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Islam  Kultur  Politik Dossier zur politik und kultur

Januar – Februar 2011 www.kulturrat.de ISBN 978-3-934868-26-7 · ISSN 2191-5792 · B 58 662

Zweifellos
Editorial von Olaf Zimmermann
„Dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln
ist“, so beginnt die zweite Sure nach dem obli-
gatorischen „Im Namen des all-barmherzigen
und all-gnädigen Gottes“ im Koran, der heiligen
Schrift der Muslime. Mich hat dieses Buch schon
lange interessiert, obwohl ich es wegen meiner
mangelhaften Sprachkenntnisse nicht im ara-
bischen Original lesen kann, sondern auf, wie
viele Muslime sagen, absolut unvollkommene, weil
entstellende, deutsche Übersetzungen angewiesen
bin. Und trotzdem begeistert mich die besondere
Sprache, die ich auch in den Übersetzungen zu
spüren glaube. Wie bei weltlicher Lyrik oder den
Psalmen aus dem Alten Testament lasse ich mir
auch die Suren am liebsten von meinem iPod bei
langen Zugfahrten vorlesen. Es eröffnet sich ein
unvergleichlicher kultureller Kosmos.

Wenn ich dann auf einer solchen Zugfahrt eine


Tageszeitung aufschlage, finde ich mit großer
Wahrscheinlichkeit mindestens einen Artikel über
den Islam in enger Verbindung zu Terror und
Menschenrechtsverletzungen. Kälter kann eine
kalte Dusche kaum sein!

N achdem sich die Redaktion von politik und


kultur, der Zeitung des Deutschen Kultur-
rates, vor einigen Jahren an das Thema „Die
Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“
gewagt hatte und nach deutlichen positiven,
wie auch manchen negativen Reaktionen die
Diskussion über die kulturelle Rolle der beiden
christlichen Kirchen in Deutschland, so glaube
ich, befördert wurde, war das Thema Islam schon
lange überfällig. Überfällig, weil in Deutschland
fast vier Millionen Muslime leben und unsere
Kultur mit prägen und weil wenige Begriffe so
viele Emotionen auslösen wie die Worte: Islam
und Muslim.
Ich will nicht verschweigen, dass der Weg zu
diesem Dossier ein steiniger war. Nicht weil wir
keine Unterstützung erfahren hätten. Im Gegen-
teil: Mein alter Freund Reinhard Baumgarten, der
im Südwestrundfunk im Ressort Religion, Kirche
und Gesellschaft arbeitet, und Aiman A. Mazyek,
der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in
Deutschland waren unverzichtbare und inspirie-
rende Ratgeber und Autoren. Auch die weiteren
Autorinnen und Autoren dieses Dossiers mussten

Zu den Bildern
Die Bilder des Dossiers „Islam · Kultur · Poli­
tik“ basieren zum Teil auf der Ausstellung Abdulnasser Gharem: The Path ( Al Siraat) (2009). Prints aus dem Video Al Siraat. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Courtesy of Abdulnassear Gharem and
„TASWIR – Islamische Bildwelten und Moder- Restored Behaviour Ltd.
ne“, die vom 5. November 2009 bis zum 18.
Januar 2010 im Martin-Gropius-Bau in Berlin nicht zweimal gebeten werden. Und selbst die nicht als bloße Anpassung der Minderheiten- an großen christlichen Kirchen auf das kulturelle
gezeigt wurde. Ziel der Ausstellung war es, sonst so schwierig zu organisierende finanzielle die Mehrheitsgesellschaft missverstanden wird, Leben in Deutschland zu spüren sind.
den Betrachtern eine aktuelle Sicht auf Aus- Unterstützung war dank der Robert Bosch Stif- ist Unbekanntes bekannt zu machen. „Und jetzt kommt auch noch der Islam“, werden
drucksformen islamisch geprägter Bildwelten tung in erster Linie nicht ein Feilschen ums Geld, Natürlich spielt Integration für den Deutschen einige sagen. „Der Islam gehört zu Deutsch-
zu vermitteln. Klassische Exponate islamischer sondern eine spannende inhaltliche Debatte. Kulturrat schon seit Jahren eine große Rolle. land“, hatte Bundespräsident Christian Wulff am
Kunst wurden in einen Zusammenhang zu Steinig war der Weg, weil im wahrsten Sinne des Wir haben vor rund einem Jahr einen Runden 3. Oktober 2010 in seiner Rede zum 20. Jah-
modernen und zeitgenössischen Positionen in Wortes viele spitze Steine und tiefe Fahrrinnen Tisch zusammen mit Migrantenorganisationen restag der Deutschen Einheit gesagt und damit
Graphik, Zeichnung und Malerei, Fotografie, beim Thema Islam vorhanden sind. Wir wollen eingerichtet und debattieren intensiv Fragen der nicht nur in seiner Partei, der CDU, eine Welle
Video-Kunst, Installation, Klang und Skulptur in diesem Dossier die üblichen Fahrrinnen, kulturellen Bildung. Wir geben dem Thema Inte- der Empörung ausgelöst. Der Ruf nach einer
gestellt. Konstruierte Grenzziehungen zwischen die sich gerade in den letzten Monaten in den gration in unserer Zeitung politik und kultur durch Leitkultur, die auf dem christlich-jüdischen Erbe
„Orient“ und Okzident“ galt es als Besucher zu Medien und der Politik durch die „Sarrazin- eine eigene regelmäßige Beilage ein deutliches beruhen soll, wird wieder lauter. Und haben
überdenken und einen umfassenden Einblick Hysterie“ noch tiefer eingegraben haben, so oft Gewicht und haben vor einigen Wochen in einem die Kritiker des Bundespräsidenten nicht recht:
in den Facettenreichtum islamischer Kunst aus wie möglich verlassen und ein möglichst weites Workshop die provozierende Frage gestellt „Ist Deutlich unter 3.000 Moscheen dürfte es in
Vergangenheit und Gegenwart zu erhalten. Wir und differenziertes Bild über den Islam, seine der Deutsche Kulturrat zu Deutsch?“. Aber wir Deutschland geben von denen sich die meisten
danken Almut Sh. Bruckstein Çoruh, der Ku- Kultur und Politik anbieten. Spitz sind die Steine, haben bislang bei dem Thema Integration ver- versteckt in Hinterhöfen befinden. Nur wenige
ratorin der TASWIR-Ausstellung, für die tat- weil besonders die Strukturen von Moscheen, sucht, religiöse Fragen weiträumig zu umschiffen. Minarette ragen bislang in den deutschen Him-
kräftige Unterstützung und die Bildberatung. islamischen Vereinen und Verbänden manchmal Obwohl Religion als Teil der Kultur natürlich bei mel und nur an wenigen Orten in Deutschland
schwer einzuschätzen sind. allen Debatten der letzten Jahre mitschwingt, ruft der Muezzin die Gläubigen hörbar zum
Wir danken dem Direktor des Museums für Die islamische Zivilgesellschaft ist eine un- ist die deutliche Benennung des Islams als kul- Gebet. Die über vier Millionen Muslime, die in
Islamische Kunst in Berlin, Stefan Weber, für bekannte Welt mitten unter uns. Aber es gibt turpolitische Größe in Deutschland eine neue Deutschland leben gehören zu Deutschland,
die freundliche Zurverfügungstellung von Ab- viele Ansätze der Öffnung dieser Welt und des Qualität. Schon bei dem Thema „Die Kirchen, aber auch der Islam?
bildungen von Exponaten aus der Museums­ Interesses an dieser Welt. Der Tag der offenen die unbekannte kulturpolitische Macht“ wurde Dieses Dossier will diese Frage diskutieren. Ich für
sammlung. Moscheen, der seit 2007 jährlich vom Koordi- deutlich, dass es nicht ausreicht festzustellen, meine Person kann nur sagen: Zweifellos gehört
Die abgebildeten Werke aus dem Museum nationsrat der Muslime in Deutschland durch- dass die beiden christlichen Kirchen wegen ihrer der Islam zu Deutschland, aber lesen Sie selbst....
für Islamische Kunst Berlin stehen nicht im geführt wird, ist eine solche Möglichkeit, die finanziellen Aufwendungen zu den zentralen
Zusammenhang zu den Abbildungen aus der von erfreulich vielen Bürgerinnen und Bürgern, kulturpolitischen Akteuren in Deutschland ge- Der Verfasser ist Herausgeber von
Ausstellung TASWIR. die mehr wissen wollen, genutzt wird. Eine der hören. Es musste auch benannt werden, wie und politik und kultur Und Geschäfts­
wichtigsten Voraussetzungen für Integration, die in welchem Umfang die Wirkungen der beiden führer des Deutschen Kulturrates
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 2

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Einladung zur konstruktiven Auseinandersetzung


Was ein Dossier „Islam · Kultur · Politik“ leisten kann / Von Olaf Hahn
Schon im Jahr 2006 betonte der damalige
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in
einer Regierungserklärung: „Der Islam ist
Teil Deutschlands und Europas. Der Islam
ist Teil unserer Gegenwart und unserer
Zukunft“. Diese Feststellung zeugt von
Weitsicht und Realismus. Heute gehören
fast vier Millionen Menschen in Deutschland
konfessionell zum Islam. In zahlreichen
Großstädten haben über die Hälfte der
unter sechsjährigen Kinder einen Mig-
rationshintergrund; viele von ihnen sind
Muslime. Es liegt auf der Hand, dass diese
Kinder in 20 bis 30 Jahren starken Einfluss
auf die Gestaltung unseres Gemeinwesens
ausüben werden, was zu Veränderungen in
nahezu allen Bereichen des Lebens führen
wird, auch in der Kultur. Es ist unabdinglich,
diese Veränderungen zu thematisieren und
fruchtbar zu machen, will man die Zukunft
dieses Landes gestalten. An genau dieser
Stelle setzt das vorliegende Dossier zu
„Islam · Kultur · Politik“ des Deutschen
Kulturrates an, indem es den Islam als kul-
turpolitisch für Deutschland relevante Grö-
ße ernst nimmt und aus unterschiedlichen
Perspektiven ins Gespräch bringt.

D as Begriffspaar Islam und Kultur wir ft


zahlreiche Fragestellungen auf. Muslime
stehen, ebenso wie Christen und Juden, in
einer vielschichtigen Kulturtradition, deren
Entstehung natürlich durch die Religion, aber
auch durch andere, sehr unterschiedliche
historische Gegebenheiten bedingt ist. Unter
Muslimen gibt es divergierende Sichtweisen
über das genaue Verhältnis von Islam und Kultur
– ist die Kultur, in der man lebt, im Wesentlichen
Ergebnis des muslimischen Glaubens? Oder sind
es andere Traditionslinien neben der Religion,
die in der eigenen Kultur zentrale Prägungen
hervorgebracht haben? Sicherlich sind es seit
dem 19. Jahrhundert vor allem auch europäische
Einflüsse, die die Sichtweise auf diese Frage in
muslimischen Gesellschaften bis heute weiter
prägen. Wie aber steht es mit dem Verständnis des
Begriffspaares in einer Einwanderungsgesellschaft
wie Deutschland, wo Muslime unterschiedlicher Parastou Forouhar: Rot ist mein Name, Grün ist mein Name (2008) [2]. Computergenerierte Farbzeichnungen. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Parastou Forouhar
geographischer Herkunft leben und inzwischen
in der dritten Generation Muslime geboren und Unter dem gleichen Titel führt die Landesregie- Ein Dossier „Islam · Kultur · Politik“ kann nur zur Lektüre anzubieten. Eines unserer Anliegen
aufgewachsen sind, denen Deutschland Heimat rung Baden-Württembergs in Partnerschaft mit am Anfang der Auseinandersetzung mit den wäre erfüllt, wenn das Dossier unter Muslimen
und Bezugspunkt ist? Dieses Dossier versucht, an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart unterschiedlichen Ausprägungen muslimischer als Zeichen von Respekt und Interesse aufge-
dieser Stelle Denkanstöße zu geben. und mit uns seit 2009 eine jährliche Konferenz Lebenswirklichkeit in Deutschland aus dem Blick- nommen würde – wir hoffen, dass es auch hier
Als der Deutsche Kulturrat mit dem Anliegen um durch, um diesen Beheimatungsprozess der isla- winkel der Kultur stehen. Es ist eine Einladung auf aufgeschlossene Leser stößt und fruchtbare
Unterstützung dieses ambitionierten Vorhabens mischen Religion zu begleiten und zu bilanzieren. an die Öffentlichkeit, sich aktiv und konstruktiv Diskussionen ermöglicht.
auf die Robert Bosch Stiftung zukam, waren wir Diese und viele weitere Initiativen haben dazu in diese Auseinandersetzung einzubringen.
sofort interessiert. Uns war klar, dass die hier beigetragen, dass sich zwischen muslimischen Ganz besonders freut uns, dass es durch die Der Verfasser leitet den Programmbe-
versammelten Texte gerade für die aktuelle Vereinigungen, Kommunen, Kirchen und dem Förderung der Robert Bosch Stiftung möglich reich „Gesellschaft und Kultur“ bei der
Diskussion um die Integration insbesondere von Land ein Klima des Vertrauens entwickelt hat. ist, dieses Dossier auch in Moscheevereinen Robert Bosch Stiftung
Muslimen eine Chance darstellt. Denn das Dossier
ermöglicht es dem Leser, sich auf der Grundla-

Islam · Kultur · Politik


ge eines breit verstandenen Kulturbegriffs mit
unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven
auseinanderzusetzen. Es trägt somit zur dringend
benötigten Versachlichung der aktuellen Debatte
bei. Ein Leitfaden durch das Dossier Islam / Von Gabriele Schulz und Stefanie Ernst
Angesichts der großen Zahl in Deutschland le-
bender Muslime kann in unserem Staat, in dem Islam · Kultur · Politik, dieser Dreiklang ist dass es „den“ Islam ebenso wenig gibt wie „das“ Bildung · Religion · Glaube
Religionen über den privaten Bereich hinaus öf- die Überschrift dieses Dossier. Er soll die Christen- oder „das“ Judentum. Der Islam ist
fentliche Aufgaben übernehmen, die Gestaltung Beziehung zwischen der Religion Islam, der eine Religion, die in den verschiedenen Regionen Im kommenden Jahr werden die ersten Studien-
des Zusammenlebens nicht ohne den Einbezug Kultur und der Politik aufzeigen und spie- der Erde sehr unterschiedliche Ausprägungen gänge für Islamische Studien eingerichtet. Hier
muslimischer Gruppierungen geschehen. Hier be- gelt zugleich die verschiedenen Abschnitte erfährt, die über die Unterscheidung in Sunniten, sollen Imame und Lehrer für den islamischen
findet sich Deutschland auf einem guten Weg: Die dieses Dossiers wider. Am Anfang stand Schiiten und Aleviten weit hinausgehen. Hier Religionsunterricht ausgebildet werden. Es wird
allseits erkannte Notwendigkeit, Körperschaften die Frage, wie sich dem Thema überhaupt wird zu Beginn aufgezeigt, wie groß die Gruppe damit Anschluss gesucht an die Ausbildung
des öffentlichen Rechts als Ansprechpartner des genähert werden soll und welche Autoren in der Muslime in Deutschland ist und aus welchen evangelischer und katholischer Theologen, die
Staates zu konstituieren, zum Teil gut entwickelte Frage kämen. Im Laufe der Zeit erwuchs das Herkunftsländern die Muslime stammen, um dem an staatlichen Universitäten stattfindet.
Modelle zu islamischem Religionsunterricht in Erfordernis zu entscheiden, was wegfallen Leser eine erste Orientierung zu geben. Religionsunterricht an Schulen ist immer auch
der Schule, die kürzlich beschlossene Einrichtung soll, was nicht aufgenommen werden kann Bekenntnisunterricht, das unterscheidet den Reli-
islamisch-theologischer Fakultäten an deutschen und damit aufgeschoben, aber nicht aufge- Judentum · Christentum · Islam gionsunterricht von Fächern wie Ethik, Werte und
Hochschulen und die damit absehbare Ausbildung hoben ist. Dieses Dossier soll ein „Apetizer“ Normen oder auch Lebenskunde. Wie islamischer
von Theologen, Lehrern und Imamen in Deutsch- sein, der Lust auf mehr macht. Lust mehr zu Geradezu leichtfertig wird in den gesellschaftli- Religionsunterricht aussehen sollte, wird hier eben-
land – all das sind bedeutende Etappen auf diesem erfahren über den Islam, seine Vielfalt, die chen Debatten vom christlich-jüdischen Erbe in so erörtert wie die Frage, welche Qualifikationen
Weg. In ihrer eigenen Fördertätigkeit im Kontext kulturellen Ausdrucksformen, über Muslime Deutschland gesprochen und der Islam als Ge- Imame in Deutschland benötigen, um ihrer Rolle in
der Integrationsthematik ist es der Robert Bosch und die Islampolitik in Deutschland. gensatz hierzu begriffen. Im Abschnitt „Judentum · der islamischen Gemeinschaft gerecht zu werden.
Stiftung ein wichtiges Anliegen, zu diesem Pro- Christentum · Islam“ wird diese Diskussion gegen
zess der Beheimatung des Islams in Deutschland
beizutragen, zu dem es keine Alternative gibt. So
haben wir beispielsweise gemeinsam mit der Aka-
A uch wenn in Deutschland die meisten Musli-
me Einwanderer sind, galt es immer wieder,
die Integrationsdebatte von der Diskussion um
den Strich gebürstet. Es wird aufgezeigt, dass das
Judentum und der Islam sehr viel mehr gemeinsam
haben als das Judentum und das Christentum.
Wissen über den Islam – Wissen
des Islams
demie der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Projekt den Islam zu trennen. Im Mittelpunkt dieses Allein die Idee der Trinität, Kern der christlichen Sind die Islamischen Studien ein Frontalangriff auf
„Gesellschaft gemeinsam gestalten – Islamische Dossiers steht nicht die Integration von Muslimen Botschaft, ist sowohl dem Judentum als auch dem die eingeführten Islamwissenschaften? Wird die
Vereinigungen als Partner in Baden-Württemberg“ in die deutsche, vornehmlich christlich geprägte Islam eine fremde Vorstellung, die an einen Ver- Islamwissenschaft durch die Islamischen Studien
erstmals islamische Vereinigungen und deren Gesellschaft, sondern der Islam, seine religiöse rat am Monotheismus grenzt. Eingegangen wird überflüssig? Mitnichten. Der Abschnitt „Wissen
weitgehend ungenutzte Integrationspotenziale und seine kulturelle Dimension. ebenso auf die Frage der Säkularisation im Islam. über den Islam – Wissen des Islams“ schlägt den
in ihren kommunalen und religiösen Beziehungs- Innerhalb dieses Schwerpunktes wird ein erster Bogen von der Betrachtung der Religion Islam hin
feldern in den Blick genommen. Dabei wurden Vielfalt des Islams Ausflug in die politische Diskussion gemacht, zu den Künsten, zur Kultur und zur Philosophie. Es
systematisch die Situation der Muslime in diesem wenn es um die Islamfeindlichkeit in Deutschland geht um den Kulturdialog in islamischen Ländern.
Bundesland sowie Erfahrungen der Integration auf Unter der Überschrift „Vielfalt des Islams“ sind geht oder auch um die Unterscheidung zwischen
kommunaler Ebene untersucht und beschrieben. Beiträge versammelt, in denen vermittelt wird, Islam und Islamismus. Weiter auf Seite 3
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 3

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Fortsetzung von Seite 2 Sendungen und Online-Portale zum Islam vor- muslimische Zivilgesellschaft, um die Deutsche Dieses Dossier kann und soll erst der Anfang
gestellt. Ferner kommen Muslime zu Wort, die Islam Konferenz als einen Dialogversuch zwischen einer Beschäftigung mit dem Islam unter kul-
Um besondere künstlerische Ausdrucksweisen, selbst journalistisch tätig sind beziehungsweise Staat und Muslimen. Gefragt wurden in diesem turpolitischem Blickwinkel sein. Weder war es
aber auch um die Frage, wie sich der Islam und Zeitschriften herausgeben. Die Literaturtipps zum Zusammenhang Bundestags- und Landtagsabge- möglich, noch angestrebt, alle Fragen und The-
die Kunst in islamischen Ländern durch den Ko- Schluss sollen zum Weiterlesen anregen. ordnete, inwieweit ihr muslimischer Glaube eine men in diesem Dossier zu behandeln. Weitere
lonialismus verändert haben. Rolle bei ihrer Arbeit spielt. Weiter in den Blick Auseinandersetzungen sollen folgen.
Zusammenleben in Deutschland genommen werden Fragen nach der Beziehung
Islam in den Medien von Scharia und Grundgesetz sowie die Sicht des
Das Zusammenleben in Deutschland steht im Verfassungsschutzes auf muslimische Verbände Gabriele Schulz ist Stellvertretende
Hier geht es zum einen um die Darstellung des Mittelpunkt des letzten Abschnitts. Hier werden und Organisationen. Mit einem Beitrag zur la- Geschäftsführerin des Deutschen Kul-
Islams in den Medien, besonders um die Frage, gesellschaftliche wie politische Debatten aufge- tenten Islamfeindlichkeit in Deutschland wird die turrates. Stefanie Ernst ist Referentin
inwieweit der Islam mit Terror und Islamismus griffen. Es geht um die rechtliche Anerkennung Brücke zurück geschlagen zum Thema „Islam in für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen
in Verbindung gebracht wird. Weiter werden der Zusammenschlüsse der Muslime, um eine den Medien“. Kulturrates

Islamische Vielfalt
Von den Gesichtern des Islams / Von Reinhard Baumgarten
Der Islam ist weltweit die am schnellsten Geschichte Brüche und Verwerfungen erlebt. Der Europas schlicht nicht möglich gewesen wäre. tut, haben die Debatten der vergangenen Mo-
wachsende monotheistische Religion. Mit Graben zwischen Sunniten (90 %) und Schiiten Die weltweit mehr als 1,4 Milliarden Muslime ste- nate deutlich gezeigt. Das Potential der Neuen
mehr als 1,4 Milliarden Anhängern bildet (10 %) ist wahrscheinlich mindestens so tief wie hen heute vor großen Herausforderungen. Diese kann genutzt werden, wenn die Furcht vor dem
er nach dem Christentum die zweitgrößte der Graben zwischen Katholiken und Protestan- Herausforderungen sind aufgrund nationaler und Fremden der Lust auf Neues weicht.
Religionsgemeinschaft. Muslime leben heute ten. Und ebenso wie beim Christentum weist regionaler Besonderheiten zwar sehr unterschied- Viele Missverständnisse im Umgang mit Muslimen
in nennenswerter Zahl auch in Ländern und die Geschichte des Islams dunkle Seiten der Be- lich. Doch in allen muslimischen Ländern gibt es in westlichen Ländern basieren auf einer ange-
Regionen, wo noch vor wenigen Jahrzehn- drängnis, der Unduldsamkeit und des Fanatismus eine erkennbare Grundthematik: Welche Aus- nommen kulturellen Überlegenheit, die in den
ten niemand mit ihrer dauerhaften Präsenz auf. Es ist unsinnig, das im Namen der jeweiligen wirkungen haben Globalisierung und Moderne, Vorwurf mündet, DER Islam kenne keine Aufklä-
rechnete: In der Europäischen Union mit Religion begangene Unrecht gegeneinander die beide in enger Wechselwirkung miteinander rung und habe deshalb Probleme mit Demokratie
ihren knapp 500 Millionen Einwohnern sind aufrechnen zu wollen. stehen, auf die jeweiligen Gesellschaften? und Moderne. Westlicher Überlegenheitsdünkel
es zwischen 18 und 20 Millionen; in Frank- Es ist auf der anderen Seite unlauter und unfair, In Deutschland sind viele Menschen der Meinung, hat viel mit einem an Ignoranz grenzenden Eu-
reich gibt es mehr als fünf Millionen und in 1.400 Jahre islamische Zivilisation durch die unser Land sei für beides gut gerüstet, weil wir als rozentrismus zu tun, der kulturelle Leistungen
Deutschland bis zu 4,3 Millionen Muslime. Brille kulturellen Überlegenheitsdünkels zu be- Reiseweltmeister rund um den Globus jetten und anderer Zivilisationen möglichst klein hält, um
Nach Jahrzehnten unscheinbarer Existenz in trachten. Kulturen entwickeln sich, sie werden jedes sichtbare Nabelpiercing per se Auskunft „eigenes“ Wirken groß erscheinen zu lassen. Ein
Hinterhofmoscheen sind Muslime in den ver- nicht über Nacht geboren. Die Entstehung von über unsere moderne Grundhaltung gibt. Die unvoreingenommener Blick in die Vergangenheit
gangenen Jahren mehr in Erscheinung und Zivilisationen sind fließende Prozesse. Vor 4.000 Probleme der deutschen Mehrheitsgesellschaft von Morgen- und Abendland könnte Erkenntnisse
ins Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft Jahren waren die Ägypter Träger der Hochkul- mit den hiesigen Muslimen zeugen indessen zu Tage fördern, die gegenseitigen Respekt und
getreten. Von muslimischen Extremisten ver- tur; vor 2.500 Jahren übernahmen Perser und davon, dass das Ausmaß der Globalisierung damit auch gegenseitiges Verständnis fördern. Der
übte Terroranschläge in New York, Bali, Ma- Griechen; vor 2.000 Jahren folgten die Römer; nur teilweise begriffen worden ist. Denn Globa- Islam hat viele Gesichter und Facetten: schöne
drid, London, Casablanca, Istanbul und an vor 1400 Jahren Muslime – und jenseits unseres lisierung bedeutet nicht nur Flexibilität bei der und hässliche, faszinierende und abstoßende.
zahlreichen anderen Orten der Welt haben eurozentrischen Weltbildes erklommen Inder Produktfertigung mit Blick auf die internationale Darin unterscheidet er sich nicht von anderen
viele Menschen hierzulande aufgeschreckt. und Chinesen ungeahnte kulturelle Höhen. Ein Konkurrenz. Sie bedeutet auch Zuwanderung, Religionen. Die Schönheit liegt bekanntermaßen
Eine seit September 2001 häufig gestellte wesentliches Merkmal von Hochkulturen besteht weil der Arbeitsmarkt es verlangt, weil es durch im Auge des Betrachters. Dessen Herausforderung
Frage lautet: „Warum hassen sie uns?“ Mit darin, dass sie auf Vorangegangenem gründen, moderne Technologien einen beispiellosen In- besteht darin, sich nicht zu Verklärung oder Dä-
„sie“ sind nicht nur verblendete Terroristen geerbte Wissensschätze nutzen und das Rad der formationsfluss gibt und weil Grenzen für Waren monisierung hinreißen zu lassen, sondern sich um
gemeint, sondern Muslime allgemein, die geistigen Schöpfung mit eigenen intellektuellen und Menschen immer durchlässiger werden. Verstehen und Verständnis zu bemühen.
aus einer Fülle von Gründen schnell unter Leistungen weiterdrehen. Genau das geschieht „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Men-
Generalverdacht geraten. Dabei wird oft während der islamischen Blütezeit zwischen dem schen.“ Von Max Frisch stammt diese zum geflü- Der Verfasser ist Fachredakteur in der
übersehen, dass die weitaus meisten Opfer 9. und 13. Jahrhundert. Von Wissenschaftlern gelten Wort gewordene Aussage. Die Menschen redaktion Religion, Kirche und Gesell-
terroristischer Anschläge religiös verbrämter muslimischer Reiche sind unendlich viele Impul- brachten ihre Religion, ihre Werte und ihre Tradi- schaft beim Südwestrundfunk und hat
Extremisten Muslime waren und sind, und se in Mathematik und Medizin, in Chemie und tionen mit. Wie schwer sich unsere Gesellschaft das ARD-Projekt „Gesichter des Islam“
dass Muslime mit großer Mehrheit den im Astronomie ausgegangen, ohne die der Aufstieg mit dem neuen Teil Deutschlands, den Muslimen, konzipiert
Namen des Islams verübten Extremismus
ablehnen.

D er zweite Grund dafür, warum der Islam in


den vergangenen Jahren zu einem Dau-
erthema geworden ist, sind innergesellschaftliche
Entwicklungen. Viele einst als Gastarbeiter nach
Deutschland gekommene Muslime sind nicht in
ihre Herkunftsländer zurückgekehrt. Sie haben
hier Familien gegründet, Existenzen aufgebaut,
Karriere gemacht und damit begonnen, ihr
Gemeindeleben zu organisieren. Dazu gehören
auch der Bau sichtbarer und mitunter repräsen-
tativer Moscheen, die Einforderung von Verfas-
sungsrechten sowie der Wunsch nach Lehrer- und
Imamausbildung.
Es hat ein halbes Jahrhundert muslimischer
Zuwanderung nach Deutschland gebraucht, bis
der CDU-Grande und damalige Bundesinnen-
minister Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der
Deutschen Islam Konferenz (DIK) im September
2006 bemerkte: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“
Niemand regte sich damals darüber auf. Erst als
Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede
zum Tag der deutschen Einheit 2010 feststellte,
auch der Islam gehöre zu Deutschland, bra-
chen lautes Heulen und Zähneknirschen unter
Politikern, Publizisten und einfachen Bürgern
los. Warum tun sich viele Menschen mit dieser
Feststellung hierzulande so schwer? Knapp die
Hälfte der hier lebenden Muslime sind deutsche
Staatsbürger. Sie haben die gleichen Rechte
und Pflichten wie alle Bürger unseres Landes –
ihr Glaube darf dabei keine Rolle spielen. Eine
gefühlte und angenommene Fremdheit steht wie
eine unsichtbare Mauer zwischen Nichtmuslimen
und Muslimen. Zentrale Elemente dieser Mauer
sind Unwissen von- und übereinander und sich
daraus speisende Vorurteile.
Der Islam kann ebenso wenig wie das Chris-
tentum als ein monolithischer Block angesehen
werden. Er ist ungemein vielfältig und facetten-
reich. In 57 Ländern der Welt stellen Muslime
eine Bevölkerungsmehrheit. In Dutzenden von
Staaten bilden sie beachtliche Minderheiten. Die
weitaus meisten Muslime leben heute außerhalb
der einstigen nahöstlichen Stammlande. Sie sind
in Indien, Pakistan, Bangladesch, Malaysia, China
und vor allem Indonesien zu Hause. Der Islam Taysir Batniji: Voyage Impossible (2002-2009). Performance und Installation. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne, Austellungsraum „Impossible Journey“
hat ebenso wie das Christentum im Laufe der © Taysir Batniji & gallery Sfeir-Semler, Foto: Di Mackey
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 4
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Was glauben Muslime?


Grundsätze und Ziele des Islams / Von Aiman A. Mazyek
Alle reden über den Islam, kaum einer fragt Der Islam garantiert die Freiheit der Religionsaus-
die Muslime selber nach ihrer Religion. Und übung, manifestiert in den Koranversen „Es gibt
wer das Wort Scharia meint aussprechen keinen Zwang im Glauben“ (2:256) und „Euch
zu können, denkt, er wäre schon Experte. eure Religion und mir meine Religion“(109:6).
Dies beschreibt ungefähr die gegenwärtige Daraus leitet der Zentralrat der Muslime in
Situation der hektischen Islamdebatte hier- Deutschland in seiner im Jahre 2002 heraus-
zulande. Passend und beinah entlarvend, gegebenen „Islamischen Charta“ ab: „Daher
was Johann Wolfgang von Goethe bereits akzeptieren sie [die Muslime: Anm. d. Red.] auch
zu Anfang des 19. Jahrhunderts in seinem das Recht, die Religion zu wechseln, eine andere
West-östlichen Divan dazu zu sagen pflegte: oder gar keine Religion zu haben.“
Der Großteil der islamischen Gelehrten und der
Muslime in Deutschland allemal sind sich darin
„Närrisch, daß jeder in seinem Falle
einig, dass es keine Rivalität zwischen Koran und
Seine besondere Meinung preist!
dem Grundgesetz gibt – man kann eine guter
Wenn Islam Gott ergeben heißt,
Muslim sein und (deshalb gerade) ein guter und
Im Islam leben und sterben wir alle.“
loyaler Staatsbürger. Unmissverständlich heißt
(Hamburger Ausgabe, Bd.2, S. 56)
es an anderer Stelle in der Charta: „Das Gebot

D er Islam – übersetzt Frieden und Hingabe zu


Gott – geht von der Einheit der Menschheit aus
und betrachtet die Menschen als eine gemeinsame
des islamischen Rechts, die jeweilige Rechtsord-
nung anzuerkennen, schließt die Anerkennung
des deutschen Ehe-, Erb- und Prozessrechts ein.
Gesellschaft (Gemeinschaft). Die Menschen sind Die Existenz verschiedener Religionsgemein-
Geschöpfe des Einen Schöpfers und Kinder eines schaften ist ebenfalls von Gott gewollt, „denn
gemeinsamen Vaters und einer gemeinsamen wenn Allah gewollt hätte, hätte Er euch (Juden,
Mutter, Adam und Eva. Er betrachtet sich nicht als Christen und Muslime) zu einer einzigen Ge-
eine besondere Gesellschaft mit Vorrechten unter meinschaft gemacht. Doch will Er euch prüfen
den Menschen, sondern ist verpflichtet, Gerechtig- in dem, was Er euch hat zukommen lassen. So
keit und Güte allen Menschen entgegenzubringen. eilt zu den guten Dingen um die Wette. Zu Gott
werdet ihr allesamt zurückkehren, dann wird Er
Gottes Barmherzigkeit euch kundtun, worüber ihr uneins waret.“
Als abrahamitische Religionen und Träger gött-
Jeder Mensch ist für seine Taten verantwortlich, licher Offenbarungen, als „Leute der Schrift“
für die er am Jüngsten Tag Rechenschaft ab- müssen Muslime Juden und Christen respektie-
legen muss und für die er letztendlich bestraft ren und anerkennen. Zudem spricht der Koran
wird (Hölle) oder belohnt wird (Paradies). Dabei von allen Propheten und vor allem von Moses
kann und soll der Gläubige stets auf Gottes und Jesus mit großem Respekt. Jesus wird von
Barmherzigkeit hoffen. Gott stellt seine Barm- den Muslimen als großartiger Prophet mit einer
herzigkeit gegenüber seinen Geschöpfen im großartigen Mutter verehrt: „Und Wir haben
Koran als grenzenlos dar. In einem Ausspruch des Jesus, dem Sohn Marias, die deutlichen Zeichen
Propheten spricht Gott: „Meine Barmherzigkeit zukommen lassen und ihn mit dem Geist der
überwiegt meinen Zorn“. Barmherzigkeit ist im Heiligkeit gestärkt.“(2:253).
Übrigen die Eigenschaft Gottes, die im Koran die Der Koran verpflichtet die Muslime, mit den
häufigste Erwähnung findet. Von 112 Suren des Andersgläubigen den Dialog auf beste Art und
Korans beginnen 111 mit den Worten „Im Namen Weise zu führen. „Und streitet mit ihnen auf die
des Allerbarmers des Barmherzigen.“. beste Art.“ (29:46). Hier ist „streiten“ im Sinne von
Unser Bündnis mit Gott ist stets von der Hoffnung Streitkultur gemeint. Durch die Erlaubnis einer Kalligrafie persischer Verse des Mogulprinzen Dara Shikoh, Miniatur, Indien 1630-31 (Inv.-Nr. I. 4597, fol. 8r)
getragen, dass unsere Vergehen und Versäum- Tisch- und Ehegemeinschaft mit Christen und © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Georg Niedermeiser
nisse vom Barmherzigen vergeben werden. Gott Juden wird den Muslimen die gesellschaftliche
sagte mittels seines Gesandten Mohammad: „O Praktizierung ermöglicht. bis hin zum Koran, der letzten dieser Offenbarun- menschlichen Fortschritts und zur Vervollkomm-
Mensch, wenn auch deine Missetaten bis zu den Die Grundlage für einen zivilisierten Umgang gen, die unverfälscht geblieben ist, und die all das nung der Moral bleiben muss.
Wolken des Himmels reichten, und du Mich um miteinander ist uns durch unsere Religionen enthält, was der Mensch zu einem gottgewollten
Vergebung bittest, so vergebe ich dir.“ (Hadith gegeben. Gerade bei den drei monotheistischen Leben benötigt. Ziele des Islams
kudsi nach at-Tirmisi). Weltreligionen überwiegen die Gemeinsamkeiten.
Eindringlich ruft Gott die Menschen im Koran auf: Einheit Lebensweg Der Islam befasst sich nicht nur mit dem ewigen Le-
„Verliert nicht die Hoffnung auf Gottes Barmher- Das Gottesbild ben im Jenseits, sondern er richtet sein Augenmerk
zigkeit. Gewiss, Gott vergibt alle Sünden. Er ist Der Islam ist ein Lebensweg, der sich auf alle in gleichem Maße auch auf das diesseitige Leben.
ja der Allvergebende und Barmherzige.“ (Sure Der Islam verkündet eine reine Form des Mono- Bereiche des menschlichen Daseins erstreckt und Sittliche Vollkommenheit, sozialer Fortschritt, wirt-
39: Vers 53). theismus. Gott ist der Eine Gott; Er ist unteilbar der in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der schaftliche Gerechtigkeit, zwischenmenschliche
und hat niemand neben sich. Er ist unvergleich- Natur, ihren Gesetzen und ihren Anforderungen Liebe und Barmherzigkeit, politische Vernunft
Toleranz und Achtung gegen- lich und nichts ist Ihm auch nur ähnlich. Nichts steht. Islam ist das in die Praxis umgesetzte Wis- und Friede sind Ziele, die der Islam zur Erreichung
über Andersgläubigen geschieht ohne Seinen Willen. Er ist der Erste, sen um die Existenz Gottes, die Wahrhaftigkeit wahren menschlichen Glücks in diesem Leben und
der Letzte, der Ewige, der Unendliche, der All- Seiner Propheten, Seiner Bücher, Seiner Engel im jenseitigen Leben zu verwirklichen sucht.
Der Islam bedeutet Frieden und der Muslim ist mächtige, der Allwissende. Er ist der Schöpfer und des Lebens nach dem Tode. Ein Muslim
angehalten, mit Gott, seinen Mitmenschen und und Erhalter aller Dinge. Er ist der Gerechte, ist derjenige, der die Gesetze Gottes in allen Pflichten des Muslims und die
sich selber in Frieden zu leben. Das tägliche der Allerbarmer, der Gnädige, der Liebende, Lebenssituationen befolgt, und die islamische fünf Säulen des Islams
„Salamu alaikum“ (übersetzt „Friede sei auf der Gütige, der Erhabene, der Preiswürdige, der Gesellschaft ist die nach Wissen um den Willen
Dir“) – der muslimische Friedensgruß – erzieht Wahrhaftige. Seine Eigenschaften und Namen Gottes strebende Gemeinschaft, in der jeder Ein- Zur ersten Säule im Islam gehört die „Shahada“,
uns zu dieser Haltung. sind in den 99 Namen im Koran beschrieben. zelne direkt und ohne Vermittlung eines Priesters das Glaubensbezeugnis im Islam: „La Ilaha illahl-
Die Verschiedenartigkeit und bunte Vielfalt der mit Gott in Verbindung steht. Und schließlich ist lah wa muhammad al-rasullalllah“ – übersetzt
Menschen ist übrigens ein Zeichen Gottes und von Einheit der Religionen die islamische Gesellschaft die jedem Nichtmus- aus dem Arabischen: „Es gibt keinen Gott außer
Gott gewollt:„Oh ihr Menschen, Wir haben euch lim respektvolle Toleranz entgegenbringende Allah und Muhammad ist sein Gesandter. Der
von einem männlichen und weiblichen Wesen er- Der Islam betont den einheitlichen Ursprung aller Gemeinschaft der Gottgläubigen, denn das Wort Islam schreibt den Gläubigen das tägliche Gebet
schaffen, und Wir haben euch zu Verbänden und monotheistischen Religionen. Nach seiner Lehre Islam hat sowohl die Bedeutung Hingabe und vor. Dadurch wird neben der äußeren Reinigung
Stämmen gemacht, damit ihr einander kennen sind dem menschlichen Geist, trotz seiner großen Unterwerfung unter den Willen Gottes, als auch durch Waschung auch die Reinigung der Seele er-
lernt. Der Angesehenste von euch bei Gott, das ist Möglichkeiten, bestimmte Grenzen gesetzt, die die Bedeutung Frieden. zielt. Die Vermögensabgabe (Zakat) ist nicht nur
der Gottesfürchtigste von euch.“ (49:13) (4:1). Das er weder mit den exakten, noch mit empirischen ein Faktor des sozialen Systems des Islams, son-
ist der Grund der Verschiedenheit der Menschen, Wissenschaften überschreiten kann. So liegt für Vernunft und die Pflicht nach dern auch gleichzeitig ein Mittel zur seelischen
damit sie einander kennenlernen. den Menschen das sichere Wissen um die letzten Wissen zur Pflicht Entlastung, denn sie soll allein aus dem Glauben
Maßstab und Bewertung aller Menschen ist nicht Wahrheiten jenseits dieser Grenzen, und die an Gott gezahlt werden. Das vorgeschriebene
ihre Volks- oder Rassenzugehörigkeit, sondern einzige Quelle, die dem Menschen für die Errei- Der Islam betrachtet die Vernunft als ein kenn- Fasten im Monat Ramadan gibt dem Gläubigen
die Gottesfürchtigkeit, d.h. die Tat und die chung dieses Wissens offen steht, ist die göttliche zeichnendes Merkmal des Menschen und als eine nicht nur ein Mittel zur Erlangung von Selbstbe-
Rechtschaffenheit eines Menschen machen ihn Offenbarung, die ihm von Anbeginn der Zeit zur Gabe Gottes. Sie ist der Grund für die Verantwort- herrschung, sondern erinnert ihn auch an die
zu einem besseren oder schlechteren Menschen. Verfügung stand. Die Propheten des Einen Gottes lichkeit des Menschen vor Gott und gleichzeitig Herabsendung des heiligen Korans. Die Pilger-
erschienen im Verlauf der Geschichte in jedem sein Führer in allen Lebenssituationen. Weil der fahrt nach Mekka schließlich lässt den Gläubigen
Land und bei jeder Gemeinschaft und über- Islam der Vernunft einen so bedeutenden Platz ein- die Hinwendung an Gott, die Opferbereitschaft
Islam in Deutschland brachten den Menschen die Weisungen Gottes. räumt, darf es für menschenverachtende Kulte und und die Brüderschaft der Muslime aus aller Welt
Die Menschheit wurde so auf die letzte und an willkürlich verhängte Dogmen keinen Platz geben. spüren. Neben diesen Hauptpflichten, die dem
Über vier Millionen muslimische Bürger leben die ganze Welt gerichtete Botschaft stufenweise Der Islam macht das Streben nach Wissen zur Gläubigen vorgeschrieben sind, gehören noch zu
in Deutschland, davon sind knapp die Hälfte vorbereitet. Diese letzte göttliche Offenbarung, Pflicht eines jeden Muslims. Er geht sogar so den islamischen Vorschriften weitere Gebote und
deutsche Staatsbürger und die Hälfte davon die durch den letzten Propheten Muhammad weit, die wissenschaftliche Arbeit zum Gottes- Verbote, die dem Menschen den Weg zu einem
hat türkische Wurzeln. Knapp die Hälfte der überbracht wurde, berichtigt und ergänzt alle dienst zu erheben. In ständigem Appell fordert glücklichen Leben in dieser Welt und einem gott-
vier Millionen Muslime hierzulande besucht vorherigen Botschaften Gottes. der Koran den Menschen dazu auf, die Natur nahen ewigen Leben im Jenseits weisen. Somit
regelmäßig bis sporadisch die über 2.000 Diese letzte ist bis auf den heutigen Tag den zu erforschen, damit er die Existenz Gottes und kann jede Arbeit des Menschen zum Gottesdienst
Moscheen, welche weitestgehend als soge- Menschen unverändert geblieben. Der Muslim Seine Eigenschaften erkennt. Im Koran findet werden, nämlich dann, wenn sie gemäß der
nannte Hinterhofmoscheen bekannt sind. glaubt an alle Propheten, von Adam über Abra- der Muslim die Grundlagen und Richtlinien für prophetischen Tradition und mit der aufrichtigen
Bisher sind davon über 160 durch Moscheen ham, Moses, Jesus bis hin zu Muhammad ohne ein wissenschaftliches Forschen. Die einzige Absicht gegenüber Gott durchgeführt wird.
mit muslimischer Architektur ersetzt worden. Unterschied und verehrt sie alle. Die Muslime Einschränkung auf diesem Gebiet besteht darin,
Aiman A. Mazyek glauben an alle göttlichen Offenbarungen, von dass die Forschung selbst nie zum Ziel werden Der Verfasser ist Vorsitzender des Zen-
der Thora über die Psalmen und das Evangelium darf, sondern immer ein Mittel zur Erreichung tralrats der Muslime in Deutschland
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 5
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Herkunft, Glaubensrichtung, Bildung, Partizipation


Vom Eins-Werden und vom Einssein / Von Sonja Haug
In der Diskussion um muslimische Zuwan- Muslimen und den Angehörigen einer anderen die Anwerbung niedrig qualifizierter Arbeits- mehr als die Hälfte der Muslime über 16 Jahre
derer wird selten auf die Vielschichtigkeit Religion zeigen außerdem, dass starke Religio- migranten vor 1973 und den Familiennachzug Mitglied in einem deutschen Verein, hierbei 37
des muslimischen Lebens in Deutschland sität keine Besonderheit der Muslime ist. Bei den zurückzuführen. Prozent ausschließlich in deutschen Vereinen und
eingegangen. Ein Blick auf die verfügba- meisten Herkunftsregionen unterscheiden sich Differenziert man nach erster und zweiter Zu- 18 Prozent in deutschen und herkunftslandbezo-
ren Daten kann hier aufschlussreich sein Muslime und Angehörige einer anderen Religion wanderergeneration zeigt sich bei allen Her- genen Vereinen.
und dient zudem der Versachlichung. Im in Bezug auf die Gläubigkeit nur geringfügig. In kunftsgruppen, dass in Deutschland Geborene Am häufigsten ist dabei die Mitgliedschaft in
Rahmen einer bundesweit repräsentativen der Religiosität spiegelt sich somit unabhängig – die sogenannte zweite Zuwanderergeneration einem Sportverein. 28 Prozent der Muslime sind
Studie des Bundesamtes für Migration und von der Religionszugehörigkeit ein Aspekt der – deutlich häufiger als ihre Elterngeneration ei- in einem deutschen und acht Prozent in einem
Flüchtlinge wurden im Jahr 2008 im Auftrag Herkunftskultur wieder. nen Schulabschluss erwirbt. Noch immer jedoch herkunftsbezogenen Sportverein. Bedeutend sind
der Deutschen Islam Konferenz 6.000 Haus- Betrachtet man die religiöse Alltagspraxis, wie erreichen 13 Prozent der zweiten Generation weiterhin berufsbezogene Organisationen wie
halte aus fünfzig muslimisch geprägten das Beten, das Begehen religiöser Feste, die keinen Schulabschluss. Bei den aus der Türkei Gewerkschaften und Berufsverbände. Eine weite-
Herkunftsländern befragt. Einhaltung religiöser Speisevorschriften und stammenden Männern der zweiten Generation re Gruppe von Organisationen sind Bildungs- und
Fastengebote, bestehen unter den Muslimen sind es 15 Prozent, bei aus Nordafrika stammen- Kulturvereine. Zehn Prozent der Muslime sind in
Muslime in Deutschland große Unterschiede je nach Herkunftsregion und den Migranten 12 Prozent. einem deutschen Bildungsverein Mitglied, fünf
kommen aus einer Vielzahl je nach Glaubensrichtung. Ein intergenerationaler Bildungsaufstieg lässt Prozent in einem herkunftslandbezogenen Bil-
Obwohl die Religiosität und die religiöse Praxis sich auch daran erkennen, dass 48 Prozent der dungsverein. Fast ebenso hoch ist die Partizipation
von Herkunftsländern bei Muslimen stark ausgeprägt ist, sind nur 20 männlichen Zuwanderer einen Abschluss einer in Kulturvereinen, wobei hierbei die Kultur des

D ie Ergebnisse belegen, dass zum Teil erheb-


liche Anteile der Personen mit Migrationshin-
tergrund aus den untersuchten Herkunftsländern
Prozent Mitglied in einem religiösen Verein oder
einer Gemeinde. Auch die in der Deutschen Islam
Konferenz vertretenen muslimischen Verbände
weiterführenden Schule oder die Hochschul-
reife aus dem Herkunftsland mitbrachten, in
der zweiten Generation bereits 64 Prozent die
Herkunftslandes etwas stärker im Mittelpunkt des
Interesses steht. Acht Prozent sind in einem her-
kunftslandbezogenen Kulturverein Mitglied, aber
sich selbst nicht als Muslime betrachten. Beispiels- sind bei Muslimen relativ unbekannt. Noch ge- mittlere Reife bzw. das Abitur erlangen. Bei einer neun Prozent in einem deutschen Kulturverein.
weise gehören fast 40 Prozent der Migranten aus ringer ist deren Vertretungsleistung aus Sicht der Betrachtung der Geschlechterunterschiede lässt Die Mitgliedschaft in einem Bildungs- oder Kul-
dem Iran gar keiner Religionsgemeinschaft an. Muslime – weniger als ein Viertel fühlen sich von sich insbesondere unter den türkeistämmigen turverein nimmt somit bei Muslimen einen relativ
Aus anderen überwiegend muslimisch gepräg- einem der Verbände vertreten. Frauen ein bemerkenswerter Bildungsaufstieg hohen Stellenwert ein. Hochgerechnet geben
ten Herkunftsländern wie etwa dem Irak oder erkennen. Waren noch 42 Prozent der türkei- 380.000 Personen an, in einem deutschen Bil-
afrikanischen Ländern sind verstärkt Angehörige Nicht alle muslimischen stämmigen Frauen der ersten Generation ohne dungsverein Mitglied zu sein. 376.000 erklären,
religiöser Minderheiten wie Christen zugewan- Zuwanderer sind bildungsfern jeglichen Schulabschluss zugewandert, so liegt in einem Kulturverein Mitglied zu sein (doppelte
dert. Aus der religiösen Zusammensetzung der dieser Anteil in der zweiten Generation bei knapp Mitgliedschaften können dabei vorkommen). Die-
Bevölkerung des Herkunftslandes kann daher Häufig wird davon ausgegangen, dass Muslime 14 Prozent, 21 Prozent erreichen die Hochschul- se hohe Beteiligung an Vereinen, sei es im Sport
nicht automatisch auf die Religion der in Deutsch- in Deutschland generell bildungsfern sind, eine reife. Bei Muslimen lässt sich somit ebenso wie oder im Bildungs- und Kultursektor, kann als ein
land lebenden Migranten geschlossen werden. Annahme, die aufgrund des Hintergrunds der allgemein ein Trend zu höheren Schulerfolgen Hinweis für eine zunehmende soziale Integration
Hinsichtlich der regionalen Herkunft handelt Zuwanderung aus ländlich geprägten Regionen bei Mädchen im Vergleich zu Jungen beobachten. der Muslime gewertet werden.
es sich bei den Muslimen in Deutschland um weniger entwickelter Herkunftsländer plausibel
eine sehr heterogene Bevölkerung. Wie zu scheint. Zuwanderer aus muslimisch geprägten Muslime integrieren sich in Die Verfasserin ist Professorin für
erwarten, dominiert die große Gruppe der Tür- Herkunftsländern, wie z.B. aus dem Iran, aber deutschen Vereinen Empirische Sozialforschung an der
keistämmigen. So haben knapp 2,6 Millionen auch aus dem Nahen Osten, Nordafrika, Zent- Hochschule Regensburg und leitete
der in Deutschland lebenden Muslime türkische ralasien oder Süd-/Südostasien, weisen jedoch Die soziale Integration hängt auch mit der Betei- bis 2009 das Forschungsfeld Empiri-
Wurzeln. Aus den südosteuropäischen Ländern häufig ein hohes Bildungsniveau auf. Insofern ligung an zivilgesellschaftlichen Organisationen sche Sozialforschung des Bundesam-
Bosnien-Herzegowina, Bulgarien und Albanien stimmt die Aussage der Bildungsferne nur be- zusammen, seien es Migrantenorganisationen tes für Migration und Flüchtlinge
stammen etwa 550.000 Personen. Die dritt- dingt und trifft nur auf einzelne Gruppen zu, oder herkömmliche Vereine. Vier Prozent der
größte muslimische Bevölkerungsgruppe in hierbei vor allem auf türkeistämmige Zuwanderer Muslime engagieren sich ausschließlich in einem Die Studie kann unter www.bamf.de/forschung
Deutschland sind 330.000 Migranten aus dem und Migranten aus Südosteuropa. Dies ist auf herkunftslandbezogenen Verein. Dagegen sind heruntergeladen oder bestellt werden.
Nahen Osten, hauptsächlich aus dem Libanon,
dem Irak, Ägypten oder Syrien. Aus Nordafrika
kommen 280.000 der in Deutschland lebenden
Muslime, die Mehrzahl davon aus Marokko.
Kleinere Gruppen stammen aus Zentralasien,
Iran, Süd-/Südostasien und dem sonstigen Afrika.
Eine pauschalisierende Bewertung dieser Bevöl-
kerungsgruppe ist angesichts ihrer unterschiedli-
chen Herkunftskontexte, Zuwanderungsmotive,
Aufenthaltsdauer und auch unterschiedlichem
Integrationsstand nicht angemessen.

In Deutschland leben etwa vier


Millionen Muslime
Die Hochrechnung auf Basis der direkten Be-
fragung ergab, dass in Deutschland etwa vier
Millionen Muslime leben. Damit ist der Islam in
Deutschland die drittgrößte Religionsgemein-
schaft, mit großem Abstand zu den Christen – die
katholische und die protestantische Kirche haben
jeweils etwa 24 Millionen Mitglieder.
Muslime stellen einen Anteil von rund fünf Pro-
zent der Gesamtbevölkerung. Die in Deutschland
lebenden Personen mit Migrationshintergrund
umfassen nach dem Mikrozensus 2007 insge-
samt etwa 15 Millionen. Etwa ein Viertel von
ihnen ist muslimischen Glaubens. Die Muslime
verteilen sich auf das gesamte Bundesgebiet
mit Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen,
Baden-Württemberg und Bayern. Rund 45 Pro-
zent der in Deutschland lebenden Muslime mit
Migrationshintergrund sind deutsche Staatsan-
gehörige. Muslime weisen eine relativ junge
Bevölkerungsstruktur auf, ein Viertel ist im Alter
unter 16 Jahren.

Drei Viertel der Muslime in


Deutschland sind Sunniten
Die größte konfessionelle Gruppe bilden mit 74
Prozent die Sunniten. Sieben Prozent der Muslime
sind Schiiten, zumeist aus dem Iran, und sechs
Prozent sind Anhänger spezieller Glaubensrich-
tungen, wie Sufis, Ibaditen oder Ahmadis. Dane-
ben leben in Deutschland 13 Prozent Aleviten –
diese stammen fast ausschließlich aus der Türkei.
Die überwiegende Mehrheit der Muslime ist
gläubig, insgesamt 86 Prozent schätzen sich
selbst als stark oder eher gläubig ein. Religiosität
ist insbesondere bei türkeistämmigen Muslimen
und Muslimen afrikanischer Herkunft ausge-
prägt. Dagegen ist sie bei iranischstämmigen
Muslimen eher gering. Zehn Prozent sehen sich
als sehr stark gläubig, aber etwa ein Drittel
als gar nicht gläubig. Vergleiche zwischen den Parastou Forouhar: Rot ist mein Name, Grün ist mein Name (2008) [3]. Computergenerierte Farbzeichnungen. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Parastou Forouhar
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 6
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Denken lassen: Das islamische Denken...


Deutschland kann der Ort einer modernen Theologie werden / Von Katajun Amirpur
Viele islamische Denker und Intellektuelle
teilen heute das Ansinnen, dass das isla-
mische Denken einen Erneuerungsprozess
durchmachen muss. Doch andererseits ver­­-
hindern die politisch-gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen vielerorts in der is­lami­
schen Welt, dass Debatten über Reforman-
sätze geführt werden können. Deutschland
könnte theoretisch ein solcher Denkraum
sein, den das islamische Denken dringend
bedarf. Es bedarf einer freiheitlichen Um-
gebung, um sich kreativ der gegenwärtigen
Problemlage widmen zu können.

M ohsen Kadivar und Mohammad Shabestari


sind zwei iranische Geistliche, die sich um
ein modernes Verständnis von Religion bemühen.
Beide haben nach Wegen gesucht, Demokratie
und Menschenrechte mit den Vorschriften des
Islams in Einklang zu bringen oder zumindest
auszusöhnen. Gleichzeitig stehen sie exempla-
risch dafür, mit welchen Sanktionen zu rechnen
ist, wer für einen modernen Zugang zur korani-
schen Offenbarung oder für einen Neuansatz in
der islamischen Rechtswissenschaft eintritt: Moh-
sen Kadivar, der heute im US-amerikanischen
Exil lebt, wurde für seine Ideen inhaftiert und
inzwischen für vogelfrei erklärt. Mohammad
Mojtahed Shabestari wurde zwangsemeritiert
und zum Ketzer erklärt. Als Denker, die in einem
real existierenden islamistischen Staat lebten,
mag sich ihnen die Notwendigkeit der Reform
stärker gestellt haben. Ihr Denken könnte jedoch
für die Lösung des Problems, das sich den Mus-
limen heute stellt, deutlich nutzbarer gemacht
werden, wären sie nicht der ständigen Gefahr
ausgesetzt, für ihre Ideen mit Leib und Leben
bezahlen zu müssen.
Dabei ist ihr Anliegen nicht einmal neu: Schon
die Gründungsväter des islamischen Reformis-
mus, Jamal ad-Din al-Afghani, Muhammad
Abduh und Rashid Rida plädierten für eine
innere Reform des Islams. Die Rückständigkeit
der islamischen Welt habe ihre Ursache in
einem statischen, inflexiblen Islamverständnis
und der blinden Nachahmung der Altvorderen.
Deshalb forderten sie eine moderne, den ver-
änderten Umständen angepasste Interpretation
des Korans. Dieser Ansatz hat im Wesentlichen
heute noch Bestand und das Gleiche gilt für die
grundsätzliche Frage, die mittels dieses Ansatzes
gelöst werden soll: Wie kann der Muslim gleich-
zeitig modern und authentisch sein? Und diese
Frage betrifft die in Deutschland und Europa wie
die in islamischen Ländern lebenden Muslime
gleichermaßen.
Kadivars Hauptthese, die sicherlich der Aus-
sage Recht gibt, er sei ein post-islamistischer
Intellektueller, könnte man folgendermaßen zu-
sammenfassen: Die Menschen erwarteten zwar,
dass ihnen die Religion generelle Prinzipien und
Werte an die Hand gebe, aber die praktischen
Angelegenheiten gehörten eher in den Bereich
der sogenannten „menschlichen Erfahrungen“, Buthayna Ali: We (nous/nahnu) (2006). Installation. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Buthayna Ali
eine Formulierung, die ein Code sein dürfte für
„säkulare Normen“. Deshalb würden, so Kadivar, unterschiedliche politische und ökonomische er 1978 nach Iran zurückgekehrt war, wurde in der menschlichen Praxis der Sprache behei-
in unterschiedlichen geschichtlichen Perioden Systeme benötigt. Shabestari 1980 Mitglied des Parlaments, ent- matet. Die Textwerdung in einer menschlichen
Kadivars Lösung für die Frage, wie Muslime heute fremdete sich dem Regime aber schnell. 1985 Sprache sei ohne einen menschlichen Sprecher
gleichzeitig religiös sein und die Menschenrechte wurde er auf einen Lehrstuhl für Theologie an nicht möglich, denn nur ein Mensch beherrsche
Koran und Sunnah (Lebens- akzeptieren können, ist der von ihm sogenannte die Universität Teheran berufen und spezialisierte das Sprachspiel.
„spirituelle Islam“. Den spirituellen Islam versteht sich neben der islamischen Philosophie auf das Diese These, mit der sich Shabestari gegen das
weise) des Propheten er als die Alternative zum Rechtsislam, dem es um Fach Vergleichende Religionswissenschaften. zentrale Dogma des Islams wendet, ist sehr an-
Der Koran gilt als heiliges von Gott geoffen- die bloße Durchsetzung der rechtlichen Vorschrif- Seinen Lehrstuhl musste er allerdings nach einer greifbar. Denn es ist nicht umsonst ein Axiom
bartes Wort, welches als Rechtleitung, wie ten in der Gesellschaft geht. Der spirituelle Islam Säuberungsaktion Mahmud Ahmadinejads an islamischen Glaubens, dass im Koran Gott spricht.
zuvor die Thora und das Evangelium, den besinnt sich dagegen auf die Ziele der Offen- den Universitäten, der zahlreiche Dozenten zum Der Korantext sagt dies so eindeutig aus, und es
Menschen dient. Zu unterschiedlichen Situa- barung und bezieht die zeitlichen und örtlichen Opfer fielen, im Jahre 2007 aufgeben. geht so deutlich aus ihm hervor, dass die Theo-
tionen in einem Zeitraum von insgesamt 23 Umstände des Zeitalters ihrer Herabsendung Kurz nach seiner Zwangsemeritierung ist Shabe- logen im Islam nicht einmal die Notwendigkeit
Jahren gelangten die über 6.000 Verse als mit ein. Er orientiert sich am Geist der Religion stari mit einer neuen These an die Öffentlichkeit verspürt haben, die Verbalinspiration als solche
Wort Gottes über den Erzengel Gabriel zu und verwirklicht die letztendlichen Absichten getreten. Sie besagt, der Koran sei keineswegs zu reflektieren – im Gegensatz zum Christentum.
Muhammad. Wie zuvor die vorangegangen des Islams. Das wirkliche Kriterium für Religio- das Wort Gottes, sondern „eine prophetische Zahlreiche Stellen im Koran betonen ausdrücklich,
Propheten (z. B. Moses mit der Thora oder sität ist demnach, theoretisch und praktisch mit Lesart der Welt“. Kurzgesagt meint Shabestari: dass der Koran Gottes Wort ist, und Muhammed
Jesus mit dem Evangelium) verstand sich den Zielen der Sendung in Einklang zu stehen. Nicht nur die Exegeten der Religion, mit denen der Überbringer der Offenbarung.
Muhammad als Medium für seine Gemein- Entscheidend ist die von Herzen kommende er sich zuvor jahrzehntelang als Hermeneutiker Der Punkt, auf den es ankommt, ist jedoch:
schaft. Entscheidend für das Verständnis des Frömmigkeit, wie Kadivar formuliert, und nicht beschäftigte, hätten bloß ihr eigenes Verständnis Shabestaris These sollte in einer freiheitlichen
Korans sind die kontextgebundenen Gründe die Aufrechterhaltung der äußeren zeit- und der Offenbarung formuliert; dasselbe gilt auch Denkatmosphäre diskutiert werden können. Sie
der Offenbarung und die anschließende Aus- ortsgebundenen Formen, die aus der Zeit der für den Propheten Muhammad. Der Koran ist ist durchaus gut begründet und enthält zahlrei-
legung der Verse durch Muhammads Taten Offenbarung stammen. kalâm-e nabavi, das prophetische Wort – also che interessante Gedanken. Sie vom Tisch zu
und Worte. Letzteres beinhaltet die „Sunnah“, Ein weiterer Denker, der mit einem bemerkens- nicht kalâm ollâh, das Wort Gottes. Er ist das wischen, indem man den Verfasser der Ketzerei
also das, was der Prophet gesagt, getan oder werten Ansatz des „islamischen Neudenkens“ „Ergebnis der Offenbarung, nicht die Offenba- beschuldigt, ist eines Glaubens nicht würdig, der
unterlassen hat. Schon zu seinen Lebzeiten aufwartet, ist Shabestari. Der 1936 geborene rung selbst“. Der Koran ist „eine monotheistische sich in seiner Vergangenheit sehr wohl gegen
befleißigten sich die Muslime, all dieses nie- Shabestari hat sich nach einem traditionellen Lesart der Welt im Lichte der Offenbarung“. harte Kritik verteidigen und durchzusetzen ver-
der zu schreiben und später dann durch die Studium der Rechtswissenschaft auf die speku- Diese Überlegung resultiert für Shabestari aus mochte – mit Argumenten und nicht, indem man
sogenannten Hadith-Wissenschaften einer lative scholastische Theologie spezialisiert, der seiner Übertragung der Sprechakttheorie Lud- den Kritiker totschlug.
wissenschaftlichen Kontrolle zu unterziehen, die Rationalisierung der Glaubensprinzipien wig Wittgensteins auf den Koran. Shabestari
inwieweit sie den authentischen Worten des des Islams obliegt. 1970 übernahm Shabestari schlussfolgert daraus, dass der Sprecher des Die Verfasserin ist Assistenzprofessor-
Propheten entstammten. die Leitung der iranischen Moschee in Ham- Korans nur ein Mensch gewesen sein kann: Nur in für Moderne Islamische Welt mit
Aiman A. Mazyek burg. Hier entwickelte er sein Interesse für die ein Mensch sei in der Lage, an dem Sprachspiel, Schwerpunkt Iran an der Universität
moderne protestantische Theologie. Nachdem das auch der Koran ist, teilzunehmen; nur er ist Zürich
Islam
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Alevitentum und Aleviten in Deutschland


Eine Religionsgemeinschaft mit dem Streben nach freundschaftlichem Dialog / Von Ismail Kaplan
In Deutschland leben ca. 700.000 türkei- (Hak kelamı/Gerçek). Dabei wird der Ausdruck liche Vervollkommnung und den Dienst in einer Scharia, das islamische Rechtssystem für religiöse
stämmige Aleviten. In der Türkei schätzt „Gottes Wort“ als ein sehr viel umfassenderer alevitischen Gemeinde. Für die Aleviten wird die und weltliche Angelegenheit, nicht als das Wort
man die Zahl der Aleviten auf 25 Millionen, Begriff gebraucht, als es im allgemeinen Sprach- Teilhabe der Menschen an der heiligen Kraft als Gottes akzeptieren und daher ablehnen.
die türkischer, turkmenischer, kurdischer gebrauch üblich ist. Er beschränkt sich nicht auf eine Gabe Gottes verstanden. Zu dieser Teilhabe Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) ist
und arabischer Herkunft sind. Auch im „Heilige Texte“. So wie die „Heilige Kraft“ uni- gehört dann auch die Gabe des Verstandes (akıl), der Dachverband der Aleviten in Deutschland,
Nord-Iran, Syrien, Irak, Bulgarien, Mazedo- versell ist und in allem Lebenden und besonders der es ermöglicht, dass Menschen Gott und seinen der seit 1991 besteht und in dem zurzeit 130
nien, Kosovo leben Aleviten, die sich Alevi, in der Seele des Menschen anteilig vorhanden Willen erkennen können. Nach diesem Glauben alevitische Ortsgemeinden organisiert sind.
Bektaschi, Ehl-i Hakk oder Kızılbaş nennen. ist und wirkt, so umfasst nach alevitischer Vor- wird der Mensch (gemeint ist hier die Seele des Die AABF hat ihren Sitz in Köln. Die AABF hat
stellung auch der Begriff „Gottes Wort“ alles, Menschen als das Wesentliche, das seine Persön- das Hauptziel, die kulturelle Identität sowie die

D as Alevitentum bietet eine umfassende Sicht


auf die Welt, die Entstehung des Universums,
die Vervollkommnung des Mensch-Seins, die Be-
was Menschen im Laufe der Zeit an Wissen und
Erkenntnis erreicht und angesammelt haben.
Auch die „Heiligen Bücher“ werden als ein Bruch-
lichkeit ausmacht) als Widerspiegelung (yansıma)
Gottes betrachtet. Aus dieser Überzeugung heraus
können Aleviten das Gotteswort als Menschenant-
religiösen und philosophischen Werte der in
Europa lebenden Aleviten zu bewahren und die
Entwicklung dieser Werte zu fördern. Als Dach-
ziehungen zwischen Gott und Mensch, Menschen teil dieser Unendlichkeit angesehen, der dem litz malen – als Ausdruck des Glaubens, dass verband fördert die AABF u. a. die soziale und
untereinander sowie zwischen Menschen und menschlichen Geist von Gott zugänglich gemacht Gott sich seinen Menschen in seinem Wort auch gesellschaftliche Integration der Migrantinnen
Natur. Aufgrund der spezifisch alevitischen Welt- worden ist. Aus dieser Überzeugung heraus ak- in einem menschlichen Antlitz zeigen will. Nach und Migranten in Deutschland unabhängig
sicht wird das Alevitentum als eine eigenständige zeptieren Aleviten alle heiligen Bücher und ehren alevitischem Verständnis hat jeder Mensch, sei er von Herkunft und Religion. Daher tritt sie der
Religionsgemeinschaft bezeichnet. sie mit dem Spruch: „Alle vier Bücher (Psalmen, Alevit, Christ, Sunnit oder Schiit, Frau oder Mann, Fremdenfeindlichkeit, dem Rassismus und den
Thora, Bibel und Koran) sind Gotteswort.“ Anteil an der heiligen Kraft, besitzt somit also auch Übergriffen auf Fremde entschieden entgegen.
Das Alevitentum Aleviten unterstützen wissenschaftliche Akti- Eigenschaften Gottes. Gott wollte seine Schönheit Sie strebt mit den Vereinen und Gesellschaften
·· betont das „Eins-Sein“ bzw. „Eins-Werden“, d.h. vitäten auch deshalb, weil wissenschaftliche durch die Erschaffung des Menschen zeigen. Hier freundschaftliche Dialoge an, die sich um die
es sieht im Prozess des „Eins-Werdens“ das Ziel Arbeit – ob nun im naturwissenschaftlichen oder wird auch als Ausdruck der Gerechtigkeit Gottes Lösung gesellschaftlicher Probleme kümmern.
einer innigen Verbindung von Gott und Mensch, geisteswissenschaftlichen Bereich – einen Teil des betont, dass Gott keinen Unterschied macht in Auf der Basis gegenseitiger Toleranz fördert
die als „Eins“, einem Ausdruck der Vollkommen- Gottesgeheimnisses lüften kann. Sie wünschen, seiner Zuwendung zu den Menschen. Aus dieser die AABF das friedliche Zusammenleben von
heit, aufgefasst wird; dass die wissenschaftlichen Forschungen und die Überzeugung heraus glauben Aleviten daran, Menschen verschiedenen Glaubens und Kultur.
·· hat als Ziel, dass der Mensch auf der Welt ver- sich daraus ergebenden Errungenschaften den dass Gott alle Menschen gleichwertig geschaffen Die AABF hat schon 2005 einen Status als Reli-
sucht, durch sein Bestreben die Vervollkomm- Menschen und der Natur dienen. Die kollektiv hat. Aleviten betonen dies in folgendem Spruch: gionsgemeinschaft der Aleviten erreicht. Mit der
nung zu erreichen; gesehene Vernunft der Menschheit ist ein Teil „Betrachte alle Religionsgemeinschaften und alle Einführung des alevitischen Religionsunterrichts
·· ist ein Gemeinschaftsweg dahingehend, dass der göttlichen Wahrheit. Dabei ist das bisher von Ethnien als gleichwertig.“ in den Grundschulen wird dieser Status mit Leben
die Gemeinsamkeit der Gläubigen und ihr Menschen erworbene und zu einer Vielfalt von Die Ungerechtigkeiten auf der Welt können gefüllt. Es gibt weiterhin wichtige Schritte und
Eintreten füreinander betont werden. Das Anwendungen weiterentwickelte Wissen doch nach alevitischer Auffassung nicht als von Gott Herausforderungen für Aleviten, um sich als
gemeinsame Gebet im Cem-Haus und die nur ein winziger Ausschnitt aus dem göttlichen vorbestimmt und gewollt erklärt werden. Es sind eine gleichberechtigte Religionsgemeinschaft in
Herstellung des „Einvernehmens (rızalık)“ unter Wissen und zugleich aus der göttlichen Wahrheit. allein die Menschen, die im Umgang miteinan- dieser Gesellschaft mit Rechten und Pflichten zu
den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei den Aleviten glauben an eine heilige Kraft des der Ungerechtigkeiten und Gewalt, die nach entwickeln.
Cem-Gottesdiensten und im Alltag, zielt auf die Schöpfers, die auf die Menschen als „Seele/can“ alevitischer Auffassung gegen Gotteswillen
Reifung und letztlich Vervollkommnung aller übertragen wurde. Für die Aleviten fordert der sind, produzieren. Ein Gegensatz sowohl zur Der Verfasser ist Bildungsbeauftragter
Menschen in der Gemeinde ab. Glaube an die heilige Kraft im Menschen von je- sunnitischen als auch zur schiitischen Orthodo- der Alevitischen Gemeinde Deutsch-
Aleviten glauben an Gott (Hak) und Gottes Wort dem Menschen ein aktives Bemühen um persön- xie besteht darin, dass anatolische Aleviten die land

Sufitum – die mystische Dimension des Islams


Asketen, Einsiedler, Derwische und Hochschullehrer / Von Reinhard Baumgarten
Indonesien ist mit rund 210 Millionen Mus- jene Menschen bezeichnet, die sich als Zeichen nicht an Versuchen gemangelt, das Sufitum zu Eine wunderbare Beschreibung dessen, was
limen das bevölkerungsreichste islamische ihrer spirituellen Suche in Wollgewänder hüllen. erklären. Oft war von einer morgenländischen Sufitum ist, gibt im 13. Jahrhundert der türkisch-
Land. Anders als in Syrien, dem Iran oder Es sind Asketen und Einsiedler. In der Einsamkeit Sekte die Rede, von Magiern und Zauberern, persische Mystiker Jelāludīn Rūmi: „Eines Tages
Nordafrika ist der Islam nicht mit beritte- des Sinai, der syrischen Wüste, dem iranischen von Menschen, die Schlangen beschwören, trifft eine Gruppe Blinder auf einen Elefanten.
nen Eroberern ins Land gekommen. Die und jemenitischen Hochlands widmen sie sich unbeschadet über glühende Kohlen laufen und Erstaunt über dieses wun­dersame Wesen versu-
Lehre aus dem fernen Arabien erreichte dem Gottgedenken. Später wird der Begriff Sufi sich Schwerter in den Leib bohren. Die Worte chen sie, es zu beschreiben. ‚Das ist ein mächtiger
die indonesische Inselwelt etwa ab dem 13. auf all jene ausgedehnt, die sich – allein oder in fāqir und derwīsh tauchen in unserer Sprache Thron‘, sagt der Erste und umfasst ein Bein des
Jahrhundert auf dem Seeweg durch Händler Gemeinschaft – mystischen Übungen hingeben, häufig als Synonyme für Bettel- und Wander- Elefanten. ‚Nein‘, widerspricht der Zweite, der sich
und vor allem durch Mystiker. Populär und um Gott näher zu sein. In den vergangenen mönche auf, denen übernatürliche Fähigkeiten
zur Religion der Massen wurde der Islam ab Jahrhunderten hat es im christlichen Abendland nachgesagt werden. Weiter auf Seite 8
Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem Wirken
der sogenannten Wali Songo – den Neun
Heiligen. Die Wali Songo werden im Volks-
glauben bis heute als Wohltäter, Wunder-
heiler, Magier, Erleuchtete und Heilsbringer
verehrt und verklärt.

S unan Gunung Jati ist einer dieser Wali Songo.


Das Grabmal des islamischen Mystikers im
Norden der javanesischen Küstenstadt Cirebon
ist ein Bau­komplex von der Größe eines Fuß-
ballfeldes. Früh am Morgen schon fahren erste
Busse mit Pilgern vor. Sie stammen aus Serang,
Bandung, Surabaya oder der Hauptstadt Jakarta.
Viele kommen auch von den Nachbarinseln Su-
matra, Borneo oder Sulawesi, um am Grab des
Wali zu beten. Von dem Ziarah genannten Besuch
des Schreins versprechen sich die Wallfahrer
Barakah (Segen) und Ghaffur (Vergebung). Allein
im Raum Cirebon gibt es mehr als 300 Plätze
der Verehrung, die von Pilgern aller Glaubens-
richtungen aufgesucht werden. Auf ganz Java
sind es etliche Tausend. Zum Schrein von Sunan
Gunung Jati pilgern nicht nur Muslime. Auch viele
hinduistische und buddhistische Wallfahrer beten
an der letzten Ruhestätte des Wali.
Viele javanesische Mystiker bedienten sich zur
Verbreitung ihrer Lehre des Wayang Kulit ge-
nannten Stabpuppenspiels. Geschickt verstanden
sie es, alte javanesische Legenden mit islamischer
Lehre, Geschichte und Werten zu verknüpfen.
Die Abbildung menschlicher Wesen wird von
orthodoxen Muslimen bis heute als problema-
tisch angesehen. Deshalb bedienten sich die
Sufimeister eines Tricks: Sie ließen Puppen aus
Leder (Kulit) hinter einer beleuchteten Leinwand
tanzen, so dass davor nur deren Schatten (Wa-
yang) zu sehen war. Massenhaft strömten die
Menschen zum Wayang Kulit, das ihnen Spaß,
Unterhaltung und Kurzweil bot.
Die Bezeichnung Sufi leitet sich wahrscheinlich
von dem arabischen Wort sū f ab, das Wolle be- Fassade des Kalifenpalast Mschatta, Kalkstein, bei Amman/Jordanien 743-44 (Inv.-Nr. I. 6163) © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin,
deutet. Als Sufi werden in der Frühzeit des Islams Fotograf: Johannes Kramer
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 8
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Fortsetzung von Seite 7 Hassan al-Basri war einer jener frühen Mahner. ein Dorn im Auge. Die innerislamische Ausein- sank in tiefe Trauer. 66 Jahre war jener Mann alt
Er warnte die junge islamische Gemeinschaft da- andersetzung zwischen Orthodoxie und Mystik geworden, der schon zu Lebzeiten als Gelehrter,
Sufitum vor, in blankem Materialismus zu ertrinken. Der hat in den vergangenen Jahren wieder deutlich Dichterfürst und Pol der Zeit über die Maßen
Meister forderte seine Schüler auf, gottgefällig an Schärfe gewonnen. In Afghanistan und vor verehrt worden war. 26.000 Verse umfasst das
am Ohr des Tieres festhält, ‚es ist ein gewaltiger zu leben und den Götzen Reichtum und Macht allem in Pakistan sind zahlreiche Schreine von größte von Rumis Werken, das Mathnawi, das in
Fächer‘, und ein Dritter ruft: ‚Ihr irrt, das ist eine zu entsagen: „Oh Menschenkind, du wirst allei- Sufi-Heiligen durch orthodoxe Eiferer zerstört unseren Tagen eine unerwartete Renaissance
gewöhnliche Wasserpfeife‘ und zieht am Schwanz ne sterben und mit dir alleine wird abgerechnet worden, mystische Zeremonien werden gestört, erlebt. Die Mystik des Dschelaluddin Rumi ist
des Elefanten.“. werden. Sei mit dieser Welt, als ob du nie da Derwische getötet. zeitlos und findet seit einem dreiviertel Jahr-
Die islamische Mystik ist in ihrer äußeren Erschei- gewesen wärest, und mit dem Jenseits, als ob Die Sufi-Bruderschaften befinden sich weltweit tausend immer neue Anhänger. Gewiss hängt
nung und ihrem inneren Wesen extrem vielfältig du es nie verlassen hättest.“ seit einigen Jahrzehnten in spürbarem Nieder- das mit Mevlana Rumis unorthodoxer Offenheit
und umfangreich. Die Tradition der Sufis reicht Traditionell kennt der Sufiweg vier aufeinan- gang. Die Hauptgründe dafür liegen in einer fort- zusammen.
vom Propheten Mohammed bis in unsere Tage. derfolgende Stufen: Auslöschung der sinnli- schreitenden Säkularisierung und – hervorgeru-
Weltabgewandte Asketen finden sich neben lie- chen Wahrnehmung; Aufgabe individueller fen durch moderne Unterhaltungsmedien – auch Siehe, ich starb als Stein und
bestrunkenen Dichtern, Wanderderwische neben Eigenschaften; Sterben des Egos; Auf­g ehen eine Profanisierung islamischer Gesellschaften. stand als Pflanze auf
Hochschullehrern, Magier neben Handwerkern, ins göttliche Prinzip. Wie lange ein Derwisch Die Bruderschaft als Hort sozialen Lebens und Starb als Pflanz’ und nahm
Kaufleuten und Rechtsgelehrten, Poeten neben auf welcher Stufe verharrt, hängt von seiner emotionalen Erlebens ist durch moderne Mas- darauf als Tier den Lauf
Kriegern. Es gibt eine kaum überschaubare Zahl spirituellen Entwicklung ab. Zumeist werden die senunterhaltung ersetzt worden. Starb als Tier und war ein Mensch
an mystischen Systemen und Schulen und sehr Muridūn genannten Schüler von einem Murshid Gleichzeitig lässt sich aber ein wachsendes Was fürcht ich dann,
unterschiedliche Schwerpunkte beim Fortschrei- genannten Meister angeleitet. Auf dem Sufipfad Interesse an islamischer Mystik in säkularen Da durch Sterben ich nie
ten auf dem geistigen Pfad. Aber sie haben alle sollte der Gottsucher vier Stationen durchschrei- westlichen Gesellschaften feststellen. Seit den minder werden kann?
dasselbe Ziel: den Menschen auf seinem Weg zu ten: Schari’a (islamische Pflichtenlehre); Tarīqa 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat Wieder, wenn ich wird’ als Mensch
Gott zu leiten. Dafür wurden etwa seit dem 10. (mystischer Weg); Haqī qa (Wahrheit); Ma’rifa es eine Fülle populärwissenschaftlicher Bücher gestorben sein,
Jahrhundert praktische und theoretische Lehr- (Erkenntnis). über das Sufitum gegeben. Der türkisch-persi- Wird ein Engelfittich mir erworben sein.
methoden ausgearbeitet, die sich auf den bātin Das Sufitum kennt keineswegs nur weltabge- sche Mystiker Jelāludīn Rūmi erfreut sich dabei Und als Engel muss ich sei geopfert auch,
genannten „inneren Sinn“ des Korans beziehen. wandte und entsagungsvolle Gottsucher. Im Lauf besonderer Beliebtheit und Wertschätzung. Einer Werden, was ich nicht begreif,
Die rasche Ausdehnung des islamischen Herr- der islamischen Geschichte haben sich immer Legende zufolge soll in den frühen Dezember- Ein Gotteshauch.
schaftsgebiets in der Frühzeit des Islams findet wieder einflussreiche Bruderschaften herausge- tagen des Jahres 1273 die Erde in und um die (Übers. Friedrich Rückert)
bei den meisten Muslimen Beifall – nicht zuletzt bildet, die über eine große Anhängerschaft und mittelanatolische Stadt Konya gebebt haben. Es
wegen der reichen Beute. Aber es werden auch damit auch über viel weltliche und teils auch war die Zeit, als Dschelaleddin Rumi im Sterben Der Verfasser ist Fachredakteur in der
Stimmen laut, die vor der Verführung weltlicher militärische Macht verfügten. Der oftmals mit den lag. Die Überlieferung gibt den Meister mit den redaktion Religion, Kirche und Gesell-
Reichtümer und irdischer Macht mit dem Kor- Herrschern verbandelten religiösen Orthodoxie Worten wieder: „Die Erde ist hungrig. Bald wird schaft beim Südwestrundfunk und hat
anwort warnen: „Alles, was auf Erden ist, wird waren sowohl der weltliche Einfluss als auch viele sie einen fetten Brocken bekommen und Ruhe das ARD-Projekt „Gesichter des Islam“
vergehen außer seinem Angesicht.“ als bid’a (Neuerung) diskreditierten Sufipraktiken geben.“ Kurz darauf starb Rumi und Konya ver- konzipiert

Jüdisches und christliches Erbe im Koran


Die Offenbarungen vorislamischer Propheten / Von Stefan Schreiner
Tora, Evangelium und Koran – nach den Tottoli, Biblical Prophets in the Qur’an and
Worten Ibn Taimiyyas (1263-1328) bilden sie Muslim Literature), kann daher nicht nur nicht
„eine zusammenhängende Tradition“ (vgl. überraschen, sondern ist ebenso geschichtlich
Sure 3,3–4), und der islamische Reformator wie theologisch begründet:
Muhammad Abduh (1849-1905) ergänzte: a) theologisch durch die eben genannte Ab-
„Die Tora, das Evangelium und der Koran folge der Propheten (Sure 4,163; 5,44-49
sind nicht nur drei zusammenhängende u. ö.), die nacheinander, „jeder Prophet an
Bücher, sondern in ihrer Abfolge vervoll- seinem Ort seinem Volk in seiner Sprache zu
ständigt sich die göttliche Unterweisung der seiner Zeit“ (16,368; 14,4; 21,25), die Eine
Menschen, und die wahre Religion enthüllt Botschaft des Einen Gottes verkündet haben.
ihren Glanz durch die Jahrhunderte“. In Muhammads Wirken hat sie ihr „Siegel“
erhalten (Sure 33,40), zugleich weist die

D ass die Bibel in die islamische Überliefe-


rung hineingehört, hatte der Prophet selber
erklärt. Einem von Abū Huraira (um 600-678)
durch ihn vermittelte Botschaft auf den Anfang
zurück, indem sie zum einen die „natürliche,
schöpfungsmäßige Religion“ (Sure 30,30)
überlieferten Hadith zufolge gefragt, was der und zum anderen deren erste geschichtliche
islamische Glaube beinhaltet, hatte er geant- Verwirklichung, die „Religion Abrahams“ wie-
wortet: „Glaube bedeutet, dass du an Gott, derherstellt (Sure 4,125 u. ö.); und
Seine Engel, Seine Schriften, Seine Gesandten b) geschichtlich durch den Kontext des Auftre-
und die Begegnung mit Ihm (beim Jüngsten tens und der prophetischen Verkündigung
Gericht) glaubst, und dass du an die Auferste- Muhammads, an dessen Gestaltung nicht
hung glaubst.“ Damit wiederholte er, was er den zuletzt Juden(tum) und Christen(tum) ihren
Gläubigen zuvor verkündet hatte: „Der Gesandte Anteil hatten (Reynolds, The Qur’an in its
[Gottes] glaubt an das, was zu ihm herabgesandt Historical Context).
worden ist von seinem Herrn, und die Gläubigen Wenn auch über die religiöse Orientierung und
alle glauben an Gott, Seine Engel, Seine Schrif- das geistig kulturelle Niveau der jüdischen und
ten und Seine Gesandten – wobei wir keinen christlichen Gemeinden im vorislamischen Arabi-
Unterschied machen zwischen einem Seiner en, und insbesondere über den Stand ihrer theo-
Gesandten [...]“ (Sure 2,285). Und die Gläubigen logischen Bildung, längst nicht so viel bekannt ist,
ihrerseits bekennen: „Sprecht: ‘Wir glauben an wie notwendig wäre, um schlüssige Aussagen
Gott und [an das], was zu uns herabgesandt wor- zu machen, erscheint es dennoch unbestreit-
den ist, und [an das], was herabgesandt worden bar, dass Juden und Christen mit ihren heiligen
ist zu Abraham, Ismael, Isaak, Jakob und den Schriften und deren Auslegung ebenso zur Ver-
Stämmen [Israels], und [an das], was Mose und breitung monotheistischen Gedankengutes in
Jesus von ihrem Herrn gegeben worden ist, und Arabien beigetragen – wobei sie im altarabischen
[an das], was den Propheten gegeben worden ist, Hanifentum einen Bundesgenossen hatten – so-
wobei wir keinen Unterschied zwischen einem wie das ihre geleistet haben, den Boden für die
von ihnen machen. IHM wenden wir uns zu’.“ Aufnahme der durch Muhammad vermittelten
(Sure 2,136). Botschaft zu bereiten. Unübersehbar ist zudem
Deswegen ist es „für den Muslim verpflichtend“, auch, dass die Entfaltung der in dieser Botschaft
sagt Muhammad Hamidullah, „nicht nur an den enthaltenen Lehren von ihren Anfängen her in
Koran zu glauben, sondern auch an die gesamten so engem Kontakt zu jüdischen und christlichen
Offenbarungen der vorislamischen Propheten.“ Überlieferungen erfolgte, dass nicht nur ein nicht
Das sind nach dem Koran: unerheblicher Teil ihrer wesentlichen Lehrbe-
(1) die „Blätter Abrahams“ (Sure 87,18–19); griffe daraus übernommen wurde, sondern es
(2) die „Tora des Mose“ bzw. die Mose gegebene schon im Koran heißt: „So du [Muhammad] im Parastou Forouhar: Just a minute (seit 2003). Computeranimation. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR.
Schrift (Sure 2,53; 11,17; 46,12); Zweifel bist über das, was Wir dir herabsandten © Parastou Forouhar
(3) die „Psalmen“ Davids (Sure 4,163; 17,55); (im Koran), so frage diejenigen, welche die Schrift
(4) die Johannes (dem Täufer) gegebene „Schrift“ vor dir lasen (Juden und Christen).“ (Sure 10,94) Und noch im 15. Jahrhundert sah sich Burhan und Christen es je gewesen sind –, war es eben
(Sure 19,12); Mit anderen Worten: Wie die biblisch-nachbi- ad-Din Ibrahim b. Umar al-Biqa’i (1406-1480) das gemeinsame biblische Erbe, dass der Koran
(5) und das „Evangelium“, die Schrift, die Jesus blische Überlieferung dem Koran als dessen veranlasst, einen Traktat über die Notwen- mit Blick auf Juden und Christen gleichermaßen
gegeben worden ist (Sure 5,46 u. ö.). Subtext eine notwendige Verstehenshilfe ist, digkeit des Gebrauchs der hebräischen Bibel zu der Feststellung gelangt: „Unser Gott und euer
In der Summe also die Schriften, die als „Bücher so ist der Koran seinerseits Teil der Rezeptions- und des Neuen Testaments in der Koranaus- Gott ist einer (und derselbe), und IHM wenden
der Bibel“ überliefert sind. Mit anderen Worten: und Wirkungsgeschichte der Bibel und leistet legung und zugleich deren Rechtfertigung wir uns zu“ (Sure 29,45/5), und damit verbietet,
Nach dem Koran sind die Schriften der Bibel einen Beitrag zu ihrer Auslegung(sgeschichte) zu verfassen (Saleh, In defense of the Bible). dass Juden, Christen und Muslime einander als
ebenso Teil seiner Vorgeschichte, wie der Koran (S. Schreiner, Der Koran; Reynolds, The Qur’an Wenn auch das trinitarische Bekenntnis der Chris- „Ungläubige“ ansehen; denn, so der Korankom-
Teil der Nachgeschichte der Bibel ist. and its Biblical Subtext). Dem entsprechend ha- ten nach muslimischem Verständnis den wahren mentator Ğalāl ad-Dīn al-Mahallī (gest. 1459)
Dass zwischen Koran und Bibel sowie jüdischer ben denn auch jahrhundertelang muslimische Monotheismus aufweicht und als Tritheismus zum zitierten Koranvers: „Sie alle befolgen des
und christlicher nachbiblischer Überlieferung Gelehrte biblisch-nachbiblische, jüdische und verstanden worden ist (Sure 4,171; 5,73) und al- Einen und Selben Gottes Wort und Gebot“.
eine enge inhaltliche Beziehung besteht, ables- christliche Überlieferungen in ihre Auslegungen lein die jüdische Auffassung vom Monotheismus
bar an den im Koran begegnenden zahlreichen des Koran einbezogen (Karoui, Die Rezeption dem monotheistischen Bekenntnis des Islams Der Verfasser ist Lehrstuhlinhaber für
biblischen und nachbiblischen Geschichten der Bibel in der frühislamischen Literatur am entspricht – weswegen sich über Jahrhunderte Religionswissenschaft und Judaistik
(Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran; Beispiel der Hauptwerke von Ibn Qutayba). Juden und Muslime viel näher waren, als Juden an der Universität Tübingen
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 9
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Sind interreligiöse Bewegungen politisch relevant?


Offene Gesellschaft, religiöse Vielfalt / Von Regina Ammicht Quinn
In New York City fanden zuletzt Proteste dens- und freiheitsliebende Mensch ein Recht auf
statt für und wider das, was fälschlicherwei- Religion hat. Klare Grenzen ergeben sich dort, wo
se „die Moschee am Ground Zero“ genannt keine kulturelle oder religiöse Verhaltensweise
wird, eigentlich aber ein muslimisches Ge- gegen Menschenrechte verstoßen darf.
meindezentrum zwei große Straßenblocks In einem religiös vielfältigen Gemeinwesen ist
entfernt von „Ground Zero“ ist. In unter- die angemessene Form von Religionsbegegnung
schiedlichen Umfragen für New York wurde der Dialog. Ein solcher interreligiöser Dialog
deutlich, dass die Ablehnung des Projekts basiert grundlegend auf drei Schwerpunkten: auf
bei Menschen in der unmittelbaren Nach- Vertrauen, Respekt und Engagement. Vertrauen
barschaft – Manhatten – erheblich geringer auf das wechselseitige Wohlwollen; Respekt vor
ist als in den Vororten Queens und Staten den je eigenen Lebens- und Glaubenskontexten;
Island. gemeinsames Engagement der Religionen für
Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der

Ä hnliches spielt sich derzeit in Europa ab. Bei


der Volksabstimmung über das Minarettver-
bot im November 2009 in der Schweiz votierten
Schöpfung.
Das klingt gut – aber gleichzeitig leben wir in
einer konfliktgeladenen Welt, in der allzu viel
vor allem die Menschen der ländlichen und al- Naivität gefährlich ist. Genau hier stehen wir auf
pinen Regionen für das Verbot – die Menschen der „Glaubensgrenze“: Alle Religionen sind in sich
in den kulturell und religiös vielfältigen Städten vielschichtig; und viele von ihnen haben extreme
sprachen sich mehrheitlich gegen das Verbot aus. Schichten. Es gibt nationalistische Hindus und
So unterschiedlich die Situationen sind, so deut- kriegerische Muslime, es gibt fundamentalistische
lich ist, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt: Juden und antisemitistische Christen. Gerade dort,
Angst. Es ist Angst vor der Bedrohung durch einen wo intolerante, kriegerische oder fundamenta-
radikalen und gewalttätigen Islamismus; es ist listische Strömungen innerhalb von Religionen
in gleicher Weise die Angst vor dem schlechthin mächtig werden, brauchen wir die Antwort und die
Fremden; es ist die Angst vor „den Türken“, die, Strategie des interreligiösen Dialogs. Die Gefahr
wie kürzlich zu lesen war, sich nicht integrieren von Fundamentalismus ist also kein Argument ge-
wollen, die Ausbreitung der Unterschicht voran- gen interreligiösen Dialog, sondern das wichtigste
treiben und pauschal mit dem „Islam“ identifiziert Argument dafür. Menschen im interreligiösen
werden. Und es ist die Angst davor, dass die kultu- Dialog erinnern uns an die gemeinsame Basis von
relle Identität ins Wanken gerät und neu definiert Religionen. Und sie erinnern uns daran, dass Re-
werden muss. ligionen kein Herrschaftsinstrument sein dürfen,
In Europa zeigt sich dies immer wieder an der Dis- sondern Lebensformen sind die auf Frieden und
kussion von gesellschaftlichen Einzelproblemen Gerechtigkeit zielen. Sie sind das Gewissen ihrer
mit Blick auf das Thema Religion. In angstgelei- je eigenen Religion.
teten Diskursen wird sichtbar, dass – Stichworte: Und damit braucht jede Politik die Arbeit interreli-
Kopftuch und Burka – gesellschaftliche Probleme giöser Bewegungen. Das Scheitern der Religions­
am Körper von Frauen ausgehandelt werden, dialoge ist nicht nur eine Gefahr für Frieden und
die dort nicht entstehen und nicht gelöst werden Sicherheit der Gemeinwesen. Es ist häufig auch
können. So muss etwa klar unterschieden werden ein Scheitern der Grundideale, auf denen diese
zwischen Kopftuch und Niqab. Niqab, der Ge- Gemeinwesen aufbauen. Die Diffamierung de-
sichtsschleier, erschwert oder verhindert direkte rer, die das muslimische Gemeindezentrum in
Kommunikation. Damit ist er kein geeignetes New York bauen wollen, ist ein Angriff auf den
Bekleidungsstück für eine offene Gesellschaft, die Kernbestand amerikanischen Selbstverständ-
auf demokratische Teilhabe setzt. Verbote aber nisses: Glaubens- und Gewissensfreiheit. Für
scheinen hier wenig sinnvoll zu sein und stehen in uns christliche Europäer gilt: Nicht die religiöse
Gefahr – gerade im Hinblick auf die Förderung der Vielfalt ist ein Angriff auf das Selbstverständnis
Gleichstellung von Frauen – einen gegenteiligen des „christlichen Abendlands“. Der Angriff auf das
Effekt zu haben. Selbstverständnis des „christlichen Abendlands“
Die Frage nach konkreten Konflikten im Zu- und der Widerspruch gegen Kernpunkte der
sammenhang mit der religiösen Vielfalt einer eigenen Tradition ereignet sich dort, wo „die An-
Gesellschaft lassen sich aber auch nach innen deren“ aufgrund ihres Andersseins mit Misstrauen
wenden: Wie hält es die Mehrheitsgesellschaft, betrachtet, ausgegrenzt oder verachtet werden.
die in unterschiedlicher Tiefe christlich geprägt
ist, mit den Kreuzen in öffentlichen Räumen, die Die Verfasserin ist Professorin für
trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Theologische Ethik am Interfakul­
(16. Mai 1995) nach wie vor Kontroversen auslöst? tären Zentrum für Ethik in den Wissen-
Kreuze in öffentlichen Räumen sind nicht – wie es schaften (IZEW) der Universität Tübin-
in Diskussionen häufig geschieht – vergleichbar gen und leitet dort den Bereich „Ethik
mit „Kopftüchern“ in öffentlichen Räumen. Ein und Kultur“. Seit 2010 ist sie ehrenamt-
Grundsymbol und eine ausschließlich auf Frau- liche Staatsrätin für interkulturellen
en bezogene Bekleidungsvorschrift bewegen und interreligiösen Dialog sowie
sich nicht auf derselben Ebene. Die Frage aber gesellschaftliche Werteentwicklung
bleibt: Sollen Kreuze aus öffentlichen Räumen Weibliche Figur in höfischer Kleidung und Schmuck, bemalter Stuck, Iran um 1200, (Inv.-Nr. I. 2658)
mit Sitz im Staatsministerium Baden-
entfernt werden? Hier könnte man theologisch © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Ingrid Geske Württemberg
wie politisch fragen: Warum? Warum um Gottes
willen? Wir sollten rassistische, nationalistische,

Gewaltige Heuchelei
menschenverachtende Symbole aus unseren
öffentlichen Räumen entfernen und ein strenges
Auge dafür haben, wo solche Symbole sich in un-
sere öffentliche Räume – die Werbung ist hier ein
Beispiel – einschleichen. Warum aber erscheinen Ein Kommentar von Heribert Prantl
Kreuze auf der gleichen Ebene wie rassistische
oder menschenverachtende Symbole? Warum So innig wie heute war die Beziehung zwi- Die christlich-jüdische Geschichte ist also eine wird nicht dadurch besser, dass muslimische Mi-
werden sie als bedrohlich wahrgenommen? Das schen Christen und Juden in Deutschland bittere, furchtbare Geschichte. Erst nachdem lieus oft sehr antisemitisch sind. Weil aber dieser
ist eine Frage, die im politischen Kontext entsteht noch nie. Die neue Innigkeit ist nicht von die Nationalsozialisten sechs Millionen Juden Antisemitismus von der deutschen Mehrheitsge-
und die wir Christinnen und Christen zu beant- Theologen und Pastoralklerikern aus- erschlagen, erschossen und vergast hatten, be- sellschaft lange kaum beachtet wurde, gibt es
worten haben. gerufen worden, sondern von Politikern. gann (auf amerikanischen Druck hin) das, was in jüdischen Gemeinden Sympathien für die ge-
Die weltanschauliche Neutralität des Staates in Im Jahr 72 nach der Reichspogromnacht christlich-jüdische „Versöhnung“ heißt. sellschaftliche Ausgrenzung deutscher Muslime.
religiösen Fragen kann die Form von Restriktio- haben sie etwas entdeckt, was es nicht Ist die Geschichtsvergessenheit des Gemeinsam- Juden sind in jüngerer Zeit immer wieder genö-
nen annehmen. Religiöse Symbole sollen dann gibt: eine christlich-jüdische Tradition, eine keitgeredes womöglich ein neuer Akt der Wie- tigt worden, Selbstverständliches einzuräumen:
aus der Öffentlichkeit verschwinden. Dies würde gemeinsame Kultur. Das ist ein bemerkens- dergutmachung, eine philosemitische Fiktion aus Dass man, ohne als Antisemit zu gelten, Israel
nicht ohne Verletzungen oder Machtkämpfe ge- werter Vorgang, weil die nun beschworene schlechtem Gewissen? Handelt es sich um den kritisieren dürfe. Ähnliches wird nun von den
schehen. Die weltanschauliche Neutralität des Gemeinsamkeit über Jahrhunderte hin die Versuch, nachträglich alles richtig zu machen? Es Muslimen verlangt: Sie sollen und müssen
Staates in religiösen Fragen aber kann auch durch Gemeinsamkeit von Tätern und Opfern war. wäre schön, wenn es nur so wäre. Beim Reden erklären, dass sie sich vom Terrorismus distan-
gut verstandene Pluralität verkörpert werden. Die von der christlich-jüdischen Tradition handelt es zieren. Ausdruck eines vertrauensvollen Mitein-
Kreuze, die weder dekorativ noch nostalgisch noch
abgrenzend verstanden werden, sollten bleiben.
Und vielleicht befinden sie sich dann bald in guter
D ie christliche-jüdische Geschichte besteht
vor allem in der Verfolgung, Vertreibung
und Vernichtung der Juden und in der Verket-
sich aber um eine gewaltige Heuchelei. Die deut-
sche Politik drückt die alte, früher stigmatisierte
Minderheit der Juden an die Brust, um die neue
anders ist das nicht. Es muss nicht eine ominöse
christlich-jüdische Tradition gegen Muslime
verteidigt werden, sondern die offene Gesell-
Gesellschaft mit anderen Grundsymbolen, die in zerung des Talmud. Und wo es gemeinsame Minderheit, die Muslime, zu stigmatisieren. Die schaft gegen neue Formen der Ausgrenzung.
anderen religiösen Sprachen von Leid und Been- Wurzeln gab, hat die Mehrheitsgesellschaft sie Juden werden missbraucht, um die Muslime als
digung des Leids, von Tod und Leben, von Schuld ausgerissen. Wenn Juden anerkannt wurden, unverträglich zu kennzeichnen. Zum 72. Jahres- Der Verfasser ist Ressortleiter Innen­
und Erlösung und letztlich von der Geschwister- dann nach ihrem Übertritt zum Christentum. tag der Reichspogromnacht wird eine neue Ka- politik der Süddeutschen Zeitung
lichkeit der Menschen sprechen. Und dieses Christentum hat bis in die jüngste tegorisierung der Minderheiten propagiert (nicht
Es ist nicht die Aufgabe des Staates zu klären, Vergangenheit nicht die Gemeinsamkeit der nur von scharfen Islamkritikern wie Geert Wilders Der Beitrag erschien zuerst in der Süddeutschen
welche Religion „Recht“ hat. Es ist aber Aufgabe Heiligen Schrift, sondern den Triumph des und Thilo Sarrazin): in gute und schlechte, in klu- Zeitung vom 09.11.2010. Wir danken für die
des Staates, Räume zu eröffnen und Strategien zu Neuen über das Alte Testament gepredigt. ge und dumme Minderheiten. Diese Sortierung Möglichkeit des Nachdrucks.
entwickeln, bei denen klar wird, dass jeder frie-
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 10
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Akzeptanz und Wahrnehmung des Islams


Zu den Ergebnissen einer Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster / Von Detlef Pollack
Wie hoch ist die Akzeptanz religiöser Viel-
falt in Deutschland? Diese Frage stand im
Zentrum einer ländervergleichend ange-
legten repräsentativen Studie, die vom
Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der
Westfälischen Wilhelms-Universität Müns-
ter im Sommer dieses Jahres, also noch
vor der Sarrazin-Debatte, durchgeführt
wurde. In einer repräsentativen Umfrage
wurden dafür Bürger in Deutschland und
in Ländern, in denen die Integrationsde-
batte ebenfalls hohe Wellen schlägt, in
Holland, Frankreich und Dänemark, und
aus Gründen des Vergleichs auch in Por-
tugal befragt.

A uf die Frage, ob unser Land durch fremde


Kulturen bedroht sei, antworteten in West-
deutschland zwei Fünftel, dass sie dies glauben
würden. Dabei ist das Gefühl der Bedrohung in
Westdeutschland in etwa genauso stark aus-
geprägt wie in Dänemark, Frankreich und den
Niederlanden; in Ostdeutschland liegt es etwas
über dem Durchschnitt.
Auch in der Einschätzung der Konflikthaftigkeit
des Religiösen stimmen die Westdeutschen mit
den anderen Westeuropäern überein. Über 70
Prozent der Befragten in West- und Ostdeutsch-
land, in Dänemark und den Niederlanden halten
die zunehmende Vielfalt von religiösen Gruppen
in der Gesellschaft für eine Ursache für Konflik-
te; in Frankreich sind freilich lediglich 59 Prozent
dieser Meinung. Mona Hatoum: + and – (1994-2004). Installation. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne, Austellungsraum „Abdruck und Berührung“ (im Vordergrund).
Wenn es allerdings darum geht einzuschätzen, © Courtesy ha`atelier – Werkstatt für Philosophie und Kunst e.v., Foto: Di Mackey
ob die zunehmende Vielfalt religiöser Gruppen
eine kulturelle Bereicherung in unserer Ge- oder Achtung der Menschenrechte stoßen wir in Möglicherweise hängt die im Vergleich zu den untersuchten Ländern das positivste Islambild
sellschaft darstellt, dann sind nur wenig mehr den Ländern außerhalb Deutschlands also nicht westeuropäischen Nachbarn negativere Ein- antreffen, dagegen über 60 Prozent.
als die Hälfte im Westen Deutschlands bereit, auf eine mehrheitlich positive Einschätzung, stellung zu den Muslimen unter anderem damit Dabei gilt, dass die Begegnungen mit Muslimen,
dieser Aussage zuzustimmen (im Osten sogar aber doch auf ein signifikant besseres Bild als zusammen, dass in Deutschland die öffentliche wenn sie denn zustande kommen, mehrheit-
knapp unter 50 Prozent). In den anderen Län- in Deutschland. Debatte über Konflikte im Zusammenleben zwi- lich positiv bewertet werden. Etwa drei Viertel
dern macht er dagegen rund 80 Prozent aus. Dennoch will die Bevölkerung in Deutschland schen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen der Westdeutschen und immerhin zwei Drittel
Die aus dem Zusammenleben von Angehörigen nichtchristlichen Religionsgemeinschaften die noch nicht so intensiv und lange geführt worden der Ostdeutschen berichten, sie hätten die
unterschiedlicher Religionsgemeinschaften Anerkennung nicht ver weigern. Man muss ist wie dort. Außerdem ist in unserer Analyse Begegnungen mit Muslimen als angenehm
entstehenden Spannungen werden in den un- alle Religionen respektieren – dieser Aussage deutlich geworden, dass die wichtigste Einfluss- empfunden. Das Problem ist nur eben, dass die
tersuchten westeuropäischen Ländern ähnlich stimmen in Westdeutschland über 80 Prozent variable für die Haltung gegenüber dem Islam Kontakthäufigkeit in Deutschland deutlich unter
gesehen. Aber die Offenheit gegenüber den der Befragten zu, in den anderen Ländern der Kontakt zu Angehörigen dieser Religion ist. dem Niveau der anderen Ländern liegt.
fremden Religionen und Kulturen ist in Frank- etwa 90 Prozent. Und wenn die Ausländer sich Je häufiger man Muslime trifft, desto wahrschein-
reich, Dänemark, Holland und übrigens auch in an unsere Gesetze halten, dann meinen sogar licher ist es, dass man zu ihnen ein positives Der Verfasser ist Professor für
Portugal weitaus höher. über 90 Prozent, dass es auf ihre Religion nicht Verhältnis entwickelt. Im Westen Deutschlands Religionssoziologie im Rahmen des
Geradezu dramatisch sind die Unterschiede zwi- ankommt. Und auch die Glaubensfreiheit halten geben etwa 40 Prozent an, zumindest ein wenig Exzellenzclusters Religion und Politik
schen Deutschland und den anderen westeuro- in Deutschland ebenso viele für wichtig wie in Kontakt zu Muslimen zu haben, im Osten sogar an der Westfälischen Wilhelms-
päischen Ländern, wenn man nach der persönli- den anderen Ländern: über 90 Prozent. nur 16 Prozent, in Frankreich, wo wir unter allen Universität Münster
chen Haltung der Menschen zu den Mitgliedern
unterschiedlicher religiöser Gruppen fragt. In

Glauben leben, wechseln, aufgeben


Ländern wie Frankreich, den Niederlanden und
Dänemark, die durch öffentlich ausgetragene
Konflikte mit der muslimischen Minderheit in
die Schlagzeilen geraten sind, hat eine klare
Mehrheit ein positives Bild von den Muslimen; Konversionen zum und aus dem Islam / Von Jörn Thielmann
in Deutschland, West wie Ost, dagegen nur eine
Minderheit. In den alten Bundesländern haben Gelebte, gar sichtbare Religiosität ist heut- auch für manche Konvertiten attraktiv, die ohne Es kommt allerdings ebenso dazu, dass Muslime
34 Prozent eine positive Meinung von Muslimen, zutage in Deutschland eine Irritation für vie- eigene muslimisch-kulturelle Prägung sich den ihren angestammten Glauben aufgeben, dass
in den neuen 26 Prozent. In den Niederlanden, le Menschen. Besonders deutlich wird dies Islam als Glaubenspraxis aneignen müssen. Der sie sich einer anderen Religion zuwenden oder
in denen die Islamdebatte durch die Ermordung bei Muslimen: bei solchen, die seit Geburt Bezug auf die prophetische Tradition kann dazu- gar nicht mehr glauben. Konversionen aus dem
des Filmemachers Theo van Gogh und aufgrund Muslime sind, ebenso wie bei solchen, die führen, dass muslimische Männer – gerade auch Islam heraus sowie die Glaubensaufgabe von
der islamkritischen Äußerungen des rechtspo- den Islam erst angenommen haben, also Konvertiten – mit Turbanen und Pluderhosen, die Muslimen sind bislang kaum Gegenstand der
pulistischen Politikers Geert Wilders besonders konvertiert sind. Ebenso irritierend – und über dem Knöchel enden, durch deutsche Fuß- Forschung und werden auch in der muslimischen
intensiv geführt wurde, haben etwa doppelt so in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt gängerzonen laufen, um ein Beispiel jenseits des Gemeinschaft nicht offen thematisiert. Das liegt
viele, nämlich 62 Prozent der Befragten eine – ist aber auch, dass auch Muslime ihren notorischen Kopftuches oder gar des Gesichts- sicherlich an dem hohen Grad der Tabuisierung
positive Haltung gegenüber Muslimen. Glauben aufgeben, entweder ganz und schleiers zu wählen. Durch das pittoreske Bild des Abfalls vom Islam in muslimischen Gesell-
Dabei ist das Bild, das man sich vom Islam in gar oder durch einen Wechsel zu einer an- sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen. schaften, der darüber hinaus nach klassischem
den untersuchten Ländern macht, erstaun- deren Religion. Bei den meisten Muslimen Die derart zum Ausdruck kommende Religiosität islamischem Recht mit dem Tod zu bestrafen ist.
lich ähnlich und erstaunlich negativ. Gefragt geschieht dies nicht so plakativ und laut, ist in der Regel hochmodern: individualisiert, Allerdings ist diese Strafe im gesamten 20. Jahr-
danach, mit welchen Eigenschaften sie den wie bei den Mitgliedern des „Zentralrats schriftorientiert, vernunftbetont. hundert weltweit so gut wie gar nicht vollstreckt
Islam verbinden, sagen in allen Ländern etwa der Ex-Muslime“. Die Zahl der Rekonvertiten hat im letzten Jahr- worden. Die Zunahme der Konversion von Musli-
80 Prozent, dass sie beim Stichwort Islam an zehnt sicherlich zugenommen. Ein zentraler men vor allem zu evangelikalen Gruppierungen,
die Benachteiligung der Frau denken. Etwa 70
Prozent assoziieren Fanatismus mit dem Islam,
etwa 60 Prozent Gewaltbereitschaft, etwas mehr
I ch werde in diesem Text drei Phänomene anspre-
chen: Zunächst die Rekonversion von Muslimen,
also born-again-Erscheinungen. Zweitens soll es
Grund dafür ist die Ethnisierung des Islams. Das
meint, dass Menschen, die augenscheinlich aus
der islamischen Welt stammen, vor allem, wenn
wie z.B. unter iranischen Schiiten in Europa und
den USA, aber auch im Iran selbst zu beob-
achten, ist von Menschenrechtsorganisationen
als 50 Prozent Engstirnigkeit. Hier sind sich die um zwei Formen von Aufgabe des islamischen nicht gar ausschließlich, als Muslime angespro- dokumentiert, aber bislang nicht wissenschaftlich
Westeuropäer weitgehend einig. Die Ausnahme Glaubens gehen, die beide unter islamischer Pers- chen werden, egal, ob sie Muslime sind und wie untersucht worden. Auch in Deutschland wer-
ist Frankreich, wo das Bild vom Islam zwar eben- pektive als Apostasie, Glaubensabfall, thematisiert es um ihren persönlichen Glauben bestellt ist. den Muslime Christen und lassen sich taufen.
falls überwiegend durch negative Assoziationen werden: den Wechsel vom Islam zu einer anderen Hinzu kommen intensive, oft auch islamopho- Die beiden großen Kirchen, aber auch die für
bestimmt ist, die Kritik aber deutlich gemäßigter Religion und die generelle Aufgabe des Glaubens, be, öffentliche Debatten über den Islam, wie in Muslime wegen ihrer intensiven Religiosität und
ausfällt. Stellt man indes positive Eigenschaften also Agnostizismus oder Atheismus. diesem Jahr anlässlich der Thilo Sarrazin-Thesen sozialen Wärme häufig attraktiven Freikirchen
wie Friedfertigkeit, Toleranz oder Achtung der Mit dem Phänomen der Konversion ist das der und der Rede des Bundespräsidenten zum Tag unterschiedlichster Prägung hängen dies jedoch
Menschenrechte für die Kennzeichnung des sogenannten Rekonversion eng verbunden. Hier der deutschen Einheit. Bei manchen Muslimen nicht an die große Glocke, um die soziale Ein-
Islams zur Wahl, dann tritt wieder die Differenz eignen sich geborene Muslime den Islam bewusst führt dies zu einer bewussten Identifikation bettung – gelegentlich auch das Leben – ihrer
zwischen Deutschland und den anderen west- neu an, werden also zu born-again-Muslimen. mit dem Islam und ihren Mitmuslimen und der neuen Glaubensschwestern und -brüder in ihre
europäischen Ländern zutage. Toleranz wollen Den Orientierungsrahmen bildet die globale eigenen Position als Muslim, ein Phänomen, das Familien und Bekanntenkreise nicht zu gefähr-
dem Islam in Deutschland weniger als fünf „umma“, die weltweite Gemeinschaft der Mus- ich im Anschluss an Max Frisch das „Andorra- den. Dass Papst Benedikt XVI. in der Osternacht
Prozent zuschreiben, in Dänemark, Frankreich lime. Der Islam der born-again-Muslime ist in Phänomen“ nenne. Neben dieser Initialzündung 2008 den aus Ägypten stammenden Muslim und
und den Niederlanden aber mehr als 20 Pro- der Regel ein dekulturalisierter, dehistorisierter zur Glaubensintensivierung von außen tritt stellvertretenden Chefredakteur des „Corriere
zent. Bezüglich der Einschätzung der Achtung und deethnisierter Islam, der sich an der „golde- natürlich immer wieder auch die individuelle de la Sera“, Magdi Allam, vor den Augen der
der Menschenrechte und der Friedfertigkeit nen islamischen Frühzeit“ und dem Vorbild des Sinn- und Glaubenssuche, die zum Studium des Welt taufte, ist die absolute Ausnahme. Magdi
des Islams bewegen sich die Unterschiede auf Propheten Muhammad ausrichtet und historisch Islams alleine und in Gruppen und zu intensive- Cristiano Allam ist seit Juli 2009 Mitglied des
einem vergleichbaren Niveau. Auch bezüglich gewachsene religiös-kulturelle Traditionen und rer Glaubenspraxis, die sehr verschieden sein
solcher Merkmale wie Toleranz, Friedfertigkeit Gewohnheiten aufgibt. Diese Form des Islams ist kann, führt. Weiter auf Seite 11
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 11
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Fortsetzung von Seite 10 der für unsere heutigen Ohren wie eine Grund- Veränderung, intensiviert noch durch die massi- Vielen – und gerade den frommen! – Muslimen
legung von Religionsfreiheit klingt und heute ven sozio-ökonomischen Umbrüche der heutigen ist in den letzten Jahren im Zusammenhang mit
Europäischen Parlaments. so auch im interreligiösen Dialog und bei der Zeit. Muslime sind zwar immer noch intensiver der intensiven Debatte um die Stellung des Islams
Das Bekenntnis, Atheist oder Agnostiker zu sein, Diskussion der Frage, ob der Islam mit einer sä- mit ihrer Religion verbunden als der Durchschnitt in Deutschland klar geworden, dass sie, wenn sie
führt in der Regel zur sozialen Isolation oder kularen Umwelt koexistieren kann, benutzt wird, der Christen. Aber die religiöse Praxis schwächt für sich Freiheiten in der Glaubensausübung for-
nötigt zum Wegzug aus der vertrauten Umge- ist kritisch zu befragen, ob er diese Toleranz und sich auch in islamischen Ländern ab – und die dern, auch für die Freiheiten anderer Menschen
bung und hat in vielen islamischen Ländern Freiheit tatsächlich meint und garantiert. Die in Zahl der Muslime, die de facto Agnostiker oder eintreten müssen, selbst wenn dies bedeutet,
gravierende rechtliche Folgen. Auch der Versuch Princeton arbeitende dänische Historikerin und Atheisten werden oder zu einer anderen Religion Religionslosigkeit und Glaubenswechsel weg
neuer Antworten auf theologische Fragen – und Islamwissenschaftlerin Patricia Crone hat die übertreten, nimmt zu. vom Islam akzeptieren zu müssen. Das ist ein
die können durchaus die reiche islamische Tradi- wesentlichen exegetischen Positionen dazu in So verwundert es nicht, dass der „Zentralrat der durchaus schmerzlicher Prozess, der aber auch
tion nutzen – beschert Muslimen heute enorme Geschichte und Gegenwart zusammengetragen Muslime in Deutschland“, einer der bundesweiten als Chance begriffen wird, den wesentlichen
Probleme, siehe den Fall des im Sommer 2010 und beim XXX. Deutschen Orientalistentag in Zusammenschlüsse von Muslimen in unserem Glaubenskern des Islams neu zu fassen und im
verstorbenen ägyptischen Professors Nasr Ha- Freiburg 2007 (http://orient.ruf.uni-freiburg.de/ Land, in seiner „Islamischen Charta“ vom 20. Feb- Leben der gläubigen Muslime in den Anfech-
mid Abu Zaid, der jahrelang in den Niederlanden dotpub/crone.pdf) vorgestellt und dies verneint. ruar 2002 – nach durchaus heftigen Diskussionen tungen und Schwierigkeiten der globalisierten
im Exil leben musste, nachdem seine Ehe vom Dass Muslime in Europa oder Nordamerika mit innerhalb der muslimischen Gemeinschaft und Moderne zu vertiefen.
Kassationshof, dem höchsten ägyptischen Zivil- den entsprechenden Menschenrechtsdiskursen auch innermuslimische Kritik hervorrufend – in
gericht, auf Antrag einer Gruppe von Anwälten und den daraus resultierenden Praktiken leben Art. 11 festhält, dass jeder Mensch das Recht hat, Der Verfasser ist Islamwissenschaftler
wegen Glaubensabfalls zwangsgeschieden und durch moderne Medien eine globalisierte seine Religion zu wechseln, eine andere Religion und Geschäftsführer des Erlanger
worden war. und vernetzte Welt entsteht, schafft innerhalb zu wählen oder sich gar für Religionslosigkeit zu Zentrums für Islam und Recht in
Der berühmte Koranvers „Es gibt keinen Zwang der islamischen „umma“, der islamischen Ge- entscheiden. Andere Verbände haben sich dem Europa an der Friedrich-Alexander-
in der Religion“ (la ikraha fi-d-din, Sure 2, 256), meinschaft, weltweit eine starke Dynamik der in öffentlichen Stellungnahmen angeschlossen. Universität Erlangen-Nürnberg

Aufklärung und Islam


Goethe, Lessing und andere Vordenker / Von Reinhard Baumgarten
Närrisch, daß jeder in seinem Falle die eigene Kultur ändert sich. Die Sicht auf frem- uns, so oft wir auch daran gehen, immer von Reiske die These, dass die kulturelle Leistung der
seine besondere Meinung preist! de Kulturen weitet sich. Muslime, so der Erlanger neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen islamischen Welt den Leistungen der abendlän-
Wenn Islam Gott ergeben heißt, Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin, werden mit setzt und am Ende Verehrung abnötigt.“ (Goethe, dischen Welt in nichts nachstehe. 1734 erscheint
Im Islam leben und sterben wir alle. anderen Augen gesehen. „Das Interesse wendet „Noten und Abhandlungen“). in London eine Koranübersetzung auf Englisch.
sich ab von dem Bestreben, den Islam zu wider- Goethe ist nicht der einzige große Geist seiner Verfasser ist der Gelehrte George Sale, der 25
legen. Man sieht in ihm eine Alternative, die sehr Zeit, der sich um eine andere Sicht auf den Jahre im Orient gelebt hat. In seiner Einführung
So spricht Johann Wolfgang von Goethe
stark von der Vernunft geprägt ist. Luther hatte Islam bemüht. Auch Johann Gottfried Herder, schreibt er: „Die große Lehre des Korans ist die
in seinem Buch „Der West-Östliche Divan“
das noch polemisch gewendet, er hatte gesagt: Friedrich Rückert und vor allem Gotthold Eph- Einheit Gottes; diese wieder herzustellen war
(Hamburger Ausgabe, Bd. 2, S. 56). Wir
Im Islam ist ja nur eitel Vernunft.“ raim Lessing versuchen, das über Jahrhunderte der Hauptzweck seiner (Mohammeds) Mission.
schrei­b en das Jahr 1819. Der deutsche
Jahrhunderte lang werden Muslime als Gegner, gepflegte Bild vom unkultivierten, irrgläubigen Als eine Grundwahrheit wurde durch ihn wie-
Dichterfürst ist damals 70 Jahre alt. Er kann
Konkurrenten und Bedrohung wahrgenommen, Muslim zu korrigieren. Dahinter steckt nach Mei- derbelebt, dass es niemals mehr als eine wahre
auf eine einzigartige Karriere als politischer
von denen nichts Gutes zu erwarten ist. Die nung des Tübinger Theologen Karl Josef Kuschel Religion gegeben hat und niemals eine andere
Beamter und Schriftsteller zurückblicken.
anhaltende Angst vor den Muslimen weckt das die Absicht, den Islam strategisch aufzuwerten. geben wird.“.
Seine Gedichte, Dramen, erzählenden Wer-
Interesse an deren Religion. Es gilt, den Feind Der Islam soll als eigenständige Religion und In den Ohren vieler christlicher Geistlicher des
ke, seine naturkundlichen, autobiographi-
zu kennen und zu studieren. Mit der Reforma- nicht mehr als antichristliche Häresie angesehen frühen 18. Jahrhunderts sind das ungeheuer-
schen und literaturtheo­retischen Schriften
tion setzt eine Intensivierung des Studiums der werden. „Das Islambild, das Lessing zweifellos liche Worte. Das Buch des Erzfeindes – die viel
haben ihn berühmt gemacht. Der Geheimrat
antiislamischen Literatur ein, die das Mittelalter schon von seinem Elternhaus mitbekommen geschmähte Türkenbibel – wird quasi auf eine
von Goethe ist eine Instanz, ein lebendes
in reichem Maße hervorgebracht hat. 1543 wird hat, ist bestimmt durch die Antiislamschriften Stufe mit der Heiligen Schrift der Christen ge-
Denkmal, eine kulturelle Autorität.
der 400 Jahre zuvor von Robertus Ketenensis ins Luthers.“ Der gesamten mittelalterlichen Theo- stellt. Für die bibelkundigen Aufklärer Goethe

I m Islam leben und sterben wir alle. Das sind


starke Worte, aber man darf ihn ruhig beim
Wort nehmen“, sagt Katharina Mommsen. Es
Lateinische übersetzte Koran auf Veranlassung
Luthers bei Bibliander in Basel erstmals gedruckt.
Ein halbes Jahrhundert später überträgt ihn
logie gilt der Islam als verdammungswürdiger
Irrglaube. Der Koran wird als Machwerk des
Teufels angesehen, Mohammed als triebgesteu-
und Lessing ist das nicht verwunderlich. Für sie
gibt es im Kern nur eine Religion in verschie-
denen Ausformungen. Diesen Gedanken im
komme dabei aber in besonderem Maße auf das Salomon Schweiger ins Deutsche. Zahlreiche erter Lügenprophet geschmäht, Muslime gelten christlichen Europa auszusprechen, bedeutet im
Wort Islam an und welche Bedeutung Goethe ihm Übersetzun­gen in andere europäische Sprachen einerseits als Geißel und Zornesrute Gottes 18. Jahrhundert, sich dem Vorwurf der Ketzerei
beigemessen habe, erläutert die 85-Jährige. Bis folgen – trotz kirchlicher Verbote. Der vielspra- wider die eigene Verderbtheit, und andererseits auszusetzen. Der Aufklärer Lessing macht aber
1992 war sie Professorin für Germanistik an der chige Johann Wolfgang von Goethe hat die zu als Werkzeug des Teufels, um die Christenheit trotz heftiger Anfeindungen christlicher Geist-
amerikanischen Elite-Universität Stanford. 1956 seiner Zeit verfügbaren Koranübersetzungen zu zerstören. licher genau diese Idee zum Grundgedanken
promovierte sie in Tübingen mit der Dissertation gelesen und kommt zu folgendem Schluss: „Und Ebenso wie Goethe bezieht Lessing sein Wissen seines berühmten Bühnenstücks Nathan der
„Goethe und 1001 Nacht“. Seit 60 Jahren be- so wiederholt sich der Koran Sure für Sure. [...] über Muslime von einer sich langsam entwi- Weise. Die drei monotheistischen Religionen
schäftigt sich Katharina Mommsen mit Goethes Nähere Bestimmungen des Gebotenen und Ver- ckelnden Orientwissenschaft, die den Islam Judentum, Christentum und Islam haben den
Verhältnis zum Islam. botenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und unabhängig vom Einfluss christlicher Kleriker gleichen Ursprung und die gleiche Botschaft:
christlicher Religion, Amplifikationen aller Art, und kultureller Überlegenheitsdünkel erforscht. Den Glauben an einen Gott. Sie sind wie drei
Ob der Koran von Ewigkeit sei? grenzenlose Tautologien und Wiederholungen Unter ihnen ist in Leipzig mit Johann Jakob Reiske
Darnach frag‘ ich nicht! ... bilden den Körper dieses heiligen Buches, das ein genialer Arabist. In seinen Schriften vertritt Weiter auf Seite 12
Dass er das Buch der Bücher sei
Glaub‘ ich aus Moslemen-Pflicht.

„Der Dichter“, so kokettiert Goethe 1816, „lehnt


den Verdacht nicht ab, dass er selbst ein Musel-
mann sei.“ Drei Jahre später erscheint „Der West-
Östliche Divan“. Im September 1820 vermerkt
Goethe in einem Brief an Carl Friedrich Zelter:
„Weiter kann ich nichts sagen, als dass ich hier
mich im Islam zu halten suche.“
War Goethe Muslim? „Nein“, sagt die Goethe-
kennerin Katharina Mommsen bestimmt. Sie
hat diese Frage schon oft gehört. „Goethe war
kein Muslim.“ Goethe habe den Begriff Islam
als sich dem Willen Gottes ergeben verstanden.
In diesem Sinne habe er auch sein Verhältnis zu
Gott verstanden. Goethes Verhältnis zum Islam
als Religion sei ambivalent gewesen. „Aber wenn
Sie dem nachgehen, wie er auf die Bibel reagiert
hat, das ist auch ambivalent – und so auf fast jede
Lehre. Er war ein sehr beweglicher Geist und ließ
sich nicht indoktrinieren.“
Als Jugendlicher nimmt Goethe in Frankfurt Heb-
räischunterricht. Der evangelische Christ will die
Quellen seiner Religion besser verstehen. Über
das Studium des Hebräischen kommt er mit dem
Arabischen in Berührung. Der jung schon bibel-
feste Goethe entdeckt über den Sprachunterricht
den Koran und damit erwacht sein Interesse an
der Kultur des Islams.
Goethe ist ein Kind der Aufklärung. Es ist die Epo-
che, in der das Denken mit Mitteln der Vernunft
von althergebrachten und überholten Vorstel-
lungen und Ideologien befreit werden soll. Der
aufgeklärte Mensch soll nicht mehr schicksalhaft
an die Vorgaben der weltlichen und geistlichen
Obrigkeiten gekettet sein. Er soll sein Leben und
Denken selbst bestimmen. Die europäische Auf-
klärung bricht mit der überkommenen christlich-
mittelalterlichen Lebenshaltung und leitet einen Miniatur mit nächtlicher Jagdszene mit zwei Moghulprinzen, Indien, spätes 17. Jh.© Museum für Islamische Kunst/Sammlung Edmund de Unger
geistigen Emanzipationsprozess ein. Die Sicht auf
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 12
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Fortsetzung von Seite 11 men lassen. So eilt zu den guten Din­gen um Mommsen nicht müde wird zu betonen, sondern
die Wette. Zu Gott werdet ihr allesamt zurück- aus Wissensdurst. Dichterfürst mit türkischen
Aufklärung und Islam kehren. Dann wird er euch kundtun, worüber Vieles von dem, was Dichter und Denker, Ge-
ihr uneins waret.“. lehrte und Wissenschaftler der Aufklärung über
Genen
identisch gefertigte Ringe und unterscheiden Lessings Ringparabel und die zitierten Koran- Judentum und Islam gedacht und geschrieben Das Gerücht, Goethe sei eigentlich Muslim
sich lediglich durch ihre unterschiedlichen verse haben die gleiche Botschaft: Religionen haben, ist in den nachfolgenden Epochen ver- gewesen, hält sich zäh in arabischen Ländern.
Träger. Wer Träger des ersten Ringes und wer sind verschieden, weil Gott es so will; Gläubige gessen, umgedeutet und – vor allem zur Kolonia­ Aber für diese Vermutung gibt es keinerlei Be-
Träger einer Kopie ist, bleibt in Lessings Ring- aller Religionen sollen um das Gute wetteifern; lisierung islamischer Länder – instrumentalisiert weise. Anders sieht es bei Goethes möglichen
parabel offen, doch lässt er Nathan weisen wer glaubt, ergibt sich dem Willen Gottes. Zwi- worden. Gerne wird heute mit dem Gefühl der türkischen Vorfahren aus. Der langjährige
Rat geben: schen beiden Texten liegen knapp 1150 Jahre. Überlegenheit auf die Errungenschaften der Brackenheimer Dekan Werner-Ulrich Deet-
Dazwischen liegen auch muslimische Erobe- europäischen Aufklärung mit der Bemerkung jen ist überzeugt davon, herausgefunden zu
Es strebe von euch um die Wette, rungen, christliche Kreuzzüge, spanische Rück- verwiesen, im Islam lasse diese Aufklärung noch haben, dass Goethes Vorfahren auf einen
Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag eroberung, Türkenkriege, Kolonisation. Berge auf sich warten. Dabei bleibt völlig unberücksich- türkischen Hauptmann namens Sadok Selim
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut von Leichen, Ströme von Blut. Unendliches Leid, tigt, wie und warum sich Denker der Aufklärung zurückgehen, der ein Prinz der im mittelana-
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Tod und Verderben im Namen der Religion, die mit dem Islam befasst haben. Manche Verse aus tolischen Konya herrschenden Seldschuken-
Mit innigster Ergebenheit in Gott jeweils als die einzig wahre angesehen wird. Goethes West-östlichem Divan erscheinen der dynastie gewesen sein soll. Sadok Selim sei
Zu Hilf‘! Und wenn sich dann der Steine Der Jude Nathan weist in Lessings Stück mit Goethekennerin Katharina Mommsen heute im gegen Ende des 13. Jahrhunderts im Heiligen
Kräfte seiner klugen Rede den Muslim Saladin auf Lichte des vermeintlichen Zusammenpralls der Land von Kreuzfahrern des Deutschritteror-
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: die Gleichwertigkeit der drei monotheistischen Kulturen wie prophetische Weckrufe. dens gefangen genommen und nach Süd-
So lad‘ ich über tausend tausend Jahre Religionen hin. Lessing wählt bewusst zwei deutschland gebracht worden. Der türkische
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Vertreter der Jahrhunderte lang von Christen Sinnig zwischen beiden Welten Offizier, so der promovierte Kirchenhistoriker
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen verfemten Religionen Judentum und Islam, um Sich zu wiegen Deetjen, sei nach Brackenheim in der Nähe
Als ich; und sprechen. seinen Gleichheitsgedanken auszudrücken. Mit Lass ich gelten von Heilbronn gelangt, wo er sich taufen ließ
der Figur des muslimischen Saladin würdigt Darum zwischen Ost und Westen und eine Frau namens Rebekka Dobler ehe-
So spricht Nathan der Weise in Lessings Ring- Lessing das, was von Luther noch abschätzig Sich bewegen lichte. Das Ehepaar hatte den Brackenheimer
parabel über den Wettstreit der Religio­n en. zurückgewiesen wurde: Glaube und Vernunft Sei’s zum Besten. Quellen zufolge sechs Kinder. Unter den
Folgende Worte finden sich im Koran in Sure widersprechen sich nicht – nicht im Islam und Nachkommen Sadok Selims sollen zahlreiche
5, Vers 44-48: „Für jeden von euch haben wir nicht in anderen Religionen. Lessing hat gelebt, Der Verfasser ist Fachredakteur in der Persönlichkeiten von Rang gewesen sein, unter
eine Richtung und einen Weg festgelegt. Und gedacht und geschrieben im Geiste des Trialogs redaktion Religion, Kirche und Gesell- anderem die Familie von Johann Wolfgang
wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer der drei abrahamitischen Religionen. Goethe hat schaft beim Südwestrundfunk und hat von Goethe in Frankfurt.
einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber er will den Dialog zwischen Morgen- und Abendland das ARD-Projekt „Gesichter des Islam“ Reinhard Baumgarten
euch prüfen, in dem, was er euch hat zukom- gesucht – nicht aus Schwärmerei, wie Katharina konzipiert

Islamische Studiengänge in Deutschland


Tübingen, Münster/Osnabrück als Vorreiter / Von Annette Schavan
Die Integration von Mitbürgerinnen und richt an den Schulen bietet eine wichtige kulturelle
Mitbürgern mit Migrationshintergrund ist und theologische Orientierungshilfe, er vermittelt
eine wichtige gesellschaftspolitische Aufga- Ethik und Moral und fördert die Identitätsfindung
be in Deutschland. Integration sichert den von Kindern und Jugendlichen. Religionsunter-
sozialen Zusammenhalt unserer Gesell- richt unterstützt Kinder und Jugendliche darin,
schaft und ist daher in unser aller Interesse. den eigenen Glauben zu reflektieren und zu
Zu einer gelingenden Integration trägt in artikulieren. Und er fordert dazu auf, sich mit
besonderer Weise der gegenseitige Respekt Werten auseinanderzusetzen – den eigenen wie
vor unterschiedlichen religiösen Bekennt- auch den Werten anderer. Das halte ich in einer
nissen und Traditionen bei. Er ist geprägt pluralen Gesellschaft für eine entscheidende
von gegenseitigem Vertrauen und einem Voraussetzung, um den notwendigen Dialog der
friedlichen Miteinander der verschiedenen Kulturen zu führen.
Religionen und Kulturen. Um eine flächendeckende Einführung islamischen
Religionsunterrichtes in Deutschland sicher stellen

D er Wissenschaftsrat, der die Bundesregierung


in Angelegenheiten der Wissenschaft berät,
hat in seinen „Empfehlungen zur Weiterentwick-
zu können, werden schätzungsweise rund 2.000
Lehrkräfte benötigt. Eine fundierte Ausbildung
dieser Lehrkräfte ist ohne ein entsprechendes
lung von Theologien und religionsbezogenen universitäres Umfeld, das auch anspruchsvolle
Wissenschaften“ vom Januar 2010 den Aufbau Islamische Studien umfasst, nicht vorstellbar.
von Islamischen Studien an staatlichen Hoch- Grundsätzlich liegt die Entscheidung über die
schulen in Deutschland vorgeschlagen. Das Einrichtung von Zentren für Islamische Studien
Bundesministerium für Bildung und Forschung an deutschen Hochschulen bei den Ländern und
(BMBF) unterstützt diesen Vorschlag. Universitäten. Das BMBF sagt seine Unterstützung
Deutschland ist weltweit das Land mit der längsten für vielversprechende Standorte zu, verbindet
und umfangreichsten Erfahrung mit der Theologie diese aber gleichzeitig mit hohen Anforderungen.
als einer Wissenschaft. Deshalb sind die deut- Die drei wichtigsten sind:
schen Universitäten besonders geeignet, auch ·· Die Länder und Universitäten müssen bereit
muslimischen Religionsgelehrten und Theologen sein, bereits in der Aufbauphase einen subs-
die Möglichkeit zur Arbeit an einer Theologie zu tantiellen finanziellen Beitrag zu leisten und
geben, die die Substanz des Glaubens wahrt und die Zentren nach Auslaufen der flankierenden
eine zeitgemäße Interpretation gewährleistet. BMBF-Förderung in vollem Umfang zu tragen.
Die Einrichtung Islamischer Studien an deutschen Nur so können in Deutschland Islamische Studi-
Hochschulen schließt nicht nur eine wissen- en entstehen, die dauerhaft leistungsfähig und
schaftliche Lücke, indem sie die Chance zu einer international konkurrenzfähig sind.
historisch-kritischen Methode im Umgang mit dem ·· Die Universitäten müssen über ein wissen-
Koran eröffnet, sondern sie ist auch Teil einer zeit- schaftliches Umfeld und Fächerspektrum ver-
gemäßen und überzeugenden Integrationspolitik, fügen, das die neu entstehenden Islamischen
da sie durch die ausgebildeten Theologen unter Studien darin unterstützt, wissenschaftliche
anderem auch einen sinnvollen bekenntnisorien- Qualitätsstandards einzuhalten. Allein die in-
tierten schulischen Religionsunterricht ermöglicht. tensive Kooperation mit anderen benachbarten
In Deutschland leben schätzungsweise rund vier Fächern, insbesondere den christlichen Theolo-
Millionen Muslime, die nach dem Christentum die gien, der Islamwissenschaft und der Religions-
zweitgrößte Religionsgemeinschaft in unserem wissenschaft sowie einer Lehramtsausbildung,
Staat bilden. Viele davon wünschen für ihre Kin- kann dies gewährleisten.
Gefäß (Aquamanile) in Vogelform aus Bronze, Iran 8. Jh. (Inv.-Nr. I. 5623) © Museum für Islamische Kunst/
der religiöse Bildung, wie sie hier auch Kindern ·· Schließlich haben die Universitäten beim Auf- Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Jürgen Liepe
im christlichen Religionsunterricht traditionell er- bau Islamischer Studien verfassungsrechtliche
möglicht wird. Die Kinder sollten von Lehrkräften Belange zu beachten: Zum einen genießen werden. All das muss selbstverständlich unter den lehrer sowie Religionsgelehrte unter anderem für
unterrichtet werden, die eine Ausbildung an einer Glaubensgemeinschaften ein Selbstbestim- üblichen Bedingungen der Wissenschaftsfreiheit Moscheen ausgebildet werden. Im Frühjahr 2011
deutschen Hochschule nach den hier üblichen mungsrecht. Zum anderen haben Staat und geschehen. Dabei bieten die Beiräte auch die wird die Entscheidung über die Förderung weiterer
hohen Standards und auf der Grundlage des Glaubensgemeinschaften in „gemeinsamen große Chance, durch die Einbeziehung auslän- Standorte fallen.
Grundgesetzes erfahren haben. Religionsunter- Angelegenheiten“ (res mixtae) wie universitären discher Expertinnen und Experten internationale Die überzeugenden Erfahrungen, die wir mit
Theologien und schulischem Religionsunterricht Ausstrahlungskraft für die Islamischen Studien in den christlichen Theologien an den Hochschulen
zusammen zu arbeiten. Deutschland zu erreichen. gemacht haben, bieten aus meiner Sicht eine
Anhänger des Islams beten Die Bedingungen dafür sind jedoch an den Im Herbst 2010 ist es gelungen, mit Tübingen hervorragende Grundlage für einen erfolgrei-
christlichen Kirchen ausgerichtet. Die interne Or- und Münster/Osnabrück zwei Standorte für Isla- chen Aufbau Islamischer Studien an staatlichen
zu Allah, dem Einen Gott ganisation des Islam hingegen ist mit kirchlichen mische Studien auszuwählen, die zusammen mit Hochschulen in unserem Land.
Der Islam zählt weltweit mit etwa 1,1 Milliar- Strukturen nur schwer vergleichbar. einer BMBF-Förderung hervorragende Voraus-
den Gläubigen zur drittgrößten Religion (nach Der Wissenschaftsrat hat deshalb vorgeschlagen, setzungen bieten, um die hohen fachlichen und Die Verfasserin ist Bundesministerin
Christen und Agnostikern). Die Christen in der an den Universitäten theologisch fachkundige organisatorischen Herausforderungen für die für Bildung und Forschung sowie
arabischen Welt nennen den Einen Gott auch Beiräte für Islamische Studien einzurichten. Etablierung Islamischer Studien zu bewältigen. Mitglied des Deutschen Bundestages
Allah, letztlich ist es derselbe Gott, den Juden, Diese sollen sicherstellen, dass die an den Uni- Dort sollen zukünftig islamisch-theologische
Christen und Muslime preisen. versitäten gelehrten Islamischen Studien von den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nach- Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates finden
Aiman A. Mazyek Studierenden, den Eltern der Schulkinder und der wuchswissenschaftler, in der Sozialarbeit tätige sich unter: http://www.wissenschaftsrat.de/down-
muslimischen Gemeinschaft insgesamt akzeptiert Personen, Religionslehrerinnen und Religions- load/archiv/9678-10.pdf
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 13

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Vorbeter, Seelsorger und theologische Referenz


Die Notwendigkeit einer Imamausbildung in Deutschland / Von Rauf Ceylan
Die Berufsgruppe Imam existiert offiziell vor allem mit ihrer Praxis in Verbindung setzen
nicht und wird daher auch nicht registriert. können. In der Regel haben aber die Imame kaum
Wir wissen aber, dass in Deutschland ca. Möglichkeiten in Deutschland dieses Wissen zu
2.500 islamische Einrichtungen existieren. vertiefen, zumal sie in den ersten beiden Jahren
Es kann davon ausgegangen werden, dass mit ihrer eigenen Orientierung und Integration
es sich bei mindestens 2.000 dieser Ein- sowie mit dem Einleben in die neue Gemeinde
richtungen um Moscheevereine handelt. beschäftigt sind.
Anhand der Zahl der Moscheevereine Vor diesem Hintergrund hat die Universität Osna­
kann auf die Zahl der Imame geschlossen brück im Wintersemester 2010/11 mit einem
werden. Mit relativer Sicherheit können wir zweisemestrigen universitären Weiterbildungs-
daher sagen, dass etwa 2.000 Imame in programm mit dem Ziel gestartet, die Imame und
Deutschland tätig sind. Wenn man davon das seelsorgerische bzw. religionspädagogische
ausgeht, dass pro Moschee etwa 150-250 Betreuungspersonal in den muslimischen Ge-
Muslime die Freitagsgebete besuchen – die meinden in den Schwerpunkten Landeskunde und
Zahl kann steigen, wenn der Freitag auf Gemeindepädagogik zu schulen. Damit werden
einen Feiertag in Deutschland trifft oder nicht nur alle ethnischen Moscheen erreicht, auch
in den Schulferien liegt – , dann erreichen Frauen sollen als Seelsorgerinnen und Predige-
die 2.000 Imame tausende Muslime allei- rinnen involviert werden. Gerade die weiblichen
ne an einem Tag pro Woche. Wir können Kräfte in den Moscheen spielen zunehmend eine
davon ausgehen, dass ca. 70 Prozent der wichtigere Rolle in den Moscheevereinen und
Imame türkeistämmig sind. Ein Großteil möchten auch aktiv in den Vorständen tätig sein.
der restlichen 30 Prozent verteilt sich auf Zwar bilden all diese Maßnahmen wichtige
Ex-Jugoslawien und Nordafrika. Über 90 Schritte, allerdings bleiben sie nur die kleine
Prozent der Imame in Deutschland stam- Lösung im Eingliederungsprozess der Muslime in
men nach wie vor aus dem Ausland. Nur die Deutschland. Denn Geistliche haben auch in der
wenigsten sind in Deutschland sozialisiert. säkularisierten Gesellschaft einen wichtigen Stel-
lenwert. Egal ob Rabbiner, Pastor oder Imam – sie

I mame sind die theologische Referenz, sind


wichtige gesellschaftliche sowie politische Mul-
tiplikatoren. Muslimische Kinder und Jugendliche
alle üben eine wichtige Funktion aus. Sie trösten,
geben Hoffnung und unterweisen zu religiösen
Themen. Sie nehmen damals wie heute eine Brü-
erhalten zudem ihre religiöse Erziehung durch die ckenfunktion ein. Imame in Deutschland nehmen
Imame in Moscheegemeinden. Imame prägen dabei eine noch wichtigere Rolle ein, auch wegen
die Religiosität und die religiöse Orientierung der Migrationssituation der Muslime. Sie werden
dieser jungen Menschen. Damit beeinflussen bei religiösen, sozialen und kulturellen Fragen
sie auch die Zukunft des Islams in Deutschland. konsultiert, weil sie Vertrauenspersonen sind, weil
Darüber hinaus nehmen die Imame zahlreiche sie denselben religiös-kulturellen Hintergrund ha-
andere Aufgaben wie die Rolle des Vorbeters, der ben wie die Betroffenen und die Muslime damit die
seelsorgerischen Betreuung der Gemeinde oder Hoffnung verbinden, dass sie sie besser verstehen.
die Vermittlung in Ehe- und Scheidungskonflikten Diese Rolle hat auch der Wissenschaftsrat er-
ein. Allerdings sind mit dem Import der oft nicht kannt und im Frühjahr dieses Jahres die Errich-
deutschsprachigen Imame aus dem Ausland viele tung von zwei bis drei Standorten als Zentren für
Konflikte vorprogrammiert: Islamische Studien empfohlen. Ein Standort ist
·· lange Orientierungsphase nach der Einreise in die Universität Osnabrück, die bereits 2011/12
Deutschland, mit einem ordentlichen Studiengang Islamische
·· Teil-Inklusion aufgrund temporärerer Aufent- Theologie beginnen möchte. Dies ist ein histori-
haltsabsichten, scher Schritt, da junge Muslime nach dem Abitur
·· Kommunikationsprobleme mit den jüngeren die Möglichkeiten haben werden, Islamische
Gemeindemitgliedern, Theologie an einer deutschen Hochschule zu
·· keine aktive Teilnahme am interreligiösen Dia­ studieren. Das Institut für Islamische Theologie
log aufgrund fehlender Sprachkompetenzen, an der Universität Osnabrück verfolgt dabei drei
·· die Predigten korrelieren nicht mit Lebensrea- zentrale Ziele. Erstens müssen wir Religionsleh-
lität der Muslime usw. rerinnen und Religionslehrer ausbilden, damit
Man könnte die Liste der Defizite weiter aus- der islamische Religionsunterricht bundesweit Einzelblatt mit feiner Kalligraphie und Marginalbildern aus der Gedichtsammlung Golestan (Rosengarten) des
führen, allerdings reicht der Verweis darauf, flächendeckend eingeführt werden kann. Derzeit persischen Dichters Sa‘di, Herat/Afghanistan (?), um 1525-30 (Inv.-Nr. 1986.104 v)
dass der Imam im Grunde in Deutschland besuchen etwa 900.000 muslimische Schüler­ © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Jürgen Liepe
gesellschaftlich stumm bleibt, die hiesige Ge- innen und Schüler das deutsche Schulwesen
sellschaft nicht kennt und auch innerhalb der und nur ein Bruchteil kommt in den Genuss, land sozialisierte und gut qualifizierte religiöse über die Neu-Interpretation Islamischer Quellen
Moscheestrukturen massive Kommunikations- einen Islamkunde-Unterricht zu besuchen. Die Autoritäten wirken können. Zugleich wird damit debattiert und neue Impulse setzen können. Erst
probleme herrschen. Dadurch kann der Imam wissenschaftlich-rationale Reflexion der eige- der Einfluss ausländischer Staaten auf die musli- dann kann sich eine Islamische Theologie im
seine Brückenfunktion nicht gänzlich ausschöp- nen religiösen Sozialisation in den Familien und mische Community in Deutschland unterbunden. europäischen Kontext entfalten.
fen. So übernimmt der Imam beispielsweise die Moscheegemeinden im Schulunterricht ist von Schließlich – und dieses Ziel wird in den öffentli-
(psychosoziale) Beratung der Gläubigen. Er ist höchster Bedeutung für den Prozess der Identi- chen Debatten völlig außer Acht gelassen – soll Der Verfasser ist Professor für
für die Herstellung der sozialen Aussöhnung in tätsfindung dieser jungen Menschen. Das zweite wissenschaftlicher Nachwuchs qualifiziert werden, Religionswissenschaft mit dem Schwer-
der Gemeinde sowie für die Vermittlung in Ehe- Ziel des Instituts ist die Ausbildung von Imamen, damit in Deutschland eine wissenschaftliches punkt Islamische Religionspädagogik
und Scheidungskonflikten zuständig. Da andere damit in den hiesigen Gemeinden in Deutsch- Netzwerk muslimischer Theologen entsteht, die an der Universität Osnabrück
außerfamiliäre, professionelle Institutionen
nicht aufgesucht werden, gehen muslimische
Paare in der Gemeinde auf die Vermittlungs-
bemühungen des Imams ein. Allerdings ist der
Imam als Mediator nicht pädagogisch quali-
fiziert. Er könnte in diesem Fall jedoch seine
Brückenfunktion nutzen, um die Gemeindemit-
Imame für Integration
glieder an professionelle Stellen zu vermitteln.
Dreijährige Fortbildung: Qualifizierung für das neue Lebensumfeld Deutschland / Von Angela Kaya
Das setzt voraus, dass er die professionellen Mit der feierlichen Übergabe von Teilnah- wachsenden Aufgaben und Herausforderungen Des Weiteren waren gerade diese türkischen
Hilfsstellen kennt, aber vor allem Vertrauen in mebestätigungen und Zertifikaten endeten sind für die Imame in der Kürze der Zeit einfach Imame eine bereits aus der Arbeit des Goethe-
diese Netzwerke hat. Ende Oktober 2010 nach knapp einem nicht adäquat zu bewältigen. Institut Ankaras vertraute Zielgruppe. Denn
Vor dem Hintergrund der genannten Defizite hat Jahr die ersten beiden Fortbildungskurse Der Auftrag des Bundesamts für Migration seit 2002 werden dort jährlich 50 bis 60 von
das Goethe-Institut Ankara bereits 2002 damit für Imame und Religionsbeauftragte der und Flüchtlinge (BAMF) zur Erstellung eines ihnen auf ihre Entsendung nach Deutschland
angefangen, Imamen des türkischen Amtes für Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Konzepts für eine erste bundesweite, zunächst vorbereitet. Dabei erhalten sie erste Einblicke in
religiöse Angelegenheiten (Diyanet) in der Türkei Religion (DITIB) in Köln und Nürnberg. auf drei Jahre angelegte Fortbildung für die die Sprache und Kultur ihres Gastlandes. Diese
Sprachkurse anzubieten. In einem mehrwöchigen in Deutschland so wichtigen DITIB-Imame und vorbereitenden Kurse in der Türkei werden in
Sprachkurs lernen die Imame die Grundkennt-
nisse der deutschen Sprache. Zusätzlich bietet
die Konrad-Adenauer-Stiftung seit 2006 ein
A ls größter islamischer Dachverband in
Deutschland mit etwa 800 Gemeinden erzielt
die DITIB eine nicht zu unterschätzende Reichwei-
Religionsbeauftragten, der im Frühjahr 2009 an
das Goethe-Institut erging, kann nur als eine
logische Antwort auf diese unbefriedigende
enger Abstimmung mit dem Amt für Religiöse
Angelegenheiten sowie der deutschen Botschaft
durchgeführt und ergänzt durch ein landeskund-
einwöchiges Landeskundeseminar an. Durch die te, auch wenn die einzelnen Gemeinden formal Situation bewertet werden. liches Seminar, für das sich die Konrad-Adenau-
Kooperation mit Diyanet versucht die Konrad- unabhängig voneinander agieren. Die Nähe und Für das Goethe-Institut war diese Anfrage in er-Stiftung verantwortlich zeichnet.
Adenauer-Stiftung über die direkte Einbindung Verbundenheit zur Türkei sind dabei unüberseh- zweifacher Hinsicht von Bedeutung, bot sich Trotz dieses vorintegrativen Moduls in der Türkei
der Imame in Bildungsmaßnahmen, relevante bar und ergeben sich aus der Tatsache, dass die doch hier die Chance, Vorstellungen hinsichtlich stellte sich sehr bald heraus, dass es nicht aus-
Multiplikatoren in der Integrationsarbeit sowie Imame und Religionsbeauftragten direkt vom eines möglichst umfassenden und zielgerichteten reicht, den wachsenden Anforderungen an die
im interreligiösen Dialog zu erreichen. Sie sind Amt für Religiöse Angelegenheiten in Ankara für Integrationsprozesses zu skizzieren. Integrations- Imame in Deutschland gerecht zu werden: An-
deshalb besonders wichtige Multiplikatoren, weil ihren drei bis fünfjährigen Einsatz in Deutschland prozesse müssen – je nach Zielgruppe – differen- ders als in der Türkei sind sie hier nicht nur für die
diese Autoritäten sich künftig im Rahmen ihrer oder in einem anderen westeuropäischen Land ziert geplant und begleitet werden. Je größer die religiösen Belange ihrer Gemeinden zuständig,
weiteren beruflichen Verwendung in Deutschland ausgewählt werden. Trotz einer zunehmend auf professionelle Herausforderung ist, die im neuen sondern in vielen Fragen des alltäglichen Lebens
und in der Türkei intensiv mit den Themen Islam, Qualifikation und Eigenmotivation ausgerichte- Lebensumfeld wartet, je schneller das Einleben beratend tätig. Dabei treffen sie auf Gemeinden,
Integration und Dialog auseinandersetzen wer- ten Auswahl stellt die hohe, rotationsbedingte dort erfolgen muss, umso wichtiger ist die Qualität deren Lebenswelten von den hiesigen Rahmen-
den. Die Vorbereitungsseminare in der Türkei sind Fluktuation des geistlichen Personals für alle der integrationsbegleitenden Maßnahmen. Das bedingungen und Herausforderungen geprägt
allerdings nur kleine Impulse, damit die Imame in Beteiligten ein großes Hindernis in der erfolg- gilt auch oder vor allem für die multiplikatorisch
Deutschland dieses Grundwissen vertiefen, und reichen Umsetzung dieses Programms dar. Die wichtigen Imame und Religionsbeauftragten. Weiter auf Seite 14
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 14

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Fortsetzung von Seite 13 abschnitt in einem Klima des Einverständnisses oder von Kooperationen. Neben der jüngsten Darüber hinaus haben die ersten beiden Kurse
durchzuführen. Geschichte, mit besonderem Bezug zur Mi- gezeigt, dass dieses Fortbildungsprogramm eine
Imame für Integration Obwohl das Fortbildungsprogramm formal aus grationsgeschichte hier ansässiger Muslime, Möglichkeit für alle Seiten ist, sich einander an-
drei unterschiedlichen Modulen besteht, basiert konzentrieren sich die Lerninhalte und Projekte zunähern und Vertrauen aufzubauen. Deutlich
sind. Sie haben es darüber hinaus in der letzten es doch auf einem integralen Ansatz: Der Sprach- zunehmend auf die Herausforderungen, die wurde das bei den vielen Kontakten, die wäh-
Zeit aber auch mit Menschen zu tun, die sich ver- kurs dient dem Spracherwerb, bereitet aber im Rahmen der aktuellen Integrationsdebatten rend des Kurses vermittelt wurden und zum Teil
stärkt im Zentrum integrationspolitscher Debatten ebenso auf die Seminare und außerunterrichtli- kontrovers diskutiert werden und für die es gilt, unmittelbar zu Vereinbarungen führten.
sehen, in denen sie Positionen beziehen müssen. chen Projekte vor. Die Seminare rekurrieren auf zukunftsfähige Lösungen zu formulieren. Beeindruckend war die ungebrochen hohe
Als Prediger, Lehrer, Berater und Seelsorger sind den Unterricht, führen von eher praxisorientieren Imame mit guten Deutschkenntnissen können für Motivation und Leistungsbereitschaft   der teil-
die Imame gleichzeitig immer auch zentraler An- hin zu abstrakten Inhalten. Die regelmäßigen die Mitglieder ihrer Gemeinde ein Vorbild sein nehmenden Imame und Religionsbeauftragten
sprechpartner für ihr deutsches Umfeld. Evaluationstreffen haben das Ziel, das Erreichte und türkischstämmige Migrantinnen und Mig- am täglichen, vierstündigen Sprachkurs und den
So war es nur ein Frage der Zeit, bis vielerorts gemeinsam zu reflektieren und knüpfen als Teil ranten anregen, offener der deutschen Sprache landeskundlichen Programmen – ungeachtet
– vor allem auf kommunaler Ebene – angeregt der Netzwerkbildung an die Projektarbeit an. Der und Kultur zu begegnen. Die Mittlerrolle, die der parallel weiter bestehenden beruflichen
wurde, Folgeprogramme aufzulegen, die an das methodische Ansatz baut auf Präsenzphasen auf, von den Imamen auch aus ihren Gemeinden Belastungen.
in der Türkei Erlernte anknüpfen sollten. die von individueller Projektarbeit und multime- erwartet werden, ist ohne Sprach- und Landes- Nach dem ersten Jahr bewertet das Goethe-Ins-
Die Anfrage des Bundesamtes an das Goethe- dialen Lernformen flankiert werden. kundekenntnisse kaum zu bewältigen. titut die Fortbildung „Integration für Imame“ als
Institut mündete in eine intensive Phase der Im Mittelpunkt der Fortbildung steht immer das Neben einer deutlichen Verbesserung der einen wichtigen und notwendigen Baustein bei
Programmerstellung. Denn am Tisch saßen – und Lebensumfeld und die damit verbundenen Auf- Sprachkenntnisse ist positiv zu bewerten, dass der gegenwärtigen Suche nach Perspektiven für
das ist für das Projekt von Bedeutung – alle drei gaben der Imame und Religionsbeauftragten. es gelungen ist, das neue Lebensumfeld durch eine künftige Ausbildung islamischer Theologen
Partner: neben dem Bundesamt und dem Goe- Dabei spielen Fragen nach dem Funktionieren die eigene Wahrnehmung erlebbar werden zu in Deutschland. Aus diesem Grund kommt dem
the-Institut immer auch die türkisch-islamische des öffentlichen Lebens in Deutschland, den lassen. Vor allem die Exkursionen und Projekte parallel eingesetzten Instrument der Evaluation
Union, also die DITIB. Ziel war es, Konsens über politischen Systemen, dem Aufbau von Bildungs- haben den Imamen und Religionsbeauftragen eine besondere Bedeutung zu.
die Inhalte der einzelnen Programmmodule zu oder Sozialversicherungssystemen ebenso eine den Eindruck vermittelt, was von ihnen erwartet
erzielen. Dieser partnerschaftliche Ansatz hat Rolle wie die Stellung der unterschiedlichen wird und welche große Rolle sie für die Integra- Die Verfasserin ist Leiterin der Region
es dann auch ermöglicht, den ersten Programm­ Religionen und die Möglichkeiten des Dialogs tion übernehmen können. Deutschland des Goethe-Instituts

Schwieriger Weg
Wie kann islamischer Religionsunterricht sinnvoll gestaltet werden? / Von Hamideh Mohagheghi
Seit über zwanzig Jahren ist die Einfüh- Theologie und Religionsunterricht, ist der Weg kann der islamische Religionsunterricht auch terstützen, ihrer Verantwortung auf dieser Welt
rung des islamischen Religionsunterrichts zur konstruktiven adäquaten Theologie für die eine Brücke zwischen Moscheegemeinden und gerecht zu werden. Die gegenseitige Anerken-
in Deutschland ein kontrovers diskutiertes Muslime in Deutschland lang. der Schule werden. nung und der Respekt vor unterschiedlichen
Thema. In Folge dessen werden in einigen Die religiöse Erfahrung und Auseinandersetzung Ebenfalls soll der islamische Religionsunterricht Lebensformen und Religionen gehören zu den
Bundesländern jeweils unterschiedliche mit dem Glauben sind wichtige Voraussetzungen zur Akzeptanz der Muslime als Bürger dieses notwendigen Werten in den heutigen pluralen
Modelle erprobt, bis ein konfessionsgebun- für das Erwachsenwerden der jungen Menschen Landes führen, die konstruktiv die Gesellschaft Gesellschaften. Wird das Bewusstsein der jun-
dener islamischer Religionsunterricht als Re- und sind als Erziehungsauftrag in den Schul- mitgestalten. Wenn die Kinder und Jugendlichen gen Menschen hierfür gefördert, kann ein Lösen
gelfach erteilt werden kann. Der Weg dahin gesetzen der Länder verankert, die in gleichem in ihrer Orientierung und Wertevorstellung eine vom alleinigen Wahrheitsanspruch und ein
erweist sich als schwierig, weil zum einen der Maße auch für die muslimischen Kinder anzu- solide Basis erhalten, werden sie eher zu Men- Hinwenden zu den gemeinsamen Werten wie
deutsche Staat aufgrund seines Neutralitäts- wenden sind. Der islamische Religionsunterricht schen heranwachsen, die anderen in Respekt und Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Mitmenschlichkeit
gebots bei der Festlegung der Inhalte eines soll innerhalb der Regelunterrichtstunden erteilt Akzeptanz offen gegenüberstehen. Die Festigkeit und Barmherzigkeit erreicht werden, die alle
Religionsunterrichts auf Ansprechpartner werden und auch an fächerübergreifenden in der eigenen Tradition und die Bereitschaft zur Religionen verbinden.
aus der jeweiligen Glaubensgemeinschaft Themen und Projekten beteiligt sein. Verständigung mit anderen sind zwei Maxime Der konfessionelle Religionsunterricht hat mei-
angewiesen ist und zum anderen die Aner- Das Ziel der Einführung des islamischen Reli- des Zusammenlebens zwischen Religionen und nes Erachtens heute vielerlei zu leisten: die eige-
kennung des Islams als Religionsgemein- gionsunterrichts kann nicht reduziert werden Kulturen; diese können in der Schule gelernt, ge- nen Werte, Rituale und Traditionen zu bewahren
schaft sich als schwierig erweist. auf die Abwendung von fundamentalistischen übt und erfahren werden. Die Schule bietet eine und doch bereit zu sein, die anderen in ihrem
Umtrieben und Befähigung der muslimischen reale Chance, die Vielfalt als Bereicherung und Anderssein anzuerkennen und zu respektieren,

D er islamische Religionsunterricht in Deutsch-


land ist mit Herausforderungen und Erwar-
tungen verbunden. Zu nennen sind: die Vielfalt
Kinder zur Integration. An erster Stelle ist er
der verfassungsrechtliche Anspruch der musli-
mischen Bürgerinnen und Bürger, die dauerhaft
nicht als Bedrohung zu erleben. Der Religions-
unterricht in der Schule kann auch gelegentlich
als interreligiöser Unterricht mit der Mitwirkung
für die gemeinsamen Grundwerte einzustehen
und doch die Möglichkeit offen zu lassen, sich in
den eigenen Räumen zurückziehen zu können.
der Muslime und ihre derzeitigen Organisati- in Deutschland leben werden. In der Schule kön- der jeweiligen Lehrkräfte gestaltet werden, um Eine eigene Identität zu entwickeln, die feste
onsstrukturen, die den staatsrechtlichen Anfor- nen die Schülerinnen und Schüler kindergerecht das Kennenlernen, Verstehen und Respektieren religiöse Grundlagen hat und mit anderen die
derungen offensichtlich nicht genügen. Weiter durch didaktische Methoden die Glaubensin- einzuprägen. Die Kinder und Jugendlichen sind Verantwortung zu teilen, die der Mensch für
die Wahrnehmung des Islams in Deutschland. halte und Glaubensgrundlagen kennenlernen offen und neugierig für das „Fremde“ und sehen die Schöpfung trägt; all dies gilt natürlich auch
Und daraus folgend die Erwartung an den is- sowie mit der Praxis vertraut werden. die Vielfalt und Unterschiede normalerweise nicht für einen islamischen Religionsunterricht in der
lamischen Religionsunterricht, die dieses Fach Der islamische Religionsunterricht in der Schule als Gefahr, sondern als spannende „Unbekann- Schule.
auf das „Wundermittel“ gegen Extremismus und ist keine Konkurrenz und kein Ersatz für den Un- te“, die entdeckt werden soll. Dieses Potenzial zu
Fanatismus und für eine gelungene Interpreta- terricht in der Moschee. Er soll eine Zusammen- nutzen und zu entfalten, sollte zum allgemeinen Die Verfasserin ist Lehrbeauftragte
tion reduziert. arbeit der Schule mit den Moscheegemeinden Bildungsauftrag der Schule gehören. für islamische Theologie am Institut
Gleichwohl sind die gegenwärtigen politischen, entwickeln und eine mögliche interaktive und Der Religionsunterricht hat mit der Vermittlung für Evangelische Theologie der Uni-
gesellschaftlichen und universitären Bemühun- positive Befruchtung bewirken, in diesem Sinne der Werte die Aufgabe, die Menschen zu un- versität Paderborn
gen als Schritte zur Verwirklichung der Einfüh-
rung des islamischen Religionsunterrichts zu
sehen, die Zeit und Geduld erfordern.
Religionsunterricht in der Schule ist ein Angebot,
die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, die
vermittelten Glaubenswerte und das Glaubens-
wissen zu reflektieren, Fragen zu stellen und
ein Glaubensbewusstsein zu entwickeln, das
ihnen ermöglicht, in ihrem realen Lebensraum
als gläubige und religiöse Menschen leben zu
können. Der Religionsunterricht in der Schule
unterscheidet sich soweit von der Glaubensver-
mittlung in den religiösen Räumen wie Kirchen
und Moscheen, die vor allem das „Annehmen“
und „Praktizieren“ als Ziel setzt.
Die islamische „Theologie“ ist eine Erfahrungs-
sowie „Konsenstheologie“, die auf die realen
Lebensumstände Rücksicht nimmt, sowohl in
der Glaubenslehre als auch in der Praktizie-
rung des Glaubens. Dies führte zu vielfältigen
Glaubensverständnissen und Interpretationen,
die bereits seit den Anfängen des Islams zur
Entstehung der Denk- sowie Rechtschulen ge-
führt haben. Zudem haben regionale kulturelle
Besonderheiten die Religiosität geprägt. Eine
minuziöse Differenzierung zwischen Kultur und
Religion ist schwierig und doch notwendig, wenn
die Muslime aus unterschiedlichen Kulturen
gemeinsam eine Religionsgemeinschaft bilden
wollen bzw. müssen.
Die in Deutschland lebenden Muslime sind mit
neuen Fragen konfrontiert und suchen nach ent-
sprechenden theologischen Diskussionen und
Übereinstimmungen, daher besteht ein großer
Bedarf an Theologinnen und Theologen, die sich
diesem Diskurs stellen können. In Anbetracht
der noch fehlenden Lehrstühle für die Islamische
Theologie und der neu eingerichteten Lehrstühle
für islamische Religionspädagogik sowie die Signalhorn (Olifant) aus Elfenbein mit figürlichem Dekor, Unteritalien oder Sizilien 11.-12. Jh. (Inv.-Nr. I. 6580)
unterschiedlichen Erwartungen der Muslime an © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jürgen Liepe
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 15

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Allah und die Schöpfung


Aufgaben und Ziele des islamischen Religionsunterrichts / Von Eva-Maria El-Shabassy
Der islamische Religionsunterricht will aus
der Sicht des Islams einen Beitrag zur grund-
legenden Bildung leisten. Wie kein anderes
Fach beschäftigt sich der Religionsunterricht
mit existentiellen Fragen des Menschen
nach dem Woher und Wohin, nach Sinn und
Ziel menschlichen Seins. Im Zentrum eines
islamischen Religionsunterrichts steht Allah
in seiner Beziehung zum Menschen wie zur
gesamten Schöpfung.

A lle Fragen des Glaubens und der Glaubens­


praxis im engeren Sinne, wie auch solche
des täglichen Lebens, sind auf dieses Zentrum
hin ausgerichtet. Ziel des Unterrichts muss sein,
den Schüler zu befähigen, aus dem Glauben
heraus und in Verantwortung seinem Schöpfer
gegenüber sein eigenes und das Leben der Ge-
meinschaft zu gestalten, wobei ihm der Koran
und die Sunna des Propheten Muhammad (as)
Hilfe und Richtschnur sind.
Wissen und Erkenntnis sind nach islamischem
Verständnis Elemente des Glaubens und demzu-
folge ihre Grundlegung und Förderung Anliegen
des Religionsunterrichts. Darüber hinaus müssen
aber Werte und Verhalten grundgelegt werden,
die sich aus dem Glauben herleiten und auf
Wissen und Einsicht basieren. Auf diese Weise
soll der Religionsunterricht den Kindern Hilfe und
Anregung geben, wie sie ihr Leben gestalten und Sençer Vardarman: City Horizon (2002) [links], Istanbul Books (2008) [rechts]. Digitalprints. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Sençer Vardarman
bewältigen können.
Nicht blinde Übernahme und Imitation traditio- menschlicher Existenz gibt, gleichzeitig aber einzelnen Menschen zu Gott als das eigentlich nen nicht verwischt werden sollten, ist es doch
neller Formen der Glaubenspraxis können das auffordert, bei der Umsetzung in die Praxis den Verbindende aller Muslime. Hautfarbe, Natio- ebenso wichtig, Gemeinsamkeiten sichtbar zu
Ziel sein, sondern intellektuelle Auseinanderset- Verstand als Gottes Gabe zu nutzen. nalität und sozialer Status spielen so keine Rolle machen und zu nutzen, um ein friedliches und
zung mit Glaubensinhalten und islamischer Tra- Von der Erfahrungswelt der Schüler ausgehend mehr. Die Schüler sollen erkennen, dass die konstruktives Miteinander zu fördern.
dition, die eine mündige Glaubensentscheidung sollen Fragen nach Sinnzusammenhängen freiwillige vertrauensvolle Ergebung in Allahs Besonders in andersgläubiger Umgebung bietet
sowie einsichtiges und eigenverantwortliches angeregt und im Rahmen des Möglichen beant- Willen – nichts anderes bedeutet ja „Islam“ – die Gemeinschaft Stütze und Halt. Tugenden wie
Handeln ermöglichen. Neben dieser kognitiven wortet werden. Die Schüler werden angeregt, dem Menschen Schutz und Hilfe bietet bei der Freundlichkeit, Großmut, Gerechtigkeit etc. kön-
Glaubensdimension steht im affektiven Bereich die sie umgebende Lebenswirklichkeit unter Gestaltung und Bewältigung seines Lebens. Der nen in der unmittelbaren Gemeinschaft erfahren
die Vermittlung von Gottvertrauen und optimis- islamischen Gesichtspunkten zu betrachten und Mensch, der sich in Allahs Barmherzigkeit und und geübt werden. Die so gemachten Erfahrun-
tischer Weltsicht im Vordergrund. zu hinterfragen. Schutz geborgen weiß, wird sein Leben einerseits gen fördern die Erkenntnis, dass Ungerechtigkeit
In einem multikulturellen, mehrheitlich nicht- In einer materialistisch geprägten Welt ist es ernsthafter, andererseits aber auch zuversichtli- und Unterdrückung beseitigt und bekämpft
islamischen Umfeld ist die aktive, reflektierte besonders angezeigt, auf die Existenz und Be- cher und sinnerfüllter gestalten als einer, dem werden müssen, wenn friedliches Miteinander
Auseinandersetzung mit der Religion nicht nur deutung von Werten hinzuweisen, ohne die auf sich diese Glaubensdimension nicht erschließt. gelingen soll. Ziel ist letztlich der mündige Mus-
die Basis für ein stabiles islamisches Selbstbe- Dauer jeder menschliche Zusammenhalt zerfällt. Die Tatsache, dass die Botschaft von der Einheit lim, der aktiv und selbstverantwortlich an der
wusstsein, sondern zugleich auch Voraussetzung Wissenschaftliche Erkenntnisse und Nützlich- Gottes und der Verantwortlichkeit des Menschen Gestaltung von Gesellschaft und Staat teilnimmt.
für Verständnis und Respekt Andersdenkenden keitserwägungen können ein moralisch-ethisches von Anbeginn bis heute bei allen Propheten
gegenüber: Toleranz gegenüber den eigenen Verhalten durchaus unterstützen, gewinnen der drei großen monotheistischen Religionen Die Verfasserin war Grundschullehrer­
Glaubensbrüdern und -schwestern, die in sich wirkliche Verbindlichkeit jedoch erst durch die gleiche ist, kann in einem christlich-jüdisch in und ist Beauftragte des Zentralrats
schon ein breites Spektrum an Traditionen und Gottvertrauen, Ehrfurcht und die Liebe zu Gott. geprägten Umfeld gemeinschaftsbildend wirken. der Muslime für den islamischen
Denkweisen vertreten, wie auch gegenüber Hervorzuheben ist die direkte Beziehung jedes Auch wenn Unterschiede zwischen den Religio- Religionsunterricht
Angehörigen anderer Religionen und Weltan-
schauungen.
Eine islamische Glaubenspraxis ohne und au-
ßerhalb der Gemeinschaft der Muslime ist nicht
denkbar. Aufgabe des Religionsunterrichts ist es
daher, den Schülern die Wechselwirkung zwi-
schen Gemeinschaft und Individuum bewusst
Religionsunterricht als kulturelle Bildung
zu machen, aufmerksam zu machen auf die Be-
Alevitischer Religionsunterricht an den Schulen / Von Ismail Kaplan
deutung der zwischenmenschlichen Beziehungen Aleviten in Deutschland haben mit der Gründungsjahre der alevitischen Gemeinden Grundlage (Gutachten von Spuler-Stegemann,
für die Entwicklung des Einzelnen, aber auch Einführung des alevitischen Religionsun- in Deutschland zurück. Im September 1991 hat Marburg 2003). Das Schulministerium NRW hat
auf das Gelingen von islamischer wie allgemein terrichts in einigen Bundesländern ein das Alevitische Kulturzentrum Hamburg eine dazu ein zweites Rechtsgutachten von Stefan
menschlicher Gemeinschaft durch die Nutzung wichtiges gemeinsames Bildungsziel für Unterschriftenkampagne gestartet, um Inhalte Muckel (Universität Köln) erstellen lassen. Dieses
unterschiedlicher Fähigkeiten und das Zusam- ihre Kinder an den Schulen erreicht. Die des Alevitentums in den Schulen zu vermitteln. hat das Ergebnis des ersten Gutachtens bestätigt,
menwirken ihrer Mitglieder. überwiegende Mehrheit der alevitischen El- Aufgrund dieser Aktion und darauf folgender dass die Alevitische Gemeinde Deutschland als
Grundlegende Aufgabe eines islamischen Reli- tern ist für die Vermittlung alevitischer Leh- Verhandlungen wurden 1998 verschiedene eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7
gionsunterrichts ist es, Glauben und islamische re in den deutschen Schulen. Es gibt diese alevitische Themen im Rahmen des interreligiö- (3) Grundgesetz anzusehen ist (Gutachten von
Lebensweise mit der konkreten Lebenswirklich- Möglichkeit erst seit 2002 in Berlin und seit sen Religionsunterrichts in den Lehrplan für die Muckel, Köln 2004).
keit und den Lebenserfahrungen der Schüler 2006 in Mannheim und Schwenningen in Hamburger Grundschulen aufgenommen. An Die genannten Bundesländer bildeten im Okto-
zusammenzuführen in einer Weise, dass sie Baden-Württemberg. Eltern beklagen sich, Hamburger Schulen werden seit 1998 alevitische ber 2004 eine länderübergreifende Arbeitsgrup-
einander wechselseitig erschließen und erklären. dass die fehlende religiöse Unterweisung in Themen, wie z.B. der alevitische Gottesdienst pe, um die Einführung des alevitischen Religions-
Dieses didaktische Prinzip der Korrelation soll der Schule zu einer Entfremdung der Kinder Cem, das Muharremfasten, der Aşuretag, das unterrichts zu begleiten. Das Kultusministerium
verhindern, dass der Islam allein als theoretisches von ihren Familien, vom alevitischen Glau- Einverständnis Rızalık, der Hızır-İlyas-Tag, das Baden-Württemberg hatte schon beschlossen,
Regelwerk vermittelt wird, ohne Bezug und ohne ben und von der alevitischen Kultur führt. Semah-Ritual und die Rolle der Musik bei Aleviten den alevitischen Religionsunterricht ab Sep-
Bedeutung für die konkrete Lebensgestaltung Damit sich alevitische Kinder im Unterricht im Rahmen des interreligiösen Religionsunter- tember 2006 im Rahmen eines Modellversuchs
des Einzelnen wie auch der Gemeinschaft im wiederfinden können, ist es notwendig, ihre richts für alle behandelt (Rahmenplan Religion „Islamunterricht“ in Mannheim und Villingen-
Hier und Jetzt. eigenen Glaubensinhalte und Traditionen für die Grundschule, Amt für Schule, 13.11.2000). Schwenningen einzuführen.
Konkrete Gegenwartsbezüge, die im Licht der im Religionsunterricht zu vermitteln. In Berlin hat das Kulturzentrum Anatolischer Die AABF und die alevitischen Ortsgemeinden
historisch-religiösen Überlieferung betrachtet Aleviten am 17.05.2002 die Zulassung für den haben im Jahre 2007 die nötige Vorarbeit ge-
und interpretiert werden, erfahren ein umfas-
senderes und tieferes Verständnis ebenso wie
Glaubensinhalte, die aus der Lebenserfahrung
D er Religionsunterricht an deutschen Schulen
ist verfassungsrechtlich geregelt. Art. 7 (2)
des Grundgesetzes lautet: „Die Erziehungsbe-
alevitischen Religionsunterricht an den Grund-
schulen erhalten. Die Anträge der Alevitischen
Gemeinde Deutschland von 2000 und 2001 für
leistet und die Schulen dem Schulministerium
gemeldet, die über ein Schülerpotential für den
alevitischen Unterricht verfügen. Das Ministe-
des Einzelnen gesehen und auf sie bezogen rechtigten haben das Recht, über die Teilnahme den alevitischen Religionsunterricht wurden in rium hat die von der AABF genannten Schulen
werden. Auf diese Weise gewinnen die Schüler des Kindes am Religionsunterricht zu bestim- den Flächenländern erst nach langem Verfahren festlegen lassen, ob Lerngruppen in den von
Einsichten, die über das empirisch Fass- und men.“ Art. 7 (3) besagt: „Der Religionsunterricht entschieden. Um eine gemeinsame Lösung für der AABF genannten Schulen gebildet werden.
Messbare hinaus Dimensionen des Geistes und ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der den alevitischen Religionsunterricht zu finden, Danach wird der alevitische Religionsunterricht
des Glaubens erschließen und sie befähigen bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. haben die Kultusministerien der Länder Nord- im Schuljahr 2010/2011 insgesamt in 18 Schulen
können, ihr Leben selbstverantwortlich am Islam Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes rhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Hessen in Nordrhein-Westfalen erteilt. In Bayern wur-
auszurichten. Dabei sollen sie die Vorgaben wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung und Bayern Ursula Spuler-Stegemann (Univer- de auch im Schuljahr 2008/09 der alevitische
des Korans und der Sunna als Hilfe und nicht mit den Grundsätzen der Religionsgemein- sität Marburg) beauftragt. Sie sollte in einem re- Religionsunterricht eingeführt und er läuft im
als Maßregelung begreifen lernen. Sie sollen schaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen ligionswissenschaftlichen Gutachten die Fragen Schuljahr 2010/11 insgesamt in elf Schulen. Der
erkennen, dass die teilweise sehr konkrete Aus- Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht klären, ob das Alevitentum ein eigenständiges alevitischen Religionsunterricht wurde in Hessen
gestaltung der islamischen Regeln der Schwäche zu erteilen.“ Unter den Aleviten besteht ein Bekenntnis oder ein zum Mehrheitsislam be- im Schuljahr 2009/2010 eingeführt und er wird
des Menschen entgegenkommt und Rechtleitung, Glaubenskonsens und die Alevitische Gemeinde kenntnisverwandter Glaube ist und ob die AABF im Schuljahr 2010/11 in fünf Schulen erteilt.
Orientierung und Halt geben will. Deutschland (AABF) ist als eine Religionsgemein- eine eigene Religionsgemeinschaft im Sinne des AABF hat in den Bundesländern die Lehrer
Die Schüler sollen verstehen lernen, dass ins- schaft im Sinne des Art. 7 (3) tätig. Art. 7 (3) Grundgesetz ist. Für die Entscheidung alevitischer Herkunft akquiriert, die die Lehr-
besondere der Koran als endgültiges Wort Got- Die Bestrebungen, Kenntnisse des Aleviten- der Einführung des alevitischen Religionsun-
tes Antworten auf die grundlegenden Fragen tums im Unterricht zu vermitteln, gehen auf die terrichts war dieses Gutachten eine wichtige Weiter auf Seite 16
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 16

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Fortsetzung von Seite 15 unterstützen; das Alevitentum in seiner Geschichte vorhanden sind, müssen sie ausgesprochen und alevitischen Religionsunterricht. Zum einen müssen
und alltäglichen Gegenwart in allen Facetten be- ausgeräumt werden. Dann fängt die Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler bislang hauptsäch-
Religionsunterricht als kulturelle wusst zu machen; ein gutes Zusammenleben von mit dem eigentlichen Unterricht an. (Analog lich in türkischer, persischer und gegebenenfalls
Alevitinnen und Aleviten und Andersgläubigen in zum Cem-Gebet) (Kaplan, Alevitentum, S. 55f.) kurdischer und arabischer Sprache formulierte
Bildung Gleichberechtigung, Frieden und gegenseitiger ·· Sitzordnung: Face to face/Gesicht zu Gesicht: Begriffe in deutscher Sprache umformulieren,
befähigung in Deutschland erworben haben Achtung und Zuwendung zu fördern.“(Lehrplan Kinder sollen während des Unterrichts eine zum anderen müssen sie als Angehörige der ale-
und die im Schuldienst als Lehrer tätig sind. Die alevitischer Religionsunterricht, S. 8-9). Runde in der Klasse bilden (alevitische Sitz- vitischen Religionsgemeinschaft in der Lage sein,
alevitischen Lehrkräfte, die den alevitischen Reli- In diesem Sinne soll der Unterricht den Kindern ordnung). Es gibt für Schüler keine bestimmte ihre Religion und ihren Glauben im Diskurs mit An-
gionsunterricht in den Grundschulen im Rahmen die Möglichkeit bieten, Fragen, Probleme und Kleiderordnung. dersgläubigen in deutscher Sprache zu vertreten.
ihrer Lehrertätigkeit erteilen, werden parallel Erfahrungen zu artikulieren und zu erörtern so- ·· Musik/saz: Das Instrument Saz spielt eine her- AABF hat mit der Einführung des alevitischen
zum Unterricht fortgebildet. wie Zugang zu neuen Einsichten und zu neuen vorragende Rolle im alevitischen Gebet. Daher Religionsunterrichts eine Herausforderung bzw.
Aufgaben und Ziele des alevitischen Religions- Glaubenserfahrungen zu gewinnen. Mit den Er- soll die Lehrkraft alevitische Gesänge und das Aufgabe übernommen, die keinesfalls einfach ist.
unterrichts ergeben sich wesentlich aus dem fahrungen der alevitischen Kinder im Alltag kann Instrument Saz in den Unterricht integrieren. Es gibt weiterhin wichtige Schritte und Her-
Selbstverständnis der alevitischen Glaubenslehre. und soll der Religionsunterricht zum Wegweiser ·· Vielfalt bewahren: Die Lehrkraft soll im Un- ausforderungen für Aleviten, um sich als eine
Dementsprechend soll der alevitische Religionsun- werden. Der alevitische Religionsunterricht setzt terricht mögliche Interpretationen nach alevi- gleichberechtigte Religionsgemeinschaft in
terricht die Schülerinnen und Schüler in den Zu- konkrete Akzente in den Klassen, die aus der tischem Motto „Ein Ziel – viele Wege“ gelten dieser Gesellschaft mit Rechten und Pflichten zu
sammenhang zwischen dem Glauben und Leben alevitischen Lehre stammen. Hier sind einige lassen, die die Schüler nennen, um die Mei- entwickeln.
einführen. Danach hat der alevitische Religionsun- Beispiele zu erwähnen: nungs- und Glaubensfreiheit im Unterricht zu
terricht in den öffentlichen Schulen verschiedene ·· Einvernehmen/rızalık: Die Klasse fängt die Un- demonstrieren (Kontroversitätsprinzip). Der Verfasser ist Bildungsbeauftragter
Aufgaben, z.B. „die Entwicklung einer alevitischen terrichtsstunde mit einer Versöhnungsphase unter Nach dem Grundgesetz ist die Sprache des Re- der Alevitischen Gemeinde Deutsch-
Identität in einer nicht-alevitischen Umwelt zu den Kindern an. Falls Streitigkeiten unter Kindern ligionsunterrichts Deutsch. Das gilt auch für den land

Transkulturelle Alternative zu den „Islamischen Studien“


Die transnationale Dimension der Islamwissenschaft / Von Patrick Franke
Im Oktober 2010 hat das Bundesministe- Ein weiterer Unterschied ist, dass die Islamwis- Bewegungen der Gegenwart. Nur wer die über- und zu erschließen, desto mehr kann sie ihre
rium für Bildung und Forschung (BMBF) senschaft, anders als die „Islamischen Studien“, regionalen Zusammenhänge des islamischen Unverzichtbarkeit als Kulturwissenschaft auch
bekannt gegeben, dass es in Tübingen nicht nur den Islam selbst, sondern die Islamische Denkens im Blick hat, kann die Bedeutung nach außen hin deutlich machen.
und Münster/Osnabrück den Aufbau von Welt als Ganzes zum Gegenstand hat. Wer in von Entwicklungen auf lokaler Ebene richtig
universitären Zentren für Islamische Stu- Deutschland das Fach studiert, erfährt nicht nur interpretieren, abschätzen und einordnen. Je Der Verfasser ist Inhaber des
dien fördern wird. Für dieses Frühjahr ist etwas über die islamische Religion und das isla- mehr es der Islamwissenschaft gelingt, solche Lehrstuhls für Islamwissenschaft
die Auswahl weiterer Universitätsstand- mische Recht, sondern auch über die vielfältigen transnationalen Zusammenhänge aufzudecken an der Universität Bamberg
orte geplant, an denen mit Bundesmitteln Verflechtungen von Politik, Gesellschaft und Kul-
derartige Einrichtungen aufgebaut werden tur in Geschichte und Gegenwart der islamischen
sollen. Grundlage der Entscheidung des Länder. An den meisten Standorten müssen die
BMBF sind die im Januar 2010 veröffent- Studierenden der Islamwissenschaft Arabisch
lichten Empfehlungen des Wissenschafts- und eine zweite Islam-Sprache erlernen. Viele
rats (WR), in denen Inhalt und Funktion Studierende des Faches verbringen zudem wäh-
des neuen Faches „Islamische Studien“ rend ihres Studiums mehrere Monate in einem
beschrieben sind. islamischen Land, um dort einen Sprachkurs zu
besuchen. Während ihres Aufenthaltes erleben

M it der Islamwissenschaft existiert schon


heute ein fest etabliertes Fach an den
deutschen Universitäten, das auf den Islam
sie die von der islamischen Kultur geprägte
soziale und materielle Welt mit all ihren spe-
zifischen Normen und Werten, Denk- und Ge-
bezogen ist. Für Außenstehende ist es nicht fühlsmustern im Alltag. Auf diese Weise erhalten
ganz leicht, den Unterschied zwischen der die Studierenden gewissermaßen eine zweite
Islamwissenschaft und dem neuen Fach zu er- Sozialisation. Die interkulturelle Kompetenz, die
kennen, zumal für letzteres ein Name gewählt sie innerhalb ihres Studiums erwerben, qualifi-
wurde, der demjenigen des alten Faches zum ziert sie für eine ganze Anzahl verschiedener
Verwechseln ähnlich sieht. Aufgrund dieser beruflicher Tätigkeitsfelder wie etwa die Entwick-
Verwechslungsgefahr sind auch viele Fachver- lungszusammenarbeit, Bildungswerke, Medien,
treter der Islamwissenschaft und angrenzender internationale Organisationen, interkulturelle
akademischer Disziplinen mit der Benennung Mediationsaufgaben, Nachrichtendienste sowie
des neuen Faches sehr unzufrieden. Sie haben Beratungsbedarf von Politik und Gesellschaft.
in einer Stellungnahme, die von der Deut- Die Einführung eines zweiten auf den Islam
schen Morgenländischen Gesellschaft Ende bezogenen Faches an den deutschen Univer-
Oktober veröffentlicht wurde, die geplante sitäten stellt die Islamwissenschaft vor die Not-
Einrichtung von „Islamischen Studien“ zwar als wendigkeit, ihr Profil zu schärfen. Gegenwärtig
wichtigen Schritt zur Integration der Muslime in ist das Fach in Deutschland noch zu sehr auf
Deutschland begrüßt, gleichzeitig aber gegen den Nahen Osten fokussiert. Dies muss sich
die Benennung des neuen Faches protestiert, ändern, wenn sich die Islamwissenschaft nicht
weil sie fürchten, dass dadurch die Grenzen zur ihren Namen streitig machen lassen will. Der
Islamwissenschaft verwischt werden. islamische Theologe Bülent Ucar hat bereits
Wodurch unterscheiden sich dann aber die die Forderung erhoben, die Islamwissenschaft
beiden Fächer? Und warum ist den Islamwis- möge sich doch bitte jetzt in „Orientwissen-
senschaftlern die Abgrenzung gegenüber dem schaft“ umbenennen. Soweit sich die Islam-
neuen Fach „Islamische Studien“ so wichtig? wissenschaft tatsächlich an einigen Standorten
Ein Unterschied besteht darin, dass das neue zu einer auf den Vorderen Orient bezogenen
Fach als bekenntnisorientierte, theologische Regionalwissenschaft entwickelt hat, die nur
Disziplin nach dem Modell der bereits an den noch einen geringen Bezug zum Islam aufweist,
Universitäten verankerten christlichen Theo- ist diese Forderung berechtigt. Grundsätzlich
logien konzipiert ist: Wie soll das neue Fach wird aber die Islamwissenschaft nicht durch
primär der Ausbildung von Religionslehrern und ihren Bezug zum Orient zusammengehalten,
geistlichem Personal dienen? Und wie soll hier sondern durch ihren Bezug zum Islam und zur
einer Religionsgemeinschaft das Recht gege- islamischen Welt. Die Schaffung des neuen
ben werden, an der inhaltlichen Ausgestaltung Faches zwingt zu einer Besinnung auf diesen
eines Faches mitzuwirken und bei Berufungs- thematischen Kern des Faches. Vor diesem
verfahren die religiöse Eignung der Bewerber Hintergrund muss aber die Islamwissenschaft
zu überprüfen? Da es bis jetzt noch keine an- den anderen Großregionen der islamischen
erkannte islamische Religionsgemeinschaft in Welt noch erheblich mehr Aufmerksamkeit
Deutschland gibt, der diese Aufgabe übertragen schenken. Insbesondere die Entwicklungen in
werden kann, sollen an denjenigen Universi- den Staaten Indonesien, Pakistan, Bangladesch
täten, die ein Zentrum für Islamische Studien und Indien, die weltweit die größte Anzahl von
einrichten wollen, Beiräte ins Leben gerufen Muslimen aufweisen, müssen zukünftig in der
werden, in denen die deutschen islamischen Islamwissenschaft eine wesentlich größere Rolle
Moscheeverbände durch Vertreter repräsentiert spielen. Darüber hinaus muss aber auch der
sind. Das ist freilich ein ganz anderes Modell Islam in der westlichen Migration noch mehr
als bei der Islamwissenschaft, denn diese Dis- in den Blick genommen werden.
ziplin, die den Islam ohne Bekenntnisbindung Ihre größte Stärke beweist die Islamwissenschaft
aus nicht-theologischer Perspektive untersucht dort, wo sie die transnationale Dimension von
und dabei keine normativen Ziele verfolgt, ist Ideen, Institutionen, Phänomenen, Bewegungen
wie alle anderen Geisteswissenschaften bei der und Netzwerken in der islamischen Welt aufzei-
Ausgestaltung ihrer Studiengänge und der Be- gen kann. Hier liegt auch ihr eigentlicher Mehr-
setzungspolitik nicht an die Vorgaben religiöser wert gegenüber den anderen, auf bestimmte
Gruppen gebunden, sondern entscheidet allein Sprachräume ausgerichteten, orientwissen-
nach wissenschaftlichen Kriterien. Den protes- schaftlichen Disziplinen wie Arabistik, Iranistik
tierenden Wissenschaftlern ist es wichtig, dass und Turkologie. Wie wirkmächtig die transnatio-
diese Freiheit zukünftig nicht verloren geht, und nalen Vernetzungen islamischen Denkens sind,
deshalb fordern sie eine klarere Abgrenzung lässt sich nicht nur an historischen Phänomenen Sadegh Tirafkan: Whispers of the East (2006-2007). Fotografie. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR.
der beiden Fächer. studieren, sondern auch an den islamistischen © Sadegh Tirafkan
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 17

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Faszination Morgenland
Geschichte der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft / Von Claus Schönig
Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft kollegialen Standards unbeschadet. Die DMG
(DMG) wurde 1845 als Gemeinschaft von hatte sich immer als ein rein wissenschaftlicher
Wissenschaftlern gegründet, deren Inter- Fachverband verstanden, der sich eben diesen
essen den Sprachen und Kulturen der mit Standards aufs höchste verpflichtet fühlte und
„Orient“ bzw. „Morgenland“ nur vage seine Hauptaufgabe in der Förderung der in ihm
umrissenen Gebiete galten. organisierten Disziplinen sah. Einzelne Mitglieder
der DMG mögen zu verschiedenen Zeiten und bis

B is heute schließt der Horizont der DMG


deswegen Asien, Ozeanien und Afrika ein
und greift in einzelnen Fällen auch auf die
heute politisches Engagement zeigen, womöglich
mit direktem Bezug zu ihrem Forschungsobjekt,
manche mögen auch in dem einen oder anderen
Randgebiete Europas über. Dabei war das In- Kontext Schuld auf sich geladen haben. Die Ge-
teresse der Gründer nicht nur auf die Kulturen sellschaft als Ganzes verfolgte satzungsgemäß
dieser Räume in der unmittelbaren Gegenwart niemals politische Ziele. Aus diesem Grund
begrenzt. Vielmehr reichte es weit zurück, bis bezieht die DMG auch bewusst keine politische
in die vorchristliche Zeit und machte auch dann Position, mit einer Ausnahme, auf die noch
nicht halt, wenn schriftliche Quellen zu fehlen zurückzukommen sein wird. Bis heute ist man
begannen. Besonders sprachwissenschaftlich hier der Meinung, dass sie nur auf diese Weise
arbeitende Mitglieder der DMG versuchten mit ihrer Rolle als wissenschaftlicher Fachverband
Hilfe von Rekonstruktionen auch in die Zeit vor gerecht werden kann, einem Fachverband, der
den ersten Quellen der jeweils untersuchten ein Forum für wissenschaftliche Kontakte und
Kulturen (sofern diese über eine Schriftlichkeit Austausch schafft, ohne vorherige weltanschau-
verfügten) vorzustoßen. Andere befassten sich liche, religiöse oder sonstige Rechtfertigung zu
mit dem, was das wichtigste Kulturwerkzeug verlangen. Aufgrund dieser Haltung kam die
des Menschen, die Sprache hervorbringt: Texte DMG als Gesellschaft auch durch dunkle und
nämlich. Texte, seien sie schriftlich fixiert oder finstere Zeiten, ohne etwa durch Beteiligung an
mündlich überliefert, geben Informationen über der Schaffung kolonialistischer Ideologien oder
alle möglichen Aspekte des menschlichen Le- entsprechender Hilfestellung für irgendwelche
bens, über das, was man gemeinhin Alltag nennt, Unternehmungen dieser Art, durch Unterstüt-
über Wirtschaften, Denken und Fühlen, über zung oder Teilnahme an nationalsozialistischen
religiöse und ethische Vorstellungen etc. Aber Aktivitäten oder Beiträge zur krausen Ideologie
auch die materiellen Aspekte der Kulturen dieses der „Bewegung“ Schaden zu nehmen. Sollte dies
umfänglichen Raumes „Morgenland“ fanden von irgendeiner Seite bezweifelt werden, ist die
schon früh Beachtung, so dass auch Artefakte DMG gerne bereit, diesbezügliche Untersuchun-
der unterschiedlichsten Art auf ihre Weise „zum gen durch Öffnung ihrer Archive zu unterstützen
Sprechen“ gebracht wurden. So finden sich bis und Erkenntnisse positiver wie negativer Art in
heute in der DMG Wissenschaftler, Studierende ihren Fachorganen zu publizieren.
oder einfach Interessierte zusammen, die der So konnte die DMG nach ihrer Neugründung
Faszination erliegen, die davon ausgeht, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 4.
Kulturen dieses riesigen Raumes aufgrund der Juni 1948 schon bald wieder an das Gewesene
Methoden der philologisch-historischen Wissen- anknüpfen. Hierzu gehörte außer der Heraus-
schaften oder vergleichbar solider Verfahren zu gabe der Zeitschrift und der wissenschaftlichen
erschließen, um ihre Ursprünge zu erforschen, Reihe auch die Abhaltung des sogenannten
ihre Entwicklungen durch die Zeit hindurch zu „Deutschen Orientalistentags“. Diese Orientalis-
verstehen, ihre Verbindung zu anderen (auch tentage dienen als nationales wie internationales
der „abendländischen“) Kulturen aufzudecken Forum für Kontakte und Austausch zwischen
und ihre Gegenwart zu verstehen. Vertretern der orientalistischen Disziplinen, dies
Von Anfang an stand die Schaffung eines wissen- sowohl innerhalb der Einzeldisziplinen als auch
schaftlichen Publikationsorgans im Vordergrund zwischen diesen. Weiterhin betreibt die DMG
des Interesses der DMG-Gründer. Entsprechende auch eine Fachbibliothek, die in Halle/Saale
Bestrebungen führten dann schließlich zur Be- aufgestellt ist. Sie hat Katalogisierungsprojekte
gründung der „Zeitschrift der Deutschen Mor- ebenso initiiert wie die Gründung weiterer wis- Gebetsnische (Mihrab) aus der Beyhekim-Moschee, Fayencenmosaik, Konya/ Anatolien 13. Jh. (Inv.-Nr. I. 7193)
genländischen Gesellschaft“ (ZDMG). Schon von senschaftlicher Fachorgane angestoßen oder © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Georg Niedermeiser
Anfang an spiegelten sich die vielfältigen Interes- ermutigt. Eine Gründung der DMG sind auch
sen der Mitglieder der DMG an dem sogenannten die Orient-Institute in Beirut und Istanbul, die politische Abstinenz. Doch als Fachverband der Somit ist die DMG einst wie heute der führende
„Morgenland“ in den zahlreichen und in ihrer Zeit aber nach 2000 in die Obhut der „Stiftung orientalistischen Disziplinen behält es sich die deutsche Fachverband mit vielen internationalen
(und manchmal noch bis heute) grundlegenden Deutsche geisteswissenschaftliche Institute im DMG vor, kultur- und wissenschaftspolitische Mitgliedern aus „Abendland“ und „Morgenland“,
Aufsätzen und Miszellen sowie den auch und Ausland“ übergingen. Auch an der Gründung Entscheidungen zu kommentieren. Dies gilt spe- der – bei aller Offenheit gegenüber neuen und
gerade wissenschaftsgeschichtlich interessanten des Nepal-Instituts in Kathmandu war die DMG ziell dann, wenn solche Entscheidungen Einfluss soliden Methoden und Forschungstendenzen –
Rezensionen. Wie die DMG innerhalb kürzester wesentlich beteiligt. Zu den weiteren Aktivitä- auf das Funktionieren und Weiterbestehen der ephemeren modischen Tendenzen entgegentritt
Zeit zu einem internationalen Fachverband ten der DMG, von denen viele hier ungenannt in der DMG vertretenen Fächer in Forschung und bewährte wissenschaftliche Grundsätze
wurde, so entwickelte sich ihre Zeitschrift schon bleiben müssen, gehören aktuell auch die und Lehre haben. Hierbei macht sie jedoch die bewahrt.
sehr bald zu einem international anerkannten Auslobung eines Forschungspreises für Nach- Erfahrung, dass die politisch Verantwortlichen,
Fachorgan der sogenannten „orientalistischen“ wuchswissenschaftler und die Vergabe von sich zunehmend von den von ihren Entscheidun- Der Verfasser ist Vorsitzender der
Disziplinen, das seine hohe Reputation bis heute Reisestipendien (vorzugsweise an Doktoranden). gen Betroffenen entfernen und indolent gegen Deutschen Morgenländsischen
bewahren konnte. Schon seit ihren ersten Num- Wie erwähnt, übt die DMG weitestgehende Widerspruch werden. gesellschaft
mern braucht sich die ZDMG nicht die gerade in
den vergangenen Jahren oftmals gegen manche

Wege zu den Kulturen des Islams


in der DMG vertretenen Disziplinen (oft auch
im Sinne eines solchen Vorwürfen gegenüber
zu offenen Zeitgeistes) erhobenen Vorwürfen
gefallen zu lassen. Einer der Punkte, auf die die
DMG mit Recht stolz sein kann, ist die gute re- Das Münchner Zentrum für Islamstudien / Von Hans Georg Majer
daktionelle Arbeit und die Aufmerksamkeit, mit
der eingereichte Aufsätze etc. geprüft werden, Der Islam prägt als Weltreligion das religiö­ Begriff „der Islam“, der vielerorts als beunruhi- gerade auch den Universitäten und anderen
bevor sie in die Zeitschrift aufgenommen werden. se, persönliche, soziale, kulturelle und oft gend, häufig sogar als bedrohlich empfunden wissenschaftlichen Einrichtungen.
So werden auch und gerade ältere Nummern der auch das staatliche Leben von Muslimen in wird. Dieses „der Islam“ reduziert ein differen- Vor diesem Hintergrund entstand die Idee eines
ZDMG immer wieder nachgefragt. Das für die fast allen Regionen der Erde. Tief in seiner ziertes Erscheinungsbild auf eine griffige Kurz- „Münchner Zentrums für Islamstudien“ aus der
ZDMG Gesagte gilt auch für die durch die DMG Frühzeit verwurzelt und in jeder Epoche formel und verdeckt komplizierte Wirklichkeiten Feststellung heraus, dass man sich in München
herausgegebene Reihe „Abhandlungen für die aktuell und fromm auf sie bezogen, gehört der Vergangenheit und Gegenwart, die oft wenig zwar an vielen Stellen wissenschaftlich mit
Kunde des Morgenlandes“, in der bis heute wis- der Islam zu den bestimmenden Kräften mit dem Islam zu tun haben und in ganz ande- Themen des Islams und der Islamischen Länder
senschaftliche Monographien und Sammelbände unserer Gegenwart. Aus anfänglich religiö­ re Erklärungszusammenhänge gehören. Man beschäftigt, dies aber recht punktuell geschieht
publiziert werden. ser, politischer und kultureller Geschlossen- stelle sich einmal vor, welch geistlos schlimme und öffentlich kaum sichtbar und wirksam wird.
Die internationale Vernetzung der DMG, die heit heraus entwickelte sich der Islam in Vereinfachung es wäre, all das, was jemals im Das Münchner Zentrum für Islamstudien (MZIS)
schon die im neunzehnten Jahrhundert zahlrei- einer Vielfalt von Richtungen, Staaten und Bereich christlicher Länder, Staaten und Kulturen bündelt nun die in München vorhandene univer-
chen politisch oder auch rassistisch begründeten Tendenzen. Dieser Reichtum an Erschei- geschehen ist, geschieht und noch geschehen sitäre und außeruniversitäre „Islam“-Kompetenz
Gegensätze zwischen einzelnen Nationen und nungsformen ist das Ergebnis lebendiger wird, ebenso pauschal und schlicht mit dem der islamwissenschaftlichen Kernfächer mit der
Bevölkerungsgruppen überbrückt hatte, über- theologischer Ausdifferenzierung, mysti- Begriff „Christentum“ zu fassen. Kompetenz solcher Disziplinen, die innerhalb
stand den Ersten Weltkrieg ohne Schaden. Die scher Inspiration, politischer Bestrebungen Tatsächlich aber ist durch die bedrängende Ak- ihres eigenen Interessenfeldes einzelne Aspekte
zumindest in Teilen Europas friedliche Zwischen- und der Aufnahme und Verarbeitung eines tualität „der Islam“ den Europäern immer näher der Welt des Islams erforschen. Islamwissen-
kriegszeit führte zu einer weiteren Blüte der DMG vielfältigen, häufig regional spezifischen, gerückt. Reisen in islamische Länder haben zu- schaftler wie Arabisten, Iranisten, Turkologen
und ihrer wissenschaftlichen Aktivitäten. Dies kulturellen Erbes. dem Augen geöffnet und Neugier geweckt. Das und Kunsthistoriker aus der Ludwig-Maximilians-
lässt sich auch an den Beiträgen in der ZDMG Problembewusstsein ist gewachsen, verlässliche Universität, der Bayerischen Staatsbibliothek
ablesen, die die rasante Entwicklung, die viele
der sogenannten orientalistischen Disziplinen
nahmen, deutlich widerspiegeln. Die dann
D er ursprünglich rein religiöse Begriff Islam
(Hingabe an Gott) wird heute durch ein
Übermaß an Vorurteilen und Halbwahrheiten,
Information tut Not. Eine sachliche Auseinan-
dersetzung mit der Welt der Muslime, das Ken-
nenlernen ihrer Vielfalt, ihres reichen kulturellen
und dem Völkerkundemuseum stehen für den
Kernbereich. Dazu kommen Wissenschaftler
verschiedener Institutionen aus den Bereichen
folgenden dunklen Jahre des Nationalsozialis- durch Polemik und Apologetik, durch Informatio­ Erbes, ihrer Probleme und ihrer vielstimmigen der Philosophie und der Religionswissenschaft,
mus und des Zweiten Weltkriegs überstand die nen und Desinformationen aufgebläht zu dem Eigenart ist eine Aufgabe, die sich im Interesse
DMG mit ihren hohen wissenschaftlichen und verschwommenen, dunklen, alles umgreifenden der unentrinnbar gemeinsamen Zukunft stellt, Weiter auf Seite 18
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 18

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Fortsetzung von Seite 17 steine – Kulturen des Islam“. Schon die Vielzahl Kunst, steht im Mittelpunkt. Rahmenthemen, stellung wird durch drei aktuelle Ausstellungen
der beteiligten Disziplinen, die durch auswärtige die interdisziplinär mit Einzelthemen ausgefüllt und zahlreiche Diskussionen, Filme, Konzerte,
Wege zu den Kulturen des Islams Gäste oft noch erweitert wird, spiegelt das Be- wurden, waren bisher: „Städtische Kulturen in Lesungen, Vorträge und Tanzvorstellungen ge-
streben wider, durch wissenschaftlich verlässliche der islamischen Welt“, „Bild und Bilderverbot“, feiert. In diesem Falle beschäftigen sich sämtliche
der Komparatistik und Musikwissenschaft, der „Mosaiksteine“ die Vielfalt und Differenziertheit „Das Buch“, „Familiäres Leben zwischen Reli- MZIS-Vorträge mit Kunst, von der Erörterung
jüdischen Geschichte und Kultur, der Wirt- der Kulturen des Islams aufzuzeigen und gegen gion, Recht und Alltag“, „Frauen in Kultur und theoretischer kunsthistorischer Fragen, über
schaftswissenschaften und der Geographie, jene Einfalt zu setzen, die in der islamischen Gesellschaft der islamischen Welt“, „Rituale Ausstellungskonzepte bis hin zur Betrachtung und
der Ethnologie und Politologie, der Afrikanistik Welt lediglich einen blockhaft geschlossenen, und Zeremonien“, „Abweichler, Außenseiter und Neuinterpretation besonderer Kunstwerke. Doch
und der Sinologie. Die Allianz-Gastprofessur aggressiven Monolithen zu sehen und zu fürch- Häretiker“, sowie „Muslime in Asien, Afrika und schon in den früheren Vortragsreihen stellten je
für Islamstudien ermöglicht einen direkten und ten gewohnt oder gewillt ist. Interdisziplinäre Europa“. Gelegentlich legte ein besonderer An- nach Thematik die Künste oft sogar mehrere der
kontinuierlichen, internationalen Dialog und Zusammenarbeit ist dabei heute unerlässlich, lass das Rahmenthema nahe. Auf die Frankfurter Mosaiksteine. Architektur, Städtebau, Malerei,
erweitert auch fachlich das Spektrum von MZIS. will man die islamische Welt auf der Basis von Buchmesse 2008 mit dem Gastland Türkei ant- besonders die Miniaturmalerei, Bildhauerei,
Dieser Kreis beschloss, sich zunächst mit einer Forschung beleuchten und dabei beispielsweise wortete die Vorlesungsreihe „Moderne türkische Literatur, Musik oder Film gehören in zahlrei-
eigenen Vorlesungsreihe an die Studierenden, auch einst periphere Räume in Afrika, Süd- und Literatur“. Die Vorlesungsreihe „Istanbul – Impe- che Zusammenhänge, wirken als unmittelbare
besonders aber an die Öffentlichkeit zu wenden. Zentralasien nicht aussparen. rialer Herrschersitz, Megapolis, Kulturhauptstadt Zeugnisse einer Kultur, veranschaulichen, kön-
Entsprechend wird auch geworben. In den ersten beiden Semestern stellten sich 2010“ nahm das besondere Ereignis direkt in nen faszinieren und stoßen beim Publikum auf
Seit vierzehn Semestern veranstaltet MZIS inzwi- die beteiligten Disziplinen durch fachspezifische den Titel auf. großes Interesse, sodass sie als Eingangspforten
schen in enger Kooperation mit dem „Institut für Vorträge der Mitglieder vor. Seither wechselt die Die aktuelle Vortragsreihe „Meisterwerke neu zahlreiche Pfade zu den Kulturen des Islams
den Nahen und Mittleren Osten“, dem Fach „Ge- Thematik jedes Semester. Vorträge Münchner betrachtet“ reiht sich ein in das Münchner Ju- öffnen können.
schichte der Islamischen Kunst“, der „Gesellschaft Referenten bilden die Basis, je nach Rahmenthe- biläum „Changing Views. 100 Jahre nach der
der Freunde islamischer Kunst und Kultur“ und ma kommen auswärtige und ausländische Ausstellung Meisterwerke muhammedanischer Der Verfasser ist Sprecher des
der „Deutsch-Türkischen Gesellschaft Bayern“ Referenten dazu. Kultur in einem weiten Sinne, Kunst in München“. Dieses Jubiläum der für die Münchner Zentrums für Islam-
Vorlesungsreihen unter dem Obertitel „Mosaik- von der Alltagskultur bis zu Meisterwerken der Kenntnis der islamischen Kunst epochalen Aus- studien

Datenfluss im Mittelalter
Die Leistungen islamischer Gelehrter neu bewerten / Von Reinhard Baumgarten
Eines der größten Probleme zum Verständnis Es sei unmöglich, über Leonardo da Vinci zu
der Vergangenheit und deren Bedeutung sprechen, sagt Emilio González Ferrín, ohne an
für die Gegenwart ist eine vorgefertigte Be- bestimmte Aspekte der Physik zu erinnern, die in
trachtung der Geschichte. Geschichte wird Córdoba untersucht wurden, und an Namen wie
nur selten als ein permanenter Fluss, als Abdas Firnas, der erste Mensch, der mit künstlichen
anhaltender Prozess verstanden, sondern Flügeln flog und schließlich in den Gärten von
als eine Art Schauspiel in vielen Akten mit Córdoba zerschellte. „Die Arbeiten von Keppler,
zugewiesenen Rollen. Am Anfang unserer Tycho Brahe oder Kopernikus sind undenkbar
europäischen Geschichte haben wir grie- ohne Gelehrte wie Azarquiel (arab.az-Zarqali) und
chische Gelehrte und römische Helden. al-Battānī und deren Abhandlungen über Astrono-
Nach Jahrhunderten kultureller Blüte, mi- mie, die später ins Lateinische übersetzt werden.
litärischer Dominanz und zivilisatorischer Das ist das Verbindungsglied zur Astronomie der
Vorherrschaft verabschieden sich die antiken europäischen Renaissance.“
Heroen im fünften Jahrhundert in die Be- In seinem Buch „Islamic Science and the Making
deutungslosigkeit. Ab dem 14. Jahrhundert of the European Renaissance“ weist der christlich-
werden sie in der europäischen Renaissance palästinensische Islamwissenschaftler George
plötzlich „wiederentdeckt“. Dazwischen liegt Saliba auf beeindruckende Weise nach, wie sehr
das dunkle Mittelalter, mit eisenbewehrten Kopernikus von dem muslimischen Astronomen
Rittern, schlechter Hygiene, vorsintflutlicher Ibn Al-Shāţir profitiert hat. Al-Shāţirs Sicht auf das
Bildung und tiefem Schweigen. Sonnensystem ist identisch mit der Sicht von Ko-
pernikus – nur eben 200 Jahre älter. Als Vasco da

D och „das Mittelalter war nicht dunkel“, gibt


Emilio González Ferrín zu bedenken. Im Mit-
telalter sei gelehrt und geforscht worden, betont
Gama zwischen 1497 und 1499 Afrika umsegelte
und bis nach Indien gelangte, hatte er arabische
Seekarten, einen arabischen Lotsen namens Ibn
der Arabist und Islamwissenschaftler von der Uni- Māğid sowie arabische Kompasse und Astrolabien
versität Sevilla: „Man hat’s nur nicht verstanden, an Bord.
weil Arabisch gesprochen wurde.“ Das moderne Viel Wissen gelangte auf dem Rücken von Eseln
Geschichtsverständnis ist stark eurozentrisch. Es von al-Andalus nach Europa. In mehreren Wellen
ignoriert oder minimiert die wissenschaftlichen vertrieben die neuen christlichen Herren Juden
Leistungen islamischer Gelehrter und weist ihnen aus den eroberten ehemals maurischen Gebieten.
bestenfalls die Rolle von Übersetzern und Boten Unter muslimischer Herrschaft hatten die polyglot-
zu, die Europa das verschüttete antike Erbe über- ten Juden als Übersetzer und Gelehrte gearbeitet.
bracht haben. Emilio González Ferrín fordert ein Ihre Bücher und ihr Wissen nahmen sie bei der Räucherkugel aus Messing, gold- und silbertauschiert, Syrien 2. Hälfte 13. Jh. (Inv.-Nr. I. 5624)
Umdenken. „Wir müssen die Geburt der europä- Vertreibung durch die neuen katholischen Herren © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Georg Niedermeiser
ischen Kultur im Mittelmeerraum, in Andalusien mit. Auf diese Weise gelangte u.a. das Buch „Hayy
verorten“, stellt der 45-Jährige fest. ibn Yaqzān“ von dem muslimischen Philosophen Die islamische Blütezeit in al-Andalus endet nicht unabhängige Neuinterpretation der beiden Quel-
Als die arabischen Stämme im 7. Jahrhundert Ibn Tufail nach Europa – es sollte zur Vorlage von abrupt, sondern schleichend und unmerklich. Der len Koran und Sunna wird nicht mehr wie in der
nach Ägypten, Syrien und Persien vordrangen, „Robinson Crusoe“ und „Gullivers Reisen“ werden. einsetzende kulturelle Abstieg steht im Zusammen- Frühzeit des Islams angewandt. Jahrhunderte lang
schreibt der Freiburger Islamwissenschaftler Noch größer sind Verdienste und Einfluss isla- hang mit dem Erstarken eines sich ausbreitenden wähnen sich die Herrscher des muslimischen Mor-
Ulrich Rebstock, legten sie den Grundstein „für mischer Ärzte auf die Entwicklung der Medizin. religiösen Dogmatismus. Der 6. Vers von Sure 109 genlandes dem christlichen Abendland überlegen.
eines der gewaltigsten Schöpfungswerke in der Die neuartigen auf Heilung ausgerichteten „...euch euer Glaube und mir mein Glaube” wird Erst durch den Schock der Kolonialisierung durch
Menschheitsgeschichte.“. Nicht weil sie ein Volk Methoden von ar-Rāzī (lat. Rhazes) und Ibn Sīnā mehr und mehr ersetzt durch die Betonung eines europäische Mächte wird den Muslimen bewusst,
von Genies, sondern weil sie intelligent genug (Avicenna) erreichten Europa über die Datenauto­ orthodoxen Dogmas, wonach der einzig wahre dass sich die Verhältnisse zu ihren Ungunsten
waren a) zu erkennen, welch unschätzbarer Wert bahn al-Andalus. Für den Islamwissenschaftler Glaube vor Gott nur der Islam sein könne (Sure verschoben haben.
ihnen mit dem Wissen der antiken Griechen, Rebstock gehört der Beitrag der arabischen zur 3,18). Die Theologie erstarrt. Die Deutung des Ko-
Römer und Perser zugefallen war und b) dieses europäischen Medizin zu den bedeutendsten Wis- rans und der Sunna genannten Überlieferung des Der Verfasser ist Fachredakteur in der
Wissen weiterentwickeln konnten. senstransfers der Kulturgeschichte. Es war mehr Propheten werden zunehmend institutionalisiert redaktion Religion, Kirche und Gesell-
Für den Arabisten Ferrín steht außer Frage, dass als nur ein Nachbeten dessen, was Hippokrates und von konservativen Geistlichen monopolisiert. schaft beim Südwestrundfunk und hat
al-Andalus ein entscheidendes Bindeglied zwi- und Galen in antiker Zeit vorgemacht hatten. Es Das sogenannte „Tor des Ijthād” schließt sich – das ARD-Projekt „Gesichter des Islam“
schen der überlegenen Kultur des Orients und war der Beginn empirischer Wissenschaft, die auf das heißt, das Verfahren zur Rechtsfindung durch konzipiert
Europa war, und dass dieser Orient wiederum Zahlen, Daten, Fakten und genauer Beobachtung
ein Bindeglied zum römischen Imperium gewesen beruhte.
ist. „Daher müssen wir den Islam definieren als 1279 erschien Abu Bakr ar-Razis Buch „al-Hawi“ Arabisch im deutschen Alltag
nachfolgenden Teil des römischen Imperiums, unter dem lateinischen Titel „Liber Continens“
nicht als dessen Zerstörung.“ Das maurische An- erstmals in Europa. Es sollte ein Standardwerk Dass Wörter wie Islam, Koran, Imam oder Mo- Zwetschgenschnaps, Talk, Watte und Benzin –
dalusien habe Europa in mehrfacher Hinsicht als der Medizin für die kommende Jahrhunderte wer- schee aus dem Arabischen stammen, dürfte das alles klingt wie ein großkalibriges, chiffrier-
Brücke gedient: als Verbindung zum griechisch- den. Ar-Razi war ein Mann der Wissenschaft, der nur wenige Menschen überraschen. Anders tes Amalgam. Und das ist Sprache letztlich auch:
römischen Erbe sowie als Datenautobahn, zur sich nach eigenem Bekunden wenig um Religion sieht es aber bei Wörtern aus, an die wir uns ein Amalgam (griech. μαλακός, arab: ’amal al-
Vermittlung der kulturellen, wissenschaftlichen und scherte. Er war keine Ausnahme. Das Besondere von Kindesbeinen an gewöhnt haben. Warum ğama’) – eine unumkehrbare Vermischung.
technologischen Errungenschaften muslimischer an al-Andalus zur Zeit der größten kulturellen ruft der Zauberer simsalabim? Wieso trägt der All diese arabischen Wörter sind nicht zufällig
Gelehrter. Eines der interessantesten Beispiele der Blüte sei die Unabhängigkeit des Denkens und Sheriff eine Mütze und versteckt in seiner Ja- in unsrer Sprache heimisch geworden. Sie
Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse war der Menschen von religiösen Bindungen gewe- cke neben Marzipan, Kaffee und Kandiszucker stammen aus einer Zeit, als Arabisch die Lin-
die experimentelle Wissenschaft. Laboratorien im sen, so der Arabist Ferrín. Die Menschen in al- auch Ingwer, Zimt, Muskat, Safran, Kümmel und gua franca der Wissenschaft und des Handels
islamischen Osten wie auch in al-Andalus lieferten Andalus lebten, arbeiteten, lernten und beteten Estragon? Was wäre ein Barde ohne Laute und war. Sie wurde in europäische Alltagsspra-
der europäischen Renaissance eine Reihe von wie maurische Andalusier und nicht wie Muslime, ein Punk ohne Gitarre? chen integriert so wie heute englische Wörter
bahnbrechenden Erkenntnissen über das Univer- Juden oder Christen, betont Ferrín. „Ich denke Unsere Alltagssprache ist voller Wörter arabi- übernommen werden. Simsalabim leitet sich
sum, das Sonnensystem, über Physik und Chemie, die Tatsache, dass die Kultur sich in eine Rich- schen Ursprungs. Wir wissen es nur meistens übrigens von der Basmallah genannten Eröff-
über Medizin und Mathematik. Als Toledo im Jahr tung entwickelt und die Religion dabei zu Hause nicht. Schüler lernen Chemie und Algebra und nungsformel ab, mit der – außer einer – alle Su-
1085 an die Christen fiel, wurden vollkommen bleibt, ist entscheidend für den Fortschritt einer sind oft wegen der vielen Ziffern schachmatt. ren des Korans beginnen. Bismillah ir-Rahman
funktionstüchtige Laboratorien und Kunsthand- Zivilisation.“ Al-Andalus könne daher nicht als Politiker reden über Tarif, Scheck, Chiffre, ir-Rahim ab: Im Namen Gottes, des Gnädigen,
werksstätten vorgefunden, in denen Astrolabien, Land der drei Religionen oder der drei Kulturen Admiral und den Zenith der Macht. Gehören des Barmherzigen.
Fernrohre und Teleskope hergestellt wurden, um definiert werden, sondern als Geschichte einer zur deutschen Leitkultur nicht auch Alkohol, Reinhard Baumgarten
die Sterne und Erdbewegungen zu messen. einzigen Kultur mit drei möglichen Religionen.
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 19
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Kulturelle Begegnung im kolonialen Kontext


Der Nahe Osten und Europa / Von Verena Klemm
Die Begegnung mit Europa im 19. Jahrhun-
dert bewirkte in der arabisch-islamischen
Welt einen vielfältigen kulturellen Aufbruch,
der bis in die ersten Jahrzehnte des 20.
Jahrhunderts währte. Er wird im Arabischen
Nahda genannt, was „ Aufstehen“ und
„Aufschwung“ bedeutet. Aus arabischer
Sicht waren die Europäer Kriegsherren und
Kolonisatoren, gleichzeitig aber brachten
sie reizvolle und inspirierende Ideen, Kon-
zepte und Künste, deren Übernahme einen
Abschied von Althergebrachtem und den
Weg in eine bessere, neuartige Zukunft
verhießen. Das ambivalente Wesen dieser
zugleich hegemonialen als auch faszinie-
renden europäischen Moderne forderte
muslimisch und säkular gesinnte Araber
gleichermaßen zu Reflexionen über ihre
Chancen und Gefahren und der eigenen
geistigen und sozialen Zugehörigkeit he-
raus. Aussagekräftig offenbaren sich die
Eigenarten und Verwerfungen der Nahda
in ihren Texten: Sie sind geprägt durch
offene oder verborgene Diskurse über das
Selbst und das Andere, und sie verhandeln
Tradition und Innovation, Authentizität und
Fremdheit, Differenz und Allianz, Grenzzie-
hungen und Grenzüberschreitungen.

N atürlich gab es schon lange vor der Nahda


Zeugen, die uns aus erster Hand von ihren
Begegnungen mit den Europäern berichten. Zu
den ältesten Dokumenten gehören wohl die
Memoiren des Ritters Usāma Ibn Munqidh, der
im 12. Jahrhundert einen Teil seines Lebens am
syrischen Fluss Orontes und später in Damas-
kus eine gespannte, aber selbstverständliche
Nachbarschaft mit den Kreuzfahrern lebt und
darüber in seinem Werk viele Anekdoten zu
berichten weiß. Die fränkischen Eindringlinge TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne, Ausstellungsraum „Picasso und Qur’an“ © Courtesy ha`atelier Werkstatt für Philosophie und Kunst e.V., Foto: Di Mackey
sind für ihn beeindruckend geschickte Krieger. In
Zeiten der Waffenruhe außerhalb der Schlachten zen und Konflikte ist historisch, nicht doktrinär in ihm die Arbeit der kulturellen Aushandlung Amīn in kompletter Selbstverleugnung, sondern
und Scharmützel gibt es genug Gelegenheit, ge- geprägt (vgl. Nabil Matar, Alif 26, 2006). und Auseinanderdividierung begonnen: Wer in selbstbewussten Modellen, in denen der Orient
nüsslich ihre merkwürdigen Sitten, ihrer äußerst 1798 schließlich war der Historiker `Abd ar- sind wir, wer sind sie, was können wir von ihnen jedoch immer aus der Defensive agieren muss:
primitive Heilkunde und ihr wenig männliches Rahm ān al-Jabart ī Augenzeuge der Invasion lernen und nehmen und was nicht? Eigenes und Der religiöse Reformer Muhammad Abduh („Epi-
Ehrgefühl in der Beziehung zu ihren Frauen zu Napoleons in Ägypten und damit der historischen Fremdes sind nicht mehr – wie in unseren zuvor stel über die Einheit Gottes“, 1898) setzt seiner
studieren. Im steten Wechsel zwischen militä- Zeitenwende, die den Beginn der Nahda einläu- genannten Texten – selbstverständlich durch Diagnose von der allgemeinen Schwäche der
rischem Sieg und Niederlage ist der Stolz des tete. In seiner Chronik beschwört er einleitend geographische Regionen und religiös-soziale Muslime ein Modell zur Rückbesinnung auf die
arabischen Ritters souverän und gefestigt, der das Eintreffen der französischen Truppen mit Zugehörigkeiten definiert, sondern werden in wahren Wurzeln der Religion und der Reform der
neugierige Blick auf den Anderen geht niemals religiöser Rhetorik in Reimprosa als endgültigen der Reflexion als Kategorien begriffen, die dif- verkrusteten religiösen Bildungsanstalten und
mit einem fragenden Blick auf das Eigene einher. Zusammenbruch der gewachsenen Ordnung und ferent, polarisiert und essentialistisch sind. In Institutionen entgegen. Dagegen beschwört der
Muslimische und christliche Milieus sind politisch als apokalyptisches Gemetzel und Gottesstrafe. diesem geistigen Spannungsfeld lassen sich für säkulare und aufgeklärte Kritiker Taha Husain
und ökonomisch miteinander verbunden, die Diese Geste ist symbolträchtig und sollte sich im al-Tahtawi durchaus auch Gemeinsamkeiten zwi- in seinem Buch „Die Zukunft der Kultur in Ägyp-
geistigen Welten und die Zugehörigkeiten hin- 19. Jahrhundert oft wiederholen: Der Islam tritt schen Franzosen und Ägyptern entdecken – wie ten“ (1938), dass die graduelle Rückständigkeit
gegen klar und fraglos getrennt. als distinktive Größe deutlich hervor. Die Religion den herausragenden Status beider Völker in der Ägyptens durch Bildung, Säkularität und De-
Marokkanische Diplomaten berichten aus dem wird ab nun für viele Muslime zum Ort der Rück- globalen Hierarchie der Zivilisationen. Vor allem mokratie aufgehoben werden kann. Er plädiert
17. und 18. Jahrhundert von ihren Begegnungen versicherung und zur Matrix der Interpretation des aber beobachtet er die Unterschiede: Ausführlich für eine unauflösbare Verschmelzung seines
mit „den Christen“ in deren fernen Ländern. Im Fremden und Neuen aus Europa. Sie ist nicht mehr beschreibt er die spezifischen Eigenschaften Landes mit Europa, mit dem es seit der Antike
Reisebericht des Wezirs Muhammad al-Ghassānī nur selbstverständliche Sphäre einer spirituellen der Franzosen, würdigt sie oder verurteilt sie einen gemeinsamen Kulturraum bildet. Der Text
nach Spanien (1690-1691) ist das islamische und kulturellen Zugehörigkeit, sondern nimmt ei- moralisch. Er weist dabei eine bemerkenswerte des Dokuments vexiert zwischen dem Willen
Andalusien als kulturelle Erinnerung präsent. nen geradezu apotrophäischen Charakter zur Ab- Großzügigkeit und Toleranz auf. Dennoch dürfen zur kompletten Anpassung an Europa und dem
Verlust und Demütigung durch die christliche wehr des Fremden an. Auf der anderen Seite steht sich seinem ernsten Rat zufolge die Ägypter aus Willen zur arabischen Selbstbehauptung und zur
Reconquista liegen jedoch lange zurück, wohin- al-Jabartī als nüchterner Chronist den Franzosen der faszinierenden Zivilisation des Anderen nur Wiederherstellung der geraubten Würde. In der
gegen die Wiederauferstehung des islamischen weniger feindlich gegenüber als dem zukünftigen bedienen, was mit dem Islam und der mit ihm geistigen Zerrissenheit des Autors zeigt sich das
al-Andalus nur eine fromme Utopie ist – „möge Khedieven Muhammad `Alī, seiner Soldateska ererbten Identität vereinbar ist. Insbesondere Dilemma der Nahda in voller Klarheit.
Gott es den Muslimen wiedergeben“. In der und den plündernden Beduinen aus dem Kairoer die technologischen Fertigkeiten und modernen Die Nahda ging mit komplexen ökonomischen,
realen Zeit bewegt sich al-Ghass ānī mit dem Umland. Er bewundert einige der französischen Wissenschaften sind hier gefragt. sozialen und kulturellen Umgestaltungen sowie
Selbstverständnis eines engagierten Gesandten Errungenschaften, wie die militärische Disziplin, Im fortschreitenden Jahrhundert kennzeichnet einer durchgreifenden Modernisierung des öf-
und aufgeschlossenen Ethnographen durch die das Kriegsrecht und die ins Land gebrachten Bib- eine Flut von Texten die kulturelle Produktion fentlichen Lebens in der arabischen Welt einher.
Lande. Neben dem Einsatz für seine politische liotheken und Laboratorien in Napoleons Institute und Publizistik der Nahda. Nichtliterarische und Schon bald waren Ost und West untrennbar in
Mission, die Verhandlungen zur Übergabe mus- d`Égypte. In dem sich hier öffnenden Spektrum literarische Schreibweisen und Formen werden einem dritten Raum aufeinander bezogen, geistig
limischer Gefangener ebenso wie geraubter zwischen der Flucht ins Eigene und der aufge- gesprengt, um das Gesehene, Erlebte und Er- ineinander verschlungen und in hybriden Identi-
islamischer Handschriften gilt, interessieren schlossenen Betrachtung des Anderen zeigen sich fahrene zu beschreiben und zu verarbeiten. Die täten vereint. Zu den spezifischen Bewegungen
ihn Menschen und Bräuche, Stadt und Land, bereits die Anzeichen der oft widersprüchlichen Literatur zeigt dabei kreative Rezeptionen und der arabischen Nahda gehörte aber auch die
Architektur und Agrikultur, Flora und Fauna. geistigen Impulse, welche die Diskurse der Nahda zukunftsweisende Aufbrüche, wie den arabi- Frage nach dem Eigenen, die sich unter dem
Der Christ als „der Feind“ ist eine Floskel, ohne charakterisieren sollten. schen Roman, das Drama, die Kurzgeschichte. gewaltigen Druck der kolonialen Diskurse und
Scheu und auf Augenhöhe begegnet er seinem Mit Rifa´a al-Tahtawis Bericht mit dem Schmuck- Innovative Ästhetiken werden entwickelt und Interventionen stellte. Sie brachte viele neuartige
Gegenüber. Auch Muhammad ibn Uthm ā n titel „Die Läuterung des Goldes in einer zusam- der Rückgriff auf Formen und Motive der arabi- Antworten und Reaktionen hervor, die von einem
al-Miknasī reiste 1779 mit dem offenen Blick menfassenden Darstellung von Paris“, der über schen literarischen Tradition bringt schöpferische faszinierenden, in die Zukunft weisenden kultu-
eines Chronisten als Diplomat im Auftrag des die Erfahrungen und Erlebnisse während seines Neugestaltungen im Spiegel einer geänderten rellen Erwachen des Nahen Ostens zeugen. Die
marokkanischen Königs nach Spanien. In sei- fünfjährigen Studienaufenthaltes in Paris (1826- Zeit hervor. defensive Frage nach dem Eigenen stimulierte
nem Bericht über die Mission wird mit Bitterkeit 31) handelt, ist ein erster Meilenstein der Nahda In den Texten und Subtexten der Nahda ist Europa aber auch die Entstehung islamischer Ideolo-
und Feindschaft der christlichen Reconquista erreicht. Der geistliche Leiter von Muhammad `Alīs als Herausforderer immer präsent und fordert gien, die sich auf die kulturelle Differenz von
gedacht, historische Zeugnisse muslimischer erster Studienmission wandert aufgeschlossen und neue Definitionen des arabischen Selbst und sei- Ost und West berufen – hundert Jahre später
Präsenz werden betrauert. Unabhängig von wissbegierig durchs Fremdland, studiert Fran- ner Kultur. Dabei geschehen bisweilen groteske sollten sich radikale Islamisten auf sie berufen.
steten Verfluchungen der „Ungläubigen“ wer- zösisch und die Kunst der Übersetzung, besucht Unterwerfungen: Der ägyptische Jurist Qāsim Der aufgeschlossene und wissbegierige Blick, mit
den ihre kulturellen und technischen Leistungen Cafés und Theater. Der Schlüsseltext ist ein hyb- Amīn, der durch seinen Appell für die Entschlei- dem vorkoloniale Chronisten die andere Kultur
bewundert. Wenige Jahre später wird er nach rides Dokument der frühen arabischen Moderne, erung oft und gerne als Vater der Befreiung der betrachteten, weicht dann einer ahistorischen
Malta, Neapel und Sizilien gesandt, worüber er gestaltet als Mischform der Genres Reisebericht, muslimischen Frau gewürdigt wird, wiederholt in Betrachtungsweise, in der Ost und West auf im-
ebenfalls einen Bericht verfasst. In ihm finden Bildungsliteratur und Dichtung, welche die päda- seinen Schriften „Die Befreiung der Frau“ (1899) mer fremd und unvereinbar sind. Die Nahda war
die literarischen Inszenierungen historischer gogische Essenz des Gesagten enthält. Gleichzeitig und „Die neue Frau“ (1900) die verächtlichen somit sowohl Begegnung als auch Trennung und
Verletzungen und Demütigungen keinen Raum ist das Werk von lehrreichen und beispielhaften, Attacken des Kolonisators auf die dominierte Kul- ihre Ambivalenz prägt das Verhältnis von Europa
mehr. Für Ghassānī und Miknasī begegnen sich ins Arabische übersetzten Texten durchdrungen, tur, mit dem Ziel, die patriarchalische islamische und dem Nahen Osten bis zum heutigen Tag.
christliche Europäer und muslimische Araber wie den Briefen des Orientalisten De Sacy und Gesellschaft durch eine patriarchalische westlich
trotz der Unterschiede ihrer Religionen als ge- Paragraphen der französischen Verfassung. geprägte Gesellschaft zu ersetzen (vgl. Leila Ah- Die Verfasserin ist Professorin für Ara-
meinsame Bewohner des Mittelmeerraums und Trotz der Öffnung des Denkens, das sich in der med, Women and Gender in Islam, 1992). bistik und orientalische Philologie am
Gestalter seiner Geschichte und Gegenwart. eigentümlichen Form und Intertextualität des Das Bedürfnis nach politischer und kultureller Orientalischen Institut der Universität
Die Wahrnehmung ihrer Interaktionen, Allian- Memoirenwerks widerspiegelt, hat spätestens Erneuerung spiegelt sich nicht nur wie bei Qāsim Leipzig
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 20
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Jeder Kulturdialog geht vom Sonderfall aus


Kulturarbeit in Ländern mit muslimischer Mehrheit / Von Wenzel Bilger
Seit Jahrzehnten fördert das Goethe-Institut
in Nordafrika, dem Balkan, im Nahen Osten
sowie in Süd- und Südostasien neben der
deutschen Sprache auch die internationale
kulturelle Zusammenarbeit. Religion spielt
dabei manchmal, aber keineswegs immer
eine Rolle. Gerade in der Integrationsde-
batte der letzten Monate wurde oft über
Unterschiede zwischen Muslimen und Nicht-
muslimen in Deutschland gesprochen; in ei-
ner globalisierten Welt spiegelt die Debatte
aber auch geopolitische Konstellationen
wider, mit denen das Goethe-Institut sich
in seiner täglichen Arbeit auseinandersetzt.

A ngesichts der Diskussionen liegt die Frage


nahe, ob sich Kulturarbeit in Ländern mit
muslimischer Bevölkerungsmehrheit von der in
anderen Teilen der Erde unterscheidet. Dazu
ist zunächst zu sagen, dass sich die Arbeit des
Goethe-Instituts grundsätzlich von Land zu Land
und Stadt zu Stadt unterscheidet, da immer die
jeweiligen lokalen Kontexte Grundlage der Arbeit
sind und sein müssen; sowohl in Ländern, in de-
nen der Islam historisch oder gegenwärtig eine
Rolle gespielt hat oder spielt, als auch anderswo.
Darüber hinaus ist die islamisch geprägte Welt
alles andere als ein homogener monolithischer
Block. Das so umschriebene Territorium reicht
von Nordafrika über Südosteuropa bis nach In-
donesien. Sprachen, Kulturen und Lebenswelten
sind hier so vielfältig und unterschiedlich, dass
jede Stereotypenbildung in die Irre führt. Auch
die religiöse Zugehörigkeit spielt in ganz unter-
schiedlichem Maße eine Rolle.
Gleichzeitig haben der 11. September 2001 und
die militärischen Interventionen in Afghanistan
und im Irak sehr spezifische Auswirkungen auf
das Verhältnis zwischen mehrheitlich muslimi-
schen Gesellschaften und dem sogenannten
Westen gehabt. Auf beiden Seiten, wollen wir
diese polarisierende Trennung in zwei Welten
einmal beibehalten, hat sich eine Wahrneh-
mung der gegenseitigen Bedrohung verstärkt.
Es vergeht selten ein Tag, an dem nicht auch
wir uns mit Stereotypen konfrontiert sehen, die
zuweilen Religionszugehörigkeit mit Fanatismus
gleichsetzen.
So wächst das Bedürfnis nach mehr Wissen über-
einander sowie nach gegenseitigem Verständnis,
und gerade hier engagiert sich das Goethe-
Institut. Dies geschieht in der Kulturarbeit, in
Fortbildungsseminaren, in den Sprachkursen
und den Bibliotheken. Es werden Begegnungs-
programme in Form von Jugendparlamenten
oder Zukunftswerkstätten veranstaltet, die
Vertretern junger Bildungseliten den Austausch
mit Gesprächspartnern anderer Kulturen er-
möglichen. So finden schon seit einigen Jahren
internationale Zukunftswerkstätten etwa in
Sarajevo statt, die sich an junge Geistes- und
Sozialwissenschaftler richten; andere Beispiele
sind das Euro-Mediterrane Jugendparlament
oder Journalistenakademien. Seit 2002 führt das
Goethe-Institut im Auftrag des Auswärtigen Amts
auch Projekte im Rahmen des Sonderprogramms
Europäisch-Islamischer Kulturdialog durch.
Jugendstudien ermitteln Werte und Ideale
muslimischer Jugendlicher zwischen Tradition, Lüsterfliese, um einem (Herrscher?) Paar gruppierte Personen, Quarzfritte-Keramik mit feinteiliger Lüsterbemalung, Kaschan/Iran, Anfang 13. Jahrhundert
Moderne und alternativen kulturellen Mustern © Museum für Islamische Kunst/Sammlung Edmund de Unger, Foto: Ingrid Geske
in ein und demselben gesellschaftlichen Um-
feld wie jüngst in Jakarta für Südostasien. Die durchzusetzen; vielmehr geht es immer um eine Gerade ästhetische Formen eignen sich oft zur mit angegliederter Bibliothek eröffnet. Auch
Goethe-Institute regen junge Menschen durch Förderung des gegenseitigen Verständnisses Anregung des Nachdenkens über zentrale Fragen Medien über den sonst im islamistischen Umfeld
Veröffentlichungen auch auf interaktiven Websi- und des kritischen, aber respektvollen Umgangs des menschlichen Zusammenlebens, da Kunst Frei- als Tabuthema geltenden Holocaust kann man
tes zur Reflexion ihrer politischen und kulturellen selbst mit abweichenden und irritierenden Po- räume schafft und konkrete Probleme nicht explizit dort lesen. Erhebliche Behinderungen gab es
Umgebung sowie zum Nachdenken über ihre sitionen. ansprechen muss. Tabus etwa werden so themati- aufgrund der strengen Einfuhrbeschränkungen
eigenen Perspektiven und Erwartungen an die Es wäre kontraproduktiv, bestimmte Grenzen in siert, ohne ausdrücklich benannt zu werden. durch Israel.­ Die Bücher konnten nur mit diploma-
Welt an. Mit der deutsch-arabischen Website den Geschmacksgewohnheiten des jeweiligen Zu unserer Arbeit in Ländern mit muslimischer tischem Auto-Kennzeichen nach Gaza gebracht
„Li-lak“ betreibt das Goethe-Institut in Kairo eine Gastlandes zu überschreiten, weil man damit Mehrheit gehört es auch, muslimisches Leben werden. Da die Menschen dort seit dem Gazakrieg
sehr erfolgreiche Informations- und Begegnungs- auch dem Dialogangebot grundsätzlich offen in Deutschland in all seinen Facetten zu zeigen, von außen abgeschnitten sind, stellt der Dialog-
plattform. Junge Autoren aus Deutschland und Gegenüberstehenden Probleme bereiten könnte. denn dies trägt zur Vermittlung der heterogenen punkt eine wichtige Verbindung zur Welt dar.
der arabischen Welt behandeln hier Themen wie Wir wollen z.B., dass möglichst viele Studierende, kulturellen und gesellschaftlichen Wirklichkeit in Die Goethe-Institute sind in Ländern mit muslimi-
Sucht, Geschlechterrollen und Religion. die vom Goethe-Institut herausgegebene Kultur- Deutschland bei. So sprach ein Imam aus Bay- scher Mehrheit, wie in anderen Ländern auch, für
Begegnung und Austausch finden aber auch in zeitschrift Fikrun wa Fann/Art and Thought lesen; ern in Singapur im Rahmen der Fotoausstellung den Dialog offen, und zwar sowohl für Eliten, re-
Form von Austauschprogrammen für Künstler diese kämen möglicherweise in Schwierigkeiten, „Moscheen in Deutschland“ von Wilfried Dechau gierungsnah oder -fern, als auch für anders den-
statt, z.B. von Schriftstellern aus Deutschland wenn auf dem Titelblatt einer Ausgabe zum über den muslimischen Alltag in Deutschland. kende Intellektuelle oder Künstler. Die islamisch
und dem Libanon bzw. kürzlich in einem groß Thema Liebe zu viel Haut zu sehen wäre. Grund- Auch deutsche Experten mit muslimischem Hin- geprägte Welt stellt hier keinen Sonderfall dar.
angelegten Programm mit der Türkei. 2009 lobte sätzlich sind Liebe und Sexualität für Jugendliche tergrund tragen zum Bild einer Gesellschaft im Hier haben sich in den letzten Jahren aufgrund
das Goethe-Institut Kairo zum ersten Mal den und junge Erwachsene, egal welcher Herkunft Wandel bei, die von Vielfalt profitiert. der historischen Ereignisse besondere Fronten
Deutsch-Arabischen Übersetzerpreis für Bellet- und Religionszugehörigkeit, wichtige Themen; In Ländern mit Defiziten im Bildungs- und In- aufgetan und Stereotype eingestellt. Generell
ristik aus, der die Übersetzung deutschsprachiger sie müssen mit Sorgfalt zum Gegenstand des formationswesen oder in der Zivilgesellschaft muss aber jeder Kulturdialog vom Sonderfall
Gegenwartsliteratur ins Arabische fördert und Dialogs gemacht werden. zählt auch die Unterstützung bei der Professi- ausgehen und sich auf das jeweilige spezifische
sie als Instrument der kulturellen Verständigung Auch Demokratie und autoritäre Führung, der onalisierung in diesen Bereichen und bei der Gegenüber einstellen, sei es in Ländern mit mus-
würdigt. demographische Wandel und natürlich die Frage Herausbildung von notwendigen Strukturen zu limischen Mehrheiten oder anderswo.
Bei Austausch und Dialog kann es nie darum des religiösen Fundamentalismus, der die Gesell- den Aufgaben des Goethe-Instituts. So wurde
gehen, eine Weltsicht oder eine Position geltend schaften in den Teilen der Welt, von denen wir z.B. in Erbil im Irak die Arbeit u. a. mit diesem Ziel Der Verfasser ist Referent im Bereich 31
zu machen, bzw. diese beim Dialogpartner in den hier sprechen, mindestens genauso beschäftigt wieder aufgenommen. Und vor gut einem Jahr „Wissenschaft und Zeitgeschehen“ des
Ländern, in denen das Goethe-Institut arbeitet, wie uns, sind wichtige Inhalte unserer Arbeit dort. wurde in Gaza-Stadt ein Dialogpunkt Deutsch Goethe-Instituts
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 21
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Wo Muslime fremd sind, sind wir es auch


Plädoyer für ein Atelier der kosmopolitischen Wissenschaften und Künste in Berlin / Von Almut Sh. Bruckstein Çoruh
In den deutschen Medien ist täglich von Inte-
gration die Rede. Angesprochen sind damit
„die Muslime“, oder gar „der Islam“, eine
Religion, die dem christlichen Abendland
„fremd“ gegenüber stehe, die „keine Auf-
klärung kenne“, die also „gezähmt“ werden
müsse, zum „Schutz unseres Rechtsstaates“,
des Grundgesetzes, der Gleichstellung der
Geschlechter, der freiheitlichen Werte unse­-
rer Gesellschaftsordnung, auch gerne Reli­-
gions-, Kunst- und Meinungsfreiheit. In der
öffentlichen Rhetorik zeichnet sich eine be-
unruhigende Polarisierung ab: den täglichen
Talkshows mit Titeln wie „Angst vor dem
Islam,“ „Wie viel Islam erträgt der Staat“,
„Kopftuch und Koran: Hat Deutschland
kapituliert?“ steht eine mediale Flut von
öffentlichen Programmen gegenüber, deren
einziger Sinn die kollektive Einübung in das
lange versagte deutsche Nationalgefühl zu
sein scheint und deren Suggestionskraft eine
rasante Widerkehr des Verdrängten be-
treibt: „Die Deutschen – Woher wir kommen“,
„Was ist deutsch im 21. Jahrhundert?“, „Wir
Deutschen“ in vielen Variationen.

D abei stehen Juden und Muslime ratlos einer


neuen politischen Ikonographie gegenüber,
in der Hitler seinen Platz zunehmend bruchlos
neben den sonstigen politischen Größen des
christlichen Abendlandes einnimmt, und in der
sie – die Juden und Muslime – sich zunehmend
nicht mehr zurechtfinden, egal wie selbstver-
ständlich sie deutsch sprechen, wie lange sie
schon deutsche Bürgerrechte haben, egal, wie
lange die Deutschen ihrerseits schuldhaft be-
teuert haben, Fremden, Juden, Anderen fortan
offen zu begegnen. Zum kulturellen Fundament
unserer Gesellschaft gehöre „die Demut des
Staates vor den religiösen Überzeugungen
Hanafitischer Rechtskodex mit Rand- und Interlinearglossen. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha,
seiner Bürger, auch und gerade in Zeiten einer Forschungsbibliothek Gotha
wachsenden religiösen Pluralität“, versichert uns
die Bildungsministerin; umso überraschender die Jüdische und muslimische der Intellektuellen und Gelehrten gegen die Ver- werden mit territorialer Leidenschaft verteidigt.
Erklärung, was denn dieses kulturelle Fundament flachung der öffentlichen Debatte gearbeitet, eine Dabei finden die prinzipiell unbegrenzten Aus-
„im Grunde“ sei: „Golgatha, die Akropolis, das
kosmopolitische Traditionen Neubewertung mittelalterlicher pluralistischer legungsmöglichkeiten traditioneller Texte ihre
Kapitol“, man müsse sie „als Einheit sehen.“ (Zi- Als ich im Jahr 2001 von Jerusalem nach Berlin Gesprächsräume versucht, und dabei an die Grenze an der hysterischen Disposition ihrer Apo-
tiert im Namen von Theodor Heuss, in Annette kam, traf ich den Kölner Islamwissenschaftler deutsch-jüdische Wissenschaftstradition des 19. logeten, die mit der Grenze des Textes die Grenze
Schavan, „Gottesbezug als Freiheitsimpuls“ in und Schriftsteller Navid Kermani. Zusammen und 20. Jahrhunderts angeknüpft. Man stelle sich der Wahrheit verteidigen. An dieser Stelle zeigt sich
der FAZ vom 23.11.2010). haben wir in Berlin ein mehrjähriges Projekt zu vor, es gäbe heute in Berlin eine solche Gruppe der Vorzug einer Plattform, die nicht nur Textarbeit,
jüdischen und islamischen ideologiekritischen von kosmopolitischen Gelehrten, die ein Licht der sondern eine öffentliche Arbeit an den Objekten
Orientale: Juden und Muslime Positionen initiiert, das Berührungspunkte und Weitsicht, des differenzierten Urteils, der Orientie- und Artefakten der Wissenschaften und Künste
Verflechtungen zwischen europäischen, (judeo-) rung in das öffentliche Gefecht über Sharia und entwickelt. Eine Plattform, die die Grenze zwischen
Diese Einheit der christlich-graeco-römischen arabischen, rabbinischen, byzantinischen und Grundgesetz würfen. musealer Repräsentation und Produktion, zwi-
Psyche wurde schon im 19. Jahrhundert zur persischen Traditionen herausarbeiten wollte, schen Ausstellung und lebendiger Fortschreibung
Projektionsfläche einer politischen Apologie des entgegen der politischen Instrumentalisierung Scheitern an der Frage der künstlerischen wie wissenschaftlichen Arbeit
vermeintlich Eigenen gegenüber dem vermeintlich religiöser Traditionen durch nationalstaatliche der Wahrheit auflöst. Objekte der bildenden und darstellenden
Fremden, wobei der Fremde heute wie damals Ideologien der Moderne. Mit einer Gruppe von Künste laden zu Fragestellungen ein, die terri-
„der Orientale“ ist. Damals, wir erinnern uns, wa- jüdischen und islamischen Gelehrten wollten Ein Jahr vor dem ersten Treffen der Deutschen toriale politische wie religiöse Zugehörigkeiten
ren es Juden, die zu keiner Integration fähig wa- wir zeigen, wie komplex, differenziert, vieldeutig Islam­ Konferenz wurde das jüdisch-islamische unterwandern. Diese noch so ephemere Freiheit
ren, ihre Halakha rückständig und mittelalterlich, jüdische und islamische Traditionen sind, wie Projekt mit seiner zeitgenössischen und trans- von der Logik des Territorialen geht mit der Un-
ihre Frauen verschleiert oder sittenlos, ihre Sitten beflügelnd die arabischen und judeo-arabischen territorialen Lektüre klassischer Texte aufgelöst terbrechung einher, die die Materialität der Dinge,
und Gebräuche Parallelgesellschaft, ihre Loyalitä- kritischen Traditionen, und wie sehr es nottut, und als Projekt eingestellt. Stattdessen sind seine ihre Farben, Stoffe, Klänge und Gerüche, für die
ten ungeklärt, ihre Fremdheit durch Assimilation in der öffentlichen Rede über Islam und Europa Denkanstöße in Programme aufgenommen wor- linearen Ordnungen des Wissens bedeutet.
und Moderne nur maskiert. Heute meint man mit zwischen religiöser Tradition und sozio-politischer den, die die geopolitische Ordnung territorialer Be- Wie gestaltet sich also eine Agenda des Wissens
„Migranten“ oder „Bürgern mit Migrationshinter- Realität zu unterscheiden. züge wieder hergestellt haben, wie etwa „Europa und der Erfahrung, die nicht von der linearen
grund“ Leute aus dem Orient: Türken und Araber, Während der Jahre 2002-2005 ist es uns ge- im Nahen Osten – der Nahe Osten in Europa“ oder Geschichtsschreibung der europäischen Moderne
auf vornehmere Weise, Perser und Iraner. Dabei lungen, am Wissenschaftskolleg zu Berlin eine „Tradition und Kritik der Moderne. Säkularismus, bestimmt wird, sondern eine offene Enzyklopädie
wird diesen Fremden eine konfessionelle/religiö- Gruppe von überwiegend jüdischen und mus- Fundamentalismus und Religion aus nah-östlicher von Bildern, performativen Gesten, Klängen und
se Identität übergestülpt, die viele, vielleicht die limischen Gegendenkern und mutigen Grenz- Perspektive“. Hier wurde möglicherweise eine künstlerischen wie literarischen Assoziationen zur
meisten, gar nicht haben, die aber in Deutschland gängern aus aller Welt zur gemeinsamen Arbeit Chance verspielt, denn die programmatische Zu- öffentlichen Disposition stellt? In der die Dinge,
seit jeher die Auseinandersetzung zwischen den an den Texten einzuladen (siehe Kasten). Über sammenarbeit jüdischer und islamischer Gelehrter die bis dato unverrückbar „eigen“ oder „fremd“
einzelnen Gruppen der Gesellschaft prägt: ob die Verflechtungen rabbinischer und islamischer jenseits geopolitischer Definitionen wäre heute si- erschienen, wie Max Ernst sagt, mit „akribischer
Protestanten gegen Katholiken, oder gelungene Überlieferung, Halakha, Fiqh und Sharia, Qur’an cherlich mehr denn je von konstruktiver politischer Genauigkeit“ von ihrem angestammten Platz
Ökumene, in jedem Falle sind kollektive Zugehö- und Tannakh, Sufismus und Kabbala, sowie der Bedeutung. Trotzdem gab es in unserem Projekt verrückt und in neue Zusammenhänge gestellt
rigkeiten hier zu Lande konfessionell geprägt. So judeo-arabischen und scholastischen Aufklärung eine grundlegende Aporie. Sie bestand darin, dass werden?
verwundert es auch nicht, dass christliche Araber des Mittelalters suchten wir eine jüdische und alle Diskussionen kollektiv tradierter Texte und
oder säkulare türkische Migrantenkinder, denen arabische Kritik der politischen Ideologien der Überlieferungen in Gefahr sind, an der „Frage der Das TASWIR Projekt: Ein Mate-
Sharia oder Sunna nichts bedeuten, sich mit dem Moderne zu gewinnen. Drei Jahre lang haben wir Wahrheit“ zu scheitern. Kollektiv definierte Texte rialatas zu Moderne und Islam
Vorwurf „Sharia sei Gewalt“ auseinandersetzen an der Schaffung eines Ortes des Widerspruchs unterliegen selbst der Logik des Territorialen, sie
müssen, oder Angriffe auf eine Kleiderordnung Im Jahr 2009-2010 hat im Berliner Martin-
abwehren, die mit islamischer Tradition oft we- Gropius-Bau eine Ausstellung und Werkstattreihe
nig zu tun hat, mit einer sichtbaren Abgrenzung Teilnehmer der Gruppe am Wissenschaftskolleg zu Berlin stattgefunden, die den Titel „TASWIR – Islamische
gegen ausgrenzende Fremdenpolitik hingegen Bildwelten und Moderne“ trug: TASWIR auf
viel. Selbsternannte Experten des Islams, in den Teil dieser Gruppe waren außer Navid Kermani politische Theoretiker Abdelkader Tayob und Arabisch, Persisch, Osmanisch-Türkisch: „sich
wenigsten Fällen des Arabischen, Persischen oder und Almut Sh. Bruckstein Çoruh die Koranwis- viele andere. Neben dem Projekt am Wissen- ein Bild machen“, „repräsentieren“, „fotogra-
sonst der Sprachen islamischer Überlieferung senschaftlerin Angelika Neuwirth, der kali- schaftskolleg wurde von Almut Sh. Bruckstein
mächtig, legen hierzulande öffentlich Qur’an fornische Talmudforscher Daniel Boyarin, der Çoruh im Jahr 2001 zwischen Jerusalem und Weiter auf Seite 22
und Sharia aus, wobei die Radikalität und Ge- ägyptische Qur’an- und Literaturwissenschaft- Berlin die Institution ha’atelier gegründet, eine
waltsamkeit ihrer Auslegungen auf erschreckende ler Nasr Hamid Abu Zaid (s.A.), der iranische internationale Plattform für Philosophie, Wis-
Weise der Auslegung derer gleicht, die sie als Theologe und liberale politische Theoretiker senschaft und Kunst, die vor allem im Rahmen Am Taswir Projekt
„Islamisten“ bekämpfen. Probleme der Armut, Abdulkarim Soroush, der iranische Philosoph der bildenden und darstellenden Künste die beteiligte Künstler
bildungsferner Sozialisation, Kriminalität und und shi’itische Theologe Mohammad Sha- Vision einer kritischen kosmopolitischen Arbeit
Gewalt werden von Zuschreibungen des „Islami- bestari, die Jerusalemer Musikwissenschaft- an den in Europa gewaltsam verdrängten jüdi- Etel Adnan, Maliheh Afnan, Taysir Batniji, Sid-
schen“ so untrennbar überlagert, dass alle noch lerin Ruth HaCohen, der israelische post- schen und islamischen Quellen avanciert und ney Corbett, Parastou Forouhar, William For-
so kompetent vorgetragene Kritik des schamlosen zionistische Historiker Amnon Raz-Krokotzkin, in verschiedensten Projekten immer wieder im sythe, Mona Hatoum, Susan Hefuna, Rebecca
öffentlichen Umgangs mit islamischen Quellen der palästinensische Kulturwissenschaftler öffentlichen Raum zur Disposition stellt. (www. Horn, Ali Kaaf, Wolfgang Laib, Nalini Malani,
von Seiten muslimischer Intellektueller wie hilflose Abdulrahim Al-Shaikh, der südafrikanische ha-atelier.de) Marwan, Walid Raad, Oliver Schneller u.a.
Apologie auf verlorenem Posten wirkt.
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 22
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Fortsetzung von Seite 21 Plädoyer für eine zukünftige Eine Produktionsform des Kommentars, der Wissenschaft und Kunst im öffentlichen Raum,
die Freiräume seiner Auslegungen in den Leer- wie die TASWIR Ausstellung dies – wenn auch
Neuordnung des Wissens stellen zwischen den Buchstaben, Worten und noch so anfänglich – versucht hat? Funktionierte
Wo Muslime fremd sind
Es zeichnet sich hier die Aufgabe einer zukünfti- Zeilen sucht, wird im öffentlichen Raum keinen ein solches Projekt nur in einer Stadt, in der man
fieren“. In dieser Ausstellung haben fünfzig gen Ordnung der Wissenschaften und Künste ab, „White Cube“ kreieren, sondern eher ein Laby- vor „Islamischem“ weniger Angst hat, wie etwa
zeitgenössische Künstler und eine Gruppe von die außereuropäische Traditionen als konstitutive rinth der Interpretationen, des Kommentars, der in Istanbul? Oder wie sähe der Entwurf einer
Wissenschaftlern, Kuratoren und Gelehrten, Momente einer Moderne mit einbezieht, die fortlaufenden literarischen und künstlerischen offenen Enzyklopädie der Dinge aus, die ihre
viele von ihnen aus dem jüdisch-islamischen nicht nur westlich genannt werden kann. Diese Produktion. Eine solche Produktionsform wird sich eigene Materialspur wie eine Kommentarspur
Projekt, die Achse der europäischen Moderne Agenda ist mit dem Abbau der Ausstellung TAS- den antithetischen Grundmustern von „fremd“ der Rabbinen fortschreibt, inmitten der Berliner
auf spielerische Weise zu verschieben gesucht. WIR im Martin-Gropius-Bau nicht abgegolten. und „eigen“ nicht unterordnen, sondern ein a- Museums-Landschaft, mit Objekten der Samm-
Klassische Objekte islamischer Kunst wurden Interessant wäre es, wenn etwa die Einrichtung lineares Verweissystem erarbeiten, welches sich lungen als „heiligem Text“? „Heiliger Text“ will
in ein Geflecht zitierter Gegenwartsbezüge der Lehrstühle Islamischer Theologie von einer in den Lücken der eigenen Materie fortschreibt: sagen: ein Text, der jeder eindeutigen Lektüre
gestellt, und so – oft durch ein überraschendes säkularen, kritischen Investigation künstlerischer Zwischen den Dingen, zwischen den Worten, gegenüber widerständig ist und für die überra-
„Nachleben“ antiker oder klassischer Formen Artefakten flankiert würde – wobei man die zwischen den Zeiten, zwischen den Menschen. schendsten Facetten seiner Materie offen?
– aus der linearen musealen Geschichtsschrei- klassische innerislamische Kritik der visuellen Es ist kein beliebiges Verweissystem, das hier vor
bung herausgelöst und neu positioniert. Die Repräsentation etwa eines Al-Farabi (870-950) Augen steht, sondern eines, was in der Stringenz Die Verfasserin ist die Initiatorin und
Geste der Vermischung und poetischen Asso- oder Al-Ghazali (1058-1111) auf Prozesse der der Fragestellungen unter Gelehrten – warum Direktorin von ha’atelier – werkstatt
ziation der Dinge ist dem Ordnungsprinzip des europäischen Moderne in Philosophie, Kunst nicht auch Künstlern, Kuratoren, und Politikern? für philosophie und kunst. Sie kura-
Bildatlasses des Hamburger Kunsthistorikers und Malerei hin befragen könnte. Oder es wäre – entsteht. Warum nutzen wir nicht die Ordnungs- tierte die Ausstellung und Werkstatt-
Aby Warburg verwandt. Gemeinsam mit Philoso- doch eine Herausforderung, die Idee des Berliner muster „außereuropäischer“ Kulturen, warum reihe TASWIR – Islamische Bildwelten
phen und Kulturwissenschaftlern hatte Warburg Universalmuseums mit einer expliziten Befragung lernen wir nicht von den Meistern der Hadithe und Moderne im Martin-Gropius-
in seiner Hamburger Kulturwissenschaftlichen jüdischer, judeo-arabischer und islamischer Me- oder den Rabbinen eine alternative nicht-lineare Bau 2009-2010, die von den Berliner
Bibliothek ein assoziatives Nebeneinander von thoden einer a-linearen Lektüre der Texte und Ordnung der Zeit, warum setzen wir nicht ein Ex- Festspielen ausgetragen und deren
ästhetischen und performativen Pathosformeln Artefakte zu verbinden, nach denen der Kom- perimentierfeld mit kosmopolitischen jüdischen Werkstattreihe von der Robert Bosch
entwickelt, die es ihm erlaubten, zwischen Ob- mentar der Schlüssel zum Text ist: Rabbinischen und islamischen Traditionen in Szene, mitten in Stiftung unterstützt wurde. 1999-2006
jekten verschiedenster Herkunft diachrone und und judeo-arabischen Überlieferungen zufolge der Hauptstadt, und sehen, wo die temporalen, war sie Dozentin/Professorin für jü-
heterogene Bezüge herzustellen, ohne dabei erzeugt das Spätere den Blick aufs Frühere, von topischen Ordnungsmuster von Texten wie Hadi- dische Philosophie in Jerusalem, Berlin
die präzise Ordnung seiner literarischen oder der Zukunft her ordnet sich das Vergangene, the und Talmud uns hinführen? Warum sehen wir und Frankfurt. Zurzeit ist sie Fellow
ästhetischen Fragestellungen aus den Augen zuerst war die Zukunft, dann kommt die Ver- in den topischen Ordnungsmustern dieser Texte am Käte Hamburger Kolleg „Recht als
zu verlieren. gangenheit. nicht „Architekturmodelle“ für den Umgang mit Kultur“ in Bonn

Kollektives Gedächtnis und kultureller Speicher


Die Rolle des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum im heutigen Diskurs / Von Stefan Weber
Das Museum für Islamische Kunst im Per- Aufgabe des Museums für Islamische Kunst direkt
gamonmuseum in Berlin gehört zu den definiert: die Vermittlung eines reichen kulturel-
bedeutendsten und ältesten Sammlungen len Erbes und die unpolitische Annäherung an
von Kunst und Archäologie muslimisch die künstlerischen und kulturellen Leistungen
geprägter Gesellschaften außerhalb der muslimisch geprägter Gesellschaften.
islamischen Welt. In Deutschland ist es Das Museum für Islamische Kunst ist als kultu-
einzig und durch die museologische Ver- reller Speicher auch kulturelles Gedächtnis: Die
bindung mit den alten Kulturen des Nahen abertausend Objekte in den Depots des Muse-
Ostens (z.B. Babylon, Pergamon) weltweit ums legen Zeugnis für die kulturellen Errungen-
beispiellos. Diese Sonderstellung besitzt schaften muslimisch geprägter Gesellschaften
es auch aufgrund beeindruckender archi- ab, die heute weitgehend in Vergessenheit ge-
tektonischer Zeugnisse, wie der Palastfas- raten sind. Es sind Beispiele der verschiedensten
sade von Mschatta – dem größten Objekt Kunstgattungen, einschließlich bedeutendster
islamischer Kunst in einem Museum. Durch Architekturzeugnisse, die alle Epochen islami-
den exponierten Standort auf der Museums- scher Geschichte vom 7. bis zum 19. Jahrhundert
insel sowie dem wachsenden öffentlichen umfassen. Höhepunkte sind die Steinfassade
Interesse an dem Themenfeld Islam fanden des Kalifenschlosses Mschatta (Jordanien,
letztes Jahr 538.000 Besucher den Weg in 740er Jahre), Stuckwände, Glas und Keramik
unser Haus – es gehört damit zu den Top-Ten aus Wohnungen und Palästen der Kalifenstadt
Museen Berlins und den bestbesuchtesten Samarra (Irak, 9. Jahrhundert), Gebetsnischen
Museen Deutschlands. aus Moscheen (Iran, Türkei, 13. Jahrhundert)
oder das Aleppo-Zimmer mit seiner fein bemal-

D ie über 100-jährige Geschichte des Museums


ist ein Spiegelbild deutscher Geschichte, und
auch die heutige Aufgabenstellung des Museums
ten Wandtäfelung (Syrien, 1600). Diese Objekte
zeichnen ein faszinierendes Bild vergangener
Welten – Welten, die erstaunlich viel mit uns und
ergibt sich ganz wesentlich aus den ak­tuellen unserer Vergangenheit zu tun haben. Die islami-
gesellschaftlichen Entwicklungen unseres Lan- sche Welt, als einer der wichtigsten Kulturräume
des. Einerseits kann es im Bereich Migration und überhaupt, befindet sich nicht nur geographisch
kulturelle Bildung eine Leitfunktion wahrnehmen, neben Europa (bzw. durch muslimische Herr-
indem es als öffentlicher und symbolischer Raum schaft in Spanien, Sizilien und dem Balkan auch
deutsche Muslime an eine klassisch öffentliche in Europa), sondern ist auch kulturgeschichtlich
Bildungseinrichtung heranführt. Dadurch werden eng mit Europa verbunden – denkt man zum Bei-
nicht nur partizipatorische Prozesse des Gemein- spiel an den Handel um das Mittelmeer oder auch
wesens gestärkt, sondern auch kulturhistorische jene kulturellen Mischzonen des Nahen Ostens
Grundlagen kollektiver Identitätsbildung ange- in Europa oder Europas im Nahen Osten (z.B.
boten. Die jüngste öffentliche Diskussion um Genueser in Istanbul). Um sich der Bedeutung
Migration hat uns erneut an die dringende Auf- muslimischer Kulturen bewusst zu werden, muss
gabe der Kulturvermittlung in einer Mehrheits- man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass
gesellschaft erinnert. In der Auseinandersetzung es sich um eine Region von großer Ausdehnung
mit dem Islam allgemein – besonders bei der und Vielfalt handelt. Sozial waren muslimisch
Bewertung und Analyse moderner Krisen – aber geprägte Gesellschaften multi-ethnisch und
auch in der Begegnung mit muslimischen Bürgern multi-konfessionell (praktisch alle christlichen
in Deutschland sind die vereinfachenden Wahr- Konfessionen, Juden, Parsen, Buddhisten und
nehmungsmuster von historisch gewachsenen, Hindus) und entwickelten damit einen – nicht
in ihrer sozialen, geographischen, ethnischen immer problemfreien – Pluralismus, wie er in
und sprachlichen Ausformung komplexen mus- Europa erst im 20. Jahrhundert möglich wurde.
limischen Gesellschaften höchst erschreckend. Sowohl in den vielen Sparten künstlerischer
Wie bei kaum einem anderen Kulturraum – der Produktion als auch im religiösen Bereich sind
nebenbei historisch kaum von Europa zu tren- die Ähnlichkeiten und Parallelen mit der christli-
nen und durch die gegenseitige Durchdringung chen und jüdischen Kultur außerordentlich groß.
auch heute nicht klar abzugrenzen ist – werden Die Grundlagen muslimisch geprägter Kulturen
komplizierte sozioökonomische Prozesse durch wurzeln ebenfalls in spätantiken Traditionen. Das
„Fachleute“ in den abendlichen Talkshows durch Erbe der klassischen Welt in Philosophie, Wis-
kultur-essentialistische Muster auf der Grundlage senschaft, Städtebau, Architektur und Kunst war Blatt aus einem Großkoran, Tinte und Blattgold auf Papier, Kairo, Ägypten, um 1306-11 (Inv.-Nr. I. 84.779)
von Religion erklärt. Verallgemeinerungen, Ver- für die Entwicklung muslimischer Gesellschaften © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Ingrid Geske
einfachungen und grobe Unkenntnis sind an der entscheidend. Dies lässt sich exemplarisch an
Tagesordnung. Eine Limitierung der kollektiven den Objekten im Museum ablesen: andalusische Orient lebten also im Nahen Osten fort. Diese und Zentralasien und widersprechen einem in
Identität als Muslim auf Religion bzw. auf ein Kapitelle aus religiösen oder säkularen Räumen Tatsache ist im kulturellen Gedächtnis heutiger sich geschlossenen Verständnis des islamischen
Zerrbild von Religion verschleiert den Blick auf im Cordoba des späten 10. Jahrhunderts sind eng Gesellschaften nicht verankert – auch nicht bei Kulturraums. Kunst, Kunsthandwerk, Meister
soziale, ökonomische und multiple kulturelle Ent- verwandt mit ihren antiken Vorläufern. Auch in Muslimen. Es gilt also, Modelle musealer Vermitt- sowie Auftraggeber oder Käufer kennen keine
wicklungen und verstellt die Sicht auf ein reiches Holz oder Elfenbein geschnitzte Ornamente im lung zu entwickeln, um dies zu veranschaulichen. geographischen und konfessionellen Grenzen.
kulturelles Erbe. Kulturgeschichtliche Grundlagen Kairo des 11. Jahrhunderts tragen noch das Erbe Im Sinne einer globalen Geschichtsschreibung Die feinen Tauschierarbeiten des 13. Jahrhun-
muslimischer Kulturen fehlen in der öffentlichen der Antike in sich. Der Kunsthistoriker Alois Riegl darf auch die Vernetzung mit anderen Weltregi- derts aus Mosul, Damaskus oder Kairo waren
Diskussion und Wahrnehmung vollständig. Als (1858-1905), der den Begriff Spätantike prägte, onen nicht vergessen werden. Objekte aus Kunst mit muslimischen und christlichen Motiven bei
Deutschlands kulturhistorisches Kompetenzzen- begriff die „Arabeske“ als Kulminationspunkt der und Kunsthandwerk zeugen von den Schnittmen-
trum im Bereich Islam ist somit eine dringende antiken Ornamentranke. Die Antike und der Alte gen historischer Erfahrung zwischen Mittelmeer Weiter auf Seite 23
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 23
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Das Epizentrum liegt am Golf


Andreas Kolb im Gespräch mit Michael Schindhelm
Ist Kultur in Dubai ausschließlich ein Vehikel,
um Immobilien zu verkaufen oder gehen von
den kleineren Golfstaaten auch Impulse zur
Modernisierung der Golfregion aus?

Andreas Kolb: Ist der Islam noch eine kulturell


treibende Kraft? Und kann der Islam das auch für
Deutschland sein?
Michael Schindhelm: Ich bin nicht wirklich
zurückgekehrt nach Deutschland, und betrachte
Deutschland zurzeit eher von außen. Tatsächlich
gibt es heute eine Art Erneuerung im Islam und
das nicht nur in der arabischen Welt, sondern
auch in der Diaspora, insbesondere im iranischen
Islam, und mit Einschränkungen gilt das auch für
die Kultur des indischen Islams, insbesondere in
Südindien. Ich glaube, das Epizentrum dieser
Entwicklung liegt in der Golfregion. Man kann
das nicht mehr auf Dubai reduzieren. Zum Bei-
spiel kann man das gut daran erkennen, dass
die über-übernächste Fußball-Weltmeisterschaft
nach Katar vergeben wurde. Das aufstrebende
Fürstentum Katar verfolgt ähnliche strategische
Ziele wie Dubai in den letzten 20 Jahren. Sie
kennen vermutlich auch die Entwicklung in Abu
Dhabi. Möglicherweise sind Sie auch über die
kulturpolitischen Bestrebungen des Sultanats
Oman informiert, wo man viel stärker als in den Krönungsmantel Rogers II. von Sizilien mit Lebensbaummotiv (Palermo, 1133/34). Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Kunsthstorisches Museum, Wien
Vereinigten Arabischen Emiraten auf einheimi-
sche Werte und Traditionen setzt. Insofern würde Beduinen – und moderne Menschen – jene also, übrigens auch vor 50 Jahren das Fernsehen Palästinensern betrieben, deren Ausbildung noch
ich sagen, es gibt tatsächlich eine Art Epizentrum die sich wesentlich durch Mobilität und Flexibilität in Deutschland. Im Fernsehen von Dubai und zu Zeiten des Kalten Krieges in Osteuropa und
in der Golfregion. definieren bzw. deren Möglichkeiten nutzen. In Katar kritisieren heute unverschleierte Frauen UdSSR stattfand.
Kolb: Ist das sogenannte multikulturelle Leben Dubai machen diese Menschen 90 Prozent der vehemente Mullahs ob deren Ansichten; die Kolb: Und ihr ureigenstes Metier, die Oper?
in Dubai nicht eher vergleichbar mit dem Leben Bevölkerung aus, aber sie gibt es in wachsendem Programme können fast im gesamten arabischen Schindhelm: Die Oper ist freilich unverwüstlich
in einem Luxushotel in St. Moritz oder München? Maße auch bei uns. Insofern kann man den Golf Raum empfangen werden. und hat schon früh ihren Zug um die Welt be-
Alle Kulturen sind unter einem Dach haben aber als ein Labor für eine neue Form der Migration Kolb: Die Golfregion als Plattform für Diskurse gonnen, insofern sind z. B. Auftritte von Pavarotti
nichts miteinander zu tun? betrachten. über Veränderung? u.a. Stars in Dubai nicht erstaunlich. Diese wurden
Schindhelm: Dubai unterscheidet sich von Hotels Kolb: Der christlich-abendländische Kulturkreis Schindhelm: In den kleinen Fürstentümern im anfangs veranlasst von westlichen Enthusiasten,
dieser Art dadurch, dass sich dort etliche Men- hat seit der Aufklärung und vor allem in den ver- Golf mit ihrem großem Wirtschaftspotential und die längere Zeit in Dubai lebten. Hinzu kamen
schen nicht nur vorübergehend aufhalten, etwa gangenen 100 Jahren eine starke Säkularisierung ihren großen Ambitionen gibt es die Fähigkeit, später die Aspekte Unterhaltung und Tourismus.
zur Erholung, sondern darin für längere Zeit leben. erfahren. Sie selbst sind in der DDR aufgewach- bestimmte westliche Modelle von Demokratie Kolb: In Ihrem Buch „Dubai Speed“ schildern
Zudem ist Dubai umgeben von Ländern wie dem sen, einem offiziell weitgehend areligiösen Land. oder zumindest Meinungsöffnung zu adaptie- Sie, wie die rein kommerzielle Finanzierung des
Iran, Irak, Afghanistan, Pakistan, Saudi-Arabien Nun kommt mit den islamischen Einwanderern ren und diese mit Inhalten zu füllen, die mit Kulturbetriebs in Dubai gescheitert ist. Welche
oder dem Jemen, den sozusagen „schwärzesten“ eine neue Kultur nach Deutschland. Welche deren eigenen Tradition, Geschichte und Reli- neuen Wege zeichnen sich ab?
Ländern der Region, in puncto politischer Insta- Auswirkungen sehen Sie auf Kunst und Kultur? gion verbunden sind. Diese Entwicklung dürfte Schindhelm: Die Zielvorgabe hieß für mich:
bilität und religiösem Fanatismus. In Dubai ist es Schindhelm: Ich bin in Eisenach geboren und unumkehrbar geworden sein. Die Öffnung ist Kultur soll in absehbarer Zeit profitabel sein. Je-
gelungen, eine verhältnismäßig offene und auf- aufgewachsen und bin geprägt durch protestanti- inzwischen sehr weit fortgeschritten, und man des Kulturprojekt wurde im Grunde interpretiert
geschlossene Gesellschaft aufzubauen. Sicherlich sche Kultur und Religion. Auch in unserer säkulari- sieht, wie Bereiche von ihr erfasst worden sind, als kommerzielles Projekt. Die einzige Ausnahme
immer noch mit Kinderkrankheiten, aber doch im sierten Gesellschaft kommt der kulturelle Kontext z. B. die Verteidigungspolitik. Man denke an die hiervon waren die Bereiche Religion und Soziales
Bemühen, diese zu „heilen“ oder wenigstens zu unserer religiösen Geschichte ins Spiel, wenn wir strategischen Bemühungen der USA und deren bzw. Charity.
lindern. Der Ausländeranteil an der Bevölkerung mit Menschen mit anderen religiösen Werten in Verbündeten in der Golfregion. Außerdem sind Das Missverständnis bestand darin, dass die
beträgt 90 Prozent, zum größten Teil stammt dieser Kontakt treten. Die heutige westliche Welt lässt Orte wie Dubai, Doha oder Abu Dhabi inzwischen Emiratis Kultur als Marketinginstrument für den
ausländische Bevölkerungsanteil aus Indien. Es sich nicht einfach nur über einen bestimmten in vieler Hinsicht Standorte internationaler Kultur- Immobilienboom missverstanden haben. Dass
leben aber auch cirka 20.000 Deutsche ständig in Demokratie- oder Menschenrechtsstandard oder und Unterhaltungsindustrie geworden. Man kann Kultur staatliche Unterstützung benötigt, vor allem
Dubai. Hinduismus, Christentum oder Buddhismus ein bestimmtes Wirtschaftssystem definieren, sie als Inseln inmitten dieser schwierigen Region am Anfang, war einfach nicht klarzumachen.
können ungehindert ausgeübt werden, es gibt sondern es gibt Werte, die auf einem religiösen betrachten, als ein Experimentierfeld dafür, unter Die Wirtschaftskrise hatte heftige Auswirkungen
die entsprechenden Tempel und Kirchen. Es gibt Kontext basieren, auch wenn wir sie inzwischen welchen Bedingungen sich der Islam weiterent- auf den Kulturbereich in Dubai. Man ist nach der
Kirchenchöre, die zum Teil vor bereits 20 Jahren als solche gar nicht mehr wahrnehmen. Die Aus- wickeln kann im Einklang mit den Erfordernissen Krise nachdenklicher geworden, finanziell vorsich-
gegründet worden sind. Man kann tatsächlich einandersetzung mit dem Anderen bewirkt, dass der Globalisierung. tiger. Insofern ändert sich auch das Kulturverständ-
von Etablierung und Vermischung verschiedener wir uns wieder an die teils religiösen Wurzeln Kolb: Gibt es nur diese westliche Fokussierung? nis. Man erkennt langsam, dass gesellschaftlicher
Kulturen in Dubai sprechen. Dubai ist nicht nur die unserer Kultur erinnern. Schindhelm: Wesentliche Teile nicht nur der Zusammenhalt auch kulturell bedingt ist. Kultur
Karawanserei oder die Shopping-Mall mit Lan- In Dubai wird man auch selbst ein Stück weit arabischen, sondern der islamischen Kunstszene wird in der Golfregion nicht mehr nur als Marke-
depiste, sondern es ist ein Gesellschaftsmodell. auf seine eigene Kultur, seine eigene Identität insgesamt, sind speziell auf Abu Dhabi und Katar tinginstrument gesehen, sondern gesellschaftspoli-
In Dubai treffen sich traditionelle Nomanden – die zurückverwiesen. Man repräsentiert freiwillig fokussiert. Hier drückt sich ein neu entstandenes tisch. Sie dient der Schaffung einer Lebensqualität,
oder unfreiwillig die abendländische Zivilisation. Bewusstsein derer aus, die ausdrücklich nicht mehr ist identitätsstiftend. Ein sehr markantes Beispiel
Dubai stellt nicht in jeder Hinsicht das Erfolgsre- westliche, sondern islamische Kunst sammeln, für diesen Wandel ist der gesellschaftskritische
Fortsetzung von Seite 22 zept dar, etwa was die Arbeitsbedingungen vieler darunter auch Kunstsammler und Galeristen aus Dubai-Film „City of Light“ von Ali Faisal Mostafa
dort betrifft, oder auch die politischen Rechte für dem Iran, Saudi-Arabien und Indien. Zu einem Bin Abdullatif, der erstmals die verschiedenen Be-
Fürsten, Bischöfen, Sultanen oder reichen Privat- den Großteil der dort Lebenden. Der sogenannte großen Teil stellen viele Künstler hier aus, die völkerungsgruppen als Protagonisten zeigt. Er hat
leuten aller Konfessionen beliebt. Gegen Ende „Krieg der Kulturen“ findet aber in Dubai nicht in ihren Heimatländern weder ausstellen noch erstmals eine Selbstreflexion bei der Bevölkerung
des 13. Jahrhunderts fand geradezu eine „Chine- statt, im Gegenteil: Seit Jahrzehnten leben dort verkaufen können. Das gilt insbesondere für den ausgelöst – die eigentliche Aufgabe der Kunst.
sierung“ islamischer Kunst statt, indem Drachen, unterschiedliche Kulturen friedlich zusammen. Iran. Man muss sich stets vor Augen halten, dass Kolb: Vielen Dank für das Gespräch.
Phönixe und andere chinesische Fabelwesen, die Wenn Sie – wie ich – viel in der arabischen Welt die Grenze zum Iran gerade 20 Kilometer Luftlinie
figurativen Welten auf Textilien, in der Buchkunst, reisen, dann spüren Sie von Casablanca bis Am- von Dubai entfernt verläuft. Eine vergleichbare
Keramik oder anderen Medien belebten. man oder Damaskus, dass das Signal aus Dubai Situation mit der in Deutschland während des Michael Schindhelm
Eine Betrachtung muslimisch geprägter Kul- eindeutig verstanden wird als Alternative zur Kalten Krieges, auch wenn die Länder wirtschaft-
turen als geschlossenes und lineares System Misere, in der sich die meisten arabischen Länder lich kooperieren. Michael Schindhelm war seit März 2007 als
widerspricht der kulturellen Dynamiken und ist heute befinden. Kolb: Erzählen Sie doch etwas über Ihren Ver- Kulturmanager in Dubai (VAE) tätig und seit
a-historisch. Auch die Auseinandersetzung des Viele Menschen, auch solche ohne besondere Pri- such, den deutschen Markenartikel Musik in März 2008 Kulturdirektor der Dubai Culture
Nahen Ostens mit der Moderne im 19. Jahrhun- vilegien, wollen an dem „System Dubai“ partizi- Dubai zu etablieren. Wie nimmt man speziell in and Arts Authority. Schindhelm gab dieses
dert darf nicht als Entfremdung, sondern muss als pieren, weil sie sich von diesem System einerseits Dubai westliche Musik wahr? Amt im Sommer 2009 auf, als klar wurde,
lokale Ausformungen eines globalen Phänomens eine gewisse soziale und andererseits auch eine Schindhelm: Vorläufig gibt es wenig Musik- dass aufgrund der Weltwirtschaftskrise das
verstanden werden. Kultur findet nie in abge- gewisse politische Sicherheit versprechen. Das verständnis in unserem Sinne bei den Emiratis. von ihm geplante Opernhaus und weitere
schlossenen Systemen statt – wie die Exponate meine ich mit „Epizentrum“, weil es automatisch Beethovens Musik etwa wird von Vielen als Kulturstätten nicht realisiert werden würden.
unseres Museums eindrucksvoll belegen. Auswirkungen auf die Kultur hat und damit auch unangenehm empfunden. Vermutlich liegt das Seine Erfahrungen aus dieser Zeit veröffent-
Das künstlerische und kulturelle Erbe muslimisch auf die Kunst. am fehlenden kulturell-historischen Kontext. Au- lichte er als Tagebuch über ein kühnes Ge-
geprägter Gesellschaften atmet den Geist einer Kolb: Handel bringt Wandel – aber bringt er ßerdem existiert eine völlig andere einheimische sellschaftsexperiment unter dem Titel „Dubai
stetig mit Europa und anderen Weltregionen auch politische und damit künstlerische Freiheit? Musiktradition. Dieses Desinteresse ist sicher nicht Speed“. 2010 gründete er in einer Koopera-
verbundenen Geschichte. Für unser Museum ist Schindhelm: Auf einem Kongress in Dubai mit gleichermaßen in der gesamten islamischen Welt tion mit Rem Koolhaas und AMO, dem Think
es Chance und Aufgabe zugleich, in die vielfälti- Intellektuellen und Schriftstellern aus dem ge- zu konstatieren. Mehr Interesse für klassische Tank von OMA (Office for Metropolitan Archi-
gen Regionen muslimischer Kulturen einzuführen samten arabischen Raum erklärten Teilnehmer Musik gibt es in Syrien, Ägypten oder der Türkei. tecture), das Postgraduierten-Institut „Strelka“
und in dem verengten öffentlichen Diskurs neue aus Kairo und Marokko, dass ihrer Überzeugung Doch es gibt auch in Dubai und Abu Dhabi erste in Moskau, eine Hochschule für Medien,
Denk­räume zu schaffen. Differenzierung und nach politisch freie Meinungsäußerung innerhalb Versuche einer musikalischen Ausbildung und Architektur und Design. Für poltik und kultur
nicht Vereinfachungen ist unsere Aufgabe! der arabischen Welt derzeit nur in der Golfregion Musikschulen auf professionellem Niveau. Das unterhielt sich puk-Redakteur Andreas Kolb
vorstellbar sei. In Katar sind in dieser Hinsicht Prestige einer musikalischen Ausbildung wächst mit Schindhelm über die „Herausforderung
Der Verfasser ist Direktor des Museums schon große Anstrengungen gemacht worden. und die Beherrschung eines Instruments gilt in Islam“ sowie das „Epizentrum“ Golfregion.
für Islamische Kunst, Staatliche Der TV-Sender Al Jazeera ist im Grunde nach manchen Familien schon als Bestandteil gutbür- DIE REDAKTION
Museen zu Berlin dem Vorbild der BBC gestaltet worden – wie gerlicher Bildung. Musikschulen werden oft von
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 24
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Dem Ursprung nachspüren


Stefanie Ernst im Gespräch mit Hamed Eshrat
Ist Migration und Islam überhaupt ein The- Näheres weiß ich aber erst im Frühjahr nächsten
ma, das in einem Comic aufgegriffen werden Jahres. Der deutsche Comicmarkt ist sehr klein.
kann? Mit dieser Frage im Kopf lief die Su- In Frankreich, Belgien und den Niederlanden ist
che nach einem entsprechend arbeitenden der Comic sehr viel verbreiteter und genießt einen
Comic­zeichner in Deutschland an. Keine ganz anderen Stellenwert. Besonders Indepen-
leichte Aufgabe. Glücklicherweise stießen dentcomics, die Ernsthaftes oder Autobiographi-
wir auf Hamed Eshrat, dessen Comic „Kaiser- sches zum Inhalt haben, haben es in Deutschland
schnitt“ 2009 in Frankreich unter dem Titel sehr schwer. Sie gelten als nicht-massentauglich.
„Tipping Point – Téhéran 1979“ veröffentlicht Ein weiterer Punkt ist, dass es den Comic „Per-
wurde. Eshrat ist 1979 im Iran geboren. In sepolis“ von Marjane Satrapi gab, das hat viele
Folge der politischen Umbrüche im Rahmen Verleger in Deutschland erst mal abgeschreckt,
der Islamischen Revolution musste die Fa- etwas vordergründig Ähnliches in ihr Programm
milie – der Vater war Anhänger des Schahs aufzunehmen. Und schließlich vertreten die Ver-
Mohammad Reza Pahlavi und Mitglied des leger oftmals die Auffassung, dass eine andere
iranischen Nachrichtendienstes SAVAK – ins Art der Ästhetik, die sich von der herkömmlichen
Exil nach Deutschland fliehen. Eshrat ist in abhebt, den Käufer nicht interessieren würde. Ich
Deutschland aufgewachsen, studierte an beobachte allerdings genau das Gegenteil. In
der Kunsthochschule Weißensee Kommu- Bezug auf „Kaiserschnitt“ erhalte ich sehr viele
nikationsdesign. „Kaiserschnitt“ ist seine interessierte Rückfragen. Besonders bei Menschen,
Abschlussarbeit, in der er sich intensiv mit die sich für Geschichte interessieren, zeigt sich ein
seinem Herkunftsland auseinandersetzt. In großes Interesse an diesen Themen. Viele Geis-
„Kaiserschnitt“ werden jene neun Monate teswissenschaftler nutzen den Comic als Teil ihrer
im Leben seiner Familie dargestellt, in denen Recherchen und erhalten so eine ganz andere
seine Mutter mit ihm schwanger war. Eine Perspektive auf ihre Arbeit.
Zeit, in der familiäre Freude untrennbar puk: Sie sprachen „Persepolis“ bereits an. Stört
mit den politischen Geschehnissen im Iran Sie der Vergleich zu der Comiczeichnerin Satrapi,
verquickt wurde. die in ihrem berühmten Werk ihre Kindheit im Iran,
ihre spätere Zeit im Ausland und die Rückkehr in
politik und kultur: Der Comic ist eine sehr ihr Heimatland beschreibt?
autobiographische Arbeit. Was hat Sie zu der Eshrat: Ich habe mich daran gewöhnt. Manchmal
Geschichte, die Sie in „Kaiserschnitt“ erzählen, nervt es schon. Aber es ist eine Tatsache. „Per-
bewogen? . sepolis“ ist ein sehr guter Comic und zudem sehr
Hamed Eshrat: In erster Linie wollte ich meinem erfolgreich. Außerdem hat er einen wesentlich
Ursprung nachspüren. Bereits als Kind hörte ich größeren Umfang; er erschien in Deutschland
meine Mutter häufig über die Erlebisse aus der zweibändig. Vielleicht sollte ich es als Ehre begrei-
Zeit der politischen Umwälzung im Iran sprechen. fen, dass meine Arbeit so häufig mit „Persepolis“
Als die Zeit meines Diploms an der Kunsthoch- verglichen wird.
schule näher rückte, dachte ich mir, es wäre nun puk: Sind Sie mit dem Comicmarkt im Iran oder
ein guter Augenblick, um mir die Zeit zu nehmen in islamischen Ländern vertraut?
und mich auch künstlerisch mit dem Thema Iran Eshrat: Soweit ich weiß ist der Comikmarkt im
und Herkunft auseinanderzusetzen. Ich wollte die Iran nicht besonders groß. Die Comics gehen auch
Geschichte meiner Familie erzählen. Da ich ein in eine ganz andere Richtung. Auf der Frankfurter
Zeichner bin, hat sich der Comic als Ausdrucksform Buchmesse vor zwei/drei Jahren sah man zwar
angeboten. Zeichnen geht mir gut von der Hand. Comics aus dem arabischen Sprachraum. Diese
puk: Ihre Motivation basiert folglich auf der gingen aber stark in Richtung Kinderbuch.
Ergründung Ihrer Vergangenheit. War die künst- puk: Könnten Sie sich vorstellen einen Anschluss-
lerische Auseinandersetzung mit dem Thema Iran comic über Ihre Anfangsjahre in Deutschland zu
ein wichtiger persönlicher Schritt für Sie, um sich zeichnen? Als eine Art Fortsetzungsgeschichte?
Ihrer Herkunft, Ihrer Wurzeln zu versichern? Eshrat: Da die Fertigstellung von „Kaiserschnitt“
Eshrat: Die Auseinandersetzung mit dem Stoff nun zwei Jahre zurück liegt, könnte ich mir das
war eine große Bereicherung für mich. Während mittlerweile wieder vorstellen. Ich habe auch
meiner Arbeit habe ich natürlich viel mehr Details meine Mutter bereits gefragt, ob sie Lust hätte
der iranischen Geschichte und somit über meine noch einmal an der Stelle der Aufzeichnungen, an
Geschichte, die Geschichte meiner Familie erfah- der wir damals aufgehört hatten, anzuschließen.
ren. Durch meine Recherchen sind Ereignisse, die Ein zweiter Comic würde dann in etwa bis in die
im familiären Unterbewusstsein waren, wieder Zeit reichen, in der ich als Kleinkind auf die Bühne
intensiv in den Vordergrund gerückt. Ich bin den treten würde. Vorher werde ich aber ein anderes
Dingen so ganz anders auf den Grund gekommen Buch machen und dann schau ich mal. Berühmter Teppich mit abstrahierter Drachen-Phönix Darstellung, Wolle, Türkei, Mitte 15. Jahrhundert
und konnte nach Beendigung meiner Arbeit einen puk: Vielen Dank für das Gespräch. (Inv.-Nr. I. 4) © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Georg Niedermeiser
eigenen bzw. neuen Standpunkt in Bezug auf die
Geschichte meiner Familie und der Geschichte

Geschlossene Gesellschaft?
des Irans einnehmen.
Ein paar Worte zu meinem Migrationshintergrund:
Mit 20 Jahren bin ich aus meinem Elternhaus
ausgezogen. Zuhause haben wir immer Farsi ge-
sprochen. Vor allem durch die Bekannten meiner Stefanie Ernst im Gespräch mit Loredana Nemes
Eltern hatte ich ein paar iranische Freunde. Ich
hatte also ein iranisches Umfeld, das wir auch Viele von uns kennen sie, die türkischen meiner Mutter in der Frauenabteilung war – Dann kam die Einladung nach innen. Ich folgte
gepflegt haben. Hinzu kamen viele Freunde an- und arabischen Männercafés in deutschen tiefer ergründen. ihr stets gerne, sobald die Aufnahme geschafft
derer Ethnien. Später hatte ich sehr viele deutsche Städten. Die meisten von uns aber nur als puk: Trotz aller Neugierde sind Sie mit Ihrer war. Es folgte ein zartes, zaghaftes Beschnup-
Freunde, kaum mehr iranische. Während meiner Zaungäste. Die Fotografin Loredana Nemes Kamera vor der Tür geblieben. pern. Dann folgten Fragen: Wie lange lebst du
Studienzeit in Berlin hatte ich dann kaum noch zeigt in der Ausstellung „beyond – Berliner Nemes: Zuerst blieb ich ganz bewusst draußen, in Berlin? Was arbeitest du? Fotografierst du
Kontakt zu Iranern, dass hat sich an der Uni ein- Männerwelten“ vertraut Fremdes. Nemes´ um das Mysterium, was hinter den Scheiben ist, professionell? Wofür?
fach nicht ergeben. Schwarz-Weiß-Fotos vermitteln dem Be- die so vieles verhüllen, aufrecht zu erhalten. Die- puk: Wie kann man sich Ihre Arbeitsweise
puk: Was verbirgt hinter dem Titel „Kaiserschnitt“? trachter typische Außenansichten der Cafés ses Ungewisse wollte ich in ein Foto transportie- konkret vorstellen? Wie lange dauert eine
Eshrat: Das Wort „Kaiser“ bezieht sich auf den sowie schemenhafte Männergesichter hin- ren. Die Außenansicht ist die originäre Sicht des Aufnahme?
Schah, der bis 1979 das iranische Staatsoberhaupt ter einer milchigen Fensterscheibe. Dann Berliners, auch aus diesem Grund bin ich nicht in Nemes: Meistens einen Abend. Wenn eine
war. „Kaiserschnitt“ als Begriff bezieht sich folglich muss das Nachdenken, das Nachspüren bei die Cafés hineingegangen. Und letztlich ist das Aufnahme aus Belichtungsgründen oder ähnli-
auf die Islamische Revolution, im Zuge derer der jedem Einzelnen beginnen. auch der Blick der Frau, denn diese Räume sind chem nicht entstehen konnte, bin ich an einem
Schah als Regierungsoberhaupt geschasst und von Teestuben, Kulturvereine oder Cafés für Männer zweiten Abend zurückgekehrt. Wenn die Außen-
Ruhollah Chomeini abgelöst wurde. Und schließ- politik und kultur: Wie kamen Sie auf die Idee, und somit ist die Frau ausgeschlossen. Erst später aufnahme gemacht war, fragte ich mich nach
lich bezieht sich „Kaiserschnitt“ auf den Part meiner türkische Männercafés zu fotografieren? habe ich angeklopft und bewusst gewartet, bis dem ersten Kontakt, ob ich einen Schritt weiter
Geburt bzw. auf die Zeit, in der ich im Mutterleib Loredana Nemes: Sie sind Teil meiner Nach- jemand an die Tür kam und öffnete. gehen und vielleicht sogar ein Porträt von einem
heranwuchs. Der Comic spielt ja während der neun barschaft. Ich lebe in Neukölln, arbeite in Kreuz- puk: Da kommt eine Frau, postiert sich vor der Männer machen kann. Auch bei den Porträts
Monate, in denen meine Mutter mit mir schwanger berg. Ich fahre täglich zwischen den Stadtteilen einem Männercafé mit ihrem Fotoapparat und wollte ich den Aspekt der Trennung durch die
war und endet kurz nach meiner Geburt. mit dem Rad hin und her. Währenddessen be- knipst. Wie reagierten die Männer auf Sie? Scheibe aufnehmen, um ihn in das Foto zu über-
puk: Bedauerlich, dass der Comic bislang nur in gegne ich diesen Lokalen, versuche von außen Nemes: Neugierde war auf beiden Seiten tragen. Für mich symbolisieren diese Scheiben
Frankreich veröffentlicht wurde. Alle Recherchen hineinzusehen, aber mein Blick wird gestoppt vorhanden. Ich habe mit einer Assistentin zu- mit all ihren Mustern, die darin enthalten sind,
in Comicläden und Spezialverlagen bezüglich durch Scheiben und Vorhänge. Das weckte sammengearbeitet. So fiel es mir leichter, in die Muster in unseren Köpfen. Wenn ich einen
deutschsprachiger Comics, die den Islam oder meine Neugierde. Ich wollte mehr darüber diese Männerwelten einzudringen. Als die Bil- Fremden betrachte, betrachte ich ihn oft durch
eine Geschichte, die in einem islamischen Land erfahren. Zugleich weckten die Cafés Kindheits- der entstanden, war es Nacht. Ich arbeitete mit Schematas, durch Klischees, die in meinem Kopf
spielt, zum Thema nehmen, verliefen im Sande. erinnerungen in mir. Mit 12 Jahren lebte ich ein einer großen Plattenkamera aus den 1960ern, bereits verankert sind. Aus diesem Grund ist
Existiert in Deutschland an so einer Thematik kein halbes Jahr im Iran und erlebte in dieser Zeit die musste unter ein schwarzes Tuch kriechen. auch dieser Zyklus für mich keine Arbeit über
Interesse? Geschlechtertrennung und lernte eine andere Das muss seltsam gewirkt haben. Die Männer Türken oder Muslime, sondern eine Arbeit über
Eshrat: „Kaiserschnitt“ ist tatsächlich bislang aus- Kultur kennen, die ich als extrem faszinierend kamen aus den Teestuben und fragten, was ich das Fremdsein, über Fremdheit, eine Simulation
schließlich in Frankreich erschienen. Allerdings gab empfand. Diese Erinnerung aufgreifend wollte da tue. Als Zeichen des Willkommens und der unseres Blickes und somit ein Hinterfragen des
es vor kurzem Kontakt zu einer Comiczeitung, die ich diese Räume, in denen sich damals auch Gastfreundschaft wurde Tee herausgebracht.
überlegt, ob sie „Kaiserschnitt“ als Serie abdruckt. mein Vater aufgehalten hat – während ich mit Manchmal servierte man uns ein Sandwich. Weiter auf Seite 25
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 25
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Fortsetzung von Seite 24 Gegenüber war nicht der Machomann, sondern


jemand, der meinen Anweisungen folgte und für
Betrachters, mit allem, was er so mitbringt, wenn ein Bild stillhielt.
er auf diese fremden Welten schaut. puk: Kennen Ihre Modelle die Bilder der Aus-
puk: Ist Ihnen das Fremde durch die Arbeit ein stellung?
wenig vertrauter geworden? Nemes: Von den hier gezeigten war niemand
Nemes: Gewiss. Auch wenn es für mich nach wie auf der Eröffnung. Es ist de facto schwer, dass
vor ein mulmiges Gefühl ist, bei so einem Café sich diese Welten mischen. Ich habe vielen der
anzuklopfen und reinzugehen, denn es ist eine Porträtierten Fotos gebracht. Die Fotografie re-
geschlossene Welt. Dort einzudringen bedarf Mut duziert. Schwarz-weiß noch mehr. Dazu kamen
und Kraft. Ich stand in der Mitte eines Raumes und die Sichtschutzvorrichtungen vor den Gesich-
gleichzeitig richteten sich Blicke von 30 Männern tern, die eine gewisse Befremdlichkeit auslösten.
auf mich. Männer, die vielleicht von meiner An- Viele waren ganz still, einer sagte „Kunst halt“.
wesenheit überrollt waren oder sich fragten, was Ein anderer meinte, nachdem er sehr lange
ich überhaupt will. Das ist im ersten Moment eine sein Bild betrachtet hatte, damit müsse er erst
sehr merkwürdige Situation. Dann folgt die Offen- mal klar kommen. Das fand ich sehr ehrlich,
heit, das Lächeln, die Einladung Platz zu nehmen. schließlich habe ich ihnen die Gesichter geraubt.
Meine Intention ist zu zeigen, dass es Grenzen und puk: Weil sie sich selbst vielleicht nie so sehen.
Mauern zwischen den Kulturen gibt. Nur wenn uns Nemes: Der gebrochene Blickkontakt, der In-
das klar ist, wenn wir die Tatsache bejahen, kön- dentitätsraub, der stattfindet, mit dem Hinweis,
nen wir die Trennung überhaupt angehen. Denn dass dahinter doch jemand ist, verunsichert. Die
wenn wir sie negieren, machen wir uns etwas vor. Porträts tragen alle die Vornamen der Männer.
Es gibt die Andersartigkeit. Sie ist bereichernd. Das ist sehr wichtig, denn die Namen signalisie-
In dem Einheitlichmachen steckt immer auch ein ren: da ist ein Kemal, ein Ünal oder ein Mehmet.
Verlust. Leider ist mit der Andersartigkeit, mit Vielleicht lebt er schon lange hier, vielleicht ist er
der Fremdheit, auch häufig Angst verbunden. In hier geboren, vielleicht kämpft er und versucht
dem Moment, in dem man einen Schritt macht, anzukommen. All das könnte dahinter stecken,
um aus einem fremden Territorium ein vertrautes all das wissen wir nicht. Wie auch immer. Es ist
zu machen, indem man es schafft, hinter diese ein Leben, das definitiv hier in Berlin stattfindet.
Scheibe zu gucken, beginnt man, das Individuum, In meiner Nachbarschaft. Hinter jeder dieser
das durch die Scheibe verhüllt ist, auch zu sehen. Scheiben steht ein mir fremder Mensch.
Dann weicht das Schemata, weicht das Muster und puk: Vielen Dank für das Gespräch.
entdeckt werden kann der Einzelne.
puk: Gab es so etwas wie ein eindrücklichstes
Erlebnis während der Arbeit? Die Ausstellung „beyond – Berliner Männerwel-
Nemes: Beeindruckend war im Allgemeinen das ten“ ist vom 19. November 2010 bis 20. Februar
Vertrauen, das die Männer mir entgegengebracht 2011 im Museum Neukölln zu sehen. Am 21.
haben. Es rührt mich nach wie vor. Denn die Tat- Januar um 19 Uhr wird Isabella Kroth aus
sache, dass sie sich oft haben gesichtslos abbilden „Halbmondwahrheiten“ lesen. Am 20. Februar
lassen, dass sie mir vertraut haben, obwohl ich um 16 Uhr wird Loredana Nemes zur Finissage
manchmal fast nur noch Fratzen von ihnen übrig über ihre Arbeit sprechen. Zur Arbeit ist ein
Kanne eines Waschgeschirrs, gold- und silbertauschiertes Messing aus einer der überregional renommierten
gelassen habe, hat mich sehr angerührt. Gleiches Katalog im Hatje Cantz Verlag erschienen. Werkstätten aus Mosul/Irak, 3. Viertel 13. Jh. (Inv.-Nr. I. 6580) © Museum für Islamische Kunst/Staatliche
gilt für die Weichheit, die sie gezeigt haben. Mein Museen zu Berlin, Foto: Jörg P. Anders

Aufgeklärte Islamophobie
Das Islambild deutscher Medien / Von Kai Hafez
Das Interesse deutscher Massenmedien am Aufmerksamkeitsspannen des Boulevards sind entsprechen exakt den Bildern, die der Stern Experten. Die deutsche Öffentlichkeit hat sich
Islam erwachte während der iranischen häufig geradezu angenehm im Vergleich zu der jüngst in einer Sonderausgabe über den Islam hier aus meiner Sicht in den letzten Jahrzehnten
Revolution von 1978/79. Die Islam-Bericht- permanenten und seit Jahrzehnten bestehen- aneinanderreihte. Seit der Iranischen Revolution diversifiziert und entwickelt. Dies schließt nicht
erstattung in deutschen Massenmedien den Fixierung großer seriöser Medien auf das zeigt nicht nur dieses Bildmedium eine konstante aus, dass in Einzelfällen ein Hang der Medien
beschränkte sich vor diesem Ereignis weit- Feindbild Islam. Bilderwelt, es sind die grundlegend gleichen besteht, radikale Positionen, z. B. radikale Islam-
gehend auf Randerscheinungen, z.B. die Dabei ist der Islam im engeren Sinne der Theo- Bilder, die auch schon die Berichterstattung über prediger oder auch Islamkritiker, zu bevorzugen,
jährlich wiederkehrende Berichterstattung logie, des religiösen Kultus und Ritus kaum im die Iranische Revolution beherrschten und die in um künstlich Kontroversen zu erzeugen, die einen
über den Ramadan oder die Pilgerfahrt. Interesse deutscher Massenmedien. Wenn man ihrer Gesamtheit totale Fremdheit suggerieren. Kulturkampf suggerieren, der möglicherweise die
Erst die Islamische Revolution des Ayatollah sich die Berichterstattung über den Islam in den Wie ein positiver Schock wirken da vereinzelt Alltagsrealität gar nicht adäquat widerspiegelt.
Khomeini im Iran änderte dies schlagar- letzten zwei bis drei Jahrzehnten anschaut, so publizierte Fotos wie jüngst von verschleierten Deutsche Massenmedien sollten sich in jedem
tig und ließ den Islam zu einem weltweit könnte man fast den Eindruck bekommen, der Frauen mit deutscher Fahne während der Fuß- Fall bemühen, ihre Informationsquellen zu er-
beachteten Medienthema werden, was er Islam sei keine Religion, sondern eine Form der ballweltmeisterschaft. Insgesamt aber ist die weitern. Der deutsche Journalismus ist, was den
bis heute ist. Mit dieser Entwicklung einher Politik und der politischen Ideologie der Gewalt. Bildsprache der Medien symbolisch überfrachtet Islam betrifft, in weiten Teilen noch immer ein
ging allerdings auch zwangsläufig eine Einfache theologische Tatbestände, wie etwa die und ohne dokumentarischen Anspruch. „Abschreibejournalismus“. Journalisten schrei­
starke Politisierung des Islambildes, und, Tatsache, dass Jesus Christus im Islam als Prophet Das deutsche Medienbild des Islams wird von ben von Nachrichtenagenturen oder voneinan-
was man als Hauptproblem der derzeitigen und Vorgänger Mohammeds betrachtet wird, sind Eliten und von Gegeneliten beherrscht. Es ist der ab. Von den Reportagen und Berichten einer
Situation betrachten kann, eine Verengung in der deutschen Öffentlichkeit und Gesellschaft zum einen beklagenswert, weil der Bürger oder durchaus begrenzten Anzahl von Auslandkorre-
der Themenauswahl, die wie bei fast keinem den allermeisten Menschen unbekannt. Dieses die „schweigende Mehrheit“ außen vor bleibt. spondenten abgesehen, verfügt der deutsche
anderen Thema mit Fragen der Gewalt in eine Beispiel allein zeigt das totale Versagen Es ist allerdings normal für einen Journalismus, Journalismus über viel zu wenig authentische
Verbindung gebracht wird. Ungefähr jeder einer sich aufklärerisch gebenden Öffentlichkeit der Ansprechpartner braucht und auf aktive Quellen in der islamischen Welt, die er neben
zweite Artikel oder Beitrag über den Islam bei der Vermittlung nichtchristlicher religiöser Gesellschaftskräfte angewiesen ist, um einen Ta- dem üblichen Material westlicher Nachrichten-
thematisiert diese Religion im Kontext kör- Inhalte. gesjournalismus zu betreiben, der nicht in jedem agenturen in die tägliche Arbeit einbringt. Ohne
perlicher Gewalt. Hier geht es dem Islam übrigens nicht anders Einzelfall investigativen Tiefgang haben kann. adäquate Quellen und Gesprächspartner aber
als dem Judentum, das ebenfalls in seiner reli- Interessant ist allerdings die Zusammensetzung führen wir kulturelle Selbstgespräche und sind

G ewalt tritt in verschiedener Form auf, als


Terrorismus, als familiäre Gewalt, als Gewalt
gegen Frauen oder als ethnisch religiöse Gewalt,
giösen und kulturellen Substanz weitaus weniger
in den Medien präsent ist, als als Hintergrund
der historischen Aufarbeitung des Holocaust. Es
der Akteure. In der Nah- und Mittelostberichter-
stattung deutscher Printmedien etwa dominieren
Staatsvertreter und ihre Gegenspieler, die ra-
mitverantwortlich für das Entstehen von „paral-
lelen Öffentlichkeiten“.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt im
die die Demokratie durch Nichtakzeptanz des ist deswegen nicht verwunderlich, dass Ignatz dikalen Islamisten. Bei der Frage des Islams in deutschen Journalismus viele gute Artikel und
Gesetzes gefährdet (Stichwort „Parallelgesell- Bubis, der frühere Vorsitzende des Zentralrates Deutschland und auch bei der Bewertung von einzelne Radio- und Fernsehsendungen. Auch
schaften“). Kein Wunder also, dass die demo- der Juden in Deutschland, im Jahr 1999, kurz vor Nah- und Mittelostentwicklungen in deutschen viele Kritiker des Feindbildes Islam kommen zu
skopischen Umfragen, die wir haben, auf eine seinem Tod, erkannte, dass das heutige Islambild Medien ist das Bild allerdings diverser. Neben Wort. Aber an der thematischen Grundstruktur
wachsende Angst vor dem Islam in Deutschland ihn in vielerlei Hinsicht an das frühere Bild des konservativen Islamvertretern, deutschen Islam­ und an der nachhaltigen Ausrichtung der Medien­
verweisen. Im Bereich der Auslandsberichterstat- Judentums im 19. und frühen 20. Jahrhundert organisationen und fundamentalen Islamkri- beachtung auf den Gewaltkomplex hat sich im
tung, also der Berichterstattung über die soge- erinnert. Die Massenmedien leisten wenig bei der tikern, wie der Holländerin Hirsli Ali, kommen Laufe der letzten Jahrzehnte wenig geändert. Das
nannte islamische Welt, sind die Negativwerte Vermittlung interreligiöser Bildung, da sie sich zu auch viele andere Stimmen zu Wort. Vor allen Islambild deutscher Medien ähnelt heute einer
der Berichterstattung durch die Fokussierung auf sehr als Sachverwalter enger und engster politi- Dingen beim Thema Islam in Deutschland haben Art „aufgeklärter Islamophobie“. So lange aber
Gewaltkonflikte so hoch wie sonst nur im Bereich scher und sozialer Konfliktstoffe verstehen. Dabei es die deutschen Medien also durchaus geschafft, die Menschen tagtäglich mit einem Negativbild
der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Die The- macht die Geschichte der Juden in Deutschland innerhalb der nach wie vor sehr beschränkten des Islams konfrontiert werden, helfen Appelle
se vom „Feindbild Islam“ ist meines Erachtens mit eines klar: Eine einseitige Integrationsleistung Gewalt- und Repressionsagenda relativ viel Ak- an Respekt und Toleranz wenig, weil die Agenda
den Methoden der empirischen Sozialforschung einer religiösen Minderheit nützt nichts, wenn die teure ins Boot zu holen. des islamophoben Denkens alles überwiegt.
hinreichend belegt worden. Das Hauptproblem Mehrheit nicht ebenfalls lernbereit ist. Dies entspricht einer relativ normalen Gesell- Man sollte die Wirkung von Massenmedien nicht
ist dabei nicht das Berichten über Gewalt und Re- Ein weiteres Problem der Medienberichterstat- schaftsentwicklung, die nach mehreren Ge- überschätzen, sie prägen eben nicht die Identität
pression an sich, sondern die völlige Fixierung auf tung ist die Bildsprache, die neben dem Text nerationen der Einwanderung und durch die des Menschen, aber sie prägen im hohem Maße
dieses enge Themenspektrum. Problematisch ist von besonderer, möglicherweise wachsender Diversifizierung akademischer Ausbildungen das Bild, das sich ein Mensch von einer Fremd-
also weniger, worüber berichtet wird, als worüber Bedeutung in einer Zeit zunehmender Bildmedien partikulare Öffentlichkeiten erzeugt, die den gruppe macht, so dass von einer Ausbalancierung
nicht berichtet wird. Es geht nicht darum, reale ist. Immer wiederkehrend sind etwa folgende Medien als Gesprächspartner dienen. Allerdings des Medienbildes sicher positive Impulse für den
gesellschaftliche Missstände zu verniedlichen, Impressionen des Islams: Schleier, Massenfoto- sind auch diese häufig tatsächlich sehr aufgeklär- sozialen Frieden zu erwarten wären.
aber ich fordere zu einem Nachdenken über grafien vor allem von Mekka und von Demon­s­ ten Öffentlichkeitsakteure vielfach gezwungen,
die Proportionen des Islambildes auf. Die Ge- trationen, Koran, Kinder und Kalaschnikows, die sich dem einseitigen Gewalt- und Repressions- Der Verfasser ist Inhaber des Lehr-
waltfixierung des medialen Islambildes ist nicht Prachtbauten des arabischen Golf, islamische interesse der Medien thematisch zu beugen. stuhls Kommunikationswissenschaft
nur ein Problem des Boulevardsektors, sondern Schlachtrituale und Geiselprozessionen aus Die Skandalisierung des Islambildes erfolgt also mit Schwerpunkt Vergleich von
erfasst in gleichem Maße auch die seriösen Me- dem Iran. Dies ist keine zufällige Zusammenstel- eher durch die Art der Themensetzung als durch Mediensystemen an der Universität
dien. Ganz im Gegenteil, die eher kurzfristigen lung, sondern die vorgenannten Bildelemente die Gesetze des Polit-Talks oder durch falsche Erfurt
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 26
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Seriöse und kompetente Brücke zur islamischen Welt


Das Online-Magazin Qantara.de / Von Loay Mudhoon
Der epochale Bewusstseinsschock als Folge
der verheerenden Terroranschläge vom 11.
September 2001 führte dazu, dass deutsche
und europäische Eliten die Notwendigkeit
der Verbesserung und Vertiefung des Kul-
turdialogs zwischen Europa und den isla-
misch geprägten Ländern erkannt haben.

U nd so stand im Mittelpunkt der Bündelung


deutscher und europäischer Kulturaktivitä-
ten das gemeinsame Ziel, die Kulturarbeit als
„dritte Säule“ der Außenpolitik (Willy Brandt) zu
festigen und als effektives Dialoginstrument ein-
zusetzen. Dahinter steckt sicherlich die Vorstel-
lung von Kultur als friedensstiftender Maßnahme.
Sie soll angesichts der Warnungen vor einem
„Kampf der Kulturen“ Konflikt entschärfend und
vorbeugend wirken.
Und in der Tat: Die Terroranschläge des 11.
September 2001 haben merklich zu einer Inten-
sivierung des Kulturdialogs zwischen Europa und
vielen islamisch geprägten Ländern beigetragen.
Vor allem die Mobilität von politischen und ge- Dick Higgins: „Symphonie No. 48“, 1969. Folge von drei mit Farbe besprühten Notenblättern: 1st-3rd Movement: Allegro Vivace – Andante Spicatto – Allegro Grandioso.
sellschaftlichen Entscheidungsträgern, aber auch Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Neues Museum in Nürnberg (Annette Kradisch)
Multiplikatoren wie Journalisten, Künstlern und
Wissenschaftlern ist gestiegen, was dazu geführt gerufen, ein Onlineportal, das den Dialog zwi- auch strittige Themen, wie die „EU-Tauglichkeit“ Fachkreisen und bei Multiplikatoren im europä-
hat, dass zahlreiche euro-islamische Netzwerke schen Orient und Okzident in hintergründiger der Türkei oder die Modernisierungsdebatte ischen wie im islamischen Raum genießt Qan-
und Kommunikationskanäle in den letzten Jahren und reflektierter Weise fördern sollte – ein innerhalb des Islams nicht ausgespart. Ergänzt tara.de hohes Ansehen und wird rege genutzt.
entstanden sind. Informationsportal jenseits des medialen, ta- durch Interviews mit politischen Persönlichkei- Heute ist Qantara.de ein Projekt der Deut-
Aus diesem Grunde ist es naheliegend zu be- gesaktuellen Mainstreams, auf dem Meinungen ten, Dossiers zu aktuellen Themen und Foto- schen Welle, an dem auch das Goethe-Institut,
haupten: Wäre der 11. September 2001 nicht und Stimmen aus der westlichen Staatenge- Dokumentationen bietet das Fachportal so ein das Institut für Auslandsbeziehungen und
passiert, hätte es das Online-Magazin „Qantara. meinschaft ebenso vertreten sein sollten wie vielschichtiges Angebot an Informationen und die Bundeszentrale für politische Bildung als
de – Dialog mit der islamischen Welt“ wohl nie aus der islamischen Welt. Gemeinsame Grün- Positionen. Partner beteiligt sind. Über 130 Autoren aus
gegeben. Denn nach den Terroranschlägen von dungsträger des Projekts waren die Deutsche dem europäischen und islamischen Kultur-
New York und Washington suchte man verzwei- Welle, die Bundeszentrale für politische Bildung, Die Spreu vom Weizen kreis liefern die redaktionellen Beiträge für
felt nach Erklärungen und Hintergründen, die das Goethe-Institut und das Institut für Aus- trennen das Online-Magazin. Zu den redaktionellen
oftmals medial an der Oberfläche blieben. Statt landsbeziehungen. Kooperationspartnern gehören die panarabi-
fundierten Informationen machten Stereotypen Das Dialogangebot startete am 13. März 2003 Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer schreibt sche Tageszeitung „Al Hayat“ das englische
die Runde, von einer „Achse des Bösen“, vom und wurde zunächst in Englisch, Arabisch und über Qantara.de: „Qantara.de muss im deutsch- Online-Magazin „Open Democracy“ sowie das
unvermeidlichen „Kampf der Kulturen“ und sogar Deutsch angeboten. Anfang 2007 kam eine sprachigen Internet in seiner Sparte zu den mehrsprachige internationale Meinungsmaga-
„Islamo-Faschismus“ war schon die Rede. Schlag- türkische und im Juli 2009 eine indonesische Topadressen gezählt werden. Das Webportal zin „Project Syndicate“.
zeilen, die nicht gerade zur Verständigung zwi- Sprachversion hinzu. bietet durchweg hochwertige und ausgewoge- Angesicht der Tatsache, dass sowohl in nahezu
schen den Völkern beitrugen – Populismus statt Das arabische Wort „Qantara“ bedeutet Brü- ne Hintergrundinformationen und Debatten- allen islamischen Ländern als auch im Wes-
Aufklärung. Diese Ereignisse machten deutlich, cke. Dieser Name ist zugleich Programm und beiträge zu allen wichtigen zeitgenössischen ten wenig Wissen über den jeweils Anderen
wie groß das Wissensdefizit war, das die islami- soll deutlich machen, dass das fünfsprachige Islamthemen. Besonders zu empfehlen sind herrscht, dafür aber umso mehr Vorurteile
sche und die westliche Welt voneinander hatten. Online-Magazin in erster Linie zum Dialog mit die umfangreichen Dossiers zu den kontrovers und Voreingenommenheit, dürfte Qantara.de
Zudem wird tatsächlich in den meisten Main- der islamischen Welt beitragen will. Mit fun- diskutierten Islamthemen: Kopftuch, Frauen zu deren Abbau entscheidend beitragen. Das
stream-Medien die Debatte über „den Islam“ dierten Hintergrund- und Debattenbeiträgen im Islam oder Reformislam. Besucher erhalten wurde auch von der Jury der Civis-Medienstif-
emotional überladen und kaum sachorientiert zu Politik, Gesellschaft und Kultur aus dem gerade hier einen aktuellen und umfangreichen tung honoriert, die Qantara.de für den Civis-
geführt. Oftmals werde auch nicht ausreichend europäisch-islamischen Kontext will Qantara.de Einblick, der auf verzerrende Verkürzungen und Medienpreis 2010 für Integration und kulturelle
zwischen dem Islam als Religion und dem Isla- Vorurteile und Wissenslücken über die anderen tendenziöse Darstellungen verzichtet. Qantara. Vielfalt in Europa nominierte: „Ein ernsthafter
mismus als politischer Ideologie unterschieden. Kulturen schließen. Dabei vermeidet Qantara. de eignet sich vor allem als Rechercheinstrument Dialog mit der islamischen Welt – seriös und
Gerade in der aktuellen Debatte über Integration de jeglichen Paternalismus und möchte keine für Lehrerinnen und Lehrer, die Hintergrundin- kompetent“, heißt es in der Begründung.
wird in der Regel ethnisiert und polarisiert statt bestimmte Sichtweise vorgeben, sondern steht formationen für den Fachunterricht suchen.“
informiert und erklärt, allen voran von Journa- für eine Kultur der Deeskalation – das ist die Es sind ehrgeizige Ziele, die dieses mehrspra- Der Verfasser ist Redaktionsleiter
listen der sogenannten bürgerlichen Leitmedien. Hauptaufgabe von Qantara.de. chige Gemeinschaftsprojekt auch braucht, damit von „Qantara.de – Dialog mit der
es öffentliche Gelder bekommt. Inzwischen ist islamischen Welt“. Als Politik-
Interkulturelles Medium für Pluralität der Meinungen Qantara.de eine Topadresse im weltweiten Netz und Islamwissenschaftler lehrt
diskursive Deeskalation und eine seriöse Quelle für Hintergrundinfor- er zudem an der Universität
Durch die verschiedenen Hintergründe der Au- mation zu nahezu allen relevanten Islamthemen Köln
Auf Initiative des deutschen Außenministeriums toren gelingt es Qantara.de, Gemeinsamkeiten und hat sich als unabhängiges, interkulturelles
wurde daher das „Qantara.de“-Projekt ins Leben und Unterschiede aufzuzeigen. Dabei werden Dialog- und Kontroverseportal etabliert. In www.qantara.de

Nafas Kunstmagazin
Aktuelle Kunst vom Maghreb über den Nahen Osten bis Südostasien / Von Gerhard Haupt und Pat Binder
Wer sich heutzutage über das aktuelle der islamischen Welt. bleiben in einem nach Sektionen und Ländern neue Projekt wurde schnell zu einer Schalt-
Kunstgeschehen im Nahen Osten und Da in Nafas ein breites Spektrum an Themen geordneten Archiv permanent zugänglich. Au- stelle zwischen lokalen Kunstszenen islamisch
anderen islamisch geprägten Regionen und lokalen Szenen vertreten ist, werden viele ßerdem gibt es einen Index aller Künstlerinnen geprägter Länder und dem internationalen
informieren möchte, stößt unweigerlich auf Interessentengruppen angesprochen. Das zeigt und Künstler, zu denen Beiträge oder zumindest Kunstbetrieb. Wie gut dies funktionierte, zeigte
das Online-Kunstmagazin Nafas. Es wird schon ein Blick auf die Startseite, auf der jetzt Abbildungen mit dazugehörigen Erläuterungen sich gleich am Anfang. Als Binder und Haupt
seit März 2003 vom Institut für Auslands- gerade diese neuen Beiträge zu finden sind: eine erscheinen. Aus den Regionen, auf die Nafas im April 2003 zur Sharjah Biennale eingeladen
beziehungen (ifa) in Kooperation mit dem Gruppenausstellung in Bahrain zum Konzept von fokussiert ist, sind es jetzt über 1.150, immer mit waren, um diese im Rahmen der Biennalen-
Webportal Universes in Universe herausge- Sprache und zur Gefahr einer Marginalisierung direkten Links zu den jeweiligen Seiten. Darüber Sektion von UiU zu dokumentieren, konnten sie
geben. Nafas startete also lange vor dem arabischer Kultur in der Golfregion; eine Ausstel- hinaus bietet ein Kuratorenindex den Zugang zu dort das zwei Wochen zuvor gestartete Online-
Einsetzen des Medienhypes um diese Kunst lung und Interventionen im öffentlichen Raum sämtlichen kuratorialen Projekten, über die in Magazin vorstellen, woraus enge Kontakte in
und hat deren Entwicklung in den letzten in Amman; die Vorinformation zum Arabischen Nafas und Universes in Universe berichtet wurde. der Golfregion entstanden.
acht Jahren kontinuierlich begleitet und Museum Moderner Kunst (Mathaf) in Katar, über Das Online-Magazin entstand auf Initiative der Gerade in den ersten Jahren musste immer
dokumentiert. das Nafas nach einer Einladung zur Vorbesichti- damaligen Leiterin der Abteilung Kunst des ifa, wieder nachdrücklich betont werden, dass es in
gung Ende Dezember 2010 ausführlich berichten Ursula Zeller, als ein Beitrag zum Europäisch- diesem Magazin (das zunächst unter einem an-

Z um hohen Bekanntheitsgrad von Nafas trägt


erheblich bei, dass es komplett in Deutsch,
Englisch und Arabisch erscheint. Das Magazin
wird; Reflexionen zu einem Symposium in Kairo
über Archive und andere Strategien der [Re]Ak-
tivierung kultureller Erinnerung; eine Ausstellung
Islamischen Dialog, der nach den Anschlägen
vom 11. September 2001 neu definiert und be-
lebt wurde. Da sie die bereits seit Anfang 1997
deren Titel erschien) nicht um „islamische“ Kunst
geht, sondern um individuelle Positionen von
Kunstschaffenden, die aus islamisch geprägten
erreicht sowohl wichtige Multiplikatoren des in- über Jerusalem bei der Liverpool Biennale und veröffentlichte Website Universes in Universe Ländern und Regionen stammen und dort ihre
ternationalen Kunstgeschehens als auch Künstler, die 4. Jerusalem Show in der Stadt selbst; Sela- (UiU) für die visuellen Künste Afrikas, Asiens und kulturelle Heimat bzw. wesentliche Ausgangs-
Kunstexperten und ein interessiertes Publikum sar Sunaryo – einer der wichtigsten Kunsträume Lateinamerikas im internationalen Kunstkontext und Bezugspunkte ihres Schaffens sehen, egal
in der arabischen Welt, wo es an zahlreichen Indonesiens; ein Festival zeitgenössischer Kunst kannte, beauftragte das ifa deren Herausgeber, ob sie Muslime sind oder nicht.
Schulen und Universitäten für den Kunstunter- in der Altstadt von Tunis; neue Arbeiten von Pat Binder und Gerhard Haupt, mit der Ent- Dieser Idee ist der Titel „Nafas“ verpflichtet, der
richt genutzt wird. Dank der vielen Abbildun- Fotografinnen und Fotografen im Jemen; ak- wicklung eines nachhaltigen Konzepts für ein gerade deshalb gewählt wurde, weil das Wort
gen (derzeit über 5.400) ist Nafas bestens als tuelle Kunst aus Zentralasien in Kirgisistan; ein Webprojekt zur Kunst der islamischen Welt. So etymologisch eng mit der Existenz des Einzelnen
Lehrmaterial geeignet. Seine Seiten werden pro Interview mit der Generaldirektorin der Casa konnten Synergieeffekte sowohl für die Inhalte verbunden ist und sich einige seiner Ableitungen
Jahr mehr als 1,1 Millionen mal von ca. 250.000 Árabe in Madrid. des neuen Online-Magazins als auch für dessen unmittelbar auf das kreative Schaffen übertra-
verschiedenen Computern aus besucht, über 40 Alle in Nafas veröffentlichten Artikel (im De- Verbreitung über das bereits etablierte weltweite
Prozent der Besuche kommen direkt aus Ländern zember 2010 waren es 360) und Informationen Netzwerk von UiU genutzt werden, und das Weiter auf Seite 27
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 27
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Fortsetzung von Seite 26 stimmte Tätigkeiten besonders gut verrichtet, ästhetische und politisch-soziale Dimensionen persönlicher Kontakte. Außerdem kooperiert Na-
z.B. hervorragend kocht, heißt es, er oder sie ineinander greifen, wie nach Kunst- und Ge- fas immer wieder auch direkt mit wichtigen Kun-
gen lassen. Außerdem hat „Nafas“ in Arabisch, hätte nafas – Talent, eine besondere Art, einen sellschaftsmodellen gesucht wird, die eigenen stinstitutionen wie z.B. der Londoner Tate Britain
Farsi, Urdu, Malay oder Indonesisch annähernd persönlichen Stil auf diesem Gebiet. Die Wurzel Ansprüchen gerecht werden könnten, und welche und Tate Modern beim Symposium Contemporary
die gleiche Bedeutung: Atem, Atemzug, Hauch. des Wortes ist nafs, was im Arabischen Selbst experimentellen Kunstpraktiken dabei genutzt Art in the Middle East Anfang 2009.
Eine Abwandlung gleichen Ursprungs ist das tür- oder Seele bedeutet. und entwickelt werden.
kische „nefes“. Das Wort erscheint in vielfältigen Besonders interessiert die Herausgeber von Die Basis des Projekts ist eine direkte Zusammen- Die Verfasser verantworten das
Kombinationen und Nuancen. So kann nafas im Nafas, wie Künstlerinnen und Künstler mit ih- arbeit mit den Akteuren des Kunstgeschehens Konzept und die Realisierung des
Sinne von „einen langen Atem haben“ auftreten ren spezifischen Mitteln auf gesellschaftliche selbst, um das es in Nafas geht, sowie mit Spezia- Nafas Kunst-magazins
und auch eine erfrischende Brise bezeichnen, Verhältnisse und alltägliche Lebensumstände listen in aller Welt. Auf diese Weise entstand über
etwas das Qualen lindert. Wenn jemand be- reagieren, wie sie diese kritisch reflektieren, wie das Online-Magazin hinaus ein riesiges Netzwerk http://universes-in-universe.org/deu/nafas

Medienmacherin mit Migrationshintergrund


Stefanie Ernst im Gespräch mit Sineb El Masrar
Sineb El Masrar ist Herausgeberin von „Ga- eingehen. Aus diesem Grunde müssen sich alle aber häufig negiert. In der aktuellen Debatte wird trägt es aus religiöser Überzeugung, die andere
zelle: Das multikulturelle Frauenmagazin“. Medien – von den Magazinen, über das Radio sehr vieles vereinfacht und verflacht dargestellt findet es einfach chic und eine dritte trägt es
„Gazelle“ ist eigenfinanziert und erscheint bis hin zum Fernsehen – zukünftig öffnen, sowohl und durch aktuelle, pseudowissenschaftlich- vielleicht, um ihrem sozialen Umfeld zu gefallen.
seit 2006 zweimal jährlich in einer Auflage was die Zusammensetzung der Redaktion als populistische Werke angeheizt. Die islamische Um Islamisierung geht es der Mehrheit nicht. Was
von 12.000 Exemplaren. El Masrar selbst ist auch die Themenauswahl anbelangt. Es klingt Welt an sich gibt es doch gar nicht. Das jedoch zu mich irritiert und wütend macht, ist, dass gerade
in einem Dorf nahe Hannover geboren, ihre hochtrabend, aber die „Gazelle“ ist den anderen erklären, ist ein sehr mühsames Geschäft. Ähnlich die bürgerliche Schicht, die Bildung genossen hat,
Eltern stammen aus Marokko. Vor kurzem Medien diesbezüglich um einiges voraus. Erste verhält es sich mit der Kopftuchdebatte. Keine der so unreflektierte Ansichten vertritt. Dabei sollten
erschien ihr erstes Buch, das den Titel „Mus- größere Veränderungen werden von Regisseuren Frauen befördert durch ihr Kopftuch die Islami- gerade sie es besser wissen.
lim Girls“ trägt. puk sprach mit der jungen und Schauspielern mit Migrationshintergrund sierung. Das anzunehmen ist Blödsinn. Die eine puk: Vielen Dank für das Gespräch.
Herausgeberin und Autorin über Multikulti, angestoßen, die eine bessere, auf die Vielfalt der
Bedürfnisse von Frauen in Deutschland und Bevölkerung zugeschnittene Medienlandschaft
über notwendige Veränderungen innerhalb fordern. Sie bringen sich immer stärker ein und
der Medienlandschaft. setzen neue, kreative Akzente. Die Medienland-
schaft wird sich zudem aus rein wirtschaftlichen
politik und kultur: Frau El Masrar, Sie geben Gründen verändern müssen.
„Gazelle“, ein multikulturelles Frauenmagazin puk: Sie sprachen davon, dass sich Medien
heraus. Ändern Sie den Namen, jetzt wo Multikulti künftig breiter aufstellen müssen und dies auch
totgesagt wird? tun werden, um die Interessen und Belange
Sineb El Masrar: Momentan arbeiten wir an von einer wachsenden Zahl von Menschen mit
einem Relaunch des Magazins. In diesem Zusam- Migrationshintergrund zu berücksichtigen. Sollte
menhang haben wir uns die Frage, wie wir mit hier die von Ihnen prognostizierte Veränderung
dem Untertitel zukünftig verfahren, tatsächlich eintreten, verliert die „Gazelle“ allerdings ihr bis-
auch selbst gestellt. Langfristig betrachtet werden heriges Alleinstellungsmerkmal. Besorgt Sie das
wir den Untertitel wohl weglassen oder ändern, nicht insgeheim?
was aber nicht als Reaktion auf die aktuelle De- El Masrar: Da mache ich mir wenig Sorgen.
batte zu verstehen ist. Vielmehr versuchen wir, die Schließlich konnten wir eine gewisse Leserschaft
„Gazelle“ durch einen anderen Untertitel besser bereits fest an uns binden. Zudem ist es hierzu-
im Zeitschriftensortiment zu positionieren. lande immer problematisch, wenn ein Medium ein
Die damalige Entscheidung, den Begriff multikul- anderes kopiert. Solche „nachgemachten“ Ma-
turell in den Untertitel aufzunehmen, wurde von gazine halten sich oft nicht lange auf dem Markt.
mir sehr bewusst getroffen. Mir war klar, dass Bis „Gazelle“ in großem Maße Konkurrenz haben
multikulturell erstmal nicht mit Konsumfreude in wird, wird noch einige Zeit vergehen. Besorgt bin
Einklang zu bringen zu sein wird. Gleichzeitig ist ich da schon eher um die Weiterfinanzierung des
ein Frauenmagazin ohne Konsumfreude bei den Magazins. Wir sind mit der „Gazelle“ vielleicht
Leserinnen aber gar nicht denkbar. Durch diesen ein wenig zu früh auf den Markt getreten. Wir
scheinbaren Widerspruch wollte ich zeigen, dass finanzieren uns über Anzeigen. Leider sind viele
ein Frauenmagazin, das sich multikulturell nennt, Anzeigenkunden noch nicht flexibel genug. Ich
sehr facettenreich ist und auch sehr ästhetisch sein gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Hersteller von
kann. Der Begriff und die damit verbundene Wi- Haarglättern in ihren Werbeanzeigen blonde
dersprüchlichkeit hat mir damals die gewünschte Frauen mit glattem Haar zeigen, statt braun
Öffentlichkeit verschafft. Das war eine rein strate- gelockte Frauen, dann geht diese Werbung doch
gische Entscheidung zu Verkaufszwecken. eindeutig an der tatsächlichen Zielgruppe vorbei.
puk: Ist die „Gazelle“ in erster Linie eine Zeit- Wozu sollte eine Blondine mit glatten langen
schrift für Migrantinnen, oder noch spezieller, für Haaren ein Glätteisen benötigen? Bei Werbung
Muslim Girls, wie Sie sie in ihrem aktuellen Buch für Epiliergeräte erkennen Sie da gleiche Muster:
beschreiben? Frauen mit eher dunklerem Typ sucht man hier
El Masrar: Unsere Gesellschaft umfasst viele vergebens. Da passt doch was nicht. Die Werbung
Kulturen, ist also multikulturell, und die „Gazelle“ im Ausland spiegelt die gesellschaftliche Vielfalt
bildet diese Lebensrealität ab. In diesem Sinne ist übrigens viel stärker wieder und ist bedürfniso-
„Gazelle“ ein deutsches Frauenmagazin für deut- rientierter als in Deutschland. Türkischsprachige
sche Frauen. Ein Teil dieser Frauen besitzt einen Medien zum Beispiel werden sehr viel weniger
Migrationshintergrund. Diese Zusammensetzung von der zweiten und dritten Generation gekauft.
der Gesellschaft spiegelt sich in der Zusammen- Es besteht also ein großer Bedarf an einem auf die
setzung unserer Redaktion und in den Inhalten real existierende Gesamtbevölkerung zugeschnit-
der Hefte wider. Wir versuchen sehr vielfältige tenen Medium.
und überraschende Texte zu liefern, die sich von puk: Leistet die „Gazelle“ einen Beitrag zur In-
den anderen, weniger textorientierten Frauen- tegration?
zeitschriften deutlich abheben und können so auf El Masrar: In einer Ausgabe des Jahres 2007
dem Markt auch bestehen. „Gazelle“ richtet sich haben wir einen Beitrag über eine vollverschleierte
an Frauen, die einen hohen Anspruch an Qualität Frau in Deutschland gebracht. Alle reden über
haben, sehr gerne lesen und die mehr erwarten diese Frauen, aber niemand redet mit ihnen. Durch
als Hochglanzbilder. den Artikel wollten wir zu Gesprächen anregen.
puk: Zielgruppe ist das eine, die tatsächlichen Le- Die Leser sollten durch das Interview mit der
serschaft etwas anderes. Erreichen Sie tatsächlich Niqab-Trägerin Neues erfahren und zum Nach-
einen breiten Kreis von Leserinnen? denken angeregt werden. Unsere Fragen zielten
El Masrar: Wenn Sie unsere Ausgaben durch- darauf ab, jedem reflektierten Leser durch das
blättern stellen Sie fest, dass wir viele islamische Interview genügend Informationen zu bieten, um
Themen aufgreifen, ohne dabei ein islamisches sich ein eigenes Bild manchen zu können und bei
Magazin zu sein. Unsere Leserinnen stammen aus einer sich bietenden Möglichkeit auf eine solch ver-
der ganzen Welt bzw. stammen aus ganz unter- schleierte Frau zuzugehen und mit ihr ins Gespräch
schiedlichen Herkunftsländern und Kontinenten kommen zu können. Denn letztendlich ist das eine
wie Nord- und Südamerika, Asien, Osteuropa oder Frau, die wie jede andere auch ihr Leben lebt.
Afrika. Dazu kommt ein großes Interesse innerhalb Einige Leser des Interviews waren irritiert, dass
einer originär deutschen Leserschaft. wir die Frau nicht verurteilt haben. Aber weshalb
puk: Ein Magazin wie die „Gazelle“ existierte zuvor sollten wir das tun? Eine neutrale Berichterstattung
nicht. Sehen Sie auf dem deutschen Zeitungsmarkt bedeutet ja nicht, dass wir eine Vollverschleierung
einen großer Nachholbedarf? generell befürworten. Schließlich sehen auch viele
El Masrar: Langfristig müssen die anderen Me- Muslime den Ganzkörperschleier äußerst kritisch.
dien nachziehen. Aufgrund der demografischen Zumal er kein traditionelles Kleidungsstück ehe-
Entwicklung wird ein Migrationshintergrund immer maliger „Gastarbeiter“ ist – also nicht türkisch oder
gewichtiger werden. Deshalb gibt es einen Bedarf maghrebinisch ist. Er gehörte gar nicht zu deren
nach anderen Blickwinkeln und anderen Themen. Kultur, sondern breitete sich von der arabischen
Wenn man diese real existierende aber viel zu Halbinsel aus. Häufiger sind es Konvertitinnen,
wenig berücksichtigte Käuferschicht langfristig die sich so verhüllen. Unterschiede innerhalb der Musikantin mit Stabzitter, Miniatur, Indien zweites Viertel 17. Jh. (Inv.-Nr. I. 4591 vol. 13) © Museum für
binden will, muss man auch auf ihre Bedürfnisse muslimischen Bevölkerung in Deutschland werden Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Georg Niedermeiser
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 28
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Kennt man sich, so braucht man keine Schublade mehr


Brückenbauen zwischen Parallelwelten – per Mausklick / Von Kübra Yücel
Hansestadt Hamburg, Uni-Viertel. Tor zur
Welt und Sonne satt. Ich genieße mein Eis
und überquere gerade die Straße, als mir
eine ältere Dame auf dem Fahrrad ent-
gegenkommt. Sie trägt ein Polo-Shirt, hat
ihren pinken Pullover über die Schultern
geworfen und vorne lässig-reich zugekno-
tet. Die weißen Perlenohrringe blitzen durch
ihr perfekt frisiertes braunes Haar hervor.
Ihre Augen funkeln als sie urplötzlich stehen
bleibt. Sie setzt den Fuß ab und ruft „Schlei-
ereule“, um dann eiligst weiterzuradeln.

H uch. Das ist er also, der kleine Alltagsrassis-


mus. Interessant. Ein bisschen erschrocken
bin ich. Warum hat sie das gesagt? Und was
kann ich tun, frage ich mich. Das war vor drei
Jahren. Kurz nach dem Vorfall beschloss ich mit
dem Bloggen anzufangen.

Brückenbauen per Mausklick


Niemand ist frei von Vorurteilen und Schubladen
– wir brauchen sie, um die Welt zu verstehen. Mit
Vorurteilen besetzt man allerdings nur das Fremde
und Unbekannte. Dinge und Menschen, die man
kaum oder nur schlecht kennt. Deshalb: Kennt
man sich, so braucht man keine Schublade mehr.
Wir kennen uns aber nicht. Und geben uns auch
nur wenig Mühe, etwas daran zu ändern. Das
ist das Problem.
In Deutschland leben wir in vielen parallelen
Lebenswelten. Man kann hier wunderbar auf-
wachsen ohne auch nur einen türkischen Freund
gehabt zu haben. Oder einen deutschen Nachbar.
Es lässt sich in Berlins amerikanischer Expat-Szene
problemlos ohne ein Wort Deutsch zu sprechen
leben. Und man kann sich dreißig Jahre in Köln Schriftband (Tiraz) mit Nennung des herrschenden Kalifen, feine Seidenwirkerei in Leinen, Shatta/Unterägypten, zwischen 946 und 969 (Inv.-Nr. I. 5559)
aufhalten und Hartz IV-Empfänger trotzdem nur © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Ingrid Geske
aus der Zeitung kennen. Alles ohne viel großar-
tigen Aufwand. Kurzfilme. Aber auch Politik, Feminismus und ihre Stimme gehört und ernst genommen wird. unterdrückten häuslichen muslimischen Frau
Aufwand wäre es, sich in andere Lebenswelten zu Integration ist ein Thema. Auf nicht-muslimischer Seite bedankte man sich bestehe also noch immer.
begeben – sich in das „Fremde“ zu trauen. Macht Aus der Masse der befremdlich exotischen Kopf- über den Einblick und die Offenheit. Ein Leser Falsch. Ganz falsch. Ich bin keine Ausnahme.
aber keiner. Denn erstens sind sich nur die We- tuchträgerinnen sollen damit Individuen werden. schrieb mir: „Danke dir. Ich denke jetzt ganz Es gibt unzählige muslimische Frauen, die das
nigsten bewusst, dass sie in einer Parallelgesell- Die Kopftuchträgerinnen sollen endlich auch als anders über Kopftuch tragende Musliminnen.“ Kopftuch tragen, erfolgreich studieren und eman-
schaft leben. Schließlich möchte jeder Offenheit Frauen und Menschen wahrgenommen werden. Doch es sind nicht lange alle Reaktionen positiv. zipiert sind. Ich habe muslimische Freundinnen,
und Weltgewandheit suggerieren. Tatsächlich Sie sollen sichtbar werden. Damit bekommt die Neben Hassmails und Morddrohungen findet die Ärzte, Anwälte, überzeugte Feministinnen und
bleibt es aber beim Suggerieren. Und zweitens graue Masse ein Gesicht. Wir lernen einander sich auch viel subtiler Rassismus getarnt als Reli- Soziologinnen sind. Sie haben unterschiedlichste
sind wir doch alle insgeheim sehr froh darüber, kennen. Brückenbauen per Mausklick. gionskritik. Das nehme ich aber nicht ernst und Interessen und leben sie auch aus. Eine Freundin
dass wir nicht miteinander – sondern nur neben- So schafft das Internet Begegnungen, die im ich sehe auch nicht meine Aufgabe darin, der erzählte mir kürzlich von ihrer Goth-Vergangen-
einander – auskommen müssen. Das Miteinander realen Leben nie zustande gekommen wären. Religionskritik zu entgegnen. Sondern vielmehr heit. Wie viele Ausnahmen braucht es, um die
ist eine Herausforderung. Sie birgt Konflikte und Man kann eintauchen in die muslimisch-deutsche den Rassismus zu benennen und zu thematisieren. Regel zu überdenken? Wann kann man einen
bedeutet mühsame Kompromisse. Bloggerwelt mit ihren modernen Designern, Besonders ermüdend empfinde ich es aber, wenn differenzierten Blick einfordern?
So bleibt jeder in seiner Parallelgesellschaft. Das verrückten Künstlern, lustigen Comedy-Videos, man mich zur Ausnahme macht: Empirisch gesehen, treffe er aber tatsächlich das
Fremde bleibt fremd. Wir kennen einander nicht Nörgel-Foren und poetischen Blogs. Eine bunte erste Mal auf eine Kopftuchträgerin wie mich,
und suchen auch nicht die Begegnung und die Welt, die gesehen werden will. Ich bin keine Ausnahme sagte Matussek. Da mag er Recht haben. Das
Konfrontation. Es bietet sich keine Gelegenheit die Aber nicht gesehen wird. Manche meiner Bekann- macht aber nicht mich, sondern unsere Begeg-
Vorurteile zu entkräften. Vorurteile und Schubla- ten erschrecken, wenn sie diese Szene entdecken. Kürzlich begegnete ich ganz zufällig Journalist nung zur Ausnahme. Wieder einmal, ein trauri-
den bleiben im realen Leben so wie sie sind. Sie „Oh, was die Muslime alles so machen. Und das, und Autor Matthias Matussek am Hamburger ges Zeugnis der vielen parallelen Lebenswelten
bleiben auf der Strecke, weil die Menschen auf ohne, dass die Mehrheitsgesellschaft etwas davon Bahnhof. Natürlich sprach ich ihn an. Gemein- in Deutschland. Wenn sich keiner aus seinem
der Strecke bleiben. Aber das Netz (gemeint: das mitbekommt!“, sagte eine Journalistin zu mir. sam setzten wir uns in den Speisewagen des Häuschen traut, hilft da natürlich weder ein Blog,
Internet) ist anders gestrickt. Da kreuzen sich die „Das macht mir Angst“ fügte sie hinzu. Komisch. ICE. Es war eine interessante Unterhaltung über noch eine Kolumne. Ein kurzer Blick in das Leben
Wege der unterschiedlichsten Menschen; dort Ich finde es viel erschreckender, dass die Mehr- Gott, das Internet, Deutschland und die Welt. des „Anderen“ reicht nicht aus. Wir müssen dabei
finden Begegnungen unterschiedlichster Art statt. heitsgesellschaft diese Szene nicht kennt und bis Wir spaßten und witzelten herum. Schön lustig auch unsere Gedanken reflektieren, unser Welt-
Und deshalb blogge ich. dato vollkommen ignoriert hat. Obwohl sie nur und spannend. bild immer wieder überdenken. Wir müssen im
In meinem Blog (ein-fremdwoerterbuch.com) ein Mausklick entfernt ist. Irgendwann kam der Punkt, an dem wir den Gegenüber in erster Linie einen Menschen sehen
berichte ich von meinem Leben als Muslimin in Mit der Kolumne, die ich seit April 2010 in der Tanz um den heißen Brei aufgaben. „Sie sind und ihm auch so begegnen. Vorbehaltlos.
Deutschland, meinen Interessen und Themen, taz führe, wurde auch mein Blog einem breiteren aber schon eine Ausnahme“, sagte Matussek
die mich bewegen. Ich gewähre einen Einblick Publikum bekannt. Mit überraschend viel positi- und beobachtete mich gespannt. Eine Reaktion, Die Verfasserin ist Bloggerin
in meine Gedankenwelt. Mal erzähle ich von der ver Rückmeldung. Bei Muslimen und Migranten die ich sehr häufig erhalte. Mit meinem akzent- und Journalistin. Ihre Tuch-Kolumne
islamischen Fastenzeit, mal von den Londoner dominierte die Freude. „Endlich sagt jemand das, freien Deutsch, meiner Offenheit und meinem erscheint jeden zweiten Mittwoch im
Kunstgalerien oder meiner Leidenschaft für was wir alle denken.“ Erleichterung darüber, dass Auftreten sei ich eine Ausnahme. Die Regel der Gesellschaftsteil der taz

Das Islamische Wort


Gabriele Schulz im Gespräch mit Reinhard Baumgarten
Das Islamische Wort beim SWR-Hörfunk nur über Muslime reden und berichten, sondern ligen Religionsgemeinschaften für den Inhalt Deutschen Islam Konferenz. Wir wollten damit
hat ein Alleinstellungsmerkmal in der deut- dass sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch verantwortlich. der heftigen Politikerschelte den Wind aus den
schen Hörfunklandschaft. politik und kultur eine eigene Stimme haben sollten, um über ihren puk: Wie wurde die Idee für das Islamische Wort Segeln nehmen, was uns auch gut gelungen ist.
sprach mit Reinhard Baumgarten und fragte Glauben zu sprechen. damals aufgenommen? Außerdem haben wir mit Emina Corbo-Mesic
nach, wie es zu der Idee kam und wie sich puk: Ist das Islamische Wort eine Verkündi- Baumgarten: Es gab ein erstaunliches Echo. und Hilal Sezgin zwei Frauen gewonnen, die
das Islamische Wort entwickelt hat. gungssendung? Namhafte Politiker wie Wolfgang Bosbach, Stefan inhaltlich und formal eine wunderbare Ergän-
Baumgarten: Nein. Dazu fehlt die rechtliche Mappus und Markus Söder haben uns allerhand zung sind. Wir haben intensiv mit den Autoren
politik und kultur: Seit wann gibt es das Isla- Grundlage. Anspruch auf Verkündigungssendun- an den Kopf geworfen. Wir wollten mit Gebüh- über die Ausrichtung des Islamischen Wortes
mische Wort im SWR und wie entstand die Idee? gen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben rengeldern einen Moscheesender aufmachen, gesprochen. Für alle vier war es von Beginn
Reinhard Baumgarten: Das Islamische Wort nur rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaf- hieß es beispielsweise. Es gab aber auch viel an selbstverständlich, dass die Inhalte des Is-
ist erstmals im April 2007 veröffentlicht worden. ten – also etwa die katholische und evangelische Zustimmung von Politikern und Medien. lamischen Wortes uneingeschränkt mit unserer
Die Idee dazu hatte der langjährige Intendant Kirche oder die jüdische Glaubensgemeinschaft. puk: Wer bestimmt die Autoren? freiheitlich-demokratischen Grundordnung
des SWR, Peter Voß, während der Themenwoche Muslimische Verbände oder Vereine sind über Baumgarten: Wir haben einen Stamm von vier übereinstimmen müssen.
„Islam so nah so fremd“. Im Oktober 2006 hat den Status eines e.V. bislang nicht hinausge- ständigen Autoren, der erweitert werden kann. puk: Was sind die Themen im Islamischen Wort?
sich der SWR in zahlreichen Beiträgen in Fern- kommen. Die Beiträge für das Islamische Wort Der SWR ist damals an Bekir Alboga und Aiman Baumgarten: Die Themenvielfalt ist ziemlich
sehen, Hörfunk und Internet mit vielen Facetten sind journalistische Glaubensbeiträge, deren Mazyek herangetreten. Diese beiden saßen groß. Das können Gedanken zur Bedeutung
des Islams beschäftigt. Peter Voß stellte damals in redaktionelle Verantwortung beim SWR liegen. seit September ’06 mit Bundesinnenminister
einer SWR 1 „Leute“ Sendung fest, dass wir nicht Bei Verkündigungssendungen sind die jewei- Wolfgang Schäuble am Verhandlungstisch der Weiter auf Seite 29
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 29
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Fortsetzung von Seite 28 muslimen eine gewisse islamische Binnensicht, und zwei, die verbandsfrei sind. Wir haben zwei puk: Sind die Sendungen in der Mediathek
wie Themen behandelt und Diskussionen geführt Männer und zwei Frauen – eine mit und eine zugänglich?
von Jesus im Islam sein, zur interreligiösen Be- werden. Wir haben auch schon erlebt, dass die ohne Kopftuch. Alle vier Autoren gehören der Baumgarten: Die Beiträge sind als Text- und
gegnung, zum Tierschutz aus islamischer Sicht, Beiträge als Vorlage für Freitagspredigten die- sunnitischen Richtung des Islams an. Wir denken Audiodatei zu finden im Internet unter www.swr.
zu Angriffen auf Moscheen und wachsender nen. Manchmal werden sie als zu liberal abge- daran, auch einen schiitischen Muslim als Autor de/islamisches-wort.
Islamfeindlichkeit, Integrationserfahrungen oder lehnt. Unsere Autoren repräsentieren nicht den zu gewinnen. Einen Verbandsproporz gibt es puk: Vielen Dank für das Gespräch.
die Ablehnung extremistischer Ideen. Autoren Islam in Deutschland, das wissen sie. Sie sind ein nicht, wird’s auch nicht geben.
und Redakteur sprechen die Themen jeweils kleiner Teil einer großen Vielfalt, der sich zu Wort puk: Gab es bei anderen Sendern ähnliche Gabriele Schulz ist Stellvertretende
miteinander ab. Sie können einen aktuellen meldet und gehört werden kann. Bestrebungen wie beim SWR oder ist es ein Al- Geschäftsführerin des Deutschen
Bezug haben, sie können sich aber auch einer puk: Wie werden die Autoren ausgewählt? Gibt leinstellungsmerkmal des SWR? Kulturrates. Reinhard Baumgarten ist
Glaubensfrage widmen. es einen Proporz der verschiedenen muslimi- Baumgarten: Es gab in der ARD keine ähnli- Fachredakteur in der redaktion Religi-
puk: An wen richtet sich das Islamische Wort? schen Verbände oder der Richtungen im Islam? chen Bestrebungen wie beim SWR, und meines on, Kirche und Gesellschaft beim Süd-
Baumgarten: Es richtet sich an Muslime und Baumgarten: Wir haben gegenwärtig zwei Wissens gibt’s die auch nicht. Der SWR leistet westrundfunk und hat das ARD-Projekt
Nichtmuslime gleichermaßen. Es bietet Nicht- Autoren, die großen Verbänden angehören Pionierarbeit. „Gesichter des Islam“ konzipiert

Forum am Freitag
Eine Plattform für Muslime und Nicht-Muslime im ZDF / Von Abdul-Ahmad Rashid und Kamran Safiarian
Viele Menschen hierzulande reden mehr auf der Internetseite www.forumamfreitag.zdf. zu Worte kommen zu lassen, ist ein wichtiges ist das „Forum“ interessant. Und für diejenigen
über Muslime als mit ihnen, doch niemand de abgerufen werden. Jeden Freitagmorgen wird journalistisches Ziel, welches sich das „Forum am Muslime, die ihren Glauben besser kennen, ist
weiß genau, wie sie denken, wie sie fühlen dabei ein neues Gespräch auf der Internetseite Freitag“ vorgenommen hat. Denn: die Muslime das Forum ebenfalls eine Bereicherung, denn
und vor allem, wie ihr Leben in Deutschland eingestellt. Begleitend zu der Sendung gibt es ein gibt es nicht. es beleuchtet Themen meist von einem anderen
aussieht. Das „Forum am Freitag“, eine Wissensmodul und Diskussionsmöglichkeiten in Das spiegelt sich auch im Themenspektrum wi- Blickwinkel. Und für die große Zahl der am christ-
Plattform für Muslime und Nichtmuslime im einem moderierten Forum. So entsteht im Inter- der. Es reicht von „Integrationshemmnis Islam?“ lich-islamischen Dialog interessierten Nichtmus-
ZDF, gibt Muslimen in Deutschland die Ge- net ein lebendiger Dialog und die Chancen des über „Fasten im Ramadan“ und „Burkaverbot lime stellt das „Forum am Freitag“ mittlerweile
legenheit, aus erster Hand Informationen Internets werden auf diese Weise bestmöglich in Deutschland?“ bis hin zu „Der Islam braucht eine wichtige Informationsquelle dar. Sie können
über ihren Glauben, ihre Kultur und Tra- genutzt. Lagen die Klickzahlen für das Gespräch Ketzer!“. Dabei kommen so prominente Muslime Woche für Woche die Meinungen und Ansichten
ditionen sowie ihren Alltag in Deutschland anfangs bei 3.000 Klicks pro Woche, so klicken wie Hamed Abdel-Samad, Hamideh Mohag- zu Themen hören, die sie schon seit langem
zu vermitteln. Da die Literatur über Mus- heute bis zu 14.000 User ein Gespräch an. Seit heghi, Lamya Kadddor oder Ezhar Cezairli zu interessierten, nach dem Motto: „Was sie schon
lime in Deutschland überschaubar ist und Juni 2007 sind somit rund zweihundert Interviews Wort. Viele dieser Themen strahlen in das ZDF- immer über den Islam wissen wollten, aber nicht
auch die Islamwissenschaft sich bevorzugt gesendet worden, mit einer Vielzahl an Themen Hauptprogramm aus, und immer öfter werden zu fragen wagten.“ Die große Zahl der Einträge
mit ausgefallenen Themen wie der Mode und einer großen Zahl an Gästen. Alle Beiträge die Macher des Forums gebeten, Beiträge für die im Diskussionsforum spiegelt das große Interesse
im Bagdad des Mittelalters beschäftigt, sind darüber hinaus im Archiv auf der Internet- verschiedenen Sendungen zu realisieren. Die Er- bei den Usern wider. Die kontroversen Einträge
anstatt über diese enorm wichtige Gruppe seite abrufbar. Die Ausstrahlung des „Forums“ fahrungswelt des ZDF-Programms wird dadurch und Diskussionsbeiträge zeigen aber auch, wie
in der deutschen Gesellschaft zu forschen, im Info-Kanal, dem Satellitenprogramm des ZDF, bereichert und diese besondere Kompetenz ist sehr sich die Menschen an dieser Thematik reiben.
schließt das „Forum am Freitag“ hier eine wirkt dabei unterstützend und macht die Sen- ganz konkret im Programm wieder auffindbar. So Eine andere Frage, die häufig an die beiden Re-
wichtige Lücke. dung einem größeren Fernsehpublikum bekannt. zum Beispiel in einer halbstündigen Dokumenta- dakteure herangetragen wird, lautet: „Warum
Für das Forum stellt sich immer wieder eine tion über die Hadsch, die muslimische Pilgerfahrt, läuft das „Forum am Freitag“ nur im Internet

W as ist das „Forum am Freitag“? Es ist die


erste Sendung im Internetauftritt des ZDF
und im ZDF-Infokanal, in der Muslime sich selbst
ganz grundsätzliche Frage, die ja auch die Deut-
sche Islam Konferenz beschäftigt: Wer sind die
Muslime und gibt es überhaupt die Muslime?
die die beiden „Forum am Freitag“-Redakteure
im Dezember 2007 gemacht haben: Als pil-
gernde Journalisten durften sie an den nur für
und im Info-Kanal und nicht im Hauptpro-
gramm?“. Da die Muslime in Deutschland keine
anerkannte Religionsgemeinschaft sind, haben
in das Programm einbringen und auch selbst Und wer spricht für die Muslime? So sind als Muslime zugänglichen heiligen Orten des Islams sie auch keinen Vertreter im Fernsehrat des
Programm machen. Denn wir, die Journalisten Gesprächsgäste Vertreter der großen Verbände die dazugehörigen Rituale miterleben und filmen. ZDF. Sie können somit auch nicht die Inhalte
Kamran Safiarian und Abdul-Ahmad Rashid, ebenso wie nichtorganisierte Persönlichkeiten Dennoch bleibt dieses wichtige und auch gut der Sendungen mitverantworten. Doch das
sind muslimischen Glaubens und Moderatoren eingeladen. Sunniten, Schiiten, Aleviten sind angenommene Angebot ein Nischenprogramm. genau wäre die Voraussetzung für eine eige-
und Redakteure des „Forum am Freitag“. Um vertreten, Frauen, die ein Kopftuch tragen und Oft wird die Frage gestellt, an wen sich die Sen- ne Sendung. Das „Forum“ liegt somit in der
Vertrauen in der muslimischen Gemeinschaft solche, die dies nicht tun. Gesprächspartner, für dung denn eigentlich richte. Und die Fragesteller redaktionellen Verantwortung der Redaktion
zu schaffen, haben sich die Verantwortlichen die Religion ein öffentliches Anliegen darstellt geben gleich die Antwort mit: „An Euch Muslime „Kirche und Leben“. Das „Forum am Freitag“
beim ZDF bewusst entschieden, zwei Redak- und solche, die beispielsweise sagen: „Das ist wohl nicht, ihr kennt ja Eure Religion.“ Ein Irrtum, – ein weltweit einzigartiges, rund um die Uhr
teure muslimischen Glaubens für die Sendung Privatsache, ich definiere mich zunächst einmal der gerne begangen wird. Es wird vorausgesetzt, abrufbares Programm, das den Muslimen in
zu beschäftigen. Dennoch soll das Forum eine als Frau und Mutter, dann als Geschäftsfrau und dass Muslime ihren Glauben mit der Muttermilch Deutschland eine Plattform bietet und somit
hintergründige und kritische moderierte Sen- erst dann kommt die Religion.“ Auf diese Weise aufgenommen hätten. Und das alle Muslime reli- eine wichtige Rolle bei der Integration von
dung, aber kein „Verkündigungsprogramm“ ergibt sich ein differenziertes Bild von Muslimen, giös seien und ihren Glauben praktizierten. Dem Muslimen in Deutschland spielt.
sein. Zentraler Bestandteil der Sendung ist ein die unterschiedliche Mentalitäten und Identitäten ist nicht so. Viele Muslime haben rudimentäre
Gespräch mit einem muslimischen Gast zu einem haben: in der Religion, aber auch im alltäglichen Kenntnisse über den Islam und kennen biswei- Die Verfasser sind Redakteure von
bestimmten Thema. Dieses Interview kann dann Leben. Diese Pluralität darzustellen und vor allem len nur die Eckdaten ihrer Religion. Auch für sie Forum am Freitag

Bemalte Holzvertäfelung aus dem Empfangsaal eines christlichen Kaufmanns, Aleppo/Syrien, datiert 1600-01 und 1603 (Inv.-Nr. I. 2862) © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Georg Niedermeiser
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 30
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Rechtliche Anerkennung des Islams


Weder Gleichberechtigung noch Gleichbehandlung in Sicht / Von Aiman A. Mazyek
Die über 2.000 Moscheen in Deutschland –
davon knapp 160 architektonisch als Mosche-
en sichtbar – werden in der überwiegenden
Zahl von vier Dachverbänden vertreten,
nämlich von DITIB, VIKZ, Islamrat und Zen-
tralrat. Die Moscheen tragen seit Jahrzehn-
ten die Kosten ihrer sozialen und religiösen
Betreuung alleine. Die vier muslimischen
Dachverbände mit ihren angeschlossenen
Reli­gionsgemeinschaften haben sich zudem
zum Koordinations­rat der Muslime, kurz
KRM, vor etwa drei Jahren zusammenge-
schlossen und auf der Ländereben sind ihre
Moscheen vielerorts in sogenannten Schura-
Räten und muslimischen Landesverbänden
organisiert.

D er Zentralrat der Muslime, wie die anderen


Dachverbände, deckt jenen Teil der Mus-
lime ab, der sich zum praktizierenden Teil der
muslimischen Gemeinschaft zählt. Dabei ist es
unerheblich, ob der Anteil nun 20 Prozent beträgt
wie das Innenministerium meint, oder sogar 50
Prozent, wie einige wissenschaftliche Erhebungen
(z.B. Untersuchung der der Rhein-Ruhr Universität
von 2006) erklären. Fakt ist, dass in den Moscheen
muslimisches Leben stattfindet. Es gibt natürlich
auch noch einen beträchtlichen anderen Anteil
einzelner nicht in den Gemeinden eingebundener
Muslime. Für diese sind die Fragen nach Religi-
onsunterricht für ihre Kinder oder z.B. die Frage
nach muslimischer Seelsorge und nach Lehrstüh-
len für islamische Theologie, die Ausbildung von
Imamen in Deutschland oder gar der Verzehr von
islamisch geschächtetem Tier eher von marginaler
Bedeutung.
Und doch findet für die Muslime und ihre Ge-
meinden in unserem Lande so etwas wie ein
Subsidiaritätsprinzip oder eine Solidarität im reli-
gionspolitischen Sinne kaum statt.
Obgleich die Moscheen den Kommunen und
Ländern sowohl finanziell wie auch strukturell
viel Arbeit abnehmen, verzichtet kaum eine
Islam-Debatte auf die schon obligatorische Pau-
schalkritik an den Moscheen, ihren Imamen oder
ihren Strukturen.
Diese jahrelange Debatte, die meist die fehlende
Trennschärfe von Extremismus und Religion ver-
missen ließ, fordert nun ihren Tribut. Der Islam
wird heute in erster Linie im Kontext der Sicher-
heitspolitik und als Politikum betrachtet. Aber
Religionsverfassungsrecht und Integrationspolitik
kann nicht im Rahmen von Sicherheitsgesetzen
verhandelt und umgesetzt werden. Doch die Politik
scheut sich, so wie sprichwörtlich der Teufel das
Weihwasser, mit den Muslimen zusammen die
rechtliche Anerkennung, wie diese für Christen
und Juden selbstverständlich ist, anzusteuern, Der
insbesondere bei Sonntagsreden gerne zitierte
Slogan „Fördern und Fordern“ wird so zur Farce.
Hier nur einige Beispiele dafür: Seit über 20 Jahren
bemühen sich die Muslime um einen Religionsun-
terricht nach Art. 7 (3) Grundgesetz sowie, dass die
Politik sie als Ansprechpartner ernst nimmt, damit
die nötige verfassungsrechtliche Grundlage dafür
geschaffen wird, dass Islamunterricht auf Deutsch
unter deutscher Schulaufsicht endlich bundesweit
angeboten werden kann. Dies gilt auch für den
Ausbildungsgang von Imamen an staatlichen Muhammad spaltet den Mond (Iran, 16. Jh.). Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden,
Universitäten. Foto: Regine Richter
Für die meisten Muslime steht die Lehre im Vor-
dergrund und nicht die Politik; deshalb hat auch mit legitimierten muslimischen Vertretern auf der oder man ist nicht organisiert und kann folglich lime, die hier integriert sind, hier arbeiten und
der Zentralrat der Muslime beispielsweise in Bezug einen Seite und Vertretern der Länder (Religion ist keine Vertreter bestimmen. Das ist demokratisches ihre Steuern zahlen. Dies gilt gerade auch für die
auf den Ausbildungsweg für Imame dafür plädiert, laut Grundgesetz Ländersache) auf der anderen Prinzip, welches auch im Kontext der Muslime zu erste „Gastarbeiter-Generation“, die ebenso ihren
dass diese am besten hierzulande ausgebildet Seite herzustellen. Der Innenminister hätte dabei gelten hat. Und doch hat Politik und Verwaltung Anteil am Wirtschaftsaufschwung vor allem in der
werden. Dafür müssten die rechtlichen und struk- quasi als Moderator die Einhaltung einer Roadmap gerade damit bisher so ihre Schwierigkeit, einfach Nachkriegszeit in Deutschland hat und heute die
turellen Voraussetzungen geschaffen werden. für die staatliche Anerkennung entwickeln können. anzuerkennen, was Muslime an Vertretungsstruk- Rentnergeneration bildet.
Auf der Deutschen Islam Konferenz (DIK) ist die Diese Chance wurde bislang nicht genutzt. Statt- tur und -kultur zu Markte tragen. Und nicht selten Weil aber das Staatskirchenrecht in Deutschland
Chance verpasst worden, einen echten Dialog dessen gibt es unzählige Einwürfe von deutschen wird mit Zuhilfenahme des Verfassungsschutzes nicht unumstritten ist, stehen wir vor einem zu-
Prominenten zum Islam die von der Dialektik des eine Gruppe einfach zur Persona non Grata er- sätzlichen Dilemma: Wer verhindern will, dass
„Ihr“ und „Wir“ durchzogen waren. Daraus ent- klärt und so wird sich des Themas auf diese Weise das Staatskirchenrecht nun auch auf den Islam
Islam – wie organisiert? stand eine Art Überbietungswettbewerb populisti- entledigt. hierzulande angewandt werden soll, behindert
scher Thesen und trotz anders lautender muslimi- Natürlich ist die Ausgestaltung der muslimischen nicht nur die Muslime darin, sich rechtlich zu
Der Islam in Deutschland ist rechtlich nicht scher Bekundungen wurde die Unvereinbarkeit von Vertreterstruktur zum gegenwärtigen Zeitpunkt etablieren, sondern delegitimiert vorhandenes
anerkannt und besitzt nicht den Status der „deutschen Leitkultur“ und muslimischen Lebens noch ausbaufähig – wer will Gegenteiliges be- Verfassungsrecht. Wird der Islam in Deutschland
Körperschaft des Öffentlichen Rechtes, wie detektivisch lustvoll nachzuweisen versucht. haupten – das ist aber letztlich Sache der Muslime endlich rechtlich anerkannt, also sozusagen
etwa die Kirchen. Der Zentralrat der Muslime Und so schwelt der Streit weiter. Bisweilen wird zu selber. Weder der Staat – wie beispielsweise bei staatsrechtlich integriert, wird geltendes Staats-
in Deutschland (ZMD), der Verband Islamischer absonderlichen Forderungen gegriffen, um dem der DIK geschehen – wo bestimmte Einzelpersonen kirchenrecht und Religionsverfassungsrecht
Kulturzentren (VIKZ) und der Islamrat für die eigentlichen Thema aus dem Weg zu gehen. Dazu sozusagen doch tatsächlich als Islamvertreter in- stabilisiert. Und so plädieren nicht wenige in
Bundesrepublik Deutschland (IR) mit jeweils zählt z.B., dass man doch auch nichtorganisierten thronisiert wurden, noch andere Strukturen sollten diesem Land für eine Art Sonderstatus für die
über 300 Moscheegemeinden und die Türkisch- Muslime einbeziehen sollte, denn schließlich ver- den Muslimen dabei Vorschreibungen machen, Muslime unterhalb dessen, was unser Religions-
Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) trete der Koordinierungsrat (DTIB, VIKZ, Islamrat noch können sie sich die Dialogpartner selber verfassungsrecht vorsieht. Aber für diesen faulen
mit über 800 Gemeinden bieten seit Jahrzehn- und Zentralrat) oder eines der inzwischen gegrün- aussuchen oder zusammenstellen. Kompromiss – schon alleine mit Hinblick auf die
ten umfänglich religiöse Dienstleistungen und deten Landesvertretungen (Schura-Räte) zwar die Und so bleiben wir von einer Gleichberechtigung Unversehrtheit unseres Grundgesetzes – sind die
soziale Betreuung an, die ausschließlich aus überwiegende Mehrheit der Moscheegemeinden, oder gar Gleichbehandlung der Muslime mit Muslime bisher nicht bereit.
privaten Spenden finanziert werden. aber eben nicht alle Muslime. ihren Moscheen und Religionsgemeinschaften
Aiman A. Mazyek Die Forderung stellt ein Paradoxon dar. Denn ent- in Deutschland noch meilenweit entfernt. Das Der Verfasser ist Vorsitzender des Zen-
weder ist man organisiert und entsendet Vertreter empfinden auch zunehmend viele deutsche Mus- tralrats der Muslime in Deutschland
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 31
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Die Deutsche Islam Konferenz 2006 bis 2009


Zusammensetzung und Ergebnisse / Von Gabriele Hermani
In Deutschland leben rund vier Millionen Anregungen für die weitere Facharbeit. Die Er- an Zuwanderer und Mehrheitsgesellschaft stellt Die Arbeitsgruppe 3 verfasste Empfehlungen
Muslime. Dieser großen religiösen Gruppe gebnisse der Arbeitsgruppen-Sitzungen wurden und von den Zuwanderern ein höheres Maß an für eine verantwortungsvolle, vorurteilsfreie und
den Dialog mit dem Staat zu ermöglichen, nur über das Plenum öffentlich gemacht. Dreißig Anpassung abverlangt. Mit der Studie „Muslimi- differenzierte Berichterstattung über den Islam
war eines der Hauptanliegen des damaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Plenums sches Leben in Deutschland“ wurde zudem eine sowie für die verstärkte Einstellung von Medien-
Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, waren der Kern der Deutschen Islam Konferenz. erste repräsentative Untersuchung zum Alltags- schaffenden mit Migrationshintergrund. Darüber
als er 2006 die Deutsche Islam Konferenz Sie setzten sich zusammen aus 15 Vertretern von leben von Muslimen in Deutschland vorgelegt, hinaus wurde ein „Runder Tisch“ mit deutschen
begründete. Dahinter stand die Annahme, Bund, Ländern und Kommunen sowie 15 Musli- die Anzahl, Glaubensrichtungen, Religiosität, und türkischen Journalisten eingerichtet.
dass sich durch die Religionszugehörigkeit men, darunter fünf Vertreter muslimischer Orga- religiöse Praxis und Stand der Integration zum Im Gesprächskreis „Sicherheit und Islamismus“
zum Islam vielfältige gesellschaftliche, nisationen und zehn weitere säkulare Muslime. Inhalt hatte. Das positive Bekenntnis der teil- verständigten sich die Vertreter der Sicherheits-
religiöse und politische Probleme ergeben Diese Gewichtung wurde bewusst vorgenommen, nehmenden Muslime zur deutschen Verfassung behörden und der muslimischen Verbände – mit
hatten, für die Lösungen zu finden seien. da die Vertretungsfähigkeit der Verbände unter und ihrer Werte ohne Einschränkung – etwa Ausnahme des Islamrates – auf ein Bekenntnis
Die erste Runde der Deutschen Islam Konfe- Einbeziehung der Moscheenbesucher zu diesem ohne „Scharia-Vorbehalt“ – und die öffentliche zur gemeinsamen Verantwortung, islamistischen
renz in den Jahren von 2006 bis 2009 steht Zeitpunkt insgesamt auf etwa ein Drittel der Anerkennung der Vorteile des säkularen, den Re- Bestrebungen in einem gesamtgesellschaftlichen
zugleich für eine neue Integrationspolitik Muslime beziffert wurde. ligionen positiv gegenüberstehenden neutralen Schulterschluss entgegen zu wirken sowie auf ein
der CDU. Schäuble galt dabei als Vordenker Im November 2006 begannen beim Bundesamt Staats durch die teilnehmenden Muslime, galt als Bekenntnis zur Abgrenzung von islamistischen Ein-
und als derjenige, ohne den eine Akzep- für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg Grundlage für den weiteren Dialog in der Islam flüssen und zur Notwendigkeit der Transparenz der
tanz dieser neuen Inhalte und ihrer Politik die Tagungen der drei Arbeitsgruppen und des Konferenz. Zudem wurde dafür geworben, dass Strukturen und Aktivitäten islamischer Verbände,
innerhalb der Union nicht durchsetzbar Gesprächskreises. Die Anzahl der berufenen Teil- Schulen zu Orten der Toleranzerziehung und der insbesondere in der Bildungsarbeit. Zudem wurde
gewesen wären. nehmer in den Arbeitsgruppen lag bei etwa 25; Toleranzeinübung werden und dass die Gleich- die Einrichtung einer Clearingstelle beim Bundes-
im Sicherheitsgesprächskreis waren es etwa 20. berechtigung von Mann und Frau als zentrales amt für Migration und Flüchtlinge beschlossen.

K onstruktion, Inhalte und Ergebnisse der Teilnehmer waren immer mehrere Vertreter des Element der Werteordnung des Grundgesetzes Schließlich wurde dem Kabinett ein Abschlussbe-
Islamkonferenz dienten als Instrument, um Staates analog des Plenumschlüssels aus Bund, bei muslimischen Kindern und Jugendlichen zu richt zur Deutschen Islam Konferenz vorgelegt,
für diese an der gesellschaftlichen Realität aus- Land, Kommune, ein Vertreter einer der islami- befördern ist. in dem die Notwendigkeit eines kontinuierlichen
gerichtete Integrationspolitik, sowohl bei den schen Organisationen, Vertreter der säkularen Die Mitglieder der Arbeitsgruppe 2 klärten die Dialog-Prozesses beschrieben und eine Fortset-
Muslimen als auch bei der Mehrheitsgesellschaft Muslime, Wissenschaftler und Einzelpersonen. Voraussetzungen für die Einführung von islami- zung der Deutschen Islam Konferenz über die
zu werben. Denn nach „9/11“ wurde die lange Die „Kernfragen eines guten Miteinanders aller schem Religionsunterricht in Deutschland, for- Legislaturperiode hinaus empfohlen wird.
Zeit existierende Indifferenz der deutschen Mehr- Menschen in Deutschland, unabhängig von mulierte Empfehlungen für den Bau und Betrieb
heitsgesellschaft gegenüber Muslimen und der Glauben oder Weltanschauung“ und die „Werte- von Moscheen in Deutschland, verständigten Die Verfasserin ist gelernte Journa-
islamischen Religion von Misstrauen abgelöst. ordnung des Grundgesetzes“ waren Themen der sich über die Handhabung von muslimischen listin und war in den Jahren 2006 bis
Jeder neue Terroranschlag in Europa, der als Arbeitsgruppe, „Deutsche Gesellschaftsordnung Bestattungen und einigten sich über wesentliche 2009 als Sprecherin im Bundesinnen-
islamistisch wahrgenommen wurde, verstärkte und Wertekonsens“. Debattiert wurde hier bei- praktische Fragestellungen für einen „Islam in ministerium für die Kommunikation
diese Einstellung. Islamkritische Stimmen warn- spielsweise der Schutz der Grundrechte, Gleich- der Schule“. Zudem formulierten sie Empfeh- der Themen rund um den Islam verant-
ten, der Islam in Europa verneine beispielsweise berechtigung von Mann und Frau, Säkularität als lungen zur künftigen Ausbildung von Imamen in wortlich. Momentan verantwortet die
das Pluralismusgebot, Toleranz, die Trennung Ordnungsprinzip, demokratische Willensbildung Deutschland und erörterten die Voraussetzungen Politologin im Bundesministerium für
von Staat und Kirche, die Anerkennung einer und politische Teilhabe von Muslimen sowie für die Schaffung islamisch-theologischer Lehr- Bildung und Forschung den Bereich
demokratischen Zivilgesellschaft und individuelle jugendliche Selbstbestimmung und politische stühle in Deutschland. Strategische Kommunikation
Menschenrechte. Das Bild eines fundamentalisti- Willensbildung sowie Wertevermittlung in der
schen Islam, der demokratiefeindlich eingestellt Familie. In dieser Arbeitsgruppe arbeiten der
ist, wurde perpetuiert, genauso wie das Bild einer Migrationsforscher Klaus Bade, Navid Kermani, Mitglieder des Plenums der Deutschen Islam Konferenz
europäisch-westlichen, aufgeklärten, modernen Kenan Kolat, der Islamwissenschaftler Tilman
Gesellschaft, die von einem unaufgeklärten, Nagel, die Zahnärztin Ezhar Cezairli und die
2006-2009
vormodernen Islam bedroht wird. Soziologen Hartmut Esser und Necla Kelek mit. Staatliche Vertreterinnen und Vertreter
Erstmals erwähnte Schäuble im Mai 2006 in Die Arbeitsgruppe 2, „Religionsfragen im deut- 1. Dr. Ulrich Roppel, Abteilungsleiter 3 – Sozial-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt-, Infrastruktur- und
einer Rede sein Vorhaben, zu einer Islamkonfe- schen Verfassungsverständnis“, behandelte Gesellschaftspolitik im Bundeskanzleramt
renz einzuladen. Angesichts der Tatsache, dass religionspraktische Fragen wie die Einführung 2. Georg Boomgaarden, Staatssekretär im Auswärtigen Amt
Muslime Teil der deutschen und europäischen islamischen Religionsunterrichts in deutscher 3. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister, Bundesministerium des Innern
Gesellschaft sind, sei es angebracht, mit ihnen Sprache unter staatlicher Kontrolle der Länder, 4. Brigitte Zypries, Bundesjustizministerin, Bundesministerium der Justiz
in eine „geregelte, institutionalisierte Beziehung“ Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen, 5. Franz-Josef Lersch-Mense, Staatssekretär, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
zu treten (Vgl. Internationale Koordinaten deut- Koedukation beim Schwimmunterricht, Sexual- 6. Dr. Hermann Kues, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesministerium für Familie, Senioren,
scher Zuwanderungs- und Integrationspolitik, unterricht oder Klassenfahrten, Moscheebau, Frauen und Jugend
Fachtagung „Globale Migration am Beginn des Imamausbildung an deutschen Lehrstühlen sowie 7. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin, Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration
21. Jahrhunderts; eine Welt ohne Grenzen?“, Bestattungsvorschriften. In der Arbeitsgruppe 2 8. Ingeborg Berggreen-Merkel, Abteilungsleiterin Kultur und Medien, Beauftragte der Bundesre-
30. Mai 2006 in Berlin). Die Frankfurter Allge- arbeiteten die Islamwissenschaftler Sven Kalisch, gierung für Kultur und Medien
meine Zeitung veröffentlichte zeitgleich mit der Rotraud Wielandt und Christine Langenfeld mit. 9. Volker Bouffier, Innenminister in Hessen, Innenministerkonferenz (IMK)
Auftaktsitzung am 27. September 2006 einen Die Arbeitsgruppe 3, „Wirtschaft und Medien 10.Dr. Ehrhart Körting, Innensenator in Berlin, Innenministerkonferenz (IMK), Vertreter A-Länder
Grundsatzartikel Schäubles, in dem er Erwar- als Brücke“, diskutierte, welchen Beitrag Wirt- 11. Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerin für Bildung, Familie, Frauen und Kultur des Saarlandes,
tungen an den Dialogprozess formulierte: „Wir schaft und Medien zur Integration der Muslime Kultusministerkonferenz (KMK) (Vorsitz)
sind kein christlich dominierter Staat […], aber leisten können, initiierte integrationsfördernde 12.Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein, Kultusmi-
durchaus ein Staat, dessen Tradition, Werte und Wirtschafts- und Medienprojekte und befasste nisterkonferenz (KMK), Vertreter A-Länder
Rechtsverständnis christliche Wurzeln und Tradi- sich mit Themen rund um Bildung, Ausbildung 13.Christian Schramm, Präsident des DStGB, Oberbürgermeister der Stadt Bautzen, Deutscher
tionslinien haben und stets haben werden. Wer und Arbeitsmarkt sowie mit dem Islambild in den Städte- und Gemeindebund
in Deutschland heimisch werden will, der muss Medien. Teilnehmer waren Wissenschaftler wie 14.Dr. Stephan Articus, Leiter der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Städtetags, Deutscher Städ-
diese Wurzeln respektieren. Er darf natürlich an Kai Hafez oder deutsch-türkische Journalisten tetag
seinem Glauben und an vertrauten Traditionen wie der Geschäftsführer der Ihlas-Mediengruppe 15.Dr. Kay Ruge, Beigeordneter im Deutschen Landkreistag, Deutscher Landkreistag
festhalten, aber sollte gleichzeitig die Regeln, die Kenan Kubilay.
in diesem Land gelten, kennen und für sich ak- Der Gesprächskreis Sicherheit und Islamismus Vertreterinnen und Vertreter muslimischer Organisationen
zeptieren.“ (Vgl. Wolfgang Schäuble: Muslime in beschäftigte sich mit der Bedrohung Deutsch- 1. Bekir Alboga, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland (KRM), Koordinie-
Deutschland, FAZ vom 27. September 2006, S. 9). lands durch islamistische Bestrebungen und mit rungsrat der Muslime
Das 1. Plenum der Deutschen Islam Konferenz Strategien, wie Muslime und Sicherheitsbehörden 2. Ayten Kilicarslan, Stellvertretende Generalsekretärin der Türkisch Islamischen Union der Anstalt
tagte unter dem Motto: „Muslime in Deutschland in Deutschland besser zusammenarbeiten kön- für Religion e. V., Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB)
– deutsche Muslime“. Die Teilnehmer setzten nen. Dazu wurden bestehende Kooperationen 3. Aiman A. Mazyek Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Zentralrat der Muslime in
sich das Ziel, in einem langfristigen Dialogpro- zwischen Polizei und Moscheevereinen sowie ein Deutschland e. V. (ZMD)
zess, Handlungsempfehlungen und konkrete das Konzept „Vertrauensbildende Maßnahmen“ 4. Mehmet Yilmaz, Vorsitzender des Verbands der Islamischen Kulturzentren, Verband der isla-
Maßnahmen zu entwickeln, um zu einer ver- diskutiert. In diesem Kreis arbeiteten neben den mischen Kulturzentren e. V.
besserten religions- und gesellschaftspolitischen Vertretern der islamischen Verbände die Islam- 5. Ali Ertan Toprak, Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V., Alevitische
Integration der muslimischen Bevölkerung in experten der Friedrich-Ebert- und der Konrad- Gemeinde Deutschland e.V.
Deutschland beizutragen. Im Verlauf der kom- Adenauer-Stiftung sowie der Bundeszentrale für 6. Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland e.V., Islamrat für
menden vier Jahre sollte erörtert werden, wie politische Bildung mit. die Bundesrepublik Deutschland e. V.
die unterschiedlichen Sitten und Gebräuche des Die Arbeitsgruppen und der Gesprächskreis
Islams mit der deutschen Verfassungsordnung hatten sich damit jeweils eine Agenda gegeben, Vertreterinnen und Vertreter der nicht-organisierten Muslime
in Einklang gebracht werden können, ob und an der entlang bis zum nächsten Plenum, am 2. 1. Kenan Kolat, Bundesvorsitzender, Türkische Gemeinde Deutschland
wie der Islam als „Religion ohne Kirche“ den Mai 2007, gearbeitet werden sollte. Ziel war, dem 2. Nassir Djafari, Volkswirt, Experte für Entwicklungspolitik, KfW
Organisationserfordernissen des deutschen Re- Plenum ein Arbeitsprogramm für die kommenden 3. Dr. Necla Kelek, Autorin und Soziologin
ligionsverfassungsrechts gerecht werden kann vier Jahre vorzulegen. Nach einer weiteren, drit- 4. Badr Mohammed, Generalsekretär des Europäischen Integrationszentrums
und wie die über viele Jahrhunderte entwickelte ten Sitzung am 13. März 2008, fand am 25. Juni 5. Nihat Sorgec, Geschäftsführender Gesellschafter*
deutsche Verfassungs- und Rechtsordnung zur 2009 das vierte Plenum der Islam Konferenz in 6. Havva Yakkar, Islamwissenschaftlerin und Lehrerin
Entwicklung eines modernen, deutschen Islams Berlin statt. Nach drei Jahren Dialog konnte die 7. Dr. Ezhar Cezairli, Vorsitzende Deutsch-Türkischer Club, Ärztin
beitragen kann. Im Mittelpunkt standen das Deutsche Islam Konferenz für sich verbuchen, 8. Seyran Ates, Rechtsanwältin
Verhältnis „Staat und Religion“ sowie das damit substanzielle Ergebnisse auf dem Weg zu einer 9. Dr. Navid Kermani, Orientalist und Autor
verbundene Verhältnis „Staat und Bürger“. besseren gesellschaftlichen und religionsrecht- 10.Feridun Zaimoglu, Autor
Im ersten Plenum einigten sich die Teilnehmer lichen Integration der in Deutschland lebenden
über das grundsätzliche Vorgehen. Getagt wurde Muslime erzielt zu haben. (*Im Plenum hat sich seit Gründung der Islam Konferenz eine personelle Veränderung ergeben:
auf zwei Ebenen: drei Arbeitsgruppen und ein So einigten sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe Walid Nakschbandi hatte seinen Sitz freigegeben. An seine Stelle ist Nihat Sorgec getreten, der
Gesprächskreis erarbeiteten in regelmäßigen Sit- 1 auf die Anerkennung und auf ein positives geschäftsführender Gesellschafter des BildungsWerk in Kreuzberg GmbH (BWK) ist und bereits in
zungen gemeinsame Positionen, Empfehlungen Bekenntnis zur deutschen Rechtsordnung und der Arbeitsgruppe 3 „Wirtschaft und Medien als Brücke“ mitgearbeitet hatte. Bei den staatlichen
und Lösungsvorschläge zu bestimmten Themen, zur Werteordnung des Grundgesetzes. Sie ver- Vertretern wechseln die Teilnehmer mit dem jeweiligen Vorsitz in der Innenminister- beziehungs-
die sich die Teilnehmer selbst setzen. Das Plenum ständigten sich auf einen Integrationsbegriff weise Kultusministerkonferenz turnusmäßig.)
wiederum diskutierte diese Vorschläge und gab als zweiseitigen Prozess, der Anforderungen
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 32
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Scharia und Grundgesetz: Ein Widerspruch?


Die Islamische Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland / Von Mathias Rohe
Viele werden die Titelfrage ohne weite-
res bejahen. Aber stimmt das? Die wenig
spektakuläre Antwort des Juristen und Is-
lamwissenschaftlers muss lauten: Es kommt
darauf an. Entgegen landläufigen Fehlver-
ständnissen ist die Scharia alles andere als
ein Gesetzbuch. In einem weiteren Sinne
umfasst sie alle religiösen und rechtlichen
Normen des Islams einschließlich der Leh-
re über die Methoden ihrer Auffindung
und Interpretation, also Ritualgebote oder
Speisevorschriften ebenso wie Normen
des Vertrags-, Wirtschafts-, Familien- oder
Strafrechts. Ein unter Nichtmuslimen, aber
auch manchen Muslimen verbreitetes enges
Verständnis beschränkt sie auf Rechtsberei-
che wie Familien- und Erbrecht, Strafrecht
und Staatsrecht. Hier liegen denn auch
die möglichen Konfliktbereiche, soweit
nach traditionellen, zum Teil bis heute
fortgeschriebenen Interpretationen eine
Ungleichbehandlung der Geschlechter und
Religionen sowie eine unter maßgeblichem
Einfluss von Religionsgelehrten stehende
Staatsorganisation vorgeschrieben wird.

D aran wird deutlich, dass aus Sicht des deut-


schen Rechts zwischen den einzelnen Rege-
lungsbereichen unterschieden werden muss: Re-
ligiöse Normen der Scharia wie Ritualvorschriften
genießen den Schutz der grundgesetzlich garan-
tierten Religionsfreiheit. Rechtliche Normen kön-
nen hingegen nur dann zur Anwendung kommen,
wenn das deutsche Recht selbst dies ermöglicht
oder sogar vorschreibt. Dies ist der Fall z.B. bei In-
strumenten islamkonformen Wirtschaftens oder
bei internationalen Lebensverhältnissen etwa im
Bereich des Familienrechts, soweit das Ergebnis
der Anwendung solcher Vorschriften nicht dem
grundlegenden deutschen Rechtskonsens („ordre
public“) widerspricht.
Eines der ersten Dokumente in Deutschland zur
Positionierung von Muslimen in diesen Fragen
ist die Islamische Charta des Zentralrats der
Muslime in Deutschland (ZMD) von 2002. Sie
enthält theologische wie auch staatsbürgerlich
orientierte Positionsbestimmungen; nur letztere
können hier angesprochen werden. Entgegen
der engen Formulierung in der Präambel
richtet sie sich inhaltlich an die deutsche nicht-
muslimische Mehrheitsgesellschaft, aber auch
an die hiesigen Muslime. Damit ist zugleich ein Chant Avedissian: Al Watan Al Arabi (The Arab Nation) (2008). Mischtechnik auf Karton. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Courtesy of Rose Issa Projects
Verständnisproblem angesprochen: Manche in
der Charta aufgeführten Aussagen sind nur auf Essentiell neu und überaus begrüßenswert ist bedient vorzüglich die Vorurteile von Islamhassern. ligiösen Begründung. Es dürfte aber stabilisie-
der Grundlage solider islamwissenschaftlicher die deutliche Formulierung allgemeiner Reli­ Insgesamt fügt sich die Charta in den größeren rend zugunsten des Rechtsstaats wirken, wenn
Kenntnisse verständlich. Das betrifft gerade die- gionsfreiheit unter Bezugnahme auf die korani- Zusammenhang gegenwärtiger Positionierung von religiöse Menschen zusätzlich auch aus der
jenigen Passagen, die sich mit dem Verhältnis sche Aussage in Sure 2, 256, wonach es keinen Muslimen in europäischen säkularen Rechtsstaa- Sicht ihrer Religion Rechtstreue bejahen. Damit
zur Rechtsordnung des säkularen Staates befas- Zwang in der Religion gibt. In der klassischen ten. Hier sind argumentativ zwei unterschiedliche werden Grundlagen zumindest für ein friedliches
sen (Art. 10 bis 13). Sie enthalten wichtige und Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, ob da- Ansätze erkennbar, die freilich nicht immer scharf Nebeneinander gelegt. Offen muss bleiben, in-
in einem Punkt sogar bahnbrechende Aussa- mit nur innerislamischer Pluralismus geschützt voneinander zu trennen sind. Der weitestreichende wieweit der traditionelle Ansatz auch dort tragen
gen, knüpfen allerdings an eine für weite Kreise wird, oder ob auch Angehörige anderer Religi- Ansatz definiert Muslime und muslimisches Leben kann, wo eine aktive Bejahung der wesentlichen
unverständliche islamrechtliche Terminologie onen gemeint sind, wie etwa der bedeutende schlicht aus dem jeweiligen Lebenskontext heraus, Rechtsgrundlagen gefordert werden kann, wie
an. Die herausgehobene Akzeptanz einzelner Korankommentator Ibn Kathir es versteht. Die also aus einer Position des „Dazugehörens“, der bei der Übernahme öffentlicher Ämter oder bei
Rechtsbereiche, wie der Grundlagen des demo- Aussage in Art. 11 ist klar formuliert; mehrfache strukturellen Teilhabe an Gesellschaft und Staat. der Einbürgerung. Hier mag eine psychologische
kratischen Rechtsstaats oder des Familien- und Nachfragen bei Repräsentanten des Zentralrats Dieser Ansatz ist historisch noch vergleichsweise Barriere vorhanden sein, wenn man sich selbst in
Erbrechts, hat zur Frage veranlasst, was denn der Muslime (ZMD), auch durch den Verfasser neu; er findet Vertreter vor allem in denjenigen einer strukturellen „Auslandsposition“ und damit
für die nicht genannten Bereiche gelte. Hierzu vor laufender Fernsehkamera, haben ergeben, Weltregionen, in denen Muslime schon länger in in einem religiösen Ausnahmezustand sieht.
muss man wissen, dass gerade in den genann- dass damit auch der mögliche Austritt aus dem größerer Zahl, aber als zahlenmäßige Minder- Gegenwärtige Versuche, ein religiöses Nor-
ten Bereichen das eigentliche rechtskulturelle Islam gemeint sei. Ebenso neu und vorbildlich heit leben, in denen aber auch Religionsfreiheit mensystem für muslimische Minderheiten (sog.
Konfliktpotential zwischen deutschem und ist die offene Akzeptanz des Nicht-Glaubens. für Mehrheit und Minderheit nach einheitlichen „fiqh al-aqalliyat“) zu entwickeln, changieren
traditionellem islamischem Recht liegt; wenn Offen bleibt, ob die erläuternde Aussage des rechtlichen Maßstäben gewährleistet wird. Tradi- zwischen abgrenzender Identitätswahrung und
hier das deutsche Recht akzeptiert wird, sind ehemaligen Vorsitzenden des ZMD Köhler, die tionalisten werden sich nicht mit ihm anfreunden Entwicklung einer muslimischen Selbstdefinition­
die damit verbundenen Probleme insgesamt Charta sei eine Diskussionsgrundlage und kein können. So ist die Aussage des bosnischen Groß- als Teil der umgebenden Gesellschaft. Vor
bewältigt. theologisches Papier (nachzulesen unter http:// mufti Ceric, er verstehe das elementare Schutzgut diesem Hintergrund ist die Etablierung einer
islam.de/16082.php), relativierend wirken soll. „din“ im Islam nicht als „Religion“ (des Islams), authentischen muslimischen Normenlehre im
Immerhin werden dort die Aussagen der Charta sondern als Gemeinwohl aller, was z. B. auf den Rahmen des säkularen Rechtsstaats auf akade-
Scharia dann aber doch wieder als die theologische höhnischen Widerspruch des Vorstandsmitglieds mischem Niveau mehr als wünschenswert, wie
Grundüberzeugung des ZMD bezeichnet. des erwähnten IZ München al-Khalifa gestoßen ist. sie nun im mehreren deutschen Universitäten
Kommt aus dem Arabischen und heißt wörtlich In einigen muslimischen Organisationen Europas Sehr viel breiter etabliert und seit vielen Jahr- erfolgt, darunter auch an derjenigen, an welcher
übersetzt „Der breite Weg zur Tränke“ und ist hat die Charta Vorbildfunktion gewonnen. Der hunderten entwickelt ist der Ansatz, auf den der Verfasser lehrt und forscht. Stoff für weitere
eine Art muslimischer Katechismus, welcher damalige bayerische Innenminister Beckstein sich auch die Charta des ZMD stützt. Er besagt, Debatten könnte etwa die Frage liefern, ob es
göttliche unveränderliche Vorschriften wie hat sie als wichtigen Schritt in Richtung Integ- dass Muslime, die sich auf nicht islamisch be- wirklich den Intentionen des Islams entspricht,
z. B. die fünf Säulen und insbesondere Dinge ration bezeichnet. In der Tat spiegelt die Charta herrschtem Territorium aufhalten, wegen der es in Deutschland lebenden Muslimen nahezu-
des Glaubens (z. B. wie ein Muslime betet zugleich die Migrationsgeschichte des Islams dort gewährleisteten Sicherheit die dortigen legen, die hier geltende Testierfreiheit zu nutzen,
oder wie die Riten der Pilgerfahrt aussehen) in Deutschland, wenn in Art. 10 auf Visum, Gesetze auch aus muslimischer Sicht einhalten um die traditionelle erbrechtliche Ungleichbe-
beinhaltet. Ein großer Teil der Scharia besteht Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung als müssen. Sollten sie der Auffassung sein, dort handlung der Geschlechter in die Gegenwart
aus veränderlichen Richtlinien, die die Ge- Grundlagen der Verpflichtung auf die deutsche ihren Glauben nicht hinreichend praktizieren hinein fortzuschreiben, in der Frauen wie Män-
lehrten im Laufe der Zeit durch theologische Rechtsordnung genannt werden, nicht aber die zu können, sind sie gehalten, in ein islamisch ner gleichermaßen zum Familienunterhalt in all
Gutachten abgeleitet haben, welche demnach Staatsbürgerschaft als solche. beherrschtes Land auszuwandern, in dem dies seinen Formen beizutragen pflegen und deshalb
disponibel sind. Oft wird Scharia fälschlich Die Charta ist andererseits nicht ohne Kritik geblie- gewährleistet ist. Auf dieses Begründungsmus- keine sachlichen Gründe für ein angebliches
mit drakonischem Strafgericht gleichgesetzt ben, die teilweise sehr nüchtern-sachlich, teils aber ter stützt sich offenbar die Charta. Ein solcher „Kompensationsbedürfnis“ zugunsten von Män-
oder Kritiker schreiben für ihre polemischen auch höchst polemisch und mit starkem Willen – durchaus rechtsfreundlicher – Ansatz dürfte nern ersichtlich sind.
Zuspitzungen der Scharia die Rolle eines Anti- zum Missverständnis formuliert wurde. Letzteres traditionell orientierten Muslimen besonders
systems zur Demokratie zu. Beides trifft nicht gilt sicherlich auch für die Kritik von innen: Ahmad leicht zu vermitteln sein, und dies dürfte auch Der Verfasser ist Lehrstuhlinhaber für
zu und hat mit der eigentlichen Bedeutung von Denffer, führender Vertreter einer Mitglieds­ eine der wesentlichen Intentionen für die Wahl Bürgerliches Recht, Internationales
nichts gemein. organisation des ZMD (Islamisches Zentrum Mün- der Argumentation gewesen sein. Privatrecht und Rechtsvergleichung
Aiman A. Mazyek chen, IZ), hat den Verfassern vorgeworfen, wie der Selbstverständlich bedarf der Geltungsanspruch der Universität Erlangen-Nürnberg
Märchenwolf „Kreide gefressen zu haben“. Das der deutschen Gesetze keiner zusätzlichen re- sowie Richter am OLG a.D.
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 33
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Der Islam aus Sicht des Verfassungsschutzes


Ein friedliches Zusammenleben braucht sachliche Auseinandersetzung / Von Heinz Fromm
Auf den ersten Blick erstaunt es, dass der hen insofern in offenem Widerspruch zu unserer Faktoren, die für die Entstehung und Entwicklung deutungsvielfalt des Begriffs „Jihad“, der eine
Präsident des Bundesamtes für Verfas- freiheitlichen demokratischen Grundordnung, islamistischer Strukturen von Bedeutung sind. Die zivile und eine kriegerische Komponente hat.
sungsschutz nach seiner Sicht auf den Islam deren Grundwerte wie Pluralismus, Volkssouve- Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern Gewaltbereite Islamisten verstehen ihn vorrangig
gefragt wird. Es käme wohl niemand ohne ränität, Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit haben daher in den vergangenen Jahren Fach- als militante Aktionsform und deklarieren ihn zu
weiteres auf die Idee, mich nach meiner sie nicht teilen, sondern bekämpfen. Salafisten wissenschaftler, insbesondere Islamwissenschaft- einer vermeintlich „individuellen Pflicht“ eines
amtlichen Sicht auf das Christentum oder Ju- beispielsweise orientieren sich doktrinär an einem ler eingestellt, die diesen erweiterten Blickwinkel jeden Muslims. Diese Auslegung ist prägender
dentum zu fragen. Der Grund für die aktuelle idealisierten Leitbild der Frühzeit des Islams, das mitbringen. Anders als wir sehen Islamisten sich Bestandteil der Ideologie des globalen Jihad und
Bedeutung des Themas „Islam“ und dafür, sie allerdings mit allen technischen Möglichkei- selbst nicht als Randgruppe in der muslimischen überragt das Ziel der Errichtung einer islamisti-
dass in meiner Behörde die Kompetenz für ten moderner Kommunikation, insbesondere Gemeinschaft, sondern als deren Avantgarde schen Staatsordnung. Jihadisten glauben mit dem
damit zusammenhängende Fragen vermutet des Internets jugendgerecht in Szene setzen. Sie und teils als die einzig wahren Muslime. Sie hal- Jihad „den Islam“ zu verwirklichen und ihn zu
wird, liegt zum einen wahrscheinlich in der lehnen die Demokratien der westlichen Welt und ten ihr Verständnis des Islams für die alleinige einer Art endzeitlichem Sieg zu führen.
anhaltenden Gefahr durch den islamisti- die ihnen zugrunde liegenden Werte ab, da sie Wahrheit und beanspruchen die Deutungshoheit Es wäre zu wünschen, dass das Wissen um sol-
schen Terrorismus und der umfänglichen von Menschen gemacht und nicht gottgewollt für „den Islam“ für sich. Insofern geht es bei der che Zusammenhänge, Unterschiede, historische
Medienberichterstattung hierzu. Zum an- seien. Salafistisch ausgerichtete Islamseminare Debatte um Islam und Islamismus auch um eine und kulturelle Faktoren verstärkt Eingang in die
deren spielt der Islam auch in der aktuellen fördern in vielen Fällen Radikalisierungsprozesse Auseinandersetzung innerhalb der muslimischen Beschreibung der verschiedenen Ausprägungen
Integrationsdebatte eine Rolle. Vielfach wird von Jugendlichen bis hin zum Wunsch, selbst am Gemeinschaft. Wir verfolgen daher ebenfalls die des Islams fände. Gleichzeitig ist jedoch immer
dort der Islam mitverantwortlich gemacht bewaffneten Jihad teilzunehmen, auch wenn innermuslimischen Diskurse sowohl innerhalb zu beachten, dass jede Religion, auch der Islam,
für einen mangelhaften Integrationswillen in diesen Seminaren selbst nicht zur Gewalt als auch außerhalb Deutschlands, um zu sehen, nicht allein und nicht in gleichem Maße identi-
oder unzureichende Integrationsfähigkeit aufgerufen wird. Der Salafismus liefert jedoch inwiefern diese auf Prozesse in Deutschland tätsstiftend für alle Angehörigen einer Religion
eines Teils der Muslime. In beiden Fällen ideologisch die Legitimation für den Jihadismus, rückwirken. Darüber hinaus benutzen Islamisten ist – in Deutschland und anderswo. Das wäre
assoziieren die Menschen in Deutschland be- der zur Durchsetzung seiner Ziele die Anwendung und islamistische Terroristen normative Texte des ein Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung
drohliches oder konfliktbehaftetes Verhalten von Gewalt, auch mittels terroristischer Anschlä- Islams und bestimmte Auslegungstraditionen im Interesse des friedlichen Zusammenlebens in
mit „dem Islam“ oder davon abgeleiteten ge, befürwortet. und Gelehrtenmeinungen, um ihre ideologi- unserer Gesellschaft.
Begriffen. „Nicht jeder Muslim ist ein Ter- Um unseren Aufgaben gerecht zu werden, schen Grundsätze zu legitimieren. Deshalb ist
rorist, aber viele Terroristen sind Muslime“. benötigen wir umfassendes Wissen über die die Kenntnis eben dieser Quellen unverzichtbar. Der Verfasser ist Präsident des Bundes-
Mit diesem Spruch nach den Anschlägen politischen, gesellschaftlichen und historischen Hierzu gehört beispielhaft die Analyse der Be- amtes für Verfassungsschutz
vom 11. September 2001 prägte sich in vie-
len Köpfen ein Bild ein, das seit dieser Zeit
im öffentlichen Diskurs immer wieder offen
oder unterschwellig vorzufinden ist. Häufig
vergessen wird dagegen die Tatsache, dass
auch die meisten Opfer des islamistischen
Terrorismus Muslime sind.

Z unächst ist festzustellen – ich betone dies bei


jeder sich mir bietenden Gelegenheit – dass
unser Beobachtungsauftrag nicht der islamischen
Religion gilt, sondern dem Islamismus. Diese
Unterscheidung ist die Grundlage für unser Tä-
tigwerden und auch ein fester Bestandteil unserer
Öffentlichkeitsarbeit. In deren Rahmen veröffent-
licht der Verfassungsschutz gemäß dem Auftrag
„Verfassungsschutz durch Aufklärung“ jährlich den
Verfassungsschutzbericht sowie Broschüren zum
Themenbereich. Auch die Wanderausstellung „Die
missbrauchte Religion – Islamismus in Deutsch-
land“ dient der Information und Sensibilisierung
der Bevölkerung. Bei dieser Ausstellung haben
interessierte Besucher die Möglichkeit, direkt mit
Verfassungsschützern über den Islamismus und
islamistischen Terrorismus zu diskutieren. Wie die
Erfahrung zeigt, wird dieses Angebot besonders
auch von muslimischen Mitbürgern genutzt.
Bei vielen persönlichen Begegnungen mit Perso-
nen des öffentlichen Lebens oder auch mit Medien-
vertretern habe ich den Eindruck gewonnen, dass
wir die erwähnte Trennschärfe zwischen Religion
und Extremismus ganz gut in die deutsche Öffent-
lichkeit transportiert und dort verankert haben.
Unser Blick richtet sich nicht auf die Religion oder
Gläubige als ein homogenes Ganzes. Dieser Blick
auf die „umma“ – die Gemeinschaft aller Gläubi-
gen – wäre der, den Islamisten haben. Sogenannte
Islamgegner in Europa teilen im Übrigen diese
Sicht, indem sie die Identität der Muslime auf ihre
Religion reduzieren. Daraus leiten sie verallgemei-
nernde Eigenschaften und Befürchtungen gegen-
über diesem Teil der Bevölkerung oder Muslimen
insgesamt ab. Islamophobe nutzen somit ebenso
wie Islamisten eine Strategie der Ausgrenzung und
Feindbilderzeugung. Die vereinfachende Beschrei-
bung eines Islams, der für alle Muslime mehr oder
weniger das Gleiche bedeute und überdies deren
bestimmendes Identitätsmerkmal sei, wird jedoch
der komplexen Lebenswirklichkeit, insbesondere
der Muslime in Europa, in keiner Weise gerecht.
Ihre Religionspraxis ist ähnlich unterschiedlich wie
in anderen Religionen und wird selbstverständlich
auch von kulturellen und gesellschaftlichen Fak-
toren beeinflusst.
Eine nüchterne und differenzierte Darstellung
ist in allen vom Verfassungsschutz beobachteten
Phänomenbereichen wichtig, also auch im Rechts-
extremismus und im Linksextremismus, aber ange-
sichts mancher öffentlicher Überhitzungen scheint
mir das beim Thema Islamismus ganz besonders
notwendig. Es ist unsere gesetzliche Aufgabe,
tatsächliche Anhaltspunkte zu sammeln und zu
bewerten, die die Annahme begründen, dass eine
Gruppierung sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung richtet. Dabei sind solche Anhaltspunkte
immer konkrete Erkenntnisse zu Ideologie und
Aktivitäten von Organisationen, Personen und
Netzwerken und nicht ein Pauschalverdacht gegen
eine bestimmte Gruppe von Menschen.
Ziel von Islamisten ist es, eine ausschließlich auf
ihrer Vorstellung vom Islam basierende Gesell-
schafts- und Rechtsordnung zu errichten. Sie ste- Fein gearbeitete Bergkristallflasche mit zwei Papageien, Ägypten, 1. Hälfte 11. Jh. © Museum für Islamische Kunst/Sammlung Edmund de Unger, Foto: Ingrid Geske
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 34
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„Wir brauchen heute mehr Dialog als je zuvor“


Aiman A. Mazyek im Gespräch mit Ali Dere, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der DITIB
Mehr Partizipation wünschen sich viele
Muslime in Deutschland. Dachverbände wie
die Türkisch-Islamische Union der Anstalt
für Religion (DITIB) sind allein schon struk-
turell bedingt jene Größen, die als Inter-
essensvertreter zu den Islamkonferenzen
der Bundesregierung geladen werden. Ali
Dere ist seit 2010 stellvertretender Vorsit-
zender der DITIB. Aiman A. Mazyek sprach
mit dem promovierten islamischen Theolo-
gen und ehemaligen Abteilungsleiter für
Auslandsbeziehungen des Präsidiums für
religiöse Angelegenheiten (Diyanet) über
das Zusammenleben von Muslimen und
Nichtmuslimen in Deutschland.

Aiman A. Mazyek: Welche Ziele und Maßnah-


men wollen Sie in Ihrer Amtszeit verwirklichen?
Ali Dere: In meiner Amtszeit als Botschaftsrat
für Religionsangelegenheiten möchte ich mit dem
Wissen und der Erfahrung, die ich mitbringe, für
eine qualitative hochwertige Kommunikation
zwischen den zuständigen Stellen in Deutschland
und unseren Vereinen und Gemeinden sorgen.
Als islamischer Theologe, der in Deutschland pro-
moviert hat, werde ich im Bereich der Etablierung
der islamischen Theologie in Deutschland versu-
chen, sowohl meine persönlichen Erfahrungen
als auch die der Türkei mit einzubringen. Mein
größter Wunsch wäre es, auf rationaler Basis
gemeinsam Lösungen für den Religionsdienst
und die sonstigen Bedürfnisse zu finden. Die
langjährige Erfahrung in Deutschland wird mir
hierbei sicherlich eine große Hilfe sein. Ob es
nun darum geht, unsere Dienste zu erweitern
und damit den bestehenden Bedürfnissen ent-
gegenzukommen, oder darum, auf neuartige
Bedürfnisse zu reagieren und für diese bedarfs-
gerechte Angebote zu entwickeln. Ein jeder in der
deutschen Gesellschaft, deren Teil wir sind, sollte
das beitragen, zu dem er oder sie in der Lage ist, Hale Tenger: Beirut (2005-2007). Videoinstallation, 3:47 Min., Musik: Serdar Ateser. Gezeigt in der Ausstellung TASWIR. © Hale Tenger
um unsere Zukunft gemeinsam besser gestalten
zu können. Herkunft und Glaube dürfen dabei Die Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche Geisteshaltungen sind ein Fall für sich. Sie sa- stattfand, weil dieser nicht gewünscht war?
kein Problem darstellen, Vorurteile und Ängste der muslimischen Religionsgemeinschaften und gen uns etwas darüber, wie einige Menschen Dere: Wir haben bei jeder Gelegenheit zur
sind außen vor zu lassen. Gemeinden haben sich über die Zeit hinweg na- Fremde wahrnehmen, sie sagen uns etwas über Aussprache gebracht, dass eine größtmögliche
Mazyek: Ursprünglich haben die Türkei und türlich verändert, dies sowohl qualitativ als auch ihre Akzeptanz gegenüber Multikulturalität und Teilnahme bzw. Vertretung der organisierten
Deutschland über verschiedene Anwerbeabkom- quantitativ. Zeitgemäße Gemeindearbeit, die -religiosität. Zum Ausdruck bringen sie damit, Muslime an der zweiten Deutschen Islam Kon-
men signalisiert, dass die Präsenz der Türken in Aufklärungs-, Bildungs-, Jugend-, Frauen- und dass sie die Menschen aufgrund dieser Eigen- ferenz angebracht ist und eben diese Akteure
Deutschland nur eine Frage von kurzer Dauer Seniorenarbeit mit all ihren zahlreichen Facetten schaften unterteilen und zum Anderen erklären. der ersten Konferenz ebenfalls an der zweiten
sein sollte. Es kam bekanntlich anders. Wie stellt einschließt, gehört ebenso dazu. Das Ehrenamt Angesichts dessen sind es nicht nur die Muslime, hätten teilnehmen sollen. Wir brauchen heute
sich die DITIB, die ja mit dem Präsidium für Re- war und ist in dieser Lebensrealität auch eine sondern die ganze Gesellschaft in Deutschland, jedweden Dialog und dies mehr als je zuvor. Dass
ligiöse Angelegenheiten (Diyanet) in der Türkei entscheidende Säule der Gemeindearbeit, deren die sich hier noch mehr einbringen muss. Es sich Muslime als Teil der deutschen Gesellschaft
verwoben ist, diesen neuen Herausforderungen? fortschreitende Professionalisierung auch zu sollte ein regelrechter Wettlauf untereinander im Dialog mit staatlichen Instanzen und hoch-
Dere: Die Zusammenarbeit der DITIB als Dach- unserem Auftrag gehört. Nur so können wir den stattfinden, um sich näher kennen zu lernen, rangigen Vertretern des Staates befinden, bildet
verband mit dem Präsidium für Religiöse Angele- veränderten Erwartungen und Anforderungen sich zu solidarisieren und das Land gemeinsam ein wichtiges Forum. Diese Dialogforen müssen
genheiten, der Diyanet, beschränkt sich auf den von Innen und Außen gerecht werden. Während in eine bessere Zukunft zu tragen. Das, was uns jedoch auch entsprechend dem Sinn und dem
Bereich der religiösen Dienste. Die in den DITIB- früher der Religionsbeauftragte zur Betreuung der allen die Zukunft weisen wird, ist Selbstvertrauen, Inhalt des Begriffs „Dialog“ gestaltet werden.
Ortsvereinen wirkenden Religionsbeauftragten religiösen Bedürfnisse als ausreichend erschien, Vertrauen in den jeweils Anderen sowie die Liebe Die Auslegung dieser Aussage wiederum dürfte
sind berufserfahrene, studierte Theologen der gewinnt heute zur Erfüllung der Erwartungen und zum Menschen. Ängste und Vorurteile hingegen klar sein.
Diyanet. Dieses Fachpersonal wird außerdem von Anforderungen von Gemeinden und der Mehr- sind nur hinderlich, halten den Menschen nur von Mazyek: Vielen Dank für das Gespräch.
der Diyanet in Zusammenarbeit mit deutschen heitsgesellschaft gleichermaßen die strukturierte guten und sinnvollen Handlungen ab und sind
Institutionen und Einrichtungen auf ihren Dienst Aufgabendefinition und -verteilung an Bedeutung. im Endeffekt niemandem nützlich. Wir müssen Aiman A. Mazyek ist Vorsitzender des
in Deutschland vorbereitet und ist damit auch Teil Mazyek: Wie begegnen Sie den Aussagen, dass es schaffen, diese Hindernisse zu überwinden. Zentralsrats der Muslime in Deutsch-
der Zusammenarbeit mit Deutschen Institutionen DITIB nicht unabhängig sei? Mazyek: Wie beurteilen Sie, dass die zweite land. Ali Dere ist Stellvertretender
und Einrichtungen. Dere: DITIB ist sowohl rechtlich, als auch finanziell Deutsche Islam Konferenz ohne den Islamrat Vorsitzender der DITIB
Natürlich müssen die muslimischen Migranten vollkommen unabhängig. Als juristische Person ist
in Deutschland ihr religiöses Angebot und ihre jede ihrer Entscheidungen, deren Umsetzung und

Nutzen für alle


religiösen Dienste, insbesondere aber die hierfür die entsprechende Verantwortlichkeit auf sie selbst
nötigen Einrichtungen und Institutionen noch zurückzuführen. Dies gilt auch für das Finanzielle.
weiterentwickeln. Die Diyanet ist bestrebt, ihre Lediglich im Zusammenhang mit den religiösen
sinn- und niveauvolle Zusammenarbeit mit vielen Diensten ist eine enge Zusammenarbeit mit der
Ländern Europas und Asiens auch mit Deutsch- Diyanet vorhanden. Dies ist keine Abhängigkeit, Starke islamische Zivilgesellschaft / Von Olaf Zimmermann
land zu optimieren und somit einen Beitrag für sondern ganz im Gegenteil der Versuch, die für
das Land zu leisten. Ganz gleich, um welche der den Menschen befreiende Funktion der Religion Im Jahr 2002 legte die Enquete-Kommission Selbstverständlich wurde das Engagement der
Theologien es sich handelt: Theologie ist offen mit Hilfe einer anerkannten Religionseinrichtung des Deutschen Bundestags „Zukunft des Kirchen betrachtet, ebenso der christlichen Lai-
für Neuerungen, gleichzeitig kommt sie aber aus an die Menschen heranzutragen. bürgerschaftlichen Engagements“ ihren enbewegungen. Dem muslimischen Engagement
einer gewissen Tradition, der sie treu bleibt. Für Mazyek: Moscheen von DITIB sind oft Opfer Schlussbericht vor. Diese Enquete-Kommis- wurde aber nur ein kleiner Verlegenheitsab-
Länder wie Deutschland, in der die islamische von Anschlägen gewesen, zuletzt wiederholt die sion des Deutschen Bundestags war im Jahr schnitt gewidmet.
Theologie und islamische Einrichtungen, die Sehitlik-Moschee in Berlin. Wie schätzen Sie die 1999 eingesetzt worden, ihr ging eine Große Ähnlich kritisch muss die Arbeit der Enquete-
Religionsdienste bieten, historisch gesehen noch Situation ein? Anfrage der CDU/CSU-Fraktion aus dem Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in
am Anfang stehen, ist es daher nur ratsam, wenn Dere: Ich kann mir auf keinen Fall vorstellen, Jahr 1997 voraus, im Jahr 2000 fand das Deutschland“ (2003 bis 2007) gesehen werden.
nicht gar unumgänglich, von den Erfahrungen dass die Täter religiös sind und Respekt vor re- Internationale Jahr der Freiwilligen statt Hier wurde sogar in einem eigenen großen Gut-
der Diyanet und der Theologiefakultäten in der ligiösen Werten haben. Diese Mängel müssen und in verschiedenen Studien wurde der zi- achten erstmals das kulturelle Engagement der
Türkei zu profitieren. Die Gespräche und der in der Schule, im Religionsunterricht und in der vilgesellschaftliche Sektor vermessen; nicht Kirchen quantifiziert. Der Schwerpunkt Kultur und
Austausch unter hochrangigen Vertretern beider Familie behoben und nachgeholt werden. Ganz zu vergessen sind die Reformen des Stif- Kirche in politik und kultur geht nicht zuletzt auch
Länder bekräftigen diese Ansicht nur. gleich ob es sich hierbei um eine Moschee, um ein tungssteuer- und des Stiftungszivilrechts. auf die Debatte in dieser Enquete-Kommission
Islamische Theologie muss etabliert, Einrichtun- anderes Gotteshaus oder aber um ein Wohnhaus zurück. Das kulturelle Engagement muslimischer
gen und Institutionen hierfür gegründet werden.
Diese Institutionen und die Lehre, die sie ver-
treten, müssen aber universell ausgerichtet und
handelt, Anschläge auf diese sind auf jeden Fall
und im selben Maße zu verurteilen.
Mazyek: Momentan leben wir alle in einer sehr
D ie oben genannte Enquete-Kommission hat
selbst einige Gutachten in Auftrag gegeben
und nimmt für sich in Anspruch das bürgerschaft-
Gemeinschaften spielt aber eigentlich keine
Rolle.
Da ich selbst beiden Enquete-Kommissionen des
grenzüberschreitend sein. Mit anderen Worten: angespannten Situation. Was raten Sie Muslimen liche Engagement in Deutschland gründlich in Deutschen Bundestags angehört habe, zeige ich
Islamische Theologie muss auf Wissenschaft- diesbezüglich? den Blick genommen zu haben. Ihre Handlungs- nicht nur auf andere, sondern stelle besonders
lichkeit gründen, um ihrer Anerkennung willen Dere: Die besagte Verschlechterung des Kli- empfehlungen dienen teilweise heute noch als bei mir selbst fest, dass das zivilgesellschaftliche
traditionell ausgerichtet sein und fernab bleiben mas ist eigentlich nicht auf einen Faktor allein Grundlage für Entscheidungen zur Förderung des Engagement von Muslimen jeweils ein blinder
von jedweder regionaler oder staatlicher Politik. zurückzuführen. Daher wäre es an dieser bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Fleck war. Da hilft auch das Argument wenig,
Und dennoch dürfen wir trotz all dieser Aspekte Stelle angebracht, erst einmal die Faktoren Dennoch ein kritischer Blick zurück zeigt, dass dass sich von den Muslimen, die in Deutschland
nicht vergessen, dass die Lebensrealitäten vor voneinander zu trennen oder sich zumindest das zivilgesellschaftliche Engagement der mus­­
Ort für unsere Arbeit ausschlaggebend sind. gewahr zu werden. Sarrazin und ähnliche limischen Community nicht berücksichtigt wurde. Weiter auf Seite 35
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 35
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Fortsetzung von Seite 34 Konferenz ist ein solches Vorgehen Programm sche Organisationen unterstützt werden können, muslimischen Zivilgesellschaft suchen. Ich bin
und das wirft Fragen nach der Ernsthaftigkeit damit sie ein solches zivilgesellschaftliches En- fest davon überzeugt, dass die Beseitigung der
leben, nur ein (kleiner) Teil tatsächlich in Mo- des Dialogangebots auf. gagement leisten können. Dieses Engagement blinden Flecken einen wichtigen Beitrag zur ge-
schevereinen und anderen zivilgesellschaftlichen In der deutschen Gesellschaft, in der der Islam ist eben mehr als Selbsthilfe und Beistand, es ist sellschaftlichen Integration leisten und zu einem
islamischen Organisationen engagiert. Gleiches die drittstärkste religiöse Kraft ist, kann sich der auch die Ermöglichung politischer Partizipation. Mehr an Miteinander führen wird. Wir haben
lässt sich von den Christen sagen. Auch hier en- erwähnte blinde Fleck eigentlich nicht geleistet Gefragt sind aber auch die anderen zivilge- ein elementares Interesse daran, das sich eine
gagiert sich nur ein Teil aktiv in einer Gemeinde. werden. Damit das zivilgesellschaftliche Engage- sellschaftlichen Organisationen. Auch wir als starke islamische Zivilgesellschaft in Deutschland
Dennoch hat das Wort der christlichen Kirchen ment von Muslimen einen größeren Stellenwert in Deutscher Kulturrat müssen uns fragen lassen, entwickelt. Nur sie ist der Garant für eine demo-
Gewicht. Und das ist richtig und gut so. Und man den gesellschaftlichen Debatten bekommt, sind warum bislang Kontakte zu den beiden großen kratische Entwicklung des Islams in Deutschland.
stelle sich einmal vor, der Bundesinnenminister alle gefordert. Die muslimischen Organisationen christlichen Kirchen eine Selbstverständlichkeit
lädt zu einer Christenkonferenz ein, zu der Kir- selbst, in dem sie sich einmischen in die gesell- sind, diese zu den muslimischen Verbänden aber Der Verfasser ist Geschäftsführer des
chen nur einen Teil der Delegierten entsenden schaftliche Diskussion, in dem sie sich einbringen erst noch aufgebaut werden müssen. Dieses Deutschen Kulturrates. Er gehörte
dürfen und der Rest der Plätze am Konferenz- in gesamtgesellschaftliche Fragen wie es auch Dossier ist ein erster Anlauf zur Kommunika- als Sachverständiges Mitglied den
tisch bliebe explizit kirchenfernen oder sogar die christlichen Kirchen machen. Viele islamische tion. Zur Kommunikation nach innen, um die Enquete-Kommissionen des Deutschen
kirchenfeindlichen Personen vorbehalten. Ein Organisationen werden dazu aus eigener finan- Bandbreite des Themas Islam · Kultur ∙ Politik zu Bundestages „Zukunft des Bürger-
Sturm der Entrüstung würde sich erheben und, zieller Kraft nicht im Stande sein. Es sollte daher zeigen. Zur Kommunikation nach außen, um zu schaftlichen Engagements“ und „Kul-
wie ich meine, zu Recht. Bei der Deutschen Islam offen darüber nachgedacht werden, wie islami- verdeutlichen, dass wir den Austausch mit der tur in Deutschland“ an

Tag der offenen Moschee


Gespräche mit Muslimen sind effektiver als Gespräche über sie / Von Nurhan Soykan
Jedes Jahr öffnen bundesweit bis zu 1.000
Moscheen ihre Pforten zum „Tag der offenen
Moschee“, kurz ToM genannt. Diese Aktion
geht auf eine im Jahre 2007 gestartete
Initiative des Zentralrats der Muslime in
Deutschland zurück und entwickelte sich im
Laufe der Jahre zum Selbstläufer. Hunderte
Moscheen aller islamischen Verbände neh-
men Jahr für Jahr daran teil. Der bewusst
gewählte Zeitpunkt am Tag der Deutschen
Einheit soll das Selbstverständnis der Mus-
lime als Teil der deutschen Einheit und ihre
Verbundenheit mit der Gesamtbevölkerung
zum Ausdruck bringen.

D er Tag wird veranstaltet zur Information, Ei-


gendarstellung und zum gegenseitigen Ken-
nenlernen. Öffnung und Dialog sollen stattfinden.
Die Menschen sollen sich ein eigenes Bild vom
Islam und den Muslimen machen und sich selbst
ihre Meinung bilden. Meist führte fehlendes Wis-
sen über Muslime zu Vorurteilen, die ein gedeihli-
ches Miteinander in der Gesellschaft erschwerten.
Dies lag auch an den beschränkten Möglichkeiten
der Muslime, Wissen weiterzugeben und Fragen
zu beantworten. Sprachliche Barrieren und feh-
lende Bereitschaft der Ansprechpartner kamen in
der Vergangenheit hinzu. Durch fähige Moschee-
führer wird heute dem Informationsbedürfnis
der Bevölkerung Genüge getan. Viele Moscheen
sorgen auch für das leibliche Wohl ihrer Besucher
und bieten musikalische Darbietungen an, was zu
einer gemütlichen Atmosphäre beiträgt. Dadurch
können Hemmschwellen abgebaut werden, da
viele Besucher mit einem Unbehagen im Bauch
kommen. Viele sind misstrauisch und wollen sich
nur vergewissern, ob ihre Nachbarn den negati-
ven Stereotypen aus den Medien tatsächlich ent-
sprechen. Für viele Besucher ist es der erste Kon-
takt mit Muslimen. Manche sind enttäuscht, da sie
sich eine Moschee prächtiger vorgestellt hatten,
manche überrascht, da sie die Gebäude kannten
und nie für eine Moschee gehalten hätten. Zum
ersten Mal lud der Koordinierungsrat der Muslime
( KRM) im Jahr 2007 unter dem Motto „Moscheen
– Brücken für eine gemeinsame Zukunft“ zu die-
sem Tag ein. Die vier größten islamischen Dach-
verbände Zentralrat der Muslime, Islamrat, Ditib
und der Verein Islamischer Kulturzentren haben
sich im März 2007 zu der Spitzenorganisation
KRM zusammengeschlossen und verdeutlichen
die Einheit der Muslime in Deutschland seither
auch in der gemeinsamen Organisation des ToM.
Neben Moscheeführungen und Informationsver- Kuppeldach aus einem Turm der Alhambra, Granada/Spanien, frühes 14. Jh. (Inv.-Nr. I. 5/78) © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin,
anstaltungen eröffnete der Tag der offenen Mo- Foto: Georg Niedermeiser
schee 2007 auch die Möglichkeit, einen Einblick
in den Fastentag der Muslime zu gewinnen. Er schichten anzutreffen, in allen Altersgruppen. Zubehör ist. Mit dem Motto „Der Koran – 1.400 oder Opferrolle heraus geleistet wird, sondern
fand in dem Jahr im Ramadan, im Fastenmonat Vor dreißig Jahren waren sie eine wesentlich Jahre, aktuell und mitten im Leben“ wurde beim aus aktuellem Anlass. Diese Gelegenheit wird
der Muslime statt. Der Ramadan war auch das homogenere Gruppe. Sie haben größtenteils diesjährigen Tag der offenen Moschee das 1.400. genutzt, den Islam aus einer anderen Perspektive
vorherrschende Thema bei den angebotenen Vor- den Gedanken aufgegeben, in die Herkunfts- Jahr seit dem Beginn der Offenbarung des Korans zu zeigen, als es vorwiegend in den Medien ge-
trägen und Seminaren. Viele Gemeinden nutzten länder zurückzukehren, ja sie lassen sich auch bedacht und gefeiert. schieht, nämlich aus der der Muslime selbst. Das
diese Möglichkeit dazu, auch das gemeinsame zunehmend in Deutschland beerdigen. Sichtbares Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland Motto betrifft das aktuelle Leben der Muslime
Fastenbrechen in das Programm aufzunehmen. Zeichen der Verwurzelung und der Identifikation nahm dieses historische Ereignis zum Anlass, um und zeigt, was für sie wichtig ist und womit sie
Da sich der islamische Kalender nicht mit dem mit diesem Land sind auch Moscheen, die sowohl ein zentrales Anliegen des Korans zum Thema sich beschäftigen, worüber sie sich freuen, wie sie
hiesigen Kalender deckt, fiel der ToM 2008 auf als Gebetsstätten, als auch als Bildungs- und des Tags der offenen Moschee zu machen. In feiern und was sich für ein Gemeindeleben in den
das Ramadanfest am Ende des Ramadanmonats. Begegnungszentren dienen. diesem Jahr wurde in der Broschüre der Begriff Moscheen abspielt. Es gibt sehr viel kritisches Ma-
Das Motto 2008 lautete „Moscheen – Orte der In der Broschüre 2009 wurde auf die Angebote der „Verantwortung“ auf der Basis des Korans terial in Bezug auf Muslime, aber nur sehr wenig
Besinnung und des Feierns“. Die Broschüre in Moscheen, deren Potenziale und auf das eh- erläutert. Anhand verschiedener Lebensbereiche authentisches, was von Muslimen selbst herrührt
behandelte die Bedeutung und die Praxis von renamtliche Engagement der Muslime eingegan- wurde gezeigt, was Muslime unter Verantwortung und ihre Begeisterung für ihren Glauben erklärt.
muslimischen Feiertagen, insbesondere des gen, die einen wichtigen Beitrag zur Integration verstehen und wie sie dies innerhalb der Gesell- Das ist ein großes Manko, das auch nicht durch
Ramadanfestes. Dieser Tag wurde zum Anlass und zum Gemeinwohl leisten. Es wurde dazu schaft umsetzen möchten. Insbesondere wurde ge- den ToM aufgefangen werden kann. Dennoch
genommen, die Nachbarn und Interessierten zum eingeladen, auch mal einen Blick auf die oft schildert, worin die Verantwortung der Moscheen­ sind solche Aktionen ein guter Anfang und bieten
gemeinsamen Feiern einzuladen und sie an dem unterschätzte Arbeit von Moscheen zu werfen. innerhalb der Gesellschaft besteht und wie man Anstöße, dass Gespräche über Muslime nie so
Fest der Liebe teilhaben zu lassen. „Moscheen – Ein Die Resonanz war mäßig, eher rückgängig. 2009 dieser Verantwortung gerecht werden kann. effektiv sein können, wie Gespräche mit Ihnen.
fester Teil der Gesellschaft, 60 Jahre Bundesrepu- war aber auch das Jahr der Minarettdebatte, die Dieses Motto wurde von den Moscheegemeinden
blik und die Muslime“ war das Motto 2009. Ziel medial sehr stark aufbereitet wurde. Interessant aufgegriffen und in Form von Seminaren und Die Verfasserin ist Generalsekretärin
war es aufzuzeigen, dass Muslime in Deutschland war, dass das Interesse für das Innenleben der Koranrezitationen umgesetzt. Der Tag der offenen des Zentralrates der Muslime und Mit-
angekommen sind und sich als Teil dieses Landes Moschee nicht einen Bruchteil des Interesses auf Moschee wird als positiver Beitrag der Muslime glied der ToM Arbeitsgruppe des Koor-
sehen. Muslime sind heute in allen Gesellschafts- sich zog, wie das Minarett, das eigentlich nur gesehen, der nicht aus einer Defensivhaltung dinierungsrates der Muslime
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 36
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Welche Bedeutung hat der Islam für ihre


politische Arbeit? Abgeordnete muslimischen Glaubens geben Auskunft

Mürvet Öztürk sam „überwunden“ haben. Schließlich könnte man der Weg der Menschlichkeit ist der wahre Weg wir verbindliche Regeln über das Zusammenleben
vermuten, dass der Islam ein solches Politikum ist, zum Glauben. von religiösen Traditionen. Sozial wichtige Aktivi-
In seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit dass niemand ihn anführt, um nicht „in Verdacht Die politische Dimension des Islams spiegelt sich täten wie Klassenfahrten oder der Sportunterricht
2010 sagte Bundespräsident Wulff, dass der Islam zu geraten“. Alle drei sind höchst unbefriedigend. in der Integrationsdebatte wider. Deutschland müssen von allen, unabhängig, welche kulturellen
und die Muslime zu Deutschland gehören. Diese Ich habe zu „meiner“ Religion kein anderes Ver- ist ein Einwanderungsland und ein Teil dieser Traditionen sie mitbringen, akzeptiert werden.
an sich unspektakuläre Feststellung schlug un- hältnis, als es, so nehme ich es zumindest an, die Einwanderer lebt den Islam in Deutschland aus. Wir erleben eine stärkere Fundamentalisierung
verständlicher Weise hohe Wellen. Stellt sich die meisten Christen hierzulande zu ihrer haben: Es Freie Religionsausübung ist eine Grundlage der der Religionsausübung, gerade auch im Islam,
Frage: Was sind in Deutschland lebende Muslime gibt eine Verbundenheit mit Traditionen, die sehr Identität und in unserer Verfassung garantiert. deshalb müssen wir uns mit streng religiösen
denn sonst, wenn nicht ein Teil Deutschlands? eng mit Kindheit und Familie verbunden sind, aber Als Politikerin setze ich mich dafür ein, dass Praktiken wie dem Burka- und Niqab-Tragen sehr
Während meines Studiums der Islamwissenschaft der konkrete Glaube ist eher lose an den jeweiligen die Ausübung dieser auch in Deutschland ge- kritisch auseinandersetzen. Die Religion darf kei-
habe ich die Vielfalt im Islam und auch die der theologischen Grundsätzen ausgerichtet. währleistet wird. Gleichzeitig dürfen wir in der ne beherrschende Rolle in einer offenen, liberalen
muslimischen Länder kennenlernen dürfen. In dieser Hinsicht beeinflusst der Islam mein Zivilgesellschaft nicht zulassen, dass der Glaube Gesellschaft spielen. Ich halte es wie der Staats-
Das oft in Deutschland vermittelte einheitliche politisches Denken und Handeln also nicht. Er instrumentalisiert wird, um Abschottung oder gründer der modernen und westlich orientierten
Bild des Islams ist mir allerdings nicht begegnet. tut es sozusagen nur in zweiter Ordnung, also gar Gewalt zu rechtfertigen. Gerade bei Gewalt Türkei, Mustafa Kemal Atatürk: Staat und Religion
Wenn wir vom Islam sprechen, muss unterschie- dadurch, dass er nicht als „normal“ gilt. Dadurch dürfen Staat und Gesellschaft keine religiösen sind strikt zu trennen. Der Islam ist für mich wie
den werden, ob der Islam als Theologie und erklären wir einen Teil der Identität hunderttau- Motive als Rechtfertigung akzeptieren. „Denn die anderen Religionen eine reine Privatsache.
Religion gemeint ist, der Islam als Kultur und sender Bürgerinnen und Bürgern zum Politikum, die Wahrung der Menschenrechte ist eine der Daher ist vor allem eine gelungene Integration
Tradition, oder der Islam in seiner politischen zum Problem. Und wir befördern an den Rändern zentralen Motive der politischen Verantwortung.“ wichtig. Integration, das bedeutet für mich nicht,
Auslegung. Auch unterscheiden sich z. B. Mus- einen politischen Islam, der nicht in unserem Die Verfasserin ist Stellvertretende dass alle gleich werden, sondern dass alle Zuwan-
lime im Balkan von denen auf der arabischen Interesse liegen kann. Es ist deshalb geboten, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die derer in unsere Gesellschaft gleiche Chancen auf
Halbinsel oder in Indonesien. Es ist mir ein An- den Islam endlich zu integrieren. Das ist mein Grünen im Deutschen Bundestag Bildung und Wohlstand besitzen. Dazu gehören
liegen in Deutschland ein differenziertes Bild des „politischer Islam“! aber auch ein gewisses Maß an Anpassung so-
Islams zu forcieren. Der Verfasser ist sicherheitspolitischer Ismail Tipi wie der Respekt der Einwanderer vor der Kultur
Als Abgeordnete des Hessischen Landtags ge- Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die und der christlichen Tradition in Deutschland.
hören selbstverständlich auch Muslime zu den Grünen im Deutschen Bundestag Als Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Integration ist eine der Schlüsselaufgaben der
Menschen, die sich täglich mit ihren Belangen, Offenbach-Land fühle ich mich zuallererst als Politik. Von entscheidender Bedeutung für eine
Sorgen und Nöten an mich wenden oder po- Ekin Deligöz Heusenstammer, als Deutscher. Ich wurde zwar erfolgreiche soziale, wirtschaftliche, politische
litische Fragen mit mir diskutieren. Der Islam am 03. Januar 1959 in Izmir in der Türkei ge- und kulturelle Integration ist die Beherrschung der
spielt insofern für meine politische Arbeit eine Religion hat für meine politische Arbeit zweierlei boren, aber seit 1972 und damit seit über 30 deutschen Sprache. Jeder der nach Deutschland
konkrete Rolle, weil ich mich für die Einführung Bedeutung: Zum einen als politischer Gestal- Jahren lebe und arbeite ich in Deutschland. In immigrieren und sich hier ein erfülltes Leben auf-
eines Islamischen Religionsunterrichts in Hessen tungsauftrag und zum anderen als persönliche meiner Arbeit als Landtagsabgeordneter kommt bauen will, ist uns willkommen, wenn er sich mit
einsetze. Als integrationspolitische Sprecherin Wertehaltung in Entscheidungssituationen. der Islam nur sehr selten vor. Als Landtagsabge- den Werten der Bundesrepublik identifiziert, die
betrachte ich die institutionelle Integration des Ich gehöre einer pragmatischen Ausrichtung des ordneter vertrete ich ja sehr viele Menschen, die Regeln unserer Gesetze und des Grundgesetzes
Islams in Deutschland als eine der großen in- Islams an, dem Alevitentum in der Türkei. Unsere alle ihren eigenen Glauben haben, ihr eigenes befolgt und respektiert. Oftmals wird das mit
tegrationspolitischen Herausforderungen der Wertehaltung basiert auf Geboten, die in Verse Leben und auch ihre eigenen Probleme. Von „Zwangsintegration“ verwechselt. Das halte ich
nächsten Jahre. Eine Aufgabe, der ich mich als gefasst von Generation zu Generation weiterge- diesen Menschen wurde ich gewählt, nicht als an dieser Stelle für falsch. Deutschland hat über
Politikerin mit aller Kraft widme. geben werden. Das wichtigste Gebot daraus lautet: Muslim, sondern als deutscher Staatsbürger. die Jahre sehr viele Menschen aufgenommen
Die Verfasserin ist Sprecherin für In- „Anders Gläubige haben Kaba – Meine Kaba ist Für ihre Anliegen arbeite ich. Ich halte daher und diese zumeist erfolgreich integriert. Diese
tegration, Migration und Petitionen der Mensch, sowohl Koran als auch Erlöser ist der zum Beispiel wenig von immer mehr neuen Mo- Verantwortung entspricht einem christlich ge-
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Mensch und die Menschheit selbst.“ scheen in Deutschland, da diese die Trennung prägten Menschenbild und sollte auch in anderen
im Hessischen Landtag Für mich ist die soziale Gerechtigkeit und sozi- zwischen Staat und Religion zu oft aufweichen. Ländern als Vorbild dienen.
ale Teilhabe Maßstab jeglichen Handelns. Der Ich erinnere nur an die damit einhergehenden Der Verfasser ist Abgeordneter der CDU
Serkan Tören Mensch steht im Mittelpunkt des Glaubens und Probleme aus dem Schulbereich. Hier benötigen im Hessischen Landtag

Die Verankerung des Islams in die deutsche Gesell-

Islam-Bashing
schaft stellt eine große Bedeutung für die politische
Arbeit dar. In Deutschland leben derzeit etwa vier
Millionen Muslime, dies sind etwa 5 % der Gesamt- Ein Kommentar von Aiman A. Mazyek
bevölkerung. Damit bildet der Islam in Deutschland
die zahlenmäßig größte Konfession hinter den zwei Endlich hat unser Bundespräsident ausge- der gegenwärtigen Diskussion. Hier werden Ein Wert an sich, den Europa für sich auch
großen christlichen Glaubensgemeinschaften der sprochen, was ohnehin Teil der Realität ist. schichtspezifische Probleme einfach islamisiert. ausgemacht hat, ist die Offenheit gegenüber
Protestanten und Katholiken. Bei der Integration Fast vier Mio. Muslime leben hierzulande Zudem ist die Integrationsdiskussion in Teilen anderen Kulturen. Wenn wir diese Offenheit
von Muslimen steht die Politik vor besonderen – längst ist der Islam Teil Deutschlands. verlogen: Es ist einfach unfair, wenn man Mi- verlieren, würde so auch ein Stück Europa ver-
Herausforderungen. Folgerichtig wurde daher Hat nicht der ehemalige Innenminister granten jahrelang Entwicklungsmöglichkeiten loren gehen. Die aktuelle Debatte um Integra-
die Deutsche Islam Konferenz als Forum für den Wolfgang Schäuble vor fast vier Jahren vorenthält und ihnen dann die Folgen dieser tion in Deutschland darf keine Abwehrschlacht
Dialog zwischen Staat und Muslimen etabliert. genau dasselbe gesagt und hat er nicht verfehlten Politik anlastet, selbst aber in einen gegen den Islam werden. Ich plädiere vielmehr
Dieses Forum dient dem Ziel, die institutionelle dafür – auch von den Konservativen – Überbietungswettbewerb populistischer Phrasen für einen konstruktiven Wettstreit mit den an-
Eingliederung des Islams und die gesellschaftliche Beifall bekommen? Warum jetzt diese eintritt, wie die jüngste Aussage von Horst Seeho- deren, die beste Lösung zu suchen. „Nicht um
Integration der Muslime in Deutschland zu verbes- Aufregung über diesen Satz? fer es deutlich macht. Wer so verantwortungslos die Wette leben, sondern um die Werte leben“,
sern sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt redet, muss sich ernsthaft fragen, ob er wirklich könnte eines an der im besten Sinne europä-
in unserem Land zu stärken. Von den vier Millio- Nun scheint die giftige Saat von jahrelangem die Probleme – die niemand bestreitet, dass es sie ischen Tradition angelehntes Credo heißen.
nen Muslimen, die zurzeit in Deutschland leben, Islam-Bashing selbsternannter Islamexperten, gibt – lösen will. Er muss sich auch fragen, warum Im Umgang mit neuen Minderheiten zeigt sich
werden in Zukunft mehr und mehr Staatsbürger Hassprediger und Islamkritiker aufgegangen zu er ständig Negativsbeispiele bemüht, anstatt auch inwieweit die Werte Toleranz und Freiheit
dieses Landes werden. Schon heute werden etwa sein. Inzwischen schüren nicht nur Rechtspopu- über die laut dem jetzigen Innenminister Thomas in der Praxis eingelöst werden, oder auch nicht.
zwei Millionen Muslime mit deutscher Staats- listen Angst vor der angeblichen Islamisierung de Maizière 85 % „integrationswilligen“ Einwan- Der Islam mit seiner 1.400-jährigen Geschichte
angehörigkeit gezählt. Sie sind Bürger dieses unseres Landes. derer und deren Erfolgsgeschichte spricht? belegt ja nur allzu deutlich, dass er friedliche
Landes, und gemäß den Bestimmungen der Ver- Und so schlägt uns spätestens nach dem 11. Und wenn alles nicht hilft, wird die Historie be- Absichten hat, niemand kann das leugnen. Der
fassung sind sie berechtigt, nach ihrem Glauben September 2001 Hass und Islamfeindlichkeit müht: die christlich-jüdischen Wurzeln, exklusive Islam hat die Möglichkeiten, viel Gutes für die
zu leben. Praktische Fragen wie die Umsetzung entgegen. Alltags-Diskriminierungen bei Ar- des Islam. Die jüdische Philosophin Bruckstein Gesellschaft zu leisten, nicht nur als einzelner
des Islamischen Religionsunterrichts, Lehr- und beits- oder Wohnungssuche nehmen zu. Die Çoruh spricht in diesem Zusammenhang von Steuerzahler in diesem Land, sondern auch für
Forschungsangebote an deutschen Hochschulen Situation ist kein Zuckerschlecken für deutsche einer „Erfindung der europäischen Moderne und eine Vision einer besseren und gerechteren
zur Imam-Ausbildung, der Bau von Moscheen, Muslime. Alleine im Monat November 2010 ein Lieblingskind der traumatisierten Deutschen“. Welt zu arbeiten. Die Möglichkeiten werden
Geschlechtergerechtigkeit und eine Identitätsde- wurde die Berliner Sehitlik-Moschee dreimal Dabei werden die griechischen Wurzeln Europas insbesondere dann entfaltet, wenn die Religion
batte unter Muslimen werden die Politik daher in Opfer eines Brandanschlages, vom islamfeindli- einfach ausgeblendet und auch, dass es die als individuelles Angebot verstanden wird, den
Zukunft beschäftigen. Der Islam ist inzwischen Teil chen Mord an Marwa El-Sherbini im Dresdener Araber waren, die beispielsweise die Schriften eigenen Lebenslinien in Freiheit nachzugehen.
der Lebenswirklichkeit in Deutschland geworden. Landgericht im letzten Jahr ganz zu schweigen. von Aristoteles erst geborgen und ins Arabische Freiheit bedeutet im Umkehrschluss auch Ver-
Es gilt nun die richtigen und zielführenden Weichen Die eigentliche Frage ist doch: Ist Deutschland übersetzt und beigebracht haben. Große christ- antwortung zu erkennen und zu übernehmen.
für die Zukunft zu stellen. bereit, seinen deutschen Muslimen eine Chance liche Theologen studierten zudem Averroes und Dies heißt dann aber, unsere Lebensarten und
Der Verfasser ist Abgeordneter der FDP- zu geben, oder verweist es – wie die Sarrazin- Avicenna und wie sie richtig heißen Ibn Rushd Leitlinien auf den großen Marktplatz zu tragen
Bundestagsfraktion Thesen es deutlich machen – die Muslime direkt und Ibn Sina. Die griechischen Wissenschaften und dort nicht verkommen zu lassen. Sich ein-
auf die Anklagebank? Der Bundespräsident hat – als maßgebliches Erbe Europas – wanderten zumischen und munter mitzudiskutieren.
Omid Nouripour das nicht getan und hat die Vielfalt in der Einheit also vom Griechischen über das Arabische ins Ein arabisches Sprichwort besagt: „Die Liebe
Deutschlands angemahnt. Lateinische. Wir stehen also im Abendland auch zum Vaterland kommt vom Glauben“. Der
Es ist in einem Land mit einer geschätzten Zahl Damit keine Missverständnisse entstehen: Uns auf morgenländischen Beinen, wer dies verkennt, Islam ist nicht nur durch seine Geschichte in
von vier Millionen Bürgerinnen und Bürgern mit Muslimen ist es genauso zuwider, wenn in ei- betreibt Geschichtsfälschung und übersieht die Europa ein Teil Deutschlands, sondern auch
muslimischem Hintergrund (ein vager und un- nigen Vierteln pseudo-muslimische Gangster 700-jährigen islamische Geschichte Spaniens, durch seine real hier lebenden muslimischen
schöner Begriff) ein wenig seltsam, dass ich zu den durch die Straßen laufen, die sich in Ermange- das bis heute euro-arabische Malta, den euro- Bürger. Und längst ist Deutschland im Herzen
wenigen Abgeordneten des Deutschen Bundesta- lung von Identitäten auf das Türkisch-Arabische päisch-muslimischen Balkan, das vom Orient vieler Muslime und Teil ihres Denkens, dessen
ges gehöre, die in den offiziellen Angaben über oder sogar auf das Islamische zurückziehen. Es kulturell durchdrungene Sizilien und die über sind wir alle Zeuge, nicht zuletzt bei unserer
ihre Person als Glaube „muslimisch“ anführen. ist aber falsch, das Verhalten von Kriminellen 500-jährige Enklave der muslimischen Tataren Fußballnationalmannschaft.
Drei Erklärungen bieten sich für diesen Umstand der Religion zuzuschreiben. Es gibt muslimi- in Polen. Es gibt hier nur eines, was wirklich hilft:
an: Entweder sind Muslime so schlecht integriert, sche Gangster, aber es gibt kein islamisches Augen auf, Europa und zurück zu der Offenheit Der Verfasser ist Vorsitzender des
dass sie es nicht ins Parlament schaffen, oder es Gangstertum, weil der Islam dies als Straftat gegenüber anderen Kulturen, die einen Konti- Zentralrats der Muslime in
schaffen nur diejenigen unter ihnen, die gar keine verabscheut. Hier fehlt die Trennschärfe in nent so stark macht. Deutschland
Muslime mehr sind, die ihren Glauben also gleich-
Islam
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I love my prophet
Stefanie Ernst im Gespräch mit Melih Kesmen
Das junge Label „Styleislam“ kombiniert würde, dass bei ihnen die Integration gescheitert immer viele nicht-muslimische Jugendliche. Die müssen den nachfolgenden Generationen zeigen,
Streetstyle mit einer besonderen Note Orient. sei. Als Gastarbeiter war die Beherrschung der Politik muss beim Thema Migration viel stärker dass all das funktionieren kann, ohne die eigene
„Wir kommunizieren den Islam in der deutschen Sprache von sekundärer Bedeutung. auf Vorbildfunktionen setzen. Identitäten dürfen in Identität über Bord zu werfen.
Sprache der Jugend, ohne dabei unsere Was damalige Arbeitgeber interessierte, war ein diesem Zusammenhang nicht geleugnet werden. puk: Die Verbindung von Mode und Religion stößt
Werte zu verlieren“, lautet die Selbstbe- Beschäftigter, der seine Arbeit erledigte. Reden Ich habe meine 20 Jahre gebraucht, um meine sicherlich auch auf Widerspruch. Wie nehmen
schreibung. Welche Werte und Ansichten war nicht von Bedeutung und das Erlernen der eigene Identität zu finden. Sie dieses polarisierende Moment von Styleislam
dahinter stehen, erläutert der Gründer von deutschen Sprache wurde somit weder gefördert, puk: Übernehmen Sie selbst diese Vorbildfunkti- wahr?
„Styleislam“, Melih Kesmen, im Interview. noch gefordert. Sie haben zwar darauf geachtet, on? Engagieren Sie sich innerhalb Ihres Unterneh- Kesmen: Es gibt immer wieder Kritiker, die uns
dass ich einen guten Weg einschlage, aber eine mens konkret für junge Menschen? vorwerfen, wir nutzen das Wort Islam im Zusam-
politik und kultur: Styleislam ist ein junges deut- besondere Förderung habe ich nicht erhalten. Kesmen: Unsere Devise lautet: Junge Menschen menhang mit Mode, um den Islam durch die
sches Modelabel. Verstehen Sie sich als typischen Dies heißt nicht, dass sie mich nicht wohlbehütet muss man fördern. Bei Styleislam bilden wir be- Hintertür mehrheitsfähig zum machen. Seltsam
Vertreter des „Pop-Islam“? erzogen haben und mich nicht immer innerhalb trieblich aus. Vorzugsweise Mädchen mit Kopftuch paranoid anmutende Aussagen sind das. Einigen
Melih Kesmen: Ich würde mich und das Unter- ihrer Möglichkeiten unterstützt haben. Sie haben und das nicht, um umgekehrten Rassismus zu Christen passt es eben nicht, dass wir Jesus als
nehmen nicht als Teil dieser Strömung begreifen. ihr Bestes gegeben und ich habe meinen Weg betreiben, sondern weil gerade sie extrem be- Bruder von Mohammed benennen.
Ich sehe mich selbst als Muslim, der in eine eu- gemacht. Ich würde mir wünschen, dass die nachteiligt werden. puk: Und wie reagieren konservative Muslime auf
ropäische Realität reingeboren wurde, worin für positiven Beispiele der Integration viel mehr in puk: Ist Styleislam Ausdruck eines neuen, auch die knallbunten, gelegentlich auch provozierenden
mich überhaupt kein Widerspruch besteht. Ich bin den Vordergrund gerückt werden, um so jungen kreativen Selbstbewusstseins junger Muslime in Logos und Sprüche?
stolz auf meine europäisch-muslimische Identität. Menschen aus den sozialen Brennpunkten eine Deutschland? Kesmen: Auch in muslimischen Kreisen meint der
Soziokulturell bin ich ein absoluter Deutscher. Perspektive aufzuzeigen. Durch die Verbreitung Kesmen: Ja, denn es existiert eine Gruppe ein oder andere, was wir machen hätte nichts mit
Und damit bin ich keine Ausnahme. Wir Muslime von Klischees und Vorurteilen wird der Graben europäischer Muslime, die kreativ und selbstbe- dem Islam zu tun. Schließlich hätte der Prophet
leben eine völlig andere Realität, als die, die in den in der Gesellschaft nur immer größer. In letzter wusst ist und die etwas bewegt. Ganz egal, ob so etwas niemals getan. Über solche Aussagen
Medien diskutiert wird. Zeit werde ich immer öfter von Stiftungen und wir Waschmaschinen, Schuhe oder Blumentöpfe kann ich nur schmunzeln. Es wird immer Menschen
puk: Styleislam ist Teil der Jugendkultur? Ämtern eingeladen, um vor Jugendlichen meine produzieren. Zukünftig geht es darum, dass sich geben, die wollen, dass wir Muslime ausschließlich
Kesmen: Ja, wir begreifen uns als Teil der Street- Lebensgeschichte und Erfahrungen zu schildern Jugendliche mit den Taten der hier lebenden Mus- orientalische Folklore betreiben.
culture. und ihnen Mut zu machen. Darunter sind auch lime stärker als bislang identifizieren können. Wir puk: Vielen Dank für das Gespräch.
puk:: Ihr Unternehmen ist im nordrhein-westfä-
lischen Witten angesiedelt. Man würde Sie geo-
grafisch eher in Berlin vermuten.
Kesmen: Warum wir unseren Firmensitz in Wit-
ten haben, werde ich des Öfteren gefragt. Aus-
schlaggebend ist die Nähe zum Ruhrgebiet, einer
Gesamtmetropole mit einer ganz eigenen urbanen
Kultur und einem ganz bestimmten Lebensgefühl.
In Witten ist man mitten im Pott.
puk: Was hat Sie dazu bewogen, dieses unge-
wöhnliche Label zu gründen?
Kesmen: Seit dem 11. September hat sich sehr
viel verändert. Als Muslim stand man plötzlich
unter Generalverdacht. Das habe ich sehr stark
zu spüren bekommen. Den Menschen in mei-
nem Umfeld ging es ähnlich. Die Blicke, die uns
begegneten, hatten sich plötzlich verändert. Ich
und viele andere Muslime fühlten daraufhin eine
große Ohnmacht. Ereignisse, die uns Muslime in
den Mittelpunkt rückten, mehrten sich. Golfkrieg,
diverse Anschläge im Nahen Osten und in Europa,
Terrorpräventivgesetze. Als dann die Mohammed-
Karikaturen veröffentlicht wurden, empfand ich
einen großen Drang, der verzerrten Darstellung
der Muslime eine Art kreativen Widerstand ent-
gegenzustellen. Deshalb habe ich mir ein T-Shirt
mit dem Spruch „I love my prophet“ bedruckt und
bin damit auf die Straße gegangen. Die Men-
schen haben dieses von der Grundaussage sehr
positive Statement wahrgenommen und sich über
die Verbindung von Liebe und Islam Gedanken
gemacht. Eine solche Verbindung hat bei Vielen
eine perplexe, aber alles in allem positive Reaktion
ausgelöst. Die Unterhaltungen, die durch mein
T-Shirt angestoßen wurden, waren toll.
puk: Sie wurden auf der Straße von Passanten auf
Ihr T-Shirt angesprochen?
Kesmen: Ja, absolut. Damals lebte ich in London.
Dort herrscht eine ganz andere Gesprächsbereit-
schaft als in Deutschland. Und auch am heutigen
Feedback unserer Kunden merke ich, dass die
Sprüche Gespräche über den Glauben und das Zu-
sammenleben anstoßen. Während des Ramadans
z. B. ist die Hemmschwelle viel geringer, einen
Menschen an der Bushaltestelle anzusprechen,
wenn er ein Ramadan-Shirt trägt. So kommen die
Menschen miteinander ins Gespräch. Das war
mein Ziel. Ich wünsche mir eine Stärkung des Aus-
tauschs auf der Straße, den ehrlichen Austausch
von Muslimen und Nicht-Muslimen auf der Straße.
puk: Wer kauft Mode und Accessoires von Sty-
leislam?
Kesmen: Unsere Kunden sind zwischen 18 und 24
Jahren. Unsere Produkte werden von sehr vielen
jungen Frauen gekauft. Etwa 25 Prozent unserer
Kunden sind Nicht-Muslime, was ich Klasse fin-
de. Daran zeigt sich doch, dass viele Menschen
begriffen haben, dass es uns um universelle
Botschaften geht.
puk: Spüren Sie die Auswirkungen der aktuellen
innenpolitischen Lage?
Kesmen: Ich bin genauso betroffen, wie die „bio-
deutsche“ 79-jährige Tante Helma. Deutschland ist
auch mein Land und wenn Terrordrohungen exis-
tieren, habe ich genau dasselbe mulmige Gefühl,
wie alle anderen auch. Man muss den Menschen
klar machen, dass das, was von Terroristen und
Fanatikern als Islam verkauft wird, alles andere
als Islam ist. Menschen kidnappen meine Religion
und tun Dinge, für die ich mich rechtfertigen muss.
puk: Hat der Rechtfertigungsdruck zugenommen?
Kesmen: Absolut. Meine Eltern sind normale Miniatur aus dem Königsbuch (Schahname) mit dem mystischen Vogel Simurgh aus dem berühmten Manuskript für Schah Tahmasp, Iran, ca. 1530 (Inv.-Nr. I. 6/82)
Gastarbeiter, von denen manch einer sagen © Museum für Islamische Kunst/Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Jürgen Liepe
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 38
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Die Sehnsucht nach neuen Idealen


Von der Psychologie des Terrors / Von Wolfgang Schmidbauer
Es ist jedem Religionspsychologen vertraut, Generation schon immer fasziniert hat. Die Suche
dass sich in einem hierarchisch verfestigten, nach den Ursprüngen schafft einen kleinen guten
an die gegenwärtige gesellschaftliche Wirk- Kern in einer Welt, mit der man sich in großartiger
lichkeit angepassten Glauben periodisch Vereinfachung jede tiefere Auseinandersetzung
Bewegungen entfalten, die sich zurück zu ersparen kann.
den Ursprüngen wünschen, Verfälschungen Jeder Heranwachsende muss seinen Platz in der
und Verderbtheiten der gegenwärtigen Realität finden. Er soll lieben und arbeiten lernen.
Praxis beklagen und mehr oder weniger Die Zukunft lockt ihn und bedroht ihn auch. Er
erfolgreiche Reformen einleiten. Im Chris- lebt in einer seelisch instabilen Welt; seine El-
tentum kennen wir die Reformation, die tern verstehen wenig von seinen Träumen, von
den Ursprung des Glaubens gegen die seinen Wünschen nach einer anderen Welt als
Amtskirche vertrat. Schon lange vorher der, die sie ihm vorschlagen. Die Sehnsucht des
hatten sich Ordensstifter wie Franz von As- Jugendlichen richtet sich auf das eigene Innere.
sisi bemüht, zur Ursprünglichkeit der Lehre Heftige Unsicherheiten sind die Folge, die sich
Christi zurückzufinden. Dostojewski hat in sehr gesteigert haben, seit immer mehr mediale
seiner Erzählung „Der Großinquisitor“, ei- Kanäle die Welt der Jugendlichen erreichen. In
nem Kapitel aus den Brüdern Karamasow, Büchern und Filmen sind Gefühle und Über-
die Tragik dieses Konflikts dargestellt. Dort zeugungen immer deutlich und stark. Was ich
lässt ein hoher Vertreter der Amtskirche den aber in mir finde, ist unsicher, verschwommen,
wieder auf die Erde kommenden Heiland gemischt, von Zweifeln durchsetzt. Ist, was ich
verhaften und spricht ihm das Recht ab, zu empfinde, wirklich Liebe, Glaube? Wo finde ich
lehren. „Wir haben Deine Tat verbessert Halt, der mich vor der Regression in kindliche
und sie auf das Wunder, das Geheimnis und Anlehnungsbedürfnisse bewahrt und große
die Autorität gegründet. Und die Menschen Perspektiven eröffnet?
freuten sich, dass sie wieder geführt wurden Aus dieser Dynamik gewinnen Salafismus und
wie eine Herde...“. seine Steigerung zur islamistischen Ideologie ihre
Anziehungskraft für junge Männer, die entweder

I m Islam werden die entsprechenden Bewe-


gungen Salafismus genannt, Reformbemühun-
gen, die sich an der Zeit der Vorfahren (arab.:
als Kinder von Migranten nach ihren Wurzeln
suchen und sie bei ihren angepassten Eltern
nicht finden oder aber von ihrer christlichen
Salaf) orientieren und es sich zum Ziel setzen, Ursprungsfamilie so enttäuscht sind, dass die
Muhammads reine Lehre wiederherzustellen. Teilhabe an einem neuen Glauben mit einfachen
Theologisch steht das Konzept der Einzigartigkeit Regeln ihnen eine Lösung ihrer Selbstgefühlspro-
Gottes im Mittelpunkt, wie bereits bei den Wah- bleme und der mit diesen verknüpften Ängste
habiten in Saudiarabien. Praktiken wie Amulette, und Depressionen verspricht.
Gräberkult, Heiligenverehrung und das Feiern Das männliche Selbstgefühl ist empfindlicher
von Muhammads Geburtstag werden strikt ab- und labiler als das weibliche. Das kleine Mäd-
gelehnt, nicht unähnlich den Bewegungen der chen gewinnt in den meisten Fällen schon früh
Ikonoklasten und Puritanern in der christlichen einen belastbaren Kern, weil es sich mit der
Geschichte. Person identifizieren kann, die in aller Regel
Aus der Perspektive vieler heutiger Muslime steht die erste im menschlichen Leben ist: mit der
die Welt auf dem Kopf. Gott hat ihnen durch das Mutter. Der kleine Junge identifiziert sich Arwa Abouon: Ohne Titel (Generation Series), Mother and Daughter (2008). Digitalprint auf Aluminium. Gezeigt
Siegel der Propheten, durch Muhammad, den ebenfalls mit der Mutter, doch muss er diese in der Ausstellung TASWIR. © Courtesy of Rose Issa Projects
letzten Menschen, der eine göttliche Offenba- Identifizierung auch wieder aus sich vertreiben,
rung empfangen hat, ein Versprechen gegeben, sie in sich bekämpfen, sie in eine Desidentifi- worden. Smyrek gestand in einem ersten Verhör alle Selbstzweifel und alle eigene Kränkbarkeit
an dem sie nicht zweifeln dürfen. Es war nicht nur zierung überführen. Daher ist sein Selbstgefühl (und widerrief später), er habe für die Hisbollah auszulöschen. Ob tatsächlich geplant war, ihn als
der reine, wiederhergestellte Glaube der Urvä- weniger belastbar. Während die Frau lernt, belebte Plätze in Israel fotografieren wollen, die Selbstmordattentäter zu rekrutieren, wie Smyrek
ter, den Muhammad kündete, sondern auch der aus einer unterlegenen Position das Beste zu sich für einen Anschlag eigneten. selbst behauptet, oder ob seine Mutter Recht hat,
weltliche Lohn für die Gläubigen: Macht, Erfolg, machen, Kränkungen zu verarbeiten und sich Seine Geschichte ist die eines vielfältig ge- die das alles für Aufschneiderei ihres Sohnes hält,
Herrschaft. Ein Jahrtausend lang wurde dieses durch Bündnisse und Intrigen durchzusetzen, kränkten Jugendlichen. Seine Eltern trennten ist nicht mehr zu klären.
Versprechen erfüllt. Die Reichen der arabischen sind Männer ungeübt, mit Kränkungen fertig zu sich früh, die Mutter heiratete später einen bri- Auch die Mitglieder der sogenannten Sau-
Kalifen und der osmanischen Sultane gehörten werden. Sie gehen eher zum Gegenangriff über, tischen Soldaten, der seinen Stiefsohn prügelte erland-Gruppe stammen aus zerbrochenen
zu den Mächtigsten der Erde. Seit dem Beginn kränken andere, verstricken sich in Schlägerei- und in ein Internat abschob. Smyrek fand sich Familien; auffällig ist – ähnlich wie bei Smyrek
der Neuzeit hingegen ist die Bedeutung der en, um ihrer Ohnmacht und Bedeutungsarmut nach seiner Bundeswehrzeit mit dem Leben – der Mangel an einer positiv erlebten Vater-
islamischen Welt geschrumpft. Da Gott unmög- auf keinen Fall zu begegnen. Diese psychi- außerhalb der Kaserne nicht zurecht und wurde beziehung. So liegt die Hypothese nahe, dass
lich dafür verantwortlich sein kann, muss es am sche Dynamik wirkt sich umso heftiger aus, je drogenabhängig. Nach einigen Jahren wurde die Attraktion des salafitischen Islam für junge
verunreinigten, geschwundenen Glauben der schwächer der Vater in der Ursprungsfamilie er von der Polizei aufgegriffen und wechselte Männer darin liegt, Defizite in dem Angebot
Muslime liegen. repräsentiert ist. die Rolle. Er sagte als Kronzeuge gegen seine männlicher Vorbilder in der Ursprungsfamilie
Die Anziehungskraft, welche die Vision eines Im August 1999 wurde ein deutscher Staatsbür- Hintermänner aus. So erhielt er eine milde zu kompensieren.
gereinigten, gleichzeitig uralten und ganz neuen ger, Steven Smyrek, von dem Bezirksgericht in Strafe und suchte eine neue Lösung für seine
Glaubens für das menschliche (und vor allem Tel Aviv wegen Unterstützung der radikal-islami- Selbstunsicherheit: Er konvertierte 1994 zum Der Verfasser ist als Autor und Lehr-
das jugendliche) Selbstgefühl hat, liegt in der schen Hisbollah zu zehn Jahren Haft verurteilt. Islam und wurde besonders fanatisch. In dem analytiker in der Münchner Arbeitsge-
Verbindung von Grandiosität und Aggression. Er hatte gestanden, einen Selbstmordanschlag in folgenden Jahr steigerte Smyrek seine Ruhelo- meinschaft für Psychoanalyse tätig.
Die Rückkehr zu einer ursprünglichen, von ei- Israel zu planen. Der 1994 zum Islam übergetre- sigkeit zu der Idee, sich dem bewaffneten Kampf Zu dem Thema erschien von ihm 2009 im
ner entwerteten Umwelt verratenen religiösen tene Deutsche war Ende 1997 bei der Einreise gegen Israel anzuschließen. Die Teilnahme am Gütersloher Verlagshaus: „Psycholo-
Orientierung schafft eine Dynamik, die an das nach Israel festgenommen worden. Bei ihm wa- Dschihad wird zum Beweis, dass er ein wahrhaft gie des Terrors. Warum junge Männer
Motto „viel Feind, viel Ehr“ erinnert, das die junge ren eine Kamera und Landkarten sichergestellt Gläubiger ist – und gleichzeitig zu einem Weg, zu Attentätern werden“

Islamfeindlichkeit in Deutschland
Ausgrenzende Strukturen ernst nehmen / Von Sabine Schiffer
Während nach dem Mord an der kopf- mein rassistischer Haltungen und Praktiken dar richteten und nicht an die Vorurteilsträger. legt. Medienmachende müssen stets aus einer
tuchtragenden Marwa El-Sherbini noch (vgl. Stuart Hall, Albert Memmi, Etienne Balibar, Entscheidend ist – wie bei jedem Rassismus – der Fülle an Material Weniges auswählen und die
stark geleugnet wurde (www.1001-idee. Birgit Rommelspacher), die teilweise spezifische Aspekt der Verallgemeinerung, der schnell den verbleibenden Stücke dann anordnen. Dies und
eu), dass es Islamfeindlichkeit gibt, hat Muster aufweist, die sich auf tatsächlich oder angeblichen „Islamkritiker“ entlarvt. Wenn ein gewisse Traditionen in Auswahl und Kombination
sich nach der Abstimmung in der Schweiz vermeintlich Islamisches beziehen. Verbrechen passiert und dieses eventuell gar haben über die Jahre hinweg zu einem relativ
zum sogenannten Minarettverbot eine Die spezifische Benennung eines antiislamischen noch vom Verbrecher mit islamischen Bezügen verfestigten Bild von „Islamischem“ geführt, wozu
Debatte – über die Feuilletons deutscher Rassismus begünstigt die Tendenz, nicht die begründet wird, dann kann es dennoch nicht als als Kern mindestens Rückständigkeit, (Frauen-)
Zeitungen hinaus – etabliert, die das Vorurteilsträger und -strukturen zu fokussieren, ein Phänomen „des Islams“ diskutiert werden. Unterdrückung und Gewalt zählen. Hier sind
Problem antiislamischer Ressentiments sondern das Objekt dieser Vorurteile. Dabei Gegenproben machen einen derartigen Fehl- wir bereits mitten im Stereotyp, das auch in dem
ernsthaft aufgreift. Damit spiegelt die werden die Betroffenen weniger als Opfer, bezug deutlich: Weder können die Missbrauchs- Ausruf eines Zuhörers bei einer Veranstaltung
öffentliche Debatte die Ergebnisse von Un- sondern vielmehr als Gestalter des Islambildes fälle durch Kirchenvertreter als „christlicher“ zum Ausdruck kommt: „Wieso sind denn 9 von
tersuchungen wider, die einen Anstieg is- wahrgenommen – ohne etwa Diskurshoheit, Me- Missbrauch diskutiert werden, noch der Einsatz 10 Terroristen Muslime!?“. Statistiken wie die von
lamfeindlicher Einstellungen belegen (z. B. dienzugang etc. zu reflektieren. So ergeben sich von Wasserwerfern gegen Demonstranten als Europol und andere belegen, dass die Relation
Heitmeyer, EUMC, PewResearchCenter, FES). immer wieder typische Diskursverläufe, wie man Ausdruck der „Demokratie“. Hier wird deutlich, fast umgekehrt ist. Da aber die lupenartigen Ver-
Da jedoch vielfach das Konzept Islamfeind- sie auch im Verlauf der sog. Feuilletondebatte dass die Kritik an den genannten Entgleisungen größerungen nur bestimmter Elemente – unter
lichkeit diffus bleibt, wird hier zunächst eine beobachten konnte: Die Thematisierung von und deren juristische Verfolgung keineswegs gleichzeitiger Auslassung anderer – zu einer ver-
Definition vorangestellt: Islamfeindlichkeit wurde häufig als „Islamde- delegitimiert wird, wenn man vor Stigmatisie- zerrten Wahrnehmung führen können, die ganze
batte“ bezeichnet, was bereits vom eigentlichen rungen warnt. Gruppen von Menschen stigmatisiert, lässt doch

D ie verallgemeinernde Zuweisung (negativ-)


stereotyper Fakten und Fiktionen auf „den
Islam“ oder „die Muslime“ oder diejenigen, die
Gegenstand der Debatte ablenkt und die Frage
ermöglicht, ob denn die Debatte bei den Musli-
men ankomme. Im (falschen) Fokus der Debat-
Medien spielen bei der verzerrten Wahrnehmung
von Islam und Muslimen eine nicht unerhebliche
Rolle, hat doch in neuerer Zeit vor allem die
die Frage nach der Medienverantwortung brisant
werden. Allerdings bilden die Konnotierungen
dieses Themas keinen Einzelfall, wie man etwa
man spontan dieser Gruppe zuordnet. tenführer war demnach, dass sich die Inhalte an Auslandsberichterstattung unser Bild geprägt,
Islamfeindlichkeit stellt eine Unterform allge- die Betroffenen des antimuslimischen Rassismus wie Kai Hafez in seiner Habilitationsschrift dar- Weiter auf Seite 39
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 39
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Fortsetzung von Seite 38

am verzerrten Bild der DDR, Tibets oder Israels


gut nachvollziehen kann. Auch ohne Absicht –
aber mit mangelnder Selbstreflexion – kann mit
Fakten an der Wahrheit vorbei berichtet werden.
Eine umfassende Medienbildung in Schulen, die
Wert auf die Reflexion von Meinungsbildungs-
prozessen legt, würde hier Abhilfe schaffen und
einer Demokratie gut zu Gesicht stehen.
Inzwischen wurden einzelne Themen von allge-
meiner Relevanz – etwa Frauenunterdrückung
bis hin zum Mord – als „islamische“ Themen
eingeschränkt. Dies ignoriert die Mehrzahl der
Frauenschicksale weltweit, die Solidarität und
Gerechtigkeit verdienen. Auch die Benachteili-
gung von Frauen in Europa gibt es nach wie vor,
ist teilweise gar wieder auf dem Vormarsch (equal
pay day, weniger Frauen in verantwortlichen
Positionen, erhöhtes Armutsrisiko, Frauenhäuser
etc.). Teilweise fand der Verweis der allgemeinen
Frauenproblematik auf die muslimischen Frauen
nur dadurch statt, weil etwa das Kopftuch als bild-
ökonomisches Mittel eingesetzt wird und Bilder von
kopftuchtragenden Frauen inzwischen Themen
von Terrorismus bis Integration schmücken – na-
türlich mit den entsprechenden Übertragungen se-
mantischer Merkmale auf so aussehende Frauen.
Am Beispiel der „Befreiungsbemühungen der
muslimischen Frau“ wird so manches Dilemma
des islamfeindlichen Diskurses deutlich: bei aller
Berechtigung und Notwendigkeit in Einzelfällen
Opfer von Unterdrückung zu unterstützen, haben
wir es inzwischen mit einem typischen Diskurs
des „weißen Feminismus“ zu tun, wo Frauen (und
sogar Männer) der sogenannten Mehrheitsge-
sellschaft vorgeben, was emanzipiert und richtig Joseph Semah: An Introduction to the Principle of Relative Expression (1979). Aufkleber (Olfarbe) auf Textseiten des Babylonischen Talmuds. Gezeigt
ist. Das könnte dazu führen, dass auch Frauen in in der Ausstellung TASWIR. © Joseph Semah
Europa vorgeschrieben wird, wie sie sich zu klei-
den haben bzw. wie sie sich nicht kleiden dürfen – eigentlich die Mehrzahl der Menschheit. An- können. Übrigens ist dies eine der zentralen Leh- eine Gruppe nicht durch Aufklärung über diese
– während von Freiheit schwadroniert wird. Die statt jedoch die strukturellen Benachteilungen ren aus dem Antisemitismus: Auch unter Juden Gruppe bekämpfen können – sondern nur durch
Nebensächlichkeit so mancher Kleidungsfrage in ihrer Gänze anzugehen, gelingt mit dem darf es Verbrecher geben, es rechtfertigt niemals Dekonstruktion der rassistischen Weltbilder der
macht jedoch ein anderes Symptom aktueller Verweis auf bestimmte Spezifika sehr gut, vom Antisemitismus. Es den Betroffenen von diesem dominanten Gruppe. In den Blick der Debatten
Debatten sichtbar: Vielfach wird über Marginales „Gemeinschaftsprojekt Zukunft“ abzulenken Ressentiment zuzumuten, selbst das Bild, das müssten jedoch nicht nur die Rassismusträger
gestritten, anstatt das gemeinsame Projekt der und auf Nebengleisen zu verweilen. Dazu ist über ihr Kollektiv herrscht, korrigieren zu sollen, geraten, sondern auch das Wissen, dass jede
Zukunft in den Blick zu nehmen. Und da sind für schnell ein geeignetes Objekt der Empörung trägt bereits antisemitische Züge. Gesellschaft ihre ausgrenzenden Strukturen
Frauen weltweit noch viele Desiderata in Sachen gefunden, das irgendwie „anders“ aussieht. Aus der Antisemitismusfoschung ist weniger hat, die als solches ernst genommen werden
Chancengleichheit offen. Aus der Rassismusforschung bekannt, sollten wir bekannt, dass der Rückgriff auf Texte von Ur- müssen.
Symptomatisch können die Schranken der Dis- uns vergegenwärtigen, dass jedes Mitglied einer schriften ein gängiges Mittel war, um deren
kriminierung, die Frauen erfahren, auf andere diskriminierten Gruppe ebenfalls zu einem Dis- „Verschwörung“ zu „belegen“ (vgl. Schiffer/ Die Verfasserin ist Leiterin des
Minderheiten (nach Henri Tajfel, „Gruppenkon- kriminierenden in einem anderen Kontext werden Wagner 2009: Antisemitismus und Islamopho- Instituts für Medienverantwortung
flikt und Vorurteil“) ebenso angewandt werden. kann – und dass sowohl dieses Faktum als auch bie). Ein wichtiges Ergebnis dieser Forschung
Der fehlende Zugang zur Macht zeichnet nach andere negative Eigenschaften einzelner aus ei- wie auch aus anti-rassistischer Arbeit ist da-
Tajfel jede Minderheit aus, Frauen, Schwarze,… ner Community Rassismus niemals rechtfertigen rüber hinaus, dass wir den Rassismus gegen Islam · Kultur · Politik
puk-Dossier

Literaturtipps ISBN 978-3-934868-26-7


ISSN 2191-5792

Die Literaturliste (alphabetisch nach Nach- Macht – Aus politik + kultur 2. Hg. v. Olaf ·· Annemarie Schimmel: Die Religion des Islam : Erscheint als Dossier zur Zeitung politik und
namen) versteht sich als Angebot für Inter- Zimmermann und Theo Geißler. Berlin 2007. eine Einführung. 11. Auflage. Reclam 2010. kultur, herausgegeben von Olaf Zimmermann
essierte. Wir erheben keinen Anspruch auf ·· Kathrin Düsener: Integration durch Engagement? ·· Bertram Schmitz: Von der einen Religion des und Theo Geißler
Vollständigkeit, sondern wollen einen ersten Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Alten Israel zu den drei Religionen Judentum,
Überblick über die Literatur zum Islam und Inklusion. Transkript Verlag 2010. Christentum und Islam. Kohlhammer 2009. Deutscher Kulturrat
seiner Kultur geben. Zum Teil ergänzt die ·· Hamed Eshrats: Tipping Point Téhéran 1979. ·· Stefan Schreiner: Der Koran als Auslegung der Chausseestraße 103, 10115 Berlin
Literaturliste die Beiträge des Dossiers. Verlag Editions Sarbacane 2009. Bibel – die Bibel als Verstehenshilfe des Korans. Tel: 030/24 72 80 14, Fax: 030/24 72 12 45
·· Sineb El Masrar: Muslim Girls. Wer wir sind, wie In: H. Schmid/A. Renz/B. Ucar (Hrsg.), „Nahe ist www.kulturrat.de, E-Mail: post@kulturrat.de
·· Qasim Amin: Die Befreiung der Frau. Würzburg, wir leben. Eichborn Verlag 2010. dir das Wort...“. Schriftauslegung in Christentum
Altenberge 1992. ·· Joachim Gnilka: Bibel und Koran: Was sie und Islam. Regensburg 2010, S. 167-183. Redaktion:
·· Katajun Amirpur: Unterwegs zu einem anderen verbindet, was sie trennt. 6. Auflage. Herder ·· Martin Sökefeld (Hrsg.): Aleviten in Deutschland- Olaf Zimmermann (verantwortlich),
Islam. Herder 2009 spektrum 2007. Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in Gabriele Schulz, Stefanie Ernst
·· Ludwig Ammann: Islam. Was stimmt? Die wich- ·· Gabriele Hermani: Die Deutsche Islamkonferenz der Diaspora. Transcript Verlag 2008.
tigsten Antworten. Herder Spektrum 2007 2006 bis 2009. Der Dialogprozess mit den Mus- ·· Heinrich Speyer: Die biblischen Erzählungen im Berater der Redaktion:
·· Reinhard Baumgarten: Gesichter des Islam. Be- limen in Deutschland im öffentlichen Diskurs. Qoran. Gräfenhainichen 1933/repr. Hildesheim Reinhard Baumgarten, Aiman A. Mazyek
gegnung mit einer faszinierenden Kultur. Theiss Verlag Finckenstein & Salmuth 2010. 1988.
Verlag 2010. ·· Ismail Kaplan: Das Alevitentum- Eine Glaubens- ·· Ursula Spuler-Stegemann: Gutachten: Ist die Verlag:
·· Bärbel Beinhauer-Köhler/Claus Leggewie: und Lebensgemeinschaft in Deutschland. Hrsg. Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. eine ConBrio Verlagsgesellschaft mbH
Moscheen in Deutschland. Religiöse Heimat und von der Alevitischen Gemeinde Deutschland. Religionsgemeinschaft? Marburg 2003. Brunnstraße 23,
gesellschaftliche Herausforderung. C. H. Beck Köln 2004. ·· Rifā´a al-Tahtawi: Ein Muslim entdeckt Europa. 93053 Regensburg
Verlag 2009. ·· Said Karoui: Die Rezeption der Bibel in der frühis- Die Reise eines Ägypters im 19. Jahrhundert nach Internet: www.conbrio.de
·· Atef Botros (Hrsg.): Der Nahe Osten – ein Teil lamischen Literatur am Beispiel der Hauptwerke Paris. Hrsg. von Karl Stowasser. München 1988. E-Mail: conbrio@conbrio.de
Europas? Reflektionen zu Raum- und Kultur- von Ibn Qutayba (gest. 276/889). Heidelberg ·· TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne.
konzeptionen im modernen Nahen Osten. 1997. Berlin: Nicolai 2009. Herstellung, Layout:
Würzburg 2006. ·· Koran – Der Heilige Qur-an, Arabisch-Deutsch. ·· Roberto Tottoli: Biblical Prophets in the Qur’an ConBrio Verlagsgesellschaft
·· Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.): Übersetzt v. Hadhrat M. M. Ahmad. 8. Auflage and Muslim Literature. Richmond 2002. Petra Pfaffenheuser
Muslimisches Leben in Deutschland. Im Auftrag 2009. ·· Women in Islam – Between Oppression and
der Deutschen Islam Konferenz. Forschungsbe- ·· Lehrplan des Alevitischen Religionsunterricht. (Self-)Empowerment. Hrsg. von der Friedrich Alle veröffentlichten Beiträge sind urheber-
richt 6. Nürnberg 2009. Grundschule Klasse 1 bis 4, Ministerium für Ebert Stiftung 2008. rechtlich geschützt. Namentlich gekennzeich-
·· Rauf Ceylan: Islamische Religionspädagogik Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein- nete Beiträge geben nicht unbedingt die Mei-
in Moscheen und Schulen – Ein sozialwissen- Westfalen. Heft 2013. Ritterbach Verlag 2008. Online-Angebote: nung des Deutschen Kulturrates e.V. wieder.
schaftlicher Vergleich der Ausgangslage, Inhal- ·· Usāma ibn Munqidh: Ein Leben im Kampf gegen ·· http://forumamfreitag.zdf.de
te und Ziele unter besonderer Berücksichtigung Kreuzritterheere. Aus dem Arabischen übertra- ·· http://www.gazelle-magazin.de politik und kultur bemüht sich intensiv um die
der Auswirkungen auf den Integrationsprozess gen und bearbeitet von Gernot Rotter. Tübingen, ·· www.IDAeV.de/service/vereine-junger- Nennung der Bildautoren. Nicht in allen Fäl-
der muslimischen Kinder und Jugendlichen. Basel 1978. migranten len gelingt es uns, die Bildautoren ausfindig
Verlag Dr. Kovac 2008 ·· Loredana Nemes: Beyond. Hatje Cantz Verlag ·· http://islam.de zu machen. Wir freuen uns daher über jeden
·· Rauf Ceylan: Prediger des Islam – Imame in 2010. ·· http://www.swr.de/islam/gesichter-des- Hinweis und werden nicht aufgeführte Bildau-
Deutschland. Wer sie sind, was sie denken und ·· Projektgruppe JugendArt: KanaKCultures. Kultur islam/-/id=7039402/1sbiha3/index.html toren in der nächsten erreichbaren Ausgabe
was sie wollen. Herder Verlag 2010. und Kreativität junger MigrantInnen. Berlin: Ar- ·· www.tagderoffenenmoschee.de von politik und kultur nennen.
·· Der Koran. Neu übertragen von Hartmut Bobzin chiv der Jugendkulturen Verlag 2010. ·· http://www.unimuenster.de/imperia/
unter Mitarbeit von Katharina Bobzin. Verlag ·· Gabriel Said Reynolds: The Qur’an in its Historical md/content/religion_und_politik/aktuel- Gefördert aus Mitteln des Beauftragten der
C.H. Beck 2010. Context. London, New York 2009. les/2010/12_2010/studie_wahrnehmung_ Bundesregierung für Kultur und Medien auf
·· Der Koran. Übersetzt von Friedrich Rückert. ·· Walid A. Saleh: In defense of the Bible. A critical und_akzeptanz_religioeser_vielfalt.pdf Beschluss des Deutschen Bundestages und der
Würzburg 2001. edition and an introduction to al-Biqa’i‘s Bible ·· http://universes-in-universe.org (Nafas) Robert Bosch Stiftung.
·· Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische treatise. Leiden, Boston 2008. ·· www.qantara.de, http://zentralrat.de
Islam
· Kultur · Politik politik und kultur • Jan. – Feb. 2011 • Seite 40
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Inhaltsverzeichnis
Editorial 13 Imame für Integration 26 Nafas Kunstmagazin
Dreijährige Fortbildung: Qualifizierung Aktuelle Kunst vom Maghreb über
1 Zweifellos für das neue Lebensumfeld Deutschland den Nahen Osten bis Südostasien
Von Olaf Zimmermann Von Angela Kaya Von Gerhard Haupt und
Pat Binder
Einführung 14 Schwieriger Weg
Wie kann islamischer Religionsunterricht 27 Medienmacherin mit Migrations-
2 Einladung zur konstruktiven Auseinan- sinnvoll gestaltet werden? hintergrund
dersetzung: Was ein Dossier „Islam · Von Hamideh Mohagheghi Stefanie Ernst im Gespräch mit
Kultur · Politik“ leisten kann Sineb El Masrar
Von Olaf Hahn 15 Allah und die Schöpfung
Islamische Vielfalt Aufgaben und Ziele des islamischen 28 Kennt man sich, so braucht man
Religionsunterrichts keine Schublade mehr
Islam · Kultur · Politik Von Eva-Maria E l-Shabassy Brückenbauen zwischen Parallelwelten
– per Mausklick
2 Ein Leitfaden durch das Dossier Islam 15 Religionsunterricht als kulturelle Bildung Von Kübra Yücel
Von Gabriele Schulz und Alevitischer Religionsunterricht an den
Stefanie Ernst Schulen 28 Das Islamische Wort
Von Ismail Kaplan Gabriele Schulz im Gespräch mit
Reinhard Baumgarten
Islamische Vielfalt
Wissen über den Islam – 29 Forum am Freitag
3 Islamische Vielfalt Eine Plattform für Muslime und
Wissen des Islams Nicht-Muslime im ZDF
Von den Gesichtern des Islam
Von Reinhard Baumgarten Von Abdul-Ahmad Rashid und
16 Transkulturelle Alternative zu den Kamran Safiarian
4 Was glauben Muslime? „Islamischen Studien“
Grundsätze und Ziele des Islams Die transnationale Dimension der
Von Aiman A. Mazyek Islamwissenschaft Zusammenleben in
Von Patrick Franke
Deutschland
5 Herkunft, Glaubensrichtung, Bildung,
Judentum · Christentum · Islam Partizipation 17 Faszination Morgenland
Vom Eins-Werden und vom Einssein Geschichte der Deutschen Morgenländi- 30 Rechtliche Anerkennung des Islams
Von Sonja Haug schen Gesellschaft Weder Gleichberechtigung noch
Von Claus Schönig Gleichbehandlung in Sicht
6 Denken lassen: Das islamische Denken... Von Aiman A. Mazyek
Deutschland kann der Ort einer moder- 17 Wege zu den Kulturen des Islams
nen Theologie werden Das Münchner Zentrum für Islamstudien 31 Die Deutsche Islam Konferenz
Von Katajun Amirpur Von Hans Georg Majer 2006 bis 2009
Zusammensetzung und Ergebnisse
7 Alevitentum und Aleviten in Deutschland 18 Datenfluss im Mittelalter Von Gabriele Hermani
Eine Religionsgemeinschaft mit dem Stre- Die Leistungen islamischer Gelehrter
ben nach freundschaftlichem Dialog neu bewerten 32 Scharia und Grundgesetz: Ein
Bildung · Religion · Glaube Von Ismail Kaplan Von Reinhard Baumgarten Widerspruch?
Die Islamische Charta des Zentralrats
7 Sufitum – die mystische Dimension 19 Kulturelle Begegnung im kolonialen der Muslime in Deutschland
des Islams Kontext Von Mathias Rohe
Asketen, Einsiedler, Derwische und Hoch- Der Nahe Osten und Europa
schullehrer Von Verena Klemm 33 Der Islam aus Sicht des Verfassungs-
Von Reinhard Baumgarten schutzes
20 Jeder Kulturdialog geht vom Sonderfall Ein friedliches Zusammenleben
aus braucht sachliche Auseinandersetzung
Judentum · Christentum · Kulturarbeit in Ländern mit muslimischer Von Heinz Fromm
Mehrheit
Islam Von Wenzel Bilger 34 „Wir brauchen heute mehr Dialog als
je zuvor“
8 Jüdisches und christliches Erbe im Koran 21 Wo Muslime fremd sind, sind wir es auch Aiman A . Mazyek im Gespräch
Die Offenbarungen vorislamischer Plädoyer für ein Atelier der kosmo-politi- mit Ali Dere, dem Stellvertreten-
Propheten schen Wissenschaften und Künste den Vorsitzenden der DITIB
Von Stefan Schreiner in Berlin
Von Almut Sh. Bruckstein Çoruh 34 Nutzen für alle
9 Sind interreligiöse Bewegungen politisch Starke islamische Zivilgesellschaft
relevant? 22 Kollektives Gedächtnis und kultureller Von Olaf Zimmermann
Offene Gesellschaft, religiöse Vielfalt Speicher
Wissen über den Islam – Wissen des Islams Von Regina Ammicht Quinn Die Rolle des Museums für Islamische 35 Tag der offenen Moschee
Kunst im Pergamonmuseum im heutigen Gespräche mit Muslimen sind
9 Gewaltige Heuchelei Diskurs effektiver als Gespräche über sie
Ein Kommentar von Heribert Von Stefan Weber Von Nurhan Soykan
Prantl
23 Das Epizentrum liegt am Golf 36 Welche Bedeutung hat der Islam für
10 Akzeptanz und Wahrnehmung des Islams Andreas Kolb im Gespräch mit ihre politische Arbeit? Abgeordnete
Zu den Ergebnissen einer Studie der Michael Schindhelm muslimischen Glaubens geben
Westfälischen Wilhelms-Universität Auskunft
Münster 24 Dem Ursprung nachspüren
Von Detlef Pollack Stefanie Ernst im Gespräch mit 36 Islam-Bashing
Islam in den Medien Hamed Eshrat Ein Kommentar von Aiman
10 Glauben leben, wechseln, aufgeben A. Mazyek
Konversionen zum und aus dem Islam 24 Geschlossene Gesellschaft?
Von Jörn Thielmann Stefanie Ernst im Gespräch mit 37 I love my prophet
Loredana Nemes Stefanie Ernst im Gespräch mit
11 Aufklärung und Islam Melih Kesmen
Goethe, Lessing und andere Vordenker
Von Reinhard Baumgarten Islam in 38 Die Sehnsucht nach neuen Idealen
Von der Psychologie des Terrors
den Medien Von Wolfgang Schmidbauer
Bildung · Religion · Glaube
25 Aufgeklärte Islamophobie 38 Islamfeindlichkeit in Deutschland
12 I slamische Studiengänge in Deutschland Das Islambild deutscher Medien Ausgrenzende Strukturen ernst
Tübingen, Münster/Osnabrück als Von Kai Hafez nehmen
Vorreiter Von Sabine Schiffer
Von Annette Schavan 26 Seriöse und kompetente Brücke zur
islamischen Welt 39 Literaturtipps
13 Vorbeter, Seelsorger und theologische Das Online-Magazin Qantara.de
Referenz Von Loay Mudhoon 39 Impressum
Die Notwendigkeit einer Imamausbildung
Zusammenleben in Deutschland in Deutschland
Von Rauf Ceylan

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