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Lehrbuch für psychoanalytisch orientierte Psychotherapie

Perversionen
Fritz Lackinger

Abstract
Dieser Beitrag beginnt mit einem historischen Überblick über die Hauptlinien der psychoanalytischen
Konzeptentwicklung zum Thema Perversion. Er geht dann über in eine Darstellung der Phänomenologie
und der Verlaufsformen perverser Pathologien und vertieft sich in die verschiedenen, relevant
erscheinenden Dimensionen einer psychoanalytischen Diagnostik der Perversion. Im Zentrum steht
dabei eine Einteilung des Schweregrads der Störung im Zusammenhang mit dem Strukturniveau der
Patienten, des Ausmaßes der Triebentmischung sowie der Art ihrer narzisstischen und der Überich-
Pathologie. Die Unterscheidung zwischen benignen, transgressiven und malignen Perversionen hat auch
Relevanz für die Behandlungsindikation, die notwendigen Rahmenbedingungen und die zentralen
Strategien der Behandlung. In diesem Zusammenhang werden auch die wichtigsten Konzeptionen und
Erscheinungsformen der Dynamik von Übertragung und Perversion erläutert.

Stichworte
Perversion – sexuelle Präferenzstörung – paraphile Störung
Der Ausdruck Perversion wurde von Krafft-Ebing (1886) in die Psychiatrie eingeführt und blieb dort bis in
die 1970er Jahre der vorherrschende Begriff. Im DSM III (1980) wurde erstmals der Ausdruck Paraphilie
für sexuelle Abweichungen verwendet

Einleitung
Der Duden definiert den Ausdruck pervers folgendermaßen: (besonders in sexueller Beziehung) als
widernatürlich empfunden; (umgangssprachlich, oft emotional übertreibend) die Grenze des Erlaubten
überschreitend, unerhört, schlimm; absurd, höchst merkwürdig.
Im lateinische Altertum bedeutete pervertere more so viel wie gegen die Sitten verstoßen, Verkehrung
der Sitten. Der homo perversus galt als süchtig nach dem Negativen und Destruktiven. Luigi Castagna
(2002), ein italienischer Altertumswissenschaftler, hat v.a. die Kunst des neronischen Zeitalters unter
dem Leitmotiv der Verkehrung untersucht und dafür den Begriff pervertere verwendet. Es sei eine
Ästhetik der Verkehrung gewesen.
Krafft-Ebing (1886) lieferte in seiner Psychopathia sexualis erstmals eine umfassende deskriptive
Beschreibung von abweichendem Sexualverhalten. Von ihm stammt die Unterscheidung zwischen
Perversion und Perversität. Perversion bezeichnet bei ihm eine krankhafte Veranlagung bzw. Ausprägung
des Sexualtriebes, die zu Handlungen führt, die nicht auf Fortpflanzung gerichtet sind. Damit holt er
sexuelle Deviationen aus dem Register der Sünde in den Einflussbereich der Medizin. Als Zugeständnis an
die religiöse Weltauffassung räumte er jedoch ein, dass solche Handlungen auch ohne Krankheit, aber als
moralische Laster auftreten könnten. Er nannte sie dann Perversitäten.

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Freud (1905d) betrachtete die Perversion Erwachsener als Erster als eine Entwicklung, eine Dynamik, als
nichts einfach Feststehendes oder Angeborenes. Er folgte auch der begrifflichen Entwicklung in der
französischen Psychiatrie (u.a. bei Charcot), wo ab den 1880er Jahren der frühere Begriff der Sodomie
(für Homosexualität) durch den der Inversion ersetzt wurde.

Historischer Überblick über die Konzeptentwicklung


Die Auffassungen des frühen Freud zur Perversion sind v.a. den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie
(1905d) dargestellt. Anschließend an die medizinische Sicht der Zeit betrachtete auch Freud Perversion
als dauerhafte und unverzichtbare Abweichung vom Sexualziel der heterosexuellen Kohabitation. Er
unterschied Fixierungen auf nicht-genitale Körperzonen, auf Vorlustziele und auf ungeeignete Objekte
wie Kinder oder Tiere.
In der Untersuchung der Psychodynamik stellte er eine Verbindung her zwischen den verschiedenen
Perversionen und dem lustvollen Spiel der Kinder, v.a. hinsichtlich der erogenen Zonen. Die Konzeption
der Partialtriebe stellt dabei die Verbindung her: Partialtriebe prägen die infantilen Wünsche, bleiben
aber auch in den Perversionen vordergründig. Orale und anale Partialtriebe können verwendet werden,
um der Angst vor der besonders verbotenen Genitalität zu entgehen. Eine besondere Rolle spielen auch
die sadistischen, masochistischen, exhibitionistischen und voyeuristischen Partialtriebe. In der Perversion
unterbleibt die Herstellung des Genitalprimats.
„Die Neurose ist sozusagen das Negativ der Perversion“ (Freud 1905d, 65), d.h.: Was in der Neurose
verdrängt ist, ist in der Perversion nicht verdrängt (also bewusst). Dabei handelt es sich um Fixierungen
an infantil-sexuelle Erfahrungen und/oder um Wunschphantasien (geprägt von der polymorph-perversen
Sexualität der Kindheit). Der später Perverse idealisiert den Trieb und hält an der Masturbation und der
infantilen Sexualität fest. Freud hielt perverse Patienten zu diesem Zeitpunkt nicht für analysierbar, da
sie zu wenig Leidensdruck entwickeln würden.
In seinen Schriften nach dem 1. Weltkrieg betont Freud v.a. die Verleugnung der Kastrationsangst und
die Ich-Spaltung als Abwehr.
Freud (1919e): Bei Perversen dominiert der negative Ödipuskomplex, weshalb sie sich dem Analytiker
anal unterwerfen und sich mit der Mutter identifizieren.
Freud (1927e, 1940e): Eine besonders gesteigerte Kastrationsangst kann den Knaben dazu bringen, die
Penislosigkeit der Frau zu verleugnen. Ein Teil des Ichs anerkennt zwar die Realität, ein anderer aber
hängt weiter dem kindlichen Glauben an, alle Menschen hätten einen Penis (Ich-Spaltung). Der Fetisch
ersetzt den mütterlichen Penis und wehrt die Wahrnehmung der Kastrationsangst ab.
Melanie Klein (1957) entdeckte, dass es bei kleinen Kindern zu einer vorzeitigen Entwicklung genitaler
Empfindungen kommen kann. Diese würden dann meist als Mittel gegen panischen Ängste verwendet,
die durch prägenitale, v.a. sadistische Impulse des Kindes ausgelöst worden seien. Die Urszenen- und
später die ödipalen Phantasien seien in diesen Fällen sadomasochistisch besonders aufgeladen. Die
genitale Erotisierung prägenitaler Impulse solle beruhigende Liebesimpulse mobilisieren und den Hass
verleugnen helfen. Zugleich berge die vorzeitige Genitalisierung aber die Gefahr in sich, dass daraus im
Erwachsenenalter sexuelle Perversionen und destruktive Erregungszustände entstünden.
Edvard Glover (1933) bestätigte die Idee, dass kindliche Ängste durch Verstärkung der libidinösen
Systeme bekämpft werden könnten und zeigte, wie die daraus sich entwickelnde perverse Lösung dem
Erwachsenen helfe, Fehler in der Entwicklung des Realitätssinnes zu übertünchen.
John Steiner (1993), ein bedeutender britischer Neokleinianer, definierte Perversion v.a. in Bezug auf
den Umgang mit der Realität. Ein perverser Umgang mit der Realität sei für pathologische

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Abwehrorganisationen im Allgemeinen typisch, also nicht nur für sexuelle Perversionen. Dabei gehe es
nicht einfach um ein Nebeneinander von Anerkennung und Verleugnung bestimmter traumatisierender
Realitäten, sondern in den Worten Freuds um einen kniffigen Umgang damit. Es gehe um eine falsche
Versöhnung widersprüchlicher Betrachtungsweisen, um eine Missrepräsentation und Entstellung der
Wahrheit. Steiner greift auch die drei Grundtatsachen des Lebens nach Money-Kyrle (1971) auf, deren
perverse Missrepräsentation zu drei Varianten von Perversion führe:
 die narzisstische Perversion verleugne die existentielle Bedeutung der Brust
 die sexuellen Perversionen verleugnen die Fruchtbarkeit des elterlichen Koitus
 die romantischen Perversionen verleugnen die Begrenztheit der Zeit und die Unvermeidlichkeit des
Todes.
Winnicott (1953) beschrieb Entstehung und Funktion von Übergangsobjekten, die den Säugling bei den
ersten Trennungen von der Mutter trösten und später die Ablösung erleichtern. Nur selten würden
Übergangsobjekte sexualisiert und zur Masturbation verwendet. Darauf bezugnehmend fand Bak (1974),
dass nicht alle Fetische aus Übergangsobjekten entstehen, dass aber immer eine präödipale (v.a. orale)
Störung zu finden sei. Greenacre (1971) beschrieb, dass Übergangsobjekte immer weich sind und sich
gut anfühlen, Fetische dagegen sind oft hart oder haben scharfe Kanten. Darin drückt sich ein aggressives
Moment aus, das aus der Identifizierung mit einer hart erlebten Mutter stammt, aber auch eigene Wut
über erlittene Schmerzen reflektiert.
Masud M. Khan, ein Schüler Winnicotts, der später wegen seiner Grenzverletzungen gegenüber seinen
Analysanden aus der britischen psychoanalytischen Gesellschaft ausgeschlossen wurde, hat einige
relevante Beiträge zur Perversion verfasst. Nach Khan (1979) zeigt sich in der Perversion eine spezifische
Verwendung des sogenannten Wiedergutmachungstriebes. Es handle sich um Patienten, die mit einer
intimitätssüchtigen, idolisierenden Mutter identifiziert seien. Er fand, Perverse hätten als Kinder kaum
gespielt und keine Übergangsobjekte gehabt. Sie hätten es aufgegeben, der Mutter von sich
aus Angebote zu machen, da sie von dieser nicht wahrgenommen, sondern idolisiert würden. Um mit der
Mutter in Kontakt zu bleiben, verstärkten sie deren Gesten, die sich auf das idolisierte Ding-Geschöpf
beziehen (falsches Selbst). Das Ergebnis sei das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, aber von sich aus
nichts anbieten zu können. Die Sexualität werde von Perversen verwendet, um mittels eines Als-Ob-
Übergangsobjektes chronische Angstzustände abzuwehren.
Jacob Arlow (1971) entwickelte (im Rahmen der amerikanischen Ich-Psychologie) eine Konzeption der
Charakterperversion in Analogie zum Begriff der Charakterneurose von Freud. Ebenso wie letztere sei
auch die Charakterperversion durch Ich- und Überich-Syntonizität gekennzeichnet. Solche Patienten
ignorierten Teile der Realität, oder Teile der Bedeutung derselben, indem sie von dieser ablenken. Dies
erschwere die Behandlung, weil kein kritischer Ich-Anteil vorhanden sei. Er unterschied drei
Charakterperversionen:
 Der unrealistische Charakter ignoriere Deutungen und richte die Neugier auf Nebensächlichkeiten.
 Der kleine Lügner rede in der Analyse herum und erzeuge einen falschen Eindruck.
 Der Streichespieler versuche im Analytiker Angst oder Panik auszulösen, und empfinde Lust bei der
Aufdeckung des Schwindels.
Diese Charakterperversionen entsprechen symptomatische Perversionen (bzw. sie wehren diese ganz
oder teilweise ab), v.a. Voyeurismus, Fetischismus, Transvestitismus.
Jacques Lacan (1956-57) betrachtete Perversion v.a. als Mangel an Symbolisierung. Perversion bedeutet
für ihn die imaginäre Identifikation mit dem Phallus, also mit dem, was die Mutter begehrt. Was dem
Perversen nicht gelingt, sei die Wahrnehmung des Vaters als symbolischem Vater, der die Kastration als

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symbolische Kastration erträglich und im Unbewussten einschreibbar machen könnte. In der
Übertragung versuche sich der Perverse mit dem (imaginär) zu identifizieren, was der Analytiker begehrt.
Chasseguet-Smirgel (1984) analysiert die Verdrehung der Realität und das anale Universum der
Perversion. Die Unerträglichkeit der ödipalen Kränkung könne zu einer Regression in ein anales
Universum führen, das sekundär durch Idealisierung beschönigt wird. Anale Gleichheit werde an die
Stelle von genitaler Unterschiedlichkeit gesetzt. Analisierung bedeute ein Zu-Kot-Machen aller
Objektbeziehungen. Perversion sei ein Produkt der Verdrehung und Missrepräsentation der Realität.
Dabei gehe es zentral um die Realität der Geschlechterdifferenz und der Differenz zwischen den
Generationen. Die Untauglichkeit des kindlichen Penis solle verleugnet werden.
Robert Stoller hat die psychoanalytische Perversionstheorie mit der zeitgenössischen Sexualwissenschaft
in Verbindung gebracht. In seinem Buch Perversion - die erotische Form von Hass (1975) geht er davon
aus, dass Knaben ebenso wie Mädchen primär mit der Mutter identifiziert seien und dass beide zuerst
eine weibliche Identität hätten. Knaben müssten sich von der Mutter des-identifizieren und einen
Identitätswechsel vollziehen. Dieser Vorgang sei Teil des normalen Separations-Individuations-Prozesses,
könne aber durch autonomie-behindernde und anti-maskuline Mütter blockiert werden. Der Knabe
erlebe dies als existentielle Niederlage, die in ihm Hass und ein Rachebedürfnis erzeugten. Als
erwachsener Perverser versuche er diese Niederlage durch die Entwertung des anderen in der Sexualität
in eine triumphale Rache zu verwandeln.
Otto Kernberg (1985, 1992) untersuchte Perversionen auf unterschiedlichen Strukturniveaus und
versuchte die Ansätze der verschiedenen psychoanalytischen Schulen zu integrieren. Perversionen im
Rahmen einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation funktionierten so wie Freud es beschrieb, als
Abwehr von ödipalen Ängsten durch Regression auf prägenitale Entwicklungsstufen. Perversionen auf
Borderline-Niveau zeigen die Strukturen, die von den britischen Autoren (Klein, Steiner, Joseph u.a.)
beschrieben worden sind. Sexualisierung prägenitaler Aggressionen führe zu sadomasochistischen
Phantasien und Objektbeziehungen. Perversionen im Rahmen einer malign-narzisstischen Persönlichkeit
zeigten die von Chasseguet-Smirgel beschriebenen Züge: analer Sadismus, paranoide Einstellung,
Zerstörung aller Differenzierungen, und Perversität in den Beziehungen.

Phänomenologie und Verlauf


Im ICD-10 werden Sexuelle Präferenzstörungen definiert als wiederholt auftretende intensive sexuelle
Impulse und Fantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten beziehen. Der Begriff
ungewöhnlich wird im Sinne des DSM-IV so verstanden, dass sich die sexuellen Impulse und/oder
Fantasien auf nicht-menschliche Objekte, auf das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder eines
Partners oder auf Kinder oder andere nicht einwilligende oder nicht einwilligungsfähige Personen
beziehen. Als behandlungsbedürftig gelten sexuelle Präferenzstörungen nur, wenn entsprechende
Handlungen folgen oder wenn sich die Betroffenen durch Fantasien und Impulse deutlich beeinträchtigt
fühlen und die Präferenz mindestens sechs Monate besteht.
Im DSM-5 wird zum ersten Mal zwischen Paraphilie und paraphiler Störung unterschieden, da atypische
sexuelle Interessen und Aktivitäten an sich nicht als pathologisch betrachtet werden. Eine paraphile
Störung ist nur gegeben, wenn entweder die betroffene Person selbst unter dem spezifischen sexuellen
Interesse (und nicht unter dessen gesellschaftlicher Missbilligung) leidet, oder eine andere Person
darunter leidet, dabei verletzt wird oder stirbt. Phänomenologisch werden folgende paraphile
Störungsformen unterschieden:
• Fetischistische Störung
• Transvestitische Störung

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• Exhibitionistische Störung
• Voyeuristische Störung
• Pädophile Störung
• Sexuell-masochistische Störung
• Sexuell-sadistische Störung
• Frotteuristische Störung
• Nicht näher bezeichnete paraphile Störung
Phänomene wie obszöne Telefonanrufe, Koprophilie, Urophilie, Klismaphilie, Zoophilie, sowie die
Nutzung der Anoxie zur Steigerung der sexuellen Erregung (Asphyxiophilie) sind keine eigenen
Diagnosen, ebenso wenig wie Vorliebe für Partner mit anatomischen Abnormitäten, wie z.B.
amputierten Gliedmaßen (Amelotatismus). Sie werden als nicht näher bezeichnete paraphile Störung
kodiert. Diskutiert, aber in der Beschlussfassung über das DSM-5 abgelehnt, wurden die
 Hypersexuelle Störung (oder Sexsucht bzw. Erotomanie), die in täglicher mehrstündiger Beschäftigung
mit sexuellen Phantasien besteht, mit der Folge von Einschränkungen des sozialen und beruflichen
Lebens. Im ICD 10 wird dieses Phänomen im Kapitel „Sexuelle Funktionsstörungen“: F52.7
gesteigertes sexuelles Verlangen (Nymphomanie/Satyriasis) kodiert;
 Coercive Paraphilia (paraphilic rape oder Biastophilie). Es erwies sich als unmöglich, verlässlich
zwischen paraphilen und nicht-paraphilen Vergewaltigern zu unterscheiden.
In Bezug auf den Verlauf von perversen Entwicklungen und Störungen lassen sich folgende typische
Muster differenzieren:
 Perversion als Plombe bedeutet eine stabile Versiegelung einer Diskrepanz: Patient leidet nicht, der
andere wird konsensuell auf Distanz gehalten, kein Behandlungsbedürfnis.
 Instabile und zerfallende Plomben: Durch Alter, Krankheit oder Umgebungsveränderung destabilisiert
sich die Versiegelung: Leidensdruck erzeugt Wunsch nach Wiederherstellung.
 Impulsiver Durchbruch: Abgewehrte, regressiv-prägenitale Phantasien werden mit einer spezifischen
Auslösesituation „kurzgeschlossen“. Ich-dystones Ausagieren restabilisiert kurz.
 Hypersexualität und süchtige Perversion: Da das perverse Agieren die zugrundeliegenden Bedürfnisse
nicht wirklich befriedigen kann, tritt neuerlich Instabilität und Kurzschluss auf. Der Takt beschleunigt
sich, wie bei jeder Sucht, durch Gewöhnungseffekte. Häufig muss der Grad an Destruktivität in jeder
Runde steigen.

Psychodynamische Diagnostik
Bei Verdacht auf perverse Problembereiche ist im Erstinterview ein offenes Ansprechen der sexuellen
Fragen entscheidend. Jede Zurückhaltung bei Fragen zum Sexualleben kann vom Patienten als Signal für
Angst oder Ekel des Therapeuten gegenüber den sexuellen Abgründen des Patienten verstanden
werden. Dies kann zu einer langen Phase distanziert-abwehrender Übertragung führen. Umgekehrt kann
das Erfragen sexueller Details von Patienten auch als eindringend oder überwältigend erlebt werden.
Ausschlaggebend sind daher eine taktvolle Form und eine nachvollziehbare Begründung für derartige
diagnostische Untersuchungen. Es gibt meistens einen Anteil im Patienten, dem es klar zu machen ist,
dass die Behandlung sexueller Probleme nur auf Grund einer vollständigen Information über die
Sexualität des Patienten möglich sein kann.
Folgende Dimensionen in der psychoanalytischen Diagnose von Perversionen sind zu beachten:
 Strukturniveau der internalisierten Objektbeziehungen (Persönlichkeitsorganisation)
 Triebpsychologie: Kräfteverhältnis zwischen libidinöser und destruktiver Achse
 Psychosexuelle Entwicklung: Das anale Universum – die narzisstische-antisoziale Dimension

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• Exhibitionistische Störung
• Voyeuristische Störung
• Pädophile Störung
• Sexuell-masochistische Störung
• Sexuell-sadistische Störung
• Frotteuristische Störung
• Nicht näher bezeichnete paraphile Störung
Phänomene wie obszöne Telefonanrufe, Koprophilie, Urophilie, Klismaphilie, Zoophilie, sowie die
Nutzung der Anoxie zur Steigerung der sexuellen Erregung (Asphyxiophilie) sind keine eigenen
Diagnosen, ebenso wenig wie Vorliebe für Partner mit anatomischen Abnormitäten, wie z.B.
amputierten Gliedmaßen (Amelotatismus). Sie werden als nicht näher bezeichnete paraphile Störung
kodiert. Diskutiert, aber in der Beschlussfassung über das DSM-5 abgelehnt, wurden die
 Hypersexuelle Störung (oder Sexsucht bzw. Erotomanie), die in täglicher mehrstündiger Beschäftigung
mit sexuellen Phantasien besteht, mit der Folge von Einschränkungen des sozialen und beruflichen
Lebens. Im ICD 10 wird dieses Phänomen im Kapitel „Sexuelle Funktionsstörungen“: F52.7
gesteigertes sexuelles Verlangen (Nymphomanie/Satyriasis) kodiert;
 Coercive Paraphilia (paraphilic rape oder Biastophilie). Es erwies sich als unmöglich, verlässlich
zwischen paraphilen und nicht-paraphilen Vergewaltigern zu unterscheiden.
In Bezug auf den Verlauf von perversen Entwicklungen und Störungen lassen sich folgende typische
Muster differenzieren:
 Perversion als Plombe bedeutet eine stabile Versiegelung einer Diskrepanz: Patient leidet nicht, der
andere wird konsensuell auf Distanz gehalten, kein Behandlungsbedürfnis.
 Instabile und zerfallende Plomben: Durch Alter, Krankheit oder Umgebungsveränderung destabilisiert
sich die Versiegelung: Leidensdruck erzeugt Wunsch nach Wiederherstellung.
 Impulsiver Durchbruch: Abgewehrte, regressiv-prägenitale Phantasien werden mit einer spezifischen
Auslösesituation „kurzgeschlossen“. Ich-dystones Ausagieren restabilisiert kurz.
 Hypersexualität und süchtige Perversion: Da das perverse Agieren die zugrundeliegenden Bedürfnisse
nicht wirklich befriedigen kann, tritt neuerlich Instabilität und Kurzschluss auf. Der Takt beschleunigt
sich, wie bei jeder Sucht, durch Gewöhnungseffekte. Häufig muss der Grad an Destruktivität in jeder
Runde steigen.

Psychodynamische Diagnostik
Bei Verdacht auf perverse Problembereiche ist im Erstinterview ein offenes Ansprechen der sexuellen
Fragen entscheidend. Jede Zurückhaltung bei Fragen zum Sexualleben kann vom Patienten als Signal für
Angst oder Ekel des Therapeuten gegenüber den sexuellen Abgründen des Patienten verstanden
werden. Dies kann zu einer langen Phase distanziert-abwehrender Übertragung führen. Umgekehrt kann
das Erfragen sexueller Details von Patienten auch als eindringend oder überwältigend erlebt werden.
Ausschlaggebend sind daher eine taktvolle Form und eine nachvollziehbare Begründung für derartige
diagnostische Untersuchungen. Es gibt meistens einen Anteil im Patienten, dem es klar zu machen ist,
dass die Behandlung sexueller Probleme nur auf Grund einer vollständigen Information über die
Sexualität des Patienten möglich sein kann.
Folgende Dimensionen in der psychoanalytischen Diagnose von Perversionen sind zu beachten:
 Strukturniveau der internalisierten Objektbeziehungen (Persönlichkeitsorganisation)
 Triebpsychologie: Kräfteverhältnis zwischen libidinöser und destruktiver Achse
 Psychosexuelle Entwicklung: Das anale Universum – die narzisstische-antisoziale Dimension

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Benigne Perversionen treten im Rahmen einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur auf. Sie bilden eine
perverse Substruktur in der Persönlichkeit, die dazu führt, dass perverse Bedürfnisse weder integriert
noch verdrängt, sondern in einen geheim gehaltenen, aber bewusstseinsfähigen Bereich abgespalten
werden. Aus evtl. vorhandenen intimen Beziehungen bleiben sie ausgeklammert. Die motivierende Kraft
in der Substruktur schöpft aus der Abwehr von Kastrationsangst, die sich aufgrund einer verstärkt
sadistischen Wahrnehmung der ödipalen Beziehungen besonders ausgeprägt hat. Diese Konstellation
spielt v.a. bei Fetischismus, Transvestitismus, konsensuellem Sadomasochismus und pädophilem
Phantasieren ohne Ausagieren die Hauptrolle.
Transgressive Perversionen kommen bei höher strukturierter Borderline-Persönlichkeitsorganisation
(BPO) vor. Die perverse Struktur baut auf der Borderline-Struktur auf, gibt dieser aber v.a. in den erotisch
gefärbten Beziehungen eine besondere Gestaltung, indem sie mittels der perversen Elemente in der
Sexualität emotionale Intimität weitgehend verhindert. Das Motiv dahinter ist die Abwehr von
paranoiden Ängsten, die Ausdruck einer sadomasochistisch strukturierten Innenwelt sind. Typische
Erscheinungsformen dieser Konstellation finden sich bei zwanghafter sexuelle Belästigung, chronischem
Don Juanismus, Exhibitionismus und Voyeurismus sowie bei Frotteurismus.
Maligne Perversionen beruhen immer auf einer niederen Borderline-Struktur. Die perverse Struktur
durchdringt die gesamte Persönlichkeit, verunmöglicht weitgehend emotional intime Beziehungen und
gibt der Persönlichkeitsstörung eine besonders sexualisierte Erscheinungsform. Im Untergrund wirken
archaische Vernichtungsängste, die durch die Identifizierung mit (und potentiell durch eine Idealisierung
von) Ausdrucksformen primitiver sexualisierter Destruktivität (wie Pädophilie, sadistische
Vergewaltigung, selbstdestruktiver Masochismus oder sexuelle Tötung) zu kontrollieren versucht
werden.

Die narzisstische und die Überich-Dimension


Narzissmus ist keineswegs immer eine pathologische Kategorie. Normaler erwachsener Narzissmus
bedeutet normale Selbstwertregulation, basierend auf einem integrierten Selbstbild, das eine
grundlegende Wertschätzung der eigenen Person, aber auch eine kritische Selbstwahrnehmung im
Kontext realistischer Erfahrungen mit anderen erlaubt. Er beruht auf vollständig internalisierten
Objektrepräsentanzen sowie einem integrierten, individuellen und abstrahierten Überich, das
Triebbefriedigung innerhalb stabiler Objektbeziehungen und Wertsysteme erlaubt (vgl. Kernberg &
Hartmann 2006).
Regressionen auf infantil-narzisstische Modi sind weit verbreitet und kommen bei allen
psychopathologischen Zuständen vor. Die Selbstwertregulierung ist dann übermäßig abhängig von der
Realisierung oder (im neurotischen Fall) auch der gelingenden Abwehr kindlicher Bedürfnisbefriedigung.
Eine weitere Form narzisstischer Pathologie ist die narzisstische Objektwahl. Sie kommt zustande, wenn
die Repräsentanz des infantilen Selbst auf ein Objekt projiziert wird, während der Patient selbst mit
einem bemutternden Objekt identifiziert ist. Diese Pathologie spielt bei der Homosexualität eine gewisse
Rolle, kommt aber auch bei Perversionen vor, z.B. beim Selbst- Vertauschungs-Agieren Pädophiler.
Die schwerste Pathologie des Narzissmus wird Narzisstische Persönlichkeitsstörung genannt. Sie beruht
auf der Besetzung einer pathologischen Selbststruktur bzw. eines pathologischen Größenselbst. Dieses
repräsentiert eine Verdichtung aller idealisierten Selbst- und Objektvorstellungen (die in Gestalt von
idealisierten Beziehungsdyaden repräsentiert sind), während alle negativen Selbstanteile auf bestimmte
Objektvorstellungen (und in weiterer Folge auf Personen der Außenwelt) projiziert werden. Die zur
Projektion neigenden Objektvorstellungen sind Amalgame abgelehnter Selbstanteile und einseitig-
negativer, infantiler Objektwahrnehmungen.
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Im Unterschied zu Patienten mit offener Borderline-Störung kommt es normalerweise zu keinen
Oszillationen zwischen idealisierten und entwerteten Selbstbildern. Narzisstische Patienten wirken in
ihrem Selbstbild oberflächlich betrachtet stabiler, doch beruht diese Stabilität auf einer Pseudo-
Integration der Selbstrepräsentanz. Während sie ihr Selbst grandios darstellen, versagen sie
typischerweise gänzlich bei der Beschreibung wichtiger Bezugspersonen.

Abb.: Normale und narzisstische Selbststruktur


Aus der Grafik ersichtlich werden auch die negative Ladung und die externalisierte Stellung des Überichs
in der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur. Die infantil-idealisierten Objektvorstellungen, die sich im
normalen Fall zu Kernen eines reifen Ich-Ideals weiterentwickeln könnten, werden im Falle eines
pathologischen Narzissmus dem grandiosen Selbst zugeschlagen. Dieses besteht schließlich aus den
infantilen, einseitig-positiven Selbstwahrnehmungen, aus den positiven Aspekten der wichtigsten
Bezugspersonen, die diesen geraubt wurden und den von den wichtigsten Vorbildern abgeleiteten
Idealvorstellungen, die nun zu realen Eigenschaften des Selbst verdreht werden.
Wir sehen weiters, dass die Spaltung auch auf der Triebebene im Es fortbesteht, im Sinne einer mehr
oder weniger umfassenden Trennung zwischen Libido und Aggression. Diese unintegrierten Triebkräfte
reflektieren getrennte primitive Vorstellungsgruppen, die jeweils von Spitzenaffekten in beiden
extremen Ausprägungen, also von extremem Hass oder von verschmelzender Liebe geprägt sind. Diese
gegensätzlichen, hochaffektiven Beziehungsdyaden, die im normalen Individuum ins Unbewusste
verdrängt sind, steuern in narzisstischen Persönlichkeiten die Besetzungsvorgänge in den zentralen
Selbst- und Objektvorstellungen ebenso wie in den Beziehungsvorstellungen im Überich. Sowohl die
inneren wie die äußeren Beziehungen dieser Patienten werden von dieser Konstellation geprägt mit der
Folge, dass Neid, Idealisierung und Entwertung zu den vorherrschenden Beziehungsmerkmalen werden.
Kernberg (1984, 2004) hat eine Abstufung im Schweregrad der narzisstischen Pathologie entwickelt, der
wir hier folgen, um sie im nächsten Abschnitt auf die Formen der Perversion anzuwenden.
 Einfache narzisstische Persönlichkeitsstörungen sind charakterisiert durch ein pathologisches,
grandioses Selbst, das die Spaltung des Selbstkonzeptes auf Kosten einer schweren Desintegration
der Objektrepräsentanzen kompensiert.
 Im Syndrom des malignen Narzissmus enthält das pathologische Größenselbst nicht gewaltfreie,
sondern idealisierte sadistische Tendenzen, die dementsprechend ich-synton ausgelebt werden

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können. Die sadistischen Tendenzen wechseln manchmal mit masochistischen, sodass zumindest
sadomasochistische Beziehungen möglich sind.
 Psychopathische Persönlichkeitsstörungen sind durch vollkommene Loyalitäts- und
Beziehungsunfähigkeit gekennzeichnet, da hier eine ausschließliche Identifizierung mit sadistischen
und machtausübenden Rollen vollzogen wurde. Alle anderen Identifizierungsoptionen werden
konsistent projiziert.

Die Stärke der Aggression


In Trauer und Melancholie entwickelte Freud das Konzept der internalisierten Objektbeziehungen und
wendete dieses auch auf aggressiv getönte Beziehungen an: Der Selbstmörder befindet sich in einer
Identifikation mit einem mörderisch gehassten Objekt, das „die ursprüngliche Reaktion des Ichs gegen
Objekte der Außenwelt vertritt“ (Freud 1916-17g:439). In Jenseits des Lustprinzips präsentierte er seine
neue Triebtheorie, in der der Todestrieb zum Gegenspieler eines jetzt umfassender konzipierten
libidinösen Lebenstriebes wurde
Freud (1920g) entwickelte auch das Konzept der Triebmischung bzw. Triebentmischung, um das jeweilige
Ausmaß der Bindung von Destruktivität durch die Libido zu beschreiben. Psychische Pathologien lassen
sich nach dem Grad der in ihnen vorherrschenden Triebentmischung differenzieren. Sadismus war für
Freud im Rahmen seiner letzten Triebtheorie eine schwerwiegende Form von Triebentmischung, was
klinisch v.a. von den Kleinianern aufgegriffen wurde (vgl. Payne 1939).
Der Hass, als Folge von Triebentmischung, kann durch unempathisches oder traumatisches
Elternverhalten ausgelöst, aber auch durch schmerzhafte Krankheiten, schwere Verletzungen oder
Körperbehinderung in der frühen Kindheit verursacht sein (Greenacre 1968). Er ist aber v. a. eine
angeborene Disposition, die die Stärke des Todestriebes reflektiert. Fixierungen auf der Stufe der oral-
und anal-sadistischen Triebwünsche beeinflussen nicht nur die affektive Struktur der inneren Welt,
sondern ziehen auch Ich-Einschränkungen nach sich. Symbolisierungsmängel, Realitätsverzerrungen und
Sublimierungsstörungen können die Folgen sein. Denn die Triebregression geht immer auch mit einem
Stück Ich-Regression einher. Chasseguet-Smirgel (1984) korrelierte die Schwere der Perversion mit der
Massivität v. a. der analen Regression, die mit der Zerstörung von Bezogenheit, Differenz und der
generell der psychischen Realität einhergehe.
Perversionen reflektieren ein bestimmtes regressives Triebschicksal, in dem die libidinösen Triebe von
den destruktiven in Dienst genommen werden. Die Perversion ist in diesem Sinne die erotische Form des
Hasses. Diese Formel von Robert Stoller kann als Rahmen für eine Abstufung im Ausmaß der
entmischten Aggression im Verhältnis zu den libidinösen Triebkräften verwendet werden. Das
Kontinuum von benignen zu malignen Perversionen spiegelt auch das Ausmaß der entmischten „freien
Aggression“ (Freud 1937c, 90) und kann zusätzlich mit den Abstufungen des pathologischen Narzissmus
im letzten Abschnitt verbunden werden.:
 Partielle und mäßige Triebentmischung, die zu chronischer Objektentwertung in der Phantasie führt,
das Ausagieren aber auf harmlose symbolische Formen begrenzt, ist charakteristisch für benigne
Perversionen. Typischerweise finden wir hier narzisstische Persönlichkeitszüge, aber nicht unbedingt
eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder antisoziale Tendenzen.
 Starke Triebentmischung in Teilen der Persönlichkeit, die zu relevanten Übergriffen und Verletzungen
des sexuellen Selbstbestimmungsrechts anderer führt, aber von besser integrierten
Persönlichkeitsteilen eingegrenzt wird. Transgressive Perversionen treten fast immer im Rahmen
einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit antisozialen Tendenzen, aber auch mit partiell
intakten Überich-Funktionen auf.

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 Massive Triebentmischung in großen Teilen der Persönlichkeit, die zu ich-syntonen und massiven
Verletzungen des sexuellen Selbstbestimmungsrechts anderer führt, aber auch masochistische
Komponenten enthält. Bei malignen Perversionen, bei denen diese Triebkonstellation vorliegt, finden
wir in der Regel auch das Syndrom des malignen Narzissmus mit ich-syntoner Gewalt und
ausgeprägter Antisozialität.
 Massivste Triebentmischung in der gesamten Persönlichkeit, die zu unbegrenzter und ich-syntoner
Gewalt und sexueller Ausbeutung führt, und mit einer Verabsolutierung des eigenen
Machtanspruches verbunden ist (psychopathische Persönlichkeitsstörung mit maligner Perversion).
Diese letzte Stufe findet sich exemplifiziert in de Sade‘s Die 120 Tage von Sodom, wo in vier Kapiteln
unterschiedliche „Passionen“ dargestellt werden, die Abstufungen der Angriffe auf das Objekt darstellen.
Die höchste Stufe ist die Passion des Mordens.

Zum Verhältnis von strukturellen und proximalen Faktoren


Zu den diagnostischen Aufgaben gehört auch eine dimensionale Abschätzung des Kräfteverhältnisses
zwischen inneren und äußeren Faktoren, die auch als Ergänzungsreihe zwischen strukturellen und
proximalen Faktoren beschrieben werden können. Dies ist insbesondere bei den malignen, gewalttätigen
Perversionsformen von Bedeutung, da hier die Größe der Wiederholungsgefahr eine hochrelevante
Frage auch für den Behandler ist. Die folgende Liste reiht die Fälle nach zunehmendem strukturellem und
abnehmendem proximalem Faktor:
 Es gibt Fälle, bei denen außergewöhnliche innere oder äußere Umständen einen einmaligen
perversen Impulsdurchbruch auslösen. Dies kann v.a. bei Jugendlichen der Fall sein, die wegen eines
Sexualdeliktes verurteilt wurden und in Behandlung kommen. Der perverse Impuls verschwindet im
Zuge der weiteren Entwicklung im Unbewussten oder wird effektiv kontrolliert.
 Wiederkehrende Impulsdurchbrüche in schwierigen Lebenssituationen, die mit narzisstischen Krisen
verbunden sind, sind charakteristisch für eine andere Gruppe von Sexualdelinquenten. Der perverse
Impuls verschwindet nur vorübergehend im Unbewussten oder führt eine abgespaltene, vorbewusste
Existenz. Bipolare Tendenzen können hier eine Rolle spielen.
 Habituelle perverse Verhaltensweisen in für den Täter „verführerischen“ Situationen sind typisch für
Personen mit perverser Sexualität, die jedoch nicht-exklusive Perverse sind, sondern parallel auch
eine meist freudlose und routinisierte „normale“ Beziehung führen.
 Süchtiges Wiederholen aus reinem inneren Wiederholungszwang ist der Extremfall, bei dem die
Umwelt als Auslöser kaum noch eine Rolle spielt.

Aspekte der Perversion bei Frauen


Perversion galt bis vor kurzem als „Domäne des Mannes“, quasi als „pathologisches Privileg“ des
Mannes. Doch wurde nach neueren Auffassungen bei Frauen lange am „falschen Ort“ gesucht.
Auch die bisherige Auffassung, der zufolge Frauen sehr selten sexuelle Missbrauchsdelikte begehen, ist
aufgrund neuerer Studien nicht mehr zu halten. Frauen werden tatsächlich sehr selten angezeigt und
verurteilt. 2010 waren etwa von 150 verurteilten Missbrauchstätern in Österreich nur 3 Frauen (2%).
Doch ist die Dunkelziffer wesentlich höher, was v.a. darauf zurückgeführt wird, dass die Opfer häufig
sehr kleine Kinder sind und dass sie auch deshalb viel seltener offengelegt werden als solche durch
Männer (Sgroi & Sargent 1995). Kinderschutzzentren geben den Anteil von weiblichen Täterinnen an der
Gesamtzahl mit etwa 10% an. Neuere Untersuchungen ergeben einen Täterinnenanteil von bis zu 30%
(Fiedler 2004, Deegener 2005). Kloiber (2002) fand sogar in 46,5% der Fälle einen Missbrauch durch eine
Frau.

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Estela Welldon (1988) hat sich aus psychoanalytischer Sicht als erste tiefergehend mit der Frage der
weiblichen Perversion beschäftigt. Weibliche Perversion sei keineswegs nur „Beziehungsperversion“,
sondern auch körperlich und sexuell. Gerade letzteres war damals nicht selbstverständlich, nachdem
Luise Kaplan (1991) alle körperlichen Symptome zur weiblichen Perversion gezählt hatte.
Welldon‘s Hauptthese ist kurzgesagt: Weibliche perverse Externalisierung und Fetischisierung beziehen
sich entweder auf den ganzen eigenen Körper, oder auf den Uterus oder auf das Kind. Es gehe um eine
Spaltung zwischen der genitalen Sexualität und etwas, das nur den Anschein von Sexualität habe, aber
prägenitalen, aggressiven Zielen diene. Sie greift auch Stollers These auf, der zufolge Perversion eine
Umkehrung eines infantilen Traumas (in Gestalt von Racheimpulsen) sei. Der Unterschied zum Mann
bestehe v.a. darin, dass Männer ihre perversen Phantasien zumeist mit äußeren Partialobjekten, die zu
anderen Personen gehörten (also interpersonell) inszenierten. Frauen verwendeten häufiger ihren
eigenen Körper als Bühne ihrer perversen Phantasien, wobei das eigene Kind mitunter wie ein eigener
Körperteil behandelt wird. Das „Kriterium des Körpers“ gelte jedenfalls für beide Geschlechter, das
„Orgasmuskriterium“ treffe hingegen v.a. bei männlichen Perversionen zu.
Es können hier nur die Themen aufgezählt werden, die – nach Welldon – bei der perversen Verwendung
des mütterlichen bzw. des kindlichen Körpers eine Rolle spielen: Pervertierung des Uterus, Prostitution
als Perversion, Anorexie & Bulimie, Selbstverstümmelung, perverse Schönheitschirurgie, perverse
Mütterlichkeit, die sich nicht zuletzt durch eine missbräuchliche „Fürsorge“ gegenüber dem Kind
realisiert.

Behandlung
Das „klassische“ Motivationsproblem
Der perverse Patient hat oft keinen Leidensdruck. Die von ihm kreierte Sexualität schützt ihn vor Ängsten
und anderen Leiden. Sie ersetzt ihm das „gute“ Objekt, das er psychisch nicht repräsentiert und vielleicht
tatsächlich nie erlebt hat.
Bei neurotischer Struktur oder benign-narzisstischer Störung kommen solche Patienten oft wegen
Depressionen oder Angstzuständen in Behandlung, wenn die Perversion zu „versagen“ beginnt. Bei
Borderline-Struktur ohne delinquente Problematik kommen die Patienten oft unter dem Druck von
Partnern, Eltern oder Institutionen. Bei Borderline-Delinquenten besteht meist keine primäre eigene
Therapiemotivation. Es kommt zu Therapien im Zwangskontext, in denen konfrontativ eine sekundäre
Motivation hergestellt werden kann. Bei psychopathischen Sexualdelinquenten kann auch keine
sekundäre Motivation hergestellt werden

Behandlungsprinzipien und Strukturniveau


Grundlegend ergeben sich auf jedem Strukturniveau unterschiedliche klinische Probleme und
therapeutische Aufgaben. Schematisch zusammengefasst lässt sich sagen:
 Bei neurotischer Persönlichkeitsorganisation geht es um Bewusstmachung und Integration der
verdrängten, stark triebhaft besetzten, internalisierten Objektbeziehungen, die psychodynamisch um
ödipale Themen organisiert sind.
 Bei Borderline Persönlichkeitsorganisation steht therapeutisch die Wahrnehmung und Integration der
gespaltenen und teilweise projizierten internalisierten Partial-Objektbeziehungen im Vordergrund,
die psychodynamisch eine Verdichtung von präödipalen und ödipalen Themen reflektieren.

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 Bei psychotischer Persönlichkeitsorganisation geht es v.a. um die Stabilisierung und Festigung der
funktionalen und parallel dazu die Aufweichung und Abschwächung der dysfunktionalen
Abwehrstrategien, die zur Aufrechterhaltung der labilen Trieb-Abwehr-Balance verwendet werden.
Für die Behandlung der Perversion ergeben sich folgende Modifikationen:
Perversionen auf neurotischem Niveau funktionieren als Abwehr von ödipalen Ängsten durch Regression
auf prägenitale Entwicklungsstufen und Fetischbildung. Hier finden sich nur sexuell-perverse Symptome,
meist keine ich-syntonen, perversen Beziehungsmuster. Neurotische Perversionen zeigen neben der
Verdrängung als Hauptmechanismus auch abgespaltene Bereiche, die mit primitiven
Abwehrmechanismen funktionieren. Sexuell-perverse Symptome benützen immer den Mechanismus der
Sexualisierung zur Angstverleugnung.
Technisch sind daher die Spaltungsübertragung und die Verleugnung aktiv anzusprechen, zu
konfrontieren und zu deuten. Des Weiteren finden sich leichte Formen von perverser Übertragung, die
durch Deutung in eine Übertragungsneurose verwandelt werden können (siehe unten).

Behandlung von Perversionen auf Borderline-Niveau


Dulz (2009) unterscheidet drei Gruppen im Sexualverhalten von Borderline-Patienten:
1. Sexualität wird nicht gelebt (trotz manchmal sehr verführerischen Verhaltens)
2. Extrem-Sexualität im Sinne von risikoreichem Verhalten, starker Promiskuität oder Perversion
3. „Normale“ Sexualität mit neurotischen Einschränkungen
Bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen im engeren Sinne, wurde von verschiedenen Autoren eine
auffällige Wechselhaftigkeit und Vielgestaltigkeit in der Inszenierung der Sexualität gefunden (Rohde-
Dachser 1979, Berner 2000), wobei es häufig zum wechselnden Einsatz mehrerer perverser Szenarien
kommt. Es gibt aber auch „organisierte“ oder „fixierte“ Perversionen bei Borderline-Patienten, um die es
hier v.a. gehen soll.
Perversionen auf Borderline-Niveau funktionieren durch die Sexualisierung prägenitaler Aggressionen,
wobei die daraus entstehenden sadomasochistischen Phantasien und Objektbeziehungen in fixierten
Szenarien ausagiert werden. Diese zeigen bekanntlich verschiedenartige Ausprägungen, v.a. hinsichtlich
der Aggressionsstärke und der Art ihrer narzisstischen und ihrer Überich-Pathologie. Daraus ergeben sich
wiederum unterschiedliche Behandlungsvoraussetzungen und Behandlungsstrategien (siehe unten).
Generell lassen sich folgende Varianten von Perversion auf Borderline-Niveau differenzieren:
 Borderline-Patienten mit perverser, aber ohne delinquente Symptomatik
 Einfach-narzisstische Perversionen ohne delinquente Symptomatik
 Borderline-Delinquente mit ich-dystoner, impulsiver Delinquenz (sadomasochistische
Persönlichkeiten)
 Delinquente mit ich-syntonem, charakterologischem und sexuellem Sadomasochismus (maligner
Narzissmus)
 Psychopathische Perversität

Rahmenbedingungen
Die unterschiedlichen Schwergrade der Borderline- und der narzisstischen Störungen erfordern schon
auf der Ebene der therapeutischen Rahmenbedingungen wesentliche Differenzierungen:

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 Bei neurotischen Perversen wird sich die therapeutische Vereinbarung auf das beschränken, was auch
sonst in psychoanalytischen Therapien üblich ist: Zeit, Ort, Honorar, Urlaubs- und Absageregelung
sowie die Aufgaben von Patient und Therapeut.
 Bei nicht-delinquenten Borderline-Perversen braucht man eine Therapievereinbarung über die
Kontrolle der Impulsivität (z.B. betreffend hochgradig risikoreichem Sexualverhalten) und andere
Gefährdungen des therapeutischen Settings
 Bei ich-dystonen Borderline-Delinquenten braucht man Vorkehrungen oder Vereinbarungen gegen
das delinquente Ausagieren und das Gefährden der Therapie (z.B. Zusammenarbeit mit einem
Bewährungshelfer, Alkoholkontrollen u.ä.).
 Bei ich-syntonen Borderline-Delinquenten braucht man stationäre Therapiebedingungen und
Vereinbarungen über die Thematisierung und Problematisierung der Delikte.

Mentalisierende Basistechniken
Delinquente Borderline-Patienten weisen fast immer ein extrem niederes Mentalisierungsniveau auf. Die
rasche Aktivierung der Angst- und Wutsysteme hebeln die ohnehin verminderte
Mentalisierungskompetenz aus. Dies erfordert eine Modifikation in den Basistechniken der
psychoanalytisch orientierten Behandlung, indem speziell die Förderung der Mentalisierung versucht
wird. Mentalisierung wird (nach den Prinzipien der mentalisierungsbasierten Therapie, vgl. Bateman &
Fonagy 2006) gefördert, wenn die Aktivierung des Angstsystems auf mäßigem Niveau gehalten wird: nie
ganz auf null, aber keinesfalls zu stark.
Wegen der extremen narzisstischen Vulnerabilität dieser Patienten kommt es – infolge affektiver
Überflutung – zu unvermeidlichen Kommunikations- und Mentalisierungsbrüchen. Der therapeutische
Fokus muss dann auf deren Erforschung und Reparatur gelegt werden. Eine große Rolle spielen dabei
krisentaugliche Schlagworte wie „Stop and stand!“, „Stop – listen – look!“, „Stop – rewind – explore!“
Man geht vom Offensichtlichen aus, auch vom Mimisch-gestischen, man deutet aber nicht Unbewusstes,
weil dies als aufdrängend erlebt wird. Neugier und alltagssprachliche Fragen des Therapeuten ermuntern
zum Weiterdenken, längere Schweigephasen machen hingegen Angst. Der Therapeut kann in manchen
Situationen zur Orientierung selektiv seine Gegenübertragung mitteilen.

Perversion und Übertragung


Eine solche mentalisierungsorientierte Phase kann die Voraussetzung für die eigentliche
psychoanalytische Perversionsbehandlung sein. Diese fokussiert die Wahrnehmung, Benennung und
Deutung der spezifisch in diesen Behandlungen auftretenden Übertragungen. Es gibt zahlreiche Formen
der perversen Übertragung, die in der psychoanalytischen Literatur beschrieben wurden. In den
Anfangsphasen kommt es häufig zu einem Übertragungsagieren, bei dem das therapeutische Setting und
die Therapievereinbarungen angegriffen werden. Hier ist es die Aufgabe des psychoanalytisch
orientierten Therapeuten, gleichzeitig auf die Einhaltung der Rahmenbedingungen zu achten und die
unbewussten oder abgespaltenen Motive für das Agieren anzusprechen.
In diesem Abschnitt sollen jene Übertragungsformen besprochen werden, die eine spezifisch perverse
Qualität haben. Diese Darstellung wird die historische Entwicklung der diesbezüglichen
psychoanalytischen Diskussion anhand einiger prominenter Beiträge nachzuvollziehen versuchen. In der
Praxis wird es entscheidend sein, diese Konzepte zwar im Hinterkopf zu haben, aber ganz konkret aus
der aktuellen therapeutischen Beziehung im Hier und Jetzt zu handeln.
Freuds Auffassung war ursprünglich, dass der später Perverse schon seit seiner frühen Kindheit den Trieb
idealisiert und an der Masturbation und der infantilen Sexualität festhält. Er war daher anfangs der

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Estela Welldon (1988) hat sich aus psychoanalytischer Sicht als erste tiefergehend mit der Frage der
weiblichen Perversion beschäftigt. Weibliche Perversion sei keineswegs nur „Beziehungsperversion“,
sondern auch körperlich und sexuell. Gerade letzteres war damals nicht selbstverständlich, nachdem
Luise Kaplan (1991) alle körperlichen Symptome zur weiblichen Perversion gezählt hatte.
Welldon‘s Hauptthese ist kurzgesagt: Weibliche perverse Externalisierung und Fetischisierung beziehen
sich entweder auf den ganzen eigenen Körper, oder auf den Uterus oder auf das Kind. Es gehe um eine
Spaltung zwischen der genitalen Sexualität und etwas, das nur den Anschein von Sexualität habe, aber
prägenitalen, aggressiven Zielen diene. Sie greift auch Stollers These auf, der zufolge Perversion eine
Umkehrung eines infantilen Traumas (in Gestalt von Racheimpulsen) sei. Der Unterschied zum Mann
bestehe v.a. darin, dass Männer ihre perversen Phantasien zumeist mit äußeren Partialobjekten, die zu
anderen Personen gehörten (also interpersonell) inszenierten. Frauen verwendeten häufiger ihren
eigenen Körper als Bühne ihrer perversen Phantasien, wobei das eigene Kind mitunter wie ein eigener
Körperteil behandelt wird. Das „Kriterium des Körpers“ gelte jedenfalls für beide Geschlechter, das
„Orgasmuskriterium“ treffe hingegen v.a. bei männlichen Perversionen zu.
Es können hier nur die Themen aufgezählt werden, die – nach Welldon – bei der perversen Verwendung
des mütterlichen bzw. des kindlichen Körpers eine Rolle spielen: Pervertierung des Uterus, Prostitution
als Perversion, Anorexie & Bulimie, Selbstverstümmelung, perverse Schönheitschirurgie, perverse
Mütterlichkeit, die sich nicht zuletzt durch eine missbräuchliche „Fürsorge“ gegenüber dem Kind
realisiert.

Behandlung
Das „klassische“ Motivationsproblem
Der perverse Patient hat oft keinen Leidensdruck. Die von ihm kreierte Sexualität schützt ihn vor Ängsten
und anderen Leiden. Sie ersetzt ihm das „gute“ Objekt, das er psychisch nicht repräsentiert und vielleicht
tatsächlich nie erlebt hat.
Bei neurotischer Struktur oder benign-narzisstischer Störung kommen solche Patienten oft wegen
Depressionen oder Angstzuständen in Behandlung, wenn die Perversion zu „versagen“ beginnt. Bei
Borderline-Struktur ohne delinquente Problematik kommen die Patienten oft unter dem Druck von
Partnern, Eltern oder Institutionen. Bei Borderline-Delinquenten besteht meist keine primäre eigene
Therapiemotivation. Es kommt zu Therapien im Zwangskontext, in denen konfrontativ eine sekundäre
Motivation hergestellt werden kann. Bei psychopathischen Sexualdelinquenten kann auch keine
sekundäre Motivation hergestellt werden

Behandlungsprinzipien und Strukturniveau


Grundlegend ergeben sich auf jedem Strukturniveau unterschiedliche klinische Probleme und
therapeutische Aufgaben. Schematisch zusammengefasst lässt sich sagen:
 Bei neurotischer Persönlichkeitsorganisation geht es um Bewusstmachung und Integration der
verdrängten, stark triebhaft besetzten, internalisierten Objektbeziehungen, die psychodynamisch um
ödipale Themen organisiert sind.
 Bei Borderline Persönlichkeitsorganisation steht therapeutisch die Wahrnehmung und Integration der
gespaltenen und teilweise projizierten internalisierten Partial-Objektbeziehungen im Vordergrund,
die psychodynamisch eine Verdichtung von präödipalen und ödipalen Themen reflektieren.

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perverse Übertragung und impliziere eine massive Kontrolle des anderen. „Jede Geste des Analytikers,
die seine Unabhängigkeit anzeigt, (wird) als traumatisch empfunden“ (Khan 1979, 18).
Thomas Ogden (1996) widmete seine Aufmerksamkeit der Gegenübertragungsverstrickung, die seiner
Meinung nach bei der Behandlung von Perversen unvermeidlich sei. Therapeut und Patient inszenierten
gemeinsam ein perverses Subjekt der Analyse, dessen zentrale Funktion die Verhinderung des Erkennens
der Leblosigkeit des Subjektes wie auch der Leere des analytischen Diskurses sei, den es inszeniert.

Konstellationen in der perversen Übertragungsentwicklung


Reimut Reiche (2001) hat eine interessante Darstellung von typischen Konstellationen in der Behandlung
von perversen Patienten geliefert. Der Kontakt beginnt seiner Erfahrung häufig mit einer besonderen
sexuellen Szene (die aber auch erst später auftreten kann), und die auch die Übertragung sexualisiert.
Dies kann durch mehr oder weniger offen sexualisiertes Verhalten geschehen, aber auch durch szenische
Aufforderungen zum Eindringen. Die mobilisierte Scham über die existentielle Angewiesenheit auf die
Perversion führt zu einer krisenhaften (eventuell suizidalen) Zuspitzung, da der Patient seinen Schutz zu
verlieren fürchtet. Das Überleben der damit verbundenen symbolischen Vernichtung lässt die
Übertragung in ruhigere Bahnen übergehen, die Sexualisierung verschwindet zumindest
vorrübergehend. Die damit verbundene Erleichterung motiviert zum Weitermachen, doch werden die
beschriebenen Phasen zuerst meist mehrfach wiederholt. Eine besondere Barriere stellt die
„gnadenlose“ Idealisierung des Therapeuten zur Vermeidung weiterer Krisen (Spiegelübertragung) dar.
Wenn diese wieder sexualisiert wird, kommt es zur Übertragungsperversion, die den Therapeuten
"kastriert". In niederpotenter Dosis sei die sexualisierende Idealisierung aber notwendig, um an den
Kernkomplex der Perversion heranzukommen. Nach elliptischen Wiederholungen der beschriebenen
Prozesse entsteht in der analytischen Behandlung ein Mehr an kreativem Raum, der auch mehr äußere
sexuelle Gestaltungsfreiheit ermöglicht. Die hasserfüllten Objektbeziehungen reduzieren sich und
emotionale Intimität wird schrittweise möglich.

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16
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