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Universität Gent

2009-2010

‚Die Andere Wahrheit‘ in Günter Grass’


Romanen Der Butt und Die Rättin
Eine erzähltechnische Analyse

Promotor: Prof. Dr. Biebuyck Verhandeling voorgelegd aan de


Faculteit Letteren en Wijsbegeerte
voor het behalen van de graad van
Master in de Vergelijkende Moderne Letterkunde

door

Saartje Gobyn

1
Die Märchen hören nur zeitweilig auf

oder beginnen nach Schluß aufs neue.

Das ist die Wahrheit, jedesmal anders erzählt.1

1
Grass, Günter: Der Butt, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1977, S. 555.
2
Grass, Günter: Worüber ich schreibe (http://www.kunsthaus-luebeck.de/sites/grass/kuechenzettel/g02.htm)

2
DANKESWORT

Es ist eine angenehme Pflicht, mich beim Beendigen dieser Arbeit bei denjenigen Menschen,
die mir beim Zustandekommen dieser Magisterarbeit geholfen haben, zu bedanken.
Zuerst gebührt meinem Promoter Herrn Professor Biebuyck ein aufrichtiges ‚Danke schön„.
An erster Stelle, war er es, der die Interesse für Grass„ Literatur bei mir erweckt hat. Er hat
mich während zwei Jahre betreut und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Immer hat er
Zeit dafür gemacht, Probleme zu besprechen und nützliche Tipps und Informationen zu
verschaffen.
Weiter will ich mich auch gern bei allen Mitgliedern der Forschungsgruppe Deutsche
Literaturwissenschaft bedanken. Ich hatte die Chance, dieses Jahr ein Praktikum bei der
Forschungsgruppe machen zu können und konnte so aus der Nähe erfahren, wie ‚das Leben
eines Forschers„ aussieht. Weiter habe ich aus ihrer Expertise lernen können. Das Praktikum
erlaubte mir auch, die Literatur von Grass zu vertiefen, was meine Magisterarbeit nur zugute
kommen konnte.
Zum Schluss will ich auch meine Mutter und Geschwister aufrecht bedanken. Ihre moralische
Unterstützung und liebe Worte haben mich oft aufgemuntert.

3
INHALT

Einführung 6.

1. Eine literarische Einheit 11.


1.1.Kontinuität inhaltlicher Elemente in Der Butt und Die Rättin 11.
1.2. Kontinuität formaler Elemente in Der Butt und Die Rättin 14.

2. Technische Analyse des Erzählvorgangs 17.


2.1. Autor versus Ich 17.
2.2. Behandlung der Zeit 18.
2.3. Spaltung des Erzählers 21.
2.3.1. Platz des Erzählers: wörtlich und figürlich 24.
2.3.2. Kampf um Anerkennung 25.
2.4. Die Rättin als Widerspieglung von Der Butt 28.

3. Die Parenthese in Der Butt und Die Rättin 30.


3.1. Theoretischer Hintergrund 30.
3.2. Belegstellung 31.
3.3. Funktionen der Parenthese 33.
3.3.1. Gleichzeitiges Universum 33.
3.3.2. Meta-Kommentare 38.
3.3.3. Betonung der Macht 40.
3.3.4. Projektion des Lesers 44.
3.3.5. Die ‚nicht-erzählte„ Geschichte 47.
3.3.6. Verneinung der Zeugenrolle 50.

4. Pragmatik in Der Butt und Die Rättin 54.


4.1.Symbole 54.
4.1.1. Die dritte Brust 54.
4.1.2. Das Dritte Programm 57.
4.2. Besondere Merkmale der Schreibtechnik 59.
4.2.1. Metaliterarische Aussagen 59.
4.2.2. Kreisende Geschichte 62.

4
4.2.3. Betonung der literarischen Konstruktion 63.
4.3. Der Butt und Die Rättin als historische Romane 64.

Schlussfolgerungen 66.

Bibliografie 69.

5
EINFÜHRUNG

Aber Sie und Ich wissen, daß die Geschichten nicht aufhören können,
immer wieder anders und anders wirklich zu verlaufen.3

Wenn wir das Oeuvre Grass‟ einer genauen Analyse unterziehen, fällt sofort auf, dass die
verschiedenen Romane sich gegenseitig aufeinander beziehen. Die Werke verweisen explizit
oder implizit aufeinander und auch die behandelten Themen zeigen, dass die Romane in
Beziehung zueinander stehen. So werden verschiedene Motive immer wieder aufgegriffen,
bekommen aber in dem einen Roman mehr Aufmerksamkeit als in dem anderen. So hat
Hanspeter Brode bemerkt, dass „Grass ein enges Netz von Anspielungen, Verweisen, Vor-
und Rückdeutungen knüpft um auf diese Weise Schauplatz und Personenumfeld, historisch-
politische Thematik und Chronologie als zusammenschließendes Band um seine Bücher zu
[legen]“4 und auch Enzensberger „vermutet, daß Grass an einem größeren Ganzen schreibt.“ 5
Die Versenkung des Schiffes ‚Wilhelm Gustlov‟ zum Beispiel wird zum ersten Mal in Die
Blechtrommel erwähnt6 und wird dann 2002 zum Hauptthema von Im Krebsgang, taucht aber
zwischendurch zum Beispiel in Die Rättin auf. Die Mutter des Romanerzählers aus Im
Krebsgang, Tulla Pokriefke, ist schon in Katz und Maus und Hundejahre anwesend und
manchmal wird suggeriert, dass sie ursprünglich als Schwester Oskar Matzeraths konzipiert
wurde.7 Aussagen wie: „Richtig“, sagt er [Oskar], „die kleine Pokriefke, ein Luder besonderer
Art, wurde Tulla gerufen, war aber auch unter dem Decknamen Luzie Rennwand bekannt.
Die hätte ich nicht zur Schwester haben mögen“ 8 muten in diesem Licht besonders ironisch
an. Lars Korten hat darauf hingewiesen, dass Katz und Maus und Im Krebsgang auch noch
auf eine andere Weise miteinander in Beziehung stehen.9 Am Ende des 10. Kapitels von Katz

3
Grass, Der Butt, S. 172.
4
Brode, Hanspeter:“ Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß“ Zur erzählerischen Kontinuität im Werk
von Günter Grass. In: Günter Grass: Auskunft für Leser. Hg. v. Franz Josef Görter. Darrmstadt: Luchterhand,
1984, S. 80.
5
Brode,“ Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß“ Zur erzählerischen Kontinuität im Werk von Günter
Grass. S. 82.
6
Grass, Günter: Danziger Trilogie. Die Blechtrommel, Katz und Maus, Hundejahre. Darmstadt: Luchterhand,
1980, S. 45.
7
Wassmann Elena: Die Novelle als Gegenwartsliteratur: Intertextualität, Intermedialität und
Selbstreferentialität bei Martin Walser, Friedrich Dürrenmat, Patrick Süskind und Günter Grass. St. Ingbert:
Röhrig Verlag, 2009, S. 345.
8
Grass, Günter: Die Rättin. München: Deutscher Taschenbuchen Verlag, 1998, S. 91.
9
Korten, Lars: Gibt es eine postmoderne Novellistik? Anmerkungen zu Texten von Martin Walser, Christoph
Hein, Günter Grass und Uwe Timm. In: Moderne, Postmoderne - und was noch? Hg. v. Sagmo Ivar. Frankfurt
am Main: Peter Lang, 2007, S. 140.

6
und Maus wird gefragt: „Gibt es Geschichten, die aufhören können?“10, worauf Im Krebsgang
mit den Schlusssätzen „Das hört nicht auf. Nie hört das auf“ 11 antwortet. Ein anderes
deutliches, thematisches Beispiel dieser Ganzheit ist zweifellos die Figur Oskar Matzerath.
Oskar Matzerath, der Erzähler und zugleich die Hauptfigur in Die Blechtrommel, taucht als
60-jähriger Filmmacher aufs Neue in einem der Erzählstränge in Die Rättin auf. Oskar wird
aber nicht einfach so aufgeführt, der Erzähler stellt ihn als ‚alter Bekannter‟12 vor und macht
deutliche Anspielungen auf seine literarische Vergangenheit:
Unser Herr Matzerath hat allerlei und bald auch seinen sechzigsten Geburtstag hinter
sich. Selbst wenn wir den Prozeβ und die Verwahrung in einer Anstalt, zudem das
Unwägbare der Schuld außer acht lassen, hat sich nach seiner Entlassung viel Mühsal
auf Oskars Buckel gehäuft.13
In Pausen, die er sich selten einräumt, wird ihm seine Kindheit gewichtig, der er sich
alternd wieder zu näheren wünscht: der Sturz von der Kellertreppe, Besuche beim Arzt,
zu viele Krankenschwestern…14
In dem jüngeren Roman wird er aber vom Erzähler zum erzählten Objekt. Auch wenn wir in
Der Butt über „jene[n] dreijährige[n] Junge, der wütend auf seine Blechtrommel schlug“ 15
lesen, wird implizit auf die Figur Oskar angespielt. Solche eigenartigen intertextuellen
Verweise durchkreuzen das ganze Oeuvre Grass‟. Obwohl dies nur einige Beispiele sind und
es noch dutzend andere gibt, werden wir sie dennoch als repräsentativ für das Oeuvre Grass‟
betrachten. Seine Texte bilden ein Knäuel, in dem ständig Elemente wiederkehren und in dem
die unterschiedlichen Romane auf einander verweisen. Die Werke, auf die hingewiesen wird,
werden entweder als ein fiktives Dokument oder als ein reales Ereignis präsentiert. Diese
Arbeit bietet aber weder die Zeit noch den Raum, das ganze literarische Knäuel zu entwirren.
Statt dem ganzen Oeuvre Grass‟ Aufmerksamkeit zu schenken, wird dafür optiert, zwei
Romane, Der Butt und Die Rättin, genau unter die Lupe zu nehmen. Da auch Die
Blechtrommel in enger Beziehung zu diesen Werken steht, wird dieser Roman manchmal mit
einbezogen, dennoch wird Die Blechtrommel in dieser Arbeit nicht auf ausführliche Weise
analysiert.
Der Butt ist 1977 erschienen und behandelt die Geschichte der Menschheit von der
Jungsteinzeit bis in die 70er Jahre. Ein zentrales Ich, das als Erzähler auftritt, versetzt sich in
jede Epoche und berichtet über die damaligen Geschehnisse. Ausgangspunkt und

10
Grass, Günter: Danziger Trilogie. Die Blechtrommel, Katz und Maus, Hundejahre. Darmstadt: Luchterhand,
1980, S. 599.
11
Grass, Günter: Im Krebsgang, Göttingen: Steidl Verlag, 2002, S. 216.
12
Grass, Günter: Die Rättin. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2007, S. 27.
13
Grass, Die Rättin, S. 28.
14
Grass, Die Rättin, S. 60.
15
Grass, Der Butt, S. 457.

7
strukturgebendes Merkmal des Romans ist das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau.
Besondere Aufmerksamkeit liegt auf dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen über die
Jahrhunderte hinweg. Der sprechende Plattfisch aus dem Märchen – der Butt – tritt in der
Geschichte als Berater der Männersache auf. Diese thematische Konstante wurde zur Zeit der
Erstveröffentlichung stark von Feministinnen angegriffen, welche dem Roman aufgrund
dessen ein frauenfeindliches Weltbild unterstellten. In Bezug darauf äußerte Grass selbst die
Idee, dass der Roman nach einer Fortsetzung mit einem weiblichen Erzähler verlange. 16
Neun Jahre darauf, 1986, wird Die Rättin veröffentlicht. Der Roman führt zu Anfang
ein Erzähler-Ich und eine Ratte ein, die das Ich als Weihnachtsgeschenk bekommen hat.
Rasch entsteht zwischen dem Ich-Erzähler und seinem Weihnachtsgeschenk ein Erzählkampf.
Beide streiten darüber, wer eine Geschichte oder ‚die„ Geschichte erzählen darf. Die Rättin
berichtet über den ‚Groβen Knall‟, über das Ende der Welt. Der Ich-Erzähler will dieses Ende
bestreiten, seine Welt und seine Rasse retten, indem er ‚Gegengeschichten‟ erzählt. So finden
wir im Roman verschiedene Erzählstränge vor. Die Hauptgeschichten behandeln den jetzt 60-
jährigen Oskar Matzerath, das Aussterben der Märchen, den Maler-Fälscher Malskat und fünf
Frauen an Bord des Schiffes ‚Die Neue Ilsebill‟. Im Laufe des Romans werden die
Geschichten auf eine eigenartige Weise miteinander verwoben. Mit seinen Erzählungen
versucht der Ich-Erzähler die Ratte im wörtlichen Sinne zu über-reden, um so das Ende der
Welt rückgängig zu machen, oder wie er selber sagt: ‚ich [will] durch Wörter das Ende
aufschieben.‟17 Die ersten Sätze des Romans verraten aber, dass „das Tier gewann“ 18 und,
dass die Menschheit von dem großen Knall zerstört wird. Diese Tatsache lässt sich aber auch
bestreiten, denn die Geschichte ermöglicht viele und unterschiedliche Interpretationen.
Die Wahl der zwei Werke lässt sich motivieren durch die Tatsache, dass wir beide
Texte als eine kleine literarische Ganzheit betrachten können. Zudem wird manchmal
behauptet, dass Die Rättin die weibliche Fortsetzung von Der Butt sein könnte. Beide Romane
sind thematisch und stilistisch auf eine ähnliche Weise aufgebaut. Weiter tauchen in den zwei
Texten auch wiederkehrende Elemente auf, sodass die Werke deutlich aufeinander verweisen
und eine gemeinsame Analyse sich aufdrängt. Dieses Projekt ist kein Plädoyer dafür, dass
beide Werke nicht mehr separat gelesen werden können, aber da sie viele Bezüge –

16
U.a.: Julian Preece: “The Transparency of the Male Narrative in “Der Butt” by Günter Grass.” In: The
Modern Language Review. (Okt. 1995), S. 955-966, S. 960.
Julian Preece: The life and work of Günter Grass: literature, history, politics. Groß-Britanien: Palgrave
Macmillan, 2004, S. 145.
17
Grass, Die Rättin, S. 16.
18
Grass, Die Rättin, S. 7.

8
thematisch und strukturell – aufzeigen, kann eine gemeinsame Lektüre neue, interessante und
zusätzliche Informationen liefern.
Es fällt auf, dass viele Untersuchungen über ‚Grassliteratur„ um thematische und vor
allem politische Aspekte herum kreisen; seine Romane werden auch oft als politische
Flugblätter gelesen. Untersuchungen, die die narratologischen Merkmale und den Schreibstil
vertiefen, sind schon immer – und vor allem in die letzten Jahrzehnten – in der Unterzahl.
Diese Arbeit will versuchen, diese Lücke ein wenig zu füllen und baut daher auf eine
erzähltechnische Analyse. Der Fokus liegt auf dem Aufbau der Werke und wie sie ihre
Botschaft vermitteln. Auffallend in Bezug auf den Schreibstill ist das vielfältige Auftreten der
Parenthese, welche dann auch besondere Aufmerksamkeit bekommt. Die Belegstellung dieser
Stilfigur wird in beiden Romanen unter die Lupe genommen und sie wird auf ihre Funktion
hin untersucht.
In einem ersten Teil wird die Einheit zwischen Der Butt und Die Rättin untersucht.
Inhaltliche sowie formale Elemente, die beide Romane gemeinsam haben, werden
nacheinander betrachtet. Wie sich zeigen wird, sind die auffallendsten thematischen Elemente
in beiden Büchern der Butt und der Feminismus. Auch den Märchen wird eine wichtige Rolle
zugewiesen. Auf formaler Ebene springen die Gedichte in beiden Romanen sofort ins Auge.
Eine technische Analyse des Erzählvorgangs steht im zweiten Teil an zentraler Stelle.
Zuerst wird kurz auf die Ähnlichkeit zwischen dem Autor Grass und seinen Erzählern
eingegangen. In der Analyse der Erzählperspektive wird sich herausstellen, dass die Spaltung
der beiden Erzählinstanzen eine wichtige Rolle in beiden Romanen einnimmt. Dieser Punkt
wird dann auch mit einbezogen und vertieft. Da der Umgang mit der ‚Zeit„ die beiden Werke
in besonderem Maße prägt, wird auch die Zeitauffassung in Der Butt und Die Rättin
analysiert. Wie sich zeigen wird, lassen sich die beiden Romane auch in dieser Hinsicht gut
miteinander vergleichen.
Nach einer genauen Lektüre der beiden Romane fällt auf, dass die Stilfigur der
Parenthese überdurchschnittlich oft vertreten ist, so dass sich die Frage stellt, ob der
Schaltsatz, neben der üblichen Funktion, noch eine weitere, tiefere Bedeutung haben kann.
Diese Frage soll daher im dritten Teil an zentraler Stelle stehen. Zuerst wird ein kurzer
theoretischer Hintergrund der Parenthese skizziert. Danach wird die Belegstellung der
Stilfigur in beiden Romanen erforscht. Die Frage, ob sich eine Systematik in dem Gebrauch
der Parenthese entdecken lässt, wird gelöst und schließlich wird die Stilfigur auf ihre
Funktion erfragt. Wie sich herausstellen wird, erfüllt die Parenthese in Der Butt sowie in Die
Rättin verschiedene Funktionen. Frappant ist, dass die Stilfigur oft, mittels nur eines Wortes

9
eine ‚unerzählte„ Geschichte mit einbezieht. Dadurch gibt die Parenthese oft eine ‚andere
Wahrheit„, neben der bereits vorhandenen, wieder.
Dieser letzte Punkt bringt uns zu einem der ‚wichtigsten„ Merkmale Grass„, der oft als
Autor des ‚dritten Weges„ charakterisiert wird. Aus dem dritten Kapitel lässt sich schließen,
dass der Schreibstil in Der Butt und Die Rättin den Inhalt reflektiert. Mittels Stilfiguren wird
eine der pragmatischen Aspekte – die Existenz eines ‚dritten Weges„ – der beiden Romane
betont. Wichtig ist, dass nicht nur die Parenthese diese Existenz unterstreicht. Zuerst werden
zwei Symbolen, die den dritten Weg mitgestalten in Der Butt und Die Rättin,
Aufmerksamkeit geschenkt. Weiter werden einige besondere Merkmale der Schreibtechnik
analysiert und wird gefragt, ob auch die Merkmale die Existenz alternativer Wahrheiten
markieren. Zum Schluss werden Der Butt und Die Rättin als historische Romane betrachtet,
und wird erforscht welche Folgen diese Lektüre für den pragmatischen Aspekt von Grass„
Poetik hat.

10
1. EINE LITERARISCHE EINHEIT

In der Einführung wurde bereits erwähnt, dass Der Butt und Die Rättin sich, sowohl auf dem
Gebiet des Inhalts als auf dem Gebiet des Stils, nah anschließen. Die Absicht ist, dieses
Thema im ersten Kapitel zu vertiefen, so dass wir die Frage, ob sich die beiden Romane
tatsächlich als eine literarische Einheit lesen lassen, beantworten können.

1.1. Kontinuität inhaltlicher Elemente in Der Butt und Die Rättin

Am deutlichsten sehen wir die Kontinuität inhaltlicher Elemente in der Figur des Buttes. Der
Butt erzählt die Geschichte der Menschheit aus männlicher Perspektive her. Berater der
Männer durch die Jahrhunderte hindurch ist der Butt aus dem Grimmschen Märchen Von dem
Fischer und seiner Frau, das die Basis von Der Butt bildet. In Die Rättin taucht der Plattfisch
wieder auf, hat aber, genau wie am Ende von Der Butt, das Lager gewechselt und berät jetzt
anstatt der Männer die Frauen. Auffallend aber ist, dass der Fisch in Die Rättin nur als
passives Objekt eine Rolle bekommt: der Fisch existiert nur in der Rede der Frauen, er hat
keinen aktiven Anteil im Roman. Nach dem Lesen von Die Rättin erhebt sich die Frage,
inwieweit wir diesen Roman als eine Fortsetzung von Der Butt betrachten sollen. Der
Feminismus aus Der Butt bekommt in dem Erzählstrang der fünf Frauen eine deutliche
Fortsetzung. Weiter hat Grass, wie oben schon erwähnt, nachdem Der Butt erschienen war,
geäußert, dass der Roman eine Fortsetzung bekommen müsste, aber dann von einer Frau
erzählt. Auch die Tatsache, dass Grass Die Rättin anfangs Das Meer oder Die Neue Ilsebill
nennen wollte, spricht für eine solche Interpretation.19 Auffallend in diesem Bezug ist, dass
die fünf Frauen aus Die Rättin auf dem Laufenden sind, über was in Der Butt vorgefallen ist,
und auch auf die Ereignisse des älteren Romans hinweisen. Diese Tatsache spricht aus
Textstellen wie:

Hier [vor der Küste Ostholsteins] etwa haben wir Anfang der siebziger Jahre den Butt
gefangen. Zufällig. Mit ner Nagelschere. Hat der das Maul aufgerissen! Lauter
Hoffnungen und wunderhübsche Versprechungen. Wurde nichts draus. Alles nur
Quallen, die schrumpfen, sobald du sie anguckst. 20
In Der Butt hieß es folgendermaßen:

19
Julian Preece, The life and work of Günter Grass: literature, history, politics. Basingstoke: Palgrave
Macmillan, 2004.
20
Grass, die Rättin, S. 63.

11
hatte Siggi ihren Spazierstock – ein ordinär männliches Stück mit metallenem
Reiseandenkenbeschlag – ins Boot mitgenommen. Dieser Stock diente als Angel. Ein
gewöhnlicher Bindfaden hing ihm an. Der Haken war eine geschlechtslose Nagelschere.
[…] „Was uns praktisch fehlt“, sagte Fränki beim Schiffchenfalten, „ist ne ideologisch
saubere Überichstütze.“ Da biß der Butt an. Glaub mir, Ilsebill! Aufs Stichwort mit
Absicht.21
Darüber hinaus erinnert die Beschreibung der fünf Frauen aus Die Rättin manchmal sehr stark
an die Darstellungen der Köchinnen. In Der Butt treten „Neun und mehr Köchinnen“22 auf.
Wenn wir die Köchinnen im Kopf des Erzählers, „denn nur von Köchinnen kann ich erzählen,
die in mir hocken und raus wollen“23, nachzahlen, kommen wir zu einem Schluss von zwölf
Frauen.24 Auch in Die Rättin ist am Anfang von einer gleichen Zahl die Rede: „Eigentlich
sollten die fünf Frauen an Bord des Schiffes ‚Die Neue Ilsebill„ zwölf Frauen sein. So viele
hatten sich für die Forschungsreise auf dem ehemaligen Lastewer angemeldet; und eine gleich
übertrieben hohe Zahl versammelte ich anfangs im Kopf.“ 25 Die zwölf Frauen rufen die
Köchinnen aus Der Butt in Erinnerung. Übrigens wird auch in diesem Zitat darauf
hingewiesen, dass die Seefrauen sich im Kopf des Erzählers versammeln, gerade wie auch die
Köchinnen in ihm hockten. An anderen Stellen wird deutlich, dass die Frauen und das Ich
schon eine Vorgeschichte haben: „Mehr weiß ich von ihren Träumen nicht, so nah mir alle
gewesen sind.“26 und auch folgendes Zitat zeigt eine gemeine Geschichte auf:
Unter Deck einzig ich. Ich schnüffle in ihren restlichen Siebensachen, die unter den
Matten oder im Bugschrank in Seesäcken und Koffern offen liegen. Alles Schamlos
befingern. Ich suche Briefe aus früher, noch früher Zeit – Geständnisse und
Beteuerungen – und finde keinen Zettel, der mich auswiese. Ich sehe rasch Fotos durch,
auf denen ich fehle. Andenken, Schmuck, Ketten aus geflochtenem Silber, doch kein
Stuck darunter, dass ich zum Geschenk gemacht hätte.27
Vor allem die „Geständnisse und Beteuerungen“, können wir als eine deutliche Anspielung
auf Der Butt verstehen. Und könnte das Ich vielleicht die Halskette Wiggas, aus Bernstein
hergestellt, zwischen den anderen Schmuckstücke suchen? Das ganze Schreibprozess wird im
Roman mit einbezogen – was später noch ausführlicher an die Reihe kommt. Dürfen wir dann
vielleicht annehmen, dass Grass in seinem Roman auch die Entstehungsgeschichte des
Romans mitreflektiert? Wir können stellen, dass Grass tatsächlich eine Folgerung auf Der
Butt schreiben wollte, und dies mit seinen Köchinnen. Während des Schreibens hat er zwar

21
Grass, Der Butt, S. 39.
22
Grass, Der Butt, S. 13.
23
Grass, Der Butt, S. 13.
24
Aua, Wigga, Mestwina, Dorothea, Margarete Rush, Agnes, Amanda Woyke, Sophie Rotzoll, Lena Stubbe,
Sibylle (Billy), Maria, Ilsebill.
25
Grass, Die Rättin, S. 36.
26
Grass, Der Butt, S. 93.
27
Grass, Die Rättin, S. 94.

12
die Zahl vermindert, aber die Idee, dass auch diese Frauen eine ‚Ilsebill„ sein werden, blieb.
Programmatisch in diesem Sinn ist auch der Name des Schiffes, ‚Die Neue Ilsebill„. Die
Kenntnisse der Frauen, über dasjenige, was sich in Der Butt gespielt hat, können wir dann als
eine übergreifende Allwissenheit verstehen.
Ein anderes häufig auftauchendes Element ist das Märchen, welches zwischen der
inhaltlichen und der formalen Ebene schwebt. Wie oben schon angegeben, ist das Märchen in
Der Butt allgegenwärtig. Ausgangspunkt des Romans ist das Märchen Von dem Fischer und
seiner Frau und oft finden wir explizite Hinweise auf dieses Märchen vor – obwohl der Inhalt
sich geändert hat – so z.B. ‚Ach Butt! Dein Märchen geht böse aus.‟ 28 Die Märchenverweise
sind aber auch implizit im Roman verarbeitet. Nachdem die Brüder Grimm, Bettina Brentano,
Arnim von Achim, Philipp Otto Runge, und Clemens Brentano sich darüber gestritten haben,
ob Ilsebill im Märchen repräsentativ für die Frau ist, entscheiden sie sich, die Gemüter mit
einem Waldspaziergang zu beruhigen: „Also gingen sie in den Wald und sahen ihn auf
verschiedene Weise. Jeder ging mit einem Korb. Auf Rufweite wollten sie beieinander
bleiben, um sich nicht zu verlaufen.“29 Der Wald, der Korb und das Sich Verlaufen sind
übliche Elemente eines Märchens30 und auch in dem darauffolgenden Abschnitt werden
Verweise auf andere Märchen hineingearbeitet.31 Die Gesellschaft schreibt hier also, im
kurzen, ein eigenes Märchen. Durch die vielen Elemente, die außerhalb der fiktionalen Welt
nie stattfinden könnten, die wir aber während des Lesens ohne Probleme für wahr halten,
präsentiert der ganze Roman sich auch selber wie ein modernes Märchen, zwar ein
Kunstmärchen. In Die Rättin dann taucht in einem der fünf Erzählstränge eine Mischung von
Märchenfiguren auf.32 Diese Figuren behalten alle Eigenschaften, die sie in ihrem Märchen
haben, benutzen die aber jetzt um ihren Wald retten zu können. Dazu kommt, dass auch das
Märchen Der Rattenfänger von Hameln gänzlich, aber aufs Neue deformiert, in Die Rättin
aufgenommen worden ist. Auch Die Rättin können wir als ein modernes, apokalyptisches
Kunstmärchen verstehen. Beide Romane teilen also eine märchenhafte Verfremdung ihres
Stoffes. Grass selber hat zu dem Gebrauch der Märchen Folgendes geäußert:

28
Grass, Der Butt, S. 552.
29
Grass, Der Butt, S. 358.
30
Lüthi, Max: Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen Erzählender Dichtung. Bern: Francke Verlag,
1966, S. 11.
31
So treffen sich Arnim und Bettina „am Rand einer Lichtung, die sich um ein dunkles Wasserloch ergab‟
(Grass, Der Butt, S. 358) , was auf die Geschichte der zwei Königskinder hinweisen kann. Am Ende verlieren
die Figuren sich dennoch im Wald aber werden plötzlich auf märchenhafte Weise von einem Forstmeister
gerettet. (Grass, Der Butt, S. 360).
32
Figuren aus den Märchen von den Brüdern Grimm, Perrault, Andersen und sogar Musäus sind anwesend.

13
Allenfalls spricht noch aus Märchen Wahrheit, während uns die so vernünftig
geknüpften Sachzwänge unserer Tage um jede Erkenntnis bringen. […] Könnten nicht
sie, die Literaten, ihr, der Vernunft, die immerhin vernünftige Einsicht beibringen, daß
Märchen, Mythen und Sagen nicht außerhalb unserer Wirklichkeit entstanden sind, also
nicht irreal am Rande hausen und reaktionäre Finsternisse beschwören müssen, sondern
Teil unserer Realität und kräftig genug geblieben sind, um uns klarer, wenn auch mit
gesteigertem Ausdruck in unserer existentiellen Not und Wirrnis darzustellen, als es die
überdies wortarm gewordene, nur noch im Fachjargon nuschelnde Vernunft vermag? 33
Im Licht dieses Zitats wird deutlich, dass die Märchen eine Gegenkraft darstellen, mit der das
Ich aus Die Rättin sogar die Welt zu retten versucht. Auch Zhang weist darauf hin, dass die
Märchen – nicht nur in Die Rättin – eine „Gegenposition zu der kapitalistischen
Industriegesellschaft, in der Technik, Fortschrittsglaube und Vernunft herrschen“ 34 vertreten.
Um die Verarbeitung von Volksmärchen bei Grass genauer analysieren zu können, sollte
diesem Thema aber eine eigenständige Forschung gewidmet werden.

1.2. Kontinuität formaler Elemente in Der Butt und Die Rättin

Wie angekündigt, lenkt das Märchen auch auf eine formale Ebene Die Rättin und Der Butt.
Auch wenn von Märchenfiguren nicht die Rede ist, tauchen märchenhafte Floskeln auf, so
zum Beispiel in Die Rättin: „Es war einmal ein Land, das hieß Deutsch…“35 Dieser Satz wird
nicht vollendet, und man könnte vermuten, dass der Leser die Geschichte einfach selber auf
‚märchenhafte‟ Weise ausfüllen muss. Die Aussage aber verweist auf ein früheres Gedicht,
das alles andere als märchenhaft ist, wie u.a. folgende Zeile zeigen: „Nun gab es sich eine
Idee, die Stiefel trug, / gestiefelt als Krieg ausging, um die Welt zu sehen / […] / Doch
rückläufig gelesen, konnte die gestiefelte Idee / als Verbrechen erkannt werden: so viele
Tote.“36 Mit märchenhaften Aussagen wird eine schreckliche Geschichte erzählt, und dies
wirkt, wie oben schon erwähnt, verfremdend für den Leser. Die Märchenfloskeln werden in
diesem Kontext mit dem Inhalt von dem, was sie einleiten, kontrastiert. Auf diese Weise wird
der Gräuel, über den erzählt wird, extra betont. Folgender Satz, der einen Abschnitt über
Malskat einleitet, wirkt auf dieselbe Weise: ‚Es war einmal ein Maler, der sollte als Fälscher

33
Zhang, Xinyi: Formen und Funktionen der Intertextualität in Erzählwerken von Günter Grass. Frankfurt am
Main: Peter Lang, 2009, S. 147.
34
Zhang, Formen und Funktionen der Intertextualität in Erzählwerken von Günter Grass, S. 147.
35
Grass, Die Rättin, S. 111.
36
Grass, Die Rättin, S. 104-105.

14
berühmt werden.‟37 Gerade durch die Märchenfloskeln wird die Kluft zwischen dem, was mit
derartigen Floskeln versprochen wird, und dem wirklichen Inhalt betont.
Auf rein formaler Ebene sind die Gedichte, die in den Volltext eingearbeitet sind, am
auffallendsten. Die Lyrik ist in Die Rättin zahlreicher vertreten als in Der Butt, aber ihre
Funktion hat sich nicht geändert. Die Gedichte können wir entweder als Zusammenfassungen
von demjenigen, was schon geschrieben ist, oder als Anspielungen auf dasjenige, was
kommen wird, verstehen. Vor allem die Prolepse sollen wir erkennen, denn oft wird schon
sehr früh, zwar auf ambigue Weise, angekündigt, was passieren wird. So können wir
folgenden Strophen schon viele Ereignisse aus Die Rättin entnehmen.
Es könnte, was ich erzählen will,
weil ich durch Wörter das Ende aufschieben möchte,
mit Quallen beginnen, die mehr, immer mehr,
unabsehbar mehr werden,
bis die See, meine See
eine einzige Qualle.
[…]
Doch als die See den Frauen Vineta zeigte,
war es zu spät. Damroka verging,
und Anna Koljaiczek sagte: Nu isses aus.
Ach, was soll werden, wenn nichts mehr wird!
Da träumte die Rättin mir, und ich schrieb:
Die Neue Ilsebill geht als Ratte an Land.38
Die erste Strophe des Eröffnungsgedichtes verweist auf Ereignisse, die im gleichen Kapitel
spielen, während die letzte Strophe schon auf das Ende anspielt. Viele Hinweise und
Verweise sind aber beim Anfang des Lesens schwer zu verstehen und werden erst spät im
Text deutlich. Auch in Der Butt haben die Gedichte eine ähnliche Wirkung. Ein Gedicht
versucht sogar das ganze Buch zusammenzufassen:
Alle
Mit Sophie,
so fängt mein Gedicht an,
gingen wir in die Pilze.
Als Aua mir ihre dritte Brust gab,
lernte ich zählen.
Wenn Amanda Kartoffeln schälte,
las ich dem Fluß ihrer Schalen
den Fortgang meiner Geschichte ab.
Weil Sybille Miehlau Vatertag feiern wollte,
nahm sie ein schlimmes Ende.
Eigentlich wollte Mestwina den heiligen Adalbert
nur liebhaben, immerzu liebhaben.
37
Grass, Die Rättin, S. 15.
38
Grass, Die Rättin, S. 16-18.

15
Während die Nonne Rusch polnische Gänse rupfte,
habe ich nichtsnutz flaumige Federn geblasen.
Agnes, die keine Tür
ins Schloß fallen ließ,
war sanftmütig immer nur halb da.
Die Witwe Lena zog Kummer an,
weshalb es bei ihr nach Wruck und Kohl roch.
Wigga, die Zuflucht, der ich entlief.
Schön wie ein Eiszapfen ist Dorothea gewesen.
Maria lebt noch und wird immer härter.

Aber – sagte der Butt – eine fehlt.


Ja – sagte ich – neben mir
träumt sich Ilsebill weg.39
‚Alle„ führt tatsächlich ‚alle„ wichtigen Köchinnen auf. Weil die Frauen des ‚Feminals„ fast
alle ein Echo der Köchinnen sind, werden auch sie im Gedicht mit einbezogen. Das Gedicht
befreit Der Butt von aller Franse und entblößt, in Bezug auf die Frauen, die ‚nackte„
Wahrheit. Ironischerweise werden gerade die Männer, deren Standpunkt in Der Butt vertreten
wird, in einem Gedicht mit dem Titel ‚Alle„ nicht erwähnt. Im Gedicht finden wir Prolepse
vor: so wird das schlimme Ende von Sibylle erwähnt, während das Kapitel ‚Vatertag„ erst
später folgt. Auch die letzten zwei Verszeilen symbolisieren die Distanz zwischen dem Ich
und Ilsebill, die erst in den Schlusssätzen des Romans deutlich ausformuliert wird: „Ilsebill
kam. Sie übersah, überging mich. Schon war sie an mir vorbei. Ich lief ihr nach.“40 Genau wie
in Die Rättin bekommt das Gedicht erst, nachdem der Roman endet, Bedeutung. Die Funktion
und Wirkung der Gedichte hier völlig analysieren, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen
aber ich möchte hier auf Dittberner41 und Brady42 verweisen.

39
Grass, Der Butt, S. 422.
40
Grass, Der Butt, S. 556.
41
Dittberner, Hugo: Das Gedicht als Werkstück. Ein Essay zur Lyrik des Günter Grass. In: Günter Grass,
München: Verl. Ed. Text + Kritik, 1988.
42
Brady, Philip: ‚Aus einer Kürbishhütte gesehen„: The Poems. In: Günter Grass‟s ‚Der Butt„. Sexual Politics
and the Male Myth of History. Hg. v. Philip Brady, McFarland Timothy, John J. White. Oxford: Clarendon
Press, 1990, S. 203-225.

16
2. TECHNISCHE ANALYSE DES ERZÄHLVORGANGS

Nach einer genauen Lektüre fiel auf, dass Der Butt und Die Rättin eine ähnliche Struktur
zugrunde liegt. Beide Romane zeigen auch in Bezug auf den Erzähler gemeinsame,
eigenartige Merkmale auf. Die Struktur und die Eigenschaften werden in diesem Kapitel
untersucht, in beiden Romanen miteinander verglichen, und auf ihre Funktionen erfragt.

2.1. Autor versus Ich

Das narratologische Merkmal, das Der Butt und Die Rättin am meisten prägt, ist die
Ähnlichkeit zwischen beiden Erzählerfiguren, die von verschiedenen thematischen Angaben
konstituiert wird. So liegen dem Ich-Erzähler aus Die Rättin seine kaschubische Familie und
sein Danzig sehr am Herzen. Auch der Ich-Erzähler aus Der Butt kann seinen Hintergrund
nicht leugnen. Unter anderem in dem neunten Monat verweist er auf seinen kaschubischen
Ursprung: Mit der Aussage „Schlieβlich sind wir Kaschuben alle über paar Feldwege
miteinander verwandt“43 werden die Ich-Erzähler der beiden Romane, obwohl Die Rättin
später erschien, in eine deutliche Beziehung zueinander gesetzt. Auch die Allwissenheit
beider Erzähler prägt den Erzählvorgang. Genau wie z.B. die Frauen auf ‚Die Neue Ilsebill‟
auf dem Laufenden sind über dasjenige, was in früheren Romanen vorgefallen ist, weiß auch
der Ich-Erzähler aus Die Rättin, was sich schon alles ereignet hat. So stellt der Ich-Erzähler
Oskar als einen alten Bekannten44 vor und spricht, nachdem die Frauen den Butt verflucht
haben, über „dieses lange nicht mehr lautgewordene Geschrei nach dem sprechenden
Plattfisch.“45
Die Einheit und die Kontinuität zwischen den verschiedenen Erzählern wird vor allem
durch die Ähnlichkeit mit dem Autor Günter Grass konstituiert. Grass spielt ständig mit der
Grenze zwischen autobiographischem und fiktionalem Schreiben, so dass die Erzähler
scheinbar sehr oft Grass widerspiegeln. In Der Butt und Die Rättin ähnelt der Hintergrund des
Erzählers, der aus einer deutlichen Ich-Perspektive schreibt und keinen Namen bekommt, dem
des Autors Grass in großem Maße. Historische Ereignisse und persönliche Geschehnisse, die
wir im Leben des Autors lokalisieren können, laufen durcheinander aber nie wird die
‚Wirklichkeit„, historisch oder persönlich, völlig ‚richtig„ auf den Text projiziert. Auffallend

43
Grass, Der Butt, S. 509.
44
Grass, Die Rättin, S. 27.
45
Grass, Die Rättin, S. 63.

17
ist auch, dass die zwei Erzähler Schriftsteller sind – was wieder eine Anspielung auf Grass ist
– und oft auf das Schreiben verweisen. So wird der ganze Schreibprozess der beiden
Erzähler/Schriftsteller in die Romane mit einbezogen. Die Neigung, den Ich-Erzähler mit dem
Autor zu identifizieren, ist groß, aber sieht man etwas genauer hin, wird deutlich, dass nicht
alle Daten sich richtig einordnen lassen. Auch Braun hat, mit Recht, auf die Gefahren der
Gleichstellung von Grass mit seinen Erzählern hingewiesen: „Grass invokes the
autobiographical mode precisely in order to complicate public understanding of his authorial
persona and draw attention to its constructed, textual nature.“46 Demnach sind die Erzähler in
den Romanen Grass„ zwar bewusst nach dem Vorbild des Autors Grass kreiert worden,
jedoch nicht um den Werken einen autobiographischen Charakter zu geben. Eher wird auf
diese Weise versucht, das öffentliche Bild des Autors zu verwirren. Obwohl die Beziehung
zwischen Grass und seinen Erzählern also evident ist, wird diese Arbeit den
autobiographischen Bezug dennoch nicht tiefer ausarbeiten. Die Untersuchung fokussiert auf
die technischen Aspekte des Erzählvorgangs und auf ihre Wirkung, was impliziert, dass, wenn
über die Erzählperspektive und Erzählweise gesprochen wird, nur auf den Erzähler und nicht
auf den Autor Günter Grass hingewiesen wird.
Wir können schließen, dass der Autor Grass dafür sorgt, dass eine Einheit zwischen
den Erzählern entsteht, welche jedoch nicht nur auf biographischen Elementen basiert.

2.2. Behandlung der Zeit

Wie Der Butt und Die Rättin mit dem Begriff ‚Zeit„ umgehen, lässt sich nur schwer eindeutig
benennen. Die Behandlung der Zeit ist aber so eigenartig und beeinflusst die Struktur beider
Romane derartig, dass eine Analyse notwendig ist.
Der Butt erzählt eine chronologische Geschichte, die aber durch die
Rahmenerzählung, die der Erzähler aus den 70er Jahren aufführt, unterbrochen wird. Die
Geschichte fängt in der Steinzeit an und schreitet bis in die Gegenwart weiter. Zwischendurch
aber mischt der Erzähler sich oft ein und berichtet über zeitgenössische Ereignisse. Das ‚Jetzt‟
und das ‚Damals‟ können wir dennoch sehr einfach voneinander unterscheiden. Die
Zeitauffassung ist in diesem Sinn linear. Diese lineare Auffassung wird aber nicht nur von den
Kommentaren des Erzählers unterbrochen. Immer wieder wird, auch innerhalb kleinerer
Erzählstränge, auf einstige Geschehnisse zurückgegriffen. Die Geschichte schreitet zwar fort,
46
Braun, Rebecca: Mich in Variationen erzählen: Günter Grass and the ethics of Autobiography. In: Modern
Language Review 103: (2008), S. 1059.

18
aber im Sinne der ‚echternachischen Prozession„, denn ständig tauchen frühere Gegenstände
wieder auf. Auffallend dabei ist, dass manche Erzählfäden dann von Neuem angesetzt werden
und sich auch leicht ändern. Exemplarisch für die Erzählweise von Der Butt ist folgende
Textstelle:
Sie schossen Jan in den Bauch. Am 18. Dezember 1970 schossen sie Jan in den Bauch
voller Schweinekohl. Die Miliz der Volksrepublik Polen schoß, neben anderen
Arbeitern, dem Schiffsbauingenieur und Mitarbeiter der Werbeabteilung, dem
Gewerkschaftsmitglied und Mitglied des Kommunistischen Bundes, Jan Ludkowski,
vierunddreißig Jahre alt, in den Bauch voller gekümmeltem Schweinekohl, der mittags
in der Kantine der Leninwerft an über zweitausend streikende Arbeiter ausgeteilt
worden war.47
Dieser Abschnitt ist zwar ein komprimiertes Beispiel aber zeigt dennoch wie die Geschichte
Der Butt aufgebaut ist: Ereignisse werden ständig wiederholt und mit neuen Details ergänzt.
Zwischen den Wiederholungen aber – und das ist im vorangehenden Beispiel nicht der Fall –
wird oft auf andere Gegenstände eingegangen. Die Technik erwirkt, dass die Geschichte
manchmal auf der Stelle tritt. Gerade durch dieses kreisende ‚Sichfortbewegen„ der
Geschichte stellt sich auch die Frage nach der Zuverlässigkeit des Erzählers, welcher immer
wieder schon erwähnte Details ändert. Was Gerstenberg also in Bezug auf Die Blechtrommel
bemerkte, gilt auch für Der Butt: „Es handelt sich um eine Simultantechnik, die jedem Einfall
offen ist und, da sie stets andere Möglichkeiten als die gerade gewählten impliziert, das
Ambivalente der Aussage fördert.“48 Die lineare Zeitauffassung hebt auf diese Weise sich
selbst auf. Die Linearität wird auch untergraben, indem der Erzähler, der sich nicht als
auktorial vorstellt, sich dennoch in jeder Periode auskennt und einmischt, so dass die
Geschichte eher aus parallelen Universen besteht.
Die letzte These wird in Die Rättin vertieft. Während wir in Der Butt Gegenwart und
Vergangenheit noch deutlich voneinander trennen können, läuft in Die Rättin alles
durcheinander und entsteht eine „Vergegenkunft“.49 Der Roman enthält verschiedene
Aussagen, die implizieren, dass der Zeitverlauf in Die Rättin nicht mit dem Unsrigen
übereinstimmt: „selbst heute noch – und es verging viel Zeit seitdem – fürchten wir die
Mitbringsel dieser Stürme.“50 Eine mögliche Erklärung für diese Zeitauffassung finden wir in
der Traumstruktur, von der Die Rättin durchdrungen ist. Der Text selber äußert auch eine

47
Grass, Der Butt, S. 500.
48
Gerstenberg, Renate, Zur Erzähtlechnik von Günter Grass, Heidelberg: Carl Winter-Universitätsverlag, 1980,
S. 38.
49
Grass selbst beschreibt die ‚Vergegenkunft„ als eine Wirklichkeit, „in der Vergangenes, Gegenwärtiges und
Zukunftiges simultan präsent sind.“: Brunssen, Frank: Das Absurde in Günter Grass‟ Literatur der achtziger
Jahre. Würzburg, Königshausen und Neumann, 1997, S. 110.
50
Grass, Die Rättin, S. 198.

19
derartige Vermutung: „Nach einiger Zeit – sofern man dem Traum mit der Elle Zeit
beikommen kann – sagte sie“.51 Auch die verschiedenen Erzählfäden folgen nicht
aufeinander, im Gegenteil, alles findet gleichzeitig statt: „und läßt mich stehen mit meinen zu
vielen Geschichten, die alle gleichzeitig aus ihren Anfängen drängen.“ 52 Ein Universum wird
geschaffen, in dem alles parallel vorfällt, bis zum Moment des ‚großen Knalls‟. Dieser Knall
erinnert an die Big-Bang-Theorie, in der das Universum mit einem großen Knall entsteht.
Sehr ironisch übernimmt Grass die Angabe des Knalls, ändert aber die Funktion, denn in Die
Rättin deutet der Knall das Ende an. In dem Anfangssatz „Auf Weihnachten wünschte ich
eine Ratte mir, hoffte ich doch auf Reizwörter für ein Gedicht, das von der Erziehung des
Menschengeschlechts handelt.“53 finden wir eine ähnliche Technik vor: der Ich-Erzähler
verweist mit seinem Gedicht über die Erziehung des Menschengeschlechts auf Lessing,
bekommt aber keine Inspiration für ein solches Gedicht, sondern eine Ratte – die dennoch als
eine Muse wirkt – die über den Untergang der Menschheit berichtet. Das Gedicht über die
Erziehung verweist schon auf den Untergang der Menschheit, genau wie Beginn und Ende
des Universums in dem Knall zusammen kommen54, was aufs Neue auf eine gleichzeitige
Zeitauffassung hinweisen kann. Eine solche temporale Bestimmung hat unter anderem Helge
Jordheim mit dem Begriff „Gleichzeitigkeit“ angedeutet:
In dieser Zeitkonzeption, die ein Nebeneinander historisch und chronologisch
aufeinander folgender Bedeutungen und Erfahrungen voraussetzt, findet eine
Abrechnung mit der modernen Konzeption einer bewegten, fortschreitenden und
deshalb fundamental ungleichzeitigen Geschichte statt, die nicht zuletzt in den
Schlüsselbegriffen der Moderne wie „Fortschritt“, „Modernisierung“ und „Avantgarde“
zum Ausdruck kam.55
Die Gleichzeitigkeit verknüpft bestimmte Elemente, die nichts miteinander zu tun haben. So
wird zum Beispiel am Anfang von Die Rättin die Vorgeschichte ‚Der Neuen Ilsebill„ mit
jener der ‚Gustloff„ verknüpft. Auf diese Weise entsteht eine „Mehrschichtigkeit von
chronologisch aus verschiedenen Zeiten herrührenden Bedeutungen.“56 Die Mehrschichtigkeit
unterstützt die Hypothese eines parallelen Universums. Dennoch wird auch die
Gleichzeitigkeit in Die Rättin wieder unterminiert und zwar durch den Inhalt. Die Rättin

51
Grass, Die Rättin, S. 87.
52
Grass, Die Rättin, S. 61.
53
Grass, Die Rättin, S. 7.
54
In diesem Sinn ist es auch vielbedeutend, dass das Ende der Menschheit zugleich der Beginn des
Rattenzeitalters ist.
55
Jordheim, Helge: „Versuche zu einer Zeithermeneutik der Moderne und der Postmoderne: die Gleichzeitigkeit
des Ungleichzeitigen in Grass‟ Im Krebsgang und Wolfs Leibhaftig‟, In: Sagmo, Ivar (Hrsg.), Moderne,
Postmoderne- und was noch?, Frankfurt am Main: Peter Lang, 2007, S. 111-143.
56
Helge: „Versuche zu einer Zeithermeneutik der Moderne und der Postmoderne: die Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen in Grass‟ Im Krebsgang und Wolfs Leibhaftig‟, S.116.

20
erzählt die Geschichte der Vernichtung der Menschheit, daher sollen wir sie als
‚apokalyptisch„ betrachten, was dann aber eine lineare, bis zum Ende fortschreitende
Zeitauffassung impliziert.
Weiter unterstreichen beide Romane, ungeachtet ihre Zeitbehandlung, die zyklische
Struktur der Geschichte, denn in Der Butt sowie in Die Rättin finden wir zahlreiche Verweise
darauf, dass alles sich immer wiederholt. So heißt es zum Beispiel in Die Rättin: „Alles was
stattfindet, findet wiederholt statt, geringe Veränderungen und modische Neuigkeiten
einbegriffen.“57 In Der Butt betont das Ich am deutlichsten die zyklische Geschichte, denn
„Ich, das bin ich Jederzeit“. Auch wenn über Vasco da Gama die Rede ist, wird deutlich, dass
die Geschichte sich immer wiederholt: „Wieder- und wiedergeboren ist Vasco jetzt
Schriftsteller. Er schreibt ein Buch, in dem es ihn zu jeder Zeit gegeben hat: steinzeitlich,
frühchristlich, hochgotisch, reformiert, barock, aufgeklärt und so weiter.“58 Jedes Ereignis
wiederholt sich, so dass sogar das Ich und Vasco da Gama zu einer Person werden.

Es mag wohl deutlich sein, dass die Zeitbehandlung in beiden Romanen nicht eindeutig zu
benennen ist. Der Butt zeigt eine lineare Struktur, welche jedoch immerzu unterbrochen wird,
während Die Rättin eine Gleichzeitigkeit schafft, die an sich auch untergraben wird. Dazu
betonen beide Romane die Idee einer zyklischen Geschichte. Der Butt und Die Rättin
verkörpern also wohl sehr überzeugend die Idee Grass„ „mit einer Vergegenkunft zu
arbeiten.“59 Die komplizierte Zeitbehandlung trägt dazu bei, die Geschichte, wie es in Der
Butt heißt, immer wieder anders zu erzählen.60 Weiter denke ich, dass die offene, zerbröckelte
Form, die vor allem in Die Rättin überspitzt wird, an erster Stelle einen Versuch darstellt, die
‚zeitgenössische„ Gesellschaft wiederzugeben. Unsere Gesellschaft ist dermaßen kompliziert
und zersplittert, dass es nur einer solchen offenen Erzählstruktur gelingen kann, die
Fragmentierung der Wirklichkeit zu fassen.

2.3. Spaltung des Erzählers

Der Butt und Die Rättin werden beide aus einer Ich-Perspektive her erzählt, oder wie Stanzel
es beschreibt, aus einem quasi-autobiographischen Ich. 61 Alle Geschehnisse, die in den

57
Grass, Die Rättin, S. 302.
58
Grass, Der Butt, S. 179.
59
Brunssen, Das Absurde in Günter Grass‟ Literatur der achtziger Jahre, S. 110.
60
Grass, Der Butt, S. 555.
61
Stanzel, Franz K.: Unterwegs. Erzähltheorie für Leser. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002, S. 26.

21
Romanen an die Reihe kommen, werden von diesem Ich gefiltert. Das Ich erweckt den
Eindruck, die Hauptrolle im Geschehen zu spielen. Rasch aber erweist sich, dass das Ich keine
Handlungstragende Figur ist‚ es berichtet ‚nur„ über vergangenes Geschehen, aber hat in
diesen Geschehnissen keine aktive Rolle. Darüber hinaus spaltet sich das Ich in beiden
Romanen in anderen Instanzen und kompliziert auf diese Weise die Erzählstruktur.

Der Butt
Das ‚Ich‟, das sich am Anfang als „Ich, das bin ich jederzeit“ 62 präsentiert, ist der
Haupterzähler von Der Butt. Daneben gibt es im Roman noch einen anderen Erzähler,
nämlich den Butt, den wir als ‚Kontra-Erzähler„ betrachten können: Der Butt berät die
Männer, will sie erhöhen, bewirkt aber ständig das Gegenteil. Am Ende gehört er den Frauen
und arbeitet den Männern aufs Neue entgegen. Das Prinzip eines ‚Kontra-Erzählers„ hat Grass
später in Die Rättin tiefer ausgearbeitet. Die Erzählinstanz wird auf diese Weise in zwei
kleinere Instanzen geteilt. Das Erzähler-Ich aber treibt die Spaltung auf die Spitze, indem es
sich mit dem ‚Männertum„ identifiziert und daher für fast jeden Mann steht. Die
verschiedenen Geschichten des zeitlosen Ichs synthetisieren sich dann alle in Der Butt.
Die zwei Erzähler, der Butt selbst und das ‚Ich‟, können wir – im Gegensatz zu Die
Rättin – leicht voneinander unterscheiden, und auch die verschiedenen, kleinen Geschichten
der Männer durch die Jahrhunderte hindurch sind deutlich voneinander zu trennen. Die
Schwierigkeit aber besteht darin, dass die Erzählstimme des Ichs aus den 70er Jahren sich in
den früheren Geschichten einmischt, so dass eine Mixtur zwischen damaligen und heutigen
Ideen entsteht. Die Geschichte wird also – wie es so oft passiert – aus zeitgenössischem
Blickwinkel gesehen und mutet daher oft anachronistisch an. Die Anachronismen werden
aber sehr oft überspitzt und als Hyperbel präsentiert, was darauf hindeutet, dass das Einfügen
der Anachronismen Teil des Schreibstils ist und daher einen witzigen, oft ironischen Effekt
erreicht, wie folgende Textstellen illustrieren:
Das war gegen Ende der Steinzeit. Ein ungezählter Tag. Wir machten noch keine
Striche und Kerben. Nur mit Furcht sahen wir den Mond abmagern oder Fett ansetzen.
Nichts Vorbedachtes traf pünktlich ein. Kein Datum. Nie kam wer oder was zu spät. 63
Auch in der Altsteinzeit. Jedenfalls seit Ende der letzten Vereisung. […] Sicher,
manchmal die Unruhe. Wenn man wissen will, von wo der Fluß kommt. Oder ob
hinterm Fluß, wo die Sonne aufsteigt, irgendwas los ist. Auch möchte ich wissen, ob
man weiterzählen kann, als wir dürfen. Und auch die Frage nach dem Sinn. Ich meine,

62
Grass, Der Butt, S. 7.
63
Grass, Der Butt. S. 24.

22
ob das, was wir so machen und was ja immer dasselbe ist, außer dem, was es ist, noch
was anderes sein könnte. Aua sagte: Es ist nur, was ist.64

Die Rättin
In Die Rättin finden wir eine ähnliche Struktur wie in Der Butt vor. Auch hier wird der
Erzähler in zwei Instanzen gespalten: ein Ich und eine weibliche Ratte. Die Ratte erfüllt hier
die Rolle des Kontra-Erzählers, indem sie sich die Geschichte, wider den Willen des
Erzählers, ständig aneignen will. Die Erzählung des Ich-Erzählers wird, genau wie in Der
Butt, an sich auch wieder gespalten. Die Rättin beinhaltet, neben dem Streit zwischen
Erzähler und Ratte, verschiedene andere Erzählstränge. Sie behandeln den jetzt 60-jährigen
Oskar Matzerath, das Aussterben der Märchen, den Maler-Fälscher Malskat und fünf Frauen
an Bord des Schiffes ‚Die Neue Ilsebill‟. Im Laufe des Romans werden die Geschichten auf
eine sonderbare Weise miteinander verwoben, bis sie alle in dem ‚großen Knall‟
zusammenkommen. In Die Rättin wird die Komplexität des Strukturs überspitzt. Während wir
am Anfang noch eine Linie zwischen der Stimme des Erzählers und der der Rättin, sowie
zwischen den verschiedenen Erzählsträngen ziehen können, läuft gegen Ende des Romans
alles durcheinander – was als narratologische Technik aber nicht außergewöhnlich ist. Ständig
stellt sich die Frage, wer jetzt spricht, Ich oder die Rättin, wer träumt, was der Traum
beinhaltet65, und über welchen Erzählstrang eigentlich berichtet wird. Das Ende von Die
Rättin gibt jedoch keine Antworten. Im Gegenteil, mit dem Schlusssatz ‚Ein schöner Traum,
sagte die Rättin, bevor sie verging‟ 66 bleiben alle Fragen offen.

Die Pluralisierung der beiden Erzähler, über die auch Braun schreibt, sie jedoch auf die
Person des Autors zurückführt,67 erwirkt auch einen anderen, vielleicht wichtigeren Effekt.
Durch die Spaltung der Erzählstimme wird sie hybrid und vertritt, in Hinblick auf die
Ideologie, verschiedene Standpunkte. So wird es für den Leser fast unmöglich, den Erzähler
auf eine Ideologie oder klare Meinung festzunageln, denn immer wieder wird auch die andere

64
Grass, Der Butt, S. 28.
65
Die Anwesenheit der Träume in Die Rättin wurde ausführlich von Frank Brunssen und Thomas Kniesche
untersucht: Brunssen, Frank: Das Absurde in Günter Grass‟ Literatur der achtziger Jahre. Würzburg,
Königshausen und Neumann, 1997.
Kniesche, Thomas: Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass‟ ‚Die Rättin‟. Wien:
Passagen Verlag, 1991.
66
Grass, Die Rättin, S. 487.
67
Braun, Rebecca: Constructing Autorship in the Work of Günter Grass, Oxford, Clarendon Press, 2008.

23
Seite, ‚die andere Wahrheit‟ gezeigt.68 Die Pluralisierung lässt es zu, ‚die Wahrheit, jedes Mal
anders erzählt‟69, wiederzugeben.

2.3.1. Platz des Erzählers: wörtlich und figürlich

Die eigenartige Erzählstruktur hat einige Folgen in Bezug auf den Platz, den der Erzähler in
der Geschichte einnimmt. Wie oben beschrieben, fällt die Erzählinstanz jedes Mal in zwei
Stimmen auseinander. Auffallend ist, dass eine der Erzählstimmen immer einen Platz aus der
Geschichte bekommt, und dies sowohl wörtlich als figürlich. Diese Tatsache ist
bemerkenswert, weil der Ich-Erzähler sich am Anfang als Erzähler und als Hauptfigur
präsentiert. Durch das ausdrückliche Auftreten des Ichs zu Anfang des Romans, erwartet der
Leser eine quasi-autobiographische Erzählform.70 Die Erwartung wird aber unterbrochen,
weil der Erzähler selbst lediglich an der Rahmenerzählung einen aktiven Anteil hat. Wo
erwartet wird, dass Erzähler-Ich und Erzählung miteinander zusammenfallen, wird dennoch
eine Distanz kreiert.
Das Ich aus den 70er Jahren, der Haupterzähler, aus Der Butt hat an sich keine
handelnde Rolle in der historischen Rekonstruktion der Geschichte. Nur im Erzählfaden, in
dem es sich um ‚heute‟ handelt, hat er einen aktiven Anteil, wobei er sich jedoch die ganze
Zeit im Kampf um Anerkennung, sowohl als Mann als auch als Schriftsteller, befindet.
In Die Rättin finden wir Ähnliches vor, obwohl es in diesem Roman, wie oben schon
angegeben, schwieriger ist, deutliche Grenzen zwischen den verschiedenen Erzählsträngen
und -instanzen zu ziehen. Dennoch können wir behaupten, dass dem Ich des Anfangs, das auf
‚Reizwörter für ein Gedicht‟71 hofft, in den verschiedenen Geschichten keine wesentliche
Rolle zugeteilt wird, obwohl er sich immer wieder, als Erzähler, in die Geschichten einmischt.
Wo der Leser erwartet, dass er, als Erzähler, dem Geschehen fernbleibt und nur berichtet,
interagiert er auf eine besondere Weise mit seinen Figuren: Matzerath lädt er dazu ein,
gemeinsam einen Film zu drehen, die Zusammenarbeit ist jedoch zum Scheitern verurteilt und
auch mit Malskat steht er in direktem Kontakt, er klettert sogar zu ihm aufs Gerüst: „aber
sobald ich im Innengerüst der Lübecker Marienkirche hoch hinauf ins Chorgewölbe zu
klettern beginne – naßkalt, zügig ist es hier oben – holt mich Gegenwart von den

68
Ein wichtiger Stilmittel in diesem Hinsicht ist die Ironie, der aber später in dieser Arbeit ein Kapitel gewidmet
wird.
69
Grass, Der Butt, S. 555.
70
Stanzel, Franz: Unterwegs. Erzähltheorie für Leser. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002, S. 26.
71
Grass, Die Rättin, S. 7.

24
Gerüstbrettern.“72 Nur mit den Frauen redet er nicht, oder zumindest nicht direkt. Dennoch ist
er auch in ihrer Geschichte nachdrücklich anwesend, schwebt nicht nur über dem Geschehen
und stöbert sogar in ihren Sacken herum.73 Die Einzige, mit der der Erzähler indirekt – denn
über Briefkarte – Kontakt hat, ist Damroka. Der Erzähler greift jedoch nie aktiv in die
Handlung ein. Nur im Erzählstrang, der über die Rättin handelt, hat er einen aktiven Anteil,
der aber – aufs Neue – vor allem darin besteht, einen Kampf mit der Rättin um das Erzählen
der Geschichte zu führen.
Die Stellung des Erzählers außerhalb der Geschichte wird auch durch die räumliche
und zeitliche Konstellation unterstützt. Die Romane führen einen Erzähler auf, der, teils,
figürlich aber auch wörtlich außer der Geschichte steht, indem er zeitlich oder räumlich
isoliert wird. Das Ich aus Die Rättin wird, ob es ein Traum ist oder nicht, in einer Kapsel in
den Raum geschossen und so von der Welt und seinen Erzählungen isoliert. Der Erzähler aus
Der Butt ist zwar physisch anwesend, aber wird durch die Zeit von seiner Erzählung getrennt.
Dazu kommt, dass ihm am Anfang der Eingang zum Buttprozess untersagt wird und er auf
diese Weise, wenn auch kurzzeitig, räumlich vom einzigen Geschehen, in dem er schon eine
aktive Rolle hat, getrennt wird.

Das Ich, das die Erwartung handelnde Person im Geschehen zu sein aufwacht, wird also
dennoch von der Geschichte getrennt, indem es nur in der Rahmenerzählung, jedoch nicht in
den anderen Erzählsträngen, eine aktive Rolle bekommt. Diese Trennung wird entweder
zeitlich oder räumlich verstärkt; das Ich aus Der Butt wird durch die Zeit von der Geschichte
abgeschnitten, das Ich aus Die Rättin befindet sich in einer Raumkapsel und wird so von
seinen Geschichten isoliert.

2.3.2. Kampf um Anerkennung

Die Erzähler aus Die Rättin und Der Butt präsentieren sich beide als Schriftsteller, und setzen
sich zum Ziel, eine Geschichte zu schreiben. Das Ich aus Die Rättin versucht, mittels seiner
Erzählungen, dem Ende der Welt aus dem Wege zu gehen: „weil ich durch Wörter das Ende
aufschieben möchte.“74 In Der Butt hat das Schreiben aber eine andere Bedeutung; der
Erzähler versucht, schriftlich ein Zeugnis abzulegen um sich so der Schuld der Geschichte zu

72
Grass, Die Rättin, S. 325.
73
Grass, Die Rättin, S. 94.
74
Grass, Die Rättin, S. 16.

25
entziehen. Mit der oben genannten Isolierung geht jedoch auch eine Verneinung einer
direkten Rolle des Schriftstellers einher.

Die Rättin
In Die Rättin führen der Erzähler und seine weibliche Ratte einen Streit darüber, wer erzählen
darf. Das Ich versucht seine Geschichten zu Ende zu bringen aber wird ständig von der Rättin
unterbrochen, die über die Schlussphase und die Vernichtung der Menschheit sowie über das
Rattenzeitalter berichtet: „Nein sagt die Rättin, von der mir träumt, solche Vertällchens haben
wir satt. Das war einmal und war einmal.75“ Sein Widerstand ist aber umsonst, denn er ist der
Rättin unterlegen:
Während ich in einem Rollstuhl angeschnallt saß, schrie ich, als wäre im Traum ein
Lautsprecher greifbar gewesen: Wir sind da! Alle immer noch da! Ich laß mir nichts
einreden! Doch sie fistelte über unbeirrt, anfangs unverständliches Rattenwelsch – Do
minscher gripsch Ultemosch! – um dann deutlich zu werden: Gut, daß sie weg sind!
Haben alles versaut.76
Das Bild der neuen Rattenwelt, skizziert von der Rättin, funktioniert fast wie eine
Warnutopie. Im Mitte des Romans findet der große Knall statt, vernichtet ‚das
Menschengeschlecht„ und damit auch die Romanfiguren des Ich-Erzählers. Dem Erzähler
selber wird der Untergang erspart, weil die Rättin ihn in einer Kapsel in den Raum geschossen
hat. Vergebens versucht der Erzähler seine Geschichte weiterzuerzählen, denn wenn er
„Antworten Erde“77 ruft, erhält er nur Geräusche als Reaktion. Könnte es sein, dass wir den
Streit zwischen der Rättin und dem Ich als ein Streit um den Fortbestand der Literatur
interpretieren sollen? In dieser Hinsicht können wir das ständige Anrufen der Erde als eine
Suche nach einem Publikum zum Zuhören/Lesen verstehen. Zur Diskussion stehen der Platz
und die Funktion, welche die Literatur in unserer zeitgenössischen, zersplitterten Gesellschaft
einnehmen kann. In der Märchenerzählung wird dieses Thema spezifischer ausgearbeitet,
denn dieser Erzählstrang handelt über das Retten des (Märchen)waldes und so implizit auch
über das Überleben und die Überlieferung der Märchen, „denn mit den Wäldern / soll hier
geschrieben stehen / sterben die Märchen aus.“ 78 Wir könnten stellen, dass die Verneinung der
Schriftstellerrolle und der Kampf um das Märchenwald, den Streit um einen etablierten Platz
für die Literatur in der zeitgenössischen Gesellschaft symbolisieren.

75
Grass, Die Rättin, S. 23.
76
Grass, Die Rättin, S. 31-32.
77
Grass, Die Rättin, U.a. S. 137.
78
Grass, Die Rättin, S. 17.

26
Der Kampf, den das Ich und die Rättin ausfechten, wird von der Haltung des Ich-
Erzählers in den anderen Erzählsträngen kompensiert. Auch wenn der Erzähler der Rättin
gehorchen muss, hält er doch die Fäden seiner eigenen Geschichten in der Hand, oder so hat
es zumindest den Anschein. Die Rivalität zwischen der Rättin und dem Ich wird auf die
anderen Geschichten übertragen, in denen der Erzähler krampfartig versucht, seine Macht zu
behalten. Von Anfang an betont er, dass er der kreierende Kopf hinter den verschiedenen
Geschichten ist, und expliziert, dass er die Fäden der Erzählstränge und der Personen in der
Hand hat. Es gibt zahllose Beispiele im Text, die dies illustrieren: „Für diese Reise haben sich
die fünf Frauen, wie ich sie wünsche, anlernen lassen.“79 und „Langsam, weil ich das so will¸
gewöhnen sie sich daran.“80 Ironischerweise muss er aber auch selbst seine Macht
relativieren. So versucht er in dem Streit der Frauen den Moderator zu spielen, aber „mein
Gutzureden bleibt, wie immer, ohnmächtig“81, er „kann nicht verhindern, daß die
Meereskundlerin zu stricken aufhört und wieder von den KZ-Schiffen zu sprechen beginnt“82,
und ein andermal versucht er sich einzumischen, muss aber schon bald feststellen, dass sein
Versuch keinen Erfolg hat: „man hört nicht auf mich.“83 Am Ende, während des Empfangs für
Oskar, scheint es sogar, als ob er alle Macht über die Romanfiguren verliert: „Er [ein
Professor, Freund von Oskar] schloß nach einem Nebensatz, der mich betraf, und nach
charmanter Referenz Maria zu Ehren, allseits einvernehmlich: „Doch nun ist Oskar wieder
ganz unser!“84 Der Erzähler aller Geschichten wird nur noch im Nebensatz genannt und
Oskar, den er mit seiner Operation auszuschalten versuchte, ist ‚wieder ganz unser„.

Der Butt
Durch die Jahrhunderte hindurch zeigt auch das Ich aus Der Butt künstlerische Züge. In der
Steinzeit beschäftigt er sich mit Zeichnen: „Du, ein Künstler, der in seiner Not Zeichen zu
setzen versteht, der die bleibende, die vielsagende Form sucht […].“ 85 Das Zeichen setzen
wird hier, jetzt wo die Schrift noch nicht erfunden ist, als Metapher für das Schreiben benutzt.
Schon damals werden seinem künstlerischen Charakter Zügel angelegt, denn „die Fünferreus
und ihre zeichnerische Entsprechung [werden von Aua] verboten.“86 Diese Tendenz setzt sich
bis in die 70er Jahre durch, denn noch immer kämpft der Erzähler um die Anerkennung als
79
Grass, Die Rättin, S. 22.
80
Grass, Die Rättin, S. 23.
81
Grass, Die Rättin, S. 279.
82
Grass, Die Rättin, S. 66.
83
Grass, Die Rättin, S. 166.
84
Grass, Die Rättin, S. 475.
85
Grass, Der Butt, S. 27.
86
Grass, Der Butt, S. 25.

27
Schriftsteller. Das Zeugen und das Schreiben sind in Der Butt nah miteinander verwandt und
diese Verknüpfung ist meiner Meinung nach von besonderer Bedeutung. Die Verknüpfung
Schreiben-Zeugen wird aber an anderer Stelle in dieser Arbeit vertieft.

Der Streit um die Anerkennung als Schriftsteller erwirkt in beiden Romanen, dass die
Glaubwürdigkeit des Erzählers in Frage gestellt wird. Vergebens versucht der Erzähler sich
Geltung zu verschaffen, findet aber kein Gehör. Wenn wir diesen Streit auf den Autor Grass
projizieren, scheint es als ob Grass mit einer derartigen Technik seine eigene Position als
Schriftsteller in der Gesellschaft anzweifelt. Dennoch hat der Kampf eine paradoxe Wirkung
auf den Leser und bekommt er auch eine metaliterarische Bedeutung. Der Erzähler versucht
sich eine Identität als Schriftsteller zu erkämpfen, aber gerade in diesen Stellen, wo der Streit
zum Ausdruck kommt, ist der Erzähler/Schriftsteller am nachdrücklichsten anwesend. Der
Erzähler wird tatsächlich zuerst von dem Butt und von den Frauen, danach von der Rättin
überschattet. Der Kampf jedoch, den er führt um dies anzuprangern, betont gerade seine
Identität.

2.4. Die Rättin als Widerspieglung von Der Butt

Wie manche Forscher behaupten, können wir Die Rättin als eine Fortsetzung von Der Butt
betrachten, vor allem wird der Feminismus aus Der Butt durch die fünf Seefrauen aus Die
Rättin fortgeführt. Wenn wir aber die Konstellation beider Romane genauer betrachten, wie
im Vorangehenden, fällt auf, dass Der Butt und Die Rättin in manchen Bereichen
vollkommen gegensätzlich sind.
Der Butt behandelt die Geschichte der Menschheit, vor allem aus männlicher
Perspektive gesehen, obwohl die Frauenperspektive sicherlich auch vertreten wird. Die Rättin
dagegen sucht zwar ‚Reizwörter für ein Gedicht, das von der Erziehung des
Menschengeschlechts handelt‟87, berichtet aber über die Vernichtung der Menschheit. Genau
da, wo Der Butt aufgehört hat, scheint Die Rättin wieder anzuknüpfen, vernichtet aber alles,
was Der Butt geschaffen hat. Wie oben schon ausführlich beschrieben, spaltet die
Erzählperspektive sich in beiden Romanen in verschiedene Instanzen. Genau wie in Der Butt
fällt die Erzählinstanz auch in Die Rättin in einen Ich-Erzähler und ein Tier – zuerst einen
männlichen Butt, danach aber eine weibliche Ratte – auseinander. Dazu kommt, dass die

87
Grass, Die Rättin, S. 7.

28
Rättin, im Gegensatz zum Butt, als eine mütterliche Ratgeberin auftritt. 88 Auch der Titel
selber, Die Rättin – dem Titel Der Butt sehr ähnlich – kontrastiert das Männliche und das
Weibliche aufs Neue miteinander. Der Erzähler aus Der Butt wird durch die Zeit von seinen
Geschichten getrennt, während in Die Rättin der Raum dafür verantwortlich ist, dass der
Erzähler von seinen Geschichten isoliert wird. Auch in Bezug auf die temporale Behandlung
spiegeln sich die beiden Romane gegenseitig. Der Butt erzählt die Geschichte aus einer
chronologischen, wenn auch unterbrochenen, linearen Hinsicht, während Die Rättin ein
gleichzeitiges Universum schafft, in dem alles im selben Moment geschieht.
Die Unterschiede verstärken aber meiner Meinung nach die Beziehung zwischen den
beiden Romanen. Gerade durch die Differenzen wird die Komplementarität der Beiden betont
und wird die Hypothese, dass Die Rättin eine Fortsetzung von Der Butt sein könnte,
bekräftigt.

88
Kniesche, Thomas: Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass‟ ‚Die Rättin‟. Wien: Passagen Verlag,
1991, S. 101.

29
3. DIE PARENTHESE IN DER BUTT UND DIE RÄTTIN

Wie in der Einführung schon erwähnt wird, fällt nach einer genauen Lektüre von Der Butt
und Die Rättin auf, dass die Parenthese allzu oft benutzt wird, als dass sie keine weitere –
neben der üblichen – Funktion hätte. In diesem Kapitel wird der Gebrauch der Parenthese
einer Analyse unterzogen, und anhand einer theoretischen Skizze, wird sie auf ihre
Funktionen erforscht.

3.1. Theoretischer Hintergrund

Die Parenthese ist ein selbständiger Einschub, ein Schaltsatz, innerhalb einem Gesamtsatz und
wird zu den rhetorischen Figuren gezählt. Der Gesamtsatz wird thematisch, aber nicht
grammatikalisch durch die Parenthese unterbrochen. Bei Lausberg finden wir folgende
Definition: „Die Parenthese ist die konstruktionsfremde Zwischenschaltung eines Satzes (und
damit eines Gedankens) in einen Satz.“89 Weiter weist er darauf hin, dass die Parenthese die
Kontinuität des Hauptsatzes sprengt und dem Satz so eine kyklische Struktur besorgt. „Der
parenthesenhaltige Gesamtsatz ähnelt so der Periode“90 und gerade deswegen wird die
Parenthese auch zum Hyperbaton91, genauer zum Gedanken-Hyperbaton, gerechnet. Das
Metzler Literatur Lexikon erwähnt auch, dass der Umfang einer Parenthese zwischen einem
Wort und „einem Haupt- und Nebensätze gliedernden Abschnitt“92 schwebt. Weiter wird
darauf hingewiesen, dass die Parenthese „meistens eine erwünschte, nicht aber unbedingt
notwendige Mitteilung oder eine affektive erklärbare Interjektion“93 enthält. Die Frage ist ob
dies in den Romanen von Grass auch der Fall ist. Im Metzler Lexikon lesen wir, dass „der
visuellen Kenntlichmachung Gedankenstriche, runde oder eckige Klammern, Kommata, in
mündlicher Rede Pausen [dienen].“94 Lausberg aber benennt einen solchen Satz, der zwischen
Kommata steht, als Apposition. Auch in dieser Arbeit wird nur mit den Parenthesen, die

89
Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. München: Max Hüber Verlag, 1960, S. 427.
90
Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, S. 427.
91
„ Das Hyperbaton ist die Trennung zweier syntaktisch eng zusammengehörender Wörter, durch die
Zwischenschaltung eines unmittelbar nicht an diese Stelle gehörigen (ein- oder mehrwortigen Satzgliedes).“:
Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, S. 357.
92
Metzler Literatur Lexikon. Hg. v. Dieter Burdorf , Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff. Stuttgart: J.B.
Metzlersche Verlagsbuchhandlung, 2007, S. 571.
93
Metzler Literatur Lexikon, S. 571.
94
Metzler Literatur Lexikon, S. 571.

30
entweder durch Gedankenstriche oder durch runde Klammern95 von dem Hauptsatz getrennt
werden, gerechnet.

3.2. Belegstellung

Der Butt
Die Parenthese in Der Butt ist so allgegenwärtig, dass die vielen Schaltsätze den Text in
Chaos zu verwandeln scheinen. Der ganze Roman ist aber auf eine derartige Weise
durchstrukturiert, dass es schwer denkbar ist, dass die Parenthese beliebig in den Text
eingearbeitet worden ist. Sie wird entweder mit Klammern oder mit Gedankenstrichen
markiert. Weil die beiden Satzzeichen durcheinander benutzt werden, erhebt sich die Frage,
ob es eine Differenz zwischen dem Gebrauch von Klammern und von Strichen gibt. Obwohl
es auf den ersten Blick scheint, als ob die beiden beliebig benutzt werden und wir keine festen
Gebrauchsregeln finden können, lässt sich dennoch eine gewisse Systematik aufweisen. Wenn
wir auf das Ziel, das sich der Erzähler gesetzt hat – ein Zeugnis zu schreiben – zurückgreifen,
ist es möglich, dass er einen Unterschied zwischen demjenigen, was in den Zeugnis
aufgenommen werden kann, und demjenigen, was er lieber ausspart, macht. Zwischen
Gedankenstrichen erscheinen dann diejenigen Schaltsätze, die auch im Zeugnis eingepasst
werden dürfen. Die Klammern zeigen Aussagen auf, die entweder überflüssig sind,
Leseinformationen enthalten oder nicht in dem offiziellen Zeugnis mitgelesen werden dürfen.
Durch eine solche Technik entsteht eine offizielle und eine nicht-offizielle Version der
Geschichte, was an den Ausgangspunkt von Der Butt anschließt: die mögliche zweite Version
von Von dem Fischer und seiner Frau. Gerade die Botschaft können – und sollen – wir Der
Butt auch entnehmen: Es gibt eine andere, nicht mitgeteilte Wahrheit. Das Formale Aspekt –
der Gebrauch der Parenthese – reflektiert den Inhalt.
Wie sich zeigen wird, können wir den Parenthesen daneben verschiedene Funktionen
zuweisen: manchmal erläutern sie einfach den Text, andere Parenthesen enthalten
Aufzählungen, noch andere zeigen giftige Kommentare auf. Oft werden auch Rezepte oder
Hinweise auf Rezepte in der Parenthese erwähnt, manche erzählen sogar eine eigene
Geschichte. Dennoch haben die meisten Parenthesen eine gemeinsame Funktion: die
Parenthese, ein Schaltsatz, der oft für weniger wichtig gehalten wird, hat in bestimmten
Textstellen jedoch eine entscheidende Bedeutung. Auch dem Volltext können wir

95
Es gibt in Der Butt sowie in Die Rättin keine Schaltsätze zwischen eckigen Klammern.

31
metaparenthetischen Kommentar entnehmen, der die Wichtigkeit von ‚Nebenhandlungen„
betont. Es fällt übrigens auf, wie oft solche Nebenhandlungen erwähnt werden oder wie oft
etwas ‚nebenbei„ gesagt wird. So berichtet der Erzähler über eine Tagung in Bièvres: „Das
Wort hat der nächste. Abseits wird eine Resolution geboren. Auf Antrag der Italiener. Es geht
um den Prager Frühling: er will nicht aufhören.“96 Der Prager Frühling, ein historisches,
beeinflussendes Geschehnis, wird nur ‚abseits„ genannt. Eine derartige Wendung finden wir
in manchen Stellen vor.97 Auch folgendes Zitat erwähnt ‚beiläufig„ ernsthafte Informationen:
Dann spricht der Filmemacher vom nächsten Filmfestival und erzählt beiläufig von den
Toten, die gegen Morgen eingesammelt werden. Die gebe es immer. Schon 1943, als er
ein Kind war, seien zwei Millionen Bengalen verhungert, weil die britische Armee alle
Reisvorräte im Krieg gegen die Japanner verbraucht habe. Ob es einen Film darüber
gebe. Nein, leider nicht. Hunger könne man nicht filmen.98
Das Ich, Vasco in diesem Kapitel, äußert, dass der Filmemacher beiläufig die Tote erwähnt,
doch wird tiefer auf die Tatsache eingegangen. In der darauffolgenden Aussage wird die –
damalige und heutige – Situation auch deutlich kritisiert, was nicht als Nebensache verstanden
werden sollte. Ein letztes Beispiel finden wir im folgenden Zitat vor:
ich werde nicht auf Nebensächlichkeiten rumreiten – bei uns Männern klappt es ja auch
nicht immer – sondern gleich zur Sache kommen: Mitte Oktober, kurz nachdem wir
nach Hammel zu Bohnen und Birnen gezeugt hatten, wurde die Anklageschrift
verlesen99
Ironischerweise erscheint ein Schaltsatz, gleich nachdem der Erzähler versprochen hat, nicht
auf Nebensächlichkeiten einzugehen. Es ist auch noch die Frage, ob es wichtig ist, dass sie
Mitte Oktober, nach Hammel zu Bohnen und Birnen, gezeugt haben. Dass „zeugen“ aber ein
Homonym ist, öffnet für Der Butt interessante Interpretationsperspektiven: nachdem das Ich
und seine Frau ‚gezeugt haben„ und das Resultat dieses ‚Zeugens„ neun Monate wächst, fängt
auch der Erzähler an zu zeugen und lässt auch sein Zeugen, während dieser neun Monate,
wachsen. Ilsebill erwartet ein Baby, während das Ich von einem Zeugnis schwanger ist. Die
Frage aber ist, ob auch die Schuld übertragen wird: das Ich versucht seine Schuld in seinem
Zeugnis von sich zu schreiben, aber bekommt auch das Baby, die neue Generation, diese
Schuld mit?100

96
Grass, Der Butt, S. 343.
97
Grass, Der Butt, S. 54: „Sag ihnen alles, Butt. Die Ilsebills müssen das wissen. Auch klitzeklein die
Nebensache.“ Grass, Der Butt, S. 92: „Der Fall Mestwina wurde wie nebenbei abgehandelt.“
98
Grass, Der Butt, S. 189.
99
Grass, Der Butt, S. 46.
100
Mit diesem Zitat kann auf die ‚Gnade der späten Geburt„ angespielt worden: „Die Gnade der späten Geburt ist
ein vom deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl im Jahr 1984 geprägter Ausspruch, der der Erleichterung
Ausdruck verleiht, aufgrund des zu jungen Alters im Nationalsozialismus nicht schuldig (d. h. nicht zum Täter
oder Mitläufer) geworden zu sein“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Gnade_der_sp%C3%A4ten_Geburt) Weil das

32
Durch all diese Ausdrücke, wird deutlich, dass mit der Bedeutung von ‚nebenbei„
gespielt wird, wodurch es dahin gestellt bleibt, was eine Nebenhandlung dann wohl sein mag.
Wichtig für diese Arbeit ist, dass gerade die Tatsachen, die in Parenthese erscheinen – und in
Theorie weniger wichtig sind – oft eine lenkende Bedeutung haben.

Die Rättin
Die Parenthese in Die Rättin ist auffallend weniger vorhanden als in Der Butt. Dieser Roman
zeigt auch, im Gegensatz zu Der Butt, eine deutliche Systematik im Gebrauch der Parenthese.
Die Rättin führt ebenfalls Parenthesen zwischen Klammern und zwischen Gedankenstrichen
auf. Dennoch lassen die beiden sich leicht voneinander unterscheiden: abgesehen von zwei
Ausnahmen101 erscheinen alle Parenthesen zwischen Klammern im Erzählstrang über die
Märchenfiguren. Diese Parenthesen rufen dann immer die Figur Oskar Matzerath herbei: der
Ich-Erzähler und Oskar Matzerath wollen zusammen einen Film über das Waldsterben
drehen. Herr Matzerath aber befindet sich zu dieser Zeit in der Kaschubei, um den 107.
Geburtstag seiner Großmutter Anna Koljaiczek zu feiern. Dennoch wird Oskar in den
Produktionsprozess einbezogen, allerdings zwischen Klammern. Auffallend ist auch, dass die
Parenthese je nach dem Märchenabschnitt einen anderen thematischen Schwerpunkt aufführt.
In den anderen Erzählfäden finden wir die Stilfigur auch vor, dann aber zwischen
Gedankenstrichen.

Im Nachhinein werden die auffallendsten Funktionen und Wirkungen der Parenthese


behandelt. Weil Der Butt und Die Rättin oft ähnliche Wirkungen der Stilfigur aufzeigen,
werden diese, wo möglich, zusammen behandelt. Die Funktionen, die nur für einen der zwei
Romane typisch sind, werden selbstverständlich separat besprochen.

3.3. Funktionen der Parenthese

3.3.1. Gleichzeitiges Universum

Beide Romane kreieren mittels der Parenthese ein gleichzeitiges Universum. In Die Rättin
erreichen die Parenthesen, dass die verschiedenen Erzählstränge durcheinander laufen,

Zeugen hier aber so nachdrücklich als Homonym aufgeführt wird, wird insinuiert, dass das Zeugnis sowie das
Baby die Schuld weitertragen. Das Konzepts der ‚Gnade der späten Geburt„ wird hier also untergraben.
101
Grass, Die Rättin, S. 212, S. 471.

33
verschiedene Zeitschichten miteinander verwoben werden und Verweise auf andere Romane
häufig im Text vorzufinden sind. Auch in Der Butt werden durch die Parenthesen
verschiedene Epochen miteinander verknüpft. Weiter erwirken sie, dass Fiktion und Fakt
ständig vermischt werden.

Die Rättin
Manche Parenthesen in Die Rättin erzielen das ‚Durcheinandermischen„ verschiedener
Romane: „Zum Schluß stoßen Hänsel und Gretel, die allerdings den entlaufenen
Kanzlerkindern ähnlich sehen (und gleichwohl unseren Herrn Matzerath an Störtebeker und
Tulla Pokriefke erinnern sollen)“.102 Störtebeker trat als Bandenführer in Die Blechtrommel
auf, und Tulla Pokriefke verkörperte das Böse in Katz und Maus und Hundejahre. Mit dieser
Parenthese wird also in einem Satz die ganze Danziger Trilogie herbeigerufen. Versucht der
Autor auf diese Weise Die Rättin in diese Tradition einzuschreiben – und bei diesem Erfolg
anzuknüpfen? Dadurch, dass der Hauptsatz von Hänsel und Gretel berichtet und die
Parenthese Hinweise auf Tulla und Störtebeker enthält, verknüpft die Parenthese darüber
hinaus verschiedene Zeitalter miteinander. Auch folgendem Zitat können wir Hinweise auf
andere Romane entnehmen:
Jetzt kommt mit blutverkrusteten Armstümpfen ein Mädchen, das seine abgehackten
Hände an einer Schnur über den Rücken gehängt trägt. (Sollte unser Herr Matzerath
gegen diesen Auftritt Einwände vorbringen – “Solche Grausamkeiten sind keinem
Publikum zuzumuten!“ – werde ich sie mit dem Ruf „Zensur!“ entkräften und ihn an
seine Kindheit, diesen Kreuzweg ausgesuchter Bestialitäten, erinnern. Zudem ist
„Das Mädchen ohne Hände“ ein typisches Zeugnis der Grimmschen
Märchensammlung, während Rübezahl, der auf Herrn Matzeraths Wunsch in diesem
Film Hausmeister sein soll, nur als Gestalt eines hintersinnigen Kunstmärchens, und
zwar bei Musäus, zu finden ist.)103
Diese Aussage ruft sehr deutlich Die Blechtrommel in Erinnerung und gibt damit das
‚literarische Universum‟, das Grass aufzubauen scheint, mit Gestalt. Die Aussage mutet auch
sehr ironisch an, gerade weil Grass mit seinem Erzähler aus Die Rättin sein Meisterwerk
kommentiert. Die Textstelle hat aber noch eine andere Funktion. Obwohl mit der Aussage auf
Oskar Matzerath gezielt wird, sollen wir den Schaltsatz als Leserinformation betrachten. Der
Erzähler will seinem Publikum deutlich machen, wie und wo wir Rübezahl situieren sollen,
und benutzt dazu die Parenthese.
Die vielen – und nicht nur parenthetischen – Anspielungen auf andere Romane,
erreichen beim Leser manchmal auch das Gefühl etwas zu verpassen, wenn er die Hinweise
102
Grass, Die Rättin, S. 128.
103
Grass, Die Rättin, S. 125. [Hervorhebung von mir, SG]

34
nicht einordnen kann. Wer Die Blechtrommel nicht gelesen hat, weiß nicht, wer Störtebeker
ist, oder wie die Jugend Oskars aussieht und kann derartige Verweise in Die Rättin daher nur
schwer im Kontext von Die Blechtrommel verstehen. Gerade durch diesen Schreibstil erhebt
sich die Frage, in wie weit man die Werke von Grass separat lesen – oder zumindest
interpretieren – kann. In dem Maße, wie sich Grass„ Oeuvre erweitert, schrumpft the happy
few der Leser, die alle intertextuellen Verweise, die die Romane untereinander aufzeigen,
einordnen kann.

Der Butt
Wie schon im ersten Teil erwähnt, wird Der Butt auf eine chronologische Weise geordnet,
obwohl die Chronologie manchmal unterbrochen wird. In dieser Hinsicht spielt auch die
Parenthese eine bedeutende Rolle; sie bringt die eine Zeitschicht in die andere hinein. So
fängt der Teil über die Tagung in Bièvres folgendermaßen an: „Die Tagung in Bièvres (hier
104
soll es früher Biber gegeben haben) ist mit Referaten […].“ In diesem Satz vermischen
sich Gegenwart und Vergangenheit. Einige Sätze weiter aber berichtet der Erzähler über ein
anderes gegenwärtiges Geschehnis, 105 das gerade nach dem Kongress vorgefallen ist:
„(Neinnein! Ich bleibe dabei. Das war leichtsinnig. Auch wenn wir Glück hatten.)“ 106 Mit
diesem Schaltsatz geht der Erzähler von der Tagung auf Ilsebills Sprung über. Nach der
Parenthese berichtet er in Hauptsätzen über dieses Ereignis, schaltet aber rasch wieder auf die
Vergangenheit um und berichtet dann in Parenthese über den Kongress:
Pflichtschuldig sprang ich ihr hinterdrein. Aber noch lange, während ich meine Sätzlein
sprach – „Ist ja verdammt noch mal gutgegangen. Aber fahrlässig war das schon“ – zog
sich das Veteranenessen in Amandas Gesindeküchen hin (und verlief der Kongreß
europäischer Revisionisten Punkt für Punkt nach der Tagesordnung.) 107
Der Erzähler fängt über ein gegenwärtiges Geschehen, den Kongress, zu berichten an, und
erwähnt parenthetisch die Vergangenheit. Rasch aber verlässt er den Kongress und berichtet
zwischen Gedankenstrichen über einen anderen gegenwärtigen Vorfall, Ilsebills Sprung.
Einige Sätze weiter wird die Parenthese dann zum Medium, um über den Kongress, die
Gegenwart also, Anfangspunkt dieser Stelle, zu berichten. Auch die Parenthesen in folgendem
Beispiel erwirken die Mischung verschiedener Zeiten. Ein derartiges Geschehen können wir
auch als eine Metalepse bezeichnen, denn die Parenthesen mischen nicht nur verschiedene

104
Grass, Der Butt, S. 343.
105
Ilsebill, seine schwangere Frau, hat (symbolisch) einen Sprung über einen Bach unternommen, ist dabei
gestürzt, hat sich aber nicht verletzt: Grass, Der Butt, S. 336-337.
106
Grass, Der Butt, S. 344.
107
Grass, Der Butt, S. 344.

35
Epochen, sie sorgen ebenfalls dafür, dass eine Mixtur verschiedener Erzähllinien entsteht.108
Bemerkenswert ist, dass die Parenthesen im folgenden Abschnitt aufeinander folgen und so
eine kleinere Erzählung innerhalb der Erzählung aufführen.
Aber ich mußte noch viele Pilzherbste im naßkalten Loch absitzen. (Inzwischen hatte
ich vergessen, warum.) Und zu Griselde Dubertin sagte ich: „Diese Kalbskopfsülze
habe ich Sophie Rotzoll zu Ehren gekocht und ganz aus sich und ohne Gelatine gelieren
lassen.“ (Neinnein! Ich will nicht ihr konspirativer Fritz und in Festungshaft
lebenslänglich gewesen sein.) Zu Ilsebill sagte ich: „Ein wirklich interessanter Fall,
diese Sophie. Hat mit Pilzgift gearbeitet, wie der Butt nachweisen konnte.“ (Lieber bin
ich der Gouverneur Rapp, der den gefüllten Kalbskopf überlebt und bis zum Schluß
Ordnung hält.)109
Auf diese Weise verweben Gegenwart und Vergangenheit sich zu einem unentwirrbaren
Knäuel, so dass, genau wie in Die Rättin, eine Gleichzeitigkeit entsteht. Die Hypothese wird
nicht nur durch den Gebrauch der Parenthesen bestätigt. Auch in den Hauptsätzen finden sich
verschiedene Anspielungen darauf, dass ‚Zeit„ ein relativer Begriff ist. So lesen wir zum
Beispiel die Aussage: „Wir [Strya und das Ich] sind immer nur zeitweilig gegenwärtig. Uns
nagelt kein Datum. Wir sind nicht von heute. Auf unserem Papier findet das meiste
gleichzeitig statt.“110 Sofort nach dieser Aussage beschreibt das Ich, wie er in Danzig – der
1970er Jahre – während er seinen grützigen Kaffee trinkt, auf Dorothea – Gotik – wartete,
aber mit ihrer Einkaufstasche Maria – 1970er Jahre – vorbeikam. Der Begriff Zeit wird völlig
aufgehoben, und verschiedene Jahrhunderte mischen sich bis zu einer Einheit.
Die Technik wird nicht nur auf das Ineinander-schieben von Vergangenheit und
Gegenwart beschränkt. Im Kapitel mit dem bedeutungsvollen Titel ‚Die andere Wahrheit‟111
geschieht etwas Ähnliches. Wie im ersten Teil schon erwähnt, haben die Märchen und
Märchenfloskeln einen wichtigen Anteil an Grass‟ Romanen, lenken oft thematisch, aber auch
stilistisch den Text. In ‚Die andere Wahrheit‟ handelt es sich um ein Treffen von Philipp Otto
Runge, Clemens und Bettina Brentano, die Brüder Grimm und Arnim von Achim. Während
dieser Begegnung steht das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau, und dann vor allem
die Tatsache, dass es zwei – eine frauenfeindliche und eine männerfeindliche – Versionen

108
http://de.wikipedia.org/wiki/Metalepsis#Die_Metalepse_der_Erz.C3.A4hltheorie : „Bei Genette bezeichnet
die "narrative Metalepse" das Überschreiten der Grenze zwischen einer fiktionsinternen Binnenwelt und einer
ebenfalls fiktiven Rahmenwelt des Erzählers.“ In Der Butt können wir die Geschichte der Männer als die
fiktionsinterne Binnenwelt betrachten, während die fiktive Rahmenwelt des Erzählers die Erzähllinie des Ichs
aus den 70er Jahren enthält. „Das kann zum einen bedeuten, dass der Erzähler (als Figur oder auch nur Stimme
eines fiktionalen Textes, nicht zu verwechseln mit dem empirischen Autor!) sich in die Handlung seiner
Geschichte einmischt. Dies ist insofern paradox, als der Erzähler damit die Simulation von Faktualität aufgibt
und offenlegt, dass seine Geschichte nur fiktiv ist.“ Wie sich später noch herausstellen wird, ist dies ganz gewiss
so in Der Butt und Die Rättin.
109
Grass, Der Butt, S. 391.
110
Grass, Der Butt, S. 127.
111
Grass, Der Butt, S. 352.

36
gäbe112, an zentraler Stelle. Dieser Abschnitt, in dem eine Mär zum Hauptthema wird,
bekommt selber auch eine märchenhafte Atmosphäre, indem ständig zauberhafte Elemente
auftauchen.113 Dennoch spielt die Parenthese in diesem Kapitel aufs Neue eine eigenartige
Rolle. Zwischen Klammern wird dauernd auf den realen Lebenslauf der Protagonisten des
Kapitels hingewiesen. So lesen wir über Wilhelm Grimm Folgendes:
Einzig der zarte Wilhelm war dafür, in Bescheidenheit doch mit genauem Ohr, was auf
der Ofenbank oder am Spinnrad erzählt werde, anzuhören und ohne Beigabe
niederzuschreiben, damit es erhalten bleibe. „Mir wäre das schon genug“, sagte er. (Und
später hat er auch geduldig Märchen gesammelt und getreu zum Hausschatz
zusammengetragen.)114
Auch andere wahre, aber weniger verteilte Erwähnungen werden in den Text hineingearbeitet.
Über Arnim vernehmen wir: „(Später [ist er] im Freiheitskrieg Hauptmann bei einem
Landsturmbataillon und tapfer gewesen.)“115 Auch Brentanos Religionsänderung wird uns in
Parenthese mitgeteilt: „Brentano wurde schon bald (als wollte er seine spätere Konversion
zum Katholizismus üben) von einem Gefühl tiefer und hoher, umfassender und enggeführter
Frömmigkeit überwältigt […].“116 Dieses häufige Einfügen realer Elemente untergräbt das
selbstgeschaffene Märchen, sorgt aber auch dafür, dass die Grenzen zwischen Fakt und
Fiktion verwischen. Was übrig bleibt, ist eine Mischung Beider, oder wie es im Kapitel betont
wird: „Dat een un dat anner tosamen.“117 Dennoch wird auch die ‚reale„ Geschichte in kleinen
Details deformiert: „Indessen hatten sich Arnim und Bettina (die einige Jahre später ein
Ehepaar werden und acht Kinder haben sollten) am Rand einer Lichtung“. 118 Die Ehe hat
tatsächlich stattgefunden, aber historische Quellen berichten über sieben statt acht Kinder. 119
Wird auf diese Weise, durch das Ändern kleiner Details, auch unsere gekannte Geschichte
untergraben? Wenn wir diese Zahlsänderung aber etwas genauer analysieren, finden wir eine
eigenartige Technik vor: ‚Die andere Wahrheit„ will mit realen Personen – die übrigens alle
mit Märchen beschäftigt waren – selber ein ‚neues„ Märchen schaffen. Dazu werden
zauberhafte Elemente in die Geschichte hineingearbeitet. Da, wo die reale Geschichte aber

112
Die Ölenbergsche Handschrift aber erwähnt nichts über eine mögliche zweite Version des Märchens: Grimm,
Jakob und Wilhelm: Die älteste Märchensammlung. Hg. v. Heinz Rölleke. Genf: Fondation Martion Bodmer,
1975.
113
Im ersten Kapitel ist schon auf dieses Thema eingegangen worden: S. 13-14. Wichtig, und ironisch ist, dass
die zauberhafte Atmosphäre teils durch die Wirkung des Fliegenpilzes kreiert wird.
114
Grass, Der Butt, S. 354.
115
Grass, Der Butt, S. 357.
116
Grass, Der Butt, S. 358.
117
Grass, Der Butt, S. 356.
118
Grass, Der Butt, S. 358.
119
http://www.uni-ulm.de/LiLL/3.0/D/frauen/biografien/Jh19/arnim.htm (9/04/2010)

37
selbst märchenhafte Elemente aufweist – die Zahl sieben120 – wird sie geändert und zu
‚normalen„ Verhältnissen zurückgebracht. Wird durch diese Änderung der Zahl suggeriert,
dass die Realität nicht märchenhaft sein kann?
Durch eine solche Technik laufen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion
durcheinander und entsteht ein Universum, in dem es nicht wichtig ist, was real und was
nicht, was vergangen und was zeitgenössisch ist. Eine andere, aber genau so wahre
Geschichte wird kreiert.

3.3.2. Meta-Kommentare

Die Rättin
Die Parenthese fungiert auch als direkter Kommentar auf den Märchentext. Bei eigenartigen
‚Nebenhandlungen‟, die in den originellen Märchen nur schwer stattfinden könnten, verweist
der Erzähler auf die Wünsche Herrn Matzeraths, vielleicht um sich auf diese Weise
abzusichern: „Nachdem der dritte Zwerg die lustig arrangierten Schlümpfe in Jacob Grimms
Vitrine bestaunt hat, trägt er (nach einem Vorschlag, den unser Herr Matzerath gemacht hat)
den Wunsch von Rotkäppchens Großmutter nach dem Grimmschen Wörterbuch vor“. 121 Ein
anderes Beispiel, in dem der Erzähler die Verantwortung für dasjenige, was passiert, auf
Matzerath weiterschiebt, ist Folgendes:
Während Hänsel die verzweifelten Märchengestalten zu trösten versucht, läuft Gretel
zum Brunnen, wo sie mit einem Guß aus dem Wassereimer den Froschkönig aus dem
Brunnenloch holt. Schmerzhaft lächelnd akzeptiert die damenhafte Prinzessin eine
beginnende Dreierbeziehung. (Diese Komplikation wünscht sich unser Herr
Matzerath.)122
Die Parenthese fungiert als Meta-Kommentar auf den Text und, vor allem, auf die
Handlungen. Dennoch werden nicht alle derartigen Änderungen dem Herrn Matzerath
zugeschrieben. Auch der Erzähler sorgt manchmal für eigenartige Wendungen in der
Geschichte:
Es fällt auf, daß alle Sieben ihr Schneewittchen benutzten: Nicht nur muß das
kränkliche wesen die Wäschen bügeln, ihnen Knöpfe annähen und sieben Paar Schuhe
auf Hochglanz putzen: man sieht auch diesen und jenen mit dem immer folgsamen
Hausmütterchen in einer Dachkammer verschwinden. Sobald der Kunde nach relativ
kurzer Zeit pfeifend treppab steigt und Schneewittchen Mal um Mal erschöpfter aus

120
Lüthi, Max: Volksmärchen und Volkssage. Zwei Grundformen Erzählender Dichtung. Bern: Francke Verlag,
1966.
121
Grass, Die Rättin, S. 228.
122
Grass, Die Rättin, S. 229.

38
ihrer Kammer wankt, kassiert die Böse Stiefmutter Münzen alter Prägung, preußische
Thaler, Goldstücke darunter.123
Diese Interpretation, wenn sie hier auch überspitzt wird, kommt nicht aus der Feder des Ich-
Erzählers und ist auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Sie schließt an einige
psychoanalytische Auslegungen des Märchens an – in denen u.a. die Zwerge als phallische
Symbole gesehen werden124 – auf denen hier höchstwahrscheinlich von Grass angespielt wird.
Es wäre denkbar, dass eine solche ‚Nebenhandlung‟ nicht dem Herrn Matzerath
zugeschrieben wird, weil sie bestehenden Interpretationen entspricht.

Der Butt
Manche Parenthesen sind einfach erläuternd oder erweiternd beim Hauptsatz. So z.B.: „Wie
wir uns Besuch zum Abendessen laden – meine mit Reibkäse überbackenen Auberginen, dein
knackiger Salat –“.125 Der Leser bekommt auch oft zusätzliche Informationen. Derartige
Erweiterungen neigen aber manchmal zur Prahlerei, u.a. wenn wir die lateinischen Namen
verschiedener Pflanzen mitbekommen: „Nun ist das Schwadengras (Glyceria fluitans L.)“ 126,
„Natürlich sammelten wir in Hungerzeiten auch andere Wildgräser, etwas die Waldhirse
(Millium effusum) oder den Roten Wachtelweizen (Melampyrnum arvense).“ 127 An anderen
Stellen macht der Erzähler Gleichartiges, dann aber mit Zitaten. Der Abschnitt ‚Von der Last
böser Zeit‟128 handelt von Andreas Gryphius und Martin Opitz von Beberfeld, zwei Dichtern
aus dem 17. Jahrhundert. Der Erzähler verleiht seiner Geschichte Nachdruck und
Wahrhaftigkeit, indem er Zitate aus Gedichten der Dichter benutzt:
Als Magdeburg fiel und elend wurde, habe er sogar Schmähgedichte auf die
gottesfürchtige Stadt geschrieben – „Die stets alleine schlieff, die züchtig alte Magd…“
– so daß man ihn habe verfluchen müssen im protestantischen Haus. 129

Und all die antikisch geputzten Lob- und Dankeshymnen, die er, der buckelnde Opitz,
gewiß immer sauber der Regel nach, für den Blutsaugenden Grafen Dohna in Verse
gesetzt habe – „Du hebst mich über mich, du wilt mich gantz befreyen. Von deiner
Waffen last, wilmt mich den Musen leyhen…“ – seien zwar meisterlich […].130

123
Grass, Die Rättin, S. 241.
124
Meder, Theo: Een zoen voor Sneeuwitje. Over de veranderlijkheid van sprookjes.
http://www.meertens.knaw.nl/medewerkers/theo.meder/Sneeuwwitje.html (16/04/2010)
Jones, Steven: The Pitfalls of Snow White Scholarship. In: The Journal of American Folklore. Vol. 92, No
363 (1979), pp 69-73.
125
Grass, Der Butt, S. 62.
126
Grass, Der Butt, S. 82.
127
Grass, Der Butt, S. 83.: Im Roman lesen wir „Melampyrnum arvense“, der korrekte lateinische Name heißt
aber Melampyrum arvense. http://nl.wikipedia.org/wiki/Wilde_weit (16/04/2010)
128
Grass, Der Butt, S. 246.
129
Grass, Der Butt, S. 249.
130
Grass, Der Butt, S. 253.

39
Auch größere Gedichtabschnitte werden in diese Textstellen aufgenommen, so dass der Leser
rasch einen Überfluss an Zitaten bekommt. Es scheint aber, als ob die Tatsache vom Text
selber kommentiert wird, denn am Ende dieses Kapitels kommt folgende Aussage: ‚Plötzlich
in Gelehrtenlatein und mit Zitaten Abstand schaffend (wonach auch Gryphius ins Lateinische
überging), sagte Opitz nach längerem Senecazitat […].‟131 Der Satzteil ‚mit Zitaten Abstand
schaffend‟ scheint der vorhergehenden Erzähltechnik zu gelten, und vielleicht könnten wir
‚Gelehrtenlatein‟ sogar mit den lateinischen Pflanzenbenennungen verknüpfen. Die Tatsache,
dass Gryphius selber aufs Lateinische umschaltet, verstärkt die Vermutung, dass hier von
einem Abstand zwischen Leser und Erzähler und nicht zwischen Opitz und Gryphius die Rede
ist. Das Umschalten wird zwischen Klammern erwähnt, ist aber dennoch entscheidend für
diese Interpretation. Der Erzähler ist sich seines Intellektualismus bewusst, kommentiert ihn
selber und nimmt auf diese Weise den (möglichen) Kommentar des Lesers vorweg. Dieser im
Text eingebaute Mechanismus, das Antizipieren auf Leserreaktionen, findet sich auch in
anderen Textstellen, aber dann vor allem in der Person Ilsebills. Die Technik lenkt aber auch
den Kommentar des Lesers. Weil er schon im Text möglichen Kommentar vorfindet, wird er
(unbewusst) dazu angeregt, auf die vorgeschriebene Weise über den Text zu reflektieren.

3.3.3. Betonung der Macht

Die Rättin
Am Anfang fungieren die Aussagen in Parenthese wie Regieanweise eines Filmes; sie
beschreiben die Handlungen und die Figuren: „(Hier sollte zu Filmbeginn, falls der sterbende
Wald mit unserem Herrn Matzerath Produktionshilfe zum Film wird, die Autokolonne
langsam, im Schritttempo fahren.)“132 Auch folgende Parenthese enthält deutliche Anweise,
jetzt in Bezug auf die Kleidung der Schauspieler:
(Die Kanzlerkinder sind nach meiner Vorstellung ein wenig dicklich geraten; doch
können sie auch mager bis spillerig sein, falls unser Herr Matzerath diesen Typ
wünscht. Eine dem Försterrock nachempfundene Kleidung eint die Familie: Loden,
Bundhosen, Schnürstiefel, Hirschhornknöpfe.)133
Aus manchen der Parenthesen, wie auch aus dem oben zitierten Schaltsatz, spricht die
Einstellung des Ich-Erzählers, den Willen des Herrn Matzerath zu berücksichtigen. Treffend
ist, dass gerade die Wünsche Oskar Matzeraths immer ‚nur„ in Parenthese erscheinen und

131
Grass, Der Butt, S. 253.
132
Grass, Die Rättin, S. 50.
133
Grass, Die Rättin, S. 51.

40
dass wir in den Hauptsätzen fast keinen dieser Wünsche erfüllt sehen. Die Parenthesen am
Anfang des ‚Filmes‟ scheinen vor allem hinzukommende Informationen über den Drehverlauf
zu umfassen, damit Oskar auch in Polen auf dem Laufenden bleibt: „(Falls unser Herr
Matzerath wissen will, wie schön die Hexe häßlich ist, soll sie ihm, weil unser Stummfilm ein
farbiger Stummfilm sein soll, ausgemalt werden: Sie ist nicht rothaarig, schielt aber leicht aus
bernsteinfarbenen Augen.)“134 Versucht der Ich-Erzähler mit derartigen Hinweisen Oskar zu
ködern? Denn, Bernstein ist, heute immer noch, eines der wichtigsten Exportprodukte
Danzigs und liegt Oskar Matzerath – und dem Ich-Erzähler selber – daher am Herzen. Auch
in Die Blechtrommel und in Der Butt135 wird dieser Stein regelmäßig erwähnt. Wie oben
schon dargelegt wurde, wecken die Parenthesen die Illusion, dass die Meinung von Oskar in
den Prozess des Filmemachens mit einbezogen wird. Im Laufe des Romans aber sehen wir
eine Entwicklung im Gebrauch der Parenthese. Während sie am Anfang tatsächlich einige
Wünsche des Filmproduzenten enthält, werden diese Wünsche nach kurzer Weile gerade in
der – und durch die – Parenthese negiert, so auch in folgenden Abschnitten:
Und wie sich der Märchenwald zur Lichtung öffnet, steht, inmitten der Lichtung, in
Stein gehauen ein Denkmal, das die Grimmbrüder Schulter an Schulter abbildet. (Hier
nun möchte unser Herr Matzerath eine Gruppe von Professoren versammelt sehen, die
alle Märchenexperten und Hintersinnforscher sind. Sie sollen die soziologischen,
linguistischen und psychologischen Dimensionen der Grimmschen Hausmärchen
ausleuchten und die Grimmbrüder in ein längeres Fachgespräch ziehen. Ich bin
dagegen.)136
(Dennoch halte ich unseres Herrn Matzerath Vorschlag, den armen Rübezahl nach
seinem Märchendichter Musäus rufen zu lassen, für zu ausgedacht. Einleuchtender wäre
es, wenn Wilhelm Grimm zartfühlig Rübezahls Not erkennen, den ungeschlachten
Riesen suchen, finden und in den Kreis der Grimmschen Märchengestalten aufnehmen
würde.)137
(Und bevor er nach Polen abreiste, sagte unser Herr Matzerath noch, an dieser Stelle
müsse des Froschkönigs Dame dem weinenden Prinzen ihre geplagte Stirn zum Kuß
anbieten; aber ich meine, es würde diese Nebenhandlung vom weiteren Geschehen nur
ablenken.)138
(Herr Matzerath will, daß die Hexe wütig mit gelben Augen nun doch zur Schere greift;
aber ich mag Rapunzel nicht kahl sehen und rette ihr langes Haar, indem ich Hänsel
gegen die Hexe ausspiele.)139
Obwohl nicht jede Parenthese den Willen Oskars explizit verneint, fällt dennoch auf, dass die
Parenthese oft der Ort ist, wo eine Diskussion zwischen dem Ich-Erzähler und dem

134
Grass, Die Rättin, S. 124.
135
U.a. die Halskette von Wigga, dessen Perlchen sie in ihrer Suppe verliert, ist aus Bernstein hergestellt.
136
Grass, Die Rättin, S. 275.
137
Grass, Die Rättin, S. 276.
138
Grass, Die Rättin, S. 278.
139
Grass, Die Rättin, S. 391.

41
Produzenten entbrennt. Bemerkenswert ist, dass dasjenige was Oskar erleiden muss, dem
Erzähler selber von der Rättin zugefügt wird, wie folgende Fragmente zeigen:
Er sagt: „sobald ich aus Polen gesund zurück bin vielleicht…“ Ich sage: „es könnte mir
im Nebensatz einfallen, Ihr Visum einfach verfallen zu lassen.“
„Erpressung!“ nennt er das, „Autorenhochmut!“ „Na gut“, sagt er, „ohnehin wird der
Wald nur noch im Film zu retten sein.“140
Streng plötzlich hörte ich sie: Das muß aufhören! Ausflüchte dulden wir nicht. Es
könnte uns einfallen, dich zu vergessen, dich nicht mehr komisch zu finden, anderes als
dich, säugende Schmeißfliegen etwa zu träumen. Ich hoffe, du verstehst meinen kleinen
Hinweis.141
Das Konzept des Einfalls, das übrigens häufig in Die Rättin erscheint,142 betont die
offene, unvollendete Struktur des Romans. Es ist hier nicht die Rede von durchstrukturierten,
im Voraus geordneten Entwürfe, aber von lockeren Gedanken, die einfach so in den Text mit
einbezogen werden. Zugleich wird mit dem ‚Einfall„ auch der fiktionale Charakter markiert,
denn der Leser wird an solchen Textstellen mit der Tatsache, dass sich alles im Kopf des
Erzählers einfällt, konfrontiert.
Rasch wird deutlich, dass sich zwischen dem Erzähler und Oskar ein besonderes
Verhältnis entfaltet. Obwohl Oskar selbst der Erzähler in Die Blechtrommel war, und das Ich
in diesem Roman nicht anwesend ist, hat es doch manchmal den Anschein, als ob das Ich aus
Die Rättin Oskar kreiert hat:
Ich jedenfalls habe unseren Herrn Matzerath nicht ableben lassen, doch fiel mir zu ihm
nichts Sonderliches mehr ein. Seit seinem dreißigsten Geburtstag gab es keine Nachricht
von ihm. Er verweigerte sich. Oder war ich es, der ihn gesperrt hatte?143
In solchen metaliterarischen Aussagen tritt aufs Neue die Person des Schriftstellers Grass,
wenn auch zwischen den Zeilen, deutlich hervor. Das Ich aus Die Rättin versucht jetzt Oskar
fest im Griff zu halten: so will er nicht, dass Herr Matzerath nach Polen fährt und versucht,
ihn nach der Reise mittels einer Operation zu ‚eliminieren„, halst ihn aber dadurch mit einer
Dauerkatheter auf. Andererseits benimmt er sich sehr empathisch wenn Oskar nach längerer
Zeit seiner Familie begegnet: „Nur Mut, Oskar! Rufe ich unserem Herrn Matzerath zu.“ 144
Oskar tritt in Die Rättin also statt als Erzähler als Figur auf, aber dennoch wird sehr oft auf
seine literarische Vergangenheit angespielt. Wenn das Ich über Oskar spricht, verweist er fast
immer auf ihn mit dem Possessivpronomen „unser“.145 Das Ich gibt dafür folgende Erklärung:

140
Grass, Die Rättin, S. 121. [Hervorhebung von mir, SG]
141
Grass, Die Rättin, S. 464. [Hervorhebung von mir, SG]
142
Grass, Die Rättin, S. 213-214.
143
Grass, Die Rättin, S. 28. Das Spielchen „Er verweigerte sich […] oder war ich es“ erinnert sehr stark an die
Dialoge zwischen dem Ich und der Rättin, z.B. „wer sagte das? Die Rättin […] oder sagte ich“. S. 409.
144
Grass, Die Rättin, S. 257.
145
Grass, Die Rättin, u.a. S. 28, S.30, S. 61, S. 160, S. 253, S. 442 u.s.w.

42
„Da es ihm Freude bereitet, wenn ihn jedermann „unser Herr Matzerath“ nennt“.146 Das
Possessiv zeigt aber, dass Oskar Matzerath noch immer Gemeingut des Publikums, noch
immer der Trommler aus Die Blechtrommel ist. Durch den Gebrauch von „unser“ wird jedes
Mal implizit Grass„ erster Roman herbeigerufen.
Obwohl Oskar jetzt vom Erzähler in Die Blechtrommel zum nur erzählten Objekt
geworden ist, hat er dennoch eine regieführende Rolle in Die Rättin. Diese Rolle wird vom
Erzähler ständig verneint, wodurch Oskar Matzerath seinen Status aus Die Blechtrommel
definitiv verliert. In der Rahmenerzählung kämpft der Ich-Erzähler mit der Rättin um die
Kontrolle über die verschiedenen Geschichten behalten zu können, aber innerhalb des
Abschnitts über Matzerath hat er die Fäden fest in der Hand. Aufs Neue erleidet Oskar das
gleiche wie der Ich-Erzähler: das Ich kämpft für Anerkennung als Schriftsteller (denn die
Rättin versucht, seine Rolle zu übernehmen) und daher entnimmt es auch Oskar seine
Aufgabe als Produzent. Könnte es sein, dass, gerade weil der Ich-Erzähler der Rättin
unterlegen ist, er, koste was es wolle, die Macht über Oskar behalten will? In dieser Hinsicht
wäre es auch sinnvoll, die Vorschläge Oskars mit einzubeziehen und sie nachher dennoch zu
negieren, denn gerade auf diese Weise wird die Macht des Erzählers markiert.
Wenn wir den ganzen Streit auf eine Meta-Ebene versetzen, können wir die Parenthese
als ein Dialog zwischen dem ‚heutigen‟ Erzähler aus Die Rättin und dem damaligen Erzähler
aus Die Blechtrommel verstehen. Der Ich-Erzähler aus Die Rättin können wir, wie im ersten
Teil schon deutlich geworden ist, leicht als ein Alter Ego des Schriftstellers Grass verstehen,
und dass auch Oskar und Grass ähnliche Züge haben, darf uns nicht verwundern. Wenn wir
die Diskussion zwischen Oskar und dem Ich in diesem Licht betrachten, finden wir im Roman
einen Dialog zwischen dem früheren und dem heutigen ‚Ich‟ von Grass vor. Obwohl der
Inhalt der Parenthese für den Dialog nicht so wichtig ist, kann die ständige Verneinung der
Ideen von Oskar auf eine literarische, poetologische Evolution hinweisen, die in der
Parenthese Gestalt gewinnt.
Charakterisierend für den ganzen Roman ist, dass die Vorschläge Matzeraths, obwohl
sie negiert werden, doch in den Roman aufgenommen worden sind. Derartige Parenthesen
verkörpern, gerade wie in Der Butt, den sogenannten ‚dritten Weg‟. Die Alternativen, die
möglichen Nebenhandlungen – die, wie schon gezeigt, oft mehr als Nebenhandlungen sind –
werden gezeigt, damit man einsieht, dass, was man liest, nur eine von vielen Möglichkeiten
ist. Diese Vielheit von Möglickeiten schließt an typisch modernistisches Gedankengut an

146
Grass, Die Rättin, S. 60.

43
Grass zeigt sich in diesem Sinn, damit er dieses Konzept vertieft, als modernistischer
Schriftsteller.
Auffallend ist, dass sich in diesem Märchenabschnitt, in dem die Parenthese den Willen
Oskars immer wieder verneint, auch ein Wunsch von Herrn Matzerath befindet, der nicht
zwischen Klammern wiedergegeben wird: „Auf Vorschlag unseres Herrn Matzerath, der
immer auf Nebenhandlungen bedacht ist, finden die Grimmbrüder nun in der Einöde ein
langes goldenes Haar.“147 Dieser Wunsch aber wird im Gegensatz zu den vielen anderen
eingewilligt und erscheint vielleicht daher im Hauptsatz. Ironischerweise wird in dieser
Aussage explizit darauf hingewiesen, dass es in Bezug auf die Vorschläge Matzeraths sehr oft
um Nebenhandlungen geht und dennoch wird diese Nebenhandlung nicht in Parenthese
aufgeführt.

Der Butt
Das Ich in Der Butt spielt seine Macht weniger als der Erzähler in Die Rättin aus, bestimmte
Parenthesen aber benutzt er dennoch, um seine Macht als Erzähler zu bekräftigen und darauf
hinzuweisen, dass er am Ende die Geschichte bestimmt, so auch in folgendem Zitat:
während mir zu meiner Ilsebill immer wieder was einfällt: sie muß nur, wie im
Märchen, ihre Wünsche hersagen. Ilsebill will, Ilsebill will. Zum Glück ist es mir
gelungen, sie krank zu schreiben. (Ich kann das.) Die angelehnte Tür hält den Raum
hinter meinem Rücken offen nach nebenan. Von dort kommt ihr Husten, will gehört und
zu Punkt und Strich werden.148
Während das Ich sich vor allem als einer Mann, der unter den Pantoffel steht, präsentiert,
weiß er dennoch manchmal auf subtile Weise, seine Macht als Erzähler zu betonen. Wenn wir
jetzt die Möglichkeit, dass die Klammern eine Aussage, die eigentlich nicht im Report
hingehören, ausdrücken, nochmal herbeirufen, bekommt diese Information vor allem einen
witzigen Effekt.

3.3.4. Projektion des Lesers

Weil die Parenthese nur in Der Butt eine derartige Funktion aufzeigt, wird unter diesem Punkt
nicht näher auf Die Rättin eingegangen.
Ilsebill, die schwangere Frau des Ich-Erzählers, läuft wie ein roter Faden durch die
ganze Geschichte. Auch sie wird, wie der Erzähler, mit ‚der Frau‟ durch die Jahrhunderte

147
Grass, Die Rättin, S. 275.
148
Grass, Der Butt, S. 283.

44
hindurch gleichgestellt. Auffallend aber ist, dass sie, obwohl sie eine Konstante in der
Geschichte ist, nur in der Rede des Erzählers existiert. Sehr oft erscheint Ilsebill auch ‚nur‟ in
der Parenthese: der Erzähler unterbricht sein geschichtliches Erzählen, schaltet auf die
Gegenwart um und redet seine Frau an.149 Vor allem am Anfang von Der Butt finden wir die
Technik oft vor: „Doch immerhin – glaub mir, Ilsebill! – blieben noch Zweifel.“150, „(Ach
Ilsebill, wäre das Metall doch in den Bergen geblieben.)“151 Die Anreden Ilsebills sind an sich
gar nicht so eigenartig, denn Ilsebill ist the narratee152 oder die Lesefigur der Geschichte: Der
Erzähler erzählt seiner Frau seinen Lebenslauf und bezieht sie daher oft in der Geschichte:
„Bevor sie über umgekehrte Rollenverteilung weitere Spekulationen anstellen konnte – „Ich
möchte dich mal schwanger erleben!“ – erzählte ich ihr von Aua und ihren drei Brüsten.“153
Gerade weil Ilsebill als Zuhörer fungiert, übernimmt sie oft die Rolle eines Lesers, und zwar
diese einer feministisch-kritischen Leserin, wie zum Beispiel im vorangehenden Beispiel: „ –
„Ich möchte dich mal schwanger erleben!“ – “154 oder in folgender Stelle:
„Dafür kann er nix. Dabei kommt ja was raus bei ihm. Wenn auch ironisch und um drei
Ecken nur. Den mußt du mal über Natur reden hören. Ist ihm fremd eigentlich. Sierht er
als Katastrophe an. Und wenn was schief geht – neulich war kein Klopapier im Haus –
datiert er sofort – typisch Mann – den Beginn der Apokalypse.“ 155
Die Anreden Ilsebills können wir als Anreden der Leserin/des Lesers verstehen.
Manchmal erwirkt dies einen witzigen, oder gar ironischen Effekt: „Die meisten Grübchen
hatte Aua (wie du, Ilsebill) im Winterpolster ihrer Arschbacken: dreiunddreißig Stück.“ 156
Wenn wir Ilsebill mit dem Leser gleichschalten, wirken manche Abschnitte sogar
beschämend für den Leser, gerade weil der Erzähler die heutige Prüderie und Sitten und
Gebräuche anzuprangern versucht :

(Ach hätten wir doch das Doppelklo, wenn nicht das großfamiliäre.) Sei ehrlich, Ilsebill,
auch wenn du deinen Goldzahn nicht aus den Exkrementen klauben wolltest und das
Wort Scheiße (wie allgemein üblich) nur und sinnwidrig als Schimpfwort benutzt. Gib
es zu, Ilsebill, und schütze nicht Schwangerschaft vor: auch du blickst hinter dich, wenn

149
In dieser Hinsicht sorgen auch die Anreden Ilsebills dafür, dass ein gleichzeitiges Universum entsteht, denn
gerade weil das Ich seine Frau anredet, wird ständig von Vergangenheit auf Gegenwart und vice versa
übergegangen.
150
Grass, Der Butt, S. 28.
151
Grass, Der Butt, S. 29.
152
Fludernik, Monika: An Introduction to Narratology. Abingdon: Routledge, 2009, S. 23. :”The narratee is the
intrafictional addressee of the narrator‟s discourse.”
153
Grass, Der Butt, S. 8.
154
Grass, Der Butt, S. 8.
155
Grass, Der Butt, S. 394.
156
Grass, Der Butt, S. 31.

45
auch sheu und zu gut erzogen. Wie ich riechst du dich gerne. Und gerne würde ich dich
riechen, wie ich von dir gern gerochen wäre. Liebe? Das ist sie.157
Andermal aber wird die feministische Leserin, via Ilsebill, angegriffen:

„Ein Frauenleben“, sagte der Butt, „das auch der feministischen Bewegung beispielhaft
sein sollte: Amanda Woyke hat uns nicht nur die Kartoffel schmackhaft gemacht,
sondern mit ihrer Großgesindeküche auch einen Hinweis gegeben auf die kommende,
schon beginnende chinesische Weltverköstigung.“ („Und wenn es endlich soweit ist“,
sagte ich hämisch zu Ilsebill, „möchte ich wissen, wo du mit deinen Wünschen
bleibst.“)158
Folgender Abschnitt zitiert zwar keine reale Rede Ilsebills, der Erzähler aber versetzt sich in
ihre Position und kommentiert dasjenige, was geschieht.
Nichts hält sie ab. Notfalls verjuxt sie dein Geld, um dir zu beweisen, daß Armut ihre
Qualitäten fördert. Sie läßt dich tief fallen, um dir behutsam wieder das Gehen (an
Krücken) Schritt für Schritt beizubringen. Erst wenn du leidest ‒ sie hilft dir dabei ‒
wirst du ganz ihre mitleidende Liebe auskosten können. („Kann ich dir helfen?
Irgendwie helfen? Ich bin sicher, du wirst eines Tages meine Hilfe noch brauchen. Und
zwar nötig. Dann ist es womöglich zu spät.“) Von ihr geblendet, kannst du ihrer
Anleitung (auch im dichten Verkehr) gewiß sein. Mit einem Wort: auf Ilsebill ist
Verlaß.159
Um ‚Ilsebill„, das heißt die Frau, zu kommentieren, benutzt der Erzähler Klischeebilder, die
so eingebürgert sind – die ätzenden Tadel auf den Fahrstil des Mannes – , dass fast jeder
Leser sie erkennen wird. Obwohl die feministische Leserin sich durch derartige Textstellen
tatsächlich angegriffen fühlen kann, dürfen wir die Ironie solcher Passagen nicht verpassen.
Wir können schlussfolgern, dass Ilsebill als ein Klangbrett des Lesers fungiert und
dies auf zweierlei Art. Sie äußert manchmal Kommentare, die die Reaktion der
(feministischen) Leserin vorweg zu nehmen scheinen. Andererseits steckt sie auch
Kommentare ein, die dem Leser/der Leserin gelten. Es ist wichtig zu erwähnen, dass nicht nur
die Parenthese diese Funktion erfüllt. Ilsebill wird auch im Volltext vom Erzähler angeredet,
und diese Anreden haben dieselbe Wirkung. Auf die Beziehung zwischen dem Erzähler und
Ilsebill wird also manchmal die Beziehung zwischen dem Autor und dem Leser projiziert.
Bemerkenswert in diesem Verhältnis ist die Tatsache, dass obwohl Ilsebill den Leser an
manchen Stellen vertritt, sie nicht als implied reader160 fungiert. In der Figur von Ilsebill wird
eher der oberflächige Leser widergespiegelt, der sich in der Haltung Ilsebills mit seinen
eigenen Gedanken konfrontiert weiß. Meiner Meinung nach repräsentiert gerade der Leser,

157
Grass, Der Butt, S. 244.
158
Grass, Der Butt, S. 320.
159
Grass, Der Butt, S. 410.
160
Fludernik, Monika: An Introduction to Narratology. Abingdon: Routledge, 2009. S. 24. “An implied reader
[…] is a projection from the text and is perceived by the reader as acting out the role of an ideal reader figure,
although the real reader may not actually assume this role.”

46
der sich vom Technik ertappt fühlt, die Ironie durchschaut und daher weiter reflektiert den
implied reader.

3.3.5. Die ‚nicht-erzählte‘ Geschichte

Die Rättin
Wie unterm ersten Punkt erwähnt, haben die Parenthesen in jedem Märchenabschnitt einen
anderen thematischen Schwerpunkt. In dem elften Kapitel handeln die meisten Parenthesen
von der Kindheit Oskars. Aufs Neue werden die Hinweise ohne einzige Erläuterung im Text
aufgenommen, nur wer Die Blechtrommel gelesen hat, kann sie in dem ursprünglichen
Kontext einordnen:
Jetzt walzen die Räumdrachen auf der Autobahn alles Grünzeug nieder und kommen
näher und näher. (Unser Herr Matzerath wünscht, daß diese Spezialfahrzeuge, die bisher
einzig in Indien und Südamerika für das Abräumen weitläufiger Slumgebiete gut waren,
nun aber jedermann vertreiben, der soeben noch die Märchenregierung Grimm feierte,
überdies mit Flammenwerfern bestückt sind. Ich spreche mich gegen solch
altertümliche Bewaffnung aus, muß aber damit rechnen, daß sich Oskars Frühprägungen
am Ende durchsetzten; so tief hat ihn der Einsatz von Flammenwerfern beim Kampf um
die Polnische Post beeindruckt.)161
Diese Parenthese verweist direkt auf das Kapitel ‚Die Polnische Post„ 162 in Die Blechtrommel,
in dem Oskar seinen „mutmaßlichen Vater“ Jan Bronski verliert. Nicht nur Grass„ erstes Buch
wird in diesem Abschnitt wach gerufen. Die Anspielungen auf die Slumgebiete in Indien und
Südamerika sind indirekte Verweise auf das Vasco Da Gama- Kapitel aus Der Butt, in dem
Vasco nach Indien zurückkehrt und die Armut in den Slumgebieten anklagt. 163 Auch diese
Parenthese erwirkt, dass frühere Werke Grass im Roman mit einbezogen werden.
Der Hinweis auf den Kampf um die polnische Post hat aber auch auf einer zweiten,
indirekten Ebene Bedeutung, denn die Anspielung ist gleichzeitig ein impliziter Verweis auf
den Zweiten Weltkrieg. Die Kriegsvergangenheit wird, zwar indirekt und zwischen
Klammern, im Roman verarbeitet. Auch andere Parenthesen in dem elften Kapitel spielen
indirekt auf den Weltkrieg an: „(Mir ist, als habe sich unser Herr Matzerath, wie von Jugend
an gewohnt, mit dem Feind, wenn nicht verbündet, so doch gemein gemacht; zwischen den
Industriebossen ahne, nein, sehe ich ihn.)“164 Den Schaltsatz können und sollen wir vielleicht
auch aus dem Kontext herausheben und in einer größeren Ganzheit verstehen: zuerst wird der

161
Grass, Die Rättin, S. 415.
162
Grass, Danziger Trilogie, S. 190.
163
Grass, Der Butt, S. 177.
164
Grass, Die Rättin, S. 419.

47
Versuch Oskars, sich der Zeitgeist des damaligen Deutschlands abzuwehren, gerade durch das
Einstellen seines Wachstums, mit diesem Schaltsatz widerrufen. In dieser Aussage können
wir Matzerath auch leicht als Symbol Deutschlands verstehen, das, obwohl es tatsächlich
Widerstand gab – „wenn nicht verbündet“ – , von den Naziideen durchdrungen war. Die
Korrektur „ahne, nein sehe ich“ schließt sich dem typischen Erzählstil von Die Rättin und
anderen Romanen an, kann aber in dieser Parenthese auch dem Inhalt gelten: die ‚Schuld‟
Deutschlands darf nicht dahin gestellt bleiben oder angezweifelt – „ahne“ – sie muss
anerkannt werden – „nein, sehe ich.“ Auch folgender Parenthese können wir die Schuldfrage
entnehmen: „(während sich unser Herr Matzerath aus einer seitlichen Luke davonstiehlt und
wieder einmal, als spiele er Kind, schuldlos sein möchte.)“ 165 Die Aussage spielt auf die
vielen Interpretationen von Die Blechtrommel an, die das Buch als ein Geständnis, ein
Schuldbekenntnis und eine Schuldablösung verstehen. Der Konjunktiv in dem Satz und die
Tatsache, dass „schuldlos“ mit „stehlen“ verbunden wird, sind aber vielbedeutend. Dennoch
wird auch jetzt, wie immer bei Grass, die Kehrseite der Medaille gezeigt: „(und wäre er nicht
zum Feind übergelaufen, hätte es auch mit ihm ein so trauriges Ende genommen, sagt unser
Herr Matzerath.)“166 Wenn wir die Parenthese im selben Licht wie die vorhergehenden
interpretieren, liest sie sich als eine Entschuldigung für die Rolle Deutschlands in dem
Zweiten Weltkrieg. Ich bin aber nicht der Meinung, dass hier von einer Beschönigung die
Rede ist. Der Ich-Erzähler versucht die Geschichte nicht auf eine Meinung festzunageln, zeigt
hingegen auch die andere Möglichkeit.
Einerseits verweisen in dem elften Kapitel die Parenthesen auf die Kindheit Oskars und
spielen auf Die Blechtrommel an. Andererseits rufen sie, gerade dadurch, dass Die
Blechtrommel in Erinnerung gebracht wird, die Kriegsvergangenheit Deutschlands hervor und
tritt die Schuldfrage an zentrale Stelle. Auf diese Weise wird dasjenige, was nicht erzählt
werden kann, dennoch, wenn auch indirekt und in Parenthese, thematisiert.
Auch einer der zwei Parenthesen, die sich außerhalb des Märchenabschnitts befinden,
können wir eine derartige Technik zuschreiben. Am Anfang des sechsten Kapitels wird auf
einen britischen Bombenangriff von 1942 hingewiesen, der u.a. das große Orgel der
Marienkirche und mehrere Gewölbe im Chor vernichtete. Nach diesem Verweis lesen wir
Folgendes:
Als ein Notdach errichtet und die Chorgewölbe wieder zugemauert wurden, ließ der
Bischof von Lübeck, der wie viele evangelische Pfarrherren ein Nazi war, im
Chorschlußgewölbe das Hakenkreuz als Schlußstein setzen. […] Natürlich wurde das
165
Grass, Die Rättin, S. 421.
166
Grass, Die Rättin, S. 420.

48
Hakenkreuz bald darauf weggemeißelt, das machte man überall so zu Beginn der
fünfziger Jahre; der Bischof jedoch blieb, wenn er nicht gestorben ist, tiefinnerlich
Nazi bis heutzutage.167
Der Bombenangriff von 1942 und die Zerstörung der Marienkirche sind historisch reale
Geschehnisse. Auch die Tatsache, dass es zu dieser Zeit einen nazistischen Bischof gab, wird
von historischen Quellen bestätigt: „Auch die evangelisch-lutherische Landeskirche war
betont antisemitisch: sie wurde geführt von dem am 13. August 1934 eingesetzten Bischof
Erwin Balzer, der aus seiner antisemitischen Einstellung keinen Hehl machte.“ 168 Ich habe
aber in keiner der Quellen einen Hinweis darauf gefunden, dass dieser Bischof ein
Hakenkreuz in der Marienkirche habe anbringen lassen. Es fällt nicht sofort auf, aber der
Name dieses Bischofs wird uns im Zitat nicht mitgeteilt. Der Erzähler lenkt aber einige
Abschnitte weiter selbst die Aufmerksamkeit darauf mit folgender Parenthese: „(wer will
noch wissen wie jener Bischof von Lübeck hieß, der ins Chorschlußgewölbe ein
steingehauenes Hakenkreuz fügen ließ?)“ 169 Gerade aber dadurch, dass das Ich so
nachdrücklich betont, dass der Name hier nicht erwähnt wird, hebt er die Geschichte des
Bischofs hervor. Mittels des Verschweigens wird die Swastikageschichte unterstrichen. Der
Bischof fungiert auch vor allem exemplarisch für die Missstände in der Kirche während des
Zweiten Weltkriegs, die durch diese Technik beleuchtet und an den Pranger gestellt werden.

Der Butt
Gerade wie in Die Rättin rufen manche Parenthesen in Der Butt auch eine nicht-erzählte
Geschichte hervor, die oft auf den Zweiten Weltkrieg hinweist.
Am späten Nachmittag wollte ich meine dreifach verengte Korbreuse einholen, die ich
am frühen Morgen, noch vor der ersten Stillzeit, ausgesetzt hatte. (Etwa dort war mein
bevorzugter Fangplatz, wo später der beliebte Badeort Heubude mit der Straßenbahn,
Linie 9, bequem zu erreicht war.)170
Gerade wie andere Parenthesen, erwirkt auch diese, dass Vergangenheit und Gegenwart,
Tatsache und Fiktion miteinander vermischt werden. Dennoch kommt noch eine andere

167
Grass, Die Rättin, S. 194-195. [Hervorhebung von mir, SG]: Der fettgedruckte Satz kritisiert explizit, dass
über dutzende Kriegsgeschehnisse der Mantel des Schweigens gebreitet würde. Die Wortfolge im folgenden Satz
fügt der Kritik noch eine weitere Dimension hinzu: der Bischof blieb (wahrscheinlich) tatsächlich Nazi, aber
durch das Einschalten des Nebensatzes ‚wenn er nicht gestorben ist‟ wird vor allem der erste Teil, ‚der Bischof
blieb‟ betont. Balzer wurde 1945 entlassen, erhielt die kirchlichen Würden jedoch, ungeachtet seine
Nazivergangenheit, 1955 zurück. http://wapedia.mobi/de/Erwin_Balzer (18/04/2010)
168
http://kirche-christen-juden.org/dokumentation/literatur/literatur2_3.html (18/04/2010)
Auch: http://wapedia.mobi/de/Erwin_Balzer (18/04/2010)
169
Grass, Die Rättin, S. 212.
170
Grass, Der Butt, S. 26.

49
Dimension dazu. Heubude ist der Ort, wo die russische Armee während des Zweiten
Weltkriegs am längsten aufgehalten wurde, bis er am 31. März 1945 eingenommen wurde und
Danzig völlig von der Roten Armee besetzt war.171 Indirekt und zwischen Klammern wird auf
den Zweiten Weltkrieg hingewiesen. Der Zweite Weltkrieg ist übrigens auffallend abwesend
in der ‚buttischen„ Geschichte der Menschheit, zumindest was explizite Verweise betrifft. Es
gibt aber verschiedene indirekte Anspielungen auf die Zeit 1940-1945, wodurch auch die
Kriegsvergangenheit, zwar unerzählt, mit eingezogen wird. In diesem Bezug ist es wichtig,
dass der Ich-Erzähler während des Tribunals zeugen will, daran aber immer von seinem
Umfeld gehindert wird. Dieser Punkt wird im nächsten Abschnitt weiter ausgetieft. Weil wir
die Verneinung der Zeugenrolle nicht nur der Parenthese entnehmen können, werden hier
auch die Hauptsätze in der Analyse eingeschlossen.

3.3.6. Verneinung der Zeugenrolle in Der Butt

Der Ich-Erzähler präsentiert sich in Der Butt als Schriftsteller, er will vor allem schriftlich
Zeugnis ablegen. Nachdem der Butt von den Frauen zum zweitenmal gefangen und ein
Tribunal eingestellt worden ist, stellt der Ich-Erzähler sich zum Ziel, einen Bericht über den
Prozess zu schreiben:
[…] glaub mir Ilsebill, ich werde nicht auf Nebensächlichkeiten rumreiten […] doch
erwarte bitte von mir keinen korrekten Prozeßbericht: einerseits bin ich kein Jurist,
andererseits (wenn auch schwankend) Partei; schließlich hat man mich, meinen Fall
mitverhandelt, ohne daß ich Schlagzeilen machte.172
Der erste Satz des Berichtes läutet „Es war einmal ein Butt“ 173. Die Märchenfloskel ist an sich
schon programmatisch für den weiteren Inhalt. Das Ich, das sich als Ich aus allen Zeiten
präsentiert, will im Prozess gehört werden, will seine Version der Tatsachen mitgeben, aber
ihm wird von den Frauen und vom Butt der Zutritt zum Prozess untersagt:
Das ist doch ungerecht, Ilsebill. Sie wollten mich anfangs nicht zulassen. Mein mit
schriftlichen Angaben gestützter Einspruch, ich sei es gewesen, der vom Neolithikum
bis in die Gegenwart jeweils im Verhältnis zu Aua, Wigga, Mestwina, zur
hochgotischen Dorothea, zur dicken Gret, zur sanften Agnes, zur preußischen Amanda
und so weiter gelebt habe, wurde vom Butt nicht bestätigt – die Männern seien zu jeder
Zeitweil beliebig gewesen – und von den Beisitzerinnen des Tribunals verlacht: Da
könne ja jeder kommen. Der Herr Schriftsteller suche wohl Stoff, wolle sich anbiedern,
mal wieder schmarotzen, seine Komplexe in Literatur ummünzen, uns womöglich die
Hausfrauenrente aufschwatzen und ähnliche Beschwichtigungen. […] Mein

171
http://www.deutsche-schutzgebiete.de/danzig.htm (18/04/2010)
172
Grass, Der Butt, S. 46.
173
Grass, Der Butt, S. 46.

50
Zeugnisrecht wurde bestritten. Mir wurde rund viertausend Jahre Vergangenheit
abgesprochen.174
Erst wenn Ilsebill seine Häuslichkeit, „(Kochen Putzen Babypflege),“ 175 bestätigt, bekommt
der Ich-Erzähler Zugang zum Prozess und zu den Unterlagen. Das Aufheben des Saalverbots
hat aber für den Status des Ichs keine Folgen: „Deshalb verzichtete er auf Zeugen, wie er ja
auch auf mich, den immerhin hauptbeteiligten Mann, als Entlastungszeugen verzichtet hatte.
Überhaupt war von mir nur beiläufig die Rede. Anonym verhandelt war ich bloß
Publikum.“176 Derartige Aussagen laufen wie ein roter Faden durch den ganzen Roman hin. 177
Erst ganz am Ende gibt es eine Annäherung zwischen den Frauen und dem Ich: „[…] fand ich
zum erstenmal Gelegenheit, mich in wechselnder Zeitweil vorzustellen.“ 178 Der Verzicht auf
das Zeugnis des Ich-Erzählers können wir mit der Schwierigkeit, die ‚dritte Wahrheit„ zu
erzählen, verknüpfen. Gerade dadurch, dass das Ich nicht zeugen darf, wird die Möglichkeit
des anderen Weges negiert.
Eine weitere Dimension aber kommt diesem Nicht-Zeugen hinzu. Der Ich-Erzähler, der
sich als beispielhaft für das Gender ‚Mann„ aufstellt, trägt die Last der Vergangenheit: Die
Verantwortung für Kriege, politische Missstände, Armut, die ihm zur Last gelegt werden,
eignet das Ich sich an. Deshalb will er auch schreiben, um die Last der Vergangenheit leidlich
zu machen, um Schuld abzulegen. Die Schuld und die Verknüpfung zwischen Schuld und
Schreiben wird verschiedene Male thematisiert: „Was nun Butt? Steht alles nun auf Papier
[…]. Bin ich entlastet nun? An Schuld leichter? Und die restliche Schande? […]. Woran ich
mich nicht erinnern will. Aber ich muß.“179 Gerade um sich von dieser Schuld lossprechen zu
können, wird alles aufgeschrieben: „Und die Schande danach will ich mir nicht zurückrufen;
aber ich muß, weil ich schreibe und schreiben muß.“180 Aus dieser Hinsicht bekommt das
Schreiben eine therapeutische Wirkung:
Dann rät er mir, noch mehr Papier zu kaufen. Geschrieben lese sich alles normal. Nur
Schriftliches sei gleichstarke Gegennatur. Zumeist siege das geschriebene Recht. Und
was man – der Schande wegen – nicht, niemals wieder erinnern wolle, werde erst, wenn
es in Schrift stehe, so gut wie vergessen sein. „Männer überleben nur schriftlich!“ sagt
er [der Butt] und will zitiert werden.181

174
Grass, Der Butt, S. 77.
175
Grass, Der Butt, S. 77.
176
Grass, Der Butt, S. 94.
177
Grass, Der Butt, u.a. S. 78, 109, S. 151, 225, 322, 331.
178
Grass, Der Butt, S. 535.
179
Grass, Der Butt, S. 110.
180
Grass, Der Butt, .S 101.
181
Grass, Der Butt, S. 107.

51
Der Butt lässt sich als ein Schuldbekenntnis lesen, mit dem um Verzeihung gebeten wird.
Aber dadurch, dass das Ich nicht zeugen darf, erhebt sich die Frage ob es gerecht ist, die
Schuld der Vergangenheit zu erlassen. Dennoch zeugt der Ich-Erzähler, zwar nicht während
des Prozesses, aber er schreibt seine ganze Geschichte von sich in Der Butt. Was aber als das
größte Trauma Deutschlands betrachtet wird und eine noch immer lebendige Schuldfrage mit
sich bringt, der Zweite Weltkrieg, wird zwar kurz berührt, aber dennoch nicht thematisiert
und aufgeschrieben. Am Ende des siebten Monats sagt der Butt Folgendes:
„Ihr könnt mir Alexander und Cäsar, die Hohenstaufen und Deutschherren, auch noch
Napoleon und den zweiten Wilhelm anlasten, aber nicht diesen Hitler und diesen Stalin.
Die liegen außer meiner Verantwortung. Was danach kam, kam ohne mich. Diese
Gegenwart ist nicht meine. Mein Buch ist geschlossen, meine Geschichte ist aus.“ Da
rief ich: „Nein Butt! Nein! Das Buch geht weiter und die Geschichte auch.“ 182
Nach einer kurzen Grübelei des Erzählers, die dieser Aussage direkt folgt, fängt der achte
Monat an, ohne dass etwas Weiteres über „diesen Hitler und diesen Stalin“ gesagt wird. Auch
in Die Rättin finden wir einen gleichen Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg vor. Wenn der
Erzähler den Zweiten Weltkrieg zur Sprache bringt, wird er auch jetzt abrupt von seinem
Kontra-Erzähler, in diesem Fall die Rättin, unterbrochen: „bis ein gewisser Hitler und ein
gewisser Stalin ganz Polen auffraßen, worauf es sich aber dennoch nicht verloren gab,
sondern, wie es im Lied hieß, aufs Neue… Hier brach sie ab – Das führt zu nichts! – und
sagte zu ihrem neunschwänzigen Wurf“.183 Die ähnliche Verweisung in beiden Romanen
springt sofort ins Auge: „diesen Hitler und diesen Stalin“ und „ein gewisser Hitler und ein
gewisser Stalin“. Es wird nicht direkt auf den Nationalsozialismus und auf die darauffolgende
Reaktion Stalins hingewiesen. Die Pronomina „dieser“ und „ein gewisser“ muten spottend an.
Sie erheben den Eindruck, dass beide Herren relativ unbekannt sind, aber wir dürfen
annehmen, dass Hitler und Stalin in den kollektiven Gedächtnis eingegraben sind. Durch den
unkonventionellen Gebrauch der Pronomina werden ihre Täte sogar unterstrichen. Sowohl in
Der Butt als in Die Rättin wird, nachdem Hitler und Stalin genannt worden sind, nicht weiter
auf den Zweiten Weltkrieg eingegangen. 184 In dieser Hinsicht ist die Aussage „was man […]
nicht niemals wieder erinnern wolle, werde erst, wenn es in Schrift stehe, so gut wie
vergessen sein“185 sehr bedeutungsvoll. Könnte es sein, dass gerade deswegen der Zweite

182
Grass, Der Butt, S. 460.
183
Grass, Die Rättin, S. 103.
184
In Die Rättin aber finden wir in anderen Textstellen dennoch Verweise auf den zweiten Weltkrieg und auf
den Gräuel der Konzentrationslager vor. So werden zum Beispiel die Ratten sehr oft mit den Juden verglichen.
Meistens werden solche Verweise eher zwischendurch und implizit erwähnt, es gibt keine (ausführlichen)
Passagen, in denen es sich nur um den Zweiten Weltkrieg handelt.
185
Grass, Der Butt, S. 107.

52
Weltkrieg in Der Butt nicht thematisiert wird? Das Fehlen des Zweiten Weltkrieges in der
Geschichte vom Butt macht deutlich, dass diese Zäsur in der Geschichte nie vergessen werden
darf.
Dennoch gibt es in dem achten Monat einige Textstellen, die zur Reflexion anregen.
Am Ende dieses Monats, nachdem Billy tot wiedergefunden ist, erscheint die Aussage „War
das noch ein Mensch?“186 Dieser Ausruf erinnert an Primo Levis Zeugnis Ist das ein
Mensch?187, das von den Ausschreitungen und enthumanisierenden Umständen in den
Konzentrationslagern handelt. In diesem Licht bekommt „der blauweiß gestreifte Pulli“ 188 von
Billy, die am Rande des Weges gefunden wird, eine extra Dimension, gerade weil er die
Gefängnisklamotten der KZ‟ler in Erinnerung bringt. Wichtig ist, dass der blauweiße Pulli
aufs Neue zwischen Klammern erscheint, als ob ein Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg nicht
in einem offiziellen Zeugnis hingehört – gerade wie der Butt geäußert hat.189 Auch die
Sinnlosigkeit und der Gräuel von demjenigen, was in dem achten Monat passiert, könnten wir
vielleicht mit den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs in Beziehung bringen. Wenn wir den
Zweiten Weltkrieg auf diese Weise mitlesen, wird dieses Ereignis, zwar unausgesprochen,
dennoch in der Geschichte der Menschheit miterzählt. Das implizit Erzählen einer Geschichte
entspricht einer Untersuchung von Biebuyck, der das Konzept der unerzälhten Geschichte bei
Grass vertieft hat.190
Den Kampf um Anerkennung können wir nach meiner Meinung also aus zweierlei
Hinsicht verstehen. Zuerst betont der Kampf, um als Zeuge gehört zu werden die Existenz
einer anderen Möglichkeit und einer anderen Wahrheit neben den bekannten oder allgemeinen
Fakten. Weil das Zeugen und das Schreiben sooft mit dem Ablegen von Schuld, und
manchmal mit Vergessen, verknüpft werden, könnte es sein, dass der Streit für Anerkennung
als Zeuge in die Geschichte hineingearbeitet worden ist, gerade um das Nicht-Vergessen zu
betonen.

186
Grass, Der Butt, S. 502.
187
Levi, Primo: Ist das ein Mensch? Ein autobiographischer Bericht. München: Deutscher Taschenbuch Verlag,
2007. (Erstausgabe: 1958, Übersetzt ins Deutsche: 1961).
188
Grass, Der Butt, S. 500.
189
„ aber nicht diesen Hitler und diesen Stalin. Die liegen außer meiner Verantwortung. Was danach kam, kam
ohne mich. Diese Gegenwart ist nicht meine. Mein Buch ist geschlossen, meine Geschichte ist aus.“: Grass, Der
Butt, S. 460.
190
Biebuyck, Benjamin: „Günter Grass“ In: Duitse literatuur na 1945. Deel 1: Duitsland 1945-1989. Ed. A.
Gilleir & B. Philipsen. Leuven: Peeters 2006, 227-249.

53
4. PRAGMATIK IN DER BUTT UND DIE RÄTTIN

Aus dem vorigen Kapitel lässt sich ableiten, dass die Schreibtechnik in Der Butt und Die
Rättin den Inhalt der Romane lenkt. Mittels der Parenthese wird eine der pragmatischen
Aspekte der beiden Werke – die Existenz eines ‚dritten Weges„ – betont. Wichtig ist, dass
nicht nur die Parenthese diese Existenz unterstreicht. In dem Schlusskapitel wird dieser
pragmatische Aspekt anhand einer genauen Analyse von zwei Symbolen und einiger
besonderen Merkmale der Schreibtechnik ergänzt.

4.1. Symbole

4.1.1. Die dritte Brust


In beiden Romanen tauchen einige Symbole auf, die den dritten Weg vertreten. Im vorigen
Abschnitt wurde bereits der Streit um die Möglichkeit, ein Zeuge zu sein können, behandelt.
Das Ich aus Der Butt jedoch kämpft ebenso gut um Anerkennung als Mann und als Vater und
bekommt in diesem Streit die Hilfe des Buttes:
Die Natur will nicht mehr weiblich erduldet, sondern männlich bezwungen werden.
Kanäle ziehen. Sümpfe trocken legen. Das Land einteilen, pflügen und in Besitz
nehmen. Den Sohn zeugen. Vererben. Zweitausend Jahre zu lang habt ihr Stillzeit
gehabt, habt ihr die Zeit im Stillstand vertrödelt. Ich rate euch: Weg von der Brust. Ihr
müßt euch entwöhnen. Mein Sohn, du mußt dich endlich entwöhnen!191
Das Ich versucht sich als Mann zu verhalten, wird aber rasch in sein ‚Mann-sein„ tief
gekränkt. Schon am Anfang erwähnt der Erzähler nebenbei: „(als sei ich nicht immer noch
jungsteinzeitlich geschädigt.)“ 192 Erst am Ende des ersten Monats scheint der Erzähler im
Stande zu sein, uns den möglichen Grund dieser Schädigung mitzuteilen:
Und als ich dort, wo später am Ostufer Graudenz (die Festung) liegen sollte, von einem
Pferd getreten, von einem Kurzschwert in den Daumen geschnitten, von
Goitschenweibern als „pomorsche Sumpfquappe“ beschimpft und von einem immer
besoffenen oder vom Fliegenpilz benommen Gotenkerl, der so zahnlos war, daß ich ihm
Dörrfleisch vorkauen mußte, am helllichten Tag hinter einem blühenden Ginsterbusch
in den Arsch gefickt wurde (wobei der Kerl nicht seinen Eberzahnhelm abnehmen
wollte), lief ich davon […].193
Die Vergewaltigung sorgt dafür, dass das Ich sofort seine Sippe wieder aufsucht, wo er aber
auch herabgewürdigt wird, weil er vor seinem Volk geflüchtet war. Auch die aus der

191
Grass, Der Butt, S. 36.
192
Grass, Der Butt, S. 77.
193
Grass, Der Butt, S. 105.

54
Vergewaltigung hervorgegangene Erniedrigung verfolgt den Mann: „habe ich verschwiegen
verdrängt vergessen. Die Schande. Das Loch im Geschehen. Die leere Sprechblase. Woran
ich mich nicht erinnern will“.194 Der Butt rät ihm „noch mehr Papier zu kaufen“,195 damit er
die Schande von sich schreiben kann. Mittels dieses Zitats wird schon im ersten Monat die
therapeutische Wirkung des Schreibens angekündigt, der später eine wesentliche Rolle
zugeteilt wird: mittels des Schreibens will das Ich die Kriegsvergangenheit vergessen.
Auch die größte Angst der Männer laut Freud, die Kastrationsangst, 196 wird in Der Butt
thematisiert, und zwar wenn Margret Rusch, oder Dicke Gret, „das linke oder rechte
Hodenei“ von Jakob Hegge abbeißt und „vor Schreck verschluckt“.197
Auch in der Gegenwart hat sich für das Ich nicht viel geändert. Immer noch scheint er
seiner Ilsebill unterlegen zu sein und versucht umsonst Respekt zu erzwingen:
ich hatte mich (wieder einmal) übernommen. Wo ich saß, war offenbar nichts, oder ein
Loch oder nur beispielhaft etwas, das zwar meinen Namen trug, aber als exemplarischer
Fall mal schonend und nachsichtig – „Die Kriegsjahre müssen ihn so verroht haben“ –
mal mit Schärfe – „Eigentlich sollte man ihn entmündigen!“ – während eineinhalb
Stunden verhandelt wurde.198
Die Frauen entnehmen dem Ich, das überhaupt nie einen Namen bekommen hat, seine
Identität; er wird zum verhandelten Fall. Aufs Neue taucht das Trauma des Krieges auf, hier
wird sogar suggeriert, dass die Kriegsjahre zu geistlicher Vernichtung geführt haben. Es hat
den Anschein, als ob das Ich im Zitat den Platz des Opfers des Krieges, des KZ‟lers,
einnimmt.
Darüber hinaus versucht das Ich seine Rechte als Vater – vergeblich – zu beanspruchen:
„Übrigens sagten zur Steinzeit schon die Mütter zu ihren Babies: „Eiei“ – und die Männer,
dazugerufen, sagten: „Nana“. Väter gab es keine. Nur Mutterrecht galt.“199 Dieses Mutterrecht
versucht der Butt abzubauen, indem er die Männer emanzipieren will. Mit Hilfe des Buttes

194
Grass, Der Butt, S. 107.
195
Grass, Der Butt, S. 107.
196
Duijker, H.C.J et al: Encyclopedie van de psychologie. Amsterdam-Brussel: Elsevier, 1977, S. 54-55.
Auch der Erzähler spielt auf Freud an: „Stimmt Ilsebill: das ist die Angst der Männer, so gebissen zu werden. Es
gibt Theorien, nach denen in allen Frauen der Wunsch zappelt, allen Männern die Klöten und auch den Pimmel
abzubeißen. Schnappmöse und Penisneid heißen Kapitelüberschriften in heißhungrig zerlesenen Büchern.“:
Grass, Der Butt, S. 301-302. Unter anderem im Kasus ‚Kleiner Hans„ , beschrieben von Freud, werden die
Kastrationsangst und Penisneid thematisiert: Freud, Sigmund: Ziektegeschiedenissen. Dora, Kleine Hans, De
Rattenman, Het geval Schreber, De wolvenman. Hg. v. Wilfred Oranje. Amsterdam: Boom, 1998, S. 139-263.
197
Grass, Der Butt, S. 200.
198
Grass, Der Butt, S. 392. Ironischerweise wird in diesem Zitat, wo der Erzähler als Mann herabgesetzt wird,
gerade das beschrieben, was er in dem ganzen Roman als Zeuge, zu erreichen versucht: „nur beispielhaft etwas,
das zwar meinen Namen trug, aber als exemplarischer Fall verhandelt wurde.“ Diese Rolle versucht das Ich sich
schon vom Anfang an zu geben, denn „Ich, das bin ich jederzeit“. Das Ich wirkt exemplarisch, verliert seine
Identität, wird hier dennoch als Zeuge der Geschichte anerkannt.
199
Grass, Der Butt, S. 13.

55
versucht der Erzähler, „aufgeklärt […] ein Wort für Vater zu suchen“200, der Butt aber muss
dem Ich der 70er Jahre gestehen, dass „du [da nichts] machen [kannst], mein Sohn. Das ist
ihre Natur, die ist stärker und immer im Recht. Mit der Vaterschaft bist du am Pflock. Das
immerhin haben die Frauen für sich. Deine Ilsebill weiß das.“201 Der Mann wird von den
Frauen nur als Erzeuger anerkannt: „Für alle kam ich als Erzeuger zumindest in Betracht.“ 202
Doch wird auch dieses Recht angezweifelt, denn am Anfang der buttischen Geschichte
entfuhr Ilsebill über die Erzeugung von Kindern: „ohne ihn [die Männer] geht es leider noch
nicht!“203 Dennoch versucht der Erzähler sich als Vater irgendwie Geltung zu verschaffen:
wenn von der Schwangerschaft Ilsebills - in diesem Sinn als ‚die Frau„ zu betrachten – die
Rede ist, erscheint regelmäßig die Parenthese (von mir). 204 Der Erzähler versucht auf diese
Weise seine Position zu bestätigen, erwirkt aber nur, dass Zweifel über den ‚wirklichen„
Erzeuger aufkommen.
Die Verneinung der Väter- und Männerrolle dürfen wir aber nicht isoliert betrachten,
denn sie entspricht dem ganzen Geschlechterstreit, eine wichtige thematische Konstante in
Der Butt. Obwohl Der Butt damals von vielen Feministinnen angegriffen und als
frauenfeindlich umschrieben wurde, soll deutlich sein, dass auch die männlichen Gestalten
eher jämmerlich und nicht von ihrer besten Seite dargestellt werden. Gerade wie die Frau 205
wird auch der Mann mit allerhand Klischees verknüpft und daher oft stereotyp präsentiert:
„Die Welt beherrschen will er, die Natur bezwingen und von der Erde weg sich über sie
erheben.“206 Der Autor versucht, indem sowohl die übliche Männer- als auch die
Frauenhaltung angeprangert wird, die bereits genannte dritte Möglichkeit zu kreieren. Die
dritte Möglichkeit wird am Anfang sogar von einer der drei Brüste Auas symbolisiert,207 was
für Ilsebill als ‚die heutige Frau„ schon frauenfeindlich ist:
„Klar, mußt du sagen: Männliche Wunschprojektion! Mag ja sein, daß das anatomisch
nicht möglich ist. Damals aber, als die Mythen noch Schatten warfen, hatte Aua drei
Stück. Und es stimmt schon, oft fehlt heute die dritte. Ich meine, es fehlt irgendwas. Na,
das Dritte. Sei doch nicht gleich so gereizt.“ 208

200
Grass, Der Butt, S. 103.
201
Grass, Der Butt, S. 107.
202
Grass, Der Butt, S. 405.
203
Grass, Der Butt, S. 11. [Hervorhebung von mir, SG]
204
Grass, Der Butt, u.a. S. 61, S. 227, S. 465.
205
z.B.: Grass, Der Butt, S. 16: “Die Frauen sollten sich mehr innerlich um die Religion kümmern. Die Küche ist
Herrschaft genug.“
206
Grass, Der Butt, S. 356.
207
Auch Sandford verweist auf diese Interpretation: Sandford, John: „Men, Women and the ‚Third Way‟.‟ In:
Günter Grass‟ Der Butt. Sexual Politics and the Male Myth of History. Hg. v. Philip Brady, Thimoty McFarland,
John J. White, Oxford: Clarendon Press, 1990, S. 169-186.
208
Grass, Der Butt, S. 9.

56
Weil aber die dritte Brust, die Utopie, plötzlich und ohne Weiteres, abfällt, können wir Der
Butt als eine Suche nach der verlorengegangenen ‚dritten Möglichkeit„ lesen, was uns
eigentlich vom Anfang an mitgeteilt wird: „Vielleicht haben wir nur vergessen, daß es noch
mehr gibt. Was Drittes. Auch sonst, auch politisch, als Möglichkeit.“ 209 Der andere Weg aber
wird in Der Butt nicht gefunden, die dritte Möglichkeit bleibt offen.

4.1.2. Das Dritte Programm

Das Dritte Programm, ein Rundfunkprogramm, kommt manchmal in Der Butt zur Sprache 210
und tritt als eine thematische Konstante in Die Rättin auf.211 Die Merkmale, die diesem
Programm zugeschrieben worden, entsprechen dem dritten Weg und auch der Name an sich
ist programmatisch.212 Am Anfang äußert das Ich Folgendes über das Dritte Programm:

Das alles bietet der Kulturspiegel des Dritten Programms meiner Weihnachtsratte und
mir. Des Sprechers angenehme, in vielen Sendungen voll ausgereifte Stimme, die, nie
frei von ironischen Nebentönen und kritischen Parenthesen, dennoch bis auf die
Sekunde genau Bescheid weiß, gescheit Bescheid weiß […].213
Die Stimme des Sprechers, die das Ich deutlich zu schätzen weiß, scheint sogar ein Echo von
Grass„ Stimme zu sein, so dass es den Anschein hat, als ob Grass mit dieser Aussage seine
eigenen Qualitäten lobt. Gerade wie die dritte Brust in Der Butt, vertritt das Dritte Programm
in Die Rättin die andere Möglichkeit, jedoch wird sie nie so wörtlich wie in Der Butt
ausformuliert. Das Ich benutzt sein Drittes Programm in dem Streit mit der Rättin als Mittel,
um das Weltende verhindern zu können. Das Programm steht, laut dem Erzähler, für
Hoffnung und Änderung: „ man müsse nur, sagt das Dritte Programm, den Willen haben zum
Wollen und umdenken möglichst bald…“ 214 Auch aus folgendem Fragment können wir die
Funktion des Dritten Programms ableiten:

209
Grass, Der Butt, S. 10.
210
Grass, Der Butt, u.a. S. 553.
211
Auf die folgenden Seiten wird wörtlich oder indirekt auf das Dritte Programm angespielt: Grass, Die Rättin,
S. 56, 77, 97, 100, 157, 181, 183, 212, 326, 352, 353, 394-395, 423, 429, 453, 454, 456, 465, 466, 478, 479.
212
Der Name verweist eigentlich auf die Medienlandschaft aus den 60er Jahren: „Als die Dritten
Fernsehprogramme (umgangssprachlich die Dritten) bezeichnet man in Deutschland die regionalen Programme
der ARD. Der Name rührt daher, dass es in den 1960er Jahren mit dem Ersten und dem Zweiten Deutschen
Fernsehen zunächst nur zwei nationale Fernsehprogramme gab. Die regional orientierten und daher auch nur
regional ausgestrahlten Fernsehprogramme waren somit in ihrem Verbreitungsgebiet jeweils die dritten
Programme. Verantwortlich für die dritten Programme sind die einzelnen ARD-Rundfunkanstalten.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Drittes_Fernsehprogramm (11/05/2010). Es mag aber wohl deutlich sein, dass das
Dritte Programm in den Romanen von Grass eine weitere Bedeutung bekommt.
213
Grass, Die Rättin, S. 56.
214
Grass, Die Rättin, S. 454.

57
Als könnte ich gelingen, den Traum abzuwälzen, schrie ich mein Neinneinnein! Ich
beschwor das Dritte Programm: Gleich hören wir den Pressespiegel. Gleich wird
anderes wirklich. Ich sagte: Demnächst gibt es bleifreies Benzin. Ich behauptete: Der
Hunger erledigt sich von selbst. Vom nächsten Wirtschaftsgipfel, der bestimmt
stattfinden werde, von Friedensbemühungen in Stockholm und sonst noch wo, sogar
vom Papst dessen zunächst geplanter Reise erzählte ich ihr. Man kann wieder hoffen,
bei aller Skepsis hoffen, rief ich und wollte nicht glauben, was ist. Hör zu, Rättin,
beschloß ich, heute noch werde ich einen Baum pflanzen. 215
Es gibt aber im Laufe des Romans eine Entwicklung in der Haltung des Erzählers und in der
Funktion des Programms. Nach einer Weile findet sich der Erzähler mit der Situation, welche
die Ratte skizziert, ab und damit verliert auch das Dritte Programm seine Funktion: „Meine
Weihnachtsratte und ich stimmen überein: Diese Nachrichten tun so als ob. Zwar läuft noch
alles, doch nichts geht mehr. Im Dritten Programm, ob in Brüssel oder Uppsala: Die Luft ist
raus.“216 Schließlich muss das Ich gestehen, dass das Programm keine Lösung mehr bieten
kann:
Nein, Rättlein, uns hilft kein Schulfunk mehr. Was soll uns das Echo des Tages, wenn
es den Nachhall vergangener Schrecknisse und Verbrechen mit zufälligem Geplapper
übertont? Die Programme löschen sich wechselseitig. Nichts darf haften und schmerzen.
Löcherig nur erinnern wir uns: Da war doch was, war doch was, war was…217
Dieses Erinnern verweist auf das Verschwinden der Menschheit, aber ruft genauso gut den
vergangenen dritten Weg herbei. Gerade wie in Der Butt die dritte Brust wegfällt, verliert das
Dritte Programm hier sein Vermögen zu retten. Frappant in dieser Hinsicht, ist wie oft das
Programm ‚schweigt„.218 Das Schweigen sollen wir symbolisch verstehen, nämlich als das
Scheitern, vielleicht sogar als das Nicht-Existieren der anderen Wahrheit. Im Roman wird
auch insinuiert, dass gerade das Fehlen einer solchen Wahrheit zu der Vernichtung der
Menschheit führt: „Langsam solltest du wissen, daß es euch, samt Drittem Programm, nur
noch in unseren Träumen gibt.“219
Der Butt und Die Rättin wollen den anderen Weg darstellen, und in diesem Sinn
schließen sich die beiden Romane aufs Neue aneinander an. Was den Geschlechterstreit
betrifft, versucht Der Butt die dritte Möglichkeit innerhalb dieses Kampfes darzustellen. Am
Ende aber wird deutlich, dass dieser durch Auas dritte Brust symbolisierte Weg, offen bleibt.
Grass selber hat geäußert, dass die Geschichte aufs Neue erzählt werden sollte, jetzt aber von
einer Frau. Wie oben schon angezeigt, gibt es Indizien dafür, Die Rättin als diese Geschichte

215
Grass, Die Rättin, S. 157.
216
Grass, Die Rättin, S. 395.
217
Grass, Die Rättin, S. 429.
218
Grass, Die Rättin,u.a. S. 77: „der mitten im Satz das Dritte Programm aus dem Raum nimmt“, S. 212: „Kein
Drittes Programm“, S. 352: „jetzt schweigt das Dritte Programm“, S. 423: „das Dritte Programm versagt.“
219
Grass, Die Rättin, S. 466.

58
zu betrachten. Auch jetzt aber wird diese Möglichkeit, durch das Dritte Programm konkret
gemacht, nicht erreicht, was letztendlich zu der Vernichtung der Menschheit führt.

4.2. Besondere Merkmale der Schreibtechnik

Aus dem vorigen Kapitel lässt sich ableiten, dass eine der wichtigsten Funktionen der
Parenthese in Der Butt und Die Rättin, das Miteinbeziehen einer alternativen Wahrheit, neben
der bereits vorhandenen, ist. Folgende Parenthese thematisiert die Hypothese fast wörtlich:

(Jenes Märchen aber, das der Butt über ein altes Weib dem Maler Runge und den
Dichtern Arnim und Brentano, den Brüdern Grimm lieferte, war als letzte Fassung
druckfertig und eindeutig gemacht worden, während das ungedruckte Erzählen immer
die nächste, die ganz anders verlaufende, die allerneueste Geschichte meint.) 220
Dieses Zitat impliziert deutlich, dass es neben dem offiziellen Zeugnis immer noch andere,
‚ganz anders verlaufende„ Wahrheiten gibt. Wie im vorigen Kapitel bereits erwähnt, können
wir der Parenthese auch diese Funktion entnehmen: zwischen Klammern erscheinen
Tatsachen, die ein derartiges nicht-offizielles Zeugnis repräsentieren. Ironisch ist, dass Der
Butt diesen dritten Weg darstellen will. Die Absicht wird aber mittels des Zitats unterminiert,
denn neben dem gedrückten Der Butt hat sich bereits wieder eine allerneueste, ungedruckte
Geschichte entwickelt. Nach meiner Meinung ist Grass sich dessen jedoch sehr bewusst, und
ist die Aussage gerade um die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Wahrheiten zu
betonen in den Text hineingearbeitet worden. Exemplarisch sind auch die Vorschläge Oskars
in Bezug auf ‚Das Waldsterben„ in Die Rättin und das Schalten zwischen Fiktion und
Tatsache in Der Butt. Frappant in diesem Sinn ist, wie die Parenthese mittels nur eines Wortes
eine nicht-erzählte Geschichte aufführt und mit der bereits erzählten vermischt. Die
Kriegsvergangenheit und die damit einhergehende deutsche Schuldfrage sind in diesem
Bezug ohne Zweifel die wichtigsten Beispiele.

4.2.1. Metaliterarische Aussagen

Auch nicht-parenthetische Sätze erfüllen diese Funktion. In beiden Romanen finden wir
verschiedene, oft metaliterarische Aussagen, vor, die wir als Leitfaden für eine Interpretation
der Texten benutzen können. Vor allem Der Butt formuliert oft wörtlich seine

220
Grass, Der Butt, S. 300.

59
‚Zwischenposition„ und verweist auf die Existenz verschiedener Wahrheiten und
Geschichten:221

Dann wurde meine politische Arbeit verhandelt: Was mir (ihm) trotz bester Absicht
alles daneben gegangen sei. Und zwar folgerichtig, weil ich (er) mich (sich) nicht
eindeutig entscheiden könne: immer einerseits andererseits. Meine (seine) absurde
Ideologiefeindlichkeit sei ja bereits schon wieder meine (seine) Ideologie. „Schade
drum. Da kann er einem leid tun, Griselde, wirklich, wenn er so rumhängt und nicht
weiß, wo und wie und hilflos. Ausflüchte sucht, meistens historische.222
Gerade dieses ‚immer einerseits andererseits„ versucht Der Butt zu symbolisieren, indem der
Roman ständig die Kehrseite der Medaille miteinbezieht. Was Ilsebill dem Ich vorwirft, ist
gerade die Absicht des Erzählers. In diesem Fragment vertritt Ilsebill nochmal deutlich the
narratee und fasst den möglichen Kommentar des Lesers in Worte. Gerade weil der Leser
sich mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert weiß, soll er dazu angeregt werden, weiter zu
denken und die eigenen Ideen zu reflektieren. Andererseits unterstreichen die Kommentare
aber nochmals die Existenz verschiedener Wahrheiten, so dass wir sie vielleicht nicht als
Kommentar sondern als Wiederholung, fast als Indoktrination betrachten können.
Das vorgehende Zitat können wir als eventueller Leserkommentar verstehen, es gibt in
Der Butt jedoch verschiedene andere Passagen, die ‚Engstirnigkeit„ deutlich in Frage stellen:
„Es ist wohl so“, sagte der Maler ein wenig bitter, „daß wir Menschen nur immer die eine
Wahrheit und nicht die andere auch dulden wollen.“223 Das Nichtwollen zu nuancieren und
die Fixation auf eigene Gedanken werden im Zitat thematisiert. Auch folgende Stelle kritisiert
das ‚Nicht-Anerkennen„ – Wollen – anderer Wahrheiten: „Über das Erzählen von
Geschichten ist viel geschrieben worden. Die Leute wollen die Wahrheit hören. Kommt aber
Wahrheit vor, sagen sie: „Ist ja doch nur alles erfunden.“ Oder sie lachen: „Was dem alles
einfällt.“224 Das letzte Zitat können wir aufs Neue als Reflexion über Der Butt verstehen.
Zuerst gilt die Aussage „über das Erzählen von Geschichten ist viel geschrieben worden“ Der
Butt, denn auch dieser Roman hat das Schreiben eines Zeugnisses zum Hauptthema gemacht.
Auch die Repliken scheinen ein Teil eines Dialogs zwischen Autor /Erzähler und Leser zu
sein. Aufs Neue taucht dieselbe Technik auf: im Roman wird der mögliche Kommentar des
Lesers vorweggenommen, damit der Leser mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert wird
und auf diese Weise über seine Reaktion reflektiert. Auch andere Passagen scheinen an erster
Stelle Der Butt und der Rezeption vom Roman zu gelten: „Und auch die Geschichte vom Butt

221
Grass, Der Butt, u.a. S. 172, S. 299, S. 524.
222
Grass, Der Butt, S. 394.
223
Grass, Der Butt, S. 360.
224
Grass, Der Butt, S. 295-296.

60
ist so überkommen. Jedes Mal wurde sie anders wirklich erzählt.“ 225 Diese Aussage betrifft
das Märchen Von dem Fischer und seiner Frau, aber wir können die Behauptung genauso gut
auf der Ebene des Romans – und nicht auf der Ebene der Erzählung – verstehen. Mit dem
Satzteil „Die Geschichte vom Butt“ wird auf Der Butt selber hingewiesen, und auch der
weitere Verlauf der Aussage bekommt einen metaliterarischen Charakter. Den Kommentar
können wir als eine Voraussage, in der der Autor Grass deutlich hervor tritt, über die
Rezeption von Der Butt lesen – und, wie nach der Erstveröffentlichung deutlich wurde, hatte
Grass Recht, denn Der Butt ist himmelhoch angepreist sowie total kritisiert worden.
Die Rättin ist auf eine andere Art und Weise als Der Butt aufgebaut. Die weibliche
Variante entblößt – noch mehr als Der Butt – seinen eigenen Produktionsprozess, zeigt
dennoch weniger metaliterarische Aussagen auf, die die Existenz der alternativen Wahrheit
betonen. Es gibt Hinweise auf die Zwischenposition, zum Beispiel: „Doch gibt es andere
Berichte, die alle ein bißchen falsch, ein bißchen richtig sind…“226 aber die Idee sehen wir vor
allem in der Struktur des Romans. Zuerst werden die verschiedenen Erzählfäden im Laufe des
Romans miteinander vermischt, so dass am Ende eine Mixtur, in der Elemente aus den
verschiedenen Linien auftauchen, entsteht. Darüber hinaus ist der ganze Roman um eine
Traumstruktur herum aufgebaut. Die Struktur erwirkt, dass der Roman sich selbst entkräftet
und in Frage stellt, so dass am Ende überhaupt nicht mehr klar ist, wer was und wen träumt.
Die Traumstruktur behauptet dennoch die ‚Wirklichkeit„ darzustellen: „Nur mein Traum
macht das möglich. Er entblößt die Wirklichkeit“.227 Der Traum erlaubt, dass verschiedene
Wirklichkeiten hervortreten. In Die Rättin wird impliziert, dass gerade diese Vielheit die
Wirklichkeit ist. Die besondere Struktur sorgt also dafür, dass verschiedene Möglichkeiten
und Wahrheiten nebeneinander zu stehen kommen: „Nach einer Pause, die mir für Spiele mit
anderen Wirklichkeiten blieb […].“228 Dennoch warnt Die Rättin auch für eine allzu
buchstäbliche Interpretation des Ganzen, denn „wir dürfen was geschrieben steht, nicht allzu
genau nehmen.“229 Der Leser soll den Inhalt abstrahieren und auf ‚seine„ Wirklichkeit
projizieren.

225
Grass, Der Butt, S. 299.
226
Grass, Die Rättin. S. 282.
227
Grass, Die Rättin, S. 235.
228
Grass, Die Rättin, S. 469.
229
Grass, Die Rättin, S. 335.

61
4.2.2. Kreisende Geschichte

Die Aussage „das ist die Wahrheit, jedesmal anders erzählt“ 230 taucht in Der Butt vielfältig
auf. Frappant ist, dass die Schreibtechnik in Der Butt die Aussage auch wörtlich verkörpert.
Im ersten Teil wurde schon auf das kreisende ‚Sichfortbewegen„ des Romans hingewiesen.
Wenn wir jetzt bestimmte Stellen genauer unter die Lupe nehmen, fällt auf, dass das
Neuanfangen bestimmter Erzählfäden tatsächlich eine ‚anders erzählte Wirklichkeit„ nach
vorne bringt. So lesen wir, wenn über Sophie Rotzoll berichtet wird, über Le Gros Folgendes:
„Le Gros aß und erzählte zum drittenmal seinen vormittäglichen Sieg über die Russen.“ 231
Diese Aussage im Roman ist tatsächlich die dritte, in der Le Gros seinen Sieg erwähnt. 232 Drei
Mal wird, mit anderen Wörtern, dieselbe Geschichte, die ‚Wahrheit„ erzählt. Jedoch wird
nicht immer die gleiche Wahrheit mitgeteilt, oft ändern bestimmte Details sich. So vernehmen
wir in Der Butt, wie Margarete Rusch Jakob Hegge „das linke oder rechte Hodenei“233
abbeißt. Gut hundert Seiten weiter wird diese Gegebenheit aufs Neue aufgerührt und heißt es:
„Da nimmt die dicke Gret, nachdem sie ihn als Schietkerl und Labbermann beschimpft hat,
ihre Wut und Fürsorge zusammen, schnappt sich die linke Klöte im Hodensack des Predigers
und beißt sie ihm ab.“234 Derartige Änderungen der Informationen könnten wir mit der
Zuverlässigkeit des Erzählers verknüpfen, in diesem Fall aber erzielen sie nicht die
Unterminierung der Glaubwürdigkeit des Erzählers, eher werden auf diese Weise
verschiedene Wahrheiten nebeneinander gestellt und setzt Der Butt sein eigenes Motto in die
Praxis um.
Auch in Die Rättin werden wir mit einem derartigen Stil konfrontiert; bestimmte
Tatsachen werden erwähnt, später aufs Neue aufgewärmt, allerdings mit leicht geänderten
oder hinzugefügten Einzelheiten. So wird die Familie von Oskar insgesamt vier Male
‚introduziert„235, drei Mal in real life und ein letztes Mal in Oskars Zukunftsvideo. Auch was
die Familie Oskars betrifft, bekommt der Leser nur spärliche Auskünfte. Auffallend jedoch
ist, dass jedes Mal auch dieselben Informationen wiederholt werden. So wird zum Beispiel
immer, wenn über die Bruns die Rede ist, erwähnt, dass sie aus Hongkong kommen und
‚Mombasa„ wird jeweils mit der Information ‚eine Stadt am Indischen Ozean„ ergänzt. Die

230
Grass, Der Butt , S. 555.
231
Grass, Der Butt, S. 383.
232
Vgl. dazu: Grass, Der Butt, S. 379: „Doch Major Le Gros, der zur Abendtafel als Gast geladen war, hatte den
Feind noch vorn den Palisaden niederkartätscht.“ und: Grass, Der Butt, S. 381: „Man war lustig und feierte Le
Gros, dessen Kanoniere am Vormittag die anstürmenden Russen vor der Sternschanze niederkartätscht hatten.“
233
Grass, Der Butt, S. 200. [Hervorhebung von mir, SG]
234
Grass, Der Butt. S. 301. [Hervorhebung von mir, SG]
235
Grass, Die Rättin, S. 208-212, S. 253-258, S. 283-293, S. 303-307.

62
Erwähnung des Bischofs, der im vorigen Kapitel auch schon an die Reihe kam, finden wir
auch an verschiedenen Stellen vor, jedoch je anders formuliert.236

4.2.3. Betonung der literarischen Konstruktion

Im ersten Teil wurde schon erwähnt, dass beide Erzähler der Romane selber auch
Schriftsteller sind. Dies hat für den Aufbau des Romans einige Folgen, denn in Der Butt
sowie in Die Rättin wird der ganze Schreibprozess mit einbezogen. Dadurch bekommt der
Leser manchmal den Eindruck, als ob nicht ein fertiger Roman, sondern ein ‚Romanplan„
vorliegt. In Der Butt zum Beispiel wird unter anderem folgendermaßen auf den
Entstehungsprozess hingewiesen:

Ich versprach ihm darüber zu schreiben. Plötzlich sagte er: „Überhaupt, das Buch. Heißt
es nun endgültig „Der Butt“? Ich bestehe darauf. Und auch Sie, Sieglinde – darf ich so
sagen – sollten dafür sorgen, daß es im Sinne des feministischen Tribunals bei diesem
einfachen Titel bleibt.237
Auch wenn der Erzähler den Butt fragt, ob „alles nun auf Papier [steht]“ 238 wird indirekt auf
den Schreibprozess angespielt. In Die Rättin wird dies überspitzt: das Schreiben wird noch
unverhüllter gezeigt. Die Rättin wird in Konstruktion dargestellt und der Schreibprozess an
sich ist ein wichtiger Anteil des Romans. Auch Roehm hat darauf hingewiesen: „Die
Konstruktion ist ein Vorgang; der Roman erscheint als im Bau befindlich, nicht als
fertiggestelltes Gebäude. Die Erzählerfiguren reagieren ständig aufeinander – das
Konstruieren wird in seinem zeitlichen Verlauf dargestellt.“ 239 Ein Indiz dafür ist zum
Beispiel der Gebrauch des Konjunktivs, so „könnte Wilhelm leise zu Jacob Grimm sagen:
„Du siehst, lieber Bruder, die alten Märchen hören nicht auf.“240 Gerade dadurch, dass der
Schreibprozess mit einbezogen und Teil des Romans wird, wird auch die fiktionale Seite des
Ganzen betont: immer wieder wird der Leser daran erinnert, dass, was er liest, ‚bloß„ ein
Roman, Literatur ist. Der Leser soll sich nicht zu viel in dem Geschehen verlieren und muss
zu jedem Zeitpunkt erkennen, dass er sich mit Fiktion konfrontiert weiß. Wie früher in der
Arbeit schon erwähnt wurde, erwirkt die Metalepse241 einen ähnlichen Effekt. Dadurch, dass

236
Grass, Die Rättin. u.a. S. 194-195, S. 212.
237
Grass, Der Butt, S. 419.
238
Grass, Der Butt, S. 110.
239
Roehm, Klaus-Jurgen: Polyphonie und Improvisation. Zur offenen Form in Günter Grass‟ Die Rättin. New
York: Peter Lang, 1992, S. 86.
240
Grass, Die Rättin, S. 55. [Hervorhebung von mir, SG]
241
Wenn die verschiedenen Erzählfaden (und so auch Gegenwart und Vergangenheit) aus Der Butt miteinander
vermischt werden, können wir dies als eine Metalepse benennen.

63
die literarische Konstruktion entblößt wird, wird das Effekt verstärkt. Die Tatsache reimt sich
aber nicht mit dem Willen, die alternativen Wahrheiten wiederzugeben, denn gerade durch
das Betonen des fiktionalen Charakters wird auch die Existenz des dritten Weges untergraben.
Könnte es aber sein, dass Grass sich dessen peinlich bewusst ist und auf diese Weise zeigt –
und anprangert - dass die anderen Möglichkeiten nur im Fiktionalen überleben können?

4.3. Der Butt und Die Rättin als historische Romane

Interessant für diese Arbeit ist, dass sich Der Butt und Die Rättin leicht als historische
Romane lesen lassen, in denen Danzig als zentraler Ort – der Nabel der Welt – hervor tritt.
Der Butt könnte als zweidimensionaler historischer Roman242, Die Rättin als
dreidimensionaler historischer Roman243 bezeichnet werden. Wie sich schon erwiesen hat,
erzählt Der Butt eine Geschichte der Menschheit, die sich auf historische und fiktive
Tatsachen stützt. Beide sind aber so nah miteinander verknüpft, dass es oft schwer wird,
Tatsache und Fiktion voneinander zu unterscheiden. Darüber hinaus gibt es verschiedene
Zeugen, die sich in dem Ich vereinigen, die in dieser Geschichte nicht gehört werden (wollen).
Obwohl auch diese Zeugen die Geschichte mit konstruiert haben, wird ihrer Anteil negiert,
oder wie es in Der Butt heißt: „Geschichte die nicht geschrieben wurde, doch da ist und
nachhängt.“244 Die Zeugen können wir auch wie den kleinen Mann verstehen, dessen Stimme
in der Geschichte kein Gehör findet. Die vielen Hinweise darauf, dass das Ich „die Zeit
treppab“245 ging können wir dann programmatisch verstehen: Grass sitzt nicht in einem
Elfenbeinturm, zeigt sich engagiert und schreibt die Geschichte von dem (negierten) Volk
aus. Die vielen Hinweise auf andere Texte in Der Butt erheben den Eindruck, dass ‚die„
Geschichte eine textliche Konstruktion ist und vom Text bestimmt (und nicht vice versa)
wird. Auch für Die Rättin gelten dieselben Merkmale: der Roman erzählt einen Teil der
Geschichte der Menschheit, die aus einer Mixtur von fiktiven und historischen Elementen
besteht, verschiedene Erzähllinien werden zusammen gebracht, es gibt zig Anspielungen auf
andere Texte und Die Rättin entblößt – noch deutlicher als Der Butt – seinen fiktionalen
Charakter. Die Technik legt die Geschichtschreibung an sich frei und betont, dass Geschichte

242
Ein Roman, in dem Vergangenheit und Gegenwart ineinander fließen.
243
Ein Roman, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpft werden. Grass selbst
benennt dies als „Vergegenkunft“.
244
Grass, Der Butt, S. 524.
245
Grass, Der Butt, u.a. S. 8, 393, 524.

64
immer aus einem subjektiven Standpunkt heraus geschrieben wird. Eine objektive Geschichte,
‚die„ Wahrheit existiert nicht, es gibt immer verschiedene Wahrheiten und Möglichkeiten
nebeneinander – die aber nicht alle anerkannt werden.

65
SCHLUSSFOLGERUNGEN

„Grass schreibt an einem größeren Ganzen“ 246 äußert Enzensberger, und auch bei mir wuchs
diese Vermutung, nachdem ich einige Romane von Grass gelesen hatte. In dieser Arbeit treten
zwei seiner Werke, Der Butt und Die Rättin, an zentraler Stelle, weil wir die beiden Romane
als eine kleine literarische Einheit betrachten können. Auch wird Die Rättin oft als die
weibliche Fortsetzung von Der Butt gelesen.
Viele Untersuchungen nach Romanen von Grass fokussieren auf politische Aspekte.
So wird oft versucht, aus dem literarischen Inhalt auf den politischen Standpunkt Grass„ zu
schließen. Den technischen und narratologischen Merkmalen der Romane werden oft weniger
Aufmerksamkeit geschenkt. Ausgangspunkt dieser Arbeit jedoch war eine erzähltechnische
Analyse von Der Butt und Die Rättin. Weil nach einer genauen Lektüre auffiel, wie oft die
Parenthese in beider Romanen benutzt wird, wurde vor allem auf die Stilfigur fokussiert.
In einem ersten Teil wurden beide Romane auf gemeinsame thematische und formale
Elemente untersucht. Der Butt sowie der Feminismus aus Der Butt tauchen in Die Rättin
wiederum auf. Auch die Figur Oskar Matzerath nimmt aufs Neue teil, sie jedoch verweist vor
allem auf Die Blechtrommel. Auffallend ist auch, dass die Frauen an Bord der ‚Neuen Ilsebill„
die Köchinnen aus Der Butt in Erinnerung rufen. Die Frauen sowie der Ich-Erzähler verfügen
über eine übergreifende Allwissenheit und kommentieren Geschehnisse aus beiden Romanen.
Auch das Märchen spielt eine bedeutungsvolle Rolle in den zwei Werken: Der Butt liegt das
Märchen Von dem Fischer und seiner Frau zugrunde und Die Rättin enthält einen
Erzählstrang, der völlig von Märchenfiguren besetzt wird. Auch auf die formale Ebene lenken
Märchen beide Romane: sehr oft, auch wenn nicht von Märchen die Rede ist, tauchen
Märchenfloskeln wie „Es war einmal“ auf. Die Floskeln aber introduzieren meistens
Abschnitte, deren Inhalt alles andere als märchenhaft ist. Die Form wird deutlich mit dem
Inhalt der Abschnitte kontrastiert, was einen verfremdenden Effekt auf den Leser hat. Auch
die Gedichte, die oft Kurzfassungen von Geschehnissen sind oder kryptische Prolepse
enthalten, finden wir in beiden Romanen vor.
Im zweiten Kapitel wurden Der Butt und Die Rättin einer erzähltechnischen Analyse
unterzogen. Zuerst wurde der Tatsache, dass beide Erzähler eine Widerspieglung des
Schriftstellers Grass sein könnten, kurz Aufmerksamkeit geschenkt. Zweitens wurde die

246
Brode,“ Daß du nicht enden kannst, das macht dich groß“ Zur erzählerischen Kontinuität im Werk von
Günter Grass. S. 82.

66
Zeitauffassung in beiden Romanen unter die Lupe genommen. Wir können schlussfolgern,
dass Der Butt die Geschichte linear, wenn auch unterbrochen, erzählt, während Die Rättin ein
Universum schafft, in dem alles gleichzeitig geschieht. Beide Romane untergraben aber
zugleich ihre Zeitauffassung: Der Butt führt ein Ich auf, das sich mit jeder Epoche auskennt
und sich in jede Epoche einmischt, so dass auch in diesem Roman manchmal ein
‚gleichzeitiges Universum„ entsteht. Die Rättin erzählt über den Untergang der Welt und
können wir daher als apokalyptisch betrachten, was aber eine Linearität impliziert. Dazu
kommt, dass beide Romane die zyklische Struktur der Geschichte betonen, weil oft darauf
hingewiesen wird, wie alles sich immer wiederholt. Es mag wohl deutlich sein, dass die
Zeitauffassung sich nicht eindeutig benennen lässt. Auch die Erzählperspektive in beiden
Romanen wurden untersucht. Die Erzählinstanz wird in Der Butt und Die Rättin in mehreren
Erzählstimmen gespalten. Beide Werke zeigen eine ähnliche Struktur auf: es ist die Rede von
einem Erzähler und einem Kontra-Erzähler – zwei Mal ein Tier: zuerst ein männlicher Butt,
dann eine weibliche Ratte – deren Dialog die ‚Rahmenerzählung„ formt. Das Erzähler-Ich
führt selbst auch verschiedene Erzähllinien auf, in denen es keine handlungstragende Rolle
mehr hat. Wie sich herausgewiesen hat, werden beide Erzähler auch von ihren Erzählungen
isoliert: das Ich aus Der Butt wird durch die Zeit von den Erzählungen getrennt, während das
Ich aus Die Rättin in einer Kapsel in den Raum geschossen wird. Auch die Erzählperspektive
und die Struktur lassen sich nicht einfach benennen, doch kann es meiner Meinung nach nur
dieser Struktur und dieser Zeitsbehandlung gelingen, die zeitgenössische, fragmentierte
Wirklichkeit zu fassen.
In dem dritten Kapitel trat die Parenthese an zentraler Stelle. Anhand einer
theoretischen Skizze wurde sie auf ihre Funktionen in Der Butt und Die Rättin untersucht. In
Der Butt fiel es auf, dass mittels der Parenthese ein nicht-offizielles Zeugnis geschaffen wird:
zwischen Klammern erscheinen Aussagen, die nicht im Zeugnis, an das das Ich schreibt,
aufgenommen werden dürfen. Daneben können wir der Parenthese in Der Butt sowie in Die
Rättin verschiedene Funktionen zuschreiben. Mittels parenthetischer Aussagen wird oft ein
Universum geschaffen, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenkommen.
Auch Tatsache und Fiktion werden, mit Hilfe der Parenthese, zu einer Ganzheit. In den
Schaltsätzen wird auch manchmal möglicher Kommentar des Lesers vorweggenommen. Weil
der Leser sich mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert weiß, fühlt er sich ertappt und soll,
als implied reader, seine Ideen weiterreflektieren. Dazu kommt, dass die Kommentare, gerade
weil sie schon vorhanden sind, auch oft die Gedanken des Lesers lenken. Am auffallendsten
aber ist, dass parenthetische Sätze oft mittels eines Wortes eine ‚nicht-erzählte„ Geschichte

67
herbeirufen. Sehr oft wird auf die Kriegsvergangenheit hingewiesen, ohne dass sie aber
buchstäblich erwähnt wird. Im Allgemeinen können wir schlussfolgern, dass die Parenthese
sehr oft eine andere Möglichkeit, eine andere Wahrheit herbei ruft, was für Grass als
Schriftsteller des ‚dritten Weges„ charakterisierend ist.
Im Schlusskapitel wurde dieser letzte Punkt ergänzt, denn wir können die Funktion
nicht nur der Parenthese entnehmen. Zuerst wurden zwei Elementen, die den dritten Weg
symbolisieren, Aufmerksamkeit geschenkt. Danach wurden einige andere besondere
Merkmale der Schreibtechnik analysiert. Es lässt sich schließen, dass auch die
metaliterarischen Aussagen, das Kreisen der Geschichte sowie die offene Struktur die
Existenz anderer Wahrheiten markieren.
Diese Arbeit hat versucht, die Lücke in die erzähltechnischen Untersuchungen ein
wenig zu füllen, aber, wie immer, haben sich während das Schreiben dieser Arbeit viele neue
Forschungsvorschläge entwickelt. So könnte es interessant sein, die Funktion der Parenthese
auch in anderen Romanen Grass„ zu untersuchen. Sind sie auch da überdurchschnittlich
vorhanden und erfüllen sie eine ähnliche Funktion? Auch der Unterschied zwischen dem
Gebrauch von Klammern und Gedankenstrichen könnte vertieft werden. Weiter würde es
nützlich sein, zu untersuchen mittels welcher anderen Erzähltechniken der dritte Weg
dargestellt wird. Vielleicht kann diese Arbeit ein Ansatz für weitere Untersuchungen sein.

68
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