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Technik

COMPUTER

Watson gegen die Menschheit


In dieser Woche läuft im US-Fernsehen ein denkwürdiger Wettkampf: Ein Supercomputer
von IBM tritt in einer Quizshow gegen die besten menschlichen Kandidaten an –
beginnt, nach Jahrzehnten der Enttäuschungen, das Zeitalter der „Künstlichen Intelligenz“?

D
ieser Computer muss auf wahrlich Watsons Chefkonstrukteur David Ferruc- Mit diesem gewaltigen Aufgebot
verzwickte Fragen gefasst sein: ci hütet sich, von menschenähnlicher In- täuscht Watson über seinen mangelnden
Was begann am 4. November 1979 telligenz zu sprechen. Sprachverstand hinweg. Er mag heraus-
und dauerte 444 Tage? Für welchen Watson ist eine famose Suchmaschine, finden, dass es sich bei dem gesuchten
Beweis ist der heilige Anselm berühmt? die sich rasend schnell durch gewaltige Utensil in Posaunenform um eine Büro-
Welche Büroartikel heißen in Frankreich Textmassen frisst: Seine Speicher sind klammer handelt. Aber er verbindet kei-
ihrer Form wegen auch Posaunen**? gefüllt mit Romanen, Zeitungen, Fakten- ne Vorstellung mit diesem Wort. Deshalb
Solche Rätsel präsentiert das TV-Quiz sammlungen aller Art und der gesamten wird er auch keine neuen Sätze damit bil-
„Jeopardy“. In den USA läuft es seit Jahr- Wikipedia. Der Bestand umfasst 200 Mil- den. Nur ein Mensch kann auf die Idee
zehnten mit Erfolg. Diese Woche aber, lionen Seiten, großteils aus dem Internet kommen, einem Finanzminister „das Cha-
Montag bis Mittwoch, ist ein Wettkampf eingesogen. Binnen Augenblicken kann risma einer Büroklammer“ nachzusagen.
zu erleben, wie es ihn nie zuvor im Fern- der Computer das alles durchwühlen. Er Doch ist es nicht auch egal, ob ein Com-
sehen gab: Der Computer „Watson“, ent- sucht dabei nach Textpassagen, die ähn- puter versteht, was er als Antwort aus-
wickelt von IBM, tritt an gegen zwei der lich formuliert sind wie die Rätselaufgabe gibt? Kommt es, wie im Quiz, nicht allein
besten „Jeopardy“-Spieler aller Zeiten. – mit Glück lässt sich darin dann auch der auf das richtige Ergebnis an? Nicht weni-
Eine Million Dollar bekommt der Sieger. gesuchte Begriff aufspüren. ge KI-Forscher sehen das so. Für sie spielt
Einen gewöhnlichen Com- es keine Rolle, ob ein Com-
puter überfordert schon die puter jemals wirklich ein Be-
Frage, wie spät es ist; er hat wusstsein hervorbringen kann
von natürlicher Sprache keine – Hauptsache, er schwindelt es
Ahnung. Watson dagegen erfolgreich vor.
schlägt sich, nach vier Jahren „Die Frage ist aber, wie weit
Vorbereitung, beängstigend wir mit unseren konventionel-
gut. Mitte Januar gewann er len Methoden noch kommen“,
bereits ein Test-Match gegen sagt der Bremer KI-Experte
seine beiden Kontrahenten Frank Kirchner. „In den letz-
Ken Jennings und Brad Rutter. ten zehn Jahren haben wir
Im Jahr 1997 verfiel die hal- kaum mehr nennenswerte
be Welt in Trübsal, nur weil Fortschritte gesehen; wir dre-
Schachweltmeister Garri Kas- hen an den Feineinstellungen,
SETH WENIG / AP

parow gegen Watsons Vorfahr und wir steigern die Rechen-


„Deep Blue“ verlor. Droht nun leistung, das ist alles.“
dem Menschengeschlecht eine Die Geschichte der KI war
weit schlimmere Kränkung? Computer „Watson“ beim Test-Match*: Eine Million für den Sieger schon immer eine Folge von
Damals ging es nur um das furiosen Aufbrüchen und quä-
schnöde Vorausberechnen von Zügen. Der Beutezug endet zumeist mit Hun- lenden Krisen. Einst gefeierte Erfindun-
Diesmal steht viel mehr auf dem Spiel: derten Lösungen, die allesamt möglich gen führten dann doch nicht weiter; ihr
die Sprache, Daseinsform und Gefäß des scheinen. Dann entscheidet die Statistik: Nutzen erschöpfte sich früher als gedacht.
Denkens. Es gewinnt das Wort, das mit der größten Vor wenigen Jahren noch schwärmte
Was bedeutet es, wenn Watson ge- kalkulierten Wahrscheinlichkeit zur Um- alle Welt von „neuronalen Netzen“. Das
winnt? Kann ein Computer, der eine sol- schreibung des Rätsels passt. sind Programme, die angeblich Hirnzel-
che Show bestreitet, mit seinen Nutzern Anders als seine menschlichen Gegner len nachbilden. Sie lernen, indem sie, wie
bald auch über sinnvolle Geldanlagen, vergleicht Watson nur eine Unzahl gespei- ihre biologischen Vorbilder, Verknüpfun-
Fragen der Kindererziehung oder das cherter Muster – das aber mit imposanter gen untereinander verstärken, die sich
Wetter am Urlaubsort parlieren? Findigkeit. Der Kandidat kann dafür auf als nützlich erwiesen haben. So können
Damit ist nicht zu rechnen. „Der Es- mehrere Unterprogramme und Hilfsmo- sie mit der Zeit eine „2“ ganz gut von
senz menschlichen Sprachvermögens dule zurückgreifen; er nutzt ein Potpourri einem „Z“ unterscheiden, selbst wenn
kommen wir damit leider nicht näher“, der besten gängigen Methoden aus der die Ziffer je nach Type oder Handschrift
meint der Saarbrücker Computerforscher automatischen Sprachverarbeitung. Für sehr unterschiedlich aussieht.
Hans Uszkoreit, ein Experte für maschi- das nötige Tempo sorgen 2880 Prozesso- Gut möglich, dass in solchen neurona-
nelle Sprachverarbeitung. Und die meis- ren, verteilt auf zehn Rechenschränke. len Computern schon bald der Geist aus
ten Fachleute sehen das ähnlich. der Platine erwache, hieß es damals –
Seit Jahrzehnten streben Forscher welt- * Am 13. Januar mit Kandidaten Ken Jennings und Brad heute traut ihnen das kaum mehr jemand
weit nach „Künstlicher Intelligenz“ (KI), Rutter. zu. Komplexere Aufgaben lassen sich den
aber die Computer wurden immer nur ** Antworten: Geiselnahme in der US-Botschaft von neuronalen Netzen auch nach Jahrzehn-
besser und schneller im Berechnen. Auch Teheran; Beweis der Existenz Gottes; Büroklammern. ten der Forschung noch nicht antrainie-
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ren. Mit echten Hirnzellen teilen diese für Künstliche Intelligenz (DFKI). Mit gut den. Echte Intelligenz entstehe, wie in der
Programme ja auch nur ein paar simple 400 Wissenschaftlern in Saarbrücken, Kai- Natur, am ehesten in einem Körper. Kirch-
Äußerlichkeiten – die Forscher hatten sich serslautern und Bremen ist das DFKI eine ner baut deshalb seit Jahren Roboter, die
an ihrer eigenen Metapher berauscht. der weltgrößten Einrichtungen auf die- sich in einer widrigen Welt behaupten
Das statistische Lernen, das Watson sem Gebiet. Dort werden intelligente müssen. Leitspruch: „Raus aus den Labo-
sich zunutze macht, hat ebenfalls schon Suchmaschinen entwickelt, automatische ren“. Durch Drucktanks mit trübem Was-
einiges von seinem Zauber verloren. Auf Übersetzer und Programme, die in Call- ser winden sich vielgliedrige Schlangen,
dieser Methode beruht zum Beispiel auch centern – zumin- entwickelt für den Einsatz bei der Öl-
der Dienst „Translate“ von Google, der dest ansatzweise – förderung in der Tiefsee. Ein paar
Texte aus 57 Sprachen übersetzt. Der auf Kunden- Türen weiter ist eine künstliche
Computer kommt dabei ganz ohne eige- Mondlandschaft aufgebaut;
nes Sprachwissen aus. Er sieht einfach dort trainieren sechsbeinige
für jedes Wort im Internet nach, ob es ir- Krabbelkünstler das freie Klet-
gendwo bereits in ähnlichem Zusammen- tern an steilen Kraterwänden.
hang übersetzt worden ist. Der Trick er- Das Denken, glaubt Kirchner,
gibt oft ganz brauchbare Resultate; deren beginne mit der Kontrolle des
durchschnittliche Qualität aber hat sich Körpers im Raum: Laufen, Krie-
seit Jahren kaum verbessert. chen, Schwimmen. Es verfeinert
Die Forscher mussten einsehen, dass sich, indem der Roboter seine
die Sprache voller ungewöhnlicher Wen- Umwelt erforscht: durch Grei-
dungen steckt, für die noch nirgendwo fen, Betrachten, Ausprobie-
eine Übersetzung aufzutreiben ist. Schon anfragen ant- ren. Dafür braucht er einen
das Wort „Kurzarbeit“ stellt den Compu- worten. Nur sehr guten Körper, und das
ter vor große Probleme: Weil andere das menschli- kostet viel Geld und Mühe.
Sprachen keine Entsprechung kennen, che Sprachver- „Auf meiner Fingerkup-
müsste er eine kreative Umschreibung er- ständnis entzieht pe habe ich mehr Sensoren
finden – unmöglich für eine Maschine. sich allen Annähe-
Selbst im Schach, der Königsdisziplin rungsversuchen.
der Zahlenfresser, ging es schleppender „Können wir die Vernunft
voran als ehedem gedacht. „Die Compu- eines zweijährigen Kindes
ter spielen wie vor 50 Jahren, nur eben erreichen? No way“, sagt
viel schneller“, sagt KI-Experte Uszkoreit. Uszkoreit.
„Noch immer berechnen sie nur stur Mil- Sein Bremer Kollege Kirch-
lionen möglicher Züge – von Intuition ner ist überzeugt, dass dafür
keine Spur.“ ein paar Prozessoren in
Uszkoreit leitet den Bereich Sprachtech- einer Blechkiste auch
nologie am Deutschen Forschungszentrum nicht hinreichen wer-

OWEN HOLLAND / ROB KNIGHT / UNIVERSITY OF ESSEX

Menschmaschine „Eccerobot“
Ebenbild seines Schöpfers
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als alle Roboter Europas zusam- lich. „KI findet sich schon überall
men“, sagt Kirchner. Demnächst im Alltag“, sagt Wahlster. „Wir
bekommt sein Institut immerhin verdanken ihr gute Spam-Filter
eine künstliche Hand mit 674 Sen- und Navigationsgeräte, die auf ge-
soren: „Weltrekord“. Diese Hand sprochene Anweisungen hören.
kann feine Formen ertasten, und Und wir haben große Erfolge in
sie weiß, wie jeder Finger gerade der Bilderkennung. Das hilft zum
gekrümmt ist – alles unabdingbar, Beispiel bei der Fahndung nach
wenn sie eines Tages mitdenken Kinderpornografie im Internet.
soll beim Erkunden eines Wein- Bisher saßen da ja Polizisten und
glases oder eines Goldhamsters. mussten sich das alles ansehen.“
Intelligenz ist, so gesehen, auch Auch Autos sind heute voll-
eine Frage der Feinmechanik. gestopft mit schlauer Elektronik,
An der TU München ist, unter mit Chips und smarten Sensoren.
dem biblischen Namen „Eccero- Dem Laien kommt nichts davon
bot“, ein munteres Gerippe zu be- mehr sonderlich intelligent vor –
staunen. Der Kopf wackelt auf ei- aber es genügte, die vorhande-
ner biegsamen Wirbelsäule; man nen Module neu zusammenzu-
sieht Sehnen, die sich spannen, stöpseln, und schon kam ein
und ein Schultergelenk fast wie Auto heraus, das sich von allein
aus dem Anatomielehrbuch. Der aus dem Stand in eine Parkbucht

DIRK EISERMANN / DER SPIEGEL


Torso äfft einen Menschenkörper bugsiert.
nach – ein Ebenbild seiner Schöp- BMW entwickelt nun einen
fer. Und wofür die Mimikry? „Nothalteassistenten“ für Senio-
„Wir wollen einen Roboter, der ren, der auch in voller Fahrt auf
an die Menschenwelt angepasst der Autobahn das Steuer über-
ist“, sagt der KI-Forscher Alois nehmen kann: Sollte den greisen
Knoll, einer der Entwickler. Roboterbauer Kirchner: „Raus aus den Laboren“ Fahrer der Schlag treffen, fädelt
„Wenn er nach einem Glas greift, sich das Auto durch den Verkehr
soll sich seine Hand, wie bei uns Men- sich herumsprach, dass er ferngesteuert auf die Haltespur und bleibt stehen. Von
schen, fast von selbst schließen. Ein war. Auch der berühmte Kindchenrobo- diesem Stadium ist es nicht mehr allzu
gewöhnlicher Roboter müsste stattdessen ter „Kismet“, ein kulleräugiger Knilch, weit zu den selbstfahrenden Autos, wie
beispielsweise 100 Differentialgleichun- der am MIT bei Boston jahrelang das Pu- sie inzwischen auch andere Konzerne er-
gen berechnen.“ blikum betörte, erwies sich als wenig ent- proben.
Das Ziel ist ein Helfer, der durch Nach- wicklungsfähig. In beiden Fällen war die So entsteht aus dem Zusammenspiel
ahmen und Experimentieren lernt, sich Menschenähnlichkeit nur vorgegaukelt. unscheinbarer Bausteine erstaunlich in-
nützlich zu machen. Ein menschlicher Mit einem Wort: höheres Puppentheater. telligentes Verhalten. Auf ganz andere
Lehrer kann mit dem Roboter üben, wie Weil die übersteigerten Erwartungen Weise nutzt die US-Firma Kiva Systems
man Klötzchen stapelt oder ein Baufix- sich nicht einlösen ließen, fiel die Branche dieses Prinzip: Sie baut rollende Trans-
Flugzeug zusammensteckt – so wie er es wieder einmal in eine tiefe Krise. In den portroboter, die aussehen wie Trittsche-
auch einem Kleinkind erklären würde. USA machte das Schreckenswort vom mel, bar jeglicher Theatralik. Scharenwei-
Notfalls führt er ihm einfach die Hand. „KI-Winter“ die Runde: alle Hoffnung er- se wuseln die dienstbaren Gefährte in
„Das alles geht nur“, sagt Knoll, „wenn froren. Deutschland hingegen blieb vom riesigen Lagerhallen herum; hier und da
der Roboter uns in Form, Wahrnehmung Kälteeinbruch weitgehend verschont. rollt eines unter eine Palette, schraubt
und Verhalten möglichst ähnlich ist.“ „Wir haben nicht von Computern ge- sich empor, bis die Last sich hebt, und
In Europa wird seit Jahren eifrig an träumt, die denken wie ein Mensch und eilt mit ihr davon.
künstlichen Helfern gearbeitet – auch solche Scherze“, sagt Wolfgang Wahlster, Die Roboter schaffen ihre Waren zu
dank den Hunderten Millionen Euro, die Leiter des DFKI. „Wir haben uns immer zentralen Packtischen, wo Arbeiter Pake-
die EU bereits in die kognitive Robotik als Ingenieure verstanden. Jetzt zahlt sich te für den Versand zusammenstellen. Ihre
investiert hat. Die meisten Projekte sind das aus.“ Wege suchen die Lageristen sich selbst;
allerdings ganz pragmatischer Natur. Wahlster ist ein umtriebiger Mann mit dabei folgen sie im Boden eingelassenen
Am DFKI-Standort Saarbrücken etwa allerhand Titeln und Ämtern; Anfang der Barcode-Etiketten wie Ameisen einer
erprobt Geert-Jan Kruijff kleine Hilfsro- neunziger Jahre war er auch mal Präsi- Duftspur. Sie sind nicht sonderlich schlau,
boter für die Unfallrettung, die mit der dent des Weltverbandes für Künstliche aber im Verbund sehr effizient. Wenn
Hektik bei gefährlichen Einsätzen klar- Intelligenz. Schon damals nervten ihn die sonst nichts zu tun ist, räumen sie schon
kommen. Wenn der Feuerwehrmann Weissagungen von einer Superintelligenz, mal häufiger gefragte Waren näher an die
brüllt: „Los, geh zu dem brennenden die uns bald überflügeln werde. „Die Packtische heran.
Auto!“, dann muss der Roboter heraus- Schar der Leute, die daran glauben, wird Die rollenden Trittschemel machten
finden, welches Auto gemeint ist, wie er aber immer kleiner“, sagt er. „Bei denen schnell Karriere. Etliche Großversender
hinkommt und was dort von ihm erwartet hat das oft schon etwas Religiöses, teils setzen sie bereits ein, darunter der US-
wird. „Er soll ja durchs Fenster gucken auch Fanatisches. Ich halte überhaupt Windelgigant Diapers.com, den Amazon
und nicht etwa den Tankdeckel betrach- nichts von der Vision, wir würden uns ei- kürzlich kaufte. Und in den Fachmedien
ten“, sagt Kruijff. nes Tages einen USB-Stick ins Hirn stöp- kursieren sie als Sinnbilder einer prag-
Freilich muten die hilfswilligen Ge- seln und unser Bewusstsein auf einen matischen Wende in der KI: Die globale
schöpfe zumeist noch sehr bescheiden an Computerchip ausquartieren. Das ist ge- Gemeinde hat sich mehrheitlich dem
im Vergleich zu einer Rampensau wie fährlicher, antihumaner Humbug.“ unspektakulären Nutzwert verschrieben –
dem japanischen Humanoiden „Asimo“, Der Forscher sieht in den Maschinen die großen Fragen delegiert sie neidlos
der jahrelang durch die Medien hüpfte nur Assistenten des Menschen; Bewusst- zurück an die Grundlagenforschung.
und tanzte. Sein Ruhm verblich erst, als sein ist dafür auf absehbare Zeit entbehr- M������ D��������

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