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Deutsch als Fremdsprache

HSK 19.1


Handbücher zur
Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft
Handbooks of Linguistics
and Communication Science

Manuels de linguistique et
des sciences de communication

Mitbegründet von
Gerold Ungeheuer

Herausgegeben von / Edited by / Edités par


Armin Burkhardt
Hugo Steger
Herbert Ernst Wiegand

Band 19.1

Walter de Gruyter · Berlin · New York


2001
Deutsch als Fremdsprache
Ein internationales Handbuch

Herausgegeben von
Gerhard Helbig · Lutz Götze · Gert Henrici
Hans-Jürgen Krumm
1. Halbband

Walter de Gruyter · Berlin · New York


2001

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die
US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek ⫺ CIP-Einheitsaufnahme

Deutsch als Fremdsprache : ein internationales Handbuch / hrsg. von Ger-


hard Helbig …. ⫺ Berlin ; New York : de Gruyter
(Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft ; Bd. 19)
Halbbd. 1. ⫺ (2001)
ISBN 3-11-013595-7

쑔 Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin
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Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin
Druck: WB-Druck, Rieden/Allgäu
Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Einbandgestaltung und Schutzumschlag: Rudolf Hübler, Berlin
Vorwort

1. Zur Bezeichnung und Abgrenzung des Faches


Der Terminus Deutsch als Fremdsprache wird für unterschiedliche Bereiche der Beschäf-
tigung mit dem Deutschen als Nicht-Muttersprache verwendet. Er steht sowohl für den
konkreten Sprachunterricht für Nichtdeutschsprachige wie auch für theoretische Stu-
dien und Forschungsprojekte zum Gegenstandsbereich und ebenso für Unterrichtsme-
thoden und Studiengänge innerhalb und außerhalb der Germanistik.
Inwieweit Deutsch als Fremdsprache ein eigenes, klar abgrenzbares wissenschaftli-
ches Fach ist und wie dieses zugeordnet werden sollte, als Bestandteil der Germanistik
oder als interdisziplinäres Arbeitsgebiet zwischen Philologie und Psychologie bzw. Päd-
agogik, wird erst die weitere Entwicklung klarer zeigen. Abhängig von entsprechenden
Konzeptionen ergeben sich terminologische und begriffliche Akzentuierungen.
Mit Deutsch als Zweitsprache wird vielfach jener Bereich des Faches bezeichnet, der
sich auf den Spracherwerb und die Sprachvermittlung innerhalb des deutschen Sprach-
raums, also insbesondere auf den Spracherwerb von Minderheiten und Migranten, be-
zieht.
Als Interkulturelle Germanistik werden öfters besonders von Deutschland ausgehende
Konzepte bezeichnet, die das Problem des Fremdverstehens im Rahmen literaturwissen-
schaftlicher Ansätze und in der Auseinandersetzung mit Theorien des (Fremd-)Verste-
hens entfalten ⫺ Artikel 1 zeichnet diese Diskussion nach.
Die Herausgeber des Handbuchs haben für den vorliegenden Band eine zugleich
programmatische wie auch praktische Position gewählt, die sich folgendermaßen cha-
rakterisieren lässt:
1) Die Bezeichnung Deutsch als Fremdsprache wurde beibehalten, weil sie, trotz man-
cher Missverständnisse, insbesondere der Verwechslung mit dem Sprachunterricht, den-
noch die Geschichte des Faches, seine wissenschaftlichen Aspekte wie auch die inzwi-
schen eingetretene Institutionalisierung und Differenzierung gut kennzeichnet: Institute
und Lehrstühle, Jahrbücher und Zeitschriften tragen mit der Verwendung dieser Be-
zeichnung auch zur Festigung des Faches bei und haben den Terminus inzwischen viel-
fach auch international etabliert.
2) Ausgangspunkt der Beiträge in diesem Handbuch ist der Lernbereich des Deut-
schen als Fremdsprache, der in seinen linguistischen Grundlagen wie in den sprachpsy-
chologischen, spracherwerbsbezogenen, sprachdidaktischen und landeskundlichen Ar-
beitsfeldern dargestellt wird, wobei die Grenzen zur Pädagogik und Psychologie da-
durch gezogen werden, dass im Fach Deutsch als Fremdsprache ,Sprache‘ nicht als den
sprachübergreifenden Aspekten des Lernens und Lehrens unter- oder nachgeordnet,
sondern als gleichgewichtiges konstitutives Element betrachtet wird. Das Handbuch
unterscheidet sich insofern von anderen Konzeptionen, die den Erwerb und die Vermitt-
lung einer Sprache vor allem als Spezialfall einer allgemeinen Betrachtung des Spra-
chenlehrens und -lernens bzw. des Lehrens und Lernens überhaupt verstehen.
3) In je unterschiedlicher Weise sind, was den deutschen Sprachraum betrifft, Frage-
stellungen des Deutschen als Fremdsprache in der Bundesrepublik Deutschland mit
VI Vorwort

einer besonders langen Fachgeschichte und einer starken Institutionalisierung des Fa-
ches, in Österreich mit einer noch jungen, im Wesentlichen erst seit 1989 sich entfalten-
den Fachszene, und in der Schweiz unter den spezifischen Bedingungen der Mehrspra-
chigkeit entwickelt worden. Das Handbuch trägt dem Rechnung, indem die Entwick-
lung in den deutschsprachigen Ländern jeweils separat dargestellt (Kap. II und XXII),
nach Möglichkeit aber auch in die einzelnen Fachartikel (z. B. zur Landeskunde) inte-
griert wird.
4) Eine besondere Beziehung besteht zwischen dem Fach Deutsch als Fremdsprache
in den deutschsprachigen Ländern und der sog. Auslandsgermanistik; Verstand sich
diese lange Zeit als Abbild der Germanistik des deutschen Sprachraums, so hat sie
zunehmend eigene, aus der Außenperspektive auf den deutschen Sprachraum gerichtete
Fragestellungen und damit für das Fach Deutsch als Fremdsprache charakteristische
Arbeitsfelder entwickelt. Es muss daher vermieden werden, für Deutsch als Fremdspra-
che eine primär im deutschen Sprachraum entwickelte Perspektive zu verallgemeinern.
Die Herausgeber haben dieser besonderen Situation Rechnung getragen, indem in Kap.
XXIII länderspezifische Darstellungen die besonderen Entwicklungen in den einzelnen
Ländern nachzeichnen. Ausserdem wurde versucht, möglichst viele Kollegen aus der
,Auslandsgermanistik‘ als Autoren zu gewinnen, um eine eurozentrische Sichtweise zu
vermeiden.
Die ursprüngliche Planung sah vor, das Handbuch in einem zweiten Teilband weiter-
zuführen. In ihm sollten vor allem komplexe semantische und pragmatische Probleme
behandelt werden. Sie ergeben sich für Deutsch als Fremdsprache komparativ und her-
meneutisch beim Umgang mit anspruchsvollen fremdsprachlichen Texten und Traditio-
nen. Hierzu bedarf es weiterer Planungen und einer eingehenden Beschäftigung mit
komparativer Semantik, Pragmatik und Literaturwissenschaft. Nur dadurch können
nach unserer Überzeugung genügend abgesicherte Konzepte für Deutsch im Kontrast
zu anderen Sprachen und deren Verständnishorizonten entwickelt werden. Einige Fra-
gen dieses Bereichs werden im vorliegenden Handbuch jedoch in einem engeren Sinne,
bezogen auf die Prozesse des Sprachenlehrens und -lernens und die Inhalts- und Kon-
textdimension von Sprache thematisiert ⫺ verwiesen sei auf die Kapitel XII, XVIII und
XXI, in denen auch Kontroversen um die Etablierung der Interkulturellen Germanistik
nachgezeichnet werden (vgl. z. B. Art. 135).

2. Aufgaben des Handbuchs


Während die meisten anderen in der Reihe HSK vorgelegten Bände den Zustand eines
konsolidierten Fachgebietes darstellen, gilt für Deutsch als Fremdsprache, dass sich
dieses Fach zwar gefestigt hat und konzeptionelle wie auch institutionelle Strukturen
sich etabliert haben, dass die Entwicklung freilich noch keineswegs als abgeschlossen
betrachtet werden kann. Das Handbuch will daher einerseits den erreichten Entwick-
lungsstand im Sinne einer Bilanzierung darstellen, andererseits jedoch keine Geschlos-
senheit vortäuschen, wo diese noch nicht gegeben ist, sondern durchaus zur weiteren
Konsolidierung des Faches beitragen. Seine Aufgabe besteht daher im Einzelnen darin,
⫺ die konzeptionelle Entwicklung von Deutsch als Fremdsprache in Theorie und Pra-
xis wie auch die durchaus unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen darzustellen und
zu erörtern,
Vorwort VII

⫺ die unterschiedlichen Institutionalisierungen des Faches transparent zu machen,


⫺ zu zeigen, wie Forschungsstand und Forschungsmethoden im Einzelnen einzuschät-
zen sind,
⫺ dabei vor allem die interdisziplinären Bezüge zu den Referenzwissenschaften aufzu-
zeigen,
⫺ und nicht zuletzt auch die Bedeutung des Faches für die verschiedenen Praxisfelder
zu verdeutlichen.
Drei der großen Herausforderungen, vor die das Fach gestellt ist und für die das Hand-
buch Grundlagen bereitstellen will, seien hier exemplarisch genannt:
1) die Neuorientierung der Germanistik in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, in der sich
die Germanistik in stärkerem Maße mit der Berufsorientierung ihrer Studienangebote,
einer professionellen Lehrerausbildung und der veränderten Rolle der deutschen Spra-
che im Sprachenangebot auseinandersetzen muss, was Fragen des Deutschen als Fach-,
Berufs- und Wirtschaftssprache ebenso in den Vordergrund rückt wie auch die spra-
chenpolitische Dimension des Deutschen als Fremdsprache insgesamt;
2) die Tatsache, dass innerhalb der Europäischen Union die Grenzen zwischen In- und
Ausland fließend werden, d. h. die Mobilität der Studierenden und Lehrkräfte zu einer
Auflösung der Grenzen zwischen Muttersprachen- und Fremdsprachenphilologien, zwi-
schen Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache führt, womit die deutsche
Sprache vermehrt unter dem Aspekt gesellschaftlicher wie individueller Mehrsprachig-
keit zum Forschungs- und Vermittlungsgegenstand wird;
3) die durch die Migrationsbewegungen entstandene Multikulturalität des deutschen
Sprachraums, die eine Einbeziehung sozialpsychologischer und soziokultureller Zu-
gänge zu Sprache, Spracherwerb und Sprachvermittlung notwendig macht.
Das Handbuch versucht, für diese Umbruch- und Aufbruchsituation den vorhande-
nen Erkenntnis- und Forschungsstand ebenso wie unterrichtspraktische und sprachen-
politische Erfahrungen und Modelle bereitzustellen.

3. Gliederung des Handbuchs


Das Handbuch besteht aus 23 nach systematischen Gesichtspunkten gegliederten Kapi-
teln und hat folgende Grobstruktur:
A Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet (Kapitel
I⫺II mit 11 Artikeln):
Konzeptionen und Geschichte des Fachs.
B Gegenstände des Faches Deutsch als Fremdsprache (Kap. III⫺XXI mit 130 Arti-
keln):
Linguistische Gegenstände (Kapitel III⫺VII):
Sprachsystem, Sprachgebrauch, Texte aus linguistischer Sicht, Kontraste zwischen
Einzelsprachen, sprachliche Varianten des Deutschen.
Didaktisch-methodische Gegenstände ⫺ Lernen (Kapitel VIII⫺IX):
Begriffe und Konzepte, Erklärungsansätze für den Zweitsprachenerwerb und das
Fremdsprachenlernen: Zweitsprachenerwerb als prädeterminierte Entwicklung,
Zweitsprachenerwerb als Lernaktivität ⫺ Zweitsprachenerwerb als individueller
Prozess, Zweitsprachenerwerb als Interaktion, pädagogisch-didaktische Lern-
kategorien.
VIII Vorwort

Didaktisch-methodische Gegenstände ⫺ Lehren (Kapitel X⫺XVI):


Lehren in Theorie und Empirie, Planung von Deutsch als Fremdsprache-Unter-
richt, Methoden des Unterrichts in Deutsch als Fremdsprache, Leistungskontrolle
und Leistungsmessung, Materialien und Medien, Lehrerinnen und Lehrer, Lehren
und Lernen von Deutsch als Fremdsprache in der Auslandsgermanistik.
Landeskundliche Gegenstände (Kapitel XVII⫺XX):
Standpunkte und Konzepte, Texte aus landeskundlicher Sicht, landeskundliche
Inhalte, Landeskunde in der Auslandsgermanistik.
Literatur als Gegenstand des fremdsprachlichen Deutschunterrichts (Kapitel XXI).
C Institutionen und Areale (Kap. XXII⫺XXIII mit 44 Artikeln):
Sprachenpolitik und Institutionen, Deutschunterricht und Germanistikstudium
im fremdsprachigen Ausland.
A und C umfassen Rahmenkapitel: In Kapitel I und II werden allgemeine Konstituie-
rungsprobleme und historische Entwicklungen des Fachs, in den Kapiteln XXII und
XXIII vorwiegend quantitative und institutionelle Aspekte der Repräsentanz des Fa-
ches dargestellt. Der eingebettete Teil B (Kapitel III bis XXI) repräsentiert den Kernbe-
reich des Faches, wobei der Reihenfolge der Beiträge die Überlegung zugrunde liegt,
dass das Lernen und Lehren von Gegenständen die genaue Kenntnis der Gegenstände
voraussetzt. Die Reihenfolge Lernen und daran anschließend Lehren ist dadurch be-
dingt, dass das Lernen des Deutschen als Fremdsprache das Ziel ist, dem sich das
Lehren anzupassen bzw. unterzuordnen hat. Obwohl Lern- und Lehrhandlungen einan-
der bedingende Prozesse sind, haben sich die Herausgeber aus Gründen einer trenn-
schärferen systematischen Darstellung für eine separate Behandlung der beiden Aspekte
entschieden.
In der Unterteilung in linguistische, didaktisch-methodische und landeskundliche Ge-
genstände sowie Literatur als Gegenstand des fremdsprachlichen Deutschunterrichts
kommt der Darstellung der Funktionen der Referenzwissenschaften für diese Bereiche
eine hohe Bedeutung zu. Ohne präzise und detaillierte Kenntnisse aus den jeweils rele-
vanten Referenzwissenschaften ist ein kompetenter Umgang mit den Gegenständen im
Lehr- und Lernprozess nicht möglich. Außerdem kann die konzeptionelle Entwicklung
von Deutsch als Fremdsprache nicht unabhängig von den Entwicklungen in den einzel-
nen Referenzwissenschaften gesehen werden. So hat z. B. die Pragmalinguistik einen
starken Einfluss bei der Entstehung und Ausgestaltung der kommunikativen Methode
ausgeübt, die Diskurs- und Gesprächsanalyse haben sich auf die Untersuchung und
Gestaltung von Interaktionen und die Verwendung von Kommunikationsstrategien im
Unterricht ausgewirkt. Kognitive Linguistik und Psychologie sowie die Zweitsprachen-
erwerbsforschung haben die Bedeutung von Lernstrategien ins Zentrum des Fachinter-
esses gerückt, verschiedene Disziplinen der Linguistik haben in Kooperation mit der
Sprachlehr- und Sprachlernforschung auf die Beschreibung von Lernersprachen hinge-
wirkt, linguistische Grammatiktheorien (u. a. Konstituentenanalyse, Verb-Dependenz-
Analyse) haben grammatische Darstellungen in Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrbü-
chern beeinflusst, die strukturale Linguistik hat insgesamt die Gestaltung verschiedener
Übungstypen (Einsatz-, Transfer-Übungen) geprägt. Literaturwissenschaft und Lingui-
stik schließlich haben die Analyse von fiktionalen und nichtfiktionaln Texten bestimmt,
die Pädagogik hat zur Entwicklung lernerbezogener Unterrichtskonzepte beigetragen,
so wie Psychologie, Zweitsprachenerwerbs- und Sprachlehrforschung die Untersuchung
verschiedener Lern- und Lernervariablen beeinflusst haben. Dabei ist das Verhältnis
Vorwort IX

zwischen Theorie und Praxis nicht als lineare Ableitung zu verstehen, vielfach haben
praktische Probleme (etwa der Motivierung, des Selbstlernens) und Entwicklungen z. B.
sprachenpolitischer Art auch den wissenschaftlichen Diskurs befruchtet und zu neuen
Forschungsansätzen geführt; das Wechselspiel zwischen sprachenpolitischen Konzeptio-
nen und wissenschaftlichen Begründungen von Mehrsprachigkeit und Fragen nach dem
frühen Fremdsprachenlernen können in den 90er Jahren als Beispiele dienen.
In den einzelnen Artikeln zu den 23 Kapiteln werden nach Möglichkeit folgende
Gesichtspunkte berücksichtigt: theoretische, empirische und praxisrelevante Erkennt-
nisse und Bezüge unter Einbeziehung der Forschungsergebnisse der jeweils relevanten
Referenzwissenschaften. Die grundsätzlich nach systematischen Aspekten erfolgende
Darstellung berücksichtigt historische Entwicklungen und, differenziert nach Deutsch
als Fremd- bzw. Deutsch als Zweitsprache, spezifische Lehr- und Lernprozesse sowie
kontrastive Gesichtspunkte. Im Anschluss an jeden Artikel wird die relevante Literatur
in Auswahl aufgeführt.
An der Erarbeitung der Gliederung haben neben den Herausgebern weitere Kollegin-
nen und Kollegen beratend mitgewirkt.
Der Band schließt ab mit einem Namens- und Begriffsregister sowie einer Auflistung
der Autorinnen und Autoren.
Im Hinblick auf die angestrebte Vollständigkeit in den einzelnen Abschnitten bedarf
es eines Hinweises:
Kap. VI beschränkt sich auf diejenigen Sprachen, zu denen kontrastive Analysen im
Hinblick auf das Deutsche vorliegen. Auf Grund des Ausfalls von Autoren kurz vor
der Drucklegung konnten hier leider nicht alle Lücken geschlossen werden: so fehlen
zu unserem Bedauern ein Artikel zum Sprachkontrast Portugiesisch-Deutsch sowie ei-
ner zu den afrikanischen Sprachen. Ersatzweise sei auf die Artikel 171⫺176 zu Afrika
und 146 (Brasilien) sowie 158 (Portugal) im Länderteil des Handbuchs verwiesen.
In Kap. XXIII haben wir uns bemüht, Länderberichte aus allen Staaten aufzuneh-
men, in denen eine über das klassische germanistische Fachverständnis hinausgehende
Entwicklung zu verzeichnen ist, wo also Fragen des Deutschen als Fremdsprache in
Forschung und/oder Studium besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die einzelnen
Beiträge lassen deutlich werden, wie unterschiedlich sich das Fach jeweils entwickelt
und wie verschiedenartig die Bedingungen und Anforderungen vor Ort sind ⫺ teils
stehen Forschungs-, teils Lehraufgaben im Vordergrund, wobei in sehr unterschiedli-
chem Maße sprach- oder literaturwissenschaftliche, sprachdidaktische, unterrichtsprak-
tische oder landeskundliche Fragestellungen dominieren. Die Herausgeber haben hier
bewusst nicht eingegriffen, denn es schien uns wichtig, die Heterogenität des Fachver-
ständnisses wie der Fachentwicklung nicht durch eine zu stark vereinheitlichende Dar-
stellung zu kaschieren. Für einige wenige ursprünglich vorgesehene Länder fehlen in
diesem Kapitel die Beiträge, weil es nicht gelungen ist, rechtzeitig zur Drucklegung
entsprechende Beiträge zu erhalten.
Wegen des beträchtlichen Umfangs erscheint das Handbuch in zwei Bänden.

4. Geschichte der Ausarbeitung des Handbuchs


Auf Einladung der HSK-Reihenherausgeber, Hugo Steger und Herbert Ernst Wiegand
übernahm Gerhard Helbig (Leipzig) 1991 die Aufgabe, ein Handbuch für das Fach
Deutsch als Fremdsprache herauszugeben. Auf seinen Vorschlag wurde die Herausge-
X Vorwort

bergruppe um Lutz Götze (Saarbrücken), Gert Henrici (Bielefeld) und Hans-Jürgen


Krumm (Wien) erweitert. Die vier Herausgeber haben seitdem partnerschaftlich zusam-
mengearbeitet und sich die Verantwortlichkeit für einzelne Themenbereiche geteilt.
Nach der Emeritierung von Gerhard Helbig übernahm Hans-Jürgen Krumm die ge-
schäftsführende Herausgeberschaft und Koordination des Projekts.
Die Herausgeber haben für den nunmehr vorliegenden Band ingesamt ca. 250 Auto-
ren angeschrieben und schließlich 171 Autoren dafür gewinnen können, eine Gesamt-
darstellung des Faches sowohl in seinen institutionellen als auch fachlichen Bezügen zu
geben. Dabei müssen der unterschiedliche Entwicklungsstand des Faches wie auch die
unterschiedlichen Arbeitsbedingungen der Fachkollegen in Rechnung gestellt werden,
was dazu führte, dass sich die Ausarbeitung des Handbuchs von der Einladung der
ersten Autoren bis zur Herstellung über den langen Zeitraum 1996 bis 1999 hingezogen
hat: Bei nichtdeutschsprachigen Autoren stellte sich immer wieder die Frage nach einer
sprachlichen Überarbeitung, die wir in vorsichtiger Form vorgenommen haben, ohne
stilistisch allzu sehr anzugleichen. Gelegentlich war zu entscheiden, ob auf einen Beitrag
verzichtet werden sollte, weil er den fachlichen Ansprüchen der Herausgeber nicht ge-
nügte, vom Thema her aber eigentlich nicht fehlen durfte; die Zahl der für einzelne
Themen verfügbaren Autoren erwies sich zudem als begrenzt. In einigen Fällen mussten
neue Autoren gesucht werden, was nicht immer leicht war und den Terminplan für
das Handbuch stark strapaziert hat; in fünf Fällen musste darauf verzichtet werden,
vorgesehene Artikel zu realisierren.
Terminologisch wie auch von der Fachkonzeption her wurden den Autoren dagegen
keine Vorgaben gemacht und keine Angleichung vorgenommen, stehen terminologische
Differenzen (z. B. Sprachdidaktik ⫺ Glottodidaktik ⫺ Angewandte Linguistik) doch
auch für unterschiedliche Fachtraditionen und -konzeptionen.
Für die sachliche Richtigkeit und die Qualität der einzelnen Beiträge liegt die Verant-
wortung bei den Autoren, doch die Herausgeber sind für die nicht immer gelungene
Vereinheitlichung und für die systembedingten Mängel verantwortlich.
Wenn in diesem Handbuch von Wissenschaftlern, Lehrern, Lernern usf. die Rede ist,
sind immer auch die Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen, Lernerinnen etc. gemeint. Die
Entscheidung für diese Sprachverwendung wurde ausschließlich aus Platzgründen ge-
troffen. Die Beiträge wurden in dieser Hinsicht vereinheitlicht.

5. Danksagungen

Das vorliegende Handbuch wurde an den vier Arbeitsorten der Herausgeber betreut
und redigiert; ein großer Teil der Arbeit war von den Mitarbeitern der Herausgeber zu
tragen. Ihnen gebührt ein besonderer Dank: bei Lutz Götze in Saarbrücken: Frank
Thomas Grub, bei Gert Henrici in Bielefeld: Karin Aguado, Berit Heidecker, Annette
Luksch, Claudia Riemer (jetzt Hamburg), bei Hans-Jürgen Krumm in Wien: Andrea
Koban. In Wien wurde auch eine abschließende Redaktion und Vereinheitlichung der
Beiträge besorgt, wofür alle Herausgeber Andrea Koban besonderen Dank schulden.
Dank gilt auch Hanna Bancher und Maria Chalikia, die die Register besorgten.
Schließlich haben die Herausgeber den Reihenherausgebern Hugo Steger und Her-
bert Ernst Wiegend zu danken, die die Entstehung des Bandes konstruktiv-kritisch
begleitet haben. Ganz besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen des Verlages, allen
Vorwort XI

voran Brigitte Schöning und Anke Beck, nicht zuletzt aber auch Monika Wendland
und Heike Plank, für die sorgfältige Betreuung des Projekts.
Die Herausgeber hoffen, dass das Handbuch Deutsch als Fremdsprache zur Konsoli-
dierung und zur Integration des Faches Deutsch als Fremdsprache beiträgt sowie seine
Entwicklung durch konzeptionelle und Forschungsimpluse voranbringt.

Bielefeld, Leipzig, Saarbrücken und Wien im Sommer 2000 Die Herausgeber


Inhalt

1. Halbband
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und


Forschungsgebiet I: Konzeptionen
1. Die Struktur des Faches (Helbig, Götze, Henrici, Krumm) ...... 1
2. Linguistischer Ansatz (Götze, Helbig) . . . . . . . . . . . . . ...... 12
3. Didaktisch-methodischer Ansatz: Die lehr- und
lernwissenschaftliche Perspektive (Neuner) . . . . . . . . . . ...... 31
4. Landeskundlicher Ansatz (Simon-Pelanda) . . . . . . . . . . ...... 41

II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und


Forschungsgebiet II: Geschichte
5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache in Deutschland (Reich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht-deutschsprachigen
Ländern (Ammon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in
Deutschland (Blei, Götze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache und des
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterrichts in Österreich
(Muhr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache und des
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterrichts in der Schweiz
(Langner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in
nichtdeutschsprachigen Ländern I: Europäische Perspektive
(Altmayer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in
nichtdeutschsprachigen Ländern II: Außereuropäische Perspektive
(D. Rall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

III. Linguistische Gegenstände I: Das Sprachsystem


12. Das deutsche Lautsystem (Kelz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
13. Die Standardaussprache des Deutschen (Stock) . . . . . . . . . . . . . 162
14. Arten und Typen von Grammatiken (Helbig) . . . . . . . . . . . . . . . 175
15. Linguistische und didaktische Grammatik (Götze) . . . . . . . . . . . 187
XIV Inhalt

16. Kontrastivität in der Grammatik (Brdar-Szabó) . . . . . . . . . . . . . 195


17. Wörterbücher (Barz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
18. Kontrastivität in der Lexik (Grimm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
19. Kontrastivität in der Phraseologie (Korhonen, Wotjak) . . . . . . . . 224

IV. Linguistische Gegenstände II: Der Sprachgebrauch


20. Sprachsystem und Sprechhandlungen (Koch) . . . . . . . . . . . . . . . 236
21. Sprechhandlungen und unterrichtsspezifische Sprachtätigkeiten
(Portmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
22. Übersetzen und Deutschunterricht (House) . . . . . . . . . . . . . . . . 258

V. Linguistische Gegenstände III: Texte aus linguistischer


Sicht
23. Text, Texttypen, Textsorten (Thurmair) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
24. Textsorten der gesprochenen Sprache (Hess-Lüttich) . . . . . . . . . . 280
25. Textsorten der geschriebenen Sprache (Heinemann) . . . . . . . . . . . 300
26. Linguistische Analyseverfahren von Texten (Willkop) . . . . . . . . . . 314

VI. Linguistische Gegenstände IV: Kontraste zwischen


Einzelsprachen
27. Kontrastive Analysen Deutsch-Englisch: eine Übersicht (König) . . . 324
28. Kontrastive Analysen Deutsch-Niederländisch: eine Übersicht
(Wilmots) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
29. Kontrastive Analysen Deutsch-Schwedisch: eine Übersicht (Nikula) 337
30. Kontrastive Analysen Deutsch-Dänisch: eine Übersicht (Zint-Dyhr) 343
31. Kontrastive Analysen Deutsch-Norwegisch: eine Übersicht
(Askedal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
32. Kontrastive Analysen Deutsch-Französisch: eine Übersicht
(Greciano-Grabner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
33. Kontrastive Analysen Deutsch-Italienisch: eine Übersicht (Auer) . . 367
34. Kontrastive Analysen Deutsch-Spanisch: eine Übersicht (Zurdo) . . 375
35. Kontrastive Analysen Deutsch-Rumänisch: eine Übersicht
(Stǎnescu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
36. Kontrastive Analysen Deutsch-Russisch: eine Übersicht (Gladrow) 385
37. Kontrastive Analysen Deutsch-Polnisch: eine Übersicht (Ka̧tny) . . . 392
38. Kontrastive Analysen Deutsch-Tschechisch/Slowakisch: eine
Übersicht (Šimečková) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
39. Kontrastive Analysen Deutsch-Serbisch/Kroatisch: eine Übersicht
(Engel, Žiletić) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
40. Kontrastive Analysen Deutsch-Bulgarisch: eine Übersicht (Dimova) 410
41. Kontrastive Analysen Deutsch-Griechisch: eine Übersicht
(Winters-Ohle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
42. Kontrastive Analysen Deutsch-Ungarisch: eine Übersicht
(Brdar-Szabó) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
43. Kontrastive Analysen Deutsch-Finnisch: eine Übersicht
(Hyvärinen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
Inhalt XV

44. Kontrastive Analysen Deutsch-Türkisch: eine Übersicht (Ilkhan) . . 436


45. Kontrastive Analysen Deutsch-Arabisch: eine Übersicht (Blohm
unter Mitarbeit von Nahed El Dib) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
46. Kontrastive Analysen Deutsch-Japanisch: eine Übersicht (Kaneko) 451
47. Kontrastive Analysen Deutsch-Chinesisch: eine Übersicht
(Qian Wencai) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
48. Kontrastive Analysen Deutsch-Koreanisch: eine Übersicht (Lie) . . . 463
49. Kontrastive Analysen Deutsch-Madegassisch: eine Übersicht
(Bergenholtz, Rajaonarivo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

VII. Linguistische Gegenstände V: Sprachliche Varietäten des


Deutschen
50. Das Deutsche in Österreich (Wiesinger) . . . . . . . . . . . . . . .... 482
51. Das Deutsche in der Schweiz (Sieber) . . . . . . . . . . . . . . . . .... 491
52. Das Deutsche in Deutschland und seine regionalen Varianten
(Protze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
53. Soziale Varianten und Normen (Dittmar, Schmidt-Regener) . . . . . 520
54. Fachsprachen (Hoffmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
55. Geistes- und sozialwissenschaftliche Fachtexte (Wiese) . . . . . . . . . 544
56. Naturwissenschaftliche und technische Fachtexte (Fluck) . . . . . . . 549
57. Texte in Medizin-orientierter Kommunikation (Mentrup) . . . . . . . 565
58. Wirtschaftstexte (Reuter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573
59. Juristische Fachtexte (Kühn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582

VIII. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand I:


Begriffe und Konzepte
60. Lehren und Lernen (Aguado) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595
61. Typen und Konzepte des Spracherwerbs (Klein) . . . . . . . . . . . . . 604
62. Deutsch als Fremdsprache ⫺ Deutsch als Zweitsprache (Baur) . . . . 617
63. Bilingualismus-Mehrsprachigkeit (Apeltauer) . . . . . . . . . . . . . . . 628
64. Theorie und Empirie (Redder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
65. Deutsch als Tertiärsprache (Hufeisen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648

IX. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand II:


Erklärungsansätze für den Zweitsprachenerwerb und
das Fremdsprachenlernen
66. Zweitsprachenerwerb als prädeterminierte Entwicklung I: der
behavioristische Ansatz (Kuhberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 654
67. Zweitsprachenerwerb als prädeterminierte Entwicklung II: Der
kognitivistische und nativistische Ansatz (Riemer) . . . . . . . . . ... 663
68. Zweitsprachenerwerb als prädeterminierte Entwicklung III: der
sequenzieller Ansatz (Bahns, Vogel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 670
69. Zweitsprachenerwerb als Lerneraktivität I: Lernersprache ⫺
Lernprozesse ⫺ Lernprobleme (Apeltauer) . . . . . . . . . . . . . ... 677
XVI Inhalt

70. Zweitsprachenerwerb als Lerneraktivität II: Lernstrategien ⫺


Kommunikationsstrategien ⫺ Lerntechniken (Westhoff) . . . . . . . . 684
71. Zweitsprachenerwerb als individueller Prozess I:
Neuropsychologische Ansätze (List) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
72. Zweitsprachenerwerb als individueller Prozess II: Biologische und
neurophysiologische Grundlagen (Schönpflug) . . . . . . . . . . . . . . 701
73. Zweitsprachenerwerb als individueller Prozess III: kognitive
Faktoren (Riemer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707
74. Zweitsprachenerwerb als individueller Prozess IV: Affektive
Variablen (Rost-Roth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714
75. Zweitsprachenerwerb als individueller Prozess V:
Sozioökonomische, politische, soziokulturelle und andere
Umgebungsvariablen (Rohman, Su-Yon Yu) . . . . . . . . . . . . . . . 722
76. Zweitsprachenerwerb als Interaktion I: Interaktiv-kommunikative
Variablen (Henrici) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732
77. Zweitsprachenerwerb als Interaktion II: Interaktion und Kognition
(Redder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742
78. Pädagogisch-didaktische Lernkategorien I: Typen von Lernern und
Lerntypen (Aguado) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751
79. Pädagogisch-didaktische Lernkategorien II: Organisationsformen
von Lernen (Kerschhofer-Puhalo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761

2. Halbband

X. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand I: Theorie


und Empirie
80. Der Faktor „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als
Fremdsprache-Unterrichts (Krumm) . . . . ................ 777
81. Der Faktor „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als
Zweitsprachen-Unterrichts (Schmitt) . . . . ................ 785

XI. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand II: Die


Planung von Deutsch als Fremdsprache-Unterricht
82. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache
(Neuner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797
83. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache
(Barkowski) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810
84. Prüfungen, Zertifikate, Abschlüsse als Planungskategorien für den
Unterricht (Schifko) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827
85. Verfahren der Unterrichtsplanung (Piepho) . . . . . . . . . . . . . . . . 835

XII. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand III:


Methoden des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts
86. Methodische Konzepte für Deutsch als Fremdsprache (Henrici) . . . 841
87. Methodische Konzepte für Deutsch als Zweitsprache (Luchtenberg) 854
Inhalt XVII

88. Zur Rolle der Fertigkeiten (Faistauer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864


89. Vermittlung der Phonetik (Hirschfeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 872
90. Grammatikvermittlung (M. Rall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 880
91. Wortschatzvermittlung (Köster) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887
92. Hörverstehen (Solmecke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 893
93. Leseverstehen (Lutjeharms) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 901
94. Mündliche Sprachproduktion (Schreiter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 908
95. Schriftliche Sprachproduktion (Bohn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 921
96. Landeskundliches Lernen und Lehren (Simon-Pelanda) . . . . . . . . 931
97. Textarbeit (Mummert, Krumm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 942
98. Übersetzen (Königs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 955
99. Berufsbezogener Deutschunterricht ⫺ Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache für den Beruf (Funk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 962
100. Interkulturelles Lernen (Pommerin-Götze) . . . . . . . . . . . . . ... 973

XIII. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand VI:


Leistungskontrolle und Leistungsmessung
101. Formen und Funktionen von Fehleranalyse, -korrektur und
-therapie (Kleppin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986
102. Formen und Funktionen von Leistungsmessung und -kontrolle
(Perlmann-Balme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994
103. Sprachstandsdiagnosen (Gogolin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007

XIV. Lehren als didaktisch-methodischer Gegenstand V:


Materialien und Medien
104. Die Funktion der Medien in den Methoden des Deutsch als
Fremdsprache-Unterrichts (Schwerdtfeger) . . . . . . . . . . . . . . . . 1018
105. Lehrwerkproduktion, Lehrwerkanalyse, Lehrwerkkritik (Krumm,
Ohms-Duszenko) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029
106. Regionale Lehrwerke und Lehrmethoden (Breitung, Lattaro) . . . . . 1041
107. Deutschunterricht in den Massenmedien (Eichheim) . . . . . . . . . . 1053
108. Wörterbücher (Neubauer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061
109. Grammatiken (Götze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1070
110. Textsammlungen (Tuk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1078
111. Hörmaterialien (Krumm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086
112. Audiovisuelle Medien (Ehnert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093
113. Elektronische Medien (Boeckmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1100

XV. Lernen als didaktisch-methodischer Gegenstand VI:


Lehrerinnen und Lehrer
114. DaF-Lehren als Beruf (Witte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1112
115. Ausbildung und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern für
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Inhalte und Formen
(Krumm, Legutke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1123
116. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse (Krumm) . . . . . . 1139
XVIII Inhalt

XVI. Lehren und Lernen von Deutsch als Fremdsprache in


der Auslandsgermanistik
117. Lehren und Lernen von Deutsch als Fremdsprache in der
europäischen Auslandsgermanistik (Rösler) . . . . . . . . . . . . . . . . 1151

XVII. Landeskundliche Gegenstände I: Standpunkte


118. Geschichte und Konzepte der Landeskunde (Veeck, Linsmayer) . .. 1160
119. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung (Althaus) . . . . . . . . . . . .. 1168
120. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung (Wolf) . . . . . . .. 1179
121. Multikulturelle Gesellschaften als Gegenstand der Landeskunde
(Pommerin-Götze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1194
122. Informationsorientierte Landeskunde (Hackl) . . . . . . . . . . . . . . 1204
123. Sprachbezogene Landeskunde (Bettermann) . . . . . . . . . . . . . . . 1215
124. Interkulturelle Landeskunde (Müller-Jacquier) . . . . . . . . . . . . . . 1230
125. Landeskunde aus österreichischer Sicht (Fischer) . . . . . . . . . . . . 1234
126. Landeskunde aus schweizerischer Sicht (Frischherz, Langner) . . . . 1241

XVIII. Landeskundliche Gegenstände II: Texte


127. Texte als Träger von landes- und kulturwissenschaftlichen
Informationen (Bettermann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1253
128. Auswahlkriterien für Fach- und Sachtexte im Deutschunterricht
(Kühn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1262

XIX. Landeskundliche Gegenstände III: Spezifische Inhalte


129. Geschichte und Landeskunde (Koreik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1273
130. Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeographie und Landeskunde
(Buchholt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1278
131. Politik und Landeskunde (Steinig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1285
132. Alltagskultur und Landeskunde (Baumgratz) . . . . . . . . . . . . . . . 1294
133. Geistes- und Sozialwissenschaften und Landeskunde (Koreik) . . . . 1308

XX. Landeskunde in der Auslandsgermanistik


134. Landeskunde in der europäischen Auslandsgermanistik (Byram) . . . 1313
135. Landeskunde in der außereuropäischen Auslandsgermanistik
(Kussler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1323

XXI. Literatur als Gegenstand des fremdsprachlichen


Deutschunterrichts
136. Literarische Texte im Deutschunterricht (Ehlers) . . . . . . . . . . . . . 1334
137. Fragen des literarischen Kanons (Ackermann) . . . . . . . . . . . . . . 1346
138. Migrantenliteratur: Entwicklungen und Tendenzen (Rösch) . . . . . . 1353
Inhalt XIX

XXII. Sprachenpolitik und Institutionen


139. Sprachenpolitik und Fremdsprachenunterricht (Bosch) . . . . . . . . . 1361
140. Die Verbreitung des Deutschen in der Welt (Ammon) . . . . . . . . . 1368
141. Institutionen für Deutsch als Fremd- und als Zweitsprache in
Deutschland (Ortmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... 1381
142. Institutionen für Deutsch als Fremd- und als Zweitsprache in
Österreich (Koliander-Bayer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... 1411

XXIII. Deutschunterricht und Germanistikstudium im


fremdsprachigen Ausland
143. Deutschunterricht und Germanistikstudium in den USA
(James, Tschirner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1424
144. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Kanada
(Hufeisen, Prokop) . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1431
145. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Mexiko (Fandrych) 1438
146. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Brasilien (Sartingen) 1445
147. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Argentinien (Bein) . . 1450
148. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Chile (Cziesla) . . . . 1457
149. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Grossbritannien
(Rösler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1464
150. Deutschunterricht und Germanistikstudium in der Republik Irland
(Fischer, Schewe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1471
151. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Norwegen
(Lundin-Keller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1480
152. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Finnland
(Liefländer-Koistinen, Koskensalo) . . . . . . . .............. 1487
153. Deutschunterricht und Germanistikstudium in den Niederlanden
(Tuk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1491
154. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Belgien (Duhamel) . 1498
155. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Frankreich
(Thimme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1502
156. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Italien (Ponti) . . . . 1509
157. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Spanien (Keim) . . . 1516
158. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Portugal (Dreischer) 1523
159. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Polen (Grucza) . . . . 1528
160. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ungarn (Paul) . . . . 1544
161. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Bulgarien (Dimova) 1551
162. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Russland
(Domaschnew) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1556
163. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Griechenland
(Kiliari) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1561
164. Deutschunterricht und Germanistikstudium in der Türkei (Tapan) . 1565
165. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Indien
(Rekha Kamath Rajan) . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1570
166. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Korea (Grünert) . . . 1575
167. Deutschunterricht und Germanistikstudium in China (Hess) . . . . . 1579
XX Inhalt

168. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Japan (Sugitani) . . . 1586


169. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Indonesien
(Setiawati Darmojuwono) . . . . . . . . . . . . . .............. 1594
170. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ägypten (Arras) . . . 1602
171. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Südafrika (Kussler) 1609
172. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Kamerun (Ngatcha) 1619
173. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Nigeria (Witte) . . . . 1624
174. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ghana (Bemile) . . . 1631
175. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Mali (Traoré) . . . . . 1635
176. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Marokko (Arras) . . 1642
177. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Australien
(Truckenbrodt, Kretzenbacher) . . . . . . . . . . .............. 1651
178. Deutschunterricht und Germanistikstudium in der Bundesrepublik
Jugoslawien (Djukanović) . . . . . . . . . . . . . .............. 1659
179. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Dänemark
(Falster Jakobsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1666
180. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Rumänien
(Stănescu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............. 1671
181. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Kroatien (Žepić) . . . 1677
182. Deutschunterricht und Germanistikstudium in Estland (Mohr) . . . 1683

Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1691
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1712
I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches
Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

1. Die Struktur des Faches

1. Einleitende Bemerkungen fremde Sprache und Kultur thematisierenden


2. Entwicklung des Faches im deutschen Auslandsgermanistik fließend sind (vgl. Kö-
Sprachraum nig 1995; Grucza 1998 sowie für einzelne
3. Ausprägungen des Faches seit den 90er Länder die Artikel 143ff.). Die Entwicklung
Jahren
4. Tendenzen und Perspektiven
ist auch im deutschen Sprachraum bis heute
5. Schluss nicht abgeschlossen. Erste Bestandsaufnah-
6. Literatur in Auswahl men und Bilanzierungen (vgl. insbesondere
die Dokumentation der Konstituierungsde-
batte in Henrici/Koreik 1994) haben vielmehr
1. Einleitende Bemerkungen die Frage nach der Eigenständigkeit des Fa-
Der Unterricht des Deutschen als Fremd- ches Deutsch als Fremdsprache gegenüber
sprache kann auf eine lange Tradition zu- der Germanistik erneut zum Thema gemacht,
rückblicken. Bereits aus dem 15. Jh. datiert wobei die Positionen von der Auffassung,
das erste Lehrwerk für Deutsch als Fremd- Deutsch als Fremdsprache sei Bestandteil der
sprache, d. h., die Fachtradition hat eine (vor allem linguistischen) Germanistik (so
ältere Praxis als die dokumentierte Praxis der etwa Glück 1997), bis zu Vorstellungen von
Germanistik (vgl. Karnein 1976). Als wissen- einer völlig eigenständigen Disziplin reichen
schaftliches Fach dagegen ist Deutsch als (vgl. die Beiträge in der Zeitschrift Deutsch
Fremdsprache in unterschiedlichen Ausprä- als Fremdsprache 1996⫺1998 sowie in Hel-
gungen, unter verschiedenen Bezeichnungen big 1997).
(Deutsch als Fremdsprache, Deutsch als
Zweitsprache, Interkulturelle Germanistik, 2. Entwicklung des Faches im
Ausländer- oder Migrationspädagogik, Inter- deutschen Sprachraum
kulturelle Kommunikation) und in verschie-
denen fachlichen Kontexten (in der germani- Bis Anfang der 70er Jahre gab es in Deutsch-
stischen und allgemeinen Sprachwissenschaft, land keine ernsthafte Debatte über ein akade-
innerhalb der Literaturwissenschaft, im Rah- misches Fach Deutsch als Fremdsprache. Im
men von Sprachlehrforschung, Fremdspra- Bildungsbericht des Deutschen Bildungsrates
chendidaktik und in der Erziehungswissen- von 1970 sucht man es vergeblich. Bis dahin
schaft) erst Ende der 70er und zu Beginn der existierte Deutsch als Fremdsprache in Form
80er Jahre im deutschen Sprachraum eta- von Sprachkursen in unterschiedlichen insti-
bliert worden, oft abhängig von den Zufällen tutionellen Kontexten, sowohl in der Bundes-
gerade verfügbarer Professuren, örtlicher In- republik Deutschland als auch in der DDR.
teressen einzelner Fakultäten, im Besonderen In der Mehrzahl wurde der Sprachunterricht
aber in Abhängigkeit von praktischen Erfor- für Ausländer von philologisch ausgebildeten
dernissen, z. B. der Ausbildung von Lehr- Sprachlehrern (vor allem Germanisten, aber
kräften für Migrantenkinder oder der Vorbe- auch Absolventen anderer Philologien) er-
reitung von Lehrern und Lektoren für die teilt, innerhalb von Sommer-Ferienkursen,
Sprachvermittlung in nichtdeutschsprachigen als studienvorbereitende und -begleitende
Ländern (vgl. hierzu auch Artikel 5⫺11). Für Sprachkurse, als berufsqualifizierende und
die nichtdeutschsprachigen Länder ist eine Sprachkurse für Touristenzwecke (vgl.
Datierung schwieriger, da Übergänge von ei- Art. 5). Tragende Institutionen für dieses An-
ner an die Binnengermanistik angelehnten zu gebot von Sprachkursen waren z. B. die Aka-
einer eigenständigen, das Deutsche als eine demischen Auslandsämter der Universitäten,
2 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

der Deutsche Akademische Austauschdienst, schen Akademischen Austauschdienst zusam-


das Goethe- und das Herder-Institut sowie men. Entscheidend stabilisiert wurde das
private Sprachschulen. Die Situation im sich entwickelnde Fachgebiet durch die Ein-
deutschen Sprachraum glich damit der in der richtung fachspezifischer Publikationsorga-
Auslandsgermanistik, wobei der Sprachun- ne: Zielsprache Deutsch (1970 als Neugrün-
terricht dort als Teil des Germanistikstudi- dung der 1932⫺1968 existierenden Zeitschrift
ums oft institutionell, curricular und perso- Deutschunterricht für Ausländer), Informatio-
nell besser abgesichert war (vgl. König 1995). nen Deutsch als Fremdsprache (Info DaF) seit
Eine gezielte berufsqualifizierende akademi- 1974 in zunächst lockerer Reihenfolge, Mate-
sche und praxisbezogene Ausbildung analog rialien DaF zuerst 1975, Jahrbuch Deutsch als
der Lehrerausbildung mit dem Referendariat Fremdsprache seit 1975. Bereits 1964 hatte
im staatlichen Schulwesen entwickelte sich das Herder-Institut in Leipzig die Zeitschrift
sehr langsam. Verdienste haben sich in dieser Deutsch als Fremdsprache ins Leben geru-
Hinsicht das Goethe- und das Herder-Institut fen. Als Anfang einer Fachdebatte kann die
erworben (vgl. Art. 7). Das Goethe-Institut Diskussion um den Heidelberger Studien-
richtete 1962 in seiner Zentralverwaltung in gang gesehen werden, die Fragen nach ei-
München eine „Arbeitsstelle für wissen- nem separierten oder gemeinsamen Studium
schaftliche Didaktik“ ein, um dem dringen- deutschsprachiger und nichtdeutschsprachi-
den Bedarf an Forschung und Lehrmaterial- ger Studierender aufwarf (vgl. Wierlacher
entwicklung abzuhelfen, 1971 folgte die Ein- 1975; Dietrich 1975; Delmas/Stenzig 1977).
richtung einer „Zentralen Ausbildungsunter- Entscheidenden Anteil an der Etablierung
richtsstätte“, die erste systematische Aus- und eines Netzwerkes von Fachleuten und an
Fortbildungsmöglichkeiten für Deutsch als der Entwicklung einer systematischen For-
Fremdsprache, beschränkt auf angehende schungsdiskussion hatten auch die Fortbil-
Mitarbeiter des Goethe-Instituts, anbot und dungskurse, die seit 1974 gemeinsam von
damit den Grundstein für eine Professionali- Hochschulen, dem Goethe-Institut und dem
sierung im Unterrichtsbereich legte (vgl. DAAD angeboten wurden und einen Dialog
Goethe-Institut 1982). Die Entwicklung ge- zwischen In- und Ausland etablierten. Die
gen Ende der sechziger Jahre wurde durch Deutsche Forschungsgemeinschaft schuf 1983
zwei Impulse beeinflusst: die Bundesrepublik mit dem Schwerpunktprogramm „Sprach-
und die DDR begannen, sich als Studien- lehrforschung“ eine erste Möglichkeit syste-
standorte für ausländische Studierende zu matisch geförderter Forschung für Deutsch
profilieren ⫺ 1956 wurde das Institut für als Fremdsprache: von den 20 geförderten
Ausländerstudium an der Leipziger Universi- Projekten gehörten sechs in den Bereich des
tät (seit 1961 Herder-Institut) gegründet, Deutschen als Fremd-/Zweitsprache (vgl.
1970 ein spezifischer germanistischer Studi- Koordinierungsgremium 1983). Über den
engang für ausländische Studierende an der „Arbeitskreis der Sprachenzentren“ (AKS),
Universität Heidelberg eingerichtet (vgl. Eg- gegründet 1970/71 als Forum für die Erarbei-
gers/Palzer 1975; Wierlacher 1975); der tung wissenschaftlicher Grundlagen der
zweite Impuls wurde durch die zunehmende Fremdsprachenvermittlung, sowie die „Ge-
Zahl ausländischer Migranten und deren sellschaft für Angewandte Linguistik“ (GAL)
Kinder gegeben, so dass sich die Notwendig- wurden Fragen des Deutschen als Fremd-
keit einer entsprechenden Ausbildung für sprache Bestandteil der deutschsprachigen
Lehrkräfte im Schulwesen wie auch in der und internationalen Fachdiskussion zum
Erwachsenenbildung ergab: 1974 wurde der Lehren und Lernen fremder Sprachen.
„Sprachverband ⫺ Deutsch für ausländische Für den spezifischen Bereich des Deut-
Arbeitnehmer e. V.“ gegründet, um Initiati- schen als Zweitsprache (vgl. auch Art. 5) eta-
ven in diesem Bereich zu bündeln (vgl. Göbel blierte der Sprachverband 1975/76 die Zeit-
1975). Als Motor der Entwicklung im Wis- schrift Deutsch lernen; weitere Zeitschriften
senschaftsbereich etablierte sich 1971 der wie Ausländerkinder. Forum für Schule & So-
„Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache“ zialpädagogik (1980, seit 1988 unter dem Titel
(AKDaF) als Interessenvertretung der Lehr- Interkulturell) und Ausländerkinder in Schule
gebiete, die an den Hochschulen der Bun- und Kindergarten (seit 1980) widmeten sich
desrepublik Kurse für ausländische Stu- speziell der Situation der Migrantenkinder
dierende anboten; seit 1973 arbeitet der Ar- (vgl. Art. 5). Impulse für die Erforschung des
beitskreis (jetzt: „Fachverband Deutsch als Erwerbs der Zweitsprache Deutsch und die
Fremdsprache“ FaDaF) eng mit dem Deut- Entwicklung von Angeboten der Lehreraus-
1. Die Struktur des Faches 3

und Lehrerfortbildung gingen von der zu Be- für Deutschsprachige (vgl. Art. 9). In Öster-
ginn der 70er Jahre an der Pädagogischen reich entwickelte sich Deutsch als Fremd-
Hochschule Rheinland, Abteilung Neuss, sprache außerhalb des Hochschulbereichs
entstandenen „Forschungsstelle ALFA“ aus (vgl. Art. 8). Erst 1990/91 wurden in Graz ein
und wurden durch ein Programm zur Förde- Hochschullehrgang, 1993 in Wien und 1995
rung der „Gastarbeiterforschung“ der Stif- in Graz jeweils eine Professur für Deutsch als
tung Volkswagenwerk 1974⫺1981 weiter aus- Fremdsprache besetzt.
gebaut (vgl. Korte/Schmidt 1983). Professu- Wenn man sich die Stadien der Genese ei-
ren und Ausbildungsmöglichkeiten (Zusatz- ner wissenschaftlichen Disziplin vor Augen
studiengänge für Lehrer von Kindern nicht- hält, wie sie die Wissenschaftssoziologie
deutscher Muttersprache, vgl. Reich 1988) zur Beschreibung verwendet ⫺ Initialphase,
wurden insbesondere in den Erziehungswis- Etablierungsphase und Konsolidierungsphase
senschaften eingerichtet. Mit der Schaffung (z. B. bei Laitko 1982, 16f.) ⫺, so lassen sich
von eigenständigen Magister- und Promo- diese Phasen unschwer auf die Entwicklung
tionsstudiengängen für Deutsch als Fremd- des Faches Deutsch als Fremdsprache (in der
und Zweitsprache, in Sprachenzentren (so in Bundesrepublik) übertragen. Die Initialphase
Bochum und Hamburg), in eigenen Instituten ist gekennzeichnet durch „das Heranreifen
für Deutsch als Fremdsprache (München) des Widerspruchs im Disziplinsystem ⫺ unter
oder innerhalb der Germanistik (etwa in der mehr oder minder direkten Einwirkung
Augsburg) seit Mitte der siebziger Jahre (zu praktischer Erfordernisse“ (ebd.), eine Be-
den ersten Lehrstühlen gehörten die in Leip- schreibung, die die Anfangsphase des Faches
zig 1969 mit Gerhard Helbig, München 1978 kennzeichnet, in der immer deutlicher Erfor-
mit Harald Weinrich und Hamburg 1975 mit dernisse der Praxis einen Kontrast zu einer
Hans-Jürgen Krumm; vgl. Henrici/Koreik mit diesen Problemen nicht befassten Germa-
1994) wurde eine erste Konsolidierung des nistik bildeten, gleichzeitig jedoch ein Ausbil-
Faches Deutsch als Fremdsprache an den dungsbedarf offensichtlich wurde. Die Eta-
Hochschulen in der Bundesrepublik erreicht. blierungsphase „bildet den Kernprozess der
In der DDR war es trotz früher Initiativen Disziplingenese; mit der Ausprägung eines
wie der Einrichtung des ersten Lehrstuhls für gegenstandsspezifischen Systems der Er-
Deutsch als Fremdsprache 1969 in Leipzig kenntnisproduktion entsteht ein adäquater
und seiner Besetzung mit Gerhard Helbig so- konzeptualer Rahmen (im Idealfall durch
wie der Gründung der Zeitschrift Deutsch als eine einheitliche Theorie repräsentiert […]“
Fremdsprache im Jahr 1964 bis zum Schluss (ebd.). Zu dem Idealfall einer einheitlichen
nicht gelungen, ein eigenes spezifisches Aus- Theorie hat es das Fach Deutsch als Fremd-
bildungsfach für Deutsch als Fremdspra- sprache bisher nicht gebracht ⫺ es ist auch
che in den Hochschulen zu verankern. Eine sehr fragwürdig, ob eine solche Theorie dem
spezielle Weiterbildung von DaF-Lehrkräften Fach Nutzen gebracht hätte und je bringen
blieb dem Herder-Institut vorbehalten, was könnte. Es entstand aber eine dem Gegen-
den Bedarf jedoch keineswegs decken konn- stand Unterricht Deutsch als Fremdsprache
te. Rückblickend kann Blei (1991, 32) fest- angemessene Produktion von Erkenntnissen,
stellen, dass „in der Endkonsequenz das ver- die auf der Grundlage von Forschung über
heißungsvolle ,Startkapital‘, das die DDR eine Handlungsempfehlungsliteratur hinaus-
auf dem Gebiet des DaF in den 50er/60er ging, wie es Krumm (1978) und Weinrich
Jahren einzubringen hatte, nicht ,verzinst‘ (1979) für verschiedene Teilbereiche des Fa-
wurde“. Seit der sogenannten „Wende“ ches gefordert hatten. Die Konsolidierungs-
gibt es auch in Ostdeutschland eine Reihe phase, geprägt durch die „volle institutionelle
von Vollzeit- und Ergänzungsstudiengängen: Sicherstellung mit dem bekannten Repertoire
Jena, Leipzig, Berlin (Humboldt), Rostock, von Institutionen“ (Laitko 1982, 17), ist für
Chemnitz/Zwickau. das Fach Deutsch als Fremdsprache offen-
In der Schweiz und in Österreich vollzog sichtlich durch die zahlreichen Studiengänge
sich eine vergleichbare Entwicklung erst sehr und Professuren, durch das relativ breite
spät. In der Schweiz war es das Institut für Spektrum an eigenen Fachzeitschriften ⫺ zu-
Deutsche Sprache an der Universität Fri- sätzlich zu den bereits erwähnten: Ausländer-
bourg, das im Zusammenhang mit den kinder in Schule und Kindergarten, Interkultu-
Sprachprojekten des Europarats in den 70er rell (früher: Ausländerkinder ⫺ Forum für
Jahren aktiv wurde. Hier gibt es auch ein Schule und Sozialpädagogik), Deutsch lernen,
Ergänzungsfach Deutsch als Fremdsprache Zielsprache Deutsch, Fremdsprache Deutsch
4 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

und Reihen wie z. B. Werkstattreihe DaF, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist die
Perspektiven DaF ⫺, durch regelmäßig statt- Rolle der deutschen Sprache als zweiter und
findende Jahrestagungen, Kongresse und fremder Sprache in einer Welt, die zuneh-
spezielle Fachtagungen, durch Verbände und mend durch Mehrsprachigkeit, durch Migra-
Gesellschaften, wie auch durch eine stetig tion und Mobilität gekennzeichnet ist, so
wachsende Zahl an Einführungen in das dass die Sprachvermittlung im Ausland nicht
Fach (wie Ehnert 1982/89; Ickler 1984; Hen- losgelöst von der Mehrsprachigkeit im Inland
rici 1986/1988; Heyd 1990; Henrici/Riemer gesehen werden kann (vgl. Krumm 1994a).
1994; Rösler 1994; Huneke/Steinig 1997; Weinrich hat 1979 die folgenden Inhaltsbe-
Storch 1999). reiche als Kern des Faches Deutsch als
Fremdsprache beschrieben:
3. Ausprägungen des Faches seit den 1. Kontrastive Linguistik
90er Jahren 2. Sprachnormenforschung
3. Sprachlehrforschung
Stellt man die Frage nach der wissenschaftli- 4. Fachsprachenforschung
chen Dignität des Faches Deutsch als Fremd- 5. Gastarbeiter-Linguistik
sprache/Deutsch als Zweitsprache oder mit 6. Deutsche Literatur als fremde Literatur
Glück (1991) die Frage, ob das Fach den Sta- 7. Deutsche Landeskunde
tus einer Disziplin habe, und misst dies ⫺ wie Damit sind die Areale, in denen sich das Fach
er ⫺ mit den Parametern „eigene Erkennt- in den 70er und 80er Jahren entfaltet hat, ins-
nisinteressen“, „eigene Gegenstände“, „ei- gesamt umrissen, wobei der sprachdidakti-
gene Untersuchungsmethoden“, muss die sche Akzent über die von Weinrich skizzierte
Antwort nicht so negativ ausfallen wie bei Rolle hinaus an Bedeutung gewonnen hat.
ihm. Es gibt durchaus eigene Erkenntnisin- Betrachtet man die Ausprägungen des Faches
teressen und Gegenstände des Faches. Auch in den 90er Jahren, so lassen sich vier
in anderen Disziplinen wie z. B. der germa- Schwerpunkte ausmachen (vgl. Henrici/Ko-
nistischen Linguistik und Literaturwissen- reik 1994, 16ff.), die die von Weinrich ge-
schaft werden Untersuchungsmethoden ver- nannten Bereiche bündeln und akzentuieren
wendet, die nicht originär disziplinspezifi- und sich in den entsprechenden Studiengän-
sche sind (vgl. dazu auch Götze/Suchsland gen wie vielfach auch in den Forschungsakti-
1996 und Henrici 1996 sowie die Beiträge in vitäten der jeweiligen Institute und Lehr-
Helbig 1997). Die Differenzmerkmale z. B. stühle niederschlagen:
zur Germanistik sind evident: Fremdspra-
chigkeit, Fremdsprachenwissenschaftlichkeit, 1. eine linguistische Ausrichtung
Theorie-Praxis-Bezug, die Relation Studium- 2. eine lehr-/lernwissenschaftliche (didak-
Beruf, Interdisziplinarität, Internationalität tisch/methodische) Ausrichtung
(vgl. Henrici 1989, 1995). Glück (1991) hat 3. eine landeskundlich-kulturwissenschaftli-
dem Fach dadurch Kontur geben wollen, che Ausrichtung und
dass er die vielfältigen Arbeitsfelder im Hin- 4. eine literaturwissenschaftliche Ausrich-
blick auf zwei Ausrichtungen bündeln wollte: tung.
eine A-Linie, d. h. eine auf die Fragestellun-
gen und Erfordernisse des nichtdeutsprachi- 3.1. Die linguistische Ausrichtung (vgl. ge-
gen Auslands hin gerichtete Lehre und For- nauer Art. 2) ist vielfältig ausgeprägt. Ent-
schung (Deutsch als Fremdsprache im enge- sprechend den historischen Entwicklungs-
ren Sinne), und eine M-Linie, die auf die Si- phasen der Sprachwissenschaft reicht sie von
tuation der Migration bezogene Ausrichtung klassischen Orientierungen, bei denen die
(Deutsch als Zweitsprache). Auch wenn diese Grammatik und das Lexikon als Komponen-
Unterscheidung für die Wahrnehmung unter- ten des Sprachsystems im Mittelpunkt stehen,
schiedlicher Sprachlern- und Sprachverwen- bis hin zu eher pragmatischen und diskurs-
dungssituationen wichtig ist, so bildet sie orientierten Konzepten (vgl. die Artikel 12⫺
dennoch kein Strukturprinzip für die wissen- 22). Sie umfasst Teildisziplinen wie die Sozio-
schaftliche Arbeit und die Ausbildungsaufga- und Psycholinguistik, die zu weiteren Diffe-
ben des Faches. Bei ausländischen Studieren- renzierungen bzw. eigenständigen Disziplinen
den im deutschsprachigen Raum vermischen wie der Zweitsprachenerwerbsforschung, Ap-
sich die beiden Stränge besonders augenfällig plied Linguistics, dem L2-Classroom Re-
⫺ aber auch generell gilt: Thema des Faches search geführt haben, welche z. T. den An-
1. Die Struktur des Faches 5

spruch erheben, in besonderem Maße grund- Spracherwerb überhaupt, der am besten in


legend für die Erforschung der Fremdspra- „natürlichen“ Erwerbssituationen zu unter-
chenvermittlung zu sein. Diese Ausrichtung suchen sei, um die so erarbeiteten Gesetzmä-
geht davon aus, dass die Linguistik mit ihren ßigkeiten auf den unterrichtlichen Spracher-
Subdisziplinen ein zentrales Kenntnissystem werb zu übertragen. Die Sprachlehr- und
für Deutsch als Fremdsprache darstellt und Sprachlernforschung dagegen geht von der
dass ohne Beschreibung und Kenntnis der Eigengesetzlichkeit unterrichtlicher Sprach-
entsprechenden sprachlichen Sachverhalte lernsituationen aus, die in einem interdiszipli-
kein erfolgreicher Sprachunterricht an Nicht- nären Zugriff unter Berücksichtigung der
Muttersprachler möglich ist. Die linguistische Spezifika des unterrichtlich gesteuerten Ler-
Untersuchung des Deutschen als Fremdspra- nens zu untersuchen seien. Inzwischen ist je-
che hat zahlreiche Einsichten zu unserer heu- doch deutlich geworden, dass beides keine
tigen Kenntnis des deutschen Sprachsystems einander ausschließenden, sondern ergänzen-
beigesteuert (vgl. Glück 1991, 23⫺33). Insbe- den Ansätze darstellen (vgl. Wilms 1984;
sondere kontrastive Gesichtspunkte spielen Götze 1995). Mit dem lehr-/-lernwissen-
bei einer linguistischen Analyse des Deut- schaftlichen Ansatz sind in den 90er Jahren
schen als Fremdsprache eine wesentliche die besonderen Vermittlungskontexte des
Rolle (vgl. die Artikel 27⫺49). Dennoch kann Deutschen als Fremdsprache, z. B. Deutsch
die linguistische Ausrichtung des Faches als zweite oder weitere Fremdsprache etwa
nicht auf den kontrastiven Aspekt reduziert nach Englisch (vgl. Art. 65) zum Forschungs-
werden, einmal, weil erfolgversprechende gegenstand geworden.
kontrastive Arbeiten immer die solide Einzel-
beschreibung der zu vergleichenden Sprachen 3.3. Die in nahezu allen Studiengängen va-
voraussetzen, zum andern, weil nicht alle riantenreich repräsentierte landeskundlich-
Lernprobleme und Fehler aus dem Kontrast kulturwissenschaftliche Ausrichtung (vgl. ge-
zur Muttersprache erklärt werden können nauer Art. 4) ist hinsichtlich ihrer wissen-
(vgl. Art. 66⫺69). schaftsmethodologischen Fundierung und ih-
res wissenschaftssystematischen Ortes weiter-
3.2. Die lehr-/lernwissenschaftliche bzw. di- hin sehr umstritten, wie es auch die Kontro-
daktisch-methodische Ausrichtung (vgl. ge- versen um Begriffe wie ,Deutschlandstudien‘
nauer Art. 3), in deren Zentrum die Theorie (vgl. Koreik 1995), Landeskunde und inter-
und Praxis des Lehrens und Lernens von kulturelle Landeskunde (vgl. Reinbothe
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache steht, 1997) zeigen. Auch die auf Unterricht ausge-
hat sich in den letzten Jahren als Fremdspra- richteten und teilweise in Lehrmaterialien
chendidaktik bzw. als Sprachlehr-/-lernwis- manifestierten Konzepte reichen von der
senschaft fest etabliert: dies u. a., indem sie klassischen Institutionenkunde über kontext-
sich zunehmend von einer „Vorschlagsdidak- orientierte Ansätze bis zu einer kontrastiv-in-
tik“ hin zu einer wissenschaftlichen Disziplin terkulturellen Landeskunde (vgl. Art. 96).
entwickelt hat, die das Lehren und Lernen Mit Beginn der 90er Jahre hat, ausgelöst
theoretisch und empirisch erforscht, prak- durch die ABCD-Thesen zur Landeskunde
tisch erprobt und evaluiert. Ergebnisse aus (1990), ein verstärktes Interesse eingesetzt, in
den relevanten Referenzwissenschaften wer- Forschung und Lehre den gesamten deut-
den nicht auf die einzelnen Bereiche des schen Sprachraum, insbesondere Österreich
Fremdsprachenunterrichts appliziert, son- und die deutschsprachige Schweiz, einzube-
dern hinsichtlich der fremdsprachenspezi- ziehen. Mit der zunehmenden Bedeutung von
fischen Erkenntnisinteressen funktionalisiert Wirtschaftsdeutsch stellen sich der Landes-
(vgl. Bausch/Krumm 1995). Charakteristisch kunde neue, über den klassischen Bereich
für die lehr-/lernwissenschaftliche Orientie- hinausgehende Aufgaben (vgl. Art. 130).
rung der 80er und 90er Jahre ist die Verlage-
rung des Interesses vom Lehren (Suche nach 3.4. Das Spektrum der literaturwissenschaft-
der „besten“ Methode und dem „guten lichen Ausrichtung ist breit gefächert. Es um-
Fremdsprachenlehrer“) auf das Lernen. Da- fasst zum einen programmatische Entwürfe
mit haben sich zwei Ausprägungen lehr-/ fremdkulturell-hermeneutischer Ausprägung,
-lernwissenschaftlicher Fragestellungen ent- die sich unter der Bezeichnung Interkulturelle
wickelt: Die Zweitsprachenerwerbsforschung Germanistik etabliert haben (vgl. u. a. Wierla-
sieht den unterrichtlichen Spracherwerb vor- cher 1980; 1987; Krusche 1985; Krusche/
rangig als Spezialfall für menschlichen Wierlacher 1990; Thum/Fink 1993). Ziel ei-
6 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

ner solchen Interkulturellen Germanistik ist dergrund gerückt war, hat sich seit Beginn
die adressatenspezifische Auseinandersetzung der 90er Jahre die Erkenntnis durchgesetzt,
mit Literatur aus der Fremd- und Eigenper- dass literarische Texte in besonderem Maße
spektive. Das Zusammenbringen beider Re- sprachliche wie kulturelle Eigenarten ver-
zeptionsweisen soll zu Kulturmündigkeit füh- deutlichen können und zur Motivierung der
ren und gegenseitiges Verstehen ermöglichen. Lernenden beitragen (vgl. auch Art. 86).
Die Interkulturelle Germanistik im deutschen
Sprachraum sieht sich in dieser Perspektive 3.5. In einer empirischen Studie (Henrici/Ko-
als Partner der auslandsgermanistischen Lite- reik 1994, 22ff.), die u. a. zum Ziel hatte, Stu-
raturwissenschaft. Gerade aus der Perspek- dienbewerbern und Studierenden eine Orien-
tive des Auslandes wird ihr jedoch auch tierung für die Studienortwahl zu geben,
Eklektizismus und Ethnozentrismus vorge- wurde die Repräsentanz des Faches an den
worfen: „Das Postulat einer interkulturellen deutschen Hochschulen in Vollzeit- und Er-
Kommunikation verschleiert die Herrschafts- gänzungsstudiengängen nach den vier ge-
mechanismen, unter denen die zwischenstaat- nannten Ausrichtungen hinsichtlich domi-
lichen Interaktionen erfolgen und die auf nanter Lehrstuhlbesetzungen sowie der Stu-
diese Weise perpetuiert werden“ (Ndong dien- und Prüfungsordnungen untersucht.
1993, 19). Bei Zimmermann (1989), Hess Dabei wurde deutlich: An allen Studien-
(1992) u. a. wird die Legitimität des Anspru- orten sind alle Ausrichtungen mehr oder
ches, vom deutschen Sprachraum aus die weniger stark vertreten. Dabei überwiegen
Fremdperspektive mitzudenken, in Frage ge- die etwa gleich stark vertretenen linguisti-
stellt. Mit der Gesellschaft für Interkulturelle schen und lehr-/lernwissenschaftlichen Aus-
Germanistik (GIG, gegründet 1987) und den richtungen gegenüber den literaturwissen-
aus deren Tagungen hervorgegangenen Sam- schaftlichen und landeskundlich-kulturwis-
melbänden sowie mit der Einrichtung von senschaftlichen (Verhältnis 3 : 1), wobei es
Lehrstühlen und Instituten spielt die Inter- örtliche Dominanzen gibt (vgl. Henrici/Ko-
kulturelle Germanistik eine gewichtige Rolle reik 1994; ergänzend Krumm 1994b). Auffäl-
im Zusammenhang mit Deutsch als Fremd- lig ist die große Heterogenität der Studien-
sprache, auch wenn sie mit den drei anderen gänge hinsichtlich der Dauer, der Organisa-
hier genannten Ausrichtungen (vgl. Absätze tionsformen und der Strukturierung der Stu-
3.1. bis 3.3.) nur vereinzelte Verbindungen dieninhalte sowie die Anbindung an unter-
aufweist und eine fachlich wie personell weit- schiedliche Fachbereiche, Fächer, Institute,
gehend unabhängige Entwicklung durchläuft was teilweise durch die (sinnvolle) interdiszi-
(vgl. Wierlacher 1987). Neben diesem pro- plinäre Orientierung der Studiengänge be-
grammatischen Ansatz stehen zum anderen dingt ist. Ein ähnliches Bild zeichnen auch
weniger globale, an den Erfordernissen des die vorliegenden Einführungen in das Fach
konkreten Unterrichts ausgerichtete literatur- Deutsch als Fremdsprache: Hier dominieren
didaktische Ansätze, die im engeren Sinne in die lehr-/lernwissenschaftlichen Aspekte vor
die Praxis der Vermittlung des Deutschen als den linguistischen (das gilt etwa für Biele-
Fremdsprache hineinreichen. Sie rezipieren feld), während die landeskundliche und die
sowohl literaturwissenschaftliche als auch literaturwissenschaftliche Ausrichtung nicht
textlinguistische und sprachdidaktische An- immer gewichtig vertreten sind (eine Aus-
sätze und fördern einen kreativen Umgang nahme bildet z. B. Bayreuth).
mit Sprache sowie die Ausnutzung von Phan-
tasiepotentialen (vgl. z. B. Kast 1985; Mum-
mert 1989; Ehlers 1992). Dabei geht es nicht 4. Tendenzen und Perspektiven
nur darum, literarische Texte als gewichtige
Elemente des Sprachunterrichts zu nutzen 4.1. Sprachenpolitik: Mit der Öffnung des
(vgl. hierzu Art. 136⫺138), sondern auch Eisernen Vorhangs, dem Beitritt Österreichs
darum, freies und kreatives Schreiben anzu- zur Europäischen Union und der vorgesehe-
regen und die Fähigkeit zur Verwendung der nen Osterweiterung der EU stellen sich dem
Fremdsprache in ihren sinnlich-ästhetischen Fach Deutsch als Fremdsprache neue spra-
Dimensionen zu vermitteln (vgl. Art. 97). chenpolitische Aufgaben (vgl. im einzelnen
Nachdem in der ersten Phase des kommuni- Art. 139 und 140): Mit dem Wegfall der
kativen Unterrichts die Orientierung an den Pflichtfremdsprache Russisch ist Deutsch in
Alltagsfunktionen der Sprache, also ihre den mittel- und osteuropäischen Ländern ne-
kommunikative Verwertbarkeit, in den Vor- ben Englisch zu einer wichtigen Verkehrs-
1. Die Struktur des Faches 7

und Wirtschaftssprache geworden: Die Ent- her neue Ausbildungsmöglichkeiten geschaf-


wicklung von Curricula für alle Schulstufen fen worden, die auf die Dauer den ,Import‘
(vgl. Art. 82), die Aus- und Fortbildung von von Lehrkräften aus Deutschland und Öster-
Deutschlehrern (1990 fehlten allein in Un- reich reduzieren. Während für nichtdeutsch-
garn 15.000 Deutsch- und Englischlehrer; sprachige Studierende, die im deutschen
vgl. Kast/Krumm 1994; vgl. auch Art. 115) Sprachraum eine Qualifikation in Deutsch
sowie die Entwicklung von Lehrmaterial (vgl. als Fremdsprache erwerben, Berufsmöglich-
Art. 106) stellen in dieser Größenordnung keiten bei Rückkehr in das Herkunftsland
neue Herausforderungen für das Fach dar. vielfach günstig sind ⫺ zuverlässige länder-
Bedingt durch die unmittelbare Nachbar- spezifische Recherchen liegen allerdings nicht
schaft hat vor allem Österreich seine Aktivi- vor ⫺, stellt sich die Berufssituation für die
täten im Bereich des Deutschen als Fremd- deutschsprachigen Studierenden als schwierig
sprache verstärkt (vgl. Art. 8), auch hat sich dar. Da die Studiengänge für Deutsch als
eine verstärkte Zusammenarbeit Deutsch- Fremd- und Zweitsprache in der Regel als
lands, Österreichs und der Schweiz im Be- Magisterstudiengänge angelegt sind, bleibt
reich der Sprachförderung in Mittel- und den Absolventen der Zugang zu einer Lehrtä-
Osteuropa entwickelt (vgl. Wiener Erklärung tigkeit in öffentlichen Schulen meist ver-
1997; Krumm 1999). Zugleich hat die starke wehrt. Selbst für die Auslandsschulen, in de-
Konzentration auf Mittel- und Osteuropa in nen Fachkräfte für Deutsch als Fremdspra-
anderen Kontinenten zu einer Schwächung che erforderlich sind, hat sich keine befriedi-
des sprachenpolitischen Engagements insbe- gende Regelung finden lassen; Ähnliches gilt
sondere der Bundesrepublik Deutschland ge- für die Studienkollegs und Vorstudienlehr-
führt (so wurden in den Jahren 1996/97 und gänge, die in der Regel eine Lehrerausbildung
1999 Goethe-Institute u. a. in Lateinamerika, voraussetzen. Der Arbeitsmarkt in der Er-
Afrika und Westeuropa geschlossen, teilweise wachsenenbildung ist durch ein hohes Maß
allerdings zugunsten der Neueröffnung von an Teilzeitarbeit und Honorarkräften be-
Instituten in Mittel- und Osteuropa). Beein- stimmt (vgl. Christ 1990), und der Bedarf an
flusst durch die weiter ausgebaute Stellung ausgebildeten Experten für Deutsch als
des Englischen als Wissenschafts- und Wirt- Fremdsprache beim Goethe-Institut, in Lehr-
schaftssprache, aber auch in Folge ausländer- buchverlagen und im Hochschulbereich ist
feindlicher Ausschreitungen, hat die Zahl der relativ gering (vgl. Krumm 1997). Absolven-
ausländischen Studierenden in Deutschland ten von Zusatzstudiengängen, einem Hoch-
abgenommen; der Deutsche Akademische schullehrgang o. ä. haben es leichter, wenn sie
Austauschdienst hat daher 1997 eine Initia- damit ein Lehramtsstudium erweitern. Die
tive zur Verbesserung des Studienstandortes Trennung zwischen Magister- und Lehramts-
Deutschland ins Leben gerufen, die u. a. die studien in Deutschland und Österreich zu
Entwicklung einer bereits im Ausland abzule- überwinden bleibt für Deutsch als Fremd-
genden sprachlichen Eingangsprüfung für sprache eine Zukunftsaufgabe. Dadurch,
das Hochschulstudium in Deutschland ein- dass Magisterstudiengänge in Deutschland in
schließt. Die Mitwirkung an der Entwicklung der Regel ein oder zwei Nebenfächer verlan-
eines Gesamtkonzeptes für die Förderung der gen, ergibt sich für Studierende des Deut-
deutschen Sprache als Fremd- und Zweit- schen als Fremdsprache die Möglichkeit indi-
sprache einschließlich einer fachlichen und vidueller Profilierungen: die Wahl von Ne-
sprachenpolitischen Kooperation der benfächern kann bereits zu einer Mehrfach-
deutschsprachigen Länder bleibt eine wich- qualifikation führen und damit auch das
tige Aufgabe des Faches. Spektrum möglicher beruflicher Tätigkeitsfel-
der erweitern (vgl. zu dieser Problematik u. a.
4.2. Fach- und berufspolitische Aktivitäten: Ehnert 1988, 443; Koreik 1995, 17). Aber
Es ist evident, dass sich mit der erhöhten auch innerhalb des Deutsch-als-Fremdspra-
Nachfrage nach Deutsch in Deutschland, im che-Studiums zeichnen sich nach einem eher
erweiterten Europa und in der Welt, die sich verbindlichen Grundstudium Schwerpunkt-
wesentlich aus der zunehmenden Internatio- bildungen für das Hauptstudium ab, wie sie
nalisierung der Weltwirtschaft und rapide in auslandsgermanistischen Studien z. T. be-
steigenden Wanderbewegungen erklärt (Am- reits realisiert sind, z. B. im Bereich der Über-
mon 1991), auch ein erhöhter Bedarf an spe- setzungstheorie und -praxis oder der Fach-
zifisch ausgebildeten Lehrkräften ergibt. Ins- sprachenforschung und -vermittlung. Insge-
besondere in Mittel- und Osteuropa sind da- samt stellt sich für die Studiengänge im Be-
8 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

reich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Praktika systematisch in das Studium inte-
die Frage, ob in Zukunft eher Studiengangs- griert sind. Unverzichtbar ist auch eine empi-
konzepte zu befürworten sind, die spezifische risch ausgerichtete Praktikumsforschung, die
Berufsfelder und Adressatengruppen ins Au- über die systematische Untersuchung der ver-
ge fassen, oder solche, die eher allgemeine schiedenen Praktikumskonstellationen und
Konzepte favorisieren, die die Studierenden die in ihnen vorzufindenden Bedingungen be-
in die Lage versetzen, in möglichst vielen Tä- gründbare Weiterentwicklungen ermöglicht.
tigkeitsfeldern einsetzbar zu sein (Polyva- An dieser Forschung fehlt es zur Zeit noch.
lenz). In diesem Zusammenhang ist auch die Sie könnte mit der noch am Anfang stehen-
Frage zu sehen, in welchem Verhältnis sich den sogenannten Austauschforschung eine
die akademische Ausbildung mit einer prakti- Gemeinschaft bilden (Fandrych 1993, 290).
schen Berufseinführung verknüpfen lässt.
4.4. Forschungsaufgaben und -perspektiven:
4.3. Praxisorientierung: Stärker als andere Trotz einer schwierigen Ausgangslage (Eta-
Fremdsprachenphilologien hat sich das Fach blierung des Faches während der einsetzen-
Deutsch als Fremdsprache im deutschen den Sparprogramme, hohe Studentenzah-
Sprachraum Praxisfeldern geöffnet und diese len) kann das Fach Deutsch als Fremdspra-
in das Studium integriert. In fast allen Magi- che ein breites Spektrum an forschungsme-
sterstudiengängen, vielfach aber auch in den thodischen Arbeiten und empirischen Un-
Zusatzstudien für Deutsch als Fremdsprache, tersuchungen vorweisen: Mittlerweile liegen
sind Praxisphasen/Praktika von unterschied- nicht nur anwendungsbezogene, sondern
licher Dauer und Intensität in der Regel ver- zunehmend auch grundlagenorientierte For-
pflichtender Bestandteil der Studienordnun- schungsarbeiten vor, die auf einer intensiven
gen (vgl. dazu die Dokumentation von Hen- theoriegeleiteten empirischen Forschung be-
rici/Koreik 1994; Krumm 1994b). Der inten- ruhen. Glück (1991) und Rösler (1994) haben
sive Austausch zwischen theoretischer Refle- diese Forschung unterschiedlich typisierend
xion seiner Gegenstände und den Möglich- beschrieben und mit einer Vielzahl von aus-
keiten einer konkreten Anwendung bildet gewählten Beispielen dokumentiert. Aus der
von Anfang an ein besonderes Kennzeichen Entstehungsgeschichte wie aus dem Selbst-
des Faches (zur Darstellung der Formen und verständnis des Faches Deutsch als Fremd-
Funktionen von Praktika vgl. Fandrych sprache als einem Theorie und Praxis verbin-
1993; Apeltauer 1994). Praktika haben in denden Fach ist erklärlich, dass ein großer
dreifacher Hinsicht einen bedeutenden Stel- Teil der relativ geringen Forschungskapazitä-
lenwert im Fach Deutsch als Fremdsprache: ten auf sogenannte anwendungs-/praxisbe-
Sie sind lebensweltliche Konkretisierungen zogene Forschungen ausgerichtet ist. Zu
von Wissensbeständen und wirken insofern ihnen zählen u. a. grundlegende, die Praxis
auch persönlichkeitsbildend und -stabilisie- unterstützende und steuernde Grammatik-
rend, als sie vergleichende Einsichten und Re- arbeiten (vgl. Art. 109), didaktische Arbeiten
flexionen in und über eigene und fremde zur Theorie und Praxis der Fremdsprachen-
sprachliche und gesellschaftlich-kulturelle Si- vermittlung (vgl. Art. 80; 81), die Lehrwerk-
tuationen gewähren. Sie sind für die Studie- kritik (vgl. Art. 105), Untersuchungen zu den
renden eine zentrale Gelenkstelle, an der theoretischen Grundlagen und der kommuni-
deutlich wird, welches Wissen, welche Ein- kativen Praxis interkultureller Kommunika-
stellungen und welche Handlungskompeten- tion (vgl. Art. 100; 124), die intensive Be-
zen erforderlich sind, um sich in den vielfälti- schäftigung mit Fachsprachenpraxis, -didak-
gen zukünftigen DaF-spezifischen Berufssi- tik und -theorie (vgl. Art. 54⫺59) und nicht
tuationen (Inland, Ausland, unterschiedliche zuletzt die Konzipierung, Entwicklung und
Institutionen, Lernergruppen, Lernniveaus Evaluation von Selbststudienmaterialien und
u. a.) zurecht zu finden ⫺ insofern dienen sie Lehrbüchern (vgl. Art. 105; 106), die berech-
gleichzeitig der Berufsorientierung wie auch tigterweise von den Lehrenden für die Praxis
als Impuls für die theoriegeleiteten Studien- des Unterrichtens eingefordert werden. In
phasen, an die aus der praktischen Erfahrung diesen Zusammenhang gehört die kritische
heraus Fragen zu stellen sind. Schließlich Analyse sogenannter alternativer Vermitt-
sind Praktika auch Ausdruck der Weltoffen- lungsverfahren (etwa Tandem, Suggestopä-
heit und Internationalität des Faches, die die, Dramapädagogik u. ä.; vgl. Art. 86). Im
ausländerfeindlichen Tendenzen entgegenwir- Rahmen von Schulversuchen, angesichts cur-
ken können. Das setzt allerdings voraus, dass ricularer Entwicklungen wie dem Frühbeginn
1. Die Struktur des Faches 9

des Deutschunterrichts in vielen Ländern, an- 5. Schluss


gesichts der Tendenz, die Fremdsprache auch
als Arbeitssprache in anderen Unterrichtsfä- Eine Reihe von Problemen ist auch weiter-
chern einzusetzen und schließlich durch die hin gründlich zu diskutieren, von deren Lö-
Einbeziehung der Sprachen von Minderhei- sung die zukünftige Entwicklung des Faches
ten und Migranten, die zu neuen Modellen u. a. auch abhängen wird (vgl. Henrici 1995).
der Mehrsprachigkeit führt, gewinnen auch Beschreibt man die Entwicklung des Faches
die Begleitforschung und die Wirkungsfor- bzw. der Disziplin nach einzelnen Phasen
schung (Evaluationen) an Bedeutung (vgl. (Initial-, Etablierungs-, Konsolidierungs-
Koschat/Wagner 1994; Landesinstitut 1995). phase, vgl. Laitko 1982), lässt sich als gewis-
Wie die Dokumentation zu Deutsch als ser Konsens unter den meisten Fachvertrete-
Fremd- und Zweitsprache von Glück (1991) rinnen und -vertretern ausmachen, dass sich
aber ebenfalls belegt, sind zunehmend auch das Fach inzwischen in der Konsolidierungs-
Arbeiten vorgelegt worden, die dem For- phase befindet, zumal seine Etablierung an
schungstyp „grundlagenorientiert“ zuzurech- den deutschen Hochschulen als weitgehend
nen sind. Es handelt sich im Wesentlichen um abgesichert angesehen werden kann (vgl. u. a.
solche Arbeiten, die die Untersuchung der Götze/Suchsland 1996). Diese optimistische
Mechanismen von natürlichen und gesteuer- Einschätzung wird nur dann weiterhin gültig
ten Fremdsprachenerwerbsprozessen betref- bleiben, wenn sich das Fach nicht auf den in
fen (vgl. Art. 66⫺79), deren Ergebnisse Be- seiner etwa fünfundzwanzigjährigen Ge-
gründungen und Absicherungen für den schichte zweifellos erworbenen Meriten aus-
Kernbereich des Faches, „das Lehren und ruht, sondern die kontroverse Debatte um
Lernen des Deutschen als Fremdsprache in mögliche Fachstrukturen und deren prakti-
Theorie und Praxis“ bereitstellen können. sche Umsetzung engagiert weiterführt. Dass
das Hochschulfach Deutsch als Fremdspra-
4.5. Kooperation und Arbeitsteilung: Trotz che nicht nur für Studierende ein attraktives
mancher kritischer Einwände und Hinweise sowie in Anbetracht der politischen, gesell-
auf unterschiedliche „Linien“ (Glück 1991) schaftlichen und wirtschaftlichen Entwick-
sollte an der These von der Einheit des Fa- lungen in Europa und in der Welt
ches und ihrer Begründung festgehalten wer- ein notwendiges Fach ist, begründet u. a. die
den (Henrici 1989, These 1; Götze/Suchsland ständige quantitative Zunahme von Vollzeit-
1996, These 2; Henrici 1996). Das Argument und Zusatzstudiengängen in den letzten Jah-
gilt weiterhin, dass Einheit und Vielfalt kei- ren. Die starke Nachfrage nach einem Stu-
nen Widerspruch bedeuten (Götze 1997, 89). dium Deutsch als Fremdsprache hat bereits
Auch in anderen Disziplinen finden wir diese zur Einführung eines Numerus Clausus (NC)
Vielfalt in der Einheit. Keiner käme auf die an einzelnen Studienorten geführt (Bielefeld,
Idee, aufgrund der Vielfalt von Fachdifferen- Hamburg, München). In den nur grob wie-
zierungen nicht mehr von der Romanistik, dergegebenen Ergebnissen der Recherche von
der Anglistik oder der Slavistik zu sprechen. Henrici/Koreik 1994 scheint die These von
Wie in anderen Disziplinen hat sich auch im der gesicherten Etablierung und Konsolidie-
Fach Deutsch als Fremdsprache die Vielfalt rung des Faches ihre Bestätigung zu finden.
aus praktisch-gesellschaftlichen und inner-
disziplinären Gründen auf verschiedenen Ebe- 6. Literatur in Auswahl
nen entwickelt. Dieser Differenzierungspro-
zess ist auf der Ebene von Erkenntnisinter- ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im
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10 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

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1. Die Struktur des Faches 11

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12 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

2. Linguistischer Ansatz

1. Verschiedene Ausrichtungen des Faches als Weise beruhen die genannten „Ausrichtun-
Reflex unterschiedlicher Komponenten gen“ auf unterschiedlichen Komponenten
2. Zum Status des Faches Deutsch als oder Aspekten eines Phänomens, das glei-
Fremdsprache chermaßen einheitlich wie komplex ist. Weil
3. Was heißt „linguistischer Ansatz“?
4. Kontrastive Linguistik vs. Einzeldeskription
es einheitlich ist, sollte es auch von einem ein-
5. System vs. Kommunikation heitlichen Fach aus erfasst werden; weil es
6. Grammatik vs. Lexikon komplex ist (und aus verschiedenen Kompo-
7. Ausdrucks- vs. Inhaltsgrammatik nenten besteht), erfordert es einen interdiszi-
8. Zentralität der linguistischen Komponente plinären Zugang.
9. Literatur in Auswahl Diese Interdisziplinarität bringt es mit
sich, dass (auf Grund dieser unterschiedli-
chen Komponenten) notwendigerweise auch
1. Verschiedene Ausrichtungen des unterschiedliche Wissensbestände in das
Faches als Reflex unterschiedlicher Fach „Deutsch als Fremdsprache“ eingehen,
Komponenten dass dabei jedoch die in „Deutsch als Fremd-
sprache“ hineinragenden Teildisziplinen oft
Selbst bei weitgehend einhelliger Gegen- den Anspruch von Erklärungsmodellen für
standsbeschreibung des Faches „Deutsch als den Gesamtbereich erheben. Statt eines inter-
Fremdsprache“ erscheint das Fach (bis in die disziplinären Forschungsansatzes herrscht
Studiengänge hinein) in verschiedenen „Aus- vielfach (noch) die Tendenz vor, Theoriean-
richtungen“ ⫺ mindestens: einer linguisti- sätze aus den einzelnen Komponenten als für
schen, einer literaturwissenschaftlichen, einer den Gesamtkomplex zuständig auszugeben
landeskundlich-kulturwissenschaftlichen und (vgl. Krumm 1978, 87ff.). Das gilt insbeson-
einer didaktisch-methodischen (lehr- und lern- dere für die Linguistik und für die Didaktik
wissenschaftlichen) Ausrichtung (vgl. Art. 1). (Sprachlehr- und -lernforschung), aber auch
Mit diesen Ausrichtungen ist zunächst nur für die Zweitspracherwerbsforschung, manch-
die entsprechende disziplinäre Zuordnung mal auch für Landeskunde und Literaturwis-
angezeigt, noch nicht das Spezifische des Fa- senschaft (und führte zu einseitigen Domi-
ches „Deutsch als Fremdsprache“, durch das nanzverhältnissen). Grob gesagt: Auf eine Pe-
es sich von anderen Fächern unterscheidet. riode der „Linguistisierung“ des Fremdspra-
Dieses Spezifikum besteht u. E. darin (vgl. chenunterrichts und von „Deutsch als
Helbig 1997b, 132f.), dass es Theorie und Fremdsprache“ folgte ⫺ als Reaktion ⫺ eine
Praxis des Lehrens und Lernens von Deutsch ebenso ungerechtfertigte Dominanz durch
als Fremdsprache zum Gegenstand hat. Mit Didaktik/Sprachlehr- und -lernforschung so-
den hier hervorgehobenen Teilen dieser Ge- wie Psychologie (nicht selten dann unter Ab-
genstandsbeschreibung ist zugleich auf we- koppelung von der Linguistik) (vgl. Helbig
sentliche Nachbar- und Teildisziplinen ver- 1994, 85ff.). Wie der Fremdsprachenunter-
wiesen, zu denen „Deutsch als Fremdspra- richt und „Deutsch als Fremdsprache“ nicht
che“ in notwendigen Beziehungen steht: Das einfach „angewandte Linguistik“ sind, so
Deutsche als Sprache ist das, was gelernt/ge- sind sie auch nicht einfach „angewandte Psy-
lehrt wird (der Gegenstand des Lernens/Leh- chologie“; ebensowenig dürfen sie auf
rens, der auch von der germanistischen Lin- Sprachlehr- und -lernforschung oder auf Di-
guistik beschrieben wird). Dieser Gegenstand daktik/Methodik reduziert werden. Vielmehr
wird aber (im Unterschied zur Binnenper- müssen die Ergebnisse aller dieser Disziplinen
spektive der germanistischen Linguistik im auf „Deutsch als Fremdsprache“ angewandt
Inland) als Fremdsprache, d. h. aus der Fremd- werden (aber nicht direkt und nicht unadap-
oder Außenperspektive, betrachtet. Zu der tiert, vielmehr unter der übergreifenden Fra-
Sprache (und mit ihr verbunden) kommen als gestellung des Lernens/Lehrens von Deutsch
Gegenstände die Literatur und die Landes- als Fremdsprache) ⫺ eben weil für Deutsch
kunde hinzu. Alle diese Gegenstände sollen ge- als Fremdsprache (wie für den Fremdspra-
lernt und gelehrt werden (damit befassen sich chenunterricht generell) nicht nur eine Wis-
vor allem Sprachlehr- und -lernforschung/ senschaft zuständig ist, sondern Wissenskom-
Fachdidaktik, Methodik, (Zweit-)Spracher- ponenten aus verschiedenen Bezugsdiszipli-
werbsforschung, Psycholinguistik). Auf diese nen. Dass gegenwärtig häufig noch Kon-
2. Linguistischer Ansatz 13

zepte, Methoden und Fragestellungen der mancher zentraler Kontroversen, wie sie zu
„Ausgangsdisziplinen“ bei Gesamtdiskussio- Inhalt, Struktur und Profil des Faches heute
nen um Deutsch als Fremdsprache (über sol- ausgetragen werden (z. B. in der Zeitschrift
che zu dessen „ureigenem“ Gegenstandsbe- DaF seit Götze/Suchsland 1996).
reich) dominieren, kann und muss man ge- Diese Kontroversen stehen im Zusammen-
wiss beklagen (vgl. z. B. auch Dittmar/Rost- hang mit der Interdisziplinarität des Faches
Roth 1995, 5), ergibt sich aber aus dem inter- und ergeben sich aus unterschiedlichen
disziplinären Charakter des Faches und ist Schwerpunktsetzungen und Dominanzver-
u. E. allemal besser als eine schlichte „prakti- hältnissen zwischen den verschiedenen Kom-
zistische“ Reduzierung von Deutsch als ponenten des Faches. Das führte zu solchen
Fremdsprache auf Didaktik oder auf eine Fragen, welches die entscheidende (und do-
(eher dilettantische) Schein-Interdisziplinari- minante) Bezugsdisziplin für „Deutsch als
tät, die das Fach von seinen Bezugsdiszipli- Fremdsprache“ ist, ob „Deutsch als Fremd-
nen abkoppelt. Bei der Weiterentwicklung sprache“ ⫺ generell oder vor allem ⫺ ein ger-
des Faches wird es freilich darauf ankom- manistisches oder ein fremdsprachenphilolo-
men, die Wissensbestände zu den verschiede- gisches (bzw. -wissenschaftliches) Fach, ob es
nen Komponenten zusammenzuführen ⫺ die ein sprachwissenschaftliches oder ein didakti-
sich nicht kontradiktorisch, sondern eher sches (bzw. lehr- und lernwissenschaftliches)
komplementär zueinander verhalten ⫺, dies ⫺ oder gar ein pädagogisches ⫺ Fach sei. In
weder unadaptiert noch rein additiv, sondern der Diskussion in DaF haben Götze/Suchs-
unter Dominanz des spezifischen Gegenstan- land (1996, 68ff.) für die Germanistik (nicht
des von Deutsch als Fremdsprache. für die Fremdsprachenphilologie, auch nicht
für die Didaktik) als wesentlichste Bezugsdis-
ziplin plädiert und „Deutsch als Fremdspra-
2. Zum Status des Faches Deutsch als che“ als germanistisches Fach (als „viertes
Fremdsprache Standbein“ der Germanistik) angesehen. Ent-
gegengesetzt argumentieren Henrici (1995,
Ausgehend von den unterschiedlichen Kom- 10f.; 1996, 132ff.), Königs (1996, 195ff.), Ed-
ponenten beim Erwerb/Erlernen von Fremd- mondson (1998) und andere für Deutsch als
sprachen und in Verbindung mit den unter- Fremdsprache als fremdsprachenwissen-
schiedlichen „Ausrichtungen“ des Faches, schaftliches Fach mit fremdsprachenerwerb-
aber auch auf Grund der bisherigen Entwick- licher und -didaktischer Schwerpunktset-
lung des Faches (als „Kind der Praxis“, auf zung. Ein ähnliches Bild bietet sich auch ge-
der Basis unterschiedlicher gesellschaftlicher nerell: Wie Henrici möchte auch Krumm
Desiderate und in unterschiedlichen institu- (1994, 77ff.) ⫺ in Abgrenzung von der Ger-
tionellen Kontexten) ergab sich nicht nur eine manistik ⫺ die Lehr- und Lernprozesse in
Mehrzahl von Bezeichnungen für das (neue) das Zentrum des Faches rücken, umgekehrt
Fach, sondern auch ⫺ darauf kommt es uns sieht Glück (1991; 1994, 134; 1997, 60ff.) das
hier besonders an ⫺ eine Unsicherheit und Fach als Teilbereich bestimmter Untergliede-
Heterogenität im Hinblick auf den theoreti- rungen der Sprachwissenschaft und die Ger-
schen Status des Faches. Darauf deutet schon manistik (und innerhalb der Germanistik die
die (zugespitzte) Frage von Glück (1994, Sprachwissenschaft) als wesentlichste Be-
146f.) hin, ob es ein Zweig der Germanistik zugsdisziplin an.
(etwa ein vierter Zweig neben Sprach-, Lite- Auch wenn man den einheitlichen und in-
raturwissenschaft und Mediävistik) oder eine terdisziplinären Charakter von „Deutsch als
Spielart der Auslandsgermanistik, ob es „ein Fremdsprache“ anerkennt und sich über
disziplinärer Bastard, aus allerlei Kultur- und seine wesentlichsten Komponenten weitge-
Sozialwissenschaften zusammengefügt, mit hend einig ist, bestehen dennoch erhebliche
einem unklaren sprachwissenschaftlichen Divergenzen hinsichtlich der Gewichtung die-
Kern“, „ein Arbeitsbereich vor allem der ser Komponenten und der angenommenen
Sprachwissenschaft“, „ein Zweig der Fremd- Hierarchie- und Dominanzverhältnisse zwi-
sprachendidaktik bzw. Sprachlehr- und -lern- schen ihnen. Allerdings fällt bei der Diskus-
forschung bzw. Glottodidaktik bzw. Linguo- sion zweierlei auf (vgl. Helbig 1997b, 134 f.):
didaktik“, eine „anwendungsbezogene Hilfs-
wissenschaft der Politologie im Bereich der a) Die Argumentationen werden oft von
Außenpolitik“ oder „von allem ein bißchen“ „äußeren Faktoren“ her (z. B. der Stellenbe-
sei. Diese Fragestellung enthält den Keim setzung und der institutionellen Zuordnung,
14 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

der fachpolitischen Zwecksetzung und den sehen wird ⫺ hat (mit Recht) davon gespro-
personellen Voraussetzungen) motiviert. Wir chen, dass sich Inlands- und Auslandsgerma-
sehen im Folgenden von diesen Faktoren nistik zwar nicht in ihrem Gegenstand, wohl
weitgehend ab und versuchen stattdessen eine aber in ihrer Perspektive (Binnenperspektive
fachsystematische Antwort ⫺ obwohl die vs. Außen- bzw. Fremdperspektive) auf den
entsprechenden Konzepte von diesen äußeren Gegenstand und in ihrer Methodologie von-
Faktoren natürlich mitbedingt sind und auch einander unterscheiden, dass sich der Aufga-
Konsequenzen in dieser Richtung haben. Es benbereich von Deutsch als Fremdsprache
verbietet sich u. E. jedoch eine Verkürzung unter philologischem Gesichtspunkt mit dem
auf „externals“, z. B. auf Feststellungen, dass der Germanistik, unter methodologischem
Germanisten das Fach „Deutsch als Fremd- Gesichtspunkt mit dem der Fremdsprachen-
sprache“ teils respektieren, teils desavouie- philologien deckt.
ren, dass sie ihm Stellen gelegentlich nicht Insofern kann und sollte man Deutsch als
zubilligen, dass manchmal einerseits ein Fremdsprache als eine Fremdsprachenphilo-
Fremdsprachendidaktiker, andererseits ein logie auffassen (wie auch die Auslandsgerma-
Germanist als „von außen“ kommender nistik eo ipso Fremdsprachenphilologie ist).
„Fremdkörper“ im Bereich „Deutsch als Mit den Fremdsprachenphilologien und mit
Fremdsprache“ empfunden wird. Von der Sa- der Auslandsgermanistik ist das Fach da-
che her nicht bedeutsam dürfte auch sein, ob durch verbunden, dass sein Hauptanliegen
das Fach universitär als eigenes Institut oder das Lehren und Lernen einer Fremdsprache
im Rahmen von Fremdspracheninstituten ist, dass die Außenperspektive konstitutiv ist,
oder von Germanistischen Instituten eta- die oft neue (und andere) Deutungen eröff-
bliert ist. net, die der Binnenperspektive verschlossen
b) Inhaltlich wird oftmals die Alternative geblieben sind. Dabei sind nicht nur sprachli-
„germanistische vs. fremdsprachenwissen- che, sondern auch landeskundliche, literari-
schaftliche Schwerpunktsetzung“ vermischt sche und kulturelle Kontraste gemeint, ein-
oder gekoppelt mit der Alternative „linguisti- mal ganz abgesehen von der Didaktik (deren
sche vs. didaktische Schwerpunktsetzung“. Differenzierung sich schon dadurch ergibt,
Beide Alternativen sind nicht identisch: Ge- dass Fremdsprachenerwerb anders funktio-
wiss ist eine germanistische Schwerpunktset- niert als Mutterspracherwerb). Die Auffas-
zung zumeist verbunden mit einer primär lin- sung von Deutsch als Fremdsprache als
guistischen Ausrichtung (sehen wir einmal Fremdsprachenphilologie bedeutet jedoch
von der „interkulturellen Germanistik“ ab, keine „Abkoppelung“ von der Germanistik
die ein Kind der Literaturwissenschaft ist); (wie das oft von didaktischer Seite suggeriert
aber eine fremdsprachenwissenschaftliche wird). Völlig unbegründet ist eine Isolierung
Orientierung führt u. E. nicht notwendig zu von der Auslandsgermanistik (auf Grund der
einer didaktischen Dominanz. Gemeinsamkeiten in Gegenstand, Perspek-
tive und Methodologie), unbegründet aber
Dies wird deutlich, wenn man nach den Be- auch eine völlige Abkoppelung von der
ziehungen von „Deutsch als Fremdsprache“ muttersprachlichen Binnengermanistik (auf
zu den genannten Fächern unter dem Aspekt Grund der Gemeinsamkeiten im Gegenstand
des Gegenstandes und der Methoden fragt und der von ihr gewonnenen Einsichten in
(vgl. auch Neuner 1993; 1995): Vom Gegen- die deutsche Sprache) (vgl. auch Glück 1991).
stand der deutschen Sprache her weist Kurz gesagt: Die auf der Außenperspektive
Deutsch als Fremdsprache Gemeinsamkeiten begründete Auffassung von Deutsch als
sowohl mit der Inlands- als auch mit der Aus- Fremdsprache als Fremdsprachenphilologie
landsgermanistik auf. Von der Perspektive bedeutet weder eine Identität mit noch eine
auf diesen Gegenstand („Außenperspektive“) Abkoppelung von der (Binnen-)Germanistik.
her unterscheidet es sich deutlich von der Dass innerhalb der Germanistik für Deutsch
Binnengermanistik und zeigt Gemeinsamkei- als Fremdsprache die Sprachwissenschaft die
ten sowohl mit der Auslandsgermanistik als entscheidende Rolle spielt, dürfte kaum zu
auch mit anderen Fremdsprachenphilologien bestreiten sein; einmal wegen des Lernens
(also z. B. der Anglistik in Deutschland oder und Lehrens der deutschen Sprache (als des
der Germanistik in Frankreich (vgl. Helbig zentralen Gegenstandes von „Deutsch als
1997a, 92f.)). Bereits Weinrich (1979, 1f.) ⫺ Fremdsprache“), aber auch wegen der sekun-
dessen Aufsatz oft als „Konstituierungsur- dären Rolle der anderen Komponenten (Lan-
kunde“ für Deutsch als Fremdsprache ange- deskunde, Literatur u. a.), die schon durch
2. Linguistischer Ansatz 15

den zumeist eingeschränkten Umfang im Un- werbende Sprache eine zentrale Rolle unter
terricht bedingt ist. Wenn statt „Fremdspra- den verschiedenen Komponenten des Faches.
chenphilologie“ ein Terminus wie „Fremd- Von diesem „archimedischen Punkt“ aus
sprachenwissenschaft“ favorisiert wird (vgl. muss Deutsch als Fremdsprache betrieben
Henrici 1989, 14; 1995), dürfte es sich eher werden (vgl. Glück 1998, 3ff.); genau dies ist
um einen rein terminologischen Ersatz han- das Credo des im Folgenden genauer zu be-
deln (um einem zu engen und traditionellen schreibenden „linguistischen Ansatzes“ für
Verständnis von „Philologie“ zu entgehen). das Fach „Deutsch als Fremdsprache“.
Auf jeden Fall bedeutet eine Auffassung von
Deutsch als Fremdsprache als Fremdspra-
chenphilologie nicht automatisch oder not- 3. Was heißt „linguistischer Ansatz“?
wendig eine primär oder gar ausschließlich
Unter „linguistischem Ansatz“ wird die
didaktische bzw. lehr- und lernwissenschaft-
Summe aller Auffassungen verstanden, die
liche Bestimmung oder Dominanz des Fa-
der Sprache unter den verschiedenen Kom-
ches. Mitunter gewinnt man den Eindruck,
ponenten des Faches „Deutsch als Fremd-
als ob (aus Berührungsangst und/oder Selbst-
sprache“ die zentrale Rolle zuschreiben, in
rechtfertigungsdruck) aus der angestrebten
ihr eben den „archimedischen Punkt“ sehen,
Loslösung von der (Binnen-)Germanistik in
der Ausgangs- und Bezugspunkt des Faches
mechanischer Weise auf eine solche einseitige
ist. Da eine (Fremd-)Sprache erworben/ver-
didaktische Dominanz geschlossen wird.
mittelt werden soll, bedarf es nicht nur ent-
Eine solche ⫺ nach der „Linguistisierung“
sprechender Fähigkeiten und Fertigkeiten in
des Fremdsprachenunterrichts ⫺ abermals
dieser Sprache, dazu bedarf es auch solider
einseitige Schwerpunktsetzung verbietet sich
Kenntnisse über diese Sprache, mindestens
aus prinzipiellen Gründen: Wenn es bei
für den Lehrbuchautor und den Lehrer, z. T.
Deutsch als Fremdsprache um das Lehren
aber auch ⫺ abhängig vom Bedingungsge-
und Lernen von Deutsch als Fremdsprache
füge des konkreten Sprachunterrichts, der
geht, kann das Wie (des Lernens und Leh-
„Faktoren-Komplexion“, die den Unterricht
rens) nicht von dem abgekoppelt werden, was
determiniert ⫺ auch für den Lernenden. Ein-
gelernt und gelehrt wird (das Deutsche als
facher gesagt: Der linguistische Ansatz ba-
Fremdsprache). In der in diesem Buch vertre-
siert auf der Einsicht, dass man zuerst und
tenen Gegenstandsbestimmung verweist
vor allem wissen muss, was erworben/vermit-
Deutsch auf den (Lern-)Gegenstand, Fremd-
telt werden soll (nämlich die Strukturen und
sprache auf die Perspektive und Methodolo-
Funktionen der zu erwerbenden/vermitteln-
gie, Lernen und Lehren auf den Erwerb und
den Sprache ⫺ in diesem Falle: des Deut-
die Vermittlung (die selbst zum Gegenstand
schen), ehe man sich für bestimmte Strate-
der Reflexion werden). Erst alle diese
gien und Taktiken entscheiden kann, wie die
Aspekte zusammen machen das einheitliche
Vermittung in optimaler Weise erfolgen sollte
Fach „Deutsch als Fremdsprache“ aus, das
(didaktisch-methodisch), die sich wiederum
weder einfach „angewandte Sprachwissen-
nur aus allgemeinen Erkenntnissen über
schaft“ oder „angewandte Germanistik“
Struktur und Ablauf von Erwerbsprozessen
noch einfach „angewandte Spracherwerbs-
ergeben.
forschung“ oder „angewandte Sprachlehr-
Allerdings sind die Auffassungen selbst in-
und -lernforschung“ ist.
nerhalb dieses linguistischen Ansatzes keines-
Dennoch sind die verschiedenen Kompo-
wegs einheitlich und völlig homogen. Wesent-
nenten des Faches nicht völlig gleichwertig.
liche Unterschiede bestehen offenkundig
Ein bestimmtes Hierarchieverständnis ergibt
mindestens in zweifacher Hinsicht:
sich schon daraus, dass das Was gegenüber
dem Wie primär ist, andererseits der Erwerbs- 1. Innerhalb eines „linguistischen Ansatzes“
prozess nicht gegenüber dem Gegenstand des gibt es entweder die Variante, dass Deutsch
Erwerbs als autonom angesehen werden als Fremdsprache ausschließlich auf die lin-
kann. Im Fremdsprachenunterricht (und in guistische Komponente reduziert wird (im
Deutsch als Fremdsprache) geht es immer um Extremfall die anderen Komponenten ⫺ aus
den Erwerb einer Sprache (als des zu erwer- welchen Gründen auch immer ⫺ ausge-
benden Gegenstandes). Der zu erwerbende schlossen werden) und damit das Fach auf
Gegenstand determiniert immer Struktur und „angewandte Linguistik“ verkürzt wird, oder
Ablauf des Erwerbsprozesses und nicht um- die andere Variante, dass das Fach interdiszi-
gekehrt. Auf diese Weise gewinnt die zu er- plinär verstanden wird, also mehrere Kom-
16 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

ponenten angenommen werden, von denen (Rahmenbau), auf die Voranstellung/Satz-


freilich die Sprache in das Zentrum gerückt gliedstellung des attributiven Adjektivs und
wird. Im vorliegenden Buch wird für die den unflektierten Gebrauch des prädikativen
zweite Variante argumentiert (vgl. Art. 1 und Adjektivs (im Unterschied z. B. zum Frz.),
Art. 2, Abs. 1. und 2.). auf die fehlende Markierung der Adjektiv-
2. Innerhalb eines „linguistischen Ansatzes“ Adverbien, auf das deontische und epistemi-
gibt es Meinungsverschiedenheiten darüber, sche System der deutschen Modalverben, auf
welche Aspekte der Sprache als besonders re- Tempus-, Modus- und Genussystem des
levant für den Fremdsprachenunterricht (und Verbs, auf den „externen“ possessiven Dativ
damit auch für Deutsch als Fremdsprache) im Deutschen (etwa: Ich wasche mir die
angesehen werden. Es handelt sich um solche Hände vs. I wash my hands), die besondere
Fragen, welche Rolle die Kontraste zwischen Rolle der Modalpartikeln im Deutschen, auf
Sprachen (die Konfrontative bzw. Kontra- das Fehlen eines speziellen Reflexivprono-
stive Linguistik), welche Rolle der System- mens in der 1./2. Pers. im Deutschen (etwa:
aspekt der Sprache im Verhältnis zur kom- mir vs. myself), auf die vielfache Formen-
munikativen Verwendung der Sprache und gleichheit von substantivischen Pronomina
welche Rolle innerhalb des Systemaspekts die und entsprechenden Artikelwörtern im Deut-
Grammatik und die Lexik (das Lexikon) schen (z. B. dieser) im Unterschied zu ande-
spielen, und schließlich um die Frage, ob die ren Sprachen u. v. m.
linguistische Grammatik von den Formen Dennoch wäre es zu einfach und zu kurz-
(„Ausdrucksgrammatik“) oder von den schlüssig, den linguistischen Anteil (die lin-
Funktionen („Inhaltsgrammatik“) ausgehen guistische Komponente) des Fremdsprachen-
sollte. Alle diese Fragen sind noch umstritten unterrichts (und damit auch von Deutsch als
und haben unterschiedliche theoretische Vor- Fremdsprache) auf den konfrontativen/kon-
aussetzungen und Implikationen. Auf diese trastiven Vergleich mehrerer Sprachen zu re-
Fragen und Unterschiede soll deshalb in den duzieren, dies mindestens aus folgenden
nächsten Absätzen genauer eingegangen wer- Gründen (vgl. Helbig 1981, 70ff.; 1986a;
den. 1994, 89ff.; 1997a, 95f.; 1997b, 135f.; vgl.
auch Art. 14, Abs. 2.8.):
4. Kontrastive Linguistik vs. 1. Der kontrastive Sprachvergleich war ur-
Einzeldeskription sprünglich mit dem (praktischen) Ziel ange-
treten, jene Probleme zu finden und zu be-
Die für alle Komponenten von Deutsch als schreiben, die die Sprecher einer Sprache ha-
Fremdsprache unverzichtbare und konstitu- ben würden, wenn sie eine andere Sprache
tive Außen- und Fremdperspektive hat in der lernen ⫺ in der zunächst unterstellten An-
linguistischen Komponente schon früh zu nahme, dass die in der Muttersprache glei-
dem Gebot geführt, die deutsche Sprache chen oder ähnlichen Elemente für den Ler-
nicht unabhängig von anderen Sprachen, nenden einfach, die von der Muttersprache
sondern immer im Kontext mit ihnen zu se- abweichenden Elemente aber schwierig sein
hen (vgl. Weinrich 1979, 2ff.). Der Sprach- würden. Diese Annahme (der Glaube, durch
vergleich ⫺ typologischer und vor allem kon- die Interferenz der Muttersprache bedingte
trastiver/konfrontativer Art ⫺ erweist sich Fehler in direkter Weise voraussagen zu kön-
deshalb als zentraler Bereich der linguisti- nen) hat sich indes nicht bestätigt, die ur-
schen Komponente von Deutsch als Fremd- sprüngliche Zielstellung als unzureichend (als
sprache (vgl. ausführlicher Art. 27⫺49). Das „Falschziel“) erwiesen, ⫺ und zwar aus theo-
führte zu der berechtigten Forderung, dass retischen sowie aus praktischen Gründen: aus
Lehrer des Deutschen als Fremdsprache theoretischen Gründen deshalb, weil die
mehrere Fremdsprachen kennen sollten, da- Kontraste immer nur auf dem Hintergrund
mit sie die deutsche Sprache auf dem Hinter- eines vollständigen und systematischen Ver-
grund eines Vergleichs mit anderen Sprachen gleichs von Einzelsprachen ermittelt werden
(vor allem: mit der Muttersprache der Ler- können (daraus entstand die mancherorts
nenden) vermitteln können. In der Tat treten vorgenommene Unterscheidung von kon-
auf diesem Wege zahlreiche Spezifika des frontativer und kontrastiver Grammatik, wo-
Deutschen besonders deutlich zutage und er- bei erstere eine theoretische Disziplin ist mit
leichtern den Lernprozess. Wir verweisen dem Ziel, Gemeinsamkeiten und Unter-
z. B. auf die Wortstellung/Satzgliedstellung schiede zwischen Einzelsprachen aufzudek-
2. Linguistischer Ansatz 17

ken, letztere sich ⫺ als praktische Anwen- kann, sondern immer nur Teile, Ebenen, Sub-
dung ⫺ auf die Unterschiede beschränkt); systeme oder ⫺ in den meisten Fällen ⫺ nur
aus praktischen Gründen deshalb, weil im einzelne Kategorien. Dabei taucht von selbst
Fremdsprachenunterricht keineswegs nur die die Frage auf, welche Teile und welche Kate-
(starken) Kontraste, sondern auch und ge- gorien miteinander vergleichbar sind ⫺ eine
rade die Ähnlichkeiten und schwachen Kon- Frage, die vor allem dann nicht leicht zu be-
traste fehleranfällig sind (faux amis), so dass antworten ist, wenn sich die Kategorien der
Schwierigkeiten beim Lernen einer Fremd- zu vergleichenden Sprachen nicht geradlinig
sprache keineswegs als direkte und geradli- entsprechen, wenn die Kategorien der einen
nige Folge von Strukturdifferenzen zwischen Sprache Entsprechungen in anderen Katego-
Sprachen angesehen werden können. Über- rien der zweiten Sprache haben, wenn es für
dies gibt es mehrere Arten von Fehlern, bestimmte grammatische Erscheinungen der
durchaus nicht nur solche, die sich aus dem einen Sprache im grammatischen System der
Verhältnis zur Muttersprache ergeben, son- anderen Sprache keine direkten oder über-
dern auch solche, die durch andere Faktoren haupt keine Entsprechungen, möglicherweise
(z. B. durch Übergeneralisierung) bedingt auch Entsprechungen in anderen Subsy-
sind, also Fehler in der Fremdsprache selbst stemen der Sprache gibt (vgl. z. B. die
(Intraferenzen) sind. Aspekte in slawischen Sprachen, die keine di-
2. Die Auffassung, dass man mit dem kon- rekte Entsprechung im Deutschen, die Arti-
trastiven Sprachvergleich eine Art „Allheil- kel im Deutschen, die keine Entsprechung in
mittel“ für die Optimierung des Fremdspra- slawischen Sprachen haben, oder die deut-
chenunterrichts gefunden habe, wurde auch schen Abtönungspartikeln, die in anderen
durch die zunehmende Einsicht in Frage ge- Sprachen oft anders ausgedrückt werden).
stellt, dass kontrastive Arbeiten immer die Die metasprachliche Komparabilität bezieht
Einzelbeschreibung der zu vergleichenden sich nicht auf die zu vergleichenden Segmente
Sprachen voraussetzen ⫺ entsprechend der der Sprache selbst, sondern auf die Vergleich-
alten Forderung „Beschreiben vor Verglei- barkeit der Beschreibungen der zu verglei-
chen“. Eine konfrontative Grammatik kann chenden Sprachen. Für einen Sprachvergleich
⫺ wenn sie nicht aphoristisch und anekdo- genügt also nicht die vorhandene Beschrei-
tenhaft bleiben soll ⫺ die vollständige Be- bung der Einzelsprachen schlechthin, son-
schreibung der zu vergleichenden Sprache dern es muss sich um vergleichbare Beschrei-
weder ersetzen noch abkürzen. Sie setzt somit bungen handeln, um Beschreibungen auf der
mindestens zwei Grammatiken von Einzel- Basis der gleichen Sprach- und Grammatik-
sprachen voraus, die miteinander und zuein- theorie, mit Hilfe der gleichen Methoden und
ander in Beziehung gesetzt werden. Obwohl der gleichen Termini (also: um theoretische,
damit zwar der konfrontative Vergleich ⫺ methodologische und terminologische Ver-
auch in Qualität und Aussagekraft ⫺ von gleichbarkeit). Wenn diese nicht gegeben ist
vorgängigen einzelsprachlichen Beschreibun- (z. B. beim Vorliegen einer generativen Be-
gen abhängig ist, ist auf der anderen Seite die schreibung der betreffenden Kategorie im
(in früheren strukturalistischen Arbeiten ent- Englischen und einer strukturalistischen oder
haltene) kurzschlüssige Vorstellung unzutref- funktionalen Beschreibung derselben Kate-
fend, dass sich der Vergleich aus den Einzel- gorie im Deutschen), ist ein sinnvoller Ver-
beschreibungen gleichsam von selbst ergebe. gleich mindestens erschwert, wenn nicht
Vielmehr muss zwischen der getrennten Des- unmöglich: Die Beschreibungen müssten erst
kription der Einzelsprachen und dem Ver- ineinander übersetzt werden, was beim ge-
gleich eine wichtige Zwischenstufe eingescho- genwärtigen Stand der Dinge zu kaum über-
ben werden, auf der zunächst die Vergleich- windbaren Schwierigkeiten führen würde.
barkeit (Komparabilität) festgestellt werden 4. Bereits die Einzelbeschreibungen vor dem
muss. eigentlichen Vergleich müssen für Deutsch als
3. Bei der Vergleichbarkeit geht es sowohl Fremdsprache (wie auch für jeden anderen
um objektsprachliche als auch um meta- Fremdsprachenunterricht) aus der Außenper-
sprachliche Komparabilität. Objektsprach- spektive vorgenommen werden, so dass das
liche Komparabilität meint Vergleichbarkeit Deutsche als „verfremdet“ erscheint. Es ist
im Objekt Sprache selbst und ist notwendig, ein häufiges Missverständnis, anzunehmen,
weil man nicht Unvergleichliches und in der dass die einzelsprachliche Beschreibung aus
Regel auch nicht in einem Schritt ganze Spra- der Binnenperspektive vorgenommen werde
chen in extenso miteinander vergleichen und erst der (explizite) kontrastive Vergleich
18 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

⫺ gleichsam „zusätzlich“ ⫺ die Außenper- den auf diese Weise nicht negativ bewertet,
spektive ins Spiel bringe. Vielmehr unter- sondern sind Signale für Fortschritte im Lern-
scheiden sich Binnen- und Außenperspektive prozess (die auf späteren Stufen dieses Prozes-
schon bei der Einzeldeskription. Deshalb ses wieder überwunden werden); dies gilt ins-
wird grundsätzlich vom Unterschied zwi- besondere für „Übergeneralisierungen“ (z. B.
schen „Muttersprach-“ und „Fremdspra- des Typs *er schwimmte statt er schwamm; *ich
chengrammatiken“ gesprochen (vgl. Art. 14, musse statt ich muss). Der „Kontrastiven Hy-
Abs. 2.7.). Weil die deutsche Sprache aus der pothese“ wurde somit die „Interferenzhypo-
Außenperspektive „verfremdet“ erscheint, these“ gegenübergestellt, den Interimsspra-
müssen Beschreibungen für Deutsch als chen wandte sich vor allem die „Zweitspra-
Fremdsprache andere Proportionen der Teil- chenerwerbsforschung“ zu (Felix 1982).
gegenstände haben (als aus der „natürlichen“ 7. Schließlich wurde der Wert der konfron-
Binnenperspektive) und vor allem auch expli- tativen Analyse manchmal mit dem Argu-
ziter sein, damit Erklärungen abgegeben wer- ment in Frage gestellt, dass der Lernende oh-
den können für Lernende, die noch nicht nehin nicht vergleichen könne, weil er zu-
über eine ausgebaute Kompetenz verfügen meist nicht bewusst und reflexiv über die
(wie die Muttersprachler) (vgl. Helbig/Buscha Strukturen seiner Muttersprache verfüge. An
1991, 17f.). Diese tragende Idee liegt auch diesem Argument mag die Prämisse richtig
der Reihe „Eurogermanistik“ zugrunde: Der sein (in der Tat sind die meisten Lernenden
eigenständige Beitrag der „Xeno-Germani- nicht in der Lage, explizit über die Regeln ih-
sten“ wird ⫺ völlig zu Recht ⫺ darin gese- rer Muttersprache Auskunft zu geben ⫺ trotz
hen, dass das Deutsche für die ausländischen der vorhandenen Kompetenz, die jeweils ein
Germanisten immer eine Fremdsprache implizites Wissen ist), die Schlussfolgerung ist
bleibt (folglich viele Eigenschaften ins Auge jedoch nicht stichhaltig, weil sie den Nutzer-
fallen, die dem Muttersprachler meist ver- kreis für kontrastive Analysen auf die Ler-
schlossen bleiben), dass andererseits die deut- nenden reduziert (und damit Lehrbuchauto-
sche Sprache „so weit zu erklären“ ist, „daß ren und Lehrer ⫺ als wichtige und unver-
sie lehr- und lernbar wird“ (Valentin 1992, zichtbare Vermittlungsinstanzen zwischen
VII). Linguistik und Sprachunterricht ⫺ über-
5. Kritische Stimmen gegen die konfronta- springt). In Wahrheit sind die primären Nut-
tive Analyse kamen auch von der empirischen zer kontrastiver Analysen die Lehrbuchauto-
Fehleranalyse, weil deren Ergebnisse nicht ren und Lehrer: Wenn das Lehrmaterial kon-
(immer) mit den Vorhersagen der konfronta- trastiv gestaltet ist und der Lehrer den Unter-
tiven Analyse übereinstimmten: Die Fehler- richt kontrastiv anlegt/steuert, muss der Ler-
analysen wiesen Fehler nach, die die kontra- nende u. U. nicht selbst den Vergleich vor-
stiven Analysen nicht vorhergesagt hatten, nehmen. Auf jeden Fall sind kontrastive Ana-
und umgekehrt fehlten in ihnen z. T. solche lysen linguistischer (nicht didaktischer)
Fehler, die entsprechend den kontrastiven Natur; deshalb bedürfen sie der Umsetzung
Analysen hätten auftreten müssen. Diesem aus der „linguistischen Grammatik“ in eine
Einwand ist freilich damit zu begegnen, dass „didaktische Grammatik“ (vgl. Art. 15).
konfrontative Analyse und empirische Feh-
leranalyse unterschiedliche Ziele verfolgen Durch diese Einwände und Einschränkungen
(die Fehleranalyse sammelt a posteriori alle ist die ursprüngliche Euphorie im Hinblick
Fehler, kann sie aber nicht erklären; die kon- auf die Leistungsfähigkeit der konfrontativen
trastive Analyse richtet sich nur auf den Teil- Linguistik mancherorts in ihr Gegenteil um-
bereich der Fehler, die sich aus dem Verhält- geschlagen. Der anfänglichen Überbewertung
nis von Mutter- und Fremdsprache ergeben (als „Allheilmittel“ für den Fremdsprachen-
können) und folglich eher als komplementär unterricht, als Mittel zur Fehlerprognose)
anzusehen sind. folgte eine ⫺ aus der Kritik erwachsene ⫺
6. Im Zusammenhang mit der theoretischen Unterbewertung. Gegenüber diesen beiden
Analyse von Fehlern wurde von anderer Seite (falschen) Extremen kommt es darauf an,
gezeigt, dass sich im Lernprozess (unabhängig nüchtern zu erwägen, was die Konfrontation
von den Muttersprachen) „Zwischenspra- leisten, was sie nicht leisten und was sie nur
chen“ (mit bestimmten „Fehlern/Abweichun- in Kooperation mit anderen Disziplinen lei-
gen“) herausbilden, die als „approximative sten kann. Sie kann gewiss die einzelsprach-
Systeme“ zwischen den beiden Sprachen auf- liche Deskription (vor ihr) und auch die di-
gefasst werden. Solche „Erwerbsfehler“ wer- daktische Adaption (nach ihr) nicht ersetzen;
2. Linguistischer Ansatz 19

sie kann aber ebensowenig durch diese er- wird in den Termini der anderen beschrieben,
setzt werden. die ihrerseits lediglich als Hintergrund und
Um den Wert und Nutzen der konfrontati- Anknüpfungspunkt erscheint, aber nicht als
ven Linguistik adäquat einzuschätzen, sollten vollständiger Gegenstand der Beschreibung.
auch ihre verschiedenen Möglichkeiten im Die Konfrontation als Ermittlungsmethode
Auge behalten werden: ist oft und längst bewusst von Sprachwissen-
schaftlern und intuitiv auch von Fremdspra-
a) Ein konfrontativer Vergleich kann ent-
chenlehrern (meist nicht systematisch, eher
weder eine Sprache auf eine andere abbilden:
spontan) benutzt worden mit dem Ziel, von
Dabei ist die Ausgangssprache das Bezugs-
verschiedenen Erscheinungen einer Sprache
system für die Beschreibung der Zielsprache,
B her bestimmte Erscheinungen einer Spra-
dabei ist grundsätzlich keine Metasprache ⫺
che A (der eigentlich zu beschreibenden Spra-
als Tertium comparationis außerhalb der zu
che) zu differenzieren und abzugrenzen (z. B.
vergleichenden Einzelsprachen ⫺ nötig, wird
Bedeutungsvarianten von deutschen Präposi-
in der Regel nur eine Sprache (die Fremd-
tionen oder Konjunktionen durch Vergleich
sprache) vollständig und systematisch be-
mit Äquivalenten in anderen Sprachen), ohne
schrieben, die als Bezugspunkt dienende
dass dies ⫺ als bloße Ermittlungsprozedur ⫺
Sprache tritt dagegen nur selektiv in Erschei-
in die Darstellung selbst eingeht (vgl. Helbig/
nung; dieser Vergleich kann immer nur in ei-
Buscha 1990). Bei der Konfrontation als
ner Richtung vorgenommen werden, ist also
Darstellungsmethode geht es um weit mehr:
unilateral. Oder er kann eine vollständige Be-
um eine systematische und vollständige Er-
schreibung von Gemeinsamkeiten und Un-
fassung von Gemeinsamkeiten und Unter-
terschieden der zu vergleichenden Sprachen
schieden sowie um eine Korrelation der Aus-
anstreben, bei der beide Sprachen gleichwer-
drucksmittel beider Sprachen, die auf diese
tig sind (ein solcher Vergleich ist bilateral,
Weise gleichwertig sind.
also in beiden Richtungen durchführbar, ist
c) Diese Unterscheidung lässt zugleich er-
aber auf eine Metasprache als gemeinsames
kennen, dass einzelsprachliche Deskription
Bezugssystem angewiesen, d. h. auf ein unab-
und Konfrontation nicht in einen absoluten
hängig von den Einzelsprachen existierendes
Gegensatz zueinander gebracht werden kön-
oder hypothetisch anzunehmendes Merkmal-
nen: Es gibt einzelsprachliche Beschreibun-
oder Regelsystem, das mindestens interlin-
gen des Deutschen, die sich der Konfronta-
gual, wenn nicht universal sein sollte, das
tion als Ermittlungsmethode bedienen. Dar-
aber bisher nur in Ansätzen vorliegt, von un-
über hinaus besteht zwischen Einzelbeschrei-
terschiedlichen Grammatiktheorien abhängig
bung und konfrontativem Vergleich kein uni-
ist und deshalb nicht immer allgemein akzep-
direktionales Verhältnis. Obwohl grundsätz-
tiert wird ⫺ vgl. etwa die distinktiven Merk-
lich der konfrontative Vergleich die einzel-
male der Phonologie, die semantischen Merk-
sprachlichen Beschreibungen voraussetzt,
male u. a.). Nicht zufällig ist gewiss, dass der
gibt es Rückwirkungen des Vergleichs auf die
deskriptive Strukturalismus eher zu einem
einzelsprachliche Deskription, vor allem
unilateralen Vergleich neigt (vorhandene Ge-
durch Reinterpretationsmöglichkeiten für die
meinsamkeiten von Sprachen treten bei ihm
Einzelsprache, die sich erst aus dem Ver-
ohnehin in den Hintergrund), die generative
gleich ergeben.
Grammatik dagegen (auf Grund ihres kom-
plexen Modells mit mehreren Repräsenta-
tionsebenen eher zu einem bilateralen (oder 5. System vs. Kommunikation
multilateralen) Vergleich.
b) Damit zusammen hängt die Unterschei- Eine weitere Kontroverse innerhalb des lin-
dung zwischen der Konfrontation als Me- guistischen Ansatzes ist mit der (einseitigen)
thode zur Gewinnung neuer linguistischer Orientierung entweder am internen Sprach-
Erkenntnisse (als Ermittlungsmethode) und system oder an der Kommunikation verbun-
der Konfrontation als Mittel zur Darstellung den. Bei der linguistischen Beschreibung des
linguistischer Erkenntnisse (als Darstellungs- Deutschen als Fremdsprache sollte es sich
methode) (vgl. Jäger 1972, 233ff.). Bei der nicht um einseitige und verkürzte Beschrei-
Konfrontation als Ermittlungsmethode ist in bungen handeln, weder um eine Reduzierung
der Regel nur eine Sprache (vollständiger) auf die Grammatik noch um eine solche auf
Gegenstand der Beschreibung, die andere ist kommunikativ-pragmatische Sachverhalte.
(gelegentliche) Bezugsgröße: Eine Sprache Nachdem früher das Sprachsystem im Mittel-
20 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

punkt (sowohl in der linguistischen Beschrei- „externen“ Faktoren determiniert und nur auf
bung als auch bei der Vermittlung im diese Weise vollständig zu erklären sind. Das
Fremdsprachenunterricht) stand, hat sich in führte zu einer Abwendung von der reinen
neuerer Zeit ein (scheinbarer) Gegensatz her- „Systemlinguistik“ (wie sie vielfach abschätzig
ausgebildet, bedingt durch die „kommunika- genannt wurde) zu einer mit der Kommunika-
tiv-pragmatische Wende“ in der Sprachwis- tionslinguistik verknüpften Ausweitung des
senschaft seit 1970 (das Interesse verlagerte Gegenstandsbereichs der Sprachwissenschaft
sich von den internen ⫺ morphosyntakti- und zum Entstehen neuer Teildisziplinen wie
schen und semantischen ⫺ Eigenschaften des z. B. Textlinguistik, Sprechakttheorie, Ge-
Sprachsystems auf die Funktionen der Spra- sprächsanalyse, Sozio- und Psycholinguistik
che in der Kommunikation und Interaktion) (die Ausschnitte aus einem komplexen Ob-
und die kommunikative Orientierung des jektbereich darstellen und deshalb auch un-
Fremdsprachenunterrichts (primäre Ziele wa- tereinander zusammenhängen). Bei dieser
ren nicht mehr Kenntnisse, sondern Fähig- Entwicklung wurde der Kommunikationsbe-
keiten und Fertigkeiten). „Grammatik“ und griff oft überbetont und entleert, wurde auch
„Kommunikation“ sind geradezu Reizwörter das alte Wertesystem (mit dem absoluten
geworden; es schien zeitweilig, als ob Gram- Vorrang des Sprachsystems) oft einfach und
matik und Kommunikation in einem alterna- undialektisch umgekehrt, und so vollzog sich
tiven Verhältnis zueinander stünden (vgl. mancherorts eine ersatzlose Abkehr von der
Helbig 1987; 1991; 1992a, 1994, 91f.; 1997a, Grammatik und von der Systemlinguistik,
96ff.; 1997c; Götze 1991; 1995). Vielerorts die schließlich dazu führte, dass spezifisch
hat sich die (wiederum einseitige) Vorstellung sprachliche Aspekte in den Hintergrund tra-
festgesetzt, es komme ausschließlich auf die ten und eher im Rahmen soziologischer, psy-
Kommunikation an, sprachsystematische Er- chologischer und kommunikationstheoreti-
kenntnisse indes seien sekundär oder gar scher Gesichtspunkte behandelt wurden (vgl.
überflüssig. Auf diesem Wege ist die Gram- Motsch 1984, 328). Was als Gegenstandser-
matik in ungerechtfertigter Weise in Verruf weiterung legitim und notwendig war, wurde
gebracht worden (auch in ihrer Bedeutung als Gegenstandswechsel, als Ersatz eines alten
für den Fremdsprachenunterricht) ⫺, gewiss Gegenstands (Grammatik) durch einen
bedingt auch durch ein zu enges Verhältnis neuen Gegenstand (Kommunikation), ver-
von Grammatik (beschränkt nur auf die standen und (miss-)interpretiert (vgl. Har-
Morphosyntax oder gar nur auf Konjuga- tung 1981, 1311). Die Polemik gegen die
tions- und Deklinationsparadigmen). Inzwi- Grammatik wird immer dann ungerechtfer-
schen hat sich jedoch gezeigt, dass sich die tigt, wenn sich die kommunikativ orientierte
Grammatik nicht aus dem Fremdsprachen- Linguistik gegen die Grammatik zu profilie-
unterricht hat vertreiben lassen (vgl. auch ren sucht und sich auf diese Weise vom
Glück 1994, 155f.; Rösler 1994, 57ff.; Gnutz- Sprachsystem abkoppelt. Demgegenüber hat
mann/Königs 1995, 13; Götze 1993); es hat sich in zunehmendem Maße die Einsicht
sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch ein durchgesetzt, dass das alte Wertesystem nicht
kommunikativer Unterricht eine grammati- einfach umgekehrt werden darf, dass das
sche Komponente enthalten muss, das zwi- Sprachsystem vielmehr in Beziehung zu set-
schen den Reizwörtern „Grammatik“ und zen ist zu anderen und übergreifenden (kom-
„Kommunikation“ nur eine unechte Alterna- munikativen und interaktionalen, psycholo-
tive besteht, weil die kommunikative Kompe- gischen und sozialen) Determinanten, dass es
tenz (als Ziel) die grammatische Kompetenz aber eine entscheidende Rolle bei der Erfor-
(als Mittel) einschließt bzw. voraussetzt. schung natürlicher Sprachen behält (behalten
Das gilt sowohl für die Sprachwissenschaft muss). Vor allem im Rahmen von modularen
selbst als auch für den Fremdsprachenunter- Konzepten der kognitiven Linguistik ist deut-
richt. In der Sprachwissenschaft wurde die lich geworden, dass Struktur und Funktion
„kommunikativ-pragmatische Wende“ vor von Kenntnissystemen durch relativ auto-
allem motiviert durch die bisherige Reduk- nome, aber interagierende Teilsysteme (Mo-
tion auf das interne Sprachsystem und die dule) bestimmt sind, dass konkrete Verhal-
stärker akzentuierte Einsicht, dass die tensabläufe in der Regel nicht von einem ein-
sprachlichen Zeichensysteme kein Selbst- zigen Kenntnissystem, sondern von mehreren
zweck sind, sondern ⫺ als Kommunikations- Kenntnissystemen determiniert sind (vgl.
mittel und Handlungsinstrumente ⫺ zu außer- Bierwisch 1987, 645ff.). Das hat entschei-
sprachlichen Zwecken dienen, also auch von dende Konsequenzen für die Sprachkenntnis,
2. Linguistischer Ansatz 21

für die Einbettung der Sprachkenntnis in die formen kommunikativ-pragmatisch motiviert


Gesamtheit mentaler Kenntnissysteme und oder auch nur markiert, wie umgekehrt auch
für das Verhältnis zwischen Grammatik und nicht alle pragmatischen Faktoren einen Re-
Kommunikation: So bedarf z. B. die „wörtli- flex in der Grammatik haben (vgl. Helbig
che Bedeutung“ einer Äußerung (gleichsam 1979, 11ff.). Die Partikeln z. B. sind in star-
im Null-Kontext) ⫺ die allein durch sprachli- kem Maße von pragmatischen Faktoren (der
ches Wissen aufgrund von Kenntnissen des Sprechhandlung, des Gesprächsablaufs und
Sprachsystems zustande kommt (basierend der Textkonnexion) abhängig, folglich mor-
auf Regeln phonetischer, morphosyntakti- phosyntaktisch und semantisch kaum voll-
scher und semantischer Art) ⫺ zunächst der ständig zu erfassen (vgl. Helbig 1988b). Auf
Beziehung auf das konzeptuelle System des der anderen Seite entziehen sich Fragen der
begrifflichen Wissens und der begrifflich Konjugation, der Deklination sowie der
strukturierten Umwelterfahrung (dadurch Oberflächenkasus weitgehend pragmatischen
entsteht eine „kontextuelle Äußerungsbedeu- Erklärungen. Insofern ist Vorsicht geboten
tung“) und danach in einem weiteren Schritt bei Schlagwörtern wie „kommunikative“
auf die soziale Interaktionssituation (aus der oder „pragmatische Grammatik“, weil sie die
sich erst der „kommunikative Sinn“ einer Gefahr implizieren, Grammatik und Kom-
Äußerung ergibt (vgl. Bierwisch 1979, 69ff.). munikation zu vermischen oder zu identifi-
Auf diese Weise erhält die Grammatik ⫺ im zieren (und dabei die Grammatik zu überfor-
Gegensatz zu den häufig anzutreffenden Po- dern, indem sie diese auf regelgeleitetes Ver-
larisierungen Grammatik versus Kommuni- halten überhaupt ausdehnen).
kation ⫺ ihren adäquaten Ort im Gesamtge- Dass sich sprachsystematische (grammati-
füge von Kommunikation und Interaktion. sche) und kommunikative (funktionale) Re-
Der kommunikative und interaktionale geln nicht decken und in keinem 1 : 1-Verhält-
Aspekt der Verwendung von Sprache wird nis zueinander stehen, zeigt sich selbst im Be-
durch das Zusammenwirken von relativ reich der „Satzarten“ (d. h. der Unterschei-
autonomen Teilsystemen begriffen. Von ih- dung von Aussage-, Frage-, Aufforderungs-
nen ist eines das von der Linguistik zu erfas- sätzen u. a.), in dem man ⫺ schon von der
sende Sprachsystem, das allerdings das zen- Terminologie her ⫺ am ehesten eine „funk-
trale Modul ist, auch wenn es nicht verabso- tional-kommunikative“ Erklärung erwarten
lutiert werden darf. Insofern wird weder eine könnte. In der Tat hat man lange Zeit ge-
Überbewertung der Grammatik (wenn das glaubt (und gelehrt), dass eine Frageintention
Modul der sprachlichen Kenntnis zuungun- immer durch einen Fragesatz, eine Aufforde-
sten anderer Module ausgedehnt wird oder rungsintention immer durch einen Aufforde-
als einziges System für die Sprachverwen- rungssatz ausgedrückt werden usw. Inzwi-
dung angesehen wird ⫺ wie z. B. in früheren schen ist längst deutlich geworden, dass es
Versionen der generativen Grammatik) noch keine direkte Entsprechung von Frage und
eine Unterbewertung (wie in kommunikativen Fragesatz, Aufforderung und Aufforderungs-
Konzepten holistischer Provenienz) ihrer satz gibt. Wunderlich (1978, 181ff.) hat mit
Rolle im Kommunikations- und Interak- Recht zwischen Fragesituation, Fragehand-
tionsprozess gerecht. lung und Fragesatz unterschieden: Fragesi-
In diesem Zusammenhang steht auch das tuationen (in denen etwas „unklar“ ist) müs-
mancherorts kontrovers diskutierte Problem, sen nicht notwendig zu Fragehandlungen
ob die kommunikative Orientierung der Lin- führen (zu Aufforderungen an einen Adressa-
guistik notwendigerweise auch zu einer neuen ten, ein Informationsdefizit zu beheben), und
Art von Grammatik, zu einer „kommuni- Fragehandlungen müssen nicht notwendig
kativen“, „situativen“ oder „pragmatischen mit Hilfe von (grammatischen) Fragesätzen
Grammatik“ führen müsse (vgl. Helbig 1986b, ausgedrückt werden. Es ist gerade ein wesent-
14ff.; vgl. Art. 14, Abs. 3.7.). Gegen die Befür- liches Verdienst der Sprechtakttheorie gewe-
worter eines solchen Standpunktes hat Ad- sen, zu zeigen, dass z. B. Aufforderungen
moni (1979) ⫺ u. E. zu Recht ⫺ argumen- eben nicht nur in Aufforderungssätzen, son-
tiert, dass „Grammatik Grammatik bleibt“, dern ⫺ in entsprechenden Kontexten ⫺
weil die kommunikativen Determinanten sich grammatisch auch als Aussagesätze (Es zieht
zwar auf die Grammatik auswirken und ihre hier ⫺ als Aufforderung zum Schließen des
„Projektionen“ in der Grammatik haben, Fensters) oder als Fragesatz (Könnten Sie mir
aber selbst nicht einfach grammatischer Na- Feuer geben?) formuliert werden können. In
tur sind. In der Tat sind nicht alle Ausdrucks- der Sprache gibt es nicht nur grammatische
22 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

Regeln (die die Zuordnung von Form und Gegen diese neue Vereinseitigung sind in
Bedeutung betreffen), sondern auch kommu- jüngster Zeit immer mehr Zweifel artikuliert
nikative Regeln (die die Verwendung von worden. Es ist vor kurzschlüssigen Verabso-
sprachlichen Mitteln für bestimmte Sprech- lutierungen des Kommunikationsgedankens
handlungen regeln) ⫺ und beide Arten von gewarnt worden (vgl. z. B. Gnutzmann/Stark
Regeln sind nicht einfach aufeinander redu- 1982, 20; Reinecke 1985, 17ff.), die den Zu-
zierbar: sammenhang der kognitiven und kommuni-
kativen Funktion der Sprache missachten, die
(1) A: Kannst du mir sagen, wie spät es ist?
Relevanz des Sprachsystems unterbewerten
B: *Ja (, das kann ich).
sowie die Prozesse des Muttersprach- und
(2) A: Kannst du das Fenster öffnen?
Fremdsprachenerwerbs weitgehend gleichset-
B: *Ja, ich kann das Fenster öffnen.
zen. Diese Skepsis ⫺ auch bei Anerkennung ei-
In beiden Fällen ist die Antwort von B gram- ner letztlich kommunikativen Orientierung
matisch richtig: Auf Entscheidungsfragen des Fremdsprachenunterrichts und der „kom-
wird mit Sätzen, mit Satzäquivalenten oder munikativen Kompetenz“ als dessen Ziel ⫺
mit Modalwörtern geantwortet. Aber in bei- ist schon deshalb berechtigt, weil ⫺ auch
den Fällen sind die Antworten von B kom- wenn im Fremdsprachenunterricht eine volle
munikativ inadäquat, weil in (1) als Antwort Sprachbeherrschung wie beim Muttersprach-
die konkrete Angabe der Uhrzeit, in (2) gar ler als Ziel angestrebt wird ⫺ die Wege zu
eine non-verbale Reaktion (das tatsächliche diesem Ziel bei Muttersprach- und Fremd-
Öffnen des Fensters) erwartet wird. Der sprachenerwerb verschieden sind: Die arefle-
grammatische Satz als Entscheidungsfrage xive Beherrschung als Ziel bedeutet für den
(von A) wird ⫺ im entsprechenden Kontext Fremdsprachenunterricht nicht automatisch
⫺ kommunikativ für eine Sprechhandlung auch einen areflexiven Erwerb als Mittel (das
der Aufforderung verwendet. hängt von unterschiedlichen Lernsituationen
In Analogie zur Sprachwissenschaft ent- ab und gilt keineswegs ⫺ im Unterschied zum
stand auch im Fremdsprachenunterricht eine natürlichen Erwerb der Muttersprache ⫺ für
„Entzweiung“ durch die alternative Orientie- die meisten Formen des institutionalisierten
rung auf die beiden Stichwörter „Gramma- Fremdsprachenerwerbs im Unterricht). Dazu
tik“ oder „Kommunikation“. Wie durch die kommt, dass der Begriff der Kommunikation
kommunikativ-pragmatische Wende in der oft allzu stark auf die aktive Kompetenz
Linguistik eine Abkehr von der (ausschließ- (meist sogar auf die mündliche Kommunika-
lichen oder primären) Systemorientierung er- tion nur in einfachen Alltagssituationen) ein-
folgte, so wurden im Fremdsprachenunter- geschränkt und damit auch verengt worden
richt die (älteren) grammatikalisierenden ist ⫺ mit dem Ziel des Zustandekommens der
Übersetzungsmethoden abgelöst durch (jün- Kommunikation „um jeden Preis“. Kommu-
gere) kommunikative Methoden. Diese Ablö- nikation ist zweifellos mehr und umfassender,
sung war motiviert durch die praktischen Be- schließt auch die Rezeption, Dialog sowie
dürfnisse des Fremdsprachenunterrichts, vor Texte aus Massenmedien, Belletristik und
allem durch den Umstand, dass die gramma- Wissenschaft ein, die ein weit höheres Maß
tikalisierenden Übersetzungsmethoden be- an sprachlichem Wissen erfordern.
stensfalls zu Kenntnissen über die Sprache, Die unangemessene Aversion gegen die
aber kaum zu kommunikativen Fähigkeiten Grammatik (auf Grund einer extremen Kom-
und Fertigkeiten in der zu lernenden Sprache munikationsorientierung) führte vielfach auch
führten, also die Lernenden in der Regel zu der falschen Alternative „grammatische
nicht zur Sprachbeherrschung, zur Verwen- Regeln oder kommunikativer Fremdsprachen-
dung der Fremdsprache in der tatsächlichen unterricht“ (vgl. Helbig 1987). Diese Alterna-
Kommunikation führten. Diese berechtigte tive ist deshalb falsch, weil grammatische Re-
Umorientierung (mit dem Ziel des Erwerbs geln objektiv in der Sprache selbst gelten (un-
einer „kommunikativen Kompetenz“) führte abhängig von ihrer Beschreibung durch die
nun freilich häufig zum entgegengesetzten Linguisten und auch von ihrer Beherrschung
Extrem: Die Grammatik wurde unterbewer- durch die Sprecher), weil sie deshalb von den
tet, oft sogar in ihrem Wert für den Fremd- Linguisten (und zwar so genau und so voll-
sprachenunterricht bezweifelt, ihr Anteil am ständig wie möglich) abgebildet werden müs-
Unterricht minimiert, ihr Charakter biswei- sen und auch von den Sprechern (und zwar
len auch verschleiert (vgl. Helbig 1991, 7ff.; ebenso vollständig und genau wie möglich)
1997c, 264ff.). beherrscht, d. h. in ihrer „subjektiven“ oder
2. Linguistischer Ansatz 23

„mentalen Grammatik“ erworben und inte- d. h. nicht zuletzt auch über das Sprach-
riorisiert werden müssen. Das wird deutlich system ⫺ haben.
in „Abweichungen“: Deshalb hat auch Glück (1994, 155f.) ⫺
zu Recht, wenn auch sehr zugespitzt ⫺ be-
(3) *Er springte über den Bach.
tont, dass man Sprachen „immer noch lernt,
(4) *Er besuchte jeden Tag.
indem man Vokabeln paukt und sich gram-
(5) *Peter stirbt manchmal.
matische Strukturen erkämpft“, „alles an-
Es ist offenkundig, dass in (3) eine morpholo- dere“ komme dann später; die „Geschäfts-
gische Regel (der Konjugationsart: regelmä- grundlagen“ (d. h. Grammatik und Lexikon
ßig vs. unregelmäßig), in (4) eine syntaktische als Komponenten des Sprachsystems) blieben
Regel (der Valenz) und in (5) eine semanti- bei aller kommunikativen und interaktiona-
sche Regel (Kompatibilität von semantischen len Orientierung „unveränderbar“. Das
Merkmalen) verletzt sind ⫺, sämtlich also macht den „Kernbereich“ der Disziplin der
Regeln, die in der Sprache selbst enthalten germanistischen Linguistik und auch der lin-
sind, von Linguisten ermittelt und vom Ler- guistischen Komponente von Deutsch als
nenden erworben werden müssen. Fremdsprache aus ⫺ auch wenn sowohl die
Damit hängt die alte Streitfrage nach dem germanistische Linguistik als auch Deutsch
Wert (oder Unwert) der Grammatik für den als Fremdsprache bisweilen (nicht zuletzt
Fremdsprachenunterricht zusammen. Ihre auch durch die kommunikative Wende) in ih-
unterschiedliche Beantwortung ergibt sich rem Kern eher „verrotteten“, dafür an ihren
vor allem aus der Mehrdeutigkeit dessen, was Rändern blühten (vgl. Glück 1998, 5ff.) ⫺
als „Grammatik“ bezeichnet wird. Gewiss einerseits ein Symptom für die viel beschwo-
wird man den Wert der Grammatik für den rene „Krise“ der Germanistik, andererseits
Fremdsprachenunterricht als gering veran- zum Schaden von Theorie und Praxis auch
schlagen, wenn man unter Grammatik das des Faches Deutsch als Fremdsprache.
bloße Lernen von Konjugations- und Dekli-
nationstabellen, eine logisierende Satzanalyse
im traditionellen Sinne oder ein universelles 6. Grammatik vs. Lexikon
logisches System versteht (vgl. Fries 1945,
27ff.). Wenn man jedoch Grammatik als Mit Grammatik und Lexikon sowie ihrem
Zuordnung von Formen und Bedeutungen Verhältnis zueinander ist ein weiteres Pro-
(in den drei genannten verschiedenen Aus- blem innerhalb des linguistischen Ansatzes
prägungsarten ⫺ in der Sprache selbst, im benannt. Unumstritten ist gewiss, dass bei
linguistischen Abbild und als mentale Gram- Sprachverwendung und Spracherwerb Gram-
matik im Sprecher) versteht, kann kein Zwei- matik und Lexikon notwendigerweise zusam-
fel daran bestehen, dass die Grammatik für menwirken. Strittig hingegen ist, wo die
jeden (also auch für den kommunikativen) Grenze zwischen beiden Bereichen liegt, wie
Fremdsprachenunterricht unverzichtbar ist. sie sich überhaupt zueinander verhalten und
Eine ganz andere Frage ist es, wie dies ge- ob die Grammatik oder die Lexik für die
schieht (entweder explizit oder implizit über Sprache und für den Fremdsprachenunter-
Patterns bzw. prototypisches Sprachmate- richt „wichtiger“ seien. In der zuletzt genann-
rial), wann dies geschieht (geschehen sollte) ten Frage gab (und gibt) es erhebliche Mei-
und wie viel dazu nötig ist. Dies sind bereits nungsunterschiede: Für den Primat der
spezielle Fragen didaktisch-methodischer Grammatik wurde (vor allem in strukturali-
Art, die von der gesamten Faktorenkomple- stischer Tradition) argumentiert, weil die
xion des jeweiligen konkreten Sprachunter- Grammatik als Basis der Strukturen am An-
richts abhängen, die aber die Grundfrage Pro fang erworben werden müsse (während die
oder Contra Grammatik im Fremdsprachen- Lexik darauf aufbaut und ihr Ausbau in lan-
unterricht nicht tangieren. Und bei dieser gen Zeiträumen erfolge) (vgl. z. B. Fries 1945,
Grundfrage gilt ⫺ vor allem für den Lehrer, 1ff.). Umgekehrt gab es eine Vorrangstellung
erst recht für den Lehrbuchautor ⫺, dass er der Lexik vor allem unter dem Aspekt, dass
die Fremdsprache nicht nur können, sondern sie für die Kommunikation unverzichtbar sei
auch kennen muss. Er muss nicht nur kom- und man sich notfalls (wenn auch sehr ele-
munikative Fähigkeiten und Fertigkeiten in mentar) allein mit Wörtern, aber nicht allein
der betreffenden Fremdsprache (in unserem mit Grammatik verständigen könne.
Falle: des Deutschen), sondern auch (kogni- Diese Polarisierung hat ihre Ursache in
tiv) gute Kenntnisse über diese Sprache ⫺ der Vorstellung, dass es sich bei Grammatik
24 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

und Lexik um die zwei grundlegenden Kom- einer Gegenüberstellung von Grammatik und
ponenten der Sprache (als Zeichensystem) Lexikon einerseits, von Grammatik und Se-
handele, die sich einerseits notwendig ergän- mantik andererseits entstehen konnte), beim
zen, die andererseits aber auch nebeneinander weiteren Konzept jedoch innerhalb der Gram-
stehen oder sich gar gegenüberstehen. Nach matik (so dass ihr Verhältnis zueinander neu
dieser Vorstellung umfasst das Lexikon die durchdacht werden muss). Das jüngere und
Gesamtheit der Wörter als die für die Äuße- weitere Konzept setzte sich zunehmend
rung bereitstehenden „Elemente“, die mit durch, da das engere Konzept mit bestimm-
Hilfe der Grammatik durch bestimmte Re- ten Unzulänglichkeiten behaftet war, die das
geln zusammengefügt werden. Dieser Vor- Verhältnis von Grammatik und Lexikon be-
stellung entsprechen auch viele Erfahrungen treffen ⫺ mindestens unter zwei Aspekten:
aus dem traditionellen schulischen Lernen Einerseits entstand vielerorts die Vorstel-
von Fremdsprachen: Gewöhnlich wurde im lung ⫺ da die Grammatik im engeren Sinne
Lehrbuch die Grammatik als isoliertes Regel- sowohl dem Lexikon als auch der Semantik
werk (oft sogar mit starker Betonung von gegenübergestellt wurde ⫺, dass der Unter-
Konjugations- und Deklinationsparadigmen) schied zwischen Grammatik und Lexik etwas
vermittelt, an späterer Stelle folgte dann das zu tun habe mit dem Unterschied zwischen
„Vokabular“, dem ein Bezug zur Grammatik Grammatik und Semantik, dass er ⫺ im Ex-
meist fehlte. Dieses herkömmliche Bild führte tremfalle ⫺ sogar durch diesen Unterschied
zu einem (zu) engen Verständnis von Grama- begründet werden könne. Eine solche Gleich-
tik (und brachte auf diese Weise die Gram- setzung ist schon deshalb nicht adäquat, weil
matik im Fremdsprachenunterricht in Ver- sie die Voraussetzung implizieren würde, dass
ruf) und wird auch jüngeren Einsichten über nur die Lexik, nicht aber die Grammatik über
das Verhältnis von Grammatik und Lexikon Bedeutung verfüge. In Wirklichkeit darf die
nicht gerecht (vgl. Helbig 1988a, 1997d). Semantik keineswegs auf die lexikalischen
Seit langem wird der Begriff der „Gram- Elemente beschränkt, sondern muss auch
matik“ in der Linguistik nicht mehr nur auf vielen Einheiten zugeschrieben werden, die
die Morphologie und Syntax bezogen, son- im herkömmlichen (und engeren) Sinne als
dern auf die inneren Regularitäten des grammatisch bezeichnet werden. Das bedeu-
Sprachsystems insgesamt. Mindestens lassen tet wiederum nicht, dass alle morphosyntak-
sich heute ⫺ vom Umfang her ⫺ zwei unter- tischen Einheiten über Bedeutung verfügen
schiedliche Konzepte von „Grammatik“ er- (die substantivischen Deklinationsklassen
kennen: und die Rahmenbildung z. B. nicht), bedeutet
auch nicht, dass ihnen immer in direkter
a) Grammatik im engeren Sinne als Lehre
Weise eine Bedeutung zugeschrieben werden
von den morphologischen und syntaktischen
muss, dass zwischen Form und Bedeutung
Regularitäten, die „die Bildung verschiedener
immer ein 1 : 1-Verhältnis bestünde (vgl. z. B.
Formen gleicher Wörter und ihre Verknüp-
das komplizierte Verhältnis von Tempusfor-
fung zu Wortgruppen und Sätzen beschreibt“
men und Zeitbedeutungen, Modus und Mo-
(Conrad 1985, 86), also ⫺ wie im traditionel-
dalität usw.). Dennoch darf die Semantik
len Sinne ⫺ nur die Morphologie und die
prinzipiell nicht auf die Wortbedeutung redu-
Syntax umfasst (unter Ausschluss des Lexi-
ziert werden, darf zwischen Grammatik und
kons und der Semantik);
Semantik weder eine scharfe Trennungslinie
b) Grammatik im weiteren Sinne als Abbil-
gezogen noch einfach ein Gleichheitszeichen
dung des gesamten Sprachsystems, als Regel-
gesetzt werden. Die Semantik trennt nicht
system, das die Zuordnung von Laut-(Form-)
Grammatik und Lexikon, sondern verbindet
und Bedeutungsseite der Sprache generell be-
sie.
trifft, folglich die Menge der möglichen Sätze
Andererseits wird oft angenommen, dass
einer Sprache definiert und allen sprachlichen
die Gegenüberstellung von Grammatik und
Produktions- und Rezeptionsprozessen zu-
Lexikon funktional begründet sei, dass ⫺ ver-
grunde liegt; Grammatik umfasst hier nicht
einfacht ausgedrückt ⫺ die Lexik die Funk-
nur Morphologie und Syntax, sondern auch
tion habe, die Erscheinungen (im weitesten
Phonetik/Phonologie, das Lexikon und die
Sinne) zu bezeichnen, die Grammatik aber
Semantik.
dazu diene, lexikalische Elemente zu Wort-
Vereinfacht ausgedrückt: Semantik und Lexi- gruppen und Sätzen zu verknüpfen. Auch
kon stehen beim engeren Konzept außerhalb diese funktionale Begründung ist in mehrfa-
der Grammatik (so dass die Vorstellung von cher Hinsicht anfechtbar: Eine Bezeichnungs-
2. Linguistischer Ansatz 25

funktion kommt zwar den Substantiven zu, Aspekten dargestellt werden, die sich ihrer-
aber nicht in gleicher Weise allen anderen seits aus dem Grad der Verallgemeinerung er-
Wortklassen, vor allem nicht den „Funk- geben.
tionswörtern“ (bei den Konjunktionen und Auch in der jüngsten grammatiktheoreti-
Präpositionen dominiert umgekehrt die Ver- schen Diskussion (vor allem im Rahmen der
knüpfungsfunktion). Vor allem jedoch ist of- generativen Grammatik) änderten sich die
fenkundig, dass mitunter dieselben Bedeu- Erkenntnisse über das Verhältnis von Gram-
tungen in einer Sprache grammatisch (d. h. matik und Lexikon. Das ursprünglich als pe-
morphosyntaktisch), in einer anderen Spra- ripher angesehene und von der Syntax ge-
che lexikalisch ausgedrückt werden können trennte Lexikon trat in das Zentrum der Auf-
oder müssen (so fehlt z. B. für den Artikel in merksamkeit, wurde nicht nur zu einer selb-
slawischen Sprachen als Äquivalent eine ständigen, sondern sogar zu einer zentralen
grammatische Kategorie, hingegen für die Komponente der Grammatik. Begründet
Aktionsarten eine direkte grammatische Ent- wird diese neue Erkenntnis dadurch, dass
sprechung im Deutschen). Selbst innerhalb sich der kompositionelle Aufbau der Gram-
einer Sprache können bestimmte Bedeutun- matik in spezifischer Weise im Aufbau des
gen grammatisch und/oder lexikalisch ausge- Lexikons (d. h. in den Lexikon-Einträgen) re-
drückt werden (die Bedeutung „Zukünftiges“ flektiert, dass auch das Lexikon (als Teil der
z. B. durch die grammatische Form des Fu- Grammatik) die Zuordnung von Form und
tur I oder durch eine lexikalische Adverbial- Bedeutung regelt und sich im Lexikon die an
angabe: Ich werde nach Frankreich fahren ⫺ eine Lexikoneinheit gebundene Information
Ich fahre morgen nach Frankreich). Gramma- auf die übrigen Repräsentationsebenen ver-
tische und lexikalische Bedeutungen sind of- teilt (vgl. Steinitz 1984, 1; 1985, 1f.). Die
fensichtlich nicht so verschieden, dass auf Zuordnung der verschiedenen Komponenten
diese Weise ein prinzipieller funktionaler Un- der Grammatik erfolgt also in entscheiden-
terschied zwischen Grammatik und Lexi- dem Maße mit Hilfe des Lexikons und drückt
k(on) legitimiert werden könnte. sich in der Struktur jedes Lexikon-Eintrags
Deshalb verwundert es nicht, dass es aus. Auf diese Weise (durch die Teilhabe an
längst skeptische Stimmen gegen die her- der Form-Bedeutungs-Zuordnung) erweist
kömmliche Trennung und Gegenüberstellung sich das Lexikon als (wesentlicher) Teil, als
von Grammatik und Lexikon gab. Es wurde Komponente der Grammatik. Es unterschei-
darauf hingewiesen, dass „das Wörterbuch det sich von den anderen Komponenten nicht
keinen anderen Stoff als die Grammatik“ grundsätzlich und funktional, nicht durch die
darstelle, vielmehr eher „die alphabetische In- Spezifik seiner Einheiten und Regeln, son-
haltsangabe zu ihr“ liefere (Schuchardt 1922, dern durch den anderen Aspekt und den an-
127), dass die Grammatik kaum mehr als deren Grad der Verallgemeinerung sowie
eine Menge von Verallgemeinerungen über ei- durch das spezifische Zusammenspiel von In-
nem guten Lexikon liefere (vgl. Wiegand formationen aus allen übrigen Repräsenta-
1985, 14f.). Für das Deutsche hat vor allem tionsebenen und die daraus resultierende spe-
Glinz die übliche Unterscheidung zwischen zifische Weise ihrer Bindung an eine Lexikon-
Grammatik und Lexikon bezweifelt und ge- einheit, d. h. ihrer Integration in einem ge-
fragt, „ob es zwischen ihnen überhaupt eine bündelten Lexikon-Eintrag (mit semanti-
sichere Grenze gibt oder nur der ,Grad der schen, syntaktischen, morphologischen und
Einmaligkeit eines Gefüges‘ verschieden ist“, phonologischen Informationen).
ob die Grammatik nicht „nur die praktische Diesen (eher theoretischen) Einsichten der
Zusammenfassung dessen bedeutet, was sich Grammatik entsprechen ähnliche Forderun-
in der Sprache an allgemeiner Struktur ge- gen und Praktiken der Lexikologen, Lexiko-
genüber den jeweiligen Einzelfällen abheben graphen und Grammatikographen. Lexiko-
und zusammenfassen läßt“ (Glinz 1961, 40, graphen verlangen ⫺ mit Recht ⫺ „mehr
393f., 477f.). Dahinter verbirgt sich die Ein- Grammatik im Wörterbuch“, eine Gramma-
sicht, dass es sich nicht um einen funktiona- tik als integralen Bestandteil des Wörter-
len Unterschied zwischen den beiden Kom- buchs. Das drückt sich gleichermaßen pro-
ponenten handelt, vielmehr um einen Unter- grammatisch wie salomonisch in dem Postu-
schied im Aspekt (Allgemeines vs. Besonde- lat von Schaeder (1981, 69) aus: „Die Be-
res) und im Grad der Verallgemeinerung. Es schreibung der grammatischen Regularitäten
ist teilweise derselbe Stoff, es sind teilweise in einer Grammatik kann nicht ohne lexikali-
dieselben Fakten, die unter unterschiedlichen sche Informationen, die Beschreibung der Le-
26 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

xik nicht ohne grammatische Informationen Aspekt des Besonderen (von Einträgen zu
gelingen.“ Dieser Zusammenhang ist längst Wörtern als Lexikoneinheiten) dargestellt.
auch deutlich geworden in jüngeren Gram- Der Zusammenhang ist offenkundig und
matiken des Deutschen, vor allem solchen für lässt deutlich werden, dass es weder eine
Deutsch als Fremdsprache. Die Motivierung Grammatik ohne Lexikon noch ein Lexikon
für solche „Grenzüberschreitungen“ von der ohne Grammatik geben kann.
Grammatik (im engeren Sinne) zum Lexikon
waren mehrfacher Art (vgl. Helbig/Buscha
1990, 193f.; Helbig 1997d, 8ff.): 7. Ausdrucks- vs. Inhaltsgrammatik
1) Schon unter linguistischem Aspekt ge- Schließlich werden innerhalb des linguisti-
nügte es nicht, nur „allgemeine“ Regeln an- schen Ansatzes (wie innerhalb der Linguistik
zugeben. Diese Regeln mussten vielmehr spe- überhaupt) Meinungsverschiedenheiten aus-
zifiziert werden in Richtung auf einzelne Sub- getragen über den Ansatzpunkt bzw. Aus-
klassen von Wörtern oder ⫺ im Extremfall ⫺ gangspunkt der Beschreibung, oft unter den
auf einzelne Wörter (auf die sie nur zutref- Stichwörtern „Ausdrucks- vs. Inhaltsgram-
fen). Das führte zur Angabe von umfangrei- matik“ oder auch „formale vs. funktionale
chen Listen von Wörtern, die die Zutreffens- Grammatik“ (vgl. auch Götze 1995; 1996).
möglichkeiten von allgemeinen (grammati- Allerdings wird der Terminus „Inhaltsgram-
schen) Regeln exemplifizieren sollten (z. B. matik“ in einem doppelten Sinne verstanden:
zur Rektion, zu den Funktionsverbgefügen 1) „Inhalt“ bezieht sich auf die gesamte in-
usw.). Die Morphosyntax (als Grammatik im haltliche Seite der Sprache, d. h. auf die
engeren Sinne) stieß an ihre Grenze und be- (sprachinterne) Bedeutung und auf die
durfte der Spezifizierung durch lexikalische (sprachexterne) Funktion (⫽ Intention,
Einheiten. Wenn sich Grammatik und Lexi- Sprechhandlung), d. h. auf das, was der Spre-
kon wie das Allgemeine zum Besonderen zu- cher beabsichtigt, wenn er spricht. Beide
einander verhalten, steht das Lexikon nicht Sachverhalte dürfen nicht identifiziert oder
schlechthin der Grammatik gegenüber, son- verwechselt werden: das, was die sprachliche
dern die Grammatik (als Verallgemeinerung Form (der „Ausdruck“) bedeutet, und das,
über dem Lexikon) setzt das Lexikon bereits was der Sprecher mit der Äußerung meint
voraus, wie andererseits das Lexikon die bzw. intendiert (⫽ kommunikative Funk-
(notwendige) Spezifizierung der Grammatik tion). Der Begriff „Funktion“ ist noch mehr-
(ihrer allgemeinen Regeln und Klassenbil- deutiger, so mehrdeutig, dass er geradezu zu
dungen) ist. einem „Joker“ geworden ist, einem Schlag-
2) Unter dem Aspekt des Informations- wort also, das man undifferenziert überhaupt
und Lernwerts enthalten manche Grammati- nicht verwenden, sondern immer durch ein
ken „Doppelungen“, indem sie neben dem ei- zusätzliches Attribut kennzeichnen sollte
gentlich grammatischen Befund (einer verall- (vgl. Helbig 1968, 274ff.). Mindestens sind zu
gemeinerten Klassenbildung nach morpholo- unterscheiden eine syntaktische Funktion
gischen, syntaktischen und semantischen (entweder distributionell-positionell oder im
Merkmalen) dieselbe Information noch ein- Sinne der Satzgliedfunktionen), eine semanti-
mal ⫺ bezogen auf die jeweiligen Wörter (in sche Funktion (im Sinne der innersprach-
Gestalt von alphabetischen Listen) ⫺ geben. lichen Bedeutung oder im Sinne der Bezeich-
So steht neben grammatischen Informatio- nung von außersprachlichen Sachverhalten)
nen zu den Ablautklassen der unregelmäßi- und eine kommunikative Funktion (im Sinne
gen Verben eine alphabetische Liste dieser von intendierten Sprechhandlungen oder im
Verben (unter lexikalischem Aspekt), neben Sinne der Thema-Rhema-Gliederung). Des-
den grammatischen Informationen zu den halb erweist sich der Funktionsbegriff als all-
Präpositionen und Konjunktionen jeweils gemeines Schlagwort für eine bestimmte Ziel-
eine alphabetische Liste dieser Wörter (vgl. setzung und Orientierung wenig geeignet.
Helbig/Buscha 1991, 37ff., 401ff., 445ff.). Es Dazu kommt, dass unter „funktionaler Gram-
handelt sich dabei eigentlich um Lexikon- matik“ höchst unterschiedliche Richtungen
Fragmente, die man herkömmlicherweise verstanden werden (vgl. Art. 14, Abs. 3.7.).
nicht in der Grammatik erwartet. Die glei- Auf die Probleme, die aus dem Verhältnis des
chen Sachverhalte werden einmal unter dem sprachlichen Ausdrucks zur (sprachexternen)
Aspekt des Allgemeinen (der grammatischen kommunikativen Funktion erwachsen, wurde
Klassenbildung), das andere Mal unter dem unter 5. in diesem Artikel hingewiesen.
2. Linguistischer Ansatz 27

2) „Inhalt“ bezieht sich bei anderen Auto- abgestempelt werden. Diese Vorwürfe sind
ren ausschließlich auf die (sprachinterne) Be- zum großen Teil unberechtigt, enthalten doch
deutung (⫽ semantische Funktion), schließt einige herkömmliche Grammatiken nicht nur
also die (sprachexterne) kommunkative Formbeschreibungen, sondern auch Angaben
Funktion, ist vielmehr eine Voraussetzung für zu den Bedeutungen (wenn auch zumeist in
diese. In diesem Sinne handelt es sich bei unzureichender und vor allem unsystemati-
„Ausdruck“ und „Inhalt“ um die beiden Sei- scher Weise). Dies wiederum hängt von unse-
ten des sprachlichen Zeichens, gleichsam um rem Kenntnisstand über die Bedeutungsseite
Synonyme zu „Form“ und „Bedeutung“. Un- ab, der erst in den letzten Jahrzehnten be-
bestritten dürfte sein, dass es sich bei der trächtlich breiter und tiefer geworden ist. Bei
Grammatik im weiteren Sinne um die wech- dieser Entwicklung ist zugleich deutlich
selseitige Zuordnung von Formen (Ausdruck) geworden, wie kompliziert die Verhältnisse
und Bedeutungen (Inhalt) handelt ⫺ auch bei der Beschreibung der Bedeutungsseite
wenn sich die Grammatiker selbst dessen sprachlicher Formen sind (z. B. ist für die
nicht immer bewusst sind (vgl. unter 6.). Tempusbedeutungen oder für die semanti-
Diese wechselseitige Zuordnung muss von schen Subklassen adverbialer Nebensätze ein
der Grammatik (dem wissenschaftlichen Ab- äußerst diffiziler Beschreibungsapparat not-
bild) beschrieben und im Fremdsprachenun- wendig). Es dürfte nicht genügen, von einfa-
terricht vermittelt sowie vom Lernenden er- chen „semantischen Feldern“ (z. B. der
worben werden. Unbestritten dürfte heute Zeit ⫽ Temporalität/des Grundes ⫽ Kausali-
auch sein, dass die Zuordnung zwischen For- tät oder der Art und Weise ⫽ Modalität) aus-
men und Bedeutungen vielfach nicht direkt, zugehen und ihnen die entsprechenden for-
sondern indirekt und vermittelt ist: So kön- malen Ausdrucksmittel katalogartig zuzuord-
nen z. B. den Tempusformen im Deutschen nen. Vielmehr bedarf dies u. a. einer präzisen
(z. B. Präsens, Perf., Fut. I) nicht in linearer Strukturierung dieser Felder (mit jeweiligen
Weise bestimmte Zeitbedeutungen zuge- Zentren und Peripherien, abhängig vom
schrieben werden, den Modi des Verbs nicht Grad der Grammatikalisierung der betreffen-
immer klar umrissene Modalitätsbedeutun- den Ausdrucksmittel). Es drängt sich ⫺ für
gen sowie dem Reflexivpronomen sich nicht den Spracherwerb ⫺ zusätzlich die Frage auf,
immer reflexive Bedeutungen. Wie es grund- ob der Lernende tatsächlich den Weg über
sätzlich zwischen sprachsystematischen Mit- die Inhaltsseite wählt (also z. B. davon aus-
teln und Sprechakten/Intentionen keine di- geht, dass ein „unzureichender Grund“ aus-
rekten Beziehungen gibt (vgl. unter 5.), so gedrückt werden soll, und danach die Aus-
gibt es auch zwischen der Ausdrucks- und In- drucksmittel wählt) oder ob er nicht (eben
haltsseite der Mittel des Sprachsystems kei- weil die Struktur der Bedeutungsseite erhebli-
neswegs immer direkte Zuordnungen. chen Beschreibungsaufwand mit sich bringt)
die Ausdrucksmittel von Ausgangs- und Ziel-
Daraus leitet sich die (umstrittene) Frage ab, sprache ohne diesen „Umweg“ korreliert.
ob man bei der linguistischen Beschreibung Das ändert nichts daran, dass Grammatik
und der Vermittlung im Fremdsprachenunter- immer die (zumeist indirekte) Zuordnung
richt von den Formen („Ausdrucksgramma- von Form (Ausdrucksseite) und Bedeutung
tik“) oder von den Bedeutungen („Inhalts- (Inhaltsseite) zum Gegenstand hat, auch für
grammatik“) ausgehen solle. Beide Zugänge den Bereich des Deutschen als Fremdsprache.
sind möglich und entsprechen weitgehend un-
terschiedlichen Benutzerkreisen von Gram-
matiken: „Produktionsgrammatiken“ gehen 8. Zentralität der linguistischen
den Weg vom Inhalt zum Ausdruck, „Rezep- Komponente
tionsgrammatiken“ den umgekehrten Weg
vom Ausdruck zum Inhalt (vgl. Art. 14 unter Trotz dieser Vielfältigkeit der linguistischen
2.6.). Beide Zugänge setzen voraus, dass Komponente und trotz der genannten kon-
beide Seiten (Formen und Bedeutungen) sehr trovers diskutierten Probleme ist für den lin-
differenziert beschrieben sind, damit sie über- guistischen Ansatz generell charakteristisch,
haupt systematisch korreliert werden kön- dass für die Vermittlung des Deutschen als
nen. Neuerdings findet man oft einseitige Plä- Fremdsprache von primärer und entscheiden-
doyers für „Inhaltsgrammatiken” ⫺ bei der Rolle die Sprache selbst ist, die Gegen-
gleichzeitiger Abwertung von „Ausdrucks- stand der Vermittlung ist, also dasjenige, was
grammatiken“, die vielfach als „rein formal“ vermittelt (erworben) wird. Erst von diesem
28 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

Was hängt das Wie, hängen didaktisch-me- auf Grund der Einsicht, dass es immer um
thodische Vermittlungsstrategien und -takti- eine Einzelsprache geht, nicht um Sprachen
ken ab, weil Ablauf und Struktur von Er- schlechthin (vgl. Glück 1998, 5). Harden
werbsprozessen entscheidend von ihrem Ge- (1995, 161ff.) hat z. B. unter dem Stichwort
genstand determiniert sind, und dieser Ge- „back to basics“ zu Recht darauf hingewie-
genstand ist in unserem Falle die deutsche sen, dass man zuerst wissen müsse, was er-
Sprache (als Fremdsprache) (Götze 1997). In lernt und erworben werden muss, ehe man in
diesem Credo von der Zentralität der Spra- Diskussionen über das Wie sinnvollerweise
che (der linguistischen Komponente) unter- eintreten kann. Dem entspricht nicht nur das
scheidet sich der linguistische Ansatz wesent- Credo des linguistischen Ansatzes, dem ent-
lich von allen anderen Ansätzen, bei denen sprechen auch die praktischen Erfahrungen
entweder das Schwergewicht auf dem Wie der meisten Sprachlehrer (-lektoren). Das be-
(des Erwerbs und der Vermittlung) liegt (di- deutet weder eine ausschließliche Dominanz
daktischer Ansatz) oder eine Verlagerung der der linguistischen Komponente noch gar eine
Interessen auf landeskundlich-kulturwissen- Rückkehr zur grammatikalisierenden Über-
schaftliche (landeskundlicher Ansatz) bzw. setzungsmethode. Das Plädoyer für solides,
auf literaturwissenschaftlich/interkulturelle In- umfassendes und explizites Wissen über die
halte (literaturwissenschaftlicher Ansatz) er- deutsche Sprache für Deutsch als Fremdspra-
folgt. Damit verbunden ist oft eine Abkehr che (bedingt vor allem durch die Außenper-
von der Sprache selbst und eine Abkoppe- spektive) bedeutet auch nicht notwendig, die-
lung von der linguistischen Komponente. ses Wissen dem Lernenden im Unterricht di-
Das gilt selbst für den didaktischen Ansatz, rekt zu präsentieren ⫺ schon gar nicht in lin-
und zwar sowohl in seiner älteren als auch in guistischer Weise (dies wäre dann tatsächlich
seiner jüngeren Version: In der älteren Ver- eine erneute „Linguistisierung“ des Unter-
sion stellte sich die Didaktik als eine Art richts). Wohl aber müssen der Lehrer und der
(praktizistische) „Handwerkslehre“ oder „Re- Lehrbuchautor ⫺ als nicht zu übersprin-
zeptologie“ dar, zu deren Charakteristik man gende Vermittlungsinstanzen zwischen Lin-
an die kuriose Aussage erinnert wird (vgl. guistik und Unterricht ⫺ über dieses Wissen
auch Dimowa 1993, 193f.): „Ich verstehe verfügen. Für sie genügt es nicht, wenn sie
zwar wenig von Physik, weiß aber genau, wie die zu vermittelnde Sprache nur (sprechen)
man Physik zu unterrichten hat.“ Die jüngere können; sie müssen sie auch kennen. Sie brau-
Version geht zwar theoretisch wesentlich über chen nicht nur (sprachlich-kommunikative)
diesen Praktizismus hinaus, fasst z. B. als Fähigkeiten und Fertigkeiten in der betreffen-
Sprachlehr- und -lernforschung den (institu- den Sprache, sondern auch (kognitiv) gute
tionalisierten) Fremdsprachenunterricht als Kenntnisse über diese Sprache (vgl. Helbig
eigenständigen Spezialfall des Spracherwerbs 1993, 30; 1994, 95; 1997a, 106ff.).
auf und bettet ihn in weiter reichende (auch
psychologische) Zusammenhänge des Sprach- 9. Literatur in Auswahl
erwerbs ein. Dabei wird jedoch die Lehr- und
Lernperspektive dominant gegenüber der zu Admoni, Wladimir G. (1979): Grammatik bleibt
vermittelnden Sprache, bisweilen so domi- Grammatik. In: LS/ZISW A/63. Berlin, 2⫺16.
nant, dass von der zu vermittelnden Sprache Bierwisch, Manfred (1979): Wörtliche Bedeutung
weitgehend abgesehen wird, also eine Abkop- ⫺ eine pragmatische Gretchenfrage. In: Inger Ro-
sengren (Hg.): Sprache und Pragmatik (Lunder
pelung von der linguistischen Komponente
Symposium 1978). Lund, 63⫺85.
erfolgt: Die zu lernenden Sprachen werden
sekundär (oder gar austauschbar), das Fach ⫺ (1987): Linguistik als kognitive Wissenschaft ⫺
Erläuterungen zu einem Forschungsprogramm. In:
„Deutsch als Fremdsprache“ verliert letztlich Zeitschrift für Germanistik 8/6, 645⫺667.
seine Spezifik (vgl. Edmondson 1998, Götze
Conrad, Rudi (Hg.) (1985): Lexikon sprachwissen-
1997). Es entsteht ⫺ um abermals ein be- schaftlicher Termini. Leipzig.
kanntes Bild zu gebrauchen ⫺ der Eindruck
Dimowa, Anna (1993): Auslandsgermanistik:
eines „Strickens ohne Wolle“. Fremdsprachenphilologie und/oder Deutschlehrer-
Demgegenüber wird auch und gerade von ausbildung. In: Germanistiktreffen Bundesrepublik
der Praxis der Ruf wieder lauter, dass man Deutschland⫺Bulgarien⫺Rumänien (28. 2.⫺5. 3.
sich vor allem auf das besinnen solle, was der 1993 Bonn). Dokumentation der Tagungsbeiträge.
Lehrer von Deutsch als Fremdsprache am Hg. DAAD. Bonn, 393⫺400.
dringendsten braucht: Wissen um die Spra- Dittmar, Norbert; Martina Rost-Roth (Hg.)
che, die vermittelt werden soll ⫺ nicht zuletzt (1995): Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Me-
2. Linguistischer Ansatz 29

thoden und Perspektiven einer akademischen Diszi- Harden Theo (1995): Back to basics oder zurück in
plin. Frankfurt (Main) u. a. die Zukunft. Die Rolle der Linguistik in der DaF-
Edmondson, Willis (1999): Was ist das Spezifikum Lehrerausbildung. In: Reformdiskussion und curri-
des Faches „Deutsch als Fremdsprache“? In: DaF curale Entwicklung in der Germanistik. Dokumente
36/1, 3⫺9. der Internationalen Germanistentagung des DAAD.
(24.⫺28. 5. 1995 Kassel). Hg. DAAD. Bonn,
Felix, Sascha W. (1982): Linguistische Untersuchun- 159⫺166.
gen zum natürlichen Zweitsprachenerwerb. Tübin-
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schaftlichkeit der Sprache. In: Deutsche Zeitschrift
Fries, Charles C. (1945): Teaching and Learning für Philosophie 29.
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Helbig, Gerhard (1968): Der Funktionsbegriff in
Glinz, Hans (1961): Die innere Form des Deutschen. der modernen Linguistik. In: DaF 5/5, 274⫺287.
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Problems. In: Gerhard Helbig (Hg.): Studien zu 271⫺289.
Deutsch als Fremdsprache IV: Positionen⫺Kon-
zepte⫺Zielvorstellungen. (Germanistische Lingui- ⫺ (1986b): Kommunikativer Grammatikunterricht
stik 137⫺138), 55⫺70. ⫺ Ziele, Möglichkeiten und Grenzen. In: DaF 23/
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(Hg.): Grammatikunterricht. Beiträge zur Linguistik 160⫺167.
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Götze, Lutz (1991): Grammatik und Kommunika- ⫺ (1991): Grammatik und kommunikativer
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sprache Deutsch 9/2. Stuttgart, 4⫺9. braucht der Mensch? München 1993, 19⫺30.
⫺ (1995): Das Problem einer kommunikativ-funk- ⫺ (1992b): Mehr oder weniger Grammatik für/in
tionalen Grammatik. In: Vilmos Ágel; Rita Brdar- DaF? In: Acta Universitatis Wratislaviensis 1356,
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ken. Budapester Germanistentagung 1993. Tübin- ⫺ (1994): Das Verhältnis von Sprachwissenschaft
gen, 233⫺241. und Fremdsprachenunterricht im Wandel der Zei-
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rung in Deutsch als Fremdsprache. In: DaF 33/3, (2.⫺7. 8. 1993 Leipzig). Deutsch als Fremdsprache
136⫺143. in einer sich wandelnden Welt. Hg. M. Hirschfeld
u. a. München, 83⫺95; auch in: DaF 31/4, 201⫺
⫺; Peter Suchsland (1996): Deutsch als Fremdspra-
208.
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Fach „Deutsch als Fremdsprache“. In: Gerhard
⫺ (1997): Die Einheit in der Vielfalt ⫺ Konzeptio-
nelle Überlegungen zum Deutschen als Fremdspra- Helbig (Hg.): Studien zu Deutsch als Fremdsprache
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als Fremdsprache IV. Positionen⫺Konzepte⫺Ziel- (Germanistische Linguistik 137⫺138), 83⫺115.
vorstellungen. Germanistische Linguistik 137⫺138. ⫺ (1997b): Noch einmal: Quo vadis, DaF? In: DaF
Hildesheim/Zürich/New York, 71⫺82. 34/3, 131⫺138.
30 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

⫺ (1997c): Grammatik und Kommunikation. In: Motsch, Wolfgang (1984): Sprechaktanalyse ⫺


Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik LXIV/ Versuch einer kritischen Wertung (1). In: DaF 21/
3, 257⫺271. 6, 327⫺334.
⫺ (1997d): Grammatik und Lexikon. Stuttgart/ Neuner, Gerhard (1993): Regionale und regionen-
Leipzig (Sitzungsberichte der Sächsischen Akade- übergreifende Perspektiven der Deutschlehreraus-
mie der Wissenschaften zu Leipzig. Phil.-hist. bildung in Europa. In: Germanistentreffen Bundesre-
Klasse 135/5). publik Deutschland⫺Bulgarien⫺Rumänien (28. 2.⫺
5. 3. 1993 Bonn). Dokumentation der Tagungsbei-
⫺; Joachim Buscha (1990): Zu Zielstellung, Spezi- träge. Hg. DAAD. Bonn, 417⫺432.
fika und Umfeld der „Deutschen Grammatik ⫺
Ein Handbuch für den Ausländerunterricht“. In: ⫺ (1995): Grundlagen und Prozesse der Curricu-
JbDaF 16. München, 191⫺203. lumentwicklung in der Ausbildung ausländischer
Deutschlehrer ⫺ einige Anmerkungen. In: Reform-
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Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig/Ber- manistik. Dokumentation der Internationalen Ger-
lin/München. manistentagung des DAAD (24.⫺28. 5. 1995). Hg.
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Schaeder, Burkhard (1981): Lexikographie als
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Schuchardt, Hugo (1922): Hugo-Schuchardt-Bre-
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che. In: JbDaF 4. München, 87⫺101. 30. 6. 1994). Tübingen, 20⫺98.
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gründung und Struktur eines neuen Wissenschafts- theorie. Frankfurt (Main).
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lungen der Österreichischen Gesellschaft für Germa- Lutz Götze, Saarbrücken (Deutschland)
nistik 3, 72⫺87. Gerhard Helbig, Leipzig (Deutschland)
3. Didaktisch-methodischer Ansatz 31

3. Didaktisch-methodischer Ansatz: Die lehr- und


lernwissenschaftliche Perspektive

1. Zur Situation des Faches an den Lehrpläne und Lehrmaterial; Lehrerausbil-


deutschsprachigen Hochschulen und im dung), der Merkmale der Lernergruppen
Schulbereich (z. B. Muttersprache, soziokulturelle Prä-
2. Germanistik und Deutschlehrerausbildung
im nichtdeutschsprachigen Ausland
gung) und der Lernsituation (eingebettet in
3. Bezugspunkte und Dimensionen der lehr- die zielsprachige Umgebung oder ausserhalb
und lernwissenschaftlichen Orientierung des deutschsprachigen Raums) führen zu
4. Konturen der lehr- und z. T. ganz unterschiedlichen Konzepten der
lernwissenschaftlichen Ausrichtung des Didaktik und Methodik des Fremd- bzw.
Faches Zweitsprachenunterrichts Deutsch und folg-
5. Forschung im Fach Deutsch als lich auch zu unterschiedlichen Perspektiven
Fremdsprache und Schwerpunktsetzungen bei der Ausbil-
6. Grenzen einer berufsorientierten
Deutschlehrerausbildung
dung von Lehrer/innen für Deutsch als
7. Literatur in Auswahl Fremd- bzw. Zweitsprache (vgl. Neuner
1995a).
In den öffentlichen Schulen in Deutsch-
1. Zur Situation des Faches an den land, insbesondere im Bereich der Grund-
deutschsprachigen Hochschulen schule und der Hauptschule, ist die Zahl von
und im Schulbereich Schülern nichtdeutscher Muttersprache be-
trächtlich ⫺ laut Statistik lebte 1990 über
An den deutschsprachigen Hochschulen hat eine Million schulpflichtiger ausländischer
sich in den beiden letzten Jahrzehnten eine Kinder in der Bundesrepublik (Neumann
deutliche institutionelle Trennung der Fächer 1995, 95), in städtischen Ballungsgebieten
„Germanistik“ und „Deutsch als Fremdspra- steigt sie nicht selten über 50 % der Gesamt-
che“ vollzogen. Die Germanistik bildet Philo- schülerzahl. Dazu kommen die Kinder
logen (Magisterabschluss; Promotion) bzw. deutschstämmiger Aussiedler aus mittel- und
Lehrerinnen und Lehrer für Deutsch als Mut- osteuropäischen Ländern bzw. den Nachfol-
tersprache (Lehramtsstudiengänge) aus. Wer gestaaten der UdSSR, die ihrem Rechtsstatus
dagegen ein Studienangebot in Deutsch als nach zwar Deutsche sind, jedoch oft mit den-
Fremdsprache belegt, verbindet damit im all- selben sprachlichen und sozialpsychologi-
gemeinen die Erwartung, zur Lehrerin bzw. schen Problemen der Integration zu kämpfen
zum Lehrer für Deutsch als Fremd- bzw. haben wie schulpflichtige Kinder mit dem
Zweitsprache qualifiziert zu werden. Unter- Status „Ausländer“ (z. B. Kinder von Ar-
suchungen zur Schwerpunktsetzung der Stu- beitsmigranten, von Asylsuchenden oder
dienangebote im Bereich von Deutsch als Kriegsflüchtigen).
Fremd- und Zweitsprache belegen, daß die Eine Reihe von Bundesländern hat deshalb
überwiegende Zahl der Studienangebote lehr- ein obligatorisches Studienelement „Deutsch
und lernwissenschaftlich ausgerichtet ist (vgl. als Zweitsprache“ in die Studiengänge für
Krumm 1994; Henrici 1994). Lehrer/innen für den muttersprachlichen
Zu unterscheiden ist zwischen Studienan- Deutschunterricht eingeführt (z. B. Nord-
geboten in den Bereichen Deutsch als Fremd- rhein-Westfalen) bzw. die Möglichkeit eröff-
sprache und Deutsch als Zweitsprache. Eine net, die Lehrbefähigung für das Fach
Ausbildung für Deutsch als Fremdsprache be- „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ im
zieht sich auf die Vermittlung des Deutschen Rahmen einer Erweiterungsprüfung im Lehr-
im nichtdeutschsprachigen Ausland, während amtsstudium zu erwerben (z. B. Hessen).
eine Lehrerausbildung in Deutsch als Zweit- Man kann im lehr- und lernwissenschaft-
sprache auf den Deutschunterricht in deutsch- lich ausgerichteten Studienangebot des Fa-
sprachiger Umgebung vorbereitet. Die unter- ches Deutsch als Fremdsprache unterschei-
schiedlichen gesellschaftlich-politischen Rah- den zwischen
menbedingungen von Fremd- und Zweitspra-
chenunterricht (z. B. rechtlicher und sozialer • grundständigen Studienangeboten (Haupt-
Status der Lernergruppen), der institutionel- oder Nebenfach im Magisterstudium; Er-
len Vorgaben (z. B. Status als Schulfach; weiterungsprüfung für das Lehramt).
32 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

• Zusatz- und Aufbaustudiengängen, die in 3. Bezugspunkte und Dimensionen


der Regel ein abgeschlossenes Germani- der lehr- und lernwissenschaftlichen
stikstudium voraussetzen.
• Dazu kommen im „Lehrgebiet Deutsch als
Orientierung
Fremdsprache“ Sprachkurse in Deutsch Die Ausgangsfrage bei der Planung eines
als Fremdsprache zur Vorbereitung auf die lehr- und lernwissenschaftlich konzipierten
Hochschulzulassungsprüfung für ausländi- Germanistikstudiums lautet: Welche Qualifi-
sche Studienbewerber bzw. studienbeglei- kationen müssen künftige Deutschlehrer/in-
tende Sprachkursangebote. nen für ihre Berufsausübung (Deutschunter-
richt erteilen) haben?
Bei der curricularen Bestimmung der
2. Germanistik und Deutschlehrerausbildung müssen eine Reihe
Deutschlehrerausbildung im von Ebenen unterschieden werden, die eng
nichtdeutschsprachigen Ausland miteinander verflochten sind:
• die interkulturelle und die transnationale
Bei den entsprechenden Studiengängen an Ebene,
Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Län- • die institutionelle Ebene,
dern ist die Trennung der Studiengänge für • die fachlich-inhaltliche Ebene,
Germanistik (Fremdsprachenphilologie) und • die unterrichtliche Ebene.
Deutschlehrerausbildung nicht selbstver-
ständlich. Oft versteht man unter „Deutsch 3.1. Die interkulturelle und die
als Fremdsprache“ im Bereich des Germani- transnationale Dimension des
stikstudiums das sprachpraktische Lehrange- fremdsprachlichen Deutschunterrichts
bot, d. h. das Angebot an Deutschkursen für Wer eine Fremdsprache lernt, muss sich mit
die Studierenden der Germanistik. einer fremden Welt auseinandersetzen, gleich-
Es bestehen in den vielen Ländern, deren gültig, ob die neue Sprache als Fremdsprache
Hochschulen Studiengänge für Germanistik in der eigenen Umgebung gelernt wird oder
anbieten, sehr unterschiedliche Vorstellun- ob das Erlernen dieser Sprache als Zweit-
gen, was die Vorbereitung auf den Deutsch- sprache in der zielsprachlichen Umgebung er-
lehrerberuf angeht: folgt. Fremdsprachenlernen kann eine faszi-
Vorfindbar sind Konzepte, nierende „Entdeckungsreise in die fremde
Welt“ sein, es kann aber auch zu Verunsiche-
• die keinen Unterschied zwischen Germani- rung führen: Sachverhalte, die in der eigenen
sten- und Deutschlehrerausbildung ma- Welt selbstverständlich sind, können im so-
chen: Wer das Germanistikstudium absol- ziokulturellen Kontext der neuen Sprache an-
viert hat, kann als Deutschlehrer einge- ders, verzerrt, missverständlich und unver-
setzt werden; ständlich erscheinen. Neues muss verarbeitet
• die eine Profilbildung in der letzten Phase werden, Vertrautes findet sich in der fremden
des Germanistikstudiums vornehmen bzw. Welt nicht mehr (Müller-Jacquier 1999).
ein Studienelement zur Didaktik/Metho- Fremdsprachenlernen erschließt aber nicht
dik des Deutschunterrichts im Abschlußse- nur eine neue Welt, es hat auch Rückwirkun-
mester anbieten; gen auf die Wahrnehmung und das Bewusst-
• die die Deutschlehrerausbildung in eine sein von der eigenen Welt, die als Bezugswelt
dient. Indem es Lernende in eine neue Welt
Phase nach dem Germanistikstudium ver-
einführt, macht es ihnen deutlich, dass neben
legen;
ihrer eigenen Welt andere Welten bestehen, in
• die eine klare institutionelle Trennung von
denen die Menschen ihr Leben nach anderen
Germanistikstudium (an der Universität) „Spielregeln“ (Wertsystemen; Routinen; Ri-
und Deutschlehrerausbildung (an Pädago- tualen) und in anderen sozialen Bezügen (In-
gischen Hochschulen bzw. Fremdsprachen- stitutionen) gestalten (Krumm 1995, 156f.).
kollegs) vornehmen. In diesen Konzepten Die interkulturelle Dimension ist deshalb
ist die lehr- und lernwissenschaftliche Ori- für alle Ebenen und Bereiche des Lehrens
entierung am deutlichsten verwirklicht, es und Erlernens der Fremdsprache konstitutiv.
besteht jedoch die Gefahr einer Abwertung Fremdsprachenlernen ist jedoch nicht nur
des Status der Deutschlehrerausbildung geprägt von der subjektiven Auseinanderset-
gegenüber der Germanistenausbildung zung von Eigenwahrnehmung und Fremder-
(vgl. Blamberger/Neuner 1995). fahrung, sondern auf einer übergeordneten
3. Didaktisch-methodischer Ansatz 33

Ebene auch von transnationalen Beziehun- Qualifikationen für die kompetente Berufs-
gen. ausübung sind jedoch nicht nur fachtheoreti-
Das Verhältnis von Ausgangs- und Ziel- sche Kenntnisse, sondern auch praktisches
sprachenland bestimmt nicht nur die Frage, Können, das sich sowohl auf die Beherr-
ob eine bestimmte Sprache als Fremdsprache schung der Fremdsprache als auch auf das
in den Fächerkanon der Schule aufgenom- Unterrichtenkönnen bezieht. Die Beschäfti-
men wird und welche Stellung sie im Rahmen gung mit der Unterrichtspraxis (Vorberei-
anderer Fremdsprachen innehat, sondern es tung, Durchführung und Evaluation von Un-
kann auch nachhaltig das „Bild“ des Ziel- terricht) gehört deshalb zu den Kernpunkten
sprachenlandes prägen (Auswahl und Per- der Fachausbildung. Bei der Deutschlehrer-
spektivierung soziokultureller Inhalte) und ausbildung im Ausland dient ein Teil der
maßgeblich die Haltungen und Einstellungen Ausbildungszeit der Erweiterung sprachprak-
der Lernenden gegenüber der Zielsprache tischer Kompetenz (Alltagssprache; Sprache
und der Zielsprachenkultur beeinflussen. des Unterrichts; Fachsprache etc.).
Bezugswissenschaften der Fremdsprachen- Bezugswissenschaften für die Ebene des
lehrerausbildung sind deshalb auf dieser fremdsprachlichen Fachunterrichts sind des-
Ebene die eigene wie auch die zielsprachliche halb vor allem die Spracherwerbsforschung
Soziokultur und ihr historisch gewachsenes und die Erforschung dessen, was im Klassen-
und aktuelles Wechselverhältnis (Soziologie; zimmer geschieht, wenn die Fremdsprache
Politik etc.). vermittelt wird (L-2 classroom research).
3.2. Die institutionelle Dimension des 3.4. Die fachspezifische Dimension ⫺ der
fremdsprachlichen Deutschunterrichts Bezug zu den germanistischen
Gesteuerter Fremdsprachenunterricht voll- Fachwissenschaften
zieht sich im institutionellen Kontext (etwa: Da im Bezug zu den unmittelbaren Fachwis-
Schule). Grundlegende und übergreifende senschaften (Literatur-, Sprach- und Landes-
Aspekte institutionellen Lehrens ⫺ z. B. wissenschaften) der Unterschied zwischen der
übergreifende Zielsetzungen (welche Kennt- Germanisten- und der Deutschlehrerausbil-
nisse, Fertigkeiten und Einstellungen sollen dung besonders deutlich wird, muß dieser
an die nachkommende Generation vermittelt Aspekt eingehender dargestellt werden.
werden? Welche Qualifikationen werden zum Die folgende Gegenüberstellung lässt das
Leben gebraucht?) und Bedingungen ⫺ (z. B. Profil der Deutschlehrerausbildung klarer
organisatorische Bedingungen: Einteilung in hervortreten (vgl. Neuner 1995).
Klassen und Gruppen nach bestimmten Kri-
terien, etwa von Alter oder Leistung; Einsatz 3.4.1. Germanistenausbildung
bestimmter Lehrmedien und Anwendung be- Ziel der Germanistenausbildung ⫺ etwa in ei-
stimmter Lehrverfahren) ⫺ beeinflussen den nem Magisterstudiengang ⫺ ist die Vermitt-
Fachunterricht nachhaltig. Sie gehören des- lung eines möglichst umfassenden Fach-
halb zu den Gegenständen der Lehrerausbil- wissens in Verbindung mit der Entwicklung ei-
dung. nes spezifischen Methodenbewussteins (For-
Bezugswissenschaften sind in diesem Be- schungsansätze und -perspektiven) in den
reich etwa allgemeine Pädagogik und Schul- germanistischen Fachdisziplinen. Das Lehr-
pädagogik; allgemeine Didaktik und Lern- angebot des traditionellen Germanistikstudi-
theorie. ums ist also von der Wissenssystematik der
germanistischen Teilgebiete her konzipiert ⫺
3.3. Die Ebene des Fachunterrichts der Literaturwissenschaft und der Sprachwis-
Fremdsprachenunterricht ist zum einen ge- senschaft. In der Germanistik im Ausland
prägt von übergreifenden Rahmenbedingun- kommt als weiteres Teilgebiet das der Lan-
gen (vgl. 3.1. und 3.2.), zum anderen von deswissenschaften deutschsprachiger Länder
fachspezifischen Vorgaben (vgl. 3.4.) und In- hinzu.
halten. Die Studierenden weisen zum Ende des
Kennzeichnend für den Fachunterricht Studiums ihre Qualifikation als Germanisten
sind aber nicht nur diese fachspezifischen u. a. durch eine Magisterarbeit nach, in der
Vorgaben und Inhalte, sondern auch die Pro- ein ausgewähltes Thema aus den genannten
zesse des Fremdsprachenlehrens und -erler- fachwissenschaftlichen Bereichen „nach den
nens, die sich in unterrichtlicher Interaktion Regeln der Kunst“ (Darstellungsweisen; For-
(Lehr- und Lernverhalten) manifestieren. schungsmethoden) bearbeitet wird.
34 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

3.4.2. Aufgliederung des Schon allein diese Entwicklungen im Fach


Germanistikstudiums auf der selbst zwingen die Germanistik heute dazu,
Grundlage der Wissenssystematik des Ziele und Inhalte ihrer Studiengänge perma-
Faches: Literaturwissenschaft nent zu überdenken und ihren Stellenwert im
Allgemeine Literaturwissenschaft Rahmen erweiterter Studiengangkonzepte ⫺
Terminologie (etwa: Gattungslehre; etwa im Bereich der Medien-, Kultur- und
Grundbegriffe zu Epik, Lyrik und Dra- Kommunikationswissenschaften ⫺ neu zu
matik) formulieren (vgl. Seeba 1995; Dirscherl 1995).
Methodologie (etwa: Interpretations- 3.4.3. Fachinhalte der
und Forschungsmethoden) Deutschlehrerausbildung
Literaturgeschichte
gegliedert nach Epochen/Gattungen Aus der Kumulierung germanistischen Fach-
wissens ergibt sich nicht „von selbst“ eine
Sprachwissenschaft
sinnvolle Deutschlehrerausbildung.
Systematische Aspekte (etwa: Syntax)
Zunächst ist festzustellen, dass fachliches
Sprachnormative Aspekte
Wissen für den künftigen Lehrberuf sehr viel
Historische Aspekte
mehr an Kenntnissen umfasst als nur ger-
Methodologie
manistische Studieninhalte, nämlich auch
Landeswissenschaften (in der Auslandsger- Kenntnisse, die den übergreifenden interkul-
manistik) turellen und institutionellen Bezugsebenen
Systematische Aspekte zuzuordnen sind (etwa aus der Soziologie;
(etwa: Institutionen- und Realien- der Psychologie; der Pädagogik und Didak-
kunde) tik, vgl. 3.1. und 3.2.) und Kenntnisse, die
Historische Aspekte sich auf die Grundlagen des Lehrens und Er-
Methodologie lernens von Fremdsprachen beziehen und der
In der historischen Entwicklung des Faches unterrichtlichen Ebene zuzuordnen sind
dominierte die Literaturwissenschaft, ge- (etwa zum Spracherwerb; zu den Faktoren
nauer: die Literaturgeschichte. Diese Vor- und Prozessen des Lehrens und Lernens im
rangstellung der Literaturwissenschaft ist bis institutionellen Kontext (vgl. 3.3.) (vgl. Hen-
heute in vielen Ländern im Germanistikstu- rici 1992).
dium erhalten geblieben. Zwar haben auch in einem Deutschlehrer-
Sprachwissenschaft wurde zunächst nur studium die germanistischen Fachinhalte tra-
als Sprachgeschichte angeboten, deren Be- gende Funktion. Aber das anders geartete
funde oft aus den Dokumenten der literari- lehr- und lernwissenschaftliche Erkenntnisin-
schen Zeugnisse der einzelnen Epochen er- teresse führt zu einer anderen Perspektivie-
mittelt wurden. rung, Auswahl und Gewichtung dieser Fach-
Landeswissenschaften hatten in diesem inhalte. Dabei spielen zum einen übergrei-
Konzept insbesondere eine Funktion als Zu- fende interkulturelle und institutionelle, zum
lieferer von vor allem kulturhistorisch orien- anderen unterrichtliche Fragestellungen eine
tierten Hintergrundinformationen zur Litera- Rolle (etwa: Bezug zur Welt der Zielsprache;
turgeschichte. Zum anderen hatte dieses die Bestimmung allgemeiner und fachspezi-
Fachgebiet die Aufgabe der Vermittlung von fischer Lehrziele und Lehrmethoden). Auch
Realien- und Institutionenkunde. ist deutlich, dass sich das Erkenntnisinteresse
Anzumerken ist, dass die Wissensbestände der Deutschlehrerausbildung nicht nur auf
und die Teilgebiete der Germanistik sich in a) Gegenstände des Lehrens und Lernens be-
den letzten Jahrzehnten deutlich ausgeweitet zieht, sondern auch auf
haben. Dabei vollzog sich nicht nur eine Ex- b) die Bedingungen und
pansion der Gegenstandsbereiche ⫺ etwa im c) die Prozesse des Lehrens und Lernens um-
Einbezug der Literatur der Hör- und Seh- faßt, u. z. sowohl die diachronische Per-
Medien; der Trivialliteratur, der Kinder- und spektive (historische Entwicklung und
Jugendliteratur; der Pragma- und Textlingui- Wandel) als auch die synchronische Per-
stik ⫺, sondern z. T. auch ein perspektiven- spektive (Ermittlung gegenwärtig feststell-
wechsel der Forschung ⫺ z. B. von der Ana-
barer Phänomene).
lyse der Gegenstände auf die Erforschung ih-
rer Wirkung (etwa in der Rezeptions- und Le- Das Deutschlehrerstudium geht deshalb in
serforschung) bzw. ihrer Verwendung (etwa: besonderer Weise auf diejenigen Aspekte ger-
Pragmalinguistik und Textpragmatik). manistischer Fachwissenschaft ein, die in der
3. Didaktisch-methodischer Ansatz 35

Abb. 3.1: Bezugspunkte der Ausbildung

Entwicklung des fremdsprachlichen Deutsch- lichen Beschäftigung mit den theoretischen


unterrichts eine tragende Rolle gespielt haben Grundlagen und den praktischen Verfahren
und im Rahmen gegenwärtiger Konzeptionen des institutionellen Lehrens und Erlernens der
des Lehrens und Erlernens der Fremdsprache Fremdsprache Deutsch ⫺ lassen sich Themen-
Deutsch von besonderer Bedeutung sind bereiche und Aufgabenfelder ableiten, die für
(Auswahl und Schwerpunktsetzung bei den das Deutschlehrerstudium konstitutiv sind.
germanistischen Lehrinhalten).
So ist es beispielsweise nicht das Ziel, etwa 4.1. Kernbereich Theorie und Praxis des
im sprachwissenschaftlichen Bereich systema- fremdsprachlichen Deutschunterrichts
tisch alle Beschreibungsverfahren der Gram- 4.1.1. Aspekte des Lehrens (synchronisch/
matik der deutschen Sprache darzustellen, diachronisch):
sondern es geht um die Frage, welche Gram-
matikmodelle für das Lehren und Erlernen • Bedingungen (politisch-gesellschaftlich-in-
der Fremdsprache Deutsch in der histori- terkulturelle; institutionelle; pragmatische;
schen Entwicklung ihrer Fachdidaktik in be- etc.) des fremdsprachlichen Deutschunter-
sonderer Weise berücksichtigt wurden und in richts
der gegenwärtigen fachdidaktischen Kon- • übergreifende und fachspezifische Leitvor-
zeptbildung eine besondere Rolle spielen. stellungen/Lehrziele; curriculare Planung
Das kann ggf. dazu führen, dass aus didakti- • Lehrinhalte (fachliches Wissen in den ge-
scher Perspektive neuartige Beschreibungs- nannten Bezugswissenschaften) und Pro-
verfahren entwickelt werden (z. B. Signal- gression der Lehrstoffe
grammatik), wodurch Forschungsimpulse • Lehrmethoden des Fremdsprachenunter-
auch von der Fremdsprachendidaktik an die richts
Linguistik entstehen können. • Unterrichtsmedien
Aus diesen Überlegungen lässt sich das fol- • Lernkontrollen
gende Modell der Bezugspunkte curricularer • Planung, Durchführung und Evaluation
Planung der Deutschlehrerausbildung ent- des Unterrichts
wickeln (vgl. Abb. 3.1. Bezugspunkte der
Ausbildung). 4.1.2. Aspekte des Lernens:
• Muttersprachen- und Fremdsprachener-
4. Konturen der lehr- und werb
lernwissenschaftlichen Ausrichtung • Lerner/Lernergruppe (Lernermerkmale,
z. B. eigene Sprache und Soziokultur sowie
des Faches
ihr Bezug zur Zielsprache und -soziokul-
Aus dem strukturierenden Leitinteresse der tur; Wissen und Erfahrung; Motivation
Deutschlehrerausbildung ⫺ der wissenschaft- und Interesse; etc.)
36 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

• Aspekte des Lernprozesses (etwa: Lerntra- 4.2.3. Landeswissenschaften


ditionen: Lerntechniken und -strategien; Beispiele:
Lernerautonomie) • systematische Aspekte (Strukturen/Institu-
tionen/Wertsysteme etc.);
4.2. Die Integration der germanistischen
• historische Aspekte (neuere Geschichte);
Fachinhalte
• vergleichende Aspekte (Wechselbeziehun-
In praktisch allen oben genannten Teilberei- gen/Vergleich der deutschsprachigen Län-
chen sind wichtige Aspekte der Bezugswis- der untereinander);
senschaften in gebündelter Form vorfindbar. • pragmatische Aspekte (Alltagsphänomene/
In den folgenden Beispielen soll die Inte- Routinen/Rituale);
gration der germanistischen Fachwissen- • methodologische Aspekte (interkultureller
schaften bei der curricularen Planung ver- Ansatz/Vorurteilsforschung etc.).
deutlicht werden.
4.3. Zur inhaltlichen Verknüpfung der
4.2.1. Linguistische Aspekte in der einzelnen Teilgebiete der
Deutschlehrerausbildung Deutschlehrerausbildung
Beispiele: Auch bei der Deutschlehrerausbildung besteht
• Sprachbeschreibungsmodelle, die für die die Gefahr eines relativ unverbundenen
Entfaltung der Lehrmethoden wichtig wa- Nebeneinander einzelner Teildisziplinen. Vom
ren/sind (etwa: Schulgrammatik; Struktu- übergreifenden Leitinteresse der wissen-
ralismus; Pragmalinguistik; Dependenz- schaftlichen Beschäftigung mit der Theorie
grammatik) und Praxis des fremdsprachlichen Deutsch-
• Kontrastive Sprachanalyse (Sprach- unterrichts ergeben sich jedoch Ansatzpunkte
systeme und Sprachgebrauch) einer Integration. Sie ist nicht nur wegen der
• Fehleranalyse und -bewertung oft herrschenden Zeitknappheit geboten,
• Linguistische Aspekte der Entwicklung sondern trägt sicher auch dazu bei, die Stu-
fremdsprachlicher Fertigkeiten und Sy- dienmotivation der Teilnehmer zu erhöhen,
steme weil einsichtig gemacht werden kann, warum
Kursschwerpunkte gesetzt werden, wie sich
Beispiel 1: Bereich der Fertigkeiten: Lesever- die einzelnen Lehrveranstaltungen in das Ge-
stehen samtkonzept der Ausbildung einfügen und
• textlinguistische Aspekte (Merkmale ge- welche Bedeutung die Kursinhalte für die
schriebener Sprache/Sprachregister/Text- spätere berufliche Tätigkeit haben.
sorten)
• psycholinguistische Aspekte (Wahrneh- Beispiele für inhaltliche Verknüpfung:
mung/Speicherung/Aktivierung; Verhältnis • Literatur und Landeskunde
von Verstehen und Äusserung) ⫺ literarische Landschaften
⫺ Literatur und Kunst
Beispiel 2: Bereich der Sprachsysteme: Wort- ⫺ thematisch orientierte Literaturge-
schatzarbeit schichte
• Struktur des Lexikons und Wortschatzler- • Literatur und Linguistik
nen ⫺ Textlinguistik fiktionaler Texte
• Sprachzeichen und -bedeutung im inter- ⫺ Sprachstil/Register fiktionaler Texte
kulturellen Lernprozess (eigene Sprache ⫺ • Linguistik und Landeskunde
Fremdsprache) ⫺ Dialekte/Soziolekte
• Auswahl und Abstufung des Wortschatzes ⫺ öffentlicher und privater Sprachge-
(Grundwortschatz ⫺ Aufbauwortschatz, brauch
Wortschatzprogression) ⫺ kontrastive Aspekte (Sprachgebrauch)
• Linguistik und Lerntheorie
4.2.2. Literaturwissenschaftliche Aspekte in
⫺ sprachliche Entwicklungsstadien beim
der Deutschlehrerausbildung
Spracherwerb
Beispiele: ⫺ sprachliche Progression im Fremdspra-
• Literaturgeschichte „von der Gegenwart chenlernprozess
zur Vergangenheit“ (themenorientiert) ⫺ Wahrnehmung/Speicherung/
• Gegenwartsliteratur; Aktivierung von (Fremd-)Sprache
• kurze Formen fiktionaler Texte; • In der sprachpraktischen Ausbildung er-
• Kinder- und Jugendliteratur. gibt sich eine Verknüpfung aller Aspekte,
3. Didaktisch-methodischer Ansatz 37

z. B. in der Textauswahl und Aufgabenstel- Die Formulierung, die Fremdsprachendi-


lung in den Sprachkursen. daktik sei die Wissenschaft „vom Lehren und
• Ähnlich ist es bei der Vorbereitung, Lernen fremder Sprachen in einem institutio-
Durchführung und Evaluation von Unter- nellen Zusammenhang“ (Christ/Hüllen 1995,
richtspraktika. Im konkreten Unterricht 7), verweist auf fünf zentrale Gegenstandsbe-
sind die einzelnen Fachaspekte immer in reiche fremdsprachendidaktischer Forschung:
gebündelter und integrierter Form vorzu-
a) Untersuchung des Fremdsprachenlehrers
finden.
und des Vorgangs des Lehrens fremder
Sprachen;
5. Forschung im Fach Deutsch als b) Untersuchung des Lerners und des Lern-
Fremdsprache prozesses;
c) Untersuchung sprachkontrastiver und in-
5.1. Forschungsgegenstände und terkultureller Aspekte;
Problemfelder d) Untersuchung der Sprache des Unter-
Deutschlernen wurde lange Zeit mit der Ver- richts als Medium des Unterrichts und als
mittlung einer „Sprachlehre des Deutschen“ Inhalt des Unterrichts;
gleichgesetzt. Die Forschung bezog sich dabei e) Untersuchung des institutionellen Zusam-
menhangs des Sprachlehrens und -erler-
• auf die Beschreibung der Elemente der nens.
Sprachlehre (etwa Phänomene der Gram-
Deutlich wird bei dieser Auflistung, dass der
matik, des Wortschatzes, der Aussprache
Fremdsprachenunterricht bzw. die konkrete
und der Rechtschreibung);
Unterrichtssituation von einer Fülle von ⫺
• auf die Entwicklung von Vorschriften zum
offen zutage tretenden oder verdeckt wirksa-
Vermittlungsverfahren (Lehrmethoden).
men ⫺ Faktoren beeinflusst wird. Dies ver-
Die Tatsache, dass es in der Geschichte des weist auf eine der grundlegenden Schwierig-
Fremdsprachenunterrichts immer wieder keiten, mit denen sich fremdsprachendidakti-
Neuansätze bei der Beschreibung des sche Forschung auseinander setzen muss: um
„Sprachlehrstoffes“ wie auch bei der Formu- zu forschen, muss ein Aspekt ⫺ oder eine be-
lierung von Lehrmethoden (etwa der Gram- grenzte Zahl ausgewählter Bereiche ⫺ aus
matik-Übersetzungs-Methode; der Direkten dem komplexen Gesamtzusammenhang her-
Methode; der Audiolingualen Methode; der ausgelöst werden. Dabei besteht die Gefahr,
Kommunikativen Didaktik; vgl. Neuner/ dass sich der Einzelaspekt, dem das Interesse
Hunfeld 1993) gab, macht deutlich, dass es gilt, in seiner Bewertung verselbständigt und
eine eindeutige, einfache und für alle Zeiten zu einer Fehleinschätzung seines Stellenwerts
gültige Beschreibung dessen, was im Fremd- im Gesamtzusammenhang führt. Zu verwei-
sprachenunterricht zu lernen ist (Lehrziele) sen ist auch auf die Tatsache, dass sich bei
und wie man das zu Lehrende am besten ver- der Komplexität und Interaktion der vielfälti-
mittelt (Lehrmethoden), nicht gibt, sondern, gen Faktoren Fremdsprachenunterricht oft
dass das Lehren und Erlernen von Fremd- nicht nach den Gesetzen der Logik verhält,
sprachen ein dynamischer ⫺ und in seinen sondern eher als chaotisches System konsti-
Ergebnissen weder eindeutig vorherbestimm- tuiert ist, das schon bei einer kleinen Verän-
barer noch vorprogrammierbarer ⫺ Prozess derung der Faktorenkonstellation nicht vor-
ist, der von einer Vielfalt komplexer Faktoren herbestimmbare Auswirkungen zeigt. Das er-
beeinflusst wird. Dazu gehören externe Fak- klärt die Erfahrungen vieler Lehrender, dass
toren wie sie etwa im Bereich institutionellen keine Unterrichtsstunde der anderen gleicht
Unterrichts erkennbar sind (z. B. vorgege- und dass Unterrichtsplanung, die in der einen
bene Ziele und Lehrmethoden; Situation in Klasse zu guten Ergebnissen führt, in der
der Klasse bzw. Lerngruppe, die Einfluss nächsten Klasse „nicht ankommt“, dass eine
nimmt auf Verhalten im Unterricht; das Ver- auch noch so gründlich vorbereitete Unter-
hältnis und die unterrichtliche Interaktion richtsstunde „schieflaufen“ kann, wie auch
von Lehrenden und Lernenden) und interne andererseits improvisierte Stunden „sehr gut
Faktoren (z. B. Interesse und Motivation am laufen“ können. Weder der Unterrichtserfolg
Erlernen der Fremdsprache; Haltungen und noch das Verhalten der Lernenden sind pro-
Einstellungen der Welt der Zielsprache ge- grammierbar.
genüber; aber auch psychische Befindlichkeit; Aus diesem Grund lassen sich auch empi-
Konzentrationsfähigkeit etc.). risch gewonnene Daten, die immer an einem
38 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

ganz konkreten Fall des Unterrichtsgesche- stimmung der Entfaltung des „geistigen Seins
hens gewonnen werden und sich auf eine und Sollens“ des Fremdsprachenunterrichts.
ganz bestimmte Konstellation der Faktoren Dabei ist als Bezugsfeld für den Forscher
beziehen, nicht ohne weiteres verallgemei- nicht die aktuelle Realität des Unterrichts
nern. von Interesse, die Bemühungen gelten viel-
mehr der Frage, wie dieser „künftige Zu-
5.2. Forschungsmethoden stand“, in dem die vorgefassten Ziele ver-
5.2.1. Zur Hermeneutik des wirklicht sind, zu beschreiben und auf wel-
Fremdsprachenunterrichts chem Weg dieser „Sollzustand“ zu erreichen
Die Aussage, dass die Fremdsprachendidakti- ist.
ker zunächst wenig über ihre wissenschaftli- 5.2.2. Empirische Forschung
chen Methoden und ihr Methodenverständ-
nis reflektierten und dass ihre methodischen In der Erforschung des fremdsprachlichen
Ansätze zwischen den Polen „deskriptiv“ und Unterrichts finden deshalb empirische An-
„normativ“ bewegten (Christ/Hüllen 1995, sätze, wie sie in der Psychologie und der Sozio-
4), trifft auch für die Erforschung des fremd- logie entwickelt wurden, erst in jüngerer Zeit
sprachlichen Deutschunterrichts zu. Die ⫺ vor allem im Zusammenhang mit der Ent-
Gründe hierfür liegen zum einen in den insti- wicklung der Sprachlehr- und Lernforschung
tutionellen Vorgaben: Fremdsprachenunter- seit dem Anfang der 70er Jahre ⫺ in nennen-
richt war in Europa bis nach dem 2. Welt- wertem Umfang Berücksichtigung (Bausch/
krieg ein Privileg höherer Bildung und ist es Christ/Hüllen/Krumm (Hrsg.), 1984). Empiri-
bis heute noch in vielen Ländern der Welt. In sche Forschung beschäftigt sich vor allem mit
seinen Genuss kam eine relativ kleine Elite den Prozessen des Lehrens und Lernens im
leistungshomogener Schüler. Zum anderen unterrichtlichen Handlungsfeld. Dabei wird
wurde der Unterricht in den modernen ⫺ in einem bewußten Wechsel der Perspek-
Fremdsprachen im Anschluss an die Tradi- tive ⫺ vor allem die Lernenden in den Blick-
tion des Unterrichts der „alten Sprachen“ punkt gerückt (z. B. Einfluß von gruppenspe-
(Griechisch und Latein), die jahrhunderte- zifischen und individuellen Lernermerkmalen
lang den schulischen Fremdsprachenunter- auf den Lernprozess und Lernerfolg; Erfor-
richt dominiert hatten, weniger als Vorberei- schung psycholinguistischer Aspekte ⫺ etwa
tung auf „internationale Kommunikation“, der Entwicklung der Lernersprache (interlan-
sondern eher als „Geistesschulung“ (durch guage); der mentalen Aufnahme, Speiche-
Anleitung zu ordnendem Denken mit Hilfe rung/Verarbeitung und Aktivierung von Da-
der Grammatikvermittlung) und „Teilhabe an ten beim unterrichtlichen Lernen; des Verste-
der geistigen Bildung“ verstanden (über die hensprozesses; der Lernprozesse im Klassen-
Beschäftigung mit literarischen Zeugnissen zimmer ⫺; Lerntechniken und -strategien; af-
der Fremdsprache bzw. mit Texten, die über- fektive Komponente des Lernens).
greifende Bildungs- und Erziehungsziele re- Da das unterrichtliche Lernen von Fremd-
präsentierten). Unter diesen fest gefügten ge- sprachen als ein komplexes Geschehen ver-
sellschaftlich-institutionellen Rahmenbedin- standen wird, als „[…] das Ergebnis des Zu-
gungen bezog sich fremdsprachendidaktische sammenwirkens zahlreicher Faktoren […],
Forschung in erster Linie auf die Entfaltung die sich sowohl auf die Lehr- und Lernbedin-
der Lehrstoffperspektive (Lehrziele; Progres- gungen im Klassenzimmer als auch auf psy-
sion der Lehrstoffe; Überprüfung der Lehr- chologische und soziale Komponenten aus-
ziele) und der Entwicklung von Vorschlägen serhalb des Klassenzimmers beziehen und die
zur Unterrichtsgestaltung (Lehrmethoden). selbstverständlich in engem Bezug zum Lern-
Hermeneutische Verfahren sind im Bereich gegenstand zu sehen sind“ (Bausch/Krumm
der Fremdsprachenforschung vor allem bei 1995, 9), muss empirische Forschung inter-
der Erforschung curricularer Aspekte des disziplinär und integrativ angelegt sein.
Lehrens mit Erfolg anwendbar (etwa: Erfor- Empirsche Forschung kann sich auf un-
schung der Faktoren und Zusammenhänge terschiedliche Aspekte beziehen (Grotjahn
der Lehr- und der Lehrstoffperspektive des 1995, 457):
Fremdsprachencurriculums wie z. B. Bestim- a) die Beschreibung von beobachtbaren Pro-
mung und Wandel der Lehrziele, der Lehrme- zessen, die sich in einem bestimmten Zeit-
thoden und -medien ⫺ insbesondere auch der abschnitt vollziehen (z. B. Interaktionsbe-
Lehrwerke ⫺ sowie des Zusammenhangs von schreibungen) im Lehr- und Lerngesche-
Zielen und Prüfungen). Sie dienen der Be- hen);
3. Didaktisch-methodischer Ansatz 39

b) die Beschreibung der zu einem bestimm- stellt hat (Arbeitsgruppe Fremdsprachener-


ten Zeitpunkt vorliegenden Resultate werb Bielefeld 1995; Henrici 1995; Aguado
(Produkte) beobachtbarer Prozesse (z. B. (Hg.) 2000).
Fehlerbeschreibungen); Dass empirische Forschung im Bereich
c) die Beschreibung beobachtbarer Resultate Deutsch als Fremdsprache bis heute über
nichtbeobachtbarer, individueller, menta- erste Ansätze hinaus noch nicht gediehen ist
ler Prozesse (z. B. Vorgänge im Gedächt- und dass bisher nur Einzelaspekte bearbeitet
nis, Erforschung von Haltungen und Ein- worden sind, hat eine Reihe von Ursachen,
stellungen). die nicht nur darin begründet sind, dass das
Fach als Hochschulfach noch nicht sehr
Zwei erkenntnisleitende Interessen der empi-
lange besteht und in der Gründungsphase die
rischen Forschung lassen sich angeben:
vorhandenen Energien sich auf andere Ar-
a) die Entwicklung einer begründeten Theo- beitsbereiche konzentrieren musste. Die Ur-
rie des Fremdsprachenunterrichts; sachen sind sicher auch in den schon erwähn-
b) die Überprüfung bestehender Unterrichts- ten Denktraditionen und Einstellungen im
praxis, die ggf. zu einer Bestätigung bzw. pädagogischen Bereich zu suchen, die es mit
zu Veränderung führt. sich bringen, dass sich die Fachleute eher mit
„Unterricht, wie er sein soll“ als mit „Unter-
Bei allzu hoch gesteckten Erwartungen an
richt, wie er tatsächlich ist“, beschäftigen. Zu
empirische Forschung ist zu berücksichtigen,
Recht verweist Krumm (1996) darauf, dass
dass bei der Entwicklung einer in sich konsi-
Vorstellungen von Fremdsprachenunterricht,
stenten Theorie des Fremdsprachenunter-
richts zunächst die Vielzahl komplexer Fak- wie sie in der Sprachlehrforschung und
toren im einzelnen und in ihrem Wechselver- Fremdsprachendidaktik bestehen, z. T. ganz
hältnis zueinander beschrieben werden muss erheblich von den Vorstellungen abweichen,
(vgl. Königs 1983) und dass alle empirisch ge- die Lernende und Lehrende mit in den Unter-
wonnenen Befunde in diese Theorie rückge- richt bringen.
bunden werden müßten, wenn sie sich nicht 5.2.3. Die Erforschung der Bedingungen des
verselbständigen sollen. Deutlich wird an die- fremdsprachlichen Deutschunterrichts
ser Stelle, dass empirische Forschung ⫺ u. z.
sowohl die Datenerhebung als auch die Da- Man kann drei Bereiche von Erkenntnisinter-
tenanalyse und -auswertung ⫺ stets von hy- essen unterscheiden, die den Ansatz unter-
pothetischen Annahmen zur Struktur der schiedlicher Wissenschaftsmethoden kenn-
Realität geprägt ist, die ganz entscheidend zeichnen:
nicht nur den Blick auf die Realität beeinflus- „In den Ansatz der empirisch-analytischen
sen, sondern auch die Forschungsmethoden Wissenschaft geht ein technisches, in den An-
und Beobachtungsinstrumente, die zur An- satz der historisch-hermeneutischen Wissen-
wendung kommen. schaft ein praktisches und in den Ansatz kri-
Daraus ergibt sich auch, dass eine direkte tisch orientierter Wissenschaft ein emanzipa-
Ableitung von Handlungsempfehlungen zur torisches Erkenntnisinteresse ein“ (Habermas
Verbesserung des konkreten Unterrichts aus 1971, 55).
den Resultaten empirischer Forschung nicht Fremdsprachendidaktische Forschung
ohne weiteres möglich ist. muss immer wieder eine Integration der drei
Zu den Wegbereitern empirisch fundierter ganz unterschiedlichen Erkenntnisinteressen
Arbeiten zur Lernprogression im Bereich zu leisten versuchen.
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zählen Sie kann vor allem auf die „dritte Dimen-
u. a. das Projekt „Pidgin Deutsch“ (Heidel- sion“ nicht verzichten, die sich mit den Inter-
berg) aus den 70er Jahren (vgl. Sankoff (Hg.), essen und Triebkräften beschäftigt, die hinter
1978) und das Projekt „Zweitsprachenerwerb den im aktuellen Unterricht beobachtbaren
italienischer, spanischer und portugiesischer Phänomenen und den diesen Unterricht be-
Arbeiter“ (ZISA), in dem Spracherwerbsstu- stimmenden „Gegebenheiten‘ stehen. Es ist
fen untersucht werden (vgl. Pienemann 1981; nicht ohne weiteres zu erwarten, dass die Er-
Clahsen/Meisel/Pienemann 1983). In den letz- gebnisse der Sprachlehrforschung zu einer
ten Jahren hat sich an der Universität Biele- Veränderung der bestehenden Unterrichts-
feld eine „Arbeitsgruppe Fremdsprachener- praxis führen, wenn sie nicht auch die Bedin-
werb“ konstituiert, die erste Ergebnisse gungen, die die gegenwärtige Praxis prägen
unterrichtlicher Interaktionsanalyse bereitge- (etwa gesellschaftlich-politische Bedingun-
40 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

gen), zum Gegenstand ihrer Forschungen Fähigkeit, Probleme zu lösen und Verant-
macht. wortung zu übernehmen;
Die Erforschung des institutionellen (2) als Pädagogin/Pädagoge, die Hilfestel-
Fremdsprachenunterrichts kann auch wegen lung zum „Lebenlernen“ in einer sich
ihrer Einbettung in übergreifende pädagogi- ständig wandelnden Welt und zum aufge-
sche Zusammenhänge nicht darauf verzich- schlossenen und toleranten Umgang mit
ten, die Frage nach dem „tieferen Sinn“ des der Welt der Zielsprache geben können;
Lehrens und Erlernens von Fremdsprachen (3) als Menschen, die sich durch das Studium
zu stellen und eine Antwort auf die Frage zu in ihrer personalen und sozialen Identität
suchen, welchen spezifischen Beitrag der wie auch in ihren geistig-kreativ-äs-
Fremdsprachenunterricht zur Entfaltung des thetischen Dimensionen weiterentwickeln
wechselseitigen Verstehens und der Verstän- können. Dabei spielt gerade die Beschäf-
digung (Konfliktbewältigung/Friedensfor- tigung mit Fragestellungen der fachlichen
schung) und zur Entwicklung des Individu- Bezugswissenschaften, die über das Tech-
ums (Identitätsaushandlung, -bildung und nische, das Praktisch-Nützliche und
-balance) leistet. „Funktionale“ hinausgehen, eine wesent-
liche Rolle.
6. Grenzen einer berufsorientierten
Deutschlehrerausbildung 7. Literatur in Auswahl
Eine der Gefahren einer vornehmlich an der Aguado, Karin (Hg.) (2000): Zur Methodologie in
Berufsperspektive orientierten Deutschlehrer- der empirischen Fremdsprachenforschung, Hohen-
ausbildung besteht darin, dass sie sich auf gehren.
eine „Handwerkslehre“ beschränkt, in der Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld
das „berufliche Können“, d. h. das sprach- (1996): Fremdsprachenerwerbsspezifische For-
praktische Training und die Lehrmethodik schung. Aber wie? Theoretische und methodologi-
sche Überlegungen. In: DaF 33/3, 144⫺155.
im Vordergrund stehen. Solch eine Ein-
schränkung der Ausbildungsinhalte würde Bausch, K.-Richard; Herbert Christ; Werner Hül-
len u. a. (Hg.) (1984): Empirie und Fremdsprachen-
das Fach Deutsch als Fremdsprache zu einer
unterricht. Arbeitspapiere der 4. Frühjahrskonfe-
Anwendungsinstanz machen, die die (germa- renz zur Erforschung des Fremdsprachenunter-
nistischen) Bezugswissenschaften auf die richts, Tübingen.
Lehrstoffe des Schulfaches reduziert und ver- ⫺; ⫺; Frank G. Königs (Hg.) (1996): Erforschung
einfacht, den Anforderungen der jeweiligen des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeits-
Lernstufe anpasst und Unterrichtsverfahren papiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erfor-
zu ihrer Vermittlung aufzeigt. Die Folge wäre schung des Fremdsprachenunterrichts, Tübingen.
nicht nur eine einseitige Dominanz der Lehr- ⫺; Hans-Jürgen Krumm (1995): Sprachlehrfor-
stoffperspektive, die den Lehrenden keinen schung. In: Karl-Richard Bausch; Herbert Christ;
pädagogischen Handlungsspielraum mehr Hans-Jürgen Krumm (Hg.): Handbuch Fremdspra-
lässt, sondern auch ihre Anpassung an die chenunterricht, 3. Aufl. Tübingen und Basel, 7⫺13.
„jeweils herrschenden“ Vorschriften zu über- Blamberger, Günter; Gerhard Neuner (Hrsg.)
geordneten Zielvorgaben, zu Unterrichtspla- (1995): Reformdiskussion und curriculare Entwick-
nung und -gestaltung. lung in der Germanistik. Internationale Germani-
Ziel der Deutschlehrerausbildung kann stentagung Kassel 1995. DAAD Bonn.
aber nicht die „Produktion von Fachmario- Clashen, H.; J. Meisel; M. Pienemann (1983):
netten mit Scheuklappen sein, die blind je- Deutsch als Zweitsprache: der Spracherwerb auslän-
dem Herrn dienen“, künftige Deutschlehre- discher Arbeiter. Tübingen.
rinnen und Deutschlehrer müssen vielmehr in Christ, Herbert; Werner Hüllen (1995): Fremdspra-
ihrem Studium Gelegenheit zur Entfaltung chendidaktik. In: Karl-Richard Bausch; Herbert
vielfältiger Qualifikationen bekommen: Christ; Hans-Jürgen Krumm (Hg.); Handbuch
Fremdsprachenunterricht, 3. Aufl., Tübingen/Basel,
(1) als Fachfrau/Fachmann in ihrem Fachge- 1⫺7.
biet. Dazu gehören neben dem fachlichen Dirscherl, Klaus (1995): Kulturraumstudien in
Wissen und Können auch übergreifende Deutschland ⫺ das Passauer Modell des Diplom-
Qualifikationen, die später in der Berufs- kulturwirts. In: Blamberger/Neuner (Hg.), 39⫺52.
praxis nicht weniger wichtig sind als Dittmar, Norbert (1981): On the verbal organiza-
Fachwissen, wie beispielsweise Koopera- tion of L2 tense marking in an elicited translation
tions- und Kommunikationsfähigkeit; task by Spanish immigrants in Germany. In: Stud-
Eigeninitiative und Selbständigkeit; die ies in Second Language Acquisition 3, 136⫺164.
4. Landeskundlicher Ansatz 41

Ellis, Rod (1985): Understanding Second Language ⫺ (1996): Fremdsprachen in Wissenschaft und Un-
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Grotjahn, Rüdiger (1995): Empirische Forschungs- 95⫺99.
methoden: Überblick. In: Bausch/Christ/Krumm Neuner, Gerhard (Hg.) (1993): Regionale und regio-
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4. Landeskundlicher Ansatz

1. Vorbemerkung methodischen von den Akteuren im Lehr-


2. Soziokulturelles Wissen und Landeskunde und Lernprozess ausgehend (vgl. Art. 3) das
3. Konzeptionen von Landeskunde in der Fach strukturiert und konturiert wird, lässt
Geschichte des Faches
4. Der landeskundliche Ansatz als inhaltliches sich ein adäquater Bezugspunkt und Gegen-
Prinzip standsbereich für inhaltsbezogene Konzepte
5. Literatur in Auswahl im Fremdsprachenunterricht nicht definieren.
Theoretisch herrscht Einigkeit, dass sprachli-
che (und kommunikative) Kompetenz ein
1. Vorbemerkung
Wissen über die Soziokultur der fremden
Während beim linguistischen Ansatz vom Sprache beinhalten muss, weswegen Harald
Sprachsystem (vgl. Art. 2), beim didaktisch- Weinrich (1980) darin die dritte „Kompo-
42 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

nente“ des Fachs sieht ⫺ und unbestritten ist einzelne Fachdidaktiken wie die für Deutsch
bei den Praktikern, dass soziokulturelles Wis- als Fremdsprache verwenden mehrheitlich
sen im Unterricht moderner Fremdsprachen „Landeskunde“ als umfassenden Terminus
beständig mitvermittelt wird. Weder lässt sich für die soziokulturellen Gegenstände und Be-
nun daraus der Schluss ziehen, dass man sich züge. Allerdings bleiben der Bedeutungsum-
mit einer impliziten Vermittlung zufrieden ge- fang des Forschungsgegenstandes wie die
ben kann, noch folgt daraus, dass beim Methoden der Vermittlung umstritten, wenn
Sprachlernen jedes Thema, sei es aus Texten auch des öfteren die Kontroversen nur den
im Unterricht zu erschließen oder in Lehrzie- Namen „Landeskunde“ zu betreffen schei-
len gefordert, expliziter Gegenstand sein nen.
muss.
Denn nicht nur Fachwissenschaftler und 2.1. Der Gegenstand
Praktiker beanspruchen den Fremdsprachen- In der Diskussion um den Gegenstand der
unterricht inhaltlich zu gestalten, sondern
Landeskunde im Fremdsprachenunterricht
auch die Curricula ⫺ Planer, deren Leitziele
wurde von verschiedenen Perspektiven und
für die schulische Erziehung in allen Fächern
Zielsetzungen aus eine nicht unbeträchtliche
immer auch die Begegnung und den Umgang
mit Fremden oder Fremdem thematisieren. Da Zahl an Begriffen für divergierende Ansätze
durch den Fremdsprachenunterricht darüber gebraucht, die sich zwei grundlegenden Be-
hinaus ein „Landesbild“ vermittelt wird, sor- trachtungsweisen zuordnen lassen:
gen sich schließlich auch Politik und interes- Für informationsbezogene Ansätze ist Lan-
sierte Öffentlichkeit darum, ob „ihr“ Staat deskunde bestimmt als „die geographischen,
richtig dargestellt oder die Wettbewerbsfähig- ökonomischen, sozialen, politischen und kul-
keit „ihrer“ Wirtschaft ins rechte Licht ge- turellen Verhältnisse in Deutschland, deren
rückt wird. Gleichzeitig existieren in der öf- Geschichte und Begriffe“ (Reinbothe 1997,
fentlichen Meinung „Landesbilder“ von den 505), als eine Enzyklopädie Deutschlands,
anderen, die mit dem Eigenbild verglichen die umfassende „Kunde vom Land“. Derar-
und zur Wertung herangezogen werden. tige Konzepte leiten die Themen des Fremd-
Die Frage nach der inhaltlichen Gestal- sprachenunterrichts deduktiv aus der jeweili-
tung des Fremdsprachenunterrichts wird als gen Fachsystematik einschlägiger Wissen-
Auseinandersetzung um Begriff und Inhalt schaftsdisziplinen ab, die als Referenz- oder
der Landeskunde geführt. Dabei ist diese auf Bezugswissenschaften für soziokulturelles
unterschiedlichen Ebenen zu betrachten: Wissen definiert sind; Landeskunde wird
⫺ als Gegenstandsbereich der Forschung, mehr oder wenig eigenständig und ergänzend
⫺ als Inhalt in der Ausbildung der Lehren- neben dem Sprachunterricht vermittelt.
den, Integrative Modelle bestimmen Landes-
⫺ als thematische Progression im Unterricht kunde als Teil des Sprachlernprozesses, als
und diejenigen „soziokulturellen Bedingungen“,
⫺ als Ergebnis staatlicher Fremdsprachen- unter denen die Lernenden der fremden Spra-
politik. che und Kultur begegnen, wenn ihnen die
fremde Sprache in ihrem ursprünglichen Ver-
wendungszusammenhang vorgestellt wird“
2. Soziokulturelles Wissen und (Buttjes 1995, 142); diese Begegnungen sind
Landeskunde vor dem Hintergrund eigener Kultur- und
Das im engeren Sinne sprachliche Wissen Spracherfahrungen zu interpretieren und je-
und das Vermögen, Sprechen in einer frem- weils spezifisch zu „erkunden“. Darunter fal-
den Sprache strategisch vorzubereiten und len alle Ansätze, die den Gegenstandsbereich
auszuführen, wird ergänzt durch die Fähig- der Landeskunde durch Analyse des Verhält-
keit, die individuellen, sozialen, kulturellen nisses von Sprache und Kultur, der Ziel-
und politischen Bedingungen der fremden gruppe und/oder des Lernortes sowie der
Sprache und den Alltag der Muttersprachler Unterrichtspraxis bestimmen. Da die Begeg-
wahrzunehmen und zu verstehen. Von der nungen mit dem „Fremden“ als durch die
Soziologie und der Sozialpsychologie werden Sprache vermittelt gesehen werden, ist die
diese als Soziokultur gefasst. thematische Situierung und landeskundliche
Die Fremdsprachendidaktik in den Reflexion als Prinzip unmittelbar in den Pro-
deutschsprachigen Ländern und noch stärker zess des Sprachlernens integriert.
4. Landeskundlicher Ansatz 43

2.2. Der Begriff tem Bedeutungsumfang, auch als Institutio-


Der Begriff der Landeskunde wird nicht nur nenkunde bezeichnet.
für ganz unterschiedliche Modelle und Teil- ⫺ Erweitert oder ergänzt wurde diese kog-
bereiche des gesteuerten Sprachunterrichts, nitiv bestimmte Landeskunde um eine Leute-
sondern auch in der Forschung und Lehre zur kunde, die speziell den Alltagsbereich (das
Kennzeichnung des soziokulturellen Wissens Alltagswissen) erfasst. Das Kontextwissen
und teilweise der Methoden zur Erforschung bezeichnet ebenfalls die landeskundlichen
des Verhältnisses von Soziokultur und Spra- Fakten, die getroffene Auswahl und deren
che verwendet. Auch das Teilgebiet in der Vermittlung, und wird texttheoretisch be-
Aus- und Fortbildung von Fremdsprachenleh- gründet.
rern wird damit bezeichnet. ⫺ In der Forschung sowie der Ausbildung
von Lehrern und Philologen hat sich der aus
2.3. Landeskunde und Curriculum der Auslandsgermanistik kommende Begriff
Mit seiner Aufnahme in den Kanon der Stu- der German Studies (jetzt auch: European
diendisziplinen und Unterrichtsfächer sieht Studies), als Civilisation allemande, Deutsch-
sich der institutionalisierte Unterricht moder- landstudien (bzw. -wissenschaften), oder all-
ner Fremdsprachen den Forderungen der gemeiner für die Didaktik der neueren
(Bildungs-)Politik gegenüber. Die in den Fremdsprachen als Länderkunde und Lan-
Lehrplänen formulierten allgemeinen Erzie- deswissenschaft etabliert.
hungs- und Bildungsziele für die künftigen Integrierte Ansätze von Landeskunde greifen
Staatsbürger sowie der geforderte Umgang teilweise wieder zurück auf den Begriff der
mit gesellschaftspolitischen Leitbildern wur- Kulturkunde (auch: Landes- und Kultur-
den und werden an den Fremdsprachenunter- kunde), in der Forschung dann entsprechend
richt in der Regel als Forderungen an die als Landes- und Kulturwissenschaften bzw.
Landeskunde gestellt. Die direkte Funktiona- Cultural Studies.
lisierung des Fremdsprachenunterrichts für
politische Zwecke orientiert sich ebenfalls an ⫺ Handlungsorientierte Ansätze wie die er-
den Ergebnissen aus dem Vergleich der eige- lebte Landeskunde definieren sich vom Lern-
nen Kultur mit derjenigen der fremden Spra- ort her bzw. suchen ihre Inhalte für die jewei-
che. lige Zielgruppe zu bestimmen.
⫺ Ebenfalls am Erfahrungshorizont der
2.4. Ebenen der Landeskunde Lernenden, speziell den Begegnungssituatio-
Versucht man nun die verschiedenen Termini nen mit dem „Fremden“ setzen Modelle einer
für das soziokulturelle Wissen im Fach interkulturellen Landeskunde an.
Deutsch als Fremdsprache den beschriebenen ⫺ Linguolandeskunde und landeskundliches
Aspekten zuzuordnen, zeigt sich, dass viele Lernen als Bedeutungsermittlung schließlich
fast unterschiedslos allen Ebenen zugeordnet beziehen sich konkret auf die im Unterricht
werden: behandelten Wörter, um ihre Funktion in der
„Landeskunde“ bezeichnet einen Teilbe- dahinter stehenden Soziokultur zu ermitteln.
reich der Forschung, den Kanon soziokultu-
rellen Wissens, ein (Teil-)Fach in der Ausbil-
3. Konzeptionen von Landeskunde in
dung und eine Perspektive beim Erlernen
der Sprache. der Geschichte des Faches
Es geht im folgenden also nicht darum,
Verschiedentlich wurde betont, dass der Blick
eindeutige Zuordnungen zu finden, sondern
in die Vergangenheit der Landeskundediskus-
die Übersicht für den historischen Rückblick
sion überraschend viele Parallelen zu gegen-
zu erleichtern:
wärtigen Diskussionen aufweist (Schröder
⫺ Eine Landeskunde, die Informationen 1981, 33), dass die historische Analyse durch-
über die geografischen, historischen, politi- aus aktuelle Argumentationshilfen geben
schen Gegebenheiten usw. in der Ausbildung kann. Für das 19. und die erste Hälfte des
oder neben dem Sprachunterricht im engeren 20. Jhs. wird fast ausschließlich auf Ergeb-
Sinne vermittelt, wird als Realienkunde, nisse der „realistischen Bildung“ und auf die
Deutschlandwissen oder Deutschlandkunde „Realien“ im Rahmen der allgemeinen Di-
mit einer komplementären Auslandskunde, daktik moderner Fremdsprachen in der
als „eigentliche“ Landeskunde (s. Linguolan- Schule zurückzugreifen sein; Forschungen,
deskunde) oder, mit deutlich eingeschränk- wie das Deutsche außerhalb des deutschen
44 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

Sprachraums unterrichtet wurde, fehlen. Des sprachen, einen Bildungswert ab. Die Ver-
weiteren werden Fragen nach den Realien im fechter einer „realistischen Ausbildung“ in
(Sprach-)Unterricht in Zusammenhang ge- den modernen Fremdsprachen suchten die-
bracht mit dem Ringen um die Bildung. Die sen, oft nach den vorgegebenen Kriterien der
Untersuchungsergebnisse aus Arbeiten über Altphilologen, nachzuweisen: Jede moderne
das Englische (Raddatz 1977) oder das Fran- Sprache könne ebenso formale Fähigkeiten
zösische als Fremdsprache (Melde 1987) sind bilden wie eine alte, die Kenntnis fremder
für Deutsch als Fremdsprache zum Teil ei- Länder und Menschen gehöre für eine auf-
gene Vorgeschichte, die bis in die Gegenwart strebende Weltmacht zur Allgemeinbildung
wirken kann. Als Zäsur kann man die Jahre ihrer Bürger und die praktische Notwendig-
nach der Gründung des deutschen National- keit etwa des Englischen als Verkehrs- und
staates 1871 ansehen: Nun wird es wichtig, Handelssprache stehe im nationalen Inter-
nicht nur die Rolle der modernen Fremdspra- esse. Letztlich aber verhalfen der Modernisie-
chen im nationalen Schulwesen neu zu reflek- rungsschub und die umfassende Funktionali-
tieren, sondern auch mit dem Aufbau einer sierung und staatliche Organisation des ge-
auswärtigen Kulturpolitik zu beginnen, in de- samten Ausbildungssektors, dem sich auch
ren Rahmen auch das Deutsche in den Kolo- das Gymnasium nicht mehr entziehen
nien der neuen Weltmacht unterrichtet wer- konnte, der realistischen Ausbildung zu ihrer
den sollte. nachhaltigsten Legitimation; das verlangte
In der mittelalterlichen Welt waren fremde von den Fremdsprachendidaktikern, ihre Fä-
Sprachen wenigen vorbehalten: Herrschern, cher für die damalige „Globalisierung“, den
geistlichen und bald auch weltlichen Gelehr- Konkurrenzkampf mit den europäischen In-
ten, zuletzt Reisenden und Händlern, der sich dustrienationen, vorzubereiten. Dem sollte
herausbildenden Klasse der Bürger. Latein ⫺ im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts
war Bildungsgut und Verkehrssprache der ⫺ die möglichst umfassende Auflistung von
geistlichen und weltlichen Eliten. Noch Realien über die anderen Nationen dienen.
schlossen sich kommunikativer Gebrauch der Die Auswahl dieses Wissens wurde weder so-
Sprache und idealistische Ziele wie die Ent- zialwissenschaftlich aus dem Verhältnis von
wicklung der Persönlichkeit nicht aus, wie Sprache und Gesellschaft noch fachdidak-
auch umgekehrt die praktische Verwertbar-
tisch aus der Bedeutung soziokulturellen
keit des Lateinischen seine Funktion als Bil-
Wissens im Prozess des Sprachlernens be-
dungsgut nicht beeinträchtigte.
gründet, sondern mit ökonomischen oder
Erst mit Beginn der Neuzeit, im Zuge der
(bildungs-)politischen Zielen. Deutlich domi-
Erfolge der Naturwissenschaften und ihrer
niert die inhaltliche Komponente den
radikal neuen Weltsicht, konnten sich die
Muttersprachen neben den klassischen Spra- Sprachunterricht: Kenntnis von Staat und
chen speziell seit dem Humanismus durchset- Gesellschaft und Verständnis des „fremden
zen. Volkstums“, aber auch ein Bewusstsein von
Mit der Überwindung der feudalen Struk- der „Zusammengehörigkeit der europäischen
turen und dem Entstehen der Nationalstaa- Völker“ sollen das natürliche Ergebnis sein
ten wurde ein realistischer und praktischer (vgl. Raddatz 1977, 17). Utilitaristische Er-
Unterricht als Bürgerrecht propagiert. Für wartungen an den Sprachunterricht können
den ökonomischen Aufstieg war nun nicht also ebenso von national-abgrenzenden wie
mehr die Herkunft und Bildung, sondern die von völkerverbindenden Positionen aus for-
Nützlichkeit der Ausbildung das Maß. muliert werden ⫺ beide allerdings nicht als
integrative Modelle für den Fremdsprachen-
3.1. Realienkunde und Bildungswerte unterricht. Die genaue Kenntnis des „Frem-
Die informationsbezogene Landeskunde den“ und seines „Wesens“ wird die Grund-
hatte und hat es schwer, sich vom Odium po- lage bilden zum Vergleich mit dem „Eige-
sitivistischer Datensammlung und materiali- nen“, dessen Ergebnisse dann nationalistisch
stischer Verengung zu befreien. Im Schul- umgedeutet werden können. Aber ebenso
streit der ersten Jahrzehnte nach der Reichs- lässt sich die entgegengesetzte Forderung
gründung sprachen speziell in Deutschland nach Solidarität und Verständigung unter
die Verfechter einer „humanistischen Bil- den „Völkern“ von außen herantragen. Hi-
dung“ den Realschulen und deren Fächerka- storisch zeigt sich, dass schon vor dem Welt-
non, neben den naturwissenschaftliche Diszi- krieg das Fremde als Folie benutzt wird, um
plinen vornehmlich den modernen Fremd- den Wert des eigenen Volkes zu zeigen.
4. Landeskundlicher Ansatz 45

Der landeskundliche Kanon sollte dafür oder gar Aufgaben im 1. Weltkrieg nicht er-
eine Sammlung aller relevanten Fakten be- füllen, trotzdem bot dies den Grund für die
reitstellen, in einer Progression vom Wissen grundsätzliche Kritik und letztlich auch die
um den Alltag, um „Land und Leute“, über Abkehr der reformwilligen Bildungsplaner
die wichtigsten Faktoren aus Geographie und vom realistischen Unterricht überhaupt:
Geschichte bis zu den sozialen, ökonomi- Nicht mehr nachvollziehbar heute der
schen und politischen Verhältnissen. Das Glaube, die gegenseitige Kenntnis der Spra-
Sprachlernen wird dadurch in die Lage ver- che entspreche schon einer Verständigung
setzt, Texte zu Alltagsthemen bereitzustellen oder die Bereitstellung von Realien könne di-
⫺ allerdings sollen mit zunehmendem rekt bei kriegerischen Auseinandersetzungen
Sprachverständnis auch Texte der jeweiligen nützen. Die Kritik aber wendet sich nicht ge-
Nationalliteratur oder die Viten der bekann- gen die inhaltlich und methodisch fragwür-
testen Künstler, Wissenschaftler und Politiker dige Funktionalisierung, sondern verlangt
verwendet werden, um daraus im Gefolge der nur eine andere.
gerade modernen Wissenschaft Psychologie
den „Charakter“ des anderen Volkes, den 3.2. Kulturkundliche Konzepte
„Nationalcharakter“ zu bestimmen. Man Die für eine praktische Sprachbeherrschung
kann bei diesem Kanon nicht von einem Cur- getroffene Auswahl ⫺ aktuell, realistisch,
riculum oder Lehrplan für Landeskunde Verständigung vorbereitend ⫺ wird einer völ-
sprechen, zu sehr beschränkten sich derartige lig anderen Perspektive unterworfen: „Es ist
Aufzählungen darauf, die politischen Vorga- vielmehr so, dass kulturkundlicher Unterricht
ben zu erfüllen. Der eigene, im Zuge eines nichts anderes bedeutet als eine neue Einstel-
sich stärker artikulierenden deutschen Natio- lung des ganzen Unterrichts, ein anderes Ge-
nalbewusstseins immer positiver gesehene richtetsein in der Methode, eine Verschiebung
Nationalcharakter, bald das „Wesen“ des des Gesichtspunktes nach einer anderen Seite
deutschen Volkes genannt, sollte umgekehrt hin … (zur) „kulturkundlichen Durchdrin-
weltweit Sympathie für Deutschland und gung“, um „an der fremden Volksart zum Be-
seine ökonomische und politische Expansion wusstein unserer eigenen Art (zu) kommen“
wecken. Gefordert wird dies in der „Gehei- (Strohmeyer 1928, 201ff.). Damit erfährt
men Denkschrift des Auswärtigen Amtes nicht nur die Persönlichkeitsbildung in der
über das deutsche Auslandschulwesen“ vom neohumanistischen Tradition ihre Renais-
April 1914: „… in größerem Umfang als bis- sance, verdrängt Sprachbetrachtung den Ge-
her … richtige Vorstellungen von Deutsch- brauch der Fremdsprache, sondern die schon
land in fremden Völkern verbreiten und mög- vor und vor allem mit dem 1. Weltkrieg artiku-
lichst weite Kreise mit deutscher Art und Bil- lierte „nationale Erziehung“ vereinnahmt den
dung vertraut machen“ (zitiert nach Ammon Unterricht. Zur Spiegelung des eigenen im
1991, 530). fremden Nationalcharakter werden fremd-
Neben den bestehenden Auslandschulen sprachige Äußerungen auf eine verschwom-
zur Bewahrung des Deutschen, die meist Kin- mene Volksseele hin durchforstet. Wiederum
dern von Auswanderern oder deutschen Ar- sind es vulgarisierte Versatzstücke der Psycho-
beitsmigranten offenstanden, und neben logie, mit deren Hilfe man „den Charakter“
Schulen des jeweiligen Landes mit einem der anderen zu beschreiben sucht.
Sprachschwerpunkt Deutsch, wurden „Pro- Legitimiert wird auch die Kulturkunde,
pagandaschulen“ zur Verbreitung deutscher weil sich unterschiedlichste politische Forde-
Sprache und deutschen Wesens gegründet ⫺ rungen an sie stellen lassen: Jenen liberalen
für nicht-deutschsprachige Ausländer. Eine Kräften, die schon von der Realienkunde
kritische Auseinandersetzung mit den dama- eine bessere Kenntnis der fremden Gesell-
ligen Lehrplänen oder Lehrwerken liegt uns schaft, einen „europäischen Gemeinsinn“
nicht vor, aber deren Aufbau sich vorzustel- (vgl. Schröder 1981, 41) gefordert hatten, ste-
len fällt nicht schwer: Neben einem gramma- hen national bewusste Pädagogen gegenüber,
tiklastigen Sprachlehrwerk eines der damals deren „Wesensschau“ eine weitergehende
so genannten „Realienbücher“, in dem das Funktionalisierung des Fremdsprachenunter-
Land, seine Bewohner und der deutsche Na- richts geradezu herausfordert.
tionalcharakter positiv dargestellt sind. In den deutschen Auslandsschulen schien
Die Realienkunde als praktisch-instrumen- dieses Konzept einer Besinnung auf die eige-
telle Landeskunde konnte natürlich die ge- nen Werte am ehesten eine Bewahrung der
sellschaftlich in sie gesetzten „Erwartungen“ deutschen Sprache und Kultur zu garantie-
46 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

ren, die nach dem verlorenen Krieg zwar in schen Volk vermitteln wollten. Als der von
einigen Ländern in den Lehrplan aufgenom- allen Fächern geforderte Beitrag zur politi-
men wurden, nicht selten aber unter umge- schen Bildung ersetzte die Kulturkunde das
kehrten Vorzeichen als Negativfolie in einem völkisch interpretierte Wesen durch einen po-
ebenfalls kulturkundlich geprägten Deutsch sitiv verstandenen Nationalcharakter, um so
als Fremdsprache-Unterricht dienten. einen Beitrag zur Völkerverständigung zu lei-
Den Nationalsozialisten musste die Kul- sten. Der Fremdsprachenunterricht im westli-
turkunde als besonders geeignet erscheinen, chen Besatzungsgebiet knüpfte direkt an die
wissenschaftlich verbrämte (Sprach-)Propa- idealistisch-kosmopolitischen Ansätze der
ganda ihrer rassistischen Theorien zu werden. Kulturkunde in der ersten Hälfte der Weima-
Die Wesens- konnte sich zur Rassekunde wei- rer Republik an, die Zeit „dazwischen“
terentwickeln: Das „Wesen“ oder der „Natio- wurde als „Betriebsunfall“, verursacht durch
nalcharakter“ musste aus den Äußerungen in politisch motivierte Forderungen nach prak-
den fremdkulturellen Texten und Zeugnissen tischer Verwertbarkeit der erworbenen
erschlossen werden, einer „Rasse“ waren sprachlichen und soziokulturellen Kennt-
Menschen per definitionem zugehörig, der nisse, gewertet und verdrängt. Die Rückbe-
höhere Rang der „arischen Herrenrasse“ vor sinnung auf die neohumanistische Persön-
den „andersrassigen Sklavenvölkern“ schien lichkeitsbildung sah in der von neuem do-
spätestens ab 1939 im Krieg durchgesetzt. minierenden Grammatik-Übersetzungs-Me-
Alle Äußerungen einer anderen Soziokultur thode das adäquate Mittel formaler Geistes-
wurden nur noch in ein Bild von der fremden schulung. Im Vordergrund stand das einer
Kultur und dem anderen Menschen mit „ty- strengen grammatischen Progression fol-
pischen Rassemerkmalen“ eingeordnet, so gende Lehrwerk, dessen Texte nicht authen-
dass jeweils mit dem edlen, guten Deutschen tisch waren, sondern auf bestimmte Phä-
ein treuloser, böser Anderer verglichen wer- nomene der Grammatik hin konstruiert und
den konnte. typisiert. Als erstes einsprachiges Deutsch
Weder ist bisher erforscht, wie die liberalen als Fremdsprache-Lehrwerk dieser Epoche
Pädagogen mit idealistisch-kosmopolitischen prägte „Schulz/Griesbach: Deutsche Sprach-
Anschauungen verschwanden, noch, welche lehre für Ausländer (1955)“ den Unterricht
Verfechter der Kulturkunde an den Plänen im In- und teilweise auch Ausland, aber auch
beteiligt waren, mit denen in den besetzten die Didaktik und Methodik des Deutschen
Ländern das „Deutschtum“ durchgesetzt als Fremdsprache.
werden sollte. Geplant war ein Deutsch als Landeskundlich-informierende Texte im
Fremdsprache-Unterricht, der mit rassisti- Anschluss an die Lektionen bezogen sich in
schen Begründungen in unterschiedlichem Übereinstimmung mit den generellen Erzie-
Umfang den zukünftigen Arbeitssklaven zu- hungszielen häufig auf den Bereich Staat und
gedacht war: Als Amtssprache war generell Politik, waren allerdings primär zur Erweite-
Deutsch vorgesehen bzw. wurde noch wäh- rung des Vokabulars gedacht.
rend des Krieges eingeführt, bei „arischen Völ- Meist erst im Unterricht für Fortgeschrit-
kern“ als Muttersprache, bei den „slawischen“ tene trat neben den Sprachunterricht die Lek-
als reduzierte Befehlssprache; mit den Bildern türe und Interpretation der Werke der Klassi-
und Texten der eigenständigen Deutschland- ker, um Werte wie Völkerverständigung, Frei-
kunde in Magazinen und pseudo-wissen- heit und Toleranz zu fördern. Häufig trat
schaftlichen Propagandaschriften sollte ein aber die Literatur ganz an die Stelle der Lan-
positives Bild der deutschen „Herrenrasse“ deskunde. Vor allem in der Auslandsgermani-
vermittelt werden (Ammon 1991, 534). stik und an den deutschen Auslandschulen
Verschiedene Länder, etwa in Skandina- wuchs die Bedeutung der Lektüre und der Li-
vien, strichen das Fach Deutsch aus den teraturwissenschaft.
Lehrplänen, in den USA dagegen sollten Deutsch als Fremdsprache hatte fast über-
German Studies verwertbare Erkenntnisse all einen schweren Rückschlag erlitten, auch
über den Kriegsgegner liefern. wenn das Fach in einigen nationalen Curri-
Das Fortleben kulturkundlicher Ansätze cula außerhalb der von Deutschland besetz-
nach 1945 verdankte sich zunächst der poli- ten Gebiete erhalten geblieben war. Wenn
tisch-administrativen Einflussnahme der alli- landeskundliche Inhalte nicht vollständig
ierten Siegermächte, die ihre demokratischen, fehlten, dann klammerten sie aktuelle Situa-
kulturellen und pädagogischen Standards in tion aus und stellten das „bessere Deutsch-
einem Re-Edukations-Programm dem deut- land“ der Geschichte oder der Emigration
4. Landeskundlicher Ansatz 47

dar. Um das Deutsche als Fremdsprache getrennter Teil des Fremdsprachenunterrichts


gleich nach Kriegsende wieder einzuführen, gesehen worden, so sollte das „Kontextwis-
hätte es der Mittlerorganisationen bedurft, sen“ aus dem Wissensbestand anderer wis-
die teilweise aber als nazistisch eingestuft und senschaftlicher Disziplinen abgerufen wer-
noch verboten waren. Erst nach dem ökono- den.
mischen Aufschwung und der politischen An- Auch die 1973 erschienene „Didaktik der
erkennung für den westdeutschen Teilstaat Landeskunde“ von Erdmenger/Istel (1973) be-
wurde Deutsch als Fremdsprache in den 50er gründet auf der Grundlage des neuen Lern-
Jahren vor allem bei den europäischen Nach- ziels Kommunikationsfähigkeit die Rolle der
barn im Westen wieder attraktiver. Die Ver- Landeskunde sprachimmanent als ,Hilfswis-
mittlung eines positiven Landesbildes der senschaft‘, die lediglich dazu dient, einzelne
Bundesrepublik als demokratischem Mitglied Begriffe verständlich zu machen, aber keinen
der Völkergemeinschaft war eines der Ziele systematisch aufgebauten Themenbereich
der Kulturpolitik des 1951 wieder gegründe- darstellt.
ten Auswärtigen Amtes; diese „Aufgabe“ Im Zuge der Auseinandersetzungen um
wurde der Landeskunde übertragen. eine Reform von Gesellschaft und Bildungs-
In der DDR und in Osteuropa stieg Rus- sektor ⫺ der „mündige Bürger“ als oberstes
sisch zur ersten Fremdsprache auf. Ziel, Teilhabe an der „gesellschaftlichen
Kommunikation“ als Weg ⫺ wurde jedoch
3.3. Linguistische und pädagogische der (Sprach-)Unterricht nicht nur metho-
Perspektiven der Landeskunde nach disch neu bestimmt. Vielmehr setzte die Kri-
1965 tik auch an der vermeintlich neutralen und
Nur die Rückbesinnung auf das kulturkund- apolitischen Literatur- bzw. Kulturkunde an,
liche Bildungsideal schien in den Nachkriegs- um diese mit dem Konzept der „Politischen
jahren die Gewähr zu bieten, einer neuerli- Bildung“ zu verknüpfen: Fremde Sprachen
chen Funktionalisierung des Fremdsprachen- sind ein Mittel zur Emanzipation des einzel-
unterrichts zu entgehen. Man beschränkte nen, indem sie ihn befähigen, gleichberechtigt
sich auf die Vermittlung von Sprachkompe- an der gesellschaftlichen Kommunikation
tenz und klammerte möglichst alle gegen- und Interaktion teilzuhaben. Als Inhalte des
wartsbezogenen Inhalte zugunsten ewiger Sprachunterrichts werden nicht mehr bloße
menschlicher Werte aus. In den entsprechen- Kenntnisse vermittelt, sondern das für den
den Lehrplänen tauchte Landeskunde als Erwerb einer kommunikativen Kompetenz
Fach oder Bereich allenfalls mit dem Hinweis notwendige soziokulturelle Wissen soll situa-
auf die „implizite“ Landeskunde auf. tionsgerecht erarbeitet werden.
In den 60er Jahren wurde für den gesam- Allerdings blieben diese Forderungen dem
ten Bildungsbereich Kommunikation zu einem Sprachunterricht zunächst äußerlich, da die
der wichtigsten Ziele erklärt, die besondere Voraussetzung fehlte, die Klärung der wech-
Bedeutung der (Fremd-)Sprache hierfür be- selseitigen Beziehung von Sprache und Sozio-
tont. Die Grammatik-Übersetzungs-Methode kultur. Für Deutsch als Fremdsprache fehlte
wurde abgelöst von den audiolingualen und darüber hinaus auch noch der wissenschaftli-
audiovisuellen Methoden eines Fremdspra- che Rahmen, da sich eine Fachdidaktik erst
chenunterrichts mit behavioristisch oder zu entwickeln begann. So konnten sich Prak-
strukturalistisch begründetem und gestalte- tiker und Lehrwerkautoren nur an den ande-
tem Sprachtraining (vgl. Art. 82 und 86). ren Philologien orientieren. In der Romani-
Der Zweckbestimmung entsprechend be- stik etablierte sich das „Deutsch-Franzö-
schränkte sich die Beschäftigung mit der So- sische Institut“, in dem mit den Methoden
ziokultur auf die Zuordnung bestimmter Re- der Sozialwissenschaften Gegenstand und
deabsichten zu verallgemeinerten ahistori- Stellenwert soziokulturellen Wissens beim
schen Alltagssituationen; nicht um die Spra- Sprachlernen bestimmt wurden. Aus der Ein-
che auf ihren kulturellen Bedeutungsgehalt sicht, dass es eine Kommunikation an sich
zu beziehen, sondern um die sprachlichen nicht geben kann, sondern diese Angehörige
Drills leichter zu vermitteln. Nie zuvor war verschiedener Kulturen zusammenführt und
die Situierung der Sprache so radikal negiert nur so Sinn vermitteln kann, wird diese zu
worden wie im texttheoretisch legitimierten einer „transnationalen Kommunikationsfä-
Ausschluss der Inhalte und ihrer Definition higkeit“ erweitert und Landeskunde so neu
als Kontext-Wissen (Picht 1995, 67). War Re- legitimiert als integrierender Bestandteil der
alienkunde noch als notwendiger, wenn auch Fremdsprachendidaktik (Picht 1995, 70).
48 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

Begünstigt durch bildungspolitische Refor- Zielebene“ und die „fachspezifische Adressa-


men, die ideologiekritische Durchforstung der tenebene“ zu integrieren (Bettermann 1989,
universitären Disziplinen sowie der Schulfä- 324).
cher und forciert durch eine neue Generation
von Lehrwerken, schwindet die Dominanz des 3.4. Integration von Sprach- und
linguistischen Konzepts, und eine sozialwis- Kulturlernen
senschaftlich begründete Landeskunde kann Die „Landeskundediskussion“ könnte man
sich durchsetzen, so dass sogar von „Landes- seit ihren Anfängen als Abfolge exklusiv be-
kundisierung“ gesprochen wurde. Eine we- haupteter Ansätze kennzeichnen, als „Pendel-
sentliche Bedingung für deren verstärkte För- bewegungen“ von realistischen zu idealisti-
derung war auch in der neuen Außenpolitik schen Zielen, von anwendbarem Wissen zu
begründet, die als ihre „dritte Säule“ den individueller Bildung, von Fertigkeiten zu
Kultur- und Sprachaustausch zum Programm Fähigkeiten, von pädagogisch zu politisch le-
einer neuen Selbstdarstellung der aktuellen gitimierten oder gesetzten Zielen ⫺ und vice
Erfolge der BRD erhob, bis 1989 in System- versa. In ihr spiegelt sich mithin nicht nur die
konkurrenz mit der DDR. Entwicklung der Fremdsprachenphilologie
In den Ländern des ehemaligen Ostblocks und des Fremdsprachenunterrichts, sondern
wurde der Fremdsprachen- wie jeder andere sie ist immer auch der Indikator für den
Unterricht von einer (gesellschaftlichen) Grad der Abhängigkeit der Erziehungsziele
Grundorientierung abgeleitet, aus der sich die von den Einflüssen aus Politik und Gesell-
Methode des Lehrens und Lernens entwik- schaft.
kelte. Von daher erklärt sich der hohe Stel- Landeskunde wurde durch linguistische
lenwert der Landeskunde, vor allem in der Ansätze entweder aus dem Fach als Kontext
Lehrerausbildung dieser Länder bis heute. ausgeschlossen oder als „Anwendungsbe-
Die sowjetische Fremdsprachendidaktik un- reich“ einer Bezugswissenschaft ebenfalls
terschied zwischen „Landeskunde als Lehr- nicht unmittelbar in den Prozess des Spra-
disziplin“ mit einem „Wissen in systematisier- chenlernens integriert.
ter Form“ (Zuckova 1986, 30) und der „Lin- Mit der „Kommunikativen Wende“ im
guolandeskunde“, die „kommunikativ und Fremdsprachenunterricht werden die Para-
damit stets redeorientiert ist“ (ebd.) und „mit meter landeskundlichen Lernens als Bezugs-
linguistischen Mitteln extralinguistische In- system von Sprache, sozialer Interaktion und
halte“ (Zuckova 1986, 30) ausdrücken will. gesellschaftlichem Rahmen definiert (Neuner
Besonders zu berücksichtigen sind lexikali- 1997, 40). Landeskunde als Ansatz wird für
sche Einheiten oder Ausdrücke (auch Sprich- das Fach nur wirksam, wenn sie soziokultu-
wörter) des Deutschen ohne Entsprechungen relles Wissen, kommunikative Situationen als
in anderen Sprachen, weil sich in ihnen die integrierende Perspektiven von Unterricht
politischen und sozialen Verhältnisse (z. B. und Sprache einer konkreten Gesellschaft zu-
Aktivist⫺Arbeitnehmer) in den damaligen sammenführt. Die Differenzierung nach einer
beiden deutschen Staaten widerspiegeln. Als kognitiven, kommunikativen und interkultu-
oberstes Lernziel wird eine „Friedliche Ko- rellen Landeskunde (Weimann/Hosch 1993)
existenz der Völker“ gefordert. Natürlich hat heuristischen Wert, kann aber nicht als
spielte hierbei für die DDR ein eigenes, von eine Progression ⫺ „von den Fakten zum
der BRD unterscheidbares „Landesbild“ zur Verstehen“ ⫺ gesehen werden, sondern be-
Legitimation des zweiten deutschen Staates nennt Schwerpunktsetzungen, wie die einer
eine besondere Rolle, ausgedrückt durch die informationsorientierten, aber auch kontra-
frühe Forderung von Dietrich Herrde, „Lan- stiven Landeskunde, die für bestimmte Lern-
deskunde als integrierter Bestandteil des orte oder Zielgruppen dominieren.
Fremdsprachenunterrichts“ und als „Unter- Einen frühen linguistischen Versuch, so-
richtsprinzip“ zu betrachten (Herrde 1971, ziokulturelles Wissen in den Sprachunterricht
321). In einem späten Beitrag zu neuen Ent- zu integrieren, legte Bernd-D. Müller (1981)
wicklungen in der Landeskunde DDR fasst mit „Konfrontative Semantik“ vor. Er zeigt,
Rainer Bettermann dies zusammen als „die dass Wörter und Begriffe einer Sprache keine
Einheit von Erziehung und Ausbildung und Äquivalente in der anderen haben müssen
die Einheit lk. spezifischer und gesamtgerma- und erst zu verstehen sind, wenn sie als Ein-
nistischer Zielstellung“, um die „objektive zelelement am entsprechenden Ort der frem-
Realität des Landes“, die „fachspezifische den Soziokultur eingeordnet werden können
4. Landeskundlicher Ansatz 49

(funktionales Äquivalent); dies vollzieht sich Entwürfe“ (Firges/Melenk 1995, 515) für eine
in der Konfrontation mit der eigenen, wo- Integration relevant seien, sondern die In-
durch dem Vergleich als Verfahren im Fort- halte des Sprechens im Unterricht, die zur
gang der Erkenntnis von Differenzen und Erarbeitung von Wörtern und Themen ge-
Ähnlichkeiten besondere Bedeutung zu- braucht werden. Diese Inhalte finden sie im
kommt (vgl. Linguolandeskunde). Dieser An- Alltagswissen, das die Lernenden als eigenes
satz hat sowohl in der Forschung, in der Aus- mitbringen und zu dem sie Zugang haben. In
bildung der Fremdsprachenlehrer wie im Un- der Konfrontation von fremder und eigener
terricht des Deutschen als Fremdsprache Fol- Sprache und Kultur wird ausgewählt, was die
gen gezeitigt, so im Rahmen des „Interkultu- kommunikative Kompetenz inhaltlich füllt.
rellen Ansatzes“, im „Fernstudienprojekt“, Allerdings wird das „Alltagswissen“ wieder
den Lehrwerken „Sichtwechsel“ und „Sprach- wie das Kontextwissen außerhalb des Unter-
brücke“. Das weitgehend multidisziplinäre richts gesehen bzw. als alleiniger Inhalt der
Konzept von Picht und anderen im Umfeld Landeskunde behauptet (zur Kritik: Picht
des deutsch-französischen Instituts versuchte, 1995, 68).
von den Inhalten her die Totalität fremder Mit der Wiederaufnahme der Grundda-
Kultur zu erfassen, indem nicht mehr nur seinsfunktionen und des durch sie definierten
nach einer „Leitwissenschaft“ gesucht wurde, Alltags der Individuen erscheinen diese als
sondern nach Bezugswissenschaften (doku- handelnde. Zum einen wird der „Königsweg“
mentiert in umfänglichen Fachbiografien für beim Erwerb von Fremdsprachen ⫺ die di-
den DAAD). Das „Tübinger Modell einer in- rekte Begegnung mit Land und Leuten des
tegrativen Landeskunde“ von Mog und Alt- Zielsprachenlandes ⫺ in vielfältigen Formen
haus (vgl. Mog 1992) entwickelt den multi- der erlebten Landeskunde umgesetzt: Schü-
disziplinären Entwurf im Sinne eines „inter- ler- und Studentenaustausch, Seminare zur
disziplinären Projekt(s)“ (Picht 1995, 69) wei- „Erlebten Landeskunde“ für Lehrende als
ter. Vertreter vor allem sozialwissenschaft- unmittelbare Begegnungssituationen (vgl.
licher Disziplinen analysieren von ihren Art. 96). Zum anderen gehören mittelbare
unterschiedlichen Perspektiven aus Gegen- Begegnungen, also Kontakt und Kommuni-
stände, die nicht mehr aus dem Gesamt der kation mittels verschiedenster Medien als in-
Kultur, sondern aus Erfordernissen beim Er- direkte oder simulierte inzwischen in vielen
lernen fremder Sprachen deduziert werden. Schulen zum Repertoire. Die weiterhin vor-
Zurückgegriffen wurde dabei auf die Ergeb- nehmlich kognitiven Modelle von Landes-
nisse der Stereotypenforschung, die in der ro- kunde in Lehrwerken und im Curriculum er-
manistischen und anglistischen Philologie be- fahren hier eine handlungsorientierte Erwei-
reits in die Curricula aufgenommen waren. terung, wobei allerdings noch zu klären
Der interdisziplinäre Ansatz wurde exempla- bleibt, wie Weltwissen und (Unterrichts-)Er-
risch ergänzt durch ein regional-spezifisches fahrungen der Lernenden einbezogen werden
Vergleichsverfahren der deutschen mit der können. Die hier diskutierten Ansätze reflek-
amerikanischen Soziokultur, das auf andere tieren in erster Linie den Bezug von (gespro-
Ausgangssprachen und Soziokulturen über- chener) Sprache und Soziokultur, mithin in-
tragen werden kann. trakulturell die Beziehung von Subjekt und
Die Frage der Kulturkunde nach Landes- Objekt des Spracherwerbs.
bildern und Nationalcharakter wird entideo- Diese Sichtweise wird erweitert durch
logisiert und ein didaktisches Vergleichsver- Konzepte einer Landeskunde, welche die ge-
fahren zur Analyse der Voraussetzungen von sellschaftlichen Rahmenbedingungen, resp.
Verstehen und sogar Verständnis des Ande- die Veränderung derselben, zum Ausgangs-
ren an seine Stelle gesetzt. „Regionalisie- punkt wählen. Als eine Reaktion auf die Ent-
rung“ differenziert die konkreten Bedingun- wicklung auch der Bundesrepublik zu einer
gen des Unterrichts entsprechend dem Lern- immer stärker multikulturell geprägten Ge-
ort; im Lehrwerk „Typisch deutsch“? wird sellschaft seit Beginn der massenhaften Ar-
das Verfahren am Beispiel des Deutsch als beitsimmigration aus der Peripherie Europas
Fremdsprache-Unterrichts in Polen ange- (und angrenzenden außereuropäischen Re-
wandt (vgl. Behal-Thomsen u. a. 1993). gionen) ab den 60er Jahren entwickelte sich
Diese Versuche, ausgehend vom sprach- das Fach Deutsch als Zweitsprache (vgl.
bzw. inhaltsbezogenen Ansatz her Sprach- Art. 5), ebenso wie eine Diskussion um die
und Kulturlernen zu integrieren, beurteilen Integration der Arbeitsmigranten (und der
Firges/Melenk eher kritisch, da nicht „große Asylsuchenden) entbrannte. Innerhalb einer
50 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

Soziokultur galt es nun, verschiedene kultu- dass Deutsch in verschiedenen Staaten und
relle Identitäten zu akzeptieren, wobei dem Regionen Muttersprache ist. Aufgrund der
gegenseitigen Wissen um die „fremde“ größte damaligen Dominanz westdeutscher Landes-
Bedeutung zukam. Von verschiedenen Diszi- kunde verlangten die „kleineren Länder“ ei-
plinen ⫺ Pädagogik, Entwicklungspsycholo- nen gerechteren Anteil. Um nicht mit einer
gie, Ethnologie ⫺ aus wurden das Aufeinan- kaum noch zu bewältigenden Stoffmenge von
dertreffen von „Fremden“, Individuen aus hoher Komplexität und Differenziertheit den
verschiedenen Kulturen, analysiert und inter- Unterricht völlig zu überfrachten, wird Lan-
kulturelle Vergleiche angestellt (vgl. Art. 87 deskunde nicht als eigener Gegenstandsbe-
und 100). Besonders im Fremdsprachenun- reich, sondern als ein „Prinzip“ (ABCD-The-
terricht wurden „Interkulturelles Lernen“ sen, 60) für den Unterricht gesehen. Das aus
und „Interkulturelle Kommunikation“ rezi- der damaligen Situation heraus verständliche
piert, während In- und Auslandsgermanistik additive Verfahren der gleichberechtigten
die „Interkulturelle Germanistik“ als eine und gleichgewichtigen Berücksichtigung aller
„Fremdkulturwissenschaft“ oder „Xenolo- deutschsprachigen Länder verdeckte die me-
gie“ weiterentwickeln, die von Alois Wierla- thodischen Fortschritte des Konzepts, das ei-
cher, der „Gesellschaft für Interkulturelle
nen integrierten Landeskundeunterricht, mit
Germanistik“ (GIG) und einem Kreis um
Aktivitäten der Lernenden außerhalb des
das „Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache“
(1975ff.) zum Paradigma erhoben wird. Klassenraums, historisch und regional situ-
Auch im Bereich der Sprachwissenschaft iert und am konkreten Kulturaustausch in-
und der Sprachlehrforschung finden sich Kon- teressiert, fordert.
zepte mit dem Epitheton „interkulturell“, so Im Anschluss an die ABCD-Thesen und
dass die Warnungen vor einem inflationären mit der Kritik an der weitgehend nur additi-
Gebrauch, bloßen Umbenennungen bekann- ven Verknüpfung der deutschsprachigen Län-
ter Sachverhalte oder gar einem „Paradigmen- der, formulierte die D-A-CH-(L)-Arbeits-
wechsel“ (Rösler 1993; Krumm 1995) berech- gruppe (unter Beteiligung von Liechtenstein)
tigt scheinen. das Konzept einer differenzierenden Landes-
Interkulturelles Lernen im Fremdsprachen- kunde, die von der Tatsache verschiedener
unterricht reagiert auf eine sich verändernde, deutschsprachiger Länder, darin verschiede-
zunehmend mehrsprachige Welt, in der im- ner Regionen ausgeht. Der binnenkontrastive
mer mehr Menschen zu immer mehr Begeg- Vergleich, der exemplarisch auf zwei, drei
nungen und Grenzüberschreitungen gezwun- oder die vier Länder mit Deutsch als Mutter-
gen sind (Krumm 1995, 159). Diese Begeg- sprache zurückgreift, hebt die Konfrontation
nungen müssen so offen gestaltet werden, zwischen zwei „fremden“ Kulturen auf, lässt
dass sie frei von Angst vor dem Verlust der Varianten und unterschiedliche Perspektiven
eigenen ebeso wie der Dominanz der anderen zu und ermöglicht die Adaption für den
Identität erlebt werden können. Thimme fremdkulturellen Vergleich. Wieder aufge-
sieht diese „Stilisierung des Interkulturellen nommen werden die didaktisch-methodi-
zu einem Ansatz, der diesen von anderen An- schen Grundsätze der ABCD-Thesen, vor
sätzen der Landeskunde trennt“ (Thimme allem die Projekt- und Handlungsorientie-
1996, 29), nicht gerechtfertigt, da Interkultu- rung, die vom Lernenden und seinem
ralität als ein übergeordnetes Lernziel die so-
Weltwissen ausgehen. Eine genaue Analyse
ziale und affektive Dimension jeglicher Erzie-
der jeweiligen Zielgruppe und des Lernortes
hung betont.
Als Bestandteile interkultureller Ansätze in differenzieren eine meist universell gedachte
der Landeskunde benennt Pauldrach demzu- Landeskunde, die als „erlebte“, „erlebbare“
folge die konfrontative Semantik, die „All- oder „virtuelle“ (vgl. Art. 96) lernerorientiert
tagskultur“, die „Fremdperspektive“ und die drei umfassende Lernzielbereiche formuliert:
„Rückbezüglichkeit des Blickes auf das „Sozio-kulturelle Sensibilisierung und Per-
Fremde“ (Pauldrach 1992, 12f.). spektivenwechsel“, „Vermittlung von Strate-
Die ABCD-Thesen gehen zurück auf eine gien zum selbständigen Wissenserwerb“ und
Arbeitsgruppe mit Mitgliedern aus den bei- „Methoden und Verfahren zur Integration
den deutschen Staaten, aus Österreich und von Vor(Welt)Wissen, Wahrnehmung und
der Schweiz aus dem Jahre 1988, also noch neuem Wissen“ (Hackl 1998, 6), die in den
mit Beteiligung der DDR; als Konzept orien- Spracherwerb zu integrieren sind, selbst aber
tieren sie sich an der historischen Situation, auch integrierend wirken.
4. Landeskundlicher Ansatz 51

4. Der landeskundliche Ansatz als Lernsituation aufeinander, so kann daraus


inhaltliches Prinzip die weitere Motivation erwachsen, sich mit
dem „Fremden“ zu beschäftigen und das „Ei-
Die unterschiedlichen Aspekte, einzelnen gene“ zu reflektieren. Diese Erfahrung von
Themenbereiche und Teilgebiete der Landes- Fremd und Eigen, von verschiedenen Per-
kunde, ergänzt durch künftige Aufgaben, spektiven und Methoden der Wahrnehmung,
sind an ihrem Ort beschrieben (vgl. Kap. muss über einzelne Themen und Gegenstands-
XVII, Art. 118). In der folgenden Zusam- bereiche der fremden Soziokultur hinaus be-
menfassung und einem Ausblick richtet sich wusst gemacht und zu Strategien im Umgang
das Augenmerk auf einen inhaltlichen Ansatz entwickelt werden. Direkten Begegnungen in
im Fremdsprachenunterricht, spezieller auf den Zielsprachenländern gehen vielfältige
den Beitrag der Landeskunde zur Strukturie- Zwischenschritte von „Kennen Lernen“, „Si-
rung und Konturierung des Faches Deutsch mulieren“ und „Erlebbar“ voraus.
als Fremdsprache. Die grundlegende Aufga- Die soziokulturellen Inhalte beim Sprach-
benstellung, die sich in der historischen Kon- erwerb lassen sich nicht aus der Systematik
stitution der Fachwissenschaft und der Fach- des gesamten Wissens über die Zielkultur ab-
didaktiken herausgebildet hat, formuliert leiten, ebenso wenig aber auch aus den Inter-
Peter Groenewold (1997, 56) wie folgt: essen und den Erwartungen der Lernenden
„Landeskundliche Theoriebildung muss von oder den Leitzielen einer Gemeinschaft. In
der Grundsituation des Fremdsprachenunter- der didaktischen Analyse als Voraussetzung
richts ausgehen und die Komponenten Spra- der Unterrichtsplanung und -gestaltung müs-
che, Gesellschaft und Unterricht miteinander sen Lernort und Lernumgebung, gesellschaft-
vermitteln“. Landeskunde als inhaltliches liche und individuelle Lernvoraussetzungen
Prinzip im Fremdsprachenunterricht er- sowie die Lernziele und -erwartungen vermit-
forscht demnach die gesellschaftlichen Anfor- telt werden:
derungen, untersucht die didaktischen Vor- ⫺ im Curriculum wird der Beitrag des lan-
aussetzungen eines integrierten Sprach- und deskundlichen Ansatzes als Perspektive so-
Kulturlernens sowie dessen konkrete Inhalte. ziokultureller Wahrnehmung in den allge-
4.1. Landeskundliches Lernen mein-pädagogischen, fachlichen und sozialen
Leitvorstellungen bestimmt; da es konkrete
Integriertes landeskundliches Lernen unter- Lernsituationen analysiert, kann es nicht ein
scheidet sich von einer impliziten Landes- Curriculum für Landeskunde geben, sondern
kunde, da es die übrigen Lernfelder des Fachs nur spezielle für verschiedene Zielsprachen-
beeinflusst, „integrierend wirkt“. Der inhalt- und Herkunftskulturen;
liche Ansatz kann nur strukturieren, wenn er ⫺ die kognitiven, kommunikativen und af-
nicht auf eine Menge an Informationen und fektiven Ziele des Fremdsprachenunterrichts
auf die Funktion, Materialien für den Erwerb müssen mit entsprechenden Zielvorgaben an-
sprachlicher Regularien und die Erprobung derer Fächer verknüpft werden und in einen
kommunikativen Verhaltens bereitzuhalten, interdisziplinären Unterricht münden;
reduziert wird. Auf der anderen Seite kann ⫺ landeskundliches Lernen bezieht das
Landeskunde in den Prozess des Sprachler- Wissen der Lernenden um Sprache, Sozialisa-
nens erst dann integriert sein, wenn sie nicht tion und Fremdheitserfahrung ein;
nur dazu dient, übergreifende pädagogische ⫺ die Wahrnehmungen, aus denen der Ein-
Ziele und gesellschaftliche Leitvorstellungen zelne sein Weltwissen aufbaut, sind in ihrer
zu proklamieren, sondern diese für das individuellen, sozialen und (inter-)kulturellen
Sprach-Kultur-Lernen begründet und opera- Prägung bewusst zu machen, damit wirkende
tionalisiert. Perspektiven erkannt und in bewusste Strate-
Abhängig von Zielgruppe, Altersstufe und gien zum Umgehen mit ihnen umgesetzt wer-
Lernumgebung wird soziokulturelles Wissen den;
in der ersten Phase des Spracherwerbs eher ⫺ landeskundliches Lernen sieht die Ler-
Texte für diesen bereithalten, die Wahrneh- nenden als Subjekte des Unterrichts, es reali-
mung der Soziokultur hinter den fremden siert sich deswegen als ganzheitliches Lernen,
Wörtern dagegen wird allenfalls in der Mut- handlungsorientiert und partnerschaftlich;
tersprache thematisiert werden können, wenn für viele Länder ist hierbei die nicht geringe
deren Verwendung im Fremdsprachenunter- Spannung zwischen traditionellen Lern- und
richt nicht tabuisiert ist. Treffen eigene Iden- Lehrmethoden und den neuen eines offenen
tität und neue Welterfahrung in einer offenen Unterrichts zu beachten (vgl. Art. 106);
52 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

⫺ Landeskunde ist der Bereich des Fremd- szenieren und moderieren, damit die Lernen-
sprachenunterrichts, in dem die Lernenden den den Nutzen von Kompetenzen einsehen
die Trennung von Sprache und Kultur erle- können und sich diese erarbeiten. Da sich
ben, in dem aber durch Begegnungen und eine Soziokultur dynamisch entwickelt, kön-
Formen der erlebbaren Landeskunde schuli- nen die Lehrenden nicht in einem Ausbil-
sche und außerschulische Realität zusam- dungsgang ein sicheres Wissen erwerben, mit
mengeführt werden; dem sie in der Folge den Unterricht inhalt-
⫺ projektorientierte Arbeitsformen werden lich-thematisch gestalten. Sie müssen viel-
dieser Zielsetzung gerecht, sie integrieren mehr Strategien erwerben, entwickeln und er-
sprachliches und soziokulturelles Wissen im proben, wie mit Informationen umzugehen,
kommunikativen Handeln und könnten zu wie fremde und eigene Wahrnehmungen zu
einer eigenständigen Unterrichtsform für das vermitteln und Erscheinungen verschiedener
Erlernen fremder Sprachen und das Ver- Soziokulturen von verschiedenen Perspekti-
ständnis anderer Kulturen weiterentwickelt ven aus zu vergleichen sind (vgl. Art. 115).
werden; Während sie unterrichten, entwickeln sie
⫺ generative Themen beziehen die Lernen- diese weiter, wie auch die Lernenden sich in
den in die Themenauswahl und die Unter- diesem Prozess aktiv beteiligen. Allerdings
richtsplanung bzw. -gestaltung ein; sie ver- werden sich Lehrende über diesen dynami-
mitteln vorhandenes Wissen und vorläufige schen Wissenszuwachs durch Vermittlung mit
Annahmen mit Recherchen zu einer immer den bereits vorhandenen eigenen Vorstellun-
besser verstehbaren fremden Welt; gen hinaus ein Raster, eine Wissenssystema-
⫺ die wachsende Menge landeskundlicher tik aufbauen, die sich auf seine Ausgangsvor-
Informationen erfordert die frühzeitige Ver- aussetzungen bezieht, aber auch die Grund-
mittlung von Strategien der Recherche und lage bildet, individuelle Vorstellungen und
der persönlichen Auswahl anhand nachvoll- thematische Wünsche der Lernenden im Ge-
ziehbarer Kriterien; samtzusammenhang der Soziokultur zu ver-
⫺ ein besonderes Augenmerk wird auf die orten. Hierfür sind die Methoden und Ergeb-
Entwicklung einer virtuellen Landeskunde zu nisse der informationsbezogenen (kognitiven)
richten sein (vgl. Art. 96); Landeskunde zu adaptieren.
⫺ kontrastive Verfahren sind als Methoden Um Begegnungen gestalten zu können,
zur reflektierten Wahrnehmung anderer Kul- sollten Lehrende des Deutschen als Fremd-
turen und Sprachen zu erlernen, nicht als In- sprache nicht nur einem deutschsprachigen
strumente, um diese zu „werten“; Land „begegnet“ sein bzw. im Rahmen einer
⫺ Landeskunde des Deutschen als Fremd- Fortbildung als erlebte Landeskunde „begeg-
sprache bezieht sich nicht auf eine Nation; nen“. Für in den deutschsprachigen Ländern
die Methode des binnenkontrastiven Ver- ausgebildete Lehrkräfte sollte ein For-
gleichs, wie im D-A-CH-Konzept entwickelt, schungs- und Lehraufenthalt in einem der
stellt ein spezielles Modell für einen differen- Herkunftsländer obligatorisch sein.
zierten Unterricht dar; Da prinzipiell die Ausbildungsgänge von
⫺ Lehrmaterialien sowie landeskundliche Deutsch als Fremdsprache-Lehrern in den
Themen und Inhalte in Lehrwerken müssen deutschsprachigen Ländern von denen im
auf die Zielgruppe, den Lernort, die pädago- Ausland verschieden sind, lassen sich, ähnlich
gischen Traditionen und in reflektierter Form wie im Unterricht und in der Forschung,
auf gesellschaftliche Leitziele nicht nur der einige gemeinsame Entwicklungen bzw. For-
deutschsprachigen Länder bezogen sein; derungen beschreiben (vgl. Art. 115):
⫺ die direkte Begegnung im Zielsprachen- ⫺ die Ausbildung von Fremdsprachenleh-
land sollte im Sinne einer gemeinsamen (eu- rern zu Sprach- und Kulturmittlern muss sich
ropäischen) Kulturentwicklung für die Ler- zunehmend auf Mehrsprachigkeit einstellen,
nenden obligatorisch, muss aber für weiter nicht die Kenntnis einzelner Soziokulturen;
entfernte Länder durch indirekte Begeg- sondern das Wissen, wie man sich über ver-
nungssituationen ebenfalls möglich sein. schiedene informiert, wird wichtig sein;
⫺ der thematische Rahmen der Ausbildung
4.2. Soziokulturelles Wissen in der Aus- und muss durch den ständigen Bezug zur „Pra-
Fortbildung von Deutschlehrern xis“, i.e. die eigene gesellschaftliche Wirklich-
Ein inhaltlich strukturierter Fremdsprachen- keit, die „Begegnungen“ mit anderen Sozio-
unterricht braucht Lehrende, die nicht Fähig- kulturen, die Zielsprache als fremde, den phi-
keiten unterrichten, sondern Begegnungen in- lologischen Teil situieren;
4. Landeskundlicher Ansatz 53

⫺ die Komepetenz, Unterricht zu planen, verschiedenen Ziel- und Altersgruppen und


setzt eine praxisnahe didaktische Forschung für unterschiedliche Lernziele bestimmen las-
durch die angehenden Lehrenden voraus, da- sen. Hierfür stellen andere Wissenschaften
mit sie ihre verschiedenen Lerngruppen ana- entsprechende analytische und methodische
lysieren, Ausgangs- und Zielsprache verglei- Verfahren bereit, derer sich Landeskunde be-
chen und die beiden Kulturen im Kontrast dient. Es geht nicht um eine Leitwissenschaft
wahrnehmen können; oder diverse Bezugs- bzw. Hilfswissenschaf-
⫺ die Prinzipien, die im gesteuerten Fremd- ten, sondern um einen interdisziplinären Dis-
sprachenunterricht gelten, müssen auch kurs, wie dies „im Modell einer integrativen
Grundlage der Lehrerausbildung sein: inte- Landeskunde“ bei Mog/Althaus (vgl. Mog
grativ, fächerübergreifend, interkulturell, bin- 1992) vorgeschlagen wird. Die Inhalte landes-
nenkontrastiv sowie handlungsorientiert (vgl. kundlichen Forschens, Lehrens und Lernens
Badstübner-Kizik; Radziszewska 1998); sind nicht aus der Systematik einzelner Wis-
⫺ das Projekt wird die bevorzugte Form senschaften (Philo-, Sozio-, Polito- oder Psy-
sein, in der sich eigene Recherchen und For- cho- usw. logie) zu deduzieren, sondern deren
schung, Praxisbezug und Lehre vereinen las- wissenschaftliche Analytik und didaktische
sen; Methoden sind bei der Beantwortung der
⫺ besonders beim individuellen Aufbau ei- fachdidaktisch begründeten Fragestellungen
ner Wissenssystematik zur eigenen und ziel- heranzuziehen.
sprachigen Soziokultur muss deutlich wer- Die Gegenstände landeskundlicher For-
den, dass damit nicht die Unterrichtsgegen- schung finden sich in der Analyse der Ge-
stände entwickelt werden; schichte inhaltlicher Ansätze im Fremdspra-
⫺ sollten während der Ausbildung keine chenunterricht (als besonderes Desiderat die
Begegnungen mit mehreren deutschsprachi-
Ansätze außerhalb der deutschsprachigen
gen Ländern möglich sein, könnte dies eine
Länder), der Klärung des Verhältnisses von
Fortbildung in einer entsprechenden Form
Sprache, Unterricht und Erziehung sowie So-
erlebter Landeskunde nachholen;
⫺ um Begegungen inszenieren und mode- ziokultur und der Erprobung geeigneter Mo-
rieren zu können, müssen Lehrende einer delle zur Beschreibung und zum Vergleich
Fremdsprache ihre eigenen Begegnungen von Erscheinungen einer Soziokultur im Ver-
analysieren können. hältnis zu den Akteuren; dazu kommen:

4.3. Interdisziplinäre Forschung ⫺ inhaltliche Ansätze in der Geschichte des


Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts in-
Die Frage, ob Deutsch als Fremdsprache eine und außerhalb der deutschsprachigen Länder
philologische, didaktische oder sozialwissen- unter Einschluss der DDR;
schaftliche Disziplin oder nur ein Praxisbe- ⫺ Formen der Wahrnehmung fremder
zug „etablierter“ Wissenschaften ist, zielt auf Soziokulturen und Perspektivenwechsel
die Definition eines Gegenstandsbereiches. (Krumm 1998, 526);
Die implizierte Trennung des Objekts vom
⫺ Modelle zur historischen, soziologischen
Subjekt verliert dann ihren heuristischen
etc. Beschreibung von Soziokulturen am Bei-
Wert, wenn damit auch die individuelle Per-
spiel der deutschsprachigen Länder und Ent-
spektive und der Zugriff auf einen Gegen-
stand aus dem Blick geraten. wicklung eines binnenkontrastiven Ver-
Landeskunde hat sich zwar mit dem ge- gleichsverfahrens (s. Hackl 1998, et al., v. a.
samten „Bedingungsgefüge“ (Neuner 1997, 8ff.);
40) oder den einzelnen „Bezügen“ von Spra- ⫺ exemplarische Vergleiche eines Landes
che auf Gesellschaft (Buttjes 1995, 142) zu oder einer Region mit einem oder mehreren
beschäftigen, die sich aber erst in den „Begeg- deutschsprachigen Ländern, die sich auf bin-
nungen“ (s. Kap. 98) der intra- und interkul- nenkontrastive Fragestellungen ebenso bezie-
turellen Kommunikation von Individuen mit- hen wie sie neue aufwerfen;
tels Sprache manifestieren, sprachlich und so- ⫺ Bestimmung des Prozesses der „tertiären
zial. Sozialisation“ (Doyé 1992, 5), des stabilisie-
Begegnungen als Praxis von Kommunika- renden und modifizierenden Einflusses auf
tion sind von der Landeskunde nicht als Ob- die Identitätsbildung;
jektbereich „zu ver-künden“, sondern landes- ⫺ ideologiekritische Überprüfung der poli-
kundliche Forschung hat „zu erkunden“, wie tisch legitimierten Erziehungsziele, diachron
sich diese an verschiedenen Lernorten, bei und synchron (Schüle 1983);
54 I. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet I: Konzeptionen

⫺ Einfluss von Europäisierung und Globa- Hackl, Wolfgang; Michael Langner; Hans Simon-
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II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und
Forschungsgebiet II: Geschichte

5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch


als Zweitsprache in Deutschland

1. Definitionen sichtigt ist (das ist die Aufgabe von Art. 141),
2. Geschichtliches wird die Unterscheidung von Geldgeber,
3. Deutsch als Fremdsprache im Inland Mittler, Organisator und Träger nicht zu
4. Deutsch als Zweitsprache Gliederungszwecken benutzt. Bei der Berück-
5. Schluss
6. Literatur in Auswahl
sichtigung einzelner Institutionen wird prag-
matisch verfahren.
Der Inlandsbereich ist für den vorliegen-
1. Definitionen den Artikel mit dem Wort „Deutschland“ be-
zeichnet, einem bekanntlich vieldeutigen Be-
Die Unterscheidung zwischen Deutsch als griff. Berücksichtigt werden die Bundesrepu-
Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweit- blik Deutschland (BRD) und die Deutsche
sprache (DaZ) wird als Unterscheidung typi- Demokratische Republik (DDR), im ge-
scher Lernsituationen verstanden: Ein über- schichtlichen Teil auch das Deutsche Reich
wiegend schulförmiger Erwerb, eine meist in- als Vorgängerstaat.
strumentelle Motivation, ein „mittleres“ Lern- Dargestellt wird der Unterricht mit „pri-
alter und eine deutliche Distanz zu Erst- mären“ Zielgruppen; die Fortbildung von
sprachgebrauch und Erstsprachkompetenz Multiplikatoren, also von Germanisten und
kennzeichnen das fremdsprachliche, starke Deutschlehrern des In- wie des Auslandes,
Anteile „natürlichen“ Erwerbs, sozialer wird nicht eigens behandelt (vgl. hierzu
Druck, breite Streuung des Lernalters und Art. 115).
lebensweltliche Zweisprachigkeit das zweit- Entwicklungen des Unterrichts selbst kön-
sprachliche Lernen (Reich 1997; vgl. Art. 62). nen immer nur in einer indirekten Weise er-
Mit Zwischenformen und Übergängen ist fasst werden, da die unterschiedlichen Aktivi-
durchweg zu rechnen. täten nicht direkt greifbar sind, sondern be-
Die sprachgeographische Situierung spielt stenfalls über Berichte und Dokumentatio-
eine Rolle dabei: DaF wird typischerweise, nen, normalerweise aber nur über institutio-
wenn auch nicht ausschließlich, im Ausland, nelle, organisatorische und personelle Verän-
DaZ im Inland gelernt. Die folgende Darstel- derungen, über Analysen von Lehr- und
lung bezieht sich jedoch für beide Lernsitua- Lernmitteln und von didaktischen Publika-
tionen nur auf den Inlandsbereich. Dadurch tionen erschlossen werden können. Dies gilt
verringert sich deren Unterscheidbarkeit, und auch für den vorliegenden Artikel.
es kommt hinzu, dass die darzustellenden
Aktivitäten zwar meist recht eindeutige Ar-
beitsschwerpunkte haben, aber trotzdem
2. Geschichtliches
nicht strikt entsprechend der DaF-DaZ-Un- Informationen über DaF/DaZ reichen fast so
terscheidung institutionalisiert sind. Die Dar- weit zurück wie die Informationen über die
stellung orientiert sich dementsprechend in deutsche Sprache überhaupt. Die ersten
erster Linie an den Lernsituationen und den Zeugnisse sind althochdeutsche „Reise-
ihnen zugeordneten Arbeitsfeldern, in zweiter sprachführer“ für Leute romanischer Erst-
Linie aber an Institutionen, deren Aufgaben sprache, die in germanischsprachigem Gebiet
dann von Fall zu Fall das zugeordnete Ar- unterwegs waren (Ehrismann 1966, 259f. und
beitsfeld auch überschreiten können. Da eine 264⫺266), und es ist davon auszugehen, dass
systematische Institutionenkunde nicht beab- diese Tradition eines schriftlich unterstützten
5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache 57

natürlichen Zweitspracherwerbs des Deut- Zusammenarbeit und internationalen Aus-


schen das ganze Mittelalter und die Neuzeit tauschs und das Ausländerstudium, jeweils
hindurch angehalten hat; leider ist diese Tra- mit offenen Rändern.
dition ungenügend erforscht. Es scheint, dass
eine Institutionalisierung entsprechender Ver- 3.1. Außeruniversitäre Erwachsenenbildung
mittlungstätigkeiten im Inland praktisch erst Inlandskurse allgemeinsprachlichen Charak-
im 20. Jh. stattgefunden hat. ters für ausländische Nachfrager waren nach
Eine ganz andere Art inländischen Unter- dem Zweiten Weltkrieg die ersten DaF-Akti-
richts in DaZ entwickelte sich mit der Ver- vitäten im Inland. Sie werden heute von einer
breitung des Hochdeutschen im niederdeut- Vielzahl von Trägern angeboten, unter denen
schen Sprachgebiet (seit dem 16. Jh.), woran das Goethe-Institut eine herausragende Posi-
die Schulen neben Kirche und Verwaltung ei- tion einnimmt. Die größeren Träger haben je
nen wesentlichen Anteil hatten (vgl. Herr- eigene didaktische Profile ausgebildet, wozu
mann-Winter 1995). Im 19. Jh. hat diese Tra- in unterschiedlicher Intensität und Qualität
dition ihre Fortsetzung gefunden im deutsch- auch Qualifizierungsmaßnahmen für die
sprachigen Unterricht für die sorbische und Lehrkräfte (vgl. Art. 115) und die Produktion
die dänische, vor allem aber für die polnische didaktischer Materialien (vgl. Art. 105) gehö-
und kaschubische Minderheit, sowohl in de- ren.
ren ursprünglichen Siedlungsgebieten im
Osten des Reiches als auch ⫺ seit den 1880er 3.1.1. Die Inlandskurse des Goethe-Instituts
Jahren ⫺ in dem sich industrialisierenden Ein- Tätigkeiten im Inland, nicht Auslandsaktivi-
wanderungsgebiet an der Ruhr (Glück 1979). täten, stehen am Beginn der Nachkriegsge-
Da der Germanisierung der „nicht deutschen schichte des Goethe-Instituts. „Meist an klei-
Volksteile“ im Zeitalter des Nationalismus all- nen, idyllisch gelegenen Städten“ (so das
gemeinpolitische Bedeutung zugeschrieben Jahrbuch des Goethe-Instituts 1995/96, 17)
wurde, bemühte man sich, bewährte deutsche wurden ab 1952 Intensivkurse zum Erwerb
Lehrer für die deutschsprachige Unterweisung grundlegender Deutschkenntnisse für auslän-
der Minderheitenschüler einzusetzen, und es dische Studienbewerber, Techniker und Inge-
entstanden erste Versuche einer systematisie- nieure angeboten, die rege Nachfrage fanden;
renden Didaktik des DaZ, einschließlich einer in rascher Folge wurden daraufhin auch in
bedachten („utraquistischen“) Verbindung größeren Städten Inlandsinstitute gegründet,
von Sach- und Sprachlernprozessen (Schwarz die 1959 bereits die Zahl 15 erreichten (1996:
1905, als ein Beispiel). Die Germanisierungs- 18 Institute). Die Nachfrage blieb jedoch
bestrebungen in den während des Zweiten nicht unbeeinflusst von der politischen Groß-
Weltkriegs annektierten Gebieten dürfen in wetterlage. Dem Anstieg auf über 20.000 Teil-
diesem Zusammenhang nicht unerwähnt blei- nehmer pro Jahr folgte zu Beginn der 80er
ben; sie wurden von den nationalsozialisti- Jahre ein auffälliger Rückgang; dem Wieder-
schen Politikern als „Anschluss“ von Volks- anstieg auf über 28.000 Teilnehmer ein gra-
deutschen und germanophonen Bevölke- vierender Einbruch seit dem Jahr 1992 (Am-
rungsteilen konzipiert und im Sinne einer „in- mon 1991; Goethe-Institut 1996; von Faber
neren“ Sprachbildungspolitik betrieben (Am- 1994). (Es sei angemerkt, dass die hier und
mon 1991, 534⫺536; Hansen 1994, 91⫺106). im Folgenden mitgeteilten Teilnehmerzahlen
In vermittelter und gebrochener, oft unbe- nur bedingt miteinander vergleichbar sind.
wusster Weise wirken diese Traditionen auch Genau genommen müssten jeweils Kursdauer
in den Unterricht des DaF/DaZ nach dem und Wochenstundenzahl mit berücksichtigt
Zweiten Weltkrieg hinein. Die genauere Auf- und in Teilnehmerstunden umgerechnet wer-
arbeitung dieser Zusammenhänge ist jedoch den, um Vergleichbarkeit herzustellen; im
ein Forschungsdesiderat. Rahmen des vorliegenden Artikels ist dies je-
doch nicht zu leisten.)
Zusammensetzung und Interessen der Teil-
3. Deutsch als Fremdsprache im nehmer an den Goethe-Inlandskursen haben
Inland sich im Lauf der Jahrzehnte erheblich differen-
ziert. Mitte der 90er Jahre werden außer den
Die wesentlichen Arbeitsfelder der fremd- achtwöchigen Standardkursen aller Stufen
sprachlich orientierten Deutschvermittlung auch kürzere Intensivkurse, Spezialkurse für
im Inland sind die außeruniversitäre Erwach- Führungskräfte (Manager, Diplomaten, Jour-
senenbildung, die Programme internationaler nalisten), studienvorbereitende Kurse für Sti-
58 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

pendiaten, Prüfungsvorbereitungskurse, Leh- cher Markt privater Sprachenschulen, die


rerfortbildungskurse, Deutschkurse für Aus- Kenntnisse in international bedeutsamen
siedler und spezielle Kinder- und Jugendpro- Sprachen, darunter eben auch DaF, vermit-
gramme angeboten. teln. Auf diesem Markt konkurrieren kleinere
In didaktischer Hinsicht waren die frühen Einzelbetriebe von lokaler Bedeutung mit
Jahre geprägt durch die in den Inlandskursen großen Organisationen, die schuleigene Di-
entwickelte und gepflegte Verbindung einer daktiken und Lehrmaterialien für allgemein-
einsprachig direkten mit einer grammatisch sprachliche DaF-Kurse entwickelt haben; die
systematisierenden Vorgehensweise und allge- inlingua-Schulen und die Berlitz-Schulen in
meinen, sozusagen inhaltsneutralen Sprach- Deutschland sind hier als die beiden wichtig-
kompetenzen als Ziel. In der Folge haben die sten Beispiele zu nennen. Die dritte Kategorie
Entwicklungen des DaF-Unterrichts im Aus- bilden Einzelunternehmen unterschiedlicher
land (woran die seit den 60er Jahren über- Größe und Rechtsform, die in der DaF-Ver-
nommenen bzw. neu gegründeten Auslands- mittlung den Hauptzweck ihrer Tätigkeit se-
einrichtungen des Goethe-Instituts einen er- hen. Diese behaupten sich am Markt vor
heblichen Anteil haben) mehr und mehr auf allem durch die Ausbildung spezifischer Pro-
den Inlandsbereich zurückgewirkt. Im Goe- file, sei es hinsichtlich der Herkunftsländer,
the-Institut selbst sorgte eine zentrale Koor- aus denen die Teilnehmer kommen, sei es hin-
dination für ein hohes Maß an Qualität und sichtlich fachlicher, vor allem wirtschaftlicher
Aktualität des Unterrichts in beiden Berei- und technischer Inhalte (vgl. insgesamt
chen. Fremdsprache Deutsch 1993; FaDaF 1997).
In den didaktischen Entwicklungsarbeiten
des Instituts lassen sich einige durchgehende 3.2. Deutschunterricht im Feld der
Tendenzen feststellen: das Interesse an ak- kulturellen, wirtschaftlichen und
tuellen unterrichtstechnologischen Entwick- technischen Zusammenarbeit
lungen, das mit heute bescheiden anmuten- Mit dem vorstehend beschriebenen Arbeits-
den Hinweisen zur Nutzung von Tonbandge- feld verflochten, zugleich aber durch ein spe-
räten begann und in der Einrichtung von zifisches Lernerprofil deutlich davon unter-
„Mediotheken“ zum selbstgesteuerten Ler- schieden ist das Arbeitsfeld DaF im Kontext
nen seinen jüngsten Ausdruck gefunden hat; internationaler Zusammenarbeit und interna-
dann die Diversifikation der Unterrichtsme- tionalen Austausches. Nicht wenige Träger
thoden, insbesondere durch die Aufnahme von Qualifikations- und Austauschpro-
audiolingualer, pragmatischer und kommuni- grammen unterstützen vorbereitenden oder
kativer Verfahren, ergänzt um kognitive und begleitenden Deutschunterricht in Deutsch-
interkulturelle Elemente; die Entwicklung ei- land, führen ihn aber nicht oder nur z. T.
nes hochdifferenzierten Lehrplan- und Prü- selbst durch, so z. B. der Deutsche Akademi-
fungssystems; und schließlich die Konzeption sche Austauschdienst, der Pädagogische Aus-
der Spracharbeit als „Teil der kulturpoliti- tauschdienst, das Deutsch-Französische Ju-
schen Gesamtkonzeption des Instituts“ (Goe- gendwerk oder die Rheinisch-Westfälische
the-Institut 1998, 12), seit den 70er Jahren Auslandsgesellschaft. Sie beauftragen entwe-
auf der Grundlage eines „erweiterten Kultur- der selbst einen Sprachkurs-Träger oder
begriffs“, dessen Grenzen jedoch in den 90er überlassen den Stipendiaten die Wahl eines
Jahren in die Diskussion geraten sind (vgl. geeigneten Anbieters. Andere Organisationen
Sartorius 1996). dagegen bieten fachliche, sprachliche und
kulturelle Qualifikation „aus einer Hand“ an.
3.1.2. Sonstige Anbieter Ein herausragendes Beispiel für „Angebote
DaF in der außeruniversitären Erwachsenen- aus einer Hand“ stellt der Verbund der Carl
bildung wird auch von einer Fülle weiterer Duisberg Gesellschaft (CDG) mit den Carl
Organisationen teils gemeinnütziger, teils Duisberg Centren (CDC) dar. Ausländische
kommerzieller Art angeboten. Sie lassen sich Nachwuchs- und Führungskräfte, welche
in drei Kategorien einteilen: Zum einen gibt Qualifikationsangebote der CDG in Deutsch-
es Träger, die DaF als (notwendigen) Be- land wahrnehmen, erhalten ein spezifisches
standteil einer im Übrigen auf fachliche Ziele Angebot zum Deutschlernen (welches aber
ausgerichteten Qualifikation anbieten; sie auch anderen Nachfragern offensteht). Es
spielen für das Gesamtangebot und die Ent- wird durchgeführt von den im Jahre 1962 ge-
wicklung des Unterrichts nur eine geringe gründeten CDC an 5 inländischen Kollegs,
Rolle. Zum andern existiert ein umfangrei- mit rd. 500 Teilnehmern pro Monat. Das An-
5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache 59

gebot umfasst einmonatige Intensivkurse auf schulen der Bundesrepublik Deutschland“ er-
8 Lernstufen, vom Anfängerniveau bis zur werben, können sich an den Studienkollegs
Mittelstufe (mit eigenen Zertifikaten), und auf diese Prüfung vorbereiten. Die Prüfung
Spezialkurse (Vorbereitung auf die DSH, enthält sprachliche, mathematische und fach-
Wirtschaftsdeutsch, Ferien-Sprachkurse für liche (natur-, wirtschafts-, sozialwissenschaft-
Jugendliche, Fortbildungs-Seminare für liche) Anteile; der sprachliche Teil ist der
Deutschlehrer). Das didaktische Grundkon- DSH äquivalent.
zept basiert auf der Kombination von Grup- Die Studienkollegs sind schulartig organi-
penunterricht, individueller Arbeit in den sierte Lehrinstitute, teils selbständig, teils den
Mediotheken und Freizeit- und Kulturpro- Hochschulen an- oder eingegliedert, teils
gramm. Ein besonderer Akzent liegt entspre- Dienststellen der Bundesländer, die den Kul-
chend den Interessen der Hauptzielgruppe tusministerien unterstehen. Sie wurden seit
auf der Hinführung zu wirtschaftlichen und 1959 eingerichtet. In der Mitte der 90er Jahre
technischen Fachtexten, produktiv und re- arbeiten Studienkollegs in allen Bundeslän-
zeptiv; für den Übergang von der allgemein- dern, an insgesamt 34 Standorten. Die jährli-
sprachlichen zur fachsprachlichen Unterwei- che Teilnehmerzahl (einschließlich Vorkurse)
sung wurde ein eigenes Lehrwerk entwickelt stieg bis 1980 auf rund 3800 an, ging dann
(vgl. Schneider 1989). bis 1985 deutlich zurück, erreichte 1992 über
In der DDR gab es für jährlich etwa 1000 4000 und ist seither wieder im Fallen begrif-
ausländische Jugendliche, die zu Facharbei- fen (DAAD/FaDaF 1999; Jansen 1996).
tern ausgebildet wurden, 5-monatige Inten- Die Kollegiaten verbleiben im Regelfall
sivkurse in deutscher Sprache, über deren zwei Semester an den Kollegs, ihre Ausbil-
Konzept jedoch keine genaueren Kenntnisse dung fußt auf einer Rahmenordnung der
vorliegen. Kultusministerien. Der Deutschunterricht be-
ansprucht etwa ein Drittel der zur Verfügung
3.3. Studienvorbereitender und stehenden Lernzeit, setzt allgemein-sprachli-
studienbegleitender Deutschunterricht che Kenntnisse (mindestens der Grundstufe
Wer in Deutschland studieren will, muss vor II) voraus und soll zu dem für ein Fachstu-
Aufnahme des Studiums an einer deutschen dium erforderlichen Niveau der Deutsch-
Universität oder Fachhochschule den Nach- kenntnisse (Abschluss der Mittelstufe) füh-
weis der dafür erforderlichen deutschen ren. Dem allgemeinen Ziel der fachbezogenen
Sprachkenntnisse erbringen. Deren Niveau Studierfähigkeit gemäß nimmt die Einfüh-
ist durch die Rahmenordnung der Hoch- rung in Wortschatz, Grammatik und Textsor-
schulrektorenkonferenz (1995) für die „Deut- ten der Fachsprachen breiten Raum ein, wo-
sche Sprachprüfung für den Hochschulzu- bei dem Leseverstehen von Fachtexten be-
gang ausländischer Studienbewerber“ (DSH; sondere Bedeutung zukommt.
früher: Prüfung zum Nachweis deutscher
Sprachkenntnisse, PNdS) festgelegt (vgl. 3.3.2. Die Lehrgebiete DaF an den
Art. 84). Grundsätzlich können diese Kennt- Hochschulen
nisse an beliebigen Institutionen erworben Aus unterstützenden Maßnahmen für auslän-
werden, doch sind an den Hochschulen oder dische Studierende und Studienbewerber, die
in enger Verbindung mit ihnen Einrichtungen anfangs vor allem von den Akademischen
entstanden, die sich dem studienvorbereiten- Auslandsämtern, aber auch von den Germa-
den Deutschunterricht in spezieller Weise nistik-Seminaren und anderen universitären
widmen und z. T. darüber hinausgehend Einrichtungen bereitgestellt wurden, entstan-
sprachliche Unterstützung während des Stu- den in den 60er Jahren an größeren deut-
diums offerieren. In der BRD sind dies die schen Hochschulen kontinuierliche Aktivitä-
Studienkollegs und die Lehrgebiete DaF; in ten, die seit Beginn der 70er Jahre nach feste-
der DDR war es das Herder-Institut. rer Organisation verlangten. Damit verbun-
den war die Forderung, die bis dahin bloß
3.3.1. Der Deutschunterricht an den „technisch“ betriebene Sprachvermittlung
Studienkollegs wissenschaftlich zu fundieren, d. h. sie mit
Ausländische Bewerber, welche die Zugangs- Forschungs- und Ausbildungsaufgaben zu
berechtigung zu einem Hochschulstudium erst koppeln. Diese Bestrebungen erhielten mäch-
im Inland durch die „Prüfung zur Feststellung tigen Nachdruck durch die vom Deutschen
der Eignung ausländischer Studienbewerber Akademischen Austauschdienst betriebene
für die Aufnahme eines Studiums an Hoch- Gründung des Arbeitskreises Deutsch als
60 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Fremdsprache (1971; seit 1989: Fachverband den 50er Jahren vom Institut für das Auslän-
Deutsch als Fremdsprache); die wesentlichen derstudium (seit 1961: Herder-Institut) der
Forderungen konnten in den nachfolgenden Universität Leipzig wahrgenommen, das als
Jahren weitgehend durchgesetzt werden. „Vorstudienanstalt für ausländische Studie-
Mitte der 90er Jahre existieren Lehrgebiete rende in der DDR“ jährlich bis zu 1500 Stu-
DaF an so gut wie allen deutschen Universi- dienbewerber, vor allem aus Entwicklungs-
täten und an zahlreichen Fachhochschulen, ländern, in 10-monatigen Intensivkursen
wenn auch dem Umfang der jeweiligen Auf- sprachlich auf ihr Fachstudium vorbereitete
gaben entsprechend in sehr unterschiedli- und während ihres Grundstudiums beglei-
chem Ausbaustand. Organisatorisch sind sie tete. Später wurden auch Graduierte aufge-
zum größten Teil angegliedert an Sprachen- nommen und in Kursen von bis zu 5 Mona-
zentren, Germanistische Institute oder Aka- ten Dauer auf weiterführende Studien vorbe-
demische Auslandsämter, zum kleineren Teil reitet. Zugleich fungierte das Institut seit dem
sind sie selbständige wissenschaftliche Ein- Ende der 70er Jahre als „Leitinstitut“ für
richtungen im Rahmen der Fakultäten oder den Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht an
Fachbereiche (DAAD/FaDaF 1999). verschiedenen Universitäten und Pädagogi-
Die von ihnen wahrgenommenen Aufga- schen Hochschulen der DDR mit studienbe-
ben im Bereich der praktischen Vermittlung gleitendem Deutschunterricht.
deutscher Sprachkenntnisse umfassen stu- Die didaktische Konzeption, die sich in
dienvorbereitende und studienbegleitende mehreren aufeinander folgenden Lehrwerken
Angebote. Das Eingangsniveau für die vorbe- und in didaktischen Publikationen, vor allem
reitenden Kurse wird von den Hochschulen in der Zeitschrift „Deutsch als Fremdspra-
selbst bestimmt; die Möglichkeiten reichen che“, niedergeschlagen hat, war auf eine Ver-
von bloßen Vorbereitungskursen auf die DSH bindung von allgemeinsprachlicher und fach-
bis hin zu vollständigen Angeboten ab der sprachlicher Ausbildung, ergänzt durch Lan-
Grundstufe I bis zum Abschluss der Mittel- deskunde der DDR, gerichtet. Kennzeich-
stufe. Die Grundstufenkurse haben naturge- nend war ein kognitiver Zugang über das
mäß allgemeinsprachlichen Charakter, wäh- Sprachsystem, der jedoch in den 80er Jahren
rend die Mittelstufenkurse in der Regel auch durch kommunikative Erwägungen erweitert
studienbezogene Sprachfähigkeiten (Vor- wurde, und eine an der sowjetischen Lern-
tragsnotizen, Exzerpte, Versuchsprotokolle, und Gedächtnispsychologie orientierten Me-
Referate etc.), z. T. auch schon fachsprach- thodik (vgl. Blei 1997).
liche Qualifikationen (vor allem Leseverste- Nach der Wende wurde der inländische
hen von Fachtexten), vermitteln. In den stu- Aufgabenbereich nach westdeutschen Vor-
dienbegleitenden Angeboten finden sich Kurse stellungen reorganisiert. Das Herder-Institut
zur Vertiefung der studienbezogenen Sprach- wurde teilweise (mit seinen studienvorberei-
fähigkeiten (Analyse und Produktion wissen- tenden Aufgaben) in das neu gegründete Stu-
schaftlicher Texte), Kurse zur fachlichen dienkolleg Sachsen überführt, für den außer-
Kommunikation (meist nach Fächergruppen universitären Erwachsenenunterricht wurde
zusammengefasst) und zur landeskundlichen der eigene Verein inter-DaF gegründet (Hipp
und literarischen Weiterbildung. 1990/1994; Wenzel 1995). Mitte der 90er
Durch Fachtagungen, Jahrestagungen, Re- Jahre existieren Lehrgebiete Deutsch als
zensionen und Publikationen wird die didak- Fremdsprache an 12 Hochschulstandorten
tische Entwicklung in diesem Gebiet vom und Studienkollegs an 8 Hochschulstandor-
Fachverband DaF, auch im Dialog mit den ten der ehemaligen DDR (DAAD/FaDaF
Deutschlektoren im Ausland und den außer- 1999).
universitären DaF-Anbietern, konsequent
und auf breiter Basis vorangetrieben. Die von 3.4. Sommerkurse
ihm in Verbindung mit dem DAAD heraus- Rund 50 Universitäten und Fachhochschulen
gegebene Zeitschrift „Info DaF“ ist ein wich- in der Bundesrepublik Deutschland bieten
tiges Organ aktueller Information und Dis- während der Semesterferien im Sommer
kussion im Arbeitsfeld. Kurse für deutsche Sprache, Literatur und
Landeskunde an, die von ausländischen Stu-
3.3.3. Deutsch für ausländische Studierende dierenden und sonstigen Interessenten be-
in der DDR sucht werden. Sie haben üblicherweise eine
In der DDR wurden die Aufgaben, die in der Dauer von 3⫺4 Wochen und werden von den
alten BRD den Studienkollegs oblagen, seit Teilnehmern selbst oder durch Stipendien fi-
5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache 61

nanziert. Durchgeführt werden Sprachkurse der 60er und 70er Jahre; seine heutige Ausge-
aller Lernstufen, es überwiegen jedoch die staltung ist in hohem Maße von den Gege-
Fortgeschrittenen-Kurse der Mittel- und benheiten und dem Engagement der VHS-
Oberstufe. Typisch sind Verbindungen des Leitungen vor Ort abhängig. Umfang, An-
Deutschlernens mit einer bestimmten Sach- spruch und Differenzierungsgrad der Kurse
thematik, vor allem aus dem Bereich der variieren daher erheblich. Üblich ist eine zeit-
Wirtschaft, vielfach aber auch aus den Berei- liche Gliederung nach VHS-Semestern, viele
chen der deutschen Gegenwartskultur oder Kurse begnügen sich mit ein bis zwei Doppel-
der jeweiligen regionalen Kultur und Ge- stunden pro Woche und führen dann in vier
schichte (vgl. insgesamt DAAD 2000). bis sechs Semestern zum Zertifikat DaF; an
den größeren VHS werden aber in der Regel
auch Mittelstufenkurse, Intensivkurse und
4. Deutsch als Zweitsprache zielgruppenspezifische Kurse angeboten.
Als Beispiel eines hochdifferenzierten Pro-
Die hauptsächlichen Arbeitsfelder des Deut-
gramms sei das Angebot der VHS Frankfurt
schen als Zweitsprache bilden der Deutsch-
für den Herbst 1996 skizziert: Die allge-
unterricht für ausländische Arbeitnehmer
meinen Kurse umfassen Grundstufenkurse
und ihre Familienangehörigen (DfaA), der auf vier und Mittelstufenkurse auf zwei Ni-
Deutschunterricht im Rahmen der Eingliede- veaus, ferner Vorbereitungskurse zum Zertifi-
rungsmaßnahmen für erwachsene Aussiedler kat und zur Zentralen Mittelstufenprüfung
und die Deutschförderung für Schüler aus sowie zum Kleinen und zum Großen Sprach-
Migrantenfamilien an öffentlichen Schulen. diplom und zur DSH; Grund- und Mittelstu-
In der DDR gab es für die Vertragsarbeitneh- fenkurse gibt es auch in Intensivform. Ziel-
mer einen berufsbegleitenden Deutschunter- gruppenspezifische Angebote sind eingerich-
richt im Umfang von etwa 200 Lernstunden. tet für Frauen und für Jugendliche, und noch
Von den schulischen Aktivitäten abgese- spezieller für Türkinnen, Japanerinnen und
hen, die Teil des staatlichen Bildungssystems Koreanerinnen und für iranische Jugendli-
sind, lebt die Arbeit in diesem Bereich von che, sowie zur Alphabetisierung von Schreib-
Subventionen. Die kennzeichnende institutio- unkundigen oder Schreibungewohnten. The-
nelle Struktur ist die einer Ausschreibung öf- menspezifische Kurse verbinden Deutschlern-
fentlicher Mittel, um die sich dezentral Trä- angebote mit Berufsorientierung und Berufs-
ger von Sprachkursen bewerben. Diese sind vorbereitung, der Behandlung von Wirt-
jedoch in der Regel auf die eine oder andere schaftstexten oder literarischen Texten, mit
Weise an zentrale Organisationen angebun- Museumsbesuchen, Laientheater, Kochkur-
den, welche die zur didaktischen Entwick- sen (Stadt Frankfurt am Main 1996, 236⫺
lung, zur Sicherung der Kursqualität und zur 273).
Qualifikation der Lehrkräfte notwendigen Die zentral geführte Statistik der VHS in
Arbeiten leisten, welche nicht lokal erbracht der Bundesrepublik weist für das Kalender-
werden können. Die größeren Träger bieten jahr 1995 rd. 236 000 Belegungen von DAZ-
in der Regel Deutschlernmöglichkeiten für Kursen nach. Das bedeutet einen leichten
verschiedene Zielgruppen an; es ist also auch Rückgang gegenüber dem Höchststand von
nicht ungewöhnlich, dass sie mit mehr als ei- fast 250 000 Belegungen im Jahre 1993, auf
ner der zentralen Organisationen zusammen- mittlere Frist gesehen aber immer noch eine
arbeiten. Es sei noch einmal darauf hingewie- Vervielfachung gegenüber den 70er und frü-
sen, dass die Grenzen zu DaF im Inland flie- hen 80er Jahren.
ßend sind. Das „Deutsche Institut für Erwachsenen-
bildung“ (DIE; früher Pädagogische Arbeits-
4.1. Die Volkshochschulen und das stelle des Volkshochschulverbandes, PAS)
Deutsche Institut für sieht seine Aufgabe in der Vermittlung zwi-
Erwachsenenbildung schen wissenschaftlicher Forschung und päd-
Kurse in DaZ gehören (allerdings meist unter agogischer Praxis. Im Bereich DaZ hat die
dem generalisierten Oberbegriff „Deutsch als PAS seit 1976 an der Entwicklung von didak-
Fremdsprache“) seit Jahrzehnten zum Grund- tischen Materialien gearbeitet, die dazu dienen
angebot der über 1000 Volkshochschulen sollten, lineare Lehrgangsstrukturen des her-
(VHS) in der Bundesrepublik Deutschland. kömmlichen DaF-Unterrichts aufzubrechen
Entwickelt hat sich dieses Angebot in größe- und die meist verwendeten fremdsprachdidak-
rem Umfang erst mit der Arbeitsmigration tisch angelegten Lehrwerke zu ergänzen um
62 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

offene Verfahren, die der Lebenssituation in 4.3. Die Sprachverbandskurse


Deutschland und den höchst unterschiedli- Die unterrichtlichen Aktivitäten im Arbeits-
chen Voraussetzungen der Teilnehmer Rech- feld DfaA werden koordiniert durch den
nung tragen (Fortsetzungsgeschichten, grup- Sprachverband Deutsch für ausländische Ar-
peneigene Texte, Sprachlernspiele usw.). In beitnehmer e. V., der 1974 gegründet wurde
neuerer Zeit wird vor allem die didaktische und dem u. a. das Bundesarbeitsministerium,
Entwicklung zielgruppenspezifischer Kursan- die Bundesanstalt für Arbeit, der Volkshoch-
gebote vorangetrieben, z. B. Hauptschulab- schulverband und die Bundesländer als Mit-
schlusskurse für ausländische junge Erwach- glieder angehören. Der Sprachverband för-
sene, Deutsch für Arbeitslose als Hilfe zum be- dert mit Mitteln des Bundesarbeitsministeri-
ruflichen Wiedereinstieg u. ä. ums zielgruppenspezifische Sprachkurse mit
Erhebliche Bedeutung hat die Arbeit der 70 000 bis 80 000 Teilnehmern jährlich, die
PAS bzw. des DIE für die Ausgestaltung des von zahlreichen Trägerorganisationen durch-
Zertifikats DaF (seit 1969), das vom Volks- geführt werden. „Große“ Träger sind die
hochschulverband und dem Goethe-Institut Volkshochschulen, der Internationale Bund
gemeinsam entwickelt wurde und als Grund- für Sozialarbeit und die Arbeiterwohlfahrt;
stufen-Abschlussprüfung im In- und Ausland eine Stärke des Sprachverbands besteht aber
fungiert. Die Inhalte der Zertifikatsprüfung gerade darin, dass auch zahlreiche „kleine“
haben selbstverständlich Einfluss auf die Träger, die geeignet sind, spezifische Bedürf-
Unterrichtsinhalte, und in diesem Sinne stellt nisse vor Ort abzudecken, zum Zuge kom-
das Zertifikat eine der wichtigsten Klammern men (zur Arbeit des Sprachverbands insge-
zwischen dem DaF- und dem DaZ-Bereich samt vgl. Fürs Leben … 1989; Kaufmann
dar. Das DIE hat darüber hinaus die Ent- 1995, Sprachverband 1998; Social Consult
wicklung inlandsspezifischer Prüfungen be- 1999).
trieben: Der „Grundbaustein DaF“, der etwa Zu Beginn gab es nur einen geförderten
den halben Lernweg zum Zertifikat markiert, Kurstyp: den Allgemeinen Deutschkurs für
ist besonders für die Zielgruppe der ausländi- erwachsene ausländische Arbeitnehmer, der
schen Arbeitnehmer und ihrer Familienange- ganz der audiovisuellen Unterrichtsmethode
hörigen (vgl. Abschnitt 4.3.) von Bedeutung; verpflichtet war. Die weitere Entwicklung
die Sprachstandsanalyse, deren Niveau zwi- war gekennzeichnet durch eine Differenzie-
schen Grundbaustein und Zertifikat liegt, rung nach Lernstufen und Kursformen (All-
richtet sich vor allem an die Absolventen der gemeine Sprachkurse, Intensivkurse, Alpha-
Aussiedlerkurse (vgl. Abschnitt 4.4.1.). betisierungskurse, Kurse zur Vorbereitung
auf den Grundbaustein zum Zertifikat DaF),
4.2. Sonstige Anbieter wobei zusätzlich eine Spezifizierung auf be-
DaZ-Kurse werden von zahlreichen weiteren stimmte Zielgruppen (Jugendliche, Frauen)
Organisationen gemeinnützigen Charakters ermöglicht wurde. Zur didaktischen Qualität
der Kurse trägt der Sprachverband bei, in-
angeboten; zu ihnen zählen der Internatio-
dem er Mindestausstattungen vorschreibt,
nale Bund für Sozialarbeit, die Wohlfahrts-
Unterrichtsanregungen vielfältiger Art publi-
verbände, kommunale, kirchliche und ge-
ziert und aufgrund eigener Analysen Lehr-
werkschaftliche Einrichtungen und einzelne werksempfehlungen ausspricht (vgl. Beh-
Vereine. Zielgruppen sind Jugendliche und rend-Roth u. a. 1990). Diese Arbeit hat we-
Erwachsene aus den Gruppen der Aussiedler sentlichen Anteil an der Entwicklung einer
und der Arbeitsmigranten, in geringem Um- spezifischen Zweitsprachendidaktik im Er-
fang auch aus den Gruppen der Flüchtlinge wachsenenbereich, die sich an den Verbalisie-
und Asylberechtigten. Es kann unterschieden rungsbedürfnissen und der (bilingualen und
werden zwischen Sprachkursen, die Teil be- bikulturellen) Alltagswirklichkeit der Lerner
ruflicher Eingliederungsmaßnahmen sind, orientiert, sie als bewusst handelnde Perso-
und solchen, in denen das Lernen der deut- nen anspricht und kommunikative Akzepta-
schen Sprache einziger oder überwiegender bilität ihres Deutschgebrauchs zum Ziel hat
Zweck des betreffenden Bildungsangebots ist (Barkowski u. a. 1980). Eigens zu nennen
(für einen Überblick vgl. FaDaF 1997). In sind die Kriterien zur Lehrwerksbegutach-
den beiden folgenden Abschnitten wird auf tung (Barkowski u. a. 1986), die beiden Zeit-
die Zielgruppen der Aussiedler und der aus- schriften „Deutsch lernen“ und „Bildungsar-
ländischen Arbeitnehmer gesondert eingegan- beit in der Zweitsprache Deutsch“ (bis 1991:
gen. „Bildungsarbeit mit ausländischen Jugendli-
5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache 63

chen“), die Materialien zur Alphabetisierung dialektaler Prägung, welche die Aussiedler als
Erwachsener und zum berufsbezogenen Angehörige deutscher Minderheiten in den
Deutschunterricht. Mit der vom Sprachver- Herkunftsländern bewahrt haben (wenn auch
band unterstützten Entwicklung der Videose- in höchst unterschiedlichem Umfang) und die
rie „Korkmazlar“ ist auch eine Perspektive sie als sprachliche Ressource in ihr Leben in
zur Überwindung des Gegensatzes von kurs- der Bundesrepublik Deutschland einbringen
förmigem („schulartigem“) Lernen und dem möchten und sollten.
Lernen an und in der Sprachwirklichkeit auf-
gezeigt worden. 4.4.2. Kurse für Akademiker
Für Spätaussiedler, Asylberechtigte und
4.4. Deutschkurse für erwachsene Kontingentflüchtlinge bis zum Alter von 30
Aussiedler Jahren, die in der BRD ein Hochschulstu-
4.4.1. Allgemeine Sprachkurse dium aufnehmen oder fortsetzen wollen, ver-
Für neuzuwandernde Aussiedler mit geringen gibt die Otto-Benecke-Stiftung Beihilfen zu
oder fehlenden Deutschkenntnissen finan- Orientierungs- und Eingliederungsmaßnah-
ziert die Bundesanstalt für Arbeit Intensiv- men, die aus Mitteln des Bundesfamilienmi-
kurse von ursprünglich acht bis zehn Mona- nisteriums finanziert werden. Einen wesentli-
ten, seit 1993 sechs Monaten Dauer, die als chen Anteil hieran haben die studienvorberei-
Eingliederungshilfe verstanden werden. Ur- tenden Deutschkurse, welche die notwendi-
sprünglich sollten die (länger dauernden) gen Sprachkenntnisse für den Bereich eines
Kurse im günstigen Falle bis zum Zertifikats- Sonderlehrgangs zur Erlangung der Hoch-
niveau führen ⫺ eine Zielvorstellung, die sich schulreife (Spätaussiedler), für den Besuch ei-
als kaum erfüllbar erwiesen hat. Die Durch- nes Studienkollegs (Asylberechtigte und Kon-
führung liegt bei verschiedenen Trägern tingentflüchtlinge) oder bei entsprechender
(Volkshochschulen, Internationaler Bund für Vorbildung für die direkte Aufnahme oder
Sozialarbeit, private Sprach-Institute u. a.), Fortsetzung eines Studiums vermitteln. Die
die sich um die entsprechenden Zuschüsse bei Kenntnisse sollen dem Abschluss der Mittel-
den Arbeitsämtern bewerben. Die Teilneh- stufe bzw. der DSH entsprechen; entspre-
merzahlen unterliegen starken Schwankun- chende Abschlussprüfungen werden von der
gen, abhängig von den Phasen und dem je- Stiftung zentral verwaltet und unter ihrer
weiligen Umfang der Zuwanderung; sie be- Aufsicht durchgeführt. Die Kurse hatten ur-
laufen sich seit 1992 (bei 6-monatiger Kurs- sprünglich eine Dauer von acht Monaten,
dauer) auf rd. 100 000 jährlich (Info-Dienst auch sie wurden 1993 auf sechs Monate ge-
Deutsche Aussiedler, Heft 82, 29). kürzt, weitere Einschränkungen werden be-
Das von einem Team des Goethe-Instituts fürchtet. 1996 sind zwölf Träger, die über
ausgearbeitete Curriculum für den 6-Monate- eine Gesamtzahl von rd. 1900 Kursplätzen
Kurs verbindet einen pragmatisch orientier- verfügen, mit der Durchführung beauftragt.
ten Sprachaufbau mit allgemeinen Themen Für Spätaussiedler und Kontingentflücht-
der sozialen Integration (Hubatsch/Köchling linge im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, die
1990). Das vom Bundesinstitut für Berufsbil- im Herkunftsland eine Hochschulausbildung
dung durchgeführte Projekt „Weiterbildung abgeschlossen haben, organisiert die Stiftung
von Aussiedlern unter besonderer Berück- aus Mitteln des Bundesbildungsministeriums
sichtigung fachübergreifender Kompetenzen“ Eingliederungsmaßnahmen, zu denen auch,
strebt dagegen eine engere Verbindung mit soweit erforderlich, Sprachkurse gehören
berufsorientierenden und -qualifizierenden können, die auf den allgemeinen Deutschkur-
Lernprozessen an (Kühn 1995). Für jugendli- sen für Aussiedler aufbauen. Auch hier han-
che Aussiedler hat das Land Rheinland-Pfalz delt es sich um Intensivkurse mit einer Dauer
ein Konzept integrierter Sprachförderung von ursprünglich bis zu acht Monaten, die
vorgelegt (SIL 1992). 1993 auf drei Monate gekürzt wurden ⫺ an-
Für den Aussiedlerunterricht gibt es eine gesichts der heterogenen (fachlichen und
Reihe spezifischer Unterrichtsmaterialien, die sprachlichen) Voraussetzungen der Teilneh-
das Deutschlernen vor allem mit Themen der mer und des angestrebten Ziels (Abschluss
sozialen Integration verbinden. Ein ungelö- auf Mittelstufenniveau) eine bedauerliche
stes didaktisches Problem der Unterrichts- Entwicklung. 1997 ist dieses Angebot auf ei-
praxis wie der Materialien ist die Frage der nige eng definierte Zielgruppen (Bewerber für
Einbeziehung von mitgebrachten Deutsch- Ergänzungsstudien, Wissenschaftler, Medizi-
kenntnissen, manchmal archaischer und oft ner) eingeschränkt worden, in geeignetem
64 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Umfang können auch 3-monatige Fachspra- 940 000; hinzu kommen rund 230 000 auslän-
chenkurse für Naturwissenschaftler, Ärzte dische Jugendliche an den beruflichen Schu-
und Ökonomen angeboten werden. 1996 lau- len (KMK 1997). Die Zahl der Schüler aus
fen die spezifischen Aufbaukurse nach den Aussiedlerfamilien kann nur geschätzt wer-
Vorgaben der Stiftung bei acht verschiedenen den; sie dürfte um die 400 000 liegen (Grund-
Trägern mit etwa 600 bis 800 Teilnehmern lage der Schätzung: Schüleranteil an den Zu-
pro Jahr; die Zahl der Bewerber übersteigt wandernden, vgl. Dietz 1996, 10⫺13). Wie
die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze viele dieser Schüler Bedarf an einer spezifi-
bei weitem. schen Unterrichtung des Deutschen als
Zum didaktischen Konzept gehören die Zweitsprache haben und wie viele davon eine
Kombination von gemeinsamem Gruppen- solche Förderung tatsächlich erhalten, ist
unterricht und Arbeit in Kleingruppen, die derzeit nicht zu ermitteln. Die Bundesrepu-
nach Sprachstand differenziert sind, sowie die blik Deutschland leistet sich hier ein be-
Verbindung der Ziele allgemeinsprachlicher trächtliches Maß an Unkenntnis.
kommunikativer Kompetenz mit studienbe- Seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre bis
zogenen Sprachfähigkeiten, fachsprachlicher in die 80er Jahre hinein wurden „Vorberei-
Qualifikation (in sehr unterschiedlichen Diszi- tungsklassen“ eingerichtet, die der Intention
plinen) und Fähigkeiten der Textinterpreta- nach das fachliche Lernen im Medium der
tion. Herkunftssprache fortführen und zugleich
die für eine Integration in die Regelklassen
4.5. Deutsch als Zweitsprache an erforderlichen Deutschkenntnisse vermitteln
öffentlichen Schulen sollten. Dieses organisatorische Modell ist im
Der Deutschunterricht für Schüler aus den Hinblick auf beide Ziele gescheitert, einmal
einheimischen Sprachminderheiten hat in der weil die erforderlichen Investitionen in die
Gegenwart „muttersprachlichen“ Charakter. Qualität des Unterrichts ausblieben, und zum
Der Deutschunterricht an Auslandsschulen andern weil das Modell den Kräften sozialer
in Deutschland, z. B. den Schulen der hier Segregation als Spielball überlassen wurde
stationierten ausländischen Streitkräfte, hat (vgl. Boos-Nünning 1981). Die derzeit gülti-
fremdsprachlichen Charakter und folgt den gen Erlasse der Bundesländer sehen neben
Lehrplänen der Herkunftsländer. Beide Ar- der umstandslosen Aufnahme in eine alters-
beitsfelder sind darum in die vorliegende entsprechende (oder eine niedrigere) Klasse
Darstellung nicht aufgenommen worden. eigene vorschulische Angebote oder Ein-
Darzustellen bleibt der Deutschunterricht gangsklassen für Schulanfänger, Aufnahme-
für Schüler aus Immigrantenfamilien, zu de- klassen, Eingliederungskurse für „Seitenein-
nen ⫺ entsprechend den drei Hauptphasen steiger“, zusätzlichen Förderunterricht und
der Einwanderung ⫺ die drei Gruppen der die Verwendung regulären Förderunterrichts
Kinder und Enkel von „Gastarbeitern“ (seit für die Festigung der Deutschkenntnisse bi-
den 60er Jahren), der Kinder von Aussiedlern lingualer Schüler vor (Röhr-Sendlmeier 1986;
(seit den 70er Jahren) und der Kinder von Palt u. a. 1998).
Flüchtlingen (seit den 80er Jahren) gehören. Ansätze zu einer spezifischen Didaktik des
Seit 1965 führen die Bundesländer Statisti- DaZ entwickelten sich in diesem Arbeitsfeld
ken über die „ausländischen Schüler“, d. h. in einer diskontinuierlichen Weise. In der
über Schüler nicht deutscher Staatsangehö- Praxis gab und gibt es mehr oder minder
rigkeit. Anfänglich konnten diese noch als intuitive, mehr oder minder gelungene
Annäherungen an eine Aussage über spezifi- Versuche der Übertragung von Methoden
sche sprachliche Bildungsvoraussetzungen in- des (primarschulischen, muttersprachlichen)
terpretiert werden; doch ist dies in der Ge- Deutschunterrichts auf Deutsch als Zweit-
genwart vor allem aufgrund von Vorgängen sprache. In der Materialproduktion (vgl. Is-
der sprachlichen Assimilation einerseits, der gören-Engin 1993) und in didaktischen Ver-
Berechtigungseinbürgerungen von Aussied- öffentlichungen (vgl. Pommerin 1977; Ra-
lern andererseits längst nicht mehr der Fall. bitsch 1981; Bohn 1982) verbindet sich Pra-
Eine sachgerechtere Schulstatistik ist nicht xiserfahrung mit der Adaption jüngerer Ent-
entwickelt worden. wicklungen der Deutschdidaktik an die neue
Die Zahl der ausländischen Schüler an den Zielgruppe. Gegenläufige Tendenzen, die von
allgemeinbildenden deutschen Schulen (das der Sprachdidaktik, z. T. auch von der Schul-
sind im Wesentlichen die Lernenden der er- aufsicht ausgegangen sind und „von oben“
sten und dritten Gruppe) beträgt 1996 rund auf die Praxis einzuwirken versuchten, ver-
5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache 65

schrieben sich einer fremdsprachlichen Orien- 5. Schluss


tierung, sei es in einer kognitiv-kontrastiven
(Meyer-Ingwersen u. a. 1977), sei es in einer Die Geschichte des Unterrichts von DaF und
kommunikativen Linie (Reich 1976; Akade- DaZ im Inland spielt im Wesentlichen in der
mie … 1979). Einen weiterführenden Ansatz, zweiten Hälfte des 20. Jhs. In diesem Zeit-
herausgefordert durch das Ungenügen der raum ist ⫺ aufs Ganze gesehen ⫺ eine starke
beiden genannten „einseitigen“ Orientierun- quantitative Zunahme von Angebot und
gen, aber auch durch die Provokationen der Nachfrage zu konstatieren. Genaue Zahlen
Forschung zum „natürlichen“ Zweitspracher- lassen sich zwar kaum angeben, doch kann
werb (mit Bezug auf Lernende im Schulalter: man im Durchschnitt mit etwa einer halben
Pienemann 1981), hat Wilms (1984) formu- Million inländischer Deutschlernender jähr-
liert. Er fordert die Verbindung von vier Prin- lich rechnen. Mitte der 90er Jahre sind die
zipien: Konzentration auf sinnvolle kommu- Teilnehmerzahlen an den verschiedenen Insti-
nikative Interaktion; sprachsystematische Ar- tutionen rückläufig, teils aufgrund nachlas-
beit, die an Kommunikation anknüpft, aber sender Nachfrage, teils aufgrund gekürzter
ihrer eigenen Logik folgt; stärkere Betonung Subventionen.
des Inhalts- oder Mitteilungsaspekts der Für die Mehrzahl der Lernenden existieren
Sprache; verstärkte Nutzung authentischer passende institutionelle Unterrichtsangebote,
Lesetexte für die Sprachvermittlung. Text- auch in der Fläche. Die beschämende Aus-
orientierte Spracharbeit hat eine zentrale nahme bildet die Gruppe der Asylbewerber,
Funktion in diesem Konzept; eine exemplari- deren Deutschlernen politisch bewusst nicht
sche Ausarbeitung hat Wilms selbst (1986) unterstützt wird.
vorgelegt, eine systematische Ausarbeitung Aufs Ganze gesehen ist auch ein hohes
steht noch aus. Maß an Differenziertheit erreicht. Zielgrup-
Einige Bundesländer haben Lehrpläne für penspezifische Kurse ⫺ untergliedert nach
den Unterricht DaZ an staatlichen Schulen Alter, Geschlecht, Bildungsniveau und fachli-
ausgearbeitet: Bayern (1978/84), Berlin (1982, chen Interessen ⫺ existieren nicht nur im
„Unterrichtseinheiten“ für den Deutschunter- privatwirtschaftlichen, sondern auch im sub-
richt in Vorbereitungsklassen), Nordrhein- ventionierten Bereich. Durch soziogeographi-
Westfalen (1982 für die Zielgruppe der Kinder sche Bedingungen wird jedoch die Zugäng-
ausländischer Arbeitnehmer, 1990 für Aus- lichkeit des so differenzierten Angebots ein-
siedlerkinder); Hamburg (1992, „Richtli- geschränkt; das Gefälle zwischen den Groß-
nien“), Thüringen (1995, „Empfehlungen“),
städten und den ländlichen Gebieten wirkt
Sachsen (1996, Vorläufiger Lehrplan für
sich in spürbarer Weise aus.
Vorbereitungsklassen, Vorbereitungsgruppen,
Von einer eigenen „Inlands-Didaktik“
Förderkurse). Die administrativen wie die
kann man nicht sprechen; es ist auch fraglich,
universitären Bemühungen konzentrieren
sich auf den DaZ-Unterricht in spezifischen ob es wünschenswert wäre, dergleichen anzu-
Organisationsformen. Zweitsprachenförde- streben. Der Inlandsbereich partizipiert in
rung im Regelunterricht (aller Fächer) findet breiter Weise sowohl an den didaktischen
sehr viel weniger Beachtung; wichtige An- Entwicklungen im DaF-Bereich allgemein
stöße hierzu kommen aus dem Bereich der (vgl. die Zeitschriften „Zielsprache Deutsch“,
Berufsbildung (vgl. Sprachliches Lernen … „Fremdsprache Deutsch“ u. a.), als auch an
1989; SIL 1992), von einer breiten Durchset- der international orientierten DaF-Lehr-
zung kann aber weder dort noch im Bereich werksproduktion (vgl. Art. 105). Dies gilt
der Allgemeinbildung die Rede sein. auch für das Arbeitsfeld der fachsprach-
Insgesamt wird DaZ an staatlichen Schu- lichen, insbesondere der wirtschaftssprach-
len zu sehr als Sondermaßnahme, zu wenig lichen Unterweisung und für den DaF/DaZ-
als dauerhafte Aufgabe des Bildungssystems Unterricht im Kindesalter (vgl. die Zeitschrift
gesehen. Es ist nur in ungenügender Weise in „PRIMAR“) Der Inlandsbereich partizipiert
Fächerkanon und Stundentafel eingebunden; schließlich auch an dem Prozess der Standar-
Lehrplanentwicklung und Lehrmittelproduk- disierung von Lernzielen, der sich in einem
tion bleiben hinter dem für andere Fächer er- differenzierten internationalen Zertifizie-
reichten Standard zurück; die Herausbildung rungswesen (vgl. Art. 84) niedergeschlagen
von Fachlehrern wird durch rasch wech- hat.
selnde Einsätze, prekäre Beschäftigungsver- Aus der allgemeinen Forderung nach Ziel-
hältnisse und Defizite im Lehrerbildungssy- gruppenorientierung des Unterrichts resultie-
stem erschwert, wenn nicht blockiert. ren jedoch auch einige Besonderheiten der in-
66 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

ländischen Didaktik-Entwicklung, vor allem Unterrichtspraktische Hilfen zum Lehrplan „Deutsch


im DaZ-Bereich. Sie betreffen zunächst die als Fremdsprache“. Donauwörth.
soziokulturelle Fassung der im Sprachunter- Ammon, Ulrich (1991): Die internationale Stellung
richt angeschnittenen Themen und Inhalte; der deutschen Sprache. Berlin.
hier ist namentlich in den Arbeitsfeldern Barkowski, Hans u. a. (1980): Handbuch für den
DfaA und Aussiedler-Kurse eigenständige Deutschunterricht mit Arbeitsmigranten. König-
Entwicklungsarbeit geleistet worden. Sie be- stein/Ts.
treffen zum Zweiten die vertiefte Beschäfti- ⫺; u. a. (1986): Deutsch für ausländische Arbeiter.
gung mit bestimmten Herkunftssprachen, Gutachten zu ausgewählten Lehrwerken. 3. Aufl.
einschließlich der Kontraste zum Deutschen; Mainz.
zu nennen sind hier insbesondere das Türki- Behrend-Roth, Karin u. a. (1990): Sprachkurse
sche, das Russische und das Polnische. Sie „Deutsch für ausländische Arbeitnehmer und ihre
betreffen drittens die Methodik eines Sprach- Familienangehörigen“ ⫺ Eine Bestandsaufnahme.
unterrichts mit Menschen, die sich Deutsch Mainz.
weniger aus freier Wahl als aus sozialer Not Blei, Dagmar (1997): Deutsch als Fremdsprache in
aneignen und oft nur eine geringe formale der DDR. In: Info DaF 24, 780⫺795.
Bildung als Voraussetzung dafür mitbringen Boos-Nünning, Ursula (1981): Muttersprachliche
(„lernungewohnte Lerner“). Erstaunlicher- Klassen für ausländische Kinder: Eine kritische
weise ist diejenige didaktisch-methodische Diskussion des bayerischen „Offenen Modells“. In:
Aufgabe, die DaF im Inland und DaZ ge- Deutsch lernen. 2/81, 40⫺70.
meinsam haben, nämlich die optimale Ab- Bohn, Edgar (1982): „Wir sind auf dem Weg!“ Ein
stimmung des Kurslernens mit dem Lernen Schuljahr mit ausländischen Grundschulkindern.
an und in der Sprachwirklichkeit, in For- München.
schung und Entwicklung bisher nur punk- DAAD (2000): Sommerkurse in Deutschland.
tuell angegangen worden (Knebler 1995 als Sprache, Literatur, Landeskunde, Musik. Bonn.
ein Beispiel), obwohl in der Praxis zahlreiche (Erscheint jährlich neu).
Ansätze und Erfahrungen dazu zu finden ⫺; FaDaF (1999): Deutsch als Fremdsprache an den
sind (vgl. Kilian u. a. 1995). Was die Qualität Hochschulen und Studienkollegs in Deutschland. Die
der Unterrichtsangebote betrifft, so ist die Sprachlehrangebote. Bonn.
Entwicklung von Standards hierfür noch we- Dietz, Barbara (1996): Jugendliche Aussiedler. Aus-
nig fortgeschritten, doch sind Ansätze dazu reise, Aufnahme und Integration (⫽ Lehrbrief 7 der
gemacht (vgl. Schneider 1998). Deutlich er- „Arbeitshilfen für die Beratung von (Spät)aussied-
kennbar ist ein sozial determiniertes Quali- lern“). o. O.
tätsgefälle, das sich mehr als in allem anderen Ehnert, Rolf; Hartmut Schröder (Hg.) (1994): Das
in den höchst unterschiedlichen Beschäfti- Fach Deutsch als Fremdsprache in den deutschspra-
gungsbedingungen der Lehrkräfte und ent- chigen Ländern. Frankfurt/M. u. a. (2. korrigierte
sprechenden Unterschieden ihrer Professio- Aufl.)
nalität bemerkbar macht (vgl. Gaddatsch Ehrismann, Gustav (1966): Geschichte der deut-
1991; Paleit 1994; Art. 115). schen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters.
Im internationalen Vergleich ist der Unter- Erster Teil: Die althochdeutsche Literatur. Mün-
richt von DaF und DaZ in Deutschland weit chen.
weniger entwickelt als der Unterricht von Faber, Helm von (1994): Die Entwicklung von
Englisch als Fremd- und Zweitsprache in den Deutsch als Fremdsprache in der Bundesrepublik
englischsprachigen Ländern. Er kann sich Deutschland unter besonderer Berücksichtigung
aber mit dem Inlandsunterricht anderer inter- des Goethe-Institutes. In: Ehnert/Schröder 1990/
1994, 9⫺33.
national bedeutsamer Sprachen durchaus
messen, auch wenn etwa im Bereich des Fachverband Deutsch als Fremdsprache (Hg.)
Migrantenunterrichts die skandinavischen (1997): Deutsch als Fremdsprache an außeruniver-
sitären Institutionen in Deutschland. Weiterbil-
Länder, oder im Bereich der Wirtschafts- dungsangebote. Ergebnisse einer Umfrage. Mün-
sprache die französischsprachigen Länder ster.
einen höheren Standard erreicht haben.
Fremdsprache Deutsch, Sondernummer (1993):
Deutsch als Fremdsprache in der Bundesrepublik
Deutschland.
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Fürs Leben Deutsch lernen. 15 Jahre Sprachkursför-
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5. Entwicklungen des Unterrichts in Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache 67

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6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen


Ländern

1. Begriffsdifferenzierungen: ,Deutsch als werden hier nicht weiter behandelt. Eine


Muttersprache‘ (DaM) ⫺ ,als Fremdsprache‘ neuere Entwicklung ist Deutsch als Nationa-
(DaF), ,deutschsprachige Länder‘ litätensprache für Lernende, die sich einer
2. Deutsche Auslandsschulen deutschen ethnischen Minderheit eines Lan-
3. Deutsch als Fremdsprache an Schulen
4. Deutsch als Fremdsprache und Germanistik
des zuordnen, aber ihre deutschen Sprach-
an Hochschulen kenntnisse mehr oder weniger verloren ha-
5. Erwachsenenbildung ben. Trotz des Sprachverlustes steht solchen
6. Zur Rolle und Entwicklung des Lernenden auf Grund ihrer deutschen Natio-
Deutschunterrichts in einzelnen Ländern nalität die deutsche Sprache näher als Ler-
7. Literatur in Auswahl nern von Deutsch als Fremdsprache (vgl.
Földes 1992).
Die folgenden Ausführungen beschränken
1. Begriffsdifferenzierungen ,Deutsch sich auf die nicht deutschsprachigen Länder.
als Muttersprache‘ (DaM) ⫺ Dazu gehören diejenigen Länder nicht, in de-
,als Fremdsprache‘ (DaF), nen die Muttersprachler des Deutschen die
,deutschsprachige Länder‘ Bevölkerungsmehrheit bilden, nämlich die
Bundesrepublik Deutschland, Österreich,
Deutschunterricht kann erteilt werden als Liechtenstein und die Schweiz. Wenn man die
Muttersprache, als Nationalitätensprache, als Länder als Ganze nimmt, gehört die gesamte
Zweitsprache oder als Fremdsprache. Dabei Schweiz nicht dazu; wegen des in der Schweiz
muss man unterscheiden zwischen der Stel- für die Amtssprachen geltenden Regional-
lung der Sprache im Schulcurriculum und ih- prinzips kann man allerdings die deutsch-
rer Stellung für ein Individuum. So kann sprachige Schweiz von der französisch-, ita-
Deutsch beispielsweise für ein Individuum lienisch- und rätoromanischsprachigen unter-
Muttersprache sein und gleichzeitig curricu- scheiden und nur erstere ausnehmen. Ent-
lare Fremdsprache. Dies ist etwa der Fall für sprechend kann man bezüglich der deutsch-
einen erst kürzlich aus einem deutschsprachi- sprachigen Gemeinschaft in Ostbelgien und
gen Land in die USA ausgewanderten Ju- der Provinz Bozen-Südtirol in Norditalien
gendlichen, dessen Muttersprache Deutsch verfahren; die Bevölkerungen beider Landes-
ist, der dort an einer Schule den Deutsch- teile sind mehrheitlich Muttersprachler des
unterricht besucht, wobei die curriculare Stel- Deutschen, so dass nur Belgien bzw. Italien
lung des Deutschen die einer Fremdsprache ohne diese Teilgebiete zum Gegenstand
ist. Deutsch wird in diesem Fall in einer Art unserer Betrachtung gehören. In allen ge-
und Weise unterrichtet, die für Lernende an- nannten Ländern ist Deutsch entweder natio-
gemessen erscheint, für die Deutsch individu- nale Amtssprache (Deutschland, Österreich,
elle Fremdsprache ist. Dies sind im Wesentli- Liechtenstein, Schweiz) oder regionale Amts-
chen Lernende, die zu Hause kein Deutsch sprache (deutschsprachige Gemeinschaft in
gelernt haben und auch ansonsten in keiner Belgien, Provinz Bozen-Südtirol in Italien).
deutschsprachigen Umgebung leben. Letzte- Auch in Luxemburg ist Deutsch nationale
res unterscheidet sie von Lernenden mit Amtssprache, neben Französisch und Letze-
Deutsch als Zweitsprache. Beispiele sind die burgisch, es ist jedoch nicht Muttersprache
Kinder von nicht deutschsprachigen Arbeits- der Bevölkerungsmehrheit, sondern dies ist
migranten in deutschsprachigen Ländern. Sie das Letzeburgische (vgl. zu den Ländern mit
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 69

Deutsch als Amtssprache, Ammon 1991, 52⫺ ist Deutsch eine aus insgesamt fünf Wahl-
85). Daher gehört Luxemburg durchaus zu pflichtfremdsprachen; nur wenn Deutsch als
dem hier zu betrachtenden Gegenstandsbe- erste davon gewählt wird, ist es zugleich
reich. Unterrichtssprache.
(3) Deutschsprachige Auslandsschulen (auch
Expertenschulen): Sie sind gedacht für Kinder
2. Deutsche Auslandsschulen von vorübergehend im Ausland weilenden
Deutschen (Botschaftsangehörige, Mitarbei-
Die deutschen Auslandsschulen werden im
ter deutscher Firmen), nicht für Kinder des
Bericht der Bundesregierung über die deutsche
Gastgeberlandes. Zu ihnen gehören jedoch
Sprache in der Welt (1985, 4, 8) charakteri-
nicht die privaten Firmenschulen, die von im
siert als die „ältesten Einrichtungen zur Ver-
Ausland tätigen Privatfirmen aus Deutsch-
breitung der deutschen Sprache im Ausland“
und „das kostspieligste, wegen ihrer Lang- land betrieben werden und gewöhnlich nur
zeitwirkung aber auch das wirksamste Instru- vorübergehend bestehen. Ihre Anzahl im
ment zur Verbreitung der deutschen Sprache Jahre 1986: 42 mit insgesamt 7305 Schülern.
im Ausland“. Diese Schulen bilden zwar nur (4) Schulen mit verstärktem Deutschunter-
einen kleinen, aber einen besonders wichtigen richt: Hier ist Deutsch ⫺ im Gegensatz zu
Teil derjenigen Schulen, in denen im Ausland den zuvor genannten Typen ⫺ meist nicht
Deutsch gelernt wird. Ihr gemeinsames spezi- Unterrichtssprache, sondern nur obligatori-
fisches Merkmal besteht darin, dass sie be- sches zentrales Schulfach. Dieser Schultyp ist
sondere Beziehungen zu einem deutschspra- hauptsächlich für Nicht-Deutschsprachige
chigen Land pflegen, die meisten zu Deutsch- gedacht. Ihre Anzahl im Jahre 1986: 27 mit
land, einige aber auch zur Schweiz (16 im insgesamt 17 274 Schülern.
Jahre 1990) und zu Österreich (3 im Jahre (5) Sprachgruppen- und Siedlerschulen: Sie
1990). Sie orientieren sich zumindest teilweise dienen der Erhaltung und Pflege von Deutsch
an den Bildungsvorstellungen eines deutsch- als Muttersprache bei deutschsprachigen
sprachigen Landes, was sich unter anderem Minderheiten. Meistens ist Deutsch auch
daran zeigt, dass sie Zertifikate verleihen Unterrichtssprache, zusätzlich zur Mehrheits-
oder Schulabschlüsse ermöglichen, die in ei- sprache. Ihre Anzahl im Jahre 1986: 117 mit
nem deutschsprachigen Land anerkannt wer- insgesamt 33 944 Schülern.
den, oder dass sie Lehrmaterialien und päd- (6) Sonnabendschulen: Es handelt sich um
agogische Beratung aus einem deutschspra- Zusatzeinrichtungen neben der Regelschule,
chigen Land beziehen. die dem Erhalt oder der Wiederbelebung der
Innerhalb der deutschen Auslandsschulen Muttersprache Deutschstämmiger dienen sol-
lassen sich verschiedene Typen unterscheiden. len. Ihre Zahl im Jahre 1986: 94 mit insge-
Eine brauchbare Typologie für die deutschen samt 15 254 Schülern.
Auslandsschulen Deutschlands liefert der Be- Die Gesamtzahl der deutschen Auslands-
richt der Bundesregierung über Stand und Ent- schulen belief sich also im Jahre 1986 auf 336
wicklung der deutschen Schulen im Ausland mit insgesamt 129 301 Schülern (vgl. für ei-
(1988, 16): nen Gesamtüberblick über das deutsche Aus-
(1) Begegnungsschulen: In ihnen überwie- landsschulwesen in neuerer Zeit Werner 1988,
gen fremdsprachige Schüler, die mit der deut- 109⫺208).
schen Sprache und Kultur bekannt gemacht Die deutschen Auslandsschulen dürfen
werden. Ihre Zahl 1986: 47 mit insgesamt nicht einfach gleichgesetzt werden mit den
43 339 Schülern. sonstigen deutschsprachigen Schulen in den
(2) Europäische Schulen: Sie entsprechen nicht deutschsprachigen Ländern. Letztere
am ehesten dem Gedanken der gleichberech- haben im Gegensatz zu Ersteren keinen Be-
tigten Begegnung von Sprachen und Kultu- zug zum Schulwesen eines deutschsprachigen
ren, der in der Außenpolitik Deutschlands Landes. Die Geschichte der deutschsprachi-
seit den 70er Jahren zunehmendes Gewicht gen Schulen in den nicht deutschsprachigen
erlangt hat. Ihre Anzahl 1986: 9 mit insge- Ländern reicht weit zurück ⫺ im Grunde bis
samt 12 185 Schülern. Zwei der Schulen ha- ins späte Mittelalter, die Zeit der Entstehung
ben ihren Standort in Deutschland (Karls- deutscher Sprachinseln in Osteuropa. Ein
ruhe, München), die übrigen im europäischen Beispiel sind die Siebenbürger Sachsen im
Ausland. Nur für Erstere ist Deutsch notwen- Gebiet des heutigen westlichen Rumänien.
digerweise Unterrichtssprache. Für Letztere Auch in Nordeuropa sind schon in der frühen
70 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Neuzeit deutschsprachige Schulen entstan- der Geheimen Denkschrift werden sechs un-
den. Ein Beispiel bildet die deutschsprachige terschiedliche Typen von deutschsprachigen
St.-Petri-Schule in Kopenhagen, die auf eine Schulen im Ausland ausdrücklich von der Be-
über 400jährige kontinuierliche Geschichte standsaufnahme ausgenommen, wie z. B. alle
zurückblickt. Die Massenauswanderungen deutschsprachigen Schulen in den deutschen
aus dem deutschen Sprachgebiet im 18. und Kolonien, in den nicht deutschsprachigen
19. Jh. führten dann in allen Haupteinwande- Gebieten Österreich-Ungarns, in Russland,
rungsregionen zur Gründung deutschsprachi- den Vereinigten Staaten sowie die meisten in
ger Schulen, vor allem in Russland, Nord- Australien, Südafrika und Brasilien ein-
und Südamerika sowie in Australien. Die Ge- schließlich sämtlicher deutschen Privatschu-
schichte der eigentlichen deutschen Auslands- len. Allein die Schülerzahl in den deutsch-
schulen beginnt erst nach der Gründung des sprachigen Schulen der USA wird für die Zeit
Deutschen Reichs im Jahre 1871. Äußeres um 1900 auf 549 800 geschätzt (Kloss 1966,
Zeichen ist die Einrichtung eines ständigen 234). Solche Zahlen lassen den ungeheuren
Haushaltstitels für ihre Förderung, des Schrumpfungsprozess in den deutschsprachi-
Reichsschulfonds im Jahre 1878. Kurze Zeit gen Schulen im Verlauf unseres Jahrhunderts
danach, nämlich 1881, entstand als zusätzli- ahnen. Während die deutschen Schulen nach
che private Förderungsquelle der Allgemeine dem I. und nach dem II. Weltkrieg weitge-
deutsche Schulverein, der 1901 umbenannt hend wiedererstanden sind, ist dies bei den
wurde in Verein für das Deutschtum im Aus- deutschsprachigen Schulen im Ausland nicht
land (VDA), der noch heute besteht. Seit der Fall. Zu ihrer Auflösung bzw. vollständi-
1906 gibt es auch ein eigenes Referat im Aus- gen Integration in das jeweilige nationale
wärtigen Amt für die deutschen Auslands- Schulsystem hat sicher die aggressive deut-
schulen. Das deutsche Auslandsschulwesen sche Auslandspolitik beigetragen, jedoch
entwickelte sich rasch und wurde schon bald auch ⫺ und vermutlich noch mehr ⫺ die
als wichtiges Mittel zur Förderung der deut- Sprachanpassung der ausgewanderten Deut-
schen Sprache und Kultur im Ausland ver- schen an ihre mehrheitssprachliche Umge-
standen. Dies wird deutlich in der gezielten bung. Heute hat sich die Zahl der deutsch-
Förderung eines neuen Schultyps, der „Pro- sprachigen Schulen im Ausland der Zahl der
pagandaschulen“. Sie unterscheiden sich von deutschen Auslandsschulen weitgehend ange-
den ursprünglichen deutschen Auslandsschu- nähert. Ihr Bestand ist ⫺ nicht zuletzt auf
len, die für ausgewanderte Muttersprachler Grund der Förderung durch die deutschspra-
des Deutschen gedacht waren, dadurch, dass chigen Länder ⫺ verhältnismäßig gefestigt. ⫺
sie ausdrücklich nicht deutschsprachige Aus- Eine neuere Entwicklung sind internationale
länder aufnahmen. Allerdings hatte das Wort Schulpartnerschaften zwischen Schulen im
Propaganda zur damaligen Zeit (vor dem nicht deutschsprachigen und Schulen im
I. Weltkrieg) nicht die heutige negative Kon- deutschsprachigen Ausland. Auch diese Part-
notation, die es wohl erst infolge des natio- nerschaften, von denen es mittlerweile Hun-
nalsozialistischen Wortmissbrauchs gewon- derte, wenn nicht Tausende, geben dürfte,
nen hat. Seine wesentliche Bedeutung war festigen das Deutschlernen in den jeweiligen
einfach ,Verbreitung‘, womit der Haupt- Auslandsschulen.
zweck der betreffenden Schulen bezeichnet
war, nämlich, der Verbreitung deutscher
Sprache und Kultur im nicht deutschsprachi- 3. Deutsch als Fremdsprache an
gen Ausland zu dienen. Dass diese Zielset- Schulen
zung gleichwohl als hoch politisch gewertet
wurde, lässt sich daraus schließen, dass die Es gibt umfassende Erhebungen zum
deutschen Auslandsschulen kurz vor dem Deutsch als Fremdsprache-Unterricht an
I. Weltkrieg in einer Geheime[n] Denkschrift Schulen nicht deutschsprachiger Länder, und
des Auswärtigen Amtes über das deutsche Aus- zwar (1) in den Jahren 1982/83, deren Be-
landsschulwesen erfasst wurden (ungekürzter funde veröffentlicht sind im Bericht der Bun-
Abdruck in Düwell 1976, 268⫺370). Diese desregierung über die deutsche Sprache in der
Bestandsaufnahme erfasste insgesamt 878 Welt (1985, 28⫺47), und (2) in den Jahren
Schulen mit 56 201 Schülern. Sie dürfen wie- 1993/94, die bisher unveröffentlicht dem
derum nicht verwechselt werden mit den da- Goethe-Institut und dem Auswärtigen Amt
maligen deutschsprachigen Schulen im Aus- vorliegen und für diesen Bericht freund-
land, deren Zahl weit größer war. Schon in licherweise zur Verfügung gestellt wurden.
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 71

Über weitere unvollständige Erhebungen und 1979). Für den Erhebungszeitraum 1982/83
ihre Befunde wird berichtet in Ammon 1991 wurde sie auf 15 079 640 geschätzt und für
(432⫺436) und 1993 sowie in Sturm 1987, den Erhebungszeitraum 1993/94 scheint sich
Götze 1987 und für Europa in Eurydice 1989. die Zahl auf 15 179 289 zu belaufen, wobei
Für die beiden umfassenden Erhebungen die Summierung wegen der Erhebung zu ver-
wurden die Daten einzelner Länder über die schiedenen Jahren methodisch bedingte Un-
Auslandsvertretungen Deutschlands gesam- sicherheiten birgt. Diese Zahlen vermitteln
melt. Einen Überblick über die Befunde lie- insgesamt den Eindruck beträchtlicher Stabi-
fert Tabelle 6.1. Die spaltenmäßige Einteilung lität. Die detaillierte Betrachtung der Situa-
in drei Ländergruppen nach dem Umfang des tion verrät allerdings, dass sich dahinter eine
Deutschlernens folgt dem Bericht 1985. Of- Zunahme der Lernerzahlen in Mittel- und
fenkundig handelt es sich dabei nicht um eine Osteuropa (ausgenommen Russland) und
disjunktive Klassifikation. Trotz der Über- eine Abnahme vor allem in den höher entwik-
lappungen liefert die Einteilung jedoch we- kelten westlichen Industrieländern, aber auch
nigstens grobe Anhaltspunkte. Leider lässt Ländern wie Brasilien und Russland (Mittei-
sich der Gegenüberstellung der Zahlen mei- lung Hardarik Blühdorn), verbirgt, deren
stens keine Entwicklungstendenz entnehmen, Plus- und Minustendenzen sich ungefähr aus-
da für die Erhebung von 1982/83 in der balancieren. Diese Entwicklung beinhaltet
Mehrzahl der Fälle nur Prozentzahlen vorlie- auch die Tendenz einer noch stärkeren Kon-
gen. Gemeint sind damit Prozentanteile der zentration des Deutsch als Fremdsprache-
Deutschlernenden an der Gesamtzahl der Lernens auf Europa.
fremdsprachenlernenden Schüler. Es handelt Es ist günstig, dass statistische Erhebun-
sich in so gut wie allen Fällen um Sekundar- gen vorliegen, die ⫺ wenigstens bis zu einem
stufenschüler, denn auf der Primarstufe wird gewissen Grad ⫺ Aufschluss liefern über die
nur in Ausnahmefällen Deutsch als Fremd- quantitative Entwicklung des Deutsch als
sprache gelernt, und dann auch nur von sehr Fremdsprache-Lernens in der ersten Hälfte
kleinen Schülergruppen. Diese sind in die unseres Jahrhunderts (vgl. Tabelle 6.2).
hier wiedergegebenen Zahlen einbezogen. Tabelle 6.2 lässt sich vor allem entnehmen,
Tabelle 6.1. kann man entnehmen, dass im dass Deutsch in Europa auch schon früher
Erhebungszeitraum 1982/83 in mindestens 87 einen höheren Anteil unter den Fremdspra-
Ländern Deutsch als Fremdsprache unter- chen hatte als weltweit und dass es zu be-
richtet wurde; im Erhebungszeitraum 1993/ stimmten Zeiten auffällige Einbrüche in der
94 dagegen in mindestens 101 Ländern. Bei Entwicklung gegeben hat (vgl. auch Thierfel-
oberflächlicher Betrachtung ergibt sich dar- der 1938, 1957). Die gegensätzliche Entwick-
aus eine Vermehrung um 15 Länder. Dabei lung von Französisch und Deutsch zwischen
muss man allerdings berücksichtigen, dass den beiden Zeitpunkten 1913 und 1920 ist
sich gerade in zwei für das Deutsch als vor allem auf tiefgreifende Verschiebungen in
Fremdsprache-Lernen wichtigen Regionen den angelsächsischen Ländern, insbesondere
die Länderzahl erheblich erhöht hat, nämlich in den USA, infolge des I. Weltkrieges, zu-
im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, wo rückzuführen. Vor dem I. Weltkrieg war
aus einem Staat zwölf Staaten geworden sind, Deutsch in den USA die mit Abstand meist-
im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, wo gelernte Fremdsprache. So stehen im Jahre
ein Staat in vier, und der einstigen Tschecho- 1910 den 216 869 Deutschlernenden nur
slowakei, die in zwei Staaten geteilt wurde. 90 591 Französischlernende gegenüber. In-
Auf der anderen Seite gibt es für 1993/94 ei- folge des I. Weltkrieges und der dadurch ver-
nige unzweifelhafte Erhebungslücken, und änderten US-amerikanischen Fremdspra-
zwar für Belgien und Luxemburg, für die chenpolitik schlägt das Verhältnis zwischen
keine Zahlen vorliegen, obwohl dort ohne beiden Fremdsprachen um. 1922 sind es nur
Zweifel Deutsch als Fremdsprache gelernt noch 13 385 Deutschlernende gegenüber
wird; in Luxemburg ist Deutsch sogar Unter- nicht weniger als 345 650 Französischlernen-
richtssprache. den. Auch Spanisch übertrifft Deutsch nach
Ob die Anzahl der Deutsch als Fremdspra- dem I. Weltkrieg und entwickelt sich dann im
che-Lernenden an Schulen weltweit insge- Weiteren zur meistgelernten Fremdsprache in
samt zugenommen hat, lässt sich nicht ohne den USA.
weiteres beantworten. Sie wurde in einer Er- Ob Deutsch heute noch weltweit als Schul-
hebung der Bundesregierung Ende der 70er fremdsprache an dritter Stelle liegt, ist frag-
Jahre auf 16 353 000 geschätzt (Sprachatlas lich. Möglicherweise wird es vom Spanischen
72 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Tab. 6.1: Deutsch als Fremdsprache an Schulen weltweit auf Grund von Erhebungen von 1982/83 und 1993/94
An Schulen überwiegend vertreten An zahlreichen Schulen vertreten An einigen Schulen vertreten

Europa 1982/83 1993/94 Europa 1982/83 1993/94 Europa 1982/83 1993/94


Albanien ⫺ 0,2 T Portugal 1,3% 5,7 T Griechenland 0,2% 20 T
Belgien 13,6% ⫺ Malta 3% 2,7 T
Bulgarien 122 T 130 T Amerika Spanien 0,01% 25 T
Dänemark 150 T 217 T Brasilien 0,6% 58,8 T Zypern 4% 2,3 T
Finnland 78% 111,5 T Chile 1,6% 22,5 T
Frankreich 19% 1449 T Kanada 1,4% 28 T Amerika
Großbritannien 2% 126,4 T USA 2,7% 350 T Argentinien 2T 17,7 T
Irland 5,7% 94,5 T Bolivien 1% 0,8 T
Island 56% 7T Afrika Costa Rica 0,6 T 0,4 T
Italien 5,2% 40,2 T Algerien 1,3% ? Dominikan.
Jugoslawien 440 T Benin 0,9% 4T Republik 0,01% ⫺
Bundes- Madagaskar 1,7% 10 T El Salvador 0,02% 0,6 T
republik Jug. ⫺ 62 T Namibia 8,6% 2,6 T Ecuador ⫺ 2,2 T
Kroatien ⫺ 142 T Obervolta 17,4% ⫺ Guatemala 0,09% 1T
Mazedonien ⫺ 8T Senegal 4,1% 8,4 T Haiti 0,07% 0,01 T
Moldau ⫺ 56,7 T Südafrika 5,4% 15,6 T Jamaica 0,08% ⫺
Slowenien ⫺ 209 T Togo 4% 9,9 T Kolumbien ⫺ 3,8 T
Slowakei ⫺ 389 T Zentralafrikanische Mexiko 0,01% 3,4 T
Luxemburg 88% ⫺ Republik 6,5% 2T Nicaragua ⫺ 0,4 T
Niederlande 35% 661 T Paraguay 1% 7,8 T
Norwegen 48,5% ⫺ Mittlerer Osten Peru ⫺ 5,9 T
Polen 32% 1364 T Ägypten 2,3% 71 T Uruguay 1,6% 1,8 T
Rumänien ? 283,8 T Venezuela 0,04% 2T
Schweden 46,4% 209 T Asien/Ozeanien
Schweiz (nicht Afghanistan 1,1% ⫺ Afrika
deutschsprachiger Neuseeland 4% 9T Angola ⫺ 0,01 T
Teil) 100% ⫺ Äthiopien 0,01% ⫺
Tschechien ⫺ 737.5 T Burundi 0,1 T ⫺
Tschechoslowakei 50% ⫺ Burkina Faso ⫺ 7,3 T
Türkei 11% 150 T Gabun 2,1 1,3 T
UdSSR 23% ⫺ Ghana 0,1% 0,2 T
Belarus ⫺ 257 T Kenia 1,9% 1,8 T
Estland ⫺ 60 T Kongo 0,02% ⫺
Georgien ⫺ 172 T Lesotho 0,02%
Litauen ⫺ 91 T Marokko 0,4% 4,5 T
Lettland ⫺ 72,3 T Mauretanien ⫺ 0,06 T
Russ. Föderation ⫺ 4.205 T Niger 0,13 T 0,1 T
Ukraine ⫺ 834 T Ruanda 0,03 T ⫺
Ungarn 12,4% 538,5 T Sierra Leone 0,4% ⫺
Swasiland 0,15% ⫺
Afrika Tansania 0,04% ⫺
Kamerun 10% 105 T Tunesien 0,3 T 11,7 T
Elfenbeinküste 27% 99,1 T Uganda 0,8% 2T
Mali 25,4% 20,9 T Zaire 0,001% ⫺
Zimbabwe 0,05% 0,1 T
Asien/Ozeanien
Australien 9% 165 T Mittlerer Osten
Indonesien 5,7% 250 T Bahrein ⫺ 0,03 T
Kasachstan ⫺ 734 T Iran ⫺ 0,6 T
Kirgisien ⫺ 150 T Jordanien 2,9% 0,1 T
Korea 7,6 526,4 T Kuweit ⫺ 0,03 T
Tadschikistan ⫺ 270 T Libanon 0,8% 1,3 T
Turkmenistan ⫺ 75 T Oman ⫺ 0,04 T
Usbekistan ⫺ 500 T Sudan ⫺ 0,7 T
Vereinigte Ara-
bische Emirate ⫺ 0,13 T
Asien/Ozeanien
China 0,01% 0,2 T
Hongkong 0,02% 1T
Indien 0,06% ⫺
Japan 0,08% 4T
Malaysia ⫺ 0,4 T
Mongolei ⫺ 1T
Nepal ⫺ 0,04 T
Pakistan 0,01 T ⫺
Philippinen 0,001 ⫺
Singapur 0,02% 0,4 T
Sri Lanka 0,7 1T
Taiwan ⫺ 0,03 T
Thailand 0,01% 2,5 T
Vietnam ⫺ 0,2 T

… T ⫽ tausend (B : 0,2 T ⫽ 200)


⫺ ⫽ keine Zahlenangabe in Quellen oder keine Erhebung
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 73

Tab. 6.2: Anteile der Fremdsprachen an den Unterrichtsstunden in den Schulen zwischen 1908 und 1938 in Pro-
zent (nach Fränzel 1939, 110⫺115)

1908 1913 1920 1923 1928 1932 1938

Englisch Europa 20,7 20,7 20,8 25,4 25,6 25,7 30,9


Weltweit 43,3 43,9 44,0 45,9 46,6 46,4 48,0
Französisch Europa 42,1 42,1 46,2 39,4 39,0 37,3 31,2
Weltweit 27,3 26,7 29,4 26,9 26,5 25,1 23,3
Deutsch Europa 20,7 20,7 16,0 24,3 24,6 25,6 23,1
Weltweit 15,2 15,4 11,1 13,6 13,6 13,0 12,0
Italienisch Europa 1,0 1,0 1,1 1,6 1,8 1,8 3,4
Weltweit 0,6 0,4 0,5 0,7 0,7 0,7 1,3
Spanisch Europa 4,2 4,2 4,6 5,6 5,3 5,2 7,0
Weltweit 4,4 4,4 5,9 6,3 6,0 5,2 5,5
Sonstige Europa 11,3 11,3 11,3 3,7 3,7 4,4 4,4
Weltweit 9,2 9,2 9,1 6,6 6,6 9,6 9,6

übertroffen. Im größeren Pazifischen Raum Fremdsprache hinter Englisch, aber deutlich


wird außerdem das Japanische heute mehr vor Französisch. Dies lässt sich Tabelle 6.3
gelernt als das Deutsche. Daneben gewinnen entnehmen. (Bei pari passu-Platzierung von
verschiedenenorts bislang nur wenig beach- zwei Sprachen wurde für die Ermittlung der
tete Fremdsprachen an Bedeutung und wer- Rangordnung beiden Sprachen der Wert ½
den gewissermaßen zu Konkurrenten des zugeschrieben.) Die Zahlen für Russisch sind
Deutschen, insbesondere Chinesisch, Ara- unklar und wurden deshalb weggelassen; si-
bisch, Portugiesisch und Indonesisch. cher scheint nur, dass sie insgesamt weit hin-
Gesonderte Betrachtung verdient die Ent- ter denen für Deutsch liegen.
wicklung in Osteuropa. In keiner Region der
Welt hat Deutsch einen so großen Anteil am Tab. 6.3: Fremdsprachen-Schüler in Mittel- und
Fremdsprachenunterricht wie in Mittel- und Osteuropa und in der Gemeinschaft Unabhängiger
Osteuropa ⫺ wenn man von geographisch Staaten (GUS) 1994 (in Mio.)
sehr begrenzten Sonderfällen absieht wie Lu-
1. 2. 3. Gesamt-
xemburg (Deutsch staatliche Amtssprache)
Platz Platz Platz zahl
oder die französischsprachige Schweiz
(Deutsch erste Fremdsprache). Das Deutsch- Englisch 14,5 7 ⫺ 21,2 Mio.
lernen hat in Mittel- und Osteuropa einen Deutsch 4,5 12 4 11,4 Mio.
Schub erfahren durch die Auflösung der So- Französisch 2 2 17 6,7 Mio.
wjetunion und die Entstehung neuer unab-
hängiger Staaten (vgl. z. B. Götze 1996). In
den Schulen dieser Staaten wurde fast aus- Länder mit erstem Platz für Englisch:
nahmslos das zuvor obligatorische Russisch Armenien, Aserbaidschan, Bulgarien, Est-
zu einer Wahlpflicht-Fremdsprache degra- land, Georgien (pari passu mit Deutsch),
diert; gleichzeitig erhielten weitere Sprachen Kirgisistan, Lettland, Litauen, Polen,
den Status von Wahlpflicht-Fremdsprachen, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan,
vor allem Deutsch, Englisch und Franzö- Ukraine, Usbekistan, Weißrussland.
sisch. In fünf Staaten ist Deutsch zur meistge- Länder mit erstem Platz für Französisch:
wählten Schulfremdsprache geworden, näm- Moldau, Rumänien.
lich (Prozent der Gesamtschülerzahl, die dort
Deutsch wählten, jeweils in Klammern): in 4. Deutsch als Fremdsprache und
der Tschechischen Republik (52%), in Un- Germanistik an Hochschulen
garn (47%), in der Slowakischen Republik
(47%), in Kasachstan (46%) und in Georgien An den Hochschulen muss man das Studium
(45% ⫺ pari passu mit Englisch) (Zahlen für der deutschen Sprache und Literatur, also
1994; Erhebung des Auswärtigen Amts). das Germanistikstudium, unterscheiden vom
Allerdings ist für ganz Mittel- und Osteuropa praktisch ausgerichteten Erlernen des Deut-
Deutsch nur die zweithäufigst gelernte schen (Deutschlernen bzw. spezieller Deutsch
74 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

als Fremdsprache-Lernen). Der Unterschied ser Zusammenhang wird auch durch den Be-
zeigt sich bisweilen auch deutlich darin, dass richt der Bundesregierung (1985) bestätigt,
Germanisten die deutsche Sprache zumindest der nur neun kleine Länder ausweist, in de-
mündlich nicht unbedingt gut beherrschen, nen Deutsch als Fremdsprache zwar auf der
während Sprachlerner unter Umständen keine Schule, aber nicht auf der Hochschule gelernt
Kenntnisse der deutschen Literatur haben. wird. Dagegen ist die umgekehrte Sachlage,
Die Bezeichnung Deutschstudierende an Hoch- dass nämlich Deutsch als Fremdsprache
schulen umfasst im Weiteren beide Kategorien: nicht auf der Schule, sondern erst auf der
Germanisten und Deutsch als Fremdsprache- Hochschule angeboten wird, häufiger. Sie
Lerner. In Ländern, in denen Deutsch als wird im Bericht der Bundesregierung (1985,
Fremdsprache an Schulen und an Hochschu- 28⫺47) für immerhin 21 Länder festgestellt,
len angeboten wird, entwickeln sich die Ler- und zwar:
nerzahlen in der Regel auf beiden Ebenen
Lateinamerika: Bahamas, Costa Rica,
einigermaßen parallel. Dies belegen zahlrei-
Ecuador, Kuba, Nicaragua,
che, auch indirekte Einzelbeobachtungen; re-
Panama;
präsentative Langzeituntersuchungen liegen
Afrika: Angola, Guinea, Liberia,
allerdings nicht vor. So weist Lévy (1950/52,
Mosambik, Nigeria;
224⫺228) darauf hin, dass in Frankreich in
Nahost: Irak, Israel, Kuwait, Saudi-
der Zeit nach dem I. Weltkrieg die Deutsch
Arabien, Syrien;
als Fremdsprache-Lernenden an Hochschu-
Asien: Bangladesch, Birma, China/
len und Schulen gleichermaßen hinter die Taiwan, Laos, Malaysia.
Lerner von Englisch als Fremdsprache zu-
rückgefallen sind. Entsprechendes lässt sich Sofern es an den Hochschulen sowohl Ger-
Angaben von Kloss (1971, 118⫺121) in Be- manistik als auch Deutsch als Fremdsprache-
zug auf die USA entnehmen, wo Deutsch bis Unterricht gibt, sind die Teilnehmerzahlen in
1917 an den Hochschulen wie an den Schulen der Germanistik in aller Regel geringer. So
meistgelernte bzw. -studierte Fremdsprache wird im Bericht der Bundesregierung (1985)
war, während es danach auf beiden Ebenen die weltweite Gesamtzahl der Germanisten
von Französisch und später auch von Spa- auf 91 533, die der Sprachlerner dagegen auf
nisch überflügelt wurde. Nicht-parallele Ent- 1,3 Mio. geschätzt. Diese Proportionen dür-
wicklungen der Proportionen finden sich na- fen allerdings nicht zu dem Fehlschluss verlei-
türlich dort, wo Deutsch als Fremdsprache in ten, dass das Angebot der Germanistik im-
einer der beiden Ebenen neu eingeführt oder mer mit dem Angebot praktischer Sprach-
ganz eliminiert wurde. Ein Beispiel für Letz- kurse einhergehe. Vor allem in Ländern, die
teres ist Japan, wo Deutsch als Fremdsprache schon auf der Schule ein breites Deutsch als
bis zum Ende des I. Weltkrieges auf allen Fremdsprache-Angebot vorzuweisen haben,
Gymnasien vertreten war, aber danach prak- scheinen praktische Sprachkurse auf der
tisch aus dem Schulbereich verschwand ⫺ Hochschule bisweilen nur noch eine geringe
wenn man vom Fortbestehen als bloßes Rolle zu spielen. So weist der Bericht der
Wahlfach in heute gerade noch ungefähr 90 Bundesregierung (1985) immerhin 16 Länder
Oberschulen absieht (Itoi 1994; Hirataka aus, in denen zwar Germanistikstudien, aber
1994). Als Folge der grundsätzlichen Ein- keine Deutsch als Fremdsprache-Kurse an
schränkung des Fremdsprachenunterrichts in den Hochschulen angeboten werden.
den Schulen auf das Englische in Japan hat Zwischen Germanistik und Sprachlernen
die Zahl der Deutsch als Fremdsprache-Ler- besteht auch heute noch vielfach ein eigen-
nenden an den Schulen in der Zeit nach dem tümliches Spannungsverhältnis. Für die Ger-
II. Weltkrieg drastisch abgenommen, wäh- manisten ist der praktische Sprachunterricht
rend ihre Zahl an den Hochschulen zuge- vielfach die häufigste Berufsperspektive; je-
nommen hat. Letzteres hängt mit der allge- doch werden sie mitunter gerade dafür unzu-
meinen Zunahme des Fremdsprachenunter- reichend ausgebildet. Wenn sich diese Diskre-
richts in der neueren Zeit zusammen, die panz in neuerer Zeit auch zunehmend verrin-
auch für Japan zu verzeichnen ist. gert, so besteht sie dennoch vielerorts fort
Man kann davon ausgehen, dass Länder oder wird zumindest nicht konsequent und
mit Deutsch als Fremdsprache an den Schu- nicht mit voller Bereitschaft der Beteiligten
len in aller Regel auch Deutsch als Fremd- abgebaut (vgl. z. B. Nakajima 1994). Das
sprache an den Hochschulen aufweisen. Die- praktische Sprachlernen zeigt in neuerer Zeit
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 75

einen weit stärkeren Zuwachs als das Germa- wicklungen, wie z. B. bei den 16 Goethe-In-
nistikstudium. Als Hauptmotiv lässt sich die stituten im Inland einen Rückgang der Teil-
Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen nehmerzahlen um 20% im Berichtszeitraum
zum deutschen Sprachgebiet, einschließlich 1993/94, der unter anderem durch die Angst
des Tourismus aus dem deutschen Sprachge- vor Ausländerfeindlichkeit in Deutschland
biet, ausmachen bzw. die im Zusammenhang bedingt gewesen sein dürfte (vgl. Jahrbuch
damit stehenden Berufsaussichten (vgl. des Goethe-Instituts 1993/94, 7). Bemerkens-
Glück 1992; Ammon 1991, 150⫺211, 331⫺ werte Zunahmen verzeichnen fachlich spezia-
360). lisierte Sprachkurse, vor allem in Wirt-
schaftsdeutsch und in Deutsch für Touristen.
Der Versuch, einen weltweiten Überblick
5. Erwachsenenbildung über das Deutsch als Fremdsprache-Lernen
an Privatschulen zu gewinnen, wäre eine Si-
Gemeint ist hier der Bereich außerhalb der syphusarbeit, nicht nur wegen der Vielzahl
(schon in 4. behandelten) Hochschulen, der und Heterogenität der Institute, sondern
allerdings wegen seiner Heterogenität kaum auch wegen ihrer teilweise erheblichen Fluk-
überschaubar ist. Er umfasst die Sprachkurse tuation. Nicht alle Lerner an solchen Privat-
einerseits in den Massenmedien (Radio, Fern- schulen sind Erwachsene, jedoch dürften sie
sehen) einschließlich des Selbststudiums mit- den größeren Teil ausmachen. Den enormen
tels verschiedener Medien (Lehrbücher, Ton- Umfang des Deutsch als Fremdsprache-Ler-
und Bildkassetten), andererseits im vielfäl- nens an Privatschulen verraten schon ein-
tigen personalen Unterricht (im direkten zelne Zahlen, die nur verhältnismäßig kleine
Kontakt mit Lehrpersonen), in staatlichen Teilmengen bilden dürften. So wurden an den
Zusatzbildungsinstituten (Entsprechungen Instituten der Berlitzschule, allerdings der
zur Volkshochschule), in Kulturinstituten weltweit größten privaten Sprachschule, im
deutschsprachiger Länder (Goethe-Institut Jahre 1995 nicht weniger als 411 770 Deutsch
u. a.), im berufsbezogenen Fremdsprachen- als Fremdsprache-Unterrichtsstunden erteilt.
unterricht (z. B. die Carl-Duisberg-Sprach- Damit rangierte Deutsch immerhin an dritter
Zentren), im Fremdsprachenunterricht von Stelle aller Fremdsprachen hinter Englisch
Betrieben sowie in privaten Sprachschulen. (3 202 775 Stunden) und Spanisch (449 991
Punktuelle Daten lassen die zahlenmäßige Stunden), noch vor Französisch (391 711
Größe dieses vielfältigen Bereichs ahnen. So Stunden). Die von den Berlitzschulen ge-
werden z. B. für Japan die Teilnehmer an Ra- führte Statistik liefert auch einen Überblick
dio- und Fernseh-Deutsch als Fremdsprache- über die Entwicklung und die regionale Ver-
Kursen auf jährlich rund 400 000 geschätzt teilung des Deutsch als Fremdsprache-Ler-
(Stuckenschmidt 1989, 19) oder bieten von nens im Vergleich zu anderen großen Fremd-
den mindestens 7500 privaten Sprachschulen sprachen. Sie ist wiedergegeben in Tabelle
6.4. Die Rangordnung der Sprachen richtet
in Japan immerhin rund 17%, also ca. 1275,
sich dabei nach den jüngsten verfügbaren
Deutsch als Fremdsprache-Kurse an (Noro
Zahlen (1995).
1994, 314⫺315). Die Bundesregierung kennt
Wie man sieht, ist der Gesamtanteil von
die meist verhältnismäßig großen Zahlen von Deutsch in den letzten Jahren stabil geblieben
Deutsch als Fremdsprache-Medienkursen (genauer lag er 1995 bei 8,3%). Auch Spa-
und unterstützt im Rahmen der Förderung nisch hat sich praktisch nicht verändert (1995
der deutschen Sprache die Entwicklung von 9,1%). Englisch hat noch einmal etwas zuge-
Radio- und Fernseh-Deutsch als Fremdspra- nommen (1995 64,7%), während Französisch
che-Kursen. merklich zurückgegangen ist (1995 7,9%).
Im Angebot von Deutsch als Fremdspra- Chinesisch macht sich als neue Größe be-
che für die Erwachsenenbildung spielen auch merkbar und hat sogar das Japanische über-
die Sprachkurse der Kulturinstitute Deutsch- holt (1,279% gegenüber 1,272%), dessen
lands und Österreichs eine wichtige Rolle, Anteil erstaunlicherweise zurückgegangen ist.
vor allem die des Goethe-Instituts. Die Teil- Bei der regionalen Verteilung fällt besonders
nehmerzahlen haben im Verlauf der letzten auf, dass Deutsch seinen Schwerpunkt deut-
Jahrzehnte ziemlich kontinuierlich zugenom- lich in Europa hat. Die Konzentration auf
men. Sie lagen beim Goethe-Institut 1967 bei Europa zeigt Deutsch als Fremdsprache auch
rund 65 000 und 1994 bei über 145 000. Aller- in den Bereichen von Schule und Hoch-
dings gibt es auch partiell rückläufige Ent- schule.
76 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Tab. 6.4: Anteile der Sprachen an den Unterrichtsstunden der Berlitz-Sprachschulen in Prozent

Regionale Verteilung
Anfang Europa Nord- Latein- Fernost
der 70er amerika amerika
Jahre 1989 1995 1989 1995 1989 1995 1989 1995 1989 1995

Englisch 42 63 65 37 35 12 14 21 27 30 24
Spanisch 12 9 9 24 22 62 59 12 12 2 2
Deutsch 12 8 8 64 79 23 14 6 2 7 5
Französisch 25 11 8 54 58 34 31 5 4 7 7
Italienisch ⫺ 3 2 58 65 36 26 3 2 3 7
Chinesisch ⫺ ⫺ 1 ⫺ 5 ⫺ 23 ⫺ ⫺ ⫺ 73
Japanisch ⫺ 2 1 9 10 53 58 ⫺ 1 38 31
Niederländisch ⫺ 1 1 96 90 4 10 ⫺ ⫺ ⫺ ⫺
Portugiesisch ⫺ 1 1 28 29 36 47 30 18 6 7
Russisch ⫺ ⫺ 1 ⫺ 53 ⫺ 43 ⫺ ⫺ ⫺ 4
Sonstige 9 2 2 25 52 36 27 25 1 14 21

6. Zur Rolle und Entwicklung des z. B. im Bericht der Bundesregierung (1985)


Deutschunterrichts in einzelnen dargestellt werden, bleiben sehr an der Ober-
fläche, da sie sich auf Lernerzahlen und För-
Ländern dermaßnahmen von Seiten deutschsprachiger
6.1. Methodische Vorbemerkung Länder beschränken. Insbesondere fehlt es
an länderübergreifenden Motivations- und
Beschreibungen des Deutschunterrichts in Bedarfsuntersuchungen, die genaueren Auf-
verschiedenen Ländern sollten sich zum schluss darüber liefern würden, aus welchem
Zwecke der Vergleichbarkeit an einem ein- Grund Deutsch gelernt wird und welchen Be-
heitlichen Beschreibungsschema orientieren. darf, vor allem in der Berufswelt, es an
Dieses sollte alle Komponenten enthalten, die Deutschkenntnissen gibt. Wegen dieser Lü-
für die Erklärung der Entwicklung des cken bleiben die folgenden Hinweise trotz
Deutschunterrichts in einem Land relevant teilweiser Absicherung durch Daten weitge-
sind. Ein solches Vorgehen kann hier nur als hend impressionistisch. Bei der Auswahl der
Desiderat formuliert werden. Einerseits gibt folgenden Staaten wurde darauf geachtet,
es derzeit noch keine gesicherten Erkennt- dass Merkmale variieren, an deren Bedeut-
nisse darüber, welche Komponenten einer samkeit für das Deutschlernen kein ernsthaf-
solchen Beschreibung für die Erklärung der ter Zweifel besteht:
Entwicklung des Deutschunterrichts in einem
Land relevant sind, ganz zu schweigen von (a) Der technologische Entwicklungsstand
Möglichkeiten der Gewichtung dieser Rele- des Landes: Für Angehörige von weniger ent-
vanz. Dies zeigt sich auch an der Ver- wickelten Ländern dienen Deutschkenntnisse
schiedenheit der Zugriffe in den vorliegenden nach wie vor als Schlüssel zu technologischen
Versuchen von Gesamtbeschreibungen des und wissenschaftlichen Informationsquellen,
Deutschunterrichts für einzelne Länder. Man während dies bei hochentwickelten Ländern
vergleiche diesbezüglich nur etwa Lévy (1950/ kaum mehr der Fall ist. Dies zeigt sich z. B.
51) für Frankreich, Vaagland (1991; Kurzfas- daran, dass bei Gaststudierenden in den
sung 1988) für Norwegen oder Ortmanns deutschsprachigen Ländern, die aus weniger
(1993) für Großbritannien. Andererseits feh- entwickelten Ländern kommen, die Inge-
len vergleichbare zuverlässige Daten für fast nieurwissenschaftler überwiegen, bei Gast-
alle denkbaren relevanten Komponenten. Die studierenden aus hochentwickelten Ländern
empirischen Lücken dürften teilweise durch dagegen die Kulturwissenschaftler.
theoretische Lücken bedingt sein, da mangels (b) Das Vorhandensein einer deutschen
eines fundierten Beschreibungsschemas keine Ethnie oder einer deutschsprachigen Minder-
länderübergreifenden Datenerhebungen statt- heit: Solche Personen haben bisweilen spezifi-
finden konnten. Auch die weltumspannenden sche Motive, Deutsch zu lernen, die mit Be-
Erhebungen des Auswärtigen Amtes, wie sie griffen wie ,Bewahrung der ethnischen Identi-
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 77

tät‘ oder ,Spracherhaltung‘ umrissen werden 6.2. Ungarn


können. In Ländern ohne entsprechende Ungarn gehört zu den wenigen Ländern, in de-
Minderheiten fehlen diese Motive. nen Deutsch meistgelernte Schulfremdsprache
(c) Intensität der Kontakte zu deutschspra- ist (557 292 Deutschlernende gegenüber
chigen Ländern: Solche intensiven Kontakte 519 743 Englischlernenden im Jahre 1994,
bestehen normalerweise auch im Falle der geo- nach Zahlen des Auswärtigen Amtes) (vgl.
graphischen Nachbarschaft zu den deutsch- auch Art. 160). Allerdings dominiert Deutsch
sprachigen Ländern, außer bei politisch be- nur an den „Grundschulen“ (1.⫺8. Klasse),
dingten Barrieren (z. B. „Eiserner Vorhang“). für die 1992/93 46% Deutschlerner gegenüber
Im Falle intensiver Kontakte ist die Motiva- 31% Englischlernern ausgewiesen werden.
tion zum Deutschlernen durchschnittlich hö- Deutsch rangiert auch unter den angegebe-
her, nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Grün- nen Fremdsprachenkenntnissen an erster
den, als beim Fehlen solcher Kontakte. Stelle; 1986 wurden in einer Befragung bei
(d) Traditioneller Umfang des Deutschler- 7,8% der Bevölkerung Deutschkenntnisse,
nens: Eine große Tradition des Deutschler- bei 3% Russischkenntnisse, bei 1,9% Englisch-
nens hat ihre eigengesetzliche Trägheit und kenntnisse und bei 0,8% Französischkennt-
bewirkt weiterhin Deutschlernen in größerem nisse festgestellt (Bassola/Bradean-Ebinger
Umfang, auch wenn die ursprünglichen 1987, 355). Dagegen sind es am Gymnasium
Gründe für das Deutschlernen nicht mehr im gleichen Erhebungszeitraum nur 33%
oder nicht mehr im gleichen Ausmaß wie vor- Deutschlerner gegenüber 43% Englischler-
dem existieren. Dies ist nicht nur dadurch be- nern (Mitteilung Csaba Földes). (Die Zahlen
gründet, dass die vorhandenen Deutschlehrer für Russisch und Französisch liegen beide
für ihre Weiterbeschäftigung kämpfen, son- Male weit niedriger.) Auch an den Hochschu-
dern auch dadurch, dass das Deutschlernen len wird mehr Englisch als Deutsch gelernt.
zu einem Teil der Kultur des Landes gewor- Die Unterschiede zwischen den Schulformen
den ist. Daraus regeneriert sich ein fortdau- reflektieren die verschiedenartige Funktion
ernd stärkeres Interesse am Erlernen dieser der Sprachen: Deutsch dient dem Kontakt zu
Sprache, als wenn keine entsprechende Tradi- den deutschsprachigen Ländern; Englisch
tion existiert. fungiert hingegen als vorrangige internatio-
(e) Sprachkonstellation des Landes: Die nale Wirtschafts- und Wissenschaftssprache,
Mutter- und Amtssprachen und die anderen die auf dem Gymnasium und erst recht an
Fremdsprachen: Im Falle mehrerer nationa- den Hochschulen wichtiger ist. Entspre-
ler Amtssprachen müssen Schüler oft zu- chende Unterschiede lassen sich auch für an-
nächst einmal die anderen nationalen Amts- dere mittel- und osteuropäische Länder fest-
sprachen, die nicht ihre Muttersprache sind, stellen.
als Fremdsprache erlernen. Damit bleibt für Der bemerkenswerte Rang der deutschen
zusätzliche Fremdsprachen weniger Spiel- Sprache in Ungarn ist einerseits bedingt
raum. Je nachdem, ob Deutsch zu diesen an- durch die Nachbarschaft zu den deutschspra-
deren nationalen Amtssprachen gehört oder chigen Ländern und die dadurch möglichen
nicht, wird es beim Fremdsprachenlernen intensiven Kontakte. Andererseits wirkt darin
stärker bevorzugt oder mehr zurückgedrängt. sicher die traditionelle Verbundenheit mit
So ist Deutsch z. B. in der französischspra- dem deutschsprachigen Raum aus der Zeit
chigen Schweiz als Teil eines Staates, in dem der k. u. k.-Monarchie nach. Dementspre-
Deutsch nationale Amtssprache ist, erste chend wird das Deutschlernen außer durch
Fremdsprache; in Belgien, wo Deutsch nur Deutschland besonders kräftig durch Öster-
regionale Amtssprache ist, steht es dagegen reich gefördert, das in Budapest ein Kulturin-
eher hintenan. Die Belgier lernen zunächst stitut unterhält, das Deutschkurse anbietet,
einmal die jeweils andere nationale Fremd- sowie ein Gymnasium mit Deutsch als Unter-
sprache (die Flamen Französisch, die Wallo- richtssprache.
nen Niederländisch), danach gewöhnlich Eine besondere Rolle für das Deutschler-
Englisch und erst dann vielleicht Deutsch. nen spielt außerdem die Minderheit „deut-
In der nachfolgenden Länderskizze wird vor scher Nationalität“, deren Zahl auf rund
allem auf diese Faktoren rekurriert, aber teil- 220 000 geschätzt wird. Für diese Minderheit
weise auch auf andere; die detaillierte Dar- wird Deutsch neuerdings weder als Mutter-
stellung ihrer Wirksamkeit oder ihrer Ge- noch als Fremdsprache angeboten, sondern
wichtung ist jedoch mangels einschlägiger als Nationalitätensprache (vgl. Földes 1992).
Kenntnisse ausgeschlossen. Deutsch ist für die deutsche Nationalität in-
78 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

sofern nicht mehr ohne weiteres Mutterspra- Das wachsende Interesse an der deutschen
che, als beträchtliche Teile der Jugendlichen Sprache ist teilweise wissenschaftlich-techno-
keine oder nur rudimentäre Kenntnisse ha- logisch bedingt; für das sich noch entwi-
ben ⫺ in Pécs (Fünfkirchen) fanden sich bei ckelnde Land Türkei dienen Deutschkennt-
einem Fünftel der Jugendlichen keine, bei ei- nisse als wichtige Informationsquelle für den
nem weiteren Viertel nur rudimentäre fortgeschrittenen Stand von Wissenschaft
Deutschkenntnisse, und ein weiteres Drittel und Technologie, und für türkische Studie-
hatte „Verständnis- und Ausdrucksschwierig- rende bieten die Hochschulen in den deutsch-
keiten“ (Nelde/Vandermeeren/Wölck 1991, sprachigen Ländern attraktive Ausbildungs-
120). Deutsch ist für die Ungarndeutschen möglichkeiten. Eine noch wichtigere Rolle
aber auch nicht Fremdsprache im gleichen für das zunehmende Deutschlernen spielen
Sinn wie für die übrigen Ungarn, denn sie allerdings die wirtschaftlichen Kontakte zwi-
finden daran so etwas wie ihre ethnische schen der Türkei und den deutschsprachigen
Identität, auch wenn sie die Sprache nicht Ländern. Eine wesentliche Komponente die-
mehr beherrschen. Sie sind daher anders, und ser Kontakte ist die Arbeitsmigration. Sie
in der Regel in höherem Maße, motiviert zum entwickelt sich, grob gesprochen, in zwei
Deutschlernen. Diesem Umstand versucht Phasen: In den 70er Jahren wandern Millio-
das Lernen und Studium für Deutsch als Na- nen von türkischen Arbeitsmigranten in die
tionalitätensprache Rechnung zu tragen. Da- deutschsprachigen Länder, und seit den 80er
für wurden und werden auch besondere Jahren wandern beträchtliche Teile von dort
Lehrmethoden entwickelt, die einerseits die wieder zurück in die Türkei. Andere Teile
spezifischen Einstellungen der Lernenden zur bleiben dauerhaft in den deutschsprachigen
deutschen Sprache und andererseits ihre noch Ländern. Zunächst stimulierte die Aussicht
vorhandenen Sprachkenntnisse berücksichti- auf Migration aus der Türkei in die deutsch-
gen. Ein Beispiel für Letzteres ist die „dialek- sprachigen Länder das Deutschlernen. Seit
tophone Methode“ (Földes 1992, 91), mit der ungefähr der Mitte der 80er Jahre spielen da-
an den häuslichen Dialekt angeknüpft wer- gegen die Remigranten eine immer wichtigere
den soll. und heutzutage sogar die beherrschende
Rolle im Deutschunterricht in der Türkei
6.3. Türkei (vgl. z. B. Polat/Tapan 1996; Treffers-Daller/
Die deutsche Sprache hat in türkischen Erzie- Daller 1995; Sieben 1994). Schon in der zwei-
hungsinstitutionen eine lange Tradition, als ten Hälfte der 80er Jahre entstehen Reinte-
deren Beginn meist das Gründungsjahr der grationsschulen für die Remigranten aus
Deutschen Schule in Istanbul, 1868, genannt den deutschsprachigen Ländern, in denen
und in deren Zusammenhang gewöhnlich Deutsch Unterrichtssprache ist, zumindest in
auch das traditionsreiche österreichische St.- einem Teil der Fächer (Emmert 1987, 67).
Georgs-Gymnasium in Istanbul erwähnt Diese Reintegrationsschulen sind von den
wird. In den 30er Jahren dieses Jhs. wurde traditionellen Gymnasien mit Deutsch als
Deutsch auch wichtige Unterrichtssprache an Unterrichtssprache in einem Teil der Fächer
türkischen Universitäten, da dort zahlreiche zu unterscheiden, von denen es 1988 insge-
vor dem Nationalsozialismus geflohene deut- samt 10 gab (die deutsche und die österrei-
sche Wissenschaftler lehrten, die des Türki- chische Schule in Istanbul, ein staatliches tür-
schen nicht mächtig waren (Emmert 1987, kisches Gymnasium in Istanbul und sieben
61f.). Dessen ungeachtet spielte Deutsch in Privatschulen in verschiedenen Städten (Wer-
früheren Zeiten im Vergleich zu Französisch, ner 1988, 141⫺143). Vor allem an den Hoch-
und später im Vergleich zu Englisch, eine schulen werden die Germanistik und der Un-
eher untergeordnete Rolle. Allerdings nähern terricht in „Deutsch als Fremdsprache“ teil-
sich die Lernerzahlen an den Schulen für weise vollständig von den Rückkehrern do-
Deutsch Anfang der 80er Jahre denen für miniert; man könnte geradezu von einem spe-
Französisch an; für 1982/83 werden 340 000 zifischen Lehr-Lern-Typ „Deutsch als Rück-
Deutschschüler, 350 000 Französischschüler kehrersprache“ (DaR) sprechen ⫺ neben den
und 1,62 Mio. Englischschüler gezählt (Knöß zuvor schon erwähnten Typen Deutsch als
1986, 241). Im Verlauf der 80er Jahre ver- Fremdsprache (DaF), Deutsch als Nationali-
drängte das Deutsche dann schließlich das tätensprache (DaN) und Deutsch als Zweit-
Französische auf den dritten Platz und ist sprache (DaZ) (vgl. Abschnitt 1.). Eine spezi-
seitdem die zweithäufigst gelernte Fremd- fische Konzeption für diesen Typ wird zwar
sprache in der Türkei (vgl. auch Art. 164). seit einigen Jahren an türkischen Universitä-
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 79

ten diskutiert, sie scheint aber noch nicht in dere Fremdsprachen teilweise beträchtlich ge-
ausgereifter Form vorzuliegen. Dessen unge- stiegen sind, vor allem für Japanisch, Chine-
achtet ist es zugleich ungewiss, wie es mit dem sisch und Arabisch.
Deutschstudieren weitergehen soll, wenn die (b) Die wachsende wirtschaftliche und poli-
Remigranten in Zukunft ausbleiben. ⫺ An- tische Bedeutung außereuropäischer Sprach-
wendungsmöglichkeiten für Deutschkennt- gemeinschaften. ⫺ In Bezug auf die genann-
nisse gibt es außerhalb des Lehrbetriebs vor ten Sprachen braucht nur daran erinnert zu
allem in der Tourismusbranche. werden, dass Japan inzwischen ein fast dop-
pelt so hohes Bruttosozialprodukt erreicht
6.4. USA hat wie alle deutschsprachigen Länder zu-
In den USA gibt es weit mehr Hochschulen sammengenommen, dass für China progno-
mit Deutschabteilungen als in allen deutsch- stiziert ist, es werde in absehbarer Zeit die
sprachigen Ländern zusammengenommen. USA wirtschaftlich überholen und die ge-
Für 1989 werden solche Abteilungen für 271 wichtigste ökonomische Macht der Welt sein,
Hochschulen ausgewiesen, und zwar mit ins- und dass die arabischen Länder spätestens
gesamt 2350 Lehrkräften. Diese Zahlen sind seit der Ölkrise ebenfalls als bedeutsame
beeindruckend, auch wenn es sich bei den Wirtschaftsmächte von sich reden gemacht
Abteilungen meist nicht um eine vollausge- haben. Die politische Bedeutsamkeit des Chi-
stattete Germanistik handelt, sondern über- nesischen und Arabischen zeigt sich unter an-
wiegend um praktische Sprachlehre im Rah- derem auch daran, dass beide Amtssprachen
men von Modern Language Studies oder um der Vereinten Nationen sind, das Deutsche
German Studies, in denen landeskundliche dagegen nicht.
Studienbausteine im weitesten Sinn eine ge- (c) Die mangelnde wissenschaftliche und
wichtigere Rolle spielen als das Sprachlernen. technologische Attraktivität des Deutschen
Im Gegensatz zu diesen beeindruckenden für hochentwickelte Industrieländer. ⫺ Sie ist
Zahlen stehen die seit Jahren wiederholten nicht nur bedingt durch den tatsächlichen
Lageberichte, nach denen das Deutschlernen wissenschaftlich-technologischen Rückstand
und -studieren mehr oder weniger kontinu- der deutschsprachigen Länder gegenüber den
ierlich abnimmt (vgl. z. B. Lützeler 1990). Ei- USA, sondern auch durch den Umstand,
nen Stimmungsumschwung hat es nur in der dass die Wissenschaftler und Techniker der
Zeit nach der deutschen Vereinigung, also deutschsprachigen Länder über ihre wichtig-
Anfang der 90er Jahre, gegeben, als das sten Neuerungen mehr und mehr in engli-
Deutschlernen einen unerwarteten Boom er- scher statt in deutscher Sprache publizieren.
lebte. Inzwischen ist die Stimmungslage unter Dadurch verliert ein vormals wichtiges Motiv
den US-amerikanischen Germanisten und für das Erlernen der deutschen Sprache,
Lehrenden von Deutsch als Fremdsprache nämlich Zugang zum fortgeschrittensten
wieder mindestens so pessimistisch wie in den Wissenschaftsstand zu gewinnen, mehr und
Jahren davor (vgl. auch Art. 143). mehr an Boden.
Diese Stimmung ist nicht unbegründet, sie
wird genährt durch tatsächlich sinkende Ler- Als vorherrschende Motive bleiben wissen-
nerzahlen. So ist die Zahl der Deutsch-Stu- schaftshistorische sowie kultur- und geistes-
dierenden an den Hochschulen von 1990 bis wissenschaftliche Interessen, denen die neu-
1995 um 28% gesunken, von 133 348 auf entwickelten German Studies, in denen
96 263. Auch an den Schulen, in denen ohne- Deutsch in Verbindung mit Geschichtswis-
hin nur verhältnismäßig wenig Deutsch ge- senschaft, Soziologie und anderen kultur-
lernt wird, zeigt sich eine abnehmende Ten- und geisteswissenschaftlichen Fächern stu-
denz. Als Ursachen für die ungünstige Ent- diert wird, Rechnung zu tragen suchen (vgl.
wicklung spielen verschiedene Faktoren zu- Kleinfeld 1990). In der Entwicklung interdis-
sammen, deren Gewichtung allerdings geson- ziplinärer Forschungs- und Ausbildungsrich-
derter empirischer Untersuchung bedürfte: tungen hat die US-amerikanische Germani-
(a) Die weiterhin zunehmende Dominanz stik teilweise auch für die Germanistik ande-
des Englischen als Welt-Lingua franca, auf rer Länder befruchtende Problemstellungen
Grund derer vielen englischsprachigen Perso- gefunden (vgl. Lützeler 1990 und die Beiträge
nen das Erlernen von Fremdsprachen ziem- in Trommler 1989). Ein speziell auf die
lich überflüssig erscheint. ⫺ Allerdings lässt Einwanderer aus den deutschsprachigen
sich damit nicht erklären, dass in den USA Ländern zugeschnittener Deutschunterricht
in den letzten Jahren die Lernerzahlen für an- scheint in den USA bislang nicht konsequent
80 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

entwickelt zu werden. Dies ist für Außenste- gische oder wissenschaftliche Informationen
hende erstaunlich angesichts der Tatsache, in deutschsprachigen Texten, die zuneh-
dass die Immigranten aus den deutschspra- mende wirtschaftliche Wichtigkeit anderer
chigen Ländern die größte Herkunftssprach- Sprachräume und damit auch ihrer Sprachen,
gruppe in den USA bilden und dass der die wachsende Dominanz von Englisch als
Deutschunterricht lange Zeit in erster Linie Welt-Lingua franca. Der zweitletzt genannte
Muttersprachunterricht für diese Immigran- Umstand macht sich bemerkbar vor allem im
ten war (vgl. Frank 1985). Wenn auch ein zunehmenden Interesse am Chinesischen, das
auf die deutschen Immigranten bezogener ⫺ im Gegensatz zu früheren Jahren ⫺ neuer-
Deutschunterricht grundsätzlich anders aus- dings bei Sprachkursen in Fernsehen und
zusehen hätte als der Unterricht als „Natio- Radio mehr als doppelt so viele Interessenten
nalitätensprache“ in Ungarn (vgl. Abschnitt findet wie Deutsch oder Französisch (Befunde
6.2.), da die Immigranten aus den deutsch- für 1994 in Okamura 1995). Der oben zuletzt
sprachigen Ländern in den USA keine geson- genannte Faktor wirkt auf Japan ⫺ obwohl
derte Nationalität bilden, so könnte es doch es selbst ein nicht-englischsprachiges Land ist
Parallelen geben. So ließe sich insbesondere ⫺ offenbar so, dass das Erlernen anderer
anknüpfen an der teilweise noch vorhande- Fremdsprachen als des Englischen fast als
nen Herkunftsidentität und damit verbunde- überflüssig bewertet wird. Entsprechend sind
nen spezifischen Motivation für das Deutsch- die Motive japanischer Deutschlernender
lernen. Die Motive für das Deutschlernen bei mindestens ebenso diffus wie diejenigen der
amerikanischen Schülern oder Studierenden US-amerikanischen Deutschlernenden (vgl.
sind allem Anschein nach vielfältig und gro- Honda 1994; Bauer 1989).
ßenteils diffus, was unter anderem damit zu- Deutschunterricht und das Deutschlernen
sammenhängt, dass Deutschkenntnisse außer- haben im heutigen Japan eine lange Tradi-
halb der Lehrberufe selten als berufliche tion, die bis zum Ende des 19. Jhs. zurück-
Qualifikation gefordert sind. reicht, weil sich die damalige japanische Re-
gierung bei ihren Modernisierungsbestrebun-
6.5. Japan gen wesentlich am deutschen Kaiserreich als
In Japan ist Deutsch vermutlich noch immer Modell orientierte. Dieses entsprach politisch
die zweithäufigst gelernte Fremdsprache, eher den konservativen Bestrebungen des
wenngleich der Abstand gegenüber Englisch Tenno-Reiches (vgl. Naka 1994) und zugleich
überwältigend und gegenüber den nachfol- auch den technologischen und wissenschaft-
genden Fremdsprachen geringfügig ist (vgl. lichen Modernisierungsabsichten, denn die
auch Art. 168). Im Gegensatz zum Engli- deutschsprachigen Länder konnten sich da-
schen wird es praktisch nur auf der Hoch- mals technologisch und wissenschaftlich
schule gelernt ⫺ abgesehen von der Wahl- durchaus mit den angelsächsischen messen
möglichkeit an einigen wenigen Oberschulen. (vgl. zur Kombination beider Motive Am-
Bis 1991 war der Stand der Deutschstudien mon 1992). Die Rolle des deutschen Kaiser-
an den Hochschulen relativ gesichert, da bis reichs als staatspolitisches Modell hat sich
dahin das Studium einer zweiten Fremdspra- z. B. dahingehend ausgewirkt, dass große
che (neben Englisch) obligatorisch war. Eine Teile des deutschen Rechtswesens, vor allem
Hochschulreform im Jahr 1991 stellt es nun des öffentlichen Rechts, übernommen wur-
den einzelnen Hochschulen oder sogar den den (Mori 1994). Die Vorbildfunktion der
einzelnen Fachbereichen frei, auf die Forde- deutschen Wissenschaft schlug sich z. B. in
rung einer zweiten Fremdsprache zu verzich- den Einflüssen auf die japanische Medizin
ten. Einige Hochschulen haben von dieser nieder, die so weit gingen, dass bis in die
Möglichkeit schon Gebrauch gemacht und jüngste Vergangenheit sogar die Krankenkar-
weitere werden vermutlich folgen. Dies ist teien der praktizierenden Ärzte in deutscher
einer der Gründe, warum japanische Sprache geführt wurden (Kakinuma 1994).
Deutschlehrende ihr Fach ähnlich bedroht In beiden Berichten gewinnen neuerdings,
sehen, wie es oben für die USA geschildert wie auch ansonsten, die USA und die eng-
wurde (vgl. die Beiträge in Ammon 1994). In lische Sprache zunehmend an Bedeutung,
der Tat treffen die Faktoren, die oben als Ur- was zu Lasten der deutschsprachigen Länder
sachen für das abnehmende Interesse am und der deutschen Sprache geht. Für Japaner
Deutschlernen in den USA genannt wurden, ist die deutsche Sprache heute in erster Linie
mutatis mutandis auch auf Japan zu: geringe von wirtschaftlichem Interesse; die große
Hoffnung auf wirklich interessante technolo- Tradition verliert trotz aller Beständigkeit
6. Entwicklungen des Deutschunterrichts in nicht deutschsprachigen Ländern 81

allmählich an Gewicht. Die Stellung von scher (26%), im Tourismus (22%), im Außen-
Deutsch als Fremdsprache in Japan dürfte handel (19%) und in Auslandsämtern (9%)
daher maßgeblich von der zukünftigen wirt- (Kahn-Ackermann 1991, 35) sowie natürlich
schaftlichen Entwicklung der deutschsprachi- im Lehrbetrieb, hauptsächlich an den Hoch-
gen Länder abhängen. schulen.
Studienbegleitend wird Deutsch häufig
6.6. China von Studierenden technischer Fächer gelernt,
Die Einschätzung des Deutschlernens in die- vor allem an technischen Hochschulen (vgl.
sem Land, das sich zumindest wirtschaftlich Fluck 1985). Der Nutzen scheint auf der
fulminant entwickelt, divergieren und er- Hand zu liegen: Techniker aus China können
scheinen auf den ersten Blick sogar wider- von der Technologie in den deutschsprachi-
sprüchlich (vgl. auch Art. 167). Der Vorsit- gen Ländern noch manches lernen; außerdem
zende des Chinesischen Germanistenverban- eröffnet sich für sie die Chance, an der Hoch-
des, Zhu (DAAD 1989, 16), urteilte z. B.: schule eines deutschsprachigen Landes zu
„Wenn anderswo in der Welt von einem Zu- studieren, wenn auch die Aussichten gering
rückgehen der deutschen Sprache die Rede sind. Allerdings erfahren viele dieser Studie-
ist, ist in China sicher das Gegenteil der renden bald den Mangel an deutschsprachi-
Fall.“ Demgegenüber wurde in einer detail- ger Fachliteratur ⫺ vor allem im Vergleich
lierten Analyse des Deutschlernens in China zum Englischen ⫺ auf Grund der schon er-
dieses als „Kunst des Drachentötens“ cha- wähnten Neigung deutschsprachiger Fach-
rakterisiert, die zwar schwierig und aufwen- leute, in fast jeder wissenschaftlichen Diszi-
dig zu lernen, aber vielfach anschließend plin selbst mehr und mehr auf Englisch zu
ohne praktischen Wert sei (Hess 1992). publizieren. Inwieweit unter diesen Umstän-
Bei genauerer Betrachtung besteht zwi- den die studienbegleitenden Deutschstudien
schen beiden Einschätzungen kein Wider- der verschiedenen Fachrichtungen weiterent-
spruch. Tatsächlich wurde das Deutschler- wickelt werden können, bleibt abzuwarten.
nen, insbesondere in der Form des studienbe- Auch im Falle Chinas könnte sich auf längere
gleitenden praktischen Sprachunterrichts, in Sicht das Interesse an der deutschen Sprache
den 80er Jahren in China beträchtlich ausge- weitgehend auf die Möglichkeit wirtschaftli-
weitet. Dies geschah durch zentrale staatliche cher Kontakte reduzieren. Im Vergleich zu
Bildungsplanung, die offenbar motiviert war Japan hat das Deutschlernen in China eine
durch das Interesse der chinesischen Regie- weit begrenztere Tradition, vor allem im Ver-
rung an intensiveren Kontakten zu den hältnis zur Größe des Landes. Einzelne Tra-
deutschsprachigen Ländern. Als Folge dieser ditionsstränge reichen allerdings zurück bis
Planung wurden Studierende vielfach dazu in die Wilhelminische Zeit: 1898 pachtete das
gezwungen, Deutsch zu wählen, insbesondere Deutsche Reich das Gebiet Kiautschou mit
dann, wenn sie die Eingangsprüfungen zum der Hauptstadt Tsingtau auf 99 Jahre. Aller-
begehrten Englischstudium nicht bestanden. dings musste es bereits 1914 an Japan abge-
Am Ende des Deutschstudiums hat sich dann treten werden. Ein weiteres Beispiel ist die
häufig gezeigt, dass Deutschkenntnisse als 1907 in Shanghai gegründete Tongji Medizi-
Qualifikation für attraktive Berufe wenig nische Schule, der 1912 eine technische Abtei-
Wert hatten. Nur zusätzlich zu Englisch- lung hinzugefügt und die 1927 zur Universi-
kenntnissen waren sie wirklich gefragt. In tät wurde. Ihre Tradition wird heute fortge-
China war und ist es indes üblich, Deutsch setzt an der Medizinischen Hochschule Wu-
als einzige Fremdsprache zu lernen ⫺ anders han, deren Studierende immer noch Deutsch
als beispielsweise in Japan, wo die Studienab- lernen und in deren Umfeld auch eine Schule
solventen immer auch über Englischkennt-
mit Deutsch als Fremdsprache fortbesteht
nisse verfügen. Dies war kein Problem, so-
(vgl. He 1994; auch Hernig 1995).
lange auch der Zugang zur Berufswelt plan-
wirtschaftlich geregelt war. Mit der Einfüh-
rung der Marktwirtschaft in diesem Bereich 7. Literatur in Auswahl
in den 80er Jahren gerieten dann jedoch die
Deutschlerner, die keine weitere Fremdspra- Althof, Hans-Joachim (Hg.) (1990): Deutschstudien
che beherrschten, vielfach in Schwierigkeiten. international 1. Dokumentation des Wolfenbütteler
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82 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

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7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in


Deutschland

1. Anfänge 8. Theoretische Klärungsprozesse


2. Neubeginn und Tendenzen nach dem 9. Kulturbegriff
Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik 10. Literatur in Auswahl
Deutschland
3. Deutsch als Fremdsprache an den
Universitäten der Bundesrepublik 1. Anfänge
Deutschland
4. Organisationen und Adressatengruppen Deutsch als Fremdsprache ist ein Kind der
5. Zeitschriften und Informationsorgane Praxis. Seit Jahrzehnten wurde im Ausland
6. Entwicklung des Faches Deutsch als wie im Inland Deutsch an Nichtmutter-
Fremdsprache in der DDR sprachler unterrichtet: Der Aufschwung der
7. Deutsch als Fremdsprache nach der deutschen Auslandsschulen im 18. und
deutschen Einigung 19. Jh., das Deutsche Institut für Ausländer
84 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

an der Berliner Universität (vgl. 6.1.) sowie tive ⫺ die Sicht von außen ⫺ hinzugefügt,
die Gründung der Deutschen Akademie ⫺ um mit Hilfe dieser kulturvergleichenden Me-
Vorläufer des Goethe-Instituts ⫺ markierten thode zum interkulturellen Dialog beizutra-
wichtige Punkte in der Pflege des Deutsch- gen. Ein typisches Lehrwerk dieser vierten
unterrichts. Freilich wurde diese Arbeit in Generation ist „Sprachbrücke“ von Mebus
der Vergangenheit häufig durch nationalisti- u. a. Zugleich entstanden zahlreiche regionale
sche und völkische Theorie und Töne beein- Lehrwerke mit dem Ziel, den Lernbedingun-
flusst und während der Nazizeit vollständig gen und Sprachproblemen in unterschiedli-
dominiert. Es dauerte Jahre, bis dieses un- chen Regionen auf dem Globus besser zu ent-
selige Erbe nach 1945 überwunden werden sprechen.
konnte. Die neunziger Jahre sind geprägt von un-
terschiedlichen didaktischen Modellen, die
aber insgesamt durch einen verstärkten kog-
2. Neubeginn und Tendenzen nach nitiven Ansatz geprägt sind. Paradigmatisch
dem Zweiten Weltkrieg in der dafür stehen die Lehrwerke „Stufen“ von
Bundesrepublik Deutschland Vorderwülbecke und „Wege“ von Neuf-Mün-
kel/Eggers. Zugleich ist das Bemühen deut-
1951 wurde die erste Unterrichtsstätte des lich, Erkenntnisse der Zweitspracherwerbs-
Goethe-Instituts e. V. in Bad Reichenhall er- forschung und Lernpsychologie im fremd-
öffnet; ihr folgten in den nächsten Jahren sprachigen Deutschunterricht umzusetzen
zahlreiche andere im Bundesgebiet. 1952 (vgl. Götze 1995a).
wurde das Goethe-Institut offiziell in Mün- Neben allgemeinsprachliche Kurse trat in
chen gegründet. Die Zahl ausländischer Kurs- den 80er Jahren zunehmend der fachsprach-
teilnehmer und -teilnehmerinnen wuchs be- liche Unterricht, um die Lernenden auf ihre
ständig und erreichte ihren Höhepunkt nach künftigen Studien der Naturwissenschaften,
der deutschen Einigung im Jahre 1991 mit Kultur- und Ingenieurwissenschaften an
insgesamt über 25 000 Studierenden. Die
deutschen Hochschulen vorzubereiten. In
Kurse gliedern sich in Grund-, Mittel- und
den späten 80er Jahren ging die Zahl der
Oberstufe; Methodenpluralismus kennzeich-
Deutschlernenden an den Goethe-Instituten
net die Curricula und Sprachkurse: Die Lehr-
im Ausland zurück; Ursachen waren der ⫺
werke der ersten Generation (50er/60er
mit Ausnahme der Länder Mittel-, Ost- und
Jahre) waren der grammatikalisierenden
Übersetzungsmethode verpflichtet und ver- Südosteuropas sowie einzelner Länder Asiens
mittelten die traditionelle Schulgrammatik ⫺ weltweite Rückgang der deutschen Spra-
(als Beispiel sei die „Deutsche Sprachlehre che, die hohen Gebühren der Sprachkurse,
für Ausländer“ von Schulz/Griesbach ge- ausländerfeindliche Aktionen in Deutschland
nannt); in der zweiten Generation (70er sowie die sinkende Bedeutung Deutschlands
Jahre) dominierten die direkten Methoden als Studienort für ausländische Bewerber.
bei Betonung der gesprochenen Sprache (bei- Eine gezielte berufspraktische Ausbildung
spielhaft steht hierfür „Deutsch als Fremd- der Lehrenden begann am Goethe-Institut
sprache“ von Braun/Nieder/Schmöe). Nach erst relativ spät. 1962 wurde die „Arbeits-
der „pragmatischen Wende“ des Fremdspra- stelle für wissenschaftliche Didaktik“ (AWD)
chenunterrichts entstanden Lehrwerke der in der Münchner Zentralverwaltung einge-
dritten Generation (80er Jahre), die sprachli- richtet, die dringend benötigte Grundlagen
ches Handeln als Teil sozialen Handelns ver- für Lehrmaterialien (Grammatiken, Fach-
mitteln sollten und kommunikative Kompe- wortschatzlexika, Phonetik, Didaktisierung
tenz statt formaler Sprachbeherrschung an- linguistischer Forschungsergebnisse) erarbei-
strebten. Im Mittelpunkt standen häufig die tete. 1971 folgte die „Zentrale Ausbildungs-
Sprechakte und deren sprachliche Ausgestal- unterrichtsstätte“ zur Ausbildung zukünftiger
tung im Deutschen. Als Beispiel sei das Lehr- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie zur
werk „Deutsch aktiv“ von Neuner u. a. ge- Fortbildung bereits angestellter Dozenten des
nannt. Ein Perspektivenwechsel trat in den Goethe-Instituts. Damit war eine kontinuier-
achtziger Jahren mit der Entwicklung einer liche professionelle Aus- und Fortbildung ge-
fremdkulturellen Hermeneutik (vgl. Art. 124) sichert. Leider verfügte das Goethe-Institut
ein; der bislang ausschließlich vertretenen 1991 einen Einstellungsstopp und schloss zu-
Eigenperspektive wurde die Fremdperspek- gleich die Ausbildungsunterrichtsstätte.
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Deutschland 85

3. Deutsch als Fremdsprache an den der Sprachgrenzen. Die Bezeichnungen ein-


Universitäten der Bundesrepublik schlägiger Studiengänge variierten: Deutsch
als Fremdsprache, Deutsch als Zweitsprache,
Deutschland Auländer-/Migrationspädagogik, Interkultu-
Die Einrichtung eines germanistischen Studi- relle Germanistik und Interkulturelle Kom-
engangs ausschließlich für ausländische Stu- munikation. Angesiedelt wurden und werden
dierende an der Heidelberger Universität die Studien in unterschiedlichen fachlichen
(1970), der bis heute besteht, markiert den Kontexten, wodurch sich zugleich Schwer-
Startpunkt der akademischen Auseinander- punktbildungen ergaben: In der Sprachlehr-
setzung mit dem Deutschen als Fremdspra- forschung oder Fremdsprachendidaktik, der
che in der Bundesrepublik. Ihm folgten seit germanistischen oder allgemeinen Sprachwis-
1974 Fortbildungskurse für ausländische senschaft, der Literaturwissenschaft oder
Deutschlehrer und Germanisten, die gemein- auch der Erziehungswissenschaft (vgl. Hen-
sam von den Hochschulen, dem Deutschen rici/Koreik 1994; Krumm 1994).
Akademischen Austauschdienst sowie dem Vor allem zwei Kontroversen prägten die
Goethe-Institut angeboten wurden. theoretische Diskussion der achtziger Jahre
Die Anwerbung ausländischer Arbeiter und führten zu einer Klärung von Stand-
und ihrer Familienangehörigen in den fünfzi- punkten: zum einen die Bedeutung des mut-
ger und sechziger Jahren veränderte das Fach tersprachlichen Unterrichts (Türkisch, Grie-
von Grund auf. Türken, Italiener, Griechen, chisch, Italienisch, usw.) im Rahmen des Un-
Spanier, Portugiesen und andere ausländi- terrichts für Kinder der ethnischen Minder-
sche Arbeiter lernten Deutsch, um in der heiten, zum zweiten die Auseinandersetzung
Bundesrepublik Deutschland leben und über- um die Rolle der Interkulturellen Germanistik.
leben zu können. Im Gegensatz zum fremd- Eine Reihe von Vereinen der ethnischen
sprachlichen Deutschunterricht traditioneller Minderheiten zusammen mit deutschen
Prägung waren Kurse gefragt, die Anleitungen Sprachwissenschaftlern und Didaktikern
zum sprachlichen Handeln boten: Sprach- hatte 1983 das Memorandum zum mutter-
didaktik, Sprachpsychologie und Sprachso- sprachlichen Deutschunterricht vorgelegt und
ziologie waren fortan, neben der Linguistik, darin die an der Schwellenniveauhypothese
die bestimmenden Bezugswissenschaften. In- (Cummins 1978) orientierte Auffassung ver-
nerhalb weniger Jahre, beginnend 1978 an treten, das ausländische Kind müsse zuerst in
der Ludwig Maximilians-Universität Mün- seiner Erstsprache (Muttersprache) lesen und
chen, wurden zahlreiche Lehrstühle und Pro- schreiben lernen und eine gewisse Sicherheit
fessuren für Deutsch als Fremdsprache an erreichen, ehe es in der Zweitsprache Deutsch
bundesdeutschen Universitäten eingerichtet; alphabetisiert werden könne. Werde diese
in Lehre und Forschung ging es vor allem um Reihenfolge umgekehrt, drohe doppelte
die Themen Sprachvergleich L1⫺L2 und Halbsprachigkeit und Verlust der Identität
didaktische Konsequenzen, Lehrwerkanalyse (vgl. Memorandum zum muttersprachlichen
und Lehrwerkbeurteilung, Zweisprachigkeit Unterricht in der Bundesrepublik Deutsch-
unter den Bedingungen der Migration, Lernen land). Die Gegner dieses Ansatzes argumen-
und/oder Erwerben der Zweitsprache Deutsch, tieren, der gemeinsame Deutschunterricht
Landeskunde und Literatur im fremdsprachli- mit deutschen Kindern und die Erstalphabe-
chen Deutschunterricht. Eine Vielzahl von tisierung in der Zweitsprache Deutsch seien
Aufbau-, Zusatz- und Ergänzungsstudien- vorrangig, um der Ghettoisierung vorzubeu-
gängen sowie Magister- und Promotionsstu- gen und die Kinder ethnischer Minderheiten
dien entstand in Augsburg, Bayreuth, Biele- in die multikulturelle Gesellschaft zu integrie-
feld, Bochum, Hamburg, Kassel, Nürnberg, ren (vgl. Götze 1995b). Als Ergebnis der
Saarbrücken u. a.; in der Folge teilte sich das Kontroverse war eine Annäherung der Stand-
Fach auch an den Hochschulen der alten punkte zu erkennen: Pflege der Erstsprache
Bundesrepublik in zwei Bereiche: Deutsch als und gemeinsames interkulturelles Lernen
Fremdsprache als das unterrichtlich gesteu- schließen sich nicht aus, sondern können ein-
erte Lehren und Lernen der deutschen Spra- ander befruchten. Ziel eines solchen Unter-
che jenseits des deutschen Sprachraums sowie richts Deutsch als Zweitsprache ist somit,
Deutsch als Zweitsprache als das Nebeneinan- dass die deutschsprachige Mehrheit und eth-
der von unterrichtlich gesteuertem Lehren nische Minderheiten gemeinsam und vonein-
und Lernen sowie (außerunterrichtlich) unge- ander lernen, um Vorurteile und rassistische
steuertem Erwerben des Deutschen innerhalb Ansätze zu überwinden.
86 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Die Interkulturelle Germanistik (vgl. ⫺ Studienkollegs und Lehrgebiete der Hoch-


Wierlacher 1987) verstand Deutsch als schulen
Fremdsprache im Sinne einer hermeneuti- ⫺ Carl Duisberg Centren, Otto-Benecke-Stif-
schen Literaturwissenschaft aus der Fremd- tung sowie zahlreiche öffentliche (Deut-
perspektive ⫺ also von außen ⫺, um fremde scher Volkshochschulverband), kirchliche
und eigene Sicht von Rezeptionsprozessen (Diakonisches Werk, Caritas) und private
zusammenzubringen und besseres gegenseiti- (Berlitz u. a.) Sprachinstitute.
ges Verstehen zu ermöglichen. Teilweise vehe-
mente Kritik war die Antwort (vgl. Zimmer- Die Haupttätigkeit der Kultur- und Sprach-
mann 1980). arbeit des Münchner Goethe-Instituts liegt im
1983 schuf die Deutsche Forschungsge- Ausland; in Deutschland dominiert die
meinschaft (DFG) ein Schwerpunktpro- Spracharbeit: Ende 1996 wurden an 18 Insti-
gramm „Sprachlehrforschung“ und damit tuten insgesamt etwa 23 000 ausländische
zum ersten Mal die Möglichkeit, intensiv Studierende unterrichtet. Zusammen mit der
Probleme des Lehrens und Lernens von Ludwig Maximilians-Universität München
Fremdsprachen zu erforschen. Sechs der sowie dem Deutschen Volkshochschulver-
zwanzig geförderten Projekte waren dem band entwickelte das Goethe-Institut zudem
Fach Deutsch als Fremdsprache verpflichtet zahlreiche Prüfungen (vgl. Art. 84) sowie
(vgl. Koordinierungsgremium 1977). Lehrmaterialien (vgl. Art. 105). In Sommer-
Die aktuelle Diskussion ist vor allem ge- und Sonderkursen werden ausländische
prägt durch das Bemühen um ein Profil der Deutschlehrer fortgebildet.
Disziplin Deutsch als Fremdsprache, wobei Der Deutsche Akademische Austausch-
einerseits ihr fremdsprachenwissenschaft- dienst (DAAD) in Bonn entsendet regelmäßig
licher Standpunkt (Henrici 1996), zum ande- Dozentinnen und Dozenten für deutsche
ren die Besonderheit als eigenständiger Teil- Sprache und Literatur weltweit an Hoch-
bereich der Germanistik (Götze/Suchsland schulen sowie führt Fortbildungen für aus-
1996) betont wird (vgl. 8.). Daneben werden ländische Lehrerinnen und Lehrer und Uni-
A-Linie (auslandsorientierte Richtung) und versitätsdozenten durch. Weiterhin lädt er
M-Linie (migrationsbezogene Ausrichtung) ausländische Gastwissenschaftler zu Studien-
unterschieden (Glück 1991); Henrici (1996) aufenthalten ein.
nennt vier Schwerpunktsetzungen, die in un- Die Zentrale für das Auslandsschulwesen
terschiedlichen Studiengängen an deutschen (ZfA) in Köln entsendet Lehrerinnen und
Hochschulen ihren jeweiligen Ausdruck fän- Lehrer an deutsche Auslandsschulen, an de-
den: nen sie Deutsch sowie Fachunterricht ertei-
len. Für Lehrende, die noch keine feste Stelle
⫺ eine linguistische Ausrichtung an einer deutschen Schule haben, tut dies der
⫺ eine sprachlehr-/lernwissenschaftliche (di- Pädagogische Austauschdienst (PAD).
daktisch/methodische) Ausrichtung Die Studienkollegs und Lehrgebiete der
⫺ eine landeskundliche/kulturwissenschaft- Hochschulen bereiten ausländische Studien-
liche Ausrichtung bewerber und -bewerberinnen sprachlich auf
⫺ eine literaturwissenschaftliche Ausrich- das künftige Studium vor.
tung. Darüber hinaus werden Sprachkurse auf
unterschiedlichem Niveau und mit verschie-
denartigen Lehr- und Lernzielen an öffentli-
4. Organisationen und
chen, kirchlichen und privaten Institutionen
Adressatengruppen angeboten. Auf Grund der drastischen Kür-
zung öffentlicher Subventionen in jüngster
Die wichtigsten Organisationen des Deut-
Zeit ist die Zahl der Kursteilnehmer wie der
schen als Fremdsprache in Deutschland sind:
Kurse zurückgegangen.
⫺ Goethe-Institut zur Pflege der deutschen 1971 konstituierte sich der Arbeitskreis
Sprache im Ausland und zur Förderung Deutsch als Fremdsprache (AKDaF) der Stu-
der internationalen kulturellen Zusam- dienkollegs und Lehrgebiete, zwei Jahre spä-
menarbeit e. V. ter wurde er dem Deutschen Akademischen
⫺ Deutscher Akademischer Austauschdienst Austauschdienst integriert. Seit Mai 1990
(DAAD) heißt die Organisation Fachverband Deutsch
⫺ Zentralstelle für das Auslandsschulwesen als Fremdsprache (FaDaF); sie ist Mitglied
(ZfA) im Internationalen Deutschlehrerverband
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Deutschland 87

(IDV). Seit 1974 werden regelmäßig die und sprachvorbereitende Aufgaben be-
Informationen Deutsch als Fremdsprache schränkt, sondern das Fach Deutsch als
(InfoDaF) herausgegeben, weiterhin die Ma- Fremdsprache existierte bereits als Ausbil-
terialien Deutsch als Fremdsprache seit 1975 dungsfach, das mit einem Diplom abge-
zu methodischen und didaktischen Proble- schlossen werden konnte (vgl. Günther 1987,
men sowie, seit wenigen Jahren, der Informa- 813). Etwa 300 ausländische Studierende er-
tionsdienst FaDaF aktuell. Jährlich werden hielten am DIA zwischen 1923 und 1933 ei-
Fachtagungen zu unterschiedlichen Themen nen in ihren Heimatländern anerkannten Be-
wie Spracherwerb, Prüfungen, Sprachpolitik rufsabschluss für das Lehramt Deutsch als
usw. veranstaltet. Fremdsprache. Zum Studienprogramm ge-
Daneben existiert die Fachgruppe Deutsch hörten die Fächer: Sprachpraxis, Linguistik,
als Fremdsprache im Fachverband Moderne Literaturwissenschaft, Landeskunde und Me-
Fremdsprachen (FMF), die eigene Sektions- thodik sowie Hospitationen und praktische
sitzungen zu theoretischen und praktischen Lehrproben an Berliner Schulen.
Fragestellungen im Rahmen der FMF-Kon- Diese sprachpraktischen Erfahrungen und
gresse abhält. fachtheoretischen Grundlagen hätten den
Neubeginn nach 1949 in der DDR durchaus
erleichtern können, wenn nicht das Erbe der
5. Zeitschriften und Weimarer Republik aus politischen Gründen
Informationsorgane verweigert worden wäre, was u. a. dazu
Neben den bereits erwähnten Publikationen, führte, dass der Beginn des fremdsprachigen
die Fachinterne wie Fachexterne ansprechen, Deutschunterrichts in der DDR nach Leipzig
existiert eine Reihe von Fachzeitschriften. verlagert wurde. Seit 1951 studierten dort die
Der Hueber-Verlag gibt die Zielsprache ersten elf Ausländer in der Abteilung Auslän-
Deutsch ⫺ Zeitschrift für Unterrichtsmetho- derstudium der Karl-Marx-Universität, aus
dik und angewandte Sprachwissenschaft her- der 1956 wegen der immer größer werdenden
aus; der Sprachverband für ausländische Ar- Zahl ausländischer Deutschlernender ein In-
beitnehmer e. V. publiziert die Zeitschrift stitut wurde, das 1961 den Namen Herder-In-
Deutsch lernen, die Klett Edition Deutsch stitut ⫺ Vorstudienanstalt für ausländische
Fremdsprache Deutsch. Für die deutschen Studierende in der DDR und Stätte zur Förde-
Auslandsschulen gibt es Der deutsche Lehrer rung deutscher Sprachkenntnisse im Auland
im Ausland. Wesentlich für die Diskussion in (HI) erhielt. Aus der Vorstudienanstalt, die
der Disziplin ist das seit 1975 erscheinende im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens vor-
Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Daneben nehmlich studienvorbereitende Ziele ver-
erscheinen Beiträge zum Deutschen als folgte, entwickelte sich allmählich ein Lehr-
Fremdsprache in einschlägigen germanisti- und Forschungszentrum, das sowohl für das
schen und fachdidaktischen Zeitschriften. In- und auch das Ausland eine für DDR-Ver-
hältnisse einmalige Entwicklungsperspektive
geboten bekam (vgl. Porz 1972, 15ff.).
6. Entwicklung des Faches Deutsch Fachhistorisch betrachtet nahm Deutsch
als Fremdsprache in der DDR als Fremdsprache in der DDR zunächst die
Konturen einer sprachpraktischen Lehrdiszi-
6.1. Zur Institutionalisierung des Faches plin ein, die sich eng an den gesellschaftlichen
In Ostdeutschland lassen sich die Anfänge Vorgaben, den Bildungs- und Erziehungszie-
des Faches Deutsch als Fremdsprache bis ins len, -inhalten und -methoden des allgemeinen
vorige Jh. zurückverfolgen, denn bereits im Fremdsprachenunterrichts für die Hoch-
19. Jh., verstärkt jedoch zu Beginn des schulstufe orientierte, auf Erfahrungen aus
20. Jh.s, übernahmen private Stiftungen die dem Muttersprachenunterricht der sowjeti-
Ausbildung und Betreuung ausländischer schen Fremdsprachenmethodik zurückgriff
Studierender, die im Laufe der Zeit durch ein und institutionell weitgehend auf das Herder-
differenziertes System studien- und berufs- Institut konzentriert war. Mit der Heraus-
qualifizierender Deutsch als Fremdsprache- gabe eines Fachorganes 1964, der Zeitschrift
Kurse an verschiedenen deutschen Hoch- Deutsch als Fremdsprache, der Gründung ei-
schulen ergänzt und erweitert wurden. So ner Forschungsabteilung 1967 und der Ein-
blieb beispielsweise am Deutschen Institut für richtung des ersten Deutsch als Fremdspra-
Ausländer, dem DIA der Berliner Universität, che-Lehrstuhls im deutschsprachigen Raum
der Sprachunterricht nicht nur auf studien- 1969 (für Gerhard Helbig) wurden relativ
88 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

frühzeitig institutionelle und personelle Ent- log zur Institutionalisierung des Faches in den
wicklungsbedingungen geschaffen, die so- westlichen Bundesländern (vgl. Blei 1994,
wohl eine theoriegeleitete und -begleitende 287ff.).
Sprachausbildung möglich machten als auch
eine eigenständige fachwissenschaftliche Pro- 6.2. Entwicklungen im Bereich der Lehre
filierung in den Teildisziplinen Methodik, Ein wesentlicher Bestandteil des Ausländer-
Linguistik, Phonetik und Landeskunde an- studiums in der DDR war die Sprachvorbe-
strebten. Die Erweiterung des fachlichen Auf- reitung, sprachliche Studienbegleitung und
gabenspektrums in den 70er und 80er Jahren Betreuung ausländischer Bürger (vgl. Kaiser
führte zu Aktivitäten in Lehre und Forschung 1987, 20ff.). Dabei ging es zum einen um eine
in allen ostdeutschen Hochschulen (teilweise solidarische Unterstützung der Partner im
auch Fachschulen), die Germanisten und/ Osten und einiger neugegründeter National-
oder Deutschlehrer ausbildeten bzw. für den staaten bei der Heranbildung ihrer nationa-
Deutsch als Fremdsprache-Unterricht bei len Intelligenz und zum anderen um die Ge-
ausländischen Studierenden verantwortlich währleistung einer effizienten sprachprakti-
waren. Dazu gehörte: schen Ausbildung. Ziel des studienvorbereiten-
den Deutschunterrichts war, die ausländischen
⫺ der (schon traditionelle) studienvorberei- Bewerber zu befähigen, erfolgreich ein Stu-
tende/-begleitende Deutschunterricht, dium an einer Hoch- oder Fachschule auf-
⫺ das germanistische Ausländerstudium im nehmen zu können, was sowohl eine allge-
Voll- und Teilzeitrhythmus, meinsprachliche als auch eine fachlich-fach-
⫺ die verschiedenen Varianten kursorischer sprachliche Vorbereitung in einem Gesamt-
Fortbildung ausländischer Germanisten, umfang von etwa 1000 Stunden bei einer Spe-
Dolmetscher, Lehrer im In- und Ausland. zialisierung in fünf Vorbereitungsrichtungen
Dem Herder-Institut Leipzig mit seinen na- einschloss (vgl. Studienplan 1984, 5ff.). Für
hezu 300 Mitarbeitern oblagen noch spezielle diesen Deutschunterricht wurden im Laufe
Aufgaben, wie beispielsweise die Lehrmate- der Jahre lerner- und handlungsbezogene
Lehr- und Prüfungsmaterialien erarbeitet so-
rialentwicklung, die Aus- bzw. Weiterbildung
wie Curricula erstellt, die als Integrations-
deutscher Deutsch als Fremdsprache-Lehr-
konzept für einen allgemeinsprachlichen,
kräfte, die Zusammenarbeit mit internationa-
fachlichen und fachsprachlichen Unterricht
len Deutschlehrerverbänden und die Lehr-
fungierten. In den 80er Jahren bewährte sich
programmerarbeitung, sofern nicht zentrale
zunehmend die Differenzierung in eine
Gremien dafür zuständig waren.
Grund- und Oberstufenausbildung, die den
Die Erweiterung der Deutsch als Fremd- Sprachkundigenabschluss IIa vorsah und
sprache-Profile in Lehre und Forschung, die gleichzeitig die Zulassung zum Studium be-
eine Antwort auf den wachsenden und diffe- deutete (vgl. Lehrprogramme 1981, 5ff.). Da-
renzierten Bedarf an Deutsch als Fremdspra- nach setzte der studienbegleitende Deutsch-
che im In- und Ausland waren, führten 1978 unterricht ein. Er unterstützte die Studieren-
zur Gründung des Instituts für Weiterbildung den bei der sprachkommunikativen Bewälti-
ausländischer Deutschlehrer an der Pädagogi- gung ihrer Studienanforderungen (vgl. Lehr-
schen Hochschule Potsdam und 1983 des In- programm 1985, 5ff.). An über 30 Hoch- und
stituts für Deutsche Fachsprache an der Tech- Fachschulen erteilten hauptamtliche Lehr-
nischen Universität Dresden. Zeitgleich er- kräfte diesen obligatorischen Unterricht in ei-
folgte der Auf- und Ausbau von weiteren nem Umfang von 180⫺240 Stunden über vier
Deutsch als Fremdsprache-Lehrstühlen/Lehr- Semester. Für etwa 2000 Studierende pro
bereichen an einigen Hochschulen, u. a. an Jahr endete diese Ausbildung mit einem
der Humboldt-Universität Berlin, der Fried- Hochschulzertifikat (vergleichbar mit der
rich Schiller-Universität Jena, der Techni- Oberstufenprüfung des Goethe-Instituts).
schen Universität Karl-Marx-Stadt, der Pä- Übergreifendes Bildungskonzept war eine in-
dagogischen Hochschule Dresden. Nach der stitutionalisierte und sprachpraktisch akzen-
deutschen Einigung erfolgte an den ostdeut- tuierte Ausbildung, die dem Sprachlernenden
schen Universitäten, Hoch- und Fachschulen Erfolgsgarantien bei der Ausübung verschie-
ab 1990 eine schrittweise Neustrukturierung denster Tätigkeiten innerhalb typischer Stu-
des Faches Deutsch als Fremdsprache sowohl dien- und späteren Berufsanforderungen bot.
in der Lehre und Forschung als auch in der In den 60er Jahren begann an der Karl-
materiellen und personellen Ausstattung ana- Marx-Universität Leipzig der allmähliche
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Deutschland 89

Ausbau eines Germanistikstudiums für auslän- Eine Hauptform beruflicher Fortbildung


dische Studienbewerber. Mitte der 80er Jahre von ausländischen Deutschlehrern, Germani-
waren es bereits 140 Studierende pro Jahr, sten und Studierenden der Germanistik waren
die sich an den Universitäten Berlin, Greifs- die Internationalen Hochschulferienkurse
wald, Jena, Leipzig oder Rostock im Fach (IHFK). Die ersten fanden 1959 statt. Sie
Germanistik immatrikulieren ließen. Hinzu wurden nach und nach an allen Deutsch als
kamen ca. 550 zukünftige Deutschlehrer und Fremdsprache-profiladäquaten Hoch- und
Germanisten, die ein Teilstudium absolvier- Fachschulen angeboten. Nach Spezialisie-
ten, sowie ca. 250 Studierende, die im Rah- rungsrichtungen und Umfang differenziert,
men einer Aspirantur, eines Zusatzstudiums gliederten sie sich in sprach- und literatur-
bzw. auf kommerzieller Basis eine germanisti- wissenschaftliche, fachsprachliche, fremd-
sche Ausbildung in der DDR erhielten. sprachenmethodische sowie landeskundliche
Das Vollzeitstudium dauerte 5 Jahre. Es Kurse von kurz-, mittel- bzw. längerfristiger
gliederte sich in 3 Phasen: Dauer (2 Wochen bis 5 Monate). Im Zentrum
⫺ zwei Jahre Grundstudium mit einem rela- der Fortbildung standen solche globalen
tiv hohen Anteil an Sprachunterricht (ca. Ziele wie die Konkretisierung des Landes-
1000 Stunden); dazu kamen germanisti- kundebildes der DDR, die Vermittlung fach-
sche und allgemeinbildende Fächer sowie wissenschaftlicher Anregungen für die Unter-
Praktika und Exkursionen; richtspraxis Deutsch als Fremdsprache und
⫺ zwei Jahre Hauptstudium mit fachwis- vor allem die allseitige Förderung des fremd-
senschaftlicher Spezialisierung in den sprachlichen Könnens, die die Aktualisierung
Richtungen Sprach-, Literaturwissen- und Erweiterung kommunikativ-relevanten
schaft, Dolmetschen/Übersetzen, Metho- Wissens ebenso einschloss wie deren situativ-
dik Deutsch als Fremdsprache; angemessene Verwendung.
⫺ ein Jahr Diplomarbeits- und Prüfungs- Insgesamt nahmen von 1959 bis 1989 min-
phase. destens 45 000 Deutschlehrer, Germanisten
Die Ausbildungscurricula des Studienganges und Studierende der Germanistik an Sprach-
Auslandsgermanistik lassen das Bemühen er- kursen in der DDR teil. In den 80er Jahren
kennen, berufsrelevante Theorie-Praxis-Be- gab es zudem verschiedene Sonderkurse, z. B.
ziehungen zum strukturbildenden Prinzip zu landeskundliche Kurzkurse, die zwischen den
erheben, um sowohl fachgegenstandsadäquat nationalen Sprachlehrerverbänden oder über
als auch praxisorientiert auszubilden zu kön- die Liga der Völkerfreundschaft mit ausländi-
nen (vgl. Studienplan 1974/1982, 5ff.). schen Freundschaftsgesellschaften vereinbart
Das Teilstudium umfasste zumeist ein Se- wurden. Die Sektion Deutsch als Fremdspra-
mester und war Bestandteil des Studienpla- che beim Komitee für den Sprachunterricht in
nes Germanistik der Herkunftsländer in An- der DDR verstand sich als Vermittlungs- und
passung an die DDR-Verhältnisse. In der Re- Koordinierungsinstanz zwischen der staatli-
gel absolvierten die ausländischen Studieren- chen Administration im Lande und den natio-
den, die in der Mehrzahl aus den Nachbar- nalen Deutschlehrer- bzw. Germanisten- und
ländern kamen, ein Semester im 3. Studien- Fremdsprachenlehrerverbänden im Ausland.
jahr an einer DDR-Hochschule. Sie studier- Sie wirkte u. a. bei der Vorbereitung und
ten gemeinsam mit den deutschen Lehramts-
Durchführung der Internationalen Deutschleh-
bzw. Germanistikstudenten zuzüglich ergän-
rertagungen mit (1969 in Leipzig, 1977 in Dres-
zender Lehrveranstaltungen zur DDR-Lan-
deskunde, Sprachpraxis sowie einer aktiven den), organisierte sechs Internationale Lehr-
Teilnahme am kulturellen Rahmenpro- buchautorensymposien und vermittelte Exper-
gramm. Die Unterschiede zur Ausbildung der ten für internationale Kongresse, Konferen-
DDR-Germanisten in beiden Ausbildungs- zen bzw. an ausländische Bildungseinrichtun-
formen lagen im Wesentlichen darin, dass die gen, wo vor Ort bei der Erforschung, Pflege
inhaltlichen Schwerpunkte differenziert und und Verbreitung der deutschen Sprache und
einige Lehrgebiete im Studienablauf anders Kultur Unterstützung gewünscht wurde.
platziert waren. Für alle galt jedoch das glei- Diese leisteten in einem beträchtlichen Um-
che Studienziel: eine intensive sprachprakti- fang auch die elf Deutschlektorate an den aus-
sche Ausbildung mit der Aneignung solider, wärtigen Kultur- und Informationszentren der
studien- und berufsrelevanter wissenschaftli- DDR sowie die sechs Bilateralen Germani-
cher Kenntnisse zu verbinden. stenkommissionen.
90 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

6.3. Entwicklungen im Bereich der rithmisierung und Programmierung von


Forschung Übungsarten und -folgen zur Entwicklung
6.3.1. Vom Neubeginn zur Etablierung fremdsprachigen Könnens. Erfahrungen aus
(1951/60⫺1970) dem allgemeinen Fremdsprachenunterricht,
vornehmlich aus dem Russischunterricht,
Als nach mehrjähriger Vorbereitung 1964 die und Traditionen der sowjetischen Fremd-
erste Nummer einer Zeitschrift für Theorie sprachenmethodik lieferten Begründungen
und Praxis des Deutschunterrichts für Auslän- für die Legitimation des lehrpraktischen Vor-
der (Zeitschrift DaF; Herausgeber: Herder- gehens und regten didaktische Reflexionen
Institut) erschien, trat Deutsch als Fremd- über den Transfer auf das Deutsche als
sprache erstmalig ins öffentliche Bewusstsein Fremdsprache an.
fachwissenschaftlicher Publizität. Die theoretische Basis der meisten fachdi-
Neben aktuellen Beiträgen über gesell- daktischen Beiträge und Unterrichtsmateria-
schaftliche Ereignisse des Landes gaben die lien bildete jedoch die sprachwissenschaftliche
Rubriken Sprachwissenschaft, Methodik, Forschung dieses Jahrzehnts, besonders die in-
Landeskunde, Literatur, Phonetik, Fachspra- ternationalen Entwicklungen der generativen
che und Fremdsprachenpsychologie nähere Grammatik Chomskys und deren Anwendung
Einblicke in die theoriebildenden Grundla- auf einzelne Bereiche der deutschen Gramma-
gen der Teildisziplinen und ihrer Beziehungen tik (vgl. Studia Grammatica 1963ff.).
zu anderen Wissenschaften. Hinzu kamen Weitreichende Wirkungen gingen von tra-
Berichte über fachwissenschaftliche Ereig- ditionellen und funktionalen Beschreibungen
nisse des In- und Auslandes und Bibliogra- der deutschen Sprache aus (besonders Jung
phien zu einschlägigen Neuerscheinungen, 1953; Erben 1959; Schmidt 1965; Helbig/
die Beilage Sprachpraxis sowie Übersichten Schenkel 1969). Vor allem die Arbeiten auf
zu aktuellen Lehrmaterialien. Zuvor hatten dem Gebiet der Valenztheorie (Helbig 1971)
ostdeutsche Verlage, vor allem der Verlag En- und der Valenzlexikographie (Sommerfeld/
zyklopädie und das Bibliographische Institut Schreiber 1974/1977) boten Deutsch als
Leipzig, sowie universitäre Hausdruckereien Fremdsprache-Lehrern und -Lernern nicht
für einen bescheidenen Wissenstransfer über nur einen sprachlogisch-begründbaren Erklä-
erste Erfahrungen im fremdsprachigen rungsmechanismus für die Abhängigkeit von
Deutschunterricht gesorgt und die erforderli- Satzgliedern, sondern auch ein umfangrei-
chen Lehr- und Übungsmaterialien produ- ches Repertoire an Valenzbeschreibungen zu
ziert (vgl. u. a. Deutsch ⫺ Ein Lehrbuch für deutschen Verben, Substantiven und Adjekti-
Ausländer; Teil 1, 1958). Im Mittelpunkt der ven. Neben strukturalistischen, transforma-
didaktisch-methodischen Veröffentlichungen tionstheoretischen und funktionalen Konzep-
der 60er Jahre standen ⫺ neben der Wort- ten wurden ebenfalls kybernetische Modell-
schatzarbeit zum fachsprachlichen Unterricht vorstellungen und Auffassungen der System-
und zu Themen der DDR-Landeskunde ⫺ theorie für den Fremdsprachenunterricht ge-
die Übungssysteme. Übergreifendes Ziel war nutzt. Ausdruck dafür waren u. a. program-
der Erwerb fremdsprachlichen Wissens über mierte Lehrmaterialien, mit deren Einsatz im
die deutsche Sprache und die Entwicklung Sprachlabor eine gewisse Erwartungseupho-
fremdsprachigen Könnens im Gebrauch der rie einherging, die mit sichtbaren Fortschrit-
deutschen Sprache. Die Arbeit an den Fertig- ten im Fertigkeitsbereich rechnete. Die Ent-
keiten Hören und Mitschreiben, Lesen und täuschung über das erreichte Niveau hielt
Sprechen setzte in der Regel bei einer Aufli- sich insofern in Grenzen, als im fremdspra-
stung von Lernerschwierigkeiten und lehrme- chigen Deutschunterricht der DDR eine eher
thodischen Problemen ein, die mit konzeptio- zögerliche Aufnahme und Verarbeitung des
nellen Vorschlägen für eine erfolgverspre- amerikanischen Strukturalismus’ erfolgte.
chende Unterrichtsgestaltung einhergingen. Das lag offenbar weniger an der perspektivi-
Das Zentrum bildeten Übungsvorschläge zur schen Weitsicht der Didaktiker oder an den
Aneignung, Festigung, Systematisierung und schwer zugänglichen linguistischen Grundla-
Anwendung phonetischer, grammatischer gen für fremdsprachenerwerbliche Applika-
und lexikalischer Kenntnisse (vgl. Deutsch für tionen, sondern wohl eher an der Haltung fe-
Fortgeschrittene 1969). Die Konzepte sprach- derführender ostdeutscher Linguisten. Sie
systemorientierter Übungstypologien wurden nahmen ⫺ im Vergleich zu westdeutschen
ergänzt und erweitert durch thematische Kollegen ⫺ ein eher distanziertes, aber den-
Diskussionen über die Modellierung, Algo- noch produktives Verhältnis gegenüber inter-
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Deutschland 91

nationalen Entwicklungen ein. Indem sie be- Sprachtheorie und -praxis, von Bewusstheit
wusst an die humanistischen Traditionen der und Imitation, von Sprache-Sprechen und
deutschen Philologie anknüpften, halfen sie Sprachtätigkeit u. a. m. Die Einbeziehung
indirekt eine Linguistisierung des Fremdspra- von Erkenntnissen potentieller Referenz- und
chenunterrichts zu vermeiden. Den entschei- Bezugswissenschaften des Deutschen als
denden Vorlauf für die begonnene fachliche Fremdsprache förderte das Verständnis für
Profilierung des Deutsch als Fremdsprache dessen interdisziplinär-integrativen Charak-
lieferte in diesem Zeitabschnitt die nationale ter, wobei die Grammatiktheorie zwar ihre
Grammatikforschung, indem ihr der „Über- Basisfunktion beibehielt, aber um die Dimen-
gang von der empirischen Sprachwissen- sion der Tätigkeit/Handlung erweitert wurde.
schaft zu einer theoriegeleiteten Linguistik“ Die von Helbig/Buscha 1972 verfasste Deut-
(Helbig 1991, 67) gelang. Damit waren we- sche Grammatik erwies sich als unentbehr-
sentliche Voraussetzungen für eine theoriebe- liche Grundlage zur wissenschaftlichen Fun-
gleitende Lehrpraxis und für eine wissen- dierung des fremdsprachigen Deutschunter-
schaftliche Fundierung sprachlicher Vermitt- richts, der Lehrmaterialproduktion sowie der
lungsinhalte gegeben. Fremdsprachendidaktik überhaupt. Dieses
Handbuch für den Ausländerunterricht bot
6.3.2. Von der Etablierung zur Vorteile, die andere traditionelle Grammati-
Differenzierung (1970⫺1980) ken nicht aufweisen konnten, wie z. B. einen
Die bereits Anfang der 70er Jahre einsetzende hohen Grad an Explizitheit des Regelappara-
Fachdiskussion über Platz und Rolle der tes, eine Einteilung der Wortarten nach distri-
Grammatik im Fremdsprachenunterricht butionellen Kriterien, die Beschreibung von
und um deren Verhältnis zu Methodik, Satzmustern und Valenzmodellen sowie die
Sprachwissenschaft und Sprachpraxis sowie Aufnahme zahlreicher Wortlisten und Sche-
zu Psychologie und Fremdsprachentheorie mata zur Verdeutlichung grammatischer
fand nunmehr ihre Fortsetzung unter dem Funktionen.
verstärkten Einfluss der kommunikativen Aber auch die Forschungsergebnisse neuer
Wende. Die methodischen Beiträge handelten Fachdisziplinen, wie beispielsweise die der
von den Zielen, Inhalten und Methoden der Textlinguistik, die „in der DDR vor allem
Arbeit an phonetischen, grammatischen und von Isenberg, Heidolph, Steinitz, Agricola,
lexikalischen Kenntnissen, versuchten termi- Pfütze u. a.“ (Helbig 1986, 154) erarbeitet
nologische Klarheit in das Begriffsinstrumen- wurden, sollten nachhaltige Wirkungen auf
tarium der Methodik des Fremdsprachenun- den Fremdsprachenunterricht haben. Dafür
terrichts zu bringen, stellten Beziehungsrela- gab es verschiedene Gründe: Zum einen ist es
tionen zwischen Wissensaneignung und Kön- die gemeinsame Erfahrung von Sprachwis-
nensentwicklung im Fremdsprachenunter- senschaftlern und Deutsch als Fremdsprache-
richt zur Diskussion und boten eine Fülle Lehrern gewesen, dass es eine Vielzahl von
fachmethodischer Anregungen zur (Wei- sprachlichen Erscheinungen gab, deren Er-
ter-)Entwicklung der vier verschiedenen Fer- klärbarkeit innerhalb der Satzgrenze nicht
tigkeiten in Texten der Alltags- und Fach- befriedigte, z. B. Pronominalisierungen, Satz-
kommunikation. Die linguistischen Beiträge gliederung, anaphorische und kataphorische
reichten von speziellen Untersuchungen zur Elemente. Zum anderen herrschte Überein-
Morphologie (Infinitivkonstruktionen, Mo- stimmung darin, dass sprachliche Kommuni-
dalverben, Präpositionen, Partikeln usw.) kation in aller Regel mittels Texten realisiert
über die Syntax (Tempusformen, Dialog- und wird. Außerdem legte die ganzheitliche Be-
Gesprächsstrukturen, Valenz-, Semantik- trachtung des Textes den Gedanken interdis-
und Satzmodelle) bis zu ausgewählten lexiko- ziplinärer Kooperation nahe, wie sie auch in
logischen Schwerpunkten (Wortbildungsar- verschiedenen Forschungszentren in der
ten, konfrontative Wortschatzarbeit, lexika- Zusammenarbeit von Linguisten, Mutter-
lisch-semantische Felder). Außerdem standen und Fremdsprachenmethodikern, Journali-
dem Fach Deutsch als Fremdsprache wesent- sten, Pädagogen, Psychologen und anderen
liche Einsichten in den Charakter sprach- Fachvertretern über Jahrzehnte praktiziert
licher Kommunikation und Tätigkeit zur wurde(vgl. Textlinguistik 1970ff.). Die Bei-
Verfügung, die zur Erklärung fachrelevan- träge zur Unterrichtstheorie im Fremdspra-
ter Forschungsfragen herangezogen werden chenunterricht wurden in diesem Jahrzehnt
konnten, wie beispielsweise die zum Verhält- im Wesentlichen von Hochschullehrern der
nis von Kommunikation und Kognition, von Russisch- und Englischmethodik geleistet. Im
92 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Mittelpunkt der theoriebildenden Grundsatz- Deutschen als Fremdsprache waren in die-


artikel standen Themen, die von übereinzel- sem Jahrzehnt:
sprachlicher Relevanz waren, wie:
⫺ die lernerbezogene linguistische Beschrei-
⫺ das Verhältnis der Teildisziplinen inner- bung der deutschen Sprache, die auf Ge-
halb einer Fremdsprachenwissenschaft, brauchsregeln in der Oberflächenstruktur
z. B. Rolle und Platz der Grammatik, Be- abzielte und Normen standardsprach-
ziehung der Linguistik zur Methodik, zum licher Verwendung auf der Satzebene ver-
Sprachunterricht, zur Landeskunde und mittelte,
Psychologie ⫺ die Erklärbarkeit und beginnende lehr-
⫺ die Präzisierung der Ziele, Inhalte und praktische Ausnutzung semantisch-funk-
Methoden innerhalb eines fremdsprachi- tionaler und systemhaft-struktureller Be-
gen Lehr- und Lernprozesses, z. B. Stufen ziehungen in Texten bzw. sprachlichen
und Zielbilder der Sprachbeherrschung, Äußerungen und die Erfassung sowie Be-
Stoffauswahl und -aufbereitung, Textbe- schreibung einzelner Komponenten des
schaffenheit und -arbeit, Übungssysteme/ komplexen Lehr- und Lernprozesses als
-arten/-typen/-abfolgen und Voraussetzung für die Entwicklung einer
⫺ die Bestimmung des Stellenwertes der umfassenden Theorie des Lehrens und
Unterrichtsmethoden innerhalb der Fak- Lernens von Deutsch als Fremdsprache.
torenkomplexion eines kommunikativen
Fremdsprachenunterrichts (einschließlich 6.3.3. Von der Differenzierung zur
der Darstellung von Methoden/Verfahren Konturierung (1980⫺1990)
zur Vermittlung und Aneignung von Für die theoretische Klärung des Wissen-
Sprachkenntnissen sowie zur Entwicklung schaftsfaches Deutsch als Fremdsprache wa-
von Fähigkeiten/Fertigkeiten in allen Ziel- ren in den 80er Jahren besonders die Entwick-
tätigkeiten). lungen innerhalb der Bezugs- und Referenz-
wissenschaften von Bedeutung. Im Zentrum
Mit der Theorienbildung zu übereinzelsprach- interdisziplinärer Fachdiskurse standen Aus-
lich relevanten Planungs-, Aneignungs- und einandersetzungen mit der Dialektik von
Anwendungsaspekten von Fremdsprachen Sprachtätigkeit und Sprachsystem im Sprach-
gingen Verständigungen über die Konturen erwerbsprozess, das Verhältnis von Kognition
der Teildisziplinen des Deutsch als Fremd- und Kommunikation zum Lernen und die
sprache einher, die zu einer Ausdifferenzie- Ausnutzung kommunikativ- und kognitiv-ori-
rung fachgegenstandsspezifischer Anteile der entierter Sprachbeschreibungen für die Theo-
Linguistik, Didaktik, Phonetik, Landes- rie und Praxis des Deutschen als Fremdspra-
kunde, Literaturwissenschaft und Fremd- che. Die Erkenntnis, dass Sprache in die kom-
sprachenpsychologie innerhalb des Lehr- und plexen Zusammenhänge der kommunikativen
Forschungsprofils von Deutsch als Fremd- Tätigkeit und gesellschaftlichen Interaktion
sprache führten. Teils flossen die neuen An- eingebettet ist, führte nicht nur in der Lin-
sprüche des kommunikativen Fremdspra- guistik zu einer Ausweitung ihrer Gegen-
chenunterrichts direkt in die Überarbeitung standsbereiche und zum Entstehen fremd-
bewährter Lehrmaterialien der 60er Jahre ein sprachenerwerbsrelevanter Teildisziplinen (wie
(z. B. Deutsche Konversation mit Modellen 1; z. B. die Sprechakttheorie, funktional-kom-
1979), teils erhielten sie fachsprachlich-orien- munikative Sprachbeschreibung, handlungs-
tierte Modifikationen (z. B. Deutsch ⫺ Ein orientierte Textanalyse, Soziolinguistik, Psy-
Lehrbuch für Ausländer. Einführung in die cholinguistik), sondern auch zu einer Neube-
Fachsprache Physik, Chemie, Biologie; 1975) wertung der Tätigkeits-, Lern- und Gedächt-
oder fanden ihren konzeptionellen Nieder- nistheorien.
schlag in den Curricula der Aus-, Fort- und Quantitativ erbrachte sie eine deutliche
Weiterbildung im Deutschen als Fremdspra- Zunahme an wissenschaftlichen Publikatio-
che, in den Forschungsplänen der Universitä- nen, die eine weitere Ausdifferenzierung von
ten und Hochschulen, in den Themen der Untersuchungsansätzen zur Erklärung und
Graduierungsarbeiten und schließlich auch in Beherrschung fremdsprachiger Erwerbspro-
einer sich allmählich durchsetzenden kom- zesse bedeutete. Qualitativ konzentrierten
munikativen Lehrpraxis. sich die Untersuchungsgegenstände/-themen
Wesentliche Ansatzpunkte fortschreitender auf eine interdisziplinäre theoretische Fun-
fachwissenschaftlicher Differenzierung des dierung der Teildisziplinen des Deutschen als
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Deutschland 93

Fremdsprache, auf didaktische Anwendun- Für die Lehre und Forschung im Deut-
gen von Sprachbeschreibungstheorien, auf schen als Fremdsprache ergab sich daraus die
Prinzipien, Inhalte, Methoden und Modelle Erwartung, die Regeln des Sprachsystems
des Spracherwerbs im Allgemeinen und fach- und die des Sprachgebrauchs sowohl funktio-
sprachlichen Unterricht sowie auf Bausteine nal interpretieren als auch lehr- und lerntheo-
einer komplexen Lehr- und Lernmitteltheo- retisch ausnutzen zu können.
rie. Diese Klärung schloss zum einen das Diesem Anliegen kam die funktional-kom-
Fortwirken traditioneller Komponenten der munikative Sprachbeschreibung insofern ent-
Konstituierung von Deutsch als Fremdspra- gegen, als sie eine sprachsystem- und ⫺ tätig-
che ein, z. B. von Teilerkenntnissen der keitsbezogene Erfassung der für Typen kom-
Valenztheorie, Grammatik- und Lexikogra- munikativen Handelns (z. B. Empfehlen, Be-
phie, der allgemeinen Fremdsprachendidak- richten, Zusammenfassen) und ihren sprach-
tik u. a. m. Zum anderen öffnete sie sich ge- lichen Produkten (z. B. die Textsorten: Re-
genüber den Forschungsansätzen/-perspekti- ferenz, Tagungsberichte, Resümee) relevan-
ven neuer Fachdisziplinen. Die wechselseiti- ten Sprachmittel und Gestaltungsprinzipien
gen Wirkungen lassen sich u. a. an der bereits anstrebte. Sie versprach, den Kommunika-
Mitte der 70er Jahre einsetzenden Prinzipien- tionsbedürfnissen/-erfordernissen erwachse-
Diskussion und den nachfolgenden einzelwis- ner Lerner innerhalb der DDR, spezifischen
senschaftlichen Ausdifferenzierungen ihrer Aus- und Fortbildungsformen und der darauf
inhaltlichen Ansprüche erkennen. Die Metho- ausgerichteten Forschungstätigkeit entgegen-
dischen Prinzipien (Apelt 1980, 3ff.) sollten zukommen. Auf der Planungsebene, insbe-
dem Lehrenden eine Hilfe sein, einen erfolg- sondere in der curricularen Arbeit, erwies
reichen kommunikativen Fremdsprachen- sich die Erfassung und Beschreibung hand-
unterricht zu erteilen. Als Leitlinien für den lungsrelevanter Sprachmittel/-strukturen als
Deutsch als Fremdsprache-Unterricht wur- wertvolle Orientierung für die Auswahl und
den z. B. in der ersten und zu DDR-Zeiten Systematisierung des Sprachstoffes; vor allem
einzigen veröffentlichten Didaktik des Fremd- zur Entwicklung produktiver Fertigkeiten
sprachenunterrichts ⫺ Deutsch als Fremdspra- (vgl. Wir diskutieren; Kommunikationsverfah-
che (Desselmann/Hellmich 1981, 28ff.) außer ren in Wissenschaft und Technik). Auf der
schulpolitischen und allgemeinen pädagogi- Prozessebene bildeten die Stufenmodelle der
schen Erziehungs- und Bildungsaufgaben sowjetischen Lern- und Gedächtnispsycholo-
fremdsprachendidaktische Prinzipien für Ziel- gie (Leontjew 1979, 101ff.; Galperin 1980,
konzeptionen, Stoffauswahl und Prozessge- 77ff.) die Integrationsbasis für aufgabenbezo-
staltung formuliert. Wenngleich auch Prozess gene Sprachstoffstrukturierungen zur syste-
und Ergebnisse der Prinzipien-Diskussion ein matischen Weiterentwicklung sprachkommu-
sprachdidaktisch lineares Denken und Han- nikativen Könnens (Lehrmaterialreihe des
deln im DDR-Fremdsprachenunterricht ver- IWD). Allerdings bestätigte die lehrpraktische
hindern sollten, so reduzierte sich deren tat- Nutzung von Ergebnissen der funktional-
sächliche Wirkung auf den Status von Postu- kommunikativen Sprachbeschreibung im
laten, deren Operationalisierung in der Praxis Sprachunterricht immer wieder die Grenzen
noch nicht zu bewältigen war, wohl aber in kommunikativ-linguistischer Beschreibungen
der fachwissenschaftlichen Reflexion kritisch sprachlichen Handelns, die den „Weg vom glo-
verarbeitet wurde. Sie förderte u. a. die Her- balen Kommunikationsmodell zum Sprach-
ausbildung eines deduktiv-multifaktoriellen system … ohne Entwicklung spezifischer
Fachdenkens einer ganzen Wissenschaftlerge- (grammatischer) Teiltheorien“ (Helbig 1991,
neration und verstärkte das Interesse an einer 72) gehen wollten, aber so ihren Anspruch auf
globalen Gesamttheorie von der sprachlichen eine sprachtätigkeits- und ⫺ systembezogene
Tätigkeit. Einige Fachvertreter glaubten die- Theoriebildung nicht einlösen konnten.
sen Anspruch in der funktional-kommunikati- Ende der 80er Jahre führten internationale
ven Sprachbeschreibung (FKS) verwirklicht Anforderungen und Entwicklungen zu neuen
zu sehen, denn diese stellte sich das Ziel, das Konzepten in Ausbildungsfächern/-program-
„Zusammenwirken der sprachlichen Mittel men (z. B. Auslandsgermanistik für Mutter-
der verschiedenen Ebenen des Sprachsystems sprachler/fachspezifische Informatik). Die in-
und ihre wechselseitige Bedingtheit und Ab- terkulturelle Orientierung spiegelte sich in
hängigkeit unter dem Aspekt der intendierten der Landeskunde durch eine verstärkte Ein-
kommunikativen Leistung“ (FKS 1981, 11/ beziehung kulturkontrastiver Komponenten
12) zu erfassen. wider. Die Lernerorientierung erhielt in der
94 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

sprachpraktischen und phonetischen Aus-, den europäischen Institutionen als gleich-


Fort- und Weiterbildung eine deutliche Beto- berechtigte Arbeits-, Verkehrs- und Ver-
nung, indem Lernstrategien/-techniken zur handlungssprache zu stärken.
Selbststeuerung individueller Erwerbspro- ⫺ Eine Fachausbildung Deutsch als Fremd-
zesse bewusst gemacht und zunehmend in die sprache für Beschäftigte in europäischen
Lehrwerke integriert wurden. In der Unter- Institutionen zu entwickeln.
richtstechnologie begann der Übergang zum ⫺ Das Bewusstsein zu stärken, dass Deutsch
video- und computergestützten Fremdspra- eine international gepflegte Publikations-
chenlernen. Das Bemühen einzelner Fachver- sprache und internationale Kongressspra-
treter um eine internationale Perspektive der che ist.
Fachprofilierung und um deren bedarfsge- ⫺ Den Erwerb der deutschen Sprache als
rechten Ausbau im nationalen Rahmen Fremd- und Zweitsprache im In- und Aus-
konnte allerdings weder die Tatsache einer land zu fördern (Dresdner Erklärung
weitgehenden Isolierung von der internatio- 1995).
nalen Fachkommunikation und -publizistik
ausgleichen noch eine flächendeckende Neu- Die Bedeutung der deutschen Sprache und
orientierung in der Lehre, Forschung sowie das Prinzip Mehrsprachigkeit werden damit
Fort- und Weiterbildung im Deutschen als ausdrücklich betont.
Fremdsprache auslösen; ganz zu schweigen Im Bereich des Goethe-Instituts wurde die
vom Abstand materiell-technischer Ausstat- Einigung als Chance begriffen, in den neuen
tung der Deutsch als Fremdsprache-Institu- Bundesländern neue Institute zu eröffnen.
tionen im Vergleich zu westeuropäischen Als erstes war dies Dresden im Jahre 1996,
Standards. Ohne Zweifel beförderte jedoch im Jahre 1997 kam Weimar hinzu, wo erst-
die Zunahme internationaler Kontakte in mals vor allem ein starker Anteil kultureller
diesem Jahrzehnt staatliche Maßnahmen zur Informationen in den Kursen zu registrieren
Herauslösung des Faches aus der Bevormun- ist. Insgesamt bietet das Goethe-Institut neue
dung traditioneller Wissenschaften, insbeson- Typen von Sprachkursen an: Superintensiv-
dere der germanistischen Literaturwissen- kurse mit 40 Unterrichtseinheiten pro Wo-
schaft in ihrer historisch-philologischen Aus- che, Sonderkurse (Firmenkurse, Senioren-,
richtung. Auch trug die Anerkennung des Jugend- und Kinderkurse) sowie verstärkt
Faches und seiner Vertreter im Ausland Fachsprachenkurse. Das Institut verzeichnet
zur Stärkung einer einzelwissenschaftlichen 1996/97 nach Jahren der Stagnation erstmals
Identität im Inland bei, so dass zunehmend wieder eine erhöhte Nachfrage nach Sprach-
eine Veränderung der Situation eingefordert kursen.
wurde.

8. Theoretische Klärungsprozesse
7. Deutsch als Fremdsprache nach der
deutschen Einigung Nach Jahren eines stürmischen Aufbruchs ist
die Disziplin Deutsch als Fremdsprache in
Nach 1989 ist auf allen Ebenen ein starker Forschung und Lehre in eine Phase der Kon-
Wunsch zur Überwindung des bislang Tren- solidierung und inhaltlichen Klärung einge-
nenden zu beobachten. Sowohl bei der Beset- treten. Charakteristisch dafür ist die enga-
zung der verantwortlichen Funktionen in den
gierte Diskussion in der Fachzeitschrift
Verbänden wie bei der inhaltlichen und orga-
„Deutsch als Fremdsprache“: Im Wesentli-
nisatorischen Ausgestaltung von Studiengän-
chen geht es bei der Forschung um die
gen in den Beitrittsländern kooperierten
Fachvertreter und -vertreterinnen aus Ost- Punkte:
und Westdeutschland zumeist vertrauensvoll ⫺ Das Verhältnis des Deutschen als Fremd-
miteinander. Von Bedeutung sind daneben sprache zu den Bezugs- bzw. Grundlagen-
vor allem Erklärungen zur Sprachpolitik und wissenschaften wie Germanistische Lingui-
zur internationalen Bedeutung der deutschen stik, Lernpsychologie, Soziologie, Sprach-
Sprache. So heißt es in der Dresdner Erklä- lehrforschung, Kultur- und Landeskunde
rung des Fachverbandes Deutsch als Fremd- sowie Neurowissenschaften.
sprache aus dem Jahre 1995, „Die politisch ⫺ Das Verhältnis der Teilbereiche der Diszi-
Verantwortlichen werden aufgefordert plin untereinander: Didaktik, angewandte
⫺ das Deutsche im europäischen Sprachen- Linguistik, Literaturwissenschaft und Lan-
wettbewerb durch seine Verwendung in deskunde.
7. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Deutschland 95

⫺ Ist die Disziplin ein Teilbereich der Ger- In der Lehre geht es vor allem um die Ent-
manistik (gewissermaßen ihr „viertes wicklung neuer Kurstypen (Intensivkurse,
Standbein“) oder ein fremdsprachenwis- fachsprachliche Kurse, Senioren-, Jugend-
senschaftliches Fach? und Kinderkurse) sowie um video- und com-
⫺ Wie lassen sich Erkenntnisse der For- putergestützte Deutschkurse.
schungen zum ungesteuerten Erwerb des
Deutschen als Zweitsprache auf den (ge-
steuerten) Unterricht übertragen? 9. Kulturbegriff
⫺ Welcher Kulturbegriff liegt dem Prinzip
der Interkulturellen Erziehung im Fach Als Lernprinzip gilt grundsätzlich das inter-
Deutsch als Fremdsprache zu Grunde? kulturelle Lernen, also das auf der Basis der
(vgl. Blei 1994; Götze/Suchsland 1996; Gleichrangigkeit der Kulturen sowie des er-
Henrici 1996; Königs 1996; Helbig 1997; weiterten Kulturbegriffs organisierte wechsel-
Hirschfeld 1997; Neuner 1997; Glück seitige Lernen von Angehörigen unterschied-
1998) licher Kulturen. Dabei ist, ebenso wie in der
Forschung, der Kulturbegriff in die Diskus-
Dabei hat sich weit gehende Einigkeit über sion geraten. War es seit den 70er Jahren na-
die folgenden Punkte herauskristallisiert: hezu umstritten, dass der erweiterte Kulturbe-
⫺ Deutsch als Fremdsprache ist ein einheitli- griff ⫺ Kultur als die Summe aller Hervor-
ches Fach, in dessen Mittelpunkt die bringungen der menschlichen Physis wie des
Theorie und Praxis des Erwerbens/Ler- Geistes ⫺ das intellektuelle Rüstzeug der Ak-
nens und Lehrens der Fremdsprache tivitäten im Deutschen als Fremdsprache lie-
Deutsch steht. ferte (Götze 1995b), plädierte der Generalse-
⫺ Den grundständigen Studiengängen und kretär des Goethe-Instituts, Joachim Sarto-
nicht den Aufbau- und Ergänzungsstu- rius, für einen ästhetisch akzentuierten und
diengängen des Faches gehört die Zu- damit engeren Kulturbegriff, der seinen Nie-
kunft, um die Disziplin akademisch fest derschlag in der Programmarbeit wie in ei-
zu etablieren. nem stärker literarisch orientierten Sprach-
⫺ Das Fach hat gleichrangige Theorie- und unterricht an Ausländer im In- und Ausland
Praxisanteile. finden solle (Sartorius 1996). Die Diskussion
⫺ Deutsch als Fremdsprache steht als eigen- hält an.
ständige Disziplin im Schnittpunkt zahl- In 10 Thesen zur Auswärtigen Kulturpoli-
reicher Bezugswissenschaften und ist so- tik äußerte sich Bundesaußenminister Kinkel
mit kein Anwendungsgebiet einer dieser 1997 zu Zielsetzungen der zukünftigen Ar-
Disziplinen. beit. Danach sollen die Kulturarbeit im Aus-
⫺ Deutsch als Fremdsprache sollte seine land deutlicher als bisher von wirtschaftli-
Eigenständigkeit selbstbewusst verteidi- chen Interessen des Landes bestimmt sein, die
gen und sich nicht durch andere Fächer bisherige relative Autonomie der Goethe-In-
und/oder modische Entwicklungen verein- stitute zugunsten der Entscheidungen der
nahmen lassen. Botschafter weiter eingeschränkt werden, re-
⫺ Deutsch als Fremdsprache dient der Völ- präsentative Kulturereignisse statt kontinu-
kerverständigung und dem Dialog der ierlicher Zusammenarbeit mit den Partnern
Kulturen. im Gastland dominieren, Spracharbeit mit
Keine Einigkeit besteht in der Frage, ob regionalen Schwerpunkten (Mittelosteuropa
Deutsch als Fremdsprache als „viertes Stand- und Russland, Asien) im Mittelpunkt stehen,
bein“ Teil der Germanistik (Götze/Suchsland der Wissenschaftleraustausch gefördert und
1996) oder aber ein fremdsprachenwissen- die Mittlerorganisationen (Goethe-Institut
schaftliches bzw. -didaktisches Fach (Henrici u. a.) organisatorisch „verschlankt“ werden
1996; Königs 1996; Neuner 1997) sei. Uneinig (Kinkel 1997). Das hieße im Klartext eine
verläuft die Diskussion auch darüber, ob Abkehr von den Leitvorstellungen der aus-
Deutsch als Fremdsprache eine wissenschaftli- wärtigen Kulturpolitik, wie sie Ralf Dahren-
che Disziplin aufgrund der vier Kriterien Ge- dorf (Dahrendorf 1970) entwickelt hatte und
genstand, Erkenntnisinteresse, Forschungs- denen das Goethe-Institut und die Bundesre-
methoden und Theoriebildungsprozesse sei publik Deutschland in den vergangenen Jah-
oder nicht. Die Diskussion ist im Jahre 2000 ren ihre Glaubwürdigkeit und ihre Erfolge
weiter im Gang. verdankten.
96 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

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8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Österreich 97

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8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache und des


Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterrichts in Österreich

1. Einleitung 1. Einleitung
2. Periodisierung
3. Entwicklungen in der Zeit vor 1945 Die Geschichte des Faches Deutsch als
4. Der Zeitraum von 1945⫺1980 Fremdsprache in Österreich ist jung, denn
5. Die Gründerphase von Deutsch als
das Fach konnte sich im Kontext des öster-
Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache
in Österreich ab Anfang der 80er Jahre
reichischen Bildungssystems endgültig erst
6. Deutsch als Fremdsprache in den 90er Anfang der 90er Jahre etablieren. Ungeachtet
Jahren dessen existierte lange zuvor bereits eine grö-
7. Offene Fragen und Ausblick ßere Zahl von Aktivitäten und Institutionen.
8. Literatur in Auswahl Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Ent-
98 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

wicklung von Deutsch als Fremdsprache und an allen Pflichtschulen der Habsburger-Mon-
Deutsch als Zweitsprache, die auf Grund un- archie unterrichtet wurde, verhinderten die
terschiedlicher organisatorischer Zuständig- Ausbildung und Etablierung von Ansätzen ei-
keiten im Ausbildungsbereich ab Anfang der nes Faches Deutsch als Fremdsprache in den
80er Jahre eine voneinander weitgehend un- letzten Jahrzehnten des Bestehens der Mon-
abhängige Entwicklung genommen haben. archie. Dies geschah trotz der Tatsache, dass
Der Begriff „Deutsch als Fremdsprache“ noch 1923/24 35% der Hörer an österreichi-
wird im Folgenden zugleich als Oberbegriff schen Universitäten Ausländer und 19% aller
für beide Bereiche verwendet. Hörer solche mit nicht deutscher Mutterspra-
che waren. Der Hauptgrund war, dass die
meisten Studenten bereits gute bis sehr gute
2. Periodisierung Deutschkenntnisse hatten, wenn sie mit dem
Studium begannen. Die Vermittlung von
Nimmt man eine vorsichtige Periodisierung
Deutsch in zweisprachigen Gebieten der
der Entwicklungsphasen von Deutsch als
Monarchie erfolgte außerdem so gut wie aus-
Fremdsprache in Österreich vor, lassen sich
schließlich durch zweisprachige Lehrer, die
zeitlich vier Abschnitte erkennen: 1) Die Zeit
ihren Unterricht tageweise abwechselnd in
vor 1945, die durch eine Fortschreibung der
Deutsch und in den jeweiligen Sprachen der
Situation am Ende der k. u. k. Monarchie ge-
Nationalitäten durchführten und in der Regel
kennzeichnet war; 2) Der Zeitraum 1945⫺
gute Kenntnisse in beiden Sprachen aufwie-
1980, der in die erste Wiederaufbauphase der
sen.
Universitäten bis etwa 1962 und in die Kon-
In der Ersten Republik kam es nicht zu-
solidierungsphase bis Ende der 70er Jahre
letzt auf Grund der politischen Umstände zu
unterteilt ist. Dieser Zeitraum ist markiert
einem schnellen Rückgang der Zahlen nicht
durch die Gründung des Österreichischen
deutschsprachiger Studierender. Zeitgenössi-
Auslandsstudentendienstes (ÖAD) im Jahre
sche Berichte aus der Zeit von 1890⫺1935
1962 und die darauf folgende Dominanz die-
sprechen vom starken Assimilationsdruck,
ser Organisation bis etwa 1980, die erst durch
dem besonders die Einwanderer aus dem
studentische Proteste und durch die allmäh-
heutigen Tschechien und der Slowakei ausge-
liche Änderung der Organisationsstrukturen
setzt waren (vgl. dazu John/Lichtblau 1990).
nach und nach gemildert wurde; 3) Die
Da Österreich außerdem zu einem außenpoli-
Gründerphase von Deutsch als Fremdspra-
tisch inaktiven und auf sich bezogenen Klein-
che und Deutsch als Zweitsprache in Öster-
staat geworden war, verhinderte dies (im Ge-
reich fällt in die Zeit von 1979⫺1990, in der
gensatz zu Deutschland, wo 1932 der Vorläu-
intensiv an verschiedenen Orten und Institu-
fer des Goethe-Instituts gegründet worden
tionen versucht wurde, für die aufgetretenen
war) jeden Ansatz zur Herausbildung von
Probleme mit nicht deutschsprachigen Kin-
dern in den Schulen und für den Bedarf an Deutsch als Fremdsprache, so dass vor 1945
ausgebildeten Deutsch als Fremdsprache- keinerlei Aktivitäten vorhanden waren. We-
Lehrern und Lektoren Lösungen zu finden. sentlich war auch der Umstand, dass Öster-
4) Die Zeit seit 1990 ist als die endgültige Pe- reich im Gegensatz zu anderen europäischen
riode der Etablierung von Deutsch als Ländern außerhalb Europas keine Territo-
Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache rien besaß und wirtschaftlich auf Mitteleu-
anzusehen. Einschneidende Ereignisse waren ropa orientiert war, so dass es von Seiten der
einerseits die Gründung des Hochschullehr- traditionellen Außenbeziehungen keine un-
gangs Deutsch als Fremdsprache in Graz, die mittelbare Notwendigkeit gab, Institutionen
Einrichtung zweier Lehrkanzeln (jeweils in für die Vermittlung von Fremdsprachen-
Wien und Graz) sowie die Einführung des kenntnissen im Deutschen einzurichten.
Zusatzlehrplans Deutsch als Zweitsprache
für Pflichtschulen. Diese Abschnitte sollen im 4. Der Zeitraum von 1945⫺1980
Folgenden charakterisiert werden.
4.1. Die Studienvorbereitung ausländischer
Studierender als Beginn des Deutschen
3. Entwicklungen in der Zeit vor 1945 als Fremdsprache in Österreich
Die sprachnationalistischen Auseinanderset- Deutsch als Fremdsprache kommt in diesem
zungen ab etwa 1880 und der Umstand, dass Zeitraum vorerst überhaupt nur im Bereich
Deutsch in allen Gebieten (außer in Ungarn) der Studienvorbereitung nicht deutschspra-
8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Österreich 99

chiger Studierender vor. Denn nach der er- dium in Österreich schwierig und unattraktiv
sten Aufbauphase, die bis zur Unabhängig- machte. Hinzu kam, dass die am Vorstudien-
keit des Landes im Jahre 1955 reichte, kam lehrgang unterrichtenden Lehrer in keiner
es universitär zu einem rapiden Anstieg aus- Weise auf den Unterricht in Deutsch als
ländischer Hörer. Dies hing vor allem damit Fremdsprache bzw. jenen mit nicht deutsch-
zusammen, dass die österreichischen Univer- sprachigen Lernern vorbereitet waren, da
sitäten auf viele Studenten aus südosteuropä- entsprechende Ausbildungen fehlten. All das
ischen Ländern eine große Anziehungskraft führte für viele nicht deutschsprachige Stu-
ausübten. Viele der angestrebten Studien gab dierende zu erheblichen Schwierigkeiten.
es in deren Heimatländern nicht oder, auf
Grund der Kriegsereignisse, nicht mehr. Vor 4.2. Probleme im Bereich der
allem technische Studien und Studien an Studienvorbereitung und
Kunst- und Musikhochschulen waren bei Lösungsversuche
ausländischen Hörern stark gefragt. Ihr Im Jahre 1974 kam es auf Grund dieser Miss-
Anteil betrug um 1960 im Durchschnitt aller stände zu massiven studentischen Protesten
Universitäten rund 30%, an manchen Techni- und, nach wochenlangen Streiks, zu einer or-
schen Universitäten wie in Graz und an den ganisatorischen Neuordnung durch die Er-
Kunst- und Musikhochschulen sogar 50% richtung interuniversitärer Kommissionen,
und mehr. Dies veranlasste die Universitäten die in Wien bereits 1977 sowie in Graz 1982
zur Gründung des Österreichischen Aus- ihre Arbeit aufnahmen. An den anderen Uni-
landsstudentendienstes (ÖAD), der vor allem versitätsorten blieb die Situation jedoch un-
beauftragt wurde, die ausländischen Studie- verändert. Dieser Zeitpunkt markiert auch
renden zu betreuen und Deutschkurse einzu- den Anfang vom Ende der Dominanz des
richten, da es zu erheblichen Schwierigkeiten Österreichischen Auslandsstudentendienstes,
bei der Integration der nicht deutschsprachi- der den Bereich Deutsch als Fremdsprache
gen Studierenden gekommen war. In der für sich reklamierte und jede Etablierung des
Folge wurden nach und nach in allen Univer- Faches Deutsch als Fremdsprache an den
sitätsstädten die sog. „Vorstudienlehrgänge“ Universitäten bis Ende der 80er Jahre im Zu-
gegründet. Sie sind damit die älteste Institu- sammenspiel mit den mit ihm verbundenen
tion, an der in Österreich Deutsch als Fremd- Beamten des Wissenschaftsministeriums er-
sprache-Unterricht kontinuierlich erteilt folgreich verhinderte. Lange Zeit trug dazu
wird, und entsprechen in vielem den Studien- auch der Umstand bei, dass die traditionelle
kollegs in Deutschland. Heute bestehen je- Germanistik kein Interesse an Deutsch als
doch nur mehr die Vorstudiengänge in Graz Fremdsprache zeigte. Das erklärt mögli-
und Wien. cherweise, warum von der Internationalen
Der Österreichische Auslandsstudenten- Deutschlehrertagung, die 1971 in Salzburg
dienst gab aber nicht nur Deutschunterricht, stattgefunden hatte, keine Impulse zur Eta-
es wurden dieser Organisation auch die Ver- blierung von Deutsch als Fremdsprache in
waltung von Stipendien und der anderen Österreich ausgingen.
Auslandsaktivitäten der österreichischen Uni- Die Periode der 60er und 70er Jahre ist da-
versitäten übertragen, was dieser Organisa- her durch die ausschließliche Dominanz des
tion im universitären Kontext eine zentrale Österreichischen Auslandsstudentendienstes
Position einbrachte. Eine ihrer Aufgaben war und das völlige Fehlen von Aktivitäten der
es unausgesprochen auch, den als zu massiv österreichischen Germanistik in Bezug auf
empfundenen Zustrom ausländischer Studie- die Etablierung von Deutsch als Fremdspra-
render zu drosseln. Mittels ihres schulisch or- che gekennzeichnet, was angesichts ihrer ex-
ganisierten Unterrichts und einer rigiden Or- trem starken historisch-linguistischen und li-
ganisation erfüllten die Vorstudienlehrgänge terarischen Ausrichtung nicht überrascht.
eine gewisse Zeit auch diese Funktion. Denn Deutsch als Fremdsprache gab es im Zeit-
die nicht deutschsprachigen Studierenden raum 1960⫺1980 universitär nur in schulisch
mussten nicht nur Deutschkenntnisse nach- gestalteten Kursen des Österreichischen Aus-
weisen, um das Studium aufnehmen zu kön- landsstudentendienstes, in so genannten
nen, sondern darüber hinaus ⫺ je nach Her- „Sprachkursen für Hörer aller Fakultäten“
kunftsland ⫺ in verschiedenen Fächern viele und außeruniversitär (wenn auch zuweilen
Nachprüfungen und damit faktisch eine mit Universitäten verbunden) in vereinzelten
zweite Matura ablegen, was zu jahrelangen Sommerkursen und in ganz wenigen privaten
Studienverzögerungen führte und das Stu- Sprachschulen. Vor der Errichtung der Vor-
100 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

studienlehrgänge gab es die Möglichkeit zum versuche“ eingerichtet werden mussten. Mit
Deutschlernen lediglich im Rahmen der so dem weiteren Zuzug ausländischer Arbeits-
genannten „Sprachkurse für Hörer aller Fa- kräfte und der Polenkrise Anfang der 80er
kultäten“, die teilweise auch weiter bestanden Jahre verschärfte sich die Situation in den
bzw. an neugegründeten Universitäten wie in städtischen Ballungszentren weiter, so dass
Klagenfurt erst später eingerichtet wurden. ab Anfang der 80er Jahre umfassende schuli-
Das Ausbildungsangebot betrug zwischen sche Integrationsmaßnahmen für nicht
vier und 40 Semesterwochenstunden. Kenn- deutschsprachige Kinder notwendig wurden.
zeichnend für die Situation der Studienvorbe-
reitung ausländischer Studierender war die
5. Die Gründerphase von Deutsch als
organisatorische und strukturelle Heterogeni-
tät, die sich bis heute nicht geändert hat. In Fremdsprache und Deutsch als
Innsbruck und Klagenfurt existieren dafür Zweitsprache in Österreich ab
Hochschullehrgänge, in Salzburg Deutsch- Anfang der 80er Jahre
kurse am Germanistikinstitut, in Wien und
Graz Vorstudienlehrgänge und in Linz Kurse 5.1. Der Aufbau einer Lehrerausbildung
am Sprachzentrum der Universität. Ein bun- Deutsch als Fremdsprache
deseinheitlicher Ausbildungsrahmen fehlt, da Die 80er Jahre können als Pionierjahre von
die Studienvorbereitung in den autonomen Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als
Verfügungsbereich der jeweiligen Universität Zweitsprache in Österreich angesehen wer-
fällt und hinsichtlich des Stundenausmaßes den. An verschiedenen Orten und in verschie-
und der Anforderungen der sog. Hochschul- denen Bereichen wurden Anstrengungen zur
sprachprüfung verschieden geregelt wird. Etablierung des Faches unternommen. Kenn-
Weitgehende Übereinstimmung besteht zwi- zeichnend für die Situation von Deutsch als
schen den Vorstudienlehrgängen in Graz und Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache
Wien, die Mitte der 80er Jahre entsprechende war, dass es eine große Zahl von Deutsch als
Ausbildungspläne verabschiedeten (vgl. u. a. Fremdsprache-Lernern und eine größer wer-
Muhr 1984) und in Wien von etwa 700 und dende Zahl schulischer und außerschulischer
in Graz von etwa 300 Studierenden besucht Deutsch als Fremdsprache-Aktivitäten gab,
werden. Ausbildungseinrichtungen für Deutsch als
Fremdsprache-Lehrer und Einrichtungen zur
4.3. Deutsch als Zweitsprache ab den 70er Integration nicht deutschsprachiger Schüler
Jahren und Zuwanderer jedoch fehlten. Ein weiteres
In der Folge des Wirtschaftsaufschwungs An- Problem war, dass Österreich auf Grund
fang der 70er Jahre kam es auch in Österreich zahlreicher bilateraler Kulturabkommen eine
zu einem starken Anwachsen ausländischer stetig größer werdende Zahl von Auslands-
Arbeitskräfte, die überwiegend aus dem da- lektoren (Mitte der 80er Jahre waren es be-
maligen Jugoslawien und aus der Türkei reits etwa 70 Lektoren) entsandte, die beauf-
stammten. Kennzeichnend für die Situation tragt waren, im jeweiligen Land „österreichi-
der Ausländerbeschäftigung in Österreich sche Literatur und deutsche Sprache“ zu ver-
war ihre regionale Konzentration auf Vorarl- mitteln, ohne dass jedoch eine entsprechende
berg, den Großraum Salzburg, Linz und institutionelle und materielle Unterstützung
Wien. In den entsprechenden Bundesländern in Form von Lehrmaterialien und Serviceein-
kam es in der Folge daher auch zu ersten richtungen vorhanden gewesen wären. An-
Problemen mit den nicht deutschsprachigen ders als in der Bundesrepublik Deutschland
Kindern der sog. „Gastarbeiter“. Bereits 1973 oder in der DDR waren in Österreich zu die-
reagierte das Bundesland Salzburg auf diese ser Zeit drei Ministerien (Außen-, Wissen-
Situation mit der Einrichtung so genannter schafts- und Unterrichtsministerium) für die
„bunter Klassen“, in welchen die nicht Auslandskultur zuständig. Auch fehlte eine
deutschsprachigen Kinder einer Schule ge- entsprechende Vorbereitung auf den Aus-
meinsam unterrichtet wurden. Das Modell landseinsatz in Form einer Deutsch als
war jedoch wenig effektiv und wurde bald Fremdsprache-Ausbildung (einwöchige Ein-
wieder aufgegeben. Erschwerend kam hinzu, schulungskurse gab es zwar an der Universi-
dass weder Schulen noch Schulgesetze auf tät Klagenfurt, sie waren aber nicht ausrei-
Kinder ohne Deutschkenntnisse vorbereitet chend). All das führte zu wiederholter Kritik
waren und alle Maßnahmen bis Ende der und zu Auseinandersetzungen mit den zu-
80er Jahre daher provisorisch als sog. „Schul- ständigen Ministerien. Erschwerend kam
8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Österreich 101

hinzu, dass eine explizit formulierte Aus- engste verbundenen Österreichischen Aus-
landskulturpolitik in Form einer parlamenta- landsstudentendienst) gekennzeichnet waren.
risch abgesicherten Entschließung fehlte. Die Im Mittelpunkt dieses Machtkampfes stand
Bemühungen konzentrierten sich daher vor die Weigerung, Deutsch als Fremdsprache an
allem darauf, eine Etablierung des Faches den Universitäten in Form von organisato-
durch Einrichtung von Lehrerausbildungs- risch regulär verankerten Lehrerausbildun-
einrichtungen zu erreichen. Um die Wende zu gen zu etablieren.
den 80er Jahren hatte sich in den städtischen Allerdings hatten die Auseinandersetzun-
Ballungszentren außerdem der Integrations- gen auch ihr Gutes, da die Germanistikinsti-
druck auf die Pflichtschulen verstärkt und tute auf den Bereich Deutsch als Fremdspra-
andererseits kam es in verschiedenen Univer- che aufmerksam wurden und diesen als Zu-
sitätsstädten wie Klagenfurt, Graz, Wien und kunftschance erkannten. Im Jahre 1985 kam
Salzburg zur Einrichtung von Universitätsab- es auf Grund einer gemeinsamen Initiative
kommen für Deutschlernende. Diese waren von Graz, Wien und Klagenfurt zu einem er-
zwar häufig aus touristischen Gründen einge- sten Treffen der Gesamtstudienkommission
richtet worden, wurden von einer jüngeren Germanistik, bei dem die Einrichtung eines
Generation engagierter Universitätslehrer je- Studiums Deutsch als Fremdsprache bespro-
doch als Chance zum Aufbau von Lehrer- chen wurde. Am Ende standen elf gesamt-
ausbildungseinrichtungen für Deutsch als österreichische Kommissionstreffen, die im
Fremdsprache und zur akademischen Eta- April 1987 schließlich zur Formulierung eines
blierung des Faches erkannt. Die Verbindung gemeinsamen Ausbildungsplans führten. Er
zwischen Sommerkursen und Lehrerausbil- sah ein viersemestriges Aufbaustudium mit
dung gelang in substantiellem Ausmaß vor- rund 40 Semsterwochenstunden und einer
erst aber nur in Klagenfurt und Graz, in ge- Abschlussprüfung vor, das im Anschluss an
wisser Hinsicht auch in Innsbruck, wo der ein philologisches Studium (in erster Linie ein
Einfluss der Zweisprachigkeitssituation in Lehramtsstudium) zu absolvieren und mit ei-
Südtirol spürbar wurde. Ein wesentliches nem staatlich anerkannten Diplom verbun-
Hindernis für die Errichtung einer Deutsch den gewesen wäre (vgl. Muhr 1987). Die
als Fremdsprache-Lehrerausbildung war das Gründe für die Wahl dieses Ausbildungsgan-
tiefe Unverständnis auf Seiten der zuständi- ges waren (nach langen Diskussionen) die
gen Ministerien. Ein weiteres Problem be- starke Abhängigkeit des österreichischen Ar-
stand darin, dass die Auslandslektoren im beitsmarktes für Lehrer im Allgemeinen und
Zuge ihrer Bewerbung um ein Lektorat stets von Deutsch als Fremdsprache-Lehrern im
ein Forschungsthema präsentieren mussten, Besonderen von staatlich vergebenen Stellen
an dem sie während ihres Auslandsaufenthal- sowie die stark eingeschränkten Arbeitsmög-
tes arbeiten sollten. Diese Argumentation ließ lichkeiten im nicht-staatlichen Bereich. Hinzu
eine Deutsch als Fremdsprache-Lehrerausbil- kommt, dass Lektorenstellen zeitlich befristet
dung als überflüssig erscheinen, da die Lekto- sind (fünf Jahre) und eine Reintegration von
rate auf drei Jahre befristet sein sollten und Personen ohne Lehrbefähigung für den Un-
ihre Tätigkeit nicht primär der Vermittlung terricht an österreichischen Schulen fast un-
des Deutsch als Fremdsprache gewidmet sein weigerlich in die Arbeitslosigkeit geführt
sollte, sondern dem bei der Bewerbung ange- hätte. Die künftigen Deutsch als Fremdspra-
gebenen Forschungsvorhaben, das aber für che-Lehrer sollten daher möglichst eine Lehr-
kaum jemanden die wirkliche Motivation für amtsprüfung haben und die Deutsch als
einen Auslandsaufenthalt darstellte. Fremdsprache-Kenntnisse als Zusatzqualifi-
Schon dieses Detail zeigte, wie hemmend kation erwerben, um mehrere berufliche
die Politik des zuständigen Wissenschaftsmi- Standbeine zu haben. Zur Einrichtung eines
nisteriums für die Errichtung einer universi- entsprechenden Ausbildungsganges kam es
tären Deutsch als Fremdsprache-Lehreraus- jedoch trotz der gemeinsamen Initiative
bildung war, das stets danach trachtete, das nicht, da das zuständige Ministerium aus
Monopol des Österreichischen Auslandsstu- Kostengründen lediglich bereit war, diese an
dentendienstes im Bereich Deutsch als zwei Universitätsstandorten einzurichten.
Fremdsprache aufrechtzuerhalten. Man kann Keines der fünf Germanistikinstitute wollte
heute rückblickend feststellen, dass die 80er jedoch zurückstehen. Zu diesem Zeitpunkt
Jahre von der Auseinandersetzung zwischen gab es einzelne Lehrveranstaltungen zur
engagierten Universitätslehrern und der Mi- Deutsch als Fremdsprache-Lehrerausbildung
nisterialbürokratie (und dem mit ihr aufs in Innsbruck, Salzburg, Klagenfurt und
102 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Graz. Während Klagenfurt auf eine gewisse an anderen Institutionen Arbeit fanden und
Kontinuität im Ausbildungsbereich verwei- bald auch in den Lehrveranstaltungen zur
sen konnte, aber über relativ wenige Lehrver- Lehrerausbildung und in Fortbildungssemi-
anstaltungen verfügte, existierte in Graz be- naren in osteuropäischen Ländern tätig wa-
reits seit dem Studienjahr 1988/89 ein ren, wo nach der „Wende“ kommunikative
Deutsch als Fremdsprache-Studiengang im Methoden des Fremdsprachenunterrichts von
Ausmaß von 22 Semesterwochenstunden, der großem Interesse waren. Ein ähnliches Sy-
allerdings keinen offiziellen Status hatte, da stem der Verbindung von Sommerkurs und
die Verankerung im Rahmen eines Studienge- Lehrerausbildung bestand auch in Klagen-
setzes fehlte. furt. Auch der Vorstudienlehrgang Wien er-
Einen Umschwung zu Gunsten der Eta- wies sich nicht zuletzt auf Grund seiner gro-
blierung der Deutsch als Fremdsprache-Aus- ßen Zahl von Studierenden (etwa 700) und
bildung brachte erst die IX. Internationale Lehrern als wichtige Institution für die Eta-
Deutschlehrertagung in Wien 1989 und die blierung von Deutsch als Fremdsprache in
im selben Jahr stattfindende „Wende“ in Ost- Österreich. An der Universität Innsbruck
europa. Beide „Ereignisse“ machten unmiss- wiederum bestanden enge Verbindungen zu
verständlich deutlich, dass Österreich auf Südtirol, da diese Universität zugleich als
dem Gebiet Deutsch als Fremdsprache nach südtiroler Landesuniversität fungiert. Dies
wie vor über keine gesetzlich abgesicherte bewirkte ein deutliches Engagement in Rich-
Lehrerausbildung verfügte und keine einzige tung auf kontrastive Linguistik und Zwei-
Deutsch als Fremdsprache-Lehrkanzel vor- sprachigkeitsforschung. In Salzburg und
weisen konnte, zugleich aber einem enormen Wien gab es zwar seit langer Zeit einen Som-
Bedarf an qualifizierten Deutsch als Fremd- merkurs, in Wien darüber hinaus auch Ganz-
sprache-Lehrern gegenüberstand, den es in jahreskurse in Form von „Internationaler
keiner Weise erfüllen konnte (allein im Jahre Wiener Hochschulkurse“. Diese wirkten je-
1990 wurden vierzig neue Lektorenstellen in doch nicht auf die Etablierung des Deutsch
Osteuropa eingerichtet). Auf Grund der ge- als Fremdsprache ein.
änderten Rahmenbedingungen und der Tat-
sache, dass in Graz de facto bereits ein Studi- 5.2. Die Gründung des Österreichischen
engang bestand, kam es 1990 zur Errichtung Lehrerverbandes Deutsch als
des „Hochschullehrgangs Deutsch als Fremd- Fremdsprache
sprache“ in Graz, der mit dem Winterseme- Ein wichtiger Impuls für Deutsch als Fremd-
ster 1990/91 seinen Betrieb aufnahm, bis sprache in Österreich ging auch von der
heute besteht und nach wie vor die einzige Gründung des Österreichischen Lehrerver-
formalisierte Deutsch als Fremdsprache-Leh- bands Deutsch als Fremdsprache im Jahre
rerausbildungseinrichtung auf Universitäts- 1984 aus, der 1985 seine erste Jahrestagung
ebene in Österreich ist. Seine Einrichtung abhielt und sich seither kontinuierlich und
steht in engem Zusammenhang mit der Ar- mit Erfolg um die Belange von Deutsch als
beitsgruppe Deutsch als Fremdsprache Graz, Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache
die 1983⫺1991 am Institut für Germanistik bemüht. Ein erster Höhepunkt dieser Arbeit
bestand und sich zuerst vor allem um die Ver- war die erfolgreiche Durchführung der IX.
besserung des Deutsch als Fremdsprache-Un- Internationalen Deutschlehrertagung in Wien
terrichts am Vorstudienlehrgang Graz und 1989, die für Deutsch als Fremdsprache in
um die Einstellung und Ausbildung neuer Österreich den endgültigen Durchbruch
Lehrkräfte bemühte. Dies geschah einerseits brachte. Die ÖDaF-Mitteilungen sind das
durch die Einrichtung von Lehrveranstal- Kommunikationsorgan für die östereichi-
tungen zur Lehrerausbildung Deutsch als sche Fachszene.
Fremdsprache sowie die Einrichtung der
Sommerkurse für Entwicklungshilfe-Stipen- 5.3. Deutsch als Zweitsprache in den 80er
diaten der Republik Österreich, die es mög- Jahren
lich machten, unterrichtspraktische Fertigkei- Während sich die strukturelle Situation von
ten zu erwerben. An diesen Kursen nahmen Deutsch als Fremdsprache gegen Ende der
in manchen Jahren bis zu 80 Stipendiaten 80er Jahre schrittweise verbesserte, stagnierte
und 30 Lehrkräfte teil. Diese Symbiose von jene von Deutsch als Zweitsprache weitge-
Theorie und Praxis führte sehr bald zur Aus- hend. Das hat nicht unwesentlich mit der
bildung einer größeren Zahl von Lehrerin- Trennung zwischen Pflichtschullehrer- und
nen, die einerseits im Vorstudienlehrgang und Gymnasiallehrerausbildung zu tun. Erstere
8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Österreich 103

erfolgt traditionellerweise an den Pädagogi- bungslose Integration erreichte. Wesentlich


schen Akademien, ist schulpraktisch ausge- problematischer war die Situation in Wien,
richtet und ist dem Unterrichtsministerium wo der Ausländeranteil besonders groß ist
unterstellt, während Letztere an den Univer- und seit Mitte der 80er Jahre etwa 75% der
sitäten durchgeführt wird, vor allem theorie- in Österreich eingeschulten nicht deutsch-
und wissensbezogen aufgebaut ist und im sprachigen Kinder zur Schule gehen. Der
Wissenschaftsministerium ressortiert. Für je- durchschnittliche Ausländeranteil an Pflicht-
den Schultyp (Volks-, Haupt-, Sonderschule schulen stieg dort von 12,9% (11 889 Schüler)
und Mittelschule) ist eine eigene Lehramts- im Schuljahr 1981/82 auf 31,1% (24 763 Schü-
prüfung notwendig, so dass die gegenseitige ler) im Jahre 1992/93 (vgl. dazu Österreichi-
Durchlässigkeit der Ausbildungssysteme so sches Institut für Bildungsforschungs-Info 1/
gut wie nicht gegeben ist, was die Zusammen- 1993). Hinzu kommen noch hohe Konzentra-
arbeit der verschiedenen Lehrerausbildungs- tionen innerhalb des Stadtgebiets selbst: In
institutionen massiv erschwert. Der Kennt- fünf Wiener Gemeindebezirken lag der
niserwerb im Bereich Interkulturelles Lernen durchschnittliche Anteil nicht deutschspra-
und Deutsch als Zweitsprache wurde daher chiger Schüler bei 50% und darüber. Im sel-
in die Lehrerfortbildungsinstitute verlegt, ben Jahr besuchten insgesamt 55 000 Schüler
was von den bereits unterrichtenden Lehrern nicht deutscher Muttersprache Österreichs
vielfach dankbar angenommen wurde. Das Pflichtschulen, (davon allerdings nur 6858
gilt auch für die Schulberatungsstelle für die Unterstufe der Gymnasien), was durch-
Ausländer in Wien und das Interkulturelle schnittlich einem Anteil von 18% entspricht.
Zentrum am Pädagogischen Institut Wien, Anfang der 80er Jahre wurden, besonders
die Hilfestellungen anboten. in Wien, daher in vermehrter Zahl so ge-
Mit dem Studienjahr 1981/82 wurde an nannte „Begleitlehrer“ eingestellt, die den
den Pädagogischen Akademien auch das Klassenlehrern helfen sollten, das Problem
Wahlfach „Interkulturelles Lernen“ einge- der Vermittlung von Deutschkenntnissen
richtet, das künftigen Lehrern die Möglich- parallel zum regulären Unterricht zu lösen.
keit geben sollte, sich im Rahmen ihrer Aus- Das wurde teilweise auch erreicht; eine große
bildung zum Pflicht- oder Sonderschullehrer Untersuchung, die Mitte der 80er Jahre vom
auf den Unterricht mit nicht deutschsprachi- Institut für Höhere Studien zur Situation der
gen Schülern vorzubereiten. Dieses Fach be- Gastarbeiter durchgeführt wurde (vgl. Bau-
steht bis heute und umfasst Lehrveranstal- böck u. a. 1985, Fischer 1987), ergab jedoch,
tungen im Ausmaß von insgesamt 12 Seme- dass die schulischen Maßnahmen in keiner
sterwochenstunden, die auf zwei bis vier Se- Weise adäquat waren. Am deutlichsten wurde
mester verteilt werden. Es ist für Pflichtschul- dies am hohen Anteil ausländischer Kinder
lehrer nach wie vor die einzige Möglichkeit, in Sonderschulen (in Wien durchschnittlich
fremdsprachendidaktische Kenntnisse und 40%), die eigentlich als spezielle Schulform
Verfahren zur Integration nicht deutschspra- für die Integration behinderter Kinder, nicht
chiger Kinder im Rahmen der regulären Aus- aber für das Nachholen von Sprachkenntnis-
bildung an Pädagogischen Akademien zu er- sen konzipiert war und im österreichischen
werben. Sowohl der Umfang der Ausbildung Schulsystem stigmatisiert ist. Die Studie er-
als auch der Charakter eines freiwilligen Zu- gab außerdem, dass nur 24% der nicht
satzfaches bleiben jedoch problematisch, da deutschsprachigen Schüler einen Hauptschul-
es heute fast keine Pflichtschule ohne nicht abschluss in der vorgesehenen Zeit von neun
deutschsprachige Kinder gibt. Schuljahren erreichten, ein Drittel schloss die
In den Schulen selbst gab es Schwierigkei- Schule mit einer um ein Jahr verkürzten und
ten, die größer werdende Zahl von nicht ein Viertel sogar mit einer um zwei Jahre ver-
deutschsprachigen Kindern in den Unter- kürzten Schulbildung ab. Auch war der
richtsprozess zu integrieren. Dies hatte mit Anteil nicht deutschsprachiger Kinder im so
der großen Konzentration auf einige wenige genannten „2. Klassenzug“ (bis Mitte der
städtische Ballungsgebiete wie Wien, Salz- 80er Jahre) und später in den 2. und 3. Lei-
burg, Linz, Wels sowie den Großraum Feld- stungsgruppen der Hauptschule extrem hoch
kirch (Vorarlberg) zu tun. Das Bundesland (bis zu 70%, vgl. Fischer 1987), was überwie-
Vorarlberg löste dieses Problem einfach, in- gend in der mangelnden und ineffizienten
dem es die nicht deutschsprachigen Schüler Vermittlung des Deutschen begründet war.
doppelt zählte, die Höchstzahl der Schüler Die Berufschancen solcherart „Ausgebilde-
pro Klasse senkte und so eine relativ rei- ter“ waren entsprechend gering und führten
104 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

einerseits zur Einrichtung von Zusatzkursen praktizierten „Gastarbeiter“-modell notwen-


der Arbeitsämter, andererseits nahmen die dig, das so tat, als ob die nicht deutschspra-
Klagen derart überhand, dass auch die Schul- chigen Kinder lediglich ein vorübergehendes
verwaltungen reagieren mussten und Anfang „Problem“ darstellten. Deutlichstes Indiz da-
der 90er Jahre ein Reformschub eingeleitet für war die bis zum Jahre 1992 gültige
wurde, der nicht zuletzt auch durch den enor- Rechtslage, derzufolge alle Einschulungs-
men Zustrom an ausländischen Kindern in maßnahmen nicht deutschsprachiger Schüler
der Folge des Krieges in Ex-Jugoslawien not- als Schulversuch eingerichtet werden mussten
wendig wurde und zu einer Einrichtung und und die Anzahl der in diesem Rahmen einge-
Neustrukturierung des Unterrichts mit nicht schulten Kinder 10% der Gesamtzahl aller
deutschsprachigen Kindern führte. Schüler nicht überschreiten durfte (was zu-
Gegen Ende der 80er Jahre war die Situa- letzt allerdings ignoriert wurde). Ab 1992
tion von Deutsch als Fremdsprache und wurden diese Schulversuche in das Regel-
Deutsch als Zweitsprache in Österreich durch schulwesen übertragen (vgl. Satzke/Antoni/
eine rasante Entwicklung und zahlreiche Seitz/Reumüller 1992) und ein Lehrplanzu-
Maßnahmen und Aktivitäten gekennzeich- satz „Interkulturelles Lernen“ eingeführt, der
net, die in den vorangegangenen Jahren vor- dieses zum allgemeinen Unterrichtsprinzip
bereitet worden waren und jetzt zum Tragen erhob und auch die Förderung der Mutter-
kamen. sprache(n) verankerte. Wesentlich ist, dass
dieser Zusatzlehrplan lediglich sehr allgemein
formulierte inhaltlich-diaktische und lernor-
6. Deutsch als Fremdsprache in den ganisatorische Grundlagen und Rahmenbe-
90er Jahren dingungen definierte, nicht aber bestimmte
Modelle festlegte. Letzere sollten durch auto-
6.1. Die Folgen der „Wende“ in Osteuropa nome Entscheidungen der Schulen bzw. ei-
Mit der „Wende“ in Osteuropa beginnt auch gene Erlasse der jeweiligen Bundesländer um-
die bislang letzte Entwicklungsphase von gesetzt werden. Weiters wurde ein bundesein-
Deutsch als Fremdsprache in Österreich, die heitliches Förderausmaß festgelegt, das 0,83
als Etablierungsphase charakterisiert werden Stunden pro außerordentlichem Schüler und
kann und sowohl die Errichtung einer univer- Woche und 0,33 Stunden pro ordentlichem
sitären Deutsch als Fremdsprache-Lehreraus- Schüler betrug. Ein akzeptables Ausmaß an
bildung als auch die Einrichtung zweier Lehr- zusätzlichem Deutschunterricht für ein nicht
kanzeln und einer Reihe weiterer Institutio- deutschsprachiges Kind kam im Rahmen die-
nen mit sich brachte. Im Deutsch als Zweit- ses Systems allerdings nur zustande, wenn
sprache-Bereich erfolgte die Fixierung des eine ausreichende Anzahl von Kindern in ei-
Bereichs „Interkulturelles Lernen“ durch Zu- ner Schule vorhanden war und dadurch der
satzlehrpläne und die Einführung zahlreicher Einsatz einer zusätzlichen Lehrkraft möglich
neuer Unterrichtsmodelle. wurde. Dies war an Wiener Schulen auf
Grund des hohen Ausländeranteils durchge-
6.2. Die Entwicklung von Deutsch als hend der Fall, nicht jedoch in den ländlichen
Zweitsprache in den 90er Jahren Gebieten der anderen Bundesländer. Wäh-
Die rechtliche Situation der Integration nicht rend in Wien häufig das Modell der „Integra-
deutschsprachiger Kinder blieb bis 1992 un- tiven Ausländerbetreuung“ mit Team-teach-
befriedigend, da erst in diesem Jahr der Zu- ing angewendet wurde, das bei einem mehr
satzlehrplan „Deutsch für Kinder mit nicht als 50%igen Ausländeranteil pro Schule und
deutscher Muttersprache“ eingeführt und Woche sogar bis zu 18 Stunden Deutsch-
außerdem über eine Reihe neuer und positi- unterricht zusätzlich ermöglichte (Fahnl
ver Gesetzesbestimmungen klare Regelungen 1995), waren in den nicht-städtischen Gebie-
für die Integration ausländischer Kinder ge- ten meistens Begleitlehrer für den IKL-Un-
schaffen wurden. Die stark ansteigende Zu- terricht tätig, die als eine Art moderner Wan-
wanderung in der Folge des Jugoslawienkrie- derlehrer bis zu sechs Schulen betreuten und
ges und europaweiter Flüchtlings- und Mi- oft weite Anfahrtswege in Kauf nehmen
grantenströme zwang die Schulbehörden zu mussten. Das Fehlen von Empfehlungen bzw.
Integrationsmaßnahmen. Die stark anstei- Festlegungen von Unterrichtsmodellen für
genden Zahlen nicht deutschsprachiger Schü- die Einschulung nicht deutschsprachiger
ler in allen Schultypen und auf allen Schul- Pflichtschulkinder entpuppte sich damit nicht
stufen machten ein Abgehen vom zuvor als Gestaltungsmöglichkeit innerhalb der
8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Österreich 105

Schulautonomie, sondern als Lücke in einem chen Ex-Jugoslawiens möglich ist und in der
sonst zeitgemäßen und fortschrittlichen Lehr- Regel gut angenommen wird. Damit wurden
plan. Der Versuch, dieses Manko auszuglei- gegenüber der Situation in den 80er Jahren
chen und in der Steiermark einen Rahmen- erhebliche Fortschritte im Bereich Deutsch
plan für den Unterricht mit nicht deutsch- als Zweitsprache in Österreich erzielt, doch
sprachigen Kindern einzuführen, der in Städ- bestehen unzweifelhaft noch schulorganisato-
ten interkulturelle Schwerpunktschulen und rische Defizite (vgl. Gauß u. a. 1994; 1995).
zeitlich begrenzte, einleitende Deutsch-Inten- Insgesamt ist jedoch durch eine intensive
sivkurse vorsah, scheiterte an der Schulbüro- Lehrerfortbildung eine starke Sensibilisie-
kratie und an Lehrern, die meinten, darin ein rung der Schulen für die Belange der nicht
Segregationsmodell zu erblicken: Dies trotz deutschsprachigen Kinder festzustellen. Ein
der Tatsache, dass dieses Modell mit Erfolg nach wie vor offenes Defizit bleibt die Veran-
an einer Schule mit hohem Ausländeranteil kerung der Ausbildung zum interkulturellen
erprobt wurde und das Wiener Modell „In- Lehrer als fester Bestandteil jeder Pflicht-
tegrative Ausländerbetreuung“ im Kern die- schullehrerausbildung, dem jedoch Kosten-
selben Maßnahmen setzte. Tatsächlich setzte gründe entgegengehalten werden.
sich in Bezug auf die Formen der schuli-
schen Ausländerintegration in Österreich eine 6.3. Die Entwicklung von Deutsch als
Gruppe von Didaktikern durch, die im ge- Fremdsprache in den 90er Jahren
meinsamen Leben von deutschsprachigen Insgesamt verlagern sich die Deutsch als
und nicht deutschsprachigen das oberste Ziel Fremdsprache-Aktivitäten mit Beginn der
sah, um Segregation zu vermeiden. Dieser an 90er Jahre immer mehr nach Graz und Wien,
sich richtige Ansatz wurde jedoch durch die was ursächlich mit den dort errichteten Lehr-
schulische Praxis widerlegt: Bei einem gerin- kanzeln zusammenhängt. Besonders in Graz
gen Ausländeranteil kommt durch die Pro- war es durch das Engagement einiger Kom-
Kopf-Wochenstundenanzahl nur eine nied- missionsmitglieder, die den Vorstudienlehr-
rige Zahl zusätzlicher Deutschstunden und gang leiteten, im Zusammenspiel mit der
damit eine viel zu geringe Förderung des Ziel- Germanistik zur Einstellung neuer Lehre-
sprachenlernens zustande, die auch durch die rinnen gekommen, die im Rahmen der 1983
ständige Anwesenheit unter deutschsprachi- gegründeten „Arbeitsgruppe Deutsch als
gen Schülern nicht ausgeglichen werden Fremdsprache“ nach und nach eine Aus-
kann. An Schulen mit hohem Ausländer- bildung bekamen. Der Hochschullehrgang
anteil (besonders an städtischen Hauptschu- Deutsch als Fremdsprache setzte die Arbeit
len) und in den dritten Leistungsgruppen ist der Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache
hingegen der umgekehrte Effekt festzustellen: nahtlos fort und bot eine Ausbildung im Um-
Die weitgehende Abwesenheit deutschspra- fang von 27 Semesterwochenstunden an
chiger Schüler entzieht dem gemeinsamen so- Pflicht- und weiteren zehn Semesterwochen-
zialen und sprachlichen Lernen die notwen- stunden an Wahlfachveranstaltungen an. In-
dige andere Hälfte und wird somit unmög- nerhalb von nur zwei Jahren zählte der
lich. Derzeit ist nicht zuletzt auf Grund von Hochschullehrgang 130 Studierende und 35
Sparmaßnahmen im Bildungsbereich keine Lehrkräfte, von denen mehr als die Hälfte
Verbesserung der Situation oder eine gesetz- aus dem Ausland kam. Die primäre Zielrich-
liche Lösung der Probleme in Sicht. Das tung ist nach wie vor die Ausbildung von
Herausnehmen der nicht deutschsprachigen Lehrern, die später als Auslandslektoren bzw.
Schüler aus dem Unterricht und der stunden- als Lehrer in Privatschulen und weiterführen-
weise unterrichtsparallele Deutschunterricht den Schulen unterrichten.
mit Begleitlehrern wird daher in den nächsten Schon 1990 wurde die Einrichtung von je
Jahren auch weiterhin das am häufigsten an- einer Lehrkanzel für Deutsch als Fremdspra-
gewendete Modell der Integration ausländi- che in Wien und Graz bewilligt, da die Ereig-
scher Kinder in Österreich sein. Nicht uner- nisse in Osteuropa die Notwendigkeit für die
wähnt darf allerdings bleiben, dass erfolgrei- universitäre Etablierung von Deutsch als
che Versuche zur zweisprachigen Alphabeti- Fremdsprache deutlich gemacht hatten. Die
sierung durchgeführt und in einer größer Besetzung erfolgte 1993 (Wien) bzw. 1995
werdenden Zahl von Schulen bilinguale (Graz). Dies setzte zweifelsohne den positi-
Unterrichtsformen eingeführt wurden. Zur ven Schlusspunkt unter die gut 15jährigen
Positivseite gehört auch, dass muttersprach- Bemühungen um die Etablierung von
licher Unterricht in Türkisch und den Spra- Deutsch als Fremdsprache an Österreichs
106 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Universitäten (vgl. Krumm 1994). Die Uni- „Kultur und Sprache“ des Unterrichtsmini-
versitäten Graz und Wien sind heute im We- steriums eingerichtet wurden und mehrwö-
sentlichen auch die Zentren mit den meisten chige Kurse von Lehrergruppen aus verschie-
Aktivitäten und dem größten Angebot von denen Ländern umfasst, um Österreich in
Lehrveranstaltungen zur Lehrerausbildung. dieser Zielgruppe sprachlich, kulturell und
Auch in Wien werden Lehrveranstaltungen landeskundlich besser bekannt zu machen.
zur Lehrerausbildung angeboten, die als Auch das vom Europarat in Graz eingerich-
Wahlfächer bzw. Studienschwerpunkte inner- tete „Europäische Fremdsprachenzentrum“
halb eines regulären Germanistikstudiums hängt mit dieser Gründerphase zusammen.
fungieren. Nicht zuletzt deshalb werden, von
Wien ausgehend, Versuche unternommen, im 6.5. Das Österreichische Sprachdiplom und
Rahmen des Germanistikstudiums einen Stu- die Berücksichtigung des
dienzweig Deutsch als Fremdsprache zu eta- Österreichischen Deutsch
blieren. Die Zahl der Lektorenstellen geht Als bahnbrechender Schritt ist jedoch die
inzwischen deutlich zurück. Unmittelbar nach Erstellung des „Östereichischen Sprachdi-
der „Wende“ waren allein in Osteuropa 40 ploms“ anzusehen, das 1994 vorgestellt wurde.
neue Stellen geschaffen worden, so dass 1995 Es wird mittlerweile an über 40 Prüfungszen-
mit insgesamt 170 Lektoren ein Höchststand tren eingesetzt und ist insofern paradigmen-
erreicht wurde. Mittlerweile sind diese Stel- bildend, als damit der Plurizentrizität des
len in den angrenzenden Reformländern teil- Deutschen konsequent Rechnung getragen
weise wieder abgebaut, die Gesamtzahl der und den nationalen Varietäten ein fester Stel-
Lektorenstellen ist auf etwa 130 gekürzt wor- lenwert im Deutsch als Fremdsprache-Unter-
den. richt eingeräumt wird. Auch hat es im Test-
format zahlreiche kommunikative Prinzipien
6.4. Neugründungen von Deutsch als des Prüfungsdesigns verwirklicht und diesbe-
Fremdsprache-Vermittlungsinstitutionen zügliche Forderungen des 1995 publizierten
Als wesentlich für die Etablierung von „Framework“ des Europarats vorweggenom-
Deutsch als Fremdsprache in Österreich er- men.
wies sich, dass es in den Jahren 1991⫺1993 Gerade die Frage, welches Deutsch denn
im Umkreis der drei für die Auslandskultur in Österreich im Deutsch als Fremdsprache-
zuständigen Ministerien zur Gründung einer Unterricht zu vermitteln ist, stellte sich ange-
Reihe von wichtigen Institutionen kam. Dazu sichts der Existenz österreichischer Besonder-
gehören der Verein „KulturKontakt“, der heiten als zentral heraus. Sie wurde jedoch im
sich intensiv um die Lehrerfortbildung in Sinne des plurizentrischen Konzepts und ei-
Osteuropa kümmert, insgesamt 12 Bildungs- ner Didaktik des Deutschen plurizentrischer
beauftragte in ebensoviele Länder entsandte Sprache beantwortet, was zweifelsohne einen
und in zwei Jahren (1995 und 1996) nicht we- Richtungswechsel bedeutet, nachdem sich
niger als 450 Projekte (viele davon auch in noch 1992 leitende Beamte der Kulturabtei-
anderen Bereichen als Deutsch als Fremd- lung gegen die Einbeziehung des Österreichi-
sprache) durchführte. Weiters wurde die schen Deutsch in die Auslandskulturarbeit
„Koordinationsstelle für bilinguale Schulen“ ausgesprochen hatten. Die Frage des Öster-
gegründet, die sich vor allem um die zahlrei- reichischen Deutsch und der Plurizentrizität
chen bilingualen Schulen bemüht, die in den des Deutschen wird innerhalb der österreichi-
letzten Jahren in den Nachbarländern ent- schen Germanistik nach wie vor heftig disku-
standen sind. Das „Interkulturelle Zentrum“ tiert (vgl. dazu Muhr/Schrodt/Wiesinger
wiederum versucht Aufklärungsarbeit im In- 1995, Muhr/Schrodt 1997), doch besteht über
land zu betreiben und Schulen mit Materia- die Berechtigung des plurizentrischen Kon-
lien und Referenten zum interkulturellen Ler- zepts weitgehende Einigkeit, da sich die un-
nen zu versorgen sowie den Schüleraustausch terschiedliche sprachliche Realität der
zu fördern. Es kam auch zur Gründung deutschsprachigen Länder einfach nicht igno-
dreier österreichischer Schulen in Budapest, rieren lässt. Mit dem Österreichischen
Bratislava und Prag sowie zu einer starken Sprachdiplom ist ein wichtiger Schritt zur
Ausweitung der Entsendung österreichischer Anerkennung dieser Realität getan, da dessen
Lehrer in Schulen der Nachbarländer. Prüfungen stets Texte aus den drei deutsch-
Schließlich lässt sich eine starke Zunahme sprachigen Staaten enthalten. Mittlerweile
der Zahl von Lehrerfortbildungsseminaren wurde das Prüfungssystem auch um eine
feststellen, die vor allem von der Abteilung Wirtschaftssprachprüfung ergänzt, so dass
8. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in Österreich 107

mit dem Österreichischen Sprachdiplom ein Berger, Werner (1974): Die Eingliederung nicht
umfassendes Prüfungssystem bis zur Mittel- deutschsprachiger Ausländer in österr. Hochschulen.
stufe zur Verfügung steht. Die letzte der Neu- Wien (Pädagogik der Gegenwart Nr. 604).
gründungen ist das „Österreich Institut“, das Fahnl, Huberta (1995): Integrative Ausländerkin-
1996 die Durchführung der Sprachkurse an derbetreuung: Ein Projekt des Stadtschulrates für
den österreichischen Kulturinstituten und ei- Wien, angezeigt am Beispiel Hauptschule Selzer-
ner Reihe anderer Institutionen übertragen gasse. In: R. Gauß; A. Harasek; Gerd Lau (Hg.):
Bd. 2, 291⫺306.
bekam und damit auf österreichischer Seite
(in ungleich kleinerem Rahmen) Funktionen Fielhauer, Hannelore; Hannes Pointer; Atiye Zau-
erfüllt wie das Goethe-Institut in Deutsch- ner (1989): Zur Situation der ausländischen Studen-
land. Damit kann die institutionelle Etablie- ten in Österreich. Stipendiaten und Förderungsemp-
fänger aus Entwicklungsländern. Österreichische
rung des Faches Deutsch als Fremdsprache Förderungsstiftung für Entwicklungshilfe. Wien.
in Österreich als vorerst abgeschlossen be-
trachtet werden. Fischer, Gero (1986): Aspekte der Beschulungspoli-
tik der Gastarbeiterkinder in Österreich. In: Heinz
Wimmer u. a.: Ausländische Arbeitskräfte in Öster-
7. Offene Fragen und Ausblick reich. Frankfurt a. M.
⫺ (1987): Die schulische Betreuung der Gastarbei-
Ein wesentliches Problem besteht derzeit terkinder in Österreich. In: Informationen zur
noch in der Aufteilung der Kompetenzen für Deutschdidaktik 1⫺2, 103⫺113.
die Auslandskulturarbeit auf drei Ministerien Gauß, Reiner; Anneliese Harasek; Gerd Lau (Hg.)
(Außen-, Wissenschafts- und Unterrichts- (1995): Interkulturelle Bildung ⫺ Lernen kennt
ministerium). Schmerzlich bemerkbar macht keine Grenzen. 2 Bde. Wien.
sich das Fehlen eines klaren Konzepts für die ⫺; Krista Satzke (1987): Lehrgang Ausländerpäda-
Auslandskulturarbeit. Die organisatorische gogik-Richtlinien für die Durchführung. In: Leh-
und inhaltliche Zersplitterung hat nicht zu- rerbildung heute 2, 374⫺390.
letzt dort eine ihrer Ursachen. Vielfach bleibt ⫺; Anneliese Harasek; Gerd Lau (Hg.) (1994;
ihre Formulierung einzelnen Fachabteilungen 1995): Interkulturelle Bildung ⫺ Lernen kennt keine
von Ministerien vorbehalten. Offen ist auch Grenzen. 2 Bde. Wien.
die Frage, ob die Deutsch als Fremdsprache- Hofstädter, Maria; Brigitte Stierl; Margret Lam-
Lehrerinnenausbildung in Form eines Stu- mert (1993): Schulversuche in Österreich: Kinder
dienzweigs im Rahmen der Germanistik eta- mit nichtdeutscher Muttersprache ⫺ Schulrecht
bliert werden soll. Im Grunde gelten diesel- und Fördermaßnahmen. In: Österreichisches Insti-
ben Rahmenbedingungen wie 1987, als die tut für Bildungsforschung ⫺ Info 1, 6⫺13. Wien.
Gesamtstudienkommission Germanistik ihre Hufnagel, F.; H. Krobath; R. Langthaler u. a.
Beratungen abschloss. Ein völlig ungelöstes (1978): Bildungshilfe für Entwicklungsländer in
Problem ist auch das Fehlen österreichbezo- Österreich. Eine Untersuchung der aus staatlichen
gener Deutschlehrwerke und adäquater Lehr- Mitteln geförderten Ausbildungs- und Betreuungs-
materialien für den Deutsch als Zweit- aktionen. Mit einem Anhang: Leitlinien wirksamer
Bildungshilfe von W. Clement u. a. Ein For-
sprache-Unterricht. Insgesamt lässt sich fest- schungsbericht durchgeführt von der Österreichi-
stellen, dass das Fach Deutsch als Fremd- schen Förderungsstiftung für Entwicklungshilfe im
sprache heute in Österreich als etabliert und Auftrage des Bundeskanzleramtes. Wien.
im Kontext der Germanistik als anerkannt
John, Michael; Albert Lichtblau (1990): Schmelz-
anzusehen ist. Das ist angesichts der oft tiegel Wien ⫺ einst und jetzt. Zur Geschichte und
fruchtlosen Bemühungen in vorangegange- Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten.
nen Jahrzehnten nicht selbstverständlich und Wien.
daher um so erfreulicher. Krumm, Hans-Jürgen (1994): Mehrsprachigkeit
und interkulturelles Lernen. Orientierungen im
Deutsch als Fremdsprache. In: JbDaF 20, 13⫺36.
8. Literatur in Auswahl
Muhr, Rudolf (1984): Unterrichtsplan für den Un-
Arbeitsgruppe Österreichisches Sprachdiplom terricht in Deutsch als Fremdsprache zur Vorberei-
(Hg.) (1994): Das österreichische Sprachdiplom tung ausländischer Studierender am Studienlehr-
(ÖSD). Bundesministerium für Unterricht und gang Graz.“ In: Info DaF 4, 69⫺100.
Kunst. Wien. ⫺ (1987): Die Lehrerausbildung Deutsch als
Bauböck, Rainer (1985): Arbeitsmarktpolitisches Fremdsprache in Österreich ⫺ Diskussionsstand
Ausbildungsprogramm für Ausländer. Endbericht. und Stand der Bemühungen um ihre Einrichtung.
Wien. In: Informationen zur Deutschdidaktik 1/2, 14⫺28.
108 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

⫺ (1989): Ziele und Möglichkeiten einer Lehrer- 1986): Zur Situation ausländischer Studenten in
ausbildung Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Österreich. Wien.
Zweitsprache in Österreich. In: ÖDaF-Mitteilungen Satzke, Klaus; Dieter Antoni; Peter Seitz; Alfred
2, 32⫺46. Reumüller (1992): Interkulturelles Lernen. Übertra-
⫺ (1990): Geschichte und Situation des Faches gung der Schulversuche ins Regelschulwesen ab dem
Deutsch als Fremdsprache in Österreich. In: Eh- Schuljahr 1992/93. Klagenfurt.
nert, Rolf/Hartmut Schröder (Hg.): Das Fach
Schallenberg, Wolfgang (1987): Die Rolle der deut-
Deutsch als Fremdsprache in den deutschsprachi-
schen Sprache in der Auslandskulturarbeit Öster-
gen Ländern. Bonn, 53⫺83.
reichs. In: Dietrich Sturm (Hg.): Deutsch als
⫺ (1994): Die österreichische Sprach- und Kultur- Fremdsprache weltweit. Situationen und Tenden-
politik im neuen politischen Kontext nach 1989. In: zen. München, 191⫺196.
Ruth Wodak; Rudolf DeCilia (Hg.): Sprach- und
Kulturpolitik in Mitteleuropa. Wien. Voss, Eduard (1985): Problemfeld Gastarbeiterkin-
der an der Allgemeinen Sonderschule: Statistik als
⫺; Richard Schrodt; Peter Wiesinger (Hg.) (1995): Diskussionsgrundlage. Internes Arbeitspapier des
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chologische und sprachpolitische Aspekte einer na-
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kräfte in Österreich. Frankfurt a. M.
⫺; ⫺ (Hg.) (1997): Österreichisches Deutsch und
andere Varietäten plurizentrischer Sprachen in Eu- Wollmann, Maria; Norbert Bichl (1986): Haupt-
ropa. Empirische Analysen I. Wien. schulexternistenkurse für Jugendliche nichtdeut-
ÖDaF Mitteilungen (1995): Zeit zum Nachdenken. scher Muttersprache. In: ÖDaF-Mitteilungen 1,
10 Jahre ÖDaF Heft 1/95. ⫺ Österreichischer Leh- 28⫺34.
rerverband Deutsch als Fremdsprache. Österreichi-
sches Institut für Bildungsforschung (Hg.) (1985/ Rudolf Muhr, Graz (Österreich)

9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache und des


Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterrichts in der Schweiz

1. Einführung sich teilweise ausschließen. Die folgenden


2. Zur Sprachensituation in der Schweiz drei Kriterienpaare werden häufig zur Unter-
3. Deutsch als Zielsprache scheidung benutzt:
4. Lehrerausbildung
5. Lehrmittel in der Schweiz 1. Natürlich erworben vs. institutionell gesteu-
6. Zukunftsperspektiven ert gelernt, also aus natürlichen Kommu-
7. Literatur in Auswahl nikationssituationen sich ergebend im Ge-
gensatz zu Lernen unter Einfluss bewuss-
1. Einführung ter, meist institutioneller Steuerungsme-
chanismen.
Die (auch deutschsprachige) Schweiz wird in 2. Lernen im Inland vs. Lernen im Ausland,
einem etwas unpräzisen Sprachgebrauch zur d. h., im ersten Fall sind die Länder der
Gruppe der deutschsprachigen Staaten ge- Zielsprache Ausland, während sich der Ler-
zählt. Sie nimmt aber darin eine Sonderstel- nende im zweiten Fall in einem deutsch-
lung ein a) durch ihre Viersprachigkeit und sprachigen Land befindet: Deutsch ist Um-
b) durch den Stellenwert des Dialekts. gebungssprache.
Deutsch als eine der vier Landessprachen ist 3. Eine dritte Differenzierung nennt Rösler
als Fremdsprache in den verschiedenen unter Bezugnahme auf Edmondson/
Schultypen und -stufen unterschiedlich reprä- House: „Zu diesen beiden Differenzierun-
sentiert (zur Situation des Deutschen in der gen kann jedoch noch eine dritte treten,
Schweiz vgl. Art. 51). dann nämlich, wenn man fragt, ob die
In der Fremdsprachendidaktik wird im neue Sprache eine ,für das Leben (und
Allgemeinen zwischen Fremd- und Zweit- Überleben) in einer bestimmten Gesell-
sprache unterschieden. Es gibt unterschiedli- schaft unverzichtbare Rolle spielt‘. Spielt
che Kriterien für diese Differenzierung, die die neue Sprache bei der Erlangung, Auf-
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 109

rechterhaltung oder Veränderung der sprache die jeweilige Muttersprache verstan-


Identität der Lernenden eine wichtige den wird.
Rolle und ist sie unmittelbar kommunika- Wir werden uns in diesem Artikel dennoch
tiv relevant, dann bezeichnet man sie als an der eingebürgerten Unterscheidung orien-
,Zweitsprache‘, ansonsten eher als ,Fremd- tieren, die ja schon im Titel gemacht wird,
sprache‘.“ (Rösler 1994, 8) und schreiben im Folgenden Deutsch als
Fremdsprache, wenn wir die an nicht
Deutsch als Fremdsprache wird üblicherweise
deutschsprachige Schweizer vermittelte Spra-
gebraucht als Begriff für den sprachlichen
che Deutsch meinen, und Deutsch als Zweit-
Lerngegenstand Deutsch nicht deutschspra-
sprache, wenn sie an ausländische Personen
chiger Lernender, die institutionell gesteuert
vermittelt wird.
im Ausland Deutsch lernen und für die diese
Sprache nicht unmittelbar kommunikativ re-
levant ist. 2. Zur Sprachensituation in der
Deutsch als Zweitsprache bezeichnet übli- Schweiz
cherweise ebenfalls den sprachlichen Lernge-
genstand Deutsch nicht deutschsprachiger 2.1. Mehrsprachigkeit
Lernender, aber in deutschsprachiger Umge- Die Schweiz ist als einziger der deutschspra-
bung, eher ungesteuert, und die Sprache ist chigen Staaten mehrsprachig und hat vier
für sie unmittelbar kommunikativ relevant. unterschiedliche Landessprachen: Deutsch,
Diese Unterscheidung ist für ein mehr- Französisch, Italienisch, Rätoromanisch. Da-
sprachiges Land mit dem Deutschen als einer neben gibt es zahlreiche weitere Nicht-Lan-
Landessprache problematisch, da es hier dessprachen.
häufig zu Kontaktsituationen kommt, in de- Die vier Sprachgruppen der Schweiz leben
nen die gelernte Fremdsprache sehr wohl in relativ homogenen Sprachgebieten, die
kommunikativ relevant ist. Deutsch wird als durch Sprachgrenzen voneinander getrennt
Fremdsprache ⫺ ebenso wie Französisch und sind. Im Bereich der Alpen sind sie meist geo-
Italienisch ⫺ an Schweizerinnen und Schwei- grafisch bedingt, im sogenannten Mittelland
zer vermittelt, die sich nicht im eigentlichen gilt dies nur teilweise. Wir unterscheiden im
Sinne fremd sind. Deshalb spricht man in der Folgenden die Deutschschweiz, die franzö-
Schweiz auch genauer von erster, zweiter etc. sischsprachige West- oder Welschschweiz
Landessprache, wobei unter erster Landes- (auch Romandie), die italienischsprachige

Tab. 9.1: Die grössten Hauptsprachengruppen der Schweiz

Nicht-Landessprachen Landessprachen
absolut in % der absolut in % der
Gesamt- Gesamt-
bevölkerung bevölkerung

1. Spanisch 116 818 1.7 1. Deutsch 4 374 694 63.6


2. Südslawisch 110 270 1.6 2. Französisch 1 321 695 19.2
3. Portugiesisch 93 753 1.4 3. Italienisch 524 116 7.6
4. Türkisch 61 320 0.9 4. Rätoromanisch 39 632 0.6
5. Englisch 60 786 0.9
6. Albanisch 35 853 0.5 Total Landessprachen 6 260 137 91.1
7. West- und Ostslawisch 17 823 0.3
8. Arabisch 17 721 0.3
9. Niederländisch 11 895 0.2
10. Skandin. Sprachen 9 533 0.1
11. Ungarisch 8 491 0.1
12. Griechisch 7 487 0.1
13. Rumänisch 3 704 0.1
14. Afrik. Sprachen 3 683 0.1
15. Finnisch 2 411 0.04
Andere 52 002 0.8

Total Nicht-Landessprachen 613 550 8.9

Quelle: Bundesamt für Statistik, Volkszählung 1990


110 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Südschweiz (Kanton Tessin und drei italie- von 1990 bestätigte die Stabilität der Sprach-
nischsprachige Täler im Kanton Graubün- gebiete Deutsch, Italienisch, Französisch
den) und Romanischbünden (die Gebiete des auch für die jüngste Vergangenheit (vgl.
Kantons Graubünden, in denen Rätoroma- Franceschini 1996).
nisch gesprochen wird). Einer der wichtigsten Gründe für die Sta-
bilität der Sprachgrenzen ist das sogenannte
Sprachgruppen/Sprachgrenzen in der Schweiz Territorialprinzip. Es besagt, „daß auf einem
Gemeinde- oder Kantons(teil)gebiet nur eine
Sprache als Schul- oder Amtssprache gelten
darf“ (Löffler 1997, 1855). Dabei dominiert
das historische Element das statistische, d. h.,
die geschichtlich bedingte (sprachliche) Zu-
sammensetzung einer Gemeinde kann nicht
verändert werden, z. B. auch nicht durch Zu-
zug von Anderssprachigen (Haas 1988,
1367⫺69).
2.2. Sprachenpolitik
In Artikel 116 der Bundesverfassung (dem so-
genannten Sprachenartikel) wird die Vier-
1. Französisch, 2. Deutsch, 3. Italienisch, sprachigkeit der Schweiz festgehalten. Nach
4. Rätoromanisch
längerer Diskussion von Revisionsvorschlä-
gen wurde in der Abstimmung vom 10. März
Sprachgruppen/Sprachgrenzen im Kanton 1996 die folgende Fassung beschlossen:
Graubünden
1. Deutsch, Französisch, Italienisch und Rä-
toromanisch sind die Landessprachen der
Schweiz.
2. Bund und Kantone fördern die Verständi-
gung und den Austausch unter den
Sprachgemeinschaften.
3. Der Bund unterstützt Massnahmen der
Kantone Graubünden und Tessin zur Er-
haltung und Förderung der rätoromani-
schen und der italienischen Sprache.
4. Amtssprachen des Bundes sind Deutsch,
Französisch und Italienisch. Im Verkehr
mit Personen rätoromanischer Sprache ist
auch das Rätoromanische Amtssprache
1a. Mehrheit Rätoromanisch, 1b. Mehrheit des Bundes. Das Gesetz regelt die Einzel-
Deutsch, 2. Italienisch, 3. Deutsch heiten (Bundesverfassung).
Abb. 9.1. Die mehrsprachige Schweiz muss besondere
sprachpolitische Anstrengungen unterneh-
(Zu den verschiedenen Sprachregionen der men, damit diese Mehrsprachigkeit erhalten
Schweiz siehe Bickel/Schläpfer 1994 [alle werden kann. Grundziel einer schweizeri-
Sprachregionen]; Haas 1988; Löffler 1997 schen Sprachenpolitik ist die Erhaltung der
[Deutschschweiz], Kolde/Näf 1996; Knecht/ viersprachigen Schweiz. Als Teilziele, die in
Py 1997 [Westschweiz]; Lurati 1982; Bianconi unserem Zusammenhang von Bedeutung
1995; Bischofsberger 1997 [italienischspra- sind, können wir festhalten:
chige Schweiz]; Solèr 1997 [rätoromanische ⫺ Grundsätzliche Gleichberechtigung der
Schweiz].) vier schweizerischen Landessprachen,
Die Sprachgrenze Deutsch/Französisch ⫺ Förderung der sprachlichen Vielfalt der
bzw. Deutsch/Italienisch steht seit dem Spät- Schweiz,
mittelalter mehr oder weniger fest, diejenige ⫺ Vermeidung von Konflikten durch eine
zwischen Deutsch und Rätoromanisch hat entsprechende Kulturpolitik: Erhaltung
sich in den vergangenen hundert Jahren deut- von Sprachgebieten, möglichst Wahrung
lich zu Gunsten des Deutschen verschoben der Stabilität von Sprachgrenzen, Wah-
(Niederhauser 1997, 1837). Die Volkszählung rung des Sprachenfriedens,
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 111

⫺ Sicherstellung einer wirksamen Verständi- 2.3.2. Westschweiz und italienischsprachige


gung zwischen den vier Sprach- und Kul- Schweiz
turgemeinschaften über eine ausreichende Für das Fach Deutsch als Fremdsprache in
gegenseitige Beherrschung ihrer entspre- den nicht deutschsprachigen Landesteilen ist
chenden Standardsprachformen (nach: die Diglossie-Situation oft problematisch. In
EDI 1989a, XIV⫺XV). den Empfehlungen der Schweizerischen Kon-
Sprachpolitik wird in der Schweiz wegen der ferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren
Mehrsprachigkeit primär als innenpolitische (EDK) für Deutsch als Fremdsprache in der
Angelegenheit betrachtet, anders als z. B. im französischsprachigen Schweiz wird explizit
Vergleich mit Österreich und der Bundesre- festgehalten: „Die spezielle Lage der deutsch-
publik, deren Sprachpolitik auch auf die För- sprachigen Schweiz mit ihrer typischen
derung und Verbreitung der deutschen Spra- Mundart-Schriftsprache-Situation soll mit-
che im Ausland abzielt. einbezogen werden“ (EDK 1987, 15; für die
Situation bis 1985 siehe Zellweger 1987;
2.3. Die deutsche Sprache in der Schweiz Merkt 1989a). Dennoch erwerben die Ler-
2.3.1. Deutschschweiz nenden von Deutsch als Fremdsprache bzw.
Auch wenn das Deutsche in der Schweiz Deutsch als Zweitsprache häufig eine Sprach-
Thema eines besonderen Handbuchartikels form, die in der Schweiz von Sprechern der
ist (vgl. Art. 51), bedarf es zum Verständnis Muttersprache in Alltagssituationen selten
der Entwicklung des Faches Deutsch als verwendet wird.
Fremdsprache einiger grundlegender Infor- Die besondere Situation der medialen Di-
mationen. glossie, zusammen mit einem Vordringen der
In der Bundesrepublik Deutschland und Dialekte in immer mehr Domänen, führt in-
auch in Österreich unterscheiden wir zwi- nerhalb der Schweiz häufig zu Irritationen.
schen geschriebener und gesprochener Stan- Dies einerseits bei den Westschweizern und
dardsprache bzw. Schrift- und Umgangsspra- Tessinern, andererseits aber auch bei deut-
che. Im süddeutschen und österreichischen schen Migranten. Die Gründe liegen u. a. in
Raum gibt es ein Kontinuum zwischen den den unterschiedlichen Einstellungen und
verschiedenen Dialekten und der Umgangs- Normen, die aus dem System der jeweiligen
sprache, aber die Umgangssprache ist im All- Muttersprache übernommen werden. In
gemeinen nicht identisch mit dem Dialekt. sprachpolitischen Diskussionen wird daher
In der Deutschschweiz hingegen besteht oft der Mundartgebrauch in der Deutsch-
eine Diglossiesituation: Geschrieben wird schweiz als Hauptgrund für Verständigungs-
Standarddeutsch (genauer heißt es: geschrie- probleme zwischen Deutsch- und West-
benes Schweizerhochdeutsch), gesprochen schweiz genannt.
wird in sehr vielen Kommunikationssituatio- In der Westschweiz sind die Mundarten
nen Dialekt. Nach Kolde (1981) wird häufig (patois) schon seit dem 19. Jh. praktisch aus-
von ,medialer Diglossie‘ gesprochen: „die gestorben. Diese Tatsache und die Überbeto-
Wahl der einen oder andern Sprache hängt nung des Normcharakters der Sprache in der
heute fast nur noch vom Ausdrucksmedium Schule schlagen sich in deutlich negativen
ab“ (Haas 1982, 106; zur Problematik des Be- Spracheinstellungen gegenüber dem Mund-
griffs ,mediale Diglossie‘ vgl. Werlen 1998). artgebrauch in der Deutschschweiz nieder.
Im Alltag nennen die Bewohner der Deutsch- Diese Einstellungen beziehen sich auch oft
schweiz die gesprochene und geschriebene generell auf das Deutsche in der Schweiz.
Standardsprache (das Schweizerhochdeutsch) Die italienischsprachige Schweiz hingegen
meist ,Schriftdeutsch‘. kennt Mundarten. Während vor einigen Jahr-
Seit einigen Jahren gibt es Auflösungser- zehnten noch der Gebrauch der Mundart
scheinungen der klaren Diglossiesituation. vorherrschte, ist in den letzten Jahrzehnten
Die Mundart dringt stärker in Domänen ein, ihre Verwendung deutlich auf privatere Do-
die vorher eindeutig der Hochsprache vorbe- mänen eingeschränkt. Zwar haben die Mund-
halten waren, dies sowohl im schriftlichen als arten (im Gegensatz zur Westschweiz) eine
auch im mündlichen Ausdruck. Als Beispiel starke Lebenskraft bewahrt, sie geniessen
hier z. B. dialektale Werbung, E-Mails (als aber in der Einstellung der Sprecher kein ho-
schriftliches Medium stark an der gesproche- hes Ansehen (im Gegensatz zur Deutsch-
nen Sprache orientiert; zur komplexen Si- schweiz; Lurati 1982). Im Gegensatz zur
tuation Mundart-Standardsprache vgl. Haas Westschweiz sind die Einstellungen in der ita-
1986). lienischsprachigen Schweiz gegenüber dem
112 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Mundartgebrauch in der Deutschschweiz we- noch von L1 (⫽ erste Landessprache, Mut-


sentlich weniger negativ. Nicht der Mundart- tersprache), L2 (⫽ zweite Landessprache)
gebrauch an sich wird kritisiert, sondern die und L3 (⫽ weitere Fremdsprache bzw. dritte
breite Verwendung im Alltag. Landessprache).
Die Schweiz kennt eine zumeist sechsjäh-
2.4. Sprachen im Schweizer Schulsystem rige Primarstufe, an die sich eine meist drei-
Ohne hier auf das äusserst komplexe Schwei- jährige Sekundarstufe I anschliesst. Mit die-
zer Schulsystem genauer eingehen zu kön- sen insgesamt neun (gelegentlich auch zehn)
nen, müssen jedoch einige charakteristische Jahren ist die obligatorische Schulzeit abge-
Grundzüge für den (Fremd-)Sprachunter- deckt. Die Sekundarstufe II dauert derzeit
richt skizziert werden. noch einmal vier Jahre und schliesst mit der
In der betont föderalistischen Schweiz liegt Matura ab.
die Kulturhoheit bei den einzelnen Kantonen, In den meisten Kantonen der Westschweiz
das heißt, diese tragen die Verantwortung für und im Tessin wird in der vierten Primar-
den Unterricht während der obligatorischen klasse mit dem L2-Unterricht begonnen: in
Schulzeit. Es gibt kein zentrales Kultusmini- der Westschweiz mit Deutsch. In der ersten
sterium, sondern nur einen Zusammenschluss Klasse der Sekundarstufe I beginnt dann der
der kantonalen Erziehungsdirektoren zu der Unterricht in L3. Im Tessin war bis 1997
Schweizerischen Konferenz der kantonalen Französisch als L2 und Deutsch als L3 obli-
Erziehungsdirektoren (EDK). 1970 haben die gatorisch, Englisch konnte also erst als dritte
Kantone einem „Konkordat über die Schul- Fremdsprache gewählt werden. Seit 1997 ist
koordination“ zugestimmt und damit der in diesem Kanton die Wahl von L2 und L3
Förderung einer effektiven Koordination des relativ frei: Als L2 kann zwischen Deutsch
Schulwesens. und Französisch gewählt werden, entspre-
Die Reform des Fremdsprachenunterrichts chend kann dann für L3 zwischen Deutsch,
(bzw. des Unterrichts der Landessprachen) in Französisch, Englisch und einer weiteren
der Schweiz brachte zumindest zwei Ergeb- Sprache entschieden werden. Erste Erfahrun-
nisse: Sie führte nach 1975 u. a. dazu, dass gen zeigen, dass trotz dieser Freiheit in vielen
mit dem Fremdsprachenunterricht in allen Fällen Deutsch (und Französisch) gewählt
Kantonen in der 3., 4. oder 5. Primarklasse werden.
begonnen wird (sogenannter Frühbeginn) Die neue Maturitäts-Anerkennungs-Ver-
und dass der Unterricht weitgehend auf kom- ordnung (MAV), die 1995 in Kraft trat, sieht
munikative Lernziele ausgerichtet wurde (vgl. eine Verkürzung der Sekundarstufe II auf
EDK 1975): In den romanischsprachigen Ge- drei Jahre vor. Die MAV hat ausserdem spe-
bieten des dreisprachigen Kantons Graubün- zifische Konsequenzen für das schulische
den wird in den ersten drei Jahren rein räto- Sprachenlernen:
romanisch unterrichtet. Ab der 4. Primar- a) Neben den Erwerb von Kenntnissen
klasse gibt es dann zwei Stunden Deutsch- (Wortschatz, Grammatik) tritt gleichzeitig
unterricht, und ab der 5. Primarklasse wer- die Betonung von Fähigkeiten und Ein-
den einzelne Fächer auf Deutsch unterrichtet. stellungen (Kompetenzen).
Da die Begriffsvielfalt eher verwirrt, spre- b) Zweisprachige Abschlüsse werden mög-
chen wir im Folgenden vereinfachend nur lich.

Tab. 9.2: Zum Fremdsprachenlernen an Schweizer Schulen

1. Landessprache 1. Fremdsprache 2. Fremdsprache


⫽ oder
2. Landessprache 3. Landessprache

Im Weiteren L1 Im Weiteren L2 Im Weiteren L3

Deutschschweiz Deutsch Französisch Englisch oder Italienisch

Westschweiz Französisch Deutsch Englisch oder Italienisch

Tessin/Italienischbünden Italienisch Französisch Deutsch

Romanischbünden Rätoromanisch Deutsch Französisch


9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 113

Die Kantone werden ausserdem aufgefor- In die starre Regelung der Abfolge der
dert, anstelle der bisherigen zweiten Landes- Fremdsprachen an Schweizer Schulen ist in
sprache mindestens zwei Landessprachen an- den letzten Jahren Bewegung gekommen:
zubieten (Babylonia 3, 1996). Sensibilisert durch den Versuch des Kantons
Zürich, Englisch statt Französisch als L2 an-
zubieten, beauftragte die EDK eine Exper-
3. Deutsch als Zielsprache tengruppe, ein „Sprachkonzept Schweiz“
Ich verwende den Begriff Deutsch als Ziel- auszuarbeiten. Durch dieses soll eine flexi-
sprache als Oberbegriff für Deutsch als blere Sprachenwahl an den Schulen möglich
Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache. werden, wobei die Bedürfnisse eines mehr-
Deutsch als Zielsprache richtet sich in der sprachigen Landes unter ausdrücklichem Be-
Schweiz an drei unterschiedliche Zielgrup- zug auch auf Migrationssprachen berücksich-
pen: tigt werden müssen (EDK 1998).
1. Eine der drei anderssprachigen Gruppen 3.1.2. Kindergarten
der Schweizer Bevölkerung (Deutsch als Auch in der Schweiz finden seit einigen Jah-
L2 oder L3). Diese Zielgruppe ist spezi- ren Versuche mit mehrsprachigem Unterricht
fisch für die Schweiz. statt. Daher gibt es inzwischen mehrere In-
2. Ausländische Lernende, die sich zum itiativen, bei denen schon im Kindergarten
Deutschlernen in der Deutschschweiz auf- mit „Sachunterricht“ in der anderen Sprache
halten. begonnen wird (z. B. in den mehrsprachigen
3. Ausländische Bewohner der Schweiz Kantonen Freiburg, Wallis, Bern und Grau-
(Deutsch als Zweitsprache). bünden, aber auch in verschiedenen privaten
3.1. Deutsch als Fremdsprache Kindergärten in Zürich und Basel). Es han-
delt sich hierbei nicht um Sprachunterricht,
3.1.1. Allgemein bei dem die andere Sprache als Fach unter-
Von Deutsch als Fremdsprache im Sinne von richtet wird, sondern die Kindergarten-Akti-
L2 bzw. L3 kann man nur in der nicht vitäten geschehen in der anderen Sprache,
deutschsprachigen Schweiz sprechen. Es gel- Deutsch ist also Immersionssprache (vgl. Vet-
ten dafür gewisse Gemeinsamkeiten, die sich ter 1993; EDK 1993; Brohy 1996).
von den Bedingungen für Deutsch als Zweit-
sprache deutlich unterscheiden: 3.1.3. Primarschule
Wie schon kurz angedeutet, beginnt der
a) verhältnismässig homogenes Zielpubli-
Deutsch als Fremdsprache-Unterricht in der
kum (gleiche oder vergleichbare alters-,
Westschweiz meist in der vierten Primar-
kultur- und sprachspezifische Vorausset-
klasse. Von der Idee her ist dabei an eine spie-
zungen),
lerische Sensibilisierung für die andere Lan-
b) Förderung der interkulturellen Verständi-
dessprache ohne Notendruck gedacht. In der
gung in einem mehrsprachigen Land,
Praxis ist dies freilich inzwischen oft nicht
c) institutionelle Vermittlung bei beschränk-
mehr der Fall.
tem Kontakt mit der anderen Sprachwirk-
Die schon unter Kindergarten erwähnten
lichkeit,
Versuche mit einem Immersionsunterricht
d) kontrastive, kommunikative und kogni-
haben dazu geführt, dass eine Reihe von Pro-
tive Lehrmethoden mit teilweiser Ausrich-
jekten im Primarbereich mit Deutsch als
tung auf schriftliche Dokumente (nach
Fremdsprache in der ersten Klasse beginnen
Merkt 1994, 46).
bzw. an den Immersionsbeginn im Kinder-
Die Situation des Deutschunterrichts in den garten anschließen (z. B. im Wallis; zu Im-
obligatorischen Schulen der Westschweiz und mersionsversuchen in der Schweiz vgl. Merkt
des Tessins bis 1989 wird konzentriert zusam- 1993; Brohy 1996; zum Immersionsunterricht
mengefasst in Merkt 1989a. Dokumentiert in Sierre/Siders: Vetter 1993).
sind die Bemühungen um eine Koordination Eine positive Sonderrolle spielt hier der
des Deutschunterrichts, die Stundendotierun- Kanton Graubünden, wo in den Gebieten
gen für Deutsch in den verschiedenen Kanto- Romanischbündens schon seit Jahrzehnten
nen und die Empfehlungen der Erziehungs- Immersionsunterricht praktiziert wird, ohne
departemente, die Treffpunkte zwischen obli- diesen jedoch so zu nennen. Nachdem der
gatorischer und postobligatorischer Schulzeit Kindergarten rein Romanisch geführt wird,
(vgl. EDK 1987). ist dann die Unterrichtssprache durchgehend
114 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Tab. 9.3: Stundentafeln der (deutsch-, italienisch- und romanischsprachigen) Volksschulen in Graubünden

Deutschsprachiger Italienischsprachiger Romanischsprachiger


Schultypus Schultypus Schultypus

Kindergarten Kindergartensprache: Kindergartensprache: Kindergartensprache:


Deutsch (Assimilation Italienisch (Assimilation Romanisch (Assimilation
fremdsprachiger Kinder) fremdsprachiger Kinder) fremdsprachiger Kinder)

Primarschule Unterrichtssprache: Unterrichtsprache: Unterrichtssprache:


1. bis 6. Schuljahr • Deutsch • Italienisch • Romanisch
(⫽ SJ) Zweitsprache (obligat.): Zweitsprache (obligat.): Zweitsprache (obligat.):
• Italienisch (4.⫺6. SJ) • Deutsch (4.⫺6. SJ) • Deutsch (4.⫺6. SJ)
und/oder
• Romanisch (4.⫺6. SJ
bzw. 1.⫺6. SJ)

Realschule Unterrichtssprache: Unterrichtssprache: Unterrichtssprache:


und • Deutsch • Italienisch • Deutsch
Sekundarschule Zusätzlich obligatorisch: Zusätzlich obligatorisch: Zusätzlich obligatorisch:
7. bis 9. Schuljahr • Italienisch • Deutsch • Romanisch
(⫽SJ) oder • Französisch • Italienisch
• Französisch oder
Fakultativ: Fakultativ: • Französisch
• Italienisch (7./8./9. SJ) • Französisch (8./9. SJ) Fakultativ:
• Romanisch (7./8./9. SJ) • Deutsch (8./9. SJ) • Deutsch (8./9. SJ)
• Französisch (8./9. SJ) • Englisch (9. SJ) • Französisch (8./9. SJ)
• Englisch (8./9. SJ) • Latein (7./8./9. SJ) • Englisch (8./9. SJ)

(aus: Babylonia 3 (1998) 49)

Romanisch. Mit Beginn der vierten Primar- In der italienischsprachigen Schweiz be-
klasse kommt dann Deutsch als erste Fremd- ginnt auf dieser Schulstufe der Unterricht in
sprache hinzu. Ab dem 7. Schuljahr wechselt Deutsch als L3 (früher obligatorisch, inzwi-
dann die Unterrichtssprache ins Deutsche, schen als Wahlmöglichkeit). (Flügel 1992)
ausser in Biologie und im Fach Romanisch.
„Für die deutsch- und anderssprachigen 3.1.5. Sekundarstufe II
SchülerInnen bedeutet dies eine frühe totale Zur Sekundarstufe II gehören in der Schweiz:
Immersion ins Romanische. […] Für die ro-
manischsprachigen SchülerInnen bedeutet a) die gymnasialen Maturitätsschulen,
dies eine späte Immersion ins Deutsche.“ b) Berufsschulen, die zur sogenannten Be-
(Carigiet 1998, 47) Französisch wird dann ab rufsmaturität führen (Ergänzung der Be-
der 7. Klasse als L3 gelernt, Italienisch und rufslehre, die zum prüfungsfreien Über-
Englisch sind bisher nur Wahlfächer (Cari- tritt in das 1. Semester eines Fachhoch-
giet 1998). schullehrgangs berechtigt),
c) die kantonalen Lehrerseminare (Ausbil-
3.1.4. Sekundarstufe I dung zu Lehrerinnen und Lehrern auf den
Niveaus Kindergarten und Primarstufe;
In den cycles d’orientation, den Schulen der
der entsprechende Abschluss gilt zusam-
Sekundarstufe I in der Romandie, wird der
men mit mehrjähriger Berufspraxis als
Unterricht Deutsch als L2 auf der Primar-
Maturaäquivalent). Die kantonalen Leh-
schule aufbauend weitergeführt. Dies geht
rerseminare werden derzeit in Fachhoch-
nicht immer ganz problemlos ab, da für den
schulen verwandelt, was deutliche Verän-
Unterricht auf der höheren Stufe häufig an-
derungen nach sich ziehen wird.
dere Prinzipien zu Grunde gelegt werden. Die
eher spielerische Sensibilisierung der Primar- (Zum Deutschunterricht in der Westschweiz
schule weicht zunehmend eher kommunika- im 20. Jh. vgl. das entsprechende Kapitel in:
tiv-kognitiven Ansätzen. Dazu kommt selbst- von Flüe-Fleck 1994, 101⫺120; zum Tessin:
verständlich auch der stärkere Notendruck. Flügel 1992)
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 115

3.1.6. Privatschulen Unterrichtenden des Deutschen als Fremd-


Wie in anderen Staaten existiert in der sprache an Westschweizer Schulen der Se-
Schweiz eine ganze Reihe von Privatschulen. kundarstufe I.
Was den Fremdsprachenunterricht in der Eine Besonderheit der Universität Frei-
Schweiz betrifft, haben sie in den vergange- burg sind zweisprachige Abschlüsse. So kann
nen Jahren oft eine Pionierrolle übernom- momentan an der Rechtswissenschaftlichen
men: Wenn man vom langjährigen zweispra- und an der Wirtschafts- und Sozialwissen-
chigen Unterricht in Romanischbünden ab- schaftlichen Fakultät das Studium mit einem
sieht, so waren es Privatschulen, die z. B. mit zweisprachiges Lizenziat (Deutsch⫺Franzö-
Immersionsunterricht experimentiert haben sisch) abgeschlossen werden. Es gibt dafür
(vgl. Moser 1993). besondere Regelungen, nach denen zwischen
20% und 25% des Studiums und der Examina
3.1.7. Universitäten in der jeweils anderen Studiensprache absol-
Die Germanistik an den Westschweizer Uni- viert werden müssen. In den Diplomen wird
versitäten (Lausanne, Genf, Neuenburg) ist ein solcher zweisprachiger Abschluss dann
nach klassischem Muster ausgerichtet, wobei speziell ausgewiesen.
sie dem Umstand kaum Beachtung schenkt, Auch an verschiedenen Abteilungen der
„dass die meisten Absolventen eines Studi- Philosophischen Fakultät sind solche zwei-
ums der Germanistik als Deutschlehrer be- sprachigen Abschlüsse möglich (z. B. in den
rufstätig werden“ (Merkt 1990/1994, 49). Fächern Geschichte und Philosophie). Bis
Einem Bereich Deutsch als Fremdsprache zum Jahr 2001 ist ein weiterer Ausbau der
Zweisprachigkeit geplant. So sollen ab dann
wird, ähnlich wie bei der Auslandsgermani-
an allen Fakultäten zweisprachige Studien
stik, eine ,Zubringerfunktion‘ zuerkannt, ein
und Abschlüsse möglich sein. Die Rahmenbe-
eigentlicher Fachbereich mit eigenständiger
dingungen, die eine Kommission erarbeitet
Funktion wird aber dabei erst selten wahrge-
hat, werden derzeit an den einzelnen Fakultä-
nommen. Da die Fertigkeiten in der Fremd-
ten beraten. Dazu gehören:
sprache nach der Matura im Allgemeinen für
ein Germanistikstudium nicht ausreichend a) Drei unterschiedliche Möglichkeiten zwei-
sind, beinhalten studienbegleitende Deutsch sprachigen Studierens:
als Fremdsprache-Kurse Übersetzungsübun- ⫺ Zweisprachiges Lizenziat/Diplom,
gen in und aus der Muttersprache sowie ⫺ Studium und Prüfungen in beiden
das Training studienspezifischer schriftlicher Sprachen,
Textsorten und Sprech- bzw. Aussprachetrai- ⫺ Studium in beiden Sprachen, Prüfun-
ning. Es handelt sich hier also weitgehend gen ausschließlich in der ersten Stu-
um Stützkurse. diensprache.
In den letzten Jahren zeichnet sich zumin- b) Für das zweisprachige Lizenziat/Diplom
dest in der Linguistik eine leichte Sensibilisie- soll gelten: Mindestens 40% des Studiums
rung für das Fach Deutsch als Fremdsprache und der (mündlichen und schriftlichen)
ab: Es nehmen an den Westschweizer Univer- Prüfungen in der zweiten Studiensprache.
sitäten Veranstaltungen zu, in denen Deutsch c) Ein Fachsprachenkonzept für die jeweils
als Fremdsprache-spezifische Themen bear- zweite Studiensprache.
beitet werden, so z. B. Fremd-/Zweitsprach- (Zum Zweisprachigkeitskonzept der Univer-
erwerb, Grammatik in Lehrwerken etc. sität siehe Langner 1997.)
An der zweisprachigen Universität Frei- Als voruniversitäre Einrichtung gibt es in
burg/Fribourg gibt es seit 1973 ein Institut für Freiburg noch die Vorbereitungskurse auf
deutsche Sprache, welches sich ausschliesslich das Hochschulstudium in der Schweiz ⫺ eine
Deutsch als Fremdsprache widmet; seit 1996 Stiftung, die gemeinsam von der Eidgenos-
verfügt es auch über eine Deutsch als Fremd- senschaft und den Universitäten der Schweiz
sprache-Professur. Deutsch als Fremdsprache getragen wird. Ähnlich wie die Studienkollegs
an der Universität Freiburg steht auch in Zu- in Deutschland oder die Vorstudienlehrgänge
sammenhang mit der Zweisprachigkeit dieser in Österreich bereitet diese Einrichtung aus-
Universität und der damit verbundenen Not- ländische Studienbewerber mit einem Hoch-
wendigkeit, studienbegleitende und studien- schulreifezeugnis ihres Landes auf ein Stu-
spezifische Sprachlehrveranstaltungen für die dium an einer Schweizer Hochschule vor. Als
Studiensprache Deutsch (und natürlich auch eines von fünf Fächern gilt obligatorisch
Französisch) anzubieten. Seit 1982/83 gibt es Deutsch (oder Französisch) als Fremdspra-
einen spezifischen Ausbildungsgang für die che.
116 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

3.1.8. Erwachsenenbildung Verschiedene Publikationen (Babylonia 3,


In der Erwachsenenbildung müssen wir in 1997; Mitteregger/Racine 1993) und die Zeit-
der mehrsprachigen Schweiz zwischen der schrift Le Trait d’union widmen sich aus-
Deutschschweiz und den nicht deutschspra- schliesslich den verschiedenen Austausch-
chigen Landesteilen unterscheiden. Nur in möglichkeiten. Zentraler Gedanke der Aus-
der Westschweiz und im Tessin handelt es tauschpädagogik ist die Sensibilisierung in
sich bei Deutschkursen der Erwachsenenbil- Richtung auf ein Verständnis der anderen
dung hauptsächlich um Deutsch als Fremd- Sprachgruppe.
sprache. Eine Besonderheit im zweisprachigen Kan-
In der gesamten Schweiz gibt es verschie- ton Freiburg ist das sogenannte „zehnte
denste Einrichtungen der Erwachsenenbil- fremdsprachliche Schuljahr“: Das neunte
dung, die ⫺ häufig in einer großen Vielfalt (letzte) Schuljahr der obligatorischen Schul-
von Kursangeboten ⫺ auch Fremdsprachen- zeit wird an einer Schule mit jeweils anderer
kurse anbieten. Neben verschiedenen Privat- Unterrichtssprache wiederholt.
institutionen sind dies vor allem die Volks- 3.2. Deutsch als Zweitsprache
hochschulen und die Migros-Klubschulen. Es
handelt sich bei dem Angebot an Fremdspra- 3.2.1. Allgemeines
chenkursen zumeist um extensive Kurse. Die Schweiz hat einen relativ hohen Prozent-
satz ausländischer Wohnbevölkerung (am
3.1.9. Austausch 31. 12. 1995: 18,9%). Man unterscheidet zwi-
Austauschprogramme verschiedener Art ha- schen ausländischen Arbeitnehmern und Ar-
ben in der Schweiz eine lange Tradition. Dies beitnehmerinnen, die mehr oder weniger
liegt selbstverständlich an den vier verschie- lange im Land leben werden, und Flüchtlin-
denen Sprach- und Kulturgruppen und an ei- gen/Asylbewerbern. Die Gruppe der Flücht-
ner Sprachpolitik, die darauf abzielt, das Zu- linge und Asylbewerber, aber teilweise auch
sammenleben dieser Gruppen zu verbessern. die ausländischen Arbeitnehmer, sprechen oft
Vor allem vier unterschiedliche Austausch- nicht die im jeweiligen Landesteil gespro-
formen spielen in der Schweiz eine Rolle: chene Landessprache. So ergibt sich die
1. individueller Schüleraustausch, Frage nach der sprachlichen Integration und
2. kollektiver Klassenaustausch, somit nach einem Angebot an Sprachkursen.
3. Lehrlingsaustausch, Wichtigste Lernziele von Sprachkursen für
4. Austausch von Lehrpersonen. Flüchtlinge und Asylbewerber sind das Spre-
chen und das Hörverstehen. In der Deutsch-
Dabei kann sich die Dauer des Kontakt- schweiz zeigt sich deutlich das Problem der
aufenthaltes von einigen Tagen bis hin zu medialen Diglossie. Eigenentwicklungen von
einem Jahr erstrecken. Lernmaterialien versuchen diese Situation zu
Die ersten drei Austauscharten werden ge- berücksichtigen (z. B. Nodari 1985; 1994).
samtschweizerisch und international von der In der Regel lernen die ausländischen Kin-
1976 gegründeten ch-Stiftung für eidgenössi- der in der Schule Schweizerhochdeutsch und
sche Zusammenarbeit koordiniert und orga- den jeweiligen Dialekt auf der Strasse. Dass
nisiert (EDK 1992). Der internationale Leh- die sprachliche Integration der Kinder durch
rerinnen- und Lehreraustausch (ILA-WBZ), ihre Familiensprache teilweise behindert wird
der der Weiterbildungszentrale für Mittel- und dadurch bei der Entwicklung einer kul-
schullehrer in Luzern angeschlossen ist, koor- turellen Identität und beim Zweitspracher-
diniert dagegen den internationalen Aus- werb Probleme auftreten, ist jedoch kein
tausch von Lehrpersonen. alleiniges Problem der Schweiz. Es gibt daher
Die in den letzten Jahren stärker werdende an einzelnen Schulen Kurse zur Förderung
Belastung des Zusammenlebens der verschie- der Erstsprache als Grundlage zum leichteren
denen Sprachgruppen (einige Stichworte da- Erwerb von Deutsch als Zweitsprache.
für sind: Diglossiesituation in der Deutsch- Die komplexe Sprachsituation der Deutsch-
schweiz, unterschiedliche politische Ziele in schweiz ist nicht einfach in Lehrwerke zu in-
Bezug auf Europa, wirtschaftliche Dominanz tegrieren, da die gesprochenen Dialekte Vari-
der Deutschschweiz) hat dazu geführt, dass anten sind, die nur regional verwendet wer-
die Anstrengungen für ein Zusammentreffen den. Eine Möglichkeit damit umzugehen be-
der Sprachgruppen vermehrt wurden. Daraus steht darin, als Zielsprache das Schweizer-
gewann auch der Austauschgedanke einen hochdeutsch unter explizitem Einbezug von
neuen starken Auftrieb. Dialektverstehen vorzusehen.
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 117

Eine weitere ⫺ zusätzliche ⫺ Möglichkeit Asylbewerber und Flüchtlinge richten. Zu-


ist das Hörverstehenstraining unter Einbezug meist sind dies kantonale Zentren, verschie-
der rezeptiven Kompetenz für Dialektverste- dene Hilfswerke, wie z. B. die Caritas, das
hen (siehe EDK 1987). Eine solche Forde- Hilfswerk der Evangelischen Kirche der
rung ist bisher leider selten realisiert worden. Schweiz (HEKS), aber auch Arbeiterhilfs-
Dieser Ansatz würde bedeuten, dass für die werke, die Heilsarmee etc., die sich um die
Verständigung zwischen Deutschschweizern (sprachliche) Integration dieses Personenkrei-
und ausländischen Sprechern die Einheimi- ses kümmern. Dabei werden zumeist selbster-
schen Dialekt sprächen, während die auslän- stellte Lehrmaterialien eingesetzt (Beispiele
dischen Kommunikationspartner Standard- hierzu siehe unter 4.).
deutsch verwendeten. (Ein Lehrwerk mit die- Weitere Angebote in diesem Bereich sind:
sem Ansatz ist Müller/Wertenschlag 1985.)
⫺ Spezielle Arbeitslosenkurse: Auf Grund
Eine dritte Möglichkeit bietet das Konzept
eines Gesetzes können Arbeitslose, die
„Dialektlernen für erste Kontaktsituatio-
Weiterbildungskurse besuchen, länger Ar-
nen“, wobei die jeweilige Regionalvariante
beitslosenunterstützung beanspruchen.
gelernt würde. Die für eine Integration in ein
⫺ Alphabetisierungskurse (besonders für
Land ebenfalls wichtigen kulturellen, landes-
Frauen) in Deutsch als Zweitsprache.
und sozialkundlichen Besonderheiten erfor-
⫺ Berufsbezogene Sprachkurse vor Ort (z. B.
dern noch mehr selbstentwickelte Lehrmittel,
im Spital).
die die Alltagsgegebenheiten eines Landes
⫺ Sprachbegleitung: eine Person als sprach-
oder einer Region reflektieren.
licher Lernbegleiter.
3.2.2. Öffentliche Schulen Ein grosses Problem für die Arbeit in diesem
Deutsch als Zweitsprache an öffentlichen Bereich ist die Tatsache, dass es in der
Schulen gibt es einerseits als Stützkurse zur Schweiz keine zentrale Arbeitsstelle für die
sprachlichen und kulturellen Integration von Koordination der vielfältigen Initiativen gibt,
Kindern ausländischer Arbeitnehmer und wie dies in Deutschland der Sprachverband
Flüchtlinge. Für fremdsprachige Kinder mit für ausländische Arbeitnehmer darstellt.
einer im Heimatland abgeschlossenen obliga-
torischen Schulzeit werden andererseits auch 3.3. Verbände für Deutsch als Fremdsprache/
sprachliche Integrationskurse angeboten, die Deutsch als Zweitsprache
diesen Kindern die Suche nach einer Lehr- In der Schweiz gibt es drei Interessenverbände
stelle erleichtern sollen. für Unterrichtende im Bereich Deutsch als
An den Berufsschulen gibt es vereinzelt Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache. In
Kurse für Deutsch als Zweitsprache, aber bis der SPASRI (Sociéte des Professeurs d’Alle-
heute kein eigentliches Konzept, obwohl der mand de la Suisse Romande et Italienne), einer
Anteil der nicht deutschsprachigen Berufs- Untergruppierung des Vereins Schweizeri-
schüler stark ansteigt. scher Gymnasiallehrer (VSG), haben sich die
Eine Grundschwierigkeit neben dem Pro- Unterrichtenden des Deutschen als Fremd-
blem Mundart/Standardsprache stellt in den sprache der Gymnasien (in der Schweiz Mittel-
Normalklassen der Regelschulen die teilweise schulen genannt) zusammengeschlossen.
große sprachliche und kulturelle Heterogeni- 1986 wurde dann der Arbeitskreis Deutsch
tät der Gruppen dar sowie die immer knap- als Fremdsprache in der Schweiz (AKDaF)
per werdenden finanziellen Mittel für solche gegründet, der allen Personen offensteht, die
Kurse bei teilweise stark steigenden Prozent- im Bereich Deutsch als Fremd-/Zweitsprache
zahlen von Ausländerkindern in Primarschu- tätig sind. Sehr viele seiner Mitglieder arbei-
len und Schulen der Sekundarstufe I ten in privaten Institutionen der Erwachse-
(Allemann-Ghionda 1988). nenbildung, in der Flüchtlingsbetreuung und
in Arbeitslosenkursen.
3.2.3. Erwachsenenbildung Der jüngste und kleinste Verband ist der
Bei den Deutschkursen der Erwachsenenbil- LEDAFIDS (Verein der Lektorinnen und
dung in der Deutschschweiz handelt es sich Lektoren Deutsch als Fremdsprache in der
in den meisten Fällen um Deutsch als Zweit- Schweiz), 1987 gegründet, in dem die Unter-
sprache. Es gibt neben den in Abschnitt 2.1.8. richtenden für Deutsch als Fremdsprache an
erwähnten Volkshochschulen und Migros- den Schweizer Hochschulen zusammenge-
Klubschulen eine Vielzahl von Einrichtun- fasst sind. An fast allen Schweizer Hochschu-
gen, deren Sprachkurse sich besonders an len gibt es Deutsch als Fremdsprache-Unter-
118 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

richtende, teilweise zur Vorbereitung und während an einigen Hochschulen eine spezi-
Begleitung von ausländischen Studierenden elle Ausbildung für die Sekundarstufe I exi-
(Deutschschweiz), teilweise zur Unterstüt- stiert, auch für die Fremdsprachenlehrer und
zung nicht deutschsprachiger Schweizer, die im besonderen Fall für die Lehrer des Deut-
Germanistik studieren (siehe Abschnitt 2.1.). schen als Fremdsprache auf dieser Stufe. An
Alle drei Verbände sind Mitglied im Inter- der Universität Freiburg gibt es auch ein Er-
nationalen Deutschlehrerverband (IDV) und gänzungsfach Deutsch als Fremdsprache für
haben häufig an den verschiedenen Interna- Deutschsprachige, die anschließend in der Se-
tionalen Deutschlehrertagungen (IDT) auch kundarstufe I an einer Schule mit französi-
organisatorisch mitgearbeitet. So wurde die scher Unterrichtssprache unterrichten wol-
IDT Bern 1986 von der SPASRI mitgetragen, len.
und die IDT 2001 in Luzern wird u. a. von Für die Sekundarstufe II gibt es hingegen
allen drei Verbänden geplant und organisiert. bisher keine spezifische Ausbildung für
Deutsch als Fremdsprache. An der Universi-
tät Freiburg kann aber seit 1997 Deutsch als
4. Lehrerausbildung Fremdsprache innerhalb der Germanischen
Philologie gewählt werden.
Die Ausführungen von Müller (1990/94) und
Immer noch unterrichten in der West-
seine Einschätzungen galten bis vor wenigen
schweiz und im Tessin auf der Sekundarstufe
Jahren. Inzwischen wird der Bereich der Leh-
I oft und auf der Sekundarstufe II weitge-
rerausbildung für Kindergarten und Primar-
hend Lehrer und Lehrerinnen, welche nur auf
stufe neu gestaltet. den Unterricht „Deutsch als Muttersprache“
4.1. Kindergarten und Primarstufe vorbereitet sind. Es besteht dabei die Gefahr,
„dass Lernschwierigkeiten von Fremdspra-
Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer chigen nicht oder nur ungenügend erkannt
für Kindergarten und Primarstufe war bisher werden“ (Müller 1990/94, 239).
kantonal unterschiedlich geregelt: In vielen
Kantonen geschah sie an kantonalen Lehrer- 4.3. Private Aus- und Weiterbildungsstätten
seminaren im Anschluss an die obligatorische für Unterrichtende Deutsch als
Schulzeit, in einigen Kantonen an den Uni- Fremd- und Zweitsprache
versitäten. Der Abschluss berechtigte zum Neben der öffentlichen Lehrerausbildung gibt
Unterricht auf den entsprechenden Stufen es in der Schweiz eine Vielzahl von privaten
und der Abschluss der kantonalen Lehrer- Schulen und halbprivaten Einrichtungen für
seminare zusammen mit einer mehrjährigen die Ausbildung von Unterrichtenden, auch
Berufspraxis auch zu einem anschließenden für den Bereich Deutsch als Fremd-/Zweit-
Studium an den Schweizer Hochschulen. sprache. Müller (1990/94) kommt zu der Ein-
Die Diskussion der letzten Jahre um die schätzung, dass von diesen Institutionen häu-
Errichtung von Fachhochschulen hat zu fig „die Anforderungen für ein künftiges FU-
Überlegungen geführt, nach denen die kanto- Lehrerprofil [FU ⫽ Fremdsprachenunter-
nalen Lehrerseminare zu Pädagogischen richt, M. L.] um einiges ernster genommen
Fachhochschulen ausgebaut werden sollen. werden als von staatlichen Ausbildungsstel-
Für die Ausbildung zu Unterrichtenden für len“ (Müller 1990/94, 243). So wurde haupt-
Kindergarten und Primarstufe wird in Zu- sächlich von Unterrichtenden an solchen pri-
kunft ein Maturaabschluss vorausgesetzt. vaten Institutionen 1997/98 ein „Anforde-
Welche Konsequenzen diese Umstrukturie- rungsprofil DaF/DaZ-Lehrer/in“ erarbeitet.
rungen für den Deutsch als Fremd- und Auch bei den privaten Ausbildungsstätten
Zweitsprache-Unterricht der Zukunft haben gibt es große Unterschiede zwischen den ein-
werden, ist momentan noch nicht abzuschät- zelnen Kantonen. Hier eine gewisse Auswahl
zen. von Einrichtungen zur Aus- und Weiterbil-
dung von in diesem Bereich Unterrichtenden:
4.2. Sekundarstufe I und II ⫺ bask GmbH, Bern (Berufsbegleitende
Die Ausbildung für zukünftige Deutschlehrer Ausbildung für Sprachkursleitende in der
beider Sekundarstufen geschieht sowohl für Erwachsenenbildung),
L1 als auch für L2 innerhalb der Germanistik ⫺ AEB Zürich (Akademie für Erwachsenen-
an den Universitäten. An vielen Universitä- bildung),
ten wird bei der Ausbildung nicht zwischen ⫺ Klubschulen Migros, Einführungskurs für
diesen beiden Schulstufen unterschieden, Sprachkursleitende,
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 119

⫺ Pestalozzianum Zürich: ZALF ⫺ Zusatz- Schon Ende der siebziger Jahre gab es
ausbildung für Lehrkräfte von Nicht- Überlegungen in der Westschweiz zur Kon-
Deutschsprachigen, zeption eines Lehrwerkes Deutsch als Fremd-
⫺ Pro Didacta: ADEFA ⫺ Ausbildungsgang sprache für die besonderen Bedürfnisse des
für Deutschlehrer von fremdsprachigen Unterrichts auf der Primarstufe. Eine eher
Jugendlichen und Erwachsenen, spielerische Sensibilisierung sollte dabei zen-
⫺ SAL ⫺ Schule für Angewandte Lingui- tral sein. So wurde zu Beginn der achtziger
stik Zürich, Jahre der sogenannte Cours romand (Lang
⫺ Forum Sprache-Unterricht Luzern/Zug u. a. 1983ff.) für die vierte, fünfte und sechste
(nur Weiterbildung), Primarklasse geschaffen.
⫺ Abteilungen bzw. Ämter verschiedener Di- Die Überlegungen im Zusammenhang mit
rektionen (Amt für Berufsbildung bei der der ,kommunikativen Wende‘, eine wach-
Direktion der Volkswirtschaft des Kan- sende Unzufriedenheit über die starke
tons Zürich/Lehrerfortbildung Kanton Deutschlandlastigkeit der bisher in der Se-
Luzern/Pädagogische Arbeitsstelle Kan- kundarstufe I verwendeten Lehrwerke und
ton St. Gallen), Berner Konferenz für Er- die Notwendigkeit eines problemlosen An-
wachsenenbildung, Verein zur Förderung schlusses an den Cours romand führten zur
der beruflichen Weiterbildung (VFBW/ Entwicklung des Westschweizer Lehrwerkes
ADEFA) Unterwegs Deutsch (Birbaum u. a. 1987ff.).
(Informationen zu diesen Einrichtungen Neben einem deutlichen Bezug auf die
in: Rundbrief 34, 1997). Schweizer Realität (Texte aus der Schweiz,
Schreibanlässe innerhalb der Schweiz, Vorbe-
Teilweise schliessen diese Einrichtungen mit
reitung von Schüleraustausch etc.) kommen
Diplomen für Fremdsprachenlehrer ab.
auch die anderen deutschsprachigen Staaten
zu Wort.
5. Lehrmittel in der Schweiz Leider muss hier vermerkt werden, dass
Unterwegs Deutsch kein Lehrwerk für die ge-
Schon seit Beginn des 20. Jhs wird in der samte Westschweiz ist, denn einzelne Kan-
Schweiz, auch im Bereich des Fremdspra- tone sind sehr früh aus der Koordination
chenunterrichts, zumeist mit Schweizer Lehr- ausgestiegen. So werden heute neben dieser
mitteln gearbeitet (Briod 1915; Rochat/Loh- neueren Eigenproduktion durchaus noch
mann 1931; zur Situation bei den Lehrmitteln ältere Lehrwerke eingesetzt, die vor der kom-
in der Westschweiz vgl. von Flüe-Fleck 1994). munikativen Wende konzipiert worden sind.
Die in diesen Schweizer Lehrwerken vermit- Sowohl der Cours romand als auch Unter-
telte Standardnorm des Deutschen orien- wegs Deutsch sind inzwischen keine moder-
tiert(e) sich häufig am Binnendeutschen und nen Lehrwerke mehr, und wieder gab es ge-
entsprach daher selten der komplexen meinsame Überlegungen der Westschweiz zur
Sprachsituation in der Deutschschweiz (zum Schaffung eines modernen Lehrwerks. Neue
Umgang mit unterschiedlichen Sprachvarie- Erkenntnisse aus der Forschung zur Fremd-
täten vgl. Klotz/Sieber 1994; Beispiele für sprachendidaktik sollten in die Konzeption
Schweizer Deutsch als Fremdsprache-Lehr- einfliessen: Modularität, Möglichkeit von
werke: Birbaum u. a. 1987ff.; Gfeller 1992; Immersionsunterricht/-phasen, Stärkung des
Lang u. a. 1983ff.; Uhlig u. a. 1961ff.). eigenverantwortlichen Lernens (Transparenz,
Lösungsschlüssel, Selbstevaluationsangebote)
5.1. Lehrmittel für öffentliche Schulen etc. (zu Perspektiven einer neuen Lehrwerk-
Speziell in der Westschweiz ist man im Be- kultur im Bereich Fremdsprachen siehe No-
reich der Auswahl von Lehrwerken sehr um- dari 1995; zur Modularität Lenz 1995;
sichtig. Seit 1962 gibt es eine Koordination Merkt 1994).
der Westschweizer Kantone für die Schule. Im Mai 1998 ist die Entscheidung zumin-
Speziell für das Fach Deutsch (als L2) waren dest für die nächsten Jahre gefallen: Es wird
die großen Unterschiede zwischen den Schul- kein Westschweizer Deutsch als Fremdspra-
systemen eher hemmend, so dass von Flüe- che-Lehrwerk geben. Bis spätestens 2001/
Fleck mit Recht festhält: „Von einem koordi- 2002 werden sowohl für die Primarstufe als
nierten Deutschunterricht kann jedenfalls im auch für die Sekundarstufe I Lehrwerke aus
Jahr 1992, nach gut zwanzig Jahren Arbeit, Deutschland bzw. Großbritannien einge-
nur sehr bedingt gesprochen werden.“ (von führt. Obwohl in diesen Lehrmitteln die
Flüe-Fleck 1994, 118) Schweiz als Thema oder als Unterrichtsge-
120 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

genstand praktisch nicht vorkommt, ist kei- Dennoch leisten diese Materialien und
nerlei Bearbeitung hinsichtlich der landes- Lehrwerke einen wichtigen Beitrag zur
kundlichen und sprachlichen Situation der sprachlichen und kulturellen Integration der
(Deutsch-)Schweiz vorgesehen. sogenannten „zweiten Ausländergeneration“.
Vor dem Hintergrund umfangreicher
Überlegungen zur Funktion eines modernen 5.3. Lehrwerke für Dialekt
Westschweizer Deutsch als Fremdsprache- Da in der Deutschschweiz in der mündlichen
Lehrwerkes (siehe von Flüe-Fleck 1994; No- Kommunikation fast ausschliesslich Dialekt
dari 1995) kann man diese Entscheidung nur verwendet wird, gibt es schon seit langer Zeit
als verpasste Gelegenheit bezeichnen. Dies Lehrmaterialien zum Dialektlernen (siehe
erstaunt um so mehr, wenn man bedenkt, Baur 1941/1971). Hier müssen wir grundle-
dass sich bei internationalen Lehrwerken die gend unterscheiden zwischen Lehrmateria-
Berücksichtigung der verschiedenen deutsch- lien, die die produktive Verwendung der
sprachigen Länder immer stärker durchsetzt Mundart zum Ziel haben (Zwicky 1987;
(vgl. Abschnitt 5.5). Auch im internationalen Feuz-Thurnheer 1988; Feuz 1998), und sol-
Prüfungsbereich Deutsch als Fremdsprache chen, welche nur auf das Hörverstehen abzie-
wird immer stärker ein Ansatz verfolgt, der len, für die produktive Seite aber Standard-
der Plurizentrik des deutschsprachigen Raums deutsch voraussetzen (Müller/Wertenschlag
Rechnung trägt. Demnach sollen auch in 1985).
Deutschprüfungen Texte aus Österreich und Lehrwerke mit dem Lernziel Dialektspre-
der Schweiz vorkommen (vgl. Art. 129: Ab- chen vermitteln zumeist einen der grossräu-
satz: Internationale Kooperationen zur Lan- migeren Dialekte, wie z. B. das Berndeutsche.
deskunde der deutschsprachigen Länder). Ein Lehrwerk zum Dialekthörverstehen
5.2. Lehrmittel für Ausländer, Flüchtlinge, wie Müller/Wertenschlag (1985) setzt Kennt-
Asylbewerber und deren Kinder nisse in der deutschen Standardsprache vor-
aus und baut auf diesen auf. Das Problem
Die spezifische Situation in der Deutsch- der verschiedenen Dialekte wird durch die
schweiz mit ihren schon mehrfach erwähnten Berücksichtigung großräumiger Dialekte ge-
Eigenheiten führte zur Entwicklung einer löst, die auf den Kassetten und im Lehrbuch
ganzen Reihe von Lehrmaterialien für die vermittelt werden. Solche Lehrmittel setzen
Zielgruppe Ausländer/Flüchtlinge/Asylbewer- aber Kommunikationssituationen voraus, in
ber. Zum grossen Teil verdanken diese ihre denen die Dialektsprechenden bei der Mund-
Existenz dem persönlichen Einsatz einzelner
art bleiben, während der Fremdsprachige sich
Lehrender, aber auch dem Engagement ver-
der Standardsprache bedient. Dies ist jedoch
schiedener kantonaler Einrichtungen und
eine Situation, die häufig von Dialektspre-
Hilfswerke, die sich die Integration dieser
chern als unnatürlich empfunden wird. Ein
Zielgruppe zur Aufgabe gemacht haben. Es
Erfolg eines solchen Ansatzes stellt sich nur
sind häufig sogenannte „graue Papiere“, ein-
fach und preisgünstig gemacht. In Einzelfäl- ein, wenn der Anderssprachige darauf be-
len sind dies Materialien für spezifische steht, dass der Kommunikationspartner im
Sprachgruppen, meistens aber für verschie- Dialekt bleibt.
dene Ausgangssprachen und -kulturen. 5.4. Spezielle Lehrwerke
Vor allem für die Kinder und Jugendlichen
dieser Zielgruppen, die öffentliche Schulen Neben den genannten Lehrmaterialien müs-
besuchen, sind im Auftrag von größeren sen hier noch einige Lehrmaterialien erwähnt
Deutschschweizer Kantonen auch offizielle werden, die für spezifische Bedürfnisse er-
Lehrbücher entstanden, die auf die Deutsch- stellt wurden:
schweizer Wirklichkeit abzielen, zumindest Für das Gastgewerbe und die Hotellerie ⫺
was die landeskundlichen und kulturellen In- eine in der Schweiz wichtige Branche, in der
formationen betrifft, so z. B. Deutsch für recht viele ausländische Arbeitnehmerinnen
fremdsprachige Kinder (Nodari 1985) oder und Arbeitnehmer beschäftigt sind ⫺ wurden
Kontakt (Nodari 1994), die zudem teilweise in den letzten Jahren zwei schweizspezifische
recht neue fremdsprachendidaktische Ansätze Lehrmaterialien entwickelt: Hotellerie und
integrieren. Das Problem des Dialekts als ge- Gastronomie (Clalüna 1988) und der Fern-
sprochener Umgangssprache der Deutsch- kurs Deutsch à la carte (Clalüna 1993). Im
schweiz wird aber auch in diesen Lehrwerken Vordergrund steht hierbei die Fachsprache
nicht in befriedigender Weise berücksichtigt. dieser Branche, die sich vor allem im Wort-
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 121

schatz deutlich von derjenigen der Bundesre- genen und arbeitsplatzbezogenen Sprachkurse
publik unterscheidet. sollte in Zukunft weiter ausgebaut werden.
Für den Deutsch-als-Fremdsprache-Unter- Die Aus- und Weiterbildung der Fremd-
richt in der Weiterbildung konzipiert ist Wyss sprachlehrer sollte für Deutsch als Fremd-
(1997). Bovet/Künzle (1996) ist für das spezi- und Zweitsprache intensiviert und für man-
fische Hörtraining auf der Grundstufe ausge- che Schulstufen erst geschaffen werden (z. B.
legt. für die Berufsschulen und für die Sekundar-
stufe II).
5.5. Internationale Lehrwerke Ein Konzept für die Einbeziehung des Dia-
Zum Ende dieses Überblicks über die lekts besonders für den Bereich Deutsch als
Deutsch als Fremdsprache-Lehrwerksitua- Zweitsprache ist von großer Dringlichkeit.
tion in der Schweiz sollten wir noch darauf Eine zentrale Arbeitsstelle für Deutsch als
hinweisen, dass sich seit 1995 eine gewisse Zweitsprache in der Schweiz ist nötig und
Veränderung bei den kommerziellen, überre- könnte die äußerst vielfältigen Aktivitäten
gionalen Lehrwerken abzeichnet: Schweizer und Projekte koordinieren sowie z. B. einem
Autoren arbeiten mit deutschen und österrei- in der Diskussion befindlichen Anforde-
chischen Kollegen zusammen. Es ist dies so- rungsprofil für Lehrer größeres Gewicht ver-
zusagen ein dritter Schritt innerhalb einer leihen. Bisher gibt es keinen gesamtschwei-
länger andauernden Entwicklung: zerisch anerkannten Studiengang.
1. Bis weit in die achtziger Jahre gab es viele In einem mehrsprachigen Land mit vier
überregionale Lehrwerke, die von deut- ebensolchen Kantonen wird sich in den näch-
schen Autoren verfasst wurden und nur sten Jahren sicherlich der Immersionsunter-
die deutsche Wirklichkeit widerspiegelten, richt weiterentwickeln. Nach den Erfahrun-
also die anderen deutschsprachigen Län- gen im Ausland (Kanada, Luxemburg etc.)
der ignorierten (hierzu genauer Art. 126). und im Inland mit einzelnen Privatschulen,
2. Abgelöst wurde diese Situation durch die einen solchen Unterricht praktizieren, ist
Lehrwerke, die zumindest teilweise auf die in verschiedenen Kantonen auch die öffentli-
anderen deutschsprachigen Staaten ein- che Schule in Bewegung geraten. So gibt es
gingen. z. B. in den Kantonen Wallis und Bern schon
3. Seit 1995 gibt es Autorenteams aus den Projekte im Bereich Kindergarten, Primar-
verschiedenen deutschsprachigen Staaten, schule und Sekundarstufe I. Vereinzelt wird
die gemeinsam Lehrwerke konzipieren. auch auf der Sekundarstufe II experimentiert
(z. B. Kollegium St. Michael in Freiburg).
Hör- und Lesetexte aus den verschiedenen Die Zukunft sollte aber eine breite Palette
deutschsprachigen Regionen, in denen die solcher Schulen auch in anderen Kantonen
Unterschiede in Aussprache und Betonung bringen. Die Überlegungen für den zukünfti-
zum Ausdruck kommen, daneben ein Wort- gen Deutschunterricht in der Westschweiz
schatz, der die Unterschiede der Varianten ei- schliessen solche Ideen für Immersionsunter-
ner plurizentrischen Sprache ins Bewusstsein richt oder Immersionsphasen neben traditio-
bringt sowie neueste Ansätze der Fremdspra- nellem Fremdsprachenunterricht ein. Im Tes-
chendidaktik und der interkulturellen Kom- sin wird auf der Gymnasialstufe seit einem
munikation prägen diese Lehrwerke (Bei- Jahr zweisprachig Französisch/Italienisch un-
spiele für diesen Ansatz sind: Müller u. a. terrichtet. Diese Erfahrungen sollen 2001 zu
1996/98; Häublein 1995; Vorderwülbecke Versuchen mit Deutsch/Italienisch führen
1995/98). (Scuola cantonale superiore di commercio in
Bellinzona).
6. Zukunftsperspektiven Die neue Professur Deutsch als Fremd-
sprache an der Universität Freiburg berech-
Im Bereich Deutsch als Zweitsprache ist für tigt zu Hoffnungen auf einen Gymnasialleh-
die nächsten Jahre ein weiterer Einbezug der rer-Studiengang Deutsch als Fremdsprache,
Interkulturellen Pädagogik dringend erfor- zumindest für die Kantone, deren Lehreraus-
derlich (siehe Poglia u. a. 1995). bildung an dieser Hochschule stattfindet.
Es fehlen in der Schweiz, abgesehen von Ausserdem wäre ein Zusatzstudiengang zur
einigen abgeschlossenen Pilotversuchen, Pro- Weiterbildung schon im Beruf stehender Leh-
jekte zur zweisprachigen Alphabetisierung. rer wünschenswert.
Der Bereich der berufsbezogenen Kurse für Ein echter Lehrstuhl für Deutsch als
Deutsch als Zweitsprache sowie der fachbezo- Fremd-/Zweitsprache könnte diesem Fach
122 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

(ähnlich wie in Deutschland und inzwischen 1999 auf Deutsch, Französisch, Italienisch
auch in Österreich) grösseres akademisches und Englisch vor und wurde in verschiedene
Gewicht verleihen, dringend nötige For- weitere europäische Sprachen übersetzt.
schungsprojekte in diesem Bereich in der
Schweiz in Gang bringen und dem Schulun-
terricht neue Impulse geben. 7. Literatur in Auswahl
Die für 2001 geplante Erweiterung des Allemann-Ghionda, Cristina (1988): Ausländische
zweisprachigen Studienangebots und der Kinder, Jugendliche und Erwachsene im schweizeri-
zweisprachigen Abschlüsse an der Universität schen Bildungswesen. Bern.
Freiburg muss in Zusammenarbeit zwischen Ammon, Ulrich; Norbert Dittmar; Klaus J. Mat-
den einzelnen Fakultäten und dem seit dem theier (Hg.) (1988): Soziolinguistik. Ein internatio-
1. 10. 1999 existierenden Lern- und For- nales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und
schungszentrum Fremdsprachen konkreti- Gesellschaft. 2 Bde. Berlin/New York (HSK 3).
siert werden. Dabei spielt auch die Anerken- Babylonia. Zeitschrift für Sprachunterricht und
nung/Zertifizierung von während des Studi- Sprachenlernen. Comano (1991 ff.).
ums erworbenen Fremdsprachenkenntnissen Baur, Arthur (1941): Praktische Sprachlehre des
eine große Rolle. Schweizerdeutschen. 2. Aufl. Niederhasli.
Weitere überregional/international einsetz- ⫺ (1971): Grüezi mitenand. Praktische Sprachlehre
bare Lehrwerke sollten in Kooperation von des Schweizerdeutschen. 4. Aufl. Winterthur.
Fachleuten der verschiedenen deutschspra-
Bianconi, Sandro (Hg.) (1995): L’italiano in Sviz-
chigen Länder erstellt werden. Dabei sollte zera. Locarno.
weiter von den bisher üblichen Klischees über
Bickel, Hans; Robert Schläpfer (Hg.) (1994): Mehr-
die Schweiz abgerückt und die verschiedenen
sprachigkeit ⫺ eine Herausforderung. Aarau etc.
Regionen des deutschsprachigen Raumes mit (Sprachlandschaft 13).
ihren interessanten Besonderheiten in ein Ge-
samtkonzept integriert werden. Vielverspre- Birbaum, Hanspeter et al. (Hg.) (1987/89): Unter-
wegs Deutsch 7⫺9. Basis und Erweiterung. Schüler-
chend ist in dieser Hinsicht bereits die Ko- buch, Schülerheft und Lehrerhandbuch. Genf.
operation der deutschsprachigen Länder im
Bereich der Revision internationaler Deutsch Bischofsberger, Marco (1997): Suisse italienne. In:
Goebl/Nelde/Starý/Wölck (Hg.), 1870⫺1878.
als Fremdsprache-Diplome (derzeit Zertifi-
kat Deutsch/Zentrale Mittelstufenprüfung) Böschenstein, Brigitte; Jacqueline Huber; Inge
und die begonnene trinationale Zusammen- Kaus (1994): L’immersion dans les régions roman-
ches/Immersion in Romanischbünden. In: Babylo-
arbeit bei der Revision der Kontaktschwelle nia 4, 58⫺60.
Deutsch als Fremdsprache (threshold level)
und der Niveaus darunter und darüber (way- Bovet, Michelle; Beda Künzle (1996): Stereo. Das
Grundstufenhörprogramm Deutsch als Fremdspra-
stage/vantage) im Rahmen des Europarates. che ⫺ zu zweit und für Selbstlerner. München.
Die Kooperation von Fachleuten der
Schweiz mit solchen aus Deutschland und Briod, Ernest (1915): Cours élémentaire de langue
allemande. Première partie. Lausanne.
Österreich in der Lehrerweiterbildung sollte
sowohl innerhalb der Schweiz als auch im Brohy, Claudine (1996): Zweisprachige Modelle und
Ausland weiter verstärkt werden. Projekte an Schweizer Schulen. Solothurn.
Vom Europäischen Sprachenportfolio Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenos-
(ESP) (Schweizer Version), welches seit 1999 senschaft vom 29. Mai 1874 (Stand: 8. 9. 1998).
und noch bis 2001 erprobt wird, erhoffen wir Carigiet, Werner (1998): Die romanische Volks-
uns starke Impulse einerseits für die mehr- schule. In: Babylonia 3, 47⫺48.
sprachige Schweiz (vgl. EDK 1998, Spra- Clalüna, Monika (1988): Hotellerie und Gastrono-
chenkonzept Schweiz), andererseits auch für mie. Bonn.
die Realisierung eines vielsprachigen Euro- ⫺ (1993): Deutsch à la carte ⫺ Fernkurs für Gastge-
pas. Das ESP ist ein Dokument, „das dazu werbe und Hotellerie in der Schweiz. Zürich.
dient, die Kenntnisse in verschiedenen Spra- EDI [Eidgenössisches Departement des Innern]
chen sichtbar zu machen und zu dokumentie- (Hg.) (1989a): Zustand und Zukunft der viersprachi-
ren“ (EDK 1999, Informationsbroschüre, 1). gen Schweiz. Abklärungen, Vorschläge und Empfeh-
Es soll einerseits als Informationsinstrument lungen einer Arbeitsgruppe des Eidgenössischen De-
dienen (Vorzeigefunktion), andererseits ein partementes des Innern. Bern.
Arbeitsinstrument sein, das zum Sprachenler- ⫺ (1989b): Materialienband zum Schlussbericht der
nen motiviert und die Selbständigkeit der Arbeitsgruppe zur Revision von Artikel 116 der Bun-
Lernenden fördert. Das ESP liegt seit Januar desverfassung. Bern.
9. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Schweiz 123

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10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in


nichtdeutschsprachigen Ländern I: Europäische Perspektive

1. Einleitung lung Europas markiert, hat der Prozess der


2. Deutsch in Europa europäischen Einigung eine völlig neue Dy-
3. Entwicklungslinien der europäischen namik entwickelt. Die Schaffung des europä-
,Auslandsgermanistik‘
4. Germanistik und Deutsch als Fremdsprache ischen Binnenmarktes 1993, der EU-Beitritt
in einzelnen Ländern der bis dahin neutralen Länder Österreich,
5. Ausblick Schweden und Finnland 1995 und vor allem
6. Literatur in Auswahl die Einführung einer gemeinsamen Währung
in elf europäischen Ländern am 1. Januar
1. Einleitung 1999 sind Meilensteine auf dem Weg zu dem
,gemeinsamen Haus‘ Europa, das Politiker
Seit der historischen Zäsur des Jahres 1989, seit den 80er Jahren immer wieder gefordert
die das Ende der Nachkriegszeit und der Tei- haben. Auch die Länder des mittleren und
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 125

östlichen Europa, die sich seit der politischen und in der Schweiz (ca. 4 Mio.), wo es außer
Wende von 1989 in einem schwierigen politi- Deutsch auch andere Amtssprachen gibt. Re-
schen und ökonomischen Transformations- gionale Amtssprache ist Deutsch darüber
prozess befinden, werden in absehbarer Zeit hinaus im östlichen Belgien und im italieni-
zur europäischen Union gehören. Verhand- schen Südtirol (vgl. Ammon 1991, 58ff. und
lungen zum EU-Beitritt einiger mittel- und 66ff.).
osteuropäischer Reformstaaten sind im Gang, Als Muttersprache deutschsprachiger Min-
von einer Erweiterung auf bis zu 26 Länder derheiten ohne offiziellen Status spielt
ist gelegentlich die Rede. Deutsch in Ostfrankreich (Elsass-Lothringen;
Aber die Einigung Europas wird auf ca. 1,2 Mio. Sprecher), im südlichen Däne-
Dauer nur gelingen, wenn die politische und mark (Nordschleswig, ca. 20 000) und in den
ökonomische Integration mit einer geistig- ehemals deutsch besiedelten Gebieten Polens
kulturellen verbunden wird, wenn die neuen (ca. 700 000) und Tschechiens (150 000) eine
Möglichkeiten und Chancen, die das geeinte gewisse Rolle. Hinzu kommen die deutschen
Europa seinen Bürgern bietet, auch mit einer Siedlungsgebiete in Russland bzw. der ehe-
entsprechenden ,europäischen Kompetenz‘ maligen Sowjetunion, Ungarn und Rumä-
eben dieser Bürger einhergehen (vgl. Dethloff nien, die allerdings als Verbreitungsgebiete
1993, 6). Kenntnisse nicht nur des Engli- des Deutschen als Mutter- und Nationali-
schen, sondern mehrerer Fremdsprachen so- tätensprache im Zuge der Aussiedlung der
wie interkulturelle bzw. transnationale Kom- deutschstämmigen Bevölkerung an Bedeu-
munikationsfähigkeit sind wichtige Bestand- tung verloren haben.
teile einer solchen europäischen Kompetenz,
die der kulturellen und sprachlichen Vielfalt 2.2. Deutsch als Verkehrssprache
des zusammenwachsenden Europa gerecht Die vergleichsweise hohe Zahl an Mutter-
werden soll. sprachensprechern konnte dennoch den Be-
In diesem hier nur grob skizzierten politi- deutungsverlust des Deutschen als Verkehrs-
schen Rahmen ist die Entwicklung des Fa- sprache in der 2. Hälfte des 20. Jh.s nicht ver-
ches Deutsch als Fremdsprache in Europa hindern. Im 19. Jh. und bis zum 2. Weltkrieg
heute zu sehen. Die folgende Übersicht geht galt das Deutsche welt- und europaweit als
von der Bedeutung der deutschen Sprache als die Wissenschafts- und Bildungssprache. In
Muttersprache, Amtssprache und Fremd- den 20er und 30er Jahren noch war es als
sprache in Europa aus und beschreibt dann Sprache der Naturwissenschaften zumindest
allgemeine Entwicklungstendenzen des Fa- gleichrangig mit dem Englischen (vgl. Am-
ches Deutsch als Fremdsprache bzw. der Ger- mon 1991, 251ff.), und auch in den Geistes-
manistik. Den Abschluss bilden detaillierte und Sozialwissenschaften wurden deutsch-
Darstellungen der Situation in vier ausge- sprachige Publikationen auf der ganzen Welt
wählten west- bzw. osteuropäischen Ländern, anerkannt und rezipiert. Auf Grund der poli-
an denen sich aktuelle Tendenzen auf exem- tischen Dominanz Deutschlands und Öster-
plarische Weise veranschaulichen lassen. reichs im östlichen Mitteleuropa fungierte
das Deutsche zudem hier als Lingua Franca
und als Sprache der gebildeten Oberschicht.
2. Deutsch in Europa Nach 1945 ging die Bedeutung der deut-
schen Sprache als Verkehrssprache deutlich
2.1. Deutsch als Muttersprache und zurück; sie erlebte einen „Funktions- und
Amtssprache Wertewandel von einer internationalen Wis-
Unter den etwa 80 in Europa gesprochenen senschaftssprache zu einer Wirtschaftsspra-
Muttersprachen nimmt das Deutsche mit ca. che von regionaler Geltung“ (Földes 1996,
91,5 Millionen Sprechern nach dem Russi- 371). Insbesondere als Publikations-, Vor-
schen (135 Mio.) und mit deutlichem Abstand trags- und Konferenzsprache der Wissen-
vor Französisch (58 Mio.) und Englisch (55 schaft scheint das Deutsche heute gegenüber
Mio.) den zweiten Rang ein (vgl. Haarmann dem Englischen auch im deutschsprachigen
1993, 53ff.). Den Status einer Amtssprache Raum kaum noch konkurrenzfähig zu sein
auf nationaler Ebene genießt das Deutsch in (vgl. Ammon 1991, 254f.). Dies gilt vor allem
Deutschland (mit ca. 76 Mio. Sprechern), in für das westliche Europa, weniger für die ehe-
Österreich (ca. 7,6 Mio.) und im Fürstentum mals sozialistischen Länder in Mittel- und
Liechtenstein (ca. 30 000), wo Deutsch ein- Osteuropa, wo das Deutsche seine ange-
zige Amtssprache ist, sowie in Luxemburg stammte Position als Verkehrssprache und
126 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Lingua Franca nicht nur der Wissenschaft ischen Einigungsprozesses im Jahr 1958 eine
noch stärker behaupten konnte. Eine empiri- der zunächst vier, seit 1995 elf Amts- und Ar-
sche Erhebung von Ammon noch vor der po- beitssprachen der EG bzw. EU; zwar gelten
litischen Wende von 1989 deutet allerdings alle elf Amtssprachen offiziell als gleichbe-
auch hier auf einen Trend zu Ungunsten des rechtigt, faktisch kann aber von einer Gleich-
Deutschen und zu Gunsten insbesondere des berechtigung nicht die Rede sein. Eine Reihe
Englischen als Verkehrssprache hin (vgl. Am- empirischer Untersuchungen seit Anfang der
mon 1991, 126ff.). 90er Jahre (Haselhuber 1991; Gehnen 1991;
Zuverlässige empirische Daten zur Bedeu- Mohr/Schneider 1994), insbesondere eine
tung des Deutschen als Verkehrssprache in größere Erhebung von Michael Schloßma-
Europa liegen derzeit kaum vor. Unter dem cher, die im Rahmen des oben erwähnten
Titel „Deutsch in Europa“ hat ein zwischen Forschungsprojekts „Deutsch in Europa“
1991 und 1995 durchgeführtes und von der entstanden ist (Schloßmacher 1996), belegen
Deutschen Forschungsgemeinschaft geför- die eindeutige Dominanz des Französischen
dertes Projekt der Universität Duisburg an- und ⫺ seit dem EG-Beitritt Großbritanniens
hand repräsentativer Erhebungen die Ver- 1973 ⫺ des Englischen, mit einer gewissen
wendung des Deutschen (im Vergleich zu an- Tendenz zur Bevorzugung des Englischen ge-
deren Sprachen) in Kommunikationssituatio- genüber dem vor allem bei EU-Beamten
nen zwischen Sprechern verschiedener Mut- heute noch vorherrschenden Französisch.
tersprachen in Wirtschaft, Wissenschaft und Das Deutsche nimmt im Vergleich aller elf
Politik untersucht. Die Resultate dieses For- Amts- und Arbeitssprachen zwar den dritten
schungsprojekts, zur Zeit erst teilweise publi- Platz ein, spielt aber tatsächlich weder als Ar-
ziert (vgl. Ammon 1993; Glück 1992; Schloß- beitssprache bei Konferenzen noch als Ver-
macher 1996), bestätigen im Wesentlichen kehrssprache bei formellen und informellen
das oben Gesagte. So weist etwa die Untersu- Kommunikationssituationen eine nennens-
chung von Stellenanzeigen in wichtigen euro- werte Rolle.
päischen Tages- und Wochenzeitungen und Auch in dem bereits 1949 gegründeten Eu-
der darin formulierten Anforderungen an die roparat, dem mit derzeit 40 weitaus mehr eu-
Sprachkenntnisse der Bewerber auf einen si- ropäische Länder angehören als der EU und
gnifikanten Unterschied zwischen West- und in dem außer den westeuropäischen auch die
Osteuropa hin: meisten mittel- und osteuropäischen Länder
„Während in Westeuropa Englisch die vertreten sind, spielt Deutsch eine vergleichs-
überwiegend dominierende Verkehrssprache weise bescheidene Rolle. Anders als in der
des Wirtschaftslebens ist und das auch weit EU genießen im Europarat nur Englisch und
hinter Englisch zurückliegende Französisch Französisch Amtssprachenstatus. Die 1970
vor Deutsch rangiert, hat Englisch in Osteu- (zusammen mit Italienisch) erfolgte Anerken-
ropa keine so deutlich dominante Stellung. nung des Deutschen als Arbeitssprache des
Vielmehr ist Deutsch in Osteuropa neben Europarats kann über ihre faktische Zweit-
Englisch (noch?) eine durchaus gewichtige rangigkeit in dieser gesamteuropäischen In-
Verkehrssprache“ (Ammon 1993, 44). stitution nicht hinwegtäuschen (vgl. Ammon
1991a, 80).
2.3. Deutsch als Arbeitssprache in Die Gründe für die im Vergleich zu ihrer
europäischen Institutionen quantitativen und ökonomischen Bedeutung
Die Diskrepanz zwischen der quantitativ relativ schwache Stellung der deutschen
starken Präsenz des Deutschen als Mutter- Sprache als Verkehrs- und Arbeitssprache in
sprache und seiner geringen Bedeutung als Europa sind sicher vielfältig. Politische Aver-
Verkehrssprache in Europa zeigt sich auch in sionen gegenüber dem Deutschen auf Grund
den europäischen Institutionen, insbesondere der Vergangenheit (vgl. Ammon 1991a, 81)
den Institutionen der Europäischen Union. mögen noch eine Rolle spielen, sind aber, wie
Unter rein quantitativen und ökonomischen die Arbeit von Schloßmacher zeigt, empirisch
Gesichtspunkten ist Deutsch innerhalb der tatsächlich kaum nachweisbar (vgl. Schloß-
EU die weitaus gewichtigste Sprache, zumal macher 1996, 169). Wichtiger scheint dagegen
seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995. Dem das geringe Ansehen, das die deutsche Spra-
entspricht die faktische Bedeutung der deut- che bei den Deutschen selbst genießt und das
schen Sprache als Arbeitssprache in den ver- bei vielen Vertretern des Faches Deutsch als
schiedenen EU-Gremien jedoch nicht. Zwar Fremdsprache insbesondere in den Ländern
ist Deutsch schon seit Beginn des europä- Mittel- und Osteuropas auf wenig Verständ-
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 127

nis stößt (vgl. Földes 1996, 379). Der zweifel- nenden an mittel- und osteuropäischen Schu-
los wichtigste Grund für die Schwäche des len. Zwar kann sich das Deutsche in man-
Deutschen als europäische Verkehrssprache chen dieser Länder (v. a. in Ungarn) auch ge-
in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist genüber dem Englischen sogar als erste
aber die vergleichsweise geringe Verbreitung Fremdsprache behaupten, dennoch zeichnet
des Deutschen als Fremdsprache, vor allem sich auch hier eine deutliche Tendenz zu
im westlichen Teil Europas. Die Bemühungen Gunsten des Englischen ab, die aber vorläu-
der Bundesregierung, die Stellung des Deut- fig vor allem zu Lasten des Russischen und
schen in den europäischen Institutionen zu nur teilweise des Deutschen geht. Den 10
verbessern, sollten sich daher auf die Förde- Millionen Deutschlernern in dieser Region
rung deutscher Sprachkenntnisse im Rahmen stehen deutlich über 20 Millionen Englisch-
einer europäischen Fremdsprachenpolitik lernende gegenüber. Der weltweite Trend hin
konzentrieren. zum Englischen und weg von allen anderen
(Fremd-)Sprachen ist auch in Europa unge-
2.4. Deutsch als Fremdsprache und brochen und wird sich auch in Zukunft fort-
europäische Mehrsprachigkeit setzen. In einigen Ländern vor allem West-
Von den weltweit etwa 20 Millionen Men- und Nordeuropas (so in den Niederlanden, in
schen, die nach Angaben des Auswärtigen Dänemark und in Norwegen) ist Englisch
Amtes in den verschiedensten Bildungsinsti- obligatorische erste und daher auch häufig
tutionen Deutsch als Fremdsprache lernen, einzige Fremdsprache, ähnlich administrative
leben drei Viertel in Europa (vgl. Thiede- Maßnahmen zur Förderung der Englisch-
mann 1996, 24). Deutsch ist, wie Ammon kenntnisse sind auch anderswo im Gespräch,
schon 1993 festgestellt hat, „schwerpunktmä- etwa in Frankreich und einigen osteuropäi-
ßig eine europäische Schulfremdsprache“ schen Ländern.
(Ammon 1993a, 14). Die Tendenz zur Kon- Die eindeutige Dominanz des Englischen
zentration des Deutschlernens in Europa hat in einer Region, deren Eigenart gerade in ih-
sich in den vergangenen Jahren noch ver- rer sprachlichen und kulturellen Vielfalt be-
stärkt, einmal infolge des abnehmenden In- steht, hat in den vergangenen Jahren lebhafte
teresses an europäischen Sprachen außerhalb Diskussionen über eine angemessene euro-
Europas, zum andern aber auch infolge des päische Fremdsprachenpolitik ausgelöst. Da-
Deutsch-Booms in den Staaten Mittel- und bei besteht Einigkeit darin, dass dem Erler-
Osteuropas seit der politischen Wende von nen von Fremdsprachen in einem zusammen-
1989. Innerhalb der EU nimmt das Deutsche wachsenden Europa in der Zukunft eine noch
mit ca. 3 Millionen Lernenden den dritten größere Rolle zukommen wird als heute. Bei
Rang der Schulfremdsprachen ein, vor Spa- aller Unterschiedlichkeit der vorgeschlage-
nisch mit ca. 1,4 Millionen, aber doch mit nen fremdsprachenpolitischen Konzepte (vgl.
deutlichem Abstand zum Französischen (9 Bosch 1997) besteht doch auch darüber hin-
Mio.) und vor allem zum Englischen mit etwa aus weitgehend Konsens, dass nicht der Be-
30 Millionen Lernenden (Zahlen nach Am- schränkung auf eine Fremdsprache, die in
mon 1993a; 14; Zahlen für Deutsch auf diesem Fall zweifellos die europa- und welt-
Grund neuerer Angaben zu den neuen EU- weite Leitsprache Englisch wäre, sondern ei-
Mitgliedern Finnland und Schweden aktuali- ner individuellen Mehrsprachigkeit die Zu-
siert). Erweitert man die Perspektive über die kunft gehören wird. Nicht in der Konkurrenz
EU hinaus auf Gesamteuropa und bezieht zum Englischen, sondern im Kontext einer
man insbesondere die Länder Mittel- und europäischen Mehrsprachigkeit wird auch
Osteuropas ein, so stellt sich die Lage der das Deutsche seinen Platz als eine der wich-
Fremdsprache Deutsch weitaus günstiger dar. tigsten europäischen Sprachen behaupten
Rechnet man die Angaben aus einer neuen können.
Erhebung des Auswärtigen Amtes zu allen
Ländern des östlichen Europa einschließlich
der ehemaligen Sowjetunion (mit Ausnahme 3. Entwicklungslinien der
der mittelasiatischen Republiken sowie Ar- europäischen ,Auslandsgermanistik‘
meniens und Aserbaidschans, zu denen An-
gaben fehlen) und des ehemaligen Jugosla- Das Studium der deutschen Sprache, Litera-
wien (mit Ausnahme Bosniens, wozu keine tur und Landeskunde an Hochschulen außer-
Angaben vorliegen) zusammen, so ergibt sich halb des deutschsprachigen Raums steht in
eine Zahl von ca. 10 Millionen Deutschler- engem Zusammenhang mit der Präsenz der
128 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

deutschen Sprache an den Schulen der betref- nistik an Bedeutung verloren hat“ (Blamber-
fenden Länder. An Schulen werden die vor ger/Neuner (Hg.) 1996, 5).
allem sprachlichen Grundlagen gelegt, auf Die Gründe für diese Entwicklung sind si-
denen das Studium aufbauen kann; die Schu- cherlich weniger in den Bemühungen der ,in-
len bieten den Absolventen aber in der Regel terkulturellen Germanistik‘ zu suchen, die
auch am ehesten eine Berufsperspektive als Vielfalt der kulturspezifischen ,Blickwinkel‘
Deutschlehrer. Insofern gilt, dass sich nur da, auf Deutsches und die deutschsprachigen
wo der Deutschunterricht an Schulen vertre- Länder stärker zur Geltung zu bringen. Eher
ten ist, auch die Hochschulgermanistik gut schon dürfte der von Anthony Stephens aus
entwickeln kann (vgl. Ammon 1991, 456f.). australischer Perspektive beklagte Jargon
Nach dem Bericht der Bundesregierung deutschsprachiger germanistischer Publika-
zur Stellung der deutschen Sprache in der tionen (vgl. Stephens 1996) und der erstaunli-
Welt gab es zu Beginn der 80er Jahre in na- che Provinzialismus der muttersprachlichen
hezu allen europäischen Ländern (Ausnah- Germanistik eine Rolle gespielt haben, die die
men sind die Kleinstaaten Andorra, Vatikan, erforderliche Internationalisierung ihrer In-
Malta und Zypern) germanistische Studien- halte und Forschungsperspektiven bis heute
gänge (vgl. Auswärtiges Amt 1985, 62ff.). weitgehend verweigert und die darum für die
Was oben für die deutsche Sprache als internationale Germanistik als Ansprechpart-
Fremdsprache gesagt wurde, gilt entspre- nerin von immer geringerem Interesse ist. Die
chend auch für die Germanistik: Sie ist vor letztlich entscheidenden Ursachen für die be-
allem eine europäische Wissenschaft und ein schriebene Entwicklung sind aber nicht so
europäisches Studienfach. sehr in der Germanistik selbst als in den (bil-
dungs-)politischen Rahmenbedingungen zu
3.1. ,Inlandsgermanistik‘ ⫺ suchen, unter denen sich germanistisches
,Auslandsgermanistik‘ Forschen und Lehren heute in Europa be-
Die Germanistik außerhalb des deutschspra- haupten muss. Diese Bedingungen aber sind
chigen Raums orientierte sich in der Vergan- in den meist der EU angehörenden Ländern
des westlichen, südlichen und nördlichen Eu-
genheit sowohl in Bezug auf die Gegenstände
ropa gänzlich anders als in den ehemals so-
und Methoden der Forschung als auch in Be-
zialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas,
zug auf Struktur und Inhalte der Studien-
weshalb eine separate Darstellung an dieser
gänge an der muttersprachlichen Germani-
Stelle geboten scheint.
stik in den deutschsprachigen Ländern. Seit
etwa Anfang der 80er Jahre ist allerdings eine 3.2. Westeuropa
weltweite Tendenz zur Emanzipation und Die westliche Welt stand seit den frühen 80er
zur Besinnung auf die je eigenen kulturellen Jahren im Zeichen des Neoliberalismus, mit
und bildungspolitischen Rahmenbedingun- den bekannten Implikationen: Rückführung
gen germanistischen Forschens und Lehrens der Staatsquote, Sanierung der öffentlichen
zu beobachten ⫺ eine Tendenz, die ursprüng- Haushalte und zum Teil dramatischer An-
lich vor allem von den zielsprachenfernen stieg der Arbeitslosenzahlen. Dies wirkte sich
Ländern außerhalb Europas ausging, wo auf die europäischen Bildungsinstitutionen
die wissenschaftliche Beschäftigung mit unter anderem dadurch aus, dass an staatli-
europäischen Sprachen und Kulturen unter chen Schulen vielfach deutlich weniger Leh-
den Bedingungen einer postkolonialen Besin- rer eingestellt wurden als früher. Die ange-
nung auf das Eigene zunehmend fragwürdig stammte Berufsperspektive vieler ,geisteswis-
und legitimationsbedürftig wurde. Ähnliche senschaftlicher‘ und insbesondere fremdspra-
Emanzipationstendenzen sind aber längst chenphilologischer Fächer ging verloren, was
auch in der europäischen Germanistik spür- wiederum zu teilweise deutlich rückläufigen
bar, wenn auch unter gänzlich anderen Vor- Zahlen bei Neueinschreibungen für diese Fä-
aussetzungen als etwa in Afrika oder Asien. cher führte. Einige der auf Grund dieser Ent-
Ein Vergleich zwischen inner- und außerdeut- wicklungen um ihr Überleben kämpfenden
schen germanistischen Curricula, wie er bei- Deutschabteilungen der Universitäten vor
spielsweise auf der internationalen Germani- allem in West- und Nordeuropa, aber auch
stentagung des DAAD 1995 in Kassel vorge- beispielsweise in der Türkei (vgl. Balcı 1997),
nommen wurde, zeigt, dass „die innerdeut- waren zu flexiblen Reaktionen gezwungen
sche Germanistik […] als Bezugs- und Orien- und entwickelten neue, stärker berufsqualifi-
tierungsmodell für die ausländische Germa- zierende Studiengänge, mit denen sie den ge-
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 129

wandelten Arbeitsmarktbedingungen und der kanischen Master entsprechenden Grad abge-


gestiegenen Nachfrage nach unmittelbar pra- schlossen wird.
xis- und berufsrelevanten Ausbildungsinhal- Nach der relativ schnell und auf admini-
ten gerecht zu werden versuchten. Traditio- strativem Weg erfolgten formalen Änderung
nell philologische und insbesondere literatur- der gesamten Hochschullandschaft wurden
wissenschaftliche Inhalte treten in diesen an vielen Deutschabteilungen des östlichen
neuen Studiengängen gegenüber praktischen Europa und unter maßgeblicher Beteiligung
Sprach- und vor allem Fachkenntnissen aus ausländischer, d. h. vor allem deutscher Lek-
den Bereichen Wirtschaft, Recht oder Touris- toren und Gastdozenten ehrgeizige Reform-
mus, aber auch landeskundlichen Kenntnis- projekte initiiert, die der formalen Moderni-
sen in den Hintergrund. Das in den USA sierung nunmehr auch eine inhaltliche folgen
entstandene Konzept der ,German Studies‘ lassen wollten. Nicht zuletzt als Reaktion auf
mit seinen primär politik- und sozialwissen- die dramatisch veränderten Bedingungen auf
schaftlichen Inhalten gewinnt auch in Europa dem Arbeitsmarkt für Absolventen fremd-
zunehmend an Einfluss und droht die tradi- sprachlicher Fächer verfolgten diese Reform-
tionell philologischen Studiengänge auf den projekte meist das Ziel einer stärkeren Pro-
Rang von Orchideenfächern zurückzudrän- fessionalisierung der Studiengänge. Nicht
gen. Ein Germanistikstudium gänzlich ohne mehr nur die germanistische Fachsystematik
Literatur ist heute etwa an manchen Univer- sollte die Studieninhalte bestimmen, vielmehr
sitäten in Großbritannien schon Alltag, und sollten die Anforderungen der künftigen be-
diese Tendenz wird sich in den kommenden rufspraktischen Tätigkeit weitaus mehr Ge-
Jahren auch in anderen europäischen (wie wicht bekommen, als dies in den traditionel-
außereuropäischen) Ländern weiter verstär- len Studiengängen der Fall war. Neben einer
ken. Ausbildung als Dolmetscher und Übersetzer
wurden neue Curricula insbesondere für die
3.3. Mittel- und Osteuropa Ausbildung von Deutschlehrern entwickelt,
Gänzlich anders als in den westlichen Län- die die herkömmlichen philologischen Inhalte
des Studiums zumindest durch eine Auswei-
dern Europas verlief die Entwicklung der
tung und Modernisierung der fremdspra-
Germanistik in Mittel- und Osteuropa, also
chendidaktischen Anteile ergänzen wollten.
in den Ländern des ehemals sozialistischen
Die meisten der in einschlägigen Publika-
Lagers einschließlich des ehemaligen Jugosla-
tionen (vgl. z. B. Altmayer 1995; Gehrmann
wien und Albaniens (vgl. zum Folgenden Kö-
1993; Koreik 1997) beschriebenen Reform-
nig (Hg.) 1995). Nach der Eingliederung der
projekte scheinen in der Praxis wenig erfolg-
meisten dieser Länder in den sowjetischen reich zu sein. Viele Reformvorhaben scheiter-
Machtbereich in der Nachkriegszeit wurden ten an den übergeordneten Instanzen der
die Bildungsinstitutionen nach sowjetischem nunmehr gänzlich autonomen Universitäten
Vorbild umgestaltet. In der Germanistik wur- oder aber konnten aus eher pragmatischen
den fünfjährige Diplomstudiengänge einge- Gründen, z. B. Mangel an einschlägig qualifi-
führt, die, neben den bekannten ideologi- ziertem Lehrpersonal oder einfach an Geld,
schen Inhalten, traditionell philologisch ori- nicht umgesetzt werden. Ein nicht unerhebli-
entiert waren und den Absolventen aus- cher Widerstand gegen Reformen aber kam
schließlich den Weg in den Lehrerberuf eröff- und kommt auch von den Germanisten
neten, ohne dass dafür im Studium entspre- selbst, die eine so weitgehende Professionali-
chende berufsqualifizierende Lehrveranstal- sierung und Entphilologisierung ihres Fachs,
tungen vorgesehen waren. wie es viele der an westlichen Vorbildern ori-
Nach der politischen Wende 1989 bzw. entierten und die eigenkulturellen Traditio-
1991 wurde das sowjetische System der nen weitgehend vernachlässigenden Refor-
Hochschulausbildung vielfach abgeschafft men vorsahen, nicht mittragen wollten. Er-
und durch ein am angloamerikanischen Mo- folgversprechende Ansätze einer Erneuerung
dell orientiertes mehrstufiges System ersetzt. der Deutschlehrerausbildung sind daher viel-
An die Stelle des alten Diploms tritt als erster fach eher von neu gegründeten Lehrerkollegs
akademischer Grad und berufsqualifizieren- etwa in Polen zu erwarten als von einer
der Abschluss der Bachelor (nach drei oder inneren Reform der traditionellen Germani-
vier Jahren), an den sich ein ein- oder zwei- stik (vgl. Krumm 1996 und 1999).
jähriges wissenschaftliches Aufbaustudium Die herkömmliche deutsche Philologie hat
anschließen kann, das mit einem dem ameri- heute an vielen Deutschabteilungen Mittel-
130 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

und Osteuropas noch einen guten Ruf, wie der Institutionen in den verschiedenen Län-
etwa ein Blick in die seit der ,Wende‘ vom dern. Während sich beispielsweise in Frank-
DAAD betreuten germanistischen Jahrbü- reich mit seinem stark zentralistischen Bil-
cher der ungarischen (Jahrbuch der ungari- dungssystem gewisse Beharrungstendenzen
schen Germanistik), polnischen (Convivium), zeigen, haben Schulen und Universitäten in
tschechischen und slowakischen (Brücken), Großbritannien und den Niederlanden teil-
der russischen (Das Wort) oder der baltischen weise sehr flexibel auf die neuartige Heraus-
(Triangulum) Germanistik zeigt. Die histori- forderung durch zurückgehende Schüler- und
sche Sprachwissenschaft beispielsweise ist Studentenzahlen im Fach Deutsch reagiert.
hier gut vertreten, und auch die altehrwür- Ungarn schließlich steht hier stellvertretend
dige geistesgeschichtliche Literaturinterpreta- für die besonders schwierige Situation in Mit-
tion wird gepflegt. Hier scheinen auch die tel- und Osteuropa, die bei aller wachsenden
Diskussionen um eine ,interkulturelle Ger- Heterogenität der Region derzeit doch noch
manistik‘ auf fruchtbaren Boden zu fallen, zu viele Ähnlichkeiten bei der Umgestaltung
denn in einigen Ländern der Region besinnt der Bildungssysteme aufweist, als dass die de-
man sich zunehmend auf die multikulturelle taillierte Darstellung dieser Entwicklung
Tradition und auf das reichhaltige kulturelle etwa auch noch in Polen oder im Baltikum
Erbe, das die deutschsprachige Bevölkerung an dieser Stelle gerechtfertigt wäre.
etwa in der Ukraine, im Baltikum oder in
Ungarn hinterlassen hat ⫺ ein Erbe, das 4.1. Frankreich
heute vielfach als Teil der eigenen Tradition Trotz der wechselvollen Geschichte der
aufgefasst wird. Hier eröffnen sich auch einer deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jh.
philologischen und sich als ,interkulturell‘ be- spielte die deutsche Sprache im schulischen
greifenden Germanistik in ,Mitteleuropa‘ Fremdsprachenunterricht in Frankreich im-
neue und sinnvolle Perspektiven, die zu einer mer eine relativ große Rolle (vgl. Art. 155).
neuen Identitätsbildung in dieser europä- Zwar sank der Anteil deutschlernender Schü-
ischen Kernregion beitragen können (vgl. ler von 25⫺27% in den 20er und 30er Jahren
Altmayer 1995a; Grucza 1995; Vajda 1995). infolge Nationalsozialismus, Krieg und Be-
satzung bis 1945 auf nahezu Null, die rasche
und positive Entwicklung der Beziehungen
4. Germanistik und Deutsch als zwischen Westdeutschland und Frankreich
Fremdsprache in einzelnen Ländern nach dem Krieg führte aber in den 50er und
60er Jahren zu einer Neubelebung des schuli-
Den bisherigen, eher allgemein gehaltenen schen Deutschunterrichts (vgl. Martin 1987,
Ausführungen über aktuelle Entwicklungs- 28f.). Seit dieser Zeit ist der Anteil deutsch-
tendenzen des Faches Deutsch als Fremd- lernender Schüler bei ca. 15% in etwa kon-
sprache bzw. der Germanistik in Europa sol- stant geblieben. Nach Erhebungen des Aus-
len nun detaillierte Darstellungen zur Situa- wärtigen Amtes ist die absolute Zahl der
tion in vier ausgewählten europäischen Län- Deutschlernenden an französischen Schulen
dern folgen. Dabei ist die Auswahl von sogar von ca. 1 Mio. (1982/83) auf ca. 1,5
Frankreich, Großbritannien, der Niederlande Mio. (1993/94) gestiegen. Innerhalb der Eu-
sowie Ungarns einerseits dadurch begründet, ropäischen Union ist Frankreich damit das
dass das Deutsche als Fremdsprache in die- Land mit der höchsten Zahl deutschlernen-
sen Ländern von besonderer Bedeutung ist der Schüler: auch dies sicherlich ein Indiz für
und/oder auf eine längere Tradition zurück- die besondere Rolle des deutsch-französi-
blicken kann. Andererseits aber versteht sich schen Verhältnisses in Europa.
die Auswahl auch als exemplarisch, da sich Mit ca. 1,5 Mio. Lernenden ist Deutsch
gerade an diesen Beispielen die z. T. wider- nach Englisch mit ca. 5 Mio. die zweitwich-
sprüchlichen Tendenzen des Faches verdeutli- tigste Fremdsprache in Frankreich, teilt sich
chen lassen. Gemeinsam ist allen ausgewähl- diesen Rang aber mit dem Spanischen, das
ten Ländern der Anpassungsdruck, der seit ebenfalls von etwa 1,5 Mio. Schülern gelernt
1989 von den veränderten politischen und wird (mit deutlichem Übergewicht in den
ökonomischen Rahmenbedingungen auf die südwestlichen Landesteilen, wohingegen das
Bildungsinstitutionen im Allgemeinen und Deutsche gegenüber dem Spanischen im Nor-
den Fremdsprachenunterricht im Besonderen den und Osten dominiert, David 1993, 247f.).
ausgeht. Unterschiedlich, auch unterschied- Während das Deutsche als 2. Fremdsprache
lich erfolgreich, sind jedoch die Reaktionen gegenüber dem Spanischen landesweit zu-
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 131

rückgeht, kann es sich als 1. Fremdsprache fast die Hälfte (44%) davon allerdings in den
mit einem Anteil von ca. 15% (gegenüber neuen, 1976 eingeführten praxis- und berufso-
Englisch mit ca. 80%) behaupten, während rientierten LEA-Studiengängen (Langues
das Spanische als 1. Fremdsprache so gut wie Etrangères Appliquées ⫺ Angewandte Fremd-
keine Rolle spielt. Abgesehen von der spezifi- sprachen), nur etwa 56% in der traditionellen
schen Bedeutung des Deutschen als Nationa- Germanistik (Langues et Civilisations
litätensprache in Lothringen und im Elsass Etrangères-Allemand; LCE).
hat dies vor allem damit zu tun, dass Deutsch Die LEA-Studiengänge wurden in den
als besonders schwierige Sprache gilt und da- 70er Jahren als Reaktion auf die Konkurrenz
her im Rahmen des auf Elitebildung angeleg- der Elitehochschulen und auf die zuneh-
ten französischen Bildungswesens als „ver- mende Akademikerarbeitslosigkeit als berufs-
schleiertes Selektionsmittel“ (David 1993, qualifizierende Alternative zu den herkömm-
243) fungiert. lich philologischen Fremdsprachenstudien-
Diese Tendenz zur Elitebildung ist insbe- gängen eingerichtet. Die Absolventen werden
sondere im Hochschulbereich deutlich er- hier für Berufswege außerhalb von Schule
kennbar, der durch das traditionelle, noch in und Hochschule ausgebildet, etwa in Touris-
die napoleonische Zeit zurückgehende Ne- mus, Wirtschaft oder Lokalverwaltung. Zwei
beneinander von Elitehochschulen (Grandes Fremdsprachen sind obligatorisch, eine dritte
Ecoles) und Universitäten geprägt ist. Wäh- kann zusätzlich gewählt werden, wobei der
rend die Grandes Ecoles, aus denen der Füh- Unterricht eine starke fachsprachliche Kom-
rungsnachwuchs in Wirtschaft, Verwaltung ponente besitzt. Hinzu kommen Lehrveran-
und Forschungsinstitutionen des Landes re- staltungen zu fachlichen, etwa rechts-, wirt-
krutiert wird, schwere Aufnahmeprüfungen schafts- oder verwaltungswissenschaftlichen
vornehmen, die eine zweijährige Vorberei- Fragen sowie obligatorische Praktika in
tungszeit (classes préparatoires) nach dem Wirtschaft und Verwaltung, vorzugsweise in
Abitur voraussetzen, stehen die meisten Uni- den jeweiligen Zielsprachenländern. Auch die
versitäten allen offen, kennen weder Aufnah- Landeskunde (civilisation allemande) spielt
meprüfungen noch andere Auswahlkriterien eine hervorgehobene Rolle.
wie etwa einen Numerus Clausus. Dies hat Die radikale Entphilologisierung und die
zur Folge, dass die leistungsfähigsten Abitu- Anpassung an die Anforderungen des Ar-
rienten auf die Elitehochschulen streben, die beitsmarktes in den LEA-Studiengängen ist
ihren Absolventen attraktive und in der Re- nicht unumstritten, bei den Studierenden er-
gel gut bezahlte Arbeitsplätze garantieren freuen sich diese Studienangebote jedoch ei-
können, während die Universitäten unter ner wachsenden Beliebtheit. Über die tat-
Massenandrang und einem schwächeren Lei- sächlichen Chancen der LEA-Absolventen
stungsprofil ihrer Studierenden zu leiden ha- auf dem Arbeitsmarkt in- und außerhalb
ben und sich dagegen mit einer rigorosen Frankreichs liegen allerdings keine verlässli-
Auslese während des Studiums und mit at- chen Angaben vor (vgl. Schneilin 1986, 12f.;
traktiveren Studienangeboten zur Wehr set- zur Kritik vgl. Hofmann 1993, 378ff.).
zen (vgl. Ewert/Lullies 1984, 192f.; Krebs Die Ausgliederung der praxis- und berufs-
1994). orientierten LEA-Studiengänge aus den tra-
Die durchweg fach- und berufsorientierten ditionellen Fremdsprachenphilologien hat de-
Studiengänge der Grandes Ecoles sehen zwar ren Modernisierung nicht gefördert, eher sah
einen obligatorischen Anteil an Fremdspra- man sich zu einer stärkeren Absicherung und
chenunterricht vor, wobei sich das Deutsche Verfestigung traditioneller Orientierungen
auf Grund seines schon erwähnten Status’ als herausgefordert. Den Absolventen der fremd-
schwierige Sprache erstaunlich gut behaupten sprachenphilologischen Germanistik bieten
kann (vgl. Jung 1993); germanistische Studi- sich Arbeitsmöglichkeiten vor allem im Lehr-
engänge sind aber ⫺ sieht man von den leh- beruf, was allerdings neben dem universitä-
rerausbildenden Ecoles Normales Supérieures ren Abschluss (licence bzw. maı̂trise) noch
ab ⫺ in der Regel an den Universitäten ange- das Bestehen eines nationalen ,Wettbewerbs‘
siedelt. Nach einer nicht repräsentativen und (concours) voraussetzt. Frei werdende Leh-
in ihren Ergebnissen daher wohl nicht ganz rerstellen an Schulen werden ausschließlich
zuverlässigen Umfrage der DAAD-Außen- nach den Resultaten dieser Fachprüfungen
stelle Paris waren im Studienjahr 1997/98 an (CAPES ⫺ Certificat d’Aptitude Profession-
40 Universitäten mit germanistischem Ange- nelle au Professorat de l’Enseignement du Se-
bot etwa 16 000 Studierende eingeschrieben, cond degré bzw. Agrégation) vergeben, was
132 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

zur Folge hat, dass sich die Programme der tiges Amt 1985, 62). Legt man die Zahl der
Lehramtsstudiengänge weitgehend an den Abschlussprüfungen (General Certificate of
Programmen der ,concours‘ orientieren. In Education ⫺ Ordinary Level: GCEO) des bri-
der Germanistik ist vor allem aus diesem tischen Sekundarschulwesens in den einzel-
Grund eine deutliche Dominanz der Litera- nen Fächern als Indikator zu Grunde, lässt
tur gegenüber anderen Teilbereichen des Fa- sich allerdings eine etwas freundlichere Ent-
ches wie der Linguistik oder der Landes- wicklung ablesen. So stieg die Zahl der
kunde zu verzeichnen. Hinzu kommt, dass GCEO-Prüfungen im Fach Deutsch von 1951
Literatur auf eher traditionelle Weise vermit- (dem Jahr der Einführung des GCEO) bis zu
telt wird, meist in Form von Vorlesungen Beginn der 80er Jahre mehr oder weniger
oder travaux dirigés, und dass der Kanon vor kontinuierlich von etwa 10 000 auf 53 000 an.
allem Texte vom späten 18. bis zum frühen Dieser deutliche Zuwachs wird in seiner Be-
20. Jh. vorsieht, die zeitgenössische Literatur deutung etwas relativiert durch den gleichzei-
dagegen eher unterrepräsentiert ist (Schneilin tigen Anstieg der Prüfungen in Fremdspra-
1986, 14; Zeyringer 1991). Pädagogische oder chen generell (von ca. 120 000 1951 auf ca.
(fremdsprachen-)didaktische Anteile kennt 265 000 1980), dennoch ist ein proportionaler
das Germanistikstudium an französischen Zugewinn des Deutschen in dieser Zeit un-
Universitäten schließlich so gut wie gar nicht. verkennbar. Im Vergleich aller an britischen
Seit Mitte der 80er Jahre kam es zu anhal- ,secondary schools‘ unterrichteten Fremd-
tenden Diskussionen über die nachlassende sprachen einschließlich der alten Sprachen
Qualität des Schulunterrichts, was das fran- hat Deutsch seit den 70er Jahren dem konti-
zösische Erziehungsministerium schließlich nuierlich zurückgehenden Lateinischen den
zu einer Reform der Lehrerausbildung ver- zweiten Platz abgenommen und diesen auch
anlasste. Landesweit wurden zu Beginn der gegenüber dem Spanischen klar behauptet.
90er Jahre 26 sogenannte IUFM (Instituts Zwar ist die Dominanz des Französischen
Universitaires de Formation des Maı̂tres ⫺ (mit ca. 166 000 GCEO-Prüfungen 1980)
Universitätsinstitute für Lehrerbildung) ge- nach wie vor ungebrochen; das Verhältnis hat
gründet, die die angehenden Lehrer nach sich jedoch von etwa 1 : 8 zu Beginn der 50er
bestandenem CAPES in einer einjährigen zu etwa 1: 3,5 zu Beginn der 80er Jahre zu
Praxisphase auf ihre Berufstätigkeit vorbe- Gunsten des Deutschen verschoben (Zahlen
reiten. Außerdem wurde eine berufsbezo- nach Ortmanns 1993, 167f.). Diese Tendenz
gene Teilprüfung (épreuve sur dossier) in das ist noch deutlicher erkennbar, wenn man die
Programm zur Erlangung des CAPES auf- Zahlen der Oberstufenprüfung (General Cer-
genommen (vgl. Ott 1994). tificate of Education ⫺ Advanced Level:
GCEA) zu Grunde legt, die in der Regel als
4.2. Großbritannien Voraussetzung für ein Studium des entspre-
Seit der Einführung moderner Fremdspra- chenden Faches gilt. Auch hier ist ein Anstieg
chen in den Unterricht britischer secondary von ca. 2000 im Jahr 1951 auf etwa 9000 im
schools zu Beginn des 20. Jh.s führt die deut- Jahr 1983 zu verzeichnen; der Anteil der A-
sche Sprache hier eher ein Schattendasein Level-Prüfungen in Deutsch an den Prüfun-
(vgl. Art. 149). Dies hat seine Ursache nicht gen in allen Fremdsprachen ist im gleichen
nur darin, dass sich Schüler im Mutterland Zeitraum um ca. 120% gestiegen, während
der Weltsprache Englisch prinzipiell für der Anteil der Französisch-Prüfungen mit
Fremdsprachenkenntnisse weniger begeistern etwa 14% nur geringfügig gewachsen ist ⫺
lassen als anderswo, sondern vor allem in der beides im Übrigen zu Ungunsten des Lateini-
traditionellen und bis heute ungebrochenen schen, dessen Anteil um 78% gesunken ist
Dominanz des Französischen als erster und (Zahlen nach Ortmanns 1993, 173f.).
vielfach einziger Fremdsprache. Nach einer In der Mitte der 80er Jahre weisen alle sta-
Statistik des britischen Erziehungsministeri- tistischen Angaben einen deutlichen Abwärts-
ums lernten in den achtziger Jahren nur ca. trend aus, der sich aber nicht allein auf
5% der britischen Schüler Deutsch (gegen Deutsch, sondern auf das Interesse an
87% Französisch) (vgl. Sandford 1986, 4), Fremdsprachen überhaupt bezieht. Mit Be-
nach dem Bericht der Bundesregierung zur ginn der 90er Jahre lässt sich jedoch an allen
Stellung der deutschen Sprache in der Welt britischen Bildungsinstitutionen ein neu er-
waren es 1982/83 sogar nur 2%, was besagt, wachtes Interesse zumindest am Deutschen
dass etwa 88 000 Schüler an britischen Se- verzeichnen; inwieweit es sich dabei um ein
kundarschulen Deutsch lernten (vgl. Auswär- auf die Fremdsprache Deutsch beschränktes
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 133

Phänomen handelt, ist anhand der zugängli- Zahl der Studierenden weist wieder steigende
chen Daten nicht zu erkennen. So weist die Tendenz auf, und eine Reihe von Stellen auf
neue Erhebung der Bundesregierung zur Si- Professoren- und ,Lecturer‘-Ebene konnten
tuation der deutschen Sprache in der Welt für zwischenzeitlich neu eingerichtet und besetzt
1993/94 eine Zahl von 126 400 Deutschler- werden. Allerdings ist die britische Germani-
nenden an britischen Sekundarschulen (ge- stik aus der Krise der 80er nicht unverändert
genüber 88 000 1982/83) aus. Auch die Zahl hervorgegangen. Die politisch durchgesetzte
der Deutschstudierenden an britischen Hoch- Koppelung der Finanzierung der Universitä-
schulen, die in den 80er Jahren gegen Null ten und Colleges an die Zahl der Studieren-
tendierte und eine erhebliche Legitimations- den und die Qualität der Forschung hat einen
krise der britischen Germanistik verursachte, heilsamen Anpassungsdruck hervorgebracht,
steigt in der Zwischenzeit landesweit wieder der in der Germanistik zu einer stärkeren Be-
deutlich an (vgl. Kolinsky 1994, 26ff.). Die rücksichtigung der Interessen der Studieren-
nahe liegende Frage, ob es sich bei dieser klei- den und des Arbeitsmarktes führte. Zwar las-
nen Aufwärtsentwicklung des Schul- und sen sich auf Grund der weitgehenden Selbst-
Studienfaches Deutsch um eine kurzfristige ständigkeit der einzelnen Universitäten und
und vorübergehende Reaktion auf die politi- ihrer German Departments kaum allgemein
sche Entwicklung der Jahre 1989/90 handelt gültige Aussagen über die sehr heterogenen
oder um einen tiefer motivierten Wandel des Studiengänge machen. Dennoch ist eine deut-
Ansehens von Fremdsprachen im Allge- liche Entwicklung weg von den traditionel-
meinen und der Fremdsprache Deutsch im len philologischen Inhalten und hin zu den
Besonderen, kann zur Zeit nicht beantwortet neuen combined studies, der Verbindung des
werden. Immerhin aber stellt das gestiegene Deutschstudiums mit vor allem sozialwissen-
Interesse am Deutschen bei Schülern und schaftlichen Fachstudien, überall erkennbar.
Studenten einen höchst aufschlussreichen Eine herausragende Rolle bei dieser Entwick-
Gegensatz zu dem von Teilen der politischen lung spielen die neuen praxis- und berufs-
Führungselite und der Medien im Jahr 1990 orientierten German Area Studies oder ein-
kolportierten Bild vom hässlichen und be- fach German Studies, Studiengänge also, bei
drohlichen Deutschen dar (zum Deutsch- denen die literarisch-philologische Kompo-
landbild in Großbritannien vgl. Kettenacker nente einerseits zu Gunsten einer Aufwertung
1991; zum Deutschlandbild insbesondere bri- des Sprachunterrichts und andererseits zu
tischer Studierender vgl. Hortmann 1993). Gunsten im weitesten Sinne landeskund-
Eine vergleichbare Entwicklung wie der licher, d. h. etwa politik-, rechts- oder wirt-
Deutschunterricht an Schulen nahmen in den schaftswissenschaftlicher Inhalte zurückge-
80er Jahren auch die germanistischen Studi- drängt wurde. Zwar stößt die Entwicklung zu
engänge an britischen Universitäten: Nach ei- einer „literaturlosen Germanistik“ (Sandford
ner Phase der Expansion in den 70er Jahren 1986, 3) nicht überall auf Zustimmung; auch
geriet die Germanistik seit etwa 1980 in eine sind gewisse Defizite insbesondere im For-
Krise, die vor allem durch zwei Faktoren be- schungsprofil des neuen multidisziplinären
dingt war. Zum einen führte die Deregulie- Faches ,German Studies‘ unübersehbar (vgl.
rungspolitik der konservativen Regierung zu Reeves 1990; 1992). Dennoch spricht vieles
empfindlichen Haushaltskürzungen im uni- dafür, dass nicht der traditionellen philologi-
versitären Bereich; Einsparungen von bis zu schen Ausrichtung der Germanistik, sondern
40% des Etats innerhalb eines Jahres waren den weitgehend entphilologisierten ,German
bei manchen Universitäten zu verkraften, Studies‘ die Zukunft an britischen Universi-
was insbesondere zu Lasten der geisteswis- täten ⫺ und nicht nur dort ⫺ gehören wird.
senschaftlichen Fächer ging. In der Germani-
stik ist in dieser Zeit ein Stellenverlust beim 4.3. Niederlande
Lehrpersonal von landesweit etwa 30% zu Als relativ kleines Land mit intensiven Kon-
verzeichnen (vgl. Durrell 1992, 27). Zum an- takten zu den Nachbarn in Wirtschaft, Han-
dern ging die Zahl der Studierenden des Fa- del und Tourismus sind die Niederlande in
ches zur gleichen Zeit so drastisch zurück, noch höherem Maße auf die Ausbildung von
dass an einigen Abteilungen zeitweise über- Fremdsprachenkenntnissen angewiesen als
haupt keine Neuaufnahmen zu registrieren die großen EU-Länder wie Deutschland,
waren (vgl. Kolinsky 1994, 26). Frankreich oder Großbritannien (vgl. Art.
Beide Entwicklungen haben sich seit An- 153). Der objektive ,Bedarf‘, insbesondere an
fang der 90er Jahre wieder umgekehrt, die Deutschkenntnissen in Wirtschaft und Ver-
134 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

waltung, spiegelt sich allerdings in der schuli- zu bestätigen. Allerdings zeigt die oben er-
schen Situation nicht immer angemessen wähnte Erhebung von 1997, dass einige Er-
wider. Die Bedeutung der Fremdsprache gebnisse des seinerzeit auch in Deutschland
Deutsch in den Niederlanden ist rückläufig, viel diskutierten Clingendael-Berichts doch
allerdings nimmt sie hier nach wie vor unge- deutlich relativiert werden müssen. Weit über
fährdet den 2. Rang nach Englisch und deut- 60% der niederländischen Schüler haben
lich vor Französisch ein. Andere Fremdspra- demnach kein negatives, sondern ein neutra-
chen spielen in den Niederlanden praktisch les oder positives Bild vom Nachbarn im
keine Rolle. Als Indikator für die Popularität Osten (vgl. Schalkwijk 1998, 7).
von Deutsch gelten in den Niederlanden Die sich bereits in den 80er Jahren deut-
heute die Zahlen der Schüler weiterführender lich abzeichnende negative Entwicklung der
Schulen, die Deutsch neben den Pflichtfä- Fremdsprache Deutsch hat in den Niederlan-
chern Niederländisch und Englisch und ⫺ je den zur Gründung zweier Stiftungen (Stich-
nach Schulform ⫺ 2⫺4 weiteren Fächern in ting ter bevordering van de duitse taal in Ne-
ihr ,Examenspaket‘ aufnehmen (vgl. Beers- derland ⫺ Stiftung zur Förderung der deut-
mans 1987, 39). Nach einer von der Stichting schen Sprache in den Niederlanden; Stichting
Platform Duitsland durchgeführten repräsen- Duitslandstudies ⫺ Stiftung Deutschlandstu-
tativen Erhebung haben sich 1997 in den drei dien) geführt, die sich die Förderung der
Schulformen des allgemeinbildenden Sekun- deutschen Sprache und des Wissens über
darbereichs (mavo, havo, vwo) zwischen 37 Deutschland in den Niederlanden zum Ziel
und 40% für Deutsch und 20⫺34% für Fran- gesetzt haben. Beide Stiftungen, die sich 1997
zösisch entschieden. Im Schuljahr 1973/74 zur Stichting Platform Duitsland zusammen-
hatten die Zahlen für alle drei Schulformen schlossen, versuchen über die direkte politi-
zusammen noch bei 65% gelegen und sind bis sche Beeinflussung, über öffentlichkeitswirk-
1982/83 auf 57% zurückgegangen. Der nega- same Aktivitäten oder auch durch die Ent-
tive Trend setzte sich in den 80er und 90er wicklung didaktischer Materialien Einfluss
Jahren fort: in der mavo (etwa vergleichbar auf die niederländische Sprachenpolitik zu
mit der deutschen Hauptschule) von 55% nehmen.
1989 auf 49% 1997, in der havo (Realschule) Das Studienfach Deutsch bzw. Germani-
von 45 auf 37 und in der vwo (Gymnasium) stik gibt es an niederländischen Universitäten
von 46 auf 43% im gleichen Zeitraum. Ledig- seit der 2. Hälfte des 19. Jh.s, als erstmals ein
lich in der Ende der 80er Jahre eingeführten germanistischer Lehrstuhl an der Universität
neuen weiterbildenden Berufsschule vbo war Groningen eingerichtet wurde. Erst seit den
die Tendenz gleichbleibend, allerdings mit 20er Jahren ist die Germanistik ein voll aner-
19% auf eher bescheidenem Niveau (Zahlen kanntes Universitätsstudium mit allen aka-
nach: Schalkwijk 1998, 9ff.). demischen Abschlussmöglichkeiten. Dabei
Die Ursachen für das abnehmende Inter- werden an den Universitäten traditioneller
esse am Deutschen und an allen Fremdspra- Weise Deutschlehrer für die höheren Klassen
chen außer dem Englischen dürften nicht zu- (Sekundarstufe II) ausgebildet, daneben gibt
letzt auf bildungsadministrative Maßnahmen, es eine nicht-akademische Ausbildung für
vor allem auf die Abschaffung des Pflicht- Deutschlehrer der unteren Klassen, die von
fachcharakters der drei modernen Fremd- Fachhochschulen durchgeführt wird (vgl.
sprachen im Zuge der Bildungsreform von Schönau 1992, 466f.).
1968, zurückzuführen sein. Die Beschrän- Das Germanistikstudium an den sechs nie-
kung auf nur noch eine Fremdsprache im derländischen Universitäten ist bisher eher
Pflichtfachkatalog führt in der Regel zu einer traditionell philologisch ausgerichtet. Einer
weiteren Bevorzugung des Englischen ⫺ eine einjährigen ,propädeuse‘ mit sprachprakti-
Entwicklung, die zu der Politik der Mehr- schem Schwerpunkt schließt sich die dreijäh-
sprachigkeit in Europa in einem eklatanten rige ,doctoralfase‘ an, in der sprach- und lite-
Widerspruch steht. Welche Rolle die Spezifik raturwissenschaftliche sowie landeskundliche
des Deutschlandbildes für das schwindende Lehrveranstaltungen absolviert werden. Auch
Interesse an der Fremdsprache Deutsch spielt, in dieser zweiten Studienphase findet noch
lässt sich kaum empirisch belegen. Eine Un- Sprachunterricht statt, der die Studierenden
tersuchung von 1993 (der sog. ,Clingendael- zu einem ,near native‘-Niveau führen soll.
Bericht‘) schien zunächst die schlimmsten Die eigentliche Lehrerausbildung schließt
Befürchtungen über das negative Deutsch- sich in Form eines einjährigen Zusatzstudi-
landbild unter niederländischen Jugendlichen ums mit allgemein pädagogischen und fach-
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 135

didaktischen Inhalten an das philologische mehr die vorrangige Aufgabe des Studiums
Fachstudium an. fremdsprachenphilologischer Disziplinen zu
Ganz anders, nämlich von vornherein be- sein. An ihre Stelle treten ,verwertbare‘
rufs- und praxisorientiert, verläuft das Stu- Kenntnisse und Fertigkeiten wie etwa spezifi-
dium an den pädagogischen Fachhochschu- sche Fremdsprachenkenntnisse oder auch
len. Auch hier dauert das Studium vier Jahre; kulturelles Wissen. Man mag dies bedauern
es wird bisher nur ein Fach studiert, was aber (vgl. Bormann 1995), aufhalten wird man es
demnächst zu Gunsten eines zweiten Unter- nicht.
richtsfachs geändert werden soll. Die Inhalte
des Studiums, also etwa Sprachwissenschaft, 4.4. Ungarn
Literatur und Landeskunde, sind stark di- Das Deutsche hat als Fremdsprache, Ver-
daktisch orientiert und zudem eng mit dem kehrssprache und Nationalitätensprache in
eigentlichen Sprachunterricht verzahnt. Ungarn eine lange Tradition. Bedingt vor
Aufgrund demographischer Entwicklun- allem durch eine offensive Sprachenpolitik
gen wurden in den Niederlanden seit etwa der habsburgischen Doppelmonarchie im 18.
Mitte der 70er Jahre kaum noch Lehrer in und 19. Jh. konnte sich das Deutsche hier als
den Schuldienst eingestellt; es kam zu einer Staatssprache und als Verkehrs- und Publika-
nicht unerheblichen Arbeitslosigkeit unter tionssprache der Gebildeten und Intellektuel-
den Absolventen der Lehramtsfächer. Die da- len etablieren (vgl. auch Art. 160). Die Min-
durch fehlende Berufsperspektive wirkte sich derheit der Ungarndeutschen war um die
auf die Zahlen der Studierenden dieser Fä- Wende zum 20. Jh. mit ca. 2 Millionen Men-
cher negativ aus, nicht zuletzt die Deutsch- schen (nach Bassola 1995, 224) die nicht nur
Studiengänge an den Universitäten und Fach- zahlenmäßig bedeutendste Minderheiten-
hochschulen waren dadurch zum Teil in ihrer gruppe des Landes. An den ungarischen
Existenz bedroht. Zwar wurde bisher noch Schulen war Deutsch die bei weitem wichtig-
keine germanistische Abteilung an einer ste (lebende) Fremdsprache (vgl. Földes 1993,
der Universitäten geschlossen, überall aber 218f.). Diese Situation änderte sich drama-
wurde, bedingt nicht zuletzt durch die Kop- tisch durch den politischen Systemwandel in
pelung der Hochschulfinanzierung an die Ungarn nach 1945. Die deutschsprachige
Zahl der Studierenden, drastisch gekürzt, vor Minderheit wurde weitgehend vertrieben
allem beim Personal. Die Deutsch-Abteilun- oder hat in den Folgejahren das Land verlas-
gen waren zur Anpassung an die veränderten sen, ihre Zahl wird heute allgemein mit nur
Bedingungen, d. h. zur Schaffung neuer at- noch ca. 220 000 Menschen angegeben (Bas-
traktiver und (arbeits-)marktorientierter Stu- sola 1995, 225). In den nach sowjetischem
dienangebote, gezwungen. So wurde zum ei- Muster umgestalteten Bildungsinstitutionen
nen das Sprachlehrangebot auf unterschiedli- wurde Russisch als Pflichtfremdsprache ein-
chen Niveaus und mit unterschiedlichen Ziel- geführt, lediglich an den vierklassigen Gym-
setzungen stark ausgeweitet. Zum andern nasien und an den Hochschulen bestand die
wurden Studiengänge wie Europäische Stu- Möglichkeit, neben dem obligatorischen Rus-
dien oder Deutschlandstudien geschaffen, die sisch eine weitere Fremdsprache zu lernen,
zu den herkömmlichen philologischen Fä- und hier spielte dann auch das Deutsche ne-
chern in Konkurrenz traten. In den 80er und ben dem Englischen und anderen westlichen
90er Jahren wurden an drei Universitäten Sprachen noch eine gewisse Rolle.
(Amsterdam, Groningen, Nijmegen) interdis- Die ideologisch motivierte und an den tat-
ziplinäre Forschungszentren für Deutsch- sächlichen Bedürfnissen eines sprachlich von
landstudien eingerichtet, die im Wesentlichen seiner Umgebung weitgehend isolierten Lan-
sozial- und wirtschaftswissenschaftlich oder des völlig vorbeigehende Fremdsprachenpoli-
historisch ausgerichtet sind und bei denen die tik führte zu geradezu katastrophalen Ergeb-
herkömmliche Germanistik allenfalls eine nissen. Nach einer Ende der 80er Jahre er-
Nebenrolle spielt. Es zeichnet sich in den Nie- stellten Statistik verfügten zu dieser Zeit nur
derlanden eine Tendenz ab, wie sie auch 4,6% der Ungarn über Fremdsprachenkennt-
schon in Frankreich und besonders in Groß- nisse ⫺ eine Zahl, mit der Ungarn vor Alba-
britannien beobachtet wurde. Die klassischen nien den zweitletzten Platz in Europa ein-
philologischen Inhalte des Germanistikstudi- nimmt (vgl. Manherz u. a. 1998, 4). Schon
ums, vor allem die Literaturwissenschaft, ver- vor der politischen Wende von 1989 sah man
lieren zunehmend an Kredit. Die traditionelle sich daher zu einschneidenden Maßnahmen
sprachlich-literarische Bildung scheint nicht in der Bildungspolitik gezwungen. 1989
136 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

wurde Russisch als Pflichtfremdsprache abge- geregelten Minderheitenschutz, der sich unter
schafft, mit der Folge, dass das Interesse am anderem in der Bereitstellung national-
Russischen innerhalb weniger Jahre auf na- sprachlicher staatlicher Bildungseinrichtun-
hezu Null zurückgegangen ist, während gen auswirkt (vgl. Szende 1990 und 1990a).
gleichzeitig die Nachfrage nach Unterricht in So standen der ungarndeutschen Minderheit
den westlichen Sprachen, und hier fast aus- im Schuljahr 1990/91 170 deutsche Kinder-
schließlich Englisch und Deutsch, enorm ge- gärten, 190 Grundschulen für die Klassenstu-
stiegen ist. Nach Angaben des ungarischen fen 1⫺8 und vier Gymnasien zur Verfügung,
Bildungsministeriums von 1997 ist die Zahl wo zweisprachig unterrichtet wird (vgl. Föl-
der Deutsch lernenden Schüler aller Schulty- des 1992a, 260ff.). In der Praxis des nationa-
pen von Primarstufe bis Sekundarstufe II von litätensprachlichen Unterrichts zeigen sich je-
etwa 300 000 im Schuljahr 1990/91 auf doch zunehmend Probleme. Zum einen näm-
560 000 im Schuljahr 1996/97 gestiegen, seit lich verfügt ein immer kleiner werdender Teil
1994 allerdings mit stagnierender Tendenz. der deutschen Minderheit überhaupt noch
Gleichzeitig ist die Zahl der Englischlerner über deutsche Sprachkenntnisse (nach Bas-
von 270 000 auf 537 000 gestiegen, mit konti- sola 1995, 241 sind es derzeit nur noch 15%),
nuierlich steigender Tendenz (Zahlen nach was zur Folge hat, dass der ,muttersprach-
Manherz u. a. 1998, 14). Vergleicht man je- liche‘ Unterricht tatsächlich eher Fremdspra-
doch die Zahlen für Deutsch und Englisch chenunterricht ist und von einer wirklichen
nach ihrer Verteilung auf die verschiedenen Zweisprachigkeit nicht die Rede sein kann.
Schulformen (achtklassige Grundschule, Zum andern aber entspricht die Ausbildung
Fachmittelschule, Gymnasium) und nach ih- der in den Bildungseinrichtungen der deut-
rer regionalen Verteilung (städtische vs. länd- schen Minderheit Tätigen derzeit kaum den
liche Regionen), so zeigt sich ein signifikanter Anforderungen, die an einen bilingualen Un-
Unterschied in der sozialen Funktion der bei- terricht zu stellen wären. Neue, auf das spezi-
den Schulfremdsprachen: Während Deutsch fische Tätigkeitsprofil zugeschnittene Ausbil-
eher in kleineren Orten und in der Grund- dungsmodelle sind hier erst seit kurzer Zeit in
und Fachmittelschule dominiert, wird Eng- der Diskussion (vgl. Földes 1992b und 1994).
lisch vor allem in größeren Städten und am Auch im frendsprachlichen Deutschunter-
Gymnasium sowie an Hochschulen gewählt. richt an schulischen und außerschulischen
Englisch gilt in akademischen Kreisen als Bil- Bildungsinstitutionen stellt der Mangel an
dungssprache, die Modernität symbolisiert, qualifizierten Lehrkräften für westliche
und wird vorwiegend aus Prestigegründen ge- Fremdsprachen das zur Zeit drängendste
wählt, wohingegen Deutsch eher aus pragma- Problem dar. Das seit 1989 schnell wach-
tischen Gründen der Berufsorientierung ge- sende Interesse an Deutsch- und Englischun-
lernt wird. Die geographische Nähe und die terricht konnte von den relativ wenigen Leh-
politische und vor allem wirtschaftliche Be- rern für diese bis dahin eher unterrepräsen-
deutung des deutschsprachigen Raums für tierten Fächer nicht befriedigt werden. Hinzu
Ungarn wirkt sich hier in besonderer Weise kam, dass sich durch die Öffnung der ungari-
aus: 40% des ungarischen Außenhandels und schen Wirtschaft nach Westen und die An-
70% des Tourismus werden mit den deutsch- siedlung vieler westlicher Unternehmen für
sprachigen Ländern realisiert, deutschspra- Fachkräfte mit guten Kenntnissen in Deutsch
chige Presse und deutschsprachiges Fernse- und/oder Englisch attraktive und gut be-
hen sind in Ungarn problemlos erreichbar, zahlte Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des
was den unmittelbaren Praxisbezug der deut- Bildungsbereichs boten, was den vorhande-
schen Sprache noch verstärkt (Földes 1992, nen Mangel an Fremdsprachenlehrkräften an
32f.; Paul 1996, 111f.). Schulen und Hochschulen noch weiter ver-
Eine spezifische Bedeutung kommt dem schlimmerte. Um diesem Mangel wenigstens
Deutschen in Ungarn auch heute noch als teilweise zu begegnen, wurden seit 1990 ca.
Sprache der deutschen Minderheit bzw., nach 1000 der infolge der Abschaffung des Pflicht-
ungarischem Sprachgebrauch, der deutschen unterrichts in Russisch von Arbeitslosigkeit
,Nationalität‘ im Lande zu. Zwar macht die bedrohten Russischlehrer in nebenberufli-
deutsche Minderheit mit ihren ca. 220 000 chen Kontaktstudiengängen zu Deutschleh-
Angehörigen heute nur noch etwa 2% der Be- rern umgeschult (vgl. Bassola 1995, 237f.).
völkerung aus, dennoch genießt sie wie die Auch im Rahmen der Hochschulgermanistik
anderen nationalen Minderheiten der Rumä- wurden Reformen auf den Weg gebracht, die
nen, Slowaken und Kroaten einen gesetzlich den veränderten Bedingungen des schuli-
10. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache I: Europäische Perspektive 137

schen Deutschunterrichts nicht nur quantita- aus Kostengründen auf ein Semester redu-
tiv, sondern auch qualitativ gerecht zu wer- ziert), und auch die eher traditionellen In-
den versuchen. halte des Studiums wie Literatur und Lingui-
Die Germanistik in Ungarn kann auf eine stik werden nicht nach fachsystematischen,
bis ins 18. Jh. reichende Tradition zurückblik- sondern berufspraktischen Gesichtspunkten
ken. Schon 1874 wurde in Budapest auf aus- unterrichtet (vgl. Zalán-Szablyár 1994; Pet-
drücklichen Wunsch von Kaiser Joseph II. neki/Zalán-Szablyár 1993). Die sich hier ab-
der erste Lehrstuhl für Deutsch mit dem Ziel zeichnende sinnvolle Neuentwicklung scheint
eingerichtet, zu einer besseren Verbreitung aber in allerjüngster Zeit von gewissen Ten-
der deutschen Sprache in Ungarn beizutra- denzen einer Rephilologisierung bedroht:
gen. Aber erst Ende des 19. Jh.s konnte die Das ursprünglich eigenständige Institut für
Germanistik in Budapest und an den Univer- Deutsch als Fremdsprache wurde 1992 in das
sitäten in Pécs (Fünfkichen), Debrecen und Institut für Germanistik an der ELTE inte-
Szeged sich von politischen Abhängigkeiten griert und hat damit seine Selbständigkeit
befreien und ein eigenes wissenschaftliches eingebüßt. Es gibt weniger spezifische Lehr-
Profil entwickeln. Die politische Entwicklung veranstaltungen für die Studierenden der
nach 1945 hatte für die ungarische Germa- dreijährigem Deutschlehrerausbildung, so
nistik dramatische Folgen: 1949 wurde sie als dass die bisher deutlichen inhaltlichen Unter-
Fachrichtung an allen Universitäten abge- schiede zwischen philologischem und berufs-
schafft, erst im Zuge der Entstalinisierung orientiertem Studiengang zunehmend un-
nach 1953 bzw. 1956 wurden wieder neue ger- kenntlich werden. Auch Versuche einer stär-
manistische Lehrstühle aufgebaut, wobei keren Verzahnung beider Studiengänge tra-
Forschung und Lehre von ideologischen gen dazu bei, dass möglicherweise der Unter-
Zwängen bestimmt waren. Mit dem enorm schied zwischen beiden bald nicht mehr qua-
gestiegenen Interesse an Deutschunterricht in litativ, sondern quantitativ sein, das fünfjäh-
den Schulen erlebte auch die Hochschulger- rige Philologiestudium auf Grund seiner
manistik in Ungarn nach 1989 eine Zeit der längeren Dauer aber ein größeres Ansehen
Expansion und der strukturellen Veränderun- genießen wird (vgl. Orosz 1994, 38).
gen. 1992 wurde an der Universität Budapest
ein Germanistisches Institut gegründet, das
die bis dahin auf verschiedene Lehrstühle 5. Ausblick
verteilten germanistischen Kompetenzen un-
ter einem Dach zu bündeln versucht (vgl. Die Perspektiven des Faches Deutsch als
Mádl 1995; Bernáth 1995). Fremdsprache in Europa haben sich mit den
Wie in anderen sozialistischen Ländern veränderten politischen, gesellschaftlichen
gab es auch in der ungarischen Germanistik und ökonomischen Rahmenbedingungen seit
bis 1989 ausschließlich fünfjährige Ein-Fach- 1989 zum Teil erheblich gewandelt. Die Do-
Studiengänge mit traditionell philologischer minanz der Weltsprache Englisch als erster
Ausrichtung, die in der Regel für eine Lehrtä- und wichtigster Fremdsprache ist auch in Eu-
tigkeit in der Schule qualifizierten. Diese Stu- ropa ungebrochen und unumkehrbar. Auch
diengänge wurden nach 1989 von ideologi- wenn das Deutsche sich in einigen Ländern
schen Inhalten befreit und teilweise leicht Mittel- und Osteuropas derzeit noch auf glei-
modernisiert, ansonsten aber beibehalten. Als chem Rang behaupten kann, wird sich in ab-
Alternative dazu wird beispielsweise an der sehbarer Zeit auch hier das Englische weiter
Eötvös Lorand Universität Budapest (ELTE) durchsetzen. Gleichwohl sind die Chancen
seit 1990 ein dreijähriger Studiengang zur für Deutsch als zweite Fremdsprache keines-
Ausbildung von Deutschlehrern angeboten, wegs schlecht. Zwar geht in einigen, vor
der von einem eigens zu diesem Zweck ge- allem west- und nordeuropäischen Ländern
gründeten Institut für Deutsch als Fremd- die Nachfrage nach Deutsch zurück, gleich-
sprache entwickelt wurde und der ⫺ im Ge- zeitig steigt sie aber im südlichen (z. B. in
gensatz zum fünfjährigen Studiengang ⫺ Spanien und Griechenland auf allerdings
nicht philologisch, sondern berufspraktisch niedrigem Niveau), vor allem aber im östli-
angelegt ist. Neben der Sprachpraxis spielt chen Europa teilweise deutlich an. Deutsch
die Fremdsprachendidaktik (,Sprachpädago- wird sich auch im 21. Jh. im Kontext einer
gik‘) eine bedeutende Rolle, das integrierte an der Idee der Mehrsprachigkeit orientierten
und betreute Schulpraktikum erstreckte sich (Fremd-)Sprachenpolitik neben Französisch
bis 1996 über ein ganzes Studienjahr (seitdem und Spanisch als eine der wichtigsten euro-
138 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

päischen Regionalsprachen behaupten kön- Beersmans, Frans (1987): Deutsch als Fremdspra-
nen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung che in den Niederlanden. In: Sturm (Hg.), 35⫺45.
von Regionalsprachen wie Spanisch in Nord- Bernáth, Árpád (1995): Das Wechselspiel zwischen
amerika oder Chinesisch bzw. Japanisch in Zentrum und Peripherie. Die Universitäten von
Ostasien wird sich die Schwerpunktbildung Pécs, Debrecen, Szeged und die ungarische Germa-
des Faches Deutsch als Fremdsprache in Eu- nistik. In: König (Hg.), 271⫺283.
ropa weiter verstärken. Schließlich wird dem Blamberger, Günter; Gerhard Neuner (Hg.) (1996):
Deutschen im Zuge einer Förderung europä- Reformdiskussion und curriculare Entwicklung in
ischer Nachbarsprachen in Grenzregionen in der Germanistik. Dokumentation der Internationa-
Zukunft ein größeres Gewicht zuwachsen, len Germanistentagung des DAAD 24.⫺28. Mai
1995. Universität Gesamthochschule Kassel. Bonn.
bedingt nicht zuletzt durch die zentrale Lage
des deutschen Sprachraums (vgl. Neuner Bormann, Alexander von (1995): Germanistik im
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41/2, 176⫺187.
Was schließlich die Entwicklung der ,Aus-
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schulen angeht, so wird sich der insbesondere Deutsch als Verkehrssprache in Euopa. Berlin etc.
durch die äußeren ökonomischen und finan- Bosch, Gloria (1997): Sprachenpolitik und Fremd-
ziellen Rahmenbedingungen, aber auch durch sprachenunterricht im vereinten Europa. In: Info
fachimmanente Entwicklungen entstandene DaF 24/4, 459⫺469.
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logisierung des Faches mit einiger Wahr- französischen Bildungswesen. In: Born/Stickel
scheinlichkeit fortsetzen. Es bleibt zu hoffen, (Hg.), 236⫺250.
dass traditionelle Inhalte des Faches wie die Dethloff, Uwe (1993): Interkulturalität und Europa-
Literaturwissenschaft dabei nicht einfach ver- kompetenz. Die Herausforderung des Binnenmarktes
schwinden, sondern ihren Ort innerhalb einer und der Europäischen Union. Tübingen.
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11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in


nichtdeutschsprachigen Ländern II: Außereuropäische Perspektive

1. Deutsch als Fremdsprache außerhalb welcher Warte aus man das Fachgebiet auch
Europas überblicken mag, immer wird man bemerken,
2. Bereiche und Schwerpunkte von Deutsch als wie unterschiedlich die Bedingungen sind,
Fremdsprache außerhalb Europas
unter denen Deutsch als Fremdsprache in der
3. Literatur in Auswahl
Welt unterrichtet wird. In Ländern mit einer
historisch bedingten starken Bindung an
1. Deutsch als Fremdsprache Europa und einer beachtlichen Einwande-
außerhalb Europas rung von deutschsprachigen Minderheiten,
wie z. B. Nordamerika und das südliche La-
Allgemein wird heute in der Fachwelt aner- teinamerika (Argentinien, Brasilien, Chile),
kannt und davon ausgegangen, dass Deutsch mussten sich andere Traditionen und Institu-
als Fremdsprache in außereuropäischen Län- tionen entwickeln als in Asien oder Afrika.
dern anders gewichtet und vermittelt werden Der Schwerpunkt dieser Übersicht liegt in
muss als in Europa. In vielen Ländern außer- der Erwachsenenbildung, vor allem im uni-
halb Europas spielt Deutsch als Sprache im versitären Bereich.
akademischen Bereich, in der Kultur, in der
Wirtschaft und im Berufsleben überhaupt 1.1. Das Verhältnis von Germanistik und
nur eine unbedeutende Rolle. Es lassen sich Deutsch als Fremdsprache
in den einzelnen Kontinenten, Regionen und In allen Regionen hat sich Deutsch als
Ländern verschiedene Situationen, Traditio- Fremdsprache in der zweiten Hälfte des
nen und Schwerpunkte beobachten, die sich 20. Jh.s in unterschiedlichem Ausmaß als
auf die Stellung und die Ausrichtung von Fach im Austausch mit den Entwicklungen in
Deutsch als Fremdsprache auswirken. Von den deutschsprachigen Ländern definiert und
11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache II: Außereuropäische Perspektive 141

etabliert. Aber bevor es das akademische Deutschlehrern sieht. In diesen Fällen sollte
Fach gab (seit Ende der sechziger Jahre), war eine methodisch-didaktische Spezialisierung
der Deutschunterricht in vielen akademi- zur Ausbildung der Absolventen gehören,
schen und schulischen Institutionen präsent. aber oft kann sich eine auf Deutschlehrer-
Außerhalb Europas gilt bis heute: Ein Ger- ausbildung und Angewandte Linguistik ori-
manistikstudium ohne Unterricht in Deutsch entierte Auslandsgermanistik wegen des ex-
als Fremdsprache ist selten, d. h., fast im- plizit oder implizit ausgesprochenen Vor-
mer werden Übungen zur Verbesserung der wurfs der mangelnden „Wissenschaftlichkeit“
Sprachkenntnisse angeboten, denn in vielen nur schwer gegen traditionelle Studiengänge
Ländern beginnt das Deutschlernen erst mit durchsetzen. Dass Curriculumentwicklungen,
der Aufnahme des Universitätsstudiums. Das die sich an den realen Gegebenheiten und
gilt selbst in einem Einwandererland wie Ka- Notwendigkeiten der einzelnen Länder orien-
nada: „Studierende, die zwar Deutsch studie- tieren, sowohl für die Germanisten- als
ren wollen, aber kaum Deutsch an der Schule auch für die Deutschlehrerausbildung (mit
gelernt haben, verbringen einen großen Teil einer stärkeren Betonung des Deutschen als
ihrer universitären Ausbildung mit dem blo- Fremdsprache, der Pädagogik, der Spracher-
ßen Sprachenlernen“ (Hufeisen 1996, 178). werbstheorien und der Kommunikationswis-
Aus der außereuropäischen Perspektive ist senschaften) berechtigt sind, setzt sich mehr
die ⫺ mit Vorliebe in Thesenform geführte und mehr in der Fachdiskussion durch (vgl.
⫺ Diskussion um das Selbstverständnis des Neuner 1987, 1993, 1996). Auch die Tren-
Faches nicht von vorrangiger Bedeutung, wie nung zwischen dem Prestige und den Aufga-
z. B.: „Deutsch als Fremdsprache ist ein ben der Dozenten und Professoren, je nach-
eigenständiges Fach innerhalb der Germani- dem, ob sie sich in Forschung und Lehre, Ge-
stik, das Eigen- und Fremdperspektive ver- bieten der traditionellen Germanistik oder
bindet.“ (Götze/Suchsland 1996, 69) gegen: dem Fach Deutsch als Fremdsprache in allen
„Deutsch als Fremdsprache ist nicht zwangs- seinen Bezügen zur Sprachlehr- und -lernfor-
läufig Bestandteil der Germanistik.“ (Königs schung widmen, ist nicht so strikt wie in
1996, 195) Das komplexe Verhältnis von deutschsprachigen Ländern, wo die Dozen-
Deutsch als Fremdsprache und Germanistik ten für Deutsch als Fremdsprache oft glau-
belegt der Bericht der Bundesregierung über ben, sich mühsam gegen überhebliche Attitü-
die Stellung der deutschen Sprache in der den in der traditionellen Germanistik be-
Welt (1985), auf den sich auch Ammon (1991, haupten zu müssen (Henrici 1996, 69). In vie-
544ff.) im Kapitel 12.4 über „DaF und Ger- len Ländern Lateinamerikas wären ohne die
manistik an Hochschulen nicht-deutschspra- Sprachenzentren und Lehrerausbildungspro-
chiger Länder“ bezieht. Demnach kann man gramme, die noch Deutsch anbieten, aus
in mehr als zwanzig Ländern in Lateiname- manchen Universitäten herkömmliche Ger-
rika, Afrika, Nahost und Asien mit Deutsch manistik-Abteilungen verschwunden oder sie
als Fremdsprache oder Germanistik erst wären nie eingerichtet worden. Eine völlig
an der Hochschule beginnen. Dazu kommen andere Entwicklung hat die Germanistik in
mehr als zehn Länder, in denen die Zahl der den USA genommen: Auf dem Weg aus dem
Deutschlernenden in Sprachenzentren an den Dilemma der in den 70er Jahren gelegentlich
Hochschulen wesentlich höher ist als an all- schon totgesagten Germanistik und der
gemeinbildenden Schulen und erst recht als Fremdsprachen an amerikanischen High
an Germanistischen Abteilungen. In Ländern Schools und Hochschulen haben germanisti-
wie Bolivien, Ecuador, Ghana, Guinea, Za- sche Abteilungen eine Art Überlebensstrate-
ire, Libanon, Kuweit, Syrien oder Bangla- gie entwickeln müssen, die notgedrungen aus
desch kann man nur Deutschkurse belegen, den traditionellen Lehrinhalten hinausge-
aber kein Germanistikstudium absolvieren. führt hat zu einer innovativen Konzeption
Logischerweise wird in solchen Ländern auch des Faches, das sich auf der Grundlage von
an den Schulen kein Deutsch gelernt, wäh- Theorien und Erkenntnissen über Multikul-
rend umgekehrt in Ländern mit relativ gut turalität, Postmoderne und Postkolonialis-
etabliertem Deutschunterricht in den Schulen mus neu definieren musste. Die interdiszipli-
(USA, Kanada, Indonesien, Südkorea, Aust- nären „German Studies“ haben an einigen
ralien, Argentinien, Südafrika, vgl. Bericht amerikanischen Elite-Universitäten ein neues
der Bundesregierung 1985) auch die Germa- Selbstbewusstein entwickelt (Seeba 1996, 34)
nistik an den Universitäten ihre Daseinsbe- und eine Universität wie Berkeley kann es
rechtigung vor allem in der Ausbildung von sich leisten, die von hochkarätigen Germani-
142 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

sten vertretenen Bereiche der Angewandten nicht erwarten, dass die sich konzentrisch
Linguistik und des Deutschen als Fremdspra- ausbreitenden Wellen jedermann in der wei-
che praktisch als Hilfswissenschaften einzu- ten Welt noch die Sicht nehmen. Dies ist der
stufen, die auf dem Weg zum PhD in „Ger- Tenor nicht weniger Publikationen aus
man Studies“ nicht einmal als „credits“-wür- außereuropäischen Perspektiven, die teilweise
dig gelten. auch in Deutschland zur Kenntnis genom-
men werden (müssen). So zogen Blamberger/
1.2. Das Verhältnis von Inlandsgermanistik Neuner (1996, 5) aus der Internationalen
und Auslandsgermanistik Germanistentagung in Kassel 1995 das Fazit,
Generell sind verschiedene Grade des Aus- dass „die aktuellen deutschen Debatten um
tausches und der Interdependenz zwischen die disziplinäre Identität der Germanistik
außereuropäischer Germanistik (einschließ- außerhalb Deutschlands kaum Widerhall fin-
lich Deutsch als Fremdsprache) und der Ger- den“, dass die innerdeutsche Germanistik für
manistik in den deutschsprachigen Ländern die ausländische Germanistik an Bedeutung
zu beobachten. Auf Grund der intensiveren verloren habe und die traditionelle Germani-
Kommunikationsmöglichkeiten, der verbes- stik auf Grund der von Land zu Land ver-
serten Ausstattung der Bibliotheken, der Prä- schiedenen kulturellen Kontexte zunehmend
senz auf Kongressen und des Aufenthalts in von interdisziplinären „German Studies“ und
deutschsprachigen Bildungseinrichtungen ha- dem Fach Deutsch als Fremdsprache (Leh-
ben Lehrer des Deutschen als Fremdsprache rerausbildung; Fachsprache) abgelöst werde.
und Germanisten heutzutage vielfältige Mög- Noch drastischer fällt das Urteil Seebas aus,
lichkeiten, sich über die Entwicklung des Fa- wonach in den USA die deutsche Germani-
ches Deutsch als Fremdsprache auf dem Lau- stik oft für konventionell und belanglos ge-
fenden zu halten. Beim Aufbau von Studien- halten werde und ⫺ schlimmer noch ⫺ aus
gängen Deutsch als Fremdsprache, Germani- amerikanischer Sicht der aktuelle kulturelle
stik und Deutschlehrerausbildung richtete Beitrag Deutschlands „auf den Rang einer
man sich früher oft nach Modellen aus den exotischen Provinz für Feldstudien reduziert“
deutschsprachigen Ländern, aber „in jüngster wurde (Seeba 1996, 34). Von den repräsenta-
Zeit ist die Entwicklung eigener und regio- tiven Vertretern der deutschen Germanistik,
nenspezifischer Schwerpunktsetzungen in
die in Sachen Deutsch als Fremdsprache seit
Lehre und Forschung zu erkennen“ (Götze/
Jahrzehnten in und um die Welt reisten,
Pommerin 1995, 360). Allgemein lässt sich
wurde oft mit großer Selbstsicherheit und
sagen, dass die Entwicklung des Faches
ohne genaue Kenntnis der örtlichen Verhält-
Deutsch als Fremdsprache in der sog. Dritten
nisse der Eindruck vermittelt, sie hätten Lö-
Welt etwas langsamer vor sich geht als in Eu-
ropa (Ehlich 1994, 7, gebrauchte für das Ver- sungen für alle Probleme der Auslandsgerma-
hältnis von Inlands- und Auslandsgermani- nistik parat. Dass das Fach Deutsch als
stik das Bild von „Tross“ und „Nachhut“) Fremdsprache in den deutschsprachigen Län-
und dass die Fachdiskussionen weniger inten- dern selbst um seine Legitimierung kämpfen
siv und weniger polemisch geführt werden; musste (Henrici 1996, 69), dass es lange für
Deutsch wird mit anderen Sprachen an man- „noch sehr entwicklungsbedürftig“, aber
chen Universitäten, wie z. B. in Mexiko an „entwickelbar“ gehalten wurde (Glück 1989,
der UNAM, bewusst als linguistische und 86), war den meisten Deutschlehrern im
kulturelle Alternative zum Englischen ange- außereuropäischen Ausland nicht unbedingt
boten; und in der Forschung wird an sprach- geläufig. Ein zunehmendes Selbstbewusstsein
vergleichenden, sprachdidaktischen, kom- der Auslandsgermanistik auch in den Län-
paratistischen, rezeptionsorientierten und li- dern der sog. Dritten Welt ist seit mehreren
teraturdidaktischen Themen und Problemen Jahren zu beobachten; das lässt sich u. a.
gearbeitet, ohne sich von schnell wechselnden daran ablesen, dass nun auch ⫺ wie es in Ka-
Moden allzu abhängig zu machen. Denn es nada und den USA längst der Fall ist ⫺ in
ist doch der Vorteil der zeitlichen und räumli- Ländern wie Mexiko, Argentinien, Chile,
chen Distanz, dass neuere Strömungen, die in Brasilien die pädagogische Verbindungsarbeit
den Metropolen der Germanistik hohe Wo- des Goethe-Instituts nicht mehr entwick-
gen schlagen mögen, als sanftere Dünung ab- lungs- sondern partnerschaftsorientiert ist.
ebbend und gewissermaßen geläutert an die Die inländischen Experten kommen aus den
Strände ferner Kontinente plätschern. Wer in Universitäten und Schulen, das Goethe-Insti-
Europa einen Stein ins Wasser wirft, kann tut und der DAAD stellen Mittel für Veran-
11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache II: Außereuropäische Perspektive 143

staltungen und Gastdozenturen bereit und len Traditionen. Gerade im Bereich von
fördern damit den Austausch unter Gleichge- Deutsch als Fremdsprache ist die Reflexion
stellten. über die Möglichkeiten und Lücken der
„interkulturellen Kommunikation“ und der
1.3. Einige Zentren für Deutsch als „interkulturellen Germanistik“ noch längst
Fremdsprache, ihre Geschichte und ihre nicht abgeschlossen. Für die Entwicklung des
Traditionen Faches Deutsch als Fremdsprache in China
Mit dem zunehmenden Austausch zwischen und das stetig wachsende Interesse am
Germanisten und Deutschlehrern aus aller Deutschlernen sei u. a. auf Ammon (1991,
Welt, dank Informationsdiensten, Fachzeit- 503ff.) verwiesen, für die Situation des Deut-
schriften, Bestandsaufnahmen, zahlreichen schen als Fremdsprache in einigen anderen
Kongressberichten und Buchpublikationen Ländern auch auf Sturm (1987, 249ff.),
zur Geschichte der Germanistik und des Götze (1987, 232ff.) und die zahlreichen Län-
Deutschunterrichts in allen Teilen der Welt, derberichte z. B. im Jahrbuch Deutsch als
wird immer deutlicher, dass sich Deutsch als Fremdsprache und in der Zeitschrift Informa-
Fremdsprache, trotz des Rückgangs von tionen Deutsch als Fremdsprache. In Japan
Schüler- und Studentenzahlen in einigen Län- war bis etwa 1970 Deutsch aus bildungs- und
dern, als Fach weltweit konsolidiert hat (vgl. wissenschaftsgeschichtlichen Gründen fest in
Art. 143ff.). Im Folgenden wird es nicht mög- den Universitäten verankert, aber mit der sin-
lich sein, einen kompletten Überblick zu ge- kenden Bedeutung des Deutschen als Wissen-
ben. Die Darstellung der Geschichte und schaftssprache müssen sich die Lehrenden
Traditionen einiger Zentren mag exempla- des Faches Deutsch als Fremdsprache und
risch für die Vielfalt der Gegebenheiten ste- die Sprachinstitute an die sich wandelnden
hen, in denen Deutsch als Fremdsprache an Motivationen der Studenten anpassen (Kut-
Universitäten, Schulen und im außerschu- suwada/Mishima/Kouji 1987, 76ff.; Ammon
lischen Bereich betrieben wird. 1991, 495ff.), was zu intensiven „Reformdis-
In Asien sind China (Art. 167), Indien kussionen“ (Sugitani 1996) geführt hat.
(Art. 165), Japan (Art. 168) und Korea (Art. In Indien müsse man sich wundern, dass
166) die Länder mit den meisten Deutsch- überhaupt eine Fremdsprache wie Deutsch
abteilungen und Deutschlernenden an Uni- gelernt werde (Ammon 1991, 500). Immerhin
versitäten und ebenfalls im außerschulischen wurden in Pune, „der Wiege der indischen
Bereich (Goethe-Institute). Germanistik“ (Kuntz 1996, 55), schon 1975
Bemerkenswert ist aber auch die Dyna- 60 Jahre Deutschunterricht gefeiert. Bedarf
mik des Deutschunterrichts in Indonesien an Deutsch als Fremdsprache und Germani-
(Art. 169) und Thailand, wo auf eine Aktuali- stik in Indien gibt es bis heute: Deutsch für
sierung der germanistischen Curricula mit Wirtschaft und Technik (ein Gebiet, auf dem
Blick auf „eine instrumentelle Basis für die seit den 70er Jahren auch DAAD-Lektoren
Ausübung eines späteren Berufs“ (Saenga- in Indien gearbeitet haben), Deutsch für
ramruang 1996, 288), die Deutschlehreraus- internationale Beziehungen, Tourismus, Aus-
bildung und die Ausarbeitung eigener Lehr- wanderung, Gegengewicht zu dem domi-
materialien großen Wert gelegt wird. Indone- nierenden englischen Einfluss, Berufsziel
sien ist einer der seltenen Fälle eines außereu- Deutschlehrer. Aber selbst im letztgenannten
ropäischen Landes, wo Deutsch nach dem Fall sind die Berufsbilder nicht besonders
Krieg verstärkt als 2. Fremdsprache an den klar (Ammon 1991, 502f.). Dies scheint in
Oberstufen der Gymnasien eingeführt wurde. einem gewissen Widerspruch zu stehen zu
An der Entwicklung geeigneter Lehrwerke, dem exzellenten Niveau einiger Repräsentan-
welche die universalistisch konzipierten ablö- ten der indischen Germanistik, von denen die
sen sollten („Regionalisierung heißt vielmehr meisten in Deutschland studiert haben. Von
die Devise!“; Strauss 1985, 180), haben so- ihnen werden die „Möglichkeiten und Gren-
wohl in Indonesien als auch in Thailand zen“ der German Studies in Indien (Gane-
(Schalbruch 1987, 137ff.) deutsche Mittler- shan 1990, 187f.) nicht verschwiegen: ver-
organisationen und Universitäten beratend schwommene Ausbildungsziele, schwache
mitgewirkt. Der Erfolg der Zusammenar- Motivation, fehlendes literarisches Vorwis-
beit zwischen Vertretern spezifischer Wissen- sen, fehlende fremdsprachliche und fremd-
schaftskonzeptionen wird dabei unterschied- kulturelle Kompetenz, Konzeptionslosigkeit
lich gewertet, je nach der Sensibilität der Be- der literarischen Studien. Viele der Probleme
teiligten gegenüber anders gearteten kulturel- und Forderungen aus indischer Sicht gelten
144 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

ebenso für andere Schwellenländer und Län- sich die interkulturellen Fremdheitskundler
der der sog. Dritten Welt: Die wenigsten in der fernen Bundesrepublik vorstellen kön-
Deutschlerner werden je ein deutschsprachi- nen.“ (Glück 1989, 86) In Lateinamerika
ges Land persönlich kennen lernen; den ent- stand bei der Neu- und Wiedergründung ger-
sandten Lehrkräften aus Europa fehlt es oft manistischer Abteilungen in einigen Ländern
an „interkultureller Kompetenz“; Literatur- (z. B. Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko)
studien sollten nur komparatistisch betrieben zunächst die Literaturwissenschaft im Vor-
werden; die Beschäftigung mit deutscher dergrund, da die meisten Germanisten Lite-
Sprache und Kultur ist ein Weg zur „Eigen- raturwissenschaftler waren. Mit dem zuneh-
besinnung“, zu „Anschlussmöglichkeiten“ menden Interesse an der Linguistik und der
zwischen Indien und Europa. So gesehen Angewandten Linguistik sowie der Aufwer-
kann in Indien das periphere Fach „German tung und Konstituierung des Deutschen als
Studies“ eine zentrale Bedeutung erhalten Fremdsprache als Studienfach fand in zahl-
(Ganeshan 1990, 194). reichen Ländern Lateinamerikas seit den 70er
In manchen Teilen des frankophonen Jahren eine Umgewichtung der Deutsch-
Afrika lässt sich einerseits die Geschichte der studien statt. Wie in vielen anderen außereu-
Germanistik und damit von Deutsch als ropäischen Ländern ist eine extreme Speziali-
Fremdsprache aus dem französischen Erzie- sierung auf ein Gebiet, eine Epoche, einen
hungssystem der Kolonialzeit heraus erklären Autor, wie dies in den deutschsprachigen
(Prinz 1989, 181). Entsprechendes gilt für die Ländern oft noch der Fall ist, in Lateiname-
englischen Traditionen. Andererseits haben rika nicht möglich. Und dies ist auch eine
sich an afrikanischen Universitäten lehrende berufliche Chance für alle, die im Bereich
Dozenten seit der Unabhängigkeit ihrer Län- Deutsch als Fremdsprache tätig sind: Die Zu-
der und der Gründung von Deutschabteilun- sammenarbeit mit anderen Sprachabteilun-
gen mit der deutschen Germanistik auseinan- gen ist die Regel, manchmal ist es sogar die
dergesetzt (Sadji 1984, 75ff.), ohne die spezi- einzige Überlebenschance für den Deutsch-
elle Situation einer „Entwicklungsgermani- unterricht. Da ausgebildete Germanisten oft
stik“ in der sog. Dritten Welt zu übersehen: (auch) Deutsch als Fremdsprache unterrich-
„Deutscher Literaturunterricht in der Dritten ten, sind sie an der sprachlichen und metho-
Welt ist ein elitäres Unterfangen“ und „Der disch-didaktischen Ausbildung ihrer Studen-
Deutschunterricht in der Dritten Welt leidet ten, von denen viele Deutschlehrer werden,
unter den generellen Bedingungen des Nord- beteiligt. Diese Aspekte stehen heutzutage in
Süd-Gefälles“ (Ihekweazu 1984, 102). Dies den Curricula der Lehrerausbildungsinstitute
mögen Gründe dafür sein, warum im Rah- im Vordergrund, zusammen mit der Überset-
men der Deutschstudien in Afrika der Beitrag zer- und Dolmetscherausbildung (z. B. in Ar-
der „Interkulturellen Germanistik“ zum Fach gentinien, Kuba und Venezuela), und die Li-
Deutsch als Fremdsprache besonders kritisch teraturwissenschaft und Landeskunde kom-
beleuchtet und sensibel auf eine mögliche Be- men im Grundstudium manchmal etwas zu
vormundung, auf das Verhaftetsein im euro- kurz. Nicht so im Postgraduiertenbereich, wo
päischen Individualismus und auf koloniale in den entsprechenden Studiengängen (z. B.
Klänge in den Begriffen „Fremdperspektive“, in der vergleichenden Literaturwissenschaft)
„Kulturmündigkeit“, „Weltoffenheit“, „ei- im Allgemeinen ein hohes Niveau sowohl in
gen- und fremdkulturelle Kompetenz“ abge- der Kenntnis neuerer Literaturtheorien als
klopft wurde (Zimmermann 1989, 15ff.; Welz auch der neueren deutschen Literatur festzu-
1986, 169). Der Deutsch als Fremdsprache- stellen ist. Trotzdem kann dies nicht darüber
Lehrer wird deutsche Sprache und Kultur im- hinwegtäuschen, dass die traditionellen Ger-
mer vor dem Hintergrund der Kolonisierung, manistikabteilungen in Lateinamerika nur
kulturellen Entfremdung und Identitätsprob- verhältnismäßig wenige Studenten zum aka-
lematik einerseits und der Übernahme west- demischen Abschluss führen. In vielen Län-
licher Wertsysteme durch die Gebildeten an- dern kann man an Schulen und sogar an Uni-
dererseits vermitteln müssen. Und es kann versitäten unterrichten, ohne einen Abschluss
nicht genug betont werden, dass akademische gemacht zu haben.
Modelle, die von Gelehrten in Deutschland Deutsch als Fremdsprache lebt vor allem
entwickelt wurden, damit noch längst nicht dank der Sprachenzentren, der „Deutschen
in Entwicklungsländern funktionieren: „Die Schulen“ und der Goethe-Institute. In Argen-
Germanistik in vielen Ländern der Dritten tinien gibt es etwa 20 Universitäten mit
Welt hat einfach ganz andere Probleme, als Deutschabteilungen, in Brasilien ebenfalls
11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache II: Außereuropäische Perspektive 145

etwa 20, von denen 16 ein Curriculum für die 2. Bereiche und Schwerpunkte von
Ausbildung von Deutschlehrern anbieten. In Deutsch als Fremdsprache
Chile (vgl. Art. 148) haben etwa 10 Universi-
täten Deutschabteilungen, aber nur in Sant- außerhalb Europas
iago und Concepción kann man Germanistik Die Orientierung der außereuropäischen
studieren, teils mit Schwerpunkt Deutschleh- Germanistik an derjenigen der deutschspra-
rer- und Übersetzerausbildung. In Mexiko chigen Länder hatte über Jahrzehnte hinweg
(vgl. Art. 145) kann man in Sprachenzen- den Vorrang literaturwissenschaftlich orien-
tren von etwa 20 Universitäten Deutsch tierter Curricula zur Folge, mit einer damit
als Fremdsprache lernen, aber nur an der einhergehenden Vernachlässigung linguisti-
UNAM in Mexiko-Stadt Germanistik studie-
scher und fachdidaktischer Themen, Frage-
ren. Eine Spezialisierung für Deutschlehrer
stellungen und Forschungsgebiete. In Nord-
bieten die Sprachenzentren der UNAM und
amerika und Australien z. B. wurden zwi-
des Polytechnikums an. In Venezuela und
schen 1930 und 1950 viele Deutschabteilun-
Kolumbien kann man ebenfalls nur in der je-
gen an Universitäten von Emigranten aufge-
weiligen Hauptstadt ein volles akademisches
baut und von ihnen geprägt. Die allermeisten
Studium „Letras Alemanas“ absolvieren,
dieser Professoren waren Literaturwissen-
ebenso in Lima (Peru), wo auf Grund der po-
schaftler. Auch in anderen Regionen, in de-
litischen Situation über lange Jahre hinweg
nen germanistische Abteilungen unter ganz
nur eine Universität („Ricardo Palma“) bis
anderen Bedingungen eingerichtet wurden, so
zum Diplomdolmetscher führte. In Kuba hat
die DDR 30 Jahre lang eine hervorragende z. B. in Japan und Brasilien (vgl. Art. 168 u.
Aufbauarbeit für Deutsch und Germanistik 146), überwogen Literaturgeschichte und Li-
an Universitäten und Abendschulen geleistet. teraturwissenschaft bis in die sechziger Jahre
Davon profitieren die Universität Havanna hinein ⫺ und dies, obwohl die Vermittlung
und andere berufsbildende Einrichtungen linguistischer, landeskundlicher, sprach- und
noch heute. Nach der Wende 1989/90 hat das literaturdidaktischer Kenntnisse ⫺ eben
Goethe-Institut die pädagogische Verbin- Deutsch als Fremdsprache ⫺ im Vorder-
dungsarbeit übernommen. Gerade in Latein- grund stand oder hätte stehen sollen. In vie-
amerika waren deutsche Mittlerorganisatio- len Fällen wurden Sprachkurse bereits vor
nen immer sehr wichtig für die Pflege der Spra- der Einrichtung von germanistischen Abtei-
che und der Kontakte zu den deutschsprachi- lungen erteilt, wie immer wieder im Rück-
gen Minderheiten, welche ihr soziales Netz oft blick auf die Entstehung der „Germanistik
um die Schulen herum geknüpft hatten (Ent- in …“ berichtet wird. Beispiele dafür unter
sprechendes gilt für die Schweizer Schulen) vielen sind Mexiko und Thailand. In man-
und in Handel und Industrie der einzelnen chen Ländern Afrikas, Asiens und Latein-
Länder eine wichtige Rolle spiel(t)en. Kaum amerikas entstanden Deutschabteilungen und
ein Staatsbesuch in Lateinamerika, wo nicht Sprachenzentren ab den fünfziger Jahren in
die Schulen im Programm der Politiker vor- enger Zusammenarbeit mit der Bundesrepub-
gesehen wären. Die „deutschen Schulen“ ⫺ lik Deutschland, der DDR und Österreich,
meistens Begegnungsschulen ⫺ sind in vielen mit Institutionen wie dem Deutschen Akade-
Regionen die einzigen, an denen man mischen Austauschdienst (DAAD) (Lekto-
Deutsch lernen kann. (Und sie haben wie an- ren, Stipendien für Germanisten, Gastprofes-
dere ausländische und Privatschulen unter soren) und dem Goethe-Institut (Pädago-
den einheimischen Eliten immer noch großes gische Verbindungsarbeit, Stipendien für
Prestige.) Trotz der Einwanderertradition, Deutschlehrer). In diesen Fällen (z. B. Uni-
der gegenseitigen Wirtschaftsinteressen und versitäten in Kairo, Mexiko-Stadt, Buenos
der immer noch relativ großen Bedeutung des Aires, Campinas, Shanghai) standen Sprach-
Deutschen ist das Angebot ständig zurückge- arbeit, Angewandte Linguistik und Lehrer-
gangen. Aber im Bildungskanon des Sekun- ausbildung im Vordergrund. Im Unterschied
darschulbereichs hat Deutsch keine Tradi- zu Europa wurde in vielen außereuropä-
tion, so dass Deutsch als Fremdsprache vor ischen Ländern unter dem Druck, viele prak-
allem im Erwachsenenbereich und oft berufs- tische Probleme der Ausbildung in den Griff
bezogen gelehrt wird: Hier kommt den Goe- zu bekommen, die Sprachlehr- und -lernfor-
the-Instituten, den Sprachenzentren an den schung über Jahrzehnte hinweg vernachläs-
Universitäten und den (relativ wenigen) Ger- sigt. Das zeigte sich unter anderem in der ge-
manistikabteilungen hohe Bedeutung zu. ringeren Anzahl von Publikationen.
146 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Seit etwa zwei Jahrzehnten wird dieser schung in Deutsch als Fremdsprache verbun-
Rückstand langsam aufgeholt und es gibt den wird. Während früher in vielen Regionen
Gebiete, wie z. B. die Entwicklung der „Ger- die pädagogische Verbindungsarbeit des
man Studies“, die Erforschung fremdkultu- Goethe-Instituts, DAAD-Lektoren oder ent-
rellen Verstehens und der interkulturellen sandte Experten das inhaltliche Wissen ver-
Kommunikation, wo die außereuropäische mittelt haben, ist heute vielmehr weltweit
Germanistik wichtige Anregungen und Bei- eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit
träge geleistet hat. den Fachleuten vor Ort zu beobachten, wel-
che die Forschungsschwerpunkte in der An-
2.1. Sprachkurse gewandten Linguistik/Deutsch als Fremd-
Deutsch als Fremdsprache außerhalb Euro- sprache bestimmen. Dazu gehören die Ent-
pas betrifft vorrangig den Erwachsenenbe- wicklung von Lehrwerken und Lesekursen;
reich. Zwar gibt es Länder mit eindrucksvol- Spracherwerbsforschung, Sprachvergleich,
len Schülerzahlen im Sekundarbereich (vgl. autonomes Lernen; didaktische Grammatik,
1.1.); und wie wichtig dieser ist, zeigt sich Übersetzungsprobleme, interkulturelle Her-
in der Förderung des Auslandsschulwesens meneutik; Curriculumentwicklung, Sprach-
durch die Bundesrepublik Deutschland. Nach politik, Lehreraus- und -fortbildung. Auch in
Ammon (1991, 434f.) wird Deutsch in etwa den außereuropäischen Ländern haben die
der Hälfte der 172 Länder angeboten, und Bemühungen zugenommen, moderne Medien
zwar im Allgemeinen nur „an einigen Schu- für den Deutschunterricht nutzbar zu ma-
len“; „überwiegend vertreten“ war Deutsch chen. Abgesehen von den USA, Kanada und
1988 an außereuropäischen Schulen nur in Japan sind Schwellenländer wie Brasilien,
Kamerun, Elfenbeinküste, Mali, Australien, Indien, Malaysia und Mexiko besonders auf-
Indonesien und Südkorea, „an zahlreichen geschlossen, Selbstlernzentren und computer-
Schulen“ in Brasilien, Chile, Kanada, den gestützten Unterricht einzurichten. In der
USA, Neuseeland und in zehn Ländern Mitte der neunziger Jahre wurden dortige
Afrikas. Universitätsinstitute konsequenter an Inter-
Für diese Schulen gilt, dass Deutsch für net und E-Mail angeschlossen als vergleich-
die meisten Schüler Fremdsprache ist, und bare mitteleuropäische Institutionen.
das trifft heutzutage auch für die deutschen
Auslandsschulen zu. Entsprechend hat sich 2.2. Lehreraus- und -fortbildung
die Zahl der Deutschkurse und die der dafür Auch in diesem Bereich gibt es grundsätzliche
benötigten Lehrer erhöht. Unterschiede zwischen dem traditionellen
Aber weltweit gesehen wird Deutsch vor Germanistik- und dem Deutsch-als-Fremd-
allem aus mannigfaltigen beruflichen Grün- sprache-Studium in Europa und außerhalb
den (z. B. Wirtschaft und Tourismus), zu Stu- Europas. In den deutschsprachigen Ländern
dienzwecken und aus kultureller Neugier ge- führt das Studienfach Germanistik gewöhn-
lernt. Hier spielen die Goethe-Institute eine lich zum Staatsexamen und zum Beruf des
große Rolle, aber sie können bei weitem nicht Deutschlehrers an allgemeinbildenden Schu-
die Nachfrage bewältigen. Deshalb sind len. Erst im Referendariat wird die wissen-
außer privaten Sprachinstituten (z. B. Berlitz) schaftliche Ausbildung durch eine metho-
die an den Universitäten entstandenen Spra- disch-didaktische ergänzt. Mit der Gründung
chenzentren besonders wichtig geworden. Sie von Studiengängen Deutsch als Fremdspra-
haben vielerorts eine größere Bedeutung er- che kam man dann seit den siebziger Jahren
langt als die traditionellen Germanistikabtei- dem Desiderat nach, Deutsch als Fremdspra-
lungen, weil von vielen Universitäten ver- che- und Deutsch als Zweitsprache-Lehrer
langt wird, dass Hörer aller Fakultäten für das Ausland wie das Inland auszubilden.
Fremdsprachenkenntnisse erwerben. Für das Außerhalb Europas führt die Ausbildung in
Studium moderner Fremdsprachen gibt es Germanistik in den meisten Fällen zu einer
dagegen wenig Interesse, weil in den Schulen Berufstätigkeit im Fach Deutsch als Fremd-
außer für Englisch kaum Sprachlehrer ge- sprache an Schulen oder Universitäten. Die
braucht werden. Ein wesentlicher Unter- Einsicht, dass ein traditionelles, literaturwis-
schied zwischen den an universitären Spra- senschaftlich ausgerichtetes Germanistikstu-
chenzentren und den an anderen Sprachinsti- dium nicht unbedingt auf die Anforderungen
tuten organisierten Kursen besteht darin, vorbereitet, die auf künftige Deutschlehrer
dass auch zunehmend an Universitäten der zukommen, hat in vielen Ländern zu einer
sog. Dritten Welt die Lehre mit der For- Erweiterung oder Umstrukturierung in Rich-
11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache II: Außereuropäische Perspektive 147

tung auf ein stärker praxisorientiertes Curri- chigen Ländern. Beispiele dafür, wo solche
culum geführt. Diese Diskussion ist übrigens Tendenzen mit landesspezifischer Ausrich-
auch innerhalb des nicht deutschsprachigen tung in die Praxis umgesetzt und auch bei der
Europas in Gang, besonders in den osteuro- Lehrerfortbildung berücksichtigt werden,
päischen Ländern. Ein wesentlicher Unter- sind Thailand (Otrakul 1996, 451ff.), Brasi-
schied besteht in den sprachlichen Vorausset- lien (Sartingen/Stahr 1996), Kamerun (Ngat-
zungen, die z. B. Studenten in der sog. Drit- cha 1996, 323ff.), Algerien (Hami 1996) und
ten Welt für den Lehrberuf mitbringen, wel- die Mongolei (Kuhn 1996, 55ff.). In Nord-
che ⫺ wie gesagt ⫺ oft erst an der Universi- amerika und Neuseeland gibt es andere An-
tät anfangen Deutsch zu lernen. Diese Kom- sätze, Deutsch-Curricula in Richtung auf
ponente muss in die Entwicklung der Curri- German Studies, Applied Linguistics, Euro-
cula eingebracht werden. Man kann nicht pean Studies zu aktualisieren (Hufeisen 1995;
umhin, von den jeweiligen Gegebenheiten Lopdell 1996). In Lateinamerika sind die be-
auszugehen; darüber scheint inzwischen Kon- reits erwähnten Umstrukturierungen an
sens zu herrschen: „Die Entwicklung von Deutschlehrerausbildungszentren in Argenti-
Curricula ist im Kern stets von den Studien- nien, Chile, Venezuela und Mexiko zu spü-
und Lernbedingungen, den Fächerstrukturen ren. Dort und in anderen Ländern ist die Re-
sowie den personellen Kapazitäten und vision der Curricula ebenso im Gange wie in
Schwerpunkten abhängig, die jeweils vor Ort Europa. Vor allem der mangelhafte histori-
bzw. in einem bestimmten Land oder in einer sche, literaturgeschichtliche und sprachliche
bestimmten Region gegeben sind.“ (Bausch Kenntnisstand der Studenten gebietet es,
1996, 97) Eine solide Deutschlehrerausbil- Basisinformationen zu vermitteln, akademi-
dung muss demnach anders aussehen als ein sche Arbeitstechniken beizubringen, didak-
herkömmliches Germanistikstudium. Dieser tische, psychologische und pädagogische
Erkenntnis wurde gegen Ende des 20. Jh.s an Aspekte in den Vordergrund zu rücken und
vielen Sprachenzentren und Deutschlehrerse- nur allmählich, besonders im Postgraduier-
minaren gefolgt, in der sog. Dritten Welt oft tenstudium, zum wissenschaftlichen Höhen-
unbekümmert ob der verehrungswürdigen flug anzusetzen.
Tradition germanistischer Lehrstühle. Ohne Selbst für die relativ gut etablierte Germa-
den „Ballast“ mittelalterlicher Literatur- nistik in Brasilien forderte Rosenthal (1980,
kenntnisse, der historischen Sprachwissen- 312) eine von der deutschen Germanistik
schaft und oft leider auch des Kanons der grundverschiedene Studienplanung und Di-
klassischen Literatur und ihrer Nachfolgerin- daktik. Auch in China steht im Mittelpunkt
nen (mit der damit einhergehenden Gefahr des vierjährigen Studiums der Spracherwerb,
der inhaltlichen Ausdünnung des Studiums) und die vielen Germanistikabsolventen fin-
wurden Curricula entwickelt, deren zentrale den nur schwer einen Arbeitsplatz ⫺ es sei
Inhalte sind: Methoden des Fremdsprachen- denn, sie verbinden die fremdsprachliche
unterrichts, Grundlagen der Angewandten Ausbildung mit technischem Fachwissen
Linguistik, Psycholinguistik und Spracher- (Hess 1993, 61).
werbstheorien, Lehrwerkanalyse, Entwick-
lung von Lehrmaterialien, Medienkunde, 2.3. Regionale Lehrwerkentwicklung
Kultur- und Sprachvergleich. Dass dieser An- In vielen Teilen der Welt gab es ⫺ ganz im
satz sinnvoll ist, wurde auch aus der Perspek- Gegensatz zu Europa, wo viele Länder längst
tive der Inlandsgermanistik bestätigt. Neuner eine eigene Deutschlehrwerktradition entwik-
(1993, 23f.) zieht aus den Gegebenheiten und kelt hatten ⫺ bis in die 70er Jahre hinein
Tendenzen der Deutschlehrerausbildung in keine landesspezifischen Lehrwerke für
Europa Folgerungen, die auch für die Situa- Deutsch als Fremdsprache. Ausnahmen bil-
tion außerhalb Europas bedenkenswert sind: deten z. B. die USA und Japan, wobei es in
a) in der Linguistik Vergleich der eigenen Japan üblich war, dass viele Lehrstuhlinhaber
Sprache mit der Zielsprache Deutsch, b) in für ihr Institut eigene Lehrbücher publizier-
der Literaturwissenschaft komparatistische ten, in denen lange die Übersetzungsmethode
Ansätze: Vergleich der eigenen mit der vorherrschte. Modernere Ansätze des audio-
deutschsprachigen Literatur, c) in der Lan- visuellen, kommunikativen und interkulturel-
deskunde Kenntnis der historischen Bezie- len Unterrichts fanden nur langsam Eingang
hungen und Alltagskultur im Vergleich, d) in in japanische Deutschlehrwerke, und eine ge-
der Sprachlehr- und -lernforschung: Traditio- wisse Orientierungslosigkeit ist noch heute zu
nen im eigenen Land und in den deutschspra- spüren (Slivensky 1995, 352).
148 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

In Afrika, Asien und Lateinamerika wur- chung von solchen Projekten sind viele
den vorwiegend Lehrwerke verwendet, die in Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Soll das
Deutschland erarbeitet und vor allem vom Konzept der Region kulturell, politisch oder
Goethe-Institut eingeführt worden waren. sprachlich definiert werden und rechtfertigt
Lehrwerke aus der DDR waren im Wesentli- die Zahl der Lerner überhaupt ein adressa-
chen auf die sog. sozialistischen Länder be- tenspezifisches Lehrwerk (Götze 1994, 244)?
schränkt; österreichische Lehrwerke erober- Nur in relativ wenigen Fällen fiel die Ent-
ten erst in den 90er Jahren Marktanteile. Im scheidung für die Entwicklung regionaler
Zuge der Verwissenschaftlichung des Faches Lehrwerke, während die Mehrheit der
Deutsch als Fremdsprache und einer zuneh- Deutschkurse weiterhin mit den in Europa
menden Professionalisierung wuchsen in vie- entstandenen Lehrwerken bestritten wird.
len Regionen der Wunsch und die Notwen- Eine Zwischenlösung stellen lehrwerkbeglei-
digkeit, eigene Lehrwerke zu erarbeiten (vgl. tende zweisprachige Glossare und kontra-
Art. 106). Die in deutschsprachigen Ländern stive Arbeitsbücher (z. B. Deutsch-Spanisch,
konzipierten und publizierten Lehrwerke Deutsch-Brasilianisch zum Lehrwerk Sprach-
wurden lange wie selbstverständlich in die brücke) dar. Beispiele für die Zusammenar-
ganze Welt exportiert, obwohl sie an vielen beit zwischen deutschen Institutionen und ih-
ortsspezifischen Erwartungen und Themen ren Partnern in verschiedenen Teilen der Welt
vorbeigingen. In der Regel waren sie nicht sind die für das frankophone Westafrika kon-
sprachvergleichend angelegt, ignorierten die zipierten Lehrwerke Yao lernt Deutsch und
Lehr- und Lerntraditionen eines Landes oder Ihr und wir, das in Indonesien entstandene
einer Region und waren nicht auf den Ausbil- Lehrbuch für die indonesischen Oberschulen
dungs- und Wissensstand der Lehrkräfte aus- Kontakte Deutsch und das deutsch-chileni-
gerichtet. Manchmal berührten sie Tabus und sche Lehrwerk Wegweiser. In dem letztge-
widersprachen sozialen Normen, verwende- nannten Fall entschied man sich für das 1994
ten eurozentristische Darstellungen und In- abgeschlossene Projekt, weil es aus inhalt-
terpretationen, thematisierten Kulturunter- lichen und strukturellen Gründen schwer
schiede, Alterität und Fremdperspektiven war, ein für Lateinamerika geeignetes Lehr-
nicht ⫺ hier machen sich also Gesichts- buch für den Deutsch als Fremdsprache-Un-
punkte geltend, die seit den achtziger Jahren terricht mit Jugendlichen zu finden. Wie pro-
zunehmend in das Bewusstsein von Lehr- blematisch es aber bleibt, bei der Verwirkli-
werkautoren und Verlegern gedrungen sind. chung eines regionalen Lehrwerks deutsche
In den verschiedenen Bildungseinrichtungen Interessen mit der jeweils einheimischen Per-
stand man nun vor der Entscheidung, ob spektive zu verbinden, zeigen eine Untersu-
man eigene Lehrwerke entwickeln, schon exi- chung über die Rezeption von Yao lernt
stierende adaptieren, Lizenzausgaben publi- Deutsch (Ngatcha 1994, 70) und die kriti-
zieren oder ergänzende Zusatzmaterialien er- schen Anmerkungen zur Darstellung landes-
arbeiten sollte. kundlichen Wissens in Ihr und wir von
Alle vier Wege wurden beschritten, am we- Gouaffo (1996, 472ff.).
nigsten der eigener Lehrwerke, sieht man von
den recht intensiven Publikationsaktivitäten 2.4. Interdisziplinäre, interkulturelle,
auf dem Gebiet der Fachsprachenlesekurse internationale Ansätze
ab, die z. B. in Argentinien, Brasilien, Me- Wie sich aus dem Bisherigen ergibt, befinden
xiko, China, Indien ausgearbeitet wurden. sich das Fach Deutsch als Fremdsprache und
Für die Entwicklung eigener Grund- und die Germanistik in außereuropäischen Län-
Mittelstufenlehrwerke fehlten in vielen Fällen dern und Kulturen in einem dynamischen
die finanziellen Mittel, oft auch entsprechend Veränderungsprozess, möglicherweise sogar
ausgebildete Autoren, und mit den stetig stärker als in den deutschsprachigen Ländern
wachsenden Ansprüchen, der Konkurrenz selbst. Der Austausch mit diesen ist einerseits
auf dem Lehrmittelmarkt und der zunehmen- selbstverständlich geworden, andererseits kann
den Perfektionierung in der Herstellung ent- man einen wachsenden Abstand zu ihrem
fiel in vielen Regionen eine eigene Produk- Wissenschaftsbetrieb und die Verfolgung re-
tion von Deutschlehrwerken. So ging die In- gionenspezifischer Ziele beobachten. Die dar-
itiative zur Entwicklung regionaler Lehr- gestellten Bereiche und Schwerpunkte des
werke wieder einmal von den deutschsprachi- Deutschen als Fremdsprache sind nicht die
gen Ländern aus, nicht zuletzt aus kulturpoli- einzigen, in denen sich die Forschung und
tischen Überlegungen. Bei der Verwirkli- Lehre weiterentwickeln und konsolidieren.
11. Entwicklungen des Faches Deutsch als Fremdsprache II: Außereuropäische Perspektive 149

Anhand der Situation des Deutschen als Übersetzerausbildung in Lateinamerika, die


Fremdsprache in Lateinamerika seien noch Inhalte und die zu entwickelnden Kompeten-
einige wichtige Gebiete und Tendenzen er- zen gibt Lauterbach (1996a und 1996b).
wähnt, die man mit ihren Varianten auch in In der Literaturwissenschaft und Litera-
anderen Regionen vorfindet. turdidaktik liegt es nahe, deutschsprachige
Meistens ist Deutsch an lateinamerikani- Werke komparatistisch zu behandeln: Rezep-
schen Universitäten ein kleines Studienfach; tionsstudien, Wirkungsästhetik, imagologi-
seine Stellung ist aber relativ stabil, besonders sche Untersuchungen. Was in der Kompara-
im Sprachunterricht. Soweit Deutsch als tistik schon immer der Fall war, sollte auch
Fremdsprache als wissenschaftliches Fach be- für die Germanistik angestrebt werden:
trieben wird, steht es im engen Austausch Deutschsprachige Literatur kann nur kultur-
und in Konkurrenz mit anderen Fremdspra- spezifisch gelesen werden, wenn es gelingt,
chenphilologien, wird interdisziplinär betrie- den jeweiligen Verstehenshorizont zu be-
ben und hat sich zunehmend mit den Ent- schreiben. Deutsche Literaturgeschichte und
wicklungen der amerikanischen Angewand- Literaturdidaktik sollte nicht ohne Bezug auf
ten Linguistik und den German bzw. Cultu- die literatischen Traditionen der Region be-
ral Studies auseinanderzusetzen. Dies zeigt trieben werden. Die Verknüpfung von Ger-
sich deutlich an der Aktualisierung der ger- manistik, Lateinamerikanistik und Kom-
manistischen Studiengänge und der Curricula paratistik kann nicht genug gefordert wer-
in Angewandter Linguistik in den Magister- den. Dass sie in mehreren lateinamerikani-
und Doktorstudien, wie z. B. an der UNI- schen Universitäten praktiziert wird, zeigen
CAMP in Campinas, Brasilien, oder an der Zeitschriften wie Boletı́n de Literatura Com-
UNAM, Mexiko (vgl. Blühdorn/Sartingen/ parada (Mendoza, Argentinien), Pandaemo-
Sielaff 1996). nium Germanicum (São Paulo, Brasilien) und
In dem Magisterstudium in Angewandter Anuario de Letras Modernas und Poligrafı́as
Linguistik und der Lehrerausbildung an der (UNAM). Der Nachholbedarf an Studien
Universität Mexiko absolvieren Studenten über die Literaturbeziehungen zwischen La-
verschiedener Fremdsprachen gemeinsam ei- teinamerika und den deutschsprachigen Län-
nen Teil der Kurse. Dazu gibt es Seminare, dern ist immens, und an systematischer Pro-
die speziell den Sprach- und Kulturvergleich
jektarbeit bleibt noch viel zu tun. Einen Ein-
zwischen Mutter- und Zielsprache zum Inhalt
blick in interkulturelle Thematik und Bei-
haben. Der Forschungsbeitrag aus deutsch-
spiele für komparatistische Studien geben
sprachigen Ländern wird immer im interna-
Barth u. a. (1992) und Cziesla/Engelhardt
tionalen Kontext gesehen. Ein aktueller
(1996). Die von der Interkulturellen Germa-
Trend in der Lehreraus- und -fortbildung ist
die Forderung nach Fernstudiengängen und nistik angeregten Fragestellungen und Dis-
der Einsatz moderner Medien. Die wach- kussionen wurden zwar aufgegriffen, aber es
sende Bedeutung der Angewandten Lingui- haben sich keine Zentren herausgebildet, die
stik im Vergleich mit der traditionellen Philo- einer besonderen Schule verpflichtet wären.
logie spiegelt sich in neugegründeten interdis- Die Berufspraxis ist interkulturell; Sprache,
ziplinären Zeitschriften wie Trabalhos de Lin- Landeskunde und Literatur sind das Fremde,
güı́stica Aplicada (Campinas) und Estudios de dem man sich zu nähern sucht.
Linguı́stica Aplicada (UNAM), wider und Der Austausch unter den Ländern und
diese zeigen den Rahmen, in dem das Fach Regionen nimmt stetig zu. In den letzten
Deutsch als Fremdsprache sich entwickelt. zehn Jahren wurden z. B. in Argentinien,
In den letzten Jahren ist das Bewusstsein Brasilien, Chile, Kuba, Guatemala und Me-
dafür gewachsen, dass die Übersetzerausbil- xiko Deutschlehrerverbände gegründet, die
dung ausgebaut werden müsste, wie über- meistens dem Internationalen Deutschlehrer-
haupt die Nachfrage nach berufsbezogenen verband angeschlossen sind.
Kursen steigt. Übersetzer braucht man für Der lateinamerikanische Germanistenver-
alle Bereiche, aber in den wenigsten Ländern band (ALEG) wird zunehmend seiner Mitt-
der Region ⫺ oder höchstens in den Haupt- lerfunktion gerecht mit Tagungen in Men-
städten ⫺ gibt es formale Studiengänge mit doza (1991), Mexiko-Stadt (1994), und Con-
einem akademischen Abschluss. Übersetzen cepción (1998). Einblick in die Entwicklung
ist oft mehr eine Frage des Könnens und des von Deutsch als Fremdsprache und Ger-
Marktes als der nachgewiesenen Diplome. manistik in Lateinamerika geben Rall/Rall
Einen guten Überblick über den Stand der (1996a) und Rosenthal/Fleischer (1974).
150 II. Deutsch als Fremdsprache als spezifisches Lehr- und Forschungsgebiet II: Geschichte

Regionale Deutschlehrertagungen fanden Ganeshan, Vridhagiri (1990): German Studies in


in Havanna (1990) und Stanford (1995) statt. Indien: Möglichkeiten und Grenzen ⫺ Zur zentra-
Die Tagung in Stanford war die erste, die ge- len Bedeutung eines peripheren Faches. In: Hans-
meinsam von Germanisten aus Nord-, Mit- Joachim Althof (Hg.) (1990): Deutschlandstudien
international. Dokumentation des Wolfenbütteler
tel- und Südamerika organisiert und besucht DAAD-Symposiums 1988. München, 187⫺194.
wurde.
Auch Publikationen werden zahlreicher Glück, Helmut (1989): Meins und Deins ⫽ Unsers?
Über das Fach „Deutsch als Fremdsprache“ und
ausgetauscht als früher, mehrere Deutschleh- die „Interkulturelle Germanistik“. In: Peter Zim-
rerverbände geben ihre Verbandszeitschriften mermann (Hg.), 57⫺92.
heraus (z. B. Projekt, São Paulo, und In-
Götze, Lutz (Hg.) (1987): Deutsch als Fremdspra-
foAMPAL, Mexiko) und das Interesse an che. Situation eines Faches. Bonn-Bad Godesberg.
überregionaler Zusammenarbeit wächst.
Die aufgezeigten Tendenzen lassen sich ⫺ (1994): Grundsätze für die Erstellung regionaler
Lehrwerke. In: Kast/Neuner (Hg.), 243⫺246.
ähnlich in den übrigen Regionen beobachten,
wie die Aussage von Ammon über die ⫺; Gabriele Pommerin (1995): Deutsch als Fremd-
Deutschlehrer und Germanisten zeigt: „Sie sprache. In: Karl-Richard Bausch; Herbert Christ;
Hans-Jürgen Krumm (Hg.): Handbuch Fremdspra-
haben ein starkes berufliches Interesse daran, chenunterricht. 3. Aufl., Tübingen/Basel, 355⫺360.
daß ihr Fach floriert und bilden daher gewis-
sermaßen eine Lobby für die Fächer Deutsch ⫺; Peter Suchsland (1996): Deutsch als Fremdspra-
che. Thesen zur Struktur des Faches. In: DaF 33,
und Germanistik und damit auch für die 2, 67⫺72.
deutsche Sprache in ihrem Land“. (Ammon
1991, 507f.) Kurz, Deutsch als Fremdsprache Gouaffo, Albert (1996): Das frankophone schwarz-
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13, 2, 161⫺177.
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Latinoamérica y la Europa de habla alemana. Mé-
xico. Dietrich Rall, Mexiko-Stadt (Mexiko)
III. Linguistische Gegenstände I: Das Sprachsystem

12. Das deutsche Lautsystem

1. Laute und Lautsystem Analyse des Sprechkontinuums zu beobach-


2. Merkmale der Lautsprache tenden Phänomene ganz grob zwei Arten zu-
3. Die Lautsegmente ordnen:
4. Phonotaktik
5. Prosodien (1) Phänomene, die sich auf einzelne Glieder
6. Phonologie der Lautkette (Segmente) beziehen, sind
7. Literatur in Auswahl dem segmentellen Bereich zuzurechnen.
(2) Phänomene, die sich auf die Lautkette als
1. Laute und Lautsystem Ganzes (oder auf größere Teile der Kette)
beziehen und die einzelnen Glieder über-
Unter ,Laut‘ verstehen wir jedes Segment, in lagern, gehören zum suprasegmentellen
das sich eine lautsprachliche Äußerung audi- Bereich.
tiv zerlegen lässt, die aus einer mit den Arti-
kulations- und Phonationsorganen erzeugten Hinzu treten solche Phänomene, die an der
Kette von Schallsignalen besteht. ,Laut‘ ist Segmentfuge, d. h. an den Schnittstellen zwi-
ein linguistisch nicht definierter Begriff und schen zwei Gliedern der Kette, zu beobach-
daher überall dort anwendbar, wo eine Spezi- ten sind.
fizierung (z. B. Phon, Variphon, Allophon, Entsprechend den drei Manifestationsbe-
Orthophon, Phonem, Serienelement usw.) reichen der Lautsprache bieten sich drei ver-
nicht erwünscht oder nicht möglich ist. Ent- schiedene Ebenen der phonetischen Beschrei-
sprechend kann unter ,Laut‘ auch eine Klasse bung an:
einander ähnlicher Segmente verstanden wer-
den. (1) auf der Grundlage der Erzeugung (Ge-
Unter ,Lautsystem‘ wird die systematische nese, Produktion) der Lautsprache mit
Zusammenfassung der Laute einer gegebenen den Mitteln der artikulatorischen Phone-
Sprache und ihrer Interrelation verstanden. tik;
Häufig werden aber über die Segmente hin- (2) auf der Grundlage der Übertragung der
ausgehend ⫺ wie auch hier ⫺ diejenigen Lautsprache (vom Sender zum Empfän-
Merkmale mitverstanden, die die einzelnen ger) mit den Mitteln der akustischen Pho-
Laute überlagern, so dass in diesem erweiter- netik und
ten Sinn unter ,Lautsystem‘ alle in der laut- (3) auf der Grundlage des Empfangs der
sprachlichen Kommunikation zu beobach- Lautsprache (Rezeption, Perzeption) mit
tenden Phänomene zusammengefasst wer- den Mitteln der auditiven Phonetik.
den.
Darstellungen des deutschen Lautsystems Zwar werden häufig zur Lautbeschreibung
sind meist eingegrenzt auf den Bereich der Begriffe aus der auditiven Phonetik (wie hart,
Standardlautung (vgl. Art. 13); andere Lau- weich, muet, mouillé, liquid, sonorant, scharf,
tungsebenen werden nur insoweit erwähnt, spitz usw.) gebraucht, doch entstammen die
als die in ihnen repräsentierten Varietäten meisten Beschreibungsparameter dem Be-
tendenziell Eingang in die Norm gefunden reich der artikulatorischen Phonetik. Erst
haben. Phonostilistische und emotionale Aus- die instrumentelle akustische Sprachanalyse
sprachevarietäten bleiben ebenso unberück- (v. a. mit Hilfe des Sonographen) hat ⫺ ins-
sichtigt wie regionale. besondere im Rahmen der Distinctive Feature
Theory ⫺ auch eine Reihe akustischer Be-
schreibungsparameter in die Phonetik einge-
2. Merkmale der Lautsprache
führt. Diese Parameter werden zwar in
Wie bereits angedeutet, lassen sich die in instrumentalphonetischen Analysen und bei
der lautsprachlichen Kommunikation bei der der Erstellung von Merkmalmatrizes verwen-
12. Das deutsche Lautsystem 153

det, jedoch kaum bei Lautbeschreibungen in


phonetischen Handbüchern und überhaupt
nicht zur Lautbeschreibung in Lexika und
Sprachlehrwerken. Aus diesem Grund und
aus Gründen, die mit dem Erwerb einer frem-
den Aussprache zusammenhängen, wird hier
das Repertoire der in der artikulatorischen
Phonetik verwendeten Termini zur Lautbe-
schreibung verwendet.

3. Lautsegmente
Zur Klassifikation der Laute unter paradig-
matischem Aspekt werden üblicherweise die Abb. 12.1: Artikulationsorgane, soweit sie für die
Parameter des Artikulationsortes und der Bildung deutscher Laute relevant und im Text er-
wähnt sind (aus: Kelz 1995, 17).
Artikulationsart herangezogen. Die Artikula-
tionsart wird im Wesentlichen durch den
Grad der Behinderung des Luftstroms be-
bestimmend. Vom Grundsatz her ist es jeweils
stimmt. Da alle Laute des Deutschen durch
ein (flexibler) Artikulator, der sich bei der Arti-
Ausatmen von Luft entstehen, ist entschei-
kulation einer (festen) Artikulationsstelle
dend, welche Hindernisse der Luftstrom auf
mehr oder weniger stark nähert. Dabei sind
seinem Weg von der Lunge in die Atmo-
allerdings physiologische Grenzen gesetzt.
sphäre überwinden muss. Im Hinblick auf die Aus dem physiologisch Möglichen wählt jede
im Deutschen gegebenen Artikulationsmög- Sprache ⫺ so auch das Deutsche ⫺ eine be-
lichkeiten sind insgesamt sechs Grade der Be- grenzte Zahl von Artikulationsorten aus.
hinderung und damit sechs Artikulationsar- Bei den Plosiven und Nasalen gibt es im
ten zu unterscheiden: Deutschen drei Artikulationsorte: Unterlippe
(1) Bei einer völligen Unterbrechung des ⫺ Oberlippe (bilabiale), Zungenspitze ⫺
Luftstroms durch Verschluss im Mund- Zahndamm (alveolare) und Zungenrücken ⫺
raum und gleichzeitigen Abschluss des hinterer Gaumen (velare Artikulation).
Nasenraums (Hebung des Gaumensegels) Frikative können im Deutschen an folgen-
entstehen Verschlusslaute (Plosive). den Artikulationsorten gebildet werden: Un-
(2) Bei einer dauerhaften Unterbrechung des terlippe ⫺ obere Schneidezähne (labio-den-
Luftstroms im Mundraum und gleichzei- tale), Zungenspitze ⫺ Zahndamm (alveo-
tiger Öffnung des Nasenraums (Senkung lare), Zungenspitze ⫺ hinterer Zahndamm
des Gaumensegels) entstehen Nasenlaute (palato-alveolare), Zungenrücken ⫺ vorderer
(Nasale). Gaumen (palatale), Zungenrücken ⫺ hinterer
(3) Bei einer periodischen Unterbrechung Gaumen (velare) und Zungenwurzel ⫺ Zäpf-
des Luftstroms entstehen Zitterlaute chen (uvulare Artikulation).
(Vibranten). Die physiologischen Möglichkeiten für die
(4) Bei einer Engebildung im Mundraum, Bildung von Vibranten sind auf zwei Artiku-
wobei im Bereich der Enge durch die dort lationsorte begrenzt. Im Deutschen kommen
herrschende höhere Fließgeschwindigkeit beide vor: Vibration der Zungenspitze (api-
der Luft ein Reibegeräusch erzeugt wird, kale) und Vibration des Zäpfchens (uvulare
entstehen Reibelaute (Frikative). Artikulation).
(5) Bei einer Behinderung des Luftstroms in Im Deutschen kommt nur ein Lateral vor.
der Mundmitte, aber gleichzeitigem freien Der Artikulationsort wird bestimmt durch
Ausgleiten des Luftstroms an den Seiten den Kontakt Zungenspitze⫺Zahndamm (al-
entstehen Seitengleitlaute (Laterale). veolare Artikulation).
(6) Bei freiem Ausgleiten des Luftstroms Vokale können nur in einem eng begrenz-
(auch in der Mundmitte) ohne Behinde- ten Teil des Mundraums gebildet werden:
rung entstehen Vokale. durch mehr oder weniger große Hebung des
vorderen Zungenrückens gegen den vorderen
Neben dem Grad der Behinderung, durch den Gaumen (Vorderzungenvokale), des mittle-
die Artikulationsart der Laute bestimmt wird, ren Zungenrückens gegen den mittleren Gau-
ist für die Klassifizierung der Artikulationsort men (Mittelzungenvokale) und des hinteren
154 III. Linguistische Gegenstände I: Das Sprachsystem

Zungenrückens gegen den hinteren Gaumen 3.1. Plosive


(Hinterzungenvokale). Bei den Plosiven sind Fortisplosive und Le-
Weitere wichtige Mittel zur Lautunter- nisplosive zu unterscheiden. Sie stehen einan-
scheidung sind der Spannungsgrad (der Arti- der paarweise gegenüber. Im Deutschen sind
kulationsmuskulatur) und die Stimmbeteili- Fortisplosive immer stimmlos, Lenisplosive
gung; danach unterscheiden wir stimmhafte im Auslaut und nach stimmlosen Konsonan-
und stimmlose Laute, Fortes und Lenes. Ne- ten ebenfalls stimmlos, sonst stimmhaft. Le-
ben der Stimmkorrelation (stimmhaft ⬃ nisplosive sind [b] (bilabial), [d] (alveolar)
stimmlos) spielt für das Verstehen der Laute und [g] (velar). Fortisplosive sind [p] (bila-
also auch die Spannungskorrelation (ge- bial), [t] (alveolar) und [k] (velar).
spannt ⬃ ungespannt) eine Rolle. Lenes wer- Ferner kann bei Plosiven noch die Aspira-
den bei geringer Spannung mit schwachem tion hinzutreten. Es handelt sich bei der Aspi-
Geräusch erzeugt, Fortes bei kräftiger Span- ration um einen stärkeren Lufthauch, der un-
nung mit starkem Geräusch. Plosive und Fri- mittelbar der Lösung des Verschlusses folgt.
kative können im Deutschen als Lenis oder Lenisplosive sind im Deutschen generell nicht
als Fortis artikuliert werden. Auch bei den aspiriert: bohren, dir, Gala. Fortisplosive sind
Vokalen spielt der Spannungsgrad eine Rolle; aspiriert (wie in Poren, Tier, kahl), wenn kein
allerdings entfällt hier das Geräusch. Stimm- Frikativ vorausgeht und kein anderer Plosiv
hafte Laute werden von einem Stimmton be- folgt (wie in Sporen, Stier, Skala, Akt, Abt).
gleitet. Der Stimmton wird durch eine Vibra-
tion der Stimmbänder an der Glottis erzeugt. 3.2. Nasale
Plosive und Frikative können im Deutschen Nasale sind im Deutschen immer stimmhaft.
sowohl stimmhaft als auch stimmlos sein. Nasale sind [m] (bilabial) wie in mit, immer,
Nasale, Laterale und Vibranten kommen im Arm, [n] (alveolar) wie in nie, Winter, Sinn
Deutschen nur stimmhaft vor. und [n] (velar) wie in Inge, eng.
Auch Vokale sind stimmhaft. Spricht man
jedoch einen Vokal stimmlos aus, so entsteht 3.3. Frikative
ein ,Hauchlaut‘. Alle derartigen ,stimmlosen Frikative kommen als Lenes und als Fortes
Vokale‘ fassen wir als eine Gruppe zusam- vor. Im Deutschen sind Fortisfrikative immer
men, die wir im Deutschen als /h/ betrachten. stimmlos, Lenisfrikative meist stimmhaft,
Man kann also sagen, dass die Lautkette be- können aber nach stimmlosen Konsonanten
stehend aus /h/ ⫹ Vokal (an anderen Stellen entstimmt sein. Fortisfrikative sind [f] (labio-
kommt /h/ im Deutschen nicht vor) ein Laut dental) wie in fein, Phase, Vater, Affe, auf,
ist, der durchgehend alle artikulatorischen naiv, [s] (alveolar) wie in Skala, Masse,
Merkmale des jeweiligen Vokals enthält, des- Straße, Fuß, Eis, [s] (palato-alveolar) wie in
sen erster Teil stimmlos und dessen zweiter Schule, Asche, Chef, [ç] (palatal) wie in Che-
stimmhaft ist. Man nennt dies auch den be- mie, Eiche, euch, [x] (velar) wie in machen,
hauchten Vokaleinsatz. Wegen der (wenn Buch und [x] (uvular). Lenisfrikative sind [v]
auch geringen) Reibung im glottalen Bereich (labio-dental) wie in Wein, Vase, ewig, No-
erscheint der ,Hauchlaut‘ /h/ in der IPA- vember, [z] (alveolar) wie in sein, Rasen,
Tabelle unter dem Artikulationsort ,glottal‘. [z] (palato-alveolar) wie Genie, Journalist,
Neben dem behauchten Vokaleinsatz ist Dschungel, [j] (palatal) wie in jetzt, Yacht und
ein weiterer für das Deutsche kennzeichnend: [R] (uvular).
der harte Vokaleinsatz. Vor der eigentlichen Die beiden uvularen Frikative werden
Vokalartikulation verschließen die Stimmlip- später noch ausführlich behandelt und mit
pen den Luftstrom, und es kommt zu einem Beispielen belegt. Der (stimmhafte) palato-
explosionsartigen Einsetzen des Vokals. Wir alveolare Lenisfrikativ [z] kommt nur in
sprechen daher vom Glottisverschluss oder Fremd- und Lehnwörtern vor. Umgangs-
vom ,Knacklaut‘. Er tritt regelmäßig am sprachlich kommt im Deutschen außerdem
Wortanfang vokalisch anlautender Wörter ⫺ ein (stimmhafter) velarer Lenisfrikativ [¥]
wie in Eis, aus, in, oder ⫺ auf. Präfixe werden zwischen zwei Vokalen vor, von denen einer
durch den Knacklaut abgetrennt, Suffixe je- ein Hinterzungenvokal sein muss, wie in
doch nicht: beenden, erarbeiten ⬃ Bauer, Wagen, Bogen, Agathe.
frohe.
Damit ergeben sich folgende Laute des 3.4. Lateral
Deutschen (deren Lautwerte im folgenden Der Lateral ist im Deutschen immer stimm-
mit den Zeichen der IPA in eckigen Klam- haft. Er wird alveolar gebildet. Beispiele: [l]:
mern gekennzeichnet werden): leicht, alle, mal.
12. Das deutsche Lautsystem 155

3.5. Vibranten hinten) und nach der Form der Lippen (rund
Vibranten sind im Deutschen ebenfalls ⬃ nicht-rund) klassifiziert. Während im Deut-
stimmhaft. Zwar gibt es zwei Artikulations- schen die Hinterzungenvokale immer gerun-
orte, an denen im Deutschen Vibranten gebil- det und die Mittelzungenvokale immer un-
det werden, durch Vibration der Zungen- gerundet sind, kommen die Vorderzungen-
spitze am Zahndamm (apikal) und durch vokale sowohl gerundet als auch ungerundet
Vibration des Zäpfchens an der Zungenwur- vor. Insgesamt sind fünf Stufen der Zungen-
zel (uvular), doch sind die beiden Vibranten höhe zu unterscheiden, wobei die Zungen-
im Deutschen austauschbar; sie sind freie höhe mit dem Öffnungsgrad des Mundes
Varianten. Ob die eine oder andere Variante (d. h. dem Lippenabstand) korreliert: Hohe
gesprochen wird, ist für das Sprachverstehen Vokale sind relativ geschlossen, tiefe Vokale
unerheblich und gibt allenfalls Auskunft über relativ offen. Die fünf Öffnungsgrade vertei-
die sprachliche Heimat des Sprechers. Die len sich auf Vorder-, Mittel- und Hinterzun-
phonetischen Zeichen hierfür sind [r] für api- genvokale wie folgt: Hinterzungenvokale [u]
kales und [r] für uvulares R, doch wird in wie in Mus, [u] wie in muss, [o] wie in Ofen
den meisten Lexika nur [r] verwendet. und [c] wie in offen; Mittelzungenvokale [e]
Neben der Aussprache des R als Vibrant wie in bitte, [B] wie in bitter und [a] wie in
kommt im Deutschen heute immer häufiger kam, Kamm; ungerundete Vorderzungenvo-
die Aussprache als (uvularer) Frikativ vor. kale [i] wie in Miete, [i] wie in Mitte, [e] wie
Das ,Reibe-R‘ wird v. a. prävokalisch und in wen und [i] wie in wenn, hätte, Käse; ge-
nach kurze Vokalen, insbesondere in der Stel- rundete Vorderzungenvokale [y] wie in süß,
lung vor Konsonanten, wie in Korb, Kerbe, [y] wie in flüssig, [ø] wie in König und [œ] wie
Arm, Torf, Kurve, geworden, Kern, Kerl, in können.
Ferse, Marge, Mark, bergen, Kirche artiku-
liert. Als weitere Besonderheit ist eine Ten-
denz zur stimmlosen Aussprache des frikati-
ven R vor stimmlosen alveolaren und palato-
alveolaren Frikativen und Plosiven festzustel-
len, wie in hart, Kurs, kurz, Marsch.

Abb. 12.3: Zusammenfassung der Vokalwerte des


Deutschen.

Die Vokalwerte sind im Deutschen unter den


folgenden beiden Gesichtspunkten ungleich
verteilt:
(1) unter dem Gesichtspunkt der Betonung:
Die beiden Zentralvokale, das geschlos-
sene [e] und das offenere [B], kommen nur
in unbetonten Silben vor, alle übrigen
Vokalwerte sowohl in betonten als auch
Abb. 12.2: Zusammenfassung der Konsonanten in unbetonten.
des Deutschen.
(2) unter dem Gesichtspunkt der Dehnung:
Sechs Vokalwerte sind in betonter Stel-
lung immer lang: [i:], [y:], [u:], [e:], [ø:]
3.6. Vokale und [o:]. Zwei Vokalwerte kommen so-
Die Vokalwerte werden im Deutschen nach wohl lang als auch kurz vor: [i] und [i:],
dem Grad der Zungenhebung (hoch ⬃ tief), [a] und [a:]. Die übrigen Vokalwerte sind
nach der Richtung der Zungenlage (vorn ⬃ immer kurz.
156 III. Linguistische Gegenstände I: Das Sprachsystem

4. Phonotaktik ten [pf], [ts] und [ts] wie in Apfel, Kopf, Zeit,
sitzen, Satz, Deutsch, klatschen. In Lehn- und
Für die Beschreibung des Lautsystems einer Fremdwörtern kommt außerdem [dz] (das
Sprache sind aber nicht nur die einzelnen stimmhafte Leniskorrelat von [ts]) vor, wie in
Laute unter paradigmatischem Aspekt, son- Dschungel, Adagio.
dern auch die Möglichkeiten ihrer Verknüp- Vokalkombinationen ⫺ genauer: die Gleit-
fung unter syntagmatischem Aspekt zu be- bewegung von einem Vokalwert zu einem an-
rücksichtigen. Die Untersuchung der syntag- deren ⫺ werden Diphthonge genannt. Die
matischen Aspekte eines Lautsystems ist Auf-
gabe der Phonotaktik. In den phonotakti-
schen Regeln sind die Distributions- und
Kombinationsmöglichkeiten für die Laute
einer Sprache zusammengefasst.
Die Verteilung und Verknüpfung der Ein-
zellaute auf der syntagmatischen Achse ist
nicht nur unter Aspekten der Kommunika-
tionserleichterung zwischen Muttersprach-
lern von Bedeutung, sondern auch für die
Ausspracheschulung. Grundsätzlich ist die
Kombination von Vokalen und Konsonanten
im Deutschen frei, während die Kombination
von Konsonanten miteinander und die Kom-
bination von Vokalen miteinander besonde-
ren Regeln unterliegen, die hier nicht im Ein-
zelnen erläutert werden sollen.
4.1. Silbenstruktur
Allein die Silbenstruktur einsilbiger Mor-
pheme weist im Deutschen bereits eine be-
trächtliche Vielfalt auf. Beispiele: v (oh); kv
(du, so, wie); kkv (Knie, froh, Schnee); kkkv
(zwo, sprüh, Stroh); vk (an, ihn, all); kvk
(Ton, Ball, Tip); kkvk (frag, Klang, Blick,
zehn); kkkvk (Spross, Strahl, Zweck); vkk
(Ost, Ulk, Arm, elf, acht); kvkk (West, Mark,
Kurs, Milch, sechs, Jagd, gelb); kkvkk (Frost,
flix, Kraft, Gracht, Knopf, stark); kkkvkk
(Strand, zwölf); vkkk (Obst, Axt); kvkkk
(Markt, sanft, Furcht, Herz, Papst); kkvkkk
(Schmerz, Knirps); kkkvkkk (Strumpf);
vkkkk (Ernst); kvkkkk (Herbst).
Statt v kann an einigen Stellen auch vv
stehen: vv (Ei, au); kvv (Bau, bei, neu); kkvv
(grau, schlau, Blei); kkkvv (Spreu, zwei); vvk
(ein, aus, euch); kvvk (Beil, faul, neun, weit);
kkvvk (braun, klein, Zeug); kkkvvk (Streik,
zweit, Spleiß); kvvkk (meist, Haupt, Feind,
Kauz, Faust); kkvvkk (Freund). An Mor-
phemgrenzen kann es zu einem ,Konsonan-
tenstau‘ kommen, wie z. B. in Marktstrategie
oder Herbststurm mit insgesamt sechs Kon-
sonanten.
4.2. Lautkombination
Zu den häufigen Konsonantenkombinatio-
nen, die sich phonotaktisch wie Einzellaute Abb. 12.4: Darstellung der Vokalqualitäten und
verhalten, gehören im Deutschen die Affrika- Bewegungsvokale im Vokalviereck.
12. Das deutsche Lautsystem 157

wichtigsten sind [ai], [au] und [cy] wie in Eis, 5. Prosodien


Kaiser, aus, heute, Käufer. Daneben gibt es
eine Gruppe von Vokalkombinationen, deren Zu den wichtigsten suprasegmentalen Merk-
letztes Element immer der offene Zentralvo- malen gehören die Intonation (Tonhöhenbe-
kal [B] ist. Diese sind [iB], [yB], [uB], [eB], [øB] wegung), die Akzentuierung (Veränderung
und [oB] wie in Tier, Tür, Tour, Teer, Tör- der Lautstärke) und die Rhythmik (zeitliche
chen, Tor. Anordnung des Sprechkontinuums).

4.3. Lautdistribution 5.1. Akzentuierung


Von den zahlreichen Distributionsregeln des Akzentuierung ist die Heraushebung einzel-
Deutschen seien hier nur einige wichtige als ner Teile des Sprechkontinuums, meist Sil-
Beispiele genannt: ben, mit dem Mittel der Lautstärke und
durch größere Spannung. Regeln werden
(1) Stimmhafte Lenes (Frikative und Plosive) meist für das Wort oder den Satz angegeben.
kommen am Silbenende im Deutschen Wir sprechen daher von Wort- und Satz-
nicht vor. Die morphologischen Lenes akzent.
werden in diesen Positionen entstimmt Während die temporale und melodische
und zu ihren Fortiskorrelationen. Diese Gestaltung des Einzelwortes je nach Sprech-
Lautveränderung nennen wir ,Auslaut- situation variieren kann, ist die Akzentsilbe
verhärtung‘: [b] J [p]: Loben ⬃ Lob, [d] vorgegeben (und in Wörterbüchern festgehal-
J [t]: Räder ⬃ Rad, [g] J [k]: tagen ⬃ ten). Die Wortakzentuierung wird im Deut-
Tag, [z] J [s]: hausen ⬃ Haus, [v] J [f]: schen durch zahlreiche Regeln bestimmt.
naive ⬃ naiv. Grundsätzlich hat man zwischen der Akzen-
(2) Während die Nasale [m] und [n] in allen tuierung von Wörtern des Erbwortschatzes
Positionen vorkommen, ist die Distribu- und denen des Fremdwortschatzes zu unter-
tion des [n] defizitär: Der velare Nasal scheiden. Ferner ist zu unterscheiden zwi-
kommt nicht am Wortanfang, nicht nach schen der Akzentuierung von einfachen Wör-
Konsonanten und nicht nach langen Vo- tern, von Komposita und von Wörtern mit
kalen vor. Affixen.
(3) Der velare Frikativ [x] kommt ebenfalls Für die Wörter des Erbwortschatzes gilt im
nicht am Wortanfang und nicht nach Deutschen vornehmlich die ,Stammbeto-
Konsonanten sowie nicht nach Vorder- nung‘. Dies bedeutet, dass die erste Silbe ei-
zungenvokalen vor. Umgekehrt kommt nes Wortstamms akzentuiert ist und dann
der palatale Frikativ [ç] nicht nach Hin- auch akzentuiert bleibt, wenn Affixe hinzu-
terzungenvokalen vor. treten oder weitere Wortstämme angefügt
(4) /j/ kommt nur initial vor, außer in Lehn- werden. Beispiele: schreiben ⬃ Schreibtisch ⬃
und Fremdwörtern (einschließlich solcher verschreiben ⬃ unterschreiben ⬃ Schreibma-
schine ⬃ Beschreibung, Gold ⬃ goldene ⬃ ver-
aus dem Niederdeutschen wie Koje,
golden ⬃ Goldschmied ⬃ Goldarmband.
Boje), wo es auch medial vorkommt. Fi-
Präfixe und Suffixe sind im Allgemeinen
nal kommt /j/ nicht vor.
unbetont. Ausnahmen bilden Präfixe wie ein-,
(5) Der Lenisfrikativ [z] und der Fortisfrika-
aus-, vor-, an-, ab-, her-, hin-, mit-, zu- usw.
tiv [s] stehen in teilkomplementärer Dis- Sie sind immer betont. Betonte Präfixe finden
tribution. Am Wortanfang kommt der wir bei vielen Verben (nämlich den ,trennba-
Fortis nur vor Konsonanten, der Lenis ren Verben‘, z. B. führen ⬃ vorführen ⬃ zu-
nur vor Vokalen vor, am Silbenende führen) und bei deren substantivischen Ablei-
kommt nur der Fortis vor, intervokalisch tungen (wie z. B. einsteigen ⬃ Einstieg, aus-
kommt nach kurzen Vokalen ebenfalls steigen ⬃ Ausstieg, abfahren ⬃ Abfahrt, an-
nur der Fortis vor; lediglich nach langen kommen ⬃ Ankunft, herkommen ⬃ Herkunft,
Vokalen können beide Laute stehen (wie vorfahren ⬃ Vorfahrt usw.).
in reisen ⬃ reißen, Muse ⬃ Muße). Manche Präfixe (wie z. B. über, unter,
(6) Die Konsonantenkombinationen [st] (wie durch) können betont oder unbetont sein. In
stehen) und [sp] (wie in spielen) kommen vielen Fällen lassen sich dadurch Bedeutun-
nur am Anfang des Wortstamms vor, gen unterscheiden (z. B. einen Text übersetzen
während die Kombinationen [st] (wie in ⬃ ans andere Ufer übersetzen). Viele Präfixe
Lust) und [sp] (wie in Wespe) in medialer kommen überwiegend betont vor, wie z. B.
und finaler Stellung vorkommen. un- (ungenau, unschön, aber auch: unmöglich,
158 III. Linguistische Gegenstände I: Das Sprachsystem

unglaublich), miss- (Missverständnis, Miss- als Wort gelesen werden, und Akronyme wer-
ernte, aber: missbrauchen, misstrauen) und ur- den vorwiegend auf der vorletzten Silbe be-
(Ursache, Urwald, Urkunde, aber auch: ur- tont: UNO, BAFöG, NATO, UNESCO, Mit-
sprünglich). ropa (aber: Unicef).
Von der Regel, nach der die erste Stamm- Der Wortakzent ist im Deutschen in vielen
silbe zu akzentuieren ist, wird fernerhin abge- Fällen distinktiv: August ⬃ August, Tenor ⬃
wichen, wenn betonte Suffixe angefügt wer- Tenor, durchbrechen ⬃ durchbrechen, Blinde-
den, wie z. B. Bäcker ⬃ Bäckerei, Bank ⬃ kuh ⬃ blinde Kuh.
Bankier, sowie bei Anfügung des Suffixes -ig Silben, die den Wortakzent tragen, sind
an das Suffix -haft wie z. B. in wahr ⬃ wahr- auch potenzielle Träger des Satzakzents.
haft ⬃ wahrhaftig (analog dazu auch: lebend Allerdings kann mit der Wahl der akzentuier-
⬃ lebendig). ten Silbe auch ein bestimmtes Implikat ver-
Bei Komposita ist generell zu unterschei- bunden sein, wie die folgenden Beispiele zei-
den zwischen Determinativ-Komposita (wie gen:
z. B. Bücherschrank, Hochhaus, Liegewagen,
Fahrzeug), die auf dem ersten Teil, und Ko- Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
pulativ-Komposita (wie z. B. blaugrün, rosa- Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
rot), die auf dem zweiten Teil betont sind. Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
Nach dem Muster der Kopulativ-Kompo- Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
sita werden sehr viele Orts- und Eigennamen Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
betont, wie z. B. Sachsen-Anhalt, Mayer- Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
Schalburg, Neunkirchen-Seelscheid, Rottach- Ich habe ihr den Ball zurückgeworfen.
Egern, aber auch: Travemünde, Bremerhaven,
5.2. Intonation
Bayrischzell, Mühlhausen, Oberkassel, Berg-
zabern, Hohenzollern usw. Die Vielfalt der im Deutschen möglichen In-
Für dreigliedrige Komposita gilt die glei- tonationsweisen lässt sich hier nicht ausbrei-
che Regel: Determinativ-Komposita sind auf ten, doch können deutlich drei Grundtypen
der ersten Silbe betont, wenn das Grundwort unterschieden werden: die steigende Intona-
selbst ein Kompositum ist, z. B. Lastkraftwa- tion, die fallende Intonation und die ebene
gen, Fachhochschule, Uhrenarmband. Ist je- Intonation. Entscheidend für die Ausprägung
doch in dem dreigliedrigen Kompositum ein der Intonationskontur ist die Position der
Kopulativ-Kompositum enthalten, so liegt Silbe, die den Satzakzent trägt. Sie liegt bei
die Akzentuierung auf diesem, z. B. Schwarz- der steigenden Intonation auf der tiefsten
weißfilm. Ebenso werden betont: Dreikäse- Tonstufe und bei der fallenden Intonation
hoch, Rotkreuzschwester. Auch hier gilt Ent- auf der höchsten Tonstufe. Dies gilt nur, so-
sprechendes wieder für viele Ortsnamen, wie fern weitere Silben im Satz folgen. Diese lie-
z. B. Mönchengladbach, Schenklengsfeld. gen bei der steigenden Intonation auf der
Bei der Bildung von Komposita aus Parti- höchsten und bei der fallenden Intonation
keln (Adverbien und Präpositionen) wie in auf der tiefsten Stufe. Die Silben vor dem
hinzu, sogar, wieso, heraus, vorüber ist das Satzakzent liegen in beiden Fällen auf der
letzte Element betont, und bei der Komposi- mittleren Stufe. Liegt der Satzakzent auf der
tabildung von Adjektiven, bei denen das Be- ersten Silbe des Satzes, so entfällt die mittlere
stimmungswort nicht wörtlich gemeint ist, Stufe; liegt er auf der letzten Silbe des Satzes,
sondern der Verstärkung dient, wie in eiskalt, so bewegt sich die Tonhöhe innerhalb dieser
mausetot, hundemüde usw., sind beide Ele- Silbe von der höchsten zur tiefsten Stufe bei
mente gleichermaßen betont. der fallenden Intonation und von der tiefsten
Die Regel der ,Stammbetonung‘ gilt nicht zur höchsten Stufe bei der steigenden Intona-
für den deutschen Fremd- und Lehnwort- tion. Damit ergeben sich insgesamt die fol-
schatz. Hier werden meist die Akzentmuster genden Muster (s. Abb. 12.5).
der Ausgangssprachen übernommen. Bei- Die Regeln für die Anwendung der stei-
spiele: Doktor ⬃ Doktoren ⬃ Doktorat, phy- genden, fallenden und ebenen Intonation
sisch ⬃ Physik ⬃ physikalisch, Foto ⬃ Foto- sind komplex, lassen aber folgende Grund-
graf ⬃ Fotografie. aussagen zu:
Bei Abkürzungen wird immer der letzte
Buchstabe betont, sofern einzeln buchstabiert (1) Aussagesätze werden in der Regel mit fal-
wird: EU, AG, VHS, USA, BGB, GmbH, lender Intonation gesprochen. (Abwei-
OSZE, StGB, UNHCR. Abkürzungen, die chungen davon sind häufig in der Kom-
12. Das deutsche Lautsystem 159

(6) Wird die Wortfrage (Beispiel: Wohin fahrt


ihr im Urlaub?) mit fallender Intonation
gesprochen, so dient sie der Informa-
tionsabfrage; wird sie dagegen mit stei-
gender Intonation gesprochen, so signali-
siert sie Zweifel oder Missverstehen.
5.3. Rhythmik
Jede Sprache organisiert die zeitliche Anord-
nung der Elemente des Sprechkontinuums in
ihrer eigenen Weise. Die Rhythmik ist ein
wichtiges Mittel in der Kommunikation der
Muttersprachler untereinander; sie prägt die
Hörerwartung und kann so die Kommunika-
tion erleichtern. Da durch diese Phänomene
jedoch innerhalb einer Sprache keine Bedeu-
tungen unterschieden werden, blieb dieser
Aspekt in der phonetischen Beschreibung
(und als Folge davon auch in der Aus-
spracheschulung) weitgehend unberücksich-
tigt. Für eine gute Aussprache ist jedoch be-
achtenswert, dass ein ,fremder Akzent‘ bei
Abb. 12.5: Zusammenfassung der Grundkonturen
nicht adäquater Rhythmik sofort erkannt
der deutschen Intonation:
1 ⫽ fallende, 2 ⫽ steigende, 3 ⫽ ebene Intonation; wird, auch wenn Segmente, Intonation und
a ⫽ mit Vor- und Nachlauf, b ⫽ ohne Vorlauf, Akzentuierung richtig gesetzt sind.
c ⫽ ohne Nachlauf (Satz endet mit akzentuierter Die rhythmische Gliederung der deutschen
Silbe; die Tonhöhenbewegung wird in dieser Silbe Sprache ist durch seine Akzentorientierung
realisiert), d ⫽ Satz besteht nur aus einer (akzen- gekennzeichnet. Während z. B. in den ,silben-
tuierten) Silbe. zählenden‘ Sprachen eine gleichmäßige Ver-
teilung der Silben auf der zeitlichen Achse des
Sprechkontinuums erfolgt, die Abstände von
munikation mit Kindern und Tieren zu Silbe zu Silbe ungefähr gleich sind und somit
hören.) die Takte als rhythmische Einheiten jeweils
(2) Aufzählungen werden in der Regel mit eine Silbe beinhalten, ist im Deutschen die
ebener Intonation gesprochen. Verteilung der Silben auf der zeitlichen Achse
(3) Bei Aufforderungen (wie etwa Setzen Sie recht ungleich.
sich!) kann der Grad der Freundlichkeit Im Deutschen sind die Abstände von Ak-
aus der Intonation abgelesen werden: Bei zent zu Akzent ungefähr gleich ⫺ ungeachtet
ebener Intonation klingt die Aufforde- der Zahl der nichtakzentuierten Silben. Das
rung teilnahmslos, bei fallender Intona- bedeutet auch, dass jeder Takt nur eine ak-
tion direkt, fast befehlend, bei steigender zentuierte, aber eine beliebige Zahl nichtak-
Intonation zuvorkommend, freundlich. zentuierter Silben enthält. Dies hat zur Folge,
(4) Eine Frageintonation gibt es im Deut- dass für die Artikulation der unbetonten Sil-
schen nicht. Vielmehr ist zwischen ver- ben unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung
schiedenen Arten von Fragesätzen zu un- steht, je nachdem, wieviele unbetonte Silben
terscheiden, zunächst zwischen Satzfra- sich in einem Takt befinden. Bei entspre-
gen und Wortfragen. Bei Satzfragen ist chend großer Silbenzahl führt dies im Deut-
ferner die Syntax zu beachten. schen zur quantitativen und qualitativen Re-
(5) Steht bei einer Satzfrage das Verb an der duktion, zur regressiven und progressiven
ersten Stelle (Beispiel: Fährt er heute nach Assimilation, zur Tilgung von Lauten und zu
Bonn?), kann der Satz mit steigender oder verschiedenen Formen von ,Verschleifungen‘.
fallender Intonation gesprochen werden; Zu den quantitativen Reduktionen gehört
steht es dagegen an 2. Stelle (Beispiel: Er v. a. die Kürzung langer Vokale ([i:] in wieder,
fährt heute nach Bonn?), so muss die stei- [i] in wiederholen). Ein Beispiel für qualitative
gende Intonation verwendet werden, da Reduktion ist die Abschwächung des Vollvo-
der Satz sonst als Aussage verstanden kals zum Zentralvokal in der Tonsenke (und
würde. J [ent]). Die Elision betrifft z. B. das [e] in
160 III. Linguistische Gegenstände I: Das Sprachsystem

den Endsilben -el, -en, -em. Gerät dabei das gleicher lautlicher Umgebung vor (wie z. B.
[n] in die Nachbarschaft eines Plosivs, wird das Zungenspitzen-R und das Zäpfchen-R im
meist assimiliert: n J [m] (haben), n J [n] Deutschen, freilich in der Regel bei verschie-
(Haken). Derartige Lautveränderungen kön- denen Sprechern), so sprechen wir von Vari-
nen für Nicht-Muttersprachler zunächst ein phonen.
Hindernis beim Hörverstehen sein. Unter funktionalem, phonologischem
Aspekt lassen sich die Laute des Deutschen
wie folgt zusammenfassen:
6. Phonologie Die Lenisplosive /b/, /d/, /g/ stehen in Op-
position zu den Fortisplosiven /p/, /t/, /k/.
Zur Beschreibung des Lautsystems einer Zwar ist diese Opposition im Auslaut aufge-
Sprache gehört nicht nur die Feststellung der hoben, doch kann sie initial und medial be-
phonetischen Phänomene, sondern auch de- deutungsdifferenzierend wirken. Beispiele:
ren Deutung in Bezug auf den Stellenwert in-
nerhalb des Systems. Dies im Einzelnen fest- Bein ⬃ Pein, Blatt ⬃ platt, eben ⬃ Epen.
zustellen, ist Aufgabe der Phonologie. Wäh- Deich ⬃ Teich, Dronen ⬃ thronen, Kader ⬃
rend die Phonetik die Lautsprache unter dem Kater.
Aspekt ihrer Substanz betrachtet, richtet die gern ⬃ Kern, Gram ⬃ Kram, Egge ⬃ Ecke.
Phonologie ihr Augenmerk auf die Funktion Labio-dentale Frikative stehen initial eben-
der erzeugbaren Laute innerhalb der Spra- falls in Opposition: wie ⬃ Vieh. Final ist die
che. Eine phonologische Untersuchung kann Opposition aufgehoben. Medial kommt der
deshalb immer nur auf eine Einzelsprache be- Lenisfrikativ nur selten (ewig, Löwe), haupt-
zogen sein. sächlich in Lehn- und Fremdwörtern (Novem-
Die Entscheidung für die Zuordnung von ber, Provision, Klavier) vor.
unterschiedlich artikulierten Lauten zu Laut- Auf die teilkomplementäre Distribution
klassen ist nicht ausschließlich von ihrer pho- der beiden S-Laute ⫺ /z/ bzw. /s/ ⫺ wurde
netischen Ähnlichkeit abhängig, sondern bereits verwiesen. Lediglich in intervokali-
auch von der Frage, ob sie in einer gegebenen scher Position nach langen Vokalen und nach
Sprache die Funktion erfüllen, Bedeutungen Diphthongen können durch die Spannungs-
unterscheiden zu können oder nicht. Zwei und Stimmkorrelation Bedeutungen unter-
Laute, die beim Austausch des einen durch schieden werden (Beispiele s. o.).
den anderen innerhalb einer Lautkette zu Der (stimmhafte) velare Lenisfrikativ ist
verschiedenen Bedeutungen der so erzeugten als Allophon des /g/ zu werten; dieses Allo-
Wörter führen, müssen verschiedenen Klas- phon kommt umgangssprachlich nur intervo-
sen angehören. Solche Lautklassen nennen kalisch in der Nachbarschaft dunkler Vokale
wir Phoneme. Das einfachste Mittel zum vor (Beispiele s. o.).
Nachweis der Phonemdifferenzierung ist die Die beiden (stimmlosen) dorsalen Fortis-
Bildung eines Minimalpaares; das sind paar- frikative stehen in komplementärer Distribu-
weise angeordnete Lautketten, bei denen je- tion: Der velare Frikativ [x] kommt nur nach
weils nur ein Glied verschieden ist, wie z. B. dunklen Vokalen vor (Dach, Lache, Koch,
in Wein ⬃ fein, Leben ⬃ loben, Flug ⬃ frug, Kuchen, Frucht, Bauch), während der palatale
Männchen ⬃ Menschen. Die bedeutungs- Frikativ [ç] an den übrigen Stellen vor-
unterscheidende Funktion der Phoneme ist kommt: nach hellen Vokalen (ich, riechen,
die Grundlage jeder phonologischen Be- Eiche, echt, Ächzen, euch, Bäuche, Köche,
schreibung. Küche, Bücher), nach Konsonanten (manche,
Phoneme sind daher als Lautklassen defi- Milch, durch) und am Anfang eines Mor-
niert, deren Mitglieder austauschbar sind, phems (Chemie, China und in dem Diminu-
ohne dass sich die Bedeutung des Wortes in tiv-Suffix -chen). Im Diminutiv-Suffix wird ch
der gegebenen Sprache ändert. Stehen diese nach dieser Regel auch dann palatal artiku-
Mitglieder in verschiedenen lautlichen Um- liert, wenn das vorausgehende Morphem auf
gebungen, so sprechen wir von Allophonen einen dunklen Vokal endet (wie in Frauchen).
(so kommt z. B. im Deutschen ein nicht- Wie bereits ausgeführt, werden die ,stimm-
aspiriertes P nach Frikativen vor, während losen Vokale‘ unter phonologischem Ge-
sonst vor Vokalen nur das aspirierte P steht). sichtspunkt zu einer funktionalen Einheit,
Allophone stehen also in komplementärer dem Phonem /h/ zusammengefasst. Ob dem
Distribution. Stehen die Laute hingegen in Knacklaut [{] auch ein phonematischer Sta-
paralleler Distribution, d. h. kommen sie in tus zukommt, ist strittig. Er kommt regelmä-
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ßig vor betonten Vokalen im Anlaut eines (1) Es gibt im Deutschen sowohl ein langes
Wortstammes oder Präfixes vor.