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Weihnachtessen

Wie der Truthahn nicht trocken wird


Gudrun Harrer widmet sich der richtigen Zubereitung des Federviehs, mitsamt der
authentischen Beilagen, die sonst zu Thanksgiving serviert werden

EINE KULINARISCHE ÜBUNG: Gudrun Harrer

21. Dezember 2019, 08:00


Von einem ungetrüffelten Truthahn könne man nur den Bürzel essen, behauptete Grimod de
la Reynière. Das ist endgültig widerlegt.

Foto: Getty Images / Carlina Teteris

Eigentlich brät so ein Vogel ja von allein. Nur zu trocken darf man ihn nicht werden lassen.
Aber diese Gefahr lässt sich minimieren, wenn man das gute Tier vorher in einer Salzlake
pökelt. Das ist nicht das Einzige, was wir bei unseren Thanksgiving-Studien über ein
Federvieh gelernt haben, das halb Amerika mit Vorliebe auch zu Weihnachten verspeist.

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Die beste Geschichte über den Truthahn liefert wieder einmal Alexandre Dumas – in seinem
Großen Wörterbuch der Kochkunst, hier in einer Kurzfassung: Grimod de la Reynière, ein
berühmter Feinschmecker, steigt in einem Dorfgasthaus ab, in dem es jedoch laut Wirt nichts
mehr zu essen gibt. Da sieht er in der Küche sieben Truthähne braten – die aber, so wird ihm
beschieden, schon von einem einzelnen Gast bestellt wurden. Bei dem will er nun
vorsprechen, in der Hoffnung, doch nicht hungrig schlafen gehen zu müssen. Der Gast stellt
sich als sein eigener Sohn heraus und erklärt die Sache so: Der Monsieur Papa selbst habe
ihm doch beigebracht, dass man von einem ungetrüffelten Truthahn nur den Bürzel essen
könne!

Ungefähr so stehen wir also zur kulinarischen Satisfaktionsfähigkeit des Truthahns. Monsieur
le Marquis de Cussy lässt den trüffelgefüllten Truthahn erst einmal drei Tage abhängen,
schmeißt vor dem Braten jedoch diese Trüffeln weg und ersetzt sie durch frische. So wild
treiben wir es nicht. Aber die Filmemacherin Eve Heller – in den USA aufgewachsen, in
Österreich, der Heimat ihres Vaters, lebend und Truthahn-Chefberaterin der Autorin –
besorgte gleich einmal das Austernfülle-Rezept ihrer Kindheit. Offenbar sah auch die Heller-
Family Veredelungsbedarf.

Testlauf für Weihnachten

Unser Viecherl – auf dem knapp fünf Kilogramm schweren Brocken pickte das etwas
beleidigende Etikett "Mini-Pute" – gingen wir aber ganz klassisch bürgerlich an. Der Termin
war in Thanksgiving-Nähe, aber gedacht war die Kocherei als Testlauf für Ihr Weihnachts-
Grande-Pièce. Diätologisch unbedenklicher als das um die Jahreszeit doch schon sehr fette
Gansl, das ja auch so ein küchentechnischer Problembär ist. Um das Ende vorwegzunehmen:
Die Bekehrung der Truthahnzweifler, Autorin selbst eingeschlossen, hat stattgefunden, alte
Truthahntraumata sind überwunden.

Unaufwendig ist die Sache aber nicht: Da ist zuerst einmal die Frage nach dem Pökeln, dem
Einlegen in Salzlake. Geht aber auch trocken. "To brine" nennt man das. Hierzulande hört
man kaum etwas davon, wobei unser Kulinarikautor Tobias Müller vor ein paar Jahren einmal
ein so "gepimptes" Brathuhn vorgekocht hat. In den USA gehört Brining heutzutage zum
Truthahn-Handwerk, aber das war auch nicht immer so, wie man bei J. Kenji Lopéz-Alt in
The Food Lab nachlesen kann (ein Buch, das ich bei jeder größeren Fleischbraterei
konsultiere, bei einer amerikanischen zumal). Er verweist auf die beim Thanksgiving-Essen
früher unausweichliche Diskussion, wer denn daran schuld sei, dass der Turkey wieder einmal
zu trocken geraten sei – und dass man dieses Problem jetzt durch Brining gelöst habe.

Aber! Aber, schreibt der junge Meister, er selbst macht es nicht! Denn seiner Meinung nach
hilft das Salzlakenbad der Fleischsaftigkeit zwar auf die Sprünge – nimmt aber gleichzeitig
Geschmack weg. Kurze Überlegung: Was ist mir wichtiger? Ich brine!

Ein ziemlich großes Vogelbad

Allerdings habe ich das Wasser mit einer comme-il-faut-selbstgemachten, entsprechend


gesalzenen Gemüsesuppe ersetzt (s. Rezept unten). 16 Stunden lang durfte mein Vogel
schwimmen, in zirka fünf Liter Flüssigkeit. Meine Konstruktion war ziemlich genial: Ich habe
ein "brining bag" gekauft, ein großes, verschließbares reißfestes, lebensmittelsicheres
Plastiksackerl. In eine Kühltasche habe ich unten die gefrorenen Kühlpatronen gelegt, darauf
den Sack mit Pute im Bade, und darauf wieder Patronen, die ich nach der Hälfte der Zeit mit
frischen aus dem Eis ersetzt habe. Spart Kühlschrankplatz, hat bestens gehalten.

Wenn das Tier viel größer ist, braucht man angesichts des akkumulierten Gewichts, Vogel
plus Flüssigkeit, wahrscheinlich eine Hebehilfe. Bei unserem zarten Truthähnchen ging es
noch allein. Etwas unterschätzt habe ich jedoch die Zeit, die es braucht, um ihn nach dem
Bade wirklich mustergültig innen und außen abzutrocknen und die Haut an der Brust und den
Beinen vorsichtig zu lösen, um ihn nicht nur außen, sondern auch innen mit einer Butter-
Kräuter-Mischung einzuschmieren. Gestopft habe ich ihn mit in größere Spalten
geschnittenen Äpfeln, Orangen und Zwiebeln, außerdem wurde er im Bräter auf Karotten,
quasi als Gitter fungierend, gebettet.

Er kommt ins sehr heiße Rohr (Lopéz-Alt sagt 500 Grad Fahrenheit, das sind 260 Grad
Celsius, 250 tun’s auch), das aber sofort heruntergedreht wird, bei mir auf 160 Grad. Gute
drei Stunden haben wir – inzwischen waren die Kommensalen und Kommensalinnen
eingetroffen – ihn gebraten und ohne Bratenthermometer auf dem Punkt erwischt. Das Vieh
war wirklich gut, auch der Saft, den wir mit einer starken Hendl-plus-Truthahn-Hals-etc.-
Suppe etwas verlängert und eingekocht haben. Einbrenn, auf gut Englisch "roux", wie sie
auch der Meister Kenji macht, ist wirklich nicht nötig.

Die Philosophie der Beilagen

Da die Gasterei nun einmal zu Thanksgiving stattfand, mussten auch die traditionellen
Zuspeisen sein. So wurde unter anderem die Cranberry-Sauce selbst gemacht, mit diesen
riesigen Cranberrys, die, unter uns, eigentlich nach nicht viel schmecken, da helfen auch der
Orangensaft und die Zimtstange beim Einkochen nicht. Die Preiselbeeren der Firma Staud
sind meiner Meinung nach um Häuser besser. Aber beim Essen wurde mir beschieden, die
Cranberry-Sauce war genau so, wie sie sein soll. Na ja.

Ziemlich üblich ist es auch, das Stuffing, die Fülle, extra zu braten, wobei einen die
Begründung ins Grübeln bringt: Die aus dem Truthahn austretenden Säfte dringen ja in die im
Bauchraum platzierte Fülle ein! Und das ist heutzutage igitt, wenn nicht gar gefährlich. Mit
einem komplizierten Prozedere wird deshalb in "modernen" Rezepten die Fülle außerhalb
gegart und erst in den Vogel gestopft, wenn der schon fast fertig ist. Na, da lassen wir sie
doch gleich draußen und servieren sie sozusagen als Knödel für Faule in einer Rein.

So richtig traditionell soll Sage-Sausage-Stuffing sein, Salbeiwurstfülle, und mit frischem


Salbei und guten Salsicce hat das auch hervorragend geklappt. Nicht nötig war meiner
Meinung nach die Tortur mit dem Weißbrot, das ich selbst in Stücke – die eben etwas größer
sind als unsere Semmelbröckerl – geschnitten und ewig lange im Rohr getrocknet habe.

Jedenfalls wird ein halbes Kilo Salsiccia mit einer Zwiebel, drei Selleriestangen, zwei großen
Knoblauchzehen (alles gehackt natürlich) in Butter angebraten, auch der frische gehackte
Salbei gehört da schon hinein. Für diese Menge brauchen Sie einen großzügigen halben Liter
starke Hühnersuppe. In einem Teil der (kalten) Suppe verrühren Sie zwei bis drei Eier und
gehackte Petersilie, das kommt in die (erkaltete) Wurstmischung. Da hinein mischen Sie die
Brotwürfel, etwa ein Dreiviertelkilo. So viel Suppe dazu lassen, wie es eben für die richtige
Konsistenz braucht, in eine Kasserolle und im Rohr backen, bis es schön braun oben ist (etwa
40 Minuten). Bei Lopéz-Alt ist es innen richtiggehend schwabbelig (sieht man auf Youtube),
bei uns war’s wie ein sehr weicher Knödel.

J. Kenji López-Alt

Erdäpfelpüree gehört auch dazu, ich kann auch nichts dafür. Das muss sein, also haben wir’s
brav gemacht. Bei der Suche nach dem richtigen Gemüse bin ich hingegen auf ein "Andy
Warhol lässt grüßen"-Kultrezept gestoßen: Campbell’s Green Bean Casserole. Die geht im
Wesentlichen so: Man nehme eine Dose Campbell’s Fisolen, schütte darauf eine mit Milch
und Soyasauce etwas aufgemotzte Dose Campbell’s Champignonsuppe und vermische alles
mit einem Teil einer Packung von Campbell’s gerösteten Zwiebeln. Das packen Sie in eine
Kasserolle, streuen noch einmal von den köstlichen Fertigzwieberln drauf und ab ins Rohr
zum Überbacken!

Ich habe alle Bestandteile, vor allem natürlich die Champignonsauce, frisch gemacht und die
Zwiebeln durch Pancetta ersetzt (aber dann doch auch noch Zwiebeln in Butterschmalz
geröstet, zur freien Entnahme bei Tisch). Meine Fisolen waren sauteure Keniabohnen – ist ja
nicht die Saison – und sind mir fast zu al dente geraten. War gut gemeint, Kapitel
abgeschlossen. Das nächste Mal: Fisolen, wenn schon, extra, Champignons, wenn schon,
extra. Und weil’s in der Familie Heller so üblich war, haben wir auch noch Blaukraut gehabt,
das wenigstens beim Verdauen hilft: mehr noch als die als "side dish" orthodoxe Pumpkin-Pie
– wobei auch die nur orthodox zu sein scheint, wenn sie aus der Konserve kommt.

Mein Lieblingsartikel zum Thema Turkey war jener in der New York Times mit dem Titel
Don’t Mess With the Dressing! Don’t Tinker With the Turkey!, in dem die Autorin Jennifer
Weiner ihre Erfahrung mit der Verbesserung der Familientraditionsrezepte, unter anderem der
Green Bean Casserole, beschreibt: Der "kleine" Bruder Joe verlangt angesichts der frischen
Fisolen und dem anderen Pipapo ultimativ von der ebenfalls anwesenden Mutter, dass sie ihm
den "richtigen" Fisolenauflauf mache. Übrigens sieht man am Titel des Artikels, dass manche
"Dressing" zum "Stuffing" sagen, von Lopéz-Alt werden sie deshalb "you oddballs out there"
gerufen.

Ein Thanksgiving-Essen hat so zu sein, wie es in der Kindheit war, mag es noch so
kulinarisch zweifelhaft sein. Identitätsstiftend ist auch die Cranberry-Sauce aus der Konserve:
"It plops out of the can, has those pretty ridges, and can be sliced up ...", schreibt Lopéz-Alt
über das Gelee, das mit den von der Dose eingedrückten "hübschen" Rillen aus derselben
schlüpft und offenbar so hart ist, dass es aufgeschnitten werden kann. Als hätte er Angst,
jemanden zu beleidigen, wählt er folgenden Untertitel für sein Rezept: "I understand the
appeal of canned jellied cranberry sauce." Ja eh.

Madison Darbyshire schreibt in der Financial Times, dass vor allem Amis in der Diaspora,
auch wenn sie übers Jahr vernünftig kochen, vor Thanksgiving verzweifelt nach den diversen
industrialisierten Zutaten zu suchen beginnen, darunter die fertige Stuffing-Mischung. Aber
auch in den USA fällt der halbe Umsatz von Campbell’s Champignoncremesuppe in die
Monate rund um Thanksgiving.

Eine Zettelwirtschaft

Ein Relikt meines Truthahnfestes sind übrigens etliche lose Zettel, in denen ich die Rezepte
für die von mir benötigte Menge mehrfach auf hierorts übliche Angaben umgerechnet habe:
Das Hohlmaß "cup" ist uns, die wir die Waage gewohnt sind, doch recht fremd. "1/2 cup
salt": Sorry, in meiner Küche gibt es keine amerikanisch-standardisierte "Tasse". Dann
kommen die im Falle des Pökelns nicht unwichtigen Angaben von "quarts" und "gallons", und
die Brotstücke fürs Stuffing werden in "inches" gemessen. Und die Fahrenheitangaben
kommen einem zuerst höllisch heiß vor.

Ja, und dann brauchen Sie natürlich noch jemanden, der den Truthahn kunstgerecht tranchiert.
In unserem Fall war das der Gatte von Eve Heller, der nicht nur als Filmemacher, sondern
auch als Geflügelbrater berühmte Peter Tscherkassky, der mit unserer Leistung sehr zufrieden
war. Und dann sitzt man und isst und trinkt und isst und trinkt– und dann wird man müde.
Und damit sie eine Ausrede haben, sich nach dem Truthahnessen im Kollektiv vor die Glotze
zu setzen und anderen Menschen bei der sportlichen Ertüchtigung zusehend ein bisschen
einzunicken, haben die Amerikaner das Tryptophan erfunden.

Beziehungsweise die Behauptung, dass Truthahnfleisch besonders viel Tryptophan enthält,


das, in so großen Dosen genossen, schläfrig macht. Ist nur ein Gschichtl, liebe Amis, aber ein
netteres als jene Gschichtln, die euch euer Präsident so reindrückt. Euer Turkey hat genau so
viel Tryptophan wie jedes andere Fleisch, überzeugt euch bei Dr. Google. Und passt lieber
auf, dass ihr einen hormon- und antibiotikafreien erwischt.
So machen Sie Ihr Grande Pièce für Weihnachten

Zutaten:

Zum Pökeln: 150 bis 200 g Salz auf etwa fünf Liter Wasser oder Gemüsebrühe,
100 g brauner Zucker.
Zum Braten: Salz, Butter, Knoblauch, Petersilie, Thymian, Salbei, Rosmarin,
Karotten und eventuell Stangensellerie.
Für den Saft: Hühnersuppe,
Truthahnhals und -innereien.

Zubereitung:
Pökeln: Lösen Sie das Salz in etwa einem Liter Wasser oder Suppe auf, lassen sie es völlig
abkühlen, Rest der Flüssigkeit, eventuell Eiswürfel, sowie den Truthahn in einen "brining
bag" oder einen lebensmittelsicheren Kübel geben, gut durchmischen. Bei einem 5-Kilo-
Truthahn haben 16 Stunden Brining gut gepasst.

Braten: Truthahn aus der Flüssigkeit nehmen, sorgfältig abtrocknen. Die Haut an der Brust
und an den Haxen vorsichtig lösen, ohne sie zu beschädigen. Den Truthahn salzen (je nach
Stärke der Salzlake), und mit der Butter-Kräuter-Knoblauch-Mischung (alles hacken und mit
flüssiger Butter vermengen) gut einreiben, außen, aber auch unter der Haut.
Entweder auf einen Rost mit einer Tropftasse platzieren oder eine große Kasserolle mit
ganzen Karotten und Selleriestangen auslegen und den Truthahn darauf betten. Rohr auf 250
Grad gut vorheizen, den Truthahn hineingeben und gleichzeitig auf 160 Grad herunterdrehen.
Mit Bratenthermometer kontrollieren. Bratdauer war bei einem knapp 5 Kilo schweren
Truthahn gut drei Stunden.
Den Truthahn eingepackt 20 bis 30 Minuten ruhen lassen, den Saft mit der vorbereiteten
Hühner-Truthahn-Suppe etwas strecken und einkochen.

(Gudrun Harrer, 21.12.2019)

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