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E N T W ICK LU N G N E O LIT H IS CH E R S IE D LU N G S S T R U K T U R E N
v. Chr.
cal BC
3500
BEFESTIGTE
EINZELHÖFE,
ORGANISIERTE
ORGANISIERTE WEILER UND
SIEDLUNGEN
DÖRFER KREISGRÄBEN
4000
ar-Czőszhalom
Polgar-Czőszhalom DÖRFER MIT
ZENTRALBAU
4500 400 m
DÖRFER
FER MIT Petrivente
HÖFEN
N
5000
UPPENSIEDLUNGEN
U
UP
5500
6000
EINZELHÖFE UND
20 m
GRUPPENSIEDLUNGEN
Generationen: Vielfalt und regionale Differenzierung Pioniersiedlungen in neuen Gebieten errichteten. Die
nimmt zu, was wahrscheinlich Abgrenzungsprozesse jeweiligen Gruppen tragen einen Teil der Traditionen
innerhalb der Gesellschaft widerspiegelt. Soziale und Erinnerungen mit sich. Aus ethnografischen
Spannungen (»social tension«) dürften insbesondere Beispielen wissen wir, dass der Umgang mit den kul-
jüngere Mitglieder der Gemeinschaften dazu veran- turellen Wurzeln für Männer und Frauen sehr unter-
lasst haben, »neue Ufer« aufzusuchen oder mit be- schiedlich sein kann und auch die Verbreitungsme-
Neolithische Feinkeramik in nachbarten Wildbeutern in Kontakt zu treten. chanismen des »Neuen« von Männern und Frauen
Südosteuropa war äußerst Der Übergang zum Neolithikum in Südosteuropa ganz anders gehandhabt werden.
qualitätvoll. Im Bild sind ein war vielfältig: von der Akkulturation einheimischer Ab ca. 6100 v.Chr. werden einzelne Kernregionen
Becher aus dem thrakischen
Sammler- und Jägergruppen über regionale Mobili- mit hohem ackerbaulichem Potenzial in weiten Teilen
Frühneolithikum und der
Theiss-Kultur zu sehen. tät »bäuerlicher« Individuen bis hin zu Familien, die der Balkanhalbinsel neolithisiert, und zwar entstehen
18 | Frühe Bauern und Tellsiedlungen in Südosteuropa – Netzwerke, Bevölkerungsdichten und Siedlungssysteme
fischartig skulptierte Stelen vor den jeweiligen Hüt- Wandel hingegen eher von einem Bevölkerungsrück-
ten eine besondere künstlerische Ausdrucksform er- gang auszugehen. Während wir also im südlichen
kennen. Die Lepenski-Vir-Kultur war und ist eine Mitteleuropa nach 4500 v. Chr. einen weiteren Ent-
Überraschung für die Archäologie, und sie zeigt, dass wicklungsschub beobachten, sehen wir in Südosteu-
eine wildbeuterische Lebensweise durchaus zu einer ropa eine umgekehrte Tendenz. Spiegeln sich hier un-
sesshaften, weitreichend organisierten Gesellschaft terschiedliche demografische Prozesse wider?
führen kann, die ab 6000 v.Chr. allerdings neolithi-
schen Einflüssen unterliegt: Hockerbestattungen wer-
den häufiger, frühneolithische Starčevo-Keramik be- Bevölkerungsentwicklung
ginnt zu dominieren, und spätestens nach zwei
Jahrhunderten lässt sich der Übergang zu einer agra- Entscheidend für die kulturelle Dynamik von Gesell-
rischen Produktionsweise feststellen. schaften ist neben der Wirtschaftsweise v.a. auch de-
ren Populationsdynamik. Lange Zeit war es äußerst
spekulativ, die absolute Größe der handelnden Grup-
Tellsiedlungen als neue Lebensweise pen und der realen Bevölkerungsdichte zu rekon-
struieren. Doch in den letzten Jahren haben sich mit
Während sich also ab ca. 6100 v.Chr. in verschiede- dem methodischen Fortschritt in der Archäologie
nen Kernregionen Südosteuropas die neolithische Le- neue Möglichkeiten ergeben, die Bevölkerungsgrö-
bensweise etabliert hat und die Akkulturation be- ßen von Siedlungen, Kleinregionen und ganzen
nachbarter Wildbeuter beginnt, ist ab 5700 v. Chr. Landschaften mit höherer Verlässlichkeit abzuschät-
eine verstärkte Neolithisierung des Inlandes zu beob- zen. Dazu gehört etwa die Hochrechnung ausgehend
achten. So erfolgt z.B. eine intensivere Besiedlung des von gleichzeitig existierenden Wohnbefunden oder
Bosnischen Berglandes oder die Neuanlage von Sied- die Kalkulation von Sterbewahrscheinlichkeiten an-
lungen in Transdanubien. Zu einer Zeit, als sich in hand der Bestattungen. Aber auch induktive Metho-
Mitteleuropa ab ca. 5500 v.Chr. die Linearbandkera- den wie die Tragfähigkeitsberechnung erlauben im
mik voll entfaltet, kommt es im südlichen Balkan zu Zusammenspiel mit völkerkundlichen Analogien, auf
neuen Prozessen: Die Kupfertechnologie entwickelt Populationsdichten zurückzuschließen.
sich, und mit der Vinca-Kultur entstehen neue sozia- In einer neuen vergleichenden Studie konnten
le Verhältnisse (vgl. S. 48). Grundsätzlich beobachten Modelle für die Bevölkerungszunahme im Nahen Os-
wir zu dieser Zeit weiträumige Keramikstilgruppen ten, in Südosteuropa und in Mitteleuropa ermittelt
(z. B. Vinča, Kakanj), die im Nordwesten auch den werden. Nach diesen Berechnungen erhöhte sich im
Übergang zur Linearbandkeramik einleiten. Nahen Osten zwischen 6500 und 2000 v.Chr. die ab-
In den von der neuen Kupfertechnologie gepräg- solute Bevölkerungsgröße von einer Million (0,5 Per-
ten Gebieten Südosteuropas markieren Tellsiedlun- sonen/km2) auf 14 Millionen Einwohner (6 Perso-
gen nun die neue Lebensweise, die auf die mitteleu- nen/km2). Schübe lassen sich jeweils bei technischen
ropäische Entwicklung vermutlich größeren Einfluss und sozialen Innovationen, wie z.B. der Einführung
hatte. So zeigt sich in den bulgarischen Siedlungshü- des Bewässerungsfeldbaus oder der Urbanisierung,
geln von Karanovo oder Poljanica eine Organisation erkennen. Dabei konzentrieren sich die Menschen
mit rechtwinklig geplanten Raumkonzepten, beste- immer stärker in eng besiedelten Kernzonen.
hend aus Quartieren, Häusern und Befestigungsan- Ein ganz anderes Bild ergibt sich für Mitteleuropa
lagen. Auch in Vinca selbst und im südlichen Karpa- und Südskandinavien. In den Lösszonen geht mit der
tenbecken lässt sich eine ausgeprägte Siedlungs- Neolithisierung ein steiler Bevölkerungsanstieg ein-
organisation erkennen. Doch ab ca. 4500 v.Chr. ist ein her, der mit einer Konzentration der Menschen in
Zusammenbrechen dieser Tellsiedlungen in weiten Kernzonen verbunden ist. Mit der »bandkeramischen
Teilen des Balkans zu bemerken, und es setzt sich wie- Krise« ist ein Bevölkerungsrückgang in diesen Kern-
der eine dispersere Siedlungsweise durch. Als Ursa- zonen zu beobachten, und erst ab 4500 v. Chr. und
che können u.a. soziale Spannungen in den sich un- nach 3800 v.Chr. lässt sich ein erneutes starkes und
gleich entwickelnden Gemeinschaften angeführt kontinuierliches Wachstum feststellen. Diese Bevöl-
werden. Im Karpatenraum ist die neu entstehende, kerungsdynamik steht in Verbindung mit sekundä-
disperse Siedlungsweise mit der Einführung der Kup- ren Landnahmeprozessen und neuen Neolithisie-
fertechnologie und der Anlage neuer Gräberfelder rungsschüben, die zum Ende des 5. Jt. v. Chr. den
(Bodrogkeresztur/ Tiszapolgar) verbunden. In den Norden Mitteleuropas erreichen.
ehemaligen Zentren der kupferzeitlichen Entwicklung In Südosteuropa verläuft die Entwicklung wieder-
(z.B. Bulgarien, Serbien) ist mit dem beschriebenen um anders: Auch hier ist der Beginn der Neolithisie-
20 | Frühe Bauern und Tellsiedlungen in Südosteuropa – Netzwerke, Bevölkerungsdichten und Siedlungssysteme
Relative Bevölkerungsdichte
13 Europa Bevölkerungsentwicklung Europa/ Naher Osten
insgesamt agrarisch Europa
12 6 Mitteleuropa/Südskandinavien
Südosteuropa
11 Naher Osten
5
10
7
9
Millionen Einwohner
8 6 4
p/km2
6 5 3
4 3
5
Mitteleuropa/
4 Südskandinavien 2 2
3
6 5
1 1
2 4
1 Südosteuropa 1
3 1 0
0
1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 v. Chr. 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000
v. Chr.
0 50 100m
1 0 50 100m
2 0 50 100m
3
Okolište entwickelte sich von
einer offensichtlich planmäßig
befestigten Großsiedlung
406,0 SW NO
(7,5 ha, 3000 Einwohner) um
3
Höhe ü. NN (m)
Balkan und Anatolien salien Siedlungen, die um 4900 v. Chr. eine starke
Innengliederung aufweisen: Mit Mauern und Durch-
Der Bezug zwischen balkanischem und anatolischem gängen werden Räume geschaffen, die eine klare Se-
Neolithikum ist ein lang diskutiertes Thema der For- parierung in unterschiedliche Bereiche markieren.
schung. Vor allem südosteuropäische Archäologen Ein Beispiel für eine solche Siedlung ist Dimini, das
sehen enge Beziehungen und sprechen von einem zwar nur ca. 1,5 ha groß ist, aber als Verarbeitungsort
»balkanisch-anatolischen Kulturkreis« des Neolithi- der Spondylus-Muscheln eine wichtige Rolle bei der
kums. Die zuvor erläuterten Kalkulationen zu den Be- Produktion und Distribution seltener Güter spielt.
völkerungsdichten scheinen zu bestätigen, dass die Dichte Siedlungen finden wir z.B. auch in Bulgarien,
Verhältnisse zwischen Anatolien und Südosteuropa wo die Strukturen sogar eine regelrechte Planung na-
sehr ähnlich sind, und auch in der materiellen Kultur he legen und die regelmäßigen Bestattungsplätze au-
und Architektur gibt es erhebliche Gemeinsamkeiten. ßerhalb der Ortschaften eine Inbesitznahme des Ge-
Neben technologischen Übereinstimmungen, wie ländes andeuten.
z.B. Benutzung von Löffeln, Anbau gleicher Getrei- In Bosnien existiert zu dieser Zeit mit Okolište ei-
desorten oder aber auch Nutzung gleicher Haustier- ne sehr große Siedlung (vgl. S. 22), die sich deutlich
arten sowie ähnlicher Bauweise der Häuser, lassen von denen in Mittelserbien unterscheidet: Hier findet
sich zugleich auch kulturelle Kongruenzen feststellen. sich eine giebelparallele Reihenhausbauweise eng ge-
Dazu gehören v. a. die häufig genutzten weiblichen stellter, kleiner Rechteckbauten, die im Gegensatz zu
Tonfiguren, gleiche Verzierungsmuster (»Phantastic Ortschaften mit größeren Gebäuden und Anbauten
Style«), identische Kleidungs- und Schmuckelemen- steht (z.B. in Divostin). Diese beiden unterschiedli-
te wie z. B. Gürtelschnallen aus Knochen oder Oh- chen Bau- und Flächenprinzipien bäuerlicher Sied-
renknöpfe, und auch im Hinblick auf die Hockerbe- lungen verdeutlichen eine Entwicklung, die im Laufe
stattungen innerhalb der Siedlungen bestehen des 5. Jt. v.Chr. zu einer Vergrößerung der Häuser mit
Gemeinsamkeiten. Somit deutet vieles darauf hin, zunehmendem Abstand dazwischen führt. Wie lässt
dass sehr enge Netzwerke zwischen den genannten sich diese Tendenz erklären?
Regionen existierten, die im Laufe der Zeit mit zu- Ein plausibles Modell geht davon aus, dass die eng
nehmender Regionalisierung an Bedeutung verloren. bebauten Siedlungen mit kleinen Einzelhäusern auf
eine Vererbungsregel durch »Erbteilung« zurückge-
hen. Aus mittelalterlichen und neuzeitlichen Beispie-
Häuser und Vererbung len wissen wir, dass Erbteilungen zu einer dichteren
und zugleich ärmeren Bevölkerung führen können.
Differenzen zwischen den
größten Siedlungen des Neo- Im Rahmen solcher Regionalisierungen erkennen wir Große Gebäude mit Anbauten, die in gewissem Ab-
lithikums in den verschiede- erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen bal- stand zueinander stehen, lassen sich hingegen als Hö-
nen Regionen Süd- und Mit- kanischen Gebieten. So entwickeln sich etwa in Thes- fe auffassen und sind wohl als eine Art »Anerbe«
teleuropas.
(Vererbung des Hofs an einen einzigen Erben) wei-
tergegeben worden. Hier ist mit einer weniger dichten
Besiedlung bei grundsätzlich reicherer Grundbevöl-
kerung zu rechnen. Zugleich müssen allerdings nicht
erbberechtigte Personen woanders »unterkommen«.
Neben einer zunehmenden sozialen Ungleichheit
innerhalb der spätneolithischen und frühkupferzeit-
lichen Gesellschaften Südosteuropas könnte der
erhebliche Bevölkerungsrückgang mit den hier skiz-
zierten Prozessen verbunden sein, da die lange dis-
kutierten klimatischen Bedingungen als Ursache für
diese Entwicklungen ausgeschlossen werden können.
Im spätneolithischen Bosnien
Okolište: eine Großsiedlung des bosnischen wie hier in Okolište ist eine
Spezialisierung unterschiedli-
Spätneolithikums cher Haushalte auf verschie-
dene Aktivitäten und auch ei-
ne Überproduktion z. B. im Be-
700 m 750 m 800 m 850 m 900 m 950 m 1000 m 1050 m
reich der Getreideverarbei-
tung erkennbar. Reichere
Haushalte enstehen. Mögli-
-20 nT 20 5 cherweise führten soziale Un-
1100 m
1100 m
gleichheiten zu Konflikten,
die das Siedlungssystem ver-
6 2 änderten.
1050 m
1050 m
4
10
1
1000 m
1000 m
3
7
950 m
950 m
900 m
900 m
Die Siedlung Okolište bestand
von 5200 bis 4600 v. Chr. und
850 m
850 m
zählte bis zu 3000 Einwohner.
8
9 Geomagnetik und Ausgra-
bungsergebnisse lassen eine
geplante Anlage aus kleine-
ren Häusern (5 m x 12 m) er-
800 m
800 m
S
Jagd nicht nur für thrakische Siedlungskammern aus der glei-
A chen Zeit, sondern auch aus völkerkundlichen Vergleichs-
F ell
beispielen.
Geräteproduktion Jagd
In Okolište lässt sich eine Spezialisierung einzelner
W eben
Holz Haushalte feststellen. Offensichtlich haben bestimmte Per-
sonen andere mit Getreide beliefert. Die internen Konflik-
Ritus te führten immer wieder zu Bränden und wechselnden
Geräteproduktion Siedlungsgrößen. Dabei veränderten sich die Bebauungs-
F
Holz dichte und die Anzahl gleichzeitiger Häuser.
Getreide
Jagd
D
Vermehrte Brandhorizonte ab 4900 v. Chr.
Geräteproduktion
im bosnischen Okolište verdeutlichen die
Zunahme sozialer Konflikte, was mit einer
Unterproduktion Überproduktion Veränderung des Siedlungsmusters ein-
Getreide hergeht.
²)
(m
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e
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47
4700
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3 8 38 30°
100-120
46
7 28* ?
12 4850
6 55 40
55 1
2 5 27* 38 550-750 37°
5,6 1
4 ? 1mK
5000
1
3 36* ?
1
1 2 3 50°
7,0 36* ? 500-650
3
1 17* 16 ?
5200
* unsicherer Wert mK menschliche Knochen
24 | Frühe Bauern und Tellsiedlungen in Südosteuropa – Netzwerke, Bevölkerungsdichten und Siedlungssysteme
den »Rhythmen« der südosteuropäischen Entwick- vationen der Bandkeramik wie z.B. Langhäuser und
lung ab. Die existierenden Netzwerke werden schlag- Gräberfelder außerhalb der Siedlungen keine »Vor-
lichtartig an der weiträumigen Verteilung wertvoller bilder« in Südosteuropa haben und die östlichen Ele-
Gegenstände erkennbar. Hier sei an die Spondylus- mente wahrscheinlich von einer Mischung verschie-
Muscheln aus bandkeramischen Zusammenhängen dener Gruppen übernommen worden sind. Die hohe
oder die kupferzeitlichen Schwergeräte erinnert. Über genetische Variabilität der Population bei einer er-
paläogenetische Analysen (aDNA) wissen wir, dass staunlichen kulturellen Einheitlichkeit lässt das große
die frühen mitteleuropäischen Rinder und Schweine linearbandkeramische Gebiet eher als einen »melting
anatolischen Rassen entsprechen, diese daher als do- pot« erscheinen. Nach der »bandkeramischen« Krise
mestizierte Tiere über Südosteuropa nach Mitteleu- sind es dann im 5. Jt. v.Chr. andere Elemente wie die
ropa eingeführt wurden. Trotz dieser weit reichenden kleineren Häuser, die möglicherweise auf Anregung
Verbindungen bleibt herauszustellen, dass die Inno- aus dem südosteuropäischen übernommen werden.