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ROLAND GEISHEIMER / ATTENZIONE

Hinweisschilder in Jamel, Ehepaar Lohmeyer: Beim Gang durch den Ort hoben Kinder die Hand zum Hitler-Gruß

immer wieder bedrohten. Der Verfas-


RECHTSEXTREME
sungsschutz warnt vor dem wachsenden
Einfluss der NPD in den Kommunen. Die

Allein unter Nazis Neonazis versuchen, sich im Alltag fest-


zusetzen.
Nirgendwo ist das den Rechtsauslegern
so sehr gelungen wie in Jamel. Würde man
In Mecklenburg beherrschen Neonazis ein komplettes Dorf. die Rechten wegschicken, wäre das Dorf
Politik und Behörden resignieren. leer. Jamel ist längst nicht mehr nur ein
Nur ein Künstler-Ehepaar leistet den Rechten Widerstand. Problem der Region oder des Bundeslan-
des, mit der verheerenden Situation be-

S
eit sechs Jahren bauen Horst und Im Örtchen Jamel konzentrieren sich schäftigt sich inzwischen auch Berlin.
Birgit Lohmeyer an ihrem Lebens- geradezu beispielhaft all die Probleme, Vor einigen Monaten besuchte Bun-
traum. Sie renovieren ein Forsthaus die Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren destagsvizepräsident Wolfgang Thierse
auf dem Land, in Jamel, einem Weiler mit den Rechten plagen. Das Land leidet das Dorf. Der SPD-Mann saß eine halbe
kurz vor Wismar. Birgit Lohmeyer schon lange unter seinem schlechten Ruf. Stunde bei den Lohmeyers im Wohnzim-
schreibt Krimis, ihr Mann macht Musik, In Schwerin sitzt die NPD seit 2006 im mer und versprach, sie im Kampf gegen
sie tun so, als wäre alles ganz normal, Landtag, Straftaten von Neonazis gehören die Neonazis zu unterstützen. Geschehen
hier in Jamel. zum Alltag. Seit einigen Monaten nun er- ist bis heute nichts. Jamel ist zum Symbol
Es war nicht einfach, das Haus zu fin- schüttert eine Serie von Übergriffen auf dafür geworden, dass es Orte in Deutsch-
den. Mehrere Monate lang fuhren sie Politiker aller demokratischen Parteien land gibt, an denen die Rechten nahezu
jedes Wochenende von Hamburg aufs das Land. Zeitweise verging kaum eine alles tun können, was sie wollen.
Land, in den Osten, aber die meisten Woche, ohne dass ein Wahlkreisbüro Die Lohmeyers zogen 2004 nach Meck-
Häuser waren zu teuer. Den Hof in Jamel angegriffen wurde: Farbbeutel, rechte lenburg. Sie begannen, den Forsthof her-
gab es recht günstig – ein Anwesen aus Schmierereien, zerbrochene Fenster. zurichten, und suchten Kontakt zu den
rotem Backstein, leicht her- Norbert Nieszery, SPD- Nachbarn. Nicht zu Neonazi Krüger, sie
untergekommen, aber nicht Fraktionschef im Landtag, waren sich sicher, dass es nicht nur Rechte
weit von der Ostsee, inmit- Ostsee spricht von einer „Frühform in Jamel geben würde.
ten von Linden und Ahorn- des Terrors“. Ihm selbst Nur langsam wurde ihnen klar, wo sie
bäumen, gegenüber einem wurden innerhalb kürzester gelandet waren. Von den Wänden vieler
See. Jamel Rostock Zeit zweimal die Büroschei- Häuser bröckelte der Putz, ein Dachstuhl
Die Lohmeyers wussten, Wismar ben eingeworfen. Innenmi- war eingestürzt. Hinter der Bushaltestelle
dass in der Nachbarschaft Lübeck nister Lorenz Caffier (CDU) lagen Bierflaschen, Autoreifen, Benzin-
ein berüchtigter Neonazi Greves- beobachtet eine „neue Qua- kanister. Grundstücke waren mit Stahl-
wohnt. Der Abrissunter- mühlen lität“ rechtsextremer Ge- gittern gesichert, im Vorgarten zerrten
nehmer und NPD-Kader Schwerin walt. Er vermutet, die NPD Kampfhunde an ihrer Kette. Niemand
Sven Krüger. Was sie nicht wolle sich durch aggressives entfernte die Hakenkreuz-Schmierereien
wussten: Nachbarn fühlten MECKLENBURG- Auftreten vor der Landtags- vom Ortsschild.
sich von Krüger terrorisiert. VORPOMMERN wahl im September profilie- Kahlrasierte Jugendliche in Armee-
Er und seine Kameraden ren. Ein Gemeindebürger- hosen liefen durchs Dorf. Nazi-Rock
bemühten sich, das ganze 30 km meister hat Polizeischutz be- dröhnte am Wochenende über die Felder.
Dorf aufzukaufen. antragt, nachdem Rechte ihn Aus dem Wald knallten Schüsse, die Ka-
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Deutschland

Jamel ist Pilgerstätte der Neonazis; aus


ganz Europa kommen sie zu Besuch, um
sich das Dorf anzusehen, in dem die
Rechten das Sagen haben. Auf Krügers
Hochzeit feierten sie bis spät in die Nacht
mit völkischer Rockmusik. Sie entzün-
deten ein Feuerwerk. Die Lohmeyers la-
gen schlaflos in ihrem Bett, starr vor
Angst.
Ortsbürgermeister Uwe Wandel steht
den rechten Umtrieben in seiner Ge-
meinde hilflos gegenüber. Wenn er über
Jamel spricht, klingt er bitter. „Die Poli-
zei, die Behörden, niemand traut sich
einzugreifen. Die Nazis lachen uns aus.“
Immer wieder, sagt Wandel, habe er die
Landesregierung in Schwerin um Hilfe
gebeten. Der Innenminister und eine
Delegation des Landtags kamen zu Be-
such. „Sie blieben 20 Minuten, zeigten
sich betroffen – und dann fuhren sie

DANNY GOHLKE / DAPD


wieder.“
Jamel sei ein rechtsfreier Raum, die
Behörden würden nicht entschieden ge-
nug gegen die Rechten vorgehen, klagt
Wandel. Krüger könne ungestraft Bau-
schutt im Dorf abladen und Müll verbren-
meraden hatten zum Wehrsport geblasen, „Verpisst euch“, kurz vor dem Einzug nen. Der Leiter des Ordnungsamts in Gre-
die Polizei fand später Patronenhülsen in brannte ihr Haus. Ein Neu-Eigentümer vesmühlen sagt, der Landkreis müsse sich
Schützengräben. Wenn die Lohmeyers wagte sich nur in Begleitung von Polizis- des Problems annehmen. Im Landratsamt
durch den Weiler gingen, hoben Kinder ten in das Dorf. heißt es, für Jamel seien die Behörden
die Hand zum Hitler-Gruß. Die Lohmeyers haben es sich zur Le- vor Ort zuständig.
Krüger hat Jamel umgekrempelt. Er ist bensaufgabe gemacht, sich nicht aus Ja- Krüger hat längst größere Pläne. Seit
im Dorf aufgewachsen, schon sein Vater mel vertreiben zu lassen. Einmal im Jahr 2009 sitzt er für die NPD im Kreisrat. In
galt als rechtsradikal, er ließ den Sohn laden sie auf einer Wiese hinter dem Hof Grevesmühlen hat er Teile eines Beton-
morgens im Schnee salutieren. In der zu einem Festival („Jamel rockt den Förs- werks gekauft. Er nutzt es als NPD-
Schule war Krüger ein Außenseiter, er- ter“). Bands treten auf, Rock, Pop, Metal. Bürgerbüro und für sein Abrissunter-
innert sich eine Bekannte. Freunde fand Seit 2009 ist der Ministerpräsident Meck- nehmen. Auf dem Firmenlogo werden
er erst in der Skinhead-Szene. Als junger lenburg-Vorpommerns, Erwin Sellering die Konturen eines Davidsterns zerschla-
Mann hat er rechte Schläger zum Überfall (SPD), Schirmherr. Die Polizei zäunt das gen. Der Slogan: „Wir sind die Jungs fürs
auf ein Zeltlager angestiftet. Wegen Ein- Gelände ein und bewacht den Eingang – Grobe“. Das Betriebsgelände ist mit Sta-
bruchs saß er in Untersuchungshaft. Lan- in den vergangenen Jahren blieb es weit- cheldraht geschützt, Hunde bellen. „Lie-
ge Zeit waren die Krügers die einzigen gehend ruhig. ber tot als Sklave“ steht über dem Ein-
Neonazis im Dorf. Im Sommer aber sprangen Neonazis gang. Zu den Vorwürfen gegen ihn will
„Heute sehen sie Jamel als ,national über den Zaun, pöbelten und griffen die Krüger nichts sagen. Nur so viel: „Alles,
befreite Zone‘ an“, sagt Lohmeyer. Die Gäste an. Die Polizei ging dazwischen was über mich geschrieben wird, ist
Rechten haben das Dorf innerhalb weni- und stoppte die Randalierer. Doch die falsch. Gegen das System habe ich keine
ger Jahre übernommen. Inzwischen be- Beamten können die Lohmeyers nicht Chance.“
sitzen sie sieben der zehn Häuser. Wer immer schützen. Bis zur nächsten Poli- Krüger hat in den vergangenen Mona-
sich nicht mit ihnen arrangieren wollte, zeistation sind es zwölf Kilometer. ten neue Mitarbeiter eingestellt. Er erhält
wurde vertrieben. Sie schlugen Türen und Lohmeyer sitzt in der Küche über eine Aufträge aus der rechten Szene, aber
Fensterscheiben ein, zerstachen Auto- Landkarte gebeugt und fährt die Straße auch von Unternehmen aus der Region.
reifen, hissten die Reichs- mit dem Finger ab: Gres- Bürgermeister Wandel sagt, er sei ent-
kriegsflagge, feierten Hit- sow, Neu Degtow, Gre- setzt, wie weit die rechten Strukturen in
lers Geburtstag; einer vesmühlen – eine Viertel- Mecklenburg inzwischen reichten. „Ich
Familie steckten sie schon stunde ist man unterwegs habe Angst vor einem zweiten, dritten,
in den Neunzigern tote zur nächsten Wache. Als vierten Jamel.“
Hühner auf den Garten- Krüger im Sommer heira- An den Ortseingang haben die Neona-
zaun und drohten: „Wir tete, reisten mehrere hun- zis einen Stein gerollt, auf dem eine Tafel
räuchern euch aus.“ dert Rechte aus Deutsch- befestigt ist: „Dorfgemeinschaft Jamel –
Das Dorf leerte sich. land, den Niederlanden frei, sozial, national“. Daneben weisen
Krüger ermunterte seine und der Schweiz an, dar- Schilder den Weg zu Hitlers Geburtsort:
CORNELIUS KETTLER

rechten Freunde, die frei- unter viele hochrangige „Braunau a. Inn 855 km“, nach Breslau
en Häuser zu kaufen. Sel- NPD-Politiker wie der und nach Königsberg. Niemand räumt
ten verirrten sich noch Landesvorsitzende Stefan den Stein weg. Bürger und Politiker ha-
andere Menschen nach Köster. ben resigniert: „Wir haben Jamel aufge-
Jamel. Ein Paar, das dort- geben“, sagt Wandel.
hin ziehen wollte, be- Rechtsradikaler Krüger 1997 Nur die Lohmeyers sind geblieben.
grüßten die Neonazis mit „Jungs fürs Grobe“ M��������� P���

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