(1821/22). Kritische Gesamtausgabe. Bd 7/1. Berlin – eine, und ließ eine Ankündigung drucken. Nun
New York 1980; Aus Schleiermacher’s Leben. In Brie- kommt er mit seinen lateinischen Uebersetzun-
fen. Bd 4. Berlin 1863, ND 1974; Dietz Lange: Die gen von Stücken des Proclus – die großenteils bei
Kontroverse Hegels und Schleiermachers um das Ver- Fabricius stehen –, schickt, ich weiß nicht was,
ständnis der Religion. HS 18 (1983), 201–224; aus Tiedemann und Tennemann voraus und ver-
Jaeschke: »Paralipomena Hegeliana zur Wirkungsge-
sichert das Publikum, mein Proclus werde in
schichte Schleiermachers.« In: Internationaler Schleier-
macher-Kongreß Berlin 1984. Hrsg. von Kurt-Victor ewiger Zeit nicht erscheinen. Ich habe also darauf
Selge. Berlin-New York 1985, 1157–1169; Andreas dem Publikum doch sagen müssen, daß wirklich
Arndt (Hg.): Friedrich Schleiermacher: Schriften. an meiner Edition gedruckt wird und daß Herr
Frankfurt am Main 1996. Cousin mehr versichert, als er wissen kann und
worum ihn niemand gefragt hat. Sie werden im
Herbst dieses griechische Buch erhalten, und ich
8.3. Anmerkungen zu Creuzers bitte um gütige Aufnahme.«
Proclus-Edition Ende Mai 1821 erhält Hegel die ersten acht
Bogen, vermutlich des dritten Teils, und er dankt
(1) Auch die nächstfolgende Veröffentlichung He- Creuzer: »Die Uebersetzung dazu und die An-
gels verweist noch zurück auf seine kurzen, aber merkungen, womit Sie das, was Sie gegeben, –
fruchtbaren Heidelberger Jahre: die Anmerkun- und die Vervollständigung und Verbesserung des
gen zur Proclus-Edition seines Freundes Creuzer. Text[es] –, diese Abhandlung des Proclus ist mir
Dieser berichtet später in seinen Lebenserinne- von dem, was mir von den Neuplatonikern zu
rungen über Hegels Mitarbeit: »Hegel hielt we- Gesichte gekommen, das liebste und werteste –
niger auf Plotin als auf Proclus, und legte be- Platonische Dialektik – und zugleich die in ihm
sonders diesem Buche des letzteren einen gros- jetzt höhre als Platon beginnende Systematisie-
sen Werth bei. Daher er, wissend, dass ich hand- rung, Organisierung der Idee in ihr selbst, – ist
schriftliche Hülfsmittel dazu habe, dringend mir der ungeheure Schritt in der Philosophie, der
anlag, es neu zu bearbeiten. Ich willfahrte ihm vornehmlich Proclus’ Verdienst ist, aus dem die
unter der Bedingung, dass ich ihm die Druck- Folgenden geschöpft. Sie haben mit dieser Aus-
bogen zusende, und er mir seine Bemerkungen gabe einem großen Bedürfnis abgeholfen, und
dazu mittheile. Diess ist denn auch […] brieflich ich lasse es in meinen Vorlesungen über die Ge-
von ihm geschehen, und ich habe sie in einem schichte der Philosophie nicht fehlen, auf den
Epimetrum zu der im folgenden Jahre erschie- Proclus und bestimmt auf diese Schrift aufmerk-
nenen Ausgabe abdrucken lassen, und sie wurde sam zu machen, die mir der wahre Wendepunkt,
ihm […] gewidmet.« (GW 15.305) der Uebertritt der alten Zeit in die neue, der alten
(2) Diese Vereinbarung wird noch während Philosophie in das Christentum zu sein scheint –
Hegels Aufenthalt in Heidelberg erfolgt sein, da und den es jetzt wieder geltend zu machen zu tun
sie nicht Gegenstand des späteren Briefwechsels ist. – Es scheint mir daher nichts so an der Zeit zu
ist. Dennoch ist der Entstehungsprozeß der An- sein, als diese neue Ausgabe des Proclus.«
merkungen Hegels aus den Briefen der Folgezeit In den folgenden Monaten muß Hegel seine
noch genauer darzustellen. Nur kurz nach Ab- Anmerkungen fertiggestellt und an Creuzer ge-
schluß der Neubearbeitung seiner Symbolik und sandt haben. Brief und Manuskript sind zwar
Mythologie, am 30.5.20, schreibt Creuzer an He- nicht überliefert, doch bereits am 8.9.21 berichtet
gel über Victor Cousin, einen gemeinsamen Be- Creuzer: »Der Text von Proclus’ Büchlein stoi-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 283

xeíwsiü ueol. ist zwar von mir abgeliefert; aber chen. In diesem Publikationsplan räumt er der
nun muß ich, weil die Setzer nicht warten, in Geistesphilosophie – entgegen dem Aufbau des
dieser ersten Ferienwoche noch ein Epimetrum Systems – Priorität vor der Naturphilosophie ein.
dazu machen, weil ich erst kürzlich einige Speci- Bereits am 10.10.11 schreibt er an Niethammer, er
mina varr. lectt. aus 3 andern Codd. mss. und wolle seiner Logik »späterhin« die Psychologie
Taylor’s englische Uebersetzung jenes Buchs er- folgen lassen – womit sicherlich die gesamte
halten habe. […] In diesem Epimetro nun wer- Lehre vom subjektiven Geist gemeint ist, nicht
den auch besonders Ihre Bemerkungen ihre allein deren damals zweiter und – seit 1816 –
Stelle finden, wofür ich Ihnen aufs dankbarste dritter Teil (s. 213). In 1§ 367 der Enzyklopädie
verpflichtet bin.« Am 11.9.21 berichtet Hegel, er (1817) beklagt er den »höchst schlechten Zu-
habe nun den Text »bis zum 12ten Bogen in- stand« der Psychologie, der zudem damit kon-
clusive in Händen«, und am 23.9.21 antwortet trastiere, daß ihr die »grössere Wichtigkeit bey-
Creuzer: »Der Proclus- Te x t ist fertig. Wegen des gelegt worden« sei, daß sie »in ihrem e m p i r i -
notwendig gewordenen Epimetri werden Sie s c h e n Zustande die Grundlage der Metaphysik
aber den Schluß erst im November erhalten.« Am a u s m a c h e n s o l l e , als welche in nichts anders
26.1.22 schließlich kündigt Creuzer an, Hegel bestehe, als die T h a t s a c h e n des menschlichen
werde »im Februar die stoixeíwsiü ueologikh́ B e w u ß t s e y n s , und zwar als T h a t s a c h e n ,
erhalten. Sie ist Ihnen dediziert und einem Philo- wie sie g e g e b e n sind, e m p i r i s c h aufzufas-
logen, dessen Sie sich nicht schämen werden, van sen« – wiederum ein Seitenhieb auf Fries’ Neue
Heusde, der gut über Plato gearbeitet und von Kritik der Vernunft. v. Thaden beklagt am 26.4.18
deutscher Literatur Kenntnis besitzt.« die gedrängte Kürze der enzyklopädischen Gei-
(3) Philologische Arbeiten dieser Art sind He- steslehre – und er hofft hier auf künftigen Auf-
gel nicht fremd gewesen: Zwei Jahrzehnte zuvor schluß: »Wohl uns, daß wir noch über die beiden
hat er sich an der Spinoza-Edition seines dama- Abschnitte von der Natur und vom Geiste einen
ligen Freundes Paulus beteiligt (s. 22, 140). So- Kommentar zu erwarten haben«. In den rechts-
weit sich Hegels Bemerkungen aus Creuzers Edi- philosophischen Vorlesungen kommt Hegel auf
tion erkennen lassen, betreffen sie nur drei kurze seinen Publikationsplan zurück: Er habe in seiner
Passagen, doch demonstrieren sie seine textkriti- Enzyklopädie in den §§ 363–399 die »Grund-
sche Kompetenz auch auf diesem ihm vertrauten züge« der Lehre vom Geiste dargestellt und ange-
und von ihm hochgeschätzen Gebiet der spätanti- merkt, daß sich »nicht leicht eine philosophische
ken Philosophie. Wissenschaft in so vernachlässigtem und
Erstdruck: Initia philosophiae ac theologiae ex Platoni-
schlechtem Zustande befindet, als die L e h r e
cis fontibus ducta sive Procli Diadochi et Olympiodori v o m G e i s t e , die man gewöhnlich Psychologie
in Platonis Alcibiadem Commentarii. Ex codd. mss. nennt« – und so hoffe er, »deren weitere Ausfüh-
nunc primum graece edidit itemque eiusdem Procli rung dereinst geben zu können« (Grundlinien § 4
institutionem theologicam integriorem emendatiorem- Zusatz).
que adjecit Fridericus Creuzer. Pars tertia. Francofurti (2) Den modifizierten – teils erweiterten, teils
ad Moenum 1822, insbesondere 319–332: Epimetrum.
Variae Lectionis et Annotationis. – Text: GW 15.253 f. –
verkürzten – Ansatz zur angekündigten »weiteren
Literatur: Creuzer: Aus dem Leben eines alten Pro- Ausführung« bietet das Fragment zur Philosophie
fessors. Leipzig und Darmstadt 1848, 124. des subjektiven Geistes. Erweitert ist er, sofern
es nicht allein die »Psychologie« im Sinne der
genannten Paragraphen 363–399 umfaßt, son-
8.4. Fragment zur Philosophie dern die Lehre vom subjektiven Geiste überhaupt
des subjektiven Geistes – auch wenn der gegenwärtige Umfang des Frag-
ments lediglich die Einleitung in die Geisteslehre
(1) Bis zum Beginn der Berliner Jahre hält Hegel und die Anthropologie enthält. Verkürzt ist er,
an seinem Plan aus den Nürnberger Jahren fest, sofern bereits seine äußere Form, die Einteilung
die einzelnen Disziplinen seines Systems zwar in Paragraphen, darauf hindeutet, daß Hegel
nicht mehr, wie er es in Jena versucht hat, in nicht eine der Logik vergleichbare wissenschaft-
einem Bande, sondern sukzessiv in Wissen- liche Ausarbeitung zum »System«, sondern – wie
schaftsform auszuarbeiten und zu veröffentli- mit den Grundlinien der Philosophie des Rechts –
284 II. Werk

ein Kompendium für seine Vorlesungen ausarbei- wirke, als ob solche Thätigkeit eine Zufälligkeit,
ten wollte. Sein Bezug auf Henrik Steffens’ An- eine Art von Zustand wäre, ausser welchem es
thropologie (1822), die etwa zum Jahreswechsel bestehe, sondern seine Thätigkeit ist seine Sub-
1821/22 erschienen ist (Hinrichs an Hegel, stantialität, die Actuosität ist sein Seyn.« (GW
25.1.22), gibt einen terminus post quem, und die 15.207,249)
verbale Ähnlichkeit dieses Bezugs mit einem Be- Wohl an keiner weiteren Stelle hat Hegel den
richt Michelets über die Vorlesung über die Philo- Übergang von der »Substanz« zum »Subjekt«, und
sophie des Geistes von 1822 (GW 15.302) deutet auch von der »feststehenden« Subjektivität der
darauf, daß die Zeitpunkte beider nicht weit aus- Person zur wahrhaften Subjektivität des Geistes,
einanderliegen. Ein – nicht in Paragraphen abge- so prägnant und anschaulich zugleich ausgespro-
faßter – »Anhang« zu diesem Fragment ist hinge- chen. Und noch eine Reihe weiterer Punkte
gen wegen frappanter Übereinstimmungen in der spricht Hegel hier mit sonst selten erreichter
Formulierung mit den Nachschriften zur Vorle- Klarheit an – etwa das Verhältnis seiner Geistes-
sung von 1825 »gewiß eigens für den Gebrauch philosophie zur vorhergehenden empirischen
bei der Vorlesung niedergeschrieben – vielleicht und rationalen Geisteslehre, übrigens in Über-
erst 1825« (Nicolin 1961, 11). einstimmung mit dem Hervortreten des Erfah-
(3) Den Plan zur Publikation von »Grundlinien rungsbegriffs in der »zweiten Stellung des Ge-
der Philosophie des subjektiven Geistes« hat He- dankens zur Objektivität« (s. 265). Die Philo-
gel wahrscheinlich um 1825, mit dem Beginn der sophie des Geistes könne »weder empirisch noch
Arbeiten an der zweiten Auflage der Enzyklopä- metaphysisch seyn«, sondern sie habe »den B e -
die (1827), wieder aufgegeben – zumindest gibt g r i f f des Geistes in seiner immanenten, noth-
es kein Indiz dafür, daß er nach 1825 am Frag- wendigen Entwicklung aus sich selbst zu einem
ment weitergearbeitet hätte. Doch die Erweite- Systeme seiner Thätigkeit zu betrachten.« Die
rungen, die er in der Enzyklopädie gegenüber der Wertung der beiden einseitigen Momente »em-
Erstauflage vornimmt, bilden kein Aequivalent pirisch« und »metaphysisch« ist jedoch sehr un-
für das nicht mehr weiter verfolgte Projekt eines terschiedlich: Auch wenn die »Wissenschaft«
Kompendiums für die Geistesphilosophie. Denn letztlich »etwas ganz anderes erfordert« als die
schon dieses – in sich nochmals fragmentarische empirische Kenntnis der Erscheinungen, so ist
– Fragment, das noch keineswegs eine Druckvor- diese doch »von höchster Wichtigkeit, ja eine
lage bildet, sondern das Hegel – wie seine Rand- durchaus unentbehrliche Kenntniß«. Von der Ra-
bemerkungen ausweisen – noch weiter überar- tionalen Psychologie hingegen heißt es, sie habe
beiten wollte, bietet die eindrucksvollsten Aus- den Geist »in ganz a b s t r a c t e r Allgemeinheit«
führungen zum Geistbegriff. betrachtet, doch: »In solcher Betrachtungsweise
(4) Zur begrifflichen Schärfe gewinnt Hegels tritt das, wodurch Geist Geist ist, nicht ein.« (GW
Sprache hier auch noch poetische Schönheit, 15.211,213)
wenn er die eigentümliche Stellung des Geistes Distanziert und zugleich entschieden behan-
»zwischen« den beiden Extremen Natur und Gott, delt Hegel das damals vergleichsweise moderne
»zwischen der natürlichen Welt und der ewigen Thema der »anthropologischen Besonderung« –
Welt«, beschreibt – als ein »zwischen« zwischen oder das, »was die R a c e n v e r s c h i e d e n h e i t
Ausgangspunkt und Ziel. Die Begriffsbestim- des Menschen genannt worden ist.« Die hier zu
mung des Geistes, heißt es zunächst, schließe die beschreibenden Unterschiede »fallen in die b e -
beiden Fragen ein, woher er komme und wohin s o n d e r e Natur des Menschen«; sie »betreffen
er gehe – doch dann zeigt sich, daß eben diese deswegen nicht die Vernünftigkeit selbst, son-
beiden Fragen »es allein wahrhaftig sind, durch dern die Art und Weise der Objectivität dersel-
welche erkannt wird, was er i s t . / Wo er her- ben, und begründen nicht eine ursprüngliche
kommt, – es ist von der Natur; wo er hingeht, – es Verschiedenheit in Ansehung der Freyheit und
ist zu seiner Freyheit. Was er i s t , ist eben diese Berechtigung unter den sogenannten Racen.« Im
Bewegung selbst von der Natur sich zu befreyen. selben Sinne heißt es in Hegels Kolleg, man
Diß ist sosehr seine Substanz selbst, daß man von könne und brauche der Natur über ihre Beson-
ihm nicht als einem so feststehenden Subjecte derheiten keine Vorwürfe machen – »denn das
sprechen darf, welches diß oder jenes thue und Wesentliche ist, daß der Mensch Mensch sei und
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 285

an das, was ihn dazu macht, haben alle Menschen Briefen, etwa vom 24.2.21 – ausführlich auf Pro-
gleiches Recht« (V 13.49). Man muß diese sehr bleme der Farbenlehre ein, und er schließt:
prononcierten Aussagen vor dem Hintergrund Schließlich bemerke [ich], daß ich mir die Frei-
der damals »fortgeschrittenen« und noch bis ins heit genommen, ein paar Aufsätze in der Gestalt,
20. Jahrhundert reichenden Wissenschaft – der wie sie sind, ins Reine schreiben zu lassen und sie
»Cranioskopie« – sehen, deren durchaus angese- beizuschließen. – Sie verdanken ihren Ursprung
hene Repräsentanten (u. a. Samuel Thomas Söm- ganz den Unterhaltungen mit Herrn Schultz und
mering) durch Messungen des Schädelumfangs von Henning vom vorigen Winter und betreffen
und damit des Volumens des Gehirns anderer einige Nebenumstände; der erste hat vielleicht
Rassen deren Inferiorität »wissenschaftlich be- ein weiteres Interesse, um ein bei Gelegenheit
wiesen« haben – woraus sich dann leicht politi- des Doppelsehens hereinkommen wollendes N a -
sche Folgerungen rechtfertigen ließen. h e s und F e r n e s zu entfernen. – Einen dritten
Die an das Problem der »Racenverschieden- habe [ich] nicht mehr zu redigieren Zeit ge-
heit« angeschlossenen zeitgenössischen Diskus- winnen können«. Johannes Hoffmeister bemerkt
sionen, »ob das Menschengeschlecht von Einem hierzu in der Briefausgabe: »Von diesen Auf-
Paare abstamme«, diskreditiert Hegel als »phan- sätzen ist nichts bekannt, als ein Hinweis bei
tastische Extravaganzen«, »worin die Idee und Ros[enkranz: Hegels Leben] S. 339 über das Vor-
natürliche Existenz ineinander gebraut sind« handensein eines Manuskripts über die physio-
(GW 15.224–227) – und ähnlich kurz darauf die logischen Farben, das den ersten Aufsatz ent-
Frage nach einem vollendeten Urzustand oder halten könnte.« Bei diesem letztgenannten Ma-
Goldenen Zeitalter: Sie beruhe »auf der gänzli- nuskript dürfte es sich vielmehr um den von
chen Verkennung der Natur des Geistes«, weil sie Hegel erwähnten – heute verschollenen – dritten
die Wahrheit des Geistes in einem Zustand der Aufsatz handeln; die beiden an Goethe über-
Unmittelbarkeit finden will. Solcher Romantik sandten hingegen sind jetzt veröffentlicht.
der Unmittelbarkeit gegenüber gilt vielmehr: (2) Der erste der beiden neu aufgefundenen
»Das Denken ist nur Wissen und Erkennen, inso- Aufsätze befaßt sich nicht eigentlich mit der Far-
fern es sich befreyt hat, und zwar befreyt wesent- benlehre; er bezieht sich auf eine Abhandlung
lich von der Weise der blossen Unmittelbarkeit »des Herrn Geheimen OberRegierungsRaths
der Seele« (GW 15.245–247). Schulz« [!] »Über physiologische Gesichts- und
Erstdruck: Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie
Farben Erscheinungen« aus dem Jahre 1816,
des Geistes. Eingeleitet und hg. von Friedhelm Nicolin. »dessen HauptGegenstand das Doppelsehen ist«.
HS 1 (1961), 17–48. – Text: GW 15.207–249. – Quelle: Dieses Problem ist auch Thema einer Reihe von
Henrik Steffens: Anthropologie. 2 Bde. Breslau 1822. – »Abendunterhaltungen« zwischen Christoph
Literatur: Friedhelm Nicolin: Einleitung zum Erst- Ludwig Friedrich Schultz, v. Henning und Hegel
druck, ebd. 9–17. im Winter 1821/22 gewesen, auf die Hegel im
einzelnen eingeht. Bezugspunkt der Abhandlung
Hegels ist jedoch der Aufsatz von Schultz und
8.5. Über das Sehen und die Farben insbesondere eine dort enthaltene sehr komplexe
Figur, ohne deren Kenntnis ein Verständnis der
(1) Bekannt – und oft belächelt – ist das konstante Abhandlung Hegels nicht möglich ist. Denn He-
Interesse, das Hegel in Jena, Nürnberg, Heidel- gel sucht zu zeigen, daß diese Figur, an der das
berg und Berlin für Goethes Farbenlehre gezeigt »Phänomen des Doppelsehens« erläutert wird,
und das ihn mit Goethe verbunden hat (s. 24, 31). »zu einem Misverständnisse in Ansehung des-
Nicht bekannt ist bis vor kurzem gewesen, daß selben Veranlassungen geben zu können scheint«.
Hegel über die Hinweise in der Enzyklopädie Er referiert auch einen »interessanten Einwand«,
und in der Logik hinaus auch eigene Abhandlun- den Schultz mündlich gegen seine Abhandlung
gen über das Sehen und die Farben verfaßt hat. vorgebracht hat, und sucht ihn zu entkräften (GW
Sie werden zwar erwähnt in einem Brief, den 15.255–269).
Hegel am 15.9.22 auf seiner Reise in die Ver- (3) Auch der zweite Aufsatz greift auf eine
einigten Niederlande aus Magdeburg an Goethe »Abendunterhaltung« mit Schultz zurück. Erst er
schreibt. Er geht zunächst – wie auch in anderen thematisiert die Farbenlehre, und zwar auf Grund
286 II. Werk

eines Versuchs, den Christoph Heinrich Pfaff, der gänzt wird sie durch eine Beilage zur Berliner
Bruder von Hegels Nürnberger Kollegen, ein An- Schnellpost, den Beiwagen für Kritik und Anti-
hänger Newtons, in einer Schrift über dessen kritik zur Berliner Schnellpost. Die Titelseiten
Farbentheorie aus dem Jahre 1813 beschreibt: der eigentlichen Schnellpost tragen ein Motto aus
»daß wenn auf einem schwarzen Grunde ein Goethes Schwager Kronos (Verse 6–8): Nur
blaues und ein rothes Viereck in horizontalem frisch, holpert es gleich, über Stock und Stein den
Nebeneinander gesetzt und durch [ein] Prisma Trott rasch in’s Leben hinein«; auf dieses Motto
betrachtet werden, das Blaue mehr verrückt spielt die Schlußwendung von Hegels erstem Ar-
werde als das Rothe.« Hegel wendet gegen Pfaffs tikel an; der Beiwagen hat zum Motto Vers 138
»sogenannte Erfahrung« ein, »Herr von Goethe« aus dem Prolog zu Schillers Wallensteins Lager:
habe sie schon »zur Genüge beleuchtet, und ihren »Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.«
Ungrund aufgedeckt.« Hegel macht gegen das (2) Hegels Zuschrift Ueber die Bekehrten ist
Experiment geltend, daß bei seiner Anordnung unter all seinen veröffentlichten Texten das am
entscheidende Umstände verfehlt worden seien; wenigsten glückliche Schicksal beschieden ge-
Pfaff trete »insofern in die Fußtapfen Newtons, wesen: Der erste Artikel, mit dem Untertitel
von dessen Experimenten Goethe hinlänglich ge- Antikritisches, ist in verstümmelter, um ein Vier-
zeigt hat, daß in Vielem der Hauptwerth in dem tel seines Inhalts verkürzter Form überliefert
Verstecken dessen liegt, worauf es ankommt.« worden. Bei ihrer Aufnahme der vier Folgen
Zur Unterstützung seiner Kritik und zur Aufhel- dieses Artikels in Band 17 der Freundesvereins-
lung des Phänomens zieht er auch Material ausgabe haben Friedrich Förster und Ludwig
heran, das v. Henning ihm beschafft hat. Und er Boumann nicht allein Hegels Schlußwendung
schließt, indem er seine Kritik bekräftigt: »Solche (GW 16.13,20–25) weggelassen; sie haben sogar
Weise des Experimentierens und Folgerns, wie die dritte Lieferung in Nummer 10 der Berliner
sie Herr Pfaff übt, und deren Stärke darin be- Schnellpost, somit das dritte Viertel des ersten
steht, diejenigen Umstände, auf die es allein Artikels, übersehen (GW 16.8,1-10,20). Sämt-
ankommt, nicht zu beachten, hat auch das Unan- liche späteren Ausgaben haben diesen Fehler
genehme, daß die Beleuchtung solcher Versuche durch Abschreiben wiederholt, und die For-
und Schlüsse auf keine Art von Gehalt führt.« schung hat sich nicht daran gestoßen, daß der
(GW 15.270–276) Text in dieser amputierten Form nicht kohärent
Erstdruck: Wilhelm Raimund Beyer: Nürnberg als die
verständlich ist. Er ist erst durch die neue Studi-
Geburtsstadt der entoptischen Farben. (»Gevatter« He- enausgabe der Berliner Schriften (BSchr) vervoll-
gel). In ders.: Gegenwartsbezüge Hegelscher Themen. ständigt worden. Sowohl die absichtlich weg-
Mit unbekannten Hegel-Texten zur Farbenlehre. Kö- gelassenen als auch die vergessenen Textab-
nigsstein / Ts. 1985, 49–120, insbesondere 93–112. – schnitte sind somit seit ihrem Erstdruck bis vor
Text: GW 15.255–276. – Literatur: R 339 f.; Wolfgang kurzem unbekannt geblieben.
Bonsiepen: Bei Goethe in Weimar. In: Otto Pöggeler
(Hg.): Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und
Noch weniger glücklich ist das Schicksal des
idealistische Ästhetik. Zum 150. Todestag des Philo- zweiten Artikels, unter dem Titel Postscript, ver-
sophen. Wiesbaden 1981, 171–180. laufen: Er ist von allen bisherigen Ausgaben igno-
riert worden und somit bis zu seiner Veröffentli-
chung im Jahr 2001 (GW 16.14 f.) der Forschung
8.6. Ueber die Bekehrten insgesamt unbekannt geblieben.
(3) Die Bekehrten lautet der Titel eines »Lust-
(1) Diese kleine, für Hegels Urteile über die spiels in fünf Akten« von Ernst Raupach, einem
zeitgenössische Kunst jedoch nicht unwichtige damals in Berlin mehrfach gespielten Dichter,
Zuschrift ist im Januar 1826 in zwei Artikeln und mit dem Hegel auch persönlich bekannt war. Es
insgesamt fünf Folgen in der von Moritz Saphir handelt sich um eine Verwechslungskomödie:
herausgegebenen Berliner Schnellpost für Lite- Zwei Liebende, Clotilde und Torquato, trennen
ratur, Theater und Geselligkeit anonym erschie- sich durch ein Mißverständnis ihrer Liebe. Als
nen, einer dreimal wöchentlich erscheinenden Clotilde heiraten soll, verlobt sich Torquatos On-
Zeitschrift, die sich vornehmlich dem Berliner kel, ein Graf, mit ihr, weil er dem Neffen die
Literatur- und Theaterleben gewidmet hat. Er- Braut erhalten will. Er geht jedoch nach Rom und
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 287

gibt sich für tot aus, kehrt aber als Eremit zurück »Fiametta, das Kammerkätzchen, und Burchiello,
und sorgt – unter eifriger, wenn auch nicht immer der Narr, müssen nun das Stück aufhalten, sonst
glücklicher Mithilfe des Narren Burchiello und wäre es im ersten Akte schon zu Ende.« – In all
des Kammerkätzchens Fiametta dafür, daß es diesen Aspekten nimmt Hegel Saphirs Einwände
nach zahlreichen Verwicklungen schließlich zum angemessen auf, sucht sie aber teils durch über-
glücklichen Ende kommt. greifende ästhetische Erwägungen, teils durch
(4) Hegel hat die Erstaufführung der Bekehrten Vergleiche mit anderen damals gespielten Stük-
am 3. Januar 1826 im Königlichen Schauspiel- ken, teils durch abweichende Akzentuierungen
haus in Berlin gesehen. Von dieser Aufführung ist speziell der Bekehrten zu entkräften.
in der Berliner Schnellpost eine – nicht nament- (5) Im kurzen zweiten Artikel, Postscript,
lich gezeichnete, wohl vom Herausgeber Moritz nimmt Hegel nicht allein erneuten Bezug auf die
Gottlieb Saphir stammende – Charakteristik er- Leistung der ihm vertrauten Schauspieler, son-
schienen, die sowohl auf das Stück als auf die dern auch auf die beiden Stücke, die jeweils am
Aufführung eingeht. Sie ist keineswegs gänzlich Abend nach der Erstaufführung bzw. vor der
abschätzig; Saphir (zu ihm siehe Hugo Falken- Zweitaufführung der Bekehrten gespielt wurden,
heim im Anhang zu Kuno Fischer: Hegel, 1236 f.) da diese den Theaterabend nicht gefüllt haben:
zollt den Schauspielern Beifall, und er endet mit das Vaudeville Der Hahn im Korbe bzw. Der Puls,
der Wendung: »Das Stück im Ganzen wird das ein Lustspiel von Bado. Um künftig solchen un-
Publikum noch manchen Abend ergötzlich unter- nötigen »Ballast« zu vermeiden, regt er eine »Gal-
halten.« Gleichwohl finden sich eine Reihe von lerie des Bessern« an, »was sich auf unserem
Einwänden gegen das Stück, die Hegels Wider- Repertoire erhalten hat« – entsprechend der An-
spruch und anonyme Antikritik herausgefordert regung Goethes in »Wunsch und Begehren« und
haben. »Nach Berlin«, die »Notizen und Urtheile das
Im Blick auf die Handlung – oder vielmehr auf Theater betreffend« in den »Haude und Spe-
den Mangel an Handlung, wie Hegel schreibt – nerischen B e r l i n e r N a c h r i c h t e n« in Auszü-
wendet Saphir ein: »Unsere neueren Lustspiel- gen zu einem Buch zusammenzustellen, »damit
dichter scheinen sehr wohl von dem schlechten der Kunstfreund möglich finde, sie bequem und
Zustande des Merkantils unterrichtet zu sein, da behaglich der Reihe nach und auch wohl wieder-
sie alle H a n d l u n g in ihren Stücken vermei- holt, in mannigfaltigem Bezug zu lesen, zu be-
den.« »Das Talent des geschätzten Herrn Ver- trachten und zu bedenken.«
fassers, den ich in manchen Produkten hoch- Erstdruck: 1. Artikel: Ueber die Bekehrten. Antikri-
schätze, und dessen Geist auch heute in vielen tisches. (Eingesandt.) In: Berliner Schnellpost für Lite-
schönen Szenen ans Licht tritt, gefällt sich zu ratur, Theater und Geselligkeit. Folgen 1–3: Sp. 31–40,
sehr, mit Außerwesentlichem, mit Zufälligkeiten Nrr 8–10; Mittwoch, 18. Januar, Sonnabend, 21. Januar,
zu spielen.« Saphir bemängelt ausdrücklich, wie und Montag, 23. Januar 1826, jeweils in der Abteilung
Hegel zitiert, daß der Stoff des Stücks »aus einer »Remise für Theater und Novellistik«. – Folge 4: Bei-
wagen für Kritik und Antikritik zur Berliner Schnell-
überschraubten Gewaltaufgabe eines blinden Zu- post. Nr 4; Montag, 23. Januar 1826, 3 unpaginierte S. –
falls« herrühre – und daß das Stück hierdurch 2. Artikel: Postscript. In: Beiwagen für Kritik und Anti-
seinen Charakter als Lustspiel verfehle: »Es ist kritik zur Berliner Schnellpost. Nr 6; Sonnabend, 28.
kein L u s t s p i e l , eher ein Possenspiel, wie es Januar 1826, 2 unpaginierte S. – Text: GW 16.1–15;
der gute Graf selbst nennt.« – Daß der kritisierte BSchr 87–100. – Kritisierter Text: Die Bekehrten. Berli-
Artikel, wie Hegel schreibt, die beiden Haupt- ner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit.
Nr 3, 7.1.26, Sp. 11a-12a, in der Abteilung »Remise für
figuren gleich anfangs für so mürbe genommen Theater und Novellistik«. – Quellen: Ernst Raupach:
habe, daß sie nichts zu tun gehabt hätten, als Die Bekehrten. Lustspiel in fünf Akten. Hamburg 1827;
einander schon beim ersten Anblick in die Arme Goethe: Über Kunst und Alterthum. WA 40.122–
zu fallen, nimmt ebenfalls eine Wendung Saphirs 124,126.
auf: »die Leutchen sind so mürbe und bekehrlich,
daß eine Bibelgesellschaft ihre Freude an ihnen
hätte.« Und daß das Stück bereits im ersten Akt
zu Ende wäre, wenn nicht Narr und Kammerkätz-
chen es aufhielten, spiegelt den Satz Saphirs:
288 II. Werk

8.7. Rezensionen aus den Jahr- desvereinsausgabe bekannt; jüngst ist auch die
büchern für wissenschaftliche Kritik Reinschrift veröffentlicht geworden, die Hegel
dem Minister v. Altenstein mit einem Begleit-
schreiben zugesandt hat.
8.7.1. Von der »Kritischen Zeitschrift der
Dieses Konzept zielt auf eine Zeitschrift unter
Literatur« zu den »Jahrbüchern für wissen-
staatlichem Patronat, »unter den Auspicien einer
schaftliche Kritik«
Königlichen Staatsbehörde« (GW 16.424), analog
(1) Die Gründung der »Societät für wissenschaft- zu den auf Veranlassung Metternichs begründe-
liche Kritik« und ihrer Jahrbücher für wissen- ten Wiener Jahrbüchern der Literatur und insbe-
schaftliche Kritik im Umkreis Hegels und seiner sondere zum Journal des Savans (vgl. HBZ
Schule verwirklicht – wenn auch in modifizierter 326 f.). Max Lenz hat geurteilt, daß dieser Plan
Form – einen alten, bereits in Jena gehegten Plan ein »Napoleonisches Element« enthalten habe
Hegels zur Herausgabe eines Rezensionsorgans: (308). Er ist aber nicht verwirklicht worden – aus
Bereits damals hat er Maximen des Journals der einer Reihe von Gründen, die sich nicht einfach
deutschen Literatur formuliert (GW 4.509–514) – durch die Schlagwörter »liberal« und »staatlich«
doch der energische Schlußsatz »Mit Julius 1807 simplifizieren lassen (vgl. Obenaus 1994). Neben
wird angefangen« hat sich in der damals schwie- Hegels Konzept lagen dem Minister noch eine
rigen politischen Lage nicht verwirklichen las- Reihe weiterer Vorschläge vor – und zu ihnen
sen. Auch Hegels Hoffnungen, von Jena aus nach allen äußert er sich abschließend: »Der Sache
Heidelberg berufen zu werden und dort die Re- keine weitere Folge gegeben da die Sache zu
daktion der Heidelbergischen Jahrbücher zu große Schwierigkeit hat. Es wird eine Zeit kom-
übernehmen, haben sich zunächst nicht erfüllt men wo mehr Sinn für dergleichen Mittel Preu-
(an Niethammer, 20.2.07); statt dessen hat Hegel ßen aus intellectuellem Uebergewicht zu erhöhen
in den Jahren 1807–1808 die Bamberger Zeitung vorhanden seyn wird und dann wird es auch an
redigiert und dabei auf zuvor unerwartete und den Mitteln zur Ausführung Geld und Menschen
ungeliebte Weise Redaktionserfahrung gesam- schon nicht fehlen.«
melt. Erst ein Jahrzehnt später, nach seiner Beru- (3) Nur kurz nach dem Scheitern dieses Planes
fung nach Heidelberg, hat er auch an den Heidel- haben Schüler und Freunde Hegels versucht, eine
bergischen Jahrbüchern mitgewirkt – nicht allein Zeitschrift zu gründen: die Neue Berliner Monat-
durch seine Jacobi-Rezension und die Zweite schrift für Philosophie, Geschichte, Literatur und
Württemberg-Schrift (s. 254 bzw. 257), sondern Kunst. Ihre Initiatoren waren Friedrich Förster,
auch in der Redaktion. So ist es naheliegend, daß Leopold v. Henning und Friedrich Wilhelm Ca-
er nach seiner Berufung nach Berlin den Plan zur rové – aber nicht Hegel, wie man damals ver-
Begründung eines Rezensionsorgans weiter ver- mutet hat (an Hinrichs, 7.4.21). Die Neue Berli-
folgt hat – zumal die Berliner Universität damals ner Monatschrift konnte sich jedoch nur ein Jahr
noch nicht über ein repräsentatives Publikations- lang halten; weitere Projekte folgten – sogar ein
organ verfügt hat. Denn die Allgemeine Literatur- Vorschlag von Eduard Gans an Heinrich Heine,
zeitung war zwar 1804 von Jena nach Preußen eine Berliner kritische Zeitschrift für Rechts- und
verlegt worden – aber nicht nach Berlin, sondern Staatswissenschaften herauszugeben (Hogemann
nach Halle, in die Stadt der damals angesehen- 1994, 60).
sten preußischen Universität. (4) Obgleich Hegel seine Journal-Pläne über
(2) Kurz nach Hegels Berufung nach Berlin, im fast zwei Jahrzehnte verfolgt hat, ist die schließ-
Winter 1819/20, haben Gespräche zwischen ihm liche Begründung der Jahrbücher für wissen-
und dem zuständigen Minister v. Altenstein über schaftliche Kritik im Jahr 1826 nicht auf seine
die Gründung einer Zeitschrift stattgefunden, Initiative hin erfolgt, sondern im wesentlichen
und am 27. Februar 1820 hat Hegel dem Minister ein Verdienst von Hegels Freund und jüngerem
einen Vorschlag Über die Einrichtung einer kriti- Kollegen an der juristischen Fakultät, Eduard
schen Zeitschrift der Literatur zugeleitet. Von die- Gans (1836; vgl. Br 3.390–399, HBZ 325–330).
sem Konzept waren bis vor kurzem nur Hegels Dessen eigenständigem Vorstoß vom Sommer
handschriftlicher Entwurf und ein hiervon mehr- 1825 beim Stuttgarter Verleger Johann Friedrich
fach abweichender Druck in Bd. XVII der Freun- v. Cotta zur Gründung einer Berliner Literatur-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 289

zeitung steht Hegel zunächst durchaus zögerlich zu nehmen und eine kritische Besprechung einer
gegenüber – schon deshalb, weil er eine Litera- Schrift Jarckes durch Gans zu verhindern, da
turzeitschrift unter einer privaten Trägerschaft Jarcke als Redakteur des Berliner Politischen Wo-
sowohl aus ökonomischen als auch aus wissen- chenblatts vorgesehen war, das als Vereinigungs-
schaftlichen Gründen als nicht tragfähig ansieht punkt der konservativen und restaurativen Ten-
(vgl. GW 16.432 f.). Den ersten Hinweis auf die denzen in Preußen gedacht war (Obenaus 1994,
geplanten Jahrbücher gibt Carl Daubs Brief an 28–38).
Hegel vom 29.3.26, nach einem Besuch von Gans Der Vorwurf andererseits, daß die Jahrbücher
in Heidelberg; im Frühjahr führt Gans Gespräche eine »Hegel-Zeitung« seien, war dadurch herauf-
insbesondere mit Hegel und Varnhagen von Ense, beschworen, daß Hegel und seine Schüler fraglos
und am 18.7.26 lädt Hegel zu einer Sitzung am in der »Societät« wie auch in der Redaktion der
23.7.26 ein, auf der sich die »Societät für wissen- Jahrbücher eine zentrale Rolle spielten. Anderer-
schaftliche Kritik« konstituiert. Sie gliedert sich seits ist das Bemühen der Initiatoren nicht zu
in die philosophische, naturwissenschaftliche verkennen, das Unternehmen von Anfang an auf
und historisch-philologische Klasse, denen je- eine breite, keineswegs nur durch Hegels Schule
weils ein Sekretär vorsteht; ihr erster General- gebildete Basis zu stellen – und nicht ohne Erfolg,
sekretär ist zunächst Gans, seit 1828 Leopold v. wie die Namen Boeckh, Bopp, Creuzer, Goethe
Henning. (WA 42/1. 20–54), Wilhelm v. Humboldt, A. W.
Schon die Gründungsmodalitäten lassen er- Schlegel, Rückert, Thibaut, Varnhagen zeigen –
kennen, daß zwei bereits von Zeitgenossen gegen wenn auch einige der Genannten dem Unter-
die Jahrbücher erhobene Bedenken an deren nehmen nicht ohne Bedenken beigetreten und
Charakter vorbeigehen: Sie sind weder eine »He- andere aus Verärgerung über einzelne Rezen-
gel-Zeitung« noch eine »Staatszeitung«. In letz- sionen oder über den Stil der »Societät« wieder
terer Hinsicht waren die Jahrbücher von Beginn ausgetreten sind. Schwerlich dürfte sich jemals
an in einer prekären Lage: Da es wenig Hoffnung wieder eine so illustre Schar zur Herausgabe
gab, daß sie sich ohne finanzielle Unterstützung einer Zeitschrift vereint haben. Das heutige In-
tragen könnten, hat die Redaktion bereits 1826 teresse an den Jahrbüchern, das ausschließlich
versucht, eine staatliche Unterstützung zu bean- auf die Rezensionen Hegels und einiger seiner
tragen – denn andere Förderinstitutionen gab es Schüler gerichtet ist, verdeckt den Umstand, daß
damals nicht. Dem Wunsch nach staatlicher För- deren Arbeiten einen quantitativ geringen Anteil
derung stand jedoch bereits früh die Befürchtung an den Jahrbüchern haben. Ihnen steht eine Fülle
entgegen, daß derartige Zuwendungen auch den naturwissenschaftlicher, mathematischer, medi-
Versuch der staatlichen Einflußnahme nach sich zinischer, historischer und philologischer Rezen-
ziehen würden (HBZ 336). Doch trotz der erheb- sionen gegenüber, die keinerlei Bezug zu Hegels
lichen finanziellen Schwierigkeiten und der jah- Philosophie haben – als Beispiel seien hier nur
relangen Bemühungen seitens der »Societät« hat die Arbeiten Friedrich Rückerts zur orientali-
das Kultusministerium – erst nach Intervention schen Literatur erwähnt. Zum Zwecke der Pro-
des Verlegers Cotta und nach Verlegung des pagierung der Philosophie Hegels hingegen wäre
Druckorts nach Berlin – ab 1830 jährlich eine eine personelle Beschränkung auf seine Schule
vergleichsweise geringe Beihilfe von 800 Talern und eine thematische Beschränkung der Jahr-
für das defizitäre Unternehmen bewilligt – nicht, bücher auf die Philosophie und verwandte Ge-
um es hierdurch zu einer »Staats-Zeitung« zu biete vorteilhaft gewesen. Treffend beschreibt
machen, sondern um seine drohende Einstellung Varnhagen Hegels Vorgehen: Er suche »eine Fak-
zu verhindern. Die Möglichkeit zur staatlichen tion zu bilden […], einen persönlichen, mehr auf
Einflußnahme hat ohnehin auch unabhängig von Umstände als auf Gesinnung gegründeten An-
der finanziellen Unterstützung schon deshalb be- hang (HBZ 323). Dem entspricht auch Hegels
standen, weil die Jahrbücher wie andere Pu- Begründung gegenüber Niethammer und Roth:
blikationen der Zensur unterworfen waren. So- »Il faut enfin avoir la parole« (an Niethammer,
weit bekannt, hat die preußische Regierung zu 11.9.26; vgl. GW 16.428).
Lebzeiten Hegels nur einmal, im Februar 1831, Bemerkenswert im Blick auf den Streit um die
versucht, inhaltlichen Einfluß auf die Jahrbücher Jahrbücher ist ein Zeugnis August Boeckhs. In
290 II. Werk

den frühen Berliner Jahren betont er mehrfach, täts- und Pressepolitik der Restauration und des Vor-
er und Hegel seien keine Freunde; am 5.8.27 märz«; 57–87: Friedrich Hogemann: Die Entstehung
der »Societät« und der »Jahrbücher für wissenschaft-
jedoch schreibt er an Karl Otfried Müller: »Übri-
liche Kritik«; 204–227: Gunter Scholtz: Schleiermacher,
gens wird Hegel jetzt hier von allen Seiten attak- Hegel und die Akademie; 377–390: Helmut Schneider:
kiert, und zwar auf eine plumpe und ungerechte Die Zusammenarbeit von Hotho und Varnhagen im
Weise, während er gerade anfängt, sich zu mäßi- Rahmen der »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik«.
gen; alle dergleichen leidenschaftlichen Angriffe Hothos Rezension der »Wanderjahre«; Nobert Waszek
sind mir so zuwider, daß gerade nichts mehr als (Hg.): Materialien zu den »Jahrbüchern für wissen-
schaftliche Kritik« (1827–1846). Stuttgart-Bad Cann-
diese mich mit ihm aussöhnen. Und es ist gerade
statt 1994.
nicht zu verkennen, daß diejenigen, die gegen
ihn Partei machen, von einer blinden Leiden-
8.7.2. Humboldt-Rezension
schaft hingerissen sind, die ohne alles Maß ist,
und daß es ihnen nicht um die Sache, sondern (1) Hegels Besprechung von Wilhelm v. Hum-
bloß um Persönlichkeit zu tun ist.« (HBZ 345) boldts Abhandlung Ueber die unter dem Nahmen
Die Begründung dieser »Societät« und ihrer Bhagavad-Gita bekannte Episode des Maha-
Jahrbücher wird zuweilen als eine Kompensation bharata gehört zu denjenigen Rezensionen, mit
für die Nichtaufnahme Hegels in die Akademie denen sich die Jahrbücher für wissenschaftliche
und als Gründung einer »Gegenakademie« ange- Kritik im Januar 1827 erstmals dem Publikum
sehen (Jamme 1994) – eine Deutung, die sich vorstellten; vielleicht sollte sie die Jahrbücher
vornehmlich auf Hegels entschlossenen Wider- sogar eröffnen. Über die Entstehungsgeschichte
willen gegen die Aufnahme Schleiermachers in der Rezension gibt es keine Nachrichten außer
die »Societät« – im Gegenzug gegen dessen Ver- der kurzen brieflichen Bemerkung Hegels gegen-
hinderung der Aufnahme Hegels in die König- über Carl Daub vom 19.12.26, er sei unter an-
liche Akademie – berufen kann (HBZ 329 f., vgl. derem durch den ersten Artikel dieser Rezension
s. 48. Die Gründung der Jahrbücher darf aber von seiner Arbeit an der zweiten Auflage der
nicht primär in dieser engen Perspektive persön- Enzyklopädie abgehalten worden. Dies kann sich
licher Rivalität gesehen und beurteilt werden. Ihr allenfalls auf das letzte Viertel des Jahres 1826
Spezifikum liegt zum einen in dem gegenüber beziehen. Die Jahrbücher wurden zwar bereits
den damaligen Literaturzeitungen neuen, heute am 23.7.26 formell konstituiert (siehe s. 289),
selbstverständlichen Stil der namentlichen Kenn- und Humboldt hatte den ersten Teil seiner Ab-
zeichnung der Rezensionen und zum anderen in handlung schon am 30.6.25 in der Akademie der
ihrem der Intention nach universalen, auf die Wissenschaften vorgetragen und den zweiten Teil
universitas litterarum gerichteten Ansatz – und am 15.6.26. Aber erst vom 30.9.26 ab sandte
nicht in einer persönlichen oder zeitbedingten Humboldt den Sonderdruck seiner Vorträge an
Polemik oder in einem Versuch Hegels, hiermit auswärtige Freunde. Albert Leitzmann, der Her-
eine Plattform zur Propagierung seiner Philo- ausgeber von Humboldts Gesammelten Schriften,
sophie zu schaffen. nennt Goethe (30.9.), Schlegel und Welcker
Erstdruck des Konzepts »Über die Einrichtung einer (10.10.) sowie Friedländer (22.10.26) als Emp-
kritischen Zeitschrifft der Literatur«: W XVII.368–390. fänger. Humboldts Abhandlungen sind also ge-
– Text: GW 15.147–187 (Entwurf); GW 16.423–439 rade zu der Zeit erschienen, von der Varnhagen
(Reinschrift). – Literatur: Neue Berliner Monatschrift berichtet, bei einem Besuch bei Humboldt habe
für Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunst. Ber-
dieser »fast von nichts anderm als von der neuen
lin 1821, ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1988; Eduard
Gans: Rückblicke auf Personen und Zustände. Berlin Literaturzeitung« gesprochen, »die ihn höchlich
1836, ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, 215–256: »Die zu interessieren schien.« (HBZ 320 f.) Zu dieser
Stiftung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik«; Zeit wird auch Hegel ein Exemplar der – erst
Lenz: Geschichte der Universität Berlin (1910), Bd 1828 im Handel erschienenen – Schrift Hum-
2/1.308; Christoph Jamme (Hg.): Die »Jahrbücher für boldts erhalten haben.
wissenschaftliche Kritik«. Hegels Berliner Gegenaka-
(2) Auch über die zeitgenössische Aufnahme
demie. Stuttgart-Bad Cannstatt 1994. Darin 15–56: Si-
bylle Obenaus: Berliner Allgemeine Literaturzeitung dieser Rezension ist wenig bekannt. Humboldt
oder »Hegelblatt«? Die »Jahrbücher für wissenschaft- hat zwar gleich nach Erscheinen des »Ersten Arti-
liche Kritik« im Spannungsfeld preußischer Universi- kels« der Rezension Hegel am 25.1.27 mit freund-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 291

lichen Worten gedankt: »Es ist mir ein wahres gehört übrigens nicht zu den Philosophen, die
Bedürfnis, Ew. Wohlgeboren gleich in dem Au- ihre Wirkung bloß ihren Ideen überlassen wol-
genblick, in dem ich Ihre Beurteilung meiner len, er macht Schule und macht sie mit Absicht.
letzten akademischen Abhandlung erhalten und Auch die Jahrbücher sind daraus entstanden. Ich
gelesen habe, meinen lebhaften und wärmsten bin sogar darum mit Fleiß in die Gesellschaft
Dank für die gütige und schmeichelhafte Art getreten, um anzudeuten, daß man sie nicht so
abzustatten, mit der Sie meine Arbeit bei dem nehmen solle. Ich gehe übrigens mit H e g e l um
Publikum eingeführt haben. Ueber die Ideen, und stehe äußerlich sehr gut mit ihm. Innerlich
welche Sie auf eine so geistvolle und scharf- habe ich für seine Fähigkeit und sein Talent große
sinnige Weise entwickeln, hoffe ich, erlauben Sie und wahre Achtung, ohne die oben gerügten
mir, mich nächstens mündlich weiter zu bespre- Mängel zu verkennen.« In diesem Zusammen-
chen. Das Ende Ihres Artikels hat mich mit der hang kommt er auch auf Hegels Rezension zu
schmeichelhaften Aussicht überrascht, daß Ew. sprechen: »Die lange Rezension über mich kann
Wohlgeboren sich noch einmal mit meinem Auf- ich am wenigsten billigen. Sie mischt Philosophie
satz zu beschäftigen die Güte haben wollen.« Es und Fabel, Echtes und Unechtes, Uraltes und
ist nicht bekannt, ob es zu diesem Gespräch Modernes; was kann das für eine Art der philo-
gekommen ist und wie Humboldt auf die Fort- sophischen Geschichte geben? Die ganze Rezen-
setzung der Rezension Hegel gegenüber geant- sion ist aber auch gegen mich, wenn gleich ver-
wortet hat. Humboldt ist jedoch inzwischen Mit- steckt, gerichtet, und geht deutlich aus der Über-
glied der »Sozietät für wissenschaftliche Kritik« zeugung hervor, daß ich eher alles, als ein Philo-
geworden; sein Name ist im Oktoberheft 1827 soph sei. Ich glaube indes nicht, daß mich dies
der Jahrbücher verzeichnet. Im Rahmen der Sit- gegen sie parteiisch macht.« (Schlesier 1840,
zungen dieser »Sozietät« können Gespräche 298 f.)
zwanglos stattgefunden haben. Daß die zitierten Diese Befürchtung Humboldts trifft schwerlich
Formulierungen mehr förmlich gehalten waren zu. Gleichwohl sind seine Vorbehalte gegen He-
und Humboldts Einschätzung nicht wirklich wie- gels Besprechung nicht unverständlich – obgleich
dergeben, lehrt sein Brief an Friedrich v. Gentz sie den Hauptmangel von Hegels »Rezension« gar
vom 1.3.28. Er berichtet hier über die Berliner nicht bestimmt aussprechen: Es handelt sich gar
Jahrbücher, daß er trotz einiger vorzüglicher Arti- nicht im strengen Sinne um eine Rezension, son-
kel dem Ganzen »den Geschmack nicht abge- dern in der Hauptsache um die Ausbreitung einer
winnen« könne, und äußert sich sodann ambiva- Fülle von Materialien zur indischen Religion und
lent über Hegel: » H e g e l ist gewiß ein tiefer und Literatur, die Hegel auch im Zusammenhang sei-
seltener Kopf, allein daß eine Philosophie dieser ner Vorlesungen über Religionsphilosophie und
Art wahrhaft Wurzel schlagen sollte, kann ich mir über Geschichte der Philosophie ausführlich vor-
nicht denken. Ich wenigstens habe mich, soviel getragen hat (insbesondere V 4.835–858, V
ich es bis jetzt versucht, auf keine Weise damit 6.458,462–483). Thema und Methode der ersten
befreunden können. Viel mag ihm die Dunkel- Abhandlung v. Humboldts werden hingegen trotz
heit des Vortrags schaden. Diese ist nicht anre- häufiger Bezugnahmen nicht verdeutlicht, und
gend und, wie die Kantische und Fichtische, ko- auf die zweite Abhandlung geht Hegel, wie er am
lossal und erhaben wie die Finsternis des Grabes, Schluß des »Zweiten Artikels« seiner Rezension
sondern entsteht aus sichtbarer Unbehilflichkeit. selber einräumt, ohnehin nicht ein.
Es ist, als wäre die Sprache bei dem Verfasser (3) Den Ausgangspunkt von Hegels Rezension
nicht durchgedrungen. Denn auch wo er ganz bildet sein Referat von Partien der Bhagavad-
gewöhnliche Dinge behandelt, ist er nichts we- Gita, wobei Hegel die englische Übersetzung
niger als leicht und edel. Es mag an einem großen durch Wilkins mit August Wilhelm v. Schlegels
Mangel von Phantasie liegen. Dennoch möchte lateinischer Übersetzung minutiös vergleicht und
ich über die Philosophie nicht absprechen. Das soweit möglich auch Humboldts Teilübersetzun-
Publikum scheint sich mir in Absicht Hegels in gen einbezieht. Sein philosophisches Interesse ist
zwei Klassen zu teilen; in diejenigen, die ihm dabei auf die Schwierigkeit der Wiedergabe der
unbedingt anhängen, und in die, welche ihn, wie indischen Begriffe durch Begriffe der europäi-
einen schroffen Eckstein, weislich umgehen. Er schen Sprachen gerichtet: Die Verschiedenheit
292 II. Werk

der Denkwelten, denen sie angehören, läßt auch (5) Mit der Beziehung der in der Tat vor-
vermeintlich analoge Begriffe einen sehr unter- handenen kritischen Untertöne von Hegels Re-
schiedlichen Gehalt annehmen – wie er etwa am zension auf sich persönlich hat Humboldt Hegels
Begriff der »Pflicht« verdeutlicht: Das Sanskrit- Vorbehalte jedoch kaum adäquat getroffen. Hegel
wort wird von Wilkins mit »duty«, von Schlegel sucht vielmehr eine sachliche Auseinanderset-
mit »officium« übersetzt – aber es handelt sich im zung um die mögliche Bedeutung der indischen
indischen Epos nicht um den verinnerlichten Texte für die Philosophie zu führen. Er tritt nicht
Pflichtgedanken der neueren Philosophie, son- als Philologe, sondern als Philosoph an diese
dern um eine »Pflicht«, die sich aus der Kasten- Texte heran, und hierin gründet seine merkliche
struktur der indischen Gesellschaft ergibt, und Reserve – im Blick nicht auf Humboldt, sondern
somit nicht um ein »moralisches Verhältnis« in auf die philosophische Dignität der indischen
unserem Sinn. Weiter versucht er, den Sinn des Texte. Er liest sie zwar als Zeugnisse für die
mit dem Wort »Yoga« bezeichneten Denksystems Breite der Entfaltung des geschichtlichen Reich-
– und dessen Verhältnis zum Sankhya-System – tums des absoluten Geistes – aber doch nur als
zu verstehen, und deshalb erwägt er, ob Hum- Zeugnisse für solche Stufen von dessen Ge-
boldts Übersetzung von »yoga« durch »Vertie- schichte, die nicht mehr die unseren, und die
fung« hier angemessen sei – angesichts des Um- selbst von der griechischen Welt bereits zurück-
stands, daß »jede Uebertragung eines aus ganz gelassen sind. Auf die Fragen etwa nach dem
eigenthümlicher Ansicht entspringenden Aus- Göttlichen und Sittlichen erkennt er in ihnen
drucks einer Sprache durch ein einzelnes Wort keine Antwort, die den gegenwärtigen Geist be-
einer andern mangelhaft bleibe« (GW 16.32). friedigen könnte.
Nicht allein Humboldt, sondern auch August Die nüchtern-kritische Frage Hegels nach den
Wilhelm Schlegel bezeugt Hegel großen Respekt; philosophisch aktualisierbaren Potentialen der
hingegen greift er beider Kritik an Arnold Her- neugewonnenen umfassenderen literatur- und
mann Ludwig Heeren gern auf. religionsgeschichtlichen Kenntnisse gewinnt zu-
(4) Doch bleibt Hegels Rezension nicht bei dem ihre spezifische Schärfe durch ihre Ent-
diesen allgemeinen, durch Humboldts Abhand- gegensetzung gegen die vermeintliche Aneig-
lung aufgeworfenen Fragen stehen. Er verläßt nung der Gedankenwelt des Orients durch die
bald sowohl den Vortrag Humboldts als auch den Romantik – unter Einschluß der späteren Kehrt-
Text der Bhagavad-Gita und breitet statt dessen wendung in dieser romantischen Zugangsweise.
all die Materialien aus, die er auch in seinen Zunächst nimmt sie den Orient als besseren Er-
Vorlesungen teils über Religionsphilosophie, teils satz für die abgelebte christliche Religion in den
über Geschichte der Philosophie verwendet. Er Blick. Der junge Friedrich Schlegel ruft in seiner
rezipiert ja begierig die damals zahlreich erschei- »Rede über die Mythologie« im Gespräch über die
nenden Nachrichten über die indische und die Poesie (1800) dazu auf, die »Schätze des Orients«,
orientalische Kultur überhaupt: nicht allein die und im Orient »das höchste Romantische« zu
unterschiedlichen Übersetzungen der Bhagavad- suchen (PLS 1/1.119), und auch der junge Joseph
Gita, sondern die Aufsätze in den Asiatic Re- Görres sucht in seiner Mythengeschichte der asia-
searches, insbesondere die Abhandlungen Henry tischen Welt in phantastischer Manier die orien-
Thomas Colebrookes, sowie auch dessen aus- talischen Mythen den Zeitgenossen als eine tie-
führliche Abhandlung der indischen Philosophie fere Quelle der Wahrheit vor Augen zu stellen.
in den Transactions of the Royal Asiatic Society Aber auch später, nach der Konversion des einen
(1824), aber auch alle sonstigen Übersetzungen und der Reversion des anderen, spielt der Orient
von Passagen indischer Literatur, deren er hab- eine nicht unwichtige Rolle. Wenn er auch nicht
haft werden kann, etwa der Übersetzungen seines mehr als der tiefere Quell der Weisheit gilt, so
Berliner Kollegen und Freundes, des Indologen doch als Beleg für die damals grassierende, auch
Franz Bopp, ferner lange Passagen aus dem Ra- von Schelling mit Emphase vorgetragene An-
mayana, aber auch Berichte englischer Reisender nahme einer göttlichen Uroffenbarung, als deren
oder Offiziere, unter anderem lange Passagen aus versprengte Trümmer die orientalischen Mythen
James Mills History of British India (s. die Bi- zu gelten hätten – eine Annahme, die zur Zeit von
bliographien in V 4.835–858 bzw. V 6.485–497). Hegels Humboldt-Rezension insbesondere im
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 293

Dienst der christlichen Restauration in Frank- auch über das Verhältnis Hegels zu Solger finden
reich eine große Rolle spielt (GW 18.186–190; V sich – abgesehen von Hegels Rezension – nur
4.146,153 f.). wenige Nachrichten. So ist es nicht einmal sicher,
Hegels Absicht ist es hingegen, sich in ein ob und wieweit sie sich aus ihrer gemeinsamen
kritisches Verhältnis zu diesen zuvor unbekann- Zeit in Jena, 1801/02, gekannt haben. Zu Beginn
ten Texten zu setzen und über der Freude dar- seiner Rezension referiert Hegel die Darstellung
über, daß sie uns erstmals erschlossen werden, von Solgers Leben durch die beiden Herausgeber
nicht die Frage zu vernachlässigen, was sie uns zu der Nachgelassenen Schriften – Friedrich v. Rau-
sagen haben. Er will sie nicht nur positivistisch mer und Ludwig Tieck –, und er fügt in deren
aufgreifen – wie es dann insbesondere der spä- Bericht die implizite Korrektur ein, Solger sei
tere Historismus getan hat –, sie aber auch nicht 1802 nach Jena gegangen, um Schelling zu hören.
dogmatisch instrumentalisieren, sondern im Dort nimmt Solger auch an dem von Schelling
Rahmen einer übergreifenden Geschichte des und Hegel geleiteten Disputatorium teil, wo-
Geistes verstehen und ihren geschichtlichen Ort durch eine frühe Bekanntschaft Solgers mit Hegel
erkennen. In dieser Weise des Vorgehens kann er gesichert scheint – doch anders als seine Kommi-
sich – zumindest nach dem Erscheinen von des- litonen Troxler und Abeken erwähnt Solger in
sen Nachgelassenen Schriften – auch mit seinem seinen Briefen Hegel kein einziges Mal, und er ist
verstorbenen Kollegen Karl Wilhelm Ferdinand auch nicht unter den Hörern der Vorlesungen
Solger einig wissen (vgl. GW 16.97–99). Hegels genannt (Nicolin 1974; Henckmann 1978,
Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik,
59). 1811 wird Solger an die Berliner Universität
1827, 51–63 (Nrr 7/8), 1441–1492 (Nrr 181–188). – berufen; er setzt sich bereits im Jahre 1816, beim
Text: GW 16.19–75; BSchr 101–173. – Rezensiert: Wil- ersten Versuch, Hegel nach Berlin zu berufen, für
helm von Humboldt: »Über die unter dem Namen diesen ein (HBZ 117), und er begrüßt auch dessen
Bhagavad-Gítá bekannte Episode des Mahá-Bhárata. Berufung im Jahre 1818: »Ich bin begierig, was
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 30. Hegels Gegenwart für eine Wirkung machen
Juni 1825 und 15. Juni 1826.« In: Abhandlungen der
historisch-philologischen Klasse der Königlichen Aka-
wird. Gewiß glauben viele, daß mir seine An-
demie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin 1828, 1–44, stellung unangenehm sei, und doch habe ich ihn
45–64. – Quellen: Friedrich Schlegel: Gespräch über zuerst vorgeschlagen und kann überhaupt ver-
die Poesie. In: Athenäum. Eine Zeitschrift von August sichern, daß, wenn ich etwas von ihm erwarte, es
Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel. Bd. 3, Stück nur eine größere Belebung des Sinnes für Philo-
1. Berlin 1800, 103 (PLS 1/1.99–137); Joseph Görres: sophie, also etwas Gutes ist. […] Ich verehre
Mythengeschichte der asiatischen Welt. 2 Bde. Heidel-
berg 1810; Karl Wilhelm Ferdinand Solger: Nachge-
Hegel sehr und stimme in vielen Stücken höchst
lassene Schriften und Briefwechsel. Hg. von Ludwig auffallend mit ihm überein. In der Dialektik ha-
Tieck und Friedrich von Raumer. 2 Bde. Leipzig 1826 ben wir beide unabhängig von einander fast den-
(ND Heidelberg 1973). Bd. 1.709,757 f.; Eduard Gans: selben Weg genommen, wenigstens die Sache
Rückblicke auf Personen und Zustände. Berlin 1836, ganz von derselben und zwar neuen Seite ange-
251–256. – Literatur: Gustav Schlesier (Hg.): Schriften griffen. Ob er sich in manchem anderen, was mir
von Friedrich Gentz. Ein Denkmal. Bd. 5. Mannheim
1840; Albert Leitzmann: »Bemerkungen zur Entste- eigentümlich ist, ebenso mit mir verstehen
hungsgeschichte«, in: Wilhelm v. Humboldt: Gesam- würde, weiß ich nicht. Ich möchte gern das Den-
melte Schriften. Bd. 5. Berlin 1846, 479; Michel Hulin: ken wieder ganz in das Leben aufgehen lassen«
Hegel et l’Orient. Suivi de la tradition annotée d’un (NSB 1.619 f.). Noch von Heidelberg aus läßt
essai de Hegel sur la Bhagavad-Gita. Paris 1979. Hegel über seinen ehemaligen Heidelberger und
dann auch Berliner Kollegen Wilken bei Solger
nach dessen Themen im Wintersemester
8.7.3. Solger-Rezension
1818/19 anfragen, um sich mit ihm abzustimmen;
(1) Mehr noch als die Humboldt-Rezension steht etwa im Mai 1818 gibt Solger Hegel hierüber
die Rezension der Nachgelassenen Schriften und Auskunft und fährt fort: »Möchte es mir gelingen,
Briefwechsel (=NSB) seines Berliner Kollegen mir, wenn Sie hier sein werden, Ihre Freund-
Karl Wilhelm Ferdinand Solger im Umkreis von schaft zu erwerben! Ich will keine langen Vor-
Hegels Auseinandersetzung mit der Romantik. reden machen über die innige und tiefe Vereh-
Über ihre Entstehung ist nichts bekannt, und rung, die mir von jeher Ihre Schriften eingeflößt
294 II. Werk

haben. Ich habe das Werk auf meine Weise und beides ist nur allzusehr da; aber es ist als das
auf einem andern Wege versucht und wünschte, Nichts, es ist mit einem Worte das Böse.« (NSB
daß Ihnen dies auch nicht ganz mißfiele. Viel- 1.702.) Hegel hat verneint, daß hierin eine Diffe-
leicht ist es möglich, daß wir nicht nur in Ein- renz zwischen ihm und Solger liege (GW 16.103
tracht, sondern auch im Einverständnis arbeiten, Fußnote) – wie er überhaupt die fraglos vor-
und dies Glück würde ich um so höher schätzen, handenen Unterschiede zwischen Solgers und
da man dessen so wenig gewohnt ist.« Am Tage seinem Denken zu begrenzen sucht und dabei
der Antrittsrede Hegels schreibt Solger an v. Rau- manchen möglichen Streitpunkt mit Stillschwei-
mer: »Hegel ist kurz vor meiner Rückkehr hier gen übergeht.
angekommen, hat mich aber, weil ich mit Umzie- (3) Hegels Solger-Rezension ist insgesamt we-
hen beschäftigt war, erst vor kurzem besucht. Er niger eine Auseinandersetzung mit Solger als ein
gefällt mir sehr wohl, und ich hoffe und wünsche Streit um Solger, um die postume Bundesgenos-
ihn näher zu kennen« (NSB 1.681 f.) – eine For- senschaft Solgers. In ihrem Interesse sucht He-
mulierung, die zumindest keine nähere Bekannt- gel, bei aller Anerkennung der engen Freund-
schaft zur Jenaer Zeit andeutet. Einen Monat schaft Solgers mit Ludwig Tieck, die ästhetischen
später notiert Solger die bereits oben zitierte Bindungen Solgers an den Romantikerkreis
Verwunderung über die geringe Aufmerksamkeit, nachträglich zu lockern. Gegenüber den Zügen in
die Hegel zu Beginn seiner Berliner Tätigkeit Solgers Werk und Persönlichkeit, die ihn der
gefunden habe. Und auch Hegel erwähnt Solger Romantik zuordnen, hebt Hegel diejenigen Mo-
noch ein weiteres Mal, am 30.10.19 – aber hier mente hervor, die Solger als einen dem Klassi-
muß er Friedrich Creuzer mitteilen, er habe zwei schen zugewandten, auch von der Persönlich-
Tage zuvor Solger zu Grabe geleitet; es liege nicht keitsbildung her »klassischen« und damit Hegel
fern von dem Fichtes, und dort werde einmal verwandten Denker erscheinen lassen: seine
auch sein Grab sein. Übersetzung des Sophokles, sein Verständnis
(2) Über sein Verhältnis zu Hegels Philosophie Goethes, seine – gegenüber Friedrich Schlegels
äußert Solger sich nur einmal, am 1.1.19, Tieck »Frechheit« – tiefere Auffassung und systemati-
gegenüber. Er kritisiert hier zunächst den Fehler sche Begrenzung der Ironie (GW 16.114–118; vgl.
»der S***schen« [sc. Schleiermacherschen] W X/1.84–90, Grundlinien, § 140). Wo Hegel
»Schule«, »daß alle Wahrheit bloß dem Grade gleichwohl Mißgriffe Solgers anprangert, da er-
nach verschieden sei von der Art, die Dinge weckt er den Eindruck, als gehörten sie der Früh-
anzusehen, die der gemeine Verstand befolgt«, zeit Solgers an oder sie seien durch Tieck oder
und kommt dann auf die gegenteilige Ansicht zu andere Freunde veranlaßt, ja seiner Freundschaft
sprechen: »In einen anderen Fehler verfallen da- »abgedrungen« (GW 16.85). Die Auseinander-
gegen die strengern Philosophen, zu welchen ich setzung mit der Romantik, ihren »Verirrungen
jetzt besonders H. rechne, so hoch ich ihn auch des Geschmacks«, ihrer Mißachtung des Objekti-
wegen seiner großen Kenntnisse und seiner kla- ven, die Hegel im Interesse seines Kampfes um
ren Einsicht in die verschiedenen wissenschaftli- Solger führt, läßt seine Rezension sogar zum
chen Metamorphosen des Denkvermögens ach- Schlüsseltext für seine Kritik der Romantik wer-
ten muß. Diese nämlich erkennen zwar das hö- den – ein knappes Jahrzehnt bevor die Veröffent-
here spekulative Denken als eine ganz andere Art lichung seiner Vorlesungen über Ästhetik diese
an, als das gemeine, halten es aber in seiner Kritik allgemein bekanntgemacht hat. Varnhagen
Gesetzmäßigkeit und Allgemeinheit für das ein- von Ense berichtet, die Rezension mache »wegen
zig wirkliche, und alles Übrige, auch die Erfah- der Schärfe gegen Tieck und Friedrich von Schle-
rungserkenntniß, insofern sie sich nicht ganz auf gel hier großes Aufsehen.« (HBZ 383.) Das hier
diese Gesetze zurückführen läßt, für eine täu- ausgesprochene Urteil Hegels – nicht allein über
schende und in jeder Rücksicht nichtige Zersplit- die Genannten, sondern über die Romantik ins-
terung desselben. Beim ersten Anblick könnte es gesamt – zeichnet bereits die Linien vor, denen
nun scheinen, als müsse dies recht meine Mei- später Theodor Echtermeyers und Arnold Ruges
nung sein; Ihnen, hoffe ich, wird es nicht so Manifest Der Protestantismus und die Romantik
vorkommen. Ich leugne nämlich keineswegs, daß in den (linkshegelianischen) Hallischen Jahrbü-
das unwahre Erkennen und sein Gegenstand sei: chern folgt (PLS 4/1.192–325; s. 434, 527).
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 295

(4) Enger als die Berührungen in den Urteilen gens, dann seines Todes wegen erspart geblieben
über die neuere Literatur sind diejenigen in der ist, hat jener selber erfahren. Bemerkenswert
spekulativen Philosophie. Hier kann Hegel viele aber ist es, daß Hegel den Satz Solgers mit Still-
verwandte und der Romantik auch recht fern schweigen übergeht, der die ohnehin nur wenig
stehende Gedankengänge Solgers hervorheben – verhüllten Adressaten seiner Kritik namentlich
etwa die Auffassung der Negation der Negation preisgibt. An der Stelle eines von Hegel sehr
als Affirmation (GW 16.101). Hegel spricht aber dezent gesetzten Gedankenstrichs (GW 16.90,34)
auch die Differenzen deutlich aus: Solger sei in heißt es in Solgers Nachgelassenen Schriften: »So
einem unkritischen Gebrauch der Kategorien, in würden S-r und F-s wohl sonst einander sehr
einem inkonsistenten Umgang mit den höchsten unähnliche Philosophen sein und einander wohl
Gesichtspunkten steckengeblieben; er habe die gar bekämpfen; jetzt will das Unglück der Zeit,
innere Notwendigkeit des Fortschreitens des Be- daß sie doch gewissermaßen gemeinschaftliche
griffs nicht erkannt, und er habe die Dialektik Sache machen und sich sogar in einem Dritten,
über das Dialogische zur Konversation werden dem schwachen d. W., berühren müssen.« (NSB
lassen (GW 16.106–114,119,124–127). 1.725 f.) Niemand, der damals nicht gewußt
Weitere Berührungspunkte ergeben sich hin- hätte, daß von Schleiermacher, Fries und de
sichtlich der Stellung der Philosophie zur Reli- Wette die Rede sei! Erstaunlich ist es, daß v.
gion – etwa im Blick auf Solgers Plan, zu zeigen, Raumer den an ihn gerichteten Brief Solgers vom
»wie das Christenthum aus rein speculativen 21.4.19 in dieser überdeutlichen, von Hegel ent-
Gründen verstanden und zur Einsicht gebracht schärften Form veröffentlicht hat. Das große Ge-
werden könne« (GW 16.105; vgl. NSB 1.349), wicht, das die politischen Auseinandersetzungen
oder auf die Bemerkungen Solgers, die Hegel als für Hegels Berliner Jahre gehabt haben, läßt es
Anerkennung der Bedeutung der Trinitätslehre wahrscheinlich werden, daß Hegels völlige Über-
interpretiert (GW 16.101; vgl. NSB 1.632 f.). Aber einstimmung mit dieser Sichtweise Solgers nicht
auch hier bleiben zahlreiche, schwerlich über- sein geringster Grund war, Solger nicht einfach
brückbare Differenzen – insbesondere gegenüber von seinen Gegnern vereinnahmen zu lassen,
Solgers, an Jacobi gemahnender Ausweitung des sondern dem überraschten Publikum als eigenen
Offenbarungsbegriffs (GW 16.105,109–113; NSB Bundesgenossen vorzustellen – womit die an-
1.461) und seiner Ansicht, daß die Philosophie deren genannten Berührungspunkte keineswegs
im Glauben ihren Schlußstein finden müsse verdunkelt werden sollen.
(NSB 1.599–605). (6) Der eingebürgerte Kurztitel Solger-Rezen-
(5) Es sind aber nicht allein diese durchaus sion hat aber – anders als im Falle der Humboldt-
brüchigen Übereinstimmungen in den Urteilen Rezension – auch noch eine charakteristische Be-
über die neuere Literatur oder über das Verhält- deutung. Hegel gibt keineswegs eine bloße Be-
nis von Philosophie und Religion, die Hegel mit sprechung der Nachgelassenen Schriften, son-
Solger verbinden. Auf einem weiteren Gebiet ist dern eine Charakteristik des Solgerschen Werkes
diese Übereinstimmung allem Anschein nach und darüber hinaus auch des »ganzen Menschen«
nahtlos gewesen: in der Haltung zu den zeit- Solger. Eigentümlich ist es, daß Hegel hier einen
genössischen politischen Auseinandersetzungen. Typus von »Rezension« erneuert, wie ihn vor
Die von Hegel zitierten Passagen über »das Ge- allem der in ihr so scharf angegriffene Friedrich
wäsch der Wa r t b u r g s r e d n e r« oder über die- Schlegel in seiner Rezension von Jacobis Roman
jenigen, die den Studenten seit zehn Jahren v o r - Woldemar ausgearbeitet hat. In seinem Brief an
g e p r e d i g t haben, »sie seien die Weisen und Friedrich Heinrich Jacobi vom 23.1.97 bezeichnet
Vortrefflichen, von denen die Wiedergeburt des Wilhelm v. Humboldt diesen Typus als die Art,
Staats und der Kirche ausgehen müsse«, und »nie bei einem, ja nicht bei allen Werken eines
seine Bemerkung über die »Verunglimpfung we- Schriftstellers zusammengenommen stehenzu-
gen serviler Gesinnung« (GW 16.91) sprechen bleiben, sondern immer zugleich den ganzen
eine überaus deutliche Sprache: Es ist Hegels Menschen selbst zu rezensieren (PLS 1/1.271) –
eigene Stellung zu den betreffenden Zeitereignis- wobei es sich im Falle Solgers aber nicht um eine
sen, die Solger hier ausspricht; und die Verun- »gehässige« Rezension handelt, wie Humboldt
glimpfung, die diesem zunächst seines Schwei- dies Schlegels Woldemar-Rezension vorwirft,
296 II. Werk

sondern um eine postum werbende, auf eine nigsberg, in Weimar und Jena, in Pempelfort und
postmortale Bundesgenossenschaft abzielende in Wolfenbüttel. Was hier »in Genie, Geist und
Darstellung. Vernunft-Tiefe erblühte«, sei »von jener Mitte aus
Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik,
aufs Gehässigste angegriffen und herabgesetzt«
1828, Bd.1.403–428 (Nrr 51–54), 838–870 (Nrr worden. Doch unter diesen »Individualitäten« sei
105–110). – Text: GW 16.77–128; BSchr 174–241. – Hamann »nicht nur auch originell, sondern mehr
Rezensiert: Solger’s nachgelassene Schriften und Brief- noch ein Original, indem er in einer Concentra-
wechsel. Hg. von Ludwig Tieck und Friedrich von tion seiner tiefen Particularität beharrte, welche
Raumer. 2 Bde. Leipzig 1826, ND Heidelberg 1973. – aller Form von Allgemeinheit, sowohl der Expan-
Literatur: Otto Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik.
Bonn 1956, ND München 1999; Hermann Fricke: Sol-
sion denkender Vernunft als des Geschmacks,
ger. Ein brandenburgisch-berlinisches Gelehrtenleben sich unfähig gezeigt hat.« Er sei »nur der humori-
an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Berlin stischen, blitzenden, desultorischen Aeußerung
1972; »Aus Schellings und Hegels Disputatorium im fähig«; »das Bedürfniß der denkenden Vernunft«
Winter 1801/02. Ein Hinweis.« Von Friedhelm Nicolin. sei ihm »fremde und unverstanden geblieben«
HS 9 (1974), 43–48; »Solgers Schellingstudium in Jena (GW 16.131–133).
1801/02. Fünf unveröffentlichte Briefe. Mitgeteilt und
erläutert von Wolfhart Henckmann.« HS 13 (1978),
In seinen Vorlesungen über die Geschichte der
53–74; Henckmann: Solger und die Berliner Kunst- Philosophie behandelt Hegel Hamanns Schriften
szene. HSB 22 (1983), 199–228; Heinrich Clairmont: deshalb nicht – zumindest soweit sich gegen-
›Kritisiren heißt einen Autor besser verstehn als er sich wärtig erkennen läßt. Dieses Zugleich von Wert-
selbst verstanden hat‹. – Zu Hegels Solger-Rezension; schätzung und Distanz ist Hegel aber keineswegs
Giovanna Pinna: Kann Ironie tragisch sein? Anmer- eigentümlich; es findet sich nicht anders bei sei-
kungen zur Theorie des Tragischen in Hegels Solger-
Rezension. Beide in: Jamme (Hg.): Die »Jahrbücher für
nen Zeitgenossen, sofern diese sich überhaupt
wissenschaftliche Kritik«, 257–279 bzw. 280–300. ins Verhältnis zu Hamann stellen – insbesondere
bei Goethe –, während Jacobi und sein Kreis, zu
dem auch der Herausgeber der Werke Hamanns,
8.7.4. Hamann-Rezension
Karl Johann Friedrich Roth, zählt, diese Distanz
(1) Auch Hegels Hamann-Rezension gehört die- zumindest ein Stück weit überwinden. Doch auch
sem Typus einer Rezension »zugleich des ganzen Jacobi resumiert 1788 sein persönliches Verhält-
Menschen« an. Unter seinen Rezensionen ist nis zu Hamann: » S e i n e r K u n s t z u l e b e n
keine, die weniger Berührung mit seiner eigenen und glücklich zu seyn, bin ich nicht auf
Philosophie hätte als diese. Hier wagt Hegel sich d e n G r u n d g e k o m m e n , wie sehr ich es mir
in eine ihm fremde Gedankenwelt vor – und sie auch habe angelegen seyn lassen« (GW 16.183).
bleibt ihm fremd. Hamann ist für ihn weniger (2) Der Verbindung mit Jacobi und seinem
eine Gestalt der Geschichte der Philosophie als Kreis verdankt Hegel seine Berührung mit dem
eine eigentümliche »Particularität«, in der sich Werk Hamanns. Roth ist ihm allerdings nicht erst
eine ebenso eigentümliche Konstellation der Zeit durch Jacobi, sondern bereits aus früherer Zeit
ausspricht. Zu Beginn seiner Rezension entwirft bekannt; brieflich erwähnt Hegel ihn erstmals
er mit wenigen Strichen ein anschauliches Bild gegenüber Niethammer am 1.10.08, und zumin-
dieser Konstellation: Hamann gehöre »der Zeit dest seit Beginn seiner Nürnberger Zeit tritt er
an, in welcher der d e n k e n d e Geist in Deutsch- auch in persönliche, später in freundschaftliche
land, dem seine Unabhängigkeit zunächst in der Verbindung zu Roth, der damals Finanzrat in
Schulphilosophie aufgegangen war, sich nun- Nürnberg ist; 1810 wird er in München Ober-
mehr in der Wirklichkeit zu ergehen anfing, und finanzrat sowie seit 1817 Ministerialrat und 1828
was in dieser als fest und wahr galt, in Anspruch Präsident des protestantischen Oberkonsisto-
zu nehmen und ihr ganzes Gebiet sich zu vindi- riums. In Briefen an Niethammer nennt Hegel
ciren begann.« In Deutschland habe dieser Roth oft im unmittelbaren Zusammenhang mit
»große Impuls« sich »in zwei verschiedene Cha- Jacobi; beide bewohnen dort dasselbe Haus (an
raktere« gespalten: einerseits in das trockene Ver- Cousin, 5.8.18). Von einer wissenschaftlichen
standesdenken im »Mittelpunkt«, in der Berliner Verbindung mit Roth ist erstmals die Rede, als
Aufklärung, andererseits in einen »Kranz origi- Hegel in seiner Eigenschaft als Redakteur der
neller Individualitäten« in der Peripherie: in Kö- Heidelberger Jahrbücher am 19.4.17 Niethammer
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 297

bittet, bei Roth anzufragen, ob er Rezensionen sehr hohen Standpunkt genommen, wie z. B. in
übernehmen wolle. Am 18.12.20 dankt Roth für seinem Urteil über Homer.« Und Niethammer
die Übersendung von Hegels Grundlinien der schließt eine persönliche Bemerkung an: »Ich für
Philosophie des Rechts – wobei er jedoch ein- meine Person sehe Ihrem Urteil über Hamanns
räumt, daß er die Paragraphen gar nicht und auch Werke mit großem Verlangen entgegen. Ich finde
die Anmerkungen nicht alle verstehe – und er seinen Standpunkt von der Art, daß ich von ei-
drückt seine Hoffnung aus, Hegels Geschenk »auf nem gründlichen Urteil über ihn eine Auflösung
Ostern mit dem ersten Teile der Hamannischen des Mißstandes erwarte, in dem nach der gemei-
Schriften, welche rein philologisch sind, erwi- nen Ansicht Philosophie und Geschichte zuein-
dern zu können«; am 9.6.21 bittet Hegel Niet- ander stehen. Ich halte aber die Auflösung nicht
hammer, »Herrn Oberfinanzrat Roth […] meinen für leicht. Daß Hamann in der Vergleichung sei-
vorläufigen Dank für die vielerlei so reichhalti- ner Zeit mit der unsrigen als ein Seher über
gen Geschenke zu machen, die seine Güte mir hat seinen Zeitgenossen steht, wird schwerlich wi-
zukommen lassen.« – Der Plural könnte ein Zei- dersprochen werden können. Aber unsre Zeit –
chen dafür sein, daß Roth neben dem ersten Band wenn man dem Troß diesen Ehrennamen lassen
der Schriften Hamanns auch einen Band der von will – versteht ihn noch weniger als seine eigne.
ihm und Friedrich Köppen herausgegebenen Es ist also vollkommen an der Zeit, daß einer
Werke Jacobis an Hegel geschickt hat. Ein Jahr komme, der den Star zu stechen vermag. Ich
darauf, am 18.7.22, übersendet Hegel – ebenfalls heiße ihn von Herzen willkommen!«
durch Vermittlung Niethammers – Roth ein Ex- Entgegen Roths Vorschlag zögert Hegel weiter-
emplar der Hinrichs-Vorrede und läßt wiederum hin mit der Rezension, um die Vollendung der
»für das Geschenk der mir so interessanten Ha- Ausgabe abzuwarten. Am 9.8.27 schreibt er an
mannschen Schriften« danken – wahrscheinlich Niethammer: »Ich wollte Hamann vornehmen,
für den 1821 erschienenen zweiten Band. warte aber immer noch auf den 8ten Teil und
Nach Gründung der Jahrbücher für wissen- dessen nötige Erläuterungen.« (Dieser Band er-
schaftliche Kritik lädt Hegel über Niethammer scheint jedoch in zwei Abteilungen erst lange
am 11.9.26 auch Roth zur Mitarbeit ein und kün- nach Hegels Tod, 1842 und 1843, herausgegeben
digt eine Besprechung der Hamann-Ausgabe an: von Gustav Adolf Wiener.) Zwei Monate nach
»Ich hoffe mit Ungeduld, daß wir diese Messe diesem Brief besucht Hegel auf der Rückreise aus
den 8ten Band erhalten, der für sich schätzbar Paris Goethe; Eckermann berichtet über ihr Ge-
sein wird und auf den ich noch warten muß, um spräch: »Man sprach sehr viel über Hamann,
einen Artikel über Hamanns Sein und Treiben für wobei besonders Hegel das Wort führte und über
unsere Zeitschrift, wie ich gedenke, abzufassen«. jenen außerordentlichen Geist so gründliche An-
Niethammer berichtet Hegel am 12.10.26, Roth sichten entwickelte, wie sie nur aus dem ern-
habe »auf die Einladung nichts erwidert«. »Dage- stesten und gewissenhaftesten Studium des Ge-
gen hat er mir in Beziehung auf Ihre angekün- genstandes hervorgehen konnten.« (HBZ 351) Zu
digte Anzeige von Hamanns Werken aufgetragen, dieser Zeit hat Hegel sich offensichtlich ent-
Ihnen zu schreiben: 1) daß die Sammlung der schlossen, nur die sieben erschienenen Bände
Werke als mit dem 7ten Band abgeschlossen zu zum Gegenstand der Besprechung zu machen.
betrachten sei, indem der 8te Band eigentlich nur Neben der Rezension haben sich – offensichtlich
die Register enthalten werde und außerdem aus den Vorarbeiten – noch Notizen zu Hamann
höchstens noch einige wenige Nachträge von we- erhalten (GW 16.407 f.).
nigem Belang; 2) daß die Erscheinung dieses (3) Über die Aufnahme der Hamann-Rezension
8ten Bandes so bald nicht zu erwarten sei und daß im Kreis um Niethammer, insbesondere durch
er ihn nach Ankündigung Ihrer Anzeige des Wer- den Herausgeber Roth, finden sich keine Nach-
kes um so mehr noch aufzuschieben gedenke, um richten – was die Vermutung nahelegt, daß sie im
sich für den möglichen Fall ein Plätzchen darin in Münchener Freundeskreis erhebliche Verstim-
Beziehung auf Ihre Anzeige offen zu behalten; 3) mung ausgelöst habe. Vor ihrem Erscheinen
insbesondere aber, daß Sie von selbst den Grund, schreibt Niethammer noch im Januar 1828: »An
warum Hamann so wenig begriffen worden und den Jahrbüchern habe ich zwar nicht immer, aber
werde, darin finden würden, daß er oft einen doch genug meine Freude, um ihnen von Herzen
298 II. Werk

fröhliches Wachstum und Gedeihen zu wün- mann: »Hegel, fuhr Goethe fort, hat in den Berli-
schen.« Doch der nächste von Niethammer über- ner Jahrbüchern eine Rezension über Hamann
lieferte Brief stammt erst vom 27.5.31. Nietham- geschrieben, die ich in diesen Tagen lese und
mer dankt hier für die Zusendung von Hegels wieder lese und die ich sehr loben muß. Hegels
»Reformationsrede«, d. h. der Rede zum Jubi- Urteile als Kritiker sind immer gut gewesen.«
läum der Confessio Augustana (s. 310), und einer (HBZ 391 f.)
Anfang Dezember 1830 zu Hegels Ehren geschla- Von Hamanns Nachkommen hingegen ist die
genen Medaille (vgl. Br 3.462, HBZ 419). Daß Rezension wegen Hegels Eingehen auf die Um-
der Briefverkehr zwischen beiden in dieser Zeit stände von Hamanns Privatleben, insbesondere
jedoch nicht völlig abbricht, belegt ein neuerlich auf seine »Gewissensehe«, als Angriff auf dessen
– leider nur als Regest – bekanntgewordener, Ehre verurteilt worden, also als eine »gehässige«
ausführlicher Brief Hegels an Niethammer, der Rezension der vorhin (s. 295) bezeichneten Art.
allerdings nicht ausdrücklich auf die Hamann- Eine Tochter Hamanns, Magdalena Katharina
Rezension eingeht. Daß Hegel dort versuche, Rosenberger, schreibt an Hegel, ihr sei beim »zu-
»Niethammers Vorbehalte (sc. gegen die Jahr- fälligen Durchblättern der Jahrbücher« diese
bücher) zu zerstreuen«, kann sich auf eine Reak- »Schmähschrift« in die Augen gekommen – und
tion gegen die Hamann-Rezension, aber auch auf ihr langer Brief besteht im wesentlichen aus An-
den vorhin zitierten Brief vom Januar 1828 bezie- schuldigungen: Hegel habe Hamann zum Gegen-
hen (Döderlein 1978, 75 f.). Für eine solche Ver- stande seiner »Schmähsucht« gemacht (Br
stimmung spricht ferner, daß der von Roth beauf- 4/2.84–87) – obgleich Hegel doch nur die in der
tragte Herausgeber des achten Bandes der Ha- rezensierten Ausgabe von Roth bereits zusam-
mann-Ausgabe, Gustav Adolf Wiener, im Anhang mengestellten Nachrichten referiert. Dennoch
zur ersten Abteilung zwar Äußerungen von Goe- hat diese Kritik sehr wahrscheinlich dazu ge-
the, Claudius, Jacobi, Lavater, Lessing und Jean führt, daß die beiden ersten Absätze des »Zwei-
Paul über Hamann mitteilt, jedoch lakonisch no- ten Artikels« der Hamann-Rezension, in denen
tiert: »Einer Rezension, welche in schmerzlicher diese Seite ausführlicher zur Sprache kommt, bei
Verkennung des persönlichen wie schriftstelleri- der Neuedition in der Freundesvereinsausgabe
schen Wertes Hamanns, die bei ihm so eng zu- getilgt worden sind: Die Spalten 859–864 des
sammen gehören, und seiner ganzen Lebens- Erstdrucks fehlen dort ohne Hinweis (vgl. W
stellung geschrieben ist, wird billig hier nicht XVII.66 mit GW 16.149–151). Dies kann schwer-
weiter gedacht.« (VIIIf.) lich ein Versehen sein – wie bei dem Artikel über
Von den anderen Zeitgenossen wird Hegels Raupachs Die Bekehrten (s. 286) –, zumal mit
Hamann-Rezension zumeist günstig aufgenom- dem Wegfall des Beginns des »Zweiten Artikels«
men. Rahel Varnhagen erwähnt »seine vortreff- auch die Überschrift »Erster Artikel« zu Anfang
liche merkwürdige Rezension«, und auch Varnha- der Rezension getilgt worden ist.
gen selbst bezieht sich in der Zueignung eines (4) Diese Kritik aus der Perspektive kindlicher
Buches an Hegel auf die »vortrefflichen, so schar- Pietät und Betroffenheit wird Hegels Hamann-
fen zugleich als milden Charakteristiken von Sol- Rezension nicht gerecht. Denn das bunte Bild von
ger und Hamann, in welchen Sie die heutige Hamanns Persönlichkeit – dem frühen Aufenthalt
Bedeutung und das Recht andrer Zeiten und in England, den Verwicklungen in Riga, den
Verhältnisse gleichmäßig berücksichtigt haben«, Spannungen in seinen beiden Hauslehrerstellen
und er nennt sie »das schönste Vorbild derjenigen und im Dienst als Packhofverwalter, den Miß-
maßvollen und gehaltreichen Kritik […], in de- verständnissen mit den Freunden in Königsberg,
ren Kreis ich dieses Buch am liebsten niederlegen auch mit Kant, und schließlich dem Aufenthalt in
möchte.« (Varnhagen 1830, IV; vgl. Br 3.455) Münster und Pempelfort – dieses Bild ist der von
Auch später noch, am 27.4.38, notiert er in sei- Hegel rezensierten Ausgabe und zusätzlich dem
nem Tagebuch, er habe diese Rezension wieder- Briefwechsel Hamanns und Jacobis wie auch dem
gelesen »mit großem Genuß und wahrer Be- Auserlesenen Briefwechsel Jacobis entnommen.
friedigung. Hegel hat ihn gut gefaßt, jenen seltsa- Er rekonstruiert es jedoch zum Teil akribisch aus
men, bewunderungswürdigen Kauz!« (Gründer einer Fülle einzelner Briefstellen und Nachrich-
1961, 91). Über Goethes Urteil notiert Ecker- ten – denn er sieht, daß der »schriftstellerische
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 299

Charakter« Hamanns »ganz nur der Ausdruck der herumtrage« – ohne daß dies »das innige Ver-
bisher geschilderten persönlichen Eigenthüm- trauen« Jacobis zu Hamann geschwächt hätte.
lichkeit ist« (GW 16.161) Zu diesem Bild gehört Dennoch hört Hegel sehr genau die Untertöne in
wesentlich die seinen literarischen Stil prägende den Briefen, die über Hamanns Besuch in Mün-
spezifische Ausformung von Hamanns Frömmig- ster und Pempelfort berichten, über sein Leben
keit: In ihr verbinde sich »abstracte Innerlichkeit« mit den Freunden, »die wie die Hälften zu mei-
mit dem Festhalten an den objektiven Lehren von nen I d e a l e n d e r S e e l e passen.« Diese Briefe
Dreieinigkeit und Versöhnung (GW 16.154,158) zeigen eine eigentümliche Diskrepanz zwischen
– jedoch nicht in der Weise der »verholzten or- der Empfindung, die Hamann gleichsam als Prä-
thodoxen Theologie« (GW 16.132). In seiner »ur- senz eines Eschaton formuliert, als »Vorschmack
sprünglichen Widerborstigkeit« und »feindseli- des Himmels auf Erden«, und der Rastlosigkeit
gen Empfindung« gegen sein Publikum wie auch des »Besessenen«, »den ein böser Geist wechsels-
in seinen »eben so großartigen als höchst ba- weise bald ins Feuer bald ins Wasser warf«. Ja-
rocken Expectorationen« (GW 16.171,169) lassen cobi faßt deshalb seinen Eindruck so zusammen:
sich Werk und Person nicht von einander schei- »ein wahres pãn ist dieser Mann an Gereimtheit
den. Deshalb sei Hamann, ähnlich wie Jacobi, und Ungereimtheit, an Licht und Finsterniß, an
auch nicht fähig gewesen, ein wirkliches Buch zu Spiritualismus und Materialismus« – woraus
schreiben – und Hegel beruft sich auf den Her- auch Hamanns Interesse für Giordano Brunos
ausgeber Roth: Hamanns Schriften seien »wahre »principium coincidentiae« verständlich wird,
Gelegenheitsschriften, voll Persönlichkeit und das Hegel – im Unterschied zu Jacobi – mit
Oertlichkeit, voll Beziehung auf gleichzeitige Er- Hamann teilt, während er etwa, anders als Ja-
scheinungen und Erfahrungen, zugleich aber An- cobi, Hamanns Frömmigkeit distanziert gegen-
spielungen auf die Bücherwelt, in der er lebte.« übersteht (GW 16.170). So resümiert Hegel
(GW 16.161) schließlich – allerdings nicht wirklich zutreffend
Hamanns wichtigste Beiträge zur Philosophie – Jacobi sei durch Hamanns »Gegenwart an ihm
sieht Hegel in Golgatha und Scheblimini, einer nicht irre geworden, aber irre geblieben« – und in
Kritik an Mendelssohns Jerusalem (1783), und diesem Zwiespalt scheint auch Hegels eigenes
insbesondere in seiner »sehr merkwürdigen« – Verhältnis zu Hamann vorgebildet (GW 16.182–
»merkwürdig« im alten, affirmativen Sinne! – 184).
»Metakritik über den Purismum der reinen Ver-
Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik,
nunft«. Mit seiner Kritik des » t r a n s c e n d e n - 1828. Bd. 2.620–640 (Nrr 77–80), 859–900 (Nrr
t a l e n A b e r g l a u b e n s an e n t i a r a t i o n i s« 107–114). – Text: GW 16.129–187; BSchr 242–317. –
stelle Hamann sich »in die Mitte des Problems Rezensiert: Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften.
der Vernunft«, das er »aber in der Gestalt der 2 Bde. Berlin 1821–1825. – Quellen: Moses Mendels-
S p r a c h e« fasse. Und wie Hegel ohnehin keine sohn: Jerusalem, oder über religiöse Macht und Juden-
thum. Berlin 1783; [Johann Georg Hamann:] Golgatha
Gelegenheit verstreichen läßt, Herder herabzu-
und Scheblimini! Von einem Prediger in der Wüsten.
setzen, so moniert er auch hier, daß Herder aus [Riga] 1784, 38 (Hamann: Sämtliche Werke. Hg. von
dieser Quelle »seine, mit großem Dünkel aufge- Nadler. Bd. 3); Jacobi: Werke. Bd IV/3: J. G. Hamanns
tretene und mit gerechter Herabwürdigung auf- Briefwechsel mit F. H. Jacobi. Leipzig 1819; Friedrich
genommene, nun längst vergessene Metakritik Heinrich Jacobi’s auserlesener Briefwechsel. 2 Bde.
geschöpft habe«, während seine Korrespondenz Leipzig 1825–1827, ND Bern 1970. – Literatur: Karl
August Varnhagen von Ense (Hg.): Denkwürdigkeiten
mit Hamann in einen »geschraubten Ton« und »in
des Philosophen und Arztes Johann Benjamin Erhard.
die Langeweile der Klagseligkeit herabverfallen« Stuttgart und Tübingen 1830; Käthe Nadler: Hamann
sei (GW 16.167 f.,177). Im Blick auf Hamanns und Hegel. Zum Verhältnis von Dialektik und Existen-
Verhältnis zu Jacobi sieht Hegel sehr scharf, wie tialität. In: Logos. Internationale Zeitschrift für Philo-
Jacobi sich an Hamann anzuschließen sucht, etwa sophie der Kultur 20 (1931), 259–285; Karlfried Grün-
mit seinem Begriff des Glaubens, wie Hamann der: Nachspiel zu Hegels Hamann-Rezension. HS 1
(1961), 89–101; Johann Ludwig Döderlein (Hg.): Re-
jedoch über Jacobi mit »Alles mißbilligenden Ex-
gest eines Briefes von Hegel an Niethammer. HS 13
plosionen« herfällt, da er »den Spinoza, ›den (1978), 75 f. vgl. Br 4/2.72; Stephen N. Dunning: The
armen Schelm von cartesianisch-kaballistischem Tongues of Men. Hegel and Hamann on Religious
Somnambulisten, wie einen Stein im Magen‹ Language and History. Missoula, Montana 1979.
300 II. Werk

8.7.5. Göschel-Rezension Monaten hier […] erschienene Schrift« und führt


dazu aus: »Der Verfasser beschäftigt sich darin
(1) Anders als die vorangegangenen Rezensionen vornehmlich mit meinen Darstellungen der
zeigt die Göschel-Rezension Hegel in der Ver- christlichen Ideen und einer nach allen Seiten
teidigung. Gemeinsam mit den wenig später fol- sich wendenden Rechtfertigung derselben und
genden Repliken bildet sie die Gruppe der primär zeigt eine ausgezeichnete Vereinigung tiefer,
apologetischen Rezensionen. Daß auch sie be- christlicher Frömmigkeit und des gründlichsten
reits der Verteidigung dient, bleibt allerdings spekulativen Denkens.« Ravenstein wendet sich
eher implizit. Geschrieben ist sie in einer Situa- daraufhin an Göschel und zitiert dann in seinem
tion, in der sich die Anklagen häufen, Hegels Antwortschreiben an Hegel vom 21.9.29 aus ei-
Philosophie sei Pantheismus (s. 54). Soweit sich nem Schreiben Göschels, das bereits Hegels Re-
ersehen läßt, hat als erster der Berliner prote- zension berücksichtigt: »Auch kann ich nicht ver-
stantische Theologe – und somit Kollege – Fried- bergen, daß die Urteile des Herrn Professor He-
rich August Gotttreu Tholuck (1823) anonym He- gel über meine Aphorismen in den Berliner Jahr-
gel des Pantheismus bezichtigt (s. 505). Derartige büchern mich nicht allein belehrt, sondern nach
– allerdings politisch erfolglose – Angriffe gab es dem ganzen Menschen bewegt haben; es spricht
auch sonst innerhalb wie außerhalb der Berliner sich darin neben der bestimmtesten Schärfe eine
Universität durch v. Keyserlingk und Gottlob Milde aus, die mir sehr wohlgetan hat. Ich sehe
Benjamin Jäsche (Lenz 1910, 294; Jäsche 1828). diese freundliche Anerkennung meiner unter vie-
Es ist keineswegs befremdlich, daß Hegel in len Dienstgeschäften niedergeschriebenen Blät-
dieser Lage eine Schrift als wohltuend empfin- ter als eine Vergeltung für die große Verehrung
det, die nicht allein ausdrücklich für seine Philo- und Liebe an, womit ich meinen Lehrer in der
sophie Partei ergreift, sondern ein »Autoritäts- Philosophie, ohne ihn zu kennen, seit 10 Jahren
zeugniß eines frommen Herzens« für sie ablegt auf dem Herzen getragen und so oft in münd-
(GW 16.215). Deshalb verweist er sowohl in lichen Gesprächen gegen einzelne Mißverständ-
seiner Enzyklopädie (§ 564) als auch in seinen nisse möglichst in Schutz genommen habe. Den-
Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes noch habe ich bis jetzt keine Beziehung zu diesem
(GW 18.252) auf diese Schrift. Marie Hegel be- sehr verehrten Meister erhalten können; indes-
richtet damals an Hegels Schwester Christiane: sen fühle ich mich jetzt in mehr als einer Hinsicht
»Es ist in der letzten Zeit viel über seine Philo- verpflichtet, mich mit schriftlichem Danke an ihn
sophie geschrieben worden, viel Hartes, viel Gif- zu wenden. Sollten Sie dem Herrn Professor
tiges; je weiter sich seine Philosophie ausbreitet, Hegel früher als ich schreiben, so bitte ich Sie
je mehr Anhang sie findet, je mehr regt sich der sehr, ihm im voraus meine größte Verehrung und
Neid und Verdruß derer, deren Reich dadurch Dankbarkeit nicht bloß für seine Freundlichkeit
einen Stoß bekommt oder ein Ende gemacht gegen mich, sondern auch für alles, was ich seit
wird. […] Eine Schrift, die m i r auf so viele harte 10 Jahren von ihm gelernt, in meinem Namen
Anklagen wohlgetan hat und die mit Wärme auszudrücken.« Bereits zuvor aber scheint Hegel
Hegels Philosophie verficht, ist von einem ihm auf seiner Reise nach Böhmen einen Besuch bei
u n b e k a n n t e n Gelehrten in Naumburg.« (HBZ Göschel beabsichtigt, ihn aber verfehlt zu haben,
396 f.) Dabei war ihr Verfasser – Carl Friedrich wie man dessen erstem und sehr ausführlichen
Göschel (1781–1861) – nicht einmal ein »Ge- Schreiben an Hegel vom 14.10.29 entnehmen
lehrter« von Profession, sondern Oberlandesge- kann. Hiermit beginnt der Briefwechsel zwischen
richtsrat in Naumburg und damit Kollege des beiden; Hegel antwortet zwar erst – mit »unge-
einflußreichen Konservativen Ernst Ludwig von höriger Verspätung« – am 13.12.30, aber ebenso
Gerlach, des nachmaligen Initiators des »Halli- ausführlich, wofür Göschel sich am Sylvestertag
schen Streits« (s. 54). dieses Jahres bedankt; sein letzter Brief an He-
Trotz dieser erfreuten Aufnahme der Apho- gel, vom 24.2.31, enthält die Glückwünsche zur
rismen Göschels dauert es noch mehrere Monate, Verleihung des Roten Adlerordens an Hegel.
bis Hegel eine persönliche Beziehung zu ihm (2) Göschels Schrift ist durch Hegels Rezension
anknüpft. Am 10.5.29 verweist er seinen ehe- zwar einem größeren Leserkreise bekanntge-
maligen Schüler Ravenstein »auf eine vor etlichen macht, doch zugleich eher verdeckt als vorgestellt
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 301

worden. Zudem wird ihre Lektüre von der späte- tung der Unerkennbarkeit und Unbegreiflichkeit
ren Rolle überschattet, die Göschel im Umkreis Gottes flüchtet. Und Hegel hebt Göschels Nach-
der Restauration gespielt hat; Gleiches gilt für weis hervor, daß »diejenigen, welche auf diese
seine von der Forschung zur Rechtsphilosophie Weise ihr Nichtwissen deduciren, in gleichen
des Hegelianismus bislang beharrlich ignorierten Nihilismus verfallen« wie diejenigen, gegen die
Zerstreuten Blätter. Übersehen wird deshalb sich ihre Kritik richtet – einen Nachweis, den
auch, daß Hegels erfreuter, dankbarer Hände- Göschel just an der Schrift führt, die erstmals den
druck keineswegs uneingeschränktes Einver- Pantheismus-Vorwurf gegen Hegel erhebt, und
ständnis signalisiert; er ist eher eine »diplomati- auch an Jacobi selbst (GW 16.194).
sche«, eine politische Antwort. In ähnlicher Weise bespricht Hegel auch den
(3) Hegel sieht »das Ausgezeichnete und Sel- zweiten, dem »absoluten Wissen« gewidmeten
tene« der Aphorismen darin, daß ihr Verfasser »in Hauptteil der Aphorismen, in dem Göschel auf
frommem Sinne, durchdrungen ebenso von der den Satz der Phänomenologie zurückgeht, »daß
Wahrheit der alten d. i. eigentlichen christlichen die absolute Substanz ebensosehr Subject, und
Glaubenslehre als von dem Bedürfnisse der den- das absolute Subject ebensosehr Substanz sei«.
kenden Vernunft und zwar in durchgeübter Bil- Göschel weist hier des weiteren den Vorwurf der
dung derselben sich beweist. Hiemit befindet » S e l b s t v e r g ö t t e r u n g des Wissens« zurück,
sich hier das Interesse dem Inhalt und der Form indem er »zeigt, daß darin, daß der Mensch Gott
nach unmittelbar in dem Mittelpunkte der specu- erkenne, nicht nur dieß liegt, daß Gott im Men-
lativen Philosophie.« Seine Schrift befasse sich schen ist, sondern auch dieß, daß der Mensch in
»mit der Auflösung des subjectiven Räthsels, wie Gott ist, aber n u r dieß, daß d e r M e n s c h i n
jene ursprüngliche Einheit des Christenthums G o t t i s t , nicht daß der Mensch Gott ist« (GW
und der speculativen Vernunft, und die selbst- 16.199–201). In Göschels drittem Abschnitt
bewußte Einigung derselben, sich für die Vor- schließlich werde »der moderne Gegensatz von
stellung als unfaßlich zeigen möge.« Denn in Wissen und Glauben nach allen Seiten und Wen-
dieser Unfaßlichkeit liege der Anlaß, daß sich dungen vorgenommen, und die Nichtigkeit der
bibelgläubige Christen mit ihren rationalisti- vermeintlichen Unverträglichkeit beider, und ih-
schen Gegnern gegen die spekulative Philosophie rer Trennbarkeit selbst aufgezeigt.« Hegel refe-
verbünden – wodurch jedoch der Charakter bei- riert hier Göschels immanente Kritik des Ratio-
der depraviert werde. (GW 16.188–191) nalismus, der zugleich » n u r exegetisch, n u r
Das zeitgenössische Phänomen der Proklamie- biblisch seyn« will und damit den Selbstbetrug
rung des »Nichtwissens« analysiert Göschel im begeht, sich zu verbergen, »daß es der eigne Geist
ersten Teil an Hand Jacobis – und es ist wenig ist, der exegisirt«. Und er schließt sich Göschels
bekannt, daß seine Schrift in den 1820er Jahren Lösung an, die ja ohnehin seine eigene Lösung
wohl die intensivste Auseinandersetzung sowohl ist: Der Unterschied zwischen Wissen und Glau-
mit Jacobis im engeren Sinne philosophischen ben »kann nicht abgeläugnet werden, aber die
Schriften als auch mit seinen Romanen bildet. Identität schließt den Unterschied nicht aus, so
Göschel stellt sich hier zunächst auf Jacobis daß zwar in jeder Weise die andere sich findet
Standpunkt, daß der Glaube von der »Wissen- und unterscheidet, aber auch zugleich als unzer-
schaft« zerstört werde – oder mit Jacobis Schrift trennlich verbunden weiß.« (GW 16.210–215)
Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenba- (4) In Göschels Aphorismen begrüßt Hegel in-
rung: daß es das Interesse der Wissenschaft sei, sofern die »Morgenröthe« des Friedens zwischen
daß kein Gott sei (JWA 3.96). Und er analysiert – Glauben und Wissen, als er diejenigen Züge her-
durchaus mit den Mitteln Hegels – den Wider- aushebt, die seiner Verteidigung gegen den Vor-
spruch, den das emphatische Nichtwissen Gottes wurf des Pantheismus, der Umwendung der An-
dadurch begeht, daß es zunächst in Verstandes- klage gegen ihre Verfechter und der Untermaue-
identitäten verharrt (»Gott ist Gott«), ihm aber rung seines eigenen Anspruchs dienen: daß die
doch all das zuschreiben will, was es ihm zu- Philosophie mit der Religion einen und den-
nächst abgesprochen hat – insbesondere die Per- selben Inhalt habe – nämlich das Absolute – und
sönlichkeit – und sich schließlich aus dem Be- daß dieser dem begreifenden Denken und nicht
wußtsein um diesen Widerspruch in die Behaup- allein dem Glauben oder gar dem Gefühl zugäng-
302 II. Werk

lich sei. Hingegen übergeht er diejenigen Aus- rungen in seinem Vorwort zur Übersetzung eines
sagen mit Stillschweigen, die Göschels Tendenz der einflußreichen Bücher der französischen Re-
verraten, über diesen Philosophiebegriff hinaus- staurationsideologie: von Joseph de Maistres
zugehen. Besonders deutlich wird dies in Gö- Abendstunden zu St. Petersburg. Andererseits
schels »Nachwort« über Hegels Auffassung des ruft Hegel – nach Rosenkranz’ späterem Bericht –
Sündenfalls (Göschel 1829, 190–195) sowie in großes Erstaunen hervor, als er sich die von Gö-
der Behauptung des Vorworts, den Jammer der schel »mit seinem advokatisch gewandten Apolo-
Negativität und die alles zersetzende und zermal- getentalent« »nachgewiesene Christlichkeit sei-
mende Dialektik bestehe nur »der s p e c u l a t i v e ner Philosophie allen Ernstes sehr zur Ehre rech-
Geist, welcher dem Subjecte gegeben wird, wenn nete und mit dem vollen B e w u ß t s e i n ü b e r
es im Gebete und im Glauben anhält, und in allen d e n b ö s e n S c h e i n , den er der Menge dadurch
seinen Nöthen bey der Schrift, als dem Worte gab, dem Verfasser für seine Rechtfertigung vor
Gottes, Zuflucht sucht.« (ebd. VII) Gleiches gilt dem ganzen Publikum freundlich die Hand
für die drei Mottos auf den Seiten II (1. Kor. drückte.« (R 400, vgl. GW 16.215)
1,20–23), IX (1. Kor. 3,18 f.) und X (Kol. 2,8 f.), (6) Der sehr distanzierte Ton dieser Einschät-
von denen die beiden erstgenannten die Weisheit zung aus dem Jahre 1844 dürfte jedoch erst durch
dieser Welt als Torheit bei Gott identifizieren, den Streit um Hegels Religionsphilosophie und
während das letztgenannte vor der Beraubung die Auseinandersetzungen innerhalb der Schule
durch die Philosophie und der Abkehr von Chri- in den Jahren um 1840 sowie durch Göschels
sto warnt. Wechsel der Fronten eingestimmt worden sein.
Mit ebenso beredtem Stillschweigen übergeht Dessen stetes Gefühl der Verbundenheit mit dem
Hegel die von Ravenstein und Göschel brieflich Pietismus läßt ihn nach Hegels Tod versuchen,
gebrauchten prononciert-frommen, dem Pietis- solchen schon zuvor beschworenen »lebendigen
mus zumindest nahestehenden Wendungen. Ra- Glauben« auf recht unvermittelte und unproble-
venstein etwa schreibt (21.9.29), ihm sei klar matische Weise mit der Philosophie Hegels zu
geworden, »daß Christus nur in einem gänzlich verknüpfen und die im Interesse der Frömmig-
zerbrochenen Herzen wohnen kann«, und Gö- keit an Hegels Philosophie gerichteten Forderun-
schel bekennt, es mache ihm zu schaffen, daß der gen als von dieser immer schon erfüllt auszuge-
Widerspruch gegen seine Schrift von seiten des ben – wobei er zur Legitimation seiner Sicht-
lebendigen Glaubens der Pietisten sich am weise stets auf Hegels »dankbaren Händedruck«
schärfsten vernehmen lasse, mit denen er sich »in pochen kann. Prekär wird dies insbesondere nach
Christo verbunden fühle« (14.10.29). Ohne Ver- dem Streit um David Friedrich Strauß’ Das Le-
gleich mit Göschels Aphorismen und diesen Brie- ben Jesu, kritisch bearbeitet (1835/36), in dessen
fen aber erweckt Hegels Rezension allerdings Folge sich Göschel vollends von Hegels Philo-
den Eindruck einer nahtlosen Übereinstimmung sophie abwendet und dem damaligen Bündnis
mit Göschel. von Pietismus und Reaktion anschließt – was
(5) Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß durch seine Ernennung zum Mitglied des Preußi-
Hegel für diese Rezension Beifall auch aus Krei- schen Staatsrates und zum Konsistorialpräsiden-
sen erhalten hat, zu denen er sonst auf Distanz ten in Magdeburg berufliche Früchte für ihn trägt
geblieben oder gegangen ist – etwa von Imma- (s. 520).
nuel Hermann Fichte am 12.10.29. – Fichte sieht
Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik
seine eigene Philosophie in Übereinstimmung
1829. Bd.1.789–816,833–835 (Nrr 99–102,105–106). –
mit Göschel, vertritt aber gegen Hegel das Pro- Text: GW 16.188–215; BSchr 318–353. – Rezensiert:
gramm einer »christlichen Philosophie«, deren Carl Friedrich G …..l: Aphorismen über Nichtwissen
Aufgabe im Erweis der Persönlichkeit Gottes und und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen
der individuellen Unsterblichkeit der Seele be- Glaubenserkenntniß. Ein Beytrag zum Verständnisse
steht (s. 511 f.). Karl Joseph Hieronymus Win- der Philosophie unserer Zeit. Berlin 1829. – Quelle:
Joseph de Maistre: Abendstunden zu St. Petersburg
dischmann, der Schwiegervater Karl Ernst Jar-
oder Gespräche über das Walten der göttlichen Vorse-
ckes, eines nachmals wichtigen Repräsentanten hung in zeitlichen Dingen. Mit Beilagen von C. J. H.
der preußischen Restaurationspartei, verweist Windischmann. 2 Bde. Frankfurt am Main 1825. –
Hegel am 27.10.29 auf übereinstimmende Äuße- Literatur: Gottlob Benjamin Jäsche: Der Pantheismus
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 303

nach seinen verschiedenen Hauptformen. Bd. 2. Berlin gen einer Anstellung Schubarths in preußischen
1828, XXII, XXVII, XLIV; Göschel: Zerstreute Blätter Diensten an Hegel; dieser ersucht am 18.6.27
aus den Hand- und Hilfsakten eines Juristen. 3 Bde.
Altenstein um eine Audienz »zur Vorlegung einer
Erfurt, Schleusingen 1832–1842; Lenz: Geschichte der
Universität Berlin (1910), Bd. 2/1.294; Jaeschke: »Ur- gehorsamsten Bitte« – wahrscheinlich Schubarth
menschheit und Monarchie. Eine politische Christo- betreffend. Am 29.6.27 antwortet Hegel Goethe
logie der Hegelschen Rechten.« HS 14 (1979), 73–107; und gibt Rat, was zur Erhöhung der Erfolgsaus-
Arndt Haubold: Karl Friedrich Göschel (1784–1861). sichten auf eine Anstellung Schubarths in Preu-
Ein sächsisch-preußisches Lebensbild des Literaten, ßen zu berücksichtigen sei: Eine nur »persönliche
Juristen, Philosophen, Theologen zwischen Goethezeit
Verwendung« reiche nicht aus, denn der König
und Bismarckära. Bielefeld 1989; Peter Jonkers: Un-
mittelbares Wissen und absolutes Wissen. Göschels dränge darauf, »daß sich die Befähigung des
Aphorismen über Jacobis Nichtwissen. In: Walter Empfohlenen auf reglementsmäßigem Wege
Jaeschke / Birgit Sandkaulen (Hg.): Ein Wendepunkt konstatiere«. Goethe gibt daraufhin am 9.7.27
der geistigen Bildung der Zeit. Friedrich Heinrich Ja- Schubarth sehr detaillierte Hinweise – die man
cobi und die Klassische Deutsche Philosophie. Ham- fast die Vorformulierung eines Briefes nennen
burg 2004, 359–375.
könnte –, wie er sein Gesuch an den Minister
Altenstein abzufassen habe (WA IV,42.250–253).
Am 17.8.27 dankt Goethe Hegel für den Anteil,
8.7.6. Repliken
den er an Schubarths Schicksal nehme, und hier
(1) Vermutlich schon während der Arbeit an der nennt er Schubarth einen »vorzüglichen, obgleich
Göschel-Rezension beginnt Hegel eine weitere, durch gewisse Eigenheiten verkürzten Mann«.
groß angelegte Antwort auf fünf gegen seine Phi- Etwa um diese Zeit arbeitet Schubarth aber wohl
losophie – und insbesondere gegen das Verhältnis schon an seinem Pamphlet gegen Hegel, denn
seiner Philosophie zur christlichen Religion (und bereits am 16.1.29 übersendet er sein Buch an
somit zum Staat) – gerichtete, überwiegend an- Goethe – in der Hoffnung auf dessen Zustim-
onyme Schriften. Als Verfasser der ersten Schrift mung (vgl. Hoffmeisters ausführliche Darstel-
nennt Erdmann (1896, § 332,1, Bd. 2.642) einen lung dieser Vorgänge in Br 3.407–410). Goethe
»Hülsemann«, von dem jedoch nicht viel mehr scheint es umgehend gelesen zu haben, denn
bekannt ist, als daß er noch ein weiteres Mal bereits am 27.1.29 trägt er in sein Tagebuch ein:
gegen Hegel geschrieben und dabei sein Incog- »Mittags Dr. Eckermann. Bei Gelegenheit von
nito geringfügig gelüftet hat. Die Vorrede zu die- Schubarths Anti-Hegel über diese wichtige An-
ser späteren Schrift Ueber die Wissenschaft der gelegenheit das Entscheidende durchgespro-
Idee (1831) bildet insgesamt eine Duplik auf He- chen.« (HBZ 391; vgl. 397 sowie Daub an Hegel,
gels Rezension; hier bezeichnet sich der Verfasser 15.4.29)
als einen 32 Jahre alten Protestanten, der nie mit Eigentümlicher Weise ist Goethes Urteil über
einem Hegelianer oder gar mit Hegel in Be- Schubarth durch dessen »Anti-Hegel« nicht we-
rührung gekommen sei und dessen Philosophie sentlich getrübt worden. Eckermann berichtet
nur durch Lektüre kennengelernt habe; etwas über ein Gespräch mit Goethe vom 4.2.29: »Ich
später heißt es, er sei »ehemaliger preußischer, habe im S c h u b a r t h zu lesen fortgefahren, sagte
jetzt als invalid verabschiedeter Offizier«. Goethe; er ist freilich ein bedeutender Mensch,
(2) Hingegen hat Hegel mit dem einen der und er sagt sogar manches sehr Vorzügliche,
beiden Verfasser der zweiten Schrift, Karl Ernst wenn man es sich in seine eigene Sprache über-
Schubarth, zuvor sogar in enger und freundlicher, setzt. Die Hauptrichtung seines Buches geht dar-
durch Goethes Fürsprache vermittelter Verbin- auf hinaus, daß es einen Standpunkt außerhalb
dung gestanden. Goethes Sympathie für Schu- der Philosophie gebe, nämlich den des gesunden
barth beruht auf dessen Interesse für Goethes Menschenverstandes; und daß Kunst und Wis-
Farbenlehre (Br 2.485); im Winter 1821/22 ge- senschaft, unabhängig von der Philosophie, mit-
hört Schubarth dem Kreis um Hegel, Schultz und tels freier Wirkung natürlicher menschlicher
v. Henning an, der in Berlin Versuche zur Farben- Kräfte, immer am besten gediehen sei. Dies ist
lehre durchführt und aus dem auch Hegels Ab- durchaus Wasser auf unsere Mühle. Von der Phi-
handlungen zur Optik hervorgegangen sind (s. losophie habe ich mich selbst immer frei er-
285). Später, am 9.5.27, wendet Goethe sich we- halten; der Standpunkt des gesunden Menschen-
304 II. Werk

verstandes war auch der meinige, und Schubarth Wirksamkeit des Satzes, den Jacobi als Motto
bestätiget also, was ich mein ganzes Leben selber seinem Allwill (1792) voranstellt: »La verité en la
gesagt und getan habe. / Das einzige, was ich an repoussant, on l’embrasse« (GW 16.248). Die
ihm nicht durchaus loben kann, ist, daß er ge- zweite, 1831 erschienene Anklageschrift des An-
wisse Dinge besser weiß als er sie sagt, und daß onymus – diesmal nicht mehr auf Pantheismus,
er also nicht immer ganz ehrlich zu Werke geht. sondern auf Atheismus – hätte ihn jedoch an der
So wie Hegel zieht auch er die christliche Reli- Wahrheit dieses Mottos verzweifeln lassen, wenn
gion in die Philosophie herein, die doch nichts er sie noch gelesen hätte.
darin zu tun hat. Die christliche Religion ist ein (4) Auf die zweite Schrift – von Schubarth und
mächtiges Wesen für sich, woran die gesunkene Carganico (über den nichts weiter bekannt ist) –
und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich geht Hegel im dritten Artikel ein. Sie beginnt
immer wieder emporgearbeitet hat; und indem weit prätentiöser als die erste – zumal die Ver-
man ihr diese Wirkung zugesteht, ist sie über fasser »in ihren Gesichtskreis d a s G e b i e t d e r
aller Philosophie erhaben und bedarf von ihr g a n z e n P h i l o s o p h i e aufnehmen, ja! densel-
keiner Stütze. So auch bedarf der Philosoph nicht ben über das Gebiet der Philosophie hinaus er-
das Ansehen der Religion, um gewisse Lehren zu weitern« wollen. Dabei schmückt sie sich, so oft
beweisen, wie z. B. die einer ewigen Fortdauer.« es nur geht, mit Goethe-Zitaten – was den beab-
(3) In seinen Repliken geht Hegel – neben den sichtigten Effekt in Weimar nicht verfehlt, Hegel
allgemeinen Klagen über das Unverständnis sei- jedoch nicht sonderlich beeindruckt; er wertet sie
ner Gegner – sehr, ja allzu detailliert auf die lediglich als eine »schülerhafte« (GW 16.262)
gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein. Von der er- Verballhornung Goethescher Einsichten. Den
sten Schrift sagt er zwar: »Es ist unmöglich ihr in zweiten Teil dieser Schrift – der sich selbst als
die Einzelheiten nachzugehen; beinahe jede Abriß der Enzyklopädie (1827) versteht – über-
Zeile enthielte eine Aufforderung zu einer Cor- geht Hegel fast vollständig, und auch den dritten,
rectur; es ist nichts anders thunlich, als zu versu- eine »Kritik des Hegel’schen Systems«, fertigt er
chen ihre Manier in eine Charakterisirung zu- vergleichsweise kurz ab – wobei er Schubarth
sammen zu fassen, und dann Details als Beleg mehrfach eklatante Ungereimtheiten seiner frü-
hinzuzufügen«. Doch eine solche Charakteristik, heren Ideen über Homer und sein Zeitalter (1821)
wie sie Hegel bei Solger und Hamann gelingt, entgegenhält (GW 16.251–272).
läßt sich nicht von den Pamphleten geben, deren Doch weist er die beiden Angriffe zurück, die
Angriffe er hier abwehren will. Sie ergehen sich damals die bürgerliche Existenz bedrohen konn-
in »verworrenen Versuchen von Deductionen« ten: Schubarths, mit »behaglicher Gehässigkeit«
und »pomphaften Declamationen voll vortreff- wiederholten Hinweis auf die Diskrepanz zwi-
licher Gesinnungen und hoher Anforderungen; schen Hegels Neigung zum Constitutionalismus
von den Anstrengungen wird behaglich in ge- und seiner Stellung als Beamter in einem Staate,
müthlichen, salbungsvollern Ergießungen ausge- »welcher n i c h t im e i g e n t l i c h e n und e n t -
ruht.« (GW 16.218) Zu Beginn des »Zweiten w i c k e l t e r n Sinn c o n s t i t u t i o n e l l genannt
Artikels« »sehnt und bestrebt« Hegel sich zwar, werden kann«, und seinen Angriff auf Hegels
»aus diesem unergründlichen Pfuhle einen Aus- »Lehre von der Unsterblichkeit«. Und dies mit
gang zu gewinnen« – doch gelingt ihm dies den gutem Grund: »Diese Lehre ist außer den politi-
ganzen Artikel über nicht. Er diagnostiziert wie- schen Insinuationen diejenige, die am häufigsten
derum »eine kunterbunte Vermischung abstracter gebraucht zu werden pflegte, auf eine Philoso-
Formeln, trivialer psychologischer Popularitäten, phie Gehässigkeit zu werfen.« Allerdings sind die
unterbrochen durch salbungsreiche Tiraden vor- Verdächtigungen gegen eine heterodoxe Auffas-
trefflicher Gesinnungen« – hier insbesondere be- sung von Unsterblichkeit selten so plump vorge-
zogen auf Hegels Logik –, aber er läßt sich wie- tragen wie hier, wo sie in Schubarths Frage gip-
derum darauf ein, sie im Detail zu widerlegen. feln, ob Hegel meine, » b e i l e b e n d i g e m
Gelegentlich kann er zeigen, daß der anonyme L e i b e g e n H i m m e l g e f a h r e n z u s e y n«
Gegner bei der Ausarbeitung seiner Polemik ge- (GW 16.272–274). – Nach Hegels und Goethes
gen die spekulative Philosophie von dieser »ange- Tod, unter den verschärften Bedingungen der
steckt« sei – und er wertet dies als Beleg für die Restauration, hat Schubarth seine politischen In-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 305

sinuationen in gesteigerter Form wiederholt und Geschäften überhäuft; ein schönes Vorhaben von
durch die Behauptung der »Unvereinbarkeit der ihm, die Seherin von Prevorst, welches Buch hier
Hegel’schen Staatslehre mit dem obersten Le- wie in München und andern Orten den Gläu-
bens- und Entwickelungsprinzip des Preußischen bigen eine Heilsnahrung, den Vornehmen eine
Staats« die Hegel-Schule politisch zu vernichten scharfduftende Leckerei geworden, für die Jahr-
gesucht (s. 520). bücher zu rezensieren, scheint in den zeitrauben-
(5) Im Frühherbst des Jahres 1829, also kurz den Pflichten und Ehren seines Rektorats unter-
nach Erscheinen seines »Zweiten Artikels«, gibt gegangen; sonst wäre zu erwarten gewesen, daß
Hegel sich noch der Hoffnung auf einen gewissen er tüchtig eingegriffen und manches von seinem
Erfolg seiner Repliken hin. Über die gegen ihn Ort Gerückte gründlich dahin zurückgestellt
gerichteten Angriffe schreibt er am 27.9. an hätte« (HBZ 410) – fraglos im Einklang mit seiner
Daub: »Beschränkt man sich auf das etwa nicht Bemerkung in der Vorrede zur Enzyklopädie
Abweisbare, eine dergleichen Schrift flüchtig zu (1830): Viele, die sich »im ausschließlichen Be-
durchlaufen, so kommt man mit dem allgemei- sitz der Christlichkeit« wähnen, wie auch »die
nen Verdrusse ab. Aber eine Kritik bringt es mit Gläubigen an die Seherin von Prevorst, thun sich
sich, alle Einzelheiten des üblen Willens und der etwas darauf zu gut, mit Gesindel von Gespen-
Unfähigkeit des Denkens durchzugenießen. Ganz stern in gutem Vernehmen zu stehen und Ehr-
verloren beim Publikum mag jedoch die kritische furcht vor demselben zu haben, statt diese Lügen
Arbeit, so sauer sie ist, nicht sein, so groß sich eines widerchristlichen knechtischen Aberglau-
dasselbe durch solche Schriften den leeren Kopf bens zu verjagen und zu verbannen.« (GW
oft machen läßt und durch Stillschweigen in dem 20.28 f.)
günstigen Eindruck bestätigt wird, so gibt es den- Doch bespricht Hegel später auch noch die
selben auch wieder ebenso leicht auf und will Schriften von Ohlert und Görres, so daß die
nichts davon gehalten haben, wenn man ihrer Überhäufung mit Amtsgeschäften keine ausrei-
Blöße stark entgegentritt. Es ist in der Tat in chende Erklärung für den Abbruch der Sammel-
diesen Schriften vieles zu niederträchtig.« In ge- rezension bietet. Einen anderen, wohl tieferen
steigertem Maß trifft diese Charakterisierung auf Grund teilt K. F. Zelter am 10.11.29 Goethe mit:
die Schriften zu, mit denen die Verfasser der von »Vorige Woche gestand mir Hegel (der mich für
Hegel rezensierten Schriften ihre Angriffe wie- sein Blatt werben will), es tue ihm leid, sich mit
derholen und verstärken. seinen Gegnern eingelassen zu haben.« (HBZ
(6) Die drei weiteren zur Besprechung ange- 406) Bereits in der Solger-Rezension formuliert
kündigten Schriften hat Hegel jedoch nicht mehr Hegel ja seine – dann aber nicht befolgte – Ein-
rezensiert. Bedauerlich ist dies im Blick auf die sicht mit den folgenden Worten: »man ist über-
Schrift Christian Hermann Weißes – denn sie ist haupt der Erklärung der Philosophen müde ge-
unter den genannten die einzige, mit der eine worden, daß man sie mißverstanden habe« (GW
philosophische Auseinandersetzung möglich ge- 16.107).
wesen wäre. Die kleine Schrift Über Sein, Nichts Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik,
und Werden, teilt er am 27.9.29 Daub mit, habe 1829. Bd.2.77–80,97–109,293–308,313–318,936–960
ihm sein »Kollege und Freund Schmalz, selbst (Nrr 10–11,13–14,37–40,117–120. – Text: GW 16.216–
zugeschickt« (wobei man das Wort »Freund« iro- 274; BSchr 354–428. – Rezensiert: Anonym (Hülse-
nisch zu verstehen hat), und als Verfasser der mann?): Ueber die Hegelsche Lehre oder: absolutes
Wissen und moderner Pantheismus. Leipzig 1829; Karl
Briefe gegen die Hegelsche Enzyklopädie wird
Ernst Schubarth / K. A. Carganico: Ueber Philosophie
ihm Schleiermacher genannt – eine Vermutung, überhaupt, und Hegel’s Encyclopädie der philosophi-
die sicherlich nicht zutrifft, die aber auch Carl schen Wissenschaften insbesondere. Ein Beitrag zur
Daub teilt (11.10.29). Beurtheilung der letztern. Berlin 1829. – Zu rezensieren
Daß Hegel seinen Rezensionsplan nicht aus- beabsichtigt: C. H. Weiße: Ueber den gegenwärtigen
führt, mag zum Teil dadurch veranlaßt sein, daß Standpunct der philosophischen Wissenschaft. In be-
sonderer Beziehung auf das System Hegels. Leipzig
er im Oktober dieses Jahres das Rektorat antritt –
1829; Anonym: Briefe gegen die Hegel’sche Encyklopä-
ein Umstand, der ihn auch verhindert, andere die der philosophischen Wissenschaften. Erstes Heft,
Rezensionen zu übernehmen. Am 23.2.30 vom Standpuncte der Encyklopädie und der Philoso-
schreibt Varnhagen an Goethe, Hegel sei »mit phie. Berlin 1829; [Theodor Anton Heinrich Schmalz:]
306 II. Werk

Ueber Seyn, Nichts und Werden. Einige Zweifel an der schlicht zum »Herbartianer« (Jubiläumsausgabe
Lehre des Hrn. Prof. Hegel. Berlin, Posen, Bromberg Bd. 20.XV). Doch ist weder in Ohlerts Buch noch
1829. – Literatur: Schubarth: Erklärung in Betreff der
in Hegels Besprechung von Herbart die Rede,
Recension des Hrn. Professor Hegel in den letzten
Nummern der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik und in seiner Religionsphilosophie bezeichnet
vom vorigen Jahre. Berlin 1830; Anonym (Hülse- Ohlert Herbarts System als die kühnste, kon-
mann?): Ueber die Wissenschaft der Idee. Erste Ab- sequenteste und scharfsinnigste Durchführung
theilung. Die neueste Identitätsphilosophie und Atheis- des Realismus – aber somit als einen einseitigen
mus oder über immanente Polemik. Breslau 1831, Ansatz, den er durch seinen »Idealrealismus«
V.XXXV; Schubarth: »Persönliches in biographischen
vielmehr ebenso zu überbieten trachtet wie den
Notizen«. In Schubarth: Gesammelte Schriften philo-
sophischen, ästhetischen, historischen, biographischen einseitigen Idealismus.
Inhalts. Hirschberg 1835, 235–267; Schubarth: Ueber (3) Eine Antwort Hegels auf Ohlerts Schreiben
die Unvereinbarkeit der Hegel’schen Staatslehre mit ist nicht bekannt. In der Rezension beurteilt He-
dem obersten Lebens- und Entwickelungsprinzip des gel ihn »als einen geübten und scharfsinnigen
Preußischen Staats. Breslau 1839 (ND in Riedel: Mate- Denker, der – ein Haupterforderniß des Philo-
rialien, Bd. 1.249–266); Johann Eduard Erdmann:
sophirens – die Geduld hat, sich mit abstracten
Grundriß der Geschichte der Philosophie. Berlin 4 1896,
§ 332,1, Bd. 2.642; Johann Peter Eckermann: Gesprä- Gedanken zu beschäftigen«; Ohlerts viertes
che mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. »Buch« beruhe »ganz auf speculativer Idee«. He-
Hg. von H. H. Houben, Wiesbaden 1957, 235. gels Rezension folgt dem Argumentationsgang
Ohlerts durch die vier Kapitel »Der Mensch im
Zustande des Philosophirens überhaupt«, »Der
8.7.7. Ohlert-Rezension
reine Idealismus«, »Der reine Realismus« und
(1) Unter Hegels Rezensionen nimmt die Bespre- »Der reine Idealrealismus«, doch er nimmt die
chung der Schrift Ohlerts über den »Idealrea- systematische Quintessenz Ohlerts bereits am
lismus« – genauer gesagt: des allein erschienenen Beginn der Rezension vorweg: Nach dem An-
ersten Teils dieser Schrift, unter dem besonderen fangskapitel über allgemeine Widersprüche,
Titel »Der Idealrealismus als Metaphysik« – eine Zweifel und Fragen »werden die zwei entgegen-
Sonderstellung ein: Sie dient weder dem Angriff gesetzten, einseitigen Wege dieser Lösung, der
noch der Verteidigung noch einer umfassenden reine Idealismus und der reine Realismus ausein-
»Charakteristik«, wie die Solger- und die Ha- andergesetzt und kritisirt, und zuletzt der reine
mann-Rezension. Zwar hat Ohlert seine Arbeit Idealrealismus als das Versöhnende beider und
am 4.12.30 Hegel übersandt, und er nimmt in ihr als das die Forderungen, die man an die Philo-
auch Bezug auf Hegel. Im Blick auf Hegels Begriff sophie zu machen berechtigt sei, befriedigende
des Absoluten in der Differenz-Schrift spricht er System dargestellt.« (GW 16.275 f.)
sogar von dem »genialen Hegel« (Ohlert 1830, Diese Absicht der Überwindung des »reinen«
57) – doch ist dies sicherlich kein zureichender Idealismus und Realismus durchzieht ohnehin
Grund für Hegels Besprechung in den Jahrbü- Hegels Philosophie seit dem Beginn ihrer sy-
chern. stematischen Ausarbeitung (s. 162) – auch wenn
(2) Über Albert Leopold Julius Ohlert ist wenig er sie selber nie in dieser etwas schematischen
bekannt. Bei Erscheinen seines Idealrealismus ist Weise ausgesprochen und durchgeführt hat. In
er bereits durch eine Abhandlung der Geschichte dieser Konvergenz mag der Grund für Hegels
des Ich-Begriffs vor Fichte und in der Fichteschen Rezension liegen. So stimmt er Ohlert im wesent-
Philosophie (1823) sowie durch eine kurzgefaßte lichen zu; er ist »mit dem zu Grunde liegenden
Logik (1825) hervorgetreten. Karl Rosenkranz Gehalte ganz wohl einverstanden« und verweist
bezeichnet ihn als Ostpreußen, Ohlert selber sich den Verfasser nur vergleichsweise zurückhaltend
als Westpreußen, und zwar auf dem Titelblatt auf gelegentliche Unschärfen in der Formulie-
seiner Dissertation, die Rosenkranz wohl nicht rung oder Mißgriffe in der Darstellung der be-
eingesehen hat; er nennt ihn einen »Schüler Her- handelten Positionen.
barts«, wohl auch in dem Bemühen, Hegels Re- Allerdings wendet Hegel – suaviter in modo,
zension zu einer Auseinandersetzung mit Her- fortiter in re – schließlich ein, in Ohlerts Exposi-
barts Metaphysik zu stilisieren (R 405). Vermut- tion des vierten Kapitels, vor allem wegen des
lich deshalb erklärt Hermann Glockner Ohlert von ihm bevorzugten Ausdrucks »Schauen«,
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 307

müsse »jeder Leser wesentlich den B e w e i s ver- hoffentlich die unselige Spaltung zwischen P h i -
missen, daß die Idee, wie sie als jene Einheit l o s o p h i e und c h r i s t l i c h e r R e l i g i o n , oder
bestimmt worden, in der That absolut, das Wahre meinetwegen T h e o l o g i e , welche früher statt-
ist.« Es genüge nicht, die Einseitigkeit von Idea- fand, soviel an der Philosophie ist, nicht mehr
lismus und Realismus aufzuweisen; vielmehr sei vorkommen« (ebd. 192).
es erforderlich, das Geistige und das Sinnliche Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik,
»an ihnen selbst zu betrachten und in ihnen zu 1831. Bd. 1.848–864 (Nrr 106–108). – Text: GW
erkennen, daß sie, wie sie bestimmt gegenein- 16.275–289; BSchr 490–508. – Rezensiert: Albert Leo-
ander sein sollen, vielmehr dieß sind, in ihr pold Julius Ohlert: Der Idealrealismus. Erster Theil.
Gegentheil sich aufzuheben, somit die Identität Der Idealrealismus als Metaphysik. In die Stelle des
Idealismus und Realismus gesetzt. Neustadt a. d. Orla
eines jeden mit seinem Andern aus ihnen selbst
1830. – Literatur: Ohlert: De notione toz ego dis-
sich ableitend zu wissen, – was die wahrhafte sertatio […]. Königsberg 1823; Ohlert: Grundriß der
Dialektik und allein die von der Philosophie zu allgemeinen reinen Logik zum Gebrauche für seine
leistende Beweisführung ist.« (GW 16.287–289) Vorlesungen. Königsberg 1825; Ohlert: Religionsphilo-
(4) Eine briefliche Reaktion Ohlerts auf die sophie in ihrer Übereinstimmung mit Vernunft, Ge-
Rezension ist nicht bekannt – vielleicht wegen schichte und Offenbarung. Leipzig 1835.
des unerwarteten Todes Hegels. Doch geht Oh-
lert im Vorwort zu seiner Religionsphilosophie
(XII) auf Beurteilungen seines Idealrealismus
8.7.8. Görres-Rezension
ein: »Außer der ausführlichen Inhaltsanzeige in
B e c k s a l l g e m e i n e m R e p e r t o r i u m ([…]) (1) Hegels letzte Rezension, von Görres’ Mün-
ist mir zuerst die Rezension des verewigten H e - chener Vorträgen über die Weltgeschichte, steht
g e l in dem Junihefte der wissenschaftlichen an Schärfe den kurz zuvor geschriebenen Re-
Jahrbücher für 1831 zu Gesichte gekommen, wel- pliken nicht nach – obgleich er sich hier nicht
che mir nicht nur als eine der letzten literarischen eines Angriffs erwehren muß, sondern selbst zum
Arbeiten des verehrungswürdigen Mannes inter- Angriff übergeht. Schon die früheren Erwähnun-
essant gewesen ist, sondern gründlich und ein- gen von Görres in den an Hegel gerichteten Brie-
dringend, wie alle Aufsätze Hegels, mich auch auf fen lassen ein zumindest sehr distanziertes Ver-
vielfache Weise belehrt hat. Dank dem verehrten hältnis vermuten. Bereits Ende Januar 1807 for-
und hochverdienten Philosophen noch im Grabe dert Franz Joseph Schelver, ein aus Jena nach
dafür.« Heidelberg übergesiedelter Kollege, Hegel auf,
Hieran schließt sich eine ausführliche Ausein- »sich ganz unumwunden über die philosophi-
andersetzung mit Immanuel Hermann Fichte. schen Manieren der Görres- und Windischmann’-
Dies ist nicht eine bloße Geste aus der Distanz zu schen Produkte beispielsweise zu erklären«. Dies
Hegels Philosophie; im Verlauf seiner weiteren läßt vermuten, daß Hegel bereits in der frühen
Ausführungen erklärt Ohlert sich ferner für ein Jenaer Zeit Görres’ mythologische Schriften zur
Verhältnis von Philosophie und Christentum, wie Kenntnis genommen habe. Ein Wissen beider
es in der neueren deutschen Philosophie von von einander bestätigt auch ein Brief Clemens
Kant vorbereitet und von Schelling – gemeint ist Brentanos von Anfang 1810 an Görres; Brentano
der frühe Schelling – und Hegel auf je eigen- schreibt, er habe »den ehrlichen hölzernen He-
tümliche Weise verkündet worden sei: »aus bei- gel« in Nürnberg besucht: »er las Heldenbuch
den strahlt der Hauptgedanke hervor, daß die und Nibelungen und übersetzte sie sich unter
Vernunft, wie sie sich im Menschen ausspricht, dem Lesen, um sie genießen zu können, ins
mit der göttlichen, die in der christlichen Offen- Griechische.« (HBZ 103) In Nürnberg könnte
barung redet, übereinstimmen müsse, wolle an- Hegel sich durch seinen Kollegen am Realin-
ders nicht das Relative dem Absoluten entgegen stitut, Johann Arnold Kanne, noch näher mit
sein. […] So bemüht sich die Wissenschaft der Görres’ »Manieren« vertraut gemacht haben, und
Vernunft, oder die wahre Philosophie, in unsern auch sein Heidelberger Freund Creuzer steht in
Tagen immer mehr, mit den Wahrheiten, die die enger Verbindung mit Görres. In der Berliner
unmittelbare Offenbarung verkündigt, die ge- Zeit erwirbt Hegel das von Görres herausgege-
naueste Verbrüderung zu schließen, und es wird bene Heldenbuch von Iran, das er auch für seine
308 II. Werk

religionsphilosophischen Vorlesungen heranzieht ihn ebenso mit Schelling ausfechten können,


(V 4.655,726,781,803). wenn er von dessen Spätphilosophie in den er-
(2) Hegels Rezension weist aber auch einige sten Münchener Vorlesungen Nachrichten gehabt
Berührungspunkte mit seiner Solger-Rezension hätte.
auf. Denn auch im Blick auf die Bearbeitung der (3) Mit dieser Kritik am Geschichtsbegriff der
Mythologie weiß er sich mit Solger einig. Solger mythologischen Schule sucht Hegel einem be-
etwa schreibt im Rahmen der Auseinanderset- reits damals verbreiteten Vorurteil entgegenzu-
zung mit seinem Freund von der Hagen an die- wirken, das auch noch die späteren Auseinander-
sen, er sei »nach und nach zur festesten und setzungen um seine Philosophie verzerrt und be-
klarsten Überzeugung gekommen […], daß die lastet. Es zeigt sich kurz vor Veröffentlichung
Art und Weise, wie schon Creuzer, noch mehr seiner Rezension auch bei Görres selber. Am
aber Görres, Kanne und ähnliche die Geschichte 15.5.31 schreibt Ernst v. Lasaulx, der auch Schel-
der Religionen und die damit zusammenhän- ling in München gehört und seine Vorlesungen
gende Weltgeschichte behandeln, auf der absolu- nachgeschrieben hat, an Görres: »So las ich die
ten Unfähigkeit beruht, die wahre Natur dieser neue Ausgabe der Enzyklopädie, einige polemi-
Dinge zu begreifen« (Solger 1826, I.745); auf den sche Broschüren dagegen und Hegels Kritik der-
folgenden Seiten begründet er sein scharfes Ur- selben … Eine größere Kraft im Festhalten des
teil. reinen Gedankens und ihn zwingen, alle imma-
Mehr noch als für Solger stellt sich für Hegel nenten Begriffsmomente zu explizieren habe ich
aber das Problem des Verhältnisses von Vernunft nirgends gefunden, aber diese Dialektik des Be-
und Geschichte. Es stellt sich aber gerade nicht in griffs ist wie ein trockenes Feuer der Intelligenz,
der Weise, daß beide unvereinbar seien und der das alles feuchte Leben der Natur aussaugt und
Philosophie die ungeschichtliche Vernunft, der statt des grünen Lebens ein gespenstisches
mythologischen Forschung hingegen die Ge- Schema hinstellt. Der frische lebenswarme Früh-
schichte zufalle. Gegen die Okkupation des Ge- lingshauch, der überall in der Schellingschen
schichtsbegriffs – oder eigentlich nur des Wortes Naturphilosophie wehet, ist durch eine Wissen-
»Geschichte« – durch die mythologische Schule schaft der Logik ersetzt, die am Ende des Systems
macht Hegel sehr scharf geltend, daß diese das die Bedeutung der spekulativen Theologie er-
Wort »Geschichte« zwar ständig im Munde führe, füllt.« (HBZ 429) Görres bestätigt am 27.5.31
ihr ungeschichtlich schematisierendes und sich diesen Eindruck und verallgemeinert ihn: »Dein
mit biblischen Einsprengseln dekorierendes Ver- Urteil über Hegel scheint mir großenteils wahr,
fahren aber jeden Gedanken an Geschichte ad doch ist die Dürre, die Du ihm vorwirfst, auch
absurdum führe und der Phantasie freien Lauf noch in höherem Grade bei allen mathemati-
lasse. schen Untersuchungen, und nicht zu trennen von
Dies bezeichnet die methodologische Grund- jeder mit wissenschaftlicher Schärfe – und die hat
differenz: Es scheine Görres »völlig unbekannt, er in eminentem Grade – geführten Untersu-
für ihn überhaupt nicht vorhanden zu sein, daß chung. Er ist eben ein logischer Geometer, nichts
die Einsicht in die Nothwendigkeit allein durch mehr und nichts weniger, und baut sich seine
das Denken und Begreifen bewirkt, wie die Be- Welt aus einigem Zugegebenen, […] aber von
glaubigung des Geschichtlichen nur auf histori- dieser Welt bis zur überreichen wirklichen mit
sche Zeugnisse und deren kritische Würdigung allen ihren Kurven, Kräften und Lebendigkeiten
gegründet werden kann, und daß solche Erkennt- ist noch ein weiter Schritt.« (HBZ 430) Der ei-
niß allein Wissenschaftlichkeit genannt wird.« gentliche Streitpunkt ist aber nicht, o b hier ein
Wer von »Geschichte«, gar von »Weltgeschichte« solcher Schritt von der angeblichen »logischen
redet, muß sich deshalb »auf historische Zeug- Geometrie« zum »Leben der Natur« zu machen
nisse und deren kritische Würdigung« stützen – sei, sondern w i e er zu machen sei: durch Görres’
und nicht auf mythologische oder sonstige reli- Amalgamierung eines »Reflexionsformalismus«
giöse Phantasie – mag sie sich auch in einer mit mythologischer Phantasie und christlicher
»lebhaften, warmen Bildersprache« aussprechen Frömmigkeit – oder eben durch historische For-
(GW 16.291). Hegels Streit mit Görres ist ein schung.
Streit um den Geschichtsbegriff – und er hätte (4) Von dieser Rückbindung an historische For-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 309

schung weiß Görres’ »Weltgeschichte« sich völlig freundlichen Kontakt pflegt (s. 52, 54). Dessen
frei: Er entwickelt ein Schema von »historischen letzter Brief an Hegel datiert vom 1.8.29. Win-
Perioden«, die wiederum in einer Anzahl von dischmann ist inzwischen Schwiegervater eines
»Zeiten« abgelaufen seien, deren Signatur jedoch zeitweiligen Kollegen Hegels, zu dessen Konver-
allein darin liegt, daß sie überhaupt keine »hi- sion er maßgeblich beigetragen hat: Karl Ernst
storischen Perioden«, sondern mythologische Jarckes, des späteren ultramontanen Nachfolgers
Fiktionen sind, wenn auch im lockeren Anschluß von Friedrich v. Gentz als Sekretär Metternichs
an die ›Urgeschichte‹ des Alten Testaments. In (Lenz 1910, 2/1. 386–388). In der Görres-Rezen-
der ersten Periode habe Gott allein gewirkt, in sion selbst bleiben diese Zusammenhänge jedoch
der zweiten sei »die Genesis des B ö s e n« erfolgt, im Hintergrund, bis auf eine Stelle, an der Hegel
die dritte reiche vom Sündenfall bis zur Sintflut. auf das damals grassierende Phantasma einer
Für sie, so Hegel, wisse Görres »vielen Bescheid Uroffenbarung eingeht, das Görres »mit Fr. von
darüber zu geben, was die H a b e l i t e n und die Schlegel, und andern katholischen Schriftstel-
S e t h i t e n und K a i n i t e n gleichfalls in s e c h s lern, besonders mit modernen Französischen au-
Momenten gethan haben w ü r d e n , w e n n kein ßer dem Abbé Lamennais, Baron Eckstein, auch
Sündenfall eingetreten, und, wieder im entge- Gelehrten, die mit der Congregation zusammen-
gengesetzten Fall, der Fluch der Sünde allein hingen, teilt. Im Interesse der katholischen Reli-
geherrscht hätte« (GW 16.305 f.). Und auch die gion, um ihr auch der E x i s t e n z n a c h All-
weiteren »historischen Perioden« zeichnen sich gemeinheit und Ursprünglichkeit zu vindiciren,«
durch ihre unendliche Ferne gegenüber aller er- werde die in den Menschen als Geist, als Eben-
forschbaren Geschichte aus. bild Gottes, ursprünglich gelegte Vernunft als ein
(5) Die Görres-Rezension wirkt somit wie eine am Beginn der Geschichte stehender Zustand
verspätete Einlösung der frühen Aufforderung vorgestellt (GW 16.294). Gegen diese Vorstellung
Schelvers an Hegel, sich über Görres’ »Manie- von der Uroffenbarung polemisiert Hegel seit
ren« auszusprechen. Daß sie aber erst zu dieser seinen späteren Jenaer Jahren und insbesondere
Zeit geschrieben wird, dürfte nicht ohne Zusam- in seinen Berliner Vorlesungen: Sie verwechsle
menhang mit den veränderten Umständen sein, das Erste im Begriff mit dem Ersten in der Ge-
unter denen Görres’ Schrift entstanden ist. Zu schichte (V 4.146,170–172 mit Anm.). In seinem
dieser Zeit ist Görres nicht mehr bloß der phanta- letzten Lebensjahr drängt sich ihm jedoch die
stische Mythologe; er ist einer der profiliertesten Verbindung dieser romantischen Vorstellung mit
Vertreter des politischen Katholizismus und als den Kreisen der katholischen Restauration in
solcher an die neugegründete Universität Mün- Frankreich auf, wie er sie etwa im Journal Le
chen berufen – wo er neben Schelling lehrt. Catholique findet (GW 18.187–189).
Niethammer schreibt im Januar 1828 an Hegel, Ein späterer Herausgeber von Görres’ Schrift,
er sei unter den Hörern der eben begonnenen M. A. Strodl, hat im Gegenzug Hegels Kritik so-
Münchener Vorlesungen Schellings: »In der Tat wohl an ihren mythologischen als auch an ihren
sind diese Vorlesungen in mehr denn einer Bezie- theologisch-politischen Aspekten zurückgewie-
hung zu den merkwürdigen Erscheinungen des sen. Im Blick auf den Wissenschaftsanspruch von
Tages zu zählen. Um auch nur einiger Äußerlich- Hegels Kritik wirft er ihm vor, daß seine Philo-
keiten dabei zu gedenken: neben Görres’ Bauch- sophie der Geschichte von historischen Unrich-
rednerei und unter einer Menge schwarzer Talare tigkeiten strotze, und im Blick auf die politischen
aus dem Klerikalseminar!« Aspekte erinnert er an Hegels Parteinahme für
Gegen diese Verbindung der mythologischen Preußen.
Schule und der Romantik mit dem politischen Erschienen ist die Görres-Rezension im Sep-
Katholizismus ist Hegels Angriff – gerade in sei- tember 1831. Sie ist damit der letzte Text, dessen
nen letzten, von politisch-religiösen Auseinan- Erscheinen Hegel noch erlebt hat. Ähnlich wie in
dersetzungen gezeichneten Lebensjahren – ge- den Repliken kündigen sich auch in ihr die Aus-
richtet. Ein weiteres Indiz hierfür bildet auch das einandersetzungen an, die in den 1830er und
Abbrechen seiner Beziehungen zu dem ebenfalls 1840er Jahren um seine Philosophie geführt wor-
schon von Schelver genannten Windischmann, den sind und zum Verlust ihrer Geltung in reli-
mit dem er auf seinen Reisen 1822 und 1827 noch giös gestimmten Kreisen entscheidend beigetra-
gen haben.
310 II. Werk

Erstdruck: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. (2) Zu dieser Feier lädt Hegel auch den Mini-
1831. Bd. 2.438–463 (Nrr 55–58). – Text: GW ster v. Altenstein persönlich ein (Hegel an v.
16.290–310; BSchr 509–535. – Rezensiert: J[oseph]
Altenstein, 21.6.30) – nur wenige Tage vor Aus-
Görres: Ueber die Grundlage, Gliederung und Zeiten-
folge der Weltgeschichte. Drei Vorträge, gehalten an bruch der Juli-Revolution in Frankreich. Drei
der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Tage vor der Feier, am 22.6.30, dankt Hegel sei-
Breslau 1830. – Literatur: Görres: Das Heldenbuch von nem Schüler und Freund Friedrich Förster für
Iran aus dem Schah Nameh des Firdussi. 2 Bde. Berlin eine Sendung »Lacrimae Christi«. Er wertet die-
1820; Solger: Nachgelassene Schriften und Briefwech- sen Wein als Beweis dafür, »daß die Tränen, die
sel. 2 Bde. Leipzig 1826; Görres: Ueber Grundlage,
der Herr über das katholische Unwesen ausge-
Gliederung und Zeitenfolge der Weltgeschichte. […] In
zweiter Auflage mit einem Vor- und Nachwort hg. von gossen, nicht salziges Wasser nur gewesen, son-
M. A. Strodl, München 1880, 123,152 f.; Lenz: Ge- dern Flaschen tropfbaren Feuers«, und er äußert
schichte der Universität Berlin (1910), Bd. 2/1. die Hoffnung, daß dieses Feuer »dem lateini-
schen Redewasser, das ich dermalen durchzu-
kneten habe«, aufhelfen werde.
8.8. Rede zur dritten Säkularfeier Diese – etwas extravagante – Deutung des An-
der Augsburgischen Konfession lasses für die Tränen Christi verrät bereits den
Grundton seiner Rede, mit dem Hegel eine kon-
(1) Hegels letztes Lebensjahr zeigt ihn äußerlich fessionspolitisch delikate Aufgabe meistert. Pri-
auf dem Höhepunkt seines Wirkens: Für das mär ist die Confessio Augustana ja eine lutheri-
akademische Jahr 1829/30 wird er zum Rektor sche Bekenntnisschrift. Ursprünglich trennt sie
der Berliner Universität gewählt. Am 16.10.29 Lutheraner und Reformierte, und sie wird erst
ersucht er in dieser neuen Funktion um eine allmählich – auf Grund einer abgeänderten Fas-
Audienz beim Minister v. Altenstein; am 18.10. sung – zur Bekenntnisschrift auch der reformier-
tritt er sein neues Amt an (HBZ 404; hiernach ten Konfession. Am Ende eines Jahrzehnts, das
wäre das Datum der 19.10.) – mit einer lateini- kirchenpolitisch durch den Versuch einer Über-
schen Rede (W XVII.311–317). Diese Stellung windung der Differenzen zwischen Lutheranern
dürfte auch der Grund dafür sein, daß Hegel, wie und Reformierten durch die preußische »Union«
er zu Beginn seiner Rede zur Feier der Confessio der protestantischen Konfessionen geprägt ist,
Augustana sagt, vom Senat der Universität aufge- eben deshalb aber auch durch ein erneutes Auf-
fordert worden sei, anläßlich der dritten Säku- brechen des Gegensatzes von Seiten der Luthera-
larfeier ihrer Übergabe die Festrede zu halten – ner, geht Hegel jedoch – trotz seines sonst pro-
und er mag sich bei dieser Gelegenheit an den nonciert ausgesprochenen Lutherthums (BSchr
ersten Eintrag in seinem Tagebuch – vom 26.6.85 hg. Hoffmeister, 572–575) – mit keinem Wort auf
– erinnert haben: »In der Morgenkirch predigte diese innerprotestantischen Differenzen ein (vgl.
Herr Stiffts-prediger Rieger, er verlaß die Augs- R 409 f.). Er nutzt vielmehr diese Gelegenheit,
purgische Confession, und zwar zuerst den Ein- um die Confessio Augustana entgegen ihrer hi-
gang in dieselbe; dann wurde gepredigt. Wenn storischen Rolle als allgemein protestantische
ich auch sonst nichts behalten hätte, so wäre doch Bekenntnisschrift gegen den Katholizismus zu
meine Historische Kenntniß vermert worden. Ich präsentieren und unter Absehung von den inner-
lernte nemlich, daß den 25 J u n i 1530 die Augs- protestantischen Differenzen den Protestantis-
purgische Confession überreicht wurde, daß mus als politisches Prinzip zu empfehlen.
Anno 1535 den 2ten Februar Wirtemberg re- (3) Dem Gegensatz zwischen Protestantismus
formirt wurde, und daß Anno 1599 durch den und Katholizismus mißt Hegel nicht stets die-
Prager Vertrag die evangelische Religion bestätigt selbe Bedeutung bei wie gegen Ende seiner Berli-
wurde; den Namen Protestanten erhielten sie von ner Jahre. Noch an ihrem Beginn, in den Grund-
der Protestation gegen den harten Reichsschluß linien der Philosophie des Rechts und ebenso in
zu Speier Anno 1529. Noch fällt mir ein daß den »Vorlesungen über Philosophie der Welt-
Luther Anno 1546 den 18 Februar starb, und daß geschichte« (1822/23, V 12.87 f.), scheint der
der Churfürst von Sachsen Johann der Weise, Konfessionsgegensatz für ihn bedeutungslos ge-
Anno 1547 den 24 April todal geschlagen, und worden zu sein: Im Einklang mit den staats-
gefangen wurde.« (GW 1.3). kirchenrechtlichen Regelungen seiner Zeit räumt
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 311

Hegel dem Staate das Recht ein, »von allen sei- »protestantischen Prinzip«, als er sich als ein
nen Angehörigen zu fordern, daß sie sich zu einer säkularer Staat versteht: Das protestantische Ele-
Kirchen-Gemeinde halten, – übrigens zu irgend ment liegt für ihn eben darin, keine konfessio-
einer, denn auf den Inhalt […] kann sich der Staat nelle Bindung zu fordern. Doch sieht Hegel in
nicht einlassen.« (GW 14.216) Während damals seiner Gegenwart Indizien dafür, daß ein solcher
aber – nach Art. 16 der Deutschen Bundesakte – säkularer Staat nur dort zu verwirklichen sei, wo
die Staatsbürgerrechte an die Zugehörigkeit zur die religiöse Konfession dem nicht entgegen-
katholischen, lutherischen oder reformierten arbeitet. Hierfür bedarf es gleichsam eines Bünd-
Konfession gebunden sind, zieht Hegel diesen nisses zwischen Staat, Religion und Philosophie,
Kreis erheblich weiter: Gerade der starke Staat denn: »Es ist Ein Begriff der Freiheit in Religion
könne sich anderen religiösen Gemeinschaften und Staat.« (V 3.340, s. 397)
gegenüber um so liberaler verhalten. Mit bemer- (4) Es ist ein eigentümliches Zusammentref-
kenswertem Sarkasmus wendet Hegel sich insbe- fen, daß sowohl die erste schriftliche Äußerung
sondere gegen den – aus der rechtlichen Privile- Hegels als auch eine seiner letzten Stellungnah-
gierung der drei christlichen Konfessionen fol- men der Confessio Augustana gilt – und daß sich
genden – Ausschluß der Juden: Das gegen die sogar ein übereinstimmender Aspekt zeigt. Im
Verleihung von Bürgerrechten an Juden »erho- Berner Fragment Jedes Volk … erinnert Hegel
bene Geschrey« übersehe, daß die Juden »zu sich gleichsam der Kindheitserfahrung des Ver-
allererst M e n s c h e n sind und daß diß nicht nur lesens der Confessio Augustana: Er spricht von
eine flache, abstracte Qualität ist.« (Grundlinien der »in einigen protestantischen Kirchen ge-
§ 270 Fußnote, GW 14.217) wöhnlichen jährlichen Ablesung der Augspurgi-
Die Erfahrung der politischen Lage in den schen Konfession, die jedem Zuhörer gewöhn-
romanischen Ländern der 1820er Jahre, insbe- lich Langeweile macht, und ausser der kalten
sondere im Frankreich der Restauration, und ih- Predigt, die darauf folgt, welches ist das Fest, das
res Einflusses auf die deutschen Staaten wie auch das Andenken jener Begebenheit feyerte – es
auf die »Vereinigten Niederlande« läßt Hegel scheint als ob die Gewalthaber in Kirche und
seine frühere Annahme der politischen Indiffe- Staat es gern sähen, daß das Andenken, daß einst
renz konfessioneller Differenzen revidieren. Die unsre Vorältern dieses Recht [sc. in seinen reli-
Gefahr der »Zertrümmerung aller sittlichen Ver- giösen Meinungen seiner selbst errungenen
hältnisse« sieht er nun nicht mehr in den unbe- Überzeugung zu folgen] gefühlt, und tausend Le-
sonnenen Aktionen einzelner, »die den H e r r n ben an die Behauptung eines solchen Rechts wa-
s u c h e n , und in ihrer ungebildeten Meynung gen konnten, daß das Andenken hieran in uns
alles u n m i t t e l b a r zu haben sich versichern« schlummre, ja nicht lebendig erhalten werde«.
und unter Berufung auf ihr frommes und deshalb Die Berliner Feier des Jahres 1830 beschränkt
unfehlbares und unantastbares Herz sich das sich hingegen nicht auf »Ablesung« und »kalte
Recht selbst zum politischen Mord anmaßen und Predigt«; sie dient der »Er-innerung« (im Hegel-
hierin auch noch von geistlichen Führern bestä- schen Sinne) der »Behauptung des Rechts«, von
tigt werden (ebd. § 270 Anm.). Er sieht sie nun dem der Berner Hegel sagt, daß es zu den we-
durch eine Konfession bedroht, die sich der Sitt- nigen Begebenheiten gehöre, »an denen ein Theil
lichkeit des Staates nicht unterstellt, sondern ihn der Nation ein Interesse genommen hat, und
unter ihre Herrschaft zu bringen sucht – gestützt zwar ein Interesse, das nicht, wie das an den
auf die Behauptung, daß die weltliche Macht Kreuzzügen mit der Erkaltung der Einbildungs-
nicht unmittelbar von Gott verliehen sei, sondern kraft, verdunstete« (GW 1.360). Und das »Fest«,
durch seinen Stellvertreter auf Erden. Deshalb das der junge Hegel hier gegen die Beförderung
sieht Hegel es nun nicht mehr als gleichgültig an, des Vergessens einklagt, wird 1830 unter an-
welche Konfession bestimmenden Einfluß in ei- derem durch seinen und Goethes Freund Zelter
nem Staat ausübt. gestaltet: Zelter schreibt darüber an Goethe,
Hierin liegt jedoch nicht etwa die Forderung, seine 81 Studiosen hätten bei dieser Gelegenheit
den Protestantismus zur Staatsreligion zu erhe- »eine Musik hören lassen, wie solche jetzt der
ben – dies wäre der falsche Weg. Der moderne Papst selber nicht hat«; Tedeum und Lutherischer
Staat beruht für Hegel gerade insofern auf dem Choral hätten »das Dach des Universitätsgebäu-
312 II. Werk

des aufgehoben und die Umgegend mitklingend MDCCCXXX. rite peractis habita a Georgio Guilelmo
gemacht« (HBZ 413). Friderico Hegel, Rectore, Philosophiae Doctore, Pro-
fessore Publico Ordinario. Berolini et Stettini, A.
(5) Ein charakteristischer Zug der späten Fest-
MDCCCXXX. In Libraria Nicolai. – Erstübersetzung:
rede Hegels liegt in der Hervorhebung der Rolle, F. A. Maerker: Hegel und die christliche Freiheit. In:
die die »Fürsten der deutschen Staaten und die Der Freihafen 2 (1839), 192–209. – Text: lateinische
Bürgermeister der Freien Reichsstädte«, d. h. die Fassung: GW 16.311–322; deutsche Übersetzung: BSchr
nicht-kirchlichen und nicht-theologischen Grup- 429–442 bzw. Stefan Strohm, s. unten. – Literatur:
pierungen, bei der Behauptung des religiösen Jaeschke: Staat aus christlichem Prinzip und christli-
cher Staat. Zur Ambivalenz der Berufung auf das Chri-
Rechts durch die Übergabe der Confessio Augu-
stentum in der Rechtsphilosophie Hegels und der Re-
stana gespielt haben. Sonst entspricht der Tenor stauration. In: Der Staat 18/3 (1979), 349–374; Stefan
seiner Rede den etwa gleichzeitigen Ausführun- Strohm: Freiheit des Christenmenschen im Heiligtum
gen zum Verhältnis von Religion und Staat in den des Gewissens. Die Fundierung des Hegelschen Staats-
Vorlesungen über die Philosophie der Religion (V begriffs nach seiner »Akademischen Festrede zur drit-
3.339–347: »Das Verhältnis der Religion zum ten Säkularfeier der Confessio Augustana«, gehalten am
25. Juni 1830 in Berlin. In: Blätter für württembergi-
Staat«) sowie der umfassenden Anmerkung zu
sche Kirchengeschichte. Hg. von Gerhard Schäfer und
§ 552 der Enzyklopädie: Wohl ist der Freiheits- Martin Brecht. Nr. 80/81 (1980/81), 204–278, Edition
begriff zuerst in der Religion gefaßt worden – und Übersetzung: 208–229; Jaeschke: Hegels Begriff
aber der Staat ist die Wirklichkeit der Freiheit, des Protestantismus. In: Richard Faber / Gesine Palmer
und diese wirkliche Freiheit und Sittlichkeit des (Hg.): Der Protestantismus – Ideologie, Konfession
Staates darf nicht durch unmittelbare Berufung oder Kultur? Würzburg 2003, 77–91.
auf ein religiöses Prinzip gefährdet und ausge-
höhlt werden, sei es unter pseudoliberaler Beru-
fung auf die Frömmigkeit und Reinheit des eige- 8.9. Über die englische Reformbill
nen Herzens, sei es unter restaurativer Berufung
auf die religiöse Fundierung aller sittlicher Ver-
8.9.1. Entstehung im geschichtlichen
hältnisse – die dann konsequent im Versuch der
Zusammenhang
Kontrolle über diese religiöse Fundierung enden
muß. (1) Das letzte Jahr seines Lebens hat Hegel öf-
(6) Unter diesem Gesichtspunkt der Wirklich- fentliche Anerkennung durch das Rektorat und
keit der Freiheit wird Hegels – zunächst nur in den Roten Adlerorden gebracht, doch ebensosehr
der lateinischen Fassung veröffentlichte – Rede eine weitere Zunahme der Heftigkeit der An-
ein knappes Jahrzehnt später von F. A. Maercker griffe auf seine Philosophie und Person. Vor allem
erstmals übersetzt und in die nunmehr äußerst aber ist es durch eine politische Krise von euro-
zugespitzten politisch-theologischen Auseinan- päischen Ausmaßen belastet (s. 55). Außenpoli-
dersetzungen eingeführt. Maercker ist sich der tisch ist dieses Jahr geprägt durch die Juli-Revo-
Aktualität dieses Problems wohl bewußt: »Nichts lution in Frankreich, das Zerfallen der »Verei-
dürfte geeigneter sein, uns auf den wahren nigten Niederlande«, an deren Schicksal Hegel
Standpunkt der c h r i s t l i c h e n F r e i h e i t , wie wegen seines Freundes und Schülers Peter Ga-
wir ihn jener herrlichsten Entwicklungsepoche briel van Ghert und wegen seiner zweimaligen
deutschen Geistes danken, zu stellen, als eine Reise (s. 52, 54) besonderen Anteil nimmt, ferner
akademische Rede, welche H e g e l bei der drit- durch den Aufstand in Polen, aber auch durch die
ten Säkularfeier der Übergabe der augsburgi- innenpolitische Krise in England (Losurdo 1989,
schen Konfession im Jahre 1830 in lateinischer 353–388).
Sprache gehalten, und von der am hiesigen Ort Sicherlich haben diese bedrohlichen Entwick-
eine deutsche Übertragung zu geben, wir inmit- lungen – entgegen Hegels Formulierung (s. 56) –
ten der neuerweckten religiösen und konfessio- seine philosophischen Interessen keineswegs
nellen Wirren unserer Zeit für angemessen und völlig verschlungen: Er hat in diesem Jahr neben
ersprießlich halten.« (Maercker 1839, 195) seiner Lehrtätigkeit die Neubearbeitung des er-
Erstdruck: Oratio in Sacris Saecularibus Tertiis Traditae sten Teils der Logik – »Die Lehre vom Seyn« –
Confessionis Augustanae ab Universitate Regia Fride- vollendet, und er hat eine Neubearbeitung der
rica Guilelma Berolinensi die XXV. M. Iunii A. Phänomenologie des Geistes und die Ausarbei-
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 313

tung seiner Vorlesungen über die Beweise vom Englands und Irlands, die im wesentlichen auf
Dasein Gottes für den Druck begonnen (GW der Lektüre englischer Zeitungen mit Berichten
21.400–403; 9.472–478; 18.394–400). Gleichwohl über Parlamentsdebatten sowie auf Parlaments-
hat das politische Interesse auch ihn ereilt – und protokollen beruht, aber auch auf den ausführli-
dies hat seinen Niederschlag in Hegels Abhand- chen Darstellungen der Preußischen Allgemeinen
lung Über die englische Reformbill gefunden. Staats-Zeitung, die im allgemeinen englischen
(2) Ihr erster Teil ist Ende April 1831 anonym Blättern entnommen sind.
in der Preußischen Allgemeinen Staats-Zeitung (4) Von seiner Abhandlung sind jedoch nur drei
erschienen. Mit dieser Anonymität wird es zu- Folgen in der Allgemeinen Staats-Zeitung er-
sammenhängen, daß jeder Hinweis auf ihre Ent- schienen – und sogar in einer durch deren Redak-
stehung fehlt. Hegel hat zwar stets eine Neigung tion nicht allein geglätteten, sondern politisch
zur politischen Publizistik erkennen lassen. entschärften Form, wie man aus den Varianten
Schon seine erste Veröffentlichung ist eine politi- zwischen seinem Manuskript und dem Druck in
sche Streitschrift (s. 80); es folgen die nicht er- der Zeitung ersehen kann: Die Redaktion hat an
haltene Flugschrift über die Württembergische einer Reihe von Formulierungen Anstoß genom-
Verfassungskrise von 1798 (s. 82), die Schrift über men und sie durch abgeschwächte ersetzt oder
die Verfassung Deutschlands aus den Jahren um gar gänzlich gestrichen. Der Abdruck des Endes
1800 (s. 100) sowie noch 1817 die Rezension der dieser Abhandlung ist sogar auf Anordnung des
Verhandlungen der Württembergischen Land- Königs unterblieben. Marie Hegel berichtet Niet-
stände (s. 257). Hegel ist auch stets ein aufmerk- hammer hierüber am 2.12.31, Hegel habe im
samer Beobachter der politischen Lage Englands abgelaufenen Jahr gearbeitet an einem »Aufsatz
und Frankreichs gewesen – doch erklärt dies über die Reform-Bill (der halb abgedruckt in der
schwerlich die Publikation einer derart detail- Staatszeitung auf Königl. Befehl nicht fortgesetzt
lierten, weniger philosophischen als verfassungs- werden durfte).« In einer Fußnote erläutert sie
rechtlichen Abhandlung über die politischen Ver- dieses Verbot: »Seine Majestät hatten an und für
hältnisse Englands, und zumal in der Allgemei- sich nichts dagegen, nur die Bedenklichkeit, daß
nen Staats-Zeitung. Ob er seine Abhandlung auf ein Ministerielles Blatt einen Tadel gegen die
fremde Veranlassung oder aus eigenem Antrieb Engl. Verhältnisse enthielt. – Auf Befehl wurde
geschrieben habe, ist jedoch nicht bekannt. Karl die Fortsetzung besonders abgedruckt und unter
Rosenkranz berichtet zwar, angesichts der Dis- der Hand verteilt und Hegel, der nicht genannt
kussion um die Reformbill »ward er [sc. Hegel] sein wollte, erhielt privatim die größten Elogen
von den quälerischsten Vorstellungen erfaßt, die dafür.« (HBZ 498)
ihn Tag und Nacht beunruhigten.« (R 418) Belege Die Zuverlässigkeit dieses Berichts läßt sich
führt der Biograph – der damals weder in Berlin jetzt durch drei Briefe belegen. Zur Begründung
lebt noch gar dem engeren Kreise um Hegel der Einstellung des Abdrucks hat der Geheime
angehört – hierfür jedoch ebensowenig an wie für Kabinetts-Rat Albrecht dem Redakteur (?) der
seinen dramatisierenden Bericht über Hegels Allgemeinen Staats-Zeitung, Philipsborn, eine
Stellung zur Juli-Revolution (s. 55). Franz Rosen- Notiz zugesandt, die in Hegels Abschrift vorliegt:
zweig übernimmt Rosenkranz’ Bericht, ohne die- »S. Maj. haben den Aufsatz über die Reformbill
sen als Quelle zu nennen – und gemäß der Logik nicht getadelt, finden ihn aber zur Aufnahme in
der Legendenbildung versetzt er Rosenkranz’ be- die Staatszeitung nicht geeignet, und ich muß
reits problematisches Zeugnis in den Plural: He- daher bitten, den mir gefälligst mitgeteilten, hie-
gel sei, »nach guten Zeugnissen, von quälendster bei zurückgehenden Schluß desselben zurück-
Unruhe erfaßt« worden (Rosenzweig 1920, Bd. zulegen. Potsdam, den 3. Mai 1831. Albrecht.«
2.229). Philipsborn hat Hegel auf dessen Anfrage hin zu
(3) Hegel hat seine Abhandlung in der über- diesem Vorgang mitgeteilt: »Der befohlene
raschend kurzen Zeit von knapp vier Wochen Schluß des Aufsatzes erfolgt anbei: wie leicht es
niedergeschrieben – von Ende März bis zum übrigens wird, sich Gehör zu verschaffen, wollen
Beginn der Veröffentlichung am 26. April 1831. Euer Hochwohlgeboren aus der s u b v o t o r e -
Sie zeigt eine erstaunlich detaillierte, wenn auch m i s s i o n i s zur v e r t r a u l i c h e n Kenntnis-
nicht völlig fehlerfreie Kenntnis der Verhältnisse nahme angeschlossenen Antwort des Herrn Geh.
314 II. Werk

Kabinetts-Rats Albrecht gefälligst ersehen. Wäre unpassend« gemacht hätte (Rosenzweig 1920, Bd.
man nicht ein zu solider Protestant, was könnte 2.235). Seine weiteren Hinweise auf das anhal-
man alles werden? – Hochachtungsvoll und ganz tende Wohlwollen des preußischen Königs Fried-
ergebenst der Ihrige bin und bleibe ich Phil- rich Wilhelm III. stützen sich aber ebenfalls nur
ipsborn. 8/5. 31.« Ausführlicher sind wir über die auf den Brief Marie Hegels; sie haben keinen
Vorgänge unterrichtet durch einen Brief Hegels eigenen Quellenwert.
an den befreundeten vormaligen Minister Karl
Friedrich v. Beyme, der offensichtlich in einem –
8.9.2. Analyse der Situation
nicht überlieferten – Brief vom 16.5.31 die
und der Lösungen
»schmeichelhafte Bezeugung der Zufriedenheit«
mit der Abhandlung bezeugt und »zu großes Lob« (1) Als »Reformbill« wird das Gesetz bezeichnet,
spendet; hierauf könnte sich die Äußerung Marie das im Jahr 1831 eine neue, gerechtere Auftei-
Hegels über »die größten Elogen« beziehen. lung der Wahlkreise für die Wahlen zum Unter-
Der mit der Allgemeinen Staats-Zeitung ver- haus einführen sollte. Die Frühindustrialisierung
einbarten Anonymität wegen bekennt Hegel sich hatte Bevölkerungswanderungen von abgelege-
sogar v. Beyme gegenüber nicht ausdrücklich zur nen ländlichen Gegenden in die Städte ausgelöst,
Verfasserschaft. Doch erläutert er ihm die die bei der Zumessung von Wahlkreisen und
Gründe für den Abbruch der Publikation des Mandaten nach dem früheren Stand erheblich
Aufsatzes: »Da die Tendenz desselben, Prinzipien benachteiligt waren, während die Eigentümer
in Anspruch zu nehmen, die unter anderem auch verödeter Landstriche Abgeordnete ins Unter-
eine konstante Quelle der Verkennung und Ver- haus entsandten. Schon in der rechtsphilosophi-
unglimpfung der preußischen Verfassung und schen Vorlesung 1818/19 kritisiert Hegel dieses
Gesetzgebung sind, wie gegen dieselbe auch die Unrecht: »Dörfer, die sehr unbedeutend oder so-
Prätention und der zugestandene Ruhm der eng- gar vom Meer überschwemmt und so vernichtet
lischen Freiheit gelten gelassen wird, die Gele- sind, haben das Wahlrecht in England, und gro-
genheit der englischen Reformbill genommen ßen Städten, wie z. B. Manchester, die später
hat, so hat der Gesichtspunkt daraus erwachsen entstanden, geht es ab.« (V 1.270) Hierdurch
können, daß die englische Staatsverfassung da- konnten sich Großgrundbesitzer auf Kosten der
mit angegriffen wurde, was als ungeeignet für die städtischen Bevölkerung ein erhebliches politi-
preußische Staatszeitung den Abdruck des Be- sches Gewicht verschaffen: Die Kontrolle über
schlusses des Artikels verhindert habe. Ein be- einen Großteil der Mandate lag in der Hand
sonderer Abdruck, wozu Eurer Exzellenz gnädige weniger Familien. Zudem hatten sich in langen
Aufmunterung der wichtigste Bestimmungs- Jahren etliche Mißbräuche eingestellt: Beste-
grund sein würde, erforderte wohl eine größere chung und Handel mit Parlamentssitzen.
Ausführung, wozu es wohl weniger an Stoff als an (2) Seinen Kritikern zufolge stellt Hegel sich
Zeit gebräche.« mit seiner Reformbill-Schrift ausdrücklich auf die
Beyme scheint somit den Anstoß zu einem Seite der konservativen Gegner der Reformbill –
privaten Abdruck von Hegels Abhandlung gege- also auf die Seite der Grundbesitzer und Han-
ben zu haben. Dieser Separatdruck hat sich nicht delshäuser, die vom status quo der ungerechten
erhalten, jedoch sehr wahrscheinlich der Ver- Mandatsverteilung am meisten profitiert haben.
öffentlichung in den Werken zu Grunde gelegen. Zu diesem Eindruck mag auch Hegels insgesamt
Daß es zu diesem Separatdruck gekommen ist, scharfe und fraglos einseitige Kritik der politi-
legt allerdings die Vermutung nahe, daß »die schen Zustände Englands beigetragen haben: ein
größten Elogen«, von denen Marie Hegel schwacher König, ein korruptes Parlament, eine
schreibt, nicht allein von Beyme gemacht worden Gesellschaft von »fox-hunters«, skrupellose Aus-
sind. beutung der Bevölkerung durch Adel und Kirche,
Rosenzweig hat darüber hinaus wahrscheinlich insbesondere in Irland. Auch wenn Hegel diese
gemacht, daß die von Hegel nicht antizipierte Mißstände selber aus englischen Quellen, aus
dramatische Wendung des Konflikts in England – Protokollen von Parlamentsdebatten und Zeitun-
die Auflösung des Parlaments durch den eng- gen kennengelernt hat, hat er doch dadurch, daß
lischen König – den weiteren Abdruck »höchst er sie ungeschminkt ausspricht und sein Bild
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 315

weitgehend durch sie bestimmen läßt, genug Är- basirte – und zwar einen von Erschütterung, Ge-
gerniß gegeben – denn das politische System waltthätigkeit und Raub rein gehaltenen Über-
Englands hat damals wie auch später für »liberale gang verdanken konnten.«
Kreise« Deutschlands häufig Vorbildcharakter. In dieser Schlußwendung seiner Reformbill-
Denn angesichts der von Hegel angeprangerten Schrift ist fraglos die im letzten Teil gegebene
Mißstände erscheint nun mancher Mangel in Begründung entscheidend: das Fehlen einer
Deutschland oder speziell in Preußen als das »mittleren höheren Macht«, die die divergieren-
kleinere und deshalb erträglichere Übel. den Standpunkte moderieren könnte. Hegel be-
Bereits Rosenkranz meint deshalb, daß man streitet somit keineswegs das Argument, daß
dem Aufsatz bei aller Gediegenheit doch eine auch ein Nichtreformieren zur Revolution führen
»krankhafte Verstimmung« anmerke (R 419), und werde – schon deshalb nicht, weil er ja die tat-
Hegels beständiger Kritiker – oder besser: Ver- sächlich vorhandenen Mißstände sehr deutlich
leumder – Rudolf Haym nutzt die Gelegenheit zu sieht, ja sie vielleicht sogar überzeichnet. Und es
ungehemmter Polemik: »ein Mißbehagen ohne ist auch nicht zweifelhaft, daß ihm der Zustand
Grenzen bemächtigte sich auch des Philosophen der »reellern Freyheit« als erstrebenswert gilt –
der Restauration.« »Die ganze vorurtheilsvolle dies liegt schon in der Wortbildung. Sein Pro-
Beschränktheit, die ganze leidenschaftliche Ver- blem liegt jedoch darin, daß er sich nicht davon
stimmtheit, welche das Urtheil von politischen überzeugen kann, daß der Weg, den die Re-
Parteien über ihre Gegenpartei charakterisirt, formbill dorthin einschlagen will, auch wirklich
macht sich in dem Urtheil Hegel’s über das eng- zum gewünschten Erfolg führen werde.
lische Parlament Luft« (1857, 455,457). »Übellau- Schon Rosenzweig hat ausgeführt, daß die ge-
nige Herzenserleichterungen« oder »Raisonne- plante Reform Hegel einerseits zu weit, anderer-
ment des selbstzufriedenen und angsterfüllten seits nicht weit genug gehe. Zwar unterstützt
Büreaukratismus« (458 f.) sind weitere Aus- Hegel die Bestrebungen, Privilegien abzubauen,
drücke aus dem überreich gefüllten Arsenal sei- Ungerechtigkeiten in der Einteilung der Wahl-
ner Polemik. kreise und in der Besetzung der Parlamentsstel-
(3) Der Nerv der Reformbill-Schrift liegt je- len zu beseitigen. Dennoch lehnt er die Reform-
doch darin, daß Hegel ein Argument ihrer Befür- bill ab, weil sie seines Erachtens im Blick auf die
worter aufgreift und umdreht. Während sie die vorhandenen, schreienden Mißstände voraus-
Revolutionsfurcht mit dem Argument schüren, sichtlich nichts verändern werde – und unter den
man müsse vernünftig reformieren, damit nicht Bedingungen ihrer Kontinuierung sieht er eine
gewaltsam revoltiert werde, sucht Hegel zu zei- parlamentarische Lösung scheitern. Er vermutet,
gen, daß die Gefahr der Revolution auch dann daß es der herrschenden landbesitzenden Klasse
drohe, wenn das Wahlrecht durch die Reformbill ein Leichtes sein werde, trotz der geplanten Neu-
reformiert werde: »Sollte aber die Bill, mehr regelung des Wahlrechts die alten Machtstruk-
noch durch ihr Princip als durch ihre Disposi- turen binnen kurzem zumindest wiederherzu-
tionen, den dem bisherigen System entgegenge- stellen, wenn nicht gar auszubauen – lediglich
setzten Grundsätzen den Weg in das Parlament, unter dem Mäntelchen einer Liberalisierung.
somit in den Mittelpunkt der Regierungsgewalt, Sollte allerdings doch eine Veränderung eintre-
eröffnen, so daß sie mit grösserer Bedeutung, als ten, so würde sie zur Beseitigung der Homo-
die bisherigen Radicalreformer gewinnen konn- geneität der herrschenden Klasse führen – und
ten, daselbst auftreten könnten, so würde der dies könnte in Anbetracht der fortdauernden
Kampf um so gefährlicher zu werden drohen als Mißstände im Extremfall einen gefährlichen An-
zwischen den Interessen der positiven Privilegien satzpunkt für eine Revolution geben, wenn die
und den Foderungen der reellern Freyheit keine zahlenmäßig geringe Opposition innerhalb sich
mittlere höhere Macht, sie zurückzuhalten und zu mit den Volksmassen außerhalb des Parlaments
vergleichen, stünde, weil das monarchische Ele- verbündet.
ment hier ohne die Macht ist, durch welche ihm Deshalb lehnt Hegel die Reformbill als untaug-
andere Staaten den Übergang aus der frühern nur lich zur Lösung der vorhandenen gesellschaft-
auf positivem Rechte gegründeten Gesetzgebung lichen Konflikte ab. Zu deren Lösung müßte
in eine auf die Grundsätze der rellen Freyheit anders verfahren werden: Zunächst wären die
316 II. Werk

gesellschaftlichen Mißstände zu beseitigen, und durch das Prinzip der Nationalrepräsentation.


erst nach Entschärfung der daraus resultierenden Die Nationalrepräsentation basiert in seinen Au-
Konflikte könnten auch gerechtere Wahlrechts- gen auf der Atomisierung der Einzelwillen; der
bestimmungen in Kraft treten. Daß dieses Argu- Einzelne stehe der Allgemeinheit des Staates ab-
ment nicht bloß einer Verzögerungstaktik ent- strakt gegenüber, nicht durch besondere Instan-
springt, läßt sich schon daraus entnehmen, daß zen, durch Stände oder Korporationen vermittelt
Hegel es bereits in der ersten Württemberg- und »organisch« einbezogen in das strukturierte
Schrift verwendet (s. 83 f.), in der es ihm doch Ganze des sittlichen Staates. Deshalb bietet He-
wahrlich um die Abschaffung von Mißständen zu gel all seine Beredtsamkeit auf für den Nachweis
tun war. Dieser frühen Überzeugung bleibt er der Unwirksamkeit des allgemeinen Wahlrechts
auch hier treu: Wenn man nicht vor der Änderung – zumal dieses noch nicht einmal wirklich all-
des Wahlrechts die gesellschaftlichen Verhält- gemein, sondern an Bedingungen geknüpft ist.
nisse selbst reformiert, so importiert man nur die Sein Plädoyer für die ständische Repräsentation
sozialen Spannungen in das neu zu konstituie- trägt zweifellos konservative Züge, auch wenn
rende Repräsentationsorgan. die modernen ›Stände‹ nicht mit den festen,
Mit dem Hinweis auf diese Analogie ist aller- unveränderlichen Ständen des Mittelalters
dings zugleich die Beziehung zum impliziten gleichzusetzen sind. Auch der Rückgriff auf den
Scheitern der ersten Württemberg-Schrift her- Organismus-Gedanken erinnert – allerdings erst
gestellt. Hegel verlangt dort, daß eine materielle in der späten Retrospektive – an die konservative
Änderung der gesellschaftlichen Situation den Staatstheorie. Die besonderen Instanzen dürfen
Änderungen der formellen Verhältnisse im Staate sich nicht im schlechten Sinne als partikulare
vorausgehe. Doch kann er im Blick auf Württem- verstehen, sondern als Besonderungen eines All-
berg eigentlich nicht angeben, wie die materiel- gemeinen, nämlich des sittlichen Staates.
len Verhältnisse geändert werden könnten. Das (5) Hegels Ablehnung der Nationalrepräsenta-
gleiche Dilemma gilt im Blick auf England. In- tion hat allerdings noch eine zweite, nicht unbe-
nerhalb der herkömmlichen institutionellen Ver- rechtigte Seite, wodurch sie zugleich ein pro-
hältnisse ließen sich Veränderungen allein durch gressives, gesellschaftskritisches Moment in sich
einen Appell an die Einsicht der politisch Verant- birgt. Das Prinzip der Nationalrepräsentation
wortlichen zur Selbstaufhebung ihrer Privilegien führt nicht notwendig zu einem Fortschritt in der
herbeiführen – und diesen moralischen Weg hat Verwirklichung von Freiheit. Nicht selten werden
Hegel stets für illusorisch gehalten. in Repräsentativsystemen im Namen der Freiheit
(4) In dieser schwierigen Situation sieht Hegel die Interessen der anderen nicht vertreten, son-
das größte Hemmnis in der Form der englischen dern zertreten. Und diese Gefahr, daß im Namen
Repräsentativverfassung. Seine Bedenken rich- der allgemeinen Freiheit lediglich die Privatin-
ten sich nicht gegen das Instrument einer Reprä- teressen der besitzenden Klasse durchgesetzt
sentativverfassung überhaupt; im Unterschied werden, sieht Hegel insbesondere bei der Reprä-
zur antiken Polis sind in den modernen Staaten sentation nach dem von der Reformbill ange-
schon wegen ihrer Größe Repräsentativverfas- strebten Muster gegeben. Das ›Volk‹, das da re-
sungen unverzichtbar. Hegels Einsicht in die Not- präsentiert werden soll, ist selbst eine Abstrak-
wendigkeit von Repräsentativverfassungen im- tion, nämlich eine Abstraktion von den konkreten
pliziert aber nicht seine Zustimmung zur Natio- Einzelinteressen, die dadurch aber nicht ver-
nalrepräsentation. Den Gedanken einer »abstrak- schwinden. Solange in einem ›Volk‹ derart diver-
ten« Volksvertretung hält er für einen gierende Einzelinteressen, ja Klasseninteressen
liberalistischen Irrtum, nicht anders als den Ge- bestehen – und gerade in diesem Kontext häuft
danken der Volkssouveränität. Demgegenüber fa- sich bei Hegel die Verwendung des Klassenbe-
vorisiert er das Prinzip der ständischen Reprä- griffs –, so lange bleibt auch der Gedanke der
sentation – gerade auch für England. Denn die Volksvertretung ein Phantom, das lediglich die
dort stereotyp erhobene Forderung, daß »die gro- Klasseninteressen verdeckt, die in den realen
ßen Interessen« der Nation im Parlament reprä- Eigentumsverhältnissen gründen. Dieser Effekt
sentiert sein sollten, findet Hegel in einer ständi- tritt vermutlich allein dann nicht ein, wenn die
schen Repräsentation besser verwirklicht als Wahlen zum Repräsentativorgan nicht durch ein
8. Berliner Schriften und Entwürfe (1821–1831) 317

Censuswahlrecht geregelt sind – ein Ausweg, durch das positive Recht abgesicherten, aus frü-
über den Hegel sich stets belustigt, da es schlech- heren Zeiten überkommenen Institutionen tra-
terdings nicht einzusehen sei, wieso die politi- gen aber sämtlich die Spuren ihres privatrechtli-
sche Einsicht an 10 Pfund Grundrente geknüpft chen Ursprungs noch allzu deutlich an sich. Was
sein solle. Doch bei Aufgabe dieses – verspotteten England fehlt, ist die Umwandlung dieser privat-
– Censuswahlrechts sagt Hegel ein Überwiegen rechtlich begründeten Verhältnisse in staatsrecht-
der revolutionären Tendenzen voraus. Das unaus- liche – eine Entwicklung, die sich in seinen Au-
weichliche Resultat wäre die Zertrümmerung des gen auf dem Kontinent in der jüngsten Ge-
Staates. Die nach Ständen gegliederte Vertretung schichte vollzogen hat.
wird somit nach Hegel dem tatsächlich vorhande- Zum geschichtlichen Ursprung und Schicksal
nen, in sich strukturierten Ganzen des sittlichen solcher privatrechtlich begründeter Verhältnisse
Staates besser gerecht: Sie bringe diese gegebene enthalten die weltgeschichtlichen Vorlesungen
Gliederung des Staates, die Standesdifferenzen Hegels interessante Hinweise. Er führt dort aus,
und Eigentumsverhältnisse besser als die Natio- daß Frankreich und England, so unterschiedlich
nalrepräsentation zum Ausdruck und deshalb in diesen beiden Ländern die Entwicklung seit
auch zum vernünftigen Ausgleich. dem Mittelalter auch verlaufen sei, doch in dieser
(6) Das Charakteristische der englischen Situa- Hinsicht im Resultat übereinkämen. Wenn der
tion sieht Hegel aber darin, daß dort eigentlich König den Adel entmachtet, wie in Frankreich, so
die Interessen der verschiedenen Gruppierungen läßt er doch – oder gerade – die privatrechtlichen
– der landbesitzenden Klasse und des Gewerbes Verhältnisse des Adels zu den von ihm Abhän-
– faktisch im Parlament repräsentiert sind – wenn gigen bestehen. Wenn andererseits die Barone
auch nur durch Zufall oder richtiger: durch die dem König ihre Rechtsstellung abtrotzen, wie in
Macht der Interessen, die sich ihre Repräsenta- England, so werden dadurch die privatrechtli-
tion erkaufen können. Es handelt sich gleichsam chen Verhältnisse des Adels zu den Abhängigen
um eine verkappte ständische Repräsentation im in keiner Weise angetastet. Auch die gegenwär-
Gewand der Nationalrepräsentation. Die von He- tigen privatrechtlichen Verhältnisse im politi-
gel für konsequent gehaltene Entwicklung zu ei- schen Leben Englands tragen noch die Spuren
ner ausdrücklichen ständischen Repräsentation – ihrer Herkunft aus dem Lehenssystem des Feuda-
wie sie damals in der Mehrzahl der europäischen lismus an sich. Die privatrechtlichen Verhältnisse
Staaten in Kraft ist – zeichnet sich jedoch in bilden natürlich den Ausdruck von Privatinter-
England nicht ab. Außerdem wäre zu bezweifeln, essen, und wo sie in die modernen Staaten hin-
ob die Umwandlung der Nationalrepräsentation reichen, blockieren sie auf Grund ihrer positiv-
in eine ständische Repräsentation einen hinrei- rechtlichen Absicherung die vernünftige Ausbil-
chenden Beitrag zur Beseitigung der gesellschaft- dung staatsrechtlicher Verhältnisse, die Ausbil-
lichen Konflikte durch Abbau einmal vorhande- dung des Rechts zur allgemeinen Sittlichkeit des
ner Privilegien leisten könnte. Dies muß vor al- Staates. Dieser privatrechtliche Charakter der ei-
lem deshalb als wenig wahrscheinlich gelten, da gentlich staatsrechtlichen Verhältnisse geht He-
ja Hegels Ansicht zu Folge das Parlament faktisch gel zu Folge in England so weit, daß dort der
der Form der ständischen Repräsentation näher »allgemeine Stand« – eine selbständige, nicht auf
steht als der Nationalrepräsentation, ohne daß Privilegien beruhende, sondern durch Fähigkei-
doch irgendeine Änderung eingetreten wäre. ten konstituierte Beamtenschaft – fehlt (s. 388).
Deshalb liegt in den Besonderheiten des eng- (8) Das Kernproblem Englands, die Überfüh-
lischen Repräsentationssystems auch nicht die rung privatrechtlicher in staatsrechtlich begrün-
eigentliche Ursache der von Hegel analysierten dete Verhältnisse, sieht Hegel auf dem Kontinent
Probleme. als gelöst an – durch die politische Entwicklung
(7) Das eigentliche Problem, das England zu seit der Französischen Revolution wie auch ins-
lösen hat und in dessen Gefolge auch die übrigen besondere durch deren Konsequenzen für die
Probleme lösbar wären, sieht er im privatrechtli- Aufhebung des alten Reichsrechts und durch die
chen Charakter der öffentlich-rechtlichen Ver- napoleonischen Neuerungen. Eine solche Ent-
hältnisse. Die politischen Verhältnisse Englands wicklung hat aber in England nicht stattgefun-
beruhen insgesamt auf positivem Recht; die den. Damit zeigt sich deutlich das Dilemma, vor
318 II. Werk

dem Hegels Analyse steht: Er analysiert einen durchgerungen. »Ein hamletischer Zug, ihm
Zustand, der auf dem Kontinent durch eine ein- sonst fremd, liegt über seinem Verhalten.« (Ro-
zigartige politische und rechtliche Entwicklung senzweig 1920, Bd. 2.236) Allerdings charakte-
überwunden und zu einem Resultat geführt wor- risiert dieser »hamletische Zug« nicht minder
den ist, das Hegel als ein »vernünftiges« begrüßt. bereits Hegels erste Württemberg-Schrift wie
Diese Lösung läßt sich aber nicht einfach auf auch die Verfassungsschrift (s. 83 f., 104 f.).
andere Staaten wie England übertragen – weder So vermeidet Hegel, eindeutig Partei zu er-
die politische Entwicklung noch die verfas- greifen oder gar konkrete Vorschläge zu unter-
sungsrechtliche. breiten. Gegen die alten Zustände sprechen
Ein zweites Moment kommt hinzu, dessen ebensoviel Gründe wie gegen die angestrebten
Herausarbeitung Hegel erhebliche Kritik einge- neuen Verhältnisse. Doch die Rolle des Philo-
tragen hat: In Württemberg hat die Monarchie sophen sieht er ohnehin darauf beschränkt, diese
die »modernen« staatsrechtlichen Regelungen Situationen zu vergleichen, zu analysieren und zu
durchgesetzt – doch der englischen Monarchie kommentieren, und zwar auf einer Ebene, die
traut Hegel diese Kraft nicht zu. Damit hat er die den Teilnehmern am politischen Streit so viel-
politische und rechtliche Stellung des englischen leicht gar nicht vor Augen steht. Die Philosophie
Königs falsch eingeschätzt – wie sich wenige Tage kann aber nicht konkrete Handlungsanweisun-
nach der Publikation der Reformbill-Schrift in gen für politische Entscheidungen geben; sie
der Auflösung des Parlaments durch den König kann lediglich die herrschende Bewußtlosigkeit
zeigt. Dennoch kann es nicht zweifelhaft sein, über die wahren Ursachen der oft nur vorder-
daß der König weder die politische Macht noch gründig diskutierten Probleme aufdecken. Indem
die Rechtsstellung gehabt hat, aus eigener Kom- sie dies leistet, trägt sie ebenfalls zu deren Be-
petenz die Gesamtheit der privatrechtlich be- wältigung bei. Die Lösung selbst erwartet Hegel
gründeten Strukturen in staatsrechtliche zu aber nicht von der philosophischen Erkenntnis,
überführen. sondern von einer anderen Macht: von der Ge-
(9) Dieser Vergleich der englischen Situation schichte. Im Blick auf die am Beispiel Englands
mit der kontinentalen legt die Problematik der behandelten Probleme ist dieser von Hegel be-
Reformbill-Schrift offen: Als Lösung schwebt He- schworenen Instanz die Lösung besser gelungen,
gel die nachrevolutionäre politische und recht- als Hegel selbst – und viele seiner Zeitgenossen –
liche Entwicklung der kontinentalen Staaten vor. es in den Diskussionen um die Reformbill zu
Darüber hinaus weiß er eigentlich keine Vor- hoffen gewagt haben.
schläge zu unterbreiten, wie die Lösung des näm- Erstdruck: Preußische Allgemeine Staats-Zeitung 1831,
lichen Problems für England erfolgen könnte. Nrr 115/116 (Dienstag, 26. April), Nr 118 (Freitag, 29.
Daher erklärt sich auch die eigentümliche Rat- April) (S. 853 f., 857 f., 867 f.). – Text: GW 16.325–404;
losigkeit, von der die Reformbill-Schrift sehr viel BSchr 443–489. – Literatur: Haym: Hegel und seine
stärker gekennzeichnet ist als von der Revolu- Zeit, 454–459; Rosenzweig: Hegel und der Staat (1920),
tionsfurcht oder von der angeblichen Propagie- Bd 2.225–239; Shlomo Avineri: Hegels Theorie des
modernen Staates. Frankfurt am Main 1976, 247–261;
rung restaurativer Lösungen: Es ist nicht leicht zu Domenico Losurdo: Hegel und das deutsche Erbe. Phi-
sagen, wie man mittels vernunftrechtlicher Argu- losophie und nationale Frage zwischen Revolution und
mente den Rechtscharakter privatrechtlich be- Reaktion. Köln 1989; Christoph Jamme / Elisabeth
gründeter Privilegien aufheben und ein System Weisser-Lohmann (Hg.): Politik und Geschichte. Zu
reeller Rechte und reeller Freiheit schaffen den Intentionen von Hegels Reformbill-Schrift. HSB 35
könne. Denn auch nach der Reformbill bleibe die (1995).
»res publica« gleichwohl eine »res privata«.
Rosenzweig trifft deshalb exakt den eigentüm-
lichen Zug dieser Abhandlung, wenn er ihren
aporetischen Charakter hervorhebt: Trotz seiner
scharfen Kritik der herrschenden Zustände und
seiner Sympathie für die zu schaffenden habe
Hegel sich nicht zu einem mutigen Nein gegen
jene und einem entschlossenen Ja zu diesen
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 319

9. Heidelberger und Berliner Lehrtätigkeit die Differenz-Schrift (s. 109) und


Vorlesungen (1816–1831) parallel zu ihr die zum Teil recht umfangreichen
Abhandlungen aus dem Kritischen Journal (s.
9.0. Ein System in Vorlesungen 128) –, sind ihrem Charakter nach »Kritische
Schriften« (so auch der Bandtitel von GW 4), aber
(1) Den erstrebten Wechsel von Heidelberg nach nicht in gleicher Weise wie die Vorlesungsmanu-
Berlin hat Hegel gegenüber dem Badischen In- skripte Entwürfe oder Bausteine des »Systems«.
nenministerium nicht – in der Perspektive eines Und aus diesen Vorlesungen, insbesondere aus
Hochschullehrers – mit der Hoffnung begleitet, den »Einleitungen zur Logik und Metaphysik«,
in der neu gegründeten und bereits hoch angese- entspringt schließlich, wie schon Rosenkranz be-
henen Berliner Universität ein reicheres Betäti- richtet, »die Anlage zur Phänomenologie« als der
gungsfeld für die akademische Lehre zu finden, Einleitung in das »System der Wissenschaft«.
sondern mit einer »namhaften Gehaltsvermeh- Hegel hat sie – wenn auch sicher nur ihre An-
rung« und mit der Aussicht, »in weiter vorrücken- fangspartien – sogar noch im Sommer 1806 in
dem Alter von der prekären Funktion, Philo- seinen Vorlesungen an Hand von Druckbogen
sophie auf einer Universität zu dozieren, zu einer vorgetragen (R 202,214). Doch trotz ihrer Genese
andern Tätigkeit übergeben und gebraucht wer- aus dem Umkreis der Vorlesungen ist die Phäno-
den zu können« (s. 42). Das Scheitern dieser menologie das eine der beiden Bücher, das weit
Pläne hat Hegel genötigt, diese in Jena über deren Rahmen hinausgreift: Als Einleitung
(1801–1806) eher marginal wahrgenommene, in in das ausgeführte »System der Wissenschaft« ist
Bamberg und Nürnberg (1807–1816) schmerzlich sie selber dessen erster Teil.
vermißte und erst seit seiner Heidelberger Pro- Neben ihr hat Hegel, wenig später, nur noch
fessur (1816–1818) in vollem Umfang übernom- e i n weiteres Buch (in drei Teilbänden) veröffent-
mene »prekäre Funktion« bis an sein Lebensende licht, das außerhalb des Kontextes seiner Vor-
auszuüben. Er hat somit, abgesehen vom kurzen lesungen steht – obschon es ebenfalls aus ihnen
Intermezzo bei der Bamberger Zeitung, die ge- und aus seinem Gymnasialunterricht »entsprun-
samte zweite Hälfte seines Lebens Philosophie gen« ist: die Wissenschaft der Logik (1812–1816,
gelehrt – acht Jahre am Gymnasium und zwanzig 1832). Sie ist der grundlegende, aber auch der
Jahre an der Universität –, und damit erheblich einzige Systemteil, den Hegel in Wissenschafts-
länger als Fichte oder Schelling. So ist es nicht form ausgeführt hat. Darauf beruht ihre einzig-
verwunderlich, daß er auch seine Philosophie im artige Stellung in Hegels System. Die drei Auf-
Kontext seiner Lehre entfaltet hat. Lehre und lagen der Enzyklopädie der philosophischen Wis-
Ausbildung seiner Philosophie zum System sind senschaften im Grundrisse (!) hingegen, und auch
für ihn eins. die Grundlinien (!) der Philosophie des Rechts,
Seit seinem Übergang von Frankfurt nach Jena sind nicht Teile des in Wissenschaftsform ausge-
ist Hegels Interesse darauf gerichtet, sein jugend- führten »Systems«, sondern Kompendien, »Vor-
lich-ideales Denken »zur Reflexionsform, in ein lesebücher« für die akademische Lehre. Diese
System zugleich [zu] verwandeln« (an Schelling, Zuordnung wird selbst heute noch verdeckt
2.11.00). Die ersten Zeugnisse dieser Verwand- durch die von den »Freunden des Verewigten«
lung bilden die »Jenaer Systementwürfe«. Bei veranstaltete Verunstaltung seines Vorlesungs-
ihnen handelt es sich jedoch nicht primär um grundrisses zum »System der Philosophie« (wie
Buchprojekte – auch wenn Hegel in diesen frü- es in Hermann Glockners Jubiläumsausgabe aus-
hen Jahren fast ständig das Erscheinen von Bü- drücklich im Titel heißt; s. 261). Und auch die
chern ankündigt –, sondern um Materialien, die »Philosophie des subjektiven Geistes« hat Hegel
mit Bestimmtheit seinen damaligen Vorlesungen in Form eines Vorlesungskompendiums zu publi-
zuzuordnen sind: teils um Vorlesungsmanu- zieren beabsichtigt – als Grundriß, und nicht als
skripte, teils um Texte, die als überarbeitete Fas- einen in Wissenschaftsform ausgeführten Sy-
sungen solcher Manuskripte anzusehen sind. He- stemteil (s. 283 f.).
gels Jenaer »Systementwürfe« sind Vorlesungs- (2) Die Vorlesungen bilden somit nicht gleich-
manuskripte. Die Texte hingegen, die Hegel da- sam einen – im Grunde ignorablen – Appendix
mals veröffentlicht – noch vor dem Beginn seiner zum »eigentlichen« Werk; sie sind ein nicht bloß
320 II. Werk

gleichberechtigtes, sondern vielmehr das domi- 1800 auch bei seinen Zeitgenossen zeigt – noch
nierende Element der »Werkform« der Hegel- nicht bei Reinhold, wohl aber seit Fichte, der
schen Philosophie, also derjenigen Form, in der seiner Jenaer Lehrtätigkeit die Schrift Ueber den
er seine Philosophie ausgearbeitet hat. Man mag Begriff der Wissenschaftslehre als Einladungs-
dies bedauern, aber im Blick auf diese Werkform schrift zu seinen Vorlesungen vorausschickt und
der Philosophie Hegels ist die Wissenschaft der dessen Grundlage der gesammten Wissenschafts-
Logik geradezu atypisch – was ihre für das Sy- lehre den Untertitel führt: als Handschrift für
stem grundlegende und überragende Bedeutung seine Zuhörer. Für Schelling sind die frühen Vor-
fraglos nicht schmälert. Wahrscheinlich verdankt lesungen – soweit sich jetzt erkennen läßt – we-
sie sich dem Umstand, daß Hegel zur Zeit ihrer niger bedeutend für die Werkform seiner Philo-
Abfassung seine Philosophie nicht in Form von sophie; anders steht es um seine »Spätphiloso-
eigentlichen Vorlesungen ausbilden und seine Ar- phie«. Für Schleiermacher hingegen haben die
beitskraft ganz auf die Buchform konzentrieren Vorlesungen wiederum eine große Bedeutung –
konnte. Sie ist aber der einzige Teil des späteren auch wenn sie durch andere Werkformen wie
Systems, den Hegel ausgeführt hat. Die Werk- Predigten und Übersetzungen nivelliert wird.
form seiner Philosophie ist nicht das »System der Diese Verlagerung des Akzents von der Pu-
Wissenschaft«. Von seinem späteren, in Wissen- blikation auf die Lehrtätigkeit ist fraglos eine
schaftsform ausgeführten »System« liegt einzig Folge des Endes der »Schulphilosophie« des 18.
die Wissenschaft der Logik vor – und neben ihr Jahrhunderts – ihres festgefügten Kanons philo-
stehen die Vorlesungen, von denen Hegel zwar sophischer Disziplinen, aber auch ihrer Lehr-
einige zu Systemteilen ausarbeiten wollte, ohne form, Kompendien – eigene oder auch anderer
doch über Kompendien oder auch nur Ansätze zu Autoren – dem eigenen Vortrag zu Grunde zu
ihnen hinauszugelangen. legen und dadurch ein tendenziell statisches Wis-
Deshalb verwundert es nicht, daß die unmittel- sen an jeweils neue Studentengenerationen wei-
bare Wirkungsgeschichte seiner Philosophie ein terzugeben. Mit dem Erlöschen dieser »Schul-
getreues Spiegelbild ihrer Werkform ist: Ihre philosophie« am Ende der Aufklärung beginnt
Wirkung beruht auf den Vorlesungen, und insbe- eine überaus fruchtbare Epoche der Ausbildung
sondere auf den Vorlesungen über die »realphilo- der Philosophie im Kontext der akademischen
sophischen« Teile seiner Philosophie. Paradox Lehre – und dies in doppelter Hinsicht.
formuliert: Die Wirkung des Hegelschen »Sy- Zum einen wird der Kanon der philosophi-
stems« ist die Wirkung eines Systems, das er schen Wissenschaften neu gestaltet. Während im
nicht, zumindest nicht in der ihm vorschweben- späten 18. Jahrhundert Logik, Ontologie, ratio-
den Form des »Systems der Wissenschaft« ausge- nale und empirische Psychologie und Kosmologie
führt, sondern lediglich in seinen Vorlesungen und natürliche Theologie sowie »Naturrecht«
skizziert hat. Hegels »System« ist überwiegend vorgetragen werden, verschwinden seit Kants
ein »System in Vorlesungen«. Kritik sukzessiv die Diszplinen der metaphysica
(3) Die dominante Bedeutung der Vorlesungen specialis – rationale Psychologie, Kosmologie
für die Werkform der Philosophie Hegels beruht und Theologie – aus dem Lehrangebot; neue
somit nicht etwa auf einem (un)glücklichen Zu- Disziplinen treten unter neuen Namen auf. Und
fall seiner Überlieferungsform. Sie setzt natürlich während Naturphilosophie, Geistesphilosophie
Hegels lange Lehrtätigkeit voraus, aber sie ver- und Rechtsphilosophie noch Beziehungen zur
dankt sich letztlich nicht einem besonderen di- früheren Kosmologie, Psychologie und zum Na-
daktischen Eros – und allenfalls zu einem Teil turrecht behalten, treten auch völlig neue Dis-
seinen bekannten rhetorischen Defiziten, die ihn ziplinen hinzu – wie »Philosophie der Weltge-
zu einer intensiven Ausarbeitung seiner Kompen- schichte«, »Philosophie der Kunst«, »Philosophie
dien und Vortragsmanuskripte genötigt haben. der Religion« und »Geschichte der Philosophie«.
Entscheidend ist jedoch etwas anderes: Die Man kann diesen epochalen Wandel an Hegels
starke Akzentuierung oder gar Dominanz der Lehrangebot ablesen, und seine eigene Lehrtä-
Werkform »Vorlesung« entspringt aus einer all- tigkeit hat fraglos dazu beigetragen, den neuen
gemeinen Veränderung in der Auffassung und Kanon zu etablieren.
Funktion des akademischen Vortrags, die sich um Über diesen Wandel hat Hegel sich sehr präzise
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 321

ausgesprochen, in seinem Gutachten Ueber den Produktion der Vorlesungen und in ihre vielleicht
Vortrag der Philosophie auf Universitäten, das er ungeliebte, aber faktische Dominanz für die
im Zuge der Vorklärung seiner Berufung nach Werkform der Philosophie Hegels folgt für den
Berlin am 2.8.16 »an den Königlich Preußischen Interpreten die Verpflichtung, der Funktion ge-
Regierungsrat und Professor Friedrich von Rau- recht zu werden, die Hegel selber ihnen zuge-
mer« sendet (W XVII.349–356). Er konstatiert wiesen hat. Sie bilden nicht einen Bereich min-
hier, daß »die vormalige wissenschaftliche Aus- deren Rechts gegenüber den Publikationen. Sie
bildung« der Philosophie […] nach Form und sind sogar die primäre Form der Entfaltung sei-
Inhalt, mehr oder weniger antiquirt worden; – ner Philosophie – auch wenn Hegels Intention
daß aber auf der andern Seite die an die Stelle fraglos stets auf das »System der Wissenschaft«
getretene Idee der Philosophie noch ohne wis- ausgerichtet ist. Sicherlich sind sie nicht – wie in
senschaftliche Ausbildung steht, und das Mate- ihrer frühen Wirkungsgeschichte – als in Wissen-
rial der besonderen Wissenschaften seine Um- schaftsform ausgeführte und ihr adäquate Sy-
bildung und Aufnahme in die neue Idee unvoll- stemteile mißzuverstehen: Sie sind Versuche He-
ständig oder gar noch nicht erlangt hat.« Die neue gels, die in ihnen vorgetragenen Wissenschaften
Idee habe »die Forderung noch nicht erfüllt, das allererst zu erfinden: aus dem gegebenen Mate-
weite Feld von Gegenständen, welche in die Phi- rial dessen innere Form herauszuarbeiten – und
losophie gehören, zu einem geordneten, durch zumal unter den zeitlich angespannten Bedin-
seine Theile hindurch gebildeten Ganzen zu ge- gungen des akademischen Lehrbetriebs.
stalten.« »Was wir daher auch im Durchschnitt Schon auf Grund dieser Entstehungssituation
auf Universitäten und in Schriften vorgetragen und Bestimmung sind sie auch nicht als erstarr-
sehen, sind noch einige der alten Wissenschaf- ter, in logische Fesseln gebannter Geist anzu-
ten, Logik, empirische Psychologie, Naturrecht, sehen, sondern als Dokumente des Werdens der
etwa noch Moral; denn auch denen, welche sich jeweiligen Wissenschaft. Deshalb ist ihre ent-
sonst noch an das Aeltere halten, ist die M e t a - wicklungsgeschichtliche Varianz herauszuarbei-
p h y s i k zu Grunde gegangen, wie der Juri- ten und nicht etwa als Einwand oder gar als
stenfakultät das deutsche Staatsrecht; wenn dabei Selbstwiderspruch anzusehen. Wer ihre gedank-
die übrigen Wissenschaften, die sonst die Meta- liche Bewegung nicht wahrnimmt – und sei es
physik ausmachten, nicht so sehr vermißt wer- aus Gründen einer unzureichenden Edition –,
den, so muß dieß wenigstens in Ansehung der kann sie freilich nur als statisch ansehen. Doch
n a t ü r l i c h e n T h e o l o g i e der Fall seyn, deren nichts ist absurder als der seit Dilthey kursie-
Gegenstand die vernünftige Erkenntniß Gottes rende Einwand, sie dokumentierten die fort-
war.« schreitende Sklerotisierung des späten Systems;
Von diesem Wandel im Philosophiebegriff ist sie sind ja nicht einmal Teile des in Wissen-
also zum einen die Systematik der philosophi- schaftsform ausgeführten Systems. Die ausge-
schen Teildisziplinen betroffen, doch zum an- führte Wissenschaft kann in anderer Weise zum
deren müssen auch die einzelnen Disziplinen Thema werden – doch selbst sie kennt die Va-
dieses neuen Kanons neu entworfen werden. rianz, wie das Verhältnis der zweiten zur ersten
Auch dies hat Hegel als seine Aufgabe klar erfaßt Auflage der Wissenschaft der Logik zeigt. Selbst
und ausgesprochen. Am 11.12.17, inzwischen ein sie ist ungeachtet ihres hohen Anspruchs auf
Jahr lang in Heidelberg, schreibt er an Niet- Erkenntnis des Absoluten immer eine Wissen-
hammer, er habe die Wissenschaften, die er vor- schaft »in statu nascendi«. Und alle anderen Dis-
trage, »eigentlich meist erst zu machen«. Diese ziplinen seiner Philosophie hat Hegel ohnehin
Formulierung beschreibt sehr treffend eine Situa- nicht als Bestandteil des »Systems der Wissen-
tion, in der Vorlesungen zu einem konstitutiven, schaft«, sondern in der vorbereitenden Werkform
ja dominanten Element der Form eines philo- »Vorlesungen« und der hierdurch begünstigten
sophischen Werkes werden: Sie sind die Akte der Varianz ausgeführt.
Erfindung einer neuen, nicht die Entfaltung oder (5) Hegels Lehrtätigkeit hat im Winter 1801/02
gar die bloße Repetition einer schon bestehenden sehr übereilt begonnen, vermutlich im unmittel-
Wissenschaft. baren Anschluß an seinen Probevortrag und nach
(4) Aus der Einsicht in diese Umstände der äußerst knapper Vorbereitungszeit (s. 150 f.). So-
322 II. Werk

weit bekannt, hat er diese erste Vorlesung auf der ternative zwischen Vorlesungen an Hand eines
Basis von Vorlesungsmanuskripten gehalten, von Kompendiums und eines Vorlesungsmanu-
denen nur wenige Fragmente überliefert sind skripts. Über Logik und Metaphysik sowie Philo-
(GW 5.269–275). Doch schon seit seinem zwei- sophie der Natur und des Geistes liest Hegel an
ten Semester, seit dem Sommer 1802, wird eine Hand der Enzyklopädie, über Rechtsphilosophie
Grundunterscheidung für die Form der Lehre an Hand der Grundlinien und über Philosophie
Hegels konstitutiv: die Differenz zwischen Vor- der Weltgeschichte, der Kunst, der Religion so-
lesungen nach einem Lehrbuch (»secundum li- wie über Geschichte der Philosophie gestützt auf
brum«) und nach Diktaten (»ex dictatis«) – und Manuskripte.
hierzu tritt später das Lesen nach einem Manu- (6) Diese Differenz zwischen »Kompendium-
skript. Für den Sommer 1804 fehlt ein spezifizie- vorlesungen« und »Manuskriptvorlesungen« ist
render Hinweis – vielleicht zufällig, denn für den grundlegend für die Berliner Vorlesungen, und
Winter 1804/05 wird die ganze, in sich differen- sie ist für die Werkform »Vorlesung« in mehr-
zierte Vorlesung »ex dictatis«, und für den Som- facher Hinsicht von Bedeutung. Ein Blick auf die
mer 1805 werden beide Vorlesungen »ex libro« Überlieferungslage zeigt, daß unter den Studen-
angekündigt. Im Winter 1805/06 liest Hegel die ten die Neigung zum Mitschreiben von Kompen-
Realphilosophie wiederum »ex dictatis«; für die diumvorlesungen weniger groß gewesen ist als
Geschichte der Philosophie hingegen fehlt ein bei Manuskriptvorlesungen. Jene sind deshalb
solcher Hinweis – und hier ist auf ein Vorlesungs- insgesamt weit spärlicher durch Nachschriften
manuskript zu schließen, von dem ja einige Par- überliefert als diese; die Überlieferung eines, in
tien in die Ausgabe der Vorlesungen eingegangen einem Semester vorgetragenen Kollegs durch
sind (W XIII-XV). Für den Sommer 1806 kündigt mehrere Nachschriften ist hier die Ausnahme. In
Hegel wiederum seine Vorlesungen teils »ex libro der Werkform »Kompendiumvorlesungen« steht
suo«, teils »ex dictatis« an. – Freilich hat Hegel somit zwar die Authentizität des Kompendiums
sich in all diesen Jahren – bis zum Sommer 1806, außer Frage – doch die Überlieferung von Hegels
in dem er die Druckbogen der Phänomenologie mündlichem Vortrag, als der wesentlichen Ergän-
verteilt – nicht wirklich auf ein Lehrbuch stützen zung des Kompendiums, ist im allgemeinen we-
können, sondern jeweils auf Manuskripte zu- niger gut gesichert als bei den Manuskriptvor-
rückgreifen müssen. lesungen. In der Werkform »Manuskriptvorle-
Dennoch zeigt sich in dieser frühen Zeit eine sungen« hingegen tritt die Manuskript-Kompo-
klare Alternative zwischen »Lehrbuch« und »Dik- nente wegen des Überlieferungsverlustes
tat«, die im Sonderfall 1805/06 durch eine Vorle- weitgehend zurück – doch die Überlieferung des
sung nach einem Manuskript ergänzt wird. Sie gesprochenen Wortes durch Nachschriften ist
scheint auch noch für die Heidelberger Vorle- insgesamt dicht und auch relativ zuverlässig, ob-
sungen prägend zu sein: Für das erste, das Win- schon der Quellenwert der Nachschriften fraglos
tersemester 1816/17, läßt sich der Ankündigung stark schwankt. Dies darf jedoch nicht zur pau-
zwar nichts entnehmen, doch in den drei folgen- schalen Diskreditierung führen, sondern zur
den Semestern liest Hegel »Logik und Meta- quellenkritischen Bearbeitung der überlieferten
physik« nach der (angekündigten) Enzyklopädie Zeugnisse und zur Sicherung ihres gedanklichen
und alle anderen Vorlesungen nach Diktaten – Gehalts.
selbst die Geschichte der Philosophie. Dies ist (7) Seinen Vortrag hat Hegel jedoch nicht allein
jedoch nicht so zu denken, als habe Hegel aus- auf die Enzyklopädie in ihren jeweiligen Fassun-
schließlich diktiert; vielmehr hat er – zumindest gen gestützt; er hat sich zusätzliche Manuskripte
seit seinen Nürnberger Jahren – jeweils einen (»Hefte« und »Konvolute«) angelegt, von denen
Paragraphen diktiert und dann freie Erläuterun- sich nur wenige Fragmente erhalten haben. Wie
gen angeschlossen. umfangreich diese Blätter einmal gewesen sein
In Berlin verändert sich dieses Grundmuster: mögen, ist nicht mehr zu festzustellen.
Im ersten Semester behält er es zwar noch bei, Bereits diese zusätzlichen Manuskripte lassen
sofern er noch ein Mal »ius naturae et civitatis« vermuten, daß Hegel seinen Vortrag nicht streng
nach Diktaten liest. In den folgenden Jahren setzt an den Paragraphen der Enzyklopädie orientiert
sich jedoch eine andere Dualität durch: die Al- hat – und soweit sich erkennen läßt, gilt dies für
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 323

alle Kompendium-Vorlesungen. Die mehrfach Weiterentwicklung einer Disziplin. Allerdings


geäußerte Annahme, Hegel habe jeweils den Pa- hat Hegel die Enzyklopädie erst nach langen
ragraphen vorgelesen und anschließend kom- Vorbereitungsjahren im Nürnberger Gymnasial-
mentiert, läßt sich für keine Kompendium-Vorle- unterricht veröffentlicht, und die Grundlinien
sung belegen. Wahrscheinlicher ist es, daß einige erst nach mehrfachem Vortrag der Rechtsphiloso-
Nachschreiber bei der häuslichen Ausarbeitung phie in Heidelberg und Berlin – wohl in der
ihrer Notizen die jeweiligen Paragraphen des Annahme, daß er diese Wissenschaften nun zu-
Kompendiums in ihre Nachschrift eingeblendet mindest insoweit ›erfunden‹ habe, als ihre sy-
haben. Die Rückbindung des Vortrags an das stematische Form gefunden, wenn auch nicht
Kompendium ist vielmehr erstaunlich lose. So- notwendig zur »Wissenschaft« ausgearbeitet sei.
weit die wenigen vorhandenen Beispiele erken- (8) Abgesehen von der Logik liegen alle Dis-
nen lassen, ist sie sogar lockerer als zwischen ziplinen des Hegelschen »Systems« nur in der
Vorlesungsmanuskript und -nachschrift. Im we- Werkform »Vorlesung« vor. Für die Interpretation
sentlichen bieten die mündlichen Ausführungen stellt sich deshalb nicht die hermeneutische Al-
weder eine Wiederholung noch eine strenge Er- ternative, sich an Publiziertem oder an Vorle-
läuterung des Kompendiums, sondern freie Er- sungen zu orientieren, sondern allein das Pro-
gänzungen. blem der Vollständigkeit der Überlieferung und
Noch eine weitere wichtige Differenz besteht ihrer Authentizität. Doch – kann der Werkform
zwischen Kompendium- und Manuskriptvorle- »Vorlesungen« in der gegenwärtigen, durch große
sungen – allerdings nicht zwischen einzelnen Textverluste verschlechterten Überlieferungslage
Nachschriften zu diesem oder jenem Vorlesungs- überhaupt diejenige Funktion zukommen, die sie
typus, sondern zwischen den in diesen beiden im ursprünglichen Konzept der Philosophie He-
Werkformen vorgetragenen Disziplinen: Bei Ma- gels einmal gehabt hat? Diese Frage ist für die
nuskriptvorlesungen ist die entwicklungsge- unterschiedlichen Elemente der Werkform »Vor-
schichtliche Differenz zwischen den Kollegien lesungen« – Kompendien, Manuskripte, Nach-
einer Disziplin bei weitem größer: Sie betrifft schriften – jeweils unterschiedlich zu beantwor-
stets auch die systematische Form der jeweiligen ten.
Disziplin. Hegel gewinnt die Systemform hier Bei den Kompendien ist keine Differenz gegen-
erst im Durchlaufen mehrerer Kollegien. Die über dem früheren Stand zu verzeichnen. Bei den
Kompendiumvorlesungen sind demgegenüber – Vorlesungsmanuskripten hingegen stellt sich
durch die Orientierung am unveränderten Kom- zwar ebenfalls nicht die Frage der Authentizität,
pendium – konzeptuell weitgehend festgelegt; doch sind erhebliche Verluste eingetreten – sei es
die Varianz zeigt sich hier fast ausschließlich in dadurch, daß die Schüler die ihnen zur Edition in
Akzentverschiebungen bei der Ausarbeitung des der Freundesvereinsausgabe übergebenen Manu-
Details. Für unsere heutige Kenntnis der Philo- skripte weder der Familie Hegel zurückerstattet
sophie Hegels kommt somit den Nachschriften noch in der Königlichen Bibliothek deponiert
von Manuskriptvorlesungen eine größere Bedeu- haben (wie Marheineke das Manuskript zur »Re-
tung zu als den Nachschriften der Kompendium- ligionsphilosophie«, W2 XI.VII), sei es dadurch,
vorlesungen. Deshalb kann sich die folgende daß Manuskripte später absichtlich von der Fami-
Darstellung der einzelnen Disziplinen bei den lie vernichtet worden sind (Henrich / Becker
Kompendiumvorlesungen auf das Verhältnis von 1981, 590,613). Dadurch ist die Integrität der
Kompendium und Nachschriften beschränken; Werkform »Vorlesung« bereits durch die Über-
bei den Manuskriptvorlesungen hingegen muß lieferungslage zerstört – und dies seit dem Ab-
sie zugleich die Entwicklung ihrer Systemform schluß der Freundesvereinsausgabe. Von den
berücksichtigen. zahlreichen Vorlesungsmanuskripten Hegels, sei-
Ein Kompendium fungiert somit zwar als Über- nen »Heften«, und den ergänzenden Konvoluten
sicht für die Hörer und als Stütze für die Entwick- mit Materialien hat sich allein das Manuskript
lung des jeweiligen Vortrags – und es erspart den zur Religionsphilosophie erhalten – doch dieses
an der Berliner Universität inzwischen als un- hat nur dem ersten der vier religionsphilosophi-
akademisch angesehenen Aufwand des Diktie- schen Kollegien als Grundlage gedient, wenn
rens. Andererseits beschränkt es die konzeptuelle Hegel es auch noch für die späteren Vorlesungen
324 II. Werk

punktuell herangezogen hat (GW 17.356–359). niger glücklich gefundener Nachschriften gegen-
Die zweitgrößte Gruppierung bilden die Manu- über, die lediglich auf Grund des bloßen Faktums
skripte zu den geschichtsphilosophischen, und ihrer Entdeckung und nicht eines – auch nur
die drittgrößte diejenige zu den philosophiege- minimalen – kritischen Vergleichs mit anderen
schichtlichen Vorlesungen (GW 18.35–111 bzw. Textzeugen veröffentlicht werden und deshalb
121–214). Die beiden letztgenannten Gruppie- keine Kontrolle des edierten Textes erlauben.
rungen umfassen aber jeweils fast ausschließlich Und vor allem werden die den Nachschriften
die Einleitungen, und auch sie nur fragmenta- gegenüber an den Tag gelegten Skrupel allzu
risch. Von den Vorlesungen über die Philosophie häufig restlos suspendiert gegenüber den »Zu-
der Kunst haben sich gar nur zwei kleine Frag- sätzen« zu den Kompendien der Freundesvereins-
mente erhalten (GW 18.115–117). ausgabe, zur Enzyklopädie und zu den Grund-
Anders als der Bestand der Vorlesungsmanu- linien – obgleich doch die Authentizität der »Zu-
skripte hat sich die Zahl der überlieferten Nach- sätze« weit geringer ist als die der Nachschriften:
schriften heute sogar gegenüber der Freundesver- Sie sind durch ein von Band zu Band, von Heraus-
einsausgabe erhöht: Auch wenn die damaligen geber zu Herausgeber wechselndes undurchsich-
Herausgeber nicht alle ihre Quellen nennen, la- tiges Auswahlverfahren teils aus Nachschriften,
gen ihnen doch sehr wahrscheinlich weniger teils aus anderen Quellen und möglicherweise
Nachschriften vor als den heutigen Editoren. So eigenen Zutaten kompiliert. Den »Zusätzen« ge-
erfreulich dieser Zuwachs ist, so ist es doch unab- genüber haben deshalb die Nachschriften Quel-
änderlich, daß den Nachschriften geringere Au- lencharakter – selbst wenn sie gelegentlich un-
thentizität zukommt als von Hegel verfaßten Tex- reine Quellen sein mögen. Diesen Grad der Rein-
ten. Gleichwohl machen der schmale Umfang der heit oder Unreinheit zu bestimmen und der letz-
überlieferten Vorlesungsmanuskripte die Nach- teren entgegenzuwirken ist jedoch die Aufgabe
schriften zu unverzichtbaren Quellen für Hegels ihrer kritischen Edition.
Denken: Von den genannten zwei kurzen Frag- (9) Es ist die erste Aufgabe der historisch-
menten abgesehen ist die Ästhetik nur durch kritischen Edition, die Quellen von späteren De-
Nachschriften überliefert, und auch unsere formationen zu befreien und ihre ursprüngliche
Kenntnis von Disziplinen wie der Geschichts- Form wiederherzustellen. Doch gerade durch
philosophie, der Religionsphilosophie oder der diese Restaurierung geht die Edition ungewollt,
Geschichte der Philosophie stützt sich fast aus- aber unvermeidlich über die bloße Restauration
schließlich auf Nachschriften. Auf diese zu ver- hinaus und verändert die Rezeptionssituation:
zichten bedeutete, auf die durch sie überlieferten Während der Hörer Hegels im allgemeinen nur
Disziplinen zu verzichten und Hegels Philoso- einen Vortrag der jeweiligen Disziplin hörte,
phie durch Eliminierung weiter Bereiche zu ver- wird sein Leser mehrere Kollegien lesen. Hier-
stümmeln, die nicht allein in ihrer Wirkungsge- durch erschließt sich ihm ihre Varianz – und
schichte eine bedeutende Rolle gespielt haben, bereits diese steht dem vielerorts liebevoll ge-
sondern eben integrale Teile der Werkform sei- pflegten Bild des zunehmend verknöcherten Sy-
ner Philosophie sind. Freilich sollten Nachschrif- stematikers Hegel entgegen. Und hinter der blo-
ten nicht unbesehen ediert und interpretiert wer- ßen, vielleicht spielerischen Varianz wird zudem
den; sie bedürfen einer quellenkritischen Bear- auch die Entwicklungsgeschichte der jeweiligen
beitung und der Prüfung ihrer Authentizität. Disziplinen erkennbar – und sie läßt sich stets,
Doch sofern sie diese Kritik bestehen, ist ein von den ersten bis in die letzten Berliner Kolle-
pauschales Mißtrauen ihnen gegenüber nicht ge- gien Hegels verfolgen.
rechtfertigt – und vor allem auch nicht fruchtbar, Diese Entwicklung ist jedoch nicht in irgend
angesichts des Fehlens einer Alternative. welchen plakativen Umschwüngen zu suchen –
Die gegenwärtige Forschung verrät im Umgang gleichsam in der Wandlung Hegels vom Rechts-
mit Hegels Texten eine eigentümliche philoso- zum Linkshegelianer und umgekehrt, oder vom
phisch-philologische Doppelmoral: Verständli- christlichen zum pantheistischen Denker. Sie be-
chen Skrupeln gegen die Interpretation von trifft vielmehr die Ausbildung der jeweiligen Dis-
Nachschriften stehen in mittlerweile größerem ziplinen – die Prozesse ihrer Grundlegung wie
Umfang Editionen einzelner, oft mehr oder we- auch der Veränderung und Erweiterung der ur-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 325

sprünglichen Ansätze, zum Teil auf Grund der der Ort, an dem seine Philosophie ihre allge-
umfassenden und intensiven Auswertung der meine Gestalt und ihre spezifische gedankliche
Quellen, die Hegel sich jeweils von Kolleg zu Bestimmtheit gewinnt – eine Bestimmtheit, die
Kolleg neu erschlossen hat, zum Teil aber auf Hegel nur in den beiden Ausnahmen der Phäno-
Grund der fortschreitenden Bestimmtheit des menologie und der Wissenschaft der Logik noch
Gedankens. In ihr liegt die entscheidende Di- weiter zum »System der Wissenschaft« entfaltet
mension der Entwicklung: in der Ausbildung der hat.
Systemform der jeweils erst zu »erfindenden« Literatur: Jaeschke: Probleme der Edition der Nach-
Wissenschaft, in der eigentümlichen Spannung schriften von Hegels Vorlesungen. In: Allgemeine Zeit-
zwischen der Identität des Ansatzes im allge- schrift für Philosophie 5/3 (1980), 51–63; Fragen und
meinen und der Differenz seiner spezifischen Quellen zur Geschichte von Hegels Nachlaß. I. Dieter
Ausformung. Zwar spannt sich von Hegels erster Henrich: Auf der Suche nach dem verlorenen Hegel. II.
Vorlesung in Jena (1801/02) ein Bogen bis hin zu Willi Ferdinand Becker: Hegels hinterlassene Schriften
im Briefwechsel seines Sohnes Immanuel. In: ZphF 35
seinen späten Vorlesungen. Doch seit dieser er- (1981), 585–591 bzw. 592–614; Jaeschke: Gesprochenes
sten Vorlesung ist Hegels Systemgedanke zu- und durch Überlieferung gebrochenes Wort. Zur Me-
gleich mit dem Prinzip der (freilich nicht unend- thodologie der Edition von Vorlesungsnachschriften.
lichen) Perfektibilität verknüpft – und es wäre ein In: Zu Werk und Text. Beiträge zur Textologie. Hrsg.
schaler Einwand, beide Prinzipien für unverein- von Siegfried Scheibe und Christel Laufer. Berlin 1991,
157–168; Jaeschke: Manuskript und Nachschrift. Über-
bar mit einander zu erklären: Die spezifische
legungen zu ihrer Edition an Hand von Schleiermachers
Ausformung der einzelnen Disziplinen erfolgt und Hegels Vorlesungen. In: Textkonstitution bei
erst sukzessiv, durch die Vorlesungen, auch wenn mündlicher und bei schriftlicher Überlieferung. […] In:
sie das System nicht materialiter darstellen. editio, Internationales Jahrbuch für Editionswissen-
In der Erkenntnis der schrittweisen Heraus- schaft. Beiheft 1, Tübingen 1991, 82–89; Berichte über
bildung der Systemform der Manuskriptvorle- Nachschriften zu Hegels Vorlesungen. HS 26 (1991);
Jaeschke: Eine neue Phase der Hegel-Edition. HS 36
sungen liegt der systematische Ertrag ihrer ent-
(2001), 15–33.
wicklungsgeschichtlichen Darbietung. Denn die-
ser historischen Erkenntnis kommt für sich selbst
systematische Bedeutung zu, insofern sie zeigt, 9.1. Enzyklopädie
wie der Gedanke auf dem Wege der Negation
seine Bestimmtheit gewinnt. Deshalb wäre es (1) Hegels Vorlesungen über Enzyklopädie rei-
ebenfalls verfehlt, statt der phantasievollen Flick- chen bis in den Anfang seiner Lehrtätigkeit zu-
werke früherer Herausgeber jeweils die späteste rück – wenn auch nicht unter diesem Namen.
– und zumindest in diesem Sinne reifste – Form Bereits in Jena, im Sommer 1803, kündigt er
eines Kollegs der Edition zu Grunde legen. Denn etwas Vergleichbares an: »Philosophiae universae
auch hierdurch ginge die Einsicht in diesen Pro- delineationem, ex compendio currente aestate
zeß der Herausbildung der Systemform, in die (Tub. Cotta.) prodituro«. Die deutsche Überset-
Motive, die ihn steuern, verloren. Eben die Ver- zung nennt hier bereits »Enzyklopädie der Philo-
ständigung über diesen Prozeß bildet ein kon- sophie«. Sie stammt jedoch sicher nicht von He-
stitutives Moment unseres Wissens von der je- gel, wie daraus zu ersehen ist, daß er in einem
weiligen Disziplin. anderen Semester gegen die veröffentlichte deut-
Aufgabe der Nachschriftenedition ist es des- sche Übersetzung protestiert (s. 161). Auch für
halb, ergänzend zur Edition der Vorlesungsma- die folgenden Semester kündigt Hegel jeweils
nuskripte (GW 17–18), die Kluft zwischen der eine Vorlesung über das Gesamtsystem an – über
Werkform der Hegelschen Philosophie und ihrer »philosophiae speculativae systema« (1803/04),
Überlieferungslage nach Möglichkeit zu über- philosophiae systema universum« (1804) oder
brücken: Seit Beginn seiner Tätigkeit als Hoch- »totam philosophiae scientiam« (1804/05 und
schullehrer entfaltet sich Hegels Philosophie fast 1805); seit dem Winter 1805/06 hingegen wid-
ausschließlich im Rahmen und in Abhängigkeit met er seine Vorlesungen nur noch einzelnen
von seiner Lehrtätigkeit. Die Lehre ist für Hegel Disziplinen.
– wie für viele seiner Zeitgenossen – nicht ein Seine Ankündigung, jeweils Vorlesungen über
»Abfallprodukt« seiner Publikationen, sondern das Gesamtsystem zu halten, hat Hegel aber wohl
326 II. Werk

allein im »System der speculativen Philosophie« falls mit einer Enzyklopädie-Vorlesung (1818) –
vom Winter 1803/04 befolgt. Aus ihm sind jedoch doch dann liest er nur noch einmal über Enzy-
nur Fragmente zur Philosophie der Natur und des klopädie, 1826/27, als er die zweite Auflage sei-
Geistes überliefert (s. 160). Danach scheint Hegel nes Kompendiums vorbereitet.
sein Programm trotz der allgemeinen Ankündi- (2) Die Vorlesung über Enzyklopädie gehört
gung jeweils auf Teile des Systems begrenzt zu deshalb nicht im strengen Sinne zum Kanon sei-
haben: im Winter 1804/05 auf »Logik, Meta- ner Lehre; sie erfüllt eine Randfunktion. Er liest
physik, Naturphilosophie« (s. 164) und im Win- über Enzyklopädie nur dann, wenn es ihm darum
ter 1805/06 auf »Naturphilosophie und Philo- zu tun ist, die Grundlinien seiner Philosophie in
sophie des Geistes« (s. 169). Denn schon in die- Form eines weit gefaßten Überblicks vorzutragen
sen späten Jenaer Jahren ist ihm der Stoff für das – in den ersten Semestern in Heidelberg und
»System« so angeschwollen, daß er sich vor die Berlin sowie in der Heidelberger Privatvorle-
Alternative gestellt sieht, entweder nur einen sung. Daß er diese Vorlesung aber auch im Som-
Ausschnitt vorzutragen oder das Ganze auf einen mer 1818 zum Abschluß in Heidelberg wieder-
wenig ausgeführten Grundriß zu verknappen. holt, wird schlicht den Grund haben, den Hegel
Aus dem gleichen Grund läßt er in den Nürn- etwa gleichzeitig gegenüber Niethammer und v.
berger Berichten über seine Unterrichtsgegen- Raumer nennt: daß die neue Idee der Philosophie
stände Vorbehalte gegen die Forderung des Nor- »noch ohne wissenschaftliche Ausbildung steht
mativs nach Vortrag der »Enzyklopädie« erken- und das Material der besondern Wissenschaften
nen: Sie könne »nichts Anderes enthalten, als den seine Umbildung und Aufnahme in die neue Idee
allgemeinen Inhalt der Philosophie, unvollständig oder gar noch nicht erlangt hat«
nämlich die Grundbegriffe und Principien ihrer (2.8.16) – oder daß er die Wissenschaften, die er
besondern Wissenschaften, […]. So zweckmäßig vortragen muß, noch nicht »gemacht« hat (an
es nun ist, auf dem Gymnasium eine solche Ue- Niethammer, 11.12.17). Wohl deshalb trägt er in
bersicht der Elemente zu geben, so kann sie auch Heidelberg auch die Ästhetik und die Geschichte
wieder bei näherer Betrachtung für überflüssig der Philosophie zweimal vor, obgleich er dort nur
angesehen werden, – darum, weil die in der vier Semester lehrt. In dem Maße jedoch, in dem
Encyklopädie k u r z zu betrachtenden Wissen- die einzelnen Wissenschaften von ihm ausgear-
schaften in der That schon selbst a u s f ü h r l i - beitet werden und seine Hörer mit ihnen vertraut
c h e r – g r ö ß t e n t h e i l s d a g e w e s e n s i n d .« werden, entfällt auch der Anlaß, über »Enzy-
(GW 10.826) klopädie« insgesamt zu lesen.
Dieser letztgenannte Vorbehalt trifft freilich (3) Es ist deshalb nicht unverständlich, daß die
nicht auf den Beginn seiner Heidelberger Vor- »Enzyklopädie« die einzige Vorlesungsdisziplin
lesungen zu. Vielmehr liegt es nahe, daß Hegel ist, die gegenwärtig nicht durch Nachschriften
seinen neuen Hörern hier zunächst einen weiten belegt ist. Über diese Vorlesungen ist deshalb
Überblick über die Gebiete geben möchte, die er nichts bekannt. Wahrscheinlich hat Hegel seinen
in den späteren Vorlesungen dann im einzelnen Vortrag so eng an den gedruckten Text ange-
abhandeln will – und so ist es verständlich, daß er schlossen, daß seine Hörer auf eine zusammen-
in seinen vier Heidelberger Semestern gar drei hängende Nachschrift verzichtet haben – sei es
Mal über Enzyklopädie liest: im ersten Kolleg selbst, wie in Heidelberg 1816/17, im Vorgriff auf
(1816/17) – was ihm überdies die Möglichkeit die angekündigte Publikation. Die »erläuternden
bietet, die Druckfassung der ersten Auflage der Diktate« hingegen, die Hegel 1818 seinem Vor-
Enzyklopädie zu redigieren –, sodann im Winter trag der »Enzyklopädie« hinzugefügt hat, sind
1817/18 eine nicht angekündigte Privatvorlesung überliefert. Sie bilden rasche, nicht einmal ein
für den Prinzen Gustav von Schweden (GW Jahr nach dem Erscheinen der ersten Auflage
13.628,639 f.) und nochmals im Sommer 1818, ausgearbeitete »retractationes« zu einzelnen Pa-
diesmal bereits mit »erläuternden Dictaten«, die ragraphen, die Hegel nun als korrektur- oder
also über die gedruckte Fassung bereits hinaus- zumindest erläuterungsbedürftig erschienen
weisen (GW 13.581–596). Aus dem gleichen sind. Deshalb sind sie bei jeder Interpretation der
Grund – um eine allgemeine Übersicht über seine betreffenden Paragraphen der Enzyklopädie
Philosophie zu geben – beginnt er in Berlin eben- heranzuziehen.
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 327

Kollegien: Winter 1816/17; 1817/18 (Privatvorlesung lichen Wunsch von Daub (16.8.16) – »Logik und
für Prinz Gustav von Schweden); 1818; 1818/19; Metaphysik« noch nicht für das erste Semester
1826/27. – Erstdruck: Friedhelm Nicolin (Hg.): Unver-
angekündigt, sondern erst im Sommer 1817 aus-
öffentlichte Diktate aus einer Enzyklopädie-Vorlesung
Hegels. HS 5 (1969), 9–30. – Text: GW 13.581–596. drücklich darüber gelesen (Nachschrift Good, V
11), bereits an Hand der Druckbogen seiner En-
zyklopädie. Doch hat er die »Logik« sicher auch
9.2. Logik und Metaphysik im Kontext der beiden Enzyklopädie-Vorlesun-
gen im Winter 1816/17 und im Sommer 1818
abgehandelt – und ebenso später in den beiden
9.2.1. Überlieferung
Berliner Enzyklopädie-Vorlesungen. Hierüber ist
(1) Hegels Vorlesungen über »Logik und Meta- allerdings nichts bekannt.
physik« bilden gleichsam den »roten Faden«, der Für die Berliner Jahre stellt sich die Situation
seine Lehrtätigkeit insgesamt – von der ersten bis ohnehin übersichtlicher dar: Hier hat Hegel in
zur letzten Vorlesung – durchzieht. Über kein jedem Sommer über »Logik und Metaphysik«
Thema hat er öfter gelesen – so sehr sich auch gelesen, an Hand der Enzyklopädie in ihrer je-
seine Konzeption in diesen drei Jahrzehnten weils aktuellen Fassung – vom Sommer 1819
(1801–1831) gewandelt hat. Und selbst die große (worüber es keine Nachrichten gibt) bis zum
Zahl der Logik-Vorlesungen gibt noch kein voll- Sommersemester 1831, dessen Vortrag u. a. sein
ständig adäquates Bild von der Präsenz dieses Sohn Karl mitgeschrieben hat (V 10). Sämtliche
Themas, denn »Logik und Metaphysik« sind bekannten Nachschriften werden zur Zeit zur
nicht nur in den Vorlesungen thematisch, die Edition in GW 23 vorbereitet.
ausschließlich diesem Teilgebiet gewidmet sind.
Schon in Jena nennen zwar nur die Ankündi-
9.2.2. Enzyklopädische Logik (1817) und
gungen zu den ersten drei Semestern, vom Win-
»Wissenschaft der Logik« (1812–1816; 1832)
ter 1801/02 bis zum Winter 1802/03, »logicam et
metaphysicam« als Titel einer Vorlesung, und (1) Wegen ihrer Publikation in der ausgeführten
dann nochmals die Ankündigung vom Sommer Form der »Wissenschaft« liegt Hegels Logik im
1806. Doch in den dazwischen liegenden sechs Rahmen seines späteren »Systems« – also abge-
Semestern hat Hegel »Logik und Metaphysik« sehen von den Jenaer Entwürfen – in zwei Ge-
fünf Mal im Kontext der Vorlesungen über sein staltungen vor: in den drei Büchern der Wissen-
Gesamtsystem abgehandelt – oder dies zumin- schaft der Logik (1812–1816; 1832) und in der
dest beabsichtigt –, unter ausdrücklicher Erwäh- Werkform »Vorlesungen«, also in den Nachschrif-
nung dieser Teildisziplin im Vorlesungsverzeich- ten und den drei Fassungen der Enzyklopädie,
nis, und im Sommer 1806 hat er der Logik die die diesen Systemteil ebenfalls – etwas irrefüh-
»Phänomenologie des Geistes« vorgeschaltet, wie rend – unter den Titel »A. Die Wissenschaft der
Rosenkranz überliefert (R 214). Lediglich im Logik« stellen (während Hegel die beiden an-
Winter 1805/06 hat er keine Logik angekündigt deren Teile »Philosophie der Natur« bzw. »des
oder vorgetragen; hier nimmt die »Geschichte Geistes« nennt). Diese beiden Gestaltungen stim-
der Philosophie« die Stelle der »Logik« ein. men fraglos im Ansatz und in den Grundlinien
Es mag insbesondere durch Hegels kontinuier- der Ausführung überein. Dies verbietet es, nach
liche Ausarbeitung der Logik bedingt sein, daß der Wissenschaft der Logik (s. 221) nun auch die
sich aus den Jenaer Jahren hierzu nur zwei Ma- Konzeption der enzyklopädischen Logik noch-
nuskripte erhalten haben (GW 5.269–275, mals ausführlich darzustellen. Gleichwohl wei-
7.3–178; s. 150 bzw. 164). Nachschriften finden sen beide Fassungen eine Reihe von Differenzen
sich aus dieser Zeit ohnehin nicht – bis auf die auf – und allein diese sind hier zu markieren.
wenigen Seiten, die Troxler doch mehr am Rande Diese Differenzen zwischen den beiden Aus-
seiner Nachschrift von Schellings Vorlesungen formungen der Logik und der Enzyklopädie lie-
überliefert und die schon dadurch ein Zeugnis gen zum großen Teil in der sprachlichen Verdich-
der damaligen Zusammenarbeit Hegels und tung und in den materialen Verkürzungen, die die
Schellings bilden. Enzyklopädie als Kompendium unvermeidlich
(2) In Heidelberg hat Hegel – auf ausdrück- gegenüber der wissenschaftsförmlichen Ausfüh-
328 II. Werk

rung der Logik vornimmt. Doch lassen sie sich ihren internen Unterschied. Andererseits ver-
mit den beiden Begriffen »Verdichtung« und »Ver- deckt das enzyklopädische Strukturprinzip He-
kürzung« nicht vollständig beschreiben. Die en- gels Anknüpfung an die Architektonik der Schul-
zyklopädische Logik ist nicht bloß die Wissen- metaphysik und der Transzendentalphilosophie
schaft der Logik en miniature – eine »kleine (GW 11.31 f.).
Logik« als Abbreviation der »großen Logik«, wie (3) Nur wenige Jahre trennen die erste Auflage
sie häufig, wenn auch wenig präzise, genannt der Enzyklopädie und die in ihr formulierte
wird. Sie weist eigenständige Ableitungszusam- »Wissenschaft der Logik« von der Wissenschaft
menhänge auf – und insofern bildet sie eine der Logik; zur Begriffslogik beträgt der Abstand
eigene Grundform der Logik. sogar nur ein Jahr. Schon deshalb legt sich eine
(2) Dies betrifft nicht allein den »Vorbegriff« (s. entwicklungsgeschichtliche Interpretation der
264), der der enzyklopädischen Logik eigentüm- Differenzen nicht nahe, und insbesondere des-
lich ist und bei ihrem Vortrag einen überpro- halb nicht, weil auch Hegels späte Neubearbei-
portional breiten Raum eingenommen hat. Au- tung der Seinslogik (1832) trotz aller Abweichun-
genfällig ist vor allem die – keineswegs bloß gen des Details im Aufriß deren erster Fassung
äußerliche – Differenz in der Architektur der (1812) folgt, und nicht der zeitlich nahestehen-
Logik. In der Wissenschaft der Logik leitet Hegel den Enzyklopädie (1830) – etwa im Titel des
aus dem Begriff der Logik als der »Einheit des dritten Kapitels der »Quantität«: »Das quantita-
Subjectiven und Objectiven« die Notwendigkeit tive Verhältniß« (GW 11.179, 21.310) gegenüber
ab, daß diese Einheit sich entfalte, und zwar »Der Grad« (1§ 55, 3§ 103). Und auch die Unter-
durch »die Darstellung dessen, was sie in sich scheidung von »objectiver« und »subjectiver Lo-
enthält, also jenes Unterschiedes von Seyn und gik« kehrt in der späten Überarbeitung der Seins-
von Denken.« Hieraus folgt für ihn die Grund- logik wieder. Allerdings sind die Differenzen der
einteilung der Logik: »Die Logik kann daher beiden Grundformen in der Seinslogik ohnehin
überhaupt in die Logik des S e y n s und des D e n - gering. Neben den bereits berührten Einleitungs-
k e n s , in die o b j e c t i v e und s u b j e c t i v e Lo- partien und dem »Vorbegriff« betreffen sie insbe-
gik eingetheilt werden.« Dieser Unterscheidung sondere die Wesenslogik – also denjenigen Teil,
folgt auch die Gliederung in die beiden »Bände« der in der Entwicklungsgeschichte der Logik
»objective« und »subjective Logik«. Erst am seine systematische Form ohnehin als letzter ge-
Schluß der Einteilung präzisiert Hegel: »Die Lo- funden hat.
gik zerfällt zwar überhaupt in objective und sub- (4) Wie die Wissenschaft der Logik, so gliedert
jective Logik. Bestimmter aber hat sie die drey auch die Enzyklopädie (1817) die Wesenslogik in
Theile« Seins-, Wesens- und Begriffslogik (GW drei Abschnitte, deren zweiter und dritter zudem
11.30,32). dieselben Überschriften wie in der Logik tragen:
Die Enzyklopädie hingegen verzichtet auf die »Erscheinung« (§§ 74–89) bzw. »Wirklichkeit«
ausdrückliche Fundierung der Struktur der Logik (§§ 90–107). Der erste Abschnitt (§§ 65–73)
in der in sich differenzierten Einheit von Denken weist jedoch eine tiefgreifende Veränderung auf.
und Sein, und deshalb streicht sie die Unter- In der Logik trägt er den Titel »Das Wesen als
gliederung in objektive und subjektive Logik. Reflexion in ihm selbst«, und er ist in die drei
Statt dessen konstatiert sie nur noch: »Die r e i n e Kapitel »Der Schein«, »Die Wesenheiten oder die
W i s s e n s c h a f t oder L o g i k zerfällt in drey Reflexions-Bestimmungen« und »Der Grund«
Theile, in die Logik des S e y n s , des We s e n s , untergliedert. In der Enzyklopädie hingegen ent-
und des B e g r i f f s oder der I d e e ; – des u n - fällt das erste Kapitel des ersten Abschnitts der
m i t t e l b a r e n , des r e f l e c t i r e n d e n und des Logik (»Der Schein«); das vormalige dritte Kapi-
aus der Reflexion in sich gegangenen und i n tel (»Der Grund«) bezieht Hegel in stark verkürz-
s e i n e r R e a l i t ä t bey s i c h s e l b s t s e y e n d e n ter Form in das zweite Kapitel ein, und dieses –
G e d a n k e n s .« (1§ 37, vgl. 3§ 83). Auf Grund also die Abhandlung der Reflexionsbestimmun-
dieses Strukturprinzips der drei Formen des »Ge- gen – wird somit zum einzigen Inhalt des ersten
dankens« stehen die drei Teile der Logik in ei- Abschnitts der Enzyklopädie – wobei Hegel aller-
nem anderen Verhältnis als durch das Prinzip der dings die ursprüngliche Folge von Identität, Un-
Entwicklung der Einheit von Denken und Sein in terschied und Widerspruch zur Zweiheit von
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 329

Identität und Unterschied verkürzt und als Drit- spätere Kapitel über den Schein, und auch sie
tes den »Grund« behandelt, der nun seine eigen- behandelt den »Grund« als »dritte« – allerdings
ständige Stellung eingebüßt hat. gezählt als »4.)« – der Reflexionsbestimmungen
Diese Veränderungen scheinen einem äußer- (GW 10.158–160; s. 207).
lichen, kosmetischen Interesse an der Vereinfa- (5) Eine zweite Veränderung scheint zunächst
chung der komplexen Struktur zu entspringen, ebenfalls primär den Charakter einer Amputation
die dieser Abschnitt in der Logik aufweist. Doch zu haben: Die Begriffe und Begriffspaare – Form
greifen sie tief in die Logik des Wesens ein. Dies und Wesen, Form und Materie, Form und Inhalt;
gilt noch nicht so sehr für die inhaltliche Amputa- formeller, realer, vollständiger Grund; relativ und
tion der umfassenden und gehaltvollen Ausfüh- absolut Unbedingtes –, durch die Hegel in der
rungen des vormaligen dritten Kapitels »Der Logik zum Begriff der Existenz hinführt, gehen
Grund« (GW 11.291–322) zu den beiden knappen nicht in die Enzyklopädie (1817) ein. Im Vortrag
Paragraphen über den »Grund« als Reflexions- hingegen greift er hinter den Text der Enzy-
bestimmung (1§§ 72 f.), sondern für die Verände- klopädie wieder zurück auf die Ausführungen der
rungen zu Beginn der Wesenslogik. Denn mit Logik (V 11.120–125). Ähnlich stellt sich dies für
dem ersten Kapitel »Der Schein« entfällt nicht die Behandlung der »Erscheinung« dar: Auch
allein die systematische Einführung des Begriffs hier verkürzt Hegel in der Enzyklopädie den Text
des Wesens, sondern auch die Exposition der der Logik so sehr, daß der philosophiegeschicht-
»setzenden«, »äusseren« und »bestimmenden Re- liche Rückbezug auf Kants Erscheinungsbegriff,
flexion« – und damit eine Partie, die in der neue- auf den Gegensatz von »erscheinender« und »an
ren Forschung gesteigerte Aufmerksamkeit ge- sich seyender Welt« nicht mehr ersichtlich ist,
funden hat. Denn von ihr aus scheinen sich die während die Nachschrift zumindest einen vagen
spezifische Gestalt der wesenslogischen Dialek- Hinweis darauf bewahrt (V 11.125 f.).
tik und das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Die beiden späten Auflagen der Enzyklopädie
Negation zu erschließen, da sie einen »Überschuß revidieren jedoch diese Amputationen, und zu-
gegenüber der abstrakten Darlegung der Me- gleich nähern sie sich formal der Architektur der
thode [sc. am Ende der Logik] aufweist« (Hen- Wissenschaft der Logik wieder an: Sie kehren
rich 1971, 105). So überrascht es, daß Hegel zurück zur doppelten Dreigliederung des ersten
gerade diese methodologisch wichtigen Partien Abschnitts, nun unter dem Obertitel »Das Wesen
nicht in die zweite Grundform seiner Logik, in als Grund der Existenz«. Doch restituiert Hegel
die Enzyklopädie, aufgenommen hat. Und auch nicht mehr die Kapitel über den »Schein« und die
die Überlieferung seines Vortrags folgt dem drei Reflexionen. Statt dessen läßt er hier auf die
neuen, abgeänderten Aufriß der Enzyklopädie (V Reflexionsbestimmung »Grund« das kurze Kapi-
11.111 f.) – obgleich Hegel an anderer Stelle im tel »Die Existenz« (3§§ 123 f.) und die längeren
Vortrag auf Inhalte der Wissenschaft zurückgreift, Ausführungen über »Das Ding« (3§§ 125–130) –
die er aus Gründen der Umfangsbegrenzung aus mit der Dialektik von Form und Materie – folgen,
dem Kompendium ausgeschlossen hat. Statt des- die sowohl in der Wissenschaft der Logik als auch
sen greift er auch zur Erläuterung der Reflexions- in der »Logik für die Mittelklasse« (1810/11) erst
bestimmungen wieder auf Beispiele aus der Phi- im zweiten Abschnitt »Erscheinung« exponiert
losophiegeschichte und der Naturphilosophie zu- werden (GW 10.160–162; 11.324–340). Während
rück – bis hin zu Newtons Farbenlehre. sich somit die enzyklopädische Fassung der We-
Diese Veränderungen sind jedoch nur zum ge- senslogik (1817) insgesamt dem letzten Bear-
ringsten Teil wirkliche Neugestaltungen: Sie re- beitungsstand vor der Wissenschaft der Logik
stituieren im wesentlichen diejenige Gestalt des annähert, greifen die beiden späteren Fassungen
Beginns der Wesenslogik, die diese bereits vor auch auf Gehalte und Strukturen der Wissen-
der Wissenschaft der Logik, nämlich in der Nürn- schaft der Logik zurück. Und auch die Über-
berger »Logik für die Mittelklasse« (1810/11) ge- lieferung seines letzten Logik-Kollegs entwirft
funden hat (§§ [34–41]). Auch sie behandelt im kein anderes Bild (V 10.137–159).
ersten Abschnitt nur »Die Bestimmungen des (6) Eine drittes Element der eigenständigen
Wesens«, d. h. Identität, Verschiedenheit, Ent- Grundform der enzyklopädischen Logik bildet
gegensetzung und Grund. Sie kennt nicht das der Abschnitt »Die Wirklichkeit«. Die Art seiner
330 II. Werk

Veränderung weist Analogien zur Behandlung Titel auch dieses Abschnitts »Wirklichkeit« lautet
der Reflexionsbestimmungen auf. Doch hier geht und somit die Modal- und nicht die Relations-
es nicht um ein spezielles Thema des Hegelschen kategorien assoziieren läßt. Auch die »Logik für
Ansatzes, sondern um das zentrale Problem des die Mittelklasse« (1810/11) behandelt unter dem
Verhältnisses von Relations- und Modalkatego- Titel »Wirklichkeit« die Relationskategorien, und
rien. Im Abschnitt »Wirklichkeit« behandelt die hier ordnet Hegel die Modalkategorien dem Sub-
Wissenschaft der Logik in einem ersten Kapitel stanzbegriff zu (§§ [66–69]. Die differenzierte,
den Begriff des Absoluten – »Die Auslegung des parallele Abhandlung von Modal- und Relations-
Absoluten«, »Das absolute Attribut« und »Der kategorien ist somit nur in der Wissenschaft der
Modus des Absoluten«. Hieran schließt Hegel im Logik verwirklicht. Denn auch die späten Fassun-
zweiten Kapitel – nochmals unter dem Titel »Die gen der Enzyklopädie kehren zur Form der »Phi-
Wirklichkeit« – die Modalkategorien. Anders als losophischen Encyclopädie« (1808/09) zurück:
in den Gymnasialkursen der Nürnberger Jahre Sie stellen die Modalkategorien (§§ 142–149)
behandelt er sie hier als einen eigenständigen der Abhandlung der Relationskategorien
Bereich. Und erst im Anschluß an den hier for- (§§ 150–159) als dem eigentlichen Thema dieses
mulierten Gedanken der »absoluten Nothwen- Abschnitts voran – während ein derartiger Primat
digkeit«, der notwendigen Selbstauslegung des der Relationskategorien in der Enzyklopädie
Absoluten, geht Hegel über zum dritten Kapitel, (1817) nicht erkennbar ist. Allerdings läßt sich
in dem er unter dem Titel »Das absolute Ver- dieses Verhältnis auch umkehren: Nach 3§ 150
hältniß« die Relationskategorien abhandelt. (vgl. V 10.167) erscheint die gesamte Abhandlung
In der Enzyklopädie ist der entsprechende Ab- der Relationskategorien als Explikation des zuvor
schnitt weit einfacher gebaut: sie kennt weder ein exponierten Begriffs der Notwendigkeit als des
Kapitel über das Absolute noch eine selbständige »absoluten Verhältnisses«.
Abhandlung der Modalbestimmungen. Das erste, (7) Hegels Ausarbeitung einer zweiten Grund-
den Begriff des Absoluten exponierende Kapitel form der Logik greift somit erheblich in die
entfällt, und das zweite und dritte, die Abhand- Gestalt ein, die die Wesenslehre in der Wissen-
lung der Modal- und der Relationskategorien, schaft der Logik gefunden hat. Auch hierin zeigt
zieht Hegel zu einem einzigen Abschnitt zusam- sich wiederum die – angesichts des von ihm
men, dessen Struktur allerdings diffus ist: Er selber formulierten Methodenideals – erstaun-
beginnt mit den Modalkategorien (§§ 90–96), liche Freiheit in der Disposition der logischen
untergliedert durch arabische Ziffern, und Elemente und die nicht minder überraschende
schließt hieran ohne weitere Zäsur die Relations- Flexibilität in der Formulierung des von ihm
kategorien an (§§ 97–107), untergliedert nach selber als »nothwendig« ausgezeichneten Zusam-
lateinischen Buchstaben. Hierdurch erscheint menhangs der Denkbestimmungen. Dies nötigt
entweder diese Gliederung gleichsam als Unter- dazu, Hegels Methodenbegriff insgesamt ent-
gliederung der vorangehenden Ziffer »3)« – und sprechend flexibel zu fassen: Er ist vereinbar mit
somit die Relationslogik als Appendix der Mo- der alternativen Exposition logischer Verhältnisse
dallogik –, oder umgekehrt die Modallogik als – und nicht nur in solchen Fällen, die als Weiter-
Präfix zur Relationslogik. Modal- und Relations- entwicklung aufgefaßt werden können, sondern
kategorien bleiben dadurch zwar unterschieden, auch im Fall eines Nebeneinanders von ›enzy-
fallen aber in der Architektonik der Logik in klopädischer Form‹ und ›Wissenschaftsform‹.
unbestimmter Weise in eins. Auch die Überliefe- Die im Übergang von der Logik zur Enzy-
rung des Vortrags bietet kein anderes Bild; viel- klopädie vollzogene ›Veränderung des Wesens‹
mehr ebnet sie die Differenz zwischen Modal- ist weitgehend als Rückkehr zu einer früheren
und Relationskategorien noch weiter ein (V Gestalt der Wesenslogik zu charakterisieren.
11.130–141). Dies macht es problematisch, die enzyklopädi-
Auch diese Präsentationsform ist jedoch nicht sche Grundform als eine weitere Etappe seines
völlig neu. Denn bereits in der »Philosophischen »Werdens« zu verstehen. Daß die sprachliche Ge-
Encyclopädie« (1808/09) handelt Hegel die Mo- stalt der enzyklopädischen Darstellung – die
dalkategorien in einem der Relationslogik voran- knappe, fast dekretierende Mitteilung des in eher
gestellten Paragraphen ab (§ 43) – obgleich der verborgener Entwicklung der Denkbestimmun-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 331

gen jeweils erreichten Standes unter Verzicht auf Henrich: Hegels Logik der Reflexion (1971), 95–156;
eigentliche Argumentation – mit derjenigen der Klaus Düsing (Hg.): Schellings und Hegels erste ab-
solute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende
»Logik für die Mittelklasse« (1810/11) und an-
Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Köln 1988,
derer Entwürfe aus dieser frühen Zeit überein- insbesondere 63–77.
kommt, ist die unausweichliche Folge des Ge-
samtcharakters der Enzyklopädie als eines blo-
ßen Grundrisses zu Vorlesungen. Dies macht aber 9.3. Philosophie der Natur
nicht die Restitution einer als überholt geglaub-
ten Konzeption plausibel. Und der Zwang zur
9.3.1. Überlieferung
Kürze, der der Enzyklopädie ohne Zweifel aufer-
legt ist, kann die rückwärts gewandten Abwei- (1) Die Naturphilosophie steht in gewissem
chungen ebensowenig legitimieren. Sinne am Beginn der akademischen Tätigkeit
Man kann mit gutem Grund und Erfolg Argu- Hegels – denn er habilitiert sich über ein natur-
mente dafür zu entwickeln suchen, daß Hegel in philosophisches Thema (s. 106). Gleichwohl
der Wissenschaft der Logik den Beginn der We- kündigt er in den Jahren 1801/02–1802/03 keine
senslehre durch die Einführung des »Scheins« Vorlesungen über Naturphilosophie an, obgleich
und der drei Reflexionen umgestaltet habe, weil er doch über seine Dissertation hinaus über aus-
er so erst den Begriff des Wesens wirklich errei- führliche Studien auf diesem Gebiet verfügt.
chen konnte. Man kann aber nicht gleichermaßen Diese Zurückhaltung dürfte eine Folge der Situa-
gute Gründe dafür vorbringen, daß er eben diese tion in Jena sein, in der er neben Schelling die
Verbesserung und Absicherung des Gedanken- Rolle seines Juniorpartners zu übernehmen hat.
gangs in der Enzyklopädie wieder zurückgenom- Erst vom Sommer 1803 ab, also nachdem Schel-
men habe – etwa in Folge einer gereifteren Ein- ling Jena verlassen hat, kündigt Hegel in jedem
sicht, daß der in der Wissenschaft der Logik Semester Naturphilosophie an – zunächst im
versuchte Weg wider Erwarten doch nicht gang- Rahmen der Darstellung seines Gesamtsystems
bar sei. Ebensowenig aussichtsreich dürfte aller- und in den Semestern 1805/06 und 1806 als
dings der Versuch ausfallen, die genannten Diffe- »Realphilosophie«, also zusammen mit der Gei-
renzen – wie auch die Differenz bei der Be- stesphilosophie. Diese Verbindung kündigt Hegel
handlung der Modalbestimmungen im Abschnitt auch noch für die Semester 1806/07 und 1807 an,
»Wirklichkeit« – am Unterschied der literari- in denen er jedoch nicht mehr gelesen hat. – Aus
schen Form von Wissenschaft der Logik und En- diesen Jahren 1803–1806 haben sich keine Nach-
zyklopädie festzumachen. Man müßte denn Ar- schriften erhalten, jedoch Hegels Vorlesungs-
gumente entwickeln, die nicht allein trivial auf manuskripte, die Systementwürfe I, II und III (s.
die größere Ausführlichkeit der Logik gegenüber 160– 175).
dem enzyklopädischen Grundriß abhöben, son- (2) In Nürnberg geht Hegel bereits am Schluß
dern die klarstellten, weshalb die fraglos vor- der »Philosophischen Enzyklopädie« (1808/09)
handenen Unterschiede im Darstellungsmodus kurz auf die Naturphilosophie ein (GW
zwischen Wissenschaft der Logik einerseits und 10.80–83); diese wenigen Paragraphen umfassen
Enzyklopädie bzw. »Logik für die Mittelklasse« jedoch nur die Abschnitte »I. Mathematik« und
(1810/11) andererseits eine Differenz auch in der »II. Physik überhaupt«; damit brechen die über-
Strukturierung des Gedankengangs erforderten. lieferten Diktate ab. Doch schon im folgenden
Solche Argumente sind bisher aber noch nicht Schuljahr behandelt Hegel im Anschluß an die
vorgetragen worden – wenn auch allein deshalb »Logik« ab Ostern 1810 das »System der beson-
nicht, weil die hier skizzierte Differenz nicht als dern Wissenschaften«, und hier beginnt er mit
offenes Problem einer Interpretation der Logik der »Naturwissenschaft«, in der er wiederum
erkannt worden ist. »Mathematik« sowie die »Allgemeine« und die
»Besondere Physik des Unorganischen«, dann
Kollegien: 1817; 1819–1831. – Text: a) Kompendien:
aber auch noch die »Physik des Organischen«
GW 13, §§ 12–192; GW 19, §§ 19–244; GW 20,
§§ 19–244; b) Nachschriften: V 10 (1831), V 11 (1817); vorträgt (GW 10.86–97). Diese Diktate überar-
künftig GW 23. – Blätter zur Logik: GW beitet Hegel – wahrscheinlich 1814/15 – noch-
13.545–560,565–569; GW 19.419–435. – Literatur: mals sehr detailliert (GW 10.311–339). Gleich-
332 II. Werk

wohl liegt der Schwerpunkt seiner Systement- Vorlesungen auch die früheren Hefte, selbst das
wicklung in Nürnberg nicht auf der Naturphiloso- Jenaische, benutzt wurden.« Diese Hefte sind seit
phie – entsprechend seiner Einschätzung, daß die der Benutzung durch Michelet verloren; erhalten
Naturphilosophie für den Gymnasialunterricht ist nur seine Beschreibung: »Die Berliner Hefte
weniger geeignet sei (s. 207). Hegels, obgleich vor dem Erscheinen der zweiten
(3) In Heidelberg trägt Hegel die Naturphiloso- Ausgabe der Encyclopädie abgefaßt, befolgen im
phie jeweils im Rahmen seiner Vorlesungen über Ganzen den Gang der Materien, wie er in dieser
die Enzyklopädie vor, also im Winter 1816/17, in schon vorhanden und in der dritten Ausgabe
der Privatvorlesung für Prinz Gustav von Schwe- unverändert geblieben ist; nur ein Theil der Far-
den vom Winter 1817/18 und schließlich im Som- benlehre hatte in jenen Heften noch eine andere
mer 1818, und in der letzteren Vorlesung mit Stelle […]. Denn obgleich dieselben und die
»erläuternden Diktaten«. In den überlieferten daraus entsprungenen Vorlesungen noch die erste
Diktaten bezieht sich jedoch nur die Ausführung Ausgabe der Encyclopädie vor Augen hatten, wo
»Zu §. 196. [§. 197.] u. f.« auf die Naturphiloso- viele Materien anders gestellt waren: so fühlte
phie (GW 13.593 f.) – doch gewährt gerade diese Hegel doch bald nach der Herausgabe dieses
Ergänzung Einblick in Hegels weitere Ausbil- Werks das Fehlerhafte dieser Anordnung, die
dung der Naturphilosophie (s. 333). Insgesamt indessen immer schon der zuletzt angenomme-
aber bleibt die Enzyklopädie die einzige Quelle nen näher steht, als der im Jenaischen Hefte
für die Naturphilosophie der beiden Heidelber- herrschenden« (W VII/1.XVIII-XX).
ger Jahre. (6) Zu den drei Heidelberger Vorlesungen und
(4) Auch in seinem ersten Berliner Jahr behan- zur Berliner von 1818/19 über Enzyklopädie ha-
delt Hegel die Naturphilosophie nur im Rahmen ben sich keine Nachschriften erhalten. Von den
der Enzyklopädie-Vorlesung (1818/19). Im Win- sechs Berliner Kollegien über Naturphilosophie
ter 1819/20 jedoch macht er die Naturphiloso- sind die ersten fünf gut durch Nachschriften do-
phie erstmals zum Hauptthema einer Vorlesung, kumentiert, nicht jedoch das Kolleg 1830. Bislang
und er wiederholt sie zunächst im Zweijahresab- sind allerdings erst drei Nachschriften veröffent-
stand, also in den Wintersemestern 1821/22, licht worden – zwei zum Kolleg 1819/20 und eine
1823/24, 1825/26. Dann jedoch verdrängt die zum Kolleg 1823/24. Die Zusätze Michelets zu
Vielzahl der umfangreichen Vorlesungen, die er seiner Ausgabe des zweiten Teils der Enzyklopä-
inzwischen ausgearbeitet hat, die Naturphiloso- die (W VII/1) bieten zwar eine umfangreiche
phie in das kürzere Sommersemester: Statt im Erläuterung und Ergänzung der knapp formulier-
Winter 1827/28 liest Hegel erst wieder im Som- ten Paragraphen; ihr Quellenwert ist jedoch
mer 1828 und ein letztes Mal im Sommer 1830 zweifelhaft, zumal Michelet sehr unterschiedli-
über Naturphilosophie, und zwar beide Male an che Materialien – sowohl Hegels Jenaer Manu-
Hand der zweiten Auflage der Enzyklopädie. Ei- skripte als auch Berliner Nachschriften – zu einer
gentlich hat Hegel der letzten Vorlesung die dritte Kompilation verarbeitet, deren Kompositions-
Auflage oder zumindest Druckbogen von ihr zu prinzipien nicht mehr erkennbar sind.
Grunde legen wollen, doch ist es hierzu – wegen
der Verzögerung des Drucks – nicht gekommen
9.3.2. Systemform
(GW 20.586–590).
(5) Die drei Fassungen der Enzyklopädie bil- (1) Es mag mit der Distanz zusammenhängen, die
den jedoch nicht die einzige Basis für den Vortrag Hegel in seinen Nürnberger Jahren zur Natur-
der Naturphilosophie. In seiner Vorrede zum philosophie gehalten hat, daß deren gültige Sy-
zweiten Band der Enzyklopädie berichtet dessen stemform auch im ersten enzyklopädischen
Herausgeber, Carl Ludwig Michelet, über Hegels Grundriß (1817) noch nicht gefunden ist. Die
Quellen: »Den beiden ersten Berliner Vorlesun- Änderungen, die er in den späteren Auflagen
gen diente wieder ein vollständiges Heft in vornimmt, sind hier weit größer als bei den an-
Quarto zur Grundlage. Für die Vorlesungen von deren Disziplinen. Wie in den Nürnberger Ent-
1823–1824 verfaßte er eine neue Einleitung, und würfen, so stellt Hegel auch in der Enzyklopädie
schloß daran ein neues ergänzendes Heft, Beides (1817) – nach einer Einleitung in die Natur-
in Folio; so jedoch daß für diese und die späteren philosophie – deren ersten Teil unter den Titel
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 333

»Die Mathematik«. Dieser Titel ist jedoch allen- diesen Teil völlig neu: Dessen früheren zweiten
falls insofern berechtigt, als Hegel hier auf den Abschnitt »B. Elementarische Physik« (1§§ 219–
Begriff des Raumes und dessen drei Dimensio- 234) erweitert er unter Einfügung umfangreicher
nen eingeht, die Voraussetzungen für die Geo- Materialien und in Orientierung an den logischen
metrie bilden und bilden dürfen. Doch im An- Bestimmungen zu den beiden Abschnitten »A.
schluß daran geht er zum Begriff der Zeit und Physik der allgemeinen Individualität« (3§§ 274–
ihrer Dimensionen über, und er konstatiert, der 289) und »B. Physik der besondern Individuali-
endlichen Wissenschaft des Raumes, der Geo- tät« (3§§ 290–307). Den ursprünglichen dritten
metrie, stehe »unmittelbar keine solche W i s - Abschnitt der »Physik«, »C. Individuelle Physik«,
s e n s c h a f t d e r Z e i t gegenüber«. Ferner räumt nutzt Hegel als – wenn auch schmale – Basis für
er ein, der Name »Mathematik« sei »für die philo- den neuen dritten Abschnitt, »C. Physik der tota-
sophische Betrachtung des Raums und der Zeit len Individualität«. – Im dritten Teil der Natur-
gebraucht worden, weil er derselben wenigstens philosophie, der »Organischen Physik«, bleibt
am nächsten liegt, ungeachtet die Mathematik der Grundriß, die Folge von geologischer und
nur die G r ö s s e b e s t i m m u n g an diesen Ge- vegetabilischer Natur sowie tierischem Organis-
genständen« betrachte. Und auch seine anschlie- mus, hingegen konstant. Hier liegt die Verände-
ßenden Überlegungen zu einer » p h i l o s o p h i - rung nicht in der systematischen Form, sondern
s c h e n M a t h e m a t i k« führen eher in die Logik in der intensiven Ausgestaltung des Details.
zurück als in die Naturwissenschaft hinein (3) Der Vorzug des neuen, seit dem Kolleg
(1§ 203, 3§ 259). 1819/20 gültigen Aufrisses besteht fraglos darin,
Deshalb beginnt Hegel in den späteren Fassun- daß er die »Mathematik« nicht als erste der Na-
gen zwar ebenfalls mit den Begriffen von Raum turwissenschaften abhandelt. Er ist jedoch durch
und Zeit, doch nicht im Rückblick auf »Mathema- den Nachteil erkauft, daß die »Mechanik«, die in
tik«, sondern im Vorblick auf »Ort und Bewe- der Enzyklopädie (1817) den ersten Teil der
gung« sowie auf »Materie und Bewegung«. Er »Physik« bildet, von dieser abgetrennt und ihr als
stellt diesen Teil nun – wie schon in Jena (s. 169) ein selbständiger Teil vorgeordnet wird, während
– unter den Titel »Mechanik«. Zu diesem neuen Hegel den dritten Teil der Naturphilosophie, die
Aufriß findet Hegel jedoch nicht erst in der Enzy- »Organik«, weiterhin als »Organische Physik« be-
klopädie (1827). Den ersten Anhaltspunkt für zeichnet und somit einem weiten Begriff von
seine Unzufriedenheit über den Beginn mit der »Physik« als ›Naturlehre‹ unterstellt.
»Mathematik« gibt bereits das Diktat zur Heidel-
berger Vorlesung vom Sommer 1818: Hegel ex-
9.3.3. Der Begriff der Natur
perimentiert hier mit einer an der Seinslogik
orientierten Spezifikation der Natur als des (1) Das Verhältnis von »Natur« und »Idee« faßt
»Seyns«. Von »Mathematik« spricht er hingegen Hegel in der Formel, die Natur sei die »Idee in
nicht mehr, allerdings auch noch nicht von »Me- der Form des A n d e r s s e y n s«; als Natur sei die
chanik«. Diese nennt jedoch schon das erste Ber- Idee in der Bestimmung der »Aeußerlichkeit«.
liner Kolleg über Naturphilosophie (1819/20) als Für das Verständnis von Natur hängt offensicht-
das Thema des ersten Teils – obgleich Hegel lich alles davon ab, wie diese »Aeußerlichkeit«
dieses Kolleg noch an Hand der ersten Enzy- und jenes »Andersseyn« zu denken seien. Trotz
klopädie vorträgt: »Mechanik (nicht bloß Ma- ihrer vordergründigen Prägnanz ist Hegels For-
thematik)«. Auch im dritten Kolleg (1823/24) mel sehr komplex, und vor allem ist sie ambiva-
spricht Hegel diese Diskrepanz zwischen Kom- lent: Entgegen dem früheren cartesianischen
pendium und Vortrag ausdrücklich an: »ich werde Dualismus von res cogitans und res extensa faßt
jedoch diesem Theile einen größeren Umfang sie das Verhältnis von »Idee« und »Natur« zwar
geben, als dieß in meiner Enzyklopädie gesche- dual, aber gleichwohl monistisch. Doch entgegen
hen ist, und werde hier das aufnehmen, was in einem ontologischen Monismus, einem Spiritua-
den § 197–217 abgehandelt ist.« (Gr 131) lismus, betont sie das Moment der Distanz: Die
(2) Die Ausgliederung der »Mechanik« aus der Natur ist ja nicht schlechthin »Idee« oder »Geist«,
»Physik« zieht weitere umfangreiche Revisionen sondern das »Andere«. Wäre Natur nicht die
dieses zweiten Teils nach sich. Hegel gestaltet »Idee in der Form des A n d e r s s e y n s«, des Ne-
334 II. Werk

gativen, so entfiele die Differenz zwischen Idee der Arten«. Ob es 67 oder ein weiteres Dutzend
und Natur; wäre sie nicht die I d e e in der Form Papageienarten gibt, läßt sich nur noch empirisch
des Andersseins, so läge eine ontologische Kluft, abzählen, aber nicht mehr durch den Begriff be-
ein »garstiger breiter Graben« zwischen ihnen, stimmen (GW 12.218), und dies gilt sogar für die
von dem sich schwerlich sehen ließe, wie er Dreiheit der Dimensionen des Raumes. Aus dem
durch Erkenntnis je überbrückt werden könnte – Umstand, daß Hegel die Geometrie davon frei-
es sei denn mittels des traditionellen, nach der spricht, die drei Dimensionen zu deduzieren,
Aufklärung aber methodologisch nicht mehr legi- weil sie keine philosophische Wissenschaft sei,
timen Rekurses auf den Gottesgedanken. wäre zwar zu entnehmen, daß die Naturphiloso-
Hegels Formel bestimmt das Verhältnis von phie diese Aufgabe habe, und auch in der Vorle-
»Idee« und »Natur« somit als eine differenzierte sung sagt Hegel, diese Dreiheit müsse »bewiesen
Einheit, allerdings im Unterschied zur frühen werden, nicht gewiesen« (Gr 143) – doch hierzu
Naturphilosophie Schellings nicht als ein Gleich- unternimmt Hegel keine Anstrengung. Denn der
gewicht beider – so daß die Natur versteinerte bloße Hinweis auf die Dreiheit der logischen
Idee, die Idee vergeistigte Natur wäre –, sondern Momente reicht hierfür nicht aus, zumal diese ja
unter dem Primat der Idee. In der Natur ist die auch eine inhaltliche Bestimmtheit gegeneinan-
Idee » s i c h ä u ß e r l i c h«, jedoch nicht etwa um- der haben, was er selber für die drei Dimen-
gekehrt die Natur sich äußerlich in der Idee. Die sionen des Raumes dementiert.
Natur ist das Negative, die Äußerlichkeit der Hegel räumt auch ein, daß er bei seinem Ver-
Idee, und als solche Äußerlichkeit schlechthin ist such, solche »Spuren« aufzufinden, noch nicht so
sie auch relativ auf die Idee äußerlich. Mittels weit vordringt, wie ihm dies möglich und er-
dieser wenig anschaulichen, formelhaften Aus- wünscht erscheint. So gibt er zwar »einige
drucksweise sucht Hegel den entscheidenden Grundzüge« an, »wie die Hauptbestimmungen
Grundzug des Verhältnisses von Natur und Idee der freien Bewegung m i t d e m B e g r i f f e zu-
auszusagen: sowohl ihre Identität als auch ihre sammenhängen« – doch dann spricht er sehr
Differenz. Denn von einem Ansatz her, der hier offen aus, dies könne »für seine Begründung
nur Identität oder nur Differenz konstatierte, nicht ausführlicher entwickelt, und muß daher
ließe sich dieses Verhältnis gar nicht denken. zunächst seinem Schicksal überlassen werden.«
Dies trifft auch dann zu, wenn der Übergang von (§ 270)
der Idee zur Natur nur vorausgesetzt und nicht Solche Ausführungen zeigen sehr klar Hegels
genetisch beschrieben werden kann (3§ 247). Option: Die »Mannichfaltigkeit der Formen« der
(2) Die »Aeußerlichkeit« der Natur zeigt sich Natur offenbart für ihn nicht etwa die Macht der
für Hegel nicht in ihrer »Ausdehnung« – obschon Natur, sich der Einheit des Begriffs entgegen-
sie, anders als der Geist, fraglos ein Ausgedehn- zusetzen, sondern vielmehr die »Ohnmacht der
tes und insofern »res extensa« ist. Die »Aeußer- Natur«: Sie kann den Begriff nicht festhalten.
lichkeit« zeigt sich im Verhältnis der Begriffs- Doch was in der Perspektive des Begriffs als
bestimmungen zu einander, darin, daß sie hier »Ohnmacht der Natur«, erscheint in der Per-
»den Schein eines g l e i c h g ü l t i g e n B e s t e - spektive des Lebens als ihr Reichtum. Auch He-
h e n s und der Ve r e i n z e l u n g gegeneinander« gel spricht hier vom »unendlichen Reichthum« –
haben, und ebenso darin, daß die Begriffsbestim- aber er kann ihm wenig abgewinnen, zumal die-
mungen in der Natur nicht als solche, in ihrer ser ja nicht Thema der Philosophie ist, und so
logischen Prägnanz, festgehalten sind. »Spuren assoziiert er ihn mit »Zufälligkeit«. Verständlich
der Begriffsbestimmung werden sich allerdings allerdings ist es, wenn er diesen »unendlichen
bis in das Particulärste hinein verfolgen, aber Reichthum« nicht »als die hohe Freiheit der Na-
dieses sich nicht durch sie erschöpfen lassen«. tur, auch als die Göttlichkeit d e r s e l b e n oder
Schon diese klare Stellungnahme dementiert den wenigstens die Göttlichkeit in derselben ge-
so oft gegen Hegel erhobenen Vorwurf des Panlo- rühmt« sehen will. Denn von »Freiheit« kann hier
gismus. Das logische Verhältnis etwa von Gattung allerdings keine Rede sein, und die »Göttlich-
und Art gilt auch für die Natur – doch an die keit« liegt für ihn nicht in der »Aeußerlichkeit«
Stelle der Bestimmtheit des Begriffs tritt in der der beliebig mannigfaltigen Formen, sondern in
Natur die »bestimmungslose Mannichfaltigkeit der Einheit der logischen Bestimmung (3§ 250).
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 335

(3) Hegels Naturphilosophie gehört einer Zeit Gegenüber diesen so eindrucksvollen wie ge-
an, in der der Naturbegriff extremen Spannungen gensätzlichen Bildern nimmt sich Hegels Deu-
und Friktionen unterliegt. In einer epochalen tung der Natur bescheiden, ja fast farblos aus. Für
Rationalisierungsleistung wird im 18. Jahrhun- ihn ist Natur weder etwas Widergöttliches noch
dert der Prozeß der »Entzauberung« der Natur etwas Heiliges – denn sie ist ihm ja die »Idee«,
grundsätzlich abgeschlossen und auch konzep- aber diese eben »in der Form des A n d e r s -
tualisiert (JWA 2.399). Dies verhindert freilich s e y n s«. Deshalb »mag und soll man in ihr wohl
nicht, daß seine Nachgeschichte bis in die Gegen- die Weisheit Gottes bewundern« – aber entgegen
wart reicht. Doch die Kraft der frühneuzeitlichen der Naturfixierung der Physikotheologie »ist jede
Deutung der Natur ist gebrochen: Natur gilt nun Vorstellung des Geistes, die schlechteste seiner
nicht mehr als durch den Sündenfall verderbt Einbildungen, das Spiel seiner zufälligsten Lau-
und deshalb als dämonisch, und auch das Wun- nen, jedes Wort ein vortrefflicherer Erkenntniß-
der ist nicht mehr konstitutives Moment der Na- grund für Gottes Seyn, als irgend ein einzelner
tur. Solche theologisch dominierten Deutungen Naturgegenstand« – etwa der Strohhalm des Va-
werden durch das Verständnis der Natur als eines nini. Und Hegel steigert diese Überlegenheit des
durch Gesetze bestimmten und somit berechen- Geistes über die Natur noch in provozierender
baren Zusammenhangs verdrängt. Weise: Selbst die Willkür, die »bis zum B ö s e n
Damit sind jedoch nur einige theologische Op- fortgeht«, ist »noch ein unendlich höheres, als das
tionen ausgeschlossen, und es bleibt eine Reihe gesetzmäßige Wandeln der Gestirne oder als die
weiterer: Die Physikotheologie des 18. Jahrhun- Unschuld der Pflanze; denn was sich so verirrt,
derts begreift die Natur in ihrer Gesetzmäßigkeit ist noch Geist.« (3§ 248) Solche Äußerungen ha-
als ein Werk des Schöpfers, dessen Güte, Weis- ben immer wieder Anstoß erregt – und Hegel
heit und Macht im Gegenzug wiederum aus sei- steht Goethe wohl nirgends ferner als in ihnen.
nem Geschöpf erkannt werden kann: Die Him- Doch sie entspringen nicht einem Affekt gegen
mel rühmen des Ewigen Ehre, und nicht allein die Natur, sondern sie folgen konsequent aus
die Himmel, sondern die gesamte Schöpfung bis Hegels Auffassung der Natur als eines » S y -
in die kleinste und unansehnlichste Kreatur. Im s t e m s v o n S t u f e n«, deren letzte zum Geist hin
Umkreis der ›Empfindsamkeit‹ des ausgehenden überschritten wird, so daß das Geistige insgesamt
18. Jahrhunderts erhält die Natur sogar göttliche einer höheren Stufe angehört als das bloß Natür-
Qualitäten zugesprochen; sie wird nun auch liche. Selbst das Böse ist ja ein Produkt der
selbst als ein ›Heiliges‹, als »heilige Natur« erfah- Freiheit – und deshalb ist es mehr als nur Natur
ren. Doch findet sich auch die Gegenposition: (3§ 248). Der Mangel der Natur zeigt sich gleich-
Obgleich Jacobi der ›Empfindsamkeit‹ in vielen sam darin, daß sie nicht einmal böse sein kann.
Zügen und Äußerungen nahesteht, zeichnet er (4) Ein weiteres Characteristicum seines Na-
mit vielen anderen das Bild der gesetzmäßig turbegriffs spricht Hegel in diesen einleitenden
aufgefaßten Natur als »einer ununterbrechbaren Partien der Enzyklopädie nicht mit der gleichen
Kette von lauter wirkenden Ursachen ohne An- Bestimmtheit aus – wohl schon deshalb, weil es
fang und Ende«. Solche Natur verberge Gott, und sich von seinem Gesamtansatz her ohnehin ver-
von einer im neutralen Sinne gott-losen wird sie steht. In den Vorlesungen ist er hierüber jedoch
ihm zu einer widergöttlichen Natur, die er nun in sehr ausführlich: »Natur« ist nicht etwas bloß
düsteren, fast gnostischen Farben malt: Er nennt »Objektives«, dem Bewußtsein von außen her
sie »eine gräßliche, von Ewigkeit zu Ewigkeit nur Gegebenes; sie ist nicht »ein Substantielles gegen
Schein und Schattenleben brütende Mutter Nacht mich, sondern ebenso als die meine […]. Sie ist
– Tod und Vernichtung, Mord und Lüge, wo es ebensowohl Sache des Geistes als Ungeistiges,
taget.« (JWA 3.117,12) Schelling hingegen nennt dem Geist entgegen, aber nicht ihm fremd, son-
in seiner Akademierede Ueber das Verhältniß der dern in diesem anderen besitzt er sich selbst.«
bildenden Künste zu der Natur (1807) die Natur – Natur ist nichts bloß Unmittelbares, sondern ein
mit deutlichem Anklang an die spinozistische »na- immer schon geistig Erfaßtes – und diese Er-
tura naturans« – »die heilige, ewig schaffende Ur- kenntnis ist auch nicht ein rein durch den Gegen-
kraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst er- stand determiniertes Erfahrungswissen, sondern
zeugt und werkthätig hervorbringt.« (SW I/7.293) vielmehr ein Komplement unserer Begrifflich-
336 II. Werk

keit. Von den Naturgesetzen heißt es deshalb: keineswegs dogmatischen, sondern heuristi-
»Wir erhalten sie von außen, aber wir erhalten schen Charakter dieses »Glaubens« drückt Hegel
darin das Unsere. Die Form der Allgemeinheit ist an anderer Stelle so aus, daß »der B e g r i f f sich
das Unsere.« (V 16.5 f.) in der bestimmten Natur vermuthete und die Idee
Dieser Ansatz verdankt sich dem Erbe der einer N a t u r p h i l o s o p h i e faßte« (§ 312). Die
Transzendentalphilosophie. Gleichwohl spielt Aufgabe der Naturphilosophie ist es deshalb,
Hegel nie diese gewußte, immer auch durch Lei- diese Vermutung zur Gewißheit zu erheben.
stungen der Subjektivität konstituierte Natur ge- (6) Eine derartige Konzeption des »Systems«
gen eine ›Natur an sich‹ aus: So, wie sie im der Natur als einer durchgängigen und über sie
Bewußtsein ist, so ist sie – und es ist sinnlos, ihr hinausweisenden Stufenfolge könnte als Antizi-
selbst darüber hinaus ein ›wahres‹, jedoch nicht pation der Evolutionstheorie gelesen werden, zu-
erkennbares Sein zuzusprechen. Konstitutiv für mal diese sich auch ungezwungen in Hegels Kon-
das Bild der Natur, das dieses Bewußtsein ent- zeption einbringen ließe. Aber gerade gegen ein
wirft, sind aber nicht allein die zeitlos gültigen solches Mißverständnis wendet Hegel sich in der
apriorischen Bedingungen der Erkenntnis, son- Fortsetzung seines Satzes mit Emphase: »aber
dern ebenso die Sedimentierungen kulturge- nicht so, daß die eine aus der anderen n a t ü r -
schichtlicher, menschheitsgeschichtlicher Ent- l i c h erzeugt würde, sondern in der innern den
wicklungen. Dies zeigt sich bereits im Blick auf Grund der Natur ausmachenden Idee. Die M e -
die genannten unterschiedlichen theologischen t a m o r p h o s e kommt nur dem Begriffe als sol-
Deutungen wie auch auf den Gegensatz von me- chem zu, da dessen Veränderung allein Entwick-
chanistischer und teleologischer Interpretation lung ist.«
der Natur. Die Erfahrung der Natur ist ein in- Über allem wohlfeilen Spott, daß Hegel zu
tegrales Moment von Welterfahrung überhaupt; Beginn desjenigen Jahrhunderts den Evolutions-
sie setzt sowohl die apriorische Begrifflichkeit als gedanken ausdrücklich ausschließt, der dann seit
auch die umfassende Geistigkeit einer jeden Epo- der Mitte des Jahrhunderts seinen Siegeszug an-
che voraus. tritt, ist jedoch zweierlei nicht zu vergessen: He-
(5) Auf Grund dieser apriorischen und ge- gel schließt den Evolutionsgedanken eben des-
schichtlichen Voraussetzungen ist die Natur für halb aus, weil er von der empirischen Wissen-
Hegel »als ein S y s t e m v o n S t u f e n zu be- schaft seiner Zeit nicht bestätigt wird. Er be-
trachten, deren eine aus der andern nothwendig trachtet ihn als »eine ungeschickte Vorstellung
hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen älterer auch neuerer Naturphilosophie«, die ei-
ist, aus welcher sie resultirt«. Das Proprium die- nen derartigen Evolutionsprozeß dadurch deutli-
ses Ansatzes liegt somit nicht schon in der Auffas- cher machen will, daß sie ihn »in das Dunkel der
sung der Natur als eines » S y s t e m s v o n S t u - Vergangenheit« verlegt (3§ 249) – und solchem
f e n«, sondern in deren Verbindung: Hegel Vorgehen will er sich nicht anschließen. Deshalb
entwirft »ein beeindruckendes Gesamtbild der betrachtet er »Evolution« als eine ebenso dubiose
Natur: einen d u r c h g ä n g i g e n Z u s a m m e n - Deutung wie »Emanation« und selbst »Metamor-
h a n g der Naturphänomene in der Form einer phose« – letzteres trotz seiner gegebenen und
Stufenfolge, die eine Tendenz im Sinn zuneh- stets auch gesuchten Nähe zu Goethe (Gr
mender Kohärenz und Idealität zeigt – vom ele- 105–114). Und ferner ist Hegels Verständnis der
mentaren Außereinandersein bis zur Idealität des Natur als eines in sich zusammenhängenden
Psychischen.« (Wandschneider 2001, 166) Und » S y s t e m s v o n S t u f e n« erheblich breiter an-
dieses, als durchgängiger Zusammenhang ge- gelegt als die Evolutionstheorie, der ja nur eine
dachte »System« ist für Hegel nichts bloß Fakti- regionale Bedeutung für die »organische Physik«
sches, Opakes. Als Voraussetzung von Keplers zukommt.
»glänzenden Entdeckungen« rühmt er »den tiefen
Glauben, daß Ve r n u n f t i n d i e s e m S y s t e m e
9.3.4. Naturwissenschaft und Natur-
i s t« (§ 280). Auf diesem »Glauben«, daß Vernunft
philosophie
in der Natur sei und daß sie eben hierdurch und
auch nur soweit erkennbar sei, als Vernunft in ihr (1) Eine herausragende Aufgabe der Naturphilo-
sei, beruht auch seine eigene Konzeption. Den sophie ist es, Natur insgesamt als »System« und
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 337

als integrierendes Moment innerhalb des Sy- wissenschaft, sondern – wie diese ebenfalls – die
stems der Philosophie überhaupt zu begreifen, Natur. Dennoch unterscheidet sie sich von der
indem sie die »Spuren der Begriffsbestimmung« Naturwissenschaft prägnant durch die spezifische
in ihr nachweist. Sie hebt sich damit ab von der Fragestellung, mit der sie ihren Gegenstand er-
rationalen Kosmologie der vormaligen metaphy- faßt, die jedoch der empirischen Forschung gar
sica specialis, aber sie hebt sich ebenso ab von der nicht zugänglich ist. Sie treibt keine Naturfor-
Naturphilosophie der Romantik und Schellings. schung, und sie fragt auch nicht nach dem einzel-
Erst in den beiden vergangenen Jahrzehnten nen Naturphänomen, sondern sie begreift Natur
scheint es Hegels Naturphilosophie gelungen zu – als das Anderssein der Idee – als ganze, und
sein, aus deren übermächtigem Schatten heraus- zwar nicht bloß als ein starres » S y s t e m v o n
zutreten. Zwar sucht Hegel schon in Jena, in S t u f e n«, sondern als ein »lebendiges Ganzes«.
seinem ersten Entwurf der Naturphilosophie (s. Geordnet ist es nach der sukzessiven Ausbildung
160), die Distanz zu Schelling. In der Folgezeit von Subjektivitätsstrukturen, da diese den Über-
grenzt er sich wiederholt – und zum Teil recht gang von der Natur zum »Geist« anzeigen, »der
polemisch – von dessen »Formalismus« ab, sei es die Wahrheit und der Endzweck der Natur und
in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes, die wahre Wirklichkeit der Idee ist.« (3§ 251). Es
sei es in der privaten Versicherung gegenüber geht Hegel deshalb nie um ein bloß theoretisches
seinem – damaligen – Freund Paulus, daß er sich Verständnis irgendeines Gegenstands oder Phä-
»mit Mathematik, neuerlich mit der höhern Ana- nomens der »Natur«, sondern stets um ihre Stel-
lysis, der Differential-Rechnung, mit Physik, Na- lung auf dem Weg des Geistes zu sich selbst – so
turgeschichte, Chemie zu sehr beschäftigt habe, sehr er auch bei den einzelnen Gegenständen
um mich von dem Schwindel der Naturphiloso- verharrt und sie zu begreifen sucht.
phie, ohne Kenntnisse und durch Einbildungs- »Natur« ist für Hegel nichts bloß ›Objektives‹.
kraft zu philosophieren und leere Einfälle selbst Deshalb ist ein ausschließlich theoretisches Ver-
des Aberwitzes für Gedanken zu halten, ergreifen hältnis zu ihr eine bloße Abstraktion. Sie zu
zu lassen.« (30.7.14) Mit der Konzeption, die seit begreifen schließt immer ein Sichselbstbegreifen
der Enzyklopädie (1817) vorliegt und die Hegel des Geistes ein. Von hier aus bestimmt Hegel den
seit 1819/20 vorträgt und weiter ausarbeitet, ver- Begriff der Naturphilosophie: Sie ist auch keine
fügt er über einen eigenständigen, unverwechsel- ›objektive‹, rein theoretische Disziplin, sondern
baren Ansatz. Gleichwohl hat die Rezeptions- ihre höchste Aufgabe liegt in der »Vereinigung
geschichte sich bis vor kurzem die erforderliche der Gegensätze«, die das Naturverhältnis des
Mühe der Differenzierung erspart und sich statt Menschen bestimmen, nämlich des theoreti-
dessen lieber an der – zudem falsch verstandenen schen und des praktischen Zugangs zur Natur.
– Anekdote über Hegels angebliches Wegspe- Dem theoretischen Zugriff erscheint »Natur« zu-
kulieren eines faktischen Planeten erbaut (s. nächst als ein von uns Bewundertes und Ver-
108). ehrtes, als ein von uns Unabhängiges und für sich
(2) Hegels Naturphilosophie ist – mit der spä- Bestehendes, als ein Tätiges und auf Zwecke
teren Unterscheidung – eine »materiale« Dis- Gerichtetes, und somit als Subjekt. Sie ist auch
ziplin, nicht eine »formale« im Sinne einer kriti- keineswegs das abstrakt Andere, der bloße Wi-
schen Reflexion auf Naturwissenschaft oder gar derpart der Freiheit, an dem sich die Freiheit
einer Wissenschaftstheorie der Naturwissen- vergebens abarbeitet, sondern etwas in sich ver-
schaft. Sie zielt auch »nicht auf eine metaphysi- nünftig Strukturiertes und somit gleichsam die
sche Grundlegung theoretischer naturwissen- Vorhalle unserer Freiheit.
schaftlicher Disziplinen«. Sie verzichtet darauf, Gleichwohl ist sie für uns unvermeidlich ein
»eine Grundlegung erfahrungswissenschaftlicher Gegenstand des praktischen Zugriffs, ein von uns
Naturerkenntnis durch theoretische Erkenntnis a Benutztes und Beherrschtes, Ausgebeutetes und
priori anzustreben oder metaphysische Voraus- Vernichtetes, ja durch die List der menschlichen
setzungen aufzudecken, deren die mathemati- Vernunft Zerstörtes und Zertrümmertes: »Dies ist
schen Physiker nicht entbehren können. Der Ver- der bewußtlose Zwiespalt, in dem wir uns un-
zicht ist ein Gewinn.« (Fulda 2003, 143) Die mittelbar zur Natur befinden.« »Das Problem der
Naturphilosophie thematisiert nicht die Natur- Naturphilosophie ist also, diese Entgegensetzung
338 II. Werk

zu lösen.« »Die Vereinigung der Gegensätze be- »Spuren« des Begriffs gerichtet, somit auf die
steht näher also darin, daß ich die Natur nicht nur Erkenntnis des Apriorischen in der Natur. Aber
betrachte als ein Substantielles gegen mich, son- eben um diese »Spuren« des Begriffs freizulegen
dern ebenso als die meine und umgekehrt, daß und nicht in einen Panlogismus und dann kon-
die Natur nicht nur das Selbstlose, sondern auch sequent in einen Formalismus zu geraten, bedarf
das für sich Seiende ist.« (V 16.4 f.) es der Erfahrung. Hierzu hat Hegel sich mit aller
(3) Demnach läßt sich die Aufgabe der Natur- Klarheit bekannt, und man kann es schwerlich
philosophie primär als praktisch fassen, als die deutlicher aussprechen als er: »Nicht nur muß die
Überwindung des Zwiespalts, als die Versöhnung Philosophie mit der Natur-Erfahrung überein-
des Geistes mit der Natur. Diese praktische Be- stimmend seyn, sondern die E n t s t e h u n g und
stimmung der Aufgabe der Naturphilosophie tritt B i l d u n g der philosophischen Wissenschaft hat
allerdings in der Durchführung zurück – freilich die empirische Physik zur Voraussetzung und Be-
ohne revoziert zu werden. Ihr generelles Ver- dingung«. Und Hegel fordert, »daß außerdem
fahren läßt sich – mit dem bereits zitierten Wort – daß der Gegenstand nach seiner B e g r i f f s b e -
beschreiben als das Aufsuchen der »Spuren der s t i m m u n g in dem philosophischen Gange an-
Begriffsbestimmung« in der Natur – methodisch zugeben ist, noch weiter die e m p i r i s c h e Er-
übrigens nicht anders als in der Philosophie des scheinung, welche derselben entspricht, namhaft
absoluten Geistes. Man könnte dieses Programm zu machen und von ihr aufzuzeigen ist, daß sie
ebensogut mit dem Kantischen Wort als das Her- jener in der That entspricht.« In der Betonung
ausarbeiten der »metaphysischen Anfangsgründe des Voraussetzungscharakters der empirischen
der Naturwissenschaften« beschreiben – auch Wissenschaft ist freilich nicht impliziert, daß die
wenn Hegel damit nicht die Absicht einer meta- Naturphilosophie nun mit empirischer Wissen-
physischen Grundlegung verfolgt. Und er legt schaft einzusetzen habe oder gar durch sie legiti-
ausdrücklich Wert darauf, daß es hier nur um miert werde – denn selbst für die Naturwissen-
solche »Spuren« oder »metaphysischen Anfangs- schaft gilt: »Ein anderes aber ist der Gang des
gründe« gehen könne: »Spuren der Begriffsbe- Entstehens und die Vorarbeiten einer Wissen-
stimmung werden sich allerdings bis in das Parti- schaft, ein anderes die Wissenschaft selbst«
culärste hinein verfolgen, aber dieses sich nicht (3§ 246). »Wenn die Wissenschaft fertig ist, fängt
durch sie erschöpfen lassen. Die Spuren dieser sie allerdings nicht mehr vom Empirischen an,
Fortleitung und innern Zusammenhangs werden aber daß sie zur Existenz komme, dazu gehört der
den Betrachter oft überraschen […]. Aber man Gang vom Einzelnen, vom Besonderen zum All-
hat darüber mistrauisch zu seyn, daß solche Spur gemeinen« (V 9.76) – also der Gang der Induk-
nicht für Totalität der Bestimmung der Gebilde tion.
genommen werde« (3§ 250). Denn dies wider- Diese Aussage gehört keineswegs einer Ebene
spräche nicht allein dem Begriff der Natur, der ja des bloß programmatischen Bekenntnisses an,
Zufälligkeit und äußere Anordnung, ja die Ohn- das bei der nachfolgenden Ausarbeitung der Na-
macht der Natur einschließt, und machte Natur turphilosophie ungehört und wirkungslos ver-
zu etwas ausschließlich logisch Bestimmtem. In hallt wäre – hiergegen spricht bereits Hegels
dem Programm einer vollständigen logischen Ab- ausführliche Orientierung an den Resultaten wie
leitung der Naturbestimmungen sieht Hegel zu- auch seine gelegentliche Korrektur von Annah-
dem die Gefahr, daß die auf philosophisch-red- men der Einzelwissenschaften seiner Zeit – wie
liche Weise nicht mehr apriorisch faßbare Di- man nicht allein der Forschungsliteratur der letz-
mension der Natur durch eine vermeintlich ver- ten zwei Jahrzehnte, sondern auch den Anmer-
nunftgeleitete Etikettierung verdeckt wird, so kungen zu den neueren Editionen entnehmen
daß die Naturphilosophie zu einem »Verfahren kann. Hegels Kritik richtet sich nicht gegen den
der Vorstellung und Phantasie (auch der Phanta- Rekurs auf Erfahrung, sondern gegen die verfehl-
sterei) nach A n a l o g i e n« herabsinkt, den Ge- ten Resultate, die oftmals aus ihr gezogen wer-
genständen »Bestimmungen und Schemata nur den, und sie richtet sich insbesondere gegen die
ä u ß e r l i c h auf[zu]drücken« (§ 246). verdeckte »Verstandesmetaphysik« der Naturwis-
(4) Im Interesse ihrer praktischen Aufgabe ist senschaften – etwa gegen »die Ueberschwem-
die Naturphilosophie auf die Erkenntnis der mung der physischen Mechanik mit einer u n -
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 339

s ä g l i c h e n M e t a p h y s i k , die – gegen Erfah- (§ 270) Denn damit vergißt sie eine grundle-
rung und Begriff –« sich allein auf mathematische gende Einsicht: »Man muß wissen, daß die ange-
Bestimmungen bezieht (§ 270). Diese Kritik an wandte Mathematik kein Naturgesetz beweisen
einer falschen, »metaphysischen« Auffassung der kann.« (V 16.41)
Resultate der Erfahrung, am »metaphysischen Fraglos hat Hegel aus der empirischen For-
Galimathias« (3§ 320) durchzieht seine gesamte schung nicht stets das erkannt und aufgenom-
Naturphilosophie. Hiergegen klagt er die Berück- men, was sich im späteren Verlauf der Wissen-
sichtigung der Erfahrung ein – sicherlich nicht schaftsgeschichte bewährt und durchgesetzt hat –
mit dem Ziel, bei ihr stehenzubleiben, sondern aber darin unterscheidet sich seine Naturphiloso-
ihre Verwechselung mit der schlechten Meta- phie keineswegs von der empirischen Naturwis-
physik des Verstandes zu beenden: die Phäno- senschaft seiner Zeit. Auch sein einseitiges Vo-
mene vor ihrer Deformation durch Verstandes- tum gegen Newtons und für Goethes Farbenlehre
reflexion und -metaphysik zu retten und Raum zu läßt sich ja nicht aus einer Option für oder gegen
gewinnen für eine den Phänomenen besser ange- Erfahrung herleiten. Statt einer Geringschätzung
messene spekulative Deutung der Erfahrung. So der Erfahrungswissenschaften könnte man Hegel
wendet er sich auch gegen die Versuche seiner eher eine Überschätzung der Bedeutung des Er-
Zeitgenossen, Naturphänomene auf Stofflichkeit fahrungsbegriffs für die neueren Naturwissen-
zu reduzieren und sich dabei in Tautologien zu schaften vorwerfen.
verlieren – indem sie etwa Klänge auf einen (6) Hegel hätte jedoch der empirischen Wis-
»Klangstoff« oder Wärme auf einen »Wärme- senschaft schwerlich solche wissenschaftskonsti-
stoff« zurückführt (§ 304 f.), ja letztlich das Ein- tutive Bedeutung zugeschrieben, wenn er die von
schlafenkönnen auf eine »vis dormitiva«. Und so ihr proklamierte »Erfahrung« nur als ein von der
kulminiert seine Klage in dem beschwörenden Theorie unberührtes Sammeln des Einzelnen
Ausruf: »Wann wird die Wissenschaft einmal da- und als Beharren bei ihm verstanden hätte. Doch
hin kommen, über die metaphysischen Katego- er sieht sehr klar, daß ein solches Verständnis von
rien, die sie braucht, ein Bewußtseyn zu erlangen Erfahrung eben den Begriff der Erfahrungswis-
und den Begriff der Sache statt derselben zu senschaften unterliefe. »Die Empirie ist nicht
Grunde zu legen!« (§ 270) bloß Aufnehmen der Sinne, sondern geht we-
(5) Gespannt ist das Verhältnis der Naturphilo- sentlich darauf, das Allgemeine, die Gesetze,
sophie nicht zur »Erfahrung«, sondern zu einer Gattungen zu finden, und indem sie diese hervor-
schlecht-metaphysischen Interpretation der em- bringt, so erzeugt sie ein solches, was dem Boden
pirischen Befunde – und auch zu ihrer mathema- der Idee, des Begriffs angehört, in den Boden des
tischen Interpretation. Allerdings trennt Hegel Begriffs aufgenommen werden kann.« Dieser Be-
im Blick auf die Funktion der Mathematik sehr griff der Erfahrungswissenschaft steht für Hegel
präzise zwischen zwei unterschiedlichen Zu- bereits am Beginn oder noch vor dem eigent-
griffsweisen. Er sieht es als ein völlig berechtigtes lichen Beginn der neuzeitlichen Philosophie – in
Verfahren, die interne Gesetzmäßigkeit empiri- Francis Bacons Novum Organum (V 9.76).
scher Befunde mit Hilfe der Mathematik zu for- Zudem gilt die konstitutive Bedeutung, die
mulieren – und so lobt er Lagrange, der in seiner Hegel der »empirischen Physik«, also den em-
Théorie des fonctions durch die Anwendung ma- pirischen Naturwissenschaften überhaupt, für
thematischer Funktionen auf die Mechanik »die E n t s t e h u n g und B i l d u n g der philoso-
»diese Bestimmungen nicht für einen B e w e i s phischen Wissenschaft« zuspricht, nicht allein
d e s G e s e t z e s gebrauchen will, sondern dieses, speziell für die Naturphilosophie, wie man vom
wie hier gehörig, aus der Erfahrung aufnimmt Kontext her verstehen könnte (§ 246). Der Sinn
und dann die mathematische Behandlung darauf dieser Aussage erhellt aus einer Passage der phi-
anwendet.« (§ 267) Auf dem Abweg sieht er die losophiegeschichtlichen Vorlesungen, in der He-
Naturwissenschaft allein dort, wo sie falschen gel analog und mit großem Nachdruck betont:
Gebrauch von den Möglichkeiten der Mathema- »ohne die Ausbildung der Erfahrungswissen-
tik macht – wo sie »die Linien, die für die ma- schaften für sich hätte die Philosophie nicht wei-
thematische Bestimmung gezogen werden müs- ter kommen können als sie bei den Alten ge-
sen, in physische Wirklichkeiten verwandelt.« kommen ist.« (V 9.76) Hegel schreibt also den
340 II. Werk

Erfahrungswissenschaften eine konstitutive Anschauung. Doch versteht Hegel diesen Form-


Funktion für die neuzeitliche Philosophie insge- Charakter des Raums ausdrücklich nicht im
samt zu – ja letztlich für die Ausbildung auch des Sinne des »subjectiven Idealismus« einseitig als
»absoluten Wissens« (GW 9.430). eine der subjektiven Erkenntnis angehörende
Form der Anschauung. Raum und Zeit sind zwar
Formen; sie haben aber auch Realität, zumal sie
9.3.5. Mechanik
»uns totschlagen können« – durch einen beweg-
(1) Als erste Stufe der Natur behandelt Hegel die ten Ziegelstein (V 16.25) oder eine Bleikugel (Gr
»Mechanik« – und zwar als einen fundierenden, 181). Es ist aber nicht möglich, diese Idealität
aber zugleich begrenzten Bereich von Naturphä- und die Realität des Raumes wie auch der Zeit
nomenen: von Raum und Zeit, von Materie und von einander zu trennen und einander entgegen-
Bewegung und insbesondere der Bewegung der zusetzen. Der Raum ist gleichsam »ein Mittel-
Himmelskörper. Die Fundierungsfunktion der ding« (V 16.14) – und wie den Raum, »so geht
Mechanik verführt Hegel jedoch nicht zu einer auch die Zeit der Unterschied der Objectivität
mechanizistischen Erklärung der Natur (Wahsner und eines gegen dieselbe subjectiven Bewußt-
1996, 116), zu ihrer deterministischen Deutung seyns nichts an.« (§§ 253–261)
als eines geschlossenen Kausalzusammenhangs, (2) In dieser Mittelstellung von Raum und Zeit
die am Ende der Aufklärung herrschend ist – bis – zwischen subjektiver und objektiver Deutung –
in den »dritten Widerstreit« der Antinomie der liegt ein erstes Proprium des Hegelschen An-
reinen Vernunft (B 473) und zu Jacobi. Hegel satzes. Ein zweites, und sehr bemerkenswertes,
hingegen geht es »um die Einschränkung des liegt in der engen begrifflichen Verzahnung, die
Orts mechanischer Erklärungen, die Eindäm- Hegel zwischen Raum und Zeit herstellt. Sie
mung überschwänglicher Thesen über die Natur, seien nichts völlig Verschiedenes: »Der Raum ist
die angeblich nichts als ein mechanisches System sich selbst widersprechend und macht sich zur
von Bewegungen von Atomen, materiellen Parti- Zeit.« »Das eine ist das Erzeugen des Anderen.«
keln sei.« (Stekeler-Weithofer 2001, 132) Nur »in unserer Vorstellung lassen wir dies aus-
Im ersten Kapitel erörtert Hegel zunächst Phä- einander fallen« (V 16.205); sie verleiht beiden
nomene, die der »endlichen Mechanik« noch vor- den Schein des gleichgültigen und selbständigen
ausgehen: Raum und Zeit, Ort und Bewegung. In Bestehens, während sie doch nur zusammen –
den Begriffen von Raum und Zeit sieht er die und zusammen mit Materie und Bewegung –
erste Bestimmung der Natur als des »Außerein- begriffen werden können. Diese Kritik der Vor-
ander«, des » A u ß e r s i c h s e y n s«. Dieses Au- stellung fällt heute auf einen Boden, der fruchtba-
ßereinander kann nicht vom Raum als eines sei- rer ist als zu ihrer Zeit – obschon es verfehlt wäre,
ner Prädikate ausgesagt werden – als ob er außer- um ihretwillen Hegel zum Vorläufer der Relativi-
dem noch etwas anderes wäre. Er ist das Außer- tätstheorie zu stilisieren.
einandersein schlechthin, »nur das absolute Die Identität von Raum und Zeit findet Hegel
Außersichsein« (V 16.13). Doch ist der Raum ja im zweiten Begriffspaar realisiert, in den Be-
nicht real durch die in ihm möglichen Unter- griffen der Bewegung und der Materie. Die Be-
schiede zerteilt – und so ist er »nur die Möglich- wegung ist die »beide Momente in i h r e r E n t -
keit, nicht das G e s e t z t s e y n des Außereinan- g e g e n s e t z u n g bindende Einheit«, und die
derseyns und Negativen, daher schlechthin conti- Materie führt Hegel als »das in sich Zusammen-
nuirlich«, »reine Q u a n t i t ä t«, »als unmittelbar fallen« des der Bewegung immanenten Wider-
und äußerlich seyend«, oder die bloße Form oder spruchs ein. Hegel ist deshalb weniger an der
» A b s t r a c t i o n […] der unmittelbaren A e u - Bestimmung der Materie als » z u s a m m e n g e -
ß e r l i c h k e i t«. s e t z t« oder als » u n d u r c h d r i n g l i c h« inter-
Insofern sieht Hegel hier zwar auch eine Be- essiert denn an ihrer Bestimmung der »Schwere«.
rührung mit Newtons Begriff des absoluten Rau- In ihr liegt, daß der materielle Körper »wesent-
mes, jedoch nur, indem er den »absoluten Raum« lich Bewegung hat, d. h. die Zeit setzt sich räum-
als »abstrakten Raum« denkt (V 16.15). Enger ist lich und der Raum zeitlich. Die Materie ist Ein-
seine Nähe zu Kants transzendentalphilosophi- heit des Raumes und der Zeit, aber so, daß die
schem Begriff des Raums als einer Form der Unterschiede noch nicht an ihr gesetzt sind.« (V
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 341

16.28) Sie ist räumlich, aber sie hat auch die helium, die eine – sogar schwächere – Kraft die
zeitliche Komponente der Dauer und vor allem stärkere überwältige. Im Kolleg 1819/20 diffe-
der Bewegung, eben in ihrer Schwere. Denn die renziert er allerdings zwischen Newton einerseits
Fallbewegung, die sie durch ihre Schwere voll- und seinen »Nachbetern« in Frankreich und
zieht, kommt ihr nicht nur äußerlich zu, wie dem Deutschland andererseits, die »viel Verwirrung
geworfenen oder gestoßenen Körper; während hereingebracht« hätten (V 16.31). Er selbst sucht
diese Wurfbewegung eine bloß » a c c i d e n - den Grund dafür, daß die Umlaufbahn eine El-
t e l l e« ist, ist jene die dem Körper »wesentliche«, lipse und nicht ein Kreis ist, in der Komplexität
»immanente« des freien Falls. Deshalb insistiert der hier zu Grunde liegenden Bestimmung: da
Hegel darauf, daß auch im Wurf die akzidentelle hier »räumliche und zeitliche Bestimmung in
und die wesentliche Bewegung zusammengehö- Ve r s c h i e d e n h e i t , in ein qualitatives Verhält-
ren, und die methodische Isolierung der erst- niß zu einander treten, tritt nothwendig diß Ver-
genannten – zur reinen, nur durch Reibung ge- hältniß an d e m R ä u m l i c h e n selbst als eine
bremsten Wurfbewegung – »weder der Erfahrung D i f f e r e n z desselben hervor, welche hiemit
noch dem Begriffe, nur der abstrahirenden Refle- z w e i Bestimmungen erfordert. Dadurch wird
xion« angehört und »die endliche Bewegung un- die Gestalt der in sich zurückgehenden Bahn
zertrennlich mit der Schwere verbunden ist« wesentlich eine E l l i p s e .« (§§ 269–271)
(§§ 261–268).
Die »Gravitation« ist für Hegel deshalb die
9.3.6. Physik
»Substanz der Materie« oder »der wahrhafte und
bestimmte B e g r i f f der materiellen Körperlich- (1) Den Mittelteil der Naturphilosophie bildet
keit, der zur I d e e r e a l i s i r t ist« und ein »Sy- die »Physik«, als ein System der Stufen der noch
stem m e h r e r e r K ö r p e r« organisiert. Denn die nicht belebten Natur. Unter dem Titel »Physik der
»Bewegung als solche hat überhaupt schlechthin allgemeinen Individualität« behandelt Hegel zu-
nur im Systeme m e h r e r e r und zwar nach ver- nächst das System der Himmelskörper, das er in
schiedener B e s t i m m u n g zu einander im Ver- Jena (s. 168) noch der Physik der irdischen Kör-
hältniß stehender Körper einen Sinn und Exi- per und der Mechanik systematisch vorgeordnet
stenz.« hat. Hierbei führt er allerdings die himmlischen
(3) Die Verhältnisse der Himmelskörper, »in Körper nicht einfach als vorhanden ein, sondern
welchen der Begriff der Schwere frei für sich er geht vom Begriff der Materie zum Begriff des
realisirt ist«, behandelt Hegel unter dem Titel Lichts über: »Diß existirende allgemeine S e l b s t
»Absolute Mechanik« als die »absolut-freie Bewe- der Materie ist das Licht, – als Individualität, der
gung«. Hier sucht er vor allem nachzuweisen, daß S t e r n , und derselbe als Moment einer Totalität,
Newtons »Beweise« der Keplerschen Gesetze in die S o n n e .« Für Hegel ist Licht somit differen-
Wahrheit teils aus diesen selbst folgen, teils nicht ziert identisch mit Materie – nämlich als die
weit genug reichen, sofern sie nur nachweisen, einfache »reine Idealität« der Materie, als »das
daß die Planetenbahnen die Gestalt einer » k o - Abstrakte« (V 16.53), deshalb absolut leicht, un-
n i s c h e n S e c t i o n«, nicht aber speziell einer wägbar – ein » u n e n d l i c h e s Außersichseyn
Ellipse haben müssen, und teils ebenfalls »nur aber als reines Manifestiren«. Es selber ist aber
aus der Erfahrung durch Induction aufgezeigt« gerade nicht materiell; Hegel sucht vielmehr alle
sind. Er wendet sich mit Nachdruck gegen »die Bestimmungen des Lichts, die auf Materialität
Ueberschwemmung der physischen Mechanik verweisen – von »discreten einzelnen L i c h t -
mit einer u n s ä g l i c h e n M e t a p h y s i k«, die s t r a h l e n und T h e i l c h e n und B ü n d e l n der-
lediglich auf mathematischen Bestimmungen be- selben«, zu Gunsten der bloßen Einfachheit des
ruhe, sie jedoch – »gegen Erfahrung und Begriff« Lichts zu entfernen.
– zu realen Kräften stilisiere, insbesondere zur Während Hegel hier den Akzent nicht auf die
Zentrifugal- und Zentripetalkraft, und er ent- Individualität, auf die Stellung der Sonne als des
rüstet sich hier – wie schon in der Logik (GW Zentralkörpers legt, sondern auf den Begriff des
11.228 f.) über die derb-sinnliche und zudem un- Lichts, handelt er als den Gegensatz des Lichts
plausible Vorstellung, daß auf bestimmten Punk- weniger das »Dunkle« ab als vielmehr die lunari-
ten der Planetenbahnen, im Aphelium und Peri- schen und kometarischen Körper. Sie stehen in-
342 II. Werk

sofern in Differenz gegenüber der Sonne und der nachzuweisen, welche sich an den Processsen der
Erde, als sie sich nicht um ihre eigene Achse vereinzelten Körperlichkeit zeigen«, und insbe-
drehen, wohl aber um einen Zentralkörper. Die sondere gegen »die Verwandlung aller Verhält-
Planeten hingegen – und insbesondere die Erde – nisse an den Erscheinungen in S t o f f e und M a -
sieht Hegel dadurch ausgezeichnet, daß sie sich t e r i e n zum Theil i m p o n d e r a b l e , wodurch
sowohl um ihre eigene Achse als auch um einen jede physicalische Existenz zu dem schon er-
Zentralkörper drehen. Diesen differenzierten wähnten C h a o s von Materien und deren Aus-
Zusammenhang der unterschiedlichen Bewe- und Eingehen in den erdichteten Poren jeder
gungsformen – Drehung um die Achse, um einen andern, gemacht wird«. Auch dieser Protest wäre
Zentralkörper und sowohl um Achse als auch nicht richtig begriffen, wenn er unter den Titel
Zentralkörper – versteht Hegel als das System »Spekulation vs. Erfahrung« gestellt würde. He-
der himmlischen Körper – und seine Differen- gel betont ja vielmehr, daß sich ein derartiges
ziertheit ist ihm ein Beweis dafür, »daß Ve r - Verständnis nicht auf Erfahrung stützen könne:
n u n f t i n d i e s e m S y s t e m e i s t « und nicht »es wird noch eine empirische Existenz ange-
bloße Zufälligkeit – einen Gedanken, den er mit nommen, während sie sich nicht mehr empirisch
Keplers Entdeckungen assoziiert. zeigt.« (3§§ 281–289)
Doch versucht Hegel nicht, die weitere Be- (2) Im nächsten gedanklichen Schritt erörtert
stimmtheit der internen Relationen dieses Sy- Hegel – unter dem Titel »Physik der besonderen
stems aus seiner immanenten »Vernunft« abzu- Individualität« – diejenigen Bestimmungen, die
leiten – weder die Relationen unseres Sonnen- an den nun nicht mehr elementarischen, sondern
systems gegenüber anderen noch die Zahl oder individuellen Körpern auftreten: spezifische
die Größe der Planeten unseres Systems, und Schwere und Kohäsion sowie Klang und Wärme.
auch nicht die Reihenfolge ihrer Abstände, nach Anders als beim System der himmlischen Körper
der bereits seine Habilitationsschrift gefragt hat überrascht hier die Zusammenstellung dieser
(s. 108). Und er sieht auch keine andere Instanz, Phänomene. Die spezifische Schwere unter-
die hierüber Auskunft gäbe: »Was die Reihe der scheide sich von der allgemeinen dadurch, daß in
Planeten betrifft, so hat die Astronomie über die ihr der gesuchte Einheitspunkt nicht mehr außer-
nächste Bestimmtheit derselben, ihre E n t f e r - halb der Körper, in ein Gravitationszentrum falle.
n u n g e n noch kein wirkliches Gesetz entdeckt.« Und Hegel betont sehr nachdrücklich, unter sei-
(3§§ 272–280) ner Rede von »materiellen T h e i l e n« seien
In der absteigenden Reihe vom Allgemeinen »nicht Atome, noch Molecules, d. h. nicht abge-
zum Einzelnen behandelt Hegel als nächstes die sondert für sich bestehende zu verstehen, son-
allgemeinen Bestimmungen, die der Erde als dern nur quantitativ oder zufällig unterschie-
dem »Körper der Individualität« zukommen: die dene, so daß ihre Continuität wesentlich von
»Bestimmungen der elementarischen Totalität« ihrer Unterschiedenheit nicht zu trennen ist« –
oder die »allgemeinen p h y s i k a l i s c h e n Ele- wie ja auch die Zenonischen Paradoxien allein
mente«: Luft, Feuer und Wasser, und Erde – dann unauflöslich seien, wenn Raum und Zeit als
wobei Feuer und Wasser wiederum einen Gegen- in eine Unendlichkeit von isolierten Raum- und
satz ausmachen, eine in sich gebrochene Mitte. Zeitpunkten zerfallend gedacht würden. – Im
Hegel hält hier bewußt an dem traditionellen Phänomen des Klangs, das er an Hand zeitge-
Begriff des »Elements« fest, gegen die damals neu nössischer Studien erörtert, vermischen sich für
aufkommende und von ihm als »willkührlich« ihn Räumlichkeit und Zeitlichkeit, und von den
eingestufte Bedeutung der » c h e m i s c h e n E i n - Schwingungen, die dem Klang zu Grunde liegen,
f a c h h e i t«. Die Elemente bilden Momente in leitet Hegel über zum Begriff der Wärme, zumal
dem Prozeß, den Hegel »das physicalische Leben diese sich, durch das Phänomen der Ausdeh-
der Erde, den m e t e o r o l o g i s c h e n P r o c e ß« nung, auch zum Raumbegriff in Beziehung setzen
nennt – und unter diesen weit gefaßten Titel läßt. Hingegen polemisiert Hegel hier gegen die
stellt er auch noch Erdbeben und Vulkanismus. ihm noch zeitgenössische Annahme einer be-
Im Blick auf den »allgemeinen Proceß der sonderen » W ä r m e - M a t e r i e«, in der er wie-
Erde« polemisiert Hegel dagegen, in ihm »diesel- derum das Phantasieprodukt einer schlechten
ben Bestimmungen wieder zu erkennen und Verstandesmetaphysik sieht (3§§ 290–307).
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 343

(3) Der dritte Abschnitt, die Physik des in- Cohäsion, Gestalt, Farbe u. s. f., ferner aber der
dividuellen Körpers oder »der totalen Individua- sauren, kaustischen, kalischen u. s. f. Eigenschaf-
lität«, ist in seiner Komposition am schwierigsten ten ist bei Seite gestellt und alles in der Abstrac-
zu durchschauen. Hegel beginnt hier mit dem tion von Electricität untergegangen.« Deshalb
Begriff der »Gestalt« – aber er leitet von ihr fordert er von den Einzelwissenschaften: »Man
unmittelbar über zum Magnetismus und zu des- werfe doch der Philosophie nicht mehr ihr Ab-
sen Verhältnis zu Elektrizität und Chemismus. Im strahiren von dem Besondern und ihre leeren
Blick darauf weist er der Naturphilosophie die Allgemeinheiten vor! wenn über positiver und
wichtige vermittelnde Funktion zu, an der Identi- negativer Electricität alle jene Eigenschaften der
tät dieser Phänomene festzuhalten und gleich- Körperlichkeit vergessen werden dürfen.« Hinge-
wohl ihre Differenz nicht aufzugeben: »Früher ist gen zitiert er zustimmend Berthollets Kritik an
Magnetismus, Electricität und Chemismus gänz- »der einseitigen Bedingung der Wahlverwand-
lich abgesondert, ohne Zusammenhang mit ein- schaft« ohne Analyse der spezifischen Umstände
ander, jedes als eine selbstständige Kraft betrach- einer chemischen Reaktion. Der chemische Pro-
tet worden. Die Philosophie hat die Idee ihrer zeß sei stets »in seiner vollständigen Totalität zu
I d e n t i t ä t , a b e r mit ausdrücklichem Vo r b e - nehmen«, nämlich »als die Dreiheit von innigst in
h a l t ihres U n t e r s c h i e d e s gefaßt, in den einander greifenden Schlüssen«, und »die ab-
neuesten Vorstellungsweisen der Physik scheint stracte Vorstellung vom chemischen Processe
auf das Extrem der I d e n t i t ä t dieser Erschei- überhaupt als blos der E i n w i r k u n g eines Stof-
nungen übergesprungen worden und die Noth zu fes auf einen Andern« sei zu überwinden. Auch
seyn, – daß und wie sie zugleich auseinander zu hier ist es wieder Hegels Ziel, »der Metaphysik,
halten seyen.« (3§§ 308–315) welche in der Chemie wie in der Physik herr-
Unter der Überschrift »Besonderung des in- schend ist, nämlich den Gedanken oder vielmehr
dividuellen Körpers« setzt Hegel sich zunächst wüsten Vorstellungen von U n v e r ä n d e r l i c h -
detailliert mit dem Phänomen des Lichts ausein- k e i t d e r S t o f f e unter allen Umständen, wie
ander – und hierbei geht er wiederum auf die den Kategorien von der Z u s a m m e n s e t z u n g
Differenz zwischen Newtons Optik und Goethes und dem B e s t e h e n der Körper aus solchen
Farbenlehre ein. Als weitere Phänomene behan- Stoffen, entgegen zu wirken.«
delt er Geruch und Geschmack – anschließend Im chemischen Prozeß sieht Hegel bereits
jedoch noch, etwas überraschend, »Electricität« Züge, die auf das »Leben« vorausdeuten: »der
(3§§ 323–325). individuelle Körper wird ebenso in seiner Un-
Vergleichsweise ausführlich behandelt Hegel mittelbarkeit a u f g e h o b e n als h e r v o r g e -
schließlich den »chemischen Proceß«. In der En- b r a c h t«. Er notiert auch, daß in der Chemie
zyklopädie (1817) stellt er ihn noch unter das bereits »die Bestimmung der Z w e c k m ä ß i g -
Stichwort »Vereinzelung« (1§ 252–260); in den k e i t« für Erklärungen herangezogen werde. Ent-
beiden späteren Fassungen hingegen sieht er das scheidend für diesen Übergang vom Chemismus
Proprium des chemischen Prozesses in der dop- zum Organismus ist, daß jener die vorausgesetz-
pelten Bewegung von »Vereinung« – als einer ten Bedingungen und Eigenschaften negiert und
Bewegung »vom indifferenten Körper aus durch zum Produkt herabsetzt oder »die R e l a t i v i t ä t
seine Begeistung zur Neutralität« – und »von der unmittelbaren Substanzen und Eigenschaf-
dieser Vereinung zurück zur Scheidung in indiffe- ten« setzt und sie dadurch zum Moment der
rente Körper«. Auch hier sucht Hegel Phänomene Individualität macht. Hierdurch bildet er den
aus der zeitgenössischen Wissenschaft aufzugrei- begrifflichen Übergang zum Leben als dem sich
fen – insbesondere den Galvanismus. Er erörtert selbst hervorbringenden und unterhaltenden
dessen Verhältnis zu Elektrizität und Chemismus Prozeß (3§§ 326–336).
und polemisiert auch hier wiederum gegen die
zeitgenössische » I d e n t i f i c i r u n g der Electri-
9.3.7. Organische Physik
cität und des Chemismus«, durch die der Galva-
nismus als eigenständiges Phänomen aufgelöst (1) Bereits für den Übergang vom Chemismus
werde: Alle »im chemischen Proceß vorkom- zum Organismus greift Hegel auf den Begriff der
mende Veränderung der specifischen Schwere, »Thätigkeit« zurück, und an ihn knüpft er zu
344 II. Werk

Beginn der »organischen Physik« wieder an: mit Subjektivität und der Gestaltung eines » o b j e c -
dem Begriff der »Subjectivität«. Er erweist sich t i v e n Organismus« bzw. nach dem Verhältnis
als Schlüsselbegriff insbesondere dieser Sphäre, dieses Organismus und der Subjektivität des-
sofern er sie als ganze strukturiert: Er liegt bereits selben: In der Pflanze seien beide noch identisch;
dem » g e o l o g i s c h e n Organismus« zu Grunde die Pflanze ist »noch nicht für sich seyende Sub-
sowie intensiviert, als »besondere, formelle Sub- jectivität« »gegen ihren a n s i c h seyenden Orga-
jectivität«, dem Leben als vegetabilischem Orga- nismus«. Sie ist wohl Individualität, aber noch
nismus und schließlich, »als einzelne concrete »nicht zur Subjectivität befreit«: Sie bestimmt
Subjectivität«, dem animalischen Organismus. nicht ihren Ort; ihre Nahrungsaufnahme erfolgt
Die ›Stufen des Organischen‹ sind somit Stufen nicht willkürlich, sondern »continuirlich strö-
der Verwirklichung von Subjektivität, von Tätig- mend«, und sie »verhält sich nicht zu individuali-
keit und selbstbezüglicher Tätigkeit. So leistet sirtem Unorganischen, sondern zu den allgemei-
auch die Naturphilosophie ihren Beitrag zur Be- nen Elementen.«
antwortung der Frage, was es heißt, die Substanz Den Prozeß des vegetabilischen Lebens kon-
ebensosehr als Subjekt aufzufassen. Freilich kretisiert Hegel näher als Gestaltungsprozeß, als
bleibt die Entfaltung der Subjektivität hier auf die innere Diremtion der Pflanze sowie als Wachs-
Stufen der Tätigkeit und der Selbstbeziehung tum und Produktion eines neuen Individuums;
beschränkt. Um zur denkenden Selbstbeziehung, ferner als Spezifikation des vegetabilischen Le-
zur selbstbewußten Subjektivität zu gelangen, be- bens nach außen – in dessen Wendung gegen
darf es eines kleinen, aber entscheidenden Wasser, Erde, Licht und Luft –, sowie schließlich
Schrittes: des Übergangs vom Reich der Natur als Gattungsprozeß, der auf der Stufe des vege-
zum Reich des Geistes. tabilischen Lebens aber noch weitgehend mit
(2) Es liegt in der Logik dieser Konzeption, daß dem Gestaltungsprozeß zusammenfalle.
die erste Stufe, die »geologische Natur«, eine Es ist Hegel hier um die Bestimmung des Spe-
eigentümlich ambivalente Stellung einnimmt: zifischen des vegetabilischen Lebensprozesses zu
Hegel bezeichnet sie einerseits als »Leben« – tun – im Unterschied sowohl zum chemischen
jedoch als ein Leben, das hier nur » u n m i t t e l - Prozeß als auch zum animalischen. Für seine
b a r e Idee« und somit eigentlich »Nicht-Leben«, Deutung des pflanzlichen Lebens beruft Hegel
abgestorbenes Leben ist. Er nennt die »geologi- sich auf Goethe und auf seinen Kollegen Carl
sche Natur« den »ersten Organismus« – jedoch Heinrich Schultz. Goethes » M e t a m o r p h o s e
einen Organismus, der die » To t a l i t ä t der als der Pflanzen hat den Anfang eines vernünftigen
unlebendig existirenden, mechanischen und phy- Gedankens über die Natur der Pflanze gemacht,
sicalischen Natur« ist, gleichsam ein Organismus indem sie die Vorstellung aus der Bemühung um
des Nicht-Organischen. Er hat wohl einen Bil- bloße Einzelnheiten zum Erkennen der E i n h e i t
dungsprozeß – aber dieser ist ein vergangener, des Lebens gerissen hat.« Als »Hauptsache«, die
»eine vorausgesetzte Vergangenheit«. Und den- den Lebensprozeß von den vorhergehenden Stu-
noch ist der Erdkörper nicht allein »das a l l - fen unterscheidet, hebt Hegel »die s u b s t a n -
g e m e i n e S y s t e m der individuellen Körper, t i e l l e Veränderung, d. i. die u n m i t t e l b a r e
sondern »das u n m i t t e l b a r e S u b j e c t des me- Verwandlung eines äußern oder besondern Stoffs
teorologischen Processes« und als solches die überhaupt in einen andern« heraus; »es tritt ein
Basis allen Lebens. Sie »schlägt unendlich auf Punkt ein, wo die Verfolgung der Vermittlung, es
jedem Punkte in p u n k t u e l l e und v o r ü b e r - sey in chemischer oder in Weise mechanischer
g e h e n d e Lebendigkeit« aus – durch »generatio A l l m ä h l i c h k e i t , abgebrochen und unmög-
aequivoca« oder, mit der heute gebräuchlichen lich wird. Dieser Punkt ist allenthalben und
Vorstellung, durch ›Emergenz‹ (3§§ 337–342). durchdringend, und die Nicht-Kenntniß oder
(3) Sowohl die Differenz zwischen der geo- vielmehr das Nichtanerkennen dieser einfachen
logischen und der vegetabilischen Natur als auch Identificirung so wie der einfachen Diremtion ist
die interne Strukturierung des Reichs der »vege- es, was eine Physiologie des Lebendigen unmög-
tabilischen Natur« bestimmt Hegel am Leitfaden lich macht.« (3§§ 343–349)
der Entfaltung von Subjektivität – als Differenz (4) Erst den tierischen Organismus sieht Hegel
zwischen der punktuellen, vorübergehenden als »den wahrhaften Organismus, worin die äu-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 345

ßere Gestaltung mit dem Begriffe übereinstimmt, Begriff der Subjektivität herauszuheben: »Ein
daß die Theile wesentlich Glieder und die Sub- solches, das den Widerspruch seiner selbst in
jectivität als die durchdringende Eine des Ganzen sich zu haben und zu e r t r a g e n fähig ist, ist das
existirt.« Den Organismus in seinen Teilen auf- S u b j e c t ; diß macht seine U n e n d l i c h k e i t
fassen zu wollen wäre die Sache des Anatomen, aus.«
der jedoch nur das Tote und gerade nicht das In diesem Zusammenhang geht Hegel auch auf
Lebendige analysiert: »Sie haben nur Teile in die damals weit verbreitete Erregungstheorie des
ihrer Hand. Es fehlt leider das geistige Band« (V Brownianismus ein. Dessen Reduktion der
16.140) – wie Hegel wiederum mit Mephisto- Krankheiten auf lediglich zwei – sthenische und
pheles spottet (Vers 1938 f.). Im Tier existiere die asthenische – kommentiert Hegel zwar spöttisch:
organische Individualität »als Subjectivität, in so- »So kann man in einer halben Stunde Arzt wer-
fern die eigene Aeußerlichkeit der Gestalt zu den« (V 16.187) – vielleicht mit Rückblick auf
Gliedern i d e a l i s i r t ist, der Organismus in sei- Schellings mißlungene Therapie der Tochter Ca-
nem Processe nach Außen die selbstische Einheit rolines, Auguste Böhmer. Gleichwohl sieht Hegel
in sich erhält.« Und als weitere Characteristica die Einführung des Erregungsbegriffs – gegen-
dieser gegenüber der Pflanze komplexeren Sub- über der Rede von einer Einwirkung äußerer
jektivität führt Hegel Selbstbewegung, Stimme, Ursachen – als einen wichtigen Schritt zum Ver-
animalische Wärme, unterbrochene Intussuscep- ständnis des Organismus: Eine positive Bezie-
tion und Gefühl an. hung zum Lebendigen setze voraus, daß deren
Den animalischen Lebensprozeß bestimmt He- Möglichkeit »durch den Begriff bestimmt, somit
gel in Analogie zum vegetabilischen durch die dem Subjecte immanent« ist. Er wendet sich aber
Titel »Gestalt«, »Assimilation« und »Gattungs- mit scharfen Worten gegen die bloß quantitative
proceß«. »Gestalt« ist hier im animalischen Le- Auffassung der Unterschiede des Organismus –
ben jedoch wesentlich »Gestaltungsproceß«. Des- und diese wirft er weniger Brown als vielmehr
halb behandelt er hier die damals vieldiskutier- Schellings Rezeption und Umformung des Brow-
ten Themen Sensibilität, Irritabilität und Repro- nianismus vor: »Die Veranlassung zu dieser Verir-
duktion, und er ordnet ihnen das » N e r v e n - , rung lag in dem Grundirrthum, daß nachdem das
Blut- und Ve r d a u u n g s s y s t e m« zu – letzteres Absolute, als die absolute Indifferenz des Sub-
als » u n m i t t e l b a r e , vegetative, in dem eigent- jectiven und Objectiven bestimmt worden war,
lichen Systeme der Eingeweide aber die v e r - alle Bestimmung nun nur ein q u a n t i t a t i v e r
m i t t e l n d e Reproduction«. Entscheidend für Unterschied seyn sollte.« Eben diesen Vorwurf
diesen Begriff des Gestaltungsprozesses ist, daß richtet Hegel ja auch in der Logik gegen Schelling
der Organismus »sich, d. i. eben diese Totalität (GW 21.227). Und hieran schließt er auch noch
der Gegliederung, selbst producirt, so daß jedes eine generelle Kritik des »unphilosophischen und
Glied wechselseitig Zweck und Mittel, aus den rohsinnlichen« Formalismus, der »an die Stelle
andern und gegen sie sich erhält«. von Begriffsbestimmungen gradezu gar den
Verwirrend erscheint es, daß Hegel im Blick K o h l e n s t o f f und S t i c k s t o f f , Sauer- und
auf den animalischen Lebensprozeß von »Assimi- Wasserstoff setzte« usf. Gegenüber solchem For-
lation« spricht – und auch wenn man diesen Titel malismus erinnert Hegel an Aristoteles: Dessen
akzeptiert, lassen sich doch die Phänomene, die »gründliche Bestimmung« des Lebendigen, »daß
er hier behandelt, nicht bruchlos unter ihn sub- es als nach dem Zwecke wirkend zu betrachten
sumieren. Denn Hegel behandelt hier zunächst sey, ist in neuern Zeiten beinahe verloren ge-
den »theoretischen Proceß«, die Ausbildung der wesen, bis K a n t in der i n n e r n Zweckmäßig-
fünf Sinne in Anknüpfung an den Begriff der keit, daß das Leben als S e l b s t z w e c k zu be-
Sensibilität, und sodann, in Anknüpfung an den trachten sey, auf seine Weise diesen Begriff wie-
Begriff der Irritabilität, »das p r a k t i s c h e Ver- der erweckte.« Hegel hingegen faßt diesen Be-
hältniß«: das Gefühl des Mangels und den Trieb, griff der inneren Zweckmäßigkeit nicht bloß auf
diesen Mangel aufzuheben. Trieb, Instinkt, Be- die »Weise« Kants, nämlich als eine Bestimmung
dürfnis faßt Hegel als Negationen, »gesetzt als in der reflektierenden Urteilskraft; er sieht im Be-
der Affirmation des Subjects selbst enthalten«. griff der inneren Zweckmäßigkeit die Verwirkli-
Deshalb ist für ihn hier wiederum der Ort, den chung der Struktur des »Begriffs« überhaupt im
346 II. Werk

Organismus, nämlich dessen Selbstbeziehung, immanenten Gattung und dem daraus entsprin-
seine Rückkehr in sich, sein »Zusammenschlie- genden Gefühl des Mangels, das zum Versuch der
ßen mit sich« (3§§ 350–366). Komplementierung treibt. Doch sein Produkt ist
Seine höchste Stufe erreicht das animalische nicht diese Erfüllung, sondern immer wieder nur
Leben im »Gattungs-Proceß«. Die Bestimmung ein Einzelnes, und so geht der Prozeß der Fort-
des Verhältnisses von »Gattung« und »Arten« bie- pflanzung »in die schlechte Unendlichkeit des
tet Hegel Gelegenheit zur Auseinandersetzung Progresses aus. Die Gattung erhält sich nur durch
mit den Klassifikationssystemen der Zoologie den Untergang der Individuen, die im Processe
und der Botanik. Gegenüber künstlichen Syste- der Begattung ihre Bestimmung erfüllt, und inso-
men habe in der neueren Zeit die vergleichende fern sie keine höhere haben, damit dem Tode
Anatomie, als Hilfswissenschaft der Zoologie, zugehen.« Die Vernichtung der Individuen kann
größere Fortschritte gemacht – und zwar weniger zwar äußerlich erfolgen, als gewaltsamer Tod,
in der Richtung auf eine Erweiterung der em- aber so ist er selbst etwas Zufälliges. Krankheit
pirischen Beobachtungen als darin, »daß ihr Ma- und Tod liegen jedoch bereits im Begriff des
terial sich gegen den Begriff hin gearbeitet hat«, Individuums selbst: »Seine Unangemessenheit
also in einer Annäherung der einzelwissenschaft- zur Allgemeinheit ist seine u r s p r ü n g l i c h e
lichen Strukturierung des Materials an ein philo- K r a n k h e i t und [der] angeborne K e i m d e s
sophisches Begreifen – und Hegel diskutiert die To d e s«; das Leben tötet sich aus sich selbst. Das
Vorzüge unterschiedlicher Klassifikationssysteme ›malum physicum‹ kann zwar auch ein zufälliges
– nach den Rückenwirbeln, nach dem »Habitus« sein, doch seinen letzten Grund und seine Not-
oder nach Zähnen und Klauen, also nach den wendigkeit hat es im ›malum metaphysicum‹.
»Waffen« der Tiere. (5) Vom Tod des Natürlichen macht Hegel den
Dieser Annäherung der empirischen Wissen- Übergang zum »Geist«, »der die Wahrheit und
schaften an den Begriff ist jedoch eine prinzi- der Endzweck der Natur und die wahre Wirklich-
pielle Grenze gesetzt: »Die U n m i t t e l b a r k e i t keit der Idee ist« (3§§ 251) – und es gehört »ver-
der Idee des Lebens ist es, daß der Begriff nicht mutlich zu den tiefsinnigsten Gedanken Hegels,
als solcher im Leben e x i s t i r t […]. Die Thier- daß unser Geist in der Natur gerade am Ver-
welt kann fast noch weniger als die andern Sphä- schwinden unserer eigenen, natürlichen Existenz
ren der Natur, ein in sich unabhängiges ver- sein Gegenbild findet.« (Fulda 2003, 152) Hegel
nünftiges System von Organisation darstellen« – ergeht sich hier jedoch nicht etwa in erbaulichen
nämlich wegen der »Schwäche des Begriffs« in Wendungen über die Vergänglichkeit und Nich-
der Natur. Das Verhältnis von Gattung und Art ist tigkeit des natürlich-Endlichen. Im Kolleg
wohl ein Vernunftverhältnis, doch die einzelnen 1819/20 kommt er hier auf die praktische Auf-
Gattungen und Arten lassen sich durch Vernunft gabe der Naturphilosophie zurück: Ihr Resultat
nicht zureichend bestimmen, und zudem sind die sei, »daß, indem [man] die Natur der Natur
Gattungen wie auch die Individuen mannigfa- kennt, dies Versöhnung des Geistes mit der Natur
chen Bedingungen und Veränderungen des äuße- ist.« (V 16.189) Denn die Natur der Natur zu
ren Naturlebens ausgesetzt, die sie noch weiter kennen bedeutet, ihre Äußerlichkeit als die Äu-
von Verhältnissen entfernen, die durch Vernunft ßerlichkeit des Begriffs (Gr 310), und sie somit
bestimmt wären. als ein System von Stufen der Subjektivität zu
Die Grundbestimmung des Gattungsprozesses erkennen.
ist jedoch eine zweifache Negation: »wie die Ne- Vor allem aber sucht Hegel den Übergang von
gation der innerlichen Allgemeinheit der Gat- der Natur zum Geist an einer logischen Struktur
tung, so die Negation der nur unmittelbaren Ein- aufzuzeigen: Der Tod des Natürlichen »ist das
zelnheit, in welcher das Lebendige als noch na- Aufheben des f o r m e l l e n G e g e n s a t z e s , der
türliches ist«: also das Setzen und Aufheben der u n m i t t e l b a r e n Einzelnheit und der A l l g e -
Arten und der einzelnen Individuen. Das Ge- m e i n h e i t der Individualität«. Das Characte-
schlechtsverhältnis versteht Hegel als eine Nega- risticum der Natur liegt im Mißverhältnis zwi-
tion dieser ursprünglichen Negation der Aus- schen der Allgemeinheit und der Unmittelbarkeit
differenzierung zum Einzelnen. Sein Grund liegt der Einzelheit – daß das unmittelbar Einzelne
in der Unangemessenheit des Einzelnen zu seiner selbst das Allgemeine sein soll – und deshalb
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 347

wird das Einzelne aufgehoben. Doch dies ist für von Newton bis Hegel. Stuttgart / Weimar 1995, 148 ff.,
Hegel nur die eine, die negative Seite; sie bildet 175–216; Renate Wahsner: Zur Kritik der Hegelschen
Naturphilosophie. Über ihren Sinn im Lichte der heu-
aber den Übergang zur nächsthöheren Sphäre.
tigen Naturerkenntnis. Frankfurt am Main u. a. 1996;
Denn das dem Begriff angemessene Verhältnis Paul Ziche: Mathematische und naturwissenschaftliche
von Einzelheit und Allgemeinheit zeigt sich erst Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels.
im Geist – in der »Subjectivität des Begriffs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996; Wolfgang Bonsiepen: Die
deren O b j e c t i v i t ä t selbst die aufgehobene Un- Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schel-
mittelbarkeit der Einzelnheit, die c o n c r e t e ling, Fries und Hegel. Mathematische versus speku-
lative Naturphilosophie. Frankfurt am Main 1997; Ul-
A l l g e m e i n h e i t ist, so daß der Begriff gesetzt
rich Ruschig: Hegels Logik und die Chemie. Fortlau-
ist, welcher die ihm entsprechende Realität, den fender Kommentar zum »realen Maß«. Bonn 1997 (HSB
Begriff zu seinem D a s e y n hat, – der G e i s t.« 37); Thomas Kalenberg: Die Befreiung der Natur. Natur
(3§§ 367–376) und Selbstbewußtsein in der Philosophie Hegels. Ham-
burg 1997; Stephen Houlgate (Hg.): Hegel and the
Kollegien: 1819/20; 1821/22; 1823/24; 1825/26; 1828;
Philosophy of Nature. Albany 1998; Bernard Mabille:
1830. – Text: a) Kompendien: GW 13, §§ 193–299; GW
L’épreuve de la contingence. Paris 1999; Nicolas Fév-
19, §§ 245–376; GW 20, §§ 245–376; b) Nachschriften:
rier: La mécanique hégélienne. Commentaire des para-
Hegel: Naturphilosophie. Bd. 1. Die Vorlesung von
graphes 245 à 271 de l’Encyclopédie de Hegel. Louvain
1819/20. In Verbindung mit K. H. Ilting hg. von Man-
/ Paris 2000; Olaf Breidbach / Dietrich v. Engelhardt
fred Gies. Napoli 1982; Hegel: Vorlesung über Natur-
(Hg.): Hegel und die Lebenswissenschaften. Berlin
philosophie Berlin 1823/24. Nachschrift von K. G. J. v.
2001; Pirmin Stekeler-Weithofer: Hegels Naturphiloso-
Griesheim. Hg. und eingeleitet von Gilles Marmasse.
phie. Versuch einer topischen Bestimmung. HS 36
Frankfurt am Main u. a. 2000 (zitiert mit Sigle »Gr« und
(2001), 117–145; Dieter Wandschneider: Hegels natur-
Originalpaginierung); Hegel: Vorlesungen über die
ontologischer Entwurf – heute. HS 36 (2001), 147–169;
Philosophie der Natur. Berlin 1819/20. Nachgeschrie-
Michael John Petry: Hegelianism and the Natural Sci-
ben von Johann Rudolf Ringier. Hg. von Martin Bondeli
ences: Some Current Developments and Interpreta-
und Hoo Nam Seelmann. Hamburg 2002 = V 16; künf-
tions. HS 36 (2001), 199–237; Fulda: Hegel (2003),
tig GW 24. – Blätter zur Naturphilosophie: GW
133–156; Cinzia Ferrini: From Geological to Animal
13.561–564. – Literatur: Dietrich von Engelhardt: He-
Nature in Hegel’s Idea of Life. HS 44 (2010), 45–93
gel und die Chemie. Studie zur Philosophie und Wis-
(dort weitere Literatur).
senschaft der Natur um 1800. Wiesbaden 1976; Olaf
Breidbach: Das Organische in Hegels Denken. Studie
zur Naturphilosophie und Biologie um 1800. Würzburg
1982; Dieter Wandschneider: Raum, Zeit, Relativität.
Grundbestimmungen der Physik in der Hegelschen 9.4. Philosophie des Geistes
Naturphilosophie. Frankfurt am Main 1982; Wolfgang
Bonsiepen: Hegels Raum-Zeit-Lehre. Dargestellt an-
9.4.1. Überlieferung und Systemform
hand zweier Vorlesungsnachschriften. HS 20 (1985),
9–78; Rolf-Peter Horstmann / Michael John Petry (Hg.): des subjektiven Geistes
Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen zwischen (1) Die gegenwärtige Überlieferungslage der
empirischer und spekulativer Naturerkenntnis. Stutt-
»Vorlesungen über die Philosophie des Geistes«
gart 1986; Olaf Breidbach: Hegels Evolutionskritik. HS
22 (1987), 165–172; Brigitte Falkenburg: Die Form der ist nicht befriedigend: Neben den Kompendien
Materie. Zur Metaphysik der Natur bei Kant und Hegel. haben sich von Hegels Hand nur das Fragment
Frankfurt am Main 1987; Michael J. Petry (Hg.): Hegel zur Philosophie des subjektiven Geistes sowie we-
und die Naturwissenschaften. Stuttgart-Bad Cannstatt nige Blätter erhalten. Sie sind auch weit schlechter
1987; Karl-Norbert Ihmig: Hegels Deutung der Gravita- als die anderen Kompendiumvorlesungen (abge-
tion. Eine Studie zu Hegel und Newton. Frankfurt am
sehen von »Logik und Metaphysik«) durch Nach-
Main 1989; Wolfgang Bonsiepen: Hegels Vorlesungen
über Naturphilosophie. HS 26 (1991), 40–54; Stefan schriften belegt: Nur zur Hälfte der sechs Kolle-
Büttner: Natur als sich fremde Vernunft. Studien zu gien, nämlich zu den Vorlesungen 1822, 1825 und
Hegels Naturphilosophie. Diss. phil. München 1991, 1827/28, haben sich Nachschriften erhalten.
Darmstadt 1993; Karen Gloy / Paul Burger (Hg.): Die Dabei nimmt Hegels Geistesphilosophie – oder
Naturphilosophie im Deutschen Idealismus. Stuttgart- genauer: die Vorlesung über »Anthropologie und
Bad Cannstatt 1993; Michael J. Petry: Hegel and New-
Psychologie« – eine besondere Stellung unter den
tonianism. Dordrecht u. a. 1993; Luca Illetterati: Natura
e Ragione. Sullo sviluppo dell’Idea di Natura in Hegel. von ihm neu konzipierten philosophischen Dis-
Trento 1995; Wolfgang Neuser: Natur und Begriff. Stu- ziplinen ein. Schon in Jena kündigt er kontinuier-
dien zur Theorienkonstitution und Begriffsgeschichte lich vom Winter 1803/04 bis zur letzten Ankündi-
348 II. Werk

gung für das Sommersemester 1807 jeweils »phi- Und in den beiden letzten Kollegien nennt Hegel
losophia mentis« an – ein Titel, der nicht wirklich gar die Psychologie vor der Anthropologie – je-
erkennen läßt, was Hegel unter »Geistesphiloso- doch ohne daß sich diese Vertauschung im Kolleg
phie« versteht. Die – sicher nicht von ihm stam- widerspiegelte.
mende – deutsche Ankündigung für das Semester (3) Hierin deuten sich terminologische Schwie-
1803/04 gibt »philosophia mentis« als »Seelen- rigkeiten, wenn nicht gar Konfusionen an. Sie
lehre« wieder; sie ordnet diese Disziplin somit – vergrößern sich noch bei einem näheren Blick auf
fälschlich – in die Tradition der rationalen oder die thematischen Gegenstände. Die Lehre von
empirischen Psychologie der Schulphilosophie der Seele entwickelt Hegel nicht – wie vom Ter-
ein. Für das Sommersemester 1806 lautet die minus her zu erwarten – in der »Psychologie«,
Übersetzung »Philosophie des menschlichen Ver- sondern in der »Anthropologie«; die »Psycho-
standes« – was Hegel zu einer »Berichtigung« logie« hingegen versteht er als die eigentliche
veranlaßt: statt dessen sei »Philosophie […] des Lehre vom Geiste in seinem Begriff. Diese Ver-
Geistes« zu übersetzen. Im Winter 1806/07 wird wirrung besteht noch nicht in der Enzyklopädie
diese Korrektur befolgt, doch im Sommer 1807 (1817): Hier gliedert Hegel die Lehre vom sub-
wiederholt sich der Fehler des Vorjahres (Kim- jektiven Geist in die Abschnitte »Seele«, »Be-
merle 1967, 54–56). Diese Fehlübersetzungen wußtseyn« und »Geist«. Zugleich kündigt er je-
spiegeln die Verständnisprobleme der Zeitgenos- doch Vorlesungen über »Anthropologie und Psy-
sen: Die Übersetzung als »Philosophie des Gei- chologie« an, wobei er die »Anthropologie« als
stes« legt sich damals offensichtlich nicht nahe. Disziplin der »Seele« zuordnet und die »Psycho-
Für Hegel ist sie jedoch eine angemessene Wie- logie« dem »Geist«. Vermutlich im Interesse der
dergabe – und so bezieht er sich für den Winter Vereinheitlichung und leichteren Orientierung
1806/07 sogar auf seine Phänomenologie des Gei- seiner Hörer überschreibt er in den beiden späte-
stes als »Phaenomenologia mentis«. ren Auflagen der Enzyklopädie die drei Teile der
(2) Die Jenaer »philosophia mentis« umfaßt »Philosophie des subjektiven Geistes« mit den
jedoch noch die gesamte Geistesphilosophie – Vorlesungstiteln »Anthropologie« und »Psycho-
einschließlich der Thematik des später so ge- logie« (und zwischen ihnen steht die »Phänome-
nannten »objektiven« und »absoluten Geistes« – nologie des Geistes«) und degradiert die ur-
und ebenso die Nürnberger »Geisteslehre«. In sprünglichen Titel »Seele«, »Bewußtseyn« und
den überlieferten Nürnberger Texten ist die Trias »Geist« zu Untertiteln.
»subjektiver, objektiver und absoluter Geist« zwar Für die Lehre vom Geist in seinem Begriff
vorbereitet, aber noch nicht ausdrücklich durch- erwägt Hegel zwar einmal die Bezeichnung
geführt (s. 211), sondern erst in der Enzyklopädie »Pneumatologie«, doch verwirft er sie, weil die-
(1817) – und im Sommer 1817 liest Hegel auf sie ser Terminus die »Pneumatologie« der Schul-
gestützt sein erstes Kolleg über die Philosophie philosophie des 18. Jahrhunderts assoziieren
des subjektiven Geistes. Er kündigt es jedoch läßt. Denn dort ist »Pneumatologie« ein anderes
unter dem Titel »Anthropologie und Psychologie« Wort für die »rationale Psychologie« gewesen,
an, vermutlich weil diese Termini für die mit also für eine Disziplin der »metaphysica specia-
seiner Philosophie noch nicht vertrauten Studen- lis« – und von ihr grenzt Hegel sein Vorhaben
ten aussagekräftiger sind als »subjektiver Geist«. entschieden ab: »Die Pneumatologie gab solche
Das Mittelstück seiner Vorlesungen, die Lehre Bestimmungen des Geistes wie z. B. Immateriali-
vom Bewußtsein bzw. die »Phänomenologie des tät, worauf man Unsterblichkeit gründete. Aber
Geistes«, erwähnt er in den Ankündigungen oh- damit weiß man von dem Geiste als konkretem
nehin nicht. In den drei letzten Kollegien – 1825, sehr wenig. Um nun von diesem zu wissen, da in
1827/28 und 1829/30 – ergänzt er den Kollegtitel der Metaphysik wenig zu holen, ist sich an die
»Anthropologia et Psychologia« jeweils durch den Erfahrung zu wenden und aus dieser das Kon-
Zusatz »i. e. [bzw. sive] philosophia mentis« – so krete zu nehmen. Sie hat zu ergänzen die Armut
daß dieser Terminus nun nicht mehr umfangs- der metaphysischen apriorischen Betrachtung
gleich mit dem Abschnitt »Philosophie des Gei- des Geistes«. Diese Kritik des Kollegs 1827/28 an
stes« der Enzyklopädie ist, da dieser ja auch den der »psychologia rationalis« (vgl. GW 15.212 f.)
»objektiven« und den »absoluten Geist« umfaßt. argumentiert gänzlich anders als Kants Kritik des
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 349

»Paralogismus«. Hegels Betonung der Notwen- greift Hegel umfassend, wenn auch oft kritisch,
digkeit der Erfahrung für diese Wissenschaft auf Einzelstudien seiner Zeitgenossen zurück, die
stimmt überein mit seiner Insistenz auf »Erfah- man der »empirischen Psychologie« zurechnen
rung« in der Einleitung zur Enzyklopädie 2§§ 6 f. kann, insbesondere in der »Anthropologie«.
bzw. in der »Zweiten Stellung des Gedankens zur Seine ebenso provokativ wie selbstentlarvend er-
Objectivität« (s. 265). Der Erfahrung gesteht He- scheinende Aussage im Privatgutachten an Niet-
gel für die Erkenntnis des Geistes jeweils eine hammer (1812), was er in der Psychologie »von
weit größere Bedeutung zu als dem apriorischen Carus’ Manier kenne«, sei »so langweilig, uner-
Wissen. »Erfahrung, empirische Seelenlehre und baulich, leblos, geistlos, daß es gar nicht auszu-
Philosophie, begreifendes Denken [sind] nicht halten ist«, bezieht sich allerdings nicht – wie
einander entgegengesetzt, wie es oft den falschen mehrfach angenommen wird – auf Carl Gustav
Anschein hat.« Carus, der damals erst gut zwanzig Jahre alt war,
Doch bildet auch hier die Erfahrung ein zwar sondern auf den heute nahezu unbekannten
notwendiges Element, aber keine allein tragfä- Friedrich August Carus. Carl Gustav Carus’ Dres-
hige Basis der Wissenschaft des Geistes – und dener Vorlesungen über Psychologie von 1829/30
zumal in der Form, in der sie unter Verzicht auf sind erst im Jahr nach Hegels Tod erschienen,
das begreifende Denken zur »empirischen Psy- und Eduard Benekes Lehrbuch der Psychologie
chologie« herausgeformt ist: »die empirische als Naturwissenschaft – das Hegels Beifall fraglos
Form des Wahrnehmens« kann nicht die Grund- nicht gefunden hätte – erst 1833. Als Werke,
lage der Philosophie bilden. »Die Philosophie »welche von einem höhern Standpunkte der Phi-
muß mit dem Wirklichen übereinstimmen; sie losophie ausgehen« als dem bloß empirischen,
betrachtet, was in der Tat ist, und was ist, muß nennt Hegel im Fragment zur Philosophie des
sich nachweisen lassen, aber sie zeigt die Not- subjektiven Geistes Eschenmayers Psychologie
wendigkeit, und zu dieser Erkenntnis bringt es (1817) und Steffens’ Anthropologie (1822).
die Erfahrung nicht.« Zudem beruhe auch die (4) Die »Anthropologie und Psychologie« trägt
Erfahrung immer schon auf einer – ihr selbst Hegel stets auf der Grundlage der ersten bzw.
verdeckten – Metaphysik. Und ebenso lehnt He- zweiten Ausgabe der Enzyklopädie vor. Deshalb
gel die – sich geschichtlich an Kant anschlie- bleibt ihr dreigliedriger Aufriß – Seele / An-
ßende – Wendung ab, daß die Psychologie, »und thropologie, Bewußtsein / Phänomenologie des
zwar in ihrem e m p i r i s c h e n Zustande die Geistes, Geist / Psychologie, den sie in den letz-
Grundlage der Metaphysik a u s m a c h e n s o l l e , ten Nürnberger Überarbeitungen der Geistes-
als welche in nichts anders bestehe, als die T h a t - lehre gefunden hat (s. 213 f.) – trotz der ter-
s a c h e n des menschlichen B e w u ß t s e y n s , minologischen Differenz sachlich unverändert,
und zwar als T h a t s a c h e n , wie sie g e g e b e n auch wenn die spätere umfassendere Ausarbei-
sind, e m p i r i s c h aufzufassen und sie zu zerglie- tung differenzierte Gliederungen erfordert. Die
dern« (1§ 367) – und dies sieht Hegel wohl we- einzige gravierende Änderung nimmt Hegel erst
niger in Gottlob Ernst Schulzes Enzyklopädie der in der Enzyklopädie (1830) vor: In der Unter-
philosophischen Wissenschaften zum Gebrauche gliederung der »Psychologie« fügt er dem »theo-
für seine Vorlesungen (1814) als in Fries’ Neuer retischen« und dem »praktischen« Geist eine
Kritik der Vernunft (1807). Dagegen zeichnet er dritte Form an, den »freien Geist«.
auch hier eine Form des Rückgangs auf die Erfah- Damit ist kein völlig neuer Inhalt eingeführt;
rung aus, die sich einer in seinem Sinne spe- daß der zu sich gekommene Geist frei sei, ver-
kulativen Interpretation nicht widersetzt: »Die steht sich für Hegel ohnehin, und er betont es
empirische Psychologie stellt die Seele dar als auch in 2§ 483. Deshalb ist die dreimalige Erwäh-
aufgelöst, und was Aristoteles darüber geschrie- nung des »freien Geistes« in der Einleitung zur
ben, ist noch als das Philosophischste zu emp- Vorlesung 1827/28 nicht als frühe Antizipation
fehlen.« (V 13.8–11, vgl. 3§ 378) der Einführung des »freien Geistes« als einer
Trotz dieser Einschätzung und seiner Klage eigentümlichen dritten Gestalt zu verstehen (an-
über den »höchst schlechten Zustand« der Psy- ders Tuschling, V 13.XVIII). Hegel führt den
chologie (1§ 367) – die man wohl auf die Lehre »freien Geist« dadurch ein, daß er den Schluß von
vom subjektiven Geist insgesamt beziehen darf – 2 § 481, der Geist in der Wahrheit seiner Selbst-
350 II. Werk

bestimmung sei »objectiver Wille, o b j e c t i v e r Gebrauche für seine Vorlesungen. Göttingen 1814; Carl
Geist überhaupt«, verändert zu 3§ 480: In der August Eschenmayer: Psychologie in drei Theilen als
empirische, reine und angewandte. Zum Gebrauch sei-
Wahrheit seiner Selbstbestimmung sei der Wille
ner Zuhörer. Stuttgart / Tübingen 11817, 2 1822; Henrik
» w i r k l i c h f r e i e r W i l l e«. Dann redigiert er Steffens: Anthropologie. 2 Bde. Breslau 1822; Carl
die 2§§ 482 f., die 1827 den Beginn des »objecti- Gustav Carus: Vorlesungen über Psychologie, gehalten
ven Geistes« machen, zu den neuen 3§§ 481 f. im Winter 1828/29 zu Dresden. Leipzig 1832; Friedrich
über den »freien Willen«, indem er das 1827 vom Eduard Beneke: Lehrbuch der Psychologie als Natur-
»objectiven Geist« Gesagte nun auf den »freien wissenschaft. Berlin 11833. – Literatur: Kimmerle: Do-
kumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801–
Willen« umschreibt: Dieser ist nun »die Einheit
1807) (1967); Iring Fetscher: Hegels Lehre vom Men-
des theoretischen und praktischen Geistes.« Und schen. Ein Kommentar zu den §§ 387–482 der Enzy-
erst von diesem Fundament aus geht Hegel zum klopädie die philosophischen Wissenschaften. Stuttgart
»objectiven Geist« über: »Die Idee erscheint so 1970; Hermann Drüe: Psychologie aus dem Begriff.
nur im Willen, der ein endlicher, aber die T h ä - Hegels Persönlichkeitstheorie. Berlin / New York 1976;
t i g k e i t ist, sie zu entwickeln und ihren sich Lothar Eley (Hg.): Hegels Theorie des subjektiven Gei-
stes in der »Enzyklopädie der philosophischen Wissen-
entfaltenden Inhalt als Daseyn, welches als Da-
schaften im Grundrisse«. Stuttgart-Bad Cannstatt 1990;
seyn der Idee W i r k l i c h k e i t ist, zu setzen, Rossella Bonito Oliva: La »magia dello spirito« e il
o b j e c t i v e r G e i s t .« (3§ 482) »gioco del concetto«. Considerazioni sulla filosofia
(5) Bereits hierdurch ist das Thema »Freiheit« dello spirito soggetivo dell’ Enciclopedia di Hegel. Mi-
stärker akzentuiert als in der Fassung von 1827 – lano 1995; Dirk Stederoth: Hegels Philosophie des
und Hegel unterstreicht dies ferner durch eine subjektiven Geistes. Ein komparatorischer Kommentar.
Berlin 2001; Christoph J. Bauer: Eine »Degradierung
Anmerkung zu 3§ 482, in der er die Idee der
der Anthropologie«? Zur Begründung der Herabset-
Freiheit – als eine Idee mit »den ungeheuersten zung der Anthropologie zu einem Moment des sub-
praktischen Folgen« – gegenüber solchen Kultu- jektiven Geistes bei Hegel. HS 43 (2008), 13–35.
ren hervorhebt, die sie seiner Ansicht nach nicht
kennen (Afrika, der Orient), aber auch gegenüber
9.4.2. Der Begriff des Geistes
solchen (Griechen und Römer), die sie deshalb
verfehlen, weil sie die Freiheit an gesellschaft- (1) In allen drei Fassungen der Enzyklopädie
liche Voraussetzungen (freie Geburt) oder per- stellt Hegel der Abhandlung des »Subjektiven
sönliche Eigentümlichkeiten (wie durch Philo- Geistes« allgemeine Aussagen über den Begriff
sophie erworbene Charakterstärke) binden. Sie des Geistes voran. Die Paragraphen 1§§ 300–306
sei erst »durch das Christenthum in die Welt der ersten Fassung übernimmt er später unter
gekommen, nach welchem das Individuum a l s den Titeln »Begriff des Geistes« sowie »Einthei-
s o l c h e s einen u n e n d l i c h e n Werth hat, in- lung« (2/3§§ 381–384), und er ordnet ihnen noch-
dem es Gegenstand und Zweck der Liebe Gottes, mals vier einleitende Paragraphen (2/3§§ 377–
dazu bestimmt ist, zu Gott als Geist sein absolutes 380) vor. Diese enthalten zwar fundamentale,
Verhältniß, diesen Geist in sich wohnen zu ha- aber gleichwohl nur karge Aussagen über den
ben, d. i. daß der Mensch a n s i c h zur höchsten Begriff des Geistes; sie bilden keinen »Vorbegriff«
Freiheit bestimmt ist.« – analog zur Logik – der Philosophie des Geistes
und müssen deshalb durch das Fragment zur
Kollegien: 1817; 1820; 1822; 1825; 1827/28; 1829/30. – Philosophie des subjektiven Geistes ergänzt wer-
Text: a) Kompendien: GW 13, §§ 300–399; GW 19, den. Den Nachschriften der Kollegien 1822 und
§§ 377–481; GW 20, §§ 377–482; Fragment zur Philo-
1827/28 ist allerdings zu entnehmen, daß Hegel
sophie des subjektiven Geistes: s. 283; Notizen und
Blätter zur Philosophie des Geistes: GW 13.251–415, diese grundlegenden Paragraphen sogar nur ein-
570–580; b) Nachschriften: GW 25; V 13; Hegels Philo- leitend streift, die wirkliche Kommentierung
sophie des subjektiven Geistes / Hegel’s Philosophy of aber erst mit dem »Subjektiven Geist« beginnt;
Subjective Spirit. Edited and translated with an in- lediglich 1825 (GW 25,1) geht Hegel etwas aus-
troduction and explanatory notes by M. J. Petry. 3 Bde. führlicher auch auf diese allgemeinen Aussagen
Dordrecht / Boston 11978, 2 1979. – Quellen: Friedrich
über den Begriff des Geistes ein.
August Carus: Nachgelassene Werke. Bde. 1–2: Psycho-
logie. Leipzig 1808; Jakob Friedrich Fries: Neue Kritik (2) Hegel führt den Begriff des Geistes zu-
der Vernunft. Heidelberg 1807; Gottlob Ernst Schulze: nächst negativ ein, als die Wahrheit und das
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften zum » a b s o l u t E r s t e« der Natur, also als das Nega-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 351

tive desjenigen Negativen, das die Natur ist: als früh gefundenen Wort und der religiösen » Vo r -
Aufhebung der Entäußerung des Begriffs und s t e l l u n g des Geistes« als die begriffene Struk-
somit als » a b s o l u t e N e g a t i v i t ä t«. Damit ist tur des Geistes in diesen vorausgeschickten Para-
aber noch nicht positiv gesagt, was denn »Geist« graphen eher andeutet als exponiert, ist dieje-
eigentlich sei: nämlich formell »die zu ihrem nige, die – ob zutreffend oder nicht – vom tran-
Fürsichseyn gelangte Idee […], deren O b j e c t szendentalen Idealismus Fichtes und des frühen
eben sowohl als das S u b j e c t d e r B e g r i f f Schelling sowie dessen Identitätsphilosophie am
i s t .« Es gibt nicht eine substantiale »geistige Wirk- »Selbstbewußtsein« abgelesen worden ist – ein
lichkeit«, der zusätzlich ein Wissen zugeschrie- Wort übrigens, das bei Hegel in diesem Kontext
ben werden könnte, sondern Geist ist ein Dasein, nicht fällt. Man kann seinen Geistbegriff auch in
das keine andere Wirklichkeitsform hat als das den weiteren Horizont der Philosophiegeschichte
Wissen und Wollen. Während die Natur auch als stellen: Hegel interpretiert hier den Begriff des
denkend durchdrungene immer etwas vom Gei- Nus, der Noesis Noeseos, nach dem Modell der
ste Unterschiedenes, Unmittelbares bleibt, auf transzendentalidealistischen Identität von Wis-
das »der Begriff« gerichtet ist, gleichsam ein äu- sendem und Gewußtem und verbindet ihn – un-
ßerer Gegenstand intentionaler Akte, fallen im ter Aufnahme Plotinischer Elemente (Enneade
Geist Gegenstand und Begriff in eins. »Geist« ist V,3) – mit dem neuzeitlichen Problem des
das Begreifende und das Begriffene – der Begriff, Selbstbewußtseins.
der »den Begriff zu seinem D a s e y n hat« Für den transzendentalen Idealismus ist im
(3§ 376). Darin besteht die gegenüber dem natür- Selbstbewußtsein – und allein in ihm – diese
lichen Sein prinzipiell unterschiedene Struktur Subjekt-Objekt-Identität wirklich: Wissen und
des Geistes: »Erkenntnis des Geistes« ist stets als Gewußtes sind eins. Doch im Selbstbewußtsein
genitivus subiectivus et objectivus zu lesen; es ist sind die beiden Relate, das wissende und das
der Geist, der erkennt und der erkannt wird. gewußte Ich, nicht real different, sondern nur
Deshalb ist Geist, der auf Geistiges gerichtet begrifflich zu unterscheiden. Hegel hingegen be-
ist, bei sich und somit frei – und Hegel bestimmt greift »Selbstbewußtsein« ebensowenig wie Kant
deswegen das »Wesen des Geistes« als »die F r e i - nach dem Modell eines solchen internen Selbst-
h e i t , die absolute Negativität des Begriffes als bezugs der Reflexion, und es läßt sich so auch
Identität mit sich«. Und weil diese Freiheit des nicht denken. Deshalb sind all die Probleme, die
Geistes dadurch vermittelt ist, daß er das » a b - aus dem Reflexionsmodell des Selbstbewußt-
s o l u t E r s t e« gegenüber der Natur und deren seins zu fließen scheinen, bloß fiktiv, und nicht
Wahrheit ist, drückt Hegel die hier erreichte allein der Sache, sondern auch ihrer Thematisie-
Stufe des Gedankens in einer neuen und zugleich rung unangemessen – zumindest was Hegel und
der »höchsten Definition des Absoluten« aus: Kant betrifft.
» D a s A b s o l u t e i s t d e r G e i s t« – eben als Aber eben diese vermeintlich am Selbstbe-
dasjenige, was sich als das absolute Prius des wußtsein abgelesene reflexive Struktur löst Hegel
Logischen und der Natur, somit als die wahrhafte vom einzelnen Selbstbewußtsein ab und erkennt
Wirklichkeit erweist. Und trotz seiner sonstigen sie als grundlegend für den Begriff des Geistes:
Sprödigkeit gegenüber »Definitionen« zeichnet Geist ist Sichwissen im Anderen seiner selbst.
Hegel diese nicht allein als die angemessene aus, Hier, im Geist, sind die im Selbstbewußtsein nur
als eine adäquate ›ontologische‹ Aussage über die vermeintlichen Relate von einander unterschie-
interne Verfassung von Wirklichkeit, sondern zu- den. Anders als das Sichwissen des Selbstbe-
dem als Movens und Ziel der Weltgeschichte: wußtseins ist das dem Geist angehörende Sich-
»Diese Definition zu finden und ihren Sinn und wissen eine Einheit real Differenter. Und wäh-
Inhalt zu begreifen, diß kann man sagen, war die rend die Relation im Begriff des Selbstbewußt-
absolute Tendenz aller Bildung und Philosophie, seins notwendig leer bleibt, wird der wissende
auf diesen Punkt hat sich alle Religion und Wis- Selbstbezug hier als Struktur von Prozessen des
senschaft gedrängt; aus diesem Drang allein ist realen Geistes gedacht – als mit Realität gesättig-
die Weltgeschichte zu begreifen.« (3§§ 381–384) tes Sichwissen im Anderen.
(3) Die Struktur der Identität von Wissendem (4) Diese selbstbezügliche Struktur des Geistes
und Gewußtem, die Hegel hier gegenüber dem ist nicht schon in dessen eigentümlicher Verfas-
352 II. Werk

sung manifest, daß das Wissen stets ein Etwas- berührt er nur flüchtig – in seiner Bemerkung,
Wissen ist, also in dessen bloßer ›Intentionali- die »Weltgeschichte« sei allein aus dem Drang zu
tät‹. Ihr fehlt vielmehr das Moment der Reflexivi- begreifen, die Definition des Absoluten als des
tät: Auch wenn »Geist« ein Dasein ist, das Wissen Geistes zu finden. Damit deutet er einen Zusam-
ist, so ist doch der Inhalt dieses Wissens nicht menhang zwischen »Geist« und »Geschichte« an,
notwendig zugleich dieses Dasein. Das Dasein, den er jedoch in den einleitenden und zugleich
das Wissen ist, kann auch anderes als sich wissen grundlegenden Partien seiner Geistesphilosophie
– auch solches, in dem es nicht zu sich selbst im nicht entfaltet – weder in den Enzyklopädien
Verhältnis steht. Die Reflexivität ist jedoch für noch in den drei überlieferten Kollegien.
alle Gestalten des Geistes grundlegend. Sie zeigt Geist und Geschichte stehen ja nicht nur in
sich bereits in basalen Formen – als »Selbst- dem genannten Verhältnis zu einander – obschon
gefühl« oder als »Selbstbewußtsein« (in dem ihr Zusammenhang auch dadurch eng geknüpft
Sinne, daß alles Bewußtsein Reflexivität ein- ist. Denn wenn die Bewegung der Weltgeschichte
schließt; etwas ist nicht lediglich »bewußt«, son- darin besteht, den Begriff des Absoluten als des
dern stets »mir bewußt«). Auch für das Wissen Geistes zu finden, so ist Geschichte ein kon-
eines Anderen ist die reflexive Struktur grund- stitutives Moment des Prozesses dieser Selbster-
legend: Wäre das Wissen eine bloße Richtung auf kenntnis des Absoluten. Daß dies so ist, beruht
das Andere, so wüßte i c h nichts von diesem. jedoch darauf, daß Geschichte überhaupt die spe-
(5) Diese Selbstbezüglichkeit tritt im Zuge der zifische Objektivationsform des Geistes ist. Dage-
Exposition der einzelnen Formen des Geistes gen läßt sich zwar einwenden, daß diese Objekti-
zunehmend deutlicher hervor – bereits bei den vation doch primär als systematische Ausdiffe-
Formen des subjektiven, sowohl des theoreti- renzierung der Sphären des objektiven und des
schen als des praktischen Geistes. Ihre für den absoluten Geistes zu denken sei. Aber auch die
Begriff des Geistes charakteristische Gestalt fin- Gestalten, die diese Sphären bilden, entfalten
det sie jedoch erst dort, wo sie über solche in- sich geschichtlich – Kunst, Religion und Philo-
terne Reflexivität hinausgeht – zur Objektivie- sophie ebenso wie Recht, Moralität und Sittlich-
rung des Geistes durch den Willen, also zur keit – auch wenn Hegel die Geschichte des ob-
»Form der R e a l i t ä t als einer von ihm hervor- jektiven Geistes nicht eigens thematisiert, son-
zubringenden und hervorgebrachten We l t , in dern lediglich die »Weltgeschichte« aus dem Ver-
welcher die Freiheit als vorhandene Nothwen- hältnis der Staaten zu einander hervorgehen läßt
digkeit ist, – o b j e c t i v e r G e i s t .« Denn ›Objek- (s. 400). Die »Weltgeschichte« als Prozeß der
tivierung‹ ist notwendig ›Selbst-Objektivierung‹ Staaten ist jedoch nicht gleichzusetzen mit derje-
– sowohl ›Sich-als-Welt-Hervorbringen‹ als auch nigen »Weltgeschichte«, die den Begriff des Ab-
Selbstbeziehung in dieser Welt des objektiv ge- soluten als des Geistes herausarbeitet.
wordenen, »objectiven Geistes« (s. 367 ff.). Von Hier berührt Hegel den Zusammenhang von
ihr unterscheidet Hegel noch die Welt des »ab- Geist und Geschichte, doch versäumt er es, ihn in
soluten Geistes«, in der einerseits seine Realität der Form systematisch herauszuarbeiten, die
als Wissen des Geistes von sich selbst zu be- seine Philosophie ermöglicht und nahelegt: Alles
greifen ist und andererseits der Gegenstand des Geistige muß als Geschichtliches gedacht wer-
Wissens nichts anderes als der Begriff des Gei- den. Es gibt nichts Geistiges, was nicht zugleich
stes ist – in der er somit » i n a n u n d f ü r s i c h ein Geschichtliches ist. Denn Geschichte ist die
s e y e n d e r und ewig sich hervorbringender Explikationsform des Geistes, weil Geist allein
E i n h e i t der Objectivität des Geistes und seiner durch Freiheit gedacht werden kann. Ebenso gilt
Idealität oder seines Begriffs« steht: »der Geist in auch umgekehrt: Nur geistiges Sein ist geschicht-
seiner absoluten Wahrheit« (3§ 385). liches Sein. Denn nur etwas Geistiges kann Ge-
(6) Selbstbezüglichkeit und Selbstproduktion schichte haben – es versteht sich: Geschichte im
oder Objektivierung zum »objectiven« wie auch prägnanten Sinn, nicht bloße zeitliche Verände-
zum »absoluten Geist« bilden zwei Charakteri- rung, wie sie auch für die Natur charakteristisch
stika des Geistbegriffs, die Hegel unter dem Titel ist, die wir aber – aus gutem Grund – nicht
»Begriff des Geistes« (3§ 381) nicht bzw. nur an- »Geschichte« nennen. Alle Geschichte ist Ge-
deutungsweise erwähnt. Und auch ein drittes schichte des Geistes: Geistes-Geschichte im
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 353

prägnanten Sinn, nicht in dem verwaschenen Sinnen« bis hin zur gesamten »Lebenswelt« des
Sinn, in dem wir seit Dilthey von Geistesge- Menschen.
schichte zu reden gewohnt sind. Anderen, nicht- (2) Der Begriff ›Seele‹ ist zu Hegels Zeit nicht
geistigen Bereichen der Wirklichkeit schreiben allein kein selbstverständlicher Begriff einer An-
wir deshalb keine Geschichte zu – oder allenfalls thropologie; er ist zudem ein durchaus problema-
insofern, als sie in geistiges Leben hineinragen, tischer und ortloser Begriff. Durch Kants Kritik
zu Momenten geistigen Lebens werden. der »rationalen Psychologie« ist die ›Seele‹ im
Mehr noch als Kant (»Geschichte der reinen Sinne eines substantialen Seienden aus der Meta-
Vernunft«, B 880), aber auch als Herder ist Hegel physik ausgebürgert worden – und sie hat keinen
damit der Entdecker der »Geschichtlichkeit« ge- Eingang in seine Anthropologie in pragmatischer
worden – ein Wort, das sich anscheinend erst- Hinsicht gefunden (1798, AA VII). Die »Seele« ist
mals bei ihm findet (s. 404 f.) –, und zwar der seit der Antike und dem Christentum dem mate-
Geschichtlichkeit als der eigentümlichen Expli- riellen »Körper« als das Immaterielle entgegen-
kationsform des Geistes. Allerdings verdeckt He- gesetzt worden, und Descartes’ Dualismus von
gel diese Entdeckung auch wieder, indem er den res cogitans und res extensa hat diese traditio-
Zusammenhang von Geist und Geschichte nir- nelle Entgegensetzung noch vertieft, zur »realis
gends systematisch exponiert, sondern ihn statt mentis (oder animae) a corpore distinctio«. Unter
dessen allein in den geschichtlichen Partien sei- dieser Voraussetzung ist es zu einem Kardinal-
ner Philosophie aufzeigt. Er muß jedoch im Be- problem der frühneuzeitlichen Philosophie ge-
griff des Geistes selber verankert werden. worden, den gleichwohl bestehenden Zusam-
Literatur: Adriaan Peperzak: Selbsterkenntnis des Ab-
menhang zwischen Körper und Geist, das »com-
soluten. Grundlinien der Hegelschen Philosophie des mercium corporis et mentis« begrifflich zu fassen.
Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 17–37; Jaeschke: Da ein physischer Wechseleinfluß von Seele und
Die Geschichtlichkeit der Geschichte. In: Hegel-Jb Körper auf Grund der substantialen Differenz
1995. Berlin 1996, 363–373. beider nicht denkbar war, schien ihr gleichwohl
offenkundiger Zusammenhang allein unter Rück-
griff auf den Gottesgedanken denkbar – ob nun in
Form des »Okkasionalismus« Malebranches oder
9.4.3. Anthropologie
in Leibnizens »prästabilierter Harmonie«.
(1) Dem entwicklungsgeschichtlich gesehen letz- Diese Tradition verfällt gegen Ende des 18.
ten und systematisch gesehen ersten Teil der Jahrhunderts, und Hegels differenzierter Monis-
Geistesphilosophie, der Anthropologie, hat He- mus tritt ihr dezidiert entgegen. Auch für ihn ist
gel in seinen Vorlesungen den größten Raum die Seele zwar immateriell – aber nicht im Sinne
gegeben – obgleich er seinen Stoff sonst sehr eines Substanzendualismus, sondern als »die all-
bedacht disponiert und der systematische Akzent gemeine Immaterialität der Natur, deren einfa-
zudem auf der »Psychologie« als der eigentlichen ches ideelles Leben« (3§ 389). Als solche ist sie
Geisteslehre liegt; diese ist deshalb in den Enzy- stets auf »Natur« bezogen. Die »Anthropologie«
klopädien stets am breitesten ausgeführt. ist deshalb der systematische Ort, an dem – im
Vom »Menschen« allerdings ist in Hegels »An- Begriff der Seele – der Zusammenhang zwischen
thropologie« explizit sehr wenig und auch nur in Geist und Natur gedacht – und eben in einer
einer sehr eingegrenzten Perspektive die Rede: Form gedacht wird, die sich völlig von der vor-
Sie ist primär »Seelenlehre« – also eigentlich maligen »rationalen Psychologie« absetzt. Die
»Psychologie« im Wortsinne. In der Enzyklopädie von Kant widerlegten Anstrengungen der ratio-
(1817) lautet der Titel dieses Abschnitts ja auch nalen Psychologie, mittels der Einfachheit der
schlicht und durchaus angemessen: »Die Seele«; Seelensubstanz deren Unsterblichkeit zu erwei-
in den beiden späteren Auflagen wird dies zum sen, sind für Hegel nicht einmal mehr der Erwäh-
Untertitel. Und als Seelenlehre thematisiert diese nung, geschweige denn einer eigenen Wider-
Teildisziplin einerseits Bereiche, die noch vor legung wert. Auch wenn Hegel von der »natür-
dem spezifisch Menschlichen liegen, wie sie an- lichen Seele« die »fühlende« (bzw. die »träu-
dererseits eine Reihe von Themen einer Anthro- mende«, 2§ 403) und die »wirkliche Seele«
pologie ausblendet – von der Lehre »Von den fünf unterscheidet, bleiben alle drei Formen auf »Na-
354 II. Werk

tur« bezogen. Es ist geradezu der Begriff der die Selbstischkeit, die darin ist«. Hegel wieder-
Seele, sich nie völlig von ihrem Bezug auf Natur holt hier jedoch nicht allein die Ansicht, die
zu befreien: Seele ist nur dort, wo Leiblichkeit seiner Kritik sowohl der Theologie Schleierma-
ist. Sie steht aber für Hegel nie in ruhiger Harmo- chers (s. 281) als auch der Pectoraltheologie zu
nie mit ihrer Leiblichkeit, sondern ist insgesamt Grunde liegt: Zwar muß alles in der Empfindung
die Bewegung, diese Leiblichkeit in Richtung auf sein – oder im »Herzen« –, da diese die ursprüng-
das Bewußtsein zu transzendieren. liche Form der Geistigkeit bezeichnen. Ebendes-
(3) Den Zusammenhang von Natur und Seele halb können sie nicht »zum Kriterium des Guten,
sieht Hegel insbesondere bei der ersten Form, Sittlichen und Religiösen« dienen: »Es kann
der im engeren Sinne »natürlichen Seele« gege- keine trivialere Erfahrung geben als die, daß es
ben: Hier lebt der Geist noch »ein Naturleben, wenigstens gleichfalls böse, schlechte, gottlose,
das in ihm zum Theil nur zu trüben Stimmungen niederträchtige u. s. f. Empfindungen und Herzen
kommt«. Hegel listet eine Reihe von »Naturbe- gibt«.
stimmtheiten« auf: Wechsel der Klimate, der Jah- Hegel fordert hier jedoch auch – in einer für
res- und Tageszeiten – doch gegenüber der da- ihn eher atypischen Weise – gegenüber der blo-
mals verbreiteten Rede »vom k o s m i s c h e n , s i - ßen Physiologie eine offensichtlich empirische
d e r i s c h e n , t e l l u r i s c h e n Leben des Men- »eigenthümliche Wissenschaft«, eine » p s y -
schen« ist Hegel sehr bestimmt. Das Tier lebt in c h i s c h e P h y s i o l o g i e«, die das » S y s t e m des
dieser Sympathie, und auch in menschlichen inneren Empfindens in seiner sich verleiblichen-
Krankheitszuständen können sie eine Rolle spie- den B e s o n d e r u n g« untersucht – und er kon-
len, doch insgesamt gilt: »Beim Menschen ver- kretisiert den Inhalt dieser künftigen Wissen-
lieren dergleichen Zusammenhänge um so mehr schaft jeweils im Modus eines zukunftsgerichte-
an Bedeutung, je gebildeter er und je mehr damit ten Konjunktivs, was alles durch sie zu begreifen
sein ganzer Zustand auf freie geistige Grundlage »wäre«: Letztlich »wäre ein gründlicheres Ver-
gestellt ist.« In diesem Zusammenhang erwähnt ständniß als bisher über die bekanntesten Zu-
Hegel auch wieder die »Racenverschiedenheit«, sammenhänge zu fassen, durch welche von der
zu der er sich im Fragment zur Philosophie des Seele heraus die Thräne, die Stimme überhaupt,
subjektiven Geistes bereits dezidiert geäußert hat näher die Sprache, Lachen, Seufzen, und dann
(s. 284 f.). – Als weitere Formen der »Naturbe- noch viele andere Particularisationen sich bilden,
stimmtheit« behandelt Hegel Temperament, Ta- die gegen das Pathognomische und Physiognomi-
lent, Charakter, Physiognomie, Geschlechtsdiffe- sche liegen.« (3§§ 391–402)
renz, Veränderungen wie die Lebensalter und (4) Den Schritt von der »natürlichen« zur »füh-
wechselnde Zustände wie Wachen und Schlafen lenden Seele« sieht Hegel als einen Schritt in
(wobei er sich für die Unterscheidung von Wa- Richtung »innerliche Individualität«, »Fürsich-
chen und Träumen auf »den Kantischen Unter- seyn« und letztlich zum »Ich«, als einem Ein-
schied der O b j e c t i v i t ä t der Vorstellung (ihres fachen, in dem doch die Mannigfaltigkeit von
Bestimmtseyns durch Kategorien)« beruft). Und Eindrücken und Vorstellungen wie in einem »be-
in einer anderen Hinsicht schließt er sich implizit stimmungslosen Schacht« »aufbewahrt ist ohne
an Leibniz (Nouveaux Essais, II,13 f.) an: »Man zu existiren« – aber doch so, daß »Vorstellungen,
hat gefragt, ob die Seele im Schlaf auch tätig sei. Kenntnisse wieder zum Vorschein kommen, die
Der Geist, die Seele, ist wesentlich Tätigkeit, seit vielen Jahren vergessen heißen, weil sie in so
nicht ein Ding, ein abstrakt sich auf sich be- langer Zeit nicht ins Bewußtseyn gebracht wur-
ziehendes, reflektiertes, ruhendes, totes Sein, ist den.« Die »fühlende Seele« ist zwar » u n m i t t e l -
ewige Bewegung.« b a r bestimmt, also natürlich und leiblich, aber
Mit dem letzten hier behandelten Thema – der das Außereinander und die sinnliche Mannich-
»Empfindung« greift Hegel bereits auf die »füh- faltigkeit dieses Leiblichen gilt der Seele eben so
lende Seele« vor – denn für »Empfindung und wenig als dem Begriffe als etwas Reales und
Fühlen gibt der Sprachgebrauch eben nicht einen darum nicht für eine Schranke; die Seele ist der
durchdringenden Unterschied an die Hand«; al- e x i s t i r e n d e Begriff, die Existenz des Specula-
lenfalls gehe »Empfindung« mehr auf die passive tiven.« Damit schreibt Hegel bereits der »fühlen-
Seite des Findens, »das Gefühl zugleich mehr auf den« als einer »individuellen« Seele die Bestim-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 355

mung zu, die er doch sonst für das »Ich« re- Die Grundlage für Magnetismus und Somnam-
serviert, und auch das Verhältnis dieser Seele zu bulismus, die Verbindung des Natürlichen und
ihrem Inhalt bestimmt Hegel analog zum Ich, Geistigen, bildet für ihn auch die allgemeine
obschon mit einer spezifischen Differenz: Was sie Grundlage für ›Geisteskrankheiten‹. Der ›reine
von sich unterscheidet, »ist noch nicht ein äuße- Geist‹ kann nicht krank sein; nur durch das Be-
res Object wie im Bewußtseyn, sondern es sind harren in der Besonderheit seines Selbstgefühls,
die Bestimmungen ihrer empfindenden Totali- durch seine »particuläre Verleiblichung« ist das
tät«. »zum verständigen Bewußtseyn gebildete Sub-
Die »fühlende Seele« charakterisiert Hegel als ject, noch der K r a n k h e i t fähig«. »Deswegen ist
» p a s s i v«, somit noch nicht als ein in sich reflek- sie eine Krankheit des Psychischen, ungetrennt
tiertes Subjekt – und deshalb ist für ihn hier der des Leiblichen und Geistigen; der Anfang kann
Ort zur Erörterung derjenigen Erscheinung, die mehr von der einen oder der andern Seite auszu-
zu seiner Zeit große Aufmerksamkeit erregt hat: gehen scheinen und ebenso die Heilung.« Die
des »animalischen Magnetismus« oder – nach Krankheit bricht aus, »indem die Macht der Be-
seinem Entdecker Franz Anton Mesmer – des sonnenheit und des Allgemeinen, der theoreti-
»Mesmerismus«, aber auch allgemein des Som- schen oder moralischen Grundsätze über das Na-
nambulismus und verwandter Phänomene. Es ist türliche nachläßt, von welcher dasselbe sonst
keineswegs bloß der »Zeitgeist«, der ihn im Kol- unterworfen und versteckt gehalten wird«. Das
leg zu den umfangreichen Ausführungen mo- besonnene Subjekt hingegen »ist der h e r r -
tiviert, sondern der unverkennbare Bezug dieses s c h e n d e G e n i u s über diese Besonderhei-
Bereichs zum Thema seiner »Seelenlehre«: die ten« – was »Es« war, ist »Ich« geworden, könnte
Verbindung natürlicher und geistiger Elemente. man antizipierend sagen. Das Natürliche, Leib-
Gemeinsam ist den zahlreichen damals berich- liche muß fortschreitend überwunden werden –
teten Beispielen, daß sie sich nicht einer Wissen- nicht allein auf dem Gebiet der Krankheiten,
schaftssystematik einfügen, die sie entweder nur sondern auch in Formen wie Gewohnheit und
als geistige oder nur als materielle Phänomene Geschicklichkeit: Wenn die Seele sich innerlich
deutet. Wichtig sind sie, weil sie diese strikte bestimmt und sich Zwecke setzt, »ist die Leib-
Unterscheidung durchbrechen. Hegels Schilde- lichkeit als u n m i t t e l b a r e s ä u ß e r l i c h e s
rungen ist nicht immer zu entnehmen, ob und Seyn und S c h r a n k e bestimmt«. In der Setzung
wie weit er die von ihm referierten Fallbeispiele solcher Zwecke wird »die a n s i c h seyende
jeweils für vertrauenswürdig hält. Das »Facti- Idealität des Materiellen überhaupt und der be-
sche« scheint der Bewährung bedürftig – doch stimmten Leiblichkeit als Idealität g e s e t z t«
diejenigen, die solche Bewährung fordern, wür- (3§§ 403–410).
den sie ohnehin a priori verwerfen, und es sei für (5) In diesem Prozeß der Befreiung des Geistes
das Verständnis dieser Erscheinungen vielmehr von der Natürlichkeit wird die Leiblichkeit
nötig, »nicht in den Verstandeskategorien befan- schließlich herabgesetzt zur » A e u ß e r l i c h k e i t
gen zu seyn.« So läßt Hegel sich ein Stück weit auf als Prädicat, in welchem das Subject sich nur auf
diese Erscheinungen ein – und dann zieht er eine sich bezieht« – und diese Gestalt nennt Hegel die
allgemeine Folgerung: Sie gehören der »Unmit- »wirkliche Seele«. Die »Leiblichkeit« ist hier kei-
telbarkeit« und »der Dumpfheit des fühlenden neswegs als ein schlechthin ›Widergeistiges‹,
Lebens« an, oder gar einer Krankheitsgeschichte Verwerfliches gewertet; sie ist das Äußere, das
des Menschen, nicht dem zum freien Bewußtsein mit dem Inneren in Identität steht, jedoch als
entwickelten Denken: »es ist thöricht, Offenba- diesem unterworfen. Und auch das Wort »unter-
rungen über Ideen vom somnambulen Zustand zu worfen« weckt eher falsche, martialische Assozia-
erwarten.« Dieses Urteil zieht sich in vielfachen tionen. Besser drückt Hegel seinen Gedanken
Variationen durch seine Ausführungen hindurch: aus, indem er von einem »über das Ganze ausge-
»Abgeschmackt aber ist es, das Schauen dieses gossenen geistigen Ton« spricht, »welcher den
Zustandes für eine Erhebung des Geistes und für Körper unmittelbar als Aeußerlichkeit einer hö-
einen wahrhaftern, in sich a l l g e m e i n e r Er- hern Natur kund gibt« – im aufrechten Gang, in
kenntnisse fähigen Zustand zu halten.« Und hier- der Bildung der Hand zum »absoluten Werkzeug«
für ruft er selbst Platon als Zeugen an. wie auch im Lachen und Weinen. Das Geistige
356 II. Werk

steht für Hegel nicht abstrakt neben der Leib- seins zu denken. Das Ich ist für ihn zwar »für sich
lichkeit, sondern es durchdringt sie. Hegel erfüllt seyende Reflexion« oder »reine ideelle Identität«
hier antizipierend die Forderung, die Feuerbach – aber dies sind logische Bestimmungen, und
später gegen ihn erhebt: auch die Sinnlichkeit Hegel stellt sich gar nicht das Problem, wie diese
des Menschen als eine nicht bloß ungeistige, ja Selbstgewißheit zu Stande kommt, ebensowenig
animalische, sondern als spezifisch menschliche wie die Frage, wie das Selbstgefühl in die Seele
Sinnlichkeit zu denken. Allerdings: Obgleich die kommt. Er charakterisiert beide als Formen eines
Leiblichkeit des Menschen eine vom Geist ver- Selbstverhältnisses – ohne den Versuch zu unter-
wandelte ist, bleibt sie doch mit Zufälligkeit be- nehmen, die Genese dieses Selbstverhältnisses
haftet, und somit ist sie nur die » e r s t e Erschei- zu beschreiben. Statt dessen hebt er das Ich von
nung desselben und die S p r a c h e sogleich sein der Seele ab: Das Ich – als formelle Identität –
vollkommenerer Ausdruck.« Hieraus zieht Hegel trennt den mannigfach bestimmten Inhalt, das
wiederum im Blick auf einige Modeerschei- »Naturleben der Seele« von sich ab, stellt es sich
nungen seiner Zeit eine vernichtende Konse- »als s e l b s t s t ä n d i g e s O b j e c t« gegenüber
quenz: »die Physiognomik, vollends aber die Cra- und bezieht sich darauf. In diesem Objekt ist es in
nioskopie zu W i s s e n s c h a f t e n erheben zu sich reflektiert – nicht in einer vor dem Objekt-
wollen, war einer der leersten Einfälle, noch verhältnis liegenden internen Struktur. Und in
leerer als eine signatura rerum, wenn aus der dieser Beziehung auf sein Objekt ist es nicht bloß,
Gestalt der Pflanzen ihre Heilkraft erkannt wer- wie es zu Anfang schien, das eine Extrem des
den sollte.« (3§§ 411 f.) Bewußtseinsverhältnisses, sondern es ist » E i n e
Literatur: Murray Greene: Hegel and the Soul. A Spe-
Seite des Verhältnisses und das g a n z e Verhält-
culative Anthropology. The Hague 1972; Dieter Sturma: niß; – das L i c h t , das sich und noch Anderes
Hegels Theorie des Unbewußten. Zum Zusammenhang manifestirt« – wie Hegel mit Spinozas Parallele
von Naturphilosophie und Philosophischer Psycholo- von Licht und Wahrheit sagt: »lux seipsam, &
gie. HJb 1990, 81–99; Michael Wolff: Das Körper- tenebras manifestat« (Ethica, II,43).
Seele-Problem. Kommentar zu Hegel, Enzyklopädie Im Kolleg 1827/28 (GW 25,2; V 13.138–148)
(1830), § 389. Frankfurt am Main 1992.
geht Hegel sehr viel ausführlicher auf den Begriff
des Ich ein – und obgleich das Ich eine Gestalt
der Realphilosophie ist, bedient er sich aus-
9.4.4. Phänomenologie des Geistes
nahmslos logischer Bestimmungen, um den ein-
(1) Den mittleren Abschnitt der Geistesphiloso- zigartigen Charakter des Ich nachzuzeichnen. Ich
phie, »Die Phänomenologie des Geistes« oder ist das Einzelne, als das jeder sich identifiziert,
»Das Bewußtseyn« (1§ 329), trägt Hegel in dem wenn er »Ich« sagt – aber damit ist es zugleich das
Umriß vor, zu dem er in der Nürnberger »Geistes- Allgemeine; es ist »das ganz reine und leere,
lehre« die Eingangspartien seiner Phänomeno- vollkommen einfache sich selbst Gleiche, das
logie umgestaltet hat (s. 209 f.) – jedoch in weiter ganz Bestimmungslose«, »das Allgemeine in der
ausgearbeiteter Form. Das Bewußtsein führt He- unendlichen Einzelheit«, die Identität von All-
gel als »Verhältniß« oder »Erscheinung« des Gei- gemeinheit und Einzelheit; es ist »Negation der
stes ein (wodurch sich der Titel dieses Abschnitts Negation« oder »absolute Negativität« durch Aus-
rechtfertigt). Die beiden Seiten dieses Verhältnis- schluß alles anderen; es ist abstrakte Endlichkeit,
ses sind zunächst recht unterschiedlich: Das eine aber zugleich unendlich, also »unendliche End-
Extrem ist »Ich, das Subject des Bewußtseyns«. lichkeit«; und als die sich auf sich beziehende
Dieses »Ich« – als unterschieden vom »Selbst- Allgemeinheit ist es »der existierende Begriff,
bewußtseyn«, als »einfache Wurzel unseres sonst existiert er nirgends, als Ich existiert er als
Selbstbewußtseins« (V 13.139) – charakterisiert freier Begriff« (s. 242 f.). Das Ich ist somit der
Hegel als reine » G e w i ß h e i t s e i n e r s e l b s t«. Sonderfall einer realphilosophischen ›Entität‹,
Trotz dieser reflexiven Begrifflichkeit versucht die ausschließlich logisch bestimmt werden
Hegel aber nicht, die Genese dieses Ich aus seiner kann, weil es gerade kein »ens«, sondern die
internen Selbstbeziehung zu erhellen. Die »un- reine Negativität und Negation allen bestimmten
endliche Beziehung des Geistes auf sich« ist nicht Inhalts ist (3§§ 413–417).
nach dem Reflexionsmodell des Selbstbewußt- Das Ich ist diejenige »Einheit, welche nur
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 357

durch jenes n e g a t i v e Verhalten, welches als das der erweitert ist (GW 25,2; V 13.149–178). Hegel
Abstrahiren erscheint, Einheit mit sich ist, und führt hier einen in § 418 nur angedeuteten Ge-
dadurch alles Bestimmtseyn in sich aufgelöst ent- danken breiter aus: Dem »sinnlichen Bewußt-
hält« (GW 12.17). Entscheidend für diesen Be- sein« liege der Kontrast des Reichtums der Emp-
griff des Ich ist zweierlei: Das Ich ist Einheit findung und der »Armut der Bestimmtheit« zu
»nur« durch Negation des Bestimmtseins durch Grunde. Das Ich schließe diesen, der Seele ange-
Anderes, und nicht durch einen der Negation hörenden Reichtum und damit seine unmittel-
vorgängigen internen Selbstbezug. Und diese Ne- bare Natürlichkeit aus sich aus und beziehe sich
gativität darf nicht als seine bewußte Leistung darauf als auf ein Objekt, das mit logischen,
oder als sein freies Handeln gefaßt werden. Hier- »objektiven Bestimmungen« begriffen werde.
für wäre das Ich, ja das Bewußtsein überhaupt Das gewöhnliche Bewußtsein beziehe sich jedoch
schon vorausgesetzt. Fraglos kann die Abstrak- nur auf den Gegenstand und nicht auf die ge-
tionsbewegung partiell auch bewußt nachvoll- samte Bewußtseinsbeziehung; es wisse deshalb
zogen werden – aber die für das Ich konstitutive nicht, »daß der Gegenstand die Bestimmungen,
Negativität arbeitet gleichsam hinter seinem Rük- die er hat, als Noumen hat, nur hat durch mich, in
ken, als eine allein mit den Mitteln der Logik Beziehung auf mich«; es »weiß nicht davon, daß
beschreibbare notwendige Tätigkeit. Ich das Bestimmende bin.«
(2) Den Weg des Geistes durch Bewußtsein Der weitere Fortgang von der Gewißheit zur
und Selbstbewußtsein zur Vernunft beschreibt Wahrheit besteht darin, daß dieses Wissen von
Hegel in Anlehnung an die Phänomenologie als der an sich erkenntniskonstitutiven Funktion des
»Erhebung« der Selbstgewißheit des Ich zur Ich auch für das Bewußtsein wird – jedoch nicht
Wahrheit, nämlich zu derjenigen Stufe, auf der in dem Sinne, daß die Gegenstandskonstitution
die Bestimmungen des Selbstbewußtseins als die etwas Willkürliches wäre. Einen so (miß)verstan-
Bestimmungen der Gegenstände selbst erkannt denen Idealismus gebe »man mit Recht für Narr-
sind. Auch die einzelnen Schritte innerhalb von heit aus. Die Dinge finden sich von selbst so, wie
»Bewußtseyn« (sinnliches Bewußtsein, Wahrneh- wir sie finden, und wir sind darin unfrei.« Aber
men, Verstand) und »Selbstbewußtseyn« (Be- der Gegenstand habe neben der Seite der »Emp-
gierde, Anerkennen, allgemeines Selbstbewußt- findungsbestimmtheit« auch »die Seite der Kate-
sein) läßt Hegel sich von der Phänomenologie gorie, nach welcher der Gegenstand ein Noumen
vorgeben – obgleich er sich in einigen Aspekten ist, d. h. ein System von Gedankenbestimmun-
von ihr distanziert: Die Reservierung der Rede gen.« Deutlicher als im »sinnlichen Bewußtseyn«
von »Gewißheit« für die Selbstgewißheit des Ich zeigt sich dies im »Wahrnehmen«, das den Ge-
läßt ihn nun vom »sinnlichen Bewußtseyn« statt genstand als einen »nicht blos unmittelbaren,
von der »sinnlichen Gewißheit« sprechen, und sondern als vermittelten, in sich reflectirten und
das »Hier« und »Jetzt«, so Hegel, sei nicht Gegen- Allgemeinen« nimmt, jedoch nicht aus dem Wi-
stand des sinnlichen Bewußtseins, sondern ge- derspruch zwischen Sinnlichem und Geistigem
höre »eigentlich dem Anschauen an«. Vor allem herausfindet, und nochmals deutlicher in den
aber hebt er mit Nachdruck heraus, was auf Erfahrungswissenschaften – die ja keine bloßen
Grund der Einleitungsfunktion der Phänomeno- Aggregate von Wahrnehmungen bilden – und
logie an ihrem Beginn nicht möglich gewesen wiederum im »Verstand«, der die »Erscheinung«
wäre: Das Bewußtsein als Verhältnis enthalte vom kategorial bestimmten Allgemeinen und
»nur die dem abstracten Ich oder formellen Den- »Inneren der Dinge« abtrennt und dessen Gegen-
ken angehörigen Kategorien, die ihm Bestim- ständlichkeit für das Bewußtsein aufhebt. Das
mungen des Objects sind«; das sinnliche Bewußt- Bewußtsein weiß deshalb in diesem »Gegen-
sein wisse »daher nur von diesem als einem stand« sich selbst, es wird zum Selbstbewußtsein
Seyenden, Etwas, existirenden Dinge, (3§§ 418–423).
E i n z e l n e m«. (3) Das »Selbstbewußtseyn« ist für Hegel der
Die weitere Darstellung des »Bewußtseyns« Grund des Bewußtseins, »so daß in der Existenz
und »Selbstbewußtseyns« durchläuft die entspre- alles Bewußtseyn eines andern Gegenstandes
chenden Kapitel der Phänomenologie in sehr Selbstbewußtseyn ist«. Faßt man hingegen das
komprimierter Form, die im Kolleg jedoch wie- Selbstbewußtsein bloß als »Ich=Ich; – a b -
358 II. Werk

s t r a c t e F r e i h e i t , reine Idealität«, so »ist es Dieser Vernunftbegriff umfaßt allerdings zwei


ohne Realität, denn es selbst, das G e g e n s t a n d Aspekte, deren Interferenz Hegel nicht ausrei-
seiner ist, ist nicht ein solcher, da kein Unter- chend herausgearbeitet hat. Er führt den Ver-
schied desselben und seiner vorhanden ist.« Und nunftbegriff über den des »allgemeinen Selbst-
schon wegen dieser Ununterschiedenheit, die bewußtseyns« ein, in dem das Gewußte selbst ein
kein Gegenstandsverhältnis erlaubt, kann es kei- Selbstbewußtsein ist. Wenn »Begriff« und »Reali-
nen Zirkel des Selbstbewußtseins geben. tät« beide Selbstbewußtsein sind, so ist zwischen
Unter dem Titel »Selbstbewußtseyn« handelt ihnen in der Tat »ein Unterschied, der keiner ist«.
Hegel deshalb auch hier nicht von den internen Zugleich führt Hegel aus, daß der nun über-
Konstitutionsproblemen eines ›Ichbewußtseins‹, wundene »Gegensatz des Begriffs und der Reali-
sondern von dem Prozeß der Realisierung des tät überhaupt […] hier die nähere Form des für
Selbstbewußtseins im Durchlaufen der äußeren sich existirenden Begriffs, des Bewußtseyns und
Unterschiede, in die sich das in sich unter- des demselben gegenüber äußerlich vorhande-
schiedslose Selbstbewußtsein hineinbegibt – in nen Objectes gehabt hat« (§ 437). Dieses äußer-
Begierde und Anerkennung. Der »Zusammen- lich vorhandene »Object« ist jedoch ein anderes
schluß«, von dem hier die Rede ist, ist nicht als das andere Selbstbewußtsein. Doch der
derjenige eines subjektiven und eines objektiven zweite Aspekt drängt sich schließlich im Ver-
Ich, sondern der Zusammenschluß des Ich mit nunftbegriff vor: »Das Selbstbewußtseyn so die
der äußeren Wirklichkeit und seine Befriedigung Gewißheit, daß seine Bestimmungen eben so
in ihr, sei es durch das Verzehren äußerer Gegen- sehr gegenständlich, Bestimmungen des Wesens
stände, sei es durch den Kampf um Anerkennung der Dinge, als seine eigenen Gedanken sind, ist
mit einem anderen Selbstbewußtsein und seine die Vernunft«. Hier ist nicht auf die Beziehung
schließliche Auflösung im »allgemeinen Selbst- eines Selbstbewußtseins auf ein Selbstbewußt-
bewußtseyn«, in dem beide Selbstbewußtsein sein, sondern auf ein ihm Äußeres, eine »Welt«,
» a b s o l u t e S e l b s t s t ä n d i g k e i t« haben, sich abgehoben, und auch im Kolleg betont Hegel
aber in ihrer Allgemeinheit nicht unterscheiden, diesen letzteren Aspekt: »Die Vernünftigkeit des
sondern sich im Anderen frei wissen. Das Ich hat Geistes hat diese Gewißheit, in der Welt seinen
Ich zum Gegenstand – aber nicht in Form einer Inhalt zu finden, nichts Fremdes, ihm Undurch-
internen Selbstbeziehung, sondern: »Dieses Ich dringliches vor sich zu haben. Der Geist sagt zur
ist ein daseiendes, anderes, selbst Person, ebenso Welt: du bist Vernunft von meiner Vernunft.« Er
wie es das Allgemeine ist, ist es das Ausschlie- hat die Gewißheit, »daß diese Welt vernünftig ist,
ßende, Negative, sich auf sich Beziehende, ein daß er seine Denkbestimmungen, das System
Persönliches« (V 13.167). Hegels Begriff des seines Denkens in derselben vorfindet« (V
Selbstbewußtseins wird zwar häufig als dem 13.177 f.). Doch diese Gewißheit ist zwar durch
Standpunkt einer Subjektivitätsphilosophie ver- den Gang der Phänomenologie insgesamt, jedoch
haftet kritisiert. Doch ist der Begriff des Selbst- nicht schon durch den hier, in der »Phänomeno-
bewußtseins wohl in keinem Ansatz so konse- logie« der Enzyklopädie, durchlaufenen Prozeß
quent intersubjektiv konzipiert wie gerade im des Selbstbewußtseins verbürgt – weder durch
Hegelschen – bis hin zum Verlust der alltags- die »Begierde« noch durch den »Kampf um Aner-
sprachlichen Bedeutung des Wortes ›Selbstbe- kennung« (3§§ 438 f.).
wußtsein‹ (3§§ 424–437).
Literatur: Dieter Henrich: Selbstbewußtsein. Kritische
(4) Dieser Prozeß, und nicht eine interne,
Einleitung in eine Theorie. In: Rüdiger Bubner u. a.
durch die transzendentalphilosophische Analyse (Hg.): Hermeneutik und Dialektik. Aufsätze I. Tübin-
zu erschließende Konstitution der Subjektivität, gen 257–284; Konrad Cramer: »Erlebnis«. Thesen zu
bildet für Hegel die »Geschichte des Selbstbe- Hegels Theorie des Selbstbewußtseins mit Rücksicht
wußtseins« im engeren Sinn (Jaeschke 2009) – auf die Aporien eines Grundbegriffs nachhegelscher
gegenüber dem weiteren Sinn, in dem sie die Philosophie. HSB 11 (1974), 537–603; Edith Düsing:
Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristi-
Phänomenologie des Geistes insgesamt umfaßt.
sche, phänomenologische und idealistische Begrün-
Ihr Resultat, die Allgemeinheit und Objektivität dungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel.
des Selbstbewußtseins, nennt Hegel mit dem Köln 1986, 328–351; Konrad Cramer u. a. (Hg.): Theo-
schon häufig begegneten Wort »Vernunft«. rie der Subjektivität. Frankfurt am Main 1987; Christof
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 359

Schalhorn: Hegels enzyklopädischer Begriff von Selbst- des Willens im gesellschaftlichen Leben ebenso
bewußtsein. HSB 43 (2000); Jaeschke: Das Selbst- wie für Kunst, Religion und Philosophie, die
bewußtsein des Bewußtseins. In: Hoffmann 2009,
Hegel als Formen des Sichwissens des Geistes
15–30.
versteht. Sie sind aus dem subjektiven Geist her-
vorgegangen, und deshalb verhält der Geist sich
in ihnen nicht zu etwas ihm Fremden, sondern zu
9.4.5. Psychologie
sich selbst. Das Wissen von ihnen ist ebenso
(1) Erst mit dem Beginn der etwas unglücklich »Existenz« des Geistes wie der von diesem Wis-
»Psychologie« genannten eigentlichen Geistes- sen gewußte »Gegenstand«, der eben deshalb
lehre erreicht Hegel den Begriff, in dem seine nicht mehr im strengen Sinne »Gegenstand« ist.
Philosophie seit seiner ersten Systemskizze Die Explikation der Formen des Geistes be-
(1801/02, s. 151) kulminiert: den Begriff des zeichnet Hegel hier als »Fortschreiten« bzw. als
Geistes. Denn erst hier und von hier ab gehören »Entwicklung« – ja er spricht von einem »Ziel des
die thematischen Begriffe ausschließlich dem Geistes, die objective Erfüllung und damit zu-
»Geist« an; die Bindung der Seele an die ihr gleich die Freiheit seines Wissens h e r v o r z u -
vorausliegende Natürlichkeit und des Bewußt- b r i n g e n .« Diese Wendungen sind jedoch nicht
seins an eine dem Ich entgegenstehende Äußer- so zu verstehen, als ob Hegel hier – wie oben (s.
lichkeit entfällt. Es ist nun nicht mehr um das 352 f.) gefordert – andeuten wollte, daß die Ge-
Wissen eines »Gegenstandes« zu tun, sondern um schichte die Explikationsform des Geistes sei. Er
das Wissen des Geistes von sich selbst: »Der bezieht lediglich Stellung gegen die Annahme,
Geist fängt daher nur von seinem eigenen Seyn daß das Entstehen der »sogenannten Vermögen
an und verhält sich nur zu seinen eigenen Be- des Geistes« durch ein »vermeintlich n a t ü r l i -
stimmungen.« Wegen dieses Selbstverhältnisses c h e s Hervorgehen« zu erklären sei, bei dem die
des Geistes erklärt Hegel es für »gleichgültig, was Sinnlichkeit als ein affirmativer Ausgangspunkt
als sein Begriff und was als dessen Realität be- zu Grunde liegen bliebe. Diese »sogenannten
stimmt wird« – ob jeweils die »objective Ver- Vermögen« versteht er ohnehin nicht als Natür-
nunft« oder das »Wissen«. Doch trotz dieses liches, sondern als Geistiges, und zudem als eine
Selbstverhältnisses sieht Hegel den »Geist« hier Reihe von Stufen der »Befreiung« des Geistes. Sie
zunächst noch als endlichen: sofern nämlich »das sind »Productionen« des Geistes – und dies in
Wissen das An- und Fürsichseyn seiner Vernunft doppelter Hinsicht: Sie sind nicht willkürliche
nicht erfaßt, oder eben so sehr daß diese sich Produkte, sondern so, »daß der Inhalt sowohl der
nicht zur vollen Manifestation im Wissen ge- a n s i c h s e y e n d e , als nach der Freyheit der
bracht hat.« s e i n i g e seye.« Durch diesen Gedanken, daß der
Die zitierten Wendungen mögen den Eindruck Inhalt des Geistes sowohl etwas Ansichseiendes
erwecken, als sei zu ihrem Verständnis eine be- sei, als er vom Geiste hervorgebracht, Produkt
sondere Initiation vorausgesetzt. Und doch geht seiner Freiheit sei, gewinnt Hegel die Unter-
es nicht um etwas Geheimnisvolles, wie ja auch scheidung des theoretischen und des praktischen
»Geist« keine mythologische Größe ist, sondern Geistes: Nach der Seite seines Ansichseins ist er
eben die Geistigkeit des Menschen selbst (s. Gegenstand des ersten, nach der Seite seiner
350 ff.). Hegel akzentuiert hier lediglich die Dif- Produktion aus Freiheit des letzten – und die in
ferenz der Geistesphilosophie zu den ihr voraus- dieser Unterscheidung gelegene »gedoppelte
gehenden Sphären der Logik und der Natur. Dort Einseitigkeit« sucht Hegel in der dritten Auflage
war der (erkennende) Geist jeweils auf etwas der Enzyklopädie durch die Einführung einer
anderes gerichtet; in den nun folgenden Partien dritten Gestalt, des »freien Geistes«, aufzuheben
seiner Philosophie hingegen steht der Geist nur (3§§ 440–444).
noch im Verhältnis zu sich selber – als theo- (2) Die »Befreiung« und »Erhebung« faßt Hegel
retischer, praktischer und freier und schließlich näher in der Perspektive der Differenzierung des
als objektiver und absoluter Geist. Alle Gestalten, theoretischen und des praktischen Geistes – aber
die im weiteren Gang noch thematisiert werden, zugleich so, daß beide nicht auseinanderfallen,
sind Gestalten des Geistes selber, und nicht ein sondern zusammenwirken: »Die Intelligenz f i n -
ihm Fremdes. Dies gilt für die Objektivationen d e t sich b e s t i m m t; diß ist ihr Schein, von dem
360 II. Werk

sie in ihrer Unmittelbarkeit ausgeht, als W i s s e n »eine freiere Willkühr und Herrschaft im Ge-
aber ist sie diß, das Gefundene als ihr eigenes zu brauch der Anschauung, denn als symbolisi-
setzen.« Das praktische Moment tritt nicht erst rend.« (3§§ 446–458)
nachträglich zum theoretischen Wissen hinzu, Hier, beim »Zeichen«, sieht Hegel den syste-
sondern es wirkt im Wissen selber. Begrifflich matischen Ort für die Abhandlung der »Sprache«
sind beide zu unterscheiden – aber sie dürfen als der » T h a t der theoretischen Intelligenz im
nicht als isolierte gegen einander gesetzt werden, eigentlichen Sinne«, ihrer gegenüber Erinnerung
und deshalb ist auch die Trennung von ›Theorie‹ und Phantasie usf. »aüsserlichen Aüsserung«
und ›Praxis‹ eine »nachhegelsche Abstraktion« (GW 18.195). Sie kommt jedoch hier, in einer
(Bubner, 1971). Diese Warnung vor der Isolie- philosophischen Wissenschaft, wie er ein-
rung dessen, was zwar begrifflich zu unterschei- schränkt, »nur nach der eigenthümlichen Be-
den, aber nicht real zu trennen ist, richtet Hegel stimmtheit als das Product der Intelligenz, ihre
ebenso gegen eine Isolierung der sogenannten Vorstellungen in einem äußerlichen Element zu
»Kräfte« oder »Vermögen« des theoretischen Gei- manifestiren, in Betracht.« Dem »elementari-
stes. Er versteht sie als »Momente« des Erken- schen Material«, dem »Lexicalischen«, und auch
nens und nicht als dessen selbständige Formen, dem »Formellen«, der Grammatik, widmet Hegel
deren Zusammenwirken dann eigens erklärt nur wenige Bemerkungen – wobei er sich in der
werden müßte. Sie lassen sich zwar im Leben Enzyklopädie (1830) u. a. auf Jacob Grimms
gegen einander isolieren – Anschauen, Erinnern, Deutsche Grammatik und auf Wilhelm v. Hum-
Phantasieren usf. –, aber diese Isolierung bildet boldts kurz zuvor erschienene Akademieabhand-
für Hegel ein durch Willkür oder Unbildung ver- lung Ueber den Dualis bezieht. Gegenüber der
schuldetes Indiz des Verfehlens der Erkenntnis. Sprachphilosophie des späten 18. Jahrhunderts
Unter den Haupttiteln »Anschauung«, »Vorstel- fällt insbesondere auf, daß Hegel die damals so
lung« und »Denken« systematisiert Hegel die heftigen Auseinandersetzungen über den gött-
mannigfachen Momente der Erkenntnis – wobei lichen oder natürlichen Ursprung der Sprache
er etwa der »Anschauung« auch das »Gefühl« mit keinem Wort mehr erwähnt. Er beschränkt
zuordnet (und dabei seine stereotype ambiva- seine Bemerkungen zur Sprache auf eine knappe,
lente Einschätzung des Gefühls wiederholt); un- wenn auch im Lichte der Bedeutung, welche die
ter »Vorstellung« werden auch »Erinnerung«, Sprache in der Philosophie des 20. Jahrhunderts
»Einbildungskraft« und »Gedächtniß« abgehan- erlangt hat, zu knappe Skizze der Funktion der
delt, und diese werden nochmals detaillierter Sprache als eines Zeichensystems: Sie »gibt den
untergliedert, jeweils am Leitfaden der »Befrei- Empfindungen, Anschauungen, Vorstellungen
ung« des Geistes. So enthält etwa die »Erinne- ein zweites höheres, als ihr unmittelbares Da-
rung«, die die Bilder im »nächtlichen Schachte« seyn, überhaupt eine Existenz, die i m R e i c h e
der Intelligenz »in v i r t u e l l e r Möglichkeit« auf- d e s Vo r s t e l l e n s gilt.«
bewahrt, noch mehr Unmittelbarkeit als die » r e - Obgleich Hegel neben »der Tonsprache, als der
p r o d u c t i v e E i n b i l d u n g s k r a f t« und diese ursprünglichen«, die Schriftsprache »nur im Vor-
wiederum mehr als die »Phantasie«. Erst in ihr beygehn« erwähnen will, liegt doch der eigent-
»ist die Intelligenz nicht als der unbestimmte liche Akzent seiner Darstellung auf ihr – und
Schacht und das Allgemeine, sondern als Ein- insbesondere auf dem damals – seit Leibniz –
zelnheit, d. i. als concrete Subjectivität«, und geführten Streit um die Überlegenheit der Buch-
während das von der Phantasie produzierte Bild staben- oder der Hieroglyphenschrift. Unter die-
nur subjektiv anschaulich sei, füge sie im »Zei- sem Terminus bezieht Hegel sich – wie damals
chen« »die eigentliche Anschaulichkeit hinzu«. üblich, zumal beide als »statarische« Kulturen
Diese Anschaulichkeit komme zwar auch dem gelten – zumeist auf die chinesische Schrift, nicht
»Symbol« zu – aber ihm gegenüber sei das »Zei- auf die ägyptische, obschon er im Kolleg über die
chen« wiederum eine weitere Stufe der Befrei- damals begonnene Entzifferung der Hierogly-
ung: Beim Zeichen als solchen hingegen gehe phen durch Thomas Young berichtet (V 13.213),
»der eigene Inhalt der Anschauung, und der, des- die durch den glücklichen Fund des »Steins von
sen Zeichen sie ist, einander nichts an« – und Rosette« (1799) möglich geworden ist; Jean Fran-
insofern beweise die Intelligenz beim Zeichen çois Champollion, der 1822 und 1824 Youngs
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 361

Ansätze weiter entwickelt hat, erwähnt er der über der dritten bieten die beiden ersten Auf-
Überlieferung zu Folge nicht. lagen der Enzyklopädie hierfür eine sprachlich
Gegen Leibniz’ Überlegungen über den Vorteil glücklichere Formulierung, deren Struktur auf
der Hieroglyphenschrift gegenüber der Buchsta- den »Doppelsatz« der Vorrede zu den Grund-
benschrift sieht Hegel »die Grundbestimmung linien der Philosophie des Rechts (s. 274) voraus-
für die Entscheidung über den Werth dieser weist: »Was g e d a c h t ist, i s t ; u n d w a s i s t , ist
Schriftsprachen« darin, daß die Hieroglyphen- nur, in sofern es Gedanke ist.« (2§ 465, 1§ 384)
schrift »dem Grundbedürfnisse der Sprache über- Die Kollegnachschriften formulieren weniger
haupt, dem Namen, widerspricht, für die un- prägnant, aber wohl etwas zugänglicher: »das,
mittelbare Vorstellung, welche so reich ihr Inhalt was ich denke, ist die Sache, und die Sache habe
in sich gefaßt werden möge, für den Geist im ich erst in seiner (!) Wahrheit (wenn ich darüber
Namen einfach ist, auch ein einfaches unmittel- nachdenke) durch das Denken, – und sofern ich
bares Zeichen zu haben, das als ein Seyn für sich Gegenständlichkeit überhaupt gedacht habe, in-
nichts zu denken gibt, nur die Bestimmung hat, sofern ist es die Sache. – Erst im Denken hat alles
die einfache Vorstellung als solche zu bedeuten seine Objektivität, und das Denken ist also das
und sinnlich vorzustellen.« Namen sind »für sich Objektive.« (V 13.224) Die Nähe zum transzen-
s i n n l o s e A e u ß e r l i c h k e i t e n , die erst als dentalphilosophischen Begriff der ›Objektivität‹
Z e i c h e n eine Bedeutung haben« – und eben drängt sich hier auf: ›Objektivität‹ ist nicht das
darauf beruhe ihre unverzichtbare Funktion für dem Subjekt Gegenüberstehende, sondern aller-
die Sprache: »Es ist in Namen, daß wir denken.« erst das durch das Subjekt Konstituierte. »Ge-
(3§§ 458 f., 462) danke« bedeutet hier offensichtlich nicht ein will-
Während jedoch der Name um dieser ihm kürliches Produkt des Denkens im weiten Sinne;
eigenen Bedeutungslosigkeit willen auf eine au- ein »Gedanke« im affirmativen Sinn ist nicht ein
ßer ihm liegende Bedeutung verwiesen ist, um Einfall, sondern »das wahrhafte Allgemeine, wel-
die »Sache« zu sein, sieht Hegel das Gedächtnis ches die übergreifende Einheit seiner selbst über
als den »Uebergang in die Thätigkeit des G e - sein Anderes, das Seyn, ist«, oder die »einfache
d a n k e n s , der keine B e d e u t u n g mehr hat, Identität des Subjectiven und Objectiven.« Hegel
d. i. von dessen Objectivität nicht mehr das Sub- greift somit hier auf die Bestimmung des Ver-
jective ein Verschiedenes ist«. Gegenüber einer nunftbegriffs als der »einfachen I d e n t i t ä t der
zeitgenössischen Abwertung des Gedächtnisses S u b j e c t i v i t ä t des Begriffs und seiner O b j e c -
insistiert Hegel auf dessen Bedeutung: »es ist t i v i t ä t und Allgemeinheit« zurück (3§§ 438 f.).
einer der bisher ganz unbeachteten und in der Diese Identität ist nun für das Denken selber
That schwersten Punkte in der Lehre vom Geiste, geworden: Der »Gedanke« ist nun sein eigener
in der Systematisirung der Intelligenz die Stel- Gegenstand.
lung und Bedeutung des Gedächtnisses zu fassen, Und doch sagt Hegel von diesem »denkenden
und dessen organischen Zusammenhang mit Erkennen«, es sei zunächst noch formell: weil die
dem Denken zu begreifen.« Wegen dieser Bedeu- zum Denken erinnerten Vorstellungen noch ein
tung, die er dem Gedächtnis zuschreibt, kritisiert gegebener Inhalt seien, den das Denken – als
er scharf die »vor einiger Zeit [sc. nämlich Ende formeller Verstand – »zu Gattungen, Arten, Ge-
des 18. Jahrhunderts] wieder aufgewärmte und setzen, Kräften u. s. f. überhaupt zu den Katego-
billig wieder vergessene M n e m o n i k der Al- rien verarbeitet, in dem Sinne, daß der Stoff erst
ten«, weil sie das Gedächtnis zum Mechanismus in diesen Denkbestimmungen die Wahrheit sei-
erniedrige und es nicht als – wenn auch ein- nes Seyns habe.« Die Bewegung des Denkens
seitiges – »Moment der E x i s t e n z des Denkens« besteht nun darin, diesen Rest von Unmittel-
begreife (3§§ 461–464). barkeit, von Gegebenheit aufzuheben. Als Ver-
Anders als im Kolleg (GW 25,2; V 13.223–237) stand erklärt es das Einzelne aus seinen All-
widmet Hegel in der Enzyklopädie dem »Den- gemeinheiten, den Kategorien; als Negativität,
ken« im engeren Sinne nur wenige Paragraphen Diremtion, Urteil erklärt es das Einzelne » f ü r
(3§§ 465–468), obgleich sich der »theoretische ein Allgemeines (Gattung, Art)«, und darin er-
Geist« in ihm vollendet und dessen spekulativer scheint der Inhalt als gegeben; und als » f o r -
Charakter erst hier prägnant gefaßt wird. Gegen- m e l l e Ve r n u n f t , s c h l i e ß e n d e r Ve r -
362 II. Werk

s t a n d« bestimmt es den Inhalt aus sich und hebt gliederung in »praktisches Gefühl«, »Triebe«,
damit die Formdifferenz zwischen sich und dem »Willkühr und Glückseligkeit« führt Hegel erst in
Gegebenen auf. der zweiten Auflage der Enzyklopädie ein, und in
Die Intelligenz tilgt damit die letzte Unmittel- der dritten modifiziert er sie nochmals gering-
barkeit; sie eignet sich diese Unmittelbarkeit an fügig zu »praktisches Gefühl«, »Triebe und Will-
und »ist nach vollendeter B e s i t z n a h m e nun in kühr« und »Glückseligkeit«.
ihrem E i g e n t h u m e«. Schon sprachlich greift Diese systematische Differenzierung bezeich-
Hegel damit auf die Sphäre des Praktischen vor- net Hegel als den »Weg des Willens« zum »ob-
aus, zu der von hier aus nur noch ein kleiner jectiven Geist«. Die Dynamik, ihn zu durchlau-
Schritt zurückzulegen ist: Denn die Intelligenz, fen, liegt im Widerspruch zwischen dem Begriff
welche die ihr vermeintlich gegenüberstehende des freien, sich selbst bestimmenden Willens und
Unmittelbarkeit getilgt hat, ist frei, und indem sie der Fixierung des formellen Einzelwillens auf
sich als das den Inhalt Bestimmende weiß, ist sie seine Bestimmtheit. Im zunächst nur an sich
Wille. freien Willen muß erst die Freiheit »zur Existenz«
(3) Schon der Umstand, daß Hegel vom Begriff gebracht werden. Als erste Form führt Hegel das
des Denkens zum Begriff des Willens, vom Be- »praktische Gefühl« ein, als Gegenstück zur
griff des »theoretischen Geistes« zu dem des »Empfindung« der »Seele« und zum »Gefühl« im
»praktischen Geistes« übergeht, deutet den engen theoretischen Geist. Und seine Kritik dieses Ge-
Zusammenhang an, den er trotz der erforderli- fühls verläuft wiederum in den bekannten Bah-
chen Differenzierung zwischen diesen Begriffen nen, zumal er auch bei den bisherigen Formen
sieht. Ein bloßer Wille, ohne das Moment des des Gefühls jeweils auf praktische Momente vor-
Erkennens, ist für ihn schlechthin undenkbar, ausgreift: »Das Gefühl ist aber nichts anderes, als
ebenso aber auch ein bloßes Erkennen, dem nicht die Form der unmittelbaren eigenthümlichen
ein praktisches Moment innewohnte, ein »Inter- Einzelnheit des Subjects«, in die letztlich jeder
esse«, dem ja sogar eine erkenntnisleitende Inhalt gesetzt werden kann. Deshalb »ist es v e r -
Funktion zukommen kann. Und wie Hegel den d ä c h t i g , und sehr wohl mehr als diß«, schon an
Willen stets als einen »denkenden Willen« denkt, der Form des Gefühls das Wahre haben zu wol-
so denkt er ihn auch stets als einen »freien Wil- len, statt am vernünftigen Inhalt, an Recht und
len«. Ein nicht-freier Wille wäre ein ebensolches Sittlichkeit, der freilich auch in der Form des
Unding wie ein nicht-denkender Wille. Gleich- Gefühls sein muß, um dem Subjekt auch nach der
wohl bezeichnet Hegel es als den »Weg des Wil- Seite seiner Einzelheit anzugehören.
lens, […] sich zum denkenden Willen zu erhe- In diesem Zusammenhang führt Hegel den
ben« – nämlich vom bloß an sich denkenden zum Begriff ein, dessen Marginalisierung in seinem
wahrhaft denkenden und freien Willen. Werk von vielen seiner Kritiker beanstandet
Hegels Darstellung des praktischen Geistes wird: den Begriff des Sollens. Seit dem Ende des
wirkt schon vom Umfang, aber auch von ihrer frühneuzeitlichen Naturrechts, das auch in seinen
begrifflichen Durchbildung her eher als schmaler »säkularen« Formen den Begriff des Sollens letzt-
Appendix zur Abhandlung des »theoretischen«. lich am göttlichen Willen befestigt hat, ist es
Doch kommt dem »praktischen Geist« insofern erheblich schwieriger geworden, ihn systema-
eine systematische Schlüsselfunktion zu, als er im tisch zu verankern. Hiervon zeugt auch Hegels
engeren Sinne die Grundlegung für die Welt des Umgang mit diesem Begriff. Er spricht zwar so-
»objektiven Geistes« leistet – denn die Objek- gar von einem »gedoppelten Sollen«; dessen erste
tivierung des Geistes beruht nicht auf der »Er- Form beruht jedoch lediglich auf dem Verhältnis
kenntniß«, sondern auf dem »Willen«: »als Wille des natürlichen Willens »gegen äußere Objecte«,
tritt der Geist in Wirklichkeit, als Wissen ist er in die diesem Willen gemäß werden sollen – also
dem Boden der Allgemeinheit des Begriffs.« Des- auf zufälligen Zwecken. Hier findet Hegel zu-
halb greift die »Einleitung« zu den Grundlinien gleich die Antwort auf die »berühmte Frage n a c h
der Philosophie des Rechts (1821) auf den Begriff d e m U r s p r u n g e d e s U e b e l s in der Welt« –
des Willens zurück, und sogar sehr detailliert, da also auf die bis in die Antike und den Alten Orient
der »praktische Geist« in der Enzyklopädie zurückreichende, von Leibniz unter den Titel
(1817) noch wenig ausgeformt ist. Die Unter- »Theodizee« gestellte Frage ›unde malum‹: »Das
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 363

Uebel [sc. beschränkt auf das malum physicum, ›Vernünftigkeit‹ zu widersprechen. Doch Hegel
das Unangenehme und den Schmerz] ist nichts macht sich beinahe zu ihrem Apologeten; er sucht
anders als die Unangemessenheit des S e y n s zu sie von dem moralischen Makel zu befreien, der
dem S o l l e n .« Doch wenn schon nicht der Ort ihnen gemeinhin anklebt: Sie haben »gleichfalls
dieser Frage und die lakonische Knappheit ihrer die vernünftige Natur des Geistes einerseits zu
Beantwortung überrascht, so zumindest deren ihrer Grundlage« – wenn sie auch andererseits
Pointe: Das »Sollen« hat keineswegs immer »mit Zufälligkeit behaftet« sind. Formell gesehen
schon recht gegenüber dem »Seyn«. Ein Sollen, enthält »Leidenschaft« nur die Beschränkung auf
das der Inkongruenz zufälliger, endlicher Zwecke eine besondere unter vielen Willensbestimmun-
und des Seins entspringt, hat keine Wahrheit. In gen, ohne Ansehung des Inhalts. »Um dieses
Ansehung solcher Zwecke »ist das Uebel nur das Formellen willen aber ist die Leidenschaft weder
Recht, das an der Eitelkeit und Nichtigkeit ihrer gut noch böse; diese Form drückt nur diß aus, daß
Einbildung ausgeübt wird. Sie selbst sind schon ein Subject das ganze lebendige Interesse seines
das Uebel.« Die Klage über das Übel wird somit Geistes, Talentes, Charakters, Genusses in einen
abgewiesen mit dem Bescheid, das eigentliche Inhalt gelegt habe.« Und hieran schließt sich der
Übel sei vielmehr die Klage selbst. In einer be- Satz, der so große Bedeutung für Hegels Ge-
wußtseinsgeschichtlichen Situation, in der es kei- schichtsphilosophie hat: »Es ist nichts Großes
nen Verantwortlichen für das physische Übel ohne Leidenschaft vollbracht worden, noch kann
mehr gibt und auch keinen verantwortlichen es ohne solche vollbracht werden. Es ist nur eine
Adressaten für eine derartige Klage über sie, ist todte, ja zu oft heuchlerische Moralität, welche
die Klage sinnlos geworden. Wegen ihrer Sinn- gegen die Form der Leidenschaft als solche los-
losigkeit wird sie dann selbst zum Übel, da sie mit zieht.« (s. 411)
ihren unberechtigten Zwecken nur den Blick auf Nicht allein gegen eine solche »heuchlerische«,
das »Seyn« des Lebendigen und des Geistes ver- sondern überhaupt gegen eine moralische Be-
stellt, in dessen Verfassung die »immanente Un- wertung betreibt Hegel die Rehabilitation von
terscheidung« liegt – und somit »die Principien Trieb, Neigung, Leidenschaft und »Interesse«.
des Uebels und des Schmerzens«: »Negativität, Denn es kommt auch »nichts ohne Interesse zu
Subjectivität, Ich, die Freiheit«. Stande«. Hegel spricht ihnen zunächst die » f o r -
Im Blick auf die zweite, philosophisch pro- m e l l e Vernünftigkeit« zu, »durch die Thätigkeit
blematische Dimension des Sollens schlägt Hegel des Subjects selbst die Subjectivität aufzuheben,
insofern einen ähnlichen Weg ein wie Kant, als er realisirt zu werden.« Sie sind damit als ein be-
das »Sollen« aus dem Gegensatz von Allgemein- wegendes, für Leben und Geschichte konstitu-
heit und Einzelheit entspringen läßt: Die vorhin tives Moment ernstgenommen und insofern zu-
betrachtete »erste Selbstbestimmung« des einzel- mindest formell gerechtfertigt: »Trieb und Lei-
nen Willens gegenüber äußeren Objekten ist »zu- denschaft ist nichts anderes als die Lebendigkeit
nächst nicht in die »Allgemeinheit des Denkens des Subjects, nach welcher es selbst in seinem
erhoben, welche daher a n s i c h das Sollen gegen Zwecke und dessen Ausführung ist.« Und ihre
jene sowohl der Form nach ausmacht, als dem »wahrhafte Vernünftigkeit« erweist sich nicht ei-
Inhalte nach ausmachen kann.« Das »Sollen« geht ner » ä u ß e r n Reflexion«, sondern sie fällt in die
also nicht von einer äußeren Instanz aus, sondern »immanente Reflexion des Geistes selbst, über
es liegt in der recht verstandenen »Allgemeinheit ihre B e s o n d e r h e i t wie über ihre natürliche
des Denkens«. Sie tritt selbst schon mit berech- U n m i t t e l b a r k e i t hinauszugehen, und ihrem
tigtem normativen Anspruch auf – und diesem Inhalte Vernünftigkeit und Objectivität zu geben,
Anspruch unterstehen bereits die »Modificatio- worin sie als n o t h w e n d i g e Verhältnisse,
nen des formellen praktischen Gefühls« – wie R e c h t e und P f l i c h t e n sind.« Sie manifestiert
»Vergnügen, Freude, Schmerz u. s. f., Scham, sich also im Prozeß ihrer Objektivierung zu sittli-
Reue, Zufriedenheit u. s. w.« (3§§ 469–472) chen Verhältnissen, deren Betrachtung die »Phi-
Die weiteren Formen des »praktischen Gei- losophie des objectiven Geistes« zu leisten hat –
stes« – Trieb, Neigung, Leidenschaft – erfreuen in der » L e h r e von den rechtlichen, moralischen
sich traditionell keiner sonderlichen Reputation, und sittlichen Pflichten.« (3§§ 473–475)
und a fortiori scheinen sie solcher immanenten Den Begriff der »Glückseligkeit« stellt Hegel in
364 II. Werk

den beiden ersten Auflagen der Enzyklopädie in Darstellung der menschlichen Freiheit und ihrer ob-
engen Zusammenhang mit den Begriffen des »re- jektiven Verwirklichung. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991,
17–106. – Zu »Sprache«: Josef Simon: Das Problem der
flectirenden Willens« und der »Willkühr« – letz-
Sprache bei Hegel. Stuttgart u. a. 1966; Manfred Züfle:
tere im traditionellen, wörtlichen Sinne verstan- Prosa der Welt. Die Sprache Hegels. Einsiedeln 1968;
den als die Fähigkeit des – freien und denkenden Theo Bodammer: Hegels Deutung der Sprache. Inter-
– Willens, »zwischen Neigungen zu wählen«. pretationen zu Hegels Äußerungen über die Sprache.
Doch sofern er zwischen solchen – endlichen, Hamburg 1969; Bruno Liebrucks: Sprache und Bewußt-
partikularen – Trieben und Neigungen nur wählt, sein. Bde. 5–6. Frankfurt am Main 1970–1974; Bruno
Schindler: Die Sagbarkeit des Unsagbaren. Hegels Weg
bleibt er selber dieser Sphäre der Endlichkeit
zur Sprache des konkreten Begriffs. Würzburg 1994.
verhaftet. Er ist »der W i d e r s p r u c h , sich in
einer Besonderheit zu verwirklichen, welche zu-
gleich für ihn eine Nichtigkeit ist«. Aus diesem 9.5. Rechtsphilosophie
Prozeß der Verdrängung einer Neigung durch
eine andere, des Taumelns von Begierde zu Ge-
9.5.1. Überlieferung
nuß und von Genuß zu Begierde, scheint allein
die Vorstellung einer umfassenden und bleiben- (1) Hegels Vorlesungen über »ius naturae et civi-
den Befriedigung zu befreien, die traditionell im tatis« bilden – nach den Vorlesungen über »Logik
Begriff der »Glückseligkeit« gedacht wird. Doch und Metaphysik« – den zweiten Schwerpunkt
während die Ethik der Aufklärung, wie Hegel seiner Lehrtätigkeit. Sie prägen seine Lehre vom
mehrfach kritisch anmerkt, bis zu Kant bloße zweiten Jenaer Semester im Sommer 1802 (auch
Glückseligkeitsethik gewesen sei (V 7.171; wenn diese Vorlesung wohl nicht zu Stande ge-
9.149), sei eben der Begriff der Glückseligkeit kommen ist, weil ihn damals »seine literarischen
seit Kants »Analytik der reinen praktischen Ver- Arbeiten gänzlich in Anspruch nahmen«, R 161)
nunft« in Mißkredit geraten (AA V.25). Hegel bis zum letzten Kolleg im Winter 1831/32. »Na-
nimmt diese Kritik auf – und er bestreitet sogar turrecht und Staatswissenschaft« ist deshalb auch
noch seinen Begriffscharakter: »Die Glückselig- der eigentliche – wenn auch wenig gebräuch-
keit ist die verworrene Vorstellung der Befriedi- liche, in manchen Ausgaben und Übersetzungen
gung a l l e r Triebe, deren einer dem andern aber gar nicht genannte – Haupttitel der Grundlinien
ganz oder zum Theil aufgeopfert, vorgezogen und der Philosophie des Rechts. Und es ist ein Indiz
vorgesetzt werden soll.« (1§ 396) Als »Wahrheit« für das Gewicht, das Hegel diesen Vorlesungen
dieses sich selbst zerstörenden Ungedankens er- einräumt, daß er in Jena zuweilen auch dann,
gibt sich ihm vielmehr »die a l l g e m e i n e Be- wenn er sein gesamtes System vorträgt – »Philo-
stimmtheit des Willens an ihm selbst, d. i. sein sophiae universae delineationem« o. ä. –, eine zu-
Selbstbestimmen selbst, d i e F r e i h e i t« – und sätzliche Vorlesung über Naturrecht ankündigt –
damit leitet Hegel in der Enzyklopädie (1830) zur so im Sommer 1803, im Winter 1803/04, und
letzten Gestalt des »subjectiven Geistes«, dem wieder im Sommer 1805.
»freien Geist«, über (s. 349 f., 3§§ 476–482). Über diese Vorlesungen ist jedoch nichts be-
Quellen: Jacob Grimm: Deutsche Grammatik. Teil 1. kannt – auch wenn man aus den gleichzeitigen
Göttingen 2 1822; Wilhelm v. Humboldt: Ueber den Manuskripten ihren Inhalt im Umriß erschließen
Dualis. Gelesen in der Akademie der Wissenschaften kann (s. 162 ff., 171 ff.). Auch die Nürnberger
am 26. April 1827. Berlin 1828; Humboldt: Gesammelte Gymnasialkurse über »Rechts- und Pflichten-
Schriften. Hg. von Albert Leitzmann. Bd. 6. Berlin
lehre« sind nur unzureichend belegt (s. 214). Erst
1907, 4–30. – Literatur: Odo Marquard: Hegel und das
Sollen. In: ders.: Schwierigkeiten mit der Geschichts- seit der ersten Heidelberger Vorlesung (1817/18)
philosophie. Frankfurt am Main 1973, 37–51; Henrich ist seine Rechtsphilosophie lückenlos überliefert.
(Hg.): Hegels philosophische Psychologie. HSB 19 Hegel hat sie hier so vorgetragen, daß er zunächst
(1979); Adriaan Peperzak: Selbsterkenntnis des Ab- Paragraphen diktiert und dann jeweils durch
soluten. Grundlinien der Hegelschen Philosophie des freie Ausführungen erläutert hat (GW 26,1; V 1).
Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 38–57; Willem
Dieses Verfahren hat er noch bei seiner ersten
A. de Vries: Hegel’s Theory of Mental Activity. An
Introduction to Theoretical Spirit. Ithaca / London Berliner Vorlesung 1818/19, also unmittelbar
1988; Adriaan Theodoor Peperzak: Hegels praktische nach seiner Ankunft in Berlin, befolgt (GW 26,1;
Philosophie. Ein Kommentar zur enzyklopädischen V 1.267–280). Spätestens Anfang 1819 hat er sich
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 365

jedoch entschlossen, nach der Enzyklopädie ein Nam Seelmann. Hamburg 2000 (=V 14); Hegel: Die
weiteres Kompendium für seine Vorlesungen zu Philosophie des Rechts. Vorlesung von 1821/22. Hg.
von Hansgeorg Hoppe. Frankfurt am Main 2005. –
veröffentlichen: die Grundlinien der Philosophie
Literatur: Carl Friedrich Göschel: Zerstreute Blätter
des Rechts (s. 272). In der Vorlesung von 1819/20 aus den Hand- und Hülfsacten eines Juristen. 3 Bde.
hat Hegel, soweit die beiden überlieferten Nach- Erfurt, Schleusingen 1832–1842; Friedrich Julius Stahl:
schriften (GW 26,1; Henrich; V 14) erkennen Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher An-
lassen, bereits auf Diktate verzichtet; nach der sicht. Heidelberg. Bde. 1, 2/1 und 2/2: 11830, 1833,
Veröffentlichung der Grundlinien hat er ohnehin 1837; Bd. 1: 3 1854; Lenz: Geschichte der Universität
Berlin. Bd. 2 (1910); Rosenzweig: Hegel und der Staat
nicht mehr diktiert (Nachschriften (anonym
(1920), Bd. 2.75–204; Hermann Heller: Hegel und der
1821/22), Hotho (1822/23) und Griesheim nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland. Ein Bei-
(1824/25)). In den darauf folgenden Jahren hat trag zur politischen Geistesgeschichte. 11 921, ND Aalen
Hegel diese Vorlesung seinem Schüler und 1963; Gerhard Dulckeit: Rechtsbegriff und Rechtsge-
Freund Eduard Gans überlassen. Für das Winter- stalt. Untersuchungen zu Hegels Philosophie des
semester 1830/31 hat er sie erneut angekündigt, Rechts und ihrer Gegenwartsbedeutung. Berlin 1936;
Eric Weil: Hegel et l’état. Paris 1950; Bernard Bour-
sie dann aber »wegen Unpäßlichkeit« ausfallen
geois: La pensée politique de Hegel. Paris 1969; Man-
lassen (Ig Bd. 4.755). Erst im Herbst 1831, in der fred Riedel: Studien zu Hegels Rechtsphilosophie.
politisch aufgewühlten Zeit nach den Revolu- Frankfurt am Main 11969, Stuttgart 2 1982; Rolf Konrad
tionen und Aufständen des Vorjahres, hat er er- Ho čevar: Hegel und der preußische Staat. Ein Kom-
neut über Rechtsphilosophie lesen wollen, je- mentar zur Rechtsphilosophie von 1821. München
doch nur noch die Eingangspartien vortragen 1973; Henning Ottmann: Individuum und Gemein-
schaft bei Hegel. Bd. 1. Berlin / New York 1977; Vittorio
können (Ig 4.917–925). Arnold Ruge berichtet
Hösle (Hg.): Die Rechtsphilosophie des deutschen
1867 (!), diese Wiederaufnahme seiner Vorlesung Idealismus. Hamburg 1989; Peperzak: Hegels prakti-
sei auf eine Aufforderung durch den Kronprin- sche Philosophie (1991), 107–370; Ludwig Siep: Prakti-
zen, den späteren König Friedrich Wilhelm IV, sche Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt
zurückgegangen, der Hegel zu Tisch geladen am Main 1992; Siep (Hg.): G. W. F. Hegel, Grundlinien
habe (HBZ 437) – doch diese gern weitererzählte der Philosophie des Rechts. Berlin 1997; Schnädelbach:
Hegels praktische Philosophie (2000), 163–370;
und in abgeschwächter Form von Johann Eduard
Adriaan T. Peperzak: Modern Freedom. Hegel’s Legal,
Erdmann in ADB XI.272 f. übernommene Anek- Moral, and Political Philosophy. Dordrecht u. a. 2001;
dote wird man so lange ins Reich der Mährchen Michael Salter (Hg.): Hegel and Law. Hants / Burling-
verbannen müssen, als nicht eine bessere Quelle ton 2002; Robert B. Pippin: Hegel’s Practical Philo-
sie bestätigt. sophy. Rational Agency as Ethical Life. New York
2008.
Kollegien: 1817/18; 1818/19; 1819/20; 1821/22;
1822/23; 1824/25; 1831/32 (angefangen). – Text: a)
Kompendien: GW 14; GW 13, §§ 400–452; GW 19,
§§ 482–552; GW 20, §§ 483–552; b) Nachschriften: 9.5.2. Naturrecht, Rechtsphilosophie,
GW 26; Hegel: Vorlesungen über Rechtsphilosophie Philosophie des objektiven Geistes
1818–1831. Edition und Kommentar in sechs Bänden
von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt. Bd. 1: (1) Hegels Vorlesungen über Rechtsphilosophie
1973; Bde. 2–4: 1974 (mehr nicht erschienen); Hegel: fallen in eine Zeit des theoretischen wie auch des
Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in politischen und des gesellschaftlichen Umbruchs.
einer Nachschrift. Hg. von Dieter Henrich. Frankfurt Ein erstes Indiz hierfür bildet die eigentümliche
am Main 1983; Hegel: Vorlesungen über Naturrecht Diskrepanz zwischen seinen Ankündigungen,
und Staatswissenschaft. Heidelberg 1817/18 mit Nach-
»ius naturae et civitatis« zu lesen, und seiner
trägen aus der Vorlesung 1818/19. Nachgeschrieben
von P. Wannenmann. Hamburg 1983 (=V 1); Hegel: Die scharfen Absetzung vom Naturrechtsbegriff. Be-
Philosophie des Rechts. Die Mitschriften Wannenmann reits im Kolleg 1817/18 formuliert er sehr dezi-
(Heidelberg 1817–18) und Homeyer (Berlin 1818–19). diert: »Der Name des N a t u r r e c h t s verdient
Hg. von Karl-Heinz Ilting. Stuttgart 1983; Hegel: Philo- aufgegeben und durch die Benennung ›philo-
sophie des Rechts. Nachschrift der Vorlesung von sophische Rechtslehre‹ oder, wie es sich auch
1822/23 von Karl Wilhelm Ludwig Heyse. Hg. von
zeigen wird, Lehre von dem objektiven Geist
Erich Schilbach. Frankfurt am Main u. a. 1999; Hegel:
Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. Berlin ersetzt zu werden« – und zwar, weil er die Zwei-
1819/1820. Nachgeschrieben von Johann Rudolf Rin- deutigkeit enthält, »daß darunter 1) das Wesen
gier. Hg. von Emil Angehrn, Martin Bondeli und Hoo und der Begriff von etwas verstanden wird und 2)
366 II. Werk

die bewußtlose unmittelbare Natur als solche.« textualität in der Begründung des Rechts, der
(Nachschrift Wannenmann, § 2 Anm.) auch heute noch die Debatten zwischen Kon-
(2) Hegel ist keineswegs der erste Kritiker des traktualismus und Kontextualismus, Liberalis-
Naturrechtsbegriffs. Seit dem Ende des 18. Jahr- mus und Kommunitarismus durchzieht. Gegen
hunderts wird der altehrwürdige, noch um die das Natur- oder Vernunftrecht wird nun nicht der
Jahrhundertmitte unangefochtene Titel »Natur- traditionelle Einwand erhoben, daß es nicht im
recht« von zwei Seiten aus angegriffen. Den ei- strikten Sinne Recht sei, sofern auf seine Verlet-
nen Angriff führt Kant in der Grundlegung zur zung zumindest keine unmittelbare Sanktion er-
Metaphysik der Sitten – und zwar im Namen der folge, sondern daß sein universeller Anspruch die
»Vernunft«: »Natur« ist der Inbegriff dessen, was Wirklichkeit des geschichtlich vorhandenen
ist, und als solche Gegenstand von Deskription – Rechts zerstöre – und dies mit allgemein be-
doch dadurch ist keine Norm gesetzt. Die Be- kannten katastrophalen politischen Folgen.
schreibung etwa der Natur des Menschen hat Zwar beruht die Gesellschaft auch für Burke
ihren systematischen Ort in der (pragmatischen) auf Zustimmung, wie im Naturrecht auch – aber
Anthropologie – aber aus dieser Beschreibung auf Zustimmung nicht in Folge eines Aktus der
dessen, was der Mensch ist, läßt sich nicht die Vernunft, sondern in Folge von langfristig erwor-
Erkenntnis dessen gewinnen, was er sein soll. benen Gewohnheiten und Vorurteilen – oder bes-
Der Grund moralischer oder rechtlicher Verbind- ser: von Lebensformen. In diesen Lebensformen
lichkeit liegt nicht in einer »Natur«, »sondern drückt sich die Zustimmung zur jeweiligen Herr-
lediglich a priori in Begriffen der reinen Ver- schaftsform aus. Die Legitimation politischer
nunft« (AA IV.389). Das vormalige »Naturrecht« Herrschaft gründet nicht in einem Akt der –
ist somit als »Vernunftrecht« zu rekonstruieren – aktiven oder passiven – Unterwerfung, aber auch
wobei allerdings die Dualität von Vernunftrecht nicht in einem vernunftrechtlich vorgestellten
und positivem Recht bestehen bleibt. Vermutlich Gesellschaftsvertrag, sondern sie gründet in der
wegen dieser Entgegensetzung bezeichnet Kant, geschichtlichen Entwicklung eines politischen
in einem ähnlichen terminologischen Schwanken Systems, das die Befriedigung der Bedürfnisse
wie Hegel, in der Metaphysik der Sitten seine und das Wohlergehen der Bürger garantiert. Die
philosophische Rechtslehre auch wieder als »Na- moderne Vernünftigkeit hingegen sei künstlich,
turrecht« (AA VI.237,242). wie im modernen Staat überhaupt alles künstlich
Der zweite Angriff auf das Naturrecht erfolgt sei – und deshalb auch haltungslos. Die moderne
im Namen des in der Wirklichkeit immer schon Vernunftphilosophie stelle zwar das Ideal der Hu-
vorhandenen und sich geschichtlich entwickeln- manität auf – aber gerade so, mit ihrem künst-
den Rechts. Diese Kritik ist besonders erfolg- lichen, »gemachten« Ideal, könne sie nicht die
reich, da sie sich nicht nur auf rechtsphilosophi- wirkliche Humanität verwirklichen, sondern sie
sche Argumente stützt, sondern ein politisches treibe in die Revolution und ende in der Bestiali-
Implikat enthält, das sich in den Jahren nach der tät. Diese Kritik pflanzt sich mehr als ein halbes
Französischen Revolution als durchschlagend er- Jahrhundert fort, bis ans Ende der durch den
weist: die Identifizierung von Natur = Vernunft = Namen des österreichischen Staatskanzlers Met-
Aufklärung = Revolution. Wirkungsgeschichtlich ternich charakterisierten Restaurationsepoche.
erfolgreich wird diese Kritik insbesondere durch Auch noch nach der gescheiterten Revolution von
Edmund Burkes Reflections on the Revolution in 1848 wird sie wiederholt von Friedrich Julius
France (1790), die – insbesondere in der deut- Stahl, dem einflußreichsten konservativen Den-
schen Übersetzung von Friedrich Gentz und ver- ker der beiden Jahrzehnte nach Hegels Tod: »Der
schärft durch dessen Zusätze (1793) – die Kritik Liberalismus oder die Revolution in diesem
an der Revolution mit dem Rekurs auf »Ge- Sinne ist die Wirkung eben der Prinzipien, auf
schichte« verbinden. welchen das ›Naturrecht‹ beruht.« (Stahl
In dieser theoretischen Situation wird erstmals 1830/1854, 3289)
der traditionelle wissenschaftssystematische Ge- (3) Diese Auseinandersetzungen um Natur-
gensatz von Naturrecht und positivem Recht recht und Geschichte prägen die Situation, in der
überlagert durch den neuen wissenschaftsprag- Hegel die Grundlagen seiner Rechtsphilosophie
matischen Gegensatz von Universalität und Kon- konzipiert und diese im Verlauf zweier Jahr-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 367

zehnte ausarbeitet. Er macht sich früh mit diesem sondern daß sie nur dann Vernunft ist, wenn sie
epochalen Konflikt vertraut – und er zieht daraus immer schon mit dieser Wirklichkeit vermittelt
die Konsequenz, daß er sich nicht auf die Seite ist. Und ebenso gilt es zu zeigen, daß Geschichte
der Vernunft- oder der Geschichtspartei schlägt, selbst nicht bloße Faktizität, sondern daß sie die
sondern die beiden widerstreitenden Pole zu um- Explikationsform des Geistes und somit »Ge-
fassen und zu vereinigen sucht. Die Doppelheit schichte der Freiheit« ist. Der Geschichte läßt
seines Interesses läßt sich an dem Nebenein- sich nur dann ein normativer Anspruch vindizie-
ander zweier seiner Schriften veranschaulichen: ren, wenn ihre Bewegung zugleich eine Entfal-
In seiner Verfassungs-Schrift (GW 5.1–219, s. tung normativer Inhalte ist. Und umgekehrt: Der
100) zeigt er sich eng vertraut mit der politischen Vernunft läßt sich nur dann ein normativer An-
Situation und mit geschichtlichen Argumenta- spruch gegenüber der Wirklichkeit zubilligen,
tionen, mit der Anerkennung des Rechtes von wenn er nicht die Zerstörung von Wirklichkeit
Verhältnissen, die sich geschichtlich herausge- zur Folge hat, sondern wenn man dafür argu-
bildet haben, und ebenso mit dem Problem ihrer mentieren kann, daß Vernunft allein dann richtig
Legitimität angesichts einer radikal gewandelten gedacht werde, wenn sie als immer schon mit
politischen Wirklichkeit. Unmittelbar nach dem solcher Wirklichkeit versöhnt gedacht werde.
Abschluß dieser Arbeiten greift er jedoch mit (5) Seinen Gegenentwurf gegen ein Rechts-
seinem Naturrechts-Aufsatz in die Debatte um denken, das entweder in »Vernunft« oder in »Ge-
das neuzeitliche Naturrecht ein – und zwar als ein schichte« seinen letzten Halt findet, spricht Hegel
Kritiker sowohl des »empirischen« Naturrechts mehrfach sehr bestimmt aus – schon in Heidel-
der frühen Neuzeit als des »reinformellen Natur- berg mit den Worten: »Die Sphäre des Rechts ist
rechts« oder Vernunftrechts Kants und Fichtes. nicht der Boden der Natur, […] sondern die
Und seine Kritik kulminiert in dem provozie- Sphäre des Rechts ist die geistige, und zwar d i e
renden Satz: »Den frühern Behandlungsarten des S p h ä r e d e r F r e i h e i t« (Wannenmann, § 2).
Naturrechts, und demjenigen, was für verschie- Noch prägnanter heißt es in den Grundlinien:
dene Principien desselben angesehen werden »Der Boden des Rechts ist überhaupt das G e i -
müßte, muß für das Wesen der Wissenschaft alle s t i g e , und seine nähere Stelle und Ausgangs-
Bedeutung abgesprochen werden.« (GW 4.419, s. punkt der W i l l e , welcher f r e y ist, so daß die
145) Freyheit seine Substanz und Bestimmung aus-
(4) Die skizzierten Auseinandersetzungen zie- macht, und das Rechtssystem das Reich der ver-
hen sich bis in Hegels Heidelberger Zeit, und sie wirklichten Freyheit, die Welt des Geistes aus
erreichen damals – im Streit zwischen der »ver- ihm selbst hervorgebracht, als eine zweyte Natur,
nunftrechtlichen« und der »geschichtlichen« Par- ist.« (§ 4) In diesen Begriffen des Geistes und der
tei (Thibaut vs. Savigny) um die Kodifikation Freiheit sucht Hegel den Gegensatz von Vernunft
eines »bürgerlichen Gesetzbuchs« und einer Ver- und Geschichte zu überbrücken, der das Rechts-
fassung – sogar einen neuen Höhepunkt. Sie sind denken seiner Zeit charakterisiert.
deshalb für die Konzeption seines rechtsphiloso- Der tragende Begriff des neuen Ansatzes ist
phischen Ansatzes konstitutiv – auch wenn Hegel jetzt nicht mehr, wie in Jena, der Begriff der
nur selten ausdrücklich auf sie zurückkommt: »Sittlichkeit«, sondern der des »Geistes«, und seit
Seine Rechtsphilosophie sucht nach einer Durch- der Enzyklopädie (1817) näher der Begriff des
fahrt zwischen der Scylla des Vernunftrechts und »objektiven Geistes« (1§ 400). In diesem Begriff –
der Charybdis des bloß historischen, aber gleich- der dann eine eigene, bis ins 20. Jahrhundert, zu
wohl mit dem Anspruch auf Legitimationskraft Hans Freyer und Nicolai Hartmann reichende
auftretenden Rechtsgedankens. Geschichte haben wird – faßt Hegel den Cha-
Die Vermittlung beider ist, entsprechend dem rakter des gesellschaftlichen Lebens mit inge-
auch sonst von Hegel ausgeführten Verfahren, als niöser Prägnanz: »Objektiver Geist« ist die gei-
doppelseitig zu denken: Es gilt zu zeigen, daß stige Welt, in der der »subjektive Geist« und
Vernunft nicht ein bloß abstraktes, am Schreib- näher der Wille objektiv, sich gegenständlich
tisch ersonnenes Prinzip ist, das, selber unver- wird. Durch diese Begriffsbildung wird der Re-
mittelt mit der politisch-gesellschaftlichen Wirk- sultatcharakter des gesellschaftlichen Lebens
lichkeit, abstrakt gegen diese gewendet wird, herausgehoben. Es ist geistiges Leben, es beruht
368 II. Werk

nicht auf natürlichen Verhältnissen, sondern auf »Recht« im zweifachen Sinne gebraucht – in dem
subjektivem Geist, auf der Geistigkeit, die weiten Sinne, in dem er seinem Kompendium
menschliches Leben auszeichnet. Wo sie fehlt, den Titel Grundlinien der Philosophie des Rechts
gibt es – trivialer Weise – keine gesellschaftlichen gibt, und im engeren, auf das »abstrakte Recht«
Institutionen. Recht, Moralität und Sittlichkeit beschränkten Sinne. Im weiten Sinne umfaßt
sind ja nicht »von Natur«. Sie sind vom Geist, und »Recht« nicht bloß »das beschränkte juristische
näher vom Willen, vom freien Willen hervor- Recht«, sondern »das Daseyn a l l e r Bestimmun-
gebrachte Formen; Geist ist ihre »Substanz«, wie gen der Freiheit« (3§ 486) – also auch die Formen
Hegel sagt. Sie lassen sich zwar nicht vollständig der Sittlichkeit. Sie sind Formen des gesellschaft-
aus ihm explizieren, doch sind sie niemals ohne lichen Lebens überhaupt, aber als solche sind sie
diesen freien Willen. Dies mag banal erscheinen natürlich auch Rechtsformen: die Familie nicht
– doch gleichwohl ist es nicht falsch, sich diese anders als die »Bürgerliche Gesellschaft« oder
häufig vergessene und auch zuvor nie so deutlich der Staat. Sie müssen als Rechtsformen begriffen
ausgesprochene Wahrheit ins Bewußtsein zu- werden – aber sie dürfen nicht n u r und nicht
rückzurufen. Auch zu Hegels Zeit ist sie nicht einmal p r i m ä r als Rechtsformen begriffen wer-
selbstverständlich gewesen. Sein Kollege und Ri- den. Man verkürzt etwa den Gehalt des Staates
vale Schleiermacher etwa formuliert programma- als einer Form der Sittlichkeit, wenn man ihn
tisch, in seinen Vorlesungen über die Lehre vom ausschließlich unter dem Titel »Öffentliches
Staat eine »Physiologie des Staates« zu geben Recht« abhandelt – wie Kant in seinen Meta-
(KGA II/8.496,69) – und Hegel hätte diese For- physischen Anfangsgründen der Rechtslehre.
mulierung teilen können, sofern nur klargestellt Die Gestalten der Sittlichkeit sind Formen der
ist, daß der Gegenstand solcher »Physiologie«, Wirklichkeit des freien Willens, Lebensformen
die »Physis«, die Natur des Staates, Geist ist, und der Freiheit. Als solche haben sie zwar eine recht-
zwar durch Willensakte gesetzter, deshalb »ob- liche Seite, aber sie gehen nicht in ihr auf, und sie
jektiver Geist«. lassen sich auch nicht auf sie reduzieren. Recht
(6) Der Begriff des objektiven Geistes ermög- im engen Sinne des »formellen Rechts« und Mo-
licht die einheitliche, Recht, Moralität und Sitt- ralität sind hingegen »beide Abstracte, deren
lichkeit übergreifende Deutung des gesellschaft- Wahrheit erst das Sittliche ist, Einheit der Sub-
lichen Lebens. Dessen Wissenschaft ist deshalb jectivität und des Begriffs des Willens.« (Ig 3.182)
eine – freilich in sich differenzierte – »Einheits- Es ist für Hegel deshalb ein Anzeichen einer
wissenschaft«. Sie zerfällt nicht in Ethik einer- historischen Verfallsform, wenn die Formen der
seits und Rechtsphilosophie andererseits wie Sittlichkeit primär als Formen des Rechts wahr-
heute – soweit man heute im Zuge der »Rehabili- genommen werden – im Übergang von der grie-
tierung der praktischen Philosophie« die Rechts- chischen zur römischen Antike nicht anders als in
philosophie nicht ohnehin vergessen hat. Und die der Aufklärung, die er ja ebenfalls als eine Epo-
Einheit von Recht, Moralität und Sittlichkeit, die che der »Verrechtlichung« beschreibt – obgleich
Hegel im Begriff des objektiven Geistes denkt, ist er damals nur den Beginn dieses Prozesses der
nicht etwa dadurch erkauft, daß er nun seiner- Verrechtlichung erlebt hat, der sich bis in unsere
seits die Ethik vergessen hätte. Er hat seine »Phi- Gegenwart mit beschleunigter Dynamik fortsetzt
losophie des objektiven Geistes« auch als Nach- und wohl weiter fortsetzen wird.
folgedisziplin der Ethik angelegt. Ihre Einbin- Mit dieser Differenzierung zwischen weitem
dung in den Kontext von Recht und sittlichen und engem Begriff des Rechts scheint Hegels
Institutionen läßt sich allenfalls temporär, metho- Sprachgebrauch sehr flexibel zu sein – doch läßt
disch suspendieren, aber nicht folgenlos igno- sich gegen ihn einwenden, daß die Ausweitung
rieren. des Rechtsbegriffs – als des »Daseyns der Frei-
Innerhalb der Sphäre des objektiven Geistes heit« – bis auf die Weltgeschichte seinen Gehalt
lassen sich die Differenzen zwischen den Sphä- doch allzusehr verdünne. Der enge Begriff des
ren »Recht« und »Moralität« oder »Moralität« und »formellen« oder »juristischen« oder »bürgerli-
»Sittlichkeit« präzise angeben. Etwas verwirrend chen« Rechts hingegen dürfte eher zu eng gefaßt
mag hingegen das Verhältnis von »Recht« und sein – zumal Hegel unter dem Titel »abstraktes
»Sittlichkeit« erscheinen, da Hegel den Terminus Recht« auch nur allgemein naturrechtliche bzw.
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 369

vernunftrechtliche Bestimmungen aus der A b s t r a c t i o n oder A l l g e m e i n h e i t«, nega-


Sphäre des Privatrechts und des Strafrechts ab- tive Freiheit, als auch » B e s t i m m e n und Setzen
handelt, nicht hingegen das Öffentliche Recht. einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegen-
Hegels systematischen Intentionen wie auch dem stands« (§ 5 f.). Und sie ist die einzige Quelle von
thematischen Umfang der Grundlinien entspricht Bestimmtheit – nicht ein Wissen von einem sitt-
deshalb der Titel »Philosophie des objektiven lich Guten oder vom Sittengesetz, das anderwei-
Geistes« weit besser als der Titel »Rechtsphiloso- tig seinen Ursprung und seinen Geltungsgrund
phie«. Denn alle Phänomene, die hier ihren Ort hätte, sei es in einer an sich vorhandenen Ideen-
haben, sind fraglos »objektiver Geist«. welt, sei es im göttlichen Ratschluß. Sie ist viel-
Literatur: Hans Welzel: Naturrecht und materiale Ge-
mehr selber das Prinzip, die begründende Instanz
rechtigkeit. Göttingen 4 1980; Karl-Heinz Ilting: Natur- solcher Rede vom sittlich Guten. Und als ein
recht und Sittlichkeit. Begriffsgeschichtliche Studien. solches Prinzip ist Freiheit Selbstgesetzgebung,
Stuttgart 1983. Autonomie – ein Begriff, der zwar seiner spezi-
fisch Kantischen Konnotationen wegen bei Hegel
zurücktritt, jedoch keineswegs von ihm wider-
9.5.3. Freiheit und Notwendigkeit
rufen, sondern konkreter bestimmt wird.
(1) Der andere Hegels Rechtsphilosophie tra- Doch wendet Hegel sich gegen Kants Freiheits-
gende Begriff ist bereits angesprochen worden: begriff, insofern auch bei Kant – wie in der
der Begriff der Freiheit. Eduard Gans ist der erste Naturrechtstradition bis zurück zu Hobbes – Frei-
gewesen, der die zentrale Bedeutung dieses Be- heit als eine ursprünglich vorhandene und
griffs herausgehoben hat. Im Vorwort zu seiner schrankenlose, etwa in einem »Naturzustand«
Neuausgabe der Grundlinien schreibt er, dieses vorgestellte Qualität des Willens gedacht wird,
ganze Werk sei »aus dem einen Metalle der Frei- die erst nachträglich, beim Eintritt in den gesell-
heit errichtet«. Die Freiheit – freilich »nicht jene schaftlichen Zustand, eingeschränkt würde. Ein
subjektiv-laute, jene enthusiastisch und raketen- solcher Begriff einer zunächst schrankenlosen
mäßig emporzischende, sondern vielmehr die zur Freiheit ist für Hegel jedoch nichts als eine un-
Sättigung, aber auch dadurch zu größerer Festig- wahre Abstraktion – und zudem mit bedenkli-
keit gediehene« Freiheit – sei nicht bloß das chen Nebenwirkungen, weil sie das rechtlich ge-
»Grundelement« dieses Werkes, sondern sein regelte menschliche Zusammenleben als einen
»einziger Stoff« (W VIII.Xf.). Es ist, als ob Gans defizienten Zustand erscheinen läßt. Hegel hin-
hier an ein Wort aus Hegels letzter Vorlesung – gegen denkt Freiheit stets als das Verhältnis freier
zudem über Rechtsphilosophie – anknüpfte: »Die Willen zu einander – oder mit dem heutigen
Freyheit ist das Innerste, und aus ihr ist es, daß Begriff, der so oft gegen ihn eingeklagt wird:
der ganze Bau der geistigen Welt hervorsteigt.« Freiheit ist stets als »intersubjektiv« vermittelt zu
(Ig 4.925) denken.
Diesen Begriff der Freiheit als des »Innersten« (2) Aus dieser Freiheit steigt der ganze Bau der
setzt die Rechtsphilosophie aus der Philosophie geistigen Welt empor – nicht allein die Welt des
des subjektiven Geistes voraus. Diese entfaltet gesellschaftlich-politischen Lebens, sondern
den Begriff des Willens als des »freien Willens« – ebenso die Welt des »absoluten Geistes«. Und
und im Kontext der Rechtsphilosophie greift He- diese Genese der geistigen Welt setzt keineswegs
gel einleitend auf diesen vorausgesetzten Begriff voraus, daß das Subjekt sich als das letzte Prinzip
zurück (Grundlinien, §§ 1–32). Den Begriff des alles Erkennens und Wollens und als dasjenige
freien Willens sieht Hegel unzertrennlich mit weiß, das diesen Bau aufführt. Sie kann sich
dem Begriff des Subjekts verknüpft – eines Sub- ebensosehr einer Freiheit verdanken, die ihrer
jekts, das nicht teils ein denkendes, teils ein selbst nicht bewußt, vielleicht in einem Miß-
wollendes ist, sondern in seiner Unteilbarkeit verständnis ihrer Autonomie begriffen ist. Denn
denkend und wollend zugleich. Die Freiheit ist alles, was sich in der Welt des Geistes findet, ist
deshalb »das Innerste«, weil sie ein konstitutives ein nicht-Natürliches und auch ein nicht ander-
Moment von Subjektivität überhaupt ausmacht. weitig dem Subjekt Gegebenes. Es ist durch die-
Sie ist sowohl Aufheben von Bestimmung, ses selbst, also durch seine Freiheit hervorge-
»schrankenlose Unendlichkeit der a b s o l u t e n bracht, durch den an sich freien Willen und die
370 II. Werk

freie Erkenntnis – und auch dort, wo das Subjekt überhaupt. Hegel hat es in seiner Rechtsphiloso-
dieses Produkt seiner Freiheit als deren Ein- phie nur erstmals in seiner Schärfe erkannt und
schränkung erfährt. ausgesprochen. Deshalb mag seine Lösung zwar
Auch das Recht begreift Hegel als Verwirkli- als widersprüchlich erscheinen – doch dürften
chung, als Dasein der Freiheit – zumindest einer sich diese vermeintlichen Widersprüche als in
formalen Freiheit. Denn alles Recht hat seinen der Sache selber liegend erweisen, wenn man die
Geltungsgrund im freien, das Recht setzenden Frage stellt, worauf denn »Sittlichkeit« überhaupt
Willen; es gibt kein Recht, das gleichsam in der beruhe.
Natur oder in einem göttlichen Ratschluß be- Diese Frage läßt sich durch einen kurzen Rück-
gründet und nicht aus dem freien Willen der blick leicht beantworten. Für das ältere Natur-
rechtsetzenden Subjekte hervorgegangen wäre. recht hat sie sich nicht gestellt – denn sie war
Alles Recht entspringt aus Freiheit – auch wenn immer schon in doppelter Weise beantwortet:
diese Freiheit bekanntlich nicht immer die all- Die Gestalten der Sittlichkeit – Familie und Staat
gemeine Freiheit aller Rechtsgenossen ist. Zum – galten entweder als durch göttliche Anordnung
wirklichen Dasein der Freiheit wird das Recht begründet oder als Gestalten, die »von Natur«
deshalb erst, wo es im allgemeinen Willen der sind. Da aber diese »Natur« im christlichen
Rechtsgenossen gründet. Um dieser Allgemein- Denkraum stets als von Gott geschaffene, wenn
heit willen ist rechtliche und politische Freiheit auch vielleicht als gefallene Natur gedacht wor-
nur dann wirkliche Freiheit, wenn sie die Be- den ist, laufen beide Antworten letztlich auf eine
sonderheit ausschließt oder, anders formuliert, hinaus. Heute ist es fast unmöglich sich auch nur
wenn sie nicht nur meine Freiheit, sondern zu- vorzustellen, welche ungeheure Macht diese An-
gleich die Freiheit des Anderen ist. So ließe sich nahme bis ins 17. Jahrhundert über die Gemüter
für den ganzen Bau der geistigen Welt der Nach- gehabt hat.
weis nicht nur andeuten, sondern wirklich füh- Entsprechend radikal ist der Umbruch, den das
ren, daß er aus der Freiheit hervorgegangen sei – Naturrecht der frühen Neuzeit vollzieht: Recht
auch wenn er zunächst als ein Natürliches, Posi- und Sittlichkeit beruhen auf dem freien Willen –
tives, die Freiheit Behinderndes erscheint. und da dieser freie Wille in der Realität als
(3) Es dürfte sich schwerlich eine andere Philo- Vielzahl von freien, zumal von konfligierenden
sophie finden lassen, die mit einer vergleich- Willen auftritt, wird dieses Fundierungsverhält-
baren Emphase, aber auch Plausibilität das Ganze nis als Vertrag gedacht. Der Vertragsgedanke
der geistigen Welt als aus Freiheit hervorgegan- dient der Begrenzung, aber auch der Legitima-
gen versteht. Und doch sieht Hegel nicht allein tion staatlicher Macht – aber er dient ebenso der
diese Seite des Hervorgangs aus Freiheit – er hypothetischen, wenn auch nicht der historischen
entdeckt in ihm zugleich die Notwendigkeit. Das Erklärung ihrer Genese. Denn nur unter der An-
Hervorgehen aus Freiheit gehorcht selber einer nahme, daß Familie und Staat ihren Ursprung im
internen Notwendigkeit. Die Signatur von Hegels freien Willen haben, kann der freie Wille als
Philosophie des objektiven Geistes liegt erst in kritische Legitimationsinstanz bestehender Ver-
dem Zugleich beider Seiten – der Freiheit u n d hältnisse fungieren. So lange die gesellschaft-
der Notwendigkeit – und in der spezifischen lichen Verhältnisse als im Willen Gottes oder in
Form ihrer Verknüpfung: Die Notwendigkeit, die der »Natur« begründet gelten, ist der freie Wille
dem Bewußtsein der Freiheit entgegenzustehen rechtlos: Er kann nur das legitimieren oder auch
scheint, ist selber die Notwendigkeit der Ent- verwerfen, was den Grund seiner Wirklichkeit in
wicklung der Freiheit. ihm selbst hat.
Es mag widersprüchlich erscheinen, von einer Die epochale Leistung der Vertragstheorie
»Logik«, von einer »Notwendigkeit« des freien steht außer allem Zweifel – doch dies enthebt sie
Willens zu sprechen. Doch trotz naheliegender nicht jeglicher Kritik. Zur Zeit Hegels ist sie
Bedenken hat diese Formulierung einen guten primär aus politischen Gründen verworfen wor-
Sinn, und das durch sie bezeichnete Problem ist den, als geistige Wegbereitung der Französischen
keineswegs nur ein internes Problem der Rechts- Revolution – und gerade dies empfiehlt sie den
philosophie Hegels: Es ist ein zentrales Problem heutigen Interpreten, als eine den Liberalismus
der Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse begünstigende Theorie. Gleichwohl darf dies
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 371

nicht über ihre, von Hegel aufgedeckte Insuffi- bloße Rückkehr zum griechischen Gedanken des
zienz hinwegtäuschen: Die Vertragstheorie macht Primats der gesellschaftlichen Verhältnisse vor
die Gestalten der Sittlichkeit zum direkten Pro- dem Willen des Einzelnen. Es geht ihm vielmehr
dukt bewußt vollzogener freier Willensakte – – in der Rechtsphilosophie wie in den anderen
zum Produkt beliebiger Disposition, wenn nicht Realphilosophien – um eine völlig neue Einsicht
gar der Willkür im pejorativen Sinne. Und damit in ein systematisches Grundproblem: Recht und
schießt sie gleichsam über ihr Ziel hinaus. Denn Sittlichkeit sind ihrem Begriff nach »selbstbe-
auch wenn alle Gestalten der Sittlichkeit und alle wußte Freiheit« – aber eine selbstbewußte Frei-
Formen des Rechts durch den freien Willen be- heit, die zur »Natur« oder zur »Welt« geworden ist
stehen, so verdanken sie die Form dieses Beste- (3§ 430, Grundlinien § 142). Sittlichkeit i s t Frei-
hens keineswegs bewußt vollzogenen Willens- heit, die sich zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet
akten, sondern einer hinter diesen Akten agie- (3§ 484). Doch wenn sich die selbstbewußte Frei-
renden Notwendigkeit. heit zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet, unter-
Bereits Kant hat in seiner Rechtslehre auf einen liegt sie einer internen Logik, einer ihr nicht
Aspekt dieser Schwäche der Vertragstheorie hin- verfügbaren Notwendigkeit. Was ist dann aber
gewiesen: Es steht keineswegs zur Disposition mit der Behauptung gesagt, daß die F r e i h e i t –
der Vertragspartner, ob sie beschließen, aus dem und nicht etwa die Natur – sich zur Welt der
Naturzustand in den bürgerlichen Zustand über- Sittlichkeit gestalte? Denn diese interne Logik
zugehen. Falls die Vertragspartner einmütig be- der Ausbildung und Umbildung gesellschaftli-
schlössen, im Naturzustand zu verharren, täten cher Strukturen und Institutionen kann aus dem
sie zwar nicht einander Unrecht, aber doch Un- Gedanken der Freiheit, des seiner selbst bewuß-
recht überhaupt, »weil sie dem Begriff des Rechts ten und die Freiheit wollenden freien Willens
selber alle Gültigkeit nehmen« – denn die Forde- nicht konstruiert, sondern allein aus wirklichen
rung, aus dem Naturzustand herauszugehen und Verhältnissen durch die Rechtsphilosophie re-
eine das Recht verwaltende bürgerliche Gesell- konstruiert werden. Dann wird deutlich, daß
schaft (im traditionellen Sinne dieses Ausdrucks) diese Notwendigkeit nichts der selbstbewußten
zu bilden, ist eine kategorische Forderung (AA Freiheit Fremdes, sondern ihre eigene Notwen-
VI.307 f.). Hier wie auch in einigen anderen Par- digkeit ist.
tien seiner Metaphysik der Sitten deutet Kant Diese Rekonstruktion hat keineswegs allein
Vernunftstrukturen an, die tiefer liegen als der philosophisch-systematisches Interesse; sie hat
Wille der vertragschließenden Parteien – ohne zugleich eine eminent politische Seite, indem sie
damit die prinzipiellen Einsichten der neuzeit- bewußt macht, daß die Gestalten der Sittlichkeit
lichen Vertragstheorie in Frage zu stellen. Aller- und ihre abstrakte Formulierung durch das Recht
dings hat diese Forderung – als ein Sollen – bei selber Produkte des freien Willens sind. Der
ihm noch einen äußeren, gleichsam moralischen revolutionäre Elan, solche institutionellen For-
Charakter; es handelt sich hier nicht um den men schon deshalb zu zerbrechen, weil sie etwas
Nachweis einer immanenten Logik. Die Signatur dem freien Willen Entgegenstehendes sind, be-
der Rechtsphilosophie Hegels hingegen liegt weist deshalb nur das Selbstmißverständnis der
darin, daß er diese Problematik der inneren Lo- Freiheit, als sei nur d a s ihr Produkt, was aus
gik des freien, sich objektivierenden Willens und bewußten Akten entspringt, nicht hingegen das
ihrer Stellung zum Selbstbewußtsein der Freiheit Resultat ihres unbewußten Produzierens. Daß sie
erstmals ins Bewußtsein hebt. solche Resultate einer internen Logik der Entfal-
Es ist Hegel oft zum Vorwurf gemacht worden, tung der Freiheit sind, lehrt bereits die negative
daß er der neuzeitlichen Vertragstheorie wenig Überlegung, daß sie gar keinen anderen Ur-
Bedeutung zumesse. Doch folgt dies sehr kon- sprung haben können – sie sind ja nicht »von
sequent aus seiner Einsicht, daß das gesellschaft- Natur«. Die »Natur«, von der sie sind, ist lediglich
liche Leben, die Sittlichkeit, durch eine interne die Natur des Geistes selber, also seine imma-
Logik strukturiert werde, die nicht durch den nente Logik – und es ist die entscheidende Frage,
Rückgang auf den Vertragsgedanken oder auf den wieweit Freiheit sich in dieser Logik selber er-
abstrakt-freien Willen expliziert werden kann. kennen kann.
Hegels neue Einsicht ist aber auch nicht eine Bei diesem Doppelcharakter von Sittlichkeit
372 II. Werk

und Recht handelt es sich nicht etwa um eine gesellschaftlichen Verhältnisse könnte stets durch
Idiosynkrasie, die sich aus irgend welchen selbst den freien Willen aufgehoben werden – und den-
auferlegten Zwängen des Hegelschen Systems noch ist es diese Notwendigkeit, die den freien
oder aus seiner angeborenen Sehnsucht nach Wi- Willen in ihren Dienst zwingt – die eher ihn
dersprüchen ergäbe. Es handelt sich um das Re- aufhebt als er sie.
sultat seines Blicks auf die spannungsvolle in- Angesichts der Radikalität dieser Einsicht muß
terne Verfassung menschlichen Zusammenle- ein oft vorgetragener Einwand als oberflächlich
bens, in dem er eine wichtige Problemschicht des abgetan werden: daß Hegel den Wert des In-
gesellschaftlichen Lebens sehr treffend analy- dividuums mißachte, weil nach ihm die Freiheit
siert: Alle Gestalten und Formen des gesellschaft- als das Objektive, als »Kreis der Nothwendigkeit«
lichen Lebens gehen aus subjektiver Freiheit her- der sittlichen Mächte das Leben der Individuen
vor. Doch wenn der Bau der geistigen Welt aus ihr regiere und diese Individuen nur die erschei-
emporsteigt, wenn Freiheit in gesellschaftlichen nende Gestalt und Wirklichkeit der objektiven
Institutionen zu »Natur« wird, dann gehorcht die- sittlichen Mächte seien. Dies ist in der Tat ein
ser Bau einer nicht aus dem bloßen Freiheits- häufig ausgesprochenes Resultat Hegels (Grund-
gedanken verständlich zu machenden immanen- linien, § 145) – aber es reicht nicht aus, auf eine
ten Logik, und diese Logik kann geradezu als derartige Analyse mit Verunglimpfung zu rea-
Unfreiheit gegen Freiheit in Erscheinung treten. gieren, sie moralisch zu verteufeln. Es kommt
Selbst diejenige Freiheit, die die Freiheit will, allein darauf an, ob dieses Resultat zutreffe, und
generiert im Akt ihrer Objektivierung gemäß de- nicht, ob es erwünscht sei.
ren interner Logik notwendige Verhältnisse, die Hegel selbst hat seine Einsicht in die Spannung
sogar als ein »stahlhartes Gehäuse« erfahren wer- zwischen dem Selbstbewußtsein der Freiheit und
den können, das Freiheit zu ersticken droht. Dies der Notwendigkeit der objektivierten Freiheit
gilt für die Gestalten der Sittlichkeit ebenso wie keineswegs als bedrohlich empfunden – er ist
für das Recht, das die sittlichen Beziehungen überzeugt, daß die subjektive und die objektive
regelt. Vernünftigkeit sich vermitteln würden, weil diese
Damit ist das entscheidende Problem der objektive Seite selbst die Explikation der Idee der
Rechtsphilosophie Hegels und jeder philosophi- Freiheit sei. Und die Wirklichkeit der Freiheit
schen Thematisierung des gesellschaftlichen Le- schien ihm in der objektiven Logik ihrer Entfal-
bens exponiert: Wieweit sind die – aus Freiheit tung besser bewahrt als in subjektiven Akten.
hervorgegangenen – Strukturen der Sittlichkeit Heute freilich verdünnt sich diese von Hegel
noch dem freien Willen zuzurechnen, wieweit gehegte Überzeugung zur bloßen, kaum mehr
stehen sie ihm zur Disposition, und wieweit blok- gehofften Hoffnung. Denn was berechtigt noch zu
kieren sie eben die Freiheit, aus der sie hervor- der Annahme, daß die interne Logik der Sittlich-
gegangen sind? Oder anders gefragt: Wie weit keit tatsächlich eine Logik der Freiheit sei, wenn
lösen sich die Gestalten der Sittlichkeit und die sie nicht aus dem seine Freiheit wollenden Wil-
Formen des Rechts auf Grund ihrer internen len begriffen werden kann?
Logik von ihrer Herkunft aus Freiheit ab? Und (4) An diese Frage nach dem Verhältnis von
wenn sie zwar aus Freiheit entspringen, aber in Freiheit und Notwendigkeit schließt sich noch
ihrer Entwicklung ihrer inneren Logik folgen: ein Folgeproblem: Wie verändert sich der Status
Wie weit sind sie dann noch durch Freiheit regu- von »Normen«, wenn gesellschaftliche Verhält-
lierbar? Genau hier liegt das von Hegel heraus- nisse durch ihre interne Logik gesteuert werden
gearbeitete Problem – und ebensosehr das Pro- und die Kluft zwischen dieser internen Logik und
blem gegenwärtiger Politik: Der »Natur der Sa- dem freien, seine Freiheit wollenden Willen sich
che«, die aus der Freiheit hervorgegangen ist, zusehends zu verbreitern scheint? Denn der Be-
steht das Bewußtsein der Freiheit entgegen griff der Norm verändert sich, wenn ihr Grund
(Grundlinien, § 144), das sich in dieser aus ihr nicht mehr der selbstbewußte freie Wille ist,
selbst hervorgegangenen »Natur der Sache« oft sondern der objektivierte, in den »Kreis der
genug nicht mehr erkennt – vergleichbar dem Nothwendigkeit« gebannte Wille. Hier scheint
Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht sich ein Umschlag von der sittlichen Norm zur
mehr zu bannen weiß. Die Notwendigkeit der »Normativität des Faktischen« abzuzeichnen.
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 373

Hegel ist sich dieses Problems wohl bewußt folgenden Vorlesungen und auch nicht in den
gewesen – doch hat er auf Grund seiner Über- Grundlinien. Seit der Enzyklopädie (1817) bleibt
zeugung von der Einheit der beiden für uns zu- seine Konzeption konstant – doch ihre Entste-
nehmend auseinanderfallenden Seiten angenom- hung liegt im Dunkeln. Die Jenaer Entwürfe sind
men, daß es lösbar sei. Deshalb oszilliert sein noch durch eine weite Distanz von ihr getrennt,
Begriff von »Sittlichkeit« zwischen Norm und und auch im Nürnberger »System der besonderen
Deskription. Den normativen Charakter der Sitt- Wissenschaften« (1810/11) deuten sich allenfalls
lichkeit sucht Hegel bereits durch die Herkunfts- in den späten Korrekturen (1814/15) der Begriff
geschichte dieses Begriffs sicherzustellen: Die des objektiven Geistes (der hier noch zunächst
»systematische Entwickelung des Kreises der sitt- »Geist in seiner Realisirung«, sodann »realer
lichen Nothwendigkeit« sei die »ethische Pflich- Geist« genannt wird (GW 10.341 bzw. 359–362))
tenlehre« – freilich eine »ethische Pflichten- und die Systemform der Philosophie des ob-
lehre«, »wie sie o b j e k t i v ist, nicht in dem lee- jektiven Geistes in vagen Umrissen an – zumal
ren Princip der moralischen Subjektivität befaßt das Verhältnis des »praktischen Geistes« zum
seyn soll«. Hegel spricht somit der Entwicklung »realen Geist« hier noch nicht geklärt ist (s. 212).
der objektiven Bestimmungen der Sittlichkeit Manifest werden Begriff und Systemform erst in
normativen Charakter zu – wenn er auch anfügt, der Enzyklopädie.
er wolle im Folgenden auf den eigentlich jeweils Es ist der Hegel-Forschung bisher nicht zum
anzufügenden Nachsatz »also ist diese Bestim- Problem geworden, daß von den unterschiedli-
mung für den Menschen eine Pflicht« verzichten. chen Disziplinen des Einen Systems auch nicht
Eine nicht-philosophische Sittenlehre nehme ih- zwei dieselbe Systemform aufweisen. Eine der
ren Stoff aus den vorhandenen Verhältnissen, Erhellung der einzelnen Abschnitte vorgeordnete
hingegen: »Eine immanente und konsequente Aufgabe der Interpretation besteht somit darin,
Pflichtenlehre kann aber nichts anders seyn, als diese Systemform aus dem Begriff der jeweiligen
die Entwickelung d e r Ve r h ä l t n i s s e , die Disziplin zu gewinnen – wenn man sich nicht mit
durch die Idee der Freyheit nothwendig, und der Lösung begnügen will, daß sie sich traditio-
daher w i r k l i c h in ihrem ganzen Umfange, im nellen Vorgaben, empirischer Bedingtheit oder
Staat sind.« (Grundlinien, § 148) Der normative gar zufälligen Funden und Entscheidungen ver-
Charakter der »Entwickelung d e r Ve r h ä l t - danke.
n i s s e« gründet somit allein in der von Hegel (2) In den Enzyklopädien gewinnt Hegel die
festgehaltenen Überzeugung, daß diese Verhält- Einteilung der Philosophie des objektiven Gei-
nisse »durch die Idee der Freyheit nothwendig« stes auf unterschiedliche Weise: In der ersten
seien. Deshalb schwindet er in eben dem Grade, Ausgabe geht er aus vom einzelnen Willen als
als die Überzeugung schwindet, daß die vor- Wissen des Begriffs des absoluten Geistes, »der
handenen Verhältnisse »durch die Idee der Frey- seinen Inhalt und Zweck ausmacht und dessen
heit nothwendig« seien. Die normative Theorie nur formelle Thätigkeit er ist. – Diese Identität 1)
geht dann in eine deskriptive über; die sittliche als einfacher unmittelbarer B e g r i f f ist das
Notwendigkeit der Verhältnisse pervertiert in R e c h t ; 2) als Reflexion oder Urtheil die M o r a -
faktischen Zwang. l i t ä t; 3) als ihrem Begriffe gemäße Realität, oder
die Totalität des S c h l u s s e s , die S i t t l i c h -
k e i t .« (1§ 401) In den beiden späteren Ausgaben
9.5.4. Systemform der Philosophie
bezieht er die Dreiheit von Recht, Moralität und
des objektiven Geistes
Sittlichkeit zurück auf die Dreiheit des unmittel-
(1) Bereits in der Enzyklopädie (1817) skizziert baren, des in sich reflektierten und des sub-
Hegel den Grundriß einer »Philosophie des ob- stantiellen Willens (3§ 487) – in Anlehnung an
jektiven Geistes« – wenn auch deutlich weniger § 33 der Grundlinien.
detailliert als denjenigen der »Philosophie des Als Strukturprinzip nennt Hegel dort die »Ent-
subjektiven Geistes«. Diesen Grundriß hat Hegel wicklung der Idee des an und für sich freyen
in seiner Heidelberger Vorlesung über »Natur- Willens« – wobei er das dritte Moment gegen-
recht und Staatswissenschaft« konkretisiert, aber über den ersten ausdrücklich als » E i n h e i t und
nicht mehr abgeändert, und ebensowenig in den Wa h r h e i t dieser beyden abstracten Momente«
374 II. Werk

begreift: »die gedachte Idee des Guten realisirt in dürfte nicht allein darin begründet sein, daß er
dem in sich r e f l e c t i r t e n W i l l e n und in ä u - durch provozierende Formulierungen selbst die
ß e r l i c h e r We l t ; – so daß die Freyheit als die Rezeption auf das politische Gleis gelenkt hat (s.
S u b s t a n z eben so sehr als W i r k l i c h k e i t und 274), sondern ebenso darin, daß der so eindring-
N o t h w e n d i g k e i t existirt, wie als s u b j e c t i - liche Rückverweis auf die Logik als Grundlage
v e r Wille; – die I d e e in ihrer an und für sich nicht so konkretisiert ist, daß wenigstens die
allgemeinen Existenz; die S i t t l i c h k e i t .« Zur Systemform, wenn nicht gar die Struktur des
Rechtfertigung dieser Einteilung verweist Hegel Details aus der Logik begriffen werden könnte:
in der Anmerkung zu § 33 auf seine »speculative »Nach der Darstellung des abstrakten Rechts ver-
Logik«. Doch deren Darlegung, daß ein »Inhalt, schwinden Hegels eigene Hinweise auf logische
der erst seinem B e g r i f f e nach oder wie er a n Begriffe und Gestaltungen quasi total. Auch bei
s i c h ist, gesetzt ist, die Gestalt der U n m i t t e l - den Übergängen, wo Hegel jedesmal die Logik
b a r k e i t oder des S e y n s hat«, kann weder die erwähnt, gibt er nie die genauen logischen Be-
Zuordnung der Sphären des Rechts und der Mo- stimmungen« (de Vos 1981, 119 f.).
ralität hinlänglich begründen noch gar die Sy- (3) Es dürfte aber ohnehin vergebens sein, die
stemform der Rechtsphilosophie insgesamt be- Fundierungsfunktion der Logik für die Rechts-
greiflich machen – was von Hegels Wissen- philosophie – oder jede beliebige andere Dis-
schaftsverständnis her jedoch gefordert ist. Des- ziplin des Systems – so geradewegs im unmittel-
halb beruft er sich bereits in der »Vorrede« auf die baren Rückbezug auf Strukturen der Logik und
Logik: »Die Natur des speculativen Wissens habe nicht vielmehr auf die immanente Logik des spe-
ich in meiner W i s s e n s c h a f t d e r L o g i k , aus- zifischen Gegenstandes erweisen zu wollen.
führlich entwickelt; in diesem Grundriß ist Schon die sehr unterschiedliche Anlage eng be-
darum nur hie und da eine Erläuterung über nachbarter Disziplinen wie der Ästhetik und der
Fortgang und Methode hinzugefügt worden. Bey Religionsphilosophie zeigt die mögliche Varia-
der concreten und in sich so mannichfaltigen tionsbreite in der Systemform geistesphilosophi-
Beschaffenheit des Gegenstandes ist es zwar ver- scher Disziplinen.
nachläßigt worden, in allen und jeden Einzeln- In den religionsphilosophischen Vorlesungen
heiten die logische Fortleitung nachzuweisen und (1827) formuliert Hegel einmal ein verbindliches
herauszuheben; theils konnte diß, bey vorausge- Schema einer solchen allgemeinen Systemform:
setzter Bekanntschaft mit der wissenschaftlichen Es sei »immer der Gang in aller Wissenschaft:
Methode für überflüssig gehalten werden, theils zuerst der Begriff, dann die Bestimmtheit des
wird aber es von selbst auffallen, daß das Ganze Begriffs, die Realität, Objektivität und endlich
wie die Ausbildung seiner Glieder auf dem logi- dies, daß der erste Begriff sich selbst Gegenstand
schen Geiste beruht. Von dieser Seite möchte ich ist, für sich selbst ist, sich selbst gegenständlich
auch vornehmlich, daß diese Abhandlung gefaßt wird, sich zu sich selbst verhält.« (V 5.177, vgl. V
und beurtheilt würde. Denn das, um was es in 3.83 f.) Doch obgleich er diese Abfolge von Be-
derselben zu thun ist, ist die W i s s e n s c h a f t , griff, Geschichte und vollendeter Gestalt hier für
und in der Wissenschaft ist der Inhalt wesentlich die »Wissenschaft« überhaupt proklamiert, ge-
an die F o r m gebunden.« (GW 14.6) staltet er die einzelnen Wissenschaften seines
Der Ort dieses nachhaltigen Rekurses auf das Systems keineswegs in dieser Form. Nach diesem
logische Fundament der Rechtsphilosophie – die Modell der systemeinheitlichen Folge von Be-
»Vorrede« zu den Grundlinien – läßt vermuten, griff, Geschichte und vollendeter Gestalt wäre
daß ihm neben der wissenschaftlichen Funktion die Rechtsphilosophie anders zu entwerfen: als
zugleich eine politische zukomme: den wissen- Exposition des Begriffs des objektiven Geistes,
schaftlichen und insofern nicht an den tages- seiner Geschichte und seiner Vollendungsge-
politischen Ereignissen orientierten Charakter stalt.
des Buches zu betonen. Freilich ist Hegel der Der berechtigte Sinn dieser Konzeption liegt
Mißerfolg dieser Absicht nicht verborgen geblie- darin, daß alle Gestalten des Geistes geschicht-
ben; am 18.7.22 schreibt er an Niethammer: »Am liche Gestalten, und somit durch eine geschicht-
schlechtesten aber kommt man mit Begriffen und lich fortschreitende Explikation ihres Inhalts cha-
Vernunft über Materien des Staats an«. Dies rakterisiert sind. Daß dies in ersten Ansätzen
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 375

schon für den subjektiven Geist gilt, hat Hegel Ausgangspunkt seiner Rechtsphilosophie bildet.
noch nicht berücksichtigt. Für die Sphäre des Denn nur so, im Kontext einer geschichtlichen
objektiven gilt es jedoch nicht weniger als für die Entfaltung des Freiheitsbegriffs, kann der Gegen-
des absoluten Geistes. Doch anders als in dessen satz zwischen dem normativen Gehalt seiner Be-
Abhandlung hat Hegel in die Rechtsphilosophie griffsentwicklung, die Vernunftgehalte zu expli-
kein geschichtliches Element eingefügt – ob- zieren (Grundlinien, § 3), und der Faktizität von
gleich die geschichtliche Prägung dieser Begriffe Rechtsordnungen und -systemen vermittelt wer-
von Beginn an gegenwärtig ist: Hegel betont etwa den.
den geschichtlichen Charakter selbst der Begriffe (5) Wahrscheinlich ist es eine spezifische wis-
des »abstrakten Rechts«, wie der Person und des senschaftsgeschichtliche Konfrontation gewesen,
Eigentums, und insbesondere die Geschichtlich- die Hegel davon abgehalten hat, der Rechtsge-
keit der anderen Begriffe, sowohl im Abschnitt schichte den Rang einzuräumen, der ihr nicht
über die »Moralität« als auch über die »Sittlich- allein von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus
keit«, deren geradezu zeitgeschichtliche Implika- gebührt, sondern der ihr auch von seinem eige-
tionen ja gleichsam mit Händen zu greifen sind. nen systematischen Ansatz her zukäme: die Kon-
Dennoch exponiert Hegel Recht und Moralität frontation mit der historischen Rechtsschule, mit
wie auch die sittlichen Institutionen Familie, bür- Gustav Hugo und Friedrich Carl von Savigny. Für
gerliche Gesellschaft und Staat als hierarchisch diese Erklärung spricht, daß diejenigen Partien,
geordnete Formen, aber nicht als geschichtliche in denen Hegel gänzlich unhegelisch zwischen
Gestalten. Sein Ansatz wirkt daher wie eine sta- begrifflicher und geschichtlicher Methode
tisch-vernunftrechtliche Exposition der gesell- schroff trennt, in eine Polemik gegen die histori-
schaftlichen Wirklichkeit. Und so sehr ihm die sche Rechtsschule eingebettet sind. Ihr wirft He-
Geschichte des Rechts und der Institutionen vor gel vor, daß sie die wahrhafte Rechtfertigung aus
Augen steht, so nachdrücklich schließt er ihre dem Begriff eingetauscht habe gegen »eine
Explikation aus seiner Rechtsphilosophie aus. Rechtfertigung aus Umständen«, daß sie das äu-
(4) Doch wenn das Recht das »Daseyn der ßerliche Entstehen mit dem Entstehen aus dem
F r e y h e i t« ist (Grundlinien, § 30), so ist die Begriff verwechsle und daß sie – entgegen ihrer
Geschichte des Rechts die Geschichte der Frei- Selbstbezeichnung als »historische« Rechtsschule
heit – ihrer fortschreitenden Verwirklichung. Das – vielmehr ganz unhistorisch denke und das
Emporsteigen der ganzen geistigen Welt aus der Recht von heute im Recht von gestern begründe,
Freiheit vollzieht sich ja nicht mit einem Schlag, auch wenn dieses durch die zwischenzeitliche
sondern als Geschichte, und eben auch als Änderung der gesellschaftlichen Situation obso-
Rechtsgeschichte. Diese hätte bereits mit Stadien let geworden sei (Grundlinien, § 3). Auch in den
anzusetzen, die noch vor einer weltgeschichtli- Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
chen Betrachtung im Sinne Hegels liegen: mit zeigt sich mehrfach dieser Konflikt: Hier heißt es,
der Herausbildung des Rechtsbegriffs – in der die Juristen muteten es einem zu, »das als ein
Ablösung des »ius« vom »fas«. Und sie hätte die Verstehen der Sache zu ehren, wenn sie anzuge-
geschichtliche Entwicklung aller Rechtsinstitute ben wissen, wie es vormals gehalten worden«
zu beschreiben – als Formen der sich verwirkli- (GW 18.85, V 6.73).
chenden Vernunft –, und fortzuschreiten etwa In diesen Vorlesungen wird aber auch deutlich,
über die Herausbildung der Begriffe der Zurech- daß Hegels Kritik an der historischen Rechts-
nung und der Verbindlichkeit und – heute über schule über das Ziel hinausschießt – wenn er der
Hegel hinausgehend – bis hin zur Ausbildung des Rechtsgeschichte allen normativen Charakter ab-
modernen Völkerrechts als einer vor dem 20. spricht und behauptet, der Geist sei in der
Jahrhundert ungekannten, eigentümlich struk- Rechtsgeschichte nicht bei sich. Daß die Rechts-
turierten Gestalt des Rechts. Denn nur, wenn die geschichte Partikularitäten enthält, wie ja auch
Herausbildung aller Rechtsinstitute und der poli- die Religionsgeschichte, so daß wir ja auch un-
tischen Institutionen als Formen der Verwirkli- sere Knie nicht mehr vor Jupiter beugen (V
chung der Vernunft begriffen werden, läßt sich 6.327), ist ja kein schlüssiges Argument. Letz-
der Konflikt von Vernunft und Geschichte über- teres wäre sonst ein Beleg zunächst dagegen, daß
winden, der geschichtlich und systematisch den der Geist in der Religionsgeschichte bei sich sei –
376 II. Werk

und dies hat Hegel doch schwerlich bestreiten Erfahrung zu nehmen. Hier dagegen (sc. in der
wollen. Zumindest hat die Differenz unseres Religionsphilosophie) hat sich die Bestimmtheit
heutigen Geistes, der den Kniefall verweigert, aus dem Begriff selbst zu ergeben.« (V 3.84)
und der früheren Religionen Hegel nicht davon Stimmte dies im Blick auf die Rechtsgeschichte,
abgehalten, die Religionsgeschichte als die Ver- so wäre es ein Einwand weniger gegen die
wirklichung des Begriffs der Religion in den Kon- Rechtsgeschichte als vielmehr gegen den Begriff
text seiner Religionsphilosophie einzubeziehen: des Geistes. Doch auch hier nennt Hegel keinen
Er gesteht also der Geschichte der Kunst, der Grund für seine Behauptung, daß der Geist als
Religion und der Philosophie zu, was er der objektiver, als Recht, ein anderes Verhältnis zu
Rechtsgeschichte verweigert. seiner Geschichte habe denn der Geist als ab-
Die Konfrontation mit der historischen Rechts- soluter, als Religion – und es läßt sich mit Hegel-
schule hat Hegel offenbar den Blick dafür ver- schen Mitteln auch nicht begründen. Er versi-
stellt, daß es zwischen einer von der Geschichte chert ja sonst mit Nachdruck, es sei jeweils nur
absehenden systematischen Entfaltung des e i n Prinzip, e i n Geist, der das gemeinschaft-
Rechtsbegriffs und der von Hegel verständlicher liche Gepräge der Religion, der politischen Ver-
Weise verworfenen bloß historischen Behand- fassung, der Sittlichkeit und des Rechtssystems
lung der Rechtsgeschichte noch einen dritten, ausmache (GW 18.196 f.). Dann aber kann in
den Weg eines philosophischen Begreifens der diesem e i n e n Geist kein Gegensatz von Ge-
Rechtsgeschichte gibt, und das heißt eben: den schichtlichkeit und Ungeschichtlichkeit stattfin-
Weg der philosophischen Rekonstruktion der den. Im Gegenteil: Wie für die Religionsphiloso-
Verwirklichung des Rechts. Diese Geschichte phie eine Philosophie der Religionsgeschichte
wird keineswegs durch die – in philosophischer unverzichtbar ist, die die Vernunft in der Religion
Perspektive wie auch im legitimatorischen Inter- zu erkennen weiß, und zwar auch in ihren zu-
esse freilich unzureichende – bloß historische nächst wenig vernünftig erscheinenden Gestal-
Behandlung der Rechtsgeschichte hinfällig – ten, so ist auch für die Rechtsphilosophie eine
ebensowenig wie die Religionsgeschichte durch Philosophie der Rechtsgeschichte unverzichtbar,
eine historische Betrachtung der Kirchenge- die die Rechtsgeschichte als Geschichte der Frei-
schichte hinfällig wird, die sich nur noch mit heit verstehen lehrt. Die gerade durch seinen
Äußerlichkeiten zu schaffen macht: die nur noch Ansatz ermöglichte und von ihm aus geforderte
die Daten der Konzilien kennt, auf denen irgend Rechtsgeschichte aber hat Hegel nicht abgehan-
welche Dogmen oder Organisationsstrukturen delt. Statt dessen hat er seine Rechtsphilosophie
der Kirche beschlossen worden sind (V 3.76 als eine formal vernunftrechtliche Konstruktion
u. ö.). Die scharfe Trennlinie, die Hegel zwischen entfaltet, welche die in seiner Konzeption imma-
der Methode der historischen Rechtsschule und nenten kontextualistischen und geschichtlichen
seinem eigenen Ansatz ziehen wollte, hat ihm Momente nicht mit den vernunftrechtlichen in
offensichtlich den Blick dafür verstellt, daß die Übereinstimmung bringt.
empirische Abhandlung der Rechtsgeschichte in (6) Allerdings enthält auch Hegels Rechtsphi-
einer philosophischen Ansprüchen nicht genü- losophie sehr wohl ein geschichtliches Moment:
genden Methode und nicht etwa in einer eigen- Sie gipfelt ja – nach Abhandlung des inneren und
tümlichen Verfaßtheit dieser Geschichte selber äußeren Staatsrechts – in einem Überblick über
ihren Grund habe. die Weltgeschichte. Doch die Weltgeschichte –
Dies läßt sich an einer Überlegung veranschau- wie Hegel sie im Anschluß an das »äußere Staats-
lichen, mit der Hegel die Rechtsgeschichte von recht« überraschend skizziert, als eine Geschichte
der Religionsgeschichte unterscheidet: »Es ist der Staaten (s. 402) – ist kein Äquivalent für die
hier (sc. in der Religionsphilosophie) nicht so, in der Systemform seiner Philosophie des ob-
wie wenn man z. B. das Recht empirisch ab- jektiven Geistes fehlende Rechtsgeschichte.
handelt. Die Bestimmtheiten der Rechtsge- Aus Hegels eigener Einsicht in den geschichtli-
schichte folgen nicht aus dem Begriff, sondern chen Charakter des »objektiven Geistes« und aus
man nimmt sie anderswoher. Da bestimmt man seinen programmatischen Formulierungen über
erst überhaupt, was Recht heißt; die bestimmten den Aufbau der Disziplinen seines Systems lassen
Rechte aber, das römische, deutsche sind aus der sich somit Argumente gewinnen, die diejenige
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 377

Systemform in Frage stellen, die er in der Enzy- geht in dieser ersten Sphäre aber auch nicht um
klopädie (1817) überraschend entworfen hat. Für dessen Abhandlung, sondern um eine systemati-
den Zweck der Strukturierung seines Vortrags sche Exposition der basalen Bestimmungen des
der Rechtsphilosophie mag sie ausreichend ge- freien Willens als eines noch »abstrakten« – und
wesen sein. Im Blick auf eine als »Wissenschaft« nicht in dem fiktiven Sinne, als ob dieser Wille
ausgeführte Philosophie des objektiven Geistes noch nicht in konkrete Lebenszusammenhänge
erscheint es jedoch als Nachteil, daß Hegel diese eingebettet wäre, sondern im Sinne eines Wil-
Konzeption nur wenig später »kanonisiert« und lens, bei dessen Betrachtung von dieser vorhan-
in den Grundlinien festgeschrieben hat – anders denen Verflechtung abstrahiert wird: Person –
als etwa in den religionsphilosophischen Vor- oder Persönlichkeit – ist »ein Selbstbewußtseyn
lesungen, deren Form er erst im Durchlaufen von sich als vollkommen abstractem Ich, in wel-
vieler Kollegien herausgearbeitet hat. Die ver- chem alle concrete Beschränktheit und Gültigkeit
wirklichte Systemform der Rechtsphilosophie er- negirt und ungültig ist.« »In der P e r s ö n l i c h -
schöpft aber keineswegs die Optionen, die von k e i t liegt, daß ich als D i e s e r vollkommen nach
seinem systematischen Ansatz für eine Philoso- allen Seiten […] bestimmte und endliche, doch
phie des objektiven Geistes zur Verfügung ste- schlechthin reine Beziehung auf mich bin und in
hen. der Endlichkeit mich so als das U n e n d l i c h e ,
Literatur: Gustav Hugo: Lehrbuch der Geschichte des
A l l g e m e i n e und F r e y e weiß.« (Grundlinien,
Römischen Rechts. Berlin 5 1815; Friedrich Carl v. Sa- § 35)
vigny: Über den Zweck dieser Zeitschrift. In: Zeit- Die »Person« zeichnet Hegel als »die selbst
schrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1815), abstracte Grundlage des abstracten und daher
1–12, in: Hans Hattenhauer (Hg.): Thibaut und Savigny. f o r m e l l e n Rechtes« aus (§ 36) – und indem er
Ihre programmatischen Schriften. München 1973, diesen Ansatzpunkt der Rechtsphilosophie mar-
261–268; Hans Friedrich Fulda: Das Recht der Philo-
sophie in Hegels Philosophie des Rechts. Frankfurt am
kiert, geht er deutlich über Kants Metaphysik der
Main 1968; Henrich / Horstmann (Hg.): Hegels Philo- Sitten hinaus. Um ihrer Allgemeinheit willen ist
sophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und Persönlichkeit mehr als bloßes konkretes, indivi-
ihre Logik. Stuttgart 1982, darin 393–427: Hans Fried- dualisierendes Selbstbewußtsein; in einer Welt,
rich Fulda: Zum Theorietypus der Hegelschen Rechts- in der das Selbstbewußtsein nicht zu dieser im
philosophie, 428–450: Dieter Henrich: Logische Form Personbegriff gedachten Allgemeinheit fortginge,
und reale Totalität. Über die Begriffsform von Hegels
eigentlichem Staatsbegriff; Lu de Vos: Die Logik der
gäbe es kein Recht – denn dieses richtet sich an
Hegelschen Rechtsphilosophie: eine Vermutung. HS 16 den einzelnen Willen als einen allgemeinen. Die
(1981), 99–121; Jaeschke: Die vergessene Geschichte Persönlichkeit ist deshalb das Prinzip der all-
der Freiheit. In: Hegel-Jb 1993/94, Berlin 1995, 65–73; gemeinen »Rechtsfähigkeit«.
Sandkaulen 2009: darin 284–301: Jaeschke: Genealogie Dennoch sieht Hegel, daß selbst dieser basale
des Rechts; 302–327: François Kervégan: Recht zwi- Begriff ein geschichtlicher Begriff ist: »Es ist
schen Natur und Geschichte.
wohl an die anderthalb tausend Jahre, daß die
F r e i h e i t d e r P e r s o n durch das Christenthum
zu erblühen angefangen hat und unter einem
9.5.5. Das abstrakte Recht
übrigens kleinen Theile des Menschenge-
(1) Es hat mehrfach zu Mißverständnissen Anlaß schlechts allgemeines Princip geworden ist.«
gegeben, daß Hegel den ersten Teil seiner (Grundlinien, § 62) Diese Herleitung ist sicher
Rechtsphilosophie unter den Titel »Das abstrakte nicht als eine erschöpfende Auskunft gemeint; sie
Recht« stellt – bis hin zur Ansicht, daß Hegel reduziert fraglos die im »Prinzip der s e l b s t -
unter diesem Titel das Römische Recht behandle, s t ä n d i g e n i n s i c h u n e n d l i c h e n Pe r s ö n -
das jedoch gerade kein abstraktes Recht, sondern l i c h k e it des Einzelnen« wirksamen geistigen
vielmehr »konkret« sei (Villey 1975, 145 f.). Doch Strömungen auf eine einzelne Tradition, unter
auch wenn Hegel sich hier mehrfach auf das Ausblendung insbesondere der römischen Tradi-
Römische Recht bezieht, beabsichtigt er keines- tion, die er an späterer Stelle selber hervorhebt
wegs dessen Darstellung. Ohnehin ist seine Be- (§ 185). Wichtiger ist, daß Hegel auch den Per-
grifflichkeit mehr am Naturrecht der Neuzeit, sonbegriff als einen Begriff thematisiert, der
insbesondere des 18. Jahrhunderts, orientiert. Es selbst erst geschichtlich zu Bewußtsein gebracht
378 II. Werk

werden muß. Dies bedeutet freilich nicht, daß es Einschränkung, daß zwar das Eigentum das Ver-
dort, wo er nicht in seiner Allgemeinheit gedacht nünftige, es jedoch zufällig sei, wieviel jemand
und in selbstbewußter Form ausgesprochen ist, besitze, hat mißtrauisch gemacht gegenüber einer
kein Recht gäbe. Es steht jedoch zu vermuten, Vernunft, die die Gleichheitsforderung als Ausge-
daß unter geschichtlichen Bedingungen, unter burt der »abstracten Identität des Verstandes«
denen der Personbegriff noch nicht zum allge- abwertet und die Forderung nach einem »Aus-
meinen Bewußtsein gebracht worden ist, auch kommen« für alle teils als einen moralisch-from-
das Recht nur in einem defizienten, noch nicht men Wunsch, teils als eine an die Fürsorge der
allgemeinen Modus ausgebildet sein wird. Die bürgerlichen Gesellschaft gerichtete Forderung
vollendete Verwirklichung dieses Prinzips spricht weiterleitet (§ 49). Doch andererseits erscheint
Hegel an späterer Stelle aus: »Der M e n s c h g i l t es nicht minder ideologisch, die Erkenntnis des
s o , w e i l e r M e n s c h i s t , nicht weil er Jude, notwendigen Zusammenhangs zwischen der
Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. »Person« und einer ihr äußeren Sphäre ihrer
ist, – dieß Bewußtseyn, dem der G e d a n k e gilt, Freiheit mit Gleichheitsforderungen zu belasten.
ist von unendlicher Wichtigkeit« (§ 209). Und für die Notwendigkeit des Zusammenhangs
(2) Der Sinn des vorhin zitierten Satzes ist es, kann Hegel sich darauf berufen, daß ohne ihre
der in der Weltgeschichte schon anderthalb Jahr- Annahme nicht erklärbar wäre, weshalb derje-
tausende blühenden »Freiheit der Person« die nige, der mein Eigentum verletzt, mich verletzt
»Freiheit des Eigenthums« entgegenzustellen, (auch wenn mein Wille im äußeren Eigentum
die erst »seit gestern, kann man sagen, hier und »nicht in dieser unmittelbaren Gegenwart und
da als Princip anerkannt worden« sei – trotz des Wirklichkeit ist« wie in meinem Körper, § 48).
engen Zusammenhanges, den Hegel zwischen Und gegen das potentielle Mißverständnis dieses
beiden Begriffen erkennt. Denn er führt den Zusammenhangs als wechselseitig-konstitutiv –
Eigentumsbegriff nicht – wie Kant – über den so daß also derjenige, der kein Eigentum hätte,
Gedanken ein, daß ohne die Möglichkeit eines auch nicht Person sein könnte – ist eindringlich
äußeren Mein und Dein Gegenstände der Will- darauf zu verweisen, daß die »Persönlichkeit«
kür an sich herrenlos wären (AA VI.246), sondern nicht etwa durch »Eigentum« konstituiert ist,
als ein notwendiges Komplement zur Persönlich- sondern einzig durch diejenige Selbstbeziehung,
keit: »Die Person muß sich eine äußere S p h ä r e die aus der Abstraktion von aller Bestimmtheit
i h r e r F r e y h e i t geben, um als Idee zu seyn« resultiert: daß Persönlichkeit Freiheit ist, und aus
(Grundlinien, § 41) – und diese Äußerlichkeit dieser Freiheit erst die Notwendigkeit der Objek-
des freien Willens ist das Eigentum. Hegel faßt tivierung in einer äußeren Sphäre folgt – und
das Eigentum somit nicht als ein zur Befriedigung nicht etwa umgekehrt aus dem Eigentum die
der Bedürfnisse nützliches Mittel. Die »wahr- Persönlichkeit.
hafte Stellung« sieht er vielmehr darin, »daß vom Im Aufweis dieses Nexus zwischen Person und
Standpunkte der Freyheit aus das Eigenthum als Eigentum liegt die spezifische Leistung des He-
das erste D a s e y n d e r s e l b e n , w e s e n t l i - gelschen Eigentumsbegriffs. Seine weiteren Aus-
c h e r Z w e c k f ü r s i c h i s t .« (§ 45) führungen – auch über »Gebrauch« und »Verjäh-
Diesen Zusammenhang zwischen Person und rung« – greifen gängige Kapitel des Naturrechts
Eigentum hat das neuzeitliche Naturrecht nicht auf. Den Topos von der »ursprünglichen Besitzer-
hergestellt – und es ist fraglos ein brisanter Zu- greifung« (prima occupatio) ironisiert Hegel
sammenhang. Seinetwegen erscheint Hegel als durch die Bemerkung, daß sie sich von selbst
bürgerlicher Ideologe, als Apologet des Privatei- verstehe, »weil ein zweyter nicht in Besitz neh-
gentums. Die Frage nach der Wahrheit der Be- men kann, was bereits Eigenthum eines Andern
griffskonstellation »Person / Eigentum« ist frei- ist« (§ 50), und das Eigentumsrecht des Ersten
lich unabhängig von derartigen Etikettierungen – nicht daraus fließe, daß er der Erste sei, sondern
es sei denn, man könnte zeigen, daß diese Kon- »weil er freier Wille ist« (Ig 3.219). Mit dieser
stellation selbst nur geschichtlich-vergänglich mehrfach wiederholten Betonung, daß die Basis
und zudem problematisch sei: daß sie unter dem des Eigentums im Verhältnis des Willens zur
Schein der Verwirklichung der Freiheit lediglich Sache liege, schließt Hegel sich eng an Kants
ihre Verdinglichung verberge. Und auch Hegels transzendentalen Begriff des Eigentums an. Frei-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 379

lich muß zum bloßen Willen auch die äußere der Äquivalenz nicht auf Grund des Gesichts-
Besitznahme hinzutreten – durch körperliche Er- punktes eines übergreifenden Gemeinwohls fest,
greifung, Formierung oder Bezeichnung des Ei- sondern wiederum auf Grund des Gedankens,
gentums. Die für John Locke so wichtige Forma- daß der Einzelne durch seine Willensbestim-
tionstheorie ist hierdurch zu einem äußeren Akt mung objektives Dasein erlangt und darin nicht
relativiert, der die Willensbestimmung ergänzt verletzt werden darf: »Insofern ist Hegels Ver-
und durch andere Formen ersetzt werden kann. tragslehre keine bloße Wiederholung des Natur-
(3) Eine Implikation, die in seinem Begriff des rechts – trotz der Aufnahme von Grundbegriffen
freien Willens immer schon mitgedacht ist, dieser Lehre –, sondern e i n e S y n t h e s e n a -
spricht Hegel erst beim »Uebergang vom Eigen- turrechtlicher Gedanken materialer
thum zum Vertrage« ausdrücklich aus: »als Da- Ve r t r a g s g e r e c h t i g k e i t m i t d e m P r i n z i p
seyn des W i l l e n s« ist das Eigentum »nur f ü r d e r P r i v a t a u t o n o m i e . « (Landau 1975, 188)
d e n W i l l e n einer andern Person. Diese Bezie- (4) Als der Tradition – in einem unguten Sinne
hung von Willen auf Willen ist der eigenthüm- – verhaftet gilt insbesondere der dritte Abschnitt
liche und wahrhafte Boden, in welchem die Frey- des »abstrakten Rechts«: Hegels Abhandlung des
heit D a s e y n hat.« (§ 71) Hegel betont hier auch »Unrechts« und insbesondere seine Straftheorie.
ausdrücklich, daß in Verhältnissen des objektiven Zu dieser Einschätzung hat Hegel schon durch
Geistes das Moment der Anerkennung immer seine kompromißlose Wendung gegen bekannte
schon »enthalten und vorausgesetzt« sei. ›Inter- Strafrechtstheoretiker der Aufklärung beigetra-
subjektivität‹ ist somit nichts, was erst auf einer gen. Der Marchese Beccaria spreche dem Staat
bestimmten Stufe in die Philosophie des objekti- das Recht zur Todesstrafe ab, »weil nicht präsu-
ven Geistes einträte; alle seine Formen sind viel- mirt werden könne, daß im gesellschaftlichen
mehr als intersubjektive gedacht. – Wie schon Vertrage die Einwilligung der Individuen, sich
das Eigentum, so begreift Hegel auch den »Ver- tödten zu lassen, enthalten sey«. Doch: »der Staat
trag« nicht von der Seite seines Nutzens für die ist überhaupt nicht ein Vertrag« (§ 100) – und aus
Befriedigung von Bedürfnissen, sondern als ein falschen Prämissen können keine richtigen Fol-
Institut, das aus der »Idee des reellen (d. i. nur im gerungen abgeleitet werden. Paul Johann Anselm
Willen vorhandenen) Daseyns der freyen Persön- Feuerbach hingegen, der Vater des Philosophen
lichkeit« entspringt: Verträge gibt es nicht, weil Ludwig Feuerbach, begründe das Recht staat-
sie den Vertragschließenden Nutzen bringen, lichen Strafens darauf, daß die Strafe angedroht
sondern weil der Vertrag eine Form ist, in der gewesen sei und der Verbrecher diese Drohung
freie Willen zu einander stehen. gekannt und übertreten habe. Doch: »Aber wie
Entsprechend dieser Hervorhebung des Wil- steht es denn mit der Rechtlichkeit der Dro-
lensbegriffs, die bereits das Eigentumskapitel hung?« Die Strafe werde hier so begründet, »wie
auszeichnet, sieht Hegel das Wesen des Vertrags wenn man gegen einen Hund einen Stock erhebt.
»in der Ü b e r e i n k u n f t zweier Personen zur Da ist also der Mensch wie ein Hund behandelt,
Bildung eines g e m e i n s a m e n W i l l e n s , nicht nicht nach seiner Ehre, seiner Freiheit.« (Ig
im Austausch der Leistungen.« (Landau 1975, 3.311 f.) Und Ernst Ferdinand Kleins Grundsätzen
188 f.) Es ist jedoch eigentümlich, daß Hegel – des gemeinen Deutschen peinlichen Rechts wirft
entgegen dieser durchgängigen Betonung des Hegel die Verharmlosung von »Unrecht« zu
Willens – mit der dominierenden Tradition des »Übel« vor: Wenn das Verbrechen und auch die
neuzeitlichen Naturrechts und auch mit der Strafe beide als »Uebel« bestimmt werden, »so
Rechtspraxis seiner Zeit am Prinzip der materia- kann man es freilich als unvernünftig ansehen,
len Gerechtigkeit und der Äquivalenz der vertrag- ein Uebel bloß deswegen zu wollen, w e i l s c h o n
lich vereinbarten Leistungen festhält – wobei sich e i n a n d e r e s U e b e l v o r h a n d e n i s t . […] Es
der Wert einer Sache gemäß der aristotelischen ist aber weder bloß um ein Uebel, noch um dieß
Tradition am Bedürfnis bemißt und nicht – mit oder jenes Gute zu thun, sondern es handelt sich
Adam Smith – nach Gebrauchs- und Tauschwert bestimmt um U n r e c h t und um G e r e c h t i g -
unterschieden wird und auch nicht – mit der k e i t .« (Grundlinien, § 99)
Werttheorie David Ricardos – nach der Arbeits- Gegenüber den zeitgenössischen relativen, die
menge ermittelt wird. Andererseits hält Hegel an Strafe aus einer Relation auf einen Zweck (wie
380 II. Werk

Vorbeugung oder Besserung) rechtfertigenden » R i c h t e r l i c h e S t r a f e […] kann niemals bloß


Ansätzen vertritt Hegel eine »absolute« Straftheo- als Mittel ein anderes Gute zu befördern für den
rie: Gestraft wird, weil ein Unrecht geschehen ist Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Ge-
(»quia peccatum est«), und nicht (wie nach einer sellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wi-
relativen Theorie), damit nicht weiteres Unrecht der ihn verhängt werden, w e i l e r v e r b r o c h e n
geschehe (»ne peccetur«). Mit diesem Ansatz h a t« (AA VI.331). Damit scheint das alte »ius
scheint auch Hegel – wie vor ihm Kant – in alte talionis«, das Gesetz der Vergeltung zu trium-
Vorstellungen vom Vergeltungsprinzip (»ius talio- phieren – doch Kant begründet seine Aussage mit
nis«) zurückzufallen, hinter die zeitgenössische, einer Überlegung, die sich nicht einfach als anti-
vom Geist der Aufklärung geprägte Strafrechts- quiert abtun läßt: »denn der Mensch kann nie
theorie. Dieses Bild eines »Rückfalls« setzt jedoch bloß als Mittel zu den Absichten eines Anderen
zum einen ein homogenes Bild der Strafrechts- gehandhabt und unter die Gegenstände des Sa-
theorie der Aufklärung voraus, das sich so nicht chenrechts gemengt werden, wowider ihn seine
belegen läßt; und zum anderen kann die »Moder- angeborne Persönlichkeit schützt«. Dieses Argu-
nität« der relativen Begründungen des staatlichen ment gewinnt Kant aus der zweiten Formulierung
Rechtes zu strafen nicht verbergen, daß auch sie des kategorischen Imperativs, die sich sonst weit-
keineswegs unproblematisch sind – wie man an gehender Zustimmung erfreut: »Handle so, daß
ihrem Rekurs auf den Gesellschaftsvertrag oder du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in
auf Nützlichkeitserwägungen zeigen kann (Seel- der Person eines jeden andern jederzeit zugleich
mann 1987, 229–233). Schon Kant hatte Beccarias als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.« (AA
Begründung kurz abgemacht: »Alles Sophisterei IV.429) Und daraus ist die Konsequenz zu ziehen:
und Rechtsverdrehung.« (AA VI.335) Der Verbrecher »muß vorher s t r a f b a r befunden
Auch einer kleinen Skizze Feuerbachs läßt sich sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser
entnehmen, daß die damalige Diskussion keines- Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine
wegs einen weithin geteilten überzeugenden An- Mitbürger zu ziehen.« (AA VI.331) »Ne peccetur«
satz bietet: »Dem einen ist Strafe, unmittelbare zu strafen ist unrechtlich, wenn das »peccare«
Abschreckung Anderer durch die Zufügung der nicht selbst schon etwas Strafwürdiges ist.
Strafe: Der andere sieht in der Zufügung der Wie in der Eigentumslehre, so schließt Hegel
bürgerlichen Strafe nur die Realisirung der An- sich auch in der Ablehnung der relativen Straf-
drohung, welche durch das Gesetz geschieht: theorie eng an Kant an – und sei es auch, daß er
dem dritten ist Strafe und unmittelbare Siche- hierdurch nur mit ihm »auf Einen Scheiterhaufen
rung vor dem Verbrecher eins – und, wer vor der zu sitzen komme«, wie Goethe einmal bei ähnli-
Consequenz des Systems erzittert, knetet, um cher Gelegenheit schreibt (JWA 1.381). Sie unter-
recht sicher zu gehen, diese verschiedenen Theo- scheiden sich jedoch in der Begründung dafür,
rien in einander und tischt sie, mit Brühen des daß eine Handlung überhaupt strafbar sei. Kant
Gefühls durchwässert, dem genügsamen Crimi- argumentiert hier mit dem »strengen Wieder-
nalrecht auf.« (Feuerbach 1800b, 5) Diese Auf- vergeltungsrecht«, Hegel vornehmlich mit der
zählung möglicher Begründungen ließe sich Notwendigkeit der Restitution des verletzten
leicht vermehren – etwa durch Kants program- Rechts: Verletztes Recht muß wiederhergestellt
matischen Satz: »Das S t r a f r e c h t ist das Recht werden – denn sonst wäre das Recht aufgehoben
des Befehlshabers gegen den Unterwürfigen, ihn und statt seiner würde das Verbrechen gelten
wegen seines Verbrechens mit einem Schmerz zu (Grundlinien, § 99). Die erforderliche Wieder-
belegen.« (AA VI.331) herstellung des verletzten, negierten Rechts kann
Diese archaisch anmutende Formulierung ent- nur durch Negation seiner Verletzung erfolgen.
hält eine ähnlich archaisch wirkende Begrün- Der gegen den Verbrecher gerichtete staatliche
dung: Der Täter wird gestraft »wegen seines Zwang kommt nicht von außen an ihn, sondern
Verbrechens«. Sie ist aber keineswegs unreflek- er ist gleichsam die zweite Hälfte seines Verbre-
tiert übernommenes Traditionsgut; Kant entwik- chens – oder im mythologischen Bild: Die Eume-
kelt vielmehr sehr bedenkenswerte Argumente niden schlafen, aber das Verbrechen weckt sie
gegen relative Straftheorien, insbesondere gegen auf. Die Strafe ist nicht ein fremdes, über den
die Theorie der General- oder Spezialprävention: Verbrecher hereinbrechendes »Übel«, sondern sie
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 381

wird durch sein Verbrechen selber inszeniert, Quellen: Cesare Beccaria: Dei delitti e delle pene.
weil es etwas (im transzendentalen Sinne) an sich (anonym 11764) Milano 1977; Paul Johann Anselm Feu-
erbach: Revision der Grundsätze und Grundbegriffe
Nichtiges ist. Die Rechtsverletzung »ist zwar eine
des positiven peinlichen Rechts. Bd. 1. Erfurt 1799, Bd.
p o s i t i v e , äußerliche E x i s t e n z , die aber i n 2. Chemnitz 1800a; Feuerbach: Ueber die Strafe als
s i c h nichtig ist, und diese Nichtigkeit gilt es zu Sicherungsmittel vor künftigen Beleidigungen des Ver-
erweisen, durch Negation der Negation (§ 97). brechers. Chemnitz 1800b; Ernst Ferdinand Klein:
Da das Verbrechen aber nicht als ein Geschehen Grundsätze des gemeinen Deutschen peinlichen
rückgängig gemacht werden kann, hat der Erweis Rechts, nebst Bemerkung der Preußischen Gesetze.
Halle 11795, 2 1799.- Literatur: Karl Larenz: Hegel und
seiner Nichtigkeit an der Stelle anzusetzen, von
das Privatrecht. In: B. Wigersma (Hg.): Verhandlungen
der es seinen Ausgang genommen hat – am Wil- des zweiten Hegelkongresses vom 18. bis 21. Oktober
len des Verbrechers: Denn die » p o s i t i v e E x i - 1931 in Berlin. Tübingen / Haarlem 1932, 135–148;
s t e n z d e r Ve r l e t z u n g ist nur als der b e - Ossip K. Flechtheim: Hegels Strafrechtstheorie. Berlin
2 1975; Riedel: Materialien zu Hegels Rechtsphiloso-
s o n d e r e W i l l e d e s Ve r b r e c h e r s .«
Diese Wiederherstellung des Rechts durch die phie (1974), Bd. 2; darin 131–151: Michel Villey: Das
Römische Recht in Hegels Rechtsphilosophie, 152–175:
Verletzung seiner Verletzung ist nicht zu denken
Joachim Ritter: Person und Eigentum. Zu Hegels
als etwas, das bloß gegen den Willen des Ver- »Grundlinien der Philosophie des Rechts« §§ 34–81,
brechers geschieht, als ein von außen an ihn 176–197: Peter Landau: Hegels Begründung des Ver-
kommender Zwang. Der vom Verbrecher ver- tragsrechts; Wolfgang Schild: Die Aktualität des Hegel-
letzte an sich seiende Wille ist auch sein eigener, schen Strafbegriffes. In: Erich Heintel (Hg.): Philo-
vernünftiger Wille. Deshalb ist auch die Verlet- sophische Elemente der Tradition des politischen Den-
kens. Wien / München 1979, 199–233; Igor Primoratz:
zung, die ihm widerfährt, »nicht nur a n s i c h
Banquos Geist. Hegels Theorie der Strafe. HSB 29
gerecht, – als gerecht ist sie zugleich sein a n s i c h (1986); Christoph Jermann (Hg.): Anspruch und Lei-
seyender Wille, ein Daseyn seiner Freyheit, s e i n stung von Hegels Rechtsphilosophie. Stuttgart-Bad
Recht« (§ 100). Cannstatt 1987; darin 55–99: Vittorio Hösle: Das ab-
Kritikern ist es als blanker Zynismus erschie- strakte Recht, 227–237: Kurt Seelmann: Hegel und die
nen, daß Hegel dem Verbrecher zusätzlich zur Strafrechtsphilosophie der Aufklärung; Diethelm
Klesczewski: Die Rolle der Strafe in Hegels Theorie der
Strafe noch seine Einwilligung in deren Zumes-
bürgerlichen Gesellschaft. Eine systematische Analyse
sung und Vollzug unterstellt – doch nimmt Hegel des Verbrechens- und des Strafbegriffs in Hegels
hier ein berechtigtes Moment der sonst von ihm Grundlinien der Philosophie des Rechts. Berlin 1991;
verworfenen vertragstheoretischen Strafbegrün- Siep (Hg.): Hegel. Grundlinien der Philosophie des
dung auf: Der gegen den Verbrecher gerichtete Rechts (1997), 95–124; Schnädelbach: Hegels prakti-
Zwang ist nicht allein legitim als staatlicher Ge- sche Philosophie (2000), 199–218.
genzwang; er folgt auch nicht nach einem äuße-
ren Mechanismus, sondern aus dem vernünftigen
9.5.6. Die Moralität
Willen des Verbrechers selbst, der neben seinem
fürsichseienden Willen besteht – und dieser ver- (1) Rezeptionsgeschichtlich steht der zweite Teil
nünftige Wille darf auch dem Verbrecher nicht der Rechtsphilosophie im Schatten der großen
abgesprochen werden, wenn man ihn nicht zum Themen »Naturrecht und Staatswissenschaft«
Tier erniedrigen will. Mit diesem Argument ist bzw. »Recht und Sittlichkeit«. Ungünstig hat sich
es Hegel sehr ernst; es kehrt in leicht veränderter insbesondere ausgewirkt, daß sein Titel, »Die
Gestalt auch im Moralitätskapitel wieder: Der Moralität«, bei den Interpreten die Erwartung
Verbrecher ist »als Subject nicht das Einzelne geweckt, jedoch nicht eingelöst hat, daß Hegel
d i e s e s Augenblicks oder diese isolirte Empfin- hier gleichsam auf dem Boden seines Systems
dung der Hitze der Rache; so wäre er ein Thier, »Metaphysische Anfangsgründe der Tugend-
das wegen seiner Schädlichkeit und der Unsi- lehre« aufzeige. Doch geht es ihm hier nicht um
cherheit, Anwandlungen der Wuth unterworfen eine Ethik. »Moralität« bezeichnet – in Hegels
zu seyn, vor den Kopf geschlagen werden Sprache – diejenige Sphäre insgesamt, deren
müßte.« (§ 132, vgl. § 120) Die Anerkennung Prozeß es ist, »den zunächst nur für sich seyenden
seiner Menschheit unterstellt ihm zugleich den Willen, der unmittelbar nur a n s i c h identisch ist
an sich vernünftigen Willen und damit die Ein- mit dem a n s i c h seyenden oder allgemeinen
willigung in seine Strafe. Willen, nach diesem Unterschiede, in welchem
382 II. Werk

er sich in sich vertieft, aufzuheben, und ihn für als Daseyn in ihm als die s e i n i g e«: »Der sub-
sich als i d e n t i s c h mit dem an sich seyenden jective Wille ist insofern m o r a l i s c h frei, als
Willen zu setzen.« (Grundlinien, § 106) Diese diese Bestimmungen innerlich a l s d i e s e i n i -
Differenz zwischen dem an sich seienden, all- g e n g e s e t z t und von ihm gewollt werden.
gemeinen und dem fürsichseienden, einzelnen Seine thätliche Aeußerung mit dieser Freiheit ist
Willen wird von diesem als »Sollen« erfahren. H a n d l u n g« (3§ 503).
Die Sphäre der Moralität also ist der Bereich der Diese Betrachtung des Willens als eines in sich
Vermittlung zwischen dem für sich seienden Wil- reflektierten, sich innerlich bestimmenden er-
len des einzelnen Subjekts und dem an sich sei- weitert die – abstrakte – Zuordnung von »Person
enden oder »allgemeinen Willen« – und somit und Sache« im abstrakten Recht zum Begriffspaar
gleichsam die begriffliche Genese der ›volonté »Subjekt und Handlung« – ohne daß damit der
générale‹. gute Sinn jener ersten Sphäre aufgehoben wäre:
Auch Hegels Erläuterungen der Bedeutung, in Im Recht ist der einzelne Wille nur nach der Seite
der er von »Moralität« spricht, sind nicht stets seiner Allgemeinheit angesprochen, nicht nach
geeignet, deren Kontur scharf hervorzuheben. In der Seite seiner Besonderheit oder seiner Refle-
3 § 503 der Enzyklopädie merkt er an, das Morali- xion in sich und seiner Selbstbestimmung. Sie
sche müsse hier »in dem weitern Sinne genom- fällt erst in die »Moralität«. Das »moralische«, in
men werden, in welchem es nicht bloß das Mora- sich reflektierte, wollende und handelnde Sub-
lisch- g u t e bedeutet. Le Moral in der französi- jekt ist konkreter bestimmt als die »Person« der
schen Sprache ist dem Physique entgegengesetzt Rechtssphäre. In dieser ist der subjektive Wille
und bedeutet das Geistige, Intellectuelle über- marginalisiert; in der »Moralität« hingegen
haupt.« Doch dies ist der vor allem frühneuzeit- kommt er zu seinem Recht – ja Hegel bestimmt
liche Begriff des »esse morale«, der noch in Kants sie geradezu als »die Entwickelung des R e c h t e s
Entgegensetzung einer Metaphysik der Natur des subjectiven Willens« (Grundlinien, § 107).
und der Metaphysik der Sitten nachwirkt. Auch Dieser subjektive Wille bleibt aber nicht in die
für Hegel bedeutet »das Moralische« zwar nicht Grenzen des Subjektiven eingeschlossen; er ist
bloß das moralisch-Gute, sondern den gesamten auf einen Inhalt oder Zweck gerichtet, und zwar
Bereich, in dem die Bezeichnungen »gut« oder so, daß diese Beziehung auf Äußeres Selbstbezie-
»böse« sinnvoll gebraucht werden können – doch hung wird: daß er »nicht nur als mein i n n e r e r
ist dieser Bereich für ihn sehr eng begrenzt auf Zweck, sondern auch, insofern er die ä u ß e r -
die »Willensbestimmtheit, in sofern sie im I n - l i c h e O b j e c t i v i t ä t erhalten hat, meine Sub-
n e r n des Willens überhaupt ist«. Diese Willens- jectivität f ü r m i c h e n t h a l t e .« (§ 110) Er ent-
bestimmtheit bleibt aber nicht nur im » I n n e r n« hält aber nicht allein sie, sondern als Gegenstand
eingeschlossen, sondern der Wille äußert sich in des (stets auch allgemeinen) Willens zugleich
der »Handlung«. »die O b j e c t i v i t ä t des B e g r i f f e s« und die
Unter dem Titel »Moralität« bietet Hegel somit Beziehung auf andere Willen (§§ 110–112). In
– modern gesprochen – eine Handlungstheorie seinem Résumé führt Hegel den Schlüsselbegriff
(Quante, 1993), und zwar als Analyse der Rela- dieser Sphäre ein: »Die Aeußerung des Willens
tion zwischen der Selbstbestimmung des Willens als s u b j e c t i v e n oder m o r a l i s c h e n ist
und der Handlung. Statt die erwartete Ethik zu H a n d l u n g . Die Handlung enthält die aufge-
liefern, entwirft er Grundzüge einer neuartigen zeigten Bestimmungen, a) von mir in ihrer Aeu-
Disziplin, die von Kants Ethik her nicht in den ßerlichkeit als die Meinige gewußt zu werden, b)
Blick getreten ist – und er »bereitet damit die die wesentliche Beziehung auf den Begriff als ein
wertfreie Moralpsychologie und Moralsoziologie Sollen und g) auf den Willen Anderer zu seyn.«
des 19. und 20. Jahrhunderts vor.« (Schnädelbach (2) Im ersten Abschnitt, »Der Vorsatz und die
2000, 224) Schuld« (§§ 115–118), behandelt Hegel die unter-
Die »Moralität« bildet insofern eine neue schiedlichen Dimensionen des Problems der Zu-
Sphäre gegenüber dem »abstrakten Recht«, als es rechnung. Er räumt hier einerseits einen weiten
nun nicht mehr um das Dasein der Freiheit der Begriff des Verschuldens und der Haftung ein,
Person in einer äußerlichen Sache zu thun ist, der sich auch auf solche Fälle erstreckt, die nicht
sondern um »die Willensbestimmtheit überhaupt eigentlich meine »That«, sondern etwa durch
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 383

mein Eigentum verursacht sind. Enger ist der d e r A b s i c h t« und zugleich »das Recht der O b -
Kreis dessen, was meine »That« ist und was als j e c t i v i t ä t der Handlung«: daß beides, Wille
deren Folge geschieht. Aber auch gegen eine und objektive Qualität der Handlung, nicht aus-
umstandslose Zurechnung meiner »That« bekräf- einanderfallen. Im Begriff der »Absicht« zeigt
tigt Hegel »das Recht des Willens«, »in seiner Hegel eine auch etymologisch greifbare Ambiva-
That nur dieß als seine H a n d l u n g anzuerken- lenz auf: Sie enthält einerseits ein allgemeines
nen, und nur an dem S c h u l d zu haben, was er Element, das Absehen im Sinne von Abstraktion,
von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke andererseits ein besonderes, nämlich »das Her-
weiß, was davon in seinem Vo r s a t z e lag.« ausnehmen einer b e s o n d e r n Seite der con-
(§ 117) Dieses Moment des Vorsatzes trennt so- creten Sache« (Grundlinien, § 119). Allgemeines
mit den Handlungsbegriff vom Tatbegriff. Den- und Besonderes, an und für sich geltende Zwecke
noch faßt Hegel den Begriff des Vorsatzes nicht und subjektive Befriedigung sind deshalb nicht
bloß subjektiv: Er schließt in ihn auch die Folgen zu trennen. Hegel wendet sich deshalb sowohl
ein, allerdings nur diejenigen, die mit dem gegen die Ansicht, daß beide sich ausschlössen,
Zweck der Handlung unmittelbar zusammenhän- als auch gegen die Forderung, daß nur allge-
gen, und nicht sämtliche weiteren, die der Äußer- meine Zwecke gewollt werden dürften. Er wen-
lichkeit und dem Zufall unterliegen. det sich aber ebenso gegen die Herabwürdigung
Auch hier deutet Hegel an, daß eine derartige des objektiven Zwecks zu einem Mittel der sub-
Zurechnung allein von »Handlungen« auf Grund jektiven Befriedigung. Denn das Subjekt kann
eines »Vorsatzes« das Resultat eines rechtsge- nicht seinen Wert unter Absehen von seinen
schichtlichen Prozesses ist: Entsprechend seiner Handlungen behaupten: »Was das Subject i s t ,
Ausblendung der Rechtsgeschichte verfolgt er ihn i s t d i e R e i h e s e i n e r H a n d l u n g e n .«
zwar nicht ausführlich, aber er unterscheidet zu- Diese Berechtigung des Subjekts, sich selbst in
mindest die staatlichen Verhältnisse vom »heroi- seinen Handlungen zu finden und zu befriedigen,
schen Selbstbewußtseyn«: dieses sei »aus seiner führt Hegel wiederum auf die große bewußt-
Gediegenheit noch nicht zur Reflexion des Unter- seinsgeschichtliche Revolution zurück, die sich
schiedes von T h a t und H a n d l u n g , der äußer- auch in der Rechtsgeschichte widerspiegelt: »Das
lichen Begebenheit und dem Vorsatze und Wis- Recht der B e s o n d e r h e i t des Subjects, sich
sen der Umstände, so wie zur Zersplitterung der befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das
Folgen fortgegangen, sondern übernimmt die Recht der s u b j e c t i v e n F r e y h e i t macht den
Schuld im ganzen Umfange der That.« An diesem Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede
und an ähnlichen Beispielen hätte Hegel leicht des A l t e r t h u m s und der m o d e r n e n Zeit.
aufzeigen können, daß die Gestalt des Rechts- Dieß Recht in seiner Unendlichkeit ist im Chri-
bewußtseins nicht durch apriorische Grundmu- stenthum ausgesprochen und zum allgemeinen
ster fixiert ist, sondern sich einer Vertiefung der wirklichen Princip einer neuen Form der Welt
Subjektivität in sich, einem »Fortschritt im Be- gemacht worden.« (§ 124)
wußtsein der Freiheit« verdankt. (4) Diese Auszeichnung des Rechtes der sub-
(3) Auch im zweiten Abschnitt, »Die Absicht jektiven Freiheit als des neuen welthistorischen
und das Wohl« (§§ 119–128), geht Hegel von Prinzips könnte alle ihm entgegenstehende Ob-
einer geschichtlichen Zäsur aus: In neueren Zei- jektivität zu verflüchtigen oder zumindest zu ei-
ten frage man viel nach Beweggründen: »Dieß nem Moment herabzusetzen scheinen. Doch da-
hat man auch genannt auf das Herz des Menschen von ist Hegel im dritten Abschnitt »Das Gute und
sehn. Dabei vorausgesetzt ist ein Bruch des Ob- das Gewissen« (§§ 129–141) fern: »Das Recht,
jectiven der Handlungen und des Subjectiven der nichts anzuerkennen, was Ich nicht als vernünftig
Beweggründe, des Innern.« »Dieser Bruch liegt einsehe, ist das höchste Recht des Subjects, aber
im Standpunkt des Selbstbewußtseins des Men- durch seine subjective Bestimmung, zugleich
schen, und macht in der Weltgeschichte wie in f o r m e l l , und das R e c h t d e s Ve r n ü n f t i g e n
jedem Individuum Epoche.« (Ig 3.374,378) Ge- als des Objectiven an das Subject bleibt dagegen
gen diese Trennung betont Hegel aber »das fest stehen.« (§ 132) Es geht somit nicht um die
R e c h t des S u b j e c t s , in der Handlung seine Preisgabe des einen Rechts zu Gunsten des an-
B e f r i e d i g u n g zu finden« (§ 121), das » R e c h t deren, sondern um die Befriedigung beider – und
384 II. Werk

diese Befriedigung denkt Hegel im Begriff des dann mag man sich drehn, wie man will, das
Guten als der »Idee«, die sowohl die subjektive Negative ist in diesem Positiven nicht zu erken-
Seite des Willens als die Äußerlichkeit – bis hin nen« (Ig 3.440). Für ihn ist die Frage nach der
zur »Zufälligkeit des äußerlichen Daseyns« um- Herkunft des Bösen entschieden: Gutes und Bö-
faßt; sie ist »die r e a l i s i r t e F r e y h e i t , der ses haben ihren Ursprung ausschließlich im Wil-
a b s o l u t e E n d z w e c k d e r We l t .« (§ 129) len, und »der Wille ist in seinem Begriffe sowohl
Wichtiger als die Objektivität im Sinne solcher gut als böse« – und zwar sowohl der natürliche als
Äußerlichkeit ist diejenige, die dem innersten der in sich reflektierte Wille, denn das Natürliche
Sichwissen des Subjekts, dem »Gewissen«, als steht im Gegensatz zur Freiheit, und die Refle-
selber sittliche Instanz entgegentritt. Das Ge- xion in sich im Gegensatz zur Allgemeinheit des
wissen ist zwar »ein Heiligthum, welches anzu- Willens.
tasten Frevel wäre. Ob aber das Gewissen eines Mit dieser Erklärung des Ursprungs des Guten
b e s t i m m t e n I n d i v i d u u m s , dieser Idee des und des Bösen aus der Subjektivität verbindet
Gewissens gemäß ist, ob das, was es f ü r g u t Hegel eine Kritik sich selbst verfehlender Ge-
h ä l t oder ausgiebt, auch wirklich gut ist, dieß stalten der Subjektivität. Sie gehören sämtlich
erkennt sich allein aus dem I n h a l t dieses Gut- erst der modernen Welt an, die dem Prinzip der
seynsollenden. […] Der Staat kann deswegen das Subjektivität diesen hohen Rang einräumt, der
Gewissen in seiner eigenthümlichen Form, d. i. das Verfehlen so fatal und zur »letzten abstru-
als s u b j e c t i v e s W i s s e n nicht anerkennen« sesten Form des Bösen« macht. Das Subjekt ver-
(§ 137). mag allemal, auch schlechte Handlungen durch
Hinter dieser scharfen Kontrastierung des einen positiven Zweck als eine » P f l i c h t u n d
Rechtes des Gewissens und seiner Nicht-Aner- v o r t r e f f l i c h e A b s i c h t« zu rechtfertigen –
kennung durch das Allgemeine steht fraglos die entweder vor anderen, »so ist es H e u c h e l e y«,
Erfahrung der Auseinandersetzungen um die Er- oder für sich selbst – »so ist es die noch höhere
mordung Kotzebues durch Sand (s. 43). Hegel Spitze der sich als d a s A b s o l u t e b e h a u p t e n -
spricht hier dem Staat unumwunden das Recht d e n S u b j e c t i v i t ä t .« Die Heuchelei setze im-
zu, gegen das »reine Herz« und das »gute Ge- mer noch voraus, »daß gewisse Handlungen a n
wissen« des Täters dessen Handlung als Mord zu u n d f ü r s i c h Vergehen, Laster und Verbrechen
qualifizieren und entsprechend zu bestrafen – sind« und halte somit noch ein objektives Bewer-
und fraglos mit Recht. Das Gewissen zeigt sich tungskriterium fest. »Wenn aber das gute Herz,
hier als äußerst ambivalent: Auch dort, wo es die gute Absicht und die subjective Ueberzeugung
nichts als formelle Reflexion des Selbstbewußt- für das erklärt wird, was den Handlungen ihren
seins in sich ist, erhebt es Anspruch auf die Werth gebe, so giebt es keine Heucheley und
»Heiligkeit«, die ihm doch nur dort zukommt, wo überhaupt kein Böses mehr, denn was einer thut,
das Gewissen und das wahrhaft Gute identisch weiß er durch die Reflexion der guten Absichten
sind. Wo dies jedoch nicht der Fall ist, ist es in und Bewegungsgründe zu etwas Gutem zu ma-
seiner subjektiven Borniertheit vielmehr böse – chen, und durch das Moment seiner U e b e r z e u -
und Hegel sieht es immer »auf dem Sprunge […], g u n g ist es gut.«
ins B ö s e umzuschlagen.« (§ 139) Es ist sicherlich nicht zufällig, daß Hegel zur
Nur hier hat auch das Böse seinen Ursprung – Widerlegung dieser Ansicht einen Brief Jacobis
»in dem Mysterium, d. i. in dem Speculativen der an den Grafen Holmer heranzieht (§ 140) – denn
Freyheit, ihrer Nothwendigkeit, aus der N a t ü r - Jacobi steht im Bewußtsein der Zeit irrtümlich
l i c h k e i t des Willens herauszugehen, und gegen für einen derartigen Rückgang in die Unmittel-
sie i n n e r l i c h zu seyn.« (§ 139) In den Vor- barkeit der Subjektivität, in die »schöne Seele« –
lesungen geht Hegel noch ausführlicher auf die obgleich er doch gegen die Begründung des Gu-
traditionelle Frage »unde malum« ein, auch auf ten aus der bloßen Subjektivität das Moment
die Antworten, die sie im Mythos und in der einer für sich bestehenden Sittlichkeit geltend
»Theodizee« gefunden hat. Hegel hält diese tradi- macht (JWA 1.129–135).
tionellen theologischen Auskünfte für prinzipiell Als »höchste Form« einer solchen »sich als das
unzureichend: »Wird bei der Erschaffung der Letzte erfassenden Subjektivität« charakterisiert
Welt Gott, als das absolut positive vorausgesetzt, Hegel schließlich die »Ironie« – freilich nicht
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 385

ohne Platon und Fichte sowie trotz einiger kri- starke historische Konnotationen. Jetzt hingegen
tischer Bemerkungen auch seinen verstorbenen wird er zu einem formell geschichtsindifferenten
Kollegen Solger (s. 294) von diesem Verdikt aus- Begriff, obschon er inhaltlich, seit der Vorlesung
zunehmen. Er charakterisiert die (romantische) über Naturrecht und Staatswissenschaft
Ironie als den Standpunkt, der sich als das »Be- (1817/18), sogar durch eine sehr moderne Diffe-
schließen und Entscheiden über Wahrheit, Recht renzierung strukturiert ist, die sich so auch bei
und Pflicht« weiß und schließlich darin kulmi- Kant und Fichte noch nicht findet: durch die
niert, »sich selbst als diese Eitelkeit allen Inhalts Differenzierung zwischen »Bürgerlicher Gesell-
zu wissen, und in diesem Wissen s i c h als das schaft« und »Staat«. Und vor allem betont Hegel
Absolute zu wissen.« In den Vorlesungen spricht nun nicht mehr den »substantialen« Charakter
Hegel ausdrücklich aus, was auch seinen dama- der »Sittlichkeit«, sondern ihre Genese aus Frei-
ligen Lesern schwerlich entgangen sein wird: heit: Alle ihr angehörenden Bestimmungen ge-
daß er hier Friedrich v. Schlegel vorwirft, was hen ja aus Freiheit hervor – wenn auch aus einer
dieser von ihm behauptet, nämlich »für den Teu- zunächst ihrer selbst nicht bewußten und deshalb
fel Kegel zu schieben«, wie August Wilhelm v. unwahren Freiheit. Sie ist »der z u r v o r h a n d e -
Schlegel dies in seinen Spottversen sehr treffend n e n We l t und z u r N a t u r d e s S e l b s t b e -
pointiert (s. 50). wußtseynsgewordeneBegriffderFrey -
Literatur: Karl Ludwig Michelet: Das System der phi-
h e i t« und damit »die I d e e d e r F r e y h e i t «
losophischen Moral, mit Rücksicht auf die juridische (Grundlinien, § 142).
Imputation, die Geschichte der Moral und das christ- Doch gerade diese Struktur der Sittlichkeit läßt
liche Moralprinzip. Berlin 1828, ND Bruxelles 1968; sie in sich widersprüchlich erscheinen: Ihre Mo-
Karl Larenz: Hegels Zurechnungslehre und der Begriff mente – »Gesetze und Gewalten« – haben für das
der objektiven Zurechnung. Leipzig 1927; Riedel: Ma- einzelne Subjekt zunächst nicht den Charakter
terialien zu Hegels Rechtsphilosophie (1975), Bd. 2,
darin 201–216: Josef Derbolav: Hegels Theorie der
von Freiheit, sondern eines Fremden, Verpflich-
Handlung, 217–244: Joachim Ritter: Moralität und Sitt- tenden, ja Zwingenden; sie haben »im höchsten
lichkeit. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der Kanti- Sinne Selbstständigkeit, – eine absolute, unend-
schen Ethik; Miguel Giusti: Bemerkungen zu Hegels lich festere Autorität und Macht, als das Seyn der
Begriff der Handlung. HS 22 (1987), 51–71; Christoph Natur«. Und dennoch sind sie sein eigenes Pro-
Jermann: Die Moralität. In: Jermann (Hg.): Anspruch dukt und das Zeugnis seines eigenen Wesens –
und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie. Stuttgart-
Bad Cannstatt 1987, 101–144; Michael Quante: Hegels
sie sind ja nicht »von Natur«, sondern allein aus
Begriff der Handlung. Stuttgart-Bad Cannstatt 1993; dem Willen hervorgegangen. In der Akzentuie-
Siep (Hg.): Hegel, Grundlinien der Philosophie des rung dieser immanenten Widersprüchlichkeit
Rechts (1997), 125–192; Schnädelbach: Hegels prakti- liegt ein Spezifikum der Hegelschen Philosophie
sche Philosophie (2000), 219–245. des objektiven Geistes – und ihr Vorzug besteht
darin, keine der beiden widerstreitenden Aus-
9.5.7. Die Sittlichkeit sagen ignorieren oder ihre Wahrheit dementie-
ren zu müssen.
9.5.7.1. Der Begriff der Sittlichkeit
(2) Dieses Fürsichbestehen der Sittlichkeit ge-
(1) Den dritten, nicht allein vom Umfang her gen den einzelnen Willen impliziert ein Element,
gewichtigsten Teil seiner Philosophie des objekti- das Hegels Rechtsphilosophie in Gegensatz ge-
ven Geistes überschreibt Hegel mit dem Titel gen eine dominante Tendenz der frühen Neuzeit
»Die Sittlichkeit« – also mit dem Begriff, der – setzt und sie als ›anti-aufklärerisch‹ erscheinen
wohlunterschieden vom Begriff der »Moralität« – läßt: Die feste Autorität der Formen der Sittlich-
bereits in Jena zum Zentralbegriff seiner prakti- keit relativiert und dementiert den Vertragsge-
schen Philosophie geworden ist (s. 147 ff.). Doch danken. In Hegels Sicht verwischt die vertrags-
ungeachtet dieser bleibenden Differenz zwischen theoretische Begründung von Familie und Staat
»Moralität« und »Sittlichkeit« hat sich deren Be- den Unterschied zwischen sittlichen und belie-
griffsgehalt auf dem Weg von Jena nach Heidel- bigen Vertragsverhältnissen, deren Willkürlich-
berg und Berlin gewandelt. Obgleich er auch in keit schon darin zum Ausdruck kommt, daß sie
Jena keineswegs auf eine bestimmte Geschichts- gegenüber der Zahl der Vertragschließenden und
epoche, auf die Antike, fixiert ist, hat er doch dem Inhalt des Vertrags indifferent sind. Als
386 II. Werk

Wirklichkeit der Idee der F r e i h e i t erscheint und objektives Wollen in der Öffentlichkeit zuge-
»Sittlichkeit« als ein eminent neuzeitlicher Be- ordnet, der Frau »concrete E i n z e l n h e i t « und
griff; jedoch als für sich bestehende W i r k l i c h - » E m p f i n d u n g« in der Familie (§ 166).
k e i t der Freiheit steht sie einer Begründung im (2) Und noch in einem weiteren Aspekt bleibt
Willen des einzelnen Subjekts entgegen. Für He- Hegel der Sichtweise seiner Zeit verhaftet: daß
gel hat der Vertragsgedanke seinen Ort aus- die Ehe dieses natürlichen Moments, der Ge-
schließlich im Privatrecht; die Formen der Sitt- schlechtsdifferenz, nicht entbehren könne. Dies
lichkeit hingegen unterliegen nicht der willkürli- ist allerdings nicht allein ihm, sondern auch
chen Disposition des einzelnen vertragschließen- heute noch weithin unvorstellbar – obgleich sich
den Willens – sie sind vielmehr seine »Substanz«. der Verzicht darauf von Hegel her als eine Vertie-
Und Hegel sieht es nicht als einen zwingenden fung des geistig-personalen Charakters der Ehe
Einwand gegen diesen Begriff der Sittlichkeit, auf Kosten ihres natürlichen Moments charak-
daß dessen Formen gleichwohl, als geistige, einer terisieren läßt. Denn ihren eigentlichen Kern
geschichtlichen Entfaltung unterliegen – Familie sieht er in der Umwandlung der »nur äußerlichen
und Ehe nicht anders als »bürgerliche Gesell- E i n h e i t der natürlichen Geschlechter, in eine
schaft« und »Staat«. G e i s t i g e , in selbstbewußte Liebe«, in der Auf-
gabe der isolierten Person, »aus der gegensei-
tigen u n g e t h e i l t e n Hingebung dieser Persön-
9.5.7.2. Die Familie
lichkeit« und der Bildung einer neuen, übergrei-
(1) Diese Entgegensetzung des Begriffs der Sitt- fenden Persönlichkeit (§ 161,167).
lichkeit gegen den Vertragsgedanken prägt be- Als eine Gestalt der Sittlichkeit erfordert diese
reits Hegels Abhandlung von Familie und Ehe. Bildung der neuen Person jedoch nicht eine bloße
Damit ist keineswegs geleugnet, daß die Familie gegenseitige Versicherung, sondern einen förmli-
auch ein Vertragsmoment enthalte – doch tritt chen Akt und seine Anerkennung durch »Familie
dieses erst dort in den Vordergrund, wo das und Gemeinde«. Und im Widerspruch zur
sittliche Verhältnis gefährdet oder zerstört ist. Rechtslage seiner Zeit wie im Vorgriff auf die
Wäre die Ehe als Vertrag zu verstehen, so wäre ja Neuregelung des Eherechts der Bismarck-Ära
die Zahl der Vertragschließenden und auch der setzt Hegel hinzu: »daß in dieser Rücksicht die
Vertragsinhalt beliebig – was offensichtlich nicht K i r c h e eintritt, ist eine weitere hier nicht auszu-
der Fall ist, auch nicht für die Vertreter der Ver- führende Bestimmung« (§ 164) – sie widerspricht
tragsdeutung. Deshalb verweist Hegel hier zu- ja seiner Auffassung des Staates als der wahr-
rück auf § 75 der Grundlinien, in dem er die haften Sittlichkeit. Da aber ein institutioneller
»Schändlichkeit« der kontraktualistischen Ehe- Rahmen das Gelingen einer Ehe nicht garantie-
auffassung Kants bereits angeprangert hat. Sein ren, und auch ein sittliches Verhältnis zerstört
Begriff von Sittlichkeit steht einerseits gegen de- werden kann, erklärt Hegel die Ehe für »nur a n
ren vertragstheoretische Reduktion, andererseits s i c h unauflöslich« – und für die Möglichkeit der
aber ebenso gegen die naturalistische Reduktion Scheidung beruft er sich gar auf Christus. Doch
der Ehe – als sei sie ein durch die Geschlechtsdif- verlangt er von den Gesetzgebungen, sie »müssen
ferenz der Partner schon hinlänglich bestimmtes die Möglichkeit der Auflösung aufs höchste er-
natürliches Verhältnis. Beide Deutungen verken- schweren, sie müssen das Recht des Sittlichen
nen den eigentümlichen Zwischencharakter des möglichst aufrecht erhalten« und die Ehe nicht
Sittlichen überhaupt und insbesondere von Ehe »dem nächsten Belieben« ausliefern (Ig 4.434).
und Familie: durch einen Willensakt konstituiert Um einem solchen schwankenden Belieben vor-
zu werden und doch kein beliebiges Vertragsver- zubeugen, polemisiert er gegen Positionen, die
hältnis zu sein, und ebenso nicht bloße Natur zu eine förmliche Verankerung zu etwas Unnötigem
sein, aber doch ein natürliches Moment zu haben. oder gar Störendem erklären: gegen »die Frech-
– Diese Betonung der natürlichen Grundlage der heit und den sie unterstützenden Verstand«
Ehe hat Hegel allerdings auch dazu veranlaßt, in (§ 164) – sprich: gegen Friedrich Schlegels Lu-
der Beschreibung der Geschlechterrollen dem zu cinde (1799, KFSA V.1–82) und Schleiermachers
folgen, was seine Zeit für »natürlich« hielt: Dem Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde
Mann sind » f r e y e A l l g e m e i n h e i t«, Gedanke (1800, KGA I/3.139–216).
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 387

9.5.7.3. Die »bürgerliche Gesellschaft« lich« ist diese Gesellschaft als Lebensraum des
»bourgeois« (§ 190), des sein Privatleben und
(1) In seiner sorgfältig ausbalancierten Darstel- seine ökonomischen Verhältnisse besorgenden
lung von Ehe und Familie zeigt Hegels Rechts- Bürgers, im Gegensatz zum »Staatsbürger«, zum
philosophie eine insgesamt eher traditionelle »citoyen«. Der Begriff des »bourgeois« enthält die
Seite; seine Theorie der zweiten Gestalt der Sitt- terminologische Rechtfertigung, die neu ent-
lichkeit, der »bürgerlichen Gesellschaft«, gilt hin- deckte Sphäre »bürgerliche Gesellschaft« zu nen-
gegen als ihr progressivstes und auch wirkungs- nen – anderenfalls wäre die Rede von »bürger-
geschichtlich wichtigstes Element. Hegel führt es licher Gesellschaft« als terminologische Bosheit
nicht erst, wie immer noch zu lesen ist, in den einzustufen. Und die Analogie zwischen dem fik-
Grundlinien (1821) ein: Bereits das Kolleg tiven und dem »bürgerlichen Naturzustand«, die
1817/18 enthält eine ausgearbeitete Abhandlung beide zum »bellum omnium contra omnes« wer-
der »bürgerlichen Gesellschaft«. den läßt, liegt in der Abwesenheit staatlicher
Das lateinische Pendant, »societas civilis«, ist Ordnungsstrukturen. Deshalb gilt auch für die-
freilich selbst ein traditioneller, in die Antike sen neuen »bürgerlichen Naturzustand« weiter-
zurückreichender Terminus. Im Naturrecht der hin Hobbes’ Imperativ »exeundum esse e statu
frühen Neuzeit, seit Hobbes, fungiert »bürger- naturali« (De cive, I,13): Aus dem einen wie dem
liche Gesellschaft« als Gegenbegriff zum »Natur- anderen ist hinauszugehen in den Staat.
zustand«: Der Mensch muß den Naturzustand (3) Und doch hat das »exeundum esse« im Blick
(status naturalis) verlassen und eine bürgerliche auf die »bürgerliche Gesellschaft« einen anderen
Gesellschaft (societas oder status civilis) oder Sinn: Sie ist nicht zu verlassen wie der rechtsfreie
einen »Staat« begründen. Hegel hingegen ver- Naturzustand, sondern sie ist durch die ihr über-
wendet den Terminus nicht allein in einem enge- geordnete Sphäre des eigentlich Politischen, des
ren Sinn: »Bürgerliche Gesellschaft« bezeichnet Staates zu kontrollieren; sie darf sich nicht als das
die zwischen den Ebenen der Familie und der Höchste setzen. Aber auch abgesehen von der
staatlichen Institutionen angesiedelte wechsel- Dominanz des Staates ist die »bürgerliche Gesell-
seitige Verflechtung der ihre Privatinteressen ver- schaft« keineswegs als negativ gezeichnet: Zwar
folgenden Individuen. Deshalb aber ist sie nicht ist sie ein Kampf aller gegen alle, und durch die
mehr der Gegenbegriff zum »Naturzustand«, son- Jagd nach der Befriedigung der Bedürfnisse bie-
dern gleichsam die geschichtliche Wirklichkeit tet sie »das Schauspiel eben so der Ausschwei-
des in der neuzeitlichen Staatstheorie nur fikti- fung, des Elends und des beyden gemeinschaft-
ven »Naturzustands«: Denn während Hobbes den lichen physischen und sittlichen Verderbens dar«
»Naturzustand« als einen »Kampf aller gegen (§ 185).
alle« charakterisiert, aus dem in die »bürgerliche Doch diese Befriedigung der individuellen Be-
Gesellschaft« hinauszugehen ist, ist für Hegel dürfnisse ist etwas durchaus Berechtigtes, und
eben diese »bürgerliche Gesellschaft« »der zudem ist die »bürgerliche Gesellschaft« nicht auf
Kampfplatz des individuellen Privatinteresses Al- die ökonomische Sphäre beschränkt: Sie ist der-
ler gegen Alle« (§ 289) – oder prägnant: Die jenige Bereich des gesellschaftlichen Lebens, in
»bürgerliche Gesellschaft« i s t der zuvor nur g e - dem die Individuen das Recht ihrer Besonderheit
d a c h t e Naturzustand. wahrnehmen und ihr Leben als »Menschen« füh-
(2) Diese Umkehrung ist keineswegs eine ren – als »das Concretum d e r Vo r s t e l l u n g ,
bloße, provokativ gemeinte und gelungene das man M e n s c h nennt«, im Unterschied zur
Pointe. Hegel gibt hier nicht allein einem tradi- bloßen »Person« des abstrakten Rechts wie auch
tionellen Begriff eine neue und entgegengesetzte zum »Subjekt« der Moralität (§ 190). In dieser
Bedeutung; er bringt vielmehr eine Form des Anerkennung des Rechtes der Besonderheit sieht
gesellschaftlichen Lebens auf den Begriff, die in Hegel die entscheidende Differenz des antiken
der politischen Wirklichkeit und Theorie der und des modernen Staates: Die »alten Staaten«
Antike wie auch der frühen Neuzeit kein Vorbild werden durch die »selbstständige Entwicklung
hat und sich erst seit der Französischen Revolu- der Besonderheit« zerstört: »Das Prinzip der
tion als die spezifisch moderne apolitische Va- selbstständigen in sich unendlichen
riante des politischen Lebens etabliert. »Bürger- P e r s ö n l i c h k e i t des Einzelnen, der subjecti-
388 II. Werk

ven Freyheit, das innerlich in der c h r i s t l i c h e n nisse: Sie gingen gar nicht »von denen aus, die
Religion und äußerlich daher mit der abstracten diese Bedürfnisse haben sollten, sondern von
Allgemeinheit verknüpft in der r ö m i s c h e n Andern, die die Unbequemlichkeit auffinden und
Welt aufgegangen ist, kommt in jener nur sub- ihr abzuhelfen suchen« – und letztlich »von der
stantiellen Form des wirklichen Geistes nicht zu Gewinnbegierde Jener, die aufmerksam auf Un-
seinem Rechte.« Das Prinzip der modernen Staa- bequemlichkeiten machen, die Jenen entgingen.«
ten hingegen sieht Hegel in einer Einheit, welche So wird das Bedürfnis schließlich »zur Sache der
dieser Besonderheit gerecht wird: »welche den subjektiven Willkühr, der Meinung«, die befrie-
G e g e n s a t z der Vernunft z u s e i n e r g a n z e n digt werden will (Ig 3.593, 4.492).
S t ä r k e a u s e i n a n d e r g e h e n läßt, und ihn Diese gesellschaftliche Vermitteltheit des Be-
überwältigt hat, in ihm somit sich erhält, und i h n dürfnisses macht es plausibel, daß diejenigen, die
i n s i c h z u s a m m e n h ä l t .« (§ 185) ihr Privatinteresse zu verfolgen scheinen, eben
(4) Es ist jedoch keineswegs nur ein äußeres hierdurch zum Wohl des Ganzen beitragen –
Einwirken des Staates, das die »bürgerliche Ge- dank der Regie der »invisible hand« (Adam
sellschaft« stabilisiert. Auch die zunächst chao- Smith), die die ökonomische Sphäre zu einem
tisch scheinende Befriedigung der Bedürfnisse sich selbst regulierenden System erhebt. Die
organisiert sich zu einem »System der Bedürf- » s u b j e c t i v e S e l b s t s u c h t« schlägt »in den
nisse« – und unter diesem Titel greift Hegel auf Beytrag zur Befriedigung der Bedürf -
die Einsichten der » S t a a t s - O e k o n o m i e« zu- n i s s e A l l e r a n d e r n um« (§ 199). So ist die
rück. Diese Rezeption der Nationalökonomie in »bürgerliche Gesellschaft« die Sphäre, in der die
der politischen Philosophie ist auch zu Beginn Individuen trotz ihres Kampfes gegen einander
des 19. Jahrhunderts keineswegs selbstverständ- nicht allein ihre Subsistenz finden, sondern zu-
lich. Für Kants Metaphysik der Sitten (1797) gleich das »Wohl« des Ganzen verwirklichen.
spielt sie noch keine Rolle; Fichte hingegen ver- Eine Bedingung dieses Systemcharakters sieht
steht seinen »philosophischen Entwurf« Der ge- Hegel in der Differenzierung der »bürgerlichen
schloßne Handelsstaat (1800, GA I/7) als einen Gesellschaft« in drei ökonomische »Stände« –
»Anhang zur Rechtslehre«, doch geht er hier ei- den substantiellen oder unmittelbaren, den re-
gene Wege, die wenig Nachfolge gefunden ha- flektierenden oder formellen und den allgemei-
ben. Spuren einer Rezeption der Nationalöko- nen Stand, oder in Ackerbau, Gewerbe und Be-
nomie finden sich auch in Schleiermachers Vor- amtenschaft. Diese Gliederung ist für ihn nichts
lesungen über die Lehre vom Staat (KGA II/8), bloß Faktisches, sondern etwas an sich Vernünfti-
jedoch weit weniger entwickelt als bei Hegel. So ges – denn ein sich selbst organisierendes »Sy-
ist es verständlich, daß Marx seine Kritik der stem« ohne interne Differenzierung kann es nicht
politischen Ökonomie später insbesondere im geben. Die Zugehörigkeit zu diesen Ständen ist
Blick auf Hegel und in Absetzung von ihm ent- für ihn jedoch nichts Fixes; sie ist zwar bedingt
wickelt. durch »Naturell, Geburt und Umstände«, »aber
Aus der Nationalökonomie nimmt Hegel insbe- die letzte und wesentliche Bestimmung liegt in
sondere die Einsicht auf, daß die Sphäre der d e r s u b j e c t i v e n M e y n u n g und d e r b e -
Bedürfnisse und ihrer Befriedigung ein »System« s o n d e r n W i l l k ü h r « (§ 206).
bildet – ein sich selbst organisierendes Ganzes –, (5) Die »bürgerliche Gesellschaft« beschränkt
dessen interne Gesetzmäßigkeit theoretisch be- sich jedoch nicht auf ein solches »System der
schrieben werden kann und das deshalb nicht Bedürfnisse«: Hegel spricht ihr noch weitere in-
mehr als Teilbereich der praktischen Philosophie tern regulierende Strukturen zu – zunächst die
aufzufassen ist – was zudem Hegels Ansatz der »Rechtspflege« (§§ 209–229). Es hat Verwunde-
Philosophie des objektiven Geistes entgegen- rung erregt, daß der ›Etatist‹ Hegel die Rechts-
kommt. Die dieser Sphäre immanente Vernunft pflege nicht als eine der Gewalten des Staates
gliedert sie »zu einem organischen Ganzen von denkt, sondern sie der »bürgerlichen Gesell-
Unterschieden«, die auch dort, wo sie auf Natür- schaft« zuordnet – mit dem Argument, daß die
liches zurückgehen, gleichwohl »aus dem Geiste Sphäre des Relativen selbst »dem Rechte das
producirt« sind (§§ 200 f.) Dies gilt selbst für die D a s e y n giebt, als a l l g e m e i n a n e r k a n n t e s ,
unmittelbar und natürlich erscheinenden Bedürf- g e w u ß t e s und g e w o l l t e s zu seyn« (§ 209).
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 389

Das Recht ist somit nichts, was erst von »außen« h ä n g i g k e i t und N o t h der an diese Arbeit
oder von »oben«, aus der Sphäre des Staates, in gebundenen Classe«, und auch »bey dem U e -
die »bürgerliche Gesellschaft« eindringt, sondern b e r m a ß e d e s R e i c h t h u m s«, den sie erzeugt,
es erzeugt sich in ihr selbst. Es muß aber auch in ist sie doch nicht reich genug, »dem Uebermaße
ihr ausgesprochen und bekanntgemacht werden. der Armuth und der Erzeugung des Pöbels zu
Hegel plädiert deshalb für die Kodifikation des in steuern.« (§§ 243,245)
der Wirklichkeit immer schon vorhandenen »ver- Gegen derartige Fehlentwicklungen setzt He-
nünftigen« Rechts – insbesondere, aber nicht al- gel nicht allein die »Polizei«, sondern ebenso die
lein in der trotz des Verschweigens des Namens »Corporation« – berufsständische, genossen-
sehr exponierten Kritik an der Kodifikations- schaftliche Organisationen der drei zuvor ge-
feindlichkeit v. Savignys (§ 211). Gegen dessen nannten Stände, insbesondere des Gewerbes. Ih-
Ablehnung des Allgemeinen Landrechts für die nen schreibt Hegel die Aufgabe der Versittlichung
Preussischen Staaten (1794) betont Hegel, Herr- der sonst für sich isolierten Gewerbe zu, und
scher, die ihren Völkern ein Gesetzbuch geben, deshalb versteht er sie, neben der Familie, als
insbesondere ein systematisch geordnetes »Land- »die zweyte, die in der bürgerlichen Gesellschaft
recht«, seien »die größten Wohlthäter derselben gegründete s i t t l i c h e Wurzel des Staats«
geworden« – und dies gelte auch dann, wenn ein (§ 255). Doch im Gegenzug weist Hegel ebenso
solches Gesetzbuch keineswegs »Vollendung« dem Staat die Aufsicht über die Korporationen zu
und Unabänderlichkeit beanspruchen könne – »denn ein solches verknöchert gern, verhaußt
(§§ 215 f.). Dies ist ohnehin unmöglich, wenn die sich in sich« – wie in den alten Zünften, und: »der
Gesetzesformen an faktische Lebensformen, die Zunftgeist kann sehr engherzig werden nach der
Rechtsentwicklung an die Entwicklung der Ge- Gesinnung und der rechtlichen Seite« – und so
sellschaft gebunden bleiben. Deshalb fällt für auch die Korporation. »Allein diese Nachtheile
Schnädelbach (2000, 284) »Hegels Theorie der betreffen nicht das Wesen, die innere Berechti-
Rechtspflege in die Vorgeschichte der modernen gung der Sache selbst« (Ig 3.711, 4.628 f.).
Rechtssoziologie«. – Weiter macht Hegel sich (7) Doch letztlich reichen diese der »bürger-
hier – gegen die Tendenz der Restauration zur lichen Gesellschaft« immanenten Institutionen –
Bekräftigung der Patrimonialgerichtsbarkeit – »Polizei und Corporation« – nicht aus, um die
die zeitgenössischen Forderungen nach » O e f - Fehlentwicklungen zu begrenzen, die von ihr aus-
f e n t l i c h k e i t d e r R e c h t s p f l e g e« und ei- gehen. Hierzu bedarf es des Staates als des
nem » G e s c h w o r e n e n g e r i c h t« zu eigen machthabenden Allgemeinen – auch wenn Hegel
(§§ 224,227). es streng vermeidet, den Staat um seines Nutzens
(6) Neben der »Rechtspflege« ordnet Hegel für die »bürgerliche Gesellschaft« willen zu legiti-
noch einen weiteren Bereich der »bürgerlichen mieren. Heute allerdings scheint es, als sei die
Gesellschaft« zu: »Polizei und Corporation« von Hegel angestrebte Dominanz des Staates
(§§ 230–256). Daß Hegel hier von »Polizei« han- nicht verschont geblieben von der Dynamik der
delt ist weniger verwunderlich: Er orientiert sich »bürgerlichen Gesellschaft«, die er in anderer
an dem älteren, dem 18. Jahrhundert angehör- Hinsicht sehr drastisch beschreibt: Die »bürger-
enden Begriff der Polizei als einer Instanz, die liche Gesellschaft« habe bereits die Familie als
nicht speziell für die Sicherheit gegen Verbrechen die traditionelle ökonomische Basis in sich aufge-
zuständig ist, sondern für die Sorge für das Wohl- sogen. Sie reiße das Individuum aus dem Band
ergehen des Ganzen insgesamt – für »Aufsicht der Familie heraus, »entfremdet dessen Glieder
und Vorsorge« (§ 235). Es geht Hegel hier auch einander, und anerkennt sie als selbstständige
keineswegs um Verbrechensbekämpfung, son- Personen«; das Individuum sei hierdurch statt
dern um die ordnungspolitisch erforderliche Kor- zum Sohn seiner Eltern zum » S o h n d e r b ü r -
rektur ökonomischer Fehlentwicklungen, die die g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t geworden« (§ 238).
interne Dynamik der »bürgerlichen Gesellschaft« Diese sei »die ungeheure Macht, die ihn [sc. den
freisetzt: Wie sie auf der einen Seite den Reich- Menschen] an sich reißt, von ihm fordert für sie
tum vermehrt, vergrößert sie auf der anderen zu arbeiten, alles durch sie zu sein, vermittelst
Seite »die Ve r e i n z e l u n g und B e s c h r ä n k t - ihrer zu thun.« (Ig 3.700) Inzwischen allerdings
h e i t der besondern Arbeit und damit die A b - scheint es, als habe die »bürgerliche Gesellschaft«
390 II. Werk

das ihr von Hegel zugewiesene Unterordnungs- (2) Es ist eigentümlich, daß der häufig gegen
verhältnis gegenüber dem Staat umgekehrt und Hegels Staatsbegriff erhobene Verdacht sich aus-
auch diesen für die Durchsetzung ihrer Inter- schließlich gegen eines seiner Momente richtet –
essen instrumentalisiert – und zumal unter der gegen das Moment der Allgemeinheit. Für Hegel
zynischen Vorspiegelung der Befreiung des In- liegt die Signatur des Staates jedoch in der Ver-
dividuums von Herrschaftsverhältnissen. mittlung von Allgemeinheit und Einzelheit: Die
»Vernünftigkeit« des Staates bestehe »in der sich
durchdringenden Einheit der Allgemeinheit und
9.5.7.4. Der Staat
der Einzelnheit, und hier concret dem Inhalte
(1) Für den Heidelberger und Berliner Hegel ist nach in der Einheit der objectiven Freyheit d. i.
die vollendete Gestalt der Sittlichkeit der Staat – des allgemeinen substantiellen Willens und der
und nicht mehr das »Volk«, wie in der von Herder subjectiven Freyheit als des individuellen Wis-
und der Romantik beeinflußten Jenaer Konzep- sens und seines besondere Zwecke suchenden
tion. Auch der vieldiskutierte Begriff des »Volks- Willens – und deswegen der Form nach in einem
geistes« hat in der Berliner Rechtsphilosophie – nach g e d a c h t e n , d . h . a l l g e m e i n e n Geset-
anders als in der Geschichtsphilosophie – keinen zen und Grundsätzen sich bestimmenden Han-
systematischen Ort mehr; er findet sich nur noch deln.« (§ 258) Und diese Einheit ist für Hegel
einmal (Grundlinien, § 257), verbunden mit dem nichts Unmittelbares, sondern das Resultat einer
Hinweis auf Athene, und drei Mal in der Plural- von der Antike ausgehenden verfassungsge-
form. In dieser Verabschiedung des Volksbegriffs schichtlichen Entwicklung: »Das Prinzip der mo-
bündeln sich mehrere Tendenzen: die systemati- dernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und
sche Orientierung am Willensbegriff statt am Tiefe, das Prinzip der Subjectivität sich zum
substantialen Sein, die stärkere Verrechtlichung s e l b s t s t ä n d i g e n E x t r e m e der persönlichen
der politischen Sphäre und – damit verbunden – Besonderheit vollenden zu lassen, und zugleich
ihre »organische« Strukturierung, die im Volks- es in die s u b s t a n t i e l l e E i n h e i t z u r ü c k -
begriff gerade nicht gedacht wird, auch wenn er z u f ü h r e n und so in ihm selbst diese zu er-
auf Grund seines biologischen Implikats mit dem halten.« (§ 260) Für ein Denken, für das » d a s
Organismusbegriff verknüpft scheint, und I n t e r e s s e d e r E i n z e l n e n a l s s o l c h e r der
schließlich die Distanz zur Romantik, insbeson- letzte Zweck« ist (§ 258), erscheint Hegels Drän-
dere zu ihren damaligen Erscheinungsformen in gen auf »Vereinigung« von Allgemeinheit und
Deutschtümelei und Forderung nach einem Na- Individuum freilich als Verrat an dessen Integrität
tionalstaat. Für Hegel hingegen ist das Volk nun – für Hegel hingegen ist eine derartige Fixierung
eine natürliche und keine politische Einheit – ja auf den Einzelnen durch die Abstraktion vom
abgesehen von seiner politischen Gliederung vorhandenen Allgemeinen erkauft – und somit
bleibt ihm nur »die wüste Vorstellung des Vo l - nicht allein eine irreale, sondern eine nicht ein-
k e s« übrig (§ 279). Deshalb ist nicht das Volk, mal wünschenswerte politische Illusion.
sondern der Staat »die Wirklichkeit der sittlichen Ein weiterer Einwand richtet sich dagegen, daß
Idee«, als Einheit der in der unmittelbaren Exi- Hegel dem Staat göttliche Ehren zuspricht. Doch
stenz bestehenden »Sitte« und des Selbstbewußt- gilt dies zum einen nicht für die bloße – und
seins des Einzelnen, der den Staat als seinen damit abstrakte – Allgemeinheit des Staates, son-
Zweck und auch als Produkt seiner Tätigkeit dern für eben diese Vermittlung von Allgemein-
weiß und darin seine Freiheit hat (§ 257). Aller- heit und Einzelheit, für das sich Wissen und sich
dings präzisiert Hegel hier sehr genau, wie diese frei Wissen des Individuums im Staat; und zum
Produktion zu verstehen sei: »Bei der Freiheit anderen betont Hegel in seinen Vorlesungen, der
muß man nicht von der Einzelnheit, vom einzel- »wirkliche Gott« sei nicht etwa ein besonderer
nen Selbstbewußtsein ausgehen, sondern nur Staat, sondern »die Idee« als das Prinzip der
vom Wesen des Selbstbewußtseins; dieß Wesen Einheit von Wirklichkeit und Wissen (Ig 4.632).
ist die Freiheit, der Mensch mag es wissen oder Ferner hat dieser Anspruch auf göttliche Ehren
nicht, und dieß Wesen realisirt sich als selbstän- den erwünschten politischen Effekt, die von der
dige Gewalt, in der die einzelnen Individuen nur Restauration beabsichtigte unmittelbare Unter-
Momente sind« (Ig 4.632). werfung des Staates unter ihm äußerliche reli-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 391

giöse Zwecke zu blockieren: Als »wirklicher Vertrag, einer ausdrücklichen Einwilligung der
Gott« kann der Staat nicht im Dienst der Religion Einzelnen nach dem Modell des Privatrechts zu
instrumentalisiert werden – ähnlich wie schon verdanken – und aus diesem Mißverständnis
für Hobbes die Auszeichnung des Staates als des sieht Hegel die ambivalenten Folgen entspringen,
»sterblichen Gottes« (Leviathan, XVII) dessen die das »ungeheure Schauspiel« der Französi-
Eigenständigkeit gegenüber kirchlichen Herr- schen Revolution aufgeführt haben: »die Verfas-
schaftsansprüchen unterstreicht. Und schließlich sung eines großen wirklichen Staates mit Um-
ist genau zu sehen, was solche ›Göttlichkeit‹ des sturz alles Bestehenden und Gegebenen, nun
Staates bedeutet: Er ist eine letzte, nicht mehr ganz von Vorne und vom G e d a n k e n anzufan-
transzendierbare wahrhafte Wirklichkeit. Aber gen, und ihr bloß das v e r m e y n t e Ve r n ü n f -
auch diese Präzisierungen können nicht darüber t i g e zur Basis geben zu w o l l e n , andererseits,
hinwegtäuschen, daß Hegels Ausdrucksweise ein weil es nur ideenlose Abstractionen sind, haben
Relikt einer Zeit ist, in der sich die politische sie den Versuch zur fürchterlichsten und grellsten
Sphäre erst schrittweise von religiösen Begrün- Begebenheit gemacht.« Diese ambivalente Ein-
dungsgängen ablöst. Was zu Hegels Zeit pro- schätzung der Französischen Revolution bleibt
vokant geklungen hat, erscheint in der Epoche von seinen Berner Briefen (s. 10) bis in seine
des säkularen Staates als Atavismus vergangener spätesten Stellungnahmen unverändert.
Zeiten. (4) Die Konstitution des Staates erörtert Hegel
(3) Für die Erkenntnis des Begriffs des moder- unter dem Titel »Das innere Staatsrecht«, das er
nen Staates hebt Hegel Rousseau heraus – eher seit der Vorlesung von 1819/20 nochmals in »In-
unerwartet, da er Rousseau zumeist seines ab- nere Verfassung für sich« und »Souveränität ge-
strakten Freiheitsbegriffs wegen kritisiert. Doch gen Außen« untergliedert – wenn auch sehr
hier zeichnet er als Rousseaus Verdienst aus, »ein asymmetrisch, da fast die gesamte Abhandlung
Prinzip, das nicht nur seiner Form nach, (wie des »inneren Staatsrechts« unter die »innere Ver-
etwa der Socialitätstrieb, die göttliche Autorität) fassung« fällt, nämlich als Exposition der drei
sondern dem Inhalte nach G e d a n k e ist, und Gewalten des Staates. Ihr schickt Hegel jedoch
zwar das D e n k e n selbst ist, nämlich den noch allgemeine Ausführungen zu den Grund-
W i l l e n als Prinzip des Staats aufgestellt zu ha- lagen des Staates voraus (§§ 260–271, 272–274),
ben.« Gleichwohl wirft er ihm vor, den Willen in denen er die für ihn zentrale Aufgabe des
falsch, nämlich als einzelnen Willen gefaßt zu Staates, die Vermittlung der Allgemeinheit und
haben, und daß er andererseits den »allgemeinen Einzelheit, des »allgemeinen Endzwecks und des
Willen« »nicht als das an und für sich Vernünftige besonderen Interesses der Individuen«, der Not-
des Willens, sondern nur als das G e m e i n - wendigkeit und der Freiheit nochmals heraus-
s c h a f t l i c h e , das aus diesem einzelnen stellt und ausführt – etwa zur dualen Struktur von
Willen a l s b e w u ß t e m hervorgehe, faßte« »politischer Gesinnung« und » O r g a n i s m u s
(§ 258). des Staats« oder politischer Verfassung
In diesen wenigen, aber entscheidenden Wor- (§§ 267ff.). In ihnen sieht Hegel jedoch nicht
ten skizziert Hegel den paradoxen Charakter der zwei gleichursprüngliche und -berechtigte Mo-
Genese des modernen Staates: Er entspringt dem mente der Idee: Er versteht die «Gesinnung« –
Denken, dem Willen, also dem »Prinzip der Sub- oder den »Patriotismus« im allgemeinen Sinne –
jektivität« – und deshalb kann der Einzelne sich als »Resultat der im Staate bestehenden Institu-
in ihm als versöhnt finden. Er entspringt aber tionen, als in welchem die Vernünftigkeit w i r k -
gerade nicht dem seiner selbst bewußten Denken l i c h vorhanden ist« (§ 268). Habermas’ Schlag-
und Willen, sondern gleichsam ›hinter dem Rük- wort »Verfassungspatriotismus« liegt hier nicht
ken des Selbstbewußtseins‹. Man verfehlt des- fern – sofern nur unter »Verfassung« nicht ein
halb den Gedanken des modernen Staates so- kodifiziertes »Grundgesetz«, sondern die Wirk-
wohl, wenn man ihn für etwas Natürliches hält lichkeit des bestehenden, vernünftig gegliederten
und nicht sieht, daß er aus dem vernünftigen Staates verstanden wird, die wiederum in der
Willen hervorgeht – aber nicht minder, wenn »Gesinnung« ein den Staat stabilisierendes Mo-
man ihn als Produkt des selbstbewußten Willens ment erzeugt: »Durch die Gewalt (ist die Vor-
versteht. Dann nämlich scheint er sich einem stellung oft) hänge der Staat zusammen, doch das
392 II. Werk

Haltende ist das Grundgefühl der Ordnung, das ohne geschriebene Verfassung eine weit größere
alle haben« (Ig 3.725). Stabilität. Und dennoch optiert Hegel zwar im-
Das wirkliche Bestehen einer solchen Ordnung plizit, aber gleichwohl eindeutig zu Gunsten der
ist für Hegel entscheidend. Deshalb räumt er Kodifikation – etwa in seiner Polemik gegen v.
zwar ein, es sei »höchst wichtig, daß man in Savignys Ablehnung einer Privatrechtskodifika-
neuern Zeiten bestimmtere Anschauungen über tion (in deren Hintergrund ohnehin die Kodifika-
den Staat im Allgemeinen hat; Verfassungen zu tion einer Verfassung stand) und gegen v. Hallers
machen ist ein höchst Allgemeines geworden. »Haß des Gesetzes« (§ 211,258; vgl. s. 274).
Aber damit ist es nicht abgemacht.« (Ig 3.744). (5) Das Strukturprinzip der Staatslehre Hegels
Und so läßt er keinen Zweifel daran, daß die liegt in der Gewaltenteilung (§§ 272–320). Die
Frage, » w e r d i e Ve r f a s s u n g m a c h e n Gestalt, die er ihr gibt, weicht jedoch von derje-
s o l l ?«, »sinnlos« sei – denn eine Verfassung ist nigen ab, die sich damals herauskristallisiert und
nichts »Gemachtes«, sondern »das schlechthin an bis heute die Verfassungswirklichkeit bestimmt –
und für sich seyende, das darum als das Göttliche und zwar in formaler wie in materialer Hinsicht.
und Beharrende, und als über der Sphäre dessen, Hegel wertet sie als eine »höchst wichtige Be-
was gemacht wird, zu betrachten ist« – was je- stimmung«, »welche mit Recht, wenn sie nämlich
doch ihre verfassungsgemäße Fortschreibung in ihrem wahren Sinne genommen worden wäre,
keineswegs ausschließt (§ 273). Damit wendet als die Garantie der öffentlichen Freyheit be-
Hegel sich gegen die bis in die Antike zurück- trachtet werden konnte […] – denn in ihr ist es
reichende Vorstellung eines weisen Gesetzge- eben, wo das Moment der v e r n ü n f t i g e n B e -
bers, des »législateur« Rousseaus, wie auch gegen s t i m m t h e i t liegt.« (§ 272) Bereits die Rede
die Verfassungsdiktate Napoleons – und dies mit von »Gewaltenteilung« erwecke jedoch die fal-
einem Argument analog zum Protest der Histori- schen Assoziationen des Verstandes, als sei damit
schen Rechtsschule gegen ein vernunftrechtliches die » a b s o l u t e S e l b s t s t ä n d i g k e i t der Ge-
»Machen«, aus dem nur ein »Gedankending« re- walten gegeneinander« ausgesprochen – und de-
sultieren kann. ren Folge wäre, wie das Beispiel der Französi-
Gegenüber der Betonung des wirklichen Beste- schen Revolution lehre, »die Zertrümmerung des
hens einer verfassungsmäßigen Ordnung wird Staats« (§ 272).
eine weitere Frage sekundär: ob diese Verfassung Diesen Vorbehalt gegen die Teilung der Ge-
in einer Urkunde kodifiziert sei. Auch Staats- walten spricht Hegel provokativ aus – übrigens
lehrer, die heute als »liberal« gelten, zeigen noch nicht anders als Schleiermacher (KGA II/8.539).
in den 1830er Jahren wenig Verständnis für das Ohnehin ist es nicht zweifelhaft, daß auch in der
Verlangen nach einer geschriebenen Verfassung. Verfassungswirklichkeit der Gegenwart keine
Schleiermacher etwa polemisiert dagegen, daß strikte Teilung der Gewalten stattfindet, sondern
einem solchen »Papiere eine solche garantirende lediglich eine Differenzierung. Sie erlaubt es
Bedeutung beigelegt ist« (KGA II/8.585) – in etwa, die Spitze der exekutiven Gewalt durch die
Wendungen, ähnlich denjenigen, mit denen we- legislative wählen zu lassen – und ähnliches gilt
nig später der preußische König Friedrich Wil- für die Iudikative –; ein weiteres Beispiel bildet
helm IV. die Erfüllung des alten Verfassungsver- die Initiative zu Gesetzesvorhaben. Schon da-
sprechens verweigert: Er wolle nicht, daß ein durch ist der von Hegel befürchtete »Kampf« der
solches »Papier« zwischen ihm und seinem Volke Gewalten gegeneinander ganz in seinem Sinne
stehe. In dieser Distanz zur Kodifikationsforde- verhindert. Sein Modell verlangt jedoch noch
rung spricht sich nicht etwa eine opportunistische eine weitergehende Vermittlung: »daß j e d e die-
Akkomodation an die Nichterfüllung des könig- ser G e w a l t e n selbst in sich die To t a l i t ä t
lichen Verfassungsversprechens aus. Sie ist viel- dadurch ist, daß sie die andern Momente in sich
mehr ein Ausdruck der politischen Erfahrung, wirksam hat und enthält« (§ 272). Seine Dar-
daß die Kodifikation nicht das Entscheidende sei: stellung der einzelnen Gewalten sucht die Ver-
Denn Länder wie Frankreich, die bereits solche wirklichung dieses Prinzips nachzuweisen – wo-
Verfassungen haben, vermitteln keineswegs den bei ihm entgegenkommt, daß seine Gewalten-
Eindruck, daß sie die Stabilität der politischen trias von der inzwischen kanonischen material
Verhältnisse garantiere; England hingegen zeigt unterschieden ist.
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 393

Die Unterscheidung der Gewalten ist damals, 8) und überhaupt für die Staatsphilosophie seiner
wie etwa aus Kants Rechtslehre oder Schleier- Zeit, die ja aus der Anschauung der Französi-
machers Vorlesungen über die Lehre vom Staat zu schen Revolution und damit auch der »terreur«
ersehen ist, noch nicht auf die Dreiheit von Le- entspringt. Sie ist es aber nicht etwa, weil sie im
gislative, Exekutive und Iudikative festgelegt, Gegensatz gegen die Verwirklichung von Freiheit
auch wenn diese bereits dominiert. Entgegen den steht, sondern gerade die monarchische Verfas-
zum Teil willkürlichen Aufzählungen einer Viel- sung gilt als diejenige, die am besten geeignet
heit von Gewalten sucht Hegel sie am Maßstab erscheint, Freiheit zu sichern (§ 286) – und in
der Begriffsmomente zu entfalten: Die gesetz- Anbetracht der damaligen politischen Situation
gebende und die ausführende entsprächen der nicht zu Unrecht. Doch hat Hegels ungewöhn-
»Allgemeinheit« und der »Besonderheit«; die liche Behandlung der »fürstlichen Gewalt« die
richterliche sei »nicht das Dritte des Begriffs, Zweischneidigkeit seiner Ausführungen verdun-
denn ihre Einzelheit liegt außer jenen Sphären« kelt: Er hebt die Stellung des Monarchen zwar
(Ig 3.748). Hegel ersetzt die Iudikative durch die gebührend heraus – ja er sieht sie der »Vor-
»fürstliche Gewalt« – und durch diesen heute stellung« benachbart, »das Recht des Monarchen
befremdenden Schritt löst er drei Probleme zu- als auf göttliche Autorität gegründet zu betrach-
gleich: Er erweist die logische Struktur des Be- ten« – doch fährt er fort: »Aber es ist bekannt,
griffs als die Struktur auch der politischen Wirk- welche Mißverständnisse sich hieran geknüpft
lichkeit, er adaptiert die Gestalt der Gewalten- haben« (§ 279). Gegen die Restauration betont er,
trias an die Erfordernisse der konstitutionellen daß die Staatsgeschäfte mit den »besonderen Per-
Monarchie und er verleiht dieser den Schein der sönlichkeiten« nur »äußerlicher und zufälliger-
Legitimation durch den Begriff. Es war damals ja weise verbunden« seien und die Staatsgeschäfte
nicht zweifelhaft, daß der Monarch diejenige ver- »daher nicht P r i v a t - E i g e n t h u m seyn« kön-
fassungsmäßige »Gewalt« darstellte, in der sich nen (§ 277). Die »Souveränität« habe ihre Exi-
die anderen vereinigen – und wenn man ihn nicht stenz in der Persönlichkeit des Monarchen – aber
als eine der drei Gewalten begriffe, hätte man ihn sie ist die Souveränität des Staates (§§ 278 f.). Im
als eine ›Gewalt höherer Ordnung‹, als eine ›Ge- Moment der Persönlichkeit liege auch das Mo-
walt über den Gewalten‹ bestimmen müssen, was ment der Zufälligkeit und Natürlichkeit, und so
kaum weniger befremdlich wäre. sei es die »natürliche G e b u r t«, die »zur Würde
Diese Ersetzung der Iudikative durch die des Monarchen bestimmt«. Dies ist auch in den
»fürstliche Gewalt« hat vielfache Kritik ausgelöst. nicht wenigen heutigen Monarchien der Europäi-
Verstärkt wird sie noch durch den Umstand, daß schen Union nicht anders – und es hängt schon
Hegel die drei Gewalten nicht in der logischen für Hegel unablösbar damit zusammen, daß es
Reihenfolge abhandelt, sondern mit der »Ein- nur um die formelle »Spitze der Entscheidung« zu
zelnheit«, der fürstlichen Gewalt, beginnt und tun ist: »Was man also braucht zu einer Monar-
über die Besonderheit (Exekutive) zur Allge- chie ist dieß einen Menschen zu haben, der ›Ja‹
meinheit (Legislative) fortschreitet. Dies aller- sagt«. Das »Ich will« des Monarchen – nicht
dings dürfte primär ein Darstellungsproblem sein anders übrigens als das eines gewählten Präsi-
und nicht ein Ausdruck politischen Wohlverhal- denten – setzt lediglich die objektive Seite des
tens – zumal bei Hegel ja eigentlich die dritte Gesetzes in Kraft; es setzt den »Punkt auf das I
Kategorie sich als Grund der vorhergehenden […], denn die Spitze soll so sein, daß die Be-
erweist, so daß die Umstellung eher einer Depo- sonderheit des Characters nicht das Bedeutende
tenzierung der fürstlichen Gewalt gleichkommt. sei« (Ig 3.764). – Varnhagen berichtet in seinen
Sie hat auch nichts mit preußischer Staatsphiloso- Tagebüchern (9. 1. 1840, Bd. 1.161), der König
phie oder mit den »Karlsbader Beschlüssen« zu habe auf die Denunziation, Hegels Lehre unter-
tun – denn Hegel nimmt diese »Kategorienver- grabe u. a. wegen dieser Behauptung Monarchie,
tauschung« bereits in seiner Heidelberger Vorle- Religion und Sittlichkeit, lediglich spöttisch ge-
sung 1817/18 vor (GW 26,1; V 1.200). antwortet: »Und wenn er es nun n i c h t macht?« –
Fraglos ist für Hegel die konstitutionelle Mon- und in dieser Frage sieht Koselleck die damalige
archie die am höchsten entwickelte Staatsform – Stellung des Monarchen treffend charakterisiert:
wiederum wie auch für Schleiermacher (KGA II/ »Er konnte Handlungen unterlassen, ohne daß
394 II. Werk

die Behörden ihn hätten zwingen können. Aber R e p r ä s e n t a n t e n einer der wesentlichen
er konnte nicht handeln, ohne der ministeriellen S p h ä r e n der Gesellschaft« und die »großen In-
Zustimmung sicher zu sein.« (1975, 278) teressen« zur Geltung bringen.
(6) Anders als für den Monarchen fordert He- Wenige Partien der Rechtsphilosophie schei-
gel für die Ausübung der »Regierungsgewalt« den nen so handgreiflich antiquiert wie die Stände-
Erweis der »Befähigung« (§ 291) – und Gleiches lehre – obgleich Hegel nicht die alten Feudal-
gilt für den »Staatsdienst« überhaupt, für die stände zu restituieren sucht, die er bereits in
Beamtenschaft. Sie ist damals ein vergleichs- seiner Schrift über die Württembergischen Land-
weise neues Phänomen, und Hegel sucht sie auf stände scharf kritisiert (s. 258 f.). In den politi-
den Begriff zu bringen, »mit bemerkenswert mo- schen Ständen sieht Hegel »das Moment der
dernen Thesen zur Soziologie des Beamtentums« subjectiven f o r m e l l e n F r e y h e i t , das öffent-
(Schnädelbach 2000, 317). Er strebt aber auch ein liche Bewußtseyn als e m p i r i s c h e A l l g e -
politisches Bündnis mit ihr an, da sie in diesen m e i n h e i t der Ansichten und Gedanken der
frühen Jahren des Vormärz ein progressives Ele- V i e l e n« zur Existenz kommen; sie stehen als
ment gegenüber den restaurativen Kräften bildet » v e r m i t t e l n d e s Organ« zwischen der Regie-
(Koselleck 1975, 263,387–389). rung und dem »in die besondern Sphären und
(7) In der »gesetzgebenden Gewalt« schließlich Individuen aufgelösten Volke« (§§ 301 f.) – übri-
sieht Hegel gemäß seinem Vermittlungspro- gens mit dem beabsichtigten Effekt, daß »die
gramm auch das monarchische Element und die Vielen auch zum Mitsprechen kommen, die em-
Regierungsgewalt wirksam. Den Kern ihrer Dar- pirische Allgemeinheit ihr Recht mitzusprechen
stellung bildet jedoch Hegels Lehre von den erlangt, [das] Moment der subjektiven Freiheit«
Ständen und der Repräsentation. Und so sehr er (Ig 4.706). Im Kolleg 1817/18 weist Hegel der
sich mit ihr auf das Feld der zeitgenössischen Ständeversammlung jedoch über diese Vermitt-
Auseinandersetzungen begibt, so sehr erscheint lung hinaus noch eine weitere Aufgabe zu: die
sie heute als ein antiquiertes Modell: Die ständi- »Kontrolle über die Regierungsgewalt« – und zu
sche Repräsentation ist durch Nationalrepräsen- deren Wahrnehmung hält er auch die »Opposi-
tation und Parteiendemokratie abgelöst. tion« für ein »Hauptmoment« der Ständever-
Das Parteienprinzip allerdings kennt Hegels sammlung (GW 26,1; V 1.226 f.,240).
Staatslehre nicht – in Übereinstimmung mit sei- Die durch die Stände vermittelte Teilhabe am
ner politischen Umwelt, in der es keine Parteien politischen Leben, ihr »Mitwissen, Mitberathen
im gegenwärtigen Sinne gibt. Das Modell der und Mitbeschließen« (§ 314), vollzieht sich je-
Nationalrepräsentation hingegen ist ihm aus der doch auf zwei scharf geschiedenen Ebenen: He-
Französischen Revolution vertraut – doch lehnt gel konzipiert die politischen Stände zwar gleich-
er es mit den meisten seiner Zeitgenossen ab. Vor sam als Variante der Berufsstände der »bürger-
dem Hintergrund des zeitgenössischen Organis- lichen Gesellschaft« in der Sphäre des Staates –
musgedankens häuft er prinzipielle und pragma- allerdings mit dem markanten Unterschied, daß
tische Argumente gegen die Nationalrepräsenta- im »Stand der natürlichen Sittlichkeit« die durch
tion auf: Sie sei atomistisch, auf das abstrakte die Geburt begünstigten Majoratsherren an die
Individuum fixiert; sie verleite zur Gleichgültig- Stelle der Bauern treten und eine eigene »Kam-
keit der Stimmabgabe und dadurch zur Domi- mer« bilden – das ›Herrenhaus‹ (§§ 305–307).
nanz des zufälligen Interesses einer einzigen Par- Diesem ersten Stand spricht Hegel pauschal die
tei, das eigentlich in das Ganze eingebunden sein Berechtigung »zur Erscheinung« zu (§ 308). Mit
sollte; ihre vermeintliche Allgemeinheit werde dem »andern Theil des ständischen Elements«
überall durch einen vernunftwidrigen Wahlzen- hingegen tritt das Problem der Repräsentation
sus eingeschränkt, der die Fähigkeit zur Stimm- ein: Die (restliche und eigentliche) »bürgerliche
abgabe an den Bezug einer Leibrente binde. Re- Gesellschaft« muß auf Grund ihrer großen Zahl
präsentation, die der »organischen« Gliederung durch Abgeordnete vertreten werden – und deren
des Ganzen gerecht werde, müsse vielmehr stän- Abordnung läßt Hegel auf den Aufruf der fürst-
dische Repräsentation sein. Die Repräsentanten lichen Gewalt hin erfolgen, in Anlehnung an die
sollten gerade »nicht R e p r ä s e n t a n t e n als von vorhandene Gliederung der bürgerlichen Gesell-
E i n z e l n e n , von einer Menge seyn, sondern schaft »in ihre ohnehin constituirten Genossen-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 395

schaften, Gemeinden und Corporationen« sophie im Zusammenhang der europäischen Verfas-


(§ 308). sungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986; H. Tri-
stram Engelhardt, Jr. / Terry Pinkard (Hg.): Hegel
Damit zeichnet Hegel einen groben Umriß der
Reconsidered. Beyond Metaphysics and the Authorita-
damaligen Form der ständischen Repräsentation rian State. Dordrecht u. a. 1994; Siep (Hg.): Hegel,
– und hierbei ist keineswegs nur an Preußen zu Grundlinien der Philosophie des Rechts (1997),
denken: Die damaligen Verfassungen sind über- 193–265; Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie
wiegend ständisch – ob die altständische Vier- (2000), 245–323; Susanne Brauer: Die Familie in He-
gliederung des schwedischen Reichstags oder die gels Rechtsphilosophie. Freiburg/München 2007; Al-
bena Neschen: Ethik und Ökonomie in Hegels Philo-
in Italien durch Napoleon erlassenen Verfassun-
sophie und in modernen wirtschaftsethischen Entwür-
gen mit ihrer Einteilung in »Possidenti, Dotti, fen. Hamburg 2008 (HSB 49); Hannes Kastner: Noch
Merchanti«. Und Hegels Forderung nach Reprä- einmal: die Stellung des Monarchen. Oder: Hegels
sentation der »großen Interessen« (§ 311) erin- ›versteckte‹ Demokratietheorie. HS 43 (2009), 67–85.
nert wörtlich an seine Bemerkungen über die
Zusammensetzung des englischen Unterhauses
9.5.8. Staat und Religion
(GW 16.365,361). Doch anders als bei seiner
Konstruktion der »fürstlichen Gewalt« löst Hegel (1) Noch in den allgemein gehaltenen Eingangs-
hier nicht mehr seinen Anspruch ein, die spezifi- partien zum Kapitel »Das innere Staatsrecht«, in
schen Verfassungsbestimmungen durch den »Be- der Anmerkung zu § 270, geht Hegel ausführlich
griff« zu rechtfertigen. Dies würde schon am auf eines der großen Themen seiner Zeit ein: auf
Zweikammersystem scheitern, das er lediglich das Verhältnis von Religion und Staat. Die dama-
durch pragmatische Überlegungen rechtfertigt. ligen Auseinandersetzungen sind von gegenläufi-
Er macht sich zwar ›fortschrittliche‹ Forderungen gen Tendenzen geprägt: Einerseits lag die große
zu eigen, etwa die Forderung nach » O e f f e n t - Säkularisation, in der die Fürsten im Interesse
l i c h k e i t der Ständeverhandlungen«, und er ihrer Entschädigung für die linksrheinischen Ge-
verweist auf die ambivalente Bedeutung der »öf- bietsverluste wenig Rücksicht auf die Integrität
fentlichen Meinung« (§§ 314–320). Dennoch der Kirche nahmen, erst wenige Jahre zurück;
bleibt seine Ständelehre dem Verdacht ausge- andererseits waren die protestantischen Fürsten
setzt, sie wolle das Faktische zum Vernünftigen zugleich die obersten Bischöfe der Kirchen ihrer
verklären – wobei es freilich als Ironie des Fort- Länder; und die Romantiker, vornehmlich Nova-
schritts anzusehen ist, daß das Spektrum der lis, propagierten den Gedanken einer Wieder-
Bevölkerung nach Hegels Modell in größerer herstellung der alten Einheit der christlichen
Breite und die »großen Interessen« weniger ver- Welt – nicht allein der seit der Reformation ge-
steckt repräsentiert wären und agierten als in den trennten Konfessionen, sondern von Kirche und
heutigen Parlamenten. Staat überhaupt.
(2) Im Gegenzug gegen diese Tendenzen
Literatur: Karl August Varnhagen von Ense: Tagebü-
spricht Hegel schon früh seine Einsicht aus, daß
cher. Bd. 1. Leipzig 2 1863; Trott zu Solz, Adam von:
Hegels Staatsphilosophie und das Internationale Recht. das spannungsreiche Verhältnis von Kirche und
Göttingen 11932, ND 1967; Riedel: Bürgerliche Gesell- Staat nicht durch die Restitution ihrer Einheit –
schaft und Staat. Grundproblem und Struktur der He- unter vorangegangener Revision der Konfessi-
gelschen Rechtsphilosophie. Neuwied / Berlin 1970; onsspaltung – befriedet werden könne. Aller-
Riedel: Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2 dings habe diese Spaltung den Staat »vollständig
(1975); Reinhart Koselleck: Preußen zwischen Reform
zerrissen«. Aber erst diese Zerreißung des Staa-
und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung
und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. Stuttgart tes durch die Konfessionskirchen und Sekten
11967, 2 1975; Georg Ahrweiler: Hegels Gesellschafts- habe »auf wunderbare Weise doch zugleich die
lehre. Darmstadt / Neuwied 1976; Shlomo Avineri: Ahndung einiger Grundsätze gegeben, worauf
Hegels Theorie des modernen Staates, Frankfurt am ein Staat beruhen kan«. An die Stelle der alten,
Main 1976 (=Hegel’s Theory of the Modern State, von der Kirche gestifteten substantiellen Einheit
Cambridge 1972); Charles Taylor: Hegel and Modern
des Staates sei eine äußerliche Verbindung als
Society. Cambridge u. a. 1979; Udo Rameil: Sittliches
Sein und Subjektivität. Zur Genese des Begriffs der »Princip der modernen Staaten« getreten. Im
Sittlichkeit in Hegels Rechtsphilosophie. HS 16 (1981), Rückblick erweisen sich die Konfessionsspal-
123–162; Lucas / Pöggeler (Hg.): Hegels Rechtsphilo- tung, und in ihrer Folge die Trennung von Kirche
396 II. Werk

und Staat, sogar als conditio sine qua non für den unantastbare Weise«. In derartigen Konstellatio-
Begriff des Staates: »Daß nur ein Staat möglich nen kann es geschehen, daß gegen die Religion
ist, ist die Trennung der Religion und Politik »vielmehr eine rettende Macht gefodert ist, die
nothwendig« (s. 103). sich der Rechte der Vernunft und des Selbst-
Der Staat also, kann man ergänzen, wird durch bewußtseyns annehme.« Diese schwer überhör-
das Faktum der Kirchenspaltung zerrissen. Er bare Warnung Hegels richtet sich aber nicht ge-
wird aber nur so lange durch sie zerrissen, als er gen die Kirchen überhaupt, sondern gegen fehl-
wesentlich auf die Kirche als sinnstiftende Mitte geleitete Aktionen aus ihrem Umkreis oder mit
bezogen bleibt. Verliert er diese Mitte, muß er nachträglicher theologischer Billigung, die sich
sich als eine äußerliche Verbindung neu kon- gegen die wirkliche, in seiner Organisation ent-
stituieren. Diese äußerliche Verbindung ist Prin- faltete Vernunft des Staates auf ein höheres Recht
zip des modernen Staates, und sie ist zu hüten vor berufen zu können glauben – etwa zu einem
den mannigfaltigen Versuchen einer Resubstan- angeblich reinen Herzens vollzogenen politi-
tialisierung – auch vor einer religiösen. Hegel schen Mord (s. 43).
spricht hier das Prinzip des modernen Staates bei Trotz solcher Bedenken wird im frühen 19.
weitem schärfer und angemessener aus als seine Jahrhundert die Faktizität des religiösen Be-
Zeitgenossen – und nicht nur als seine Zeit- kenntnisses um ihres politischen Integrations-
genossen, sondern auch als Theoretiker noch des potentials willen noch weithin geschätzt. Auch
20. Jahrhunderts: Noch zu dessen Beginn be- Hegel spricht deshalb dem Staate noch das Recht
zeichnete Ernst Troeltsch (1906, 30) die kon- zu, »von allen seinen Angehörigen zu fordern,
fessionelle Gespaltenheit als einen Geburtsfehler daß sie sich zu einer Kirchen-Gemeinde halten« –
des deutschen Staates, den wir schwerlich je aber er fährt fort: »übrigens zu irgend einer, denn
heilen werden. auf den Inhalt […] kann sich der Staat nicht
(3) Hegels frühe Einsicht, daß das Prinzip des einlassen.« Dies können sogar Religionsgemein-
modernen Staates die bloß äußerliche Verbin- schaften sein, die keine Pflichten gegen den Staat
dung sei, läuft allerdings dem Urteil nicht nur anerkennen, wie Quäker oder Wiedertäufer. Mit
vieler späterer Staatsphilosophen weit voraus; sie bemerkenswertem Sarkasmus wendet Hegel sich
wird auch durch seine normative Entfaltung der deshalb gegen die damals im Deutschen Bund
Grundlagen des Staates als der Wirklichkeitsge- geltende Bindung der Staatsbürgerrechte an die
stalt sittlichen Lebens im genannten Paragraphen Zugehörigkeit zu einer der drei damals in
der Grundlinien nicht vollständig eingeholt. Das Deutschland privilegierten Konfessionskirchen.
Band, das den Staat als »sittlichen Staat« zusam- Das gegen die Verleihung von Bürgerrechten an
menhält, ist nun nicht mehr ein bloß äußeres. Es Juden »erhobene Geschrey« übersehe, daß die
umfaßt auch die Religion – jedoch nicht ohne Juden »zu allererst M e n s c h e n sind und daß diß
einen wichtigen Vorbehalt: Wohl ist die Religion nicht nur eine flache, abstracte Qualität ist«. Wir
das den Staat »für das Tiefste der Gesinnung wissen heute, wie verheerend sich die damalige
integrirende Moment« – jedoch nur, wenn sie gut gemeinte Absicht ausgewirkt hat, den Staat
sich nicht für sich apart setzt, sondern wenn sie durch seine Begründung auf christlich-religiöse
sich ihrerseits in die allgemeine Sittlichkeit des Fundamente, durch die Bindung der Staatsbür-
Staats einfügt. »Von denen, die den H e r r n s u - gerrechte an die Zugehörigkeit zu den drei christ-
c h e n , und in ihrer ungebildeten Meynung alles lichen Konfessionen, politisch zu stabilisieren,
u n m i t t e l b a r zu haben sich versichern, […] statt ihn als ein Gebilde eigenen Rechtes und
kann nur Zertrümmerung aller sittlichen Ver- eines eigenen Ethos zu verstehen.
hältnisse, Albernheit und Abscheulichkeit aus- (4) Die religionspolitische Zuspitzung im
gehen«. Es ist »das wohlfeilste, […] an der Gott- Laufe der 1820er Jahre im Zuge der europäischen
seeligkeit bereits alle Erforderniß zu haben, um Restaurationsbewegung – insbesondere in Frank-
die Natur der Gesetze und der Staatseinrichtun- reich – nötigt Hegel jedoch dazu, in den beiden
gen zu durchschauen, über sie abzusprechen und späteren Fassungen der Enzyklopädie (2§ 563,
wie sie beschaffen seyn sollten und müßten anzu- 3 § 552) und in den religionsphilosophischen Vor-

geben, und zwar, weil solches aus einem from- lesungen (V 3.339–347) sowie in seiner Rede zur
men Herzen komme, auf eine unfehlbare und Jubiläumsfeier der Confessio Augustana (s.
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 397

310 f.) die Position der Grundlinien wie auch der sondern weil das »protestantische Prinzip« viel-
»Vorlesungen über Philosophie der Weltge- mehr darin besteht, die Sittlichkeit des Staates
schichte« (1822/23, V 12.87 f.) in einem wichti- anzuerkennen und sie nicht von außen her reli-
gen Punkt zu revidieren. Er muß zur Kenntnis giös motivierten Forderungen zu unterwerfen.
nehmen, daß die politische Neutralisierung und Denn allein sie spricht das Prinzip des Christen-
Depotenzierung der Kirchen keineswegs so weit tums als das Selbstbewußtsein der Freiheit aus –
fortgeschritten ist, wie er – mit dem Neupro- und: »Es ist Ein Begriff der Freiheit in Religion
testantismus seiner Zeit – zunächst angenommen und Staat.« (V 3.340)
hat. Er sieht nun eine divergierende Haltung der Dieser »politische Protestantismus« Hegels
Konfessionen gegenüber dem Prinzip des »mo- wird leicht mißverstanden – als wolle Hegel nun
dernen Staates«, und deshalb hält er es nun nicht den Protestantismus als Staatsreligion inthroni-
mehr für beliebig, welcher kirchlichen Gemein- sieren und den Glauben zumindest protestanti-
schaft der einzelne zugehöre. Als »sittlicher« hebt scher Provenienz zum Hüter der individuellen
der Staat die frühere Entzweiung von Weltlich- Freiheit und der Sittlichkeit des Staates berufen.
keit und Heiligkeit in sich auf; die »Göttlichkeit« Der Protestantismus ist jedoch nur die negative
steht ihm nicht gegenüber, sondern er hat sie in Bedingung solcher Freiheit – und zwar deshalb,
sich selbst. Seine Stabilität wird deshalb nicht so weil er die Sittlichkeit des Staates anerkennt als
sehr durch unbesonnene Aktionen einzelner und in diesem selbst gegründet, als unabhängig von
ihre ebenso unbesonnene Rechtfertigung gefähr- einer spezifisch religiösen Fundierung und
det. Sie wird durch diejenige Kirche bedroht, die Steuerung bestehend. Paradox formuliert: Für
sich dieser Sittlichkeit des Staates nicht unter- den Hegel der späten 1820er Jahre ist ein freier
stellt, sondern ihn unter ihre Herrschaft zu brin- Staat ein protestantischer Staat, und zwar nicht,
gen sucht – gestützt auf die Behauptung, daß die weil der Protestantismus geeignet wäre, den
weltliche Macht nicht unmittelbar von Gott ver- Staat zu fundieren, sondern umgekehrt: weil der
liehen sei, sondern durch seinen Stellvertreter »protestantische Staat« vielmehr kein durch ex-
auf Erden. Jeder Versuch, den Staat Forderungen plizite Religion fundierter Staat ist, sondern sein
im Namen eines außer ihm stehenden Heiligen Fundament in sich selber hat.
zu unterwerfen, muß sein sittliches Leben zer- Und doch findet Hegel hier aus einem Schwan-
stören. ken und Zweifeln hinsichtlich der Tragfähigkeit
Hegel revidiert deshalb seine frühere Indiffe- dieses Fundaments nicht hinaus: An anderer
renz gegenüber dem Konfessionsunterschied. Stelle sieht er die Ablösung der Religion vom
Auch in seinen »Vorlesungen über die Philoso- Staate zwar als notwendig an, aber dennoch als
phie der Weltgeschichte« (1830/31) polemisiert eine letztlich nicht glückliche Lösung: »jenes
er nun gegen die (von ihm noch wenige Jahre Losreissen des Staatsrechtlichen, der Verfassung
zuvor geteilte) »Thorheit unserer Zeiten, Staats- [ist] um der Eigenthümlichkeit jener Religion
verfassungen unabhängig von der Religion er- willen, die das Recht und die Sittlichkeit nicht als
finden und ausführen zu wollen; die katholische a n s i c h seyend, als substantiell anerkennt, noth-
Religion obgleich mit der protestantischen ge- wendig; aber so losgerissen von der Innerlich-
meinschaftlich innerhalb der christlichen Reli- keit, von dem letzten Heiligthume des Gewis-
gion läßt die innere Gerechtigkeit und Sittlich- sens, dem stillen Orte wo die Religion ihren Sitz
keit des Staates nicht zu, die in der Innigkeit des hat, kommen die staatsrechtlichen Principien
protestantischen Princips liegt« (GW 18.173). und Einrichtungen ebensowohl nicht zu einem
Sittliches Leben und freie Verfassungen können wirklichen Mittelpunkte, als sie in der Abstrac-
sich nur in Verbindung mit einer Konfession ent- tion und Unbestimmtheit bleiben.« (GW 18.173)
falten, die sich als Träger dieses Freiheitsge-
dankens versteht und die Selbstgenügsamkeit der Literatur: Ernst Troeltsch: Die Trennung von Staat und
Weltlichkeit anerkennt – und dies ist nach den Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theo-
logischen Fakultäten. […] Heidelberg 1906; Reinhart
Erfahrungen dieser Jahre die protestantische.
Maurer: Hegels politischer Protestantismus. HSB 11
Hegel zeichnet sie also nicht deshalb aus, weil sie (1974), 383–415; Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der
dem sittlichen Leben eine protestantisch-kon- Staat als sittlicher Staat. Vortrag bei der Entgegen-
fessionelle Fundierung zu geben geeignet wäre, nahme des Reuchlinpreises der Stadt Pforzheim 1978
398 II. Werk

am 22. April 1978; Jaeschke: Staat aus christlichem Begreifen dessen, was ist, ist für Hegel nie eine
Prinzip und christlicher Staat. Zur Ambivalenz der Be- bloße – oder gar eine »wertfreie« – Deskription;
rufung auf das Christentum in der Rechtsphilosophie
es hat stets zugleich eine normative Implikation:
Hegels und der Restauration. In: Der Staat 18/3 (1979),
349–374; Jörg Dierken: Hegels »protestantisches Prin- »denn das w a s i s t , ist die Vernunft« (GW 14.15).
zip«. HSB 38 (1998), 123–146; Andreas Arndt / Chri- Allerdings ist diese Vernunft keine »praktische
stian Iber / Günter Kruck (Hg.): Staat und Religion in Vernunft« im Sinne Kants, sondern eine imma-
Hegels Rechtsphilosophie. Berlin 2009. nente Logik, der gegenüber moralische Appelle
wirkungslos und deshalb sinnlos sind.
(2) Doch wenn auch die Formel vom »Be-
9.5.9. Souveränität gegen Außen
greifen dessen, was ist« Hegels Programm insge-
und Äußeres Staatsrecht
samt beschreibt, so führt sie selten zu einer derart
(1) Als »Organismus«, »Fürsichsein«, »Indivi- trostlosen Diagnose wie hier und in den anschlie-
duum« oder »Person« steht der Staat notwendig ßenden Partien über die Weltgeschichte – ganz
im Verhältnis zu anderen Staaten. Erst so ist er im Gegensatz zu dem naiv-optimistischen Glau-
wirkliches Individuum (§ 322). Die äußere Rela- ben an billige Versöhnungen, der Hegel gern
tion tritt nicht erst nachträglich zum entwickelten unterstellt wird. Hegel liefert eine nüchterne und
Begriff des Staates hinzu, sondern sie bildet ein ernüchternde Beschreibung des Zustands der
integrales Moment dieses Begriffes selbst: Er Staatenwelt, deren (bedauerliche) Richtigkeit die
umfaßt sowohl die innere als auch die äußere auf ihn folgende Zeit nur zu oft bestätigt hat und
»Souveränität«. Vermutlich deshalb hat Hegel be- bis heute immer wieder bestätigt. Er analysiert
reits 1819/20 eine Differenzierung zwischen die zwischenstaatlichen Verhältnisse mit einem
»Souverainetät gegen außen« und »äußerem Pathos der Illusionslosigkeit, dessen unerbittli-
Staatsrecht« im Ansatz eingeführt (ed. Henrich, che Härte Zustimmung zu signalisieren scheint –
276–278, V 14.194–197) und im Folgejahr die doch um sie geht es hier nicht.
Architektonik der Grundlinien so gestaltet, daß Bei dieser Analyse greift Hegel auf den im
die »Souverainetät gegen Aussen« nach der »In- Naturrecht der frühen Neuzeit zentralen Begriff
neren Verfassung für sich« zum zweiten Element des Naturzustandes zurück (§ 333). Was dort je-
des »Inneren Staatsrechts« wird und hierauf erst doch methodische Fiktion im Dienste der Legiti-
das »Äußere Staatsrecht« folgt (§§ 321–329, mation des Staates ist (weil der einzelne Wille
330–340). Daß Hegel nicht von »Völkerrecht« immer schon in einen durch noch so rudimen-
spricht, dürfte dadurch bedingt sein, daß unter täres Recht geregelten gesellschaftlichen Kontext
dem traditionellen Begriff des »ius gentium« das eingebunden ist), ist im Verhältnis der souve-
bei den Völkern übereinstimmend geltende ränen Staaten zu einander Realität: Es gibt keine
Recht gedacht ist und gerade nicht unser heutiges über die Staaten übergreifende machthabende
»Völkerrecht« und daß sowohl das individualisti- und rechtsetzende Instanz; sie agieren nicht im
sche ›klassische Völkerrecht‹ als auch das mo- Rahmen einer ihnen vorausliegenden übergrei-
derne die Beziehungen nicht zwischen Völkern, fenden Rechtsordnung, sondern in einem recht-
sondern zwischen Staaten regelt. lich nicht geregelten Raum. Und weil und so
Thematisch ist die Unterscheidung zwischen lange sie nicht in einem Rechtsverhältnis zu ein-
»Souverainetät gegen außen« und »äußerem ander stehen, können sie einander auch nicht
Staatsrecht« allerdings nicht konsequent durch- Unrecht tun – sie haben gleichsam das »Recht auf
gehalten, und auch die Rezeption hat sie wieder alles«, das Hobbes den Individuen im gedachten
eingeebnet: Hegels Kritikern gelten beide Kapitel Naturzustand notwendig zuschreibt. Daraus folgt
unterschiedslos als diejenigen Partien, in denen die erst im frühen 20. Jahrhundert problematisch
die bereits in der »Vorrede« manifeste Problema- gewordene Annahme, daß der Staat ein Recht
tik seines Ansatzes unwiderruflich und erschrek- zum Kriege (»ius ad bellum«) habe. Dieses mün-
kend manifest wird – das im Theoretischen, ja in det zwar nicht notwendig in ein »bellum omnium
der Deskription verharrende vermeintliche Be- contra omnes«, da die Kräfte sich erschöpfen,
greifen realer politischer Strukturen unter Ver- aber es führt doch ebensowenig zu einem dauer-
zicht auf den Entwurf von Modellen, wie sie zum haften Frieden, sondern vielmehr zu einem Zu-
Besseren verändert werden sollten. Doch das stand der »Abwechselung« zwischen dem Halten
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 399

und Brechen der Verträge. Der alte naturrecht- stimmtheiten erhalten wird, wie die Bewegung
liche Satz »pacta sunt servanda« spricht ja nur ein der Winde die See vor Fäulniß bewahrt, in wel-
leeres »Sollen« aus, über dessen Befolgung fak- che sie eine dauernde Ruhe, wie die Völker ein
tisch die souveränen Staaten nach der Berech- dauernder oder gar ewiger Friede versetzen
nung ihres Vorteils entscheiden, so lange kein würde.« Allerdings beeilt sich Hegel, in einer
Prätor die Verträge verbindlich interpretiert, über wiederum seltenen Wendung zu versichern, daß
ihre Einhaltung wacht und gegen Verstöße Sank- dies »übrigens n u r philosophische Idee, oder,
tionen verhängt. In diesem Zustand ist selbst der wie man es anders auszudrücken pflegt, eine
Begriff der »Verletzung« der Interpretation durch Rechtfertigung der Vo r s e h u n g ist, und daß die
die betroffenen Staaten anheimgestellt (§ 334), wirklichen Kriege noch einer anderen Rechtferti-
und deshalb bleibt der Krieg die letzte Entschei- gung bedürfen (§ 324, vgl. GW 4.450).
dung eines Streites, »insofern die besonderen Es gibt guten Grund, sich über eine derart
Willen keine Uebereinkunft finden« – etwa mit schale Rechtfertigung der Vorsehung zu empören
Hilfe einer vorausgehenden Schlichtung durch – allerdings ist die distanzierte Wendung »wie
einen (Kantischen) Staatenbund (§§ 333 f.). He- man es anders auszudrücken pflegt« ein deutli-
gel erklärt sich keineswegs gegen ein derartiges cher Hinweis darauf, daß dies nicht die angemes-
Verfahren – er sieht in ihm jedoch keine Garantie sene Ausdrucksweise ist, daß jedoch diejenigen,
für die Verhinderung von Konflikten. Deshalb – die sich so auszudrücken belieben, Verständnis
so formuliert Hegel mit der »geradezu erbar- für das beschriebene Faktum aufbringen sollten.
mungslosen Konsequenz seines Denkens« Vor allem aber bleibt zu bedenken, daß Hegel
(Schnädelbach 2000, 324) – »finden Kriege, wo damals nicht »ins Gelag hinein«, wie er einmal
sie in der Natur der Sache liegen, Statt; die formuliert, sondern aus einer nahezu lebenslan-
Saaten schießen wieder auf, und das Gerede ver- gen Erfahrung von Kriegen und Revolutionen
stummt vor den ernsten Wiederholungen der spricht – die er übrigens gleichzeitig gegenüber
Geschichte« (§ 324 Zusatz). Creuzer (30.10.19) beklagt. Dennoch begrüßt er
Wohl noch mehr als die Analyse dieses Me- die neuen Staaten, die aus den revolutionären
chanismus hat es empört, daß Hegel den Krieg und den Napoleonischen Kriegen hervorgegan-
nicht allein als ›ultima ratio‹ in einem derartigen gen sind, als einen Fortschritt gegenüber der
Streit akzeptiert, sondern daß er auch noch eine politischen Landschaft des späten 18. Jahrhun-
›ratio‹ in ihm findet: Der Krieg sei »nicht als derts – und diese (schwer bestreitbare) Erfah-
absolutes Uebel und als eine bloß äußere Zufäl- rung, daß aus den genannten Kriegen etwas Bes-
ligkeit zu betrachten«. In ihm erweise sich die seres hervorgegangen ist, mag seine Einschät-
Substanz als die allgemeine Macht gegen alles zung veranlaßt haben.
Einzelne und Besondere; sie setze das Endliche, (3) Ohnehin ist mit dem bisher Gesagten nur
seinem Begriff gemäß, als Endliches und Zu- e i n Aspekt der Ausführungen Hegels erfaßt. Der
fälliges, so daß es nicht bloß durch die Not- Vergleich der Staaten mit den Individuen im Na-
wendigkeit der Natur zu Grunde geht, sondern turzustand enthält ja neben seiner bedrohlichen
durch einen Akt der Freiheit (§ 324). Freilich läßt auch eine zukunftsweisende Komponente: Die
sich hier einwenden, ob es wirklich die Aufgabe Erinnerung an den Naturzustand impliziert die
des Geistes sei, der Natur ihr Zerstörungswerk Aufforderung »exeundum esse e statu naturali«.
abzunehmen und es sogar noch gründlicher als Wie die Individuen, tun auch die Staaten gut, aus
sie durchzuführen – doch es geht hier ja nur um dem Naturzustand herauszutreten – denn wenn
die Einsicht, daß solche Zerstörung sowohl im sie in ihm verharren, tun sie zwar nicht einander
Reiche der Natur wie auch des Geistes behei- Unrecht, aber Unrecht überhaupt. Dies ist zwar
matet ist. eine Kantische Wendung (AA VI.307), doch auch
Hegel schreibt ihr sogar noch positive Folgen Hegels Rechtsphilosophie enthält hierfür ein –
zu – und er hält diesen Gedanken für so wichtig, von ihm nicht vollständig ausgeschöpftes – Po-
daß er hier einmal zum überaus seltenen Mittel tential. Schon die neunte Habilitationsthese hält
des Selbstzitats greift und behauptet, daß »die ja fest: »Status naturae non est injustus, et eam ob
sittliche Gesundheit der Völker in ihrer Indiffe- causam ex illo exeundum« (GW 5.227).
renz gegen das Festwerden der endlichen Be- Die Staaten, die sich analog den Individuen zu
400 II. Werk

einander verhalten, stehen als freie Willen im- tät einen Gegensatz creiren, sich einen Gegen-
mer schon in einem zumindest rudimentären satz, einen Feind erzeugen.« (Ig 4.735). Diese, in
Rechtsverhältnis. Und wenn, wie Hegel stets ge- Kants Schrift Zum ewigen Frieden nicht proble-
gen Rousseau und Kant hervorhebt, der Begriff matisierte Logik der Bildung großer politischer
der Freiheit nicht als nachträgliche Einschrän- Blöcke hat sich wohl niemals stärker bestätigt als
kung einer ursprünglich schrankenlosen Freiheit im 20. Jahrhundert. Gegen sie ist der Appell an
des einzelnen Willens zu denken ist, sondern als ein moralisches Sollen wirkungslos – sie läßt sich
konkrete Freiheit, so ist die Freiheit der Staaten allenfalls auf derselben Ebene durch Integrati-
analog zu denken. Ein basales Moment solcher onsmaßnahmen kompensieren. Und sie ließe
Freiheit besteht in der gegenseitigen »Anerken- sich in Hegels Sicht auch nicht durch die Schaf-
nung« und in der Begründung eines Rechtsver- fung des in der Aufklärungszeit geforderten Uni-
hältnisses durch Verträge. Diese können zwar versalstaates, der »civitas maxima« verwirklichen
gebrochen werden, und um so mehr, als kein – denn diese widerspräche dem Begriff der In-
»machthabendes Allgemeines« ihre Einhaltung dividualität des Staates, der die negative Bezie-
erzwingt – aber wer sie bricht, handelt nicht hung auf andere Individuen einschließt – und
mehr im rechtsfreien Raum, sondern tut Unrecht. diese immanente Negativität würde sich dann
Selbst wenn es zum Krieg kommt, bildet die gegen den Weltstaat richten und ihn von innen
gegenseitige Anerkennung eine gemeinsame Ba- aufbrechen. We n n aber die Instrumente zur ein-
sis, »so daß im Kriege selbst der Krieg als ein vernehmlichen Beilegung eines Streites zwischen
vorübergehensollendes bestimmt ist«. Und trotz Staaten nicht greifen, so gibt es auch »keinen
seiner Distanz zum damaligen individualisti- Prätor«, der ihn entschiede: Die Entscheidung
schen, vom heutigen universalistischen sehr ver- fällt dann in die Weltgeschichte – ohne daß sie
schiedenen Völkerrechtsgedanken zählt Hegel damit als sachlich angemessen oder gar als mora-
hier die völkerrechtlichen Bestimmungen auf, lisch berechtigt qualifiziert würde.
die auch im Kriegsfall noch gelten, weil sie »die
Möglichkeit des Friedens erhalten« sollen: Re-
spektierung der Gesandten, der inneren Institu- 9.6. Philosophie der Weltgeschichte
tionen sowie des Familien- und Privatlebens, Ori-
entierung der Kriegführung an den Sitten der
9.6.1. Überlieferung
Nationen, §§ 338 f. – Bestimmungen also, die
durch die heutige Waffentechnik überwiegend (1) Erst im Winter 1822/23 beginnt Hegel, »Vor-
ins Reich der schönen Träume und unerfüllbaren lesungen über die Philosophie der Weltge-
Ideale versetzt worden sind. Und es darf nicht schichte«, über »Philosophiam historiae univer-
verwundern, daß Hegel in seiner Zeit noch nicht salis« zu halten; er wiederholt sie im Zweijahres-
diejenigen vielversprechenden und doch noch so turnus, und zwar wegen ihres Materialreichtums
fragilen Formen des Völkerrechts antizipiert hat, jeweils in den längeren Wintersemestern der
die sich erst in Reaktion auf die geschichtlichen Jahre 1824/25, 1826/27, 1828/29 und 1830/31,
Katastrophen und Aufgaben des 20. Jahrhunderts also im Wechsel mit den philosophiegeschichtli-
allmählich herausgebildet haben und bilden. chen Kollegien. Die »Philosophie der Weltge-
Auch für Hegel also ist der Krieg etwas »vor- schichte« ist damit diejenige Disziplin seiner Phi-
übergehensollendes« – aber er ist für ihn nicht losophie, die Hegel als zeitlich letzte ausarbeitet
etwas schlechthin Nichtseinsollendes, und Hegel – denn die nur einmal, im Sommer 1829, ge-
kennt kein kategorisches Gebot der Vernunft, »es haltenen Vorlesungen über die Beweise vom Da-
soll kein Krieg sein«. Die Tendenz zum Kriege sein Gottes sind kein eigenständiger Systemteil
liegt in der Individualität der Staaten, die immer (s. 497). Allerdings bilden auch die weltge-
das Moment der Negation einschließt. Sie kann schichtlichen Vorlesungen im strengen Sinne
auch nicht einfach durch einen Zusammenschluß keine separate Disziplin, sondern den breit aus-
von Staaten (wie damals etwa die »Heilige Alli- geführten Schlußabschnitt der »Philosophie des
anz«) beseitigt werden, denn: »Wenn also auch objektiven Geistes«, der »Rechtsphilosophie«.
eine Anzahl von Staaten sich zu einer Familie Diesen Ort im System weist Hegel dem Thema
macht, so muß sich dieser Verein als Individuali- »Weltgeschichte« bereits in der Enzyklopädie
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 401

(1817) zu (1§§ 448–452), noch bevor er 1822 sein ten auch spezifische nachträgliche Erweiterun-
erstes Kolleg über Geschichtsphilosophie liest. gen des Manuskripts gegenüber dem Vortrag
Seine damalige Entscheidung bestätigt er in den (Jaeschke 2009).
Grundlinien der Philosophie des Rechts, die be-
reits sehr viel ausführlicher auf die »Weltge-
9.6.2. Weltgeschichte und Geschichtlichkeit
schichte« eingehen (§§ 341–360), und sie bleibt
auch in den späteren Fassungen der Enzyklopä- (1) Daß Hegel die »Philosophie der Weltge-
die in Kraft (3§§ 548–552). schichte« erst vergleichsweise spät zum Gegen-
(2) Im Aufbau der Disziplinen seines »Sy- stand eines eigenen Vorlesungszyklus macht,
stems« ist das Kolleg über »Philosophie der Welt- dürfte daran liegen, daß »Geschichtsphilosophie«
geschichte« das erste, das Hegel nicht an Hand zu Beginn des 19. Jahrhunderts wenn überhaupt,
eines Kompendiums hält, sondern gestützt auf so zumindest kein üblicher Gegenstand der aka-
handschriftliche Ausarbeitungen, also die erste demischen Lehre ist. Für ihre Etablierung im
»Manuskriptvorlesung«. Damit verknüpfen sich Spektrum der akademischen Philosophie fällt
spezifische Probleme der Überlieferung, die sich Hegel fraglos eine Schlüsselrolle zu. Dies ist
für die bisher behandelten Disziplinen nicht stel- schon auf Grund seines persönlichen Interesses
len. Gemessen am großen Umfang des Kollegs verständlich: Es dürfte wohl keinen Philosophen
sind heute nur wenige Blätter erhalten: drei Blät- geben, in dessen Denken »Geschichte« einen
ter zur Einleitung des Kollegs 1828/29, über die breiteren Raum eingenommen hätte als in sei-
»Arten der Geschichtsschreibung« (GW 18.121– nem – von der Beschäftigung mit Gibbon und
137), und die umfassende, aber lückenhafte sog. Hume (Waszek, 1997) in seinen Berner Jahren
»Einleitung« zum Kolleg 1830/31, die den grund- bis hin zur intensiven Auseinandersetzung mit
legenden Teil der Vorlesungen bietet (GW den geschichtlichen Umbrüchen im Revolutions-
18.138–207), ferner zwei Fragmente mit Vorstu- jahr 1830. Seine Kommentierung der Schrift über
fen zu diesem ersten Teil (GW 18.208–214). Vom das Waadtland, seine Verfassungsschrift, seine
zweiten, von den geschichtlichen Partien, hat sich Redaktion der Nachrichten in der Bamberger Zei-
lediglich ein Fragment Zur Geschichte des Ori- tung oder sein Eingreifen in den Württembergi-
ents in sekundärer Überlieferung erhalten (GW schen Verfassungskonflikt und schließlich seine
18.221–227). Die weiteren Ausführungen zum Reformbill-Schrift belegen ein intensives Stu-
zweiten Teil sind nur durch – zur Zeit 16 – dium der jeweiligen geschichtlichen Situation
Vorlesungsnachschriften überliefert, die gegen- und ihrer teils weit zurückreichenden Wurzeln.
wärtig ediert werden (V 12, GW 27). Diese Beispiele zeigen zugleich, daß Hegels In-
(3) Es gibt keine gesonderten Belege dafür, daß teresse an Geschichte keineswegs antiquarisch
Hegel geplant hätte, seine Geschichtsphilosophie ist, sondern zu einem gewichtigen Teil seinem
zu veröffentlichen. Doch ist dies aus der Anlage politischen Interesse entspringt – dem Interesse
des Manuskripts von 1830/31 zu vermuten, das am »Eingreifen in das Leben der Menschen«, wie
den ersten Teil der Vorlesungen enthält. Es weist er in einem anderen Kontext formuliert (an
insgesamt einen weit fortgeschrittenen Stand der Schelling, 2.11.00).
Ausarbeitung auf, der dem einer Reinschrift sehr Geschichte bildet für ihn aber nicht allein ei-
nahe kommt (GW 18.381) – bis hin zur Verzeich- nen Gegenstand seines persönlich-politischen In-
nung von Fußnoten mittels Asterisken. Damit ist teresses, sondern ebenso einen Erkenntnisgegen-
der Reinschriftcharakter dieses Manuskripts er- stand seiner Philosophie – und dies in doppelter
heblich weiter fortgeschritten als etwa derjenige Gestalt. In Form eines gleichsam ›objektiven Pro-
der ungefähr gleichzeitigen Reformbill-Schrift, zesses‹ ist sie Geschichte von Staaten, letztlich
deren Manuskript sich neben ihm fast als Ent- »Weltgeschichte«. Zugleich aber ist »Geschichte«
wurf ausnimmt. Für dieses Semester hat Hegel die Explikationsform des objektiven und absolu-
zudem nicht, wie üblich, »Philosophiam historiae ten Geistes überhaupt (s. 352 f.) – und diese Seite
universalis« angekündigt, sondern lediglich »Phi- hat sowohl systematische als auch zeitliche Prio-
losophiae historiae universalis partem priorem« – rität: Nur weil Geschichte diese Explikationsform
vermutlich, um diesen Teil in endgültiger Form des Geistes ist, gibt es eine ›objektive‹ Ge-
auszuarbeiten. Auf eine Publikationsabsicht deu- schichte. In einer Geist-losen Welt gäbe es weder
402 II. Werk

Staaten noch Geschichte. In diese beiden Rich- Geschichte« beruht insofern auf einer weiteren –
tungen eines allgemein-geistesphilosophischen und doppelten – Vermittlung: auf der Überwin-
und eines an »Staatengeschichte« orientierten dung des strikten Gegensatzes zwischen den
Geschichtsbegriffs ist Hegels Interesse an der »Fakta« und der »Vernunft« sowie des auf diesen
Geschichte stets aufgefächert – doch sie sind von Gegensatz gestützten Philosophiebegriffs. Doch
ihm nicht in der prägnanten Form differenziert auch wenn Philosophie nicht mehr auf den ratio-
und zugleich auf einander bezogen, die gerade nalistischen Vernunftbegriff festgelegt, aber
sein Ansatz der Geistesphilosophie nahelegt. gleichwohl noch als »denkende Betrachtung« von
Hieraus resultieren systematische Verschränkun- Wirklichkeit gefaßt ist, muß diese Wirklichkeit
gen und Spannungen, die jedoch nicht die Bedeu- somit ein Allgemeines sein – etwas, das nicht
tung aufsprengen, die beide Seiten je für sich allein in seiner »Faktizität« erzählt, sondern ge-
haben. dacht werden kann. Oder mit der bekannten
(2) Die Wortbildung »Philosophie der Ge- Hegelschen Wendung: »Philosophie der Ge-
schichte« läßt weniger die Geschichte des Geistes schichte« ist nur möglich, wenn »Vernunft in der
überhaupt als vielmehr »Geschichte« im Sinne Geschichte« ist. Gleiches gilt – mutatis mutandis
von »Weltgeschichte« assoziieren. Sie gehört der – für die Disziplinen des »absoluten Geistes«.
Aufklärung an, ist also damals noch jung; insbe- (3) Die ›objektive Geschichte‹ begrenzt Hegel
sondere Voltaire und Herder sind für ihre Formu- auf die Geschichte von Staaten – wobei »Staat«
lierung und geschichtliche Etablierung zu nen- nicht im prägnanten Sinne der spezifisch neuzeit-
nen. Anders als die traditionelle »historia univer- lichen Herrschaftsform verstanden ist, sondern
salis« oder »histoire universelle« steht »Philo- auch frühere Herrschaftsformen – wie »Polis«
sophie der Weltgeschichte« unter einer doppelten oder »Imperium« – umfaßt. Trotz dieser Erweite-
Voraussetzung: »Historia universalis« bezeichnet rung des Staatsbegriffs erscheint Hegels Aus-
eine allgemeine, umfassende Nachricht von ein- schluß vorstaatlicher Lebensformen aus der Ge-
zelnen Ereignissen, »Weltgeschichte« hingegen schichte zunächst als willkürlich – sogar als miß-
eine ›objektive‹ oder quasi-objektive Wirklich- liche Konsequenz eines Defekts der Systemar-
keit sui generis. »Philosophie der Geschichte« ist chitektonik: In der Enzyklopädie wie in den
denkendes Erfassen dieses spezifischen Bereichs Grundlinien der Philosophie des Rechts handelt
der Wirklichkeit, und nicht etwa einer »Histo- Hegel von der »Weltgeschichte« stets im Ab-
rie«, einer Erzählung. Hegels Vorlesungsankün- schnitt über den »Staat«, indem er mit einer
digung einer »philosophia historiae universalis« geschickten, wenn auch nicht unproblematischen
setzt somit, obschon sie den traditionellen Termi- Wendung vom »äußeren Staatsrecht«, das keinen
nus aufgreift, die Bedeutungsverschiebung von übergeordneten Prätor kennt, zur »Weltge-
»historia« oder »Geschichte« von der ›subjekti- schichte« überleitet und die Streitigkeiten der
ven‹ Nachricht oder Erzählung auf den ›objekti- Staaten dem Spruch ihres »Weltgerichts« über-
ven‹ Zusammenhang voraus, die sich seit der antwortet.
Mitte des 18. Jahrhunderts ereignet. Gegenstand »Weltgeschichte« ist jedoch nicht nur die Ge-
der philosophischen Betrachtung ist ja nicht die schichte der Relationen zwischen den etablierten
Nachricht, sondern deren Gegenstand. Staaten, wie es nach diesem Übergang scheinen
In einer Zeit, in der der Philosophiebegriff könnte. Sie umfaßt auch die Herausbildung staat-
noch nicht inflationär entwertet ist, verbürgt licher Verfassungen, und speziell die »Ausbildung
diese fundamentale Bedeutungsverschiebung von des Staats zur constitutionellen Monarchie«: »die
der ›subjektiven‹ zur ›objektiven Geschichte‹ je- Geschichte dieser wahrhaften Gestaltung des sitt-
doch nicht schon, daß der Bereich, der nun in lichen Lebens ist die Sache der allgemeinen
seiner Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit Weltgeschichte« (Grundlinien, § 273). »Weltge-
allererst ins Bewußtsein tritt, ein möglicher Ge- schichte« ist demnach sowohl die ›innere‹ als die
genstand von »Philosophie« ist. Unter den Be- ›äußere Geschichte‹ von Staaten.
dingungen eines rationalistischen Philosophiebe- Doch neben diesem partiellen gebraucht Hegel
griffs sind »Fakta« nicht Gegenstand von »Wis- auch noch einen umfassenden Begriff der »Welt-
senschaft« oder Philosophie, sondern von »Hi- geschichte«. Sie erschöpft sich für ihn nicht in
storie«. Die Begriffsbildung »Philosophie der dieser Geschichte von Staaten, sondern sie um-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 403

faßt letztlich die Entwicklung des Geistes über- – innere und äußere – Partialgeschichte des Staa-
haupt. In seiner systematischen Exposition der tes mit denen der Kunst, der Religion und der
Weltgeschichte bestimmt er sie als solche Totali- Philosophie verflochten ist. Entwicklungsge-
tät der Manifestationen des Geistes: Sie enthalte schichtlich gesehen haben diese Geschichten des
»die geistige Wirklichkeit in ihrem ganzen Um- »absoluten Geistes« sogar Priorität: Die Philo-
fange von Innerlichkeit und Aeußerlichkeit« sophiegeschichte behandelt Hegel bereits
(Grundlinien, § 341); im folgenden Paragraphen 1805/06 in Jena, die Geschichte der Kunst ver-
nennt er sie »die Auslegung und Ve r w i r k l i - mutlich in Heidelberg 1818 und die Geschichte
c h u n g d e s a l l g e m e i n e n G e i s t e s«. Diese der Religion in Berlin 1821 – die »Weltge-
›universelle Weltgeschichte‹ kann ihren syste- schichte« hingegen erstmals 1822/23. Ihre späte
matischen Ort nicht schon am Ende der »Rechts- Exposition dient jedoch nicht der Erfindung einer
philosophie« haben, im Kapitel über den »Staat«. abgehobenen Superstruktur für die Teilbereiche
Sie umfaßt ja auch die Geschichten der Kunst, des geistigen Lebens, sondern vielmehr der be-
der Religion und der Philosophie, die am Ende grifflichen Bestimmung ihrer fraglos bestehen-
der »Rechtsphilosophie« noch gar nicht behan- den Relationen, ja Interdependenzen. Der e i n e
delt sind. Geist, der die jeweilige Wirklichkeit durch-
Diese Spannung zwischen dem partiellen und dringt, ist nicht in isolierte Partialgeschichten
dem umfassenden Begriff der »Weltgeschichte« aufzuspalten. Die ›Einheit der Geschichte‹ be-
ist jedoch keine bloße Inkonsistenz; sie deutet ruht darauf, daß sie in allen ihren Aspekten doch
vielmehr auf ein wohl unvermeidliches Problem, jeweils Geschichte des Geistes ist – ›Geistes-
das der Systemarchitektonik aus der wechselsei- Geschichte‹ also im prägnanten, nicht im heute
tigem Abhängigkeit der Sphären der geistigen üblichen verwaschenen Sinne. »Geschichte« ist ja
Welt erwächst: Unter Absehen von den Formen gar nichts anderes als die spezifische Entwick-
des »absoluten Geistes« läßt sich »Weltge- lungsform des Geistes – auch wenn natürliche
schichte« weder als ›innere Geschichte‹ des Staa- Elemente – Klima, Bodenformen usf. – in sie
tes noch als ›äußere Geschichte‹ der Staaten hineinspielen (V 12.91–113).
schreiben. Schon die Entwicklung der inneren Diesen überaus kühnen Entwurf der »Welt-
Verfassung steht im Kontext der »Vertiefung des geschichte« als der e i n e n Geschichte des Gei-
Geistes der Welt in sich«. Deshalb greift Hegel in stes hat Hegel nicht ausgeführt – schon wegen
seinen Vorlesungen sehr ausführlich auf die der Disposition und Aufgliederung seiner Vor-
Sphären des »absoluten Geistes« voraus. Ande- lesungen, die die Beschränkung auf jeweils eine,
rerseits ist die Weltgeschichte damit nicht in einem Semester abzuhandelnde Thematik er-
schlechthin abhängig von der Ausbildung des forderten, aber fraglos auch wegen der Größe
»absoluten Geistes«. Denn dessen volle Entfal- dieses Entwurfs. Doch hat Hegel an mehreren
tung erfolgt wiederum erst auf dem Boden des Punkten der geschichtlichen Entwicklung aufge-
Staates – auch wenn seine Anfänge hinter ihn zeigt, wie die unterschiedlichen Aspekte des gei-
zurückreichen. »Weltgeschichte« im partiellen stigen Lebens in einander greifen und in einem
Sinn von Staatengeschichte läßt sich somit nur einheitlichen Ansatz zu thematisieren sind – poli-
denken in Wechselbeziehung mit der »univer- tische Geschichte, Verfassungsgeschichte sowie
sellen« Weltgeschichte des Geistes. Deshalb bin- die Geschichten von Kunst, Religion und Philo-
det Hegel Geschichte im emphatischen Sinn an sophie, aber auch ›Wissenschaftsgeschichte‹ im
das Auftreten der Staaten: Erst mit der Entste- neueren Verständnis. Die Aufgabe einer Ge-
hung der Staaten formieren sich die Gestalten schichtsphilosophie liegt aber ohnehin nicht
des »absoluten Geistes« und damit diejenigen darin, in diesem Sinne »Weltgeschichte« zu
Formen des Wissens, die eine ›conditio sine qua schreiben, sondern den Begriff von »Geschichte«
non‹ nicht allein der »Vertiefung« des Staates zu klären, auch über einen ›objektiven‹ Begriff
darstellen, sondern insbesondere dafür, daß von Geschichte hinaus.
seine Bewegung a l s G e s c h i c h t e g e w u ß t (5) Hegel hat seine »Geschichtsphilosophie«
wird. insgesamt als eine »Philosophie der Weltge-
(4) »Weltgeschichte« in ihrem ›universellen‹ schichte«, als deren denkende Betrachtung ent-
Begriff ist somit diejenige Geschichte, in der die worfen. Hierdurch hat er das Thema »Ge-
404 II. Werk

schichte« zwar verkürzt; den Begriff der Ge- philosophischen, sondern in seinen philosophie-
schichte handelt er nur in der »Einleitung« ab – geschichtlichen Vorlesungen finden. Die Philo-
und auch wenn er diese in der Vorlesungsankün- sophiegeschichtsvorlesung (1805/06) ist ja der
digung 1830/31 als »ersten Teil« bezeichnet, so Ort, an dem Hegel – in zeitlicher Nachbarschaft
fällt seine Abhandlung des Geschichtsbegriffs zur Phänomenologie – das Thema »Geschichte«
doch weit schmaler aus als etwa diejenige des als Thema seiner Philosophie entdeckt – lange
Begriffs der Religion. Dennoch gibt sie – gemein- vor seiner ersten Vorlesung über »Philosophie der
sam mit den einschlägigen Texten der Philo- Weltgeschichte«, der ja auch noch die ästheti-
sophien des »absoluten Geistes« – entscheidende schen und religionsphilosophischen Vorlesungen
Anstöße für die Grundfrage einer Geschichts- vorangehen. In den philosophiegeschichtlichen
philosophie – freilich einer Geschichtsphiloso- Vorlesungen stellt Hegel dieses Problem, was
phie, die den gesamten Horizont dieses Themas Geschichte überhaupt sei – und damit gelingt
allererst eröffnet und ausmißt und sich nicht den ihm die Entdeckung der Geschichtlichkeit des
gegenwärtig modischen Restriktionen beugt. Geistes, ja die Entdeckung der Geschichtlichkeit
Diese Grundfrage zielt nicht etwa auf den »Sinn im prägnanten Sinne überhaupt. Deshalb ver-
der Geschichte« (von dem Hegel ohnehin nicht wundert es nicht, daß sich das Wort »Geschicht-
spricht) oder auf das »Ende der Geschichte«, lichkeit« – das dann bis ins 20. Jahrhundert eine
sondern darauf, was Geschichte überhaupt sei: aufregende Begriffsgeschichte durchläuft – erst-
was sie zur Geschichte mache und von anderen mals in seinen Vorlesungen nachweisen läßt –
Bereichen natürlichen und vielleicht auch gei- auch wenn es damals gleichsam ›in der Luft
stigen Seins unterscheide, und wie sich schließ- gelegen‹ hat, wie andere, nahezu gleichzeitige
lich verstehen lasse, daß es überhaupt so etwas Belegstellen zeigen (Renthe-Fink, Bauer) – u. a.
wie Geschichte gebe – und nicht vielmehr bei Suabedissen. »Geschichtlichkeit« bezeichnet
keine. bei Hegel nicht die bloße Faktizität eines Er-
Die frühen Versuche der Aufklärung zur Sy- eignisses, und auch nicht nur die Einordnung
stematisierung von Geschichte, die Deutungen eines solchen faktischen Ereignisses in einen
des Geschichtsverlaufs an Hand der Paradeig- temporalen Zusammenhang. Die Bedeutungs-
mata der Erziehung oder des Fortschritts, gar der nähe, aber auch -differenz von »Geschichtlich-
unendlichen Perfektibilität, stellen noch nicht keit« gegenüber »Faktizität« zeigt sich in den bei-
diese Frage nach dem spezifischen Begriffsgehalt den frühesten Verwendungsweisen dieses Wor-
von Geschichte. Auch nach der Bedeutungsver- tes, die später jeweils eine eigene, bis in die
schiebung in der Verwendung des Wortes wird Gegenwart reichende Tradition ausgebildet ha-
der nunmehr als Geschichte bezeichnete ›ob- ben.
jektive Prozeß‹ nicht in seiner internen Verfas- In der einen Verwendungsweise charakterisiert
sung zum Problem der Philosophie. So unter- Hegel gegenüber den Gnostikern die kirchliche
schiedliche Denker wie Condorcet und Herder Ansicht von Christus: »Es ist also die wahrhafte
haben Geschichte naiv-objektivistisch aufgefaßt. Idee des Geistes in der bestimmten Form der
Sie haben unterstellt, daß es so etwas wie Ge- Geschichtlichkeit zugleich.« (W1 XV.137; ähnlich
schichte gebe und daß sich darüber nachdenken W2 XV.107) »Geschichtlichkeit« bezeichnet hier
lasse, welche Verlaufsform sie habe – ob sie mit also nur die bloße Faktizität – gegenüber einer
einem Rückschritt verbunden sei oder ob sie die gnostischen Verflüchtigung des Faktischen in my-
Richtung auf größere Vollkommenheit nehme. thische Bilder. Diese Verwendungsweise erhält
Der Geschichtsbegriff selber wird dabei zunächst wenig später eine Schlüsselrolle in der auf Hegel
nicht zum Problem der Philosophie. Die dama- folgenden Theologiegeschichte – in der Frage
lige Geschichtsphilosophie beschäftigt sich mit nach dem »geschichtlichen Jesus«. Der zweite
etwas an der Geschichte – mit ihrem Ursprung, Beleg findet sich im Kontext von Hegels all-
ihrem Ende, ihrer Struktur oder auch ihrer provi- gemeiner Charakterisierung des Beisichseins des
dentiellen Leitung –, aber sie klärt nicht die be- Geistes in der griechischen Welt: »in diesem
griffliche Bestimmung von Geschichte. Charakter der freien, schönen Geschichtlichkeit,
Es ist nicht zufällig, daß die hierfür wichtigsten der Mnemosyne – (daß was sie sind, auch als
Aussagen Hegels sich nicht in seinen geschichts- Mnemosyne bei ihnen ist) – liegt auch der Keim
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 405

der denkenden Freiheit, und so der Charakter, geschichtlich sind, verknüpft.« (GW 18.100 f.)
daß bei ihnen die Philosophie entstanden ist« »Geschichtlich« zu sein bedeutet demnach nicht
(W1 13.173 f.). Hier bezeichnet »Geschichtlich- bloß, faktisch zu sein, und auch nicht, wandelbar
keit« nicht die ›Faktizität‹, sondern – angedeutet zu sein, geboren zu werden und zu sterben, in
durch die Nennung der »Mnemosyne« – die Dop- diesem oder in jenem Jahrhundert zu leben, der
pelstruktur von Zeitlichkeit und Reflexion auf Geschichte unterworfen zu sein und die Erbschaft
Zeitlichkeit – ein wissendes Beisichsein des Gei- der Vergangenheit angetreten zu haben. Es be-
stes. »Geschichtlichkeit« bezeichnet diejenige deutet vor allem, in jenem Prozeß der Entwick-
spezifische Struktur der Einbettung in einen Zu- lung der Vernunft, des Geistes zu stehen und sich
sammenhang, die im vollen Sinne erst durch das seiner Stellung in diesem Prozeß mittels der
Ineinanderfallen von Zeitlichkeit und Reflexion Mnemosyne zu vergewissern und dem Vergan-
auf Zeitlichkeit konstituiert wird und die letztlich genen so gegenüberzustehen, daß diese Bezie-
die Struktur von Geschichte selber ist: das, was hung zum Vergangenen, die Mnemosyne, kon-
Geschichte zu Geschichte macht und als Ge- stitutiv für das eigene Sein ist: auch darum zu
schichte von anderem unterscheidet. »Ge- wissen, daß, was wir sind, wir nur geschichtlich
schichte« ist nicht schon eine bloße Abfolge von sind.
Ereignissen, sondern diese wird zu »Geschichte« Diese Formulierungen dessen, was es heißt,
erst dadurch, daß das Subjekt, das in der Kette geschichtlich zu sein, sind für uns zuerst greifbar
dieser Ereignisse steht, sein eigenes Sein hier- in Hegels Manuskripten zur Geschichte der Phi-
durch bestimmt weiß und im gleichen Akt sich in losophie von 1820 und 1823 sowie in seinen
ein »geschichtliches« Verhältnis setzt und eben geschichtsphilosophischen Vorlesungen. Mate-
dadurch Ereignisfolgen erst zu Geschichte kon- rial gesehen könnte der Neologismus »Geschicht-
stituiert. lichkeit« schon Hegels Jenaer Vorlesungen über
Diese beiden Hinweise auf die Verwendung die Geschichte der Philosophie (1805/06) ange-
des Substantivs »Geschichtlichkeit« lassen sich hören. Die Phänomenologie des Geistes verwen-
erweitern durch zwei Hinweise auf die Verwen- det dieses Wort jedoch nicht – obgleich sie ja
dung des Adjektivs ›geschichtlich‹ in der Ein- hinreichend deutliche Aufschlüsse über den Ge-
leitung zu Hegels »Vorlesungen über die Ge- danken der Geschichtlichkeit der Vernunft gibt,
schichte der Philosophie«. In seinem Manuskript und auch über die Konsequenzen, die dieser Ge-
von 1820 spricht Hegel von einem Schatz der danke für Hegels Philosophie überhaupt hat und
Vernunfterkenntnis, den die uns vorausgehende die er zunächst für die Abhandlung der Philo-
Geschichte der Philosophie erarbeitet habe und sophie und der Religion, später auch der Kunst
den die jeweils späteren Generationen erweitern: gezogen hat: Die Philosophie der Kunst, der Reli-
»Was w i r geschichtlich sind, […] ist die Erb- gion und letztlich die Rückwendung der Philo-
schaft und das R e s u l t a t der A r b e i t […] aller sophie auf sich selber müssen geschichtlich kon-
vorhergegangenen Generationen des Menschen- zipiert werden. Es ist gar nicht möglich, über
geschlechts.« (GW 18.36) Unsere »Geschichtlich- Kunst, Religion und Philosophie unter Abstrak-
keit« erscheint hier zunächst nur als Erbschaft tion von der Geschichte dieser drei Gestalten des
und Resultat der Arbeit anderer. Dann aber fehlt absoluten Geistes zu handeln – eben weil ihre
gerade das vorhin genannte Moment der Erinne- Geschichtlichkeit zum Begriff des Geistes selber
rung und der Reflexion. Doch als Hegel sein gehört.
Manuskript drei Jahre später nochmals ab- »Geschichte« ist somit – entgegen dem An-
schreibt, unterstreicht er die zentrale Bedeutung schein, den ihre Abhandlung als »Weltge-
dieser Passage noch durch die folgende Erweite- schichte« in der Enzyklopädie und in den Grund-
rung – und erst so spricht er den vollen Gedanken linien der Philosophie des Rechts erweckt – nichts
der Geschichtlichkeit aus: »was w i r sind, sind bloß Objektives, Vorfindliches, auch nichts »Na-
wir zugleich geschichtlich, oder genauer, wie in türliches«. Sie gründet in der spezifischen Verfas-
dem was in dieser Region, der Geschichte des sung des Geistes, zeitlich Vergangenes als solches
Denkens, das Vergangene nur die Eine Seite ist, zu distanzieren und sich zu ihm in ein Verhältnis
so ist in dem, was wir sind, das gemeinschaftliche der Identität und Differenz zu setzen. Diese
Unvergängliche unzertrennt mit dem, daß wir Struktur ist grundlegend für den »Aufbau der
406 II. Werk

geistigen Welt« – um einen späteren Titel zu Sinne »spekulative« Charakter des Geschichts-
adaptieren. Der Historismus des späteren 19. und begriffs: Das, was als »objective Geschichte« er-
frühen 20. Jahrhunderts hat an Hegels Einsicht scheint, ist selbst ein Werk der subjektiven Vor-
angeknüpft, daß wir, was wir sind, nur geschicht- stellung; diese schafft erst die Objektivität, die
lich sind, allerdings ohne den geistesphilosophi- wir der Geschichte zuschreiben – und auch zu-
schen Rahmen seiner Philosophie zu überneh- recht zuschreiben, weil sie eben keine überflüs-
men – mit der Ausnahme der Historik Johann sige Zutat ist, sondern das geschichtskonstitutive
Gustav Droysens, wie sehr dieser auch immer Moment schlechthin. Aber sie schafft es nicht aus
bestrebt war, die Spuren seiner Abhängigkeit von Nichts, sondern aus ihr vorgegebenem Material,
Hegel zu verwischen. So wird die Veränderung, das als solches aber noch nicht »Geschichte« ist.
die für Hegel immer erst als gewußte, durch (2) Es ist eine Konsequenz dieser nicht-objek-
Reflexion und Mnemosyne einen »geschichtli- tivistischen Fassung des Geschichtsbegriffs, daß
chen« Charakter erhält, wieder zu einer quasi- er weite Bereiche und Epochen des geistigen
natürlichen ›objektiven Geschichte‹. Lebens als »ungeschichtlich« ausschließt: Berei-
che einer keineswegs unentwickelten, vielleicht
sogar hoch entwickelten Geistigkeit, in der je-
9.6.3. Die Konstitution von Geschichte
doch dieses Moment der Geschichtlichkeit des
(1) Dieser Begriff der Geschichtlichkeit ist funda- Geistes sich selbst noch verdeckt und weder nach
mental für alle Bereiche des geistigen Lebens – der objektiven noch nach der subjektiven Seite
für die politische Sphäre, für die Wissenschaft, herausgearbeitet ist. Weil der Geist nichts Natür-
die Kunst, die Religion, die Philosophie. Daß liches ist, unterliegt die Realisierung seiner Mo-
diese Bereiche »geschichtlich« verfaßt sind, be- mente nicht einem bloß zeitlichen Ablauf, son-
deutet nicht, daß ihnen ein ›Gewordensein‹ im dern sie muß eigens ergriffen und verwirklicht
Sinne eines Naturprozesses zukommt, analog werden. Ein Volk kann auch einen Bildungsgang
zum natürlichen Lebenslauf eines Menschen – von »dritthalb«, also zweieinhalb tausend Jahren
den wir ja auch nicht als seine »Geschichte« zurücklegen, ohne zu einer Bildung zu gelangen,
bezeichnen –, sondern ein ›Geschaffensein‹ in der Geschichte möglich ist (GW 18.124). Dies
durch geistige Produktion und Aneignung, durch gilt unabhängig von der Frage, ob Hegels Dia-
»Arbeit« und »Erbschaft« – in der erinnernden gnose von ›Geschichtslosigkeit‹ jeweils zutrifft
Reflexion auf das Gewesene. Einen weiteren oder ob sie durch Informationsdefizite verschul-
Aspekt, der sich hier aufzudrängen scheint, be- det ist. Selbst wenn sie in diesem oder jenen Fall
rücksichtigt Hegel nicht: daß der Begriff der Ge- durch die heutige vertiefte Quellenkenntnis revi-
schichtlichkeit erst dann vollständig erfaßt ist, diert werden muß, bleibt es doch unwiderspro-
wenn zur »Mnemosyne« auch der Zukunftsent- chen, daß selbst »jenes so reiche, ja unermesliche
wurf hinzutritt. Werk der Zunahme von Familien zu Stämmen,
Fundamental ist dieser Begriff insbesondere der Stämme zu Völkern […] ohne Geschichte
für die Reflexion über den Bereich, der ausdrück- sich nur zugetragen hat« – also ein Vorgang, den
lich die Bezeichnung »Geschichte« trägt. Auch man im Sinne eines objektivistischen Geschichts-
nach ihrer (vermeintlich) objektiven Seite ist Ge- begriffs als Reihe von Begebenheiten und somit
schichte in der Geistigkeit, in der Geschichtlich- als Geschichte anzusprechen hätte. Gleiches gilt
keit fundiert. Geschichte ist deshalb nichts Vor- für die Ausbildung der Sprachen als einer » T h a t
findliches; sie ist durch das geschichtliche Be- der theoretischen Intelligenz«: Ihr Ursprung fällt
wußtsein gemacht und begriffen, d. h. als Ge- nicht in die Geschichte, sondern »bleibt in das
schichte konstituiert. Ohne einen derartigen Trübe einer stummen Vergangenheit eingehüllt«;
Konstitutionsakt gibt es Vorfälle, auch Ereignis- sie verdanken sich nicht den »Thaten des selbst-
ketten, aber keine »Geschichte«. Durch die Ge- bewußtwerdenden Willens, nicht der sich andere
schichtsbetrachtung werden Begebenheiten in Aeusserlichkeit, eigentliche Wirklichkeit geben-
ein » We r k d e r Vo r s t e l l u n g« umgeformt – den Freyheit« – ohne daß dies ein Indiz ihres
und erst so, als zu diesem Werk konstituierte, überirdischen Ursprungs wäre. Die »Voreiligkeit
werden die Begebenheiten zu »Geschichte«. der Sprache« eilt der Geschichte voraus, und die
Hierin zeigt sich der spezifische, im Hegelschen Sprachgeschichte umfaßt erst spätere Phasen, die
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 407

unter anderen Bedingungen stehen, insbeson- chen Endzwecks, die Initiative zuzufallen – doch
dere unter den Bedingungen der Staatenbildung läßt Hegel die Frage der Priorität letztlich unent-
(GW 18.195 f.). schieden, zumal es ihm hier wie stets auf die
(3) »Objective Geschichte« ist für Hegel stets Zusammengehörigkeit beider Seiten ankommt.
›objektivierte‹, durch das geschichtliche Bewußt- Um zu begreifen, warum es unter diesen, aber
sein konstituierte Geschichte. Freilich wird die- nicht unter jenen Bedingungen zur Konstituie-
ser Konstitutionsakt der »objectiven Geschichte« rung von »Geschichte« a l s Geschichte kommt, ist
nicht durch jedes einzelne Bewußtsein vollzogen, stets eine Vielzahl von Faktoren zu berücksich-
sondern durch die Geschichtsschreibung – nicht tigen – bis hin zu natürlichen Bedingungen. Auch
schon durch Annalen, wiewohl diese als Vorstufe die Faktoren der Ausbildung staatlicher Verhält-
zur Geschichtsschreibung anzusehen sind. Es ist nisse oder des »absoluten Geistes« sind ja selbst
für Hegel jedoch keineswegs so, daß die »sub- nichts Unmittelbares, sondern ihrerseits aufklä-
jective Seite«, die Historie, nur zu der materialen rungsbedürftig.
Seite der Begebenheiten hinzuträte und sie zu (4) »Objective Geschichte« ist stets durch »sub-
»Geschichte« konstituierte, sondern durch das jective« konstituiert; hingegen kommt die »sub-
Hinzutreten der »subjectiven Seite« ändert die jective« meistens zu spät, um den materialen
materiale ihren Charakter: »die eigentliche ob- Charakter von Geschichte dadurch zu beeinflus-
jective Geschichte eines Volkes, fängt erst da an, sen, daß sie einen geistigen Horizont eröffnet,
wo sie auch eine Historie haben« (GW 18.124). der auf das Handeln der Akteure zurückwirkt.
Sie fängt somit in doppeltem Sinne erst durch die Unter den »Arten der Geschichtsschreibung«, die
Historie an: indem sich ihre Verlaufsform, der Hegel in den Kollegien 1822/23 und 1828/29
materiale Charakter der Handlungen ändert und unterscheidet, ist dies allenfalls der »ursprüngli-
indem sie als Geschichte konstituiert wird. chen Geschichtsschreibung« möglich – obschon
Geschichte vollzieht sich somit stets in dem es auch für sie schwer nachweisbar ist. Doch wäre
Zwischenbereich zwischen objektiver und sub- es zumindest voreilig, Thukydides’ oder Caesars
jektiver Geschichte – oder besser: Sie ist dieje- Geschichtswerken eine derartige Funktion für
nige komplexe Wirklichkeit, die sowohl äußere die griechische und die römische Welt abzuspre-
Gegenständlichkeit als auch subjektive Konstitu- chen; für spätere Zeiten ist sie ohnehin voraus-
tion umfaßt, die nie bloß ›objektiv‹ ist, aber zusetzen. Doch selbst ein problematisches Urteil
ebensowenig bloß ›subjektiv‹ – was sie in gegen- über die unmittelbar-geschichtsverändernde Be-
wärtigen Ansätzen wird, deren Narrationsbegriff deutung eines Geschichtswerks tangierte nicht
schließlich nicht mehr zwischen Erzählung von dessen geschichtskonstitutive. Schon durch die
Geschehenem und Phantasiegebilden unter- »ursprüngliche Geschichtsschreibung« der Au-
scheiden kann. genzeugen und Zeitgenossen werden Begeben-
Diese Zusammengehörigkeit von »objectiver« heiten in ein » We r k d e r Vo r s t e l l u n g« umge-
und »subjectiver Geschichte« hat Hegel mit Nach- formt; auch die »objective Geschichte« ist stets
druck herausgehoben: »Die Vereinigung der bey- ein »Werk der Vorstellung« (GW 18.124). Es ist
den Bedeutungen müssen wir für höhere Art als immer erst der Geschichtsschreiber, der »das,
für eine aüsserliche Zufälligkeit ansehen; es ist was ein in der Wirklichkeit bereits vorübergegan-
dafür zu halten, daß Geschichtserzählung mit genes, in der subjectiven, zufälligen Erinnerung
eigentlich geschichtlichen Thaten und Begeben- zerstreut und selbst flüchtiger Erinnerung aufbe-
heiten gleichzeitig erscheinen; es ist eine inner- wahrtes ist, zu einem Ganzen componirt es i n
liche gemeinsame Grundlage, welche sie zusam- d e n Te m p e l d e r M n e m o s y n e aufstellt, und
men hervortreibt.« Völker »sind darum ohne ob- ihm so unsterbliche Dauer verschaft.« (GW
jective Geschichte, weil sie keine subjective, 18.123)
keine Geschichtserzählung aufweisen«; »ohne ei- Solcher »ursprünglichen Geschichtsschrei-
nen Endzweck des Fortschreitens und der Ent- bung« gilt Hegels Sympathie – bis in die neuere
wicklung […] ist kein denkendes Andenken, kein Zeit hinein, zur »Histoire de mons tems de Frédé-
Gegenstand für die Mnemosyne vorhanden« ric II«. Als eine Bedingung ihres Gelingens sieht
(GW 18.192–194). Demnach scheint der Seite er es an, »daß n i c h t n u r d i e B i l d u n g i n
des Bewußtseins, der Formulierung eines sol- e i n e m Vo l k e in e i n e r hohen S t u f e vorhan-
408 II. Werk

den sey, sondern auch daß sie nicht einsam in der Anspielung auf seinen kurz zuvor erwähnten Kol-
G e i s t l i c h k e i t , den G e l e h r t e n u. s. f. isolirt, legen Leopold von Ranke. Und Hegel faßt sein
sondern mit den Staats- und Heerführern ver- Urteil über die pragmatische Geschichtsschrei-
einigt sey«. Denn von denen, die »oben« stehen, bung nochmals mit Goethe zusammen: »Ob nun
werde die Geschichte nicht »durch das Loch ir- solche Reflexionen in der That i n t e r e s s a n t
gend einer m o r a l i s c h e n B o u t e i l l e oder und b e l e b e n d seyen, das kommt a u f d e n e i g -
s o n s t i g e n We i s h e i t betrachtet« (GW n e n G e i s t d e s S c h r i f t s t e l l e r s a n« (GW
18.128 f.). 18.136 f.)
Doch kann die »ursprüngliche« Geschichte nur
einen kurzen Zeitraum umfassen; sie muß somit
9.6.4. Die Vernunft in der Geschichte
durch die »Compilationen« der » r e f l e c t i r e n -
d e n Geschichte« ergänzt werden. Deren ge- (1) Mit dieser Einschätzung der pragmatischen
schichtskonstituierende Arbeit fällt in spätere Geschichtsschreibung bricht Hegels Manuskript
Zeiten und steht unter gewandelten Bedingun- zur Einleitung aus dem Jahre 1828/29 ab – ver-
gen. Sie verfehlt ihre Aufgabe, wenn sie, wie mutlich deshalb, weil die hier einmal folgenden
Livius’ Historien oder Johannes von Müllers Ge- Ausführungen über die »philosophische Ge-
schichten Schweizerischer Eidgenossenschaft, schichte« (vgl. V 12.14–24) in sein umfangreiches
diese Differenz zu tilgen und eine Unmittelbar- Manuskript von 1830/31 eingegangen sind. Und
keit zu suggerieren sucht. Hegel kritisiert dies trotz des Interesses, das gerade Hegels einlei-
unter Berufung auf Goethe (Faust, V. 578): »Will tende Darstellung der »Arten der Geschichts-
der Geschichtsschreiber den Geist der Zeiten schreibung« gefunden hat, ist sein eigenes Urteil
schildern, so pflegt es der eigne Geist der Herrn über diese Einleitungsversion nicht zu vergessen:
zu seyn«. Und er attackiert insbesondere den Es handle sich um »eine Übersicht, die nichts
Typus des Geschichtsschreibers, der »den Bege- philosophisches enthalten kann« (GW 18.122).
benheiten und Individuen von Zeit zu Zeit mit Über die »philosophische Geschichte« jedoch ist
einem moralischen Einhauen in die nicht vorweg in einer Außenperspektive zu refe-
F l a n k e f ä l l t , mit erbaulichen christlichen und rieren; sie zu explizieren ist das Gesamtpro-
andern Reflexionen aufwacht aus dieser tröseln- gramm der Vorlesungen Hegels.
den Erzählerey«. Günstiger beurteilt Hegel die Ein zentraler Begriff dieser »philosophischen
»pragmatische« Geschichte – und hierbei mag er Geschichte« ist der Begriff der Vernunft. In we-
sich dessen erinnert haben, daß er in einer seiner nigen Passagen seines Werkes beruft Hegel sich
ersten Tagebuchnotizen festhält, er habe eine, so umfassend und beharrlich auf »Vernunft« –
»obgleich eine zimlich dunkle und einseitige Idee und auch selten so unbestimmt wie hier. Die
davon erhalten«, »was eine pragmatische Ge- Philosophie trage nur den einzigen Gedanken der
schichte sey« (GW 1.5). Auch diese Geschichts- Vernunft an die Geschichte heran: »daß die Ver-
schreibung habe »ein g e g e n w ä r t i g e s Inter- nunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der
esse«; sie verzichte aber auf die Simulierung ei- Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist.« Aller-
ner Gleichzeitigkeit mit dem Dargestellten. dings verweist er auf die spekulative Philosophie:
Gleichwohl können »Gegenstand und Zweck der Sie erweise, »daß die Ve r n u n f t […] die S u b -
Geschichtsschreiber aber auch Zweck des Volks, s t a n z , wie die unendliche Macht, sich selbst der
Zweck der Zeit selbst« zusammenfallen. Er wen- u n e n d l i c h e S t o f f alles natürlichen und gei-
det sich auch nicht generell gegen eingestreute stigen Lebens – wie die u n e n d l i c h e F o r m ,
»pragmatische Reflexionen«: »Solche pragmati- die Bethätigung dieses ihres Inhalts ist« (GW
schen R e f l e x i o n e n so sehr sie abstract sind, 18.140, vgl. § 549).
s i n d s o i n d e r That das G e g e n w ä r t i g e , und (2) Auf solche Formulierungen mag sich die
die Erzählung der Ve r g a n g e n h e i t beleben, Bezeichnung der Philosophie Hegels als »Panlo-
zum gegenwärtigen Leben b r i n g e n sollende«. gismus« stützen – nur macht dieses Wort um
Diese Form findet er mehr bei den »Franzosen« – nichts deutlicher, was mit der Rede von der Herr-
im Unterschied zur neuesten Tendenz der deut- schaft der Vernunft gesagt sei. Und Hegel scheint
schen Historiker: »Deutsche befriedigen uns sein Programm einer »philosophischen Ge-
mehr, s o s e y e s g e w e s e n« – eine sybillinische schichte« auch dadurch zu diskreditieren, daß er
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 409

es gegen Einwände methodologisch immunisiert: xagoras dieses Prinzip aufgestellt. Sokrates’ wie
Denn wenn die Philosophie den Gedanken von Hegels Einwände richten sich nicht gegen sein
der Weltregierung der Vernunft schon mitbringt Prinzip, auch nicht dagegen, daß Anaxagoras die
und wenn derjenige, der die Welt vernünftig Vernunft nicht als »Intelligenz« oder »als selbst-
ansieht, im Gegenzug auch von ihr vernünftig bewußte Vernunft« faßt, sondern allein dagegen,
angesehen wird, so scheint das Resultat immer daß er es auf die Natur beschränkt und die kon-
schon vorweggenommen – gegen alle potentiel- krete Vermittlung zwischen dem Prinzip und dem
len Einwände, die aus der eklatanten Wider- angeblich Prinzipiierten nicht geleistet habe.
vernünftigkeit der Geschichte zu erheben wären. Weit kritischer stellt er sich gegen die zweite
Eine derartige apriorische Geschichtsschreibung Form, gegen die fromme Auskunft, daß eine per-
brauchte sich auf das geschichtliche Detail nicht sönlich gedachte »Vorsehung« die Welt nach ei-
erst einzulassen. Andererseits ist es jedoch nem Plan regiere. Auch dieser Glaube an die
ebenso plausibel, daß – wie bei jeder Analyse – »Vorsehung« sei unbestimmt – und vor allem
nur eine auf die Erkenntnis einer immanenten polemisiert Hegel gegen die Diskrepanz, daß von
Vernunft gerichtete Geschichtsbetrachtung eine einem »Plan der Vorsehung« geredet und zugleich
derartige »Substanz« zu Tage fördern wird. darauf insistiert wird, es sei »Vermessenheit«, ihn
Hegel hat das Problem einer möglichen Kor- zu erkennen. Das fromme Gemüt mag zwar Er-
rumpierung der Resultate einer empirischen Ge- bauung daran finden, seine Überzeugung in ein-
schichtsforschung durch seine hermeneutische zelnen Begebenheiten bestätigt zu sehen – doch
Voraussetzung selbst gestellt – doch hat er es als die Philosophie könne bei dieser »Kleinkrämerey
entschärft betrachtet, und dies aus zwei Gründen. des Glaubens an die Vorsehung« nicht stehen-
Der erste ist eher taktischer Art: Hegel gibt der bleiben. Sie müsse endlich dazu übergehen,
vermeintlich empirisch verfahrenden Historie »auch diese reiche Production der schöpferischen
seiner Zeit den Vorwurf der apriorischen Ge- Vernunft zu begreiffen, welche die Weltge-
schichtsschreibung zurück – und im Blick selbst schichte ist« – und zwar jetzt, wo »das, was
auf Barthold Georg Niebuhrs Behauptungen über Endzweck der Welt, endlich auf allgemeine, be-
die römische Frühzeit mit gutem Recht. Die Phi- wußte Weise in die Wirklichkeit getreten« ist.
losophie überlasse »dergleichen Aprioritäten […] Erst dann kann man nämlich begreifen, was es
den geistreichen Historikern von Fach«. Diese mit der Vorstellung von einem »Plan der Vorse-
Kritik stellt aber noch nicht sicher, daß die Philo- hung« auf sich hat: Die Vernunft in der Ge-
sophie sich nicht lediglich auf Aprioritäten an- schichte liegt darin, daß sie sich als »der ver-
derer Art kapriziere, sondern einen besseren Weg nünftige nothwendige Gang des Weltgeistes« be-
einschlage. Doch der zweite Grund, den Hegel greifen läßt. Was an sich Endzweck der Ge-
hier nennt, erscheint zumindest in seiner pro- schichte ist, das Wissen des Geistes von seiner
grammatischen Form als tragfähig: Die Philo- Freiheit, wird auch als solcher gewußt (GW
sophie lasse sich von solchen Historikern nicht 18.142–150, vgl. Grundlinien, § 343).
verführen; sie profiliere sich gegen sie durch ihre (4) Mit diesen Aussagen über den Endzweck
Treue zur Empirie: »die Geschichte aber haben der Geschichte und seine Realisierung scheint
wir zu nehmen wie sie ist; wir haben historisch, Hegel den Gipfel der philosophischen Hybris
empirisch zu verfahren.« »Es hat sich also erst erklommen zu haben. Und auch abgesehen von
und es wird sich aus der Betrachtung der Welt- ihrem hybriden Charakter scheinen sie auf offen-
geschichte selbst ergeben, daß es vernünftig in kundig unzulänglichen Voraussetzungen zu be-
ihr zugegangen« (GW 18.142). Methodologisch ruhen. Denn über einen »Endzweck der Ge-
ist sein Unternehmen deshalb zu beschreiben als schichte« lasse sich doch erst an ihrem Ende
ein empirisches Verfahren, geleitet von dem heu- reden – und zuvor allenfalls in der Form eines
ristischen Prinzip, die in der Geschichte wirk- Vorgriffs auf dieses Ende, wie er von der Ge-
liche Vernunft herauszuarbeiten. schichtstheologie vollzogen werde. Geschichts-
(3) Daß der bloße Gedanke der Weltregierung philosophie bleibe somit schon strukturell ab-
der Vernunft allein noch keineswegs verläßliche hängig von Geschichtstheologie; sie sei von ihrer
Resultate garantiert, zeigt Hegel selber an zwei Entstehung her ein Säkularisat der biblischen
prominenten Gestaltungen: Als erster habe Ana- Eschatologie und bleibe auch weiterhin nur als
410 II. Werk

Geschichtstheologie möglich – so eine früher ein- über Hegels Apriorismus und über seine »große
flußreiche, jedoch weder als historische noch als Erzählung« zu klagen, mittels deren er den guten
systematische These haltbare Unterstellung (zur Sinn seines Geschichtsbegriffs bewähren will,
Kritik Jaeschke 1976). Doch diese Denkfigur der und diesen zumindest versuchten empirischen
sog. »Prolepsis« liegt Hegel fern. Für ihn folgt die Nachweis zugleich a priori zu ignorieren.
Bestimmung des Endzwecks des »Weltgeistes« Dieses Ziel der empirischen Bewährung
vielmehr aus dem Begriff des Geistes: Geist ist des geistesphilosophischen Geschichtsbegriffs
stets auf Selbstbewußtsein, auf sein Sichwissen nimmt Hegel sehr ernst – so sehr, daß er gele-
angelegt, er hat ja die Struktur des Selbstbewußt- gentlich ganz in die Empirie einzutauchen
seins – der »Weltgeist« nicht anders als das ein- scheint. Gerade damit hebt sein Vorgehen sich
zelne geistige Subjekt. Dieses Sichwissen ist sein wohltuend ab von den unter seinen Zeitgenossen
immanentes Telos; Geist ist entelechial auf sol- grassierenden Urzustandsphantasien, wie sie sich
ches Sichwissen angelegt und vollendet sich in im Umkreis der Restauration, auch bei Schelling
ihm – analog der Aristotelischen Noesis noeseos, und Friedrich Schlegel, finden – von der An-
aber eben nicht im Sichdenken des Gottes, son- nahme, am Beginn der Geschichte habe ein voll-
dern in der Wirklichkeit, die sich in solchem kommener, von Gott geschaffener Urzustand ge-
Wissen vollendet. Geschichte als Explikation des standen, nach dessen Zerstörung heute nur noch
Begriffs des Geistes zu deuten, bedeutet not- gelegentlich »Trümmer« anzutreffen seien. Sein
wendig, sie als einen Prozeß zu deuten, der das Programm der empirischen Bewährung grenzt
Selbstbewußtsein des Geistes verwirklicht – das Hegel zudem sehr nachdrücklich gegen die my-
Wissen von seiner Freiheit. thologischen Delirien ab, die Joseph v. Görres
»Geschichte« ist ja keine natürliche Entwick- unter den Titel Ueber die Grundlage, Gliederung
lung und auch keine formelle Prozessualität, son- und Zeitenfolge der Weltgeschichte stellt; er sieht
dern sie ist Explikation des Geistes. Sie gründet sich genötigt, Görres sehr eindringlich an die
ja in der »Geschichtlichkeit«, und in dieser liegt Binsenwahrheit zu erinnern, daß »die Beglaubi-
mit der vermittelten Selbstbeziehung bereits der gung des Geschichtlichen nur auf historische
»Keim der denkenden Freiheit« (s. 404 f.). »Ge- Zeugnisse und deren kritische Würdigung ge-
schichte« im prägnanten Sinn beginnt für Hegel gründet werden kann, und daß solche Erkennt-
erst, »wo die Vernünftigkeit, in weltliche Existenz niß allein Wissenschaftlichkeit genannt wird.« (s.
zu treten beginnt«. Und dies ist nicht etwas, was 308)
äußerlich an sie herankäme: Ihr ›Material‹ sind (6) Ein für Hegels Geschichtsphilosophie
selbst schon Akte der Freiheit: »Die Freyheit ist schwieriges Problem liegt in der Vermittlung zwi-
nur solche allgemeine, substantielle Gegen- schen seinem rein geistesphilosophischen Ge-
stände, wie das Gesetz und das Recht zu wissen schichtsbegriff und den einzelnen Taten und Be-
und zu wollen, und eine Wirklichkeit hervor- gebenheiten, die dem Betrachter der Geschichte
zubringen, die ihnen gemäß ist, – den Staat.« zunächst ins Auge fallen. Der »Weltgeist« ist ja
(GW 18.190 f.) nicht in dem Sinne »Akteur« der Geschichte wie
(5) Dieser Begriff von Geschichte beruht allein die in ihr handelnden Individuen. Der »allge-
auf Hegels Begriff des Geistes; er ist noch nicht meine Zweck« des Geistes und der »bewußte
mit der geschichtlichen Wirklichkeit vermittelt. Zweck« der Individuen fallen auseinander – zu-
Doch Hegel formuliert ja als sein Programm, es mal Hegel die zwischen beiden ohnehin beste-
müsse »sich aus der Betrachtung der Weltge- hende Kluft zusätzlich noch weiter aufreißt, in-
schichte selbst ergeben, daß es vernünftig in ihr dem er den geschichtlichen Individuen den »all-
zugegangen« sei, und um dies festzustellen, sei gemeinen Zweck« gemeinhin abspricht. Über die
historisch-empirisch zu verfahren (GW 18.142). realen Triebkräfte in der Geschichte denkt er
Seine »philosophische Geschichte«, seine Ab- alles andere als »idealistisch«: Geschichte wird
handlung der Weltgeschichte, dient der histori- nicht durch – hehre – Ideen bewegt oder etwa
schen Verifikation des vorausgesetzten Begriffs: dadurch, daß die geschichtlich agierenden Sub-
daß sie zurecht als Verwirklichung des Selbst- jekte die Verwirklichung des Endzwecks des Gei-
bewußtseins des Geistes und der Freiheit ge- stes auf ihre Fahnen geschrieben hätten. Sie wird
deutet werden kann. Es ist nicht sehr redlich, bestimmt durch ihre Interessen, Bedürfnisse,
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 411

Triebe, durch selbstsüchtige Zwecke und Leiden- Die Formel von der »List der Vernunft« zeigt
schaften: »Es geschieht daher nichts, wird nichts das gleiche Problem an, das Kant in seiner Idee zu
vollbracht, ohne daß die Individuen, die dabey einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
thätig sind, auch sich befriedigen«. Und dies ist (1784, AA VIII) ebenfalls metaphorisch unter den
keineswegs verwerflich, ja nicht einmal bedauer- Titel einer »Naturabsicht« stellt: Ein der Ge-
lich, sondern es »ist das unendliche Recht des schichte immanenter Antagonismus lenkt sie in
Subjects, das zweyte wesentliche Moment der eine Richtung, auch wenn die handelnden Perso-
Freyheit, daß das Subject sich selbst befriedigt nen diese gar nicht als Ziel ihres Willens gesetzt
findet, in einer Thätigkeit, Arbeit«. Und Hegel haben. Eine Geschichtsphilosophie, die sich
wiederholt hier nahezu wörtlich den oben (s. nicht auf das lebenspraktisch unwichtig gewor-
363) zitierten Satz der Enzyklopädie, »daß dene und auch theoretisch ausgedünnte Erkennt-
n i c h t s G r o s s e s in der Welt o h n e L e i d e n - nisinteresse der neueren analytischen Ge-
s c h a f t vollbracht worden ist.« (GW 18.158– schichtsphilosophie beschränken will, muß zu
161) beantworten suchen, weshalb geschichtliche Pro-
Diese Diskrepanz zwischen dem »allgemei- zesse anders als Naturprozesse, wenn auch durch
nen«, im Begriff des Geistes liegenden, aber von Verzögerungen oder gar Rückfälle in frühere Stu-
den geschichtlichen Akteuren nicht bewußt ver- fen, durch natürliche oder sittliche Katastrophen
folgten Zweck und deren »bewußten«, aber ge- gestört, irreversibel in einer Richtung verlaufen –
rade nicht auf das Allgemeine gerichteten Zwek- was selbst die Geschichte des 20. Jahrhunderts
ken sucht Hegel auf doppelte Weise zu über- bestätigt. Sie muß darüber Auskunft geben, wie
brücken – mittels des ›berüchtigten‹ Gedankens Geschichte, obgleich in ihr als alleinige Akteure
der »welthistorischen Individuen« und des nicht die Individuen mit ihren partikularen Zwecken
minder ›berüchtigten‹ Theorems der »List der auftreten, eine Richtung nimmt, die nicht aus
Vernunft«. Von dieser »List« ist allerdings in der ihrem übereinstimmenden Willen entspringt
Literatur über Hegel mehr die Rede als in seinen und sich auch nicht als eine Resultante aus diver-
Texten; in seinem – zwar fragmentarischen, aber gierenden individuellen Zielsetzungen beschrei-
in der thematischen Partie vollständigen – Manu- ben läßt, sondern einer inneren Logik folgt. Ge-
skript zur Philosophie der Weltgeschichte findet gen einen solchen Ansatz läßt sich leicht ein-
sich dieser Ausdruck nicht, nur einmal in den wenden, er mißachte das Individuum – doch geht
Vorlesungen über die Philosophie der Weltge- es nicht um die moralische Frage, ob das In-
schichte (W IX.41). In der Logik (GW 12.166) dividuum solche übergreifende, geschichtsgestal-
wie auch in der Enzyklopädie 3§ 209 spricht He- tende Bedeutung erhalten solle, sondern allein
gel zwar von der »List der Vernunft«, jedoch beim darum, wie sich geschichtliche Prozesse adäquat
Begriff der Teleologie, und näher in einem nicht beschreiben und begreifen lassen.
geschichtlichen, sondern eher naturphiloso- Diesen schwierigen Punkt der Vermittlung zwi-
phisch gefärbten Kontext. schen dem Allgemeinen und dem Besonderen in
Dennoch ist dieser Ausdruck – eben in seiner der Geschichte hat Hegel nicht in der erforderli-
provokativen Kraft – glücklich gewählt. Hier chen Klarheit herausgearbeitet. Er exponiert le-
scheinen zwar wiederum, wie schon bei der Rede diglich die Problemlage: » d i e We l t g e -
vom »Weltgeist«, mythologische Figuren in einen s c h i c h t e beginnt nicht mit i r g e n d einem b e -
geschichtstheoretischen Ansatz hineinzuwandern w u ß t e n Z w e c k e«; sie »fängt mit ihrem a l l -
– aber auch hier dient das bewußt anstößig ge- g e m e i n e n Z w e c k e , daß der B e g r i f f des
wählte Bild lediglich dazu, ein dringliches Pro- Geistes befriedigt werde, nur a n s i c h an, – d. h.
blem zunächst zu bezeichnen und damit auch als N a t u r ; er ist der innere, der innerste be-
schon seine Lösung anzudeuten: die Diskrepanz wußtlose Trieb – und das ganze Geschäft der
zwischen einem Geschichtsverlauf, der durch Weltgeschichte ist wie schon oben überhaupt er-
eine wenn auch nicht störungsfreie, so doch ins- innert, die Arbeit ihn zum Bewußtseyn zu brin-
gesamt »lineare«, vielleicht ja gar als »Fortschritt« gen.« Diejenigen, die diese »Arbeit« leisten, sind
zu charakterisierende Entwicklung bestimmt ist, »die M i t t e l und die We r k z e u g e e i n e s H ö -
und den stets gleichen Bedürfnissen und Inter- h e r e n , […] von dem sie nichts wissen, das sie
essen der zwar immer anderen, aber sich doch bewußtlos vollbringen«.
stets gleichbleibenden endlichen Akteure.
412 II. Werk

Doch statt darzulegen, wie dieser »allgemeine Weit weniger bekannt als Hegels – oft als Pro-
Zweck« gleichsam hinter dem Rücken des Be- vokation empfundende – Rede vom Individuum
wußtseins der »Mittel und Werkzeuge« wirkt, wie als »Mittel und Werkzeug« sind seine Überle-
das Allgemeine in den besonderen Zwecken ist gungen zum Selbstzweck-Charakter der Indivi-
und sich durch sie vollbringt, verweist Hegel zum duen – obgleich sie fraglos dominant sind. Auch
einen auf die »Logik«, die die spekulative Natur im Kontext der Überlegungen zum Mittel-Cha-
der Vereinigung des Allgemeinen und Einzelnen rakter (GW 18.159) betont Hegel ja unmißver-
aufzeige. Für dieses spezielle Problem der ge- ständlich »das unendliche Recht des Subjects« auf
schichtlichen Vermittlung gibt sie allerdings kei- Befriedigung, und hieran knüpft er später an:
nen Aufschluß. Zum anderen sucht er diese Ver- Schon im Bereich der natürlichen Dinge stehen
einigung durch ein Beispiel zu veranschaulichen, »Mittel« und »Zweck« nicht in einem bloß äußer-
das eigentlich Fragen der Imputation betrifft und lichen Verhältnis, und um so weniger stehen die
insofern nicht einmal sonderlich glücklich ge- Menschen im äußerlichen Verhältnis zum Ver-
wählt ist. Ein Teil einer Antwort hätte im Hinweis nunftzweck (GW 18.166). Sie haben an ihm Teil
darauf gelegen, daß jedes Individuum neben sei- »und sind ebendadurch Selbstzwecke« – und
nem »besonderen« immer auch ein »allgemeines« nicht nur in dem Sinne wie Organismen, sondern
und »geschichtliches« Leben führt, immer auch »dem Inhalte des Zweckes nach.« Moralität, Sitt-
in allgemeinen Zusammenhängen steht – als Mit- lichkeit, Religiosität, Vernunft, Freiheit sind »der
glied eines »Standes« der »Bürgerlichen Gesell- Kategorie eines Mittels entnommen« – im Sinne
schaft«, als Bürger eines Staates, als Mitglied von ›überhoben‹. Sie haben »unendlichen
einer Religionsgemeinschaft oder als Teilnehmer Werth«, auch in ihrer einfachen, naiven Gestalt;
an einem Kriege, und in dieser Vermitteltheit sie bleiben »unangetastet« und »dem lauten Lärm
Moment des Allgemeinen ist und an dessen Be- der Weltgeschichte« entnommen – auch dann,
wegung teilhat. Ein anderer – und wichtigerer – wenn diese Geschichte gleichwohl über sie hin-
Teil der Antwort hätte im Nachweis bestehen wegrollt, weil sie alles Endliche aufhebt – wenn
müssen, daß geschichtliche Handlungen als Ma- auch nur darin, daß sie immer neues Endliche
nifestationen des objektiven Geistes stets als Akte produziert (GW 18.161–171).
der Freiheit auf einander bezogen sind und durch
ihre immanente Logik auf Verwirklichung von
9.6.5. Theodizee
Freiheit angelegt sind.
Anschaulich wird diese »Vereinigung des All- (1) Der Charakter eines Werkzeugs kommt dem
gemeinen und Besondern« hingegen in Hegels Individuum somit nach seiner »allgemeinen«
Lehre von den »welthistorischen Individuen«. Sie Seite zu, nach der es in das Leben seines Staates
sind die herausgehobenen Personen, deren be- eingebunden ist und den allgemeinen Zweck ver-
sondere Zwecke mit dem allgemeinen Zweck wirklicht; nach der Seite seiner Besonderheit ist
zusammenfallen – und so sind sie nicht die »Mit- es »Selbstzweck«. Noch empörender als die Rede
tel«, sondern die »Geschäftsführer« des Zweckes von »Mitteln und Werkzeugen« erscheint ge-
des Weltgeistes. Freilich fragt es sich, ob diese meinhin eine ungeheure Diskrepanz in Hegels
Einheit ihres besonderen Zweckes mit dem all- Urteil über Geschichte: Er spricht von der Welt-
gemeinen Zweck nicht bloß eine vermeintliche, geschichte als einer »verworrenen Trümmer-
und vielmehr als kausale Wirkung ihres partiku- masse«, als einer »Schlachtbank«, »auf welcher
laren Zwecks auf den Gang der Geschichte zu das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten
betrachten sei – die »Alleinherrschaft Roms« und die Tugend der Individuen zum Opfer ge-
nicht als Telos der römischen Geschichte, son- bracht worden«. Und trotz dieser ungeschmink-
dern als Wirkung von Caesars Machtstreben. ten Aussagen weist er der philosophischen Ge-
Doch bleibt auch zu bedenken, daß eben der schichtsbetrachtung die Funktion einer Theodi-
Umstand, daß solche partikularen Zwecke ver- zee zu, einer »Rechtfertigung Gottes, welche
wirklicht worden sind, eine geschichtliche Situa- Leibnitz metaphysisch auf seine Weise in noch
tion voraussetzt, in der diese Partikularität durch- abstracten, unbestimmten Kategorien versucht
setzungsfähig gewesen ist – eben weil sie mit hat; das Übel in der Welt überhaupt, das Böse mit
einer objektiven Tendenz übereingestimmt hat. innbegriffen, sollte begriffen, der denkende Geist
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 413

mit dem Negativen versöhnt werden.« Angesichts noch‹. Es geht Hegel hier, nicht anders als Kant,
der Opfer erscheint jede Rede von »Versöhnung« darum, »etwas Weniges«, »schwache Spuren«
als Verhöhnung – und dies nicht erst, wenn auch (AA VIII.27) der Realisierung des Endzwecks,
fraglos ins Unendliche gesteigert nach den Mas- nämlich der vollkommenen Staatsverfassung zu
senmorden des 20. Jahrhunderts. entdecken – wobei Kant metaphorisch von einer
(2) Die jedem Versuch einer Theodizee imma- »Naturabsicht« spricht, während Hegel die in der
nenten Spannungen treten in Hegels Geschichts- Geschichte selbst liegende Tendenz auf einen
philosophie auch deshalb so klar ins Bewußtsein, Endzweck hin als eine Logik der Freiheit heraus-
weil er den Charakter der Weltgeschichte weit zuarbeiten sucht.
drastischer zeichnet als etwa Kant – ganz zu (3) Gegen Hegels Betrachtung der Weltge-
schweigen von Leibniz’ beschwichtigender Ver- schichte als »Theodizee« erhebt eine breite Kritik
sicherung, es könne auf dieser besten aller mögli- den Vorwurf der Mediatisierung, der Instrumen-
chen Welten so schlimm doch nicht sein, da es ja talisierung und gar der Verhöhnung der Opfer –
schließlich mehr Häuser als Gefängnisse gebe doch diese Kritik ist unzutreffend bis zur Unred-
(Theodizee, B 148). Hegel hingegen sucht die lichkeit (allenfalls mit der Ausnahme Adornos).
Wirklichkeit des Übels nicht zu beschönigen – Und dies nicht allein deshalb, weil derjenige, der
und nicht allein durch die Bemerkung, »daß die das trostlose Erscheinungsbild der Weltge-
Weltgeschichte nicht ein Boden des Glücks ist; schichte in so düsteren Farben malt wie kein
denn die Perioden des Glücks sind für die Ge- anderer und sich auch nicht scheut, sie der Wahr-
schichte leere Blätter« (V 12.64). Sie ist aber nicht heit gemäß als »Schlachtbank« der Völker und
allein durch die Abwesenheit des Glücks charak- Individuen zu bezeichnen, dieses Resultat damit
terisiert: »es ist in der Weltgeschichte, daß die nicht schon als erwünscht oder als moralisch
ganze Masse des concreten Übels uns vor die gerechtfertigt bezeichnet. Hegels Geschichtsphi-
Augen gelegt wird.« Man kann ihre Darstellung losophie ist vielmehr die einzige der klassischen
»zu dem furchtbarsten Gemählde erheben, und Konzeptionen, der man den Vorwurf einer Instru-
ebenso damit die Empfindung zur tiefsten raths- mentalisierung nicht machen kann.
losesten Trauer steigern, welcher kein versöh- Der Grund hierfür ist leicht zu erkennen: In-
nendes Resultat das Gleichgewicht hält«. strumentalisierung setzt einen bewußten Zweck
Doch trotz dieser illusionslosen Schilderung voraus, wie er in den personalistischen theo-
sieht Hegel es als den falschen Weg an, »in den logischen Denkmodellen enthalten ist – doch
leeren, unfruchtbaren Erhabenheiten jenes nega- Hegels Konzeption kennt keinen Gott, der in
tiven Resultats sich trübselig zu gefallen.« Seine bewußter Zwecksetzung, als »Vorsehung«, die
»philosophische Geschichte« hält an der Mög- Geschicke der Menschheit nach einem »Plan«
lichkeit der »Versöhnung« fest, gleichsam einer lenkte, und damit fehlt der Adressat für die An-
Versöhnung zwischen Leibniz’ Theodizee und klage, die das Verfahren der Theodizee in Gang
Voltaires Candide: »Diese Aussöhnung kann nur setzen muß. Hegel bedient sich zwar noch dieser
durch die Erkenntniß des Affirmativen erreicht damals vorherrschenden Terminologie – und
werden, in welchem jenes Negative zu einem nicht ohne sie korrigieren –, aber sie ist nur noch
Untergeordneten und Überwundenen verschwin- eine erstarrte Fassade. Hinter ihr verbirgt sich
det; – durch das Bewußtseyn, theils was in Wahr- nicht mehr der persönliche, über »Mittel« und
heit der Endzweck der Welt sey, theils daß der- »Zwecke« disponierende Gott des Kirchenglau-
selbe in ihr verwirklicht worden sey und nicht das bens, und auch nicht mehr der Leibnizische Gott,
Böse neben ihm ebensosehr und gleich mit ihm der durch eine moralische Notwendigkeit genö-
sich geltend gemacht habe.« Allein in diesem tigt würde, die beste aller möglichen Welten zu
doppelten Wissen – im begreifenden Wissen des wählen, obschon sie leider immer noch des Übels
Endzwecks und in der Bewährung dieses Wis- genug enthielt – so daß Kritiker sie mit gutem
sens durch die geschichtliche Erfahrung – liegt Grund als die schlechteste aller möglichen wer-
die Versöhnung; andere Wege zu ihr gibt es nicht, ten konnten. Hier agiert auch nicht mehr die
und sie hat keineswegs einen triumphalistischen, segensreiche Leitung einer Vorsehung, die auch
leichtfüßig über die Opfer hinwegeilenden Cha- über Millionen von Leichnamen zum Ziel gehe,
rakter, sondern eher den trotzigen eines ›Den- wie der junge Herder einmal so anmutig in Aus-
414 II. Werk

sicht stellt (hg. Suphan V.576). Das Göttliche, das dem einen Metalle der Freiheit errichtet« (um
in Hegels »Theodizee« gerechtfertigt wird, ist der Eduard Gans’ Dictum über die Grundlinien zu
»Geist«, das auf Freiheit und das Bewußtsein der adaptieren, W VIII.X), sondern Geschichte ist –
Freiheit gerichtete Handeln und Wissen – und in ihrer höchsten Bestimmung – »Fortschritt im
nicht mehr ein der moralischen Imputation fä- Bewußtseyn der Freyheit« (GW 18.153).
higes Subjekt. Deshalb ist auch das Wort »Theo- Geschichtsphilosophie hat für Hegel zur Auf-
dizee« hier nur ›cum grano salis‹ zu verwenden. gabe, diesen Fortschritt zu erkennen und in sei-
Die Kritik an der Verhöhnung der Opfer ist im ner »Nothwendigkeit« zu erkennen. Sie ist damit,
Recht gegenüber jeder »Theodizee«, die mit ei- könnte man sagen, eine ›Hermeneutik der Frei-
nem personalen Gottesgedanken arbeitet – und heit‹: Sie offenbart ihren Gehalt nur demjenigen,
dies sind seit der Antike nahezu alle Gestalten der nach ihm fragt. Dem scheint ein vielzitiertes,
der »Theodizee«. An Hegels Ansatz aber geht sie auch von Rosenzweig (1920, Bd 2.1) herangezo-
völlig vorbei. Es ist eine – in vielen Fällen wohl genes Wort Goethes über Geschichte zu wider-
beabsichtigte – merkwürdige Verkehrung, Hegels sprechen: »Man sieht in dieser ungeheuern Em-
Konzeption wegen eben der Züge zu kritisieren, pirie nichts als Natur und nichts von dem was wir
die an den traditionellen theologischen Gestalten Philosophen so gern Freyheit nennen möchten.«
der »Theodizee« unvermeidlich kritikabel, aber (an Schiller, 9.3.02; WA IV/16.49) Doch ist Goe-
eben deshalb aus seiner Konzeption eliminiert thes Rede von der »ungeheuern Empirie« keine
sind. Charakteristik von Geschichte überhaupt, son-
Dies gilt auch für die Formel, die Hegel sich dern sie bezieht sich auf eine einzelne Darstel-
durch Schillers Gedicht Resignation vorgeben lung der Französischen Revolution, die diesen
läßt: »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht« Freiheitsaspekt nicht herausarbeitet, und vor al-
(Grundlinien, § 340; Jüngel 2001; Hüffer 2002, lem hätte Hegel gegen eine derartige Darstellung
185). Dies heißt ja nicht, daß in Gestalt der geltend gemacht, daß auch das, was sie als »Na-
Weltgeschichte ein schlechthin kompetenter und tur« erscheinen läßt, nichts als Akte der Freiheit
unbestechlicher Richter auf dem Richterstuhl sind – wenn auch sicherlich zum großen Teil Akte
säße, sondern daß auf die Erwartung eines nach- einer sich selbst mißverstehenden Freiheit.
träglichen Aktes transzendenter Gerechtigkeit zu (2) Mit dieser exponierten Rede von »Fort-
»resignieren« sei: Die Weltgeschichte i s t s c h o n schritt« scheint Hegel sich der sogenannten nai-
das Weltgericht; wir haben keines anderen zu ven Fortschrittsgläubigkeit der Aufklärung anzu-
erwarten, und auch keiner sonstigen Veranstal- schließen. Doch profiliert er seinen Begriff des
tung, in der die Tränen der Gerechten getrocknet Fortschritts material und formal gegen Fort-
werden. Gegen den ›Spruch‹ der Weltgeschichte schrittskonzeptionen der Aufklärung.
ist keine Berufung möglich, auch wenn er im Formal grenzt er ihn ab gegen den Gedanken
Einzelfall noch so verheerend ausfällt. Die ein- der Perfektibilität: »Die abstracte Veränderung
zige »Versöhnung« liegt allein im Wissen um den überhaupt, welche in der Geschichte vorgeht, ist
Endzweck und seine fortschreitende Realisierung längst in einer allgemeinen Weise gefaßt worden,
– in der Erkenntnis, daß auch »Vernunft in der so daß sie zugleich einen Fortgang zum Bessern,
Geschichte« sei, trotz des »furchtbarsten Gemähl- Vollkommenern enthalte.« Das Recht einer sol-
des«, als das sie sich uns zunächst darbietet (GW chen Fortschrittskonzeption liegt darin, daß sie
18.150–158). die Verlaufsform der Geschichte vom »Kreislauff«
der Natur unterscheidet, in dem nichts Neues
unter der Sonne geschieht. Sie unterstellt »eine
9.6.6. Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit
wirkliche Veränderungsfähigkeit und zwar wie
(1) Diese »Vernunft in der Geschichte« liegt gesagt zum Bessern, Vollkommenern, – ein[en]
darin, daß Geschichte in ihrem subjektiv-objekti- Trieb der P e r f e c t i b i l i t ä t .« Hegel erwähnt,
ven Doppelcharakter Geschichte der Freiheit ist. daß dieses Prinzip »von den Religionen, wie der
Die »objective Geschichte« hat ja keine andere katholischen« und ebenso von Staaten, die auf
Existenz als in freien Handlungen, und die »sub- ihre Stabilität pochen, »übel aufgenommen wor-
jective« konstituiert aus ihnen die »objective Ge- den« sei. Aber auch er verteidigt es keineswegs,
schichte«. Geschichte ist aber nicht allein »aus wenn auch aus anderem Grund: »In der That ist
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 415

die Perfectibilität beynahe etwas so bestim- tungen einer Verbesserung der natürlichen Le-
mungsloses, als die Veränderlichkeit überhaupt; bensbedingungen oder der Moralität oder der
sie ist ohne Zweck und Ziel; das Bessere, das menschlichen Glückseligkeit begrenzt Hegel den
Vollkommene, worauf sie gehen soll, ist ein ganz »Fortschritt« strikt auf den »Fortschritt im Be-
unbestimmtes.« Er nimmt somit nicht an der wußtseyn der Freiheit« – eben weil er die imma-
Veränderung Anstoß, sondern an ihrer Ziellosig- nente und untilgbare Bewegung zur Verwirkli-
keit – daran, daß sie in einen unendlichen Pro- chung und zum Sichwissen von Freiheit als ein
greß einmündet, den Hegel ja auch an Kants konstitutives Moment des Begriffs des Geistes
Ethikotheologie verwirft (GW 18.181 f.). sieht.
Hegels Kritik der Perfektibilität betrifft jedoch (3) Hegels Formel wird gelegentlich vorgewor-
nicht ein weiteres geschichtsphilosophisches Mo- fen, daß sie, allzu idealistisch, den Fortschritt nur
dell der Aufklärung: das Modell der »Erziehung in das Bewußtsein und nicht auch in die Wirk-
des Menschengeschlechts«, das ihm, dem »Ver- lichkeit setze – doch auch dieser Einwand ver-
trauten Lessings« (s. 12), fraglos in dessen Fas- fehlt Hegels Gedanken. Der Fortschritt betrifft
sung und weniger in der Variante Herders vor nicht die Seite des Ansich, denn an sich i s t der
Augen steht (LM 13.413–436). Auf den religions- Mensch frei – sonst könnte er es auch nie werden.
geschichtlichen Hintergrund läßt Hegel sich je- Geschichtlich variabel, Gegenstand des Fort-
doch nicht ein, ebensowenig auf das Problem schritts ist deshalb nur, ob und wieweit dieses
der Übertragbarkeit des Erziehungsbegriffs Ansich auch f ü r den Menschen ist. Die Welt-
(Jaeschke 1976, 273–324). Entgegen Lessings In- geschichte ist der Weg des Geistes, »wie er z u m
tentionen integriert Hegel dieses Modell in einer W i s s e n d e s s e n zu kommen sich erarbeitet,
Randnotiz in seine eigene Konzeption einer Ge- was er a n s i c h ist.« (GW 18.152 f.) »Fortschritt
schichte der Freiheit: »Erziehung des Menschen- im Bewußtseyn der Freiheit« meint nicht naiv,
geschlechts zu was? Zur Freyheit – Mensch er- daß es in der sittlichen Welt alle Tage etwas freier
zogen dazu – nicht unmittelbar. Resultat –« (GW zugehe, sondern daß sie als aus Freiheit hervor-
18.153). Inhaltlich wird Lessings Erziehung des gehend gewußt werde.
Menschengeschlechts für Hegels Religionsphilo- Der Gehalt dieses Gedankens läßt sich – ver-
sophie wichtiger als für seine Geschichtsphilo- kürzt – in die populäre Formel bringen, daß »der
sophie. Mensch als solcher an sich frey ist«. Sicherlich
Material unterscheidet sich Hegels Fort- findet sich dieser Freiheitsgedanke nicht am Be-
schrittsbegriff von den elaboriertesten Konzep- ginn der Geschichte, auch nicht der europäi-
tionen der Aufklärung durch die Reduktion sei- schen. Es bedurfte erst einer langen Geschichte
nes Umfangs. Condorcet etwa erwartet einen um- seiner Herausbildung – einer Geschichte, die
fassenden und einheitlichen »Fortschritt« auf al- Hegel ebenfalls in eine populäre Formel kon-
len Gebieten des menschlichen Lebens, bis hin densiert: Im Orient sei nur Einer frei gewesen –
zur Steigerung der Lebenserwartung, da die Na- der Despot; im griechischen und römischen Al-
tur Wahrheit, Glück und Tugend unauflöslich mit tertum nur einige – die Freien im Gegensatz zu
einander verkette. Die von ihm prognostizierten den Sklaven. Unter solchen Bedingungen ist auch
künftigen Fortschritte betreffen die Beseitigung die Freiheit »theils nur eine zufällige, vergäng-
der Ungleichheit der Nationen, den Fortschritt liche unausgearbeitete und beschränkte Blume,
bei der Gleichheit innerhalb eines Volkes und die theils zugleich eine harte Knechtschaft des
wirkliche Vervollkommnung des Menschen. Für Menschlichen, des Humanen. – Erst die g e r -
derart weit gefaßte Erwartungen hat Hegel stets m a n i s c h e n Nationen sind im Christenthum
nur Spott übrig gehabt – etwa auch für Fichtes zum Bewußtseyn gekommen, daß der Mensch als
Hoffnungen, daß »in dem Ideal der moralischen Mensch frey, die Freyheit des Geistes seine ei-
Weltordnung, die Vulcane u. s. w. nicht mehr im- genste Natur ausmacht«.
merdar so bleiben wie sie annoch sind, daß jene Diesen – vierten – Schritt zum Bewußtsein der
nach und nach ausbrennen, die Orcane zahmer, Freiheit beschreibt Hegel mehrfach als in sich
die Krankheiten weniger schmerzhaft, der zweigeteilt: das Bewußtsein sei »zuerst in der
Dunstkreis der Wälder und Sümpfe verbessert Religion, in der innersten Region des Geistes
werde« (GW 4.407). Gegenüber solchen Erwar- aufgegangen« – aber ein weiterer und zeitauf-
416 II. Werk

wendiger Schritt sei die » A n w e n d u n g des (4) An der europäischen Verfassungsgeschichte


Princips auf die Wirklichkeit« gewesen, die Hin- und an der Geschichte der Menschenrechte, des
einbildung dieses Prinzips in »das weltliche We- Gedankens der Freiheit des Menschen a l s Men-
sen« (GW 18.152 f.), also der Prozeß der Ver- schen, läßt sich Hegels Bestimmung der Dyna-
Weltlichung, den seine Schüler später »Säkulari- mik der Geschichte als »Fortschritt im Bewußt-
sierung« genannt haben – und damit haben sie seyn der Freyheit« eindrucksvoll veranschauli-
den kulturgeschichtlichen Begriff von »Säkulari- chen – etwa bei der Rechtsbegründung in der
sierung« geprägt (Jaeschke 2001, 10 f.). Doch Erkenntnis, daß das Recht seinen Grund nicht in
trotz der Differenzierung zwischen »Prinzip« und der ›Natur‹ hat, sondern im freien Willen. Und es
»Anwendung« ist dieses Modell noch unange- kann auch nicht ernstlich strittig sein, die Gegen-
messen: Es unterstellt, daß das Prinzip nach sei- wart mit Hegel als eine Phase im Prozeß der
ner glücklichen Auffindung nur noch angewendet »Durchbildung des weltlichen Zustands« durch
zu werden brauchte. Es bedurfte jedoch vielmehr das Prinzip der Freiheit zu begreifen.
eines langen Weges vom ersten »Aufgehen« die- Gleichwohl verkürzte eine bloß rechtliche In-
ses Prinzips zu seiner ausdrücklichen Formulie- terpretation diesen Gedanken – wozu der von
rung – und erst mit ihr beginnt die entscheidende Hegel gewählte systematische Ort der Ge-
Phase seiner Verwirklichung. schichtsphilosophie allerdings Anlaß gibt. Hegel
In seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesun- sieht jedoch, daß das Bewußtsein des Menschen
gen beschreibt Hegel diesen Prozeß detaillierter von seiner rechtlichen Freiheit im Zusammen-
als in seinen geschichtsphilosophischen: Im hang mit der Ausbildung gesellschaftlicher In-
Christentum sei der Mensch frei gewesen als stitutionen steht, in denen diese Freiheit wirklich
Gegenstand der Gnade Gottes – und Hegel rühmt ist, und er deutet diesen Zusammenhang nicht in
diesen Fortschritt in der Geschichte des Frei- der Weise »idealistisch«, daß das Freiheitsbe-
heitsgedankens, implizit gegenüber dem Frei- wußtsein solche Institutionen hervortreibe und
heitsgedanken der Stoa, die den Freiheitsgedan- verändere. Es sind ebensosehr die Institutionen,
ken an die Kraft des Geistes bindet: »diese – sc. die das Bewußtsein verändern, das sich in ihnen
christlichen – Bestimmungen machen die Frey- begreift – auch wenn der komplexe Zusammen-
heit unabhängig von Geburt, Stand, Bildung hang von Sozial-, Wirtschafts- und Bewußtseins-
u. s. f. und es ist ungeheuer viel, was damit vorge- geschichte sich der Auszeichnung eines einzelnen
rückt worden ist«. Doch fährt er fort: »aber sie« für diese »Durchbildung« ursächlichen Moments
(sc. diese religiösen Bestimmungen) »sind noch verweigert.
verschieden von dem, daß es den B e g r i f f des Hegel sieht diese Verflechtungen im Gebiet des
Menschen ausmacht, ein Freyes zu sein.« (GW »objektiven Geistes« und darüber hinaus ihren
18.57) Und d i e s e s Wissen, fährt Hegel hier Zusammenhang mit den Partialgeschichten des
historisch korrekt fort, » i s t n i c h t sehr a l t «. »absoluten Geistes«, von Kunst, Religion und
Auch wenn es sich zurückverfolgen läßt bis zu Philosophie. Es gelingt ihm aber nicht mehr, alle
jenem denkwürdigen, aber zu seiner Zeit eben für die Geschichte der Selbstbewußtwerdung des
nicht zur geschichtlichen Wirklichkeit gestalteten Geistes relevanten Faktoren zu beschreiben und
Satz des römischen Rechtsgelehrten Ulpian die von ihm anvisierte Geschichtslogik umfas-
(D.1,1,4 pr.), »cum iure naturali omnes liberi send herauszuarbeiten – was freilich nur allzu
nascerentur« – »daß nach dem Naturrecht alle als plausibel ist: »ars longa vita brevis«. Insofern
Freie geboren werden« –, ist es ja erst vom Natur- harrt sein Projekt einer Logik der Geschichte als
recht seit der Mitte des 18. Jahrhunderts als Hermeneutik der Freiheit immer noch der Bear-
allgemeines Prinzip formuliert worden. Noch Pu- beitung. Erst seine Ausarbeitung wäre »Philo-
fendorf und Locke kennen ja den »Sklaven«, der sophie der Weltgeschichte« im Sinne ihres um-
nicht unter das Prinzip der Freiheit des Men- fassenderen Begriffs.
schen a l s Menschen subsumierbar ist. Und erst (5) Hegels Konzeption der Weltgeschichte hat
nach der Formulierung des Prinzips als Prinzips jedoch noch einen weiteren Aspekt, der bereits in
setzt allmählich und zögernd seine politische Ver- seiner Schule Fragen aufgeworfen und noch
wirklichung ein – gemäß der » L a n g s a m k e i t« jüngst unter dem Stichwort »Ende der Ge-
des Weltgeistes (GW 18.56). schichte« für Verwirrung gesorgt hat (s. Fu-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 417

kuyama 1992). »Geschichte« im prägnanten sen wäre. Die (leere) Alternative zur Perfektibili-
Sinne des Begriffs von Geschichtlichkeit ist stets tät wäre eine ›Geschichte‹ im Sinne einer bloßen
gedacht als Selbstentfaltung des Geistes – nicht Ereignisfolge, die vom neuen und endgültigen
als unendliche Perfektibilität, sondern als eine »Ende der Geschichte« gänzlich unberührt bliebe
auf ein Telos zulaufende Bewegung, und zwar im – eben deshalb, weil sie nicht die Entfaltung des
Doppelsinn von Telos: auf ein Z i e l und auf ein Geistes wäre. Wäre sie es, müßte auch sie an ihr
E n d e hin. Die Vollendung des Begriffs aber tilgt Ende kommen. Doch den Vorteil, nicht zu Ende
die Zeit, wie Hegel schon früh sagt (GW 9.429) – zu sein, erkaufte solche ›Geschichte‹ im Sinne
oder vielleicht leichter einsehbar: Das Zusich- einer leeren Ereignisfolge damit, daß sie derje-
kommen des Geistes tilgt dessen Geschichte, nigen Geschichtlichkeit entbehrte, die die Ge-
eben weil sie nichts als die Form seiner Entfal- schichte des Geistes auszeichnet – oder, um es
tung ist. Diese getilgte Geschichte ist aber nicht paradox zu sagen: dadurch, daß sie nicht ge-
die ›Geschichte‹ im Sinne einer Reihe von Bege- schichtlich wäre. Hegel allerdings begiebt sich
benheiten, von der man annehmen mag, daß sie nicht auf das Feld, auf dem solche leeren Mög-
unbekümmert um eine derartige Tilgung der Zeit lichkeiten erwogen werden: denn die Philoso-
in eine leere Unendlichkeit fortlaufe. Diese ge- phie und gerade auch die Geschichtsphilosophie
horchte mitnichten dem Hegelschen Begriff der hat zu erkennen, was ist, und sie hat es nicht mit
Geschichtlichkeit, sonst müßte sie ja in der Tat dem Prophezeien zu tun.
abbrechen – was offenkundig weder der Fall noch Kollegien: 1822/23; 1824/25; 1826/27; 1828/29;
jemals von Hegel behauptet worden ist. 1830/31. – Erstdruck: W1 bzw. W2 IX. – Text: a) Manu-
Die an ihr Ziel und Ende kommende Ge- skripte und sekundäre Überlieferung: GW 18.119–
schichte ist die Geschichte des Geistes, und zwar 214,221–227; b) Nachschriften: Hegel: Vorlesungen
sowohl die des objektiven Geistes qua Rechts- über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd. 1: Die
Vernunft in der Geschichte (hg. Hoffmeister). Hamburg
und Verfassungsgeschichte als auch die des ab- 5 1955 und ND; Bde. 2–4: Die orientalische Welt. Die
soluten Geistes. Das »Ende der Geschichte« ist – griechische und römische Welt. Die germanische Welt
zunächst – das Ende dieser absoluten Geschichte; (hg. Lasson). Hamburg 2 1923 und ND; V 12; künftig:
im strikten Sinne beendet ist sie, wenn der GW 27. – Quellen: Johann Gottfried Herder: Auch eine
»Kampf des endlichen Selbstbewußtseyns mit Philosophie der Geschichte zur Bildung der Mensch-
dem absoluten Selbstbewußtseyn, das jenem au- heit. In: Sämmtliche Werke. Hg. Bernhard Suphan. Bd.
V. Berlin 1891; Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat,
ßer ihm erschien«, aufhört. Deshalb proklamiert
Marquis de Condorcet: Entwurf einer historischen Dar-
Hegel mit großer Emphase am Ende seiner philo- stellung der Fortschritte des menschlichen Geistes.
sophiegeschichtlichen Vorlesungen des Jahres (11793), Frankfurt am Main 1963. – Literatur: Theodor
1805/06: »Es ist eine neue Epoche in der Welt W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt (11966) 1992;
entsprungen.« (W XV.689, vgl. R 202). Nach der Jörn Rüsen: Begriffene Geschichte. Genesis und Be-
Erkenntnis des Prinzips der »Weltgeschichte« gründung der Geschichtstheorie J. G. Droysens. Pader-
born 1969; Hayden White: Metahistory. Die historische
kann der Gehalt dieser »neuen Epoche« allein in
Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Aus
der »Durchbildung des weltlichen Zustands« lie- dem Amerikanischen von Peter Kohlhaas. Frankfurt am
gen. So zeigt ja auch die Rede von einer »neuen Main 1991 (Original: Baltimore / London 1973);
Epoche«, daß die Geschichte keineswegs zu Ende Jaeschke: Die Suche nach den eschatologischen Wur-
ist, sondern einen neuen Charakter gewinnt. zeln der Geschichtsphilosophie. Eine historische Kritik
Mit diesem Fortschreiten von der Formulie- der Säkularisierungsthese. München 1976; Emil An-
gehrn: Vernunft in der Geschichte? Zum Problem der
rung des Prinzips zu seiner geschichtlichen Ver-
Hegelschen Geschichtsphilosophie. ZphF 35 (1981),
wirklichung tritt allerdings das Prinzip der Per- 341–364; Stephan Otto: Rekonstruktion der Ge-
fektibilität wieder in Hegels Konzeption ein. schichte. Zur Kritik der historischen Vernunft. Mün-
Denn so unproblematisch es ist, die »neue Epo- chen 1982; Robert L. Perkins (Hg.): History and Sy-
che« der Geschichte als »Einweltlichung«, als stem. Hegel’s Philosophy of History. Albany 1984; Os-
»Einbildung« im Sinne von Hineinbildung des car Daniel Brauer: Dialektik der Zeit. Untersuchungen
zu Hegels Metaphysik der Weltgeschichte. Stuttgart-
Prinzips der Freiheit »in das weltliche Wesen« zu
Bad Cannstatt 1982; Timo Bautz: Hegels Lehre von der
denken, so unausdenkbar ist ein Zustand, in dem Weltgeschichte. Zur logischen und systematischen
solche »Durchbildung« und somit auch die von Grundlegung der Hegelschen Geschichtsphilosophie.
Hegel proklamierte »neue Epoche« abgeschlos- München 1988; Francis Fukuyama: Das Ende der Ge-
418 II. Werk

schichte. Wo stehen wir? München 1992; Norbert Was- gen Schellings über die Philosophie der Kunst
zek: David Hume als Historiker und die Anfänge der (SW I/5) hat Hegel diesen Gegenstand zunächst
Hegelschen Geschichtsphilosophie. In: Schneider /
– gemessen an den anderen Partien seines Sy-
Waszek (Hg.): Hegel in der Schweiz (1997), 173–206;
Hegel-Jb 1995/1996, Berlin 1996/97, zum Thema »Ver- stems – eher vernachlässigt. Bei der Ausarbei-
nunft in der Geschichte?«; darin u. a. in Bd. 1.363–373: tung seines »Systems« liegt der Akzent zunächst
Jaeschke: Die Geschichtlichkeit der Geschichte; Elisa- nicht auf der Philosophie der Kunst. In einem
beth Weisser-Lohmann / Dietmar Köhler (Hg.): Hegels Fragment zur Geistesphilosophie (1803) kommt
Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. er zwar auf die »Poesie« zu sprechen – jedoch
HSB 38 (1998); Christoph Johannes Bauer: »Das Ge-
bereits mit der später stereotypen Ambivalenz:
heimnis aller Bewegung ist ihr Zweck«. Geschichts-
philosophie bei Hegel und Droysen. HSB 44 (2001); Kunst ist zwar »absoluter Geist« – aber sie ist
Eberhard Jüngel: »Die Weltgeschichte ist das Weltge- etwas Beschränktes; »der absolute Geist […] ent-
richt« aus theologischer Perspektive. In: Rüdiger Bub- flieht der Poësie selbst; er ist allein in der Philo-
ner / Walter Mesch (Hg.): Die Weltgeschichte – das sophie auszusprechen und darzustellen« (GW
Weltgericht? Stuttgart 2001, 13–33; Jaeschke: Art. »Sä- 5.373). Die gleiche Tendenz zeigt ein Fragment
kularisierung«, in: Handbuch religionswissenschaftli-
zum Ende des Systems aus dieser Zeit: Die Kunst
cher Grundbegriffe. Bd. 5. Stuttgart u. a. 2001, 9–20;
Wilm Hüffer: Theodizee der Freiheit. Hegels Philo- kann ihrem Inhalt »sein wesentliches, daß er
sophie des geschichtlichen Denkens. HSB 46 (2002); keine Gegenwart hat, sondern nur absolute Sehn-
Jong-Seok Na: Praktische Vernunft und Geschichte bei sucht nicht durch die Form benehmen.« (GW
Vico und Hegel. Würzburg 2002; Jaeschke: Die List der 6.331). Ausführlicher wird Hegel im Manuskript
Vernunft. HS 43 (2008), 87–102; Jaeschke: Das Ge- Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, im
schriebene und das Gesprochene. Wilhelm und Karl
Systementwurf III. Hier führt er sogar den Begriff
Hegel über den Begriff der Weltgeschichte. HS 44
(2009), 13–44. der »absoluten Kunst« ein – doch urteilt er, die ihr
zu »Geschichtlichkeit« siehe David Theodor August eigene Form der Unmittelbarkeit und der An-
Suabedissen: Die Grundzüge der philosophischen Reli- schauung sei dem Geist nicht angemessen; Kunst
gionslehre. Marburg und Cassel 1831, IIIff.,196ff; könne »ihren Gestalten nur einen beschränkten
Leonhard v. Renthe-Finck: Geschichtlichkeit. Ihr ter- Geist geben« – und so sei die Kunst in ihrer
minologischer und begrifflicher Ursprung bei Hegel,
Wahrheit Religion (GW 8.277–280). Die Phäno-
Haym, Dilthey und Yorck, Göttingen 2 1968; Gerhard
Bauer: Geschichtlichkeit. Wege und Irrwege eines Be- menologie des Geistes thematisiert die Kunst des-
griffs, Berlin 1963. halb nicht als selbständige Gestalt, sondern nur
als Gestalt der Religionsgeschichte, als »Kunst-
Religion« (GW 9.376–399). Und in Nürnberg plä-
9.7. Philosophie der Kunst diert Hegel dafür, der Ästhetik einen größeren
Anteil am Gymnasialunterricht einzuräumen –
allerdings unter einer Bedingung: Sie »könnte
9.7.1. Überlieferung
einerseits die neueren, besseren Ansichten von
(1) So sehr »Schönheit« als metaphysischer Be- dem Wesen und dem Zwecke der Kunst geben,
griff im Umkreis eines »ästhetischen Platonis- andererseits aber müßte sie ja nicht ein bloßes
mus« eine wichtige Funktion in Hegels frühen Gewäsche von der Kunst bleiben« (s. 203).
Aufzeichnungen hat, so wenig widmen diese sich (2) Erst in Heidelberg beginnt Hegel damit,
doch der Kunst im engeren Sinne. Demgegen- sich ausführlich mit der Philosophie der Kunst zu
über weist schon Hegels erste Systemskizze beschäftigen. Obschon er in der Enzyklopädie die
(1801/02) der Philosophie der Kunst – gemein- Kunst noch – wie in Jena – unter den Titel »Die
sam mit der Religionsphilosophie – eine syste- Religion der Kunst« stellt (1§§ 456–464), liest er
matisch herausgehobene Bedeutung zu: Der doch in den vier Heidelberger Semestern zwei-
vierte, abschließende Teil des Systems soll dar- mal, in den Sommern 1817 und 1818, über Ästhe-
stellen, wie das »freye Volk« »in der Philosophie tik, jeweils nach Diktaten. In Berlin liest Hegel
der Religion und Kunst zur reinen Idee zurük- »Aestheticen s. philosophiam artis« erstmals im
kehrt, und die Anschauung Gottes organisirt.« Winter 1820/21, nun nicht mehr nach Diktaten,
(GW 5.264) Kunst ist also Anschauung Gottes. sodann in den Sommern 1823 und 1826 sowie im
Trotz dieser Bestimmung und trotz – vielleicht Winter 1828/29 – also nicht, wie die anderen
auch wegen – der etwa gleichzeitigen Vorlesun- Disziplinen, in einem festen Turnus. Allerdings
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 419

fühlt er sich bereits nach der ersten Berliner Auch über Heidelberger Nachschriften ist
Vorlesung in dieser Disziplin so sicher, daß er nichts bekannt. Da Hegel diktiert hat, muß es
Ende Mai 1821 an Creuzer schreibt, er beab- solche Aufzeichnungen gegeben haben – doch sie
sichtige, »mit der Zeit auch wohl etwas darüber scheinen Hotho nicht vorgelegen zu haben (GW
drucken [zu] lassen«. Hierzu ist es nicht gekom- 18.343). Die heute überlieferten Quellen stam-
men; es ist jedoch nicht auszuschließen, daß ein men erst aus den Berliner Vorlesungen: Das erste
einzeln überliefertes Blatt über »B. Phantastische Berliner Kolleg 1820/21 ist durch eine Nach-
Symbolik«, wohl aus dem Umkreis des Kollegs schrift belegt, ebenso das zweite durch eine
1828/29, ein Zeugnis für die Ausarbeitung eines Nachschrift Hothos; beide sind vor wenigen Jah-
Kompendiums über Ästhetik bilde – falls es nicht ren veröffentlicht worden. Die Kollegien 1826
doch aus dem Heidelberger Heft stammt, das, als und 1828/29 sind durch sechs bzw. drei, erst
Diktatvorlage, sicherlich in Paragraphen geglie- partiell veröffentlichte Nachschriften belegt (V
dert war (GW 18.117). Hegel hat aber die – we- 2.LXVI-LXXVII).
nigen – Paragraphen der Enzyklopädie über Äs- (4) Bis zu dieser Veröffentlichung der beiden
thetik in den beiden späteren Auflagen etwas er- Nachschriften ist die einzige Quelle für Hegels
weitert – und vor allem hat er »Die Kunst« in der »Ästhetik« die von Hotho besorgte Ausgabe ge-
Systemarchitektonik aus der Umklammerung wesen; auch die sonstigen späteren Ausgaben
durch die Religion befreit und sie als eine eigen- basieren letztlich auf ihr. Wie die anderen Edi-
ständige Gestalt des »absoluten Geistes« neben die tionen von Vorlesungsnachschriften im Rahmen
»Geoffenbarte Religion« gestellt (2/3§§ 556– 563). der Freundesvereinsausgabe ist allerdings auch
(3) Unbefriedigend ist gegenwärtig sowohl die sie eine durchaus dubiose Quelle – und vielleicht
Überlieferungs- als auch die Editionslage. Die sogar in noch höherem Grade. Denn Hotho ist
wichtigsten Quellen – Hegels »Hefte« aus Heidel- weitgehend gelungen, was er ganz im Sinne der
berg und Berlin – sind verschollen; aus dem damaligen Herausgeber programmatisch formu-
umfangreichen Berliner Heft hat sich ein einziges liert: »die verschiedenartigsten oft widerstreben-
Blatt über »Die wahrhafte Objectivität des Kunst- den Materialien zu einem wo möglich abge-
werks« erhalten (GW 18.115 f.) Über beide Hefte rundeten Ganzen mit größter Vorsicht und Scheu
unterrichtet Hegels Schüler Heinrich Gustav Ho- der Nachbesserung zu verschmelzen« (W X/
tho im Vorwort zu seiner Ausgabe der »Vorle- 1.VII). Die Ästhetik ist deshalb im Kreis der
sungen über die Ästhetik« im Rahmen der Freun- Schüler gerühmt worden, weil es Hothos Redak-
desvereinsausgabe: »Das älteste Heft schreibt sich tionstätigkeit gelungen sei, aus Hegels Vorlesun-
aus Heidelberg her und trägt die Jahreszahl 1818. gen ein ›Buch‹ zu machen, gleichsam Die Wissen-
Nach Art der Encyklopädie und späteren Rechts- schaft der Ästhetik in Analogie zur Wissenschaft
Philosophie in kurz zusammengedrängte Para- der Logik. Eben dieses Programm erweckt jedoch
graphen und ausführende Anmerkungen getheilt, heute den Verdacht der mangelnden Authentizi-
hat es wahrscheinlich zu Diktaten gedient, […] tät – und dies mit gutem Grund.
schon im Oktober 1820 begann er eine durch- Die »Ästhetik« ist die erste Vorlesung, die He-
gängig neue Umarbeitung, aus welcher das Heft gel weder an Hand von Diktaten noch eines
entstanden ist, das von nun an die Grundlage für Kompendiums gehalten hat – im Winter
alle seine späteren Vorlesungen über den glei- 1820/21; im anschließenden Sommer 1821 hat er
chen Gegenstand blieb, so daß die wesentliche- erstmals über Religionsphilosophie vorgetragen.
ren Abänderungen aus den Sommer-Semestern Beide Vorlesungen bilden – gemeinsam mit den
1823 und 1826, so wie aus dem Winter-Semester Vorlesungen über die Philosophie der Weltge-
1828/29 nur auf einzelne Blätter und Bogen auf- schichte und über die Geschichte der Philosophie
geschrieben und als Beilagen eingeschoben – die Gruppe der »Manuskriptvorlesungen«.
sind.« (GW 18.342) Diese Charakterisierung des Gleichwohl unterscheiden sich die beiden letzt-
Heftes von 1820 als der bleibenden »Grundlage« genannten von den ersteren in einem wichtigen
trifft sich mit der vorhin zitierten Absicht Hegels Punkt: In »Weltgeschichte« und »Philosophiege-
vom Mai 1821, »etwas darüber drucken [zu] las- schichte« beginnt Hegel jeweils mit einer »Ein-
sen« – obschon spätere Korrekturen der Konzep- leitung« – die allerdings eher eine Grundlegung
tion dadurch nicht ausgeschlossen sind. bildet –, und anschließend folgt er dem Leitfaden
420 II. Werk

der geschichtlichen Entwicklung, der zwar Modi- tät der oft geschmähten Nachschriften größer als
fikationen erlaubt, aber nicht völlig frei dispo- diejenige einer Ausgabe, die solche Nachschrif-
nierbar ist. Für »Ästhetik« und »Religionsphiloso- ten nach undurchsichtigen Prinzipien verarbeitet.
phie« hingegen stellt sich zusätzlich das Problem Insofern unterstreicht das bisherige Ergebnis der
der Systemform. Kritik der Edition Hothos die Notwendigkeit ei-
Gegen Hothos Editionsprinzipien und -praxis ner historisch-kritischen Edition des gesamten
hat Annemarie Gethmann-Siefert in den beiden Materials. Erst die historisch-kritische Veröffent-
letzten Jahrzehnten in mehreren Abhandlungen lichung aller Vorlesungsjahrgänge einschließlich
und insbesondere in der Einleitung zu ihrer Edi- des Kollegs 1828/29 wird Hothos Ausgabe er-
tion von Hothos Nachschrift des Kollegs 1823 setzen und dadurch das jetzt erforderliche
schwerwiegende Vorwürfe erhoben: Hotho ver- ›duale‹ Studium von Nachschrift und Ausgabe
fälsche mehrfach in seinem eigenen Sinne Hegels beenden und ein abschließendes Urteil über
Urteile, und vor allem sei in den Nachschriften seine Redaktion erlauben.
»ein in vielen Teilen ursprünglicherer ›Hegel‹ Letzte Sicherheit wird sich aber auch dann
präsent«, »eine oft entscheidend von der Druck- nicht gewinnen lassen: denn mehrere der Nach-
fassung differierende Konzeption der Ästhetik« schriften, auf die Hotho seine Edition stützt, sind
(V 2.XIX); »durch das später von Hotho inte- verschollen, und vor allem sind Hegels Vorle-
grierte System wird Hegels Ä s t h e t i k zu einer sungsmanuskripte und auch seine nachträglichen
spekulativen Ästhetik vollendet« (V 2.CIX) – da- Kollektaneen verloren. Deshalb läßt sich die Ge-
mit aber verfälscht. Und in den Nachschriften fahr einer Fehleinschätzung der Redaktion Ho-
begegne nicht allein »ein ›neuer Hegel‹«, »ein thos niemals völlig ausschließen: Auch gegen die
anderer Hegel als der gewohnte«, sondern ein Edition der Religionsphilosophie in der Freun-
»aktueller Hegel«, der mit anderem philosophi- desvereinsausgabe würde man etliche zusätzliche
schem Interesse und besserem Erfolg rezipiert Vorwürfe zu erheben, wenn Hegels Manuskript
werden könne: Die Nachschriften »bieten der nicht überliefert wäre.
philosophischen Diskussion eine weit adäquatere Aber auch gegenwärtig ist eines deutlich: Es
Grundlage, die bereits als solche vielen Vorur- wäre vergebliche Mühe, Hegels Ästhetik und ins-
teilen der Hegelkritik entgegenwirkt«, indem sie besondere ihre »Aktualität« durch das Ausspielen
den Vorwurf, daß Hegel dem geschichtlichen des »Phänomens« gegen das »System«, also letzt-
Phänomen »das System einer dialektischen, unle- lich durch die Eliminierung dessen retten zu
bendigen Denkmechanik« überstülpt, »von vorn- wollen, worin für Hegel der spezifische Cha-
herein entkräftet« (V 2.XX,LXXXVIIf.). Stamme, rakter seiner Realphilosophien besteht: nämlich
»wie sich aus Hothos Vo r r e d e zur Ä s t h e t i k nicht in realitätsenthobenen »mechanistisch-dia-
ergibt, das System der Ästhetik nicht von Hegel, lektischen Begriffskonstruktionen«, sondern in
sondern von Hotho, so sind automatisch die ge- der gedanklichen Durchdringung der Phäno-
nannten Grundaporien der Ästhetik vermeidbar« mene, also hier der Kunstwerke. Auch seine Äs-
(V 2.XCI). thetik »gewinnt nämlich immer schon […] ihren
Einige dieser Vorwürfe lassen sich ebenso ge- spezifischen Charakter aus der konstruktiven Zu-
gen andere Vorlesungseditionen der »Freunde sammenfügung von systematischem und phäno-
des Verewigten« erheben: Ihr Versuch einer Ver- menal-geschichtlichem Interesse« (V 2.XCI,
schmelzung der unterschiedlichen Quellen zu ei- CVII.).
nem ›Buch‹ ist so unausweichlich gewaltsam, wie
ihre vermeintliche systematische Aufbesserung
9.7.2. Systemform
der Texte durch nachträgliches Einschieben tri-
chotomischer Gliederungen läppisch. Gleich- (1) Die Ästhetik ist zu Hegels Zeit eine ver-
wohl scheinen die systematischen Verformungen gleichsweise junge Disziplin der Philosophie;
der Konzeption Hegels durch Hotho geringer als selbst der Terminus hat erst Mitte des 18. Jahr-
etwa bei den religionsphilosophischen Vorlesun- hunderts die Bedeutung »Philosophie der Kunst«
gen – die allerdings nicht das Phänomen der erlangt. Trotz ihrer Kürze aber ist die vorhegel-
möglicher Weise absichtlichen Verfälschung des sche Geschichte der Ästhetik bereits sehr intensiv
Wortlauts kennen. Und fraglos ist die Authentizi- verlaufen, wie schon die Namen Winckelmann,
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 421

Lessing, Herder, Kant und Schiller ahnen lassen; scheint diese Zweiteilung als eigentümlich. Sie
auch der Streit um die Überlegenheit der alten stammt auch gar nicht von Hegel, sondern von
oder der neuen Kunst, die »Querelle des Anciens Schelling. Denn soweit man der Edition seines
et des Modernes«, einschließlich ihres deutschen Sohnes vertrauen kann, gliedert Schelling seine
Nachspiels bei Lessing, Schiller, Friedrich Schle- Jenaer Vorlesungen (1802) ebenfalls in einen »all-
gel und Schelling, liegt Hegels Ästhetik weit vor- gemeinen« und einen »besonderen Teil«, in dem
aus. Schelling schließlich erhebt im System des er die einzelnen »Kunstformen« der »realen
transzendentalen Idealismus (1800) und in seiner Seite« (Musik, Malerei und Plastik einschließlich
Identitätsphilosophie, also zur Zeit seiner engen Architektur) und der »idealen Seite« (Poesie) ab-
Zusammenarbeit mit Hegel (1801/03), die Ästhe- handelt. Hegel folgt Schelling zwar weder in der
tik sogar über die Natur- und Transzendental- »Construction« der Kunst, ihres Stoffs und ihrer
philosophie an die Spitze des Systems. Denn ihr Form im allgemeinen Teil noch in der »Entgegen-
Gegenstand sei der höchste: die Kunst als die setzung der realen und idealen Reihe« im be-
Anschauung des Absoluten. Und auch Hegel sonderen Teil – doch die Anregung, die Ästhetik
weist der Kunst später einen hohen Rang im in den allgemeinen und besonderen Teil (mit
System zu, allerdings nicht den höchsten: Sie ist Darstellung der Künste) zu gliedern, geht fraglos
»eine Art und Weise […], das G ö t t l i c h e, die auf Schelling zurück. Hothos Edition verdeckt
tiefsten Interessen des Menschen, die umfas- diese formale Übereinstimmung und Abhängig-
sendsten Wahrheiten des Geistes zum Bewußt- keit – wahrscheinlich absichtslos, da er – anders
seyn zu bringen und auszusprechen« (W X/1.11), als Hegel – Schellings Vorlesungen nicht gekannt
also eine Form der Selbstanschauung des Gei- haben kann (es sei denn, man unterstellt, er habe
stes – und deshalb gibt es auch überall Kunst, wo eine der von Schellings Vorlesung kursierenden
geistiges Leben, sei es auch noch so rudimentär, Nachschriften gesehen).
sich entwickelt. Die Annahme, Hegel habe sich in der Zwei-
(2) Die Partien in Hegels Werk, die der Ästhe- gliederung zunächst an Schellings Aufriß orien-
tik gewidmet sind – bis hin zur Enzyklopädie, tiert, macht sowohl einen internen Bruch dieser
1 §§ 456–464 –, lassen zwar den Grundansatz der Konzeption als auch deren spätere Erweiterung
Ästhetik erkennen, doch bieten sie kein zur Ge- plausibel. Der erste, »allgemeine Teil« ist ja kei-
staltung ihrer Systemform hinlänglich bestimm- neswegs homogen: Der Ductus der Ausführun-
tes Prinzip. Und doch hat Hegel die Form dieser gen über »Das Schöne überhaupt« unterscheidet
Wissenschaft nicht in derselben Weise erst er- sich erheblich von der geschichtlichen Entfaltung
finden müssen wie diejenige der anderen Dis- der sogenannten »allgemeinen Kunstformen« –
ziplinen. Dies läßt sich aus Hothos Edition nicht ebenfalls innerhalb des »allgemeinen Teils«. Der
erkennen. Denn sie ist dreiteilig: Auf die »Ein- durch Hegels Geistbegriff gelenkte Blick auf des-
leitung« folgen I. »Die Idee des Kunstschönen sen Entfaltung in der Geschichte der Kunst bricht
oder das Ideal«, II. Entwicklung des Ideals zu den Schellings Erörterung der »Kunstformen« in ei-
besonderen Formen des Kunstschönen«, III. »Das nem »allgemeinen Teil« auf. In ihrer geschichtli-
System der einzelnen Künste«. Die Editionen der chen Bestimmtheit sind die »allgemeinen Kunst-
Nachschriften aus den Kollegien 1820/21 und formen« ja vielmehr »besondere Kunstformen« –
1823 wie auch der Bericht über das Kolleg 1826 und als solche behandelt Hegel sie anscheinend
(V 2.XXXVI) lassen jetzt erkennen, daß Hegel in seiner letzten Vorlesung, gefolgt von einem
seine Vorlesungen in diesen drei Jahren nicht dritten, »individuellen Teil«, in dem nun die ein-
dieser Weise strukturiert: Hier folgt auf die »Ein- zelnen Künste an Hand von Beispielen eingehend
leitung« ein »allgemeiner Teil«, in sich unter- dargestellt werden (V 2.XXXVIII,LXXIVf.). Mit
gliedert in [1] »Das Schöne überhaupt« und [2] dieser letzten Konzeption, mit der Herauslösung
»Die allgemeinen Kunstformen« (nämlich die der Geschichte der Kunst aus dem »allgemeinen
symbolische, klassische und romantische Form) Teil« und ihrer Verschiebung in den »besonde-
und schließlich »Der besondere Teil« mit der ren«, überwindet Hegel seine Orientierung an
Darstellung der einzelnen Künste Architektur, der Architektonik Schellings, und er gelangt so zu
Skulptur, Malerei, Musik und Poesie. einer Fassung, die diesem Teil der Ästhetik eine
Im Vergleich mit den anderen Disziplinen er- Stellung gibt, die sowohl ihrem Begriff als auch
422 II. Werk

ihrem inhaltlichen Gewicht entspricht und über- ist – gemeinsam mit der Philosophie der Religion
dies in der Systemarchitektur der Abhandlung – diejenige Form, in der der Geist in Gestalt eines
der Religionsgeschichte in der Religionsphiloso- »freyen Volkes« »zur reinen Idee zurükkehrt, und
phie analog ist. Es ist nicht unverständlich, daß die Anschauung Gottes organisirt« (GW 5.264).
Hotho – vor die Wahl zwischen der Konzeption Noch bevor Hegel irgend eine einzelne Bestim-
der drei ersten Kollegien und der des vierten mung von der Kunst – oder der Philosophie der
gestellt – seiner Edition diese letztere Konzeption Kunst – aussagt, legt er diesen geistesphilosophi-
zu Grunde legt. schen Grund der Kunst und der Ästhetik: Wie
auch immer Kunst näher zu bestimmen sei – sie
ist stets Wissen des Geistes von sich und darin
9.7.3. Selbstbewußtsein des Geistes
Rückkehr zu sich, wissende Selbstbeziehung.
und Schönheit
Diese geistesphilosophische Grundlegung
(1) Aus der Perspektive der Deutung der Künste wird ebenfalls deutlich im ersten Text, der etwas
läßt sich diese Veränderung der Systemform be- detaillierter auf Kunst eingeht und bereits ein
schreiben als »bewußt vorgenommene Modifika- System der Künste skizziert – im Systementwurf
tion und Rekonstruktion des Materials unter ra- III. Zugleich mit ihr deutet Hegel aber bereits die
dikalisierter systematischer Prämisse, die eine Differenz der Kunst gegenüber den beiden an-
eingehendere Auseinandersetzung eben mit den deren Formen des absoluten Geistes an: Die
problematischen Teilen, mit der Konzeption der Kunst ist eine Form des sich wissenden Geistes,
›Symbolischen Kunstform‹ und mit – insbeson- und sie »erzeugt die Welt als geistige und für die
dere zeitgenössischen – Beispielen der ›Romanti- A n s c h a u u n g«. Sie ist aber nur die erste Form
schen Kunstform‹ fordert.« (V 2.LXXIV) Sie ist dieser Selbstanschauung; in ihr schaut sich der
aber ebenso von Hegels übergreifendem geistes- Geist in einer aus dem subjektiven Geist ge-
philosophischem Ansatz her gefordert. Nach ei- borenen Gestalt an, die noch die natürliche Un-
ner programmatischen Formulierung der Reli- mittelbarkeit an sich hat. Eben damit ist sie »der
gionsphilosophie ist ja »in aller Wissenschaft« indische Bacchus, der nicht der klare sich wis-
das erste der allgemeine Begriff – nämlich hier, in sende Geist ist, sondern der b e g e i s t e r t e
der Sphäre des »absoluten Geistes«, der Begriff G e i s t – der sich in Empfindung und Bild ein-
des Geistes; das zweite ist »die Bestimmtheit des hüllende, worunter das Furchtbare verborgen
Begriffs, der Begriff in seinen bestimmten For- ist«. Ihr Element sei die Anschauung, deshalb die
men«, und das dritte das Fürsichwerden des Be- nicht vermittelte Unmittelbarkeit – ein dem Gei-
griffs (V 3.83–85). Da alles Geistige ein Ge- ste unangemessenes Element, ein beschränkter
schichtliches ist, bildet die Abhandlung des Be- Geist, » g e m e y n t e Unendlichkeit«, » g e -
stimmten als eines Geschichtlichen einen inte- m e y n t e nicht w a h r e Vorstellung«, ja: Die
gralen Bestandteil einer Philosophie des Schönheit ist hier »Taüschung der absoluten Le-
objektiven oder absoluten Geistes. bendigkeit«, sie ist »vielmehr der Schleyer, der
(2) Gemeinsam mit Religion und Philosophie die Wahrheit bedekt, als die Darstellung dersel-
ist die Kunst für Hegel eine Form des absoluten ben.« (GW 8.278 f.)
Geistes – und diese drei Formen erschöpfen die Auch die Heidelberger Enzyklopädie bekräftigt
Totalität dessen, was Hegel »absoluten Geist« diese geistesphilosophische Fundierung der
nennt: Geist, der sich auf sich bezieht und sich Kunst und ihre Stellung gegenüber Religion und
erkennt, wie er an sich ist, und in diesem Erken- Philosophie – als die erste der Gestalten des sich
nen seines Ansich für sich und damit frei ist. wissenden Geistes. Und doch deutet sich hier
Diese geistesphilosophische Grundlegung ist eine Verschiebung des Akzents an. Kunst ist » A n -
entscheidend auch für eine »Philosophie der s c h a u u n g und Vo r s t e l l u n g des absoluten
Kunst« – und dies sowohl systematisch als ent- Geistes als des I d e a l s« – und dessen Bedeutung
wicklungsgeschichtlich. Schon die frühesten No- »ist die Substantialität als das identische und
tizen, die Hegel in einer Systemskizze über die concrete Wesen der Natur und des Geistes, wel-
Kunst niederschreibt, entwerfen zunächst – ohne ches concrete Wesen G o t t genannt wird.«
auf Einzelnes einzugehen – diesen geistesphilo- (1§ 456 f.) Einige Paragraphen weiter führt Hegel
sophischen Rahmen: Die Philosophie der Kunst als die Wahrheit der unmittelbaren Gestalten die-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 423

ses Wissens »die aus dem Geiste geborne con- losophie der Kunst«, könnte man sagen, i s t »Kal-
crete Gestalt« ein, »in welcher die natürliche listik«, Schönheitslehre« – und nur, weil deren
Unmittelbarkeit« »von ihrer Zufälligkeit befreyt« Bereich weiter gefaßt ist, beläßt Hegel es für sein
und »nur als Z e i c h e n des Gedankens«, zu des- Unternehmen bei »Ästhetik« und »Philosophie
sen »Ausdruck so durch ihn selbst verklärt ist, der Kunst«.
daß die Gestalt sonst nichts anderes an ihr zeigt; (3) Diese starke Akzentuierung des Begriffs der
– die Gestalt der S c h ö n h e i t .« (1§ 459) Schönheit dementiert fraglos nicht den Primat
Die beiden Berliner Fassungen der Enzyklopä- des geistesphilosophischen Ansatzes – dies be-
die (§§ 556–563) wiederholen zum Teil dieselben legen sowohl die Enzyklopädie als auch der wei-
Worte. Und dennoch verschieben sie den Akzent tere Fortgang der Vorlesungen hinreichend deut-
noch weiter: Indem Hegel die eben zitierte Pas- lich. Die Verbindung zwischen beiden Aspekten –
sage später in den ersten Paragraphen seiner der Orientierung am Begriff des Selbstbewußt-
Abhandlung der Kunst zieht (2§ 556), wird der seins des Geistes und am Begriff der Schönheit –
Begriff der Schönheit, der in der Heidelberger arbeitet Hegel jedoch nicht hinreichend heraus.
Enzyklopädie noch keinen systematisch heraus- Der Begriff des Schönen jedenfalls ist nicht mehr,
gehobenen Rang hat, nunmehr neben dem Be- wie in den früheren Aussagen, nur e i n Begriff
griff des Sichwissens des Geistes zu einem wei- neben anderen, und wegen des im Schönen im-
teren Schlüsselbegriff – und die folgenden Para- plizierten »Scheins« zudem ein problematischer.
graphen bestätigen diese Funktion durch die Für die Programmatik der Philosophie der Kunst
mehrfache Rede vom Schönen. ist der Begriff der Schönheit nun zum tragenden
Die Vorlesungen über die Philosophie der Kunst Begriff geworden – und dies schwerlich unabhän-
schließlich bekräftigen nochmals diese, durch sie gig von dem zunehmenden Gewicht, das die Phi-
selber veranlaßte Akzentverschiebung – ob man losophie der Kunst seit den Heidelberger Jahren
nun Hothos Edition oder seine Nachschrift zur für Hegels Lehrtätigkeit erhält. Andererseits
Hand nimmt: Gleich deren erster Satz bestimmt wird die Durchführung der Vorlesungen dieser
den Gegenstand der Vorlesungen »als das Reich programmatischen Auszeichnung des Schönen
des Schönen, näher als das Gebiet der Kunst« (V nicht gerecht. Spezifisch für sie ist der allgemein
2.1), und die Edition wiederholt dies etwas aus- geistesphilosophische Ansatz: »Die Kunst hat kei-
geschmückt: Der Gegenstand sei »das weite nen anderen Beruf, als das Wahre, wie es im
R e i c h d e s S c h ö n e n , und näher ist die Geiste ist, seiner Totalität nach mit der Objektivi-
K u n s t , und zwar die s c h ö n e K u n s t « das Ge- tät und dem Sinnlichen versöhnt, vor die sinn-
biet dieser Vorlesungen. An die Stelle des in der liche Anschauung zu bringen.« Ihr erstes, ur-
Wissenschaft »ersten«, des »Begriffs«, hier also sprüngliches Bedürfnis ist, »daß eine Vorstellung,
des Begriffs des Geistes in der spezifischen Form, ein Gedanke aus dem Geiste hervorgebracht,
die er im Begriff der Kunst gewinnt, setzt Hegel durch den Menschen als sein Werk producirt und
in der Ästhetik die Erörterung des Begriffs des von ihm hingestellt werde« (W X/2.255,272) Die
»Schönen«. Kunst ist nie bloße Darstellung eines Seins, ohne
Damit fällt allerdings eine schwerwiegende zugleich Produktion und darin Manifestation des
und vor dem Hintergrund der Herausbildung der Selbst zu sein – selbst dort, wo sie vielleicht den
Ästhetik, ja sogar des Textes der Vorlesungen Anschein erweckt, bloß ›objektive Darstellung‹
keineswegs selbstverständliche Entscheidung. eines Natürlichen zu sein. »Denn dem Kunst-
Hegel hebt den Begriff des Schönen sogar so sehr werke darf es nur darauf ankommen, das zur
heraus, daß er mit dem Gedanken spielt, den Darstellung zu bringen, was der Vernunft und
eigentlich unpassenden Namen »Ästhetik« durch Wahrheit des Geistes zusagt« (W X/3.531) Das
den – nach seinen Worten – auch sonst erwoge- Kunstwerk ist ja aus dem Geist geboren und
nen Namen »Kallistik« zu ersetzen. Und er lehnt zudem nicht bloß zu Gebrauch und Verbrauch
dies nicht etwa deshalb ab, weil dadurch der bestimmt, sondern für die geistige Rezeption –
Begriff der Schönheit überbetont, ja ins Zentrum aus dem Selbst und für ein Selbst. Man mag dies
gestellt würde, sondern weil seine Vorlesungen als eine »Ästhetik von oben« diffamieren – doch
»nicht das Schöne überhaupt, sondern rein das eine allgemeine Deutung dessen, was Kunst
Schöne der K u n s t« betrachten (W X/1.3). »Phi- überhaupt sei (und nur sie berechtigt zum Singu-
424 II. Werk

lar »Kunst«), kann nur »von oben« kommen. Oh- durch den neuen Wert des »Heiligen« geführt hat,
nehin kommt es letztlich nicht darauf an, ob eine sondern auch zu kaum endenden Diskussionen
Deutung »von oben« oder »von unten« kommt, darüber, ob dieser nun als vierter Wert neben die
sondern ob sie etwas sichtbar macht und das drei früheren oder als übergeordneter Wert über
gedeutete Phänomen erschließt. sie zu stehen komme.
Deshalb stellt sich die Frage nach dem Verhält- Hegel versucht ja ohnehin nirgends, die Ar-
nis des Begriffs des Schönen zum Begriff des chitektonik des »absoluten Geistes« durch Rekurs
Selbstbewußtseins des Geistes – nach dem Grund auf die traditionelle Ideentrias zu fundieren. Man
der systematischen Auszeichnung des Begriffs kann die Ideen des Wahren und des Guten zwar
des Schönen als des Zentralbegriffs einer geistes- mit der theoretischen und der praktischen Philo-
philosophisch konzipierten Philosophie der sophie in Relation setzen. Doch die Idee des
Kunst. Aus dem Begriff der Kunst als einer Form Schönen hat Hegel nach einigen in einem Nürn-
des Selbstbewußtseins des Geistes läßt sich der berger Manuskript gestrichenen, erneuerten und
Begriff des Schönen nicht durch begriffsanalyti- wieder gestrichenen Ansätzen (s. 206 f.) schließ-
sche Operationen gewinnen, und ebensowenig lich nicht in die Logik einbezogen. Und vor allem
aus dem Begriff des Schönen derjenige des macht er keinerlei Anstalten, bei der Abhandlung
Selbstbewußtseins des Geistes. Und dies betrifft der beiden anderen Formen des absoluten Gei-
nicht allein die Möglichkeit, den jeweils anderen stes in analoger Weise einen derartigen Begriff
Begriff durch Zergliederung des einen zu ge- auszuzeichnen, wie den Begriff des Schönen in
winnen, sondern es gilt ebenso für das Verhältnis den Vorlesungen über die Philosophie der Kunst.
beider Begriffe im Kontext einer ausgeführten Die Religionsphilosophie kennt keine »Idee des
Konzeption: Es dürfte zwar schlechthin unplausi- Heiligen« als systematische Basis, und die Philo-
bel sein, im Kontext einer geistesphilosophisch sophie der Philosophie hat es zwar mit dem
fundierten Ästhetik auf den Begriff des Schönen »Wahren« und »Guten« zu tun, doch kommt die-
ganz zu verzichten – doch bereitet es wenig sen Begriffen auch nicht annähernd die Funktion
Mühe, die herausgehobene Bedeutung dieses Be- der Idee des Schönen für die Ästhetik zu. Wie
griffs zurückzustufen, ihn wieder zu einem Be- aber läßt sich dann diese Funktion der Idee des
griff neben anderen werden zu lassen. Noch Schönen und ihr Verhältnis zum Begriff des
leichter versteht es sich, daß sich der Begriff des Selbstbewußtseins des Geistes begreifen?
Schönen ins Zentrum einer Philosophie der (4) Die Klärung dieses Verhältnisses wäre vom
Kunst stellen ließe, die sich nicht als Explikation ersten, »allgemeinen Teil« der Ästhetik zu erwar-
des sichwissenden Geistes versteht. Was aber ten – doch diese Erwartung wird enttäuscht. Wie
prädestiniert dann den Begriff des Schönen zum in den anderen Disziplinen betont Hegel zwar
vermeintlich adäquaten oder gar zum einzig ad- auch dort, die einzelnen Systemteile müßten sich
äquaten Ausdruck des Selbstbewußtseins des als »aus dem Begriff des Ganzen hervorgegangen
Geistes, das Kunst doch für Hegel ist? darstellen« (V 2.32) – doch rechtfertigt er weder
Die Verbindung beider Begriffe – »Selbstbe- die Zweiteilung seiner Vorlesungen in einen »all-
wußtsein des Geistes« und »Schönheit« – läßt gemeinen« und einen »besonderen Teil« noch das
sich auch nicht durch Rekurs auf die »Idee des Zerbrechen des »allgemeinen Teils« in die Ab-
Schönen« gewinnen – im Sinne einer metaphysi- handlung der Idee des Schönen und der angeb-
schen oder auch nur wertphilosophischen Fun- lich »allgemeinen«, schon ihrer Pluralität wegen
dierung von Bereichen des geistigen Lebens aber vielmehr besonderen Kunstformen. Es ist ja
durch die Ideen- oder Werttrias des »Wahren, keineswegs selbstverständlich, dem Begriff des
Guten und Schönen«. Derartige, zunächst plausi- Schönen für die Ästhetik diesen Schlüsselcha-
bel erscheinende Versuche verstricken sich ja rakter zuzuschreiben. Statt solcher Rechtferti-
allzu leicht in Schematismen oder in Schwierig- gung für die systematische Auszeichnung des Be-
keiten. Es sei nur an die Bemühungen im Neu- griffs des Schönen als zentralen Begriffs findet
kantianismus erinnert, die Teilgebiete der Philo- sich lediglich eine lapidare Behauptung: »Der
sophie jeweils einem solchen Wertbegriff zu un- allgemeine Teil hat die Idee des Schönen über-
terstellen – was nicht allein zur Ergänzung der haupt zu betrachten« – nämlich das Schöne als
Ideentrias des Wahren, Guten und Schönen »Einheit des Inhalts und der Weise des Daseins
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 425

dieses Inhalts, das Angemessen-Sein und -Ma- vergängliche Welt« (W X/1.13); es hat, als Schö-
chen der Realität dem Begriffe« (V 2.34). nes, zugleich Wahrheit.
Diese Kritik, daß Hegels Einführung des Be- Doch an diese knappen programmatischen Be-
griffs des Schönen systematisch nicht ausgewie- stimmungen schließen sich lange Ausführungen
sen sei, betrifft Hothos Nachschrift mutatis mu- über »die Natur des Begriffs als solchen« wie auch
tandis ebenso wie seine Edition. Daß die Philo- über die »Realität des Begriffs« – und über das
sophie der Kunst nicht Philosophie der mechani- selbständige Hervortreten der Begriffsunter-
schen Künste, sondern der »schönen Kunst« sei, schiede an »höheren Naturen«, die dadurch zu
ist ja eine terminologische Verlegenheit ange- einem »System« werden. Diese Ausführungen
sichts der Vieldeutigkeit des Wortes »Kunst« und betreffen weder allgemein die Ästhetik noch gar
keine hinlängliche Begründung für die Konzen- speziell den Begriff des Schönen; sie könnten
tration auf den Begriff des Schönen. Und unab- ebenso anderen Vorlesungen angehören, vor-
hängig von diesem gemeinsamen Rechtferti- nehmlich den naturphilosophischen. Denn es
gungsdefizit gilt ebenfalls für beide – Nachschrift sind allgemeine »Bestimmungen eines Leben-
wie Edition –, daß auch die jeweiligen Ausfüh- digen«, die Hegel hier entwickelt – die Begriffe
rungen über den Begriff des Schönen weit hinter des Lebens, der Individualität, des Organismus,
dem Grad der begrifflichen Ausarbeitung zurück- der Körperlichkeit, die er als einen »Idealismus
bleiben, den man für die Abhandlung eines zen- der Lebendigkeit« interpretiert, als »objektiven
tralen Begriffs fordern darf und muß. Idealismus« oder »praktischen Idealismus« – und
Das Schöne wird eingeführt als »Idee« – »und dies hat mit dem Begriff des Schönen nur wenig
zwar in einer bestimmten Form«. Es ist nicht als zu tun. Denn das Lebendige ist wohl Erscheinen
»abstrakte Form« zu erfassen, etwa durch Regel- der Zweckmäßigkeit – aber eben nicht das spezi-
mäßigkeit oder formale Harmonie; es hat die fische Scheinen, das in der Kunst thematisch ist.
metaphysische Bedeutung, den Bruch zwischen Auch die hieran anknüpfenden, allmählich
dem Natürlichen und dem Geistigen zu heilen: zum Thema überleiten sollenden Ausführungen
Die Werke der schönen Kunst sind »das erste bleiben noch weit von ihm entfernt – ja sie nä-
versöhnende Mittelglied zwischen dem bloß hern sich ihm kaum: die Abhebung der in sich
Aeußerlichen, Sinnlichen und Vergänglichen und differenten Einheit des Organischen gegenüber
zwischen dem reinen Gedanken, zwischen der der bloßen »Regelmäßigkeit«, die man auch bei
Natur und endlichen Wirklichkeit und der un- einem Regiment bunt- und dennoch gleichgeklei-
endlichen Freiheit des begreifenden Denkens.« deter Soldaten findet. »Subjektive Einheit setzt
(W X/1.12) Als Werk der Kunst ist die Unmittel- Mannigfaltigkeit der Teilbildung voraus« – dies
barkeit nur Zeichen der Idee: in der Schönheit. trifft fraglos zu, doch solche »subjektive Einheit«
Das Naturschöne, das wegen seines Vermitt- muß dort, wo sie vorliegt, keineswegs als »schön«
lungscharakters in Kants Kritik der Urteilskraft ausgezeichnet werden. Fische können einen »un-
im Vordergrund steht, gilt Hegel als ein bloßer geheuren Kopf« und einen »kleinen Schwanz«
»Reflex des dem Geiste angehörigen Schönen« haben; die subjektive Einheit der Mannigfaltig-
(W X/1.5), und deshalb schließt er es aus der keit der Teilbildung ist hier vorhanden. Gleich-
Ästhetik als einer »Philosophie der schönen wohl nennen wir sie nicht schön – und sei es auch
Kunst« oder auch des »Kunstschönen« aus, bloß auf Grund der subjektiven Notwendigkeit
ebenso wie die Bestimmung der Kunst als »Mi- der »Gewohnheit«, die uns sonst andere Größen-
mesis«, als Nachahmung der Natur. Alles Natür- verhältnisse zeigt (V 2.52). »Der innere Zusam-
liche gilt Hegel als dem Geistigen Unterlegenes – menhang ist das Ganze, ist die Seele selbst« –
auch wenn der Geist erst die Entzweiung hervor- aber dieser innere Zusammenhang ist nur für den
bringt, die er in den Formen des absoluten Gei- Gedanken, nicht für die Kunst, und er ist schon
stes wieder versöhnt. Diese metaphysische Be- gar nichts Schönes. Allenfalls erscheine uns et-
deutung des Schönen befreit das Kunstwerk auch was als schön, »insofern wir in den Gebilden des
von dem Vorwurf, »bloßer Schein« im Gegensatz Natürlichen solch eine Notwendigkeit des Be-
gegen die Wirklichkeit zu sein: Seine »schei- griffs ahnen.« (V 2.60 f.) Dies allerdings müßte
nende«, aus dem Geist geborene Wirklichkeit hat für alles Natürliche zutreffen, sofern ja nichts von
vielmehr »höhere Realität« als die »schlechte, Gott oder auch von dieser »Notwendigkeit des
426 II. Werk

Begriffs« völlig verlassen ist, weil alles, was be- Entsprechend knapp fällt die Belehrung über
steht, nur durch sie besteht, und ohne sie nichts die Aufgabe der Kunst aus: Sie habe, »was für das
bestünde. prosaische Bewußtsein nur als endlich vorhanden
Erste Schritte zum Begriff der Schönheit geht ist, überall durchsichtig zu machen, so daß es an
Hegel mit der Bestimmung der Identität von allen Organen den Ton der Seele, das Geistige
Form und Materie, des Einwohnens der Form in offenbare.« Sie habe »die Darstellung der Wahr-
der Materie, so daß die Form »die eigentliche heit des Daseins zum Gegenstand« – aber eben
Natur dieses Materiellen« wird – etwa im Bei- nicht bloß im Begriff, sondern in der Anschau-
spiel des Kristalls, obgleich Hegel hier letztlich ung. Sie enthebe den Geist »der Endlichkeit äu-
wieder auf die bloße »Symmetrie und Regel- ßerer Zufälligkeiten, der Verkrüppelungen des
mäßigkeit« abhebt (V 2.61,64ff.). »Noch schöner Daseins des Begriffs« – zu verstehen ist wohl: der
ist das organisch Lebendige, überhaupt alles, was Verkrüppelungen, die der Begriff in seinem Da-
die freie innere Regsamkeit ankündet« – wobei sein erleidet; sie erhebe das Sinnliche in das
allerdings das Faultier leer ausgeht, weil es an Reich der Schatten und des Idealen. Sie schaffe
dieser »Regsamkeit« fehlen läßt, während das die »wahre Wirklichkeit«, eben aus der Aufhe-
Schnabeltier sich zwar nicht durch mangelnde bung dessen, was sich dem Blick zunächst als
Regsamkeit unbeliebt und unschön macht, je- »wahre Wirklichkeit« präsentiere, ohne es zu
doch als »ein Gemisch von Vogel und vierfüßigem sein.
Tier« – ein Verdikt, das sinngemäß eigentlich Doch die Bewegung, die hier zu vollziehen ist,
auch Engel treffen müßte. Von der »Schönheit ist nicht bloß die eindimensionale der Erhebung,
einer Landschaft« lasse uns hingegen nicht die sondern eine doppelte. Hegel faßt sie in das nicht
»Notwendigkeit des Begriffs« sprechen, sondern ganz passende, doch eben deshalb besonders pla-
»die Bezüglichkeit solcher Gegenstände auf das stische Bild, daß »der Geist den Fuß in das Sinn-
Gemüt« (V 2.61 f.) Hegels Ausführungen über liche setzt, aber ihn zu sich zurückzieht« (V
»das Schöne überhaupt« verweilen allzu lange 2.80–82, vgl. 21). Die Enzyklopädie kleidet den-
beim Naturschönen, obgleich eben dieses für ihn selben Gedanken in etwas anspruchsvollere Be-
nicht das eigentlich Schöne ist. Sie erschöpfen griffsform: Das Schöne ist die »aus dem sub-
sich zwar nicht in der Betrachtung und Kritik des jectiven Geiste geborne concrete Gestalt, in wel-
Naturschönen, doch kehrt Hegel, obschon er cher die natürliche Unmittelbarkeit nur Z e i -
mehrfach zur Betrachtung des Kunstschönen an- c h e n der Idee, zu deren Ausdruck so durch den
setzt (V 2.73–79), unter dem Titel »Das Schöne einbildenden Geist verklärt ist, daß die Gestalt
überhaupt« immer wieder zum Naturschönen zu- sonst nichts anderes an ihr zeigt« (§ 556).
rück, um sich über dessen Unzureichendheit aus- Hier streckt der Geist seinen Fuß gleichsam
zulassen – ja sogar zum Organismus und seiner nur für einen äußerst kurzen Moment heraus, so
Selbsterhaltung, zur Pulsation des Blutes und zur daß fast keine Unmittelbarkeit an ihm kleben
Bindung von Tieren an Naturelemente. bleibt – oder anders: das, was dennoch an ihm
Im Vergleich zu diesen am Thema vorbeizie- kleben bleibt, wird vollständig in Geist verklärt,
lenden Ausführungen gerät der zweite Abschnitt, sublimiert. Selbst die »concrete Gestalt«, die man
»Das Kunstschöne oder das Ideal überhaupt« (V doch der Sinnlichkeit zuzurechnen geneigt ist,
2.79–82), trotz seiner systematischen Privilegie- gilt hier nicht als aus der Natürlichkeit aufgenom-
rung schon quantitativ allzu schmal, während der men, sondern als »aus dem subjectiven Geiste
dritte, über das »Dasein des Ideals«, zwar wie- geboren« – und dies ist ja auch ganz richtig. Es ist
derum sehr umfangreich ist, sich jedoch einzel- hier nicht etwa eine Art »Harmonie« von Sinn-
nen Gestaltungen zu- und von den prinzipiellen lichem und Geistigem anvisiert, sondern das
Fragen abwendet, so daß er für diese ebenfalls Sinnliche dient gleichsam nur als Anhaltspunkt,
nicht ergiebig ist. Und selbst im zweiten, in dem an dem das Geistige sich festzumachen scheint,
endlich das Kunstschöne thematisch sein soll, freilich nur, um sich von ihm abzustoßen – als
greift Hegel nochmals »zur Erläuterung« auf die eine vom Geiste selbst geschaffene und sich vor-
menschliche Gestalt zurück. Es fällt schwer, ausgesetzte Reibefläche, an der er sich erst selbst
hierin nicht ein Ausweichen vor der selbstge- entzündet. Oder wie es an anderer Stelle heißt:
stellten Aufgabe zu sehen. »Der Geist will« nicht die »Materiatur der
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 427

Dinge«, sondern »nur die Oberfläche des Sinnli- konsequent durchgehalten wird, zu einer Modifi-
chen« (V 2.20) – und dies in den geistigeren kation des Hegelschen, an der Deutung der anti-
Künsten, in Musik und Poesie, bis zu dem Punkt, ken Kunst orientierten Begriffs der Schönheit.
an dem diese sinnliche Oberfläche selbst aus dem Der rein geistesphilosophische Begriff des Schö-
Geist geboren ist. Und doch darf diese »Ober- nen ist zu stark auf das Moment der »Verklärung«,
fläche« nicht bloß oberflächlich werden – sonst gleichsam der Transzendierung von Endlichkeit
fehlte gerade der Ernst, die tiefere Dimension und Natürlichkeit angelegt – und somit wird er
des Schönen. Hegels Darstellung der vollendeten Schönheit
Der Begriff des Schönen – als des Kunstschö- letztlich nicht gerecht. Denn auf Grund der Dyna-
nen – ist insofern rein geistesphilosophisch ge- mik des geistesphilosophischen Begriffs wäre
faßt – nicht durch »objektive«, dem Gegenstand nicht die Statue des griechischen Gottes mit ihrer
angehörende Verhältnisse: schon gar nicht durch »Übereinstimmung des Inneren und Äußeren« (V
seine Materiatur, aber auch nicht durch Sym- 2.109), mit ihrer vollendeten Harmonie von Na-
metrie, Regelmäßigkeit oder ähnliches, und nicht türlichkeit und Geistigkeit der Inbegriff des
einmal als Harmonie von Natürlichem und Gei- Schönen, sondern vielmehr die Pietà, die den
stigem. Diese Fassung des Begriffs des Schönen »herben Schmerz der Endlichkeit« (V 2.83) aus-
ist geeignet, die für Hegel so wichtige Differenz spricht und ihn zugleich verwandelt, läutert, ver-
zwischen dem Naturschönen und dem Kunst- klärt. Im Lichte dieses Begriffs wäre die Ge-
schönen präzise zu fassen: Der Begriff der Schön- schichte der Kunst als Geschichte der Schönheit
heit bleibt für die Sphäre des Geistes reserviert, nicht eine von den symbolischen Anfängen zur
doch kann er auch insofern auf die Natur bezogen vollendeten Schönheit aufsteigende und mit dem
werden, als diese ja nicht der unversöhnliche Rückzug, mit der Vertiefung des Geistes in sich
Gegensatz zum Geiste ist, sondern sein Anderes, wieder absteigende Bewegung. Sie wäre viel-
und sofern sie selbst ein Übergehen zum Geist ist mehr – zumindest bis zur christlich-religiösen
– was sie ja für Hegel ist. Allenfalls in einem Kunst – eine kontinuierlich aufsteigende Linie.
übertragenen Sinn kann man den Begriff des Dieses Bedenken gegen einen rein geistesphi-
Schönen auf Verhältnisse außerhalb des Geistes losophischen Begriff des Schönen wird ergänzt
beziehen – etwa auf natürliche Formen, die sich durch ein komplementäres Bedenken. Es betrifft
als Analogie zur geistigen Verklärung deuten las- die systematische Reichweite und Tragfähigkeit
sen, nämlich auf Formen, die gleichsam eine des Begriffs der »Schönheit« für eine Philosophie
Entmaterialisierung vollziehen, oder auf Gege- der Kunst – und sogar für Hegels eigene Philo-
benheiten wie die schöne Landschaft oder die sophie der Kunst. Auch wenn man den Begriff
vielberufene und -besungene Mondnacht, die un- des Schönen rein-geistesphilosophisch faßt,
mittelbar geistige Wirkungen auslösen und inso- klafft dennoch eine Lücke zwischen diesem Be-
fern eine analoge Transformation von Natürlich- griff des Schönen und dem übergreifenden gei-
keit in Geistigkeit vollziehen. stesphilosophischen Ansatz, daß Kunst eine Form
(5) Die gesuchte Verbindung zwischen den bei- des Selbstbewußtseins des Geistes sei. Dieses
den getrennten Ansätzen zur Deutung von Kunst, Selbstbewußtsein spricht sich ja nicht allein im
dem geistesphilosophischen Weg und dem Weg Begriff des Schönen aus. Es ist weit reicher; in
über den Begriff der Schönheit, scheint sich so- ihm liegt weit mehr als die Verwirklichung der
mit dadurch herzustellen, daß sich der Begriff Einheit des Natürlichen und Geistigen im Schö-
des Schönen als ausschließlich geistesphiloso- nen oder die Verklärung der Natürlichkeit ins
phisch bestimmt erweist. Diese Lösung hätte den Geistige. Die Zentrierung des Begriffs der Kunst
Vorzug der Eleganz – und doch erhebt sich gegen im Begriff der Schönheit bringt e i n, aber auch
sie ein doppeltes Bedenken. nur e i n Element des geistesphilosophischen An-
Das erste richtet sich gegen die interne Verfas- satzes zur Geltung, innerhalb dessen die Kunst –
sung dieses Begriffs und vor allem gegen seine schon aus Gründen der Hegelschen Systemar-
Vereinbarkeit mit Hegels Durchführung seines chitektur – primär zu interpretieren ist. Doch
Ansatzes. Die rein-geistesphilosophische Inter- zugleich verdunkelt sie eine Fülle von Perspekti-
pretation des Begriffs der Schönheit als Verklä- ven auf das Phänomen »Kunst«, die sich gerade
rung des Natürlichen ins Geistige führt, wenn sie von Hegels Ansatz her bieten, und damit provo-
428 II. Werk

ziert und begünstigt sie die – allerdings gleich- wußtsein sich selbst zum Gegenstande werde.
wohl unzutreffende – Beschuldigung des Klassi- Und dies ist die große Notwendigkeit der Ver-
zismus. nünftigkeit des Menschen.« (V 2.12 f.) Diese Ob-
(6) Hegels weitgehende Orientierung an der jektivation seines Wesens – als geistigen Wesens
»Idee des Schönen« statt am Begriff der Kunst – umfaßt auch das Verhältnis des Geistes zur
überhaupt hat ihn diese übergreifende geistes- Natur und zum Göttlichen – das ja nichts als ein
philosophische Deutung der Kunst weniger aus- solches Selbstverhältnis des Geistes ist.
arbeiten lassen als diejenige der Religion oder Diese fundamentalen Aussagen lassen sich
der Geschichte der Philosophie; in dieser Per- nicht auf den Begriff der Schönheit stützen. Der
spektive erweist sie sich als Verengung. Gleich- Begriff der Kunst ist deshalb zu eng gefaßt, wenn
wohl bieten bereits die Anfangspartien der Vor- sie als Verwirklichung der Idee des Schönen be-
lesungen mehrere wichtige, basale Anknüpfungs- stimmt wird und im »allgemeinen Teil« der Vor-
punkte für eine geistesphilosophische Interpre- lesungen primär die Idee des Schönen exponiert
tation. werden soll – zumal dort ohnehin recht wenig
Eingangs stellt Hegel die Frage nach dem »Be- über sie gesagt wird. Primär ist die Kunst nicht
dürfnis der Kunst«: »Warum produziert der Manifestation der Idee des Schönen, sondern
Mensch ein Kunstwerk?« – und seine Antwort Ausdruck dieser im Begriff des Geistes überhaupt
trifft diese allgemeine Dimension, in der auch liegenden Struktur der Entzweiung und Verge-
seine Philosophie der Kunst zu rekonstruieren genständlichung – und dies abgesehen von be-
und zu reformulieren ist: Weil »der Mensch den- stimmten Zwecken, denen die Herstellung von
kender, bewußter ist. Indem er Bewußtsein ist, Kunstwerken natürlich auch dienen k a n n . Man
muß er das, was er ist und was überhaupt ist, vor kann solche Zwecke aufstellen – doch bleiben sie
sich hinstellen, zum Gegenstand für sich haben.« sekundär oder gar tertiär gegenüber dem, was
Von »Schönheit« ist hier nicht die Rede – sondern Hegel, spannungsreich, gern »die Natur des Gei-
lediglich von der eigentümlichen Struktur des stes« nennt. Die Kunst entspringt nicht einzelnen
Bewußtseins und des Geistes überhaupt. Das Zwecken, sondern dieser Natur des Geistes selbst
Kunstwerk ist eine vom Menschen selbst geschaf- – von ihren ersten, Hegel noch gar nicht be-
fene Weise, »dem Menschen das, was er ist, vor kannten Werken bis hin zur Gegenwart. Dieser
ihn zu bringen.« Es ist ein Spiegel seiner Geistig- geistesphilosophischen Fundierung gegenüber
keit – und nicht allein und nicht einmal primär, ist die Aufstellung von Zwecken eine nachträg-
wenn es ihn ausdrücklich abbildet, im Porträt liche Rationalisierung dieser allgemeinen Struk-
oder in der Skulptur, sondern in allem, was es ist, tur zu einem bewußten einzelnen Akt. Deshalb
ist das Kunstwerk eine Objektivation der sind solche Zwecke auch um so angemessener
menschlichen Geistigkeit und somit deren formuliert, je mehr sie sich der allgemeinen Ver-
Selbstbewußtsein. fassung des Geistes annähern.
Die Quelle dieser Verdoppelung liegt – auch Da diese Erhebung der vorhandenen Verfas-
wenn sich dies für heutige Ohren pathetisch an- sung des Geistes zu einem bewußten Zweck of-
hören mag – nirgends als im »Wesen des Gei- fensichtlich einem Bedürfnis entgegenkommt,
stes«, in der für das Geistige konstitutiven Struk- räumt Hegel schließlich ein: »Will man [einen]
tur der Entzweiung oder Entäußerung oder auch Endzweck nun des Kunstwerks aufstellen, so ist
der Projektion. Nicht nur, aber insbesondere in es dieser: die Wahrheit zu enthüllen, vorzustel-
der Kunst drückt der Mensch der Natürlichkeit len, was sich in der Menschenbrust bewegt, und
sein Siegel auf, »um aus der Gestalt der Dinge zwar auf bildliche, konkrete Weise. Solchen End-
sich selbst wiederzuerkennen.« Sie ist eine her- zweck hat die Kunst mit der Geschichte, der
ausragende Form dieser von Hegel ausdrücklich Religion und anderem gemein.« (V 2.30) Diese
als »vernünftig« klassifizierten Struktur des Gei- Formulierung des Zwecks der Kunst – und ge-
stes, »daß der Mensch als Bewußtsein sich äu- meinsam mit ihr auch der anderen Formen des
ßert, sich verdoppelt, sich zur Anschauung für absoluten Geistes – erinnert wohl nicht zufällig
sich und Andere bringt.« Und darin ist sie auch an jene andere Formulierung, in der Friedrich
ein Element seiner Praxis: »Das Kunstwerk ist Heinrich Jacobi ein Mal ums andere Mal, vom
demnach vom Menschen gemacht, damit das Be- Lessing-Gespräch bis in seine späten Texte, die
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 429

Aufgabe s e i n e r Kunst – und gerade auch seiner der Form, wie Hegel ihn in seiner Abhandlung
Romane – zusammenfaßt: »Nach meinem Urtheil der klassischen Kunst – als des Angelpunkts der
ist es das größeste Verdienst des Forschers, D a - Geschichte der Kunst – prägt.
s e y n zu enthüllen, und zu offenbaren« (JWA
1.29). Jacobis Formulierung ist freilich nicht in
9.7.4. Die Geschichte der »Kunstformen«
den Kontext einer expliziten geistesphilosophi-
schen Konzeption von Kunst eingebunden. Den- (1) Zunächst innerhalb des »allgemeinen Teils«,
noch ist die Parallele zwischen der Enthüllung im letzten Kolleg im »besonderen Teil«, läßt He-
der Wahrheit und des die Menschenbrust Be- gel der Grundlegung der Ästhetik eine Abhand-
wegenden und der Enthüllung des Daseins un- lung der »Kunstformen« folgen – eigentlich eine
überhörbar. Und dieser Zweck der Kunst, die Geschichte der Kunstepochen. Den Begriff der
Wahrheit zu enthüllen, Dasein zu enthüllen, ist »Kunstformen« nimmt er wohl von Schelling auf,
so endlos wie der Wandel dieses Daseins selbst – der in seinem »allgemeinen Theil« ja ebenfalls
schon deshalb, weil er eigentlich gar kein sub- die »Kunstformen« behandelt, doch er deutet ihn
jektiv vorgesetzter »Zweck« ist, sondern in einer geschichtlich um. Diese Einbeziehung der Ge-
Struktureigentümlichkeit des Geistes selbst schichte der Kunst in die Ästhetik steht für Hegel
wurzelt. nicht im Belieben des Ästhetikers: Kunst ist eine
Die Orientierung der Ästhetik am Begriff des Gestalt des Geistes, und deshalb hat ihre Wirk-
Schönen schöpft nur einen geringen Teil dessen lichkeit notwendig die Form der geschichtlichen
aus, was von Hegels geistesphilosophischem An- Entfaltung. Eine umfassende Philosophie der
satz über Kunst zu sagen ist – und zudem unter- Kunst muß somit diese als geschichtliches Phäno-
miniert sie die Einheit der drei Formen des ab- men verstehen – sie verkürzte sonst unvermeid-
soluten Geistes. Fundamental für diese gesamte lich ihren Gegenstand.
Sphäre ist ja der Begriff des Sichwissens des Die Geschichte der Kunst teilt Hegel nach dem
Geistes im Anderen seiner selbst. Primär von hier Kriterium des Begriffs des Schönen in die Epo-
aus muß auch Kunst verstanden werden. Welche chen der »symbolischen«, der »klassischen« und
Rolle dem Begriff der Schönheit dann auch wei- der »romantischen Kunst« – in die noch nicht
terhin für diese wissende Selbstbeziehung zu- schöne, die schöne und die nicht mehr schöne
kommt: Diese umfaßt fraglos weit mehr, als sich Kunst. Man mag diese Dreigliederung als Aus-
vom Begriff des Schönen her in den Blick neh- druck eines penetranten Schematismus belä-
men läßt. Der geistesphilosophische Ansatz ist cheln; sie ist jedoch selbst aus der Wendung
somit weit flexibler und ›anschlußfähiger‹ als die gegen einen Schematismus geboren. Hegel ent-
Restriktion auf den Begriff der Schönheit. Trotz zieht sich durch sie der im Banne der »Querelle
des heute anstößigen Wortes »Geistesphiloso- des Anciens et des Modernes« stehenden, nahezu
phie« ist es ja nicht zweifelhaft, daß eine Deu- dogmatischen, noch von Schelling (SW I,5.372)
tung, die Kunst als Vergegenständlichung des bekräftigten Zweiteilung in antike und moderne
Geistes und als Sichwissen im Gegenstand, als Kunst. Der Begriff der »symbolischen Kunst« er-
Einheit von Sein und Selbst begreift, weit eher möglicht es Hegel, hinter die griechische zurück-
geeignet ist, die Vielgestaltigkeit des Phänomens zugehen und die Kunst insbesondere des Orients
»Kunst« und gerade auch seine zeitgenössischen als eine eigenständige Epoche in eine übergrei-
Formen zu begreifen, als die – zudem unausge- fende Geschichte der Kunst zu integrieren – und
wiesene – Fixierung auf den Begriff des Schönen. dies ist ein Gewinn, auch wenn es heute nicht
Das Deutungspotential, das die geistesphiloso- fraglich ist, daß ein derartiger Ansatz viel zu
phische Grundlegung der Philosophie der Kunst pauschal ist, um die Differenziertheit der unter
erschließt, ist erheblich größer als ihre Fundie- diesem Titel betrachteten Phänomene zu erfas-
rung auf den Begriff des Schönen. Die Orientie- sen.
rung an der geistesphilosophischen Grundlegung
befreit die Philosophie der Kunst von der vereng-
9.7.4.1. Die symbolische Kunst
ten Perspektive auf den Begriff des Schönen. Sie
befreit sie damit auch von Engführungen, die mit (1) Mit der Benennung der ersten Kunstepoche
diesem Begriff verkoppelt sind – zumindest in als der »symbolischen« greift Hegel einen damals
430 II. Werk

vielfältig verwendeten Terminus auf, doch gibt er und daraus erklärt sich eine häufig anzutreffende
ihm eine – auch gegenüber seinem eigenen frü- Eigentümlichkeit des Dargestellten: »Damit es
heren Wortgebrauch (Kwon 2001, 39–65) – neue bedeutend sei, muß es verzerrt werden; damit
Bedeutung. Das Symbolische bezeichnet nun man dem Stoff ansehe, daß er bedeutend sei,
nicht mehr, wie etwa für Schelling, eine gelun- muß ihm Gewalt angetan werden.« (V 2.154) Da
gene Ineinsbildung des Endlichen und Unendli- die Bedeutung ein Anderes als die Darstellung
chen, sondern die erste und deshalb unvollkom- und durch diese nicht festgelegt ist, ist das Sym-
mene, in der Zweideutigkeit verharrende Her- bol »wesentlich z w e i d e u t i g«, und man kann
ausbildung des geistigen Gehalts aus der Natur. die symbolische Kunst »als einen fortlaufenden
Hegels Fassung des »Symbols« entspricht weithin Streit der Angemessenheit und Unangemessen-
dem Symbolbegriff der Symbolik und Mythologie heit von Bedeutung und Gestalt auffassen« (V
seines Heidelberger Freundes Friedrich Creuzer 2.119–122, W X/1.391–395,410).
– und auf die Verbindung mit ihm wird wohl Diese interne Spannung ist konstitutiv für die
Hegels Auszeichnung einer Epoche der »sym- symbolische Kunst, und sie läßt sich auch nicht
bolischen Kunst« zurückgehen. Hier wie auch in beliebig überwinden; denn sie gehört im wesent-
der Religionsphilosophie verteidigt er Creuzer lichen einer frühen Epoche der Bewußtseins-
gegen die Angriffe insbesondere durch Johann geschichte an, in der Stoff und Form noch nicht
Heinrich Voß, dem er im Blick auf die Betonung mit einander vermittelt sind. Ihre Inkommensu-
der Eigentümlichkeit der griechischen Kultur ge- rabilität geht aber nicht etwa zu Lasten einer
genüber der orientalischen jedoch nähersteht als künstlerisch-handwerklichen Insuffizienz: Viel-
Creuzer. Andererseits folgt er Creuzers Ansatz, mehr ist »die Darstellung nicht vollkommen, weil
die »tiefere Bedeutung«, das »Vernünftige«, die die Bedeutung noch nicht den absoluten Gehalt
»innere Vernünftigkeit« der symbolischen und hat« (V 2.127). Denn nur der wahrhafte Gehalt
mythologischen Vorstellungen herauszuheben. kann in vollendeter Form dargestellt werden. Das
Und er gewinnt dessen Interpretation sogar noch Symbolische aber ist »mehr ein b l o ß e s S u c h e n
eine moralische Dignität ab: »Den Menschen der Verbildlichung als ein Vermögen wahrhafter
aber in seinem geistigen Bilden und Gestalten zu Darstellung« (W X/1.99); die Idee sucht noch
rechtfertigen, ist ein edles Geschäft, edler als das »ihren ächten Kunstausdruck, weil sie in sich
bloße Sammeln historischer Äußerlichkeiten.« (V selbst noch abstrakt und unbestimmt ist«. Denn
2.122 f., W X/1.401 f.) der Geist wird hier noch nicht als freies Subjekt
Hegel greift aber nicht den bei Creuzer noch gewußt und dargestellt. Hegel stellt deshalb die
präsenten griechischen Sinn des Symbols als ei- symbolische Kunst insgesamt unter die Kategorie
nes Erkennungszeichens auf – als zweier, aus des »Noch nicht«; sie ist Kunst im Modus der
dem Brechen etwa eines Stabes oder Knochens »Vorkunst« (W X/1.388–391,406).
entstandener Teile, deren ursprüngliche Einheit Unter dem Titel der »symbolischen Kunst« ent-
sich beim späteren Zusammenfügen erweist. Der wirft Hegel eigentlich mehr das Bild einer frühen
»Bruch«, der im Mittelpunkt des ursprünglichen Epoche der Bewußtseinsgeschichte als eine spe-
Bildes steht, ist für Hegel zu einem ausschließlich zifische Deutung ihrer Kunst – sicherlich auch
metaphorischen geworden: zu einem Bruch zwi- bedingt durch die damals noch geringe Kenntnis
schen Äußerem und Innerem, zwischen Darstel- der Kunst des Orients. Geschichtlich läßt er die
lung und Bedeutung. Hierbei greift er auf die Kunst erst nach der Religion auftreten. Diese
›Zeichentheorie‹ seiner »Philosophie des sub- beginne bereits mit der Verehrung von Natur-
jektiven Geistes« (s. 360 f.) zurück: Das Symbol körpern, die für sich noch nicht symbolisch ge-
ist ein Zeichen, aber nicht ein beliebiges, sondern faßt seien, etwa des Lichts, während das Sym-
»solch ein Zeichen, das in seiner Aeußerlichkeit bolische in Religion und Kunst erst mit dem
zugleich den Gehalt der Vorstellung enthält, wel- Losreißen des Allgemeinen von der besonderen
chen es darstellen soll.« Es »ist die bildliche Weise des Daseins einsetze (V 2.127). In den
Darstellung einer allgemeinen Vorstellung, eines späteren religionsphilosophischen Vorlesungen
Inneren.« Auf Grund dieser Trennung der Bedeu- ist Hegel allerdings sehr wohl der Ansicht, daß
tung vom Ausdruck hat es unaufhebbar eine auch die sogenannte »Naturvergötterung« nie
Seite, welcher die Bedeutung nicht adäquat ist – beim bloßen Naturgegenstand stehenbleibe (zu-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 431

mal unser Begriff eines prosaischen Naturgegen- Epoche der »symbolischen Kunst« angehört, da
standes hier gar nicht zu unterstellen sei), son- deren Signatur eben darin liegt, daß sie sich des
dern immer schon eine geistige Seite heraushebe Symbols noch nicht bewußt als eines solchen
(V 4.428 f.). Demnach enthält also entweder – in bedient. Unter dem Titel der »bewußten Sym-
der Religion – eine existierende Gestalt eine bolik« exponiert Hegel unter Rückgriff auf zahl-
allgemeine Bedeutung, oder im symbolischen reiche Beispiele, auch aus der Dichtung der Ge-
Kunstwerk wird eigens eine Gestalt geschaffen, genwart, poetische Formen wie Fabel, Parabel,
der solche Bedeutung zugesprochen wird. Insge- Rätsel, Allegorie, Metapher (V 2.142–153, W X/
samt aber sieht Hegel die symbolische Kunst in 1.486–547).
einem starken Bezug zur Religion, wenn nicht gar
unter ihrem Primat: Denn diese von der Dar-
9.7.4.2. Die klassische Kunst
stellung getrennte »allgemeine Bedeutung« muß
ja in einem eigenen Kontext und somit in einer (1) Die »klassische Kunst« steht im Zentrum der
Mythologie oder einer »heiligen Poesie« (V Ästhetik Hegels – und dies nicht allein in der
2.140) expliziert werden – womit der Übergang Perspektive der Systemarchitektonik. Sie ist die-
zur Religion fließend wird. jenige Form, in der die »schöne Welt« der griechi-
In Anlehnung an den geschichtlichen Aufriß schen Antike ihren adäquaten Ausdruck gefun-
der »Kunstformen« führt Hegel hier noch eine den hat und auch noch in unsere Gegenwart
Binnendifferenzierung in drei »Stufen der Sym- hinüberstrahlt. Sie ist auch nicht bloß eine, die
bolik« ein – nach der Edition in die »unbewußte mittlere von drei Epochen der Geschichte der
Symbolik«, die »Symbolik der Erhabenheit« und Kunst, sondern das absolute Maß der Kunst. In
die »bewußte Symbolik der vergleichenden ihr hat sich die Kunst als schöne Kunst und nach
Kunstform«. In der Nachschrift ist diese Folge ihrer höchsten Möglichkeit vollendet: »Schönres
zwar nicht so prägnant herausgehoben, aber kann nichts seyn und werden.« (W X/2.121; V
ebenso vorhanden. Die Grundbestimmung der 2.179) Denn anders als in der symbolischen seien
Religion Irans gilt Hegel jedoch weder als sym- in ihr Form und Inhalt einander adäquat ge-
bolisch, noch kennt er hier Kunstwerke; beides worden, Begriff und Realität, Natur und Geist zu
findet sich erst ansatzweise in Indien und aus- einer untrennbaren Einheit zusammengewach-
drücklich in Ägypten – doch rechnet er anschei- sen. So kommt dieser, obgleich nur kurzen Epo-
nend diese Auffassungen wie auch die »Symbolik che der Bewußtseinsgeschichte der Menschheit
der Erhabenheit« (also Israels, nach den Werken eine schlechthin herausragende Stellung zu.
auch die Poesie der islamischen Welt) insgesamt Hierdurch wird sie zugleich zum organisierenden
einer »naiven und b e w u ß t l o s e n Symbolik« zu Zentrum, das die Geschichte der Kunst in einen
(W X/1.487), in der das Symbol noch nicht a l s Aufstieg zur Vollendungsgestalt und einen Ab-
Symbol gesetzt ist. – Der Gesamtcharakter dieser stieg von ihr gliedert und somit alle frühere Kunst
Kunstepoche läßt sich kurz mit Stichworten wie zu einem »Vor« und alle spätere zu einem »Nach«
»Tiergestalt«, »Rätselhaftigkeit« und »Erhaben- degradiert. Doch ihre Nachgeschichte kann sich
heit« (im Sinne der Inkommensurabilität des nicht mehr völlig von der Vollendungsgestalt be-
Endlichen und Unendlichen) andeuten; die Ein- freien; sie ist zugleich die Geschichte der Trauer
heit der unter dem Titel des Symbolischen zu- über den Verlust der »schönen Welt« der Grie-
sammengefaßten sehr unterschiedlichen Kultu- chen und ihrer Götter.
ren läßt sich jedoch allenfalls negativ ausdrük- In solchen fast hymnischen Wendungen
ken: Sie ist diejenige Kunst, in der »die der Idee scheint sich Hegels Klassizismus unverhüllt aus-
angemessene Gestaltung noch nicht gefunden zusprechen. In eben dem Maße, in dem sie schon
ist« (§ 561). Für Hegel ist sie insgesamt eine sprachlich über eine geschichtliche Beschreibung
defiziente Gestalt, die der klassischen Kunst als und philosophische Deutung hinausgreifen, er-
»Vorkunst« vorausliegt. wecken sie deshalb den Argwohn, auch der Hegel
Einen gänzlich anderen Charakter hat dagegen der Vorlesungen über die Ästhetik habe sich nicht
die dritte Form, die »bewußte Symbolik der ver- mehr von der Graecomanie befreien können, der
gleichenden Kunstform«. Eine geschichtlich defi- bereits der Freund Hölderlins in seinen Studien-
nite Form ist sie allein insofern, als sie nicht der jahren erlegen sei, und ebensowenig vom Klassi-
432 II. Werk

zismus seiner Zeit. Und er sei bereit, für diese nifestation des Geistes ist unvermeidlich die Her-
Hochschätzung der griechischen Kunst den über- absetzung des Tierischen verbunden, des bloß
hohen Preis der Abwertung aller früheren und Natürlichen oder gar der bloßen Naturmacht,
späteren zu bezahlen. Neben diesen, eine klassi- und damit auch des Symbolischen.
zistische Fixierung anzeigenden Wendungen ste- Hegels konzeptuelle und auch emotionale Bin-
hen jedoch andere Gesichtspunkte, die andere dung an die griechische Welt hat ihn nicht dazu
Akzentuierungen erlauben. verleitet, deren Herkunft aus der Bewußtseins-
Den »klassischen« Charakter dieser Kunst be- form des Symbolischen zu leugnen. Er sieht, daß
stimmt Hegel im Rückblick auf die symbolische die »klassische« Welt auf dem symbolischen Be-
formal als »absolute Vereinigung« (V 2.154) des- wußtsein aufruht. Geschichtlich zeigt sich dies
sen, was dort getrennt ist: Form und Inhalt, schon in den mannigfachen Beziehungen der
Begriff und Realität, und ebenso Dargestelltes griechischen Volksreligion zu orientalischen Reli-
und Bedeutung seien hier einander adäquat. gionen. Die klassische Kunst setzt – wie schon die
Diese, scheinbar schwer verifizierbare Aussage symbolische und später die romantische – die
folgt aus den geistesphilosophischen Prämissen Religion voraus, und die griechische Volksreli-
der Ästhetik Hegels: Kunst ist ja Selbstbewußt- gion ihrerseits frühere Formen der Religiosität,
sein des Geistes in der Form der Anschauung. die der symbolischen Welt angehören. Homer
Deshalb muß sie dort ihre wahre Gestalt finden, und Hesiod haben zwar, nach dem von Hegel
wo ihr Gegenstand, das Geistige, nach seiner häufig zitierten Wort Herodots (II,53), den Grie-
Wahrheit angeschaut wird. Es kann sich aber nur chen ihre Götter gemacht – aber doch nicht aus
in der menschlichen Gestalt offenbaren und an- dem Nichts, sondern durch eine Umgestaltung
geschaut werden. Das Menschliche macht »den der symbolischen Religionen im Sinne des grie-
Mittelpunkt und Inhalt der wahren Schönheit chischen Geistes – ein geschichtlicher Vorgang,
und Kunst aus;« nur in der – von allen Gebrechen der als Kampf der Olympier gegen die Titanen
der Endlichkeit gereinigten – menschlichen Ge- oder allgemeiner als Zwist der alten und neuen
stalt erhält der Geist »das ihm gemäße Daseyn im Götter in die Mythologie selber eingeht und dort
Sinnlichen und Natürlichen« (W X/2.10,13): angeschaut und reflektiert wird. In diesem Sinne
»Die sinnliche Gestalt des Menschen ist allein betont Hegel hier, der vorausgesetzte religiöse
die, in welcher der Geist zu erscheinen vermag. Inhalt sei für sich fertig gewesen, der Künstler
Sie ist an ihr selbst bedeutsam; was sie bedeutet, habe ihn vorgefunden – aber eben auch abge-
ist der Geist, der in ihr heraustritt« – ja sie ist »der wandelt und erst damit das vollendete Werk der
Spiegel des Geistes« (V 2.157) Sie ist nicht Sym- klassischen Kunst geschaffen. Die künstlerische
bol des Geistes, sie bedeutet nicht etwas anderes Phantasie bemächtigt sich der religiösen Vorstel-
als sie ist; sie verweist nicht nur auf den Geist, lungen und gestaltet sie frei mit dem Zweck der
sondern er ist in ihr präsent. Die klassische Kunst Schönheit – nicht ohne Folgen übrigens für die
offenbart das Geistige in sinnlicher Weise und Religiosität, die sich ursprünglich in ihnen aus-
macht somit »den Mittelpunkt und Inhalt der spricht. So sehr Hegel deshalb einerseits diese
wahren Schönheit und Kunst aus« (W X/2.10). Kontinuität des Klassischen mit dem Symboli-
Die menschliche Gestalt kann aber allein dann schen unterstreicht, so sehr hebt er auch die
der höchste Ausdruck des Geistigen sein, wenn Zäsur hervor, die durch diese Umgestaltung er-
sie auch die Gestalt des Gottes ist, also das Gött- folgt – und zwar weit stärker als Creuzer, der hier
liche ihre Geistigkeit nicht dementiert. Der An- eher einen fließenden Übergang zeichnet (V
thropomorphismus der griechischen Götter ist 2.158–160, W X/2.98).
somit ein konstitutives Moment der Vollendung Der Schlüsselbegriff in Hegels Abhandlung der
dieser Kunst. Das Göttliche kann nun auch nicht klassischen Kunst ist der Begriff des Geistes, des
mehr in der tierischen Gestalt erscheinen; sie ist in der menschlichen Gestalt sich offenbarenden
ihm nicht angemessen – und wenn der Gott Geistes. Auffällig ist hingegen, und insbesondere
einmal vorübergehend tierische Gestalt an- in Hothos Nachschrift, daß der Begriff des Schö-
nimmt, etwa die eines Schwans, führt er nichts nen nur marginal auftritt. Den Begriff der klassi-
Gutes im Schilde. Mit der Heraushebung der schen Kunst führt Hegel über den Geistbegriff
menschlichen Gestalt als der angemessenen Ma- ein: Daß sie aus dem Geist, aus Freiheit erzeugt
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 433

ist, gilt zwar für alle Kunst – aber hier kommt »Da die Götter menschlicher noch waren,
noch eine unterscheidende und entscheidende Waren Menschen göttlicher«
Bestimmung hinzu: »Die klassische Kunst ist
Freiheit im Inhalt. Ihr Inhalt ist der Geist in bezeichnet Hegel deshalb sehr scharf als »durch-
seiner Freiheit.« Und auch wo Hegel der klassi- weg falsch«, während er den geänderten Schluß
schen Kunst schließlich das »substantielle
»Was unsterblich im Gesang soll leben,
Schöne« in der Gestaltung der Götter zuspricht,
Muß im Leben untergehn.«
bestimmt er dieses wiederum durch den Geist-
begriff: »Es hat zu seinem absoluten Inhalt nicht als Indiz dafür wertet, daß diese Götter ihren Sitz
das Geistige in seiner abstrakten Geistigkeit des nur in »Vorstellung und Phantasie« haben; sie
Gedankens, sondern als geistige Subjektivität« können »weder in der Wirklichkeit des Lebens
oder als »subjektive Geistigkeit«, die in der ihren Platz behaupten, noch dem endlichen Geist
menschlichen Gestalt erscheint (V 2.154–157.). seine letztliche Befriedigung geben.« (W X/
Die Werke geben dem Begriff der Schönheit 2.108) Hier bricht gleichsam, auf einer höheren
zwar mehr Raum, doch seinen eigentlichen Ort Stufe, die für die symbolische Kunst spezifische
findet er auch dort im Kontext nicht der Mytho- Diskrepanz zwischen Darstellung und Bedeutung
logie oder der Tragödie, sondern derjenigen wieder auf.
Kunst, die Hegel als paradigmatisch für die klas- Aber auch die Darstellung selbst erweist sich,
sische gilt: der Skulptur. Obgleich er nahezu kein nicht trotz, sondern wegen ihrer Schönheit, als
Anschauungsmaterial, sondern fast ausschließ- letztlich dem nicht angemessen, was sie dar-
lich Berichte für sie heranziehen kann, stellt er stellen soll. In der klassischen Kunst selber bricht
sie doch ins Zentrum der klassischen Kunst, als schon der Widerstreit auf zwischen dem, was
die Verwirklichung ihres Begriffs: als Anschau- Geist an sich ist, geistiges Insichsein, und einer
ung des freien Geistes in der menschlichen Ge- Schönheit, die notwendig an Äußerlichkeit und
stalt. Sie zeigt das Schöne in seiner Vollendung: Leiblichkeit gebunden ist (W X/2.74–76). Sie
»Schönres kann nichts seyn und werden« (W X/ kann zwar menschliche Gestalt und Züge, ja Sub-
2.121). Doch gerade weil die klassische Kunst jektivität überhaupt zeigen, aber nicht die freie
und insbesondere ihre Skulptur die Schönheit in Geistigkeit, nicht die sich als unendlich wissende
der höchsten erreichbaren Weise steigert, bre- Innerlichkeit. Dieses Argument gehört allerdings
chen hier die Spannungen auf, die die weitere nicht schon der griechischen Welt an, sondern
Geschichte der Kunst (und der Religion) be- erst der Retrospektive von einem späteren Punkt
stimmen. der Bewußtseinsgeschichte: Der Geist, kann man
Die Skulptur zeigt die menschliche Gestalt, zugespitzt sagen, ist nichts Schönes, und der
vielleicht auch den Gott in menschlicher Gestalt – Versuch, ihn als Schönes darzustellen, gehört ei-
aber sie ist etwas vom Künstler aus vorhandenem ner geschichtlichen Stufe an, auf der er sich noch
Material in aufwendiger Arbeit Geschaffenes und in Einheit mit der Natur weiß und noch keine
auch vom Menschen Zerstörbares. Der Geist Klarheit über sich erlangt hat. Hieraus entspringt
weiß sich in ihr – aber er weiß zugleich, daß sie der stille Zug der Trauer über die Vergänglichkeit
etwas anderes ist als er; er ist sich im Götterbild des Schönen, aber ineins damit das Wissen um
nicht wirklich gegenwärtig. »Da mag man sich die Notwendigkeit dieses Vergehens. Beides sieht
nun für Schönheit und Kunst begeistern, so viel Hegel in der klassischen Skulptur selber bereits
man will, diese B e g e i s t e r u n g ist und bleibt zum Ausdruck gelangen; beides ist auch seiner
das Subjektive, das sich nicht auch in dem Objekt eigenen Deutung so eigentümlich. Und schon
ihrer Anschauung, in den Göttern, befindet.« dies bewahrt ihn vor einem Klassizismus, der das
(W X/2.103) Der in menschlicher Gestalt veran- Heil der Kunst in der Mimesis der Antike sucht
schaulichte Gott ist noch nicht menschlich genug, (W X/2.101 f.).
der Anthropomorphismus noch nicht weit genug
getrieben; »dem alten Götterbilde fehlt das
9.7.4.3. Die romantische Kunst
Licht des Auges; der Gott weiß sich nicht.« (V
2.180) Die Verse in Schillers Die Götter Grie- (1) Diese Kritik an der »klassischen Kunst« greift
chenlands: voraus auf die dritte Stufe, auf die »romantische«.
434 II. Werk

Zu Beginn ihrer Darstellung faßt Hegel seinen dung an religiöse Motive ab. Seit der Renaissance
trotz aller emotionalen Bindung stets vorhande- beschleunigt sich diese Emanzipation der Ma-
nen Vorbehalt gegen jene nochmals zusammen: lerei und der Literatur von der Verpflichtung auf
Wohl ist die »klassische Kunst« die vollendete einen ihr vorgegebenen religiösen Inhalt, und sie
Darstellung des Schönen. »Aber das Reich des ergreift zunehmend auch die anderen Künste – so
Schönen selbst ist für sich noch unvollkommen, daß die Einheit der »romantischen Kunst« nicht
weil der freie Begriff nur sinnlich in ihm vor- minder fraglich wird als die der »symbolischen«,
handen [ist] und keine geistige Realität in sich wenn auch aus anderem Grund.
selbst hat. […] Der Geist muß sich selbst zum Motivisch äußert sich diese Rückbindung der
Boden seines Daseins haben, sich eine intel- romantischen Kunst an die christliche Religion
lektuelle Welt erschaffen. Hier vollendet sich die zunächst durch ihre Restriktion auf den explizit
Innerlichkeit in sich.« (V 2.179) Die der Natur religiösen Themenkreis: auf die »Erlösungsge-
enthobene »geistige Realität« der Innerlichkeit schichte Christi«, die »religiöse Liebe« – insbe-
aber ist nicht mehr Gegenstand als Schönes, und sondere Mariae – und den »Geist der Gemeine«,
insofern ist dieses geistesphilosophisch relati- d. h. auf Darstellungen von Märtyrern, Heiligen-
viert. legenden und Wunderberichten – eine Aufzäh-
Unter »romantischer Kunst« ist nicht die Kunst lung, die schon deshalb nicht vollständig ist, weil
der Romantik im heutigen Sinne zu verstehen; sie die überragende Bedeutung der Bildwelt des
diese Bedeutung erhält das Wort erst zu Hegels Alten Testaments nicht erwähnt. Entscheidend ist
Zeit als Gegenbegriff zur Weimarer »Klassik«, jedoch der innere Gehalt, den die »romantische
und dieser neue Sprachgebrauch setzt sich erst Kunst« aus diesen Motiven heraushebt: die Erhe-
kurz nach seinem Tod durch, wohl insbesondere bung des Geistes, ja seine Herrschaft über die
durch Heinrich Heines Die romantische Schule Natur.
und wenig später durch Theodor Echtermeyers Die Differenz der »romantischen« gegenüber
und Arnold Ruges Manifest Der Protestantismus der »klassischen Kunst« läßt sich schwerlich pla-
und die Romantik (PLS 4.1.192–225). Als »ro- kativer veranschaulichen als durch den Hinweis,
mantisch« bezeichnet Hegel – ohne dies zu recht- daß der christliche Gott nicht durch die Skulptur
fertigen – die Kunst der christlichen Welt, oder darstellbar sei. Dies entspringt ja keineswegs
mit dem Ausdruck der Geschichtsphilosophie: die dem – vorhandenen und verständlichen – Ver-
Kunst der »germanischen«, nämlich der aus der langen des jungen Christentums nach Abgren-
Völkerwanderung hervorgegangenen Welt. Auch zung von den Statuen der »heidnischen Götter«,
für diese Epoche gilt, wenngleich in geringerem sondern, in der Tradition des alttestamentlichen
Maße als für die symbolische, daß ihre Einheit Bilderverbots, der »Natur« dieses Gottes selbst,
eine negative sei: Wie jene das »Vor«, so ist diese keine »Natur« zu haben, sondern Herr über die
das »Nach« der klassischen Kunst. Ihre Einheit Natur zu sein. Auch die – vergleichsweise we-
scheint zwar auch inhaltlich, durch die Rück- nigen – Darstellungen Gottes in der Malerei sind,
bindung an die christliche Religion gegeben zu mit ihrem Oszillieren zwischen Peinlichkeit und
sein, und zwar wegen der dogmatischen Fixie- Trivialität, eher Belege für diese Nicht-Darstell-
rung ihrer Vorstellungswelt (einschließlich der barkeit Gottes als für ein Gelingen solcher Dar-
Heiligenlegenden) in noch strengerem Maße als stellung.
im Verhältnis der »klassischen Kunst« zur griechi- Der spezifische Gegenstand der »romanti-
schen Volksreligion oder gar der »symbolischen schen« Darstellung ist deshalb nicht »Gott«
Kunst« zu den sehr unterschiedlichen Religionen schlechthin, sondern der Mensch gewordene
des Orients. Doch kommt es bei der »romanti- Gott, das »wirkliche Subjekt«. Dies scheint sie
schen Kunst« zu einer für das Verhältnis von mit der »klassischen Kunst« zu teilen – doch von
Kunst und Religion folgenschweren Entwick- der »klassischen« Darstellung des menschenge-
lung: Bereits im Mittelalter, bald nach der Zeit, in staltigen Gottes unterscheidet sich die »romanti-
der die christliche Religion mit dem »Bilder- sche« dadurch, daß sie die Darstellung eines
streit« des 8. und 9. Jahrhunderts ihr Verhältnis wirklichen Menschen ist, dem, anders als der
zur bildenden Kunst festlegt, löst sich ein neuer Kultstatue, »das Licht des Auges« nicht mehr
Themenkreis der Poesie von der expliziten Bin- fehlt. Sie ist zudem durch ein anderes Verhältnis
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 435

von Geistigkeit und Leiblichkeit charakterisiert: darstellt, muß nicht allein »die ideale Schönheit«
Für Hegel ist Christus nicht mehr »des Herakles verschmähen; sie muß notwendig »unschön«
Bruder«, der letzte der antiken Götter, und des- werden. Und obschon auch diese Entgegenset-
halb ist der Leib hier nicht mehr die schöne Form zung zur »absoluten Geschichte der göttlichen
der Wirklichkeit des Gottes. Die Probleme, die Erscheinung« und insofern notwendig zur Signa-
sich hieraus insbesondere für die Darstellung von tur der »romantischen Kunst« gehört, sieht Hegel
»Christusköpfen und Gestalten« ergeben, hat He- sich doch genötigt, sich von einigen Darstellun-
gel sehr klar benannt: Es reiche nicht aus, »Ernst, gen zu distanzieren, in denen er neben der Not-
Ruhe und Würde« zu zeigen – wie er dies wohl wendigkeit des Begriffs auch eine kranke Phanta-
einem Christusporträt v. Kügelgens zubilligt, das sie am Werk sieht, die zudem keinerlei praktische
er 1820 auf einer Reise nach Dresden gesehen hat Wirkungen zeitigt: »Die Leiden sind Grausam-
(GW 15.204–206). »Christus soll aber einer Seits keiten Anderer, und das Gemüt vollbringt nicht in
Innerlichkeit und schlechthin a l l g e m e i n e Gei- sich selbst das Brechen des natürlichen Willens.
stigkeit, anderer Seits subjektive Persönlichkeit Man sieht hier Henker, Qualen aller Art, leibliche
und E i n z e l n h e i t haben; Beides widerstrebt Verzerrungen, so daß in betreff auf die Darstel-
der Seligkeit im Sinnlichen der menschlichen lung die Entfernung von der Schönheit zu groß
Gestalt« – und beides zu verbinden, die Mitte ist, als daß von einer gesunden Kunst dergleichen
»zwischen dem partikulär Natürlichen und der Gegenstände sollten gewählt werden können.«
idealen Schönheit« zu treffen sei »von höchster (V 2.188)
Schwierigkeit« (W X/2.145). Der »romantische«, christliche Rückzug des
Für die Darstellung sowohl Jesu als auch der Geistes in sich selbst, seine Befreiung zu sich
Heiligen und des Menschen überhaupt aber gilt: selbst hat Folgen für die künstlerische Darstel-
»Wir haben hier die Innigkeit der Seele mit sich, lung nicht allein des Menschen, sondern ebenso
die in der intellektuellen Welt ist, in ihr existiert der nicht-menschlichen Natur. Die Geburt der
und in dieser Innigkeit ihre Schönheit hat. Die »Innerlichkeit« ist zugleich die der »Äußerlich-
Schönheit der Seele ist hier mit der Gleichgültig- keit« – ein Argument, das allerdings den lang-
keit gegen die Gestaltung der unmittelbaren Welt wierigen und sehr komplexen Prozeß minimiert,
verknüpft, da die unmittelbare Welt nicht würdig der zur Fixierung dieser Pole als eigener »Wel-
ist der Seligkeit der Seele in sich.« (V 2.182) ten« führt. Hegel stellt ihn unter das Stichwort
Wahrheit und Schönheit treten hier auseinander; »Entgötterung«, das ja schon Schiller in seinen
das »wirkliche Subjekt« hat seine eigentliche Rea- Göttern Griechenlands und er selber in seiner
lität nicht in seinem Leib, sondern in seiner Naturrechtsvorlesung (s. 156) verwendet. Dort
Innerlichkeit; es ist zugleich »unendliches Sub- allerdings beschreibt Hegel diesen Prozeß zu-
jekt«, und sofern ihm auch »Schönheit« zuge- mindest etwas differenzierter als in der Ästhetik –
schrieben werden kann, so ist sie doch, anders als denn hier scheint es, als sei jener Rückzug des
die »bisherige«, »klassische«, eine »geistige Geistes ein momentaner Akt, und mit der prinzi-
Schönheit« (W X/2.122). piellen Entgötterung der Natur jede religiöse Be-
Dieses Verhältnis von »Innigkeit« und Leib- setzung der Natur ebenso prinzipiell und unabän-
lichkeit oder Sinnlichkeit gilt auch und insbe- derlich ausgeschlossen – ihre Dämonisierung
sondere für die Darstellung der Liebe Mariae. Sie ebenso wie ihre Verklärung. Dies würde es un-
ist für Hegel »der gelungenste Gegenstand der möglich machen, die sehr differenzierten Wand-
romantischen Kunst« (V 2.187). Anders als die lungen im Verhältnis des erkennenden und han-
»klassische« Schönheit zeigt die »Innigkeit« an, delnden Geistes zur Natur zu beschreiben und
daß die Seele in ihr selbst Realität hat. Die Diffe- somit etwa das Auftreten des Phänomens »Land-
renz, die hier zwischen »Innigkeit« und Realität schaft« in der Kunst der Neuzeit zu begreifen.
besteht, geht jedoch nicht notwendig zur schrof- Zum zweiten Themenkreis der »romantischen
fen Entgegensetzung über, zum Losreißen des Kunst, dem »weltlichen Kreis«, leitet Hegel vom
Geistigen vom Endlichen, zum Triumph des Gei- »religiösen Kreis« immanent über, obschon des-
stigen über »die Welt«, wie er in der Darstellung sen ursprünglicher Gehalt die Ausbildung einer
der Martyrien, ja im Schwelgen in Grausam- für sich bestehenden Sphäre des »Weltlichen«
keiten anschaulich wird. Eine Kunst, die dies dementiert: »Die Tugenden der christlichen
436 II. Werk

Frömmigkeit ertödten in ihrer abstrakten Hal- hatte nur ein absolutes Werk, die Ausbreitung des
tung das Weltliche, und machen das Subjekt nur Christentums. […] Das Werk der Weltlichkeit ist
frei, wenn es sich selbst in seiner Menschlichkeit die Vertreibung der Mauren, die Kreuzzüge. Aber
absolut verläugnet.« »Wenn aber das Reich Gottes die Taten auch dieses Werks sind mehr Abenteuer
Platz gewonnen hat in der Welt, und die welt- […]. Das Zwecklose der Handlung ist [es], an
lichen Zwecke und Interessen zu durchdringen welchem sich solche Abenteuerei an ihr selbst
und dadurch zu verklären thätig ist; […] dann auflöst und sich der komischen Behandlung dar-
beginnt auch das Weltliche von seiner Seite her bietet.« (V 2.196)
sein Recht der Geltung in Anspruch zu nehmen Hier hat Hegel den Übergang zur Neuzeit, ins-
und durchzusetzen. […] Wir können diesen Ue- besondere die »Auflösung des Rittertums« im
bergang dadurch bezeichnen, daß wir sagen, die Blick. Formeller läßt sich die thematische Ent-
subjektive Einzelnheit werde jetzt als Einzelnheit wicklung als ein Zerfallen der substantiellen Ein-
unabhängig von der Vermittlung mit Gott, für sich heit, als Auseinanderfallen der sich in sich vertie-
selber frei.« (W X/2.170,166) fenden Subjektivität und des Stoffes fassen: Auch
Doch diesem Kreis, der »Sphäre des Ritter- hier ist es noch der religiös induzierte Rückzug in
tums«, widmet Hegel so wenig Aufmerksamkeit, die Innerlichkeit, der die Äußerlichkeit als solche
daß seine Eigenständigkeit schwerlich gerecht- konstituiert und damit freisetzt. Die »Welt«, nicht
fertigt ist. Vor allem: Soweit die gegenwärtigen mehr in die »Einheit des Absoluten« zurückge-
Editionen erkennen lassen, bezieht er sich nir- bunden, stellt sich »auf ihre eigene Füße« (W X/
gends auf Kunstwerke dieser Zeit – etwa auf das 2.192) – und dies hat Folgen für die Kunst: »Stoff
Nibelungenlied oder auf den Minnesang oder gar und Subjektivität sind getrennt, und der Fortgang
auf die Malerei des späten Mittelalters oder auf ist ihre Einbildung, bis sie wieder auseinander
die gotischen Dome. Die wenigen Dichtungen, fallen. Ihre absolute Einheit kommt nicht in der
die er hier überhaupt nennt, thematisieren zwar Kunst zustande. Die Innerlichkeit erhebt sich
diese Epoche, aber sie gehören Hegels Gegen- zum reinen Gedanken, wo erst die wahrhafte
wart an: Schlegels Alarcos, Kleists Käthchen von Einheit stattfinden kann.« (V 2.196,198) In der
Heilbronn und Goethes Reineke Fuchs, daneben Kunst aber geht die »Innigkeit« nur bis zur Parti-
noch Shakespeare. Hegel beschreibt eigentlich kularität des Charakters und zur »Festigkeit« und
nicht eine »Kunstform«, sondern eine Bewußt- »unendlichen Willenskraft der besonderen Sub-
seinsform, und auch sie nur unter den Leitbe- jektivität« fort – insbesondere bei Shakespeare –
griffen »Ehre«, »Liebe« und »Treue«, und zudem und sogar bis zur »Miserabilität moderner Cha-
weniger sie als solche, sondern sie im Rückblick raktere« – bei Kotzebue (W X/2.198). Ihr gegen-
auf die Antike: denn er exemplifiziert diese ver- über steht ein von der Geistigkeit des Subjekts
meintlichen »Tugenden« hier nicht an »Rittern«, verlassener, deshalb gleichgültiger und nichtiger
sondern vor der Kontrastfolie der Gestalten der Stoff: »Das Romantische ist das geistige Insich-
Mythologie und des Epos der Antike (V sein, wogegen die Weltlichkeit als ein Nichtiges
2.190–194, W X/2.165–190). gesetzt ist«. (V 2.203) Da die Gegenstände der
Einen stärkeren Akzent legt Hegel wiederum Kunst nicht mehr in eine substantielle geistige
auf die Abhandlung des dritten Kreises der »ro- Einheit aufgenommen werden, ist es letztlich
mantischen Kunst«, zwar noch nicht im Kolleg gleichgültig, wie sie dargestellt werden – als
1823 (V 2.194–204: »Der Formalismus der Sub- »Kreis unmittelbarer Wirklichkeit«, »wie sie
jektivität«), jedoch nach dem – wenn auch pro- sind«, oder – könnte man fortfahren – abstrakt.
blematischen – Zeugnis der Edition (W X/ Denn nicht mehr der Gegenstand ist von Inter-
2.191–240: »Die formelle Selbstständigkeit der esse, sondern nur noch die Art seiner Behand-
individuellen Besonderheiten«). Auch diesen lung: die Technik des Malens und überhaupt »die
Themenkreis sucht Hegel dadurch in die Einheit subjektive Auffassung und Ausführung des
der »romantischen Kunst« zu führen, daß er ihn Kunstwerks« (W X/2.220).
als die letzte Gestalt einer Entwicklung be- Als exemplarisch hierfür sieht Hegel die »Gen-
schreibt, die mit dem religiösen Kreis beginnt remalerei der späteren Holländer«. Er interpre-
und kraft ihrer immanenten Dynamik mit der tiert sie als eine Form der Versöhnung mit der
Loslösung von ihm endet: »Die romantische Welt »gemeinen Wirklichkeit«, ein Sicheinnisten »in
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 437

die Prosa des Lebens«, das aber selber politisch- zelnen nicht oder falsch oder verkürzt gesehen
religiöse Wurzeln hat: »Die niederländischen sein mag – eine schlechthin überwältigende
Städte hatten sich freigemacht von weltlicher und Kenntnis von Kunstwerken und auch ein tiefes
geistlicher [Herrschaft]. Ihre politische Freiheit, Verständnis von Kunst. Es dürfte keine zweite
ihren Unterhalt, alles haben sie durch sich selbst, Philosophie der Kunst geben, die über ein derart
durch Bürgertugend und protestantische Fröm- breites Spektrum verfügt – auch wenn andere
migkeit [erworben].« Zwar können die Gegen- Ansätze fraglos mit einer größeren Kenntnis ei-
stände der Genremalerei »den höheren Sinn nes begrenzten Details aufwarten können. Sein
nicht befriedigen, aber die nähere Betrachtung eigener Anspruch, »ich kenne so ziemlich Alles,
versöhnt uns damit« – nämlich wegen der »un- und man soll es und kann es kennen« (W X/
endlichen Kunst des Malers«, der »Kunst des 3.556), erscheint somit zwar als provozierend,
Scheinens«: »Es ist hier das Scheinen, welches doch ist er keineswegs unberechtigt.
hier das Interesse ausmacht, das sich in sich In diesem jeweils letzten Teil seiner Vorle-
vertiefende Scheinen. Am Schönen ist die Seite sungen unterscheidet Hegel fünf Künste – Ar-
des Scheinens hervorgehoben«; »das Substan- chitektur, Skulptur, Malerei, Musik und Poesie –,
tielle ist entflohen und das Scheinen festgehal- doch das Prinzip dieser Unterscheidung ist kei-
ten« (V 2.200 f.; W X/2.222 f.). neswegs selbstverständlich. Im Kolleg 1823 greift
Die Kunst seiner Gegenwart sieht Hegel als er zurück auf die zwei Formen des Sinnlichen: auf
den Schlußpunkt dieser Entwicklung. Ihre Eigen- die Anschauung als unmittelbar äußerliches Be-
tümlichkeit liege darin, »daß die Subjektivität des wußtsein und die Vorstellung als »schon begin-
Künstlers über ihrem Stoffe und ihrer Production nende innere Weise«, als Schwanken zwischen
steht, indem sie nicht mehr von den gegebenen Sinnlichkeit und Gedanken. Nach diesem Prinzip
Bedingungen eines an sich selbst schon bestimm- gliedern sich die Künste nach dem Maßstab der
ten Kreises des Inhalts wie der Form beherrscht Verfeinerung der Sinnlichkeit, der Befreiung vom
ist, sondern sowohl den Inhalt als die Gestal- gröberen Stoff – von den Künsten, die den beiden
tungsweise desselben ganz in ihrer Gewalt und theoretischen Sinnen, dem Gesichtssinn und Ge-
Wahl behält« (W X/2.228) – eine Charakteristik, hörsinn, zugeordnet sind, also der Architektur,
bei der Hegel, soweit sich erkennen läßt, insbe- Skulptur, Malerei und Musik, bis hin zur Poesie,
sondere das Aufgreifen orientalischer Stoffe in die in ihrer Bindung an die Vorstellung zwar stets
Goethes West-östlichem Divan und in den Ge- den Rückbezug zur Sinnlichkeit enthält, aber ihr
dichten Friedrich Rückerts oder Nachdichtungen doch nicht unmittelbar zugeordnet ist. Diese
von Hafis’ Lyrik im Blick hat. Sie trifft aber Fünfheit scheint Hegel ferner auf die Dreiheit
ebenso und noch mehr auf diejenige Kunst zu, die von bildender, tönender und redender Kunst zu-
auf das Ende der »goetheschen Kunstperiode« rückgeführt zu haben – eine Einteilung, die zu-
(Heine 1835, 125) und somit auch seiner Lebens- mindest in Hothos Marginalien dominiert (V
zeit erst gefolgt ist (s. 501). 2.205 f.,270).
Nach dem Zeugnis der Freundesvereinsaus-
gabe wendet Hegel jedoch ein, daß diese Ein-
9.7.5. Das System der Künste
teilung nach den Formen der Sinnlichkeit »statt
(1) Mit dieser Abhandlung der »Kunstformen« ist aus dem konkreten Begriffe der Sache selbst, nur
nach der frühen Konzeption der zweite Teil des aus einer der abstraktesten Seiten derselben her-
»allgemeinen Teils« beschlossen; es folgt im »be- genommen« sei. Nach einer »tiefer greifenden
sonderen Teil« die Darstellung der einzelnen Eintheilungsweise« sei die »Mitte« der Kunst »die
Künste. Im letzten Kolleg wertet Hegel jedoch die Darstellung des A b s o l u t e n , des Gottes selbst
Abhandlung der »Kunstformen« zu einem eigen- als Gottes«, in einer adäquaten äußerlichen Er-
ständigen zweiten Teil auf, so daß die einzelnen scheinung, und dieses göttliche Subjekt hat »sich
Künste in einen dritten Teil zu stehen kommen (s. gegenüber eine ä u ß e r e umgebende Welt« und
421 f.). Und soweit sich gegenwärtig erkennen dieser gegenüber das » s u b j e k t i v e I n n e r e«.
läßt, geht er insbesondere hier nicht allein detail- Aus diesem Prinzip folge die Gliederung in die
lierter auf einzelne Kunstwerke ein: Seine Vor- drei »Kunstformen«, die symbolische, klassische
lesungen manifestieren – bei allem, was im ein- und romantische. Hegel erweitert es nun zum
438 II. Werk

Gliederungsprinzip für die einzelnen Künste, in- Kunst« erhält, und zudem den Charakter gei-
dem er der symbolischen Kunst die Architektur stiger Bedeutsamkeit, als einer »lautlosen Spra-
zuordnet, der klassischen Kunst die Skulptur und che für die Geister«. Zugleich hat sie den Cha-
der romantischen Malerei und Musik – sicherlich rakter der »Vereinigung« von Menschen – ge-
nicht in dem Sinne, daß es innerhalb der jewei- schichtlich erstmals am »Turm von Babel«, den
ligen Kunstform nur diese Kunst gebe, aber doch Hegel als »ein ungeheures Werk der Skulptur«
im Sinne einer besonderen Affinität zwischen versteht, ähnlich wie den von Herodot beschrie-
Kunstform und einzelner Kunst. Die Poesie stellt benen »Tempel des Bel«, dessen Beziehung zum
er ohnehin als zeitindifferent über die geschicht- »Turm von Babel« er jedoch unbestimmt läßt.
lich zugeordneten Kunstformen. Diese, an den Wegen dieser Nähe zur Skulptur behandelt Hegel
Kunstformen orientierte Gliederung gruppiert in der ersten Epoche der Architektur auch Säu-
die einzelnen Künste zwar anders als die an der len, insbesondere Phallussäulen und die tönen-
Sinnlichkeit orientierte, jedoch ohne ihre Rei- den ägyptischen Memnonsäulen, Obelisken,
henfolge zu verändern. Fraglos ist sie mit ihrer Hermen und Pagoden (V 2.207–220, W X/
Zuordnung der Künste zu geschichtlichen Epo- 2.265–302).
chen weit anspruchsvoller, und Hegel könnte sich (2) Für die klassische Baukunst hebt Hegel den
für sie partiell auch auf das Zeugnis der Empirie Gesichtspunkt der »Zweckmäßigkeit« heraus,
berufen: auf die ausgezeichnete Stellung der und dies nicht im Gegensatz zur Schönheit, son-
Skulptur in der klassischen Welt, die aus inneren dern in Einheit mit ihr: »In der strengen Zweck-
Gründen weder in der symbolischen Kunst vor- mäßigkeit besteht hier die Schönheit.« Der
weggenommen noch in der romantischen wie- Zweck, dem sie gemäß ist, »ist Raumabgrenzung
derholt werden kann, und auf die höhere Aus- für ein Geistiges, Göttliches, das sie beherber-
bildung von Malerei und Musik in der Neuzeit, gend umschließen, schützen will« – als Tempel.
die man mit gutem Recht auf die Vertiefung der Hegel geht hier auf das Detail des klassischen
Subjektivität in sich zurückführen kann. Zusätz- Tempels ein, aber – insbesondere wegen der
lich zu dieser übergreifenden geschichtlichen Be- Wölbungstechnik – auch auf die römische Ar-
wegung, in der sich der Gehalt von Kunst über- chitektur als »Mittelform« zwischen der griechi-
haupt in der Folge der Kunstformen und der schen und christlichen Baukunst. Er diskutiert
ihnen spezifisch zugeordneten Künste entfaltet, eine Reihe damals umstrittener Fragen – etwa die
schreibt Hegel aber auch noch den einzelnen Frage nach dem Primat von Holz- und Steinbau
Künsten als Gestalten des Geistes eine interne oder nach der Funktion und freien Stellung der
Geschichte zu. Eigentümlicher Weise beschreibt Säule, und er setzt sich hier insbesondere mit
er sie jedoch nicht in der spezifischen Verlaufs- Aloys Hirts Geschichte der Baukunst bei den Al-
form geistiger Entwicklung, sondern eher als Na- ten auseinander; daneben bezieht er sich – wie
turprozeß: nämlich als »ein Anfangen, Fortschrei- stets zustimmend – auf Goethe und ausnahms-
ten, Vollenden und Endigen, ein Wachsen, Blü- weise auch einmal auf Friedrich Schlegel, wegen
hen und Ausarten« (W X/2.255–264,245). seines Dictums, Architektur sei »eine gefrorene
Musik« (V 2.220–226, W X/2.303–331).
(3) Als Paradigma der »romantischen« Bau-
9.7.5.1. Architektur
kunst behandelt Hegel die »gotische«, die zu sei-
(1) Die erste der Künste, die Architektur, handelt ner Zeit von der »Romantik« (im heutigen Sinne)
Hegel in streng geschichtlicher Gliederung ab – neu entdeckt wird. Von der »vorgotischen«, also
als symbolische, klassische und romantische oder der romanischen, weiß er wenig mehr zu be-
»gotische«. Sie macht für ihn »den Anfang dem richten, als daß sie es »mit Kreisen und Bogen zu
Begriffe nach«, aber auch geschichtlich, sofern es tun« habe, und die späteren Stile – Renaissance,
in ihr immer schon darum geht, das Subjekt Barock – nimmt er noch nicht in ihrer Eigen-
schützend zu umschließen. Allerdings sieht He- ständigkeit wahr; statt dessen fügt er noch einige
gel die frühe Architektur auch in der Nähe zur Bemerkungen über die Gartenbaukunst an. – Als
Skulptur. Er bezieht die Architektur erst dort in »Hauptcharakter« der gotischen Architektur sieht
seine Darstellung ein, wo sie über ihre Nutz- er ihre Unabhängigkeit von dem Zweck, dem
anwendung hinaus den Charakter »schöner Menschen zu dienen: »Die gotischen Kirchen
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 439

sind Werke für sich, die Menschen verlieren sich die eigentümliche Wirkung der klassischen Ge-
darin wie Punkte.« »Die Menschen mit ihrem sichtsbildung zu analysieren. Wegen der Domi-
Treiben verlieren sich in diesem Grandiosen.« nanz dieser Orientierung verzichtet Hegel schon
Die Zweckmäßigkeit des klassischen Tempels sei hier bei der Skulptur darauf, deren interne Ge-
»beim Gotischen Nebensache.« Dies zeigt sich schichte nachzuzeichnen. In der Vorlesung von
ihm auch in der »Naturform« des gotischen Ge- 1823 erwähnt er die symbolische Skulptur ledig-
wölbes: Sie erinnert ihn – wie seine romanti- lich mit wenigen Worten, nicht jedoch die spä-
schen Zeitgenossen – an »das Gewölbe eines tere, »romantische«; nach der Edition geht Hegel
Waldes, das Schauerliche, zur Betrachtung Ein- am Ende des Abschnitts auch noch kurz auf die
ladende. Diesen Charakter hat der Spitzbogen, römische und die christliche Skulptur ein. In der
das Zusammenstoßen der Säulen. Es ist die »romantischen Kunst« sei die Skulptur zwar »oft
Weise, wie Baumzweige zusammenkommen und zu großer Meisterschaft gebracht, doch ist sie
sich zum Gewölbe verzweigen« – hier freilich zu nicht die Kunst, welche, wie die griechische
einem Gewölbe, das »für die Innerlichkeit be- Skulptur, das wahrhaft gemäße Bild des Gottes
stimmt ist« und zur Erhebung auffordert (V aufstellt« – denn »die ganze Richtung des christli-
2.226–228, W X/2.332–352). chen Sinns […] ist, wo die religiöse Anschauung
und Vorstellung an der Spitze steht, nicht auf die
klassische Form der Idealität gerichtet, welche
9.7.5.2. Skulptur
die nächste und höchste Bestimmung der Skulp-
(1) Das Proprium der Architektur aller Epochen tur ausmacht.« Sie bleibe mehr »ein Schmuck der
sieht Hegel in der Umschließung der geistigen [religiösen] Architektur«, greife aber auch in das
Gestalt, also in der Spannung von Äußerlichkeit »gewöhnliche Leben« ein – und aus diesem Um-
und freier Geistigkeit. In der Skulptur hingegen kreis weiß Hegel zahlreiche Beispiele anzufüh-
ist diese Spannung aufgehoben; sie hat die »gei- ren, sowohl aus seinen Nürnberger Jahren als
stige Individualität zum Gegenstand, und sie läßt auch von Skulpturen seiner Berliner Zeitgenos-
den Geist in unmittelbarer Materialität erschei- sen Schadow, Rauch und Tieck – ohne daß diese
nen. […] Man kann also sagen, hier werde der unmittelbare Anschauung sein Urteil modifiziert
Geist dargestellt, wie er i s t .« Ja sie stellt sogar hätte (V 2.229–247, W X/2.353–465).
»das Wunder dar, wie der Geist sich der Materie
einbildet, wie er sich gegenwärtig in ihr zu zeigen
9.7.5.3. Malerei
vermag.« Diese Einheit von Geist und Materie
faßt Hegel auch in der spinozistischen Wendung (1) Der »objektiven Substantialität« der Skulptur
(Ethica II,7): Sie sei »die Einheit des o r d o r e - gegenüber spricht Hegel der Malerei als Haupt-
r u m e x t e n s a r u m und des o r d o r e r u m i d e - bestimmung »die für-sich-seiende Subjektivität«
a r u m , die erste schöne Einigung von Seele und zu, die jedoch das Besondere frei entlasse und
Leib, insofern sich das geistige Innere in der sich auch des Zufälligen annehme. Durch ihre
Skulptur nur in seinem körperlichen Dasein aus- Bindung an die Fläche und ihre Elemente »Licht«
drückt.« (W X/2.365) Dennoch bleibt diese Ein- und »Farbe« löse sie sich von der »objektiven
heit problematisch. Gegenüber der an die Fläche Bestimmung der Materie«. Der Kreis ihrer Ge-
gebundenen Malerei billigt Hegel der Skulptur genstände sei hierdurch »unendlich ausgedehnt«
den Vorzug der Natürlichkeit zu – doch sei diese und nicht mehr bestimmbar; alles Besondere
Natürlichkeit »nur die der äußeren Materialität, kann hier »Platz finden«. Und obgleich sich die
nicht die Natur des Geistes als Geistes.« Malerei von der Ausrichtung auf die Darstellung
(2) Die Skulptur sieht Hegel ausschließlich der der menschlichen Gestalt befreit, bezeichnet He-
»klassischen Kunstform« verhaftet; diese habe gel sie als »viel anthropomorphistischer« – darin
schlechthin ideale, unerreichte Werke geschaffen nämlich, daß sie den gesamten Kreis des mensch-
– und auch in seinen Ausführungen über einzelne lichen Lebens thematisiert, und zwar in der Per-
Werke orientiert Hegel sich oft an Winckelmanns spektive der geistigen Innerlichkeit (V 2.248 f.).
Urteilen, aber er greift hier auch auf die Physio- Das hier hervortretende »Princip der Subjektivi-
gnomie und selbst auf den in der Phänomeno- tät« erfordere, »einer Seits die unbefangene Ei-
logie kritisierten Franz Joseph Gall zurück, um nigkeit des Geistes mit seiner Leiblichkeit auf-
440 II. Werk

zugeben, und das Leibliche mehr oder weniger nach der Freundesvereinsausgabe hingegen er-
negativ zu setzen, um die Innerlichkeit aus dem läutert er seine Konzeption ausführlich an einzel-
Aeußeren herauszuheben, anderer Seits dem Par- nen Werken – eine Differenz, die vermutlich auf
tikularen der Mannigfaltigkeit, Spaltung und Be- die größere Ausführlichkeit der letzten Vorlesung
wegung des Geistigen wie des Sinnlichen einen zurückgeht, die Hegel ja auch erstmals in einem –
freien Spielraum zu verschaffen.« Ihr »Grund- längeren – Wintersemester gehalten hat (V
typus« ist nicht »die schlechthin vollbrachte In- 2.248–262, W X/3.9–124)
einsbildung des Geistigen und Leiblichen […],
sondern umgekehrt das Hervorscheinen des in
9.7.5.4. Musik
sich konzentrierten Inneren«, der in sich unendli-
chen Subjektivität (W X/3.6 f.). (1) Nach der Malerei ist die Musik die »zweite
(2) Der geschichtlich erste ihrer Themenkreise romantische Kunst« – und sie ist für Hegel zu-
ist deshalb der religiöse – die Darstellung des gleich die »romantische Kunst« par excellence, da
Menschlichen in der Liebe, und zwar in der sie »sich das Subjektive als solches sowohl zum
begierdelosen Mutterliebe, allerdings ebenso im Inhalte als auch zur Form nimmt« (W X/3.127).
Schmerz, der hier einen anderen Charakter hat Sie ist ganz subjektiv; die Innerlichkeit der Musik
als in der Objektivität der antiken Skulptur: »Im ist die »letzte«, »die abstrakteste Innerlichkeit,
romantischen Schmerz ist immer die Rückkehr in die ganz objektlose Objektivität, die ganz sub-
sich, das Selige der Innigkeit«. Diese Darstellun- jektive Objektivität« (V 2.262 f.) – und dies ist
gen lassen sich jedoch nicht auf den religiösen keineswegs eine extravagante Deutung, sondern
Kreis einschränken, zumal dessen Motive ohne- lediglich die Beschreibung der spezifischen Ver-
hin aus dem Kreis des Menschlichen überhaupt fassung von Musik: Anders als eine Skulptur oder
genommen sind. Hegel vermerkt deshalb, daß ein Gemälde, und im strengen Sinne sogar auch
die Kirche das Bedürfnis solcher Bilder hat, »die noch als ein poetisches Werk, hat ein Musikstück
verehrt werden sollen. Aber je höher die Kunst keine »Objektivität«, kein Bestehen für sich; es
steigt, desto mehr werden solche Gegenstände in hat sein Dasein ausschließlich in der individuel-
die Gegenwart herübergehoben. Die Malerei len Rezeption durch ein Subjekt.
macht sie irdisch und gegenwärtig, gibt ihnen die Diese Auflösung des Bezugs von Musik auf
Vollkommenheit weltlichen Daseins«. Die Innig- eine für sich bestehende Äußerlichkeit und die
keit der Seele teilt sich auch anderen Gegen- Verankerung ihrer »Objektivität« ausschließlich
ständen mit – der Landschaft und den Gegen- in »Subjektivität« oder »Innerlichkeit« könnte ei-
ständen des Alltags. Die Kunst geht dabei über ner ›Subjektivierung‹ des Gehalts von Musik in
die Natur hinaus: »Es ist nicht diese strenge dem Sinne Vorschub zu leisten scheinen, als ob
Nachahmung des Wahrgenommenen, sondern Musik eben deshalb auch nur für »Subjektivität«
bei der Individualisierung muß die Kunst höher im Sinne von »Empfindung« vorhanden sei. He-
stehen als die unmittelbare Gegenwart.« gel ist auch fern davon, diese Dimension von
(3) Das Besondere der Malerei sucht Hegel von Musik in Frage zu stellen: Sie wirkt auf das
ihrer Bindung an die Fläche und an die Farbe her Gemüt, die Erregung, die Begeisterung, und
zu verstehen. Hegel sieht die Bildkomposition diese Wirkung kann auch bewußt eingesetzt wer-
der Malerei ursprünglich an der Skulptur orien- den, um Effekte zu erzielen – etwa in der Militär-
tiert; die Fläche erlaube es der Malerei jedoch, musik. Doch warnt Hegel eher davor, diese Seite
ihre Gegenstände freier zu gruppieren als die der Wirkung auf das Gemüt zu überschätzen:
Skulptur – und so versteht Hegel von hier aus die Heute bringen die Trompeten die Mauern von
immanente Entwicklung der Malerei als fort- Jericho nicht mehr zum Einsturz – hierfür bedarf
schreitende Ablösung von der Skulptur. Entschei- es anderer Mittel, und die Gesetze werden auch
dend für den Charakter der Malerei sei jedoch nicht mehr, wie von Orpheus, durch Musik gege-
die Farbe, und mit ihr der Gegensatz des Hell und ben. Doch diese ironischen Zweifel an der Wir-
Dunkel und insbesondere das Kolorit des kung von Musik dementieren keineswegs die
menschlichen Fleisches. – Nach der Nachschrift Bedeutung, die »Subjektivität« für die Musik hat.
des Kollegs 1823 entwickelt Hegel diese Bestim- Denn die »Innerlichkeit«, die Hegel hier so nach-
mungen fast ohne Rekurs auf einzelne Gemälde; drücklich heraushebt, beschränkt sich nicht bloß
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 441

auf Gefühl oder Empfindung. Neben die emotio- langt hat, findet nur der theoretische Kenner
nale Seite tritt die rationale: In der Musik herr- volle Befriedigung« (Olivier, 39). Die Freundes-
sche »ebensosehr die tiefste Innigkeit und Seele, vereinsausgabe entschädigt jedoch reichlich für
als der strengste Verstand, so daß sie zwei Ex- die Defizienzen und Fehlurteile: Vermutlich auf
treme in sich vereinigt, die sich leicht gegenein- der Basis des letzten Kollegs (1828/29) läßt sie
ander verselbstständigen« – und erst beide zu- den breiten Erfahrungshintergrund sichtbar wer-
sammen bezeichnen den Charakter der Musik den – von den damals »modernen« Opern und
umfassend (W X/3.133). Symphonien bis zurück zu Bach und zur alten
(2) Im Kolleg 1823 behandelt Hegel im An- italienischen geistlichen Musik (wobei der Name
schluß an diese »allgemeine Bestimmung des Thibauts nachzutragen ist (s. 40)). Vor allem kor-
Elements des Äußeren und des Inneren« den Ton rigiert sie das Fehlurteil über die Abhängigkeit
als ein Sichvernehmen des inneren Sinns, die der Musik vom Wort. Sie unterscheidet nicht
Negation der Äußerlichkeit des Tons, die unter- allein (wie schon das Kolleg 1826) zwischen »be-
schiedlichen Arten seiner Erzeugung durch die gleitender« und »selbständiger Musik«, sondern
menschliche Stimme bzw. die anderen Instru- sie vermittelt den Eindruck, daß nach Hegels
mente, ferner die Bedeutung der Zeit für die neuer Einsicht die Musik erst in der letzteren, in
Musik, d. h. des Taktes, und schließlich die Har- der Ablösung vom Wort, ganz zu sich gekommen
monie und Melodie: »In der Einheit der Harmo- ist.
nie und der Melodie liegt das Geheimnis der Dem steht zwar noch die irritierende Behaup-
tiefen Komposition, welche die tiefsten Gegen- tung entgegen, »daß die Musik unter allen Kün-
sätze der Harmonie hervorruft und von diesen sten die meiste Möglichkeit in sich schließe, sich
zurückkehrt. – Es ist gleichsam der Kampf der nicht nur von jedem wirklichen Text, sondern
Freiheit und Notwendigkeit, welcher uns sich auch von dem Ausdruck irgend eines bestimmten
hier darstellt.« Dennoch nimmt sich diese Über- Inhalts zu befreien, um sich bloß in einem in sich
lieferung dürftig aus neben dem Kapitel in der abgeschlossenen Verlauf von Zusammenstellun-
Freundesvereinsausgabe – und dies nicht allein gen, Veränderungen, Gegensätzen und Vermitte-
quantitativ. Im Kolleg 1823 bietet das Kapitel über lungen zu befriedigen, welche innerhalb des rein
die Musik keinen Einblick in Hegels Werkkennt- musikalischen Bereichs der Töne fallen. Dann
nis, es schweigt ebenso über die musikalischen bleibt aber die Musik leer, bedeutungslos, und
Gattungen und es endet zudem mit einem kras- ist, da ihr die eine Hauptseite aller Kunst, der
sen Fehlurteil: »wie die Architektur einen Gott geistige Inhalt und Ausdruck abgeht, noch nicht
erfordert, so die Subjektivität der Musik einen eigentlich zur Kunst zu rechnen.« Dies könnte im
Text, Gedanken, Vorstellungen, die als bestimm- Sinne der drei frühen Kollegien verstanden wer-
ter Inhalt nicht in ihr sind.« Erst der geistige den – doch der Text fährt fort: »Erst wenn sich in
Gehalt der redenden Kunst gebe der Musik »Er- dem sinnlichen Element der Töne und ihrer
füllung«. »Die unselbständige Musik ist nur be- mannigfaltigen Figuration Geistiges in angemes-
gleitend. Je selbständiger sie wird, desto mehr sener Weise ausdrückt, erhebt sich auch die Mu-
gehört sie nur dem Verstande an und ist eine sik zur wahren Kunst, gleichgültig, ob dieser
bloße Künstlichkeit, die nur für den Kenner ist Inhalt für sich seine nähere Bezeichnung aus-
und dem Zweck der Kunst ungetreu wird.« (V drücklich durch Worte erhalte, oder unbestimm-
2.270) ter aus den Tönen und deren harmonischen Ver-
(3) Dieses Fehlurteil geht auf Hegels Vortrag hältnissen und melodischen Beseelung müsse
zurück und nicht bloß auf dessen Nachschreiber; empfunden werden.« (W X/3.142 f.) Demnach ist
es findet sich ähnlich auch 1821 und 1826. Auch der geistige Gehalt, der die Musik zur »wahren
aus diesem Kolleg sind über die Instrumental- Kunst« erhebt, nicht an den Rekurs auf die Rede
musik die Sätze überliefert: »Hierüber kann ich gebunden – und an anderer Stelle wird deutlich,
nicht viel sagen. Ich muß es für ein Unglück daß dies nicht bloß eine Möglichkeit bezeichnet,
ansehen, daß die Musik sich so selbständig, ele- sondern daß die eigentliche Bestimmung der
mentarisch konstituiert. Die Hauptsache ist das Musik in dieser Ablösung, in dieser »Befreiung«
Singbare, Melodische. […] Indem die Musik auf vom Wort liege: »Will die Musik aber rein musi-
diese Weise Vollkommenheit, Selbständigkeit er- kalisch sein, so muß sie dieses ihr nicht eigen-
442 II. Werk

tümliche Element aus sich entfernen und sich in rück und »wird so auf seinem eigentümlichen
ihrer nun erst vollständigen Freiheit von der Boden sich gegenständlich« (V 2.271).
Bestimmtheit des Wortes durchgängig lossagen.« Schon durch diese Loslösung nicht allein vom
(W X/3.211) gröberen Stoff, sondern vom sinnlichen Medium
(4) Diese »Befreiung« läßt Hegel bereits bei der überhaupt kommt der Poesie in der Hierarchie
Vokalmusik beginnen, wenn sie sich von der Ge- der Künste der höchste Rang zu. Gleichwohl
bundenheit an das Wort losmacht und im bloßen, bleibt aber auch sie – als Kunst – noch auf Sinn-
von der Stimme erzeugten Ton kulminiert (s. 53). lichkeit bezogen: Der Begriff, den Hegel hier an
Vollends die autonome Instrumentalmusik er- die Stelle von »Sinnlichkeit« setzt, ist der Begriff
borgt den »Geist« nicht mehr vom Wort; in ihr der Vorstellung – und auch »Vorstellung« bleibt
wird die Form selbst Geist. Doch gerade weil stets auf Sinnlichkeit fixiert; sie hält die »Mitte
Hegel diesen Prozeß der Ausbildung der Instru- zwischen Anschauung und Gedanken« (V 2.275).
mentalmusik zur »selbstständigen«, also zur ›ab- Es ist signifikant, daß Hegel somit dieser höch-
soluten Musik‹ als Befreiung der Musik zu ihrer sten der Künste denselben Begriff des subjekti-
innersten Bestimmung beschreibt, bleibt es rät- ven Geistes zuweist wie der auf die Kunst folgen-
selhaft, daß er zwar Mozarts Symphonien er- den Gestalt des »absoluten Geistes«: der Reli-
wähnt, jedoch – zumindest soweit sich gegen- gion. Beide bleiben zwar noch auf Anschauung
wärtig sehen läßt – nirgends Beethoven als Kron- bezogen – aber auf eine Anschauung, die nicht
zeugen dieser Entwicklung anführt – rätselhaft mehr unmittelbar vollzogen wird, sondern ins
trotz der Überlegungen von Carl Dahlhaus (1983) Geistige aufgehoben ist. Diese Ablösung vom
über Hegels »beredtes Schweigen« über Beet- sinnlich Dargestellten macht die Poesie auch zur
hoven und sein gespanntes Verhältnis zu E.T.A. universellen Kunst: Weil sie sich im Medium der
Hoffmanns Beethoven-Deutung (V 2.262–270, W Vorstellung bewegt, kann sie fast den gesamten
X/3.125–219). Reichtum des Geistes erfassen. Verschlossen ist
ihr nur der reine Gedanke, der sich gänzlich vom
Sinnlichen befreit und deshalb nicht poetisch
darstellbar ist. Alles hingegen, was in Raum und
9.7.5.5. Poesie
Zeit gedacht werden kann, ist auch für die Vor-
(1) Die Poesie, die »redende Kunst«, nimmt im stellung.
System der Künste in mehrfacher Hinsicht eine (2) Eben wegen dieses weiten Umfangs des
Sonderstellung ein: Sie ist diejenige Kunst, die Vorstellungsbegriffs ist zu konkretisieren, wann
sich nicht – wie alle anderen – schwerpunkt- und wodurch solche Vorstellungen zum Stoff der
mäßig einer der drei Kunstepochen zuordnen Poesie werden. Hegel grenzt sie deshalb ab gegen
läßt; sie ist zu allen Zeiten und in fast allen das Prosaische überhaupt wie auch insbesondere
Kulturen gleicherweise vertreten. Und vor allem gegen Rhetorik und Historie. Er nennt auch drei
ist sie die einzige Kunst, die sich vollständig vom positive, allerdings recht allgemeine Kriterien:
Medium der unmittelbaren Sinnlichkeit befreit Das poetische Kunstwerk muß ein »organisches
hat, dem auch eine so von äußerlicher Objektivi- Ganzes« sein, es muß auch einen individuellen
tät befreite und auf die »Innerlichkeit« ausge- Zweck haben, und die Teile müssen »als Teile des
richtete Kunst wie die Musik noch angehört. Die Organischen erscheinen«. Spezifischer als diese
Poesie setzt den »Ton« zu einem »bloßen Mittel« an der Naturphilosophie orientierten Kriterien ist
herab, zum Wort, zu einem äußerlichen Zeichen deshalb wiederum das Moment der geistigen
der Vorstellung, das deshalb – in Übersetzungen Produktion: Die Kunst kann zwar den vorgege-
– auch durch ein anderes Zeichen vertreten wer- benen »bunten Inhalt des Geschehens« in die
den kann, ohne seine Bedeutung einzubüßen. Vorstellung aufnehmen – doch sie hat ihn »daraus
Was also als Indiz einer Beschränkung der Poesie zu erschaffen, für die Vorstellung darzustellen,
aufgefaßt werden könnte – ihre Zuordnung zu den Zusammenhang so zu machen, daß der
einer Sprache und die Notwendigkeit von Über- Zweck aus dieser Darstellung hervorgeht.« (V
setzungen in andere Sprachen –, wertet Hegel 2.273) Anders als die Historie hat sie dabei das
umgekehrt als Indiz für ihre Geistigkeit: Der Recht, sich von der Bindung an äußere Gegeben-
Geist zieht sich aus dem sinnlichen Material zu- heiten völlig zu befreien. Und auch wenn der
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 443

»Zweck« in diesen erkennbar wäre, müßte er stellung einer äußerlich entfalteten Welt, son-
doch aus dem Willen des Künstlers neu hervor- dern »das Ganze einer Welt, in welcher eine
gehen und durch ihn seine innere Einheit und individuelle Handlung geschieht« – und deshalb
Gestaltung erhalten. Und die von ihr entworfene, ist sie »in einem besonderen Zustande aufzu-
also absichtsvolle Einheit muß als »absichtslos fassen, der die Handlung notwendig macht.« Es
erscheinen« – anders als die Rhetorik, die ein kann deshalb nicht die Weltgeschichte und als
Ganzes aus verständiger Absicht und äußerlicher deren Held den Menschengeist, den »Humanus«
Zweckmäßigkeit entwirft. Weitere Kriterien des darstellen: »dieser Stoff wäre zu hoch für die
Poetischen sind der spezifische »Ausdruck« – die Kunst«, denn diese »hat individuelle Gestalten zu
Verwendung einer »uneigentlichen« Redeweise, geben« (V 2.287–289). Aber auch diese Eingren-
der Rekurs auf Bildliches, auf Metaphern, und zung des Epos auf die Darstellung des Ganzen in
vor allem die Versifikation durch Rhythmus oder individueller Form ist noch zu formal: Die indi-
durch Reim – zwei Formen, mit deren Verwen- viduellen Handlungen sind durch Kollisionen
dung in unterschiedlichen Sprachen Hegel sich herbeigeführt, und da das Epos auf eine objek-
detailliert auseinandersetzt. tive Totalität abzielt, sind sie Kollisionen von
Diese allgemeinen Passagen sind in der Nach- Völkern, also ein »Kriegszustand«, und zwar
schrift des Kollegs 1823 sehr knapp gehalten; sie kein »einheimischer« und auch kein »zufälliger«,
haben eher einleitenden Charakter. In den Wer- sondern eine »substantielle«, für die Entwicklung
ken sind sie breit ausgeführt – wie ja insgesamt der Sittlichkeit konstitutive Kollision. Hieran
die Darstellung der Poesie in den Werken etwa schließt sich die weitere Forderung, »daß die Zeit
das Neunfache des Umfangs der Nachschrift des Geschehens die heroische Zeit sein muß, wo
mißt. In den Werken nehmen diese allgemeinen das sittliche Leben, die Verhältnisse sich ent-
Erörterungen die beiden ersten Hauptteile der wickelt haben und gewollt werden«. Das epische
Darstellung der Poesie ein, während das Thema Gedicht fällt »in die erste Zeit eines Volks, das
des Hauptteils der Nachschrift – die Abhandlung aus der Dumpfheit erwacht, so daß eben als Sinn,
der poetischen Gattungen – in den Werken zu als Sitte hervorgeht, was später Gesetz wird.«
einem bloß dritten Teil herabgesetzt und wie- (V 2.291–293)
derum mit großer Ausführlichkeit und Diskus- Diesen Begriff des Epos gewinnt Hegel fraglos
sion zahlreicher einzelner Beispiele behandelt an den Epen Homers, doch lassen sich ebenso die
ist. großen indischen Epen unter ihn stellen. Aller-
(3) Die Gattungstrias der epischen, lyrischen dings nötigt die Restriktion des Epos auf die
und dramatischen Poesie leitet Hegel aus dem Heroenzeit Hegel dazu, »zwischen ursprüngli-
Begriff des jeweiligen Inhalts ab. Ist der Stoff chen Epopöen und später gemachten zu unter-
»eine äußerlich entfaltete Welt, […] wo die Sache scheiden«, bei denen »die Weise der Vorstellung
frei für sich fortgeht, sich in ihrer Objektivität einer anderen Zeit angehört als der Inhalt«, mit
entwickelt und der Dichter zurücktritt«, so wird dem es dann auch gar nicht Ernst ist – in Vergils
er im Epos gestaltet; ist er hingegen »subjektive Aeneis, aber ebenso in Klopstocks Messias. »Die
Stimmung, Erfüllung des Subjekts, das den In- moderne Zeit« kann kein Epos haben, denn ihr
halt in sich hat und ihn ausdrückt«, ist die Gestal- liegt solche ursprüngliche Ausbildung sittlicher
tung lyrisch. Die dramatische Poesie versteht He- Verhältnisse fern; in ihr sind alle Lebensver-
gel als »Vereinigung« der beiden erstgenannten hältnisse fest, prosaisch geworden. So ordnet
Formen, die ja auch als solche ins Drama hinein- Hegel zwar nicht die Poesie überhaupt, wohl aber
spielen können; er hebt aber die positive Bestim- die poetischen Gattungen bestimmten Ge-
mung dieser Gattung unter Hinweis auf die grie- schichtsepochen zu – am deutlichsten das Epos,
chische Wortbedeutung noch eigens heraus: »Der nach den Werken aber auch die Lyrik (V
Inhalt endlich des Dramas ist ein objektiver, gei- 2.284–297, W X/3.326–418).
stige konkrete Objektivität, das Handeln.« (V (5) Gegenüber der »Objektivität des Gegen-
2.282–284) standes« im Epos hebt Hegel die Lyrik als dieje-
(4) Bei der näheren Bestimmung des epischen nige Form der Poesie heraus, die der »Subjektivi-
Inhalts konkretisiert Hegel die eben genannte tät« – und zwar als »Innerlichkeit«, noch nicht als
Aussage: Das Epos ist nicht einfach die Dar- »Handlung« – ihr Recht widerfahren läßt: Der
444 II. Werk

Geist steigt »in sich selber nieder, schaut in das vorstellt.« Das Drama ist Darstellung von etwas
eigene Bewußtsein und gibt dem Bedürfnisse Objektivem – wie das Epos –, doch dieses Ob-
Befriedigung, statt der äußeren Realität der Sa- jektive ist hier selbst die Subjektivität in ihren
che die Gegenwart und Wirklichkeit derselben Handlungen; es ist »Darstellung gegenwärtiger
im s u b j e k t i v e n Gemüt, in der Erfahrung des menschlicher Handlungen und Verhältnisse für
Herzens und Reflexion der Vorstellung und damit das vorstellende Bewußtsein«. Die Subjektivität
den Gehalt und die Tätigkeit des innerlichen wird hier also nicht nach der Seite der bloßen
Lebens selber darstellig zu machen.« Die Lyrik »Innerlichkeit« thematisch, sondern als han-
entspringt dem »Bedürfnis, s i c h auszusprechen delnde, und zwar als in »kollidierenden Um-
und das Gemüt in der Äußerung seiner selbst zu ständen« handelnde: »Das eigentlich D r a m a t i -
vernehmen.« Hegel spricht hier auch überra- s c h e endlich ist das Aussprechen der Individuen
schend viel vom »Herzen«, das, nach seiner in dem Kampf ihrer Interessen und dem Zwie-
»ebenso stummen als vorstellungslosen Konzen- spalt ihrer Charaktere und Leidenschaften.«
tration«, »sich zum Aussprechen seiner selber Diese Kollision der auf einander prallenden Cha-
aufschließt und deshalb das vorher nur Emp- raktere und Zwecke stiftet zugleich die »Einheit
fundene in Form selbstbewußter Anschauungen der Handlung« – und nur diese erkennt Hegel als
und Vorstellungen faßt und äußert.« konstitutiv für das Drama an, nicht die traditio-
Auch die folgenden Bestimmungen des Lyri- nell ebenfalls aufgeführten Einheiten des Ortes
schen entfaltet Hegel im Kontrast vor allem zum und der Zeit. Von diesem Kern, von der Dar-
Epischen. Er bespricht zwar auch unterschied- stellung der Handlung als Handlung her, organi-
liche Formen des Lyrischen – Epigramm, Ro- siert sich das Drama; es muß sowohl die Weitläu-
manze, Ballade, Gelegenheitsgedichte, Oden, figkeit des Epischen wie »die Expektoration des
Volkslieder – oder die »größte Mannigfaltigkeit« eigenen Herzens« vermeiden und alles dem ei-
der für die Lyrik geeigneten Metra – aber auch nen Gehalt, der Handlung, unterordnen. Die
diese sieht er wiederum als Folge des subjektiven »Handlung« ist aber keineswegs etwas Abstrak-
Ursprungs der Lyrik. Da »die innere Subjektivität tes, sondern ihr »Material« ist »der ganze
der eigentliche Quell der Lyrik« sei, so sei sie Mensch, der nicht nur Empfindungen, Vorstel-
zwar nicht geeignet zur »poetischen Bibel« eines lungen und Gedanken äußert, sondern, in eine
Volkes, wie die großen Epen; andererseits gehöre konkrete Handlung verflochten, seinem totalen
sie nicht bloß einer »heroischen« Ursprungszeit Dasein nach auf die Vorstellungen, Vorsätze, das
an, sondern allen Phasen der Entwicklung eines Thun und Benehmen anderer wirkt und ähnliche
Volkes. Wegen dieses Rückbezugs auf das ein- Rückwirkungen erfährt oder sich dagegen be-
zelne Subjekt machte »die Besonderheit der Zeit hauptet.«
und Nationalität sowie die Einzelheit des sub- Das Dramatische wäre jedoch unterbestimmt,
jektiven Genius das Bestimmende für den Inhalt wenn es bloß als »Kollision« handelnder Indivi-
und die Form der Kunstwerke« aus. Hieraus be- duen überhaupt in ihren kleinlichen Interessen
greift Hegel nicht allein die Gliederung in die oder auch in ihrem bösen Willen gefaßt würde.
geschichtlichen Formen – in die »orientalische«, Sein Gegenstand ist die Kollision in sich berech-
klassische und »romantische Lyrik« –, sondern tigter sittlicher Mächte – und damit verankert
auch ihre Dominanz in der »romantischen« Epo- Hegel auch das Drama, wie bereits das Epos,
che: Wenn »sich das gesamte Leben dieser Na- letztlich in einem »heroischen Weltzustand«, ge-
tionen aus dem Prinzip der Subjektivität ent- genüber der geschichtsindifferenten bzw. tenden-
wickelt«, gewinnt die Lyrik »überwiegende ziell eher »modernen« Lyrik. Dieser Geschichts-
Wichtigkeit« – obgleich doch nicht sie, sondern bezug gilt auch für die Komödie, in der zwar die
das Drama »die höchste Stufe der Poesie und der »Subjektivität« überwiege – aber ebenfalls nicht
Kunst überhaupt« bildet (W X/3.419–478). die »moderne« Subjektivität. Denn auch für die
(6) Diesen Rang erkennt Hegel der »dramati- Komödie liefert Aristophanes das Maß – was
schen Poesie« zu, weil sie »die Objektivität des Hegel in den drastischen Ausdruck faßt: »Ohne
Epos mit dem subjektiven Prinzip des Lyrik in ihn gelesen zu haben, kann man nicht wissen, wie
sich vereinigt, indem sie eine in sich abgeschlos- den Menschen sauwohl sein kann.« (V 2.310) Die
sene Handlung […] in unmittelbarer Gegenwart Tragödie hat ohnehin »das ewig Substantielle«
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 445

zum Gegenstand, den Konflikt der »substantiel- behauptet. Damit aber gerät sie teils – willentlich
len Interessen«, und als ein solcher »substan- oder nicht – in »Unrecht und Verbrechen«, wie im
tieller« Konflikt erfordert er auf der Seite der Macbeth; teils ist sie, wie in Romeo und Julia,
handelnden Personen Schuld und Unschuld zu- »der Hinfälligkeit des Irdischen« und dem
gleich. »In den alten Figuren ist es die Ehre der »Schicksal der Endlichkeit« unterworfen, so daß
Charaktere, schuldig zu sein. […] Einem solchen also eine Verkettung zufälliger Umstände einen
Heros könnte man nichts Schlimmeres nachsa- unglücklichen Ausgang bewirkt, der als solcher
gen, als daß er unschuldig gelebt habe.« (V 2.305) nicht eigentlich tragisch zu nennen ist und des-
Nur aus der berechtigten und durch Kollision halb »eine nur schmerzliche Versöhnung, eine
schuldvollen Tat entsteht »wahrhaft tragisches u n g l ü c k s e l i g e S e l i g k e i t im Unglück« ge-
Leiden«. währt. Doch insofern die moderne Tragödie we-
Ziel der Tragödie ist jedoch nicht die Dar- gen ihres »Prinzips der Subjektivität« den höch-
stellung solchen Leidens, aber – hier einmal sten Punkt des Tragischen nicht mehr erreichen
gegen Aristoteles – auch nicht die Erzeugung von kann, vereinigt sich ihre Tendenz mit derjenigen
Furcht und Mitleid oder eine »Reinigung«, son- der Komödie – mit der Tendenz »zur Auflösung
dern die »Versöhnung« durch den Anblick der der Kunst überhaupt« (W X/3.479–581, V
»ewigen Gerechtigkeit«. Von dieser tragischen 2.298–312).
Versöhnung unterscheidet Hegel »die epische Ge-
rechtigkeit im Felde des Geschehens, die all-
9.7.6. Das Ende der Kunst
gemeine Versöhnung bloßer Ausgleichung. Die
höhere tragische Aussöhnung hingegen bezieht (1) Hegels Rede von der »Auflösung der Kunst
sich auf das Hervorgehen der bestimmten sittli- überhaupt« läßt zunächst nicht erkennen, daß es
chen Substantialitäten aus ihrem Gegensatze zu sich für ihn bei diesem Vorgang nicht um eine
ihrer wahrhaften Harmonie«. Erzeugt wird diese spezifisch »moderne« und zudem auf das Gebiet
Harmonie und Befriedigung des Geistes durch der Poesie begrenzte Tendenz handelt. Sie bildet
die Aufhebung der einseitigen Ansprüche des jedoch nur einen Aspekt der provokanten und
Sittlichen – und dieses Resultat sieht Hegel ins- deshalb auch vieldiskutierten, aber auch so kla-
besondere in der Antigone des Sophokles, die er ren und doch seit den verständnislosen Äußerun-
deshalb zum »vollendetsten Kunstwerk« erklärt. gen Felix Mendelssohn-Bartholdys (HBZ
Von dieser Form der Versöhnung unterscheidet er 430,432) immer wieder mißverstandenen These
noch die »innerliche Aussöhnung«, etwa im Ödi- Hegels vom »Ende der Kunst«. Schon zu seiner
pus auf Kolonos. Doch trotz der Wortwahl sieht Zeit hat es Anlaß zum Spott geboten, daß der
er entgegen anderen Interpreten auch hier eine Philosoph in seinen Vorlesungen das Ende der
Distanz zum »christlichen Ton«. Denn auch hier Kunst verkündete, um dann über die Straße in die
gehe es nicht um das christliche Baden »im Quell Oper oder ins Theater zu eilen (s. 51 f.). Und
des ewigen Heils«, um die »Verklärung der doch folgt dieser Gedanke unausweichlich aus
Seele«, die »das Herz selbst […] zum Grabe des seiner Konzeption der Ästhetik im Rahmen einer
Herzens macht, sondern um die »Einheit und Philosophie des Geistes.
Harmonie dieses s i t t l i c h e n Gehaltes selber.« Er läßt sich bis in Hegels Jenaer Vorlesung
Diese Hochschätzung der antiken Tragödie Über Naturrecht zurückverfolgen (s. 155 f.). In
macht es Hegel nicht leicht, ein affirmatives Ver- dieser frühen Form begründet Hegel das Ende
hältnis zu »modernen Tragödie« – von Shake- der Kunst allerdings durch eine mythische Kon-
speare bis Goethe – zu entwickeln. Sie ist ja durch struktion, mit dem Zerbrechen der ursprüngli-
»das Prinzip der Subjektivität« bestimmt, durch chen Einheit von Natur und Geist – doch diese
»die subjektive Innerlichkeit des Charakters«, Konstruktion verabschiedet er noch in der Mitte
und insofern scheinbar durch ein den antiken der Jenaer Jahre. Der veränderte systematische
»sittlichen Mächten« entgegengesetztes Prinzip. Rahmen der Vorlesungen über die Ästhetik er-
Hegel sucht diese »Kollision« zu lösen, indem er fordert eine Verlagerung in der Begründung für
die Subjektivität selber zu einer gleichsam sub- das Ende der Kunst. Angesichts der neu gewon-
stantiellen Macht erklärt und ihr ein »Recht« auf nenen Einsicht in die historische Flexibilität der
Befriedigung vindiziert, das sie gegen andere Kunstformen muß sich die These vom Ende der
446 II. Werk

Kunst auf das Invariable, aller Kunst Eigene und die These vom Ende der Kunst somit nicht grün-
ihr als Kunst nicht Überschreitbare stützen. den, wenn man Argumente dafür zu haben
Über solche Gründe verfügt Hegel bereits im glaubt, der schönen Kunst Griechenlands einen
Systementwurf III, in der »Geistesphilosophie« Vollendungscharakter zuzuerkennen.
von 1805/06: Sie liegen in der Einzelheit des Die Unzureichendheit der Kunst erhellt eigent-
produzierenden Selbsts und der Selbstlosigkeit lich erst aus der Verbindung der Einsicht in die
des Genusses sowie in der Einzelheit des Kunst- Strukturdefizienz mit der Einsicht in ihre Unan-
werks. Die spätere »Philosophie des absoluten gemessenheit – aus der Kontrastierung der so
Geistes« nimmt diese Begründung auf. Schon der beschriebenen Verfassung der Kunst und dessen,
erste der Kunst gewidmete Paragraph der Enzy- was doch ihre Aufgabe ist: die konkrete Anschau-
klopädie thematisiert die Unangemessenheit der ung des an sich absoluten Geistes. Dieses zweite
strukturellen Eigentümlichkeit von Kunst zu ih- Moment ist geschichtlich variabel. Deshalb kann
rer höchsten Aufgabe. Hegel spricht hier von es eine Epoche geben, in der zwar die strukturelle
einem »Zerfallen in ein Werk von äußerlichem Unzulänglichkeit der Kunst ebenso gilt wie in
gemeinen Daseyn, in das dasselbe producirende jeder anderen Epoche auch, während gerade we-
und in das anschauende und verehrende Subject, gen des Moments der Natürlichkeit, das im
andererseits ist sie die concrete A n s c h a u u n g Strukturmangel gründet, die Unangemessenheit
und Vorstellung des a n s i c h absoluten Geistes von Form und Inhalt nicht eintritt, so daß beide
als des I d e a l s« (3§ 556). Wenn darin, wie das sich zu einer höchsten, nicht mehr überbietbaren
Wort »Zerfallen« andeutet, ein Mangel gesehen Gestalt der Kunst zusammenschließen.
werden soll, so ist dieser nicht schon dadurch zu Diese Übereinstimmung der Strukturbedin-
beheben, daß auf die Reflektiertheit der moder- gungen und des Inhalts der Kunst ist selbst an
nen Kunst verwiesen wird. Solche Reflektiertheit eine spezifische Stufe der Geschichte des Geistes
wäre auf Grund von Hegels Kritik allenfalls zu gebunden, sofern die Ausbildung des Inhalts ei-
fassen als Surrogat einer strukturbedingten und nem irreversiblen Geschichtsprozeß folgt. Schön-
deshalb unabänderlichen Defizienz. Auch das heit im nicht bloß formellen Sinne ist nur mög-
Auseinanderfallen von Produzierendem und Pro- lich in der griechischen Welt, weil dort der darge-
duziertem ist nicht hintergehbar. Es muß aller- stellte Inhalt, das Geistige, das Göttliche, selbst
dings eigens begründet werden, warum in dieser noch mit Natürlichkeit behaftet ist. Die »Verklä-
Dreiteilung der Ausdruck oder Grund eines Man- rung« der unmittelbaren Natürlichkeit zum
gels der Kunst liegen solle, und nicht entweder » Z e i c h e n der Idee« und zur »Gestalt der
etwas Neutrales oder gar ein Vorzug. Die Mangel- S c h ö n h e i t« (3§ 556) ist nur möglich in der
haftigkeit sieht Hegel darin, daß mit dem Zer- griechischen Welt, weil dort der Gegenstand des
fallen in drei unterschiedene Faktoren die Un- Geistes, das Göttliche, selbst noch mit Natür-
mittelbarkeit und damit Beliebigkeit der Kunst lichkeit behaftet ist. Die Harmonie von Struk-
eintritt: die Unmittelbarkeit des Inhalts, des Ma- turdefizienz und Natürlichkeit des Gottesgedan-
terials und des Produzierenden – seine natur- kens bildet somit zwar die geschichtliche Voraus-
gegebene Genialität und freie Willkür zugleich. setzung der vollendeten Schönheit der Darstel-
Auf Grund dieses Eintretens der Unmittelbarkeit lung des Göttlichen in Menschengestalt; zugleich
und Natürlichkeit wird die Vollendung der Kunst aber ist sie der Indikator einer noch unange-
in der Schönheit, der Übereinstimmung von messenen Weise seiner Erfassung: Der schöne
Form und Inhalt, zum historischen Sonderfall. menschengestaltige Gott der griechischen Kunst
(2) Dieser Einwand trifft die Kunst als Form bleibt ein vom Künstler aus natürlichem Material
überhaupt, also auch die griechische. Gerade des- gemachter.
halb ist er aber für sich allein nicht geeignet, das Die Bedingung der Möglichkeit von vollen-
Ende der Kunst zu begründen. Denn trotz des deter Schönheit im wahren Sinne der absoluten
aufgewiesenen Mangels aller Kunst war doch die Kunst ist ein geschichtlicher Standpunkt, auf dem
griechische Kunst – daran hält Hegel stets fest – der Gottesbegriff zwar so weit entwickelt ist, daß
geeignet, das höchste Bedürfnis des Geistes zu er bereits über das bloß Natürliche hinausgeht
erfüllen. Auf die bloße Feststellung einer unabän- und Gott als freier Geist gewußt wird, aber noch
derlichen Strukturdefizienz der Kunst läßt sich nicht so weit, daß er sich vollständig von der
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 447

Natürlichkeit gelöst hätte und sie sein schlecht- Gleichwohl ist es richtig, daß Hegel den Künst-
hin Negatives wäre. Auf Grund dieses Arguments ler, der die menschengestaltige Statue des Gottes
kann auch die Funktion der Schönheit für das schafft, als Phidias christianus denkt. Die Be-
Ende der Kunst gegenüber der Jenaer Begrün- gründung hierfür liegt aber nicht darin, daß hier
dung neu bestimmt werden. Wenn die Unmög- in einer dunklen Vorahnung ein späteres ge-
lichkeit einer schönen Kunst in der nachklassi- schichtliches Ereignis vorweggenommen wird,
schen Welt mit dem Zerbrechen der unmittel- sondern daß die gesamte Entwicklung der Kunst-
baren Harmonie der griechischen Welt begründet und Religionsgeschichte nichts anderes als eben
wird, wie in Jena, bleibt sie ein unauslöschlicher die Entwicklung des Selbstbewußtseins zum In-
Makel aller späteren Kunst, der zudem zur Re- halt hat, die in der Religion in Form des Ge-
stitution der Lebensverhältnisse tendiert, in de- dankens der Menschwerdung Gottes vorgestellt
nen solche Schönheit möglich war. Beseitigt wer- wird – auch über das Christentum hinaus. Aller-
den diese Gefahr und jener Makel erst durch die dings ist die Menschwerdung Gottes in der grie-
Einsicht, daß die Schönheit der Statue des Gottes chischen Kunst noch nicht gelungen, und sie
selbst nur die Frucht eines unvollkommenen ge- kann in der Kunst auch nicht gelingen. Hierfür
schichtlichen Standes in der Ausbildung des lassen sich im wesentlichen zwei Gründe ange-
Selbstbewußtseins des Geistes – und damit des ben, deren Verhältnis auch für das Verständnis
Gottesbegriffs – ist. Der Vorzug einer »symboli- der Menschwerdung Gottes im Christentum ent-
schen« Darstellung des Göttlichen, mit dem scheidend ist. Die Menschwerdung Gottes ist
Schelling die Überlegenheit der Antike begrün- noch nicht gelungen, weil Gott noch nicht »das
det hatte, ist deshalb nichts Vorbildhaftes, son- wirklich Andere« ist (Theunissen 1970, 192 f.);
dern selber Ausdruck ihrer Unvollkommenheit. aber es ist ebenso richtig zu sagen, sie sei deshalb
(3) Für Hegel ist die im klassischen Ideal ver- nicht gelungen, weil Gott hier noch zu sehr das
wirklichte Schönheit kein Letztes; sie wird ge- Andere und noch nicht dasselbe sei. Die Mensch-
schichtlich und in der künstlerischen Darstellung werdung Gottes in der Statue scheitert, weil diese
verdrängt durch die Erfassung der geistigen ein vom Künstler Gemachtes und damit zugleich
Schönheit der in sich vertieften Subjektivität. In ein Unmittelbares, Natürliches, insofern also
Anbetracht der zeitunabhängigen Strukturdefi- nicht ein wirklich Anderes ist. Der Gedanke der
zienz der Kunst fällt der Maßstab für ihr Ende in Andersheit bringt in den Gedanken der Mensch-
die geschichtliche Entwicklung des in ihr darge- werdung eine ähnliche Zuspitzung wie die Forde-
stellten Inhalts. Dieser Inhalt ist ja kein unge- rung nach Persönlichkeit in die Trinitätslehre,
schichtliches Absolutes, sondern das Selbstbe- jedoch ist die Andersheit nicht Selbstzweck. Der
wußtsein des Geistes, in religiöser Form die menschgewordene Gott muß ein wirklich An-
Menschwerdung Gottes, als die schon die Diffe- deres sein als das einzelne Selbstbewußtsein, da
renz-Schrift die Selbstkonstruktion des Absolu- er nur als ein solches Anderes dasselbe sein kann
ten bezeichnet (GW 4.75). Das Subjektwerden wie das Selbstbewußtsein. Der griechische Gott
der Substanz ist in der griechischen Kunst zwar ist nicht das Andere, weil er nicht dasselbe ist:
sehr viel besser gelungen als in den vorchristli- selbstbewußte Geistigkeit. Allein von dieser
chen Religionen – daher auch der enge Zusam- glänzend gelungenen Dialektik Hegels her läßt
menhang, den Hegel zwischen beiden herstellt. sich das Mißlingen der Versöhnung in der grie-
Das Verständnis dieses Zusammenhangs gleitet chischen Kunst so kritisieren, daß nicht zugleich
aber ins Erbauliche ab, wenn man dem griechi- ein Verständnis des Christlichen verstellt wird.
schen Künstler eine Vorahnung des spezifisch An den griechischen Göttern ist nicht das Men-
Christlichen zuschreibt. Ein solches Antizipati- schenähnliche zu kritisieren – daß sie ein Spie-
onsmodell unterstellt ein äußerliches Verhältnis. gelbild des menschlichen Geistes seien –, son-
Es kann nicht erklären, wer warum antizipiert, dern daß dieser Spiegel das Bild des mensch-
und dies wäre doch erforderlich, wenn das Mo- lichen Geistes nur verzerrt wiedergebe, weil Gott
dell nicht nur geistreich sein oder nicht nur Asso- noch nicht als ein Selbstbewußtsein vorgestellt
ziationen an die christliche Eschatologie wecken werde. Hegels Einwand gegen das Bild, das
soll, wo es allerdings, streng genommen, eben- Schillers Gedicht Die Götter Griechenlands ent-
falls verfehlt ist. wirft, ist deshalb auch nicht, daß diese Götter zu
448 II. Werk

menschlich seien und man in ihnen statt des weil sie noch nicht zu dieser Erkenntnis der
Beisichseins im Anderen nur, kierkegaardisch, substantiellen Einheit des göttlichen und des
eine solipsistische Freiheit des ästhetischen menschlichen Geistes gekommen seien, die erst
Selbstgenusses habe. Für Hegel ist ihr Mangel das Sichwissen des göttlichen Geistes im Men-
vielmehr, daß sie noch nicht menschlich genug, schen ermöglicht. Dahin tendiert alle vorchrist-
noch nicht Selbstbewußtsein seien. Daher auch liche Religion und Kunst, aber darin liegt auch
der Zug der Trauer in der griechischen Welt: ihre Unvollkommenheit, daß sie diese Einheit
nicht aus einem geheimen Wissen um die bloß nicht erreicht. Die Projektion der geistigen Sub-
narzistische Selbstbegegnung im Göttlichen, son- stanz in der griechischen Statue des Gottes als
dern aus der Einsicht, daß so noch keine Selbst- eine solche bloß des Menschen abzuwerten, heißt
begegnung erfolgen kann. Nichts liegt Hegel des- deshalb für Hegel nichts anderes, als hinter den
halb ferner, als bloß ironisch vom Beisichsein des im Christentum erreichten Stand der Erkenntnis
Menschen in den homerischen Göttern zu spre- zurückzufallen – und sei es auch im mißverstan-
chen. Dieses Beisichsein bildet die Grundlage für denen Interesse der christlichen Religion selbst.
den Charakter der Heimatlichkeit, den die grie- Wenn dieser zentrale Punkt nicht adäquat gefaßt
chische Welt für den Geist hat, der aus dem wird, so scheitert das Verständnis nicht nur des
Orient kommend sich in sich selbst wendet. Ge- Zusammenhangs von griechischer Kunst und
gen dieses Beisichsein wäre nur dann etwas ein- christlicher Religion, sondern das Gesamtver-
zuwenden, wenn die Projektion, die es ermög- ständnis des Systems, das ja in der Philosophie
licht, etwas prinzipiell Illegitimes wäre. des absoluten Geistes kulminiert. Denn »abso-
Die Projektion muß zwar kritisiert werden, luter Geist« ist nur noch ein leeres Wort, wenn
sofern sie hier in einer Weise erfolgt, die die man Hegel einen Dualismus von Geistsubstanzen
Rückholung des Projizierten nicht wirklich er- unterstellt.
laubt. Denn in der Projektion der geistigen Sub- (4) Die Welt der schönen Kunst ist aber un-
stanz des Menschen ist die Identität verlorenge- widerruflich überwunden, wenn das Göttliche
gangen. Das Göttliche erscheint in beliebig man- nicht nur in der menschengestaltigen Statue an-
nigfaltigen individuellen Gestalten, an denen die geschaut verehrt wird, der doch das eigentlich
Göttlichkeit zur Abstraktion wird. Man kann aber Menschliche fehlt: das Selbstbewußtsein. Dieses
gegen sie nicht einwenden, daß sie erst Projek- ist der Kunst prinzipiell nicht herstellbar, und
tion der geistigen Substanz d e s M e n s c h e n sei darin liegt der Grund ihres Scheiterns: Insofern
– als ob es eine andere gäbe. So hätte man ja zwei kann sie nicht das höchste Interesse des Men-
geistige Substanzen, eine göttliche und eine schen erfüllen, wenn erst ein anderes Selbst-
menschliche. Daß dies ein Ungedanke sei, sucht bewußtsein des Geistes hervorgegangen ist.
Hegels Philosophie von Anfang an nachzuweisen. Dann ist das Kunstwerk als solches nicht mehr
Wenn sie auch nur Eines klargestellt hätte, so Kultgegenstand. Der »weiterblickende Geist«
dies: daß der göttliche Geist kein anderer sei als wendet sich von der durch die Kunst gestalteten
der menschliche, sofern dieser in seiner Wahr- Objektivität »in sein Inneres zurück und stößt sie
heit, in seiner »Substanz« aufgefaßt werde. Seit von sich fort (W X/1.135). Die christliche Reli-
den frühen Schriften sucht Hegel dieses Eine gion erreicht eine Stufe des Sichwissens des Gei-
unaufhörlich einzuschärfen. In dem erst ansatz- stes, die sich nicht mehr in eine Harmonie mit
weise formulierten Religionskapitel des System- dem Natürlichen einbinden läßt. Die äußere Ge-
entwurfs III heißt es: » d i e g ö t t l i c h e N a t u r stalt kann nicht länger als Göttliches angeschaut
i s t n i c h t eine a n d r e a l s d i e m e n s c h l i c h e« werden, wenn das eigentlich Menschliche, das
– sofern diese nämlich wahrhaft, in ihrer Sub- Selbstbewußtsein, als Göttliches anerkannt ist.
stanz gefaßt wird (GW 8.280). Und nicht anders Deshalb kann dieses Sichwissen des Geistes
im späten Manuskript zu den religionsphiloso- seine vollendete Gestalt nicht mehr in der Kunst
phischen Vorlesungen: Es sei die Idee des Gei- finden.
stes, » d i e E i n h e i t d e r g ö t t l i c h e n u n d Wenn man in der christlichen Epoche die Knie
m e n s c h l i c h e n N a t u r zu sein«, und diese nicht mehr vor den Statuen Apolls und Jupiters
Einheit sei eben der absolute Geist (V 5.6). Alle beugt, so nicht allein deshalb nicht, weil die
anderen Religionen werden deshalb abgewertet, dargestellten Götter einer vergangenen Religion
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 449

angehören, sondern weil sich mit der neuen Reli- die formelle Schönheit findet hier keinen Platz.
gion auch der Begriff des Geistes und damit Eine formelle dissonanzlose Schönheit verfehlte
zugleich das Verhältnis von Kunst und Religion den Begriff der christlichen Versöhnung und da-
durchgreifend gewandelt hat. Während in der mit zugleich den Begriff der romantischen Kunst.
schönen Welt der griechischen Göttergestalten Im Lichte dieser Aufgabenstellung der christli-
die Wahrheit nicht ablösbar von der Präsenz im chen Kunst kann das Nachahmungspostulat des
Kunstwerk ist, so ist sie in der christlichen Welt zeitgenössischen Klassizismus für Hegel nur als
auch unabhängig vom Kunstwerk im Bewußtsein fundamentales Mißverständnis der grundlegen-
vorhanden – und lange genug nicht allein unter den und unaufhebbaren Differenzen zwischen
Absehen, sondern sogar im Gegensatz zu ihrer der christlichen Kunst und der des klassischen
künstlerischen Darstellung. Die Wahrheit ist Griechenland beschrieben werden.
durch die Religion vorgegeben, und ihre künst- (6) Nach dem weltgeschichtlichen Auftreten
lerische Gestaltung bleibt demgegenüber etwas der christlichen Religion kann die Kunst nicht
Nachträgliches. Die äußere, natürliche Gestalt mehr das höchste Interesse des Geistes ausma-
des Menschen kann nicht länger als Göttliches chen. Sie bleibt etwas Sekundäres – nicht etwa,
angeschaut werden, wenn das eigentlich weil ihr der »absolute Inhalt« vorgegeben wäre;
Menschliche, das Selbstbewußtsein, als Göttli- dies ist er der symbolischen und klassischen
ches gewußt ist. Kunst ebenfalls, auch wenn er dort nicht im
Gott ist so gewußt als dasselbe, was der gleichen Sinne dogmatisch normiert ist wie im
Mensch auch ist. Zur Herstellung dieser Identität Christentum. Entscheidend ist jedoch, daß der
ist es unverzichtbar, daß der Gott nicht ein Ge- »absolute Inhalt«, der als Wahrheit gewußt wird,
machtes, sondern ein »wirklich Anderes« ist. der künstlerischen Darstellung nicht mehr in der
Doch die wahre Form der Andersheit Gottes liegt Weise zugänglich ist, die die Vollendung der
eben darin, daß er dasselbe ist. Sofern man der Kunst erlaubt. Nichts anderes besagt die These
Kunst einen absoluten Inhalt zubilligt – und nur vom Ende der Kunst. Daß es eigentlich die Reli-
unter dieser geistesphilosophischen Vorausset- gion ist, die der Kunst in der christlichen Welt
zung ist Hegels Theorem des Zusammenhangs eine sekundäre Rolle zuweist, ist nicht unbekannt
von Kunst und Religion entworfen –, so läßt sich und schon historisch unbestreitbar. Das Gewicht
auch die Folgerung nicht umgehen, daß dieser der Position Hegels wird aber nur dann ange-
Inhalt in der Religion eine besser angemessene messen erfaßt, wenn die Ausschließlichkeit der
Darstellung gefunden habe, und dies nicht zufäl- religionsphilosophischen Begründung akzeptiert
lig, sondern weil der Geist sich in der Geschichte wird. Hegels These vom Ende der Kunst ist aus-
seines Selbstbewußtseins auf eine Stufe erhebt, schließlich im Kontext ihres Verhältnisses zur
die der Kunst teils nicht mehr in der Harmonie Religion zu erörtern; sie ist keine kunst-, sondern
mit der Natürlichkeit darstellbar und teils prinzi- eine religionsphilosophische These. Deshalb ist
piell unerreichbar bleibt. es auch kein Selbstwiderspruch, wenn Hegel
(5) Aus der gedoppelten Aufgabe der Vergegen- trotz der Rede vom Ende der Kunst ebensosehr
wärtigung des Inhalts, der als ein äußerliches einräumt, man könne »wohl hoffen, daß die
Geschehen vorgestellt wird, und der Darstellung Kunst immer mehr steigen und sich vollenden
der Vertiefung des Geistes in sich folgt mit Not- werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste
wendigkeit die Darstellung des Nicht-Idealen, ja Bedürfniß des Geistes zu seyn. Mögen wir die
des Unschönen, Verzerrten. Die Schärfe und Dis- griechischen Götterbilder noch so vortrefflich
sonanzen etwa der Leidensgeschichte Christi er- finden, und Gott Vater, Christus, Maria noch so
zwingen in der Malerei die Darstellung auch des würdig und vollendet dargestellt sehen, es hilft
Häßlichen, wie sie andererseits im Crucifixus der nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr.«
Kirchenmusik die Einführung der Dissonanzen (W X/1.135)
erzwingen, ohne die, allerdings auch ohne deren Alle anderen und gerade auch die ›aktueller‹
schließliche Auflösung, die vorgestellte Entzwei- erscheinenden Begründungen wären für Hegel
ung und Versöhnung nicht zum Ausdruck kämen. teils abwegig, teils sekundär. Die Partialität der
Nicht nur die Schönheit im vollen Sinn als Über- Kunst in der Reflexionskultur der modernen
einstimmung von schöner Form und Inhalt – auch Welt, oder gar die politisch-ökonomischen Ver-
450 II. Werk

hältnisse, die die Kunst angeblich in die Nischen Berlin 1970, 148–215; Henrich: Zur Aktualität von He-
und Freiräume des kapitalistischen Systems ab- gels Ästhetik. Überlegungen am Schluß des Kollo-
quiums über Hegels Kunstphilosophie. HSB 11 (1974),
drängen, sind nicht als Argumente für das Ende
295–301; Peter Szondi: Poetik und Geschichtsphiloso-
der Kunst anzuführen, da diese ihre Stellung, das phie I. Frankfurt am Main 1974, insbes. 267–511: He-
höchste Interesse des Geistes auszudrücken, gels Lehre von der Dichtung; Jaeschke: Kunst und
durch den Gang der Entwicklung des Geistes Religion. In: Graf / Wagner (Hg.): Flucht in den Begriff
bereits vor zwei Jahrtausenden an die Religion (1982), 163–195; Carl Dahlhaus: Hegel und die Musik
abgetreten hat. Demgegenüber bleibt alle poli- seiner Zeit. In: Pöggeler / Gethmann-Siefert (Hg.):
Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels.
tisch aktualisierende Begründung für das Ende
HSB 22 (1983), 333–350; Neue Quellen zu Hegels Äs-
der Kunst in der modernen Welt in Hegels Per- thetik. Mitgeteilt und erläutert von Helmut Schneider.
spektive eine Thematisierung von Afterphäno- HS 19 (1984), 9–44; Gethmann-Siefert: Die Funktion
menen. Und zugleich ist es ausgeschlossen, von der Kunst in der Geschichte. Untersuchungen zu Hegels
seiner Position her die Hoffnung zu rechtfertigen, Ästhetik. HSB 25 (1984); Gethmann-Siefert / Otto Pög-
daß man mittels einer Änderung der politisch- geler (Hg.): Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik.
HSB 27 (1986); Jens Kulenkampff: Musik bei Kant und
gesellschaftlichen Verhältnisse oder durch eine
Hegel. HS 22 (1987), 143–163; Hans Friedrich Fulda /
Selbstreflexion der Kunst deren Ende rückgängig Rolf Peter Horstmann (Hg.): Hegel und die »Kritik der
machen könnte. Man müßte hierfür die Reli- Urteilskraft«. Stuttgart 1990; Gethmann-Siefert (Hg.):
gionsgeschichte umkehren können – was selbst Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philo-
dann, wenn es sich bewerkstelligen ließe, nichts sophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berli-
als ein Rückfall wäre. Allerdings bewirkt gerade ner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der
Kunst. HSB 34 (1992); Brigitte Hilmer: Scheinen des
die Ausschließlichkeit der Begründung für das
Begriffs. Hegels Logik der Kunst. Hamburg 1997; Beate
Ende der Kunst, daß sie nur im Rahmen einer Bradl: Die Rationalität des Schönen bei Kant und He-
Konzeption überzeugend ist, die Hegels geistes- gel. München 1998; Das Musikkapitel aus Hegels Äs-
philosophische Position der Inhaltsidentität von thetikvorlesung von 1826. Hg. und erläutert von Alain
Kunst und Religion teilt. Wer diese Position nicht Olivier. HS 33 (1998), 9–52; Gethmann-Siefert: Die
akzeptiert, kann sicherlich zu anderen Argumen- Kunst (§§ 553–577). In: Hegels Enzyklopädie, hg.
Schnädelbach (2000), 317–374; William Maker (Hg.):
ten hinsichtlich der Stellung der Kunst in der
Hegel and Aesthetics. Albany 2000; Silvia Vizzardelli:
Moderne kommen, die dann aber nicht mehr die L’esitazione del senso. La musica nel pensiero di He-
Hegelschen sind und eine eigene, von Hegels gel. Roma 2000; Jeong-Im Kwon: Hegels Bestimmung
Philosophie unabhängige Begründung verlan- der Kunst. Die Bedeutung der »symbolischen Kunst-
gen. form« in Hegels Ästhetik. München 2001; Francesca
Ianelli: Das Siegel der Moderne. Hegels Bestimmung
Kollegien: 1817; 1818; 1820/21; 1823; 1826; 1828/29; –
des Hässlichen in den Vorlesungen zur Ästhetik und der
Erstdruck: W1 bzw. W2 10/1–3. – Text: a) Manuskripte:
Rezeption bei den Hegelianern. München 2007; Alain
GW 18.113–117; b) Nachschriften: W X/1–3; Hegel:
Patrick Olivier: Hegel, la genèse de l’esthétique. Ren-
Vorlesung über Ästhetik. Berlin 1820/21. Eine Nach-
nes 2008.
schrift. Hg. von Helmut Schneider. Frankfurt am Main
1995; V 2; Hegel: Philosophie der Kunst oder Ästhetik
[1826]. München 2004; Hegel: Philosophie der Kunst.
Vorlesung von 1826. Frankfurt a. M. 2005 (beide hg. A. 9.8. Philosophie der Religion
Gethmann-Siefert u. a.); künftig: GW 28. – Quellen:
Friedrich Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten
Völker, besonders der Griechen. Zweite, völlig umgear- 9.8.1. Überlieferung
beitete Ausgabe. 4 Bde und 1 Bd. Abbildungen. Leipzig
(1) Schon in seiner ersten Jenaer Systemskizze
und Darmstadt 1819–1821; Aloys Hirt: Geschichte der
Baukunst bei den Alten. 3 Bde. Berlin 1820–1827. – weist Hegel der Philosophie der Religion die
Literatur: Heinrich Heine: Die romantische Schule herausgehobene systematische Funktion zu, als
(1835). Düsseldorfer Heine-Ausgabe Bd. 8/1. Hg. von die abschließende Gestalt der Geistesphilosophie
Manfred Windfuhr. Hamburg 1979, 121–249; Helmut die »Resumtion des Ganzen in Eins« (R 179, vgl.
Kuhn: Die Vollendung der klassischen deutschen Äs- GW 5.263) zu vollziehen – auch wenn er hier
thetik durch Hegel. Berlin 1931; Heinz Heimsoeth:
noch nicht andeutet, wie die Religionsphiloso-
Hegels Philosophie der Musik. HS 2 (1963), 161–201;
Manfred Züfle: Prosa der Welt. Die Sprache Hegels. phie diese Aufgabe wahrnehmen werde. Wäh-
Einsiedeln 1968; Michael Theunissen: Hegels Lehre rend der Jenaer Jahre gewinnt sie fortschreitend
vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. an Inhalt und Kontur, ohne jedoch eine eigene
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 451

Form der systematischen Entfaltung zu finden; begierig Schleiermachers Glaubenslehre, zumal


sowohl im Systementwurf III als auch in der er selbst gerade Religionsphilosophie lese, und er
Phänomenologie bleibt der historische Aufriß be- fährt fort: »Schleiermacher läßt, soviel ich höre,
stimmend. Erst die Enzyklopädie (1§§ 465–471) gegenwärtig gleichfalls an einer Dogmatik druk-
erweitert die Religionsphilosophie über diesen ken. Die Xenie fällt mir ein: ›Lange kann man
historischen Aufriß hinaus und stellt sie in den mit Rechenpfennigen zahlen, doch endlich muß
Kontext des »absoluten Geistes«; daneben bestä- man den Beutel doch ziehn!‹ – Ob dieser Beutel
tigt sie die Dominanz der Religion gegenüber der aber auch weiter nichts als Rechenpfennige aus-
Kunst, die Hegel auch jetzt noch als »Religion der schütten wird, müssen wir sehen.«
Kunst« (1§ 456) anspricht. Andererseits liest er in Diese gespannte Haltung ist nicht allein Aus-
Heidelberg zweimal über die Ästhetik, nicht aber druck einer persönlichen Konkurrenzsituation;
über die Religionsphilosophie, so daß jene sich in sie hat auch eine kirchenpolitische Seite. Nach
den Vordergrund zu schieben scheint. Diesen dem Erscheinen der Glaubenslehre schreibt He-
Eindruck erweckt auch Hegels Votum vom 5. Mai gel am 4.4.22 an Hinrichs: »von Daub erwarte ich
1820 an den Rektor der Berliner Universität über eine offene Erklärung, ob denn das die Dogmatik
die Vollständigkeit des philosophischen Lehran- der unierten evangelischen Kirche sei, was man
gebots; hier erwähnt er im Rahmen der Philo- uns, – freilich nur in einem e r s t ersten Teile […]
sophie des Geistes neben »Anthropologie und als solche zu bieten die Unverschämtheit und
Psychologie« nur die » Ä s t h e t i k , die sich zu- Plattheit gehabt hat.« Noch deutlicher wird dieser
gleich auf R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e bezieht (V Konflikt in einem nur drei Tage späteren Schrei-
3.Xf.). Die Religionsphilosophie verharrt noch ben: »Es tut not, daß wir nach und nach lauter
im Hintergrund – und dies ist nicht verwunder- werden.« Aus diesem Kontext heraus ist auch
lich: Wie die Geschichtsphilosophie und die Äs- Hegels scharfe Polemik in der Vorrede zu Hin-
thetik zählt ja auch die Religionsphilosophie da- richs’ Religionsphilosophie (s. 279) zu verstehen:
mals keineswegs zum selbstverständlichen Ka- Sie ist weniger die private Verunglimpfung eines
non der akademischen Lehre. Doch nur ein paar Kollegen denn Instrument in einer religionspoli-
Monate nach seiner Unterordnung der Religions- tischen Auseinandersetzung um die theologi-
philosophie unter die Ästhetik kündigt Hegel für schen Fundamente der Evangelischen Kirche der
das Sommersemester 1821 überraschend »philo- Preußischen Union (Jaeschke 1985).
sophiam religionis« an – und danach noch drei- (3) Die Überlieferung des Kollegs »Religions-
mal, in den Sommersemestern 1824, 1827 und philosophie« steht unter einem guten Stern, der
1831. allerdings – wenn das Bild erlaubt ist – nicht
(2) Daß Hegel sich zu diesem Zeitpunkt ent- allein Licht verbreitet, sondern auch Schatten
schließt, über Religionsphilosophie zu lesen, läßt wirft: Der erfreuliche Umstand, daß wenigstens
sich aus seinem Interesse erklären, die Diszi- dieses eine Vorlesungsmanuskript überliefert ist,
plinen seines »Systems« sukzessiv zu Gegenstän- ist mit einem weniger erfreulichen Nebeneffekt
den seiner Lehre zu machen und sie damit über- verbunden: Hegel hat es anscheinend ohne aus-
haupt erst zu »machen«. Daß sein Entschluß je- führliche Vorarbeiten nur kurz vor dem Beginn
doch so überraschend erfolgt, läßt einen zusätz- seines ersten Kollegs begonnen und parallel zu
lichen Anlaß vermuten: Im Juni 1821, also ihm weitergeführt. Es trägt deshalb alle Zeichen
zeitgleich mit Hegels erstem Kolleg über Reli- eines rasch niedergeschriebenen Entwurfs an
gionsphilosophie, erscheint der erste Band der sich – nicht allein in der Gestaltung des Wort-
Glaubenslehre seines Kollegen und Kontrahenten lauts, sondern auch der Konzeption, die Hegel für
Schleiermacher. Daß sie der Anlaß gewesen sei, dieses Kolleg ja erstmals entwirft. Schon im zwei-
läßt sich nicht belegen – doch Hegel setzt sich ten Kolleg (1824), das durch mehrere Nachschrif-
noch im Manuskript und in Vorstufen zu ihm ten gut überliefert ist, löst er sich fast durch-
unmittelbar mit Schleiermachers Glaubenslehre gehend von diesem Manuskript, und im dritten
auseinander, und auch briefliche Äußerungen Kolleg (1827), das ebenfalls durch Nachschriften
Hegels aus dieser Zeit zeigen, daß ihm diese gut überliefert ist, sind alle Rückbezüge auf das
Konkurrenzsituation wohl bewußt gewesen sei. Manuskript gekappt. Gleiches gilt auch für das
Am 9.5.21 schreibt er an Carl Daub, er erwarte vierte Kolleg (1831), das zur Zeit nur durch
452 II. Werk

knappe Exzerpte belegt ist, die David Friedrich Vergleich mit der Ästhetik oder den anderen Dis-
Strauß nach seiner Ankunft in Berlin aus einer ziplinen zeigt, ist dies keineswegs der übliche
unbekannten Nachschrift des im Sommer zuvor Aufriß einer Disziplin – auch wenn Hegel einmal
gehaltenen Kollegs angefertigt hat (V 3.XX- sagt, es sei »immer der Gang in aller Wissen-
XXV). schaft: zuerst der Begriff, dann die Bestimmtheit
Diese Distanz, die Hegel später zu seinem Vor- des Begriffs, die Realität, Objektivität und end-
lesungsmanuskript hält, relativiert dessen kon- lich dies, daß der erste Begriff sich selbst Gegen-
zeptionellen Wert. Es ist zwar ›ipsissima vox‹, stand ist, für sich selbst ist, sich selbst gegen-
doch ist sie nur das Zeugnis einer ersten Bear- ständlich wird, sich zu sich selbst verhält.« (V
beitungsstufe. Die fraglos größere Authentizität 5.177, vgl. V 3.83 f.)
des Manuskripts gegenüber den Nachschriften Falls dies zuträfe, wäre die Religionsphiloso-
kann dazu verleiten, auch der durch es repräsen- phie die einzige »begriffsgemäße« Disziplin sei-
tierten Systemform und Ausgestaltung der Reli- nes Systems. Doch trotz der beanspruchten All-
gionsphilosophie größere Verbindlichkeit zuzu- gemeinheit dieser Aussage ist ihr Geltungsbe-
billigen als derjenigen, die die Nachschriften für reich in einem ersten Schritt auf die Philosophien
die späteren Kollegien belegen. Dies allerdings des objektiven und des absoluten Geistes zu be-
würde den Gewinn der Entwicklung dieser Dis- schränken, da nur sie die »Bestimmtheit des Be-
ziplin während eines Jahrzehnts preisgeben. griffs« in Form seiner geschichtlichen Entfaltung
(4) Die Sequenz der vier Kollegien enthält rekonstruieren. Konzeptuell am nächsten ver-
keine bloß statische Variation eines Themas; sie wandt ist der Religionsphilosophie fraglos die
ist zu verstehen als Suche nach der Systemform Ästhetik – doch erörtert Hegel dort die geschicht-
der Religionsphilosophie – und zwar als eine lichen Kunstformen in den ersten drei Kollegien
Suche, die schließlich ihr Ziel erreicht. Anders in einem ersten »allgemeinen Teil«, während der
als in der Ästhetik läßt sich die Genese der Sy- »besondere Teil« die einzelnen Künste zum Ge-
stemform hier überschauen, weil nicht allein He- genstand hat (s. 421). Die Bestimmtheit ist dort
gels Manuskript von 1821 überliefert ist, sondern also nicht primär als geschichtliche Bestimmtheit
auch die Nachschriften zu den Kollegien bereits gefaßt; erst im letzten Ästhetik-Kolleg nähert He-
publiziert sind (V 3–5). Die früheren Editionen gel die Konzeption derjenigen der Religionsphi-
im Rahmen der Freundesvereinsausgabe (W losophie an.
11/12) und durch Georg Lasson machen diesen Im zweiten Schritt ist Hegels allgemeine For-
Prozeß allerdings unkenntlich, indem sie die un- mulierung sogar auf die Religionsphilosophie zu
terschiedlichen Konzeptionen aller vier Kolle- begrenzen. Der Grund der spezifischen Drei-
gien in ihrer Integrität zerstören und sie mit gliederung der Religionsphilosophie liegt in de-
einander zu einem fortlaufenden Text vermi- ren besonderen systematischen Affinität zum Be-
schen. Sie sind deshalb unbrauchbar für jede griff des Geistes. In der Religion – als der nach
Thematisierung der Religionsphilosophie, die der Philosophie höchsten Gestalt des Geistes –
nicht allein an einzelnen, gegenüber der syste- sieht Hegel dessen Struktur bereits so rein ausge-
matischen Entfaltung des Gedankens isolierten prägt, daß sie auch zum Strukturprinzip einer
Dicta probantia interessiert ist. Philosophie der Religion wird. Diese Nähe des
Begriffs der Religion zum Begriff des Geistes
überhaupt spricht Hegel auch selber aus: »Der
9.8.2. Systemform
Begriff, den wir hier vor uns haben, ist nun
(1) Einen, und keineswegs einen bloß formalen ohnehin der Geist selbst; es ist der Geist selbst,
oder gar stereotyp-schematischen Zug der Sy- der diese Entwicklung und auf diese Weise tätig
stemform hat Hegel jedoch schon in seinem er- ist.« (V 3.85)
sten Entwurf herausgearbeitet: die Dreigliede- (2) Die spezifische Systemform der Religions-
rung der Religionsphilosophie in die Exposition philosophie resultiert aus dem Geistbegriff – nä-
des »Begriffs der Religion« und in die Abhand- her aus seinem Implikat, daß alle Bestimmtheit,
lung der »Bestimmten Religion«, also der Reli- alle Objektivation geistiger Formen zugleich ge-
gionsgeschichte, sowie der »Vollendeten Reli- schichtlich ist – nicht allein ›in die Geschichte
gion«, als die ihm die christliche gilt. Wie ein fällt‹, wie in ein ihr fremdes Medium, sondern
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 453

Geschichte a l s Geschichte konstituiert (s. 405ff.). lung aufgeht. Sie thematisiert die Religionen im-
Hegel hat dieses Moment des Geistesbegriffs nir- mer schon im Kontext einer Entwicklung des
gends klarer systematisch ausgearbeitet als in der Geistes, der sein Wissen von sich sowohl in
Religionsphilosophie. Das Selbstverhältnis des einem historischen wie in einem systematischen
Geistes, das die Religion ist, konkretisiert sich in Gang vollendet, also im Rahmen einer ›Philo-
bestimmten Gestalten, die als geistige wesentlich sophie der Religionsgeschichte‹. Diese geht aber
geschichtliche sind. Eine philosophische Be- noch nicht von einer systematischen Exposition
trachtung der Religion muß diese geschichtliche des Begriffs der Religion aus.
Verfassung des religiösen Bewußtseins in den (4) Neben der Exposition eines »Begriffs der
Blick nehmen; sie muß geschichtlich verfahren, Religion« hebt noch eine zweite Eigentümlichkeit
weil sie sonst ihrem geschichtlich verfaßten Ge- Hegels Berliner Konzeption von derjenigen der
genstand nicht gerecht würde. Sie böte sonst nur Jenaer Jahre ab: Diese kennen noch nicht die
einen Ausschnitt aus der Geschichte der Religion, architektonische Abtrennung der christlichen Re-
und dies, ohne sich dessen bewußt zu sein und ligion von einer ihr vorausliegenden Religionsge-
deshalb mit der Gefahr dogmatischer Verkürzun- schichte, wie sie später in der Unterscheidung
gen und Verhärtungen. Für Hegel hingegen bildet der »bestimmten Religion« und der »vollendeten
die Abhandlung der Religionsgeschichte ein kon- Religion« als des zweiten und dritten Teils der
stitutives und damit auch ein strukturformendes Religionsphilosophie zum Ausdruck kommt. Die
Moment der Religionsphilosophie; die Religi- Jenaer Ausführungen stellen das Christentum
onsgeschichte wird aus einem Gleichgültigen ohne Zäsur in eine Reihe mit den anderen ge-
oder gar aus einer Geschichte des Irrtums zur schichtlichen Religionen – wenn auch als eine
Geschichte der Selbsterkenntnis des Geistes, ja ausgezeichnete Gestalt. Die Phänomenologie des
sie wird zum bevorzugten Thema einer Philo- Geistes nennt sie sogar die »absolute Religion« (s.
sophie, die das alte Gebot des Delphischen Got- 196) – eine Bezeichnung, die Hegel zwar auch
tes: »Erkenne dich selbst« als Aufforderung zu später noch zuweilen verwendet, aber nicht mehr
solcher Selbsterkenntnis des Geistes versteht. in der exponierten Stellung eines Titels.
(3) Die »wissenschaftliche« Abfolge in der Ar- Diese ursprünglich rein geschichtliche Struk-
chitektonik der Religionsphilosophie, der Über- turierung der Religionsphilosophie überwindet
gang vom Begriff zur geschichtlichen Bestimmt- Hegel in seinen Berliner Kollegien durch zwei
heit, entspricht allerdings nicht der Entwick- weitgehende Abänderungen der Konzeption:
lungsgeschichte der Religionsphilosophie. Aus durch die neuartige Exposition eines »Begriffs
deren Perspektive wäre es nicht angemessen zu der Religion« und durch die Abtrennung der
sagen, Hegel habe die Religionsgeschichte in christlichen als der »vollendeten Religion« von
seine Religionsphilosophie einbezogen. Der ge- der vorangegangenen Religionsgeschichte. Hier-
schichtliche Primat liegt vielmehr bei der Reli- bei handelt es sich jedoch nicht um zwei gedank-
gionsgeschichte. Die in Systemform ausgearbei- lich von einander unabhängige Neubildungen,
tete Religionsphilosophie ist gleichsam aus zwei sondern um zwei Seiten eines und desselben
Wurzeln erwachsen: aus Hegels Geistbegriff und Wandels: Die Herauslösung des Christentums als
aus seiner historischen Betrachtung der Religion. der vollendeten Religion, seine Entgegensetzung
Diejenigen Partien der Religionsphilosophie, die gegen die vorausgegangene Religionsgeschichte
über die philosophische Interpretation der ge- beruht begrifflich auf der selbständigen Explika-
schichtlichen Religionen hinausgehend deren tion des Begriffs der Religion, aber auch umge-
»Begriff« entfalten, kristallisieren sich erstmals in kehrt: Jene eigenständige Exposition des »Be-
den Berliner Vorlesungen aus dem ursprünglich griffs der Religion« begünstigt diese Herauslö-
bloß geschichtlichen Aufriß heraus. In den Jenaer sung. Und erst durch diese Abtrennung der »voll-
Jahren umfaßt Hegels Religionsphilosophie zu- endeten« Religion werden die anderen
nächst nicht mehr als die Abhandlung der ge- Religionen zur »bestimmten Religion«.
schichtlichen Religionen – auch wenn diese In seinen Berliner Vorlesungen begründet He-
schon damals, sosehr sie bereits Elemente einer gel die Vollendetheit der Religion nicht mehr in
vergleichenden Religionsgeschichte enthält, kei- Relation zur – vermeintlichen – Vollständigkeit in
neswegs in einer rein geschichtlichen Darstel- der begrifflichen Bestimmung der Religionsge-
454 II. Werk

schichte. Es müssen nicht mehr alle Momente die Frage nach der Erschöpfung der Gattung
des Begriffs in der Wirklichkeit vorhanden sein, ›Papagei‹: begrifflich durch die Angabe seiner
ehe die »absolute Religion« in die Welt treten Bestimmtheit und empirisch durch Aufzählung
kann. Sofern Hegels Formulierungen gelegent- der 67 bekannten Arten (GW 12.218), d. h. durch
lich diesen Eindruck erwecken, perpetuieren sie empirische, geschichtliche Forschung. Doch wie
eine überholte Phase der Entwicklung seiner es für den Begriff der Gattung gleichgültig ist, ob
Konzeption. Denn der Vollendungscharakter der »noch ein Dutzend [Arten] weiter aufgefunden
christlichen Religion liegt nun in einem Ent- werden«, so ist es auch für den Begriff der Reli-
sprechungsverhältnis zwischen dem »Begriff der gion gleichgültig, ob noch weitere Religionen in
Religion« und der »Vollendeten Religion«: Voll- die geschichtliche Betrachtung einbezogen wer-
endet ist sie, weil sie dem Begriff der Religion den. Dies ist nicht ein zufälliger und bedauer-
gemäß ist. Damit ist nicht eine bloße Überlegen- licher Mangel: Als Geschichte ist die Religions-
heit des Christentums über die anderen Reli- geschichte – ähnlich wie die Natur – nicht durch-
gionen ausgesagt – etwa daß es ›vollkommener‹ gängig durch begriffliche Prinzipien bestimmt.
sei als die »bestimmten Religionen«. Ebenso- Die »Wissenschaft« muß zwar die »Bestimmtheit
wenig ist damit gesagt, daß mit den charak- des Begriffs« erschöpfen, aber dies geschieht
teristischen Zügen der christlichen Religion ein nicht durch empirische Vollständigkeit – so sehr
sittliches oder allgemein geistiges Niveau er- Hegel auch selbst von Kolleg zu Kolleg die em-
reicht sei, das nicht mehr überboten werden pirische Basis seiner Religionsphilosophie ver-
könne – oder gar, daß allein sie als die wahre breitert hat. Doch ob der »vollendeten Religion«
Offenbarung des wahren Gottes anzusehen sei. In zwei oder zwanzig Gestalten der »bestimmten
der christlichen Religion ist vielmehr – wie Hegel Religion« geschichtlich vorausgehen oder nach-
zu sagen pflegt und unten (s. 468 f.) auszuführen folgen, ist durch ihren Begriff nicht festgelegt.
ist – der Begriff der Religion sich gegenständlich
geworden.
9.8.3. Religion als Selbstbewußtsein
(5) Diese Absonderung der »vollendeten Reli-
des Geistes
gion« aus der Religionsgeschichte – so sehr sie
zunächst als Ausdruck eines unhistorischen Ver- (1) Der Grundbegriff der Religionsphilosophie
fahrens und einer dogmatisch bedingten Vorliebe ist der Begriff des Geistes – des Geistes als derje-
für die christliche Religion erscheinen mag – hat nigen Wirklichkeit, die zwar ein Produkt des
weitgreifende und keineswegs mißliche Konse- Menschen ist, die aber gleichwohl, analog zu
quenzen für die Deutung der »bestimmten Reli- Jacobis Begriff der substantialen Vernunft, mehr
gion«. Es ist eigentümlich, wenn auch leicht be- den Menschen hat, als daß er sie hätte (JWA
greiflich, daß auf Grund dieser Herauslösung der 1.259). Darin, daß die Religion eine Gestalt des
christlichen Religion aus der Religionsgeschichte Geistes ist, liegt bereits, daß sie nicht ein bloßes
deren Struktur bei weitem nicht mehr so fest- Bewußtsein Gottes ist. Durch ihr Verständnis als
gelegt ist wie in der Phänomenologie des Geistes. eines Bewußtseinsverhältnisses wäre eben der
Wenn der Vollendungscharakter der »vollendeten Begriff des Geistes verfehlt. Religion ist weder
Religion« durch den »Begriff der Religion« defi- ein Verhältnis, das sich der Mensch – aus welchen
niert ist, muß er nicht mehr durch das voll- Gründen auch immer – zu einem ihm gegenüber-
ständige Durchschreiten der Religionsgeschichte stehenden Gott gibt, noch ein Verhältnis, das Gott
garantiert werden. Vielmehr wird deren Umfang sich zum Menschen gibt. Sie ist nicht Bewußtsein
und Ausgestaltung nahezu freigelassen, zumal im eines Gottes, sondern Selbstbewußtsein des Gei-
Begriff der Religion – als dem Begriff des Geistes stes, und als solches ist sie nicht mehr als ein
– ja keine Strukturprinzipien der Religionsge- Verhältnis des Menschen zu Gott oder Gottes zum
schichte festgeschrieben sind. Die Abtrennung Menschen zu fassen. Die Annahme Gottes und
der »vollendeten Religion« von der vorausgegan- des Menschen als zweier fester, für sich bestehen-
genen Religionsgeschichte ist geradezu eine Be- der Subjekte verstellt vielmehr das Eigentliche
dingung dafür, daß die Frage nach deren Voll- der Religion – auch wenn sie gemeinhin als ihr
ständigkeit in ähnlich doppelter Weise beantwor- Eigentümliches erscheint.
tet werden kann wie – im Blick auf die Natur – Unter Voraussetzung einer derartigen Gott-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 455

Mensch-Struktur läßt sich das Proprium der Reli- net ist, das, was Geist ist, zu erfassen. Sie steht
gion für Hegel gar nicht in den Blick bringen. Sie deshalb in der Systemhierarchie über der Kunst,
ist ein Selbstverhältnis des Geistes – »der Geist, und auch geschichtlich beerbt die (christliche)
der seines Wesens, seiner selbst bewußt ist. Der Religion die schöne Kunst darin, der wahrhafte
Geist ist sich bewußt, und das, dessen er bewußt Ausdruck des Sichwissens des Geistes zu sein.
ist, ist der wahrhafte wesentliche Geist; dieser ist »Vorstellung« nennt Hegel die Bewußtseinsform
sein Wesen, nicht das Wesen eines Anderen.« (V für solche Gegenstände, die nicht unmittelbar
3.86) Der Gottesgedanke muß deshalb als der präsent sind – wie das Kunstwerk für die An-
Gedanke des sich wissenden Geistes expliziert schauung –, aber gleichwohl den Koordinaten
werden, in einer Einheit von philosophischer von Raum und Zeit wie auch dem Bildlichen
Theologie und Religionsphilosophie: Wenn die verhaftet bleiben. Dies gilt auch noch für den
Philosophie Gott »Geist« nicht nur nennen, son- biblischen Gott und sein Handeln an den Men-
dern ihn als Geist denken will, so muß sie ihn schen, das ja als in Raum und Zeit geschehend
wesentlich als den in der Religion sich wissenden vorgestellt wird, wie auch für die kindlichen Bil-
Geist denken; und ebenso wird die Religions- der von »Vater« und »Sohn« für das innertrinitari-
philosophie zur philosophischen Theologie, so- sche Verhältnis.
fern der Inhalt, der in der Religion gewußt wird, Die Form der Vorstellung ordnet Hegel zwar
nicht eine Bestimmtheit des endlichen Bewußt- auch schon der Poesie zu (s. 442), da ja auch sie
seins, sondern eben das Göttliche ist. sich über die unmittelbare sinnliche Gegenwart
Diesen Gedanken hat die Religionsphilosophie und Anschauung eines Gegenstandes erhebt. Ihre
zu entfalten. Sie hat nicht Frömmigkeit zu be- Gegenstände sind zwar ›ideell‹, sie gehören nicht
wirken oder Apologetik zu treiben – auch wenn mehr dem äußerlich vorhandenen Sinnlichen an,
sie sowohl frömmigkeitsgeschichtliche als auch werden aber noch in Raum und Zeit vorgestellt.
apologetische Wirkungen nach sich ziehen mag. Doch trotz dieser gemeinsamen Bindung an die
Sie hat die Religion aber auch nicht kritisch zu Vorstellung weisen Poesie und Religion erheb-
destruieren, sondern sie – analog zu Kunst und liche Differenzen auf: Während der Dichter für
Philosophie – als eine Form des Geistes zu be- die von ihm entworfenen Gestalten zwar »Wahr-
greifen, in der dieser sich auf sich zurückwendet, heit« beansprucht, nämlich poetische Wahrheit,
sein Bewußtsein über sich gewinnt und darin spricht die Religion ihren Vorstellungsgestalten
»absoluter Geist« ist: eben als »Selbstbewußtsein »absolute Wahrheit« zu, und sie zielt nicht auf ein
des absoluten Geistes«. Sie ist nicht Beziehung zu ästhetisches Verhältnis zur Dichtung, sondern auf
einem Gott, der erst jenseits des Geistes anzu- Glauben an diese Vorstellungsinhalte.
treffen wäre – zu dem erst, als zu einem für sich Doch so sehr Hegel die Vorstellung als die
selbst Vorhandenen, über den Geist hinauszu- geistigere Erfassungsweise der Poesie gegenüber
schreiten wäre. Sie ist eine der drei Formen des der Anschauung der anderen Künste hervorhebt,
Wissens des Geistes von sich – und zwar nicht ein so ist auch sie – wegen des ihr unverzichtbaren
Wissen des einzelnen geistigen Wesens von sich Rückbezugs auf Zeitlichkeit und Räumlichkeit –
als einzelnem, sein autistischer Selbstbezug, son- dem Geistigen letztlich nicht angemessen. Hegel
dern ein Wissen von dem, was es als geistiges schreibt ihr eine Mittelstellung zwischen An-
Wesen überhaupt ist. Deshalb ist dieses Selbst- schauung und begreifendem Denken zu. Die
bewußtsein auch nicht ein isoliertes; die Formen Charakteristik der Religion als ›Selbstbewußt-
des geistigen Lebens sind ja – wie man damals sein des Geistes in Form der Vorstellung‹ erlaubt
recht gut gewußt hat – stets intersubjektiv. und erfordert deshalb eine ambivalente Akzentu-
(2) Als eine solche Gestalt des Geistes hat die ierung: Was – in der Sprache der religiösen Vor-
Religion keinen anderen Inhalt als Kunst und stellung – als positive Offenbarung an uns
Philosophie, nämlich den sich wissenden Geist. kommt, ist ein Produkt des Geistes und somit an
Doch erscheint dieser »absolute Inhalt« in den sich vernünftig; es ist nicht bloß zufällig oder gar
Gestalten des absoluten Geistes in unterschiedli- das Instrument eines abgefeimten Priestertrugs –
cher Form, und zwar in der Religion in der Form und hierin liegt ein apologetischer Effekt der
der Vorstellung – als einer der »Anschauung« Religionsphilosophie Hegels. Aber ebenso gilt:
deshalb überlegenen Form, weil sie besser geeig- Was zunächst als ein Positives, der Vernunft
456 II. Werk

Fremdes erscheint und von der Philosophie – Religion muß zwar auch im »Gefühl« sein – aber
zumindest seinem Gehalt nach – als ein Ver- in diesem hat sie nicht ihren Grund. Seine Deu-
nünftiges erkannt wird, muß in der Form der tung steht jedoch auch im Kontrast zum Selbst-
Vernunft rekonstruiert werden – und darin liegt verständnis der Religion. Wie die Werke der
ein kritischer Zug. Die hermeneutische Aufgabe Kunst, so sind für Hegel auch alle Religionen
und Leistung der Religionsphilosophie besteht solche Gestalten des absoluten, d. h. des sein
darin, beide Sichtweisen zu entwickeln: das, was Wesen wissenden und sich mit seinem Wesen in
zunächst als ein »Positives«, ob als Widerver- eins setzenden Geistes. Wie sehr die geschichtli-
nünftiges oder Übervernünftiges, an uns kommt, chen Religionen dieses Verständnis auch verfehlt
als ein Vernünftiges zu begreifen – als eine, wenn und verstellt haben mögen: Sie sind Gestalten
auch nicht adäquate Gestalt des Selbstbewußt- dieser geistigen Einheit, die sie differenziert vor-
seins des Geistes –, und dieses sodann in seiner stellen als Beziehung des göttlichen Geistes als
adäquaten Begriffsgestalt zu denken. Für dieses des allgemeinen zum menschlichen als dem ein-
Begreifen bedarf es zweier Momente: des Stoffes zelnen Geiste. Auch ein Gegenstand religiöser
der Religion, aber ebenso der Form des philo- Verehrung, der zunächst als ein Natürliches er-
sophischen »Begriffs«. Die Vorstellung ist zwar scheint, erweist sich der näheren Betrachtung als
sowohl der Gegenstand des Begriffs als auch ein Geistiges – sei es auch nur, sofern auf einer
seine geschichtliche Voraussetzung, aber sie ist anfänglichen Stufe der Religion die kategoriale
nicht sein Legitimationsgrund. Vielmehr ist der Differenz zwischen Natürlichem und Geistigem
Begriff der Erkenntnisgrund und das Maß für die noch gar nicht in der uns Heutigen geläufigen
Wahrheit der Vorstellung: Um die Hieroglyphen Prägnanz ausgearbeitet ist. Der Gegenstand der
der Vernunft in den religiösen Vorstellungen, Religion – oder »das Wesen«, wie Hegel manch-
auch den christlichen, zu entziffern, muß man mal kurz sagt – kann erfahren werden als ein
den Begriff schon haben. mehr Natürliches oder mehr Geistiges, als ein
Die Differenz dieses vorstellenden Denkens mehr Furchtbares oder dem Menschen mehr Ge-
gegenüber dem begreifenden treibt deshalb neigtes; sein Bild kann mehr durch das Sittliche
schließlich auch über die Religion hinaus. Denn oder mehr durch das Schöne geprägt sein; es
Vorstellung und Begriff sind zwar zwei Formen kann dem Menschen in schroffer Jenseitigkeit
des einen Inhalts, aber nicht zwei gleich-gültige, gegenüberstehen oder in menschlicher Gestalt
gleichberechtigte Formen. Im Prozeß der Selbst- erscheinen – stets ist es der getreue Ausdruck
erkenntnis des Geistes ist die Form der Vor- dessen, was der menschliche Geist sich als das
stellung zwar das sowohl geschichtlich als auch Wahre vorstellt.
im Systemaufbau Frühere, aber nicht sein wahr- (4) Der Begriff des Geistes enthält die Mo-
haftes Prius; sein Wesen läßt sich nicht in der mente der differenzierten Identität des einzelnen
Fixierung auf Raum und Zeit fassen. Die ange- und des allgemeinen Geistes sowie der Entfal-
messene Form des Geistigen ist deshalb erst die- tung und deren Aufhebung im Wissen des Gei-
jenige, in der er sich nicht mehr in Vorstellungs- stes von der Identität mit seinem Wesen, also das
form versteht und damit zugleich immer auch Selbstbewußtsein des absoluten Geistes. Diese
mißversteht – also die Begriffsform. Momente bilden aber die Struktur der Religion.
(3) Hegels rein geistesphilosophische Deutung Daraus zieht Hegel die Folgerung, daß Gott »nur
der Religion steht in Kontrast zu sämtlichen an- wahrhaft begriffen werden kann, wie er als Geist
deren zeitgenössischen Deutungen – zur aufklä- ist und so sich selbst das Gegenbild einer Ge-
rerischen natürlichen Theologie wie auch zum meinde und die Tätigkeit einer Gemeinde in
moralischen und zum romantischen Religionsbe- Beziehung auf ihn macht, und daß die Lehre von
griff und ebenso zur rationalistischen oder pieti- Gott nur als Lehre von der Religion zu fassen und
stischen Theologie. Ihnen allen wirft er vor, daß vorzutragen ist« (V 3.33).
sie Gott zwar »Geist« nennten, aber ihn nicht als Damit sind Charakter und Anspruch seiner
Geist dächten und deshalb den Gottesgedanken spekulativen Religionsphilosophie prägnant aus-
sei es in die Verstandesabstraktion des »höchsten gesprochen: Sie ist in Einem philosophische
Wesens«, sei es in einen unbestimmten Gefühls- Theologie – nicht so sehr darin, daß sie einen
inhalt und ins Linienziehen ins Blaue auflösten. allgemeinen Gottesbegriff entwickelt, als daß sie
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 457

die philosophisch-theologische Dignität der ab- renz willen eine derartige Erkenntnis schlechthin
soluten Idee der Logik darlegt (V 3.35) – und verwerfen dürfte.
Religionsphilosophie. Die philosophische Theo- Jede Religion, sofern sie eben Religion über-
logie muß letztlich als Religionsphilosophie haupt ist, gilt der Religionsphilosophie Hegels als
durchgeführt werden; ihre traditionelle meta- ein Verhältnis des Geistes zum Geiste – sei es
physische Form hingegen verfehlt den Gottes- auch als ein noch so unvollkommenes, in dem der
gedanken, indem sie ihn der Religion gegenüber Geist sich noch nicht in einer seinem Begriff
festzuhalten sucht. Gott muß als Geist und damit angemessenen Weise erfaßt. Deshalb ist jede Re-
wesentlich als in der Religion gewußter und in ligion eine Gestalt des absoluten Geistes – und
seiner Identität mit dem endlichen Geist gedacht nicht etwa nur die letzte, der Geschichte schon
werden. Andererseits ist die Religionsphiloso- überhobene Gestalt der Religionsgeschichte.
phie im Innersten philosophische Theologie: so- »Absoluter Geist« – diese heute allzu gern in
fern eben Religion absoluter Geist und als solcher apologetischer oder in kritischer Tendenz miß-
Wissen des Geistes von seinem eigenen Wesen verstandene Wendung bedeutet ja keineswegs
als der höchsten Wirklichkeit ist. eine Mystifikation, sondern diejenige Gestalt, in
(5) Diese Konzeption der Religionsphilosophie der der Geist sich auf sich selbst richtet und sein
arbeitet Hegel aus in enger Rückbindung einer- Wesen zu erkennen sucht. Aus dieser Selbst-
seits an die systematischen Grundlagen seiner beziehung des Geistes resultiert eine mehr oder
Philosophie überhaupt, insbesondere an den Be- minder gelingende oder mißlingende Gestalt sei-
griff des Geistes, andererseits an die geschicht- ner Selbsterkenntnis, sei es in der Weise einer
lich vorhandenen Religionen, die er tendenziell orientalischen »Naturreligion«, sei es in der
in der damals erreichbaren Vollständigkeit the- Weise der antiken Mythologie oder der jüdischen
matisiert. Die Duplizität dieser Aufgabe folgt aus oder der christlichen Religion. Damit ist aber
seinem Verständnis des Wesens und der Auf- keineswegs der Beliebigkeit das Feld eröffnet. Es
gaben von Philosophie überhaupt, wie er sie in gibt ein Kriterium, das den Grad des Mißlingens
dem Satz festhält, es sei die Aufgabe der Philo- oder Gelingens zu bestimmen erlaubt – und dies
sophie, das, was ist, zu begreifen, da das, was sei, ist eben der Begriff des Geistes selber.
die Vernunft sei (s. 276). So hat auch die Reli- Diese beiden Seiten der Ausarbeitung der Reli-
gionsphilosophie, wie Hegel mehrfach ein- gionsphilosophie – die geschichtliche und die
schärft, nicht die Aufgabe, dieses oder jenes begriffliche – fallen deshalb nicht auseinander.
»Subjekt zur Religion zu bewegen, es religiös zu Die Bearbeitung des geschichtlichen Materials
machen, wenn es nichts von Religion in sich hat erfolgt nach den begrifflichen Prinzipien, aber in
oder haben wollte«, und es ist ebensowenig ihre dieser Bearbeitung überprüft und korrigiert He-
Aufgabe, eine ideale Religion zu entwerfen. Son- gel seine Prinzipien: zwar nicht den Begriff der
dern sie hat »zu ihrem Endzweck, die Religion, Religion als des Selbstbewußtseins des absoluten
die ist, zu erkennen und zu begreifen« (V 3.10). Geistes, wohl aber das begriffliche Instrumenta-
Dieses Erkennen und Begreifen aber ist sicher- rium, das er einsetzt, um diese Deutung im Sy-
lich kein bloßes Referieren des durch die Quellen stemzusammenhang plausibel durchzuführen. In
Überlieferten. Es besteht in der, Rechtfertigung der fortschreitenden Ausgestaltung dieses Zu-
und Kritik einschließenden, deshalb ambivalent sammenhangs zur konkreten Systemform der
erscheinenden Vermittlung des historisch Gege- drei Hauptteile der Religionsphilosophie liegt
benen mit dem in der Philosophie entfalteten das Proprium und die Dynamik der vier Kolle-
»Begriff«. Nur dadurch kann das, was ist, als ein gien.
Vernünftiges erkannt werden. Doch folgt daraus
unvermeidlich, daß die begriffene Gestalt einer
9.8.4. Der Begriff der Religion
Religion nicht mit deren Selbstverständnis iden-
tisch ist. Diese Differenz des Verständnisses des (1) Die systematische Bedeutung dieser Durch-
zu Begreifenden und des Selbstverständnisses arbeitung wird besonders gut greifbar in der Se-
des Begriffenen hat sie jedoch mit jeder wissen- quenz der Umgestaltungen des »Begriffs der Reli-
schaftlichen Thematisierung religiöser Phäno- gion«, also der Binnenstruktur des ersten, der
mene gemein – ohne daß man um dieser Diffe- Exposition des Begriffs der Religion gewidmeten
458 II. Werk

Teils der Vorlesungen. Unter »Begriff der Reli- einigung beider Seiten, der Kultus« (V 3.55 f.).
gion« ist hier ja nicht eine bloße Nominaldefini- Doch obgleich er diese Einteilung so programma-
tion zu verstehen, was Religion sei. Ebensowenig tisch entwirft, befolgt er sie auch hier bei der
geht es hier um die Angabe eines Weges, wie man Durchführung des ersten Teils nicht; statt dessen
sich aus der allgemeinen Vorstellung von Reli- lehnt er sich noch an Themen des ersten Kollegs
gion zu einem spekulativen Begriff der Religion an. Erst die beiden letzten Kollegien entfalten
erheben könne, oder gar um ein äußerliches Rä- den »Begriff der Religion« in der genannten
sonement über Themen, die mit ›Religion‹ in Form: Der »Begriff der Religion« besteht in gar
Zusammenhang stehen – etwa über das Verhält- nichts anderem als in der systematischen Entfal-
nis von Religion und Kunst oder Religion und tung dieser Momente. Erst damit hat dieser Teil
Philosophie. der Religionsphilosophie die ihm angemessene
Diesen unzutreffenden Eindruck legt aller- Systemform gefunden: Abschnitt »A. Der Begriff
dings Hegels Manuskript von 1821 nahe: Hier Gottes« expliziert das erste Moment, das der
scheint es, als sei eben dies die Aufgabe des absoluten Einheit; Abschnitt »B. Das Wissen von
ersten Teils der Religionsphilosophie: einen Be- Gott« das zweite, das Moment der Getrenntheit
griff von Religion aus der Vorstellung zu erheben des Ich und seines Gegenstandes, in dem für das
(Abschnitt a), seine Notwendigkeit zu erkennen Selbstverständnis der Religion die Signatur des
(Abschnitte b und c) und schließlich das Verhält- religiösen Verhältnisses liegt, und Abschnitt »C.
nis der Religion zu Kunst und Philosophie anzu- Der Kultus« entwickelt das dritte Moment – das
geben (Abschnitt d). Doch die späteren Kolle- Selbstbewußtsein des Geistigen, das diese der
gien, insbesondere seit dem Kolleg 1827, zeigen, Vorstellung unaufhebbare Getrenntheit durch
daß dies keineswegs der systematische Sinn des sein Handeln überwindet und zum Sichwissen
»Begriffs der Religion« sei. Diese späte Durch- des Geistes führt, zum Selbstbewußtsein des ab-
bildung läßt aber auch erkennen, daß Hegel be- soluten Geistes, soweit dieses auf der Stufe der
reits in seinem Manuskript der erst später ausge- Religion verwirklicht werden kann.
führte Ansatz am Begriff des Geistes vorschwebt. (2) Bei dieser Dreigliederung handelt es sich
Denn auch dort nennt Hegel bereits – in Analogie somit für Hegel nicht bloß um eine beliebige
zum Begriff des Geistes, wie ihn auch die Darstellungsform, zu der es auch eine Alternative
1 §§ 453,455 bzw. 3 § 553 f. der Enzyklopädie for- gäbe, sondern um eine aus der Natur des Inhalts
mulieren – die Momente des Begriffs der Reli- folgende, notwendige Strukturierung. Nur in
gion: zunächst » d i e B e s t i m m u n g d e r a b - dem Maße, in dem die Darlegung des »Begriffs
s o l u t e n Einheit«, d. h. des absoluten, substan- der Religion« die Explikation dieser seiner Mo-
tiellen Inhalts; sodann »das Moment der Tr e n - mente ist, handelt es sich bei ihr um die Explika-
n u n g«, des Andersseins, und schließlich das tion des Inhalts selbst und nicht um ein der Sache
»subjektive Moment«: »daß das Selbstbewußtsein äußerlich bleibendes Räsonement. Deshalb liegt
des Geistigen selbst ewiges, absolutes Moment in der Ausarbeitung dieser systematischen Form
ist« (V 3.103–106). der eine Aspekt des Fortschritts der Religions-
Die einzige systematisch relevante Aufgabe des philosophie in diesen Jahren. Und eben deshalb
ersten Teils der Religionsphilosophie besteht kann auch nur eine Interpretation, die sich dieser
darin, den Begriff der Religion in diesen drei Differenzen vergewissert, dem begrifflichen Ge-
Momenten zu entfalten, denn sie konstituieren halt der religionsphilosophischen Vorlesungen
den Begriff der Religion, ihre interne Struktur als gerecht werden. Anderenfalls wird sie notwendig
Gestalt des Geistes. In seinem Manuskript nennt durch die unterschiedlichen Inhalte der beiden
Hegel diese Momente jedoch nur, ohne den er- früheren Kollegien irregeleitet. Denn der in He-
sten Teil seiner Vorlesungen durch sie zu struk- gels Manuskript beschrittene Weg zum Begriff
turieren. Im zweiten Kolleg exponiert er diesen der Religion – seine Aufnahme aus der religiösen
Begriff in der »Übersicht über den Gang unserer Vorstellung – führt nicht zu einem im prägnanten
Abhandlung«: »Das erste ist also das Substan- Sinne wissenschaftlichen Begriff der Religion.
tielle, das zweite der Standpunkt des Bewußt- Dies räumt Hegel an späterer Stelle auch selber
seins, das dritte ist dann das Aufheben dieses ein: Die religionsphilosophische Erkenntnis be-
endlichen Standpunkts des Bewußtseins, die Ver- stehe nicht darin, »daß wir einen Begriff von Gott
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 459

und Religion voraussetzen und a) von diesem zu philosophie ist es, diesen aus dem »System« re-
zeigen hätten, daß er richtig sei, b) jetzt sub- sultierenden Begriff Gottes als des Geistes oder
jektive Erkenntnisgründe für diesen Gehalt such- des schlechthin Allgemeinen oder als »das ab-
ten« (V 3.131). solute Bestehen« zu entfalten. Als Ausgangspunkt
Ebensowenig kann es – wie es im Kolleg 1824 formuliert Hegel: »Gott ist die absolute Substanz,
zunächst heißt – einen zweifachen Weg zum Be- die allein wahrhafte Wirklichkeit.« (V 3.269)
griff der Religion geben, nämlich einen empiri- Diese Aussage legt aber, wie er wohl weiß, den
schen und einen spekulativen (V 3.165). Daß man Verdacht des »Spinozismus, Pantheismus« nahe,
auf dem empirischen Wege nicht zum Begriff der der damals ja auch gegen seine Philosophie erho-
Religion gelange, sagt Hegel ausdrücklich im ben worden ist. Und so sucht er, sowohl die gegen
gleichen Kolleg an späterer Stelle (V 3.218). Der ihn gerichteten Anklagen zu entkräften als auch
methodische Sinn des dort unternommenen Ver- diese Bestimmung Gottes als der »absoluten Sub-
suchs, diesen Weg zu beschreiten, liegt lediglich stanz« festzuhalten, indem er – wie schon in der
im Nachweis, daß er nicht zum Ziel führe – und Vorrede zur Phänomenologie (s. 182) – den Be-
damit bleibt er dem eigentlichen systematischen griff der »Substanz« mit demjenigen der »Sub-
Interesse der Religionsphilosophie äußerlich. jektivität« vermittelt. Gott als die eine wahrhafte
Und selbst der Erweis der Notwendigkeit des Wirklichkeit ist »Geist«, und in der Geistigkeit
religiösen Standpunkts, der in den beiden ersten liegt mehr als die bloße Substantialität: In ihr
Kollegien einen so breiten Raum einnimmt, muß liegt das Wissen und das Sichwissen, der den-
als ein Thema erkannt werden, das nicht im kende Selbstbezug, und zwar nicht allein des
strengen Sinne zum Begriff der Religion gehört. Individuums, sondern einer Gemeinschaft. Für
Denn der wahre Erweis der Notwendigkeit des Hegel kommt es »allein« darauf an, wie dieser
religiösen Standpunkts liegt in der Entwicklung Gedanke Gottes als der allbefassenden Wirklich-
des Systems – von der Logik über die Natur- keit näher bestimmt ist, »ob sie als Substanz oder
philosophie bis hin zum Begriff des Geistes. Si- als Geist bestimmt ist. Die ganze Philosophie ist
cherlich kann man ihn zu Beginn der Religions- nichts anderes als ein Studium der Bestimmung
philosophie aus didaktischen Gründen im Ge- der Einheit; ebenso ist die Religionsphilosophie
schwindschritt wiederholen; es kann aber nicht nur eine Reihenfolge von Einheiten, wo immer
im strengen Sinne Aufgabe der Religionsphiloso- die Einheit, aber diese Einheit immer weiter
phie selber sein, diese Entfaltung nochmals zu bestimmt wird.« (V 3.276)
vollziehen.
(3) Die Religionsphilosophie hat vielmehr lem-
9.8.5. Die bestimmte Religion
matisch anzusetzen am Begriff des Geistes: »Die
Religionswissenschaft ist eine, und zwar die (1) Gestaltungen dieser Einheit bilden aber auch
letzte Wissenschaft in der Philosophie; sie setzt die geschichtlichen, »bestimmten Religionen«.
insofern die anderen philosophischen Diszipli- Hegel handelt sie im zweiten Teil seiner Vor-
nen voraus, ist also Resultat.« Deshalb kann in ihr lesungen ab, um zu zeigen, wie sich der Reli-
auch von nichts anderem die Rede sein, als im gionsbegriff in der Geschichte ausformt, also wie
Begriff des Geistes als dem Resultat der Philo- sich das im »Begriff der Religion« gedachte Ver-
sophie liegt – auch wenn Hegel für dieses Resul- hältnis der geistigen Selbstbeziehung gestaltet,
tat, für diese letzte, höchste Wirklichkeit auf den und ihn an diesen Gestaltungen zu bewähren.
traditionellen Namen »Gott« zurückgreift: »der Der Abhandlung der bestimmten Religionen
Gang der Philosophie führt darauf, daß von allem widmet Hegel knapp die Hälfte der jeweils ver-
diesem das letzte Resultat Gott ist. Dies Höchste fügbaren Kollegstunden; in die andere Hälfte
ist dann der Beweis, daß Gott ist, d. h. daß dies an teilen sich die »Einleitung«, der »Begriff der Reli-
und für sich Allgemeine, schlechthin alles Befas- gion« und die »Vollendete Religion«. Er hätte dies
sende, alles Enthaltende, das, wodurch alles nur schwerlich so aufgegliedert, wenn er nicht über-
ist, Bestehen hat – daß dies die Wahrheit ist.« (V zeugt gewesen wäre, daß gerade diesem ge-
3.265,267) schichtlichen Teil ein für die Religionsphiloso-
Die erste Aufgabe einer nicht bloß vorbereiten- phie herausragender Rang zukomme. Als einer
den, sondern systematisch verfaßten Religions- der ersten läßt Hegel der »Religionsphilosophie«
460 II. Werk

– zu seiner Zeit noch einer Disziplin in statu geschichtlichen Bewährung der Annahme, die
nascendi – eine umfassende systematische Aus- seiner Religionsphilosophie zu Grunde liegt,
arbeitung zuteil werden, und als erster weist er aber gleichwohl weniger als eine dogmatische
der Geschichte der Religion eine zentrale Stel- Setzung denn als eine hermeneutische Vorgabe
lung innerhalb dieser Religionsphilosophie zu. anzusehen ist: dem Erweis seiner Annahme, daß
Vor den anderen zeitgenössischen Entwürfen Vernunft in der Religion sei. Wenn aber Vernunft
zeichnen sich seine Vorlesungen durch den wei- in der Religion ist, dann muß diese geschichtlich
ten, tendenziell universellen und realitätsgesät- verwirklichte Vernunft sich auch der in der philo-
tigten Blick aus, mit dem sie ihren Gegenstand sophischen Erkenntnis wirklichen Vernunft er-
erfassen. schließen.
Es macht einen der charakteristischen und (3) Dieses »Vorurteil« hat Hegel in einem pro-
gleichsam revolutionären Züge seiner Religions- grammatischen Passus seines Manuskripts pro-
philosophie aus, daß sie die geschichtlichen Reli- nonciert ausgesprochen: »Mit dem näheren Ge-
gionen nicht allein in den bekannten Gestalten stalten der Vorstellungen von Gott hängt die G e -
der »Volksreligion« Griechenlands oder der herr- s c h i c h t e d e r R e l i g i o n e n zusammen; diese
schenden christlichen Religion thematisiert, son- Geschichte, soviel sie gesammelt und bearbeitet
dern in ihrer geschichtlichen und geographischen ist, läßt vornehmlich so nur d a s Ä u ß e r l i c h e ,
Vielfalt. Hegels gedankliches Ausgreifen tenden- Erscheinende sehen; das höhere Bedürfnis ist,
ziell auf die Totalität der Religionen durchbricht den Sinn, d a s Positive, Wa h r e und Zusam-
die beiden Dreierschemata, in denen traditionell menhang mit Wahrem – kurz, d a s Ve r n ü n f -
und bis in seine Zeit nicht-christliche Religionen t i g e darin zu erkennen; es sind Menschen, die
zum Thema geworden sind: sowohl das spät- auf solche Religionen verfallen sind; es muß also
antike Schema von Heiden, Juden und Christen Ve r n u n f t darin sein, i n a l l e r Z u f ä l l i g k e i t
als auch das seit dem späten Mittelalter aus der eine höhere Notwendigkeit; die G e s c h i c h t e
geschichtlichen Erfahrung des »christlichen d e r R e l i g i o n e n in diesem Sinn zu studieren,
Abendlandes« erwachsene und noch Lessings sich mit d e m zugleich auch v e r s ö h n e n , was
Nathan zu Grunde liegende Schema von Chri- S c h a u d e r h a f t e s , A b g e s c h m a c k t e s darin
stentum, Judentum und Islam. Und das Auf- vorkommt, rechtfertigen, richtig, wahr finden,
sprengen dieser Schemata vollzieht sich nicht als wie es in seiner ganzen Gestalt ist ( M e n s c h e n ,
ein polemisches Ausspielen etwa der »Weisheit K i n d e r o p f e r n), davon ist nicht die Rede; aber
der Chinesen« oder der »Schätze des Orients« wenigstens den A n f a n g , die Quelle als ein
gegen die christliche Religion – wie es für einige Menschliches erkennen, aus dem es hervorge-
Ansätze der Aufklärung (Leibniz, Wolff) und der gangen – dies die höhere Versöhnung.« (V
frühen Romantik (Friedrich Schlegel, PLS I/ 3.107 f.)
1.119) charakteristisch ist. Dieses Menschliche und Vernünftige, das aller
(2) Die christliche Religion zeichnet Hegel Religion zu Grunde liegt, bezeichnet Hegel an
schließlich als die »vollendete« aus – doch dient anderer Stelle präziser als das Geistige. Nicht
sein Blick auf die vorhergehenden Religionen allein die christliche als die »absolute Religion« –
keineswegs der Perhorreszierung ihres Gehalts auch die anderen in der Geschichte aufgetretenen
als eines menschenunwürdigen Aberglaubens Religionen bilden ja in seiner Sicht Gestalten des
oder eines abgefeimten Priestertrugs. Diese Deu- absoluten Geistes, d. h. des sich auf sich selbst
tungsmuster der radikal-aufklärerischen Religi- beziehenden und sich erkennenden Geistes –
onskritik entstammen übrigens ursprünglich der auch wenn dieses philosophische Verständnis der
christlichen Apologetik. Dort bezwecken sie frei- Religionen deren Selbstverständnis keineswegs
lich allein die Diffamierung der »heidnischen« entspricht. Alle Religionen sind solche Gestalten
Religionen wegen ihres ungöttlichen Ursprungs des sein Wesen wissenden und sich mit seinem
und mangelnden Wahrheitscharakters. Hegels Wesen in eins setzenden Geistes. Dieses für alles
Interesse an der Erkenntnis der Religionen in Geistige konstitutive Verhältnis des einzelnen
ihrer geschichtlichen Vielfalt hingegen gilt weder und des allgemeinen Geistes – wie Hegel es im
der Unterminierung noch der apologetischen Be- ersten Teil der Vorlesungen gedanklich expliziert
kräftigung der christlichen Religion. Es gilt der und im dritten Teil historisch eingelöst findet –
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 461

wird in der Geschichte der Religionen zunächst Jahren von anderen, vorzugsweise von den orien-
zwar noch nicht nach seiner Wahrheit erkannt talischen Kulturen erwirbt. Diese weitgefächerte
und gelebt. In den einzelnen Religionen bestim- Aneignung vollzieht sich im Rahmen nicht allein
men die Menschen ihr Verhältnis zum Göttlichen der Vorbereitung der religionsphilosophischen
in sehr unterschiedlicher und – gemessen an Vorlesungen, sondern ebenso der parallelen Vor-
Hegels Religionsbegriff – in sehr unvollkomme- lesungen über Ästhetik und über Philosophie der
ner Weise. Doch wie sehr das Bewußtsein in den Weltgeschichte, auch über Geschichte der Philo-
geschichtlich wirklichen Religionen dieses Ver- sophie. Hegels Quellen umfassen Reiseberichte
hältnis auch verfehlt haben mag: Gleichwohl und Berichte von Missionaren aus Afrika oder
handelt es sich bei ihnen um eine Reihe von Asien, vor allem aber die Übersetzungen und
Bestimmungen der geistigen Einheit, von For- Abhandlungen der damals noch jungen Sinologie
men des Selbstverhältnisses des göttlichen Gei- und Indologie – erwähnt seien hier nur die zahl-
stes als des allgemeinen und des menschlichen reichen von ihm ausgewerteten Abhandlungen
als des einzelnen Geistes – und dieses Verhältnis der Asiatic Researches, insbesondere Henry Tho-
bildet gleichsam den Kristallisationspunkt des mas Colebrookes, aber auch die Arbeiten seines
gesamten Wirklichkeitsverständnisses der Be- Berliner Kollegen, des Indologen Franz Bopp (s.
kenner einer Religion. 47). Und auch auf die griechische Antike und den
(4) Hegels Konzeption der Religionsgeschichte südlichen und östlichen Mittelmeerraum – ein
ist einem ähnlich rapiden Wandel unterworfen Gebiet, das Hegel von Jugend auf vertraut ist –
wie zunächst die des ersten Teils der Vorlesun- fällt damals neues Licht durch die Forschungen
gen; sie zeigt kontinuierliche Neuansätze zur ge- u. a. seines Freundes Creuzer (s. 430) und Karl
danklichen Durchdringung und Formierung der Otfried Müllers zur Symbolik und Mythologie
Religionsgeschichte – auch wenn er die darin wie auch durch die heftigen Auseinandersetzun-
gelegenen Optionen noch nicht optimal nutzt. gen hierüber.
Von der Entwicklung der Gesamtkonzeption der Es ist deshalb eine wohlfeile Kritik, der von
Religionsphilosophie unterscheidet sich die Kon- Hegel erstmals angestrebten tendenziell vollstän-
zeptualisierung der Religionsgeschichte durch digen philosophischen Behandlung der ge-
zwei Akzentverschiebungen: Sie geht der syste- schichtlichen Religionen die im späteren Verlauf
matischen Ausbildung der Religionsphilosophie des 19. Jahrhunderts erworbenen oder gar unsere
voran, und sie bleibt noch weitgehend im Fluß, heutigen Kenntnisse entgegenzusetzen. Die
nachdem das begriffliche Fundament der Reli- Neuedition der Vorlesungen zeigt sein rastloses
gionsphilosophie bereits gelegt ist und die sy- Bemühen um die Resultate der zeitgenössischen
stematische Durchbildung ihrer Konzeption all- historischen Forschung, und dies erfordert eine
mählich mit den Grundlinien seines Systems grundlegende Revision der Kritik, die bisher an
konvergiert und dadurch Festigkeit gewinnt (vor diesem – sonst zumeist ohnehin vernachlässigten
allem seit dem Kolleg 1827). Jedes der drei späte- – Teil der Vorlesungen geübt worden ist: Nichts
ren Kollegien bereichert den mittleren, der »be- ist Hegels Bemühung um ein philosophisches
stimmten Religion« gewidmeten Teil durch die Begreifen dieses reichen Materials weniger ange-
Einbeziehung neuer »ethnischer Religionen« messen als das gängige Bild des Kathederphilo-
(Goethe, V 4.4) in den Gesamtentwurf. In dieser, sophen, der den bunten Reichtum der geschicht-
trotz des bewußten Verzichts auf empirische Voll- lichen Wirklichkeit durch »Systemzwang«, durch
ständigkeit vorherrschenden Tendenz zur ge- ein vorfabriziertes Netz abstrakter Bestimmun-
schichtlichen Ausweitung hätte es gelegen, wenn gen zur fahlen Räson bringen will.
Hegel in einem weiteren Kolleg auch noch wei- (5) Die kontinuierliche Erweiterung der ge-
tere Religionen – etwa der Germanen, der Japa- schichtlichen Perspektive Hegels hat eine ebenso
ner oder Indianer – in seinen Aufriß der Reli- kontinuierliche Umarbeitung seiner Vorlesungen
gionsgeschichte einbezogen hätte. auf drei Ebenen zur Folge. Eine erste Ebene
In dieser sukzessiven Umgestaltung des Auf- betrifft das Bild der jeweils einzelnen Religion:
risses der Religionsgeschichte spiegelt sich die Es kann sich von Kolleg zu Kolleg tiefgreifend
Erweiterung und Vertiefung des Wissens, das wandeln. Insbesondere im Falle der Religion
Hegel sich im wesentlichen in seinen Berliner Chinas gibt Hegel weniger eine einzige Deutung
462 II. Werk

als vielmehr eine Sequenz sehr unterschiedlicher delt Hegel nun im Mittelteil, unter dem Titel
Deutungen, die sich keineswegs zu einem Ge- »Entzweiung des religiösen Bewußtseins in sich«
samtbild vereinigen. Ähnlich steht es mit seiner (V 4.615–623), gefolgt von der »Religion der Frei-
Darstellung der Religion Israels – auch wenn die heit«, die hier schon mit der iranischen und der
Differenzen hier eher als unterschiedliche Ak- jüdischen Religion beginnt (V 4.623–642).
zentuierungen zu beschreiben sind: In den späte- In dieser veränderten Zuordnung der Religio-
ren Kollegien löst Hegel sich zunehmend aus nen zu Stufen der Religionsgeschichte findet He-
dem Umkreis der Herderschen Deutung der Reli- gels fortschreitende Einsicht in den gedanklichen
gion des Alten Testamentes und des alttestament- Gehalt der Religionen einen dreifachen Aus-
lichen Gottes als des »Lichtwesens«; andere alt- druck: Die Kategorie des »Seins« ist wenig geeig-
testamentliche Traditionen und Schlüsselbegriffe net, den metaphysischen Gehalt einer Religion
treten hervor. An die Stelle des einen, aus den auszudrücken, weil jede Religion – als Religion –
unterschiedlichen Kollegien gemischten und so- eine Gestalt des Geistes ist. Auch die Kategorie
mit konturlosen Bildes der Religion Israels muß des Natürlichen – selbst im Sinne nicht der äuße-
somit eine Sequenz von Bildern treten, die gegen ren Natur, sondern der unmittelbaren, natürli-
einander gehalten und in ihrer unterschiedlichen chen Subjektivität – ist keineswegs geeignet, die
Akzentuierung erfaßt werden müssen. Religionen Chinas und Indiens unter sich zu be-
Eine zweite Ebene von Umarbeitungen berührt fassen; die iranische Religion – als die »Religion
weniger die Zeichnung der jeweils einzelnen Re- des Guten« – weiß das Göttliche trotz der ihm
ligionen als deren Stellung innerhalb des Ganzen noch anhaftenden Natürlichkeit des Lichts als ein
der stets hierarchisch strukturierten Religionsge- in sich Geistiges, sich Bestimmendes, und ist
schichte. Ihre Bestimmtheit erhalten die Reli- deshalb einem höheren Kreise zuzuordnen. Doch
gionen ja nicht allein durch ihre innere Konkre- wird man diese Konzeption des Kollegs 1831
tion, sondern ebensosehr durch ihre Relation zu gerade wegen ihrer tiefgreifenden Umgestaltung
anderen. Mit der Vor- oder Nachordnung etwa nur als die zeitlich letzte anzusehen haben – und
des Buddhismus gegenüber dem Hinduismus nicht als diejenige Konzeption, in der Hegels
oder der griechischen und der alttestamentlichen religionsgeschichtliche Einsicht ihre auch im
Religion ist zugleich eine Zuweisung zu einer Sinne der Ausbildung des Gedankens abschlie-
bestimmten Stufe und Funktion innerhalb der ßende, verbindliche Gestalt gewonnen habe.
Religionsgeschichte ausgesprochen. Neben den Wandel der Darstellung und die
Die wichtigsten dieser Veränderungen betref- Umdisposition in der Anordnung der »bestimm-
fen den Begriff der Naturreligion. Dessen Bedeu- ten Religionen« tritt noch eine dritte, und zwar
tungsgeschichte endet keineswegs damit, daß eine systematisch bedeutsame Ebene der Verän-
Hegel nun die frühe Jenaer Gleichsetzung der derung: ein Wandel in den Prinzipien der Dar-
griechischen Religion mit der Naturreligion auf- stellung. Es geht Hegel nicht primär um eine
gibt. Im ersten Berliner Kolleg tritt deren Begriff historische Abhandlung der »bestimmten Reli-
– bis auf eine Erwähnung (V 4.27) – zurück. Auch gion«; er beschränkt sich auch gar nicht darauf,
gewinnt die Stufe der Naturreligion hier zunächst den durch die Abtrennung von »Begriff der Reli-
noch keine historische Konkretion; sie ist ihm die gion« und »vollendeter Religion« von der »be-
orientalische Religion schlechthin, und ihr meta- stimmten Religion« gewonnenen geschichtlichen
physischer Begriff ist das einfache reine Sein. Im Spielraum zu nutzen: die einzelnen Religionen zu
zweiten und im dritten Kolleg stellt Hegel – beschreiben und sie schlicht in chronologischer –
neben der Zauberei – die Religionen Chinas, oder sonstiger empirischer – Folge anzuordnen.
Indiens, Irans und Ägyptens unter den Titel ›Na- Seine Absicht ist es, die Vernunft in den ge-
turreligion‹. Doch im letzten Kolleg gibt er die- schichtlichen Religionen zu erkennen: sie als Ge-
sem Begriff eine gänzlich neue und sehr viel stalten des sein Wesen denkenden Geistes zu
engere Bestimmung: Als ›Naturreligion‹ bezeich- begreifen. Und darüber hinaus geht es ihm
net er hier nur noch das Anfangsstadium der darum, nicht eine beliebige Vielzahl von Typen
Religionsgeschichte, die »Religion der Zauberei«. dieses Selbstbewußtseins des Geistes zu präsen-
Die Religionen Chinas und Indiens (einschließ- tieren, sondern die unterschiedlichen Vermitt-
lich des Buddhismus und des Lamaismus) behan- lungsgestalten des allgemeinen und des einzel-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 463

nen Geistes in eine primär gedankliche Ordnung wenn Hegel stets an seinem Anspruch festhält,
zu bringen, die sich schließlich als identisch mit die Reihe der Religionen als durch den Begriff
der historischen Ordnung enthüllt. Doch die geordnete zu begreifen.
Prinzipien einer solchen gedanklichen Ordnung (6) Doch so neuartig, ja unerhört Hegels An-
lassen sich aus dem bloßen Begriff der Religion spruch ist, möglichst alle damals verfügbaren
nicht hinreichend ableiten. Aus diesem Begriff Quellen für seine Religionsphilosophie heranzu-
allein – als dem Begriff der substantiellen Einheit ziehen, und so großartig das Bild ist, das er von
des Geistes, des Urteils in sich und in ein Wissen, den einzelnen Religionen und von ihrer geordne-
für welches er als solches ist, und der vermittel- ten Gesamtheit entwirft, so kann es dennoch
ten Identität des allgemeinen und des einzelnen nicht verwundern, daß dieses Bild seit langem
Geistes – läßt sich ohne Zusatzannahmen ja nicht nicht mehr befriedigt. Die Geschichtswissen-
einmal das Faktum der Vielheit der Religionen schaft, die orientalischen Philologien und die
plausibel machen. Religionswissenschaft haben sich erst seit Hegels
Hegel sieht sich deshalb genötigt, derartige Zeit als akademische Disziplinen konstituiert; sie
Ordnungsprinzipien außerhalb der Religionsphi- haben das von ihm gezeichnete Bild fraglos in
losophie aufzusuchen. Doch sind diese Prinzipien erheblichem Maße verändert. Dies gilt selbst im
einem ähnlich raschen Wandel unterworfen wie Blick auf die Religionen Israels sowie Griechen-
die Religionen, die zu ordnen sie bestimmt sind. lands und Roms, über die zur Zeit Hegels weit
Er ersetzt auch nicht bloß das eine Prinzip durch eingehendere Kenntnisse verbreitet waren als
ein jeweils anderes, ohne die Stellung des Prin- über den Orient. Deshalb wird niemand, der sich
zips zum Prinzipiierten zu verändern: Vielmehr nur über eine der von Hegel abgehandelten Reli-
nimmt er im Verlauf der drei späteren Kollegien gionen unterrichten will, zu seiner Religions-
die ursprünglichen Prinzipien zur begrifflichen philosophie greifen. In dieser – ersten und unan-
Strukturierung der Religionsgeschichte schritt- gemessenen – Perspektive hat seine Darstellung
weise zurück, und er ersetzt sie durch jeweils allenfalls ein wissenschaftshistorisches Interesse:
flexiblere und spezifischere, der Vielzahl der Re- Sie illustriert eine geschichtliche Situation, in der
ligionen und dem spezifischen Charakter dieser die ersten detaillierteren Nachrichten über die
Sphäre besser angemessene. Die bekannte streng orientalischen Religionen nach Europa drangen,
schematische Gliederung der »bestimmten Reli- in der die ersten Übersetzungen etwa von in-
gion« durch die logischen Bestimmungen Sein- dischen Texten angefertigt wurden – oftmals zu-
Wesen-Begriff findet sich nur im Manuskript, nächst ins Lateinische oder in andere europäi-
nicht mehr in den späteren Vorlesungen. Die sche Sprachen –, und in der andererseits nicht
geschichtliche Vielfalt der Religionen läßt sich nur die Adepten der romantischen Mythomanie
nicht durch eine Begrifflichkeit einfangen, die in wie Joseph Görres (s. 307 ff.) in ihren phantasti-
Hegels Wissenschaft der Logik an ihrem Platze schen Schriften, sondern selbst Kenner in Fach-
sein mag. Ihre Übertragbarkeit auf das Feld der zeitschriften abstruse Behauptungen verbreiteten
Religionsgeschichte hat Hegel ohnehin nirgends – sei es auch nur, weil sie von ihren Gewährsmän-
dargetan oder auch nur erwogen. Und sein zwei- nern hinters Licht geführt wurden.
tes Prinzip – die Zuordnung der »bestimmten Doch bietet sich ein gänzlich anderes Bild,
Religionen« zum kosmologischen und zum teleo- wenn man Hegels Ausführungen nicht analog zu
logischen Gottesbeweis – ist bei weitem nicht heutigen religionswissenschaftlichen Darstellun-
differenziert genug, um als Ordnungsprinzip für gen liest und beurteilt, sondern wenn man sich
die vielen von ihm behandelten Religionen fun- auf diejenigen Fragestellungen einläßt, die ihm
gieren zu können. Die sogenannten »metaphysi- philosophisch wichtig waren und um derentwil-
schen Begriffe« schließlich bilden eigentlich nur len er das noch wenig bebaute Feld der Religions-
noch Konzeptualisierungen des Gehalts der je- geschichte zum Ort der Bewährung seines Reli-
weiligen Religionen, aber keine Ordnungsprinzi- gionsbegriffs erhoben hat. Dann zeigt sich auch,
pien, zumal sie selber nicht als durch ein Prinzip daß sein Ansatz mit ähnlichen Problemen zu
geordnet auftreten. Hierdurch verschiebt sich ringen hat wie noch die neuere religionswissen-
von Kolleg zu Kolleg das Gewicht von Systematik schaftliche und -geschichtliche Forschung: mit
und Historie zu Gunsten der letzteren – auch der Einheit des Religionsbegriffs, mit dem Ver-
464 II. Werk

hältnis der Religion zu Staat, Gesellschaft, Kunst chen auch ihr real-geschichtliches Verhältnis er-
und Philosophie, mit dem Wahrheitsanspruch faßt sei. Doch erhebt Hegel hier wie auch in
der Religionen angesichts ihrer Vielfalt und ihres seinen Vorlesungen über die Geschichte der Phi-
Wandels oder mit Fragen des Verhältnisses von losophie den Anspruch, die Ordnung durch den
Religion und Geschichte. Begriff als zugleich geschichtliche Ordnung er-
(7) Verdeutlicht sei dies hier nur am letzt- weisen zu können (V 6.27). Dem »ordo idearum«
genannten Thema. Seit dem 19. Jahrhundert ist soll der »ordo rerum« entsprechen, der gedankli-
›Religionsgeschichte‹ zum geläufigen Terminus chen Hierarchie der Religionen ihre historische
geworden – doch ist es keineswegs leicht, mit Stellung zu einander. Der Weg des Begriffs wird
diesem Wort auch einen bestimmten Sinn zu so zum Lauf der Geschichte.
verbinden. Mit ›Religionsgeschichte‹ ist ja weder Doch genau diesen Anspruch hat Hegel nicht
eine vergleichende Religionswissenschaft neue- eingelöst, und zwar für die Religionsphilosophie
ren Stils gemeint noch – im Sinne des traditionel- plausibler Weise noch weit weniger als in seinen
len Verständnisses von ›Geschichte‹ oder ›Hi- philosophiegeschichtlichen Vorlesungen. Seinem
storie‹ – eine Erzählung über Religionen, son- Anspruch korrespondiert auch gar nicht der Ver-
dern ein objektiver Zusammenhang, in dem die such eines Erweises, ja nicht einmal eine Refle-
Religionen zu einander stehen. Was aber kon- xion über die notwendigen Voraussetzungen ei-
stituiert das Auftreten einer Mannigfaltigkeit von nes solchen Erweises. Anders als in den Vor-
Religionen in der Geschichte der Menschheit zur lesungen über Philosophie- oder auch über Welt-
Religionsgeschichte? Die Logik der Begriffsprä- geschichte spielen bereits chronologische
gung unterstellt, daß es eine Geschichte der Reli- Erwägungen nur eine verschwindend geringe
gion im Sinne einer kontinuierlichen Entwick- Rolle in Hegels ›Religionsgeschichte‹. Und ob-
lung gebe, in die zumindest mehrere Religionen gleich gerade er die überzogenen Frühdatierun-
einbezogen seien: daß die Religion selber eine gen des hohen Alters der chinesischen oder der
›objektive Geschichte‹ habe, ähnlich wie die indischen Kultur kritisiert, läßt er den Weg des
Kunst oder die Philosophie, und daß die wirkli- Weltgeistes auf dem Gebiet der Religion im we-
chen Religionen sich innerhalb dieser Geschichte sentlichen mit der chinesischen und der indi-
als einzelne Etappen zu einander verhielten. schen Religion einschließlich des Buddhismus
Es ist Hegels – in mehrfach variierter Weise beginnen, obschon andere Religionen – insbe-
konkretisierte – Behauptung, daß die »bestimm- sondere die ägyptische und die israelische – den
ten Religionen« durch den Begriff der Religion zu erstgenannten an Alter keineswegs nachstehen.
ordnen seien: daß sie am Maßstab der in ihnen Ferner bemüht Hegel sich auch gar nicht um
jeweils vorgestellten und verwirklichten differen- den Nachweis einer wenigstens partiellen ge-
zierten Identität des allgemeinen und des einzel- schichtlichen Kontinuität, wie man sie für das
nen Geistes in eine Ordnung zu bringen seien – Verhältnis des Hinduismus zum Buddhismus und
wiewohl nicht notwendig in eine eindeutig fest- dessen Wirkung auf die Religionen Chinas, aber
gelegte Ordnung. Eine solche vom Betrachter auch für das Verhältnis der indischen und der
hergestellte Ordnung braucht – wie Hegel durch iranischen Religion durchaus nachzeichnen
seine Abtrennung der »vollendeten Religion« von könnte. Freilich haben seine Quellen eine diffe-
der »bestimmten« berücksichtigt hat – nicht eine renzierte Einsicht in derartige Zusammenhänge
Leiter zu bilden, von deren vorletzter Stufe man nicht begünstigt, großenteils auch gar nicht er-
gleichsam durch einen letzten folgerichtigen laubt. Und den damals behaupteten Kontinuitä-
Schritt zur »vollendeten Religion« hinaufsteigt. ten, wie der Annahme eines orientalischen Ur-
Sie muß sogar überhaupt nicht als eine geschicht- sprungs der griechischen Mythen, steht Hegel
liche Folge vorgestellt werden: Religionen aus zurecht äußerst zurückhaltend gegenüber. Ob-
unterschiedlichen Epochen und Kulturen könn- gleich derartige Ansichten von Friedrich Creuzer,
ten am Leitfaden etwa der in ihnen konzipierten seinem Freund aus der Heidelberger Zeit, ver-
Versöhnung des göttlichen und des menschlichen treten werden, neigt er eher der Ansicht von
Geistes, also am Leitfaden des Selbstbewußtseins dessen Kritikern wie Gottfried Herrmann oder
des Geistes hierarchisch geordnet werden – ohne Johann Gottlieb Rhode zu.
den Anspruch, daß damit neben ihrem begriffli- Schließlich ignoriert Hegel noch zwei weitere
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 465

Aspekte, die für eine geschichtliche Abhandlung Hegel von Kolleg zu Kolleg in den Blick nimmt,
der Religion unverzichtbar wären: Von verstreu- fügt sich diesem Wege ein: Geographisch – aller-
ten Nebenbemerkungen abgesehen – etwa zum dings auch zeitlich – geht sie nicht über das
Verhältnis des späteren Hinduismus zu den Veden einmal gesteckte Ziel hinaus. Diesen nur schein-
oder der Gestalt des Mithras zum Parsismus – bar geschichtlichen Gang von Osten nach Westen
ignoriert er die interne Geschichte der einzelnen deutet Hegel jedoch zugleich als eine gedankliche
Religionen – obgleich er im Blick auf das Chri- Höherentwicklung: als einen Fortschritt im
stentum doch selber betont, daß es nicht so sehr Selbstbewußtsein des Geistes.
auf irgendeine ›Urgeschichte‹ oder anfängliche (8) An dieser Stelle häufen sich die Fragen, die
Offenbarung ankomme als auf die Herausbildung an seine Konzeption zu richten sind: Was be-
der Wahrheit eines Gedankens im Laufe einer deutet ein solcher »Fortschritt«, wenn seine Ab-
geschichtlichen Entwicklung. Ein für eine ge- handlung der »bestimmten Religion« nicht – wie
schichtliche Betrachtung so eminent wichtiger er vorgibt – als Geschichte, sondern als Geo-
Vorgang wie beispielsweise die allmähliche Her- graphie der Religion zu interpretieren ist? Was
ausarbeitung des Monotheismus innerhalb der vor allem kann es dann noch heißen, daß die
Religion Israels bleibt gänzlich jenseits seines früheren Religionen die Voraussetzung der späte-
Blickes auf die Religionen – und wohl nicht allein ren bildeten? Ist diese Voraussetzungsstruktur
deshalb, weil der damalige Stand der Forschung schon dadurch erfüllt, daß an einem bestimmten
es noch nicht erlaubt, die Spezifik und das all- Punkt der Weltgeschichte eine – gemessen an
mähliche Zusammenwachsen der alttestamentli- Hegels Religionsbegriff – höhere Gestalt des Gei-
chen Traditionen zu überblicken. Ebensowenig stes auftritt, obgleich sie zu der früheren, die als
ist Hegel daran interessiert, ob eine solche in- ihre Voraussetzung gilt, in keiner geschichtlich
terne Geschichte bereits an ihr Ende gekommen vermittelten Beziehung steht? Welcher vernünf-
sei: ob es sich bei den behandelten Religionen um tige Sinn ließe sich mit der Behauptung ver-
noch lebende oder um vergangene handele. Die binden, daß der Buddhismus die Voraussetzung
Vergangenheit oder Gleichzeitigkeit anderer Re- der ägyptischen Religion sei? Doch so unbefriedi-
ligionen im Verhältnis zum Christentum bildet gend die Antworten auf solche Fragen ausfallen,
für seine Betrachtungsweise kein Problem, ja so weisen diese doch in eine wichtige Richtung.
nicht einmal einen Gegenstand des Interesses. Hegels Begriffsinstrumentarium erlaubt zwei
Wichtig ist ihm lediglich die Vielfalt der Heraus- scheinbar divergierende, aber doch miteinander
bildung von Vermittlungsgestalten des allgemei- in Einklang zu bringende Antworten auf diese
nen und des einzelnen Geistes. Die späteren, oft Fragen, die jedoch beide über seinen Ansatz hin-
durch äußere Umwälzungen bedingten Schick- ausführen. Seine Deutung, daß alle Religionen
sale hingegen gehen den sich begreifenden Geist Gestalten seien, in denen der Geist das Bewußt-
– angeblich – nichts an. sein seiner selbst gewinne, ist – für sich ge-
Gleichwohl erscheinen die Religionen in He- nommen – unabhängig gegenüber der Annahme
gels Darstellung in einer Reihenfolge, die nicht eines geschichtlichen Zusammenhangs dieser
durch den Begriff allein bestimmt ist und in der Religionen. Sie beanspruchte Gültigkeit auch in
weniger – wie es häufig heißt – der Empirie als einer Welt, deren Naturbeschaffenheit keinerlei
vielmehr dem Begriff Gewalt angetan wird. Die Kontakt zwischen den unterschiedlichen Kultu-
gedankliche Ordnung wird ergänzt und auch ver- ren und somit keinen geschichtlichen Zusam-
bogen – jedoch nicht durch das geschichtliche menhang erlaubte. Die Religionen als Gestalten
Prinzip, sondern durch das geographische: He- des Selbstbewußtseins des Geistes bilden sich ja
gels Abhandlung der »bestimmten Religion« bil- nicht notwendig erst in geschichtlicher Kommu-
det weniger eine Religionsgeschichte als eine nikation mit anderen oder durch einen von an-
Religionsgeographie. Der Weg der Religion be- deren ausgehenden Anstoß, und sie sind schon
ginnt in China und verläuft ohne räumliche Un- gar nicht als Trümmer einer ursprünglichen Of-
terbrechungen über Indien und den vorderen fenbarung zu verstehen, wie Hegel gegen den zu
Orient in den Mittelmeerraum: von Ägypten und seiner Zeit grassierenden Uroffenbarungswahn
Israel weiter nach Griechenland und Rom. Auch immer wieder einschärft. Sondern sie treten für
die Erweiterung der Anzahl der Religionen, die sich überall da hervor, wo Geistiges ist, weil alles
466 II. Werk

Geistige kraft seiner Natur darauf angelegt ist, (9) Damit könnte auf einem Umwege wieder
ein Bewußtsein über sich selbst zu gewinnen. das Bild einer Religionsgeschichte erreicht zu
Dieses Bewußtsein differiert in den einzelnen sein scheinen, das Hegel dem flüchtigen Leser
Völkern und später in den größeren Kulturkrei- seiner Vorlesungen ohnehin suggeriert. Doch
sen auf Grund ihrer unterschiedlichen natürli- bleiben zwei wesentliche Unterschiede.
chen und kulturellen Bedingungen. Wer über den Daß der Geist nur auf Grund seiner Geschicht-
wahrhaften Begriff der Religion verfügte, könnte lichkeit, im Durchlaufen einer Geschichte zum
diese monadischen Religionen – nach Maßgabe Bewußtsein seiner selbst gelangt, impliziert
ihrer geringeren oder größeren Angemessenheit nicht, daß dieses Zusichkommen als sowohl be-
zu diesem Begriff – in eine gedankliche Ordnung grifflich wie auch geschichtlich geordnete Totali-
bringen. Sie wäre aber indifferent gegenüber so- tät der vorausgegangenen Formen zu denken sei.
wohl geschichtlichen Zusammenhängen als auch Es ist nicht möglich, die Totalität dieser Formen
räumlicher Nachbarschaft. Daß der Geist – mit als die Eine Geschichte der Religion zu begreifen
Hegel – seinen Weg von Ost nach West nehme, ist – es sei denn, man wollte mit einem laxen Begriff
nur ein altes, mit vereinzelten Erfahrungsgehal- von Geschichte arbeiten, der weder chronologi-
ten durchschossenes Deutungsmodell. Es ist dem sche Bestimmtheit noch Kontinuität der Entwick-
spekulativen Begriff der Religion aber noch weit lung erfordert. Doch eine bloße Erzählung von
äußerlicher als eine geschichtliche Ordnung. verschiedenen Religionen könnte nicht als die
Doch andererseits widerspricht die hier zu- Entwicklung des Geistes ausgegeben werden.
nächst unterstellte Unmittelbarkeit einer Vielzahl Geschichte des Geistes und gerade auch Ge-
monadischer Religionen dem Hegelschen Begriff schichte der Religion gibt es nur als – nicht durch
der Geschichtlichkeit des Geistes. Diese vorhan- den Begriff determinierte – Vielheit partieller
dene Vielheit ist allenfalls eine quasi-natürliche geschichtlicher Zusammenhänge, deren Umfang
Voraussetzung für die eigentliche Tätigkeit des durch die jeweiligen Kulturkreise erweitert und
Geistes, das Wissen seiner selbst hervorzubrin- begrenzt wird. Erst der Blick des Historikers
gen. Denn die im Sinne des Hegelschen Reli- überschaut diese Partialgeschichten. Doch ist
gionsbegriffs »richtige«, »vollendete« Auffassung dies eine Sicht, die nicht der Religionsgeschichte
des Verhältnisses des allgemeinen und des einzel- selber angehört und für die Konstitution des in
nen Geistes kann nichts Unmittelbares sein; erst ihr ausgebildeten Wissens zu spät kommt.
im Durchlaufen einer Geschichte gewinnt der Diese skizzierte Revision des Hegelschen Mo-
Geist sein Bewußtsein über sich. Es widerspricht dells macht auch plausibel, weshalb zeitlich spä-
– metaphorisch gesprochen – der »Natur des tere Religionen gleichwohl früheren Stadien der
Geistes«, daß der Geist gleichsam von Natur aus Entwicklung des Begriffs angehören können und
ein adäquates Bewußtsein seiner selbst hätte. weshalb mit dem Erreichen einer Vollendungsge-
Denn das Wesen des Geistes ist die Freiheit, und stalt das Auftreten weiterer Religionen und auch
diese kann nichts Unmittelbares sein. Sie muß partieller Religionsgeschichten keineswegs aus-
hervorgebracht, herausgearbeitet werden, und geschlossen ist – wenn man einmal mit Hegel die
eben dieser Prozeß ist die Geschichte – der Bildung eines »Begriffs der Religion« und die
Kunst, der Religion und der Philosophie. Und Rede von einer »vollendeten Religion« als sinn-
weil in diesem Prozeß das Vorhergegangene als voll unterstellt. Wenn die Totalität der Religionen
ein Erinnertes enthalten ist und nicht prinzipiell als in die Eine Geschichte aufgehoben gedacht
ignoriert werden kann, ist dieser Prozeß für He- werden müßte – wie dies bei Hegel den Anschein
gel notwendig ein Fortschritt im Selbstbewußt- hat –, wäre es ein allerdings schwer begreiflicher
sein des Geistes (s. 414 ff.). Spätere Gestalten des Rückfall hinter den erreichten Fortschritt im
Geistes können sich zudem auch insofern auf Selbstbewußtsein des Geistes, ein Versagen der
frühere als auf ihre geschichtlichen Voraussetzun- Mnemosyne, wenn eine geschichtlich spätere Re-
gen beziehen, als sie diese nachträglich in ihr ligion eine gleichsam schon überwundene Stufe
Bewußtsein aufnehmen – auch wenn sie zunächst repräsentierte. Doch außerhalb solcher partieller
anderen Kulturkreisen angehört haben mögen Geschichten – dort, wo keine Mnemosyne waltet
und nicht in die Konstitutionsgeschichte der spä- – ist es eine sinnlose Forderung, daß eine bereits
teren gehört haben. in der Entwicklung des Geistes erreichte Stufe
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 467

nicht hinterschritten werden dürfe. Die Vorstel- sophie. Er zeichnet die christliche Religion nicht
lungen, in denen der Geist sein Wesen auszu- allein dadurch vor den ihr vorausgegangenen aus,
drücken sucht, werden durch Gestalten aus an- daß er ausschließlich ihr den dritten Teil seiner
deren kulturellen Kontexten ja keineswegs über- Vorlesungen widmet. Während er jene als »be-
holt oder erübrigt – selbst nicht durch die Unter- stimmte Religion« bezeichnet, nennt er diese die
stellung einer Vollendungsgestalt. Anderenfalls »vollendete« – zumindest dominiert jetzt dieses
könnte man innerhalb des Hegelschen Ansatzes Adjektiv über das ebenfalls noch gebrauchte »ab-
die Entstehung und die Geschichte des Islam solut«. Für viele Interpreten ist der Charakter der
nicht begreifen. Aber auch die von Hegel mehr- Hegelschen Religionsphilosophie schon damit
fach gebrauchte Formel, daß der Begriff die Zeit hinreichend bezeichnet: als eine Art philosophi-
tilge, daß also die vollendete geschichtliche Aus- scher Dogmatik – den einen ein Vorbild und den
prägung des Begriffs nicht mehr der zeitlichen anderen ein Schreckbild.
Umgestaltung ausgesetzt sei, kann nur innerhalb Hegel schmückt aber nicht allein die christliche
der jeweiligen Grenzen einer Partialgeschichte Religion mit einem derartigen Epitheton; auch
gelten. Die Vielfalt und Partialität der Religions- die anderen Religionen führt er zunächst unter
geschichte ist somit – entgegen Hegel – geradezu einem solchen quasi-begrifflichen Titel ein. Erst
eine Bedingung der Plausibilität seines Begriffs nachträglich enthüllt er dann ihre historische
der »bestimmten Religion«. Identität – so etwa die »Religion der Schönheit«
Es sind derartige Fragen, die den zweiten Teil bzw. die »Religion der Zweckmäßigkeit« als die
der Vorlesungen zu einer vorzüglichen, wenn griechische bzw. die römische Religion. Die mei-
auch noch wenig ausgeschöpften Quelle für die sten dieser Epitheta – Maß, Insichsein, Phanta-
Behandlung religionsphilosophischer Probleme sie, Gutes, Rätsel, Erhabenheit – sind keine
machen. Die Erschließungskraft des Hegelschen strengen Begriffsbestimmungen; man kann des-
Religionsbegriffs zeigt sich an Hand der hier von halb erwägen, ob die eine Bezeichnung nicht für
ihm behandelten Religionen nicht weniger klar eine andere Religion passender sei. »Erhaben-
als an Hand des dritten Teils, und die Vielzahl heit« etwa wird zu Hegels Zeit ja oft als Charak-
und die Tiefe der hier zu findenden Aufschlüsse terzug der indischen Kunst genannt. Die Bezeich-
läßt den zweiten Teil sogar als für ein religions- nung »vollendete Religion« hingegen drückt be-
philosophisches, wenn auch nicht für ein theo- reits eine Begriffsbestimmung aus. Dies erfordert
logisches Interesse erheblich besser geeignet er- eine andere Art der Rechtfertigung als den blo-
scheinen. Auch viele andere Probleme finden in ßen Hinweis, warum es plausibel sei, im Blick
diesem Teil eine weit detailliertere Behandlung: etwa auf die Religionen Chinas oder Ägyptens
die Fragen etwa nach dem Verhältnis der Vor- vom »Maß« oder vom »Rätsel« zu sprechen.
stellung zum Kultus oder nach dem Verhältnis des »Vollendete Religion« – dies läßt etwa an die
Bildes, das der Mensch von sich entwirft, zum gebräuchliche Rede von einem »vollendeten
Bild, das er von Gott entwirft, oder nach dem Kunstwerk« denken. Doch anders als bei diesem
Verhältnis der Religion zu Kunst und Philosophie ist bei der »vollendeten Religion« nicht bloß an
und zum sittlichen Leben überhaupt. Und auch eine höchste Steigerung des Gelingens zu den-
für Problemstellungen jenseits der Religionsphi- ken. Es ist hiermit vielmehr eine präzise be-
losophie im engeren Sinne bietet dieser Teil eine schreibbare, von den vorangegangenen Religio-
Fülle von Einsichten: etwa für die Fragen nach nen qualitativ unterschiedene strukturelle Eigen-
dem Wesen des Geistes, nach seiner Geschicht- tümlichkeit dieser Religion ausgesagt. Diesen
lichkeit oder nach dem Verhältnis logischer Mo- Vollendungscharakter der christlichen Religion
mente zu empirisch-phänomenologischen. faßt Hegel mit zwei Formeln. Nach der ersten ist
sie diejenige Religion, die dem Begriff ent-
spricht. Unter »Begriff« ist hier nicht der »Be-
9.8.6. Die vollendete Religion
griff« schlechthin zu verstehen, sondern näher
(1) In diesem systematisch-geschichtlichen Zu- der Begriff der Religion. Doch zeigt sich rasch,
sammenhang steht auch Hegels philosophische daß diese Formel für sich allein noch nicht geeig-
Explikation der Idee des Christentums; dieses ist net ist, eine Religion vor den anderen auszuzeich-
Gegenstand und nicht Fundament seiner Philo- nen: Alle Religionen entsprechen ja dem Begriff
468 II. Werk

der Religion – sonst wären sie gar keine Reli- mente des Begriffs der Religion sind und sich
gionen. Es muß somit über das bloße »Entspre- somit in allen Religionen finden, markiert Hegel
chen« hinaus eine spezifische Weise dieses Ent- im Blick auf sie sehr präzise den Unterschied
sprechens ausgesagt sein, um die eine Religion zwischen der »bestimmten« und der »vollendeten
aus der Menge der anderen als die »vollendete« Religion« – in einer längeren Passage, die wegen
herausheben zu können. ihrer Bedeutung für das Verständnis des Begriffs
Diese spezifische Weise wird durch die zweite der »vollendeten Religion« hier ausführlich wie-
Formel bezeichnet: Die christliche ist diejenige dergegeben sei: »Aber ist zugleich oben i n A n -
Religion, in der der Begriff der Religion sich s e h u n g d e r M e t h o d e der Wissenschaft so-
selbst objektiv, Gegenstand geworden ist. Dies ist wohl, als in Ansehung d e r F o r t b e s t i m m u n g
ganz wörtlich zu nehmen: Der Begriff der Reli- d e s B e g r i f f s bemerkt worden, daß d i e Vo l l -
gion selber bildet den Gegenstand der christli- e n d u n g d e r R e l i g i o n selbst i h r e n B e g r i f f
chen Religion. Diese Formel mag mißverständ- hervorbringe, ihn sich gegenständlich mache;
lich, wenn nicht unsinnig erscheinen – als ob im erst so gegenständlich gemacht ist er e n t w i k -
Christentum ein abstrakter Begriff zu göttlichen k e l t , und in ihm die B e s t i m m u n g e n s e i n e r
Ehren gelange. Denn wie sollte nicht allein ein To t a l i t ä t g e s e t z t . aa) Ist zu bemerken, daß
Begriff sich selber zum Gegenstand, sondern zu- sie in dieser offenbaren Religion als w e s e n t -
mal die christliche Religion einen Begriff zum l i c h e Momente des I n h a l t s , mit dem Bewußt-
Gegenstand haben – vielleicht gar Begriffsidola- sein des Inhalts und mit der Bestimmung, Wa h r -
trie treiben? Doch der Begriff der Religion ist h e i t zu sein, hervortreten – d. h. als o b j e k t i v
nach Hegels Verständnis kein »abstrakter Begriff« und i m S y s t e m d e s o b j e k t i v e n G e g e n -
und auch kein Inbegriff einzelner charakteristi- s t a n d s e r s c h e i n e n . In den bestimmten Reli-
scher Bestimmungen der Religion, sondern er ist gionen aber erscheinen d i e s e B e s t i m m u n -
ihre Vernunftstruktur, gleichsam ihr innerer Lo- g e n auch, als wie natürliche B l u m e n u n d G e -
gos, nämlich nichts anderes als der Geist selbst, b i l d e , zufällig hervorgesprossen, ohne zu wis-
in den drei für seine wissende Selbstbeziehung sen woher noch wohin – als Ahndungen, Bilder,
konstitutiven Momenten, die Hegel – im Vorblick Vorstellungen.« (V 3.106)
auf die Unterscheidung der vollendeten Religion Während also alle Religionen durch diese drei
von den bestimmten Religionen – bereits im er- Momente strukturiert werden, hat die christliche
sten Teil seiner Vorlesungen einführt: (1) im Religion den Geist in diesen drei Momenten zum
Geist als der substantiellen Einheit des »Wis- Gegenstand der religiösen Vorstellung: im trini-
sens« und des »Wesens« – rudimentär schon in tarischen Gottesgedanken. Deshalb insistiert He-
»niederen Religionen« und vollendet im Gedan- gel gegen die Theologie seiner Zeit auf der Trini-
ken der Menschwerdung Gottes, (2) im Moment tätslehre, deren Sinn er eben im Geistbegriff
des Urteils in den Geist als Gegenstand und das findet: Das, was Religion an sich ist – ein durch
Wissen dieses Geistes von sich, damit aber auch die genannten Momente konstituiertes Selbst-
der Entgegensetzung Gottes als des absolut Posi- bewußtsein des Geistes –, wird hier für sie, zum
tiven gegen das Negative des » We l t w e s e n s , Gegenstand ihrer Vorstellung, zum Inhalt des
des M e n s c h e n «, sowie (3) im Wissen, »daß das Gottesbegriffs selber, und macht ihren Lehrge-
Selbstbewußtsein des Geistigen selbst ewiges, halt aus: im trinitarischen Gottesgedanken, als
absolutes Moment ist« (V 3.102–105). Mit dieser der individualisierten, personifizierten Gestal-
Exposition der drei Momente amplifiziert Hegel tung dieser Momente für die Vorstellung. Spuren
die überaus kondensierte Bestimmung der Reli- von ihm erkennt Hegel in einigen »bestimmten
gion in 3§ 554 der Enzyklopädie: der absolute Religionen«, insbesondere in der indischen Tri-
Geist sei »eben so ewig in sich seyende als in sich murti, deren Bedeutung für den Hinduismus er
zurückkehrende und zurückgekehrte I d e n t i - ebenso überschätzt wie einige damalige trinitäts-
t ä t; die Eine und allgemeine S u b s t a n z als gei- theologisch ambitionierte Indologen bzw. – auf
stige, das Urtheil i n s i c h und i n e i n W i s s e n , ähnlichem Gebiet – Sinologen. Doch anders als
f ü r w e l c h e s sie als solche ist.« diese faßt Hegel diese »Spuren« nicht (roman-
Doch obwohl diese drei Momente der Selbst- tisch) als Relikte einer »Uroffenbarung«, auch
beziehung des Geistes die konstitutiven Mo- nicht (historisch) als Folgen kulturübergreifender
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 469

geschichtlicher Vermittlungsprozesse und eben- (3) Anders als für den »Begriff der Religion«
sowenig (theologisch) als Vorahnungen des Chri- und die »Bestimmte Religion« erreicht Hegel in
stentums oder (apologetisch) schlicht als ‚Dieb- seiner Darstellung der christlichen Religion als
stahl der Hellenen’ (und der Orientalen zu- der »vollendeten« bereits in seinem Manuskript
gleich); er versteht sie als Manifestationen des von 1821 eine ausgereifte Darstellungsform. Seit
einen ›Wesens des Geistes‹. Denn ›Geist‹ hat dem zweiten Kolleg (1824) wandelt er sie zwar
immer diese duale Struktur, die Hegel am Selbst- noch einmal ab, ohne sie aber eigentlich zu über-
bewußtsein abliest: Geist macht sich zum Gegen- bieten. Daß er diese Form bereits so früh findet,
stand und ist darin für sich. wird man auf zwei Gründe zurückführen dürfen.
(2) Es ist allerdings plausibel, diejenige Reli- Seiner Vertrautheit mit der christlichen Religion
gion als die vollendete auszuzeichnen, bei der wegen hat es hier keiner langwierigen Aneignung
diese an sich vorhandenen Momente des Reli- und gedanklichen Durchdringung von zuvor un-
gionsbegriffs nicht nur implizit vorhanden sind bekannten Quellen und ihrer mehrfachen Um-
und in das Bewußtsein des Betrachters fallen, interpretation im Lichte neuer Nachrichten be-
sondern die diese Momente selber zu ihrem Ge- durft – wie im Falle seiner Deutung einiger orien-
genstand hat: Hegel nennt die christliche Reli- talischer Religionen, aber auch der Religion Is-
gion die vollendete, weil das, was das »Wesen« raels. Und zum anderen legt gerade die
des Geistes (im Sinne von »essentia«) ist, hier geistesphilosophische Deutung der christlichen
auch »Wesen« des Geistes (im Sinne von »Gegen- als der »vollendeten Religion« – ihre Überein-
stand«) ist, oder anders: weil das, was dem Geiste stimmung mit der Struktur des Geistes – die
hier sein »Wesen« ist, er selber. Hingegen ist es Grundlinien ihrer Darstellung fest. Durch ihre
nicht sonderlich beweiskräftig, gegen diese Fas- Nähe zur Form des Begriffs steht sie der System-
sung des Begriffs der »vollendeten Religion« etwa form nahe.
mit Ernst Troeltsch (31929, 35) die Schulweisheit In seinem Manuskript befolgt Hegel zunächst
geltend zu machen, daß die Geschichte kein Ort den Aufbau, nach dem er bereits die Abhandlung
für absolute Religionen (ebensowenig wie für der »bestimmten Religion« strukturiert: Er glie-
absolute Persönlichkeiten) sei. Ernster zu neh- dert seine Darstellung in A. Abstrakter Begriff, B.
men ist der Einwand, daß Hegels Geistbegriff Konkrete Vorstellung und C. Kultus. Die Stellung
selber schon christlich geformt, und sein Argu- des ersten Abschnitts im Ganzen der Abhandlung
ment für den Vollendungscharakter der christli- der christlichen Religion, ja sein eigentlicher In-
chen Religion insofern zirkulär sei. Dies ist zwar halt wird durch die früheren Editionen bis zur
vordergründig plausibel, doch ist es keineswegs Unkenntlichkeit entstellt. In der Freundesver-
leicht, solche christlichen Wurzeln nachzuwei- einsausgabe lautet sein Titel zwar »Der meta-
sen. Denn Hegels Geistbegriff zählt ja nicht zum physische Begriff der Idee Gottes«, doch ist er
als allgemein bekannt vorauszusetzenden Tradi- dort unter die einleitenden Partien verwiesen,
tionsbestand der christlichen Religion, und er hat noch vor die »Einteilung«, also gar nicht Bestand-
wenig mit dem neutestamentlichen Begriff des teil der eigentlichen Darstellung der christlichen
6
pnez̃ma agion gemein – auch wenn man nicht in Religion. Deshalb ist er auch nicht als struk-
Nietzsches Polemik einstimmt, daß »das Wort turelles Analogon zur Abhandlung der metaphy-
›Geist‹ im neuen Testament bloss ein Missver- sischen Begriffe der anderen Religionen erkennt-
ständnis« sei (Der Fall Wagner, § 9). Zudem ste- lich. Und zudem geht es Hegel in diesem Ab-
hen auch entwicklungsgeschichtliche Erwägun- schnitt keineswegs um einen »metaphysischen
gen einer derartigen Ableitung entgegen. Die Begriff der Idee Gottes«, sondern um den Begriff
Genese des Hegelschen Geistbegriffs fällt in die der christlichen Religion. Georg Lasson hat in
Auseinandersetzung zwischen Transzendental- seiner Edition ein weiteres getan, um die sy-
philosophie und Spekulation in den Jahren nach stematische Funktion dieses Abschnitts zu ver-
1801, und erst nach der Konzeption des Geist- schleiern: Er stellt diesen »metaphysischen Be-
begriffs gelingt es ihm, die christliche Religion griff«, also die Darlegung der begrifflichen
neu zu interpretieren und sich zu ihr in ein affir- Grundlage der christlichen Religion, in seiner
matives und zugleich systematisch fruchtbares Ausgabe unter den Titel »Reich des Vaters« – d. h.
Verhältnis zu setzen. er vermengt die Abhandlung des »metaphysi-
470 II. Werk

schen Begriffs« mit dem Referat des trinitari- ragraphen für Hegels Deutung der christlichen
schen Gottesgedankens, den Hegel nicht ohne Religion ersichtlich: Sie sind nicht als eine De-
Grund als erste Sphäre der »konkreten Vorstel- duktion des dogmatischen Gehalts aus dem Be-
lung« einführt. Hegels präzise Scheidung zwi- griff zu verstehen, sondern als Referat der religiö-
schen begrifflichen Erörterungen und Referat der sen Vorstellung, in der Hegel freilich den Begriff
Vorstellungswelt der christlichen Religion ist da- des Geistes aufspüren will, über den er aus an-
mit beseitigt und der systematische Stellenwert derer Quelle schon verfügt. Und wie Hegel die-
beider Partien nicht mehr erkenntlich. sem, den Vorlesungen mit der Enzyklopädie ge-
Als »abstrakten Begriff« der christlichen Reli- meinsamen Teil in den Vorlesungen noch die
gion behandelt Hegel im wesentlichen den onto- Abhandlung des metaphysischen Begriffs voran-
logischen Beweis (V 5.5–12) – ähnlich wie zuvor stellt, so schließt er hier auch noch einen Ab-
den kosmologischen und den physikotheologi- schnitt über den Kultus an: über das Entstehen,
schen als die metaphysischen Begriffe der Natur- Bestehen und Vergehen der Gemeinde (V
religion bzw. der römischen Religion (V 4.5ff bzw. 5.69–97).
100ff.). Man kann aber nicht einfach sagen, daß Die früheren Editionen verwischen die Unter-
dieser Beweis mit jenem Begriff zusammenfalle. scheidung der begrifflich argumentierenden und
Denn die Gottesbeweise sind für Hegel sämtlich der die Vorstellung aufnehmenden und sie inter-
nur vorstellungs- und verstandesmäßige Formu- pretierenden Partien. Sie lassen dadurch auch
lierungen für Begriffsverhältnisse – im Falle des nicht erkennen, daß Hegels ursprüngliche Kon-
ontologischen Beweises eine letztlich unzurei- zeption sich mit der Dogmatik nicht vereinbaren
chende Formulierung der Identität von Begriff läßt: Die begriffslogischen Momente Allgemein-
und Sein (s. 246). Während aber diese Zuord- heit, Besonderheit und Einzelheit bzw. die auf sie
nung der Gottesbeweise zu den Religionen auf gestützten Sphären der »Konkreten Vorstellung«
dem Gebiet der »bestimmten Religion« sind ja nicht kongruent mit dem trinitarischen
schwankt, bleibt die Verbindung zwischen der Gottesgedanken. Denn Christologie und Soterio-
christlichen Religion und dem ontologischen logie finden keinen Platz in der zweiten Sphäre,
Gottesbeweis unverändert – obgleich es keines- dem Moment der Besonderheit. Sie bilden das
wegs offensichtlich ist, was diesen Beweis zum Thema erst der dritten Sphäre – und nehmen
metaphysischen Begriff jener Religion qualifi- somit die Stelle ein, die trinitätstheologisch der
ziert. »Geist« beansprucht, der aber in den genannten
Unter dem Titel »Konkrete Vorstellung«, den drei »Momenten« keinen eigenen Ort zugewiesen
die früheren Ausgaben bezeichnender Weise un- erhält.
terschlagen, erörtert Hegel den dogmatischen Eine derartige Divergenz zwischen theologi-
Gehalt der christlichen Religion – allerdings in scher Dogmatik und Religionsphilosophie ist –
einer eigentümlichen Abwandlung, die ihn offen- für sich genommen – sicherlich kein hinläng-
sichtlich nicht befriedigt und zu einer nachträgli- licher Grund zu einer Änderung einer philo-
chen Konzeptionsänderung veranlaßt. Die Struk- sophischen Argumentation. Doch in diesem Ab-
tur dieser »Konkreten Vorstellung« läßt Hegel schnitt der Vorlesungen geht es nicht eigentlich
sich hier zunächst aus der Enzyklopädie vorge- um die Begründung und Entfaltung eines philo-
ben: Die drei Vorstellungssphären (V 5.16–69), in sophischen Gedankens, sondern um die Präsen-
denen die religionsphilosophischen Vorlesungen tation der »Konkreten Vorstellung« – methodisch
den Gottesgedanken, das Verhältnis von Natur nicht anders als in den entsprechenden Kapiteln
und endlichem Geist und die göttliche Ge- über die vorangegangene »bestimmte Religion«.
schichte der » E r l ö s u n g u n d Ve r s ö h n u n g« Deshalb läßt sich hier nicht davon absehen, daß
(V 5.28) behandeln, entsprechen exakt den » b e - der »Geist« als dritte Person unter die Gegen-
s o n d e r e n S p h ä r e n«, zu denen die Reflexion stände der religiösen Vorstellung zu zählen sei.
bzw. die religiöse Vorstellung die logischen Mo- Das Referat der Vorstellung muß der wirklichen
mente Allgemeinheit, Besonderheit und Einzel- Vorstellung entsprechen, und eine Abhandlung
heit »abscheidet« (1§ 466; 2/3§ 566). Deshalb der »konkreten Vorstellung« der christlichen Re-
wird auch allein von den Vorlesungen her die ligion, die den »Geist« nicht berücksichtigte,
systematische Funktion dieser Enzyklopädiepa- wäre ihrem Gegenstand nicht angemessen. Dies
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 471

wird Hegel zur Umstrukturierung der ursprüngli- ohne sich exakt auf diese abbilden zu lassen.
chen Konzeption bewogen haben. Indem er aber Indem Hegel aber vom zweiten Kolleg ab die
die Themen, die in seinem Manuskript die »Konkrete Vorstellung« trinitätstheologisch
zweite und dritte Sphäre bilden, zur neuen zwei- strukturiert, verstößt er gegen seine frühere Ex-
ten Sphäre zusammenfaßt und den »Geist« – als position der drei Momente des Begriffs der Reli-
ein Drittes – in die »Konkrete Vorstellung« ein- gion. Diese ist jedoch nicht einfach ebenfalls nach
bezieht, erübrigt sich eine gesonderte Behand- dem trinitätstheologischen Modell zu korrigie-
lung des Kultus, der Gemeinde – denn sie bildet ren, denn sie stützt sich auf die begriffslogischen
für Hegel ja das »Reich des Geistes«. Die Be- Momente Allgemeinheit, Besonderheit und Ein-
reiche des Kultus und der Vorstellung lassen sich zelheit. Vermutlich deshalb behält Hegel sie auch
hier, in der »vollendeten Religion«, noch weniger in den beiden späteren Fassungen der Enzyklo-
von einander trennen als schon bei den früheren pädie bei. Es zeigt sich hierin eine Inkongruenz
Religionen. zwischen einer begriffslogischen und einer trini-
Durch diese Änderung erhält die Darstellung tätstheologischen Strukturierung. Hegel sucht sie
der »Vollendeten Religion« vom zweiten Kolleg zwar – editions- und deshalb auch wirkungsge-
ab eine im wesentlichen trinitarische Struktur. schichtlich erfolgreich – zu überdecken, doch läßt
1824 und auch 1831 geht der Abhandlung der drei sie sich nicht wirklich beseitigen. In religions-
trinitätstheologisch konzipierten Sphären oder philosophischer Perspektive muß man sie dem
Elemente zwar noch die Abhandlung des ontolo- Unvermögen der religiösen Vorstellung anlasten,
gischen Gottesbeweises als des metaphysischen die Struktur des Geistes als den absoluten Inhalt
Begriffs der christlichen Religion voraus; der ei- rein aufzufassen. Sie bleibt ja auch an anderer
gentliche Akzent aber liegt auf jenen drei Sphä- Stelle hinter der begrifflichen Erkenntnis zu-
ren der »konkreten Vorstellung«. Im Kolleg 1827 rück.
behandelt Hegel die Gottesbeweise insgesamt im (4) Gemeinsam mit den rechtsphilosophischen
»Begriff der Religion«; deshalb verwirklicht al- zählen Hegels religionsphilosophische Vorlesun-
lein dieses Kolleg eine rein trinitarische Dar- gen zu den besonders kontroversen Partien sei-
stellung der christlichen Religion. Das letzte Kol- nes Systems. Schon wenige Jahre nach ihrer po-
leg beginnt zwar wiederum mit dem ontologi- stumen Veröffentlichung ist ein heftiger Streit um
schen Gottesbeweis, doch unterstreicht es im sie entbrannt, und in seiner Folge ist es zunächst
Gegenzug die trinitätstheologisch motivierte zur Differenzierung der Schule Hegels, dann zur
Gliederung in drei Elemente oder Sphären noch Gliederung in Fraktionen und schließlich zu ihrer
durch die bekannten Titel »Reich des Vaters«, Spaltung gekommen (s. 517). Doch bereits in
»Reich des Sohnes« und »Reich des Geistes« (V Hegels letzten Lebensjahren haben sich die De-
5.281), die Hegel auch zuvor schon beiläufig ver- nunziationen hinsichtlich der Christlichkeit sei-
wendet, jedoch niemals in der plakativen Weise ner Philosophie überhaupt gemehrt; sie ist des
des letzten Kollegs. Pantheismus und des Atheismus beschuldigt
Vom zweiten Kolleg an beseitigt Hegel also die worden.
Diskrepanz, daß das Selbstbewußtsein der »voll- Diese Angriffe haben sich zunächst vor allem
endeten Religion« entgegen deren Begriff nicht gegen Hegels Logik, daneben auch gegen die
unter ihren Vorstellungsgegenständen erscheint. Phänomenologie des Geistes und die Enzyklopä-
An die Stelle der beseitigten Inkonsequenz tritt die gerichtet. Nach Veröffentlichung der religi-
allerdings eine neue. Als Momente des Begriffs onsphilosophischen Vorlesungen jedoch haben
der Religion nennt Hegels Manuskript, wie oben sie nicht allein eine erheblich breitere Basis er-
erwähnt, im Einklang mit der Enzyklopädie die halten. Zu den bereits bekannten philosophisch-
Momente der substantiellen Einheit und des Ur- theologischen Streitfragen ist nun die weitere
teils sowie der vermittelten Identität (V hinzugekommen, wie die Religionsphilosophie
3.102–106, vgl. § 554). Die Dreiheit dieser Mo- überhaupt zu deuten sei. Dieser Streit ist haupt-
mente bildet – nach Hegels Manuskript wie nach sächlich mit Blick auf diesen dritten Teil der
der Enzyklopädie – die Struktur der »Konkreten Vorlesungen geführt worden. Schon darin zeigt
Vorstellung«, und sie steht offensichtlich in Rela- sich, daß er nicht so sehr als eine philosophische
tion zur Trinitätstheologie des Christentums, Auseinandersetzung um Hegels Religionsbegriff
472 II. Werk

anzusehen ist, sondern daß es speziell um dessen der Begriff der Religion und ohne geschichtliche
Stellung zur christlichen Religion und Theologie Referenz.
zu tun ist – wieweit Hegels Philosophie mit dieser Entsprechend dieser Dualität lassen sich auch
Religion übereinstimme, ja sogar: ob sie den bei der Interpretation zwei Schritte unterschei-
recht weit gehenden Ansprüchen eines frommen den. Den ersten kann man als theologische Inter-
Gemütes genüge. pretation bezeichnen; erst mit dem zweiten be-
Dieser Streit zieht sich bis in die Gegenwart, ginnt die philosophische Interpretation. Im er-
und beide Seiten haben sich in ihm auf vermeint- sten geht es um die berechtigte, ja unabweisbare
lich eindeutige dicta probantia berufen können. Frage, ob denn das, was Hegel als christlich
Auf Grund dieser Isosthenie hat sich die Ansicht ausgibt, auch wirklich als christlich zu gelten
verfestigt, Hegels Vorlesungen seien »von Anfang habe – zumal Hegel selber großen Wert auf die
an wesentlich zweideutig« (Löwith 1964, 194) – Übereinstimmung seiner Philosophie mit der
ebensowohl Orthodoxie wie Häresie. Doch christlichen Religion legt. Diese Prämisse er-
dieser Eindruck schwindet, wenn man Hegels scheint unproblematisch, doch ist bei ihrer Prü-
Religionsphilosophie nicht vom Wortlaut, son- fung dreierlei zu berücksichtigen.
dern von der ihr zu Grunde liegenden, in den Schon die Verständigung darüber, was als
früheren Editionen allerdings weitgehend ver- ›christlich‹ zu gelten habe, ist keineswegs pro-
deckten Konzeption her versteht – wenn man sich blemlos. Wenn man hierfür ein allzu naiv-funda-
über die Argumentationsstruktur und den Stel- mentalistisches Kriterium anlegt – wie es nicht
lenwert seiner Ausführungen verständigt und bloß die frühe Diskussion um die Christlichkeit
nicht diejenigen Passagen, in denen Hegel den der Hegelschen Philosophie belastet –, so erweist
Inhalt der religiösen Vorstellung referiert, gleich- sich rasch, daß auch nur wenige systematisch-
sam als eine ›metaphysische Deduktion‹ miß- theologische Entwürfe vor ihm bestehen können,
versteht. schon zu Hegels Zeit und um so mehr heute – von
Hegel hebt die christliche zwar insofern von den Resultaten der neueren Exegese ganz zu
den anderen Religionen ab, als er ihrer Abhand- schweigen. Eine fruchtbare philosophisch-theo-
lung einen eigenen Teil seiner Vorlesungen zu- logische Diskussion mit Hegels Religionsphiloso-
weist. Seine Methode aber ist hier dieselbe wie phie kann deshalb allein auf der Basis eines
schon im zweiten Teil, bei der bestimmten Reli- reflektierten Begriffs christlicher Theologie ge-
gion: Er schickt zunächst den »metaphysischen führt werden. Ferner ist die Übereinstimmung
Begriff« voraus, also im Fall des Christentums von spekulativer Religionsphilosophie und
den ontologischen Gottesbeweis; in der weiteren christlicher Religion nicht als eine bloße Tauto-
Darstellung orientiert er sich an den jeweils be- logie zu nehmen – als ob Hegel lediglich beab-
kannten religiösen Vorstellungen und an den For- sichtigt hätte, den Inhalt der Dogmatik in ›philo-
men des Kultus. Diese konkrete Vorstellung sophischer‹ Formulierung nachzuerzählen oder
selbst ›deduziert‹ Hegel nirgends ›aus dem Be- mit dem Gütesiegel ›philosophischer Erkenntnis‹
griff‹, auch nicht aus dem vorausgestellten »meta- zu versehen. Ebensowenig gilt sein Interesse ei-
physischen Begriff«. Er nimmt sie aus den ihm ner religionsgeschichtlichen oder -phänomenolo-
jeweils zugänglichen Nachrichten als etwas Ge- gischen Darstellung – so sehr er sich auch um
gebenes auf – und so auch den Lehrgehalt und diese Empirie bemüht. Es gilt vielmehr dem
die kultischen Formen der christlichen Religion. Nachweis, daß Vernunft in der Religion sei, ja
Ein zweiter Schritt ist hiervon logisch getrennt, daß die jeweilige Vorstellungswelt und die mit ihr
wenn auch material oft mit dem ersten verbun- zusammenhängende kultische Praxis als Gestal-
den: die Interpretation dieser aufgenommenen ten zu verstehen seien, in denen der Geist sein
Vorstellung in der Perspektive des geistesphiloso- Selbstbewußtsein gewinne. Zu diesem Nachweis
phischen Religionsbegriffs. Das Maß der Über- aber bedarf es der Interpretation der überlie-
einstimmung beider ist zugleich das Maß der ferten Zeugnisse im Lichte seines geistesphiloso-
Rechtfertigung beider. Denn ohne Begriff wäre phischen Religionsbegriffs – und hierdurch wird
die Vorstellung ein bloß Positives und somit ver- ihr ursprünglicher Sinn notwendig als ein gei-
nunft- und belanglos, und ohne Vorstellung der stesphilosophischer identifiziert. Zudem weist
Begriff ein rein geistesphilosophischer, aber nicht Hegel ja häufig und nachdrücklich darauf hin,
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 473

daß die von ihm behauptete Übereinstimmung ken, auch wenn dieses sich zu mehreren Formen
durch zwei Bestimmungen charakterisiert sei: ausgestaltet. Was vorgestellt – und als geoffenbart
durch die Inhaltsidentität von Religion und Phi- vorgestellt – wird, ist an sich Moment dieser
losophie, aber auch durch ihre Formdifferenz. e i n e n Vernunft.
Die Philosophie hat den gleichen Inhalt wie die In dieser Differenz von Vorstellung und Begriff
Religion – nämlich das Absolute oder den Geist –, gründet die eigentümliche Doppelheit von Affir-
jedoch nicht in Form der Vorstellung, sondern mation und Destruktion der religiösen Vorstel-
des begreifenden Denkens. Deshalb ist stets zu lung durch das Begreifen. Sie ist deshalb nicht als
fragen, wieweit eine bemerkte Inkongruenz als Zwei d e u t i gkeit zu fassen, sondern als Zwei-
durch die Formdifferenz zwischen Vorstellung s c h n e i d i gkeit. Gegenüber radikaleren Formen
und Begriff bedingt zu begreifen sei. der Religionskritik – wie etwa der späteren ›ge-
Den Unterschied dieser beiden Wissensweisen netisch-destruktiven Kritik‹ Feuerbachs (s. 530) –
– der Vorstellung als einer an Räumlichkeit und zeichnet Hegel die religiöse Vorstellung als ein
Zeitlichkeit, an Bildhaftigkeit gebundenen, und Wissen vom absoluten Inhalt aus; gegenüber dem
des begreifenden Denkens als einer diesen Rück- philosophischen Begreifen wertet er sie als eine
bezug abstreifenden Erkenntnis – erörtert Hegel weniger vollkommene Form ab. Denn Vorstel-
bereits im ersten Teil seiner Vorlesungen ausführ- lung und begreifende Vernunft sind keine gleich-
lich: Vorstellung und Begriff sind nicht zwei berechtigten Formen. Der Begriff ist das Maß der
gleich-gültige Formen des einen Inhalts; dessen Vorstellung; jede Nichtidentität beider geht zu
angemessene Form ist allein die Begriffsform. Es deren Lasten. Dies spricht Hegel allerdings sehr
ist deshalb darum zu tun, den »absoluten Stoff« nachdrücklich aus: Das Denken ist die tiefste,
auch in der »absoluten Form«, im begreifenden innerste Weise der Einsicht. Wenn es sich eines
Denken zu fassen. Und wegen dieser logischen Inhalts vergewissert, so kann es nichts diesem
Priorität kann der Begriff wohl die Vorstellung Widersprechendes gelten lassen. Die philoso-
verstehen, nicht aber diese jenen. Deshalb kann phiegeschichtlichen Vorlesungen lassen deshalb
die Vorstellung dem Begriff gegenüber auch die Auseinandersetzung mit der Lehre von der
keine Geltungsansprüche erheben; hingegen doppelten Wahrheit in den lapidaren Satz ein-
muß sie sich durch den Begriff korrigieren las- münden: »die Vernunft will, wie Gott, keine
sen. Vorstellung – oder als Offenbarung Vorge- fremden Götter neben sich haben, noch viel we-
stelltes – und Vernunft stehen zwar einander niger über sich.« (V 6.304)
entgegen, aber nicht als heterogen und unver- Die Überlegenheit der begrifflichen Erkennt-
söhnlich. Denn die Offenbarungswahrheiten las- nis zeigt sich insbesondere darin, daß Hegel der
sen sich als Vernunftwahrheiten rekonstruieren – religiösen Vorstellung eine vom begreifenden
wie schon Lessing in § 72 seiner Erziehung des Denken zwar abgesonderte, aber nicht gleichsam
Menschengeschlechts programmatisch formu- für sich abgeschlossene Sphäre eigenen Rechtes
liert: Wir haben die Offenbarungswahrheiten so zuweist. Er zieht die Begriffserkenntnis heran,
lange als Offenbarungen anzustaunen, bis die sei es um Vorstellungsaussagen zu affirmieren,
Vernunft lernt, sie aus »ihren andern ausgemach- sei es, sie im Falle der Nichtübereinstimmung
ten Wahrheiten« herzuleiten und mit ihnen zu auch auf deren eigener Ebene ausdrücklich zu
verbinden (LM XIII.430) korrigieren. Beispiele hierfür bieten alle drei Vor-
Was man »Umformung« oder »Aufhebung« der stellungssphären. In der ersten nimmt Hegel den
Vorstellung in den Begriff nennen könnte, ist trinitarischen Gottesgedanken auf – im Gegen-
somit bereits bei Lessing wie später bei Hegel satz nicht allein gegen die rationalistische Theo-
eigentlich eine Rekonstruktion auf einer anderen logie seiner Zeit, sondern auch gegen Schleier-
Ebene des Denkens, eine Produktion des Inhalts macher und Tholuck, die beide damit ebenfalls
aus dem Begriff. Möglich ist sie, da Vorstellung wenig anzufangen gewußt haben. Doch moniert
und Begriff zwar different, aber nicht wesenhaft Hegel, daß die Vorstellung das Dritte nicht als die
verschieden sind; sie sind ja beide Formen des Einheit des Ersten und des Zweiten fasse, und
e i n e n Denkens. Denn wie es nicht eine dop- ebenso, daß sie im Credo den Gedanken der
pelte Vernunft gibt – eine göttliche und eine Weltschöpfung bereits in die Sphäre des eigent-
menschliche –, so gibt es auch nur das eine Den- lich als immanent-trinitarisch vorzustellenden
474 II. Werk

Gottesgedankens eintrage und damit die begriffs- Systems, sondern sie ist ein für das Gesamtver-
logische Ordnung dieser Sphären verwirre (vgl. ständnis seiner Philosophie unverzichtbarer Teil
1 § 467, 2/3 § 567). In der zweiten (bzw. ursprüng- der Philosophie des Geistes: die letzte, sein Sy-
lich der dritten) Sphäre stellt Hegel die Lehre stem abschließende Disziplin. Ihre Aufgabe ist
von der gottmenschlichen Einheit dar, und er es, in Analogie zur Ästhetik und zur Geschichte
hebt die Nähe der spekulativen Interpretation zur der Philosophie die Religion als eine derjenigen
religiösen Vorstellung hervor – gegenüber der für Formen des Geistes zu begreifen, in denen der
die Aufklärung charakteristischen bloß morali- Geist sich auf sich zurückwendet, sein Bewußt-
schen Sicht Jesu als eines guten Mannes und sein über sich selbst gewinnt und eben darin
Tugendlehrers, der Hegel auch selber in seinen absoluter Geist ist: Selbstbewußtsein des absolu-
frühen Schriften gefolgt ist, insbesondere in sei- ten Geistes.
nem Leben Jesu (s. 65). Aber so sehr die Vor- Solche philosophische Erkenntnis ist unmittel-
stellung die Wahrheit des Gedankens der bar beides: Kritik und Rechtfertigung der Vor-
Menschwerdung Gottes, der Einheit der gött- stellung durch den Begriff. Rechtfertigung und
lichen und menschlichen Natur betont, so ver- Kritik aber lassen sich nicht nach Belieben for-
stellt sie ihn doch ebensosehr, wie sie ihn vor- dern oder als überflüssig und unzumutbar ab-
stellt. Indem sie die göttliche und die mensch- weisen. Sie entspringen unvermeidlich und un-
liche Natur gegeneinander festhält und nur im abänderlich aus einer spezifischen bewußtseins-
e i n e n Gottmenschen kommunizieren läßt, ver- geschichtlichen Lage. Hegel umschreibt diese
fehlt sie die Wahrheit dieses Gedankens: »Gött- Situation in subtiler Ironie mit dem apokalyp-
liche und menschliche Natur ist ein harter und tisch-biblischen Topos der ›Fülle der Zeit‹ (Mk
schwerer Ausdruck; die Vorstellung, die man da- 1,15; Gal 4,4): daß jetzt »die Zeit erfüllet ist, daß
mit verbindet, ist zu vergessen« (V 5.143). Und in die Rechtfertigung durch Begriff Bedürfnis ist«.
der dritten Sphäre, der des »Geistes«, sieht Hegel Erfüllt aber ist diese Zeit, weil die früheren Legi-
hier wie auch bei den vorhergehenden Religio- timationsformen des »absoluten Inhalts« – In-
nen den eigentlichen Mittelpunkt der Religion, spiration, Tradition und Schrift – durch die Auf-
da es hier in besonderer Weise um das Selbst- klärung ihre verbindende und rechtfertigende
bewußtsein des Geistes zu tun ist. Dies hindert Kraft eingebüßt haben. Die ›Fülle der Zeit‹ ent-
ihn jedoch nicht, an der Gemeinde auch scharfe hüllt sich somit geradezu als die ›Leere der
Kritik zu üben: Das einzelne Selbstbewußtsein ist Zeit‹.
in ihr zwar zum Bewußtsein seines Wesens ge- (2) Als Ausweg aus der für die Religion bedroh-
kommen (V 5.100) – doch stellt die Gemeinde lich gewordenen Lage sieht Hegel allein die
dieses Wesen als ein anderes Wesen vor. Sie weiß Rechtfertigung durch das begreifende Denken:
um die Identität des allgemeinen und des einzel- Deshalb muß die »Religion in die Philosophie
nen Geistes – aber sie verlegt diese Einheit in sich flüchten« (V 5.96). Hegel kann der Religion
einen besonderen Menschen. Sie spricht das eine solche Flucht in den Begriff nur empfehlen,
»Einmal ist Allemal« zwar selbst aus – aber sie weil er sie ausschließlich geistesphilosophisch
mißversteht dies, als ob damit nur – etwas banal – und somit in Identität mit der Philosophie be-
gesagt sei: »Einmal ist genug«. Ihrem Begriff greift: Hätte sie nicht den »absoluten Inhalt« mit
nach ist sie das wirkliche Selbstbewußtsein des der Philosophie gemein, so könnte sie sich auch
Geistes – aber in ihrer trüben Vorstellung zer- nicht in deren »absolute Form« flüchten. Wegen
spaltet sie diese erfüllte Gegenwart in ein Ehe- dieser Inhaltsidentität aber ist die Flucht, die
mals und ein Einst (vgl. GW 9.420 f.). Hegel der Religion anrät, nicht eine überstürzte
Flucht in ein ihr fremdes und weitgehend unzu-
gängliches Gebiet, sondern in ihren eigenen
9.8.7. Das Ende der Religion
Grund – gleichsam eine ›felix fuga‹, durch die
(1) Hegels Interesse an der Religion ist auf ihre das Denken in sein eigentümliches Gebiet findet.
Erkenntnis als eine Gestalt des Selbstbewußt- Zudem bedeutet »Flucht in den Begriff« auch
seins des Geistes gerichtet. Die Religionsphiloso- keineswegs das Programm der bloßen Ersetzung
phie thematisiert deshalb nicht ein entlegenes der Religion durch Philosophie, sondern ihrer
und eher gleichgültiges Gebiet des Hegelschen neuen Grundlegung: An die Stelle der zusam-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 475

mengebrochenen Stützen Tradition, Schrift, In- aber sieht Hegel die Signatur nicht mehr der
spiration und Historie oder gar gesellschaftlicher Religion, sondern der Philosophie.
Nützlichkeit tritt die in einer Geistesphilosophie (3) Deshalb gibt es neben dieser Erosion des
entfaltete Vernunft. Fundaments und zugleich des Inhalts der Reli-
Hegel sieht sehr klar, daß in dieser bewußt- gion einen weiteren Grund für deren »Flucht in
seins- und gesellschaftsgeschichtlichen Situation den Begriff«: das Ende, das sie an der Philo-
des »Vergehens der Gemeinde« keineswegs die sophie als begreifendem Denken und somit als
kritische Historie die Aufgabe einer Sicherung höherer Gestalt des Geistes findet. Dieses Theo-
des absoluten Inhalts übernehmen kann – und er rem spiegelt noch einmal die Zwei s c h n e i d i g -
sieht es weit klarer als diejenigen, die ihm noch keit von Hegels Begriff der Religion. Er spricht
heute vorwerfen, er habe die Erkenntnisleistung ihr große geschichtliche Bedeutung und auch ei-
der historisch-kritischen Theologie unterschätzt: nen hohen Wahrheitsgehalt zu – jedoch nicht den
»Wenn geschichtlich behandelt, s o i s t [es] a u s« höchsten, da sie ja unauflöslich an die Vorstellung
(V 5.95). Und es steht auch keineswegs in Wider- gebunden bleibe. Deshalb diagnostiziert und pro-
spruch zu seiner Geringschätzung der kritischen gnostiziert er auch ihren Übergangscharakter,
Historie, daß Hegel selber die in den neutesta- ihre »Aufhebung«, ja das ›Ende der Religion‹ –
mentlichen Texten erzählte Geschichte als »ab- strukturell analog zum ›Ende der Kunst‹. Die
solute Geschichte« auszeichnet – als diejenige Lehre vom ›Ende der Kunst‹ bildet deshalb das
Geschichte, die der Natur des Geistes adäquat Paradigma auch der Lehre vom ›Ende der Reli-
sei. Denn diese absolute Geschichte ist nicht gion‹: Wie zuvor die Kunst im Verhältnis zur
Geschichte in dem Sinne, daß sie der histori- Religion, so vermag nun die Religion das höchste
schen Kritik zugänglich wäre, und schon gar nicht Bedürfnis des Geistes nicht mehr zu befriedigen,
im Sinne von facta bruta: Sie ist erzählt von wenn erst die Philosophie als die Erfassung des
solchen, über die der Geist schon ausgegossen ist Geistes in Begriffsform ausgebildet ist und den
(V 5.246). Sie ist also – modern gesprochen – »absoluten Inhalt« in der »absoluten Form« er-
»kerygmatische Geschichte«, und der Rückgang faßt. – Ob es sich bei diesen beiden hier ge-
auf das ›geschichtliche Faktum‹ wäre ein Rückfall sondert eingeführten Prozessen – Erosion der
hinter das kerygmatische Geschichtsbild. Durch Fundamente sowie des Inhalts der Religion und
den historischen Zugriff mögen sich zwar etliche Etablierung der Philosophie als der höchsten
Details erhellen, auch Spuren am leeren Grabe Wahrheitsform – tatsächlich um getrennte Vor-
sichern lassen – aber der absolute Inhalt als Ge- gänge und nicht vielmehr um zwei Seiten dersel-
genstand sowohl des Glaubens als des Begreifens ben Entwicklung handelt, hat Hegel nicht mehr
ist auf solchem Wege nicht zu finden. ausdrücklich thematisiert.
Eine Religion hingegen, die vor dieser »Flucht Fraglos hat sich die Philosophie nicht ohne
in den Begriff« zurückschreckt und sich weiterhin Vermittlung der Religion herausgebildet – doch
historisch oder offenbarungspositivistisch legiti- auf die Ebene, auf der die Philosophie nun diese
miert, bleibt in einem Mißverständnis ihrer Begriffe ausspricht und expliziert, kann die Reli-
selbst befangen – und in einer doppelten Illusion gion ihr nicht mehr folgen, und damit verliert sie
hinsichtlich ihres Fundamentes wie auch ihres ihre höchste Bedeutung. Auch deshalb muß der
Inhalts. Denn mit dem Fundament verliert sie »absolute Inhalt« sich nun in die Philosophie
auch ihren Inhalt und schrumpft zusammen auf flüchten; nur durch sie kann er seine Rechtferti-
jene Subjektivität, »die auf die Wahrheit und gung erlangen, da nur die philosophische die
deren Entwicklung Verzicht tut« und über alles freie Form des Selbstbewußtseins des Geistes ist.
Meister ist. Der Rekurs auf Subjektivität ist zwar, Am Ende der religionsphilosophischen Vorlesun-
wie Hegel ebenfalls, schon von seiner Ausein- gen steht deshalb nicht zufällig die Aufklärungs-
andersetzung mit Jacobi her, mit zunehmender metapher vom Gerichtshof der Vernunft (V 5.268)
Klarheit sieht, ein berechtigtes, ja unverzichtba- – einer Vernunft allerdings, die nicht auf eine
res Moment – doch muß diese den Inhalt nun- Aburteilung des Anderen ausgeht, sondern die es
mehr aus sich erzeugen und ihn zugleich als ein als ihr Anderes anerkennt und sich durch das
nicht Produziertes, sondern Objektives, an und geschichtliche und philosophische Verstehen die-
für sich Wahres anerkennen (V 5.267 f.). Darin ses Anderen mit ihm versöhnen will.
476 II. Werk

(4) »Flucht in den Begriff« bezeichnet somit ser »Substanz« gedacht, sondern als ihr Eingehen
keineswegs, wie der Ausdruck zunächst anzu- in die Weltlichkeit und ihr Aufgehen in dieser
deuten scheint, ein Programm, das angesichts (Jaeschke 2001, 10 f.).
des in Hegels erstem Kolleg von 1821 anvisierten Diese »Realisierung des Geistigen der Ge-
»Vergehens der Gemeinde« eine bloße, vielleicht meinde« skizziert Hegel in drei weltgeschichtli-
gar temporäre Notlösung anzielt. Es nimmt die chen, »realen Stufen« der »Versöhnung mit der
zeitbedingten, negativen Vorzeichen, die ›Leere Weltlichkeit«. Die dritte sieht er in den sittlichen
der Zeit‹ zum Anlaß, den ohnehin gebotenen Institutionen der Neuzeit erreicht: »daß in das
Fortschritt im Verständnis dessen, was Religion Weltliche selbst das Prinzip der Freiheit einge-
eigentlich ist, zu vollziehen. Und trotz der Rede drungen ist, und daß das Weltliche, indem es so
vom ›Ende der Religion‹, von ihrer Aufhebung in dem Begriff, der Vernunft, der ewigen Wahrheit
die Philosophie, von der »Flucht in den Begriff«, gemäß gebildet ist, die konkret gewordene Frei-
ist die Empfehlung der Flucht in das abgeson- heit, der vernünftige Wille ist.« Von den »realen
derte Heiligtum eines um die Welt unbekümmer- Stufen« unterscheidet er noch »die ideelle Seite«,
ten Priesterstandes keineswegs Hegels letztes die Stellung, die sich das neuzeitliche Bewußt-
Wort zum Verhältnis von Religion, Philosophie sein gegen die Weltlichkeit gibt. In ihren beiden
und gesellschaftlicher Wirklichkeit – auch wenn ersten Formen ist die Realisierung des Geistigen
dies in beharrlichem Ignorieren der entwick- noch nicht gelungen: Die Aufklärung wendet die
lungsgeschichtlichen Differenzen immer wieder in der Religion erworbene »Freiheit der Ver-
behauptet wird (Habermas 1985, 49). Denn im nunft« gegen alle Knechtschaft, und somit auch
Blick auf dieses Verhältnis vollzieht Hegel in sei- gegen die religiöse Knechtschaft; die Selbstge-
nen drei späteren Kollegien eine radikale Wen- wißheit des Denkens beschränkt sich dann auf
dung: Er ersetzt die Aufforderung zur Flucht aus die letzte Spitze der Subjektivität, so daß im
dieser Welt durch das Programm einer »Realisie- Subjekt aller Inhalt »verblasen ist, ohne Objek-
rung des Geistigen der Gemeinde«. An die Stelle tivität, ohne feste Bestimmtheit, ohne Entwick-
der resignativen Grundstimmung der abschlie- lung Gottes, der am Ende gar keinen Inhalt mehr
ßenden Partien des ersten Kollegs tritt seit dem hat.« Die dritte Form aber besteht darin, »daß die
zweiten Kolleg der Entwurf einer progressiven Subjektivität zwar aus sich, aber nach der Not-
Realisierung des geistigen Gehalts der Religion, wendigkeit den Inhalt entwickelt, daß sie einen
seiner Ein-Bildung in die Weltlichkeit (V 5.262– Inhalt als notwendig und diesen notwendigen
270). Inhalt als objektiv, an und für sich seiend weiß
Dies widerspricht keineswegs dem Theorem und anerkennt. Das ist der Standpunkt der Philo-
vom ›Ende der Religion‹: Auch wenn sie als sophie.« Der Begriff »produziert zwar die Wahr-
separate Gestalt das höchste Bedürfnis des Gei- heit – das ist die subjektive Freiheit –, aber er
stes nicht mehr zu erfüllen vermag, kann gleich- erkennt diese Wahrheit als ein zugleich nicht
wohl ihre »Substanz«, ihr geistiger Gehalt, wie Produziertes, als an und für sich seiendes Wahres
schon an die Philosophie weitergegeben, so auch an.« Insofern geht die geistige »Substanz«, die die
in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingebildet Religion so lange bewahrt hat, in die Konstitu-
werden. Hegels Schüler haben diesen Gedanken tionsbedingungen auch noch der modernen sittli-
weiter entfaltet. Carl Ludwig Michelet (1843, chen Welt ein, und somit trägt sie zur »Versöh-
305 f.) faßt ihn als »Verweltlichung« – aber nicht nung« bei, zu einem »Frieden Gottes«, der nun
mehr im traditionellen Sinne einer kirchenge- aber nicht mehr wie früher »höher ist als alle
schichtlichen Verfallskategorie, sondern einer Vernunft, sondern der durch die Vernunft erst
kulturgeschichtlichen Kategorie, als Verwirkli- gewußt, gedacht und als das Wahre erkannt
chung des christlichen Prinzips; Richard Rothe wird.« (V 5.267–269, vgl. V 9.8 f.)
bezeichnet erstmals diese »Verweltlichung« als
»Säkularisierung« (1837, 85) und prägt damit den Kollegien: 1821, 1824, 1827, 1831. – Erstdruck: W1 bzw.
W2 XI–XII. – Text: a) Manuskripte: GW 17; V 3–5; b)
kulturgeschichtlichen Begriff der Säkularisierung
Nachschriften: V 3–5, künftig GW 29. – Literatur: Carl
als einen Gegenbegriff zu dem staatsrechtlichen Ludwig Michelet: Entwicklungsgeschichte der neue-
der ›Säkularisation‹. »Säkularisierung« ist hier sten deutschen Philosophie mit besonderer Rücksicht
nicht als Entfremdung oder Entwendung religiö- auf den gegenwärtigen Kampf Schellings mit der He-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 477

gelschen Schule. Berlin 1843; Richard Rothe: Die An- sophie« zu erwarten, und es lassen sich in diesen
fänge der Christlichen Kirche und ihrer Verfassung. abschließenden Paragraphen auch Andeutungen
Wittenberg 1837; Ernst Troeltsch: Die Absolutheit des
zu einem solchen Projekt finden, das gleichzeitig
Christentums und die Religionsgeschichte. Tübingen
3 1929. – Karl Löwith: Hegels Aufhebung der christli- auch von Friedrich Schlegel anvisiert wird – also
chen Religion. HSB 1 (1964), 194; Michael Theunissen: zu einer nicht bloß geschichtlichen Reflexion der
Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch- Philosophie auf sich selbst (Jaeschke 2000, 466).
politischer Traktat. Berlin 1970; Scheit: Geist und Ge- Gleichwohl hat Hegel seine Vorlesungen nicht
meinde, 143–268; Falk Wagner: Der Gedanke der Per- einer solchen Disziplin, sondern allein der Ge-
sönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel. Gütersloh
schichte der Philosophie gewidmet.
1971; Reinhard Leuze: Die außerchristlichen Religio-
nen bei Hegel. Göttingen 1975; Joachim Ringleben: Abgesehen von »Logik und Metaphysik« hat
Hegels Theorie der Sünde. Die subjektivitäts-logische Hegel über kein Thema so regelmäßig und über
Konstruktion eines theologischen Begriffs. Berlin / keines so ausführlich gelesen wie über die Ge-
New York 1977; Franco Biasutti: Assolutezza e Sogge- schichte der Philosophie – erstmals in Jena
tivita. L’idea di Religione in Hegel. Trento 1979; Graf / 1805/06, sodann in Heidelberg 1816/17 und
Wagner (Hg.): Die Flucht in den Begriff (1982); Quen-
1817/18. Hierzu haben sich jedoch keine Quellen
tin Lauer: Hegel’s Concept of God. Albany 1982; Guy
Planty-Bonjour (Hg.): Hegel et la religion. Paris 1982; erhalten: Carl Ludwig Michelet, Hegels Schüler
Jaeschke: Die Religionsphilosophie Hegels. Darmstadt und erster Herausgeber dieser Vorlesungen in der
1983; Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs Freundesvereinsausgabe, berichtet von einem »je-
der Moderne. Zwölf Vorlesungen. Frankfurt am Main naischen Heft«, das jedoch ebenso verlorenge-
1985; Jaeschke: Paralipomena Hegeliana zur Wir- gangen ist wie ein in Heidelberg verfaßter »kür-
kungsgeschichte Schleiermachers. In: Kurt-Victor
zerer Abriß der Geschichte der Philosophie«.
Selge (Hg.): Internationaler Schleiermacher-Kongreß
Berlin 1984. Berlin / New York 1985, 1157–1169; Quellen sind erst zu den sechs Vorlesungen er-
Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Studien zur halten, die Hegel in Berlin gehalten hat: im Som-
Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels. Stutt- mer 1819, im Winter 1820/21 und dann im zwei-
gart-Bad Cannstatt 1986; Adriaan Peperzak: Selbster- jährigen Turnus in den Wintern 1823/24,
kenntnis des Absoluten. Grundlinien der Hegelschen 1825/26, 1827/28 und 1829/30. Im Winter
Philosophie des Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987,
1831/32, wenige Tage vor seinem Tod am 14.
79–110; Michael Schulz: Sein und Trinität. Systemati-
sche Erörterungen zur Religionsphilosophie G. W. F. He- November, hat er erneut mit dieser Vorlesung
gels im ontologiegeschichtlichen Rückblick auf J. Duns begonnen, aber nicht einmal die Einleitung voll-
Scotus und I. Kant und die Hegel-Rezeption in der enden können; Michelet hat die begonnene Vor-
Seinsauslegung und Trinitätstheologie bei W. Pannen- lesung fortgesetzt. Aber auch aus diesen Jahren
berg, E. Jüngel, K. Rahner und H. U. v. Balthasar. St. sind nur zwei handschriftliche Fragmente zur
Ottilien 1997; Gerhard Wölfle: Kult und Opfer in He-
Einleitung (1820/21 bzw. 1823/24) erhalten, und
gels Religionsphilosophie. Tübingen 1999; Jaeschke:
Die geoffenbarte Religion. In: Schnädelbach (Hg.): He- daneben ist jedes Kolleg durch mindestens eine,
gels Enzyklopädie (2000), 375–466; Jaeschke: Säkulari- häufig durch zahlreiche Nachschriften überliefert
sierung. In: Handbuch religionswissenschaftlicher (V 6.XI-XXXVII).
Grundbegriffe. Bd. V. Stuttgart 2001, 10 f.; Jean (2) Mit den Positionen früherer – und nicht
Greisch: Le buisson ardent et les lumières de la raison. bloß zeitgenössischer – Philosophen hat Hegel
L’invention de la philosophie de la religion. Bd. 1:
sich sehr früh auseinandergesetzt. Für seine
Héritages et héritiers du XIXe siècle. Paris 2002,
121–173: Religion et Savoir absolu. G. W. F. Hegel. Frankfurter Jahre ist ein intensives Studium Pla-
tons und des Skeptizismus belegt (R 100), und
dieser ist auch Thema einer kritischen Abhand-
9.9. Geschichte der Philosophie lung aus dem Jahre 1802 (s. 132 ff.). Hegels frühe
Schriften entwerfen aber keine Konzeption einer
»Geschichte der Philosophie«. Noch seine ein-
9.9.1. Überlieferung und »Vorgeschichte«
leitenden Bemerkungen zur Differenz-Schrift,
(1) Als dritte Gestalt des absoluten Geistes nennt über die »Geschichtliche Ansicht philosophischer
Hegel in der Enzyklopädie die Philosophie Systeme« (GW 4.9–12), lassen keineswegs er-
(§§ 572–577). Nach Analogie zu den Philoso- warten, daß er sich wenig später diesem Gebiet
phien der Kunst und der Religion wären nun zuwenden werde; sie bieten keine Ansatzpunkte
»Vorlesungen über die Philosophie der Philo- zur Entwicklung einer Konzeption der Philoso-
478 II. Werk

phiegeschichte als eigenständiger philosophi- das zumindest die Nachschriften der Berliner
scher Disziplin (s. 115 f.). Kollegien nicht belegen – wie man am Kolleg
Doch bereits im Winter 1805/06 liest Hegel 1825/26 sehen kann (V 7–9).
erstmals über »Geschichte der Philosophie« –
und hierfür dürfte er seine anfängliche Sicht ver-
9.9.2. Philosophiegeschichte als Philosophie
abschiedet und erste Grundbegriffe seiner Lö-
sung des Verhältnisses von Vernunft und Ge- (1) Wie schon die anderen geistesphilosophi-
schichte gewonnen haben. Das gedankliche Fun- schen Themen, so gehören auch Vorlesungen
dament seiner Zuwendung zur Philosophiege- über die Geschichte der Philosophie zu Hegels
schichte bietet wahrscheinlich der Begriff des Zeit nicht zu den selbstverständlichen Gegen-
Geistes, den er seit 1803 kontinuierlich ausarbei- ständen des akademischen Unterrichts. Die Phi-
tet. Diese Vermutung läßt sich allerdings nicht losophiegeschichtsschreibung nimmt zwar da-
belegen, da sich zu diesem Kolleg keine Quellen mals – wiederum im Anschluß an Kant, und zwar
erhalten haben. Michelet hat Hegels »jenaisches an sein Dictum von der »Geschichte der reinen
Heft« jedoch noch für seine Edition der Vor- Vernunft« (B 880) – einen großen Aufschwung,
lesungen im Rahmen der Freundesvereinsaus- doch die damals gängigen philosophiegeschicht-
gabe herangezogen, und in ihr lassen sich teils lichen Werke Tennemanns, Tiedemanns und
aus stilistischen Gründen, teils auf Grund von Buhles stehen nicht im Zusammenhang mit Vor-
Rosenkranz’ Hinweisen (R 202) einige Partien lesungen über dieses Thema. Die Geschichte der
identifizieren, die aus diesem »Heft« stammen. Philosophie bildet keinen Teil des traditionellen
Die wichtigste ist fraglos der geschichtliche Auf- Fächerkanons: Als einer historischen Disziplin
riß W XV.686–690, der sich durch eine zur nahezu wird ihr der vom Rationalismus geprägte Begriff
gleichzeitigen Phänomenologie des Geistes paral- der Wissenschaftlichkeit nicht zuerkannt. Erst in
lele Gedankenführung auszeichnet. Zur späteren den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts, im Zuge
Heidelberger und Berliner Konzeption haben der grundlegenden Umgestaltung des Fächerka-
aber wohl erhebliche Differenzen bestanden, nons zur Zeit des Erlöschens der Schulphiloso-
denn Michelet berichtet, die Einleitung zum »je- phie und der beginnenden Historisierung der
naischen Heft« sei für seine eigene Edition »bis Wissenschaften, erhält die Geschichte der Philo-
auf einzelne Stellen unbrauchbar« gewesen (W1 sophie einen Platz im neuen Ganzen der philo-
XIII.VII). sophischen Disziplinen. Später, im Gefolge des
(3) Die Überlieferungslage der philosophiege- Historismus, wird er noch erheblich ausgebaut –
schichtlichen Vorlesungen entspricht derjenigen allerdings zu Lasten der Annahme, daß es in der
der Vorlesungen über die Philosophie der Welt- Geschichte der Philosophie um die Geschichte
geschichte und über die Ästhetik: Da Hegels der Vernunft zu tun sei.
Manuskripte nicht erhalten sind, kommt diesen (2) Zwei Entwicklungen von epochalem Rang
Bänden der Freundesvereinsausgabe ein bleiben- bilden die Voraussetzungen von Hegels Konzep-
der Quellenwert zu – hier allerdings abgesehen tion. Die erste liegt im Bedeutungswandel von
von der Einleitung, die durch ein umfangreiches »Geschichte« (s. 402). Die einflußreiche und auch
und gut ausgearbeitetes Fragment wie auch durch noch von Hegel oft herangezogene »Philosophie-
Nachschriften aus allen Kollegjahrgängen heute geschichte« von Jakob Brucker trägt den Titel
besser belegt ist als in Michelets Ausgabe (V 6). Historia critica philosophiae – und schon das
Bei der Darstellung der Philosophiegeschichte Adjektiv »kritisch« läßt erkennen, daß »Ge-
zeigt diese jedoch einen überaus großen Reich- schichte« hier im Sinne von »Bericht« zu ver-
tum, der aus Hegels Manuskripten und aus den stehen sei, also im traditionellen subjektiven
Nachschriften unterschiedlicher Kollegien zu- Sinne. Die Bedeutung von »Geschichte« als eines
sammengetragen ist – wenn auch fraglos um den objektiven Geschehenszusammenhangs hat Bruk-
Preis von Wiederholungen, von Veränderungen ker noch fern gelegen; deshalb ist für seine »hi-
und Umakzentuierungen. Diese Fülle des Mate- storia«, für seine Erzählung eine strikt chronolo-
rials hat Michelet dadurch zu bewältigen gesucht, gische Disposition des Stoffs keineswegs zwin-
daß er es in ein recht starres trichotomisches, also gend. In den genannten philosophiegeschichtli-
vermeintlich ›dialektisches‹ Schema gepreßt hat, chen Werken Tennemanns und anderer ist der
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 479

Bedeutungswandel von »Geschichte« jedoch be- stellt. Gleichwohl verbindet sich die neue Sicht
reits vollzogen: Er gibt nicht einen Bericht von vor allem mit seinem Namen. Es ist sein großer,
Philosophien, sondern er schildert einen quasi- alle Einzeldarstellungen durchziehender Ge-
objektiven Zusammenhang. Und nicht anders danke, daß die einzelnen geschichtlichen Ge-
Hegel: Sein Fragment von 1820 beginnt mit der stalten der Philosophie, diese Taten des sich wis-
Ankündigung »Diese Vorlesungen haben die G e - senden Geistes, nicht bloß als historisch-zufällig
s c h i c h t e d e r P h i l o s o p h i e zu ihrem Gegen- zu nehmen seien. In ihnen vollzieht sich das
stande.« (V 6.5) Die Vorlesungen sind nicht, zu- Werden der Philosophie selbst, und auch ihre
mindest nicht primär selber »Historie«, sondern Sequenz wird nicht durch äußere Umstände, son-
»Geschichte« ist ihr Gegenstand. dern durch ihre innere Logik gesteuert.
Die zweite Voraussetzung liegt in den bereits Schon die allgemeine Weltgeschichte ist ja
angedeuteten Versuchen, den im Rationalismus nicht als eine vom Zufall und von den Leiden-
angelegten »garstigen breiten Graben« (LM schaften beherrschte Folge von Ereignissen zu
XIII.7) zwischen notwendigen Vernunft- und zu- denken – auch wenn ihre dem flüchtigen Be-
fälligen Geschichtswahrheiten wenn schon nicht trachter zugekehrte Oberfläche diesen Eindruck
zuzuschütten, so doch wenigstens hier und da zu nahelegt und ihr geistiger Gehalt erst hinter der
überbrücken. In den Jahren um 1800 liegt die Fassade des Äußerlichen und bloß Empirischen
spezifische Signatur einer Theorie der Ge- erkannt werden kann. A fortiori gilt dies für die
schichte der Philosophie in der Suche nach einer Geschichte der Philosophie: Sie ist nicht eine ins
Verbindung vernünftiger (apriorischer) und ge- Unendliche laufende Reihe von Meinungen, Irr-
schichtlicher (aposteriorischer) Momente. Sie tümern und Widerlegungen im Reiche des Gei-
läßt sich bei der Philosophiegeschichtsschrei- stes, aber auch nicht bloße »memoria« der Taten
bung auch leichter finden als bei der allgemeinen der Heroen der denkenden Vernunft, sondern das
Geschichtsschreibung, und insofern kommt der Medium der Entwicklung des Geistes selber. –
Philosophiehistorie auch eine wichtige methodo- Entwicklungsgeschichtlich gesehen dürfte Hegel
logische Bedeutung zu: Insofern sie eine histori- allerdings nicht allererst von der Weltgeschichte
sche Disziplin ist, kann sie zwar von der Methode auf die Philosophiegeschichte geschlossen haben,
der allgemeinen Geschichtsschreibung nicht völ- sondern umgekehrt: Die Einsichten, die er bei
lig losgelöst werden; ihr besonderer Gegenstand den Geschichten des »absoluten Geistes« gewon-
privilegiert sie aber gegenüber den anderen hi- nen hat, haben auch sein Bild der Weltgeschichte
storischen Disziplinen. Denn es besteht die Er- verändert. Auch den für die Weltgeschichte sy-
wartung, daß die Entwicklung ihres Gegenstan- stematisch zentralen Begriff der »Geschichtlich-
des – des Apriorischen oder des Vernünftigen – keit« erarbeitet Hegel sich ja primär im Kontext
an dessen Verfassung partizipiere: daß sie nicht der Methodologie der Philosophiegeschichts-
bloß dem Zufall gehorche, sondern selbst ver- schreibung (s. 404 f.).
nunftgeleitet sei. Es wird zum Kriterium der phi- Den konstitutiven Zusammenhang von »Ver-
losophischen Dignität der Philosophiegeschichts- nunft« und »Geschichte« spricht Hegel in nahezu
schreibung, ob sie sich darauf beschränken muß, axiomatischer Form aus: »Die Philosophie ist Ver-
eine bloße »Historie« über das im wesentlichen nunfterkenntnis, die Geschichte ihrer Entwick-
zufällige Entstehen und Vergehen einzelner lung muß selbst etwas Vernünftiges, die Ge-
Denkgebäude zu geben, oder ob es ihr gelingt, schichte der Philosophie muß selbst philoso-
über die genannte Sphäre hinaus auch eine ver- phisch sein.« (V 6.14) Diese ihr immanente Ver-
nunftgeleitete Geschichte des vernünftigen In- nunft aber offenbart sie – wie auch die
halts der Philosophie selbst zu rekonstruieren. Weltgeschichte und die anderen Partialgeschich-
(3) Hegels Berliner Vorlesungen bilden die ten des absoluten Geistes – nur demjenigen, der
klassische Gestalt einer philosophischen Philo- bereit ist, sie vernünftig anzusehen. Dem, der die
sophiegeschichtsschreibung – auch wenn die un- Vernunft nicht kennt und die Geschichte der Phi-
mittelbar vorausgehenden Werke wie etwa Ten- losophie nicht als Geschichte der Vernunft zu
nemanns Einleitung zu seiner zwölfbändigen Ge- deuten wagt, kann diese ihr immanente Vernunft
schichte der Philosophie hiervon nicht so weit auch nicht offenbar werden. Zur Beurteilung der
entfernt sind, wie sich dies für Hegel selber dar- Geschichte der Philosophie muß man die Idee
480 II. Werk

schon mitbringen, nicht anders als zur Beurtei- auch wenn er ihnen mit Recht eine weit höhere
lung von Handlungen die Begriffe von dem, was Dignität zuerkennt als ihren Vorgängern, den io-
recht und gehörig ist (V 6.28). nischen Naturphilosophen und den Pythago-
Dies ist eine hermeneutisch legitime Bedin- räern. Die Zuordnung Heraklits zur Denkbestim-
gung der Erfassung des Vernunftgehalts der Phi- mung »Werden« erfordert ferner seine – pro-
losophiegeschichte, und nicht etwa eine petitio blematische – Nachordnung gegenüber den Elea-
principii. Die Forderung, die Idee mitzubringen, ten, und für die zweite Bestimmung der Logik,
geht ja nicht zu Lasten der anderen, man müsse das Nichts, ist ohnehin kein historisches Pendant
sich bei der Behandlung früherer Philosophie zu finden.
»ganz streng genau, historisch genau [an] die Angesichts der unabweisbaren Differenz von
e i g e n s t e n Worte halten (V 6.44). Erst beide logischer und geschichtlicher Entwicklung läßt
Forderungen beschreiben die Aufgabe des Philo- sich dieses Postulat der Harmonie von Logik und
sophiehistorikers vollständig. Hegel geht aller- Geschichte nicht aufrechterhalten. Und sowohl in
dings noch einen Schritt weiter – wissenschafts- den philosophiegeschichtlichen als in den rechts-
geschichtlich gesehen wohl einen Schritt zurück philosophischen Vorlesungen (V 6.27; Ig 3.168)
in den Umkreis des Rationalismus –, indem er räumt Hegel auch selber Unterschiede der Zeit-
mit Nachdruck behauptet, daß erst die Konzep- folge und der Begriffsfolge ein – ohne jedoch zu
tualisierung der »eigensten Worte« mit Hilfe der begründen, weshalb und inwieweit dies der Fall
mitgebrachten Idee, also »nur eine Geschichte sei. Die Vernunft der Philosophiegeschichte und
der Philosophie, als ein solches System der Ent- ihre Wissenschaftlichkeit lassen sich nicht durch
wicklung der Idee aufgefaßt, d e n N a m e n e i - ein derart einfaches Prinzip wie den logisch-
n e r W i s s e n s c h a f t verdient« (V 6.28 f.). An- historischen Parallelismus sichern; hierzu bedarf
derenfalls sei sie bloße Historie – und damit auch es eines komplexeren Ansatzes.
im Hegelschen Sinn nicht Wissenschaft. Der Ver- (5) Wenn man verneint, daß der ordo idearum
nunftgehalt der Philosophiegeschichte und die gleich dem ordo rerum gestarum, das Struktur-
von der Idee geleitete Historie bilden gemeinsam prinzip der Geschichte der Philosophie wie auch
die Voraussetzung ihrer Integration in das System ihrer Hegelschen Darstellung die Abfolge der
der philosophischen Wissenschaften: »nur Kategorien der Logik sei, so stellt sich die Frage
darum gebe ich mich damit ab, halte Vorlesungen nach dem wirklichen Verhältnis beider. Leicht –
darüber« (V 6.28). und etwas banal – beantworten läßt sich die Frage
(4) Darüber hinaus sucht Hegel den Wissen- nach dem Ordnungsprinzip von Hegels Vorle-
schaftscharakter der Philosophiegeschichte in sungen über die Geschichte der Philosophie: Es
der starken These zu fassen, »daß die Aufein- ist kein anderes als der Zeitverlauf selber – und
anderfolge der Systeme der Philosophie in der dies übrigens in weit reflektierterer Form als in
G e s c h i c h t e d i e s e l b e ist als die A u f e i n - seiner Darstellung der Geschichte der Religion.
a n d e r f o l g e i n d e r logischen A b l e i t u n g der Zum Verhältnis von Logik und Historie der
Begriffsbestimmungen der Idee« (V 6.27). In die- Denkbestimmungen lassen sich zwei Überlegun-
sem kühnen Anspruch klingt Spinozas Satz nach: gen anschließen. Alle in der Philosophiege-
»ordo et connexio idearum idem est, ac ordo et schichte erarbeiteten Denkbestimmungen müs-
connexio rerum« (Ethica II,7). Einer Überprü- sen notwendig in der Logik vorkommen – sonst
fung seiner Einlösung im Detail oder auch nur wäre sie ja nicht deren vollständige systematische
der Bedingungen seiner Einlösbarkeit hält dieser Erkenntnis. Umgekehrt ist es ebenso notwendig
Anspruch auf Übereinstimmung des geschichtli- wie trivial, daß alle Denkbestimmungen, die die
chen ordo mit dem logischen jedoch nicht stand. Logik im systematischen Ductus expliziert, auch
Dies zeigt sich bereits an der behaupteten Korre- in der Geschichte der Philosophie gedachte sein
spondenz des Anfangs der Geschichte der Philo- müssen – sonst wären sie ja gar nicht bekannt und
sophie mit den Eleaten und Heraklit mit dem kein mögliches Thema der Logik. Die Abkoppe-
Anfang der Logik: Sie erfordert erhebliche Ab- lung des geschichtlichen ordo vom logischen läßt
striche an der historischen wie an der logischen das Prinzip der Identität beider zum beschei-
Exaktheit. Hegel selber läßt die Geschichte der deneren Prinzip der Koextensionalität des Ge-
Philosophie ja nicht mit den Eleaten beginnen – halts werden.
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 481

Doch auch dann bleibt das Maß der wechsel- Dinge« dar, sondern indem sie » d a s We r d e n
seitigen Verschränkung oder Unabhängigkeit bei- u n s e r e r W i s s e n s c h a f t« darstellt, stellt sie
der Ordnungen zu bestimmen. Hegel beschwört unser eigenes Werden dar. Und dieses Werden ist
die Identität der logischen und der geschichtli- nichts uns Äußerliches, das »jenseits u n s e r e r
chen Folge jeweils im Rahmen eines Plädoyers W i r k l i c h k e i t« liegt, und es ist ebensowenig
für die Anerkennung der »Notwendigkeit« des »eine Sache der Vergangenheit«, sondern: »was
Geschichtsverlaufs und eines Protestes gegen das w i r sind, sind wir zugleich geschichtlich« (V
Mißverständnis der Philosophiegeschichte als ei- 6.9,6). Diese doppelte Identität ist es, die die
nes »unordentlichen Haufens«, einer »Reihe von (objektive) Philosophiegeschichte zum Innersten
bloßen Meinungen, Irrtümern, Gedankenspie- der Geschichte und ihre (subjektive) Historie zur
len« (V 6.28). Darin liegt jedoch nicht die unaus- »Wissenschaft der Philosophie selbst« (V 6.3)
weichliche Alternative zur logisch-historischen werden läßt: die Identität unserer selbst mit un-
Identität. Vielmehr resultiert die »Notwendig- serer Geschichte, also unsere »Geschichtlich-
keit« der irreversiblen geschichtlichen Folge des keit«, und die Identität des »Werdens unserer
Auftretens der Denkbestimmungen aus einer Wissenschaft« mit unserem eigenen Werden.
Vielzahl von weltgeschichtlichen, religiösen, so- Die »Geschichtlichkeit« ist ja nicht durch die
zialen und geistesphilosophischen Kontexten, die engen Grenzen des individuellen Lebens be-
jeweils einer eigenen »Logik« gehorchen. Die schränkt, sondern durch das Maß unserer Partizi-
Logik als die Wissenschaft vom immanenten Zu- pation am Geistigen überhaupt – denn es ist »in
sammenhang der reinen Denkbestimmungen ist dem, was wir sind, das gemeinschaftliche Unver-
nicht zugleich die Wissenschaft ihres geordneten gängliche unzertrennt mit dem, daß wir ge-
Auftretens in der Geschichte. Hierzu bedarf es schichtlich sind, verknüpft« (V 6.6). Die Gemein-
einer eigenständigen und weit komplexeren Lo- schaftlichkeit dieses Unvergänglichen ist gleich-
gik der Philosophiegeschichte – als einer Teil- sam die geistige »Substanz« oder die Vernunft,
disziplin der »Philosophie der Philosophie«, de- und so ist auch das »Wir« nicht ein Kollektivum je
ren systematischen Ort die der Philosophie ge- individueller »Ich«, sondern dieses Gemein-
widmeten Paragraphen am Ende der Enzyklopä- schaftliche ist ein unverzichtbares Moment der
die markieren. Hegel selbst hat jedoch nur noch Konstitution der individuellen Ich. Das »Unver-
den historischen Aspekt einer solchen Disziplin gängliche« wird jedoch nicht erst durch den ge-
ausgeführt. meinsamen Bezug vieler zum »Gemeinschaftli-
(6) Aber auch ohne eine derartige universelle, chen«, sondern bereits durch die Bedingungen
sowohl die kategoriale als auch die geschichtliche seiner eigenen Konstitution. Die Philosophie ist
Entwicklung umgreifende »Logik« ist die Ge- ja »objektive Wissenschaft der Wahrheit« und
schichte der Philosophie keineswegs von aller »kein Ausspinnen von Meinungen« (V 6.18). Des-
Vernunft verlassen – und nicht bloß deshalb, weil halb ist dieses »gemeinschaftliche Unvergäng-
diese ihr Gegenstand ist. Wie die Geschichten liche« »um so vortrefflicher«, je weniger es durch
der Kunst und der Religion ist auch die Philo- die Besonderheit des produzierenden Subjekts
sophiegeschichte die Geschichte des Geistes als geprägt ist, sondern immer schon »dem allge-
Geschichte seiner Selbsterkenntnis – und zudem meinen Charakter des Menschen als Menschen«
gegenüber Kunst und Religion nicht allein in angehört – ja »je mehr dies eigentümlichkeitslose
reflektierterer Form, sondern sie ist ausdrücklich Denken selbst das produzierende Subjekt ist«.
auf die Entwicklung des begreifenden Denkens Dennoch ist dieses eigentümlichkeitslose Unver-
gerichtet. Sie ist Geschichte der Vernunft als »Ge- gängliche kein Unbewegliches; es gehört ja dem
schichte des Selbstbewußtseins« – nicht mehr im »allgemeinen Geist« an, »und der a l l g e m e i n e
transzendentalphilosophischen Sinne einer gene- G e i s t b l e i b t n i c h t s t i l l s t e h e n .« (V 6.6 f.)
tischen Entwicklung der Erkenntnisvermögen, Auch sein Sein ist seine Tat, und seine Tat sein
sondern der wirklichen Geschichte der Vernunft Sichwissen – und der genuine Ort dieses Sich-
als des sich in seinem Verhältnis zur Wirklichkeit wissens ist eben die Geschichte der Philosophie.
denkenden Denkens. (7) Hegel weiß aber sehr wohl, daß das Er-
Oder mit Hegels Worten: Die Philosophiehi- scheinungsbild der Philosophiegeschichte die-
storie stellt uns nicht das » We r d e n f r e m d e r sem sehr anspruchsvollen Begriff nicht ent-
482 II. Werk

spricht. Gemeinhin erscheint sie als Tummelplatz erst die Vielheit läge. Philosophie ist nicht ein
oder gar Kampfplatz von Meinungen, auf dem zeitloses System, sondern ein »System in der
jeder nach Belieben behaupten und verwerfen Entwicklung« – und »nur eine Geschichte der
darf, was ihm gefällt, und »die Galerie der He- Philosophie, als ein solches System der Entwick-
roen der d e n k e n d e n Ve r n u n f t« entpuppt lung der Idee aufgefaßt«, verdient » d e n N a m e n
sich schließlich – wenn auch nur in einer schiefen e i n e r W i s s e n s c h a f t« (V 6.28 f.)
Perspektive – als » G a l e r i e der Narrheiten« (V In diesem Begriff der Philosophiegeschichte
6.5 bzw. 15). Doch auch wenn man solche Verzer- sucht Hegel die beiden sich scheinbar wider-
rungen einer unangemessenen Thematisierung sprechenden Begriffe »System« und »Geschichte«
der Philosophiegeschichte zuschreibt, weist sie zusammenzudenken – und dies ist keine bloß
einen doppelten inneren Widerstreit auf, der verbale »Synthese« zweier Differenter: »Ge-
nicht einfach beiseite zu schieben ist: den Wider- schichte« ist ja für Hegel nichts als die Explika-
streit zwischen dem Ewigen, das sie prätendiert, tionsform des Geistes; sie ist aus dem Begriff des
und dem Veränderlichen, das sie ist; und ebenso Geistes nicht zu eliminieren. Damit ist allerdings
den Widerstreit zwischen der Vielheit der Wahr- noch nicht das spezifische Bewegungsgesetz die-
heitsansprüche und der Einheit der Wahrheit. ser Geschichte erkannt – und Hegel deutet an,
Beide Formen des Widerstreits erscheinen un- daß es auch im Geistigen unterschiedliche Bewe-
mittelbar, ohne ausführliche Begründung als gungsformen und Geschichtsverläufe gebe. Die
plausibel und als charakteristisch für die Philo- Geschichten der Religion oder der Wissenschaf-
sophiegeschichte. Die Einheit der Wahrheit wi- ten etwa verlaufen anders als diejenige der Philo-
derspricht zwar nicht schlechthin der Vielheit der sophie. Diese zeigt »weder das Verharren eines
Wahrheitsansprüche, denn es könnte ja sein, daß zusatzlosen einfachern Inhalts [sc. wie die Reli-
unter diesen vielen Ansprüchen der »wahre«, be- gion], noch nur den Verlauf eines ruhigen Anset-
rechtigte verborgen liege – doch jeder behauptet zens neuer Schätze an die bereits erworbenen [sc.
eben dies von sich und auf Kosten der anderen, wie die Wissenschaften], sondern sie scheint
und somit ist nichts gewonnen. Ebenso sind Ewi- vielmehr das Schauspiel nur immer sich erneu-
ges und Zeitliches einander heterogen, und die ernder Veränderungen des Ganzen zu geben«, so
Philosophie erstrebt »die Erkenntnis dessen, was daß schließlich die vernünftige Erkenntnis selber
wahr, darum ewig und unvergänglich ist; die zu entschwinden drohe (V 6.12).
Geschichte hingegen »hat es nach der nächsten Man muß diese Bemerkung nicht als eine zu-
Vorstellung von ihr mit Geschehenem, somit Zu- treffende Beschreibung der Wissenschaftsge-
fälligem, Vergänglichem und Vergangenem zu schichte akzeptieren, um einzuräumen, daß He-
tun.« (V 6.13). In dieser Formulierung liegt aber gels Hinweis auf die unterschiedlichen Verlaufs-
auch schon der Schlüssel versteckt, mit dem He- formen von Philosophie- und Wissenschaftsge-
gel den doppelten Widerstreit auflösen wird: schichte berechtigt sei – was auch zur Vorsicht bei
mittels eines reflektierten Begriffs von Ge- der Übertragung von Konzeptionen der Wissen-
schichte als der Form der sich in sich differenzie- schaftsgeschichte auf die Philosophiegeschichte
renden Totalität. mahnen sollte. Der jetzt für die Philosophiege-
In Hegels Sicht arbeiten beide Formen des schichte charakteristische Entwicklungsgedanke
Widerstreits mit abstrakten Verstandesbegriffen: dementiert vor allem die frühe Jenaer Konzep-
Ewigkeit und Zeitlichkeit, Vielheit und Einheit tion: Am Anfang der Philosophiegeschichte steht
werden einander bloß entgegengesetzt – als ob nicht das »älteste Alte« (s. 152), sondern eine
das Ewige, das sich nicht zeitlich entwickelte, wegen eben dieser Anfänglichkeit notwendig
und das Eine, dem die Vielheit nur entgegen- »abstrakte«, nämlich noch nicht weiter bestimmte
stände, etwas Wahres wären, und nicht vielmehr Form des Begriffs. Seine Fortbestimmung voll-
etwas Totes. Wie die Logik und die »Metaphysik zieht sich aber nicht als »ruhiges Ansetzen neuer
der Zeit« zeigt gerade auch die Philosophiege- Schätze«, sondern in der Tat als »Veränderung des
schichte, daß diese Begriffspaare nicht als unver- Ganzen«, die allein vom Blick eines Philosophie-
mittelter Gegensatz gedacht werden dürfen: Das historikers, der im Besitz der »Idee« ist, gleich-
Wahre ist nicht das Ewige, das die Zeit außer sich wohl als Entwicklung eines Ganzen erfaßt wer-
hätte, und es ist nicht das Eine, jenseits dessen den kann – als eine Entwicklung, die man bei
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 483

allem scheinbar unaufhörlichen Neuanfang doch (GW 21.12). Damit ist zwar eine notwendige
analog zur Weltgeschichte als einen »Fortschritt Bedingung genannt, aber sicherlich keine hin-
im Bewußtseyn der Freiheit« qualifizieren kann. reichende. Denn diese Stufe der Entwicklung
Damit ist aber auch gesagt, daß diese Entwick- einer arbeitsteiligen Gesellschaft wird ja nahezu
lung nicht in die leere Unendlichkeit hinauslaufe: überall erklommen, und auch Aristoteles selber
Sie beginnt, »wo der freie Gedanke für sich, führt die Muße der ägyptischen Priester als
seinen Gegenstand als Gedanken erfassend, her- Grund für die Ausbildung der Mathematik und
vortritt« (V 6.103), und sie endet mit seiner nicht der Philosophie an.
Selbsterkenntnis. Das zweite Argument bestimmt die politische
Freiheit als Voraussetzung der Freiheit auch des
Gedankens: »Erst wo die bürgerliche Freiheit
9.9.3. Der Anfang der Philosophiegeschichte
aufgeblüht ist, da konnte die Philosophie hervor-
(1) Die Bestimmung des Beginns der Philoso- treten. Die bürgerliche Freiheit beruht auf der
phiegeschichte als des Selbstbezugs des Gedan- Unendlichkeit des Willens als eines absolut zu
kens als Gedankens läßt zugleich verständlich respektierenden.« (V 6.93 f.) Auch diese Voraus-
werden, daß sie später beginnt als die Geschich- setzung der politischen Freiheit für die Entste-
ten der Kunst oder der Religion. Diese beiden hung des freien Denkens der Philosophie – in der
Formen der Selbstobjektivierung des Denkens – griechischen Polis – betont Hegel in seinen Ein-
und insbesondere der Mythos – sind ursprüng- leitungen in immer neuen Wendungen: »Indem
licher als die vergleichbar hochstufige Objektivie- dies das Prinzip der politischen Freiheit ist, daß
rung, mit der die Philosophie beginnt: Der Ge- das Subjekt für sich gilt, so ist darin auch das freie
danke erfaßt zuerst seinen Gegenstand, bevor er Denken des Gegenstands enthalten« (V 6.265).
diesen als sich selbst erfaßt und sich damit auf Diese sehr affirmative Sicht des Zusammen-
sich zurückwendet und bei sich ist. Und nur »die hangs zwischen der Verwirklichung politischer
Darstellung des Vernünftigen im Elemente des Freiheit und der Ausbildung des freien Denkens
Gedankens« verdient den Namen Philosophie (V der Philosophie wird Hegel nie dementieren –
6.84,103). doch modifiziert er sie in einem wesentlichen
Der Grund für die geschichtliche Priorität von Punkt. Die Verbindung beider ist keineswegs so
Kunst und Religion läßt sich somit leicht ein- unproblematisch. Zumindest wird sie in Grie-
sehen. Weit weniger plausibel ist es, daß Kunst chenland durch eine bewußtseinsgeschichtliche
und Religion nicht allein früher auftreten, son- Entwicklung überlagert: Der denkende Geist
dern daß sie auch weiter verbreitet sind als die geht über seine natürliche, substantielle Gestalt,
Philosophie – oder angemessener: daß Philo- also über die unmittelbare Sittlichkeit hinaus: »er
sophie als traditionsförmiger und oft institutio- bringt sich so eine ideale Welt hervor im Gegen-
neller Zusammenhang einer methodisch ausge- satz zu jener realen Welt und entflieht in die
arbeiteten Selbstreflexion des Wissens ihr »Grau ideelle Welt. Soll also eine Philosophie hervor-
in Grau« nicht bloß später zu malen beginnt (GW treten, so muß ein Bruch geschehen sein in der
14.18), sondern daß sie eher die geschichtliche realen Welt. Die Philosophie ist dann die Versöh-
Ausnahme bildet. nung des Verderbens, das der Gedanke ange-
(2) Dies sucht Hegel – zunächst – mit zwei fangen hat; diese Versöhnung geschieht in einer
sozialgeschichtlichen Argumenten zu begreifen. ideellen Welt, in die der Gedanke entflieht, wenn
Häufig beruft er sich hierfür auf Aristoteles die irdische Welt ihn nicht mehr befriedigt.«
(981b): Erst die Befreiung von der Sorge für das Wenn sie ihr »Grau in Grau« malt, »ist die Frische
tägliche Leben, für den unmittelbaren Nutzen der Jugend und Lebendigkeit schon vorüber«,
befreit den Menschen zu denjenigen Wissen- und die Versöhnung, die sie stiftet, findet »nicht
schaften, die sich weder auf die notwendigen in der Wirklichkeit als solcher, sondern nur in
Bedürfnisse noch auf die Annehmlichkeiten des der Gedankenwelt« statt.
Lebens beziehen, also auch zur Philosophie; hier- Dieses Argument scheint erst die dritte Phase
für muß der Mensch erst zum »Bedürfniß des der griechischen Philosophie zu betreffen, ihre
schon befriedigten Bedürfnisses der Nothwen- Ausformung in der sogenannten »römischen
digkeit, der Bedürfnißlosigkeit« gekommen sein Welt«. Hegel datiert den bewußtseinsgeschichtli-
484 II. Werk

chen »Bruch« auf die Zeit nach Sokrates: »Das derartige Philosophiehistorie hat Hegel nur Spott
Prinzip des Innerlichseins des Bewußtseins für übrig – und dies aus einem dreifachen Grund:
sich ist die Ursache, daß die folgenden Philo- Zum einen arbeitet sie mit einem völlig unreflek-
sophen sich von den Staatsgeschäften zurück- tierten Philosophiebegriff, zum anderen stützt sie
zogen und auf die Ausbildung einer ideellen Welt sich auf ebenso unzulängliche Quellen – und sei
beschränkten« (V 7.163). Doch auch zuvor schon, es auf antike Nachrichten, die etwa Zoroaster »de
in Jonien und in der Magna Graecia, treten die natura libros quattuor« zuschreiben –, und
Philosophen von den »Staatsgeschäften« zurück; schließlich kompensiert sie den Mangel selbst an
schon hier beginnt die Entfremdung gegenüber solchen Quellen durch einen überzogenen Auf-
der politischen Welt und damit die Entfaltung der wand an Gelehrsamkeit. Eine Bemerkung Hegels
»ideellen Welt« der Philosophie. Und bereits vor über die jonische Philosophie hätte auch hier ihre
der »römischen Welt« wird dieser bewußtseins- Stelle: »wovon man am wenigsten weiß, darüber
geschichtliche »Bruch« flankiert und verstärkt kann man am gelehrtesten sein.« (V 7.22) Gegen-
durch einen weltgeschichtlichen Umbruch: Nicht über diesem sowohl begriff- als auch empirielo-
schon mit der affirmativen Verwirklichung poli- sen Verfahren kommt der Konstituierung einer
tischer Freiheit in der Polis, sondern vielmehr auf die abendländische Tradition begrenzten,
erst mit ihrer Bedrohung und Vernichtung, mit aber auf einer soliden Quellenbasis stehenden
dem »Untergang des ionischen Lebens in Klein- und begrifflich prägnanten Philosophiehistorie
asien« und dem »Verderben des athenischen Vol- ein erheblicher Vorzug zu.
kes tritt die Zeit ein, wo die Philosophie dort (4) Die damalige methodologische Neubesin-
versöhnend hervorkommt.« (V 6.239 f.). nung der Philosophiehistorie hat allerdings –
Diese vier Argumente nennen fraglos wichtige verstärkt durch Hegels antiromantischen Affekt
geschichtliche Bedingungen für die Entstehung gegen die »Ruhmredigkeit der indischen Weis-
der Philosophie in Griechenland – aber auch sie heit« (V 6.269) – auch dazu geführt, daß solche
reichen sicherlich nicht aus, um die Komplexität prägnante Philosophie einigen Traditionen abge-
dieses Prozesses vollständig zu begreifen. Wei- sprochen worden ist, für die sich seit den For-
tere Aspekte – wie die spezifische Ausbildung der schungen des 19. Jahrhunderts ein wiederum
griechischen Volksreligion und Kunst – wären verändertes Bild ergibt: insbesondere für die chi-
hinzuzufügen. Gleichwohl belegen sie Hegels in- nesische und die indische Kultur. In seinen ersten
tensive Beschäftigung mit dieser Frage nach dem Kollegien erwähnt Hegel die »orientalischen An-
Aufkommen der Philosophie gerade in Griechen- sichten« jeweils am Ende seiner Einleitung,
land und nicht in anderen Weltgegenden. gleichsam als Vorhof zur Geschichte der Philo-
(3) Gegen diese Beschränkung auf die griechi- sophie. Es sei eine (zudem von der romantischen
sche Tradition wird heute der Vorwurf des Euro- Mythomanie aufgewärmte) »alte Sage von hoher
zentrismus erhoben – und er könnte um so be- orientalischer Weisheit« – und so skizziert er hier
rechtigter erscheinen vor dem Hintergrund, daß einige der in den religionsphilosophischen Vor-
diese methodische Restriktion damals keines- lesungen ausführlicher behandelten mythologi-
wegs traditionell war, sondern zu Hegels Zeit – schen Vorstellungen – aber nur um darzutun, daß
auch von Tennemann und Tiedemann – sehr es damit nichts sei: »Die orientalische soge-
bewußt und gegen den Widerstand der älteren nannte Philosophie ist mit dem bisherigen abge-
Tradition herbeigeführt worden ist. Für das 18. tan.« (V 6.86,94)
Jahrhundert ist ja eher die »ethnographische« Diese Einschätzung wiederholt Hegel noch im
Philosophiehistorie charakteristisch, die neben Kolleg 1825/26: In der orientalischen Welt könne
der griechischen Tradition die »Philosophie« na- »keine eigentliche Philosophie vorhanden sein«,
hezu aller Völker des Altertums und des Orients weil sie sich noch nicht vom Substanzmodell des
präsentiert – die »Philosophie« nicht allein der Verhältnisses von Allgemeinem und Einzelnem
Perser und Inder, sondern auch der Ägypter und gelöst, und noch nicht den Begriff der »Person«
Chaldäer, der Skythen und Mongolen, sowie den ausgebildet habe (V 6.266 f.) Aber aus dem all-
»chaldäisch-persischen Realismus«, der bei den gemeinen Charakter der religiösen Vorstellungen
Ägyptern »Materialismus« geworden sei, und den des Orients hebt er nun zwei Kulturen heraus.
»tibetanischen Idealismus« (V 7.192 f.). Für eine Was er über die Chinesen mitzuteilen hat, geht
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 485

wenig über das schon früher Ausgeführte hinaus: stimmtheit in der allgemeinen Substanz, so wird
im Blick auf den »abstrakten Gedanken« eine ihm die orientalische Substantialität hier doch zu
kurze Erwähnung der chinesischen Klassiker, ins- einer ernstzunehmenden, wenn auch letztlich
besondere der acht Gua und der Elementenlehre, eben so abstrakten Alternative zur europäischen
und im Blick auf das Praktische die Bemerkung Subjektivität (V 6.374–400).
über Konfuzius, er biete wohl »gute, tüchtige
moralische Lehren«, aber: »Tiefe philosophische
9.9.4. Vorbegriff, Periodisierung, Quellen
Untersuchung darf bei ihm nicht gesucht werden.
Für uns ist nichts zu gewinnen darin. Ciceros ›De (1) Die Überwindung beider Einseitigkeiten
officiis‹ ist vielleicht besser für uns als alle Werke schreibt Hegel jedoch der durch die griechische
des Konfuzius« – eine Bewertung, zu deren rich- Philosophie begründeten Tradition zu: Sie um-
tiger Einschätzung man Hegels abschätziges Ur- faßt gleichsam beide Seiten, denn für sie existiert
teil über Cicero berücksichtigen muß (V das Denken als das Allgemeine zugleich als Ich,
6.369–373). als freies Subjekt. Für die Geschichte der Philo-
Anders steht es im Blick auf Indien: Obgleich sophie, die mit dieser Tradition beginnt, gilt auch
Hegel auch hier die Ansicht wiederholt, die in- insgesamt, was Hegel insbesondere im Blick auf
dische Philosophie sei »identisch mit der Reli- ihre vom Christentum geprägte Epoche sagt: Sie
gion«, sieht er nun erstmals eine Eigenständig- ist der Prozeß des Geistes, sich zu seinem Selbst-
keit indischer Philosophie: »Erst vor kurzem ha- bewußtsein zu erheben (V 9.5). Alle ihre Be-
ben wir bestimmte Kenntnis von der indischen stimmungen sind Bestimmungen des Denkens,
Philosophie erhalten; im ganzen verstand man das sich auf sich selbst richtet, Selbstobjektivie-
darunter die religiösen Vorstellungen; in neuerer rungen des Denkens. Auch wenn es diese Objek-
Zeit hat man aber eigene philosophische Werke tivationsstruktur noch nicht als solche themati-
der Indier kennengelernt; besonders hat uns Co- siert und sich gleichsam »naiv« auf Anderes be-
lebrooke […] in den ›Transactions of the Asiatic zieht, erhebt es dieses Andere in die Form des
Society I‹ aus zwei indischen philosophischen Gedankens und macht somit sich selber zum
Werken Auszüge mitgeteilt, und das ist eigentlich Gegenstand, und hier eben in der Form des freien
das erste, was wir über indische Philosophie Gedankens, als Philosophie.
haben.« Diese Selbstbeziehung des Denkens spricht
Auch wenn Hegel diese Auszeichnung Cole- Hegel auch in anderer Begrifflichkeit aus, etwa
brookes wiederum zum stereotypen Seitenhieb als »Prinzip der Subjektivität« oder des sich den-
auf Friedrich Schlegel nutzt, so belegt sie doch kenden Nus. Das Denken, der Nus, ist die sich
seine Bereitschaft zur Selbstkorrektur und zudem selbst bestimmende Tätigkeit – auch wenn dies
die Intensität seiner Rezeption – denn Colebroo- von Anaxagoras noch nicht so formuliert wird (V
kes umfassende Abhandlung ist 1824 erschienen, 7.101). Aristoteles hingegen spricht diese »ab-
also erst im Jahr vor Hegels Kolleg. Er hebt nun solute Einheit des Subjektiven und Objektiven«
aus ihr »das Hochzuverehrende und das Mangel- bereits aus: »Der noz̃ü, der sich selbst denkt, ist
hafte im Orientalischen« heraus: Der »Idealis- der absolute Endzweck, das Gute; dieses ist nur
mus, daß das Denken für sich ist, daß das Denken bei sich selbst, um seiner selbst willen«. Diesen
die Grundlage der Wahrheit ist«, sei »eine große Aristotelischen Gedanken des Sichselbstden-
Entdeckung des Orientalischen überhaupt«. Des- kens, der nóhsiü noh́sewü, bezeichnet Hegel als
sen »intellektueller Substantialität« stellt er die »das Spekulativste, was gedacht werden kann« –
europäische »intellektuelle Subjektivität« entge- obschon Aristoteles noch den Anschein erweckt,
gen – und gegenüber deren »subjektiver Eitel- als sei hier nicht vom Nus überhaupt die Rede,
keit«, die alles Objektive verflüchtigt, sieht er es sondern »vom Denken eines Besonderen« (V
als den »Vorteil« der orientalischen »intellektuel- 8.91). Doch diese Struktur des Sichselbstden-
len Substantialität«, »jene subjektive Eitelkeit kens, die Aristoteles als Proprium des Gottes-
darin zu ersäufen«. Und auch wenn Hegel im begriffs auszeichnet, bildet eben die Struktur des
Gegenzug das ebenfalls »Abstrakte« der orien- Geistes überhaupt, die somit dessen Geschichte
talischen Substantialität kritisiert, den Mangel zu Grunde liegt – und nicht allein in dem Sinne,
der objektiven Form, die Auflösung aller Be- daß alle Gestalten dieser Geschichte eben diese
486 II. Werk

Struktur aufweisen, sondern daß die Geschichte teilung erinnert nicht allein an die »Querelle des
als ganze wiederum eine solche Form des Sich- Anciens et des Modernes« in der Ästhetik; sie ist
denkens bildet. auch schon durch die traditionelle Philosophiehi-
»Geist« ist ja stets auf seine Selbsterkenntnis storie formell vorgegeben, durch die Annahme,
gerichtet; alle seine Objektivationen sind Formen daß es lediglich zwei Formen der Philosophie
seiner Selbsterkenntnis, denn er ist es ja, der sich gebe, die antike, pagane, und die neuere, christ-
erkennend auf diese Objektivationen bezieht, liche. Bis ins frühe 18. Jahrhundert kann diese
und es gibt keine Objektivationen des Geistes, Unterscheidung sogar die Form annehmen, daß
die nicht Formen seiner Selbsterkenntnis wären. der neuen Zeit eine eigenständige Philosophie
Deshalb ist auch die Philosophiegeschichte als bestritten wird und an deren Stelle die christliche
»objektive« wie auch die Philosophiehistorie als Religion tritt (V 9.88); sie gilt ja traditionell als
»subjektive« eine derartige Form dieser Selbster- »nostra philosophia«. Für Hegel hingegen ist die
kenntnis – auch dann, wenn sie dies nicht eigens neue Philosophie die von religiöser Fundierung
ins Bewußtsein hebt. Die Begriffe, die der Philo- unabhängige Philosophie der Neuzeit. Die Philo-
sophiegeschichte im weiten, ihre Historie ein- sophiegeschichte umfaßt somit eigentlich nur
schließenden Sinne angehören, sind deshalb als zwei Epochen – die Antike und die Neuzeit –,
Formen des sich selbst denkenden Denkens zu- doch zwischen diese beiden Epochen stellt Hegel
gleich Bestimmungen der Einheit von Denken die mittelalterliche, als eine mit der christlichen
und Sein – denn das Denken ist ja »mit seinem Religion spezifisch verbundene Philosophie. Er
Sein identisch« (V 7.56). Und dieser Satz des zögert jedoch, ihr einen eigenständigen, gleich-
Parmenides gilt nicht allein für das »Sein«, das rangigen Status zuzusprechen; sie ist für ihn
einem Gedanken zukommt, im Unterschied zu »eine Mittelperiode, eine Periode der Gährung«
anderem Sein; es ist ja vergebens, ein Sein finden (V 6.275). Letztlich macht sie für ihn nicht Epo-
zu wollen, das nicht ein gedachtes wäre. Dieser che, sondern sie füllt die Zeit zwischen den Epo-
Satz bildet deshalb den »eigentlichen« Anfang der chen, und das »Prinzip der christlichen Religion«
Philosophiegeschichte: »Der Gedanke beginnt so findet erst in der neuzeitlichen Philosophie sei-
mit der eleatischen Schule eigentlich zuerst, frei nen angemessenen Ausdruck.
für sich zu sein, als Wesen, als das allein Wahre; Die beiden »eigentlichen« Epochen unterschei-
der Gedanke erfaßt nun sich selbst« (V 7.53); det Hegel durch die Begriffe »Idee« und »Geist«
seine Geschichte ist deshalb zugleich die Ge- oder »sich wissende Idee« – und er verdeutlicht,
schichte seiner Freiheit. Und in modifizierter daß diese zunächst etwas schematisch wirkende
Form wird dieser Gedanke die gesamte Philo- Unterscheidung geeignet ist, die als Subjektivi-
sophiegeschichte hindurch stets erneut ausge- tätsgeschichte gedachte Philosophiegeschichte zu
sprochen – teils implizit, teils ausdrücklich. strukturieren: »die Idee oder die an und für sich
(2) Anders als für alle anderen Disziplinen seiende ewige Sache ist das Prinzip der griechi-
seiner Philosophie bedarf es für die philosophie- schen Welt; diese ewige Sache wird ausgeführt
geschichtlichen Vorlesungen keiner spezifischen durch den Gedanken, zum Bewußtsein ge-
»Systemform«. Hegel konzipiert seine Vorlesun- bracht«. In der griechischen Philosophie produ-
gen ja nicht – analog zu den Philosophien der ziere das Denken zwar eine »intellektuelle Welt«,
Kunst und der Religion – als eine »Philosophie eine »Welt der Wahrheit« als gegenständliche –
der Philosophie«, etwa in Anlehnung an die pro- aber es reflektiere noch nicht darauf, daß sie eine
blematische Lehre von den »drei Schlüssen« der vom denkenden Subjekt produzierte sei: »die
Philosophie (s. 268). Die Vorlesungen bieten Subjektivität erscheint noch zufällig«. Erst in der
nicht ein »System«, sondern nur eine »Geschichte zweiten Epoche wird die zwar vom Subjekt pro-
der Philosophie«, und so tritt als Strukturprinzip duzierte, aber für es objektiv erscheinende Welt
an die Stelle der Systemform die Periodisierung. als produzierte erkannt und in das Subjekt zu-
Soweit sich erkennen läßt, ist die übergrei- rückgenommen: »Das Ich wird erkannt in der
fende Epochengliederung der Philosophiege- Idee selbst, das Wissen wird gefaßt als die un-
schichte in allen Entwürfen Hegels konstant ge- endliche Form, […] und diese muß aufgefaßt
blieben – die Gliederung in die antike und die werden als Ich, als das wissende Prinzip.« Erst
»neue« oder »moderne Philosophie«. Diese Zwei- durch dieses Wissen erhalte die Subjektivität
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 487

»unendlichen Wert«: »die subjektive Seite ist der (3) Hegels Vorlesungen verbinden in eigen-
Sache, der objektiven Seite ganz identisch ge- tümlicher Weise diese übergreifende Deutung
macht« – sofern jene eben als das Produzierende der Philosophiegeschichte als der Geschichte des
und sich im Produzierten Gegenständliche, das sich objektivierenden und sich in seinen Objekti-
Denken als Sein und das Sein als Denken gewußt vationen wissenden und bei sich seienden, freien
wird (V 7.4 f.). Denkens mit einer ins Detail, auch ins historische
Diese Gliederung der Philosophiegeschichte Detail gehenden Darstellung der einzelnen Ent-
ist allerdings nicht so mißzuverstehen, als ob die würfe und der Exposition des Sinnes einzelner
Trennlinie die beiden Epochen radikal von ein- Sätze. Sie haben insofern, neben Hegels Gesamt-
ander schiede und das neue Sichwissen der Sub- deutung der Philosophiegeschichte, zugleich den
jektivität gleichsam vom Himmel fiele – etwa in Charakter allgemein philosophiehistorischer In-
Gestalt der christlichen Religion. Geschichtliche formation – und nicht allein über die einzelnen
Entwicklungen enthalten sowohl Kontinuitäten Entwürfe, sondern auch über ihre Verbindungen
als auch Sprünge, und so verdankt sich auch das untereinander, die Schulgründungen und -strei-
»Prinzip der Subjektivität« nicht einer bloßen tigkeiten wie auch die unmittelbare und spätere
Diskontinuität: Es tritt bereits in die griechische Rezeptionsgeschichte. Und darüber hinaus ver-
Welt ein, als das »Sokratische Prinzip«, »daß das, binden sie die Philosophiegeschichte mit den
was wahr ist, durch das Denken vermittelt ist.« (V Geschichten der Kunst, der Religion und der
7.128) Hier erscheint es aber als negativ gegen Staaten – und dies ist keine äußerliche, nachträg-
die griechische Welt gerichtet, als ihr inneres liche Verbindung: All diese Geschichten bilden ja
Verderben – und deshalb als die »Tragödie von bloße Partialgeschichten der e i n e n Geschichte
Griechenland« (V 7.130). In der – wenn auch erst des Geistes, dessen jeweiliges Prinzip sie alle
abstrakten – »Rückkehr des Selbstbewußtseins in übergreift. Die Philosophiegeschichte aber – als
sich« (V 8.159) liegt ferner die Signatur der auf diejenige, in der der Geist sich in seiner eigenen
Platon und Aristoteles folgenden »Philosophie in Gestalt begreift – spricht ihn zwar nicht in seiner
der römischen Welt«, und die Alexandrinische Totalität, aber doch in seiner reinen Form aus.
Philosophie deutet Hegel bereits als eine Periode, (4) Das Bild, das Hegel von der Philosophiege-
in der der Geist »aus seiner Subjektivität wieder schichte entwirft, erarbeitet er sich aus der Lek-
herausgeht zur Objektivität, aber zugleich zu ei- türe der Quellen – der griechischen, lateinischen,
ner intellektuellen Objektivität«, und in der »die französischen, englischen und für die jüngste
Unendlichkeit des Denkens, das sich nur sub- Zeit natürlich der deutschen Texte; nur für seine
jektiv erfaßt hat, sich nun gegenständlich wird«; Darstellung des Orients muß er auf Übersetzun-
»aus dem Verlust der Welt wird also eine Welt gen zurückgreifen. Hierbei ist nicht zu vergessen,
erzeugt, die zugleich in ihrer Äußerlichkeit eine daß die damalige Überlieferungslage sich von der
innerliche bleibt und folglich eine versöhnte ist, heutigen nicht zum Vorteil unterscheidet. So be-
und dies ist so die Welt der Geistigkeit, die hier ginnen damals erst Sammlungen der Fragmente
beginnt« (V 8.161,164). Herrschend wird das der Vorsokratiker; die Fragmente der Stoiker
»Prinzip der Subjektivität« aber erst in der zwei- sind noch nicht gesammelt, und selbst das Aristo-
ten Epoche – und selbst dort setzt es sich seit telische Werk liegt nicht in einer guten Ausgabe
Descartes in einem überaus konfliktreichen Pro- vor. Auf neuere philosophiehistorische Werke
zeß erst allmählich durch: Die Schulmetaphysik greift Hegel fast ausschließlich für die Angabe der
vor Kant rechnet Hegel ja noch der »ersten Stel- Lebensumstände der Philosophen zurück, deren
lung des Gedankens zur Objektivität« zu, dem Beschreibung nicht selbst Gegenstand ihrer
unbefangenen Denken, das den Gegenstand noch Werke ist. Doch gibt es eine, und zwar eine
als objektiven und die Subjektivität für etwas wichtige Ausnahme von dieser Regel: Die Philo-
Zufälliges nimmt (s. 264 f.). Die globale Zweitei- sophie des Mittelalters stellt Hegel anscheinend
lung der Philosophiegeschichte kontrastiert also lediglich auf der Grundlage der neueren Philo-
nicht zwei in sich homogene Epochen, sondern sophiehistorie dar – und er sagt auch selber,
sie markiert die entscheidende Zäsur in der angesichts der großen Zahl der Folianten »muß
windungsreichen und spannungsgeladenen Ge- man sich denn an die Arbeit anderer halten« (V
schichte der Philosophie. 6.360). Vermutlich hat er nicht einmal Anselm
488 II. Werk

von Canterbury selber studiert, dessen »ontolo- der Welt, »die Heiterkeit des Geistes«, und zu-
gischem Gottesbeweis« er ja großes Interesse gleich den Bruch mit der äußeren Welt. Doch
entgegenbringt. Doch gibt es auch von dieser anders als in Indien ist auch dieses reflektierte
Ausnahme, die die Philosophie des Mittelalters Beisichsein in der Ausbildung der intellektuellen
im Blick auf den Umgang mit den Quellen dar- Welt »nicht Befreiung der Seele durch Flucht,
stellt, wiederum eine Ausnahme: Als einziges Abstraktion, durch Zurückgehen in sich selbst,
Werk dieser Epoche findet sich in Hegels sondern Befriedigung in der Gegenwart«. Aller-
umfangreicher und breit angelegten Bibliothek dings schießt Hegel hier über seine eigene Peri-
Moses Maimonides’ Doctor perplexorum. odisierung der Philosophiegeschichte hinaus, so-
fern er »das Prinzip der griechischen Philoso-
phie« als »Freiheit des Subjekts« bestimmt, und
9.9.5. Antike
zwar nicht nur als an sich vorhandene Freiheit,
(1) Bei der Darstellung der griechischen Philo- sondern als »Ich, das sich unendlich weiß«. Denn
sophie verweilt Hegel besonders lang. Seine Aus- dieses Ich ist ihm ja sonst das neuzeitliche – und
führungen hierzu nehmen zwei Drittel der ge- dies sicherlich mit besserem Recht (V 7.3,14).
samten geschichtlichen Darstellung ein. Dies (2) Die griechische Philosophie gliedert Hegel
liegt wahrscheinlich nicht an einer verfehlten – soweit sich gegenwärtig erkennen läßt – wie-
Disposition; auch andere Vorlesungszyklen zei- derum in drei Perioden: (I) in »das sich Ent-
gen, daß er seinen Stoff insgesamt sehr ausge- wickeln des Gedankens in sich selbst bis zur
wogen abgehandelt hat. Deshalb ist zu vermuten, Totalität der Wissenschaft« – d. h. von Thales bis
daß Hegel ihr diesen großen Anteil sehr bewußt zu Aristoteles; (II) in »das Auseinandergehen der
eingeräumt hat. Er wirft ja auch Johann Gottlieb Wissenschaft in besondere Systeme, die selbst
Buhle und Wilhelm Gottlieb Tennemann vor, sie Totalität sind« – gemeint sind Stoizismus und
hätten die Philosophie der Alten zu rasch bzw. Epikuräismus sowie Neuere Akademie und Skep-
inhaltlich nicht angemessen abgehandelt (V tizismus als Gegenbewegungen; und (III) in »die
6.362) – und dem will er fraglos entgegenwir- Entwicklung des Gedankens zu einer individuel-
ken. len, intellektuellen Welt« – im Neuplatonismus
Doch ist es vor allem Ein Grund, der ihn so (V 7.5).
lange bei den Griechen verweilen läßt: Den mo- Die erste Periode läßt sich nicht allein ›wissen-
dernen Europäer, der sich nach der Thematisie- schaftsgeschichtlich‹ abgrenzen. Politisch gese-
rung der Kunst, der Religion oder der rudimen- hen ist sie die Zeit der Blüte und des Verderbens
tären Philosophie orientalischer Völker den Grie- der griechischen Polis; sie endet mit der Grün-
chen zuwende, ergreife ein Gefühl der Heimat- dung des ›Weltreichs‹ Alexanders. Hegel gliedert
lichkeit. Europa habe zwar seine Religion aus »Sy- sie wiederum in drei Abschnitte, doch leitet er
rien« empfangen – aber »alle Wissenschaft und diese innere Strukturierung – in die ›Vorsokra-
Kunst, was das geistige Leben ziert und würdig tiker‹ (von Thales bis Anaxagoras), die Sophi-
macht, ist teils direkt von Griechenland ausge- sten, Sokrates und die Sokratiker sowie schließ-
gangen, teils indirekt durch den Umweg der Rö- lich in Platon und Aristoteles – nicht aus einem
mer zu uns gekommen«. Doch ist das Gefühl der Prinzip ab. Er setzt ein mit den beiden Tradi-
»Heimatlichkeit« mehr als bloß die Vertrautheit tionen, der jonischen und der italischen, die
der Begegnung mit den Wurzeln der eigenen schließlich in Athen als dem geographischen Mit-
Kultur: »Bei ihnen ist es uns heimatlich zu Mute, telpunkt zusammenfließen und die klassische
weil sie selbst bei sich in ihrer Welt zu Hause Gestalt der griechischen Philosophie herauffüh-
waren, sich selbst ihre Welt zur Heimat gemacht ren. Die ›Notwendigkeit‹, die auch hier herrscht,
haben. Weil ihnen bei sich wohl war, darum ist ist die Notwendigkeit gedanklicher Entwicklun-
uns bei ihnen wohl; der gemeinschaftliche Geist gen überhaupt.
der Heimatlichkeit verbindet uns.« (V 7.1 f.) Gleichwohl gelingt es Hegel hier noch am ehe-
Trotz dieser Emphase zeichnet Hegel keines- sten, eine Parallele zwischen der historischen
wegs ein differenzloses Bild der »Heimatlich- Entwicklung und der Logik aufzuweisen: Beide
keit«. Sie umfaßt beides: die Selbstobjektivation, beginnen mit den einfachen Gedanken, wie sie
die Verwirklichung und somit das Beisichsein in insbesondere von den jonischen und italischen
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 489

Philosophen überliefert sind, die eigentlich noch- Hierin sieht Hegel nicht einen Ausdruck gewis-
mals eine ›Vorhalle‹ zur Geschichte der Philo- senloser Hybris, sondern »einen großen Sinn«, ja
sophie bilden, die im strengen Sinne erst mit den einen »großen Satz«, »um den sich von nun an fast
Eleaten und Heraklit einsetze. Diese seien es alles dreht« – der aber noch die »Zweideutigkeit«
auch, die das große Thema der Philosophie erst- an sich hat, ob »der Mensch« »nach seiner parti-
mals ausarbeiten – das Verhältnis von Denken kulären Individualität« oder »nach seiner ver-
und Sein, von Sein und Nichts und ihrem Um- nünftigen Natur« verstanden sei (V 7.123).
schlagen in »Werden«. Die Atomisten – Leukipp In der Einsicht in diese Vernunftnatur des Men-
und Demokrit – behandelt Hegel im Anschluß an schen gehe Sokrates über die Sophisten hinaus.
Empedokles; ihnen schreibt er das Prinzip des Mit ihm trete das Bewußtsein ein, »daß das, was
Fürsichseins zu, und von Anaxagoras sagt er, bei ist, durch das Denken vermittelt ist.« Diese
ihm gehe die Entwicklung »nicht weiter als bis »Rückkehr des Bewußtseins in sich selbst« sei
zur Bestimmung des Maßes«. Doch das große jedoch zugleich »das Heraus aus der besonderen
Prinzip des Anaxagoras ist ja nicht das »Maß«, Subjektivität«: Das vermeintlich für sich beste-
sondern der »Nus«, und so zeigt – entgegen He- hende Objektive sei nun als Subjektives erkannt,
gels Intention – selbst das Bild dieser ersten aber als ein Subjektives, das selbst objektiv, frei-
Phase der griechischen Philosophie, daß die lo- lich »nicht äußerliche Objektivität, sondern gei-
gisch-historische Parallele nicht geeignet ist, die stige Allgemeinheit« sei. Indem Sokrates aber der
Struktur der Philosophiegeschichte zu erschlie- früheren Objektivität dieses »Prinzip der Sub-
ßen. jektivität« entgegenstelle, beschwöre er die tragi-
Die zweite Phase bilden die Sophisten, So- sche Kollision beider Prinzipien herauf, und so
krates und die Sokratischen Schulen – und hier zeige sein Schicksal die »Tragödie von Griechen-
zeigt sich ein eigentümlicher Zug von Hegels land«. Hegel greift nicht mehr zurück auf die
Darstellung der Philosophiegeschichte: Sie ist für aufklärerische Parallele zwischen Sokrates und
ihn ja eine Geschichte nicht von »Meinungen«, Christus, und er läßt Sokrates auch nicht unschul-
sondern des Denkens, das sich in seine Bestim- dig sterben; vielmehr zeichnet er ihn als einen
mungen entfaltet und seine Zeit ausspricht. Des- tragischen Heros, der Schuld auf sich lädt und
halb kann es eigentlich gar keine ›falsche‹ Philo- auch für sie stirbt (V 7.127–164).
sophie geben, sondern allenfalls einseitige Ent- Auch Hegels Darstellungen der sokratischen
würfe. Diese hermeneutische Maxime verlangt, Schulen, d. h. der Megariker, Cyrenaiker und Cy-
in allen »Philosophien« die »Philosophie« zu er- niker, zeigen mehrfach den Charakter von ›Ret-
kennen, den sich bestimmenden Gedanken, und tungen‹, indem Hegel etwa die von ihnen ange-
die »Notwendigkeit« auch derjenigen Gestalten strebte »Glückseligkeit« als eine allgemeine,
herauszuheben, die – sei es in der gesamten »vernünftige« zeichnet (V 7.165–182). Die eigent-
späteren Tradition, sei es auch nur zu Hegels Zeit liche Fortsetzung der Sokratischen Philosophie
– aus unterschiedlichen Gründen in theoreti- aber bildet Platon – auch wenn Hegel ihn als
schen oder moralischen Verruf geraten sind. Gegner des Sokratischen Prinzips der Subjektivi-
Seine Philosophiehistorie besteht deshalb aus ei- tät charakterisiert. Denn Platons Philosophie
ner langen Reihe von »Rettungen« im Sinne Les- liege »das Substantielle seiner Zeit zum Grunde«,
sings – auch wenn Hegel im einzelnen mit Kritik wodurch »das spätere Prinzip der subjektiven
keineswegs spart und von einem Popeschen »Al- Freiheit mit Bewußtsein ausgeschlossen wird aus
les ist gut« weit entfernt ist. dem Platonischen Staat.« Dennoch ist er für He-
Eine erste »Rettung« gilt den Sophisten. Hegel gel »eines von den welthistorischen Individuen,
schließt sich nicht der traditionellen moralisie- seine Philosophie eine von den welthistorischen
renden Kritik an, die ja bis in die Gegenwart das Existenzen, die von ihrer Entstehung auf alle
gängige Bild des Sophisten prägt. Er hingegen folgenden Zeiten für die Geistesbildung und Gei-
versteht sie erstmals als eine bewußtseinsge- stesentwicklung den bedeutendsten Einfluß ge-
schichtlich herausragende Gruppierung, die die habt haben.« Durch ihn sei »der übersinnliche
Auflösung der alten, festgefügten Welt Griechen- Boden schon bebaut«, auf dem das Christentum
lands auf den Begriff bringt – nämlich auf den später weitergebaut habe (V 8.53,1). Es ist aber
Satz »Der Mensch ist das Maß aller Dinge.« nicht so sehr diese Unterscheidung von empi-
490 II. Werk

rischer und intelligibler Welt, die Hegel an Platon entgegengesetzten skeptischen Richtungen, der
interessiert, sondern die Methode, die »höhere Neueren Akademie und dem eigentlichen Skep-
Dialektik«, mit der dieser gegenüber den Eleaten tizismus. »Dogmatische Philosophien« nennt
das Verhältnis von Sein und Denken entwickelt – Hegel die erstgenannten wegen ihres gegenüber
auch wenn sie bei Platon nur »abstrakt beginnt« Platon und Aristoteles veränderten ›Wissen-
(V 8.138). – Da Platon die Philosophie zur »Wis- schaftscharakters‹, ihrer größeren systemati-
senschaft« erhebe, erörtert Hegel sie nicht nur schen Geschlossenheit durch die Rückführung
nach ihrem Prinzip, sondern in ihren unter- auf jeweils ein »Prinzip« oder »Kriterium« – bei
schiedlichen Disziplinen: »Dialektik«, Naturphi- den Stoikern auf das Denken und bei den Epi-
losophie und Philosophie des Geistes. Diese Ein- kuräern auf die »Empfindung«. Die beiden letzt-
teilung befolgt er – teils geringfügig modifiziert – genannten Schulen nennt er »skeptisch«, weil sie,
zumeist auch bei den Nachfolgern, und zunächst wie er zwar ironisch sagt, den »berühmten Unter-
bei Aristoteles. schied von Sein und Denken« geltend machen –
Aristoteles sei »eines der reichsten, wissen- aber dies ist keineswegs unberechtigt: »es ist
schaftlichsten, umfassendsten, tiefsten Genies wichtig, ein Bewußtsein über diesen Unterschied
gewesen, was je erschienen ist«. Mit diesen Wor- zu haben, und der Unterschied ist gegen das
ten beginnt die zweite der »Rettungen« – denn Prinzip der Stoiker geltend zu machen, denn
Aristoteles wird zu Hegels Zeit nicht sonderlich diese haben nicht gezeigt, daß Vorstellungen und
geschätzt. Als eine prägende geistesgeschichtli- Phantasie, das Subjektive des Denkens und das
che Kraft hat der Aristotelismus spätestens im 18. Objektive in ihrer Verschiedenheit wesentlich
Jahrhundert abgedankt. Hegels Zeitgenossen gilt dies sind, ineinander überzugehen, sich identisch
Aristoteles im Praktischen als Anhänger der zu setzen« (V 8.138),
Glückseligkeitsphilosophie und im Theoreti- Als gemeinsamen Zug aller vier Philosophien
schen als Realist und Empiriker und somit als dieser Epoche hebt Hegel heraus, daß für sie »die
Gegenpol zum Platonischen »Idealismus« – und Befriedigung des Geistes nur in der Gleichgültig-
demgegenüber bemüht Hegel sich, die Verbin- keit, Freiheit gegen alles besteht«, in der »Imper-
dung empirischer und spekulativer Momente als turbabilität« (V 8.102) – und dies auf Grund teils
Signatur des Aristotelischen Denkens hervorzu- der immanenten Weiterentwicklung des Gedan-
heben, die seinen weltgeschichtlichen Rang be- kens, teils der geschichtlichen Umstände: Diese
gründet – und zwar sowohl in der Naturphiloso- erzwingen den Rückzug des Subjekts aus dem
phie und in der Ethik als in der Logik und öffentlichen, politischen Leben, das keine Be-
Metaphysik. Im Gedanken der nóhsiü noh́sewü friedigung mehr gewährt, in die Innerlichkeit,
sieht Hegel die »absolute Einheit des Subjektiven ins Privatleben. Hier bildet sich das »Prinzip der
und Objektiven« ausgesprochen – und damit Subjektivität« zum »Bewußtsein der inneren Frei-
sieht er den »Gipfel der Aristotelischen Meta- heit«, zur »Freiheit des Geistes« aus, zu einer
physik« erreicht – »das Spekulativste, was ge- Vorform der Unendlichkeit der Subjektivität. Von
dacht werden kann« (V 8.91). Deshalb beschließt der christlichen Form ist sie jedoch dadurch un-
Hegel, der »deutsche Aristoteles« (Br I.497), terschieden, daß sie auf der inneren Stärke des
seine Enzyklopädie, also die Entfaltung der Willens beruht. Dies zeichnet sie zwar moralisch
Grundlinien seines eigenen Denkens, mit diesem aus, doch bleibt sie ein Besonderes; sie wird nicht
Gedanken aus Aristoteles’ Metaphysik – auch allgemein.
wenn er ihn fraglos im Kontext seiner eigenen In diesem Kontext nimmt Hegel die dritte sei-
Geistesphilosophie umdenkt. ner »Rettungen« vor: die Rettung Epikurs. Keine
Die zweite Periode der griechischen Philoso- Philosophie ist ja in der christlichen Welt so
phie bezeichnet Hegel – geschichtlich nicht ganz verfehmt gewesen wie sie. Epikurs Logik und
korrekt – als Philosophie in der römischen Welt. Metaphysik hält Hegel zwar überwiegend für
In der Hauptsache handelt er hier jedoch von der »höchst einfach, abstrakt, aber auch sehr trivial«
Epoche, die wir seit Hegels Schüler Johann Gu- (V 8.122) – doch schon seiner Naturphilosophie
stav Droysen als »Hellenismus« bezeichnen – von sei »ein Wert beizulegen«: Epikur sei der »Ur-
den beiden »dogmatischen Philosophien« Stoizis- heber der empirischen Naturwissenschaft, em-
mus und Epikuräismus und den beiden ihnen pirischen Psychologie usf.« – und dies ist keines-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 491

wegs als Kritik gemeint, sondern als Auszeich- Subjektivität wieder herausgeht zur Objektivität,
nung gegenüber dem »Zeug von Vogelflug, Augu- aber zugleich zu einer intellektuellen Objektivi-
rien, Auspizien usf.«, das damals ja in der tät, zu einer Objektivität, die im Geist und in der
stoischen Philosophie eine Heimat gefunden hat Wahrheit ist« (V 8.159–168).
(V 8.127 f.). Mit dieser Anspielung auf Joh 4,24 deutet He-
Doch die eigentliche »Rettung« betrifft Epikurs gel zugleich an, daß er die alexandrinische Philo-
praktische Philosophie: »Epikurs Moral ist das sophie bewußtseinsgeschichtlich als Parallele zur
Verschrienste und daher auch das Interessante- christlichen Religion sieht. Geschichtlich wird
ste.« Das Urteil über sie falle zwar zunächst »sehr dieser Zusammenhang in den Gestalten greifbar,
unvorteilhaft« aus – doch Epikur suche die Glück- die er als Vorgeschichte des Neuplatonismus im
seligkeit auf die Weise, daß sie »ein von äußer- engeren Sinne behandelt: an Philo, der Kabbala
lichen Zufälligkeiten, Zufälligkeiten der Empfin- und dem Gnostizismus. Hegel geht auch auf Plo-
dung Freies und Unabhängiges werde. Es ist hier tins Auseinandersetzung mit den Gnostikern ein;
also dasselbe Ziel wie in der stoischen Philo- gegen sie behaupte Plotin »den Zusammenhang
sophie.« Dieses Urteil stützt Hegel auf ein »un- des Intelligiblen mit dem, was wirklich ist.« Plo-
verdächtiges Zeugnis«: auf den von ihm sonst tin schreibt Hegel auch sonst »noch viel einzelnes
wenig geschätzten Seneca, der Epikurs Moral Schönes« zu, und er hebt insbesondere den ari-
trotz des stoisch-epikuräischen Gegensatzes stotelischen Gedanken der Einheit des noz̃ü und
»eine heilige und richtige Lehre« nennt. Und des nohtón hervor. Doch höher als Plotin stellt er
selbst Epikurs seit den Stoikern vielgeschmähter Proclus, da bei diesem »die neuplatonischen und
Theologie gewinnt Hegel positive Seiten ab: Die besonders die Plotinischen Ideen mehr Ausfüh-
Götter in den »Intermundien« seien nichts »als rung und Bestimmtheit erhalten haben, als sie bei
das Allgemeine überhaupt« – und die moderne Plotin hatten«; bei ihm sei »das Ausgebildetste
Rede von Gott als dem »höchsten Wesen« oder und Vorzüglichste unter den Neuplatonikern« zu
»être suprême« sei trotz ihres Überlegenheits- finden. Und von Proclus’ »scharfsinnigster und
gefühls keinen Schritt weiter gekommen (V weitläufigster Dialektik des Einen«, in der die
8.128–131). Momente der höchsten Trias selbst wieder als
Die dritte Phase der griechischen Philosophie Totalitäten gedacht sind, schlägt Hegel auch wie-
fällt in strengerem Sinne in die römische Welt als der die Brücke zum christlichen Trinitätsgedan-
die zweite: die »alexandrinische Philosophie«. ken (V 8.169–191; s. 282).
Hegel nennt sie vorwiegend so, weil das Wort
»Neuplatonismus« ihren, die antiken Philoso-
9.9.6. Mittelalter
phenschulen übergreifenden Charakter verenge.
Sie sei aber vielmehr die Vereinigung der frü- (1) Die »zweite Periode« der Geschichte der Phi-
heren Prinzipien, »das Resultat des ganzen Vor- losophie umfaßt wie die erste ein Jahrtausend –
hergehenden« und darin auch seine Negation. doch Hegel legt die »Siebenmeilenstiefel des Be-
Denn ihre unmittelbare Voraussetzung, insbeson- griffs« an, um schnell über sie »wegzukommen«.
dere der Skeptizismus, ist »die Rückkehr des Er gesteht dieser »Periode der Gärung« (V 6.276)
Selbstbewußtseins in sich, diese unendliche Sub- ja auch nur zögernd einen eigenständigen Rang
jektivität ohne Objektivität«, »Annihilation alles zu. Ihre Historie ist zudem sehr inhomogen: Kir-
Objektiven« und »Befriedigung des Bewußtseins chenväter, Juden und Araber, Scholastiker, Re-
durch die reine, unendliche Abstraktion in sich«. naissance und Reformation treten in lockerer
Die alexandrinische Philosophie hingegen ge- Folge auf. Auch methodologisch unterscheidet
währe »nicht Seligkeit durch die Flucht aus dem sich Hegels Darstellung von derjenigen der bei-
Objektiven, sondern wesentlich durch die Rich- den anderen Perioden: Sie ist nicht aus den Quel-
tung auf dasselbe«; »aus dem Verlust der Welt len erarbeitet, sondern stützt sich auf die neuere
wird also eine Welt erzeugt, die zugleich in ihrer Philosophiehistorie – und auch sie ist nicht nach
Äußerlichkeit eine innerliche bleibt und folglich ihrer stärksten Seite berücksichtigt. Es ist zwar
eine versöhnte ist, und dies ist so die Welt der wegen der Größe der Aufgabe verständlich,
Geistigkeit, die hier beginnt« – eine Welt, in der bleibt aber dennoch eigentümlich, daß Hegel sich
der Geist »einen Bruch in sich macht, aus seiner diese Periode nicht durch eigenes Quellenstu-
492 II. Werk

dium erschlossen hat, obgleich er doch gegen- gemeinen Prozeß der Selbsterkenntnis des Gei-
über der modernen Seichtigkeit, daß wir von stes, »sich zu diesem Standpunkt seines Selbst-
Gott nichts wissen können, immer wieder die bewußtseins zu erheben.« (V 9.4 f.)
Denker der Scholastik rühmt, weil in ihren Wer- (3) Hegel greift in seinen Vorlesungen jedoch
ken die Einheit von Theologie und Philosophie weit über dieses Verhältnis des Denkens zum
verwirklicht sei (V 9.10, GW 18.230). vorgegebenen religiösen Inhalt hinaus. In Moses
(2) In dieser zweiten Periode steht die Philo- Maimonides berührt er kurz die jüdische Philo-
sophie in enger Verbindung mit der christlichen sophie; er berichtet auch über die Philosophie der
Religion, und dies prägt ihren Charakter: Sie hat Araber, insbesondere über ihre Aristoteles-Re-
die »Idee des Christentums« zu erfassen, und zeption – und er kommt zum Ergebnis, sie hätten
diese »ist verschieden gefaßt worden zu verschie- »die Wissenschaften und die Philosophie ausge-
denen Zeiten.« Deshalb begreift Hegel diese Ver- bildet, ohne die konkrete Idee weiter zu be-
bindung nicht als Abhängigkeit der Philosophie stimmen«. Vor dem Hintergrund weltgeschichtli-
von der Religion – im Gegenteil. Die Religion cher Ereignisse – der Kreuzzüge – spricht er
gehe der Philosophie zwar geschichtlich voran, etwas ausführlicher über die Scholastiker. Für sie
aber: »Um die Idee des Christentums zu fassen, sei das Denken »mit absoluter Voraussetzung be-
muß man nun die Idee für sich erkannt haben und haftet« gewesen: »Das Denken erscheint also
zum Wissen gekommen sein, daß diese allein das nicht als frei von sich ausgehend, sich in sich
Wahrhafte ist«; es »muß die Wahrheit der Idee, bewegend, sondern abhängig von einem gege-
des Konkreten, des Geistes als Geistes erkannt benen Inhalt, der spekulativ ist, aber noch die
sein, und dies ist die eigentümliche Form bei den Weise des unmittelbaren Daseins in sich enthält«,
Kirchenvätern«: »Sie haben das christliche Prin- also die Form der religiösen Vorstellung.
zip der philosophischen Idee gemäß gemacht und Eine ausführliche Darstellung aber überläßt
die philosophische Idee in dasselbe hineinge- Hegel »der Literaturgeschichte«, und er be-
bildet und haben dadurch einen christlichen schränkt sich darauf, »die Hauptmomente des
Lehrbegriff ausgebildet.« (V 9.3,5,10) äußerlichen Gangs heraus[zu]heben« (V 9.31): Er
Hier ist sehr bestimmt der Primat des Denkens berichtet kurz über Johann Scotus Eriugena, über
gegenüber dem historisch vorgegebenen Inhalt Anselm und Abälard, über Petrus von Navarra,
beansprucht. Dieser ist nichts »Festes«; auch Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus und
wenn das Denken sich auf einen historisch vorge- Albertus Magnus – doch bleiben diese Berichte in
gebenen Inhalt bezieht, so geschieht doch nichts der Tat äußerlich. Als »Mystiker« erwähnt er kurz
anderes »als daß der Geist, der im Menschen ist, Johann Charlier und Raimund von Sabunde; aus-
sich selbst in den zu erklärenden Worten erken- führlicher berichtet er Anekdoten über den skur-
nen will und nichts anderes erkennen kann als rilen Scharfsinn, der sich damals des kirchlichen
was in ihm liegt.« (V 9.13) Wenn Hegel etwa die Lehrbegriffs bemächtigt habe. In all diesem ver-
»Idee des Christentums« mit den Worten aus- mag Hegel zwar »eine Ausbildung der formell
spricht, »daß das Anundfürsichseiende, Gott, der logischen Wissenschaft« (V 9.45), aber nicht eine
Geist ist« (V 9.1), so ist doch fraglos der Sinn wirkliche Weiterbildung des philosophischen
dieses Satzes gegenüber dem Bibelwort (Joh Gedankens zu erkennen – diese noch am ehesten
4,24) verändert: Es komme bei dieser Idee »dar- im Streit zwischen Realismus und Nominalismus
auf an, daß das Weltliche, das Besondere nicht um das Verhältnis des Allgemeinen und des Ein-
mehr in seiner Unmittelbarkeit gelassen werde, zelnen, in der »Hauptfrage, ob dieses Allgemeine
sondern daß es als Allgemeines, Intellektuelles, realiter existiere oder ob es nur nominell sei, d. h.
als in Gott seine Wurzel, seine Wahrheit habend eine subjektive Vorstellung oder ein Gedanken-
betrachtet wird, wodurch Gott als konkret ge- ding.« (V 9.41)
dacht wird«. »Gott wird als sich selbst unter- (4) Eigentümlich ist es, daß Hegel Renaissance
scheidend, als konkret gefaßt, und darin liegt die und Reformation als letzte Gestalt dieser zweiten,
Vermittlung, der Zusammenhang mit dem, was und nicht als Beginn der dritten Periode behan-
wir Bewußtsein nannten, daß der Mensch die delt. Denn die Hauptpunkte, die er hier heraus-
Wurzel seiner selbst in Gott sieht«. Die »Idee des hebt – die Insistenz auf der Freiheit des Men-
Christentums« ist somit einbezogen in den all- schen, das innere Recht der Weltlichkeit, das
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 493

Wiederaufleben der antiken Philosophie, die erst nach Auflösung ihrer »Einheit mit der Theo-
»besonderen Individuen« des italienischen Hu- logie«. Sie erfolge aber nicht in einem Akt, son-
manismus – könnten wohl mit besserem Recht dern sie bilde gleichsam die ›Substanz‹ der Ge-
der Neuzeit zugeordnet werden. Gleiches gilt für schichte der neuzeitlichen Philosophie. An ihrem
die Reformation, zumal Hegel sie in der Per- Beginn stehe das Denken »als ein Subjektives,
spektive eines prononcierten Neuprotestantis- mit der Reflexion seines Insichseins, so daß es
mus als eine entscheidende Etappe in der Ver- einen Gegensatz am Seienden überhaupt hat. Das
wirklichung des »Prinzips der Subjektivität« deu- Interesse ist dann ganz allein, diesen Gegensatz
tet, ja als »Beginn der Versöhnung des Menschen zu versöhnen, die Versöhnung in ihrem höchsten
mit sich selbst«: »Hier ist also das Prinzip der Extrem zu begreifen, die abstrakteste, höchste
Subjektivität, der reinen Beziehung auf sich Entzweiung des Seins und des Denkens zu fas-
selbst, der wahren Freiheit, worauf alles andere sen. Alle Philosophie von da an hat das Interesse
beruht, nicht nur anerkannt; sondern es ist dieser Einheit.« (V 9.71)
schlechthin gefordert, daß es nur darauf an- (2) Dieses Eine Interesse verfolgt die neuzeit-
komme im Kultus, in der Religion.« »Nun ist das liche Philosophie in einer Vielzahl von Gestalten
Gebot der christlichen Religion erst erfüllt, Gott und auch solcher Fragestellungen, die sich nicht
im Geiste zu verehren. Gott, ein Geist, ist nur auf den ersten Blick als spezifische Formen ihres
unter dieser Bedingung der freien Geistigkeit des Kardinalproblems erkennen lassen. Auch hier
Subjekts, denn nur diese ist es, die sich zum sucht Hegel wieder die übergreifende Fragestel-
Geiste verhalten kann; ein Subjekt, worin eine lung mit der Abhandlung des Details auszuglei-
Unfreiheit ist, verhält sich nicht geistig, verehrt chen. Hierzu verhilft ihm die lockere Disposition
Gott nicht im Geiste. Dies ist das Allgemeine des des Stoffes. Die Freundesvereinsausgabe gliedert
Prinzips.« (V 9.62 f.,65) Hegel stützt diese Sicht dieses Kapitel – in Anlehnung an das Kolleg
der Reformation vor allem auf die lutherische 1823/24 – in drei Teile, deren einige wiederum
Abendmahlslehre; Aspekte, die ihr entgegenste- dreifach unterteilt sind; doch in den anderen
hen – wie etwa die Rechtfertigungslehre oder das Kollegien strukturiert Hegel seinen Stoff durch
Schriftprinzip –, übergeht er ebenso mit Still- die Hervorhebung von vier Paaren bzw. Drei-
schweigen wie die bis um die Mitte des 18. ergruppen, die teils einen Kontrast bilden, teils
Jahrhunderts so einflußreiche lutherische Ortho- ein gemeinsames Prinzip vertreten: Bacon und
doxie. Er vermerkt jedoch, daß im Zuge dieser Böhme; Descartes und Spinoza (und Malebran-
Richtung auf »Subjektivität« »die philosophische che); Locke und Leibniz (und Wolff); Kant,
Entwicklung der Kirchenlehre auf die Seite ge- Fichte und Schelling. Die anderen Philosophen
setzt worden« sei; »es ist in der katholischen ordnet Hegel jeweils einer dieser dominierenden
Dogmatik viel mehr Philosophisches, Spekula- Gruppierungen zu.
tives«; im protestantischen Lehrbegriff sei der (3) Das erste, sehr ungleiche Paar, Francis Ba-
Inhalt »mehr in Form geschichtlicher Art ge- con und Jacob Böhme, der englische Lord Staats-
halten, wodurch die Lehre trocken wird.« Aber kanzler und der deutsche Schuhmacher, fällt für
gerade durch diesen Mangel sieht er wiederum Hegel noch in die »Vorperiode der neueren Philo-
die Tendenz auf die innere Bewährung, auf das sophie« – was allenfalls für Bacons De augmentis
»Zeugnis des Geistes« verstärkt. Allerdings un- scientiarum plausibel ist, aber nicht für sein No-
terscheidet Hegel diese Richtung auf »Subjektivi- vum Organum. Hegel tituliert ihn fast stets als
tät« von derjenigen der Philosophie: »In der pro- den »Heerführer der Erfahrungsphilosophie«.
testantischen Kirche […] hat sich das subjektive Doch so abschätzig dieser Titel scheint und auch
religiöse Prinzip von der Philosophie getrennt. oft gemeint ist, so respektvoll zeichnet Hegel das
Aber in ihr ist es dann auf wahrhafte Weise auch Bild der Philosophie Bacons: Er sei »merkwürdig
wieder auferstanden.« (V 9.66 f.) in der Geschichte der Wissenschaften und der
Philosophie«, denn er habe »eine Methode in
Rücksicht des wissenschaftlichen Erkennens und
9.9.7. Neuzeit
allgemeine Prinzipien in Ansehung der Verfah-
(1) Diese wahrhafte Auferstehung des »Prinzips rungsweise des Erkennens aufgestellt.« Das spe-
der Subjektivität« in der Philosophie ereigne sich kulative Erkennen könne »vornehm tun gegen
494 II. Werk

dies Erkennen, aber für die wissenschaftliche Unzertrennlichkeit von Denken und Sein, son-
Idee ist es notwendig, daß die Partikularität des dern auch der Primat des Denkens vor dem Sein
Inhalts ausgebildet werde.« Der Erfahrungsbe- klar ausgesprochen und methodisch begründet –
griff müsse aber prägnant gefaßt werden: »Em- sowohl in Descartes’ Ausgang vom »cogito« als
pirie ist nicht bloß Aufnehmen der Sinne, son- dem unerschütterlichen Fundament der Philo-
dern geht wesentlich darauf, das Allgemeine, die sophie als auch im Gottesbeweis der 5. Medita-
Gesetze, Gattungen zu finden, und indem sie tion. Allerdings glaubt Hegel, die Descartes
diese hervorbringt, so erzeugt sie ein solches, was selbst verborgenen subjektivitätsgeschichtlichen
dem Boden der Idee, des Begriffs angehört, in Antriebe seiner Philosophie klarer auszuspre-
den Boden des Begriffs aufgenommen werden chen als ihr Autor: »es ist das Interesse der Frei-
kann.« Und Hegel geht sogar noch einen Schritt heit, was zum Grunde liegt«, dieses werde jedoch
weiter; er schreibt der Empirie eine konstitutive von Descartes »als solches nicht herausgehoben«,
Funktion für die Philosophie zu: »ohne die Aus- sondern hinter dem Interesse an »Gewißheit«
bildung der Erfahrungswissenschaften für sich und Vermeidung des Irrtums versteckt (V
hätte die Philosophie nicht weiter kommen kön- 9.90–102).
nen als sie bei den Alten gewesen ist.« (V Und noch in einem zweiten Punkt übt Hegel
9.75 f.) Kritik: Descartes habe die »Einheit des Denkens
Hegels Stellung zu Böhme, dem »philosophus und Seins« wohl als Prinzip aufgestellt, doch sei
teutonicus«, ist seit seinen Jenaer Jahren unver- er den Beweis ihrer Identität schuldig geblieben.
ändert: Er findet in ihm inhaltlich Verwandtes, Damit habe er jedoch der auf ihn folgenden Me-
insbesondere die Idee der Dreieinigkeit, und er taphysik das Thema vorgegeben. Auch in Spino-
sieht ihn »unendlich erhaben über das leere Ab- zas Grundbegriff, im Begriff der »absoluten Sub-
straktum vom Unendlichen, Ewigen, höchsten stanz«, sei die »Einheit von Denken und Sein«
Wesen usf.« Aber er stößt sich an der »Barbarei in ausgesprochen – hier allerdings ohne den Primat
der Ausführung«: »es ist eine barbarische Form des Denkens und sogar in der Weise, daß alles
der Darstellung und des Ausdrucks, ein Kampf Besondere, damit auch die individuelle Geistig-
seines Gemüts mit der Sprache, und der Inhalt keit, als bloße Modifikation aufgefaßt und somit
des Kampfes ist die tiefste Idee, die die ab- als etwas letztlich Unwirkliches in den Abgrund
solutesten Gegensätze zu vereinigen sucht.« Ins- der »einen absoluten Substanz« versenkt sei –
gesamt ist er der Ansicht, man habe Böhme in der und dagegen »empört sich die Vorstellung der
jüngsten Zeit »zuviel Ehre widerfahren lassen« – Freiheit des Subjekts«. Diese Empörung hält He-
und dies richtet sich gegen Friedrich Schlegel, gel angesichts der Form des Spinozischen Sy-
Schelling und Franz von Baader. Vor allem aber stems für verständlich: »Der Geist als für sich sich
erfordere die Lektüre Böhmes dieselbe Voraus- unterscheidend vom Körperlichen ist substan-
setzung wie die Lektüre religiöser Texte über- tiell, wirklich, i s t , ist nicht bloß eine Privation
haupt: »Man muß mit der Idee vertraut sein, um oder Negation. Ebenso die Freiheit i s t , sie ist
in dieser höchst verworrenen Weise das Wahr- nicht bloß Privation.« Lebendigkeit, Geistigkeit,
hafte zu finden« (V 9.78–87). Zur »Philosophie Freiheit sind in der Idee selbst zu fassen – doch
der neuen Welt« kommt man »eigentlich« erst mit dies sei Spinoza nicht gelungen, und dieser Man-
Descartes. gel seines Systems werde durch Leibniz’ Prinzip
(4) Erst bei Descartes sieht Hegel den Beginn der Individualität, aber auch durch Locke in-
der seit den Neuplatonikern unterbrochenen »ei- tegriert (V 9.102–113).
gentlichen Philosophie«: »Hier, können wir sa- (5) Der Akzent der Ausführungen Hegels über
gen, sind wir zu Hause und können wie der Locke und Leibniz liegt jedoch nicht auf dieser
Schiffer nach langem Umherirren endlich ›Land‹ Komplementierung des Mangels des Spinozis-
rufen.« Er läßt somit das Motiv der »Heimat- mus, sondern auf ihrer Entgegensetzung inner-
lichkeit« anklingen, das für ihn auch die griechi- halb ihrer Orientierung am Individuellen. Lockes
sche Philosophie durchzieht. Wie dort, so sieht er »kurzer Gedanke« sei es, das Allgemeine aus dem
auch hier wieder das »freie Denken« auftreten: Einzelnen herzuleiten, und diese Methode sei
»Das Denken ist Prinzip; was gelten soll, gilt nur zwar einerseits »ganz richtig«, denn das Allge-
durch Denken.« Hier aber ist nicht allein die meine komme später zu Bewußtsein als das Ein-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 495

zelne. Doch habe Locke die eigentlich wichtige fer als in der alten Philosophie entwickelt, also zu
Frage nach dem Status des Allgemeinen aus dem etwas Höherem als in der alten.« Ihre Auflösung
Auge verloren: »Sind diese allgemeinen Bestim- sei jedoch nur ins Jenseits verschoben.
mungen an und für sich wahr, und wo kommen Gegen diesen Rückgang auf Jenseitiges for-
sie nicht nur in meinem Bewußtsein, in meinem miere sich deshalb der Versuch, feste Grundsätze
Verstande her, sondern in den Dingen selbst?« zu finden, die dem menschlichen Geist imma-
Deshalb wird hier das große Thema der Einheit nent seien: »Ein diesseitiger verständiger Halt ist
von Denken und Sein nicht weiter entwickelt. hervorgegangen, diesseitige Prinzipien sind ge-
Locke bleibe in einem »metaphysizierenden Em- schöpft worden aus dem, was man gesunde Ver-
pirismus« stecken – aber Hegel verbirgt sich nunft, gesunden Menschenverstand, natürliches
nicht, daß dies »der Weg in den gewöhnlichen Gefühl genannt hat«. Hier nennt Hegel die fran-
Wissenschaften« sei – und darauf beruhe Lockes zösische und die schottische Philosophie sowie
große Wirkung: Es sei dieses »Philosophieren die deutsche Aufklärung, und zwar sowohl auf
des räsonierenden Denkens, was jetzt allgemein theoretischem als auf praktischem Gebiet, auch
geworden ist und wodurch die ganze Revolution auf dem der Religionskritik, und den heraus-
der Stellung des Geistes hervorgegangen ist.« (V ragenden Repräsentanten dieser Richtung sieht
9.116–123) er in David Hume, der insbesondere durch seine
Eigentümlich ist es, daß Hegel zwar Locke und Kritik am Erfahrungsbegriff »den unmittelbaren
Leibniz kontrastiert, sich aber nicht am Gegen- Übergang zur Kantischen Philosophie« mache (V
satz zwischen Lockes Essay Concerning Human 9.140–146).
Understanding und Leibniz’ Nouveaux Essais (7) Mit der Darstellung der neueren deutschen
orientiert. Er erwähnt zwar Leibniz’ ausgebrei- Philosophie – mit Kant, Jacobi, Fichte und Schel-
tete wissenschaftliche und politische Wirksam- ling – beschließt Hegel den langen Weg, den der
keit, auch seine Theodizee – »ein sehr berühmtes Geist zurücklegt, um zu seinem Selbstbewußtsein
Werk, für uns nicht mehr recht genießbar«. Doch zu kommen – denn diese Philosophie setzt am
darüber hinaus erörtert er vor allem Leibniz’ »Selbstbewußtsein« bzw. am »Ich« an, also am
Monadologie und Lehre von der »prästabilierten »Prinzip der Subjektivität«. Der Akzent seiner
Harmonie«: Durch jene stelle er Spinozas »Prin- Darstellung liegt aber zunächst auf der ausführli-
zip der absoluten Einheit« die – nur in Gott als chen Information über diese Entwürfe und ihren
der Monas Monadum vereinigte – »absolute Viel- Zusammenhang – ihre wechselseitige Kritik und
heit der individuellen Substanzen« entgegen, und ihre interne Weiterbildung, von der Transzen-
durch diese überbrücke er die durch den Cartesi- dentalphilosophie Kants über ihre konsequentere
schen Dualismus aufgerissene Kluft zwischen Weiterbildung durch Fichte und ihre Kritik durch
Denken und Ausdehnung (V 9.128–136). Jacobi bis hin zu Schellings »Identitätssystem«.
(6) Die bisher betrachteten Gestalten rechnet In diesem sieht Hegel »die eigentliche Spekula-
Hegel im weiten Sinne zur »Metaphysik« als ei- tion wieder emporgekommen« – allerdings mit
ner Denkform, die von allgemeinen Verstandes- dem Mangel, daß die Vereinigung des Gegen-
bestimmungen ausgeht und mit ihnen Beobach- satzes, die »Indifferenz des Subjektiven und Ob-
tung und Erfahrung verbindet. Er schreibt ihr zu, jektiven vorausgesetzt wird, nicht bewiesen
»die Gegensätze des Gedankens zum Bewußtsein wird«. Und Hegel skizziert dagegen, wie dieser
gebracht und das Interesse auf die Auflösung des Beweis zu leisten sei: nämlich so, »daß das Sub-
Widerspruchs gerichtet« zu haben. Doch diese jektive und das Objektive jedes für sich unter-
Auflösung »ist gesetzt worden in Gott. Gott ist sucht würde in seinen logischen Bestimmungen
also das, in dem alle diese Widersprüche aufge- […], woraus sich dann ergeben müßte, daß das
löst sind.« Damit aber sind sie als aufgelöst nur Subjektive dies ist, sich zu verwandeln, nicht
behauptet und nicht begriffen – denn hierzu hätte subjektiv zu bleiben, sondern sich objektiv zu
»die Nichtigkeit der Gegensätze und ihrer Vor- machen, und das Objektive dies ist, nicht so zu
aussetzungen« aufgewiesen werden müssen. bleiben, sondern sich subjektiv zu machen.«
Deshalb falle die neuzeitliche Metaphysik hinter »Aber die Betrachtung des Logischen ist es, wozu
die griechische zurück: In jener seien zwar »die Schelling in seiner Darstellung nicht gekommen
Gegensätze zum absoluten Widerspruch, also tie- ist« – und allein durch sie werde die Identität von
496 II. Werk

Subjekt und Objekt, von Denken und Sein als der Weltgeschichte, die ja, als Geschichte, immer
Wahrheit erkannt. Doch trotz dieser Kritik bleibt schon die Struktur selbstbezüglicher Erkenntnis
für ihn Schelling »die letzte interessante, wahr- hat. »Tantae molis erat se ipsam cognoscere men-
hafte Gestalt der Philosophie« (V 9.182,184,188) tem« (W 15.685) – so formt Hegel den auf die
– eine Hochschätzung, die angenehm mit dem Gründung Roms bezogenen Vers aus Vergils Aen-
unausgesetzten Bemühen des späten Schelling eis (I,33) um. Und diese Arbeit, und durchaus
kontrastiert, Hegels Philosophie nicht allein zur harte Arbeit des Geistes bezeichnet er im glei-
»Episode« herabzusetzen, sondern sie allenthal- chen Kontext als »das Leben des Geistes selbst«,
ben zu diffamieren (SW I/10.126–161). aber auch – wohl noch mit Worten seiner Jenaer
(8) Im Modus dieser Kritik an Schelling deutet Vorlesung – nicht allein als mühselige Entwick-
Hegel an, wie die richtige Vermittlung des Ge- lung, sondern als den »Kampf des endlichen
gensatzes zu konzipieren sei – aber er unterläßt Selbstbewußtseyns mit dem absoluten Selbstbe-
es, seine eigene Philosophie als die glückliche wußtseyn, das jenem außer ihm erschien« (W
Auflösung aller Rätsel der Philosophiegeschichte XV.689). Die Weltgeschichte und als ihr Innerstes
zu präsentieren. Statt dessen rekapituliert er kurz die Geschichte der Philosophie stellten diesen
die Hauptmomente ihres Ganges, von der »Idee« Kampf dar, und wo er aufhöre, seien sie am
der klassischen griechischen Philosophie über Ziel.
die »konkrete Idee im Neuplatonismus« bis zur
Kollegien: 1805/06; 1816/17; 1817/18; 1819; 1820/21;
Erfassung des Absoluten als »Geist, als die sich 1823/24; 1825/26; 1827/28; 1829/30; 1831/32 (ange-
wissende Idee«. Die wahre Auflösung und Ver- fangen, fortgeführt durch C. L. Michelet). – Erstdruck:
söhnung des Gegensatzes des Subjektiven und W1 bzw. W2 XIII–XV. – Text: a) Manuskripte: GW
Objektiven sieht er in der »Einsicht, daß dieser 18.33–111; V 6.1–81. – b) Nachschriften: W XIII-XV; V
Gegensatz, auf seine absolute Spitze getrieben, 6–9; künftig GW 30. – Quellen: Moses Maimonides:
Doctor perplexorum […]. Basileae 1629; John Locke:
sich selbst auflöst«, und »das ewige Leben dieses
An Essay Concerning Human Understanding. 2 Bde.
ist, diese Gegensätze ewig zu produzieren und London 8 1721; Gottfried Wilhelm Leibniz: Nouveaux
ewig in Identität zu setzen« – allerdings nicht, Essais, in: OEuvres philosophiques latines & françoises.
wie es nach dieser Formulierung scheinen Hg. von Rud. Eric Raspe. Amsterdam / Leipzig 1765;
könnte, in einem letztlich bewegungslosen Spiel, Jakob Brucker: Historia critica philosophiae a mundi
sondern in einer Reihe geistiger Gestaltungen, incunabulis ad nostram usque aetatem deducta. 4 Bde.
Lipsiae 1742–1744; Dietrich Tiedemann: Geist der spe-
die notwendig aus einander hervorgehen und
kulativen Philosophie. 6 Bde. Marburg 1791–1797; Jo-
keineswegs in eine leere Unendlichkeit weiter- hann Gottlieb Buhle: Lehrbuch der Geschichte der
laufen. Philosophie. 8 Bde. Göttingen 1796–1804; Wilhelm
Es wäre grotesk, Hegel zu unterstellen, er habe Gottlieb Tennemann: Geschichte der Philosophie. 11
das ›Ende der Philosophiegeschichte‹ so verstan- Bde. Leipzig 1798–1819; Buhle: Geschichte der neuern
den, als gebe es nach ihm keine Philosophie Philosophie seit der Epoche der Wiederhestellung der
Wissenschaften. 6 Bde. Göttingen 1800–1804; Henry
mehr, und die Reihe der geistigen Gestaltungen
Thomas Colebrooke: On the Philosophy of the Hindus.
werde mit ihm abbrechen. Sein Schüler v. Gries- In: Transactions of the Royal Asiatic Society of Great
heim überliefert hier sogar den Satz, »die Reihe Britain and Ireland. Vol I. London 1824, 19–43, 92–118,
der geistigen Gestaltungen ist für jetzt damit 439–466, 549–579. – Literatur: Lutz Geldsetzer: Die
geschlossen.« Doch andererseits markiert dieses Philosophie der Philosophiegeschichte im 19. Jahr-
»für jetzt« – falls Hegel so formuliert haben sollte hundert. Zur Wissenschaftstheorie der Philosophiege-
schichtsschreibung und -betrachtung. Meisenheim
– kein beliebiges Jetzt. Es ist für Hegel fraglos ein
1968; Werner Beierwaltes: Platonismus und Idealis-
ausgezeichneter Punkt, nämlich der Zeitpunkt, mus. Frankfurt am Main 1972; Joseph O’Malley, Keith
an dem die innere Struktur und Bewegung der W. Algozin, Frederick G. Weiss (Hg): Hegel and the
gesamten Philosophiegeschichte erkannt wird, History of Philosophy. Den Haag 1974; Klaus Düsing:
und zwar nicht durch eine voreilige Antizipation Hegel und die Geschichte der Philosophie. Ontologie
eines künftigen Endzustands, sondern durch den und Dialektik in Antike und Neuzeit. Darmstadt 1983;
Hans-Christian Lucas / Guy Planty-Bonjour (Hg.): Lo-
Rückblick auf ihren Verlauf, von ihren Anfängen
gik und Geschichte in Hegels System. Stuttgart-Bad
bis in Hegels Gegenwart. Cannstatt 1989; Petra Kolmer: Philosophiegeschichte
Diesem Rückblick erschließt sie sich als die als philosophisches Problem. Kritische Überlegungen
Arbeit des Geistes – und zugleich als das Innerste namentlich zu Kant und Hegel. Freiburg / München
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 497

1998; Jens Halfwassen: Hegel und der spätantike Neu- abgesehen von seinen Publikationen, umfang-
platonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Ei- reichsten, wenn auch fragmentarischen Text aus
nen und des Nous in Hegels spekulativer und geschicht-
Hegels Feder.
licher Deutung. HSB 40 (1999); Jaeschke: Die Philo-
sophie (§§ 572–577). In: Hegels Enzyklopädie, hg. Leider lassen sich nicht alle Fragen zum Status
Schnädelbach (2000), 375–466; David A. Duquette dieses Textes und zu seiner Entstehung mit Ge-
(Hg.): Hegel’s History of Philosophy. New Interpreta- wißheit beantworten. Sein erster Herausgeber,
tions. Albany 2003; Dietmar H. Heidemann / Christian Marheineke, berichtet: »Die Schrift von den Be-
Krijnen (Hg.): Hegel und die Geschichte der Philo- weisen des Daseyns Gottes, von ihm selbst eigen-
sophie. Darmstadt 2007.
händig verfaßt und in Vorlesungen, die er darüber
in einem Sommer öffentlich gehalten, abgetheilt,
9.10. Beweise vom Dasein Gottes aber unvollendet gelassen, dachte er noch im
Laufe des letzteren Winters vollends auszuarbei-
ten, als ihn wenige Tage nachher, da er eben mit
9.10.1. Überlieferung
der Verlagshandlung dieser seiner Werke deshalb
(1) Hegels »Vorlesungen über die Beweise vom Rücksprache genommen, der Tod hinwegriß.«
Daseyn Gottes« bilden in mehrfacher Hinsicht Die Publikationsabsicht ist auch durch einen Be-
einen Sonderfall im Zusammenhang seiner richt Marie Hegels (GW 21.403) und durch den –
Lehre. Während alle anderen Vorlesungen ein- auf den »1 Oktober 1831.« datierten – Verlags-
zelnen Disziplinen seines »Systems« gewidmet vertrag belegt (GW 18.395–399).
sind, erörtern seine Vorlesungen »de existentiae (3) Demnach scheint Hegels Manuskript für
Dei demonstrationibus« vom Sommer 1829 ein die Vorlesung im Sommer 1829 entstanden zu
spezielles Problem, das Beziehungen sowohl zur sein, und es weist auch zahlreiche Merkmale der
Logik als auch zur Religionsphilosophie aufweist. Diktion auf, die es als Vorlesungsmanuskript qua-
Die ersten Herausgeber – Konrad Philipp Mar- lifizieren – u. a. die Eingangsüberlegung über die
heineke und Bruno Bauer – haben sie indessen Lehrgegenstände dieses Semesters, die Rückver-
der Edition der religionsphilosophischen Vorle- weise auf Früheres (statt auf »oben« bzw. »un-
sungen angehängt, weil Hegel ohnehin in deren ten«), ferner die traditionelle Schlußwendung
Kontext über die Gottesbeweise gehandelt hat. »Geschlossen am 19. August 1829.« und die Ab-
Im Sommer 1829 unterbricht Hegel seinen ge- teilung in die sechzehn Vorlesungen dieses Som-
wohnten Turnus von zwei vier- bis fünfstündigen mersemesters. Andererseits sind die einzelnen
Vorlesungen, und zwar, wie er in anderem Zu- Vorlesungen in sehr unterschiedlichem Umfang
sammenhang gegenüber dem preußischen Kul- ausgearbeitet, und zudem bezieht Hegel sich
tusminister v. Altenstein ausführt, »infolge mei- mehrfach auf seinen Text als auf eine »Abhand-
ner geschwächten Gesundheit und um für die lung« – was für ein Vorlesungsmanuskript sehr
Bearbeitung einer neuen Ausgabe meiner Wis- unwahrscheinlich ist.
senschaft der Logik die nötige Muße zu gewin- (4) Man kann die kontrastierenden Deutungen
nen« (16.5.29). Zu diesem Zweck hätte Hegel – Vorlesungsmanuskript oder Abhandlung –
auch eine der früheren Vorlesungen wiederholen durch zwei Annahmen mit einander zu verbinden
können, statt eine neue Vorlesung zu konzipieren, suchen: (1) Hegel hat bereits seiner Vorlesung
doch trägt er die Gottesbeweis-Vorlesung nur von 1829 ein für den Druck bearbeitetes Manu-
einstündig vor, so daß hierdurch eine zeitliche skript zu Grunde gelegt, das aber zugleich wich-
Entlastung eintritt. tige Merkmale eines Vorlesungsmanuskripts auf-
(2) Anders als bei den bisher besprochenen weist, und (2) er hat dieses Manuskript im Som-
Disziplinen handelt es sich bei der Quelle zu den mer 1831 im Blick auf die Publikation über-
»Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Got- arbeitet – wodurch sich die einschlägigen
tes« nicht um studentische Vorlesungsnachschrif- Merkmale erklärten. Dann allerdings hätte sein
ten (gegebenenfalls verbunden mit Fragmenten Manuskript Spuren dieser Überarbeitung aufwei-
von Vorlesungsmanuskripten Hegels), sondern – sen müssen, während in der Korrespondenz von
soweit wir durch die Korrespondenz der früheren einer »Reinschrift« die Rede ist (GW 18.396).
Herausgeber wissen – um eine heute verschol- Man müßte somit eine weitere Annahme ein-
lene »Reinschrift« Hegels – und damit um den, fügen, daß Hegel (3) zumindest den Anfang sei-
498 II. Werk

nes Manuskripts überarbeitet und zugleich in führen.« (GW 12.129) Diese Ankündigung kann
eine Reinschriftfassung gebracht habe, die jedoch sich nicht auf die Bemerkungen in der Enzy-
den Vorlesungscharakter bewahrt und noch die klopädie beziehen, da Hegel zur Zeit der Nieder-
ursprüngliche Schlußwendung enthalten habe – schrift seiner Ankündigung, einige Monate, be-
doch dies erscheint als unbefriedigendes Hypo- vor sich ihm die Chance zum Wechsel nach Hei-
thesengeflecht. delberg eröffnet hat, noch keine Ausgabe der
Zudem widersprechen sich die sekundären Enzyklopädie geplant hat.
Zeugnisse: Während Marheineke schreibt, die Hier wie auch insbesondere in seiner Ein-
Schrift von den Gottesbeweisen »dachte er noch gangsbemerkung stellt Hegel die Gottesbeweise
im Laufe des letzteren Winters auszuarbeiten« insgesamt – und nicht allein den ontologischen –
(GW 18.395), berichtet Marie Hegel, ihr Mann in den Kontext der Logik: Er habe einen Gegen-
»arbeitete« im Sommer 1831 an der Ausarbeitung stand gewählt, der mit der Logik-Vorlesung die-
dieses Manuskripts für den Druck. Allerdings ses Sommers »in Verbindung stehe, und eine Art
nennt sie hier auch noch weitere Projekte, die zu von Ergänzung zu dieser, nicht dem Inhalte, son-
diesem Zeitpunkt schon publiziert waren: »Re- dern der Form nach, ausmache, indem derselbe
zensionen über Ohlert und Gans [vermutlich ver- nur eine eigenthümliche Gestalt von den Grund-
lesen für: Görres] – einen Aufsatz über die Re- bestimmungen der Logik ist«. Damit ist aber die
form-Bill« (GW 21.403). Allenfalls an der Gör- Beziehung zwischen den Gottesbeweisen und der
res-Rezension (s. 312) kann Hegel im Sommer Religionsphilosophie nicht dementiert, denn in-
1831 noch gearbeitet haben. Eine sichere Ent- haltlich gesehen gehören die Gottesbeweise zur
scheidung über den Charakter der Gottesbeweis- Religionsphilosophie. Hierdurch entsteht der
Schrift und den Zeitpunkt ihrer Abfassung läßt Eindruck, als gehörten die Gottesbeweise formal
sich deshalb nicht treffen. zur Logik und inhaltlich zur Religionsphiloso-
(5) Noch weniger ist dies für die Datierung des phie – doch Hegel modifiziert diesen Eindruck:
Fragments »Zum kosmologischen Gottesbeweis« Es werde sich zeigen, daß die Religionsphiloso-
möglich. Es handelt sich bei ihm wohl nicht um phie, »insofern sie eine wissenschaftliche ist, und
ein Vorlesungsmanuskript, sondern um das Frag- das Logische nicht so auseinanderfallen, wie es
ment einer Abhandlung, die auch die anderen nach dem ersten Scheine unseres Zweckes das
Gottesbeweise und sogar die Religionen umfaßt Ansehen hat, daß das Logische nicht bloß die
hat. Wegen der großen, fast etwas schülerhaften formelle Seite ausmacht, sondern in der That
Nähe zu Kants Text dürfte es aus früherer, viel- damit zugleich im Mittelpunkte des Inhalts
leicht aus der Nürnberger Zeit stammen. In ihr steht.« (GW 18.228)
behandelt Hegel die Gottesbeweise ja im Unter- (2) Hegel ist sich wohl bewußt gewesen, daß
richt, und er erwähnt damals auch ein derartiges seine Vorlesungen ›unzeitgemäße Betrachtun-
Projekt (GW 18.400–402). gen‹ seien: Die Gottesbeweise hätten allen Kredit
verspielt, ja sie seien in Verruf geraten, und nicht
etwa allein wegen des Kantischen Erweises ihres
9.10.2. Stellung im System
Scheiterns, sondern weil sie der vormaligen Me-
(1) Einen ersten Hinweis auf eine geplante taphysik angehörten, »aus deren dürren Oeden
Schrift über die Gottesbeweise gibt Hegel in der wir uns zum lebendigen G l a u b e n zurückge-
Wissenschaft der Logik, im Kontext der Kritik an rettet, aus deren trockenem Verstande wir zum
früheren, unzureichenden Gestalten der Gottes- w a r m e n G e f ü h l e der Religion uns wieder
beweise: »Ich erspare es jedoch auf eine andere erhoben haben.«
Gelegenheit, den vielfachen Mißverstand, der Es ist jedoch eben diese Entgegensetzung von
durch den logischen Formalismus in den ontolo- Denken und Gefühl, die Hegel mit seinen Vor-
gischen, so wie in die übrigen sogenannten Be- lesungen überwinden will. Die Gottesbeweise
weise vom Daseyn Gottes gebracht worden ist, seien »aus dem B e d ü r f n i s s e , d a s D e n k e n ,
wie auch die Kantische Kritik derselben näher zu d i e Ve r n u n f t z u b e f r i e d i g e n , hervorgegan-
beleuchten, und durch Herstellen ihrer wahren gen«. Und bereits am Ende der ersten Vorlesung
Bedeutung die dabey zu Grunde liegenden Ge- gibt er den »allgemeinen Sinn« an, in dem er sein
danken in ihren Werth und Würde zurückzu- Thema behandeln will: daß nämlich die Gottes-
9. Heidelberger und Berliner Vorlesungen (1816–1831) 499

beweise » d i e E r h e b u n g d e s M e n s c h e n - tung«, indem sie »das Zufällige an ihm selbst in


g e i s t e s z u G o t t enthalten und dieselbe f ü r seiner Auflösung erkennt«, und Vorlesung XVI
d e n G e d a n k e n ausdrücken sollen, wie die Er- betrachtet das »Resultat«: »das a b s o l u t - n o t h -
hebung selbst eine Erhebung des Gedankens und w e n d i g e We s e n« – aber damit sind die Be-
in das Reich des Gedankens ist.« (GW weise nicht etwa an ihrem Ziel angelangt, da
18.229,234) In der Enzyklopädie drückt Hegel »Wesen« »weder Subjekt, noch weniger Geist« ist
denselben Gedanken so aus, daß »diese Beweise und somit »diese Bestimmung für unsere Vor-
ganz nur den Gehalt und Inhalt jenes Gefühls stellung Gottes nicht hinreicht«. Zur Veranschau-
ausdrücken«, nämlich »die Erhebung des etwa lichung führt Hegel an, wie sich der Begriff der
fühlenden Geistes zu Gott« (3§ 398). absoluten Notwendigkeit in »konkreteren Gestal-
Hegel legt seine Vorlesungen sehr breit an; er ten« der Religionsgeschichte darstellt. Die spezi-
handelt über das Beweisen (II), über Vermittlung fische religiöse Ausformung des Begriffs der ab-
und Unmittelbarkeit (III), über das Gefühl (IV), soluten Notwendigkeit findet Hegel im Pantheis-
über das Erkennen Gottes (V), über die Differenz mus – und Hegel wiederholt hier seine bekannte
zwischen metaphysischen und sonstigen Gottes- Kritik der gewöhnlichen Vorstellung des Pan-
beweisen (VI), vom Gottesbegriff der natürlichen theismus (vgl. GW 19.8–10); dann geht er über
Theologie (VII), über die Vielheit der Gottes- zur philosophischen Form dieses Standpunkts, zu
beweise (VIII) und über die – schon von Kant her den » S y s t e m e n d e r S u b s t a n t i a l i t ä t«, die
bekannte – Systematik der Gottesbeweise (IX). Gott als das Eine oder als »das Seyn in allem
Erst von Vorlesung X ab geht er auf den kosmolo- Daseyn« bestimmen (vgl. JWA 1.39), als die »ab-
gischen Gottesbeweis ein, den er spezifischer als solute Substanz« oder als »causa sui« – und auch
Beweis »ex contingentia mundi« einführt, und diese Begriffe sind durch die Vermittlung Jacobis
erst hier berühren seine Ausführungen das Ge- vorgegeben.
biet der Logik. Vorlesung XI betrachtet näher den (3) Die »Vorlesungen über die Beweise vom
»Schluß von der Zufälligkeit der Welt auf ein Daseyn Gottes« münden somit in eine detaillierte
absolut-nothwendiges Wesen derselben«; Vorle- Auseinandersetzung mit Jacobi; der Name
sung XII knüpft an diesen Begriff der absoluten »Kant«, aber auch die spezifisch Kantische Kritik
Notwendigkeit an – und »absolut heißt sehr häu- des kosmologischen Beweises, kommen in ihnen
fig nichts weiter als a b s t r a k t«, »absolute Noth- gar nicht vor. Hegels Kritik zielt auf Jacobi, da
wendigkeit« also »abstrakte Nothwendigkeit«. dieser die Wendung der Zeit zum »Glauben« und
Vorlesung XIII geht näher auf den Beweisgang »Gefühl« eingeleitet hat. Und so zeigt er an Jacobi
des Kontingenzbeweises ein, auf die Folgerung: auf, wie dieser, »der Anführer der Parthei des
» w e i l das Eine, das Zufällige, e x i s t i r t , i s t , s o unmittelbaren Wissens, des Glaubens,
ist das A n d e r e , das absolut-Nothwendige« – der den Verstand so sehr verwirft, indem er Ge-
und Hegel erinnert hier an den Protest Jacobis, danken betrachtet, über den bloßen Verstand
daß der Versuch, Gott zu erkennen, das Unbe- nicht hinauskommt.«
dingte zu einem Bedingten, Abgeleiteten mache An dieser Stelle enden Hegels Vorlesungen –
(vgl. JWA 1.258). Es ist ein Unding, vom »Seyn« und trotz der Schlußformel »Geschlossen am 19.
des Endlichen zum »Seyn« des Unendlichen August 1829.« ist dieses Ende nicht ein Abschluß,
übergehen zu wollen. Denn hierbei wird das sondern ein Abbrechen. Schon die Bemerkungen
Endliche als »absolut« gesetzt, das Zufällige vom über Aristoteles, Parmenides und Spinoza in den
absolut-Notwendigen getrennt und somit selbst letzten Partien der Vorlesung XVI wirken weit
zum Notwendigen erhoben. Vorlesung XIV expo- weniger durchgearbeitet als das Vorhergehende;
niert in kritischer Absicht diesen »Dogmatismus sie bilden wohl nicht einmal den Abschluß der
der absoluten Trennung des Endlichen und Un- Behandlung des kosmologischen Beweises – und
endlichen« – und wiederum mit Blick auf Jacobi: zur Abhandlung des teleologischen oder gar des
Wenn man Endliches und Unendliches so isoliert ontologischen Beweises ist Hegel hier ohnehin
nebeneinander hinstellt, ist freilich kein »Ue- nicht mehr gekommen. Er handelt sie zwar in
bergang« vom einen zum anderen möglich, son- seinen religionsphilosophischen Vorlesungen ab,
dern allein ein » S p r u n g« (vgl. JWA 1.30,20). jeweils im Kontext der »metaphysischen Be-
Vorlesung XV vertieft die »spekulative Betrach- griffe« der Stufen der Religionsgeschichte (V 4/5)
500 II. Werk

– doch diese Ausführungen haben einen völlig Denken und Sein nach den Vorgaben der Wissen-
anderen Charakter. schaft der Logik und der »Vorlesungen über die
(4) Eckermann berichtet, er habe Goethe er- Geschichte der Philosophie« neu bestimmen.
zählt, daß Hegel ein »Kollegium über den Beweis Diese Veränderungen sind nicht weniger revolu-
des Daseins Gottes« gelesen habe, und »Goethe tionär als Kants Kritik der Gottesbeweise, die ja
stimmte mir bei, daß dergleichen Vorlesungen die Begriffe des Endlichen und Unendlichen und
nicht mehr an der Zeit seien.« (HBZ 402) Dem- selbst den Gedanken eines persönlichen Gottes
nach hätte Goethe – wie viele nach ihm – vom nicht tangiert. Sie dementiert lediglich, daß sich
bloßen Titel des Kollegs geschlossen, daß Hegel das Dasein eines solchen Gottes begrifflich er-
eine Wiederbelebung der Gottesbeweise der vor- weisen lasse; Hegels Kritik hingegen dementiert
kritischen theologia naturalis beabsichtigt habe – den Begriff eines solchen Gottes. – In den Aus-
und dies gleichsam am Vorabend der Juli-Revolu- einandersetzungen, die in der ersten Phase seiner
tion in Frankreich. Doch nichts trifft weniger zu Wirkungsgeschichte, im Vormärz, geführt wor-
als eine solche Ansicht. Hegel erinnert an den den sind, ist dies wohlbekannt gewesen.
Sinn der traditionellen Gottesbeweise, an die Kolleg: 1829. – Erstdruck: W1 XII.289–483, W2
Notwendigkeit einer »denkenden Erhebung« zu XII.357–553. – Text: a) Sekundäre Überlieferung: GW
Gott, an Stelle des Verzichts seiner Zeitgenossen 18.228–336; b) Nachschriften: Hegel: Vorlesungen über
auf das begreifende Denken und ihres Rückzugs die Beweise vom Dasein Gottes. Hg. von Georg Lasson.
Hamburg 11930, ND 1973, 1–72 (Nachschrift Werner);
in den » l e b e n d i g e n G l a u b e n« und das
künftig GW 31. – Literatur: Dieter Henrich: Der onto-
» w a r m e G e f ü h l« (GW 18.229). Diese »den- logische Gottesbeweis. Tübingen 1960; Wolfgang Cra-
kende Erhebung« muß sich jedoch von der Ver- mer: Gottesbeweise und ihre Kritik. Prüfung ihrer Be-
standesform der vormaligen Metaphysik be- weiskraft. Frankfurt am Main 1967; Michael Theunis-
freien; sie muß sogar – wie Hegel in seiner sen: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-
Auseinandersetzung mit Jacobi zeigt – die fixen politischer Traktat. Berlin 1970; Harald Knudsen:
Gottesbeweise im deutschen Idealismus. Die modal-
Verstandesgegensätze von Endlichem und Un-
theoretische Begründung des Absoluten dargestellt an
endlichem überwinden, in denen sich der »ab- Kant, Hegel und Weiße. Berlin / New York 1972; Jan
solute Inhalt« in der Tat nicht fassen läßt, und sie Rohls: Theologie und Metaphysik: Der ontologische
muß das Verhältnis von Begriff und Realität, von Gottesbeweis und seine Kritiker. Gütersloh 1987.
III. Schule
1. Zur Situation der Philosophie
im frühen Vormärz differenzierteres, sondern ein partiell sogar ent-
gegengesetztes Bild der damaligen Bewußt-
1.1. Das Epochenbewußtsein seinslage.
Dem geläufigen Mißverständnis liegt eine Ver-
(1) Die Juli-Revolution beseitigt zwar die Restau- mischung des philosophiegeschichtlichen Epo-
ration in Frankreich, doch bewirkt sie darüber chenbegriffs und des qualitativen Begriffs des
hinaus nur in sehr geringem Umfang gesell- »Vormärz« zu Grunde – ähnlich wie sie auch in
schaftliche Veränderungen – und naturgemäß der Vermischung des Epochenbegriffs des »Deut-
noch weniger in den damaligen deutschen Staa- schen Idealismus« und eines qualitativen Begriffs
ten. Gleichwohl ist die auf sie folgende Epoche der damaligen idealistischen Philosophie zu be-
des »Vormärz« auch in Deutschland durch einen obachten ist. »Vormärz« bezeichnet zunächst die
signifikanten Wandel des Bewußtseins geprägt. Epoche zwischen der Juli-Revolution in Frank-
Er entspringt sicherlich nicht allein dieser politi- reich von 1830 und der gescheiterten Märzrevo-
schen Wurzel – der Hoffnung oder auch der lution von 1848, sodann aber in einem qualita-
Befürchtung, daß auch in Deutschland die Tage tiven Sinn das spezifisch »revolutionäre«, die
der Restauration gezählt seien –, sondern mehr Märzrevolution vorbereitende Denken insbeson-
noch dem sozialen Wandel in Folge der zwar erst dere der Junghegelianer und der an sie anschlie-
geringfügigen, aber doch fortschreitenden Indu- ßenden frühen Schriften von Marx und Engels
strialisierung. Ihm korrespondiert ein Wandel aus den 1840er Jahren. Indem sich jedoch das
auch auf geistigem Gebiet, und dieser wird zu- Interesse der gegenwärtigen Philosophie vor al-
sätzlich durch einen Generationsbruch verstärkt: lem auf diesen Strang des Denkens richtet, wird
Mit dem Ableben Hegels (1831), Goethes (1832), die – im qualitativen Sinne – »vormärzliche« Phi-
Schleiermachers (1834) und Wilhelm v. Hum- losophie mit der Philosophie des Vormärz insge-
boldts (1835) tritt innerhalb weniger Jahre eine samt gleichgesetzt – als ob jene für diese charak-
Generation ab, in der sich für eine lange Periode teristisch sei oder sie gar insgesamt ausfüllte.
der »Geist der Zeiten« ausgesprochen hat. Mit Demgegenüber treten die anderen – und keines-
dem Ableben der Repräsentanten dieses Geistes wegs marginalen, sondern damals sogar domi-
endet die Zeit der Klassischen Deutschen Philo- nanten philosophischen Strömungen nicht allein
sophie und zugleich – wie Heinrich Heine un- in den Hintergrund; sie geraten in Vergessenheit.
mittelbar und nun nicht ohne Bedenklichkeit Doch die Philosophie des Vormärz (im Sinne des
konstatiert – die »goethesche Kunstperiode« (s. Epochenbegriffs) ist nur zum geringsten Teil eine
437). »vormärzliche« Philosophie (im qualitativen
Philosophiegeschichtlich wird dieser Epochen- Sinne). Das geläufige, durch die Fixierung auf
bruch heute mit den Titeln »Ende der Meta- den »revolutionären Bruch im Denken des 19.
physik« oder gar »Zusammenbruch des deut- Jahrhunderts« bestimmte, von Karl Löwith ge-
schen Idealismus« mehr plakativ bezeichnet als prägte Bild ähnelt deshalb eher einer Karikatur
begriffen. Unter dem Druck des damals auch in als einer adäquaten Darstellung der Philosophie
Deutschland beginnenden frühindustriellen Zeit- des Vormärz insgesamt.
alters, der gravierenden sozialen Folgen und der (2) Ebenso charakteristisch wie das Bewußt-
raschen Entwicklung der empirischen Wissen- sein, daß eine Epoche zu Ende gegangen sei, ist
schaften scheinen die metaphysischen Systeme für eine der damaligen Gruppierungen die Emp-
wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen zu findung, zwar nicht mehr in der alten, aber auch
sein. Doch diese vermeintlich plausible Deutung nicht schon in einer neuen Epoche zu leben,
retrojiziert nur die Distanz des heutigen Denkens sondern vielmehr – mit dem eschatologischen
zur Klassischen Deutschen Philosophie in das Topos – »zwischen den Zeiten« (Gedö 1995). Der
Bewußtsein dieser Jahre. Dem historischen »alte Aeon« ist zu Ende gegangen, aber der
Rückgang bietet sich nicht allein ein erheblich »neue«, geahnte, ist allenfalls in Umrissen sicht-
502 III. Schule

bar und noch nicht wirklich angebrochen. Statt (Stuke 1963) und zur Losung, die Welt »zu v e r -
dessen herrscht Unentschiedenheit – eine diffuse ä n d e r n« (MEW 3.7).
Mischung aus anachronistischem, abgelebtem Aus dem gleichen Grunde ist es verständlich,
Alten und einem Neuen, das seine eigentümliche daß diese Zeit der »Verwirklichung« auch die
Gestalt noch nicht herausgebildet hat. entscheidende Etappe der Wirkungsgeschichte
(3) Dieser Ausdruck der Unsicherheit spricht Hegels bildet. Wie die Epoche der Genese und
sich insbesondere in der Literatur dieser beiden der systematischen Ausbildung der Hegelschen
Jahrzehnte bis zur gescheiterten Revolution von Philosophie, so läßt sich auch ihre unmittelbare
1848 aus – bei Heine, Börne und im »Jungen Wirkungsgeschichte, ihre »Urgeschichte« im
Deutschland« – und dies heißt zugleich: Er ent- Sinne Franz Overbecks, durch Revolutionen be-
spricht dem Lebensgefühl einer literarisch zwar grenzen: Sie beginnt kurz nach der französischen
bemerkenswerten, zahlenmäßig aber verschwin- Juli-Revolution von 1830 und dauert bis zur ge-
dend geringen und nicht sonderlich einflußrei- scheiterten deutschen Revolution von 1848. Erst
chen, sondern in die Isolation oder gar Emigra- in deren Gefolge wird den Nachwirkungen der
tion abgedrängten Gruppierung. Repräsentativ Klassischen Deutschen Philosophie auch durch
für das damalige Bewußtsein ist hingegen die administrative Maßnahmen der Boden entzogen.
Reaktion auf die politischen und gesellschaft- Zwischen diesen Revolutionen aber sind die phi-
lichen Veränderungstendenzen und die durch sie losophischen Auseinandersetzungen in Deutsch-
erzeugte Ungewißheit: die Abwendung von einer land großenteils Auseinandersetzungen um He-
auf Freiheit und Vernunft, also auf den »Ge- gels Philosophie – um ihren Philosophiebegriff
danken« gegründeten Ordnung, vom politischen wie um ihr Potential, die mit Hegels Tod ange-
Vertragsdenken wie vom theologischen Rationa- brochene neue Epoche zu gestalten.
lismus, und die Rückwendung zum als fest Ge-
glaubten, zum »Positiven«, und zwar sowohl im
politischen als insbesondere im religiösen Leben. 1.2. Die »Freundesvereinsausgabe«
Von dieser breiten Strömung der Reaktion auf die als Basis der Wirkungsgeschichte
Revolution von 1789 und – in geringerem Maße –
von 1830 konnten sich die damaligen restau- (1) Mit Hegels Tod beginnt eine neue und die
rativen Kräfte in Politik und Religion getragen entscheidende Phase im langen und heftigen
wissen. Streit um seine Philosophie – in einem Streit
(4) Hegels Schüler haben weder dieses noch ähnlich dem »über den Leichnam Mosis zwi-
jenes Lebensgefühl geteilt, trotz der späteren schen dem Erzengel und Satanas«, wie Jacobi,
Nähe ihres ›konservativen‹ Flügels zu Restaura- angeregt durch Goethe, einmal im Blick auf den
tion, Orthodoxie und Pietismus und ihres ›pro- Streit um die Lehre des Spinoza formuliert (JWA
gressiven‹ Flügels zum »Jungen Deutschland«. 1.91,119). Der Beginn dieses Streits um seine
Die Hegel-Schule ist sich zwar ebenfalls des Epo- Philosophie mag durch Hegels unerwarteten Tod
chenbruchs bewußt, doch begreift sie ihn teils als mit bedingt sein, durch das Bedürfnis, den Dis-
Differenz zwischen der Grundlegung von Prinzi- kussionszusammenhang fortzusetzen, den das
pien und der Ausarbeitung des Details, bis hin plötzliche Abbrechen seines Lebens zerrissen
zur Popularisierung (Michelet 1841, 5 f.), teils hat. Er mag aber auch damit zusammenhängen,
unter dem Modell von begrifflicher ›Vollendung‹ daß eine Philosophie, die so prononciert den
und ›Realisierung des Begriffs‹, von Verwirkli- allgemeinen Charakter der Zeit auszusprechen
chung oder »Ver-Weltlichung« des geistigen Prin- und zu verwirklichen, nämlich »ihre Zeit in Ge-
zips, und zwar im doppelten Sinne einerseits danken zu fassen« sucht (s. 275), in herausge-
seiner systematischen Ausarbeitung, andererseits hobener Weise zum Gegenstand der gedankli-
seiner Einbildung in die bestehende Wirklichkeit chen Selbstverständigung der Zeitgenossen wird.
– also gemäß dem so beharrlich ignorierten Mo- Entscheidend aber dürfte etwas anderes sein:
dell, das Hegel in seinen geschichts- und reli- Anders als das Werk Kants, Fichtes und Schel-
gionsphilosophischen Vorlesungen (s. 417 bzw. lings hat Hegels Philosophie zu seinen Lebzeiten
476) entwirft. Von ihm aus begreift sich leicht der nur geringe öffentliche Aufmerksamkeit und
spätere Übergang zu einer »Philosophie der Tat« Auseinandersetzung erfahren. Ihre eigentliche
1. Zur Situation der Philosophie im frühen Vormärz 503

Wirkungsgeschichte setzt erst postum ein, wie- frühen Schriften sind ohnehin nicht publiziert,
derum im Kontrast zu den genannten nächst ver- und ebensowenig die Jenaer Systementwürfe.
wandten Philosophen. Die Phänomenologie wie Die Jenaer kritischen Schriften sind in seinen
auch die Wissenschaft der Logik sind erst nach Berliner Jahren zumindest zum Teil vergriffen,
dem Verstummen der philosophischen Streitkul- ohne jedoch neu aufgelegt zu werden, und somit
tur der frühen Jahre der Klassischen Deutschen weitgehend unbekannt. Von der Phänomenologie
Philosophie (um 1801) erschienen. Kant, Rein- des Geistes hingegen ist 1829 noch die erste Auf-
hold und Fichte sind damals teils verstorben, teils lage (von ohnehin nur 750 Exemplaren) erhält-
nehmen sie an den öffentlichen Auseinander- lich; sie wird erst 25 Jahre nach ihrem Erschei-
setzungen nicht mehr teil, ebenso wie Schelling, nen in zweiter Auflage vorgelegt – was ebenfalls
der sich fast durchgängig in Schweigen hüllt und nicht für eine breite Rezeption spricht; gleiches
sich nur noch 1812 zur Replik auf Jacobi provo- gilt für die Wissenschaft der Logik. Gewirkt hat
zieren läßt (SW I/8.19–136). Die problematische Hegel insbesondere durch seine Vorlesungen in
politische Situation hat die Rezeption sicherlich den beiden Heidelberger und vor allem in den 13
ebenfalls beeinträchtigt, und fraglos auch der Berliner Jahren. Sie haben naturgemäß – von
Schwierigkeitsgrad dieser Werke. Sogar die einzelnen Nachschriften abgesehen – über den
Grundlinien der Philosophie des Rechts haben Kreis seiner Schüler hinaus fast keine Verbrei-
zwar einige Angriffe in Rezensionen, aber keine tung gefunden. Erst der unmittelbar nach Hegels
philosophische Debatte ausgelöst. Entgegen den Tod gebildete »Verein von Freunden des Ver-
verbreiteten Legenden, die Hegel zum philoso- ewigten« hat in einer bis dahin beispiellosen,
phischen Imperator seines Zeitalters stilisieren, bald aber von Schleiermachers Schülern wieder-
hat sich seine Wirkung zu seinen Lebzeiten auf holten Weise nicht nur die von Hegel veröffent-
seinen Hörsaal beschränkt, mit Ausstrahlung le- lichten Werke neu herausgegeben, sondern auch
diglich auf Halle – und selbst in Berlin ist sie nur seine Vorlesungsmanuskripte sowie studentische
partiell gewesen. Vorlesungsnachschriften gesammelt und veröf-
Die fruchtbare Phase der Rezeptionsgeschichte fentlicht. Damit haben erst die »Freunde des
der Philosophie Hegels beginnt erst mit Verzöge- Verewigten« das Corpus Hegelianum und das
rung, nach seinem Tod – in der Phase, die seine Bild der Hegelschen Philosophie geschaffen, das
Schüler gemäß seinem Modell als die Phase der – mit seinen Stärken wie mit seinen Unzuläng-
Verwirklichung des Geistigen aufgefaßt haben. lichkeiten – die unmittelbare Wirkungsge-
Sie hat das Bild seiner Philosophie weitgehend schichte bestimmt hat und dessen Nachwirkun-
geprägt, das, mit den bekannten Schablonen und gen bis in die Gegenwart zu verspüren sind.
Frontstellungen, gleichsam zu einem integralen Auf Grund der sich verschärfenden Ausein-
Moment dieser Philosophie selbst geworden ist, andersetzungen hat die Arbeit an diesem Bild von
mit erheblichen Folgen für ihre Rezeption bis in Anbeginn unter einem »philosophiepolitischen«
die Gegenwart. Entgegen den Absichten von Kri- und zunehmend unter einem apologetischen
tikern wie Immanuel Hermann Fichte (dem Sohn Aspekt gestanden – freilich nicht in dem immer
Johann Gottlieb Fichtes), Christian Hermann wieder prätentiös behaupteten Sinne, daß Texte
Weiße und Carl Friedrich Bachmann, die die verfälscht worden seien, oder daß die »Witwe
Situation der Philosophie »in dem Zeitpuncte von Hegel« ausgewählt hätte, »was die Welt erhalten
Hegels Abscheiden« analysieren, ihn als »Wende- soll, was nicht« (u. a. Beyer 1967, 564). Daraus,
punct« stilisieren und »die Nothwendigkeit einer daß sie dies in einem ihrer ersten Briefe nach
nochmaligen Umgestaltung der Philosophie« Hegels Tod geschrieben hat, kann man nicht ohne
proklamieren, suchen Hegels Schüler seiner Phi- Prüfung auf den verfälschten Charakter dieser
losophie eine dauerhafte Gestalt zu geben, um sie Ausgabe schließen. Die Absicht, welche die edi-
in die geistig-gesellschaftliche Wirklichkeit hin- torische Gestaltung geleitet hat, liegt in der Ge-
einbilden zu können – und dies auf eine doppelte schlossenheit der Präsentation des Werkes – und
Weise. dieser Zweck steuert die Entscheidungen über
(2) Hegels Philosophie hat zu ihrer Zeit ja nicht die Auswahl des Materials. Ihm, und nicht der
primär, wie etwa Kant durch seine drei »Kri- frommen »Witwe Hegel«, sind all die Texte zum
tiken«, durch seine Publikationen gewirkt. Seine Opfer gefallen, die die ›Einheit des Systems‹
504 III. Schule

unterminiert oder zumindest in Frage gestellt diese wirkungsmächtige Präsentation seines


hätten – wie die Frühen Schriften und die Jenaer Werkes stellen sie eine zweite Form der Verwirk-
Systementwürfe. Und auch die interne Weiter- lichung des Hegelschen Systems: dessen Weiter-
bildung des Gedankens in den Heidelberger und bildung durch ihre eigenen Arbeiten. Teils führen
Berliner Vorlesungen ist stillgestellt und elimi- sie Disziplinen des Systems, die Hegel nur in
niert worden, im Interesse der Demonstration Vorlesungen behandelt hat, monographisch aus –
einer eindrucksvollen, wenn auch vordergründig wie etwa Teile der Geschichte der Philosophie;
bleibenden Geschlossenheit. Editionsleitend ist teils wenden sie die leitenden Gesichtspunkte
stets die Überzeugung, daß Hegels Texte für sich der Philosophie Hegels auf Materien an, die er
selbst sprechen und allenfalls eine ungeschickte selber nicht eigens bearbeitet hat – wie etwa in
Art ihrer Präsentation Mißverständnisse hervor- Teilbereichen der Rechtsphilosophie oder der Äs-
rufen könne. Auf die Angriffe etwa gegen Hegels thetik. Und es verrät etwas von dem realitäts-
Religionsphilosophie antworten die »Freunde fernen, übersteigerten Selbstverständnis der
des Verewigten« mit einer neuen Ausgabe dieser Schüler, daß sie ihre Arbeiten den Hegelschen als
Vorlesungen, die sich nun auch auf Hegels Manu- gleichwertig zur Seite stellen oder diesen gar
skript stützen sollte. Sie erweist sich freilich als wegen der größeren ›systematischen‹ oder ›dia-
ebenso ungeeignet, derartige Angriffe verstum- lektischen‹ Ausführung überordnen – obgleich
men zu lassen. Vielmehr provoziert sie auf Grund sie doch im wesentlichen von der ihnen über-
ihrer Differenz gegenüber der ersten Auflage nur kommenen geistigen Substanz zehren.
vermehrte Kritik und Hypothesen, deren Über- Diese letztere Art der Weiterbildung erfordert
prüfung die Neuausgabe jedoch nicht erlaubt (V eine weitgehende Beschränkung der Kompeten-
3.XLIII-LIV). zen auf Teilbereiche des Systems – nicht allein,
Diese Einschätzung, daß es allein darauf an- weil den Schülern der universelle Blick des Mei-
komme, Hegel selbst sprechen zu lassen, be- sters abgeht, sondern weil die monographische
stimmt auch noch die Redaktion der »Zusätze« Ausführung des Details speziellere Akzentuie-
zur Enzyklopädie und zu den Grundlinien der rungen erfordert. Diese Aufgliederung des Sy-
Philosophie des Rechts wie auch die Textauswahl stems ist seit der am Grabe Hegels gehaltenen
der letzten Teiledition, Karl Rosenkranz’ Ausgabe Rede Försters (s. 57) häufig mit der Aufteilung
der Nürnberger Propädeutik. Im Vorwort begrün- des Alexanderreiches unter die Diadochen ver-
det er seine Einbeziehung von Hegels Ausführun- glichen worden; dabei darf aber nicht übersehen
gen über Moralität: »Es sollte zwar schon längst werden, daß diese Aufteilung nicht einem strate-
unmöglich sein, dem Hegel’schen System I m - gischen Plan folgt, sondern den philosophischen
m o r a l i t ä t vorzuwerfen. Wenn aber der Pietis- Neigungen und Fähigkeiten entspringt – und
mus mitten in Berlin, wo eine genaue Kenntniß auch, daß die Diadochenkämpfe ausbleiben.
desselben in der ganzen geistigen Atmosphäre Diese Literatur ist überaus umfangreich; es wä-
liegen sollte, von dem L i b e r t i n i s m u s und ren weit mehr als hundert – und keineswegs
c r a s s e n E g o i s m u s des Hegel’schen Pantheis- belanglose – Monographien zu nennen (Rosen-
mus spricht und sich anderweitigen nichtsnutzi- kranz 1878).
gen Anklagen auf Gewissenlosigkeit und Unsitt- Auf einigen Gebieten sind mehrere Schüler
lichkeit des Systems zugesellt, so kann man sich gleichzeitig tätig; die Logik, als die grundlegende
nur freuen, eine neue seelenvolle, gemüthstiefe Disziplin, wird von sehr vielen Schülern bear-
Widerlegung dieses l ü g e n h a f t e n Geschwätzes beitet – etwa von Hermann Friedrich Wilhelm
zu haben.« (W XVIII.XX) Hinrichs, Ludwig Feuerbach, Leopold v. Hen-
ning, Johann Eduard Erdmann, Karl Werder und
Karl Rosenkranz. Die Philosophie des subjekti-
1.3. Der weitere Ausbau des Systems ven Geistes wird wiederum von Erdmann, Ro-
senkranz und Julius Schaller ausgearbeitet (Ex-
(1) Trotz dieses Vertrauens auf die Überzeugungs- ner 1842/44), die Rechtsphilosophie insbeson-
kraft des in der Freundesvereinsausgabe autorita- dere von Eduard Gans, zunächst ebenfalls von
tiv ausgesprochenen Hegelschen Wortes lassen Carl Friedrich Göschel, später auch von Erdmann
seine Schüler es damit nicht bewenden. Neben und Hinrichs, und die Ästhetik zunächst von
2. Der Streit um die Religion 505

Christian Hermann Weiße – der sich zu Hegels und Emanzipation in der Aufklärung, bei Hegel und in
Lebzeiten noch als Schüler im weiteren Sinne der Hegelschen Schule. Göttingen 1971; Udo Köster:
Literarischer Radikalismus. Zeitbewußtsein und Ge-
versteht –, dann insbesondere von Heinrich Gu-
schichtsphilosophie in der Entwicklung vom Jungen
stav Hotho und Rosenkranz, schließlich von Deutschland zur Hegelschen Linken. Frankfurt am
Friedrich Theodor Vischer und Theodor Mundt. Main 1972; Ingrid Pepperle: Junghegelianische Ge-
Für die Philosophiehistorie sind wiederum Feu- schichtsphilosophie und Kunsttheorie. Berlin 1978;
erbach, Carl Ludwig Michelet und Erdmann zu Herbert Schnädelbach: Philosophie in Deutschland
nennen. Sie ist das Gebiet, auf dem der Einfluß 1831–1933. Frankfurt am Main 1983, 25–35; András
Gedö: Philosophie zwischen den Zeiten. Auseinander-
Hegels weit über den Vormärz hinaus kontinuier-
setzungen um den Philosophiebegriff im Vormärz. PLS
lich fortwirkt; noch Eduard Zeller, der Historiker 4.1–39.
der griechischen Philosophie, steht in dieser Tra-
dition. Allein die Naturphilosophie findet keine
Fortsetzung. Doch trotz dieser Weiterführung des 2. Der Streit um die Religion
Systems tendenziell in seinem ursprünglichen
Umfang und trotz der Diskussionen, die alle hier 2.1. Christliche Philosophie
genannten Gebiete ergreifen, finden die für die vs. Vernunftphilosophie
Wirkungsgeschichte Hegels entscheidenden Aus-
einandersetzungen ein Jahrzehnt lang fast aus- (1) Hegels Religionsphilosophie zählt bereits zu
schließlich auf einem einzigen Gebiet statt: in der seinen Lebzeiten zu den besonders kontroversen
Religionsphilosophie. Und nicht anders als der Partien des Systems. Schon seit Mitte der 1820er
Streit um die Logik oder um die Rechtsphiloso- Jahre häufen sich die Angriffe gegen seine Philo-
phie wird auch dieser Streit primär nicht inner- sophie – nicht so sehr in der Form einer philo-
halb der Schule geführt, zwischen »rechts« und sophischen Auseinandersetzung als einer – häu-
»links«, sondern als Streit der Schule mit konkur- fig anonymen – religiösen und sittlichen Verdäch-
rierenden Gruppierungen. tigung: Hegels Berliner Kollege, der Theologe
Quellen: C. H. Weiße: Ueber das Verhältniß des Pu- Friedrich August Gotttreu Tholuck, scheint ihn
blicums zur Philosophie in dem Zeitpuncte von Hegels als erster anonym des Pantheismus bezichtigt zu
Abscheiden. Nebst einer kurzen Darlegung meiner An- haben (11823, 234; 21825, 231). Derartige – aller-
sicht des Systems der Philosophie. Leipzig 1832; Carl dings erfolglose – Angriffe gibt es auch innerhalb
Friedrich Bachmann: Ueber Hegel’s System und die
der Berliner Universität durch v. Keyserlingk
Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestaltung der
Philosophie. Leipzig 1833. – Literatur: Franz Exner: (Lenz 1910, Bd. 2/1.294). Gottlob Benjamin Jä-
Die Psychologie der Hegelschen Schule. 2 Bde. Leipzig sche, der Historiker des Pantheismus, subsumiert
1842–1844; Karl Rosenkranz: Alphabetische Bibliogra- Hegel wie selbstverständlich unter die Bezeich-
phie der Hegelschen Schule. 11861. In: Neue Studien. nung »Pantheismus« (XXII, XXVII,XLIV), und
Bd. 4. Zur Literaturgeschichte. Zur Geschichte der danach wird sie von den denunziatorischen
neueren deutschen Philosophie, besonders der Hege-
Schriften übernommen, gegen die Hegel sich
l’schen. Leipzig 1878, 440–462; Willy Moog: Hegel und
die Hegelsche Schule. München 1930; Karl Löwith: Von nicht allein in seinen Vorlesungen, sondern auch
Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Den- in der Vorrede und in § 573 der Enzyklopädie
ken des 19. Jahrhunderts. Marx und Kierkegaard. 2 1827 und schließlich in seinen Repliken in den
11941, Stuttgart 5 1964 u. ö.; Karl Löwith (Hg.): Die
Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik zur
Hegelsche Linke. Texte aus den Werken […]. Stuttgart- Wehr setzt (s. 303). Auch für Schelling ist Hegels
Bad Cannstatt 1962; Hermann Lübbe (Hg.): Die Hegel-
Philosophie Pantheismus – und zudem »nicht der
sche Rechte. Texte aus den Werken […]. Stuttgart-Bad
Cannstatt 1962; Hermann Lübbe: Politische Philoso- reine, stille Pantheismus des Spinoza«, sondern
phie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte. ein künstlicher, »bei welchem die göttliche Frei-
11963, ND München 1974; Horst Stuke: Philosophie der heit nur um so schmachvoller verloren geht, als
Tat. Studien zur »Verwirklichung der Philosophie« bei man sie retten und aufrecht erhalten zu wollen
den Junghegelianern und den Wahren Sozialisten. sich den Schein gegeben hatte« (SW I/10.159 f.)
Stuttgart 1963; Wilhelm Raimund Beyer: Wie die He-
(2) Derartige Angriffe sind damals nichts we-
gelsche Freundesvereinsausgabe entstand. (Aus neu
aufgefundenen Briefen der Witwe Hegels.) In: Deut- niger als harmlos, wie der Pantheismus-, der
sche Zeitschrift für Philosophie (1967), 563–569; Peter Atheismus- und der Theismusstreit bezeugen (s.
Cornehl: Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie 33, 109 bzw. 255). In der Restaurationszeit ist der
506 III. Schule

Nährboden für solche Anklagen jedoch noch Ersetzung durch eine »christliche Philosophie«.
fruchtbarer geworden, denn die Erneuerung reli- »Christlich« nennt er sie, weil sie sich auf »Offen-
giöser Lebenshaltungen durch den Neupietismus barung« gründet, und nicht etwa auf die Offenba-
und die sich neu formierende Orthodoxie ver- rung durch die Natur oder auf die »innere Offen-
binden sich mit der politischen Restauration. Der barung«, von der Jacobi zuvor gesprochen hat,
damalige Umschwung hat sowohl politische wie sondern auf die »positive Offenbarung« der
soziale Wurzeln; politisch handelt es sich darum, christlichen Religion. Diese gebe den anderen
ineins mit den staatlichen Strukturen auch das Offenbarungen erst den inneren Halt.
Denken der vorrevolutionären Welt zu erneuern; Schlegel sucht nun in einer ›dialektischen‹
soziologisch ist er zu beschreiben als eine frühe Konstruktion der neueren Philosophiegeschichte
Gegenbewegung zu der zwar erst geringfügigen, nachzuweisen, daß diese »christliche Philoso-
aber doch merklich fortschreitenden Modernisie- phie« die einzig verbliebene Option sei. Denn die
rung und zu der sich damit bereits abzeichnenden Vernunftphilosophie oder Subjektivitätsphiloso-
gesellschaftlichen Segmentierung der Religion – phie habe in Fichte »jenen Gipfel erreicht, […]
zu ihrer Zurückdrängung auf ein Teilgebiet des der auf diesem Wege nun nicht weiter über-
gesellschaftlichen Lebens und sogar ins Private. schritten werden konnte, von welchem aus daher
Daraus aber erwächst dem Bündnis von theo- auch ein neuer Umschwung des Geistes in ent-
logischer Orthodoxie und politischer Restaura- gegengesetzter Richtung, eine Rückkehr aus dem
tion ein beachtlicher politischer Einfluß: Noch selbstgemachten Abgrunde des unbedingten
1830 werden im Berlin nahegelegenen Halle die Denkens, zur Erkenntnis der Offenbarung oder
beiden rationalistischen Theologen Gesenius des göttlichen Positiven ganz natürlich eintrat.«
und Wegscheider als theologisch unorthodox Die für den Vormärz charakteristische Kritik am
(und folglich als politisch unzuverlässig) denun- Vernunftbegriff der Klassischen Deutschen Philo-
ziert (s. 54). sophie erwächst nicht aus dem Gegensatz zwi-
Aber auch jenseits solcher gezielten Denunzia- schen dieser Vernunft und den aufstrebenden
tionen wandelt sich unter den Bedingungen der Erfahrungswissenschaften, sondern aus der In-
Restaurationszeit das Verhältnis von Philosophie kompetenz dieser Vernunft, die religiös er-
und Religion: Die Grenzlinie, die zuvor zwischen wünschten Resultate zu garantieren. Triumphie-
der Philosophie als einer »Vernunftphilosophie« rend verkündet Schlegel deshalb das Ende der
und der christlichen als einer positiven Religion Subjektivitätsphilosophie: »Das Zentrum der fal-
verläuft, wird nun in die Philosophie hinein ver- schen Ichheit hat aufgehört und ist nicht mehr.«
legt. Die Philosophie soll nun der christlichen Und er behauptet, es sei eine ganz »unnütze
Religion nicht gegenüberstehen, sondern einzig Mühe«, den Weg der Vernunftphilosophie fort-
auf ihrem Fundament neu erbaut werden – als zusetzen. Auf ihm könne statt der immerhin noch
»christliche Philosophie«. Dieser Ausdruck »edlen Inkonsequenz« Johann Gottlieb Fichtes
knüpft an die traditionelle Rede von der »philo- allenfalls »die viel gemeinere Beschränkung ei-
sophia christiana« oder »nostra philosophia« an, nes absoluten Stumpfsinns für alles Göttliche bei
mit der seit Augustin die christliche Religion der einem unendlichen Fluß und Zufluß des leeren
antiken Philosophie als die geistige Haltung der abstrakten Denkens eintreten, wie solches etwa
neuen Epoche entgegengestellt wird. In ähnli- in dem H e g e l s c h e n System und Schriften ge-
cher Weise soll nun die neue »christliche Philo- funden wird.« (Jaeschke 1989, 491–495)
sophie« der neuen ›heidnischen‹, nämlich der Damit sind die Fronten scharf umrissen: Schle-
Aufklärungsphilosophie konfrontiert werden. gels Kampf richtet sich gegen die Vernunftphilo-
Die Alternative ›Vernunftphilosophie oder christ- sophie, die ihren Inhalt aus dem »Ich«, aus dem
liche Philosophie‹ nennt ja nicht etwa zwei denkenden Subjekt entfaltet, die die Vernunft
gleichberechtigte und sich vielleicht gar ergän- und nicht die Offenbarung zu ihrer Grundlage
zende Optionen: Der nun im Dienste Metter- und zum Kriterium ihrer Aussagen macht. Seine
nichs stehende Friedrich Schlegel proklamiert in Polemik speist sich sowohl aus religiösen als auch
mehreren Schriften den völligen Zusammen- aus politischen Quellen. In seiner Abhandlung
bruch der aufklärerischen Tradition der »Ver- über die Signatur des Zeitalters (1820–1823) er-
nunftphilosophie« und die Notwendigkeit ihrer neuert Schlegel die seit Edmund Burkes Reflec-
2. Der Streit um die Religion 507

tions on the Revolution in France (1790) geläufige Schelling die Stufe erreicht, auf der sie aner-
Gleichsetzung von Vernunftphilosophie und Re- kennt, daß a priori nichts gewußt werden kann,
volution – wobei Schlegel unter »Vernunftphilo- daß alles Schöpfung, Geschichte, freye That Got-
sophie« jedoch nicht mehr die französische »En- tes, freye Mitwirkung der Geschöpfe ist.« (1833,
cyclopédie« versteht, sondern die deutsche Philo- Bd. 2/1.17),
sophie von Kant bis Hegel, und unter ›Revolu- (5) Mit dieser von Schelling ausgehenden
tion‹ nicht die des Jahres 1789, sondern die für Denkrichtung konvergiert eine weitere, die zwar
die Zukunft befürchtete. die religiöse, aber nicht die politische Orientie-
(3) Diese Kontrastierung von »Vernunftphilo- rung mit ihr teilt. Noch vor dem Beginn von
sophie« und »christlicher Philosophie« scheint Schellings Vorlesungen schreibt Immanuel Her-
Schlegel als erster vorgenommen zu haben; zu- mann Fichte, es sei von jeher das höchste Ziel der
mindest hat er sie erstmals wirkungsmächtig ver- Spekulation, im Unbedingten den persönlichen
treten. In seinem Kampf für die »christliche Phi- Gott zu erkennen (1826, XXXVIII). Unmittelbar
losophie« hat er bald zahlreiche Mitstreiter ge- nach Hegels Tod sucht er in seiner programmati-
funden – neben anderen auch Schelling. Trotz schen Schrift Ueber Gegensatz, Wendepunkt und
seiner früher heftigen Gegnerschaft gegen Schle- Ziel heutiger Philosophie (1832) in diesem Sinne
gel empfiehlt er beim Neubeginn seiner Lehrtä- Hegels Tod als »Wendepunkt« der Gegenwarts-
tigkeit an der Universität München (1827) seine philosophie zu begreifen. Darin trifft er sich mit
neue Philosophie ausdrücklich als »christliche Christian Hermann Weiße, der in seiner gleich-
Philosophie«: »Der eigentlich entscheidende zeitigen Schrift Ueber das Verhältniß des Publi-
Name für meine Philosophie, ist c h r i s t l i c h e cums zur Philosophie in dem Zeitpuncte von He-
P h i l o s o p h i e und dies Entscheidende habe ich gel’s Abscheiden ebenfalls seine Hoffnung auf
mit Ernst ergriffen.« »Das Christenthum i s t aber eine Umgestaltung und Ausrichtung der Philo-
für die Philosophie nicht sowol Autorität als Ge- sophie auf den persönlichen Gott aus der Opposi-
genstand der aber allerdings zur A u t o r i t ä t tion gegen den Hegelschen »Begriffspantheis-
wird, denn das Christenthum zwingt mich zur mus« schöpft (1832, 34–41). Um Fichte und
rechten Erkenntniß und lehrt mich einsehen daß Weiße und die von ihnen herausgegebene Zeit-
man es mit der bisherigen Philosophie nicht zum schrift für Philosophie und spekulative Theologie
Ganzen bringt.« (1827/28, 9,13) Dieser Gegen- bildet sich in den folgenden Jahren der locker
satz beherrscht auch seine Kontrastierung von geknüpfte, dann durch den Streit zwischen ihnen
»geschichtlicher« und »logischer Philosophie« zerfallene Kreis, der unter dem Namen »spe-
bzw. »negativer« und »positiver Philosophie«. kulativer Theismus« oder »Spätidealismus« über
(4) In diesem geistigen Umfeld deutet sich mehr als ein Jahrzehnt hinweg großen Einfluß
bereits eine Verbindung zwischen der religions- gewinnt.
philosophischen und der politischen Problematik (6) Solchen, im Umkreis der Restauration er-
an, die in den folgenden Jahren aber erst schritt- hobenen, aber auch über ihn hinausstrahlenden
weise zur geschichtlichen Wirkung kommt: Forderungen nach einer Verchristlichung des ge-
Friedrich Julius Stahl, die spätere Schlüsselfigur samten gesellschaftlichen Lebens, einschließlich
der Konservativen in Preußen, damals aber noch der Kunst und der Wissenschaften, stellt Hegel
in München, greift in seiner einflußreichen, sich bereits im Verlauf der 1820er Jahre mit
mehrfach aufgelegten Philosophie des Rechts un- gleichbleibender Klarheit und zunehmendem
ter Berufung auf Schelling die Parole »christliche Nachdruck entgegen – am schärfsten in seinem
Philosophie« auf. Die Philosophie sei auf das letzten Kolleg von 1831, also nach der Juli-Revo-
Christentum angewiesen, insbesondere die Pro- lution in Frankreich: Das sittliche und rechtliche
bleme der Rechtsphilosophie seien ohne die Staatsleben ist selbst die Göttlichkeit in diesem
christliche Lehre von der Persönlichkeit Gottes Feld, und deshalb absorbiert es die ganze frühere
unlösbar. Eine Philosophie wie die Hegelsche Expansion des Göttlichen (V 5.289). Aus diesem
allerdings, die nach der Notwendigkeit des Chri- Grunde ist der von Hegel konzipierte Staat nicht
stentums frage, zerstöre das Wesen der Religion ein »christlicher Staat« im Sinne der Restauration
(1830, Bd. 1.353–362). Doch dies sei nun über- (Jaeschke 1978), ebensowenig wie seine Philo-
wunden: »Die Philosophie selbst hat jetzt durch sophie eine »christliche Philosophie«. Beide,
508 III. Schule

Staat und Philosophie, haben zwar eine auch anderer) wird nur selten am Maßstab eines theo-
durch das Christentum geprägte Herkunftsge- logisch reflektierten Begriffs der christlichen
schichte; sie sind aus dem »Prinzip der Freiheit« Religion ausgefochten. Weit häufiger ist es ein
erbaut, das Hegel zugleich als »Prinzip des Chri- vorwissenschaftliches, naives Verständnis des
stentums« denkt. Doch schon wegen ihrer Bin- Christlichen, das gegen Hegels Versuch des Be-
dung an die Vorstellung kann der christlichen greifens der Religion ausgespielt wird. Da das
Religion keine Grundlegungsfunktion für die Theorem der Inhaltsidentität von Religion und
Philosophie zukommen, und ebensowenig die Philosophie die Berechtigung zu einer Überprü-
Stellung als Kriterium zur Beurteilung ihrer Re- fung ihrer Christlichkeit so nachdrücklich ein-
sultate. Ein Philosophiebegriff, der der christli- zuräumen scheint, glauben sich die Kritiker der
chen Religion die Funktion der Fundierung oder Berücksichtigung der Regeln enthoben, die aus
der verbindlichen Orientierung zuschriebe, fiele diesem Theorem zwingend folgen. Zu Kritikern
in die mittelalterliche »Einheit mit der Theo- fühlen sich all jene berufen, deren religiöses
logie« zurück, in deren Auflösung das Spezifikum Interesse durch Hegels Philosophie nicht befrie-
der neuzeitlichen Philosophie besteht. Analog digt oder gar gekränkt wird. Daß sie das ihnen
gilt dies für das Verhältnis von Religion und Staat aus der Religion geläufige Gottesbild bei Hegel
(s. 493 bzw. 395–397). nicht finden, gilt ihnen als hinlänglicher Einwand
(7) Allerdings enthält auch Hegels Ansatz ein gegen dessen Philosophie – und daraus ziehen sie
Moment, das auf eine derartige Einheit abzielt: entweder den Schluß, auf die Philosophie über-
das Theorem der Inhaltsidentität von Religion haupt zu verzichten oder sich einer »christlichen
und Philosophie. Doch so nahe es dem Pro- Philosophie« zuzuwenden, die das religiöse Ver-
gramm der »christlichen Philosophie« zu stehen langen befriedigt.
scheint, so scharf ist es ihm entgegengesetzt, weil Implizit trifft solche vom Standpunkt einer nai-
sein Begründungssinn in entgegengesetzter Rich- ven Religiosität aus geführte Polemik gegen die
tung verläuft. Die »christliche Philosophie« soll Religionsphilosophie zugleich weite Teile der
ja, nach dem Bankerott der Vernunft – oder zu- wissenschaftlichen Theologie – und nicht erst
mindest dem Eingeständnis ihrer Insuffizienz –, dort, wo die Polemik an den »religiösen Sinn des
auf dem Fundament und nach Maßgabe der Reli- deutschen Volkes« und dessen »Tiefe des Ge-
gion errichtet werden. Hegels Theorem der In- müths« appelliert oder wo sie gegen Hegels
haltsidentität von Religion und Philosophie hin- Wahrheitskriterium des Christentums einwen-
gegen enthält zwar einerseits eine Legitimation det, die geoffenbarte Religion sei wahr nicht
der Religion durch die Vernunft, andererseits wegen ihrer Übereinstimmung mit der Vernunft,
jedoch die Aufhebung der Religion in die Philo- sondern weil sie eben göttliche Offenbarung sei
sophie. Dieser Ambivalenz von Rechtfertigung und »als göttliche Offenbarung […] in jeder Be-
und Aufhebung – unter Dominanz der Aufhebung ziehung göttliche Offenbarung« ([Hülsemann]
– sind sich Hegels Zeitgenossen sehr wohl be- 1831, 210,14). Bereits diese ersten Reaktionen
wußt, und deshalb bestreiten sie vehement das auf Hegels Deutung der Religion – später ver-
Theorem der Inhaltsidentität, und sie beklagen stärkt im Streit um Strauß und Bruno Bauer –
die Unangemessenheit der logischen Kategorien vollziehen einen wichtigen Schritt auf dem Wege
zum Begreifen des »lebendigen Glaubens« der Spaltung des naiv-religiösen Bewußt-
(Weiße 1829, 209–213). seins und der wissenschaftlich betriebenen
(8) Hegel hat die bereits gegen ihn gerichteten Theologie.
Beschuldigungen in seinen Repliken wie auch in (9) Die erste Phase des Streits um die Christ-
der »Vorrede« zur Enzyklopädie (1827) zurück- lichkeit der Philosophie Hegels (1828–1831)
gewiesen (s. 303 bzw. 261 f.). Diese Zurückwei- steht im Zeichen solcher methodologisch naiven
sung dürfte allerdings kaum einen der Kritiker Kritik. Zudem steht sie auf einer schmalen Text-
überzeugt, eher neue ermuntert haben. Bereits basis. Die Vorlesungen sind noch nicht ediert,
diese frühe Phase der Wirkungsgeschichte weist und Hegel selbst ist damals darum bemüht, daß
ein Charakteristikum auf, das sich bis in die Kollegnachschriften nicht in falsche Hände ge-
Gegenwart verfolgen läßt: Der Streit um die langen und er für den Inhalt solcher Hefte nicht
Christlichkeit der Philosophie Hegels (wie auch verantwortlich gemacht wird (V 3.XV). Das Reli-
2. Der Streit um die Religion 509

gionskapitel der Phänomenologie (s. 194 ff.) spielt nene Anklage Hegels – diesmal nicht bloß auf
in dieser Phase des Streits überraschend nur eine Pantheismus, sondern auf Atheismus – in ihrem
Nebenrolle, obgleich die Phänomenologie die Re- Konzept streng an diesen »Vorbegriff«. Denn hier
zeption der Religionsphilosophie innerhalb der sind die logischen und erkenntnistheoretischen
Schule maßgeblich prägt. Gerade den älteren Grundlagen der Religionsphilosophie deutlicher
Schülern wie Georg Andreas Gabler, dem allzu dargelegt als an jedem anderen Ort vor Erschei-
schwachen Nachfolger auf Hegels Lehrstuhl, und nen der Vorlesungen.
Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs wird im Quellen: Edmund Burke: Reflections on the Revolution
späteren Schulstreit mehrfach zum Vorwurf ge- in France, 1790; übersetzt von Friedrich Gentz: Be-
macht, sie seien auf dem phänomenologischen trachtungen über die Französische Revolution. Berlin
Standpunkt stehengeblieben. Dies trifft zu für die 1793; Friedrich Schlegel: Signatur des Zeitalters
(1820–1823). PLS IV/1.3–90, KFSA VII.483–596; Her-
ältesten aus der Schule hervorgegangenen Bear-
mann Friedrich Wilhelm Hinrichs: Die Religion im
beitungen der Religionsphilosophie, für Hin- inneren Verhältnisse zur Wissenschaft. Nebst Darstel-
richs’ Die Religion im inneren Verhältnisse zur lung und Beurtheilung der von Jacobi, Kant, Fichte und
Wissenschaft (s. 279) und Isaak Rusts Philosophie Schelling gemachten Versuche, dieselbe wissenschaft-
und Christenthum (1825), weniger für Göschels lich zu erfassen, und nach ihrem Hauptinhalte zu ent-
Aphorismen (s. 300), jedoch in hohem Maße wickeln. Heidelberg 1822; [Friedrich August Gotttreu
Tholuck:] Die Lehre von der Sünde und vom Versöhner,
wieder für Kasimir Conradis Selbstbewußtseyn
oder: Die wahre Weihe des Zweiflers. Hamburg 11823,
und Offenbarung (1831). 234; 2 1825, 231; Isaak Rust: Philosophie und Christen-
Doch gilt Gleiches von der späteren Linken. thum oder Wissen und Glauben. Mannheim 11825,
Noch die Wahl der dicta probantia in Strauß’ 2 1833; Immanuel Hermann Fichte: Sätze zur Vorschule

Streitschriften (s. 518 f.) läßt die Bedeutung er- der Theologie. Stuttgart / Tübingen 1826; Friedrich
kennen, die der Phänomenologie für sein Ver- Wilhelm Joseph Schelling: System der Weltalter. Mün-
chener Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von
ständnis der Religionsphilosophie zukommt.
Ernst von Lasaulx. Hg. und eingeleitet von Siegbert
Und wie stark Feuerbach von der Phänomeno- Peetz. Frankfurt am Main 1990; Gottlob Benjamin Jä-
logie geprägt ist, obgleich er auch das Religions- sche: Der Pantheismus nach seinen verschiedenen
philosophie-Kolleg 1824 gehört hat, erhellt noch Hauptformen. Bd 2. Berlin 1828; [Carl Friedrich Gö-
aus seinem Wesen des Christentums (s. 530). Es schel:] Aphorismen über Nichtwissen und absolutes
mag unentschieden bleiben, ob das Religions- Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenser-
kenntniß. Ein Beitrag zum Verständnisse der Philo-
kapitel der Phänomenologie aus dem beginnen-
sophie unserer Zeit. Berlin 1829; Anonymus [Hülse-
den Streit um die Christlichkeit eher deshalb mann]: Ueber die Hegelsche Lehre oder: absolutes
ausgespart wird, weil es auf erhebliche Verständ- Wissen und moderner Pantheismus. Leipzig 1829;
nisschwierigkeiten stößt oder weil die Kritiker Stahl: Philosophie des Rechts. Bd. 1–2/1: 11830–1833;
um Aktualität bemüht sind. Zunächst jedenfalls Bd. 1: 3 1854; Anonymus [Hülsemann]: Ueber die Wis-
geht der Streit um den spekulativ-theologischen senschaft der Idee. 1. Abt. Die neueste Identitätsphilo-
sophie und Atheismus oder über immanente Polemik.
Charakter der Logik – insbesondere der enzy-
Breslau 1831; Kasimir Conradi: Selbstbewußtseyn und
klopädischen Logik – und der Enzyklopädie Offenbarung, oder Entwickelung des religiösen Be-
überhaupt. Vor allem die letztere wird – nicht zu wußtseyns. Mainz 1831; Fichte: Ueber Gegensatz, Wen-
Unrecht – für die Diskussion wichtig wegen des depunkt und Ziel heutiger Philosophie. Erster kriti-
Abschnitts über die drei »Stellungen des Ge- scher Theil. Heidelberg 1832; Weiße: Verhältniß des
dankens zur Objectivität« (s. 264). Deren dritte Publicums zur Philosophie in dem Zeitpuncte von He-
gels Abscheiden (1832); Bachmann: Hegel’s System
betrifft insofern die Grundlagen der Religions-
und die Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestal-
philosophie, als Hegel hier im Kontext der Theo- tung der Philosophie (1833); Ludwig Feuerbach: Das
rie des objektiven Denkens die traditionelle Ent- Wesen des Christenthums (1841). In: Feuerbach: Ge-
gegensetzung von Glauben und Vernunft aufhebt. sammelte Werke. Bd. 5. – Literatur: Lenz: Geschichte
Die größere Ausführlichkeit dieses Textes erlaubt der Universität Berlin. Bd. 2/1 (1910); Emerich Coreth
es besser als das Religionskapitel der Enzyklopä- / Walter M. Neidl / Georg Pfligersdorffer (Hg.): Christ-
liche Philosophie im katholischen Denken des 19. und
die, die Reichweite und die Inkompetenz von
20. Jahrhunderts. Bd. 1. Graz u. a. 1987; Jaeschke: Die
Glauben, unmittelbarem Wissen, Anschauung hohle Nuß der Subjektivität oder: Über die Verklärung
und Denken zu diskutieren. Deshalb hält sich der Philosophie ins Positive. In: Albert Mues (Hg.):
Hülsemanns zweite, ebenfalls anonym erschie- Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinan-
510 III. Schule

dersetzung zwischen 1794 und 1806. Hamburg 1989, praktischen Interesse notwendig seien – und es
483–496. hat sich ja schon um 1790 gezeigt, daß es nicht
schwierig ist, den einmal postulierten Gott nach-
träglich mit all den Prädikaten auszustaffieren,
2.2. Persönlichkeit Gottes und die man im theologischen oder religiösen Inter-
Unsterblichkeit der Seele esse für erforderlich hält.
(2) In der Sicht der Kritiker kommt deshalb
(1) Der Ruf nach einer »christlichen Philoso- selbst Kants Ethikotheologie dem Interesse der
phie«, so unerwartet er angesichts des Verlaufs Frömmigkeit an der Vergewisserung von Persön-
der neueren Philosophiegeschichte erschallt, lichkeit und Unsterblichkeit weiter entgegen als
wird keineswegs von einer nur kleinen, akademi- Hegels Religionsphilosophie. Der Verdacht, die
schen Gruppierung erhoben. Er ist überall dort zu auf dem Boden des Hegelschen Systems denk-
hören, wo der religiöse Glaube zusätzlich nach bare Form der Persönlichkeit Gottes und der
Einsicht verlangt, aber von der Auskunft ent- Unsterblichkeit der Seele habe mit der vom Chri-
täuscht ist, die die Klassische Deutsche Philo- stentum gelehrten nichts zu tun, bildet ja schon in
sophie und insbesondere die Hegelsche ihm von seinen letzten Lebensjahren die Voraussetzung
ihrem Ansatz her bieten können. Es sind vor- der gegen ihn erhobenen Anklage auf Pantheis-
nehmlich zwei eng mit einander verknüpfte For- mus und Atheismus. Karl Ernst Schubarth und
derungen, die wie selbstverständlich an die Phi- K. A. Carganico werfen Hegel vor, sein System
losophie gerichtet werden und denen zumindest lasse die Unsterblichkeit der Seele wohl nicht
diese Philosophie nach dem Urteil des religiösen zufällig unerwähnt (1828, 146 f.), und Hegel re-
Bewußtseins nicht genügt: sie habe die Persön- pliziert – statt mit einem überzeugenden De-
lichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der Seele menti – mit einem Gegenangriff auf das Unsterb-
zu erweisen. lichkeitsverständnis seiner Kritiker (s. 304).
Damit ist in den 1830er Jahren keineswegs Seine Rechtfertigung ist indessen keineswegs ge-
eine neue Thematik angeschlagen; es handelt eignet, die Zweifel an der Christlichkeit des spe-
sich vielmehr um die beiden großen Themen der kulativen Unsterblichkeitsbegriffs auszuräumen.
»philosophia christiana«, die sich – erweitert Doch steht das Problem der Unsterblichkeit zu-
durch das neuzeitliche Thema »Welt« – bis in die nächst noch nicht im Zentrum der Auseinander-
rationalistische »metaphysica specialis« des 18. setzung, da die allein vorhandenen Quellen keine
Jahrhunderts durchgehalten haben: Die rationale fundierte Kritik erlauben. Auch deshalb stoßen
Psychologie hat die Unsterblichkeit der Seele, Feuerbachs anonyme Gedanken über Tod und
und die rationale Theologie das Dasein eines Unsterblichkeit (1830) nicht auf größere Auf-
persönlichen Gottes erwiesen. Es handelt sich merksamkeit. Sie versperren ihrem Verfasser
hier aber nicht allein um ehrwürdige Traditions- zwar zeitlebens den Weg zum Katheder, ohne
stücke, sondern um die beiden Kernaussagen des jedoch in der wissenschaftlichen Diskussion das
Theismus und – wie sich in den drei großen breite Echo zu finden, das ihnen wenig später
philosophisch-theologischen »Streitsachen« der sicher gewesen wäre. Es sind erst Friedrich Rich-
Epoche gezeigt hat – um die beiden Kriterien, mit ters Schriften zur Eschatologie und zur Unsterb-
denen sich der Theismus vom Atheismus be- lichkeit, die – zeitlich mit der Publikation der
stimmt unterscheiden läßt. religionsphilosophischen Vorlesungen Hegels
Auch Kant hat sich deshalb – wenn auch wenig fast zusammenfallend – den Beginn der Debatte
überzeugend – genötigt gesehen, in der Kritik der über die Persönlichkeit Gottes und die Unsterb-
praktischen Vernunft die Gegenstände der durch lichkeit der Seele markieren.
ihn zerstörten »rationalen Psychologie« und »na- (3) Mit dem Versuch, diese Themen wieder der
türlichen Theologie« wenigstens in Gestalt von Philosophie zu vindizieren, steht im Vormärz die
Postulaten wiederzugewinnen. Er erklärt die Per- Frage zur Entscheidung, ob die epochale Verän-
sönlichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der derung des Philosophiebegriffs, die aus der Kritik
Seele zwar nicht zu Gegenständen der Erkennt- der Spätaufklärung an der rationalistischen Me-
nis, aber doch zu Postulaten der praktischen Ver- taphysik resultiert, das »Ende der Metaphysik«
nunft, also zu theoretischen Annahmen, die im im Sinne der vormaligen metaphysica specialis,
2. Der Streit um die Religion 511

Bestand haben oder zur Episode werden würde – sterblichkeitsglaubens liegen. Vom Zeitbegriff
ob der Rationalitätsbegriff, der in der frühen her muß der Gedanke einer unendlichen Fort-
Neuzeit noch mit traditionellen theologischen dauer als Ersetzung der Ewigkeit durch den
Themen vereinbar scheint und dann als hierfür schlecht-unendlichen Progreß einer endlosen
ungeeignet und unzuständig erkannt wird, um Zeit verworfen werden. Andererseits schließt das
dieses philosophisch-theologischen Ungenügens Theorem einer ewigen Individualisierung des
willen nun seinerseits verabschiedet werden allgemeinen Geistes die schlecht-unendliche
soll. Kontinuität eines einzelnen Diesen keineswegs
Die 1830er Jahre sind deshalb erfüllt mit philo- ein. Göschels Rezension setzt deshalb nicht den
sophisch-theologischen Auseinandersetzungen erhofften Schlußpunkt hinter die Diskussion;
um diese beiden Themen: um die Persönlichkeit vielmehr gibt sie den Anstoß zu einem intensiven
Gottes und die Unsterblichkeit der individuellen Disput, der die Legitimität philosophischer und
Seele, und um die innere Verbindung beider. Carl theologischer Rede von Unsterblichkeit prinzipi-
Ludwig Michelet, wohl derjenige unter Hegels ell auslotet. – Eigentümlich ist es jedoch, daß die
Schülern, der ihm in seinen Schriften insgesamt Anhänger der christlichen Lehre von der indivi-
am treuesten folgt und auch bis zu seinem Tod duellen Unsterblichkeit entgegen ihrer Präten-
kurz vor der Jahrhundertwende (1893) diese tion eher für die immortalitas animae plädieren
Treue bewahrt, urteilt deshalb im Rückblick nicht als für den biblischen Glauben an die Auferste-
zu Unrecht, »daß die Geschichte der Philosophie hung des Fleisches.
in den letzten zehn Jahren [sc. also seit Hegels Da Schelling in den 1830er Jahren in diese
Tod] eigentlich nur die Geschichte der im Schooß Diskussionen nicht durch Veröffentlichungen
der Philosophie über diese Gegenstände erho- eingreift, bilden die Vertreter des sogenannten
benen Streitigkeiten ist«. Beide Probleme seien »Spätidealismus« oder der »positiven Philoso-
nicht nur verwandt, sondern sogar »absolut iden- phie« oder besser des »spekulativen Theismus«
tisch« – das eine nur »Widerspiel« des anderen die wichtigste Gruppierung der Kritiker: Fichte
(1841, 7ff.). (1834) und Weiße (1834) wenden gegen Göschel
(4) Bis zum Beginn der 1830er Jahre sind He- ein, der Gedanke einer individuellen Unsterb-
gels Kritiker insofern in einer ungünstigen Posi- lichkeit könne in Hegels Philosophie entweder
tion, als er sich über diese Themen in seinen gar keinen oder nur einen nicht-religiösen Sinn
Publikationen – etwa in der Enzyklopädie – nur haben. Ihnen geht es nicht um die persönliche
sehr komprimiert und nicht mit der erwünschten Frömmigkeit Hegels und auch nicht um die in-
Faßlichkeit ausgesprochen hat. Mit der Edition dividuelle Frage, ob sich in seinem Werk mit dem
der religionsphilosophischen Vorlesungen durch Christentum vereinbare Äußerungen über »Per-
Konrad Philipp Marheineke (1832) scheint sich sönlichkeit und Unsterblichkeit« auffinden las-
diese zunächst ungünstige Lage zu wandeln, sen, sondern um die prinzipielle, ob eine Ver-
denn sie bieten hinreichend ausführliches Mate- nunftphilosophie wie die Hegelsche bei diesem
rial zur Analyse. Doch zeigt sich rasch, daß diese Thema überhaupt auf legitime Weise und nicht
Vorlesungen gegensätzlicher Auslegungen fähig nur durch theoretische Erschleichung zu affirma-
scheinen – und gerade der innere Zusammen- tiven Aussagen kommen könne. Insofern ist ihre
hang zwischen Hegels Tod und der Veröffentli- Argumentation derjenigen Göschels methodisch
chung seiner Vorlesungen schließt zum Zeitpunkt überlegen, da sie nicht von einzelnen Textstellen
ihres Erscheinens eine autoritative Auslegung ausgehen, die sich vielleicht im Sinne einer in-
aus. dividuellen Unsterblichkeit deuten lassen, son-
Für die Schule unternimmt es Göschel, die dern vom methodischen Ansatz der Philosophie
individuelle Unsterblichkeit als Konsequenz des Hegels: Als Vernunftphilosophie könne sie die
Hegelschen Systems zu erweisen – zunächst in Unsterblichkeitslehre gar nicht entfalten – denn
Form einer Rezension Richters (1834). Göschels die Vernunft wisse nichts von solcher Unsterb-
vermeintliche Apologie Hegels verdeutlicht je- lichkeit. In den Augen dieser Kritiker bildet es
doch ungewollt, wo in der spekulativen Reli- geradezu ein Indiz für die gedankliche Geschlos-
gionsphilosophie die entscheidenden Wider- senheit und intellektuelle Redlichkeit der Philo-
stände gegen die Übernahme des religiösen Un- sophie Hegels, daß sie nicht beansprucht, wozu
512 III. Schule

sie von ihrer Gesamtkonzeption her gar nicht in diese Passagen auf dem Boden des Systems zu
der Lage sein kann. Doch bildet eben diese erläutern. Deren Tenor ist zudem einhellig: Im
durchaus zutreffende Einschätzung für die Kri- Gedanken der Unsterblichkeit stelle das religiöse
tiker auch den hinlänglichen Grund, über solche Bewußtsein die ihm nicht als ewige Gegenwart
Vernunftphilosophie insgesamt hinauszuschrei- faßbare Unendlichkeit des Geistes vor. Im Unter-
ten – nämlich zu einer »christlichen Philosophie«, schied zu diesem – von Hegel her gesehen – eher
die auf Grund ihres Ausgangs von der Offenba- entlegenen Thema rührt die Auseinandersetzung
rung in der Lage scheint, die dem religiösen um den Gottesbegriff an die Grundlagen der
Bewußtsein unverzichtbar erscheinenden Resul- Religionsphilosophie. Die zuvor nur unscharf er-
tate zu erbringen. Mit seinem Ignorieren der kennbare Durchdringung logischer und spezi-
individuellen Unsterblichkeit sei Hegel zwar sei- fisch religionsphilosophischer Momente in He-
nem Ansatz konsequent gefolgt – doch eben des- gels Gottesbegriff – das Verhältnis von absoluter
halb sei dieser Ansatz zu Gunsten eines theisti- Idee und absolutem Geist – kann nun, nach Ver-
schen zu verlassen. öffentlichung der Vorlesungen, eindeutig be-
Es kommt somit zu einer eigenartigen Kon- stimmt werden. Sie belegen, daß Hegels Gottes-
stellation: Die Kritiker Hegels rechtfertigen ihn gedanke nicht mit der absoluten Idee der Logik
seiner Konsequenz wegen, aber nur, um seine gleichzusetzen ist. Doch scheint auch der »ab-
bloß »logische« Philosophie dadurch als prinzipi- solute Geist« weiterhin an die Logik gebunden:
ell ungenügend zu erweisen. Hingegen kritisie- als dialektischer Prozeß, aber nicht als lebendige
ren sie Göschel, weil er irrtümlich meint, die Persönlichkeit, zu der man beten kann, und zu-
Unsterblichkeitslehre bei Hegel finden zu kön- dem als ein unfertiger Gott, der erst zu sich
nen, doch rechtfertigen sie ihn, weil er an dieser kommen muß und dazu nicht bloß der Welt be-
Lehre festhält. In seiner Antwort – einer »Oster- darf, wie Hegels – eigentlich Hothos – bereits
gabe« (1835) – hat Göschel dieses Niveau der damals vielzitiertes Aperçu besagt (V 3.213), son-
Argumentation nicht erreichen können und seine dern insbesondere des menschlichen Selbstbe-
frühere Position unterstrichen; daraufhin hat wußtseins, ohne das er bestenfalls eine geist- und
Beckers (1836) die Kritik Fichtes und Weißes selbstlose Totalität von Momenten bleibt, die es
erneuert. nicht einmal zum Bewußtsein bringt (Fichte
In diesem Streit zwischen einigen Hegel-Schü- 1834, 33ff.; Weiße 1833, 222ff.; Jakob Sengler
lern und spekulativen Theisten haben die letz- 1837, 315ff.; Fischer 1839, 38 f.). Einer blinden,
teren fraglos die besseren Argumente hinsicht- aber für die vorherrschende Kritik repräsenta-
lich der notwendigen Begrenztheit des Erkennt- tiven Polemik schließlich erscheint der Gott der
nisbereichs einer Vernunftphilosophie. Göschel Religionsphilosophie als ein »papierener Schul-
wie auch Gabler begreifen nicht, daß es gegen götze« (Bachmann 1833, 282), »eine gläserne Ma-
solche Einwände nicht ausreicht, aus Hegels Vor- rionette aus der Hegelschen Fabrik auf dem Kup-
lesungen dicta probantia zu präsentieren, die in fergraben in Berlin« (Bachmann 1835, 161 f.)
ihrem Sinne sprechen oder doch zu sprechen oder als »ein Vernunftgötze, den sich der Philo-
scheinen. Den Vertretern der Vernunftphiloso- soph aus seinen eigenen Eingeweiden erzeugt«
phie hingegen erscheint der Versuch der spe- (Eschenmayer 1834, 57). In scharfem Kontrast
kulativen Theisten, diese unvermeidliche Be- hierzu behaupten die Hegelianer – Göschel, Ju-
grenztheit der Vernunftphilosophie auf das eben lius Schaller (1837, VI), Gabler (1836), Rosen-
solcher Vernunft Zugängliche durch den Rück- kranz (1834, 123ff.) und Erdmann (1845, 62–117)
gang auf die Offenbarung zu komplementieren die Vereinbarkeit des Hegelschen Gottesbegriffs
und doch innerhalb der Philosophie zu verblei- mit dem der christlichen Religion. Erst in den
ben, als ein Salto mortale aus der Philosophie in späteren Phasen der Diskussion mehren sich die
die Nichtphilosophie. Stimmen derer, die Hegels Gottesbegriff im Kon-
(5) Das Problem der Unsterblichkeit hat Hegel trast zur kirchlichen Lehre sehen und ihn gleich-
in seiner Religionsphilosophie nur am Rande wohl nicht schon deshalb verwerfen (Baur 1835,
erwähnt. Den Schülern, die – wie Conradi (1837) 707ff.; Michelet 1838, 643ff.; 1843, 388), Conradi
und Michelet (1841; 1844–1852) – seine Position 1839, XIIIf.)
weiterführen, bleibt deshalb wenig mehr, als (6) Diese Debatten um die Persönlichkeit Got-
2. Der Streit um die Religion 513

tes und die Unsterblichkeit der Seele verlaufen meinhin fremd geworden. Die Insistenz der
nur scheinbar ergebnislos. Sie führen zwar nicht Schule auf Hegels Trinitätsgedanken provoziert
zu einer allseitig akzeptierten Entscheidung über damals zwar die Replik, die Hegelsche habe mit
die »Christlichkeit« der Philosophie Hegels, wohl der christlichen Trinitätslehre nicht mehr als den
aber zu einer Klärung der Bedingungen, unter bloßen Namen gemein (Bachmann 1833, 309;
denen die einer Vernunftphilosophie mögliche 1835, 109 f.; Fichte 1841, 985ff.) Doch bleibt der
Rede von Gott steht. Als allzu leichtgewichtig systematische Zusammenhang der Lehren von
erweist es sich, wenn man Hegels Kategorien als der Trinität und der Persönlichkeit Gottes da-
zur Gotteserkenntnis ungeeignet ablehnt, da sie durch unbestritten. Er ist auch nicht überzeugen-
»zum Kreise unserer Kategorien und Reflexions- der hergestellt als in Hegels Religionsphiloso-
Bestimmungen« gehörten, und statt dessen für phie. Denn selbst wo man noch an einer imma-
Gott andere Attribute fordert als die, »welche aus nent-trinitarischen Objektivität Gottes festhält,
unsern Kategorien abstammen«, nämlich: uner- braucht diese nicht notwendig als persönliche
schaffen, ewig, unendlich, uranfänglich – oder oder gar dreipersönliche gedacht zu sein. Bei
wenn man Hegels »Quark von Begriffen« die aller Kritik an Hegel muß etwa Fichte seine Kon-
»frommen Erregungen« als das eigentlich Wich- zeption von der kirchlichen ebenso abgrenzen
tige entgegenstellte (Eschenmayer 1834, 3 f.,30). wie von derjenigen Hegels. Er verwirft die Re-
Solche Naivität trifft zu Recht der Spott der trojektion der Bezeichnungen Vater, Sohn und
Schule. Auch die Fragwürdigkeit einer Entgegen- Geist aus der ökonomischen Trinität in die imma-
setzung Gottes gegen die Welt – wie sie im Ge- nente, zur Bezeichnung der Momente der »Ur-
genzug gegen Hegels angeblichen Pantheismus persönlichkeit«, des Einen Selbstbewußtseins
propagiert wird – läßt sich mittels der religions- Gottes. Statt dessen fordert er eine Neukonzep-
philosophischen Dialektik deutlich herausarbei- tion der immanenten Trinität: die spekulativ-
ten. Der Forderung, Gott sei auch vor und außer theistische Annahme der Einpersönlichkeit Got-
der Welt als selbstbewußter Geist zu fassen, be- tes in drei Momenten (Fichte 1834, 70; 1841, 986;
gegnen die Schüler mit dem Einwand, daß Weiße 1833, 14,252ff.)
›Geist‹ dann nur noch ein leeres Wort sei, bei Die systematische Aktualität der Religionsphi-
dem sich nichts Bestimmtes denken lasse. Sie losophie Hegels erweist sich in diesen Diskussio-
verwerfen die Rede von einem Selbstbewußtsein nen somit nicht dadurch, daß man mittels ihrer
eines vor- und außerweltlichen Gottes nicht bloß auf dem königlichen Wege der philosophischen
als einen unvertretbaren Anthropomorphismus, Erkenntnis schließlich doch zu den herkömmli-
sondern auch als theoretische Erschleichung. chen biblisch-kirchlichen Vorstellungen gelangte
Und wer Hegels Begriff einer Notwendigkeit der und diese nur besser als zuvor, nämlich zusätzlich
Schöpfung als Gott unangemessen kritisiert, fin- auf die Vernunft begründete. Sie liegt vielmehr
det sich durch die Schüler zu dem Nachweis darin, daß sie die untilgbare Differenz der posi-
aufgefordert, daß die Vorstellung einer ›irgend- tiven Lehre sowie der traditionellen Dogmatik
wann in der Ewigkeit‹ durch einen göttlichen zur spekulativen Wahrheit verdeutlicht – gerade
Willensakt erfolgten Schöpfung dem Gottesbe- weil ihr Anspruch darauf geht, die Idee des Chri-
griff besser anstehe – ganz zu schweigen von den stentums zu begreifen. Die Behauptung, diese
in dieser Vorstellung implizierten philosophi- Differenz sei gleichwohl bloß formal, unterschei-
schen Problemen. det die Schule als ganze von ihren Gegnern.
Und schließlich vertreten die Schüler lange Unter diesen setzt eine theologisch – zumeist
Zeit einhellig die Überzeugung, gerade Hegels allerdings trivial-theologisch – argumentierende
Religionsphilosophie sei im glücklichen Besitz Richtung aller Philosophie die unerreichbare
der für eine sinnvolle Rede von Gottes Persön- Heiligkeit der Offenbarung entgegen (Eschen-
lichkeit konstitutiven Bedingung: des trinitari- mayer 1834, 25,44ff.). Die Auseinandersetzung
schen Gottesbegriffs. Dieser ist der zeitgenössi- mit dieser Gruppierung ist philosophisch un-
schen Theologie – etwa Schleiermachers und fruchtbar; sie verläuft sich im wesentlichen in
Tholucks, im Gegensatz zu der mit Hegel weitge- Polemik (Strauß 1837; Rosenkranz 1840,
hend einigen »spekulativen Theologie« Carl 267ff.,309ff.).
Daubs und Konrad Philipp Marheinekes – ge- Philosophisch bedeutsam hingegen ist die Aus-
514 III. Schule

einandersetzung der Schule mit den »spekula- der zeitgenössischen Kritik lediglich das zwar als
tiven Theisten«, mit Fichte, Weiße, Fischer und Ganzes falsche, aber doch wohlgeordnete System
Sengler. Diese halten fest an der Idee einer »mit Hegels in Inkonsequenzen, Halbheiten und Wi-
Religion und Empirie in Wahrheit versöhnenden dersprüche (Fichte 1834, 24 f.; Schelling: SW
[…] Philosophie« (Weiße 1832, 41). Solche Ver- 13.91 f.) Vor allem läßt sich das rechtshegeliani-
söhnung habe in Hegels System wegen dessen sche Votum für die Notwendigkeit einer philo-
verfehlten Konzepts notwendig mißlingen müs- sophischen Begründung der traditionellen Per-
sen. In ihm sei »Gott lediglich als dialektischer sönlichkeits- und Unsterblichkeitsvorstellung ge-
Proceß, absolute Vernunft, Urdenken gefaßt«. Da gen den Wahrheitsanspruch der Religionsphilo-
das spekulative Denken ein »adäquates Abbild sophie Hegels kehren. Die Kritik rechnet es den
jenes göttlichen Urdenkens« sei, so sei zwar die Rechtshegelianern zum Vorzug an, in dieser fun-
apriorische Gotteserkenntnis in ihm vollendet – damentalen Frage über Hegel hinausgeschritten
aber nicht die Gotteserkenntnis überhaupt. Die zu sein – wenn auch ohne ein deutliches Bewußt-
Spekulation könne sich jedoch nicht am apriori- sein darüber zu haben (Fichte 1834, 8; Fischer
schen Faden »zur Idee einer P e r s ö n l i c h k e i t 1839, 38 f.; Staudenmaier 1844, 867 f.)
der Urvernunft« erheben (Fichte 1834, 10 f.) In Dem Blick der Zeitgenossen stellen sich die
das geschlossene System der Spekulation könn- Schulrichtungen durchaus anders dar als der
ten die Ideen der Persönlichkeit und der Unsterb- heute gängigen Retrospektive, daß die Althege-
lichkeit gar nicht eingeführt werden, ohne ihren lianer die reine Lehre bewahrt hätten. Die rechts-
religiösen Sinn zu verlieren. Nicht das Fehlen hegelianische Interpretation erscheint wegen ih-
dieser Ideen im Kontext des Hegelschen Systems res Fortschreitens zu den Ideen der Persönlich-
wird also bemängelt, sondern das im vorgege- keit und der Unsterblichkeit gerade als ›progres-
benen Systemzusammenhang völlig konsequente siv‹, während das spätere Zentrum und die
Fehlen wird zum Anlaß, prinzipiell über Hegels gemäßigte Linke auf dem Standpunkt des Hegel-
Philosophie hinauszuschreiten – ein Vorhaben, schen Systems verharrten. Hegels Gegner kom-
das einer neuen ontologischen und erkenntnis- men in der Interpretation der Religionsphiloso-
theoretischen Grundlegung bedarf (Fichte phie mit den im Zentrum und auf der Linken
1833/1836, Weiße 1835, Fischer 1834). angesiedelten Schülern bei der Interpretation der
Fichtes und Weißes Versuch zur Klärung der Hegelschen Texte zu im wesentlichen gleichen
Reichweite der Vernunftphilosophie hebt die Dis- Resultaten, während sie mit der Rechten darin
kussion zwischen der Schule und dem speku- übereinstimmen, daß auch die Philosophie zu
lativen Theismus prinzipiell über die Ebene em- den traditionell christlichen Lehren finden und
por, auf der man darüber streiten kann, ob diese sie bekräftigen müsse. Die große, oft mißkannte
oder jene Aussage der Religionsphilosophie im und heute nicht mehr wiederholbare Interpreta-
theistischen Sinne verstehbar sei. Göschels oder tionsleistung des Zentrums und der Linken liegt
Gablers apologetische Anhäufung von Zitaten darin, das Moment der formalen Nichtidentität
verfehlt deshalb das Niveau der Auseinander- von Vorstellung und Begriff festzuhalten und im
setzung. Sie hätten zunächst Fichtes Deutung der Vertrauen auf die von Hegel beschworene Kraft
Hegelschen Philosophie als eines in sich kon- des vernünftigen Denkens die Wahrheit der spe-
sequenten Zusammenhangs der Vernunfter- kulativen Religionsphilosophie positiv durch be-
kenntnis korrigieren und die Möglichkeit thei- griffliche Ausarbeitung einzelner Themenkreise
stischer Aussagen im Kontext der Philosophie und negativ durch Kritik des Vorstellungssub-
Hegels erweisen müssen. Die von Göschel und strats samt daran angelehnter Philosopheme zu
Gabler repräsentierte Form der Auslegung ver- erweisen. Wie weit dagegen die Rechtshegelia-
harrt hingegen im Zwielicht von Vernunfter- ner die Formdifferenz von religiöser Vorstellung
kenntnis und Glaubensaussage. Ungewollt wird und begreifendem Denken einebnen und dabei
sie dadurch zum wichtigsten Verbündeten der hinter Hegel zurückfallen, zeigt sich insbeson-
theistisch gesinnten Kritik. Ihr Versuch, Gott als dere in der Frage, an der sich das Schicksal der
absolute Persönlichkeit, absolute Subjektivität im Schule entscheiden sollte.
Sinne der logischen Idee und zugleich als höch- Quellen: Karl Ernst Schubarth / K. A. Carganico: Ueber
stes Individuum zu begreifen, stürzt in den Augen Philosophie überhaupt, und Hegel’s Encyclopädie der
2. Der Streit um die Religion 515

philosophischen Wissenschaften insbesondere. Ein 2. Berlin 1838; Conradi: Christus in der Gegenwart,
Beitrag zur Beurtheilung der letztern. Berlin 1829; Vergangenheit und Zukunft. Drei Abhandlungen, als
[Ludwig Feuerbach:] Gedanken über Tod und Unsterb- Beiträge zur richtigen Fassung des Begriffs der Persön-
lichkeit aus den Papieren eines Denkers […]. In: Feuer- lichkeit. Mainz 1839; Fischer: Die Idee der Gottheit.
bach: Gesammelte Werke. Bd. 1.175–515; Weiße: Ver- Ein Versuch, den Theismus speculativ zu begründen
hältniß des Publicums zur Philosophie in dem Zeit- und zu entwickeln. Stuttgart 1839; Rosenkranz: Kriti-
puncte von Hegels Abscheiden (1832); Bachmann: He- sche Erläuterungen des Hegel’schen Systems. Königs-
gel’s System und die Nothwendigkeit einer berg 1840; Fichte: Beiträge zur Charakteristik der neue-
nochmaligen Umgestaltung der Philosophie (1833); ren Philosophie, oder kritische Geschichte derselben
Immanuel Hermann Fichte: Grundzüge zum System von Des Cartes und Locke bis auf Hegel. Sulzbach
der Philosophie. Abt. 1. Das Erkennen als Selbsterken- 2 1841; Michelet: Vorlesungen über die Persönlichkeit

nen; Abt. 2. Die Ontologie. Heidelberg 1833/1836; Gottes und die Unsterblichkeit der Seele oder die ewige
Friedrich Richter: Die Lehre von den letzten Dingen. Persönlichkeit des Geistes. Berlin 1841; Michelet: Ent-
Eine wissenschaftliche Kritik, aus dem Standpuncte der wicklungsgeschichte der neuesten deutschen Philoso-
Religion unternommen. Bd. 1. Breslau 1833, Bd. 2. phie mit besonderer Rücksicht auf den gegenwärtigen
Berlin 1844; Richter: Die neue Unsterblichkeitslehre. Kampf Schellings mit der Hegelschen Schule. Berlin
Gespräch einer Abendgesellschaft, als Supplement zu 1843; Michelet: Die Epiphanie der ewigen Persönlich-
Wielands Euthanasia. Breslau 1833; Weiße: Die Idee keit des Geistes. Eine philosophische Trilogie. Bd. 1.
der Gottheit. Eine philosophische Abhandlung. Als wis- Nürnberg 1844; Bd. 2. Darmstadt 1847; Bd. 3. Berlin
senschaftliche Grundlegung zur Philosophie der Reli- 1852; Franz Anton Staudenmaier: Darstellung und Kri-
gion. Dresden 1833; Carl August Eschenmayer: Die tik des Hegelschen Systems. Aus dem Standpunkt der
Hegelsche Religions-Philosophie verglichen mit dem christlichen Philosophie. Mainz 1844; Johann Eduard
christlichen Princip. Tübingen 1834; Fichte: Die Idee Erdmann: Die Religionsphilosophie als Phänomeno-
der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer. El- logie des religiösen Bewußtseins. In: Erdmann: Ver-
berfeld 1834; Carl Philipp Fischer: Die Wissenschaft mischte Aufsätze. Leipzig 1845.
der Metaphysik im Grundrisse. Stuttgart 1834; Gö-
schel: Rezension zu Richter, in: Jahrbücher für wissen-
schaftliche Kritik (1834), Nr. 1–3,17–19; Weiße: Die 2.3. Der Primat der Idee
philosophische Geheimlehre von der Unsterblichkeit oder der Geschichte
des menschlichen Individuums. Dresden [1834]; Ro-
senkranz: Hegel. Sendschreiben an den Hofrath und
(1) Die schulinternen Differenzen in der Lehre
Professor der Philosophie Herrn Dr. C. Fr. Bachmann in
Jena. Königsberg 1834; Bachmann: Anti-Hegel. Jena von der Persönlichkeit Gottes und der Unsterb-
1835; Ferdinand Christian Baur: Die christliche Gnosis lichkeit der Seele liegen in zahlreichen Schriften
oder die christliche Religionsphilosophie in ihrer ge- und Rezensionen der Schüler offen zu Tage. Den-
schichtlichen Entwicklung. Tübingen 1835; Göschel: noch zerfällt die Schule noch nicht in diesem
Von den Beweisen für die Unsterblichkeit der mensch- Streit in Fraktionen, aber auch nicht im Streit um
lichen Seele im Lichte der spekulativen Philosophie.
Logik und Metaphysik oder um die politisch
Eine Ostergabe. Berlin 1835; Weiße: Grundzüge der
Metaphysik. Hamburg 1835; Hubert Beckers: Ueber brisante Rechtsphilosophie, sondern im Streit
C. F. Göschel’s Versuch eines Erweises der persönlichen um ein Thema, das gar nicht zum traditionellen
Unsterblichkeit vom Standpunkte der Hegel’schen Bestand philosophischer Probleme zählt: das Le-
Lehre aus. Mit einem Anhang über die Anwendung der ben Jesu. Es ist nicht einmal ein traditionell
Hegel’schen Methode auf die Wissenschaft der Meta- theologisches Thema. Erst im Zuge der Histori-
physik. Hamburg 1836; Georg Andreas Gabler: De
sierung des Denkens wird es seit dem späteren
verae philosophiae erga religionem christianam pietate.
Berlin 1836; Kasimir Conradi: Unsterblichkeit und ewi- 18. Jahrhundert mehrfach in der Theologie bear-
ges Leben. Versuch einer Entwickelung des Unsterb- beitet, und seit dem erbitterten Streit um Les-
lichkeitsbegriffs der menschlichen Seele. Mainz 1837; sings Veröffentlichung der bibelkritischen Frag-
Julius Schaller: Die Philosophie unserer Zeit. Zur Apo- mente eines Ungenannten, d. h. Hermann Samuel
logie und Erläuterung des Hegelschen Systems. Leipzig Reimarus, erhält es eine zuvor nicht gekannte
1837; Jakob Sengler: Ueber das Wesen und die Bedeu-
Brisanz: In ihm steht das historische Fundament
tung der speculativen Philosophie und Theologie […].
Specielle Einleitung […]. Heidelberg 1837; David der christlichen Religion auf dem Spiel. Es ge-
Friedrich Strauß: Streitschriften zur Vertheidigung mei- winnt aber auch für die Wirkungsgeschichte der
ner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik Philosophie Hegels zentrale Bedeutung. Sie läßt
der gegenwärtigen Theologie. Heft 3, Tübingen 1837; sich noch nicht absehen, als David Friedrich
Carl Ludwig Michelet: Geschichte der letzten Systeme Strauß in den Jahren 1835/36 sein Werk Das
der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel. Bd.
Leben Jesu, kritisch bearbeitet veröffentlicht, und
516 III. Schule

sie liegt auch heute nicht offen zu Tage und bedarf griffliches zu setzen. Er versteht die biblischen
der Erläuterung. Erzählungen nicht als historische Berichte, son-
(2) Wenige Tage vor Hegels Tod ist Strauß nach dern, mit Hilfe Hegelscher Begrifflichkeit und in
Berlin gekommen, um Hegel zu hören. Er hat enger gedanklicher Übereinstimmung mit ihm,
auch den Anfang der Vorlesungen über Rechts- als einen »philosophischen Mythos« – als vorstel-
philosophie und über Geschichte der Philosophie lungsmäßigen Ausdruck einer eigentlich nur dem
(1831/32) mitgeschrieben (Ig 4.917–925 bzw. V begreifenden Denken zugänglichen Wahrheit.
6.351–357) und eine Nachschrift der Vorlesungen Wären die aufgedeckten Mythen bloß »histori-
über Religionsphilosophie vom Sommer 1831 ex- sche«, so könnte die mythische Interpretation
zerpiert (V 3–5), und ebenso zwei Nachschriften zwar manches Anstößige beseitigen, die Wahr-
zu Schleiermachers »Vorlesungen über das Leben heit des Inhalts jedoch nicht sichern. Strauß aber
Jesu«. Wie auch seine späteren Marginalien be- interpretiert die Mythen als philosophische: Was
zeugen, haben diese Vorlesungen bei Strauß den in mythischer Sprache als Geschehenes vorge-
Eindruck einer zwar wider Willen durchgeführ- stellt wird, ist in Wahrheit ein Ausdruck der
ten, gleichwohl außerordentlich gelungenen De- Natur des Geistes. Das Scheitern einer histori-
struktion des historischen Fundaments des Chri- schen Begründung öffnet den Blick für den wah-
stentums hinterlassen. Denn Schleiermacher ren Charakter dieser Texte und nötigt zum Rück-
führt dieses Thema in seinen mehrfachen Vor- zug in den Begriff.
lesungen bis an diese Grenze und schreckt doch Strauß’ geistesphilosophische Interpretation –
stets vor ihr zurück. Er bietet zwar seine ganze sein Verständnis des Gedankens der gottmensch-
Gelehrsamkeit und Beredtsamkeit auf, um sich lichen Einheit als eines »philosophischen My-
selber und seinen Hörern – darunter auch dem thos« – löst die historische Faktizität auf: Sie sei
jungen Strauß – die Augen für die Konsequenzen historisch ebenso unbeweisbar wie gedanklich
der historisch-kritischen Forschung zu verschlie- belanglos. Dies aber schien all denen unannehm-
ßen. Er läßt sich ein gutes Stück weit auf die bar, ja ein »Ischariothismus« (Eschenmayer
historische Kritik ein, um dann zu konstatieren, 1835), die noch der naiven Zuversicht oder doch
weiter dürfe man nicht gehen: »Die Evangelien – der Hoffnung nachhingen, solche Faktizität lasse
unsere einzige geschichtliche Quelle – erzählen sich sichern. Hingegen entspricht Strauß’ Ver-
Wunder. Deshalb muß unser Urtheil über die fahren strikt Hegels Einsicht: Wie die Wahrheit
Wunder so sein, daß die Glaubwürdigkeit der nicht demonstriert werden kann durch histori-
Evangelien nicht angetastet wird, denn sonst fiele sche Forschung, so kann sie auch nicht durch
unser Glauben an die Person Christi, und er [sc. historische Kritik widerlegt werden. Historisch
Christus] würde uns ein mythischer.« Solche Ar- widerlegt werden kann nur der Schein, als sei es
gumentationen markieren das Stadium der Theo- hier um Faktizität zu tun.
logiegeschichte, in dem das Scheitern der pro- Strauß’ Resultat ist insofern keineswegs um-
grammatischen Einheit von Dogma und Historie stürzend. Es steht für Hegel ohnehin fest, aber
unwiderruflich manifest wird (Jaeschke 1985, bloß als ein aus der Zeitdiagnose vorausgesetztes,
1161–1167; 1986a, 361–436, 328–348). nicht als ein demonstriertes: Allein der Begriff
Strauß’ Leben Jesu gilt auch heute noch weit- kann die Wahrheit des Christentums verbürgen.
hin als das Werk, das die moderne historisch- Doch erkennt Strauß erstaunlich treffsicher, daß
kritische Exegese begründet. Seine Absicht ist es Hegels abschätzige Polemik gegen die sich for-
jedoch nachzuweisen, daß das vermeintlich trag- mierende historische Theologie die gebotene Ab-
fähige historische Fundament der christlichen sicherung des Systems vor Angriffen aus dieser
Religion zerbrochen, und nicht zufällig zerbro- Richtung vernachlässige. Deshalb bestimmt er
chen sei: Die historisch-kritische Forschung zer- den Stellenwert, der einer historischen Kritik
stört das historische Fundament der evangeli- allein zukommen kann. Die Interpretation der
schen Erzählungen, das sie eigentlich zu befe- neutestamentlichen Texte als eines philosophi-
stigen angetreten war. Mit dieser Einsicht aber schen Mythos wird zum Moment der Selbstver-
sind diese Erzählungen für Strauß nicht als sinn- mittlung des spekulativen Begriffs durch den
los erwiesen. An die Stelle des historischen Fun- Ausschluß des Faktischen. Sie legitimiert Hegels
daments sucht er ganz im Sinne Hegels ein be- Verwerfung einer historischen Begründung des
2. Der Streit um die Religion 517

Christentums nachträglich. Was Hegel nur anti- York 1985, 1157–1169; Jaeschke: Die Vernunft in der
zipiert, führt Strauß herbei: Die historische Kritik Religion (1986 a), 328–348.
zerstört die zu Hegels Zeit scheinbar noch intakte
Stütze des Christentums und zwingt es zur Flucht
in den Begriff. 2.4. Die Spaltung der Schule
Strauß hat seine Strategie zweifellos nicht al-
lein aus einer Interpretation der spekulativen (1) Mit dieser Interpretation aber löst Strauß
Religionsphilosophie gewonnen. Sie setzt eine einen in seinem Ausmaß und seiner Intensität
tiefgehende Einsicht in die theologiegeschichtli- sensationellen Sturm der Entrüstung aus, selbst
chen Tendenzen seiner Zeit voraus. Das Gewicht, für eine Zeit, die heftige philosophisch-theologi-
das seinen sehr umfangreichen Auszügen aus sche Kontroversen gewöhnt ist. Die Angriffe rich-
Schleiermachers »Vorlesungen über das Leben ten sich aber nicht allein gegen ihn persönlich,
Jesu« zukommt, ist von der Forschung bisher sondern gegen den »Ischariothismus« der Schule,
nicht wirklich berücksichtigt worden. Auch wenn als deren Vertreter er nicht zu Unrecht gilt. Denn
sie es sich nicht eingestehen, bezeugen sie doch obschon seine detaillierte Zerstörung des histori-
die Unvermittelbarkeit von Dogma und Historie schen Fundaments des Christentums völlig unab-
– und daraus liest Strauß die Aufforderung zur hängig von Hegel erfolgt, verdankt sich ihre
Flucht nicht in die Geschichte, sondern in den Kühnheit der Gewißheit des begrifflichen Funda-
Begriff. Die Notwendigkeit hierzu wird nirgends ments, und auch sein Resultat steht auf dem
augenfälliger als in diesen Auszügen und in Boden der Hegelschen Philosophie. Deshalb ist
Strauß’ Leben Jesu. es für die Repräsentanten der Schule unvermeid-
Doch Hegels Religionsphilosophie stützt diese lich, in dieser Frage pro oder contra Stellung zu
Strategie nicht nur nachträglich. Strauß’ metho- beziehen. Bis dahin treten die Schüler – trotz
dologische Reflexionen belegen, daß die Reli- unterschiedlicher Akzentuierungen in ihrer An-
gionsphilosophie sein Konzept gefördert, ja er- eignung der Hegelschen Philosophie – den An-
möglicht habe: Die Fundierung der Wahrheit des griffen von außen, insbesondere von seiten des
Christentums im Begriff befreit vom verkrampf- spekulativen Theismus, als Einheit entgegen;
ten und gleichwohl mißlingenden Festhalten an erst in dieser erneut zugespitzten Situation füh-
der Faktizität, das Strauß für die Theologie seiner ren die ohnehin zwischen ihnen bestehenden
Zeit als typisch ansieht. Sie setzt das Faktische zu Auslegungsdifferenzen zur offenen Auseinander-
einem Gleichgültigen herab. Andererseits ent- setzung innerhalb der Schule.
lastet sie dadurch ungewollt die historische For- (2) Erdmann, Bruno Bauer, Schaller, Gabler,
schung von den mannigfachen dogmatischen Hinrichs und vor allem Göschel bestreiten vehe-
Rücksichten, denen sie sich sonst – wie auch ment die Angemessenheit von Strauß’ Anknüp-
Schleiermachers Beispiel zeigt – nicht hätte ent- fung an Hegel und vermeinen, ihre eigene Posi-
ziehen können. Es zählt zu den entscheidenden tion in Kontinuität mit Hegel formulieren zu
Prozessen in der Wirkungsgeschichte der Reli- können. Doch bilden auch sie keine einheitliche
gionsphilosophie Hegels, daß die einmal freige- Front. Es ist bemerkenswert, daß etwa Schaller
setzte historische Forschung dieses Junktims Strauß’ mythische Interpretation weithin akzep-
nicht mehr bedurft, und dazu beigetragen hat, die tiert, obgleich er sie nicht einmal angemessen
Begründung der Wahrheit aus der sich denken- versteht. Selbst Göschel (1838) kann nicht um-
den Vernunft zu diskreditieren. hin, Strauß in manchen Punkten beizupflichten
und ihn gegen ungerechtfertigte Angriffe in
Quellen: David Friedrich Strauß: Das Leben Jesu, kri- Schutz zu nehmen. Denn seine Verteidigung ei-
tisch bearbeitet. 2 Bde. Tübingen 1835/1836, insbe- nes Mitglieds der Schule ist zugleich eine Selbst-
sondere Bd. 2, 732–744; Carl August Eschenmayer: Der verteidigung. Göschels Schrift läßt noch mehr als
Ischariothismus unserer Tage. Eine Zugabe zu dem die der anderen Kritiker innerhalb der Schule die
jüngst erschienenen Werke: Das Leben Jesu von
Intention ihrer Kritik deutlich werden: Die
Strauß. I. Teil, Tübingen 1835. – Literatur: Jaeschke:
Paralipomena Hegeliana zur Wirkungsgeschichte scharfe Abgrenzung von Strauß ist erforderlich,
Schleiermachers. In: Internationaler Schleiermacher- um es Hegels Gegnern zu verwehren, dessen
Kongreß Berlin 1984. Hg. von K.-V. Selge. Berlin / New Philosophie solcher Früchte wegen zu verwerfen.
518 III. Schule

Gegenüber Forderungen von Seiten der Theo- lichkeit Eines Diesen durch die Idee oder durch
logie, das Übel an seiner Wurzel – Hegel – zu zeitlich-äußerliche Umstände bedingt sei, oder in
fassen, empfiehlt Göschel unbeirrt die Religions- der Frage nach dem Prinzip der Göttlichkeit Jesu.
philosophie des Meisters als probates Remedium Diese und andere Fragen lassen sich schulintern
gegen Strauß’ Irrungen. auf einem relativ hohen Niveau diskutieren (Ro-
(3) Die Verteidigungsschriften der Hegelschen senkranz 1836, XVIff.; 1840, XXff.; Michelet
Rechten lassen ungewollt ihre Distanz zur spe- 1841, 186ff.; Vatke 1840). Weit größer aber als die
kulativen Religionsphilosophie noch krasser her- genannte Gruppe ist die Zahl derer – der »spe-
vortreten als zuvor bei den Problemen der kulativen Theisten«, des späten Rationalismus
göttlichen Persönlichkeit und der individuellen um die Allgemeine Kirchen-Zeitung und der
Unsterblichkeit. Erdmann sucht mittels entwick- neuen Orthodoxie um die Evangelische Kirchen-
lungsgeschichtlicher Differenzierung die Anstö- Zeitung –, die zwar ebenfalls von der Angemes-
ßigkeit einiger von Strauß beigebrachter Belege senheit von Strauß’ Interpretation überzeugt
zu entkräften: Sie beleidigten zwar das religiöse sind, darin jedoch nur einen neuerlichen Beweis
Gefühl, gehörten aber Hegels Jenaer Heft zur für die Gefährlichkeit der Religionsphilosophie
Geschichte der Philosophie an und müßten des- Hegels sehen.
halb hinter der Religionsphilosophie der Reife- (4) Durch die Fülle der gegen ihn gerichteten
zeit zurücktreten (1853, 846). Dieses Argument Angriffe sieht Strauß sich zwei Jahre nach dem
überrascht, da gerade die von Hegels Schülern Erscheinen seines Leben Jesu genötigt, Streit-
getragene Freundesvereinsausgabe die entwick- schriften zur Verteidigung meiner Schrift über das
lungsgeschichtlichen Differenzen verwischt und Leben Jesu (1837) zu veröffentlichen. Im dritten
es zudem prekär ist, spätere Schülernachschrif- Heft wendet er sich den Auseinandersetzungen
ten gegen ein Manuskript Hegels auszuspielen, innerhalb der Schule Hegels zu und sucht zu
das immerhin gleichzeitig mit der Phänomeno- klären, wie Hegel in den von ihm berührten
logie entstanden ist. Selbst Göschel zögert nicht, Fragen gedacht habe und wie notwendiger Weise
mehrfach Unklarheiten oder unausgereifte Par- zu denken sei. Zum Kriterium macht Strauß hier
tien in der Religionsphilosophie einzuräumen, die prima facie rein theologische Frage nach der
wiewohl er ihr Gewicht nach Kräften herunter- Auferstehung des Gottmenschen Jesus. Sie ent-
zuspielen sucht (1838, 16ff.,45). Doch auch die hüllt sich aber rasch als philosophische Frage
Themen, bei denen er sich in nahtloser Überein- nach dem Verhältnis von Idee und Geschichte:
stimmung mit Hegel glaubt, verraten einen er- »Auf die Frage, ob und in wie weit mit der Idee
heblichen Dissens, der den Zeitgenossen nicht der Einheit göttlicher und menschlicher Natur
entgeht – vor allem sein Versuch, Hegels Reli- die evangelische Geschichte als Geschichte gege-
gionsphilosophie an historische Nachweise zu ben sei, sind an und für sich drei Antworten
binden und sie sogar als mit einem Rest des möglich: daß nämlich mit jenem Begriffe ent-
Wunderglaubens einverstanden zu erklären weder die ganze evangelische Geschichte; oder
(1838, 35–40); ähnlich gilt dies für Schaller daß blos ein Theil derselben; oder daß sie weder
(1838, 19ff.) und sogar für Rosenkranz (1840, ganz noch theilweise von der Idee aus historisch
XXIVff.). Diese Beweisabsichten lassen die zu erhärten sei.« Den drei möglichen Antworten
rechtshegelianische Interpretation hinter Hegels ordnete Strauß die Vertreter der Hegelschen
Religionsphilosophie und nicht minder hinter Schule zu – als die Hegelsche Rechte, das Zen-
Schleiermacher zurückfallen – auf das Niveau trum und die Linke. Die drei möglichen Antwor-
einer mit spekulativen Ornamenten drapierten ten bilden aber keineswegs gleichberechtigte Op-
Orthodoxie. Als solche wird sie sowohl vom Zen- tionen – denn es kann damals wie heute kein
trum und der Linken als auch von den »spe- Zweifel darüber bestehen, daß philosophisch al-
kulativen Theisten« verworfen. Das Zentrum und lein die letzte, die linkshegelianische Antwort
die linke Mitte erkennen dagegen Strauß’ Inter- vertretbar ist. Die Fraktionierung der Schule bil-
pretation prinzipiell als legitime Auslegung der det deshalb keinen stabilen Zustand; die erste
Religionsphilosophie an, wenn sie auch in we- Antwort läßt sich philosophisch nicht vertreten
sentlichen Punkten gegen ihn Stellung beziehen und nötigt ihre potentiellen Anhänger, ihre reli-
– vornehmlich in der Frage, ob die Gottmensch- giösen Interessen außerhalb der Philosophie, zu-
2. Der Streit um die Religion 519

mindest außerhalb einer Vernunftphilosophie an- tet nicht allein Hegels Schule; sie leitet auch über
zusiedeln; und in geringerem Maße gilt dies auch von der Epoche der religionsphilosophischen
für die zweite. Die dritte Antwort hingegen läßt Zentrierung der Auseinandersetzungen um He-
sich mit guten Gründen verteidigen – doch ist sie gels Philosophie zur zweiten, der rechtsphiloso-
diejenige Antwort, mit der sich die Mehrzahl der phischen oder doch wenigstens politischen Phase
Zeitgenossen am wenigsten abzufinden vermag – (s. 525 ff.).
und dies nicht aus Ignoranz, sondern weil der Unter den Bedingungen der formell zwar weit-
bewußtseinsgeschichtliche Prozeß der Ablösung gehenden Trennung, aber gleichwohl noch star-
der Religion durch säkulare Inhalte, nach seinem ken inneren Verbindung zwischen Religion und
beschleunigten Verlauf in der Aufklärung, in der Staat, wie sie im Gottesgnadentum des Königs
Restaurationszeit eine retardierende Phase ihren höchsten Ausdruck findet, kommt jedem –
durchläuft. wirklichen oder vermeintlichen – Angriff auf
Quellen: Karl Rosenkranz: Kritik der Schleiermacher-
Theologie und Religion zugleich eine erhebliche
schen Glaubenslehre. Königsberg 1836; David Fried- politische Relevanz zu: Ein Angriff auf die
rich Strauß: Streitschriften zur Vertheidigung meiner Grundlagen des Glaubens erscheint als Angriff
Schrift über das Leben Jesu und zur Charakteristik der auf die Grundlagen des staatlichen und des
gegenwärtigen Theologie. Heft 3, Tübingen 1837; Carl menschlichen Zusammenlebens überhaupt. Der
Friedrich Göschel: Beiträge zur spekulativen Philo- Beginn der Ablösung der Moral und der Rechts-
sophie von Gott und dem Menschen und von dem Gott-
Menschen. Mit Rücksicht auf Dr. D. F. Strauß’ Christo-
grundlagen staatlichen Zusammenlebens von der
logie. Berlin 1838; Julius Schaller: Der historische Religion läßt sich zwar zumindest bis ins 17.
Christus und die Philosophie. Kritik der Grundidee des Jahrhundert zurückverfolgen, doch tritt dieser
Werks Das Leben Jesu von Dr. D. F. Strauß. Leipzig auch heute noch nicht abgeschlossene Prozeß in
1838; Wilhelm Vatke: Beitrag zur Kritik der neueren den 1830er Jahren in Deutschland mit dem da-
philosophischen Theologie. In: Hallische Jbb 3 (1840), maligen »Kölner Kirchenkampf« – einem Vorspiel
Nrr. 1–8; Johann Eduard Erdmann: Versuch einer wis-
senschaftlichen Darstellung der Geschichte der neue-
zum späteren, der Bismarck-Ära angehörenden
ren Philosophie. Bd. 3, Abt. 2. Leipzig 1853. »Kulturkampf« – gerade erst in seine entschei-
dende Phase. Für die dominierende öffentliche
Meinung gibt es damals keinen Zweifel: Wer
2.5. Politische Implikate des Streits nicht dem traditionellen theistischen Gottesge-
um die Religionsphilosophie danken huldigt, bietet keine Gewähr für politi-
sche und rechtliche Zuverlässigkeit: Er kann ja
(1) Die heftigen Kontroversen um Strauß’ Zuspit- nicht einmal einen Eid ablegen und somit auch
zung der Problemlage eröffnen ein neues Sta- keine Stellung im öffentlichen Leben bekleiden –
dium des Streits um die Christlichkeit der Reli- etwa als Lehrer an einer Universität. Gegebenen-
gionsphilosophie Hegels. Denn diese Zuspitzung falls muß er von einer solchen Stelle entfernt
wird nicht zu Unrecht als Resultat seines Ansatzes werden.
angesehen – zumindest soweit sie das Ausein- (2) Über diese allgemeine, damals von Seiten
anderbrechen von »Idee« und »philosophischem der Restauration – mit Nachdruck etwa von Hein-
Mythos« einerseits und Geschichte im Sinne von rich Leo – gegen die Hegelsche Linke verfolgte
bloßer Faktizität andererseits betrifft. Daß eine Strategie hinaus scheinen jedoch aus Strauß’ In-
»Vernunftphilosophie« Schwierigkeiten hat, die terpretation der Hegelschen Religionsphiloso-
Persönlichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der phie noch weitere revolutionäre politische Kon-
Seele dogmatisch korrekt auszusagen, kommt zu- sequenzen zu folgen, deren impliziter, Strauß
mindest den »spekulativen Theisten« keineswegs selbst zunächst verborgener politischer Aspekt
unerwartet – im Gegenteil. Daß sie aber den Weg geradezu zum »Hochverrat« stilisiert wird. Des-
bahnt, das Leben Jesu in einen Mythos aufzu- halb scheint hier zugleich der günstige Moment
lösen, bricht endgültig den Stab über sie. Und zur politischen Erledigung dieser mißliebigen
selbst damit sind die Bedenken, die man damals Religionsphilosophie gekommen: Dies ersparte
gegen diese Frucht der Spekulation vorbringen zudem die Mühe der theoretischen Auseinander-
zu müssen glaubt, keineswegs erschöpft: Die setzung. Hier liegt der in der ausgebreiteten Lite-
Auseinandersetzung um Strauß’ Leben Jesu spal- ratur über die Hegelsche Rechte und Linke häufig
520 III. Schule

vermißte und zugleich konsequent ignorierte markt – und der Streit um die Religionsphiloso-
Punkt des Umschlags der religionsphilosophi- phie zu einem Streit um die Politik geworden
schen in eine politische Debatte. (Jaeschke 1979 b). Allerdings erlaubt die Willkür,
Denn Strauß löst nicht allein das Leben Jesu in mit der diese Parallele gezogen ist, ebensosehr
einen philosophischen Mythos auf; er nimmt den umgekehrten Begründungsgang – und dieser
auch (und in diesem Punkt in Gegensatz zu He- dominiert die letzte Phase des Vormärz: Da wir
gel) eine Mehrheit von Gottmenschen als wahr- Pantheisten sind, müssen wir folglich auch De-
scheinlich an: Es sei gar nicht die Art, wie die mokraten sein (Briese 1998, 81).
Idee sich realisire, »in Ein Exemplar ihre ganze (3) In dieser Lage melden sich auch alte, zuvor
Fülle auszuschütten, und gegen alle andern zu erfolglose Gegner Hegels – wie Karl Ernst Schu-
geizen« (1835/36, Bd. 2.734). Für die politische barth (1839) – wieder zu Wort, da sie nun den
Theologie der Restauration ist dieses Dementi Beweis offen erbracht sahen, daß Hegels Lehre
der Einheit des Gottmenschen nicht allein eine gegen die Religion und damit gegen die Grund-
Gotteslästerung, sondern ein subtiler und gleich- lagen des Staates verstoße. Solche Argumente
wohl massiver Angriff auf die Monarchie und ein werden nicht allein publiziert, sondern selbst
subversives Plädoyer für die »Vielen«: also für die dem immer noch amtierenden Kultusminister
Republik. Altenstein gutachterlich vorgetragen, der Hegel
Diese Wendung vom Theologischen ins Politi- nach Berlin berufen und ihn (wie auch Schleier-
sche läßt sich nur im Horizont einer damals macher) mehrfach gegen Angriffe der Restaura-
vorgegebenen und heute nicht mehr unmittelbar tion geschützt hat. Deshalb haben sie zwar bis
verständlichen politischen Theologie nachvoll- zum Ende der Ära Altenstein (1839) keinen un-
ziehen. Unter Berufung auf die »christliche Philo- mittelbaren politischen Erfolg – dann allerdings
sophie« des späten Schelling sucht die damalige um so nachhaltiger.
»positive«, die »christliche Rechts- und Staats- Quellen: Göschel: Beiträge zur spekulativen Philoso-
lehre« – etwa Friedrich Julius Stahls (s. 525 ff.) – phie von Gott und dem Menschen und von dem Gott-
die Einheit des Staates auf das Prinzip der Per- Menschen. Mit Rücksicht auf Dr. D. F. Strauß’ Christo-
sönlichkeit Gottes zu begründen: die Einheit des logie. Berlin 1838; Karl Ernst Schubarth: Ueber die
Monarchen als Ausfluß der Einheit Gottes zu Unvereinbarkeit der Hegelschen Staatslehre mit dem
verstehen. Schelling spricht diese Verbindung obersten Lebens- und Entwicklungsprinzip des Preußi-
schen Staats. Breslau 1839, Teilabdruck in Riedel: Ma-
auch selber aus: Dem Verlangen nach der Persön- terialien zu Hegels Rechtsphilosophie. Bd. 1.249–266. –
lichkeit Gottes entspreche im Staat der Wunsch Literatur: Jaeschke: Urmenschheit und Monarchie.
nach dem König, den die Person lieben könne Eine politische Christologie der Hegelschen Rechten.
und vor dem alle gleich seien, wie vor Gott (SW HS 14 (1979 b), 73–107; Marilyn Chapin Massey: Christ
11.569 f.) Als der Minister v. Altenstein Göschel unmasked. The Meaning of »The Life of Jesus« in
German Politics. Chapel Hill / London 1983; Olaf
auffordert, Bretschneiders rationalistische Kritik
Briese: Konkurrenzen. Philosophische Kultur in
an Strauß und der Hegel-Schule zu widerlegen, Deutschland 1830–1850. Porträts und Profile. Würz-
spitzt Göschel zunächst in einem handschrift- burg 1998.
lichen Votum an den Minister, dann in seinen
Beiträgen (1838) diese politische Theologie mit-
tels einer traditionellen Haupt-Leib-Symbolik 2.6. Christlichkeit und Anti-
zur politischen Christologie zu: Wie die Men- christlichkeit
schen in einem Staate einem Haupte untertan
sind, dem Monarchen, so ist auch die Menschheit (1) Zur politischen Verschärfung und gedankli-
einem Haupte untertan, dem Gottmenschen. Die chen Verflachung dieses Streits trägt ebenfalls
politische Wirklichkeit wird somit zum sicheren bei, daß die Gruppe der Kritiker unerwartete
Fundament der Einheit des Gottmenschen und Verstärkung durch einen Mann erhält, der früher
zugleich zum Kriterium der Verfehltheit der selbst zum Kreis um Hegel gezählt hat: durch
Strauß’schen Interpretation. Damit aber ist – Heinrich Leo. Sein Angriff auf Die Hegelingen
durch einen Vertreter der Hegelschen »Rechten« richtet sich zwar formell allein gegen die Hegel-
– das Denken der »Linken« nicht allein als gott- sche Linke. Doch da Leo deren Gegensatz zu
los, sondern zugleich als Hochverrat gebrand- Hegel vornehmlich darin sieht, daß Hegel »ge-
2. Der Streit um die Religion 521

rade über die das religiöse Bewußtsein des Volkes tung mit der Polemik von seiten der »speku-
untergrabenden Consequenzen seiner Lehre sich lativen Theisten« überein, wenn auch der Posau-
nicht klar ausgesprochen« habe (1838, 7), so gilt nist die entgegengesetzte Absicht verfolgt. Seine
sein Angriff nicht minder der Religionsphiloso- Strategie, der linkshegelianischen Auslegung
phie des Meisters. Durch ihre ›Unklarheit‹ ist sie durch ihre Verketzerung zum Durchbruch zu ver-
ja noch gefährlicher als die ›Klarheit‹ der Linken. helfen, ist in der Philosophiegeschichte ohne Bei-
Leos kleine, ein Jahr später stark vermehrte spiel. Dabei ist seine Schrift vergleichsweise arm
Schrift enthält im wesentlichen lange Zitate aus an diskutierbaren Argumenten. Ihre Konzeption
Arbeiten Michelets und Bayrhoffers, die sie in überhebt ihren Verfasser einer konsistenten In-
Fußnoten polemisch kommentiert. Auf eine argu- terpretation der genial ausgewählten Zitate, die
mentierende Auseinandersetzung verzichtet Leo ihm als dem eigentlichen Herausgeber der zwei-
wohl, weil er zuversichtlich ist, die zitierte »Got- ten Auflage von Hegels Vorlesungen über die Phi-
teslästerung« spreche für sich und die junghe- losophie der Religion (1840) in reicher Zahl zur
gelianischen »Geburten der Hölle« verschlängen Verfügung stehen. Als einzige Wehr gegen den
einander ohnehin (1838, 26). Auch sind die im Antichristen Hegel läßt er den bedingungslosen
Vorwort zusammengestellten Anklagen nicht Verzicht auf alle philosophische Argumentation
neu: Die junghegelianische Partei lehre: »den und den Rückzug auf einen frömmelnden Stand-
Atheismus«; »daß das Evangelium eine Mytho- punkt gelten. Alle philosophische Kritik an Hegel
logie sei«; »eine Religion des alleinigen Dies- denunziert er als ein Buhlen mit der Hure Ver-
seits«. Der vierte Anklagepunkt, daß die Hege- nunft, das nur noch tiefer ins Verderben stürze –
linge dennoch die »Gestattung christlicher Eide wie die Selbstzerstörung des »spekulativen
und der äußeren Theilnahme an christlichen Sa- Theismus« zeige. Nicht bloß Hegels Lehre von
cramenten« erschlichen, ist ein Indiz der neuen, der Identität von Vernunft und Offenbarung –
politischen Zuspitzung des Streits, in der die auch alle nicht-Hegelschen Vermittlungsversuche
Prüfung der Wahrheit einer philosophischen Aus- von Religion und Philosophie entlarvt er so nach-
sage durch die Denunziation ihrer angeblich zer- drücklich als Werke des Teufels, daß es schließ-
störerischen gesellschaftlich-politischen Konse- lich unausweichlich erscheint, dessen Partei zu
quenzen und den Ruf nach staatlichem Eingreifen ergreifen. Das politische Scheitern der von Hegel
ersetzt wird. Die Debatte ist damit auf ein Niveau proklamierten Versöhnung von Religion und Phi-
herabgebracht, auf dem eine im gelehrt-akademi- losophie findet sich nirgends krasser ausgespro-
schen Ton gehaltene Auseinandersetzung um die chen als hier.
Religionsphilosophie Gefahr läuft, überhört zu Die penetrant zur Schau getragene Sorge um
werden. Hegels Unterwanderung von Kirche, Staat und
(2) Der vormalige Rechtshegelianer Bruno Sittlichkeit ist nach Leos Hegelingen stilisiert.
Bauer zieht die Konsequenz aus dieser bedroh- Eigentlich thematisch aber ist die theoretische
lich gewordenen Situation: Unter der Maske ei- Konsequenz der Religionsphilosophie: der Athe-
nes mit Bibelsprüchen überreich gewappneten ismus. Ihn sieht der Posaunist unter einem dop-
Pietisten läßt er Die Posaune des Jüngsten Ge- pelten Schleier verborgen. Vom ersten Schleier –
richts über Hegel den Atheisten und Antichristen der Christlichkeit – ließen sich zwar nur die
(1841) erschallen. Leos Anklageschrift richtet Toren täuschen. Doch die Religionsphilosophie
sich unmittelbar nur gegen die Linke (Strauß) tarne sich auch mit dem Schleier des Substan-
und das linke Zentrum (Michelet, Bayrhoffer) tialitätsstandpunkts, des Pantheismus, und dieser
und setzt diese Fraktionen formal ins Unrecht. tiefere Schleier sei nur vom kritischen Messer
Demgegenüber beharrt Bauer auf der Überein- des Glaubens zu entfernen. Als der »entsetzliche,
stimmung der linkshegelianischen Interpretation schaudererregende, alle Frömmigkeit und Reli-
und der Religionsphilosophie Hegels: Die Links- giosität ertödtende Kern des Systems« erscheint
hegelianer seien die treuen Schüler des Meisters, schließlich, daß »das religiöse Verhältniß Nichts
während die Rechte dessen Religionsphilosophie als ein inneres Verhältniß des S e l b s t b e w u ß t -
durch ihre theistische Brille mißdeute und da- s e y n s zu sich selber ist« (Bauer 1841, 48).
durch ihr revolutionäres Potential – absichtlich In dieser Restriktion des Kerns der Religions-
oder nicht – verberge. Formal stimmt diese Deu- philosophie auf die »Alleinherrschaft des Selbst-
522 III. Schule

bewußtseyns« (ebd. 127) greift der Posaunist zu nicht in einem behebbaren Fehler der Religions-
kurz. Wenn er Hegels Standpunkt als den der philosophie. Sie folge vielmehr zwingend aus
»Vernunft«, gar des »Geistes« entwickelt hätte, deren Charakter als Philosophie (vgl. Frauen-
hätte er seine These der Inkompatibilität von städt 1840, IXf.,108). Bis dahin haben alle Schü-
Religion und Philosophie schwerlich aufrecht- ler die Abweichung der Religionsphilosophie
erhalten können. Und doch zieht diese These die vom Christentum mit Hilfe des Theorems der
Quintessenz eines Jahrzehnts des Streits um die Inhaltsidentität und Formdifferenz von Religion
Religionsphilosophie. Bis zum Ende der 1830er und Philosophie interpretiert. Doch haben die
Jahre wird der Nerv der Religionsphilosophie, Angriffe gegen Hegels Philosophie zunehmend
die These von der Inhaltsidentität von Vernunft verdeutlicht, daß dieses Theorem zwar die
und Religion, ausschließlich im Namen der Reli- Chance zur Kritik der religiösen Vorstellung
gion bestritten. Nun macht der erbitterte Wider- durch den Begriff eröffnet, aber auch umgekehrt
stand gegen diese Identität nicht nur jedes Be- die Spekulation der Kritik von Seiten der Vor-
harren auf ihr illusorisch. Das parallele Vermitt- stellung aussetze. Um die Philosophie dieser
lungsunternehmen des »spekulativen Theismus« Kontrollinstanz zu entziehen, gibt Feuerbachs
zeigt, daß die Vernunft rasch wieder unter die zweischneidige Apologie das Grundtheorem der
Kontrolle einer nicht sehr vernünftigen Offenba- spekulativen Religionsphilosophie preis – zu
rung gerät, wenn sie allzu ungestüm auf Vermitt- Gunsten der Behauptung einer »unaustilgbaren
lung drängt. Aus dieser Einsicht in das faktische Differenz« von Religion und Philosophie: Diese
Scheitern des Vermittlungsanspruchs der Reli- habe das Denken, jene »Phantasie und Gemüt«
gionsphilosophie sind schon kurz vor dem Posua- zum Inhalt (Feuerbach 1839, 220).
nisten irreversible Resultate gezogen worden. Es Aus seiner Betonung der Differenz von Chri-
zählt zu den überraschenden und in der Retro- stentum und Philosophie überhaupt sowie Reli-
spektive dennoch konsequent erscheinenden gionsphilosophie im besonderen hätte ebensogut
Prozessen der neueren Philosophiegeschichte, die Konsequenz gezogen werden können, daß auf
daß aus einer dieser Situation entsprungenen solche wesensmäßig unchristliche Philosophie
Apologie Hegels binnen weniger Jahre eine Posi- besser ganz zu verzichten sei. Auch orthodox
tion erwächst, die die Klassische Deutsche Philo- gesinnte Kritiker haben ja auf der Unvereinbar-
sophie samt der traditionellen Kritik an ihr über- keit von Vernunft und Offenbarung bestanden
wunden zu haben glaubt. und daraus auf die Nichtigkeit der Philosophie
(3) Ludwig Feuerbachs komplexe Argumenta- geschlossen. Feuerbach unterstützt deshalb seine
tionsstrategie gegenüber Hegels Religionsphilo- Befreiung der Philosophie aus der Vormundschaft
sophie unterscheidet sich grundlegend von der der Religion, indem er die Anklage auf Unchrist-
sämtlicher anderer Schüler. Seine Ausführungen lichkeit gegen die Theologie seiner Zeit wendet –
Zur Kritik der »positiven« Philosophie (1838) so- gegen den modernen »Doktorglauben«, der »nur
wie Über Philosophie und Christentum (1839) – eine erkünstelte Treibhauspflanze, ein raffinier-
geplant als Rezensionen zu Schriften Senglers tes Reflexionsprodukt des Unglaubens« sei (Feu-
und Leos – versuchen nicht erst, Hegels Reli- erbach 1839, 235 f.). Er wählt das vorkonstantini-
gionsphilosophie von dem Odium der Unchrist- sche Christentum zum Maß wahrer Christlichkeit
lichkeit freizusprechen. Ob sie mit der christli- und spricht damit der Gegenwart die Christlich-
chen Religion übereinstimme, sei »nicht nur eine keit nicht nur der Religionsphilosophie oder der
gehässige, sondern auch absolut tölpelhafte und Philosophie überhaupt ab – und damit auch das
sinnlose, das Wesen der Philosophie verken- Recht, dies als Vorwurf gegen andere Positionen
nende Frage« (Feuerbach 1839, 250). Die Frage zu richten. Denn jegliche Rückkehr zu dieser
hingegen, ob das mit dem Christentum überein- frühen Form bleibt unter den Bedingungen der
stimme, was Hegel für christlich ausgebe, sei modernen Welt ausgeschlossen.
zwar berechtigt, müsse aber unter Berücksichti- Feuerbachs Kritik an Hegels Gegnern bildet
gung der »unendlichen Differenz zwischen dem den letzten Ansatz zu einer produktiven Inter-
Gegenstand in der Religionsphilosophie und pretation im Rahmen des Diskussionszusammen-
ebendemselben Gegenstand in der Religion hangs, dem die Konzeption der spekulativen Re-
selbst« erörtert werden. Diese Differenz liege ligionsphilosophie ursprünglich angehört. Doch
2. Der Streit um die Religion 523

seine scheinbare Apologie stellt diese stärker in ser Ebene liegt auch die spekulative Religions-
Frage als die heftigsten Angriffe der Gegner. philosophie.
Seine Strategie ist einsichtig; die Durchführung In einer Gelegenheitsschrift dieser Zeit spricht
beruht jedoch auf einer Kette undiskutierter Ent- Feuerbach sich nochmals eingehend über seine
scheidungen. Hegels Anspruch auf Übereinstim- Stellung zu Hegels Religionsphilosophie aus.
mung seiner Religionsphilosophie mit dem Chri- Dem Anlaß entsprechend betont er den Kontrast:
stentum läßt sich durch Feuerbachs methodolo- Hegel habe das Wesen der Religion mißverstan-
gisch fragwürdiges, ahistorisches Ausspielen ei- den – im Gegensatz zu Schleiermacher. Seine
nes reinen Ursprungs gegen die zeitgenössische Konsequenz aus dieser Einschätzung ist aber eine
Entartung nicht erschüttern. Ebensowenig läßt Hegelsche: Wenn subjektiv das Gefühl die Haupt-
sich Hegels Lehre von der Identität des Glaubens sache der Religion sei, so bleibe allein, daß » o b -
und der Vernunft außer Kurs bringen durch den j e k t i v Gott selbst nichts andres ist als das We -
bloßen Gegenentwurf eines extrem verengten, s e n d e s G e f ü h l s « (1842a, 230). Während He-
auf die Regungen des frommen Gemüts be- gel den Inhalt der Religion in das Denken setzt,
schränkten Religionsbegriffs. Das Recht zur Auf- sieht Feuerbach sich durch den Verlauf der Dis-
lösung der Inhaltsidentität von Religion und Phi- kussion auf eine Schleiermacher nahestehende
losophie erweist Feuerbach in dieser Phase nicht. Analyse zurückgeworfen. In den praktischen
Daß er dieses Fundamentaltheorem der speku- Konsequenzen, die er daraus zieht, trifft er sich
lativen Religionsphilosophie nicht teilt, klingt be- hingegen mit Hegel. Er sieht es als »eine m o r a -
reits ein Jahrzehnt zuvor in dem Begleitschreiben l i s c h e N o t w e n d i g k e i t , eine h e i l i g e
an, mit dem er seine Habilitationsschrift an Hegel P f l i c h t des Menschen, das dunkle, lichtscheue
sendet (22.11.28). Doch läßt seine spätere Pole- Wesen der Religion ganz in die Gewalt der Ver-
mik erkennen, daß sich diese frühe Ansicht unter nunft zu bringen« (1842a, 234). Hegels Scheitern
dem Eindruck des Streits um die Religionsphilo- bei der Überwindung der »welthistorischen Heu-
sophie verfestigt hat und eine totale Scheidung chelei« sieht er dadurch erwiesen, daß sich die
von Religion und Philosophie auch im Interesse Orthodoxie sowohl als die Heterodoxie auf die
der Vernunft als unausweichlich erscheinen läßt. spekulative Philosophie beriefen.
(4) Der Nachweis der wesensmäßigen Un- Den immanenten Widerspruch der Religions-
christlichkeit der Religionsphilosophie Hegels philosophie sucht Feuerbach in stets neu anset-
hindert Feuerbach nicht, in seinen Vorläufigen zenden Formulierungen zu erfassen. Sie sei zwar
Thesen zur Reformation der Philosophie (1842b) Negation der Theologie, jedoch noch auf dem
und in den Grundsätzen der Philosophie der Zu- Boden der Theologie (1843, 285), und nicht de-
kunft (1843) als das Geheimnis der spekulativen ren vollendete, widerspruchsfreie Negation.
Philosophie die Theologie zu enthüllen. Ihr abge- Diese Widersprüchlichkeit bedingt Feuerbachs
schiedener Geist gehe in Hegels Philosophie als ambivalente Stellung zur Spekulation. Er unter-
Gespenst um (1842b, 243,247). Feuerbachs neu stützt sie, soweit sie »die r a t i o n e l l e oder
gewonnener Standpunkt setzt die Unterschiede t h e o r e t i s c h e Verarbeitung und Auflösung des
zwischen den Disziplinen des Systems zur für die Religion jenseitigen, ungegenständlichen
Gleichgültigkeit herab: Es ist nicht speziell die Gottes« vollziehe (1843, 266). Doch verwirft er
Religionsphilosophie, sondern der theologische sie, sofern sie dabei in den Fehler aller Theologie
Charakter des Systems als Ganzen, der diesem verfalle und die als Wahrheit des göttlichen We-
Vorwurf gemacht wird. Die spezifisch religions- sens erkannte Vernunft wiederum absondere und
philosophischen Probleme der Diskussion der dem Menschen als fremdes, selbständiges Wesen
1830er Jahre treten folgerichtig zurück. Wenn entgegenstelle: das Gespenst des absoluten Gei-
alle Theologeme im menschlichen Wünschen stes. Wieweit die spekulative Philosophie diese
gründen, so kann es nicht mehr darum zu tun ihr angelastete Fixierung wirklich vollziehe, un-
sein, die Fragen nach der Persönlichkeit Gottes, tersucht Feuerbach nicht mehr. Sein neuer, gegen
der individuellen Unsterblichkeit und der Wirk- die »Vernunftphilosophie« gerichteter Rekurs auf
lichkeit des Gottmenschen aufzuklären, sondern »Sinnlichkeit« und »Wirklichkeit« sowie seine
die Ebene prinzipiell zu überwinden, auf der radikale Religionskritik lassen ihm den Gegen-
allein sie sinnvoll diskutierbar sind. Und auf die- satz zunehmend als unbedeutend erscheinen, in
524 III. Schule

den Hegels spekulative Deutung sich zur Religion zutreffe. Die spekulative Philosophie bietet der
im traditionellen Sinne bringt. Die Plausibilität »objektiven Wahrheit« wohl Zuflucht vor der hi-
seiner Kritik schwindet deshalb in dem Maße, in storischen Kritik. Aber ebensowenig wie der von
dem man die linkshegelianische Interpretation ihr kritisierte subjektivistische Ansatz kann sie
als angemessene Deutung der Religionsphiloso- das Christentum schützen gegen die religions-
phie anerkennt. Und ebenso schwindet sie in psychologische Interpretation – gegen die Projek-
dem Maße, in dem man Feuerbachs Religionsbe- tionstheorie, die Feuerbach in produktiver Aus-
griff nicht folgt: daß das Gefühl die Hauptsache einandersetzung mit Hegels Begriff des Geistes
der Religion sei. Dieses Verständnis teilen aller- entwirft, der ja eben eine Struktur aufweist, die
dings eine Reihe von Kritikern sowohl auf der ihre Deutung als Projektion begünstigt. Denn
Rechten als auf der Linken. Seine Angemessen- hierdurch ist Hegels Philosophie selbst in Frage
heit kann zwar schwerlich als erwiesen gelten. gestellt – ob zu Recht oder nicht, bedürfte einer
Gleichwohl hat es das Resultat des Streits um die eigenen Auseinandersetzung. Es sind zwar im
spekulative Religionsphilosophie präjudiziert. wesentlichen Einwände gegen die Logik, die
Denn wenn das Gefühl nicht – mit Feuerbach, Feuerbach zum Bruch mit der spekulativen Philo-
aber auch mit Kritikern auf der rechten – das sophie führen. Geschichtlich wirksam wird seine
Wichtigste in der Religion ist, so läßt sich auch Kritik des sich verselbständigenden, nicht mehr
Gott nicht als das Wesen des Gefühls ansprechen. zur »Wirklichkeit« zurückfindenden Denkens je-
Und es gibt allerdings gute Gründe dafür, daß doch erst im Zusammenhang der Religionskritik
Gott nicht das höchste Gefühl, sondern der höch- des Wesens des Christentums (1841). Dieser Be-
ste Gedanke sei. gründungszusammenhang erhebt die Kritik der
(5) Die scheinbar verwirrende Vielfalt der Religion zum Paradigma der Kritik der speku-
Standpunkte und Argumente in der Diskussion lativen Philosophie, ja aller Philosophie über-
um die Religionsphilosophie enthüllt sich somit haupt. Indem nun, wie Feuerbach schon in seiner
als ein Gang von erstaunlicher Konsequenz. Die Schrift gegen Leo gefordert hat, nicht nur die
Kritik an der theologia naturalis stellt die Mög- Theologie als das Geheimnis der Welt enthüllt
lichkeit einer Gotteserkenntnis durch die Ver- ist, ist der Streit um die Inhaltsidentität von
nunft in Frage und zieht dadurch die soeben erst Religion und Philosophie, um die Persönlichkeit
proklamierte Einheit von Vernunft und Offenba- Gottes und die individuelle Unsterblichkeit sowie
rung in Zweifel, und die historische Kritik bringt um die Faktizität des Gottmenschen prinzipiell
die scheinbar historische Fundierung des Chri- verabschiedet. Die geringfügig späteren Arbeiten
stentums ins Wanken. In Konkurrenz zu der Franz Anton Staudenmaiers, Hermann Ulricis
ebenfalls aus dieser Situation geborenen Begrün- oder Ludwig Noacks stehen erst jenseits dieser
dung der Religion in der Subjektivität – im ver- bis zu Feuerbach führenden produktiven Bewe-
engten Sinne – sucht Hegel den »Begriff« als gung des Gedankens.
Fundament der Wahrheit der Religion zu er-
Quellen: Heinrich Leo: Die Hegelingen. Actenstücke
weisen. Seine Religionsphilosophie ist gegen den und Belege zu der s. g. Denunciation der ewigen Wahr-
Ansatz an der abstrakten Subjektivität und gegen heit. Halle 1838; Feuerbach: Zur Kritik der »positiven
die historische Kritik entworfen. Sie kann von Philosophie« […] (1838). In: Feuerbach: Gesammelte
dieser weder bestätigt noch widerlegt werden. Werke. Bd. 8.181–207; Feuerbach: Über Philosophie
Strauß’ mythische Interpretation geht deshalb und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen
Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit
nicht über Hegels Ansatz hinaus. Sie liefert ledig-
(1839), Bd. 8.219–292; Bruno Bauer: Die Posaune des
lich die nachträgliche Evidenz für Hegels weit Jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Anti-
vorauseilende Lösung. Feuerbach kann deshalb christen. Ein Ultimatum. Leipzig 1841; Hermann Ul-
zu Recht seine Religionskritik als Strauß’ my- rici: Ueber Princip und Methode der Hegel’schen Phi-
thischer Interpretation prinzipiell überlegen aus- losophie. Ein Beitrag zur Kritik derselben. Halle 1841;
geben und zugleich Hegels Religionsphilosophie Bruno Bauer: Hegel’s Lehre von der Religion und
Kunst von dem Standpuncte des Glaubens aus beur-
als die letzte Zufluchtsstätte der Orthodoxie at-
theilt. Leipzig 1842; Feuerbach: Zur Beurteilung der
tackieren. Denn er entdeckt den Weg, der der Schrift »Das Wesen des Christentums« (1842a), Ge-
Kritik noch offengeblieben ist – und zwar unab- sammelte Werke. Bd. 9.229–242; Feuerbach: Vorläufige
hängig von der Frage, ob diese Kritik letztlich Thesen zur Reformation der Philosophie (1842b), Bd.
3. Der Streit um Recht und Staat 525

9.243–263; Feuerbach: Grundsätze der Philosophie der zehnt zurück (s. 276 f.). Von den beiden von ihr
Zukunft (1843), Bd. 9.264–341; Franz Anton Stauden- stark beeinflußten Werken hat Eduard Gans’ Er-
maier: Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems.
brecht in weltgeschichtlicher Entwicklung
Aus dem Standpunkte der christlichen Philosophie.
Mainz 1844; Ludwig Noack: Der Religionsbegriff He- (1824–1835) zwar die ohnehin bestehende Di-
gel’s. Ein Beitrag zur Kritik der Hegel’schen Religions- stanz Hegels zu Savignys »Historischer Rechts-
philosophie. Darmstadt 1845. schule« vertieft, ohne jedoch zum Kristallisati-
onspunkt einer allgemeinen Auseinandersetzung
um die Rechtsphilosophie zu werden – schon
3. Der Streit um Recht und Staat weil er von dieser Schule nicht als Gesprächs-
partner akzeptiert wird; und Göschels Zerstreute
3.1. Der Kampf um den »christlichen Blätter aus den Hand- und Hülfsakten eines Ju-
Staat« risten (1832–1842) werden ohnehin kaum rezi-
piert. Hinrichs’ wie auch Michelets umfangreiche
(1) »Für Deutschland ist die K r i t i k d e r R e l i - historische Werke zu Recht und Staat haben nicht
g i o n im wesentlichen beendigt, und die Kritik allein wenig Aufmerksamkeit erregt; sie gehören
der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.« auch erst der späteren Zeit nach dem Ende der
(1844, MEW 1.378) Karl Marx’ vielzitiertes Wort unmittelbaren, produktiven Phase der Wirkungs-
zieht den Schlußstrich unter die mehr als ein geschichte Hegels an. Es dürfte an der Dominanz
Jahrzehnt mit äußerster Heftigkeit geführte De- der religionsphilosophischen Debatte liegen, daß
batte. Dies ist nicht so zu verstehen, als seien sich Hegels unmittelbare Schüler in die Ge-
Feuerbachs Prämissen – auf sie spielt Marx hier schichte der Rechtsphilosophie, aber auch der
an – jeder kritischen Nachfrage überhoben. Doch Politikwissenschaft oder in die politische Ge-
beendet Feuerbachs Christentumskritik die Epo- schichte des Vormärz nicht eingeschrieben haben
che der unmittelbaren Aneignung und Kritik der (vgl. Bleek 2001, 91–142). Allein Gans übt bis zu
Religionsphilosophie Hegels – eine Epoche, von seinem frühen Tod (1839) großen Einfluß auf die
der Michelet nicht zu Unrecht sagt, daß die ei- Studenten der Berliner Universität aus – etwa
gentlichen philosophischen Entscheidungen in durch seine Vorlesung über Naturrecht und Uni-
der Auseinandersetzung um Hegels Religions- versalrechtsgeschichte (1832/33) –, und zwar im
philosophie getroffen worden seien (1843, 315 f.; Sinne der Rechtsphilosophie Hegels, wenn auch
1841, 7). Die Arbeiten, die nach diesem Zeit- fraglos ›progressiver‹ als sein Lehrer, wie man
punkt zum Problem der spekulativen Religions- bereits an seiner Begeisterung für die Juli-Revo-
philosophie erscheinen, entspringen nicht mehr lution erkennen kann. Seine Rückblicke auf Per-
der lebendigen Auseinandersetzung um die phi- sonen und Zustände, insbesondere auf die Zu-
losophischen Probleme der Gegenwart. Wo sie stände in Frankreich am Vorabend und nach der
weiterhin Hegel thematisieren, wenden sie sich Juli-Revolution, auch auf den Saint-Simonismus,
doch zu ihm als einem bereits historisch Distan- widmen auch den sozialen Aspekten des früh-
zierten zurück. Ein Indiz für diesen Wandel bildet kapitalistischen Staates – der Lage der Arbeiter-
auch das Erscheinen von Rosenkranz’ bis heute schaft – eine damals ungewöhnliche Aufmerk-
maßgeblicher Biographie Hegel’s Leben (1844). samkeit, die den Eindruck auf seine Studenten
Allein in dem Streit um Schellings Spätphiloso- nicht verfehlt haben wird (1836, 99ff.). Unter
phie sowie für das Auseinanderbrechen des spe- ihnen sitzt auch derjenige, der wenige Jahre spä-
kulativen Theismus und für die Formulierung der ter Hegels Rechtsphilosophie nicht allein kriti-
Position Kierkegaards erweist Hegels Religions- sieren, sondern eine völlig neue Epoche ihrer
philosophie noch ihre systematische Aktualität Wirkungsgeschichte eröffnen wird: Karl Marx.
(Jaeschke 1986a, 410–436). (3) Trotz der geringen Zahl von Auseinander-
(2) Anders als die religionsphilosophischen setzungen mit Hegels Rechtsphilosophie in den
Themen nehmen »Recht« und »Staat« bis zum 1830er Jahren wird in der Hegel-Forschung nur
Ende der 1830er Jahre nur einen geringen Platz selten berücksichtigt, daß Friedrich Julius Stahl
in den Arbeiten aus Hegels Schule ein. Die un- noch in Hegels letzten Lebensjahren einen über-
mittelbaren Kontroversen um Hegels Grundli- aus wirkungsvollen Angriff gegen seine Rechts-
nien der Philosophie des Rechts liegen ein Jahr- philosophie vorträgt. Es gibt keinen Beleg dafür,
526 III. Schule

daß Hegel seinen »Antipoden« (Kaufmann 1906, Welt als eine freye That des persönlichen Gottes
VIII) noch wahrgenommen hätte. Gestützt auf betrachtet.« Hegel hingegen leugne sowohl die
Friedrich Schlegels und Schellings Parole »christ- Persönlichkeit Gottes als auch die freie Tat – aber
liche Philosophie« wie auch auf dessen »positive ohne die Persönlichkeit Gottes seien die Pro-
Philosophie« setzt Stahl zu einem umfassenden bleme der Rechtsphilosophie nicht lösbar (Bd.
Angriff auf die Rechts- und Staatsphilosophie der 1.330–332,362). Die strikte Alternative zwischen
Epoche von Kant bis Hegel, also der »Vernunft- der Berufung auf Gottes Wort oder auf Men-
philosophie«, an. Sein Vorstoß gegen den rechts- schenwort erspart dabei jede weitere Auseinan-
philosophischen »Rationalismus« steht im Ein- dersetzung: Denn von einer Berufung auf die
klang mit der dem »Positiven« zuneigenden Stim- »Vernunft« der Philosophen sei nur die Zerstö-
mung der Zeit. Deshalb ist er weit wirkungs- rung aller staatlichen und rechtlichen Verhält-
voller als Carl Ludwig von Hallers Restauration nisse zu erwarten: das Prinzip der »Volkssouve-
der Staatswissenschaft (s. 274 ff.), die stets nur ränität« – und als seine Folge die Revolution, die
die Zustimmung kleiner, wenn auch einflußrei- bereits Schlegel in der Signatur des Zeitalters als
cher Kreise gefunden hat (Jaeschke, 1986b). Folge der »Sünde« entlarvt hat.
In seiner Philosophie des Rechts nach ge- (4) Es dürfte sich dem abstrusen Charakter
schichtlicher Ansicht (1830–37) stellt Stahl sich dieses Ansatzes verdanken, daß er – wie auch v.
mit der Entschlossenheit des Konvertiten auf den Hallers Restauration der Staatswissenschaft (s.
Boden der »christlichen Philosophie«, wie er sie 274 ff.) oder andere Texte der Restauration –
aus Schellings Münchener Vorlesungen kennen- heute nur selten rezipiert wird. Dadurch ver-
gelernt hat (s. 507). »Christliche Philosophie« schieben sich jedoch die Koordinaten des gegen-
bzw. »christliche Rechts- und Staatslehre« wer- wärtigen Bildes von der damaligen Situation der
den hier zu Kampfbegriffen, wie zuvor bei Schle- Rechts- und Staatsphilosophie: Die programma-
gel gegen den Fichteschen, so nun insbesondere tischen und damals einflußreichen Schriften der
gegen den Hegelschen »Rationalismus«. An die Restauration treten nicht mehr ins Bewußtsein
Stelle einer Begründung von Recht und Staat auf der gegenwärtigen Forschung, und auf Grund
die Vernunft – oder abschätzig: auf die Hypo- dieser Verschiebung erscheinen Werke, die im
thesengeflechte der Philosophen – tritt nun die zeitgenössischen Spektrum die Mitte zwischen
Begründung auf das »Positive«, auf das untrüg- Restauration und Revolution halten, heute als
liche Wort der Offenbarung und insbesondere auf Manifest der Restauration.
das bereits genannte Prinzip der Persönlichkeit Der kritische Widerspruch, den die Schriften
Gottes (Jaeschke 1979a). Hierfür beruft Stahl sich der Restauration damals erfahren haben, steht im
auf Schelling: »Die Philosophie hat jetzt durch Blick sowohl auf die Zahl als auch auf die Wir-
Schelling die Stufe erreicht, auf der sie erkennt, kung in umgekehrtem Verhältnis zur Wirksam-
daß a priori nichts gewußt werden kann, daß alles keit der Konservativen. Ludwig Feuerbach je-
Schöpfung, Geschichte, freye That Gottes, freye doch, selber der Sohn des bedeutenden, von der
Mitwirkung der Geschöpfe ist.« (Bd. 2/1.17) Aufklärung und insbesondere von Kant geprägten
Der Grund der »positiven«, »geschichtlichen« Rechtsdenkers Paul Johann Anselm Feuerbach,
oder besser christlichen Lehre von Recht und unterzieht in einer frühen, noch ganz im Geiste
Staat liegt nicht in der Vernunft, sondern in Gott. Hegels geschriebenen Rezension (1835) Stahls
Gott ist es, in dessen »Persönlichkeit« alles Wech- Ansatz einer vernichtenden Kritik.
selnde, Mannigfaltige seine systematische Ein- Das letzte Prinzip dieser »christlichen Rechts-
heit findet. »Wir streben nur darum, alles sy- philosophie«, die sich gegen alle »Vernunftphilo-
stematisch zu machen, weil Gott persönlich ist.« sophie« oder allen »Rationalismus« und insbe-
»Der Staat soll auch eine Einheit seyn, er soll sondere gegen dessen letzte, Hegelsche Gestalt
äußerlich darstellen, was Gott innerlich ist, die richtet, sei, so Feuerbach, das »asylum ignoran-
Einheit der Persönlichkeit.« »Wahrhafte […] Ein- tiae« der göttlichen Offenbarung, das es erlaube,
heit gewährt also allein der persönliche Gott.« jede gewünschte staatliche Regelung oder sitt-
Für diese Denkweise beansprucht Stahl sogar liche Institution als aus dem Willen Gottes flie-
den Begriff der (wahren) Spekulation: »Speku- ßend zu rechtfertigen – und zudem in stetiger
lative Philosophie ist also diejenige, welche die Umkehrung der wirklichen Verhältnisse. Die
3. Der Streit um Recht und Staat 527

»christliche Rechtsphilosophie« sieht etwa den im Protestantismus und in der Aufklärung zu


Grund der Familie in der Zeugung des ewigen verpflichten. Diesem Ziel der »Verständigung
Sohnes Gottes wie auch den Grund unserer über die Zeit und ihre Gegensätze« dienen die
Persönlichkeit in der Persönlichkeit Gottes. Hallischen Jahrbücher, ein 1838 von den Hege-
Feuerbach erkennt sehr scharf, daß ein derartiger lianern Theodor Echtermeyer und Arnold Ruge
Anspruch auf vermeintlich theologische Grund- gegründetes Organ vornehmlich der Hegelschen
legung eines christlichen Rechts und Staates be- Linken, in Konkurrenz zu den Berliner Jahr-
wußtseinsgeschichtlich gesehen einen Atavis- büchern für wissenschaftliche Kritik (s. 288). Ne-
mus, philosophisch gesehen eine Verkehrung des ben Junghegelianern zählt es aber auch andere
Begründungsverhältnisses und pragmatisch ge- Autoren zu seinen Mitarbeitern: Johann Gustav
sehen ein untaugliches Verfahren darstellt. Zu- Droysen, Jakob Grimm oder Hermann Ulrici.
dem ist es durch ein sacrificium intellectus er- Nach seinem Verbot 1841 wird es zunächst unter
kauft. Feuerbach sieht, daß die bis in die frühe dem Titel Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft
Neuzeit hineinreichende unmittelbar theologi- und Kunst in Dresden fortgesetzt – bis es dort
sche Fundierung der unterschiedlichen Bereiche Anfang Januar 1843 ebenfalls verboten wird.
des gesellschaftlichen Lebens durch eine säku- Als ihr Ziel setzen sich die Hallischen Jahr-
lare Ordnung ersetzt worden ist, und er sieht bücher die Synthese von Protestantismus und
ebenso klar, daß die neben der Berufung auf das freier Wissenschaft in einem freien Staat. Dieser
Christentum stehende, an säkular gesinnte Gei- Option dient insbesondere Theodor Echter-
ster adressierte Programmformel des »Geschicht- meyers und Arnold Ruges »Manifest« Der Prote-
lichen« von dieser Schule eigentlich »nur aus stantismus und die Romantik (1839/40): »Die
Ironie« gebraucht sein kann. Widersetzlichkeit gedrückter, von dunkler Ge-
Denn eben diese Rede vom »Geschichtlichen« mütsbewegung beklommener Geister gegen die
treibt der Geschichte alles Geschichtliche aus, neuerdings eingetretene letzte Phase der Refor-
um sie zum unverrückbaren Fundament einer mation, d i e f r e i e B i l d u n g u n s e r e r g e i -
sich christlich nennenden restaurativen oder zu- s t i g e n W i r k l i c h k e i t , bereitet den Kampf,
mindest konservativen Weltsicht zu machen. In der uns jetzt bewegt.« In ihm beabsichtigen die
ihrem theologischen Aspekt dogmatisiert sie die Verfasser – in einem martialischen Bild –, »den
Verpflichtung auf »geschichtliche« Texte, deren Gegnern des wahren und freien Geistes in alle
Geschichtscharakter sie eben dadurch aufhebt, ihre Schlupfwinkel und Verschanzungen mit ge-
und rechts- und staatsphilosophisch ersetzt sie schlossener Linie nachzudringen« (PLS
eine vernünftige Auseinandersetzung um die 4/1.192 f.). Ihr Kampf richtet sich damals keines-
rechtliche Angemessenheit gesellschaftlicher wegs gegen die christliche Religion, sondern le-
Verhältnisse durch den Verweis auf ihre über- diglich gegen die Verbindung von Politik, Chri-
kommene Faktizität. Diesen letzteren Punkt kriti- stentum und Romantik – und damit gegen die
siert insbesondere Marx in seiner Einleitung Zur Synthese, zu der sich damals diejenigen Kräfte
Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie ganz in zusammengefunden haben, die unter Ausschluß
Hegels Sinn mit schneidenden Worten: Die hi- des freien Denkens teils frühere Zustände restau-
storische Rechtsschule – deren Umkreis sich auch rieren oder zumindest die Gegenwart konservie-
Stahl zurechnet – sei es, »welche die Niederträch- ren wollen – im »christlichen Staat« wie in der
tigkeit von heute durch die Niederträchtigkeit »christlichen Wissenschaft«.
von gestern legitimiert« und »jeden Schrei des (6) Feuerbachs Kritik an Stahl gipfelt zwar in
Leibeigenen gegen die Knute für rebellisch er- dem unwilligen Ausruf »Sat sapienti« – aber sie
klärt, sobald die Knute eine bejahrte, eine ange- prallt doch wirkungslos am Zeitgeist ab, der da-
stammte, eine historische Knute ist« (MEW mals nicht von den »sapientes« ausgesprochen
1.380). wird. Weder seine noch Michelets 1839 erschie-
(5) Auch nach der Ausweitung der religions- nene Rezension des 1837 erschienenen letzten
philosophischen Auseinandersetzungen auf die Teilbandes von Stahls Philosophie des Rechts
politische Ebene (1838) versucht die Hegelsche können verhindern, daß Stahl 1840, nach dem
Linke – noch fern vor aller Radikalität – zunächst Tode Altensteins und nach der Thronbesteigung
weiterhin, Preußen auf seine geistigen Wurzeln des »Romantikers« Friedrich Wilhelms IV.,
528 III. Schule

gleichzeitig mit Schelling nach Berlin berufen vision der Preußischen Gesetzgebung. Berlin
wird, um dort die »Drachensaat« des Hegelianis- 1830–1832; Feuerbach: Rezension zu Stahl: Die Philo-
sophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. In:
mus auszureuten. Nach den alsbald eingeleiteten
Feuerbach: Gesammelte Werke. Bd. 7.24–43; Gans:
Entlassungen und massiven Zensurmaßnahmen Rückblicke auf Personen und Zustände. Berlin 1836,
– die nicht allein die Hegelsche Linke, wie u. a. ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1994; Theodor Echter-
Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer und Arnold meyer und Arnold Ruge (Hg.): Hallische Jahrbücher für
Ruge treffen, sondern auch Rechtshegelianer wie deutsche Wissenschaft und Kunst. Leipzig 1838–1841,
Hinrichs, dessen politische Vorlesungen verboten danach: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und
Kunst. Leipzig 1841–1843; Michelet: Rezension zu
werden – wird die Hoffnung auf eine Reform des
Stahl: Philosophie des Rechts, Bd. 2/2. In: Jahrbücher
Staates im Zeichen der Verbindung von »Ver- für wissenschaftliche Kritik. August 1839, 177–223; Ar-
nunft« und »Protestantismus« zur Illusion. nold Ruges Briefwechsel und Tagebuchblätter aus den
Bruno Bauer wendet sich zwar noch einmal Jahren 1825–1880. Hg. von Paul Nerrlich. Bd. 1. Berlin
massiv gegen die Ideologie des »christlichen 1886; Bruno Bauer: Der christliche Staat und unsere
Staates«, indem er ein abschreckendes geschicht- Zeit (1841). In: Bauer: Feldzüge der reinen Kritik. Hg.
von Hans-Martin Saß. Frankfurt am Main 1968, 7–43;
liches Bild eines solchen Staates – seit Byzanz –
Karl Marx: Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philo-
zeichnet. Und er beschwört seine Zeitgenossen, sophie. In: Deutsch-Französische Jbb hg. von Arnold
von diesem Programm abzulassen und besser ein Ruge und Karl Marx. Paris 1844, 71–85, MEW 1.380;
Bündnis mit der Wissenschaft zu schließen: »Be- Eduard Zeller: Der christliche Staat und die Wissen-
denkt, noch ist es vielleicht Zeit! Vielleicht nur schaft. In: Jahrbücher der Gegenwart. Tübingen 1844,
noch ein Augenblick, und ihr habt – alles ver- 8–23,110–164. – Literatur: Erich Kaufmann: Studien
zur Staatslehre des monarchischen Prinzips. Leipzig
säumt und verloren.« (1841b, 43). Aber auch
1906; Lenz: Geschichte der Universität Berlin. Bd. 2/1
Arnold Ruge, der noch zum Jahreswechsel (1910); Heinz-Joachim Heydorn: Vom Hegelschen Staat
1839/40 für ein Bündnis des preußischen Staates zur permanenten Revolution. Eine Einleitung zur Neu-
mit der Tradition der Aufklärung und einem von herausgabe der »Hallischen« und »Deutschen Jahrbü-
der Aufklärung geprägten Protestantismus strei- cher« 1838–1843. In: Heydorn / Gernot Koneffke: Stu-
tet, gibt nun die Hoffnung auf die Verwirklichung dien zur Sozialgeschichte und Philosophie der Bildung.
II. Aspekte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Mün-
dieses Bündnisses verloren. Am 4.4.40 schreibt er
chen 1973, 133–177; Jaeschke: Staat aus christlichem
an Rosenkranz: »der Umschwung zum dummen Prinzip und christlicher Staat. Zur Ambivalenz der Be-
Christenthum und zur Stütze der Aristocratie, der rufung auf das Christentum in der Rechtsphilosophie
abgeschmackten, lügenhaften Theologie statt der Hegels und der Restauration. In: Der Staat 18/3
Philosophie und der protestantischen Durchbil- (1979a), 349–374; Jaeschke: Vernunft in der Religion
dung geht schwindelnd rasch.« Und Eduard Zel- (1986a); Jaeschke: Die Vernünftigkeit des Gesetzes.
Hegel und die Restauration im Streit um Zivilrecht und
lers – durch Ärger, Erstaunen und Ratlosigkeit
Verfassungsrecht. In: Lucas / Pöggeler (Hg.): Hegels
angesichts der politischen Lage gleichermaßen Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäi-
geprägte – Kritik des »christlichen Staates« der schen Verfassungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt
Restauration macht wenig später (1844) deutlich, 1986b, 221–256.
daß im Kampf gegen diese »Chimäre« des christ-
lichen Staates der spezifisch Hegelische, von der
spekulativen Vernunft geprägte Begriff des 3.2. Das Ende der unmittelbaren
Christlichen verlorengegangen und die Chance Wirkungsgeschichte
zu einer politischen Verwirklichung der von He-
gel angestrebten Versöhnung von Staat, Religion (1) Marx’ ausführliche und eindringliche Kritik
und Philosophie endgültig vertan ist. des Hegelschen Staatsrechts (1843) und seine
Quellen: Friedrich Schlegel: Signatur des Zeitalters »Einleitung« Zur Kritik der Hegelschen Rechts-
(1820–1823); Eduard Gans: Das Erbrecht in weltge- philosophie (1843/44) bezeichnen bereits den
schichtlicher Entwicklung. 4 Bde. Berlin 1824–1835; Grenzpunkt der unmittelbaren Wirkungsge-
Stahl: Philosophie des Rechts (11830–1837); Eduard schichte der Hegelschen Rechtsphilosophie: Der
Gans: Naturrecht und Universalrechtsgeschichte
erstgenannte Text wird damals nicht, und der
[1832/33]. Hg. von Manfred Riedel. Stuttgart 1981;
Carl Friedrich Göschel: Zerstreute Blätter aus den zweite in Paris, in den Deutsch-französischen
Hand- und Hülfsacten eines Juristen. 3 Bde. Erfurt / Jahrbüchern (1844) veröffentlicht. Vor allem aber
Schleusingen 1832–1842; Gans (Hg.): Beiträge zur Re- schreibt Marx nach dem von Feuerbach zu Beginn
3. Der Streit um Recht und Staat 529

des Jahres 1842 proklamierten – obschon un- angebenden Gruppen einerseits religiösen Glau-
mittelbar revozierten – »radikalen Bruch« mit der ben und politische Legitimität, andererseits Ver-
Spekulation (s. 535). Aus dieser späten Perspek- nunft und Revolution identifizieren, so muß die
tive, aus der zeitlichen Distanz zum Kritisierten Revolution als die angemessene Verwirklichung
schwindet auch die Distanz zwischen den unter- der politischen Vernunft erscheinen.
schiedlichen Gegenständen seiner Kritik: der Diese Kämpfe – und damit die unmittelbare
theologischen und politischen Restauration ei- Wirkungsgeschichte der Philosophie Hegels –
nerseits und der Hegelschen Philosophie ande- enden mit dem Scheitern der Revolution von
rerseits. Marx erkennt zwar an, daß die deutsche 1848. Sie bietet den Konservativen einen letzten
Staats- und Rechtsphilosophie »durch H e g e l Anlaß zur Diffamierung und Zerschlagung der
ihre konsequenteste, reichste und letzte Fassung Schule – eigentümlicher Weise gerade wegen
erhalten hat,« und er hebt sie als »die einzige mit ihrer Nichtbeteiligung. Denn »die Philosophie
der o f f i c i e l l e n modernen Gegenwart a l p a r i H e g e l ’ s […] stand während dieser großen Ka-
stehende deutsche Geschichte hervor (MEW tastrophe des Weltgeistes stumm und müßig, sie
1.383 f.). Doch bewahrt sie dies nicht davor, eben- hatte kein Wort zu belehren und zu ergreifen,
falls, und mit »entschiedener Verneinung«, als kein Fähnlein zog und focht unter ihrer Devise,
eine Form des verkehrten Weltbewußtseins ver- während der alte positive Glaube und die alte
worfen zu werden. Sie gilt Marx als »vornehm- Treue gegen die positiven geschichtlichen Ord-
ster, universellster, zur Wissenschaft erhobener nungen ihre Massen ins Feld schickten und den
Ausdruck« »der ganzen bisherigen We i s e des Kampf für die geistigen Güter, auch für Wissen-
deutschen politischen und rechtlichen schaft und Philosophie, von der sie so gering
B e w u ß t s e i n s«. Gerade ihr relativ-ausgezeich- geschätzt worden, gegen die hereinbrechende
neter Status prädestiniert sie nicht etwa zur ak- Barbarei führten.« (Stahl 1854, PLS 4/1.436) Mit
zeptablen oder wenigstens tolerablen Alterna- der von Schlegel ausgegebenen und von Stahl
tive, sondern zum vornehmsten Gegenstand ei- unermüdlich wiederholten Gleichung zwischen
ner radikalen Kritik (MEW 1.384). Vernunftphilosophie, politischer »Revolution«
(2) Der »radikale Bruch« mit der Hegelschen und »Sünde« (Stahl, 1854) läßt sich damals das
Philosophie aber erscheint nun unausweichlich, Ende der Klassischen Deutschen Philosophie po-
nachdem die geschichtlichen Erfahrungen um litisch erzwingen und zugleich auch noch ihr Erbe
1840 die Notwendigkeit eines radikalen Bruchs verschleudern.
mit der damaligen politischen Wirklichkeit ge- Quellen: Karl Marx: Kritik des Hegelschen Staatsrechts
zeigt hat. Ein theoretisches Programm, Wirklich- (§§ 261–313) (1843), MEW 1.203–333; Marx: Zur Kri-
keit zu begreifen und gar als »vernünftig« zu tik der Hegel’schen Rechts-Philosophie. In: Deutsch-
begreifen, erscheint angesichts dieser Wirklich- Französische Jbb hg. von Arnold Ruge und Karl Marx.
keit als zum Scheitern verurteilt. Denn diese Paris 1844, 71–85, MEW 1.380; Stahl: Was ist die
Revolution? […] Berlin 1852, PLS 4/1.422–432; ders.:
Wirklichkeit ließ sich nicht mehr leben, sondern
Philosophie des Rechts. Vorrede zur dritten Auflage.
nur noch kritisieren und fliehen. Die rückwärts Heidelberg 1854, PLS4/1.433–444. – Literatur:
gewandten Geister aus Religion und Politik be- Jaeschke: Staat aus christlichem Prinzip und christli-
kämpfen Hegels Religionsphilosophie wie seine cher Staat. Zur Ambivalenz der Berufung auf das Chri-
Rechtsphilosophie mit Entschiedenheit und auch stentum in der Rechtsphilosophie Hegels und der Re-
mit administrativem »Erfolg« – durch Verbot von stauration. In: Der Staat 18/3 (1979a), 349–374; Kurt
Rainer Meist: Altenstein und Gans. Eine frühe politi-
Publikationen, von Zeitschriften. Sie ziehen die
sche Option für Hegels Rechtsphilosophie. HS 14
Hegelsche Rechte – genannt sei wiederum Gö- (1979), 39–72; Unzeit des Biedermeiers. Historische
schel – in ihr Lager, verdächtigen und isolieren Miniaturen zum Deutschen Vormärz 1830–1848. Hg.
die Hegelsche Mitte und drängen die Linke von von der Akademie der Wissenschaften der DDR. Leip-
ihrer Bereitschaft zu einer reformerischen politi- zig u. a. 1985; Jaeschke: Die Vernünftigkeit des Ge-
schen Mitgestaltung schrittweise in die Radikali- setzes. Hegel und die Restauration im Streit um Zivil-
recht und Verfassungsrecht. In: Lucas / Pöggeler (Hg.):
tät ab, und weiter, teils in die innere, teils auch in
Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der euro-
die äußere Emigration – bis der »radikale Bruch« päischen Verfassungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cann-
mit dem herrschenden Ungeist der Zeit unaus- statt 1986b, 221–256; Domenico Losurdo: Zwischen
weichlich erscheint. Denn wenn die damals ton- Hegel und Bismarck. Die achtundvierziger Revolution
530 III. Schule

und die Krise der deutschen Kultur. (italienisch 1983) meine Religionskritik bis zu diesem Zeitpunkt
Berlin 1993; Hermann Klenner: Rechtsphilosophie zwi- ein unbekanntes Phänomen. Zuvor sind einzelne
schen Restauration und Revolution. PLS 4.87–99; Wil-
Züge der Religion kritisiert worden, um andere
helm Bleek: Geschichte der Politikwissenschaft in
Deutschland. München 2001. Aspekte hervorzuheben – etwa den moralischen
Gehalt der Religion auf Kosten des »statutari-
schen«. Doch Feuerbachs genetisch-destruktive
4. Der Streit um die Metaphysik Religionskritik stellt jetzt die Religion überhaupt
in Frage – als eine zwar im Wesen des mensch-
4.1. Religionskritik und »Ende lichen Geistes liegende, von ihm selbst zunächst
der Metaphysik« undurchschaute, schließlich jedoch aufzuhe-
bende Projektion. Nietzsches späterer Aphoris-
(1) Die unmittelbare Wirkungsgeschichte der mus »Die historische Widerlegung als die end-
Philosophie Hegels zeigt in ihren beiden wichtig- gültige« charakterisiert – ohne Namensnennung
sten Strängen einen charakteristischen Verlauf, – Feuerbachs Strategie: »Ehemals suchte man zu
der sich ungezwungen mit einem Hegelschen beweisen, dass es keinen Gott gebe, – heute zeigt
Modell beschreiben läßt. Seine Philosophie stößt man, wie der Glaube, dass es einen Gott gebe,
zunächst auf die erbitterte Kritik einer »christli- e n t s t e h e n konnte und wodurch dieser Glaube
chen Philosophie«. Deren konservative bis re- seine Schwere und Wichtigkeit erhalten hat: da-
staurative Tendenz zur Vindizierung der Themen durch wird ein Gegenbeweis, dass es keinen Gott
»Persönlichkeit Gottes« und »Unsterblichkeit der gebe, überflüssig.« (Morgenröthe 95; KSA 3.86)
Seele« provoziert schließlich die Ausbildung der Die Radikalität dieser Religionskritik ist provo-
genetisch-kritischen Religionsphilosophie: in ziert durch die nicht minder radikale Forderung
Ludwig Feuerbachs Das Wesen des Christentums nach Verchristlichung des gesamten Lebens. In
(1841). Diese stellt sich auf die Basis der Reli- strenger Parallele zu dieser Provozierung der ra-
gionsphilosophie Hegels, da sie von Hegels Ge- dikalen Religionskritik durch orthodoxe Forde-
danken der Selbstproduktion des Geistes aus- rungen verläuft auch die Entwicklung in der poli-
geht. Deshalb wird sie von den Zeitgenossen tischen Philosophie: Gegen Hegels Rechtsphilo-
zurecht als Produkt der Schule Hegels aufgefaßt, sophie wird zunächst die Parole des »christlichen
und nicht etwa als »materialistische« Gegenposi- Staates« ausgegeben – und die zeitgenössischen
tion, wie der späte Friedrich Engels 1886/88 Versuche, diesen Staat zu etablieren, provozieren
ebenso geschichtsverfälschend wie dogmatisie- nach 1840 die generelle Kritik der damaligen
rend behauptet (MEW 21.272). Doch zugleich Gesellschaftsform, bis hin zum Ruf nach Revolu-
markiert Feuerbachs Gedanke der Projektion ei- tion und Abschaffung des Staates.
nen Gegensatz zu Hegel – allerdings nicht schon (2) Der »revolutionäre Bruch im Denken des
darin, daß diese Vergegenständlichung für Hegel 19. Jahrhunderts« ereignet sich somit nicht, wie
im Dienste der Selbsterkenntnis des Geistes Karl Löwith unter völligem Absehen von den
steht, für Feuerbach hingegen das religiöse Be- wirkungsmächtigen Diskussionen der 1830er
wußtsein das Gattungswesen des Menschen ver- Jahre ebenfalls dogmatisierend suggeriert, zwi-
gegenständlicht. Auch dies läßt sich ja als Akt der schen der »Bewahrung der Hegelschen Philo-
Selbsterkenntnis begreifen – und auch die »Not- sophie durch die Althegelianer« und dem »Um-
wendigkeit« dieses Prozesses sehen beide über- sturz der Hegelschen Philosophie durch die
einstimmend. Die Differenz beider liegt erst Junghegelianer« (11941, 51964, 65,78). Der Bruch
darin, daß Hegel die aus dieser Vergegenständli- – soweit überhaupt von ihm gesprochen werden
chung entspringende religiöse Vorstellung zwar kann – hat vielmehr eine komplexere Struktur:
in den Begriff »aufhebt«, aber sie doch als eine – Er besteht in der Reaktion auf die im weiten
im Sinne einer historischen Anthropologie – be- Sinne restaurativen Tendenzen, die sich in Philo-
rechtigte, ja geschichtlich notwendige Form ver- sophie, Religion und Staat in den 1830er Jahren
steht, während Feuerbach den Illusionscharakter gegen Hegels Philosophie wenden. Somit ist ei-
dieser Projektion und die an sie geknüpften ver- gentlich von einem ›doppelten Bruch‹ zu spre-
derblichen Folgen betont. chen – wobei der mit dem Beginn der Restaura-
Zumindest in Deutschland ist solche allge- tionszeit erfolgende ›restaurative Bruch‹, die wir-
4. Der Streit um die Metaphysik 531

kungsmächtige Losung ›Zurück zum Positiven‹ des »Endes der Metaphysik«, sondern ihrer –
in Religion und Staat, die geistige und politische wenn auch nur ephemeren – Wiederbelebung.
Voraussetzung des dagegen gerichteten »revolu- Denn ihr prinzipielles Ende hat sie bereits am
tionären Bruches« bildet. Ende der Aufklärung, durch Kants Kritik, ge-
Ohnehin darf die Rede von einem derartigen funden.
»Bruch« nicht vergessen lassen, daß er – ge- (2) Im strengen, historisch bestimmten Sinne
messen an der Zahl wie auch an der damaligen des Wortes setzt Hegels Philosophie das »Ende
Bedeutung – einen nur marginalen und zudem der Metaphysik« bereits voraus – nämlich als das
politisch marginalisierten Sektor des Kreises der Ende der Metaphysik der rationalistischen Schul-
damaligen Philosophie erfaßt – wenn auch den in philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts: Was
der heutigen Retrospektive wirkungsmächtigen vor Kants Kritik der reinen Vernunft » M e t a -
und innovativen. Der breite Strom der Universi- p h y s i k hieß, ist, so zu sagen, mit Stumpf und
tätsphilosophie dieser Jahre hingegen wird von Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der
diesem Bruch nicht erfaßt (Köhnke 1986) – und Wissenschaften verschwunden.« Und – so Hegel
von ihr aus erfolgt im Nachmärz der geschicht- weiter in der Wissenschaft der Logik –: »Es ist diß
liche Übergang zu Neukantianismus und Lebens- ein Factum, daß das Interesse theils am Inhalte,
philosophie. Die akademische Philosophie be- theils an der Form der vormaligen Metaphysik,
rührt der »Bruch« allenfalls indirekt, sofern et- theils an beyden zugleich verlohren ist.« (GW
liche des Hegelianismus verdächtige Vertreter 11.5) Ähnlich schreibt er am 2.8.16 an v. Raumer:
nach der gescheiterten Revolution von 1848 »auch denen, welche sich sonst noch an das Ael-
Lehrverbot erhalten. Zudem wird die historische tere halten, ist die M e t a p h y s i k zugrunde ge-
Tendenz der Philosophie des Nachmärz, die oh- gangen wie der Juristenfakultät das deutsche
nehin im Einklang steht mit der allgemeinen Staatsrecht.« Hegel konstatiert dieses »Factum«
Historisierung des Zeitgeistes, durch den politi- mit Verwunderung und nicht ohne bedauernden
schen Druck noch weiter verstärkt, ja erzwungen Unterton – doch unternimmt er nichts, diese
– bis sie sich schließlich gegen diejenigen wen- Metaphysik wieder in ihre vormalige Würde ein-
det, die sie zunächst für ihre restaurativen zusetzen. Auch für ihn ist die frühere »meta-
Zwecke instrumentalisiert haben. Auch diesen physica specialis« vergangen, und im Blick auf die
Umschlag hat Nietzsche überaus prägnant gefaßt »metaphysica generalis«, die Ontologie, folgt er
– im Aphorismus »Die Feindschaft der Deutschen der von Kant vorgezeichneten Linie zu ihrer Um-
gegen die Aufklärung« (Morgenröthe 197; KSA gestaltung in Logik (s. 223 f.). In ihr sucht er dem
3.171 f.) »mit seinem reinen Wesen sich beschäftigenden
Geist« ein neues Dasein zu geben (GW 11.5).
Damit allerdings verbleibt er im Umkreis der
4.2. Transformation oder Begrenzung »Vernunftphilosophie«. Unter ihren Bedingungen
der »Metaphysik« ist Metaphysik nur noch möglich als Selbster-
kenntnis des Geistes – seiner internen Struktur
(1) Dem vorherrschenden Bild der Philosophie- oder seiner »Logik«. Diese Einsicht leitet Hegels
geschichte zu Folge betrifft der »Bruch im Den- Denkentwicklung vom Systementwurf II
ken des 19. Jahrhunderts« vor allem die Meta- (1804/05), der ja noch eine »Metaphysik der Ob-
physik: Das Ende des (Hegelschen) »absoluten jectivität« kennt (s. 165 ff.), zur Wissenschaft der
Geistes« bedeutete demnach zugleich das »Ende Logik. In der Form einer Selbsterkenntnis des
der Metaphysik« überhaupt. Diese Annahme ver- Geistes allerdings bildet solche »Metaphysik« ei-
dankt sich jedoch dem großzügigen Ignorieren nen fundamentalen und unverzichtbaren Bereich
der im Vormärz veröffentlichten philosophischen der Philosophie, der sich nur um den hohen Preis
Werke. Es sind wohl selten mehr Bücher mit dem des sacrificium intellectus aufgeben läßt.
Titel »Metaphysik« und Abhandlungen logisch- (3) Gegenüber dieser »Metaphysik« ist die Po-
metaphysischen Inhalts veröffentlicht worden als lemik seitens der »christlichen Philosophie« ge-
gerade im Vormärz, in dem sich angeblich das gen die »Vernunftphilosophie« weit weniger er-
»Ende der Metaphysik« ereignet. Der Vormärz – folgreich und durchschlagend gewesen als in den
im Sinne des Epochenbegriffs – ist nicht die Zeit für das gesellschaftliche Leben empfindlichen
532 III. Schule

Bereichen »Religion« und »Staat«. Sie hat hier zu nennen. Der Höhe- und Wendepunkt dieses
mehr den Charakter einer ›innerakademischen‹ Diskussionsstranges fällt fraglos in die Ausein-
Auseinandersetzung, und sie zielt hier letztlich andersetzung zwischen Weiße und Fichte in ih-
auch nicht auf die generelle Beseitigung solcher ren Sendschreiben und Antwortschreiben aus den
»Metaphysik«, sondern entweder auf ihre Trans- Jahren 1842/43. Sie gehört nicht minder zur Wir-
formation in eine »christliche Philosophie«, also kungsgeschichte Hegels als die Arbeiten aus dem
auf ihre Fundierung in der christlichen Offenba- engeren Umkreis der Schule – denn wie dort geht
rung, oder auf die strikte Begrenzung des Um- es auch hier um die Interpretation der Philo-
fangs der im Rahmen einer »Vernunftphiloso- sophie Hegels und um die Bedeutung seines Er-
phie« möglichen »Metaphysik« – etwa als einer bes wie überhaupt um die systematische Lei-
»negativen Philosophie« – und auf ihre Komple- stungsfähigkeit einer »metaphysischen« oder
mentierung und Überbietung durch eine »posi- »apriorischen Philosophie« in der philosophi-
tive Philosophie«. Diese, heute nur noch im Blick schen Situation der Gegenwart.
auf Schellings Spätwerk geläufige Unterschei- (4) Für diese Fragen hat eine für die 1830er
dung durchzieht ja weithin den damaligen Streit Jahre charakteristische Entwicklung keine un-
um die systematische Reichweite der sogenann- mittelbare Auswirkung: die Ausbildung der Er-
ten »Vernunftphilosophie«. kenntnistheorie zu einem eigenständigen Sy-
Soweit die damaligen Verfasser metaphysi- stemteil. In dieser Verselbständigung der Er-
scher Entwürfe der Schule Hegels angehören, kenntnistheorie wirkt ein Kantisches Erbe nach,
erneuern sie dessen Konzeption von »Logik und das in Hegels Philosophie unterdrückt, zumin-
Metaphysik«, wenn auch stets gegenüber der Lo- dest in seinem Eigengewicht verkannt scheint.
gik des Meisters mit einer Reihe von wirklichen Hegel ergießt ja stets seinen Spott über die Be-
oder vermeintlichen Verbesserungen. Sie verfol- mühungen, vor dem Erkennen das Erkennen er-
gen überwiegend die Tendenz, Hegels strikte kennen zu wollen – wie, mit einem alten Dictum,
Einheit von Logik und Metaphysik aufzulockern über die Absicht des Scholastikus, schwimmen
– teils durch die kategoriale Erweiterung der lernen zu wollen, bevor er ins Wasser geht (V
Logik, teils durch die Rückkehr zu einer Binnen- 3.79). Dennoch tangiert diese Ausbildung einer
differenzierung zwischen Logik und Metaphysik. eigenständigen Erkenntnistheorie seit den
Hier sind etwa die Arbeiten von Hinrichs, Muß- 1830er Jahren nicht notwendig die Stellung der
mann, Erdmann, Kuno Fischer und Rosenkranz Metaphysik. Sie hat ja nicht die Aufgabe, die
zu nennen, auch die Auseinandersetzungen zwi- Metaphysik zu ersetzen, sondern das Terrain für
schen ihm und seinen Kritikern Ferdinand La- sie zu bereiten. Dies zeigt sich schon beim jün-
salle und Michelet (Jaeschke 1980; Burkhardt geren Fichte, der in seinen Grundzügen zum
1993). Adolf Trendelenburgs Logische Untersu- Systeme der Philosophie ebenfalls die Erkennt-
chungen (11840), dieses Werk der »Spätroman- nistheorie der Ontologie vorangehen läßt.
tik«, ist zwar von politisch und religiös inter- (5) Insgesamt geht es dieser durchaus reprä-
essierter Seite als Widerlegung Hegels gefeiert sentativen Richtung keineswegs darum, ein
worden, hat jedoch diese Logik-Arbeit der He- »Ende der Metaphysik« herbeizuführen, sondern
gel-Schule nicht beeinträchtigt (Köhnke 1986, das durch Kant bewirkte und von Hegel nicht
48–57). revozierte »Ende der Metaphysik« nun endlich
Soweit die Autoren der damaligen »Metaphy- rückgängig zu machen, um der Philosophie dieje-
siken« hingegen dem Kreis der »spekulativen nigen Gegenstände zu vindizieren, die in der
Theisten« angehören oder nahestehen, suchen vorkritischen metaphysica specialis den höchsten
sie die »logische Philosophie« entweder im Ge- Punkt des Denkens gebildet haben: die Persön-
danken der Persönlichkeit Gottes neu zu fundie- lichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der Seele.
ren oder sie als »Vernunftphilosophie« zu be- In diesem Interesse trifft sich der »spekulative
lassen, aber durch eine im Positiven, in der Idee Theismus« des Kreises um Fichte und Weiße mit
der Persönlichkeit Gottes und seiner Offenba- der Spätphilosophie Schellings. Sie spricht ihr
rung verankerte Philosophie zu komplementie- innerstes Motiv und das »Signal zur Umkehrung
ren. Immanuel Hermann Fichte, Weiße und Fi- und damit zur positiven Philosophie« ja als das
scher, aber auch Sengler und Chalybäus sind hier Verlangen des Ich nach einem persönlichen Gott
4. Der Streit um die Metaphysik 533

und nach Erlösung aus: » I h n , I h n will es haben, der positiven Philosophie (1838) und Über Philo-
den Gott, der handelt, bei dem eine Vorsehung sophie und Christentum (1839). Und selbst in
ist, […] kurz der der H e r r des Seyns ist« (SW seiner Hegel-Kritik wendet er sich gegen »die
11.566). Spekulation der Positivisten [sc. der Anhänger
der christlich-positiven Philosophie]; denn statt
ü b e r Hegel hinauszugehen, ist sie tief u n t e r
4.3. Anthropologie vs. »Metaphysik« Hegel hinabgefallen« (Bd. 9.61).
(3) Feuerbachs Kritik der Hegelschen Philo-
(1) Der Streit, der zwischen diesen Richtungen sophie knüpft zunächst an Strauß’ Argument ge-
und der Hegel-Schule um die Metaphysik geführt gen die »absolute Inkarnation der Gattung in
wird, ist ein Streit um die Wiedergewinnung der einer bestimmten Individualität« an. Er gibt die-
seit der Aufklärung zerstörten Inhalte, wenn auch sem Argument aber nicht die damals von der
nicht der Form der vorkritischen Metaphysik. Restauration bekämpfte politische Wendung ge-
Nach der faktischen, politischen Niederlage der gen die Monarchie, sondern eine Spitze gegen
Schule im Streit um Religion und Politik wird Hegel: Auch dessen Philosophie kann nicht »die
jedoch eine neue Front im Kampf auch um die absolute Wirklichkeit der Idee der Philosophie«
Metaphysik eröffnet, und erst jetzt tritt dieser in sein – sonst stünde ja die Zeit still. Alle Philo-
ein für die Wirkungsgeschichte der Philosophie sophien aber sind »hervorgegangen zu einer be-
Hegels entscheidendes Stadium: durch die Kri- stimmten Zeit«; sie haben deshalb endlichen
tik, daß sie nicht etwa zu wenig, sondern immer Charakter, und sie vergehen, »weil die Menschen
noch zuviel Theologie in sich habe. und Zeiten vergehen und die Menschen nicht von
(2) »Zweifel« hat Ludwig Feuerbach nach sei- der Erbschaft ihrer Vorfahren, sondern von dem
nem eigenen Zeugnis schon früh formuliert – in selbsterworbenen Vermögen leben wollen.« Hier
seinem gleichnamigen Fragment von 1827/28: wie auch an anderer Stelle spricht Feuerbach
»Wie verhält sich das Denken zum Sein, wie die neben dem geschichtlich-relativen auch ein vo-
›Logik‹ zur Natur? Ist der Übergang von jener zu luntatives Moment der Abkehr von Hegel pro-
dieser begründet? Wo ist die Notwendigkeit, wo nonciert aus: Um der eigenen Identität willen
das Prinzip dieses Übergangs? […] Gäbe es keine muß man den Mut zur Absetzung von der Väter-
Natur, nimmermehr brächte die unbefleckte generation, ja sogar zur historischen Ungerech-
Jungfer ›Logik‹ eine aus sich hervor.« Und hieran tigkeit haben. Doch daneben steht ein objektiver
schließt er sofort eine Frage nach dem Verhältnis Aspekt: Da die Zeit ohnehin alle geistigen Pro-
von Philosophie und Religion an (Bd. 10.155 f.). duktionen und somit auch Hegels Philosophie
Trotz dieser Zweifel schreibt Feuerbach eine völ- relativiert, ist es »Pflicht und Aufgabe des den-
lig durch Hegel geprägte Dissertation, die er kenden Menschen, die notwendigen, unausbleib-
unter dem Titel De ratione, una, universali, in- lichen Wirkungen der Zeit durch die Vernunft zu
finita 1828 als Habilitationsschrift veröffentlicht. antizipieren« und »der Zeit durch die Vernunft
Die Kollegien, die er um 1830 in Erlangen über zuvorzukommen und nachzuweisen, daß sie
Logik hält, sind sogar die ›orthodoxeste‹ Logik- wirklich eine bestimmte, spezielle Philosophie
Bearbeitung aus den Reihen der Schüler. Und in ist.« (Bd. 9.20–23)
den anschließenden Jahren verteidigt Feuerbach Zu diesem Zeitpunkt hat Feuerbachs Kritik an
auch auf religions- und rechtsphilosophischem Hegels Logik noch einen rhapsodischen, suchen-
Gebiet Hegels Philosophie gegen konservative den und eher provokativen als argumentierenden
Kritiker. Charakter: Gegen Hegels Anfang mit dem Begriff
Erst als in den Jahren 1838/39 der Streit um des Seins wendet er ein, man solle besser »mit
Religionsphilosophie und Politik die Verabschie- dem Sein selbst, d. h. dem wirklichen Sein, be-
dung von Hegels These der Inhaltsidentität von ginnen« (Bd. 9.23) – als ob nicht auch das »wirk-
Philosophie und Religion erzwingt, ist für Feuer- liche Sein«, über das gesprochen und geschrieben
bach der Zeitpunkt gekommen, auch Hegels Lo- wird, stets ein gedachtes wäre. »Die Einheit des
gik zu verabschieden: Seine Abhandlung Zur Kri- Subjektiven und Objektiven« gilt ihm nun als »ein
tik der Hegelschen Philosophie (1839) folgt nicht ebenso unfruchtbares als verderbliches Prinzip,
zufällig erst auf seine Abhandlungen Zur Kritik weil sie auch im besondern die Unterscheidung
534 III. Schule

zwischen dem Subjektiven und Objektiven auf- logie, um sie mit größerem Recht verwerfen zu
hebt« (Bd. 9.53). An Stelle der Hegelschen »Ver- können – und mit ihr zugleich die gesamte frü-
mittlung« fordert er eine »Unmittelbarkeit« – here Philosophie. Hegels Begriff des »absoluten
freilich eine »andere Unmittelbarkeit« als die Geistes« steht nun im Verdacht, daß in ihm »der
subjektive Jacobis –, und doch zugleich die Ver- ›abgeschiedene Geist‹« der Theologie »noch als
mittlung zwischen »Ich und Du«, als die Bedin- G e s p e n s t umgeht« (Bd. 9.247). Die spekulative
gung von Wahrheit (Bd. 9.26–30). Und daß »Dia- Vernunft sei nichts als der Verstand Gottes – aber
lektik« »kein Monolog der Spekulation mit sich die Verwandlung des Deus in die Vernunft hebe
selbst, sondern ein Dialog der Spekulation und den Deus nicht auf (Feuerbach 1996, 107,125).
Empirie« sei, hat auch Feuerbach nirgends anders Diese Kritikfigur, die pauschale Verdächtigung
gelernt als bei Hegel, gegen den er nun diesen und Diffamierung eines Gedankens als eines Re-
Gedanken vorbringt. likts früherer Theologie läßt sich allerdings be-
(4) Feuerbach bereitet seinen »Bruch mit der liebig wiederholen, und so richtet sich die Itera-
Spekulation« dadurch vor, daß er Hegel einen tion des Theologieverdachts wenig später gegen
»absoluten Bruch mit dem sinnlichen Bewußt- Feuerbachs eigenen Neuansatz. Denn wie er im
sein« vorwirft – in der Phänomenologie. Hegel Vernunftbegriff der spekulativen Philosophie den
gelange deshalb nie zum »Anderssein des Ge- alten Gottesgedanken am Werke sieht und den
dankens«, sondern lediglich zum » G e d a n k e n Menschen als das Geheimnis Gottes erweist, so
v o n d e m A n d e r s s e i n d e s G e d a n k e n s« wendet Friedrich Engels, angeregt durch Max
(Bd. 9.45). Programmatisch ist sein »Bruch mit Stirner (alias Johann Caspar Schmidt), mit bes-
der Spekulation« somit als Revision des von der serem Recht gegen ihn ein: »der Feuerbachsche
Spekulation vollzogenen Bruches mit Unmittel- ›Mensch‹ ist von Gott abgeleitet, Feuerbach ist
barkeit, Sinnlichkeit und Anschauung angelegt – von Gott auf den ›Menschen‹ gekommen, und so
und insbesondere mit dem »Inbegriff der Wirk- ist ›der Mensch‹ allerdings noch mit einem theo-
lichkeit«: mit der »Natur«. Und so klingt sein logischen Heiligenschein der Abstraktion be-
Résumé geradezu rousseauistisch: »Die Rückkehr kränzt.« (an Marx, 19.11.44, MEW 27.11 f.)
zur Natur ist allein die Quelle des Heils« (Bd. Wenn man der Äußerung des Theologiever-
9.61). dachts argumentativen Wert zuschreibt, ist dieser
Am pointiertesten formulieren Feuerbachs Vor- Einwand um so mehr berechtigt, als Feuerbach
läufige Thesen zur Reformation der Philosophie seine neue, gegen Hegel gerichtete Philosophie
und Grundsätze der Philosophie der Zukunft in einer Hegelschen Gedankenfigur zur »Realisa-
seine Abwendung von der Metaphysik. Aber auch tion« der Hegelschen stilisiert, freilich zu einer
sie zeigen überdeutlich, daß der Impetus seiner Realisation, die zugleich deren » w i d e r -
Metaphysikkritik und sein Interesse an der Er- s p r u c h s l o s e Negation« sei. Denn: »Die Vo l l -
setzung der Metaphysik durch Anthropologie e n d u n g der neueren Philosophie ist die H e -
sich aus der Religions- und Theologiekritik spei- g e l s c h e Philosophie. Die h i s t o r i s c h e N o t -
sen. Deshalb kritisiert er die »spekulative Philo- w e n d i g k e i t und R e c h t f e r t i g u n g der
sophie« primär als »spekulative Theologie«. Auch neuen Philosophie [sc. der Philosophie Feuer-
in seinem Manuskript Grundsätze der Philoso- bachs] knüpft sich daher hauptsächlich an die
phie. Notwendigkeit einer Veränderung zeigt er K r i t i k H e g e l s .« (Bd. 9.295) Zuvor heißt es
diese »Notwendigkeit« am Verhältnis zum Chri- sogar, die neue Philosophie könne »nicht auf
stentum auf – und insbesondere zum modernen positivem Wege«, sondern »nur als die N e g a -
Christentum: Auch in der Metaphysikkritik geht t i o n der Hegelschen Philosophie aus ihr abge-
es ihm primär um die Befreiung von diesem leitet« werden (Bd. 9.247).
Christentum – und deshalb ist auch alle Philo- Die erstrebte neue »Unmittelbarkeit« leitet sich
sophie zu verabschieden, die noch unter Theo- somit aus philosophiegeschichtlichen Vermitt-
logieverdacht steht oder sich gar ein affirmatives lungsprozessen her. Feuerbachs Forderung nach
Verhältnis zur Religion gibt – und somit auch die einem radikalen Bruch, nach dem Ende der Me-
Philosophie Hegels. taphysik bleibt deshalb in Programmatik und ver-
Entgegen seiner früheren und besseren Ein- baler Radikalität stecken. Im Brief an Ruge vom
sicht interpretiert Feuerbach diese nun als Theo- 13.2.42 formuliert er programmatisch: »ein ra-
4. Der Streit um die Metaphysik 535

dikaler Bruch ist notwendig« – doch fährt er fort: Rahmen der traditionellen Religion nicht mehr
»Damit soll aber natürlich nicht das ›peu à peu‹ erreichbar schien und auf spekulativem Wege
ausgeschlossen sein. Es handelt sich vor allem nicht gewonnen werden sollte (Fichte 1843,
jetzt darum, etwas zu geben, wornach man dozie- 207–211).
ren kann. Das beste ist, sich an Hegel anzuschlie- Die gleiche Tendenz durchzieht die Einleitung
ßen – sein Gang ist ein ganz richtiger –, aber ihn zu Fichtes Spekulativer Theologie (1846): Die
natürlich zu reformieren nach den neuen Prinzi- Befreiung von der lastenden Autorität des Hegel-
pien.« (Bd. 18.159) schen Denkens könne nicht – im Stil der Schule –
Deshalb verwundert es nicht, daß viele der durch immer neue Begriffsdistinktionen erfol-
Einwände Feuerbachs gegen Hegel nur dessen gen, sondern nur durch Verzicht auf diese »abge-
Kritik der vormaligen Metaphysik rekapitulieren, zogenen Begriffe« – obschon Fichte selber eine
etwa seine Auszeichnung des Bewußtseins als des dickleibige Spekulative Theologie oder allgemeine
»wirklichen Seins« (Bd. 9.252). In dem Maße Religionslehre voller solcher Begriffe schreibt.
hingegen, als Feuerbach über die Iteration des Der »abstrus transzendenten Welt der Begriffe«
Theologieverdachts hinausgeht und die alte Me- stellt er das anschaubar Wirkliche und Unmittel-
taphysik wie auch die Hegelsche Logik inhaltlich bare entgegen. Nicht durch begriffliche Erkennt-
kritisiert – etwa im Blick auf das Verhältnis von nis werde Gott erkannt, sondern er sei nun für
Denken und Sein –, schwindet die eigentümliche die Wissenschaft ein »praesens numen« gewor-
Suggestivkraft seiner Darlegungen. Das »wirk- den. Auf diese Weise sucht Fichte den Prozeß der
liche Sein«, das er gegen das »gedachte Sein« Ausbildung der Einzelwissenschaften und der aus
geltend macht, ist ihm »das Unsagbare. Wo die ihr folgenden Veränderung des Wissenschaftsbe-
Worte aufhören, da fängt erst das Leben an, griffs für sein religiöses Interesse zu instrumen-
erschließt sich erst das Geheimnis des Seins.« talisieren. Und so träumt er von einem Zeitalter,
»Sein«, »Existenz«, sind ihm schließlich etwas wo man philosophieren wird »im gemeinsamen
Unsagbares – aber damit nicht Nichts: »Die Exi- Lichte gotterleuchteter Wissenschaft und die Ei-
stenz hat für sich selbst, auch ohne Sagbarkeit, telkeit und Eigenliebe selbstgemachter Systeme
Sinn und Vernunft.« (Bd. 9.308) in Nichts verschwindet«. Durch die Einseitigkeit
(5) In der Aufwertung der Stichworte »Sein«, und Öde unserer spekulativen Bildung sei Gott
»Unmittelbarkeit«, »Existenz« zeigt sich eine all- zum reinen, natur- und wirklichkeitslosen Ge-
gemeine Tendenz in der Bewußtseinsgeschichte dankendinge geworden, an das man nicht mehr
der Zeit, die sich – jenseits der Wirkungsge- glauben könne. Gegen diese philosophische »Af-
schichte Hegels – auch bei Kierkegaard und terwissenschaft« beschwört Fichte die ewige, ur-
Schelling verfolgen läßt, dort allerdings nicht in sprüngliche Kraft der Religion – in der nicht
Spannung zu Religion und Theologie. Eine wenig unbegründeten Erwartung, daß sie sich mit den
beachtete Nähe zu Feuerbach weist jedoch das entstehenden Einzelwissenschaften problemlo-
Antwortschreiben des jüngeren Fichte auf Weißes ser arrangieren könne als mit der spekulativen
Sendschreiben auf: Fichte konstatiert hier eine Philosophie (Fichte 1846, II-XX).
erneuerte Hinneigung der gegenwärtigen Philo- (6) In enger Allianz mit der politischen Option
sophie vom trügerischen Boden des dialektischen hat diese, über zwei Jahrzehnte wiederholte
Ausspinnens bloßer Begriffsabstraktionen zum theologische Option schließlich die erste Phase
Empirismus – und dies bringe zudem den Vorzug der Wirkungsgeschichte der Hegelschen Philo-
mit sich, daß im Gebiet der Erfahrung auch sophie beendet. Diese politisch-theologische
schwache spekulative Talente etwas leisten könn- Konstellation hat in der bürgerlichen, wenig
ten. Statt in der sterilen Wüste der Abstraktion »vormärzlich« revolutionär gesinnten Epoche des
nach Brunnen lebendigen Wassers zu graben, Vormärz weithin Resonanz gefunden – sowohl im
gelte es, sich zur Einen ewig strömenden Lebens- akademischen als auch im politisch bestimmten
quelle des Realen zu wenden. Im Vordergrund Milieu – und hierdurch das Ende der unmittel-
steht hier aber nicht etwa eine wissenschaftsge- baren Wirkungsgeschichte der Hegelschen Philo-
schichtliche Wende, sondern das Verlangen nach sophie herbeigeführt. Hingegen gibt es keine un-
Einsicht in die Immanenz des göttlichen Geistes mittelbare Konfrontation zwischen Hegels Philo-
in der Welt – also nach einer Einsicht, die im sophie und den sich formierenden Einzelwissen-
536 III. Schule

schaften. Hier lassen sich sogar Wirkungslinien Quellen: Ludwig Feuerbach: De ratione, una, univer-
nachzeichnen – etwa die durch Feuerbach ver- sali, infinita (1828). In: Feuerbach: Gesammelte Werke.
Bd. 1.1–173; Immanuel Hermann Fichte: Grundzüge
mittelte Rezeption der Hegelschen Philosophie
zum Systeme der Philosophie. 1. Abt.: Das Erkennen
durch den Physiologen Jacob Moleschott in der als Selbsterkennen. Heidelberg 1833; 2. Abt.: Die Onto-
Vorgeschichte des »Materialismusstreits« (1855). logie. Heidelberg 1836; 3. Abt.: Die speculative Theo-
Insgesamt aber sind die Beziehungen zwischen logie oder allgemeine Religionslehre. Heidelberg 1846;
der Philosophie und der Wissenschaftsgeschichte Carl Philipp Fischer: Die Wissenschaft der Metaphysik
im Vormärz bisher nur punktuell erforscht – und im Grundrisse. Zum Gebrauch für seine Vorlesungen.
Stuttgart 1834; Weiße: Grundzüge der Metaphysik.
dies im scharfen Kontrast zu der weithin geteilten
Hamburg 1835; Feuerbach: Zur Kritik der positiven
Überzeugung, der sogenannte »Zusammenbruch Philosophie […] (1838, Bd. 8.181–207); Feuerbach:
des Deutschen Idealismus« sei durch die Einzel- Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf
wissenschaften bewirkt worden. den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf
Schwerer wiegt etwas anderes: Die Ausbildung der Unchristlichkeit (1839, Bd. 8.219–292); Feuerbach:
der Einzelwissenschaften vollzieht sich in einer Zur Kritik der Hegelschen Philosophie (1839, Bd.
9.16–62); Feuerbach: Das Wesen des Christentums
eigenen Sphäre und nach einer eigenen Logik,
(1841, Bd. 5); Feuerbach: Vorläufige Thesen zur Re-
ohne Rekurs auf spekulative Philosophie. Die formation der Philosophie (1842, Bd. 9.243–263); Feu-
Ausdifferenzierung der Einzelwissenschaften erbach: Grundzüge der Philosophie der Zukunft (1843,
scheint nicht allein der Metaphysik, sondern der Bd. 9.264–341); Feuerbach: Grundsätze der Philoso-
Philosophie überhaupt nicht zu bedürfen und sie phie. Notwendigkeit einer Veränderung. In: Feuerbach:
somit überflüssig zu machen; die Philosophie Entwürfe zu einer Neuen Philosophie. Hg. von Walter
Jaeschke und Werner Schuffenhauer. Hamburg 1996,
leistet keinen Beitrag zu ihrem Erfolg. Während
119–135; Adolf Trendelenburg: Logische Untersuchun-
die Philosophie von Seiten der Religion und Poli- gen. Berlin 11840; Christian Hermann Weiße: Das phi-
tik bekämpft wird, wird sie von Seiten der Einzel- losophische Problem der Gegenwart. Sendschreiben an
wissenschaften ignoriert. Und erst unter diesen Immanuel Hermann Fichte. Leipzig 1842; Fichte: Der
Bedingungen, im Streit zwischen »Idealismus« Begriff des negativ Absoluten und der negativen Philo-
und »Materialismus« nach der Jahrhundertmitte, sophie. Antwortschreiben an […] C. H. Weiße. In: Zeit-
schrift für Philosophie und speculative Theologie
in dem die pauschalen Etikettierungen überwie-
(1843), 157–217; Fischer: Speculative Charakteristik
gen, wird die Klassische Deutsche Philosophie und Kritik des Hegel’schen Systems und Begründung
unter den Titel »Deutscher Idealismus« gestellt der Umgestaltung der Philosophie zur objectiven Ver-
(Jaeschke, 2000b). Dieser Prozeß ist weder als nunftwissenschaft, mit besondrer Rücksicht auf die Ge-
»Widerlegung« noch gar als »Zusammenbruch« schichte der Philosophie. Erlangen 1845; Heinrich Mo-
zu beschreiben, sondern im besseren Fall als ritz Chalybäus: Entwurf eines Systems der Wissen-
schaftslehre. Kiel 1846; Jakob Sengler: Die Idee Gottes.
»Historisierung«, im schlechteren als ein schlich-
Heidelberg 1847; Rosenkranz: Wissenschaft der logi-
tes Verdrängen, Ignorieren und Diffamieren der schen Idee. In zwei Bänden. Bd. 1. Metaphysik; Bd. 2.
Fragestellungen und des Problemniveaus dieser Logik und Ideenlehre. Königsberg 1858/59; Friedrich
Philosophie. Die Wirkungsgeschichte der Philo- Nietzsche: Morgenröthe. Gedanken über die morali-
sophie Hegels wird hier in einem bewußtseins- schen Vorurteile (1881). In: Nietzsche: Kritische Studi-
geschichtlichen Prozeß absorbiert, in dem der enausgabe. Bd. 3. München und Berlin / New York
1980; Friedrich Engels: Ludwig Feuerbach und der
»mit seinem reinen Wesen sich beschäftigende
Ausgang der klassischen deutschen Philosophie. 11886,
Geist« ortlos und fremd geworden ist. Das Wort, revidierter Sonderabdruck Stuttgart 1888, MEW
das Hegel bereits an den Beginn seiner Wissen- 21.261–307. – Literatur: Karl Löwith: Von Hegel zu
schaft der Logik stellt, gewinnt seine volle Be- Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19.
rechtigung nicht schon im Jahr 1812, sondern Jahrhunderts. Marx und Kierkegaard. 11941, Stuttgart
5 1964 u. ö.; Jaeschke: Art. »Logik, (spekulativ-) dia-
erst am Ende des Vormärz. Es schließt nun auch
lektische«. In: Historisches Wörterbuch der Philoso-
die in die »Logik« transformierte Metaphysik ein,
phie. Band L-Mn. Basel / Stuttgart 1980, Sp. 389–398;
die nichts als die Selbsterkenntnis des Geistes Jaeschke (1986a), 410–436; Klaus Christian Köhnke:
zum Gegenstand hat: »Es ist diß ein Factum, daß Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die
das Interesse theils am Inhalte, theils an der deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus
Form der vormaligen Metaphysik, theils an bey- und Positivismus. Frankfurt am Main 1986; Bernd
den zugleich verlohren ist.« (GW 11.5) Burkhardt: Hegels »Wissenschaft der Logik« im Span-
nungsfeld der Kritik. Historische und systematische
4. Der Streit um die Metaphysik 537

Untersuchungen zur Diskussion um Funktion und Lei- 1848. Hamburg 2000, 219–234; Kurt Bayertz / Myriam
stungsfähigkeit von Hegels »Wissenschaft der Logik«. Gerhard / Walter Jaeschke (Hg.): Weltanschauung,
Hildesheim u. a. 1993; Jaeschke: Zur Genealogie des Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhun-
Deutschen Idealismus. Konstitutionsgeschichtliche Be- dert. Bd. 1: Der Materialismus-Streit; Bd. 2: Der Dar-
merkungen in methodologischer Absicht. In: Andreas winismus-Streit; Bd. 3: Der Ignorabimus-Streit. Ham-
Arndt / Walter Jaeschke (Hg.): Materialismus und Spi- burg 2007.
ritualismus. Philosophie und Wissenschaften nach
IV. Anhang

1. Zeittafel
1770 27. August: Geburt in Stuttgart als ältester Sohn des Rentkammersekretärs Georg
Ludwig Hegel (1733–1799) und seiner Ehefrau Maria Magdalena Louisa, geb. Fromm
(1741–1783)
1773 April: Geburt der Schwester Christiane Luise († 1832)
Besuch der deutschen Schule
1776 wahrscheinlich Besuch des Gymnasiums
Geburt des Bruders Georg Ludwig († 1812)
1780 Erste Teilnahme am Landexamen
1783 20. September: Tod der Mutter
1784 Schüler des Obergymnasiums
1788 September: Abgang vom Gymnasium; Abiturrede
Oktober: Eintritt ins Tübinger Stift; Beginn des Studiums an der Universität Tübingen
Dezember: Rede zum Baccalaureatsakt
1790 September: Erwerb des Magistergrads; Übergang zur theologischen Fakultät
1793 September: Konsistorialexamen in Stuttgart
Oktober: Antritt der Hauslehrerstelle bei Carl Friedrich v. Steiger in Bern und
Tschugg
1795 Mai: Reise nach Genf
1796 Juli: Wanderung durch die Berner Alpen
Jahresende: Reise von Bern nach Stuttgart
1797 Januar: Antritt der Hauslehrerstelle bei Johann Noë Gogel in Frankfurt
1798 anonym: Vertrauliche Briefe über das vormalige staatsrechtliche Verhältniß des Waadt-
landes (Pays de Vaud) zur Stadt Bern. Eine völlige Aufdekkung der ehemaligen
Oligarchie des Standes Bern. Aus dem Französischen eines verstorbenen Schweizers
übersezt und mit Anmerkungen versehen
1799 14. Januar: Tod des Vaters
1800 September: Reise nach Mainz
1801 Jahresanfang: Übersiedelung nach Jena
27. August: Habilitation
Oktober: Habilitationsschrift: Dissertatio philosophica de Orbitis Planetarum
Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie
1802/03 Kritisches Journal der Philosophie (gemeinsam mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
herausgegeben)
1805 Ernennung zum außerordentlichen Professor
1807 5. Februar: Geburt des unehelichen Sohnes Ludwig Fischer
März: Übersiedelung nach Bamberg; Redakteur der Bamberger Zeitung
April: Phänomenologie des Geistes
1808 November: Rektor des Gymnasiums in Nürnberg
1811 September: Heirat mit Marie Helena Susanna v. Tucher (1791–1855)
1812 April / Mai: Wissenschaft der Logik, Buch 1: Die Lehre vom Sein
Sommer: persönliche Bekanntschaft mit Friedrich Heinrich Jacobi (1744–1819)
1813 Dezember 1812: Wissenschaft der Logik, Buch 2: Die Lehre vom Wesen
(Erscheinungsdatum: 1813)
Ernennung zum Schulrat
7. Juni: Geburt des Sohnes Karl Friedrich Wilhelm († 1901)
1814 25. September: Geburt des Sohnes Thomas Immanuel Christian († 1891)
540 IV. Anhang

1816 September / Oktober: Wissenschaft der Logik, Buch 3: Die Lehre vom Begriff
Oktober: Professor in Heidelberg; Antrittsrede: 28. Oktober
1817 Mitredakteur der Heidelbergischen Jahrbücher der Literatur
Januar: Jacobi-Rezension
Juni: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
November / Dezember: Rezension von Verhandlungen in der Versammlung der Land-
stände des Königreichs Würtemberg
1818 Oktober: Professor in Berlin als Nachfolger Johann Gottlieb Fichtes (1762–1814);
Antrittsrede: 22. Oktober
1820 Oktober: Publikation der Grundlinien der Philosophie des Rechts (Erscheinungsdatum
1821)
1822 Vorrede zu H. F. W. Hinrichs: Die Religion im inneren Verhältnisse zur Wissenschaft.
Heidelberg 1822
September-Oktober: Reise über Köln in die Vereinigten Niederlande
1824 September-Oktober: Reise über Dresden und Prag nach Wien
1826 Januar: Über die Bekehrten von Ernst Raupach
1827 Beginn der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik
Januar / Oktober: Humboldt-Rezension
Juli: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 2. Auflage
August-Oktober: Reise nach Paris und Brüssel
1828 März: Solger-Rezension
Oktober / Dezember: Hamann-Rezension
1829 Juli / August / Dezember: Repliken
September: Reise nach Prag; Besuch bei Goethe
Oktober: Rektor der Universität
1830 Juni: Rede zur dritten Säkularfeier der Augsburgischen Konfession
Oktober: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 3. Auflage
1831 April: Über die englische Reformbill
Juni: Ohlert-Rezension
September: Görres-Rezension
7. November: Unterzeichnung der Vorrede zur 2. Auflage der Wissenschaft der Logik,
1. Buch: Die Lehre vom Sein (Erscheinungsdatum 1832)
14. November: gestorben (an der Cholera?)
2. Literaturhinweise 541

2. Literaturhinweise
2.1. Ausgaben
Werke
Gesamtausgaben
Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Nord-
rhein-Westfälischen (1968–1995: Rheinisch-Westfälischen) Akademie der Wissenschaften. Ham-
burg 1968ff. (= GW).
Sämtliche Werke. Hg. von einem Verein von Freunden des Verewigten. Berlin 1832–1845 (=W).
Nachdrucke:
Jubiläumsausgabe. Hg. von Hermann Glockner. Stuttgart 1927ff.
Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Theorie Werkausgabe. Redaktion: Eva Moldenhauer und Karl
Markus Michel. Frankfurt am Main 1970ff.

Einzelausgabe
Theologische Jugendschriften nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin hg. von Herman
Nohl. Tübingen 1907, ND Frankfurt am Main 1966.

Briefe
Briefe von und an Hegel. Hg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg 11956, Bde. I-III: Hamburg 31969,
Bde IV/1 und IV/2: Hg. von Friedhelm Nicolin. Hamburg 1977 bzw. 1981 (=Br).
Nachträgliche Ergänzungen:
Hegel an Sigmund von Tucher. Ein unbekannter Brief Hegels aus dem Jahre 1815. Mitgeteilt von
Gerhard Hirschmann. HS 17 (1982), 41–43.
Aus Hegels Briefwechsel mit Karl Daub. Mitteilungen von Friedhelm Nicolin. HS 17 (1982), 45–52.
Hegel an Kirejewskij. Ein unbekannter Brief mitgeteilt von Arsen Gulyga. HS 19 (1984), 47 f.
An Mademoiselle Christiane Hegel. Ein unveröffentlichter Brief Hegels und ein Briefkonzept des
Dekans Göriz. Mitgeteilt und erläutert von Hans-Christian Lucas. HS 22 (1987), 9–16.
Ein unbekannter Brief Hegels an F. L. Göriz, mitgeteilt und erläutert von B. Kortländer. HS 24 (1989),
9–13.
»Ihr so interessantes Vaterland«. Ein Brief Hegels an den ungarischen Gelehrten Ludwig Schedius.
Mitgeteilt und erläutert von Klaus Vieweg. HS 30 (1995), 39–44.

Vorlesungen
Gesamtausgabe
Vorlesungen. Ausgewählte Manuskripte und Nachschriften, Hamburg 1983ff. (=V). 16 Bde.

Einzelausgaben
Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831. Edition und Kommentar in sechs Bänden von Karl-
Heinz Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt. Bd. 1: 1973; Bde. 2–4: 1974 (mehr nicht erschienen) (=Ig).
Naturphilosophie. Bd. 1. Die Vorlesung von 1819/20. In Verbindung mit K. H. Ilting hg. von Manfred
Gies. Napoli 1982.
Henrich, Dieter (Hg.): Hegel. Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nach-
schrift. Frankfurt am Main 1983.
Vorlesung über Ästhetik. Berlin 1820/21. Eine Nachschrift. Hg. von Helmut Schneider. Frankfurt am
Main 1995.
542 IV. Anhang

Vorlesung über Naturphilosophie Berlin 1823/24. Nachschrift von K.G.J. v. Griesheim. Hg. und
eingeleitet von Gilles Marmasse. Frankfurt am Main u. a. 2000.
Philosophie der Kunst oder Ästhetik [1826]. Hg. von Annemarie Gethmann-Siefert und Bernadette
Collenberg-Plotnikov. München 2004.
Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826. Hg. von Annemarie Gethmann-Siefert, Jeong-Im Kwon,
Karsten Berr. Frankfurt am Main 2005.
Die Philosophie des Rechts. Vorlesung von 1821/22. Hg. von Hansgeorg Hoppe. Frankfurt am Main
2005.
Die Philosophie der Geschichte. Hg. von Klaus Vieweg. München 2005.

2.2. Bibliographien
Kurt Steinhauer (Hg.): Hegel Bibliographie. Materialien zur Geschichte der internationalen Hegel-
Rezeption und zur Philosophie-Geschichte. München u. a. 1980. Teil II, Bde. 1–2: München 1998.
Gernot U. Gabel: Hegel. Ein Verzeichnis der Dissertationen aus sieben westeuropäischen Ländern
1885–1980. Köln 1986.
Erwin Hasselberg / Frank Radtke: Hegels »Wissenschaft der Logik«. Eine internationale Biblio-
graphie ihrer Rezeption im 20. Jahrhundert. 3 Bde. Wien 1993.
Gloy, Karen / Lambrecht, Rainer: Bibliographie zu Hegels »Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften im Grundrisse«. Primär- und Sekundärliteratur 1817–1994. Stuttgart-Bad Cannstatt
1995.

Die »Hegel-Studien« berichten in ihrer Rubrik »Bibliographie« kontinuierlich über die neu er-
schienenen »Abhandlungen zur Hegel-Forschung«.

2.3. Periodica
Hegel-Jahrbuch. Begründet von Wilhelm Raimund Beyer. Hg. von Andreas Arndt, Karol Bal und
Henning Ottmann. Seit HJb 1993/94: Berlin.
Hegel-Studien. Hg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler (Bde 1–35) bzw. Walter Jaeschke und
Ludwig Siep (Bde 36ff.). Bonn 1961–1997 bzw. Hamburg 1998ff.
Hegel-Studien Beihefte. Hg. von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler (Bde 1–46) bzw. Walter
Jaeschke und Ludwig Siep (Bde 47ff.) Bonn 1963–1999 bzw. Hamburg 2000ff.
Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism. Hg.
von / edited by Karl Ameriks und / and Jürgen Stolzenberg. Berlin 2003ff.
Jahrbuch für Hegelforschung. Hg. von Helmut Schneider. Sankt Augustin 1995ff.
Owl of Minerva. Biannual Journal of the Hegel Society of America. 1969ff.

2.4. Biographien, Einführungen und Sammelbände


Biographien
Rosenkranz, Karl: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Leben. Berlin 1844.
Haym, Rudolf: Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwickelung, Wesen und
Werth der Hegel’schen Philosophie. Berlin 1857.
Hondt, Jacques d’: Hegel Biographie. Paris 1998.
Pinkard, Terry: Hegel. A Biography. Cambridge u. a. 2000.
2. Literaturhinweise 543

Einführungen und Sammelbände


Fetscher, Iring (Hg.): Hegel in der Sicht der neueren Forschung. Darmstadt 1973.
Pöggeler, Otto (Hg.): Hegel. Einführung in seine Philosophie. Freiburg / München 1977.
Helferich, Christoph: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Stuttgart 1979.
Inwood, Michael: Hegel. Oxford Readings in Philosophy. Oxford 1985.
Inwood, Michael: A Hegel Dictionary. Oxford / Cambridge, MA 1992.
Rossi, P. (Hg.): Hegel. Guida storica e critica. Bari 1992.
Beiser, Frederick C. (Hg.), The Cambridge Companion to Hegel. Cambridge 1993.
Cesa, Claudio (Hg.): Hegel. Fenomenologia, Logica, Filosofia della natura, Morale, Politica, Estetica,
Religione, Storia. Roma / Bari 1997.
Schnädelbach, Herbert: Hegel zur Einführung. Hamburg 1999.
Emundts, Dina / Horstmann, Rolf-Peter: G.W.F. Hegel. Eine Einführung. Stuttgart 2002.
Frederick Beiser: Hegel. New York 2005.
Paul Cobben / Paul Cruysberghs / Peter Jonkers / Lu De Vos (Hg.): Hegel-Lexikon. Darmstadt
2006.

2.5. Dokumentationen
Blank, Inge: Dokumente zu Hegels Reise nach Österreich. HS 16 (1981), 41–55.
Fragen und Quellen zur Geschichte von Hegels Nachlaß. I. Dieter Henrich: Auf der Suche nach dem
verlorenen Hegel. II. Willi Ferdinand Becker: Hegels hinterlassene Schriften im Briefwechsel
seines Sohnes Immanuel. In: ZphF 35 (1981), 585–591 bzw. 592–614.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel als Rektor des Nürnberger Gymnasiums 1808–1816. Ausgewählte
Dokumente. Nürnberg 1977.
Hegel 1770–1970. Leben, Werk, Wirkung. Eine Ausstellung des Archivs der Stadt Stuttgart. Katalog
von Friedhelm Nicolin. Stuttgart 1970.
Henrich, Dieter: Leutwein über Hegel. Ein Dokument zu Hegels Biographie. HS 3 (1965), 39–77.
Hölderlin. Zum 200. Geburtstag. Eine Ausstellung des Schiller-Nationalmuseums Marbach a. N.
Katalog von Werner Volke. München 1970.
Kimmerle, Heinz (Hg.): Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801–1807). HS 4 (1967),
21–99.
Kimmerle, Heinz: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. HS 4 (1967), 125–176.
Kimmerle, Heinz: Die Chronologie der Manuskripte Hegels in den Bänden 4 bis 9. GW 8.348–
361.
Nicolin, Friedhelm: Der junge Hegel in Stuttgart. Aufsätze und Tagebuchaufzeichnungen 1785–1788.
Stuttgart 1970.
Nicolin, Friedhelm: Hegel als Professor in Heidelberg. Aus den Akten der philosophischen Fakultät
1816–18. HS 2 (1963), 71–98.
Nicolin, Friedhelm: Hegels Haushaltsbuch von 1831. HS 9 (1974), 49–72.
Nicolin, Günther: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hamburg 1970.
Schneider, Helmut: Hegel und der Verlag Schrag. Neue Dokumente. HS 12 (1977), 9–18.
Schüler, Gisela: Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften. HS 2 (1963), 111–159.
Schumm, Karl: Bildnisse des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Stuttgart 1974 (Veröffent-
lichungen des Archivs der Stadt Stuttgart. Hg. von Kurt Leipner. Sonderband 5).
Verzeichnis der von dem Professor Herrn Dr. Hegel und dem Dr. Herrn Seebeck hinterlassenen
Bücher-Sammlungen […]. Berlin 1832.
Ziesche, Eva: Der handschriftliche Nachlaß Georg Wilhelm Friedrich Hegels und die Hegel-Bestände
der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Wiesbaden 1995, 2 Teile. (=Staats-
bibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung. Hg. von Tilo
Brandis. Zweite Reihe: Nachlässe. Bd. 4).
544 IV. Anhang

Ziesche, Eva: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-
Nachlaß. In: ZphF 29 (1975), 430–444.

2.6. Sekundärliteratur
Im Folgenden sind nur diejenigen Titel verzeichnet, die in den Literaturangaben öfter als zweimal und
deshalb mit Kurztitel zitiert werden.

Anonym (Hülsemann?): Ueber die Wissenschaft der Idee. Erste Abtheilung. Die neueste Identitäts-
philosophie und Atheismus oder über immanente Polemik. Breslau 1831.
Avineri, Shlomo: Hegels Theorie des modernen Staates, Frankfurt am Main 1976 (=Hegel’s Theory of
the Modern State, Cambridge 1972).
Baum, Manfred: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn 1986.
Bertaux, Pierre: Hölderlin und die Französische Revolution. Frankfurt am Main 1969.
Birkert, Alexandra: Hegels Schwester. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Frau um 1800. Ost-
fildern 2008.
Bondeli, Martin / Linneweber-Lammerskitten, Helmut (Hg.): Hegels Denkentwicklung in der Berner
und Frankfurter Zeit. München 1999.
Bondeli, Martin: Hegel in Bern. HSB 33 (1990).
Bubner, Rüdiger (Hg.): Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen
Idealismus. HSB 9 (1973).
Dilthey, Wilhelm: Die Jugendgeschichte Hegels und andere Abhandlungen zur Geschichte des
deutschen Idealismus [1905]. In: Dilthey: Gesammelte Schriften. Bd. 4. Stuttgart 1959, 5–187.
Düsing, Edith: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und
idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986.
Düsing, Klaus (Hg.): Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfas-
sende Vorlesungsnachschriften von I.P.V. Troxler, hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen ver-
sehen. Köln 1988.
Düsing, Klaus: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. HSB 15 (11976, 21984).
Fulda, Hans Friedrich / Henrich, Dieter (Hg.): Materialien zu Hegels »Phänomenologie des Geistes«.
Frankfurt am Main 1973.
Fulda, Hans Friedrich / Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Hegel und die »Kritik der Urteilskraft«.
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Fulda, Hans Friedrich / Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Rousseau, die Revolution und der junge Hegel.
Stuttgart 1991.
Fulda, Hans Friedrich / Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Vernunftbegriffe in der Moderne. Stuttgart
1994.
Fulda, Hans Friedrich / Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Skeptizismus und spekulatives Denken in der
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Gadamer, Hans Georg: Hegels Dialektik. Sechs hermeneutische Studien. Tübingen 21980; Tübingen
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Göschel, Carl Friedrich: Zerstreute Blätter aus den Hand- und Hülfsacten eines Juristen. 3 Bde.
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Graf, Friedrich Wilhelm / Wagner, Falk (Hg.): Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels
Religionsphilosophie. Stuttgart 1982.
2. Literaturhinweise 545

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Halbig, Christoph: Objektives Denken. Erkenntnistheorie und Philosophy of Mind in Hegels System.
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Halfwassen, Jens: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des
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Hartkopf, Werner: Der Durchbruch zur Dialektik in Hegels Denken. Studien zur Entwicklung der
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Hartmann, Klaus (Hg.): Die ontologische Option. Studien zu Hegels Propädeutik, Schellings Hegel-
Kritik und Hegels Phänomenologie des Geistes. Mit Beiträgen von Klaus Hartmann, Friedhelm
Schneider, Klaus Brinkmann und Reinhold Aschenberg. Berlin / New York 1976.
Hegel 1770–1970. Leben, Werk, Wirkung. Eine Ausstellung des Archivs der Stadt Stuttgart. Katalog
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Henrich, Dieter (Hg.): Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion. Hegel-Tage Chantilly
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Henrich, Dieter (Hg.): Immanuel Carl Diez: Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegrün-
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Henrich, Dieter / Düsing, Klaus (Hg.): Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die
Zusammenarbeit mit Schelling. HSB 20 (1980).
Henrich, Dieter / Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der
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Hölderlin. Zum 200. Geburtstag. Eine Ausstellung des Schiller-Nationalmuseums Marbach a. N.
Katalog von Werner Volke. München 1970.
Hoffmann, Thomas Sören: Hegel. Eine Propädeutik. Wiesbaden 2004.
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Hondt, Jacques d’: Hegel secret. Recherches sur les sources cachées de la pensée de Hegel. Paris 1968;
deutsch: Verborgene Quellen des Hegelschen Denkens. Berlin 1972.
Horstmann, Rolf-Peter (Hg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels. Frankfurt am Main
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Horstmann, Rolf-Peter / Petry, Michael John (Hg.): Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen
zwischen empirischer und spekulativer Naturerkenntnis. Stuttgart 1986.
Hösle, Vittorio: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivi-
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Hočevar, Rolf Konrad: Stände und Repräsentation beim jungen Hegel. Ein Beitrag zu seiner Staats-
und Gesellschaftslehre sowie zur Theorie der Repräsentation. München 1968.
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auf das Christentum in der Rechtsphilosophie Hegels und der Restauration. In: Der Staat 18/3
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Jaeschke, Walter: Die Religionsphilosophie Hegels. Darmstadt 1983.
Jaeschke, Walter: Paralipomena Hegeliana zur Wirkungsgeschichte Schleiermachers. In: Kurt-Victor
Selge (Hg.): Internationaler Schleiermacher-Kongreß Berlin 1984. Berlin / New York 1985,
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546 IV. Anhang

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im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986b,
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Jamme, Christoph / Pöggeler, Otto (Hg.): »Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde«. Das Schicksal
einer Generation der Goethezeit. Stuttgart 1983.
Jamme, Christoph / Pöggeler, Otto (Hg.): »O Fürstin der Heimath! Glükliches Stuttgard«. Politik,
Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800. Stuttgart 1988.
Jamme, Christoph: ›Ein ungelehrtes Buch‹. Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin
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Jermann, Christoph (Hg.): Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie. Stuttgart-Bad
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Kimmerle, Heinz: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels »System der Philo-
sophie« in den Jahren 1800–1804. HSB 8 (1970).
Köhler, Dietmar / Pöggeler, Otto (Hg.): Hegel. Phänomenologie des Geistes. Berlin 1998.
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Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802. Stuttgart 1979.
Lenz, Max: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. 4 Bde. Halle 1910;
insbesondere Bd. 2/1: Ministerium Altenstein, 177–404: Unter dem Gestirn Hegels.
Lucas, Hans-Christian / Planty-Bonjour, Guy (Hg.): Logik und Geschichte in Hegels System.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1989.
Lucas, Hans-Christian / Pöggeler, Otto (Hg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der
europäischen Verfassungsgeschichte. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986.
Peperzak, Adriaan Theodoor: Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar zur enzyklopädischen
Darstellung der menschlichen Freiheit und ihrer objektiven Verwirklichung. Stuttgart-Bad Cann-
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Pöggeler, Otto (Hg.): Hegel in Berlin. Preußische Kulturpolitik und idealistische Ästhetik. Zum 150.
Todestag des Philosophen. Berlin 1981. Ausstellung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz
Berlin in Verbindung mit dem Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum und dem Goethe-
Museum Düsseldorf Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung. (Staatsbibliothek Preußischer
Kulturbesitz. Ausstellungskataloge 16). Wiesbaden 1981.
Pöggeler, Otto / Gethmann-Siefert, Annemarie (Hg.): Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin
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Riedel, Manfred (Hg.): Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie. 2 Bde. Frankfurt am Main 1974.
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2. Literaturhinweise 547

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»Differenzschrift« und zur »Phänomenologie des Geistes«. Frankfurt am Main 2000.
Solger, Karl Wilhelm Ferdinand: Nachgelassene Schriften und Briefwechsel. Hg. von Ludwig Tieck
und Friedrich von Raumer. 2 Bde. Leipzig 1826.
Stahl, Friedrich Julius: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. Heidelberg. Bde. 1,
2/1 und 2/2: 11830, 1833, 1837. Bd. 1: 31854.
Stewart, Jon Bartley (Hg.): The Phenomenology of Spirit Reader. Critical and Interpretive Essays.
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Strahm, Hans: Aus Hegels Berner Zeit. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 41 (1932), 514–533,
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Theunissen, Michael: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat. Berlin
1970.
Varnier, Giuseppe: Ragione, negatività, autocoscienza. La genesi della dialettica hegeliana a Jena tra
teoria della conoscenza e razionalità assoluta. Napoli 1990.
Weckwerth, Christine: Metaphysik als Phänomenologie. Eine Studie zur Entstehung und Struktur der
Hegelschen »Phänomenologie des Geistes«. Würzburg 2000.
Weisser-Lohmann, Elisabeth / Köhler, Dietmar (Hg.): Verfassung und Revolution. Hegels Verfas-
sungskonzeption und die Revolutionen der Neuzeit. HSB 42 (2000).
Wildt, Andreas: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-
Rezeption. Stuttgart 1982.
Züfle, Manfred: Prosa der Welt. Die Sprache Hegels. Einsiedeln [1968].
548 IV. Anhang

3. Werkregister
Dieses Register verzeichnet nur die im Text – nicht in den Quellen- und Literaturverweisen – erwähnten Werke
Hegels und anderer Verfasser. Längere Titel werden in abgekürzter Form zitiert. Hegels Briefwechsel wird im Text
kontinuierlich – durch Angabe der Briefdaten – als Quelle herangezogen; auf einen Einzelnachweis der zitierten
Briefe wird deshalb verzichtet.

3.1. Werke Hegels: Über den Unterschied der Szene des Todtes
(GW 1.136)
Tagebuch (1785–1787) (GW 1.1–33) Unter objektiver Religion … (GW 1.138)
1 f., 17, 23, 45, 74, 133, 298, 303, 310, 408 60, 62, 65
Arbeiten aus der Gymnasialzeit (1785–1788) Es sollte eine schwere Aufgabe … (GW 1.141)
(GW 1.37–50) 63–65
60 Wenn man von der christlichen Religion …
Ueber die Religion der Griechen und Römer (1787) (GW 1.153)
(GW 1.42–45) 60, 64 f.
2 Jezt braucht die Menge … (GW 1.163–164)
Ueber einige charakteristische Unterschiede der alten 65
Dichter (1788) (GW 1.46–48) Exzerpte aus der Berner Zeit (1794–1796) (GW 3.207–
4 219)
Aus einer Rede beim Abgang vom Gymnasium (1788) 10, 68 f.
(GW 1.49 f.) Ein Manuskript zur Psychologie und Transzendental-
2 philosophie (1794) (GW 1.165–192)
Exzerpte aus der Gymnasialzeit (1785–1788) 5, 67–69
(GW 3.1–200) Studien (1795) (GW 1.193–203)
1 f. Die transcendentale Idee … (GW 1.195)
Definitionen von allerhand Gegenständen (Ab 10. Juni 13, 65
1785) (GW 3.201–206) Unkunde der Geschichte … (GW 1.197)
Ein Aufsatz aus dem Tübinger Stift (1788) In einer Republik … (GW 1.203)
Über einige Vortheile, welche uns die Lektüre der Das Leben Jesu (1795) (GW 1.205–278)
alten klassischen Griechischen und Römischen 65–67, 69, 87, 302, 474, 515
Schriftsteller gewährt (GW 1.51–54) Studien (»Positivitätsschrift«) (1795–1796)
4 (GW 1.279–378)
Vier Predigten (1792–1793) (GW 1.55–72) 67, 69–74, 77, 87 f., 90 f., 95, 97–99
6, 60 man mag die widersprechendste Betrachtungen …
Studien (1792/93–1794) (»Volksreligion und Christen- (GW 1.281)
tum«) (GW 1.73–164) 67, 69–71, 73 f.
60–65 Ein positiver Glauben … (GW 1.352)
wiefern ist Religion … (GW 1.75) 71
Aber die Hauptmasse … (GW 1.78) Jedes Volk … (GW 1.359–378)
62 71 f., 79, 89, 99, 311
Unsre Tradition … (GW 1.80) Exzerpte zum Berner Staatswesen (vermutlich
62, 77 1795/1796) (GW 3.221–233)
Schon in der Bauart … (GW 1.81) 80
63 Bericht über eine Alpenwanderung (1796) (GW 1.381–
Religion ist eine der wichtigsten Angelegenheiten … 398)
(GW 1.83) 13, 74 f.
6, 13, 60–63 Eleusis (An Hölderlin) (August. 1796) (GW 1.399–
Ausser dem mündlichen Unterricht … (GW 1.115) 402)
Nicht zu leugnen … (GW 1.121) 14, 75–77
64 Nicht näher Datierbares (GW 1.403–410)
Die StaatsVerfassungen … (GW 1.123) Ueber Lessings Briefwechsel mit seiner Frau
62, 64 (GW 1.405)
Wie wenig die objektive Religion … (GW 1.127) Menschen, frühe … (GW 1.408)
63 Der Streit über … (GW 1.409–410)
öffentliche Gewalt … (GW 1.131) Nachrichten über Verschollenes (GW 1.411–415)
64 De utilitate poeseos (GW 1.413)
3. Werkregister 549

Bakkalaureats-Rede (GW 1.413) Rezensionen in der Erlanger Litteratur-Zeitung


Magister-Specimina (GW 1.413) (1801/02) (GW 4.93–112)
Predigt zum Konsistorial-Examen (GW 1.413) Bouterweks Anfangsgründe der spekulativen Philoso-
Schemata zu einer Evangelienharmonie (GW 1.413) phie (1801) (GW 4.95–104)
Analyse von Schillers Fiesko (GW 1.413) 126
Übersetzungen (GW 1.414) Zwei Schriften Werneburgs (1802) (GW 4.105 f.)
Präparationen zu alten Autoren (GW 1.415) 127
Schul- und Kollegienhefte (GW 1.415) Gerstäckers Deduktion des Rechtsbegriffs (1802)
Vertrauliche Briefe über das vormalige staatsrechtliche (GW 4.107–111)
Verhältniß des Waadtlandes (Pays de Vaud) zur 127
Stadt Bern (1798) Krugs Entwurf eines neuen Organons der Philo-
10, 17, 80–83, 97, 109 sophie (1802) (GW 4.112)
Fragmente der ersten Württemberg-Schrift (1798) (R 127
91–94, Haym 65–68, 483–485) Kritisches Journal der Philosophie (1802/03)
82–85, 97, 100 f., 103, 316, 318 (GW 4.113–505)
Frankfurter Entwürfe (1797–1800) (N 355–402) Einleitung. Ueber das Wesen der philosophischen Kri-
85–89, 99 tik überhaupt … (1802) (GW 4.117–128)
Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798) 20, 129–131
(N 241–342) Wie der gemeine Menschenverstand die Philosophie
85–92, 94 nehme, – dargestellt an den Werken des Herrn
Zwei Fragmente des Systems (1800) (N 343–351) Krugs (1802) (GW 4.174–187)
91–94, 99 20, 131 f.
Gedichte (1798–1800) (R 83–85) Notizenblatt (1802) (GW 4.190)
Mondscheinbad (1800) (R 84) 129
15 Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie (1802)
Pudel (R 83) (GW 4.197–238)
An die Natur (R 83) 20, 126, 132–136, 152, 179
Frühling (R 84) Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie
Überarbeitung der Positivitätsschrift (1800) (N der Subjectivität (1802) (GW 4.315–414)
139–151) 20, 22, 32, 131, 136–144, 146, 152, 254 f., 301
95–97 Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des
Nicht näher Datierbares (GW 3.235–240) Naturrechts (1802/1803) (GW 4.415–485)
Nachrichten über Verschollenes (GW 3.241–245) 20, 144–149, 152, 155, 163, 367, 399, 415
Nachrichten über Verschollenes (R 85–88) Notiz (1801)(GW 5.512)
Frankfurter Exzerpte (R 85) Nachrichten über Verschollenes (GW 4.517–518)
17 1. Rezension der zweiten Auflage von Herders »Gott«
Zum Allgemeinen Landrecht (1797–1800) (R 85 f.) (1802) (GW 4.517)
17 f. 2. Rezension einer Schrift Fischhabers über Fichte
Kommentar zu Steuart (1799) (R 86) (1802) (GW 4.517)
18 3. Rezension einer Schrift von Salat (1806)
Zu Kants Metaphysik der Sitten (1798) (R 86–88) (GW 4.518)
18 Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten (1801/02)
Fragmente einer Kritik der Verfassung Deutschlands (GW 5.255–275)
(1799–1803) (GW 5.1–219) Introductio in Philosophiam (GW 5.257)
17, 89, 100–106, 152, 258, 276, 313, 318, 367, 396, Diese Vorlesungen …
401 150, 157, 418
Texte zur Habilitation (1801) (GW 5.221–253) Die Idee des absoluten Wesens …
Dissertationi Philosophicae … Praemissae Theses 150 f., 157, 418, 422, 450
(GW 5.223) Logica et Metaphysica (GW 5.267–275)
21, 106 f., 134, 399 Daß die Philosophie …
Zur Disputation (GW 5.229) 150–152, 157, 221, 322, 327
106 System der Sittlichkeit (1802/03) (GW 5.277–361)
Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum 144, 146, 152–155, 163
(GW 5.233–253) Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten (1803)
5, 21, 106–109, 160, 279, 306, 331, 533 (GW 5.363–377)
Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems ist auf das Allgemeine … (GW 5.365)
der Philosophie (1801) (GW 4.1–92) 157 f.
20, 22, 109–126, 131, 141 f., 146, 150, 155, 175, 269, Das Wesen des Geistes … (GW 5.370)
271, 306, 319, 447, 477 158 f., 418
550 IV. Anhang

seiner Form … (GW 5.374–377) Ein Blatt zur Naturphilosophie (1805) (GW 8.291–
159 293)
Sekundäre Überlieferung (GW 5.449–508) Gliederungsfragment zur Naturphilosophie (1805)
Fragment vom Dreieck der Dreiecke (ca. (GW 8.294–308)
1798?)(GW 5.477) Phänomenologie des Geistes (1807) (GW 9.1–434)
199 25, 27, 35, 38, 40 f., 57, 126, 132, 135 f., 148, 151,
Entschluß (1801) (GW 5.511) 153, 163, 168, 174–198, 201, 204 f., 207, 209–211,
Zur Kritik der Verfassung Deutschlands (1801/03) 213, 218, 220–222, 225 f., 232 f., 240, 250, 254, 260,
(GW 5.451) 263 f., 267, 276, 301, 312, 319, 322, 325, 327, 337,
Aus den Jenaer Vorlesungen 340, 348 f., 356–359, 404 f., 417 f., 439, 451, 453 f.,
über Logik und Metaphysik (ca. 1802/03) 459, 471, 474, 478, 503, 509, 518, 534
(GW 5.457 f.) Drei Fragmente aus Vorarbeiten (GW 9.437–443)
über Naturrecht (ca. 1802/03) (GW 5.459–467) Das absolute Wissen (1805) (GW 9.437)
115, 155–159, 435, 445 176
über das System der Philosophie (1803–1805) a) göttliches Recht (1805) (GW 9.427)
(GW 5.468–472) c) Die Wissenschafft (1806) (GW 9.438–443)
über »speculative Philosophie« (1806) (GW 5.473– Ursprünglicher Zwischentitel (1806) (GW 9.444)
475) 177 f.
199 f. Selbstanzeige der Phänomenologie (1807)
Jenaer Notizenbuch (1803–1806) (GW 5.483–508) (GW 9.446 f.)
199 181, 201, 222
Beitrag zur Spinoza-Edition von H.E.G. Paulus Maximen des Journals der deutschen Literatur (1807)
(1802/03) (GW 5.513–516) (GW 4.507–514)
22, 140 26, 48, 288
Zeichnung aus Dreiecken (Zweifelhaftes) (nicht datier- Wer denkt abstract? (1807) (GW 5.379–387)
bar) (GW 5.531–533) 200 f.
199 f. Bamberger Zeitung (1807/08) (GW 5.389–447)
Nachrichten über Verschollenes (GW 5.535–593) 28, 33
1. Zur Habilitation (1801) (GW 5.537) Zwei Fragmente zur Logik (1807/08)
2. Aus den Jenaer Manuskripten (1804) (GW 5.537) Zum Erkennen (GW 12.257–258)
3. Vorlesung über die Geschichte der Philosophie 201
(1805/06) (GW 5.538) Zum Mechanismus, Chemismus, Organismus und Er-
4. Vorlesung über Philosophie der Natur und des Gei- kennen (GW 12.259–298)
stes (1805/06) (GW 5.538 f.) 201 f.
Systementwurf I: Das System der spekulativen Philo- Gymnasialkurse und Gymnasialreden (1808–1816)
sophie (1803/04) (GW 6.1–326) (GW 10)
100, 137, 152, 155, 160–165, 167–171, 173–175, 178, Manuskripte, Diktate und Sekundäre Überlieferung
187, 190, 195 f., 198 f., 204 f., 211 f., 237, 331, 418, (GW 10.1–445)
422, 446, 448, 451 202–221, 235, 329, 331, 373, 504
Ein Blatt zum System (1803/04) Reden (GW 10.447–505)
Daß die absolute Totalität … (GW 7.348–349) Fragmente (GW 10.509–521)
Gliederungsnotiz (ca. 1804) Schülerhefte (GW 10.523–818)
I. Intelligenz (GW 6.329) 202, 213, 218, 220
Fragment zum Ende des Systems (ca. 1804) Sekundäre Überlieferung
ist nur die Form … (GW 6.330–331) aus dem Logikkurs der Mittelklasse 1814/15
164, 418 (GW 10.819)
Gliederungsentwurf zur Metaphysik (1804) aus dem Psychologiekurs der Mittelklasse 1815/16
Metaphysik (GW 7.341–342) (GW 10.821)
Zwei Anmerkungen zum System (ca. 1804) Ueber den Vortrag der philosophischen Vorbereitungs-
Anmerkungen (GW 7.343–347) wissenschaften auf Gymnasien (Privatgutachten an
Systementwurf II: Logik, Metaphysik, Naturphiloso- Niethammer) (1812) (GW 10.823–832)
phie (1804/05) (GW 7.1–338) 30, 203, 204, 207, 209, 210, 211, 214, 219, 220, 224,
100, 137, 152, 155, 160, 162–170, 173–175, 178, 228, 231, 349, 326
187, 190, 195 f., 198, 204 f., 211 f., 237 f., 327, 418, Zur Lehre von den Schlüssen (1809)
422, 446, 448, 451, 531 Prädikats darin, daß (GW 12.299–309)
Systementwurf III: Naturphilosophie und Philosophie 245
des Geistes (1805/06) (GW 8.1–287) Notiz zu Fries (1811)
152., 155, 160, 162 f., 165, 169–176, 178, 187, 190, Fries Vorrede (GW 12.311–312)
195 f., 198, 201, 211 f., 418, 422, 446, 448, 451 Notiz zu Leibniz (1811/12)
3. Werkregister 551

Unter den 7 Propositionen … (GW 12.310) 10, 40, 45 f., 81, 90, 93, 102, 146, 163, 214 f., 224,
Wissenschaft der Logik (1812–1816) (GW 11.1–409, 258, 267, 272–279, 283 f., 294, 297, 310 f., 319,
GW 12.1–253) 322–324, 326 f., 361 f., 364 f., 367–369, 371–375,
1, 4, 21, 27, 30, 32–34, 38, 46, 57, 68 f., 71 f., 89, 93, 377–380, 382 f., 385–387, 390, 396–398, 401–403,
101, 107, 109, 111, 123 f., 135, 150–152, 154, 160, 405, 409, 414, 461, 469, 483, 490, 503 f., 525
164 f., 167–169, 174–178, 180, 184, 193, 201–214, Erklärung gegen Hugo (1821) (GW 14.383–386)
218–254, 260 f., 263–265, 267–272, 275 f., 283, 285, 278
304, 306, 308, 312 f., 319–323, 325–331, 333, 341, Fragmente (GW 14.387–392)
344 f., 347, 357, 359, 364, 370–372, 374, 398, 400, Die erbliche Thronfolge (1821) (GW 14.389)
411–413, 416, 419, 424, 454, 457, 459, 463, 464, 471, Vorlesungsnotiz. Was Recht ist (GW 14.391 f.)
477, 479–483, 488, 490 f., 497–500, 503–505, 509, Handschriftliche Notizen zu den Grundlinien der
512, 515, 524, 531–533, 535 f. Philosophie des Rechts (1821/22–1824/25)
Ueber den Vortrag der Philosophie auf Universitäten (GW 14.393–545)
(1816) (Br 2.96–102) Über die Einrichtung einer kritischen Zeitschrift der
36, 214, 321, 326, 531 Literatur (1820) (GW 15.147–188, 189–203; GW
Heidelberger Antrittsrede (1816) (GW 18.1–8) 16.423–439)
37 f., 43, 262 49 f., 288 f.
Jacobi-Rezension (1817) (GW 15.7–29) Über von Kügelgens Bilder (1820) (GW 15.204–206)
33, 141, 230, 254–257, 260, 262, 266 f., 288 435
Verhandlungen in der Versammlung der Landstände Anmerkungen zu Creuzers Proclus-Edition (1821)
(1817) (GW 15.30–125) (GW 15.253–254)
39, 257–259, 288 282 f.
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Vorrede zu: H.F.W. Hinrichs: Die Religion (1822)
Grundrisse (1817) (GW 13.1–245) (GW 15.126–143)
21, 30, 38, 40 f., 46, 54, 56, 108, 151, 167, 174, 178, 279–282, 297, 451
180, 203–208, 211, 213 f., 219 f., 222, 233 f., 239–241, Zwei Aufsätze zur Farbenlehre (1822) (GW 15.255–
253 f., 259–272, 276, 278, 283–285, 290, 300, 304 f., 276)
308, 312, 319, 322–333, 335, 337, 343, 348–350, 285 f.
352 f., 358–362, 364 f., 367, 373, 377, 382, 396, 400, Fragment zur Philosophie des subjektiven Geistes
401 f., 405, 411, 418 f., 421–423, 426, 446, 451, 458, (1822/23) (GW 15.207–249)
470 f., 477, 481, 490, 498 f., 504 f., 508 f., 511 283–285, 347–350, 354
Notizen zum dritten Teil der Enzyklopädie Fragment zur Philosophie (nicht datierbar)
(1817–1827) (GW 13.251–543) (GW 15.277–278)
268–270 Ueber die Bekehrten (1826) (GW 16.3–15)
Notizenblatt zu Vorlesungen über Logik und Meta- 51, 286 f., 298
physik I (1817) Rezensionen aus den Jahrbüchern für wissenschaft-
Meine Herren. Nachdem ich vorigen Winter … liche Kritik (1827–1831) (GW 16.19–310)
(GW 13.545 f.) Humboldt-Rezension (1827) (GW 16.19–75)
Diß unterscheidet den Menschen vom Thiere … 290–293, 295
(GW 13.547 f.) Solger-Rezension (1828) (GW 16.77–128)
Notizenblatt zu Vorlesungen über Logik und Meta- 21, 45 f., 293–296, 305, 308
physik II (ca. 1818–1820) Hamann-Rezension (1828) (GW 16.129–187)
Diese Vorlesung der Logik und Metaphysik … 230, 296–299, 306
(GW 13.549 f.) Göschel-Rezension (1829) (GW 16.188–215)
Logik die Wissenschaft des Allgemeinen … 300–303
(GW 13.551–554) Repliken (1829) (GW 16.216–274)
Notizen zu Vorlesungen über Logik und Metaphysik, 54, 204, 262, 300, 303–307, 309, 505, 508
Naturphilosophie sowie über Anthropologie und Ohlert-Rezension (1831) (GW 16.275–289)
Psychologie (1817–1827) (GW 13.555–580) 306 f.
Erläuternde Diktate zur Enzyklopädie (1818) Görres-Rezension (1831) (GW 16.290–310)
(GW 13.581–596) 307–310, 498
332 f. Notizen zu Hamann (1828) (GW 16.407 f.)
Berliner Antrittsrede (1818) (GW 18.9–31) 297
43, 262, 280, 294 Fragment zum dritten Artikel der Repliken (1829)
Diktate zu den Vorlesungen über Naturrecht und (GW 16.409–415)
Staatswissenschaft (1817/18 und 1818/19) Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im
(GW 14.279–381) Grundrisse (1827) (GW 19.1–416)
Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) s. Enzyklopädie (1817)
(GW 14.1–276)
552 IV. Anhang

Notizen zu Vorlesungen über Logik und Metaphysik (1821–1831) (GW 17.1–334; V 3–5; künftig:
(1829/30) (GW 19.419–435) GW 29)
Rede beim Antritt des Rektorates an der Berliner Uni- 54, 96, 174, 195 f., 262, 281, 291–293, 308 f., 311 f.,
versität (1829) (Berliner Schriften hg. Hoffmeister, 323 f., 374, 396 f., 431, 448, 450–477, 499, 507 f.,
25–29) 512, 516, 521, 532
310 Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie
Rede zur 300-Jahr-Feier der Confessio Augustana (1805/06; 1816/17–1831/32 (angefangen); GW
(1830) (GW 16.311–322) 18.33–11; W XIII-XV; V 6–9; künftig: GW 30)
310–312 41, 108, 186 f., 198, 230, 265, 276, 282, 291 f., 296,
Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im 322, 324, 338 f., 364, 375 f., 404 f., 417, 464, 473,
Grundrisse (1830) (GW 20.1–572) 477–497, 500, 516
s. Enzyklopädie (1817) Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes
Fragment zur Reformbill-Schrift (1831) (GW 16.416– (1829) (GW 18.215–217,228–336; künftig: GW 31)
419) 57, 219, 246, 300, 313, 400, 492, 497–500
Über die englische Reformbill (1831) (GW 16.323–404)
10, 56, 84, 312–318, 395, 401, 498
Notizen zur Vorrede zur zweyten Ausgabe [der Wissen- 3.2. Werke anderer Autoren:
schaft der Logik] (1831) (GW 21.387–390)
Notiz zur Überarbeitung des Werkes von 1807 [sc. der Aeschylus:
Phänomenologie des Geistes] (1831) (GW 9.448) Orestie: 148
180 Sieben gegen Theben: 190
Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Seyn (1832) Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten:
(GW 21.1–383) 17, 90 f., 389
s. Wissenschaft der Logik (1812–1816) Anonym:
Exzerpte aus der Berliner Zeit (1818–1831) (künftig: Das älteste Systemprogramm des deutschen Idea-
GW 22) lismus: 76–80, 92, 125, 156
Vorlesungen über Enzyklopädie der philosophischen Anonym:
Wissenschaften (1816/17–1826/27) (nicht überlie- Briefe gegen die Hegelsche Enzyklopädie: 305
fert) Anonym:
260, 268, 325–327, 332 Ueber die Hegelsche Lehre, oder: absolutes Wissen
Vorlesungen über Logik und Metaphysik (1817–1831) und moderner Pantheismus: 303 f.
(V 10; V 11; künftig: GW 23) Ueber die Wissenschaft der Idee: 303
150 f., 222, 260, 264, 327–331 Aristoteles:
Vorlesungen über die Philosophie der Natur Metaphysik: 223
(1819/20–1830) (V 16; GW 13.11–175; GW 19.181– Organon: 223
283; GW 20.233–375; künftig: GW 24) Bacon, Francis:
159, 208, 322, 326 f., 331–347 De augmentis scientiarum: 493
Vorlesungen über Philosophie des Geistes (Anthropo- Novum Organum: 339, 493
logie und Psychologie) (1817–1829/30) (V 13; Bardili, Christian Gottfried:
GW 13.179–223; GW 19.287–351; GW 20.379–477; Grundriß der Ersten Logik: 109, 123 f.
künftig: GW 25) Batteux, Charles:
151, 168 f., 210 f., 284 f., 326, 347–364, 418, 445, Einleitung in die schönen Wissenschaften: 2
451, 474, 490 Bauer, Bruno:
Vorlesungen über Rechtsphilosophie (1817/18–1831/32 Die Posaune des Jüngsten Gerichts über Hegel den
(angefangen); GW 14; Ig Bde. 1–4; V 1; V 14; künf- Atheisten und Antichristen: 521
tig: GW 26) Baumgarten, Alexander Gottlieb:
57, 272 f., 276, 283, 314, 364–400, 480, 516 Metaphysica: 225
Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte Beneke, Friedrich Eduard:
(1822/23–1830/31) (GW 18.119–214; V 12; künftig: Lehrbuch der Psychologie als Naturwissenschaft:
GW 27) 349
56, 115, 212, 293, 309 f., 320, 322, 324, 360, 363, Bhagavad-Gita:
376, 390, 397, 400–419, 434, 451, 461, 478 290, 291, 292,
Zur Geschichte des Orients (1822/23) (GW 18.221– Bouterwek, Friedrich:
227) Anfangsgründe der spekulativen Philosophie: 121,
401 126, 169, 171, 338, 368, 381
Vorlesungen über die Ästhetik (1818–1828/29) Brucker, Jakob:
(W X/1–3; V 2; künftig: GW 28) Historia critica philosophiae: 478
10, 52, 122, 267, 294, 324, 418–450, 461 Bruno, Giordano:
Vorlesungen über die Philosophie der Religion De la causa: 111
3. Werkregister 553

Burke, Edmund: Fichte, Immanuel Hermann:


Reflections on the Revolution in France: 366, 507 Der Begriff des negativ Absoluten und der nega-
Campe, Johann Heinrich: tiven Philosophie. Antwortschreiben an […] C. H.
Kleine Seelenlehre für Kinder: 2 Weiße: 532, 535
Cart, Jean Jacques: Grundzüge zum Systeme der Philosophie: 532
Lettres de Jean-Jacques Cart à Bernard Demuralt: Spekulative Theologie oder allgemeine Religions-
80 lehre: 535
Carus, Carl Gustav: Dresdener Vorlesungen über Ueber Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger
Psychologie: 349 Philosophie: 507
Carus, Friedrich August: Fichte, Johann Gottlieb:
Psychologie: 203, 209, 349 Antwortsschreiben an Herrn Professor Reinhold:
Confessio Augustana: 109, 113
1, 55, 74, 298, 310, 311, 312, 396 Appellation an das Publikum: 94
Conradi, Kasimir: Bardili-Rezension: 109, 123 f.
Selbstbewußtseyn und Offenbarung: 509 Bemerkungen bei der Lektüre von Schellings trans-
Creuzer, Friedrich: scendentalem Idealismus: 109
Symbolik und Mythologie: 282, 430, 461 Bestimmung des Menschen: 22, 137, 142
Daub, Carl: Briefwechsel mit Jacobi: 130, 150
Die dogmatische Theologie jetziger Zeit: 40 Briefwechsel mit Schelling: 109, 122, 125
Descartes, René: Der geschloßne Handelsstaat: 388
Meditationes de prima philosophia: 140, 494 Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre: 13,
Diderot, Denis: 78, 86, 99, 109, 110, 111, 113, 117, 118, 120, 124, 131,
Rameaus Neffe: 191 137, 142, 146, 175, 229, 233, 320
Droysen, Johann Gustav: Grundlage des Naturrechts: 118, 146, 152, 153, 154,
Historik: 406 163, 243
Dusch, Johann Jakob: Reden an die deutsche Nation: 28, 101
Briefe zur Bildung des Geschmacks: 2 Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum: 126
Duttenhofer, Jakob Friedrich: System der Sittenlehre: 118, 153
Versuch über den letzten Grundsatz der christlichen Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre: 320
Sittenlehre: 452 Versuch einer Kritik aller Offenbarung: 12, 60
Echtermeyer, Theodor / Ruge, Arnold: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschafts-
Der Protestantismus und die Romantik. Ein Mani- lehre: 117
fest: 138, 294, 434, 527 Wissenschaftslehre nova methodo (1798/99): 110
Engels, Friedrich: Zur Darstellung von Schelling’s Identitätssystem:
Brief an Marx: 534 113, 233
Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen Firdausi:
deutschen Philosophie: 530 Das Heldenbuch von Iran aus dem Schah Nameh
Eschenmayer, Carl August: des Firdussi. Hg. von Joseph Görres: 307
Psychologie: 349 Fries, Jakob Friedrich:
Feder, Johann Georg Heinrich: Neue Kritik der Vernunft: 256, 283, 349
Der neue Emil: 2 System der Logik: 222
Feuerbach, Ludwig: Gans, Eduard:
Gedanken über Tod und Unsterblichkeit: 510 Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung:
Grundsätze der Philosophie der Zukunft: 523, 534 525
Grundsätze der Philosophie. Notwendigkeit einer Rückblicke auf Personen und Zustände: 525
Veränderung: 534 Garve, Christian:
De ratione, una, universali, infinita (Habilitations- Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten: 2
schrift): 533 Gibbon, Edward:
Über Philosophie und Christentum: 522, 533 History of the Decline and Fall of the Roman
Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie: Empire: 72, 147
523, 534 Goethe, Johann Wolfgang:
Das Wesen des Christentums: 509, 524, 530 Briefwechsel mit Jacobi: 79
Zur Kritik der »positiven« Philosophie: 522, 533 Briefwechsel mit Schiller: 414
Zur Kritik der Hegelschen Philosophie: 533 Briefwechsel mit Schubart: 303
Feuerbach, Paul Johann Anselm: Faust: 16, 32, 102, 159, 189, 199, 226, 408
Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des po- Maximen und Reflexionen: 79
sitiven peinlichen Rechts: 379 Monatsschrift der Gesellschaft des Vaterländischen
Ueber die Strafe als Sicherungsmittel vor künftigen Museums in Böhmen: 49, 289
Beleidigungen des Verbrechers: 380 Reineke Fuchs: 436
554 IV. Anhang

Schwager Kronos: 286 Ueber den Dualis: 360


West-östlicher Divan: 437 Jacobi, Friedrich Heinrich:
Zur Naturwissenschaft überhaupt: 41 Allwill: 304
Görres, Joseph: Auserlesener Briefwechsel: 298
Mythengeschichte der asiatischen Welt: 292 Briefwechsel mit Jean Paul: 123
Ueber die Grundlage, Gliederung und Zeitenfolge David Hume: 118, 137, 162, 223
der Weltgeschichte: 307–310, 410 Drei Briefe an Friedrich Köppen: 129, 142
Göschel, Carl Friedrich: Jacobi an Fichte: 109, 140, 142, 193, 254–256
Aphorismen : 300–302, 509 Ueber das Unternehmen des Kriticismus: 138, 141,
Beiträge zur spekulativen Philosophie von Gott und 255 f.
dem Menschen und von dem Gott-Menschen: 520 Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den
Zerstreute Blätter aus den Hand- und Hülfsakten Herrn Moses Mendelssohn: 2, 13, 88, 99, 111, 128,
eines Juristen: 278, 301, 525 137, 140, 153, 167, 218, 230, 241, 242, 252, 255,
Grimm, Jacob: 278, 380, 384, 429, 454, 499, 502
Deutsche Grammatik: 360 Ueber eine Weissagung Lichtenbergs: 255 f.,
Grohmann, Johann Christian August: 335
Ueber Offenbarung und Mythologie: 126 Ueber und bei Gelegenheit des kürzlich erschie-
Haller, Carl Ludwig von: nenen Werkes, Des lettres de cachet et des prison
Restauration der Staatswissenschaft: 102, 272, 526 d’état: 147
Hamann, Johann Georg: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung:
Golgatha und Scheblimini: 299 137 f., 254–256, 301, 335
Metakritik über den Purismum der reinen Vernunft: Vorrede, zugleich eine Einleitung in des Verfassers
296, 299 sämmtliche philosophische Schriften: 138, 335
Werke (hg. Roth): 296, 299 Werke, Bd. 2: 34
Heim, Johann Ludwig: Werke, Bd. 3: 254
Ueber die Aehnlichkeit der ehemaligen Erdober- Woldemar: 140, 189, 295
fläche mit der gegenwärtigen des Mondes: 170 Kant, Immanuel:
Heine, Heinrich: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht: 353
Ludwig Börne: 56 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: 249, 366,
Die romantische Schule: 434, 501 380
Hemsterhuis, Frans: Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Ab-
Alexis ou de l’age d’or: 85 sicht: 411, 413
Lettre sur les désirs: 86 Kritik der praktischen Vernunft: 61, 64, 139, 169,
Herder, Johann Gottfried: 193, 224, 364, 510
Gott. Einige Gespräche. 1. und 2. Auflage: 127 Kritik der reinen Vernunft: 2, 61, 68 f., 99, 139, 140,
Liebe und Selbstheit: 86 244, 256, 265, 531
Heß, Johann Jakob: Kritik der Urteilskraft: 68, 121, 139, 140, 247, 266,
Leben Jesu: 66 425
Hinrichs, Hermann Friedrich Wilhelm: Metaphysik der Sitten: 18, 97, 141, 146, 152, 171,
Die Religion im inneren Verhältnisse zur Wissen- 366, 368, 371, 377 f., 380, 382, 388, 393, 399
schaft: 279–281, 297, 451, 509 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissen-
Hippel, Theodor v.: schaft: 121
Lebensläufe in aufsteigender Linie: 13 Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen
Hirt, Aloys: Vernunft: 6, 60 f., 64, 67, 70, 97 f., 126
Geschichte der Baukunst bei den Alten: 438 Was ist Aufklärung?: 12, 191
Hobbes, Thomas: Zum ewigen Frieden: 400
De cive: 387 Klein, Ernst Ferdinand:
Leviathan: 391 Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen
Hölderlin, Friedrich: Rechts: 379
Empedokles: 88 Kleist, Heinrich von:
Hyperion: 16 f., 86, 88 Käthchen von Heilbronn: 436
Urtheil und Seyn: 88 Klinger, Friedrich Maximilian:
Hugo, Gustav: Nachtwachen des Bonaventura: 77
Lehrbuch der Geschichte des Römischen Rechts: Klopstock, Friedrich Gottlieb:
273 Messias: 62, 443
Humboldt, Wilhelm von: Oden: 1, 10, 72
Ueber die unter dem Nahmen Bhagavad-Gita Knaus, Johann Christoph:
bekannte Episode des Mahabharata: 290–293 Elementa philosophiae rationalis sive compendium
Briefwechsel mit Jacobi: 295 logicae: 1
3. Werkregister 555

Köppen, Friedrich: Nicolai, Friedrich:


Schellings Lehre oder das Ganze der Philosophie Beschreibung einer Reise durch Deutschland und
des absoluten Nichts: 142 die Schweiz: 2
Kotzebue, August: Nicolaus Cusanus:
Geschichte des deutschen Reiches: 43 De docta ignorantia: 111
Krug, Wilhelm Traugott: Niethammer, Friedrich Immanuel:
Briefe über den neuesten Idealism: 131 f. Allgemeines Normativ der Einrichtung der öffentli-
Briefe über die Wissenschaftslehre: 131 chen Unterrichts-Anstalten in dem Königreiche: 30,
Entwurf eines neuen Organon’s der Philosophie: 203, 204, 207, 209, 214, 219, 260, 326, 372
127, 131 Ohlert, Albert Leopold Julius:
Lagrange, Joseph Louis: Der Idealrealismus: 306 f.
Théorie des fonctions: 339 Religionsphilosophie in ihrer Übereinstimmung mit
Lavater, Johann Kaspar: Vernunft, Geschichte und Offenbarung: 306 f.
Pontius Pilatus: 66 Paulus: Heinrich Eberhard Gottlob:
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Beurteilung der von Wangenheim’-
Nouveaux Essais: 110, 354, 495, schen Idee der Staatsverfassung: 38
Theodizee: 413, 495 Pfaff, Christoph Heinrich: Ueber Newtons’s Farben-
Leo, Heinrich: theorie: 286
Die Hegelingen: 520 f. Platon:
Lessing, Gotthold Ephraim: Parmenides: 134, 135, 251
Erziehung des Menschengeschlechts: 415, 473 Sophistes: 251
Nathan: 64, 66, 70, 73, 460 Timaeus: 199, 269, 272
Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft: Plotin:
479 Enneaden: 351
Livius, Titus: Proclus:
Historien: 408 Institutio theologica: 40, 282 f.
Locke, John: Ramayana:
An essay concerning human understanding: 139, 292
495 Rapp:
Maistre, Joseph de: Ueber moralische Triebfedern: 68
Abendstunden zu St. Petersburg: 302 Raupach, Ernst Benjamin Salomo:
Marx, Karl: Die Bekehrten: 286, 298
Kritik des Hegelschen Staatsrechts: 528 Reimarus, Hermann Samuel:
Ökonomisch-philosophische Manuskripte: 175 Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen
Thesen über Feuerbach: 502 Verehrer Gottes: 66, 515
Zur Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie: 258, Reinhold, Carl Leonhard:
278, 525, 527–529 Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der
Meiners, Christoph: Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts:
Briefe über die Schweiz: 74 109, 123, 125
Mendelssohn, Moses: Briefwechsel mit Fichte: 123
Jerusalem oder über religiöse Macht und Juden- Schlüssel zur Philodoxie überhaupt: 122
tum: 299 Sendschreiben an den Herrn Professor Fichte über
Phädon oder über die Unsterblichkeit: 2 die zweyte Recension von Bardilis Grundriß: 109,
Ueber die Frage: was heisst aufklären?: 2 113
Mill, James: Sendschreiben an Fichte: 109
History of British India: 292 Ueber das absolute Identitätssystem: 122
Molière, Jean Baptiste: Ueber das Fichtesche Antwortschreiben auf mein
L’école des maris: 53 Sendschreiben 109, 113
Tartüffe: 52 Versuch einer neuen Theorie des menschlichen
Montesquieu, Charles: Vorstellungsvermögens: 124
De l’esprit des lois: 147 Richter, Jean Paul Friedrich:
Moses Maimonides: Politische Fastenpredigten: 175
Doctor perplexorum: 488 Rousseau, Jean Jacques:
Müller, Johannes von: Bekenntnisse: 1
Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft: Contrat social: 61
408 Rückert, Joseph:
Newton, Isaac: Idealismus: 126
Optice: sive de reflexionibus, refractionibus, Rust, Isaak:
inflexionibus et coloribus lucis, libri tres: 47, 343 Philosophie und Christenthum: 509
556 IV. Anhang

Salat, Jakob: Theosophie des Julius: 86


Ueber den Geist der Verbesserung im Gegensatze Wallensteins Lager: 286
mit dem Geiste der Zerstörung: 128 Schlegel, August Wilhelm:
Sartorius, Christoph Friedrich: Bhagavad-Gita, id est Uespésion Méloü: 291 f.
Compendium Theologiae Dogmaticae: 5 Friedrich Schlegel und Hegel: 50, 385
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst: 19
Allgemeine Uebersicht der neuesten philosophi- Comparaison entre la Phèdre de Racine et celle
schen Litteratur: 115 d’Euripide: 28
Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie: Schlegel, Friedrich:
135 Alarcos: 436
Briefwechsel mit Fichte: 109 Athenäumsfragmente: 232
Bruno oder über das göttliche und natürliche Prin- Gespräch über die Poesie. Rede über die Mytho-
cip der Dinge: 107, 111, 173, 271 logie: 156, 292, 460
Darstellung meines Systems der Philosophie: 19, Lucinde: 386
109, 117–120, 122, 125, 131, 233, 236 Signatur des Zeitalters: 506, 526
Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen: 33, Woldemar-Rezension: 177, 295
503 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst:
Einleitung. Über das Wesen der philosophischen Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der
Kritik überhaupt: 130 evangelischen Kirche: 5, 280 f., 301, 451
Fernere Darstellungen aus dem System der Philo- Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter
sophie: 107 f. ihren Verächtern: 63, 93, 98, 141
Ideen zu einer Philosophie der Natur: 107 Vertraute Briefe über Friedrich Schlegels Lucinde:
Philosophie der Kunst: 148, 418, 429 386
Philosophie der Mythologie: 520, 533 Vorlesungen über das Leben Jesu: 66, 516 f.
Philosophie der Offenbarung: 514 Vorlesungen über die Lehre vom Staat: 368, 388,
Philosophie und Religion: 167, 252, 271, 295, 506, 392 f.
533 Schmalz, Theodor Anton Heinrich:
Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriti- Ueber Seyn, Nichts und Werden: 305
zismus: 71, 123 Schmid, Carl Christian Erhard:
Philosophische Untersuchungen über das Wesen Empirische Psychologie: 68 f.
der menschlichen Freiheit: 175 Schubarth, Karl Ernst:
Rückert und Weiß, oder die Philosophie zu der es Ideen über Homer und sein Zeitalter: 304
keines Denkens und Wissens bedarf: 126 Ueber Philosophie überhaupt, und Hegel’s Ency-
System des transzendentalen Idealismus: 19, 109, clopädie der philosophischen Wissenschaften insbe-
119 f., 122–124, 131 f., 421 sondere: 304 f.
Ueber das absolute Identitäts-System und sein Ver- Ueber die Unvereinbarkeit der Hegel’schen Staats-
hältniß zu dem neuesten (Reinholdischen) Dualis- lehre mit dem […] Preußischen Staat: 305
mus: 129, 276 Schubert, Gotthilf Heinrich:
Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Ansichten von der Nachtseite der Naturwissen-
Natur: 335, 505 schaft: 32
Ueber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Phi- Schulze, Gottlob Ernst:
losophie überhaupt: 129 Aenesidemus oder über die Fundamente der von
Ueber die Construction in der Philosophie: 129 dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Ele-
Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie mentar-Philosophie: 110, 133
überhaupt: 65 Aphorismen über das Absolute: 135, 179
Ueber Mythen: 12 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften
Vorlesungen über die Methode des akademischen zum Gebrauche für seine Vorlesungen: 349
Studiums: 155 Die Hauptmomente der skeptischen Denkart über
Vorlesungen über die Philosophie der Kunst: 122 die menschliche Erkenntniß: 135 f.
Von der Weltseele: 107 Kritik der theoretischen Philosophie: 126, 132,
Vorlesungen: Zur Geschichte der neueren Philoso- 134
phie: 496 Schulze (d. i. Schultz), Johann:
Schiller, Friedrich: Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Critik
An die Freude: 86 der reinen Vernunft: 68
Anmut und Würde: 74, 86 Schultz, Christoph Ludwig Friedrich:
Die Götter Griechenlands: 76, 433, 435, 447 Über physiologische Gesichts- und Farben Erschei-
Die Horen: 14 nungen: 285
Die Künstler: 173 Schultz, Carl Heinrich:
Resignation: 414 Die Natur der lebendigen Pflanze: 344
3. Werkregister 557

Shakespeare, William: 3.3. Periodica


Macbeth: 85, 445
Romeo und Julia: 445 Allgemeine deutsche Bibliothek
Sinclair, Isaac von: 2
Die Bekanntschaft: 16 Allgemeine Kirchen-Zeitung
Smith, Adam: 518
Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Allgemeine Literatur-Zeitung
Nations: 163 2, 21, 49, 128, 277 f., 288
Solger, Karl Wilhelm Ferdinand: Allgemeine Staats-Zeitung
Nachgelassene Schriften und Briefwechsel: 293–296 56, 313 f.
Sophokles: Allgemeines Repertorium für empirische Psychologie
Antigone: 189 f., 445 64, 68
Ödipus auf Kolonos: 445 Asiatic Researches
Spinoza, Baruch (Benedict) de: 292, 461
Ethica more geometrico demonstrata: 119, 235, 247, Bamberger Zeitung
356, 439, 480 26, 28, 33, 101, 177, 201, 288, 319, 401
Stahl, Friedrich Julius: Berliner Courier
Philosophie des Rechts nach geschichtlicher An- 51
sicht: 507, 526 f., 529 Berliner Politisches Wochenblatt
Steffens, Henrik: 49, 289
Anthropologie: 284, 349 Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Gesel-
Steuart, James Denham: ligkeit
Untersuchung der Grundsätze der Staatswirtschaft: 51, 286 f.
18 Deutsch-französische Jahrbücher
Storr, Gottlob Christian: 528
Annotationes quasdam theologicas ad philosophi- Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst
cam Kantii de religione doctrinam …, bzw. Bemer- 527
kungen über Kant’s philosophische Religionslehre: Erlanger Litteratur-Zeitung
68 126–128, 131 f.
Strauß, David Friedrich: Evangelische Kirchen-Zeitung
Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet: 66, 302, 518
515–519 Hallische Jahrbücher
Streitschriften zur Vertheidigung meiner Schrift 294, 527
über das Leben Jesu: 509, 518 Heidelbergische Jahrbücher
Sulzer, Johann Georg: 26, 28, 38, 48, 254, 257, 288, 297
Kurzer Begriff aller Wissenschaften: 2 Helvetische Annalen
Tennemann, Wilhelm Gottlieb: 81
Geschichte der Philosophie: 479 Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik
Trendelenburg, Adolf: 23, 26, 28, 38, 48–50, 254, 257, 288–291, 294, 297 f.,
Logische Untersuchungen: 532 300, 305–307, 505, 527, 529
Vergil: Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft
Aeneis: 443, 496 23
Voltaire: Journal des Savans
Alzire: 53, 49, 288
Candide: 413, Kritisches Journal der Philosophie
Weiße, Christian Hermann: 20, 23, 26, 126, 128–131, 133, 136, 141, 144, 319
Das philosophische Problem der Gegenwart. Send- Le Catholique
schreiben an Immanuel Hermann Fichte: 532, 535 309,
Ueber das Verhältniß des Publicums zur Philosophie Minerva. Ein Journal historisch-politischen Inhalts
in dem Zeitpuncte von Hegel’s Abscheiden: 507 10
Wolzogen, Karoline von: Moniteur
Agnes von Lilien: 14 f. 28
Wünsch, Christian Ernst: Morgenblatt für gebildete Stände
Kosmologische Unterhaltungen für die Jugend: 2 200
Zimmermann, Johann Georg: Neue Berliner Monatschrift für Philosophie
Über die Einsamkeit: 2 288
Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und
freyen Künste
2
558 IV. Anhang

Oberdeutsche allgemeine Literaturzeitung Vossische Zeitung


64,68 47
Philosophisches Journal Wiener Jahrbücher der Literatur
117 49, 288
Transactions of the Royal Asiatic Society Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie
292 507
4. Sachregister 559

4. Sachregister

Aberglauben: 2, 64, 95 f. 138, 191, 281, 299, 305, 460 anthropomorph: 432 f., 439, 513
Absolutes: 47, 97, 100, 110–116, 120–124, 126 f., 130 f. Antike; antik: 1 f., 52 f., 60, 64 f., 72, 83, 133 f., 148,
134–137, 139 f., 143–148, 150 f., 156, 162, 167, 172, 153 f., 156, 179, 189 f., 194, 203, 212, 216, 218, 223,
174, 178–186, 192, 196, 203, 207, 217, 236, 240 f., 227, 229, 240, 251, 264, 283, 316, 353, 362, 368,
248, 250–252, 255, 265, 271, 301, 306 f., 321, 330, 385, 387, 390, 392, 414, 427, 429, 431, 433, 435 f.,
341, 345, 351 f., 384 f., 421, 436 f., 447, 457, 473, 496 440, 445, 447, 457, 460 f., 484, 486, 488, 491, 493,
Absolutismus; absolutistisch: 55, 82 f., 105, 191, 258 506
abstrakt; Abstraktion: 50, 88, 95, 97, 108, 123, 127, Antinomie: 68, 93, 99, 110, 113, 118, 133–135, 139 f.,
131, 140, 145–147, 153, 158, 172, 178, 180, 186, 166, 193, 204, 206 f., 209, 228 f., 235, 237, 247, 266,
190, 192, 194, 200 f., 204, 209, 212, 217, 235, 238, 340
243 f., 246 f., 251, 256, 258, 262, 266, 269, 284, 299, Antithesis: 85, 92, 112 f., 115, 169, 228
304, 306, 311, 316, 329, 337, 340 f., 343, 354, 356 f., apriori: 108, 139, 147, 223, 256, 336–338, 348 f., 355,
360, 367–369, 371, 373–375, 377–379, 382 f., 388, 366, 383, 409, 479, 506, 514, 532
390 f., 394, 396 f., 408, 412, 414, 425, 430, 433, Arbeit: 18, 29, 153 f., 162 f., 171, 184, 187 f., 195, 389,
436 f., 440, 444, 448, 456, 468–470, 482, 485, 487 f., 405 f., 408, 411, 415, 433, 460, 496, 525, 532
490 f., 493 f., 499, 506, 524, 534, 535 Arbeitsteilung: 72, 93, 154, 483
äußerlich; Äußeres: 32, 46, 61, 99, 162, 168, 170, 172, Architektur; Baukunst: 212, 421, 437–439, 441
183 f., 212, 215 f., 220, 227, 234, 236, 238 f., 247 f., aristotelisch; Aristotelismus: 153, 162, 223 f., 379, 410,
250, 256, 266, 275, 291, 309 f., 328 f., 333 f., 338, 485, 487, 490 f.
340 f., 345 f., 355, 358–361, 374–376, 378, 381–384, Ästhetik; ästhetisch: 1, 10, 38, 52, 72, 74 f., 78 f., 119,
386, 388, 390, 393, 395 f., 398, 403, 410, 412, 425, 148, 203 f., 214, 220, 267, 287, 294, 324, 326, 374,
430, 433, 435–437, 439–443, 446 f., 449, 455, 404, 418–452, 455, 461, 474, 478, 486, 504
458–460, 466, 479, 481, 487, 489, 491 f., 518, 526 –, transzendentale: 265
Akademie, neuere: 488 Atheismus: 33, 54, 94, 109, 255, 262, 279 f., 304, 471,
Analysis; Analyse: 12, 64, 72, 77, 79, 83, 86, 89 f., 98, 509 f., 521
100–102, 123 f., 138 f., 145 f., 154, 156, 167, 172, Atheismusstreit: 19, 33, 54, 94, 109, 142, 255 f., 505
185 f., 192, 196, 201, 222 f., 227, 239, 241, 243, 301, Atom; atomistisch; Atomismus: 118, 142, 153, 186,
314, 317 f., 337, 343, 345, 358, 372, 382, 398 f., 409, 258, 316, 340, 342, 394, 489
439, 503, 511, 523 Aufklärung: 2, 4, 11, 60, 62, 64 f., 72 f., 95–97, 131,
Anderssein: 159 f., 236, 238, 269, 333–335, 337, 458, 137–139, 147, 154, 189, 191 f., 197 f., 200, 209, 255,
534 257, 261 f., 296, 320, 334, 340, 364, 366, 368, 379 f.,
Anerkennung: 20, 24, 32, 47, 50, 55, 60, 73, 83, 106 f., 385, 400, 402, 404, 414 f., 456, 460, 474–476, 495,
138, 141, 153 f., 159, 162–164, 171, 187, 192 f., 198, 506, 510, 519, 526–528, 531, 533
215 f., 228, 251, 294 f., 300 f., 312, 344, 357 f., 367, autonom: 64 f., 71, 87, 147, 189, 369, 379, 442
378 f., 384, 386 f., 389, 396 f., 400, 448, 475 f., 481,
493, 507, 524 Bedürfnis der Philosophie: 114, 116, 150, 158, 181
Anfang: 178, 180, 232, 233, 240, 250–252, 263, 268, Befreiung: 116, 119, 158 f., 185, 226, 253, 355, 359 f.,
269 390, 435, 437, 441 f., 483, 488, 522
Anschauung: 85, 93, 96, 111–113, 122, 130, 138, 141 f., Begriff: 105, 113 f., 116, 118 f., 134, 141, 152, 161, 168,
148, 151–154, 173, 181, 194, 199, 210–212, 247, 171, 173 f., 179, 183–185, 195, 197 f., 205–207, 211,
255, 266, 271, 281, 340, 357, 360, 392, 418, 421 f., 213, 226 f., 231, 233 f., 241–244, 247–254, 295,
426, 428, 432 f., 437, 442, 444, 446, 455, 509, 534 308 f., 334, 336, 338 f., 341, 345–347, 351, 354, 356,
–, absolute: 153 358, 361 f., 375 f., 382, 393–395, 423, 425 f., 431 f.,
–, ästhetische: 119 434 f., 438, 452–457, 464–468, 470, 472–476, 480,
–, empirische: 145 482, 494, 500, 502, 507, 514, 516 f., 522, 524,
–, intellektuelle: 99, 178 f. 530
–, poetische: 159 Selbstbewegung des Begriffs: 168, 183 f., 205, 227,
–, religiöse: 158, 439 231, 234, 239, 250, 251
–, sinnliche: 423 Begriffsform: 141, 196, 213, 426, 456, 473, 475
–, transzendentale: 123, 271 Besitz: 162 f., 171, 216, 362, 378 f.
–, unendliche: 122 Bewegung
Selbstanschauung: 130, 148 f., 164, 173, 193, 217, – des Denkens: 112, 138, 148, 151, 163, 171, 175,
244, 421, 422 178 f., 181–185, 187, 190, 192, 194, 196, 198, 227,
Anstoß, unendlicher: 167 231, 233 f., 238–241, 243, 250 f., 256, 267, 269 f.,
Anthropologie: 38, 211, 213 f., 220, 256, 260, 283 f., 284, 321, 343, 352, 354, 361, 367, 403, 412, 415,
347–350, 353, 366, 451, 530, 533 f. 417, 426 f., 438, 440, 482, 496, 524
560 IV. Anhang

– des Körpers: 41, 160 f., 169 f., 208, 239, 333 f., 275, 301, 344, 351, 379, 386, 406 f., 416, 476, 527,
340–342, 399 535
Beweis: 183 f., 217, 235, 307, 339, 341, 459, 495 Bildungsgeschichte: 201, 212
Bewußtsein: 38, 83, 88–90, 96, 105, 111–114, 122, 127, Bildungsprozeß: 208, 275, 344
130, 139, 157, 162–165, 167, 170–172, 174, 176 f., Böses: 143, 166, 217, 249, 262, 281, 294, 309, 335, 354,
179–181, 185–198, 209–211, 213, 215, 217, 222, 226, 363, 382, 384, 412 f.
232 f., 240, 251, 256, 263 f., 266, 335 f., 348 f., 352,
354–358, 368, 377 f., 384, 402, 411–413, 416, 421, Chemie; chemisch: 27, 161, 169 f., 199, 236, 337,
428, 449, 454 f., 458, 461, 465 f., 469, 474, 484, 486, 342–344
489, 491 f., 494 f., 501 f., 512, 514, 535 Chemismus: 160 f., 169 f., 201 f., 208, 236, 246–248,
–, absolutes: 148, 159, 163 f., 167 343
–, allgemeines: 164, 192, 240, 378 Christentum: 40, 63 f., 71, 85, 155 f., 280, 282, 295,
–, äußerliches: 437 301, 307, 350, 353, 377, 383, 397, 415 f., 434, 436,
–, einzelnes: 164, 192, 407 447–449, 453 f., 460, 465, 467 f., 471 f., 485, 489,
–, empirisches: 117, 146, 148, 153, 163 492, 507 f., 510 f., 513, 516 f., 522–525, 527 f., 534
–, endliches: 455 –, Idee des: 467, 492, 513
–, erscheinendes: 179 Christlichkeit: 41, 262, 302, 305, 471 f., 508–510, 513,
–, erwachendes: 157 f. 519–523
–, freies: 355 Confessio Augustana: 1, 55, 74, 298, 310–312, 396
–, geistiges: 196
–, gemeines: 133 Definition: 110, 165, 232, 241, 249 f., 351 f., 458
–, geschichtliches: 406 f. Demagogen; demagogisch: 44 f., 53, 262, 273, 275
–, glaubendes: 196 Denkbestimmung: 165, 179, 205, 224–231, 233 f.,
–, komisches: 195 236 f., 242, 244, 249, 250 f., 264–267, 330, 358, 361,
–, moralisches: 193 480 f.
–, natürliches: 178, 186 Denken, abstraktes: 200, 204, 506
–, neuzeitliches: 476 –, begreifendes: 173, 253, 301, 349, 425, 455 f.,
–, öffentliches: 394 473–475, 481, 500, 514, 516
–, politisches: 529 –, dialektisches: 98, 199, 204
–, prosaisches: 426 –, eigentümlichkeitsloses: 481
–, rechtliches: 529 –, formelles: 357
–, reines: 117, 174, 191 –, freies: 483, 487, 494, 527
–, religiöses: 281, 453, 462, 508, 510, 512, 521, –, leeres: 50
530 –, menschliches: 73
–, rohes: 197 –, mystisches: 93
–, sinnliches: 209, 357, 534 –, objektives: 123, 225 f., 264, 266, 509
–, skeptisches: 195 –, räsonierendes: 495
–, subjektives: 236, 340 –, reflektierendes: 222
–, symbolisches: 432 –, reines: 173, 192, 250
–, transzendentales: 117 –, selbstbewußtes: 264, 391
–, unglückliches: 187 f., 195 –, sich denkendes: 234, 250, 481, 486
–, unmittelbares: 186, 264 –, speculatives: 203 f., 219, 239, 294, 300, 514
–, unwahres: 179 –, unbedingtes: 506
–, verständiges: 355 –, unbefangenes: 487
–, vorstellendes: 444 –, unendliches: 140
– der Freiheit: 370–372, 383, 414–416, 483, 491 –, vernünftiges: 195, 514
–, Gegensatz des: 193, 197, 226, 233 –, vorstellendes: 456
–, Tatsachen des: 134, 256, 283, 349 Despotismus: 12, 55 f., 71, 74, 415
Bewußtseinsform: 186, 432, 436, 455 Dialektik; dialektisch: 97–100, 135, 137, 140, 168, 185,
Bewußtseinsgeschichte: 138 f., 197 f., 210, 264, 416, 187, 199, 204, 206 f., 209, 224, 227–231, 237, 239,
430 f., 433, 535 241, 245, 251 f., 256, 282, 293, 295, 302, 307 f., 329,
Bewußtseinsgestalten: 179, 186, 264 420, 447, 478, 490 f., 504, 506, 512–514, 534 f.
Bewußtseinsverhältnis: 88, 170, 187, 356, 454 –, transzendentale: 68, 113, 224, 227 f., 266
Beziehung: 86, 88, 90, 92, 94, 111 f., 114, 120, 135, 154, Diktat: 30, 79, 152, 202, 206–211, 213 f., 218, 220, 260,
157, 161 f., 164–168, 170, 182, 191 f., 195, 206, 218, 273, 322, 326, 331–333, 365, 418 f.
230 f., 234, 238 f., 246, 248 f., 345, 356–358, 377, Ding: 89, 114, 117, 127, 132, 138, 162, 166, 170,
379, 382, 400, 455 f., 493 186–188, 191 f., 205, 207, 209, 231, 233, 235, 239,
Bildung: 1 f., 4 f., 28, 34–36, 64, 88 f., 115, 119, 123, 242, 250 f., 254, 263 f., 308, 329, 335, 354, 357 f.,
137, 144, 171, 174, 186, 190 f., 201, 208, 212, 216 f., 412, 427 f., 489, 495
4. Sachregister 561

– an sich: 166, 225, 229 f., 233, 240, 249, 251, 266 episch; Epos: 195, 203, 214, 292, 436, 443–445
Diremtion: 242, 244, 270, 344, 361 erbaulich: 127, 181 f., 346, 349, 408, 447
Dogmatik; dogmatisch: 5, 12, 62, 96, 195, 281, 449, Erfahrung: 67, 88, 145, 147, 176 f., 179, 185 f., 188 f.,
451, 453 f., 467, 470, 472, 493, 513, 517, 519 226–228, 230, 263, 265, 284, 286, 294, 299,
Dogmatismus; dogmatisch: 116 f., 127, 132–134, 137, 335–339, 341 f., 348 f., 354, 357, 376, 441, 444, 493,
140 f., 144, 150, 224, 232, 253, 265, 499 495, 535
Drama; dramatisch: 214, 443 f. –, geschichtliche: 56, 74, 101, 104, 258, 311, 384, 392,
Dualismus; dualistisch: 18, 121, 127, 130 f., 142, 192, 397, 399, 413, 460, 466, 494, 529
333, 353, 448, 495 Erfahrungsbegriff: 263, 284, 339, 494 f.
Erfahrungswissenschaft: 145, 335, 337, 339 f., 357,
Ehe: 73, 153, 162, 171 f., 217, 386 f. 494, 506
Eigentum: 72, 91, 94, 104 f., 155, 171, 189, 192, 212, Erhabenheit: 75, 169, 413, 431, 467
216, 316 f., 362, 375, 378–380, 383, 393 Erinnerung: 68, 211, 238, 360, 405, 407
Einbildungskraft: 2, 61 f., 66, 70, 75, 79, 87, 210 f., Erkennen: 93, 123, 134, 139–141, 148, 151, 158 f., 162,
215, 236, 311, 337, 360 165–167, 171, 174, 182–185, 201 f., 209, 229, 238,
Eleaten: 228, 239, 251, 480, 486, 489 f. 246–252, 256, 267, 269–271, 275, 285, 294, 344,
empfindsam; Empfindsamkeit: 60, 66, 181, 201, 335, 360–362, 369, 422, 457, 493 f., 499, 532
354 f., 357, 360, 362, 381, 386, 413, 422, 440 f., 444, Erkenntnis: 110 f., 123 f., 131, 150, 179, 184 f., 204,
490 f., 501, 532 206 f., 212, 217, 225–229, 242, 249, 264 f., 267,
Empfindung: 61, 64, 67, 75, 87, 89, 140 f., 211, 236, 275 f., 334 f., 349, 351, 355, 360, 362, 366, 413 f.,
299, 354, 357, 360, 362, 381, 386, 413, 422, 440 f., 448, 457 f., 460, 474, 482, 506 f., 510, 512
444, 490 f. –, a priori: 223, 336–338
Empirie; empirisch: 108, 113, 117, 138–142, 145 f., –, begreifende: 213, 308, 471, 473, 535
148 f., 153, 155 f., 159, 163, 182, 224, 226, 235, 245, –, denkende: 57, 276
249, 277, 283 f., 334, 338 f., 342, 346, 349, 367, 373, –, endliche: 139
376, 394, 409 f., 414, 454, 459, 461 f., 467, 479, 490, –, freie: 370
494, 514, 534 –, historische: 156
Empirismus: 131, 197, 265, 495, 535 –, logische: 271
Endliches: 88, 92–94, 96, 112, 114, 120, 131–133, 135, –, metaphysische: 256, 266
137 f., 140 f., 144, 146, 167, 192, 217, 231 f., 234 f., –, philosophische: 318, 460, 472, 474, 513
238, 240, 249, 252, 255, 266, 346, 399, 412, 430 f., –, politische: 275
435, 499 f. –, seiner selbst: 172, 256, 496
Endlichkeit: 92, 131–133, 135, 137–141, 143, 151, –, subjektive: 340
234 f., 240, 248 f., 266 f., 269, 356, 364, 377, 426 f., –, systematische: 480
432, 445 –, vernünftige: 33, 409, 482
Entäußerung: 174, 190, 196, 238, 351, 428 –, wissenschaftliche: 33, 410
Entfremdung: 72, 109, 190 f., 217, 239, 389, 476, 484 – der Natur: 158, 337
Entgegensetzung: 18, 85–89, 91 f., 94 f., 99, 112–114, – des Absoluten: 134, 179, 183, 203, 321
117, 119 f., 126 f., 134 f., 137, 142–144, 146–148, – Gottes: 33, 217, 321
157 f., 189, 191, 200, 205 f., 229, 262, 271, 292, 329, -form: 112, 186
337, 340, 353, 366, 382, 386, 421, 435, 453, 494, -grund: 335, 456, 459
498, 509, 513 -prozeß: 132
–, absolute: 114, 117–119, 137, 142 f., 146, 157 -theorie: 132, 532
Entgötterung; Entzauberung: 90, 138 f., 156, 335, 435 -vermögen: 67 f., 139, 481
Entschluß: 180, 233, 243, 253, 264, 267 Erscheinung: 13 f., 72, 95, 113–115, 118, 121, 140, 146,
Entwicklung: 85, 96 f., 117, 121, 156, 158, 189, 195, 166, 185 f., 196, 207, 229 f., 238, 240, 250, 265,
197, 210, 212, 214, 235–237, 251, 260, 263 f., 269 f., 269–271, 275 f., 284 f., 328 f., 338, 342 f., 355–357,
284, 325, 328, 336, 359, 370, 372 f., 382, 387, 389, 425, 435, 437, 460
403, 405, 407, 410 f., 421, 436–438, 440, 442–444, Erziehung: 31, 41, 73, 212
447, 450, 452–454, 459, 464, 466, 475–477, 479–483, – des Menschengeschlechts: 404, 415, 473
488 f., 493, 496, 501, 530 Volkserziehung: 8
–, geschichtliche: 71 f., 83 f., 95, 102 f., 115, 139, 149, eschatologisch: 8, 98, 164, 174, 409, 447, 501, 510
317 f., 336, 366, 375, 390, 403, 420, 447, 465, 480 f., Ethik: 78, 147, 153, 193, 203, 364, 368, 381 f., 490
483, 487 f. Ethikotheologie: 12 f., 59, 155, 415, 510
Entzweiung: 15, 60, 85–89, 112, 114–116, 120 f., 123, Eudämonismus: 137, 139
155, 157, 172, 175, 190, 192, 196, 199, 270, 280, Evolution: 336
397, 425, 428, 449, 462, 493 Einheit, absolute: 144 f., 230, 252, 436, 458, 485, 490,
–, absolute: 114, 119 495
Epikuräer: 488, 490 f. –, abstrakte: 140
562 IV. Anhang

–, ästhetische: 443 f. 374 f., 378 f., 384 f., 390 f., 393, 397, 399 f., 406,
–, differenzierte: 153, 170 410–415, 432, 442, 448, 462, 476, 491, 494, 502
–, einfache: 145 –, absolute: 35, 157, 159, 192 f.
–, geistige: 436, 456, 461, 463 –, abstrakte: 358, 391
–, konkrete: 230 –, allgemeine: 192, 316, 370
–, organische: 147 –, bürgerliche: 74, 215 f., 274, 284, 312, 315 f., 318, 483
–, reine: 146, 179 –, christliche: 312
–, subjektive: 425 –, denkende: 405, 410
–, substantielle: 390, 436, 448, 463, 468, 471 –, deutsche: 39, 44, 102
–, unmittelbare: 156, 172, 241 –, englische: 81, 314
–, ursprüngliche: 145, 155, 244, 301, 430 –, formale: 370
–, wahrhafte: 436 –, göttliche: 505
– der Apperzeption: 242 –, griechische: 172
– der Geschichte: 403, 412 –, individuelle: 397
– der göttlichen und menschlichen Natur: 88 f., 195, –, konkrete: 400, 476
448, 459, 474, 516, 518 –, negative: 369
– der Idee: 373 –, objektive: 390
– der Substanz: 262 –, politische: 63, 72, 101, 103, 105, 171, 215, 316, 370,
– der Wahrheit: 482 392, 437, 483 f.
– des Absoluten: 436 –, realisierte: 384
– des Begriffs: 242, 244 f., 251 f., 307, 334, 356 f. –, rechtliche: 416
– des Entgegengesetzten: 204, 229–231, 236, 238, –, religiöse: 215
245 f., 340, 351, 388 –, selbstbewußte: 371
– des Lebens: 344 f., 425 –, subjektive: 372, 383, 387 f., 390, 394, 476, 489
– des Subjektiven und Objektiven: 233, 328, 352, 361, –, transzendentale: 278
368, 390, 429, 485, 490, 533 –, unendliche: 425
– des theoretischen und praktischen Geistes: 350 –, wahre: 118, 493
– des Unendlichen und Endlichen: 88, 92 – der Kunst: 74
– mit sich selbst: 189 f., 242 – der Person: 216 f., 377 f., 382
– von Allgemeinheit und Einzelheit: 390 – der Presse: 215
– von Begriff und Realität: 248, 251, 424, 431 – des Begriffs: 249, 253, 425
– von Denken und Sein: 116, 192, 198, 233, 265, 267, – des Eigentums: 378
328, 486, 489 f., 494–496, 500, 535 – des Geistes: 256, 284, 351 f., 359, 409 f., 414 f., 433,
– von Dogma und Geschichte: 516 466, 491
– von Existenz und Möglichkeit: 241 – des Ich: 143
– von Natur und Geist: 195, 334, 427, 431, 433, 439, – des Menschen: 217, 416, 492
445 – des Selbstbewußtseins: 187
– von Philosophie und Theologie: 455, 492 f., 508, – des Subjekts: 488, 494
524 – des Willens: 74, 215 f., 362, 400
– von Raum und Zeit: 340 – und Natur: 86, 118 f., 140
– von Staat und Religion: 103, 395 – und Notwendigkeit: 119, 121, 140, 166, 369, 372,
– von Verbindung und Nichtverbindung: 99 441
Ewigkeit: 335, 482, 511, 513 –, (Selbst)Bewußtsein der: 372
Existenz: 108, 140, 166 f., 171, 240–242, 267, 276, 285, –, Dasein der: 370, 375, 382
329, 338, 341 f., 354, 357, 359–362, 374, 381, 390, –, Geschichte der: 367, 375 f., 414 f., 486
393 f., 410, 414, 489, 535 –, Idee der: 350, 372 f., 385 f.
–, Interesse der: 494
Familie: 162 f., 171, 212, 215–217, 220, 368, 370, 375, –, Prinzip der: 247, 265, 383, 416 f., 476, 508
385–387, 389, 400, 406, 527 –, Reich der: 242
Farbenlehre: 41, 47, 285 f., 303, 329, 332, 339, 343 –, System der: 257, 260
Feudalismus: 191, 317, 394 Freiheitsbewußtsein: 95, 416
Form, unendliche: 408, 486 Freiheitsgeschrei: 101
Formalismus: 27, 181, 184, 219, 246, 252, 262, 337 f., Freiheitsgesindel: 277
345, 436, 498 Freiheitsrechte: 83
Fortschritt: 64, 132, 346, 399, 404, 411, 465 f. Freiheitswahn: 101
– im Bewußtsein der Freiheit: 316, 383, 414–416, 483 Friede: 147, 216, 398–400, 476
Freiheit: 2, 6 f., 10, 44, 54, 56 f., 71, 74 f., 86, 95, 97, –, ewiger: 148, 172, 399
114, 117 f., 144, 155, 174, 180, 240, 242 f., 263 f., 269, Frömmigkeit: 15, 247, 262, 275, 299 f., 302, 308, 312,
278, 281, 311 f., 334 f., 337, 350, 363 f., 367–372, 436 f., 455, 510 f., 521
4. Sachregister 563

Ganzes: 12, 18, 85, 90, 92, 99, 110–112, 124, 130, 147, –, seiner selbst gewisser: 173, 190, 193–195, 197
149, 154, 158–160, 162, 191, 230 f., 237, 240, 247, –, selbstbewußter: 193–195, 513
250, 260, 275, 316 f., 321, 337, 345, 370, 374, 388 f., –, sich entfremdeter: 190 f.
394, 407, 419, 424 f., 442 f., 450, 482, 507, 523 –, sich realisierender: 168
Gedächtnis: 162, 211, 360 f. –, sich wissender: 172–175, 182 f., 197, 352, 359,
Gedanke: 88, 104, 114, 120, 159, 191, 212, 222, 226, 422–424, 429, 433, 455, 465, 479
248–250, 252 f., 255, 257, 264–266, 275, 284, 325, –, sittlicher: 156, 194
328, 349, 361, 378, 391, 423, 425, 433, 436 f., 442, –, spekulativer: 302
444, 452, 470, 483, 485–489, 491 f., 495, 499, 502, –, subjektiver: 167, 170–173, 177, 180, 211, 213, 239,
509, 524, 534 260, 267, 271, 283–285, 319, 347–350, 352, 354,
Gedankending: 86, 102, 392, 492, 535 359, 364, 367–369, 373, 375, 422, 426, 430, 433,
Gefühl: 87 f., 95, 144, 181, 210 f., 217, 255, 262, 275 f., 442, 504
280 f., 301, 345 f., 354, 360, 362, 380, 441, 456, 488, –, theoretischer: 211 f., 215, 349 f., 352, 359–362
498–500 –, tieferer: 172
–, göttliches: 93 –, trüber: 192
–, natürliches: 214, 495 –, unendlicher: 88
–, praktisches: 153, 212, 362 f. –, vorgestellter: 174
–, religiöses: 63, 95, 498, 518, 523 f. –, wahrhafter: 158, 190, 194, 455, 527
– der Abhängigkeit: 280 f. –, wirklicher: 171, 194, 388
Gegensatz: 131, 238 f., 253, 264, 400 – der Zeiten: 72, 408, 501
Geist: 158, 161 f., 167, 173, 183, 190–192, 255, 284, – und Geschichte: 198, 352 f.
350 f., 405, 410, 422, 426, 448, 456, 468 – und Natur: 148, 151, 155, 158, 161 f., 168, 170, 250,
–, absoluter : 94, 149, 151 f., 154, 159, 163 f., 167 f., 252, 270, 335, 337 f., 346, 353, 355, 427, 431, 439,
171–174, 182, 190, 193, 209–213, 217, 255 f., 267 f., 440, 445
270 f., 292, 338, 348, 352, 359, 369, 373, 375 f., Geistes, Begriff des: 156, 158, 160, 170, 173 f., 180,
401–405, 407, 416–419, 422, 424 f., 428 f., 442, 446, 183, 190, 284, 350–353, 359, 376, 405, 410 f., 415,
448, 451 f., 455–458, 460, 474, 477, 479, 512, 523, 421–423, 428, 432 f., 449, 452–454, 456–459,
531, 534 468–470, 478, 482, 524
–, allgemeiner: 159, 403, 456, 460 f., 463–466, 474, –, (Selbst)erkenntnis des: 349, 351, 453, 456, 492,
481, 511 530 f., 536
–, an und für sich seiender: 210 –, Beisichsein des: 404 f.
–, beschränkter: 173, 418, 422 –, Geschichte des: 186, 293, 352, 402 f., 417, 446, 466,
–, daseiender: 173, 193 481, 487
–, denkender: 174, 296, 412, 462, 483 –, Reich des: 151, 236, 344, 471
–, eigener: 301, 408 –, Selbstbeziehung des: 182, 457, 468
–, einzelner: 158, 190, 456, 460–466, 474 -philosophie; -lehre: 21, 107, 151, 155, 158, 160–162,
–, endlicher: 209, 218, 253, 269–271, 433, 457, 470 164, 168–170, 175–177, 180, 187, 190, 198, 203 f.,
–, erkennender: 168, 256, 435, 460 206–214, 220, 226, 248 f., 254, 260 f., 267, 269, 271,
–, erscheinender: 178, 183, 186, 197 f., 210 f., 213, 283 f., 319 f., 326, 331, 347–349, 352 f., 356, 359,
233 369, 373, 402, 418, 429 f., 445 f., 450 f., 474 f., 490,
–, existierender: 162 504
–, freier: 173, 220, 349, 359, 364, 433, 439, 446, 493, Geistiges: 163, 172 f., 190, 236, 247, 271, 307, 335,
527 351 f., 355, 357, 359, 367, 382, 386, 422, 425–428,
–, fühlender: 499 432 f., 435, 438, 440–442, 446, 455 f., 458, 460, 462,
–, gegenwärtiger: 292, 376 465 f., 476, 481 f., 503
–, göttlicher: 87, 448, 456, 461, 464, 535 Geistigkeit: 190, 336, 354, 359, 368, 406, 427 f., 432 f.,
–, heiliger: 191, 469 435 f., 439, 442, 447, 459, 487, 491, 493 f.
–, innerer: 197 Gemeinde: 63, 87, 89, 173 f., 193, 196, 311, 386, 395 f.,
–, lebendiger: 115 f., 148, 158 434, 456, 470 f., 474–476
–, logischer: 374 Gemüt: 14, 16, 18, 32, 34, 39, 52, 55, 87, 370, 409,
–, menschlicher: 74, 177, 447 f., 456, 461, 464, 495, 426, 435, 440, 444, 472, 494, 508, 522 f., 527
530 Gerechtigkeit: 65, 83, 101, 153, 217, 379, 397, 414, 445
–, objektiver: 154, 167, 171, 190, 211, 214, 267, 270 f., Geschichte: 1, 11, 18, 61–63, 115 f., 147, 159, 177, 181,
350, 352, 359, 362 f., 365, 367–370, 373–377, 379, 186, 197 f., 210–212, 218, 263, 277, 291 f., 297, 308
385, 388, 400 f., 412, 416 f. s. auch Weltgeschichte
–, praktischer: 211, 220, 349 f., 352, 359, 362 f., 373, –, absolute; Geschichte des absoluten Geistes: 267 f.,
435 417, 435, 475
–, realer: 212, 214, 373 –, objektive: 402, 406 f., 414, 464, 478
–, reiner: 355 –, subjektive: 407
564 IV. Anhang

Geschichtlichkeit: 198, 353, 375 f., 401, 404–406, 410, göttliche Dinge: 32, 33, 254, 255, 256, 301
416 f., 466 f., 479, 481 göttlichen Dinge, Streit um die –; Theismusstreit:
Geschichtsphilosophie: 56, 115, 203, 212, 309 f., 320, 33, 255 f., 257, 505
322, 324, 363, 390, 397, 400–404, 409–411, 413–417, Gravitation: 186, 341 f.
419, 434, 451, 461, 478 Gutes: 12, 162, 189, 193, 195, 206 f., 217, 249, 256,
Geschichtsschreibung: 401, 407, 408, 409, 479 262, 266, 293, 354, 369, 374, 379, 380, 382–384,
Gesellschaft; gesellschaftlich: 11, 15, 39, 46 f., 59 f., 63, 424, 462, 467, 485
71–73, 75, 93, 98, 103, 118, 147 f., 153 f., 158, 163,
172, 190, 200 f., 215 f., 220, 275, 292, 314–317, 350, Handlung: 61 f., 64, 87, 89, 95, 97, 101, 143, 196, 201,
359, 365–372, 375, 379 f., 387–389, 394, 398, 416, 212, 215–217, 245, 287, 318, 380, 382–384, 393,
450, 464, 475 f., 483, 501–503, 506 f., 521, 527, 530, 407, 412, 414, 436, 443 f., 480
532 Heiliges; Heiligtum: 63 f., 66 f., 84, 87, 96 f., 105, 143,
–, bürgerliche: 63, 220, 278, 368, 371, 375, 378, 380, 155 f., 191, 215, 217, 235, 275, 335, 384, 397, 424,
385–389, 394, 412 431, 434 f., 476, 491, 513, 523, 534
Gesetz; Gesetzmäßigkeit: Herz: 61 f., 79, 88, 119, 138, 140, 143, 189, 196, 256,
Naturgesetz: 107 f., 186, 188, 235 f., 240, 335 f., 339, 275, 300, 302, 311 f., 315, 354, 383 f., 396, 444 f.
341 f., 361, 494 Hieroglyphen: 360 f., 456
Rechtsgesetz: 40, 73, 79, 84, 91 f., 142, 147, 149,
171, 212, 216, 274–276, 314 f., 367, 380, 385 f., Ich: 13, 94, 113, 117 f., 121, 127, 131 f., 139, 143 f., 146,
389 f., 392 f., 396, 410, 440, 443 157 f., 167, 173 f., 183, 187, 193, 215, 233, 242 f.,
Sittengesetz: 61, 70, 86 f., 95, 141, 143, 145, 147, 249, 271, 306, 351, 354–359, 363, 377, 383, 393,
158, 189, 193, 217 458, 481, 485 f., 488, 495, 506, 533 f.
Vernunftgesetz: 110, 205 f., 243, 245, 265, 275, 294, Ideal: 63 f., 68 f., 71, 86, 91, 95, 101, 103, 105, 121,
388 123, 126, 132, 138, 153 f., 158, 169, 172, 184, 189,
Gewalt: 35, 83, 88, 101, 103–105, 145, 157, 171, 212, 231, 269, 277, 299, 319, 330, 345, 366, 400, 421 f.,
216, 311, 315, 385, 388, 391–395 426, 435, 446 f., 449, 457, 483
– der Vernunft: 390, 523 Ideelles: 114, 118, 142, 146, 149, 153, 155 f., 161, 163,
Gewaltenteilung: 212, 392 166, 353, 356, 455, 476, 483 f.
Gewissen: 101, 103, 131, 139, 193, 383 f., 397 Idealismus: 23, 30, 106, 117, 121, 123, 127, 129,
Gewißheit: 117, 126, 134, 141, 180, 186–188, 193, 131–133, 135, 139, 140 f., 145, 151, 157, 160, 162,
195–198, 249, 255, 263, 266, 336, 356–358, 494, 168, 175, 188, 198, 224 f., 229, 265, 306 f., 340, 351,
517 357, 410, 415 f., 425, 484 f., 490, 501, 506 f., 511, 536
Glaube: 8, 21, 43, 61 f., 64–67, 70 f., 73, 85, 89 f., 95, Idealität: 131, 155, 161 f., 166, 336, 340 f., 352, 355,
99, 103, 124, 133, 137 f., 141, 143, 190–192, 196, 358, 439
217, 266, 295, 299, 301 f., 336, 397, 409, 455, 475, Idealrealismus: 306 f.
498–500, 508–511, 514, 516, 519, 521, 523, 529, Idee: 78 f., 114, 139 f., 144 f., 147 f., 150 f., 160, 167,
530 174, 195, 199, 206, 211, 233, 236, 247–249, 252 f.,
–, moralischer: 12, 61, 65, 67 262, 266, 269–271, 276, 282, 285, 307, 321, 326,
Glückseligkeit: 71 f., 215, 362–364, 415, 489–491 328, 333–337, 339, 341, 343 f., 346, 350 f., 355, 369,
Gott: 2, 12 f., 21, 32 f., 60, 62–66, 71 f., 75, 79, 85, 372–374, 378 f., 384, 390 f., 408, 410, 424, 426,
87–90, 92–94, 112, 122, 132, 138–140, 143 f., 151, 430 f., 446, 479 f., 482, 486, 492, 494, 496, 514 f.,
153, 155, 157–159, 168, 173 f., 181, 183 f., 188, 518–520, 533
193–196, 199, 201, 203, 215, 217–219, 224, 228, –, absolute: 145, 167 f., 183, 206 f., 250, 252 f., 457, 512
232, 235, 244, 246, 253, 255, 262 f., 265–267, 269, –, reine: 252 f., 418, 422
281, 284, 301 f., 309, 311, 321, 334 f., 350, 353, 370, –, sittliche: 390
384, 390 f., 396 f., 410, 412–414, 416, 418, 422, 425, –, spekulative: 174, 306
427, 432–437, 439, 441, 446–449, 453–460, 462 f., – der Freiheit: 350, 372 f.
467–474, 476, 485, 491–493, 495, 499 f., 507 f., – der Kunst: 130
510–515, 518–521, 523 f., 526 f., 530, 532–535 – der Philosophie: 127, 130 f., 269, 321
– persönlicher: 12, 90, 500, 507, 510, 526, 533 – der Sittlichkeit: 155
Reich Gottes: 6, 8, 37, 88, 139 – der Tugend: 64
Tod Gottes: 144, 195 – des Absoluten: 126
Gottesbeweise: 167, 219, 233, 246, 470, 497–500 – des Erkennens (theoretische Idee): 206 f., 249, 251
– kosmologischer: 167, 203, 463, 470, 498 f. – des Geistes: 249, 404, 448
– moralischer: 12 – des Guten (praktische Idee): 206 f., 249, 374,
– ontologischer: 140, 241, 246, 488 f. 384–386, 424
– physikotheologischer; teleologischer: 203, 463, – des Lebens (unmittelbare Idee): 206, 248, 344, 346
470, 499 – des Schönen: 79, 206 f., 248, 421, 424, 425, 428
Gottesdienst: 62, 93, 122, 193 – des Wahren: 206 f., 249, 424
4. Sachregister 565

Ideenlehre: 68, 165, 202, 205–207, 220, 237, 246, 248, – reformierte: 11, 281, 310 f.
278 konservativ: 5, 49, 289, 300, 314, 316, 366, 502, 507,
Identität: 87, 100, 112–114, 116, 119–121, 123 f., 143, 527, 529 f., 533
145 f., 153, 155–157, 165 f., 183, 194, 205 f., 230 f., Konstitution; konstitutionell: 35, 55, 73, 170–172, 211,
234 f., 238, 241–243, 256, 269, 271, 278, 301, 307, 304, 391, 393, 402
325, 328 f., 334, 340, 343, 351, 355 f., 361, 373, 378, Korporation: 316, 389, 395
405, 421, 426, 448 f., 456 f., 463 f., 467 f., 470 f., 474, Kosmologie: 68, 166, 168, 203, 224, 229, 320, 337
480 f., 494–496, 521–523 Kraft: 121, 265, 341, 343
–, absolute; absolute Einheit: 113 f., 120, 123, 139 f., Krankheit: 214, 345 f., 354 f.
143 f., 146, 148 f., 154 f., 230, 241, 252, 436, 458, Krieg: 90, 103, 148, 216, 398–400, 412, 443
485, 490, 495 Kritizismus: 106, 137 f., 150, 232, 265
Identitätsphilosophie: 117, 120, 144, 148, 151, 155, Kultus: 93, 155, 174, 195, 458, 467, 469–472, 493
158, 160, 262, 495 Kunst: 51–53, 74, 79, 116, 122, 130, 151, 155, 159, 164,
Illusion: 101, 204, 228, 390, 398, 475, 528, 530 167, 172–175, 194 f., 197, 203, 211 f., 214, 218, 220,
Indifferenz: 23, 119, 121, 146, 151, 153, 163, 495 250, 267 f., 286, 303, 320, 322, 324, 352, 359, 376,
–, absolute: 148, 152, 236, 271, 345 403, 405 f., 416, 418–452, 455 f., 458, 464, 466 f.,
Individuum; Individualität: 34 f., 89 f., 92, 96, 116, 118, 475, 477, 481, 483 f., 486–488, 501, 507
129, 140 f., 147, 149, 154, 157, 159, 162 f., 172, 179, –, klassische: 212, 268, 421, 429, 431–434, 437–439,
189, 195, 210, 212 f., 217, 233, 244, 248, 269, 275, 449
296, 333, 341–346, 350, 354, 372, 379, 383 f., –, romantische: 212, 268, 421, 429, 433–440, 449
387–391, 394, 398–400, 408, 410–413, 425, 439 f., –, symbolische: 268, 419, 421 f., 427, 429–434,
444, 459, 489, 493 f., 511, 514, 533 437–439, 447, 449
Individuen, welthistorische: 411 f., 489 –, Geschichte der: 376, 403, 421, 427, 429, 431, 433
Innerlichkeit; Inneres; innerlich: 48, 61, 172, 238, Kunstformen: 421, 424, 429, 431, 437 f., 445, 452
249, 292, 299, 346, 354 f., 357, 382, 384, 388, 397, Kunstwerk: 115, 122, 159, 175, 195, 419 f., 423, 425,
403, 407, 427, 430, 433–437, 439–445, 448, 484, 428, 431, 436 f., 442, 444–446, 448 f., 455, 467
487, 491, 526
Intelligenz: 43, 114, 117, 120–122, 127, 148, 167, 170, Leben: 86 f., 90 f., 99, 112–114, 150, 158, 163, 168, 171,
210, 271, 359–362, 406, 409 174, 182, 202, 206, 244, 248, 251, 276, 286, 293,
Ironie; ironisch: 155, 159, 294, 384 334, 343 f., 346, 363, 433, 437, 444, 535
–, absolutes: 122, 148
Jenseits: 61, 65, 137 f., 141, 159, 164, 174, 186, 188, –, animalisches: 345 f.
190, 192 f., 196, 248, 495 –, äußeres: 93
Jude; jüdisch: 38, 43 f., 63 f., 70, 85, 87–90, 92, 97, 311, –, beschränktes: 92, 159
378, 396, 457, 460, 462, 491 f. –, denkendes: 92 f.
Juli-Revolution: 55 f., 310, 312 f., 365, 401, 500–502, –, endliches: 92, 94, 481
507, 525 –, erstorbenes: 149, 344
–, ewiges: 75, 191, 496
Kantianismus; kantisch: 60, 63, 66–68, 71, 86 f., 97 f., –, fühlendes: 355
123, 134, 165, 215, 229, 251 –, geistiges: 122, 153, 163, 172 f., 182, 184, 190, 353,
Karlsbader Beschlüsse: 44, 273, 393 367, 403, 406, 408, 421, 424, 455, 488
Kausalität: 165, 206, 241 –, geistloses: 105
Kirche: 6, 15, 18, 27, 35 f., 38, 45, 54, 64 f., 71–74, 90, –, gemeines; tägliches; gewöhnliches: 276, 439, 483
93, 98, 103, 142, 174, 218, 280 f., 295, 310 f., 314, –, geschichtliches: 412
376, 386, 395–397, 413, 438, 440, 449, 451, 476, –, gesellschaftliches: 60, 103, 153 f., 359, 367 f., 371 f.,
491–493, 519, 521 387, 506 f., 527, 531
Kodifikation: 40, 274, 276, 367, 389, 391 f. –, ideelles: 353
Komödie; Lustspiel: 15, 52, 148, 195, 201, 203, 286 f., –, inneres: 140, 212, 444
444 f. –, lebendiges: 37, 90, 158
Kompendium: 1, 5, 38, 157, 220 f., 259–261, 267, –, logisches: 248
272 f., 284, 319 f., 322–327, 329, 333, 347, 365, 368, –, menschliches: 14, 63, 87, 153, 367, 415, 439
401, 419 –, moralisches: 67, 70
Konfession: 35 f., 54, 103, 138, 310, 312, 395–397 –, natürliches: 166, 406, 408, 415
– katholische: 19, 28, 35, 54, 73, 138, 156, 309–311, –, physikalisches: 342
378, 397, 414, 493 –, politisches; öffentliches; staatliches: 10, 173, 275,
– protestantische (evangelische): 19, 27, 29, 33, 35 f., 317, 369, 387, 394, 402, 412, 491, 519
43, 52, 73 f., 138 f., 141, 156, 218, 296, 300, 303, –, reines: 88, 90
310 f., 314, 378, 395, 397, 437, 493, 527 f. –, religiöses: 60, 94, 98, 195, 502, 506
– lutherische: 1, 196, 281, 310 f., 493 –, schönes: 60, 63
566 IV. Anhang

–, sittliches: 153 f., 159, 396 f., 402, 443, 467 284 f., 295 f., 300 f., 306 f. 309, 311, 337, 350,
–, unendliches: 92 353–356, 359, 366, 373, 378–380, 383, 387, 389 f.,
–, vegetabilisches: 344 393, 396, 406, 412, 415 f., 421, 423, 428–430,
–, verletztes: 114 432–435, 438 f. 443 f., 446–449, 454–456, 460 f., 467,
–, verlorenes: 91 474, 481, 483, 489, 492 f., 499, 520, 523, 526, 530,
–, zukünftiges: 65 533 f.
– der Natur: 308 Menschengeschlecht: 12, 71, 85, 285, 377, 405, 415
– des Begriffs: 184 Menschenliebe: 86, 217
– des Geistes: 181, 496 Menschenrecht: 73 f., 83 f., 101, 105, 147, 416
s. auch Idee des Lebens Menschenverstand: 5, 127, 133, 142, 147, 258, 303 f.,
Lebendiges: 74, 88, 90, 92–95, 131, 149, 159, 173, 239, 495
308, 344–346, 363, 425 f. Menschheit: 8, 62, 71, 79, 84, 95, 122, 130, 177, 189,
Lebendigkeit: 159, 173, 239, 308, 344, 363, 422, 425, 304, 380
483, 494 Menschlichkeit; Menschliches: 62, 64, 67, 195, 278,
Lebensform: 86, 89, 94, 98, 366, 368, 389, 402 353, 415, 432, 436, 440, 448 f., 460
Lebensprozeß: 168, 248, 344 f. Menschwerdung Gottes: 112, 122, 143, 174, 183, 194,
Lehrbuch: 157, 260, 273, 322 196, 447, 474
Leiblichkeit; leiblich: 148, 354–356, 433, 435, 439 f. metaphysica generalis: 223 f., 228, 233, 531
Leidenschaft: 195, 363, 411, 444, 479 metaphysica specialis: 166–168, 203, 224, 228, 266,
liberal: 35, 44, 49, 105, 118, 259, 288, 311 f., 315 f., 366, 320, 337, 348, 510, 531 f.
370, 392 Metaphysik: 2, 5, 21, 78, 98, 120, 127, 137, 145 f.,
Liebe: 86–90, 99, 124, 162, 171, 181, 184, 189, 216 f., 150–152, 160, 165–169, 176–178, 192, 200, 205,
244, 247, 350, 386, 434–436, 440 221–226, 229, 237 f., 241, 246, 249, 255 f., 260,
Lyrik; lyrisch: 141, 437, 443 f. 263–267, 283, 306, 319, 321 f., 326 f., 339, 341, 343,
347–349, 353, 364, 381 f., 477, 482, 490 f., 494 f.,
Macht, absolute; substantielle: 241, 399, 408, 445 498, 500 f., 510, 515, 530–535
–, blinde: 157 – der Objektivität: 137, 165, 167 f., 531
–, freie: 244 – der Subjektivität: 137, 167 f.
–, geistige: 171, 173, 256, 355, 385 Methode: 123, 126, 134, 153, 177, 184, 203, 222,
–, göttliche: 215, 217, 244, 335 227 f., 231–233, 237, 240, 250, 267, 329 f., 374, 468,
–, ökonomische: 154, 389 472
–, politische: 43, 101 f., 104, 192, 195, 258, 281, 311, – dialektische: 168, 251 f., 490
315, 317 f., 370, 396 f. – empirische: 493 f.
– der Geschichte: 318 – geometrische: 184, 249
– der Natur: 74, 247, 334 – geschichtliche: 375 f., 479
– der Vereinigung: 114 – metaphysische: 249, 267
-politik: 101 – Schellingianisierende: 27, 152, 162
-staat: 101, 104 f. – skeptische: 126, 134, 150
Magnetismus: 208, 343, 355 Mittel: 247, 345, 378, 380, 383, 411–413, 442
Malerei: 52, 173, 212, 421, 434, 436–440, 449 Mittelalter: 103, 190 f., 197, 316 f., 434, 436, 460,
malum: 346, 362 f., 384 486–488, 491, 508
Maschine: 79, 105, 118, 153 f., 163 Mnemosyne: 159, 404–407, 466
Maß: 205, 207, 225, 235 f., 467, 489 Modalkategorie; Modallogik: 207, 225, 234 f., 237,
Materialismus: 123, 138, 299, 484, 536 241, 244, 330 f.
Materie: 121, 123, 166, 168 f., 192, 208, 333, 340–342, modern: 27, 53, 63, 65, 96 f., 99, 102–105, 108, 115,
355, 426, 439 117, 133, 147 f., 152–154, 156, 162, 181, 203 f., 212,
Mathematik: 1, 4, 32, 107, 169, 208 f., 234 f., 249, 331, 252, 267, 273, 284, 291, 301, 309, 311, 316–318, 366,
333, 337, 339, 483 375, 380, 383–385, 387–391, 394–397, 421, 429, 436,
Mechanismus; Mechanisches: 18, 72, 79, 107, 115, 441, 443–446, 449 f., 476, 486, 488, 491 f., 522, 529,
118, 139, 147, 154, 160, 201 f., 206, 235 f., 246–248, 534
336, 340, 344, 361, 381, 399 Möglichkeit: 67, 140, 143, 241, 360
Mechanik: 18, 107, 121, 160, 169 f., 208, 333, 338–341, Monade: 166 f., 466, 495
420 Monarch; Monarchie: 172, 216, 315, 318, 393 f., 402,
Meinung: 73, 75, 96, 204, 222, 250, 311, 388, 395 f., 520, 533
479, 481 f., 489 Moral; Moralität: 18, 40, 62–64, 66 f., 69–71, 73, 75,
Mensch: 2, 14 f., 17 f., 61–64, 66 f., 70–75, 79, 78, 86–89, 95, 98, 118 f., 127, 143, 148, 153, 193,
85–89, 91, 94, 96, 98 f., 103–105, 114, 119, 123, 138, 212, 214–217, 220, 256, 262, 267, 321, 352, 363,
141, 145, 148, 155 f., 163, 170–174, 181, 192–196, 368, 373–375, 381 f., 385, 387, 412, 415, 491, 504,
200 f., 212, 215–217, 242, 247, 262, 265, 280 f., 519
4. Sachregister 567

Musik: 11, 15, 51–53, 63, 173, 212, 311, 421, 427, -gegenstand: 335, 430 f.
437 f., 440–442 -geschichte: 11, 96, 337
mystisch; Mystizismus: 36, 50, 75, 86, 88, 93, 199 f., -gesetz s. Gesetz
457, 492 -gestaltung: 75
mythisch; Mythos; mythologisch: 7 f., 32, 62, 66, 71 f., -götter: 159
75, 78 f., 115, 121, 126, 155 f., 159, 163, 172 f., 292, -katastrophe: 85
307–309, 359, 380, 384, 404, 410 f., 430–433, 436, -körper: 430
445, 457, 461, 463 f., 483 f., 516 f., 519–521, 524 -leben: 346, 354, 356
-macht: 173, 432
Nation; national: 35, 37, 44, 52, 62, 70 f., 84, 104, 155, -neigung: 119
203, 212, 275, 277, 400, 415, 444 -phänomen (-erscheinung): 207, 336 f., 339 f.
– deutsche: 37, 72, 311 -philosophie: 18, 20 f., 36, 41, 51, 107, 109, 119–121,
– englische: 81, 316 129, 132, 135, 151, 159–161, 168–170, 175, 177,
– französische: 84 201, 203, 207 f., 211, 213, 219–221, 235, 246, 248,
– jüdische: 38, 70 252–254, 257, 260 f., 267, 269, 271, 283, 308, 320,
National- 322, 326 f., 329, 331–339, 341, 343 f., 346, 397, 418,
-bewußtsein: 43 421, 442, 459, 480, 490 f., 505
-ehre: 217 -produkt: 121
-gott: 156 -prozeß: 406, 411, 438
-ökonomie: 76, 154, 388 -recht: 21, 38, 144–148, 152–155, 157, 216 f., 273, 278,
-phantasie: 71 320 f., 362, 364–367, 369 f., 373, 377–379, 381, 387,
-repräsentation: 258, 316 f., 394 398, 416, 525
-staat: 43, 390 -verachtung: 158
Natur: 15, 62, 65, 71, 74 f., 79, 85 f., 89, 91 f., 94, 96, -vergötterung: 430
101, 107, 114, 118–122, 132, 139, 141, 143, 148, -wissenschaft: 4, 120, 139, 234, 236, 247, 266, 336–339
150 f., 155–163, 168–171, 173–175, 182–184, 188, -zusammenhang: 246
195, 199, 207, 212, 235, 244, 247, 250, 252 f., -zustand: 145, 153, 172, 216, 369, 371, 387, 398 f.
269–271, 274, 277, 284, 308, 333–338, 340, 346, -zweck: 121
350–354, 359, 363, 366–368, 370–372, 382, 385 f., Natürliches: 95, 153, 163, 335, 346, 355, 359, 369 f.,
399, 409, 411, 414 f., 422, 425, 427 f., 430 f., 433–435, 384, 388, 391, 405 f., 423, 425, 427, 432, 435,
440, 445, 454, 470, 506, 533 f. 446–448, 456, 462
– äußerliche: 247, 462 Negation: 166–168, 171, 192, 216, 225, 230 f., 234,
– elementarische: 247 237 f., 240, 247, 325, 329, 345 f., 357, 380, 400, 441,
– endliche: 143 491, 494, 523, 534
– ewige: 143 Negation, absolute; absolute Negativität: 148, 167,
– geistige: 150 193, 236, 351, 356
– geologische: 333, 344 –, bestimmte: 179, 185
– göttliche: 88, 148, 174, 195, 217, 256, 448, 474, 518 – der Negation: 255, 266, 295, 346, 356, 381
– heilige: 335 Negativität: 137, 138, 144, 192, 193, 231, 239, 243,
– höhere: 355, 425 251, 302, 357, 361, 363, 400
– lebendige: 155, 249, 341 Neigung: 86 f., 162, 363 f.
– mechanische: 344 Neuzeit; neuzeitlich: 60, 75, 101 f., 104, 118, 133, 138,
– menschliche: 88, 95 f., 145, 174, 195, 217, 263, 284, 144, 152 f., 170, 172, 182, 187–191, 197, 227, 229,
435, 448, 474, 518 267 f., 335, 339 f., 351, 353, 362, 367, 370 f.,
– organische: 208 377–379, 385–387, 398, 402, 435 f., 438, 476, 486,
– physikalische: 344 488, 493, 495, 508, 510 f., 527
– sittliche: 141, 146, 148, 150 Nichtidentität: 87, 100, 112, 120, 146, 231, 269, 473,
– soziale: 153 514
– unlebendige: 248 Nichts: 79, 138, 145, 166, 170, 179, 185, 205, 225, 231,
– vegetabilische: 333, 344 233 f., 248, 251, 256, 294, 406, 432, 480, 489,
– widergöttliche: 335 535
–, Ohnmacht der: 334 Nóhsiü Noh́sewü: 351, 485, 490
–, Reich der: 344, 399 Notwendigkeit: 241, 270
-begriff: 121, 140, 143, 158, 160, 168, 335, 338 –, absolute: 241, 499
-bestimmung: 338, 354 – und Freiheit: 119, 121, 140, 166, 369, 372, 441
-betrachtung: 203, 207
-element: 426 Objekt; Objektives: 86–88, 90, 92–94, 113, 117–121,
-erfahrung: 338 123, 126, 138, 140–143, 151, 162, 197, 203, 213,
-form: 439 219 f., 225, 233, 246–248, 250, 264, 294, 328, 335,
568 IV. Anhang

337, 345, 351, 355–358, 361–363, 372, 383, 405, –, christliche: 302, 506–508, 510, 512, 520, 522, 526,
433, 444, 475, 485, 489–491, 495 f., 534 530–532
–, absolutes: 85, 94, 117 f., 141 –, italische: 488
–, gedachtes: 86 –, jonische: 480, 484, 488
–, göttliches: 94 –, moderne, neuzeitliche: 267 f., 339 f., 353, 486, 493,
–, unendliches: 85 508
–, unerreichbares: 94 –, neuplatonische; Neuplatonismus: 40, 86, 122, 134,
–, unsichtbares: 85 253, 282, 488, 491, 494, 496
Objektivierung; Objektivation: 87, 94, 352, 359, 362 f., –, platonische; Platonismus: 86, 199, 248, 282, 418,
372, 378, 428, 452, 483, 485–487 490
Objektivität: 5, 72, 87, 89, 93 f., 112, 118, 120, 122 f., –, praktische: 36, 86, 106, 118 f., 141–147, 152 f., 172,
130, 137 f., 141–143, 148, 165, 167 f., 180, 193, 216, 368, 385, 388, 424, 491
201 f., 205–207, 222, 226, 228, 237, 242, 246–249, –, spekulative: 36, 126, 135, 160, 174, 177, 180, 184,
252, 264–266, 284, 340, 347, 349, 352, 354, 358, 201, 205, 221, 262, 295, 301, 304, 326, 408, 523 f.,
361, 363, 374, 382–384, 406, 419, 423, 440, 534 f.
442–444, 448, 452, 476, 487, 489, 491, 509, 513, 531 –, Geschichte der: 4 f., 21, 38, 57, 88, 111, 115 f., 137,
Offenbarung; offenbar: 8, 61, 72, 94, 195, 197, 217, 186 f., 198, 223 f., 230, 232, 234, 237, 242, 256,
232, 262, 295, 307, 454 f., 465, 473, 475, 506, 508, 265–267, 282, 291 f., 296, 320, 322, 324, 326 f., 329,
512 f., 521 f., 524, 526, 532 339, 375, 400, 404 f., 416 f., 419, 428, 461, 464,
Uroffenbarung: 292, 309, 465, 468 473 f., 477–496, 500 f., 504 f., 511, 516, 518, 521
Oligarchie; oligarchisch: 10, 81 f. Physik; physikalisch: 79, 107, 134, 160 f., 169 f., 207 f.,
Ontologie; ontologisch: 110, 114, 132, 140, 184, 186, 236, 331, 333, 336–339, 341–344
205 f., 219, 223–225, 233, 237, 239, 241, 246, 274, Physikotheologie: 12 f., 75, 120 f., 143, 182, 335
320, 333 f., 351, 353, 470–472, 498 f., 514, 531 f. Physiologie; physiologisch: 208, 285, 344, 354, 368
Oper: 15, 51–53, 441, 445 Planet: 107 f., 337, 341 f.
Opfer: 93 f., 155, 412–414 Plh́rwma: 86 f.
organisch: 107, 111, 118, 145, 147, 154, 160 f., 168–170, Pneumatologie: 209, 348
208, 214, 236, 258, 316, 331, 333, 336, 343–345, Poesie: 139, 156, 159, 173, 212, 214, 418, 421, 427,
361, 388, 390, 394, 425 f., 442 431, 434, 437 f., 442–445, 455
Organismus: 118, 147, 170, 172, 182, 202, 316, 333, Politik; politisch: 1, 7 f., 10–12, 15, 17 f., 26–28, 32,
343–346, 390 f., 394, 398, 412, 425 f. 34 f., 37–39, 42–46, 50, 52, 54–57, 59, 63, 66, 72, 74,
Orient; orientalisch: 4, 62, 194, 289, 292, 350, 362, 80–85, 97 f., 100–105, 144, 147 f., 154 f., 172, 177,
415, 429 f., 432, 434, 437, 444, 448, 457, 460–465, 193, 200, 215, 257–259, 263 f., 273–277, 279–281,
468 f., 484 f., 487 f. 285, 288, 295, 300 f., 304 f., 309–318, 365–357,
Orthodoxie; orthodox: 12, 54, 71, 299, 472, 493, 502, 369–372, 374–376, 387–394, 396–401, 403, 406, 416,
506, 518, 522–524, 530 437, 449–451, 483 f., 488, 491, 495, 501–503, 506 f.,
515, 519–521, 525–533, 535
Panlogismus: 334, 338, 408 Positivität: 61, 67, 69–73, 85–89, 95–98, 137, 149
Pantheismus: 33, 54, 86, 88, 155, 255, 262, 300 f., 304, Postulat: 12 f., 60, 71, 78, 132, 135, 140, 193, 249, 449,
459, 471, 499, 504 f., 507, 509 f., 513, 520 f. 480, 510
-streit: 33, 255, 262, 505 Priester: 2, 62, 66, 79, 85, 93, 191, 455, 460, 476, 483
Paralogismus: 139, 228, 249, 266, 349 Privatrecht: 102, 258, 317 f., 369, 386, 391 f.
Parlament; Volksvertretung: 81, 313–318, 395 Progreß / Regreß, unendlicher: 92 f., 99, 111, 143, 235,
Perfektibilität: 115 f., 325, 404, 414 f., 417 248, 346, 415, 511
Person: 67, 118, 195, 216 f., 251, 284, 358, 375, Projektion: 85, 87, 194, 428, 448, 524, 530
377–380, 382, 386 f., 389, 398, 411 f., 445, 484, 516, psychisch; seelisch: 336, 354 f.
520 Psychologie; Seelenlehre: 2, 5, 38, 67–69, 126, 161,
Persönlichkeit; Persönliche, das: 90, 188, 191 f., 243 f., 198, 203, 208–211, 213 f., 220, 224, 249, 260, 283 f.,
251, 256, 358, 377–380, 386 f., 393, 435, 527 320, 347–349, 353, 355, 359, 382, 451
–, absolute: 514 –, empirische: 67, 284, 320 f., 348 f., 491
–, unendliche: 377, 387 –, rationale: 68 f., 209, 224, 248, 320, 348, 353, 510
– Gottes: 183, 301 f., 447, 469, 507, 510 f., 513, 515, Pythagoräer; pythagoräisch: 108, 199, 480
519 f., 523 f., 526 f., 530, 532
Pflicht: 30, 64, 73, 86, 96, 143, 145, 153, 193, 203, 209, Querelle des Anciens et des Modernes: 212, 421, 429,
214–218, 292, 363 f., 373, 384 f., 396, 523, 533 486
Phantasie: 18, 62–67, 71, 90, 95, 155, 308, 338, 342,
360, 407, 432 f., 435, 467, 491, 522 Rationalismus; rationalistisch: 39, 54, 66 f., 115, 197,
Philosophie, alexandrinische: 487, 491 246, 249, 263–265, 301, 402, 456, 473, 478–480,
–, antike: 283, 486, 491, 493, 506 502, 506, 510, 518, 520, 526, 531
4. Sachregister 569

Rationalität: 139, 511 –, unendliches: 262, 411 f.


Raum: 93, 121, 162, 169 f., 208, 235, 253, 333 f., 340, –, ungeschriebenes: 189
342, 438, 442, 455, 456 –, verletztes: 380 f.
Räumlichkeit: 342, 455, 473 –, vernünftiges: 389
Realisierung; realisieren: 71, 103, 143, 150 f., 163, –, der Vernunft: 96
167 f., 192, 206, 211, 227, 235, 247, 249 f., 259, 340 f., –, des Geistes: 262
358, 363, 373 f., 380, 384, 390, 406, 409, 413 f., 476, –, des Selbstbewußtseins: 192
502, 520 –, des Staates: 102
Realismus: 120, 132, 140, 162, 306 f., 484, 492 Kirchenrecht: 72 f., 90, 310
–, rationaler: 123, 129, 131 Rechts-
Realität: 102, 107, 114, 117, 120 f., 123 f., 127, 131 f., -begriff: 127, 216, 367 f., 371, 375 f.
138, 142, 146, 148 f., 155 f., 161, 183, 185, 188 f., -bewußtsein: 383
192, 198, 207 f., 211, 225, 234 f., 246, 248, 250–252, -entwicklung: 389
328, 340, 347, 351 f., 358 f., 370, 373 f., 398, 420, -fähigkeit: 377
425, 431 f., 435, 452, 460, 492, 500, 504 -formen: 368, 371
–, absolute: 140, 142 -gemeinschaft: 216
–, äußere: 444 -geschichte: 273, 278, 375 f., 383
–, durchsichtige: 244 -institut: 375
–, empirische: 108, 142 -kenntnis: 149, 214
–, entfremdete: 191 -lage: 73, 386
–, faktische: 102 -lehre, philosophische: 147, 153, 203, 209, 214 f., 218,
–, geistige: 434 364–366, 371, 388
–, geschichtliche: 89 f. -ordnung: 375, 398
–, höhere: 425 -pflege: 81, 171, 388 f.
–, physikalische: 107 -philosophie: 57, 118, 214, 220, 258, 272–274, 278,
–, unendliche: 244 301, 320, 322 f., 364–400, 403, 504 f., 507, 515 f.,
–, vollendete: 189 525–530
Realphilosophie: 100, 169, 175, 252, 322, 331, 356, -praxis: 379
371, 420 -schule, historische: 149, 276, 375 f., 392, 525, 527
Recht: 10, 30, 35, 73 f., 81, 145, 151, 153, 163, 171, -sphäre: 217, 382
195, 203, 212, 214–217, 220, 317, 352, 362 f., 366, -system: 367, 375 f.
368–400, 525 -verfassung: 105
–, absolutes: 192, 216 -verhältnisse: 71, 148 f., 171, 187, 398, 400
–, abstraktes: 171, 368, 374 f., 377–382, 387 -wissenschaft: 148 f.
–, altes: 39, 41, 258 f. -zustand: 145, 148, 190, 216, 258
–, bürgerliches: 73, 105, 368 Rechtschaffenheit: 154, 217
–, christliches: 527 Reflexion: 87 f., 90–93, 99, 110–115, 118, 120 f.,
–, deutsches: 376 144–146, 150 f., 165, 167, 179, 181, 238, 240, 244 f.,
–, formelles: 368, 377 249, 328, 373, 383 f., 405 f., 444, 470, 477, 493
–, geschichtliches: 366 –, absolute: 166, 215, 239
–, gesetzliches: 275 –, abstrahierende: 341
–, göttliches: 192 –, aufklärerische: 97
–, heiligstes: 84 –, äußere (fremde): 160, 168, 184, 225, 231, 236,
–, höchstes: 383 238–241, 250, 256, 329, 331, 363
–, höheres: 396 –, bestimmende: 239, 329, 331
–, inneres: 492 –, bloße: 110, 113
–, juristisches: 368 –, christliche: 408
–, kirchliches: 73 –, formelle: 384
–, menschliches: 192 –, für sich seiende: 356
–, natürliches: 73 –, geistige: 269
–, öffentliches: 102, 368 f. –, geistreiche: 239
–, passives: 200 –, immanente (eigene): 168, 184, 363
–, peinliches: 216 –, isolierte: 112
–, politisches: 74 –, pragmatische: 408
–, positives: 315, 317, 366 –, relative: 215
–, reelles: 318 –, setzende: 239, 329, 331
–, religiöses: 312 –, sich selbst bestimmende: 218
–, römisches: 105, 278, 376 f. –, subjektive: 239, 251
–, staatliches: 380 –, unsere: 161
570 IV. Anhang

–, in sich: 166 f., 241, 382, 384 –, wahre: 70


Selbstreflexion: 450, 483 – und Kunst: 151, 250, 418, 430–434, 448–450, 455,
Reflexionsbegriffe: 224 f., 237 458, 481, 483
Reflexionsbestimmung: 225, 237–239, 328–330, 513 Kunstreligion: 194 f., 218, 418 f., 451
Reflexionsform: 92, 131, 319 Naturreligion: 144, 155, 159, 194, 457, 462, 470
Reflexionsformalismus: 308 Tugendreligion: 67, 70
Reflexionsgegensatz: 133, 139–141 Vernunftreligion: 61
Reflexionskultur: 113, 131, 449 Religions-
Reflexionslosigkeit: 113 -begriff; -deutung: 13, 39, 61 f., 67, 71, 86, 94, 96, 98,
Reflexionsphilosophie: 131, 137, 143 174, 218, 456, 459, 461, 463, 465–467, 469, 471 f.,
Reflexionsprodukt: 522 523 f.
Reflexionssystem: 221 -gemeinschaft; -ausübung: 73 f., 396, 412
Reform: 42 f., 83 f., 200, 315, 528 -geschichte: 2, 64, 69, 94, 96, 155 f., 187, 194, 196,
Reformation: 43, 298, 395, 491–493, 527 218, 308, 375 f., 403, 418, 422, 447, 450, 452–454,
Reformbill: 312–316, 318, 498 457, 460–467, 480, 499
Regierung: 28, 79, 105, 153, 212, 216 f., 258, 273, 315, -philosophie: 38, 59, 61, 95, 253, 267, 279, 291 f., 302,
394 306 f., 323 f., 374, 376, 415, 418–420, 422, 424, 430,
Relation: 99, 111, 114, 162 f., 187, 190, 227, 230 f., 450–461, 463 f., 467, 470–472, 474, 497 f., 504 f.,
234 f., 238, 244, 342, 351, 398, 462 508–514, 516–525, 529 f., 533
Relationskategorien: 165, 205–207, 225, 234, 237, 241, -kritik: 72, 95, 196, 460, 473, 495, 523 f., 530
330 -lehre: 26 f., 203, 209, 214 f., 217–219, 535
Religion: 2, 5, 12 f., 30, 54, 56, 59 f., 62–65, 67, 71, Renaissance: 197, 434, 438, 491 f.
85–87, 90, 92–98, 113, 122, 143–145, 149, 153, 155, Repräsentation: 103, 258, 316 f., 394 f.
158, 167, 172–174, 190 f., 193 f., 196 f., 211 f., 215 f., Restauration: 10, 35, 42 f., 45, 49 f., 54–56, 262,
218, 220, 244, 250, 262–264, 267 f., 279 f., 295, 301, 274–276, 289, 293, 301 f., 304, 309, 311 f., 315, 318,
322, 351 f., 359, 376, 403–406, 415 f., 418, 422, 428, 324, 366, 389 f., 393 f., 396, 410, 501 f., 505–507,
442, 448–477, 481, 483, 486–488, 493, 498, 502, 519 f., 526–531, 533
506, 514, 519, 522–525, 528 f., 533–536 Revolution, Französische: 6–10, 15, 39, 52 f., 56, 60,
–, absolute: 173 f., 196 f., 453 f., 460, 469 84, 98, 101, 105, 118, 147, 154, 189, 192, 197, 258,
–, ägyptische: 194, 462, 464 f., 467 317 f., 366, 370, 387, 391–394, 399, 414, 502, 506 f.,
–, bestimmte: 452–454, 459–470, 472 526, 529
–, buddhistische: 462 Revolution, philosophische: 13, 30, 123, 265, 383, 460,
–, chinesische: 461 f., 464 f., 467 495, 500
–, christliche: 62–64, 69 f., 72, 87, 89 f., 92, 96–98, 122, Romantik; romantisch: 103, 118, 129, 138, 155, 159,
138, 156, 173 f., 195 f., 218, 267 f., 281, 292, 303 f., 170, 181, 193, 261, 285, 292–295, 309, 337, 385,
307, 388, 397, 434, 447–449, 453 f., 457, 460, 390, 395, 438 f., 456, 460, 463, 468, 484, 527 f., 532
467–472, 486 f., 491–493, 506, 508, 512, 515 f., 522,
527, 530 Sache: 183, 189, 191, 216, 226, 335, 361, 378–380, 382
–, geistige: 218 Säkularisierung; säkular: 100, 138, 311, 362, 391, 395,
–, geschichtliche: 453, 456, 460–462 409, 416, 476, 519, 527
–, griechische: 462 f., 467 Satz: 110, 112 f., 124, 184, 232, 238, 244
–, ideale: 457 –, spekulativer: 184
–, indische: 291, 462, 464 f., 485 Schein: 166, 185, 227 f., 239, 242, 275, 328 f., 331, 334,
–, iranische: 194, 431, 462, 464 359, 423, 425, 437
–, jüdische: 70, 89 f., 92, 159, 457, 462–465, 469 Schicksal: 82, 91, 173
–, moralische: 61 f., 65, 67, 69–71, 85, 97 f. Schluß: 202, 205–207, 225, 237, 245 f., 268–271, 499
–, natürliche: 5, 94 f., 194 Schmerz, unendlicher: 139, 144, 155 f., 174, 195, 248,
–, objektive: 61 363, 427, 440
–, offenbare; geoffenbarte: 194–196, 419, 468, 508 Schönes: 95, 138, 195, 206 f., 212, 248, 421, 423–429,
–, öffentliche: 60, 63, 71 431–434, 437, 456
–, orientalische: 434, 462 f., 469 Kunstschönes: 421, 425–427
–, positive: 61, 69–71, 91, 95, 98, 506 Naturschönes: 425–427
–, römische: 281, 467, 470 Schönheit: 75, 79, 85, 139–141, 173, 206 f., 284, 418,
–, schöne: 156, 173 422–429, 432 f., 435, 438, 446 f., 449, 467
–, spätantike: 72 Schranke: 87, 116, 234, 249, 354 f.
–, statutarische: 70 Schuld: 130, 193, 215 f., 274, 382, 383, 445, 489
–, subjektive: 61, 63 Schulphilosophie: 203, 224, 264, 296, 320, 328, 348,
–, symbolische: 432 478, 487, 531
–, vollendete: 452–454, 459, 462, 464, 466–474 Skulptur (Plastik): 173, 212, 421, 428, 433 f., 437–440
4. Sachregister 571

Seele: 61, 67, 73, 139, 148, 165 f., 193, 204, 209, 224, 182, 184, 194, 197, 199, 201, 203–205, 209, 219,
248 f., 251, 256, 265, 285, 302, 348 f., 353–357, 359, 221 f., 225, 229, 231, 239, 243, 262, 264, 294 f.,
362, 384, 425 f., 435, 439–441, 445, 488, 510 f., 513, 300–302, 304, 306, 325 f., 339, 342, 349, 354, 361,
515, 519, 530, 532 374, 384, 406, 408, 412, 420, 456, 458 f., 466, 469,
–, schöne : 130, 138, 193, 384 472, 474, 485, 490, 492 f., 495, 499, 507, 509–514,
Sehnsucht, unendliche: 91, 131, 138 f., 141, 156, 516–519, 521–526, 528 f., 533–536
418 Spinozismus; spinozistisch: 12, 111, 166, 218, 241, 255,
Selbstbewegung: 168, 183 f., 205, 227, 231, 234, 239, 257, 262, 278, 335, 439, 459, 494
250 f., 345 Spontaneität: 182
Selbstbewußtsein: 88, 117, 120, 159, 173, 178, 183, Sprache: 93, 112, 162 f., 184, 186, 191, 193, 195, 211,
186–198, 210, 212 f., 226, 233, 242, 249, 256, 266, 216, 237–239, 292, 299, 308, 354, 356, 360 f., 406,
280, 351 f., 356–358, 371 f., 377, 383–385, 390 f., 438, 442 f., 494
396 f., 410, 417, 422–424, 427 f., 432, 447–449, Staat: 2, 12, 18, 37, 43 f., 49, 54, 62, 72–74, 79, 81,
454–458, 462, 464–466, 468, 471 f., 474 f., 481, 485, 100–105, 118, 153, 171–174, 212, 214–217, 220,
487, 491 f., 495 f., 512 f., 521 274–278, 289, 295, 303 f., 311 f., 315–318, 352, 368,
–, absolutes: 417, 496 370, 373–376, 379, 384–403, 407 f., 410, 412–414,
–, allgemeines: 196, 358 464, 484, 487, 489, 493, 501, 507 f., 519–521,
–, des Geistes: 194, 196, 410, 422–424, 427, 432, 447 f., 525–532
454–456, 458, 462, 464–466, 468, 474 f. –, antiker: 387
–, endliches: 417, 496 –, bürgerlicher: 73
–, fremdes: 195 –, christlicher: 507, 525, 527 f., 530
–, geistiges: 196 –, deutscher: 28, 42, 103 f., 311 f., 396, 501
–, reines: 88, 117, 191, 226, 242 –, europäischer: 105, 317 f.
–, religiöses: 195 –, freier: 397, 527
–, unmittelbares: 173, 178, 186, 264, 437 –, geistlicher: 73
–, vernünftiges: 280 –, liberaler: 118
–, wirkliches: 190, 474 –, moderner; neuzeitlicher: 102–105, 153, 172, 273,
–, Einheit des: 189, 266 311, 316 f., 366, 387 f., 390 f., 395–397
–, Geschichte des: 186, 358, 481 –, platonischer: 489
Selbstbeziehung; Selbstbezug; selbstbezüglich: 167 f., –, preußischer: 45, 274, 393, 528
173, 182 f., 190, 215, 237, 243, 344, 346, 351 f., –, protestantischer: 397
356–358, 375, 378, 382, 410, 422, 429, 455, 457, –, säkularer: 311, 391
459, 468, 483, 485, 496 –, sittlicher: 316, 317, 396,
Selbsterkenntnis: 138, 149, 151, 162, 243, 352, 453, –, souveräner: 102, 393, 398 f.
456 f., 481, 483, 486, 492, 530 f. –, starker: 311
Selbstzweck: 119, 345, 412, 447 –, traditioneller: 102
Sinnliches: 88, 143, 162, 181, 204, 307, 357, 423, –, vernünftiger: 55, 391
425–427, 432, 435, 437, 440, 455 –, Kirche und: 18, 73, 103, 311, 395 f.
Sinnlichkeit: 61 f., 64, 71, 87, 119, 139, 141, 215, 264, –, Religion und: 102–104, 311 f., 391, 395–397, 508,
356, 359, 426, 435, 437 f., 442, 523, 534 519 f., 529–533, 536
Sittlichkeit; Sitte: 18, 43, 61, 63 f., 66, 71 f., 96 f., 118 f., Machtstaat: 101, 104 f.
141, 144–149, 152–155, 158, 163, 172, 190, 212, Nationalstaat: 43, 390
216 f., 262, 264, 311 f., 317, 352, 362, 366–377, 381 f., Patrizierstaat: 10
384–388, 390, 393 f., 396 f., 400, 412, 443, 483, 521 Staatenbund: 399 f.
–, absolute: 145, 147–149, 153 f. Staats-
–, antike: 190 -bürger: 73, 217, 311, 387, 396
Skeptizismus: 106, 126 f., 132–136, 152, 179 f., 186 f., -dienst; -diener: 258, 394
231, 251, 263 f., 477, 488, 490 f. -form: 81, 153, 216, 393
–, methodischer: 126, 179, 229 -geschäfte: 172, 393, 484
–, sich vollbringender: 136, 179 -gesellschaft: 215 f., 220
Sollen: 13, 118, 189, 277, 362 f., 371, 382, 399 f. -ideal: 154
Somnambulismus: 68, 211, 299, 355 -lehre: 44, 50, 392, 394, 520, 526
Sophistik: 380, 488 f. -macht: 191, 258
souverän; Souveränität: 101 f., 104, 258, 391, 393, -maschine: 79, 105, 118
398 f. -organismus: 118, 391
Spätidealismus: 507, 511 -pädagogik: 203
Spekulation; spekulativ: 21, 39, 48, 108, 112 f., 116, -pflichten: 217
120, 122 f., 126, 129 f., 132, 134–136, 139 f., 142, -philosophie; -wissenschaft: 45, 104, 211, 214, 272,
144, 151, 155, 160 f., 164, 169, 174, 176–178, 180, 277, 288, 364, 373, 381, 385, 393, 526
572 IV. Anhang

-recht: 28, 72, 101–103, 216, 258, 321, 376, 391, 395, Tatsachen: 66, 108, 133, 283, 349
397 f., 402, 531 Tatsachen des Bewußtseins: 134, 256, 283, 349
-religion: 311, 397 Teleologie; teleologisch: 13, 115, 120, 156, 206 f., 211,
Stand; Stände; Landstände: 39, 84, 101 f., 104, 147 f., 247, 336, 411, 417
154, 171 f., 211 f., 257–259, 313, 316 f., 388 f., 394 f., Theater: 51–53, 286 f., 445
412, 416 Theismus: 31–33, 255, 257, 505, 507, 510–512, 514,
Stoizismus, stoisch: 174, 187, 195, 488, 490 f. 517–519, 521 f., 525, 532
Strafe: 17 f., 90 f., 145, 171, 212, 216, 369, 379–381 –, spekulativer: 31, 507, 511 f., 514, 517–519, 521 f.,
Subjekt; Subjektives; Subjektivität: 5, 86 f., 93 f., 113, 525, 532
117–120, 123, 126, 130, 138–145, 148, 155, 162, 166, Theodizee: 240, 362, 384, 412–414, 495
168, 172, 182–184, 189, 195–198, 201, 218, 220, Theologie: 12, 66, 90, 98, 131, 218, 262, 280 f., 307,
225 f., 232 f., 238, 242 f., 246, 248–253, 255, 263, 354, 404, 468, 472, 492 f., 508, 513, 515–519,
265, 269–271, 284, 301, 328, 336 f., 344–347, 351, 522–524, 528, 533–535
354–356, 358, 360–363, 368–370, 373, 381–384, 387, –, epikuräische: 491
390 f., 405, 410–412, 414, 430, 433–439, 441, –, historisch-kritische: 475, 516
443–447, 454, 459, 475 f., 481, 483, 485–491, –, natürliche: 59, 166, 203, 219, 241, 320 f., 456, 499 f.,
493–496, 499, 506, 524, 534 510, 524
–, absolutes; absolute Subjektivität: 85, 117, 137, 141 f., –, orthodoxe: 299
182 f., 301, 514 –, philosophische: 455–457
–, göttliches: 182, 253, 437 –, pietistische; Pietismus: 32, 54, 262, 302, 456, 502,
–, neuzeitliches: 182 504, 506, 521
–, unendliches: 243, 435, 440, 486, 491 –, politische: 520
–, unmittelbares: 344, 462 –, rationale: 166, 224, 320, 510
Subjekt-Objekt: 117–121, 123, 141, 151, 153, 351 –, rationalistische: 456, 473
Subjektivitätsphilosophie: 182, 358, 506 –, spekulative: 55, 59, 139 f., 253, 308, 513, 534
-prinzip: 138 f., 384, 390 f., 444 f., 485, 487, 489, 491, Tod; Totes: 18, 70, 73, 90, 94, 118, 134, 143, 163, 171,
493, 495 192, 195, 335, 346
Substantialität: 118, 165 f., 190, 248, 250, 256, 284, Totalität: 93 f., 110 f., 114 f., 117, 121 f., 124, 137, 145,
396, 422, 439, 445, 459, 485, 499, 521 147, 154, 161–164, 169, 171, 194, 200, 203, 227,
Substanz: 13, 120, 136, 146, 148, 163, 166, 179, 231, 234, 240–242, 246–248, 252, 260 f., 263, 268,
182–184, 190, 193, 195–198, 205–207, 217, 241–243, 270, 338, 341–345, 355, 373, 392, 403, 422 f., 460,
247, 249, 256, 262, 284, 330, 341, 343 f., 353, 367 f., 466, 468, 482, 487 f., 491, 512
374, 386, 399, 408 f., 447, 468, 476, 484, 493 Tragödie; tragisch: 148, 195, 203, 433, 444, 445, 487,
–, absolute: 160, 162 f., 255, 301, 459, 494, 499 489
–, allgemeine: 485 Transzendentalphilosophie: 22, 68, 98, 110, 120, 122,
–, geistige: 268, 448, 476, 481, 504 125 f., 131, 138, 143, 151, 157 f., 182 f., 185 f., 223 f.,
–, individuelle: 495 227, 240, 248, 255, 263, 271, 328, 336, 340, 358,
–, sittliche: 189 f. 361, 421, 469, 481, 495
-philosophie; -metaphysik: 98, 146, 255 Trennung: 89, 92, 94, 103 f., 120 f., 123, 156, 192, 458,
Syllogismus: 106, 268 499
Symbol; Symbolik; symbolisch: 89, 153, 175, 199, 360, Trieb: 87, 130, 162, 171, 212, 215, 239, 262, 345,
430, 432, 447, 461, 520 362–364, 411, 414
Synthesis: 85, 92, 106, 112 f., 117–119, 137, 142, 379, Triebfedern: 61 f., 64, 71, 215
482, 527 trinitarisch: 188, 191, 199, 455, 468–473, 513
System: 46, 78, 88, 92, 97, 110–112, 116–119, 122, Trinität: 98 f., 174, 262, 295, 447, 468, 470, 471, 491,
124 f., 150–152, 175 f., 252, 260, 268, 271 f., 320 f., 513
336 f., 480, 482 Triplizität: 139, 184, 235, 251 f.
– der reinen Vernunft: 225, 227, 229, 231, 253
-form: 59, 100, 110 f., 117, 119, 125, 142, 150, 323, 325, Unbedingtes; unbedingt: 110 f., 134, 178, 206, 238,
332, 347, 373 f., 376 f., 420–422, 452 f., 457 f., 486 240, 248, 263, 329, 499, 506 f.
-gedanke: 46, 88, 97, 110, 146, 178, 325 Unendliches; unendlich: 88, 92–94, 117 f., 120,
-konzept: 150 f., 174, 214, 271 127, 137 f., 141, 143 f., 146, 148, 159, 161, 165,
168 f., 173, 190, 205, 207, 231, 234 f., 243 f., 249,
Tat: 91, 117, 163, 192, 215, 360, 382, 406 f., 410, 436, 252, 266 f., 342, 345, 350, 356, 369, 377, 383,
445, 479, 481, 502, 507, 526 408, 417, 422, 430 f., 483, 486 f., 494, 496, 499 f.,
Tätigkeit: 99, 114, 117, 123 f., 158, 163, 166, 182 f., 209, 512 f.
212 f., 239, 243, 250 f., 266, 269 f., 284, 343 f., 350, Unmittelbarkeit; Unmittelbares: 157, 159, 163, 171 f.,
354, 357, 361, 363, 373, 390, 411, 444, 456, 466, 179, 182, 186, 194, 196, 230, 232 f., 236, 238–240,
485 242 f., 246, 248, 250–253, 256, 269, 275, 285, 329,
4. Sachregister 573

335, 343, 346 f., 351, 355, 360–363, 374, 384, 390, –, politische: 529
407 f., 418, 422 f., 425 f., 446 f., 466, 492, 499, 534 f. –, praktische: 12 f., 60 f., 64 f., 69, 71, 139–141, 146 f.,
Unrecht: 10, 65, 216, 259, 314, 371, 379 f., 398–400, 189, 193, 224, 364, 398, 510
445 –, räsonierende: 211
Unsterblichkeit: 21, 60, 79, 140, 166, 193, 224, 302, –, reine: 68, 71, 135, 139, 166, 204, 207, 218, 223, 225,
304, 348, 353, 510–515, 518 f., 523 f., 530, 532 227–229, 231, 235, 247 f., 253, 340, 353, 366, 478
Urteil: 5, 74, 139, 165, 182, 184, 205–207, 211, –, schließende: 211
224–226, 228, 237, 244 f., 247, 256, 265, 270 f., 345, –, schöpferische: 409
361, 373, 463, 468, 471 –, selbstbewußte: 189, 409
Urteilskraft: 121, 182, 211, 345 –, sich verwirklichende: 375, 405
Urzustand: 285, 410 –, sich wissende: 269 f.
–, spekulative: 134, 301, 528, 534
Verbrechen; Verbrecher: 84, 90 f., 153, 171, 201, –, subjektive: 122, 263 f., 372
379–381, 384, 389, 445 –, substantivische; substantiale: 242, 454
Vereinigung: 6, 85–90, 92–95, 98 f. 104, 114, 117, 119, –, teleologische: 211
123, 217, 337 f., 390, 412, 438, 443, 495 –, theoretische: 13, 131
Vereinigungsphilosophie: 86, 88–90, 93, 95, 98 f., 114 –, ungeschichtliche: 308
Verfassung; Staatsverfassung: 10, 39, 42, 44, 70, 79, –, wirkliche: 274 f., 409, 460
83, 100–104, 111 f., 121, 149, 153, 155, 182 f., 212, –, Geschichte der: 115, 478 f., 481
216 f., 258, 274, 277, 314, 367, 376, 391–393, 395, –, Interesse der: 114, 523
397 f., 401–403, 413, 416 f. –, List der: 247, 411
Vermittlung: 96, 120, 162, 171, 174, 188, 196 f., 199, – und Geschichte: 116, 308, 367, 375, 478 f.
233, 236, 238–241, 246 f., 252, 266, 269, 271, 344, –, Wissenschaft der: 151, 263, 307
382, 390–392, 394, 402, 409–412, 425, 436, 457, -begriff: 110, 147, 206, 209 f., 224 f., 245, 248, 256, 358,
462, 465, 492, 496, 499, 534 361, 402, 506, 534
Vernunft: 6, 10, 14, 62, 65–70, 74, 78 f., 92, 95–97, 103, -erkenntnis: 135, 275, 405, 479, 514
112–116, 118, 127, 131, 133, 135, 137 f., 140, 146 f., -gesetz: 217, 256
149, 151, 156, 177, 180, 188–190, 194, 197, 205 f., -glaube: 61
211, 216 f., 224 f., 228, 243, 245, 256 f., 259, 263 f., -idee: 139
266, 276, 296, 299, 307, 336, 342, 346, 357 f., 366 f., -kritik: 133, 266
374, 376, 378, 388, 396, 398, 400, 402, 423, 455, -philosophie: 50, 366, 505–507, 511–514, 519, 523,
456 f., 460, 472 f., 475 f., 480 f., 498, 502, 506, 508 f., 526, 529, 531 f.
511 f., 513, 521–524, 526, 528 f., 533–535 -recht: 145, 216, 318, 366 f., 369, 375 f., 392
–, absolute: 271, 514 -religion: 61
–, abstrakte: 256, 266 -struktur: 275, 371, 468
–, adjektivische: 242 -wahrheiten: 473, 479
–, allgemeine: 62 f., 116, 266 -wesen: 118, 143
–, anschauende: 271 -zweck: 119, 143, 412
–, apriorische: 147 Verschiedenheit: 205 f., 238, 329
–, aufklärende: 131, 137, 147 Versöhnung: 85, 90 f., 118, 138 f., 141, 143, 148, 155 f.,
–, begreifende: 473 158 f., 174, 193, 196, 201, 217, 299, 338, 346, 398,
–, beobachtende: 188 413 f., 436, 445, 447, 449, 460, 464, 470, 476, 483,
–, bloße: 61, 66 493, 496, 514, 521, 528
–, denkende: 239, 296, 301, 479, 482, 517 Verstand: 16, 67 f., 72, 87, 95 f., 112 f., 119, 131, 134 f.,
–, dialektische: 211, 251 138 f., 145, 151, 181, 186, 206, 209–211, 224 f., 248,
–, einfache; eine: 63, 116 256, 301, 357, 386, 392, 495, 499, 534
–, ewige: 116 –, anschauender; intuitiver: 140, 266
–, formale; formelle: 211, 245, 361 –, äußerer: 118
–, freie: 262 –, außerweltlicher: 247
–, geschichtliche: 405, 408–412 –, bloßer: 499
–, gesetzgebende, -prüfende: 191 –, entgegensetzender: 239, 262
–, gesunde: 189, 495 –, formeller: 361
–, göttliche: 473 –, gemeiner: 294
–, immanente: 275, 342, 388, 409, 479 –, menschlicher: 21, 138, 161, 348
–, konkrete: 256 –, moderner: 97
–, menschliche: 63, 337, 473, 489 –, räsonierender: 113
–, moralische: 131, 256 –, rationalistischer: 263
–, negative: 211 –, reiner: 165
–, objektive: 264, 359 –, seiender: 205
574 IV. Anhang

–, selbstbewußter: 205 428 f., 432, 435, 448 f., 455 f., 459, 461, 464 f., 468,
–, strengster: 441 473–476, 481 f., 485 f., 491 f., 496, 508, 513 f., 516 f.,
–, trockener: 296, 498 521, 523 f., 534
–, urbildlicher: 140 Wahrnehmung: 133, 186, 235, 265, 349, 357, 394
–, verdinglichender: 138 Wechselwirkung: 114, 165, 205, 241
–, zwecksetzender: 247 Welt: 16 f., 19, 25–27, 30, 32, 34, 56, 85, 88 f., 94, 117,
Verstandes- 138 f., 142 f., 156–158, 165–167, 171, 174, 181,
-abstraktion: 456 190 f., 196, 209, 217, 252 f., 264 f., 276, 302, 308,
-begriff; -bestimmungen: 138, 482, 495 335, 350, 352, 358, 362, 367, 377, 383 f., 408 f.,
-denken: 90, 296 411–413, 416 f., 422, 454, 465, 476, 499, 502 f., 510,
-form: 500 512 f., 524, 526, 535
-gegensatz: 500 –, an und für sich seiende: 240, 329
-identität: 301, 378 –, antike; spätantike; griechische: 1, 63, 72, 173, 195,
-kategorien: 355 292, 404, 407, 432 f., 435 f., 438, 446–448, 486–489
-kultur: 115 –, äußerliche: 374, 437, 488
-metaphysik: 338 f., 342 –, bewußte: 159
-philosophie: 255 –, christliche: 395, 434, 449, 491
-reflexion: 90, 339 –, empirische: 489 f.
-wissenschaft: 138 –, entfremdete: 191
Verstehen: 69, 105, 375, 475 –, entgötterte; entzauberte: 90, 138
Vertrag; Kontrakt: 73, 153 f., 171 f., 212, 216, 258, 366, –, erschaffene: 166
370 f., 379, 385 f., 391, 502 –, erscheinende: 240, 329
Verweltlichung: 416 f., 476, 502 –, ewige: 284
Verwirklichung: 185, 189, 215, 316, 344 f., 370, 375 f., –, existierende; vorhandene: 240, 385
378, 392 f., 403, 410, 412, 415–417, 427 f., 433, 476, –, freie: 37
483 f., 488, 493, 502–504, 528 f. –, fürchterliche: 62
Volk: 10, 28, 62, 69, 71, 78 f., 81, 84 f., 87, 89 f., 102, –, geistige; intellektuelle: 37, 173, 192, 275, 352,
104, 118, 142, 147–149, 151, 153–156, 159, 162–164, 369 f., 372, 375, 401, 403, 406, 434 f., 443, 486–488,
171 f., 174, 189–191, 195, 200 f., 216, 218, 281, 491
315 f., 390, 392, 394, 406–408, 415, 418, 422, 443 f., –, germanische: 63
484, 508, 521 –, himmlische: 192
Volks- –, ideelle; ideale: 114, 163, 483 f.
-erziehung: 8, 67 –, intelligible: 215, 490
-geist: 62 f., 159, 163 f., 172, 212, 390 –, irdische: 192, 483
-massen: 56 –, islamische: 431
-religion: 2, 60–63, 65, 69, 90, 432, 434, 460, 484 –, jenseitige: 65
-souveränität: 316, 526 –, lebendige: 159
-wahlen: 83 –, mechanistische; deterministische: 138
Völkerrecht: 216, 375, 398, 400 –, moderne: 148, 384, 449 f., 476, 522
Voraussetzung: 112, 114, 131, 233, 246, 267, 269 f., 338, –, moralische: 79
465, 492 –, natürliche: 284
Vorsehung: 13, 62, 218, 399, 409, 413, 533 –, neue: 494
Vorstellung: 5, 30, 173 f., 184, 189, 191 f., 194–197, –, objektive: 117, 226, 248–250, 352, 367
210–212, 215, 239, 242 f., 247, 249, 251, 253, 255, –, orientalische: 484
265–267, 271, 340, 351, 360 f., 364, 387, 406 f., 409, –, politische: 193, 276, 484
422 f., 430, 432–434, 437, 439, 441 f., 444, 446, –, reelle; reale: 114, 191 f., 483
455 f., 458, 460, 468–475, 491 f., 508, 513 f., 522, 530 –, romanische: 63
Vorurteil: 200, 366, 460 –, romantische: 436, 447
–, römische: 148, 190, 388, 407, 483 f., 487, 490 f.
Wahl: 57, 83, 258, 314–316, 394 –, schöne: 76, 200, 431, 449
Wahres: 40, 111, 124, 131, 142, 150, 178, 181–183, –, sinnliche: 186
185 f., 206 f., 226, 249–251, 255 f., 260, 262 f., 265 f., –, sittliche: 153, 173, 190, 275, 371, 476
307, 362, 423 f., 456, 460, 475 f., 482, 486 –, soziale: 153
Wahrheit: 44, 60, 63, 75, 83, 90 f., 96, 101, 113, 116, –, symbolische: 432
122, 133–135, 143, 147, 149, 156, 167, 173, 179 f., –, transzendente: 535
182–188, 191, 193 f., 197, 204, 206, 226, 232–235, –, übersinnliche: 186, 191 f.
239–242, 245, 247–253, 263–266, 270 f., 280, 285, –, unmittelbare: 435
292, 294, 301, 307, 336 f., 346, 349–352, 356 f., 361, –, unwirkliche: 191
363 f., 368, 373, 378, 385, 415, 418, 421–423, 425 f., –, vergangene: 159
4. Sachregister 575

–, vergängliche: 425 –, selbständiges: 523


–, verkehrte: 108, 186 –, sittliches: 163, 163
–, vernünftige: 37 –, unendliches: 93
–, vorrevolutionäre: 506 –, ungestaltetes: 195
–, wahre: 186, 250 –, verklärtes: 179
–, wirkliche: 188, 190 f. –, vernünftiges: 217
–, zerrissene: 190 f. –, weltliches: 415, 417
– der Begriffe: 535 Wesenheit: 136, 179, 195, 197, 328
– der Entfremdung: 191 Widerspruch: 102, 113, 134 f., 145, 149, 163, 168, 185,
– der Erscheinung: 13, 240 187–189, 206, 226, 228–231, 238 f., 251, 328, 340,
– der Kunst: 448 345, 364, 495
– der Wahrheit: 486 Wille: 71, 147, 170–172, 192, 195, 212, 215 f., 257 f.,
– der Wirklichkeit: 191, 350, 359, 362–364, 368, 371, 377–379, 382–386, 391,
-anschauung, moralische: 190, 193 398, 411, 443, 491
-bewußtsein; -bild; -deutung; -erfahrung; -erklärung; –, absoluter: 256
-interpretation; -sicht; -verhältnis; -verständnis: –, allgemeiner: 73, 172, 192 f., 215 f., 370, 381 f., 390 f.
138, 158, 170, 247, 336, 527, 529, –, an (und für) sich seiender: 216, 381 f.
-geist: 35, 38, 172, 212, 409–412, 416, 464, 529 –, besonderer: 215, 381, 399
-gericht: 402, 414 –, bloßer: 362, 379
-geschichte; weltgeschichtlich: 1 f., 56, 63, 79, 90, 138, –, böser: 444
156, 175, 212, 267 f., 307–310, 317, 320, 322, 351 f., –, denkender: 362, 364
368, 375 f., 378, 383, 397 f., 400–419, 443, 449, 461, –, eigentlicher: 215
464 f., 476, 478 f., 481, 483 f., 489 f., 492, 496 –, einzelner; individueller: 73, 172, 363, 373, 377, 382,
-lauf: 189 385, 391, 398, 400
Weltliches: 435 f., 476, 492 –, freier: 172, 212, 215 f., 253, 350, 362, 364, 367–373,
Weltlichkeit: 179, 397, 436, 476, 492 377–379, 400, 446
Weltordnung, moralische: 65, 415 –, für sich seiender: 381 f.
Weltrepublik; -staat: 147, 173, 400 –, gemeinsamer: 379
Weltschöpfung: 473 –, göttlicher: 362, 370, 513, 526
Weltseele: 24, 107 –, guter: 249
Weltzustand, heroischer: 444 –, moralischer: 215
Werkzeuge: 247, 411 f. –, natürlicher: 362, 384, 435
Wesen (ens): 87, 148, 162, 171, 173, 175, 185, 189, –, objektiver: 350, 367
193, 195, 205, 207, 236–242, 275, 328–331, 474, 486 –, reflektierender: 364
–, absolutes: 150 f., 160, 167, 174, 188, 190–196, 217 –, reflektierter: 373 f., 382, 384
–, abstraktes: 174 –, reiner: 143, 172, 256
–, allerrealstes: 246 –, (selbst)bewußter: 172, 391, 406
–, allgemeines: 172, 193, 196 –, sich bestimmender: 362
–, ansichseiendes: 174, 190 –, sich objektivierender: 371
–, arbeitendes: 163 –, subjektiver: 374, 382, 384, 388
–, freies: 70, 215 f. –, substantieller: 373, 390
–, fremdes: 71, 94, 523 –, übler: 262, 305
–, geistiges: 182 f., 189, 217, 428, 455 –, unendlicher: 436, 483
–, göttliches: 174, 195 f., 215, 218, 523 –, vernünftiger: 216, 381, 391, 476
–, höheres; höchstes: 96, 165–167, 456, 491, 494 Willkür: 51, 233, 243, 250, 261, 267, 335, 357, 360,
–, individuelles: 12 362, 364, 371, 378, 385, 388, 446, 520
–, konkretes: 422 Wirklichkeit: 30, 89, 98, 102, 111, 120, 134, 140, 143,
–, lichtscheues: 241 149, 156, 161–163, 174, 183, 186 f., 193, 205–207,
–, mächtiges: 304 216, 226, 228, 240, 248–250, 252, 263–265, 269,
–, moralisches: 79 274, 276 f., 296, 312, 328–331, 350, 353, 362, 366,
–, mythologisches: 172 f. 368, 370–372, 374, 378, 386, 389 f., 396, 406 f., 409,
–, notwendiges: 241, 246, 499 413, 415, 429, 433, 435, 444, 454, 481, 483, 502,
–, organisches: 118 523 f., 534
–, persönliches: 12 –, absolute: 182, 533
–, reales: 190, 194 –, äußere: 112, 138, 172, 358
–, rechtliches: 163 –, daseiende: 194
–, reines: 217 –, dürre: 88
–, religiöses: 163 –, einzelne: 217
–, seelenloses: 95 –, empirische: 141
576 IV. Anhang

–, endliche: 141, 425 237, 250, 252–254, 264, 267, 269, 271, 277, 279 f.,
–, entfremdete: 191 284 f., 301, 303, 307 f., 323, 326–328, 331, 333, 343,
–, formelle: 241 349, 351, 355 f., 367 f., 373 f., 377, 402, 406,
–, gebrochene: 196 421–423, 452, 454, 459, 468, 478, 481, 483, 488,
–, geistige: 239, 253, 351, 403, 503, 527 490, 492 f., 495, 497, 507, 527–529, 531, 535
–, gemeine: 37, 139, 436 –, empirische: 120, 144 f., 161, 207, 263, 336–339, 346,
–, geschichtliche; historische: 90, 387, 410, 416, 461 354, 409 f., 491, 501
–, gesellschaftliche: 275, 367, 375, 476, 503 –, philosophische: 59, 115, 145, 180, 283, 320, 334,
–, höchste: 457, 459 338 f., 360, 480
–, innere: 214 –, System der: 176 f., 210, 222, 260, 319–321, 325
–, logische: 236, 239 Wissenschaftsanspruch: 222, 226 f., 309
–, natürliche: 239, 253 Wissenschaftsform: 145, 205, 283, 319–321, 330
–, objektive: 402 Wissenschaftsgeschichte: 186 f., 197, 339, 403, 482,
–, physische: 339 536
–, politische: 367, 387, 520, 529
–, reale: 241 Zeichen: 162, 170, 211, 360 f., 423, 425 f., 430, 442, 446
–, sinnliche: 192 Zeit: 93, 121, 139, 162, 169 f., 194, 197, 208, 235, 239,
–, unmittelbare: 188 f., 436 253, 275, 309, 333, 340, 342, 417, 441 f., 444, 455 f.,
–, vereinzelte: 190 474, 476, 480, 482, 502, 511, 533
–, wahre: 253, 337, 346, 351, 391, 393, 426, 459 Zeitgeist: 345, 408, 501, 527, 531
Wissen: 111–113, 115, 117, 120, 124, 127, 134, 137, 156, Zeitliches: 27, 482
171–175, 178, 182 f., 185–187, 194–197, 207, 209, Zeitlichkeit: 342, 405, 455, 473, 482
213, 217, 265, 267, 280, 285, 301, 351 f., 357, 359 f., Zensur: 28, 44, 49, 273 f., 289, 528
362, 369, 373, 385, 402 f., 409 f., 414–416, 422 f., Zufall: 215, 287, 383, 479
433, 453, 455–459, 461, 463, 466, 468, 473, 483, Zufälliges; zufällig: 89, 94–97, 115 f., 132, 157, 179,
486, 492 183, 192, 195, 240 f., 249 f., 263, 274–276, 284, 287,
–, absolutes: 173 f. 174, 176, 178, 185, 194, 197, 207, 334 f., 338, 342, 346, 356, 362 f., 373, 378, 384,
217, 233, 250, 264, 301, 340 393 f., 399, 407, 415, 423, 426, 439, 443, 445, 460,
–, angeschautes: 193 468, 479, 482, 486 f., 491, 499
–, apriorisches: 349 Zwang: 74, 85, 87, 118, 216, 373, 380 f.
–, äußerliches: 250 f. Zweck: 12, 66, 75, 94, 103, 143, 145, 171, 182, 189,
–, begreifendes: 197, 413 193, 195, 202 f., 205–207, 211, 246 f., 269, 337, 345,
–, daseiendes: 193 350, 355, 362 f., 373, 377, 379 f., 382–384, 390, 408,
–, empirisches: 117, 145, 178 410–413, 415, 418, 425, 428 f., 432, 436, 438,
–, erscheinendes: 179, 185, 197, 233 441–444, 498
–, individuelles: 390 –, absoluter: 250
–, insichseiendes: 193 –, allgemeiner: 383, 410–412
–, leeres: 142 –, besonderer; partikularer: 390, 411 f., 428
–, philosophisches: 113 f., 262 –, bewußter: 103, 410 f., 413, 428
–, positives: 138 –, einzelner; individueller: 428, 442
–, reines: 193, 232 f. –, endlicher: 94, 247, 249, 363
–, spekulatives: 113, 374, 383 –, heiliger: 215
–, subjektives: 384 –, innerer: 247, 345, 382
–, substantielles: 256 –, letzter: 390
–, theoretisches: 360 –, objektiver: 247, 383
–, transzendentales: 113, 143 –, positiver: 384
–, unendliches: 433, 488 –, religiöser: 390 f.
–, unmittelbares; unmittelbare Gewißheit: 181, 189, –, selbstsüchtiger: 411
193, 196, 198, 217, 256, 262, 266, 499, 509 –, unmittelbarer: 216
–, vermitteltes: 197 –, weltlicher: 436
–, vernünftiges: 181 –, wesentlicher: 378
–, wahres: 178, 185 –, zufälliger: 363
–, wirkliches: 181 Endzweck: 71, 147, 337, 346, 384, 391, 407, 409 f.,
–, wissendes: 174 413 f., 428, 457, 485
–, zufälliges: 192 Naturzweck: 121
Wissenschaft: 2, 24, 27, 29 f., 32 f., 37, 41, 48, 78, 112, Selbstzweck: 119, 345, 412, 447
117, 121, 130–132, 134–136, 138, 149, 151, 155, 165, Vernunftzweck: 143, 412
168, 173, 175, 178 f., 181, 183–185, 188, 201, 203 f., Zweckmäßigkeit; zweckmäßig: 75, 94, 157 f., 182, 207,
206, 208, 211–213, 219–221, 223 f., 229, 232 f., 235, 227, 247, 343, 345, 425, 438 f., 443, 467
5. Personenregister 577

5. Personenregister
Dieses Verzeichnis erfaßt nur die Namen historischer Personen aus dem gedanklichen oder persönlichen Umkreis
Hegels. Namen, die einen Bestandteil von Buchtiteln bilden, werden nicht verzeichnet. In der Bibel vorkommende
Personen seit der Zeit Abrahams werden aufgeführt, da sie überwiegend analog historischen Personen handeln.

Abälard 492 Blumenbach, Johann Friedrich 161


Abeken, Bernhard Rudolf 21, 293 Bode, Johann Elert 108
Abraham 85 Bodin, Jean 104
Ackermann, Jakob Fidelis 170 Boeckh, August 47, 49 f., 289
Aischylos 190 Boek, August Friedrich 4 f.
Albertus Magnus 492 Böhme, Jacob 493 f.
Albrecht, Daniel Ludwig 313 f. Böhmer, Auguste 345
Alexander der Große 57, 488, 504 Bohn, Johanna Sophia 26, 40
Altenstein, Karl Siegmund Franz v. Stein zum 41–43, Boisserée, Melchior 36
45, 47–49, 53–55, 274, 277, 288, 303, 310, 497, 520, Boisserée, Sulpiz 27, 36, 39, 41, 43, 51 f.
527 Bopp, Franz 47, 49, 289, 292, 461
Altenstein, Louise v. 47 Börne, Ludwig 56, 502
Anaxagoras 409, 485, 488 f. Böttiger, Karl August 52 f.
Ancillon, Johann Peter Friedrich 50, 56 Boumann, Ludwig 77, 200, 286
Anselm von Canterbury 487, 492 Bouterwek, Friedrich 126, 128, 136
Apelles 116 Brentano, Clemens 29, 307
Ariost, Ludovico 22 Bretschneider, Karl Gottlieb 520
Aristophanes 444 Breyer, Johann Friedrich 16
Aristoteles 147, 162, 171, 182, 223 f. 226, 245, 247, Breyer, Karl Wilhelm Friedrich 6 f., 19
256, 262, 345, 349, 410, 445, 483, 485, 487 f., 490, Brodhag, Johannes 9
492, 499 Brown, John 345
Assal (Anwalt) 23 Brucker, Jacob 478
Asverus, Gustav 44 Bruno, Giordano 111, 230, 272, 299
Augereau, Pierre François Charles 84 Buhle, Johann Gottlieb 478, 488, 521
Augustinus, Aurelius 65, 506 Burke, Edmund 366, 507
Autenrieth, Christian Friedrich 5 Burkhardt, Auguste Theresia 26, 40
Burckhardt, Christiane Charlotte 25 f., 39
Baader, Franz Xaver v. 262, 494
Bach, Johann Sebastian 52, 441 Caesar, Caius Iulius 407, 412
Bachmann, Carl Friedrich 27, 503, 512 f. Calderón de la Barca, Pedro 22
Bacon, Francis 339, 493 Campe, Johann Heinrich 2
Bado (Lustspieldichter) 287 Carganico, K. A. 304, 510
Baggesen, Jens 11 Carl Eugen, Herzog von Württemberg 1, 3, 83
Bardili, Christoph Gottfried 4, 109, 123 f., 131 Carmer, Johann Heinrich Kasimir v. 17
Batteux, Charles 2 Carnot, Lazare Nicolas 52
Bauer, Bruno 497, 508, 517, 521, 528 Caroline Augusta, Kaiserin von Österreich 53
Baumgarten, Alexander Gottlieb 225 Carové, Friedrich Wilhelm 38, 44, 288
Baur, Ferdinand Christian 512 Carrier, Jean Baptiste 10
Bayle, Pierre 133 Cart, Jean-Jacques 10, 17, 80–83, 97, 109
Bayrhoffer, Karl Theodor 521 Carus, Carl Gustav 349
Baz, Christian Friedrich 84 Carus, Friedrich August 203, 209, 349
Beccaria, Cesare 379 f. Catalani, Angelica 52
Beckers, Hubert 512 Chalybäus, Heinrich Moritz 532
Beer, Heinrich 46, 57 Champollion, Jean François 360
Beethoven, Ludwig van 442 Charles X., König von Frankreich 55
Beneke, Friedrich Eduard 349 Charlier, Jean (Johannes Gerson) 492
Berger, Johann Erich v. 16 Chenevix, Richard 161
Bergmann, Torbern 161 Cicero, Marcus Tullius 2, 5, 485
Berlepsch, Emilie v. 11 Claudius, Matthias 298
Berthollet, Claude Louis 161, 343 Clemens Alexandrinus 195
Beyme, Karl Friedrich v. 43, 314 Colebrooke, Henry Thomas 292, 461, 485
578 IV. Anhang

Collmann, Karl Christian 277 f. 113, 116–120, 122–131, 136 f., 140–143, 145 f., 150,
Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Mar- 152–154, 163 f., 167, 171, 175, 178, 182, 187 f., 193,
quis de 404, 415 197 f., 223, 225, 227, 229 f., 232 f., 243, 254–256,
Conradi, Kasimir 509, 512 279, 294, 306, 319 f., 351, 367, 385, 388, 415, 493,
Conz, Karl Philipp 5 495, 502 f., 506, 526
Correggio (Antoni Allegri) 52 f. Fink, Johann Christian Friedrich 5–7
Cotta, Johann Friedrich v. 49, 57, 129, 288 f. Fischer, Carl Philipp 512, 514, 532
Cousin, Victor 53 f. 56, 282, 296 Fischer, Kuno 48, 287, 532
Creuzer, Friedrich 28, 33, 40 f., 44, 47, 49, 57, 262, Fischhaber, Gottlob Christian Friderich 126–128
273, 279, 282 f., 289, 294, 307 f., 399, 419, 430, 432, Flatt, Johann Friedrich 4 f., 68 f.
461, 464 Forster, Georg 161
Förster, Friedrich 46, 51 f., 57, 77 f., 200, 286, 288,
Dante Alighieri 21, 148, 262, 278 310, 504
Daub, Carl 24, 36, 39 f., 49, 51, 55, 261, 277, 281, Fox, Charles James 83
289 f., 303, 305, 327, 451, 513 Franz II., deutscher Kaiser, bzw. Franz I., Kaiser von
Delacroix, Eugène 56 Österreich 53, 100, 104
Demokrit 489 Frauenstädt, Julius 522
Descartes, René 130 f., 140, 142, 192, 264, 267, 353, Friedländer, David 290
487, 493–495 Friedrich, Herzog, seit 1805 König von Württemberg
Devrient, Ludwig 52 83 f., 257–259
Diderot, Denis 191 Friedrich II., König von Preußen 53, 407
Diez, Carl Immanuel 5, 22 Friedrich V., Landgraf von Hessen-Homburg 16 f.
Droysen, Johann Gustav 47, 55 f., 406, 490, 527 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 41–43, 45,
Duboc, Edouard Casimir Benjamin 261 47, 274, 303, 313 f., 393
Dusch, Johann Jakob 2 Friedrich Wilhelm IV., Kronprinz, seit 1840 König von
Duttenhofer, Jakob Friedrich 126 Preußen 43, 45, 54, 274, 365, 392, 527
Duttenhofer (Obrist) 1 Fries, Jakob Friedrich 23 f., 33 f., 36, 38, 40, 43, 177,
222, 256, 275, 277, 283, 295, 349
Ebel, Johann Gottfried 14, 16 Frommann, Friedrich Johannes 25
Eberhard, Johann August 2 Frommann, Johanna 40
Echtermeyer, Theodor 138, 294, 434, 527 Frommann, Karl Friedrich Ernst 23, 25 f., 28, 38–40,
Eckermann, Johann Peter 297 f., 303, 500 42
Eckstein, Ferdinand v. 56, 291, 309
Empedokles 88, 489 Gaab, Johann Friedrich 4
Encke, Johann Franz 45 Gabler, Christian Ernst 23
Endel, Nanette 14 f., 77 Gabler, Georg Andreas 24 f., 509, 512, 514, 517
Engel, Johann Jakob 2 Gall, Franz Joseph 188, 439
Engels, Friedrich 501, 530, 534 Gans, Eduard 46, 49, 55, 278, 288 f., 365, 369, 414,
Epikur 186, 488, 490 f. 498, 504, 525
Erdmann, Johann Eduard 46, 303, 365, 504 f., 512, Garve, Christian 2
517 f., 532 Gentz, Friedrich v. 46, 291, 309, 366
Erhard, Johann Benjamin 16 Gerlach, Leopold v. 54
Erichson, Johann 16 Gerlach, Ludwig v. 54, 300
Eschenburg, Johann Joachim 1 Gerstäcker, Karl Friedrich Wilhelm 126–128
Eschenmayer, Carl August 349, 512 f., 516 Gesenius, Wilhelm 54, 506
Euklid 4 Ghert, Peter Gabriel van 24, 36, 40, 52, 54 f., 312
Eyck, Jan van 54 Gibbon, Edward 64 f., 72, 147, 164, 401
Gluck, Christoph Willibald 51 f.
Fabricius, Johann Albert 282 Goethe, Johann Wolfgang 19–24, 26, 32, 38, 41–43,
Fallot, Georg Friedrich 6 47–49, 51 f., 54 f., 57, 79, 102, 128, 133, 159–161,
Feder, Johann Georg Heinrich 2 164, 189, 191, 201, 226, 255, 285–287, 289 f., 294,
Fernow, Karl Ludwig 23 296–298, 303–305, 311, 335 f., 339, 343 f., 380, 408,
Feuerbach, Ludwig 39 f., 42, 47, 61, 72, 83, 85, 184, 414, 436–438, 445, 461, 500–502
194, 356, 379, 473, 504 f., 509 f., 522–530, 533–535 Gogel, Johann Noë 11, 14 f., 74
Feuerbach, Paul Johann Anselm 39, 379 f., 526 Gogel, Johann Noë d. J.(Neffe) 11, 14 f., 74
Fichte, Immanuel Hermann 302, 307, 503, 507, Gogel, Johann Matthias (Neffe) 11, 14 f., 74
511–514, 532, 535 Gogel, Margaretha Sybilla (Nichte) 11, 14 f., 74
Fichte, Johann Gottlieb 12 f., 19 f., 22–24, 28, 36, 41, Gogel, Margaretha Wilhelmina (Gattin) 11, 14 f., 74
48, 50, 54, 57, 60, 65, 78, 86, 94, 99, 101, 109–111, Gogel, Sara Charlotte (Nichte) 11, 14 f., 74
5. Personenregister 579

Gorgias von Leontinoi 186 Hirn, Frau 52


Göriz, Ludwig Friedrich 32, 34 Hirt, Aloys 53, 438
Görres, Joseph 292, 305, 307–309, 410, 463, 498 Hobbes, Thomas 140, 369, 387, 391, 398
Göschel, Carl Friedrich 56, 278, 300–303, 504, 509, Hoffbauer, Johann C. 278
511 f., 514, 517 f., 520, 525, 529 Hoffmann, E.T.A. 442
Gries, Johann Diederich 22, 24 Hohenbaum (Hofmeister) 13, 74
Grimm, Jacob 360, 527 Holbach, Paul Henri Thiry d’ 72
Grohmann, Johann Christian August 126 Hölderlin, Friedrich 2 f., 5–9, 11–17, 19, 66, 74–76,
Gruber, Johann Gottfried 199 79, 84–86, 88, 99 f., 244, 255, 431
Günzler, Johann Christoph 18 Hölderlin, Johanna Christiane (verh. Gock)(Mutter) 6
Gustav, Prinz von Schweden 38 f., 260, 326, 332 Hölderlin, Maria Eleonora Heinrike (Schwester) 6
Gustav Adolph, König von Schweden 101 Holmer, Friedrich Levin, Graf 384
Homer 116, 159, 297, 432, 443
Haering, Wilhelm (=Willibald Alexis) 46 Hotho, Heinrich Gustav 46, 279, 419–423, 425, 432,
Hafis (Schams od-Din Mohammed) 437 437, 505, 512
Haller, Carl Ludwig v. 10, 56, 81, 102, 272, 274, 277, Hufeland, Gottlieb 23, 278
392, 526 Hufnagel, Caroline 16
Hamann, Johann Georg 137, 141, 230, 296–299, 304, Hufnagel, Wilhelm Friedrich 16, 19 f., 22 f., 130
306 Hugo, Gustav 273, 276, 278, 375
Hardenberg, Karl August v. 42 f., 274 Hülsemann 303, 508 f.
Hase, Karl August 66 Humboldt, Alexander v. 45, 47 f.
Hauff, Johann Karl Friedrich? 9 Humboldt, Wilhelm v. 23, 43, 45–49, 55, 289–292,
Haym, Rudolf 3, 6, 19, 55, 59, 68, 82–84, 91, 100 f., 295, 360, 501
103, 152 f., 155 f., 198, 259, 315 Hume, David 137, 141 f., 186, 265, 401, 495
Heeren, Arnold Hermann Ludwig 292
Hegel, Christiane Luise (Schwester) 5, 9, 14, 18, 32, Jacobi, Friedrich Heinrich 2, 4, 13, 27–29, 32–34, 48,
42, 84, 300 51, 61, 88, 109, 111, 118, 120, 123, 128–130,
Hegel, Georg Ludwig (Vater) 2, 4–6, 14, 16, 18 136–142, 147, 153, 162, 177, 189, 193, 218, 223,
Hegel, Georg Ludwig Friedrich (bzw. G. L. F. Fischer) 230, 241 f., 249, 252, 254–257, 260, 262, 266 f.,
(Sohn) 18, 26, 39 f. 278 f., 288, 295–299, 301, 304, 335, 340, 384, 428 f.,
Hegel, Karl Friedrich Wilhelm (Sohn) 32, 55, 82, 454, 475, 495, 499 f., 502 f., 506, 534
327 Jahn, Friedrich Ludwig (Turnvater) 44
Hegel, Maria Helena Susanna (Marie)(Gattin) 31 f., Jarcke, Karl Ernst 49, 289, 302, 309
34, 37–40, 42, 47, 50–53, 57, 202, 300, 313 f., 497 f., Jäsche, Gottlob Benjamin 54, 300, 505
503 Jean Paul s. Richter, Jean Paul Friedrich
Hegel, Thomas Immanuel Christian (Sohn) 32 Jelles, Jarig 230
Hegel, Susanna Marie Louisa Wilhelmine 32 Jesus von Nazareth (Christus) 63–67, 69–71, 85,
Hegelmeier, Auguste 6 87–90, 96 f., 156, 302, 386, 404, 435, 449, 474, 489,
Heim, Johann Ludwig 170 515–520
Heine, Heinrich 56, 138, 276, 288, 434, 437, 501 f. Johann Friedrich der Großmütige (irrtümlich: der
Held, August Ludwig 55 Weise) 310
Hellfeld, Amtskommissar 25 Johann Scotus Eriugena 492
Hemsterhuis, Frans 85 f. Johannes der Täufer 64
Henning, Leopold Dorotheus v. 45–47, 49, 150, 285 f., Johannes Duns Scotus 492
288 f., 303, 504 Joseph (Vater Jesu) 66
Hennings, Justus Christian 150
Heraklit 480, 489 Kalb, Charlotte v. 9
Herbart, Johann Friedrich 33, 277 f., 306 Kanne, Johann Arnold 32–34, 307 f.
Herder, Johann Gottfried 62, 86, 126–128, 140, 194, Kant, Immanuel 2, 4–7, 12 f., 18, 46, 59–71, 78, 81,
255, 299, 353, 390, 402, 404, 413, 415, 421, 462 86–88, 91, 94, 97–99, 106, 110, 113 f., 118, 120 f.,
Herrmann, Gottfried 464 123, 126 f., 130, 133–135, 137–143, 145–147, 149,
Herodot 159, 194, 432, 438 152 f., 155, 162, 165–167, 169, 171, 175, 178, 182,
Hesiod 159, 432 184, 186–187, 189, 191, 193, 203 f., 206 f., 216,
Heß, Johann Jakob 66 218 f., 223–231, 233–235, 237, 239–242, 244–247,
Heusde, Philipp Wilhelm van 283 249, 251, 254–256, 264–266, 278 f., 281, 291, 298,
Hinrichs, Hermann Friedrich Wilhelm 38, 46, 55, 307, 320, 329, 338, 340, 345, 348 f., 351, 353 f.,
279–281, 284, 288, 297, 451, 504, 509, 517, 525, 363 f., 366–369, 371, 377 f., 380, 382, 385 f., 388,
528, 532 393, 398–400, 411, 413, 415, 421, 425, 478, 487, 493,
Hippel, Theodor v. 13 495, 498–500, 502 f., 507, 510, 526, 531 f.
580 IV. Anhang

Karl der Große 52, 75 Maaß, Johann Gebhard Ehrenreich 278


Karl, österreichischer Erzherzog 53, 104 Macbeth 85
Karl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach Maercker, Friedrich Adolf 312
26, 29 Magenau, Rudolf 6
Kastner, Karl Wilhelm Gottlob 24 Maimon, Salomon 133
Kemble, Charles 53 Maimonides, Moses 488, 492
Kepler, Johannes 18, 107, 336, 341 f. Maistre, Joseph Marie de 302
Keyserlingk, Hermann v. 300, 505 Malebranche, Nicolas 353, 493
Kierkegaard, Sören 448, 525, 535 Marcion 85
Kirsten, Johann Friedrich Ernst 219 Marheineke, Konrad Philipp 36, 47, 55, 57, 323,
Klein, Ernst Ferdinand 379 497 f., 511, 513
Kleist, Heinrich v. 436 Maria Magdalena 87
Klinger, Friedrich Maximilian 77, 199 Maria (Mutter Jesu) 93, 434 f., 449
Klopstock, Friedrich Gottlieb 1, 10, 62, 72, 443 Marianne von Hessen-Homburg (Prinzessin Wilhelm
Klüpfel, August Friedrich 68 f. von Preußen) 17, 45
Knaus, Johann Christoph 1 Märklin, Jakob Friedrich 6
Knebel, Karl Ludwig v. 26 f., 31, 42 Märklin, Johann Friedrich 5
Konfuzius 485 Marx, Karl 175, 190, 258, 278, 388, 501, 525,
Köppen, Friedrich 129, 142, 297 527–529, 534
Köster, Christian Philipp 41 Maximilian I. Joseph, König von Bayern 35
Kotzebue, August 43, 384, 436 Mehmel, Gottlieb Ernst August 19, 109, 124,
Krause, Karl Christian Friedrich 23 f., 51 126–128, 133
Krug, Wilhelm Traugott 126–128, 131 f. Meiners, Christoph 74 f.
Kügelgen, Gerhard v. 435 Memling, Hans 54
Mendelssohn, Moses 2, 96, 140 f., 299
La Harpe, Frédéric César de 81 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 52, 445
Lagrange, Joseph Louis 339 Mercadante, Giuseppe Saverio Raffaelo 53
Lambert, Johann Heinrich 198 Merkel, Paul Wolfgang 31
Lamennais, Hugues-Félicité-Robert de 56, Mesmer, Franz Anton 355
309 Metternich, Clemens Wenzel Nepomuk Lothar v. 42,
Lange, Christian Friedrich 23 f. 46, 49, 288, 309, 366, 506
Lasalle, Ferdinand 532 Meusel, Johann Georg 17, 80
Lasaulx, Ernst v. 308 Michelangelo Buonarotti 52
Lavater, Johann Kaspar 66, 188, 298 Michelet, Carl Ludwig 46, 56, 261, 284, 332, 476–478,
Le Bret, Johann Friedrich 5 502, 505, 511 f., 518, 521, 525, 527, 532
Leibniz, Gottfried Wilhelm 110, 134, 166, 186, 235, Milder-Hauptmann, Anna Pauline 51–53
353 f., 360–362, 412 f., 460, 493–495 Mill, James 292
Leo, Heinrich 39, 519–522, 524 Mitscherlich, Eilhard 45
Leonardo da Vinci 53 Mögling, Friedrich Heinrich Wolfgang 11, 68
Leonhardi, Hermann Karl v. 51 Moleschott, Jacob 536
Lessing, Gotthold Ephraim 2, 12, 64–66, 70, 73, 90, Molière, Jean Baptiste 52 f.
96, 140, 192, 252, 255, 298, 415, 421, 428, 460, 473, Molitor, Joseph Franz 16 f.
489, 515 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède
Leukipp 489 et de 102, 147
Leutwein, Christian Philipp Friederich 5–7, Moses 85, 502
69 Mozart, Wolfgang Amadeus 52 f., 442
Lichtenberg, Georg Christoph 161 Muhrbeck, Friedrich 16
Liebeskind, Johann Heinrich 27 Müller, Johannes v. 81, 408
Liebeskind, Meta Dorothea 27 Müller, Karl Otfried 50, 290, 461
Livius, Titus 408 Mundt, Theodor 51, 505
Locke, John 134, 139, 141 f., 379, 416, 493–495
Löffler, Johann Jakob 1 Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich 24, 28,
Lorenz, Johann Friedrich 169 34 f., 37, 39, 43, 45, 52 f., 84, 100 f., 104, 192, 258,
Louis Philippe von Orléans (»Bürgerkönig«) 56 288, 392, 395, 399
Luc, Jean André de 161 Napoleon, Herzog von Reichstadt 53
Luden, Heinrich 44 Neeb, Johann 257
Ludwig XVI., König von Frankreich 7 Neuffer, Christian Ludwig 6, 9, 16
Luther, Martin 310 Newton, Isaac 18, 41, 47, 107, 161, 235, 286, 329,
Lyversberg, Jakob Johann 52 339–341, 343
5. Personenregister 581

Nicolai, Friedrich 2 Reinhold, Carl Leonhard 33, 109 f., 115, 117, 122–125,
Nicolovius, Georg Heinrich Ludwig 34, 36 f. 129–131, 133, 142, 178, 232, 250, 320, 503
Niebuhr, Barthold Georg 37, 55 f., 409 Renz, Karl Christian 6
Niethammer, Friedrich Immanuel 19, 21–27, 29–38, Rhode, Johann Gottlieb 464
41 f., 44, 50, 106, 128, 133, 136, 176, 201, 203 f., Ricardo, David 379
208–211, 214, 218–222, 224, 228, 255, 257, 259 f., Richter, Caroline (Gattin Jean Pauls) 41
273, 277, 283, 288 f., 296–298, 309, 313, 321, 326, Richter, Friedrich 510, 511
349, 374 Richter, Jean Paul Friedrich 27, 33, 40 f., 175, 177,
Nikolaus von Kues (Cusanus) 111, 230 257, 298
Noack, Ludwig 59, 524 Rieger, Karl Heinrich 310
Novalis (Friedrich v. Hardenberg) 103, 175, 395 Ritter, Johann Philipp 27
Ritter, Johann Wilhelm 161
Oelsner, Konrad Engelbert 10 Robespierre, Maximilien de 60
Ohlert, Albert Leopold Julius 305–307, 498 Rösel, Johann Gottlieb Samuel 57
Roesler, Christian Friedrich 4
Pahl, Johann Gottfried 8 Rosenberger, Magdalena Katharina 298
Parmenides 486, 499 Rosenkranz, Karl 1, 3–7, 11, 13, 16–21, 55, 57, 59, 66,
Paulus (der Apostel) 66, 90, 98 68 f., 74–76, 82–84, 90 f., 100 f., 107, 128, 133, 150,
Paulus, Caroline 31, 33, 36, 39 152, 155–157, 160 f., 164 f., 176, 178 f., 199 f., 202,
Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 12, 19, 22 f., 27, 210, 214 f., 261, 272, 278, 302, 306, 313, 315, 319,
29–33, 36, 38–40, 54, 66, 140, 255, 257, 263, 277, 327, 478, 504 f., 512 f., 518, 525, 528, 532
283, 337 Rossini, Gioacchino Antonio 52 f.
Paulus, Sophie Caroline Eleutheria (Emmi) 31 Roth, Karl Johann Friedrich 50, 277, 289, 296–299
Petrus von Navarra 492 Rothe, Richard 38, 42, 476
Pfaff, Christoph Heinrich 286 Rothe (Vater Richard Rothes) 38
Pfaff, Johann Wilhelm Andreas 32, 34 Rottmanner, Karl 29
Pfleiderer, Christoph Friedrich 4 f. Rousseau, Jean Jacques 1, 7, 13, 60 f., 65, 75, 118, 171,
Phidias 447 192, 391 f., 400
Philipsborn, Redakteur der Preußischen Staats- Rückert, Friedrich 49, 289, 437
zeitung? 313 f. Rückert, Joseph 126
Philo von Alexandrien 491 Ruge, Arnold 44 f., 138, 294, 365, 434, 527 f., 534
Piazzi, Giuseppe 108 Rust, Isaak 38, 509
Pitt, William d. J. 81 Rütte, David v. 9
Platon 5, 16, 133–135, 143, 147, 172, 199, 246, 251,
262, 269, 272, 278, 282 f., 355, 385, 477, Sack, Karl Heinrich 280
487–490 Salat, Jakob 128
Plotin 282, 351, 491 Sand, Karl Ludwig 43, 384
Ploucquet, Gottfried 4 Sand (Mutter von K. L. Sand) 43
Pope, Alexander 489 Saphir, Moritz Gottlieb 51, 286 f.
Prévost, Isaac Bénédict 161 Sartorius, Christoph Friedrich 5
Priestley, Joseph 161 Savigny, Friedrich Carl v. 29, 40, 46 f., 55, 274, 276,
Proclus 40, 282 f., 491 367, 375, 389, 392, 525
Pufendorf, Samuel v. 416 Schadow, Johann Gottfried 439
Pütter, Johann Stephan 101 Schaller, Julius 504, 512, 517 f.
Scharnhorst, Gerhard Johann David v. 200
Raimund von Sabunde 492 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 2 f., 5–7, 10–16,
Rakow (Schüler Hegels) 56 19–29, 32 f., 36, 38, 48, 51, 64–66, 68, 71, 74, 76,
Rammler, Karl Wilhelm 2 78–80, 91, 99 f., 106–111, 113, 115, 117–133,
Ranke, Leopold v. 50, 408 135–137, 141–144, 146, 148, 150–153, 155, 160, 162,
Raffael (Raffaelo Santi) 52 f., 116 164, 167 f., 173, 175, 177–179, 184, 193, 197, 199,
Rapp, Gottlob Christian 68 223, 225, 233, 236, 240 f., 252, 255, 257, 259, 270 f.,
Rauch, Christian Daniel 51, 439 278 f., 292 f., 307–309, 319 f., 327, 331, 334 f., 337,
Raumer, Friedrich Ludwig Georg v. 36, 53, 57, 214, 345, 351, 401, 410, 418, 421, 429 f., 447, 493–496,
293–295, 321, 326, 531 502 f., 505, 507, 511, 514, 520, 525 f., 528, 532, 535
Raupach, Ernst Benjamin Salomo 51 f., 286, 298 Schelling, Karl Eberhard 21, 32, 106
Ravenstein (Schüler Hegels) 300, 302 Schelver, Franz Joseph 24–26, 38, 307, 309
Rehberg, August Wilhelm 13 Schiller, Charlotte 23
Reimarus, Hermann Samuel 66, 515 Schiller, Friedrich 9, 11, 14, 19 f., 23, 74, 76, 78, 86,
Reinhardt, Karl Friedrich 4 128, 160, 173, 286, 414, 421, 433, 435, 447
582 IV. Anhang

Schlegel, August Wilhelm 19, 20, 22, 28, 43, 49 f., 54, Staël, Anne Louise Germaine de 23
85, 129, 136, 289, 291 f., 385 Stahl, Conrad Diedrich Martin 169
Schlegel, Caroline 20, 22 f., 129, 345 Stahl, Friedrich Julius 366, 507, 520, 525–527,
Schlegel, Dorothea 27 529
Schlegel, Friedrich 16, 19–23, 27 f., 33, 35, 43, 49–51, Stapfer, Philipp Albert 11
54, 56, 77, 85, 106, 116, 128 f., 133, 136 f., 156, 175, Staudenmaier, Franz Anton 514, 524
177, 232, 272, 289–292, 294 f., 309, 385 f., 410, 421, Stäudlin, Carl Fridrich 133
436, 438, 460, 477, 485, 494, 506 f., 526, 529 Stäudlin, Gotthold Friedrich 9
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 20, 43, 45–48, Steffens, Henrik 161, 284, 349
55, 63, 66, 93, 98, 128 f., 141, 175, 255, 280 f., 290, Steiger, Carl Friedrich v. 9–11, 74 f., 81
294 f., 305, 320, 354, 368, 386, 388, 392 f., 451, 473, Steiger, Friedrich Rudolf v. (Sohn) 11
501, 503, 513, 516–518, 520, 523 Steiger, Johann Rudolf v. (Bruder) 11, 74
Schlesinger, Johann Jakob 41 Steiger, Maria Catharina v. (Tochter) 11
Schlosser, Johann Friedrich Heinrich 21, 151 Steiger, Niklaus Friedrich 10
Schmalz, Theodor Anton Heinrich 305 Stengel, Stephan Christian Franz Nikolaus v. 28
Schmid, Carl Christian Erhard 68 f. Steuart, James Denham 18, 91
Schneiderbanger (Verleger) 26 Stich, Auguste (verh. Crelinger) 52
Schnurrer, Christian Friedrich 4, 6 Stieglitz, Charlotte 57
Scholl, Johann Eberhard Heinrich 6 Stieglitz, Heinrich Wilhelm August 46, 57
Schopenhauer, Artur 50 Stilpo 186
Schrag, Johann Leonhard 34 Stirner, Max (Johann Caspar Schmidt) 534
Schröckh, Johann Matthias 1 Stockmayer, Amandus d. Ä. 83
Schubarth, Karl Ernst 303 f., 510, 520 Stolde (Hofmeister) 74
Schubert, Gotthilf Heinrich 32–34, 170 Storr, Gottlob Christian 5, 68
Schuckmann, Kaspar Friedrich v. 36 f. Strauß, David Friedrich 47, 57, 66, 302, 452, 508 f.,
Schultz, Carl Heinrich 344 513, 515–521, 524, 533
Schultz, Christoph Ludwig Friedrich 47, 56, 69, 285, Suabedissen, David Theodor August 404
303 Sulzer, Johann Georg 2
Schulze, Gottlob Ernst 110, 126, 132–136, 179, Süsskind, Johann Gottlob 14, 68
349 Süsskind, Friedrich Gottlieb 68
Schulze (d. i. Schultz), Johann 68 f. Suthmeyer, Hermann 24
Schulze, Johannes 47, 180 Swedenborg, Emanuel v. 68
Schütz, Christian Gottfried 128, 164, 188
Schwarz, Friedrich Heinrich Christian 281 Tasso, Torquato 22
Schwarzott, Thomas 21, 106 Taylor, Thomas 283
Schwindrazheim (Magister) 9 Tell, Wilhelm 74
Seebeck, Thomas Johann 24 f., 27, 41, 43 Tennemann, Wilhelm Gottlieb 282, 478 f., 484,
Seigneux, François 81 488
Seneca, Lucius Annaeus 83, 491 Thaden, Nikolaus v. 257, 273, 277, 283
Sengler, Jakob 512, 514, 522, 532 Thales 488
Sextus Empiricus 16, 133, 135 f., 186 Thibaut, Anton Friedrich Justus 38, 40, 49, 289, 367,
Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper, Earl of 86 441
Shakespeare, William 1, 52–54, 85, 116, 436, 445 Tholuck, Friedrich August Gotttreu 54, 262, 272, 300,
Simon, der Pharisäer 87 473, 505, 513
Sinclair, Isaak v. 16 f., 24, 27, 36, 84 Thomas (Hofmeister) 13, 74
Sinner, Friedrich v. 9 Thomas von Aquin 492
Smith, Adam 163, 379, 388 Thukydides 407
Sokrates 64, 70, 195, 256, 409, 484, 487–489 Tieck, Christian Friedrich 439
Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 21 f., 36, 43, 45 f., 57, Tieck, Ludwig 43, 46, 52 f., 293 f.
293–295, 298, 304–306, 308, 385 Tiedemann, Dietrich 282, 478, 484
Sömmering, Samuel Thomas 285 Titius, Johann Daniel 108
Sonnenschein, Johann Valentin 11, 15 Tizian (Tiziano Vecelli) 53
Sontag, Henriette Gertrude Walpurgis 51 f. Trendelenburg, Adolf 532
Sophokles 189 f., 294, 445 Trommsdorf, Johann Bartholomäus 161
Spinoza, Baruch (Benedict) de 2, 13, 22, 99, 106, 111, Troxler, Ignaz Paul Vitalis 21 f., 41, 150–152, 293,
119, 121, 128, 140, 146, 159, 166 f., 182, 218, 230, 327
235 f., 241, 247, 249, 255 f., 262, 283, 299, 356, 480, Tucher von Simmelsdorf, Sophie Marie Friederike
493–495, 499, 502, 505 (Fritz) v. 39
Spontini, Gasparo Luigi Pacifico 52 Tucher von Simmelsdorf, Susanna Maria v. 42
5. Personenregister 583

Uexküll, Boris v. 38, 42 Wette, Wilhelm Martin Leberecht de 36, 43, 280, 295
Uhland, Ludwig Joseph 5 Wichmann, Ludwig Wilhelm 51
Ulpianus Domitius 416 Wieland, Christoph Martin 2
Ulrici, Hermann 524, 527 Wiener, Gustav Adolf 297 f.
Wilhelm IV., König von Großbritannien 314, 318
Vanini, Lucilius Caesar 335 Wilken, Friedrich 38, 293
Varnhagen von Ense, Karl August 39, 45, 47, 49–51, Wilkins, Charles 291 f.
54 f., 289 f., 294, 298, 305, 393 Winckelmann, Johann Joachim 420, 439
Varnhagen, Rahel 47, 298 Windischmann, Karl Joseph Hieronymus 14, 29, 52,
Vatke, Wilhelm 518 54, 177, 302, 307, 309
Vergil (Publius Vergilius Maro) 82, 443, 496 Winter, Christian Friedrich 273
Vischer, Friedrich Theodor 505 Winterl, Jakob Joseph 161
Vogt, Nicolaus 16 Wirth, Johann Georg August 31
Voigt, Johann Heinrich 20 f. 40, 107 Wolff, Christian 1, 460, 493
Volta, Alessandro 161 Wolzogen, Karoline v. 14
Voltaire (François Marie Arouet) 53, 402, 413 Wünsch, Christian Ernst 2
Voß, Heinrich 39 f.
Voß, Johann Heinrich 24, 430 Xeller, Christian 41, 57

Walter, Ferdinand 40 Young, Thomas 360


Wangenheim, Karl August v. 38, 257–259
Weber, Carl Maria v. 52 Zachariae, Carl Salomo (Z. C.)? 277 f.
Wegscheider, Ludwig 54, 506 Zeender, Emanuel Jacob 133
Weiße, Christian Hermann 42, 130, 305, 503, 505, Zeller, Eduard 5, 59, 505, 528
507 f., 511–514, 532, 535 Zellmann, Christian Gotthilf 24
Wekhrlin, Wilhelm Ludwig 4 Zelter, Karl Friedrich 52, 55, 57, 305, 311
Welcker, Karl Theodor 39, 290 Zeno von Elea 342
Werder, Karl 504 Zentner, Georg Friedrich v. 27
Werneburg, Johann Christian Friedrich 126–128 Zimmermann, Johann Georg 2
Wesselhöft, Robert 44 Zoroaster 484
Wesselhöft, Betty 26, 40 Zwilling, Jacob 16

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