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Bibliothekarisches Blitzlicht Nr.

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© Christof Wahner 2010

Vorwort: In dieser Art von Text geht es um eine neue Lesart von Bücherregalen in Bibliotheken wie
z.B. der Badischen Landesbibliothek, die fortlaufend nummeriert sind, ohne räumliche Kategorisierung.
Nun stellt sich bei solcher Zufälligkeit die Frage, ob sich nicht doch tiefere Gründe dahinter verbergen,
wenn z.B. ein Buch mit dem Titel "Beruf Pferdewirt" direkt neben einem anderen Buch mit dem Titel
"Der Sinn des Lebens" steht. Die Titel bzw. Untertitel der ausgewählten Bücher sind hervorgehoben.

Memmingen, Mittwoch 17:30. Ein Kamerateam unter der Leitung von Uwe Hausstädtler befragt einen
jungen, dynamischen Mann, welches Verhältnis er zum Einsatz von Virtual Reality in der Praxis hat.
Dieser junge Mann fragt erstaunt: "Was für eine Praxis? Arztpraxis oder wie oder was? Also wenn sie
das Kapitel Transsexualität – Transidentität meinen, dann will ich als Transmensch nicht verschweigen,
dass Virtual Reality und Transidentität eigentlich das gleiche sind, zumindest vom Lebensgefühl her."

Diese Worte spricht Udo R., während zur gleichen Zeit Hans-Georg Gadamer in einer Ecke seiner
Heidelberger Ruhestätte kauert und über die Verborgenheit der Gesundheit vor sich hin philosophiert.
Immer wieder brabbelt er vor sich hin "Patient Massenmörder", während er sich mit zunehmender
Klarheit an den Fall Ernst Wagner und die biopolitischen Diskurse erinnert. Er greift zu seinem immer
noch funktionstüchtigen Mobiltelefon und bittet seine langjährige Geliebte Ricarda Liver, einen seiner
interessantesten Gedankengänge auf Rätoromanisch zu übersetzen. Seine gleichermaßen ethische
wie erkenntnistheoretische Frage lautet, inwiefern ein an sich gesunder Massenmörder eine an sich
kranke Gesellschaft heilen kann. Vor allem, wenn ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel mit im Spiel ist.

Während Hans-Georg Gadamer überaus eifrig einen Tunnel durch Raum und Zeit gräbt, denkt er weiter
nach und spricht zu sich selbst: "Nanu! Hm, ich meine: Hoppla! Was bedeutet genetische Information?
Hat das vielleicht irgendwie mit Pflegekompetenz zu tun?" Er denkt plötzlich an seinen Großneffen Udo
R., der sich seit mehreren Jahren unermüdlich dafür einsetzt, Gastroenterologie für die Praxis tauglich
zu machen, und zwar für den praktischen Umgang mit Transsexualität, seit er die folgende Hypothese
gefunden hatte: Wenn Liebe bzw. Sexualität durch den Magen geht, dann geht Transsexualität über
den Magen-Darm-Trakt hinaus. Der beste Gegenbeweis ist aus seiner Sicht ein Gespann der griechi-
schen Antike, nämlich Narziss und Echo: Optische und akustische Reflexion allein – also das eigene
Spiegelbild und der eigene Widerhall – reicht auch bei heftigster Verliebtheit einfach nicht zum Leben.
Nein, nicht nur die Fernsinne wollen liebevoll und geistreich umschmeichelt werden, sondern auch die
Nah- und Tiefensinne am und im Körper und vor allem im Darm. Nicht von ungefähr haben übrigens
auch die berühmt-berüchtigten Deutungsmuster sozialer Ungleichheit ihren Ursprung im Darm.

Udo R. hat von seinem Großonkel Hans-Georg Gadamer gelernt, dass man bei solchen praktischen
Angelegenheiten des Lebens das Heidegger-Lesebuch getrost im Regal stehen lassen darf, vor allem
wenn es um Schönheit als Praxis bzw. um klassen- und geschlechtsspezifische Körperlichkeit geht.
Dem stimme ich als Verfasser dieses Textes in vollem Umfang zu, werde aber umgehend von Udo R.
mit folgender Hasstirade beglückt: "Ey, du perverse Sau, misch dich hier bloß nicht ein! Du kennst ja
noch nicht einmal die Unterschiede von Transsexualität, Transvestismus, Transidentität und hast wahr-
scheinlich auch nicht die leiseste Ahnung von Transparenz und Transzendenz. In unserer Story hier
hast du jedenfalls definitiv nix verloren. Halt endlich deine restlos unqualifizierte Schnauze und schreib
einfach das auf, was hier abgeht! Aber bitte ohne irgendwelche eigenwilligen Kommentare aus deinem
verschneiten Hirn! Und wenn du noch nicht mal DAS gebacken bekommst, dann zieh gefälligst Leine!"
Zum Glück ist bald schon das Flüsterkind in Begleitung von Mona Michaelsen zu Stelle, um mit seinem
bezaubernden Flüsterton Udo R. zu besänftigen, bis nur noch dessen Reizdarm laute Töne anschlägt.
Nach einiger Zeit packt Udo R. seinen Dudelsack aus, um diese intestinale Konversation zu übertönen.
Er weiß, dass er das Handbuch der frühneuenglischen Aussprache für Musiker heute nicht mehr braucht,
aber umso mehr seinen herrlichen knielangen Schottenrock aus mercerisierter Baumwolle, der sogar
auf blinde Bienen eine geradezu magische Anziehung ausübt. Udo R. sieht im Schottenrock ungefähr
so aus wie die Hauptfigur in diesem Theaterstück Odysseus, Verbrecher – Schauspiel einer Heimkehr,
das zur erheiternden Überraschung des Publikums wieder einmal zufällig in San Francisco endet, und
zwar unerwarteterweise in dem an sich harmlosen Kurs "Photoshop CS3 für Dummies". Aber wieso
endet die Odyssee von Udo R. nicht in Deutschland? Die soziologische Erklärung ist ganz einfach:
Deutschland macht dicht, schon allein wegen der poetischen Dogmatik und Gotteslehre. Vermutlich
auch wegen der dogmatischen Poesie. Daran kann sogar das München-Komplott im Grunde nichts
mehr ändern. Auch der zarte Imperativ des Weltverbesserers Udo R. greift ins Leere. So zart er auch
seinen Satz "Ruf zurück die Vögel!" vor sich hin flötet, es tut sich einfach gar nichts. Sogar Zypern,
Insel der Aphrodite hält sich sehr bedeckt, aber vielleicht nur deshalb, weil das Flüsterkind trotz inten-
siver Unterstützung seitens ihrer Betreuerin Mona Michaelsen die Prüfung und Praxis Fachverkäuferin
Bäckerei und Konditorei in voller Länge versiebt hat. Tja, sie bekam weder Prüfung noch Praxis auf die
Reihe. Wenn sie weniger Zeit auf der Insel der Aphrodite vertrödelt hätte, dann hätte sie ihre Lern- und
Arbeitsaufgaben nicht so verschludert. Das ist wirklich ein bitteres Armutszeugnis, das wahrscheinlich
jedoch auf die Impfentscheidung zurückzuführen ist, also auf jene Entscheidung, nach der man darauf
verzichtet, die Bevölkerung flächendeckend gegen Inkompetenz zu impfen.

Jedenfalls ist Udo R. nun stinkesauer auf Zypern, weil diese verdammte Insel seinen aphrodisischen
Imperativ "Ruf zurück die Vögel" einfach ignoriert. Zypern als stellvertretende Instanz der Liebesgöttin
Aphrodite ist stinkesauer auf das Flüsterkind, weil es durch seine notorische Herumbummelei auf der
Insel seine Prüfung und Praxis vergeigt hat und auf indirekte Weise die bildungs- und beschäftigungs-
politische Reputation der Insel in Mitleidenschaft zieht. Außerdem beschäftigt sich ein Untersuchungs-
ausschuss inklusive internationaler Expertenkommission mit der Frage, inwieweit das Flüsterkind für
das Fortbestehen der politischen Teilung von Zypern zur Rechenschaft gezogen werden kann. Und das
Flüsterkind ist stinkesauer auf den IHK-Prüfer Wolfgang Mößner, der immer so strenge Maßstäbe anlegt.
Aber jetzt mal ganz ehrlich: Wer will sich noch bei einem dermaßen umfangreichen Konfliktpotenzial
auch nur ansatzweise darum kümmern, auf wen eigentlich Wolfgang Mößner stinkesauer sein darf?

Aber zum Glück gibt es immer noch solche Kompetenzbestien wie Michael Boßle und Harald Rzychon,
die mit ihrem Fallbuch erwachsener Mensch ein gigantisch-revolutionäres Werk vorgelegt haben, in
welchem sie sämtliche Ansätze zur naiven Quantenmechanik konsequent auf humanitäre Thematiken
transferieren, so dass nun dadurch sogar noch die berühmtesten Meilensteine der Architektur regelrecht
unter Beschuss geraten. Dies wiederum erzeugte bereits eine offene Unruh und 100 Liebesgedichte.
In letzter Konsequenz geraten also nicht nur die Meilensteine der Architektur an sich unter Beschuss,
sondern auch die Frauen der Künstler, also die Frauen der betreffenden Stararchitekten.

Udo R. gibt mir gerade zu verstehen, dass dieser Text nun zu Ende ist, weil es ansonsten allzu intim
werden könnte, weil Bibliophilie sowieso überhaupt eine Perversion in Reinform darstelle, und weil ich
ein genauso sensationsgeiler Spanner sei wie diese idiotischen Gaffer bei einer Massenkarambolage.
Meine bislang tapfer unterdrückte Aggression verleitet mich nun dazu, ihm einen einigermaßen deutli-
chen Stinkefinger zu zeigen, was ihn wiederum dazu ermuntert, nun doch noch eine richtige Schlägerei
zu iniziieren. Am Ende sehen wir beide nicht nur einfach Sterne, sondern auch die Messier-Objekte in
ihrer wunderbaren Vielfalt, und zwar ohne den geringsten Einsatz von Virtual Reality.

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