Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Die
DieAnfänge
Anfänge
AnfängeBayerns
Bayerns
Bayerns
Hg.: Hubert
lieferung
lieferung
lieferung ininVerbindung
inVerbindung
Verbindung mit
mit
mit
frühmittelalterlichen
zur frühmittelalterlichen
Hrsg.:
neu
neu
neu
gewonnenen
gewonnenen
gewonnenen methodischen
methodischen
methodischen
Einsichten
Einsichten
Einsichten
brachte
brachte
brachtemanch
manch
manchältere
ältere
ältere
‚Gewissheit‘
‚Gewissheit‘
‚Gewissheit‘ins
ins
ins
Wanken,
Wanken,
Wanken,zeigte
zeigte
zeigte
aber
aber
aber
Noricum zur
auch
auch
auch
neue,
neue,
neue,zum
zum
zumTeil
Teil
Teil
überraschende
überraschende
überraschende
Perspektiven
Perspektiven
Perspektiven auf.
auf.
auf.
und Noricum
Bayerns
Von Raetien undBayerns
Anfänge Bayerns
Die
Die
Die
Beiträge
Beiträge
Beiträge des
des
des
vorliegenden
vorliegenden
vorliegenden
Bandes
Bandes
Bandes
bilanzieren
bilanzieren
bilanzieren den
den
den
aktuellen
aktuellen
aktuellen
Forschungsstand.
Forschungsstand.
Forschungsstand. Dabei
Dabei
Dabeiwerden
werden
werden
nicht
nicht
nicht
nur
nur
nur
zahlreiche
zahlreiche
zahlreicheneue
neue
neue
Denk-
Denk-
Denk-
ansätze
ansätze
ansätze
präsentiert,
präsentiert,
präsentiert, sondern
sondern
sondernauch
auch
auch
Raetien und
verschiedene,
verschiedene,
verschiedene, konkurrierende
konkurrierende
konkurrierende und
und
und
Anfänge
Die Anfänge
zum
zum
zum
Teil
Teil
Teil
sich
sich
sich
sogar
sogar
sogar
widersprechende
widersprechende
widersprechende
Standpunkte
Standpunkte
Standpunkte vertreten.
vertreten.
vertreten. Von Raetien
herausgegeben
herausgegeben
herausgegeben von
von
von
Hrsg.:
Die
Die
Von
ISBN
ISBNISBN
3830675488
ISBN
3830675488
3830675488
3830675488
Hubert
Hubert
Hubert
Fehr
Fehr
Fehrund
Hubert und
und
Fehr
9 7 78
9 9 97 8 783
3 838
8 383
3 830
0 30 06
6 67
7 675
5 754
4 548
8 488
8 88 8
Irmtraut
Irmtraut
IrmtrautHeitmeier
Heitmeier
Heitmeier
benediktbeuern_umschlag_02_07_201
benediktbeuern_umschlag_02_07_201
benediktbeuern_umschlag_02_07_201
1 1 1 02.07.2012
02.07.2012
02.07.2012
12:32:54
12:32:54
12:32:54
Die Anfänge Bayerns
Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria
Band 1
herausgegeben von
Hubert Fehr
Irmtraut Heitmeier
Für den reibungslosen Ablauf des Kolloquiums und die angenehme Tagungsatmosphäre
sei den Mitarbeitern des „Zentrums für Umwelt und Kultur“
im Maierhof des Klosters Benediktbeuern besonders gedankt.
Für vielfältige Unterstützung gilt unser Dank zudem den Kollegen der Archäologischen
Staatssammlung München und den Mitarbeitern des Instituts für Bayerische Geschichte.
Abbildungen:
Für die Abbildungen gilt der Nachweis der Bildunterschriften.
Zusätzlich: Umschlag Handschrift: ASP, Hs. A 5, fol. 3v (Erzabtei St. Peter Salzburg);
Vorsatzkarte: Bearbeitung der Karte „Die spätrömischen Provinzen Raetia Secunda, Noricum Ripense
und Noricum Mediterraneum im 5. Jh. n. Chr.“ von Arno Rettner u. Bernd Steidl, in: Ludwig Wamser
(Hg.), Karfunkelstein und Seide, 2010, 47; Nachsatzkarte: Bearbeitung der Karte „Das Bairische
Stammesherzogtum 788“ in: Hermann Dannheimer – Heinz Dopsch (Hg.), Die Bajuwaren, 1988, 163.
1. Auflage 2012
Deutsche Erstausgabe
ISBN 978-3-8306-7548-8
5 Vorwort
10 Abkürzungsverzeichnis
21 Michaela Konrad
Ungleiche Nachbarn. Die Provinzen Raetien und Noricum
in der römischen Kaiserzeit
73 Roland Steinacher
Zur Identitätsbildung frühmittelalterlicher Gemeinschaften.
Überblick über den historischen Forschungsstand
663 Autorenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Adj. Adjektiv
ahd. althochdeutsch
ANRW Aufstieg und Niedergang des Römischen Weltreichs
BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv
Bearb. Bearbeiter
Bez. Bezirk
BHL Bibliotheca Hagiographica Latina
BLfD Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
BSB Bayerische Staatsbibliothek
CAH2 The Cambridge Ancient History, 2. Aufl.
CIL Corpus Inscriptionum Latinum
CSIR Corpus Signorum Imperii Romani
dt. deutsch
ed. ediert/herausgegeben
F. Femininum
fol. folio
FSGA Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen
zur deutschen Geschichte des Mittelalters
Gde. Gemeinde
germ. germanisch
GewN Gewässername
griech. griechisch
Hg. Herausgeber/-in, herausgegeben
HONB Historisches Ortsnamenbuch von Bayern
Hzg. Herzog
idg. indogermanisch
Jh. Jahrhundert
Kop. Kopie
Kr. Kreis
lat. lateinisch
Ldkr./Lkr. Landkreis
M. Maskulinum
MGH Monumenta Germaniae Historica
MGH AA Monumenta Germaniae Historica, Auctores antiquissimi
MGH Capit. Monumenta Germaniae Historica, Capitularia
MGH Conc. Monumenta Germaniae Historica, Concilia
MGH DD Monumenta Germaniae Historica, Diplomata
MGH Epp. Monumenta Germaniae Historica, Epistolae
MGH LL Monumenta Germaniae Historica, Leges
MGH SS Monumenta Germaniae Historica, Scriptores
mhd. mittelhochdeutsch
N Norden
Ndr. Nachdruck
NF Neue Folge
O Osten
OK Oberkante eines Befundes (in m und NN)
ON Ortsname
Or. Original
pdF plastisch dekorierte Feinkeramik
PN Personenname
Prov. Provinz
QuE Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte
r. regiert
RAC Reallexikon für Antike und Christentum
Red. Redaktion
RGA2 Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Aufl.
S Süden
sc. (scilicet) d. h. (das heißt)
SEG Supplementum Epigraphicum Graecum
SN Siedlungsname
St. Stadt
SUB Salzburger Urkundenbuch
Tr. Traditionen
vlat. vulgärlateinisch
W Westen
Einleitung
Das Altbairische ist eindeutig eine westgermanische Sprache, mit klaren Be-
zügen zum Alemannischen und Thüringischen, aber auch mit interessanten
ostgermanischen Einflüssen, besonders auf lexikalischer Ebene, wie z. B.
in den Wörtern Ergetag „Dienstag“ (von gotisch *arjausdags, „Tag des Ari-
us“), Pfinztag „Donnerstag“ (von gotisch *pinta-dags, „der fünfte Tag“), Maut
„Zoll“ (von gotisch Mota), Dult „Volksfest“, Pfoad „Hemd“, etc.1.
1 Der vorliegende Aufsatz wurde für diesen Band aus dem englischen Originalmanuskript
des Autors ins Deutsche übersetzt. In ihn flossen die Ergebnisse zweier Forschungsprojekte ein,
die öffentlich gefördert wurden: 1) Pro Archaelogia Saxoniae 253: Prunk, Luxus und Sparsamkeit
in der Grabausstattung der Völkerwanderungszeit am Beispiel der Nekropole Prag-Zličín, und 2)
Czech Science Foundation P405/11/2511: Interregional contacts of Bohemia in the Migration Pe-
riod. Evidence of precious metal jewellery and luxury glass vessels. — Zu den sprachwissenschaft-
lichen Überlegungen siehe beck, Bajuwaren, 601–606. Diese Beobachtungen zu den Beziehungen
zwischen dem Altbairischen und dem Gotischen gehen auf Friedrich Kluge zurück. Dieser publi-
zierte 1910 eine Studie über eine Anzahl frühchristlicher Begriffe sowie Namen von Wochentagen,
von denen er annahm, dass sie über gotische Vermittlung letztlich aus dem Griechischen entlehnt
Die Forschung, die sich mit der ältesten Geschichte Baierns beschäftigt,
hat in der Vergangenheit verschiedene Theorien vorgeschlagen, wie dieser
sprachwissenschaftliche Befund zu erklären sei. Man ging vielfach davon
aus, dass der Ursprung der Bevölkerung Baierns in Böhmen zu finden sei,
entsprechend einer vermuteten Verbindung zwischen den beiden Gebieten,
die aufgrund der Etymologie des Landes- bzw. Volksnamens vorausgesetzt
wurde.
Von besonderen Kontakten zwischen Baiern und Süd- bzw. Westböhmen
im späten 4. und 5. Jahrhundert – und zwar in Form der so genannten Frie-
denhain-Přešťovice-Gruppe – geht auch das derzeit bekannteste Modell zur
Ethnogenese der Baiovaren aus. Den letzten Überblick über den gegenwär-
tigen Forschungsstand hat Hubert Fehr vorgelegt2. In einigen neueren Arbei-
ten wird zudem die Bedeutung des Fortlebens der römischen Provinzialbe-
völkerung von der Spätantike zum Frühmittelalter betont3. Ich habe kürzlich
ein etwas abweichendes Modell zur Beziehung Baierns und Böhmens am
Ende der Spätantike vorgeschlagen4. Der wesentliche Unterschied zwischen
meinem und dem von Fehr skizzierten Modell betrifft die Ersterwähnung
der Baiovaren bei Jordanes5. Fehr nimmt die Entstehung einer Identität der
Baiovaren erst ab der Mitte des 6. Jahrhunderts an; Ausgangspunkt sei die
Reorganisation des Gebiets durch das Frankenreich gewesen sowie die Ent-
stehung des Dukats in Baiern. Die erste sicher datierte Erwähnung der Ba-
iovaren durch Jordanes wird dabei als nahezu gleichzeitig angesehen. In
meinem kürzlich veröffentlichten eigenen Modell6, das die Erwähnung der
Baiovaren bei Jordanes ebenfalls mit berücksichtig, wird dagegen die Tat-
sache betont, dass sich die Ersterwähnung auf eine ältere Begebenheit be-
zieht, und zwar auf Ereignisse in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts,
die mit der Flucht des Suebenkönigs Hunimunds in die Alamannia zusam-
menhängen7. Diese beiden auf den ersten Blick unterschiedlichen Ansätze
worden sind, zum Beispiel gr. κυριακόν („Gotteshaus“) im 4. Jhd. > got. *kyrikó > deutsch Kirche.
Kluge wies ebenfalls darauf hin, dass der oberdeutsche Sprachraum einschließlich Österreichs eine
wichtige Rolle bei der Ausbreitung dieser Lehnworte in das Althochdeutsche bereits im 5. Jahrhun-
dert gespielt habe: kluGe, Gotische Lehnworte, 158. In diesem Zusammenhang ist der Fund einer
Bleiplatte aus Grab 5 des Friedhofs von Hács-Béndekpuszta in Pannonien bemerkenswert. Diese
trug eine fragmentarische Inschrift der gotischen Übersetzung des Neuen Testaments. Das Grab da-
tiert in das Ende des 5. Jahrhunderts, d. h. in die Periode, in der die Goten den schriftlichen Quellen
zufolge von der Balkan-Halbinsel nach Italien zogen. harmatta, Fragments, 1–24. – Aus aktueller
sprachwissenschaftlicher Sicht vgl. dazu auch haubrichs, Baiern, Romanen und Andere, bes. 399.
2 Fehr, Am Anfang war das Volk?.
3 rettner, Baiuaria romana, 269–271.
4 Jiřík, Bohemian Barbarians 265–319.
5 Iordanes, Getica 280 f., ed. mommsen 130.
6 Jiřík, Bohemian Barbarians, 311–316.
7 Iordanes, Getica 116–123, ed. mommsen 35 f. Tatsächlich wäre dies nicht die einzige Stelle,
an der Jordanes so argumentiert. Zum Vergleich sei auf die Textstelle Iordanes, Getica 116–123,
ed. mommsen 114 f. verwiesen, die die Ereignisse im nordpontischen Raum nach der Ankunft der
Hunnen im späten 4. Jahrhundert schildert. Ähnlich arbeitete beispielsweise auch Paulus Diaco-
nus, Historia Langobardorum I, 19, ed. Georg Waitz 56 f., als er das Gebiet Noricums während des
späten 5. Jahrhunderts beschrieb.
8 Vgl. z. B. Quast, Hippo Regius, 237–315.
9 keller, Neuburg, 56 und 64; Taf. 2.5-6 und 6.2-3. – Für weitere Informationen zum Ausse-
hen und der Herstellungsweise der elbgermanischen Keramikgefäße während der späten Kaiserzeit
und der Völkerwanderungszeit siehe etwa heGeWisch, Plänitz.
10 GschWinD, Eining, 91–135.
Abb. 1: Beispiele elbgermanischer Flaschen der Klassen A-D und ihre Verbreitung, elbgermani-
sches Inventar des Grabs 10 von Neuburg an der Donau (nach keller, Neuburg, Abb. 3).
Abb. 2: Abusina-Eining: Auswahl der elbgermanischen Funde (nach gSchWinD, Eining Taf. 91–135).
cken erstreckt und im Gebiet nördlich des Harzes und des Thüringer Walds
besonders ausgeprägt ist11.
Die Funde von Fibeln, Halsringen und Keramik sind eindeutig geeignet,
den Ursprung mancher Siedlungen in der Alamannia noch im fortgeschritte-
nen 4. Jahrhundert anzusetzen. Entsprechend der allgemein vorausgesetzten
Herleitung von Teilen der materiellen Kultur von elbgermanischen Vorbil-
dern ist es nicht überraschend, dass etwa eine Fibel von der spätrömischen
Höhenstation auf dem Geißkopf ihre besten Parallelen in einem Grab in
Žizelice in Nordwestböhmen besitzt. Diese Befunde verdeutlichen die fort-
dauernden Kontakte zwischen den elbgermanischen Gebieten und der Ala-
mannia während der ganzen spätrömischen Epoche12.
Ein weiteres charakteristisches Merkmal, das im gesamten elbgerma-
nischen Raum seit der Periode C2–C3 auftritt, sind die Fibeln der Klasse
VI nach Almgren13. Für das Böhmische Becken stellte Eduard Droberjar die
letzte Kartierung zusammen14. Neufunde aus Siedlungen der Stufen C3 und
C3/D1 in Prag-Hloubětín und Prag-Dejvice, Podbaba, Grubenhaus 1, zeigen
die intensive Verbreitung dieses Fibeltyps auch im Böhmischen Becken – die
Konzentration in diesem Raum ist numerisch vergleichbar mit den Verbrei-
tungsschwerpunkten in Mittel- und Südwestdeutschland.
Um die Enddatierung dieser Fibelklasse zu ermitteln, sind die Silberfibel
des Typs A VI,2 175 aus Dienstedt mit sorgfältiger Verzierung und die we-
niger prunkvolle Fibel aus Körner derselben Serie wichtig. Beide Stücke sind
jeweils mit einer Fibel des Typs Wiesbaden aus dem Anfang des 5. Jahrhun-
dert vergesellschaftet15. Neben weiteren Indizien belegen diese Fibeln laut ih-
rem charakteristischen Auftreten an der Unterelbe, in Mitteldeutschland, im
Abb. 3: Stradonice – links: Ausdehnung des ehemaligen keltischen Oppidums (nach Natálie Ven-
cloVá [Hg.], Archeologie pravěkých Čech. Svazek 7 – doba laténská, 2008, Abb. 12:5); rechts: Aus-
wahl der spätrömischen Funde (nach píč, Starožitnosti země české II., Taf. 12:25, 17:3, 28:6).
16 brather, Römer und Germanen, 12 f., Abb. 3. – Siehe auch steuer, Theorien zur Herkunft,
316 f.
17 Jiřík, Vybrané sídlištní situace 543; schach-DörGes, Zusammengespülte und vermengte
Menschen, Abb. 65.
18 pochitonov, Nálezy, 155, Nr. 573 und No. 574.
Abb. 4: Stará Kouřim – links: Ausdehnung der Höhensiedlung des späteren Frühmittelalters
mit Markt, spätömischer Befund Nr. 43, 1-3) Funde aus dem Befund 43 (nach Šolle, Stará
Belege für diesen Typ als Importfund auch in Thüringen und dem mittleren
Maintal, während es in dem für Rom feindlichen Umfeld der Alamannia nur
spärliche Funde gibt19. Auch der Ursprung der seltenen Drehscheibenkera-
mik ist möglicherweise in den Kontakten zwischen dem Böhmischen Becken
und den Rheinprovinzen unter Vermittlung des Maintals zu suchen, oder, in
geringerem Ausmaß, möglicherweise auch des Böhmischen Beckens mit Mit-
teldeutschland. Auf Verbindungen des Maingebiets mit dem Böhmischen Be-
cken in der Stufe C3 deuten die Funde spätrömischer Terra Nigra-Ware in der
Siedlung von Nesuchyně bei Rakovník, dem Bestattungsplatz von Plotiště
nad Labem und jüngst auch sehr wahrscheinlich in Prag-Hloubětín20 hin.
In spätrömischer Zeit ist es ferner möglich, die Besiedlung von Höhen
nachzuweisen, wie die Altfunde aus dem ehemaligen keltischen Oppidum
von Stradonice21 (Abb. 3) und der (frühmittelalterlichen) Höhenbefestigung
Kouřim, Abb. 5 u. 7), 4) Römische Zwiebelknopffibel (nach Sakař, Spony, Abb. 2:4).
von Stará Kouřim, Bezirk Nymburk22, zeigen (Abb. 4). Funde spätrömischer
Münzen stammen ferner von der Höhensiedlung Libušák in Prag–Libeň23.
Einige Funde kamen zudem in Žatec, Bezirk Louny, zu Tage, aus einem Grab,
das eine Münze Gordians III. enthielt, sowie jüngst auch aus einem Gruben-
haus24 (Abb. 5). Die Struktur dieser Fundplätze ist jedoch aufgrund des ge-
ringen Kenntnisstandes noch unklar. Vielleicht besaßen sie einen ähnlichen
Charakter wie die Siedlungen in den westlich benachbarten Gebieten in der
Alamannia und dem Maingebiet – dafür könnten die vereinzelten spätrö-
mischen Importfunde von diesen Fundplätzen sprechen, wie die Armbrust-
fibeln und Zwiebelknopffibeln, die aus Stradonice, Stará Kouřim und viel-
leicht Žatec25 bekannt sind, sowie die oben erwähnten Münzen (Stradonice,
22 Šolle, Stará Kouřim, 56–58, Abb. S. 157; pochitonov, Nálezy, 164 Nr. 628; DroberJar, Mladší
doba římská Abb. 81:7.
23 pochitonov, Nálezy, 176, Nr. 694. – Vgl. auch DroberJar, Praha germánská, 831.
24 pochitonov, Nálezy, 146 Nr. 530; Jiřík, Vybrané sídlištní situace, 545.
25 sakař, Spony, 430 f.; Abb. 1; 2/1-6.
Abb. 5: Žatec – links: Der Fundort des halb eingetieften Grubenhauses, rechts: 1-5) Die Keramik,
6) Römische Zwiebelknopffibel (nach Jiřík, Vybrané sídlištní, Abb. 9-11 u. 23:9-14; Sakař, Spony,
Abb. 2:1).
Abb. 6: Keramikensemble der Stufe D1 in Zentralböhmen: Jenišův Újezd und Liběšovice (nach Jiřík,
Vybrané sídlištní, Abb. 17-22), Prag-Kbely (Zeichnung: Jaroslav Jiřík); Prag-Dejvice, sladovny
Podbaba (nach Jaroslav Jiřík – Milan kuchařík, Sídliště z konce doby římské, in Vorbereitung).
Abb. 7: 1) Verbreitung der spätrömischen Brand- und Körpergräber in Böhmen, 2) Kriegergrab aus
Beroun – Závodí (nach Eduard DroberJar, Encyklopedie římské a germánské archeologie v Čechách a
na Moravě, 2002, Abb. S. 17; Eduard DroberJar, Neue Erkenntnisse zu den Fürstgräbern der Gruppe
Hassleben-Leuna-Gommern in Böhmen, in: Přehled výzkumů 48 [2007] 93–103, Abb. 1).
Abb. 8: Interregionale Kontakte zwischen Böhmen und dem Untermaingebiet während der Stufen
D2, D2-D3 anhand der Keramikfunde: 1) Vinařice, 2) Plotiště nad Labem, 3) Vinařice, Kahl am
Main, 4) Pchery u Slaného, 5) Bad Homburg, 6) Kahl am Main, 7) Eschborn, 8) Kahl am Main
(nach SVoboDa, Čechy v době, Taf. 75:1, 24:15 und 25:5; Alena ryboVá, Plotiště nad Labem. Eine
Nekropole aus dem 2.-5. Jahrhundert u. Z., 1. Teil, in: Památky archeologické 70 [1979] 353–
489, Abb. 71:4; teichner, Kahl am Main, Taf. 56 u. 60:16 u. 56; SteiDl, Wetterau, Taf. 5:17; Her-
man ament, Das alamannische Gräberfeld von Eschborn [Main-Taunus-Kreis], 1992, Taf. 10:2).
– Kahl am Main, Grab 219, sowie Kahl am Main, „Lange Hecke“40; Vinařice –
Bad Homburg-Gonzenheim, Grab 941 (Abb. 8). Eine interregionale Verbreitung
zeigen besonders die Schüsseln mit Zackenkranz. Die Funde später Argonnen-
sigillata und afrikanischer Sigillata im Untermaingebiet und in Nordböhmen42
sowie Gefäße aus rheinischen Werkstätten verdeutlichen wohl den Handels-
weg, auf dem die Stücke aus dem Westen nach Böhmen gelangten. Besonders
interessant sind in diesem Zusammenhang die Gräber 217 und 218 von Kahl
am Main, im ersten Fall durch die Kombination einer Argonnensigillata mit
einem goldenen Anhänger des Typs Úherce, der sehr charakteristisch für die
böhmischen Fundplätze ist, und im zweiten Fall die Kombination einer Schale
mit Schrägkanneluren, afrikanischer Feinkeramik (African Red Slip Ware) und
einer Riemenzunge „ostgermanischer“ Herkunft43.
Im Zuge der Bearbeitung des Friedhofs von Gültlingen beobachtete Dieter
Quast ebenfalls überregionale Bezüge. Innerhalb des so genannten Childe-
rich-Horizontes – auch Horizont Flonheim-Gültlingen genannt – herrschen
generell Grabausstattungen mit östlich-donauländischen Merkmalen vor. Im
Gegensatz dazu dominieren seit dem Beginn des darauf folgenden so ge-
nannten Chlodwig-Horizontes Grabbeigaben mit westlich-fränkischen Bezü-
gen. Auf dem Bestattungsplatz Gültlingen/Buchen konnten ferner Einflüsse
aus dem Böhmischen Becken und Thüringen beobachtet werden: Keramik
mit Ovalfacetten, kosmetische Geräte mit einer Analogie aus dem Grab von
Měcholupy in Nordwestböhmen aus der Mitte des 5. Jahrhunderts, Fibeln
des Typs Heilbronn-Böckingen, gemeinsam mit Importstücken aus dem Mit-
telmeerraum, z. B. das Grab von 1901, das noch dem Horizont Apahida-
Tournai-Rüdern angehört – es enthielt unter anderem einen Helm des Typs
Baldenheim, eine Bergkristallschnalle byzantinischer Provenienz und eine
Goldgriffspatha44
40 svoboDa, Čechy v době, Taf. 75:1; teichner, Kahl am Main Abb. 13:4, Taf. 60:16.
41 svoboDa, Čechy v době, Taf. 24:15, 17; steiDl, Wetterau Taf. 5:17.
42 teichner, Kahl am Main, 90–92, Taf. 10:2, 21:23-27, 51:5-6, 56:13, 56:26, 63:12; steiDl,
Wetterrau, Taf. 5:16, 6:11, 51:15-16, 54:2, 55:4; motyková – DrDa – rybová, Imports, 56–63.
43 teichner, Kahl am Main, Taf. 56.
44 Quast, Gültlingen, 82–84, 100, 104.
Abb. 9: Verbreitung der Goldblechanhänger (nach teichner, Kahl am Main, Taf. 72); Verbreitung
der Vinařice-Funde außerhalb Böhmens (nach Horst W. böhme, Zur Bedeutung des spätrömischen
Militärdienstes für die Stammesbildung der Bajuwaren, in: Walter bachran – Hermann Dannhei-
mer, Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–788, 1988, 23–37, fig. 10).
47 svoboDa, Čechy v době, Taf. 42:2-3; teichner, Kahl am Main, 225 und Taf. 72; stuppner,
Amulette, 381 f.
48 Jansová, Hradiště, 135–176; motyková – DrDa – rybová, Závist, 182 mit Abb. 52.2.
Die Entwicklung Südböhmens hängt einerseits natürlich mit der bereits be-
handelten Situation im nördlichen Landesteil zusammen, darüber hinaus aber
auch mit kulturellen Veränderungen und historischen Ereignissen im mittleren
Donaugebiet, d. h. dem südlichen Mähren und der südwestlichen Slowakei.
Mit der Entwicklung des mittleren Donaugebiets in römischer Zeit hat
sich zuletzt Jaroslav Tejral auseinandergesetzt. Seine wichtigen Arbeiten
konzentrieren sich auf die drei wichtigen abschließenden Fundhorizonte,
die historischen Ereignissen entsprechen. Die Phase B2/B2–C1 entspricht
der Periode der Markomannenkriege, die Phase C1 verbindet er mit Wande-
49 svoboDa, Čechy v době, Taf. 27, 26:3, 5, 10-11, 13. – Frolík u. a., Sídliště vinařické.
50 DroberJar, Praha germánská, 833, 839, Abb. S. 792:1-2; Jiřík, Vybrané sídlištní situace, 545.
51 vávra u. a., Pohřebiště, 565–577; Jiřík – vávra, Druhá etapa, 241–254; vávra u. a.,Výzkum
pohřebiště, 209–230.
Tabelle 1: Chronologischer Vergleich der Funde in der Alamannia, Baiern und der Vinařice-Grup-
pe in Böhmen: 1-3) Prag-Zličín (Foto Martin Urbánek und Jaroslav Jiřík), 4-5) Prag-Kobylisy,
6-8) Vinařice (alle nach SVoboDa, Čechy v době, Taf. 27:2, 6, 24:1, 4, 7-8, 10), 9-10) Lužec nad
Vltavou (nach Rastislav korený – Olga kytlicoVá, Dvě pohřebiště z doby stehování národu v Lužci
nad Vltavou, okr. Melník, in: Archeologie ve stredních Cechách11 [2007] 387–444, Abb. 12 u.
7), 11) Kahl am Main (nach teichner, Kahl am Main, Taf. 45:1), 12) Stehelčeves (nach Bedřich
SVoboDa, Dva hroby z doby stěhování národů ve Stehelčevsi u Slaného, in: Památky archeologické
66 [1975] 133–151, Abb. 3:5-10), 13) Mochov (nach SVoboDa, Čechy v době, Taf. 70:10), 14)
Wenigumstadt (nach Jochen haberStroh, Zeiten des Umbruchs – die Völkerwanderungszeit, in: C.
Sebastian Sommer [Hg.], Archäologie in Bayern. Fenster zur Vergangenheit, 2006, 240–243, Abb.
32), 15) Böhmen (nach SVoboDa, Čechy v době, Taf. 19:8), 16) Pliening (nach coDreanu-WinDau-
er, Pliening, Taf. 19:2), 17) Eschborn (nach Herman ament, Das alamannische Gräberfeld von
Eschborn [Main-Taunus-Kreis], 1992, Taf. 4:2), 18) Horní Kšely (nach SVoboDa, Čechy v době,
Taf. 19:7), 19) Regensburg-Burgweinting (nach Silvia coDreanu-WinDauer – Ramona SchleuDer,
Die fünfte frühmittelalterliche Nekropole von Burgweinting, in: Das Archäologische Jahr in Bay-
ern 2008 [2009] 104 f., Abb. 150), 20) Niederflorstadt (nach Jaroslav teJral, Neue Aspekte der
frühvölkerwanderungszeitlichen Chronologie im Mitteldonauraum, in: Jaroslav teJral – Herwig
FrieSinger – Michel kazanSki [Hg.], Neue Beiträge zur Erforschung der Spätantike im mittleren
Donauraum, 1997, 321–392, Abb. 28:2), 21) Bräunlingen (nach: Alfried Wieczorek – Patrick
périn [Hg.], Das Gold der Barbarenfürsten, Schätze aus Prunkgräbern des 5. Jahrhunderts n. Chr.
zwischen Kaukasus und Gallien, 2001, 61, 170 f. u. Abb. 4.15.2.1), 22) München-Perlach (nach
Stephanie zintl, Das frühmerowingische Gräberfeld von München-Perlach, in: Bericht der Bayeri-
schen Bodendenkmalpflege 45/46 [2004/05] 281–370, Abb. 11:2.3), 23) Monsheim (nach teJral,
Neue Aspekte, Abb. 28:3) 24) Basel-Kleinhüningen (nach Ulrike gieSler-müller, Das frühmittelal-
terliche Gräberfeld von Basel-Kleinhüningen, 1992, Taf. 4:30.2), 25) Unterhaching (nach Ludwig
WamSer [Hg.], Karfunkelstein und Seide. Neue Schätze aus Bayerns Frühzeit, 2010, Abb. 34a).
Abb. 10: 1-5) Sedlec, Bez. České Budějovice, 6-9) Zliv, Bez. České Budějovice (nach Pavel břicháče
– Peter braun – Lubomír koŠnar, Sedlec, Abb. 3; zaVřel, Doba římská, Abb. 12-13).
10:1-5) und Zliv (Abb. 10:6-9), die beide im Bezirk České Budějovice liegen.
In beiden Siedlungen fand sich scheibengedrehte Keramik der so genannten
Jiříkovice-Tradition56 des so genannten Zlechov-D1-Horizonts, obwohl auch
andere scheibengedrehte Keramik der Stufe C3 mit Verbindungen zum mitt-
leren Donauraum vertreten ist57. Abgesehen von der ovalfacettierten Keramik
des so genannten Typs Friedenhain-Přešťovice zeigt sich im Fundspektrum der
Siedlung von Zliv jedoch nicht nur die scheibengedrehte Keramik, sondern
auch handaufgebaute Gebrauchskeramik, besonders Gefäße mit groben gezo-
genen Ecken, die mit tiefen Fingereindrücken oder Riefen verziert sind, und
die Funden aus den Siedlungen in der Südwestslowakei der Stufe C2–C3 ent-
sprechen: Bratislava-Trnávka, Zadné, Bratislava-Vajnory und Veľký Meder58.
Das publizierte Inventar des halb eingetieften Grubenhauses 16/17 in Sedlec
erbrachte ebenfalls ein scheibengedrehtes Vorratsgefäß mit einfachen horizon-
talen Wellenlinien. Dieses besitzt enge Parallelen in der Siedlung von Bratisla-
va-Dúbravka, Befund 126/92, und datiert wahrscheinlich ebenfalls in die Stufe
C359. Ein weiterer wichtiger Importfund aus dem mittleren Donauraum ist die
eingliedrige Fibel mit spitz auslaufendem Fuß, die ebenfalls aus dem Befund
16/17 in Sedlec stammt60, und deren Parallelen in die jüngste Phase, C3, der
Siedlung von Branč in der südwestlichen Slowakei datieren61 (Abb. 11).
Die Funde und Befunde verdeutlichen den Beginn des Einflusses aus dem
mittleren Donauraum in den Siedlungen von Sedlec und Zliv während der
spätrömischen Phase C3; in diesem Zusammenhang sollte man jedoch den
Abb. 11: Funde der spätrömischen Stufen C3 in der südwestlichen Slowakei: Bratislava–Dú-
bravka, Branč, Zadné, Veľký Meder (nach kolník – VarSik – VlaDár, Branč, Abb. 13; teJral, Ke
zvláštnostem, Abb. 16; elScheck, Siedlungslandschaft, Abb. 8:12).
Abb. 12: Pilsen–Radobyčice. Topographie mit Lokalisierung der Fundstelle und völkerwanderungs-
zeitliche Keramik mit Ovalfacetten (Zeichnung: Karel Vávra und Jaroslav Jiřík).
64 maličký, Předslovanská hradiště, 33 f.; svoboDa, Čechy v době, 64, 257; ŠalDová, Westböh-
men, 14.
65 Mehr zum Fundplatz bei břicháček, Nové nálezy.
Abb. 13: Keramikfunde des Typs Přešťovice-Friedenhain in Zentralböhmen: 1) Prag-Dolní Liboc II,
2) Prag-Dolní Liboc I (beide nach kuchařík u. a., Nové poznatky, Abb. 2:1, 5), 3) Prag-Zličín (Foto
Martin Urbánek), 4) Litovice (nach pleineroVá, Litovice, Abb. 10).
in den Gebieten westlich der Grenzen Böhmens, das Auftreten der Keramik
des Typs Friedenhain-Přešťovice innerhalb des Verbands der Vinařice-Guppe
Zentralböhmens (bemerkenswerterweise in einer nur geringen räumlichen
Distanz zum Eliten-Bestattungsplatz von Prag-Zličín) sowie das Fehlen von
Machtzentren in Süd- und Westböhmen sowie schließlich auch bei den so
genannten Friedenhain-Přešťovice-Fundplätzen in Bayern (das Kriegergrab
von Kemathen70 repräsentiert nicht den höchsten sozialen Rang).
Ähnlich wie in Bayern wird auch das Auftreten von Friedenhain-Přešťo-
vice-Keramik im Unteren Maintal mitunter durch eine Zuwanderung aus dem
elbgermanisch geprägten Milieu Böhmens erklärt. In Verbindung mit dem
Typ Friedenhain-Přešťovice sind die Funde der charakteristischen ovalfacet-
tierten Gefäße in den Gräbern von Odenheim, Edingen, Gültlingen und der
Siedlung von Nebringen bemerkenswert. Der Ansicht Dieter Quasts zufolge
handelte es sich lediglich um eine kleine Gruppe von Neuankömmlingen, da
keine Anzeichen für eine Entvölkerung des Böhmischen Beckens vorliegen,
was allerdings für den südlichen Teil Böhmens im Laufe des 5. Jahrhunderts
in Frage zu stellen wäre. Quast zufolge seien die Neuankömmlinge in den
Dienst der römischen Armee getreten und hätten sich anschließend auf ale-
mannischem Boden niedergelassen71.
Hubert Fehr weist zurecht auf die Verbreitung nahezu identischer Kera-
mikformen der Friedenhain-Přešťovice-Gruppe und der ovalfacettierten Pro-
duktion der Černjachov-Kultur in der Ukraine, Moldawien und Rumänien
hin, wie ich dies auch an anderer Stelle getan habe72. Es bestehen jedoch
signifikante Unterschiede bei der Herstellungstechnik. Die Stücke aus der
Černjachov-Kultur sind scheibengedreht, während die Keramik in Böhmen
und Baiern handgemacht ist. Die Stücke aus der Černjachov-Kultur datieren
in die zweite Hälfte des 4. Jahrhundert, die jüngsten Stücke mit dieser Ver-
zierung stammen vom Beginn des 5. Jahrhunderts73. Ein Hauptmerkmal der
Keramik in Südwestböhmen und in Baiern ist jedoch die Kombination fein-
keramischer Gefäße mit ovalen Facetten und Formen mit Schrägkanneluren
im Stil der elbgermanischen Keramikmorphologie74. Vor diesem Hintergrund
bleibt die Frage nach der Verbreitung und der Interpretation der so genann-
ten Keramik Friedenhain-Přešťovice, die zuletzt von Hubert Fehr aufgewor-
fen wurde – eine alternative Erklärung bietet noch immer die Ansicht Dieter
Quasts75. Die methodische Frage der Definition einer menschlichen Iden-
titätsgruppe (besonders ethnischer oder linguistischer Identitäten) anhand
Das Problem der Siedlungskontinuität während des späten 5. und des 6. Jahr-
hunderts ist von besonderer Bedeutung für die Frage der überregionalen Be-
ziehungen Böhmens. Im Westteil des Landes kennen wir lediglich den Fried-
hof von Pilsen-Doudlevce77, der in die Merowingerzeit datiert. Im südlichen
Böhmen sind Funde dieser Zeitstellung ebenfalls äußerst rar78. Das größte
Problem für unsere Kenntnis dieser Zeit, besonders im Falle der Siedlungen,
ist die Identifizierung der zugehörigen materiellen Kultur. Dieses Problem
kann exemplarisch anhand zweier Scherben scheibengedrehter Gefäße mit
Einglättverzierung in Form von Gittermustern und Zickzack-Bändern ver-
deutlicht werden. Die Scherben stammen aus Zvíkov (im Deutschen als Burg
Klingenberg bekannt), einem mehrphasigen Fundplatz, der vor allem in der
Bronzezeit, der Latènezeit und besonders dem Mittelalter und der Neuzeit
besiedelt war. Im Falle der beiden erwähnten Scherben stehen einer erfolg-
reichen Bestimmung gleich mehrere Probleme entgegen: Das Erste ist die
Tatsache, dass die beiden Scherben an einem Fundplatz geborgen wurden,
von dem auch Funde der Latènezeit bekannt sind, weshalb die Anwesen-
heit von ähnlich geformter scheibengedrehter Keramik vorausgesetzt werden
muss. Darüber hinaus stammen die beiden Fragmente aus sekundärer Lage
innerhalb von Siedlungsschichten, so dass über die ursprüngliche Deponie-
rung im Boden nur spekuliert werden kann79 (Abb. 14:4-5).
Anhand der Untersuchung vergleichbarer Formen sowie der Durchsicht
des gesamten Fundmaterials konnte jedoch der Schluss gezogen werden,
dass beide Fragmente der Keramikproduktion des späten 5. und des frü-
hen 6. Jahrhunderts entsprechen. Ähnliche Stücke finden sich vor allem in
den Keramiktypen der Serie Kaschau 6 und Altenerding-Aubing sowie bei
den scheibengedrehten Formen der vorlangobardischen Phase des mittleren
Donauraumes. Als Vergleichsstücke seien die Beispiele aus Traismauer (Öster-
Abb. 14: Scheibengedrehte Keramik des späten 5. und frühen 6. Jahrhunderts aus dem Donauraum
und Südböhmen: 1) Trais-Mauer (Österreich), 2) Gyirmót-Homokdombon (Ungarn), 3) Straning-Lettn-
äcker (Österreich), 4-5) Zvíkov (nach Jaroslav Jiřík – Vlastimil Simota, Nálezy keramiky, Abb. 1-2).
falle dar – es ist möglich, dass eine ganze Anzahl weiterer Stücke uner-
kannt innerhalb anderer frühgeschichtlicher Siedlungsplätze verborgen ist
oder übersehen in Museumssammlungen schlummert. Ähnliche Siedlungen
der Latènezeit, die in der Spätantike bzw. der Völkerwanderungszeit wieder
besiedelt wurden, sind die Oppida von Závist bei Zbraslav und Stradonice.
Auch in diesen Fällen könnte die strategisch günstige Lage der Grund für die
Wiederbesiedlung gewesen sein. Im Falle von Zvíkov dürfte ferner die gün-
stige Lage am Zusammenfluss von Otava und Moldau eine wichtige Rolle
gespielt haben.
Trotz des sporadischen Auftretens von Siedlungsbelegen während des spä-
ten 5. und frühen 6. Jahrhunderts ist Südböhmen ein Randgebiet und dürfte
nur eine geringe Rolle für die so genannten Ethnogenese der Baiovaren ge-
spielt haben.
Abb. 15: Keramikgefäß mit eingeritzter ‚Landkarte‘: 1) Dör, Distrikt Győr-Moson-Sopron, 2) Jiříce,
Distrikt Mělník (nach tomka, Langobardok, Abb. S. 18; SVoboDa, Čechy v době, Abb. 58).
sei auf den Schnallendorn aus der Siedlung auf der Insel S. Andrea im Lop-
piosee im Trentino (Italien) verwiesen. Der Fundkontext von Sektor A wurde
von seicht eingetieften Pfostenbauten gebildet, die allerdings teilweise von
späteren Bauaktivitäten gestört wurden. Er kann allgemein in die Zeit zwi-
schen der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und dem frühen 7. Jahrhundert
datiert werden – darauf deuten etwa das Fragment einer Late Roman Am-
phora 2, ein Zweilagenkamm sowie eine spätantike Gürtelschnalle hin. Ein
Schnallendorn mit Parallelen in Weimar wurde aus der Crypta Balbi in Rom
publiziert, ein weiteres Exemplar stammt aus der befestigten Siedlung von
S. Antonio in Ligurien95.
Wenn man die ostgermanischen Gepiden sowie die Gruppen, die im heuti-
gen Polen fortbestanden und deren Ethnizität umstritten ist96, innerhalb des
östlich-merowingischen Reihengräberkreises der Stufe E1 ausklammert, so
zeigt sich, dass eine weite Zone von der unteren und mittleren Elbe über
Baiern, Böhmen, Mähren und Pannonien von elbgermanischen Bevölke-
rungsgruppen besiedelt wurde. Mit einiger Berechtigung kann man von einer
Art ‚elbgermanischer Renaissance‘ sprechen, welche die ostgermanisch-mittel-
danubische Vorwärtsbewegung der vorangegangenen Phase D3 ersetzte. Wäh-
rend der Stufe E1 erreichte der elbgermanische Kulturraum erneut die groß-
flächige Ausdehnung, die er bereits während der spätrömischen Zeit besessen
hatte. Für die Besiedlung neuer Gebiete in Pannonien und Baiern kann ein
bestimmtes Herkunftsgebiet nicht festgemacht werden. Innerhalb der Bevöl-
kerungsgruppen, die hier bestattet wurden, können lediglich allgemein elb-
germanische Einflüsse festgestellt werden. In beiden Fällen zeichnet sich ein
Modell ab, das für den westdeutschen Raum anhand des Fallbeispiels der
Entstehung der Alemannen in spätrömischer Zeit entwickelt wurde. Wie oben
bereits erwähnt, war dort an der Wanderung eine heterogene elbgermanische
Bevölkerung mit Wurzeln sowohl in Böhmen als auch im Elbegebiet betei-
ligt. Während es letztlich unmöglich ist, die Motive der Wanderung, die zur
späteren Ethnogenese der Baiovaren und Langobarden führten, zu rekonstru-
ieren, lassen sich bestimmte Möglichkeiten benennen, die als Motive für das
Zustandekommen der Wanderung nicht ausgeschlossen werden können.
Diese Erkenntnisse stimmen zudem im Prinzip mit den historischen Über-
legungen überein. An diesem Punkt ist es möglich, auf einige frühere Über-
legungen aufzubauen, welche die Ethnogenese der Baiovaren mit politischen
Interessen der Thüringer und Ostgoten in Verbindung bringen – beide ver-
suchten das politische Vakuum in Raetien und – nach dem Untergang des
Herulerreiches – auch im mittleren Donauraum auszufüllen. In diesem Zu-
sammenhang sei nochmals an das Problem der langobardischen Tradition
95 De vinGo – Fossati, Elementi da cintura, 477–479, Taf. 65:6; maurina – postinGer – battisti,
Ricerche, 29, 38, fig. 6, 9, 11, 19-20.
96 mączyńska, Culture de Przeworsk.
einer Ansiedlung in Böhmen unter König Wacho erinnert. Eine elegante Lö-
sung hierfür wurde von Dušan Třeštík entwickelt, der darauf hinwies, dass
Wacho zu einer Gruppe von Königen mit kurzen Namen gehörte, wie Claffo
und Tato. Diese ungewöhnliche Namenform erscheint unter den Langobar-
den nach ihrer Ankunft in Rugiland. Möglicherweise wurden sie von ethnisch
nicht-langobardischen Elbgermanen aus Böhmen getragen, deren Anführer
unter unklaren Umständen die königliche Macht erlangten, was möglicher-
weise die königlich-langobardische Tradition einer Residenz in Böhmen in-
spirierte. Die elbgermanische Ansiedlung in Böhmen hätte auf diese Weise
eine besondere Rolle für ethnogenetische Prozesse gespielt, da es eine Art
Reservoir für eine elitäre Bevölkerung bildete, vermutlich Kriegergruppen,
die möglicherweise sowohl zu Baiern wie zu Langobarden wurden97.
Die Epoche nach dem Fall des Hunnenreichs in der Mitte des 5. Jahrhunderts
war in Mitteleuropa gekennzeichnet von einer politischen Zersplitterung des
Barbaricums in eine Anzahl regionaler, sich gegenseitig bekämpfender po-
litischer Einheiten von begrenzter territorialer Ausdehnung, etwa die Herr-
schaftsgebiete der Heruler, der Donausueben, der Skiren, Sarmaten und Ost-
goten. In der folgenden Periode um das Jahr 500 ist ein entgegengesetzter
Konsolidierungsprozess in größere Herrschaftseinheiten zu verzeichnen. Am
Ende dieses Prozesses verblieben auf dem politischen Schachbrett Mitteleuro-
pas lediglich zwei Spieler, die Franken und die Langobarden.
Um die Machtstrukturen in der Mitte des 6. Jahrhunderts abzuschätzen,
sind die Entwicklungen in den benachbarten Räumen ein wichtiger Faktor.
Die an Nordbaiern angrenzenden Gebiete geraten nach der Niederlage der
Thüringer 531 unter fränkischen Einfluss. Allerdings kennen wir für das fort-
geschrittene 6. Jahrhundert aus dem oberen Maintal nur vereinzelte Sied-
lungsbefunde, etwa in Eggolsheim, Forchheim und Unterheid98. Eine deutlich
andere Situation entwickelte sich dagegen an der bayerischen Donau, wo
zahlreiche Fundplätze des 6. und 7. Jahrhunderts bekannt sind. Als Beispiel
sei der Friedhof von Künzing-Bruck genannt, in dem Anne Sibylle Hanni-
bal-Deraniyagala sowohl östlich-merowingische als auch westlich-merowin-
gische Einflüsse feststellte. Parallelen im langobardenzeitlichen Pannonien
und Slowenien besitzen etwa die S-Fibeln aus Grab 134 oder die Lanzenspitze
des Typs Vörs in Grab 129 sowie die Keramikgefäße aus den Gräbern 263 and
248. Westlich-merowingische Entsprechungen besitzen beispielsweise dage-
gen die Keramikgefäße aus Grab 160 und die Lanzenspitze aus Grab 276.
Hannibal-Deraniyagala zufolge stellt der von ihr bearbeitete Friedhof ei-
nen Komplex von Beigaben höchst heterogenen Ursprungs dar – insgesamt
97 třeŠtík, Počátky Přemyslovců, 36, 49; kuna – proFantová, Počátky raného, 222.
98 haberstroh, Germanische Stammesverbände, 18 f. Abb. 9:7-8.
99 MGH, Epistolae Merovingici et Karolini aevii I, Bd. III: Epistolae Austriacae, ed. Wilhelm
GunDlach 20, 133.
Fazit
Der vorliegende Beitrag hat versucht, die neuen Funde und Erkenntnisse
zur Spätantike und Völkerwanderungszeit in Böhmen zusammenzufassen.
Die Friedenhain-Přešťovice-Gruppe – oder besser gesagt die entsprechenden
Keramiktypen – werden hier neu interpretiert als lokale Einwicklung allge-
mein elbgermanischer Keramiktraditionen. Für Südböhmen sind (suebische)
Einflüsse aus dem mittleren Donauraum in spätrömischer Zeit hervorzu-
heben. Besonders wichtig ist auch das Aufkommen der charakteristischen
Keramik des Typs Friedenhain-Přešťovice im Gebiet der Vinařice-Gruppe
Nordböhmens, das in das 5. Jahrhundert datiert werden kann. Die Vinařice-
Gruppe entwickelt sich während des 5. Jahrhunderts zu einem bedeutenden
Machtzentrum mit Bezügen in das untere Maintal während der Stufe D2b.
Eine Zuschreibung zu einer der aus den Schriftquellen bekannten ethnischen
Gruppe ist im Falle der Vinařice-Gruppe – oder besser gesagt Nordböhmens
– jedoch problematisch; allerdings können wir einige Lösungen etwa im
Zusammenhang mit der baiovarischen Ethnogenese anbieten101. Gegen Ende
des 5. Jahrhunderts ist ein Niedergang der Friedhöfe der Vinařice-Gruppe zu
verzeichnen. Diese Entwicklung kann mit einem generellen Prozess verbun-
den werden, der allgemein in den elbgermanischen Gebieten stattgefunden
hat und der mit dem Aufstieg des Thüringerreichs und der langobardischen
Wanderung zusammenhängt. In Bezug auf die böhmisch-baiovarischen
Beziehungen können wir zwei Phasen des Kontakts konstatieren: Die erste
Phase kann in spätrömische Zeit datiert werden (z. B. Neuburg a. d. Donau
und Eining/Abusina etc.). Inwieweit diese Phase mit dem Aufkommen der
Keramik des Typs Friedenhain-Přešťovice zu verbinden ist, bleibt fraglich.
Die zweite Stufe ist enger verbunden mit der Formierung der baiovarischen
100 DroberJar, Thüringische und Langobardische Funde, 238–241, Abb. 8; DroberJar, Některé
problemy, 139–141, Abb. 8.
101 Jiřík, Bohemian Barbarians, 311–316.
Quellen
Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, ed. Georg Waitz, in: MGH SS rer.
Langobardorum 1, 1878, 12–187.
Literatur
Pavel břicháček, Nové nálezy z Vochova, in: Pěší zóna 10. Revue pro památ-
kovou péči, archeologii, historii, výtvarné umění a literaturu (2002) 15 f.
Florin curta (Hg.), Neglected Barbarians. Studies in the Early Middle Ages,
2011.
Eduard DroberJar, Mladší doba římská, in: Vladimír salač (Hg.) Doba římská
a stěhování národů (Archeologie pravěkých Čech 8), 2008, 127–155.
Hubert Fehr, Am Anfang war das Volk? Die Entstehung der bajuwarischen
Identität als Problem der archäologischen und interdisziplinären Frühmit-
telalterforschung, in: Walter pohl – Mathias mehoFer (Hg.), Archäologie der
Identität. Methodenprobleme der Frühmittelalterforschung, 2010, 211–231.
Jan Frolík u. a., Sídliště vinařické skupiny z Prahy-Kobylis, in: Eduard Drober-
Jar(Hg.), Archeologie barbarů 2010: hroby a pohřebiště Germánů mezi La-
bem a Dunajem (im Druck).
Jaroslav Jiřík, Vybrané sídlištní situace mladší doby římské až časné fáze doby
stěhování národů v severozápadních Čechách, in: Eduard DroberJar – Ondřej
chvoJka (Hg.), Archeologie barbarů 2006, 2007, 535–564.
Jaroslav Jiřík – Jiří vávra, Druhá etapa výzkumu pohřebiště z doby stěhování
národů v Praze-Zličíně, in: Eduard DroberJar – Balázs komoróczy – Dagmar
vachůtová (Hg.), Barbarská sídliště. Chronologické a historické aspekty je-
jich vývoje ve světle nových výzkumů. Archeologie barbarů 2007, 2008,
241–254.
Erwin keller, Das spätrömische Gräberfeld von Neuburg an der Donau, 1979.
Max martin, Mixti Alamannis Suevi? Der Beitrag der Alamanischen Gräber-
felder am Basler Rheinknie, in: teJral, Probleme, 195–223.
Jiří militký, Nálezy keltských a antických mincí v jižních Čechách, in: Zlatá
stezka 2 (1995) 34–67.
Karla motyková – Petr DrDa – Alena rybová, Some notable imports from the end
of the Roman Period at the site of Závist, in: charvát, Archaeology, 56–63.
Josef L. píč, Starožitnosti země české II. Čechy na úsvitě dějin. Hradiště u
Stradonic jako historické Marobudum, 1903.
Jan procházka, Osídlení pozdní doby římské v Praze – Čimicích, in: karWoWs-
ki – DroberJar, Archeologia Barbarzyńców 2008, 353–362.
culture and the problem of diffusion of Slavinity into central Europe. On the
article by Florin Curta, in: Archeologické rozhledy 61 (2009) 303–330.
Agnieszka reszczyńska, New materials from the Migration Period at the sett
lement TrmiceÚstí nad Labem in northwestern Bohemia, in: Niezabitowska-
wiśNiewska u. a., Turbulent Epoch, 285–290.
Arno rettNer, Baiuaria romana. Neues zu den Anfängen Bayerns aus archäo
logischer und namenkundlicher Sicht, in: Gabriele GraeNert u. a. (Hg.), Hü
ben und drüben. Räume und Grenze in der Archäologie des Frühmittelalters.
Festschrift Max Martin, 2004, 255–286.
Bernd steiDl, Zeitgenosse der Nibelungen – Der Krieger von Kemathen, in: c.
Sebastian sommer (Hg.), Archäologie in Bayern. Fenster zur Vergangenheit,
2006, 234.
Roland steinacher, The Herules: The fragments of a history, in: curta, Bar-
barians, 321–363.
Heiko steuer, Theorien zur Herkunft und Entstehung der Alemannen. Ar-
chäologische Forschungsansätze, in: Dieter Geuenich (Hg.), Die Franken und
die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), 1998, 270–324.
Jaroslav teJral (Hg.), Barbaren im Wandel. Beiträge zur Kultur- und Identi-
tätsumbildung in der Völkerwanderungszeit, 2007.
Jiří vávra u. a., Pohřebiště z doby stěhování národů v Praze-Zličíně, ul. Hro-
zenkovská – průběžná zpráva o metodice a výsledcích výzkumu, in: Eduard
DroberJar – Ondřej chvoJka (Hg.), Archeologie barbarů 2006, 2007, 565–577.
Paolo De vinGo – Angelo Fossati, Gli elementi da cintura, in: Tiziano mannoni
(Hg.), S. Antonino: un insediamento fortificato nella Liguria bizantina, 2001,
475–483.