Sie sind auf Seite 1von 8

Kapitel 6, Biochemie D.Voet, J.G. Voet (dt.

Ausgabe)
Falls nicht anders vermerkt beziehen sich die Abbildungshinweise auf das dt. Biochemiebuch
von D.Voet, J.G.Voet

Kovalente Struktur von Proteinen


Die strukturelle Beschreibung von Proteinen erfolgt auf vier Organisationsebenen:
1. Primärstruktur: Aminosäuresequenz der Polypeptidkette(n).
2. Sekundärstruktur: lokale räumliche Anordnung der Polypeptidkette ohne Berücksichtigung der
Konformationen seiner Seitenketten.
3. Tertiärstruktur: dreidimensionale Struktur des gesamten Polypeptids
4. Quartärstruktur: räumliche Anordung der Untereinheiten (Proteine können aus mehreren
Polypeptidketten zusammengesetzt sein, diese werden als Untereinheiten bezeichnet)

1. Analyse der Primärstruktur


1953 wurde die erste vollständige Aminosäure-Sequenz eines Proteins (Polypeptidhormon Insulin vom
Rind) von Frederick Sanger bestimmt. Seit da sind die Aminosäuren-Sequenzen von mehrere tausend
Proteinen aufgeklärt worden. Was wiederum neue Erkenntnisse in der Biochemie bringt. Damit der
molekulare Mechanismus eines Proteins verstanden werden kann, muss man seine Aminosäure-
Sequenz kennen. Sequenzenvergleiche haben den evolutionären Zusammenhang zwischen Proteinen
und den zugehörigen Organismen aufgezeigt. Auch im Bereich der Erbkrankheiten findet die Analyse
von Aminosäurensequenzen Anwendung.

Das Verfahren zur Aufklärung einer Primärstruktur:


1. Vorbereitung des Proteins für die Sequenzierung:
a) Bestimmung der Anzahl der chemisch verschiedenen Polypeptidketten
(Untereinheiten) im Protein.
b) Spaltung der Disulfid-Brücken des Proteins.
c) Trennung und Reinigung der verschiedenen Untereinheiden.
d) Bestimmung der Aminosäure-Zusammensetzung der Untereinheiten.
2. Sequenzierung der Polypeptidketten:
a) Fragmentierung der individuellen Untereinheiten an bestimmten Positionen zur
Herstellung kleinerer, direkt sequenzierbarer Peptide.
b) Trennung und Reinigung der Fragmente
c) Bestimmung der Aminosäure-Sequenz jedes Peptidfragments.
d) Wiederholung von Schritt 2a) nach einem Fragmentierungsschema, bei dem
Peptidbindungen der Untereinheit an anderen Positionen als zuvor gespalten werden.
Trennung dieser Peptidfragmente wie in 2b) und Bestimmung ihrer Aminosäure-
Sequenz wie in 2c).
3. Aufklärung der vollständigen Struktur:
a) Überbrückung der Spaltstellen des einen Satzes von Peptidfragmenten mit dem
zweiten Satz. Durch Vergleich lassen sich die Sequenzen der Polypeptidfragmente der
unterschiedlichen Spaltungen in der Folge ordnen, in der sie in der Untereinheit
auftreten. Hierdurch wird die gesamte Aminosäure-Sequenz etabliert.
b) Zuordnen der vorhandenen Disulfid-Brücken innerhalb und zwischen den
Untereinheiten.

A. Endgruppen-Bestimmung
Jede Polypeptidkette (falls sie nicht chemisch blockiert oder ringförmig ist) besitzt je einen freien N-
terminalen und einen C-terminalen Rest. Durch Identifizierung dieser Endgruppen können wir die
Anzahl der chemischen unterschiedlichen Polypeptide in einem Protein feststellen.

Identifikation des N-Terminus:


Die gebräuchlichste Methode zur Bestimmung des N-Terminus ist der sogenannte Edman-Abbau
(1950 von Pehr Edman). Vom N-Terminus wird eine Aminosäure nach der anderen separat abgetrennt

1
und analysiert. Edmans Reagenz, wie es allgemein genannt wird, ist Phenylisothiocyanat (PITC). Die
verschiedenen Reaktionsstufen der Markierung und Abtrennung der N-terminalen Aminosäure sind in
der Abbildung unten gezeigt. Im ersten Schritt reagiert die freie Aminogruppe der N-terminalen
Aminosäure als Nucleophil mit dem stark elektrophilen Kohlenstoffatom der –N=C=S-Gruppe. Dabei
entsteht ein Derivat des Thioharnstoffs. Es folgen einige intramolekulare Reaktionsschritte. Im Verlauf
dieser Reaktionsfolge wird die Peptidbindung der N-terminalen Aminosäure so labilisiert, dass sie
hydroliesiert und in Form eines für die betreffende Aminosäure charakteristische
Phenylthiohydantoins freigesetzt wird. Durch Vergleich lässt sich also die jeweils abgetrennte
Aminosäure leicht identifizieren.

Abbildung 14-6, Buch’Organische Chemie Harold Hart’ S. 380

Identifizierung des C-Terminus:


Für eine sequentielle Endgruppen-Analyse ausgehend vom C-Terminus gibt es keine, dem Edman-
Abbau vergleichbare, zuverlässige chemische Reaktion. Ein enzymatisches Vorgehen ist möglich und
zwar unter Verwendung von Exopeptidasen. Dies sind Enzyme, die einen terminalen Rest von einem
Polypeptid abtrennen.

Spezifitäten verschiedener Exopeptidasen:


Enzym Quelle Spezifität
Carboxypeptidase A Rinderpankreas Rn ≠ Arg, Lys, Pro; Rn-1≠Pro
Carboxypeptidase B Rinderpankreas Rn ≠ Arg, Lys; Rn-1≠Pro
Carboxypeptidase C Citrusblätter Alle freien C-term. Reste; pH-
Optimum = 3,5
Carboxypeptidase Y Hefe Alle freien C-term. Reste, aber
langsam bei Rn = Gly
Leucin-Aminopeptidase Schweineniere R1 ≠ Pro
Aminopeptidase M Schweineniere Alle freien N-term. Reste
R1 = N-terminaler Rest; Rn = C-terminaler Rest

B. Spaltung der Disulfid-Bindungen


Die Spaltung der Disulfid-Brücken zwischen Cys-Resten ist aus zwei Gründen notwendig. Zur
Trennung der Polypeptidketten und die Disulfid-Brücken stabilisieren die native Proteinkonformation
und blockieren die Wirkung proteinspaltender Agentien.
Disulfid-Brücken können oxidativ mittels Perameisensäure oder reduktiv durch Mercaptane
(Verbindungen mit einer SH-Gruppe) gespalten werden.
Perameisensäure-Oxidation:
- setzt alle Cystein- und Cystin-Reste in Cysteinsäure um
- Cysteinsäure ist sowohl in aciden als auch basischer Lösung stabil, womit der Gesamtgehalt
eines Proteins an Cys als Cysteinsäure bestimmt werden kann
- Hauptnachteil: gleichzeitige Oxidation von Met-Resten zu Methioninsulfon-Resten, womit die
spezifische Spaltung von Peptidbindungen an Met-Resten durch Reaktion mit Bromcyan
unmöglich wird

Zwei Abbildungen: linker Teil Seite 112

Reduktive Spaltung mit 2-Mercaptoethanol:

Abbildung Seite 112 oben rechts

Oder Reduktive Spaltung mit Dithiothreit oder Dithioerythrit:

Abbildung Seite 112 unten rechts

2
Die entstehenden freien Sulfhydrylgruppen werden üblicherweise durch Behandlung mit Iodessigsäure
alkyliert, um die Rückbildung der Disulfid-Brücken durch Oxidation mit O 2 zu unterbinden.

C. Trennung und Reinigung der Polypeptidketten


Die unterschiedlichen Polypeptidketten eines Proteins müssen zur Sequenzierung getrennt und
gereinigt werden. Die Untereinheiten dissozieren und denaturieren
- unter aciden oder basischen Bedingungen
- bei niedriger Salzkonzentration
- erhöhten Temperaturen
- durch die Verwendung denaturierender Agentien wie Harnstoff, Guanidinium-Ion (Iminium-
Analog des Harnstoffs) oder Detergentien wie Natriumdodecylsulfat.
Die dissoziierten Untereinheiten können dann mit den im Kap. 5 beschriebenen Methoden getrennt
werden.

D. Aminosäure-Zusammensetzung
Vor der eigentlichen Sequenzierung eines Polypeptids sollte der relative Gehalt jeder vorhandenen
Aminosäure bekannt sein. Durch vollständige Hydrolyse und quantitative Analyse der freigesetzten
Aminosäuren wird die Aminosäure-Zusammensetzung einer Untereinheit bestimmt. Polypeptid-
Hydrolyse kann entweder chemisch (acid oder basisch) oder enzymatisch erfolgen, wobei aber keine
dieser Methoden allein völlig zufriedenstellend ist.
Säurekatalysierte Hydrolyse:
- Polypeptid in 6 M HCl aufgelöst
- Für 10 bis 100h auf 100 bis 120°C erhitzt
- Lange Zeit nötig für Freisetzung von Val, Leu und Ile
- Ser, Thr und Tyr werden teilweise abgebaut (Korrekturfaktoren können berücksichtigt werden)
- Zerstörung von Trp-Resten
- Gln/Asn werden zu Glu/Asp und NH4+ umgewandelt
Basenkatalysierte Hydrolyse:
- Polypeptide wird in 2 bis 4 M NaOH bei 100°C für 4 bis 8h durchgeführt
- Cys, Ser, Thr und Arg werden abgebaut
- Übrigen Aminosäuren teilweise desaminiert und racemisiert
- Folglich vor allem für Bestimmung von Trp-Gehalt
Enzymatische Verdauung:
- ein Peptidasengemisch ist erforderlich, da individuelle Peptidasen nicht alle Peptidbindungen
spalten
- Spezifitäten von Exo- (siehe Tabelle unter A.) und Endopeptidasen siehe folgende Tabelle
-
Spezifitäten verschiedener Endopeptidasen:

Tabelle 6-2, Seite 114

Der Aminosäure-Gehalt eines Polypeptid-Hydrolysats kann mittels eines automatisierten Aminosäure-


Analysators quantitativ bestimmt werden. Mit einem modernen Analysator kann dies von einem
Proteinhydrolysats in weniger als 1h durchführen.
Aminosäure-Analysen einer Grosszahl von Proteinen lassen erhebliche Unterschiede in Hinblick auf
ihre Aminosäure-Zusammensetzung erkennen. Ala, Gly, Leu, Ser, Lys und Val sind die häufigsten
Aminosäure-Reste, His, Met und Trp seltener. Vielen Proteinen fehlen eine oder mehrere der 20
Standard-Aminosäuren.

E. Spezifische Spaltreaktionen für Peptide


Polypeptide mit mehr als 40 bis 80 Resten sind zu lang, um direkt sequenziert werden zu können. Sie
müssen enzymatisch oder chemisch in Fragmente von sequenzierbarere Grösse zerlegt werden.
Trypsin spaltet Peptidbindungen spezifisch an positiv geladenen Resten:
Das Verdauungsenzym Trypsin schneidet Peptidbindungen auf der C-terminalen Seite (in Richtung
Carboxy-Terminus) der positiv geladenen Reste Arg und Lys, falls der folgende Rest nicht Pro ist.

3
Abbildung S.115 oben rechts

Da Trypsin Peptidbindungen spaltet, die auf positiv geladene Reste folgen, können Trypsin-
Spaltstellen in einem Polypeptid durch chemische Addition oder Elimination positiver Ladungen der
Seitenketten gebildet oder entfernt weden. Die positive Ladung von Lys wird z.B. durch Behandlung
mit Dicarbonsäure-Anhydriden wie Citraconsäure-Anhydrid eliminiert.

Abbildung S. 115 rechts unten

Umgekehrt kann Cys durch ein β-Halogenamin aminoalkyliert werden, was zu einem positiv
geladenen Rest führt, de durch Trypsin gespalten werden kann.

Abbildung S. 116 links oben

Bromcyan spaltet Peptide spezifisch an Met-Resten:


Bromcyan (BrCN) spaltet spezifisch und quantitativ auf der C-terminalen Seite von Met-Resten unter
Bindung eines Peptidyl-Homoserinlactons. Die Reaktion wird in saurer Lösung (0,1 M HCl oder 70%
Ameisensäure) durchgeführt, die die meisten Proteine denaturiert, so, dass im Normalfall die Spaltung
an allen Met-Resten auftritt.

Abbildung S. 116 rechts

Wenn ein Peptidfragment immer noch zu gross ist, kann es nach Reinigung einer zweiten
Fragmentierung unter Verwendung eines anderen Spaltreagens unterzogen werden.

F. Trennung und Reinigung von Peptidfragmenten


Mit dem Aufkommen der Reverse-Phase-Chromatographie durch HPLC (Kap. 5) wurde die Trennung
der Peptidfragmente weitgehend zu einem Routineverfahren.

G. Sequenzierung
Sobald man mit spezifischen Spaltreaktionen Peptidfragmente praktikabler Grösse hergestellt und
isoliert hat, kann ihre Aminosäure-Sequenz bestimmt werden. Man erreicht dies am besten durch
wiederholte Cyclen des Edman-Abbaus.
„spinning cup“-Sequenator:
- enthält ein Glasgefäss, welches mit 1000 bis 4000rpm rotiert
- auf der inneren Oberfläche des Glasgefässes ist das Peptid als dünner Film fixiert
Festphasen-Sequenator:
- Peptid ist kovalent mit einem inerten, unlöslichen Träger verknüpft
- Zur Gewinnung des Thiazolinon-Derivates eines Edman-Abbaucyclus nur eine Filtration
erforderlich
Moderne Geräte:
- Peptid wird in einem dünnen Film eines polymeren quartären Ammonium-Salzes, Polybren,
eingebetet
- Gleichzeitig wird es von den Edman-Reagenzien (werden als Dämpfe zugeführt) leicht
penetriert
- In vorprogrammierten Intervallen werden exakt bemessene Reagentien zugeführt
- Thiazolinon-Aminosäuren werden automatisch entfernt, in die entsprechenden PTH-
Aminosäuren umgewandelt und chromatographisch identifieziert
- Können einen kompletten Edman-Cyclus pro Stunde ausführen
Fast atom bombardment (FAB):
- möglich mit Peptidfragmenten bis zu 25 Aminosäuren
- moderne Variante der Massenspektrometrie
- Fragment wird in einem schwerflüchtigen Solvens gelöst und in der Ionisationskammer des
Massenspektrometers mit Ar- oder Xe-Atomen beschossen
- Polypeptid ionisiert und fragmentiert

4
- Molare Masse der Bruchstücke können sehr genau bestimmt werden
- Molare Masse zunehmend grösserer Fragmente werden miteinander verglichen
- So lassen sich die Masse und somit die Identität der einzelnen Aminosäuren und ihre
Reihenfolge bestimmen
- Dies geschieht mit einem Computer und somit schnell

H. Abfolge der Peptidfragmente


Nachdem alle individuellen Peptidfragmente sequenziert worden sind, muss die Reihenfolge, in der sie
im ursprünglichen Polypeptid verknüpft waren, ermittelt werden. Man erreicht dies durch Vergleich
der Aminosäuren-Sequenzen von zwei Sätzen überlappender Peptidfragmente, die man z.B. durch
spezifische Spaltung des gleichen Proteins mit verschiedenen Agentien erhalten hat. Da 20 Optionen
pro Position vorhanden sind, genügt in der Regel eine Überlappung von nur wenigen Resten für eine
eindeutige Zuordnung.

Abbildung S. 118 oben

I. Anordnung der Disulfid-Brücken


Der letzte Schritt in der Aminosäuren-Sequenzierung ist die Bestimmung der Positionen von Disulfid-
Bindungen (falls vorhanden). Hierzu spaltet man eine Probe des intakten Proteins unter Beibehaltung
der Disulfid-Brücken, um Paare von Peptidfragmenten zu erhalten, von denen jedes ein einzelnes Cys
enthält, das über eine Disulfid-Brücke mit einem zweiten Cys verknüpft ist. Solche Peptidfragmente
kann man durch diagonale Elekrophorese identifizieren (siehe folgende Abbildung)

Abbildung Seite 118 links

Nach Isolierung des disulfidverknüpften Peptidfragments wird die Disulfid-Bindung gespalten und
alkyliert und die Sequenz der beiden Polypeptide bestimmt. Durch Vergleich mit der Sequenz des
Gesamtproteins kann nun die Position der Disulfid-Brücke festgestellt weden.

J. Peptidkartierung
Eine Protein-Sequenzierung ist anspruchsvoll und zeitaufwendig. Ist jedoch die Primärstruktur eines
Proteins aufgeklärt, kann die eines fast identischen Proteins viel leichter bestimmt werden. Dazu
verwendet man eine Kombination von Chromatographie und Elektrophorese eines partiell verdauten
Proteins, das „Fingerprinting“ oder die Peptidkartierung. Die Peptidfragmente, in denen Aminosäuren-
Veränderungen auftreten, wandern auf der Peptidkarte zu anderen Positionen als die entsprechende
Peptide des authentischen Proteins.

K. Nucleinsäure-Sequenzierung
Die Aminosäure-Sequenz der Proteine werden von den Basen-Sequenzen der Nucleinsäuren
spezifiziert, so dass man bei Kenntnis des genetischen Codes die Primärstruktur eines Proteins aus der
Basen-Sequenz der entsprechenden Nucleinsäure ableiten kann. Obwohl die Primärstruktur von
Proteinen mittlerweile routinemässig von DANN-Sequenzen abgeleitet werden, kann auf die direkte
Protein-Sequenzierung nicht verzichtet weden:
1. Disulfid-Brücken können nur mittels Protein-Sequenzierung lokalisiert werden
2. Viele Proteine werden nach ihrer Biosynthese durch Abspaltungen bestimmter Reste und
spezifische Derivatisierung anderer Reste modifiziert. Die Besonderheit dieser
posttranslationalen Modifikation, die oft für die biologische Funktion des Proteins essentiell
sind, können nur durch direkte Sequenzierung des Proteins festgestellt werden.
3. Die Nucleinsäure, die das untersuchte Protein codiert, kann häufig nur schwer identifiziert und
isoliert werden.
4. Das versehentliche Hinzufügen oder Weglassen eines Nucleotids aus der Gen-Sequenz
verändert das Leseraster des Gens und die vorhergesagte Aminosäure-Sequenz jenseits der
Fehlerstelle.

5
5. Der genetische Code ist nicht wirklich universell: Die Codierung bei Mitochondrien und
bestimmten Protozoen variiert leicht. Diese Varianten des genetischen Codes sind durch den
Vergleich der Aminosäuren-Sequenzen von Proteinen und Basen-Sequenzen ihrer
korrespondierenden Gene aufgeklärt worden

2. Protein-Modifikation
Eine gebräuchliche Methode zur Identifizierung funktionell relevanter Reste eines Proteins ist die
Behandlung des Proteins mit Seitengruppen-spezifischen Reagentien. Wird durch ein solches
Seitengruppen-spezifisches Reagens ein essentieller Rest des Proteins chemisch modifiziert, so wird
das Protein in aller Regel inaktiviert. Bei gegebener Primärstruktur kann der veränderte Rest des
modifizierten Proteins mittels Peptidkartierung relativ einfach identifiziert werden (auch ohne
Kenntnis der Primärstruktur wertvolle Hinweise).
Einige gebräuchliche Seitengruppen-spezifische Reagentien:
Siehe im Buch Seite 121 bis 124

3. Chemische Evolution
Die Protein-Zusammensetzung eines Organismus ist direkter Ausdruck seiner genetischen
Zusammensetzung. In diesem Abschnitt werden die evolutionären Aspekte der Aminosäure-Sequenz
besprochen, d.h. das Studium der chemischen Evolution der Proteine. Evolutionäre Veränderungen,
die von zufälligen Mutationen stammen, ändern oft die Primärstruktur des Proteins.

A. Sichelzellanämie: Der Einfluss der natürlichen Selektion


Bei Trägern der Erbkrankheit Sichelzellanämie nehmen viele Erythrocyten unter dem typischerweise
niedrigen Sauerstoffpartialdruck der Kapillaren eine Sichel- oder Halbmondform ein. Diese
Sicherbildung macht die Erythrocyten starr und wenig verformbar und verhindert damit ihre freie
Passage durch die Kapillaren. Sie behindern die Blutzirkulation in den Kapillaren, so dass bei einer
„Sicherzell-Krise“ die Durchblutung in manchen Arealen total blockiert ist, was zu weitreichenden
Gewebeschäden und quälenden Schmerzen führt. Darüber hinaus besteht eine schwere hämolytische
Anämie, da die erhöhte mechanische Anfälligkeit dieser Erythrocyten ihre normale Lebensdauer etwa
halbiert.
Sichelzellanämie ist eine „molekulare“ Krankheit:
Es wurde festgestellt, dass im Sichelzell-Hämoglobin (HbS) an der 6. Position der β-Kette ein Val
steht im, beim normalen humanen Hämoglobin (HbA) aber ein Glu. Die anionische Ladung des HbA
ist so um zwei Einheiten negativer als das HbS. Dies wurde bereits früher festgestellt. Zum ersten Mal
konnte man zeigen, dass ein spezifischer Aminosäurenaustausch in einem Protein Ursache für eine
Erbkrankheit ist. Die Mutation lässt HbS zu langen und starren Filamenten aggregieren, die dann die
Deformation der Erythrocyten verursacht. Ein bemerkenswertes Beispiel für den Einfluss der
Primärstruktur auf die Quartärstruktur.
Das Sichelzell-Gen verleiht Resistenz gegen Malaria:
Die Sichelzellanämie wird nach den Mendel-Gesetzen vererbt. Die heterozygoten Träger des
Sichelzell-Gens führen ein völlig normales Leben, obgleich ihre Erythrocyten kurzlebiger als die
normalen Individuen sind. Sichelzell-Merkmal und Sichelzellanämie treten gehäuft bei Personen
zentralafrikanischer Abstammung auf. Die Regionen von Äquatorialafrika, wo Malaria noch die
Haupttodesursache ist, decken sich mir den Verbreitungsgebieten des Sichelzell-Gens. Diese
Beobachtung führte zur Entdeckung, dass heterozygote Individuen (HbS/HbA) Malaria-resistent sind.
Wie verleiht nun das Sichelzell-Gen Malaria-Resistenz? Nimmt ein Erythrocyt die Sichelform ein, so
wird die Permeabilität seiner Zellmembran für K + erhöht. Dadurch ist die K+-Konzentration in
Sichelzellen niedriger als in normalen Erythrocyten. Der Malaria-Parasit benötigt aber eine hohe K +-
Konzentration und kann deshalb nicht überleben. Somit ist Sichelzellanämie ein klassisches
„darwinistisches“ Beispiel für die Anpassungsfolgen einer einzelnen Mutation in der fortwährenden
Konkurrenz von Organismen um dieselben Ressourcen.

B. Spezifische Veränderungen in homologen Proteinen: Der Effekt der neutralen Drift


Ein an seine Funktion gut angepasstes Protein unterliegt beständig der Evolution. Zufällige
Mutationsprozesse verändern im Laufe der Zeit das Protein so, dass seine Funktion praktisch nicht

6
verändert wird. Diesen Prozess nennt man neutralen Drift. Vergleiche der Primärstrukturen homologer
Proteine (evolutionär verwandter Proteine) zeigen daher, welche Reste für seine Funktion essentiell
sind, geringe Bedeutung haben oder ohne spezifische Funktion sind.
- invarianter Rest: Derselbe Aminosäure-Rest ist in einer bestimmten Position der Aminosäure-
Sequenz einer Serie verwandter Proteine zu finden. Seine chemischen und strukturellen
Eigenschaften sind mit einer bestimmten Funktion des Proteins verbunden.
- Konservativ substituiert: Reste mit ähnlichen Eigenschaften
- (Hyper)variabel: Positionen die viele verschiedene Aminosäure-Reste zulassen
Cytochrom c ist ein gut adaptiertes Protein:
Man nimmt an, dass die Elektronen-Transportkette ihre gegenwärtige Struktur von 1,5 bis 2 Milliarden
Jahren begann, als die Organismen die Fähigkeit zur Atmung entwickelten. Seit dieser Zeit haben sich
die Komponenten dieser Multi Enzymsystems sehr wenig verändert.
Vergleiche der Protein-Sequenz gewähren Einblick in die Taxonomie:
Die Aminosäure-Sequenz von nahezu 100 verschiedenen, eukaryontischen Spezies von der Hefe bis
zum Menschen wurden aufgeklärt. Ein Teil wurde in der Tabelle 6-4 im dt. Buch auf Seite 127 (schaut
bitte dort, weil die Farben sind hilfreich) dargestellt. Die genauere Durchsicht dieser Tabelle zeigt,
dass das Cytochrom c evolutionär gesehen ein konservatives Protein ist. Insgesamt 38 von 105 Resten
sind invariant, und die meisten der verbleibenden Resten sind konservativ substituiert. Dagegen stehen
lediglich 8 variable Positionen, die mindestens sechs verschiedene Reste zulassen.
Am einfachsten kann man evolutionäre Unterschiede zwischen zwei homologen Proteinen
quantifizieren, indem man die Zahl unterschiedlicher Aminosäuren zwischen ihnen ermittelt. Die
Staffelung der Unterschiede geht weitgehend mit der klassischen Taxonomie konform. So ähnelt das
Cytochrom c der Primaten eher denen anderer Säuger als z.B. denen der Insekten. Durch
Computeranalyse solcher Daten kann ein phylogenetischer Stammbaum konstruiert werden, der die
archaische Beziehung zwischen den Organismen aufzeigt, die das betrachtete Protein produziert. Für
Cytochrom c ist dies in folgender Abbildung skizziert.

Abbildung Seite 131 oben

Proteine Entwickeln sich mit charakteristischer Geschwindigkeit:


Die evolutionäre Entfernung zwischen unterschiedlichen Spezies können gegen die Zeit aufgetragen
werden, zu der sich die Spezies trennten. Wie die folgende Abbildung zeigt, ist die Kurve für
Cytochrom c praktisch linear, d.h. diese Moleküle haben im Laufe der geologischen Zeitskala
Mutationen mit einer konstanten Geschwindigkeit akkumuliert. Jedes Protein hat eine
charakteristische Veränderungsgeschwindigkeit. Die Einheit einer Evolutionsperiode ist definiert als
die Zeit, die für eine Änderung von 1% der Aminosäuren des Proteins nach Divergenz beider Spezies
erforderlich ist. Für Cytochrom c ist dies 20 Mio. Jahre.
Die obige Ausführungen besagen nicht, dass die Mutationsgeschwindigkeiten der DANN sich
unterscheiden, sondern dass die Geschwindigkeit, mit der Mutationend in einem Protein „akzeptiert“
werden, davon abhängt, in welchem Ausmass die Proteinfunktion beeinflusst wird.

Abbildung Seite 132

Mutationsgeschwindigkeiten sind im Lauf der Zeit konstant:


Insekten haben kürzere Generationszeiten als Säugetiere. Wäre die DNA-Replikation die
Hauptursache von Mutationen, so müssten sich Insekten von dem Zeitpunkt an, da sich ihre Linie von
der der Säugetiere trennte, weiter von den Pflanzen weg entwickelt haben als die Säuger. Ein einfacher
phylogenetischer Stammbaum zeigt jedoch, dass die durchschnittliche Anzahl der Aminosäure-
Subsitutionen zwischen Cytochrom c der Insekten und Pflanzen fast gleich ist wie zwischen Säugern
und Pflanzen. Deshalb muss man schliessen, dass sich in Cytochrom c Mutationen mit einer
uniformen Geschwindigkeit ansammeln, und zwar abhängig von der Zeit und nicht von der Anzahl der
Generationen. Dies wiederum bedeutet, dass sich Punktmutationen in der DANN mit konstanter
Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der Zeit ansammeln, d.h. sie werden durch zufällige chemische
Veränderungen und nicht in erster Linie durch Replikationsfehler hervorgerufen.

7
C. Evolution durch Gen-Duplikation
Gen-Duplikation ist ein besonders effizienter Evolutionsmodus, da eines der duplizierten Gene durch
natürliche Selektion eine völlig neue Funktion entwickeln kann, während sein Gegenstück weiterhin
die Synthese des (vermutlich essentiellen) Vorläufer-Proteins fortsetzt. Die Protein-Familie der
Globine, darunter Hämoglobin und Myoglobin, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Evolution durch
Gen-Duplikation. Hämoglobin transportiert Sauerstoff von der Lunge in das Gewebe. Myoglobin in
den Muskeln ermöglicht eine rasche Sauerstoffdiffusion durch diese Gewebe und wirkt gleichzeitig als
Sauerstoff-Speicherprotein.
Die meisten heute sequenzierten Proteine ähneln mehr oder weniger anderen bekannten Proteinen.
Deshalb ist es wahrscheinlich, das die meisten Proteine eines Organismus durch Gen-Duplikation
entstanden sind.

4. Polypeptid-Synthese
In diesem Abschnitt wird die chemische Synthese von Polypeptiden aus Aminosäuren beschrieben.
Die Möglichkeit, künstliche Polypeptide herzustellen, birgt ein enormes biomedizinisches Potential:
1. Zur Untersuchung der Eigenschaften von Polypeptiden durch systematische Variation ihrer
Seitenketten.
2. Zur Gewinnung von Polypeptiden mit besonderen Eigenschaften.
3. Zur Herstellung pharmakologisch aktiver Polypeptide, die biologisch nur schwierig oder gar
nicht erhältlich sind.
Die ersten chemisch synthetisierten Polypeptide bestanden nur aus einem einzigen Aminosäurentypus
(wurden Homopolypeptide gedannt). Die erste Synthese eines biologisch aktiven Polypeptids, des
Nonapeptid-Hormons Oxytocin aus neun Aminosäuren gelang Vincent de Vigneaud 1953.

A. Synthetische Verfahren
Polypeptide werden durch schrittweise kovalente Verknüpfung (Kopplung) von Aminosäuren an das
Ende einer wachsenden Polypeptidkette synthetisiert. Stellen wir uns vor, dass ein Polypeptid
beginnend am C-Terminus in Richtung des N-Terminus synthetisiert wird, d.h. dass das wachsende
Ende eine freie Aminogruppe besitzt. Dann muss bei jeder Aminosäure, di man an die Kette anhängt,
die α-Aminogruppe chemisch geschützt (blockiert) sein, ansonsten würden die Aminosäurenmoleküle
untereinander und nicht nur mit der N-terminalen Aminogruppe der Polypeptidkette reagieren.
Nachdem die neue Aminogruppe gekoppelt worden ist, muss die N-terminale Aminogruppe nun
freigesetzt (deblockiert) werden, damit die nächste Peptidbindung gebildet werden kann. Weiterhin
müssen reaktive Seitenketten geschützt werden, um ihre Beteiligung an der Kopplungsreaktion zu
verhindern.
Festphasen-Synthese:
Die wachsende Polypeptidkette wird kovalent, gewöhnlich am C-Terminus , mit einem unlöslichen,
festen Träger (z.B. Kugeln) verbunden, und blockierte Aminosäuren und Reagentien werden in der
richtigen Reihenfolge hinzugefügt. Dies gestattet die quantitative Gewinnung und Reinigung der
Zwischenprodukte durch simples Filtern und Waschen der Kügelchen.

B. Probleme und Ausblicke


Ein Hauptproblem des gesamten Verfahrens ist die niedrige Gesamtausbeute. Ebenfalls problematisch
ist die Reinigung des neu synthetisierten Polypeptids. Denn es entstehen durch unvollständige
Reaktionen und zahlreichen Nebenreaktionen verschiedenen nahe verwandte Produkte.
Modifizierte Proteine erhält man durch Protein-Semisynthese oder durch gentechnologische
Methoden:
Bei der Protein-Semisynthese werden Segmente natürlich vorkommender Proteine zur Konstruktion
neuer Proteine herangezogen.
Genetische Manipulationen haben seit etwa 1980 die Biosynthese von Proteinen ermöglicht, die sich
in einer oder mehrerer Aminosäure-Reste vom natürlichen Protein unterscheiden.

Das könnte Ihnen auch gefallen